Das Abgeordnetenmandat zwischen Staat und Gesellschaft: Zum Verhältnis der Grundrechte von Bundestagsabgeordneten zu Art. 38 Absatz 1 Satz 2 GG [1 ed.] 9783428553556, 9783428153558

Immer wieder berufen sich Abgeordnete bei der Frage nach der Rechtmäßigkeit von Maßnahmen mit Mandatsbezug auch auf Rech

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Das Abgeordnetenmandat zwischen Staat und Gesellschaft: Zum Verhältnis der Grundrechte von Bundestagsabgeordneten zu Art. 38 Absatz 1 Satz 2 GG [1 ed.]
 9783428553556, 9783428153558

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1372

Das Abgeordnetenmandat zwischen Staat und Gesellschaft Zum Verhältnis der Grundrechte von Bundestagsabgeordneten zu Art. 38 Absatz 1 Satz 2 GG

Von

Bettina Gausing

Duncker & Humblot · Berlin

BETTINA GAUSING

Das Abgeordnetenmandat zwischen Staat und Gesellschaft

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1372

Das Abgeordnetenmandat zwischen Staat und Gesellschaft Zum Verhältnis der Grundrechte von Bundestagsabgeordneten zu Art. 38 Absatz 1 Satz 2 GG

Von

Bettina Gausing

Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster hat diese Arbeit im Jahr 2017 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

D6 Alle Rechte vorbehalten

© 2018 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Textforma(r)t Daniela Weiland, Göttingen Druck: CPI buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 978-3-428-15355-8 (Print) ISBN 978-3-428-55355-6 (E-Book) ISBN 978-3-428-85355-7 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2016/2017 von der Juristischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster als Dissertation angenommen. Ihr liegt der Stand von Rechtsprechung und Literatur bis Ende November 2016 zugrunde. Mein erster Dank gilt meinem verehrten Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Fabian Wittreck, für seine hervorragende Unterstützung. Er hat die Erstellung dieser Arbeit trotz seiner vielgestaltigen Aufgaben in Forschung und Lehre in allen Phasen konstruktiv begleitet und über das zu erwartende Maß hinaus durchweg wohlwollend gefördert. Herrn Prof. Dr. Bodo Pieroth danke ich für die Erstellung des Zweitgutachtens. Danken möchte ich ferner Herrn Prof. Dr. Gerald Mäsch, an dessen Lehrstuhl ich acht Jahre lang als studentische Hilfskraft und wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig war, sowie meinen ehemaligen Lehrstuhlkolleginnen und -kollegen. Ich habe hier eine durchweg angenehme und freundschaftliche Arbeitsatmosphäre erleben dürfen und werde immer gerne an die gemeinsame Zeit zurückdenken. Die Konrad-Adenauer-Stiftung, der ich mich stets verbunden fühle, förderte sowohl mein Studium als auch die Erstellung dieser Arbeit in ideeller wie finanzieller Hinsicht. Dafür möchte ich mich herzlich bedanken. Schließlich danke ich auch dem Bundesinnenministerium für den großzügigen Druckkostenzuschuss. Besonders bedanken möchte ich mich bei Jens Weuthen. Ihm gilt mein Dank nicht nur für seine unermüdliche Diskussionsbereitschaft vieler inhaltlicher Fragen, sondern viel wichtiger noch für seinen lieben Rückhalt während unserer gemeinsamen Promotionszeit. Herzlicher Dank gilt schließlich meiner Familie. Zunächst danke ich meiner lieben Schwester Sibylle Gausing. Sie hat gleich mehrmals die professionelle Korrek­ turdurchsicht dieser Arbeit übernommen und ist für mich immer eine wichtige Ratgeberin. Schließlich danke ich meinen Eltern Eva-Maria und Dr. Wolfgang Gausing, die mein Studium, meine Promotion und nun mein Referendariat mit großem Interesse verfolgt und mich in jeder erdenklichen Hinsicht gefördert haben. Für ihr Vorbild und ihre Unterstützung bin ich sehr dankbar. Ihnen widme ich diese Arbeit. Münster, im August 2017

Bettina Gausing

Inhaltsverzeichnis

Einleitung 15

A. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 B. Stand der Forschung und Themeneingrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 C. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 D. Begriffsklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20

1. Kapitel

Funktionale Anwendbarkeit der Grundrechte und ihr Verhältnis zur Mandatswahrnehmung in der Rechtsprechung

22

A. Prozessualer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 I. Statthaftes Verfahren im Falle der Rechtsverletzung von Bundestagsabgeordneten 23 II. Statthaftes Verfahren im Falle der Rechtsverletzung von Landtagsabgeordneten 26 III. Statthaftes Verfahren im Falle der Rechtsverletzung von kommunalen Mandatsträgern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 IV. Erste Weichenstellungen zur Einordnung der Rechtsprechungsansätze . . . . . . . . 28 B. Der innerparlamentarische Raum: Ausgewählte Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 I. Rauchverbote im kommunalen Sitzungssaal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 II. Religiöse Symbole im kommunalen Sitzungssaal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 III. Meinungsäußerungen der Mandatsträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 1. Grundsatzbeschluss des Bundesverwaltungsgerichts zum Tragen des Aufklebers „L./Atomwaffenfreie Stadt“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 2. Meinungsäußerung durch Bekleidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 3. Verbale Meinungsäußerung im Spannungsverhältnis zwischen Meinungsfreiheit und Rederecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 IV. Tonaufzeichnungen im kommunalen Sitzungssaal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 C. Der außerparlamentarische Raum: Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Mittelpunktregelung und Offenlegung von Nebeneinkünften von Bundestagsabgeordneten 40

8

Inhaltsverzeichnis I. Urteilsbegründung zur Mittelpunktregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 1. Das Leitbild der Entscheidungsträger: Umfangreiche Pflichtenstellung des Abgeordneten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 2. Die Auffassung der Dissenter: Leitbild der Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 II. Urteilsbegründung zu den Offenlegungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 1. Die Auffassung der Entscheidungsträger: Amtsträger vor Staatsbürger . . . . . 44 2. Die Auffassung der Dissenter: Staatsbürger im Amt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

D. Ableitung der bisherigen verfassungsrechtsdogmatischen Ansätze . . . . . . . . . . . . . . 46 I. Ansätze für die Reglementierung innerparlamentarischer Verhaltensweisen . . . . 46 1. Tendenz der Verwaltungsgerichte: Anwendbarkeit der Grundrechte und des freien Mandats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 2. Vorherrschender verfassungsrechtsdogmatischer Ansatz in der Literatur: Übernahme der beamtenrechtlichen Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 II. Ansätze für die Reglementierung außerparlamentarischer Verhaltensweisen . . . 48 1. Verschmelzung von Grundrechten und Freiheit des Mandats . . . . . . . . . . . . . 49 2. Keinerlei Grundrechtsgeltung für mandatsbezogene Maßnahmen . . . . . . . . . 50

2. Kapitel

Die Rolle des Bundestagsabgeordneten im staatlichen Organisationsgefüge

52

A. Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 I. Vom ursprünglichen Dualismus hin zur rollenmäßigen Unterscheidung von Staat und Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 II. Unterschiedliche Ausrichtung von freiem Mandat und grundrechtlicher Freiheit 57 III. „Die parlamentarische Demokratie fordert […] den Abgeordneten als ganzen Menschen“ (BVerfGE 134, 141 [174])  – Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts für die hiesige Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 B. Eingliederung des Bundestagsabgeordneten in die institutionalisierte Staatlichkeit . . 61 I. Abgeordneter als Organwalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 II. Abgeordneter als Amtsträger sui generis? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 1. Streitstand: Abstandsgebot zum Beamten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 2. Relevanz der Einordnung und verbleibende Bedeutung des Amtsbegriffs . . . 68 III. Bindung des Abgeordneten an Verfassung und Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70

Inhaltsverzeichnis

9

IV. Verfassungsrechtliche Rechtsstellung resp. verfassungsrechtlicher „Status“ des Abgeordneten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 C. Ergebnis: Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG als Hybrid zwischen Staat und Gesellschaft  . . . . . 73

3. Kapitel



Das „Ob“ der Grundrechtsberechtigung des Abgeordneten bei mandatsbezogenen Maßnahmen – Grundrechtsimpermeabler Abgeordnetenstatus?

74

A. Rechts- und Pflichtenstellung des Abgeordneten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 I. Amtsbereich: Apersonal anknüpfende Rechte und Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . 75 II. Außerparlamentarischer Rechts- und Pflichtenkreis: Anknüpfung an die Abgeordnetenperson . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 III. Die Verbindung von Amt und Person durch Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG . . . . . . . . . . 81 1. Die parlamentarischen Mitgliedschaftsrechte: Teilhabedimension des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 2. Freiheit und Unabhängigkeit der Mandatswahrnehmung im inner- wie im außerparlamentarischen Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 B. Begrifflicher Mythos vom „Abgeordnetenstatus“: Synonym für die Rechtsstellung des Abgeordneten oder eine Begrenzung grundrechtlicher Schutzbereiche? . . . . . . . . . . 86 I. Variierendes Begriffsverständnis in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . 87 1. Uneinigkeit über die Reichweite des sog. Abgeordnetenstatus . . . . . . . . . . . . 87 2. Dogmatische Verquickungen mit dem Begriff des Abgeordnetenstatus . . . . . 88 a) Das Statusverständnis des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . 90 b) Der rigide Trennungsgedanke von Grundrechten und staatsorganisatorischem Abgeordnetenstatus in Teilen der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 II. Dogmatische Einordnungsversuche für ein solches Statusverständnis . . . . . . . . . 93 1. Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG als lex specialis zu den Grundrechten . . . . . . . . . . . . 93 a) Anwendung des lex-specialis-Gedankens in der Literatur . . . . . . . . . . . . . 94 b) Haltbarkeit dieses Ansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 2. Verfassungsimmanente Grundrechtsbegrenzung durch Art. 38 GG . . . . . . . . 97 a) Explizite verfassungsimmanente Grundrechtsbegrenzung durch den Anwendungsbereich des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 b) Verfassungsimmanente Grundrechtsbegrenzung durch Ermächtigung an den Gesetzgeber zur Ausgestaltung der Abgeordnetenrechtsstellung „von innen heraus“, Art. 38 Abs. 3, Art. 48 Abs. 3 S. 3 GG? . . . . . . . . . . . . . . . 101

10

Inhaltsverzeichnis aa) Insbesondere: Der Status der Öffentlichkeit als immanenter Aspekt der Abgeordnetenrechtsstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 bb) Haltbarkeit dieses Ansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 c) Ungeschriebene verfassungsimmanente Grundrechtsbegrenzung zugunsten der Verfassungsorganisation? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 3. Grundrechtsbegrenzung durch verfassungsrechtlichen Sonderstatus des Abgeordneten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 a) Die ehemalige verfassungsrechtliche Kategorie des „besonderen Gewaltverhältnisses“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 b) Besonderes Gewaltverhältnis und Rechtsstellung des Abgeordneten – Getrennte Entwicklung trotz gemeinsamer Wurzeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 c) Verfassungsrechtliche Institutionalisierung und strukturelle Grundrechtsparallelen des Abgeordnetenmandats: Eigener verfassungsrechtlicher Sonderstatus des Abgeordneten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 d) Vorläufiges Fazit: Art. 1 Abs. 3 GG als einzige funktionale Begrenzung der Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 4. Freiwilligkeit der Mandatsannahme als letzter Anker: Grundrechtsverzicht? . 119 III. Ergebnis zum Statusbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 4. Kapitel



Das „Wie“ der Grundrechtsberechtigung des Abgeordneten – Der Bundestagsabgeordnete als (partiell) andersartiger Amtsträger

123

A. Bereichsdifferenzierte Grundrechtsgeltung anderer staatlicher Akteure: Korrelation von Weisungsgebundenheit und wehrfähiger Rechtsposition mit der jeweiligen Grundrechtsberechtigung des Amtsträgers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 I. Grundrechtsberechtigung des Beamten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 1. Erörterung der anzulegenden Vergleichskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 a) Wesensunterschiede des Abgeordneten und des Beamten in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 b) Wesensunterschiede von Amts- und Parlamentsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 126 c) Bilanz: Weisungsgebundenheit und innerorganisatorische Rechtszuweisung als Vergleichsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 2. Anwendung der maßgeblichen Vergleichskriterien auf das Beamtenverhältnis 127 a) Weisungsgebundenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 b) Grundsätzlich keine (ab)wehrfähige Rechtszuweisung im Amt . . . . . . . . 128 3. Konkrete Bereichsdifferenzierung der Grundrechtsgeltung beim Beamten . . 129 a) „Amtsbereich“ – Tätigwerden in Vertretung für den Staat . . . . . . . . . . . . 130 aa) (Grund)recht auf Nichtvornahme der Amtshandlung? . . . . . . . . . . . . 131 bb) Bestehenbleiben von Integritätsrechten resp. negativen Handlungsfreiheiten im Amtsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133

Inhaltsverzeichnis

11

b) „Dienstverhältnis“ – Amtsträger steht dem Staat als Person gegenüber . . 135 aa) Verfassungsimmanente Grundrechtsbegrenzung durch Sachnotwendig­ keiten des Beamtenverhältnisses? Die Kopftuchentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 bb) Eigene Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 c) „Privatbereich“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 II. Grundrechtsberechtigung des Richters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 1. Anwendung der maßgeblichen Vergleichskriterien auf den Richter . . . . . . . . 141 a) Richterliche Unabhängigkeit als Bereich der Weisungsfreiheit . . . . . . . . . 141 b) Art. 97 Abs. 1 GG als (ab)wehrfähige Rechtszuweisung zur Verteidigung der Weisungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 2. Konkrete Bereichsdifferenzierung der Grundrechtsgeltung beim Richter . . . 146 a) Spannungsverhältnis zwischen Dienstaufsicht und richterlicher Unabhängigkeit innerhalb der richterlichen Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 aa) „Kernbereich“ richterlicher Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 bb) „Äußerer Ordnungsbereich“ der richterlichen Tätigkeit . . . . . . . . . . . 148 cc) Auswirkungen auf die dem Beamtenrecht entlehnte Differenzierung zwischen „Amtsbereich“ und „Dienstverhältnis“ . . . . . . . . . . . . . . . . 149 (1) Automatische Gesprächsdatenerfassung durch das richterliche Diensttelefon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 (2) Richteramt und Meinungsäußerungsfreiheit in der mündlichen Verhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 (3) Richterliche Pflicht zum Tragen der Amtstracht . . . . . . . . . . . . . 153 (4) Weiterführende Überlegungen: Zusammenspiel aus richterlicher Unabhängigkeit und den Grundrechten des Richters . . . . . . . . . . 154 dd) Kritik an der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs: Die richterliche Unabhängigkeit als „funktionales Äquivalent der allgemeinen Handlungsfreiheit“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 b) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 III. Fazit zur Korrelation zwischen den Wesensunterschieden der Amtsträger und deren Grundrechtsberechtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 1. Fehlende Auswirkungen der Weisungsgebundenheit auf die Grundrechtsberechtigung des jeweiligen Amtsträgers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 2. Fehlende Auswirkungen der amtlichen (ab)wehrfähigen Rechtszuweisung auf die Grundrechtsberechtigung des jeweiligen Amtsträgers . . . . . . . . . . . . . . . . 162 3. Aufnahme persönlichkeitsbezogener Elemente durch das Richteramt . . . . . . 162 B. Die echte Eigenart der Abgeordnetenrechtsstellung – die Inhärenz der Person in der Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163

12

Inhaltsverzeichnis I. „Scharnierfunktion“ des Abgeordneten – Eine formale wie materielle Repräsentationsaufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 II. Die Prägung der Mandatskompetenzen durch die Abgeordnetenperson – formale Repräsentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 1. Kommunikative Züge der parlamentarischen Mitbestimmungsrechte . . . . . . 168 2. Keine Geltung des staatlichen Neutralitätsgebots für die amtlichen Äußerungen des Bundestagsabgeordneten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 3. Orientierung am eigenen Gewissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 4. Ergebnis: Aufnahme persönlichkeitsbezogener Elemente durch das Abgeordnetenamt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 III. Transformationsfunktion durch politische Betätigung – materielle Repräsentation 178 IV. Die „gesellschaftliche Verwurzelung“ des Abgeordneten im Privatbereich . . . . . 180 V. Ergebnis: Personale Prägung der Abgeordnetenrechtsstellung . . . . . . . . . . . . . . . 184

5. Kapitel

Bereichsdifferenzierte Zuordnung von freiem Mandat und Grundrechten 186

A. Bestimmung der funktional nicht anwendbaren Grundrechte: Übernahme der Amtsträgerlösung, Art. 1 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 I. Funktionale Nichtanwendbarkeit der Grundrechte im Bereich der Grundrechtsbindung, Art. 1 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 1. Erste Stufe: Zuordnung zum Staatsbereich, Art. 1 Abs. 3 GG (sphärische Zuordnung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 2. Zweite Stufe: Inhaltliche Einflussnahme auf die Amtsausübung (funktionale Zuordnung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 II. Gegenposition: Die Usurpationsgrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 B. Konturierung des Verhältnisses von freiem Mandat und Grundrechten: Raum für gleichzeitigen Schutz für die personal anknüpfenden Inhalte des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG . . 194 C. Lösungsvorschlag zur Zuordnung von Grundrechten und freiem Mandat unter Berücksichtigung der „Scharnierfunktion“ des Bundestagsabgeordneten  . . . . . . . . . . . . . . . 197 I. Betroffenheit des Mandatsträgers bei politischem Handeln . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 1. Betroffenheit bei der Ausübung von parlamentarischen Befugnissen . . . . . . . 198 a) Rechtsbindung: kein Raum für Grundrechte im Rahmen formaler Repräsentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 aa) Funktionale Nichtanwendbarkeit von (bestimmten) Grundrechten . . 198 (1) Kommunikationsgrundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199

Inhaltsverzeichnis

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(2) Allgemeine Handlungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 (3) Informationsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 (4) Gewissensfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 (5) Gleichheitsgrundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 (6) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 bb) Bestehenbleiben von negativen Handlungsfreiheiten sowie Integritätsrechten bei der Amtswahrnehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 (1) Sonderfall im Rahmen der negativen Handlungsfreiheiten: „Sprechendes“ Nichthandeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 (2) Sonderfall im Rahmen der Integritätsrechte: Das allgemeine Persönlichkeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 b) Gleichzeitiger Schutz durch Art.  38 Abs.  1 S.  2 GG und die positiven Handlungsfreiheiten: Mitgliedschaftsrecht auf ungestörte Amtsausübung? 204 2. Politische Aktivität im außerparlamentarischen Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 a) Funktionale Nichtanwendbarkeit der Grundrechte bei Inanspruchnahme von Amtsautorität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 b) Zusätzlicher Schutz durch Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG für die gesamte politische Betätigung im Sinne materieller Repräsentation . . . . . . . . . . . . . . . . 209 II. Ausgestaltung der persönlichen Rechtsstellung des Mandatsträgers im Übrigen – Berücksichtigung der gesellschaftlichen Verwurzelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 III. Sonderproblem: Beschränkung der Grundrechte einzig durch formelles Gesetz oder auch durch Geschäftsordnung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 1. Innerparlamentarisches, potentiell grundrechtsrelevantes Verhalten . . . . . . . . 215 2. Außerparlamentarisches, potentiell grundrechtsrelevantes Verhalten . . . . . . . 218 3. Differenzierte Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 IV. Zusammenfassung der denkbaren Fallkonstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 1. Kollision zwischen grundrechtlichen Gewährleistungen und staatsorganisa­ tionsrechtlichen Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 2. Gleichlauf von grundrechtlichen Gewährleistungen und staatsorganisationsrechtlichen Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224

6. Kapitel

Einfluss der Europäischen Menschenrechtskonvention

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A. Die Quadratur des Kreises? – Konfusion von grundrechtlicher Freiheit und staatsorganisatorischer Befugnis auf Konventionsebene  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 I. Besonderer Schutz des freedom of expression i. S. d. Art. 10 Abs. 1 S. 1 EMRK für das parlamentarische Rederecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 II. Konfliktpotential der Konzeptionsunterschiede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228

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Inhaltsverzeichnis 1. Gemengelage von Staat und Gesellschaft auf Schutzbereichsebene? . . . . . . . 229 2. Die GOBT als gesetzlich vorgesehene Einschränkung i. S. d. Art.  10 Abs.  2 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232

B. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259

Einleitung A. Problemstellung „Der Abgeordnete – das eigenartige Wesen“1.

So titelte Hans Boldt auf dem Seminar der deutschen Vereinigung für Parlamentsfragen bereits 1979. Er bezweckte mit dieser Formulierung den Hinweis darauf, dass bisher alle Anläufe, die Abgeordnetenrechtsstellung näher zu umschreiben, der Erkenntnis weichen mussten, sie sei nun mal eine solche „sui generis“2. Auch wenn seitdem bereits mehr als drei Jahrzehnte vergangen sind, hat dieser Satz doch an Aktualität und Relevanz nichts eingebüßt. Gerade die „Scharnierfunktion [des Abgeordneten] zwischen ‚Staat und Gesellschaft‘“3 ist es, die dem Juristen seit langem Rätsel aufgibt. Dabei gilt insbesondere die Frage nach dem Verhältnis seiner Grundrechtsgewährleistungen zu seiner staatlichen Funktionswahrnehmung bzw. der Freiheit des Mandats als klärungsbedürftig4, ja wird in besonderem Maße durch Betonung seiner Eigenartigkeit5 geprägt. Ob bei der Offenlegung von Nebeneinkünften seitens der Bundestagsmitglieder6, der immer aktueller werdenden Frage nach der Zulässigkeit religiöser Symbole im innerparlamentarischen Raum7 oder bei der Beobachtung von Abgeordneten durch den Verfassungsschutz8: Immer wieder berufen sich die betroffenen Bundestagsabgeordneten bei der Frage nach der Rechtmäßigkeit von Maßnahmen, die sie aufgrund der Mandatsausübung betreffen, auch auf Rechte, die ihnen nach verfassungsrechtlichem Duktus nur als natürlichen Personen bzw. in ihrer Bürger­rolle9 zustehen – auf ihre Grundrechte. Da der Bundestagsabgeordnete bei 1

H. Boldt, Die Stellung des Abgeordneten im historischen Wandel, in: Presse- und Informationszentrum des Deutschen Bundestages (Hrsg.), Politik als Beruf? Das Abgeordnetenbild im historischen Wandel, Zur Sache 1/79, S. 15 (15). 2 Boldt, Stellung (Fn. 1), S. 15. 3 Boldt, Stellung (Fn. 1), S. 16. 4 K. Stein, Die Verantwortlichkeit politischer Akteure, 2008, S. 525 f.; S. Helmes, Spenden an politische Parteien und an Abgeordnete des Deutschen Bundestages, 2014, S. 261. 5 Dies gerade im Vergleich zu anderen staatlichen Funktionsträgern, s. unten 4. Kap. A. (S. 122 ff.). 6 BVerfGE 118, 227. 7 S. hierzu ausführlich unten 1. Kap. B. (S. 30 ff.). 8 BVerfGE 134, 141. 9 Vgl. P. Häberle, in: NJW 1976, S. 537 (540); C. Waldhoff, in: ZParl. 37 (2006), S. 251 (263); zur Grundrechtsträgerschaft natürlicher Personen: W. Rüfner, Grundrechtsträger, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX, 3. Aufl. 2011, § 196 Rn. 2 ff.; P. M. Huber, Natürliche Personen als Grundrechtsträger,

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Einleitung

der Wahrnehmung seines Mandats über eine große inhaltliche Freiheit und Selbstständigkeit verfügt, lassen sich Funktion und Person in seinem Fall umso schwieriger abgrenzen, scheint eine Unterscheidbarkeit in staatliche bzw. gesellschaftliche Sphäre geradezu unmöglich. Die vorliegende Arbeit wird zum einen der verbreiteten Annahme begegnen, staatsorganisatorische Vorgaben des sog. Abgeordnetenstatus seien auch bei Überwirken der jeweiligen Maßnahme in die persönliche Sphäre des Abgeordneten nicht an den Grundrechten zu messen. Neben dieser Frage nach der funktionalen Anwendbarkeit der Grundrechte soll zum anderen die Gewährleistung des freien Mandats in die hiesige Problematik eingepasst werden: Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG hält für den Abgeordneten eine eigenständige, fremdnützig wahrzunehmende Rechtszuweisung bereit, die ihn von herkömmlichen Amtsträgern unterscheidet. Diese Rechtszuweisung liegt quer zur gängigen (beamtenrechtlichen) Differenzierung zwischen individueller und „bloß“ amtlicher Betroffenheit und bedarf daher einer differenzierten Zuordnung zu den Grundrechten. Können sich zwischen fremdnützig ausgerichtetem freien Mandat und eigennützig ausgerichteten Grundrechten Überschneidungen ergeben? Gibt es diesbezüglich Unterschiede zwischen inner- und außerparlamentarischem Raum? Und gilt es, insoweit zwischen verschiedenen Grundrechten bzw. den einzelnen Grundrechtsdimensionen zu differenzieren? Die Beantwortung dieser Fragen ist nicht nur prozessual erheblich. Vielmehr ist es auch von elementarer Bedeutung für den materiellrechtlichen Prüfungsmaßstab, ob die Grundrechte und die Gewährleistung des freien Mandats von vornherein unterschiedlichen Inhalts sind und einander zwangsläufig ausschließen, ob grundrechtliche Gewährleistungen gar als Teil des freien Mandats verstanden werden können oder ob sich die jeweiligen Gewährleistungsgehalte voneinander gänzlich unabhängig bestimmen10. Für diese Zuordnung von freiem Mandat und Grundrechten wird es maßgeblich auf das verfassungsrechtliche Repräsentationsverständnis ankommen, das der Stellung des Bundestagsabgeordneten als Bindeglied zwischen Volks- und Staatswillensbildung zugrunde liegt.

B. Stand der Forschung und Themeneingrenzung Viel diskutiert wurde seit jeher der Umfang der Freiheit des Mandats im Konflikt mit Partei- und Fraktionsinteressen11. Das Spannungsfeld des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG zu den Grundrechten hingegen ist vergleichsweise erst jüngeren Datums in: D. Merten/H.-J. Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Bd. II, 2006, § 49 Rn. 1 ff. 10 M. Cornils, in: Jura 2009, S. 289 (296); zu den einzelnen Auffassungen s. unten im 1. Kap. D. (S. 46 ff.). 11 S. exemplarisch für Reichstags- bzw. Bundestagsabgeordnete F. Morstein Marx, in: AöR 50 (1926), S. 430 (430 ff.); E. Tatarin-Tarnheyden, Die Rechtsstellung des Abgeordneten; ihre

B. Stand der Forschung und Themeneingrenzung

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in das Blickfeld von Rechtsprechung und Literatur geraten12. Während es bereits mehrere Abhandlungen zur Grundrechtsberechtigung kommunaler Volksvertreter im Binnenbereich der Volksvertretung gibt13, ist die funktionale Anwendbarkeit der Grundrechte von Bundestagsmitgliedern im inner- und außerparlamentarischen Bereich und insbesondere deren Verhältnis zum freien Mandat bislang nicht umfassend dogmatisch behandelt worden14. Die meisten Autoren beschränken sich hier auf die Klarstellung, dass die Freiheit des Mandats selbst keine grundrechtliche Gewährleistung sei15 und demnach der Bürgerstatus „im Status des Abgeordneten nicht auf[geht]“16, beantworten aber regelmäßig nicht abschließend, wie sich beide Status zueinander verhalten: Können individuelle Entfaltungswünsche etwa parallelen Schutz durch die Freiheit des Mandats und die Grundrechte erfahren oder besteht zwischen beiden Bereichen ein Verhältnis strikter Exklusivität? Sind mandatsrechtliche Vorgaben bei Überwirken in die persönliche Sphäre des Abgeordneten an den Grundrechten zu messen und wie ist eine solche Kollisionslage aufzulösen? Nach welchen Kriterien ist die bereichsdifferenzierte Zuordnung von freiem Mandat und den Grundrechten vorzunehmen, wenn der Abgeordnete doch gerade eine Scharnierfunktion zwischen Staat und Gesellschaft17 einnimmt?

Rechte und Pflichten, in: G. Anschütz/R. Thoma (Hrsg.), Handbuch des deutschen Staatsrechts, Bd. I, 1930, § 38 (S. 413 [416 ff.]); G. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation und der Gestaltwandel der Demokratie im 20. Jahrhundert, 3. erw. Aufl. 1966, S. 262 ff.; H. Säcker, in: DVBl. 1970, S. 567 (569 ff.); N. Achterberg, Das rahmengebundene Mandat, 1975; T. Trachternach, in: DVBl. 1975, S. 85 (85 ff.); Abmeier, Die parlamentarischen Befugnisse des Abgeordneten des Deutschen Bundestages nach dem Grundgesetz, 1984, S. 49 ff.; C. Arndt, Fraktion und Abgeordneter, in: H.-P. Schneider/W. Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, 1989, § 21 Rn. 16 ff.; H. Hamm-Brücher, Abgeordneter und Fraktion, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht (Fn. 11), § 22 Rn. 1 ff.; W. Demmler, Der Abgeordnete zwischen Parlament und Fraktionen, 1993, S. 55 ff.; H. Pfeil, Der Abgeordnete und die Fraktion, 2008, S. 1 ff.; H. H. Klein/G. Krings, Fraktionen, in: M. Morlok/U. Schliesky/D. Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 17 Rn. 19 ff. 12 Hier war vor allem das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Mittelpunktregelung bzw. zu den Offenlegungspflichten bedeutend, BVerfGE 118, 277, s. hierzu unten 1. Kap. C. (S. 40 ff.). 13 S. insbesondere die Dissertationen von H. Schnell, Freie Meinungsäußerung und Rederecht der kommunalen Mandatsträger unter verfassungsrechtlichen, kommunalrechtlichen und haftungsrechtlichen Aspekten, 1997; J.-A. Trésoret, Die Geltendmachung von Grundrechten im verwaltungsinternen Organstreitverfahren, Am Beispiel des verwaltungsinternen kommunalen Organstreits, 2011; A. Ziegler, Das Ratsmitglied im Verfassungs- und Verwaltungsrecht, Grundrechte im Gemeinderat?, 2014. 14 Stein, Verantwortlichkeit (Fn.  4), S.  525 f. bezogen auf „echte“ Parlamentsmitglieder: „bislang nur selten diskutiert“; Klärungsbedarf sieht auch Helmes, Spenden (Fn. 4), S. 261; die Aktualität des Forschungsthemas belegt auch der aktuelle Beitrag zum „Amt“ des Abgeordneten und „zum Nutzen eines Relationsbegriffs im Spannungsfeld von Mandat und Person“ von A. Ingold, in: JöR N. F. 64 (2016), S. 43 (43 ff.). 15 Bspw. Demmler, Abgeordnete (Fn. 11), S. 49. 16 Bspw. F. E. Schnapp, in: NWVBl. 2006, S. 401 (402); C. Waldhoff, in: ZParl. 37 (2006), S. 251(263) ähnlich T. Groß, in: ZRP 2002, S. 472 (472). 17 S. schon oben Fn. 3.

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Einleitung

Die vorliegende Bearbeitung soll diese Fragen ausschließlich in Bezug auf den Bundestagsabgeordneten untersuchen, wobei Volksvertreter der Landes- bzw. Kommunalebene als Vergleichsmaßstab heranzuziehen sind. Insgesamt kann es nicht nur auf die nationalen Grundrechte ankommen, sondern muss auch der Einfluss der europäischen Grundrechtsgewährleistungen mit in die Erwägungen einbezogen werden. Die beschriebene Thematik ist von der nachgelagerten Frage nach dem statthaften Rechtsschutz gegen die betroffenen staatlichen Maßnahmen zu trennen, also etwa von der Frage, ob im Rahmen eines Organstreits eine Berufung auf Grundrechte möglich ist18. Die hier entscheidende ist die vorgelagerte Fragestellung, nämlich ob die grundrechtliche Sphäre überhaupt berührt sein kann, wenn die betroffene Maßnahme eine mandatsbezogene ist, bzw. wie sich eine solche grundrechtliche Betroffenheit ins Verhältnis zum freien Mandat setzen lässt.

C. Gang der Untersuchung Die Arbeit behandelt zwei wesentliche Schwerpunkte: Zum einen die funktionale Anwendbarkeit der Grundrechte des Abgeordneten im Zusammenhang mit seiner Mandatstätigkeit; zum anderen das Verhältnis der (funktional anwendbaren) Grundrechte zur Gewährleistung des freien Mandats (Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG). In einem ersten Kapitel wird dargestellt, wie die Rechtsprechung die Anwendbarkeit der Grundrechte in mandatsbezogenen Zusammenhängen behandelt. Da die Organstreitigkeiten vor dem Bundesverfassungsgericht vorrangig Fallgestaltungen solcher vermeintlicher Grundrechtsbeeinträchtigungen zum Gegenstand haben, die sich außerhalb des Parlaments abspielen, können die innerparlamentarischen vermeintlich grundrechtsrelevanten Fallgruppen am besten durch Blick auf parallele Sachverhalte im Kommunalrecht illustriert werden. Im Anschluss hieran lassen sich erste verfassungsrechtsdogmatische Lösungsansätze zusammentragen, die im Fortgang der Arbeit auf ihre Tauglichkeit hin untersucht werden sollen. In einem zweiten Kapitel wird die verfassungsrechtliche Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als Grundlage jeglicher Sphärendifferenzierung von grundrechtlicher Freiheit und organisierter Staatlichkeit erläutert. Anhand seiner „Organwalter-“ bzw. „Amtswaltereigenschaft“ sowie der Bindung des Bundestagsabgeordneten an Verfassung und Gesetz wird seine Rechtsstellung durch das Grundgesetz in Teilen der institutionalisierten Staatlichkeit zugeschrieben. Das 18 Für den Organstreit vor dem Bundesverfassungsgericht in std. Rspr. ablehnend s. nur BVerfGE 99, 19 (29); 118, 277 (320); H. Bethge, in: T. Maunz/B. Schmidt-Bleibtreu/F. Klein/ ders. (Hrsg.), Kommentar zum BVerfGG, § 64 (2012), Rn. 111 ff.

C. Gang der Untersuchung

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freie Mandat als solches erweist sich hingegen als hybride Kategorie zwischen Staat und Gesellschaft. In einem dritten Kapitel soll schließlich der verbreiteten Annahme begegnet werden, Maßnahmen des sog. Abgeordnetenstatus seien für die Grundrechte aufgrund dessen staatsorganisatorischen Ursprungs impermeabel. Für einen solchen Trennungsgedanken aus Staatsorganisation und Grundrechten werden verfassungsrechtliche Begründungsansätze durchgespielt und auf ihre Haltbarkeit hin überprüft. Es handelt sich um die Frage nach dem „Ob“ der Grundrechtsberechtigung. Im vierten Kapitel („Wie“ der Grundrechtsberechtigung) werden diejenigen Wesensmerkmale des Abgeordneten untersucht, die ihn von anderen Amtsträgern, insb. vom Beamten, unterscheiden und gemeinhin für eine veränderte Grundrechtsgeltung ins Feld geführt werden: Durch einen Vergleich der Grundrechtsberechtigung des Beamten mit derjenigen des Richters kann untersucht werden, ob die Kriterien der Weisungs(un)gebundenheit bzw. der amtlich eingeräumten Rechtszuweisung tatsächlich auf die funktionale Anwendbarkeit der Grundrechte Einfluss nehmen. Im Anschluss daran soll herausgearbeitet werden, wie sich die sog. Scharnierfunktion des Abgeordneten zwischen Staat und Gesellschaft auf die bereichsdifferenzierte Zuordnung von Grundrechten und freiem Mandat auswirkt. Hierfür wird es maßgeblich auf den verfassungsrechtlichen Begriff der Repräsentation ankommen. Das fünfte Kapitel stellt einen Lösungsvorschlag für die bereichsdifferenzierte Zuordnung von Abgeordnetenfreiheit und den Grundrechten vor. Dabei wird hergeleitet, wann die Grundrechte des Abgeordneten im Zusammenhang mit seiner Funktionswahrnehmung funktional anwendbar bzw. unanwendbar sind, und dies anhand von bestimmten Einzelgrundrechten im innerparlamentarischen Raum durchexerziert. Schließlich bedarf die Freiheit des Mandats einer Einpassung in die gefundene Bereichsdifferenzierung: Entsprechend des weiten Repräsentationsauftrags des Abgeordneten wird eine großzügige Interpretation des freien Mandats befürwortet und untersucht, inwieweit es Raum für einen Gleichlauf beider Gewährleistungen gibt. Anschließend soll die Anwendbarkeit des Vorbehalts des Gesetzes thematisiert werden, der in ein Spannungsverhältnis mit den geschäftsordnungsrechtlich ausbuchstabierten Disziplinarmaßnahmen tritt. Das sechste Kapitel widmet sich dem Einfluss der Europäischen Menschenrechtskonvention auf die hiesige Thematik. Der EMRK ist eine Unterscheidung von Staat und Gesellschaft resp. von Amts- und Grundrechtswahrnehmung fremd. Es wird der Frage nachgegangen, inwiefern aus den Konzeptionsunterschieden von EMRK und Grundgesetz ein Konfliktpotenzial entsteht. Eine thesenartige Zusammenfassung der gefundenen Ergebnisse schließt die Arbeit ab.

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Einleitung

Schließlich sei darauf hingewiesen, dass immer dann, wenn in dieser Arbeit der sprachlichen Vereinfachung halber die männliche Form verwendet wird, sinngemäß auch die weibliche Form gemeint ist.

D. Begriffsklärungen Vorab sollen die dieser Arbeit zugrunde gelegten zentralen Begriffe bestimmt werden. Der Begriff des Volksvertreters ist selbsterklärend und dient als Oberbegriff für die durch Wahlen bestimmten Repräsentanten des Volkes. Der Begriff des Abgeordneten dagegen bezeichnet ausschließlich die Mitglieder von Parlamenten19 und schließt damit kommunale Volksvertreter aus, da kommunale Vertretungsorgane als Teil der Exekutive keine „echten Parlamente“ sind20. Hingegen wird mit dem Begriff des „Funktionsträgers“ allgemein ein Individuum bezeichnet, das „eine ihm von einer anderen Person übertragene Funktion“21 wahrnimmt: Sowohl bei Volksvertretern, Beamten und Richtern handelt es sich daher gleichermaßen um staatliche Funktionsträger. Der Begriff des Mandats soll in der vorliegenden Arbeit die vollständige (formale wie materielle22) Repräsentationsaufgabe des Abgeordneten beschreiben und muss damit vom Amtsbegriff unterschieden werden, welcher nur für denjenigen Teil  seiner Aufgabenwahrnehmung verwendet wird, den der Abgeordnete unter Inanspruchnahme amtlicher Autorität ausübt23. Die Begriffe Grundrechtsträgerschaft und Grundrechtsberechtigung werden synonym für die Frage gebraucht, ob die bezeichneten Personen Grundrechte innehaben24: Dass Volksvertreter als Privatpersonen wie jedermann Träger von 19 Vgl. H. Bethge, Art. Abgeordneter, in: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Staatslexikon, 7. Aufl. 1985, Bd. I, Sp. 9 (9); K. Hesse, Art. Abgeordneter, in: R. Herzog u. a. (Hrsg.), Evangelisches Staatslexikon, Bd. I, 3. Aufl. 1987, Sp. 11 (11); P. Kevenhörster, in: U. Andersen/W. Woyke (Hrsg.), Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland, 7. Aufl. 2013, S. 1 (Sp. 1). 20 S. hierzu statt aller BVerfGE 65, 283 (289); 78, 344 (348); H. C. Röhl, Kommunalrecht, in: F. Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2013, Kap. 1 Rn. 90; P. J. Tettinger/W. Erbguth/T. Mann, Besonderes Verwaltungsrecht, 12. Aufl. 2015, § 2 Rn. 80. 21 So S. Graf v. Kielmansegg, Grundrechte im Näheverhältnis, 2012, S. 179 f. 22 S. unten 4. Kap. B. I. (S. 164 ff.). 23 Es wird hier nicht der Ansicht gefolgt, „Amt“ und „Mandat“ seien grundsätzlich gleichbedeutend mit dem Unterschied, dass der Mandatsbegriff sich im Gegensatz zum ausführlich zu diskutierenden herkömmlichen Amtsbegriff „durch ein geringere[s] Maß an rechtlicher Bindung“ auszeichne, Stein, Verantwortung (Fn.  4), S.  299 f. allerdings mit unergiebigem Fußnotennachweis; siehe zum Amtsverständnis ausführlich unten 2. Kap. B. II. (S. 62 ff.). 24 H. D. Jarass/B. Pieroth, Grundgesetz, 14. Aufl. 2016, Art. 19 Rn. 10; C. Enders, in: V. Epping/C. Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 2. Aufl. 2013, Art. 19 Rn. 34; sich anschließend B. Remmert, in: T. Maunz/G. Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 19 Abs. 3 (2009), Rn. 1;

D. Begriffsklärungen

21

Grundrechten und damit im Allgemeinen grundrechtsfähig sind, ist unbestritten25. Behandelt werden soll also nur die Fragestellung, ob der jeweilige Schutzbereich der Grundrechte seiner Funktion nach im Zusammenhang mit der Mandatsausübung konkret eröffnet ist (sog. funktionale Anwendbarkeit der Grundrechte)26. Schließlich werden unter dem Begriff der staatlichen Maßnahme jegliche dem Staat zurechenbare Eingriffe in Rechtszuweisungen verstanden, gegen die sich der Volksvertreter zur Wehr setzt, unabhängig davon, ob diese Rechtszuweisungen grundrechtlicher oder staatsorganisationsrechtlicher Natur sind. Dies können zum einen solche Maßnahmen sein, die ein bestimmtes Verhalten untersagen, das der Volksvertreter anstrebt (Verbote), zum anderen solche Regelungen, die dem Volksvertreter ein Verhalten vorgeben (Gebote). Sofern die Maßnahme im Zusammenhang mit dessen Mandatstätigkeit steht, wird sie als mandatsbezogene27 oder funktionsbezogene Maßnahme bezeichnet. Der Begriff der Verhaltensweise hingegen beschreibt ein Tun oder Unterlassen des Volksvertreters selbst, wobei damit noch keine Festlegung verbunden ist, ob er sich in seinem staatlichen Aktionsradius oder im Anwendungsbereich grundrechtlicher Freiheit bewegt.

K. Stern, in: ders./F. Becker (Hrsg.), Grundrechtekommentar, 2.  Aufl. 2016, Einl. Rn.  95; H. Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. I, 3. Aufl. 2013, Vorb. Art. 1 Rn. 109. 25 P. Häberle, in: NJW 1976, S. 537 (540); F. E. Schnapp, in: NWVBl. 2006, S. 401 (402). 26 W. Graf Vitzthum, Der funktionale Anwendungsbereich der Grundrechte, in: D. Merten/ H.-J. Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Bd. II, 2006, § 48 Rn. 1; G. Schwerdtfeger/A. Schwerdtfeger, Öffentliches Recht in der Fallbearbeitung, 14. Aufl. 2012, Rn. 213, 448; s. ausführlich noch unten 3. Kap. B. II. 3. d) (S. 112 ff.). 27 Diese Terminologie findet sich auch bei T. Nguyen, Die Tätigkeit von Bundestagsabgeordneten neben dem Mandat, 2015, S. 110 ff. mit der weiteren Unterscheidung zwischen mandatsregelnden und mandatsbezogenen Maßnahmen.

1. Kapitel

Funktionale Anwendbarkeit der Grundrechte und ihr Verhältnis zur Mandatswahrnehmung in der Rechtsprechung Nur vermeintliche Einigkeit soll von vornherein darüber bestehen, dass der Bundestagsabgeordnete dann, wenn er wie jeder andere Staatsbürger als Privatperson Adressat von staatlichen Maßnahmen ist, Träger von Grundrechten ist1. So eingängig dies klingen mag, umso unklarer ist, wann der Abgeordnete in diesem Sinne denn wie jeder andere Staatsbürger betroffen wird. Präziser formuliert ist die Grundrechtsträgerschaft nur dann in Literatur und Rechtsprechung unstrittig gegeben, wenn staatliche Maßnahmen außerhalb jedweden Zusammenhangs mit der Mandatsträgereigenschaft des Abgeordneten stehen. Problembeladen sind daher nach wie vor diejenigen Maßnahmen, die an die Eigenschaft als Mandatsträger anknüpfen, mitunter aber jedenfalls auch in die persönliche Sphäre hineinwirken. Dies können zum einen solche Maßnahmen sein, deren Rechtsfolgen sich zeitlich wie räumlich auf den Geltungsbereich der Sitzung im Parlament beschränken. Zum anderen stehen Maßnahmen in Frage, die zwar an die Mandatsträgereigenschaft anknüpfen, die in zeitlicher oder räumlicher Hinsicht aber weitaus größere Folgen zeitigen, wie etwa die Offenlegungspflichten bezüglich der Nebeneinkünfte. Die Grundrechtsberechtigung von Volksvertretern ist zum Gegenstand zahlreicher gerichtlicher Entscheidungen auf kommunaler, Landes- und Bundesebene geworden. Die Rechtsprechungsbeispiele des Bundesverfassungsgerichts beziehen sich dabei vorrangig nur auf solche Fallgestaltungen vermeintlicher Grundrechtsbeschränkungen, in denen die angegriffene Maßnahme den (Bundestags-)Abgeordneten im außerparlamentarischen Bereich betrifft. Hingegen widmen sich die Verwaltungsgerichte häufiger dem innerparlamentarischen, vermeintlich grundrechtsrelevanten Verhalten der (Kommunal-)Mandatare, die daher vorliegend als Vergleichsgruppe herangezogen werden sollen. Durch die Analyse der Rechtsprechung von Bundesverfassungsgericht, Landesverfassungsgerichten und Verwaltungsgerichten können damit zum einen inner- wie außerparlamentarische Fallgruppen gleichermaßen beleuchtet werden. Zum anderen können hierdurch die prozessualen Besonderheiten der einschlägigen Verfahrensarten, die den Prüfungsrahmen der jeweiligen Entscheidung (mit)determinieren, weitestgehend ausgeblendet werden. 1

S. oben Einl. D. (S. 20 f.).

A. Prozessualer Hintergrund

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A. Prozessualer Hintergrund Im Folgenden soll knapp der verfahrensrechtliche Hintergrund vorweg geschickt werden, um die jeweiligen Argumentationslinien von Verwaltungsgerichten und Landes- bzw. Bundesverfassungsgericht einordnen zu können:

I. Statthaftes Verfahren im Falle der Rechtsverletzung von Bundestagsabgeordneten Das Bundesverfassungsgericht ist ausschließlich zuständig für solche Organstreitigkeiten, die von obersten Bundesorganen oder anderen Beteiligten, die durch das Grundgesetz oder durch die Geschäftsordnung eines Bundesorgans mit eigenen Rechten2 ausgestattet sind, erhoben werden (Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, vgl. §§ 13 Nr. 5, 63 ff. BVerfGG). Einzelne Bundestagsabgeordnete sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zwar weder selbst oberstes Bundesorgan noch Teil  eines Bundesorgans, wohl aber durch das Grundgesetz mit eigenen Rechten ausgestattet, vgl. Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG, und damit „andere Beteiligte“ im Sinne des Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG3. Über Fragen der rein innerparlamentarischen Organwalterstellung hinaus ist der Organstreit nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für all jene Maßnahmen die allein statthafte Verfahrensart, die sich auf das Bundestagsmandat zurückführen lassen; in diesem Verfahren wird einzig die Verletzung des sog. Abgeordnetenstatus einschließlich aller damit verbundenen Rechte4 geprüft, auch wenn daneben noch etwaige Grundrechtsverletzungen gerügt werden5: Das Bundesverfassungsgericht hat bislang offen gelassen, „ob eine Maßnahme, die auf den Status des Abgeordneten zielt, in besonderen Ausnahmefällen in dessen grundrechtlich geschützte Privatsphäre eingreifen kann“6, und „ob dann das einschlägige Grundrecht neben dem verfassungsrechtlichen Abgeordnetenrecht in irgendeiner Weise Beachtung finden muß“.7 Aufgrund der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde gegenüber 2 Kritisch zur Verwendung des Begriffs „Rechte“ anstelle von „Kompetenzen“ i.R.v. Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG E. Benda/E. Klein/O. Klein, Verfassungsprozessrecht: ein Lehr- und Handbuch, 3. Aufl. 2011, Rn. 990. 3 BVerfGE 60, 374 (378); s. auch C. Hillgruber/C. Goos, Verfassungsprozessrecht, 4. Aufl. 2015, Rn.  344; D. C. Umbach, in: ders./T. Clemens/F.-W. Dollinger (Hrsg.), Bundesverfassungsgerichtsgesetz Mitarbeiterkommentar, 2. Aufl. 2005, §§ 63, 64 Rn. 25. 4 BVerfGE 62, 1 (32); s. die Beispiele bei Umbach (Fn. 3), §§ 63, 64 Rn. 29: Status meint somit zum einen die Mitgliedschaft im Bundestag selbst sowie die damit verbundenen Teilhaberechte, zum anderen aber auch die mit der Abgeordnetenstellung verbundenen persönlichen Schutzrechte; s. ausführlich zum Statusbegriff unten 3. Kap. B. (S. 86 ff.). 5 Std. Rspr.: BVerfGE 43, 142 (148) m. kritischer Anmerkung G. P. Strunk, in: DVBl. 1977, S. 613 (615 ff.); E 64, 301 (312). 6 BVerfGE 99, 19 (29), allerdings durch den zweiten Senat angedeutet, dass Grundrechtsverletzungen ggf. vor den Fachgerichten gerügt werden können; BVerfGE 118, 277 (320). 7 BVerfGE 19, 99 (29).

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1. Kap.: Funktionale Anwendbarkeit der Grundrechte

dem Organstreitverfahren können für mandatsbezogene Maßnahmen aber jedenfalls faktisch keine Grundrechtsverletzungen gerügt werden8. Zwar ist kein Rechtsweg zu durchlaufen, bevor die Maßnahme vom Bundesverfassungsgericht im Rahmen des Organstreits überprüft werden kann. Ferner profitiert der Antragsteller von der sechsmonatigen Frist zur Geltendmachung der Rechtsverletzung nach § 64 Abs. 3 BVerfGG. Folge eines erfolgreichen Antrags ist allerdings lediglich die Feststellung, dass die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung den Antragsteller in seinen verfassungsrechtlichen Rechten verletzt hat, § 67 S. 1 BVerfGG, nicht aber die Erklärung der Maßnahme für nichtig. Wollte man an dieser Stelle den Gedanken der Ehrenmannlehre9 fruchtbar machen, bliebe dieser Gesichtspunkt allerdings ohne Konsequenzen, da der Antragsteller darauf vertrauen kann, dass der Antragsgegner auch ohne solche Gestaltungswirkung die nötigen Konsequenzen aus dem erfolgreichen Verfahren zieht. Rügt der Beschwerdeführer hingegen eine – aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht zur Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde bei mandatsbezogenen Maßnahmen notwendigerweise „reine“ – Grundrechtsverletzung, so ist er zunächst auf den Instanzenzug vor den Verwaltungsgerichten verwiesen. Die Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht nach Art.  93 Abs. 1 Nr. 4a GG steht ihm erst nach Rechtswegerschöpfung offen, § 90 Abs. 2 S. 1 BVerfGG. Die Frist zur Einlegung beträgt nur einen Monat, § 93 Abs. 1 S. 1 BVerfGG. Dafür erweist sich die Verfassungsbeschwerde als rechtsschutzintensiver, da das Gericht nicht nur die Rechtsverletzung durch die beanstandete Maßnahme feststellt, sondern die angegriffene Gerichtsentscheidung aufhebt, § 95 Abs. 2 BVerfGG, oder das betreffende Gesetz für nichtig erklärt, § 95 Abs. 3 S. 1 BVerfGG. An dieser grundgesetzlich vorgesehenen Differenzierung zwischen Organstreit und Verfassungsbeschwerde könnte man zwar insofern zweifeln, als Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG seinem Wortlaut nach den gesamten Art. 38 GG benennt, was nahelegen könnte, dass auch die Verletzung des freien Mandats (Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG) im Wege der Verfassungsbeschwerde rügbar wäre10. In der Tat ist die dargestellte Differenzierung durchlässig für mehrere Ausnahmen: Nicht einschlägig ist das Organstreitverfahren zunächst dann, wenn ein Mandatsbewerber oder aber ein ehemaliger Abgeordneter aus dem künftigen bzw. ehemaligen Abgeordnetenverhältnis heraus vorgeht: Da er noch nicht bzw. nicht mehr tauglicher Antragsteller im Rahmen des Organstreits sein kann, ist er ausnahmsweise auf 8

S. dazu kritisch M. Cornils, in: Jura 2009, S. 289 (293). S. hierzu kritisch F. Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 10. Aufl. 2016, § 18 Rn. 6; für eine derartige Verfassungserwartung an die am Organstreit Beteiligten auch M. Sachs, Verfassungsprozessrecht, 4. Aufl. 2016, Rn. 344; zustimmend C. Hillgruber/C. Goos, Verfassungsprozessrecht, 4. Aufl. 2015, Rn. 390. 10 S. zu dieser Überlegung schon W. Demmler, Der Abgeordnete zwischen Parlament und Fraktionen, 1993, S. 42 f. 9

A. Prozessualer Hintergrund

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das Verfassungsbeschwerdeverfahren verwiesen11. Dasselbe gilt, wenn der (aktuelle) Mandatsträger zwar die Verletzung seines freien Mandats rügt, ihm aber ein tauglicher Antragsgegner zur Anstrengung eines Organstreits fehlt: In diesem Sinne hat das Bundesverfassungsgericht in jüngerer Zeit auch die Freiheit des Mandats zum Prüfungsgegenstand von Verfassungsbeschwerdeverfahren gemacht und Art. 38 GG insoweit als von § 90 I BVerfGG umfasst angesehen, „als diese Norm in ähnlicher Weise wie die übrigen Vorschriften des Grundgesetzes, in die sie eingereiht ist, Individualrechte garantiert“12. Dies darf allerdings nicht zu einer voreilig individualrechtlichen Deutung der Rechtsstellung des Abgeordneten führen, stellt das Bundesverfassungsgericht selbst wiederholt klar, dass ein Abgeordneter nur im Rahmen des Organstreitverfahrens mit einem Staatsorgan um seine Abgeordnetenrechte streiten könne13. Entscheidend ist daher, ob der Abgeordnete sich gegen eine Maßnahme eines anderen antragsfähigen Staatsorgans richtet oder ob er sein freies Mandat gegenüber der übrigen staatlichen Gewalt ins Feld führt14. Wenn auch die Frage der Grundrechtsberechtigung der Volksvertreter bei Mandatswahrnehmung stets offen gelassen wird, können die Betroffenen bei mandatsbezogenen Maßnahmen jedenfalls faktisch keine Verletzung ihrer Grundrechte geltend machen. Verfassungsbeschwerde i. S. d. Art.  93 Abs.  1 Nr.  4a  GG (vgl. §§ 13 Nr. 8a, 90 ff. BVerfGG) können sie – nach Erschöpfung des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes – daher nur in ihrer Eigenschaft als (reine) Privatperson erheben15, wenn sie eine Verletzung der dort abschließend aufgezählten Grundrechte bzw. grundrechtsgleichen Rechte vortragen.

11 Bspw. BVerfGE 32, 157 (162); 63, 230 (241 f.); ebenso P. Badura, in: W. Kahl/C. Waldhoff/C. Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 38 (2008), Rn. 67; kritisch Umbach (Fn. 3), §§ 63, 64 Rn. 58 ff.; ebenfalls kritisch Hillgruber/Goos, Verfassungsprozessrecht (Fn. 3), Rn. 347 ff. 12 BVerfGE 108, 251 (266) (i. V. m. Art. 47 GG); 134, 141 (170, Rn. 85); mit Rekurs auf die benannten Entscheidungen als „grundrechtsgleiches Recht“ bezeichnet bei H. D. Jarass/ B. Pieroth, Grundgesetz, 14. Aufl. 2016, Art. 38 Rn. 43. 13 BVerfGE 134, 141 (169 f., Rn. 84 ff.). 14 BVerfGE 108, 251 (267), m. Anmerkung M. Sachs, in: JuS 2004, S.  71 (74); so auch bei BVerfGE 134, 141 (169 f., Rn. 84 ff.); so auch C. Ohler, in: NVwZ 2004, S. 696 (697); M. Fehling/B. Schunicht, in: ZJS 2014, S.  199 (201); H. A. Wolff, in: JZ 2014, S.  93 (93); T. du Mesnil de Rochement/M. W. Müller, in: JuS 2016, S. 603 (608); in der Entscheidung wäre die einzige Möglichkeit zur Begründung der Antragsgegnereigenschaft gewesen, der Bundesregierung entweder das Tätigwerden des Bundesamtes für Verfassungsschutz zuzurechnen oder der Bundesregierung eine Pflicht zum Einschreiten aufzuerlegen, BVerfGE 134, 141 (195 ff., Rn. 162 ff.). 15 Vgl. Umbach (Fn. 3), §§ 63, 64 Rn. 25.

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1. Kap.: Funktionale Anwendbarkeit der Grundrechte

II. Statthaftes Verfahren im Falle der Rechtsverletzung von Landtagsabgeordneten Landtagsabgeordnete rügen die Verletzung ihrer Rechtsstellung grundsätzlich im Rahmen eines eigenen Verfahrens vor dem jeweiligen Landesverfassungsgericht16, gehen also dem Bundestagsabgeordneten entsprechend im Wege eines Organstreitverfahrens vor. Die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts kann hier nur auf zwei Wegen begründet werden: Zum einen kann diesem durch Landesgesetz die Entscheidung über Organstreitigkeiten innerhalb des Landes ausdrücklich gemäß Art. 99 GG zugewiesen werden17. In diesem Fall wird es im Rahmen der Organleihe für das betreffende Land tätig18. Zum anderen ist das Bundesverfassungsgericht subsidiär19 zuständig für Landesorganstreitigkeiten, wenn kein anderer Rechtsweg gegeben ist (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 Var. 3 GG), also das Landesrecht kein adäquates Rechtsschutzverfahren zur Entscheidung der konkreten verfassungsrechtlichen Streitigkeit bereithält20. Es handelt sich bei diesem sog. Landesinnenstreit um ein kontradiktorisches Antragsverfahren entsprechend Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, wenn auch der Prüfungsmaßstab derjenige der Landesverfassung der jeweiligen Länder ist21. Diese Konstellation tritt aufgrund des meist gegebenen landesverfassungsrechtlichen Organstreits indes nur selten auf22. Daneben kann auch für Landtagsabgeordnete die Situation entstehen, dass sie auf die Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht verwiesen

16 Siehe hierzu die einzelnen Landesverfassungen: Baden-Württemberg: Art. 68 Abs. 1 Nr. 1 BW LV; Bayern: Art. 64 BV; Berlin: Art. 84 Abs. 2 Nr. 1 VvB; Brandenburg: Art. 113 Nr. 1 BbgVerf; Bremen: Art. 140 Abs. 1 S. 2 BremLV; Hamburg Art. 65 Abs. 3 Nr. 2 HmbVerf; Hessen: Art. 131 Abs. 1 HV; Mecklenburg-Vorpommern: Art. 53 Nr. 1 MVVerf; Niedersachsen: Art. 54 Nr. 1 NV; Nordrhein-Westfalen: Art. 75 Nr. 2 LVerf NRW; Rheinland-Pfalz: Art. 130 Abs. 1, 135 Abs. 1 Nr. 1 RhPfVerf; Saarland: Art. 97 Nr. 1 SVerf; Sachsen: Art. 81 Abs. 1 Nr. 1 SächsVerf; Sachsen-Anhalt: Art. 75 Nr. 1 LSAVerf; Schleswig-Holstein: Art. 51 Abs. 2 Nr. 1 Verf SH; Thüringen: Art. 80 Abs. 1 Nr. 3 ThürVerf. 17 Bis zum 1.8.2008 einzig in Schleswig-Holstein praktiziert, s. G. Morgenthaler, in: V. Epping/ C. Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 2. Aufl. 2013, Art. 99 Rn. 3. 18 W. Meyer, in: I. v. Münch/P. Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd.  2, 6. Aufl. 2012, Art. 99 Rn. 1. 19 Zur Subsidiarität gegenüber anderen Rechtswegen i. S. d. Art.  93 Abs.  1 Nr.  4  GG s. H.  Bethge, Organstreitigkeiten des Landesverfassungsrechts, in: C. Starck/K. Stern (Hrsg.), Landesverfassungsgerichtsbarkeit, Teilband II, 1983, S. 17 (36 ff.). 20 Vgl. etwa BVerfGE 93, 195 (202): Zuständigkeit des BVerfG für den Landesinnenstreit auch dann, wenn das entsprechende „Landesrecht für Organstreitigkeiten überhaupt keine Zuständigkeit des Landesverfassungsgerichts vorsieht […] [oder] soweit das Landesrecht den Kreis der Antragsberechtigten enger zieht als nach Art. 39 Abs. 1 Nr. 4 GG in Verbindung mit § 71 Abs. 1 Nr. 3 BVerfGG“. 21 Umbach (Fn. 3), § 71 Rn. 40 f. 22 Umbach (Fn. 3), § 71 Rn. 40.

A. Prozessualer Hintergrund

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sind: Sofern sie nicht Verfassungsbeschwerde auf Landesebene23 einlegen, müssen sie insbesondere dann, wenn sie aus einem künftigen bzw. ehemaligen Abgeordnetenverhältnis heraus vorgehen und damit keine tauglichen Beteiligten im Organstreit sind, Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht erheben24. Ferner kann die Konstellation auftreten, dass die Landtagsabgeordneten durch nicht beteiligtenfähige Akteure der Staatsgewalt in ihrem freien Mandat beeinträchtigt werden und dann nach Durchlaufen des Rechtswegs ebenfalls auf die Verfassungsbeschwerde ausweichen müssen. Das Bundesverfassungsgericht ist jedenfalls dann zuständig, wenn das Landesverfassungsgericht effektiven Rechtsschutz aus Gründen der bundesstaatlichen Ordnung nicht gewährleisten kann, etwa weil es keine Entscheidung eines Bundesgerichts überprüfen darf25. Die Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht bleibt ferner dann relevant, wenn die Landtagsabgeordneten als Privatperson eine Grundrechtsbeeinträchtigung rügen, sofern sie nicht – sollte es sich um Akte der öffentlichen Gewalt des Landes handeln – bereits Verfassungsbeschwerde vor dem Landesverfassungsgericht erhoben haben: Zwar schließt die Einlegung einer Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht die Erhebung einer solchen vor dem Landesverfassungsgericht nicht grundsätzlich aus, vgl. § 90 Abs. 3 BVerfGG; jedoch wird diese Doppelung der Verfahren teils aus landesrechtlicher Sicht unterbunden, indem das Landesrecht als Zulässigkeitsvoraussetzung für die Landesverfassungsbeschwerde statuiert, dass keine Bundesverfassungsbeschwerde erhoben wurde bzw. wird26.

III. Statthaftes Verfahren im Falle der Rechtsverletzung von kommunalen Mandatsträgern Kommunale Mandatsträger hingegen rügen eine Verletzung ihrer Rechte durch mandatsbezogene Maßnahmen vor den Verwaltungsgerichten. Sofern sie vorbringen, durch die betreffende Maßnahme in ihrer Rechtsstellung als Mandatsträger verletzt zu sein, handelt es sich um einen sog. Innenrechtsstreit27. Da die VwGO 23 S. zur Existenz von Individualverfassungsbeschwerdeverfahren in den einzelnen Ländern und deren Zulässigkeitsvoraussetzungen die Übersicht bei R. Zuck, Das Recht der Verfassungsbeschwerde, 4. Aufl. 2013, Rn. 215 ff. 24 BVerfGE 32, 157 (162); s. auch das Diätenurteil des BVerfGE 40, 296, das die Verfassungsbeschwerde eines Landtagsabgeordneten gegen statusrechtliche Regelungen betrifft; allerdings geht es auch hier um Rechte aus einem zukünftigen Abgeordnetenstatus nach einer Wiederwahl, BVerfGE 40, 296 (308 f.), s. hierzu auch W. Demmler, Der Abgeordnete zwischen Parlament und Fraktionen, 1993, S. 44 ff. 25 S. BVerfGE 134, 141 (177 f., Rn. 106). 26 Vgl. H. Bethge, in: T. Maunz/B. Schmidt-Bleibtreu/F. Klein/ders. (Hrsg.), Bundesverfassungsgerichtsgesetz, § 90 (2003), Rn. 430 m. w. N. 27 Siehe zu diesem Begriff H.-U. Erichsen, Der Innenrechtsstreit, in: ders./W. Hoppe/A. v. Mutius (Hrsg.), Festschrift für Christian-Friedrich Menger zum 70. Geburtstag, 1985, S. 211

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1. Kap.: Funktionale Anwendbarkeit der Grundrechte

ursprünglich nicht auf Innenrechtsstreitigkeiten ausgelegt worden ist28, gibt es hierfür kein eigenständiges Verfahren. Derartige Kommunalverfassungsstreitigkeiten29 sind mithilfe der allgemeinen Feststellungs- oder Leistungsklage aufzulösen. Sind die Beschwerdeführer ausschließlich in ihrer Organwalterfunktion und nicht als „jedermann“ betroffen, lehnt das Bundesverfassungsgericht die Überprüfung entsprechender kommunaler Maßnahmen anhand der Grundrechte analog der zu Bundestagsabgeordneten entwickelten Grundsätze konsequent ab30. Hiervon ist die Konstellation zu unterscheiden, dass die Kommunalmandatare (ausschließlich) eine Verletzung ihrer Außenrechtspositionen wie der Grundrechte rügen. Dann ist ohne Besonderheiten auf das reguläre Klagerepertoire der VwGO zurückzugreifen, bevor schließlich Verfassungsbeschwerde eingelegt werden kann. Das Bundesverfassungsgericht wird hier nur im Falle von Grundrechtsbeeinträchtigungen tätig. Eine Verletzung der Grundrechte kann in diesem Fall theoretisch auch für Verhaltensweisen mit Mandatsbezug gerügt werden, sofern die Maßnahme nicht im rein Organinternen verbleibt31. Hier wird ein wesentlicher Unterschied zum Bundestagsabgeordneten deutlich, der bei jeglichem „Statusbezug“ auf das Organstreitverfahren verwiesen wird, in dem keine Überprüfung der Grundrechte möglich ist.

IV. Erste Weichenstellungen zur Einordnung der Rechtsprechungsansätze Die nachfolgende Untersuchung muss Folgendes in Rechnung stellen: Das Bundesverfassungsgericht differenziert zwischen Maßnahmen, die mit der Abgeordnetenfunktion in Zusammenhang stehen und für die es den Abgeordneten stets auf das Organstreitverfahren verweist, und solchen Maßnahmen, die den Abgeordneten außerhalb jedweden Zusammenhangs mit seinem Mandat in den Grund(211 ff.); D. Ehlers, in: F. Schoch/J.-P. Schneider/W. Bier (Hrsg.), Verwaltungsgerichtsordnung, § 40 (2003), Rn. 128 ff. 28 A. Gern, in: VBlBW 1989, S. 449 (449); K. Lange, Der Kommunalverfassungsstreit, in: P. Baumeister/W. Roth/J. Ruthig (Hrsg.), Festschrift für Wolf-Rüdiger Schenke zum 70. Geburtstag, 2011, S. 959 (959). 29 S. hierzu nur A. Gern, in: VBlBW 1989, S.  449 (449 ff.); J. Martensen, in: JuS 1995, S. 1077 (1077 ff.); M. Ogorek, in: JuS 2009, S. 511 (511 ff.); Lange, Kommunalverfassungsstreit (Fn. 28), S. 959 (959 ff.). 30 S. zuletzt BVerfG (K), Beschl. v. 4.8.2015, 2 BvR 1690/14 (juris), Rn. 6 ff., das daher bereits die Beschwerdeberichtigung verneinte. 31 S. allerdings den Fall „Dummschwätzer“: Anwendbarkeit der Meinungsfreiheit auf eine vermeintlich beleidigende Äußerung eines kommunalen Mandatsträgers, die dieser bei Wahrnehmung seines mitgliedschaftlichen Rederechts tätigte, s. BVerfG (K), NJW 2009, 749 (749 f.); s. hierzu auch A. Ziegler, Das Ratsmitglied im Verfassungs- und Verwaltungsrecht, Grundrechte im Gemeinderat?, 2014, S. 10.

A. Prozessualer Hintergrund

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rechten verletzen können und daher im Rahmen der Verfassungsbeschwerde rügbar sind, sehr genau. Für mandatsbezogene Maßnahmen lässt es einzig das Organstreitverfahren zu und prüft im Rahmen dessen keine Grundrechtsverletzungen32. Unabhängig davon, ob gegen die mandatsbezogene Maßnahme eine Verletzung von Rechten als Abgeordneter oder eine solche von Grundrechten geltend gemacht wird, werden Grundrechte in der Regel schon allein deshalb nicht Prüfungsgegenstand, weil das Bundesverfassungsgericht sie nicht in den Kontrollmaßstab seiner verfassungsrechtlichen Überprüfung mit einbezieht. Dasselbe gilt auch für die landesverfassungsrechtlichen Organstreitigkeiten33. Die Verwaltungsgerichte verfahren dagegen anders: Unabhängig davon, ob Innen- oder Außenrechtsstreit, sind die Kommunalmandatare auf dieselben Klagearten verwiesen, nämlich diejenigen, die die VwGO ohnehin zur Verfügung stellt. Dies bedingt auch die Tatsache, dass eine genaue Trennung von innerorganisatorischen Rechtspositionen und Grundrechten im Rahmen des jeweiligen Verfahrens oft nicht stattfindet34. Wenn diese Differenzierung nicht vorgenommen wird, befinden sich Kommunalmandatare faktisch als einzige in der Lage, gegen eine mandatsbezogene Maßnahme die Verletzung von solchen Rechten, die ihnen als Volksvertreter zustehen, sowie eine solche von Grundrechten vorzubringen – separat oder (teilweise) auch gleichzeitig35. Es zeigt sich also ein unterschiedlicher verfahrensrechtlicher Kontrollmaßstab der Gerichte in der Überprüfung mandatsbezogener Maßnahmen. Wenn zwar das Bundesverfassungsgericht die Grundrechtsrelevanz mandatsbezogener Maßnahmen offenlässt, so kann es gegenüber den Parlamentariern jedenfalls im Rahmen des einzig einschlägigen Organstreitverfahrens keine grundrechtlichen Erwägungen anstellen. Dass mit der verfahrensrechtlich determinierten unterschiedlichen Handhabung der Grundrechtsberücksichtigung auch eine materiellrechtliche Aussage über den Standort des Mandatsträgers auf staatlicher bzw. gesellschaftlicher Seite getroffen werden soll, kann dabei nicht ohne Weiteres unterstellt werden36. Dies ist auch deswegen zweifelhaft, weil, wie zu zeigen sein wird, selbst innerhalb der Verwaltungsgerichtsbarkeit sowie innerhalb des für Organstreitigkeiten zuständigen Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts kein Konsens im Umgang mit etwaigen Grundrechtsverletzungen von Mandatsträgern besteht. Die verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen sind daher auch deswegen für die vorliegende Untersuchung interessant, weil sie ggf. Aufschluss darüber geben können, wie die Gerichte das Verhältnis von Grundrechten und freiem Mandat beurteilen, wenn sie 32

Siehe bereits oben 1. Kap. A. I. (S. 23 ff.). Vgl. Bethge, Organstreitigkeiten (Fn. 19), S. 26 f. 34 Siehe hierzu unter 1. Kap. B. (S. 30 ff.). 35 Siehe hierzu unter 1. Kap. B. (S. 30 ff.). 36 Anders H. Meyer, Rechtsgutachten vom 11. Mai 2005 über die „Möglichkeiten und Grenzen der Regelung von Nebentätigkeiten der Abgeordneten des Deutschen Bundestages“, erstattet für die Rechtsstellungskommission des Ältestenrates des Deutschen Bundestages, S. 17: „Der geschilderte prozessuale Befund spiegelt die materiellrechtliche Lage wieder (sic).“ 33

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1. Kap.: Funktionale Anwendbarkeit der Grundrechte

den entsprechenden prozessualen Zwängen des Bundesverfassungsgerichts nicht ausgesetzt sind. Um ein ganzheitliches Bild der Grundrechtsträgerschaft des Parlamentariers abzubilden, das inner- wie außerparlamentarische Fallgestaltungen gleichermaßen wiedergibt und die prozessualen Vorgaben der Gerichtszweige weitestgehend außen vorlässt, müssen daher Entscheidungen sowohl der Verwaltungsgerichte als auch des Bundes- wie der Landesverfassungsgerichte herangezogen werden.

B. Der innerparlamentarische Raum: Ausgewählte Fallgruppen Im Folgenden soll aufgezeigt werden, wie die funktionale Anwendbarkeit der Grundrechte und deren Verhältnis zur freien Mandatstätigkeit im innerparlamentarischen Raum behandelt wird37. Es handelt sich hierbei um vorwiegend verwaltungsgerichtliche Entscheidungen. Eindeutig ist die Behandlung der parlamentarischen Mitgliedschaftsrechte: Deren Ausübung kann unbestrittenermaßen nicht auf die Grundrechte gestützt werden38. Schwierigkeiten bereitet hingegen die dogmatische Behandlung solcher Verhaltensweisen, die mit der Ausübung der Mitgliedschaftsrechte einhergehen, die die Volksvertreter also bei Ausübung der Mitgliedschaftsrechte an den Tag legen.

I. Rauchverbote im kommunalen Sitzungssaal Die älteste und umstrittenste Fallgruppe zur Grundrechtsberechtigung von Mandatsträgern betrifft die Rauchverbote im kommunalen Sitzungssaal. Es geht hierbei regelmäßig um die Frage, ob ein Mitglied des Stadtrates resp. Kreistages gegenüber dem Vorsitzenden einen Anspruch dahingehend geltend machen kann, dass einem anderen Mitglied das Rauchen während der Sitzungen untersagt wird. In Frage steht also ein Einschreiten im Dreiecksverhältnis. Hinsichtlich des Anspruchsstellers ist fraglich, ob für ihn „nur“ seine Mandatsrechte aus den kommunalen Gemeinde- oder Kreisordnungen streiten oder ob zur Durchsetzung seiner 37 S. auch die Besprechung der sich teils überschneidenden Fallgruppen bei J.-A. Trésoret, Die Geltendmachung von Grundrechten im kommunalen Organstreitverfahren, 2011, S. 15 ff.; Ziegler, Ratsmitglied (Fn. 31), S. 7 ff. 38 S. nur BVerfG NJW 1982, 2233 zur Rechtsnatur parlamentarischer Rügen, der zufolge das Rederecht des Bundestagsabgeordneten von dessen Meinungsfreiheit strikt zu trennen sei; P. Badura, Die Stellung des Abgeordneten nach dem Grundgesetz und den Abgeordnetengesetzen der Länder, in: H.-P. Schneider/W. Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, 1989, § 15 Rn.  39; T. Kingreen/R. Poscher, Grundrechte. Staatsrecht II, 32. Aufl. 2016, Rn. 255; kritisch N. Achterberg, in: JuS 1983, S. 840 (842 f.) und H. Trossmann, Parlamentsrecht des Deutschen Bundestages, Hauptbd., 1977, § 40 Rn. 6.

B. Der innerparlamentarische Raum: Ausgewählte Fallgruppen 

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gesundheitlichen Interessen ebenso auf Art. 2 Abs. 2 S. 1 Var. 2 GG zurückgegriffen werden kann. Da das störende Verhalten nicht (unmittelbar) vom Vorsitzenden des Stadtrates resp. Kreistages selbst ausgeht, sondern von einem anderen Kollegiumsmitglied, kann das Recht auf körperliche Unversehrtheit i. S. d. Art. 2 Abs. 2 S. 1 Var. 2 GG jedenfalls nicht in seiner Funktion als Abwehrrecht, sondern nur in seiner Dimension als Schutzpflicht virulent werden39. Im Umkehrschluss stellt sich aber auch die Frage, ob das rauchende Ratsmitglied Schutz durch die allgemeine Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG erfährt oder ob das an ihn gerichtete Verbot „nur“ eine innerorganisatorische Verhaltensregel ohne Grundrechtsrelevanz darstellt. 1982 befand das Oberverwaltungsgericht Münster40 über einen derartigen Fall im Rahmen eines kommunalen Organstreitverfahrens. Der Kläger machte hierbei geltend, durch das Rauchen seines Kollegen „in seiner geistigen Leistungsfähigkeit und seinem körperlichen Wohlbefinden beeinträchtigt“41 zu sein. Das Oberverwaltungsgericht ordnete die Problematik als Anwendungsfall des sogenannten innerorganisatorischen Störungsbeseitigungsanspruchs ein, also als Anspruch, der auf die Abwehr von Störungen des Sitzungsablaufs gerichtet ist42. Denn die Ratsmitglieder seien „nicht Zuordnungssubjekt eigener Rechte und Pflichten und damit in Hinblick auf die Modalitäten ihrer organinternen Amtsausübung auch nicht grundrechtsfähig“.43 Das Gericht begründete den Anspruch zwar mit den gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die durch das Passivrauchen entstünden, stellte aber darauf ab, dass derartige Gesundheitsgefahren den „Funktionsablauf“ des Rates beeinträchtigten44. Bei dem organinternen Anspruch der Klägerin ginge es „nicht um einen etwa an den Grundsätzen des Polizei- und Ordnungsrechts auszurichtenden Individualanspruch auf Einschreiten des Staates gegen einen Dritten […], sondern vielmehr um die im Interesse des Organs entsprechend der innerorganisatorischen Pflichtenregelung vorzunehmende Abgrenzung und Durchsetzung von Befugnissen und Wahrnehmungszuständigkeiten“.45 Weder konnte sich der Raucher also auf seine allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG berufen, noch konnte der Passivraucher für sich sein Recht auf körper 39

A. v. Mutius, Kommunalrecht, 1996, § 9 Rn. 766 f. OVG Münster NVwZ 1983, 485. 41 OVG Münster NVwZ 1983, 485 (486). 42 Vgl. OVG Münster NVwZ 1983, 485 (486); s. zum innerorganisatorischen Störungsbeseitigungsanspruch exemplarisch J. Hellermann, Kommunalrecht, in: J. Dietlein/ders. (Hrsg.), Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen, 6. Aufl. 2016, § 2 Rn. 168. 43 OVG Münster NVwZ 1983, 485 (487); – a. A.: VG Würzburg NJW 1981, 243 (244) und VG Stade NJW 1988, 790 (790), die ohne nähere Begründung von der Anwendbarkeit der Grundrechte ausgehen. 44 OVG Münster NVwZ 1983, 485 (486 f.); s. auch OVG Koblenz NVwZ-RR 1990, 98 (98), das auf die gegenseitige Rücksichtnahme der Mitglieder des Stadtrates untereinander abstellt; hingegen geht J. Martensen, in: JuS 1995, S. 1077 (1079) von einer Verstärkung der organschaftlichen Position durch Art. 2 Abs. 2 S. 1 Var. 2 GG aus; a. A. auch bei R. Pitschas, in: JA 1983, S. 666 (668). 45 OVG Münster NVwZ 1983, 485 (486). 40

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1. Kap.: Funktionale Anwendbarkeit der Grundrechte

liche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 Var. 2 GG in Anschlag bringen46. Das Oberverwaltungsgericht bestätigte seine Entscheidung in einem gleich gelagerten Fall acht Jahre später – zeitlich nach dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts zum Tragen des Aufklebers „L./Atomwaffenfreie Stadt“47 – mit denselben Argumenten und hielt damit an seiner entgegenstehenden Rechtsauffassung fest48. Das Oberverwaltungsgericht Münster lässt bei seinen Entscheidungen demnach jegliche grundrechtlichen Abwägungsgesichtspunkte außen vor, indem es die Gesundheitsgefahren – obwohl deren Folgen sich für den Passivraucher zweifellos nicht allein auf den zeitlichen Rahmen der Sitzungsdauer beschränken – zwar anerkennt, aber einzig als Störung des Ablaufs der Ratssitzung wertet. Diese Einordnung ist nicht allein der prozessualen Tatsache geschuldet, dass Grundrechte bei kommunalen Organstreitverfahren teils als nicht rügbare Rechtspositionen begriffen werden49. Vielmehr stellt das Gericht klar, dass es weder Aktivraucher noch Passivraucher bei Amtsausübung bereits als grundrechtsberechtigt ansieht. Diese Entscheidung ist zunächst einmal in sich konsequent50: Wenn es die erstrittene Ordnungsmaßnahme gegenüber dem Raucher nicht als Verwaltungsakt einordnet, weil sie einzig „auf den organinternen Rechtskreis begrenzt“51 sei, und es auch sonst zu keiner (nur mittelbaren) Beeinträchtigung der allgemeinen Handlungsfreiheit des Rauchers kommen soll, liegt es nahe, dem Passivraucher ebenfalls keine Grundrechtsberechtigung mit Blick auf sein Recht auf körperliche Unversehrtheit im Sinne des Art. 2 Abs. 2 S. 1 Var. 1 GG zuzubilligen.

II. Religiöse Symbole im kommunalen Sitzungssaal Eine weitere relevante Fallgruppe betrifft die Präsenz religiöser Symbole im Sitzungssaal. Der Kläger geht hier gegen die kommunale Volksvertretung mit der Intention vor, das religiöse Symbol aus den Sitzungsräumlichkeiten zu entfernen. Anders als bei den Rauchverbotsfällen steht hier also keine Kollision von widerstreitenden Interessen zweier Mandatsträger in Frage, sondern vielmehr der Konflikt zwischen Mandatsträger und der kommunalen Volksvertretung selbst.

46 Für die Anwendbarkeit der allg. Handlungsfreiheit jedenfalls für den Raucher VG Würzburg NJW 1981, 243 (244); VG Stade NJW 1988, 790 (790) sowie A. Gern, Deutsches Kommunalrecht, 3. Aufl. 2003, Rn.  477; für eine Betroffenheit der Nichtraucher in Art.  2 Abs. 2 S. 1 Var. 2 GG, S. Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, 14. Aufl. 2016, Rn. 1462; R. Pitschas, in: JA 1983, S. 666 (668); J. Martensen, in: JuS 1995, S. 1077 (1079). 47 S. sogleich 1. Kap. B. III. 1. (S. 34 ff.). 48 OVG Münster NVwZ-RR 1991, 260 (261). 49 H. Bethge, in: DVBl. 1980, S. 309 (314); W. Fehrmann, in: NWVBl. 1989, S. 303 (307 f.); A. Gern, in: VBlBW 1989, S. 449 (450); F. Schoch, in: D. Ehlers/ders. (Hrsg.), Rechtsschutz im öffentlichen Recht, 2009, § 28 Rn. 107. 50 So auch Trésoret, Geltendmachung (Fn. 37), S. 19. 51 OVG Münster NVwZ 1983, 485 (486).

B. Der innerparlamentarische Raum: Ausgewählte Fallgruppen 

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Das Verwaltungsgericht Darmstadt hatte im November 2002 über die Rechtmäßigkeit der Anbringung eines 50 cm großen Kreuzes an der Wand des Kreistag-Sitzungssaals im Rahmen eines kommunalverfassungsrechtlichen Eilverfahrens zu entscheiden52. Das Gericht bejahte den Anspruch des Kreistagsmitglieds, das Kreuz im Sitzungssaal umgehend abzuhängen: Es wies dabei ausdrücklich darauf hin, „die Leitungsverpflichtungen des Vorsitzenden eines kommunalen Beschlussorgans“ seien „ihm nicht nur im öffentlichen Interesse an einer ungestörten Bildung des organschaftlichen Gesamtwillens, sondern auch im Individualinteresse der zur Mitwirkung an der Bildung des organschaftlichen Gesamtwillens berufenen Mandatsträger aufgegeben.“53 Durch das in Sichtweite aufgehangene Kreuz werde in die negative Bekenntnisfreiheit der Antragstellerin eingegriffen, was die „unbeeinträchtigte Mitwirkung“ der Mandatsträgerin an der Sitzung gestört habe54. Wenn auch die kommunalen Mandatsträger zugunsten der Funktionsfähigkeit ihres Organs zusätzliche Einschränkungen ihrer Grundrechte hinzunehmen hätten, fordere „es aber der ungestörte Ablauf der Sitzungen des Kreistags nicht, dass die Ast. während der Ausübung ihres Mandats Einschränkungen ihres Grundrechts auf negative Bekenntnisfreiheit“55 i. S. d. Art. 4 Abs. 1 GG erfahre. Die kommunalen Mandatsträger werden von dem Gericht als grundrechtsberechtigt auch während der Mandatsausübung angesehen. Durch die Beeinträchtigung der Antragstellerin in ihrer Religionsfreiheit wird sie nach Auffassung des Gerichts ebenso in ihrer freien Mandatsausübung behindert. Eine Trennung letzterer von der Grundrechtsbetroffenheit findet nicht mehr statt, die Beeinträchtigung der grundrechtlichen Gewährleistung bedingt diejenige des freien Mandats. In seinem dem Eilverfahren nachfolgenden Urteil ordnete das Verwaltungsgericht Darmstadt schließlich den Fall als kommunalverfassungsrechtlichen Organstreit ein, der „allein die Innenrechtsbeziehungen des Kreistags als Organ des Kreises“56 betreffe. Die Klagebefugnis hingegen wird aber sowohl aus der Wahrnehmungszuständigkeit des Kreistagsmandats als auch aus den Grundrechten abgeleitet, die der Klägerin „nicht nur als Person im staatsfreien Raum, sondern auch als ehrenamtlich tätiges Kreistagsmitglied“ zukämen, „soweit deren Inanspruchnahme den ordnungsgemäßen Ablauf der Sitzungen des Kreistags nicht“57 behindere. Das Gericht führt den Anspruch als solchen nicht unmittelbar auf Art.  4 Abs.  1  GG zurück, sondern bejaht einen innerorganisatorischen Störungsbeseitigungsanspruch, indem es ausführt, dass durch die Beeinträchtigung der Kläge-

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VG Darmstadt NJW 2003, 455; bestätigt durch VGH Kassel NJW 2003, 2471. VG Darmstadt NJW 2003, 455 (456). 54 VG Darmstadt NJW 2003, 455 (456). 55 VG Darmstadt NJW 2003, 455 (456). 56 VG Darmstadt, Urt. v. 26.9.2003, Az. 3 E 2482/02 (1) (juris), Rn. 16; bestätigt durch VGH Kassel NJW 2006, 1227. 57 VG Darmstadt, Urt. v. 26.9.2003, Az. 3 E 2482/02 (1) (juris), Rn. 17. 53

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1. Kap.: Funktionale Anwendbarkeit der Grundrechte

rin in ihrem Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 GG diese in der freien Ausübung ihres Mandats behindert werde58. Das Verwaltungsgericht zieht die Grundrechte also inzident im Rahmen eines innerorganisatorischen Störungsbeseitigungsanspruchs heran. Das zieht insoweit die dogmatische Unstimmigkeit der Entscheidung nach sich: Auf der einen Seite macht das Gericht durch Einordnung als kommunalverfassungsrechtlichen Organstreit („Innenrechtsbeziehungen“59) deutlich, dass ein Verwaltungsinternum in Frage steht, auf der anderen Seite soll die Klagebefugnis aber zumindest auch aus den Grundrechten folgen.

III. Meinungsäußerungen der Mandatsträger Schließlich bedarf die facettenreiche Fallgruppe zu Meinungsäußerungen des kommunalen Volksvertreters der Erläuterung. 1. Grundsatzbeschluss des Bundesverwaltungsgerichts zum Tragen des Aufklebers „L./Atomwaffenfreie Stadt“ Grundlegend in der Diskussion um die Grundrechtsträgerschaft kommunaler Mandatsträger ist ein Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 198860. Ein Mitglied des Stadtrats der Stadt L hatte einen 13 x 8 cm großen „Aufkleber der Aufschrift ‚L./Atomwaffenfreie Stadt‘“ in der Ratssitzung getragen (837). Nachdem der Vorsitzende des Stadtrats den Kläger mehrfach durch Ordnungsruf aufgefordert hatte, den Aufkleber abzunehmen, hatte er ihm gegenüber einen Sitzungsausschluss ausgesprochen, wogegen dieser sich nun richtete (837). Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts ist der Stadtrat „kein Forum zur Äußerung und Verbreitung privater Meinungen, sondern ein Organ der Gemeinde“ (837). Dies habe grundsätzlich zur Konsequenz, dass Äußerungen eines Mitglieds zu einem Tagesordnungspunkt nicht der Meinungsfreiheit im Sinne des Art. 5 Abs. 1 S. 1 Var. 1 GG, sondern dem Rederecht unterfielen (837). Der vorliegende Einzelfall liege aber anders, denn das Stadtratsmitglied äußere 58 Vgl. VG Darmstadt, Urt. v. 26.9.2003, Az. 3 E 2482/02 (1) (juris), Rn. 22; für eine gleichzeitige Betroffenheit von Mitgliedschaftsrecht und Religionsfreiheit in derartigen Konstellationen auch F. Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 10. Aufl. 2016, § 21 Rn. 20 – a. A.: J. Dietlein/J. Hellermann, Klausurenbuch Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen, 2. Aufl. 2014, 6. Klausur: „Streit in der Ratssitzung“, S. 78 (82): keine gleichzeitige Betroffenheit, allerdings mit dem fragwürdigen Verweis auf die beamtenrechtliche Dogmatik, obwohl den Beamten eine dem freien Mandat entsprechende (zusätzliche und damit evt. gleichzeitig betroffene) Rechtszuweisung doch gerade fehlt. 59 VG Darmstadt, Urt. v. 26.09.2003, Az. 3 E 2482/02 (1) (juris), Rn. 16. 60 BVerwG NVwZ 1988, 837; die folgenden Nachweise in Klammerzusätzen beziehen sich auf diese Fundstelle.

B. Der innerparlamentarische Raum: Ausgewählte Fallgruppen 

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sich in der konkreten Situation als Privatperson und nicht im Rahmen seiner Amtsführung (837 f.): In einem solchen Fall aber „ist [es] nicht zweifelhaft und bedarf daher keiner Klärung […], daß ein Ratsmitglied auch während der Ratssitzungen nicht sein Recht zur freien Meinungsäußerung verliert“ (837). Da aber die Meinungsäußerungsfreiheit durch die Vorschriften der Gemeindeordnung zu den Ordnungsmaßnahmen in rechtswirksamer Weise beschränkt werde (837), sei letztlich keine Rechtsverletzung durch den Ausschluss festzustellen (838). Es erstaunt, dass das Bundesverwaltungsgericht nach den zuvor beschriebenen unterschiedlichen Auffassungen zur Grundrechtsberechtigung von Stadtratsmitgliedern ausführt, die Grundrechtsberechtigung von Mandatsträgern im Rahmen ihrer Amtsausübung bedürfe keiner weiteren Klärung61. Dies vor allem, wenn man sich die Besonderheiten des dem Urteil zugrunde liegenden Sachverhalts vor Augen führt. Das Tragen des Aufklebers stand im Zusammenhang mit einem von der Fraktion gestellten Antrag, das Stadtgebiet der Stadt L. zur atomwaffenfreien Zone zu erklären62. Dieser Antrag blieb erfolglos, was den Kläger dazu veranlasste, in den nächsten Ratssitzungen den streitigen Aufkleber zu tragen, bis schließlich in der betreffenden Sitzung der Sitzungsausschluss erging63. Es wird also deutlich, dass sich das betroffene Stadtratsmitglied mit dem Aufkleber zu einem Thema mit kommunalpolitischem Bezug positionierte. Zwar fällt die Atompolitik nicht in den Zuständigkeitsbereich der Gemeinden64; es handelt sich aber zumindest um einen Gegenstand, der die Gemeinde sehr wohl berührt65. Da der Kläger zuvor mit seinem Beschlussantrag gescheitert war, besteht ein nicht zu leugnender Zusammenhang zwischen der konkreten Meinungskundgabe und seiner Rechte- und Pflichtenstellung als Gemeinderatsmitglied selbst66. Es ist daher im Ergebnis diskussionswürdig, den Aufkleber als Ausdruck vollständig privater Meinungsäußerung i. S. d. Art. 5 Abs. 1 S. 1 Var. 1 GG einzuordnen, ist es in der beschriebenen Konstellation doch nicht von der Hand zu weisen, dass sich das Stadtratsmitglied als Funktionsträger äußern und gerade seine Mandatsstellung dazu nutzen wollte, seine „Meinung“ zu einem brisanten Thema kundzutun67. 61

Die Klärungsbedürftigkeit der Anwendbarkeit von Art. 5 Abs. 1 Var. 1 GG entgegen dem BVerwG bejahend auch M.-E. Geis, in: BayVBl. 1992, S. 41 (42) ebenso Trésoret, Geltend­ machung (Fn. 37), S. 26. 62 BVerwG NVwZ 1988, 837 (838). 63 BVerwG NVwZ 1988, 837 (838). 64 BVerwG NVwZ 1988, 837 (838). 65 Gegen die gemeindliche Zuständigkeit als maßgebliches Kriterium auch M.-E. Geis, in: BayVBl. 1992, S. 41 (44). 66 So auch M.-E. Geis, in: BayVBl. 1992, S. 41 (44), sofern die Meinungskundgabe nicht nur „‚allgemeinpolitisches Statement‘“ „‚bei Gelegenheit‘ der Teilnahme an einer Sitzung“ sei. 67 Gegen eine Berücksichtigung der Grundrechte mangels grundrechtstypischer Gefährdungslage auch A. Müller, in: JuS 1990, S. 997 (999); ebenso M.-E. Geis, in: BayVBl. 1992, S. 41 (44); Lange, Kommunalverfassungsstreit (Fn. 28), S. 961: Eingriff in „sein – weit zu verstehendes – Mitgliedschaftsrecht“– a. A.: H. Schnell, Freie Meinungsäußerung und Rederecht

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1. Kap.: Funktionale Anwendbarkeit der Grundrechte

2. Meinungsäußerung durch Bekleidung In der Folge wurden viele Fälle nach dem Vorbild des beschriebenen Beschlusses des Bundesverwaltungsgerichts entschieden: Zuletzt hatte das Verwaltungsgericht Gera im Rahmen eines Kommunalverfassungsstreits darüber zu befinden, ob das Verbot, Kleidung der Marke „Thor Steinar“ zu tragen, die Rechte des Stadtratsmitglieds in ungerechtfertigter Weise beschränke68. Das Verbot ging auf eine Hausordnung des Stadtrats zurück, Kleidung oder Symbole (u. a. des besagten Herstellers) zu tragen, die die Würde des Stadtrats beeinträchtigen könnten69. Das Verwaltungsgericht führte ebenfalls aus, es sei „nicht zweifelhaft, dass auch ein Ratsmitglied während der Ratssitzung sein Recht zur freien Meinungsäußerung nicht verliert“70, und bejahte schließlich die Begründetheit der Klage. Wieder zeigt sich die dogmatische Unstimmigkeit der Einordnung als reine Binnenstreitigkeit im Rahmen der Zulässigkeit auf der einen und der Heranziehung der Grundrechte als Außenrecht im Rahmen der Begründetheit auf der anderen Seite. Anders entschied wiederum der Sächsische Verfassungsgerichtshof über den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bezüglich des Sitzungsausschlusses mehrerer Landtagsabgeordneter im Zusammenhang mit dem Tragen der besagten Bekleidungsmarke71. Diskussionsgegenstand der Sitzung war unter anderem der von der NPD eingeführte Tagesordnungspunkt zum Thema „‚Mode-Exorzismus‘“ im Landtag72. Hierdurch wollten die Abgeordneten der NPD-Fraktion einen Beschluss des Landtags erreichen, das Verbot bestimmter Modemarken, insb. der Marke „Thor Steinar“, an öffentlichen Orten zu unterlassen73. Während seiner Rede zu einem anderen Tagesordnungspunkt erteilte der Landtagspräsident dem Redner der NPD-Fraktion einen Ordnungsruf, da dieser am Pult Oberbekleidung des besagten Herstellers trug74. Als er sich wiederholt weigerte, die Kleidung abzulegen und daher von der Sitzung ausgeschlossen wurde, suchten andere Mitglieder seiner Fraktion die Provokation und entledigten sich ihrer Oberbekleidung, wodurch sichtbar wurde, dass sie alle „Thor Steinar“-Oberteile trugen75. Die Landtagsabgeordneten wurden wegen ihrer Weigerung, ihre „Thor Steinar“-Bekleidung abzulegen, ebenfalls für die laufende und drei weitere Sitzungen vom Landtagspräsidenten ausgeschlossen und gingen hiergegen im Wege des der kommunalen Mandatsträger unter verfassungsrechtlichen, kommunalrechtlichen und haftungsrechtlichen Aspekten, 1998, S. 66 f.; s. auch J. Martensen, in: JuS 1995, S. 1077 (1080). 68 VG Gera LKV 2013, 237. 69 VG Gera LKV 2013, 237 (237). 70 VG Gera LKV 2013, 237 (239). 71 SächsVerfGH NVwZ-RR 2012, 785. 72 SächsVerfGH NVwZ-RR 2012, 785 (785). 73 SächsVerfGH NVwZ-RR 2012, 785 (785). 74 SächsVerfGH NVwZ-RR 2012, 785 (785). 75 SächsVerfGH NVwZ-RR 2012, 785 (785).

B. Der innerparlamentarische Raum: Ausgewählte Fallgruppen 

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einstweiligen Rechtsschutzes vor76. Das Gericht lehnte den Antrag der Betroffenen ab und ging hierbei mit keinem Wort auf eine mögliche Grundrechtsrelevanz des Verhaltens der Parlamentarier ein77. Die Auffassung des Landtagspräsidenten, „dass das Tragen dieser Oberbekleidung unter provokativen Umständen die parlamentarische Ordnung verletze“, habe sich im Rahmen seines Beurteilungsspielraums gehalten78. Gewiss ist diese Einordnung als innerorganschaftliche Streitigkeit dem prozessualen Umstand geschuldet, dass die Antragsteller sich einzig auf ihr freies Mandat berufen und keine Grundrechtsverletzungen gerügt hatten (bzw. rügen konnten)79. Für die Außerachtlassung der Grundrechte spräche aber auch materiellrechtlich, dass im Zusammenhang mit der betroffenen Landtagssitzung die Bekleidungsvorschriften aktuell Gegenstand der Tagesordnung waren und sich die Protestaktion auch gerade auf diesen Tagesordnungspunkt bezog. Es sollte eine Äußerung als und gerade durch die Funktion als Abgeordneter getätigt werden80. 3. Verbale Meinungsäußerung im Spannungsverhältnis zwischen Meinungsfreiheit und Rederecht Eine weitere praxisrelevante Problematik betrifft das Spannungsverhältnis von Rederecht und Meinungsfreiheit. So wertet das Oberverwaltungsgericht Münster81 die Aussage, der vorgeschlagene Kandidat für den Posten des Stadtkämmerers sei ein „Klüngelkandidat“, als Ausdruck des mitgliedschaftlichen Rederechts und nicht einer freien Meinungsäußerung i. S. d. Art. 5 Abs. 1 S. 1 Var. 1 GG, da „der Stadtrat kein Forum zur Äußerung und Verbreitung privater Meinungen, sondern ein Organ der Stadt“82 sei. Das einzelne „Ratsmitglied [nimmt], wenn es sich in der Ratssitzung zu einem Gegenstand der Tagesordnung zu Wort meldet, nicht seine im Grundgesetz verbürgten Freiheitsrechte gegenüber dem Staat, sondern organschaftliche Befug-

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SächsVerfGH NVwZ-RR 2012, 785 (785). SächsVerfGH NVwZ-RR 2012, 785 (786). 78 SächsVerfGH NVwZ-RR 2012, 785 (786). 79 Anders etwa die Beurteilung des Gerichts VG Neustadt a.d. Weinstraße, Urt. v. 8.3.2007, Az. 4 K 1881/06 (juris), Rn. 17 ff. für das Tragen eines Poloshirts mit der Aufschrift „Die Republikaner“. 80 Anders SächsVerfGH, Beschl. v. 25.2.2014, Az. Vf. 62-I-12 (juris), Rn. 25 zum Verbot der Marke „Thor Steinar“: „Bloße Fragen des äußeren Erscheinungsbildes von Abgeordneten in den öffentlichen Räumen des Landtags stehen dem grundlegenden Gewährleistungskern ihrer Statusrechte aus Art. 39 Abs. 3 SächsVerf so fern, dass es in besonderem Maße der Begründung bedurft hätte, weshalb derartige Aspekte von den spezifischen Abgeordnetenrechten umfasst sein sollten.“ 81 OVG Münster, Beschl. v. 16.5.2013, Az. 15 A 785/12 (juris). 82 OVG Münster, Beschl. v. 16.5.2013, Az. 15 A 785/12 (juris), Rn. 31. 77

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1. Kap.: Funktionale Anwendbarkeit der Grundrechte

nisse in Anspruch, die ihm als Teil eines Gemeindeorgans verliehen sind“83, wenn er sich auch wie im vorliegenden Fall scharf äußern mag. Anders dagegen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Fall „Dummschwätzer“84: Der Beschwerdeführer, ebenfalls kommunaler Mandatsträger, äußerte sich zu einem Tagesordnungspunkt betreffend die Integrationspolitik und erwähnte hierbei, selbst auf das Gymnasium eines bestimmten Stadtteils gegangen zu sein, woraufhin der Kollege ihn mit dem Zwischenruf unterbrach: „Der B war auf einer Schule? – Das kann ich gar nicht glauben!“85. Daraufhin bezeichnete der Beschwerdeführer den Kollegen als „Dummschwätzer“86. Das Bundesverfassungsgericht ordnete die Äußerung als eine dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit unterfallende Meinungsäußerung ein87. Dabei hätte – wenn das Bundesverfassungsgericht auch nicht „Statusverletzungen“ kommunaler Volksvertreter prüft, so verneint es doch die Anwendbarkeit der Grundrechte auf Kommunalmandate in ihrer Funktion als Organwalter88 – auch die Möglichkeit bestanden, bereits die funktionale Anwendbarkeit der Meinungsfreiheit für die fragliche Äußerung in Zweifel zu ziehen. Beide Sachverhalte werden erneut gänzlich unterschiedlich behandelt. Zwar mag dies vor dem Hintergrund schlüssig erscheinen, dass es im Fall „Dummschwätzer“ um eine Äußerung ging, die sich nur noch beiläufig auf die ursprünglich angestoßene Debatte zur Tagesordnung bezog, und erkennbar persönlich gegen den Stadtratskollegen gerichtet war, während die Bezeichnung „Klüngelkandidat“ die zur Wahl stehende Person wohl im Gesamtkontext als durchaus sitzungsbezogen und weniger personenbezogen zu werten ist. Deutlich wird aber trotz allem, dass der Übergang von Rederecht zur Meinungsfreiheit ein fließender ist, ebenso wie politische Debatten fließend von sachbezogenen Äußerungen in hitzig und emotional gesteuerte Wortgefechte umschlagen können.

IV. Tonaufzeichnungen im kommunalen Sitzungssaal Die letzte Fallgruppe betrifft Konstellationen, in denen sich Mandatsträger bei ihrer Mandatsausübung auf ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht aus Art. 1 Abs. 1 i. V. m. 2 Abs. 1 GG berufen. Praxisrelevante Fälle sind vor allem die Aufzeichnung von Sitzungen per Tonband. In einem Urteil des Oberlandesgerichts Celle verneinte das Gericht im Ergebnis den quasi-negatorischen Unterlassungsanspruch des Stadtratsmitglied aus §§ 1004 83

OVG Münster, Beschl. v. 16.5.2013, Az. 15 A 785/12 (juris), Rn. 31. BVerfG (K), NJW 2009, 749. 85 BVerfG (K), NJW 2009, 749 (749; Hervorhebung im Original). 86 BVerfG (K), NJW 2009, 749 (749). 87 BVerfG (K), NJW 2009, 749 (749); s. auch Ziegler, Ratsmitglied (Fn. 31), S. 10. 88 S. oben 1. Kap. A. III. (S. 27). 84

B. Der innerparlamentarische Raum: Ausgewählte Fallgruppen 

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Abs. 1 S. 2, 823 Abs. 1 BGB analog auf Unterlassung der Tonaufzeichnung, befand aber, dass das Stadtratsmitglied sich auch während der Sitzungen grundsätzlich auf sein allgemeines Persönlichkeitsrecht, speziell auf sein Recht am gesprochenen Wort aus Art. 1 Abs. 1 i. V. m. 2 Abs. 1 GG, berufen könne89. Im vorliegenden Fall liege durch die Tonaufzeichnung sogar ein Eingriff in die Individualsphäre des kommunalen Mandatsträgers vor, der aber gerechtfertigt werden könne90. Die Grundrechtsrelevanz des bloßen Tonmitschnitts von solchen Äußerungen, die der kommunale Mandatsträger zu Tagesordnungspunkten und damit ureigens in seiner Funktion als Volksvertreter tätigt, ließe sich allenfalls dann annehmen, wenn auf mögliche sprachliche Fehler bzw. die individuelle Ausdrucksweise der mandatsbezogenen Rede abgestellt wird91. Hingegen ist die Übertragung von Sitzungen des Bundestags mittlerweile alltäglich geworden, ohne dass deren Rechtmäßigkeit im Hinblick auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Mitglieder des Bundestags angegriffen worden wäre. Dies ist deshalb interessant, weil bei Fernsehaufnahmen die Persönlichkeit des Mandatsträgers umso mehr hevortritt. So werden nicht nur Tonfall und Formulierung einzelner Redebeiträge übertragen, sondern auch Gesichtsausdruck, Kleidungswahl und Gestik des Redners. Das Bundesverwaltungsgericht befand im Jahr 1990 über die Tonaufzeichnungen in Ratssitzungen92. Hinsichtlich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Ratsmitglieder verneinte es zwar dessen Anwendbarkeit nicht grundsätzlich, stellte aber klar, dass es für die Abwägung „von keiner tragenden Bedeutung“93 sei. „[D]ie dem Ratsvorsitzenden eingeräumten Befugnisse [bezwecken] nicht den Schutz der Persönlichkeitsrechte der Ratsmitglieder als solchen […], sondern [dienen] dazu […], die äußeren Bedingungen sicherzustellen, die für einen ordnungsgemäßen Sitzungsbetrieb erforderlich sind.“94 Statt auf eine Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sei deshalb auf eine Beeinträchtigung des mitgliedschaftlichen Rederechts abzustellen, wobei auch hier der Abbau psychologischer Hemmnisse für Äußerungen in Ratssitzungen maßgebliches Abwägungskriterium sei95. Eine gegenseitige Verstärkung von Mandats- und Grundrechtsbeeinträchtigung lehnte das Bundesverwaltungsgericht damit ab. Dieses Urteil wird als zutreffende Differenzierung zwischen organschaftlicher Kompetenzwahrnehmung und grundrechtlichen Gewährleistungen angesehen, weil

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OLG Celle NVwZ 1985, 861 (861). OLG Celle NVwZ 1985, 861 (861 f.). 91 Vgl. J. Martensen, in: JuS 1995, S.  1077 (1080); gegen eine Anwendbarkeit des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auf die Amtstätigkeit hingegen S. Kirste, in: JuS 2003, S. 336 (339); C. Arndt, in: NJW 2004, S. 3157 (3157); J. Lege, in: Jura 2005, S. 616 (620). 92 BVerwGE 85, 283. 93 BVerwGE 85, 283 (286). 94 BVerwGE 85, 283 (287). 95 BVerwGE 85, 283 (287 f.); zur „Rückwirkung“ von Beeinträchtigungen des Persönlichkeitsrechts auf die Mitgliedschaftsrechte s. auch D. Ehlers, in: NWVBl. 1988, S. 122 (125). 90

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1. Kap.: Funktionale Anwendbarkeit der Grundrechte

das Bundesverwaltungsgericht das Persönlichkeitsrecht der Ratsmitglieder zwar berücksichtige, allerdings in nicht grundrechtlich abgesicherter Form96. Das Oberverwaltungsgericht Saarlouis setzte sich zwanzig Jahre später erneut mit der Frage der Rechtmäßigkeit von Ton- und Bildaufnahmen im Sitzungssaal auseinander97. Es betonte ebenfalls, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Mandatsträgers bei Mandatsausübung nicht vollständig entfalle98: „Es wird jedoch dadurch modifiziert und in seiner Bedeutung weitgehend reduziert, dass das Ratsmitglied in diesem Rahmen nicht als Privatperson agiert und betroffen ist, sondern als Amtsträger […], dessen Verhalten und Äußerungen in öffentlicher Sitzung vor allem dem wahrgenommenen öffentlichen Amt zuzuordnen sind, nicht aber der Person, die hinter dem Amt zurücktritt.“99; allenfalls eine Beeinträchtigung der mitgliedschaftlichen Rechte könne daher die Untersagung von Bild- und Tonaufnahmen rechtfertigen100.

C. Der außerparlamentarische Raum: Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Mittelpunktregelung und Offenlegung von Nebeneinkünften von Bundestagsabgeordneten Aussagen des Bundesverfassungsgerichts zur Grundrechtsberechtigung von Mandatsträgern sind vergleichsweise rar gesät. Erneut sei darauf hingewiesen, dass das Gericht nach gefestigter Rechtsprechung dem Abgeordneten die Berufung auf Grundrechte zumindest prozessual dadurch abschneidet, dass es im Rahmen des Organstreitverfahrens die Berücksichtigung von Grundrechten ablehnt und gleichzeitig die Verfassungsbeschwerde als unzulässig abweist101. Zumindest praktisch gesehen also haben die Abgeordneten keine Möglichkeit, sich durch grundrechtliche Erwägungen gegen (vorwiegend) mandatsbezogene Maßnahmen zu wehren. Dies veranlasst das Bundesverfassungsgericht regelmäßig dazu, die Frage offen zu lassen, „ob eine Maßnahme, die auf den Status des Abgeordneten zielt, in besonderen Ausnahmefällen in dessen grundrechtlich geschützte Privatsphäre eingreifen kann“102, und die Maßnahme im Folgenden anhand von staatsorganisatorischen Gesichtspunkten zu bewerten.

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H. Bethge, in: JZ 1991, S. 306 (306 f.); Trésoret, Geltendmachung (Fn. 37), S. 29. OVG Saarlouis, Beschl. v. 30.8.2010, Az. 3 B 203/10 (juris). 98 OVG Saarlouis, Beschl. v. 30.8.2010, Az. 3 B 203/10 (juris), Rn. 54. 99 OVG Saarlouis, Beschl. v. 30.8.2010, Az. 3 B 203/10 (juris), Rn. 54 ff. 100 OVG Saarlouis, Beschl. v. 30.8.2010, Az. 3 B 203/10 (juris), Rn. 57. 101 Siehe bereits 1. Kap. A. I. (S. 23). 102 BVerfGE 118, 277 (320); auch BVerfGE 99, 19 (29), allerdings durch den zweiten Senat angedeutet, dass die Grundrechtsbeeinträchtigungen ggf. vor den Fachgerichten gerügt werden könnten. 97

C. Der außerparlamentarische Raum

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Genauer untersucht werden soll an dieser Stelle die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Organstreitverfahren zur Mittelpunktregelung sowie zur Offenlegung von Nebeneinkünften103, die in der Literatur weitreichende Beachtung gefunden hat104. Die Richter des Zweiten Senats waren in ihrer Entscheidung in zwei gleich große Lager gespalten, was gemäß § 15 Abs. 4 S. 3 BVerfGG die Erfolglosigkeit des Antrags zur Folge hat, weil ein Verstoß gegen das Grundgesetz nicht festgestellt werden kann. Dabei geht die Pattsituation der Richter auf grundlegend unterschiedliche Auffassungen vom „Leitbild“ des Abgeordneten zurück. Die unterschiedlichen Ansichten der Richtergruppen werden – entgegen § 30 Abs. 2 S. 1 BVerfGG, demzufolge Sondervoten an die Entscheidung anzuschließen sind – jeweils nacheinander zu den einzelnen Prüfungsgegenständen in der Entscheidung abgedruckt105.

I. Urteilsbegründung zur Mittelpunktregelung Die Beschwerdeführer richten sich in dem verbundenen Verfahren zunächst gegen die in § 44a Abs. 1 AbgG106 normierte Mittelpunktregelung, nach der die Ausübung des Mandats des Abgeordneten grundsätzlich im Mittelpunkt seiner Tätigkeiten zu stehen hat; Sanktionen bei Zuwiderhandlungen sind nicht vorgesehen. Beide Richtergruppen teilen insoweit noch die Annahme, dass die Ausübung eines Berufs neben dem Mandat grundsätzlich zulässig ist (323, 344). Obwohl die konkrete Regelung letztlich sowohl von den entscheidungstragenden als auch von den dissentierenden Richtern gebilligt wird, nehmen beide Lager bereits an dieser Stelle zu ihrem Abgeordnetenleitbild ausführlich Stellung.

103

BVerfGE 118, 277; die folgenden Seitenangaben in den Klammerzusätzen beziehen sich auf diese Fundstelle. 104 S. nur N. Janz/R. Latotzky, in: NWVBl. 2007, S. 385 (385 ff.); A. v. Aaken/S. Voigt, in: MIP 2007, S. 5 (5 ff.); S. Roßner, in: MIP 2007, S. 55 (55 ff.); H. H. v. Arnim, in: DÖV 2007, S. 897 (897 ff.); C. Möllers, in: Jura 2008, S. 937 (937 ff.); J. Linck, in: NJW 2008, S. 24 (24 ff.); M. Cornils, in: Jura 2009, S. 289 (289 ff.); R. Käß, in: VerwArch. 101 (2010), S. 457 (457 ff.); A. Weiss, in: JA 2010, S. 349 (349 ff.); P. Austermann, in: ZParl. 43 (2012), S. 719 (719 ff.); s. ferner die im Zusammenhang mit der Frage nach der Zulässigkeit von Nebeneinkünften bzw. deren Offenlegung erschienen Dissertationen A. Käßner, Nebentätigkeiten und Nebeneinkünfte der Mitglieder des Deutschen Bundestages, 2010; M. K. Kühn, Verhaltensregeln für Bundestagsabgeordnete, 2011; S. Heck, Mandat und Transparenz, 2014; s. auch O. Piechaczek, Lobbyismus im Deutschen Bundestag, 2014; zur Zulässigkeit der Annahme von Zuwendungen in diesem Zusammenhang auch S. Helmes, Spenden an politische Parteien und an Abgeordnete des Deutschen Bundestages, 2014. 105 Kritisch zur äußeren Form des Urteils H. H. v. Arnim, in: DÖV 2007, S. 897 (902). 106 26. Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes vom 22.8.2005, BGBl I S. 2482.

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1. Kap.: Funktionale Anwendbarkeit der Grundrechte

1. Das Leitbild der Entscheidungsträger: Umfangreiche Pflichtenstellung des Abgeordneten Bezugnehmend auf das Diätenurteil des Bundesverfassungsgerichts führen die entscheidungstragenden Richter aus, dass das Amt des Abgeordneten vom Umfang her stetig zugenommen habe und „allenfalls unter günstigen Umständen“ noch eine berufliche Tätigkeit daneben zulasse (326)107. Die von Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG geforderte Unabhängigkeit meine in erster Linie die Unabhängigkeit gegenüber wirtschaftlichen Interessengruppen (330 ff.). Um diese zu gewährleisten, müsse die dem Abgeordneten gewährte Entschädigung i. S. d. Art. 48 Abs. 3 S. 1 GG eine Vollalimentation darstellen (328). Die Richter betonen, dass das Abgeordnetenmandat neben der Begründung von Rechten auch eine umfangreiche Pflichtenstellung nach sich ziehe, nach der das übertragene Amt tatsächlich auszuüben und in den Mittelpunkt der Tätigkeiten zu stellen sei (325 f.). Das „Ob“ der Mandatswahrnehmung stehe also nicht zur Disposition des Abgeordneten (325 f.). Diese Rechte- und Pflichtenstellung des Abgeordneten ergebe sich aus den rein staatsorganisatorischen Regelungen der Art. 38 Abs. 1 S. 2 i. V. m. 48 Abs. 3 GG (327), aus denen ein „prinzipielle[r] Vorrang parlamentsrechtlich-funktioneller vor individualrechtlichen Gesichtspunkten“ (328)108 resultiere. Dies sei gerade Folge der Verpflichtung des Abgeordneten auf das Gemeinwohl sowie seiner Aufgabe als Repräsentant des Volkes (328). Da der Abgeordnete aber einen „Doppelstatus […] als Mandatsträger und Privatperson“ innehabe, in dem „beide Sphären […] sich nicht strikt trennen“ (354)109 ließen, dürfe „der Status des Abgeordneten [nicht] ohne angemessene Rücksicht auf persönliche Belange rechtlich ausgeformt werden“ (354) und müsse „in spezifischer Weise dem Hineinwirken in den persönlichen Lebensbereich des Abgeordneten Rechnung tragen“ (354 f.). Diese individuellen Aspekte werden also „berücksichtigt“, allerdings nicht im Sinne einer grundrechtlichen Verankerung (327 f., 355)110. Die Mittelpunktregelung wird schließlich als „Nachzeichnung“ des „verfassungsrechtlichen Leitbilds des Abgeordneten“ und damit als insgesamt verfassungsgemäß i. S. d. Art. 38 Abs. 3 GG bewertet (334 f.).

107 Mit Verweis auf BVerfGE 40, 296 (313); kritisch zum vom Bundesverfassungsgericht gezeichneten Bild des Berufsabgeordneten J. Linck, in: NJW 2008, S. 24 (24). 108 Grundsätzlich zustimmend H. H. v. Arnim, in: DÖV 2007, S. 897 (902 f.). 109 S. zu der Nichttrennbarkeit der Sphären noch ausführlich unten 2. Kap. A. III. (S. 56 ff.). 110 S. M. Cornils, in: Jura 2009, S. 289 (292): Die individuellen Aspekte seien nach Auffassung der die Entscheidung tragenden Richter „nicht grundrechtlich abgestützt“ mit anschließender Kritik (293 ff.); dieses Verständnis auch bei R. Käß, in: VerwArch. 101 (2010), S. 457 (466); S. Roßner, in: MIP 2007, S. 55 (64): „grundsätzliche Nachrangigkeit des Privatheitsinteresses mit niedriger Rechtfertigungsschwelle“; tendenziell kritisch zu dieser Form der Berücksichtigung aufgrund der damit verbundenen Unklarheiten auch Helmes, Spenden (Fn.  104), S. 262 f.

C. Der außerparlamentarische Raum

43

2. Die Auffassung der Dissenter: Leitbild der Freiheit Die dissentierenden Richter hingegen betonen „die besondere Stellung des Abgeordneten, der zwischen Staat und Gesellschaft steht“ (338), und zeichnen ein „Leitbild der Freiheit“ (339). Der Abgeordnete sei insbesondere nicht nur frei in der Entscheidung, wie er sein Mandat ausüben wolle, sondern auch darin, „ob und gegebenenfalls in welcher Intensität er sich mit einzelnen Gegenständen parlamentarischer Beratung und Entscheidung“ auseinandersetze (346 mit Verweis auf BVerfGE 44, 308). Auch der Unabhängigkeitsbegriff ist nach Auffassung der Dissenter ein anderer: Durch die Berufstätigkeit neben dem Mandat entwickele der Abgeordnete eine zunehmende Unabhängigkeit von Partei und Fraktion, deren Einflussnahme die wahre Bedrohung für den Parlamentarismus darstelle (339 ff.). Er sei hierdurch finanziell selbstständig und deshalb nicht zwingend auf eine Wiederwahl angewiesen (341 ff.). Seine wirtschaftliche Unabhängigkeit vom Mandat stelle daher eine Art „Rückversicherung“ (341) dar, die die Freiheit seiner Mandatswahrnehmung fördere. § 44a Abs. 1 AbgG sei daher nur dann verfassungskonform, wenn er entsprechend eng ausgelegt werde (350 f.); insbesondere dürfe keine zeitliche Beschränkung für die Ausübung der Nebentätigkeit stattfinden (350 f.).

II. Urteilsbegründung zu den Offenlegungspflichten Der zweite Beschwerdegegenstand betrifft die Regelungen der §§ 44a Abs.  4 S. 1, 44b Abs. 1 AbgG, 18 GOBT i. V. m. §§ 1 und 3 der Verhaltensregeln111, die vorsehen, dass die Abgeordneten Tätigkeiten vor Übernahme des Mandats sowie Tätigkeiten und Einkünfte neben dem Mandat, die auf Interessenverknüpfungen hinweisen können, anzeigen und veröffentlichen müssen. Bei Missachtung dieser Pflicht kann das Präsidium ein Ordnungsgeld festsetzen, § 44a Abs. 4 S. 2 AbgG i. V. m. § 8 Abs. 4 S. 1 der Verhaltensregeln. Die Beschwerdeführer führen an, die benannten Pflichten verletzten sie zum einen in ihrer verfassungsrechtlichen Rechtsstellung aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 i. V. m. 48 Abs. 2 GG sowie hilfsweise in ihren Grundrechten aus Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 1 Abs. 1 i. V. m. 2 Abs. 1 GG (307 f.): „Die Eigenschaft als Bürger – und damit als Grundrechtsträger – gehe im Status des Abgeordneten nicht auf. Auch wenn die angegriffene Regelung ihrer Intention nach den Abgeordnetenstatus betreffe, sei im Fall von Überwirkungen in die Privatsphäre ein Grundrechtsschutz nicht ausgeschlossen“ (308).

111 Verhaltensregeln für Mitglieder des Deutschen Bundestages (Anlage 1 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages); Änderung durch Beschluss des Deutschen Bundestages vom 30.6.2005, Bekanntmachung vom 21.7.2005 (BGBl. I S. 2512).

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1. Kap.: Funktionale Anwendbarkeit der Grundrechte

Der Bundestag und der Präsident des Deutschen Bundestags als Antragsgegner geben den Antragstellern zu, dass „Grundrechte […] im Organstreitverfahren nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundes­ verfassungsgerichts nicht berücksichtigt werden [dürften], sofern nicht ein Ausnahmefall im Sinne seiner Rechtsprechung […] vorliege. Von der Frage der prozessualen Geltendmachung eines Grundrechtsverstoßes müsse die materielle Frage unterschieden werden, ob Abgeordnete überhaupt Grundrechtsträger seien. Letzteres sei zu bejahen. Die Eigenschaft als Bürger – und damit als Grundrechtsträger – gehe im Status des Abgeordneten nicht auf. Vielmehr komme es zu vielfachen Wechselwirkungen zwischen den grundrechtlichen und statusrechtlichen Maßstäben. Eine Berücksichtigung von Grundrechten zumindest in ihrer objektiven Funktion sei damit geboten.“ (315)

Die erfolgten Grundrechtseingriffe seien aber jedenfalls gerechtfertigt (315 f.). 1. Die Auffassung der Entscheidungsträger: Amtsträger vor Staatsbürger Bezüglich des zweiten Beschwerdegegenstands wirken sich nun die bereits zur Mittelpunktregelung ausgeführten unterschiedlichen Leitbilder des Abgeordneten tatsächlich aus. Die entscheidungstragenden Richter, die sich bereits bezüglich der Mittelpunktregelung für den Vorrang funktionsbezogener Gesichtspunkte vor einer Berücksichtigung grundrechtlicher Erwägungen ausgesprochen haben, halten die Regelungen für verfassungsgemäß (352 ff.)112. Sie unterstreichen die „betont finale Regelungsstruktur“(359) der angegriffenen Vorschriften auf das Abgeordnetenmandat und sprechen diesen schließlich eine „Außenwirkung“ ab (359). 2. Die Auffassung der Dissenter: Staatsbürger im Amt Die Dissenter hingegen leiten aus ihrem zuvor dargestellten Leitbild der Freiheit ein anderes Ergebnis ab. Der Abgeordnete sei „Bindeglied zwischen Staat und Gesellschaft“ (379): Während der „Beamte […] Amtsträger und daneben, also im Wesentlichen außerhalb seines Amtes, Staatsbürger [ist,] […] ist der Abgeordnete Inhaber eines öffentlichen Amtes und nicht daneben, sondern zugleich, das heißt innerhalb seines Amtes, Staatsbürger; er kann die ihm vom Grundgesetz zugedachte Repräsentationsaufgabe umso besser erfüllen, je stärker er seine Verwurzelung in der gesellschaftlichen Sphäre in den parlamentarischen Prozess 112 Im Ergebnis zustimmend N. Janz/R. Latotzky, in: NWVBl. 2007, S. 385 (392); A. v. Aaken/S. Voigt, in: MIP 2007, S. 5 (12 f.); – a. A.: T. Groß, in: ZRP 2002, S. 472 (472): Die Offenlegungspflichten beträfen nicht die Ausübung des Mandats, weswegen der Prüfungsmaßstab allein die Grundrechte seien; so auch F. E. Schnapp, in: NWVBl. 2006, S. 401 (402) zum Entwurf einer entsprechenden Regelung für Landtagsabgeordnete in NRW; hiergegen wiederum Käßner, Nebentätigkeiten (Fn. 104), S. 160.

C. Der außerparlamentarische Raum

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einbringt“ (379). Die Berücksichtigung grundrechtlicher Erwägungen müsse daher gerade auch im Rahmen der Prüfung des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG stattfinden (377 ff.)113. Da die Berufstätigkeit des Abgeordneten Teil der Abgeordnetenfreiheit sei, bedeute „jeder staatliche Eingriff in die Ausübung eines Berufs […] zugleich einen Eingriff in die Freiheit des Mandats selbst bedeute“ (378)114. Die „zielgerichtete Regelung des außerparlamentarischen Verhaltens der Abgeordneten“ (380) beschneide durch die Personenbezogenheit der Daten darüber hinaus das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung der Abgeordneten wie für jedermann (396). Die angegriffenen Regelungen beschränkten die um Grundrechtserwägungen verstärkte Mandatsfreiheit unangemessen, sodass von ihrer Verfassungswidrigkeit auszugehen sei (378 ff.).

III. Ergebnis Das Bundesverfassungsgericht mag zwar erneut offen lassen, ob die funktionsbezogene Maßnahme die grundrechtliche Sphäre des Abgeordneten beeinträchtige. Jedenfalls aber zeigt sich in den geteilten Richterlagern ein großer Zwiespalt und erhöhter Begründungsaufwand in der Frage, ob und wie die privaten Belange über Umwege in die Abwägung miteinzubeziehen sind. Mit der schwierig zu handhabenden „Berücksichtigung“ privater Belange im Rahmen der Ausgestaltung der Mandatsfreiheit, die zugleich eine grundrechtliche Prüfung aber nicht freigibt, wird von den entscheidungstragenden Richtern förmlich eine dritte Ebene geschaffen, die sich weder in staatsorganisatorische noch in grundrechtliche Gewährleistungen einordnen lässt. Die Entscheidung hat somit die verfassungstheoretische Frage neu belebt, nach welchen Maßstäben sich die funktionsbezogenen Regelungen beurteilen lassen müssen, sofern sich staatliche und gesellschaftliche Sphäre nicht eindeutig trennen lassen115.

113 Für eine Geltendmachung von Grundrechten im Rahmen des Organstreitverfahrens aufgrund der Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde auch A. Weiss, in: JA 2010, S. 349 (354); bereits gänzlich ablehnend hinsichtlich jeglicher (materiell-rechtlicher) grundrechtlicher Erwägungen C. Möllers, in: Jura 2008, S. 937 (940 f.); ebenfalls eine solche Konstruktion aus dogmatischen Gründen ablehnend M. Cornils, in: Jura 2009, S. 289 (294 f.). 114 Zustimmend zur Förderung eines Nebeneinanders von Beruf und Mandat J. Linck, in: NJW 2008, S. 24 (25). 115 C. Möllers, in: Jura 2008, S. 937 (942): „verfassungstheoretisches Dilemma“.

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1. Kap.: Funktionale Anwendbarkeit der Grundrechte

D. Ableitung der bisherigen verfassungsrechtsdogmatischen Ansätze Aus den dargestellten Fallgruppen der Rechtsprechung und deren Behandlung in der Literatur lassen sich verschiedene verfassungsrechtsdogmatische Herangehensweisen ableiten, die im Fortgang der Arbeit auf ihre Tauglichkeit hin untersucht werden sollen. Dabei kann erneut eine grobe Differenzierung zwischen inner- und außerparlamentarischen Verhaltensweisen vorgenommen werden.

I. Ansätze für die Reglementierung innerparlamentarischer Verhaltensweisen Zu Schwierigkeiten im innerparlamentarischen Bereich führt die dogmatische Behandlung von solchen Verhaltensweisen, die die Volksvertreter bei Ausübung der Mitgliedschaftsrechte an den Tag legen, etwa das Rauchen oder das Tragen bestimmter Kleidung. 1. Tendenz der Verwaltungsgerichte: Anwendbarkeit der Grundrechte und des freien Mandats Die (vorwiegend verwaltungs-)gerichtliche Praxis ist in der Behandlung innerparlamentarischen Verhaltens uneinheitlich. Teils wird angenommen, der Mandatsträger habe innerhalb der Vertretungskörperschaft (auch außerhalb der ureigenen Wahrnehmung seiner Organwalterrechte) keine Grundrechte inne, selbst das Integritätsrecht der körperlichen Unversehrtheit wurde ihm abgesprochen116. Sehr viel häufiger allerdings wird die funktionale Anwendbarkeit der Grundrechte mittlerweile bejaht117, innerparlamentarische Maßnahmen werden als Grundrechtseingriff gewertet. Regelmäßig wird die betreffende Streitigkeit dann nicht als Außenrechtsstreit eingeordnet, sondern die Grundrechte erst im Rahmen eines mitgliedschaftsrechtlichen Anspruchs auf Eingreifen des Vorsitzenden herangezogen. Allerdings ist auch unter den Verwaltungsgerichten umstritten, ob den Grundrechten als solchen innerhalb dieses Anspruchs eine entsprechende Durchsatzkraft zukommen kann oder ob nicht:

116

OVG Münster NVwZ 1983, 485 (487); OVG Münster NVwZ-RR 1991, 260 (261). S. nur VG Stade NJW 1988, 790 (790); BVerwG NVwZ 1988, 837 (837); VG Darmstadt NJW 2003, 455 (456); VG Darmstadt, Urt. v. 26.9.2003, Az. 3 E 2482/02 (1) (juris), Rn. 17, 21 f.; OVG Saarlouis, Beschl. v. 30.8.2010, Az. 3 B 203/10 (juris), Rn. 39, 54; VG Gera LKV 2013, 237 (238 f.). 117

D. Ableitung der bisherigen verfassungsrechtsdogmatischen Ansätze 

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Grundrechtliche Eingriffe, so die Auffassung einiger Gerichte118, hemmen gewissermaßen auch die unbeeinflusste Amtsausübung, sodass etwaige Grundrechtsbeeinträchtigungen im Rahmen des innerorganisatorischen Anspruchs (voll) berücksichtigt werden. Wie in der Fallgruppe zu den Tonbandaufnahmen119 deutlich wurde, stellen andere Gerichte wiederum auf die Beeinträchtigung eines etwaigen Mitgliedschaftsrechts anstelle des Grundrechts ab (etwa auf das Rederecht anstelle des allgemeinen Persönlichkeitsrechts). Da für dieses Mitgliedschaftsrecht aber ebenso die individuellen Reaktionen des Ratsmitglieds auf die entsprechende Maßnahme (etwa Hemmungen, bei Tonbandaufnahmen frei zu sprechen) entscheidend sein sollen, dürfte dies im Ergebnis keinen Unterschied machen. 2. Vorherrschender verfassungsrechtsdogmatischer Ansatz in der Literatur: Übernahme der beamtenrechtlichen Lösung Die überwiegenden Stimmen in der Literatur120 sprechen sich dafür aus, die Anwendbarkeit der Grundrechte auf den Bundestagsabgeordneten nach dem Vorbild der sog. Sonderstatusverhältnisse121, insbesondere desjenigen des Beamten, zu lösen. Personen in Sonderstatusverhältnissen sind dem Staat in gewisser Hinsicht eingegliedert und stehen zu ihm in einer besonderen Nähebeziehung122. Für die eingegliederten Personen ist seit Jahrzehnten anerkannt, dass sie innerhalb bzw. gegenüber der Eingliederungslage Grundrechte innehaben123. Allerdings kann die Funktionsfähigkeit des eingliedernden Organs zusätzliche Grundrechtseinschränkungen rechtfertigen124. 118 VG Stade NJW 1988, 790 (790); VG Darmstadt NJW 2003, 455 (456); VG Darmstadt, Urt. v. 26.9.2003, Az. 3 E 2482/02 (1) (juris), Rn. 17, 21 f. 119 S. unter 1. Kap. B. IV. (S. 38 f.). 120 S. hierzu für kommunale Mandatsträger v. Mutius, Kommunalrecht (Fn.  39), Rn.  768; S.  Barth, Subjektive Rechte von Gemeinderatsmitgliedern im Kommunalverfassungsstreit, 1997, S. 140 ff.; Trésoret, Geltendmachung (Fn. 37), S. 87 ff.; Ziegler, Ratsmitglied (Fn. 37), S. 120 ff.; Dietlein/Hellermann, Klausurenbuch (Fn. 58), S. 82; der Sache nach auch J. Martensen, in: JuS 1995, S. 1077 (1079); für Bundestagsabgeordnete, R. Grote, Der Verfassungsorganstreit: Entwicklungen, Grundlagen, Erscheinungsformen, 2010, S. 182; K. Stein, Die Verantwortlichkeit politischer Akteure, 2009, S. 525 ff.; auch S. Graf v. Kielmansegg, Grundrechte im Näheverhältnis, 2012, S. 454 ff.; K. F. Gärditz, in: JöR N. F. 64 (2016), S. 1 (35). 121 Allgemein hierzu H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 18. Aufl. 2011, § 6 Rn. 24 ff.; Detterbeck, Verwaltungsrecht (Fn.  46), Rn.  293 ff.; kritisch insgesamt zu der Aufrechterhaltung dieser Begriffskategorie J. Ipsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, 9. Aufl. 2015, Rn. 193; S. Graf v. Kielmansegg, in: JA 2012, S. 881 (882 f.); vergleiche umfassend zur Problematik der verschiedenen Näheverhältnisse v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn. 120). 122 H. Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd.  I, 3.  Aufl. 2013, Art.  1 III Rn.  65; vgl. auch durchgehend die Bezeichnung als „Näheverhältnis“ bei v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn. 120); s. schon BVerfGE 108, 282 (317): „besondere Nähebeziehung“ zwischen Beamtem und Staat. 123 Grundlegend hierfür BVerfGE 33, 1 (9 ff.). 124 Hierzu S. Graf v. Kielmansegg, in: JA 2012, S. 881 (883 f.).

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1. Kap.: Funktionale Anwendbarkeit der Grundrechte

Für den Rechtsschutz des Beamten ist einzig relevant, ob ein subjektives Recht durch die staatliche Maßnahme berührt wird125. Alle Maßnahmen müssen folglich daraufhin untersucht werden, ob sie den Eingegliederten in einer subjektiven Rechtsposition (bspw. in den Grundrechten) oder allein als Amtswalter betreffen126. Wenn der Beamte rein als „‚Rädchen‘“127 der Verwaltung und mithin in keinem subjektiven Recht betroffen ist, steht ihm der Zugang zu den Gerichten i. S. d. Art. 19 Abs. 4 GG mangels Klagebefugnis nicht offen128. Übertragen auf den Volksvertreter hieße das, dass diesem – wie nach den Verwaltungsgerichten auch – bei individueller Betroffenheit die Berufung auf die Grundrechte offen stünde, diese allerdings zugunsten der Funktionserfordernisse der Volksvertretung beschränkt werden könnten. Abgesehen davon, dass dieser Lösungsansatz vor Probleme bei der Einordnung stellt, ob der Mandatsträger nun gerade Grundrechte gegenüber dem Staat wahrnimmt oder aber in seiner reinen Amtswalterstellung angetroffen wird129, besteht doch zwischen dem Volksvertreter und dem Beamten folgender, der Einordnung bedürfender Unterschied130: Im Gegensatz zu den Beamten verfügen die Mandatsträger mit der Freiheit des Mandats über eine zusätzliche wehrhafte Rechtsposition, die quer zur Abgrenzung zwischen organschaftlicher und individueller Betroffenheit liegt. Die Übertragung der beamtenrechtlichen Lösung vermag damit die vorliegende Problematik jedenfalls nicht vollständig zu lösen, beantwortet sie doch nur isoliert die Frage nach der funktionalen Anwendbarkeit der Grundrechte, gibt jedoch noch keinen Aufschluss über das Verhältnis der Grundrechte zu freiem Mandat.

II. Ansätze für die Reglementierung außerparlamentarischer Verhaltensweisen Auch für die Behandlung außerparlamentarischer Verhaltensweisen lassen sich verschiedene dogmatische Herangehensweisen abbilden. Wollte man auch auf diese Fallkonstellationen die an den Sonderstatusverhältnissen orienterte Lösung 125 S. Graf v. Kielmansegg, in: JA 2012, S.  881 (885); E. Schmidt-Aßmann, in: T. Maunz/ G. Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 19 Abs. 4 (2003), Rn. 86. 126 Detterbeck, Verwaltungsrecht (Fn.  46), Rn.  487 ff.; S.  Leppek, Beamtenrecht, 12. Aufl. 2015, Rn. 261: Unterscheidung zwischen persönlichen Interessen und dienstlichen Belangen. 127 W.-R. Schenke, Verwaltungsprozessrecht, 14. Aufl. 2014, Rn. 215; F. Kopp/W.-R. Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, 22. Aufl. 2016, Anh. § 42 Rn. 68. 128 S. Graf v. Kielmansegg, in: JA 2012, S.  881 (885 f.); Detterbeck, Verwaltungsrecht (Fn. 46), Rn. 488; Leppek, Beamtenrecht (Fn. 126), Rn. 261. 129 Allgemein zur Unschärfe dieser Abgrenzung auch in Sonderstatusverhältnissen W. Loschelder, Grundrechte im Sonderstatus, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX, 3. Aufl. 2011, § 202 Rn. 53. 130 S. zu den Wesensunterschieden und deren Auswirkungen auf die Grundrechtsträgerschaft des Abgeordneten noch ausführlich unten 4. Kap. A. (S. 122 ff.).

D. Ableitung der bisherigen verfassungsrechtsdogmatischen Ansätze 

49

anwenden131, müsste die funktionale Anwendbarkeit der Grundrechte zweifellos bejaht werden, da die jeweiligen Maßnahmen nicht im rein Innerorganisatorischen verbleiben; die Reichweite des freien Mandats bliebe dann allerdings erneut offen. Im Folgenden sollen zwei davon abweichende Ansätze vorgestellt werden. 1. Verschmelzung von Grundrechten und Freiheit des Mandats Die dissentierenden Richter der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Mittelpunktregelung sowie zur Offenlegung von Nebeneinkünften132 verfolgen den Ansatz, Grundrechtsgewährleistungen und freies Mandat nicht getrennt, sondern einander verstärkend zur Anwendung gelangen zu lassen. Der Abgeordnete sei Staatsbürger „innerhalb seines Amtes“133 und „nicht daneben“134 wie etwa der Beamte, weshalb grundrechtliche Erwägungen gerade in die Prüfung des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG eingestellt werden müssten135. Was den Abgeordneten als Person beschwert, hindert auch seine Mandatsführung, da das freie Mandat die individuellen Entfaltungswünsche seines Träger in sich aufnimmt. Dogmatisch heißt das, dass herkömmlicher Weise grundrechtliche Eingriffe auch hier als Eingriffe in die Freiheit des Mandats der Bundestagsabgeordneten gewertet werden136. Die Rechtmäßigkeit staatlicher Maßnahmen müsste sich also am freien Mandat messen lassen, wobei die Grundrechtsprüfung schutzbereichsverstärkend hinzukäme oder doch zumindest auf Rechtfertigungsebene erschwerend ins Gewicht fiele137. Cornils gibt richtigerweise zu bedenken, die Annahme einer „Verschmelzung“138 von Mandat und Grundrechtsträgerschaft sei maßgeblich infolge des „prozessualen Dilemma[s]“139 entstanden, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts den betroffenen Bundestagsabgeordneten für (vorwiegend) 131

So auch hier die überwiegende Literatur: F. E. Schnapp, in: NWVBl. 2006, S. 401 (S. 402 Fn. 12); der Sache nach auch C. Waldhoff, in: ZParl. 37 (2006), S. 251 (263): „die Berufung auf Grundrechte ist dem Mandatsträger nur in Bezug auf seinen Abgeordnetenstatus untersagt“; hiergegen H. Meyer, Einige Bemerkungen zu dem Gutachten von Prof. Waldhoff, 2005, S. 13; wie Waldhoff auch S. Korioth, Das freie Mandat des Abgeordneten des Deutschen Bundestages – unter besonderer Berücksichtigung der Pflicht zur Offenlegung von Nebeneinkünften, in: G. Manssen (Hrsg.), Die verfassungsrechtlich garantierte Stellung der Abgeordneten in den Ländern Mittel- und Osteuropas, 2009, S. 63 (82 ff.). 132 BVerfGE 118, 277. 133 BVerfGE 118, 277 (379; Hervorhebung nicht im Original, B. G.); H. Butzer, in: Epping/ Hillgruber, Grundgesetz (Fn. 17), Art. 38 Rn. 89. 134 BVerfGE 118, 277 (379; Hervorhebung nicht im Original, B. G.); Butzer (Fn. 133), Art. 38 Rn. 89. 135 BVerfGE 118, 277 (377 ff.). 136 Vgl. BVerfGE 118, 277 (378). 137 Ablehnend hierzu H. H. Trute, in: I. v. Münch/P. Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 38 Rn. 73. 138 M. Cornils, in: Jura 2009, S. 289 (292 ff.). 139 M. Cornils, in: Jura 2009, S. 289 (293).

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1. Kap.: Funktionale Anwendbarkeit der Grundrechte

funktionsbezogene Regelungen der Rückgriff auf die Verfassungsbeschwerde verwehrt war und daher eine Rechtsschutzlücke für etwaige Grundrechtsverletzungen drohte140. Die Grundrechtsprüfung wurde mit anderen Worten durch die Hintertür ermöglicht. 2. Keinerlei Grundrechtsgeltung für mandatsbezogene Maßnahmen Schließlich wird – andeutungsweise in der Rechtsprechung141, ausdrücklich in der Literatur142  – ein weiterer verfassungsrechtsdogmatischer Ansatz vertreten, der von einem Exklusivitätsverhältnis von Grundrechten und freiem Mandat resp. gesamtem Abgeordnetenstatus ausgeht: Stehen Maßnahmen in Frage, die den jeweiligen Volksvertreter in Zusammenhang mit seiner Mandatsausübung beeinträch­tigen, so soll die Grundrechtsträgerschaft (ob im oder neben dem Mandat) insgesamt ausgeschlossen sein, der Volksvertreter sich allein unter Berufung auf sein freies Mandat zur Wehr setzen können. Es kann dann keine Schnittmenge beider Gewährleistungen geben143: Entweder es liegt eine Betroffenheit (nur) im grundrechtlich geschützten Bereich des Mandatsträgers vor  – dann außerhalb jeglichen Zusammenhangs mit der Mandatsträgereigenschaft – oder er kann gegen die mandatsbezogene Maßnahme einzig seine Freiheit des Mandats ins Feld führen. Die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten prozessualen Grundsätze schneiden den Volksvertretern regelmäßig die Einlegung der Verfassungsbeschwerde ab. Es bleibt den Betroffenen faktisch der Rückgriff auf grundrechtliche Erwägungen verwehrt. Bislang hat das Bundesverfassungsgericht die Grundrechtsberechtigung der Mandatsträger aber nicht ablehnen wollen, sondern stets offen gelassen. Die Annahme eines Exklusivitätsverhältnisses hätte zweifellos für sich, dass sie in praktischer Hinsicht durch strikte Unterscheidung von staatlicher und gesellschaftlicher Sphäre vor keinerlei diffizile Abgrenzungsfragen zwischen der Eigenschaft als reine Privatperson und dem Funktionsbereich des Abgeordneten stellt. Wenn die angegriffene Maßnahme aufgrund der Abgeordneteneigenschaft ergeht,

140

M. Cornils, in: Jura 2009, S. 289 (293 f.). So gehen auch die entscheidungstragenden Richter im benannten Urteil zur Mittelpunktregelung bzw. zur Offenlegung von Nebeneinkünften von einem solchen „prinzipiellen Vorrang parlamentsrechtlich-funktioneller vor individualrechtlichen Gesichtspunkten“ aus, wenn sie auch individuelle Belange der Abgeordneten ohne grundrechtliche Anseilung „berücksichtigen“ wollen, BVerfGE 118, 277 (328, 354); s. dazu ausführlich oben 1. Kap. C. I. 1. (S. 42 f.). 142 S. Meyer, Rechtsgutachten I (Fn. 36), S. 15 ff.; C. Möllers, in: Jura 2008, S. 937 (940); Käßner, Nebentätigkeiten (Fn. 104), S. 155 ff.; unklar hinsichtlich der Reichweite der Exklusivität: G. Roth, in: D. C. Umbach/T. Clemens (Hrsg.), Grundgesetz Mitarbeiterkommentar, Bd. II, 2002, Art. 38 Rn. 104; ebenso Butzer (Fn. 133), Art. 38 Rn. 89. 143 S. zu dieser Aussage sowie zur Auseinandersetzung mit den Begründungsversuchen der Vertreter des Exklusivitätsverhältnisses insgesamt noch ausführlich unten 3. Kap. B. II. (S. 93 ff.). 141

D. Ableitung der bisherigen verfassungsrechtsdogmatischen Ansätze 

51

kann die grundrechtliche Sphäre nicht eröffnet sein144. Die Grenzen solcher Maßnahmen finden sich dann nicht in den Grundrechten, sondern in den das Mandat prägenden staatsorganisationsrechtlichen Grundsätzen145. Der Ansatz hat allerdings berechtigte Gegenstimmen: Bei Annahme eines Exklusivitätsverhältnisses werden die Mandatsträger als ausnahmslos im Sonderstatus begriffen146. Grundrechtliche Schutzbereiche werden begrenzt, ohne dass sich hierfür eine ausdrückliche verfassungsrechtliche Anordnung fände.

144

So auch Käßner, Nebentätigkeiten (Fn. 104), S. 160 f.; C. Möllers, in: Jura 2008, S. 937 (940 f.); Meyer, Rechtsgutachten I (Fn. 36), S. 20. 145 C. Möllers, in: Jura 2008, S.  937 (940); Käßner, Nebentätigkeiten (Fn.  104), S.  161; Meyer, Rechtsgutachten I (Fn. 36), S. 18 f. sowie S. 30 ff. 146 M. Cornils, in: Jura 2009, S. 289 (294); Grote, Verfassungsorganstreit (Fn. 120), S. 182.

2. Kapitel

Die Rolle des Bundestagsabgeordneten im staatlichen Organisationsgefüge „Der Abgeordnete befindet sich […] in einer besonderen Position zwischen dem Staat, der öffentliche Gewalt ausübt, und der freien Gesellschaft, aus der er stammt und in der er sich für die Dauer des Mandats und für dessen Erneuerung verantworten und erklären muss.“1 Diese besondere Bindegliedstellung2 macht eine Zuordnung seines Verhaltens zu seiner Rolle als staatlichem Funktionsträger resp. als Inhaber individueller Freiheitsrechte besonders schwierig und mag im Einzelfall künstlich daher kommen3. Inwieweit eine solche Zuordnung dennoch vorgenommen werden kann und muss, soll Gegenstand dieses Kapitels sein. Dazu soll in einem ersten Schritt die Unterscheidung zwischen Staat und Gesellschaft zum Ausgangspunkt weiterer Überlegungen gemacht werden (A.). Insbesondere soll aufgezeigt werden, dass freies Mandat und Grundrechte sich in Geltungsgrund und Ausrichtung unterscheiden. Ferner soll die Aussage des Bundesverfassungsgerichts, die verschiedenen Sphären seien im Falle des Bundestagsabgeordneten nicht trennbar, in die hiesige Problemstellung eingeordnet werden. In einem zweiten Schritt (B.) wird dargelegt, inwieweit die Verfassung den Bundestagsabgeordneten bereits eindeutig dem Bereich institutionalisierter Staatlichkeit zuschreibt.

A. Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft I. Vom ursprünglichen Dualismus hin zur rollenmäßigen Unterscheidung von Staat und Gesellschaft Die Problematik der Janusköpfigkeit4 des Bundestagsabgeordneten kann nur vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Unterscheidung von Staat und Gesellschaft nachvollzogen werden. 1

BVerfGE 118, 277 (340) – abw. Votum. Als „Bindeglied zwischen Staat und Gesellschaft“ bezeichnet bei BVerfGE 118, 277 (340) – abw. Votum; dies greift auf H. Butzer, in: V. Epping/C. Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 2. Aufl. 2013, Art. 38 Rn. 89. 3 Vgl. BVerfGE 118, 277 (340) – abw. Votum. 4 Diese Terminologie bei B. J. Hartmann, Volksgesetzgebung und Grundrechte, 2005, S. 67; W. Graf Vitzthum, Der funktionale Anwendungsbereich der Grundrechte, in: D. Merten/H.-J. Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Bd. II, 2006, § 48 Rn. 48. 2

A. Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft

53

Dabei hat sich das Verhältnis von Staat und Gesellschaft binnen der letzten zwei Jahrhunderte grundlegend geändert. Im Rahmen der konstitutionellen Monarchie des 19. Jahrhunderts noch bildeten Staat und Gesellschaft zwei sich gegenüberstehende Fronten, die grundsätzlich keine Verschränkung kannten5: Während sich in den westlichen Nachbarländern das Volk durch Revolution selbst Anteil an der Staatsgewalt erstritten hatte6, begehrte das Bürgertum auf deutschem Boden Rechte gegen den Monarchen bzw. damit gleichzusetzen gegen den Staat, der ihm machtgeballt gegenüber trat7. Angestrebt wurde eine „Freiheit vom Staat“8, mithin die reine Abwehr staatlicher Freiheitsbeschränkungen9. Das Individuum erhielt gegenüber dem Staat eben diese „bürgerliche Freiheit“10, nicht aber eine „politische Freiheit“11 in dem Sinne, dass es selbst auf staatliche Entscheidungen hätte Einfluss nehmen können12. Zwar soll nicht unterschlagen werden, dass das Bürgertum die gewählten Volksvertreter stellte13. Dem Parlament wiederum kam aber nicht die Rolle eines vollwertigen Staatsorgans zu14, eine echte Beteiligung des Volkes an der staatlichen Willensbildung war demnach nicht entstanden. Nach der Abkehr vom monarchischen Prinzip hin zur demokratischen Staatsordnung ist ein solcher Dualismus im Sinne eines beziehungslosen Gegenübers nicht mehr aufrecht zu erhalten15, stehen Staat und Gesellschaft in vielfacher Hinsicht miteinander in Beziehung16: Alle staatliche Entscheidungsgewalt bedarf der Legitimation durch das Volk, Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG. Das Volk ist „Autor und Souverän aller Staatsgewalt“17, 5 S. zum damaligen „Dualismus“ von Staat und Gesellschaft umfassend H. H. Rupp, Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, 3. Aufl. 2004, § 31 Rn. 4 ff.; E.-W. Böcken­förde, Die Bedeutung der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft im demokratischen Sozialstaat der Gegenwart (1972), in: ders. (Hrsg.), Staat und Gesellschaft, 1976, S. 395 (396 ff.). 6 S. hierzu eingängig Rupp (Fn. 5), § 31 Rn. 4. 7 Böckenförde, Bedeutung (Fn. 5), S. 403 f.; Rupp (Fn. 5), § 31 Rn. 4 ff. 8 Rupp (Fn. 5), § 31 Rn. 4 (Hervorhebung im Original). 9 Rupp (Fn. 5), § 31 Rn. 4. 10 Böckenförde, Bedeutung (Fn. 5), S. 403 (Hervorhebung im Original). 11 Böckenförde, Bedeutung (Fn. 5), S. 403 (Hervorhebung im Original). 12 Rupp (Fn. 5), § 31 Rn. 4; Böckenförde, Bedeutung (Fn. 5), S. 403. 13 Rupp (Fn. 5), § 31 Rn. 6. 14 So Rupp (Fn. 5), § 31 Rn. 6 f. m. w. N., der daher einen „Dualismus des Staates selbst“ ausmacht. 15 Böckenförde, Bedeutung (Fn. 5), S. 395 m. w. N.; K. Hesse, Bemerkungen zur heutigen Problematik und Tragweite der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft (1975), in: Böckenförde, Staat und Gesellschaft (Fn. 5), S. 484 (485 ff.); ders., Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. Aufl. 1995, Rn. 11; Rupp (Fn. 5), § 31 Rn. 17; auch J. Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, 2. Aufl. 2001, S. 149 ff. 16 Vgl. D. Grimm, Politische Parteien, in: E. Benda/W. Maihofer/H.-J. Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2.  Aufl. 1995, Bd.  1, § 14 Rn. 21 f.; E. Forsthoff, Der Staat der Industriegesellschaft, 2. Aufl. 1971, S. 21 ff. 17 Rupp (Fn. 5), § 31 Rn. 17.

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2. Kap.: Die Rolle des Bundestagsabgeordneten

es ist zugleich deren „Inhaber und Schöpfer“18. In der Demokratie besitzt der Bürger eine zweifache Freiheit19, nämlich zum einen die bereits bekannte bürgerliche Freiheit vom Staat im Sinne von staatlichen Abwehrrechten, zum anderen die politische Freiheit im Staat, die ihn zur Mitwirkung und Einflussnahme auf die staatlichen Entscheidungen befähigt20. Der Staat ist seinerseits auf die Gesellschaft hin ausgerichtet und findet seine Existenzberechtigung in der Aufgabe, diese zu ordnen21: „Der Staat ist um des Menschen willen da, nicht der Mensch um des Staates willen“, wie es in Art. 1 Abs. 1 der Fassung des Herrenchiemsee-Entwurfs22 heißt. Die Gesellschaft ihrer­ seits braucht den Staat, um sich zu organisieren: So stellt der Staat Verhaltensregeln für ein funktionstüchtiges Miteinander der Bürger auf, schafft Verfahren und Einrichtungen zur Streitbeilegung und schützt die Gesellschaft in ihrem Bestand23. Umgekehrt nehmen gesellschaftliche Faktoren vielfach auf die staatliche Willensbildung Einfluss24. Nicht die individuelle Freiheitswahrnehmung muss gegenüber dem Staat gerechtfertigt werden, sondern umgekehrt bedarf deren Beschränkung durch den Staat der Rechtfertigung25. Der Staat kann einzig auf der Grundlage von Kompetenzen agieren, die ihm explizit eingeräumt worden sind: Was nicht ausdrücklich erlaubt ist, ist dem Staat gemeinhin verboten26, er ist bei eingreifenden Maßnahmen auf das Vorliegen einer Ermächtigungsgrundlage angewiesen27. Aus diesem Verhältnis folgt, dass staatliche Entscheidungsgewalt immer eine begrenzte sein muss28. Mit der Unterscheidbarkeit von Staat und Gesellschaft ist damit insgesamt das „System […] grundrechtlich gesicherter Individualfreiheit einerseits und gegenständlich begrenzter Staatsmacht andererseits“29 gewährleistet. Die Unterscheidung zwischen Staat und Gesellschaft wurde als mit dem modernen auf Demokratie beruhenden Grundgesetz unvereinbar kritisiert30; insbesondere wurde vorgebracht, die Begriffe „Staat“ und „Gesellschaft“ bezeichne-

18

Rupp (Fn. 5), § 31 Rn. 17. Vgl. Böckenförde, Bedeutung (Fn. 5), S. 412. 20 Vgl. Böckenförde, Bedeutung (Fn. 5), S. 412. 21 Böckenförde, Bedeutung (Fn. 5), S. 406. 22 Abgedruckt bei K.-B. v. Doemming/R. W. Füsslein/W. Matz, in: JöR N. F. 1 (1951), S. 48. 23 Vgl. Böckenförde, Bedeutung (Fn. 5), S. 406, 409; Hesse, Grundzüge (Fn. 15), Rn. 11. 24 Hesse, Grundzüge (Fn. 15), Rn. 11. 25 So statt aller Rupp (Fn.  5), § 31 Rn.  30; U. Karpen, in: JA 1986, S.  299 (304); T. Kingreen/R. Poscher, Grundrechte. Staatsrecht II, 32. Aufl. 2016, Rn. 43 f. 26 Rupp (Fn. 5), § 31 Rn. 30. 27 Rupp (Fn. 5), § 31 Rn. 32; U. Karpen, in: JA 1986, S. 299 (304). 28 Sog. Prinzip der Funktionsreduzierung, Böckenförde, Bedeutung (Fn. 5), S. 412 f. 29 Grimm (Fn. 16), § 14 Rn. 21. 30 S. u. a. H.  Ehmke, „Staat“ und „Gesellschaft“ als verfassungstheoretisches Problem, in: K. Hesse/S. Reicke/U. Scheuner (Hrsg.), Staatsverfassung und Kirchenordnung. Festgabe für Rudolf Smend zum 80. Geburtstag am 15. Januar 1962, S. 23 (23 ff.). 19

A. Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft

55

ten zwei „menschliche Verbände“, die letztlich identisch seien31. Es werde daher lediglich eine scheinbare Unterscheidbarkeit dadurch vermittelt, „daß man einen ‚engeren Staatsbegriff‘ bildet, der nur den ‚staatlichen Apparat‘ innerhalb der als Verband gedachten Gesellschaft umfaßt.“32 Dieser Einwand verfängt nicht, begreift man die vorzunehmende Unterscheidung denn als solche „dialektische[r] Zuordnung“33 im Sinne einer rollenmäßigen34 Unterscheidung anstelle einer wesensmäßigen und personenmäßigen, und reduziert sie nicht auf das dargestellte starre Ordnungsprinzip einer bestimmten Epoche35. Als rollenmäßige Unterscheidung muss sie nach wie vor durchgehalten werden, da eine vollständige Aufgabe jedes Trennungsdenkens auf ein totalitäres System hinausliefe, das individuelle Freiheitsbereiche nicht mehr zu garantieren vermag36. Die Konsequenz aus dieser Unterscheidung sind die grundlegend verschiedenen Ausrichtungen und Bezugspunkte für staatliches Handeln und grundrechtliche Freiheitsentfaltung: Der Bürger nimmt grundrechtliche Freiheiten wahr, der Staat agiert auf Grundlage von Kompetenzen37, bei deren Ausübung es naturgemäß keine Beliebigkeit gibt38. Grundrechtliche Freiheit für die Ausübung von Staatsfunktionen ist ausgeschlossen39, da die Grundrechte gerade einen vom Individuum verschiedenen Adressaten ihrer Berechtigung voraussetzen. „Der Staat ist Schuldner, nicht Inhaber von Grundrechten“40, Grundrechtsbindung und -berechtigung sind inkompatibel, Art. 1 Abs. 3 GG41. Der Staat ist für seine Funktionsausübung auf das Wirken42 Einzelner angewiesen43, die staatlichen Funktionsträger sind natürliche Personen. Einerseits können 31

Ehmke, Staat (Fn. 30), S. 24 f. Ehmke, Staat (Fn. 30), S. 25. 33 Isensee, Subsidiaritätsprinzip (Fn.  15), S.  154; zustimmend Rupp (Fn.  5), § 31 Rn.  26; ebenso Forsthoff, Staat (Fn. 16), S. 21; ähnlich Böckenförde, Bedeutung (Fn. 5), S. 409; Hesse, Bemerkungen (Fn. 15), S. 493. 34 Hesse, Bemerkungen (Fn. 15), S. 490 f.; Rupp (Fn. 5), § 31 Rn. 25; Grimm (Fn. 16), § 14 Rn. 20. 35 Ähnlich zu ablehnenden Stimmen Böckenförde, Bedeutung (Fn.  5), S.  407; Grimm (Fn. 16), § 14 Rn. 21. 36 Zu den Folgen einer totalen Demokratie Böckenförde, Bedeutung (Fn.  5), S.  407, 413; Hesse, Bemerkungen (Fn. 5), S. 491. 37 Ausführlich zu diesen unterschiedlichen Handlungsausrichtungen s. Rupp (Fn.  5), § 31 Rn.  32 f.; U. Karpen, in: JA 1986, S.  299 (302 ff.); s. auch Hartmann, Volksgesetzgebung (Fn. 4), S. 58 ff.; Vitzthum (Fn. 4), § 48 Rn. 10. 38 Rupp (Fn. 5), § 31 Rn. 31. 39 Rupp (Fn. 5), § 31 Rn. 31. 40 Rupp (Fn. 5), § 31 Rn. 32; ähnlich Isensee, Subsidiaritätsprinzip (Fn. 15), S. 210. 41 Vitzthum (Fn. 4), § 48 Rn. 10. 42 Er wird daher vielfach als „organisierte menschliche Wirkungseinheit“ bezeichnet, s. H. Heller, Staatslehre (1934), 6. Aufl. 1983, S. 259 ff., 261; „organisierte Wirkeinheit“ mit Bezugnahme auf Heller auch Hesse, Bemerkungen (Fn. 15), S. 489; ebenso Böckenförde, Bedeutung (Fn. 5), S. 405; „Wirkeinheit“ bei Grimm (Fn. 16), § 14 Rn. 22. 43 S. daher Böckenförde, Bedeutung (Fn. 5), S. 405: Der Staat „kann also nicht unabhängig von menschlichen Personen gedacht werden“; ebenso Hesse, Bemerkungen (Fn. 15), S. 489 f. 32

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2. Kap.: Die Rolle des Bundestagsabgeordneten

diese Personen, die mit der Wahrnehmung von Staatsaufgaben betraut sind, nicht in allen Lebenslagen staatlicherseits inkorporiert sein44. Andererseits können sie im Rahmen ihrer Funktionsausübung keine grundrechtlichen Freiheiten für sich reklamieren. Die rollenmäßige Unterscheidung muss daher auch den einzelnen Funktionsträger treffen45, je nachdem ob er sich in individuellen Freiheitsräumen bewegt oder ob er in Vertretung für den Staat auftritt und nach dessen Maßstäben agieren muss. Hieraus ergibt sich auch, dass die grundrechtlichen Gewährleistungen niemals nur in ihrer objektiven Dimension angewandt werden können46. Der Grundrechtsdimension der objektiven Wertordnung47 zufolge können Grundrechte zwar unabhängig von einer oppositionellen Beziehung des Bürgers zum Staat Wirkung entfalten48. Jedoch würde die dargelegte Unterscheidung von Staat und Gesellschaft ad absurdum geführt, sofern etwa mit Blick auf die Meinungsäußerungsfreiheit überlegt wird, deren inhaltliche Gewährleistung für den politischen Amtswalter bei dessen Funktionswahrnehmung über die objektive Grundrechtsdimension fruchtbar zu machen49. Sofern Art.  1 Abs.  3  GG im konkreten Fall eine Grundrechtsbindung anordnet, kann die individuelle Freiheitsentfaltung nicht über Umwege Einzug in die Wahrnehmung staatlicher Funktionen halten. Wie das Bundesverfassungsgericht in Zusammenhang mit der Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts festgestellt hat, setzt die Anwendbarkeit der Grundrechte immer auch den „unmittelbare[n] Bezug zum Menschen“50 voraus, der dem kompetenziellen staatlichen Handeln gerade fehlt51. Sowohl für die subjektiv- als auch für die objektiv-rechtliche Dimension der Grundrechte muss die Anwendbarkeit auf staatliche Funktionsträger gleichlaufend geklärt werden.

44

Vgl. Isensee, Subsidiaritätsprinzip (Fn. 15), S. 156. Isensee, Subsidiaritätsprinzip (Fn.  15), S.  156 f.; ders. Grundrechtsvoraussetzungen und Verfassungserwartungen an die Grundrechtsausübung, in: ders./Kirchhof, HStR (Fn.  5), Bd. IX, 3. Aufl. 2011, § 190 Rn. 156; Vitzthum (Fn. 4), § 48 Rn. 10. 46 Rupp (Fn. 5), § 31 Rn. 36. 47 S. grundlegend BVerfGE 7, 198 (205). 48 S. umfassend zur objektiven Dimension der Grundrechte T. Gostomzyk, in: JuS 2004, S. 949 (949 ff.). 49 Im Ergebnis ablehnend M.-E. Geis, in: BayVBl. 1992, S. 41 (44); ebenso erwogen und abgelehnt von Rupp (Fn. 5), § 31 Rn. 36; für die Berücksichtigung der Grundrechte „zumindest in ihrer objektiven Funktion“ die Antragsgegner in BVerfGE 118, 277 (315). 50 BVerfGE 21, 362 (370 f.). 51 Vgl. BVerfGE 21, 362 (370 f.); dagegen können die sog. grundrechtsdienenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts – Universitäten, Rundfunkeinrichtungen und Kirchen – ihre „Grundrechte in einem Bereich verteidigen, in dem sie vom Staate unabhängig sind“, s. BVerfGE 31, 314 (321 f.); 15, 256 (261 f.); 18, 385 (387). 45

A. Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft

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II. Unterschiedliche Ausrichtung von freiem Mandat und grundrechtlicher Freiheit Auch das freie Mandat  – obwohl als solches keine staatliche Kompetenz52  – unter­scheidet sich in Geltungsgrund und Ausrichtung von den grundrechtlichen Gewährleistungen. Anders als der Begriff der Freiheit des Mandats vermuten lässt, stellt die Gewährleistung unbestrittenermaßen kein Grundrecht dar53. Die Vorschrift will einzig die Eigenständigkeit und Unbeeinflussbarkeit der Abgeordnetentätigkeit schützen54. Sie ist ihm nicht um seiner Person willen, sondern einzig der Verfolgung des Gemeinwohls wegen eingeräumt55. Dies ergibt sich bereits aus seiner Stellung als Vertreter des ganzen Volkes, Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG, die vom Abgeordneten die Verfolgung von Allgemeininteressen verlangt, ihm jedenfalls nicht die Verfolgung von ausschließlich persönlichen Entfaltungswünschen gestattet. Die unterschiedliche Ausrichtung beider Gewährleistungsbündel würde durch eine vereinigte Prüfung, wie sie die dissentierenden Richter in der Entscheidung zur Mittelpunktregelung und zur Offenlegung von Nebeneinkünften für die nebenmandatäre Berufstätigkeit, mithin für eine außerhalb der eigentlichen Man-

52 S. zur Rechtsstellung des Abgeordneten bzw. die Unterteilung des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG in (kompetenziellen) Teilhabe- und Freiheitsbereich noch ausführlich unten 3. Kap. A. (S. 75 ff.). 53 BVerfGE 6, 445 (448); 43, 142 (148): keine Betroffenheit des Abgeordneten als „jedermann“ im Streit mit einem anderen Staatsorgan; W. Demmler, Der Abgeordnete zwischen Parlament und Fraktionen, 1993, S. 43 ff.; K. Abmeier, Die parlamentarischen Befugnisse des Abgeordneten des Deutschen Bundestages nach dem Grundgesetz, 1983, S.  41; K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd.  I, 2. Aufl. 1984, S.  1077; P. Badura, Die Stellung des Abgeordneten nach dem Grundgesetz und den Abgeordnetengesetzen der Länder, in: H.-P. Schneider/W. Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, 1989, § 15 Rn. 78; H. H. Klein, in: T. Maunz/G. Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 48 (2007) Rn. 37: „keine grundrechtliche, um ihrer selbst willen garantierte Freiheit, sondern eine funktionale, der Repräsentationsaufgabe des Parlaments dienstbare, ‚organschaftliche‘ Freiheit“; C. Möllers, in: JZ 2011, S. 48 (50); S. Helmes, Spenden an politische Parteien und an Abgeordnete des Deutschen Bundestages, 2014, S. 255; hingegen G. P. Strunk, in: DVBl. 1977, S. 615 (616): Abgeordnetenstatus als „mit der Verfassungsbeschwerde rügefähige Grundrechtsposition“; H. D. Jarass/ B. Pieroth, Grundgesetz, 14. Aufl. 2016, Art. 38 Rn. 43: „grundrechtsgleiches Recht“; zu den strukturellen Grundrechtsparallelen s. noch unten 3. Kap. B. II. 3. c) (S. 112 ff.). 54 S. noch ausführlich unten 3. Kap. A. III. 2. (S. 82 ff.). 55 Die Orientierung des Abgeordneten am Gemeinwohls ist unbestritten; s. statt aller BVerfGE 118, 277 (328): „Die Rechte des Abgeordneten richten sich nach den Erfordernissen demokratischer Repräsentation und stehen im Dienst der Erfüllung des Gemeinwohlauftrags des Deutschen Bundestages, nicht umgekehrt“; Demmler, Abgeordnete (Fn. 53), S. 51; J. Isensee, Gemeinwohl im Verfassungsstaat, in: ders./Kirchhof, HStR (Fn. 5), Bd. IV, 3. Aufl. 2006, § 71 Rn. 142 f.; H. H. Klein, Status des Abgeordneten, in: Isensee/Kirchhof, HStR (Fn. 5), Bd. III, 3. Aufl. 2005, § 51 Rn. 1; W. Henke, Das Recht der politischen Parteien, 2. Aufl. 1972, S. 122; R. Grote, Der Verfassungsorganstreit: Entwicklungen, Grundlagen, Erscheinungsformen, 2010, S. 158 f.

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2. Kap.: Die Rolle des Bundestagsabgeordneten

datstätigkeit stehende Verhaltensweise, vorgenommen haben56, vollständig ausgehöhlt. Denn die „Verschmelzung“57 von freiem Mandat und Grundrechten unterstellt, dass der Abgeordnete unter dem Deckmantel seiner amtlichen Rechtszuweisung individuelle Freiheiten wahrnimmt. Sie läuft damit auf eine „Privatisierung des Mandats“58 hinaus. Dementsprechend stellen auch die entscheidungstragenden Richter die individuellen Belange des Bundestagsabgeordneten – wenn auch die Art und Weise ihrer „Berücksichtigung“ fragwürdig ist – bei ihrer Verhältnismäßigkeitsprüfung i.R.d. Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG hinten an59. Ihre verschiedenen Geltungsgründe stehen einer Aufladung des Prüfungsmaßstabs des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG mit den Grundrechten daher von vornherein entgegen. Sie sind auch der Ursprung allen Unbehagens, Verhaltensweisen des Bundestagsabgeordneten einem gleichzeitigen Schutz durch freies Mandat und den Grundrechten zu unterstellen60.

III. „Die parlamentarische Demokratie fordert […] den Abgeordneten als ganzen Menschen“ (BVerfGE 134, 141 [174]) – Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts für die hiesige Problematik Das Bundesverfassungsgericht hat die Position vertreten, dass eine konkrete, auf den Einzelfall bezogene Rollendifferenzierung zwischen Staat und Gesellschaft für den Bundestagsabgeordneten nicht möglich sei: „[D]er Gewährleistungsgehalt des Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG [ist] auf das gesamte politische Handeln des Abgeordneten bezogen und umfasst nicht nur dessen Tätigkeit im parlamentarischen Bereich. Die Sphären des Abgeordneten ‚als Mandatsträger‘, ‚als Parteimitglied‘ sowie ‚als politisch handelnder [sic] Privatperson‘ lassen sich nicht strikt trennen; die parlamentarische Demokratie fordert insoweit den Abgeordneten als ganzen Menschen“61.

Diese Aussage stellt auf den ersten Blick einen deutlichen Bruch mit der zuvor betonten Notwendigkeit einer rollendifferenzierten Zuordnung dar und muss daher für die vorliegende Problematik eingeordnet werden. 56

S. 1. Kap. C. (S. 40 ff.). M. Cornils, in: Jura 2009, S. 289 (292 ff.). 58 M. Cornils, in: Jura 2009, S. 289 (295) – anders dagegen A. Ingold, in: JöR N. F. 64 (2016), S. 43 (70), für den die dogmatischen Konstruktionen „sekundärer Bedeutung“ seien, sofern nur überhaupt Grundrechtsschutz gewährleistet werde. 59 S. oben 1. Kap. C. I. 1. (S. 42 f.). 60 Das heißt nicht, dass beide Gewährleistungen nicht im Einzelfall gleiche Inhalte schützen können, sofern die persönliche Entfaltung des Abgeordneten auch dem Mandat zuträglich ist; auch dann werden aber beide Gewährleistungen nicht gemeinsam geprüft, sondern mit ihren unterschiedlichen Vorzeichen und Voraussetzungen einer selbstständigen Prüfung unterzogen, s. unten 5. Kap. C. (S. 197 ff.). 61 BVerfGE 134, 141 (174, Rn. 98), bezugnehmend auf BVerfGE 40, 296 (313) und E 118, 277 (354 f.). 57

A. Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft

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Das Bild des Abgeordneten, der als „ganzer Mensch“ in seinem Mandat aufgeht, wird in drei wegweisenden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts – dem Diätenurteil62, demjenigen zur Mittelpunktregelung und zur Offenlegung von Nebeneinkünften63 und dem hier zitieren Beschluss zur Beobachtung Ramelows durch den Verfassungsschutz  – stets aufs Neue gezeichnet. Angesprochen wird hier der Scharniercharakter des Abgeordnetenmandats, der auch von der Literatur gerne hervorgehoben wird64. Dieser ist mitunter darauf zurückzuführen, dass politische Ämter die Persönlichkeit des Amtsträgers verstärkt zur Geltung bringen65. Eine eindeutige rollenmäßige Unterscheidung, wie sie für andere Amtsträger vorgenommen wird66, erscheint vor diesem Hintergrund nur schwer möglich. Nach den Ausführungen zu Staat und Gesellschaft ist daher fraglich, welcher Aussagewert der Äußerung des Bundesverfassungsgerichts für das Verhältnis des freien Mandats zu den Grundrechten entnommen werden kann: Im Urteil zur Mittelpunktregelung und zur Offenlegung von Nebeneinkünften standen staatliche Maßnahmen im Raum, die – insoweit unzweifelhaft – auf die persönliche Lebensführung des Abgeordneten ausstrahlten. Es ging hierbei nicht um die Ausübung parlamentarischer Mitwirkungsbefugnisse, sondern um die außerparlamentarische, an die Person des Abgeordneten anknüpfende Rechtsstellung. Hier stand außer Frage, dass die persönliche Lebensführung der Sache nach mitgeregelt wird67; dennoch hatten sich die entscheidungstragenden Richter schließlich für eine faktische Beeinträchtigung der persönlichen Lebensstellung, normativ aber gegen den Geltungsbereich der Grundrechte entschieden. Davon unterschieden werden können diejenigen Fälle, die den Abgeordneten bei seiner parlamentarischen Kompetenzausübung und damit während des amtlichen Wirkens selbst betreffen. Hier ist bereits unklar, ob die Maßnahme sich auf den Abgeordneten als Funktionsträger beschränkt oder in seinen persönlichen Lebensbereich überwirkt. Es sind beide Bereiche überhaupt noch faktisch gegeneinander abzustecken: Die Beobachtung bei der Tätigkeit als Abgeordneter, das Filmen oder die Erstellung von Tonbändern während der Wahrnehmung seines Mandats, Kleiderfragen oder Maßnahmen, die gar das religiöse Empfinden des Abgeordneten betreffen, mögen sich zumindest räumlich wie zeitlich auf den parlamentsinternen Bereich beschränken. Ob hierbei persönliche Belange des Abge 62

BVerfGE 40, 296. BVerfGE 118, 277. 64 S. die Nachweise in 4. Kap. B. I. (S. 164 ff.). 65 Das „Politische“ ist bei Schröder auch dafür verantwortlich, dass der Abgeordnete Art und Weise seiner Aufgabenwahrnehmung individuell bestimmen kann, s. M. Schröder, Grundlagen und Anwendungsbereich des Parlamentsrechts, 1978, S. 303; schwächer ausgeprägte Pflichtenstellung bei politischen Ämtern auch bei O. Depenheuer, Das öffentliche Amt, in: Isensee/ Kirchhof, HStR III (Fn. 55), § 36 Rn 24. 66 S. 4. Kap. A. (S. 123 ff.). 67 Dies geht bereits daraus hervor, dass selbst die entscheidungstragenden Richter die „persönlichen Belange“ berücksichtigen wollen, BVerfGE 118, 277 (354). 63

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2. Kap.: Die Rolle des Bundestagsabgeordneten

ordneten relevant werden können und wenn ja, ob sie in grundrechtlich abgesicherter Form zu berücksichtigen wären, lässt sich nicht ohne Weiteres beantworten. Sollte man den Abgeordneten also dann, wenn er aufgrund der Hausordnung des Deutschen Bundestages keine religiösen Symbole mehr im Plenum tragen dürfte68, einzig auf seine Mandatsfreiheit verweisen, da sein individuell gedeutetes religiöses Empfinden als ganzer Mensch in seiner Funktion ebenso enthalten ist wie seine sonstigen Amtsbefugnisse auch? Was ist Prüfungsmaßstab, wenn auch für Abgeordnete zukünftig eine Karenzzeit von 18 Monaten wie für Bundesminister und parlamentarische Staatssekretäre69 gelten sollte, bevor sie nach Aufgabe ihres Mandats in die freie Wirtschaft wechseln können? Eine allgemeingültig valide Aussage zur Behandlung der einzelnen Fallgruppen lässt sich der Aussage des Bundesverfassungsgerichts nicht entnehmen. Fehl geht zunächst die Deutung, dass der Abgeordnete im wahrsten Sinne des Wortes als ganzer „Mensch“, d. h. mit all seinen individuellen Freiheitsbestrebungen, in seinem Mandatsauftrag aufgeht70. Die im Sinne des Gemeinwohls überantwortete Freiheit des Mandats kann wie gesehen nicht um grundrechtliche Freiheiten verstärkt werden. Ebenso wenig ist aber die umgekehrte Deutung zulässig, das Abgeordnetenamt nehme den gesamten politischen Aktionsbereich des Bundestagsabgeordneten (ausschließlich) für sich ein71, inkorporiere also die Abgeordnetenperson staatlicherseits. Denn dann müsste jede freiheitsrechtliche Absicherung politischer Betätigung in diesem Rahmen ausscheiden, der Abgeordnete befände sich im Rahmen seines gesamten partei- und gesellschaftspolitischen Aktionsradius nur noch „im Amt“, da die persönlichen Belange, wie der zweite Senat in der Entscheidung zu den Offenlegungspflichten herausgestellt hat, nachrangig und jedenfalls nicht grundrechtlich abgestützt berücksichtigt werden könnten. Der Bundestagsabgeordnete würde dann durch seine Eigenschaft als Abgeordneter nicht als ganzer Mensch gefordert, sondern vielmehr „verschlungen“72.

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Dieses Fallbeispiel auch bei Grote, Verfassungsorganstreit (Fn. 55), S. 182. Siehe zu dieser Debatte aus aktuellem Anlass auch F. Scheffczyk, in: ZRP 2015, S. 133 (133 ff.) und B. Grzeszick/M. Limanowski, in: DÖV 2016, S.  313 (313 ff.) sowie umfassend M. Bamberger, Nachamtliche Tätigkeitsbeschränkungen für politische Amtsträger, 2014. 70 In diese Richtung auch das Verständnis der Entscheidung zur Abgeordnetenbeobachtung Ramelow bei M. Fehling/B. Schunicht, in: ZJS 2014, S. 199 (204): „Dies entspricht auch der vom BVerfG geforderten Betrachtung des Abgeordneten ‚als ganze[m] Menschen‘, dem konsequenterweise Persönlichkeitsrechte auch im Rahmen der Abgeordnetentätigkeit zustehen müssen“. 71 S. zu Ansätzen eines solchen „Statusverständnisses“ noch gleich 3. Kap. B. (S. 86 ff.). 72 S. schon die Aussage M. Cornils, in: Jura 2009, S. 289 (294): Der Mandatsträger dürfe nicht „schlechter stehen […] als jeder Angehörige des öffentlichen Dienstes“; ebenso O. Piechaczek, Lobbyismus im Deutschen Bundestag, 2014, S. 188 und K. F. Gärditz, in: JöR N. F. 64 (2016), S. 1 (35); s. zum Rechtsschutzargument auch M.-E. Geis, in: BayVBl. 1992, S. 41 (45). 69

B. Eingliederung in die institutionalisierte Staatlichkeit

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Das Bundesverfassungsgericht hat demnach mit oben zitierter Äußerung eine klare Aussage einzig über die Reichweite der Freiheit des Mandats getätigt, das es  – ganz im Sinne des materiellen Repräsentationsverständnisses73  – entsprechend weit auslegt. Es wird bereits deutlich, dass sich der Gewährleistungsgehalt des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG nicht ausschließlich im staatlich eingegliederten, kompetenziellen Bereich erschöpft. Die Repräsentationsaufgabe des Abgeordneten vollzieht sich nicht allein im Parlament, sondern verklammert gewissermaßen Staats- und Volkswillensbildung miteinander74. Das freie Mandat hat damit Berührungspunkte zu beiden Sphären des Abgeordneten, zur rein amtlichen sowie zur gesellschaftlichen Sphäre. Hierauf wird noch vertieft im Rahmen der bereichsdifferenzierten Zuordnung von freiem Mandat und Grundrechten einzugehen sein (5. Kap. [S. 192 ff.]). Hingegen hat das Bundesverfassungsgericht keine Aussage darüber getroffen, wie die Forderung nach dem Abgeordneten „als ganzen Menschen“ mit dessen grundrechtlichen Freiheiten in Einklang gebracht werden kann.

B. Eingliederung des Bundestagsabgeordneten in die institutionalisierte Staatlichkeit Die Unterscheidung zwischen Staat und Gesellschaft an sich trifft noch keine Aussage zu einer konkreten rollenmäßigen Zuordnung75 und lässt wie gesehen insbesondere die Einordnung der Gewährleistung des freien Mandats in die Zweiteilung offen. Im Folgenden soll darauf eingegangen werden, ob und in welcher Intensität jedenfalls eine Eingliederung des Abgeordneten in das (rein) staatliche Funktionsgefüge stattgefunden hat76. Denn je größer der Bereich, innerhalb dessen sich der Staat des Abgeordneten als verlängerter Arm bedient, umso weniger ist eine Geltendmachung von Grundrechten in diesem Zusammenhang denkbar77. Die Intensität seiner Eingliederung soll dabei anhand verschiedener Aspekte beurteilt werden: Neben der Frage, ob der Abgeordnete „Organwalter“ bzw. „Amtsträger“ ist, soll auf die Rechtsbindung des Abgeordneten sowie auf seinen sog. Abgeordnetenstatus eingegangen werden, den ihm das Grundgesetz einräumt.

73 Vgl. M. Fehling/B. Schunicht, in: ZJS 2014, S. 199 (202) sowie hierzu noch unten 4. Kap. B. I. (S. 164 ff.). 74 4. Kap. B. I. (S. 164 ff.). 75 Hesse, Bemerkungen (Fn. 15), S. 491 ff. 76 In diesem Sinne untersucht auch Demmler die Eingliederung des Abgeordneten in die institutionelle Staatlichkeit, s. Demmler, Abgeordnete (Fn. 53), S. 41 ff.; s. auch Isensee, Subsidiaritätsprinzip (Fn. 15), S. 154 ff. 77 In diese Richtung Demmler, Abgeordnete (Fn.  53), S.  49: Wenn die Amtsträgereigenschaft des Abgeordneten bejaht werde, seien Parallelen der Mandatsfreiheit zum Grundrechtsdenken abgeschnitten.

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2. Kap.: Die Rolle des Bundestagsabgeordneten

I. Abgeordneter als Organwalter Nach beinah einhelliger Auffassung78 wird der Abgeordnete nicht als Organ, sondern als Organwalter des Bundestages begriffen, wenn auch die Bezeichnungen teilweise variieren79. „Organ“ ist nur diejenige Einrichtung, deren Handeln der auftraggebenden Organisation „als eigenes zugerechnet wird“80. „Organwalter“ ist hingegen die natürliche Person, die „die dem Organ zugewiesenen Kompetenzen rechtens unter dem Namen des Organs [versieht]“81. Es erfolgt keine unmittelbare Zurechnung des Handelns des Bundestagsabgeordneten zum Staat dergestalt, dass das Handeln des Bundestagsabgeordneten als solches des Bundes gelten würde. Auch wird das Handeln des einzelnen Bundestagsabgeordneten nicht unvermittelt dem Bundestag zugerechnet: Aufgrund dessen Eigenschaft als Kollegialorgan gilt erst das Zusammenhandeln der Bundestagsabgeordneten in Form der Entäußerung von Mehrheitsbeschlüssen als solches des Bundestags82, dessen Tätigkeit schließlich dem Bund zugerechnet wird83. Bundestagsabgeordnete sind deshalb selbst keine Organe, können aber als „kollegiale Organwalter“84 bezeichnet werden.

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Dagegen etwa P. Badura, in: W. Kahl/C. Waldhoff/C. Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 38 Rn. 33: „Organ des Staates“; unklar auch H. Bethge, Art. Abgeordneter, in: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Staatslexikon, 7. Aufl. 1985, Bd. 1, Sp. 9 (10): dem Abgeordneten käme „nicht nur als Teil des Kollegialorgans Bundestag, sondern aus originär eigenem Recht Organqualität“ zu. 79 So findet sich die Bezeichnung „Organwalter“ bei H.  Steiger, Organsiatorische Grundlagen des parlamentarischen Regierungssystems, 1973, S.  67 f.; „Organwalter“ bei Stern, Staatsrecht I (Fn.  53), S.  1052 sowie ders., Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, 1980, S. 46; ebenso N. Achterberg, Grundzüge des Parlamentsrechts, 1971, S. 31; ders., Parlamentsrecht, 1984, S. 215 f.; ders./M. Schulte, in: H. v. Mangoldt/F. Klein/C. Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. II, 6. Aufl. 2010, Art. 38 Rn. 72; „Organschaftsträger“ bei K.-H. Mattern, Grundlinien des Parlaments, 1969, S.  13; P. Dagtoglou, Ersatzpflicht des Staates bei legislativem Unrecht?, 1963, S. 35: „Organträger“; Abmeier, Befugnisse (Fn. 53), S. 37: „Organteilwalter“, weil eine Organwaltereigenschaft nur in Bezug auf die Gesamtheit der Bundestagsabgeordneten angenommen werden könne. 80 Achterberg/Schulte (Fn. 79), Art. 38 Rn. 72; s. auch H.-J. Wolff, Verwaltungsrecht II, 1962, § 74 I a), f); siehe ausführlich zur Beziehung von Organ und Organwalter H.-J. Wolff, Organschaft und juristische Person, Bd. II, Theorie der Vertretung, 1934, S. 236 ff. 81 Wolff, Verwaltungsrecht II (Fn. 80), § 74 IV b) 1. 82 Zu Kollegialorganen s. ausführlich Wolff, Verwaltungsrecht II (Fn. 80), § 75 II c) 2. 83 Daher weder Organ des Staates noch des Bundestages: Demmler, Abgeordnete (Fn. 53), S. 47; Achterberg, Grundzüge (Fn. 79), S. 31; ders., Parlamentsrecht (Fn. 79), S. 216; ders./ Schulte (Fn. 79), Art. 38 Rn. 72. 84 Bezeichnung als „kollegiale Organwalter“ auch bei Steiger, Grundlagen (Fn. 79), S. 68; kritisch zur Einordnung als „reinen“ Organwalter, da das Verhalten der Abgeordneten nur als Gesamtheit dem Bundestag zuzurechnen ist, L. Kißler, in: JöR N. F. 26 (1977), S. 39 (53).

B. Eingliederung in die institutionalisierte Staatlichkeit

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II. Abgeordneter als Amtsträger sui generis? Weniger eindeutig wird in der Literatur die Frage beantwortet, ob der einzelne Abgeordnete trotz des insoweit eindeutigen Wortlauts des Art. 48 Abs. 2 GG ein „Amt“ bekleidet85. Dabei sind Kern der Auseinandersetzung unterschiedliche Auffassungen darüber, was ein Amt im verfassungsrechtlichen Sinne ausmacht und ob der Abgeordnete ein solches trotz seiner Wesensverschiedenheit von anderen Amtsträgern innehaben kann. Die ablehnenden Stimmen argumentieren zumeist in dem Bestreben, die Rechtsstellung des Abgeordneten nicht derjenigen des Beamten anzunähern86, und belegen demnach eindrücklich die Betonung der eingangs erwähnten Eigenartigkeit des Abgeordneten87.

85 Dafür etwa: std. Rspr. BVerfGE 40, 296 (314); 76, 256 (341); 80, 188 (218); 118, 277 (324); Dagtoglou, Ersatzpflicht (Fn.  79), S.  34 ff.; Mattern, Grundlinien (Fn.  79), S.  14 f.; A. Köttgen, Das anvertraute öffentliche Amt, in: Hesse/Reicke/Scheuner, Staatsverfassung und Kirchenordnung (Fn. 30), S. 119 (138 f.); Steiger, Grundlagen (Fn. 79), S. 69; Demmler, Abgeordnete (Fn. 53), S. 46 ff.; Henke, Recht (Fn. 55), S. 121; L. Kißler, in: JöR N. F. 26 (1977), S. 39 (53); H. Boldt, Die Stellung des Abgeordneten im historischen Wandel, in: Presse- und Informationszentraum des Deutschen Bundestages (Hrsg.), Politik als Beruf? Das Abgeordnetenbild im historischen Wandel, Zur Sache 1/79, S. 15 (15); R. Dreier, Art. Amt, in: Görres-Gesellschaft, Staatslexikon I (Fn. 78), Sp. 127 (130); Abmeier, Befugnisse (Fn. 53), S. 37; H.-P. Schneider, in: R. Wassermann (Hrsg.), Alternativkommentar zum  GG, Bd.  1, 2. Aufl. 1989, Art. 38 Rn. 20; Badura (Fn. 78), Art. 38 (2008), Rn. 62; ders. (Fn. 53), § 15 Rn. 59; Depenheuer (Fn. 65), § 36 Rn. 24; Stern, Staatsrecht I (Fn. 53), S. 1048 ff.; S. Korioth, Das freie Mandat des Abgeordneten des Deutschen Bundestages – unter besonderer Berücksichtigung der Pflicht zur Offenlegung von Nebeneinkünften, in: G. Manssen (Hrsg.), Die verfassungsrechtlich garantierte Stellung der Abgeordneten in den Ländern Mittel- und Osteuropas, 2009, S. 63 (69); H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz (Fn. 53), Art. 38 (2010), Rn. 191; ders. (Fn. 55), § 51 Rn. 1; Grote, Verfassungsorganstreit (Fn. 55), S. 159; Jarass/Pieroth (Fn. 53), Art.  38 Rn.  43; M. Morlok, in: H.  Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd.  II, 3. Aufl. 2015, Art. 38 Rn. 146; K. Kluth, in: B. Schmidt-Bleibtreu/H. Hofmann/H.-G. Henneke (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 13. Aufl. 2014, Art. 38 Rn. 68; S. Magiera, in: M. Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 7. Aufl. 2014, Art.  38 Rn.  52; Butzer (Fn.  2), Art.  38 Rn.  88; D. Wiefelspütz, Abgeordnetenmandat, in: M. Morlok/U. Schliesky/ders. (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 12 Rn. 2, 6; – dagegen bspw. Achterberg, Grundzüge (Fn. 79), S. 31, der den Terminus „Abgeordnetenverhältnis“ verwendet, um den Unterschied zwischen Amt und Mandat kenntlich zu machen; ders., Parlamentsrecht (Fn. 79), S. 216; ders./Schulte (Fn. 79), Art. 38 Rn. 72; Schröder, Grundlagen (Fn.  65), S.  280 ff.; Streit hält die Bezeichnung „Amt“ zwar für möglich, zieht aber aus Klarstellungsgründen der Unterschiede zum herkömmlichen Amtswalter den Begriff „Mandat des Abgeordneten“ vor, s. T. Streit, Entscheidung in eigener Sache, 2006, S. 114; ähnlich A. Ingold, in: JöR N. F. 64 (2016), S. 43 (43 ff.); die Einordnung im Ergebnis offen lassend K. Stein, Verantwortlichkeit, Die Verantwortlichkeit politischer Akteure, 2009, S. 391 ff. 86 Treffend daher M. Cornils, in: Jura 2009, S. 289 (295 Fn. 52): „Berührungsängste gegenüber dem Amtsbegriff und der Amtsvorstellung“; ähnlich Abmeier, Befugnisse (Fn. 53), S. 38. 87 S. oben Einl. A. (S. 15).

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2. Kap.: Die Rolle des Bundestagsabgeordneten

1. Streitstand: Abstandsgebot zum Beamten Das Grundgesetz nimmt an mehreren Stellen auf den Begriff des Amtes Bezug88, definiert ihn aber nirgends im positiven Sinne selbst. Nach bewährter organisationsrechtlicher Definition von Wolff ist Amt zu verstehen als „institutionell bestimmter, d. h. unabhängig von der individuellen Person des Amtswalters gebildeter Aufgabenkreis eines Menschen im Dienste anderer“89, in seiner normativen Bedeutung als „ein auf einen Menschen bezogener institutionalisierter Komplex von Wahrnehmungszuständigkeiten“90. Die im Amt zusammengefassten Rechte und Pflichten beziehen sich nicht auf den Amtswalter persönlich91. Adressat ist vielmehr der Staat, dessen Rechtsbindung erst auf den Amtswalter übertragen werden muss92. Im Rahmen seiner Amtswahrnehmung agiert der Amtswalter naturgemäß stellvertretend für den Staat und damit für Allgemeininteressen, hingegen nicht in Verfolgung seiner persönlichen Anliegen93. Die amtlichen Befugnisse werden ihm treuhänderisch anvertraut und stehen nicht zu seiner persönlichen Disposition94, da das Amt nicht den persönlichen Rechtskreis eines Menschen auszuweiten vermag95. Der Bundestagsabgeordnete kann bei Anlegen der oben genannten Definition ohne Weiteres als Amtswalter bezeichnet werden96, lässt sich aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG doch ein bestimmter Kreis an Wahrnehmungs- bzw. Mitwirkungszustän 88

S. nur Art. 33 Abs. 2, Abs. 3 S. 1; 34 S. 1; 48 Abs. 2; 54 Abs. 2; 57; 61 Abs. 2 S. 1, S. 2; 69 Abs. 2; 97 Abs. 2 S. 1, S. 3; 98 Abs. 2 S. 1; 115h Abs. 1 S. 2; 132 Abs. 1 S. 1 GG. 89 Wolff, Verwaltungsrecht II (Fn. 80), § 73 I c) 1 (Hervorhebung im Original). 90 Wolff, Verwaltungsrecht II (Fn.  80), § 73 I c)  1 (Hervorhebung im Original); diese Definition ebenfalls heranziehend Steiger, Grundlagen (Fn. 79), S. 69; ähnlich auch Dreier, Amt (Fn. 85), Sp. 129; ähnlich ebenso Isensee, Gemeinwohl (Fn. 55), § 71 Rn. 24: „begrenzte[r] Kreis staatlicher Befugnisse, die ihrem Inhaber als Sachwalter der staatlichen Allgemeinheit anvertraut sind“; funktional als „Segment staatlicher Aufgaben“ bezeichnet bei Depenheuer (Fn. 65), § 36 Rn. 8 und J. Isensee, in: ZBR 2004, S. 3 (3); Badura (Fn. 53), § 15 Rn. 59: „der durch Rechtsvorschriften einer natürlichen Person zur pflichtgemäßen Wahrnehmung zugewiesene Wirkungskreis“; ebenso ders. (Fn. 78), Art. 38 Rn. 62. 91 Depenheuer (Fn. 65), § 36 Rn. 28. 92 S. auch hierzu Depenheuer (Fn. 65), § 36 Rn. 28; Wolff unterscheidet zwischen drei Rechtsverhältnissen, nämlich der Amtsstelle im funktionalen Sinn, dem hier gemeinten Amtswalterverhältnis, das die Amtskompetenzen bzw. -pflichten auf den Amtswalter überleitet, und dem zugrunde liegenden Grundverhältnis, das Amtswalter und juristische Person miteinander verbindet, s. Wolff, Verwaltungsrecht II (Fn. 80), § 73 III; im Fall des Abgeordneten enthält bereits das Grundverhältnis, das für den Bundestagsabgeordneten durch Annahme der Wahl begründet wird, die Berechtigungen und Verpflichtungen des bestimmten Abgeordnetenamtes, sodass Amtswalterverhältnis und Grundverhältnis identisch sind, s. Steiger, Grundlagen (Fn. 79), S. 75. 93 Vgl. S. Graf v. Kielmansegg, Grundrechte im Näheverhältnis, 2012, S. 180 f.; zum Gemeinwohl als Telos des Amtes s. Depenheuer (Fn. 65), § 36 Rn. 67 ff. 94 Köttgen, Amt (Fn. 85), S. 122 ff.; Depenheuer (Fn. 65), § 36 Rn. 4, 55 ff.; Bezeichnung des Amtswalters als „Treuhänder“ bei J. Isensee, in: ZBR 2004, S. 3 (3); W. Hennis, Amtsgedanke und Demokratiebegriff, in: Hesse/Reicke/Scheuner, Staatsverfassung und Kirchenordnung (Fn. 30), S. 51 (55 ff.). 95 Köttgen, Amt (Fn. 85), S. 122; J. Isensee, in: ZBR 2004, S. 3 (3). 96 S. Stein, Verantwortlichkeit (Fn. 85), S. 392 f.; A. Ingold, in: JöR N. F. 64 (2016), S. 43 (57).

B. Eingliederung in die institutionalisierte Staatlichkeit

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digkeiten ableiten97, den er als Repräsentant des ganzen Volkes treuhänderisch zu verwalten hat. Dabei sprechen für das Etikett seiner Amtsträgereigenschaft auch die Abkehr von der früheren Ehrenamtskonzeption des Abgeordnetenmandats des 19. Jhdt.98 sowie der Wandel des Parlaments hin zu einem „agierenden, zentralen staatlichen Entscheidungs- und Gestaltungsorgan“ 99, der es nahe legt, auch das Abgeordnetenverhältnis selbst als staatlich institutionalisierter aufzufassen100. Aufgrund der Teilhabe des Bundestagsabgeordneten an der Staatlichkeit des Organs Bundestag wird vereinzelt auch der Begriff des „staatlichen Amtes“ gegenüber dem des „öffentlichen Amtes“ vorgezogen101. Die Stimmen, die sich gegen die Amtsträgereigenschaft des Bundestagsabgeordneten aussprechen, setzen demnach bereits bei der Definition des Amtes an102 und wollen den Begriff des Amtes auf Merkmale beschränken, die sich am Prototyp des Amtsträgers – dem Beamten – orientieren. Insbesondere Schröder stellt dabei die wesentlichen Unterschiede zwischen Abgeordnetem und herkömmlichem Amtswalter heraus: Der Abgeordnete handelt nach Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG frei von Weisungen und Aufträgen, er entscheidet über die Art und Weise der Wahrnehmung seines Mandats103. Mag bindender Handlungsmaßstab für den Abgeord 97

S. hierzu noch unten 3. Kap. A. I. (S. 75 ff.). S. noch E. Tatarin-Tarnheyden, Die Rechtsstellung des Abgeordneten; ihre Rechte und Pflichten, in: G. Anschütz/R. Thoma (Hrsg.), Handbuch des deutschen Staatsrechts, Bd.  I, 1930, § 38 (S. 413 [415]); zur Abkehr von der Ehrenamtskonzeption und der Auswirkung auf die Rechtsstellung des Abgeordneten Henke, Recht (Fn.  55), S.  121 f.; Steiger, Grundlagen (Fn.  79), S.  69, 72; Demmler, Abgeordnete (Fn.  53), S.  48 f.  – a. A.: Mattern, Grundlinien (Fn. 79), S. 14, auch heute noch ein „öffentliches Ehrenamt“. 99 Steiger, Grundlagen (Fn. 79), S. 188 sowie auch S. 69, 72. 100 Steiger, Grundlagen (Fn. 79), S. 69; Henke, Recht (Fn. 55), S. 121 f.; Demmler, Abgeordnete (Fn. 53), S. 48 f.; Boldt, Stellung (Fn. 85), S. 25 f.; s. hierzu auch Dagtoglou, Ersatzpflicht (Fn. 79), S. 35; kritisch hierzu Schröder, Grundlagen (Fn. 65), S. 286 ff. 101 So ausdrücklich bislang Abmeier, Befugnisse (Fn. 53), S. 38 f.; siehe zu den unterschiedlichen Begrifflichkeiten innerhalb der Befürworter der Amtskonzeption: BVerfGE 40, 296 (314); 76, 256 (341); 80, 188 (218); 118, 277 (324): „öffentliches Amt“; Dagtoglou, Ersatzpflicht (Fn. 79), S. 36: „öffentliches Amt“; Mattern, Grundlinien (Fn. 79), S. 14 f.: „öffentliches Amt“; ebenso Köttgen, Amt (Fn. 85), S. 138 f.; Steiger, Grundlagen (Fn. 79), S. 69: „öffentliches staatliches Amt“; Henke, Recht (Fn. 55), S. 121 f.: „staatliches, öffentliches Amt (besonderer Art)“; Stern, Staatsrecht I (Fn. 53), S. 1051: „Inhaber eines besonderen öffentlichen Amtes“; Boldt, Stellung (Fn. 85), S. 15: „öffentliches Amt“; Demmler, Abgeordnete (Fn. 53), S. 47, 50: „Amt“; Schneider (Fn. 85), Art. 38 Rn. 20: „öffentliches Amt“; Korioth, Mandat (Fn. 85), S. 69: „öffentliches Amt“; Badura (Fn. 78), Art. 38 Rn. 62: „Amt“; ebenso ders. (Fn. 53), § 15 Rn. 59; Morlok (Fn. 85), Art. 38 Rn. 139: „öffentliches Amt“; Kluth (Fn. 85), Art. 38 Rn. 68: „öffentliches Amt“; Klein (Fn. 85), Art. 38 Rn. 191: „öffentliches Amt“; ebenso ders. (Fn. 55), § 51 Rn. 1; Butzer (Fn. 2), Art. 38 Rn. 88: „Inhaber eines öffentlichen Amtes“; Jarass/Pieroth (Fn. 53), Art. 38 Rn. 43 „Amt“; Magiera (Fn. 85), Art. 38 Rn. 52: „öffentliches Amt“; ebenso Wiefelspütz, Abgeordnetenmandat (Fn. 85), § 12 Rn. 6. 102 So etwa Schröder, der die oben genannte Definition von Wolff kritisiert, s. Schröder, Grundlagen (Fn. 65), S. 300 f. 103 Köttgen, Amt (Fn.  85), S.  140 zum Statusrecht der Mitglieder oberster Bundesorgane: „Die Art und Weise der Amtsausführung bleibt vielmehr einer nicht justiziablen Gewissens 98

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2. Kap.: Die Rolle des Bundestagsabgeordneten

neten auch das Gemeinwohl sein104  – aufgrund seiner Gewissensbindung i. S. d. Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG ist dieser Maßstab weitestgehend „subjektiviert“105. Denn der Bundestagsabgeordnete ist frei in seiner Interpretation dessen, was er unter Gemeinwohl versteht106. Er hat es nach Schröder damit letztlich selbst in der Hand, inwieweit Staat und Gesellschaft in seiner Amtsperson miteinander vermengt werden107. Auch schafften die Freiheit des Mandats und die Gewissensbezogenheit des Mandats eine „spezielle Verfügbarkeit der Mitwirkung an den Parlamentsarbeiten“, was der Natur des Amtes zuwiderliefe108. Darüber hinaus hat er kaum eigene Wahrnehmungszuständigkeiten im Sinne von Sachzuständigkeiten, sondern bloße Mitwirkungszuständigkeiten inne109, was für einen Amtsträger ungewöhnlich sei. Die angeführten Argumente zeichnen die besondere Rechtsstellung des Abgeordneten nach; Vertretern eines weiten Amtsverständnisses zufolge sollen sie die Amtsträgereigenschaft des Abgeordneten aber nicht ausschließen können: Zwar mag der Abgeordnete primär über bloße „Verfahrens- und Mitwirkungszuständigkeiten“110 bzw. „organinterne Wahrnehmungszuständigkeiten ohne unmittelbare selbständige Außenwirkung“111 verfügen. Dies ist jedoch Konsequenz aus der Eigenschaft des Bundestags als Kollegialorgan112: Erst das Zusammenwirken der Parlamentsmitglieder vermag Rechtswirkungen herbeizuführen, wie es auch dem Wortlaut des Art. 38 Abs. 1 S. 1, 2 GG entspricht. Ähnlich kurzen Prozess lässt sich dem Argument der Weisungsfreiheit des Abgeordneten machen, die ihn in der Tat vom Beamten abhebt. Insoweit sei bereits darauf hingewiesen, dass auch der Richter über eine ihm durch Art. 97 Abs. 1 GG zugestandene Sphäre der Weisungsfreiheit verfügt, und dieser zweifellos ebenfalls als Amtsträger einzuordnen ist113. Auch dieser Parameter rechtfertigt daher nicht zwangsläufig die „Monopolisierung“114 des Amtsbegriffs in Bezug auf das beamtenrechtliche Erscheinungsbild.

entscheidung des einzelnen Statusinhabers überlassen“; auf diesen Bezug nehmend Steiger, Grundlagen (Fn. 79), S. 80. 104 Aufgrund der Offenheit des Gemeinwohlbegriffs wird für den Abgeordneten das sog. Amtsethos besonders relevant, s. hierzu ausführlich Depenheuer (Fn. 65), § 36 Rn. 82 ff. 105 Schröder, Grundlagen (Fn. 65), S. 297; dieser Begriff auch bei Demmler, Abgeordnete (Fn. 53), S. 51. 106 Schröder, Grundlagen (Fn. 65), S. 296 f. 107 Schröder, Grundlagen (Fn. 65), S. 300. 108 Schröder, Grundlagen (Fn. 65), S. 291. 109 Schröder, Grundlagen (Fn. 65), S. 289 f. 110 Schröder, Grundlagen (Fn. 65), S. 289. 111 Steiger, Grundlagen (Fn. 79), S. 70. 112 So auch Abmeier, Befugnisse (Fn. 53), S. 38; zum Bundestag als Kollegialorgan s. oben 2. Kap B. I. (S. 62). 113 So auch Abmeier, Befugnisse (Fn. 53), S. 38; s. zur bereichsdifferenzierten Grundrechtsgeltung des Richters noch ausführlich unten 4. Kap. A. II. 2. (S. 146 ff.). 114 Abmeier, Befugnisse (Fn. 53), S. 38.

B. Eingliederung in die institutionalisierte Staatlichkeit

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Größere Schwierigkeiten bereitet hingegen der Einwurf, dass das Gemeinwohl durch die schöpferische Abgeordnetentätigkeit erst hervorgebracht und diesem im Gegensatz zu sonstigen Amtswaltern gerade nicht vorgegeben wird. Die tatsächliche Orientierung des Abgeordneten am Gemeinwohl beim gesetzgeberischen Kreationsprozess ist kaum kontrollierbar115 und letztlich neben der Bindung an das Gesetzesrecht116 allein dem Gewissen des Abgeordneten überantwortet, was sie verstärkt von seiner Person abhängig macht117. Es ist daher richtig, dass durch die Gewissensbindung des Abgeordneten „ein anderer Maßstab für seine Amtstätigkeit“118 greift als für sonstige Ämter. Die Besonderheit der „Subjektivierung“ seiner Gemeinwohlbezogenheit kann dabei aber genauso gut in die andere Richtung zeigen: Durch die Ausfüllung eines Amtes durch natürliche Personen ist von vornherein angelegt, dass die Personalität des Amtsträgers regelmäßig nicht vollständig für das Amt ausgeschaltet werden kann119. Das Amt soll dem Amtswalter nicht „die alte Natur nehmen und eine neue Natur einpflanzen“120, sondern ihn bezogen auf seine Rolle als staatlicher Akteur den Maßstäben des Amts unterwerfen. Dabei ist es politischen Ämtern im Allgemeinen eigen, dass sie rechtlich geringere Vorgaben erfahren und einen Gewissensbezug zum Amtsträger herstellen, was durch ihre demokratische Legitimation in Form von wiederkehrenden Wahlen ausgeglichen wird121. Das Abgeordneten„amt“ könnte in diesem Sinne in verstärkter Form Freiraum für die Aktivierung eigener Ideen und Ansätze des Abgeordneten geben, der dennoch in fremdem Interesse einzusetzen ist122. Die Personalität des Abgeordneten würde gewissermaßen über mehrere Einbruchstellen „ins

115 Mit der Kontrollfähigkeit seiner Gemeinwohlorientierung verknüpft ist die Frage, inwieweit bestimmte Handlungen als augenscheinlich gemeinwohlwidrig identifiziert werden können; für eine negative Definition im Sinne evident mit dem Gemeinwohlauftrag unvereinbarer Verhaltensweisen P. Häberle, Öffentliches Interesse als juristisches Problem, 2. Aufl. 2006, S. 30, 588 f.: zustimmend Abmeier, Befugnisse (Fn. 53), S. 59 f.; ähnlich E. V. Heyen, in: Der Staat 25 (1986), S. 35 (42); F. Filmer, Das Gewissen als Argument im Recht, 2000, S. 75 – ablehnend dagegen Schröder, Grundlagen (Fn.  65), S.  296 f.; kritisch ebenfalls P. Krause, in: DÖV 1974, S. 325 (327). 116 S. hierzu unten 2. Kap. B. III. (S. 70 f.). 117 S. auch Steiger, Grundlagen (Fn. 79), S. 80: „Denn Gewissen ist persönlich, nicht amtlich.“; s. ausführlich noch 4. Kap. B. II. 3. (S. 175 ff.). 118 M. Cornils, in: Jura 2009, S. 289 (295; Hervorhebung nicht im Original, B. G.). 119 Dies ist beispielsweise für Erziehungsberufe der Fall, wenn die Amtswahrnehmung vom individuellen Umgang des Amtswalters mit den Bürgern abhängt, s. v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn. 93), S. 184. 120 So die prägnante Formulierung bei H.  Krüger, Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl. 1966, S. 266. 121 S. Depenheuer (Fn. 65), § 36 Rn. 24; ähnlich auch Köttgen, Amt (Fn. 85), S. 140: „Das Statusrecht der Mitglieder oberster Bundesorgane ist somit bewußt und gewollt fragmentarisch“; für den Abgeordneten stelle sich der ausschließliche Gewissensmaßstab gerade als „Bürde“ des Abgeordnetenamtes dar, S. 139. 122 In diese Richtung auch K.-H. Rothaug, Die Leitungskompetenz des Bundestagspräsidenten, 1979, S. 110; vgl. auch Steiger, Grundlagen (Fn. 79), S. 69, nach dem die Abgeordnetenpersönlichkeit für sein Amt wirksam würde.

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2. Kap.: Die Rolle des Bundestagsabgeordneten

Amt geholt“, wobei Maßstab dessen gerade nicht Eigennützigkeit und Beliebigkeit, sondern unbestrittenermaßen die Orientierung des Abgeordneten am Gemeinwohl ist123. Es ließe sich daher entgegen den ablehnenden Stimmen vielmehr die folgende Gleichung aufstellen: Je weniger Determination der Funktionsträger erfährt und je größer demnach das ihm für seine Aufgabe entgegengebrachte Vertrauen ist, desto eher ließe sich doch seine Verpflichtung auf die Wahrnehmung fremder Interessen gerade betonen und seine Amtsträgereigenschaft insgesamt bejahen124. Wenn auch die Gemeinwohlverpflichtung des Abgeordneten unabhängig von seiner Einordnung als Amtswalter besteht – sie ergibt sich bereits aufgrund seines Repräsentationsauftrages, Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG125 –, entspricht der anerkannte und stets betonte Gemeinwohlauftrag des Bundestagsabgeordneten durchaus der Natur des Amtes, dessen Kennzeichen es ist, für andere wahrgenommen zu werden126. 2. Relevanz der Einordnung und verbleibende Bedeutung des Amtsbegriffs Es liegt auf den ersten Blick nahe, den aufgezeigten Konflikt als bloße Begriffsfrage abzutun, besteht doch im Wesentlichen keine Unstimmigkeit über die inhaltliche Wesensverschiedenheit zwischen Amtsträgern im engeren (d. h. im beamtenrechtlichen) Sinne und dem Abgeordneten: Die Bejahung des Amtsbegriffs kann für letzteren ohnehin nur auf ein Amt sui generis hinauslaufen127. Des Rekurses auf den Amtsbegriff bedarf es grundsätzlich nicht – er ist vielmehr geradezu irritierend128 –, wenn daraus keinerlei materiell-rechtliche Konsequenzen hergeleitet werden und der Begriff auch sonst keine klarstellende Funktion einnehmen

123 Der Gewissensbezug wird daher als Amtsgewissen bezeichnet, s. näher Isensee, Gemeinwohl (Fn.  55), § 71 Rn.  142; ders., Fraktionsdisziplin und Amtsgewissen. Verfassungsrechtliche Garantie der Freiheit des Mandats im politischen Prozess, in: W. J. Patzelt/M. Sebaldt/ U. Kranenpohl (Hrsg.), Res publica semper reformanda. Festschrift für Heinrich Oberreuter zum 65. Geburtstag, 2007, S.  254 (254 ff,); ders., Gemeinwohl und öffentliches Amt, 2014, S. 148 ff.; Demmler, Abgeordnete (Fn. 53), S. 124; ähnlich E. V. Heyen, in: Der Staat 25 (1986), S. 35 (49); s. auch schon Tatarin-Tarnheyden (Fn. 98), § 38 (S. 416). 124 Kritisch zu dieser heuristischen Erwartung an das Amt in Bezug auf den Abgeordneten, A. Ingold, in: JöR N. F. 64 (2016), S. 43 (55 f.); ebenso kritisch zur Betonung der Gemeinwohlbezogenheit des Abgeordnetenamtes aufgrund der „materiale[n] Vorwegbestimmung der parlamentarischen Repräsentation“ Badura (Fn. 78), Art. 38 Rn. 62; ders. (Fn. 53), § 15 Rn. 59; ähnlich C. Waldhoff, in: ZParl. 37 (2006), S. 251 (254 f.). 125 So auch Abmeier, Befugnisse (Fn. 53), S. 58; Demmler hingegen bezeichnet die Gemeinwohlverpflichtung des Abgeordneten als Konsequenz aus seiner Amtsträgereigenschaft, s.­ Demmler, Abgeordnete (Fn. 53), S. 51, 76; wie hier Grote, Verfassungsorganstreit (Fn. 55), S. 158. 126 Wolff, Verwaltungsrecht II (Fn. 80), § 73 I a). 127 Ähnlich Schröder, Grundlagen (Fn. 65), S. 300; Stein, Verantwortlichkeit (Fn. 85), S. 393. 128 A. Ingold, in: JöR N. F. 64 (2016), S. 43 (44).

B. Eingliederung in die institutionalisierte Staatlichkeit

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kann129. Alternativ werden daher die Bezeichnungen „Abgeordnetenverhältnis“ oder „Mandat“ vorgeschlagen130. Handelt es sich also bei der Diskussion um ein terminologisches Glasperlenspiel oder kann der Amtsbegriff neben diesen notwendigerweise präziseren, weil auf den speziellen Funktionsträger zugeschnittenen, Bezeichnungen dennoch einen Mehrwert für die hiesige Problemstellung abwerfen? Für die spezielle Frage nach der funktionalen Anwendbarkeit der Grundrechte des Abgeordneten und deren Verhältnis zum freien Mandat ist ein solcher Mehrwert des Amtsbegriffs durchaus zu erkennen, stellt man auf dessen ursprünglichen Bedeutungsgehalt ab: Denn aufgrund der fremdnützigen Ausrichtung des überantworteten Aufgabenkreises ist der Amtsbegriff im verfassungsrechtlichen Sinne131 geradezu der Inbegriff für die Ablösung der einzelnen Person von ihrem staatlichen Handlungsauftrag132. Mit dem berühmten Satz „Ich hab hier bloß ein Amt und keine Meinung“133 hatte sich schon der schwedische Oberst Wrangel in­ Friedrich Schillers Wallenstein der Bitte des Feldherrn Wallenstein nach einer persönlichen Stellungnahme entzogen. Das Zitat bringt es dabei auf den Punkt: Im Rahmen der Amtswahrnehmung tritt der Amtsträger als Grundrechtsträger hinter seinem Amtsauftrag zurück134, die grundrechtliche Freiheitswahrnehmung ist mit dem Amt inkompatibel135. Dem Amtsbegriff kommt demnach für die vorliegende Diskussion ein entsprechender Mehrwert gerade dadurch zu, dass er die Grenzen des eigentlich Amtlichen – d. h. nicht durch Grundrechte unterlegten Bereich – zu markieren vermag136.

129

Vgl. A. Ingold, in: JöR N. F. 64 (2016), S. 43 (49 ff.), demzufolge der Amtsbegriff dem Abgeordnetenverhältnis keine Konturen zu verleihen vermag. 130 „Abgeordnetenverhältnis“ bei Achterberg, Grundzüge (Fn. 79), S. 31; ders., Parlamentsrecht (Fn. 79), S. 216; ders./Schulte (Fn. 79), Art. 38 Rn. 72; „Mandat“ bei Streit, Entscheidung (Fn. 85), S. 114; A. Ingold, in: JöR N. F. 64 (2016), S. 43 (59 f.): „Mandat“ als Bezeichnung für die „Funktionsstellung“. 131 Das so (funktionell) verstandene Amt entspricht dem verfassungsrechtlichen resp. staatsrechtlichen oder organisationsrechtlichen Amtsverständnis, das wiederum von den dienstrechtlichen Amtsbegriffen zu unterscheiden ist, s. Dreier, Amt (Fn. 85), Sp. 129 sowie D ­ epenheuer (Fn. 65), § 36 Rn. 8; J. Isensee, in: ZBR 2004, S. 3 (3); ders., Gemeinwohl und öffentliches Amt (Fn. 123), S. 101; U. Battis, Bundesbeamtengesetz, 4. Aufl. 2009, § 10 Rn. 10. 132 So das Prinzip des Amtes bei Isensee, Gemeinwohl (Fn. 55), § 71 Rn. 132 ff.; ders., Gemeinwohl und öffentliches Amt (Fn. 123), S. 148 ff.; ders., in: ZBR 2004, S. 3 (6); Depenheuer (Fn.  65), § 36 Rn.  54; ebenso Stein, Verantwortlichkeit (Fn.  85), S.  52 ff., 298 f.; auch K.  F.­ Gärditz, in: JöR N. F. 64 (2016), S. 1 (3 f.); A Ingold, in: JöR N. F. 64 (2016), S. 43 (57). 133 F. Schiller, Wallensteins Tod, 1799, I 5. 134 Vgl. Isensee, Gemeinwohl und öffentliches Amt (Fn. 123), S. 119: „Die Person tritt zurück hinter die Sache“. 135 Depenheuer (Fn. 65), § 36 Rn. 61; J. Isensee, in: ZBR 2004, S. 3 (6); ferner s. oben zum Verhältnis von Staat und Gesellschaft 2. Kap. A. (S. 52 ff.). 136 S. hierzu unten den Rekurs auf den „Amtsbereich“ im Rahmen der Bereichsdifferenzierung 5. Kap. (S. 186 ff.), der sich größtenteils mit dem Bereich der sog. formalen Repräsentation deckt.

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2. Kap.: Die Rolle des Bundestagsabgeordneten

Dem lässt sich nicht entgegenhalten, gerade beim Abgeordneten sei die beschriebene (an den Beamten angelehnte) Sphärentrennung fehl am Platz, da sich der Abgeordnete seiner Funktion nach gerade zwischen Staat und Gesellschaft bewege137. Richtig ist insoweit, dass gerade die Kompetenzwahrnehmung stark von der Abgeordnetenpersönlichkeit geprägt ist, sich seine persönliche von seiner „amtlichen“ Meinung kaum trennen lässt138. Der als solcher bezeichnete „Amtsbereich“ des Abgeordneten soll deshalb auch keine „Apersonalität“ oder gar Eliminerung der Abgeordnetenpersönlichkeit aus seiner Funktion zum Ausdruck bringen, wohl aber die Ablösung seines Handlungsauftrags von seinen grundrechtlichen Freiheiten betonen139. Denn mit der Wahrnehmung seiner formalen Repräsentationsaufgabe bzw. der außerparlamentarischen Wahrnehmung von staatlicher Autorität lässt sich durchaus ein Bereich ausmachen, in dem die Grundrechte in funktionaler Hinsicht keine Anwendung finden (s. ausführlich unten 5. Kap. [S. 186 ff.]). Die Bestimmung eines solchen „Amtsbereichs“ kann somit speziell der Diskussion um die Grundrechtsberechtigung des Abgeordneten und der Erörterung einer entsprechenden Bereichsdifferenzierung Konturen verleihen. Auch in der vorliegenden Arbeit soll der Abgeordnete damit als Amtsträger tituliert werden; seine Amtsausübung ist dann lediglich Teil seines gesamten, wesentlich größeren Repräsentations-/Mandatsauftrags140.

III. Bindung des Abgeordneten an Verfassung und Gesetz Der Abgeordnete ist nach Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG nur seinem Gewissen unterworfen. Ungeachtet dieser schillernden Aussage unterliegt er bei Wahrnehmung seiner parlamentarischen Befugnisse dennoch der Bindung an Gesetz und Verfassung sowie ans Parlamentsrecht141, wenn auch der Wortlaut des Art. 20 Abs. 3 GG die Gesetzgebung selbst nur an die verfassungsmäßige Ordnung und nicht wie die übrigen beiden Gewalten auch an Recht und Gesetz bindet.

137

So und zum Folgenden gegen die Verwendung des Amtsbegriffs A. Ingold, in: JöR N. F. 64 (2016), S. 43 (55, 58 f.). 138 S. unten 4. Kap. B. II. (S. 168 ff.). 139 Vgl. für Beamte H.-U. Paeffgen, in: JZ 1979, 516 (517): nicht „Entprivatisierung“, sondern „Entpersönlichung“; sich auf diesen beziehend J. Schwabe, Grundrechtsschutz hoheitlicher Funktionsträger, in: D. Murswiek/U. Storost/H. A. Wolff (Hrsg.), Staat – Souveränität – Verfassung. Festschrift für Helmut Quaritsch zum 70. Geburtstag, 2000, S. 333 (343 f.). 140 S. schon Einl. D. (S. 20) sowie noch ausführlich unten 4. Kap. B. (S. 163 ff.). 141 Für eine umfassende Bindung an Recht und Gesetz Achterberg, Grundzüge (Fn.  79), S. 37; ders., Parlamentsrecht (Fn. 79), S. 264; ders./Schulte (Fn. 79), Art. 38 Rn. 39, 94; Dagtoglou, Ersatzpflicht (Fn. 79), S. 37; Abmeier, Befugnisse (Fn. 53), S. 54; Stern, Staatsrecht I (Fn. 53), S. 1068; Kluth (Fn. 85), Art. 38 Rn. 73; Klein (Fn. 85), Art. 38 Rn. 195; ders. (Fn. 55), § 51 Rn. 23 ff.; Magiera (Fn. 85), Art. 38 Rn. 70; ebenso Stein, Verantwortlichkeit (Fn. 85), S. 395; Wiefelspütz, Abgeordnetenmandat (Fn. 85), § 12 Rn. 19; für eine Bindung an die Verfassung Schröder, Grundlagen (Fn. 65), S. 303 f.

B. Eingliederung in die institutionalisierte Staatlichkeit

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Sofern die materielle Bindungswirkung an das einfache Recht kritisch gesehen wird142, liegt dies darin begründet, dass das einfache Recht für den Bundestagsabgeordneten keine starre Größe darstellt143, bedenkt man, dass er Mitschöpfer von Gesetzen im formellen Sinne ist, die bestehendes Recht abändern oder aufheben können. In diesen Fällen geht die Bindung des einfachen Gesetzes materiell nur soweit, wie sie sich nicht gerade auf die betroffenen Normen bezieht144. Sofern bestehendes Recht aber ergänzt oder konkretisiert wird, vermag auch das einfache materielle Recht dem Abgeordneten bindende Vorgaben zu machen. Das gleiche gilt für das Verfassungsrecht: Nur sofern die Verfassung nicht selbst geändert wird und daher die äußere Grenze des Art. 79 Abs. 3 GG die maßgebliche ist, wird der Abgeordnete durch das Verfassungsrecht gebunden145. Richtig ist ebenso, dass die Bindung des Abgeordneten an die Verfassung naturgemäß nicht dasselbe Maß an Klarheit erreichen kann wie eine Bindung an das einfache Recht146. Oftmals muss vorab eine komplexe Verfassungsinterpretation stattfinden, bevor der Inhalt der Bindung sich für den einzelnen Abgeordneten erschließt, zumal in vielen Fällen die Interpretation einer verfassungsrechtlichen Norm erst im Nachhinein durch ein Verfassungsgericht geklärt wird147. Auch hier schlägt sich daher die Besonderheit des schöpferischen Charakters der Abgeordnetentätigkeit nieder. Dabei steht gerade die verbleibende Ungewissheit bei der Interpretation von Verfassungsnormen in engem Zusammenhang mit der Bindung des Abgeordneten an sein eigenes Gewissen, Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG148. Die in Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG angelegte Bindung an das eigene Gewissen ist daher so zu verstehen, dass sie nicht eine gleichzeitige Rechtsbindung des Bundestagsabgeordneten ausschließt. Die Gewissensbindung wird vielmehr erst dann relevant, sofern sich aus Verfassung und Gesetz keine bindenden Vorgaben ergeben149. Erst jenseits der Grenzen dieser konkreten Vorgaben kann es auf eine Gewissensbindung des Abgeordneten ankommen.

142

So etwa Streit, Entscheidung (Fn. 85), S. 84 ff. Streit, Entscheidung (Fn. 85), S. 84 ff. 144 Kluth (Fn. 85), Art. 38 Rn. 73; ebenso Stein, Verantwortlichkeit (Fn. 85), S. 395; der Sache nach auch Streit, Entscheidung (Fn. 85), S. 85 ff. 145 S. hierzu Streit, Entscheidung (Fn. 85), S. 87 ff., der die Inhalte von Art. 79 Abs. 3 GG zu den einzig bindenden Vorgaben des Bundestagsabgeordneten erklärt. 146 Schröder, Grundlagen (Fn. 65), S. 293 ff., 303 f. 147 Schröder, Grundlagen (Fn. 65), S. 303. 148 Schröder, Grundlagen (Fn. 65), S. 303 f. 149 So ausdrücklich M. Cornils, in: Jura 2009, S. 289 (295), der sich damit gegen eine Überbetonung des Gewissensaspekts richtet. 143

72

2. Kap.: Die Rolle des Bundestagsabgeordneten

IV. Verfassungsrechtliche Rechtsstellung resp. verfassungsrechtlicher „Status“ des Abgeordneten Art.  38 Abs.  1 S.  2  GG erkennt dem Bundestagsabgeordneten einen verfassungsrechtlichen Status zu150, der durch eine Rechts- und Pflichtenstellung geprägt wird151. Verfassungsrechtlicher Status bezeichnet hierbei eine bestimmte Beziehung einer Person zum Staat152 durch „ausdrücklich[e] verfassungsrechtlich[e] Anerkennung und […] grundgesetzliche Ausstattung mit einer spezifischen Rechtsposition“153. Seine grundgesetzliche Verankerung findet er in den Art. 38 Abs. 1 S. 2, 48, 42, 3 Abs. 1, 46, 47, 76, 137 Abs. 1 unter Einbeziehung von Art. 21, 20, 28 Abs. 1 S. 1, S. 2, Abs. 3 GG154. Wie noch zu erörtern sein wird, geht die Terminologie zu Inhalt und Reichweite des Abgeordnetenstatus auseinander155. Insbesondere ist die Verwendung des Statusbegriffs im Zusammenhang mit dem Anwendungsbereich der Grundrechte ungeklärt. Dem Bereich institutionalisierter Staatlichkeit sind aber jedenfalls die apersonal anknüpfenden Rechte und Pflichten seines Amtes zuzuordnen, die ebenfalls aus der Grundnorm seiner verfassungsrechtlichen Rechtsstellung i. S. d. Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG abgeleitet werden.

150 Die Bezugnahme in Rspr. und Lit. auf den Abgeordnetenstatus ist immens: s. daher nur exemplarisch BVerfGE 2, 143 (164); 20, 56 (103); 40, 296 (308 ff.); 43, 142 (148); 60, 374 (379); s. hierzu grundlegend P. Häberle, in: NJW 1976, S.  537 (537 ff.); Abmeier, Befugnisse (Fn. 53), S. 34; Stern, Staatsrecht I (Fn. 53), S. 1048 ff.; umfassend zur Statuszuerkennung des Bundestagsabgeordneten auch s. A. Köttgen, Abgeordnete und Minister als Statusinhaber, in: O. Bachof u. a. (Hrsg.), Forschungen und Berichte aus dem öffentlichen Recht, Gedächtnisschrift für Walter Jellinek, 1955, S. 195 (195 ff.); K. F. Arndt, Parlamentarische Geschäftsordnungsautonomie und autonomes Parlamentsrecht, 1966, S. 160 ff.; Bethge, Art. Abgeordneter (Fn. 78), Sp. 9 f.; K. Hesse, Art. Abgeordneter, in: R. Herzog u. a. (Hrsg.), Evangelisches Staatslexikon, Bd. I, 3. Aufl. 1987, Sp. 11 (15); Schneider (Fn. 85), Art. 38 Rn. 19; auch H.-J. Cremer, Anwendungsorientierte Verfassungsauslegung. Der Status des Bundestagsabgeordneten im Spiegel der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, 2000, S. 43 ff.; Korioth, Mandat (Fn. 85), S. 64; H. H. Trute, in: I. v. Münch/P. Kunig (Hrsg.), GrundgesetzKommentar, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 38 Rn. 73 ff.; Jarass/Pieroth (Fn. 53), Art. 38 Rn. 43; Magiera (Fn. 85), Art. 38 Rn. 53; C. Waldhoff, in: ZParl. 37 (2006), S. 251 (260 ff.); G. Roth, in: D. C. Umbach/T. Clemens (Hrsg.), Grundgesetz Mitarbeiterkommentar, Bd. II, 2002, Art. 38 Rn. 106 ff.; Badura (Fn. 53), § 15 Rn. 58 ff.; ders. (Fn. 78), Art. 38 Rn. 58; Klein (Fn. 55), § 51 Rn. 2; ders. (Fn. 85), Art. 38 Rn. 193; Morlok (Fn. 85), Art. 38 Rn. 139 ff.; Wiefelspütz, Abgeordnetenmandat (Fn. 85), § 12 Rn. 5; s. zur Begrifflichkeit des Abgeordnetenstatus im Einzelnen noch ausführlich unten 3. Kap. B. I. (S. 87 ff.). 151 S. zur Rechts- und Pflichtenstellung des Abgeordneten noch unten 3. Kap. A. (S.75 ff.). 152 G. Köbler, Art. Amt, Juristisches Wörterbuch, 16. Aufl. 2016, S. 405. 153 So das bei Klein wiedergegebene Verständnis des „verfassungsrechtlichen Status“, s. H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz (Fn. 53), Art. 21 (2012), Rn. 400, wenn auch im konkreten Fall auf die Partei bezogen. 154 P. Häberle, in: NJW 1976, S. 537 (539); auf diesen Bezug nehmend Stern, Staatsrecht I (Fn. 53), S. 1051; ähnlich Magiera (Fn. 85), Art. 38 Rn. 53; er wird durch einfache Gesetze sowie das sonstige Parlamentsrecht ergänzt, s. C. Waldhoff, in: ZParl. 37 (2006), S. 251 (260) m. w. N. 155 S. unten ausführlich 3. Kap. B. I. (S. 87 ff.).

C. Ergebnis 

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C. Ergebnis: Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG als Hybrid zwischen Staat und Gesellschaft  Staat und Gesellschaft im Großen sowie die Amtstätigkeit des Abgeordneten und seine Grundrechtswahrnehmung im Kleinen sind zu unterscheiden – dies gilt auch, wenn eine solche Unterscheidung für den Abgeordneten aufgrund seiner Zwischengliedstellung zwischen Staat und Gesellschaft besonders schwer fallen mag. Seine Organwalter- bzw. Amtsträgerstellung sowie seine Rechtsbindung markieren dabei eindeutig den staatlich institutionalisierten Bereich seiner Rechtsstellung. Bereits das vom Bundesverfassungsgericht gezeichnete Bild des Mandatsträgers als „ganzem Menschen“ verdeutlicht aber, dass auch der Freiheit des Mandats i. S. d. Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG ein überaus großer Wirkradius zukommt. Angesichts dieses weiten Gewährleistungsbereichs wird augenscheinlich, dass sich die vorliegende Bereichsdifferenzierung nicht in der Aufteilung von Staat und Gesellschaft bzw. von Amtsbereich und Grundrechtswahrnehmung erschöpfen kann (s. unten 5. Kap. [S. 186 ff.]). Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG bildet gewissermaßen ein „Hybrid“156 zwischen Staat und Gesellschaft. Ob es zwischen den Grundrechten und dem freien Mandat – wenn auch keine Verschmelzung – aber Überschneidungen bzw. Parallelverläufe geben kann, wird vom Grundgesetz dagegen nicht eindeutig beantwortet.

156

Vgl. H. P. Aust, in: AöR 141 (2016), S. 415 (423, 440).

3. Kapitel

Das „Ob“ der Grundrechtsberechtigung des Abgeordneten bei mandatsbezogenen Maßnahmen – Grundrechtsimpermeabler Abgeordnetenstatus? Im Folgenden soll das Augenmerk auf ein spezifisches grundrechtsdogmatisches Problem der Abgeordnetenrechtsstellung gerichtet werden: Sofern sich ein Zusammenhang der fraglichen Maßnahme mit der Mandatstätigkeit herstellen lässt, wird die besprochene Unterscheidung von Staat und Gesellschaft von einer bemerkenswerten Zahl an Vertretern ganz im Sinne einer „Verstaatlichung“ des – jedenfalls beim „Normalbürger“ – grundrechtlich geschützten Verhaltens verstanden. Nach dieser Sichtweise sollen Regelungen der Abgeordnetenrechtsstellung aufgrund ihres staatsorganisatorischen Ursprungs allein anhand staatsorganisatorischer Gesichtspunkte bewertet werden, unabhängig davon, welche konkreten Auswirkungen sie auf die individuelle Freiheitssphäre des Betroffenen zeitigen. In Frage steht demnach das „Ob“ der Grundrechtsgeltung in mandatsbezogenen Zusammenhängen. Diese Interpretation der Rechtsstellung des Abgeordneten hängt eng mit dem Verweis auf seinen verfassungsrechtlichen „Status“ zusammen, dessen Regelungen grundsätzlich keiner grundrechtlichen Überprüfung zugänglich sein sollen. Gegenstand des folgenden Abschnitts wird die Beurteilung sein, ob der staatsorganisationsrechtlichen Gewährleistung des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG selbst ein solcher Aussagegehalt entnommen werden kann, der die beschriebene Inter­pretation vom Abgeordnetenstatus zu stützen vermag. Ausgangspunkt soll dabei die Rechtsund Pflichtenstellung des Abgeordneten sein (A.). Anschließend soll eine Auseinandersetzung mit dem problembeladenen Begriff des „Status“ und seinen Begründungsversuchen stattfinden und dem soeben beschriebenen Dogma begegnet werden, dass staatsorganisationsrechtlich geprägter Abgeordnetenstatus und Grundrechte in einem Verhältnis wechselseitiger Ausschließlichkeit stehen (B.).

A. Rechts- und Pflichtenstellung des Abgeordneten 

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A. Rechts- und Pflichtenstellung des Abgeordneten Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG ist als „magna charta“ des Abgeordnetenstatus bezeichnet worden1. Ungeachtet der textlichen Dürftigkeit der Norm2 werden aus der verfassungsrechtlichen Verankerung des freien Abgeordnetenmandats zahlreiche Rechte und Pflichten abgeleitet. Es bietet sich an, die eigentlichen parlamentarischen Befugnisse und Pflichten – das Amt des Abgeordneten – von seiner außerparlamentarischen Rechtsstellung, d. h. den außerparlamentarischen Pflichten des Abgeordneten sowie von seinen persönlichen Schutzrechten, zu unterscheiden3, die zwar seine Mandatsausübung stützen, selbst aber an die Person des Abgeordneten anknüpfen. Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG stellt damit gewissermaßen die Verknüpfung von Amt und Person her.

I. Amtsbereich: Apersonal anknüpfende Rechte und Pflichten Die normierten Rechte und Pflichten des Abgeordnetenamtes, die auf den Abgeordneten als Amtswalter übergeleitet werden4, diese vergleichsweise gering ausgeprägt. Die (Weisungs-) Unabhängigkeit des Mandats schließt Vorgaben von vornherein weitgehend aus5. Es wäre dennoch falsch, den Abgeordneten, der zweifellos in keinem Dienstverhältnis steht, als frei von jeglichen Pflichten zu verstehen6  – er untersteht durchaus nennenswerten Pflichten, wenn diese auch größtenteils nicht justiziabel ausgestaltet sind7. Zentral ist dabei seine Pflicht, das Mandat tatsächlich wahrzunehmen8 sowie die Ausübung des Mandats in den Mittelpunkt seiner Tätigkeit zu stellen (§ 44a Abs. 1 AbgG), und an den Arbeiten des Bundestages teilzuneh 1

K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, 2. Aufl. 1984, S. 1074. S. auch die Aufforderung zur „Nüchternheit“ bei H. Meyer, Rechtsgutachten vom 11. Mai 2005 über die „Möglichkeiten und Grenzen der Regelung von Nebentätigkeiten der Abgeordneten des Deutschen Bundestages“, erstattet für die Rechtsstellungskommission des Ältestenrates des Deutschen Bundestages, S. 3. 3 K. Abmeier, Die parlamentarischen Befugnisse des Abgeordneten des Deutschen Bundestages nach dem Grundgesetz, 1983, S. 37 ff. 4 S. oben 2. Kap. B. II. (S. 63 ff.). 5 S. schon E. Tatarin-Tarnheyden, Die Rechtsstellung des Abgeordneten; ihre Rechte und Pflichten, in: G. Anschütz/R. Thoma (Hrsg.), Handbuch des deutschen Staatsrechts, Bd.  I, 1930, § 38 (S. 413 [424 f.]); K. Stein, Die Verantwortlichkeit politischer Akteure, 2009, S. 525. 6 S. H. H. Klein, Status des Abgeordneten, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III, 3. Aufl. 2005, § 51 Rn. 23. 7 Stern, Staatsrecht I (Fn.  1), S.  1067; Klein (Fn.  6), § 51 Rn.  23; s. auch die bereits erwähnte treffende Aussage A. Köttgen, Das anvertraute öffentliche Amt, in: K. Hesse/S. Reicke/U. Scheuner (Hrsg.), Staatsverfassung und Kirchenordnung. Festgabe für Rudolf Smend zum 80. Geburtstag am 15. Januar 1962, S. 119 (140): es obliege einer „nicht justiziablen Gewissensentscheidung“ des Abgeordneten, wie er sein Amt führe. 8 BVerfGE 56, 396 (405); 118, 277 (325); s. aber auch E 40, 296 (312). 2

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men (§ 13 Abs. 2 S. 1 GOBT). Kommt er der Pflicht nicht nach, den als Sitzungstage ausgewiesenen Debatten beizuwohnen oder nimmt er an einer namentlichen Abstimmung bzw. einer Abstimmung mit Namensruf nicht teil, kann ihm ein Teil seiner Kostenpauschale einbehalten werden, vgl. §§ 16 Abs. 2 S. 3 GOBT, 14 Abs. 1, Abs. 2 AbgG. Er ist ferner dazu verpflichtet, den Anordnungen des Präsidenten bei der Leitung der Verhandlungen sowie der Ordnungsgewalt Folge zu leisten (Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG, §§ 36 ff. GOBT)9. Er ist bei seiner Mandatstätigkeit an Recht und Gesetz gebunden10 und ist aufgrund und im Rahmen seiner Amtswalterstellung durchweg auf die Achtung des Gemeinwohls verpflichtet11. Zum Schutz der Mandatsausübung vor Eigen- bzw. Sonderinteressen des Abgeordneten pönalisiert § 108e StGB die Abgeordnetenbestechung. Die zentralen Amtswalterrechte sind die aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG abgeleiteten parlamentarischen Beteiligungsrechte, die „die Hervorbringung des parlamentarischen Willens bewirken oder mitbewirken“12: Hierzu gehören im Einzelnen das Stimm-13, Initiativ-14 und Rederecht15, das Recht zur Beteiligung an Frage- und Informationsrecht des Parlaments16, das Recht auf Teilnahme an parlamentarischen Beratungen17 sowie auf Sitz in einem ständigen Ausschuss18, das Recht zur Mitwirkung an der parlamentarischen Kontrolle19, das Recht zur Kandidatur für parlamentarische Ämter20 sowie das Recht auf Fraktionsbildung21. Diese Rechte bzw. Kompetenzen22 sind Teil der organschaftlichen Stellung des Abgeordneten und damit eigentlicher Inhalt seines Amtes. Das Amtsprinzip sagt die Ausübung amtlicher Kompetenzen gerade los von der Verfolgung von Individualinteressen und individueller Freiheitsentfaltung23. Ganz in diesem Sinne hatte das Bundesverfassungsgericht klargestellt, dass Art.  38 Abs. 1 S. 2 GG nicht nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90a BVerfGG rügbar ist,

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S. hierzu oben zur geschäftsordnungsrechtlichen Disziplinargewalt 5. Kap. C. III. (S. 213 ff.). S. 2. Kap. B. III. (S. 70 f.). 11 S. schon die Nachweise in 2. Kap. A. II. Fn. 55. 12 Stern, Staatsrecht I (Fn.  1), S.  1058; Aufzählung der folgenden einzelnen Rechte bei BVerfGE 80, 188 (218); siehe ausführlich K. Kluth, in: B. Schmidt-Bleibtreu/H. Hofmann/ H.-G. Henneke (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 13. Aufl. 2014, Art. 38 Rn. 81 ff.; die Amtswalterrechte markieren den Bereich formaler Repräsentation, s. noch unten 5. Kap. (S. 186 ff.). 13 BVerfGE 10, 4 (12); 80, 188 (218). 14 BVerfGE 80, 188 (218); 84, 304 (328). 15 BVerfGE 10, 4 (12); 60, 374 (380); 80, 188 (218); 96, 264 (284). 16 BVerfGE 13, 123 (125); 70, 324 (355); 80, 188 (218). 17 Für Plenarsitzungen s. Kluth (Fn. 12), Rn. 83 zum Zusammenhang mit Art. 42 GG „verhandeln“. 18 BVerfGE 80, 188 (224). 19 S. §§ 100, 104, 105 GOBT zu Fragen an die BReg. 20 Kluth (Fn. 12), Art. 38 Rn. 92. 21 BVerfGE 43, 142 (149); 70, 324 (354); 80, 188 (218); 84, 304 (317 f.); 96, 264 (278). 22 S. schon oben 1. Kap. A. I. Fn. 2. 23 S. oben 2. Kap. B. II. 2. (S. 68 ff.). 10

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und damit kein Individualrecht darstellt, soweit die organschaftliche Stellung des Abgeordneten betroffen ist24. Dennoch lässt sich auch für die parlamentarischen Mitwirkungsbefugnisse zumindest die Frage aufwerfen, ob die Kompetenzen der einen im Verhältnis zu anderen Kompetenzträgern subjektiv-öffentliche Rechte darstellen, die dem Bundestagsabgeordneten mittelbar über sein Amt zukommen25. Es findet unstreitig eine gewisse „Subjektivierung“26 von Kompetenzen statt, wenn deren Träger durch Einräumung einer eigenständigen Rechtsposition befähigt werden, ihren Anteil an der staatlichen Willensbildung gegenüber anderen Organen im Organstreitverfahren zu verteidigen27. Die Subjektivierung solcher Rechtspositionen geschieht – dies sei erneut betont – nicht um der Person des Amtswalters willen, sondern sucht die „Optimierung der Entscheidung“28 und steht damit im Dienste der Sicherstellung der „intrapersonalen Machtbalance“29. Im Falle des Abgeordnetenmandats ergibt sich eine solche Subjektivierung seiner Kompetenzen zweifellos aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG. Freilich besteht Streit darüber, ob derart subjektivierte staatliche Kompetenzen deswegen begrifflich als „subjektive Rechte“ im eigentlichen Sinne eingeordnet werden können: Da es sich in erster Linie um ein terminologisches30 und weniger um ein dogmatisches Problem handelt, soll dies in dieser Arbeit nicht vertieft werden. Von den amtlichen Kompetenzen selbst unterschieden werden müssen die folgenden beiden unstreitig subjektiven Rechte: Neben dem subjektiven Recht auf Übernahme der Amtswalterstellung31 aus dem Grundverhältnis besteht auch ein

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BVerfGE 6, 445 (447 f.), in diesem Fall für den Verlust des Abgeordnetenmandats selbst. Vgl. hierzu und zum Folgenden S. Graf v. Kielmansegg, Grundrechte im Näheverhältnis, 2012, S. 281; A. Scherzberg, Subjektiv-öffentliche Rechte, in: D. Ehlers/H. Pünder (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2016, § 12 Rn. 27; in prozessualer Hinsicht lehnen für den Organstreit die Bezeichnung „subjektives Recht“ für staatliche Kompetenzzuweisungen ab: E. Benda/E. Klein/O. Klein, Verfassungsprozessrecht, 3. Aufl. 2011, Rn. 990: jedenfalls „nicht Träger subjektiver Rechte im eigentlichen Sinn“; für eine Bezeichnung des Organstreitverfahrens als Streit um subjektive Rechte C. Hillgruber/C. Goos, Verfassungsprozessrecht, 4. Aufl. 2015, Rn.  318 ff.; als „‚subjektive‘ Rechtspositionen“ bezeichnet bei C. Pestalozza, Verfassungsprozessrecht, 3. Aufl. 1991, § 7 Rn. 29; für den subjektivrechtlichen Charakter des Organstreits auch R. Grote, Der Verfassungsorganstreit: Entwicklungen, Grundlagen, Erscheinungsformen, 2010, S. 394 ff. 26 BVerfGE 2, 143 (152). 27 Vgl. v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn. 25), S. 281. 28 Scherzberg (Fn. 25), § 12 Rn. 27. 29 Scherzberg (Fn.  25), § 12 Rn.  27; „im Interesse der Effizienz oder Machtbalance im Gesamt­system“ auch bei v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn. 25), S. 281. 30 Für staatliche Kompetenzen allgemein ein im Wesentlichen terminologischer Streit s. Scherzberg (Fn.  25), § 12 Rn.  27; ebenso Abmeier, Befugnisse (Fn.  3), S.  40; allgemeiner v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn. 25), S. 281. 31 Bei H.-J. Wolff, Verwaltungsrecht II, 1962, § 73 III c 3 als „subjektives Recht auf das Amt“ bezeichnet. 25

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subjektives Recht des einzelnen Abgeordneten als Walter32 dieser Kompetenzen, also auf Wahrnehmung und Waltung seiner Befugnisse33: Diese subjektiven Rechte, das Abgeordnetenamt erst einmal zu bekleiden und schließlich auch auszufüllen, ergeben sich bereits aus dem passiven Wahlrecht des Abgeordneten i. S. d. Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG34. Deswegen wechseln die eigentlichen Amtskompetenzen selbst aber keineswegs in subjektive Rechte des Abgeordneten über35, diese beschriebene subjektive Komponente der Übernahme und Ausübung des Amtes betrifft nur die Innehabung und Waltung des Amtes, „nicht […] Inhalt und Richtung [seiner] Wahrnehmung“36. Die Kompetenzen bleiben daher einzig an das Amt gekoppelt37. Allerdings findet eine gewisse Verbindung dadurch statt, dass durch die Anerkennung eines subjektiven Rechts auf Ausfüllung der Kompetenzen etwaige Kompetenzkonflikte zugleich auch Konflikte um die Ausfüllung der Kompetenzen darstellen mögen38.

II. Außerparlamentarischer Rechts- und Pflichtenkreis: Anknüpfung an die Abgeordnetenperson Darüber hinaus bestehen auch außerorganisatorische Pflichten für den Abgeordneten sowie die sog. persönliche Schutzrechte39. Zu letzteren zu zählen sind die Indemnität, Art. 46 Abs. 1 GG, die Immunität, Art. 46 Abs. 2 GG, das Zeugnisverweigerungsrecht und Beschlagnahmeverbot, Art. 47 S. 1 und 2 GG, der Urlaubsanspruch, Art. 48 Abs. 1 GG, das Behinderungsverbot, Art. 48 Abs. 2 GG, der Entschädigungsanspruch, Art. 48 Abs. 3 S. 1 GG, die freie Fahrt in öffentlichen Verkehrsmitteln, Art.  48 Abs.  3 S.  2  GG, und deren einfach-gesetzliche

32 So treffend H.-J. Wolff, Organschaft und juristische Person, Bd. II, Theorie der Vertretung, 1934, S. 272. 33 H. Steiger, Organsiatorische Grundlagen des parlamentarischen Regierungssystems, 1973, S. 76; Abmeier, Befugnisse (Fn. 3) S. 41; s. ausdrücklich Wolff, Organschaft (Fn. 32), S. 267: „Das Recht zum Amt ist ein subjektives Recht des Organwalters (der Organwalterperson) gegenüber der Juristischen Person und jedem anderem, ihn, solange er Organwalter ist, als solchen zu dulden, gegenüber der Juristischen Person insbesondere, sein kompetenzgemäßes Organverhalten für und gegen dieselbe gelten zu lassen.“ 34 Abmeier, Befugnisse (Fn. 3), S. 41. 35 Abmeier, Befugnisse (Fn. 3), S. 41 f. 36 v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn. 25), S. 278. 37 Vgl. Wolff, Organschaft (Fn. 32), S. 272. 38 Abmeier, Befugnisse (Fn. 3), S. 46. 39 Als „persönliche Schutzrechte“ bezeichnet bei S. Magiera, in: M. Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 7. Aufl. 2014, Art. 38 Rn. 69; „Funktionsgarantien“ bei H. H. Trute, in: I. v. Münch/ P. Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 38 Rn. 83; „persönliche Rechte und Pflichten“ bzw. „personalrechtlicher Status“ bei Steiger, Grundlagen (Fn.  33), S. 74; „persönliche, subjektive Rechte des Abgeordneten“, Abmeier, Befugnisse (Fn. 3), S. 44 bzw. „Sonderrechte“, S. 45; „besondere Statusrechte“ bei Stern, Staatsrecht I (Fn. 1), S. 1059; „persönliche Rechte“ bei Klein (Fn. 6), § 51 Rn. 35.

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Ausgestaltungen40. Diese verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechte knüpfen nicht abstrakt an das Amt an, wenn sie auch dieses schützen sollen, sondern an die Person des Abgeordneten41. Ihre Funktion liegt darin, die freie Ausübung der Abgeordnetentätigkeit zu unterstützen42. Die meisten dieser benannten persönlichen Rechte – nicht persönlichen Privilegien43  – werden daher als subjektive Rechte des Abgeordneten eingeordnet44. Auch das Bundesverfassungsgericht bejahte den Charakter von „Individualrechten“ bzw. „subjektiv-öffentliche[n] Rechte[n]“ in Bezug auf Zeugnisverweigerungsrecht und Beschlagnahmeverbot i. S. d. Art.  47  GG als verfassungsrechtliche Ausprägung des Status aus Art.  38 Abs.  1 S.  2  GG und damit in Bezug auf ein bestimmtes aus seiner Mandatsstellung resultierendes persönliches Schutzrecht45. Dass diese Rechte ihrerseits nicht selbst grundrechtliche Gewährleistungen darstellen, liegt in ihrem nicht auf die Person des Abgeordneten bezogenen Schutzzweck begründet, denn ihr Schutzzweck gilt dem Amt und nicht der Privatperson46. Dass ihnen davon abgesehen aber jegliche Relevanz für bestehende grundrechtliche Gewährleistungen wie selbstverständlich abgesprochen wird47, 40 Diese Normen werden teils als „Status“ bezeichnet, während andere den Statusbegriff weiter fassen und auch die innerparlamentarischen Befugnisse hierunter subsumieren, s. näher unten 3. Kap. B. I. (S. 87 ff.). 41 Steiger, Grundlagen (Fn. 33), S. 77; Abmeier, Befugnisse (Fn. 3), S. 43 f.; M. Morlok, in: H. Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 3. Aufl. 2015, Art. 38 Rn. 155; A. Ingold, in: JöR N. F. 64 (2016), S. 43 (71 f.). 42 Stern, Staatsrecht I (Fn. 1), S. 1059; Steiger, Grundlagen (Fn. 33), S. 77; Abmeier, Befugnisse (Fn. 3), S. 43 f.; Morlok (Fn. 41), Art. 38 Rn. 155; A. Ingold, in: JöR N. F. 64 (2016), S. 43 (71 f.). 43 Je nachdem, ob der amtliche Existenzgrund dieser Rechte oder aber ihre personale Anknüpfung betont wird, gehen die Vertreter von einer zusätzlichen „Privilegierung“ des Abgeordneten aus: für eine solche Privilegierung etwa Abmeier, Befugnisse (Fn. 3), S. 44; gegen die Bezeichnung Steiger, Grundlagen (Fn. 33), S. 78. 44 Für Zeugnisverweigerungsrecht und Beschlagnahmeverbot: H. H. Klein, in: T. Maunz/ G. Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 47 (2008), Rn. 15; N. Achterberg/M. Schulte, in: H. v. Mangoldt/F. Klein/C. Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. II, 6. Aufl. 2010, Art. 47 Rn.  3 bzw. 10; K. Kluth, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, Grundgesetz (Fn.  12), Art. 47 Rn. 3 bzw. 9; H. Schulze-Fielitz, in: Dreier, Grundgesetz II (Fn. 41), Art. 47 Rn. 7 bzw. 10; für die Annahme des subjektiven Charakters auch der Indemnität s. H. H. Klein, in: Maunz/ Dürig, Grundgesetz (Fn. 44), Art. 46 (2008), Rn. 33; gegen die Einordnung der Immunität als subj. Recht N. Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 261; für den subjektiven Charakter der aus Art. 48 GG folgenden Ansprüche H. H. Trute, in: v. Münch/Kunig, Grundgesetz I (Fn. 39), Art. 48 Rn. 1; H. Butzer, in: V. Epping/C. Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 2. Aufl. 2013, Vorbem. zu Art.  48; K. Kluth, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, Grundgesetz (Fn. 12), Art. 48 Rn. 1. 45 BVerfGE 108, 251 (266); zustimmend, weil Art. 47 GG nicht Teil der organschaftlichen Rechtsstellung sei, auch P. Badura, in: W. Kahl/C. Waldhoff/C. Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 38 (2008), Rn. 67. 46 Vgl. Morlok (Fn. 41), Art. 38 Rn. 155. 47 S. nur Morlok (Fn. 41), Art. 38 Rn. 146.

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muss vor dem Hintergrund ihres Wesens als Rechte (als Gegenbegriff zu Pflichten) verstanden werden: Sie gewähren dem Abgeordneten, wenn auch nur mittelbar aufgrund seines Abgeordnetenamtes, zusätzliche, ihrer Wurzel nach nicht grundrechtlich begründete Rechte, verkürzen aber nicht seine persönliche Rechtsstellung. Während Pflichten, die in der Amtstätigkeit ebenso ihren Ursprung finden, Rechte grundrechtlicher Provenienz im Allgemeinen beeinträchtigen können, gilt dasselbe nicht für Schutzrechte, die sich auf das Amt zurückführen lassen. Dennoch sei festgehalten, dass die benannten Schutzrechte in freilich seltenen Konstellationen theoretisch durchaus zeitgleich mit grundrechtlichen Gewährleistungen berührt sein können48: Niemand wird ernsthaft behaupten wollen, dass der Bundestagsabgeordnete durch eine Verhaftung wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung (neben seinem Recht auf Immunität aus Art. 47 Abs. 2 GG bei fehlender Genehmigung des Bundestages) nicht grundsätzlich auch in seinem Recht auf Freiheit der Person, Art. 2 Abs. 2 S. 2 i. V. m. 104 GG, betroffen sein kann, wenn etwa die entsprechenden Voraussetzungen für Freiheitsbeschränkung resp. -entziehung nicht gegeben sind. Gegen eine solche „Sperrwirkung“ des persönlichen Schutzrechts gegenüber den entsprechenden Grundrechten spricht bereits die Entstehungsgeschichte der Norm, die den Abgeordneten in erster Linie vor Willkür seitens der Exekutive schützen49, ihm aber keine ihm als Person darüber hinaus zukommenden Abwehrrechte nehmen wollte. Der durch Art. 46 Abs. 2 GG gewährleistete Immunitätsschutz geht zunächst weiter als derjenige der Grundrechte, da er bereits der Verhaftung selbst einen weitgehenden Riegel vorschiebt50; im Übrigen aber besteht kein Grund, für denselben Sachverhalt die grundrechtlichen Schutzvorschriften nicht anwenden zu wollen. Die benannten Rechte finden in den grundrechtlichen Schutzgehalten weder Geltungsgrund, noch ergeben sich mit ihnen direkte Kollisionsmöglichkeiten, sie begrenzen aber nicht deren Schutzbereich. Schließlich sind im außerorganisatorischen Bereich auch Pflichten zu konstatieren. Anders als für den Beamten, der in einem öffentlich-rechtlichen Dienstund Treueverhältnis zum Staat steht (Art. 33 Abs. 4 GG), gibt es im Rahmen der außerparlamentarischen Rechtsstellung des Abgeordneten keine rechtliche Handhabe, ihn auf die Wahrung des Ansehens des Parlaments oder seines Amtes zu verpflichten51. Im Rahmen seiner außerparlamentarischen Pflichtenstellung sind allerdings die vielfach erwähnten Verhaltensregeln wie auch die Geheimschutz-

48 Ähnlich auch A. Ziegler, Das Ratsmitglied im Verfassungs- und Verwaltungsrecht, 2014, S. 108 f. 49 S. hierzu S.  Magiera, in: Kahl/Waldhoff/Walter, Bonner Kommentar (Fn.  45), Art.  46 (2011) Rn. 26, 33; O. Witt, in: Jura 2001, S. 585 (586); D. Wiefelspütz, Indemnität und Immunität, in: M. Morlok/U. Schliesky/ders. (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 13 Rn. 11 m.wN. 50 S. hierzu auch B. J. Hartmann, Volksgesetzgebung und Grundrechte, 2005, S. 119. 51 S. auch Tatarin-Tarnheydn, Rechtsstellung (Fn. 5), § 38 (S. 428); V. Haug, Bindungsprobleme und Rechtsnatur parlamentarischer Geschäftsordnungen, 1994, S. 110.

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ordnung aus § 17 S. 1 GOBT, Anl. 3 der GOBT zu verorten, letztere strafrechtlich durch § 353b StGB abgesichert. Die Verhaltensregeln i. S. d. §§ 18 GOBT, 44b AbgG, Anl. 1 GOBT betreffen zwar nicht die Amtsausübung des Abgeordneten selbst, lassen sich aber dennoch auf das Abgeordnetenamt zurückführen. Wie diese außerorganisatorischen Pflichten grundrechtlich einzuordnen sind, soll an späterer Stelle beleuchtet werden52.

III. Die Verbindung von Amt und Person durch Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG ist die Wurzel der für den Mandatsträger elementaren Garantie des freien Mandats53 und Grundlage der inner- wie außerparlamentarischen Rechtsstellung des Abgeordneten54. Die Vorschrift ist damit gewissermaßen „Schlüsselnorm“ für seine amtliche und personal anknüpfende Rechtsstellung. Während Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG im erstgenannten Bereich die amtlichen Mitgliedschaftsbefugnisse beinhaltet, gewährleistet die Norm im Rahmen der personal anknüpfenden Rechtsstellung die Unabhängigkeit der Mandatswahrnehmung sowie den Schutz freier Mandatsausübung im außer- wie im innerparlamentarischen Bereich. 1. Die parlamentarischen Mitgliedschaftsrechte: Teilhabedimension des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG Innerhalb des Kollegialorgans Bundestag bildet Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG zunächst die Grundlage der parlamentarischen Mitgliedschaftsrechte. Diese sind auf gegenseitige Abstimmung und Koordination durch die Geschäftsordnung angelegt55, weshalb sie treffend als „Teilhaberechte “56 des einzelnen Abgeordneten bezeich 52

S. im nachfolgenden 3. Kap. B. (S. 86 ff.). S. statt aller Trute (Fn. 39), Art. 38 Rn. 73 sowie Badura (Fn. 45), Art. 38 Rn. 48; ders., Die Stellung des Abgeordneten nach dem Grundgesetz und den Abgeordnetengesetzen der Länder, in: H.-P. Schneider/W. Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, 1989, § 15 Rn. 9. 54 Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG daher als „Scharnier“ zwischen „Amt und Status des Abgeordneten“, s. Steiger, Grundlagen (Fn. 33), S. 80. 55 S. BVerfGE 80, 188 (219): Die Geschäftsordnung „setzt grundlegende Bedingungen für die geordnete Wahrnehmung dieser Rechte, die nur als Mitgliedschaftsrechte bestehen und verwirklicht werden können und daher einander zugeordnet und aufeinander abgestimmt werden müssen“; A. Ingold/S.-C. Lenski, in: JZ 2012, S. 120 (125). 56 G. Roth, in: D. C. Umbach/T. Clemens (Hrsg.), Grundgesetz Mitarbeiterkommentar, Bd. II, 2002, Art.  38 Rn.  114; Grote, Verfassungsorganstreit (Fn.  25), S.  177; s. auch H. D. Jarass/ B. Pieroth, Grundgesetz, 14. Aufl. 2016, Art. 38 Rn. 53; A. Ingold, in: JöR N. F. 64 (2016), S. 43 (61 ff.). 53

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net werden. Es geht um das Zusammenwirken und die gleichberechtigte Mitwirkung der einzelnen Parlamentarier an der Willensbildung des Parlaments. 2. Freiheit und Unabhängigkeit der Mandatswahrnehmung im inner- wie im außerparlamentarischen Bereich Der Begriff der „Freiheit“ wird vom Grundgesetz an zahlreichen Stellen gebraucht57: Grundsätzlich kennzeichnet er dabei den grundrechtlichen oder grundrechtsgleichen Autonomiebereich eines Menschen vor verhaltenslenkender, aber auch körperlich wirkender Einflussnahme des Staates und damit den Menschen in seinem staatsfreien Bereich. In Bezug auf den Bundestagsabgeordneten ist einzig in Art. 46 Abs. 3 und 4 GG bzw. 48 Abs. 3 S. 2 GG von der „persönliche(n) Freiheit“ des Abgeordneten und der „freien Benutzung“ staatlicher Verkehrsmittel die Rede, wobei diese Normen ausdrücklich an die Freiheit des Abgeordneten als Person und nicht an diejenige seines Amtes anknüpfen58. In Art.  38 Abs.  1 S. 2 GG sucht man den Freiheitsbegriff dagegen vergebens. Umso bemerkenswerter ist, dass sich der Begriff der sog. Freiheit des Mandats für den Bundestagsabgeordneten umfassend durchgesetzt hat59 – ein erstes Indiz für die interpretatorische Nähe der Freiheit des Mandats zu den Grundrechten und für die Weiträumigkeit des bezeichneten Autonomiebereichs. Die Freiheit des Mandats schützt den Abgeordneten, der an Aufträge und Weisungen60 nicht gebunden ist, neben der grundsätzlichen Unentziehbarkeit des Mandats61 vor all jenen Versuchen, die Selbstständigkeit und Unabhängigkeit der Mandatswahrnehmung in Frage zu stellen62. Es handelt sich um ein Verbot rechtlicher Fremddeterminierung, faktische Beeinflussungen bleiben hingegen er 57 S. für die grundrechtlichen Freiheitsbezeichnungen Art.  2 Abs.  1, Abs.  2 S.  2; Art.  4 Abs. 1; Art. 5 Abs. 1 S. 1 und 2 sowie Abs. 3 S. 1 und 2; Art. 12 Abs. 1 S. 1, Abs. 3; Art. 12a Abs. 2 S. 3; Art. 17a Abs. 1; Art. 18 S. 1; Art. 104 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 und 2, Abs. 4 GG sowie Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG für Parteien und Art. 28 Abs. 1 S. 2 sowie Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG für das Wahlrecht; in Bezug auf den Staat ist nur in Präambel und in Art. 146 von „Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands“ die Rede; die „freiheitlich demokratische Grundordnung“ dagegen bildet häufig eine Einschränkungsmöglichkeit, s. nur Art. 10 Abs. 2 S. 2; Art. 11 Abs. 2; Art. 18 S. 1; Art. 21 Abs. 2 S. 1 GG. 58 S. oben 3. Kap. A. II. (S. 78 ff.). 59 Statt aller s. Abmeier, Befugnisse (Fn. 3), S. 48 ff.; Trute (Fn. 39), Art. 38 Rn. 73; Badura (Fn. 45), Art. 38 Rn. 48; ders. (Fn. 53), § 15 Rn. 9 ff.; kritisch zum Begriff „Freiheit“ in diesem Zusammenhang Achterberg, Parlamentsrecht (Fn. 44), S. 221 f.; ebenso ders./Schulte (Fn. 44), Art. 38 Rn. 33. 60 Die beiden Begriffe werden synonym verwendet, s. nur H.-P. Schneider, in: R. Wassermann (Hrsg.), Alternativkommentar zum GG, Bd. 1, 2. Aufl. 1989, Art. 38 Rn. 29; H. Butzer, in: Epping/Hillgruber, Grundgesetz (Fn. 44), Art. 38 Rn. 94. 61 Badura (Fn. 53), § 15 Rn. 22; Morlok (Fn. 41), Art. 38 Rn. 154. 62 Butzer (Fn.  60), Art.  38 Rn.  94; vgl. auch Morlok (Fn.  41), Art.  38 Rn.  149 ff; s. auch „Bollwerk seiner Unabhängigkeit“ bei Badura (Fn. 53), § 15 Rn. 15.

A. Rechts- und Pflichtenstellung des Abgeordneten 

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laubt63. Stellt das freie Mandat in historischer Hinsicht den verfassungsrechtlichen Gegenentwurf zum sog. imperativen Mandat64 dar, was mit der Abkehr der ständischen Repräsentation hin zur parlamentarischen Repräsentation einhergeht65, wird seine Bedeutung heute stark auf die Unabhängigkeit von Partei und Fraktion bezogen66. Ferner greift sein Schutz auch gegenüber Bindungen von Wählern und Interessengruppen67. Wenn in der Literatur teilweise angenommen wird, die Gewährleistung beziehe sich auf die „gesamte parlamentarische Tätigkeit“68 des Abgeordneten, ist hiermit lediglich das Ziel der Gewährleistung umschrieben – die Sicherung der unbeeinflussten Ausübung der Mitgliedschaftsrechte69. Zweifellos ist es allein dem Abgeordneten überlassen, wie er seine Mitgliedschaftsrechte ausübt, welche Schwerpunkte er etwa seiner parlamentarischen Rede gibt und wie er abstimmt. Dass der Fokus der Gewährleistung auf der Mitwirkung an der parlamentarischen Willensbildung liegt, ergibt sich bereits aus der Stellung der Norm im III. Abschnitt „Der Bundestag“ sowie aus ihrer Entstehungsgeschichte, da Art. 38 GG in seiner zunächst erwogenen Fassung noch ausdrücklich auf den Schutz von „Reden, Handlungen, Abstimmungen und Wahlen“70 abstellte und damit als maßgeblichen Bezugspunkt der Freiheit des Mandats die Wahrnehmung parlamentarischer Mitwirkungsrechte bzw. den Entscheidungsprozess des Bundestages als Organ festschrieb71. Die soeben beschriebenen abzuwehrenden Gefahren für die Unabhängigkeit des Parlamentsmitglieds können aber naturgemäß auch dem nicht-staatlichen, gesellschaftlichen Bereich entstammen und auf ihn (zunächst) außerhalb des parlamentarischen Verhaltens Einfluss nehmen. Aus diesem Grund wirkt die Unabhängigkeit des Abgeordneten auch gegen Einflussnahme von privater Seite72. Die unbeeinflusste Ausübung der Mitgliedschaftsrechte – die Willensäußerung – 63

Kluth (Fn. 12), Art. 38 Rn. 72. BVerfGE 2, 1 (74); Schneider (Fn. 60), Art. 38 Rn. 31; Morlok (Fn. 41), Art. 38 Rn. 149; Achterberg/Schulte (Fn. 44), Art. 38 Rn. 34; Kluth (Fn. 12), Art. 38 Rn. 72; Butzer (Fn. 60), Art. 38 Rn. 94. 65 S. ausführlich Badura (Fn. 45), Art. 38 Rn. 2 ff.; O. Piechaczek, Lobbyismus im Deutschen Bundestag, 2014, S. 109. 66 Umfassend hierzu Achterberg/Schulte (Fn. 44), Art. 38 Rn. 34 ff.; Butzer (Fn. 60), Art. 38 Rn. 100 ff.; Morlok (Fn. 41), Art. 38 Rn. 151; Piechaczek, Lobbyismus (Fn. 65), S. 110; allerdings soll der Problembereich der parteilichen und fraktionellen Einflussnahme auf die Mandatstätigkeit in dieser Arbeit bewusst zurückgestellt werden. 67 Butzer (Fn. 60), Art. 38 Rn. 98 f. 68 So ausdrücklich H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz (Fn.  44), Art.  38 (2010) Rn. 196 (Hervorhebung nicht im Original, B. G.); ähnlich Badura (Fn. 53), § 15 Rn. 20. 69 Vgl. Piechaczek, Lobbyismus (Fn. 65), S. 110 f.: „Funktionsfähigkeit des Parlaments“ als Geltungsgrund des freien Mandats. 70 Art. 46 Ch.E., abgedruckt bei K.-B. v. Doemming/R. W. Füsslein/W. Matz, in: JöR N. F. 1 (1951), S. 355 sowie noch § 13 Abs. 1 GOBT. 71 Ableitung der Rechtsstellung des Bundestagsabgeordneten primär vom Kollegialorgan Bundestag her auch bei S.  Helmes, Spenden an politische Parteien und an Abgeordnete des Deutschen Bundestages, 2014, S. 255 f. 72 Jarass/Pieroth (Fn. 56), Art. 38 Rn. 48 m. w. N. 64

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3. Kap.: Grundrechtsimpermeabler Abgeordnetenstatus?

ist mithin das Ziel der Gewährleistung, ihr Schutzbereich setzt aber weit im Vorhinein ein, nämlich bereits bei der Willensbildung73 . Ferner ist geradezu elementar für das Verständnis des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG, dass sich der Gewährleistungsgehalt des freien Mandats nicht in der reinen Abwehr von unmittelbaren Einflussnahmen auf die eigentliche Befugnisausübung erschöpft, sondern ebenso mittelbare Einflussnahmeversuche auf die Willensbildung des Abgeordneten im Blick hat, mithin auch die ungestörte Kommunikationsbeziehung zwischen Volk und Volksvertreter an der Gewährleistung partizipiert: Aufgrund der „Transformationsfunktion“74 des Volksvertreters wird seine ständige Rückbindung an die Wählerschaft und deren Interessen gefordert75. Seine Betätigungsfelder sind gewollt vielfältig und erstrecken sich von der Wahlkreispflege76 sowie der parteipolitischen Betätigung77 über die Mitgliedschaft in einzelnen Interessengruppen78 bis hin zur Teilnahme an politischen Talkshows79, um nur einige Beispiele zu nennen. Aus diesem Grund ist es nur folgerichtig, dass die gesamte, d. h. auch die außerparlamentarische Mandatsgestaltung, an der Gewährleistung teilnimmt80: Dort, wo der Abgeordnete sich in die gesellschaftliche Sphäre einbringt, um bei meinungsbildenden Veranstaltungen die Wünsche und Interessen seiner Wähler aufzunehmen und schließlich in die staatliche Willensbildung Einzug nehmen zu lassen, schützt ihn das freie Mandat umfassend vor Behinderungen81. In diesem Sinne knüpft auch Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG entsprechend dem der Verfassung zugrunde liegenden materiellen Repräsentationsverständnisses82 seinen Schutz an die Person des Abgeordneten, nicht bloß an das abstrakte Amt an83. Auch das Bundesverfassungsgericht erstreckt den Gewährleistungsgehalt der Mandatsfreiheit wie gesehen auf die drei Sphären als Mandatsträger, als Parteimitglied sowie als politisch handelnde Privatperson, mithin auf das gesamte politische Tätigwerden des Abgeordneten, und stellt die Kommunikationsbeziehung zwischen Volk und Volksvertreter unter den Schutz des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG84.

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S. nur BVerfGE 134, 141 (171, Rn. 91). Morlok (Fn. 41), Art. 38 Rn. 143; ebenso BVerfGE 134, 142 (173, Rn. 96); auch A. Ingold, in: JöR N. F. 64 (2016), S. 43 (65). 75 BVerfGE 134, 141 (173 f., Rn. 96). 76 BVerfGE 40, 296 (312); 134, 141 (173 f., Rn. 96); Trute (Fn. 39), Art. 38 Rn. 74; Kluth (Fn. 12), Art. 38 Rn. 72. 77 BVerfGE 40, 296 (312); 134, 141 (173 f., Rn. 96); Trute (Fn. 39), Art. 38 Rn. 74. 78 Trute (Fn. 39), Art. 38 Rn. 74. 79 Kluth (Fn. 12), Art. 38 Rn. 72. 80 So R. Stalbold, Die steuerfreie Kostenpauschale des Abgeordneten, 2004, S. 109: „Gebot der freien Mandatskonzeption“. 81 So der Sache nach auch Steiger, Grundlagen (Fn. 33), S. 194; Stern, Staatsrecht I (Fn. 1), S. 1071. 82 S. hierzu unten 4. Kap. B. I. (S. 164 ff.). 83 S. hierzu noch unten 5. Kap. B. (S. 194 f.). 84 BVerfGE 134, 141 (174, Rn. 97 f.). 74

A. Rechts- und Pflichtenstellung des Abgeordneten 

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Die Freiheit des Mandats schützt also die Unabhängigkeit des Abgeordneten in einem umfassenden Sinne bei seiner gesamten Mandatstätigkeit (im innerwie im außerparlamentarischen Feld). Wie gesehen handelt es sich bei der Gewährleistung unbestrittenermaßen nicht um ein Grundrecht85. Fraglich ist allerdings auch hier die Einstufung des freien Mandats als subjektives Recht86. In der Entscheidung zur Abgeordnetenbeobachtung Ramelows hatte das Bundesverfassungsgericht die Mandatsfreiheit i. S. d. Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG sowie die daraus resultierende Kommunikationsbeziehung zwischen Mandatsträger und Wähler als „Individualrecht“ qualifiziert87. Auch in diesem Fall konnte das Organstreitverfahren mangels tauglichen Verfahrensgegners88 von vornherein nicht angestrengt werden, sodass das Gericht den für die Verfassungsbeschwerde notwendigen Individualschutzcharakter der mandatsrechtlichen Normen einzig über Art.  93 I Nr. 4a GG, § 90 BVerfGG zu begründen vermochte. Hier mögen jedenfalls auch prozessuale Gründe dafür gesprochen haben, die fragliche Norm als Individualrecht zu betiteln. Gerade mit Blick auf diese Fallgestaltung aber spräche ferner für die Etikettierung als subjektives Recht, dass die Mandatsfreiheit nicht nur vor Eingriffen der anderen Verfassungsorgane, sondern den Abgeordneten neben der privaten Einflussnahme vor jeglicher Form staatlichen Eingriffs schützt89, also eine insgesamt staatsabwehrende Komponente enthält. 3. Ergebnis Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG umfasst zwei besonders geartete Dimensionen der Mandatstätigkeit, die Teilhabe- und die Freiheitsdimension90: Die erste gewährleistet die Mitwirkungsmöglichkeiten an der parlamentarischen Willensbildung in Form der verschiedenen Mitgliedschaftsrechte. Hinsichtlich dieser Kompetenzwahrnehmung im Parlament verleiht Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG dem Abgeordneten eine „gewisse Eigenständigkeit“91. Im Rahmen der Freiheitsdimension wird durch 85

S. schon oben 2. Kap. A. II. (S. 57 f.). Für die subjektive Rechtsqualität ausdrücklich C. Möllers, in: Jura 2008, S.  937 (940): „subjektives Recht eines Organträgers“; H. Bethge, in: T. Maunz u. a. (Hrsg.), Bundesverfassungsgerichtsgesetz, § 90 (2013) Rn. 84; Helmes, Spenden (Fn. 71), S. 255. 87 BVerfGE 134, 141 (169 f., Rn. 84 f.). 88 S. zu diesen Konstellationen bereits oben 1. Kap. A. I. (S. 23 ff.). 89 So ausdrücklich C. Ohler, in: NVwZ 2004, S. 696 (697), deshalb als „grundrechtsähnliche Lage“ bezeichnet; s. zur staatsabwehrenden Komponente nur Badura (Fn. 53), § 15 Rn. 9; Schneider (Fn. 60), Art. 38 Rn. 29; Abwehrrecht gegenüber allen staatlichen Maßnahmen auch bei Jarass/Pieroth (Fn. 56), Art. 38 Rn. 48; bspw. gegenüber der Beobachtung durch den Verfassungsschutz, s. BVerfGE 134, 141 (171 ff., Rn. 91 ff.). 90 Vgl. auch die Zweiteilung bei A. Ingold/S.-C. Lenski, in: JZ 2012, S.  120 (125) sowie A. Ingold, in: JöR N. F. 64 (2016), S. 43 (61 ff.). 91 BVerfGE 10, 4 (12); Kluth (Fn. 12), Art. 38 Rn. 83; s. auch Abmeier, Befugnisse (Fn. 3), S. 48: „die Freiheit des Abgeordneten, seine Befugnisse frei und unabhängig wahrzunehmen“; s. auch Morlok (Fn. 41), Art. 38 Rn. 156 ff. 86

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3. Kap.: Grundrechtsimpermeabler Abgeordnetenstatus?

Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG ein weitreichender abwehrrechtlicher Schutz vor Einflussnahmeversuchen auf die Mandatstätigkeit von innen wie von außen gewährleistet und insbesondere die ungehinderte außerparlamentarische Einbindung in die Gesellschaft zum Zwecke der Rückkopplung an das Volk geschützt. Die Freiheit des Mandats gewährleistet hier „die sachliche und die persönliche Unabhängigkeit“ 92 des Abgeordneten, die ihm die freie Gestaltung der gesamten Mandatstätigkeit anheim stellt93.

B. Begrifflicher Mythos vom „Abgeordnetenstatus“: Synonym für die Rechtsstellung des Abgeordneten oder eine Begrenzung grundrechtlicher Schutzbereiche? Es wurde bereits erwähnt, dass der Abgeordnete Inhaber eines verfassungsrechtlichen Status94 ist. Nicht eingegangen wurde allerdings bisher auf das Potential an Unklarheiten und Missverständnissen, das der Begriff des Abgeordnetenstatus in die Diskussion um dessen Grundrechtsberechtigung bringt. Der Begriff des Abgeordnetenstatus fällt regelmäßig in den einschlägigen Abhandlungen zum Volksvertreter und ist ein weiteres Beispiel für die Betonung seiner „Eigenartigkeit“95. Oftmals erfolgt aber weder eine Definition noch eine dogmatische Erklärung für das eingangs erwähnte Ausschließlichkeitsverhältnis von Grundrechten und sog. Abgeordnetenstatus, welches den Abgeordneten für jede Regelung des besagten Abgeordnetenstatus aus der Grundrechtsgeltung herausheben soll. Im Folgenden soll näher auf den Statusbegriff und seine Interpretation durch Rechtsprechung und Literatur eingegangen (I.) sowie im Anschluss erläutert werden, ob sich die hinter dem jeweiligen Begriffsverständnis verbergenden Konstrukte dogmatisch belegen lassen und verfassungsrechtlich haltbar sind (II.). Es ist daher auch der folgende Abschnitt, der dem Lösungsansatz des Exklusivitätsverhältnisses96 aus staatsorganisationsrechtlich abgeleiteten Regelungen und grundrechtlichem Regelungsbereich auf den Grund geht.

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Jarass/Pieroth (Fn. 56), Art. 38 Rn. 47. Stalbold, Kostenpauschale (Fn. 80), S. 109. 94 S. oben 2. Kap. B. IV. (S. 72). 95 S. bspw. der „durchaus eigenartige verfassungsrechtliche Status der Abgeordneten“ bei H. Hofmann/H. Dreier, Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht (Fn. 53), § 5 Rn. 38; „öffentliche[r] Status eigener Art“ bei K. Hesse, Art. Abgeordneter, in: R. Herzog u. a. (Hrsg.), Evangelisches Staatslexikon, Bd.  I, 3. Aufl. 1987, Sp. 11 (15); Morlok (Fn. 41), Art. 38 Rn. 146: „verfassungsrechtliche[r] Status eigener Art“; Henke, Recht (Fn. 71), S. 120: „Inhaber eines besonderen öffentlichen Status“. 96 S. oben 1. Kap. D. II. 2. (S. 50 f.). 93

B. Begrifflicher Mythos vom „Abgeordnetenstatus“ 

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I. Variierendes Begriffsverständnis in Rechtsprechung und Literatur Die Bezugnahme der Literatur auf den Status des Abgeordneten ist immens97. Dies ist nicht verwunderlich, vergegenwärtigt man sich den eigentlichen Wortsinn des Begriffs: „Status“ (lat. status) steht für einen bestimmten Zustand. Der Begriff „Status“ im Rechtssinne wurde maßgeblich von Jellinek geprägt, der diesen in seinem Werk „System der subjektiven öffentlichen Rechte“ umschreibt als eine bestimmte rechtlich ausgestaltete „Beziehung zum Staate“98. Jellinek unterscheidet vier „Zustände“ des Bürgers im Staat (S. 86 ff.): Der status passivus bezeichnet die individuelle Pflichtenstellung des Einzelnen im Staat (S. 86), der status negativus das Recht, staatliche Eingriffe in die individuelle Freiheitssphäre abzuwehren (S. 87, 94 ff.); der status positivus beinhaltet die Leistungs- bzw. Schutzrechte des Einzelnen gegenüber dem Staat (S. 87, 114 ff.), der status activus schließlich die staatsbürgerlichen Rechte gegenüber dem Staat (S. 87, 136 ff.). Indem Jellinek für alle vier Zustände an die Person des Einzelnen anknüpft, sind Statusinhalt grundsätzlich nur subjektive Rechte (S. 86), nicht hingegen die eigentliche für den Staat erfolgende Kompetenzwahrnehmung (S. 169). Im heutigen Sprachgebrauch wird häufig losgelöst hiervon auf den Statusbegriff rekurriert: So ist neben dem Status des Abgeordneten die Rede vom Status des Asylberechtigten99, von einem solchen des Beamten100, einem Status der Partei101, und sogar dem Bundesverfassungsgericht102 wird ein Status zugesprochen. Die genannten Beispiele verdeutlichen, dass mit der Zuerkennung eines Status noch nichts über die Grundrechtsberechtigung des Rechtssubjekts im Bereich der spezifisch auf sie zugeschnittenen Regelungen ausgesagt ist. 1. Uneinigkeit über die Reichweite des sog. Abgeordnetenstatus Die Verwendung des Statusbegriffs in Bezug auf den Abgeordneten ist aus mehreren Gründen ein schwieriges Unterfangen103. Zum einen variieren bereits die Auffassungen über die inhaltliche Reichweite der vom „Status“ erfassten Rechte 97

S. oben 2. Kap. B. IV. Fn. 150. G. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl. 1919, S. 83; die folgenden Nachweise beziehen sich auf dieses Werk und werden im Text selbst in Klammerzusätzen angegeben. 99 BVerfGE 60, 253 (270). 100 Vgl. § 1 BeamtStG. 101 Umfassend H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz (Fn. 44), Art. 21 (2012) Rn. 152; 248 ff. 102 S. zum Status des Bundesverfassungsgerichts G. Leibholz, in: JöR N. F. 6 (1957), S. 109 (109 ff.). 103 S. auch Abmeier, Befugnisse (Fn. 3), S. 47: „Begriff, dessen nebulöser Charakter sich vortrefflich dazu eignet, Probleme zu verschleiern und Begründungen nur vorzutäuschen“; s. auch Steiger: Der „Inhalt [des Begriffs ‚Status‘] ist in der Gegenwart nicht wesensmäßig vorgegeben, 98

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3. Kap.: Grundrechtsimpermeabler Abgeordnetenstatus?

und Pflichten: Als Statusrechte werden von einigen Autoren nur die persönlichen Schutzrechte104 verstanden, wie Immunität, Indemnität oder Entschädigungsanspruch, die dem Abgeordneten im Dienste der Mandatsausübung eingeräumt sind105. Die eigentlichen innerorganisatorischen Befugnisse bleiben dann außen vor. Dieses enge Statusverständnis ist in der Annahme begründet, dass die ausgeübten innerorganisatorischen Kompetenzen nicht die Rechtsstellung des Abgeordneten selbst prägen, da sie nicht an seine Person anknüpfen, sondern an das abstrakte Amt106. Der „Status“ wird also ganz nach dem Jellinek’schem Verständnis auf die Person des Amtswalters bezogen gedacht und bezeichnet die persönliche Rechtsstellung des Amtsträgers107 im Gegensatz zu den auf ihn übergeleiteten amtlichen und damit grundsätzlich von der Person losgelösten Kompetenzen. Andere Autoren verstehen unter den Statusrechten dagegen gerade die innerorganisatorischen Befugnisse, die dem Abgeordneten die parlamentarische Willensäußerung ermöglichen108. Wieder andere Autoren fassen neben den auf die persönliche Rechtsstellung anwendbaren Regeln auch die eigentlichen innerparlamentarischen Mandatsrechte aus dem Amt unter den Statusbegriff, interpretieren diesen also umfassend als auf die Organwalterschaft zurückzuführende (persönliche wie amtliche) Rechtsstellung109. 2. Dogmatische Verquickungen mit dem Begriff des Abgeordnetenstatus Zum anderen scheint der Rekurs auf den Statusbegriff problematisch, sofern hierbei eine Erklärung unterschlagen wird, welche dogmatischen Konsequenzen aus der Zuerkennung des Abgeordnetenstatus für die persönliche Rechtsstellung folgen sollen. Selbstverständlich ist der Volksvertreter dadurch gegenüber dem sondern ist in der jeweils konkreten, verfassungsrechtlichen Lage auf Grund des Rechts jeweils neu zu bezeichnen“, s. Steiger, Grundlagen (Fn. 33), S. 77; ebenso Stein, Verantwortlichkeit (Fn. 5), S. 299; allgemein zur geringen Aussagekraft des „Status“ s. v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn. 25), 189 ff. 104 S. oben 3. Kap. B. I. 1. (S. 87). 105 Steiger, Grundlagen (Fn. 33), S. 74 ff.; Grote, Verfassungsorganstreit (Fn. 25), S. 127 f.; Stern, Staatsrecht I (Fn. 1), S. 1059 zusätzlich für den Anspruch auf Freifahrt, Urlaubsanspruch, Kündigungsschutz, Behinderungsverbot und Zeugnisverweigerungsrecht; W. Demmler, Der Abgeordnete zwischen Parlament und Fraktionen, 1993, S. 50 zusätzlich für das Zeugnisverweigerungsrecht. 106 So Steiger, Grundlagen (Fn. 33), S. 74 f., 77; kritisch zu einem solchen auf die Person beschränkten Statusverständnis Abmeier, Befugnisse (Fn. 3), S. 44 f.; dieses urspr. an die Person anknüpfende Statusverständnis wird paradoxer Weise durch die im Folgenden zu thematisierende Hinzunahme innerorganisatorischer Befugnisse in den Statusbegriff im Sinne eines apersonalen Statusbereichs gedeutet. 107 In diesem Sinne wird auch der Beamtenstatus als gleichbedeutend mit den das Grundverhältnis prägenden Regelungen verstanden, vgl. R. Dreier, Art. Amt, in: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Staatslexikon, 7. Aufl. 1985, Bd. I, Sp. 127 (129). 108 So etwa A. Ingold/S.-C Lenski, in: JZ 2012, S. 120 (121); sowie A. Ingold, in: AöR 64 (2016), S. 43 (61). 109 In diesem Sinne auch Abmeier, Befugnisse (Fn.  3), S.  44 ff.; Badura (Fn.  45), Art.  38 Rn. 58 ff.; Helmes, Spenden (Fn. 71), S. 256.

B. Begrifflicher Mythos vom „Abgeordnetenstatus“ 

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Normalbürger exponiert, dass er aufgrund seiner verfassungsrechtlich anerkannten Rolle als Mitwirkender an der staatlichen Willensbildung über besondere Befugnisse und Pflichten, also über eine „spezifische Rechtsposition“ verfügt110. Soll der Status daher Synonym für den Komplex bestimmter aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG gefolgerten Rechte und Pflichten sein, die den Mandatsträger – sei es in seiner persönlichen Rechtsstellung und/oder mit seinen amtlichen Befugnissen – kennzeichnen, kann an dieser Bezeichnung daher grundsätzlich kein Anstoß genommen werden: So definiert Badura in Bezug auf den Abgeordneten den Status als „die durch Rechtsnormen begründete, Rechte und Pflichten verbindende Stellung eines Rechtssubjekts.“111 Auch ohne ausdrückliche Definition verstehen viele Autoren ebenfalls unter dem Status die Rechts- und Pflichtenstellung und damit insgesamt die Rechtsstellung des Abgeordneten112. Der Status beinhaltet demnach alle der Abgeordnetenstellung geschuldeten „Sonderrechte und Sonderpflichten“113. Der Begriff wird in Bezug auf die Anwendung der bzw. Wechselwirkung mit den Grundrechten neutral verwendet. Mit diesem Verständnis des Abgeordnetenstatus als Rechts- und Pflichtenstellung ist aber häufig eine weitergehende Deutung verbunden, nämlich diejenige einer umfassenden Beschneidung der individuellen Rechtsstellung des Abgeordneten. Diese resultiert nicht zuletzt aus der Betonung, dass es sich bei dem Abgeordnetenstatus um einen „amts- und nicht grundrechtlich begründete[n]“114 Status handelt. Auch diese Aussage ist für sich genommen unproblematisch, da Amt und grundrechtliche Freiheitsentfaltung wie gezeigt den „Gegenpol“ des anderen bilden und die Grundrechte des Amtswalters nicht in die Amtswahrnehmung hineinwirken können115. Doch bringt die Betonung des Amtsprinzips im Zusammenhang mit dem Statusbegriff eine nicht zu verkennende Gefahr mit sich, die aus der Vermengung von Amts- und Statusbegriff resultiert116: Wenn der Statusbegriff als Sy 110

Vgl. Klein (Fn. 101), Art. 21 Rn. 400; über den Inhalt dieser Rechtsposition und ihr Verhältnis zu anderen Rechtspositionen vermag die Umschreibung „verfassungsrechtlicher Status“ damit aber noch nichts auszusagen. 111 Badura (Fn.  53), § 15 Rn.  59; als „Rechts- und Pflichtenstatus“ im Anschluss an das BVerfG wird er auch bei Klein bezeichnet, Klein (Fn. 68), Art. 38 Rn. 193; ähnlich Magiera (Fn. 39), Art. 38 Rn. 53: „Rechts- und Pflichtenstellung“ unter Bezug auf BVerfGE 76, 256 (341); so auch das wiedergegebene Verständnis bei A. Ingold, in: JöR N. F. 64 (2016), S. 43 (60 Fn. 94). 112 S. die Nachweise in Fn. 109. 113 K. F. Arndt, Parlamentarische Geschäftsordnungsautonomie und autonomes Parlamentsrecht, 1966, S. 161. 114 Klein (Fn. 68), Art. 38 Rn. 193. 115 O. Depenheuer, Das öffentliche Amt, in: Isensee/Kirchhof, HStR III (Fn. 6), § 36 Rn. 60; s. auch bereits oben 2. Kap. B. II. 2. (S. 68 f.). 116 Wird der Begriff des Status und derjenige des Amtes des Abgeordneten synonym verwendet, wäre in der Tat die Annahme der Grundrechtslosigkeit des Statusbereichs nachvollziehbar; allerdings ersetzt der Verweis auf das Amt auch dann grds. nicht eine Auseinandersetzung mit der inhaltlichen Reichweite des Amtes bzw. eine Begründung dafür, wieso jede Regelung mit Mandatsbezug, die den Privatbereich tangiert, der Rechtssphäre des Amtes zugeschlagen wird.

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3. Kap.: Grundrechtsimpermeabler Abgeordnetenstatus?

nonym für die gesamte Rechts- und Pflichtenstellung des Abgeordneten begriffen und dieser zugleich als grundrechtlich nicht bedeutsam, weil amtsbezogen, verstanden wird, stehen alle Regelungen, die die Rechtsstellung des Abgeordneten mitgestalten, zugleich außerhalb grundrechtlicher Zusammenhänge. a) Das Statusverständnis des Bundesverfassungsgerichts Das Bundesverfassungsgericht erkennt dem Abgeordneten einen verfassungsrechtlichen Status zu117, den es als „seine verfassungsmäßig gewährleistete Rechtsstellung“118 bezeichnet. Er ist durch die Verfassung „mit eigenen Rechten ausgestattet“119 und dazu befähigt, „unmittelbar am Verfassungsleben teilzuhaben“120. Dabei unterscheidet das Bundesverfassungsgericht nicht zwischen inner- und außerparlamentarischen Rechten121. Die eine umfassende Offenlegung der Einkünfte fordernden Verhaltensregeln bezeichnet das Bundesverfassungsgericht als jedenfalls „nach Ziel, Regelungsgehalt und Regelungswirkung auf den Abgeordnetenstatus“122 gerichtet und damit insgesamt als „statusrechtliche Anforderungen“123. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht bislang offen gelassen, ob eine statusbezogene Regelung „in besonderen Ausnahmefällen“124 grundrechtsbedeutsam sein könne; Hans Meyer hat die darin enthaltenen „dreifachen Bedenken“125 in seinem Rechtsgutachten im Vorhinein der Entscheidung zur Mittelpunktregelung und den Offenlegungspflichten wie folgt zusammengefasst: „Zum ersten wird kategorisch bestritten, dass jenseits ‚besonderer Ausnahmefälle‘ das Statusrecht sich an Grundrechten auszurichten hat. Zum Zweiten wird offen gelassen, ob dies in besonderen Ausnahmefällen anders sein kann. Und zum Dritten wird selbst in einem solchen Falle für unsicher gehalten, ob das Grundrecht neben dem Statusrecht in irgendeiner Weise zu beachten ist.“126 Nach dem besagten Urteil des Bundesverfassungsgerichts selbst werden Fragen des Abgeordnetenstatus schließlich durch das Grundgesetz dem staatsorganisationsrechtlichen Teil zugewiesen und sollen „sich

117 Std. Rspr.: BVerfGE 2, 143 (164); 4, 144 (149); 6, 445 (448); 7, 63 (73); 10, 4 (10); 40, 296 (311); 43, 142 (148); 60, 374 (379); 76, 256 (341); 90, 286 (342); 118, 277 (324); 134, 141 (172, Rn. 93). 118 BVerfGE 10, 4 (10). 119 BVerfGE 2, 143 (165); vgl. auch E 60, 374 (378 f.). 120 BVerfGE 4, 144 (149). 121 Der Status selbst ist in der Rspr. des BVerfG die Mitgliedschaft im Bundestag, BVerfGE 62, 1 (32), die mit dem Status verbundenen Rechte sind die innerorganisatorischen Mitgliedschaftsrechte, s. die Nachweise in BVerfGE 62, 1 (32); ebenso soll beispielsweise der Entschädigungsanspruch nach Art. 48 Abs. 3 S. 1 GG zum Status zählen, s. BVerfGE 4, 144 (150 f.). 122 BVerfGE 188, 277 (320). 123 BVerfGE 188, 277 (320). 124 S. oben 1. Kap. A. I. (S. 23 ff.). 125 Meyer, Rechtsgutachten I (Fn. 2), S. 17. 126 Meyer, Rechtsgutachten I (Fn. 2), S. 17.

B. Begrifflicher Mythos vom „Abgeordnetenstatus“ 

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der Beantwortung anhand grundrechtlicher Argumentationsfiguren entziehen“127. Gleichzeitig aber will das Bundesverfassungsgericht die persönlichen Belange zumindest als Abwägungsgesichtspunkte berücksichtigen128 und sind auch die prozessualen Hemmnisse des Bundesverfassungsgerichts129 in Rechnung zu stellen. Insgesamt ist das Statusverständnis des Bundesverfassungsgerichts im Zusammenhang mit der Frage nach der funktionalen Anwendbarkeit der Grundrechte daher mit Fragezeichen versehen. b) Der rigide Trennungsgedanke von Grundrechten und staatsorganisatorischem Abgeordnetenstatus in Teilen der Literatur Ein rigides Trennungsverständnis von Abgeordnetenstatus und Grundrechte­ status wurde in Teilen der Literatur besonders bei der Diskussion um die Offenlegung von Nebeneinkünften der Bundestagsabgeordneten deutlich, bei der es entscheidend auf das Verhältnis von Grundrechten und Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG ankam: Im Rahmen dessen führte Hans Meyer aus, die zu veröffentlichenden Daten entstammten zwar dem Privatbereich des Abgeordneten und damit nicht seinem Abgeordnetenamt130, sie seien aber dennoch nicht grundrechtlich geschützt, weil die Offenlegungspflicht „aus dem öffentlich-rechtlichen Abgeordnetenstatus“ folge, welcher „gerade in der Person des Abgeordneten, der zugleich Privatperson ist, den staatlichen Bereich gegenüber dem grundrechtlichen Bereich der Freiheit ab[grenze]“131. Nach Käßner ist erst dann, „wenn sich Offenlegungspflichten auf solche Tätigkeiten und Einkünfte beziehen, die abstrakt gesehen keinerlei denkbaren Zusammenhang zum Mandat haben, […] die Grenze zum Grundrechtsstatus des Mandatsträgers überschritten“132; ansonsten seien sie dem Abgeordnetenstatus zuzurechnen, dessen „Ausgestaltungen […] nicht anhand der Grundrechte zu messen“133 seien. Allgemeiner befand Möllers in diesem Zusammenhang, dass auch dann „[w]enn eine staatsrechtlich zulässige Regelung des Mandats den Abgeordneten in seiner gesamten Lebensführung beschwert, […] 127

BVerfGE 118, 277 (327). S. oben 1. Kap. C. I. 1. (S. 42 f.). 129 S. oben 1. Kap. A. I. (S. 23 ff.). 130 Meyer, Rechtsgutachten I (Fn. 2), S. 29. 131 Meyer, Rechtsgutachten I (Fn. 2), S. 30 (Hervorhebung nicht im Original, B. G.); zuvor wird zwar noch von der konsensfähigen Aussage ausgegangen, der Bereich der Grundrechte sei soweit nicht eröffnet, wie „zulässigerweise die Regelung […] [der] Amtsstellung“ greife (S.  20); anschließend wird der Status aber im dargelegten Sinne als Begrenzungslinie der Grundrechte im Privatbereich verstanden (S. 29 f.) und für die Rechtmäßigkeit der Statusregelung ausschließlich auf staatsorganisationsrechtliche Gesichtspunkte abgestellt (S. 30 ff.). 132 A. Käßner, Nebentätigkeiten und Nebeneinkünfte der Mitglieder des Deutschen Bundestages, 2010, S. 161 (Hervorhebung nicht im Original, B. G.). 133 Käßner, Nebentätigkeiten (Fn. 132), S. 161. 128

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3. Kap.: Grundrechtsimpermeabler Abgeordnetenstatus?

sie ihn normativ doch nur in seinen Organrechten [berührt]. Andernfalls müsste man ein Grundrecht auf eine bestimmte Ausgestaltung des Abgeordnetenstatus anerkennen“134. In den wiedergegebenen sowie in weiteren Aussagen einiger Autoren135 wird stets der Begriff des Status aktiviert. Mit dem Hinweis auf dessen staatsorganisatorischen Ursprung soll der Abgeordnete innerhalb seines Status weitgehend, d. h. über die notwendige Grundrechtsaussetzung im Rahmen der Kompetenzwahrnehmung i. S. d. Art. 1 Abs. 3 GG hinaus136, für mandatsbezogene Maßnahmen einem eigenen (von grundrechtlichem Schutz losgelösten, weil staatsorganisationsrechtlichen) Regime unterstellt sein, in welchem die Grundrechtsordnung keine Wirkung entfaltet. Dies erinnert an die Konzeption Köttgens, der die mögliche Zuerkennung eines Status mit einer „Relativierung des grundrechtlich gesicherten Fundamentalstatus“ für „spezielle ‚Würdenträger‘“137 verbunden und an anderer Stelle als Voraussetzung für einen echten Status betont hat, „daß er nicht nur einen abgegrenzten Lebensausschnitt“ betreffe, „sondern die Existenz seines Inhabers zur Gänze“138 determiniere. Das Erfordernis einer Bereichsdifferenzierung der Grundrechtsgeltung soll anders als bei sonstigen Amtsträgern139 für den Abgeordneten durch das beschriebene Statusverständnis deswegen gänzlich aufgehoben sein, weil entscheidend 134

C. Möllers, in: Jura 2008, S. 937 (940; Hervorhebung nicht im Original, B. G.); der Hinweis auf die organschaftliche Rechtsstellung des Abgeordneten vermag nur auf den ersten Blick eine Erklärung zu liefern, denn er entbehrt wiederum einer Begründung, wieso alle Regelungen, die aufgrund der Abgeordnetenposition ergehen, dem Organwalterstatus zugeordnet werden und damit jede grundrechtliche Überprüfung ausschließen sollen. 135 Ein solches Statusverständnis findet sich auch bei: H.  Freund, Abgeordnetenverhalten: Ausübung des Mandats und persönliche Interessen, 1986, S.  139 ff., 172 ff.; 232 ff.; P. Austermann, Die Anrechnungsbestimmungen im Abgeordnetenrecht des Bundes und der Länder, 2011, S. 180 ff.; wohl auch M. Brenner, Abgeordnetenstatus und Verfassungsschutz, in: ders./P. M. Huber/M. Möstl (Hrsg.), Der Staat des Grundgesetzes – Kontinuität und Wandel. Festschrift für Peter Badura zum siebzigsten Geburtstag, 2004, S. 25 (45); unklar P. Badura, Die „Gemeinpflichtigkeit“ des freien Mandats des Abgeordneten und der „Status der Öffentlichkeit des Abgeordneten“, in: F. Hufen (Hrsg.), Verfassungen zwischen Recht und Politik. Festschrift zum 70. Geburtstag für Hans-Peter Scheider, 2008, S. 153 (160): „So richtig es ist, dass dem Abgeordneten keine grundrechtlichen Abwehrrechte gegen statusrechtliche Anforderungen im Sinne des Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG zustehen, so beachtlich ist jedoch, dass gesetzliche ‚Ausgestaltungen‘ des Mandats-Status den Schutzbereich von Grundrechten berühren können und dann hinsichtlich dieser Eingriffswirkung dem Grundsatz der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit genügen müssen“. 136 S. zur Bedeutung des Art. 1 Abs. 3 GG für die funktionale Anwendbarkeit der Grundrechte sogleich 3.  Kap. B. II. 3. d) (S. 114 ff.). 137 A. Köttgen, Abgeordnete und Minister als Statusinhaber, in: O. Bachof u. a. (Hrsg.), Forschungen und Berichte aus dem öffentlichen Recht, Gedächtnisschrift für Walter Jellinek, 1955, S. 195 (199 bzw. 215); hierzu kritisch etwa Stein, Verantwortlichkeit (Fn. 5), S. 299. 138 A. Köttgen, Grundgesetz und Beamtenrecht, in: H. Wandersleb (Hrsg.), Recht – Staat – Wirtschaft, Bd. 4, 1953, S. 227 (237); s. auch v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn. 25), S. 189 ff. 139 S. hierzu unten zu Beamten und Richtern 4. Kap. A. (S. 123 ff.).

B. Begrifflicher Mythos vom „Abgeordnetenstatus“ 

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auf den staatsorganisatorischen Ursprung einer Maßnahme abgestellt wird: Wie Cornils treffend beschrieben hat, verfolgen die Anhänger das „Dogma, dass die parlamentsrechtliche Ausgestaltung des Status ausschließlich an der staatsorganisationsrechtlichen Vorschrift des Art. 38 I 2 GG zu messen sei“140. Auf diese Weise bleiben staatsorganisatorische Regelungen und Grundrechte dauerhaft voneinander isoliert141 und eine Kollision beider Regelungsbereiche wird ausge­schlossen.

II. Dogmatische Einordnungsversuche für ein solches Statusverständnis Ein solches Exklusivitätsverhältnis, das anders als in Bezug auf sonstige Amtsträger eine bereichsdifferenzierte Grundrechtsgeltung in weiten Teilen negiert, muss sich dogmatisch begründen lassen, ja sieht sich sogar mit Blick auf das oben beschriebene Freiheitsverständnis des Grundgesetzes142 unter erschwerter Begründungslast. Denn auch im sonstigen Verfassungsrecht gibt es Kollisionen und Überschneidungen, wobei die Lösung herkömmlicherweise in einem schonenden Ausgleich der betroffenen Rechtspositionen gesucht wird143. Im Folgenden soll daher das beschriebene Statusverständnis der Exklusivität von grundrechtlichen und staatsorganisatorischen Regelungen dogmatisch auf seine Haltbarkeit hin überprüft werden. 1. Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG als lex specialis zu den Grundrechten Eine auf den ersten Blick verfassungsdogmatisch valide Möglichkeit weitreichender Reduktion der grundrechtlichen Anwendungsbereiche durch den Abgeordnetenstatus besteht in der Annahme eines Spezialitätsverhältnisses:

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M. Cornils, in: Jura 2009, S. 289 (294) insgesamt kritisch zu diesem „Dogma“; kritisch ebenfalls Klein (Fn. 68), Art. 38 Rn. 236a. 141 S. auch BVerfGE 118, 277 (327): „[…], dass die Fragen parlamentarischer Repräsentation und des Abgeordnetenstatus in den Art. 38 und Art. 48 GG eine staatsorganisatorische Regelung erfahren haben und sich der Beantwortung anhand grundrechtlicher Argumentationsfiguren entziehen“; hingegen wird eine Beachtung von Grundrechten im Ausnahmefall für Eingriffe in die „grundrechtlich geschützte Privatsphäre“ für möglich gehalten, s. BVerfGE 118, 277 (327 f.) mit Verweis auf 99, 19 (29); auch hier bleibt offen, wann die grundrechtlich geschützte Privatsphäre betroffen wird. 142 S. oben 2. Kap. A. (S. 52 ff.); nicht die Inanspruchnahme der Freiheit muss sich rechtfertigen, sondern deren Beschränkung; damit hieraus keine Leerformel wird, muss dies erst recht für die behauptete weitreichende Beschneidung schon des grundrechtlichen Schutzbereichs gelten. 143 Für vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte geschieht der Ausgleich durch den Grundsatz praktischer Konkordanz, s. K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. Aufl. 1995, Rn. 72, 317 ff.; std. Rspr.: BVerfGE 28, 243 (260 f.); 41, 29 (50 f.); 52, 223 (251 f.); für Grundrechte mit Gesetzesvorbehalt gilt jedenfalls das Verhältnismäßigkeitsprinzip.

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3. Kap.: Grundrechtsimpermeabler Abgeordnetenstatus?

Einfach-gesetzliche Vorschriften werden hierfür auf ihren verfassungsrechtlichen Ursprung i. S. d. Art. 38 Abs. 1 S. 2, Abs. 3 GG zurückgeführt. Ein Spezialitätsverhältnis aus der Rechtsstellung des Abgeordneten bzw. ihren Ausgestaltungen („Status“) und den Grundrechten könnte unter dem Gesichtspunkt angenommen werden, dass ein bestimmter – für den „Normalbüger“ grundrechtlich erfasster144  – Sachverhalt von der Verfassung bereits in staatsorganisatorischen Normen mitgedacht ist. Ein Rückgriff auf die Grundrechte wäre damit ausgeschlossen. a) Anwendung des lex-specialis-Gedankens in der Literatur Die explizite Bezugnahme auf den lex specialis-Gedanken ist vergleichsweise selten. Ansätze in diese Richtung finden sich im Rahmen der Nebentätigkeitsregulierung von Abgeordneten, deren Zulässigkeit teils als abschließend staatsorganisatorisch i.R.d. Art. 48 Abs. 2 GG geregelt gilt und sich ein Rückgriff auf Art. 12 Abs.  1  GG verbieten solle145. Vom Bundesverfassungsgericht wurde ein solches Verhältnis ausdrücklich für die auf Art. 137 Abs. 1 GG zurückzuführenden landesrechtlichen Inkompatibilitätsvorschriften im Verhältnis zu Art. 12 Abs. 1 GG angenommen146. Neben der Bezugnahme auf spezielle Verfassungsnormen wird ein solches Verhältnis auch allgemeiner Natur für Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG und die Grundrechte diskutiert147.

144 Dafür, dass bspw. die Offenlegungspflichten für den „Normalbürger“ einen Grundrechtseingriff darstellen würden ausdrücklich BVerfGE 118, 277 (396) – abw. Votum; Käßner, Nebentätigkeiten (Fn. 132), S. 159 f. 145 Grundsätzlich läuft die Frage, ob die Ausübung von Nebentätigkeiten durch Art.  12 Abs. 1 GG geschützt ist, zunächst einmal parallel mit der allgemeinen Problematik der Grundrechtsberechtigung des Abgeordneten; vereinzelt wird darüber hinaus speziell für die Ausübung von Nebentätigkeiten jedenfalls diskutiert, ob der Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG eröffnet ist, etwa weil bereits die Entschädigung durch das Mandat die Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage gewährleistet (s. S. Heck, Mandat und Transparenz, 2014, S. 117 f.), oder, wie bei Nguyen, weil die einzelne Grundrechtsbestimmung des Art. 12 Abs. 1 GG durch die spezielle Norm des Art. 48 Abs. 2 GG besondere Berücksichtigung erfahren habe und daher in diesem Rahmen zurücktreten müsse, s. T. Nguyen, Die Tätigkeit von Bundestagsabgeordneten neben dem Mandat, 2015, S. 112. 146 Durch diese Vorschrift wird der Gesetzgeber ermächtigt, die Wählbarkeit von dem Staat eingegliederten Personen zu beschränken; Art. 137 Abs. 1 GG ist nach dem BVerfG die speziellere Norm gegenüber Art. 12 Abs. 1 GG, der Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG von vornherein nicht einschlägig, BVerfGE 98, 145 (163); s. die berechtigte Kritik Sachs’ zur Annahme des Spezialitätsverhältnisses: Die Konstruktion einer Schutzbereichsbegrenzung sei jedenfalls nicht notwendig, da Art. 137 GG als Grundlage für einfachgesetzliche Eingriffe in die Berufsfreiheit hätten deklariert werden können, M. Sachs, in: JuS 2000, S. 84 (86). 147 So bspw. thematisiert von Roth (Fn. 56), Art. 38 Rn. 104 mit Bezug I. v. Münch/P. Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 3. Aufl. 1995, Art. 38 Rn. 83; die Argumentation Freunds stützt sich zum Teil auf die Konstruktion eines Sonderstatus (s. dazu noch unten 3. Kap. B. II. 3. [S. 107 ff.]), teils ebenso auf den Spezialitätsgedanken: „[…] tritt eine Grundrechtsnorm, die

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Der lex specialis-Grundsatz verbietet einen Rückgriff auf die generelle Norm, sofern der Sachverhalt durch eine spezielle Norm bereits vollständig aufgegriffen wird, wobei es sich um eine speziellere Norm dann handelt, wenn die betreffende Vorschrift alle Tatbestandsmerkmale der allgemeinen Norm sowie mindestens ein weiteres Tatbestandsmerkmal beinhaltet148. Dabei könnte in dogmatischer Hinsicht wie folgt argumentiert werden: Wenn ein bestimmter Lebenssachverhalt wie die Offenlegungspflichten für den Nichtabgeordneten an den Grundrechten zu messen wäre, ist er speziell für den Fall des Bundestagsabgeordneten in Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG mit inbegriffen und in § 44b AbgG bzw. Anlage 1 zur GOBT ausbuchstabiert. Die Rückführung der einfach-gesetzlichen Normen auf ihren verfassungsrechtlichen Ursprung ist elementar, da nur Normen des gleichen Ranges miteinander konkurrieren können149. Die bestimmte Lebenssituation des Abgeordneten müsste von der Verfassung selbst schon als antizipiert begriffen werden, ihre Inkorporation durch den Abgeordnetenstatus und ihre Ausgestaltung durch den einfachen Gesetzgeber also bereits verfassungsrechtlich angelegt sein. Folglich wäre ein Rückgriff auf andere, die Situation nur in genereller Form erfassende (Grundrechts-)Normen, ausgeschlossen. b) Haltbarkeit dieses Ansatzes Die Anwendung des lex specialis-Gedankens auf die Fälle der vorliegenden Art hält einer genaueren Überprüfung nicht stand. Prominentestes Beispiel aus dem Verfassungsrecht für die Sperrwirkung einer lex specialis gegenüber der lex generalis ist das Verhältnis der allgemeinen Handlungsfreiheit i. S. d. Art. 2 Abs. 1 GG zu den weiteren Grundrechten150. Die allgemeine Handlungsfreiheit schützt umfassend jedes menschliche Verhalten151, die speziellen Grundrechte schützen dagegen eine Untermenge, eine spezielle Verhaltensweise, für die sie eigene Beschränkungsmöglichkeiten und Rechtfertigungsmaßstäbe aufstellen152. Wenn ein spezielles Grundrecht dem Schutzbereich nach einschlägig ist, eine Verletzung aber nicht festgestellt werden kann, ist der Rückdiese Nebentätigkeit regelt, sozusagen als allgemeine Norm gegenüber der besonderen Statusregelung zurück“, s. Freund, Abgeordnetenverhalten (Fn. 135), S. 144; an anderer Stelle auch „Gedanke der speziellen Regelung durch den Sonderstatus des Abgeordneten“ (S. 142); auf den Spezialitätsgedanken des parlamentarischen Rederechts gegenüber der Meinungsäußerungsfreiheit Bezug nehmend auch H. Jacobs, in: DÖV 2016, S. 563 (564). 148 R. Zippelius, Juristische Methodenlehre, 11. Aufl. 2012, S. 31; F. Reimer, Methodenlehre, 2016, Rn. 199. 149 Reimer, Methodenlehre (Fn. 148), Rn. 196. 150 BVerfGE 4, 52 (57); 6, 32 (37); 9, 73 (77); 10, 185 (199); 11, 234 (238); 13, 290 (296); 58, 358 (363); D. Murswiek, in: Sachs, Grundgesetz (Fn. 39), Art. 2 Rn. 137; H. Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, Grundgesetz (Fn. 12), Art. 2 Rn. 79. 151 Vgl. BVerfGE 6, 32 (36); 54, 143 (146); 80, 137 (152). 152 BVerfGE 6, 32 (37); vgl. Hofmann (Fn. 150), Art. 2 Rn. 79.

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3. Kap.: Grundrechtsimpermeabler Abgeordnetenstatus?

griff auf Art.  2 Abs.  1  GG gesperrt153, um nicht die Vorgaben des spezielleren Grundrechts zu umgehen. Die Anwendung des lex specialis-Grundsatzes auf die Rechtsstellung des Abgeordneten i. S. d. Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG und die Bandbreite von möglicherweise betroffenen Grundrechtsnormen ist in Anbetracht dessen aus mehreren Gründen abzulehnen: Zum einen ist es der Definition nach eine Voraussetzung für die Anwendung des lex specialis-Gedankens, dass der Regelungsgehalt der einen Norm durch die andere gänzlich mitumfasst wird. Sofern ein solches Verhältnis von Art. 48 Abs. 2 GG bzw. 137 Abs. 1 GG zu Art. 12 Abs. 1 GG angenommen wird, kann dies insofern nachvollzogen werden, da die beiden zuerst genannten staatsorganisatorischen Normen spezifische Aussagen zur Ausübung von Berufen i. S. d. Art. 12 Abs. 1 GG treffen, die neben das Mandat treten. Etwas anderes gilt für ein mögliches Spezialitätsverhältnis von Grundrechten zur näher ausbuchstabierten Rechtsstellung des Abgeordneten: Die für beide Normbereiche in Anspruch genommenen Sachverhalte bilden allenfalls eine Teilmenge des konkurrierenden Regelungskomplexes, keine Norm ist in der anderen vollkommen enthalten. Zum anderen ist der Rekurs auf den lex specialis-Gedanken bei Betrachtung der unterschiedlichen Schutzrichtungen154 und Normqualitäten von freiem Mandat und Grundrechten abzulehnen155: Denn der aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG abgeleitete abwehrrechtliche Schutz vor Einflussnahmeversuchen ist dem Abgeordneten nicht um seiner selbst willen, sondern aufgrund seines Amtes gewährleistet156 und damit zu den Grundrechten in seiner Ausrichtung grundverschieden. Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG kann daher in seinem (inner- wie außerparlamentarischem) Gewährleistungsgehalt kein umfassendes Äquivalent für die Grundrechte des Abgeordneten darstellen157, das die Annahme eines Spezialitätsgedankens rechtfertigen könnte.

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BVerfGE 6, 32 (37); 10, 185 (199); 58, 358 (363); Murswiek (Fn. 150), Art. 2 Rn. 137. Vgl. B. Rüthers/C. Fischer/A. Birk, Rechtstheorie, 9. Aufl. 2016, Rn. 771. 155 So auch Roth (Fn. 56), Art. 38 Rn. 104 zur Konkurrenz von Grundrechten und intrapersonalen Rechten; M. E. Geis, in: BayVBl. 1992, S. 41 (43) zum Verhältnis von Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG und Art. 5 Abs. 1 GG: „dogmatisch völlig andere[r] Ausgangspunkt“. 156 S. oben 2. Kap. A. III (S. 58 ff.) und 3. Kap. A. III. 2. (S. 82 ff.). 157 Aus diesem Grund kann die geforderte weitreichende Beschneidung der Grundrechtsgeltung auch nicht durch die Freiheit im Mandat „kompensiert“ werden, vgl. aber Käßner, Nebentätigkeiten (Fn. 132), S. 161; ähnlich auch M. Morlok/E. Sokolov, in: DÖV 2014, S. 404 (409): „Der Abgeordnete kann sich als staatliches Organ zwar nicht auf Grundrechte und damit auf Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG berufen. Die Bedeutung des Mandats verlangt aber allumfassenden Schutz, weshalb Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG inhaltlich wohl einem dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gleichstehenden Schutz für den Abgeordneten mit umfasst.“ 154

B. Begrifflicher Mythos vom „Abgeordnetenstatus“ 

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2. Verfassungsimmanente Grundrechtsbegrenzung durch Art. 38 GG Der Begriff „Exklusivitätsverhältnis“ suggeriert die Zuordnung verschiedener Inhalte zu verschiedenen Gewährleistungsgehalten. Selbiges geschieht durch die sprachliche Differenzierung von Bürger- und Abgeordnetenstatus. Ein Sachverhalt wird zunächst entsprechend qualifiziert, um ihn dann dem einen oder anderen Regelungsbereich bzw. „Rechtskreis“ oder „-sphäre“158 einer Person zuzuschreiben. Dies mag auf den ersten Blick nachvollziehbar erscheinen, entspricht es doch dem regulären Vorgehen des Rechtsanwenders, um die anwendbaren Normen auszumachen. Liegt demnach eine Betroffenheit als Abgeordneter vor, ist der Statusbereich betroffen, liegt eine Betroffenheit als (reine)  Privatperson vor, sind die Grundrechte anzuwenden. Allerdings ist bereits herausgearbeitet worden, dass es sich bei den sog. Statusregelungen oft genug um solche Regelungen handelt, die zwar aufgrund der Abgeordneteneigenschaft ergehen, aber in den Privatbereich des Abgeordneten einstrahlen und jedenfalls dem sachlichen bzw. auch dem persönlichen Schutzbereich der Grundrechte unterfallen würden, verortet man die Problematik wie hier als Frage der funktionalen Anwendbarkeit der Grundrechte159. Schließlich bestehen bei diesen Fallgestaltungen gerade Berührungspunkte zu beiden Rollenbildern des Abgeordneten, treffen sie ihn doch faktisch als Privatperson, weil er auch Abgeordneter ist. Will man den Regelungskomplex des „Abgeordnetenstatus“ entsprechend weit fassen, so kann man also nicht die Überschneidung leugnen, die sich – bei Normalbürgern – mit grundrechtlichen Anwendungsbereichen ergäbe. Die vordergründige Zuordnung zum mandatsbezogenen Regelungsbereich täuscht hierüber gerade hinweg. Weil die entsprechenden Verhaltensweisen als vom staatsorganisationsrechtlich geprägten Status „inkorporiert“ angesehen werden, läuft das dargestellte Statusverständnis methodisch gesehen auf eine echte Schutzbereichsbegrenzung der berührten Grundrechte hinaus160. Ein weiterer dogmatischer Ansatzpunkt für das beschriebene Statusverständnis wäre die Annahme verfassungsunmittelbarer Schutzbereichsbegrenzungen. Dabei soll der Terminus „Begrenzung“ oder „Grenze“161 ausdrücklich die Beschneidung 158 Die Sphärenterminologie findet sich bspw. bei Austermann, Anrechnungsbestimmungen (Fn.  135), S.  180 ff.; Rechtskreisterminologie bspw. bei Heck, Mandat (Fn.  145), S.  80; zur Schwäche des Begriffs des „Rechtskreises“ allgemein v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn. 25), S. 187. 159 S. hierzu ausführlich noch sogleich 3. Kap. B. II. 3. d) (S. 114 ff.). 160 So beispielsweise Meyer, Rechtsgutachten I (Fn. 2), S. 21: „Das Statusrecht greift nicht in Grundrechte ein, sondern begrenzt deren Schutzbereich“; in diese Richtung auch Badura, „Gemeinpflichtigkeit“ (Fn. 135), S. 157: „Das freie Mandat ist zwar kein Grundrecht und es verdrängt auch für seinen Anwendungsbereich die etwa berührten Grundrechte des Abgeordneten“. 161 Zur Terminologie s. D. Merten, Immanente Grenzen und verfassungsunmittelbare Schranken, in: D. Merten/H.-J. Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Bd. III, 2009, § 60 Rn. 1.

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3. Kap.: Grundrechtsimpermeabler Abgeordnetenstatus?

grundrechtlicher Schutzbereiche bezeichnen und von der (nachträglichen) Einschränkung oder Beschränkung in den üblichen Formen etwa durch Schrankenregelungen differenziert werden. a) Explizite verfassungsimmanente Grundrechtsbegrenzung durch den Anwendungsbereich des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG? Die auf Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG – und ggf. weiteren die Abgeordnetenrechtsstellung mitgestaltenden staatsorganisatorischen Vorschriften – fußende Regulierung vermeintlich grundrechtlich geschützter Verhaltensweisen, welche mit der freien Mandatstätigkeit in Konflikt geraten (vgl. die Verhaltensregeln), stünde jedenfalls dann außerhalb grundrechtlicher Überprüfbarkeit, wenn man die Vorschrift(en) als verfassungsunmittelbare Grundrechtsbegrenzung begriffe. Die Begrenzungswirkung würde von all jenen Regelungen flankiert, die dem Abgeordnetenstatus zugeschlagen werden. Eine explizite162 verfassungsimmanente Begrenzung der Grundechte ist eine Beschneidung grundrechtlichen Schutzes, die durch die Verfassung selbst angeordnet wird, anders als die grundrechtsimmanente Begrenzung aber von „außen“ durch eine andere Verfassungsnorm erfolgt163. Kann eine Begrenzung der Grundrechte der Verfassung selbst entnommen werden, unterliegt sie denknotwendig nicht der Anordnung unmittelbarer Grundrechtsgeltung i. S. d. Art. 1 Abs. 3 GG, da sie bereits den „Maßstab“ dieser Geltung bestimmt164: Art. 1 Abs. 3 GG ist „akzessorisch“165 zu seinem Schutzgut und daher nicht betroffen. Solche Begrenzungen der Grundrechte werden spezifischen Verfassungsbestimmungen entnommen und beziehen sich grds. auf einen bestimmbaren Kreis von Verhaltensweisen, den sie erkennbar vom Schutz ausnehmen166. Der Verfassungstext bringt in diesen Fällen regelmäßig selbst zum Ausdruck, dass eine konkrete Verhaltensweise bzw. Situation keinen grundrechtlichen Schutz erfährt167.

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S. zu den diskutierten ungeschriebenen, generellen Grundrechtsgrenzen Merten, Grenzen (Fn. 161), § 60 Rn. 17 ff. 163 Merten, Grenzen (Fn. 161), § 60 Rn. 14. 164 M. Sachs, in: K. Stern (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/2, 1994, S. 227. 165 W. Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2003, S. 120; Merten, Grenzen (Fn. 161), § 60 Rn. 12; hierzu und zu den aus Art. 1 Abs. 3 GG dennoch ableitbaren Aussagen s. noch ausführlich unten 3.  Kap. B. II. 3. d) (S. 114 ff.). 166 S. etwa die Aufzählung quasi-tatbestandlicher Begrenzungen bei Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2 (Fn. 164), S. 230 f., 502 ff. bzw. M. Sachs, in: JuS 1995, S. 1984 (984 f.) sowie die partiellen verfassungsimmanenten Grundrechtsgrenzen bei Merten, Grenzen (Fn.  161), § 60 Rn. 64 ff. 167 Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2 (Fn.  164), S.  503: „spezifische Ausrichtung auf die Grundrechtsbegrenzung“.

B. Begrifflicher Mythos vom „Abgeordnetenstatus“ 

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Eine solche Begrenzungswirkung kann Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG von vornherein nur schwerlich attestiert werden: Der Normtext präzisiert keinen konkret betroffenen Tatbestand und lässt auch bei einiger Phantasie kaum erkennen, dass der Verfassunggeber ein bestimmtes Verhalten im Auge gehabt hätte, das er hätte schutzlos stellen wollen. Vielmehr bringt der Wortlaut der Vorschrift in erster Linie einen gewährleistungsrechtlichen Normgehalt zum Ausdruck168. Zwar scheint die Entstehungsgeschichte der Norm indifferent, wurde die Vorschrift doch zu keinem Zeitpunkt in direkten Zusammenhang mit einer Konfliktlage zu grundrechtlichen Gewährleistungen gebracht, da zum damaligen Zeitpunkt noch die Konstruktion des besonderen Gewaltverhältnisses169 präsent war und grundrechtliche Beschränkungen ohnehin nur dann als Eingriff gewertet wurden, wenn sie final erfolgten170. Allerdings käme die Annahme einer solch intendierten Beschneidungswirkung gegenüber den Grundrechten verglichen mit anderen anerkannten Grundrechtsbegrenzungen einer vagen Unterstellung unter zugleich unnötiger Abkehr von der sonstigen Grundrechtsdogmatik gleich171. Gegen eine solche Auslegung spricht schließlich auch der Gedanke der Einheit der Verfassung172. Dieser weitestgehend anerkannte Aspekt der Verfassungsauslegung173 verlangt, das Grundgesetz in seiner – wenn auch nicht völlig widerspruchsfreien174 – „Einheit“175 zu betrachten. Die Verfassungsauslegung darf nicht

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Dass hingegen den Mitgliedschaftsbefugnissen des Abgeordneten im Bundestag grundrechtlicher Schutz abgesprochen wird, ist nicht auf eine Begrenzung grundrechtlicher Schutzbereiche zurückzuführen, sondern ist im Wesen der Mitgliedschaftsrechte als fremdnützig wahrzunehmende, amtliche Befugnisse begründet, vgl. aber T. Kingreen/R. Poscher, Grundrechte. Staatsrecht II, 32. Aufl. 2016, Rn. 255. 169 S. ausführlich sogleich 3. Kap. B. II. 3. (S. 107 ff.). 170 S. zur Entwicklung des modernen Eingriffsbegriffs F.-J. Peine, Der Grundrechtseingriff, in: Merten/Papier, HGR III (Fn. 161), § 57 Rn. 30 ff. 171 Auch Sachs spricht die „Möglichkeit grundrechtsbegrenzender Zusatzbedeutungen sonstiger Bestimmungen des Verfassungsorganisationsrechts im Sinne aller nicht der grundrechtlichen Sphäre zuzurechnenden Bestimmungen“ Art.  38 Abs.  1 S.  2  GG ausdrücklich nur in Zusammenhang mit den parlamentarischen Mitgliedschaftsrechten zu, deren Ausübung unbestrittenermaßen keine Grundrechtsausübung darstellt; eine darüber hinausgehende Grundrechtsbegrenzung aus der Norm abgeleiteter außerparlamentarischer Pflichten wird nicht beschrieben, s. Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2 (Fn. 164), S. 539 f. mit Verweis auf K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/1, 1988, S. 364 f. 172 Grundlegend BVerfGE 28, 243 (261); 44, 37 (49 f.); 52, 223 (246 f.), wobei das BVerfG trotz Abwägung der Rechtsgüter von „Zurückdrängung“ bzw. „Begrenzung“ der einschlägigen Normen spricht; siehe zur „Einheit der Verfassung“ umfassend etwa Stern, Staatsrecht I (Fn. 1), S. 131 ff.; Hesse, Grundzüge (Fn. 143), Rn. 71; J. Isensee, Verfassungsrecht als „politisches Recht“, in: ders./Kirchhof, HStR (Fn. 6), Bd. XII, 3. Aufl. 2014, § 268 Rn. 53 f. 173 S. nur Stern, Staatsrecht I (Fn.  1), S.  131; Hesse, Grundzüge (Fn.  143), Rn.  71; auch­ Isensee, Verfassungsrecht (Fn. 172), § 268 Rn. 53; grundlegend kritisch F. Müller, Die Einheit der Verfassung – Kritik des juristischen Holismus, 1979. 174 Stern, Staatsrecht I (Fn. 1), S. 132; Isensee, Verfassungsrecht (Fn. 172), § 268 Rn. 53. 175 BVerfGE 1, 14 (32); 19, 206 (220); 33, 23 (27) „einheitliche Ordnung“.

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3. Kap.: Grundrechtsimpermeabler Abgeordnetenstatus?

bei der isolierten Betrachtung einzelner Normen stehen bleiben176, sondern ist „im Lichte dieses Einheitsstrebens“177 zu vollziehen. Das bedeutet auch, im Falle vermeintlich widersprüchlicher und gegenläufiger grundgesetzlicher Vorschriften nicht die eine vollständig auf Kosten der anderen aufzugeben178; eine nicht näher begründete kategorische „Verdrängungswirkung“ der einen Norm gegenüber der anderen, zumal der Verdrängung von grundrechtlichen Anwendungsbereichen179, ist dem Grundgesetz fremd180: Konflikte zwischen verschiedenen Verfassungsnormen sind grundsätzlich nur durch gegenseitigen Ausgleich aufzulösen und die Verfassungsgüter einer Abwägung zu unterziehen181, welche im Falle vorbehaltlos gewährleisteter Grundrechte durch praktische Konkordanz erfolgt182, im Falle von Grundrechten mit Gesetzesvorbehalt durch Verhältnismäßigkeitsprüfung183. Der Aussagegehalt von gegenläufigen Verfassungsnormen wird dabei systemgerechterweise sowohl für Grundrechtsgewährleistungen mit Gesetzesvorbehalt als auch für vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte als Einschränkungsmöglichkeit für den Gesetzgeber angesehen, nicht schon als tatbestandliche Begrenzung, um nicht die spezifischen Anforderungen an die Eingriffsrechtfertigung zu umgehen184. Doch selbst diejenigen Stimmen, die mittels kollidierenden Verfassungsrechts bereits den Schutzbereich eines vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechts beschneiden wollen, nehmen schließlich eine konkrete Abwägung der gegenläu-

176 BVerfGE 1, 14 (32); 19, 206 (220); 30, 1 (19); Hesse, Grundzüge (Fn.  143), Rn.  71;­ Isensee, Verfassungsrecht (Fn. 172), § 268 Rn. 53. 177 Stern, Staatsrecht I (Fn. 1), S. 132. 178 Hesse, Grundzüge (Fn. 143), Rn. 72. 179 S. Hesse, Grundzüge (Fn.  143), Rn.  318 zu Herstellung praktischer Konkordanz zwischen Grundrechten und entsprechend kollidierenden Rechtsgütern: „diese Verhältnisbestimmung [darf] niemals in einer Weise vorgenommen werden, die eine grundrechtliche Gewährleistung mehr als notwendig oder gar gänzlich ihrer Wirksamkeit im Leben des Gemeinwesens beraubt.“ 180 Dass Normen des  GG einander nicht ohne Rücksicht aufeinander verdrängen können, wird bspw. auch für das Verhältnis von Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG und Art. 21 GG betont, BVerfGE 2, 1 (72 f.), s. Demmler, Abgeordnete (Fn.  105), S.  66; Stern, Staatsrecht I (Fn.  1), S.  132; C. Arndt, Fraktion und Abgeordneter, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht (Fn. 53), § 21 Rn. 20 ff. 181 So zuletzt auch zum Verhältnis von Art.  19 Abs. 4  GG und der staatsorganisatorischen Vorschrift des Art. 44 Abs. 4 S. 1 GG bzw. den landesverfassungsrechtlichen Entsprechungen HVerfG, Urt. v. 15.9.2015, Az. HVerfG 5/14 (juris) Rn. 55 ff.; s. allgemein zur Auflösung von verfassungsrechtlichen Normkonflikten M. Sachs, in: JuS 1995, S. 984 (987 ff.). 182 Auch wenn der Grundsatz zur Einschränkung jedweden Grundrechts aufgestellt wurde, setzte er sich in Rspr. und Lit. doch nur für die vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechte durch, s. M. Schladebach, in: Der Staat 53 (2014), S. 263 (269 f.). 183 S. zur praktischen Konkordanz im Gegensatz zur reinen Verhältnismäßigkeitsprüfung M. Schladebach, in: Der Staat 53 (2014), S. 263 (271 f.). 184 M. Sachs, in: JuS 1995, S. 984 (988 f.); s. hierzu ausführlich H.-J. Papier, Vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte, in: Merten/ders., HGR III (Fn. 161), § 64 Rn. 8 ff.; F. Hufen, Staatsrecht II Grundrechte, 5. Aufl. 2016, § 9 Rn. 30 ff.; Kingreen/Poscher, Grundrechte (Fn. 168), Rn.  343 ff., die sich ausdrücklich gegen den Ansatz „kollidierendes Verfassungsrecht als Schutzbereichsbegrenzung“ aussprechen.

B. Begrifflicher Mythos vom „Abgeordnetenstatus“ 

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figen Verfassungspositionen vor, sehen also auch das zurücktretende Verfassungsgut als Abwägungsgröße und nicht als von vornherein verdrängt an185. Es liegt demnach näher, etwaige Widersprüche aus staatsorganisatorischen Vorgaben und den Grundrechten als Normkollision zu begreifen und im klassischen Sinne aufzulösen, als mittels Auslegung zu einer Begrenzungswirkung gegenüber den Grundrechten zu kommen. b) Verfassungsimmanente Grundrechtsbegrenzung durch Ermächtigung an den Gesetzgeber zur Ausgestaltung der Abgeordnetenrechtsstellung „von innen heraus“, Art. 38 Abs. 3, Art. 48 Abs. 3 S. 3 GG? Eine eng verwandte Argumentationslinie legt den Fokus auf den Ausgestaltungsvorbehalt des Art. 38 Abs. 3 GG und versucht, ausschließlich anhand staatsorganisatorischer Vorschriften Grundsätze für die Bestimmung des Abgeordnetenstatus abzuleiten, die konsequenterweise vom grundrechtlich geschützten Raum ausgenommen wird186. Während Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG das freie Mandat nur in seinen Grundzügen umreißt, ermächtigt Art. 38 Abs. 3 GG schließlich den Gesetzgeber nach richtiger Auffassung auch zur näheren „Bestimmung“ resp. Ausgestaltung der Rechtsstellung des Abgeordneten durch Bundesgesetz: Dass Art. 38 Abs. 3 GG sich trotz Zweifel in entstehungsgeschichtlicher Hinsicht187 auf den gesamten Absatz 1 bezieht, ist heute ganz überwiegend vertretene Ansicht188. Demgegenüber ordnet Art. 48 Abs. 3 GG einen speziellen189 Regelungsvorbehalt für Fragen der Abgeordnetenentschädigung und Amtsausstattung an.

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S. zu dieser Ansicht Kingreen/Poscher, Grundrechte (Fn. 168), Rn. 343 ff. Meyer, Rechtsgutachten I (Fn.  2), S.  18 f., 30 ff.: „Grenzen [für die Ausgestaltung des Mandats, B. G.] lassen sich nur aus dem Bild gewinnen, mit der die Verfassung und das sie korrekt ausdeutende unterverfassungsrechtliche Recht das Mandat umschreibt.“; in diese Richtung auch Käßner, Nebentätigkeiten (Fn. 132), S. 161; C. Möllers, in: Jura 2008, S. 937 (940 f.). 187 Art. 38 Abs. 3 GG bezog sich in den Vorgängerfassungen einzig auf das Wahlrecht, nicht auf den Abgeordnetenstatus, abgedruckt bei K.-B. v. Doemming/R. W. Füsslein/W. Matz, in: JöR N. F. 1 (1951), S. 349 ff.; zum geringen Ertrag einer entstehungsgeschichtlichen Betrachtung dieses Problems U. Schlosser, Die Verhaltensregeln für die Mitglieder des Deutschen Bundestages vom 25.6.1980, 1985, S. 55 f. 188 So auch Schlosser, Verhaltensregeln (Fn.  187), S.  55; Freund, Abgeordnetenverhalten (Fn. 135), S. 420; T. Schwerin, Der Deutsche Bundestag als Geschäftsordnungsgeber, 1998, S. 56; H. Troßmann/H.-A. Roll, Parlamentsrecht des Deutschen Bundestages, Ergänzungsband, 1981, § 18 Rn. 2; Helmes, Spenden (Fn. 71), S. 270; T. Streit, Entscheidung in eigener Sache, 2006, S. 75 f.; Klein (Fn. 68), Art. 38 Rn. 164; Butzer (Fn. 60), Art. 38 Rn. 131; Trute (Fn. 39), Art. 38 Rn. 105; Morlok (Fn. 41), Art. 38 Rn. 133. 189 Art. 48 Abs. 3 GG als lex specialis zu Art. 38 Abs. 3 GG, s. Streit, Entscheidung (Fn. 188), S. 76. 186

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3. Kap.: Grundrechtsimpermeabler Abgeordnetenstatus?

Grundrechtlichen Regelungs- bzw. Ausgestaltungsvorbehalten wohnt die Ermächtigung des Gesetzgebers inne, auch die Grenzen des jeweiligen normativ geprägten Schutzgutes zu umreißen190. „Ausgestaltung“ ist damit zwingend etwas anderes als ein entsprechender Eingriff191. Auch Art. 38 Abs. 3 GG wird weder im Rahmen des Wahlrechts als einfacher Gesetzesvorbehalt verstanden192, noch – bzw. mit Blick auf die grds. ohnehin geringe Pflichtbindung des Abgeordneten193 erst recht nicht – im Rahmen der Abgeordnetenrechtsstellung194. Der in Art. 38 Abs. 3 GG niedergelegte Regelungsvorbehalt195 berechtigt den Gesetzgeber vielmehr ebenfalls (nur) zur weiteren Ausgestaltung196 seiner Schutzgüter. Deswegen mag es auf den ersten Blick eine valide Argumentation darstellen, die Aufforderung zur Ausgestaltung des verfassungsrechtlich Mitgedachten beim Wort zu nehmen und die das Schutzgut betreffenden Regelungen allein „von innen heraus“ zu interpretieren. Die Regelung wäre dann einzig an mandatsinhärenten, staatsorganisatorischen Maßstäben zu messen wie bspw. an den „Erfordernissen demokratischer Repräsentation“197.

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S. hierzu Merten, Grenzen (Fn.  161), § 60 Rn.  7 sowie C. Degenhart, Grundrechtsausgestaltung und Grundrechtsbeschränkung, in: Merten/Papier, HGR III (Fn.  161), § 61 Rn. 11 ff.; s. insb. BVerfGE 7, 377 (404) zu Art. 12 GG: „Doch deutet der Ausdruck ‚regeln‘, den der Grundgesetzgeber hier offenbar bewußt statt des in den Grundrechtsbestimmungen sonst üblichen ‚beschränken‘ oder ‚einschränken‘ gebraucht, darauf hin, daß eher an eine nähere Bestimmung der Grenzen von innen her, d. h. der im Wesen des Grundrechts selbst angelegten Grenzen, gedacht ist als an Beschränkungen, durch die der Gesetzgeber […] [den] Geltungsbereich von außen her einengen würde.“ Im Folgenden hat das BVerfG allerdings zwischen inneren und äußeren Begrenzungen nicht mehr unterschieden, sodass Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG neben seiner Funktion als Regelungsvorbehalt auch als Schrankenvorbehalt verstanden wird, vgl. R. Scholz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz (Fn. 44), Art. 12 (2006), Rn. 313 ff.; J. A. Kämmerer, in: v. Münch/Kunig, Grundgesetz I (Fn. 39), Art. 12 Rn. 45; gegen die Funktion als Ausgestaltungsermächtigung auch Degenhart (Fn. 190), § 61 Rn. 31. 191 Ausgestaltung als „Gegenbegriff zum Eingriff“ in das konkrete Schutzgut bei M. Cornils, Die Ausgestaltung der Grundrechte, 2005, S.  14 f.; so auch Kingreen/Poscher, Grundrechte (Fn. 168), Rn. 233. 192 BVerfGE 3, 19 (24): „Konkretisierung“; E 121, 266 (296): „Der Gesetzgeber ist insoweit aufgerufen, ein Stück materiellen Verfassungsrechts auszufüllen“; das Wahlrecht wird als vorbehaltlos gewährleistet angesehen, s. Klein (Fn. 68), Art. 38 Rn. 85. 193 S. oben 3. Kap. A. I. (S. 75 ff.). 194 S. BVerfGE 99, 19 (32); 118, 227 (324): „Die Freiheit des Mandats ist allerdings nicht schrankenlos gewährleistet. Sie kann durch andere Rechtsgüter von Verfassungsrang begrenzt werden.“; s. auch E 134, 141 (179, Rn.  111); ausdrücklich auch Morlok (Fn.  41), Art.  38 Rn. 133: „kein Gesetzesvorbehalt, sondern eine Kompetenznorm“, weiter „Gesetzgebungsauftrag zur Ausformung“. 195 So zum Wahlrecht Jarass/Pieroth (Fn. 56), Art. 38 Rn. 28 m. w. N.; ähnlich M. Sachs, in: ders., Grundgesetz (Fn. 39), Vorbem. Art. 1 Rn. 102. 196 Sachs (Fn. 196), Vorbem. Art. 1 Rn. 102; s. auch die Aussage des BVerfG zu den Offen­ legungspflichten, E 118, 227 (359): kein Eingriffsrecht, sondern Ausfüllung des Ausgestaltungsauftrags i. S. d. Art. 38 Abs. 3 GG; kritisch zu dieser Differenzierung in Bezug auf das freie Mandat Badura, „Gemeinpflichtigkeit“ (Fn. 135), S. 157. 197 BVerfGE 118, 227 (328).

B. Begrifflicher Mythos vom „Abgeordnetenstatus“ 

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aa) Insbesondere: Der Status der Öffentlichkeit als immanenter Aspekt der Abgeordnetenrechtsstellung Argumentativ findet sich der Rekurs auf eine solche Ausgestaltung von innen heraus bspw. im Rahmen des dritten Teilaspekts des Abgeordnetenstatus  – des sog. Status der Öffentlichkeit198 –, der auch Zugriffe auf das Privat­leben des Abgeordneten erlauben soll199. So wird argumentiert, die bereits mehrfach angesprochenen Offenlegungspflichten ließen sich mitunter auf den Status der Öffentlichkeit zurückführen200. Als verfassungsrechtliche Grundlagen des Öffentlichkeitsaspekts werden die Vorschriften zur Öffentlichkeit der Bundestagsverhandlungen (Art. 42 Abs. 1 GG) sowie zur Öffentlichkeit des Untersuchungsausschusses (Art. 44 Abs. 1 GG) herangezogen, ferner das aus dem Demokratieprinzip folgende Öffentlichkeitsgebot201. Weiter wird auf das Öffentlichkeitserfordernis der Parteien verwiesen, Art.  21 Abs. 1 S. 3 GG202. Die Befürworter eines Status der Öffentlichkeit fassen diese vereinzelten Regelungen als nicht abschließend auf und wollen über den parlamentarischen Raum hinaus zusätzliche Öffentlichkeitserfordernisse für den Abgeordneten herleiten, die in sein Privatleben hineinwirken können203. Diese Überlegungen sehen sich dem berechtigten Einwand ausgesetzt, dass die aufgezeigten verfassungsrechtlichen Vorschriften nur eine Öffentlichkeit der Arbeit von Staatsorganen benennen, aber sich in keinem der Fälle auf die hinter einem Amt stehende Person beziehen204. Sofern dieses Öffentlichkeitserfordernis wie bei Morlok und Kühn als mit den Grundrechten kollidierend begriffen wird205, kommt dem Statusbegriff kein materiell 198 Zurückgehend auf P. Häberle, in: NJW 1976, S. 537 (538 ff.), der zwischen Status der Freiheit, der Gleichheit und der Öffentlichkeit unterscheidet; ebenso „dreifältiger Status“ bei Morlok (Fn. 41), Art. 38 Rn. 139 ff.; speziell für den Fall der Offenlegungspflichten Meyer, Rechtsgutachten I (Fn. 2), S. 31; Käßner, Nebentätigkeiten (Fn. 132), S. 166 f.; M. K. Kühn, Verhaltensregeln für Bundestagsabgeordnete, 2011, S. 186 ff.; S. Korioth, Das freie Mandat des Abgeordneten des Deutschen Bundestages – unter besonderer Berücksichtigung der Pflicht zur Offenlegung von Nebeneinkünften, in: G. Manssen (Hrsg.), Die verfassungsrechtlich garantierte Stellung der Abgeordneten in den Ländern Mittel- und Osteuropas, 2009, S. 63 (64, 69); unter Vorbehalten auch von C. Waldhoff, in: ZParl. 37 (2006), S. 251 (261 f.); ablehnend hingegen Badura, „Gemeinpflichtigkeit“ (Fn. 135), S. 156. 199 Morlok (Fn. 41), Art. 38 Rn. 176; Kühn, Verhaltensregeln (Fn. 198), S. 186 ff., die allerdings von einer Kollision mit den Grundrechten ausgehen; – gegen die Anwendung der Grundrechte dagegen Freund, Abgeordnetenverhalten (Fn. 135), S. 222 ff. und Meyer, Rechtsgutachten I (Fn. 2), S. 30 ff. 200 Morlok (Fn. 41), Art. 38 Rn. 177; Kühn, Verhaltensregeln (Fn. 198), S. 186 ff.; Freund, Abgeordnetenverhalten (Fn. 135), S. 222 ff.; Meyer, Rechtsgutachten I (Fn. 2), S. 30 ff. 201 BVerfGE 188, 277 (353); Morlok (Fn.  41), Art.  38 Rn.  176; Kühn, Verhaltensregeln (Fn. 198), S. 186 f.; vgl. P. Häberle, in: NJW 1976, S. 537 (539 ff.). 202 Morlok (Fn. 41), Art. 38 Rn. 176. 203 Kühn, Verhaltensregeln (Fn. 198), S. 187 ff. 204 BVerfGE 118, 277 (383) – abw. Votum; Kritik auch bei C. Waldhoff, in: ZParl. 37 (2006,), S. 251 (261 f.). 205 So ausdrücklich Morlok (Fn. 41), Art. 38 Rn. 178; Kühn, Verhaltensregeln (Fn. 198), S. 189.

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3. Kap.: Grundrechtsimpermeabler Abgeordnetenstatus?

rechtlicher Aussagegehalt zur Grundrechtsberechtigung des Abgeordneten zu206. Denn die aus dem vermeintlichen Statusaspekt abgeleiteten Pflichten müssen sich dann als Eingriff an den grundrechtlichen Vorgaben messen lassen und können je nach Ausgang der vorzunehmenden Abwägung ihrerseits den Transparenzerfordernissen Grenzen stecken. Sofern aber entsprechende Öffentlichkeitserfordernisse als reine Ausgestaltung des Mandats deklariert werden, die eine Berücksichtigung der Grundrechte gänzlich ausschließt207, wird für die Anerkennung einer gewissen Mediatisierung der Abgeordnetenpersönlichkeit durch die Verfassung schon der Grundstein gelegt, ohne dass sich letzterer dagegen durch Berufung auf seine Grundrechte erwehren könnte. bb) Haltbarkeit dieses Ansatzes Diese Argumentation verkennt einen entscheidenden Gesichtspunkt: Das herkömmliche Verständnis von Ausgestaltungsvorbehalten zugunsten des Gesetzgebers spricht diese Ermächtigung gerade nur auf das konkret auszugestaltende Schutzgut hin aus und ermächtigt nicht dazu, durch die ausgestaltenden Regelungen zugleich eine tatbestandliche Beschneidung anderer womöglich tangierter Verfassungspositionen vorzunehmen208. Überlappende Bereiche sollen durch eine solche Ermächtigung nicht gegeneinander abgegrenzt, geschweige denn verdrängt werden. Von der Mitberücksichtigung anderer Verfassungspositionen stellt der Ausgestaltungsvorbehalt daher nicht ohne Weiteres frei209. Nur folgerichtig unternimmt auch das Bundesverfassungsgericht den Kunstgriff, die persönlichen

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Auch Häberle selbst sieht grundrechtliche Abwehrrechte nicht als verdrängt an und erkennt als Gegenrecht zum Status der Öffentlichkeit „die Möglichkeit des ‚Rückzugs‘ auf die privaten Schutznormen seiner grundrechtlichen Freiheit“ an, s. P. Häberle, in: NJW 1976, S. 537 (540); ebenso C. Waldhoff, in: ZParl. 37 (2006), S. 251 (262). 207 Bspw. sieht Meyer in dem Öffentlichkeitsanspruch einen der Verfassung immanenten Aspekt des Mandats, s. Meyer, Rechtsgutachten I (Fn. 2), S. 32: „zulässige, wenn auch nicht zwingende Ausformung des Rechtsstatus des Abgeordneten […]. Soweit diese Festlegung reicht, kann ihr […] ein Gegenrecht des Abgeordneten aus seinen Grundrechten als Privatperson nicht entgegengehalten werden.“ 208 So zur Berücksichtigung anderer Verfassungsentscheidungen im Rahmen von grundrechtlichen Ausgestaltungsermächtigungen ausdrücklich H. D. Jarass, Funktionen und Dimensionen der Grundrechte, in: Merten/Papier, HGR (Fn. 161), Bd. II, 2006, § 38 Rn. 59; Cornils kommt zu dem Ergebnis, dass die Ausgestaltung der einen Freiheitsgewährleistung nicht in einem Exklusivitätsverhältnis zu einem zeitgleichen Eingriff in ein anderes Freiheitsrecht steht, der sich der Rechtfertigungsprüfung unterziehen muss, s. Cornils, Ausgestaltung (Fn.  191), S. 673; auch im Verhältnis zum staatsorganisationsrechtlichen Ausgestaltungsauftrag kann sich nichts anderes ergeben, da für eine absolute Geltung dieses gegenüber den Grundrechten insbesondere keine hierarchischen Gründe angeführt werden können. 209 Für eine Berücksichtigung der Grundrechte als Frage der materiellen Verfassungsmäßigkeit von ausgestaltenden Regelungen i. S. d. Art. 38 Abs. 3 GG auch Kühn, Verhaltensregeln (Fn. 198), S. 75.

B. Begrifflicher Mythos vom „Abgeordnetenstatus“ 

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Belange in der rechtlichen Ausformung des Abgeordnetenstatus jedenfalls zu „berücksichtigen“210. Wollte man den Ausgestaltungsvorbehalt in Art. 38 Abs. 3 GG, der sich zumindest zunächst einmal nur auf die staatsorganisatorisch geforderte Rechtsstellung des Abgeordneten bezieht, abweichend davon als mitgedachte verfassungsimmanente Ermächtigung zur tatbestandlichen Begrenzung der womöglich tangierten Grundrechte verstehen, würde der Verfassung damit sinngemäß unterstellt, sie setze den Grundrechtsschutz für bestimmte Verhaltensweisen aus, ohne diese abschließend zu bestimmen211. Der Bürger mag etwa an der Kenntnis vieler Informationen über wirtschaftliche oder nichtwirtschaftliche Einflussnahmen auf die Mandatsführung seines Abgeordneten ein berechtigtes Interesse haben; der Öffentlichkeitsstatus des Abgeordneten wäre dann grenzenlos dahingehend ausdehnbar, ohne dass es einer Verhältnismäßigkeitsprüfung gegenüber den Grundrechten bedürfte – gerade dann, wenn bereits die abstrakte Gefahr von Abhängigkeiten für die Offenlegungspflichten als ausreichend angesehen wird212. Eine Aushöhlung grundrechtlicher Schutzmechanismen wäre hier wiederum nur dadurch zu vermeiden, dass deren Berücksichtigung bereits auf vorgelagerter Ebene, d. h. auf Ebene der vermeintlich tatbestandlichen Begrenzung, gefordert wird213. Ausgestaltungsvorbehalte wie Art. 38 Abs. 3 GG bzw. Art. 48 Abs. 3 GG mögen es dem Gesetzgeber überlassen, das freie Mandat und Einzelfragen seiner Gewährleistung näher zu regeln bzw. zu bestimmen, stellen ihn aber dadurch noch nicht von der Berücksichtigung anderer Rechtspositionen frei. c) Ungeschriebene verfassungsimmanente Grundrechtsbegrenzung zugunsten der Verfassungsorganisation? Das Bundesverfassungsgericht sowie die Verfechter des beschriebenen Statusverständnisses verweisen auf den staatsorganisatorischen Ursprung des Abgeordnetenstatus214, welcher „sich nach den Erfordernissen demokratischer Reprä­sentation [richtet]“215. Neben Grundrechtsbegrenzungen durch spezifische Verfassungsnormen werden auch zahlreiche Begrenzungen genereller Art dis-

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S. hierzu und zur diesbezüglichen Kritik schon oben 1. Kap. C. I. 1. Fn. 110. Vgl. Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2 (Fn. 164), S. 293, zu den „außerhalb des Grundrechtsgewährleistungssatzes in der Verfassung verankerten Kriterien für die Reichweite des Grundrechtsschutzes“. 212 BVerfGE 118, 227 (362). 213 Vgl. Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2 (Fn. 164), S. 293. 214 BVerfGE 188, 227 (327); C. Möllers, in: Jura 2008, S. 937 (940); zustimmend Austermann, Anrechnungsbestimmungen (Fn.  135), S.  180 ff.; Meyer, Rechtsgutachten I (Fn.  2), S. 20, 29 ff. 215 BVerfGE 188, 227 (328). 211

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3. Kap.: Grundrechtsimpermeabler Abgeordnetenstatus?

kutiert216. In Frage steht daher eine generelle Begrenzung der Grundrechte durch das Organisationsrecht der Verfassung217. Dem Demokratieprinzip für sich genommen kann aufgrund der Unbestimmtheit seiner Anforderungen an den konkreten Fall keine allgemein grundrechtsbegrenzende Wirkung attestiert werden218. Auch besteht kein allgemeines Ausschließlichkeitsverhältnis von Staatsorganisationsrecht und grundrechtlichen Erwägungen: In der Tat herrscht das „Grundverständnis [vor], dass Rechtsverhältnisse im Staat grundsätzlich anders strukturiert sind als im Verhältnis zwischen Bürger und öffentlicher Gewalt.“219 Die Vorschriften des Staatsorganisationsrechts sind aber nicht per se impermeabel für grundrechtliche Vorgaben und Abwägungsvorgänge220. Der Gedanke einer Impermeabilität staatlicher Organisationsvorschriften für (subjektive) Rechtspositionen ist unlängst überwunden221, wenn er auch für verschiedene Fragen der Verfassungsinterpretation noch lebendig zu bleiben scheint222. In Betracht kommt allenfalls eine mögliche Grundrechtsbegrenzung durch die staatliche Organisationshoheit: Das Bundesverfassungsgericht hatte in Zusammenhang mit staatlich eingegliederten Berufen entschieden, „daß dort, wo die staatliche Organisationsgewalt bestimmend sein muß, das Grundrecht der Berufsfreiheit nicht die Freiheit des Zugangs zum Beruf umfassen kann“223. „[F]ür die freie Berufswahl [ist] nur insoweit Raum, als es die vom Staat geschaffene Ämterorganisation erlaubt“224. Für den öffentlichen Dienst beschränkt sich das Grundrecht der Berufsfreiheit mit Blick auf die Freiheit der Berufswahl damit auf „den gleichen Zugang aller zu allen öffentlichen Ämtern bei gleicher Eignung (Art. 33 Abs. 2 GG)“225. Diese Rechtsprechung vermag für den vorliegenden Fall nicht zu tragen. Die hier in Frage stehenden Regelungen sind keine solchen der reinen Ämterorganisation wie in den vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Konstellationen226 bzw. der reinen Staatsorganisation: Müssen derartige 216

S. ausführlich Merten, Grenzen (Fn. 161), § 60 Rn. 17 ff. Vgl. Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2 (Fn. 164), S. 593 ff. 218 Vgl. allgemein zurückhaltend zur grundrechtsbegrenzenden Wirkung von Staatsstrukturprinzipien Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2 (Fn. 164), S. 574 ff. 219 H. P. Aust, in: AöR 141 (2016), S. 415 (441) – Hervorhebung im Original. 220 Vgl. zuletzt HVerfG, Urt. v. 15.9.2015, Az. HVerfG 5/14 (juris) Rn.  55 ff., das Art.  19 Abs. 4 GG und Art. 44 Abs. 4 S. 1 GG auf Grundlage praktischer Konkordanz gegeneinander abwägt. 221 S. zu dieser im 19. Jhdt. vorherrschenden Lehre bspw. W. Krebs, Verwaltungsorganisation, in: Isensee/Kirchhof, HStR (Fn. 5), Bd. V, 3. Aufl. 2007, § 108 Rn. 32. 222 Vgl. H. P. Aust, in: AöR 141 (2016), S. 415 (442 f.). 223 BVerfGE 11, 30 (40); vgl. E 7, 377 (398) sowie auch E 16, 6 (21); hierzu Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2 (Fn. 164), S. 595 f. 224 BVerfGE 17, 371 (380); sinngemäß auch E 73, 301 (315). 225 BVerfGE 7, 377 (398). 226 Im Apothekenurteil bezieht das BVerfG die Begrenzung des Art. 12 GG beispielsweise mitunter auf die Zahl der Arbeitsplätze, s. BVerfGE 7, 377 (398), ähnlich E 11, 30 (39) sowie E 17, 371 (371 ff.); weiter BVerfGE 73, 301 (315): „Zahl der verfügbaren Stellen […] [und] Bedingungen zur Ausübung dieses Berufs“; E 16, 6 (21 f.): „Einrichtung und Aufbau der staat 217

B. Begrifflicher Mythos vom „Abgeordnetenstatus“ 

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Strukturüberlegungen wie die Zahl der eingerichteten Ämter und deren Zugangsvoraussetzungen als genuin organisationsrechtliche Fragen dem Staat vorbehalten bleiben, betreffen die fraglichen Verhaltensregeln den Abgeordneten doch etwa in seinem neben dem Amt ausgeübten Beruf, eben in seiner Nebentätigkeit. Es geht nicht um den Zugang zum Abgeordnetenamt, der – analog zum Beamten – durch Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG einer gesonderten Verfassungsvorschrift unterstellt wird. Die Verhaltenspflichten mögen zwar in der Amtsstellung des Abgeordneten ihre Begründung finden, versetzen deshalb aber nicht den Bundestagsabgeordneten bei jedem denkbaren Zusammenhang mit seiner Mandatstätigkeit ins Amt bzw. machen nicht die gesamte Rechtsstellung des Abgeordneten zu einer Frage staatlicher Ämterorganisation. 3. Grundrechtsbegrenzung durch verfassungsrechtlichen Sonderstatus des Abgeordneten? Wie gesehen soll der Grundrechtsschutz des Abgeordneten entfallen bzw. verdrängt werden, wenn eine entsprechende Maßnahme ihren Geltungsgrund in der parlamentarischen Eingliederungslage hat. In methodischer Hinsicht erinnert diese Herangehensweise an das dogmatische Verständnis des „besonderen Gewaltverhältnisses“. Zwar ist die Figur des besonderen Gewaltverhältnisses nach altem Muster weitestgehend von der Bildfläche verschwunden, die Geltungslosigkeit der Grundrechte gegenüber herkömmlichen Eingliederungslagen gilt gemeinhin als überwunden227. Da sich in Bezug auf den Abgeordneten als gewissermaßen besondere Eingliederungslage allerdings eine erstaunliche Beharrlichkeit derartiger paralleler Begründungsmuster beobachten lässt, sollen deren Ursachen resp. Argumente in gebotener Kürze untersucht werden. a) Die ehemalige verfassungsrechtliche Kategorie des „besonderen Gewaltverhältnisses“ Das Institut des „besonderen Gewaltverhältnisses“ geht auf die Zeit der konstitutionellen Monarchie zurück228 und wurde vor allem von Otto Mayer geprägt: Er verstand hierunter die „verschärfte Abhängigkeit, welche zugunsten eines bestimmten Zwecks öffentlicher Verwaltung begründet wird für alle Einzelnen, die in den vorgesehen besonderen Zusammenhang treten“229. Das besondere Gewaltlichen Verwaltung zu ordnen sowie die Art und Weise, wie die staatlichen Aufgaben erfüllt werden, näher zu regeln“; dass hingegen sog. amtsbegleitendes Verhalten des Beamten sowie außerdienstliches Verhalten grundrechtlichen Schutz erfährt, ist allgemein anerkannt, s. noch unten 4.  Kap. A. I. 3. b)/c) (S. 135 ff.). 227 Vgl. nur v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn. 25), S. 365. 228 S. hierzu M. Ronellenfitsch, in: DÖV 1981, S. 933 (934). 229 O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Band I, 3. Aufl. 1924, S. 101 f.

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3. Kap.: Grundrechtsimpermeabler Abgeordnetenstatus?

verhältnis sei immer ein „Zustand verminderter Freiheit, indem der Betroffene sich in gegebenem Maße nach dem zu richten hat, was hier der Zweck der öffentlichen Verwaltung erfordert.“230 Unter dem Begriff des „besonderen Gewaltverhältnisses“ versammelten sich daher all jene Fallgestaltungen, in denen der einzelne in einem besonderen Näheverhältnis231 zum Staat steht und sich darin vom allgemeinen Gewaltverhältnis232 zwischen Staat und Bürger unterscheidet233. Eine derartige Eingliederung findet sich mitunter in Fallgestaltungen wie etwa dem Beamten-, Schul-, Soldaten- oder Strafgefangenenverhältnis234, aber auch dem allgemeinen Anstaltsverhältnis235. Der Beamte als Amtswalter reinsten Wassers etwa steht dabei nach Art.  33 Abs. 4 GG in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis zum Staat. Dass daher nicht jede Berührung seinerseits mit der öffentlichen Gewalt eine grundrechtsrelevante sein kann, ist schnell Konsens geworden236. Aus dieser Integration des einzelnen in die staatliche Organisation wurde lange Zeit der Schluss gezogen, dass all jene Maßnahmen mit Bezug zur eingliedernden Stelle sich allein auf den staatsinternen Bereich beschränkten und grundrechtliche Schutzgesichtspunkte nicht durchdringen ließen237. Zum einen bedeutete dies, dass Maßnahmen in Form von Verwaltungsvorschriften und Anweisungen, d. h. ohne Beteiligung des formellen Gesetzgebers, getroffen werden konnten238. Der Vorbehalt des Gesetzes galt nur für den außerorganisatorischen Bereich239. Dies hatte zum anderen Folgen für den Rechtsschutz der Betroffenen: Maßnahmen, die dem besonderen Gewaltverhältnis zugeschrieben wurden, waren nicht gerichtlich überprüfbar240.

230

Mayer, Verwaltungsrecht I (Fn. 229), S. 102. Zu dieser Bezeichnung s. 1. Kap. D. I. 2. Fn. 122. 232 Das allgemeine Gewaltverhältnis wird demgegenüber verstanden als „die umfassende rechtliche Abhängigkeit […], in welcher der Untertan zum Staat steht“, s. Mayer, Verwaltungsrecht I (Fn. 229), S. 101. 233 Stern, Staatsrecht III/1 (Fn. 171), S. 1377. 234 Für das Schulverhältnis Art. 7, 141 GG, für das Hochschulverhältnis Art. 5 Abs. 3 GG, für das Beamtenverhältnis Art. 33 Abs. 4, 5, Art. 74a a. F. und 137 GG, für das Wehrdienstund Zivildienstverhältnis Art. 4 Abs. 3, 12 Abs. 2, 12a, 17a GG, für das Strafvollzugsverhältnis Art. 12 Abs. 3, 74 Abs. 1 Nr. 1, 104 GG, s. näher Stern, Staatsrecht III/1 (Fn. 171), S. 1380; siehe auch die Aufzählung bei E. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz (Fn. 44), Art. 19 Abs. 4 (2014), Rn. 84, der auch das Richterverhältnis erwähnt. 235 Schmidt-Aßmann (Fn. 234), Art. 19 Abs. 4 Rn. 84. 236 S. nur Schmidt-Aßmann (Fn. 234), Art. 19 Abs. 4 Rn. 89. 237 M. Ronellenfitsch, in: DÖV 1981, S. 933 (935); H. Maurer, Verwaltungsrecht, 18. Aufl. 2011, S. 190. 238 Mayer, Verwaltungsrecht I (Fn. 229), S. 103; M. Ronellenfitsch, in: DÖV 1981, S. 933 (935); S. Graf v. Kielmansegg, in: JA 2012, S. 881 (881 f.). 239 Vgl. S. Graf v. Kielmansegg, in: JA 2012, S. 881 (881). 240 M. Ronellenfitsch, in: DÖV 1981, S. 933 (935); zumal erst die Existenz der allgemeinen Feststellungsklage das Vorgehen gegen Maßnahmen mit nicht intendierter Außenwirkung ermöglicht hat, s. zur Entstehung der allgemeinen Feststellungsklage A. Glaser, in: K. F. Gärditz (Hrsg.), Verwaltungsgerichtsordnung Kommentar, 2013, § 43 Rn. 13 f. 231

B. Begrifflicher Mythos vom „Abgeordnetenstatus“ 

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Dieses Verständnis vom besonderen Gewaltverhältnis hielt sich auch unter der Weimarer Reichsverfassung und wurde schließlich zunächst beanstandungslos für das Bonner Grundgesetz übernommen241. Durch die prominente Strafgefangenenentscheidung242 hat das Bundesverfassungsgericht dieser zwischenzeitlich in die Kritik geratenen Lehre243 eine Absage erteilt: „In Art. 1 Abs. 3 GG werden die Grundrechte für Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung für unmittelbar verbindlich erklärt. Dieser umfassenden Bindung der staatlichen Gewalt widerspräche es, wenn im Strafvollzug die Grundrechte beliebig oder nach Ermessen eingeschränkt werden könnten. Eine Einschränkung kommt nur dann in Betracht, wenn sie zur Erreichung eines von der Wertordnung des Grundgesetzes gedeckten gemeinschaftsbezogenen Zweckes unerläßlich ist und in den dafür verfassungsrechtlich vorgesehenen Formen geschieht“244.

Die Entscheidung wurde als das Ende des besonderen Gewaltverhältnisses angesehen245. Andere halten diesen Schluss rückblickend für zu voreilig und wollen anstelle der einst verfassungsrechtlichen Kategorie nun eine verwaltungsrechtliche Kategorie annehmen246. Trotz im Grundsatz voller Grundrechtsgeltung ergeben sich nach wie vor Gemeinsamkeiten bei der Auflösung des Konflikts zwischen dem Funktionsinteresse des Staates und dem Individualinteresse der dem Staat eingegliederten Personen247. Im Vordergrund steht nunmehr allerdings der konkrete Interessenausgleich zwischen Grundrechten und den Erfordernissen der jeweiligen Eingliederungslage. Es handelt sich nicht mehr eine Frage nach dem „Ob“ der Grundrechtsgeltung, sondern nach ihrem „Wie“248. In Konfliktfällen wird eine verhältnismäßige Zuordnung vorgenommen249. Art.  1 Abs.  3, 20 Abs.  3 GG geben die umfassende Bindung der gesamten Staatsgewalt an die Grundrechte vor und werden durch Art. 19 Abs. 4 GG für den Rechtsschutz gegenüber der Exekutive untermauert250. Die Grundrechte drängen 241

M. Ronellenfitsch, in: DÖV 1981, S. 933 (935); Stern, Staatsrecht III/1 (Fn. 171), S. 1378 m. w. N.; S. Graf v. Kielmansegg, in: JA 2012, S. 881 (882). 242 BVerfGE 33, 1. 243 S. zu den sich mehrenden kritischen Stimmen schon im Vorhinein v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn. 25), S. 71 ff.; M. Ronellenfitsch, in: DÖV 1981, S. 933 (935) – alle m. w. N. 244 BVerfGE 33, 1 (11). 245 F. Kiepe, in: DÖV 1979, S. 399 (402): habe „aufgehört zu existieren“. 246 M. Ronellenfitsch, in: DÖV 1981, S.  933 (938 ff.); ähnlich F. Hofmann, in: ZBR 1998, S. 196 (198 f.), die die Gemeinsamkeit der Fallgruppen nun auf Rechtfertigungsebene verorten und hier die Funktionsfähigkeit der jeweiligen Einrichtung als Rechtfertigungsgrund anerkennen. 247 W. Loschelder, Grundrechte im Sonderstatus, in: Isensee/Kirchhof, HStR (Fn. 6), Bd. IX, 3. Aufl. 2011, § 202 Rn. 45. 248 Stern, Staatsrecht III/1 (Fn.  171), S.  1376; der Sache nach ebenso Loschelder, Grundrechte (Fn. 247), § 202 Rn. 9. 249 S. Hesse, Grundzüge (Fn. 143), Rn. 325, der für die gegenseitige Zuordnung auf die Methode der praktischen Konkordanz verweist; vgl. Stern, Staatsrecht III/1 (Fn. 171), S. 1392; ähnlich F. Hofmann, in: ZBR 1998, S. 196 (199). 250 W. Graf Vitzthum, Der funktionale Anwendungsbereich der Grundrechte, in: Merten/­Papier, HGR II (Fn. 208), § 48 Rn. 119.

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3. Kap.: Grundrechtsimpermeabler Abgeordnetenstatus?

danach, soweit wie möglich ihre Wirkung zu entfalten251. Wo ihr Schutzbereich der Sache nach einschlägig ist, kann dies nicht durch pauschalen Verweis auf die Eingliederungslage negiert werden. Für jedes Eingliederungsverhältnis können allenfalls diejenigen „‚neuralgischen‘ Grundrechte“252 definiert werden, deren Wahrnehmung mit den Funktionsinteressen der Einrichtung kollidieren und daher in den vorgesehenen Formen eingeschränkt werden kann. Ferner lässt sich für jedes Eingliederungsverhältnis untersuchen, welche Grundrechte bei Funktionsausübung253 regelmäßig unanwendbar sind. b) Besonderes Gewaltverhältnis und Rechtsstellung des Abgeordneten – Getrennte Entwicklung trotz gemeinsamer Wurzeln Das Verständnis des Abgeordnetenstatus als Regime, das aufkommende Konflikte allein anhand staatsorganisatorischer Kriterien misst, steht dem Institut des „besonderen Gewaltverhältnisses“ durchaus nahe. In der Tat ist zu beobachten, dass unter der Weimarer Reichsverfassung bis in die Anfangszeit des Grundgesetzes hinein die Reichstags- bzw. Bundestagsmitgliedschaft – vor allem mit Blick auf die Disziplinarmaßnahmen der parlamentarischen Geschäftsordnung – in der Literatur den besonderen Gewaltverhältnissen explizit zugeschrieben wurde254. Während mit der Strafgefangenen-Entscheidung der Abschied vom besonderen Gewaltverhältnis alten Verständnisses besiegelt und ein endgültiges Umdenken in der grundrechtsdogmatischen Behandlung der Eingliederungslagen angestoßen wurde, spaltete sich das Abgeordnetenverhältnis in seiner Entwicklung von den anderen Eingliederungslagen gewissermaßen ab: Rechtsprechung und Literatur betonten die Statusunterschiede von Beamtentum und Abgeordnetenmandat und hoben die Wesensverschiedenheit des Abgeordnetenverhältnisses von den sonstigen Näheverhältnissen hervor255. Während das Beamtenverhältnis demnach fortentwickelt und in Fragen der Grundrechtsdogmatik vom Kopf auf die Füße gestellt 251

Vitzthum (Fn. 250), § 48 Rn. 21: Prinzip der „Grundrechtseffektuierung“. Stern, Staatsrecht III/1 (Fn. 171), S. 1392. 253 Die Beschränkung auf die Nichtanwendbarkeit allenfalls bei Funktionsausübung ist dabei elementar, s. hierzu unten 5. Kap. A. (S. 186 ff.). 254 F. Palm, Das Recht der Sitzungspolizei im preußischen Abgeordnetenhaus und im Reichstag, 1912, S.  12 f.; R. Vogler, Die Ordnungsgewalt der deutschen Parlamente, 1926, S.  80; F. Gentemann, Die staatsrechtliche Stellung des Reichstagspräsidenten in Bezug auf die Disziplinargewalt, das Hausrecht und die Polizeigewalt, 1927, S. 16; H. v. Brentano di Tremezzo, Die Rechtsstellung des Parlamentspräsidenten, 1930, S.  40 f.; K. Mühlbauer, Die rechtliche Stellung des Reichstagspräsidenten, 1931, S.  41; K. Obermayer, Verwaltungsakt und innerdienstlicher Rechtsakt, 1956, S. 87 Fn. 277; G. Klinke, Die Geschäftsordnung des Bundestages, 1959, S.  125 f.; K.-H. Kleinschnittger, Die rechtliche Stellung des Bundestagspräsidenten, 1963, S. 81 f.; für Landtagsabgeordnete S. Böttcher, Die Rechtsstellung des Landtagspräsidenten, 1955, S. 90 ff.; kritisch K.-H. Rothaug, Die Leitungskompetenz des Bundestagspräsidenten, 1979, S. 66. 255 S. hierzu noch unten 4. Kap. A. I. 1. (S. 124 ff.). 252

B. Begrifflicher Mythos vom „Abgeordnetenstatus“ 

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wurde, schlug das Abgeordnetenverhältnis einen Sonderweg ein und behielt – jedenfalls für die Vertreter des besagten Statusverständnisses256 – gewisse Elemente des damaligen Verständnisses bei, ohne diese freilich beim Namen zu nennen. Diese Abspaltung des Abgeordnetenverhältnis von den sonstigen Eingliede­ rungslagen liegt insofern nahe, als dass die frühere verfassungsrechtliche Kategorie des besonderen Gewaltverhältnisses schon immer einen anderen Schwerpunkt als das Abgeordnetenverhältnis betonte, was durch das Erfordernis der besonderen „verschärften Abhängigkeit“ in der von Otto Mayer gegebenen Definition belegt wird257: Das Kriterium der Abhängigkeit muss im Sinne einer ausgeprägten Verpflichtung258 verstanden werden, die ausdrücklich zu Zwecken öffentlicher Verwaltung begründet wurde. Gemeinsamkeit aller anerkannten besonderen Gewaltverhältnisse war demnach die verstärkte Pflichtenbindung des Betroffenen, mittels derer die Eingliederung in den Staatsapparat fixiert wurde259. Der Volksvertreter unterliegt demgegenüber in der grundgesetzlichen Konzeption seines freien Mandats gerade einem vergleichsweise geringen Katalog von Rechtspflichten260. Dem Diätenurteil des Bundesverfassungsgerichts zufolge steht es dem Abgeordneten theoretisch sogar frei, seine Aktivitäten im parlamentarischen Bereich sowie im Wahlkreis „nach eigenem Ermessen bis über die Grenze der Vernachlässigung seiner Aufgabe hinaus einzuschränken“, wenn sich dies auch praktisch nicht bewerkstelligen lasse261. Ferner steht er in keinem hierarchisch geprägten Dienstverhältnis und partizipiert selbst an der Entstehung der Regelungen, die seine Rechtsstellung fixieren.262 Ungeachtet dessen aber ähneln sich beide Funktionsträger doch in dem entscheidenden Punkt ihrer Nähe zur staatlichen Aufgabenwahrnehmung: Wenn auch die Eingliederung in ein Dienstverhältnis, verstanden als die Rechts- und Pflichten 256 Anders dagegen bspw. die folgenden Autoren, die das Abgeordnetenverhältnis als Eingliederungslage anerkennen und gemeinsame Lösungswege vorschlagen, Grote, Verfassungsorganstreit (Fn. 25), S. 182; der Sache nach ebenso, Stein, Verantwortlichkeit (Fn. 5), S. 526; als Näheverhältnis besprochen auch v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn. 25), S. 454 ff. 257 S. oben 3.  Kap. B. II. 3. a) (S. 107 ff.). 258 Vgl. Mayer, Verwaltungsrecht I (Fn. 229), S. 102; s. hierzu auch W. Loschelder, Vom besonderen Gewaltverhältnis zur öffentlich-rechtlichen Sonderverbindung, 1982, S. 8. 259 S. Stern, Staatsrecht III/1 (Fn. 171), S. 1381. 260 S. oben 3. Kap. A. (S. 75 ff.). 261 BVerfGE 40, 296 (312); 118, 227 (326); kritisch dazu Klein (Fn.  85), Art.  48 Rn.  34; BVerfGE 118, 277 (325 f.); wenn auch keine Pflicht zur Annahme der Wahl besteht, ebenso wenig wie eine Pflicht, im Amt zu verbleiben, verpflichtet aber jedenfalls das übernommene Abgeordnetenamt selbst gegenüber dem Staat zu dessen Wahrnehmung und Ausfüllung, s. auch § 16 Abs. 2 S. 2 GOBT und § 44a AbgG; so auch Jellinek, System (Fn. 98), S. 172: „Ein nur berechtigter Organträger ist überhaupt ein Unding“. 262 Vgl. Arndt, Geschäftsordnungsautonomie (Fn.  113), S.  162; auch Arndt nimmt aber schlussendlich an, dass sich besonderes Gewaltverhältnis und Mitgliedschaftsverhältnis zwar deutlich voneinander unterscheiden, aber die Rechtswirkungen des autonomen Parlamentsrechts mit denen im besonderen Gewaltverhältnis identisch seien, s. S. 162; gegen die Einordnung als „Sonderrechtsverhältnis“ dagegen Kühn, Verhaltensregeln (Fn. 198), S. 50.

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3. Kap.: Grundrechtsimpermeabler Abgeordnetenstatus?

stellung des Beamten gegenüber dem Dienstherrn263, durch andere Strukturen geprägt ist als das wenig rechtlich determinierte Abgeordnetenverhältnis, ändert dies nichts daran, dass dann, wenn eine Determinierung in Form von Rechtspflichten erfolgt, die grundrechtstypische Gefährdungslage für letzteren durchaus ebenso bestehen kann, wie sie im Falle des Beamten gegeben wäre. Dass der Abgeordnete womöglich am Normsetzungsprozess der einschneidenden Maßnahme in Geschäftsordnung oder Abgeordnetengesetz beteiligt ist, steht dem nicht entgegen. c) Verfassungsrechtliche Institutionalisierung und strukturelle Grundrechtsparallelen des Abgeordnetenmandats: Eigener verfassungsrechtlicher Sonderstatus des Abgeordneten? Der Gedanke eines Sonderstatus des Abgeordneten mit vergleichbaren Sachstrukturen ist also auch nach dem Strafgefangenenbeschluss durchaus präsent geblieben. Insbesondere ist versucht worden, unter Berufung auf Konrad Hesse die folgenden Überlegungen zu sog. Grundrechtsbegrenzungen in Nähebeziehungen für die oben aufgezeigte Interpretation des Statusbegriffs fruchtbar zu machen264. Nach Hesse ist eine „Begrenzung“ der Grundrechte „[ü]ber die allgemeinen Begrenzungsmöglichkeiten hinaus“265 in sog. Sonderstatusverhältnissen denkbar, sofern das Sonderstatusverhältnis im Grundgesetz verankert ist und dieses speziell eine Grundrechtsbegrenzung erforderlich macht266. Eng verwandt mit dem Erfordernis ausdrücklicher verfassungsrechtlicher Verankerung ist die Voraussetzung der sog. Institutionalisierung der Sonderverbindung durch das Grundgesetz, im Falle derer die reguläre Grundrechtsgeltung modifiziert werden soll267. Inwieweit die Überlegungen zur Grundrechtsbegrenzung bzw. zur verfassungsmäßigen Institutionalisierung bei den Autoren tatsächlich auf eine Begrenzung grundrechtlicher Anwendungsbereiche und nicht allein auf eine solche in Form von Schrankenregelungen hinauslaufen, die ihre Rechtfertigung im kollidierenden Verfassungsgut der Eingliederung finden, lässt sich bezweifeln268. Jedenfalls aber sind sie durchaus für den Abgeordnetenstatus in ersterer Hinsicht interpre-

263

J. Isensee, Gemeinwohl und öffentliches Amt, 2014, S. 110 f. Vgl. Freund, Abgeordnetenverhalten (Fn. 135), S. 143 ff. 265 Hesse, Grundzüge (Fn. 143), Rn. 326. 266 S. Hesse, Grundzüge (Fn. 143), Rn. 326. 267 Loschelder, Grundrechte (Fn.  247), § 202 Rn.  30 ff. m. w. N. für verwaltungsrechtliche Eingliederungsbeziehungen; der Begriff der „Institutionalisierung besonderer Gewaltverhältnisse“ auch bei Stern, Staatsrecht III/1 (Fn. 171), S. 1391. 268 Bspw. nimmt auch Hesse an, dass die „Begrenzungsproblematik in Sonderstatusverhältnissen keine andere ist als im allgemeinen staatsbürgerlichen Status“ und weist auf die Notwendigkeit „verhältnismäßiger Zuordnung“ der beiden Rechtspositionen hin, s. Hesse, Grundzüge (Fn. 143), Rn. 326 f. 264

B. Begrifflicher Mythos vom „Abgeordnetenstatus“ 

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tiert worden269. Hinter diesem Ansatz steht also die Überlegung, dass die Eigengesetzlichkeiten des verfassungsrechtlich verankerten und demnach anerkannten Abgeordnetenstatus eine modifizierte Grundrechtsgeltung erforderten und insbesondere in der Lage seien, aufkommende Konflikte ohne Rückgriff auf die Grundrechte zu bewältigen, etwa durch eigene Maßstäbe des Mandats selbst270. Diesem Ansatz ist zunächst zuzugeben, dass die Mandatsfreiheit i. S. d. Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG sowie der Auftrag zu weiterer Ausgestaltung in Art. 38 Abs. 3 GG271 und in ihren verschiedenen Absicherungen i. S. d. Art. 46 ff. GG eine umfangreiche Verankerung im Grundgesetz erfahren haben. Ihre Eigengesetzlichkeiten erinnern in ihrer Komplexität sogar an diejenige der Grundrechtsordnung, ja sind der Grundrechtsdogmatik größtenteils entlehnt272. Da nicht nur der Bundestag, sondern die gesamte Staatsgewalt die Garantie des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG beachten muss, kommt der Gewährleistung neben ihrer teilhaberechtlichen Funktion zumindest auch eine insgesamt staatsabwehrende Funktion zu273. Die Freiheit des Mandats gewährt dem Abgeordneten damit einen großen Autonomiebereich, dessen Beeinträchtigung anhand des aus der Grundrechtsprüfung bekannten Dreischritts Schutzbereich – Eingriff – Rechtfertigung überprüft wird274. Wie bei vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechten ist ein Eingriff in die Mandatsfreiheit nur aufgrund kollidierenden Verfassungsrechts möglich275. Ferner soll der aus der Wesentlichkeitsdoktrin des Bundesverfassungsgerichts folgende Vorbehalt des Gesetzes auch für die Gewährleistung des freien Mandats gelten, wie ebenfalls aus der Grundrechtsdogmatik bekannt276. Schließlich können an die Rechtfertigung einer Beeinträchtigung des freien Mandats strenge Anforderun-

269 Vgl. Freund, Abgeordnetenverhalten (Fn.  135), S.  143 ff., der zwar davon ausgeht, ein Sonderstatus bewirke „heute nicht mehr an sich schon eine Einschränkung der Grundrechtssphäre“ (S. 143), im Folgenden aber unter Rekurs auf Hesse einen Sonderstatus des Abgeordneten dahingehend annehmen will, dass bestimmte Grundrechte in der Tat ihre Anwendbarkeit einbüßen; S. 144: „wird das in Art. 12 Abs. 1 GG enthaltene Freiheitsrecht jedoch nicht lediglich begrenzt. Dieses Freiheitsrecht tritt vielmehr gegenüber dieser Sonderstatusregelung zurück“; auch die Grundrechte, die den privaten Bereich vor der Offenlegungspflicht schützen würden, sollen durch den „Sonderstatus“ ihre Anwendbarkeit einbüßen, s. S. 234 ff. 270 Vgl. Käßner, Nebentätigkeiten (Fn. 132), S. 161; C. Möllers, in: Jura 2008, S. 937 (940 f.); Meyer, Rechtsgutachten I (Fn. 2), S. 30 ff. 271 S. hierzu 3.  Kap. B. II. 2. b) (S. 101 f.). 272 S. zur Übertragung von Figuren der Grundrechtsdogmatik auf das Staatsorganisationsrecht tendenziell kritisch H. P. Aust, in: AöR 141 (2016), S. 415 (415 ff.). 273 S. oben 3. Kap. A. III. 2. (S. 82 ff.). 274 BVerfGE 134, 141 (171 ff., Rn. 91 ff.); s. dazu auch H. P. Aust, in: AöR 141 (2016), S. 415 (430). 275 BVerfGE 99, 19 (32); 118, 277 (324); 134, 141 (179, Rn. 111); Morlok (Fn. 41), Art. 38 Rn. 159. 276 BVerfGE 134, 141 (184 f., Rn. 125 ff.).

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3. Kap.: Grundrechtsimpermeabler Abgeordnetenstatus?

gen zu stellen sein277. Es gelten das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot278 sowie das Verhältnismäßigkeitsprinzip279, obwohl nach seinem Grundgedanken „Ausdruck der Grundrechte“ und auf Staatsorgane nur anwendbar, wenn es diesen einen Handlungsbereich autonomer Wahrnehmung garantiert oder ihnen „in der Art eines Freiheitsrechts zugewiesen wird“280. Das freie Mandat steht den grundrechtlichen Gewährleistungen strukturell betrachtet also überaus nah. Es hat sich eine ausgereifte Dogmatik zur Überprüfung von Beschränkungen der Gewährleistung entwickelt, die eine umfassende Abwägung mit beeinträchtigten Rechtsgütern erlaubt. Nicht zuletzt sei hier bereits auf die Unabhängigkeitsgewährleistung des Richters hingewiesen, deren Beeinträchtigung und Überprüfung die Wissenschaft und Rechtsprechung vor vergleichsweise große Schwierigkeiten stellen281. Dass dies allerdings ein generelles Abweichen von der grundrechtlichen Standard-Dogmatik nach sich ziehen soll, ist nicht nachvollziehbar. Insbesondere kann die eingangs ins Feld geführte verfassungsrechtliche Erwähnung resp. „Institutionalisierung“ bestimmter Lebensbereiche kein durchschlagendes Argument für eine den Grundrechtsschutz ausklammernde Sonderstellung liefern. Denn die Tatsache, dass das Grundgesetz eine Eingliederungslage benennt, bedeutet zwar, dass diese einen „verfassungsrechtlich zulässigen Zweck“282 verfolgt, nicht aber dass es deren innere Ordnung und Struktur – ihre „Ausgestaltung“ – so voraussetzt, wie sie in der Praxis verstanden wird, nämlich in Form einer „dogmatische[n] Sonderbehandlung“283, die die funktionale Grundrechtsberechtigung bei jeglichem Amtsbezug negiert. d) Vorläufiges Fazit: Art. 1 Abs. 3 GG als einzige funktionale Begrenzung der Grundrechte Wenn die Grundrechtsberechtigung des Abgeordneten bei sog. statusbezogenen Regelungen insgesamt abgelehnt wird, steht keine Begrenzung sachlicher Schutzbereiche im Raum, denn es geht es nicht um spezielle Verhaltensweisen, die dem grundrechtlichen Schutz entzogen werden sollen. Ebenso kann schwer 277

BVerfGE 134, 141 (181, Rn. 118). BVerfGE 134, 141 (184 f., Rn. 125 ff.). 279 BVerfGE 134, 141 (181, Rn. 118 ff.); Badura (Fn. 45), Art. 38 Rn. 61; H. P. Aust, in: AöR 141 (2016), S. 415 (431). 280 B. Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz (Fn. 44), Art. 20 III (2006), Rn. 108 f. m. w. N. 281 S. hierzu unten 4. Kap. A. II. 2. (S. 146 ff.). 282 v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn. 25), S. 168 (Hervorhebung im Original); s. auch H. U. Erichsen, Besonderes Gewaltverhältnis und Sonderverordnung, in: C. F. Menger (Hrsg.), Fortschritte des Verwaltungsrechts. Festschrift für Hans J. Wolff zum 75. Geburtstag, 1973, S. 219 (239 f.). 283 v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn. 25), S. 168. 278

B. Begrifflicher Mythos vom „Abgeordnetenstatus“ 

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lich von einer Begrenzung des persönlichen Schutzbereichs gesprochen werden, da die betroffenen Grundrechte den Abgeordneten in anderem, rein privatem, Zusammenhang ja durchaus schützen sollen. Erörterungsbedürftig ist vielmehr die der konkreten Schutzbereichseröffnung vorgelagerten Frage284: Inwiefern sollen die Grundrechte von ihrem Schutzzweck her überhaupt greifen, sofern ein Zusammenhang mit der Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch den Betroffenen besteht285? Es geht um die funktionale Anwendbarkeit286 der Grundrechte, die für alle Freiheitsrechte gleichlaufend geklärt werden muss287. Zu ihrer funktionalen Anwendbarkeit sagen die Grundrechte selbst in ihren Einzelbestimmungen nichts aus; sie geben dem Textbefund nach lediglich den sachlichen wie persönlichen Schutzbereich vor. Einzig Art. 1 Abs. 3 GG widmet sich dem Verhältnis grundrechtsgebundener Staatsgewalt und grundrechtsgeprägter Freiheitsausübung, dessen Aussagegehalt im Folgenden näher untersucht werden muss. Durch die „Leitnorm“288 des Art.  1 Abs.  3  GG, die Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung auf die Achtung der Grundrechte verpflichtet, hat die Grundrechtsordnung gegenüber derjenigen der Weimarer Reichsverfassung eine enorme Aufwertung erfahren289. Die Aufzählung der drei Gewalten, die dem Begriff der staatlichen Gewalt i. S. d. Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG entspricht290, soll verdeutlichen, dass die gesamte Staatsgewalt einer umfassenden Bindung an die Grundrechte unterliegt291. Wie die anderen Näheverhältnisse wird auch das Abgeordnetenverhältnis von der unmittelbaren Bindungsanordnung der Grundrechte i. S. d. Art. 1 Abs. 3 GG erreicht: Art. 1 Abs. 3 GG ist Grundlage dafür, die eigent 284

Vitzthum (Fn. 250), § 48 Rn. 1. Vgl. G. Schwerdtfeger/A. Schwerdtfeger, Öffentliches Recht in der Fallbearbeitung, 14. Aufl. 2012, Rn. 213; D. Merten, Grundrechtlicher Schutzbereich, in: ders./Papier, HGR III (Fn. 161), § 56 Rn. 113. 286 Vitzthum (Fn.  250), § 48 Rn.  1; Merten, Schutzbereich (Fn.  285), § 56 Rn.  113; ders., Grenzen (Fn.  161), § 60 Rn.  4; Schwerdtfeger/Schwerdtfeger, Öffentliches Recht (Fn.  285), Rn. 213, 448. 287 Vitzthum (Fn. 250), § 48 Rn. 1. 288 BVerfGE 31, 58 (72); H.  Dreier, in: ders., Grundgesetz (Fn.  41), Bd.  I, 3. Aufl. 2013, Art.  1 Abs.  3 Rn.  27; im Herrenchiemsee-Entwurf sollte die Grundrechtsbindung noch in Art. 21 Abs. 2 GG geregelt und nicht dem Grundgesetz voran gestellt werden, abgedruckt bei K.-B. v. Doemming/R. W. Füsslein/W. Matz, in: JöR N. F. 1 (1951), S. 48. 289 Stern, Staatsrecht III/1 (Fn. 171), S. 1391; mit der Schaffung des Art. 1 Abs. 3 GG wurde ein klarer Kontrast zur Weimarer Reichsverfassung geschaffen, s. B. Pieroth, Die Grundrechte des Grundgesetzes in der Verfassungstradition, in: Merten/Papier, HGR II (Fn.  209), § 25 Rn. 26; zwar könnten die Grundrechte nicht lediglich als Programmsätze bezeichnet werden, aber ihre Wirkkraft war geringer, Dreier (Fn. 288), Art. 1 Abs. 3 Rn. 2 ff.; ebenso ders., Die Zwischenkriegszeit, in: Merten/Papier, HGR (Fn. 161), Bd. I, 2004, § 4 Rn. 12 ff. 290 Höfling (Fn. 291), Art. 1 Rn. 85; Dreier (Fn. 288), Art. 1 Abs. 3 Rn. 53. 291 W. Höfling, in: Sachs, Grundgesetz (Fn. 39), Art. 1 Rn. 86; Herdegen (Fn. 253), Art. 1 Abs. 3 Rn. 11; W. Rüfner, Grundrechtsadressaten, in: Isensee/Kirchhof, HStR IX (Fn. 247), § 197 Rn. 2; Stern, Staatsrecht III/1 (Fn. 171), S. 1203. 285

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3. Kap.: Grundrechtsimpermeabler Abgeordnetenstatus?

liche Amtsausübung als grundrechtsgebunden und damit nicht -berechtigt anzusehen292. Die Adressatenstellung des Staates wirkt also auch für den einzelnen Amtswalter bzw. Abgeordneten293. Die zweite ebenso wichtige und mit der Grundrechtsverpflichtung korres­ pondierende Aussage des Art.  1 Abs.  3  GG bezieht sich auf die Anordnung der unmittelbaren Grundrechtsgeltung294. Das Bundesverfassungsgericht hat im Strafgefangenenbeschluss verdeutlicht, dass eine tatbestandliche Begrenzung der Grundrechte allein auf die Eingliederungslage des Einzelnen nicht gestützt werden kann295; eine solche Eingliederung in das staatliche Organisationsgefüge, d. h. die staatliche Nähe als solche, ist daher kein Aspekt, der auf die Ebene der grundrechtlichen Maßstabbildung296 Einfluss nehmen könnte. „Bereichsausnahmen“ für einzelne Eingliederungslagen steht Art. 1 Abs. 3 GG ausdrücklich entgegen297. Art. 1 Abs. 3 GG lässt sich also durchaus entnehmen, dass dem Eingegliederten in funktionaler Hinsicht grundsätzlich auch im Eingliederungsverhältnis insoweit Grundrechte zustehen, wie seine Grundrechtsberechtigung nicht mit seiner -verpflichtung in Konfusion gerät, er also auf Seiten der Grundrechtsbindung i. S. d. Art. 1 Abs. 3 GG steht. Dies soll nicht bedeuten, dass jenseits der Grundrechtsbindung stets zugleich ein Grundrechtsschutz für jegliches Verhalten bestünde298. Denn Art. 1 Abs. 3 GG selbst kann keine grundrechtlichen Schutzgehalte gewähren, sondern aufgrund seiner akzessorischen Natur299 die grundrechtlichen Inhalte nur insoweit für anwendbar erklären, wie der Anwendungsbereich der Einzelgrundrechte auch tatsächlich eröffnet ist300. Die Norm ist also auf das Vorhandensein von Schutzgehalten in den einzelnen Grundrechtsnormen angewiesen301. Vorliegend geht es aber gerade um solche Konstellationen, in denen der Abgeordnete dem Staat in einer Situation begegnet, die für den „Normalbürger“ eine die Grundrechte betreffende

292

S. oben 2. Kap. A. (S. 52 ff.). S. oben 2. Kap. A. (S. 52 ff.). sowie ausführlich unten 5. Kap. A. (S. 186 ff.). 294 S. auch BVerfGE 6, 386 (387): „Art. 1 Abs. 3 GG kennzeichnet nicht nur grundsätzlich die Bestimmungen des Grundrechtsteils als unmittelbar geltendes Recht, sondern bringt zugleich den Willen des Verfassungsgebers zum Ausdruck, daß der Einzelne sich der öffentlichen Gewalt gegenüber auf diese Normen als auf Grundrechte im Zweifel soll berufen können.“ 295 Vgl. BVerfGE 33, 1 (33). 296 Zu diesem Begriff schon 3. Kap. B. II. 2. a) (S. 98 ff.). 297 v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn. 25), S. 365; ähnlich Vitzthum (Fn. 250), § 48 Rn. 19. 298 Es kann beispielsweise nicht aus Art. 1 Abs. 3 GG selbst abgeleitet werden, dass die Grundrechte unmittelbar zwischen Privaten gelten, s. Vitzthum (Fn. 250), § 48 Rn. 9, oder wie weit die Grundrechte das Recht gewähren, für die eigene Freiheitsentfaltung auf Mittel und Rechte Dritter zuzugreifen, vgl. die Usurpationsgrenze bei v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn.  25), S. 353 ff.; dies sind grundrechtsdogmatische Fragen, zu denen Art. 1 Abs. 3 GG keine Aussage trifft. 299 S. oben 3.  Kap. B. II. 2. a) (S. 98 ff.). 300 M. Nierhaus, in: AöR 116 (1991), S. 72 (102); Vitzthum (Fn. 250), § 48 Rn. 9. 301 K.-E. Hain, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz II (Fn. 44), Art. 79 Rn. 112. 293

B. Begrifflicher Mythos vom „Abgeordnetenstatus“ 

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abwehrrechtliche Schutzsituation darstellen würde, also sachlicher und persönlicher Schutzbereich grundsätzlich eröffnet wären302: Er wird der Sache nach betroffen wie „jedermann“, wenn sich auch aus diesem Verhalten Rückwirkungen auf sein spezielles Amt ergeben. Dass jenseits der rollenmäßigen Unterscheidung von grundrechtsgebundenem Staat und grundrechtsfähiger Gesellschaft aber noch eine dritte von den Grundrechten losgelöste Rolle zu denken wäre, innerhalb derer individuelle Belange zwar berücksichtigt, aber nicht grundrechtlich angeseilt wären, oder aber auch gänzlich unberücksichtigt blieben303, erfährt im geltenden Verfassungsrecht keine Stütze. Eine aufgrund staatlicher Eingliederung erfolgende  – funktionale  – Grundrechtsbegrenzung kann also nicht weitergehen, als Art. 1 Abs. 3 GG den Einzelnen der Staatsgewalt zuschreibt. Tritt der Funktionsträger aus dem Bereich der Staatsgewalt hinaus, steht er dem Staat seinerseits als (in funktionaler Hinsicht) grundrechtsberechtigt gegenüber304, auch wenn hiermit nichts über den Inhalt der Berechtigung einzelner Grundrechtsbestimmungen (in persönlicher und sachlicher Hinsicht) ausgesagt ist. Nichts anderes ergibt sich aus dem Ziel des Art. 1 Abs.  3  GG  – der „Grundrechtseffektuierung“305 und lückenlosen Bindung der Staatsgewalt an die Grundrechte –, das immer dann, wenn die Ausübung jeder Abgeordnetentätigkeit verlassen wird, konsequenterweise auch für die Grundrechtsverwirklichung des einzelnen Abgeordneten als Person streiten muss306. Natürlich ist die Vorschrift des Art. 1 Abs. 3 GG so aufschlussreich, wie sie auf den ersten Blick scheint, nicht: Die Crux besteht darin, zu ermitteln, wann denn (grundrechtsgebundene) Staatsgewalt in diesem Sinne überhaupt (noch) ausgeübt

302

S. schon die Nachweise in Fn. 144. S. zu den verschiedenen Auffassungen in BVerfGE 118, 227 oben 1. Kap. C. (S. 40 ff.). 304 Hiervon geht auch Vitzthum aus (Fn. 250), § 48 Rn. 14 ff., indem er den Begriff „‚Staat‘ in dem die Grundrechtsverpflichtung begründenden und Grundrechtsträgerschaft ausschließenden Sinn“ untersucht; ebenso Hartmann, Volksgesetzgebung (Fn. 50), S. 87: „Weil es im Verhältnis von Staat und Bürger grundrechtsneutrales Verhalten nicht geben kann, verhalten sich Grundrechtsbindung und Grundrechtsberechtigung zueinander wie korrespondierende Röhren. Was der einen Seite genommen, wächst der anderen Seite hinzu.“; dass Art. 1 Abs. 3 GG damit zugleich Grundrechtsadressat sowie -träger bestimmt, auch bei Isensee, Grundrechtsvoraussetzungen und Verfassungserwartungen an die Grundrechtsausübung, in: ders./Kirchhof, HStR IX (Fn. 247), § 190 Rn. 33; ebenso ders., Anwendung der Grundrechte auf juristische Personen, in: Isensee/Kirchhof, HStR IX (Fn. 247), § 199 Rn. 41. 305 Vitzthum (Fn. 250), § 48 Rn. 21; von Grundrechtseffektuierung spricht auch M. Nierhaus, in: AöR 116 (1991), S.  72 (107); kritisch zu diesem Grundsatz Stern, Staatsrecht I (Fn.  1), S. 134; tendenziell kritisch auch C. Starck, Maximen der Verfassungsauslegung, in: Isensee/ Kirchhof, HStR XII (Fn. 172), § 271 Rn. 45. 306 So bejaht auch das Bundesverfassungsgericht die Eröffnung jedenfalls des Schutzbereichs des Art. 2 Abs. 1 GG für den Kommunalmandatar im Falle des kommunalen Vertretungs­verbot, mithin für eine auf sein Amt rückführbare Regelung, die sich auf seinen Privatbereich auswirkt, s. BVerfGE 41, 231 (241 f.); 52, 42 (54 f.); zuletzt einen Eingriff in die Berufsfreiheit offen lassend BVerfG (K), NJW 1988, 694 (694 ff.). 303

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3. Kap.: Grundrechtsimpermeabler Abgeordnetenstatus?

und wann dieser Bereich (schon) endgültig verlassen wird307. Wenn auch genaue Abgrenzungskriterien erst in einem späteren Abschnitt308 erörtert werden sollen, kann dennoch bereits festgestellt werden, dass der Abgeordnete jedenfalls für solche Pflichten, die ihn jenseits jeder Ausübung seiner Mandatstätigkeit treffen, keinerlei Grundrechtsbindung i. S. d. Art. 1 Abs. 3 GG mehr unterliegt und damit keine funktionale Grundrechtsbegrenzung mehr erfährt: Bereits begrifflich ist es fernliegend, den Abgeordneten außerhalb jedweder Kompetenz- oder auch nur Mandatswahrnehmung noch als Teil  der Staatsgewalt, speziell der Gesetzgebung309, i. S. d. Art. 1 Abs. 3 GG aufzufassen. Eine solche Auslegung könnte sich vom Wortlaut allenfalls dann getragen sehen, stellte man stets auf den Funktionsbezug der betroffenen Regelung ab: Die Regelung ergeht, weil der Abgeordnete auch Teil des Gesetzgebungsorgan ist, nicht weil er in der konkreten Situation der Staatsgewalt zuzurechnen ist. Diese Sichtweise wird zwar vom Wortlaut freilich nicht völlig ausgeschlossen, sie liefe allerdings auf eine formal verstandene Sphärenabgrenzung ohne funktional-materielle Aspekte hinaus310. Auch das Bundesverfassungsgericht beschränkt sein Verständnis der Grundrechtsbindung auf alle „Entscheidungen, Äußerungen und Handlungen, die […] den Anspruch erheben können, autorisiert im Namen aller Bürger getroffen zu werden“311. Ferner entspricht eine solche Auslegung nicht dem Sinn und Zweck der Norm: Es kann nicht jede Regelung staatsorganisatorischen Ursprungs im Dienste der individuellen Freiheitsgewährleistung als grundrechtsfrei (da ihrerseits gebunden) begriffen werden, würde dann doch völlig außer Acht gelassen, dass auch die staatlichen Funktionsträger selbst individuelle Freiheitsakteure sind. Art.  1 Abs. 3 GG wird dann ausschließlich von der Grundrechtseffektuierung der Bürger und nicht auch vom einzelnen Funktionsträger her gedacht312. Art. 1 Abs. 3 ordnet den gängigen Auslegungsmethoden nach eine Bindungswirkung nur insoweit an, wie der Funktionsträger auch tatsächlich in seinem staatlichen Auftrag handelt; darauf, wie weit Art. 38 Abs. 1 S. 2 bzw. Abs. 3 GG dem Abgeordneten auch in den Bereich des Privaten hinein Pflichten auferlegt, kommt es dagegen nicht an. Die Zuordnung von Grundrechtsbindung und -berechtigung kann nicht allein vom (staatsorganisatorischen) Ursprung einer Pflicht

307

Vgl. auch Vitzthum (Fn. 250), § 48 Rn. 14 ff. S. hierzu noch unten 5. Kap. (S. 186 ff.). 309 Hierbei ist nicht ausschlaggebend, ob der Begriff der Staatsgewalt i. S. d. Art. 1 Abs. 3 GG auf deren jeweils materielle Aufgabenwahrnehmung bezogen wird oder formell auf deren Organqualität Bezug nimmt (s. hierzu Stern, Staatsrecht III/1 [Fn. 171], S. 1204 f.; auch Dreier [Fn. 288], Art. 1 Abs. 3 Rn. 53; Höfling [Fn. 291], Art. 1 Rn. 85 ff.) – beide Ansichten gelangen hier zum oben genannten Ergebnis. 310 Diese gilt als allgemein überholt, s. Vitzthum (Fn. 250), § 48 Rn. 16 ff. 311 BVerfGE 128, 224 (244). 312 Vgl. auch die treffende Formulierung Vitzthums zur Rolle der Grundrechte im Staats-­ Bürger-Verhältnis, die ein „Denken vom Menschen, nicht vom Staat her“ voraussetzten, s. Vitzthum (Fn. 250), § 48 Rn. 4. 308

B. Begrifflicher Mythos vom „Abgeordnetenstatus“ 

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her bestimmt werden. An einem solchen auf die Funktionsausübung begrenzten Verständnis der funktionalen Grundrechtsbegrenzung vermag auch die Tatsache nichts zu ändern, dass etwa die Ausübung von Nebentätigkeiten durchaus Rückwirkungen auf die Mandatstätigkeit haben kann313, zwischen beiden Tätigkeiten also „Interdependenzen“314 bestehen. Grundrechtsgebunden ist der Abgeordnete bei der Ausübung seiner Nebentätigkeit nicht; es handelt sich bei diesen Verhaltensweisen um „externe Rahmenbedingungen des institutionellen Wirkens“, deren Grundrechtsschutz nicht versagt werden darf315. 4. Freiwilligkeit der Mandatsannahme als letzter Anker: Grundrechtsverzicht? Zur Untermauerung des beschriebenen Statusverständnisses wird zudem auf die Freiwilligkeit der Mandatsübernahme durch die Mandatsinhaber abgestellt316. Wer sich freiwillig zur Wahl gestellt und diese auch freiwillig angenommen habe, bejahe demnach auch den Eintritt in das beschriebene Statusverhältnis. Ob sich das Freiwilligkeitsmoment des Eintritts in die jeweilige Eingliederungslage für einen möglichen Grundrechtsverzicht mobilisieren lässt, wird seit langem diskutiert317. Anders als im vorigen Abschnitt ist der Grundrechtsverzicht keine Frage der Inhaberschaft von Grundrechten bzw. der Maßstabbildung i. S. d. Art. 1 Abs. 3 GG, sondern eine solche ihrer Geltendmachung und damit der Dispositionsbefugnis des einzelnen Trägers318. Auch wenn die Freiwilligkeit des Eintritts in das Mandatsverhältnis in besonderem Maße durch die Annahme der Wahl bekundet werden muss, steht sie der Sache nach der Zustimmung zu einer beamtenrechtlichen Ernennungsverfügung in nichts nach. Die hierzu entwickelten Erkenntnisse können daher auf das Abgeordnetenverhältnis übertragen werden. Im Beamtenverhältnis stellt sich herkömmlicherweise die Frage, ob dem Betroffenen durch seinen früheren freiwilligen Eintritt in das Eingliederungsverhältnis unterstellt werden kann, auch zukünftig auf seine Grundrechte zu verzichten bzw. ob er bei nicht mehr vorhandenem

313

BVerfGE 118, 227 (362). So insbesondere Käßner, Nebentätigkeiten (Fn. 132), S. 160. 315 Vgl. v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn. 25), S. 366. 316 Bspw. Käßner, Nebentätigkeiten (Fn. 132), S. 161. 317 S. umfassend die Darstellungen bei J. Pietzcker, in: Der Staat 17 (1978), S. 527 (527 ff.); siehe auch D. Merten, Der Grundrechtsverzicht, in: H.-D. Horn u. a. (Hrsg.), Recht im Pluralismus. Festschrift für Walter Schmitt Glaeser zum 70. Geburtstag, 2003, S. 53 (53 ff.); ders., Grundrechtsverzicht, in: ders./Papier, HGR III (Fn. 161), § 73 Rn. 1 ff.; zu den geschichtlichen Wurzeln der Diskussion siehe auch Stern, Staatsrecht III/2 (Fn. 164), S. 888 f. 318 In Abgrenzung zur Nichtausübung“ und zum „Grundrechtsverzicht im engeren Sinne“ als „Grundrechtsausübungsverzicht“ bezeichnet, s. Merten, Grundrechtsverzicht (Fn.  317), S. 56; ders., Grundrechtsverzicht (Fn. 317), § 73 Rn. 24. 314

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3. Kap.: Grundrechtsimpermeabler Abgeordnetenstatus?

Verzichtswillen trotzdem an seine frühere dahingehende Erklärung hinsichtlich weiterer Grundrechtsverkürzungen gebunden bleibt319. Auf den Mandatsträger übertragen also würde unterstellt, er habe durch die Annahme des Mandats auf die Ausübung seiner Grundrechte bezüglich vielfältiger Folgebeeinträchtigungen verzichtet. Ungeachtet der verschiedenen Differenzierungen und dogmatischen Erklärungsversuche320 ist für einen Grundrechtsverzicht in jedem Fall notwendig, dass der entsprechende Wille beim Betroffenen auf den Grundrechtsverzicht gerichtet und „unzweideutig vorhanden ist“321, der Betroffene also die Tragweite seines Verzichts bei Abgabe der Verzichtserklärung kennt. Ein solcher fortbestehender Verzichtswille entpuppt sich aber jedenfalls dann als bloße Fiktion322, wenn die Verschärfung bestehender Verhaltensregeln bzw. Offenlegungspflichten im Raum steht, deren Ausmaß bei Eintritt in das Abgeordnetenverhältnis unvorhersehbar gewesen ist. Eine dahingehende Vorabeinwilligung anzunehmen, per se künftige Offenlegungspflichten jedweden Ausmaßes zu tolerieren, würde die Konstruktion des Grundrechtsverzichts überstrapazieren. Selbst dann aber, wenn man lediglich auf die Akzeptanz bereits vorhandener Regeln abstellen wollte, die der Mandatsträger bei Annahme des Mandatsverhältnisses akzeptiert haben soll, sind derartige Regelungen nicht von einer grundrechtlichen Prüfung freigestellt: Denn der Staat macht diese Vorgaben zur Bedingung des Eintritts in das Mandatsträgerverhältnis323. Konsequenz einer solchen einseitigen Festlegung ist aber, dass die betroffenen Regelungen mit den Grundrechten konform sein müssen324. Hier gilt also ebenso das zur verfassungsimmanenten Grundrechtsbegrenzung Gesagte325: Um eine Aushöhlung grundrechtlicher Schutzbereiche zu vermeiden, muss der Grundrechtsschutz früher ansetzen. Die Regelungen müssen daher bereits im Zeitpunkt ihrer einseitigen Festlegung in grundrechtskonformer Weise ergehen.

319 Vgl. v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn. 25), S. 339 ff., der hierfür zwischen Primär- und Folgebeeinträchtigung unterscheidet. 320 S. umfassend bei Stern, Staatsrecht III/2 (Fn. 164), S. 894 ff. 321 Stern, Staatsrecht III/2 (Fn. 164), S. 914; ähnlich Merten, Grundrechtsverzicht (Fn. 317), S. 69. 322 v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn. 25), S. 344. 323 Vgl. für alle Eingliederungsverhältnisse unter treffender Bezeichnung dieser staatlichen Bedingungen als „vorgelagerter Grundrechtseingriff“ v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn.  25), S. 341. 324 v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn. 25), S. 341 bzw. S. 343. 325 S. oben 3. Kap. B. II. 2. (S. 97 ff.).

B. Begrifflicher Mythos vom „Abgeordnetenstatus“ 

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III. Ergebnis zum Statusbegriff Es hat sich gezeigt, dass keiner der bemühten Argumentationsstränge eine generelle Grundrechtsexemtion des „Abgeordnetenstatus“ zu begründen vermag, versteht man ihn denn als Zusammenschau aller Normen, die auf die Funktion des Abgeordneten zurückzuführen sind: Weder kann angeführt werden, dass die mandatsrechtlich geforderten Regelungen Spezialvorschriften gegenüber den Grundrechten sind. Noch lässt sich eine umfassende grundrechtsbegrenzende Wirkung durch die staatsorganisationsrechtliche Vorschrift des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG bzw. den Ausgestaltungsvorbehalt in Art. 38 Abs. 3 GG begründen. Dasselbe gilt für das Freiwilligkeitsmoment der Mandatsannahme. Als einzig normativer Anhaltspunkt für eine funktionale Begrenzung der Grundrechte sollte Art.  1 Abs.  3  GG herangezogen werden. Die Durchsetzungskraft dieser Bestimmung wurde erst mit der Zeit vollständig erfasst und ebenso auch die besonderen Gewaltverhältnisse der Grundrechtsgeltung i. S. d. Art. 1 Abs. 3 GG unterstellt. Angesichts dieser Kehrtwende in der dogmatischen Behandlung der Eingliederungslagen spricht von vornherein eine verfassungsrechtliche Vermutung326 gegen die implizite Grundrechtsbegrenzung jedweder staatlichen Eingliederung. Der Statusbegriff kann zusammenfassend auf drei verschiedene Weisen gebraucht werden: Entweder man legt dem Begriff tatsächlich alle Vorschriften zugrunde, die dem Abgeordnetendasein geschuldet sind, vergegenwärtigt sich dann aber ebenso, dass diese Rechtsstellung keine per se grundrechtsfreie ist, sondern der Funktion des Abgeordneten geschuldete Regelungen den Geltungsbereich der Grundrechte berühren können. Oder man knüpft (allein) an die persönliche Rechtsstellung des Abgeordneten an, wie es das ursprüngliche Statusverständnis vorsieht: Auch in diesem Fall aber muss eingeräumt werden, dass die an die Person anknüpfenden Pflichten anders zu behandeln sind als die persönlichen Schutzrechte – die an die Person anknüpfenden Pflichten außerhalb der Amtswahrnehmung sind auch hier dem grundrechtlich geschützten Bereich zuzuordnen. Eine dritte Möglichkeit bestünde darin, den Begriff des Status auf diejenigen Rechte und Pflichten zu reduzieren, die tatsächlich im engeren Sinne Amtswahrnehmung bedeuten und sich im Rahmen des Art. 1 Abs. 3 GG als von (positiven) grundrechtlichen Handlungsfreiheiten nicht geschützt darstellen. Dies wiederum liefe aber dem Statusverständnis in seiner herkömmlichen Bedeutung als auf die Person bezogener Regelungskomplex zuwider. Der Begriff des Abgeordnetenstatus wird definitorisch äußerst uneinheitlich verwendet. Für einige Autoren ebnet der Begriff des Abgeordnetenstatus den Weg, die Rechtsstellung des Abgeordneten in eine grundrechtsexempte „Sonderrolle“ zu überführen  – was den Abgeordneten dem (ehemaligen) Verständnis von der 326

Vgl. F. E. Schnapp, in: ZBR 1977, 208 (209).

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3. Kap.: Grundrechtsimpermeabler Abgeordnetenstatus?

Rechtsstellung der Beamten weitaus näherrückt, als die stets hervorgehobene Wesensverschiedenheit zwischen beiden Amtsträgern vermuten ließe. Ein eigenständiger Erklärungswert kommt dem Begriff nicht zu327, weshalb es mit Blick auf die Anwendbarkeit der Grundrechte am sinnvollsten erscheint, auf den Statusbegriff zu verzichten. Auch in der vorliegenden Arbeit soll der Begriff nicht verwendet werden. Stattdessen wird die Bezeichnung „Rechtsstellung des Abgeordneten“ gebraucht, um die Gesamtheit der Regelungen zu umschreiben, die seiner Stellung als Abgeordneter geschuldet sind, knüpfen diese doch wie die persönlichen Schutzrechte und Pflichten seine Person an oder stehen sie wie die parlamentarischen Mitgliedschaftsrechte dem Abgeordnetenamt zu. Beide Regelungsbereiche bedürfen mit Blick auf die Grundrechtsberechtigung des Abgeordneten hinreichender Differenzierung.

327 S. zur allgemeinen Kritik an der Verwendung des Statusbegriffs schon oben die Nachweise in Fn. 103.

4. Kapitel

Das „Wie“ der Grundrechtsberechtigung des Abgeordneten – Der Bundestagsabgeordnete als (partiell) andersartiger Amtsträger Im vorangegangenen Abschnitt wurde herausgearbeitet, dass jene Maßnahmen, die zwar auf die Mandatstätigkeit des Abgeordneten zurückzuführen sind, ihn aber im Privaten betreffen, grundsätzlich an den Grundrechten zu messen sind (das „Ob“ der Grundrechtsberechtigung). Den Schwerpunkt des nachfolgenden Abschnitts sollen die Zuordnungsschwierigkeiten beim „Wie“ der Grundrechtsberechtigung bilden: Es spricht bereits viel dafür, sich für die Bereichsdifferenzierung der Grundrechtsgeltung an bekannten Eingliederungslagen, insbesondere am Beamten, anzulehnen. Doch muss hierfür vorab der Frage nachgegangen werden, inwiefern die Wesensunterschiede, die zwischen Abgeordnetem und Beamtem stets hervorgehoben werden, sich auf eben diese Bereichsdifferenzierung auswirken können (A.). Hieran anschließend ist zu untersuchen, welchen Einfluss die wahre Eigenart1 des Abgeordneten, seine mehrfach betonte „Scharnierfunktion“ zwischen Staat und Gesellschaft, auf seine Rechtsstellung nimmt (B.).

A. Bereichsdifferenzierte Grundrechtsgeltung anderer staatlicher Akteure: Korrelation von Weisungsgebundenheit und wehrfähiger Rechtsposition mit der jeweiligen Grundrechtsberechtigung des Amtsträgers Die folgende Untersuchung soll feststellen, inwiefern die besagten Wesensunterschiede zwischen dem Abgeordneten und dem Beamten tatsächlich Einfluss auf die Grundrechtsträgerschaft eines Amtsträgers nehmen können. Hierfür sollen zunächst die für diese Wesensverschiedenheit angeführten Kriterien ausgemacht und die bereichsspezifische Grundrechtsberechtigung des Beamten erläutert werden (I.). In einem zweiten Schritt werden dieselben Vergleichskriterien für den Richter herausgestellt und eine entsprechende Bereichsdifferenzierung auch für ihn vor 1

S. oben Einl. A. (S. 15).

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4. Kap.: Das „Wie“ der Grundrechtsberechtigung des Abgeordneten 

genommen (II.). Die Parallele zum Richter nimmt eine Brückenfunktion zwischen Beamtem und Abgeordnetem ein, da der Richter ähnlich wie der Abgeordnete über eine von Amts wegen eingerichtete Unabhängigkeitsgewährleistung verfügt und keiner Weisungsbindung unterliegt. Durch die Untersuchung auch seiner Grundrechtsberechtigung kann also festgestellt werden, ob eine Korrelation zwischen den angeführten Wesensunterschieden und der Grundrechtsträgerschaft des jeweiligen Amtsträgers besteht.

I. Grundrechtsberechtigung des Beamten 1. Erörterung der anzulegenden Vergleichskriterien Trotz einzelner Verweise des Abgeordnetengesetzes auf das Beamtenrecht2 stellen Rechtsprechung und Literatur immer wieder die Wesensverschiedenheit der Rechtsstellung beider Funktionsträger heraus, die bereits im Rahmen der Amtsträgereigenschaft des Abgeordneten3 eine Rolle spielte. a) Wesensunterschiede des Abgeordneten und des Beamten in Rechtsprechung und Literatur Zwischen der Rechtsstellung des Abgeordneten und derjenigen des Beamten werden gemeinhin deutliche Unterschiede gesehen4. Diese sind zum einen in der fehlenden Eingliederung des Abgeordneten in ein Dienstverhältnis begründet: Das Volk, welches der Abgeordnete vertritt, gibt keine Weisungen, der Volksvertreter ist gemäß Art.  38 Abs.  1 S.  2  GG einzig seinem Gewissen unterworfen. Er befindet sich in keinem Hierarchieverhältnis zu einem Dienstherrn wie der Beamte5, die Erfüllung seiner Pflichten „entzieht sich 2

S. die §§ 25a Abs. 2, 26 AbgG im Bereich Versorgung; § 27 Abs. 1 S. 1 AbgG für Zuschüsse zu den Kosten in Krankheits-, Pflege- und Geburtsfällen. 3 S. oben 2. Kap. B. II. 1. (S. 64 ff.). 4 „[G]rundlegende statusrechtliche Unterschiede“: BVerfGE 76, 256 (341); ebenso P. Badura, Die Stellung des Abgeordneten nach dem Grundgesetz und den Abgeordnetengesetzen der Länder, in: H.-P. Schneider/W. Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, 1989, § 15 Rn.  63; ders., in: W. Kahl/C. Waldhoff/C. Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 38 (2008), Rn. 63; zu den Unterschieden zwischen Beamten und Abgeordneten in der Weimarer Republik s. schon J. Hatschek, Das Parlamentsrecht des Deutschen Reiches, Erster Teil, 1915, S. 570 ff. 5 K. F. Arndt, Parlamentarische Geschäftsordnungsautonomie und autonomes Parlamentsrecht, 1966, S. 162; A. Käßner, Nebentätigkeiten und Nebeneinkünfte der Mitglieder des Deutschen Bundestages, 2010, S. 160; ebenso T. Nguyen, Die Tätigkeit von Bundestagsabgeordneten neben dem Mandat, 2015, S. 111; „hierarchisch unabhängiges und eigenständiges Rechtsverhältnis“ und damit grundlegend unterschiedlich zu dem des Beamten, Soldaten oder Richter, s. H. Steiger, Organisatorische Grundlagen des parlamentarischen Regierungssystems, 1973, S. 76.

A. Bereichsdifferenzierte Grundrechtsgeltung anderer staatlicher Akteure 

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einer Durchsetzung nach arbeits- oder beamtenrechtlichem Muster“6. Im Gegensatz zum Beamten „‚schuldet‘ [der Abgeordnete] rechtlich keine Dienste“7. Leistung und Gegenleistung seiner Tätigkeit stehen in keinerlei Gegenseitigkeitsverhältnis8. Insbesondere eine fortschreitende Annäherung des Abgeordnetenstatus an denjenigen des Beamten müsse daher grundsätzlich vermieden werden9. Ein weiterer großer Unterschied wird für den Tätigkeitsradius von Abgeordneten und Beamten ausgemacht: Der Beamte ist an ein ihm heteronom vorgegebenes Gemeinwohl gebunden, während der Abgeordnete dieses erst autonom definiert und erzeugt10. Seine Tätigkeit wird also als weitaus schöpfendere, „zwecksetzende“11 begriffen, im Gegensatz zu derjenigen der zweckerfüllenden vollziehenden Gewalt. Seinen ihm verfassungsrechtlich gewährleisteten Unabhängigkeitsbereich i. S. d. Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG kann der Abgeordnete gegen staatliche oder private Zugriffe verteidigen. Er entscheidet eigenverantwortlich, wie er sein Mandat ausfüllt12, und kann sich hierfür der Einflussnahme durch äußere Zwänge erwehren. Aufgrund dieses Freiheitsbereichs ist er daher vermehrt als der „begriffliche Gegentyp des ‚Bediensteten‘“13 bezeichnet worden. 6 BVerfGE 118, 277 (326); ähnlich schon H. Klatt, Die Altersversorgung der Abgeordneten, 1972, S.  166; M. Abelein, Die Rechtsstellung des Abgeordneten in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: H. Kipp/F. Mayer/A. Steinkamm (Hrsg.), Um Recht und Freiheit. Festschrift für Friedrich Augusst Freiherr von der Heydte zur Vollendung des 70. Lebensjahres, 1977, S. 777 (791). 7 BVerfGE 40, 296 (316); s. auch E 76, 256 (341); 118, 277 (326); Badura (Fn.  4), § 15 Rn.  63; ders. (Fn.  4), Art.  38 Rn.  63; C. Waldhoff, in: ZParl. 37 (2006), S.  251 (255); H. H. Klein, Status des Abgeordneten, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd.  III, 3. Aufl. 2005, § 51 Rn.  23; S.  Magiera, in: M. Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 7. Aufl. 2014, Art. 38 Rn. 70. 8 W. Geiger, Der Abgeordnete und sein Beruf, in: Presse- und Informationszentrum des Bundestags (Hrsg.), Politik als Beruf, Das Abgeordnetenbild im historischen Wandel, Zur­ Sache 1/79, S. 105 (110). 9 BVerfGE 118, 277 (326). 10 M. Schröder, Grundlagen und Anwendungsbereich des Parlamentsrechts, 1978, S. 296 f.; Nguyen, Tätigkeit (Fn. 5), S. 111; T. Streit, Entscheidung in eigener Sache, 2006, S. 90: während der Abgeordnete das Gemeinwohl „erst zu finden und zu definieren“ habe, haben Judikative und Exekutive die „Anwendung und Umsetzung“ des vorgefundenen Gemeinwohls zur Aufgabe; ähnlich K. Stein, Die Verantwortlichkeit politischer Akteure, 2009, S. 393 f. 11 „[G]rundlegende, weil programmierende, zwecksetzende Entscheidungsfunktionen im Hinblick auf die Gestaltung der gesamten Ordnung für fast alle Bereiche des staatlich-gesellschaftlichen Lebens der Bundesrepublik“: Steiger, Grundlagen (Fn. 5), S. 72. 12 BVerfGE 118, 277 (326); S. Korioth, Das freie Mandat des Abgeordneten des Deutschen Bundestages  – unter besonderer Berücksichtigung der Pflicht zur Offenlegung von Nebeneinkünften, in: G. Manssen (Hrsg.), Die verfassungsrechtlich garantierte Stellung der Abgeordneten in den Ländern Mittel- und Osteuropas, 2009, S. 63 (67); Käßner, Nebentätigkeiten (Fn. 5), S. 161. 13 A. Köttgen, Abgeordnete und Minister als Statusinhaber, in: O. Bachof u. a. (Hrsg.), Forschungen und Berichte aus dem öffentlichen Recht, Gedächtnisschrift für Walter Jellinek, 1955, S. 195 (213); Bezeichnung ebenso bei K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutsch-

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Diese wesensmäßigen Unterschiede werden nicht nur allgemeiner Natur, sondern gerade auch für eine unterschiedliche Behandlung der Funktionsträger in Bezug auf ihre Grundrechtsberechtigung ins Feld geführt14. b) Wesensunterschiede von Amts- und Parlamentsrecht Mit der Betonung der Wesensunterschiede des Beamten vom Abgeordneten geht die Betonung der Wesensverschiedenheit von Amts- und Parlamentsrecht einher. Es werden „prinzipiell unterschiedliche Strukturprinzipien und Rechtsfolgen“15 zwischen dem Organisationsrecht von Exekutive und Legislative ausgemacht, wobei diese – analog zur Diskussion um den Amtsbegriff – in der „Subjektivierung der Pflichten des Abgeordneten“ liegen sollen16. Dem entspricht es, dass das Parlamentsrecht als vergleichsweise sehr zurückhaltend mit einer ausdrücklichen Normierung von Pflichten des Abgeordneten beschrieben wird17. Die vorgebrachte Differenzierung von Amts- und Parlamentsrecht wird ersichtlich von denselben Argumenten beherrscht wie die propagierten Wesensunterschiede von Beamten und Parlamentariern: Der Abgeordnete erfährt keine umfangreichen Pflichten für seine Mandatswahrnehmung, sondern hat weitestgehend autonome Handlungsspielräume. c) Bilanz: Weisungsgebundenheit und innerorganisatorische Rechtszuweisung als Vergleichsmerkmale Zu den Vergleichsmerkmalen der vorliegenden Untersuchung soll zum einen die Weisungsgebundenheit des entsprechenden Funktionsträgers gehören18. Zum anderen soll darauf eingegangen werden, welche Auswirkungen die Rechtszuweisung eines Amtsträgers, mittels derer er seine unbeeinflusste Amtsstellung verteidigen und Eingriffe von staatlicher oder privater Seite abwehren kann, auf dessen Grundrechtsträgerschaft hat. Schließlich wird dem Abgeordneten die Gewährleistung des freien Mandats ausschließlich um seiner Abgeordnetenrechtsstellung und land, Bd. I, 1984, S. 1051; K.-H. Mattern, Grundlinien des Parlaments, 1969, S. 16; „Gegentyp des Beamten“ bei J. Henkel, in: ZBR 1977, S. 113 (117). 14 BVerfGE 118, 227 (340, 377 ff.) – abw. Votum; S. Heck, Mandat und Transparenz, 2014, S. 75 ff.; Käßner, Nebentätigkeiten (Fn. 5), S. 160 f. 15 Schröder, Grundlagen (Fn. 10), S. 301, der an dieser Stelle den Amtscharakter des Abgeordnetenmandats ganz ablehnt. 16 Schröder, Grundlagen (Fn. 10), S. 299 ff. 17 Köttgen, Abgeordnete (Fn. 13), S. 195 (206). 18 Das fehlende Dienstverhältnis des Abgeordneten wurde bereits an früherer Stelle thematisiert und festgestellt, dass die Eingliederung in Dienst- oder Abgeordnetenverhältnis per se keinen Einfluss auf die Grundrechtsberechtigung nimmt, s. oben 3. Kap. B. II. 3. b) (S.110 ff.).

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nicht der persönlichen Selbstverwirklichung willen gewährt, weswegen es nahe liegt, von einer gegenseitigen Ausschließlichkeit der beiden „Rechtebündel“, des freien Mandats i. S. d. Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG und der Grundrechtwahrnehmung, auszugehen19: Entweder der Mandatsträger nimmt sein freies Mandat wahr und agiert dementsprechend in Erfüllung seines Gemeinwohlauftrags oder er betätigt sich ausschließlich privat. Auf die zweckerfüllende Funktion des Abgeordneten wird dagegen im nachkommenden Abschnitt zurückzukommen sein20. 2. Anwendung der maßgeblichen Vergleichskriterien auf das Beamtenverhältnis Im Folgenden sollen die Parameter der Weisungsgebundenheit und der (mangelnden) Wehrfähigkeit der amtlichen Handlungsspielräume für den Beamten untersucht werden, um sie sodann in Beziehung zu seiner bereichsdifferenzierten Grundrechtsgeltung zu setzen (3.). Eingangs sei darauf hingewiesen, dass die nachfolgende Betrachtung eine typologische sein soll. Wenn von „dem Beamten“ ausgegangen wird, soll damit nicht unterschlagen werden, dass es ein breites Spektrum verschiedener Berufsbilder des Beamten gibt. Der Vereinfachung wegen wird hier der Prototyp des Beamten zugrunde gelegt. a) Weisungsgebundenheit Die Weisungsgebundenheit des Beamten ist ein prägendes Merkmal seiner Rechtsstellung21, vgl. § 35 S. 2 BeamtStG für Beamte der Länder bzw. § 62 Abs. 1 S. 2 BBG für Beamte des Bundes. Sie ist wesentlich für seine personelle demokratische Legitimation22. Die Weisungsgebundenheit resultiert verfassungsrechtlich zum einen aus dem Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1; Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG)23, ferner aus dem Erfordernis funktionstüchtiger Verwaltung sowie aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art.  20 Abs.  2 S.  2, Abs.  3; Art.  28 Abs.  1

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Vgl. C. Möllers, in: Jura 2008, S. 937 (940). 4.  Kap. B. II. 2. (S. 170 ff.). 21 U. Battis, Bundesbeamtengesetz, 4. Aufl. 2009, § 62 Rn. 3; s. umfassend hierzu D. Kugele, in: ders. (Hrsg.), Kommentar zum Bundesbeamtengesetz, 2010, § 62 Rn. 1 ff.; W. Loschelder, Weisungshierarchie und persönliche Verantwortung in der Exekutive, in: Isensee/Kirchhof, HStR (Fn.  7), Bd. V, 3. Aufl. 2007, § 107 Rn.  1 ff. sowie H.  Günther, in: JA 2013, S.  672 (672 ff.). 22 S. Huster/J. Rux, in: V. Epping/C. Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 2. Aufl. 2013, Art.  20 Rn.  94; O. Depenheuer, Das öffentliche Amt, in: Isensee/Kirchhof, HStR III (Fn. 7), § 36 Rn. 21. 23 H. Günther, in: JA 2013, S. 672 (674); Battis (Fn. 21), § 62 Rn. 3. 20

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S. 1 GG)24. Dabei bezieht sich das Weisungsrecht nicht auf solche Anordnungen, die den Beamten in seiner persönlichen Rechtsstellung betreffen25, sondern darf ihn nur in seiner Rolle als Amtswalter erreichen. b) Grundsätzlich keine (ab)wehrfähige Rechtszuweisung im Amt Beamte haben regelmäßig keinen der Weisungsunterworfenheit entzogenen Autonomiebereich, der sie gegen Einflussnahme des Dienstherrn auf die Art und Weise ihrer Funktionsausübung schützen würde. Die Amtswahrnehmung des Beamten selbst ist nicht Gegenstand einer verfassungsrechtlichen oder einfachgesetzlichen wehrfähigen Rechtsposition. Es stellt daher die Ausnahme dar, dass etwa in Fällen der pädagogischen Freiheit des Lehrers diskutiert wird, ob sie aus sich heraus ein subjektives Recht gegenüber Einflussnahmeversuchen darstellt26 bzw. andernfalls durch ausdrückliche gesetzliche Regelung i. S. d. § 42 Abs. 2 VwGO wehrfähig gemacht werden sollte27. Der Beamte ist auch nicht frei darin, sich ein konkretes Betätigungsfeld und die Maßstäbe dessen Erfüllung selbst zu suchen: Neben dem Amt im abstrakt-funktionellen Sinn, das seinen Aufgabenkreis abstrakt festlegt, wird ihm ein konkretfunktionelles Amt zugewiesen, für den ein bestimmter Aufgabenkreis umrissen ist28. Die sog. Umsetzung, die dem Beamten ein anderes Amt im nur konkretfunktionellen Sinne zuordnet, ist nicht auf Außenwirkung i. S. d. § 35 S. 1 VwVfG gerichtet und damit nur dann mit der Feststellungsklage oder der allgemeinen Leistungsklage rügbar, sofern subjektive Rechte im Einzelfall faktisch berührt werden29. Gegen die Zuweisung eines anderen konkreten Tätigkeitsfeldes als solche kann sich der Beamte damit regelmäßig nicht zur Wehr setzen. Der Rechtsschutz des Beamten bestimmt sich demnach allein nach der Beeinträchtigung subjektiver Rechte30: Geht der Beamte in rein innerorganisatorischen Belangen vor, kann er nur auf außergerichtliche Rechtsbehelfe zurückgreifen, da 24

H. Günther, in: JA 2013, S. 672 (674). S. zu § 35 BBG nur BT-Drs. 16/4027, S. 31; s. auch A. Reich, Beamtenstatusgesetz Kommentar, 2. Aufl. 2012, § 35 Rn.  3; kritisch zur Wahl des Adjektivs „dienstlich“ aus diesem Grund Battis (Fn. 21), § 62 Rn. 3. 26 Dafür F. O. Kopp/W.-R. Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, 22. Aufl. 2016, § 42 Rn. 80; N. Niehues/J. Rux, Schulrecht, 5. Aufl. 2013, Rn. 1099; dagegen bspw. OVG Münster NVwZRR 1991, 72 (72 f.). 27 H. Wißmann, in: ZBR 2003, S. 293 (303 ff.). 28 S. zu den dienstrechtlichen Amtsbegriffen Battis, Bundesbeamtengesetz (Fn.  21), § 10 Rn. 10 ff.; s. auch Kugele, in: ders., BBG (Fn. 21), § 10 Rn. 9 ff. sowie S. Leppek, Beamtenrecht, 12. Aufl. 2015, Rn. 54 ff. 29 BVerwGE 60, 144 (144 ff.); zuletzt BVerwG NVwZ 2016, 460 (461); s. Battis, Bundesbeamtengesetz (Fn. 21), § 28 Rn. 4 f. 30 E. Schmidt-Aßmann, in: T. Maunz/G. Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 19 Abs. 4 (2014), Rn. 89. 25

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diese keine Beeinträchtigung subjektiver Rechte zur Voraussetzung haben, wie § 42 Abs. 2 VwGO sie erfordert31. Sofern dagegen persönliche Interessen durchgesetzt bzw. deren Beeinträchtigung gerügt werden sollen, kann der Beamte außergerichtliche und gerichtliche Rechtsbehelfe heranziehen32. Der Beamte ist im Rahmen der Art und Weise seiner Amtsführung, d. h. im Rahmen des weisungsgebundenen Tätigwerdens für den Staat, regelmäßig (gerichtlich) rechtsschutzlos gestellt. 3. Konkrete Bereichsdifferenzierung der Grundrechtsgeltung beim Beamten Die Grundrechtsträgerschaft des Beamten hat Rechtsprechung und Literatur jahrzehntelang ausgiebig beschäftigt. Dies ist vor allem der Abkehr der Lehre vom besonderen Gewaltverhältnis33 hin zu einer im Grundsatz vollen Grundrechtsgeltung auch in der Eingliederungslage geschuldet, die neue Fragestellungen bei der konkreten Bereichsdifferenzierung aufgeworfen hat. Der Beamte ist nach dem Bundesverfassungsgericht Paradebeispiel für die beiden gegenläufigen Positionen des Grundgesetzes: „Die Garantie eines für den Staat unentbehrlichen, ihn tragenden, verläßlichen, die freiheitlich-demokratische Grundordnung bejahenden Beamtenkörpers […] und die Garantie der individuellen Freiheitsrechte“34. Gemeinhin wird für seine Grundrechtsberechtigung dahingehend unterschieden, ob er in seiner Funktion als Amtswalter oder als Person betroffen ist35. Das öffentliche-rechtliche, kompetenzgetragene Handeln wird von seinem Privathandeln differenziert, wobei er sich innerhalb seines Privathandelns gegenüber dem Staat unmittelbar auf seine Grundrechte berufen, gegenüber anderen Privaten dagegen zivilrechtliche Unterlassungsansprüche ins Feld führen kann36. Der konkrete Ausgleich zwischen Grundrechten und dienstlichen Pflichten wird vermehrt in Anlehnung an Isensee im Wege einer bereichsdifferenzierten Betrachtung nach Amt, Dienstverhältnis und Privatbereich vorgenommen37: 31

Leppek, Beamtenrecht (Fn. 28), Rn. 261. Leppek, Beamtenrecht (Fn.  28), Rn.  261; s. ausführlich hierzu Kugele (Fn.  21), § 62 Rn. 8 ff. mit Beispielen zum Rechtsschutz aus der Rechtsprechung. 33 S. hierzu oben 3. Kap. B. II. 3. a) (S. 107 ff.). 34 BVerfGE 39, 334 (366). 35 Battis, Bundesbeamtengesetz (Fn. 21), § 4 Rn. 29. 36 S. W. Graf Vitzthum, Der funktionale Anwendungsbereich der Grundrechte, in: D. Merten/ H.-J. Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Bd. II, 2006, § 48 Rn. 39 ff.; vgl. auch J. Schwabe, Grundrechtsschutz hoheitlicher Funktionsträger, in: D. Murswiek/U. Storost/H. A. Wolff (Hrsg.), Staat – Souveränität – Verfassung. Festschrift für Helmut Quaritsch zum 70. Geburtstag, 2000, S. 333 (335). 37 J. Isensee, Öffentlicher Dienst, in: E. Benda/W. Maihofer/H.-J. Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, 2. Aufl. 1995, § 32 Rn. 80 ff.; sich auf diesen berufend K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/1, 1988, S. 1385 ff.; Depenheuer (Fn. 22), § 36 Rn. 62 und S. Werres, Beamtenverfassungsrecht, 2011, Rn. 193 ff. 32

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a) „Amtsbereich“ – Tätigwerden in Vertretung für den Staat Der Bereich der sog. Amt- bzw. Funktionswahrnehmung38 kennzeichnet die spezifische Aufgabenwahrnehmung des Beamten, innerhalb derer er als „integraler Teil der Staatsorganisation“39 agiert und öffentliche Aufgaben erfüllt40. Es handelt sich um einen Bereich, in dem der Einzelne diejenigen Wahrnehmungsbefugnisse ausübt, die auf ihn in seinem Amt übergeleitet werden41; er wechselt auf die Seite des Staates über und vertritt den Staat aktiv durch sein Handeln, sodass sein Verhalten letzterem zugerechnet wird42. Für dieses amtliche Handeln gelten dementsprechend die rechtlichen Maßstäbe des Staates, die Grundrechtsbindung i. S. d. Art. 1 Abs. 3 GG trifft auch ihn43. Nach der bekannten unter Rechtsschutzgesichtspunkten entwickelten Lehre Ules vom Grund- und Betriebsverhältnis44 steht dieser Bereich demjenigen des Betriebsverhältnisses nahe 45. Der Beamte bewegt sich also nicht im Anwendungsbereich individueller Freiheitsrechte46, staatliche Weisungen über das „Wie“ seiner Aufgabenwahrnehmung wirken sich nur auf seinen Kompetenzbereich aus, nicht auf seine subjektive Rechtsposition47. Dies ist die einzig mögliche Konsequenz aus dem zu Staat und Gesellschaft Gesagten48. Es handelt sich hierbei um einen Bereich, in dem Grundrechte ihrem Wesen nach funktional unanwendbar sind, die Grundrechtsberechtigung also verneint werden muss: Durch die amtliche Stellungnahme wird keine Meinung i. S. d. Art. 5 Abs. 1 S. 1 Var. 1 GG kundgetan49, die Aufzeichnung von Eckdaten dienstlicher Ferngespräche berührt den Amtsträger nicht in seinem Grundrecht aus Art. 10 Abs. 1 GG50, 38 S. auch den „Funktionsstatus“ bei S. Graf v. Kielmansegg, Grundrechte im Näheverhältnis, 2012, S. 359 ff. 39 Isensee, Öffentlicher Dienst (Fn. 37), § 32 Rn. 81. 40 Stern, Staatsrecht III/1 (Fn. 37), S. 1386. 41 Zur Überleitung von Amtsbefugnissen s. schon 2. Kap. B. II. 1. (S. 64 ff.); ebenso v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn. 38), S. 359. 42 v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn. 38), S. 179 ff., 359 f. 43 v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn. 38), S. 360; Wechseln „in die Sphäre des Staates“ auch bei BVerfGE 108, 282 (316); vgl. auch Isensee, Öffentlicher Dienst (Fn. 37), § 32 Rn. 81; Stern, Staatsrecht III/1 (Fn. 37), S. 1386. 44 C. H. Ule, in: VVDStRL 15 (1957), S. 133 (151 ff.). 45 S. zu dieser Übereinstimmung Isensee, Öffentlicher Dienst (Fn. 37), § 32 Rn. 82 Fn. 151. 46 Isensee, Öffentlicher Dienst (Fn.  37), § 32 Rn.  81; Depenheuer (Fn.  22), § 36 Rn.  60; v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn. 38), S. 360. 47 Isensee, Öffentlicher Dienst (Fn. 37), § 32 Rn. 81; ebenso ders., Gemeinwohl und öffentliches Amt, 2014, S. 150; ähnlich Schmidt-Aßmann (Fn. 30), Art. 19 Abs. 4 Rn. 89 sowie O. Depenheuer, in: DVBl. 1992, S. 404 (409); s. aber zur Anwendbarkeit der negativen Handlungsfreiheit gegenüber fachlichen Weisungen unten 4.  Kap. A. I. 3. a) aa) (S. 131 f.). 48 S. oben 2. Kap. A. (S. 52 ff.). 49 Isensee, Öffentlicher Dienst (Fn.  37), § 32 Rn.  81; Stern, Staatsrecht III/1 (Fn.  37), S. 1386; H. Günther, in: DÖD 2007, S. 163 (166). 50 OVG Bremen NJW 1980, 606 (607); zustimmend H.-U. Erichsen, in: VerwArch. 71 (1980), S. 429 (438); zu diesem Komplex W. Durner, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz (Fn. 30), Art. 10 (2010), Rn. 204.

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und eine amtliche Weisung betrifft nicht etwa die (positive) allgemeine Handlungsfreiheit des Beamten i. S. d. Art. 2 Abs. 1 GG51. Diese funktionale Nichtanwendbarkeit der Grundrechte im Bereich des Amtes ergibt sich dabei aus der Inkompatibilität von Staat und Gesellschaft in ein und derselben Rolle, Art. 1 Abs. 3 GG52: Zum einen spiegelt die Wahrnehmung der Amtsbefugnisse durch den Amtswalter regelmäßig von vornherein nicht dessen individuelle Selbstbestimmung wider, sodass bereits der persönliche Bezugspunkt fehlt53. Zum anderen wäre eine solche Individualisierung des Amtes auch nicht vom Schutzzweck der Grundrechte umfasst, da diese nicht gewährleisten, dass durch die Aktivierung von Grundrechten auf amtliches Handeln inhaltlich eingewirkt wird, staatliches Handeln also grundrechtlich untermauert und damit gelenkt werden kann54. Beamten wird keine Vorrechtsstellung gegenüber jedermann verschafft, amtliches Tun zu determinieren55. aa) (Grund)recht auf Nichtvornahme der Amtshandlung? Eine beachtliche weitergehende Differenzierung findet sich bei Schwabe: Diesem zufolge sieht sich jede Amtshandlungspflicht dem – wenn auch in den allermeisten Fällen nicht durchsatzkräftigen  – Recht des Beamten „auf Nichtstun“ aus Art. 2 Abs. 1 GG entgegengesetzt56. Die persönliche Rechtsstellung sei immer auch dann berührt, wenn der Beamte sich gegenüber seiner amtlichen Pflicht zum Handeln auf seine negative Grundrechtsgewährleistung berufe57. Zwar dürfe Amtshandeln nach den oben dargestellten Grundsätzen „grundrechtlich nicht unterfüttert werden“58. Dennoch solle jede Verpflichtung des Beamten zu einer 51

H. Günther, in: JA 2013, S. 672 (675). S. 2. Kap. A. (S. 52 ff.). 53 Vgl. S. Kirste, in: JuS 2003, 336 (339). 54 S. exemplarisch Schnapp, in: ZBR 1977, S. 209 (211): das Amt sei „wahrzunehmen, nicht aber zu gestalten“; W. Loschelder, Grundrechte im Sonderstatus, in: Isensee/Kirchhof, HStR (Fn. 7), Bd. IX, 3. Aufl. 2011, § 202 Rn. 39; W. Hoffmann-Riem, in: R. Wassermann (Hrsg.), Alternativkommentar zum GG, Bd. 1, 2. Aufl. 1989, Art. 5 Rn. 63; F.-J. Peine, Grundrechtsbeschränkungen in Sonderrechtsverhältnissen, in: Merten/Papier, HGR (Fn. 36), Bd. III, 2009, § 65 Rn. 43; Schwabe, Grundrechtsschutz (Fn. 36), S. 346: „Grundrechte geben keine Befugnis zur Steuerung von Hoheitshandeln“; J. Isensee, Gemeinwohl im Verfassungsstaat, in: ders./ Kirchhof, HStR (Fn. 7), Bd. IV, 3. Aufl. 2006, § 71 Rn. 133: kein „Mittel subjektiver Eigenmacht und Selbstverwirklichung“; H. Günther, in: DÖD 2007, S. 163 (166); ders., in: JA 2013, S. 672 (675); in diese Richtung auch die Abweichler in Urteil BVerGE 108, 282 (317): keine „Bühne grundrechtlicher Entfaltung“; s. auch v. Kielmansegg, der die grundrechtliche Untermauerung der Funktionswahrnehmung in die Nähe der Leistungsdimension der Grundrechte rückt, s. noch unten 5. Kap. A. II. (S. 192 f.). 55 Vgl. H. Günther, in: DöD 2007, S. 163 (166); ders., in: JA 2013, S. 672 (675). 56 Schwabe, Grundrechtsschutz (Fn. 36), S. 346 ff. 57 Schwabe, Grundrechtsschutz (Fn. 36), S. 346 ff.; sich insgesamt anschließend v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn. 38), S. 442 ff.: „Es ist die entscheidende Schwachstelle der gängigen Gegenüberstellung von grundrechtsfreiem Amts- und grundrechtsgeschütztem Privatbereich, dass sie diesen Aspekt überspielt.“ (444). 58 Schwabe, Grundrechtsschutz (Fn. 36), S. 333. 52

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Amtshandlung potentiell mit dessen allgemeiner Handlungsfreiheit kollidieren können, sofern der Beamte unter Rekurs auf dessen negative Freiheitsgewährleistung einfordert, von der fraglichen Amtshandlung befreit zu bleiben59. „Grundrechtlich geschützt ist die Freiheit vom Amt, nicht die Freiheit im Amt“60. Dem ist grundsätzlich zu folgen. Verlässt der Amtswalter seine gesellschaftliche Rolle zugunsten der staatlichen, ist wie gesehen das Entscheidende, dass die grundrechtliche Komponente nicht länger Maßstab seines Handelns bilden kann, sofern er hierdurch den Inhalt seiner staatlichen Aufgabenwahrnehmung beeinträchtigen würde. Nach diesem Grundsatz spräche auf den ersten Blick nichts dagegen, die negative Dimension der allgemeinen Handlungsfreiheit auf die vorliegenden Fälle anzuwenden, berechtigt diese ihn ja per definitionem nicht zu einer positiven Einflussnahme auf staatliches Tun. Allerdings ist es durchaus ein schmaler Grat, wenn jeder einzelnen Amtspflicht Relevanz für die negative Freiheitsgewährleistung beigemessen wird: Denn Unterlassung und aktives Tun eines Verwaltungsbeamten können häufig nicht trennscharf unterschieden werden. So ist zwangsläufig eine Modifikation der amtlichen Pflicht gegeben, wenn der Amtsträger die ihm obliegende Amtspflicht schlicht in staatlichem Namen unterlässt61. Der fragliche Verwaltungsakt, den der Funktionsträger aufgrund der negativen Dimension62 eines Grundrechts nicht erlassen möchte, darf nicht unter milderen oder anderen Vorzeichen ergehen und auch nicht ganz unterbleiben63. Eine Verneinung der funktionalen Anwendbarkeit der Grundrechte darf auf der anderen Seite immer nur soweit gehen, wie der einzelne Funktionsträger andernfalls Gefahr liefe, persönliche Freiheiten auf Kosten des Amtes wahrzunehmen, also seine Amtshandlungen nach eigenem gusto zu modifizieren64.

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Schwabe, Grundrechtsschutz (Fn. 36), S. 347. v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn. 38), S. 444. 61 S. v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn.  38), S.  443: „Der Funktionsträger handelt nicht nur, er unterlässt auch für das Gemeinwesen.“ (Hervorhebung im Original); s. auch Schwabe, Grundrechtsschutz (Fn. 36), S. 346. 62 Da Maßstab einzig die inhaltliche Modifizierung staatlichen Tuns ist, sind sogar positive Handlungsfreiheiten dann funktional anwendbar, wenn keine inhaltliche Kollision mit der amtlichen Handlungspflicht, sondern nur eine zeitliche Kollision mit der Diensttätigkeit im Raum steht, bspw. eine Teilnahme an einer gleichzeitig stattfinden Demonstration nicht möglich ist, s. v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn. 38), S. 397 f. 63 S. hierzu die Diskussion um die Berufung auf die Gewissensfreiheit gegenüber staatlichen Weisungen, insbesondere in Bezug auf die Pfaff-Entscheidung BVerwGE 127, 302; vor der Tendenz warnend, die Gewissensfreiheit in diesem Zusammenhang in ihrer Dimension als Leistungsrecht zu gewährleisten, v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn. 38), S. 447; für eine Anwendbarkeit der negativen Gewissensfreiheit speziell für Polizeieinsätze in Extremsituationen R. Rupprecht, Anspruch des Polizeibeamten auf Schutz seiner Grundrechte bei Einsätzen, in: M. Schreiber (Hrsg.), Polizeilicher Eingriff und Grundrechte. Festschrift zum 70. Geburtstag von Rudolf Samper, 1982, S. 51 (63 ff.); dagegen ablehnend O. Depenheuer, in: DVBl. 1992, S. 404 (409). 64 Dies ist Aussage des bereits beschriebenen Kehrseitengedankens, s. 3. Kap. B. II. 3. d) (S. 114 ff.). 60

A. Bereichsdifferenzierte Grundrechtsgeltung anderer staatlicher Akteure 

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Soweit (!) diese Gefahr nicht besteht, müssen die Freiheitsrechte des Amtsträgers Beachtung finden. Es muss gewährleistet bleiben, dass das amtliche Handeln hierdurch keinen anderen Inhalt erfährt, sondern allenfalls vom betroffenen Amtswalter nicht ausgeführt wird – dafür aber ggf. von einem anderen. bb) Bestehenbleiben von Integritätsrechten resp. negativen Handlungsfreiheiten im Amtsbereich Eine Besonderheit ergibt sich ferner für die Anwendbarkeit bzw. das Bestehenbleiben von Integritätsrechten bei Funktionswahrnehmung. Dies kann am besten anhand von solchen Beamtenverhältnissen illustriert werden, die gefahrgeneigte Tätigkeiten zum Gegenstand haben. So ist beispielsweise anerkannt, dass die Gefahren für Leib und Leben für Polizeibeamte und Feuerwehrmänner anhand der körperlichen Unversehrtheit i. S. d. Art. 2 Abs. 2 S. 1 Var. 2 GG zu messen sind65. Dies hat zuweilen dazu geführt, die Beeinträchtigung von Leben und Gesundheit schematisch dem sogleich zu erörternden „Dienstverhältnis“ zuzuordnen66. Eine solche Einordnung als „dienstliche“ Gefahr ist insoweit nachvollziehbar, als der Amtsträger in seinen Rechtsgütern dauerhaft verletzlich und über den zeitlichen Rahmen seiner Berufstätigkeit hinaus in seiner persönlichen Rechtsstellung betroffen ist. Streng genommen bewegt sich der Amtsträger in den meisten Fällen dennoch in seinem ureigenen Funktionsbereich: Bei Polizeieinsätzen etwa, die die Ausübung von Gewalt erfordern, übt der Amtsträger diese zweifellos in staatlicher Autorität aus, nimmt also seine ihm übertragenen Hoheitsrechte wahr. Der Polizist muss regelmäßig körperliche Gewalt anwenden, um etwa ein rechtmäßiges Verhalten eines Bür 65 Umfassend hierzu Rupprecht, Anspruch (Fn.  63), S.  51 (59 ff.); M. Sachs, in: BayVBl. 1983, S. 460 (460 ff.); ders., in: BayVBl. 1983, S. 489 (489 ff.); F. Hofmann, in: ZBR 1998, S.  196 (196 ff.); so soll auch Polizeibeamten ein Notwehr- bzw. Nothilferecht zustehen, s. BayObLG BayObLGSt 1990, 141 (142); OLG Celle NJW-RR 2001, 1033 (1033 ff.); BGH NStZ 2005, 31 (31); J. Gauder, Das abverlangte Lebensopfer, 2010, S. 48 ff., insb. 84 ff. – zumindest missverständlich hingegen Peine, Grundrechtsbeschränkungen (Fn.  54), § 65 Rn.  6: es würde „den Erfordernissen des (grundgesetzlich vorgesehenen) Soldatenverhältnisses nicht gerecht […], könnte sich der Sonderstatusträger auf sein Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) berufen.“; s. auch Loschelder, Grundrechte (Fn. 54), § 202 Rn.  49: „wo aber der Zweck der Sonderbindung  – beim Polizeivollzugsbeamten oder Soldaten  – physischen Einsatz in Gefahrenlagen nötig macht, ist ihre Position von vornherein nachgiebiger ausgestaltet“, mit Bezug auf K. Doehring, Zum „Recht auf Leben“ aus nationaler und internationaler Sicht, in: R. Bernhardt u. a. (Hrsg.), Völkerrecht als Rechtsordnung Internationale Gerichtsbarkeit Menschenrechte, Festschrift für Hermann Mosler, 1983, S.  145 (155 ff.). 66 S. sogleich 4.  Kap. A. I. 3. b) (S. 135 f.); Stern, Staatsrecht III/1 (Fn. 37), S. 1387; Isensee, Öffentlicher Dienst (Fn. 37), Rn. 82 – anders W. Loschelder, Vom besonderen Gewaltverhältnis zur öffentlich-rechtlichen Sonderverbindung, 1982, S. 319, der diese gefahrgeneigten Tätigkeiten gerade dem Amtsinhalt zuordnet und infolgedessen den Rechtsgüterschutz verneint.

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4. Kap.: Das „Wie“ der Grundrechtsberechtigung des Abgeordneten 

gers in alkoholisiertem Zustand einzufordern. Eben hier ist er in seiner ureigenen, ihm überantworteten Funktion tätig, namentlich dem Eintreten für Sicherheit und Einhalt der Rechtsordnung. Im Gegensatz zu Kleidungsfragen des Amtsträgers lässt sich die Gefahr für die Gesundheit des Polizisten nicht von dessen eigentlicher Amtsausübung ablösen und damit dem Dienstbereich zuordnen. Zwar ließen sich etwa das Vorgehen des Polizisten gegen den Angreifer in Wahrnehmung amtlicher Kompetenz und der Gegenschlag des Angreifers noch trennen, der seinerseits nun eine Bedrohung für die körperliche Unversehrtheit des Polizisten darstellt. Die daraufhin erfolgende Verteidigungshandlung des Polizisten wird aber häufig von doppelter Motivation getragen, nämlich zum einen zum Schutz der eigenen Rechtsgüter, zum anderen nach wie vor zur Durchsetzung des ursprünglich eingeforderten Verhaltens unter Wahrnehmung von hoheitlichen Eingriffsbefugnissen. Das Ineinandergreifen von hoheitlichen Handlungsbefugnissen und der Verteidigung privater Rechtsgüter wird auch durch die Diskussion um das Zusammenspiel hoheitlicher Ermächtigungsgrundlagen zum Schusswaffengebrauch und notwehrrechtlicher Rechtfertigungslage belegt67: Oft fällt die Ausübung von hoheitlichen Kompetenzen mit echten Notwehrlagen für Rechtsgüter des Polizis­ ten selbst zusammen. Er ist in diesem Moment auch Teil der Staatsorganisation – nach dem zum Funktionsbereich Gesagtem wäre eine grundrechtliche Betroffenheit ausgeschlossen. Dass die Lehre hierbei richtigerweise nicht stehen bleiben kann, liegt auf der Hand und lässt sich aus dem Wesen von Integritätsrechten wie Leib und Leben i. S. d. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG heraus erklären: Sie schützen den Rechtsbestand68 resp. Zustand69 einer Person im Sinne der „Integrität des natürlichen Seins“70. Integritätsrechte befähigen daher im Allgemeinen nicht zum positiven Handeln bzw. einer inhaltlichen Einflussnahme auf staatliche Handlungsbefugnisse, sondern bewahren lediglich vor Rechtseinbußen71. Zu diesen gehören neben der körperlichen Unversehrtheit etwa die Privatheit der Wohnung i. S. d. Art. 13 GG, die integritätsrechtlichen Elemente des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, Art. 2 Abs. 1 i. V. m.

67 Zur Frage gespaltener Rechtswidrigkeitsurteile im Strafrecht und im öffentlichen Recht bei gegebener Notwehrlage, aber nicht gegebenen Tatbestandsvoraussetzungen der öffentlichrechtlichen Ermächtigungsgrundlage s. umfassend V. Erb, in: W. Joecks/K. Miebach (Hrsg.), Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl. 2011, § 32 Rn. 186 ff. 68 J. Isensee, Das Grundrecht als Abwehrrecht und als staatliche Schutzpflicht, in: ders./ Kirchhof, HStR (Fn. 7), Bd. IX, 3. Aufl. 2011, § 191 Rn. 62. 69 W. Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2003, S. 76; B. Rox, Schutz religiöser Gefühle im freiheitlichen Verfassungsstaat?, 2012, S. 85. 70 Cremer, Freiheitsgrundrechte (Fn. 69), S. 76 (Hervorhebung im Original) in Unterscheidung zum natürlichen Können; ebenso Rox, Schutz (Fn. 69), S. 85. 71 v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn. 38), S. 397, 411; s. auch D. Merten, Der Grundrechtsverzicht, in: H.-D. Horn u. a. (Hrsg.), Recht im Pluralismus. Festschrift für Walter Schmitt Glaeser zum 70. Geburtstag, 2003, S. 53 (60).

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Art. 1 GG72, sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis i.S.d Art. 10 GG und das Eigentum, Art. 14 GG73. Sie betreffen notwendigerweise auf lange Sicht die persönliche Rechtssphäre des Amtsträgers. Aus diesem Grund bleiben die Integritätsrechte in grundrechtlich abgesicherter Form auch im Amt wehrfähig74. Welche Integritätsrechte dabei von vornherein außerhalb der Amtswahrnehmung stehen, da kein sachlicher Zusammenhang mit der Ausübung amtlicher Befugnisse besteht, und welche Integritätsrechte gewissermaßen zum Amtsbereich gehören, weil deren Beeinträchtigung gerade zum Amtsinhalt gehört, ist anhand des spezifischen Amtes zu klären. b) „Dienstverhältnis“ – Amtsträger steht dem Staat als Person gegenüber Daneben besteht der Bereich der „persönlichen Rechtsstellung“ des Beamten, das sog. „Dienstverhältnis“75, das in der Terminologie Ules dem Grundverhältnis nahe kommt76. Präziser wird dieser Bereich als „die spezifische Rechtsstellung des Bürgers in einem Funktionsträgerverhältnis [bezeichnet], soweit er nicht funktional auf die Seite des Staates tritt, sondern diesem als Person gegenübersteht.“77 Der Beamte mag zwar inhaltlich seiner ihm im Amt zugewiesenen Tätigkeit nachgehen, er ist aber dennoch insoweit in seiner persönlichen Rechtsstellung berührt, als nicht die inhaltliche Ausübung seiner Amtsbefugnisse geregelt wird, sondern etwa äußere Umstände und Modalitäten seiner Tätigkeit festgelegt werden78. Die Grundrechte beanspruchen hier grundsätzlich vollends Geltung79. Der Beamte muss allerdings im Rahmen der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums Einschränkungen seiner Grundrechte hinnehmen, die um der Funktionsfähigkeit der eingliedernden Einheit willen erforderlich sind80. Hierzu gehören beispielsweise die Verschwiegenheitspflicht des Beamten81 sowie seine

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S. hierzu ausführlich unten 5. Kap. C. I. 1. a) bb) (2) (S. 202 f.). Isensee, Grundrecht (Fn.  68), § 191 Rn.  62; Cremer, Freiheitsgrundrechte (Fn.  69), S. 77 f.; Rox, Schutz (Fn. 69), S. 85. 74 Schwabe, Grundrechtsschutz (Fn.  36), S.  338; v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn.  38), S. 397. 75 Isensee, Öffentlicher Dienst (Fn.  37), § 32 Rn.  82 ff.; Stern, Staatsrecht III/1 (Fn.  37), S. 1386 f. 76 Isensee, Öffentlicher Dienst (Fn. 37), § 32 Rn. 82 Fn. 151, vgl. C. H. Ule, in: VVDStRL 15 (1957), S. 133 (151 ff.). 77 v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn. 38), S. 401: als „Personalstatus“ bezeichnet. 78 Sog. amtsbegleitendes Verhalten, s. v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn. 38), S. 407 ff. 79 Stern, Staatsrecht III/1 (Fn.  37), S.  1386 f.; Isensee, Öffentlicher Dienst (Fn.  37), § 32 Rn. 83. 80 Stern, Staatsrecht III/1 (Fn. 37), S. 1386 f.; Isensee, Öffentlicher Dienst (Fn. 37), § 32 Rn. 83. 81 Isensee, Öffentlicher Dienst (Fn. 37), § 32 Rn. 82; Stern, Staatsrecht III/1 (Fn. 37), S. 1386 m. w. N., der die Verschwiegenheitspflicht aber zugleich auch noch dem Privatbereich zuordnet, S. 1387; Zuordnung zur „persönlichen Lebensführung“ auch Depenheuer (Fn. 22), § 36 Rn. 62. 73

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4. Kap.: Das „Wie“ der Grundrechtsberechtigung des Abgeordneten 

Dienstkleidung82. Ebenso werden hierzu Fotoaufnahmen von einem Polizisten bei seiner amtlichen Tätigkeit gezählt83. aa) Verfassungsimmanente Grundrechtsbegrenzung durch Sachnotwendigkeiten des Beamtenverhältnisses? Die Kopftuchentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts In diesem Zusammenhang ist das abweichende Votum dreier Richter des ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts in der Ludin-Entscheidung bemerkenswert84. Die entscheidungstragenden Richter halten es für verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt, die Einstellung der Kopftuch tragenden Lehrerin vor dem Hintergrund der Art. 33 Abs. 2 i. V. m. Art. 4 Abs. 1 und 2 GG und Art. 33 Abs. 3 GG zu versagen85. Art. 33 Abs. 3 S. 1 GG garantiert, dass die Zulassung zu öffentlichen Ämtern unabhängig vom religiösen Bekenntnis einer Person ist. Die entscheidungstragenden Richter leiten hieraus ab, die Norm verbiete „jedenfalls auch, die Zulassung zu öffentlichen Ämtern aus Gründen zu verwehren, die mit der in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG geschützten Glaubensfreiheit unvereinbar sind“86. Jedenfalls solange eine gesetzlich hinreichende Grundlage für eine Ablehnung aus den besagten Gründen nicht vorhanden sei, müsse die Annahme fehlender Eignung der Bewerberin als verfassungswidrig eingestuft werden87. Die drei hiervon abweichenden Richter führen dagegen an, die entscheidungstragenden Richter hätten „die funktionelle Begrenzung des Grundrechtsschutzes

82 Siehe nur OVG Koblenz NJW 1987, 340 (340); BVerfG (K), NJW 1991, 1477 (1477 f.); BVerwG NJW 1999, 1985 (1985 f.); der Sache nach so Depenheuer (Fn. 22), § 36 Rn. 62; umfassend zu diesem Komplex v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn. 38), S. 422 ff.; Battis, Bundesbeamtengesetz (Fn. 21), § 60 Rn. 18 f. m. w. N. 83 So die h. M., s. nur OLG Karlsruhe NJW 1980, 1701 (1702); OVG Koblenz NVwZRR 1998, 237 (238); D. Franke, in: NJW 1981, S.  2033 (2033 ff.); Rupprecht, Anspruch (Fn. 63), S. 56, 58 f.; Loschelder, Grundrechte (Fn. 54), § 202 Rn. 53 – a. A. bei H.-U. Paeffgen, in: JZ 1979, S. 516 (517); F. v. Zezschwitz, Der fotografierte Staatsdiener, in: H. Avenarius u. a. (Hrsg.), Festschrift für Erwin Stein zum 80. Geburtstag, 1983, S. 395 (399 f.); Schwabe, Grundrechtsschutz (Fn. 36), S. 343 ff.; differenzierend v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn. 38), S. 412. 84 BVerfGE 108, 282 (314 ff.) – abw. Votum. 85 BVerfGE 108, 282 (294 ff.). 86 BVerfGE 108, 282 (298); zustimmend U. Sacksofsky, in: NJW 2003, S.  3297 (3298); F. Hufen, in: NVwZ 2004, S.  575 (575); C. Walter/A. v. Ungern-Sternberg, in: DÖV 2008, S. 488 (490 ff.); R. Summer, in: DÖV 2006, S. 249 (254); U. Battis/P. F. Bultmann, in: JZ 2004, S. 581 (582): „Der hohe Rang der Religionsfreiheit kommt darin zum Ausdruck, dass Art. 33 III GG das allgemeine Freiheitsgrundrecht aus Art. 4 I, II GG für den öffentlichen Dienst als Gleichheitsgrundrecht verstärkt“; kritisch v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn.  38), S.  427, der die Lösung der entscheidungstragenden Richter als „den ausgetretenen Pfaden des Freiheits­ prinzips [folgend]“ bezeichnet. 87 BVerfGE 108, 282 (306 ff.).

A. Bereichsdifferenzierte Grundrechtsgeltung anderer staatlicher Akteure 

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für Beamte“ verkannt88. Die Beamtenstellung weise besondere Sachgesetzlichkeiten auf89. Insbesondere unterscheide sich der Sonderstatus der Beamten von demjenigen sonstiger Eingliederungsverhältnisse maßgeblich dadurch, dass die Beamten freiwillig in die „Sphäre des Staates“ wechselten90: „Grundrechtliche Freiheitsansprüche eines Beamten oder des Bewerbers um ein öffent­ liches Amt sind deshalb von vornherein nur insoweit gewährleistet, als sie mit diesen Sachgesetzlichkeiten vereinbar sind. Sie fügen sich in diese Notwendigkeiten des öffentlichen Amts ein, wenn keine Hindernisse für den Dienstbetrieb befürchtet werden müssen. Alles andere als ein solcher Funktionsvorbehalt für Grundrechtsansprüche der Beamten im Dienst wäre mit der Konkordanz der Verfassung nicht zu vereinbaren. Anderenfalls würde die Verfassungsinterpretation einen Widerspruch eröffnen, der im Grundgesetz selbst nicht angelegt ist.“91

Das abweichende Votum geht davon aus, dass die besondere verfassungsrechtlich abgesicherte Pflichtenstellung des Beamten den grundrechtlichen Schutz zurückdränge, „soweit Aufgabe und Zweck des öffentlichen Amts dies erfordern“92. Insoweit falle besonders ins Gewicht, dass der Lehrer im Schuldienst – auf Seiten des Staates – Adressat der Grundrechte von Schülern und Eltern sei93. Wenn er seine eigenen Freiheitsrechte gegen Schüler und Eltern geltend mache, mindere er den Grundrechtsschutz dieser Personen, obwohl der Staat dazu aufgerufen ist, deren Grundrechte zu schützen94. Zwölf Jahre später hat das Bundesverfassungsgericht eine weitere Entscheidung bezüglich des Kopftuchverbots von Lehrerinnen gefällt und ein pauschales Kopftuchverbot der Länder für verfassungswidrig erklärt95. Ein solches Verbot solle erst aufgrund hinreichend konkreter Gefahr für den Schulfrieden oder das staatliche Neutralitätsgebot ergehen können96. Auch die abweichenden Stimmen wollen diesmal allenfalls bei dem Punkt ansetzen, bereits bei Vorliegen einer abstrakten

88

BVerfGE 108, 282 (315 ff.) – abw. Votum. BVerfGE 108, 282 (317) – abw. Votum. 90 BVerfGE 108, 282 (316) – abw. Votum. 91 BVerfGE 108, 282 (317) – abw. Votum. 92 BVerfGE 108, 282 (321) – abw. Votum; kritisch zur Lösung der entscheidungstragenden Richtern hinsichtlich ihrer grundrechtsdogmatischen Einschätzung auch J. Ipsen, in: NVwZ 2003, S. 1210 (1212); Gegenkritik bei G. Czermak, in: NVwZ 2004, S. 943 (943 ff.); dem abweichenden Votum im Ansatz zustimmend auch H.  Wißmann, in: ZevKR 52 (2007), S.  51 (57 f.), der mangels alternativer rechtlicher Ordnung aber das Modell der Grundrechtsgeltung befürwortet; ausdrücklich ablehnend S. Baer/M. Wrase, in: JuS 2003, S. 1162 (1164); dies., in: DÖV 2005, S. 243 (244); M. Sachs, in: NWVBl. 2004, S. 209 (211 ff.); kritisch gegenüber der Berufung auf das Amtsprinzip auch v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn. 38), S. 427. 93 BVerfGE 108, 282 (317) – abw. Votum; als „Verhältnis der Tripolarität“ bezeichnet bei J. Ipsen, in: NVwZ 2003, S. 1210 (1212). 94 BVerfGE 108, 282 (317) – abw. Votum. 95 BVerfGE 138, 296. 96 BVerfGE 138, 296 (340 ff., Rn. 112 ff.). 89

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4. Kap.: Das „Wie“ der Grundrechtsberechtigung des Abgeordneten 

Gefahr für den Schulfrieden das Kopftuchtragens zu verbieten97, negieren damit aber nicht die vorgeschaltete Frage der Grundrechtsberechtigung98. bb) Eigene Stellungnahme Der Würdigung des Kopftuchtragens anhand der Grundrechte ist zuzugeben, dass die Kleidung von Amtsträgern zumeist in der Tat Ausdruck deren Selbstbestimmung und Persönlichkeit sein wird99, was der Schüler auch als solchen versteht. Die Kleidungsfrage kann letztlich von dem eigentlichen Unterrichtsinhalt abgelöst werden, der in Vertretung für den Staat vorgenommen wird. Auch im Fall der kopftuchtragenden Lehrerin war dies der Sache nach richtig zugunsten der grundrechtsbejahenden Variante aufzulösen, besteht doch keine Gefahr, das staatliche Handeln inhaltlich durch die eigenen Freiheitsrechte zu modifizieren. Dann aber ist auch die Grundrechtsgeltung anzuerkennen und dem tripolaren Konfliktverhältnis auf Ebene der Rechtfertigung Rechnung zu tragen. Allerdings kann die diffizile Abschichtung der verschiedenen Rollen des Amtsträgers in derartigen dreipoligen Konstellationen für den Einzelfall durchaus er­ örterungsbedürftig werden: Spätestens dann nämlich, wenn die Frage nach der eigenen Religion zum Gegenstand inhaltlicher Auseinandersetzung mit den Schülern wird und demnach unter Inanspruchnahme des Amtes individuelle Präferenzen, gar ein politisches Statement100, transportiert werden, muss die Anwendbarkeit der Grundrechte auf den betreffenden Lehrer konsequenterweise verneint werden101. Die Rechtsprechung mag zwar dazu neigen, teilweise sogar die Unterrichtsvermittlung des Lehrers dem Anwendungsbereich des Art. 5 Abs. 1 S. 1 Var. 1 GG zu unterstellen und eine Lösung dann auf Schrankenebene des Art. 5 Abs. 2 GG zu suchen102, was den Trend hin zu einer stetigen Erweiterung des Frei-

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BVerfGE 138, 296 (359 ff., Rn. 1 ff.) – abw. Votum. Zwar handelte es sich bei den Beschwerdeführerinnen der kürzlich ergangenen Entscheidung um zwei angestellte Lehrerinnen im öffentlichen Dienst und nicht um Beamtinnen; der Senat scheint allerdings zwischen verbeamteten Lehrerinnen und angestellten Lehrerinnen keinen grundsätzlichen Unterschied zu erkennen, vgl. BVerfGE 138, 296 (328, Rn. 84) unter Verweis auf das Mehrheitsvotum der Ludin-Entscheidung. 99 S. oben 4.  Kap. A. I. 3. b)  (S.  135 f.); s. ebenso v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn.  38), S. 422. 100 Zu den Fälle politischer Meinungsäußerungen durch Plaketten oder ähnliches durch Mandatsträger siehe schon oben 1. Kap. B. III. 1. (S. 34 ff.); bezüglich des Tragens einer Plakette „Atomkraft? Nein Danke!“ s. auch BVerwGE 84, 292 (292 ff.), das das Tragen der Plakette als von der konkreten Unterrichtsgestaltung unabhängige Frage einordnet und der Meinungsäußerungsfreiheit zuschreibt, obwohl es die Anti-Atomkraft-Plakette als „politisches Propagandamittel“ einstuft (296); kritisch v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn. 38), S. 419 Fn. 456. 101 Ebenso v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn. 38), S. 428. 102 S. bspw. Niedersächsischer Disziplinarhof NJW 1988, 2918 (2920) für die verharmlosende Darstellung nationalsozialistischer Verbrechen im Unterricht. 98

A. Bereichsdifferenzierte Grundrechtsgeltung anderer staatlicher Akteure 

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heitsradius belegt. Nach dem zum Amt Gesagten ist eine solche Einordnung aber nicht konsequent. Es erschließt sich bereits nicht, wieso eine Weisung bezüglich des „Wie“ der Amtswahrnehmung nach ständiger Rechtsprechung keine grundrechtliche Relevanz haben, das „Wie“ der Amtsausübung ohne solche Weisung aber Grundrechtscharakter aufweisen soll. Dass die eigentliche Entäußerung von Lehrinhalten als Ausübung öffentlicher Gewalt frei von grundrechtlicher Deutung zu bleiben hat103, muss vielmehr auch in Fällen der vorliegenden Art gelten. Bezogen auf das Tragen von Symbolen ist das aber nicht damit zu begründen, dass sich im Rahmen des Dienstbereichs aufgrund entsprechender Sachnotwendigkeiten „grundrechtsimpermeable Räume“ ergeben. Vielmehr ist erneut vom Kerngedanken der funktionalen Nichtanwendbarkeit der Grundrechte i. S. d. Art. 1 Abs. 3 GG auszugehen: Wenn die heikle Gretchenfrage durch das Vehikel des Lehrauftrags und damit unter Inanspruchnahme staatlicher Autorität transportiert wird, nimmt sie an der Unterrichtsvermittlung durch den Lehrer teil und wird damit gewissermaßen zu dessen Inhalt. Sie wechselt selbst in den Funktionsbereich über, der grundrechtliche Schutzraum wird dann automatisch verlassen. c) „Privatbereich“ Im „Privatbereich“ ist der Beamte Bürger mit den gleichen Freiheitsrechten wie jedermann104. Auch in diesem Bereich aber ist er nicht gänzlich frei von Pflichten, die sich aus den Erfordernissen seines Amtes ergeben105. Hier wirkt sein öffentlich-rechtliches Dienst- und Treueverhältnis weiter (Art.  33 Abs.  4  GG). So kann beispielsweise die Wahl des Wohnorts durch die Residenzpflicht eingeschränkt sein106. Für den außerdienstlichen Bereich muss allerdings die Prämisse gelten, der Grundrechtsfreiheit soviel Freiraum wie möglich zuzugestehen107. Der „Privat­bereich“, der im Rahmen des Abgeordnetenstatus große Probleme aufwarf, wird hier unbestrittenermaßen vollkommen von den Grundrechten durchdrungen.

103 So auch Werres, Beamtenverfassungsrecht (Fn.  37), Rn.  215; Niehues/Rux, Schulrecht (Fn. 26), Rn. 1104; ebenso v. Kiemansegg, Grundrechte (Fn. 38), S. 419 Fn. 456. 104 Isensee, Öffentlicher Dienst (Fn. 37), § 32 Rn. 85; Stern, Staatsrecht III/1 (Fn. 37), S. 1387; bei v. Kielmansegg als „Bürgerstatus“ bezeichnet: ders., Grundrechte (Fn. 38), S. 364 ff. 105 Isensee, Öffentlicher Dienst (Fn. 37), § 32 Rn. 85; Stern, Staatsrecht III/1 (Fn. 37), S. 1387. 106 Isensee, Öffentlicher Dienst (Fn. 37), § 32 Rn. 85; Stern, Staatsrecht III/1 (Fn. 37), S. 1387. 107 Isensee, Öffentlicher Dienst (Fn.  37), § 32 Rn.  85; zustimmend Stern, Staatsrecht III/1 (Fn. 37), S. 1387.

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4. Kap.: Das „Wie“ der Grundrechtsberechtigung des Abgeordneten 

4. Ergebnis Mit dem Bereich der Amtswahrnehmung verbleibt ein Bereich, in dem Grundrechte naturgemäß in funktionaler Hinsicht nicht anwendbar sind, weil bei Amtswahrnehmung keine individuelle Selbstbestimmung erfolgt und die Grundrechte hierzu auch nicht berechtigen. Grundrechte können die Amtstätigkeit wie gezeigt nicht inhaltlich modifizieren oder „unterfüttern“108. Der Amtswalter tritt vielmehr für den Staat auf (Art. 1 Abs. 3 GG). Beim Beamten ist dieser Bereich deckungsgleich mit seiner weisungsgebundenen Tätigkeit. Demnach steht zugleich fest, dass es nur eine „Ausstrahlungswirkung des Amtes in den Bereich der Grundrechte“ hinein geben kann, aber keine solche in umgekehrter Richtung, also von den Grundrechten her hinein in den amtlichen Funktionsbereich109. Außerhalb des Funktionsbereichs sind die Grundrechte selbstredend anwendbar; der Amtsträger mag zwar in diesem Fall daneben seiner Amtstätigkeit nachgehen, ist aber Träger eigener Rechte („Dienstverhältnis“). Dieser grundrechtlich relevante Bereich ist mit zusätzlichen Einschränkungsmöglichkeiten belegt, die sich aus den Erfordernissen des Amtes ergeben. Dabei nimmt die einschränkende Wirkung immer mehr ab, je mehr sich die an das Dienstverhältnis anknüpfende Pflicht vom Bereich der eigentlichen Amtsausübung entfernt: Im Bereich des Dienstverhältnisses muss also mehr hingenommen werden als schließlich im Privatbereich110. Negative Handlungsfreiheiten und Integritätsrechte bleiben dagegen grundsätzlich auch im Amtsbereich bestehen.

II. Grundrechtsberechtigung des Richters Im Folgenden soll auf die Grundrechtsberechtigung des Richters eingegangen werden. Der verfassungsrechtlich garantierte Freiraum, der den Richter vor jeglicher Einflussnahme auf die Wahrnehmung seines Amtsauftrags schützt (Art. 97 Abs 1 GG), weist Gemeinsamkeiten mit dem freien Mandat auf111. Der Richter kann mit der Garantie seiner Unabhängigkeit von Weisungen daher die Brücke vom Beamten ohne solche Rechtszuweisung zum Abgeordneten als Inhaber des 108

S. Fn. 58. Depenheuer (Fn. 22), § 36 Rn. 60 ff. 110 Vgl. Battis (Fn. 35), § 4 Rn. 29 m. w. N. 111 Ähnlichkeiten zwischen (sachlicher) richterlicher Unabhängigkeit und dem freien Mandat stellten bereits fest: H. H. v. Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, 1977, S. 389 sowie N. Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 219; ders., in: NJW 1985, S. 3041 (3042); H. Sendler, in: NJW 1985, S. 1425 (1425 ff.); S. Haberland, in: DRiZ 2002, S. 301 (303) – ablehnend zu einer Vergleichbarkeit zwischen Richter und Abgeordnetem mit Blick auf deren Grundrechtsfähigkeit Nguyen, Tätigkeit (Fn. 5), S. 111; ablehnend zum Vergleich des freien Mandats mit der richterlichen Unabhängigkeit auch H. Hofmann/H. Dreier, Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht (Fn. 4), § 5 Rn. 38. 109

A. Bereichsdifferenzierte Grundrechtsgeltung anderer staatlicher Akteure 

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freien Mandats schlagen: Stellt sich die Grundrechtsberechtigung des Richters als wesentlich anders dar als diejenige des Beamten, ließe dies unter Umständen Rückschlüsse auf die funktionale Anwendbarkeit der Grundrechte auf den Bundestagsabgeordneten zu. Hierfür sollen erneut die herausgearbeiteten Vergleichskriterien für den Richter erörtert (1.) sowie analog der Blick auf seine bereichsdifferenzierte Grundrechtsgeltung gerichtet werden (2.). 1. Anwendung der maßgeblichen Vergleichskriterien auf den Richter Entsprechend den Ausführungen zum Beamten werden an dieser Stelle folgende Wesensmerkmale für den Richter untersucht: Die Freiheit von Weisungen sowie seine amtlich gewährte Rechtszuweisung – die richterliche Unabhängigkeit –, mittels derer er staatliche wie private Einflussnahmeversuche auf seine Amtswahrnehmung abwehren kann. Ebenso wie für den Beamten gilt, dass für die Vergleichsziehung vom Prototyp des Richters ausgegangen wird. a) Richterliche Unabhängigkeit als Bereich der Weisungsfreiheit Nach Art. 92 GG ist die rechtsprechende Gewalt den Richtern anvertraut. Im Dienste derer wird ihnen durch Art. 97 GG verfassungsrechtlich abgesichert die richterliche Unabhängigkeit eingeräumt112. Diese Rechtszuweisung teilt sich in die sachliche Unabhängigkeit nach Art. 97 Abs. 1 GG und die persönliche Unabhängigkeit nach Art. 97 Abs. 2 GG113 auf, wobei letzterer vor allem eine die sachliche Unabhängigkeit unterstützende Funktion zukommt114. Für die vorliegende Problematik soll der Fokus auf die sachliche Unabhängigkeit gelegt werden. Neben ihrer verfassungsrechtlichen Verankerung in Art.  97 Abs. 1 GG findet sich die sachliche Unabhängigkeit auch in zahlreichen einfachgesetzlichen Vorschriften, s. etwa §§ 25 DRiG, 1 GVG, 1 VwGO, 1 FGO, 1 SGG. Sie hat die Freiheit des Richters von Weisungen im Sinne von jeglichen einfluss-

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Zum Zusammenhang von Art. 92 HS. 1 und Art. 97 Abs. 1 GG s. D. Wilke, Die rechtsprechende Gewalt, in: Isensee/Kirchhof, HStR V (Fn. 21), § 112 Rn. 21. 113 So statt aller H. Schulze-Fielitz, in: H. Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. III, 2. Aufl. 2008, Art. 97 Rn. 19 ff. 114 Als „Auxiliargarantie“ bezeichnet bei F. Wittreck, Die Verwaltung der Dritten Gewalt, 2006, S. 179; zustimmend A. Heusch, in: B. Schmidt-Bleibtreu/H. Hofmann/H.-G. Henneke (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 13. Aufl. 2014, Art. 97 Rn.  41; Hervorhebung der ergänzenden Funktion auch bei H.-J. Papier, Richterliche Unabhängigkeit, in: Merten/ders., HGR (Fn. 36), Bd. V, 2013, § 130 Rn. 1.

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4. Kap.: Das „Wie“ der Grundrechtsberechtigung des Abgeordneten 

nehmenden Maßnahmen auf seine richterliche Tätigkeit zum Inhalt115. Dabei ist elementar, dass es sich bei der richterlichen Unabhängigkeit für den Richter nicht um ein „persönliches Privileg“116 handelt, sondern um eine ihm „fremdnützig“117 überantwortete Rechtszuweisung. Die Garantie der richterlichen Unabhängigkeit schützt den Richter bei seiner spezifisch rechtsprechenden Tätigkeit118. Das bedeutet einerseits, dass eine richterliche Entscheidung einzig im Rahmen des Instanzenzugs aufgehoben werden darf119. Geschützt sind andererseits neben dem Inhalt der richterlichen Entscheidung selbst auch die Handlungen, die mit der Spruchtätigkeit unmittelbar verbunden sind120, sowie solche Aufgaben, die dem Richter als richterliches Geschäft zugewiesen sind wie die freiwillige Gerichtsbarkeit121. Der Schutz greift hingegen nicht bei Gerichts- oder Justizverwaltungsaufgaben122. Die Unabhängigkeitsgarantie wird teils als Ausprägung des Gewaltenteilungsgrundsatzes begriffen123, schützt den Richter aber neben der Einflussnahme durch Legislative und Exekutive anerkanntermaßen auch vor Einflussnahmen aus dem justizinneren Bereich124 sowie von privater Seite125. Durch den Bereich der Weisungsfreiheit wird 115 Schutz vor „jeder vermeidbaren Einflußnahme“ bei BVerfGE 12, 81 (88); ebenso E 26, 79 (93); 38, 1 (21); C. D. Classen, in: H. v. Mangoldt/F. Klein/C. Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. III, 6. Aufl. 2010, Art. 97 Rn. 17; Schulze-Fielitz (Fn. 113), Art. 97 Rn. 19; hierzu kritisch Wittreck, Verwaltung (Fn. 114), S. 177 f. 116 S. nur M. Grünhut, in: Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform, Beiheft 3, Rechtsstaatsidee und Erziehungsstrafe, 1930, S.  1 (3); vgl. auch E. Benda, in: DRiZ 1975, S. 166 (170); A. Arndt, Die Unabhängigkeit des Richters, in: E.-W. Böckenförde/ W. Lewald (Hrsg.): Gesammelte juristische Schriften, 1976, S. 315 (319); W. Geiger, in: DRiZ 1979, S. 65 (66); R. Voss, in: DRiZ 1998, S. 379 (380); H.-J. Papier, in: NJW 2001, S. 1089 (1089); S. Haberland, in: DRiZ 2002, S. 301 (301); Wittreck, Verwaltung (Fn. 114), S. 193; zustimmend C. Hillgruber, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz (Fn.  30), Art.  97 (2008), Rn.  23; G. Schmidt-Räntsch/J. Schmidt-Räntsch, Deutsches Richtergesetz, 6. Aufl. 2009, § 25 Rn. 9; Classen (Fn. 115), Art. 97 Rn. 6; Heusch (Fn. 114), Art. 97 Rn. 6; O. R. Kissel/H. Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, 8. Aufl. 2015, § 1 Rn. 11; Papier (Fn. 114), § 130 Rn. 2; „kein Standesprivileg“ auch bei BGHZ 67, 184 (187); 112, 189 (193); BGH DRiZ 1978, 185 (185). 117 Wittreck, Verwaltung (Fn.  114), S.  193; Hillgruber (Fn.  116), Art.  97 Rn.  4; Heusch (Fn. 114), Art. 97 Rn. 3. 118 BVerfGE 31, 43 (45 f.); H.-J. Papier, in: NJW 2001, S. 1089 (1090). 119 H. Arndt, in: DRiZ 1978, S. 298 (302). 120 Schmidt-Räntsch/Schmidt-Räntsch (Fn.  116), § 25 Rn.  10; H.-J. Papier, in: NJW 2001, S. 1089 (1090). 121 Schmidt-Räntsch/Schmidt-Räntsch (Fn.  116), § 25 Rn.  10; H.-J. Papier, in: NJW 2001, S. 1089 (1090). 122 BVerfGE 38, 139 (152 f.); Papier (Fn.  114), § 130 Rn.  10; Schmidt-Räntsch/SchmidtRäntsch (Fn. 116), § 25 Rn. 11. 123 So statt vieler Hillgruber (Fn. 116), Art. 97 Rn. 1 sowie Papier (Fn. 114), § 130 Rn. 3. 124 S. nur Heusch (Fn. 114), Art. 97 Rn. 16 ff.; dies betonend und deshalb kritisch zur Reduzierung des Schutzzwecks des Art. 97 Abs. 1 GG auf die Gewaltenteilung Wittreck, Verwaltung (Fn. 114), S. 176 f. 125 Ausführlich zu einer dahingehenden Schutzpflicht des Staates Wittreck, Verwaltung (Fn. 114), S. 189 ff.; Hillgruber (Fn. 116), Art. 97 Rn. 93.

A. Bereichsdifferenzierte Grundrechtsgeltung anderer staatlicher Akteure 

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eine Lockerung des Legitimationszusammenhangs herbeigeführt126; darin liegt der maßgebliche Unterschied des Richters zum Beamten127, der – den Anweisungen seines Dienstvorgesetzten folgend, §§ 3 Abs. 3, 62 Abs. 1 S. 2 BBG – in einem stringenten Legitimationszusammenhang steht. Diese Lockerung verfolgt das Ziel, den Richter im Bereich seiner Entscheidungsfindung einzig an Recht und Gesetz zu binden128. Die Begriffe „Entscheidungsfindung“129, „Wahrheitssuche“130 respektive „Rechtsfindung“131 deuten bereits an, dass es erhebliche Spielräume gibt, die der Richter nach seiner Rechtsüberzeugung im Wege der Auslegung der anzuwendenden Rechtsnormen auszufüllen hat132. Auch der Bundesgerichtshof bezeichnet die Rechtsfindung als „Ergebnis […] eines höchstpersönlichen Erkenntnisprozesses “133. Neben der „mechanischen“134 Subsumtion eines Sachverhalts unter eine Norm steht der Prozess umfassenden Verständnisses des Sachverhalts und der Gesetzesinterpretation135. Dieser Vorgang ist „subjektgebunden und subjektbedingt und schon deshalb nicht unabhängig von der schöpferischen Eigenleistung“136, da er schlichtweg nicht bis ins Letzte durch den Gesetzgeber determiniert ist, und daher auf die Person des Richters angewiesen ist137. Deshalb ist es auch eine Selbstverständlichkeit, dass die Rechtsprechung als „konstitutionell ‚uneinheitlich‘“138 beschrieben wird. Dieses subjektive Element bei der Auslegung von Rechtsnormen darf aber nicht zu dem Irrglauben verleiten, es gäbe stets mehrere gleich vertretbare Ergebnisse der Rechtsfindung, der Richter könne sich im wahrsten Sinne des Wortes „frei“ entscheiden. Die Auslegung ist letztlich die Erkenntnis von etwas zumindest seiner Zielsetzung nach Greifbarem 126 Wittreck, Verwaltung (Fn. 114), S. 177; sich auf diesen beziehend Hillgruber (Fn. 116), Art. 97 Rn. 22. 127 A. Tschentscher, Demokratische Legitimation der dritten Gewalt, 2006, S. 150; Heusch (Fn. 114), Art. 97 Rn. 6; G. Morgenthaler, in: Epping/Hillgruber, Grundgesetz (Fn. 22), Art. 97 Rn. 1. 128 BVerfGE 107, 395 (402 f.); Heusch (Fn. 114), Art. 97 Rn. 6; Hillgruber (Fn. 116), Art. 97 Rn. 26; Wittreck, Verwaltung (Fn. 114), S. 133 ff.; E. Schilken, in: JZ 2006, S. 860 (860); P ­ apier (Fn. 114), § 130 Rn. 25: Gesetzesbindung in historischer Hinsicht als Preis für die richterliche Unabhängigkeit gegenüber dem Monarchen. 129 Beispielweise bei Classen (Fn. 115), Art. 97 Rn. 6. 130 E. Benda, in: DRiZ 1975, S. 166 (167). 131 BVerfGE 34, 269 (287); BGHZ 113, 36 (40); H. H. Klein, in: DRiZ 1972, S. 333 (334); P. Kirchhof, in: NJW 1986, S. 2275 (2275 ff.); Hillgruber (Fn. 116), Art. 97 Rn. 83. 132 S. hierzu auch Wittreck, Verwaltung (Fn. 114), S. 133 ff. 133 BGHZ 113, 36 (40). 134 Classen (Fn. 115), Art. 97 Rn. 12; H. H. Klein, in: DRiZ 1972, S. 333 (334): kein „Subsumtionsautomat“; dieselbe Formulierung auch bei W. Dütz, in: JuS 1985, S. 745 (745) sowie bei Papier (Fn. 114), § 130 Rn. 27. 135 Vgl. P. Kirchhof, in: NJW 1986, S. 2275 (2275). 136 M. Jestaedt, Das mag in der Theorie richtig sein…, 2006, S. 47; auf diesen Bezug nehmend Hillgruber (Fn. 116), Art. 97 Rn. 41; ähnlich auch Heusch (Fn. 114), Art. 97 Rn. 38. 137 Heusch (Fn. 114), Art. 97 Rn. 38. 138 BVerfGE 78, 123 (126) mit Verweis auf G. Dürig, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz (Fn. 30), Art. 3 (1973) Rn. 410; ebenso E 87, 273 (278); Morgenthaler (Fn. 127), Art. 97 Rn. 11.

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4. Kap.: Das „Wie“ der Grundrechtsberechtigung des Abgeordneten 

und Vorgegebenem139, da der Richter nicht eigene Wertungen, sondern diejenigen des Gesetzgebers herauszuarbeiten und anzulegen hat140. Die Ausschließlichkeit der Gesetzesbindung als Maßstab der richterlichen Entscheidung wird auch durch die Entstehungsgeschichte des heutigen Normtextes belegt: Art. 132 des Herrenchiemsee-Entwurfs buchstabierte noch aus, der Richter sei dem Gesetz und seinem Gewissen unterworfen141. Mit dem heutigen Gesetzeswortlaut, der den Verweis auf das Gewissen des Richters im Gegensatz etwa zu Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG nicht beibehalten hat, sollte die ausschließliche Bindung des Richters an Recht und Gesetz bekräftigt werden, die von seinem eigenen – individuell geprägten – Gewissen unabhängig ist142. Einem persönlichen Maßstab neben demjenigen des Gesetzes wurde also bewusst entgegengetreten. Sofern der Richter eine Entscheidung mit seinem Gewissen nicht vereinbaren könne, müsse er das Amt niederlegen143. Inwieweit die Gewissensfreiheit i. S. d. Art. 4 Abs. 1 GG es nach geltendem Recht dem Richter erlaubt, die Mitwirkung an bestimmten Verfahren abzulehnen, ohne sein Amt aufzugeben, ist strittig144. Erneut sei betont, dass die Gewissensfreiheit aber nicht zu einer Modifizierung des Entscheidungsinhalts befähigen kann, notfalls die Entscheidung durch einen anderen Richter getroffen werden muss145. Die richterliche Unabhängigkeit befähigt den Richter also, eigenverantwortlich zu einer im Einzelfall komplexe Abwägungsvorgänge erfordernden Entscheidung zu gelangen146, die von jeglichen anderen Einflüssen als der Bindung an Recht und Gesetz frei bleiben soll. Dem Schutzzweck sachlicher Unabhängigkeit entsprechend gibt es wenig Möglichkeiten, dem Richter hinsichtlich des Inhalts dessen, was er im Rahmen seiner weisungsfreien rechtsprechenden Tätigkeit entscheidet, „auf den Leib [zu] rücken“147. Vom viel diskutierten Verhältnis richterlicher Unabhängigkeit und Dienstaufsicht148 abgesehen erfährt der Richter in Zusammenhang mit seiner rechtsprechenden Tätigkeit allenfalls eine geringfügige Kontrolle: Das Institut der Richteranklage i. S. d. Art. 98 Abs. 2 GG betrifft immerhin auch das Fällen einer dem Grundgesetz zuwiderlaufenden Entscheidung149. Die Strafver 139

Wittreck, Verwaltung (Fn. 114), S. 196. Hillgruber (Fn. 116), Art. 97 Rn. 62; treffend als „Verstehensbindung“ der Richter an die Gesetze und die juristische Sprache bezeichnet: Tschentschter, Legitimation (Fn. 127), S. 193. 141 S. Art. 132 Ch.E., abgedruckt bei K.-B. v. Doemming/R. W. Füsslein/W. Matz, in: JöR N. F. 1 (1951), S. 715 ff.; s. hierzu auch Hillgruber (Fn. 116), Art. 97 Rn. 33 sowie Heusch (Fn. 114), Art. 97 Rn. 37. 142 S. hierzu Hillgruber (Fn. 116), Art. 97 Rn. 33. 143 Vgl. die Erläuterungen bei K.-B. v. Doemming/R. W. Füsslein/W. Matz, in: JöR N. F. 1 (1951), S. 717. 144 S. zu der Gewissensproblematik E. Benda, in: DRiZ 1975, S. 166 (170); die Diskussion dürfte sich parallel zu derjenigen des Beamten darstellen, s. oben 4. Kap. A. I. 3. a) aa) (S. 131 f.). 145 S. 4.  Kap. A. I. 3. a) aa) (S. 131 f.). 146 Vgl. S. Haberland, in: DRiZ 2002, S. 301 (303). 147 W. Geiger, in: DRiZ 1979, S. 65 (67). 148 S. noch 4.  Kap. A. II. 2. a) (S. 147 ff.). 149 W. Geiger, in: DRiZ 1979, S. 65 (67); Wittreck, Verwaltung (Fn. 114), S. 162. 140

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folgung wegen Rechtsbeugung i. S. d. § 339 StGB zielt geradezu auf den Kern des Inhalts der Entscheidung ab150; beides sind allerdings äußerst selten resp. bislang noch gar nicht genutzte Instrumente151. Die Disziplinargerichtsbarkeit hingegen hat analog zur Dienstaufsicht grundsätzlich den Kernbereich richterlicher Tätigkeit grundsätzlich auszulassen152. b) Art. 97 Abs. 1 GG als (ab)wehrfähige Rechtszuweisung zur Verteidigung der Weisungsfreiheit Mithilfe der einfach- wie verfassungsrechtlich abgesicherten richterlichen Unabhängigkeit kann der Richter seine unbeeinflusste Entscheidungsfindung gegen Zugriffe von außen bzw. innen verteidigen. Insoweit bestimmt § 26 Abs. 3 DRiG, dass der Richter sich im Falle von Beeinträchtigungen der richterlichen Unabhängigkeit an die eigens hierfür eingerichteten Richterdienstgerichte zu wenden hat. Macht er dagegen die Beeinträchtigung seiner Rechtsposition als Individuum geltend, kann er diese nach Maßgabe des § 42 Abs. 2 VwGO vor die Verwaltungsgerichte bringen153. Verglichen mit dem Beamten ist also Folgendes herauszustellen: Wie gesehen verfügt der Beamte regelmäßig innerhalb seiner Amtswahrnehmung über keine subjektiven Rechte, mittels derer er sich Einflussnahmen auf seine Amtsführung erwehren könnte154. Er kann grundsätzlich einzig dann gerichtlichen Schutz einfordern, sofern er in seiner persönlichen Rechtsstellung betroffen ist. In solchen Fällen persönlicher Betroffenheit greift für den Richter ebenso der verwaltungsgerichtliche Rechtsschutz. Maßgeblicher Unterschied ist aber, dass der Richter innerhalb seines Amtes einen ihm zugewiesenen Rechtsbereich an der Hand hat, dessen Schutz durch die Richterdienstgerichte ermöglicht und überwacht wird. Er verfügt also vereinfacht gesprochen über ein „Mehr“ gegenüber dem Beamten, das ihn (mitunter) staatliche Maßnahmen abwehren lässt, ohne dass dieser Bereich deshalb zu seiner individuellen Rechtsposition zu zählen wäre. Die Rechtszuweisung des Art. 97 Abs. 1 GG selbst stellt zweifellos kein Grundrecht und auch kein grundrechtsgleiches Recht dar155, sondern dient „allein dem 150 So auch W. Geiger, in: DRiZ 1979, S. 65 (67); s. hierzu auch K. Lackner, in: ders./K. Kühl (Hrsg.), StGB, 28. Aufl. 2014, § 339 Rn. 5 ff. 151 W. Geiger, in: DRiZ 1979, S. 65 (67). 152 So Schmidt-Räntsch/Schmidt-Räntsch, DRiG (Fn. 116), Vor § 63 Rn. 16; ebenso Kissel/ Mayer (Fn. 116), § 1 Rn. 202 f. m. w. N. zum Streitstand. 153 Siehe zu diesem Verhältnis Schmidt-Räntsch/Schmidt-Räntsch, DRiG (Fn.  116), § 26 Rn. 59; s. dazu insbesondere noch den Robenfall, s. 4. Kap. A. II. 2. a) cc) (3) (S. 153 f.). 154 S. oben 4. Kap. A. I. 2. b) (S. 128 f.); er kann allenfalls geltend machen, die besagte amtliche Weisung nicht auszuführen, s. 4.  Kap. A. I. 3. a) aa) (S. 131 f.). 155 Weder für den Richter selbst noch für etwaige Bürger, s. BVerfGE 27, 211 (217); 48, 246 (263); BVerwGE 78, 216 (220 f.); H. D. Jarass/B. Pieroth, Grundgesetz, 14. Aufl. 2016, Art. 97 Rn. 1; Morgenthaler (Fn. 127), Art. 97 Rn. 1; Schulze-Fielitz (Fn. 113), Art. 97 Rn. 16;­

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Interesse an einer funktionstüchtigen, intakten, rechtsstaatlichen Anforderungen genügenden Rechtsprechung“.156 Insofern sind auch Interpretationsansätze der richterlichen Unabhängigkeit anhand der Wissenschaftsfreiheit des Art.  5 Abs. 3 GG157 zu verwerfen: Die Wissenschaftsfreiheit dient der individuellen Freiheitsentfaltung des Wissenschaftlers158. Art. 97 Abs. 1 GG hat wie gesehen die Gesetzesbindung der richterlichen Entscheidung im Blick159, auch wenn der Richter hierbei besagte Freiräume genießt. Zwischen der richterlichen Unabhängigkeitsgarantie und dem Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit liegen gewichtige Unterschiede hinsichtlich der Schutzrichtung der Gewährleistungen160. Da die richterliche Unabhängigkeit weder Grundrecht noch grundrechtsgleiches Recht darstellt, kann sie nicht direkt im Rahmen der Verfassungsbeschwerde eingeklagt werden. Allerdings zählt Art.  97 Abs.  1  GG zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums i. S. d. Art. 33 Abs. 5 GG und kann daher mittelbar den Maßstab einer Verfassungsbeschwerde bilden161. 2. Konkrete Bereichsdifferenzierung der Grundrechtsgeltung beim Richter Fraglich ist die Übertragbarkeit der Differenzierung zwischen Amts-, Dienstund Privatbereich des Beamten auf den Richter. In die konkrete Bereichsdifferenzierung seiner Grundrechtsgeltung muss ein weiteres Element eingestellt und verortet werden, nämlich dasjenige der richterlichen Unabhängigkeit. Die Garantie der richterlichen Unabhängigkeit und das damit verbundene Spannungsverhält-

Hillgruber (Fn. 116), Art. 97 Rn. 5; Papier, (Fn. 114), § 130 Rn. 4; Qualifizierung immerhin als subjektives Recht bei K. F. Röhl, in: DRiZ 1998, S. 241 (245); ebenso Schmidt-Rätnsch/ Schmidt-Räntsch (Fn.  116), § 25 Rn.  9; ebenso S.  Detterbeck, in: M. Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 7. Aufl. 2014, Art. 97 Rn. 7; „subjektives-öffentliches (Abwehr-)Recht mit Verfassungsrang“ bei K. Krützmann, in: DRiZ 1985, S. 201 (202); „subjektives Recht, aber kein Grundrecht“ bei Classen (Fn. 115), Art. 97 Rn. 2. 156 BVerwGE 78, 216 (220). 157 G. Radbruch, Rechtsphilosophie, 3. Aufl. 1932, S. 176; M. Grünhut, in: Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform, Beiheft 3, Rechtsstaatsidee und Erziehungsstrafe, 1930, S. 1 (3; 23); E. Schmidt, in: MDR 1948, S. 374 (379); G. Anschütz, Die Verfassung des deutschen Reiches vom 11. August 1919, 14. Aufl. 1933, Art. 142 WRV Anm. 4 (S. 662 f.); E. Benda, in: DRiZ 1975, S. 166 (167); K. Hailbronner, Die Freiheit der Forschung der Forschung und Lehre als Funktionsgrundrecht, 1979, S. 80; G. Kisker, in: DRiZ 1982, S. 81 (83, 88); K. Doehring, in: NJW 1983, S. 851 (852); K. F. Röhl, in: DRiZ 1998, S. 241 (246). 158 BVerfGE 35, 79 (114): „Schlüsselfunktion […] sowohl für die Selbstverwirklichung des Einzelnen als auch für die gesamtgesellschaftliche Entwicklung“; G. Britz, in: Dreier, Grundgesetz (Fn. 113), Bd. I, 3. Aufl. 2013, Art. 5 Abs. 3 (Wissenschaft), Rn. 13. 159 S. 4.  Kap. A. II. 1. a) (S. 141 ff.). 160 Wittreck, Verwaltung (Fn. 114), S. 196. 161 BVerfGE 12, 81 (88); 55, 372 (383, 391 f.); BVerfG (K), NJW 1996, 2149 (2150); Jarass/ Pieroth (Fn. 155), Art. 97 Rn. 1; Detterbeck (Fn. 155), Art. 97 Rn. 7.

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nis zur Dienstaufsicht bilden einen zusätzlichen Aspekt, der eigens erörterungsbedürftig ist. a) Spannungsverhältnis zwischen Dienstaufsicht und richterlicher Unabhängigkeit innerhalb der richterlichen Tätigkeit Die Dienstaufsicht beaufsichtigt das Verhalten des Richters innerhalb der richterlichen Tätigkeit – verstanden als rechtsprechende Tätigkeit – sowie sein Verhalten außerhalb der richterlichen Tätigkeit, mitunter seine Tätigkeit im Rahmen der Gerichtsverwaltung sowie sein außerdienstliches Verhalten162. Im Rahmen seiner weisungsgebundenen Verwaltungstätigkeit ergeben sich für den Richter keine Abweichungen hinsichtlich der Zulässigkeit der Dienstaufsicht gegenüber etwa dem Beamten163. Anders ist dies für den Bereich der richterlichen Tätigkeit: § 26 Abs. 1 DRiG legt zwar fest, dass der Richter der Dienstaufsicht insoweit untersteht, wie nicht seine richterliche Unabhängigkeit beeinträchtigt wird. Aus § 26 Abs. 2 DRiG ergibt sich aber weiter, dass die Dienstaufsicht vorbehaltlich des § 26 Abs. 1 DRiG auch die Befugnis beinhaltet, die ordnungswidrige Art der Ausführung des Amtsgeschäfts vorzuhalten und zu ordnungsgemäßer, unverzögerter Erledigung der Amtsgeschäfte zu ermahnen. Grundsätzlich also ist auch im Bereich richterlicher Tätigkeit Raum für ein dienstaufsichtliches Eingreifen164. Hieraus ergibt sich ein „Spannungsverhältnis“165 zwischen richterlicher Unabhängigkeit und Dienstaufsicht. Beide Institute haben ihre Wurzel im Justizgewährungsanspruch des Bürgers166 und letztlich in der Ausrichtung der richterlichen Entscheidung am alleinigen Maßstab von Recht und Gesetz167. Der Bundesgerichtshof als Richterdienstgericht des Bundes hat zur Auflösung des Spannungsverhältinsses die vielfach kritisierte168 Kernbereichslehre auf den Weg gebracht169. Er unterteilt im Rahmen dessen in zulässige Maßnahmen der Dienstaufsicht im äußeren Ordnungsbereich der richterlichen Tätigkeit und grundsätzlich unzulässige Beeinträchtigungen des Kernbereichs der richterlichen Tätig-

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Schmidt-Räntsch/Schmidt-Räntsch (Fn. 153), § 26 Rn. 18 ff. H.-J. Papier, in: NJW 2001, S. 1089 (1090); Schmidt-Räntsch/Schmidt-Räntsch (Fn. 153), § 26 Rn. 19. 164 BGHZ 42, 163 (169 f.); 57, 344 (348 f.); N. Achterberg, in: NJW 1985, S. 3041 (3044); H.-J. Papier, in: NJW 1990, S. 8 (11); Wittreck, Verwaltung (Fn. 114), S. 145; Kissel/Mayer (Fn. 116), § 1 Rn. 46; Schmidt-Räntsch/Schmidt-Räntsch (Fn. 153), § 26 Rn. 23. 165 H. J. Papier, in: NJW 2001, S. 1089 (1091); ders., in: NJW 1990, S. 8 (8). 166 H. J. Papier, in: NJW 2001, S.  1089 (1091); ders., in: NJW 1990, S.  8 (9); Hillgruber (Fn. 116), Art. 97 Rn. 79. 167 Wittreck, Verwaltung (Fn.  114), S.  133 ff., 146, 197 f.; ders., in: NJW 2012, S.  3287 (3288); zustimmend Hillgruber (Fn. 116), Art. 97 Rn. 79. 168 S. hierzu unten 4. Kap. II. 2. a) dd) (S. 156 ff.). 169 BGHZ 42, 163 (169); 47, 275 (286); 67, 184 (187); 51, 280 (285); 70, 1 (4). 163

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4. Kap.: Das „Wie“ der Grundrechtsberechtigung des Abgeordneten 

keit, für die die richterliche Unabhängigkeit vollends in Anspruch genommen werden kann170. aa) „Kernbereich“ richterlicher Tätigkeit Der Schutz der richterlichen Unabhängigkeit bezieht sich zunächst auf den Kernbereich der richterlichen Tätigkeit171. Zum Kernbereich zu rechnen sind die eigentliche Spruchtätigkeit sowie die vorbereitenden und nachbereitenden Sachund Verfahrensentscheidungen172, die Protokollführung173 und die Ausübung der Sitzungspolizei174. Gemäß § 26 Abs. 1 DRiG reicht die Dienstaufsicht von vornherein nur soweit, wie die richterliche Unabhängigkeit nicht beeinträchtigt wird. Nach der Rechtsprechung muss die Dienstaufsicht daher den Kernbereich der richterlichen Tätigkeit aussparen, Dienstaufsichtsmaßnahmen sind hier grundsätzlich unzulässig175. Im Kernbereich gilt demnach das „Alles-oder-Nichts“176- Prinzip. Eine Ausnahme hierzu bilden die Fälle „offensichtlicher Fehlgriffe“ der richterlichen Entscheidung, die ein dienstaufsichtliches Einschreiten ermöglichen sollen177. bb) „Äußerer Ordnungsbereich“ der richterlichen Tätigkeit Zum äußeren Ordnungsbereich der richterlichen Tätigkeit gehören nach Ansicht des Bundesgerichtshofs solche Aspekte, „die dem Kernbereich der eigentlichen Rechtsprechung soweit entrückt sind, daß für sie die Garantie des Art. 97 Abs. 1 GG nicht [mehr] in Anspruch genommen werden kann“178. Rechtsprechungsbeispiele sind die Aufforderung zum pünktlichen Sitzungsbeginn179, die routinemäßige Geschäftsprüfung der Richterdezernate180 und die Auflistung aufgelaufener Rückstände181. Auch sollen sog. verbale Exzesse und Äußerungen des Richters kontrollfähig sein, sofern sie nicht „den sachlichen Inhalt der Entscheidung

170

BGHZ 42, 163 (169 ff.); 47, 275 (286 ff.); 67, 184 (187); 51, 280 (285); 70, 1 (4); SchmidtRäntsch/Schmidt-Räntsch (Fn. 153), § 26 Rn. 24 ff. 171 BGHZ 42, 163 (169). 172 BGHZ 42, 163 (169); 47, 275 (286); 90, 41 (45); 93, 238 (243 f.); BGH DRiZ 1996, 371 (371 f.). 173 BGH NJW 1978, 2509 (2509 f.). 174 BGHZ 67, 184 (188 f.). 175 BGHZ 42, 163 (169). 176 C. Schütz, Der ökonomisierte Richter, 2005, S. 214. 177 BGHZ 67, 184 (187 ff.); 70, 1 (4); 76, 288 (291); BGH DRiZ 1984, 194 (195); 1991, 410 (411); 1996, 371 (372). 178 BGHZ 42, 163 (169); ähnlich 51, 280 (285); 70, 1 (4). 179 BGH DRiZ 1997, 467 (468). 180 BGH NJW 1988, 418 (418 f.). 181 BGH NJW 1988, 419 (420 f.); vgl. auch BGH DRiZ 1978, 185 (185 f.).

A. Bereichsdifferenzierte Grundrechtsgeltung anderer staatlicher Akteure 

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mitbestimm[en]“182, und als äußeres „Formelement“ vom Inhalt des Richterspruchs losgelöst betrachtet werden können183. Die Richterdienstgerichte überprüfen die Rechtmäßigkeit der Dienstaufsichtsmaßnahme nur daraufhin, ob eine Beeinträchtigung der richterlichen Unabhängigkeit vorliegt, § 26 Abs. 3 DRiG. Wenn eine solche nicht festgestellt werden kann, unterliegt die Rechtmäßigkeitskontrolle der angegriffenen Maßnahme im Übrigen den Verwaltungsgerichten, die nach Maßgabe des § 42 Abs. 2 VwGO regulär bei Beeinträchtigung subjektiver Rechte tätig werden184. Beide Rechtswege verhalten sich nicht exklusiv zueinander, da zwei verschiedene Streitgegenstände zugrunde liegen, also weder anderweitige Rechtshängigkeit noch entgegenstehende Rechtskraft eintreten kann185. Praktisch gesehen ist es dem Richter also ohne Weiteres möglich, eine staatliche Maßnahme unter Berufung auf seine Grundrechte sowie auf seine richterliche Unabhängigkeit anzugreifen186. Es ist ihm weitgehend selbst überlassen, welche Gewährleistung er rügt bzw. ob er von vornherein zwei Verfahren anstrengt187. Allerdings werden sich grundrechtliche Gewährleistungen zumeist ohnehin nicht durchsetzen können, sofern sie in die Nähe zur richterlichen Unabhängigkeit und damit zum eigentlichen Entscheidungsfindungsprozess rücken188. cc) Auswirkungen auf die dem Beamtenrecht entlehnte Differenzierung zwischen „Amtsbereich“ und „Dienstverhältnis“ Es stellt sich die Frage, ob die „beamtenrechtliche Lösung“ von Amt-, Dienstund Privatbereich für den Richter unbesehen übernommen werden kann. Die Aspekte des äußeren Ordnungsbereichs wären dem „Dienstverhältnis“ des Richters zuzuordnen, soweit der Richter dem Staat als Person gegenübersteht und eine Verletzung seiner Individualsphäre rügt. Die nichtrichterliche Verwaltungstätigkeit des Richters ist ebenso nicht anders zu handhaben als beim Beamten: Sie wäre dem reinen Amtsbereich zuzuordnen, sofern keine Beeinträchtigung subjektiver Rechte in Rede steht. Schwierigkeiten bereitet allerdings der Bereich der richterlichen Unabhängigkeit. Seine Schutzrichtung geht zweifellos auf die eigenständige Wahrnehmung 182

BGHZ 70, 1 (5); 77, 70 (72 f.). BGHZ 70, 1 (5); 77, 70 (72 f.); BGH NJW 2006, 1674 (1675); OVG Koblenz NVwZ-RR 2005, 2 (3); s. unten ausführlich 4. Kap. A. II. 2. a) cc) (2) (S. 152 f.). 184 BGH NJW 2006, 692 (693); BGH DRiZ 2006, 319 (319). 185 BVerwGE 67, 222 (223 ff.). 186 Zwar begründen §§ 74 HRiG, 68 DRiG die Verpflichtung zur Aussetzung des Verfahrens in bestimmten Fällen; da aber die Sachentscheidung auf den jeweiligen Prüfungsrahmen begrenzt bleibt, können die Aussetzungsvorschriften im vorliegenden Fall nicht weiterhelfen. 187 BVerwGE 67, 222 (226 f.). 188 So auch im besagten Robenfall, 4. Kap. A. II. 2. a) cc) (3) (S. 153 f.). 183

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4. Kap.: Das „Wie“ der Grundrechtsberechtigung des Abgeordneten 

des richterlichen Funktionsbereichs, handelt es sich bei seiner Entscheidungsfindung doch um eine Befugnis, die dem Richter aufgrund seiner Amtsträgereigenschaft übergeleitet ist und innerhalb derer er amtliche Autorität wahrnimmt, Art. 1 Abs. 3 GG. Dass er im Rahmen seines Funktionsbereichs grundrechtsgebunden und nicht -berechtigt ist, folgt einmal mehr daraus, dass die Rechtszuweisung der richterlichen Unabhängigkeit ja gerade seine Rechtsbindung i. S. d. Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG zum Ziel hat189. Jedoch wird der Anwendungsbereich der richterlichen Unabhängigkeit tendenziell immer weiter ausgedehnt und mitunter auch für Verhaltensweisen in Anspruch genommen, die – verglichen mit dem Beamten – nicht nur seine Rolle als Funktionsträger, sondern auch diejenige als Privatperson, mithin als Grundrechtsträger, betreffen. Dieses Spannungsverhältnis soll anhand der folgenden Fallkonstellationen aus der Rechtsprechung aufgezeigt werden. (1) Automatische Gesprächsdatenerfassung durch das richterliche Diensttelefon Interessant für die hier zu klärende Fragestellung ist zunächst die Konstellation der automatischen Telefondatenerfassung des Richters bei seiner Tätigkeit. Dieser praktische Fall verdeutlicht das „Mehr“ des Richters gegenüber der beamtenrechtlichen Rechtsstellung, das ihn befähigt, auch Beeinträchtigungen seiner reinen Amtstätigkeit zu rügen. Der klagende Richter wehrte sich gegen die automatische Speicherung von mitunter der gewählten Rufnummer, der Gebühreneinheiten, Datum und Dauer des Gesprächs sowie gegen die Kennzeichnung als Dienst- oder Privatgespräch seiner dienstlichen Telefonanlage und ließ die Speicherung der beschriebenen Telefondaten anhand von Art. 10 Abs. 1 GG überprüfen190. Die Datenerfassung, so der Verwaltungsgerichtshof, sei nicht grundrechtsrelevant, sondern lediglich „Kontrolle der Amtswaltung durch den Dienstherrn, welcher der Amtswalter grundsätzlich nicht subjektive Rechte entgegenhalten kann“191. Es sei daran erinnert, dass der Erfassung von Gesprächseckdaten im Beamtenrecht ebenfalls keine Grundrechtsrelevanz zugesprochen wurde192. An dieser Stelle ist ein Urteil des Richterdienstgerichts am Bundesgerichtshof193 zu einer ähnlichen Sachlage näher in den Blick zu nehmen: Der antragstellende Richter machte geltend, die Billigung und Duldung der automatischen Gesprächsdatenerfassung einer ähnlichen dienstlichen Telefonanlage durch den Präsidenten des Landgerichts verletze ihn in seiner richterlichen Unabhängigkeit194. Aus 189

S. oben 4.  Kap. A. II. 1. a) (S. 141 ff.). VGH Mannheim NJW 1991, 2721 (2721). 191 VGH Mannheim NJW 1991, 2721 (2721 f.). 192 S. oben 4.  Kap. A. I. 3. a) (S. 130 ff.). 193 BGH NJW 1995, 731. 194 BGH NJW 1995, 731 (731). 190

A. Bereichsdifferenzierte Grundrechtsgeltung anderer staatlicher Akteure 

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gehend von der Feststellung, dass die richterliche Unabhängigkeit i. S. d. Art. 97 Abs. 1 GG „nicht nur die Endentscheidung, sondern alle der Rechtsfindung auch nur mittelbar dienenden – vorbereitenden und nachfolgenden – Sach- und Verfahrensentscheidungen“195 erfasse, sieht das Gericht auch die hierfür erforderliche Benutzung des richterlichen Diensttelefons grundsätzlich von der Unabhängigkeitsgarantie umfasst196. Deren Beeinträchtigung sei jedenfalls dann nicht von der Hand zu weisen, sofern mit der Beobachtung durch die Dienstaufsicht „Maßnahmen verbunden sind, die dazu bestimmt oder geeignet sind, die richterliche Rechtsfindung durch psychischen Druck oder auf andere Weise unmittelbar oder mittelbar zu beeinflussen.“197

Allerdings sei für den vorliegenden Fall eine Beeinträchtigung der richterlichen Unabhängigkeit abzulehnen, da nicht der Inhalt der Gespräche dokumentiert werde und eine derart geringe Erfassung von Eckdaten erfahrungsgemäß eine Verhaltensbeeinflussung nicht hervorzurufen vermag198. Hier wird der maßgebliche Unterschied von Beamtentum und Richterschaft augenscheinlich: Die genannten Gerichtsentscheidungen stimmen darin überein, dass der automatischen Gesprächsdatenerfassung keine Grundrechtsrelevanz zukommt – Zweifel könnten hieran einzig mit Blick darauf entstehen, dass in den besagten Fällen auch Eckdaten privater Gespräche miterfasst wurden und Art. 10 Abs. 1 GG auch den unbefugten Gebrauch der entsprechenden Kommunikationsmittel schützt199. Im Gegensatz zum Beamten kann der Richter aber in seiner richterlichen Unabhängigkeit betroffen sein. Diesen Freiraum kann er von Beeinträchtigungen freihalten. An der genannten Entscheidung wird deutlich, dass der von der richterlichen Unabhängigkeit gewährte Schutzbereich nach Ansicht der Rechtsprechung weit über Weisungen im beamtenrechtlichen Sinne hinausgeht und den Richter befähigt, auch nur mittelbare200 Versuche der Einflussnahme auf seine richterliche Tätigkeit abzuwehren201, selbst wenn sie – wie im vorliegenden Fall – nicht im Zusammenhang mit einer konkreten Entscheidung des Richters stehen.

195

BGH NJW 1995, 731 (732). BGH NJW 1995, 731 (732). 197 BGH NJW 1995, 731 (732). 198 BGH NJW 1995, 731 (732). 199 S. hierzu Durner (Fn. 50), Art. 10 Rn. 204. 200 So ausdrücklich BGH NJW 1995, 731 (732). 201 S. schon oben zu Abwehr jeglicher Einflussnahmeversuche 4. Kap. A. II. 2. a) cc) (3) (S. 153 f.). 196

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4. Kap.: Das „Wie“ der Grundrechtsberechtigung des Abgeordneten 

(2) Richteramt und Meinungsäußerungsfreiheit in der mündlichen Verhandlung Interessant und im vorliegenden Zusammenhang besonders ergiebig ist das Zusammenspiel von Richteramt und privater Meinungsäußerungsfreiheit. Hierzu hat sich eine umfangreiche Kasuistik herausgebildet, deren Eckpunkte in gebotener Kürze zu behandeln sind: Die eigentliche rechtsprechende Tätigkeit gehört wie gesehen zum Kernbereich richterlicher Tätigkeit und ist damit Herzstück richterlicher Unabhängigkeit202. Bei Leitung der mündlichen Verhandlung etwa unterliegt der Richter zweifellos der Gesetzesbindung nach Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG, der Richterspruch selbst ergeht „im Namen des Volkes“, also ebenfalls in erkennbar amtlicher Autorität: Äußerungen im Rahmen rechtsprechender Tätigkeit bewegen sich damit in der Regel außerhalb der Meinungsäußerungsfreiheit i. S. d. Art. 5 Abs. 1 S. 1 Var. 1 GG203. Dabei werden regelmäßig persönlichkeitsbezogene Elemente in die Verhandlungsführung einfließen wie etwa die Äußerung menschlichen Verständnisses für das Opfer im Strafprozess, die Antipathie gegenüber dem Täter oder allgemein die Empörung über das Betragen eines Prozessbeteiligten204. Der Bundesgerichtshof differenziert insoweit danach, ob die fragliche Äußerung den Entscheidungsinhalt mitbestimmt und daher dem Kernbereich zuzuordnen ist, oder ob sie die äußere Form der Entscheidungsfindung betrifft und durch die Dienstaufsicht angreifbar ist205. Die den Entscheidungsinhalt prägenden Äußerungselemente sind damit Teil der nicht kontrollfähigen richterlichen Unabhängigkeit, mögen sie auch noch soviel Personalität erkennen lassen206. Soweit die Charakterisierung einer Einlassung als „dummdreiste Lüge“ auch „eine persönlichkeitsbezogene Komponente“ beinhalte, sei „sie bloßer Reflex der Würdigung des prozessualen Verhaltens der Betroffenen“207. Der Richter nimmt im Rahmen der Verhandlungen seine ureigene amtliche Funktion wahr und macht von seinen Kompetenzen Gebrauch, die er in grund 202

S. oben 4.  Kap. A. II. 2. a) aa) (S. 148). BVerwGE 78, 216 (220); auch Hager kommt für den speziellen Fall der Meinungsfreiheit zu dem Ergebnis, dass es keine Äußerungen geben kann, für die die richterliche Unabhängigkeit und zugleich die Meinungsfreiheit in Anspruch genommen werden können, G. Hager, Freie Meinung und Richteramt, 1987, S. 21 ff., s. insb. S. 45; dabei erkennt er ebenso an, dass der Staat im Dienste der Rechtsfindung „richterliche Eigenständigkeit [und] […] persönliches Dafürhalten“ aktiviert (S.  23), kurz „Mobilisierung richterlicher Phantasie“ (ebd.); ähnlich ders., in: NJW 1988, S. 1694 (1694 ff.). 204 Weitere Beispiele bei Hager, Meinung (Fn. 203), S. 8. 205 BGHZ 70, 1 (5); 77, 70 (72 f.); BGH NJW 2006, 1674 (1675); OVG Koblenz NVwZ-RR 2005, 2 (3). 206 So im bekannten Fall „dummdreiste Lüge“, BGHZ 70, 1 (6) oder im Psychopathenfall, BGHZ 77, 70 (73); es handelt sich hierbei um sog. verbale Exzesse, siehe hierzu SchmidtRäntsch/Schmidt-Räntsch (Fn. 153), § 26 Rn. 30. 207 BGHZ 70, 1 (6). 203

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rechtsgebundener Weise auszuüben hat (Art. 1 Abs. 3 GG). Beachtenswert ist, dass sein Amt an dieser Stelle persönlichkeitsbezogene Elemente in sich aufnimmt, indem es bewusst auch das persönliche Wirken des Richters für die Entscheidungsfindung aktiviert. (3) Richterliche Pflicht zum Tragen der Amtstracht Problematischer stellt sich dagegen die Pflicht zum Tragen der Amtstracht dar. Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts im Frankfurter Robenfall war die Pflicht zum Tragen der Amtstracht als Teil  des äußeren Ordnungsbereichs rechtsprechender Tätigkeit anzusehen208. Das Gericht hielt die Pflicht zur Robe insgesamt für rechtmäßig209. Ob sich im Einzelfall für den Richter aufgrund seiner richterlichen Unabhängigkeit ein anderes ergeben könne, müsse von den zuständigen Richterdienstgerichten geklärt werden210. Der Problembereich des Tragens der Amtstracht bzw. von Dienstkleidung wurde bereits im Rahmen der Grundrechtsberechtigung von Beamten aufgeworfen und dem grundrechtlich geschützten Bereich zugeordnet211. Diese soweit ersichtlich unbestrittene Zuordnung zum Individualbereich des Beamten rührte daher, dass die Kleidung grundsätzlich als von der eigentlichen Amtsausübung abgelöst begriffen wird, der Beamte also  – für die spezifische Verhaltensweise des Tragens von Kleidung oder Schmuck – nicht in seiner Rolle als Hoheitsträger, sondern als Privatperson betroffen wird. Die Pflicht zum Tragen der richterlichen Robe ist grundsätzlich nicht anders zu behandeln212. Der betroffene Richter zog schließlich vor den Hessischen Dienstgerichtshof für Richter am OLG Frankfurt213. Als Jugendrichter und Vorsitzender des Jugendschöffengerichts machte er geltend, das Tragen der Robe beeinträchtige ihn jedenfalls insoweit in seiner richterlichen Unabhängigkeit, als die Robe auf die Jugendlichen eine distanzschaffende Wirkung habe und er daher an einer freien Verhandlungsführung gehindert sei214. Das Gericht lehnte zwar ab, den Antragsteller

208

BVerwGE 67, 222; besprochen von A. Kremer, in: DRiZ 1984, S. 15 (15 f.). BVerwGE 67, 222 (228 ff.). 210 BVerwGE 67, 222 (233). 211 S. oben 4.  Kap. A. I. 3. b) (S. 135 ff.). 212 Für eine Rechtfertigung entsprechender Grundrechtseingriffe aufgrund der Neutralitätspflicht des Staates v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn. 38), S. 423, speziell Fn. 471; Wittreck, Verwaltung (Fn. 114), S. 454; s. auch R. Röger, in: DRiZ 1995, S. 471 (477 f.); für eine aufgrund des Neutralitätserfordernisses klare Rechtfertigung eines Eingriffs in die Religionsfreiheit durch Kopftuchverbot für Richterinnen S.  Mückl, in: Der Staat 40 (2001), S.  96 (123); s. auch VG Augsburg, Urt. v. 30.6.2016, Az. Au 2 K 15.457 (juris) zur Zulässigkeit des Kopftuchtragens durch Rechtsreferendarinnen. 213 OLG Frankfurt NJW 1987, 1208 . 214 OLG Frankfurt NJW 1987, 1208 (1208). 209

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4. Kap.: Das „Wie“ der Grundrechtsberechtigung des Abgeordneten 

pauschal für seine Tätigkeit als Jugendrichter von der Pflicht zur Amtstracht freizustellen215, befand aber: „In einem solchen Fall kann die äußerliche Gestaltung der Verhandlung entscheidend den Wert der Beweisaufnahme und damit der nachfolgenden Entscheidung beeinflussen. Wegen der Möglichkeit der sachlichen Auswirkung auf die Entscheidung muß in diesem Fall die Gestaltung der Verhandlungsführung dem Richter vorbehalten bleiben. Sie betrifft den Kernbereich seiner Entscheidungstätigkeit und ist als solche in bezug auf Maßnahmen der Dienstaufsicht eingriffsfrei.“216

Maßgebliches Kriterium der Zuordnung zu Kernbereich oder äußerer Ordnung ist die Möglichkeit der sachlichen Auswirkung eines Verhaltens auf die nachfolgende Entscheidung, wobei das Gericht erneut die mittelbare Einflussnahme der Amtstracht auf die Entscheidungsfindung für die Eröffnung des Kernbereichs genügen lässt. Dabei versperrt die Rüge der richterlichen Unabhängigkeit vor den Richterdienstgerichten dem Richter wie gesehen nicht die zusätzliche Geltend­ machung einer persönlichen Betroffenheit gegen die fragliche Maßnahme oder umgekehrt217; er kann beide Rechtswege unabhängig voneinander beschreiten. (4) Weiterführende Überlegungen: Zusammenspiel aus richterlicher Unabhängigkeit und den Grundrechten des Richters Der Frankfurter Robenfall wirft die – für die parallele Problematik des freien Mandats – interessante Frage auf, ob sich die Einschlägigkeit der (sachlichen) richterlichen Unabhängigkeit und eine grundrechtliche Betroffenheit in jedem Fall gegenseitig ausschließen müssen. Derartige Konstellationen sind naturgemäß eher selten, da sich der Anwendungsbereich der richterlichen Unabhängigkeit nur auf einen wesentlich kleineren Ausschnitt an Verhaltensweisen bezieht als etwa das freie Mandat. Beispiele können aber wie gesehen Einwirkungen auf das äußere Erscheinungsbild des Richters sein, genauso wie Beeinträchtigungen seines religiösen Empfindens durch die Anbringung eines Kreuzes im Gerichtssaal218, ein etwaiges Verbot des Tragens religiöser Symbole219 oder  – in Anlehnung an den kommunalen Volksvertreter – das (wohl eher theoretische) Verbot, während der richterlichen Verhandlung zu rauchen. Es handelt sich in solchen Fällen um Konstellationen, in denen der Richter grundsätzlich zugleich seine unbeeinflusste Entscheidungsfindung tangiert sehen und sich auf seine Grundrechte berufen könnte, um sein Ziel durchzusetzen. 215

OLG Frankfurt NJW 1987, 1208 (1209). OLG Frankfurt NJW 1987, 1208 (1208); kritisch hierzu Schmidt-Räntsch/Schmidt-Räntsch (Fn. 153), § 26 DRiG Rn. 34, da andere Verfahrensbeteiligten derartige Pflichten nicht ebenso abwehren könnten. 217 S. oben 4.  Kap. A. II. 2. a) bb) (S. 148 f.). 218 So in BVerfGE 35, 366 für die Rüge des Art. 4 Abs. 1 GG durch Prozessbeteiligte. 219 S. schon Fn. 212. 216

A. Bereichsdifferenzierte Grundrechtsgeltung anderer staatlicher Akteure 

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Es liegt auf den ersten Blick nahe, die Anwendbarkeit der Grundrechte für solche Verhaltensweisen kategorisch abzulehnen, für die auch die richterliche Unabhängigkeit in Anspruch genommen wird220: Schließlich stellt die eigentliche Entscheidungsfindung  – Schutzziel der richterlichen Unabhängigkeit  – zweifellos den ureigenen Amtsauftrag des Richters dar, der nach Art. 1 Abs. 3 GG seinerseits grundrechtsgebunden ist. Für eine Verhaltensweise, die Schutz durch die richterliche Unabhängigkeit erfahren soll, wäre eine gleichzeitige grundrechtliche Begründung dann ausgeschlossen. So einfach liegen die Dinge aber nicht. Das derzeitige Verständnis der richterlichen Unabhängigkeit als Schutz vor jeglicher vermeidbaren Einflussnahme221 trägt nämlich „das Risiko der Inflationierung in sich, da derartige Vorhöfe […] nach außen zur stetigen Ausweitung bis hin zum Ausfransen neigen.“222 Neben der im Einzelfall ohnehin schwer zu leistenden Zuordnung zu Kernbereich oder dem der äußeren Ordnung ist es gerade diese Abgrenzung nach außen hin, die die derzeitige Handhabung offen lässt223. Wird die richterliche Unabhängigkeit also weitaus extensiver interpretiert als die reine Weisungsunabhängigkeit von staatlicher Stelle und soll sie etwa auch Maßnahmen erfassen, die „die richterliche Rechtsfindung durch psychischen Druck oder auf andere Weise unmittelbar oder mittelbar […] beeinflussen“224 können, streift sie gerade aus diesem Grund auch freiheitsrechtlich relevante Fragen wie das Tragen der Robe oder sonstige Entfaltungswünsche, die die eigentliche Amtsausübung lediglich begleiten. Die Inanspruchnahme der richterlichen Unabhängigkeit als solche kann dabei einer Verhaltensweise nicht ihren grundrechtlichen Schutz entziehen: Selbstredend erfährt der Amtswalter keinen Grundrechtsschutz, sofern seinerseits die direkte Einflussnahme auf das Amt durch positive Handlungsfreiheiten in Rede steht; er kann wie gesehen nicht auf freiheitsrechtlicher Grundlage über seinen Amtsinhalt inhaltlich verfügen. Sofern aber der Gewährleistungsgehalt auf äußere Umstände der Amtswaltung und damit auf solche Modalitäten erweitert wird, die allenfalls mittelbar geeignet sind, die Amtswaltung zu beeinflussen, kann dieser Umstand umgekehrt keine Einbuße grundrechtlichen Schutzes bedeuten. Dies zeigt auch die Kontrollüberlegung, dass es andernfalls etwa im Frankfurter Roben­fall von der individuellen Reaktion der Prozessbeteiligten bzw. deren Beeinflussbarkeit (schüchtert die Robe die Prozessbeteiligten ein oder nicht?) abhinge, ob der Richter für eine bestimmte Verhaltensweise Grundrechtsschutz genießt. 220

In diese Richtung etwa Isensee, Gemeinwohl und öffentliches Amt (Fn. 47), S. 150: „Die Freiheit endet vor dem Amt. Sie hat nichts zu tun mit der sachlichen Unabhängigkeit, die dem Amt des Richters […] eigen ist“; ähnlich H. Sodan, Der Status des Richters, in: HStR V (Fn. 21), § 113 Rn.  20: Die richterliche Unabhängigkeit gilt „anerkanntermaßen nur im Rahmen des Richteramtes“. 221 S. oben 4.  Kap. A. II. 2. a) cc) (3) (S. 153 f.). 222 Wittreck, Verwaltung (Fn. 114), S. 178. 223 R. Schröder, in: NJW 2005, S. 1160 (1162). 224 BGH NJW 1995, 731 (732).

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Diese Feststellung kann auch nicht durch den Einwand erschüttert werden, dass eine (auch) grundrechtliche Absicherung der fraglichen Verhaltensweise den Grundrechten wider ihre funktionale Anwendbarkeit die Einflussnahme auf das Amt ermögliche: Derartige mittelbare Einflussnahmen auf die Amtsausübung können den Grundrechten des Richters ebenso wenig ihre Geltung absprechen, wie sie das im regulären Beamtenverhältnis könnten225. Daran ändert das Hinzutreten der richterlichen Unabhängigkeit zunächst einmal nichts. Im Gegenteil verlangen Sinn und Zweck der funktionalen Nichtanwendbarkeit der Grundrechte in diesen Fällen auch gar kein anderes Ergebnis: Sofern eine bestimmte Verhaltensweise vom Richter aus grundrechtlich relevanten Beweggründen eingefordert wird und gleichzeitig als förderlich für seine Amtstätigkeit bewertet werden kann, ist ihr doppelter, aber separat gewährleisteter Schutz unschädlich226; das gilt sowohl für die angesprochenen Beispiele von allgemeinem Persönlichkeitsrecht oder Religionsfreiheit, kann aber ebenso für Anwendungsfälle der allgemeinen Handlungsfreiheit gelten – stets unter der Prämisse, dass damit keine inhaltliche Modifizierung oder Unterfütterung der Amtswahrnehmung in Rede steht. Einzig sofern eine bestimmte Verhaltensweise aus persönlichen Beweggründen angestrebt, aber mittels amtlich und folglich nicht zur Durchsetzung persönlicher Interessen gewährleisteter Rechtszuweisung durchgesetzt werden soll, und letztere damit für rein private Zwecke instrumentalisiert wird, entspricht dies nicht mehr dem Sinn dieser Gewährleistung und muss die Blickrichtung dann von vornherein eine andere sein: Die eigentliche Problematik ist dann diejenige der Reichweite und Interpretation der richterlichen Unabhängigkeit, worauf im Folgenden einzugehen ist. dd) Kritik an der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs: Die richterliche Unabhängigkeit als „funktionales Äquivalent der allgemeinen Handlungsfreiheit“? Die Differenzierung der Rechtsprechung zwischen Kernbereich und äußerem Ordnungsbereich ist vielfach kritisiert worden. Die kritischen Stimmen setzen dabei zum einen an der Ungenauigkeit und Zirkelschlüssigkeit der Definitionen an227. 225 S. insoweit oben die Erläuterungen der Kopftuchurteile 4. Kap. A. I. 3. b) aa) (S. 136 ff.); dass das Tragen religiöser Symbole auf die Unterrichtsvermittlung auf die Kinder mittelbar Einfluss nimmt, spielt für die Anwendbarkeit der Religionsfreiheit keine Rolle, sofern nicht mittels des Amtes eine bestimmte Glaubensaussage gegenüber den Schülern transportiert wird. 226 S. für den Fall des kommunalen Mandatsträgers v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn. 38), S. 408 Fn. 427: „Individualverhalten verliert nicht schon deshalb den Grundrechtsschutz, weil es einen dienstlichen Zusatznutzen abwirft.“; in den benannten Fällen kann der Richter die Beeinträchtigung sowohl für seine Funktion als auch für seine Person abwehren wollen; s. noch ausführlich unten 5.  Kap. C. I. 1. b) (S. 204 ff.). 227 A. Mayer, in: DRIZ 1978, S. 313 (313); E. Schilken, in: JZ 2006, S. 860 (865); Kissel/ Mayer (Fn. 116), § 1 Rn. 60.

A. Bereichsdifferenzierte Grundrechtsgeltung anderer staatlicher Akteure 

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Einige Autoren halten die Unterteilung der richterlichen Tätigkeit in die Bereiche Kernbereich und äußeren Ordnungsbereich angesichts des Wortlauts des § 26 Abs. 2 DRiG insgesamt für verfehlt und folgern aus der Vorschrift den vollständigen Rückzug der Dienstaufsicht, sofern sie den Inhalt der richterlichen Entscheidung kontrolliert228. Andere betonen demgegenüber die Rechtsbindung des Richters als Existenzgrund der richterlichen Unabhängigkeit und leiten hieraus die grundsätzliche Zulässigkeit der – ebenfalls an der Rechtsbindung des Richters orientierten – Kontrolle auch des Inhalts der Entscheidung ab, sofern diese Kontrolle die richterliche Unabhängigkeit hinreichend beachtet229. Teils wird die Handhabung durch die Rechtsprechung auch als praktikabel empfunden230. Eine Auseinandersetzung mit der vorgebrachten Kritik des Verhältnisses von Dienstaufsicht und richterlicher Unabhängigkeit soll hier jedenfalls insoweit erfolgen, als sie die vorliegend interessierende Thematik der Zuordnung von Grundrechten und richterlicher Unabhängigkeit streift. Zu Recht ist nämlich darauf hingewiesen worden, dass die Einteilung in Kernbereich und äußeren Ordnungsbereich und die in der Literatur vorgeschlagenen Lösungswege praktisch vor allem dann zu einem anderen Ergebnis kommen können, wenn es um die Zulässigkeit der dienstaufsichtlichen Ahndung von sogenannten offensichtlichen Fehlgriffen geht231. Eine offensichtliche inhaltliche Fehlentscheidung steht aber in jedem Fall außerhalb grundrechtlicher Zusammenhänge, da der Richterspruch in Wahrnehmung ureigener richterlicher Kompetenz ergeht, Art. 1 Abs. 3 GG. In Bezug auf die Zuordnungsproblematik von richterlicher Unabhängigkeit und Freiheitsrechten soll daher einzig das Problem erörtert werden, das mit einem grundsätzlich eingriffsfreien Kernbereich richterlicher Tätigkeit und dessen zunehmend extensiver Interpretation einhergeht: Wenn eine Beeinträchtigung der richterlichen Unabhängigkeit gerügt und bejaht wird, findet keinerlei Kontrolle und mit ihr auch keinerlei Abwägung zwischen richterlichem Unabhängigkeitsbereich und dienstaufsichtlichem Mittel mehr statt, sei die dienstaufsichtliche Maßnahme auch ein noch so geringer „Eingriff“. Je größer der Anwendungsbereich der (eingriffsfesten) richterlichen Unabhängigkeit gezogen wird, desto kleiner ist dementsprechend derjenige Bereich, der noch der Kontrolle der Dienst-

228 R. Schmidt-Räntsch, Dienstaufsicht über Richter, 1985, S. 111 ff. sowie Schmidt-Räntsch/ Schmidt-Räntsch (Fn. 153), § 26 Rn. 33, die dafür votieren, die richterliche Unabhängigkeit auf die gesamte richterliche Tätigkeit zu beziehen und den Entscheidungsinhalt von der dienstaufsichtlichen Kontrolle auszunehmen; für eine Unterscheidung nach Inhalt der richterlichen Entscheidung und Art und Weise der Durchführung auch Classen (Fn. 115), Art. 97 Rn. 30; Heusch (Fn. 114), Art. 97 Rn. 19; E. Schilken, in: JZ 2006, S. 860 (866). 229 Wittreck, Verwaltung (Fn. 114), S. 197 ff. für die Herstellung praktischer Konkordanz von Dienstaufsicht und richterlicher Unabhängigkeit; zustimmend Hillgruber (Fn.  116), Art.  97 Rn. 82. 230 N. Achterberg, in: NJW 1985, S. 3041 (3045); S. Haberland, in: DRiZ 2002, S. 301 (306); R. Schröder, in: NJW 2005, S. 1160 (1162). 231 E. Schilken, in: JZ 2006, S. 860 (866).

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4. Kap.: Das „Wie“ der Grundrechtsberechtigung des Abgeordneten 

aufsicht und den Gerichten untersteht. Dieser Schutz in seiner absoluten Form232 ist im Verhältnis zu anderen Amtsträgern einzigartig233 und riskiert dabei leicht, zur Allzweckwaffe des Richters zu werden, sich jeder Maßnahme zu entziehen, die ihm im Zusammenhang mit seiner richterlichen Tätigkeit missfällt234. Dies illustriert nicht zuletzt die Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Festlegung fester Dienstzeiten für Richter235, die der Bundesgerichtshof für mit der richterlichen Unabhängigkeit unvereinbar hielt. Der Bundesgerichtshof hatte hier den Bereich der richterlichen Unabhängigkeit auf die Freiheit „von äußeren Zwängen, seien sie auch nur atmosphärischer Art“236 ausgeweitet. Zu Recht wurde in Zweifel gezogen, ob derartige äußere Umstände den Richter in seiner Entscheidungsfindung überhaupt beeinflussen können237. Dem Richter wird damit ermöglicht, unter Berufung auf seine Unabhängigkeitsgarantie jede äußere Störung seiner richterlichen Tätigkeit abzuwehren, sofern er eine auch nur mittelbare Beeinflussung seiner rechtsprechenden Tätigkeit behaupten kann. Es steht aber außer Zweifel, dass die richterliche Unabhängigkeit aufgrund ihres fremdnützigen Charakters kein „funktionale[s] Äquivalent der allgemeinen Handlungsfreiheit“238 darstellt – zumal im Gegensatz zur allgemeinen Handlungsfreiheit nach der gängigen Kernbereichslehre die Rechtfertigung von Eingriffen der Dienstaufsicht gerade von vornherein ausgeschlossen ist. Die Problematik spitzt sich dadurch zu, dass der Richter im Zweifel unter Berufung auf seine richterliche Unabhängigkeit in der Praxis größeren Schutz erfährt als bei Berufung auf seine Grundrechte. Aufgrund seiner elementaren Verpflichtung zu „Neutralität und Distanz“239 stünde er mit grundrechtlichen Forderungen ohnehin oft auf verlorenem Posten240. Konsequenz ist die Tatsache, dass das immer größere Streben nach Freiheitsrechten gegenüber beamtenrechtlichen Geoder Verboten beim Richter kein Pendant findet. Für den Richter steht die Berufung auf die richterliche Unabhängigkeit im Vordergrund. Die extensive Interpretation dieser Gewährleistung birgt in der Praxis die Gefahr der Durchsetzung individueller Belange – unabhängig davon, ob sie durch die 232

Schütz, Richter (Fn. 176), S. 214 f. Schütz, Richter (Fn. 176), S. 221. 234 W. Geiger, in: DRiZ 1979. S. 65 (67) warnt vor einer „grenzenlose[n] Freiheit“; R. Voss, in: DRiZ 1998, S. 379 (381): „kein Freibrief für jedwedes richterliche Verhalten“; der Sache nach ähnlich kritisch K. F. Röhl, in: DRiZ 1998, S. 241 (245); Schütz, Richter (Fn. 176), S. 221: „Strauß von Privilegien“. 235 BGHZ 113, 36. 236 BGHZ 113, 36 (40). 237 R. Schröder, in: NJW 2005, S.  1160 (1163); Wittreck, Verwaltung (Fn.  114), S.  194; E. Schilken, in: JZ 2006, S. 860 (867). 238 Wittreck, Verwaltung (Fn. 114), S. 194. 239 BVerfGE 21, 139 (146). 240 Als Beispiel sei hier auf die kopftuchtragende Richterin verwiesen, für die die Religionsfreiheit anwendbar sein, aber zurücktreten soll, s. oben Fn. 212. 233

A. Bereichsdifferenzierte Grundrechtsgeltung anderer staatlicher Akteure 

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Grundrechte überhaupt gewährleistet würden oder nicht – unter dem Deckmantel der richterlichen Unabhängigkeit. Vor dem Hintergrund ist Vorsicht gerade dort geboten, wo grundrechtliche Ansätze auf die richterliche Unabhängigkeit und ihr Spannungsverhältnis zur Dienstaufsicht übertragen werden sollen: Vereinzelt wurden etwa gemeinsame Lösungswege für die richterliche Unabhängigkeit und die allgemeinen Handlungsfreiheit befürwortet241 und versucht, analog des Auffanggrundrechts einer möglichst weit interpretierten richterlichen Unabhängigkeit eine ebenso weite Einschränkungsmöglichkeit gegenüber zu stellen242. Dieser an die allgemeine Handlungsfreiheit angelehnte Ansatz ermöglicht zwar eine Abwägung der richterlichen Unabhängigkeit mit anderen Rechtsgütern und hebt den besagten absoluten Schutz auf, vermag aber nicht dem Kernproblem, nämlich der konturlosen Ausweitung der richterlichen Unabhängigkeit auf Inhalte, die sie nicht enthält, vorzubeugen. Vor dem Hintergrund der Fremdnützigkeit der eingeräumten Gewährleistung muss vielmehr bereits der extensive Gewährleistungsumfang auf dasjenige beschränkt werden, was Art. 97 Abs. 1 GG an Freiraum tatsächlich garantiert, nämlich den unbeeinflussten Entscheidungsfindungsprozess. Nur soweit dieser tatsächlich beeinträchtigt ist, könnte auch der Justizgewährungsanspruch des Bürgers sowie die Bindung der richterlichen Entscheidung an Recht und Gesetz die Aktivierung der richterlichen Unabhängigkeit verlangen. Von dieser Gegenprobe ist daher immer auszugehen, wenn es darum geht, den Bereich richterlicher Unabhängigkeit und dienstaufsichtlichen Eingreifens gegeneinander abzustecken243. Dass dieser Entscheidungsfindungsprozess tatsächlich tangiert ist, ist vom Richter plausibel zu machen. b) Ergebnis Grundsätzlich ergeben sich für die Grundrechtsberechtigung des Richters gegenüber dem Beamten keine strukturellen Besonderheiten. Im Rahmen der eigentlichen Funktionswahrnehmung des Richters sind die Grundrechte funktional nicht anwendbar, Art. 1 Abs. 3 GG; sofern er zwar in seiner Eingliederungslage betroffen wird, hier aber dem Staat als Person gegenübersteht, gilt das zum „Dienstverhältnis“ Gesagte244. Im Rahmen des „Privatbereichs“ gilt ebenfalls grundsätzlich das zum Beamten Herausgestellte245: Dass der Richter in seinem außerdienstlichen

241

Bspw. geht Schütz davon aus, dass die Unabhängigkeitsgarantie mit der Justizgewährungspflicht des Bürgers und daher mit dessen Grundrechtsverwirklichung in engem Zusammenhang steht, und befürwortet auch für die richterliche Unabhängigkeit einen an der allgemeinen Handlungsfreiheit angelehnten Lösungsweg, s. Schütz, Richter (Fn. 176), S. 223 ff., insb. S. 236 ff. 242 Schütz, Richter (Fn. 176), S. 236. 243 Wittreck, Verwaltung (Fn. 114), S. 194; zustimmend Hillgruber (Fn. 116), Art. 97 Rn. 80. 244 4.  Kap. A. I. 3. b) (S. 135 ff.). 245 4.  Kap. A. I. 3. c) (S. 139).

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4. Kap.: Das „Wie“ der Grundrechtsberechtigung des Abgeordneten 

Bereich grundrechtliche Freiheiten wahrnimmt wie jedermann246, ist für den Richterberuf und insbesondere die richterliche Unabhängigkeit unverzichtbares Element247. Die richterliche Unabhängigkeit wird gerade dadurch befördert, dass der Richter außerhalb seines Amtes „im Leben steh[t]“248. Er erfährt allenfalls zusätzliche Einschränkungen durch die Erfordernisse seines speziellen Amtes, vgl. § 39 DRiG. Auch für die Beeinträchtigung negativer Handlungsfreiheiten und das Bestehenbleiben von Integritätsrechten im Amt kann sich kein Unterschied zum Beamten ergeben. Dennoch sind zwei Besonderheiten hervorzuheben: Zum einen wird der Funktionsbereich des Richters im Rahmen der Verhandlungsführung durch das persönliche Wirken des Richters geprägt; hier ergibt sich ein Spannungsverhältnis insbesondere zu seiner Meinungsäußerungsfreiheit, Art. 5 Abs. 1 S. 1 Var. 1 GG. Dieses muss vor dem Hintergrund der Rollentrennung von Amt und Privatperson begriffen werden: Wenn persönlichkeitsrelevante Elemente für die Amtswahrnehmung aktiviert werden, wird diesen eine „amtliche“ Relevanz verliehen. Persönliche Fähigkeiten werden in diesem Fall für das Richteramt fruchtbar gemacht und stehen außerhalb des grundrechtlichen Schutzes. Zum anderen kann festgehalten werden, dass die richterliche Unabhängigkeit als zusätzliche, zu amtlichen Zwecken gewährleistete Rechtszuweisung auf die oben genannte „beamtenrechtliche“ Differenzierung grundsätzlich keinen Einfluss nimmt. Das Problem, das mit der extensiven Interpretation der Gewährleistung verbunden ist, und letztere unter Umständen zum Vehikel für individuelle Entfaltungswünsche degenieren lässt, sollte zum Anlass genommen werden, dem „Wucherungsprozeß“249 der richterlichen Unabhängigkeit selbst entgegenzuwirken, kann sich aber nicht auf die Anwendbarkeit der Grundrechte auswirken.

III. Fazit zur Korrelation zwischen den Wesensunterschieden der Amtsträger und deren Grundrechtsberechtigung Im Folgenden sollen Schlussfolgerungen gezogen werden, inwiefern die vorab herausgestellten Unterscheidungsmerkmale der Amtsträger Einfluss auf deren Grundrechtsgeltung nehmen. Erneut sei daran erinnert, dass der angestellte Vergleich vom Prototypen des Beamten und des Richters ausgegangen ist und sich Ab 246

BVerwGE 78, 216 (220 f.). M. Grünhut, in: Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform, Beiheft 3, Rechtsstaatsidee und Erziehungsstrafe, 1930, S. 1 (23); K. Krützmann, in: DRiZ 1985, S. 201 (203). 248 Schmidt-Räntsch/Schmidt-Räntsch, DRiG (Fn. 116), § 39 Rn. 6; ähnlich K. Krützmann, in: DRiZ 1985, S. 201 (203). 249 Wittreck, Verwaltung (Fn. 114), S. 178. 247

A. Bereichsdifferenzierte Grundrechtsgeltung anderer staatlicher Akteure 

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weichungen für bestimmte Berufsbilder ergeben können. Die nachfolgenden Ergebnisse können daher nicht für alle denkbaren Fälle Gültigkeit beanspruchen und sollen lediglich als Richtschnur dienen. 1. Fehlende Auswirkungen der Weisungsgebundenheit auf die Grundrechtsberechtigung des jeweiligen Amtsträgers Die Weisungshierarchie ist „zentrales Bauelement“250 der Verwaltung. Sie ist dabei die „zusätzliche Möglichkeit der Konkretisierung […] [der Amts-]Pflichten durch Instruktion“251. Die Weisungsgebundenheit darf nicht als die Abwesenheit jeglicher Handlungsspielräume verstanden werden252: Weisungsgebundenheit ist zunächst einmal nur eine potentielle Weisungsabhängigkeit. Sofern eine Weisung gar nicht erst ergeht, können auch dem Beamten umfangreiche Entscheidungsspielräume zustehen. Weisungsbefugnis bedeutet daher von vornherein nur, dass der Entscheidungsspielraum jederzeit eingeengt werden kann, aber nicht muss. Die Weisungs(un)gebundenheit sagt also allein etwas darüber aus, ob bzw. wem die Entscheidungsspielräume generell (und nicht aktuell) zur Disposition stehen253. Das Resultat zum Einfluss der Weisungsgebundenheit bzw. -ungebundenheit auf die Grundrechtsberechtigung des Amtsträgers lässt sich nach dem Vergleich der beiden Amtsträger eindeutig ausmachen: Die Weisungsgebundenheit als solche beeinflusst die funktionale Anwendbarkeit der Grundrechte nicht. Der Richter erfährt bei seiner richterlichen Tätigkeit zwar keine Weisungsbindung – er ist aber wie gesehen in Bezug auf seine Entscheidungsfindung der Rechtsbindung unterworfen. Sowohl die (potentiell) weisungsgebundene Amtstätigkeit des Beamten als auch die gänzlich weisungsfreie richterliche Tätigkeit sind damit an die Gesetze gebunden (Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG). Im Rahmen dieses „Amtskorridors“ sind sie beide gleichermaßen als verlängerter Arm des Staates tätig. Beide Amtsbereiche  – der weisungsgebundene wie der weisungsfreie  – bleiben daher frei von der Grundrechtswahrnehmung254, weil es insoweit nicht auf die Weisungsanbindung, sondern auf diejenige an Recht und Gesetz ankommen muss.

250

Loschelder, Weisungshierarchie (Fn. 21), § 107 Rn. 3. A. Köttgen, Das anvertraute öffentliche Amt, in: K. Hesse/S. Reicke/U. Scheuner (Hrsg.), Staatsverfassung und Kirchenordnung. Festgabe für Rudolf Smend zum 80. Geburtstag am 15. Januar 1962, 1962, S. 119 (124). 252 Loschelder, Weisungshierarchie (Fn. 21), § 107 Rn. 31. 253 Loschelder, Weisungshierarchie (Fn. 21), § 107 Rn. 32. 254 Gegen die Weisungsgebundenheit als maßgeblichen Faktor auch v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn. 38), S. 182. 251

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4. Kap.: Das „Wie“ der Grundrechtsberechtigung des Abgeordneten 

2. Fehlende Auswirkungen der amtlichen (ab)wehrfähigen Rechtszuweisung auf die Grundrechtsberechtigung des jeweiligen Amtsträgers Die Rechtszuweisung der richterlichen Unabhängigkeit, die ihrem Geltungsgrund nach die unbeeinflusste amtliche Tätigkeit absichert, ermöglicht dem Amtsträger, seine Dispositionsmacht über die amtlichen Entscheidungsspielräume gegen anderweitigen Zugriff zu verteidigen. Diese Rechtszuweisung steht dem Richter originär von Verfassung wegen zu (Art. 97 Abs. 1 GG). Dabei kann folgende Beobachtung gemacht werden: Sofern eine solche Verteidigungsmöglichkeit im Amt wie beim Beamten gänzlich fehlt, rekurrieren die Beamten in der Konsequenz ausschließlich auf ihre Grundrechte, um bestimmte individuelle Verhaltensweisen zu legitimieren. Wie beschrieben wird dem grundrechtlichen Freiheitsstreben dabei zunehmend Raum verschafft. Sofern eine solche Verteidigungsmöglichkeit amtlicher Freiräume hingegen wie beim Richter besteht, wird umgekehrt gerade diese Rechtszuweisung extensiv genutzt. Die Berufung und die Durchsetzung von Grundrechten spielen praktisch gesehen für den möglicherweise überschneidenden Bereich eine untergeordnete Rolle. Auch die Inanspruchnahme dieser Rechtszuweisung kann als solche keinerlei Einfluss auf die funktionale Anwendbarkeit der Grundrechte ihres Trägers nehmen. Wenn deren Gewährleistungsgehalt so umfassend ist, dass er den Amtswalter auch vor nur mittelbar mit dem Amt zusammenhängenden Einflussnahmen schützt, ergeben sich vielmehr überschneidende Schutzgehalte. Die Grundrechte und die von Amts wegen gewährleistete Rechtszuweisung des Richters bestimmen sich in ihrem Gewährleistungsgehalt unabhängig voneinander. 3. Aufnahme persönlichkeitsbezogener Elemente durch das Richteramt Allerdings ergibt sich für den Richter, dass sein Amt – zumindest sofern es zu einer richterlichen Entscheidung mündlicher Verhandlungen bedarf – besonders auf seine persönlichen Impulse angewiesen ist255. Sein Amt wird verstärkt durch seine Sprache ausgeführt und tritt damit in ein natürliches Spannungsverhältnis zur Meinungsäußerungsfreiheit i. S. d. Art. 5 Abs. 1 S. 1 Var. 1 GG. Hier schlägt besonders zu Buche, dass er während der Verhandlungsführung in einer „Kontaktsituation“256 mit den Bürgern steht. Nach der Rechtsprechung gehören Äußerungen eines Richters solange zur Amtswahrnehmung, wie sie nicht bloß den äußeren

255

Vgl. v. Kielmansegg: für bestimmte Funktionsträger sei ein „stärkeres Hervortreten des handelnden Funktionsträgers als Person“ festzustellen (Hervorhebung im Original); dies sei mitunter dann der Fall, wenn subjektives Urteilsvermögen gefragt werde, insb. in den Fällen „Personalführung, Ausbildung oder Erziehung“, s. v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn. 38), S. 184. 256 Dieser Begriff bei v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn. 38), S. 418 f.

B. Die echte Eigenart der Abgeordnetenrechtsstellung 

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Rahmen der Urteilsfindung betreffen257. Auch Aussagen mit Personenbezug, d. h. solche, die die individuelle Wahrnehmung und Einschätzung von Sachverhalt und Prozessbeteiligten durch den Richter erkennen lassen, sollen hiervon noch erfasst sein258. Diese Seite des Amtes, die die eigenen Fähigkeiten und Impulse für das jeweilige Amtshandeln aktiviert, vermag die Grundrechtsberechtigung des Amtsträgers daher insofern zu beeinflussen, als sie persönlichkeitsbezogenen Elementen „amtliche Relevanz“ verleiht und in das Amt aufnimmt – dann aber verlieren die persönlichkeitsbezogenen Elemente ihre grundrechtliche Absicherung, Art. 1 Abs. 3 GG.

B. Die echte Eigenart der Abgeordnetenrechtsstellung – die Inhärenz der Person in der Funktion Doch worin besteht nun die Eigenart des Abgeordneten, sein oft betontes Alleinstellungsmerkmal gegenüber anderen Amtsträgern? Wenn die Weisungsfreiheit und die Einschlägigkeit seiner amtlichen Rechtszuweisung  – des freien Mandats – nach den bisherigen Ausführungen als solche für die funktionale Anwendbarkeit der Grundrechte nicht ausschlaggebend sind, verbleibt ein weiterer Parameter, der den Abgeordneten von den anderen Amtsträgern abheben könnte. Es handelt sich um seine bislang nicht näher erörterte „Scharnierfunktion zwischen ‚Staat und Gesellschaft‘“259, die die Anwendung der herkömmlichen, auf andere Amtsträger angewandten Dogmatik so schwierig macht260. Die genauen Auswirkungen dieser Scharnierfunktion auf die Grundrechtsberechtigung des Bundestagsabgeordneten sind ein bislang wenig beachtetes Feld261. Um diesen im Folgenden auf den Grund zu gehen, sollen zunächst die dogmatischen Grundlagen der Scharnier- bzw. Zwischengliedstellung näher erörtert werden, wofür eine Auseinandersetzung mit dem verfassungsrechtlichen Begriff der Repräsentation notwendig ist (I.). Sodann soll darauf eingegangen werden, welche Konsequenzen sich aus der Scharnierfunktion für die Rechtsstellung des Abgeordneten ergeben: Diese liegen zum einen in der Prägung der parlamentarischen Mitgliedschaftsrechte durch die Abgeordnetenperson (II.). Zum anderen lässt sich das gesamte außerparlamentarische politische Tätigwerden des Abgeordneten gleichzeitig als Teil  seiner sog. materiellen Repräsentationsaufgabe i. S. d. Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG begreifen (III.). Schließlich ist für den Privatbereich seine „gesellschaftliche Verwurzelung“ zu beachten, die sich gegen weitreichende Grundrechtseinschränkungen im Privaten sperrt (IV.). 257

S. hierzu oben 4.  Kap. A. II. 2. a) cc) (2) (S. 152 f.). S. hierzu oben 4.  Kap. A. II. 2. a) cc) (2) (S. 152 f.). 259 S. oben Einl. A. (S. 15). 260 Vgl. R. Grote, Der Verfassungsorganstreit, 2010, S. 366. 261 S. Stein, Verantwortlichkeit (Fn. 10), S. 525 f. 258

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4. Kap.: Das „Wie“ der Grundrechtsberechtigung des Abgeordneten 

I. „Scharnierfunktion“ des Abgeordneten – Eine formale wie materielle Repräsentationsaufgabe Der Terminus der parlamentarischen „Repräsentation“ ist ein schillernder262, verfassungsrechtlich autonom interpretationsbedürftiger Begriff263. Die in Art. 20 Abs. 2 S. 1, 38 Abs. 1 S. 2 GG264 zum Ausdruck kommende Repräsentation durch Volksvertreter bedeutet, dass auch in der Staatsform der Demokratie staatliche Entscheidungen über Mittler zwischen Volk und Staat hervorgebracht werden265, die die Vielzahl der in der Gesellschaft bestehenden Einzelinteressen organisiert266 in die staatliche Willensbildung einfließen lassen. Es ergibt sich aus dem Wesen der Repräsentation, dass sie nicht im Sinne einer „Identität von […] Regierenden und Regierten“267 verstanden werden kann268. Der Volksvertreter ist nicht gehindert, ohne oder auch gegen einen empirisch bestehenden Volkswillen zu handeln269. Diesen Entscheidungsspielraum270 erhält er durch die Wahl, die das legitimierende Band zwischen Volk und Vertreter und damit die Autorisationsgrundlage271 seines repräsentativen Handelns darstellt. Als Gegengewicht besteht seine demokratische Verantwortlichkeit vor dem Volk, welches 262 So H. Meyer, Die Stellung der Parlamente in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht (Fn. 4), § 4 Rn. 9 sowie H. Hofmann/H. Dreier, Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht (Fn. 4), § 5 Rn. 1. 263 Magiera (Fn. 7), Art. 38 Rn. 5; M. Morlok, in: H. Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 3. Aufl. 2015, Art. 38 Rn. 33. 264 Zum Zusammenhang beider Vorschriften s. Badura (Fn. 4), Art. 38 Rn. 1. 265 Dabei prägnant für die repräsentative Demokratie als wahre Form der Demokratie E.-W. Böckenförde, Mittelbare/Repräsentative Demokratie als eigentliche Form der Demokratie, in: G. Müller u. a. (Hrsg.), Staatsorganisation und Staatsfunktionen im Wandel. Festschrift für Kurt Eichenberger zum 60. Geburtstag, 1982, S.  301 (301 ff.); ebenso ders., Demokratische Willensbildung und Repräsentation, in: Isensee/Kirchhof, HStR III (Fn. 7), § 34 Rn. 3; kritisch zu dieser Sichtweise dagegen H. Dreier/F. Wittreck, Repräsentative und direkte Demokratie im Grundgesetz, in: L. P. Feld u. a. (Hrsg.), Jahrbuch für die direkte Demokratie 2009, 2010, S. 11 (11). 266 S. oben 2. Kap. A. I. Fn. 42 „organisierte Wirkeinheit“; als „rechtstechnischer Vorgang der Organisation“ bezeichnet auch bei Steiger, Grundlagen (Fn. 5), S. 160. 267 So das Demokratieverständnis bei C. Schmitt, Verfassungslehre (1928), 5. Aufl. 1970, S. 234 im Gegensatz zum Verständnis der Repräsentation (235); s. zu Schmitt als klassischem Vertreter der idealistischen Repräsentationstheorie Steiger, Grundlagen (Fn. 5), S. 153 ff. sowie 4. Kap. B. IV. (S. 180 ff.). 268 Ablehnend zum Identitätsverständnis K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl. 1999, Rn. 131; H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz (Fn.  30), Art.  38 (2010), Rn.  43; Magiera (Fn.  7), Art.  38 Rn.  6; Achterberg/Schulte (Fn. 115), Art. 38 Rn. 31. 269 Badura (Fn. 4), Art. 38 Rn. 33; Magiera (Fn. 7), Art. 38 Rn. 9; Klein (Fn. 268), Art. 38 Rn. 41; H. Butzer, in: Epping/Hillgruber, Grundgesetz (Fn. 22), Art. 38 Rn. 8.1. 270 „Entscheidungsfreiheit“ bei H. Heller, Staatslehre (1934), 6. Aufl. 1983, S. 279; sich auf diesen beziehend Böckenförde, Demokratie (Fn. 265), S. 311. 271 Vgl. Böckenförde, Demokratie (Fn. 265), S. 317.

B. Die echte Eigenart der Abgeordnetenrechtsstellung 

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ihm ggf. die Wiederwahl verwehrt272. Bedeutet der Begriff der Repräsentation also keine Identität von Volk und Vertreter, ist er aber ebenso wenig mit der bürgerlichrechtlichen Stellvertretung oder der staatsorganisationsrechtlichen Organschaft gleichzusetzen273: Die Volksvertretung ist nicht imstande, das Volk als Gruppe rechtlich zu verpflichten, sondern handelt in zurechenbarer Weise unmittelbar nur für den Staat; die Zurechnung zum Volk ist daher von ideologischer Natur274. Für den Begriff der Repräsentation lassen sich eine formale und eine materielle Seite unterscheiden. Die formale Repräsentation meint denjenigen Akt des Repräsentationsprozesses, in dem der Volkswille durch das parlamentarische Verfahren in staatliche Entscheidungsgewalt umgewandelt wird275. Unter Einsatz der parlamentarischen Befugnisse können verbindliche Entscheidungen für das Volk herbeigeführt werden. Der Volksvertreter wird hier im Rahmen seines Funktionsbereichs tätig (Art. 1 Abs. 3 GG)276. Damit die formale Repräsentation tatsächlich i. S. d. Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG vom Volk ausgehen kann, sich letzteres also in den Entscheidungen der Volksvertretung „wiederfinden“277 kann, muss ihr denknotwendig die sog. materielle bzw. inhaltliche Seite der Repräsentation an die Seite gestellt werden. Diese bezeichnet den stets fortlaufenden Austausch zwischen Volksvertreter und Volk278. Denn die Einwirkung des Bürgers auf die Staatsgewalt endet nicht mit der bloßen Stimmabgabe bei der Wahl279; sie ist ein andauernder „Prozeß“280 zwischen dem Volk und seinen Vertretern, der auf beiden Seiten unablässige Dialogbereitschaft voraussetzt281. Diese inhaltliche Seite der Repräsentation wird durch den Volksvertreter weitest 272 Achterberg/Schulte (Fn. 115), Art. 38 Rn. 32; W. Demmler, Der Abgeordnete zwischen Parlament und Fraktionen, 1993, S. 81. 273 Achterberg/Schulte (Fn.  115), Art.  38 Rn.  31; Grote, Verfassungsorganstreit (Fn.  260), S.  159; Magiera (Fn.  7), Art.  38 Rn.  5; Klein (Fn.  268), Art.  38 Rn.  41; U. Schliesky, Parlamentsfunktionen, in: M. Morlok/ders./D. Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 5 Rn. 28. 274 Badura (Fn. 4), Art. 38 Rn. 33; Magiera (Fn. 7) Art. 38 Rn. 9; Demmler, Abgeordnete (Fn. 272), S. 80; Butzer (Fn. 269), Art. 38 Rn. 8.1. 275 Vgl. Böckenförde (Fn. 265), § 34 Rn. 26 ff.; vgl. auch ders., Demokratie (Fn. 265), S. 318, 327; Demmler, Abgeordnete (Fn. 272), S. 73 ff.; die Unterscheidung zwischen formaler und inhaltlicher Repräsentation trifft auch H. H. Klein, Freies Mandat und Rederecht der Abgeordneten im Wandel der Zeit, in: W. Durner/F.-J. Peine/F. Shirvani (Hrsg.), Freiheit und Sicherheit in Deutschland und Europa. Festschrift für Hans-Jürgen Papier zum 70. Geburtstag, 2013, S. 121 (130). 276 S. zu der Frage, ob die Grundrechtsbindung auch die einzelnen Mitgliedschaftsbefugnisse des Abgeordneten erreicht, 5. Kap. A. I. (S. 186 ff.). 277 Böckenförde (Fn. 265), § 34 Rn. 29; zustimmend Hofmann/Dreier (Fn. 262), § 5 Rn. 22. 278 Demmler, Abgeordnete (Fn. 272), S. 75. 279 BVerfGE 20, 56 (98); vgl. auch E 69, 315 (346). 280 Böckenförde, Demokratie (Fn. 265), S. 319, 322. 281 Treffend daher die Bezeichnung bei Böckenförde als „Frage-Antwort-Beziehung“, s.­ Böckenförde, Demokratie (Fn. 265), S. 321; ders., Willensbildung (Fn. 265), § 34 Rn. 33; s. auch Steiger, Grundlagen (Fn. 5), S. 192 ff.: „Kommunikationsbahnen“.

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4. Kap.: Das „Wie“ der Grundrechtsberechtigung des Abgeordneten 

gehend in Eigenregie vorgenommen und ist daher anders als die formale Repräsentation nicht auf ein Zusammenwirken der Volksvertreter angelegt282. Gemeinsam ergeben formale und materielle Repräsentation die Funktion des Abgeordneten als „Scharnier“283 oder „Bindeglied“284 bzw. „Vermittler“285 zwischen (staatsfreier) Volkswillensbildung und staatlicher Willensbildung. Beide Seiten prägen seine Rechtsstellung, die sich im Ganzen „weder dem Bereich ungebundener grundrechtlicher Freiheit noch dem Bereich hierarchisch vollständig eingebundener organschaftlicher Pflichterfüllung eindeutig zuordnen“286 lässt. Diese auf das Volk bezogene Sichtweise der Repräsentation hat zur Folge, dass sich der Auftrag zur Verfolgung des Gemeinwohls durch den Volksvertreter gerade als die Suche287 nach etwas weder im Vor- noch im Nachhinein Determinierbarem darstellt. Dies verdeutlicht ein Blick auf den Wandel des Repräsentationsverständnisses: Im Gegensatz zu den in der früheren Verfassungslehre vorherrschenden qualitativen bzw. idealistischen Repräsentationstheorien288, die die Repräsentationsfunktion des Volksvertreters auf die Hervorbringung eines abstrakten überempirischen Willens der Nation bezogen289, liegt seine Funktion nunmehr in der stetigen realen und konkreten Rückkopplung an das Volk 290. Dem gegenwärtigen Demokratie- und Repräsentationsverständnis nach kann es daher kein a priori291 bestehendes Gemeinwohl geben, das durch das Zusammenwirken der Volksvertreter sichtbar gemacht werden soll; denn der von Art. 20 Abs. 2 S. 1, 38 Abs. 1 S.  2  GG vorausgesetzte fortwährende Dialog zwischen Volk und Volksvertreter würde zwangsläufig untergraben, wollte man von einem feststehenden und

282

Meyer (Fn. 262), § 4 Rn. 11; Demmler, Abgeordnete (Fn. 272), S. 77. S. oben Einl. A (S. 15). 284 BVerfGE 118, 277 (340) – abw. Votum; dies aufgreifend Butzer (Fn. 269), Art. 38 Rn. 89; „Verbindungslied“ bei W. Härth, Die Rede- und Abstimmungsfreiheit der Parlamentsabgeordneten in der Bundesrepublik Deutschland, 1983, S. 142; BVerfGE 134, 141 (173, Rn. 96.). 285 „Vermittlungsfunktion“ bei Grote, Verfassungsorganstreit (Fn. 260), S. 366. 286 Grote, Verfassungsorganstreit (Fn. 260), S. 366. 287 Als „Gemeinwohlsuche“ bezeichnet bei H. Kremendahl, Pluralismustheorie in Deutsch­ land, 1977, S. 451. 288 Hierzu instruktiv Badura (Fn. 4), Art. 38 Rn. 23 ff. sowie Hofmann/Dreier (Fn. 262), § 5 Rn. 9 ff. 289 Badura (Fn. 4), Art. 38 Rn. 23 ff.; s. auch 4. Kap. B. IV. (S. 180 ff.). 290 Statt aller Böckenförde (Fn. 265), § 34 Rn. 26 ff.; ders., Demokratie (Fn. 265), S. 318 f.; Demmler, Abgeordnete (Fn.  272), S.  75; Grote, Verfassungsorganstreit (Fn.  260), S.  162; Schliesky (Fn. 273), § 5 Rn. 33. 291 Die Begriffe des Gemeinwohls a priori und a posteriori wurden durch Fraenkel geprägt, s. E. Fraenkel, Der Pluralismus als Strukturelement der freiheitlich-rechtsstaatlichen Demokratie, in: A. v. Brünneck (Hrsg.), Deutschland und die westlichen Demokratien, 9. Aufl. 2011, S. 256 (256 ff.) sowie ders., Möglichkeiten und Grenzen politischer Mitarbeit der Bürger in einer modernen parlamentarischen Demokratie, in: Brünneck, Deutschland (Fn. 291), S. 283 (292 f.); zu den wichtigsten Vertretern des monistischen Gemeinwohlmodells Rousseau und C. Schmitt s. T. Streit, Entscheidung in eigener Sache, 2006, S. 92 f. 283

B. Die echte Eigenart der Abgeordnetenrechtsstellung 

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von diesem Kommunikationsprozess unabhängigen Gemeinwohl ausgehen292. Wenn man den parlamentarischen Prozess als Konflikt- bzw. Kompromisslösung begreift293, sollte auch nicht von einem Gemeinwohl a posteriori gesprochen werden294. Denn der kompromisshafte Ausgleich der Interessen erfolgt nicht stets optimal295 und stellt sich rückwirkend betrachtet nicht zwingend als unfehlbar dar296. Das Gemeinwohl kann als individuell ausfüllbarer Begriff allenfalls stetig angestrebt werden297. Entsprechend der Vielfalt der an den Abgeordneten herangetragenen Ansichten und Interessen sowie seiner eigenen Bindungen und Überzeugungen kann und soll der Volksvertreter im Parlament eigene Standpunkte vertreten298. Zunächst ihm selbst299 und schließlich auch dem Parlament kommt die maßgebliche Aufgabe zu, die durch die Verschiedenheit von Vertretern und deren Ansichten aufkommenden Konflikte auszugleichen und zu einem Gesamtergebnis zusammenzuführen300. Erst im Zusammenwirken der Gesamtheit der Parlamentarier kann die womöglich auf Partikularinteressen gerichtete Prägung der Einzelauffassungen nach und nach nivelliert werden301. Entsprechend liegt die Ausübung öffentlicher Gewalt nicht in der Hand der einzelnen Abgeordneten, sondern ist erst durch deren Zusammenwirken dem Staat zurechenbar302: Im Einklang mit dem Wortlaut des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG wird erst durch die Gemeinschaft der Volksvertreter die formale, verbindliche Repräsentation des Volkes ermöglicht. Wenn es kein vorgegebenes Gemeinwohl gibt, kann das Handeln des 292

Demmler, Abgeordnete (Fn. 272), S. 72; Böckenförde, Demokratie (Fn. 265), S. 320 f.; vgl. auch schon Meyer (Fn. 262), § 4 Rn. 9 sowie Hofmann/Dreier (Fn. 262), § 5 Rn. 17; gegen die Determinierbarkeit des Gemeinwohls auch Streit, Entscheidung (Fn.  291), S.  95 ff.; C. Wefelmeier, Repräsentation und Abgeordnetenmandat, 1991, S.  126 ff.; Demmler, Abgeordnete (Fn. 272), S. 73; H.-P. Schneider, in: R. Wassermann (Hrsg.), Alternativkommentar zum GG, Bd. 1, 2. Aufl. 1989, Art. 38 Rn. 18. 293 S. nur Hesse, Grundzüge (Fn.  268), Rn.  133; Wefelmeier, Repräsentation (Fn.  292), S. 127 f.; Streit, Entscheidung (Fn. 291), S. 101; s. zum Ganzen auch H. Oberreuther, Konsens und Konflikt im politischen System der Bundesrepublik, in: A. Randelzhofer/W. Süß (Hrsg.), Konsens und Konflikt, 35 Jahre Grundgesetz, 1986, S. 214 (214 ff.). 294 Kremendahl, Pluralismustheorie (Fn. 291), S. 451; Wefelmeier, Repräsentation (Fn. 292), S. 128; Streit, Entscheidung (Fn. 291), S. 101 f. 295 Wefelmeier, Repräsentation (Fn. 292), S. 128. 296 Streit, Entscheidung (Fn. 291), S. 101 f. 297 S. den Terminus des Gemeinwohls als „regulative Idee“ bei E. Fraenkel, Deutschland und die westlichen Demokratien, in: Brünneck, Deutschland (Fn. 291), S. 74 (85); ders., Möglichkeiten (Fn. 291), S. 283 (292); Kremendahl, Pluralismustheorie (Fn. 287), S. 33, 450; Wefelmeier, Repräsentation (Fn. 292), S. 127. 298 S. unten 4. Kap. B. II. 2. (S. 170 ff.). 299 S. zur Transformationsfunktion des Abgeordneten schon 3. Kap. A. III. 2. (S. 82 ff.). 300 Wefelmeier, Repräsentation (Fn. 292), S. 168. 301 Demmler, Abgeordnete (Fn. 272), S. 76. 302 Hiermit geht die überzeugende Annahme der Kollektivrepräsentation einher, die von der überwiegenden Meinung angenommen wird: BVerfGE 44, 308 (315 f.); 80, 188 (217 f.); 118, 277 (324); Klein (Fn. 268), Art. 38 Rn. 40, 192; Magiera (Fn. 7), Art. 38 Rn. 4; Badura (Fn. 4), Art. 38 Rn. 50; ders. (Fn. 4) § 15 Rn. 6; Schliesky (Fn. 273), § 5 Rn. 29 – a. A. bei Demmler, Abgeordnete (Fn. 272), S. 81 ff.

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einzelnen Volksvertreters mit seiner individuellen Ausfüllung des Gemeinwohlbegriffs schwerlich repräsentativ für das Gesamtvolk sein. Je mehr Volksvertreter hingegen gemeinsam handeln, desto weniger werden sich Partikularinteressen durchsetzen und desto besser wird sich ein für die Gesamtheit tragfähiger staatlicher Wille bilden können303. Dieses Repräsentationsverständnis wird für die inner- und die außerparlamentarische Rechtsstellung des Abgeordneten entscheidend sein, die sich in beiden Fällen als „staatsferner“304 erweist als die Rechtsstellung anderer Amtsträger.

II. Die Prägung der Mandatskompetenzen durch die Abgeordnetenperson – formale Repräsentation Im Folgenden soll die Schnittstellenfunktion des Abgeordneten im Hinblick auf die formale Repräsentation, d. h. die Wahrnehmung der parlamentarischen Mitgliedschaftsrechte, beleuchtet und auf die verschiedenen Einbruchstellen für die Abgeordnetenpersönlichkeit in ihren Funktionsbereich eingegangen werden. Zum einen ist hierbei die inhaltliche Nähe der parlamentarischen Befugnisse zu den Kommunikationsgrundrechten zu nennen (1.), zum anderen sind die amtlichen Äußerungen des Abgeordneten von der Geltung des parteipolitischem Neutralitätsgebots ausgenommen, wodurch sich speziell sein parlamentarisches Rederecht der grundrechtlich gewährleisteten Meinungsäußerungsfreiheit annähert (2.). Ferner wird durch die Bezugnahme auf das (notwendigerweise) persönliche Gewissen i. S. d. Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG ein weiterer Bezug zur Abgeordnetenpersönlichkeit hergestellt (3.). 1. Kommunikative Züge der parlamentarischen Mitbestimmungsrechte Bereits im Rahmen der Diskussion um den „Sonderstatus“ des Abgeordneten ließen sich zahlreiche dogmatische Strukturparallelen zwischen dem freien Mandat i. S. d. Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG und den Grundrechten feststellen305. Entsprechend dieser dogmatischen Gesichtspunkte ist mehrfach von der Literatur auch die inhaltliche Nähe von parlamentarischem Mandat und den Grundrechten306, ins 303

Demmler, Abgeordnete (Fn. 272), S. 92. Vgl. Stein, Verantwortlichkeit (Fn. 10), S. 526. 305 S. oben 3.  Kap. B. II. 3. c) (S. 112 ff.). 306 Die Parallelen des freien Mandats zu den Grundrechten wurden bereits früh verstärkt in den Blick genommen, s. etwa T. Oppermann, in: VVDStRL 33 (1974), S. 43 (43 f.): „Ausformung der Individualität, Personalität und politischen Meinungs- und Handlungsfreiheit seines Trägers im Sinne der Art. 1, 2 und 5 GG.“; P. Häberle, in: NJW 1976, S. 537 (539): „Die inneren Verbindungen zu Art. 1, 2, 5 und 8 GG, d. h. zur Abgeordnetenpersönlichkeit als ganzer, 304

B. Die echte Eigenart der Abgeordnetenrechtsstellung 

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besondere von parlamentarischen Teilhaberechten und Kommunikationsgrundrechten (u. a. Art. 5 Abs. 1, 8 Abs. 1, 9 Abs. 1 GG307), hervorgehoben worden308. Insbesondere das Rederecht wird als „der grundrechtlichen Meinungsäußerungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 GG weitgehend äquivalent“ und damit als „inhaltliche Annäherung an die grundrechtliche Freiheit bei verbleibender statusrechtlicher Grundfärbung“309 beschrieben. Die Staatswillensbildung ist ein gemeinsamer Willensbildungsprozess der Parlamentarier, der sich nur durch Kommunikation untereinander bzw. mit der Öffentlichkeit vollziehen kann. Kommunikation erfordert Gegenreaktionen, erfordert Spontaneität und Lebhaftigkeit. Dies belegen nicht nur die scharfen, zugespitzten Äußerungen unter Wahrnehmung des parlamentarischen Rederechts in der Praxis310. Entsprechend ist auch in der Rechtsprechung zu beobachten, dass speziell zur Meinungsäußerungsfreiheit entwickelte Wertungen wie etwa das Gebot der meinungs- resp. rederechtsfreundlichsten Auslegung auf das parlamentarische Rederecht übertragen werden311. Dabei mögen beide Gewährleistungen, die grundrechtliche wie die staatsorganisationsrechtliche, noch so parallel verlaufen; der unüberwindbare Unterschied beider liegt wie bereits betont312 in ihrer jeweiligen Ausrichtung: Die parlamentarischen Teilhaberechte werden in formaler Repräsentation des gesamten Volkes und damit in fremdnützigem Sinne wahrgenommen, die Kommunikationsgrundrechte haben dagegen die Selbstverwirklichung ihres Trägers zum Ziel313. Ungeachtet dessen verdeutlichen die inhaltlichen Parallelen beider Gewährleistungen doch einen anderen Aspekt: Sie belegen den Persönlichkeitsbezug des Abgeordsind im Blick zu behalten.“; s. ferner A. Ziegler, Das Ratsmitglied im Verfassungs- und Verwaltungsrecht, Grundrechte im Gemeinderat?, 2014, S. 105 (bezogen auf die parlamentarischen Mitgliedschaftsrechte); s. auch v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn. 38), S. 456 (speziell für das parlamentarische Rederecht) – dagegen keine Parallelen einräumend BVerfGE 60, 374 (380). 307 S. W. Schmitt Glaeser, Die grundrechtliche Freiheit des Bürgers zur Mitwirkung an der Willensbildung, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III, 3. Aufl. 2005, § 38 Rn. 11 ff. 308 S. den „kommunikative[n] Charakter“ bei Grote, Verfassungsorganstreit (Fn. 260), S. 371; „kommunikative[r] Entscheidungsprozeß“ auch bei Demmler, Abgeordnete (Fn. 272), S. 76. 309 v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn.  38), S.  456; s. auch Ziegler, Ratsmitglied (Fn.  306), S. 105. 310 S. die Beispiele hitziger, teilweise disziplinarisch geahndeter Wortbeiträge bei G. Weng, in: ZParl. 17 (1986), S. 248 (255 f.) m. w. N. 311 Bspw.: Je mehr die inhaltliche Auseinandersetzung im Vordergrund steht, desto eher setzt sich das Rederecht gegenüber anderen Rechtsgütern durch; wenn eine Aussage mehrere Deutungen zulässt, ist die „rederechtsfreundlichere“ zugrunde zu legen, so etwa für Landtagsabgeordnete Sächs. VerfGH NVwZ-RR 2011, 129 (131); zustimmend T. Schürmann, Plenardebatte, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht (Fn. 273), § 20 Rn. 61; ebenso MVVerfG Urt. v. 23.1.2014, Az. LVerfG 4/13 (juris) abw. Meinung des Richters Brinkmann Rn. 75; übertragen auf Kommunalmandatare, OVG Münster, Beschl. v. 16.5.2013, Az. 15 A 785/12 (juris) Rn. 51. 312 S. bspw. oben 3. Kap. A. III. 2. (S. 82 ff.). 313 S. schon oben 2. Kap. A. I. (S. 52 ff.).

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netenamtes und damit den der formalen Repräsentation. Das Abgeordnetenamt bleibt selbstredend ein fremdnützig auszuübendes Amt, nimmt aber die kommunikativen, und damit persönlichkeitsbezogenen Fähigkeiten des Abgeordneten für sein parlamentarisches Wirken auf. Die parlamentarischen Mitgliedschaftsrechte stellen sich damit gewissermaßen nicht nur als Verlängerung der Volkswillensbildung durch Wahl dar (Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG)314, sondern sind sinnbildlich der verlängerte Arm der kommunikativen, auf Auseinandersetzung angelegten Volkswillensbildung insgesamt315. Diese in die staatliche Willensbildung zu transportieren, ist Aufgabe des Abgeordneten und prägt mithin den Charakter seiner Funktionswahrnehmung. Da der Volksvertreter die parlamentarischen Mitgliedschaftsrechte wiederum in Grundrechtsbindung i. S. d. Art.  1 Abs.  3  GG wahrnimmt316, verlieren diese durchaus persönlichkeitsbezogenen Aspekte zugleich ihre grundrechtliche Absicherung. Ähnliches wurde bereits zum Richteramt festgestellt, welches ebenfalls persönlichkeitsbezogenen Elementen eine „amtliche Relevanz“ verlieh317. 2. Keine Geltung des staatlichen Neutralitätsgebots für die amtlichen Äußerungen des Bundestagsabgeordneten Die Prägung des Abgeordnetenamtes durch die Abgeordnetenpersönlichkeit wird ferner dadurch verdeutlicht, dass für Redebeiträge des Bundestagsabgeordneten im Gegensatz zu denjenigen anderer politischer Amtsträger grundsätzlich keine staatliche Neutralität in parteipolitischen Fragen gefordert wird. Die Grenzen der Äußerungsrechte von politischen Amtsträgern erfahren derzeit starke mediale Aufmerksamkeit318. Öffentliche Äußerungen von politischen Amts-

314 Vgl. auch Grote, Verfassungsorganstreit (Fn. 260), S. 368 ff.; s. auch BVerfGE 102, 224 (238 f.); 112, 118 (134); 118, 277 (338) – abw. Votum; der Fortwirkungszusammenhang aus Art. 38 Abs. 1 S. 1 und S. 2 GG wird insbesondere im europäischen Kontext darin deutlich, dass Verfassungsbeschwerde unter Berufung auf Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG mit der Begründung erhoben werden kann, „die durch die Wahl bewirkte Legitimation von Staatsgewalt und Einflussnahme auf deren Ausübung [werde] durch die Verlagerung von Aufgaben und Befugnissen des Bundestages auf die europäische Ebene so […] entleer[t], dass das Demokratieprinzip verletzt wird“, s. BVerfGE 123, 267 (330); vgl. schon E 89, 155 (172) sowie zuletzt die Entscheidungen zum OMT-Beschluss, E 134, 366 (380 f., Rn. 17 ff.) und BVerfG NJW 2016, 2473 (2476 Rn. 130); anders als bei Ziegler wird der Fortwirkungszusammenhang aus Volkswillensbildung und parlamentarischen Mitgliedschaftsrechten hier vom Volk her gedacht, dessen Anliegen transportiert und transformiert werden, und nicht vom Volksvertreter selbst bzw. dessen eigener Selbstverwirklichung, s. Zieger, Ratsmitglied (Fn. 306), S. 105 ff. 315 Grote, Verfassungsorganstreit (Fn. 260), S. 372. 316 S. hierzu unten 5. Kap. A. I. (S. 186 ff.). 317 S. oben 4.  Kap. A. II. 2. a) cc) (2) (S. 152 f.). 318 BVerfGE 136, 323; 138, 102; RhPfVerfGH NVwZ-RR 2014, 665; SaarlVerfGH NVwZRR 2014, 905; ThürVerfGH, Urt. v. 3.12.2014, VerfGH 2/14 (juris); VGH Kassel NVwZ-RR

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trägern unter Identifizierung mit bzw. unter Kritik an einer bestimmten Partei sind vor dem Hintergrund der Wahlrechtsgleichheit i. S. d. Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG und der Chancengleichheit der Parteien i. S. d. Art. 21 Abs. 1 i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG grundsätzlich kritisch zu beurteilen: Bereits 1977 hatte das Bundesverfassungsgericht entschieden, Staatsorganen sei „jede unterschiedliche Behandlung der Parteien, durch die deren Chancengleichheit bei Wahlen verändert werden kann, verfassungskräftig versagt“319. Das demokratische Prinzip fordere die Willensbildung „vom Volk zu den Staatsorganen hin“, nicht in umgekehrter Richtung320, und setze stets voraus, dass auch die Minderheit zur Mehrheit werden kann321; deshalb sei „es den Staatsorganen in amtlicher Funktion verwehrt, durch besondere Maßnahmen […] auf die Willensbildung des Volkes bei Wahlen einzuwirken, um dadurch Herrschaftsmacht in Staatsorganen zu erhalten oder zu verändern.“322 „[Die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung, B. G.] muß sich stets der offenen und versteckten Werbung für einzelne der miteinander konkurrierenden politischen Parteien oder sonstigen an der politischen Meinungsbildung beteiligten Gruppen enthalten. Dies schließt nicht aus, daß sich die Aussagen der Öffentlichkeitsarbeit der Regierung mehr oder minder mit denen Programmen und Stellungnahmen der die Regierung tragenden Parteien decken können und häufig decken werden. […] Dennoch muß die auf das Staatsganze bezogene Öffentlichkeitsarbeit auch schon den Eindruck einer werbenden Einflußnahme zugunsten einzelner Parteien ebenso wie willkürliche, ungerechtfertigt herabsetzende und polemische Äußerungen über andere Parteien vermeiden.“323

Dabei steigen die Anforderungen an das parteipolitische Neutralitätsgebot mit zunehmender zeitlicher Nähe zum Wahltermin bis hin zu einem Gebot äußerster Zurückhaltung an324. Es kehrt ein bekannter Gedanke wieder325: Amtsträger haben kein „Vorrecht“ gegenüber jedermann, die ihnen zur Verfügung gestellte Autorität staatlichen Wirkens zugunsten ihrer selbst oder auch der eigenen Wiederwahl zu instrumentalisieren. In den aktuellen Entscheidungen legt das Bundesverfassungsgericht allerdings unterschiedliche Maßstäbe an die einzelnen Amtsträger an und verpflichtet Mitglieder der Bundesregierung auf die strikte Einhaltung des Neutralitätsgebots im Rahmen ihrer Amtstätigkeit, während es für den Bundespräsidenten dessen An-

2015, 508; VG Düsseldorf NWVBl. 2015, 201; OVG Münster NWVBl. 2015, 195; zum Ganzen T. Barczak, in: NVwZ 2015, S. 1014 (1014 ff.); J. Krüper, in: JZ 2015, S. 414 (414 ff.); ebenso K. F. Gärditz, in: NWVBl. 2015, S. 165 (165 ff.); C. Gusy, in: NVwZ 2015, S. 700 (700 ff.); C. Gröpl/S. Zembruski, in: JA 2016, S. 268 (268 ff.). 319 BVerfGE 44, 125 (146). 320 BVerfGE 44, 125 (140). 321 BVerfGE 44, 125 (142). 322 BVerfGE 44, 125 (141). 323 BVerfGE 44, 125 (149 f.). 324 BVerfGE 44, 125 (151 f.); RhPfVerfGH NVwZ-RR 2014, 665 (666); NVwZ 2014, 1089 (1092); C. Gusy, in: NVwZ 2015, S. 700 (703 f.); T. Barczak, in: NVwZ 2015, S. 1014 (1019). 325 S. schon oben 4.  Kap. A. I. 3. a) (S. 130 ff.).

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4. Kap.: Das „Wie“ der Grundrechtsberechtigung des Abgeordneten 

wendbarkeit stark einschränkt326. Zwar ist beiden Amtsträgern eigen, dass sie bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben der Rechtsbindung unterliegen (Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG)327. Die Bundesregierung aber verfüge „über staatliche Ressourcen in personeller, technischer, medialer und finanzieller Hinsicht“, was das „Risiko erheblicher Wettbewerbsverzerrungen zwischen den politischen Parteien“ berge328. Der Bundespräsident dagegen befinde sich weder „mit den politischen Parteien in direktem Wettbewerb um die Gewinnung politischen Einflusses, noch stehen ihm Mittel zur Verfügung, die es ihm wie etwa der Bundesregierung ermöglichten, durch eine ausgreifende Informationspolitik auf die Meinungs- und Willensbildung des Volkes einzuwirken.“329 Seine Aufgabe sei es, zu repräsentieren und zu integrieren330. Angesichts seines ohnehin großen Gestaltungsspielraums bei der Art und Weise seiner Äußerungen sei er daher „insbesondere nicht gehindert, sein Anliegen auch in zugespitzter Wortwahl vorzubringen“331. Die Grenzen seiner Äußerungen seien erst erreicht, wenn letztere „keinen Beitrag zur sachlichen Auseinandersetzung liefern, sondern ausgrenzend wirken, wie dies grundsätzlich bei beleidigenden […] Äußerungen der Fall sein wird“332. Die Geltung des Neutralitätsgebots ist damit für jedes Staatsorgan bzw. jeden Organwalter ausgehend von seiner jeweiligen Stellung im Verfassungsgefüge her separat zu bestimmen333. Dass den Bundestagsabgeordneten bei seinen Redebeiträgen ein in zeitlicher Nähe zur Bundestagswahl proportional zunehmendes Neutralitätsgebot im Sinne einer Nichtidentifizierung mit der eigenen Partei oder der Distanzierung von den gegnerischen Parteien treffen sollte, wird nicht vertreten und schiene auch geradezu „kurios“334. Hierfür mag auf den ersten Blick die Vorschrift des Art. 46 Abs. 1 S. 2 GG herangezogen werden, derzufolge der Indemnitätsschutz erst bei verleumderischen Beleidigungen endet; hieraus allein lässt sich aber noch keine Aussage über das Maß des Zulässigen im innerparlamentarischen Bereich treffen, schützt die Indemnität den Parlamentarier doch nicht vor Disziplinarmaßnahmen 326

BVerfGE 136, 323 (333 ff., Rn.  28 ff.); 138, 102 (113 ff., Rn.  38 ff.); einschränkend T. Barczak, in: NVwZ 2015, S. 1014 (1019 f.), der die „Sonderstellung des Bundespräsidenten“ im vorliegenden Fall auf rechtspolitische Zusammenhänge zurückführt; insgesamt kritisch zu den unterschiedlichen Maßstäben auch S. Tannenberger/H. Nemeczek, in: NVwZ 2015, S. 215 (215); s. zur Übertragung der Neutralitätskriterien auf den Fall des Oberbürgermeisters D. zu Hohenlohe, in: VerwArch. 107 (2016), S. 62 (77 ff.). 327 BVerfGE 136, 323 (333 ff., Rn. 27); 138, 102 (114, Rn. 41). 328 BVerfGE 138, 102 (115, Rn. 45). 329 BVerfGE 136, 323 (334, Rn. 30). 330 BVerfGE 136, 323 (335, Rn. 31). 331 BVerfGE 136, 323 (335, Rn. 32). 332 BVerfGE 136, 323 (335 f., Rn. 32). 333 BVerfGE 138, 102 (111 f., Rn.  35); ebenso K. F. Gärditz, in: NWVBl. 2015, S.  165 (167 f.). 334 H. H. Klein, Zur Öffentlichkeitsarbeit von Parlamentsfraktionen, in: M. Brenner/P. M. Huber/M. Möstl (Hrsg.), Der Staat des Grundgesetzes – Kontinuität und Wandel. Festschrift für Peter Badura zum 70. Geburtstag, 2004, S. 263 (277) mit Bezug auf die öffentlichen Äußerungen des Parlamentariers.

B. Die echte Eigenart der Abgeordnetenrechtsstellung 

173

des Präsidenten selbst (§§ 36 ff. GOBT)335, und vermag damit keine endgültigen Zulässigkeitsgrenzen für Äußerungen im Parlament abzustecken. Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG gewährleistet das parlamentarische Rederecht aus sich heraus336. Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG legt in diesem Zusammenhang ein öffentliches „Verhandeln“ des Bundestages fest, wenngleich die eigentliche Verhandlung im Sinne der inhaltlichen Detailarbeit337 in den dem Plenum vorgelagerten Ausschüssen und Fraktionen stattfindet338. Auch wenn Uneinigkeit besteht, ob die Funktion der Plenardebatte in der tatsächlichen Entscheidungsfindung durch Meinungsaustausch oder in der Legitimationswirkung für bereits im Vorfeld getroffene Entscheidungen liegt339, lässt sich die öffentliche Parlamentsdebatte als dramaturgischer340 Meinungsaustausch der verschiedenen Parlamentsmitglieder in ihren jeweiligen Rollen bezeichnen341. Anlehnend an die Zulässigkeitsgrenzen der Öffentlichkeitsarbeit von Fraktionen ist auch für Parlamentarier zu betonen, dass sie „ihre Aufgabe innerhalb des Staates (Parlament) gerade dadurch [erfüllen], dass sie ihre eigenen politischen Standpunkte, Zielsetzungen und Lösungsalternativen herausarbeiten und präsentieren, um so in der Auseinandersetzung […] zu gemeinwohldienlichen Entscheidungen beizutragen.“342 Dabei gehört die Parteibindung bzw. die Parteinahme zum Amt des Abgeordneten selbstverständlich dazu343, wird sogar von den Wählern berechtigterweise als Folge der Wahl erwartet344. Das Parlament ist Stätte des Meinungsaustauschs, gerade auch der Positionierung der parlamentarischen Minderheit345, es ist Verwirklichung von Repräsentation par excellence. Notwendige Konsequenz daraus ist, dass nicht die parlamentarische Rede eines einzelnen 335 H. H. Klein, Indemnität und Immunität, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht (Fn. 4), § 17 Rn. 35. 336 S. 3. Kap. A. I. (S.  75 ff.); gemeinsam mit dem freien Mandat als „Angelpunkte einer demokratisch-parlamentarischen Verfassung“ bezeichnet bei BVerfGE 2, 143 (171). 337 Der Bundestag steht zwischen „Arbeitsparlament“ und „Redeparlament“ s. P. Schindler, Die Verwaltung des Bundestages, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht (Fn. 4), § 29 Rn. 4; Grote, Verfassungsorganstreit (Fn. 260), S. 177 f. 338 BVerfGE 44, 308 (318); Grote, Verfassungsorganstreit (Fn.  260), S.  177 f.; Schürmann (Fn. 311), § 20 Rn. 1. 339 S. hierzu W. Zeh, Theorie und Praxis der Parlamentsdebatte, in: Schneider/ders., Parlamentsrecht (Fn. 4), § 32 Rn. 16 ff.; Schürmann (Fn. 311), § 20 Rn. 7 ff. 340 Schürmann (Fn. 311), § 20 Rn. 11. 341 Zeh (Fn. 339), § 32 Rn. 24 ff. 342 RhPfVerfGH NVwZ 2003, 75 (79; Hervorhebung nicht im Original, B. G.); ebenso J. Schröder, in: NVwZ 2005, S. 1280 (1281); für Abgeordnete ähnlich Klein, Öffentlichkeitsarbeit (Fn.  334), S.  278; die Parallele zur Öffentlichkeitsarbeit von Fraktionen liegt deshalb nah, weil auch sie eine Scharnierfunktion zwischen Staat und Gesellschaft einnehmen, s. ebd. S. 273. 343 Klein, Öffentlichkeitsarbeit (Fn. 334), S. 278. 344 Klein, Öffentlichkeitsarbeit (Fn. 334), S. 271. 345 SächsVerfGH, Urt. v. 3.12.2010, Vf. 12-I-10 (juris), Rn. 55; NVwZ-RR 2011, 129 (131), beide mit Bezugnahme auf Meyer (Fn. 262), § 4 Rn. 11 sowie M. Brenner, Das Prinzip Parlamentarismus, in: Isensee/Kirchhof, HStR III (Fn.  7), § 44 Rn.  39; ebenso OVG Münster, Beschl. v. 15.6.2013, Az. 15 A 785/12 (juris) Rn. 49.

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4. Kap.: Das „Wie“ der Grundrechtsberechtigung des Abgeordneten 

Parlamentsabgeordneten dem Parlament zugerechnet wird, sondern erst die Beiträge in ihrer Gesamtheit346. Eben hierin liegt ein entscheidender Unterschied des Bundestagsabgeordneten zu einzelnen Mitgliedern der Bundesregierung: Durch die den Wahlergebnissen entsprechend bunte, nicht nur der Mehrheitspartei entstammende Zusammensetzung der Parlamentarier ist eine Neutralität derselben weder notwendig noch gewünscht, „neutralisieren“ sich die Ansichten doch gegenseitig. Der Abgeordnete hat daher die Befugnis zur Politizität347 auch im Rahmen seiner „amtlichen“ Äußerungen, und führt damit die politische Volkswillensbildung in der Staatswillensbildung gerade fort: Entsprechend hat auch die Rechtsprechung mehrfach festgestellt, dass „[d]er Widerstreit der politischen Positionen […] nicht zuletzt von Debatten [lebt], die mit Stilmitteln wie Überspitzung, Polarisierung, Vereinfachung oder Polemik arbeiten.“348 Maßstab für parlamentarische Ordnungsmaßnahmen ist dementsprechend, ob noch eine inhaltliche Auseinandersetzung oder bereits reine Provokation oder Verächtlichmachung stattfindet349. Die freie Rede des Parlamentariers soll sich nicht an den Kategorien richtig oder falsch, angemessen oder unangemessen, scharf oder milde orientieren, sondern der repräsentativen Funktion des Parlaments350 nach lebhaft sein. Weiteres Argument gegen ein Neutralitätsgebot des Abgeordneten bildet der originär zwecksetzende Charakter des Bundestags als Staatsorgan351: Dieser bringt das Endergebnis der Gemeinwohlfindung erst hervor, die parlamentarischen Prozesse sind kreativer Natur. Dieses Kreativitätsmoment rückt auch den Abgeordneten in eine Sonderrolle gegenüber anderen Amtswaltern: „[D]ie politische Temperatur [ist hier] auch etwas höher als anderswo: Erst im Schmelzpunkt der Begegnung von gesellschaftlicher und staatlicher Willensbildung können jene Objektive geformt werden, die dann als Gesetze, Entscheidungen, Richtungsbestimmungen eine gewisse Festigkeit und Handhabbarkeit […] gewinnen.“352 Ganz in diesem Sinne wurde von der Rechtsprechung bereits die Geltung eines etwaigen Gebots strikter Sachlichkeit abgelehnt353. 346

S. zur Qualität des Bundestags als Kollegialorgan 2. Kap. B. I. (S. 61 ff.). Diese zieht als Kriterium für die Neutralitätsanforderungen heran K. F. Gärditz, in: NWVBl. 2015, S. 165 (167 ff.). 348 So für Landtagsabgeordnete SächsVerfGH, Urt. v. 3.12.2010, Vf. 12-I-10 (juris) Rn. 55; NVwZ-RR 2011, 129 (131); NVwZ-RR 2012, 89 (90); für Ratsmitglieder OVG Münster, Beschl. v. 15.6.2013, Az. 15 A 785/12 (juris) Rn.  47; ähnlich für Bundestagsabgeordnete Schürmann (Fn. 311), § 20 Rn. 61. 349 SächsVerfGH NVwZ-RR 2011, 129 (131); Schürmann (Fn. 311), § 20 Rn. 61; für Landtagsabgeordnete MVVerfG, Urt. v. 23.1.2014, BeckRS 2014, 46897; insofern besteht Ähnlichkeit zu demjenigen Maßstab, der an den Bundespräsidenten angelegt wird, s. BVerfGE 136, 323 (335 f., Rn. 32): Unterscheidung zwischen sachlicher Auseinandersetzung und ausgrenzenden Äußerungen. 350 „Grundfunktion“ des Parlaments bei Meyer (Fn. 262), § 4 Rn. 11. 351 S. oben 4. Kap. A. I. 1. (S. 124 ff.). 352 Zeh (Fn. 339), § 32 Rn. 11. 353 Für Landtagsabgeordnete MVVerfG, Urt. v. 23.1.2014, BeckRS 2014, 46897; für Ratsmitglieder OVG Münster, Beschl. v. 15.6.2013, Az. 15 A 785/12 (juris) Rn. 58. 347

B. Die echte Eigenart der Abgeordnetenrechtsstellung 

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Dies kann nicht nur für die innerparlamentarischen Äußerungen des Abgeordneten Geltung beanspruchen; auch wenn sich der Volksvertreter außerhalb des Parlaments äußert und dabei amtliche Autorität in Anspruch nimmt (Art. 1 Abs. 3 GG), geht es schließlich darum, die eigenen Standpunkte zu benennen und sich hierüber mit der Wählerschaft auseinanderzusetzen. Dass er hierbei – mit Ausnahme aktiver Wahlwerbung, die sich aus oben genannten Gründen auch für den Bundestagsabgeordneten im Rahmen der Wahrnehmung amtlicher Autorität insgesamt verbieten müsste354 – parteipolitische Neutralität an den Tag zu legen hätte, kann ebenso wenig erwartet werden wie bei seinen parlamentarischen Äußerungen. Demnach ist die Geltung eines Neutralitätsgebots für den Bundestagsabgeordneten – im Gegensatz zum Bundestag als Staatsorgan355 – für den Inhalt seiner amtlichen Äußerungen grundsätzlich abzulehnen356, was die Prägung des Abgeordnetenamtes durch die Abgeordnetenpersönlichkeit weiter unterstreicht. 3. Orientierung am eigenen Gewissen Eine weitere persönlichkeitsbezogene Ausrichtung des Abgeordnetenmandats gegenüber anderen Amtsträgern wird durch die Festlegung des eigenen Gewissens als Maßstab seines Handelns hergestellt (Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG). Die durchaus ausfüllungsbedürftige Gemeinwohlverpflichtung hat somit einen Bezugspunkt im Gewissen des Volksvertreters. Dabei ist einhellige Meinung, dass der Gewissensbezug i.R.d. Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG im Sinne einer Ausschließlichkeit des Gewissensmaßstabs zu verstehen ist: Er liefert den Maßstab des Abgeordnetenhandelns für jede Fragestellung, nicht nur für sog. Gewissensentscheidungen, in denen grundsätzlich Art. 4 Abs. 1 Var. 2 GG zum Zuge käme357. Die Bezugnahme auf das Gewissen i.R.d. Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG geht auf die Vorgängernorm des Art. 21 WRV zurück358, im Rahmen derer sie mehr aus stilis­ 354

So bezogen auf die Öffentlichkeitsarbeit des Bundestagsabgeordneten Klein, Öffentlichkeitsarbeit (Fn. 334), S. 277 f.; ders., in: Maunz/Dürig, Grundgesetz (Fn. 30), Art. 42 (2013), Rn. 46a. 355 Dass der Bundestag bei seiner Öffentlichkeitsarbeit zur Neutralität verpflichtet ist, ist unbestritten, s. BVerfGE 44, 125 (144, 147); Klein (Fn. 354), Art. 42 Rn. 46a. 356 Ebenso ablehnend Stein, Verantwortlichkeit (Fn. 10), S. 644; ebenso für die Öffentlichkeitsarbeit Klein, Öffentlichkeitsarbeit (Fn.  334), S.  277 f.; s. auch ders. (Fn.  354), Art.  42 Rn.  46a mit oben genannter Einschränkung, dass nicht durch Inanspruchnahme finanzieller Mittel des Staatshaushaltes Werbung für die entsprechende Partei gemacht werden dürfe. 357 Wefelmeier, Repräsentation (Fn. 292), S. 166; Badura (Fn. 4), Art. 38 Rn. 52; K. Kluth, in: B. Schmidt-Bleibtreu/H. Hofmann/H.-G. Henneke (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 13. Aufl. 2014, Art. 38 Rn. 74; Morlok (Fn. 263), Art. 38 Rn. 153; Klein (Fn. 268), Art. 38 Rn. 195; Butzer (Fn. 269), Art. 38 Rn. 96; D. Wiefelspütz, Abgeordnetenmandat, in: Morlok/Schliesky/ders., Parlamentsrecht (Fn. 273), § 12 Rn. 19. 358 E. V. Heyen, in: Der Staat 25 (1986), S.  35 (43); K.-B. v. Doemming/R. W. Füsslein/ W. Matz, in: JöR N. F. 1 (1951), S. 349.

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4. Kap.: Das „Wie“ der Grundrechtsberechtigung des Abgeordneten 

tischen Gründen eingefügt wurde359, um die vorige Gesetzesfassung „volkstümlicher“ zu gestalten360. Zum Begriffsverständnis ist es daher hilfreich, auf den Zusammenhang mit den noch weiter zurückliegenden Verfassungsnormen361 und Fassungen der Abgeordneteneide362 einzugehen363, die stets auf die „eigene Ueber­ zeugung“ des Abgeordneten für seine Entscheidungsfindung abstellten. Die Aufforderung, sich am eigenen Gewissen zu orientieren, ist demnach primär eine intellektuelle Aufgabe364, ermöglicht es aber dem Abgeordneten nicht, sich über bestehendes Recht hinwegzusetzen365. Da allerdings gerade die Verfassungsinterpretation große Spielräume mit sich bringt, stellt die Gewissensbindung gerade den notwendigen Ausgleich zur oft marginalen gesetzlichen Bindungs­dichte her366. Auch wenn die eine oder andere parlamentarische „Gewissensfrage“ durchaus Art. 4 Abs. 1 Var. 2 GG aktivieren könnte – wäre sie denn von einem Nichtabgeordneten und damit ohne Rücksicht auf das Gemeinwohl zu beantworten  –, ist nach obigen Feststellungen keine echte Äquivalenz aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG und dem vermeintlich korrespondierenden Grundrecht gegeben. Der Gewissensbegriff 359

E. V. Heyen, in: Der Staat 25 (1986), S. 35 (44). So der Antrag des USPD-Abgeordneten Dr. Cohn in der 22. Sitzung des Verfassungsausschusses am 4. April 1919 in Weimar, s. ausführlich bei E. V. Heyen, in: Der Staat 25 (1986), S. 35 (43). 361 S. den Wortlaut des § 73 Abs. 1 der Verfassungs-Urkunde für das Kurfürstenthum Hessen vom 5. Januar 1831: „nach ihrer eigenen Ueberzeugung“; Art. 83 S. 2 der Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat vom 31. Januar 1850: „nach ihrer freien Ueberzeugung“; ebenso in Art. 82 S. 2 der Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat vom 5. Dezember 1848; s. auch den aktuellen § 13 Abs. 1 GOBT; für eine Auslegung der Gewissensformel in diesem Sinne als Orientierung an der eigenen Überzeugung insb. Demmler, Abgeordnete (Fn. 272), S. 124; Klein (Fn. 268), Art. 38 Rn. 195, 188 und Badura (Fn. 4), Art. 38 Rn. 52. 362 S. ebenso die Abgeordneteneide in § 69 der Verfassungsurkunde für das Großherzog­ thum Baden vom 22. August 1818 vom 22. August 1818: „nach meiner innern Ueberzeugung“; ebenso § 25 der Verfassungs-Urkunde des Königreichs Baiern vom 26. Mai 1818; Art. 88 des Edicts über die Landständische Verfassung des Großherzogthums [Hessen] vom 17. Dezember 1820: „nach bester, eigner, durch keinen Auftrag bestimmter Ueberzeugung“; § 163 Verfassungsurkunde für das Königreich Württemberg vom 25.  September 1819: „nach meiner eigenen Ueberzeugung“; ausführlich zum Zusammenhang der Gewissensformel mit den Eidesformeln auch E. V. Heyen, in: Der Staat 25 (1986), S. 35 (44 ff.). 363 E. V. Heyen, in: Der Staat 25 (1986), S. 35 (44 ff.); ebenso Klein (Fn. 268), Art. 38 Rn. 195, 188.  – Gegen einen Ertragswert der entstehungsgeschichtlichen Auslegung O. Piechaczek, Lobbyismus im Deutschen Bundestag, 2014, S. 103 f. 364 „Inbegriff intellektueller Anstrengung zur Erfüllung der Aufgabe einer Institution“ bei E. V. Heyen, in: Der Staat 25 (1986), S. 35 (49), der (ebda., S. 49 ff.) auf das Amtsethos des Abgeordneten abstellt; sich auf diesen beziehend Klein (Fn. 268), Art. 38 Rn. 195; als in erster Linie moralischer Apell erscheint die Gewissensbindung bei Butzer (Fn. 269), Art. 38 Rn. 96; ähnlich Piechaczek, Lobbyismus (Fn. 363), S. 106 f.: moralischer Appell anstelle inhaltlicher Vorgaben; dagegen wird vor einer Überhöhung der Gewissensformel gewarnt und eine weitere ihr zukommende Bedeutung neben der Instruktionsfreiheit angezweifelt, s. Wefelmeier, Repräsentation (Fn. 292), S. 166 f.; Badura (Fn. 4), Art. 38 Rn. 52; s. hierzu auch F. Filmer, Das Gewissen als Argument im Recht, 2000, S. 71 ff. 365 S. schon oben 2. Kap. B. III. (S. 70 f.). 366 M. Schröder, Grundlagen und Anwendungsbereich des Parlamentsrechts, 1978, S. 303 f. 360

B. Die echte Eigenart der Abgeordnetenrechtsstellung 

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des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG ist weder mit Art. 4 Abs. 1 Var. 2 GG367 bzw. Abs. 3 S. 1 noch mit Art. 12a Abs. 2 S. 1, S. 3 GG368 identisch. Denn zum einen schützt die Bezugnahme auf das Gewissen i. R. d. Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG allein die von äußeren Einflussnahmen unbescholtene Amtsführung369 und nicht die Person des Volksvertreters, zum anderen bezieht sie sich auf einen weitreichenderen, nämlich nicht im engen Sinne gewissensbezogenen, Radius an Fragestellungen. Davon abgesehen aber stellt sie anders als etwa i.R.d. Art. 97 Abs. 1 GG – dessen Gewissensbezug zwar vorgeschlagen, aber letztlich nicht in den Verfassungstext mit aufgenommen wurde370 – den Bezug zur Abgeordnetenpersönlichkeit ausdrücklich her371, holt ihn gewissermaßen ins Amt: Der Abgeordnete mag zwar stets die Gegenprobe anzustellen haben, ob seine Entscheidungen gemeinwohlverträglich sind – dennoch ist Maßstab seines Handels das, was er persönlich für richtig erachtet bzw. was seine eigene, notwendig persönliche Überzeugung ihm vorgibt. 4. Ergebnis: Aufnahme persönlichkeitsbezogener Elemente durch das Abgeordnetenamt Die Wahrnehmung der parlamentarischen Teilhaberechte des Abgeordneten wird maßgeblich durch die Abgeordnetenpersönlichkeit geprägt372. Durch mehrere Einbruchstellen wird der Einzug seiner Person in das Abgeordnetenamt ermöglicht. Für den Funktionsbereich bedeutet das, dass persönlichkeitsbezogenen Elementen ähnlich wie beim Richter eine „amtliche Relevanz“ verliehen wird, die grundrechtliche Anwendungsbereiche in der Tat nicht durchdringen lassen373. Nur 367

Klein (Fn. 268), Art. 38 Rn. 195; Kluth (Fn. 357), Art. 38 Rn. 74; E. V. Heyen, in: Der Staat 25 (1986), S. 35 (42, 49); Filmer, Gewissen (Fn. 364), S. 68 f.; Piechaczek, Lobbyismus (Fn. 363), S. 102 f. 368 E. V. Heyen, in: Der Staat 25 (1986), S. 35 (42). 369 Morlok (Fn. 263), Art. 38 Rn. 153; ähnlich M. Borowski, Die Glaubens- und Gewissensfreiheit des Grundgesetzes, 2006, S. 564. 370 S. schon oben. 4.  Kap. A. II. 1. a) (S. 141 ff.). 371 S. etwa Steiger, der das Gewissen als „persönlich, nicht amtlich“ bezeichnet und daher den Gewissensbezug zum Personalstatus des Abgeordneten zählen will, den er vom eigentlichen Amt trennt, s. Steiger, Grundlagen (Fn. 5), S. 80; Badura (Fn. 4), § 15 Rn. 11: „subjektive, auf den einzelnen Abgeordneten bezogene Seite der demokratischer Repräsentation“; ebenso ders. (Fn. 4), Art. 38 Rn. 52. 372 Allgemein auch Steiger, Grundlagen (Fn. 5), S. 69, nach dem die Abgeordnetenpersönlichkeit für das Abgeordnetenmt wirksam würde; dafür, dass das Abgeordnetenamt die Personalität des Abgeordneten für sich in Anspruch nimmt, auch BVerfGE 118, 277 (378) – abw. Votum: „Da jeder einzelne Abgeordnete persönlich und gesellschaftlich unterschiedlich geprägt ist, ergibt sich im Parlament, dem Demokratieprinzip entsprechend, insgesamt ein breites und damit pluralistisches Spektrum an Fähigkeiten, Interessen und Wertvorstellungen“. 373 S. zum Richter bereits oben 4. Kap. A. II. 2. a) cc) (2) (S.  152 f.) sowie auch A. Ingold, in: JöR N. F. 64 (2016), S. 43 (79): „Das Mandat absorbiert faktisch aufgrund seiner abwehrrechtlichen Freiheitsdimension, seiner statusrechtlichen Teilhabedimension sowie der mit ihm

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4. Kap.: Das „Wie“ der Grundrechtsberechtigung des Abgeordneten 

gilt dies anders als beim Richter nicht nur für persönliches Urteilsvermögen und rhetorische Fähigkeiten374; der Abgeordnete soll gerade auch eigene Standpunkte im Parlament verfolgen, er soll polarisieren dürfen. In diesem Sinne findet zwar eine „Entprivatisierung“ seines Funktionsbereichs statt, nicht aber eine „Entpersönlichung“375. Dies ist die erste Folge der „Scharnierfunktion“ des Abgeordneten.

III. Transformationsfunktion durch politische Betätigung – materielle Repräsentation Die „Scharnierfunktion“ des Abgeordneten spiegelt sich ferner in seiner Transformationsaufgabe376 wider. Diese ist gleichbedeutend mit der materiellen Repräsentationsfunktion: Der Bürger als Inhaber der Freiheit im Staat377 ist Akteur der Volkswillensbildung, die sich zum einen in den Kommunikationsgrundrechten ausdrückt, zum anderen im Wahlrecht des einzelnen Bürgers378. Der Abgeordnete wiederum ist zwar als ihr Urheber an der Staatswillensbildung beteiligt, übersetzt aber gerade auch das in der Volkswillensbildung Aufgenommene in staatliche Handlungsformen, oder, wie es das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung zur Abgeordnetenbeobachtung Ramelows durch den Verfassungsschutz ausdrückt: „Er sammelt und strukturiert die politischen Auffassungen und Interessen, die an ihn herangetragen werden, und entscheidet, ob, wie und mit welcher Priorität er sich bemüht, sie in staatliche Entscheidungen umzusetzen. Seine Aufgabe ist es, unterschiedliche politische Auffassungen und Interessen aufzunehmen, auszugleichen und in die Willensbildung von Partei, Fraktion und Parlament zu überführen, und umgekehrt den Bürgern den guten Sinn der im Parlament getroffenen politischen Entscheidungen zu vermitteln oder bessere Alternativen aufzuzeigen und für sie zu werben.“379

Der Abgeordnete steht mithin nicht nur zwischen Volks- und Staatswillens­ bildung oder stellt zwischen beiden eine „Verbindung“ her, sondern ist gewisserverknüpften speziellen verfassungsrechtlichen Garantien typische Regelungsgehalte grundrechtlich-persönlicher Freiheiten für den politischen Kontext“; allerdings besteht zwischen der „Absorption“ der Grundrechte durch die Teilhabedimension und die Freiheitsdimension der wichtige Unterschied, dass erstere dem Grundrechtsschutz auch seine rechtliche Anwendbarkeit nimmt, letztere hingegen nicht, s. dazu noch 5. Kap. C. I. 2. b) (S. 209 ff.). Aus diesem Grund ist die Verwendung des Amtsbegriffs auch ein konturierender Faktor. 374 Vgl. Zeh (Fn. 339), § 32 Rn. 24. 375 Vgl. H.-U. Paeffgen, in: JZ 1979, S.  516 (517) sowie Schwabe, Grundrechtsschutz (Fn. 36), S. 343 f. 376 S. oben 3. Kap. A. III. 2. (S. 82 ff.). 377 S. oben 2. Kap. A. I. (S. 52 ff.). 378 Zu den Begriffen Staatswillensbildung und Volkswillensbildung s. Schmitt Glaeser (Fn. 307), § 38 Rn.  3, insb. 31 ff.: Der Volkswille wird durch Kommunikationsgrundrechte ebenso geäußert wie durch Wahlen, wobei in letzterem Fall die Entäußerung des Volkswillens mit dem Staatswillen zusammenfällt, s. Rn. 30 sowie BVerfGE 20, 56 (98). 379 BVerfGE 134, 141 (173, Rn. 96).

B. Die echte Eigenart der Abgeordnetenrechtsstellung 

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maßen Akteur in beiden Kommunikationskreisläufen380: Seine Mittlerrolle besteht darin, dass er sich als Mitschöpfer an der staatlichen Willensbildung aktiv in die Volkswillensbildung einbringt und Argumente hinein wie hinaus transportiert. Entsprechend führt auch das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung zur Abgeordnetenbeobachtung weiter aus, das freie Mandat schützt „die Kommunikationsbeziehungen des Abgeordneten als Bedingung seiner freien Willensbildung und gewährleistet dabei insbesondere, dass die von ihm zu vertretenden, in die politische Willensbildung des Deutschen Bundestages einzuspeisenden Meinungen und Interessen ihn unverzerrt und ohne staatliche Beeinflussung erreichen können. […] Bei alledem ist der Gewährleistungsgehalt des Art. 38 I 2 GG auf das gesamte politische Handeln des Abgeordneten bezogen und umfasst nicht nur dessen Tätigkeit im parlamentarischen Bereich. Die Sphären des Abgeordneten ‚als Mandatsträger‘, ‚als Parteimitglied‘ sowie als politisch handelnder (sic) ‚Privatperson‘ lassen sich nicht strikt trennen“381.

Die Transformationsfunktion des Abgeordneten besteht mithin in der ständigen Empfangsbereitschaft für und der Teilnahme an den Meinungsbildungsprozessen des Volkes und spielt sich als Aufgabe des singulären Abgeordneten im außerparlamentarischen Bereich ab. Dabei liegt die Transformation nicht nur in „offiziellen“ Auftritten bzw. in der Abgabe und Aufnahme von Informationen in amtlicher Funktion (vgl. Art. 47 GG382). Transformation bedeutet in einem weiteren Schritt, sich selbst aktiv – nicht notwendigerweise funktionsbezogen – in die Volkswillensbildung einzubringen, sich durch Engagement in der eigenen Partei oder durch jede andere Art meinungsbildenden Engagements für den Volkswillen offen zu halten. Nur so kann der reale Dialog aus Volk und Volksvertreter gewährleistet sein und zur Grundlage des parlamentarischen Kreationsprozesses werden. Zum anderen bedingt die Transformationsfunktion die größere „Staatsferne“383 seiner Rechtsstellung auch seiner materiellen Repräsentationsaufgabe, d. h. seines politischen Handelns: Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG kennt kein Art. 33 Abs. 4 GG entsprechendes Dienst- und Treueverhältnis, insbesondere trifft den Abgeordneten keine Art. 33 Abs. 5 GG entsprechende politische Treuepflicht384. Im Gegensatz zum Beamten oder Richter ist es für ihn mithin selbstverständlich, dass etwa eine 380

Das Bild der Verzahnung der Kommunikationskreisläufe von institutionalisierter und informeller Willensbildung ist entlehnt J. Habermas, Faktizität und Geltung, 1.  Aufl. 1992, S. 222 ff., insb. S. 228; zum Repräsentationsverständnis Habermas’ s. B. ­Keller, in: Der Staat 39 (2000), S. 185 (202 ff.); das Bild greift auch Grote, Verfassungsorganstreit (Fn. 260), S. 363 auf; „Rückkoppelungen und Wechselwirkungen“ zwischen „Staats- und Volkswillensbildung“ für die parlamentarische Repräsentation auch bei Hofmann/Dreier (Fn. 262), § 5 Rn. 18. 381 BVerfGE 134, 141 (174, Rn. 97 f.; Hervorhebung nicht im Original, B. G.). 382 S. hierzu und zur über Art. 47 GG hinausgehenden Interpretation des von Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG umfassten Schutzes durch das BVerfG sogleich 5. Kap. C. I. 2. a) (S. 207 ff.). 383 S. oben 4. Kap. B. I. Fn. 304. 384 S. zur politischen Treuepflicht P. Badura, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz (Fn. 30), Art. 33 (2014), Rn.  60 f.; für die Einschränkung der Meinungsfreiheit s. BVerfGE 39, 334 (346 ff.); für die Einschränkung der Kunstfreiheit bei Mitgliedschaft in einer rechtsextremistischen Band s. BVerfG (K), NJW 2008, 2568 (2569 ff.).

180

4. Kap.: Das „Wie“ der Grundrechtsberechtigung des Abgeordneten 

Mitgliedschaft in einer (nur) vermeintlich verfassungswidrigen Gruppierung oder Partei keinerlei Auswirkungen auf die Wählbarkeit bzw. auf den Verbleib im Bundestag hat – erst, wenn die Verfassungswidrigkeit der Partei durch das Bundesverfassungsgericht nach Art. 21 Abs. 4 GG festgestellt worden ist, geht der Abgeordnete seiner Mitgliedschaft im Bundestag verlustig385, s. § 46 Abs. 1 S. 1 Nr. 5, Abs. 4 BWahlG. Er genießt somit einen entsprechend großen Freiraum für seine individuelle Freiheitsentfaltung im Politischen.

IV. Die „gesellschaftliche Verwurzelung“ des Abgeordneten im Privatbereich „Wer einen Sitz im Bundestag übernommen hat, bleibt in besonderer Weise gesellschaftlich verwurzelt“386.

Die sog. gesellschaftliche Verwurzelung wird in der Entscheidung zur Mittelpunktregelung und zur Offenlegung von Nebeneinkünften von den abweichenden Richtern als Argument vorgebracht387, deren Leitbild vom Bundestagsabgeordneten sich gegen weitreichende Beeinträchtigungen der Berufstätigkeit neben dem (bzw. im) Mandat sperrt388. In dem besagten Urteil soll die gesellschaftliche Verwurzelung dadurch sichergestellt werden, dass der Abgeordnete neben der Mandatsführung auch seiner Berufstätigkeit möglichst ungehindert nachgehen kann: „[D]er Repräsentationsgedanke bedingt […], dass eine besondere Verwurzelung des Ab­ geordneten in der beruflichen und gesellschaftlichen Sphäre nicht unterbunden, sondern gefördert wird.“389

An anderer Stelle heißt es: „[Der Abgeordnete] […] kann die ihm vom Grundgesetz zugedachte Repräsentationsaufgabe umso besser erfüllen, je stärker er seine Verwurzelung in der gesellschaftlichen Sphäre in den parlamentarischen Prozess einbringt.“390

385

S. hierzu kritisch A. Ingold, in: JöR N. F. 64 (2016), S. 43 (74 f.). BVerfGE 118, 277 (338) abw. Votum. 387 Die „gesellschaftliche Verwurzelung“ wird auch von den entscheidungstragenden Richtern angeführt, allerdings unter Betonung gerade des staatsorganisatorischen Zusammenhangs: „Das freie Mandat ist ein zwar in der Gesellschaft verwurzeltes, aber innerhalb der Staatsorganisation wahrgenommenes Amt“, s. BVerfGE 118, 277 (328); vgl. auch E 112, 118 (134). 388 S. oben 1. Kap. C. II. 2. (S.  44 f.); noch einmal sei darauf hingewiesen, dass weder die entscheidungstragenden noch die abweichenden Richter eine Trennung zwischen privater und amtlicher Betroffenheit vorgenommen haben bzw. aus verfahrensrechtlichen Gründen auch gar nicht vornehmen konnten; das Argument der „gesellschaftlichen Verwurzelung“ hat die Abweichler dazu bewogen, die grundrechtlichen Schutzgehalte in den Gewährleistungsgehalt des Art. 38 Abs. 1. S. 2 GG hineinzuinterpretieren. 389 BVerfGE 118, 227 (340) abw. Votum. 390 BVerfGE 118, 227 (379) abw. Votum. 386

B. Die echte Eigenart der Abgeordnetenrechtsstellung 

181

Der Terminus der gesellschaftlichen Verwurzelung391 des Abgeordneten wird in den zitierten Aussagen  – verglichen mit oben vorgestellter Bereichsdifferenzierung – auf das Privatleben des Abgeordneten bezogen. Dieser soll im Privaten möglichst wenig Freiheitsbeschränkungen erfahren, um seinem Repräsentationsauftrag bestmöglich nachzukommen zu können. Die abweichenden Richter gehen davon aus, durch seine Berufstätigkeit werde er auf der einen Seite wirtschaftlich unabhängig gestellt392, auf der anderen Seite könne er diejenige Lebenserfahrung sammeln, die ihn befähigt, sie für den eigenen Interpretationsprozess des Gemeinwohls in die parlamentarische Arbeit einzubringen393. Dass die Verwurzelung des Parlamentariers in der (realen) Gesellschaft um des Repräsentations- und Demokratieverständnisses des Grundgesetzes willen ver­ fassungsrechtlich ermöglicht werden soll, liegt auf der Hand394. Unterstützung erfährt diese These durch die historische Entwicklung des Repräsentationsverständnisses: Nach den maßgeblich von Carl Schmitt und Gerhard Leibholz geprägten liberalistischen Repräsentationsvorstellungen wurde Repräsentation idealistisch bzw. qualitativ verstanden und nicht dagegen quantitativ auf die möglichst großflächige Verzahnung von Volks- und Staatswillensbildung bezogen395. Die Volksvertretung sollte aus Einzelpersönlichkeiten des Bildungsbürgertums von hoher Qualifikation, Begabung und Besitz bestehen, den sog. Honoratioren396. Da sich diese vollständig aus eigenen Mitteln finanzierten – gerade hierin wurde die eigentliche Grundlage ihrer Unabhängigkeit gesehen –, wurde ihnen kein dem heutigen Verständnis des Art. 48 Abs. 3 S. 1 GG entsprechendes „Einkommen“ gewährt397. Der Terminus der Repräsentation war der Gegenbegriff zum gegenwärtigen parteienstaatlichen und demokratischen Prinzip398.

391 Ebenso verwendet von Stein, Verantwortlichkeit (Fn.  10), S.  524, 526, 539; vgl. schon S. 393. 392 BVerfGE 118, 227 (378) abw. Votum. 393 Vgl. BVerfGE 118, 227 (378) – abw. Votum. 394 S. auch BVerfGE 118, 277 (378 f.). – abw. Votum: „Zugleich kommt der Abgeordnete aus der Mitte des Volkes und soll den Vorstellungen und Anliegen der Bevölkerung im Deutschen Bundestag Gehör verschaffen. […] [D]ie verfassungsrechtliche Annahme einer Verwurzelung der einzelnen Abgeordneten in der gesellschaftlichen Sphäre hält den Gedanken lebendig, dass das Volk auch im repräsentativen System des Grundgesetzes Träger der Staatsgewalt im Sinne von Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG ist“; kritisch zu einer solchen verfassungsrechtlichen Vorgabe H. Rensen, Ein verfassungsrechtliches Leitbild des Abgeordneten?, in: S. Emmenegger/ A. Wiedmann (Hrsg.), Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Bd. 2, 2011, S. 493 (506 f.). 395 Ausführlich hierzu s. Badura (Fn. 4), Art. 38 Rn. 24 ff., insb. 27 sowie Hofmann/Dreier (Fn. 262), § 5 Rn. 10. 396 BVerfGE 40, 296 (312); Hofmann/Dreier (Fn. 262), § 5 Rn. 29, 39; C. Arndt, Fraktion und Abgeordneter, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht (Fn. 4), § 21 Rn. 4. 397 S. BVerfGE 40, 296 (296 ff., 312). 398 Badura (Fn. 4), Art. 38 Rn. 24 ff.

182

4. Kap.: Das „Wie“ der Grundrechtsberechtigung des Abgeordneten 

Freilich bestand die Vertretungskörperschaft in der beschriebenen Repräsentationsvorstellung nicht aus einem Querschnitt der Bevölkerung. Fragt man sich zu recht, ob das vorgestellte Honoratiorenparlament überhaupt je voll verwirklicht war399, positioniert sich das Grundgesetz in diesem Sinne anders, als es eine gesamtgesellschaftliche Verwurzelung der Volksvertretung400 durch mehrere Stellschrauben gewährleistet: Zum einen ermöglicht die Geltung des allgemeinen aktiven wie passiven Wahlrechts (Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG) jedermann die Stimmabgabe sowie den Zugang zum Abgeordnetenamt. Historisch betrachtet führte die Einführung des allgemeinen Wahlrechts zur Erstarkung der Parteien401, der so entstandene „Parteienstaat“ wurde vielfach aufgrund seiner Gefahr für die tatsächliche Unabhängigkeit des Abgeordneten sowie der zunehmenden Entstehung des „Berufspolitikers“ kritisiert402. Dennoch wurde somit die Vertretung gerade auch der unteren sozialen Schichten, insgesamt also der breiten Masse bewerkstelligt403. Zum anderen soll Art. 48 Abs. 3 S. 1 GG aufgrund der Zunahme der zeitlichen Belastung durch das Mandat, die für die Ausübung von weiteren Berufen nicht ohne Weiteres Raum lässt, eine vollwertige Abgeordnetenentschädigung gewähren404. Nebentätigkeiten sind nach dem Grundgesetz gleichwohl zulässig (vgl. Art. 48 Abs. 2 S. 2 GG), weshalb es dem Abgeordneten selbst anheim gestellt ist, ob er neben dem Mandat noch einem bürgerlichen Beruf nachgeht oder seinen Lebensunterhalt ausschließlich aus dem Mandat bestreitet405. Zwar mag die Rechtsstellung der Abgeordneten vor Einführung des Grundgesetzes eine insgesamt deutlich geringere staatliche Inkorporation aufgewiesen haben – das Mandat war noch in der Weimarer Republik reines „Ehrenamt“406 und jedenfalls bis zur Änderung des Besoldungs- und Entschädigungsverbots im Deutschen Kaiserreich407 konnte es „Berufsabgeordnete“, wie sie heute kritisiert werden408, nicht geben. Demgegenüber ist die aktuelle Konzeption der Abgeordneten 399

Arndt (Fn. 396), § 21 Rn. 4. Vgl. zum immerwährenden Problem der „Verbeamtung der Parlamente“ aber D. Tsatsos, Unvereinbarkeiten zwischen Bundestagsmandat und anderen Funktionen, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht (Fn. 4), § 23 Rn. 33. 401 Badura (Fn. 4), Art. 38 Rn. 14. 402 S. zu den kritischen Stimmen s. E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. VI, 1981, S. 365 ff. 403 Badura (Fn. 4), Art. 38 Rn. 13 bzw. 26: „das Qualitative ist durch das Quantitative verdrängt“. 404 BVerfGE 40, 296 (312 ff.). 405 BVerfGE 118, 277 (344) – abw. Votum. 406 Noch in Weimar wurden die Abgeordneten als Inhaber eines Ehrenamtes angesehen, s. Huber, Verfassungsgeschichte VI (Fn. 402), S. 367. 407 Bis zum Jahre 1906 war verfassungsrechtlich auch keine „Entschädigung“ vorgesehen, s. noch das in Art.  32 verankerte Besoldungs- und Entschädigungsverbot der Verfassung des Deutschen Kaiserreichs von 1871 sowie die ab 1906 geänderte Fassung, die eine Aufwandsentschädigung gewährte, welche aber noch kein tatsächliches „Einkommen“ darstellte; s. hierzu und zur Entwicklung des Entschädigungsrechts insgesamt H. H. v. Arnim, Entschädigung und Amtsausstattung, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht (Fn. 4), § 16 Rn. 7 f. 408 BVerfGE 40, 296 (338 f.) – abw. Votum; J. Linck, in: NJW 2008, S. 24 (24 ff.). 400

B. Die echte Eigenart der Abgeordnetenrechtsstellung 

183

rechtsstellung aufgrund den beschriebenen, geänderten verfassungsrechtlichen Vorzeichen eine dem Staat weitaus eingegliedertere. Sie ermöglicht damit eine durchweg gesamtgesellschaftliche Repräsentation. Darüber, ob sich der Abgeordnete als „Berufspolitiker“ allein als Mandatar betätigen, daneben berufstätig bleiben oder gar dem Typ des Honoratiorenparlamentariers entsprechen soll, trifft die Verfassung keine positive Aussage409. Fest steht einzig, dass das Grundgesetz alle „Typen“ des Abgeordneten gleichermaßen akzeptiert410. Verfassungsrechtlich sind damit alle Voraussetzungen dafür geschaffen, dass die gewählten Volksvertreter der breiten Gesellschaft entstammen. Der Abgeordnete ist im Gegensatz zum Beamten gerade kein „Staatsdiener“, sein Amt nicht das eines unterworfenen und durchweg folgsamen Trägers (vgl. Art. 33 Abs. 4 und 5 GG). Für seine Wählbarkeit wird er nicht auf eine etwaige Eignung, Befähigung und fachliche Leistung hin überprüft (vgl. Art. 33 Abs. 2 GG bzw. Art. 38 Abs. 3 GG, §§ 15, 13 BWahlG) und auch die Gründe für den Verlust der Bundestagsmitgliedschaft sind stark limitiert (Art. 38 Abs. 3 GG, §§ 46 Abs. 1, 13 BWahlG). Diese nunmehr verfassungsrechtlich jedenfalls ermöglichte411 gesellschaftliche Verwurzelung des einzelnen Abgeordneten wäre unvollständig, sollte sie nicht auch während der Amtsperiode bewahrt werden. Um gerade eine bestehende fortwährende Verwurzelung des Abgeordneten in der Gesellschaft, und damit indirekt das pluralistische Meinungsspektrum der Volksvertretung, nicht zu behindern und insbesondere auch eine „Rückkehr“ des einzelnen Abgeordneten in seine (rein) gesellschaftliche Rolle nicht zu gefährden412, sollte sein Privatbereich von Reglementierungen aufgrund des Abgeordnetenmandats tendenziell frei bleiben. Die Bewahrung der sog. gesellschaftlichen Verwurzelung bedeutet freilich keine Nichteinschränkbarkeit der Grundrechte im Privaten; ebenso wenig soll damit die Existenz auch einer Pflichtenstellung des Abgeordneten geleugnet werden, die mit seiner zunehmenden staatlichen Inkorporation seiner Rechtsstellung notwendigerweise verbunden ist und auf die auch die entscheidungstragenden Richter maßgeblich abstellen413. Es spricht aber nach hier vertretener Ansicht gewissermaßen eine erste Vermutung gegen die verfassungsrechtliche Zulässigkeit solcher aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG, Abs. 3 GG gefolgerten Grundrechtseinschränkungen des Gesetz-

409

BVerfGE 40, 296 (338 f.) – abw. Votum. Gegen eine Festlegung des Grundgesetzes auf ein bestimmtes Leitbild auch K. F. Gärditz, in: JöR N. F. 64 (2016), S. 1 (31): „Die Freiheit des Mandats garantiert es mithin allen Abgeordneten, eigenen Leitbildern zu folgen.“ 411 Inwiefern das Parlament tatsächlich aus gesellschaftlich verwurzelten Volksvertretern besteht, ist dagegen der Wahl des Volkes überlassen. 412 Vgl. BVerfGE 118, 277 (341, 345) – abw. Votum. 413 Beispielsweise ist gemeinsam mit den entscheidungstragenden Richtern nicht zu verkennen, dass die Mandatsausübung des Abgeordneten an sich bereits zeitlich derart raumgreifend ist, dass jegliche berufliche Tätigkeit neben dem Mandat naturgemäß gerade nicht derart „frei […] und so effektiv […] [sein kann], dass er mit ihnen nachhaltig Einkünfte […] erzielen“ könnte, s. BVerfGE 118, 277 (327). 410

184

4. Kap.: Das „Wie“ der Grundrechtsberechtigung des Abgeordneten 

gebers, die zulasten der „‚Bodenhaftung‘“414 des Mandatsträgers gehen könnten415. Das gilt zum einen für Einschränkungen der nebenmandatären Berufstätigkeit416, zum anderen für die Einschränkungen anderer Grundrechtsgewährleistungen, bspw. der Abschirmung der Privatsphäre vor staatlichem Zugriff. Wie bereits festgestellt, ist es nicht überzeugend, deswegen gemeinsam mit dem abweichenden Votum der Entscheidung den Gewährleistungsgehalt der Mandatsfreiheit selbst auf die Berufstätigkeit i. S. d. Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG oder andere im Privatbereich ausgeübten Grundrechte auszuweiten, weil dieser Bereich – anders als derjenige der politischen Betätigung – mit der formalem oder materiellen Repräsentationsauftrag in keinem unmittelbaren Zusammenhang mehr steht. Die „gesellschaftliche Verwurzelung“ sagt daher ausschließlich etwas über den grundrechtlichen Freiheitsradius des Abgeordneten aus und lässt den Schutzbereich des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG unberührt. Da sie aber unbestritten „förderlich“ für die adäquate Repräsentation des Volkes durch den Abgeordneten ist, spricht dies im Zweifel bereits gegen eine verfassungsrechtliche Befugnis aus Art.  38 Abs. 1 S. 2, Abs. 3 GG bzw. anderen die Abgeordnetenrechtsstellung mitgestaltenden Vorschriften, die entsprechenden Grundrechte einzuschränken, oder aber – sofern von dem grundrechtlich geschützten Verhalten tatsächlich Gefahren für die Mandatstätigkeit ausgehen und demnach eine Eingriffsbefugnis bejaht wird – gegen die Verhältnismäßigkeit des entsprechenden Eingriffs: Der Gesetzgeber muss bei entsprechenden Einschränkungen nicht nur die von der Grundrechtsausübung auf die Mandatstätigkeit ausgehenden Gefahren, sondern auch die für die Mandatsfreiheit vorteilhaften Aspekte berücksichtigen417. Die gesellschaftliche Verwurzelung des Abgeordneten stellt einen solchen vorteilhaften Aspekt dar.

V. Ergebnis: Personale Prägung der Abgeordnetenrechtsstellung Für alle drei Teilbereiche der an den Beamten angelehnten Bereichsdifferenzierung hat sich ergeben, dass die Abgeordnetenrechtsstellung einen vergleichsweise großen Personenbezug und ebenso eine große Staatsdistanz aufweist: 414 Klein bezeichnet die „Bodenhaftung“ jedenfalls verfassungspolitisch als begrüßenswert, s. H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz (Fn. 30), Art. 48 (2007), Rn. 40; auf diesen Bezug nehmend Stein, Verantwortlichkeit (Fn. 10), S. 642; ebenso J. Linck, in: NJW 2008, S. 24 (25). 415 Anders die vier entscheidungstragenden Richter in BVerfGE 118, 277 (328), die vom „prinzipiellen Vorrang parlamentsrechtlich-funktioneller vor individualrechtlichen Gesichtspunkten bei der Bestimmung der verfassungsrechtlichen Rechte und Pflichten des Abgeordneten“ ausgehen; warum es bei der Kollision staatsorganisatorischer Verfassungsgüter und den Grundrechten einen „prinzipiellen Vorrang“ der staatsorganisatorischen Verfassungsgüter geben soll, ist aber nicht erklärbar. 416 S. ebenso J. Linck, in: NJW 2008, S. 24 (24 ff.). 417 S. M. Cornils, in: Jura 2009, S. 289 (296) mit Verweis auf H. H. v. Arnim, in: DÖV 2007, S. 897 (902).

B. Die echte Eigenart der Abgeordnetenrechtsstellung 

185

Die Wahrnehmung der parlamentarischen Mitwirkungsbefugnisse selbst ist durch die Abgeordnetenperson geprägt. Die eingeschränkte Geltung des staatlichen Neutralitätsgebots sowie der Gewissensbezug seines Handelns sind Belege dafür, dass beim Abgeordneten anders als bei anderen Amtsträgern weitreichende persönlichkeitsbezogene Elemente in das Amt und damit in die eigentliche Ausübung der Staatsgewalt transportiert werden. Der Amtsbereich als solcher ist damit persönlicher aufgeladen als bei anderen Ämter, ohne dass dies mit einer grundrechtlichen Freiheit einherginge. Persönlichkeitsbezogenen Elementen wird auch hier eine „amtliche Relevanz“ verliehen. Ferner wurde festgestellt, dass die außerparlamentarische politische Betätigung Teil seiner materiellen Repräsentationsaufgabe ist. In der Tat erfordert seine Stellung als Volksvertreter seine Partizipation an Staats- und Volkswillensbildung gleichermaßen. Im Privatbereich ist die sog. gesellschaftliche Verwurzelung zu beachten, die gegen die Beschneidung grundrechtlicher Freiheiten spricht.

5. Kapitel

Bereichsdifferenzierte Zuordnung von freiem Mandat und Grundrechten Für den folgenden Vorschlag einer bereichsdifferenzierten Zuordnung von freiem Mandat und Grundrechten soll zunächst herausgearbeitet werden, wann die Grundrechte in funktionaler Hinsicht nicht anwendbar sind (A.). Sodann ist darauf einzugehen, inwieweit freies Mandat und die Grundrechte überschneidende Gewährleistungsgehalte beinhalten und damit gleichzeitig betroffen sein können (B.). Abschließend sollen die Details der bereichsdifferenzierten Zuordnung von freiem Mandat und Grundrechten des Bundestagsabgeordneten erläutert werden (C.).

A. Bestimmung der funktional nicht anwendbaren Grundrechte: Übernahme der Amtsträgerlösung, Art. 1 Abs. 3 GG I. Funktionale Nichtanwendbarkeit der Grundrechte im Bereich der Grundrechtsbindung, Art. 1 Abs. 3 GG Wann also sind die Grundrechte des Bundestagsabgeordneten in Zusammenhang mit seiner öffentlichen Aufgabenwahrnehmung nicht anwendbar? Zur Beantwortung dieser Frage können bereits einige Ergebnisse aus den vorangegangenen Kapiteln zusammen geführt werden: Durch die Aktivierung von Grundrechten darf nicht amtliches Handeln inhaltlich gelenkt werden. Die Loslösung der staatlichen Gewalt von der Grundrechtsverwirklichung ihrer Funktionsträger ist elementare Voraussetzung für die Freiheitsentfaltung der Bürger, in deren Dienst der Staat steht und zu deren Gunsten staatliche Eingriffsbefugnisse grundsätzlich immer nur begrenzte sein können1. Eine Aktivierung von Grundrechten im Rahmen staatlicher Funktionsausübung zöge daher die bekannte Gemengelage von Grundrechtsberechtigung und -verpflichtung nach sich, die notwendigerweise zulasten eines zurückgenommenen und am Gemeinwohl orientierten Staatshandelns ginge. Auf die kleinere Einheit des Amtsträgers bezogen lässt sich ferner anführen, dass es nicht zum Schutzbereich „jedermanns“ gehört, die eigenen Handlungsfreiheiten auf staatliche Ent 1

S. oben 2. Kap. A. (S. 52 ff.).

A. Bestimmung der funktional nicht anwendbaren Grundrechte  

187

scheidungsgewalt auszuweiten2 und die eigene Freiheitsentfaltung auf Kosten und im Namen aller voranzutreiben. Die einschlägige Literatur zieht für die Frage nach der funktionalen Anwendbarkeit der Grundrechte von Amtsträgern überwiegend aus dem Amtshaftungsrecht entlehnte Kategorien heran. Sie fragt demnach, ob das Handeln eines Amtsträgers „in Ausübung“ bzw. (bei Vorliegen einer grundrechtstypischen Gefährdungslage)3 „bei Gelegenheit“ der Amtsausübung geschieht4. Doch wann handelt der Abgeordnete nun „im Amt“ und wann nur „bei Gelegenheit“? Primäre Voraussetzung für die funktionale Nichtanwendbarkeit der Grundrechte ist, dass der Funktionsträger als Teil der Staatsgewalt i. S. d. Art. 1 Abs. 3 GG handelt, also eine Amtshandlung vornimmt. Die Zuordnung zum Staatsbereich allein kann aber noch nicht die funktionale Anwendbarkeit der Grundrechte ausschließen, würde ein derartiger Ausschluss dann rein sphärenmäßig, nicht aber funktional geschehen und damit die Grundrechte allzu pauschal zurückdrängen: Es muss vielmehr in einem weiteren Schritt die eigentliche Amtswahrnehmung von dem sog. amtsbegleitenden Handeln5 differenziert werden. Amtsbegleitendes Verhalten muss seinerseits wieder grundrechtlichen Schutz erfahren, da es keine direkte inhaltliche Einflussnahme auf das staatliche Handeln ermöglicht. Der funktionalen Nichtanwendbarkeit der Grundrechte unterfallen daher nur diejenigen konkreten Verhaltensweisen, deren Aktivierung andernfalls Gefahr liefe, das besagte Amtshandeln inhaltlich zu modifizieren. Es ergeben sich daher folgende zwei Stufen, die über die funktionale Anwendbarkeit der Grundrechte Aufschluss geben: 1. Wird der Amtsträger aus objektiver Sicht bei einer Amtshandlung angetroffen, Art. 1 Abs. 3 GG?

2

S. oben 4.  Kap. A. I. 3. a) (S. 130 ff.). W. Graf Vitzthum, Der funktionale Anwendungsbereich der Grundrechte, in: D. Merten/ H.-J. Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Bd. II, 2006, § 48 Rn. 34. 4 Für Mandatsträger H. Schnell, Freie Meinungsäußerung und Rederecht der kommunalen Mandatsträger unter verfassungsrechtlichen, kommunalrechtlichen und haftungsrechtlichen Aspekten, 1998, S. 59 ff.; J. Martensen, in: JuS 1995, S. 1077 (1079 f.); Vitzthum (Fn. 3), § 48 Rn. 40 ff., 48 f.; A. Ziegler, Das Ratsmitglied im Verfassungs- und Verwaltungsrecht, Grundrechte im Gemeinderat?, 2014, S.  125 f.; der Sache nach übertragen auf Rundfunkmitarbeiter, für die bei Dienstausübung die Meinungsfreiheit keine Anwendung finden soll F. Müller/B. Pieroth, Politische Freiheitsrechte der Rundfunkmitarbeiter, 1976, S. 37 f.; ähnlich auch M.-E. Geis, in: BayVBl. 1992, S. 41 (44); F. Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 10. Aufl. 2016, § 21 Rn. 4; auch Parlamentsabgeordnete unterfallen dem haftungsrechtlichen Beamtenbegriff des Art. 34 GG, s. H.-J. Papier, in: T. Maunz/G. Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 34 (2009), Rn. 108. 5 S. zu dieser auf v. Kielmansegg zurückgehenden Terminologie schon oben 4. Kap. I. 3. b) Fn. 78. 3

188

5. Kap.: Zuordnung von freiem Mandat und Grundrechten 

2. Sofern dies zu bejahen ist: Läuft die Ausübung der fraglichen individuellen Verhaltensweise Gefahr, den Gegenstand der Amtshandlung inhaltlich zu beeinflussen? Werden beide Fragen bejaht, ist die Anwendbarkeit der Grundrechte auf die entsprechende Verhaltensweise in funktionaler Hinsicht ausgeschlossen. 1. Erste Stufe: Zuordnung zum Staatsbereich, Art. 1 Abs. 3 GG (sphärische Zuordnung) Bereits zur Auflösung der dogmatischen Konstrukte zum Statusbegriff kam es maßgeblich auf den Begriff der Staatsgewalt i. S. d. Art. 1 Abs. 3 GG an. Auf dessen Interpretation soll nun vertieft eingegangen werden, da Art. 1 Abs. 3 GG die zentrale Norm darstellt, die zwischen Grundrechtsberechtigung und -verpflichtung, im speziellen Fall des Abgeordneten zwischen grundrechtsgebundener Amtsausübung und grundrechtsgetragener eigener Partizipation an der Volkswillensbildung, unterscheidet. Das Bundesverfassungsgericht legt dem Schutzzweck entsprechend eine großzügige Definition der Grundrechtsbindung und damit der Staatsgewalt an und sieht hiervon jedes Handeln des Staates erfasst, unabhängig von seinem eingreifenden oder leistenden, imperativen oder nicht imperativen Charakter6: Entscheidend ist, dass das Handeln im Einzelfall in Wahrnehmung des staatlichen Gemeinwohlauftrags erfolgt7. Entsprechend wird die Grundrechtsbindung in der Literatur weder allein formal auf die jeweiligen Organe von Gesetzgebung, vollziehender Gewalt und Rechtsprechung bezogen, noch rein materiell als die Tätigkeit der jeweiligen Gewalten verstanden: Es soll genügen, dass im Einzelfall entweder die formale oder die materielle Betrachtungsweise zum Vorliegen von Staatsgewalt führt8. Anerkanntermaßen erreicht die Bindung der jeweiligen Staatsorgane auch den einzelnen Organ- bzw. Amtswalter9. Dabei ist das Amtshandeln der Amtswalter von Individualorganen regelmäßig rechtstechnisch dem Staat zuzurechnen10 und 6

S. zur Grundrechtsbindung ausführlich die Fraport-Entscheidung BVerfGE 128, 226 (244). BVerfGE 128, 226 (244). 8 K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd.  III/1, 1988, S.  1204; W. Rüfner, Grundrechtsadressaten, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd.  IX, 3. Aufl. 2011, § 197 Rn.  2; W. Höfling, in: M. Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 7. Aufl. 2014, Art. 1 Rn. 86 – dagegen für eine formelle Betrachtungsweise H.  Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd.  I, 3. Aufl. 2013, Art. 1 Rn. 53. 9 S. oben 2. Kap. A. I. (S. 52 ff.). 10 S. zu den Individualorganen H.-J. Wolff, Veraltungsrecht II, 1962, § 75 II a,  b sowie ausführlich zur Zurechnungsfrage bei Kollegialorganen Schnell, Meinungsäußerung (Fn.  4), S. 31 ff. 7

A. Bestimmung der funktional nicht anwendbaren Grundrechte  

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damit von vornherein als Handeln des Staates selbst der Rechtsbindung unterworfen, Art. 1 Abs. 3 GG. Dagegen könnte für den Bundestagsabgeordneten eingewandt werden, erst das Zusammenhandeln der Mandatsträger im Kollegium in Form von Beschlussfassungen sei dem Bundestag als Ausübung von Staatsgewalt rechtstechnisch zurechenbar11, während einzelne Redebeiträge in Plenum oder Ausschuss (noch) keine Zurechenbarkeit herbeiführten. Auf den ersten Blick lässt sich daher nur die Partizipation des Abgeordneten an der kollegialen Ausübung der Staatsgewalt, also an der Willensäußerung durch Mehrheitsbeschluss12, eindeutig der Grundrechtsbindung zuzuordnen. Dem Sinn und Zweck der Grundrechtsbindung i. S. d. Art. 1 Abs. 3 GG nach kann es hierbei aber nicht sein Bewenden haben. Denn zum einen gilt zu bedenken, dass die parlamentarischen Entscheidungen regelmäßig bereits in der Ausschuss- und Fraktionsarbeit gefällt werden, auch wenn ihnen hier noch keine rechtliche Verbindlichkeit zukommt13. Zum anderen sind dem Abgeordneten die Mitgliedschaftsrechte gerade gewährleistet, um auf die Willensbildung des Parlaments einzuwirken14, also auf den Inhalt der staatlichen Entscheidung (bzw. des Mehrheitsbeschlusses) Einfluss nehmen zu können: Denn jeder einzelne Abgeordnete ist bereits Repräsentant des ganzen Volkes, vgl. Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG15. Allerdings wird aufgrund der Pluralität der vorhandenen Interessen16 die Repräsentationsfähigkeit der parlamentarischen Entscheidung denknotwendig erst durch das kollegiale Handeln der Parlamentarier hergestellt, sodass erst das Kollegium in seiner Gesamtheit das Volk angemessen17 zu repräsentieren vermag. Konsequenz daraus ist, dass es für die Grundrechtsbindung i. S. d. Art.  1 Abs. 3 GG nicht auf die rein rechtstechnische Seite der Zurechnung ankommen kann18, da andernfalls nur die Mitwirkung am Mehrheitsbeschluss von Art.  1 Abs. 3 GG erfasst wäre. Die Zurechnung nach haftungsrechtlichen Kriterien sollte für die Zuordnung zum Staatsbereich damit als ausreichend angesehen werden19. 11 So ausdrücklich J. Schwabe, Grundrechtsschutz hoheitlicher Funktionsträger, in: D. Murswiek/U. Storost/H. A. Wolff (Hrsg.), Staat  – Souveränität  – Verfassung. Festschrift für Helmut Quaritsch zum 70. Geburtstag, 2000, S. 333 (440); s. zum Kollegialorgan Bundestag oben 2. Kap. B. I. (S. 62). 12 S. hierzu Wolff, Verwaltungsrecht II (Fn. 10), § 75 II c) 1. 13 Dafür, dass die Repräsentation in die Ausschüsse oder Fraktionen „vorverlagert“ wird, da hier die Entscheidungsfindung stattfindet, auch BVerfGE 44, 308 (319) sowie R. Grote, Der Verfassungsorganstreit, 2010, S. 178. 14 S. schon oben 3. Kap. A. I. (S. 75 ff.). 15 BVerfGE 118, 227 (378) – abw. Votum. 16 S. BVerfGE 118, 277 (378) – abw. Votum. 17 BVerfGE 44, 308 (316), s. hierzu W. Demmler, Der Abgeordnete zwischen Parlament und Fraktionen, 1993, S. 92 ff.; ebenso E 56, 396 (405); 104, 310 (329); 118, 277 (324); 134, 141 (175, Rn. 99). 18 S. Vitzthum (Fn. 3), § 48 Rn. 72; Ziegler, Ratsmitglied (Fn. 4), S. 109 ff., insb. S. 112: Mitwirkungsrechte sollen in Staatsgewalt „hineinwachsen“ können; übertragen auf Ratsmitglieder S. 118 sowie S. 134 ff. 19 Vitzthum (Fn. 3), § 48 Rn. 72.

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5. Kap.: Zuordnung von freiem Mandat und Grundrechten 

Eine unterschiedliche Behandlung von Debatten in Plenum oder Ausschüssen und der eigentlichen Beschlussfassung ist folglich nicht angezeigt20 und der nur vorbereitende Charakter der Mitgliedschaftsrechte muss ohne Auswirkungen bleiben. Die Ausübung der parlamentarischen Mitwirkungsrechte ist daher bereits der Grundrechtsbindung i. S. d. Art. 1 Abs. 3 GG zuzuordnen21. Fraglich ist ebenso die Behandlung außerparlamentarischer Äußerungsfälle des Bundestagsabgeordneten. Denn auch außerparlamentarische Wortbeiträge können eine Amtshandlung darstellen22, wenn sie erkennbar in Wahrnehmung des Gemeinwohlauftrages ergehen. In diesem Sinne hat sich im Rahmen der erwähnten Äußerungsfälle23 eine umfassende Abgrenzungskasuistik herausgebildet, wann sich der Amtswalter „im Amt“ befindet (Art. 1 Abs. 3 GG) und wann er als Privatperson auftritt: Nach dem Bundesverfassungsgericht kommt es primär darauf an, ob der Betreffende „für sein Handeln die Autorität des Amtes oder die damit verbundenen Ressourcen in spezifischer Weise in Anspruch“24 nimmt. Hierfür sollen vorrangig formale Kriterien den Ausschlag geben, welche aus der Sicht eines objektiven Beobachters beurteilt werden25. Der spezifische Amtsbezug kann sich entweder durch die ausdrückliche Bezugnahme auf das Amt oder aus den Umständen ergeben, wobei es in letzterem Fall auf verschiedene Einzelfallkriterien ankommen soll26. Ein Amtsbezug wird beispielsweise durch amtliche Publikationen27, durch die Nutzung von „Staatssymbolen und Hoheitszeichen oder [die] […] Nutzung der Amtsräume“28 sowie durch „äußerungsbezogene[n] Einsatz sonstiger Sach- oder Finanzmittel“ des Staates29 hergestellt. Auch für „Veranstaltungen des allgemeinen politischen Diskurses“ ist im jeweiligen Einzelfall entscheidend, ob amtliche Autorität in spezifischer Weise in Anspruch genommen wird,

20

I. E. ebenso S. Graf v. Kielmansegg, Grundrechte im Näheverhältnis, 2012, S. 455: „Die Vorbereitung von Hoheitsakten ist nicht weniger eine organschaftliche Funktionsausübung als ihr Beschluss.“ 21 Ausführlich hierzu Ziegler, Ratsmitglied (Fn. 4), S. 109 ff.; ebenso „mangels Staatsferne“ des Abgeordneten, die ihn aus dem „Staatsbereich“ i. S. d. Art.  1 Abs.  3  GG herausnehmen würde, Vitzthum (Fn. 3), § 48 Rn. 72 Fn. 280; für die Mitwirkung des Bundestagsmitglied am Gesetzgebungsverfahren insgesamt ebenso B. J. Hartmann, Volksgesetzgebung und Grundrechte, 2005, S. 118. 22 Vitzthum (Fn. 3), § 48 Rn. 59. 23 S. schon oben 4. Kap. B. II. 2. (S. 170 ff.). 24 BVerfGE 138, 102 (117 f., Rn. 53); kritisch zum Begriff der Amtsautorität J. Krüper, in: JZ 2015, S. 414 (415 f.). 25 RhPfVerfGH NVwZ-RR 2014, 665 (667 f.); S. Studenroth, in: AöR 125 (2000), S. 257 (272 ff. m. w. N.); J. Oebbecke, in: NVwZ 2007, S. 30 (31 f.); C. Gusy, in: NVwZ 2015, S. 700 (703); T. Barczak, in: NVwZ 2015, S. 1014 (1016). 26 BVerfGE 138, 102 (118 ff., Rn.  56 ff.); s. auch umfassend S.  Studenroth, in: AöR 125 (2000), S. 257 (272 ff.); J. Oebbecke, in: NVwZ 2007, S. 30 (31); T. Barczak, in: NVwZ 2015, S. 1014 (1016). 27 RhPfVerfGH NVwZ-RR 2014, 665 (667); BVerfGE 138, 102 (119, Rn. 57). 28 BVerfGE 138, 102 (119, Rn. 57). 29 BVerfGE 138, 102 (119, Rn. 57) mit Bezug auf BVerfGE 44, 125 (143).

A. Bestimmung der funktional nicht anwendbaren Grundrechte  

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wobei das bloße Führen der Amtsbezeichnung nicht ausreichend ist30. Es ist mit anderen Worten entscheidend, ob für einen verständigen objektiven Beobachter „hier der Staat auftritt“31. Zusammenfassend soll also die Inanspruchnahme amtlicher Autorität für außerparlamentarische Äußerungen (s. noch unten 5. Kap. C. I. 2. a) [S. 207 ff.]) sowie jede Art innerparlamentarischer formaler Repräsentation von der Grundrechtsbindung erfasst sein. 2. Zweite Stufe: Inhaltliche Einflussnahme auf die Amtsausübung (funktionale Zuordnung) Die rein formale Zuordnung zum Staatsbereich reicht aber wie gezeigt nicht aus: Es ist für die Frage nach der funktionalen (Nicht-)Anwendbarkeit der Grundrechte nicht genügend, dass der Bundestagsabgeordnete überhaupt eine Amtshandlung vornimmt. In einem weiteren Schritt muss das sog. amtsbegleitende Verhalten vom Amtshandeln differenziert werden: Ob der Amtsträger „in Ausübung des Amtes“ handelt und damit amtliche Autorität wahrnimmt, muss sich gerade auf die konkrete Verhaltensweise beziehen. Insoweit kommt es darauf an, ob die fragliche konkrete Verhaltensweise den Gegenstand der Amtsausübung bildet bzw. inhaltlich beeinflusst. Die parlamentarischen Mitgliedschaftsrechte zielen klar auf die Mitgestaltung der Willensbildung des Parlaments. Der Wille des Parlaments bildet sich im Miteinander der Abgeordneten, durch Kommunikation, durch Debatte, durch Abstimmung. Es sind demnach vornehmlich die Kommunikationsgrundrechte32, die in ein Spannungsverhältnis zu den parlamentarischen Befugnissen treten. Demgegenüber finden Bekleidung, Rauchen, Surfen im Internet oder Essen regelmäßig33 nur bei Gelegenheit der Amtsausübung statt und bilden keinen eigentlichen Amtsinhalt. 3. Zwischenergebnis Die funktionale (Nicht-)Anwendbarkeit der Grundrechte richtet sich nach Art. 1 Abs. 3 GG. Entscheidend ist die Zuordnung sowohl der jeweiligen Situation (sphärische Zuordnung) als auch des jeweiligen konkreten Verhaltens (funktionale Zuordnung) zum Bereich des grundrechtsgebundenen Staatshandelns.

30 RhPfVerfGH NVwZ-RR 2014, 665 (667); BVerfGE 138, 102 (119 f., Rn. 59); J. ­Oebbecke, in: NVwZ 2007, S. 30 (31) m. w. N. 31 S. Studenroth, in: AöR 125 (2000), S. 257 (271). 32 S. schon oben 4. Kap. B. II. 1 (S.  168 ff.): Die parlamentarischen Mitgliedschaftsrechte stehen in besonderer Nähe zu den Kommunikationsgrundrechten. 33 Zu Ausnahmen „sprechender Kleidung“ s. unten 5. Kap. C. I. 1. a) aa) (1) (S. 199 f.).

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5. Kap.: Zuordnung von freiem Mandat und Grundrechten 

II. Gegenposition: Die Usurpationsgrenze v. Kielmansegg34 verfolgt einen leicht abweichenden Ausgangspunkt: Für die tatbestandliche Grenze der Grundrechte kommt es ihm zufolge nicht allein auf das Kriterium der Rechtsbindung i. S. d. Art. 1 Abs. 3 GG, sondern ebenso auf die „rechtliche Fremdzuordnung der vom Funktionsträger eingesetzten Mittel“35 an (sog. Autonomieargument36). v. Kielmansegg rückt die Problematik der funktionalen Nichtanwendbarkeit der Grundrechte in die Nähe der Grundrechtsfunktionen37 und spricht diesen einen auf die Usurpation von Mitteln des Gemeinwesens bezogenen leistungsrechtlichen Inhalt bereits auf Tatbestandsebene ab38. Diese sog. Usurpationsgrenze bildet die Demarkationslinie des durch positive Handlungsfreiheiten getragenen Handelns des Funktionsträgers zum grundrechtlich nicht mehr geschützten Bereich. Es steht für ihn damit „jede Aktivierung der spezifisch mit der Amtsstellung verknüpften Handlungs- und Wirkungsmöglichkeiten“39 außerhalb grundrechtlicher Anwendungsbereiche. Dabei kommt der Ansatz in den meisten Fällen zu denselben Ergebnissen wie die an Amtshaftungskategorien orientierte Lösung: Neben dem Bereich der (der Rechtsbindung i. S. d. Art. 1 Abs. 3 GG unterworfenen) Amtsausübung als der Inanspruchnahme des Amtes par excellence40 soll die Usurpationsgrenze allerdings auch die Fälle der „selbstbezogene[n] Ausnutzung oder missbräuchliche[n] Anmaßung einer Funktionsstellung“41 erfassen. So unterfielen weder die Äußerung erkennbar rein persönlicher Worte eines Parlamentsmitglieds am Rednerpult42 grundrechtlichen Schutzbereichen noch das außerdienstliche Tragen von Amtskleidung eines Beamten43. Diesem Ansatz soll hier nicht gefolgt werden, weist das sog. Autonomieargument doch über die Fragestellung nach der funktionalen Anwendbarkeit der Grundrechte – d. h. der Anwendbarkeit der Grundrechte in Zusammenhang mit der öffentlichen Aufgabenwahrnehmung – hinaus. Dass die eigene Freiheitsentfaltung nicht gewährleistet, mit Autorität und damit mit Wirkung für den Staat zu handeln, ist allgemein Konsens44. Die von v. Kielmansegg weiter erfassten Fallgestaltungen der Ausnutzung und Anmaßung einer Amtsstellung rufen ausdrück 34

v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn. 20), S. 353 ff. v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn. 20), S. 406. 36 v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn. 20), S. 406 Fn. 416. 37 v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn.  20), S.  357; dabei entscheidet sich v. Kielmansegg ebenfalls nicht abschließend zur Reichweite der Leistungsdimension der Grundrechte (v. Kielmansegg, Grundrechte [Fn. 20], S. 353 ff.), befürwortet aber immerhin eine „Umkehrung der Argumentationslast“ für die usurpatorische Freiheit (S. 357). 38 v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn. 20), S. 357 f., 405. 39 v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn. 20), S. 406. 40 Als „Kernbereich“ der Inanspruchnahme amtlicher Autorität bezeichnet, s. v. ­Kielmansegg, Grundrechte (Fn. 20), S. 405. 41 v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn. 20), S. 406. 42 v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn. 20), S. 455. 43 v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn. 20), S. 407. 44 S. schon 4.  Kap. A. I. 3. a) (S. 130 ff.). 35

A. Bestimmung der funktional nicht anwendbaren Grundrechte  

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lich keine Adressatenstellung resp. Bindungswirkung des Staates an die Grundrechte i. S. d. Art.  1 Abs.  3  GG45 hervor. Denn für einen objektiven Beobachter wird in diesen Fallkonstellationen erkennbar keine Amtsausübung betrieben46, es steht nichtstaatliches Handeln im Raum. Bei diesem dem Amtsträger vermittelten zusätzlichen Potenzial an Zweckentfremdung nichteigener, dem Staat zugeordneter, Mittel handelt es sich nicht um eine grundrechtsdogmatische Besonderheit der Amtsträgereigenschaft  – es macht für die vorliegende Fragestellung keinen Unterschied, ob etwa der Polizist an Karneval erkennbar seine Polizeiuniform zweckentfremdet oder ob eine Person außerhalb des Staatsdienstes sich mit einer fremden Uniform kostümiert. Ob dieses Handeln grundrechtlichen (der Sache nach leistungsrechtlichen47) Schutz erfährt, kann nicht anders zu behandeln sein als die „Usurpation“ von Mitteln jedes anderen Dritten, wie v. Kielmansegg selbst betont48. Das Spezifikum der Amtsträgereigenschaft liegt demgegenüber gerade darin, dass die Handlungen des Amtsträgers im Gegensatz zu denjenigen des „Normalbürgers“ unter Umständen „den Anspruch erheben können, autorisiert im Namen aller Bürger getroffen zu werden“49, mithin ihre Wirkung auf alle Bürger hin zu potenzieren. Damit Handlungen aber amtliche Autorität zugesprochen werden kann, wird allein vorausgesetzt, dass der Amtswalter, wie oben ausgeführt, erkennbar als Amtsträger bzw. in Wahrnehmung seines Gemeinwohlauftrags handelt, sich also im Radius der (Grund-)Rechtsbindung bewegt, Art. 1 Abs. 3 GG. Damit soll – noch einmal50 – nicht im Umkehrschluss ausgesagt werden, dass jegliches Verhalten des Amtswalters, das nicht mehr vom Bereich der Rechtsbindung i. S. d. Art. 1 Abs. 3 GG erfasst ist, grundrechtlichen Schutzbereichen unterfiele, grundrechtliche Schutzbereiche also immer eröffnet wären, sofern der Amtsträger sich nicht länger im Amt bewegt. Zu dem konkreten Inhalt der Einzelgrundrechte verhält Art. 1 Abs. 3 GG sich zunächst einmal indifferent. Die Inanspruchnahme fremder, mitunter auch staatlicher Mittel, aber als Problem der funktionalen Anwendbarkeit der Grundrechte aufzufassen, geht zwangsläufig mit 45

So ausdrücklich v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn. 20), S. 406, insb. Fn. 416; in diesem „Autonomieargument“ liegt der Unterschied zu der zuvor dargestellten, auf Art. 1 Abs. 3 GG abstellenden Lösung: Auch das Bundesverfassungsgericht stellt bei seiner Einzelfallabgrenzung auf die Inanspruchnahme der mit dem Amt „verbundenen Ressourcen“ ab, allerdings unter der Prämisse, dass diese Inanspruchnahme dem Staat zurechenbar ist, und zieht damit das Rechtsbindungsargument heran, s. BVerfGE 138, 102 (116 ff., Rn. 49, 53). 46 v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn. 20), S. 406, insb. Fn. 416. 47 Dabei wird gerade die grundrechtliche Leistungsdimension zunehmend ausgedehnt, s. zuletzt die Entscheidung des BVerfG zur (drittgerichteten) Leistungsdimension der Versammlungsfreiheit im Wege mittelbarer Drittwirkung, sog. Bierdosen-Flashmob BVerfG (K), NJW 2015, 2485 (2485); zu den Auswirkungen auf die Grundrechtsdogmatik s. die Besprechungen von M. Sachs, in: JuS 2015, S. 954 (954 f.) und S. Schulenberg, in: DÖV 2016, S. 55 (55 ff.). 48 So auch v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn. 20), S. 357 f. 49 BVerfGE 128, 226 (244); derartige Aussagen werden mit einer „aus der Autorität des Amtes fließenden besonderen Gewichtung versehen“, vgl. BVerfGE 138, 102 (118, Rn. 55). 50 S. schon oben 3. Kap. B. II. 3. d) (S. 114 ff.).

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5. Kap.: Zuordnung von freiem Mandat und Grundrechten 

einer ungeschriebenen tatbestandlichen Begrenzung der Grundrechte einher51, deren Unsicherheiten gegenüber einer Lösung auf Rechtfertigungsebene bereits eingehend durch die Erläuterungen zum Statusbegriff52 beschrieben wurden. Grundlage der hiesigen Arbeit soll daher die anhand von Art. 1 Abs. 3 GG einzig belastbare Aussage sein: Die Grundrechte sind funktional nicht anwendbar, sofern sich der Amtsträger in seinem staatlichen Aktionsradius bewegt, mithin im Bereich der Grundrechtsbindung.

B. Konturierung des Verhältnisses von freiem Mandat und Grundrechten: Raum für gleichzeitigen Schutz für die personal anknüpfenden Inhalte des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG Zur Bestimmung der funktionalen Nichtanwendbarkeit der Grundrechte für den Abgeordneten konnte auf Grundsätze verwiesen werden, die für alle Amtsträger gelten. Die entscheidende aus der Scharnierfunktion des Abgeordneten resultierende Schwierigkeit ist nun, die Anwendbarkeit der Grundrechte ins Verhältnis zur Gewährleistung des freien Mandats zu setzen. Mit den aus den Abschnitten zum Statusbegriff wie zu den anderen Amtsträgern gewonnenen Ergebnissen lässt sich zu diesem Verhältnis nun differenziert Stellung beziehen. Wie bereits betont53 vereint Art.  38 Abs.  1 S.  2  GG zwei von seiner Normqualität verschiedene Aspekte. Im innerparlamentarischen Bereich ist der Normgehalt in erster Linie ein der Sache nach leistungsrechtlicher: Aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG werden die apersonalen Befugnisse des Abgeordnetenamtes gewonnen, die auf den Abgeordneten als Träger des Amtes übergeleitet werden müssen. Sie sind als Mitgliedschaftsrechte konzipiert und daher, wie ihr Name nahelegt, auf Zusammenwirken der Mitglieder sowie auf Ausgestaltung durch die Geschäftsordnung angewiesen. Ihre Ausübung ist der Kern des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG54: In ihrer Wahrnehmung ist der Abgeordnete inhaltlich frei und kann jegliche bindende Einflussnahme abwehren. Da der Abgeordnete für die Ausübung der Mitgliedschaftsrechte amtliche Autorität in Anspruch nimmt, können die positiven Handlungsfreiheiten weder herangezogen werden, um ihre Untermauerung zu begründen, noch um sie der Ausübung der Befugnisse entgegenzusetzen bzw. diese inhaltlich zu lenken. Auf der anderen Seite stehen die sonstigen Ausprägungen des freien Mandats (Art.  38, 46 ff.  GG), die sich in zwei Funktionen zusammenfassen lassen: Die 51 S. zu Einwänden gegen Grenzziehungen auf Ebene des Tatbestands der Grundrechte auch v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn. 20), S. 355 f. m. w. N. 52 S. oben 3. Kap. B. II. (S. 93 ff.). 53 S. oben 3. Kap. A. III. (S. 81 ff.); ebenso 5. Kap. C. III. (S. 213 ff.). 54 S. oben 3. Kap. A. III. 2. (S. 82 ff.); hier kommt das freie Mandat besonders bei Ausübung der parlamentarischen Befugnisse in Widerspruch zu Partei und Fraktion zum Tragen.

B. Verhältnis von freiem Mandat und Grundrechten

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Wahrung der politischen Unabhängigkeit55 sowie der Schutz der politischen Betätigung56  – oder anhand des Repräsentationsauftrags erklärt: Die Abwehr von bindender Einflussnahme auf die formale Repräsentation sowie der Schutz der freien Kommunikationsbeziehung zwischen Volk und Volksvertreter als Aufgabe materieller Repräsentation. Teilweise werden die Gewährleistungen aus der Grundnorm des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG selbst gewonnen, teils durch zahlreiche Einzelgewährleistungen, die persönlichen Schutzrechte57, weiter ausbuchstabiert58. So unterstützt der Entschädigungsanspruch gem. Art. 48 Abs. 3 S. 1 GG die Unabhängigkeit der (formalen) Mandatswahrnehmung des Abgeordneten. Andere persönliche Schutzrechte wie die freie Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel i. S. d. Art. 48 Abs. 3 S. 2 GG zielen weniger auf die Unabhängigkeit des Abgeordneten, sondern vereinfachen die freie individuelle Mandatswahrnehmung im Übrigen59. Aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG selbst wird in Ergänzung zu Art. 47 Abs. 1 GG dagegen der Schutz der gesamten Kommunikationsbeziehung zwischen Volk und Volksvertreter abgeleitet60. Diese Gewährleistungen enthalten sowohl leistungsrechtliche Elemente61 als auch abwehrrechtliche (und dabei gegen die öffentliche Gewalt62 sowie im Wege unmittelbarer Drittwirkung gegen Private gerichtete63) Elemente. Ihnen allen ist gemein, dass sie an die Person des Abgeordneten anknüpfen und nicht apersonal auf das Amt bezogen sind: Sie schützen den Abgeordneten im außerparlamentarischen Bereich, weil er Amtsträger ist, aber nicht (nur) als Amtsträger, sondern als Person. Diese Differenzierung ist auf den ersten Blick schwierig, erinnert sie doch an die eingangs kritisierte Unterscheidung nach verschiedenen Rechtskreisen der Abgeordnetenperson64. Sie wird aber dann verständlich, wenn man sie durch das soeben herausgestellte (Rechtsbindungs-)Kriterium anreichert: Die Geltendmachung der persönlichen Schutzrechte stellt keine Amtsausübung des Abgeordneten dar, für die er dementsprechend amtliche Autorität in

55

So die Bezeichnung bei A. Ingold, in: JöR N. F. 64 (2016), S. 43 (77 f.). Nochmals A. Ingold, in: JöR N. F. 64 (2016), S. 43 (77 f.). 57 S. schon oben 3. Kap. A. II. (S. 78 ff.). 58 S. nur M. Morlok, in: Dreier, Grundgesetz (Fn. 8), Bd. II, 3. Aufl. 2015, Art. 38 Rn. 155. 59 P. Badura, Die Stellung des Abgeordneten nach dem Grundgesetz und den Abgeordnetengesetzen der Länder, in: H.-P. Schneider/W. Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, 1989, § 15 Rn. 60. 60 S. hierzu noch gleich 5. Kap. C. I. 2. b) (S. 209 ff.). 61 Leistungsrechtlicher Charakter kommt bspw. den aus Art. 48 Abs. 1 und 3 GG hergeleiteten Ansprüchen zu, s. H. H. Trute, in: I. v. Münch/P. Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 48 Rn. 1 f.; D. C. Umbach, in: ders./T. Clemens (Hrsg.), Grundgesetz Mitarbeiterkommentar, Bd. II, 2002, Art. 48 Rn. 12. 62 Als Abwehrrecht kommt Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG selbst bspw. gegen die Beobachtung der Abgeordnetentätigkeit durch den Verfassungsschutz zum Zuge, s. BVerfGE 134, 141 (169 ff., Rn. 83 ff.); die Funktion des Abwehrrechts hebt auch A. Ingold, in: JöR N. F. 64 (2016), S. 43 (76 ff.) hervor. 63 Dies vor allem im Rahmen des Art. 48 Abs. 2 GG, s. BVerfGE 42, 312 (328); H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz (Fn. 4), Art. 48 (1998), Rn. 81. 64 S. oben 3. Kap. B. II. 2. (S. 97 ff.). 56

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5. Kap.: Zuordnung von freiem Mandat und Grundrechten 

Anspruch nähme. Er wird als Person geschützt, weil er (in anderer Funktion) auch die Position eines Abgeordneten bekleidet. Auch das Bundesverfassungsgericht hat die persönlichen Schutzrechte mehrfach als subjektiv-öffentliche, mit der Verfassungsbeschwerde rügbare Rechte oder als „Individualrechte“ bezeichnet, die zwar nicht jedermann zustünden, aber jedem Abgeordneten65. Wie das Gericht in der Entscheidung Pofalla festgestellt hat, dient etwa die Immunitätsgewährleistung sowohl historisch als auch teleologisch betrachtet zwar dem Parlament selbst; dennoch würde „durch strafrechtliche Verfolgungsmaßnahmen […] der Abgeordnete in der ungestörten Wahrnehmung seiner Aufgaben behindert.“66 Im Sinne des Schutzes des einzelnen Abgeordneten leitet das Bundesverfassungsgericht schließlich einen aus Art. 46 Abs. 2 i. V. m. Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG folgenden Anspruch des Abgeordneten auf willkürfreie Entscheidung des Bundestages über die Aufhebung der Immunität her67. Die Arbeit des Parlaments und diejenige des einzelnen Abgeordneten können daher nicht isoliert voneinander betrachtet werden, wo auch immer der Schwerpunkt des Schutzziels verortet wird. Der „individualrechtliche Schutz des einzelnen Abgeordneten als Teil des Organs“ ist die „Kehrseite der Rechte des Organs ‚Parlament‘“68. Ob man das freie Mandat und die ergänzenden übrigen Schutzrechte im Einzelnen tatsächlich als subjektive Rechte bezeichnen will69, ist – auch wenn aus oben genannten Gründen die besseren Argumente dafür sprechen70 – für die vorliegende Fragestellung nicht erheblich: Die subjektiv-rechtliche Qualität mag aufgrund des amts- bzw. teils ausgeprägteren parlaments-, jedenfalls nicht individual­bezogenen Schutzzwecks angezweifelt71 oder mangels Verzichtbarkeit der jeweiligen Rechtsposition verneint72 werden. Unabhängig von ihrer begrifflichen Einordnung ist Anknüpfungsgegenstand der fraglichen Gewährleistungen aber stets ein personaler. Denn sie stellen keine „Kompetenzen“ dar, die „unmittelbar der Erfüllung der in

65 BVerfGE 108, 251 (266 f.); 134, 141 (170, Rn. 85); anders noch BVerfGE 6, 445 (447 f.); ebenso H. H. Klein, Status des Abgeordneten, in: Isensee/Kirchhof, HStR (Fn.  8), Bd.  III, 3. Aufl. 2005, § 51 Rn. 31. 66 BVerfGE 104, 310 (325 ff.). 67 BVerfGE 104, 310 (330). 68 D. Wiefelspütz, Indemnität und Immunität, in: M. Morlok/U. Schliesky/ders. (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 13 Rn. 25. 69 Zutreffend die allgemeine Aussage, man könne nur von „mehr oder minder subjektive[n] Rechte[n]“ sprechen: v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn. 20), S. 278. 70 S. oben 3. Kap. A. III. 2. (S. 82 ff.). 71 S. zur gängigen Schutznormlehre, die darauf abstellt, ob die vermeintlich subjektivöffentliche Norm um des Individualschutzes willen erlassen wurde, H. J. Wolff/O. Bachof/ R. ­Stober/W. Kluth, Verwaltungsrecht I, 12. Aufl. 2007, § 43 Rn.  31 ff.; kritisch zur Schutznormlehre A. Scherzberg, Subjektiv-öffentliche Rechte, in: D. Ehlers/H. Pünder (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2016, § 12 Rn. 9 ff.; s. zur rein systematischen Begriffsbildung des subjektiv-öffentlichen Rechts, s. v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn. 20), S. 276 ff. 72 S. bspw. die Argumentation Achterbergs zur Immunität, N. Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 261.

C. Lösungsvorschlag

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der Verfassung normierten Staatsaufgaben“ dienen73, ihre Wahrnehmung ist keine Amtsausübung. Sie entfalten ihren Schutz daher für den Abgeordneten als Person, wenn auch im Dienste der Mandatstätigkeit bzw. als Kehrseite der Arbeitsfähigkeit des Parlaments. Derartige „von Amts wegen“ gewährleistete Rechtszuweisungen können einer Verhaltensweise nicht ihren grundrechtlichen Schutz entziehen, wie sich aus den Erläuterungen zur richterlichen Unabhängigkeit ergeben hat74: Wenn jene staatsorganisationsrechtliche Rechtszuweisung so weitreichend ist, dass sie außerhalb der Amtswahrnehmung ansetzt und damit selbst die Brücke zum Abgeordneten als Person schlägt, nimmt dies auf die Grundrechtsberechtigung keinen Einfluss. Die Grundrechtsbeeinträchtigung beurteilt sich unabhängig vom Anwendungsbereich des freien Mandats. Eine gleichzeitige Betroffenheit der Gewährleistungen75 ist also der Sache nach jedenfalls dann möglich, wenn die an die Person des Abgeordneten anknüpfende Dimension des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG in Rede steht, sich Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG also wie ein (weiteres) persönliches Schutzrecht darstellt; dies ist jedenfalls der Fall, soweit die Gewährleistung die individuelle politische Betätigung des Abgeordneten, und damit die materielle Repräsentation schützt.

C. Lösungsvorschlag zur Zuordnung von Grundrechten und freiem Mandat unter Berücksichtigung der „Scharnierfunktion“ des Bundestagsabgeordneten  Für den folgenden Vorschlag einer Bereichsdifferenzierung muss zum einen die beschriebene Abgrenzungsformel zur Feststellung funktional anwendbarer/ nicht anwendbarer Grundrechte an den Abgeordneten angelegt werden: Zwar handelt es sich beim Abgeordneten nicht um einen klassischen Amtsträger; die aufgestellten Grundsätze greifen aber für jegliche Form der grundrechtsgebundenen Amtswahrnehmung. Zum anderen – hier liegt der maßgebliche Unterschied zur herkömmlichen Amtsträgerlösung – gilt es, auch den Gewährleistungsgehalt des freien Mandats für die jeweiligen Verhaltensweisen zu umreißen. Die vorliegende Bereichsdifferenzierung soll zwischen politischem Handeln (I.) und (reinem) Privatbereich (II.) unterscheiden. Nur im ersten Bereich kann es zu Doppelungen zwischen grundrechtlichen Gewährleistungen und dem freien Mandat kommen. 73

BVerfGE 60, 374 (380; Hervorhebung nicht im Original, B. G.). S. oben 4.  Kap. A. II. 2. a) cc) (4) (S. 154 f.). 75 Eine rechtlich, wenn auch nicht faktisch gleichzeitige Betroffenheit von freiem Mandat und Grundrechten im Rahmen der politischen Unabhängigkeit erkennt auch Ingold an, s. A. ­Ingold, in: JöR N. F. 64 (2016), S. 43 (76 ff.). 74

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5. Kap.: Zuordnung von freiem Mandat und Grundrechten 

I. Betroffenheit des Mandatsträgers bei politischem Handeln Der Bundestagsabgeordnete übt seine eigentlichen Befugnisse im Forum Bundestag aus, innerhalb dessen sie sich als Mitwirkungsrechte darstellen. Ferner tritt der Bundestagsabgeordnete aber auch außerhalb des Bundestags in Erscheinung. Er geht hier seiner für die parlamentarische Demokratie unverzichtbaren materiellen Repräsentationsaufgabe nach, indem er zum einen seine Mandatstätigkeit erläutert, also explizit als Abgeordneter spricht bzw. als solcher angesprochen wird. Zum anderen umfasst die materielle Repräsentationsaufgabe ebenso sein sonstiges politisches Engagement in Partei und Interessengemeinschaften unabhängig von einer konkreten Bezugnahme auf das Abgeordnetenamt. Die gesamte formale wie materielle Repräsentationsaufgabe stellt den Mandatsauftrag des Abgeordneten dar, die Amtswahrnehmung bildet nur einen Ausschnitt hiervon76. Dieses politische Handeln des Abgeordneten soll erneut in Betroffenheit bei Ausübung der innerparlamentarischen Befugnisse (1.) und in sonstiges politisches Handeln unterteilt werden (2.). 1. Betroffenheit bei der Ausübung von parlamentarischen Befugnissen Für die Betroffenheit bei Ausübung der innerparlamentarischen Befugnisse ist weiter zwischen dem Bereich des grundrechtsgebundenen Amtshandelns (a)) und dem amtsbegleitendem Handeln (b)) zu differenzieren. a) Rechtsbindung: kein Raum für Grundrechte im Rahmen formaler Repräsentation Die Ausübung der parlamentarischen Befugnisse stellt als ureigener Amtsinhalt des Abgeordneten keine Grundrechtsausübung dar. Sie ist Wahrnehmung des formalen Repräsentationsauftrags und betrifft als solche die Umwandlung des Volkswillens in den Staatswillen durch die formalen parlamentsrechtlichen Verfahren; sie steht daher außerhalb der Wahrnehmung (positiver) grundrechtlicher Handlungsfreiheiten. aa) Funktionale Nichtanwendbarkeit von (bestimmten) Grundrechten Für die Figur des Parlamentariers lassen sich bestimmte neuralgische, regelmäßig funktional unanwendbare Grundrechte ausmachen, die mit der Inanspruchnahme amtlicher Autorität einhergehen. Als Konsequenz der persönlichen Prägung seiner 76

S. zu diesen Begriffen schon Einl. D. (S. 20 f.).

C. Lösungsvorschlag

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Wahrnehmungsbefugnisse – kommunikativer Charakter der Mitgliedschaftsrechte, keine Geltung des Neutralitätsgebots sowie Orientierung am eigenen Gewissen – fällt ins Auge, dass der Funktions- bzw. Amtsbereich des Abgeordneten vergleichsweise großen Ausmaßes ist, unter Umständen daher verhältnismäßig viele grundrechtliche Gewährleistungen ihre funktionale Anwendbarkeit verlieren. (1) Kommunikationsgrundrechte Da es Aufgabe der parlamentarischen Mitwirkungsrechte ist, dem Abgeordneten die Einflussnahme auf die Willensbildung des Parlaments zu ermöglichen, ergibt sich ein natürliches Spannungsverhältnis gerade zu solchen Grundrechten, die die Willensäußerung zum Gegenstand haben. Zum einen ist hierzu die Meinungsäußerungsfreiheit zu zählen, Art. 5 Abs. 1 S. 1 Var. 1 GG. Die parlamentarische Rede ist wie gesehen durch Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG als Mitgliedschaftsrecht gewährleistet und daher nicht Gegenstand des korrespondierenden Grundrechts77. Mit dieser Feststellung hat es aber noch nicht sein Bewenden: Denn der Abgeordnete kann sich auf vielerlei Weise äußern und so auf die parlamentarische Willensbildung Einfluss nehmen78. Hierzu gehören etwa Erklärungen i. S. d. §§ 30 ff. GOBT sowie die sachbezogenen Zwischenrufe des Abgeordneten (vgl. § 119 Abs. 1 GOBT), mit denen er sich in die parlamentarische Diskussion einbringt und die als Äußerungen in Ausführung seines Abgeordnetenamtes erfolgen. Ebenso gehören hierzu Symbole oder Kleidungsstücke dann, wenn sie aufgrund ihres besonderen Aussagegehalts als wortvertretend getragen werden und mithin eine Äußerung transportieren, die ebenso gut verbal hätte kundgetan werden können79. Umgekehrt ist die Äußerung rein persönlicher Worte am Rednerpult ebenso der Meinungsäußerungsfreiheit unterworfen80 wie die Äußerung von Beleidigungen, bei denen der sachliche Bezug gänzlich in den Hintergrund tritt81. Hier wird erkennbar keine Amtsausübung betrieben. Auch das Kommunikationsgrundrecht der Versammlungsfreiheit i. S. d. Art. 8 Abs. 1 GG kann je nach Umständen des Einzelfalls funktional seine Anwendbar 77

S. schon 1. Kap. B. (S. 30 ff.). So werden sprechende Verhaltensweisen auch als „Äußerungen“ i. S. d. Art. 46 Abs. 1 GG qualifiziert, s. H. H. Klein, Indemnität und Immunität, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht (Fn. 59), § 17 Rn. 27. 79 S. schon oben 1. Kap. B. III. 1./2. (S.  34 ff.); ähnlich für Gemeinderatsmitglieder M.-E. Geis, in: BayVBl. 1992, S. 41 (44 f.). 80 So für Gemeinderatsmitglieder Schnell, Meinungsäußerung (Fn. 4), S. 65 – a. A.: v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn. 20), S. 455, der i.R.d. Usurpationsgrenze wie dargestellt maßgeblich auf das Autonomieargument abstellt und damit auch solche Handlungen von den grundrechtlichen Schutzbereichen ausnimmt, die dem Staat zwar nicht haftungsrechtlich zuzuordnen sind, aber auf Mittel des Amtes zurückgreifen. 81 Ebenso VGH Mannheim NJW 1990, 1808 (1809); Vitzthum (Fn. 3), § 48 Rn. 74 – a. A.: Schwabe, Grundrechtsschutz (Fn. 11), S. 338 f. 78

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5. Kap.: Zuordnung von freiem Mandat und Grundrechten 

keit einbüßen: Die Demonstration etwa von Mitgliedern der parlamentarischen Opposition gegen die Regierungsfraktion mittels Plakaten oder Spruchbändern82 wird sich regelmäßig als einflussnehmend auf die parlamentarische Willensbildung darstellen, da die Fraktionsmitglieder die Äußerung auch aus Sicht eines dritten Beobachters in ihrer Funktion abgeben. Dasselbe wird man etwa für die Teilnahme an offiziellen Schweigeminuten im Parlament durch gemeinsames Aufstehen und Innehalten annehmen können. Der Zusammenschluss in einer Fraktion unterfällt selbstredend ebenfalls Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG83 und nicht der Vereinigungsfreiheit, Art. 9 Abs. 1 GG. (2) Allgemeine Handlungsfreiheit Auch die vermeintlich von der allgemeinen Handlungsfreiheit i. S. d. Art.  2 Abs. 1 GG gedeckten Verhaltensweisen lassen sich nach oben genannter Formel beurteilen. Sofern nicht festgestellt werden kann, dass die entsprechende Handlung in amtlicher Autorität ergeht, ist sie Art. 2 Abs. 1 GG zuzuordnen: Rauchen, Schlafen, Kaugummikauen, Surfen im Internet oder das private SMS-Schreiben während der Plenardebatten riskieren keine inhaltliche Einflussnahme auf die parlamentarische Willensbildung, sie stehen außerhalb jeder Inanspruchnahme amtlicher Autorität. Sie bleiben daher als amtsbegleitende Verhaltensweisen von der allgemeinen Handlungsfreiheit geschützt, auch wenn die Durchsatzkraft des Grundrechts bei behindernder Einflussnahme auf die parlamentarischen Abläufe freilich nur eine geringe ist. (3) Informationsfreiheit Das aus Art.  38 Abs.  1 S.  2  GG abgeleitete Frage- und Informationsrecht des Bundestagsabgeordneten84 gegenüber der Bundesregierung gewährleistet die parlamentarische Kontrolle der Regierung. Bei Wahrnehmung dieses Mitgliedschaftsrechts nimmt der Abgeordnete nicht seine Informationsfreiheit i. S. d. Art. 5 Abs. 1 S. 1 2. Var. GG wahr, da das Begehren sich nur auf seine Funktion als Abgeordneter stützen lässt.

82

Sehr anschaulich die Beispiele solcher „Störaktionen“ bei M. F. Feldkamp/D. Kunze, Mit Frack im Parlament, Ein Beitrag zur parlamentarischen Kultur und politischen Symbolik im Deutschen Bundestag, 2009, S. 23 ff.; s. insbesondere die Protestaktion durch Spruchbänder der Fraktion „DIE LINKE“ bei der Debatte um das Afghanistan-Mandat, Plenarprotokoll des Bundestags 17/25, S. 2181 (2186 f.); s. hierzu noch 5. Kap. C. III. 1. (S. 215 ff.); zu einem vergleichbaren Fall in Ungarn unter Anwendung der EMRK s. noch unten 6. Kap. (S. 226 ff.). 83 S. oben 3. Kap. A. I. (S. 75 ff.). 84 S. schon 3. Kap. A. I. (S. 75 ff.).

C. Lösungsvorschlag

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(4) Gewissensfreiheit Ferner kann sich der Abgeordnete nicht auf seine Gewissensfreiheit i. S. d. Art. 4 Abs. 1 Var. 2 GG berufen, um eine bestimmte parlamentarische Entscheidung zu begründen. Für sein Amtshandeln, das ihn ohnehin verpflichtet, die Entscheidungen am Gemeinwohl auszurichten, ist ihm seine Gewissensbindung aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG gewährt, sog. Amtsgewissen85. Zwar ist auch das Amtsgewissen naturgemäß von seiner Person geprägt, es handelt sich bei dem in Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG niedergelegten Pendant gewissermaßen um die gemeinwohlorientierte Prägung des persönlichen Gewissens. Die grundrechtliche Gewissensfreiheit kann selbst aber weder zur Untermauerung noch zur Nichtvornahme parlamentarischer Entscheidungen herangezogen werden. (5) Gleichheitsgrundrechte Die Gleichheitssätze i. S. d. Art. 3 Abs. 1–3 GG sind ebenfalls nicht (isoliert) auf den Abgeordneten in seiner Funktion anwendbar. Die Gleichbehandlung der Parlamentsabgeordneten lässt sich aber nicht grundrechtlich herleiten, sondern folgt, sowohl was die gleiche Gewährleistung der Mitgliedschaftsrechte als auch was die persönlichen Schutzrechte angeht, aus Art.  38 Abs.  1 S.  2  GG i. V. m. 3 Abs. 1 GG86. (6) Ergebnis Grundrechtlichen Anwendungsbereichen wird in funktionaler Hinsicht beachtlicher Raum genommen. Nicht zuletzt diese Feststellung nährt den Boden für das Bild eines grundrechtsexemten Abgeordnetenstatus87. In der Tat fängt der Funktionsbereich weite Teile seiner Persönlichkeit ein88, die in der Folge  – weil im Sinne aller wahrgenommen  – ihre grundrechtliche Absicherung verlieren. Die Freiheit des Mandats hält eigene Seitenstücke bereit, innerhalb derer sie die Individualität des Mandatsträgers, persönliche Überzeugungen und Gewissenserwägungen aktiviert und für das Wirken im Parlament eingesetzt sehen will. Insoweit kann erneut an die bereichsdifferenzierte Grundrechtsgeltung des Richters erinnert werden, für den sich eine ähnliche Feststellung hinsichtlich der Meinungsfreiheit treffen ließ89. 85

S. oben 4. Kap. B. II. 3. (S. 175 ff.). BVerfGE 40, 296 (296 ff.); s. hierzu auch Demmler, Abgeordnete (Fn. 17), S. 44 ff.; zuletzt allerdings ohne Rekurs auf Art. 3 GG in Zusammenhang mit parlamentarischen Minderheitsrechten BVerfG NVwZ 2016, 922 (925 f.). 87 S. oben 3. Kap. B. (S. 86 ff.). 88 Vgl. auch A. Ingold, in: JöR N. F. 64 (2016), S. 43 (79). 89 S. oben 4.  Kap. A. II. 2. a) cc) (2) (S. 152 f.). 86

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5. Kap.: Zuordnung von freiem Mandat und Grundrechten 

bb) Bestehenbleiben von negativen Handlungsfreiheiten sowie Integritätsrechten bei der Amtswahrnehmung Negative Handlungsfreiheiten bleiben grundsätzlich genauso wie Integritätsrechte90 für den Abgeordneten unabhängig von seiner Amtswahrnehmung bestehen91. Da sie keinen inhaltlichen Einfluss auf sein Handeln nehmen, ließe sich eine funktionale Nichtanwendbarkeit der Grundrechte nicht begründen. Das im Bundestag exponiert angebrachte Kreuz würde damit zweifellos für die Parlamentarier einen etwaigen Grundrechtseingriff in die negative Religionsfreiheit i. S. d. Art. 4 Abs. 1 GG darstellen können. (1) Sonderfall im Rahmen der negativen Handlungsfreiheiten: „Sprechendes“ Nichthandeln Eine Ausnahme ist hier allerdings für die Stimmenthaltung zu machen: Die Stimmenthaltung wirkt sich jedenfalls dann, wenn das Grundgesetz die Zustimmung eines bestimmten Quorums der gesetzlichen Mitgliederzahl (Art. 121 GG) verlangt92, als „Nein“-Stimme aus und hat damit einen positiven Erklärungswert. Sie kann aus diesem Grund nicht grundrechtlich abgesichert sein93, auch nicht durch die negative allgemeine Handlungsfreiheit. Dasselbe gilt auch für all die sonstigen Fälle, in denen der Mandatsträger demonstrativ eine parlamentarisch geforderte Handlung nicht vornimmt, um so seinen Unmut in einer die Willensbildung des Parlaments betreffenden Angelegenheit zum Ausdruck zu bringen: Die Verweigerung jeder Handlung, zu der der Parlamentarier aufgefordert ist – etwa die Partizipation an der Schweigeminute oder die demonstrative Wahrnehmung des dem Abgeordneten eingeräumten Rede­ rechts – kann unter Umständen „sprechenden Charakter“ haben. (2) Sonderfall im Rahmen der Integritätsrechte: Das allgemeine Persönlichkeitsrecht Das allgemeine Persönlichkeitsrecht i. S. d. Art. 2 Abs. 1 i. V. m. 1 Abs. 1 GG nimmt mit seinen „integritätsbezogenen“94 Bestandteilen eine besondere Rolle ein. 90

Zu diesem Begriff schon oben 4. Kap. A. I. 3. a) bb) (S. 133 ff.). So auch noch einmal ausdrücklich für Bundestagsabgeordnete v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn. 20), S. 456. 92 Art. 29 Abs. 7 S. 2 GG; vgl. auch Art. 61 Abs. 1 S. 2 und S. 3 GG, Art. 63 Abs. 2 S. 1, Abs. 4 S. 2 und S. 3 GG; Art. 67 Abs. 1 S. 1 GG; Art. 68 Abs. 1 S. 1 und S. 2 GG; Art. 77 Abs. 4 S. 1 und S. 2 GG; Art. 80a Abs. 3 S. 2 GG; Art. 87 Abs. 3 S. 2 GG; Art. 115 Abs. 2 S. 6 GG; Art. 115a Abs. 1 S. 2 GG. 93 Vgl. Schwabe, Grundrechtsschutz (Fn. 11), S. 338; Vitzthum (Fn. 3), § 48 Rn. 77. 94 v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn. 20), S. 411. 91

C. Lösungsvorschlag

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Wie gesehen95 wird es bspw. ins Feld geführt, wenn das Filmen oder die Erstellung von Tonbandaufnahmen von Sitzungen der Volksvertretungen in Frage steht. Ebenso soll das allgemeine Persönlichkeitsrecht bei vermeintlich ehrverletzenden Äußerungen zum Tragen kommen96. Etwaige Ordnungsmaßnahmen können in diesen Fällen nicht nur die Funktionsfähigkeit des Parlaments als solche schützen, sondern auch die Integritätsrechte des einzelnen Mitglieds97. Allerdings ist hier zu differenzieren, ob eine eigenständige Betroffenheit des Parlamentariers in seiner persönlichen Freiheitsausübung festgestellt werden kann98. Für den Bundestagsabgeordneten fällt an dieser Stelle insbesondere das Öffentlichkeitserfordernis der parlamentarischen Arbeit ins Gewicht: Gem. Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG verhandelt der Bundestag regelmäßig öffentlich. Der Bundestag muss also von Verfassung wegen öffentlich agieren und bei den parlamentarischen Verhandlungen „beobachtet“ werden können. Wenn dies für den Bundestag als Ganzen gilt, muss dies auch für den einzelnen Abgeordneten gelten, der in dessen Rechtsbindung notwendigerweise einrückt99. Das Fotografieren oder Filmen der parlamentarischen Tätigkeit stellt daher (noch) keine Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dar, ebenso wenig wie die Beobachtung des Abgeordneten bei Amtsausübung (!) durch den Verfassungsschutz100. Für den Schutz der persönlichen Ehre kann eine entsprechende Differenzierung veranschlagt werden101: Wenn die Amtsführung des Parlamentariers kritisiert wird, ist noch kein durchschlagender Effekt auf die dahinter stehende Person anzunehmen – anders dagegen, wenn Äußerungen tatsächlich (auch) die persönliche Ehre des Abgeordneten berühren, also im wahrsten Sinne des Wortes „persönlich werden“. Es bietet sich der Rekurs auf die vom Bundesverfassungsgericht i.R.v. Art. 2 Abs. 1 i. V. m. 1 Abs. 1 GG entwickelte Sphärentheorie102 an: Sofern einzig die „Öffentlichkeitssphäre“ des parlamentarischen Handelns berührt und kein Überwirken in die Privatsphäre zu befürchten ist, ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht (noch) nicht betroffen. 95

S. oben 1. Kap. B. IV. (S. 38 f.). S. etwa zu den Fällen Klüngelkandidat oder Dummschwätzer oben 1. Kap. B. III. 3. (S. 37 f.). 97 Vgl. die verschiedenen Fallgestaltungen in 1. Kap. B. I. (S. 30 ff.). 98 v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn. 20), S. 411: die Betroffenheit muss mehr als die „Kehrseite der Amtsausübung“ darstellen. 99 Vgl. v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn. 20), S. 412. 100 S. BVerfGE 134, 141 (190, Rn.  143); sofern darüber hinaus auch die Beobachtung Tätigkeiten umfasst, die der Volkswillensbildung zuzurechnen sind, ist der Anwendungsbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sowie der anderen einschlägigen Grundrechte selbstverständlich wieder eröffnet. 101 S. auch Schwabe, Grundrechte (Fn. 11), S. 339: Eine Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist nicht anzunehmen, sofern nur die „Amtsehre“ berührt sein kann. 102 BVerfGE 6, 32 (41); 6, 389 (433); 27, 344 (350 f.); 32, 373 (378 ff.); 33, 367 (376 ff.); 34, 205 (208 f.); 34, 238 (245 f.) sowie ausführlich U. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz (Fn. 4), Art. 2 Abs. 1 (2001), Rn. 158 ff. 96

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5. Kap.: Zuordnung von freiem Mandat und Grundrechten 

b) Gleichzeitiger Schutz durch Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG und die positiven Handlungsfreiheiten: Mitgliedschaftsrecht auf ungestörte Amtsausübung? Die bisherigen Ausführungen beschränkten sich auf die bekannten Mitwirkungsbefugnisse des Abgeordneten. Im Folgenden soll das Augenmerk auf diejenigen konfliktbeladenen Verhaltensweisen gelegt werden, die neben diese Wahrnehmung der parlamentarischen Befugnisse treten, letztere also begleiten: Das Rauchen im Sitzungssaal, das Tragen bestimmter Kleidung, die Anwesenheit von Pressevertretern oder die Befindlichkeit in einem mit Kreuz ausgestatteten Plenarsaal stellten die Verwaltungsgerichte vor Einordnungsprobleme103, sind aber der Sache nach ebenso für den Bundestag diskussionswürdig. Nach oben genannter Abgrenzungsformel104 wird zunächst einmal deutlich, dass solch ein Verhalten zumindest auch den Grundrechten unterfallen muss: Durch amtsbegleitendes Verhalten105 wird kein inhaltlicher Einfluss auf die Amtstätigkeit ausgeübt. Ferner bleiben Integritätsrechte wie die negativen Handlungsfreiheiten ohnehin auch bei Amtswahrnehmung bestehen. Fraglich ist aber die Reichweite des Schutzes durch Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG für die in Frage stehenden Konstellationen. Auf den ersten Blick mag die Unterscheidung zwischen Staat und Gesellschaft dagegen sprechen, dass der Einzelne gewissermaßen für seine Individualinteressen in seinem Amt Schutz durch Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG erfahren kann106. Schließlich wurde der Rechtszuweisung des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG eine gerade nicht individualgerichtete Ausrichtung zugesprochen107. Dass der Funktionsträger im Rahmen der Funktionsausübung keine Grundrechte wahrnimmt, bedeutet jedoch nicht, dass ein bestimmtes Verhalten bei Funktionsausübung in keinem Fall sowohl Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG zugeschlagen als auch auf die Grundrechte des Amtsträgers gestützt werden könnte. Verhaltensweisen, bei denen der Abgeordnete in seiner Rolle zumindest auch als Person angetroffen wird, unterfielen vielmehr zusätzlich dem Anwendungsbereich des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG, sofern die Verhaltensweise gleichzeitig der Amtsausübung zugute käme. Wenn auch beiläufig stößt v. Kielmansegg bezüglich des kommunalen Mandats­ trägers die Überlegung an, dass für das aktive Rauchen des Volksvertreters neben dem einschlägigen Grundrecht noch ein „Mitgliedschaftsrecht auf unbehinderte Amtsausübung“ streite108. Ein solches Mitgliedschaftsrecht findet im kommunal 103

S. oben 1. Kap. B. (S. 30 ff.). S. oben 5. Kap. A. (S. 186 ff.). 105 S. oben 4. Kap. I. 3. b) Fn. 78. 106 S. oben 2. Kap. A. (S. 52 ff.). 107 S. oben 2. Kap. A. II. (S. 57 f.) bzw. 3. Kap. A. I. (S. 75 ff.). 108 v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn. 20), S. 408 Fn. 427: „Individualverhalten verliert nicht schon deshalb den Grundrechtsschutz, weil es einen dienstlichen Zusatznutzen abwirft. Richtig 104

C. Lösungsvorschlag

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rechtlichen innerorganisatorischen Störungsbeseitigungsanspruch des Ratsmitglieds ein Pendant, der nach den Verwaltungsgerichten jedenfalls dann auch im Dienste von Individualinteressen aktiviert werden kann, soweit damit die „äußeren Voraussetzungen“ für die ungestörte Mandatswahrnehmung und damit für den „störungsfreien Ablauf der Ratssitzung“ insgesamt gewährleistet werden109. Während die herkömmlichen parlamentarischen Mitgliedschaftsrechte die unmittelbare Mitwirkung an der parlamentarischen Willensbildung ermöglichen sollen110 (also das konkrete Verhalten funktional gesehen Amtsausübung darstellt), müsste es sich in Fällen der vorliegenden Art um ein Mitgliedschaftsrecht im weiteren Sinne handeln: Es wäre auf die Herstellung der äußeren Rahmenbedingungen im Sinne einer effektiven Amtswahrnehmung gerichtet, die betroffene Verhaltensweise selbst (bspw. das Rauchen) ist schließlich keine Amtsausübung. Zum einen könnte argumentiert werden, ein solches Mitgliedschaftsrecht ließe sich speziell aus der Freiheitsdimension des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG herleiten: Die Freiheit des Mandats könnte gerade über die rein inhaltliche Ausfüllung seiner parlamentarischen Befugnisse bzw. über die freie Gestaltung der außerparlamentarischen Mandatstätigkeit hinaus auch auf die Modalitäten der Mandatsausübung zeigen: Als Folge der „Subjektivierung“, so ließe sich argumentieren, müsste sie dem Abgeordneten ermöglichen, auch über die äußeren Rahmenbedingungen seiner parlamentarischen Arbeit zu bestimmen. Allerdings ist Vorsicht geboten, die Freiheitsdimension des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG nicht überzustrapazieren. Schließlich ist es die ursprüngliche Funktion des freien Mandats, in Abkehr vom imperativen Mandat den Parlamentarier vor bindender Einflussnahme auf die parlamentarische Tätigkeit zu schützen111. Dies bezieht sich gerade auf die inhaltliche Gestaltung der Mandatstätigkeit.

ist nur, dass in solchen Fällen neben der Grundrechtsposition noch ein Mitgliedschaftsrecht auf unbehinderte Amtsausübung in Betracht kommt“ (Hervorhebung im Original, B. G.); in diese Richtung auch schon Schwabe, Grundrechte (Fn. 11), S. 337 f.; die Gesundheit sei „Vorbedingung“ der Amtsausübung. 109 OVG Koblenz NVwZ-RR 1990, 98 (98): „Es wäre widersinnig, wenn das Gesetz das einzelne Ratsmitglied zwar zur gewissenhaften Amtsausübung verpflichten […], ihm aber nicht die Befugnis einräumen würde, die äußeren Voraussetzungen hierfür auch einfordern zu können“; der Sache nach auch BVerwGE 85, 283 (287 f.); VG Darmstadt NJW 2003, 455 (456): „Die Leitungsverpflichtungen des Vorsitzenden eines kommunalen Beschlussorgans sind ihm nicht nur im öffentlichen Interesse an einer ungestörten Bildung des organschaftlichen Gesamtwillens, sondern auch im Individualinteresse der zur Mitwirkung an der Bildung des organschaftlichen Gesamtwillens berufenen Mandatsträger aufgegeben.“; s. ebenso VG Stade NJW 1988, 790 (790); s. auch D. Ehlers, in: NWVBl. 1988, S. 122 (125) sowie F. Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 10. Aufl. 2016, § 21 Rn. 20; – anders dagegen SächsVerfGH, Beschl. v. 25.2.2014, Az. Vf. 62-I-12 (juris), Rn. 24 ff., wobei das Gericht hier von den herkömmlichen parlamentarischen Beteiligungsrechten ausgeht und keine Betroffenheit durch die im Raum stehende Kleiderfrage ausmachen kann. 110 S. oben 3. Kap. A. I. (S. 75 ff.). 111 3.  Kap. A. III. 2. (S. 82 ff.).

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5. Kap.: Zuordnung von freiem Mandat und Grundrechten 

Eventuell ist der Rekurs auf die Freiheitsdimension des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG auch gar nicht notwendig, könnte sich das vorliegende Mitgliedschaftsrecht auch aus der folgenden eher nüchternen Betrachtungsweise ergeben: Es ist erklärtes Ziel des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG, den Abgeordneten als „eigenständig entscheidende[n] Akteur des parlamentarischen Handelns“112 zu schützen. Damit ist es notwendigerweise verbunden, auch die Einhaltung derjenigen (Rahmen-)Bedingungen zu garantieren, die ihn überhaupt erst in den Stand versetzen, seiner Aufgabe eigenverantwortlich und unbehindert nachzukommen. Es ist vom Sinn und Zweck der Rechtszuweisung daher notwendig mitumfasst, diejenigen Verhaltensweisen zu schützen, die neben bzw. mittels der Person des Abgeordneten auch der eigentlichen Amtswahrnehmung zugute kommen. Dass derartige Rechtszuweisungen dabei die Modalitäten der Amtsausübung schützen können, ist bereits am Beispiel der richterlichen Unabhängigkeit deutlich geworden113. Ähnlich wie dort ist dieser doppelte Schutz auch hier insofern unschädlich, als er keine inhaltliche Einflussnahme bzw. Modifikation der Amtsausübung erlaubt: Das Tragen persönlicher Symbole etwa, das den Sitzungspräsidenten unter Berufung auf die Würde des Bundestages ggf. zu Ordnungsmaßnahmen veranlassen mag, könnte durch den Abgeordneten sowohl durch Berufung auf die Grundrechte als auch unter Berufung auf Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG eingefordert werden, ohne dass er für diese Verhaltensweise amtliche Autorität in Anspruch nehmen und damit eine funktionale Begrenzung des grundrechtlichen Schutzbereichs herbeiführen würde. Er trägt das Symbol vielmehr erkennbar als Person, macht aber geltend, dass dies mittelbar auch seiner Amtstätigkeit zugute käme. Dass das Tragen derartiger Symbole persönlichen Bedürfnissen entspricht und zugleich seiner Amtswahrnehmung zuträglich ist, ist bedenkenlos zu akzeptieren, zumal auf diese Weise der Rechtsschutz durch das Bundesverfassungsgericht im (einzig statthaften) Organstreit­ verfahren erreicht werden kann. Zwar könnte gegen die Anerkennung eines solchen Mitgliedschaftsrechts eingewandt werden, dass innerparlamentarisch gerade die Teilhabefunktion der Gewährleistung Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG im Vordergrund steht, ein Mitgliedschaftsrecht auf ungestörte Amtsausübung aber den individuellen Abgeordneten im Blick hat und daher dem innerparlamentarischen Bereich wesensfremd wäre. Allerdings spricht die Teilhabefunktion der „originiären“ Mitgliedschaftsrechte nicht notwendigerweise gegen ein Mitgliedschaftsrecht auf Gewährleistung der äußeren Rahmenbedingungen, steht doch letzteres ebenfalls unter dem Vorbehalt des gegenseitigen Ausgleichs und der Koordination. Gerade ein etwaiges Mitgliedschaftsrecht auf unbehinderte Mandatsausübung wird durch die Erfordernisse der Funktionsfähigkeit des Parlaments eingeschränkt114. Die Mittel der Disziplinargewalt stecken dann sowohl der Freiheit des Mandats als auch des parallel an-

112

Morlok (Fn. 58), Art. 38 Rn. 149. S. oben 4.  Kap. A. II. 2. a) cc) (4) (S. 154 ff.). 114 Vgl. unten noch 5. Kap. C. III. 3. (S. 219 ff.). 113

C. Lösungsvorschlag

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gestrengten Grundrechts Grenzen115. Vielmehr reiht sich die Anerkennung des fraglichen Mitgliedschaftsrechts in die ohnehin enge Verknüpfung von Abgeordnetenperson und Funktion ein. Es geht also in diesen Fällen um einen Gleichlauf von freiem Mandat und Grundrechten im Sinne einer parallelen Anwendbarkeit: Ein solcher ist dann anzuerkennen, wenn das individuelle Freiheitsbestreben der Mandatswahrnehmung tatsächlich zugute kommt. In Anlehnung an die richterliche Unabhängigkeit steht vorliegend eine Ausweitung der Freiheit des Mandats auf den äußeren Ordnungsbereich der Befugniswahrnehmung in Frage, mithin auf Modalitäten, die nur mittelbar Einfluss auf die Amtstätigkeit nehmen. Sprachen beim Richter doch gewichtige Gründe gegen diesen „Wucherungsprozeß“116, greifen diese Argumente im Falle einer solch weiten Interpretation des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG in praktischer Hinsicht nicht durch, weil die Rechtszuweisung im Gegensatz zur richterlichen Unabhängigkeit abwägungsfähig ist. Eine Abwägung der widerstreitenden Interessen von Parlamentsmitglied und Parlament bzw. der Parlamentsmitglieder untereinander ist stets gewährleistet, und daher keine Entwicklung der Freiheitsgewährleistung zur Allzweckwaffe des Abgeordneten gegen unliebsame Einschränkungen zu befürchten. 2. Politische Aktivität im außerparlamentarischen Bereich Differenziert muss auch die Einordnung des außerparlamentarischen Abgeordnetenverhaltens erfolgen. Hier schlägt sich die Schwierigkeit nieder, dass eine Sphärentrennung des Abgeordneten in Amtsträger und Parteipolitiker regelmäßig künstlich erscheint117. Für die grundrechtlichen Anwendungsbereiche ist wie gesehen zwischen der Inanspruchnahme von amtlicher Autorität und (anderer) politischer Betätigung zu unterscheiden. Der mangelnden Trennbarkeit der verschiedenen Sphären sollte schließlich durch eine entsprechend weite Auslegung des freien Mandats i. S. d. Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG Rechnung getragen werden. a) Funktionale Nichtanwendbarkeit der Grundrechte bei Inanspruchnahme von Amtsautorität Wie andere Amtsträger ist auch der Bundestagsabgeordnete berechtigt, Stellungnahmen und Erklärungen zu seiner Amtstätigkeit abzugeben. Im Sinne des materiellen Repräsentationsverständnisses liegt sogar die ausdrückliche Aufgabe 115 Dafür, dass in diesem Sinne auch die Vorschriften der GOBT Grundrechtsschranken darstellen können, s. noch 5. Kap. C. III. 3. (S. 219 ff.). 116 S. oben 4. Kap. A. II. 2. a) aa)  (S.  148) mit Darstellung der Kritik an dieser Lehre in 4.  Kap. A. II. 2. a) dd) (S. 156 ff.). 117 2.  Kap. A. I. (S. 52 ff.).

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5. Kap.: Zuordnung von freiem Mandat und Grundrechten 

des Abgeordneten darin, seine parlamentarische Arbeit nur unter Berücksichtigung des ständigen Austausches mit dem Volk und damit zunehmend im „‚vorparlamentarischen‘ Raum“ durchzuführen118. Um festzustellen, wann ein Amtsträger als solcher auftritt, helfen die benannten Kriterien weiter: Für die Inanspruchnahme amtlicher Autorität kommt es darauf an, ob aus der Sicht eines objektiven Beobachters ein spezifischer Zusammenhang mit der Amtstätigkeit des Betroffenen hergestellt wird; der Amtswalter muss erkennbar in Ausübung seines Amtes handeln119. Dann sind die Grundrechte funktional unanwendbar. Eine Auslegungshilfe für die (außerparlamentarischen) Äußerungsfälle des Parlamentariers kann Art. 47 GG geben, der den Abgeordneten ebenfalls in Kommunikation mit den Repräsentanten, mithin im außerparlamentarischen Bereich anspricht. Art. 47 S. 1 GG gewährt dem Abgeordneten das Recht, über Personen, die ihnen in ihrer Eigenschaft als Abgeordnete oder denen sie in dieser Eigenschaft Tatsachen anvertraut haben, sowie über diese Tatsachen selbst das Zeugnis zu verweigern. Die Norm schützt das Vertrauensverhältnis120 zwischen Abgeordnetem und seinen Wählern durch Normierung eines gesonderten Zeugnisverweigerungsrechts sowie damit einhergehend eines Beschlagnahmeverbots hinsichtlich betroffener Schriftstücke, Art. 47 S. 2 GG. Dabei ist auch im Rahmen des Art. 47 GG vorherrschende Meinung, dass allein auf das Abgeordnetenamt bezogene Informationen erfasst werden121: Dies setzt im Rahmen der Norm eine spezielle Verbindung gerade zur parlamentarischen und nicht nur zur parteilichen oder regierungsamtlichen Tätigkeit voraus122. Die dem Abgeordneten zugetrage-

118 S. hierzu auch W. Härth, Die Rede- und Abstimmungsfreiheit der Parlamentsabgeordneten in der Bundesrepublik Deutschland, 1983, S. 142 f. 119 Ob sich der Abgeordnete im außerparlamentarischen Bereich als Amtsträger geriert, bildet bspw. auch die Abgrenzungsformel für die Weitergabe von Verschlusssachen (s. § 44d AbgG i. V. m. der Geheimschutzordnung in Anl. 3 GOBT): Wenn die Informationen in Wahrnehmung amtlicher Funktion weitergegeben werden, stehen sie außerhalb grundrechtlicher Anwendungsbereiche, andernfalls wird die Meinungsäußerungsfreiheit wirksam eingeschränkt, s. BVerwG NVwZ 1989, 975 (975) für Gemeidneratsmitglieder sowie Ziegler, Ratsmitglied (Fn. 4), S. 136 – anders dagegen Vitzthum (Fn. 3), § 48 Rn. 76, der die amtlich erlangten Informationen vom persönlichen Freiheitsbereich ausnimmt. 120 Badura (Fn. 59), § 15 Rn. 61; zustimmend BVerfGE 108, 251 (266; 269). 121 H.-P. Schneider, in: R. Wassermann (Hrsg.), Alternativkommentar zum  GG, Bd.  1, 2.  Aufl. 1989, Art.  47 Rn.  5; ähnlich H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz (Fn.  4), Art. 47 (2008), Rn. 14, 24; D. C. Umbach, in: ders./Clemens, Grundgesetz II (Fn. 61), Art. 47 Rn. 13; H. H. Trute, in: v. Münch/Kunig, Grundgesetz I (Fn. 61), Art. 47 Rn. 7; K. Kluth, in: B. Schmidt-Bleibtreu/H. Hofmann/H.-G. Henneke (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 13. Aufl. 2014, Art. 47 Rn. 7; H. Schulze-Fielitz, in: Dreier, Grundgesetz II (Fn. 58), Art. 47 Rn. 8. 122 So Trute (Fn. 121), Art. 47 Rn. 7; Butzer, in: V. Epping/C. Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 2. Aufl. 2013, Art. 47 Rn. 3; Schulze-Fielitz (Fn. 58), Art. 47 Rn. 8; ebenso auf den Funktions-/Amtsbereich Bezug nehmend, aber explizit nur geschäftliche und private Mitteilungen ausklammernd: N. Achterberg/M. Schulte, in: H. v. Mangoldt/F. Klein/C. Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. II, 6. Aufl. 2010, Art. 47 Rn. 7; Klein (Fn. 121), Art. 47 Rn. 24; Kluth (Fn. 121), Art. 47 Rn. 7; H. D. Jarass/B. Pieroth (Hrsg.), Grundgesetz, 14. Aufl.

C. Lösungsvorschlag

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nen oder von ihm weitergegebenen Informationen müssen im Gegensatz zum Bereich sonstiger politischer Betätigung einen „‚amtlichen‘ Charakter haben“123 und sich damit in seinem Fall auf die parlamentarische Arbeit, auf seine formale Repräsentationsaufgabe, beziehen. Ein spezifischer Bezug zur Amtswalterstellung könnte etwa dadurch hergestellt werden, dass der Abgeordnete das eigene parlamentarische Abstimmungs- oder Redeverhalten rechtfertigt. Im außerparlamentarischen Bereich spricht dabei eine erste Vermutung gegen ein solches Auftreten in der „Eigenschaft als Abgeordneter“, verstanden als Auftreten mit Amtscharakter124. Denn zum einen wird der Abgeordnete durch die Bevölkerung im Rahmen von außerparlamentarischen Auftritten tendenziell eher als Parteipolitiker wahrgenommen als in seiner Abgeordnetenposition: Es geht es auch in Talkrunden oder Interviews zumeist mehr um die Linie einer bestimmten Partei als um das innerparlamentarische Verhalten. Dies mag mitunter darauf zurückzuführen sein, dass dem Abgeordneten durch das Grundgesetz gerade ein bestimmtes Forum, der Bundestag, zur innerparlamentarischen Entäußerung seiner Ansichten zugewiesen ist, als amtlich also vorrangig die dort getroffenen Äußerungen wahrgenommen werden. Ferner ist die Abgeordnetenstellung im Gegensatz zu derjenigen der Bundesregierung eine allein schon unter numerischen Gesichtspunkten weniger exponierte Position. Dritte assoziieren mit seinem Auftreten nicht automatisch seine Abgeordnetenstellung, jedenfalls dann nicht, wenn der Abgeordnete daneben etwa eine herausragende Positionen in der Partei bekleidet. Wird das amtliche Auftreten verneint, tritt in diesen Fällen neben den grundrechtlichen Schutz als Glied der Volkswillensbildung ein weiterer Schutz durch die Gewährleistung des freien Mandats nach im Folgenden zu erörternden Grundsätzen. Der materielle Repräsentationsgedanke ist hier im Kern betroffen. b) Zusätzlicher Schutz durch Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG für die gesamte politische Betätigung im Sinne materieller Repräsentation Politisches Engagement wird der Abgeordnete nicht nur vor seiner Wahl zum Volksvertreter verfolgt haben oder gegebenenfalls auch im Anschluss an seine Amtszeit weiterführen. Die fortdauernde Verbindung des Abgeordneten zum Volk ist vielmehr auch während der Zeit seiner Mandatsausübung unverzichtbar: „Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG liegt das Bild eines Abgeordneten zugrunde, der im Parlament durch Plenar- und Ausschusssitzungen, in der Fraktion und Partei durch Sitzungen und inhaltliche Arbeit sowie im Wahlkreis und der sonstigen Öffentlichkeit durch Veranstaltungen

2016, Art. 47 Rn. 2; D. Wiefelspütz, Zeugnisverweigerungsrecht und Beschlagnahmeverbot, in: Morlok/Schliesky/ders., Parlamentsrecht (Fn. 68), § 14 Rn. 8 – a. A.: H. Neumann, in: ZParl. 31 (2000), S. 797 (798 f.): „auch alle parteibezogenen Tätigkeiten“. 123 Schneider (Fn. 121), Art. 47 Rn. 5. 124 Vitzthum (Fn. 3), § 48 Rn. 49, 75; ebenso v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn. 20), S. 456.

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5. Kap.: Zuordnung von freiem Mandat und Grundrechten 

der verschiedensten Art, nicht zuletzt durch Wahlvorbereitungen und Wahlversammlungen in Anspruch genommen wird“125.

Die Rückbindung an das Volk, d. h. die fortlaufende Kommunikationsbeziehung zwischen Volk und Volksvertreter, ist essentielles Merkmal des materiellen Repräsentationsverständnisses126. Dabei geht seine Betätigung in diesen Sektoren nicht zwingend mit der Inanspruchnahme seiner Amtsautorität einher127: Der Abgeordnete soll sich nicht auf die Aufgabe staatlicher Willensbildung, d. h. der parlamentarischen Arbeit, zurückziehen, sondern sich stets selbst am Prozess der Volkswillensbildung beteiligen. In der Entscheidung zu der Abgeordnetenbeobachtung Ramelows hat das Bundesverfassungsgericht demnach konsequent ausgeführt, Art.  38 Abs.  1 S.  2 GG fordere den Abgeordneten „als ganzen Menschen“ und schütze damit auch sein gesamtes Verhalten als politisch handelnde Privatperson128. Dabei geht es bewusst in seiner Interpretation des freien Mandats über das von Art. 47 GG geschützte Vertrauensverhältnis hinaus129, d. h. nimmt auch diejenigen Fälle hinzu, in denen dem Abgeordneten gerade nicht mit Blick auf seine Amtsstellung Informationen zugehen bzw. von ihm abgegeben werden, sondern in denen er ohne Rücksicht auf seine amtliche Funktion am politischen Willensbildungsprozess der Gesellschaft mitwirkt. Die „Scharnierfunktion“ des Abgeordneten setzt Engagement auch als politisch handelnde Privatperson im Sinne seiner eigenen Mitwirkung an der Volkswillensbildung voraus, um die hieraus gewonnen Erkenntnisse in die Staatswillensbildung einfließen zu lassen. Sein Mandat erfordert im Sinne materieller Repräsentation also zum einen das Auftreten „in Ausübung“ des Abgeordnetenamtes, zum anderen die außerparlamentarische eigene Partizipation an der Volkswillensbildung, wie sie jedermann gewährleistet ist. Wendet man die oben genannte Abgrenzungsformel zur Zuordnung zum Staatsbereich i. S. d. Art. 1 Abs. 3 GG an, muss für das politische Tätigwerden außerhalb der Amtswahrnehmung dogmatisch zwingend der Grundrechtsschutz bejaht werden130: Das Eintreten für eine bestimmte Position im Ortsverband einer Partei etwa ist durch das Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit geschützt. Dass hier folgerichtig eine große Schnittmenge von Verhaltensweisen augenscheinlich

125

BVerfGE 134, 141 (173 f., Rn. 96); s. auch schon BVerfGE 40, 296 (312). S. oben 4. Kap. B. I. (S. 164 ff.). 127 S. auch Klein, Indemnität (Fn.  78), § 17 Rn.  34: „Äußerungen an anderen als den vorbezeichneten Stellen, etwa in Parteigremien, auf Wahlversammlungen oder bei Gelegenheit von Interviews, gehören zwar ebenfalls zu den Aufgaben eines Abgeordneten. Er übt jedoch keine Befugnisse aus, die ihm aus seinem ‚Amt‘ (Art. 48 Abs. 2 GG), dem Mandat, erwachsen.“ 128 S. hierzu ausführlich oben 2. Kap. A. III. (S. 58 ff.); zustimmend A. Ingold, in: JöR N. F. 64 (2016), S. 43 (76 ff.). 129 BVerfGE 134, 141 (174, Rn. 97). 130 Zu dieser im Allgemeinen selbstverständlichen Aussage s. Vitzthum (Fn. 3), § 48 Rn. 64 sowie A. Ingold, in: JöR N. F. 64 (2016), S. 43 (69). 126

C. Lösungsvorschlag

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zugleich der Freiheit des Mandats und den Grundrechten unterfällt131, liegt auf der Hand und ist vor dem Hintergrund des materiellen Repräsentationsverständnisses und seiner Brückenfunktion zwischen Staat und Gesellschaft nur konsequent. Entscheidende Frage aber ist, wie weit der konkrete Schutz des freien Mandats im Rahmen der politischen Betätigung reichen kann. Nicht zulässig ist es nach hier vertretener Ansicht, den Inhalt der politischen Betätigung der Freiheit des Mandats zu unterstellen. Denn als Akteur der Volkswillensbildung ist der Abgeordnete wie jedermann gerade nicht verpflichtet, das Wohl aller Bürger im Blick zu haben, er ist keinem „Amts-“, sondern nur seinem persönlichen Gewissen unterworfen. Die Willensbildung des Volkes vollzieht sich gerade „frei, offen und unreglementiert“ und damit losgelöst von etwaigen staatlichen Vorgaben, eben „staatsfrei“132. Da die Vorschrift des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG ihm aber keine zusätzlichen Freiheitsentfaltungsmöglichkeiten gegenüber dem Normalbürger eröffnen, sondern einzig seine politische Betätigung als „jedermann“ vor staatlicher Beeinträchtigung abschirmen soll133, kann der Schutz der Gewährleistungen nicht vollkommen deckungsgleich sein. Stattdessen sollte der Schutz des freien Mandats hier nur soweit gespannt werden, wie das politische Engagement bzw. die Kommunikations­ beziehung zum Volk als solche in Frage steht, der stetige Austausch zwischen Mandatar und Bürger an sich betroffen und vor staatlicher Einflussnahme (etwa durch Beobachtung) zu bewahren ist. Dass sich der Abgeordnete in die Volkswillensbildung einbringt („Ob“), wird von der Gewährleistung erfasst, nicht hingegen das „Wie“. Andernfalls wäre Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG dem Abgeordneten wie ein zusätzliches Grundrecht gewährleistet134. Hier schlägt sich erneut die zweiseitige Rechtsnatur des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG nieder: Wie auch die (sonstigen) Abgeordnetenrechte i. S. d. Art.  46 ff.  GG die Person des Abgeordneten im Blick haben und ihm um des Amtes willen persönliche Schutzrechte gewähren – das freie Mandat also ergänzen135 –, enthält auch die Grundvorschrift Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG eine solche personale, subjektivrechtliche Komponente136. Wenn das persönliche Engagement des Mandatsträgers „als politisch handelnde Privatperson“ von der Freiheit des Mandats erfasst wird, um den ständigen Dialog von Mandatar und Wählerschaft zu gewährleisten, findet sich auch hier eine Anknüpfung an die Person des Mandatsträgers und nicht an das abstrakte Amt.

131 Für eine umfassende Interpretation des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG auf die politische Unab­­ hängigkeit und politische Betätigung auch A. Ingold, in JöR N. F. 64 (2016), S. 43 (76 ff.). 132 BVerfGE 20, 56 (98 f.). 133 S. BVerfGE 134, 141 (174, Rn. 97). 134 S. aber Jarass/Pieroth, GG (Fn. 122), Art. 38 Rn. 43. 135 S. oben 3. Kap. A. II. (S. 78 ff.). 136 Vgl. auch A. Ingold, in: JöR N. F. 64 (2016), S. 43 (78); s. zur Rechtsqualität des Art. 38 Abs. 1 S.  2  GG als subjektives Recht resp. Individualrecht schon oben 3. Kap. A. III. 2. (S.  82 ff.).

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5. Kap.: Zuordnung von freiem Mandat und Grundrechten  01_Abb_Gausing.pdf 1 04.04.2018 14:38:42

Zur Veranschaulichung das folgende Schaubild: Formale Repräsentation bzw. Staatswillensbildung

Volkswillensbildung

Mandat des Volksvertreters

Anwendungsbereich der Grundrechte Anwendungsbereich des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG

Materielle Repräsentation (bestehend aus amtlichen Auftritten und Auftritten losgelöst von der Amtsausübung)

Erläuterung: Der linke (graue) Kreis stellt die Volkswillensbildung dar, der rechte (karierte) Kreis den Wirkungsbereich des Abgeordnetenmandats. Der Wirkungsbereich des Abgeordneten wird durch eine Linie in zwei Hälften geteilt: Die rechte Hälfte bildet seine Partizipation an der Staatswillensbildung, d. h. seine formale Repräsentationsaufgabe, ab. Die linke Hälfte gibt seine materielle Repräsentationsaufgabe wieder. Beide Hälften des Kreises sind vollständig kariert unterlegt, d. h. Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG umfasst seine gesamte Repräsentationsaufgabe. Die linke Kreishälfte wiederum ist teils nur kariert (hier sind amtliche Auftritte im außerparlamentarischen Bereich gemeint), teils zusätzlich grau unterlegt, d. h. gleichzeitigem Schutz der Grundrechte unterstellt: Doppelten Schutz erfährt damit der gesamte Bereich der politischen Betätigung des Abgeordneten, der außerhalb amtlichen Auftretens steht, dennoch aber zu seiner materiellen Repräsentationsaufgabe gehört.

II. Ausgestaltung der persönlichen Rechtsstellung des Mandatsträgers im Übrigen – Berücksichtigung der gesellschaftlichen Verwurzelung Außerhalb des Politischen und damit im (reinen) Privatbereich des Bundestagsabgeordneten sind die Grundrechte voll anwendbar: Es findet keine Begrenzung der grundrechtlichen Schutzbereiche statt, die Lösung erfolgt auf Rechtfertigungs-

C. Lösungsvorschlag

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ebene. Dieser Bereich unterscheidet sich mit Blick auf die Grundrechtsgeltung grundsätzlich nicht von demjenigen jedes anderen Bürgers: Der Staat ist hier an die Grundrechte auch gegenüber seinen Funktionsträgern gebunden, eine diesbezügliche Bereichsausnahme gibt es nicht, Art. 1 Abs. 3 GG137. Die Grundrechte sind allerdings durch die Erfordernisse des Abgeordnetenamtes einschränkbar. Diesbezüglich wurde aber ebenso festgestellt, dass die „gesellschaftliche Verwurzelung“ des Abgeordneten, d. h. seine unbescholtene Freiheitsentfaltung im Privaten, von Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG selbst als positiv eingeordnet wird138. Die „gesellschaftliche Verwurzelung“ stellt damit eine – freilich widerlegbare – Vermutung gegen die Zulässigkeit derartiger Beschränkungen im Rahmen der grundrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung dar.

III. Sonderproblem: Beschränkung der Grundrechte einzig durch formelles Gesetz oder auch durch Geschäftsordnung? Sobald durch die mandatsbezogene Maßnahme Grundrechte beschränkt werden, stellt sich die Frage, welche Anforderungen an die Normqualität dieser Maßnahme zu stellen sind. Denn soweit die Maßnahme (auch) einen grundrechtlichen Eingriff bewirkt, muss sie nach dem Vorbehalt des Gesetzes139 bzw. der Wesentlichkeitslehre140 grundsätzlich durch oder aufgrund formellen Gesetzes erfolgen. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung bei Wesentlichkeit eines Eingriffs in Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG auf das freie Mandat übertragen141 und auch Ausgestaltungen der Abgeordnetenrechtsstellung bedürfen schließlich nach Art. 38 Abs. 3 GG eines formellen Gesetzes. Der Bundestag kann sich nach Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG aber jedenfalls zur Regelung interner Angelegenheiten eine Geschäftsordnung geben142. Innerparlamentarisch werden damit die Voraussetzungen für die Mandatsausübung grundsätzlich ohne formelles Gesetz geregelt.

137

S. ausführlich die Erläuterungen in 3. Kap. B. II. (S. 93 ff.). S. oben 4. Kap. B. IV. (S. 180 ff.). 139 Zum Vorbehalt des Gesetzes s. C. Hillgruber, Grundrechtsschranken, in: Isensee/Kirchhof, HStR IX (Fn. 45), § 201 Rn. 27 ff. 140 Dass der Gesetzgeber nach der Wesentlichkeitslehre „in grundlegenden, normativen Bereichen, zumal im Bereich der Grundrechtsausübung […] alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen“ verpflichtet ist, gilt nicht nur gegenüber der Verwaltung im eigentlichen Sinne, sondern muss dem Sinn und Zweck nach auch für die etwaige Regelung grundrechtsrelevanten Verhaltens im parlamentsinternen Bereich gelten; s. allgemein zur Wesentlichkeitslehre BVerfGE 49, 89 (126); 61, 260 (275); 88, 103 (116); ähnlich schon E 34, 165 (192 f.) sowie T. Kingreen/R. Poscher, Grundrechte Staatsrecht II, 32. Aufl. 2016, Rn. 282 ff. 141 BVerfGE 134, 141 (184 f., Rn. 126 ff.); dabei stellt Art. 38 Abs. 3 GG keinen einfachen Gesetzesvorbehalt dar, 3.  Kap. B. II. 2. b) (S. 101 f.). 142 Sog. Parlamentsautonomie, s. hierzu J. Pietzcker, Schichten des Parlamentsrechts, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht (Fn. 59), § 10 Rn. 3 ff. 138

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5. Kap.: Zuordnung von freiem Mandat und Grundrechten 

Regelungsgegenstand der Geschäftsordnung sind das Verfahren des Bundestags143, traditionell der Geschäftsgang144 und die Disziplin im Parlament145. Die Regelungen146 der Geschäftsordnung haben notwendigerweise oft auch die Beschränkung der Abgeordnetenrechte im innerparlamentarischen Bereich zur Folge147. Uneinigkeit besteht über das Rangverhältnis von Geschäftsordnung und Gesetzen148, die insbesondere daher rührt, dass der Bundestag die Regelungen in beiden Fällen selbst erlässt149. Dass sowohl nach Art.  40 Abs.  2 S.  1  GG als auch nach Art. 77 Abs. 1 S. 1 GG die Gesetze unabhängig von einer Beteiligung anderer Staatsorgane einzig vom Bundestag beschlossen werden, dieser daher Urheber beider Rechtssätze ist, legt den Gedanken nahe, dass auch im Falle der normativen (Mit-)Betroffenheit von Grundrechten im Einzelfall eine Regelung im Rahmen der Geschäftsordnung zulässig, und damit ein grundsätzlich erforderliches formelles Gesetz ausnahmsweise entbehrlich wäre150. Es könnte argumentiert werden, dass zwischen dem Bundestag als Einheit, die sich selbst organisiert, und dem Bundestag als Gesetzgebungsorgan, das im formellen Verfahren tätig wird, allenfalls formal ein Unterschied besteht. Der Problemkreis der Mitbetroffenheit von Grundrechten durch die Geschäftsordnung wird selten diskutiert,151 was mitunter daher rühren mag, dass zunächst die unliebsamste aller Hürden genommen werden muss, nämlich eine Abgrenzung, wann der innerorganisatorische Bereich zugunsten der grundrechtlichen Sphäre überschritten sein soll. 143

M. Morlok, in: Dreier, Grundgesetz II (Fn. 58), Art. 40 Rn. 6. BVerfGE 44, 308 (314 f.); 80, 188 (218 f.); Morlok (Fn. 143), Art. 40 Rn. 6. 145 BVerfGE 44, 308 (314 f.); 80, 188 (218 f.); Jarass/Pieroth, GG (Fn. 122), Art. 40 Rn. 10, 15; Morlok (Fn. 143), Art. 40 Rn. 6; H. Winkelmann, in: ders. (Hrsg.), Handbuch für die parlamentarische Praxis: mit Kommentar zur Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages, Vorbem. §§ 36–41 (2011), Erl. 1. b). 146 Zum Streit um die Rechtsnatur der Geschäftsordnung siehe G. Kretschmer, Geschäftsordnungen deutscher Volksvertretungen, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht (Fn.  59), § 9 Rn. 43 ff.; Pietzcker (Fn. 142), § 10 Rn. 40; Winkelmann (Fn. 145), Einl. (2003) Erl. 2.; umfassend auch K. F. Arndt, Parlamentarische Geschäftsordnungsautonomie und autonomes Parlamentsrecht, 1966, S. 136 ff. 147 BVerfGE 80, 188 (219); 84, 304 (321); 96, 264 (278). 148 Für eine Nachrangigkeit der Geschäftsordnung Winkelmann (Fn. 145), Einl. Erl. 3; L.-A. Versteyl, in: v. Münch/Kunig, Grundgesetz (Fn. 61), Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 40 Rn. 18; Jarass/ Pieroth (Fn. 145), Art. 40 Rn. 8; Morlok (Fn. 143), Art. 40 Rn. 17; Pietzcker (Fn. 142), § 10 Rn. 41 – hingegen für eine Gleichrangigkeit von Geschäftsordnung und Gesetz aufgrund Identität des Normgebers ähnlich N. Achterberg/M. Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz II (Fn. 122), Art. 40 Rn. 40; L. Brocker, in: Epping/Hillgruber, Grundgesetz (Fn.122), Art.  40 Rn.  34; Einordnung als Kompetenzproblem anstatt als Rangproblem K. Kluth, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, Grundgesetz (Fn. 121), Art. 40 Rn. 43. 149 Vgl. Kluth (Fn. 148), Art. 40 Rn. 43 m. w. N. 150 So etwa Morlok (Fn. 58), Art. 38 Rn. 159; ebenso H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz (Fn. 4), Art. 40 (2007) Rn. 51 ff. 151 S. z. B. H. Jacobs, in: DÖV 2016, S. 563 (564), der die innerparlamentarische Mitbetroffenheit von Grundrechten zwar anreißt, sich im Folgenden aber auf die (Nicht-)Anwendbarkeit der Meinungsäußerungsfreiheit bei Wahrnehmung des parlamentarischen Rederechts beschränkt. 144

C. Lösungsvorschlag

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Der Geschäftsordnung wird vermehrt rein innenrechtliche Wirkung152 attestiert. Dies lässt sich anhand der fehlenden Bindungswirkung gegenüber Zuhörern im Parlamentsgebäude sowie gegenüber nichtparlamentarischen Sitzungsteilnehmern illustrieren: Im Rahmen der Sitzungen unterstehen Zuhörer gem. § 41 Abs. 1 GOBT auch den geschäftsordnungsrechtlichen Ordnungsmaßnahmen. Nach überwiegender Ansicht ist diese Ordnungsgewalt gegenüber dem Bürger dabei allerdings nicht auf die Geschäftsordnungsautonomie des Bundestages zurückzuführen, sondern auf das Hausrecht153 i. S. d. Art. 40 Abs. 2 S. 1 GG154. Ferner entfaltet die Geschäftsordnung in eng begrenztem Rahmen zwar Wirkung gegenüber nicht-parlamentarischen Sitzungsteilnehmern, allerdings nur insoweit, wie sie in funktionaler Hinsicht an der Arbeit des Bundestages mitwirken155. Für den Parlamentarier selbst wird ebenfalls in diesem Sinne unterschieden, ob er als Parlamentsabgeordneter, als sonstiger Sitzungsteilnehmer oder als Zuhörer anwesend ist156; insoweit wird also bezüglich seiner Person bereits eine Rollendifferenzierung vorgenommen. 1. Innerparlamentarisches, potentiell grundrechtsrelevantes Verhalten Die Problematik einer (Mit-)Betroffenheit von Grundrechten durch geschäftsordnungsrechtliche Maßnahmen – ggf. neben einer Betroffenheit des freien Mandats – stellt sich daher einerseits für die Regelung innerparlamentarischen grund 152

Einordnung als „Innenrecht“ bei T. I. Schmidt, in: AöR 128 (2003), S. 608 (613); zustimmend Kluth (Fn. 148), Art. 40 Rn. 41; ebenso N. Achterberg, Grundzüge des Parlamentsrechts, 1971, S. 49; ders., Parlamentsrecht (Fn. 72), S. 322; ders./Schulte (Fn. 148), Art. 40 Rn. 41; Morlok (Fn. 143), Art. 40 Rn. 12; Brocker (Fn. 148), Art. 40 Rn. 29; S. Magiera, in: Sachs, Grundgesetz (Fn.  8), Art.  40 Rn.  22; der Sache nach auch Jarass/Pieroth (Fn.  145), Art.  40 Rn. 9; T. du Mesnil de Rochemont/M. W. Müller, in: JuS 2016, S. 504 (505); – kritisch zu einer Qualifikation als Innenrecht dagegen T. Schwerin, Der Deutsche Bundestag als Geschäftsordnungsgeber, 1998, S. 75 f., da vereinzelt auch Dritte durch die GOBT gebunden werden. 153 S. zur strittigen Rechtsnatur des Hausrechts ausführlich Klein (Fn. 150), Art. 40 Rn. 138 ff. 154 Arndt, Geschäftsordnungsautonomie (Fn. 146), S. 117; H.-A. Roll, Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages, Kommentar, 2001, § 41 Rn. 2; L. Brocker, in: W. Kahl/C. Waldhoff/ C. Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 40 (2011), Rn. 138; J. Bücker, Das parlamentarische Ordnungsrecht, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht (Fn. 59), § 34 Rn. 4 f.; ebenso Klein (Fn. 150), Art. 40 Rn. 70 sowie Magiera (Fn. 152), Art. 40 Rn. 31; Jarass/Pieroth (Fn. 145), Art. 40 Rn. 9, 15; – a. A. hingegen bei Schwerin, Geschäftsordnungsgeber (Fn. 152), S. 80 f.; V. Haug, Bindungsprobleme und Rechtsnatur parlamentarischer Geschäftsordnungen, 1994, S. 112 f. mit dem Argument, dass die Vermeidung von Sitzungsstörungen ureigene Aufgabe der Geschäftsordnung und nicht des Hausrechts ist; Morlok nimmt eine konkludente Anerkennung der GOBT durch die Teilnahme der Zuhörer an den Sitzungen an, s. Morlok (Fn. 143), Art. 40 Rn. 13; hingegen zu einer Bindung der Zuhörer an das Ordnungsrecht kraft Verfassungsgewohnheitsrechts K.-H. Rothaug, Die Leitungskompetenz des Bundestagspräsidenten, 1979, S. 62 f.; s. auch Winkelmann (Fn. 145), Vorbem. §§ 36–41 (2001) Erl. 2 b) m. w. N. 155 Vgl. T. I. Schmidt, in: AöR 128 (2003), S.  608 (616); Kluth (Fn.  148), Art.  40 Rn.  40;­ Pietzcker (Fn. 142), § 10 Rn. 22 ff. 156 Bücker (Fn. 154), § 34 Rn. 5, 48.l,

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5. Kap.: Zuordnung von freiem Mandat und Grundrechten 

rechtsrelevanten Verhaltens der Mandatsträger157: Immer wieder werden etwa Kleidungsfragen im Bundestag virulent. Als Einfallstor für die ordnungsrechtliche Ahndung von störenden Verhaltensweisen fungiert im geltenden Recht die Ordnung oder die sog. Würde des Bundestages158, zu deren Schutz der Sitzungspräsident einschreiten kann, vgl. §§ 44a Abs. 5 Abs. 1 S. 1 und 3 AbgG, 7 Abs. 1 S. 2, 36 Abs. 1 S. 2, 37 S. 1, 38 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 GOBT. Ebenso rekurriert § 4 Abs. 1 S. 2 der Hausordnung des Deutschen Bundestages auf die Würde des Hauses159; die Hausordnung soll nach umstrittener Ansicht auch für Abgeordnete in allen ihr unterstehenden Räumlichkeiten gelten, sofern nicht der Anwendungsbereich der Disziplinarmaßnahmen denjenigen des Hausrechts verdrängt160. Obwohl reine Kleidungsfragen vorbehaltlich allgemeiner Regeln des Anstands ausdrücklich vom Anwendungsbereich dieser Vorschriften ausgeschlossen worden sind161, ist die Würde des Bundestags dennoch vereinzelt zur Grundlage von Kleidungsrügen geworden162. Die Würde des Bundestags soll zum einen aktiviert werden können für „das Hochhalten von Transparenten, das Tragen von Ansteckplaketten je nach Gegebenheiten und Inhalten oder sonstiges provokatives Verhalten“163, wobei hier im Einzelfall sehr genau abzugrenzen ist, ob für das entsprechende Verhalten amtliche Autorität in Anspruch genommen wird oder es sich um amtsbegleitendes Verhalten handelt. Ferner ist erwogen worden, die Würde des Bundestags für das Schlafen im Plenarsaal sowie das Rauchen, Essen, Kaugummi­

157 S. die zahlreichen Beispiele, bei denen die Verwaltungsgerichte eine Beeinträchtigung der Grundrechte im Innenbereich des Stadt-/Kreistages bejaht haben, unter 1. Kap. B. (S. 30 ff.). 158 Zur Würde des Hauses mit zahlreichen Beispielen zu möglichen Verletzungen verbaler Natur sowie zu Modefragen, s. G. Weng, in: ZParl. 17 (1986), S.  248 (248 ff.); zur Unbestimmtheit des Begriffs mit dementsprechenden verfassungsrechtlichen Bedenken s. A. Ingold/ S.-C. Lenski, in: JZ 2012, S. 120 (122 f.) – dagegen Winkelmann (Fn. 145), Vorbem. §§ 36–41 (2001) Erl. 1. d). 159 Zur Einschätzung des Bundestagspräsidenten, dass ein Hemd eines Besuchers mit der Aufschrift „Make Love Not War“ die Würde des Bundestags i. S. d. Hausordnung verletze, N. N., in: ZRP 2009, S. 192. 160 Zur Abgrenzungsproblematik von Ordnungs- und Hausrecht wie hier Rothaug, Leitungskompetenz (Fn. 154), S. 64 m. w. N.; ebenso Winkelmann (Fn. 145), Vorbem. §§ 36–41 (2011) Erl. 6 b); Klein (Fn. 150), Art. 40 Rn. 158 Fn. 1, Rn. 164; – a. A. bei Brocker (Fn. 154), Art. 40 Rn.  248: keine Anwendung des Hausrechts gegenüber Abgeordneten als „Organisationsmitgliedern“. 161 Für § 36 GOBT BT-Drs. 17/6309, S. 6 sowie für § 44a Abs. 5 1 AbgG BT-Drs. 17/5471, S. 3 f. 162 Bspw. erging ein Sitzungsausschluss gegenüber einigen Parlamentariern der Fraktion „DIE LINKE“ wegen des Tragens von T-Shirts im Protest gegen Stuttgart 21, s. das Plenarprotokoll des Bundestages 17/60, S. 6267 (6285); in derselben Sitzung artikulierte sich die Abgeordnete Sabine Leidig am Rednerpult mit einem Schild, s. S. 6267 (6285). 163 Für § 36 GOBT BT-Drs. 17/6309, S.  6 sowie für § 44a AbgG BT-Drs. 17/5471, S.  4; s. insbesondere für den Sitzungsausschluss aufgrund der Protestaktion durch Spruchbänder der Fraktion „DIE LINKE“ bei der Debatte um das Afghanistan-Mandat das Plenarprotokoll des Bundestags 17/25, S. 2181 (2186 f.).

C. Lösungsvorschlag

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kauen oder das Aufstellen von Pflanzen und Blumen zu mobilisieren164. Als weitere Anwendungsfälle der Disziplinarmaßnahmen i. S. d. §§ 36 ff. GOBT werden das Telefonieren mit Handys und die Verwendung von Laptops, ehrverletzende Äußerungen von Parlamentariern, das Entstehen von allgemeiner Unruhe und das Zuwiderhandeln gegen allgemeine Anstandsformen gehandelt165  – typische Anwendungsbeispiele amtsbegleitenden Handelns, das von den Grundrechten erfasst wird. Dabei stellt sich das vorliegende Problemfeld der (Mit)betroffenheit von Grundrechten nicht nur bei direkten Verboten dieser Verhaltensweisen. Vielmehr betrifft sie gerade auch indirekte Verbote etwa im Sinne von parlamentarischen Ordnungsmaßnahmen auf Grundlage der GOBT166, die das Parlamentsmitglied von der entsprechenden Verhaltensweise Abstand nehmen lassen – so jedenfalls, wenn man wie für die Grundrechtsprüfung üblich167 auch auf das mittelbar beeinträchtigte Verhalten und nicht allein auf die Primärbeeinträchtigung abstellt168. Denn die Disziplinarmaßnahmen i.R.d. §§ 36 ff. GOBT zielen primär nur auf die parlamentarischen Mitgliedschaftsrechte ab, mögen aber trotzdem in intendierter Weise auch das vermeintlich grundrechtlich geschützte Verhalten verkürzen, indem dessen Ausübung mittelbar ausgeschlossen wird. Es ist dann die Frage zu beantworten, ob die Geschäftsordnungsautonomie i. S. d. Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG die Beschränkung von solch amtsbegleitendem Verhalten deckt und damit kein formelles Gesetz erforderlich wird.

164 Siehe den Fragebogen an deutsche und österreichische Parlamentspräsidenten 1985 bei G. Weng, in: ZParl. 17 (1986), S. 248 (261). 165 Winkelmann (Fn. 145), Vorbem. §§ 36–41 (2011) Erl. 1. c) aa), bb), gg), ii) sowie die Beispiele in § 36 (2011) Anh. 166 Dabei ist erst mit der Änderung des AbgG 2011 dem § 44a AbgG ein Abs.  5 hinzugefügt worden, nach dem wegen einer nicht nur geringfügigen Verletzung der Ordnung oder der Würde des Bundestages bei dessen Sitzungen der Präsident gegen ein Mitglied des Bundestages ein Ordnungsgeld festsetzen, bei gröblicher Verletzung der Ordnung oder der Würde des Bundestages das Mitglied für die Dauer der Sitzung aus dem Saal verwiesen und bis zu 30 Sitzungstage von der Teilnahme an Sitzungen des Bundestages und seiner Gremien ausgeschlossen werden kann; die Verortung des Ordnungsgeldes im formellen Gesetz ist konsequent, da seine Festsetzung aus dem privaten Vermögen des Abgeordneten zu bestreiten ist, s. BT Drucks 17/5471, S. 1 ff.; ebenso A. Ingold/S.-C. Lenski, in: JZ 2012, S. 120 (121, 125); die Nennung des Sitzungsausschlusses i.R.d § 44a Abs. 5 S. 3 erfolgt dagegen nur „[z]ur Klarstellung“ und ist „unter den bisherigen Voraussetzungen des § 38 GO-BT“ möglich, s. BT Drucks 17/5471, S. 4. 167 So jedenfalls nach dem modernen Eingriffsbegriff, vgl. Kingreen/Poscher, Grundrechte (Fn.  140), Rn.  261; umfassend F.-J. Peine, Der Grundrechtseingriff, in: Merten/ders., HGR (Fn. 3), Bd. III, 2009, § 57 Rn. 20 ff.; anders das BVerfG zum Eingriffsbegriff bei staatlichem Informationshandeln, BVerfGE 105, 252 (273), indem es ein „funktionales Äquivalent“ des klassischen Eingriffs fordert. 168 S. zu solchen Konstellationen auch Ziegler, Ratsmitglied (Fn. 4), S. 133; tendenziell gegen eine Berücksichtigung der faktischen Auswirkungen einer Regelung anstelle der rechtlich intendierten O. Piechaczek, Lobbyismus im Deutschen Bundestag, 2014, S. 188; s. auch Jarass/ Pieroth, GG (Fn. 122), Vorb. vor Art. 1 Rn. 30, der für Maßnahmen staatlicher Einrichtungen auf den Schwerpunkt abstellen will.

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5. Kap.: Zuordnung von freiem Mandat und Grundrechten 

2. Außerparlamentarisches, potentiell grundrechtsrelevantes Verhalten Virulent wird diese Problematik andererseits für die Regelung des außerparlamentarischen Verhaltens der Abgeordneten durch die Geschäftsordnung169; sie wurde insb. für die bereits mehrfach erwähnten Verhaltensregeln für Mitglieder des Deutschen Bundestags diskutiert, s. §§ 44b AbgG, 18 GOBT, Anl. 1 GOBT bzw. deren Vorgängervorschriften170. Die Verhaltensregeln sind aufgrund der ihnen zugrunde liegenden merkwürdig anmutenden Konstruktion als „Unikum“ bezeichnet worden171: Während in § 44a AbgG einige wesentliche Vorgaben für die Annahme von Zuwendungen sowie die Anzeige und Offenlegung von Nebentätigkeiten und -einkünften getroffen werden und § 44b S.  1 AbgG die gesetzliche Grundlage zur Schaffung der Verhaltensregeln beinhaltet, ermächtigt und verpflichtet172 die letztere Vorschrift zugleich den Bundestag zur ausführlichen Ausgestaltung der Verhaltensregeln. Es handelt sich also um eine gesetzliche Ermächtigung an den Geschäftsordnunggeber zur Konkretisierung der Verhaltenspflichten außerhalb des eigentlichen Gesetzgebungsverfahrens173. Diese seit 1980 bestehende Konstruktion wurde auch bei weiteren Verschärfungen beibehalten, § 44a AbgG (§ 44b AbgG n. F.) lediglich weiter konkretisiert und durch § 44a AbgG n. F. ergänzt174. Da die Verhaltensregeln nach § 18 GOBT zu den Bestandteilen der Geschäftsordnung zählen, aber das außerparlamentarische Verhalten der Abgeordneten zum Gegenstand haben und damit die rein inneren Parlamentsangelegenheiten überschreiten175, bestand und besteht Streit über ihre genaue rechtliche Qualifizierung176, eng verknüpft mit einem solchen über die Rechtsgrundlage für 169 Ablehnend zu einer Regelung durch Geschäftsordnung H. Troßmann, Parlamentsrecht des Deutschen Bundestages, Kommentar, Hauptbd., 1977, § 22 Rn. 2 ff., in Bezug auf die Schaffung einer parlamentarischen Ehrenordnung, die das außerparlamentarische Verhalten regeln sollte, und auf die 1972 beschlossenen Verhaltensregeln. 170 Zur Entstehungsgeschichte der Verhaltensregeln und ihren jeweiligen Verschärfungen, s. Piechaczek, Lobbyismus (Fn. 168), S. 46 ff.; sowie M. K. Kühn, Verhaltensregeln für Bundestagsabgeordnete, 2011, S. 25 ff. 171 H.-A. Roll, Verhaltensregeln, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht (Fn.  59), § 19 Rn.  21, allerdings noch zu der alten Fassung der Verhaltensregeln bzw. der gesetzlichen Verankerung des § 44a AbgG anstelle des heutigen § 44b AbgG; auf diesen Bezug nehmend Klein (Fn. 150), Art. 40 Rn. 51. 172 Zur Problematik der Verpflichtung des Bundestages zum Erlass solcher Regelungen vor dem Hintergrund der Geschäftsordnungsautonomie s. Klein (Fn. 150), Art. 40 Rn. 52 ff. 173 „Vereinfachtes Verfahren“, s. Roll (Fn. 171), § 19 Rn. 21. 174 S. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, vom 5.12.1986, abgedruckt in BT-Drs. 10/6687; Roll (Fn. 171), § 19 Rn. 4; Kühn, Verhaltensregeln (Fn. 170), S. 32 f. 175 Dagegen das Bundesverfassungsgericht in BVerfGE 118, 277 (359): „Regelungen […], die dem Geschäftsordnungsrecht zumindest nahe stehen, also […] Binnenrecht des Parlaments“; zustimmend Jarass/Pieroth (Fn.  145), Art.  40 Rn.  8; s. auch Roll (Fn.  171), § 19 Rn. 21: „besondere Form des parlamentarischen Innenrechts.“ 176 § 18 GOBT erklärt die Verhaltensregeln zum Bestandteil der Geschäftsordnung, sodass es naheliegt, die Rechtsnatur der Verhaltensregeln ebenso zu behandeln wie die Geschäftsordnung selbst; da aber die Verhaltensregeln gerade den innerparlamentarischen Regelungsbereich

C. Lösungsvorschlag

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ihren Erlass177. Durch die deutlichste Verschärfung 2005 wurden die Verhaltensregeln in § 44a AbgG n. F. auf eine weiter ausbuchstabierte formell-gesetzliche Grundlage gehoben, weshalb die Problematik um den grundrechtlichen Vorbehalt des Gesetzes – bedarf es einer solchen formell-gesetzlichen Grundlage oder sind die Verhaltensregeln auf die verfassungsrechtlich verankerte Parlamentsautonomie rückführbar? – jedenfalls praktisch vergleichsweise entschärft wurde178. 3. Differenzierte Lösung Insoweit sind zwei Positionen denkbar: Auf der einen Seite erschiene es durchaus konsequent, die Beschränkung des geschäftsordnungsrechtlichen Regelungsbereichs auf das parlamentarische „Innenrecht“179 ernstzunehmen und eine Regelung durch Geschäftsordnung nicht mehr genügen zu lassen, wenn materiell-rechtlich das Ergebnis festgestellt wird, dass der Abgeordnete in diesen Fällen nicht mehr (nur) als Organwalter in seiner Beziehung zum Organ Bundestag, sondern (zumindest auch) als Grundrechtsträger angesprochen wird180. Hierfür sprächen insbesondere der aus dem Abschnitt zu Staat und Gesellschaft folgende Rollenwechsel des Abgeordneten auf die geverlassen, wird dies angezweifelt, s. S. Helmes, Spenden an politische Parteien und an Abgeordnete des Deutschen Bundestages, 2014, S. 270; Kühn, Verhaltensregeln (Fn. 170), S. 39 ff., insb. S.  43 ff.; P. Badura, in: Kahl/Waldhoff/Walter, Bonner Kommentar (Fn.  154), Art.  38 (2008), Rn. 66; ähnlich Pietzcker (Fn. 142), § 10 Rn. 21. 177 Die Verhaltensregeln selbst ergehen aufgrund der Ermächtigung in § 44b S.  1 AbgG; die wohl überwiegende Auffassung führt dabei die Verhaltensregeln auf § 44b AbgG (bzw. früher § 44a AbgG) und diesen schließlich auf Art. 38 Abs. 3 GG zurück, s. Roll (Fn. 171), § 19 Rn. 21: „Ausführungsregelung zu Art. 38 Abs. 3 GG“; so auch Kühn, Verhaltensregeln (Fn.  170), S.  64, da Rechte des Abgeordneten außerhalb seines Abgeordnetenstatus berührt seien; ebenso und Helmes, Spenden (Fn. 176), S. 270; gegen eine Regelung aufgrund der Geschäftsordnungsautonomie des Bundestages auch Badura (Fn.  176), Art.  38 Rn.  66 wegen Überschreitung des auf den Innenbereichs des Parlaments bezogenen Regelungsbereichs sowie T. Groß, in: ZRP 2002, S. 472 (472); ähnlich Pietzcker (Fn. 142), § 10 Rn. 21, der eine Regelung in Form des Geschäftsordnungsrechts für „zweifelhaft“ hält und die in Gesetzesform ergangenen Regelungen auf eine Kompetenz aus Art. 38 Abs. 3, 48 Abs. 3 GG zurückführt – andere führen die Verhaltensregeln allein auf die Geschäftsordnungsautonomie zurück, ohne dass es einer formell-gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage bedurft hätte s. Klein (Fn. 150), Art. 40 Rn. 53 sowie ­Morlok (Fn. 58), Art. 38 Rn. 159. 178 So auch Kühn, Verhaltensregeln (Fn.  170), S.  58 ff.; zur Bestimmtheit der gesetzlichen Vorgaben §§ 44a und 44a AbgG, s. S. 65 ff. 179 S. oben Fn. 152. 180 Dafür, dass die Geschäftsordnungsautonomie grds. weder die Grundrechte von Dritten noch diejenigen von Abgeordneten berühren darf, ausdrücklich S. Heck, Mandat und Transparenz, 2014, S. 87 ff. sowie 96 ff.; ebenso L. Münkler, in: Jura 2015, S. 292 (300 f.); A. ­Ingold, in: JöR N. F. 64 (2016), S.  43 (74); ähnlich, wenn auch nicht ausdrücklich auf Parlamentarier bezogen, T. I. Schmidt, in: AöR 128 (2003), S.  608 (616); auf diesen Bezug nehmend Kluth (Fn. 148), Art. 40 Rn. 40; allgemeiner für die Regelung der Beziehung zu Bürgern auch­ Pietzcker (Fn. 142), § 10 Rn. 13.

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5. Kap.: Zuordnung von freiem Mandat und Grundrechten 

sellschaftliche Seite sowie der mit der Beteiligung weiterer Staatsorgane an den betroffenen Regelungen verbundene Schutz seiner Grundrechte. Auch entspräche diese Sichtweise der traditionell gewachsenen Beschränkung der GOBT auf eine sog. innere Geschäftsordnung181, die das  – der äußeren Geschäftsordnung zuzuordnende – Verhältnis zu anderen Staatsorganen sowie zum Bürger gerade außen vorlässt. Auf der anderen Seite könnte man sich auf den Standpunkt stellen, dass die parlamentarische Disziplin182 sowie die Rechtsstellung der Parlamentsmitglieder  – jedenfalls innerhalb des Parlaments183 – als typische Materien184 des Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG durch die Verfassung ausdrücklich dem Regelungsbereich der Geschäftsordnung zugeschrieben werden185 und damit im Hinblick auf grundrechtsrelevantes Verhalten auch eine Ausnahme vom Vorbehalt des Gesetzes verbunden wäre186. So will auch Haug eine Regelungskompetenz im außerparlamentarischen Bereich immer insoweit anerkennen, wie die „Leitfunktion der Geschäftsordnung“ reicht, also die Sicherstellung der Funktionsfähigkeit des Parlaments es erfordert187. Dies liegt zumindest auch vor dem Hintergrund nahe, dass andernfalls der verfassungsrechtlich garantierten Geschäftsordnungsautonomie für Fragen des innerparlamentarischen Verhaltens ein substanzieller Anwendungsbereich genommen 181

Vgl. hierzu Kretschmer (Fn. 146), § 9 Rn. 15 ff. und 41; Pietzcker (Fn. 142), § 10 Rn. 19 f. Die Wahrung der Würde des Hauses zur Gewährleistung eines störungsfreien Sitzungsablaufs ist Gegenstand der Ordnungsgewalt, die sich gegenüber den Bundestagsmitgliedern als Disziplinargewalt darstellt, vgl. Bücker (Fn. 154), § 34 Rn. 2 f. 183 A. Ingold/S.-C. Lenski, in: JZ 2012, S. 120 (121). 184 Vgl. zu den traditionsgebundenen Regelungsbereichen der Geschäftsordnungsautonomie BVerfGE 44, 308 (314 f.); 80, 188 (218 f.); 102, 224 (235 ff.) bzw. die drei Konstruk­tionslinien Kretschmer (Fn. 146), § 9 Rn. 66 ff. sowie Klein (Fn. 150), Art. 40 Rn. 6. 185 BVerfGE 44, 308 (314 f.): „[D]iejenigen Regelungsgegenstände, die herkömmlich – insbesondere mit Rücksicht auf die Rechtslage z. Z. der Weimarer Reichsverfassung – als autonome Geschäftsordnungsangelegenheiten des Parlaments gelten, [werden] prinzipiell auch vom Grundgesetz diesem Bereich zugewiesen“; die Disziplin der Parlamentsmitglieder gehört zu diesen überlieferten Materien, s. auch den ausdrücklichen Wortlaut von Art. 27 S. 2 der Verfassung des Deutschen Reichs vom 16. April 1871: „Er regelt seinen Geschäftsgang und seine Disziplin durch eine Geschäfts-Ordnung […]“; ähnlich auch bereits Art. 78 Abs. 1 S. 2 der Verfassungsurkunde für den preußischen Staat; in Art. 26 S. 2 der Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919 wurde die Disziplin hingegen nicht ausdrücklich aufgeführt, aber dennoch als Geschäftsordnungsmaterie begriffen, s. Arndt, Geschäftsordnungsautonomie (Fn. 146), S. 68 m. w. N.; s. zur Traditionsgebundenheit der GOBT auch Brocker (Fn. 154), Art. 40 Rn. 1 ff. sowie U. Sieberer, in: ZParl. 47 (2016), S. 3 ff.; s. zu dem Verständnis der parlamentarischen Disziplin in der Weimarer Republik auch E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. VI, 1981, S. 362 f. 186 Wegen des Zusammenhangs mit der parlamentarischen Disziplin so jedenfalls Klein (Fn. 150), Art. 40 Rn. 51 ff. für die Verhaltensregeln – a. A. hingegen U. Schlosser, Die Verhaltensregeln für die Mitglieder des Deutschen Bundestages vom 25.6.1980, 1985, S. 6, der einen Regelungszusammenhang der Verhaltensregeln (nach alter Fassung) mit der parlamentarischen Disziplin (verstanden als Gewährleistung von Verfahrensgang und äußerer Ordnung) ablehnt. 187 S. Haug, Bindungsprobleme (Fn. 154), S. 94 ff.; ob hier grundrechtliche Schutzbereiche eröffnet sein sollen, wird allerdings bei dieser Diskussion unterschlagen. 182

C. Lösungsvorschlag

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wäre und, obwohl gerade „Herr im [eigenen] Hause“188, die Miteinbeziehung anderer Staatsorgane an der Entstehung der betreffenden Regelungen unumgänglich wäre. Konsequent zu Ende gedacht wären die Grundrechte damit materiell-rechtlich zwar ausschlaggebend, allerdings käme der Geschäftsordnung die Qualität einer formell zulässigen Schranke zu – der Vorbehalt des Gesetzes wäre als reiner Parlamentsvorbehalt189 zu verstehen. Hier sei für den Parlamentarier, der in seiner Scharnierfunktion in doppelter Hinsicht angesprochen sein kann, folgender Lösungsvorschlag festgehalten: Die Geschäftsordnung des Bundestags als parlamentarisches Innenrecht kann aus soeben genannten Gründen das gesamte innerparlamentarische – womöglich auch grundrechtsrelevante – Verhalten des Abgeordneten regeln. Für solche Angelegenheiten aber, die das außerparlamentarische Verhalten mitregeln bzw. deren Rechtsfolgen sich auf die Privatperson des Abgeordneten außerhalb des Parlaments beziehen190, vermag die Beteiligung weiterer Staatsorgane durch das Initiativrecht der Bundesregierung, die Beteiligung des Bundesrates und die Ausfertigung durch den Bundespräsidenten191 grundsätzlich eine vertiefte Überprüfung womöglich einschneidender Regelungen zu gewährleisten. Hier könnte allenfalls der Zusammenhang mit der Funktionsfähigkeit des Parlaments im weiteren Sinne eine Regelung durch Geschäftsordnung rechtfertigen192; eine solche Argumentation vernachlässigt aber, dass die mandatsbezogenen Regelungen grundsätzlich von der Unterscheidung zwischen parlamentarischem Binnenraum und außerparlamentarischem Bereich geprägt sind: Im Binnenraum müssen Koordination und gleichberechtigte Mitwirkung der einzelnen Parlamentarier an der Willensbildung des Parlaments durch die geschäftsordnungsrechtliche Ausgestaltung der Mitgliedschaftsrechte gewährleistet werden193, der außerparlamentarische Bereich

188 Abw. Meinung zu BVerfGE 70, 324 von Richter E. G. Mahrenholz (BVerfGE 70, 324 [366 ff.; 377]: „Herr im Hause seiner Angelegenheiten“ [Hervorhebung im Original]); auf diesen Bezug nehmend „Herr im eigenen Hause“ Morlok (Fn. 143), Art. 40 Rn. 16. 189 So in Bezug auf die Bindung von Bürgern an die GOBT auch Haug, Bindungsprobleme (Fn. 154), S. 112. 190 S. insoweit die Festsetzung des erwähnten Ordnungsgeldes in § 44a Abs. 4 S. 2, Abs. 5 S. 1, S. 3 AbgG (Fn. 166). 191 Die Beteiligung dieser drei Verfassungsorgane gibt auch Pietzcker (Fn. 142), § 10 Rn. 14 zu bedenken. 192 S. die Argumentation bei Haug, Bindungsprobleme (Fn.  154), S.  99 f., der erneut die „Leitfunktion“ der Geschäftsordnung heranzieht und entsprechende das Privatleben des Abgeordneten (mit)betreffende Regelungen durch die GOBT billigen will, wenn diese „unmittelbar an die Eigenschaft als Mandatsträger angeknüpft werden.“ 193 S. BVerfGE 80, 188 (219); vgl. auch die Definition des „parlamentarischen Innenverhältnisses“ bei Haug, Bindungsprobleme (Fn. 154), S. 97; ebenso G. Roth, in: Umbach/Clemens, Grundgesetz II (Fn. 61), Art. 38 Rn. 114; A. Ingold/S.-C. Lenski, in: JZ 2012, S. 120 (125); s. auch die Unterteilung in Teilhabe- und Freiheitsdimension des Mandats bei A. Ingold, in: JöR N. F. 64 (2016), S. 43 (61 ff.); Kretschmer (Fn. 146), § 9 Rn. 68 ff.; s. im Übrigen schon oben 3.  Kap. A. III. 1. (S. 81 f.).

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5. Kap.: Zuordnung von freiem Mandat und Grundrechten 

ist durch die individuelle Wahrnehmung des freien Mandats gekennzeichnet194 und muss bei wesentlicher Beeinträchtigung des freien Mandats ohnehin durch Gesetz geregelt werden195. Die Regelungsbefugnis des Bundestags als Geschäftsordnunggeber auf das grundrechtsrelevante außerparlamentarische Verhalten auszuweiten, erscheint daher nicht angezeigt, würde hierdurch doch der auf die erste Regelungsgruppe bezogene Kompetenzbereich verlassen196.

IV. Zusammenfassung der denkbaren Fallkonstellationen Die Anwendbarkeit der Grundrechtsgewährleistungen und der Anwendungsbereich des freien Mandats bestimmen sich unabhängig voneinander. Es können sich einmal diejenigen Fallgestaltungen ergeben, in denen nur die Grundrechte oder nur Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG Geltung beanspruchen; ihre Handhabung ist unproblematisch. Weiter kann aber auch das Abgeordnetenamt Freiheitsbeschränkungen legitimieren, mithin eine Kollision von staatsorganisatorischen Erfordernissen mit den grundrechtlichen Gewährleistungen ihres Trägers nach sich ziehen: Zwischen grundrechtlichem und staatsorganisatorischem Regelungsbereich besteht dabei a priori kein Vorrangverhältnis, Art. 79 Abs. 3 GG, sodass sich keiner dieser Bereiche von vornherein gegen den anderen durchsetzt. Schließlich können beide Normkomplexe in die gleiche Richtung zeigen und parallel anwendbar sein. Im Folgenden soll in gebotener Kürze ein Ausblick auf die beiden letzten Konstellationen gegeben werden. 1. Kollision zwischen grundrechtlichen Gewährleistungen und staatsorganisationsrechtlichen Anforderungen Entsprechend den beamtenrechtlichen Feststellungen197 können die Erfordernisse des Abgeordnetenamtes auch Einschränkungen der Grundrechte legitimieren. Es kommt zu einer Kollision von grundrechtlicher Gewährleistung mit staatsorganisationsrechtlichen Anforderungen, die nach dem klassischen Vorgehen der Kollision widerstreitender Verfassungsgüter198 aufzulösen ist, ein Grundrecht also 194 So auch Haug, Bindungsprobleme (Fn. 154), S. 96 ff., der die Unterscheidung selbst vornimmt, aber alle Teilbereiche mandatsbezogenen Handelns sowie den Bereich als „Staatsbürger“ im Rahmen der geschäftsordungsrechtlichen Leitfunktion für gleichermaßen reglementierbar hält. 195 BVerfGE 134, 141 (184 f., Rn. 126 ff.). 196 Im Ergebnis ebenso Schwerin, Geschäftsordungsgeber (Fn. 152), S. 61 f., der den Regelungsbereich des Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG für diese Fälle als verlassen ansieht; ebenso L. Münkler, in: Jura 2015, S. 292 (300 f.): bei grundrechtlicher Betroffenheit gilt der Vorbehalt des Gesetzes; A. Ingold, in: JöR N. F. 64 (2016), S. 43 (74); auch die Gesetzesbegründung für § 44a AbgG n. F. ging von der Anwendbarkeit der Grundrechte aus, s. BT Drs. 15/5671, S. 1 (4). 197 S. oben 4. Kap. A. I. 3. (S. 129 ff.). 198 S. schon oben 3. Kap. B. II. 2. a) (S. 98 ff.).

C. Lösungsvorschlag

223

soweit zugunsten eines anderen Rechtsguts beschränkt werden kann, wie diese Beschränkungen mit den Grundrechtsvorgaben vereinbar sind: Was die Form der einschränkenden Maßnahme angeht, ist zu differenzieren: Sofern die Regelungsmaterie der Geschäftsordnungsautonomie berührt ist – d. h. das Zusammenwirken der Parlamentarier und die gegenseitige Abstimmung ihres innerparlamentarischen Verhaltens den Gegenstand der Regelung bilden –, können betroffene Grundrechte nach hier vertretener Ansicht ohne formell-gesetzliche Grundlage durch die parlamentsdisziplinarischen Maßnahmen der GOBT eingeschränkt werden. Andernfalls ist eine formell-gesetzliche Grundlage nach den Maßstäben der Wesentlichkeitsdoktrin erforderlich. Im Falle von Grundrechten mit (einfachem oder qualifiziertem) Gesetzesvorbehalt stellt dieses beschränkende Gesetz eine Schrankenregelung dar, die sich an den jeweiligen Schranken-Schranken messen lassen muss. Indem der Verfassungstext aber die in Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG vorgesehene „Eingliederungslage“ zudem ausdrücklich anerkennt und in Abs.  3 den Gesetzgeber zur Ausgestaltung der Abgeordnetenrechtsstellung auffordert, bilden die Erfordernisse bzw. Ausgestaltungen der Mandatstätigkeit199 zugleich verfassungsimmanente Grundrechtsschranken200. Auf diese Weise sind auch die Beschränkungen vorbehaltlos gewährleisteter Grundrechte legitimierbar. Aufgrund des nach Art. 38 Abs. 3 GG ohnehin notwendigen formellen Gesetzes zur Ausgestaltung der Abgeordnetenrechtsstellung wird sich regelmäßig die von der herrschenden Meinung bejahte Frage erübrigen201, ob Beschränkungen vorbehaltlos gewährleisteter Grundrechte durch verfassungsimmanente Schranken ebenfalls nur durch bzw. aufgrund Gesetzes erfolgen dürfen. Analog zu den beamtenrechtlichen Feststellungen ist auch der für den Beamten geltende Grundsatz202 zu übernehmen, dass eine Grundrechtseinschränkung umso eher zu unterbleiben hat – die Rechtfertigungsanforderungen also ansteigen –, je mehr sich der betroffene Grundrechtsbereich von der eigentlichen Funktionsausübung entfernt. Im Unterschied zu den beamtenrechtlichen Grundsätzen aber ist auch der Erhalt der sog. gesellschaftlichen Verwurzelung nach hier vertretener Ansicht ein eigens positiv zu bewertender Aspekt für die Abgeordnetenrechtsstel 199 Das gleiche gilt neben Art.  38  GG auch für die aus anderen staatsorganisationsrechtlichen Vorschriften abgeleiteten kollidierenden Rechtsgüter, die die Abgeordnetenrechtsstellung mitgestalten, sofern ihnen im Rahmen der Verfassungsauslegung grundrechtseinschränkendes Potenzial entnommen werden kann, s. zur Problematik der Bestimmung potentiell einschränkungsfähiger kollidierender, abstrakter Verfassungsgüter Kingreen/Poscher, Grundrechte (Fn. 140), Rn. 354. 200 „Eingriffslegitimation“ auch bei M. Cornils, in: Jura 2009, S. 289 (296). 201 BVerfGE 108, 282 (311); H.-J. Papier, Vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte, in: Merten/ders., HGR III (Fn.167), § 64 Rn. 22; hierzu V. Epping, Grundrechte, 6. Aufl. 2015, Rn. 88; F. Hufen, Staatsrecht II Grundrechte, 5. Aufl. 2016, § 9 Rn. 30; Kingreen/Poscher, Grundrechte (Fn. 140), Rn. 353. 202 S. oben 4.  Kap. A. I. 3. c) (S. 139).

224

5. Kap.: Zuordnung von freiem Mandat und Grundrechten 

lung. Der Ausgestaltungsgesetzgeber hat deshalb bei der Frage nach der Verhältnismäßigkeit des Gesetzes sowohl die von der Grundrechtsausübung „negativen“ Auswirkungen auf die Mandatstätigkeit einzustellen, als auch die mit der Freiheitsausübung einhergehenden „positiven“ Auswirkungen auf die Mandatstätigkeit zu berücksichtigen203. Eine Einschränkung im Privaten hat aufgrund der positiv bewerteten gesellschaftlichen Verwurzelung des Abgeordneten im Zweifel zu unterbleiben. 2. Gleichlauf von grundrechtlichen Gewährleistungen und staatsorganisationsrechtlichen Anforderungen Neben der Kollision von grundrechtlichen Gewährleistungen und staatsorganisationsrechtlichen Anforderungen stellt sich auch der doppelte Schutz als ein mögliches Ergebnis der Bereichsdifferenzierung dar. Um die jeweils spezifischen Anforderungen an die betroffenen Rechtsgüter nicht auszuhöhlen204, muss hier wie in der regulären Grundrechtsdogmatik205 eine getrennte Prüfung der jeweiligen Gewährleistungen erfolgen: Es findet keine Verstärkung beider Rechtspositionen statt, vielmehr gibt diejenige Rechtsposition mit dem stärkeren Schutzanspruch im Einzelfall den Standard der Prüfung vor206. Bislang ist es dem Bundestagsabgeordneten grundsätzlich nicht möglich, bei Beschränkungen mandatsrechtlichen Ursprungs Grundrechtsschutz auf gerichtlichem Wege zu erlangen. Aus diesem Grund führt die Anerkennung eines weiten Schutzbereichs des freien Mandats einschließlich der gesamten materiellen Repräsentation zwar unter Rechtsschutzgesichtspunkten zu einer gewissen Überprüfbarkeit. Allerdings ist der Schutzzweck des freien Mandats auf die eigenständige Amtsausübung des Abgeordneten und nicht originär auf seine Person gerichtet207, das Bundesverfassungsgericht misst individualgerichteten Interessen des Abgeordneten bei der Überprüfung mandatsbezogener Maßnahmen nur nach­ rangigen Schutz bei208. Aus diesem Grund kann im freien Mandat gerade kein „echtes“ Äquivalent zu den Grundrechten liegen. Wie von der Literatur gefordert, wäre es unter Rechtsschutzgesichtspunkten angezeigt sowie auch dogma-

203

M. Cornils, in: Jura 2009, S. 289 (296 f.). Vgl. 2. Kap. A. II. (S. 57 f.). 205 W. Berg, Grundrechtskonkurrenzen, in: Merten/Papier, HGR III (Fn. 167), § 71 Rn. 42 ff.; Kingreen/Poscher, Grundrechte (Fn. 140), Rn. 364, „Idealkonkurrenz“. 206 Anders A. Ingold, in: JöR N. F. 64 (2016), S. 43 (77), der für den überschneidend geschützten politischen Bereich den Grundrechtsschutz jedenfalls faktisch von demjenigen des freien Mandats als „absorbiert“ ansieht. 207 S. zur unterschiedlichen Ausrichtung von freiem Mandat und den Grundrechten oben 2.  Kap. A. II. (S. 57 f.). 208 BVerfGE 118, 277 (327 f., 354 f.). 204

C. Lösungsvorschlag

225

tisch schlüssig, die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde ad acta zu legen209 und dem Abgeordneten mithin zwei Verfahren zur Verfügung zu stellen, sofern er sowohl in seinem Schutz aus Art. 38, 46 ff. GG als auch in seinen Grundrechten berührt wird.

209 M. Cornils, in: Jura 2009, S. 289 (294); ebenso kritisch und für eine Prüfung der Grundrechte im Rahmen des Organstreitverfahrens A. Ingold, in: JöR N. F. 64 (2016), S. 43 (69 f.).

6. Kapitel

Einfluss der Europäischen Menschenrechtskonvention Im Folgenden soll untersucht werden, ob die Grund- bzw. Menschenrechte des europäischen Rechts auf die hier vorgestellten Ergebnisse Einfluss nehmen. Die europäische Grundrechtecharta soll an dieser Stelle keine Erörterung finden. Ihre Bindungswirkung betrifft ausweislich des Art.  51 Abs.  1 S.  1 GRCH die Organe und Einrichtungen der Union und die Mitgliedsstaaten einzig bei der Durchführung des Unionsrechts1. Nur im Rahmen der Durchführung des Unionsrechts könnte sich also auch eine etwaige Grundrechtsberechtigung der Parlamentarier ergeben und eine eventuelle Konfusionslage aus zeitgleicher Verpflichtung entstehen. Diese (jedenfalls selteneren) Fälle werden in der vorliegenden Arbeit nicht behandelt. Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) hingegen hat einen umfassenden Anwendungsbereich und bindet die staatliche Gewalt bzw. berechtigt den Bürger nicht nur in einem Ausschnitt staatlichen Tuns (vgl. Art. 1 EMRK), weshalb sie hinreichendes Konfliktpotential für die unter national-verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten gefundene Lösung aufwirft.

A. Die Quadratur des Kreises? – Konfusion von grundrechtlicher Freiheit und staatsorganisatorischer Befugnis auf Konventionsebene  Ob auch die EMRK eine der deutschen Dogmatik analoge funktionale Einschränkung in der Anwendbarkeit der Menschenrechte kennt, ist durchaus erörterungswürdig. Während für juristische Personen des öffentlichen Rechts eine Grundrechtsträgerschaft aufgrund des Konfusionsgedankens einhellig abgelehnt wird2, gehen Rechtsprechung und Literatur für natürliche Personen im Zusam 1 Zum Anwendungsbereich der Grundrechtecharta und der schwierigen Auslegung des Merkmals „bei Durchführung des Rechts der Union“ s. J. P. Terhechte, in: H. v. d. Groeben/ J. Schwarze/A. Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 51 GRC Rn. 9 ff. 2 Mit Ausnahme der Justizgrundrechte und ggf. der Grundrechtsfähigkeit von sog. grundrechtsdienenden juristischen Personen: J. Kühling, Grundrechte, in: A. v. Bogdandy/J. Bast (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2. Aufl. 2009, S. 657 (687 f.); V. Röben, Grundrechtsberechtigte und -verpflichtete, Grundrechtsgeltung, in: O. Dörr/R. Grote/T. Marauhn (Hrsg.), EMRK/GG Konkordanzkommentar, Bd.  I, 2. Aufl. 2013, Kap.  5 Rn.  48 f.; D. Ehlers, Allgemeine Lehren der EMRK, in: ders. (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 4. Aufl. 2014, § 2 Rn. 45.

A. Die Quadratur des Kreises? 

227

menhang mit der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben dagegen von der Anwendbarkeit der Einzelrechte der Konvention aus3. Wenn auch mit Ausnahmen wird eine Verletzung des fraglichen Menschenrechts nicht schon auf Schutzbereichs-, sondern auf Ebene der Rechtfertigung ausgeschlossen4. Zum einen lassen sich für dieses Ergebnis einzelne Vorschriften der EMRK selbst anführen (vgl. Art. 1, 14 und 11 Abs.  2 EMRK5), zum anderen zeigt auch ein Vergleich mit den im AEUV verbürgten Grundfreiheiten6, dass die EMRK gerade keine tatsbestandsausschließenden Bereichsausnahmen für die Materien der öffentlichen Gewalt bzw. der öffentlichen Verwaltung kennt. Die Diskussion um eine funktionale Einschränkung verlagert sich damit tendenziell auf die Rechtfertigungsebene7.

I. Besonderer Schutz des freedom of expression i. S. d. Art. 10 Abs. 1 S. 1 EMRK für das parlamentarische Rederecht Für Volksvertreter allerdings ergeben sich aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) Besonderheiten: Eine tatbestandliche Begrenzung des Menschenrechtsschutzes für die Ausübung parlamentarischer Befugnisse wird nicht diskutiert. Vielmehr bejaht der EGMR nicht nur die umfassende Anwendbarkeit der Freiheit der Meinungsäußerung i. S. d. Art. 10 Abs. 1 S. 1 EMRK auf die parlamentarische Rede, sondern stellt zusätzlich heraus, dass der Abgeordnete im Parlament sogar besonders intensiven Schutz durch Art. 10 Abs. 1 S. 1 EMRK genieße: „While freedom of expression is important for everybody, it is especially so for an elected representative of the people.“8 3

S. Wille v. Liechtenstein, Urt. v. 28.19.1999, Rs. 28396/95, Rn.  41; s. auch R. Grote/ N. Wenzel, Die Meinungsfreiheit, in: Dörr/Grote/Marauhn, EMRK/GG I (Fn. 2), Kap. 18 Rn. 53; ausdrücklich anders für Beliehene als Träger der Staatsgewalt Ehlers (Fn. 2), § 2 Rn. 45, 46. 4 Lösung auf Schrankenebene: Vogt v. Deutschland, Rs. 17851/91, Urt. v. 26.9.1995, Rn. 53; Rekvényi v. Hungary, Rs. 25390/94, Urt. v. 20.5.1999, Rn. 26; Wille v. Liechtenstein, Rs. 28396/95, Urt. v. 28.10.1999, Rn.  36 ff.; Kudeshkina v. Russland, Rs. 29492/05, Urt. v. 29.2.2009, Rn. 85 – gegen eine Eröffnung der Schutzbereiche dagegen Glasenapp v. Deutschland, Rs. 9228/80, Urt. v. 28.8.1986, Rn. 47 ff.; Kosiek v. Deutschland, Rs. 9704/82, Urt. v. 28.8.1986, Rn. 33 ff.; s. zu dem Ganzen auch Röben (Fn. 2), Kap. 5 Rn. 34 f.; ferner S. Graf v. Kielmansegg, Grundrechte im Näheverhältnis, 2012, S. 138 ff. sowie Grote/Wenzel (Fn. 3), Kap. 18 Rn. 53 f. 5 Wille v. Liechtenstein, Urt. v. 28.19.1999, Rs. 28396/95, Rn.  41; Grote/Wenzel (Fn.  3), Kap. 18 Rn. 53. 6 Art. 45 Abs. 4; 51 Abs. 1 AEUV. 7 v. Kielmansegg, Grundrechte (Fn. 4), S. 139. 8 Castells v. Spanien, Rs. 11798/85, Urt. v. 23.4.1992, Rn.  42; Piermont v. France, Rs. 15773/89 und 15774/89, Urt. v. 27.4.1995, Rn. 76 (bezogen auf Mitglieder des Europaparlaments); Jerusalem c. Autriche, Rs. 26958/95, Urt. v. 27.2.2001, Rn.  36 (bezogen auf Gemeinde­ratsmitglieder); A. v. UK, Rs. 35373/97, Urt. v. 12.12.2002, Rn. 79; Karácsony and others v. Hungary, Rs. 42461/13, Urt. v. 16.9.2014, Rn. 66; ebenso Szél and others v. Hungary, Rs. 44357/13, Urt. v. 16.9.2014, Rn. 63.

228

6. Kap.: Einfluss der Europäischen Menschenrechtskonvention

In einer aktuellen Entscheidung9 wird die Artikulation ungarischer Parlamentsmitglieder mittels Spruchbändern im Parlament ebenso wie die parlamentarische Rede selbst als Gegenstand der Meinungsäußerungsfreiheit eingeordnet und die ergangenen Ordnungsmaßnahmen für unvereinbar mit Art. 10 Abs. 1 S. 1 EMRK gehalten10. Dabei käme zwar den Mitgliedstaaten ein erweiterter Entscheidungsspielraum bei der Ausgestaltung ihres Parlamentsrechts zu11; dieser solle aber nur die Organisation des Parlaments betreffen und könne keinen Einfluss auf das Schutzniveau des parlamentarischen Rederechts selbst nehmen12. Der Ansicht der ungarischen Regierung, Art. 10 Abs. 1 S. 1 EMRK sei auf diesen Fall gar nicht anwendbar, da die Vorschrift den Abgeordneten in seiner Funktion nicht schütze, tritt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ausdrücklich entgegen13. Die dem deutschen Verfassungsrecht inhärente Unterscheidung von grundrechtlicher Freiheit und staatlichen Befugnissen wird für den Abgeordneten durch die EMRK nicht nachvollzogen14. Skepsis lässt dabei das abweichende Votum dreier Richter erkennen, die der Entscheidung nur den Wert eines obiter dictums zumessen wollen15; es sei insbesondere fraglich, inwieweit das Schutzniveau der Meinungsfreiheit reichen könne, wenn doch Parlamentarier sich entgegen der parlamentarischen Ordnung verhielten16. Auch diese letztgenannte Überlegung stellt zwar nicht die Anwendbarkeit des Art. 10 EMRK auf die parlamentarische Rede als solche in Frage, will aber immerhin den Gewährleistungsbereich der Norm nicht ohne Weiteres auf störende Verhaltensweisen der Parlamentarier anwenden.

II. Konfliktpotential der Konzeptionsunterschiede Die besagte Entscheidung erstaunt vor dem Hintergrund deutscher Verfassungsdogmatik. Zunächst ist fraglich, wie sich die Anwendung bzw. der nachdrücklich betonte intensive Schutz des Menschenrechts mit der funktionalen Nichtanwendbarkeit des Art. 5 Abs. 1 S. 1 Var. 1 GG für die parlamentarische Rede verträgt (1.). Des Weiteren ist die Frage nach der Schrankenproblematik aufgeworfen: Während 9

Karácsony and others v. Hungary, Rs. 42461/13, Urt. v. 16.9.2014. Karácsony and others v. Hungary, Rs. 42461/13, Urt. v. 16.9.2014, Rn. 43 ff., 88; s. hierzu und zum Folgenden auch die zeitgleich ergangene parallele Entscheidung zu den Abgeordneten der anderen Oppositionspartei Szél and others v. Hungary, Rs. 44357/13, Urt. v. 16.9.2014, Rn. 40 ff., 85. 11 Karácsony and others v. Hungary, Rs. 42461/13, Urt. v. 16.9.2014, Rn. 45, 64. 12 Karácsony and others v. Hungary, Rs. 42461/13, Urt. v. 16.9.2014, Rn. 64. 13 Karácsony and others v. Hungary, Rs. 42461/13, Urt. v. 16.9.2014, Rn. 69. 14 Grote/Wenzel (Fn. 3), Kap. 18 Rn. 55. 15 Karácsony and others v. Hungary, Rs. 42461/13, Urt. v. 16.9.2014, joint concurring opinion, Rn. 4. 16 Karácsony and others v. Hungary, Rs. 42461/13, Urt. v. 16.9.2014, joint concurring opinion, Rn. 3. 10

A. Die Quadratur des Kreises? 

229

das parlamentarische Rederecht auf nationaler Ebene unproblematisch durch die Geschäftsordnung eingeschränkt werden kann, ist nach Art. 10 Abs. 2 EMRK eine „gesetzlich vorgesehene“ Eingriffsgrundlage erforderlich (2.). 1. Gemengelage von Staat und Gesellschaft auf Schutzbereichsebene? Der deutsche Staat ist gemäß Art. 1 EMRK zum einen völkerrechtlich, zum anderen aus dem Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes17 heraus grundsätzlich verpflichtet, die Vorgaben der EMRK umfassend zu berücksichtigen. Ungeachtet dessen, dass der EMRK nach deutscher Umsetzung lediglich der Rang einfachen Bundesrechts zukommt, betrifft dies auch die Auslegung des Verfassungsrechts18: Erst 2014 kam es im Fall des Streikverbots für Beamte zu einem Konflikt zwischen deutscher verfassungsrechtlicher Rechtslage und den vom EGMR ausbuchstabierten Vorgaben der EMRK19. Das Bundesverwaltungsgericht, das den Sachverhalt letztinstanzlich zu entscheiden hatte, hielt dabei an dem in Art. 33 Abs. 5 GG verfassungsrechtlich verankerten Streikverbot für alle Beamte fest, d. h. auch für jene, die nicht mit hoheitlichen Aufgaben betraut sind20. Die deutsche Rechtslage, die das Streikverbot nicht funktional an das Aufgabengebiet des Beamten, sondern an den Beamtenstatus knüpft, wurde als eindeutig und nicht in einem anderen Sinne auslegungsfähig eingestuft, weshalb sich das Bundesverwaltungsgericht nicht imstande sah, den Vorgaben der EMRK innerstaatlich Geltung zu verschaffen21; es appellierte vielmehr an den Gesetzgeber, gegebenenfalls unter Differenzierung zwischen Beamten mit und ohne genuin hoheitliche Tätigkeit das Streikrecht in Teilen zu ermöglichen, wie es auch Art. 11 Abs. 1, Abs. 2 EMRK selbst nahelegt22. Die Diskrepanz aus durch Art. 10 Abs. 1 S. 1 EMRK geschützter Meinungsäußerungsfreiheit und der funktionalen Nichtanwendbarkeit (deutscher) Grundrechte für parlamentarische Befugnisse ist bislang in der Praxis nicht entscheidungserheblich geworden. Das Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern 17

BVerfGE 111, 307 (315 ff.); 128, 326 (366 ff.); BVerwGE 149, 117 (132, Rn. 52). BVerfGE 111, 307 (317 f.); 128, 326 (367 f.); BVerwGE 149, 117 (132 f., Rn. 52 f.). 19 BVerwGE 149, 117 (133 ff., Rn. 56 ff.). 20 BVerwGE 149, 117 (133 ff., Rn. 56 ff.). 21 BVerwGE 149, 117 (130 ff.; 133 ff., Rn. 56 ff.) – a. A.: U. Battis, in: ZBR 2014, S. 195 (201 f.); ebenso G. Buchholtz, in: DVBl. 2014, S. 786 (788 f.). 22 BVerwGE 149, 117 (126 ff., Rn.  47 ff., 56 ff.); kritisch hierzu U. Battis, in: ZBR 2014, S. 195 (201 f.); ebenso G. Buchholtz, in: DVBl. 2014, S. 786 (788 f.); dabei ermächtigt Art. 11 Abs. 2 S. 2 EMRK grds. nur zu „Einschränkungen“ des Streikrechts für die betroffenen, funktional zu bestimmenden Angehörigen des öffentlichen Dienstes und stellt keinen Ausschluss des Schutzes auf Schutzbereichsebene dar, vgl. J. Meyer-Ladewig, in: ders. (Hrsg.), Europäische Menschenrechtskonvention Handkommentar, 3. Aufl. 2011, Art. 11 Rn. 35 sowie T. Marauhn, Kommunikationsgrundrechte, in: Ehlers, Grundrechte (Fn. 2), § 4 Rn. 92 ff.; eine Versagung des Rechts müsste daher jedenfalls verhältnismäßig sein. 18

230

6. Kap.: Einfluss der Europäischen Menschenrechtskonvention

hatte die Anwendbarkeit des Art.  10 EMRK auf Abgeordnete erst kürzlich am Rande erwogen, die Frage, ob Art.  10 EMRK überhaupt Prüfungsmaßstab bilden könne, aber deshalb offen gelassen, da die Maßnahme jedenfalls eine gerechtfertigte Einschränkung i. S. d. Art.  10 Abs.  2 EMRK darstelle23. Art.  10 Abs. 2 EMRK könne mit seinem Verweis auf „Pflichten und Verantwortung“ des Rechtsinhabers einen geeigneten Anknüpfungspunkt für etwaige Einschränkungen bieten24. Auch die europäischen Grundrechte zielen ebenso wie der nationale Grundrechtsschutz grundsätzlich auf Individualschutz25, wollen dem Einzelnen also gerade beliebiges Verhalten ermöglichen und ihn nicht auf die Rücksichtnahme auf das allgemeine Wohl verpflichten. Die für die funktionale Nichtanwendbarkeit der Grundrechte verantwortliche Grundrechtsbindung der staatlichen Gewalt als Ausdruck der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft i. S. d. Art. 1 Abs. 3 GG gehört dabei zu den grundlegenden und unabänderbaren Säulen des Verfassungsrechts26. Als solche könnte sie ohnehin selbst durch Vorgaben der EMRK nicht modifiziert werden, wie das Bundesverfassungsgericht allgemein für die Grenzen der Völkerrechtsfreundlichkeit der Verfassung entschieden hat27. Bei einer InEins-Setzung von Individualfreiheit und parlamentarischem Rederecht wäre zwar die (Rede-)Freiheit des einzelnen Parlamentariers gewährleistet; diese würde aber ihrerseits unter Mitteln in Anspruch genommen, die ihm die Mitwirkung an der staatlichen Willensbildung im Namen aller Wähler erlauben; sollten die Parlamentarier ihr Äußerungsrecht nicht entsprechend ihres Auftrags wahrnehmen, würde letztlich die Freiheit der Wähler verkürzt. Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, so könnte man meinen, stünde einer Anwendung der EMRK auf die Wahrnehmung parlamentarischer Befugnisse durch deutsche Gerichte diametral entgegen. Fraglich ist allerdings, ob die Vorgaben der EMRK tatsächlich so weit von der „deutschen Lösung“ entfernt sind, dass sie ein derartiges Konfliktpotenzial böten. 23 MVVerfG, Urt. v. 23.1.2014, LVerfG 4/13 (juris) Rn. 58, das dabei auf die „Aufrechterhaltung der Ordnung oder zum Schutz des guten Rufes anderer“ abstellt; nach dem EGMR ist bei einer Beschränkung der parlamentarischen Mitgliedschaftsrechte der Rechtfertigungsgrund der „Rechte anderer“, d. h. des Parlaments, bzw. der „Aufrechterhaltung der Ordnung“, einschlägig, s. Karácsony and others v. Hungary, Rs. 42461/13, Urt. v. 16.9.2014, Rn. 51 ff. 24 MVVerfG, Urt. v. 23.1.2014, LVerfG 4/13 (juris) Rn. 58. 25 Ehlers (Fn. 2), § 2 Rn. 25 ff. 26 Die Grundrechtsbindung des Staates selbst wird unstreitig durch die Ewigkeitsgarantie i. S. d. Art. 79 Abs. 3 GG geschützt, R. Sannwald, in: B. Schmidt-Bleibtreu/H. Hofmann/H.-G. Henneke (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 13. Aufl. 2014, Art. 79 Rn. 51 bzw. Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/ders./Henneke, Grundgesetz (Fn. 26), Art. 1 Rn. 77 ff.; K.-E. Hain, in: H. v. Mangoldt/F. Klein/C. Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd.  II, 6.  Aufl. 2010, Art. 79 Rn. 109 ff.; H. Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 3. Aufl. 2015, Art. 79 Abs. 3 Rn. 32 f. 27 Vielmehr tritt die Pflicht, der EMRK Geltung zu verschaffen, zurück, „sofern nur auf diese Weise ein Verstoß gegen tragende Grundsätze der Verfassung abzuwenden ist“, BVerfGE 111, 307 (319); s. auch BVerwGE 149, 117 (133, Rn. 55).

A. Die Quadratur des Kreises? 

231

Kann der Parlamentarier also durch Berufung auf Art. 10 Abs. 1 EMRK in der Sache ein „Mehr“ an inhaltlicher Redefreiheit erzielen, als es ihm durch Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG gewährleistet wird? Dies wird aus mehreren Gründen zu verneinen sein. Zum einen kennen parlamentarisches Rederecht und Meinungsäußerungsfreiheit i. S. d. Art.  5 Abs.  1 S. 1 Var. 1 GG wie gesehen weitreichende inhaltliche Parallelen28. Abgesehen von der Maßgabe, dass die Wahrnehmung des Rederechts dem Abgeordneten nicht um seiner selbst willen, sondern zur Hervorbringung des Gemeinwohls gewährt wird, darf der Volksvertreter bis zur außerparlamentarischen Grenze des Art. 46 Abs. 1 S. 2 GG bzw. bis zur innerparlamentarischen Grenze der Debattendisziplin doch grundsätzlich jede Äußerung treffen, die ihm für die Wahrnehmung seiner Aufgabe richtig erscheint, was in vielen Fällen mit seinen persönlichen Entfaltungswünschen gleichlaufen wird. In diesem Sinne besteht eine inhaltliche Nähe beider Gewährleistungen29. Zum anderen ist die Unterscheidung von Individualrecht und nationalrechtlicher parlamentarischer Redebefugnis im europäischen Raum nicht selbstverständlich, nehmen doch die Mitgliedstaaten eine solche Differenzierung für den Parlamentsabgeordneten nicht durchgehend vor und ordnen die parlamentarische Rede demnach innerstaatlich als Ausdruck der grundrechtlich geschützten Meinungsäußerungsfreiheit ein30. Des Weiteren hebt der EGMR schließlich selbst hervor, die Rede im Parlament müsse nicht nur als die Äußerung persönlicher Ansichten der Parlamentarier, sondern auch als für ihren Wahlbezirk gültige und getätigte Aussagen verstanden werden31. Nach dem Gerichtshof soll daher im Sinne des Demokratieprinzips ein entsprechend hohes Schutzniveau an Äußerungsfreiheit gerade für die parlamentarische Rede gelten, die fremdnützige Ausrichtung des Rechts aber dabei nicht grundsätzlich in Frage stehen. Wenn auch dogmatisch fragwürdig, ist es daher keineswegs zwingend, den EGMR im Sinne einer tatsächlichen Aufgabe der Unterscheidung zwischen Staat und Gesellschaft für den konkreten Fall zu verstehen. Dem Gerichtshof geht es in der dargelegten Entscheidung primär darum, das hohe Schutzniveau der Redefreiheit als solches zu bewahren32. Die Konvention kann zwar aus sich heraus keine entsprechende staatsorganisationsrechtliche, dem Art.  38 Abs.  1 S.  2  GG vergleichbare Vorschrift bzw. Konstruktion beinhalten und sieht deren Inhalt als von Art. 10 Abs. 1 S. 1 EMRK gedeckt an. Die entscheidende Ausrichtung der parlamentarischen Rede auf die repräsentative Stellung des Abgeordneten findet 28

S. oben 4. Kap. B. II. 1. (S. 168 ff.). S. oben 4. Kap. B. II. 1. (S. 168 ff.). 30 Für Ungarn so die Entscheidungsbesprechung von H. Küpper, in: Osteuropa-Recht 2015, S. 122 (122). 31 Karácsony and others v. Hungary, Rs. 42461/13, Urt. v. 16.9.2014, Rn. 66, 69: „He or she represents the electorate, draws attention to their preoccupations and defends their interests.“; ähnlich schon Castells v. Spanien, Rs. 11798/85, Urt. v. 23.4.1992, Rn. 42. 32 Karácsony and others v. Hungary, Rs. 42461/13, Urt. v. 16.9.2014, Rn. 66: „very high level of protection“. 29

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6. Kap.: Einfluss der Europäischen Menschenrechtskonvention

aber wie gezeigt in der Auslegung des Art. 10 Abs. 1 S. 1 EMRK Niederschlag. Da Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG hinsichtlich des Schutzniveaus der parlamentarischen Redefreiheit nicht gegenüber Art. 10 Abs. 1 S. 1 EMRK abfallen dürfte33, sollten sich aus einer Mitberücksichtigung der Vorgaben der EMRK bei der Auslegung des durch Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG gewährleisteten Schutzes praktisch keine größeren Probleme ergeben. 2. Die GOBT als gesetzlich vorgesehene Einschränkung i. S. d. Art. 10 Abs. 2 EMRK Fraglich ist ebenso, ob die parlamentarische Geschäftsordnung mit ihren Ausgestaltungen und vor allem Beschränkungen des Rederechts den Anforderungen an eine zulässige Einschränkung i. S. d. Art. 10 Abs. 2 EMRK genügt. Auch zur Einschränkung der Meinungsfreiheit i. S. d. Art. 10 Abs. 1 S. 1 EMRK muss der Eingriff „gesetzlich vorgesehen“ sein (Art. 10 Abs. 2 EMRK). Der Terminus „gesetzlich“ ist ein konventionsrechtlich eigener Begriff34 und daher nicht aus nationaler Sicht heraus auszulegen. In der Rechtsprechung des EGMR sowie in der Literatur ist anerkannt, dass im Sinne der Berücksichtigung der unterschiedlichen Rechtstraditionen der europäischen Länder kein Erfordernis eines der deutschen Grundrechtsdogmatik entsprechenden Gesetzes im formellen Sinne besteht, vielmehr soll auch ein Gesetz im materiellen Sinne ausreichend sein35. Nicht abschließend geklärt ist insoweit, ob sich ein solches materielles Gesetz immerhin auf eine parlamentarische oder verfassungsrechtliche Grundlage stützen lassen muss36. Der EGMR selbst legt den Fokus bei der Interpretation des Gesetzesbegriffs weniger auf die demokratische Legitimation als auf die Zugänglichkeit und Bestimmtheit des vermeintlichen Gesetzes37.

33 S. die Bezeichnung als „Angelpunkt“ der Verfassung durch das BVerfG bei 4. Kap. B. II. 2. Fn. 336. 34 S. ausführlich T. Marauhn/K. Merhof, Grundrechtseingriff und Schranken, in: Dörr/Grote/ Marauhn, EMRK/GG I (Fn. 2), Kap. 7 Rn. 23 ff. m. w. N. 35 Leela Förderkreis E. V. u. a. v. Deutschland, Rs. 58911/00, Urt. v. 6.11.2008, Rn.  87; F. Matscher, Der Gesetzesbegriff der EMRK, in: L. Adamovich/A. F. Kobzina (Hrsg.), Der Rechtsstaat in der Krise. Festschrift Edwin Loebenstein zum 80. Geburtstag, 1991, S.  105 (110 ff.); Marauhn/Merhof (Fn. 34), Kap. 7 Rn. 25 m. w. N.; Ehlers (Fn. 2), § 2 Rn. 76. 36 Dafür J. A. Frowein/W. Peukert, EMRK-Kommentar, 3. Aufl. 2009, Vorbem. Art. 8–11, Rn. 9; ebenso Marauhn/Merhof (Fn. 34), Kap. 7 Rn. 28; dagegen Ehlers (Fn. 2), § 2 Rn. 76. 37 S. die beiden in der Entscheidung Sunday Times v. UK No. 1, Rs. 6538/74, Urt. v. 26.4.1979, Rn.  46 ff. aufgestellten Kriterien: Zugänglichkeit der Rechtsvorschrift und Bestimmtheit i. S. d. Vorhersehbarkeit der Rechtsfolgen; hingegen soll es nicht darauf ankommen, ob es sich um geschriebenes oder ungeschriebenes Recht handelt; s. ferner Silver u. a. v. UK, Rs. 5947/72, 6205/73, 7052/75, 7061/75, 7107/75, 7113/75, 7136/75, Urt. v. 25.3.1983, Rn. 85 ff.; ähnlich zum Schutzzweck der gesetzlichen Grundlage i.R.d EMRK auch Matscher, Gesetzesbegriff (Fn. 35), S. 112 sowie Ehlers (Fn. 2), § 2 Rn. 76; s. zu den Kriterien der Zugänglichkeit und Bestimmtheit auch Marauhn/Merhof (Fn. 34), Kap. 7 Rn. 29 ff.

A. Die Quadratur des Kreises? 

233

Vor diesem Hintergrund stellt die GOBT sich als ausreichende gesetzliche Grundlage i. S. d. Art. 10 Abs. 2 EMRK dar: Zum einen lässt sich die GOBT ungeachtet ihrer strittigen Rechtsnatur zwar weder als formelles noch als materielles Gesetz bezeichnen38, ist aber zweifellos auf eine verfassungsrechtliche Verankerung zurückzuführen, Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG. Zum anderen gilt Folgendes zu bedenken: Das Schutzniveau der europäischen wie der nationalrechtlichen Gewährleistung des Rederechts stehen einander in nichts nach, obwohl jene die Unterscheidung zwischen Innen- und Außenrecht nicht kennt, diese aber schon. Diese Konzeptionsunterschiede sollten konsequenterweise auch auf Einschränkungsebene berücksichtigt werden und damit einer Regelung durch Geschäftsordnung nicht entgegenstehen – zumal der GOBT in dieser Arbeit eine gewisse außenrechtliche Wirkung zugesprochen wurde39. Für dieses Ergebnis spricht schließlich der vom EGMR mehrfach betonte Handlungsspielraum der Mitgliedstaaten in parlamentsrechtlichen Konzeptionen40. Eine weitere und für den Gesetzesbegriff i. S. d. EMRK entscheidungserhebliche Frage ist, wie es sich mit der vielfachen Unbestimmtheit der Vorschriften der GOBT verhält (vgl. etwa die „Würde des Bundestages“41). Insofern hat der EGMR in der thematisierten Entscheidung die Bestimmtheit von Formulierungen des ungarischen Parlamentsrechts („authority of Parliament“/„gravely offensive“) im Ergebnis offen gelassen, während die abweichenden Richter die Norm aufgrund der parlamentarischen Praxis für zweifellos hinreichend bestimmt hielten42. Dass sich die offenen Formulierungen der nationalen Geschäftsordnungen als problematisch erweisen sollten, ist dabei nicht wahrscheinlich: Der EGMR hat sich für die Frage der Bestimmtheit der gesetzlichen Regelung bereits in früheren Entscheidungen am betroffenen Verkehrskreis der Regelung orientiert43 sowie darauf hingewiesen, dass sich interpretationsbedürftige Normen durch die Praxis konkretisieren ließen44. Die fraglichen Vorschriften der Parlamentsdisziplin in der GOBT betreffen nur die Parlamentsmitglieder selbst; eine hinreichende Konkretisierung der ein-

38

S. oben 5. Kap. C. III. (S. 212 ff.). S. oben 5. Kap. C. III. 3. (S. 219 ff.). 40 Kart v. Turkey, Rs. 8917/05, Urt. v. 3.12.2009, Rn. 82; ebenso Karácsony and others v. Hungary, Rs. 42461/13, Urt. v. 16.9.2014, Rn.  45, 64; von der Tauglichkeit der Geschäftsordnung als gesetzliche Grundlage i. S. d. EMRK scheint auch das Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern auszugehen, s. MVVerfG, Urt. v. 23.1.2014, LVerfG 4/13 (juris) Rn. 58. 41 Zu diesen Begriffen schon oben 5. Kap. C. III. 1. (S. 215 ff.). 42 Karácsony and others v. Hungary, Rs. 42461/13, Urt. v. 16.9.2014, Rn. 48 bzw. joint concurring opinion Rn. 6. 43 Amihalachioaie v. Moldova, Rs. 60115/00, Urt. v. 20.4.2004, Rn. 33; kritisch dazu C. Grabenwarter/K. Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, 6. Aufl. 2016, § 23 Rn. 21; Marauhn (Fn. 22), § 4 Rn. 32. 44 Lindon, Otchakovsky-Laurens and July v. France, Rs. 21279/02 und 36448/02, Urt. v. 22.10.2007, Rn. 41; Karácsony and others v. Hungary, Rs. 42461/13, Urt. v. 16.9.2014, joint concurring opinion Rn. 6. 39

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6. Kap.: Einfluss der Europäischen Menschenrechtskonvention

zelnen Tatbestände ist durch die parlamentarische Praxis geschehen, sodass auch von einer ausreichenden Bestimmtheit auszugehen ist45.

B. Ergebnis Die EMRK kennt keine der deutschen Konzeption vergleichbare Unterscheidung von staatsorganisationsrechtlicher Befugnis und grundrechtlicher Meinungsäußerungsfreiheit. In diesem Sinne verortet sie das parlamentarische Rederecht bei Art. 10 Abs. 1 S. 1 EMRK und spricht sogar den Parlamentariern ein erhöhtes Schutzniveau im Sinne der Norm zu. Mag dies auf den ersten Blick als Bruch mit der deutschen Verfassungskonzeption erscheinen, ergibt sich auf den zweiten Blick tatsächlich nur wenig Raum für Konflikte. Konsequenterweise muss auch die Geschäftsordnung des Bundestages eine zulässige „gesetzlich vorgesehene“ Beschränkung i. S. d. Art. 10 Abs. 2 EMRK darstellen.

45 So auch Karácsony and others v. Hungary, Rs. 42461/13, Urt. v. 16.9.2014, joint concurring opinion Rn. 6.

Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen I.

Die (funktionale)  Anwendbarkeit der Grundrechte auf den Abgeordneten stellt Rechtsprechung und Literatur vor dogmatische Schwierigkeiten. Diese insbesondere im Vergleich zum Beamten auffälligen Zuordnungsprobleme sind mitunter der Tatsache geschuldet, dass das freie Mandat (Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG) als weitere Rechtszuweisung des Bundestagsabgeordneten hinzutritt, deren Verhältnis zu den Grundrechten ungeklärt ist. Als prozessuales Hemmnis einer einheitlichen Handhabung tritt die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde gegenüber dem Organstreitverfahren hinzu, welches dem Abgeordneten die Berufung auf grundrechtliche Freiheiten in mandatsbezogenen Regelungszusammenhängen versagt. (1. Kap., S. 22 ff.)

II.

Der Bundestagsabgeordnete hat eine Zwischengliedstellung zwischen Staat und Gesellschaft inne, welche die für andere Funktionsträger gebräuchliche Verortung zu gesellschaftlicher resp. staatlicher Sphäre besonders erschwert. Insbesondere das freie Mandat lässt sich weder als Ganzes der staatlichen noch der gesellschaftlichen Sphäre zuordnen. Jedenfalls soweit das Grundgesetz die Rechtsstellung des Bundestagsabgeordneten als Organwalter bzw. Amtsträger ausgestaltet, ist er der institutionalisierten Staatlichkeit zuzuordnen. (2. Kap., S. 52 ff.)

III. Die Rechtsstellung des Abgeordneten ist kein grundrechtsimpermeabler Raum. So selbstverständlich diese Aussage klingen mag, so hartnäckig hält sich ein gegenteiliges, rechtskreisorientiertes Verständnis des sog. Abgeordnetenstatus in Teilen der Literatur. Es ist dieser Begriff des Abgeordnetenstatus, der die gemeinsamen Wurzeln zwischen Abgeordnetenrechtsstellung und besonderem Gewaltverhältnis lebendig hält, wobei die Abgeordnetenrechtsstellung aufgrund der stets betonten Wesensunterschiede zwischen Abgeordnetem und Beamtem die Einpassung in die reguläre Grundrechtsdogmatik verpasst und gewissermaßen einen Sonderweg eingeschlagen hat. Dieses Verständnis solch eines grundrechtsfreien Abgeordnetenstatus sieht sich vor dem Hintergrund des Art. 1 Abs. 3 GG erhöhter Begründungslast ausgesetzt. Da der Begriff anfällig für Missverständnisse und Fehlinterpretationen ist, sollte derjenige der Abgeordnetenrechtsstellung vorgezogen werden. (3. Kap., S. 74 ff.) IV. Der Vergleich mit anderen Amtsträgern zeigt, dass die als Eigenart des Abgeordneten herausgestellte Unabhängigkeit von Weisungen auf den funktionalen Anwendungsbereich seiner Grundrechte keinen Einfluss nimmt. Ebenso wenig kann die Einschlägigkeit der eingeräumten Rechtszuweisung (richter-

236

Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen

liche Unabhängigkeit resp. freies Mandat) selbst die funktionale Anwendbarkeit der Grundrechte beeinflussen: Eine amtlich begründete, aber an die Person anknüpfende Rechtszuweisung, die auch den Schutz vor bloß mittelbarer Einflussnahme auf die Amtstätigkeit gewährleistet, bietet dem Amtsträger allenfalls zusätzlichen Schutz, der grundrechtliche Schutzbereiche daneben unberührt lässt. (4. Kap. A., 123 ff.) Maßgebliches Alleinstellungsmerkmal des Bundestagsabgeordneten ist seine Mittlerrolle zwischen Staat und Gesellschaft, die seine Rechtsstellung nachhaltig prägt. Dies drückt sich erstens dadurch aus, dass die parlamentarischen Befugnisse stärker durch die Abgeordnetenpersönlichkeit geprägt sind als die Wahrnehmungskompetenzen anderer Amtsträger. Persönlichkeitsbezogenen Elementen wird gewissermaßen eine „amtliche“ Relevanz zuteil. Zweitens verlangt der Mandatsauftrag im außerparlamentarischen Bereich die fortwährende Kommunikation mit dem Volk, der – ggf. außerhalb der Wahrnehmung amtlicher Autorität stehende – ständige Dialog mit dem Volk nimmt an der Repräsentationsaufgabe des Bundestagsabgeordneten teil. Drittens ist das Erfordernis der sog. gesellschaftlichen Verwurzelung des Bundestagsabgeordneten zu beachten, die eine verfassungsrechtliche Vermutung gegen die Zulässigkeit weitreichender Reglementierungen seines grundrechtlich geschützten Freiheitsbereichs begründet. (4. Kap. B., S. 163 ff.) V.

Die funktionale Nichtanwendbarkeit der Grundrechte wird für den Abgeordneten wie für jeden anderen Amtsträger nach Maßgabe des Art. 1 Abs. 3 GG bestimmt: Sofern für ein spezifisches Verhalten amtliche Autorität in Anspruch genommen wird und damit das entsprechende Verhalten objektiv als Amtshandlung einzuordnen ist, kann es nicht zugleich grundrechtsgetragen sein. Eine weitergehende Grundrechtsverkürzung aufgrund der Mandatsträgereigenschaft gibt es nicht. (5. Kap. A., S. 186 ff.)

VI. Der Anwendungsbereich des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG liegt quer zur Anwendbarkeit grundrechtlicher Schutzbereiche und beinhaltet mehrere Dimensionen: Zum einen gewährleistet die Norm die unbeeinflusste innerparlamentarische formale Repräsentation, die dem Abgeordneten die Überführung des Volkswillens in den Staatswillen durch parlamentarisches Verfahren ermöglicht. Zum anderen schützt sie den außerparlamentarischen (amtlichen wie nichtamtlichen) Dialog zwischen dem Parlamentarier und den Wählern (materielle Repräsentation). Die Vorschrift verklammert also inner- und außerparlamentarischen Bereich, indem sie einen umfassenden Schutz für den gesamten Repräsentationsprozess des Abgeordneten bietet.

Eine gleichzeitige Anwendbarkeit von Grundrechten (i. S. v. positiven Handlungsfreiheiten) und freiem Mandat ist grundsätzlich dann möglich, sofern die Gewährleistung des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG an die Person des Abgeordneten anknüpft, sich also wie ein weiteres persönliches Schutzrecht darstellt. (5. Kap. B., S. 194 ff.)

Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen

237

VII. Auf Grundlage dieser Erkenntnisse lässt sich ein Lösungsvorschlag für eine bereichsdifferenzierte Zuordnung von Grundrechten und freiem Mandat formulieren: (5. Kap. C., S. 197 ff.) 1. Für den innerparlamentarischen Bereich kann der Schutz des Art.  38 Abs. 1 S. 2 GG auch für sog. amtsbegleitendes Verhalten greifen. Grundrechtsgetragenes Verhalten sieht sich dann gleichzeitig durch Art.  38 Abs. 1 S. 2 GG geschützt, sofern die ungestörte Wahrnehmung der formalen Repräsentationsaufgabe durch den Abgeordneten dies erfordert. (S. 204 ff.) 2. Der Scharnierfunktion des Abgeordneten kann einzig durch ein entsprechend weites Verständnis des freien Mandats Rechnung getragen werden: Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG schützt die „gesamte politische Betätigung“ des Bundestagsabgeordneten und umfasst damit seine vollständige materielle Repräsentationsaufgabe. Grundrechtliche Anwendungsbereiche werden durch das Hinzutreten der Gewährleistung nicht beschnitten, sondern sind parallel anwendbar. (S. 207 ff.) 3. Die Grundrechte des Bundestagsabgeordneten können unter Umständen auch durch Maßnahmen der Parlamentsdisziplin i. S. d. Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages verkürzt werden. Mit Blick auf die Anwendbarkeit des Vorbehalts des Gesetzes wird eine differenzierte Lösung befürwortet: Die verfassungsrechtlich verankerte Geschäftsordnungsautonomie muss dem Sinn und Zweck nach das gesamte disziplinarrechtlich relevante innerparlamentarische Verhalten der Abgeordneten erfassen und in diesem Sinne – abweichend vom Vorbehalt des Gesetzes – auch grundrechtsgetragenes Verhalten reglementieren können. Diese Abkehr von der regulären Grundrechtsdogmatik findet in Art.  40 Abs.  1 S. 2 GG eine verfassungsrechtliche Grundlage. Das außerparlamentarische grundrechtsgetragene Verhalten der Abgeordneten kann demgegenüber nicht allein aufgrund geschäftsordnungsrechtlicher Vorgaben beschränkt werden. (S. 213 ff.) 4. Für das Verhältnis von Grundrechten und freiem Mandat können sich zusammengefasst drei alternative Sachverhaltskonstellationen ergeben: Es können erstens Fallgestaltungen auftreten, in denen nur die Grundrechte oder nur das freie Mandat Geltung beanspruchen. Zweitens ist eine Kollision von staatsorganisatorischen Erfordernissen mit den grundrechtlichen Gewährleistungen möglich, die sich regelmäßig durch eine Abwägung der kollidierenden verfassungsrechtlichen Rechtsgüter bewältigen lässt. Drittens können beide Normkomplexe in die gleiche Richtung zeigen und parallel anwendbar sein, sofern Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG seinen Schutz an die Person des Abgeordneten und nicht an das apersonale Amt anknüpft. In diesem Fall werden die äußeren Grenzen des Schutzes durch das stärkere Recht gesetzt. (S. 222 ff.)

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Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen

VIII. Die Europäische Menschenrechtskonvention gewährt dem Abgeordneten für die Wahrnehmung seines parlamentarischen Rederechts verstärkten Schutz durch die Meinungsfreiheit i. S. d. Art. 10 Abs. 1 S. 1 EMRK. Hier bricht die Konvention augenscheinlich mit der deutschen Verfassungsdogmatik, nach der die Meinungsäußerungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1. S. 1 Var. 1 GG funktional unanwendbar ist. Diese Konzeptionsunterschiede von EMRK und Grundgesetz wirken sich in der Praxis allerdings geringer aus als aus dogmatischer Sicht zu befürchten: Weder das Schutzniveau noch die Ausrichtung des parlamentarischen Rederechts i. S. d. Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG bzw. Art. 10 Abs. 1 S. 1 EMRK unterliegen nennenswerten Unterschieden. Auch ist die parlamentarische Geschäftsordnung in der Lage, als „gesetzlich vorgesehene“ Eingriffsgrundlage i. S. d. Art. 10 Abs. 2 EMRK zu fungieren. (6. Kap. S. 226 ff.)

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Sachverzeichnis Abgeordnetenbeobachtung  59, 85, 178, 203, 210, 211 Abgeordnetenrechtsstellung 43, 59, 63, 66, 72, 75 ff., 86 ff., 126, 163 ff., 212 f., 220, 223 –– apersonale  72, 75 ff., 81 f., 194 f. –– personale  78 ff., 81, 84, 122, 184 f., 194 ff., 211 –– Staatsferne  168, 179, 184 Abgeordnetenstatus  23, 28, 40 ff., 50 f., 72, 74, 86 ff., 194, 201 –– Exklusivitätsverhältnis von Grundrechten und freiem Mandat  50 f., 86 ff. –– Status der Öffentlichkeit  103 ff. –– variierendes Begriffsverständnis  87 ff. Abgeordnetentätigkeit –– schöpferische  67, 71, 125, 174, 179 Abgeordneter –– Definition 20 Allgemeine Handlungsfreiheit 31 f., 95, 131 ff., 156 ff., 200, 202 Allgemeines Persönlichkeitsrecht 38 ff., 47, 134, 156, 202 f. Amt –– Begriff  63 ff. –– im abstrakt-funktionellen Sinne  128 –– im konkret-funktionellen Sinne  128 Amtliche Autorität  70, 130 f., 133, 139, 150, 152, 175, 190, 192 ff., 194 ff., 198, 200, 206; 207 ff., 210, 216 Amtsausübung 31 f., 35, 47, 70, 81, 116, 134, 139, 140, 153, 155 f., 187, 188, 191, 192 ff., 195, 197, 199, 203, 204 ff., 212, 224 Amtsbegleitendes Handeln 187, 191, 200, 204, 216 f. Amtshandlung siehe Amtsausübung Amtsträger –– Abgeordneter  63 ff. –– Beamter  65, 108 Amtswahrnehmung siehe Amtsausübung

Ausgestaltungsvorbehalt  101 f., 104 f., 121, 213 Auslegung 99 ff., 118, 143, 169, 207, 208, 229, 232 Beamtenrechtliche Lösung  47 f., 149 f. Beamter –– Amtsbereich  130 ff., 149 –– Dienstverhältnis 124  f., 128, 129, 133, 135 ff., 140, 149, 159 –– Lehrer  128, 136 ff. –– Polizeibeamter  133 ff., 193 –– Privatbereich  139, 140, 146, 149, 159 –– Rechtsschutz  48, 128 f. –– subjektive Rechte  48, 128 f. –– Weisungsgebundenheit  127 f., 161 –– Wesensverschiedenheit zum Abgeordneten  63 ff., 122, 124 ff. Behinderungsverbot 78 Bekleidung  36 ff., 39, 46, 59, 134, 136, 138, 153, 191, 192, 199, 204, 216 Beleidigung  172, 199, 217 Benutzung von Laptops im Plenarsaal  217 Bereichsdifferenzierte Grundrechtsgeltung –– Beamter  129 ff. –– Richter  146 ff. Bereichsdifferenzierte Zuordnung von freiem Mandat und Grundrechten  197 ff. Berufsfreiheit  43, 94 ff.,106, 184 Berufspolitiker  182 f. Beschlagnahmeverbot  78 ff., 208 Besonderes Gewaltverhältnis  99, 107 ff., 129 Bundestag –– Kollegialorgan  62, 66, 81, 174, 189 Diätenurteil  42, 59, 111 Disziplinarmaßnahmen –– parlamentarische  76, 110, 172 f., 174, 206, 213 ff., 223, 228, 231, 233 Ehrenamt  33, 65, 182

260

Sachverzeichnis

Eingriff  21, 45, 46 ff., 85, 184, 217 Einheit der Verfassung  99 ff. Entschädigungsanspruch  42, 78, 88, 101, 182, 195 Europäische Grundrechtecharta  226 Europäische Menschenrechtskonvention 226 ff. Fernsehaufnahmen  39, 59, 203 Freie Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel  78, 82, 195 Freies Mandat  81 ff., 194 ff., 204 ff., 209 ff. –– abwehrrechtliche Inhalte  86, 96, 195 –– Freiheitsdimension  82 ff., 205 –– Fremdnützigkeit  60, 69, 169 f., 231 –– interpretatorische Nähe zu den Grundrechten  82, 112 ff. –– leistungsrechtliche Inhalte  194 f. –– subjektives Recht  85 –– Teilhabedimension 81 f., 85, 113, 169, 177, 206 Funktionale Anwendbarkeit der Grundrechte  21, 30, 38, 46, 48, 49, 69 f., 91, 97, 114 ff., 121, 130 ff., 139, 140, 156, 159, 161, 162, 163, 186 ff., 198 ff., 230 Funktionsfähigkeit des Parlaments  197, 203, 206, 220 f. Funktionsträger 20 Geheimschutzordnung  80 f. Gemeinwohl  42, 57, 60, 66 ff., 76, 125, 127, 166 ff., 174, 175 ff., 181, 186, 188, 190, 193, 201, 230 –– a posteriori  167 –– a priori  166 Geschäftsordnung 23, 81, 110, 112, 194, 213 ff., 223, 232 ff., 234 –– Außenwirkung  233, 233 –– Innenrecht  215, 219 –– innere 220 –– Rangverhältnis 214 Gesellschaftliche Verwurzelung  44, 180 ff., 212 f., 223 f. Gesprächsdatenerfassung  130, 150 f. Gewissensfreiheit –– des Abgeordneten  66 f., 70 f., 124, 175 ff., 185, 199, 201, 211 –– des Beamten  132 –– des Richters  144

Gleichheitssatz 201 Grundrechte –– Integritätsrechte 46, 133  ff., 140, 160, 202 f. –– negative Handlungsfreiheiten  131 ff., 140, 160, 202 –– objektive Dimension  56 –– positive Handlungsfreiheiten 155, 192, 194, 198, 204 ff. –– Schutzpflichten 31 –– vorbehaltlos gewährleistete 100, 113, 223 Grundrechtsbindung 55, 56, 64, 73, 109, 114 ff., 130 f., 150, 153, 155, 161, 170, 172, 186 ff., 188 ff., 192 ff., 198, 203, 213, 230 Grundrechtseffektuierung  117, 118 Grundrechtsträgerschaft 20 Grundrechtsverpflichtung siehe Grundrechtsbindung Hausordnung des Deutschen Bundestages  60, 216 Hausrecht –– parlamentarisches 215 Honoratiorenparlament  181 ff. Immunität  78, 80, 88, 196 Imperatives Mandat  83, 205 Impermeabilität  74 ff., 106, 139 Inanspruchnahme amtlicher Autorität siehe Amtliche Autorität Indemnität  78, 88, 172 Individualrecht 25, 42, 77, 79, 85, 196, 231 Informationsfreiheit 200 Innerorganisatorischer Störungsbeseitigungsanspruch  31, 33 f., 205 Integritätsrechte siehe Grundrechte f., Kommunalverfassungsstreitigkeit 28, 33  36 Kommunikationsbeziehung siehe  Unabhängigkeit Kommunikationsgrundrechte  168 ff., 178, 191, 199 Kompetenz 39, 54, 55, 57, 59, 61, 62, 70, 75 ff., 85, 87, 88, 92, 118, 129, 130, 134, 152, 157, 168 ff.,196

Sachverzeichnis Konfusionsgedanke  55 f., 131, 226 Kopftuch  136 ff. Kreuz  33, 154, 202, 204 Legitimation  53, 67, 127, 143, 173, 232 Leitbild des Abgeordneten  41 ff., 180 lex specialis siehe Spezialitätsverhältnis Mandat siehe auch Freies Mandat –– Definition 20 Maßnahme –– funktionsbezogene 21 –– mandatsbezogene 21 –– staatliche 21 ff., 56, 130, 152  f., Meinungsäußerung 34  160, 162, 169, 199, 227 ff. Mitgliedschaftsrechte  30, 46 f., 75 ff., 81 f., 83, 85, 122, 168 ff., 188 ff., 191, 194, 198 ff., 204 ff., 217, 221, 226 ff. –– Frage- und Informationsrecht  76, 200 –– Initiativrecht 76 –– interpretatorische Nähe zu den Grundrechten  168 ff. –– Mitgliedschaftsrecht auf unbehinderte Amtsausübung  204 ff. –– Rederecht  34, 37 f., 39, 47, 76, 169, 173, 177, 199, 202, 227 ff. –– Stimmrecht 76 –– subjektive Rechte  76 f. –– Teilhabedimension 81 f., 85, 113, 169, 177, 206 –– Teilnahmerecht 76 Mittelpunktregelung 40 ff., 49, 57, 59, 75, 90, 180 Mitwirkungsbefugnisse siehe Mitgliedschaftsrechte Nebeneinkünfte siehe  Offenlegung von Nebeneinkünften Nebentätigkeiten  43, 94, 107, 119, 182, 218 Normkollision  93, 101, 222 ff. Offenlegung von Nebeneinkünften  22, 40 ff., 49, 57, 59, 60, 90, 91, 95, 103, 105, 120, 180, 218 Öffentlichkeitsarbeit  170 ff. Organstreit  23 ff., 26 f., 28, 40 f., 44, 77, 85, 206

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Organwalter  23, 28, 38, 46, 62, 73, 88, 172, 219 Parlamentsautonomie  215, 219, 223 Parlamentsvorbehalt 221 Parteimitglied  58, 84, 172, 179, 207, 209 Persönliche Schutzrechte  78 ff., 88, 121, 122, 195 f., 211 –– Individualrechte  79, 196 –– subjektive Rechte  79, 196 Politische Betätigung  178 ff., 185, 197, 209 ff. Praktische Konkordanz  100 Rauchverbot  30 ff., 46, 154, 191, 200, 204, 205, 216 Rechtsstellung des Abgeordneten siehe  Abgeordnetenrechtsstellung Regelungsvorbehalt  101 f. Religionsfreiheit  32 ff., 136 ff., 156, 202 Repräsentation  20, 42, 44, 61, 68, 70, 83 f., 102, 105, 164 ff., 168 ff., 178 ff., 180 ff., 189, 191, 195, 197, 198 ff., 207, 209 ff., 224 –– Carl Schmitt  181 –– formale  70, 164 ff., 168 ff., 191, 195, 209, 212 –– Gerhard Leibholz  181 –– gesamtgesellschaftliche 183 –– idealistische Repräsentationstheorien 166, 181 –– Kollektivrepräsentation 167 –– materielle 84, 164 ff, 178 ff., 195, 198, 209, 212 –– parlamentarische 83 –– ständische 83 Richter –– Rechtsfindung  143, 151, 155 –– Rechtsschutz  145 f., 149, 154 Richterliche Unabhängigkeit  141 ff., 147 ff., 160, 197, 207 –– äußerer Ordnungsbereich richterlicher Tätigkeit  148 f., 156 ff., 207 –– Kernbereich richterlicher Tätigkeit 148, 156 ff. –– Spannungsverhältnis zur Dienstaufsicht  147 ff. –– unmittelbare und mittelbare Einflussnahmen  151, 154, 156, 158, 162

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Sachverzeichnis

–– Vergleich mit der Wissenschaftsfreiheit  146 Robe  153 f., 154 f. Scharnierfunktion zwischen Staat und Gesellschaft 52, 59, 163 ff., 178, 194, 197 ff., 210, 221 Schutzbereich –– funktionaler siehe  Funktionale Anwendbarkeit der Grundrechte –– persönlicher 117 –– sachlicher 117 Schutzbereichsbegrenzung  51, 86 ff., 136 ff., 194, 202, 212 –– zugunsten der Verfassungsorganisation  105 ff. Sonderstatusverhältnis 47, 48, 51, 107  ff., siehe auch Besonderes Gewaltverhältnis –– Freiwilligkeit  119 f., 137 –– Grund- und Betriebsverhältnis  130, 135 Spezialitätsverhältnis –– von Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG gegenüber den Grundrechten  94 ff. Staat und Gesellschaft –– Unterscheidung  52 ff., 74, 117, 130, 131, 163, 204, 211, 219, 229 ff. Staatliches Neutralitätsgebot 137, 158, 170 ff. –– Bundespräsident  171 f. –– Bundestagsabgeordneter  170 ff. –– Mitglieder der Bundesregierung  171 f. Staatlichkeit –– institutionalisierte  61 ff., 65, 72 Staatsgewalt 27, 53, 98, 109, 113, 114 ff., 165, 185, 188 ff., 210 Staatswillensbildung  61, 166, 169, 174, 178, 181, 210, 121 Status siehe Abgeordnetenstatus Streikverbot 229 Symbole –– politische  34 f., 199 –– religiöse  32 ff., 60, 139, 154 Talkshow 84 Telefonate im Plenarsaal  217 Tonbandaufnahmen  38 ff., 47, 59, 203 Transformationsfunktion  84, 178 ff.

Transparenz 104 Unabhängigkeit  42 f., 82 ff., 125, 181 f. –– der Kommunikationsbeziehung 84 f., 166 f., 179, 195, 210 f. –– der Willensäußerung  83 –– der Willensbildung  84 –– richterliche siehe  Richterliche Unabhängigkeit –– von mittelbaren Einflussnahmen  84 –– von unmittelbaren Einflussnahmen  84 Unmittelbare Drittwirkung  195 Urlaubsanspruch 78 Usurpationsgrenze  192 ff. Vereinigungsfreiheit 200 Verfassungsbeschwerde 23 ff., 26 f., 28, 29, 40, 50, 85, 146, 196, 225 –– Subsidiarität  23 f., 225 Verfassungsimmanente Grundrechtsschranke  223 Verfassungsimmanenz 97, 98, 101, 105 ff., 120, 136 ff. Verfassungsorganisation  105 ff. Verhaltensregeln 43, 54, 80 f., 90, 98, 107, 120, 218 f. Verhaltensweise 21 –– inner- und außerparlamentarische  22, 46, 215 ff. Versammlungsfreiheit 199 Verschmelzung von freiem Mandat und Grundrechten  49 f., 57 f. 73 Verschwiegenheitspflicht 135 Vertrauensverhältnis zwischen Abgeordnetem und Wählern  208, 210 Verwurzelung –– gesellschaftliche siehe  Gesellschaftliche Verwurzelung Volksvertreter –– Definition 20 Volkswillensbildung  61, 166, 170, 174, 178 ff., 185, 188, 209 ff. Vorbehalt des Gesetzes 108, 113, 213, 219 ff. Vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte siehe Grundrechte Wahrnehmungszuständigkeiten 31, 33, 64 ff.

Sachverzeichnis Wehrfähige Rechtsposition 48, 128 f., 135, 145 f., 162 Weisungsgebundenheit siehe Beamter Wesentlichkeitslehre  113, 213 Würde des Bundestages  206, 216, 233

Zeugnisverweigerungsrecht  78, 79, 208 Zurechnung von Handlungen –– haftungsrechtlich  187 f., 188 ff. –– rechtstechnisch  188 ff. Zuwendungen 218

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