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German Pages 416 Year 2015
Isabel Maurer Queipo, Nanette Rißler-Pipka (Hrsg.) Dalís Medienspiele
Die Reihe »Medienumbrüche« wird herausgegeben von Peter Gendolla.
Isabel Maurer Queipo, Nanette Rißler-Pipka (Hrsg.)
Dalís Medienspiele Falsche Fährten und paranoische Selbstinszenierungen in den Künsten
Medienumbrüche | Band 20
Diese Arbeit ist im Kulturwissenschaftlichen Forschungskolleg 615 der Universität Siegen entstanden und wurde auf seine Veranlassung unter Verwendung der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur Verfügung gestellten Mittel gedruckt.
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© 2007 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Salvador Dalí, Bühnendekoration für das Ballet »Café de chinitas« (Ausschnitt), 1943 Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-89942-629-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
Inhalt Vorwort/Preface....................................................................................................... 7 Isabel Maurer Queipo/Nanette Rißler-Pipka Anmerkungen zu Dalís Medienspielen/ Remarks on Dalí’s play with the media............................................................ 9 Ferran Sáez-Mateu Cómo caerse de un tren: claves del Dalí mediático......................................25 Peter Bürger Kunst der Metamorphose – Metamorphose der Kunst Der Surrealist Salvador Dalí....................................................................................39 Volker Roloff Surreale Metamorphosen und Spiegelbilder Anmerkungen zum Narzissmus Dalís ...................................................................49 Ruth Amossy Le „Divin Dalí“ du visuel au verbal: Autoportrait et interaction dans le livre-entretien......................................................................77 Brad Epps Dalí’s Crutches .......................................................................................................95 Isabel Maurer Queipo Délir – Désir: Mystik, Hysterie und Paranoia bei Salvador Dalí ..........129 Nanette Rißler-Pipka Gala-Gradiva: Therapeutin und Muse – Kritik und Paranoia .................159 Gerhard Wild Heteropoiesis: Wahrnehmung und Ein-Bildungskraft in Dalís frühen Prosaschriften und die Ästhetik des Fin de Siècle.............199 Uta Felten Der Herr kennt den Code… – Überlegungen zur Figur des Heiligen Sebastian als Chiffre homoerotischer Intimkommunikation .........................................................................................233
Haim Finkelstein Dalí’s Theater – Elements of Mannerism and the Baroque.................... 251 Scarlett Winter Das surrealistische Bildertheater Salvador Dalís Der Theaterentwurf Tristán loco ............................................................................ 269 Marijana Erstiý „Cercò … un mago“ As You Like It (1948) oder Notizen über die Zusammenarbeit Dalí-Visconti........................................................................................................... 289 Andrea Stahl Zwischen Schaufenster und Museum: Zur Modekunst Salvador Dalís........................................................................ 299 Kerstin Küchler Paranoid Android – Salvador Dalí und der begehrliche Blick der Fotografie ....................................................................................................... 331 Joan M. Minguet Centrar la fantasía Dalí, el cine y el surrealismo ................................................................................. 347 Frédérique Joseph-Lowery Dalito destiné aux enfants: Destino................................................................ 359 Kirsten von Hagen Giraffes on horseback salad – Dalí schreibt ein Drehbuch für die Marx Brothers................................................................................................ 377 Justyna Olimpia Cempel Salvador Dalí und Catherine Millet................................................................ 393 Bildernachweis..................................................................................................... 405 Autoren................................................................................................................... 409
Vorwort Angesichts der von Dalí bewusst lancierten Überschneidungen hinsichtlich Leben und Werk, seiner Person und Galas, theoretischen und literarischen Schriften und letztlich zwischen all seinen Erscheinungsformen in den unterschiedlichen Medien, haben wir uns für eine thematische Einteilung der Beiträge entschieden, die sich als Vorschlag versteht und keinerlei Wertigkeiten impliziert. Beginnend mit Texten, die die übergreifende Fragestellung des Bandes an mehreren Beispielen verfolgen und somit einleitenden Charakter haben, bildet sich ein Schwerpunkt in der Auseinandersetzung mit psychoanalytischen Aspekten bei Dalí, die auf seine Selbstinszenierungen und Medienspiele Bezug nehmen. Es folgt ein intermediales Panorama der Inspirationsquellen Dalís, das sich mit einem deutlichen gemeinsamen Interesse an Beispielen aus Dalís frühen katalanischen Schriften über die Vernetzung von Theater und Malerei bis hin zur Fotografie, Mode und zum Film erstreckt. Einen abschließenden Schwerpunkt bildet dann Dalís Engagement im Massenmedium Film, wobei gerade nicht (erneut) die schon zahlreich untersuchten ‚Aushängeschilder‘ des Surrealismus Le chien andalou oder L’âge d’or im Mittelpunkt stehen, sondern bisher weniger beachtete Kooperationen Dalís mit Hollywood (Marx Brothers und Disney). Die kritische Lektüre von Millets aktueller Publikation Dalí et moi wird in Form eines Ausblicks mit anderen Autorinnen der gegenwärtigen französischen Literatur- und Kulturszene, die sich am Rande zur Pornographie bewegt und für die Dalís Tabubrüche Vorbild sind, erweitert. Hier lässt sich unter Umständen beobachten, in welcher Art Dalí noch heute seine Rezipienten auf falsche Fährten schickt – aufgrund seiner gekonnten Selbstinszenierung in den Künsten. Wir haben uns entschlossen, die internationalen Beiträge dieses Bandes in der Muttersprache der jeweiligen Autoren zu belassen und hoffen, durch die zweisprachige Einleitung einen Kompromiss anbieten und genug Neugier auf alle Texte entfachen zu können. Den Autorinnen und Autoren gilt unser herzlichster Dank für die Mitwirkung an dieser Publikation, die aus dem Projekt „Intermedialität im europäischen Surrealismus“ innerhalb des DFG-Forschungskollegs Medienumbrüche der Universität Siegen entstanden ist. Für die redaktionelle Mitarbeit danken wir aus unserem Team Justyna Cempel, Gesine Hindemith und Andrea Stahl, für ihre Hilfe bei der englischen Übersetzung Noelle Aplevich sowie aus dem Koordinationsbüro Georg Rademacher und Susanne Pütz. Ermöglicht hat in vieler Hinsicht dieses Buch erst Volker Roloff, dem unser ganz besonderer Dank gilt.
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Isabel Maurer Queipo/Nanette Rißler-Pipka | Vorwort/Preface
Preface In light of the deliberate coincendences effected by Dalí of life and work, of his person and Gala, of his theoretical and his literary writings and finally of all of his different manifestations in various media, we opted to order the articles in this book thematically, merely as a proposed reading without intending to imply any relative values. Contributions that take a more general approach to the questions raised in this publication and reference a number of multiple examples serve as an introduction, and show the main focus to be the analysis of psychoanalytic aspects of Dalí and his work, taking into consideration the way he exhibits himself and his play with the media. What follows is an intermedial panorama of Dalí’s sources of inspiration, ranging from a distinct common interest in Dalí’s early Catalan writings to the interconnectedness of theatre and painting and on to photography, fashion and film. Dalí’s interest in the mass media of film serves as a closing focus, which does not take Surrealism’s most widely known flagship pieces, Le chien andalou or L’âge d’or, as its central focus, but rather some of Dalí’s Hollywood cooperations (the Marx Brothers and Disney), which have not received as much attention. A critical analysis of Millets current publication Dalí et moi is extended with a look at other contemporary female authors in the French literary and cultural scene whose work is situated on the border to pornography and for whom Dalí’s taboo breaking serves as a model. Here it is possible to observe in what way Dalí, thanks to his sophisticated self-representation in the arts, is able to mislead his present-day recipients. We have chosen to present the international contributions to this book in the languages of their respective authors and hope, by way of this English-language introduction, to have found a compromise that might awaken curiosity in the varied contributions to this book. Our most sincere thanks is due the authors who contributed to this book, which stems from the research project „Intermediality in European Surrealism“, itself part of the DFG research centre Medial Upheavals at the University of Siegen. For their help with the editorial work, we like would like to thank our team members Justyna Cempel, Gesine Hindemith and Andrea Stahl, along with our colleagues from the coordination office, Georg Rademacher and Susanne Pütz, and Noelle Aplevich for her help with the English version of the introduction. In many ways, this book was first made possible by Volker Roloff, to whom our very special thanks is due. Isabel Maurer Queipo
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Nanette Rißler-Pipka
Isabel Maurer Queipo/Nanette Rißler-Pipka
Anmerkungen zu Dalís Medienspielen Salvador Dalí ist ein Künstler, der polarisiert: zwischen Genie und Wahnsinn, Kunst und Kommerz oder gar Können und Kitsch. Wie kaum ein anderer Surrealist ebnet Dalí den Weg zur „technischen Reproduzierbarkeit des Kunstwerks“ bis hin zum Spiel mit den Medien und mit den medialen Möglichkeiten. Wenn heute die Ausstellungen und Veranstaltungen zu seinem 100. Geburtstag im Jahr 2004 Besucherrekorde sprengen und seine Bilder auf Mousepads, Schlüsselanhängern und ähnlichen Souvenirs reißenden Absatz finden, dann liegt das nur zum Teil am aktuellen Event-Charakter der Museen. Dalí selbst perfektioniert die Inszenierung seiner Person und seiner Werke schon in den frühen 1920er Jahren. Von Medienspielen zeugen nicht nur sein Engagement im noch jungen Medium Film und später in den Bereichen Mode, Werbung, Fernsehen, sondern auch die Entwicklung der paranoisch-kritischen Methode und komplexer Bild-Text-Beziehungen, die vor allem in seinen bisher kaum beachteten Schriften entfaltet werden. Auf der einen Seite greift Dalí schon früh auf eines der ältesten Medien zurück und versucht sich als Dichter. Auf der anderen Seite experimentiert er Zeit seines Lebens mit den jeweils neuesten medialen technischen Spielereien. Damit verweist er nicht nur auf den einschneidenden Medienumbruch um 1900, der durch die letztlich massenmediale Verbreitung von Fotografie und Film eingeleitet wird, sondern nimmt die fortschreitende Vernetzung und Verarbeitung vom Kunstwerk, das als digital reproduzierbares icon die Grenzen zwischen Kunst, Werbung, Kommerz zusehends verwischt und heute als kulturelle Veränderung des Medienumbruchs um 2000 wahrgenommen wird, vorweg. Dies kann man aber auch mit der in Deutschland vor allem von Peter Bürger geführten Avantgardedebatte in Zusammenhang bringen. Die These, dass der Erfolg des Surrealismus ihn gleichzeitig beendet, lässt sich am Beispiel Dalí scheinbar exemplarisch belegen. Vom Provokateur entwickelt er sich vermeintlich, unter dem surrealistischen Vorsatz Kunst und Leben zu vereinigen und die „bedingungslose Kapitulation der Realität“1 herbeizuführen, immer mehr zum Popstar-Künstler, der für die Masse leicht verdauliche Schockeffekte inszeniert. Es verwundert daher auch nicht, dass der Prolog des von Manuel Cussó-Ferrer 2000 erstmalig verfilmten Drehbuchs von Dalí mit dem Titel Babaouo zunächst sämtliche Dalí-Websites per google-Suche im Schnelldurch1
Dalí: Unabhängigkeitserklärung der Phantasie und Erklärung der Rechte des Menschen auf seine Verrücktheit, S. 135.
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Isabel Maurer Queipo/Nanette Rißler-Pipka | Dalís Medienspiele/Dalí’s play with the media
lauf zeigt, um daraufhin Dalí-Touristen in Figueras zu fragen, ob sie den Namen „Babaouo“ schon mal gehört hätten. Diese zugegebenermaßen recht naive Vorgehensweise in einem Film, dem es letztlich nicht gelingt, Dalí ins 21. Jahrhundert zu versetzen, zeigt dennoch wie sehr der Künstler zur Marke geworden ist. Demnach würde das vielzitierte Anagramm, das Breton aus seinem Namen bildete, Avida Dollars, bestens passen. Dass Dalí jedoch nicht erst durch die kulturellen Veränderungen des zweiten Medienumbruchs zu dieser ‚Marke‘ wurde, zeigte in differenzierter Art und Weise die Ausstellung Dalí y la cultura de masas (Barcelona, 2004) und wird in diesem Band u.a. durch eine präzise Analyse von Ferran Sáez-Mateu verdeutlicht. Dalís Schaffen erschöpft sich gerade nicht in dem Bild, das er selbst von sich und seiner Kunst in die Welt gesetzt hat und das heute geradezu prädestiniert erscheint, in digitalen Medien und Kunstmerchandisingartikeln verbreitet zu werden. Besonders Dalís Schriften zeigen im Dialog mit anderen Medien, dass die ‚Marke‘ Dalí zwar eine wiedererkennbare Fassade ist, die mit den immer gleichen Motiven wie mit Plakaten für sich wirbt. Diese Inszenierung reflektiert sich jedoch im Spiel der unüberschaubaren (Eigen-)Verweisungen selbst und man erkennt dahinter – wenn auch nicht den ‚wahren‘ Dalí, so doch – eine weitsichtige, ernsthafte Beschäftigung mit zeitgenössischen Wahrnehmungstheorien aus Philosophie und Naturwissenschaft (Bergson, Einstein, aber auch Lacan, Freud, etc.). So zeichnet Dalí sehr genau die Veränderungen im Bereich der Wahrnehmung, der Kultur und der Medien in seiner Zeit nach. Dies ist aus heutiger Sicht besonders wertvoll, weil er dabei keinerlei Berührungsängste zeigt und im Gegensatz zu Breton u.a. theoretisch reflektiert sein kann und sich gleichzeitig Hollywood (Disney, Marx Brothers, etc.), der Werbung und dem Fernsehen zuwendet.2 So gilt es, das Werk des katalanischen Autors und Künstlers unter einer intermedialen Perspektive neu zu entdecken. Dalís Medienspiele zeigen sich anhand der Beiträge in diesem Band als hochkomplexes, durchdachtes, aber dennoch spielerisches Verweisungsnetz, das den Betrachter, Leser und Analytiker immerfort täuscht und enttäuscht – wobei Dalí nur scheinbar die spanische Tradition des engaño und desengaño aus dem 17. Jahrhundert fortleben lässt. Denn das Täuschungs- und Verwandlungsspiel zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit der Paranoia wird erneut nur scheinbar in der (von ihm selbst) mitgelieferten Kritik aufgelöst. Im Gegenteil lässt sich gerade im Zusammenhang von Bild und Text (und anderen Medien) nachweisen, dass Dalís ‚Selbstanalyse‘ den Wahn und damit die Kreativität bei sich selbst, aber auch beim Rezipienten steigert. 2
Vgl. dazu die Beiträge von Amossy, Stahl, Joseph-Lowery und von Hagen in diesem Band.
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Der in der breiten Öffentlichkeit vor allem für seine Malerei bekannte spanische Künstler Salvador Dalí bietet auch in zahlreichen anderen Gebieten Anlass zu Reflexionen und Forschungen zu Literatur, Fotografie, Design, Werbung, Film, Theater, Bühnendekoration. Zwar ist die Zahl der Publikationen durch das Jubiläumsjahr 2004 beträchtlich gestiegen, jedoch konzentrieren sich die Studien oftmals auf Einzelaspekte wie seine Malerei, seine Schriften, den Surrealismus. Der vorliegende Band möchte dagegen eine Zusammenschau bieten, die nicht nur Dalís praktischen Umgang mit den Medien und Künsten, sondern auch seine theoretischen Hintergründe, sein Repertoire an Quellen beleuchten möchte. Dabei wird vor allem auch das Phänomen Salvador Dalí als öffentliche und private Person, als selbstkreierte Figur, als Kunstwerk und sein Verhältnis zu seinem Werk und Publikum präsentiert. Mit den ‚falschen Fährten und paranoischen Selbstinszenierungen‘ eröffnet der spanische Universalkünstler letztlich (Medien)Spiele mit seinen Rezipienten, die gängige Vorstellungen von Wahrheit und Fiktion, von Phantasie und Realität brüchig werden lassen und zum Überdenken dieser Wahrnehmungsphänomene einladen. * Salvador Dalí vergleicht sich mit Leonardo da Vinci oder Picasso und betrachtet sich selbst als universal begabtes Genie. Er nutzt jedoch, anders als seine Vorbilder, die vorhandenen Möglichkeiten der Medien für seine öffentlichen Inszenierungen in ganz besonderer Weise. So greift Dalí die im 18. Jahrhundert angelegte und im Sturm und Drang weitergeführte Genie-Lehre um die dichterische Freiheit des Künstlers auf und verknüpft sie mit den romantischen Vorstellungen des Zusammenwirkens von Genie und Wahn, um sie jedoch nach seinen Ideen zu demontieren und neu zu erschaffen. Der „Meister der Selbst-Propaganda und Selbst-Mystifizierung“ (Cempel) spielt nicht selten den wahnsinnigen Schöpfer und erschafft damit seinen eigenen Mythos, seine eigene „Dalí-Legende“ (Bürger). Seinen Erfolg verdankt Dalí, der selbst als „facettenreiches und schwer greifbares Konstrukt“ (Cempel) auftritt, somit nicht nur qualitativ seinem umfangreichen und breit gefächerten künstlerischen Talent, sondern seiner Medienpräsenz und skurrilen Darbietungen, bei denen nichts dem Zufall überlassen wird. Scheinbar improvisierte Auftritte sind bis ins letzte Detail konstruiert und selbst die Zuschauerreaktionen werden gelenkt und mitbedacht. Vor allem „das amerikanische Exil markiert […] eine Phase der Entwicklung gezielter Strategien der Selbstinszenierung und -vermarktung.“ (Wild). Obwohl diese „Selbstinszenierung als Teil des surrealistischen Kunstverständnisses“ (Küchler) gesehen werden kann, brachte die „Doppelgesichtigkeit Dalís“ sowie seine „hemmungslose Selbstreklame“ (Bür-
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ger) ihm heftige Kritiken ein. Bei näherer Betrachtung wird jedoch deutlich, dass seine Obsessionen genaueste Konturen erhalten, die Irrationalität ,konkret‘, die Paranoia ,kritisch‘, der Wahn zum Genie, das Spielerische ernst wird und vice versa (Amossy). Als einzelner Künstler ist Dalí gar nicht zu fassen, sondern die unheimliche Verwischung der Grenzen zwischen den Geschlechtern, zwischen Bild und Text, Werk und Person, wird auch in der Kunstfigur „Gala-Gradiva-Dalí“ sichtbar (Rißler-Pipka). In den vorliegenden Beiträgen werden die vielfältigen Inspirationsquellen angesprochen, aus denen der spanische Künstler schöpft und die sich über Kunst, Literatur, Philosophie, Psychologie und Naturwissenschaften erstrecken. Bereits als Kind ist Dalí empfänglich für alles, was in seiner Umwelt passiert und verwertet seine ‚wahren und falschen‘ Kindheitserinnerungen vor allem in seinen katalanischen Frühwerken sowie später in La vie secrète de Salvador Dalí (Wild, Epps). Geleitet von mystisch-wissenschaftlichen Visionen (Erstiý) knüpft Dalí ein intermediales Beziehungsnetz, das die heiligen Körperbilder der italienischen Renaissance mit den mystischen Körperbildern des spanischen Barock (Felten) in Verbindung setzt. Das Barocke und der Manierismus reizen den spanischen Künstler v.a. wegen ihrer Techniken der Disproportion, des schiefen Blickwinkels und der verkehrten Perspektiven, welche neue Ansichten von Größe, Energie und Dynamismus bieten und die Manipulation des Sichtfeldes fördern (Finkelstein). Vor allem die religiösen und mystischen Darstellungen spielen dabei eine herausragende Rolle. Dalí reiht sich in eine Genealogie ikonographischer Heiligenpräsentationen wie diejenige des Heiligen Sebastian (Felten, Maurer Queipo, Wild) ein, die er dann jedoch durch eine ars combinatoria neu definiert und kreiert. Auch die Romantik liefert mit ihren Vorbildern für Dalí wie Raymond Russel (1877-1933), der katalanische Philosoph Francesc Pujols (1882-1962) oder der italienische Poet Gabriele d’Annunzio (1863-1938), der sich auch durch Fotografie und Film zur öffentlichen Figur stilisierte (Sáez-Mateu), Stoffe und Faszinationsmuster. So reizt v.a. die „Geisteswelt des späten 19. Jahrhunderts“, das Phänomen der Décadence mit ihrer „Substitution des äußeren Lebens durch künstliche Paradiese (Künste, Drogen, spirituelle Praktiken), Betonung exotischer Formen der Erotik […] sowie die Medialisierung aller Kommunikations- und Wahrnehmungsformen“ (Wild). Als weitere Quellen der Inspiration müssen die katalanische Avantgarde sowie der Dadaismus und schließlich der Surrealismus, den Dalí entscheidend prägt und von dem er sich aber auch distanziert, genannt werden. Konkret zu Dalís Vorbildern zählen einzelne Künstler und ihre Konzeptionen wie Miró, der mit seiner Antikunst die Malerei töten wollte, und Artauds kinematografische Konzeptionen, die den Intuitionalismus, der onirischen und hypnagogi-
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schen Qualität der Filme nachspüren (Minguet). Der sogenannte veristische Surrealismus, das Depaysement, jene Gleichsetzung von wahren Tatsachen oder diesen ähnlichen Tatsachen („hechos reales o parecidos a los reales“, Minguet) mit Attributen wie enigmatisch, inkohärent, irrational, absurd, ohne Erklärung, lassen die Realität, den Alltag, Alltagselemente wie den faulenden Esel als surreal erscheinen, zeigen jedoch einerseits die Willkürlichkeit von Bedeutungs- und Sinnebenen und andererseits die Abhängigkeit von der Wahrnehmung des Rezipienten. Der Surrealismus insgesamt als „Projekt einer Revolutionierung aller Lebensverhältnisse“ (Bürger), kam v.a. dem jungen Dalí ideologisch sehr nah. Da dies jedoch meist nur durch Verfahren wie „automatisches Schreiben, Traumprotokolle – die das Ich auf Passivität verpflichten“ (Bürger) geschehen konnte, kreierte er später seine eigene aktive kritisch paranoische Methode. War Dalí zunächst einige Zeit zur „treibenden Kraft der Bewegung“ (Bürger) stilisiert worden, kamen dann zusätzlich sowohl privat, aber auch auf künstlerischer Seite Unstimmigkeiten auf, die auch mit einigen politischen Missverständnissen zu tun hatten. So bezeichnete Dalí sich selbst als „un porc excellentissime“, der mit Freude eine Medaille von Franco entgegen nahm (Amossy). Auch was die theoretischen, naturwissenschaftlichen und technischen Debatten seiner Zeit angeht, schien Dalí alle aktuellen Einflüsse wie ein Schwamm in sich aufzusaugen, um sie später verfremdet wieder auszuspucken. So hinterließen das Auftreten des polnischen Illusionskünstlern Onofroff und seine Verknüpfung unüblicher, seltsamer und paradoxer Ereignisse („una sucesión de hechos inusuales, extraños, paradógicos“, Sáez-Mateu) sowie die Erfindung und das folgenreiche Austesten der Atombombe, Spuren in Theorie und Praxis des spanischen Dandys. Eine weitere intensive Auseinandersetzung, die in zahlreichen Beiträgen hier diskutiert wird, ist vor allem bezüglich der psychoanalytischen Theorien von Freud, Lacan und Bataille zu beobachten sowie hinsichtlich der Überlegungen zur Erinnerung und Wahrnehmung von Objekten bei Bergson, Warburg, Proust. Es ist in der Forschung nicht ganz eindeutig, inwiefern sich Künstler und Wissenschaftler gegenseitig beeinflusst haben. Fest steht, dass sie voneinander profitiert und ihre Theorien bereichert haben. So habe, um nur einige Punkte zu nennen, Freud früh das Konstruktive und das Konstruierte bei Dalí festgestellt, der eben nicht nach surrealistischen Prämissen aus dem Unbewussten schöpfe, sondern „bewusst Motive der Psychoanalyse aufgreift“ (Bürger) und sich die kreative Macht des Unbewussten zu nutze mache. Ferner setzt Dalí dem Realitätssystem das Lustprinzip entgegen, das bei Freud neben dem Todestrieb als basische Triebnatur eines jeden Menschen festgelegt wurde. Dalí lässt beide Prinzipien, Eros und Thanatos, sich entfalten, während Freud die Eingrenzung und Unterdrückung für gesellschaftlich notwendig hält. Diese
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Freude an Erotik und Perversionen, an Transgression und Tabubruch teilt Dalí mit Georges Bataille, für den der Horror und das Trügerische das gleiche oder die Vor- und Rückseite einer gleichen Empfindung darstellt (Minguet). Diese Gemeinsamkeiten zwischen Dalí und Bataille konnten jedoch nicht den offenen Bruch, der sich am Skandalbild Le jeu lugubre (1929) entzündete, überwinden. Auch in Zusammenhang mit Lacan gehen die Meinungen auseinander. Während viele Studien den Einfluss Lacans auf Dalí forcieren, argumentieren hier Bürger, Epps, Roloff, Amossy u.a., dass Dalí eine Bestätigung seiner paranoisch-kritischen Methode in Lacans Paranoiastudie (1932) fand, die wiederum an Hegels Phänomenologie des Geistes angelehnt ist. Epps nennt mit der Sprache, dem Sehen und der Sexualität drei zentrale Themen, die Lacan und Dalí verbinden und die sich auf die paranoisch-kritische Methode ebenso beziehen wie auf die Frage nach den Bild-Text-Beziehungen („the fracture of vision […],of sexuality […], of the verbal sign“, Epps). Roloff bezieht die Gemeinsamkeiten konkret auf das „Spiegelstadium als ein immer neu inszenierbares und wiederholbares inneres Drama, als ein groteskes, karnevaleskes Spiel“. Sowohl für Dalí, als auch für Lacan ermöglicht das Phänomen der Paranoia eine endlose Zahl an Interpretationen eines Kunstwerkes, Landschaften, Wolken, etc., so dass die Wahrnehmung sich in einem ständigen Prozess befindet. Dabei ist die Interpretation „letztlich Projektion von Bedeutung und als solche der Paranoia verwandt“ (Bürger). Dadurch können neue Raumkonzepte und Änderungen bestehender Raumkonzepte, der Raumwahrnehmung zustande kommen, wodurch die paranoisch-kritische Methode auch als ein Eingriff in das Leben und in den sozialen Bereich („form of intervention in life and in the social sphere“, Finkelstein) gesehen werden kann. Die paranoisch-kritische Methode wendet Dalí auf sein Gesamtwerk an, auf die Malerei, die Literatur, die Mode (Stahl), das Theater und den Film. So wird z.B. Tristán loco als „espectáculo paranoico“ bezeichnet (Winter). Wie in dem gesamten Lebenskonzept Salvador Dalís spielt also auch hier die Konstruktivität eine maßgebliche Rolle, entfernt sich vom passiven Automatismus, dem Bereich des Unkontrollierbaren und nähert sich schließlich auch der kathartischen Idee einer Sinn suchenden Psychoanalyse (Maurer Queipo). Dalí konzipiert diese zum Teil stark ironischen Selbstanalysen („autohermeneútica o autoexégesis“, Sáez-Mateu) als „intermediales Gesamtkunstwerk“ (Cempel) und äußerst präzise durchkomponiertes Kunstprojekt („projet artistique soigneusement orchestré“, Amossy) in allen denkbaren Formaten: im Selbstbildnis, der Fotografie, in Fernsehauftritten, geschriebenen Interviews und der Autobiographie. Der dalíschen Präsenz in Prestigezeitschriften der Avantgarde wie Minotaure oder den Cahiers d’Art, der Beteiligung an Manifesten und Konferenzen oder seinem Engagement in massenmedial wirksamen Gen-
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res wie Film, Schallplatte (Oper: Dalí: Être Dieu), Fernsehen und Werbung unterstellt Sáez-Mateu eine bewusste Strategie. Unter gezielter Berücksichtigung der Marktmechanismen („mecanismos publicitarios“, Minguet) erschafft Dalí seinen eigenen Mythos, der von einer schier unerschöpflichen Wiederholbarkeit lebt („reduplication à l’infini d’une image figée“, Amossy). Einer der herausragenden Punkte im dalíschen Universum sind die daraus entstehenden Medienspiele, mit denen Dalí sein Publikum stets auf falsche Fährten führt. Dalís Freude am „Spiel mit den Ikonen der Tradition, an ihrer homoerotischen, mystischen und sexuellen Reaktualisierung und Montage“ (Felten), seine visuellen Spiele („plays of the visual“, Epps) in Anlehnung an die manieristischen Spiele und die Perspektivenspiele in der Malerei und auf der Bühne, die Anamorphosen, Deformationen und Manipulationen, sprechen die synästhetische Wahrnehmung des Publikums an und regen zu neuen Gedankenspielen an. Mit den Vor- und Rückbezügen zu den künstlerischen Quellen werden Spannungen zwischen dem Verbalen und Visuellen, dem Literarischen und dem Pikturalen aufgebaut, die schließlich beim Zuschauer zu einem Gesamtbild („total picture“, Epps) zusammengefügt werden können. Gerade die Spiele mit Bild und Text machen die intermedialen Qualitäten von narrativen Bildern und visuellen Texten (Epps) aus, da sich die „Sprache des schreibenden Malers Dalí […] in den Zwischenbereichen von Text und Bild, Sprache und Klang, Wort und Wahn ausbildet“ (Winter). Zu solchen optischen und sprachlichen Spielen, die von Dalís „film- und fotoanaloge[r] Sehweise“ (Wild) gefördert werden, zählen nicht nur die künstlerischen, sondern auch naturwissenschaftliche und linguistische Phänomene wie Anamorphosen, camera obscura, Stereoskopie und Holographie, Röntgentechnik, Polysemie, Hyperbel und Hyperbaton (Epps). Schlüsselfigur ist in den Spielen Dalís der Rezipient als ‚Spielpartner‘ oder auch Spielgegner, der mit gekonnten Täuschungsmanövern in die Irre, auf falsche Fährten geleitet wird. Das Publikum wird stets mitbedacht und so wie die Werbung den genauen Blickverlauf des Rezipienten programmieren kann, hat Dalí selbst „the movement of the spectator’s eye“ (Epps) einkalkuliert. Dazu ist es nicht einmal nötig, jeweils neue Medien einzusetzen, die Manipulation beherrscht Dalí wie zahlreiche seiner berühmten Vorbilder ebenso in der traditionellen Malerei. Der Künstler nimmt moderne Theorien vorweg, wenn er die Position des sehenden Subjektes in Relation zur gemalten Perspektive und die Art der Malerei, den Zuschauer anzusprechen, mit bedenkt (Finkelstein). Vor allem Dalís Vexierbilder stellen die Manipulation des Rezipienten zur Schau, da die Lösung direkt mitgeliefert, das Rätsel ent-rätselt und der Zuschauerblick somit gelenkt wird (Maurer Queipo). Dalí eröffnet ein „Spiel der Verweigerungen und Irritationen, das den Betrachter verunsichern soll“ (Stahl) und auch seine scheinbaren psychoanalytisch motivierten Lösungen bezüglich des zuvor
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aufgebauten Rätsels um seine Person in La vie secrète de Salvador Dalí reizen den voyeuristischen Blick des Betrachters und Lesers nur um diesen gleich darauf wieder zu enttäuschen. Letzteres erweist sich denn auch als entscheidender Unterschied zwischen Dalís künstlerischer Raffinesse und der aktuellen Antwort darauf durch Catherine Millet (Cempel). Erst in der jüngsten kritischen Ausgabe von La vie secrète de Salvador Dalí. Suis-je un génie? durch Frédérique Joseph-Lowery, die leider bei der Abfassung dieses Bandes erst in Ausschnitten vorlag, zeigt sich die Arbeitsweise Dalís als Schriftsteller und sein kreatives ‚Sprachenchaos‘ von katalanisch, spanisch, französisch und englisch. Es sind gleichsam Verwandlungsspiele auf sprachlicher, visueller wie inhaltlicher Ebene, die Joseph-Lowery im vorliegenden Band am Beispiel des hierzulande kaum gezeigten und erst 2003 in Frankreich uraufgeführten Disney-Film Dalís Destino untersucht.
Remarks on Dalí’s play with the media Salvador Dalí is an artist of contradictions; his is a world of genius und insanity, fine art and commercialism, mastery and kitsch. He, more than many of his fellow surrealist artists, brought art into the „age of mechanical reproduction“ and into play with its medial forms and the opportunities these afford. The fact that Dalí-exhibitions marking the 100th anniversary of his birth in 2004 are breaking records in visitor attendance, and sales of reproductions of his paintings on mouse pads, key fobs and other souvenir items are high, is only partly due to the event-character of today’s museum exhibits. As early as the 1920s, Dalí was perfecting the staging of his person and his works. Dalí’s play with and manipulation of media is evident not only through his interest in the ‚budding‘ medium of film and later in his participation in fashion, or publicity and television events; the ,paranoid-critical‘ method he developed and the complexity of image-text-relations in his literary works (which, until now, have received little attention) are also evidence of play with media. While, on the one hand, Dalí made use of a more traditional medial form and dabbled in literature; on the other hand, he experimented throughout his life with new developments in media technology. In so doing, he not only anticipated an incisive medial upheaval (Medienumbruch) around 1900, initiated by the widespread circulation of photography and film, but also today’s networking and reworking of the work of art as a digitally reproducible icon, blurring the limits between art, advertising and commercialism, our present-day medial upheaval around 2000.
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This foresight can be considered in the context of a current Avant-garde debate, furthered in Germany in the works of Peter Bürger. The Dalí-phenomenon provides ample evidence for the maxim that a widespread acceptance of Surrealism at the same time implicates its end. At first agent provocateur, yet committed to the surrealist resolve to unite art with life and effectuate the „unconditional surrender of reality,“ Dalí eventually turns himself into a ,pop star‘/artist, a producer of art with nothing more than lightweight shock effects. It therefore is not surprising that Manuel Cussó-Ferrer is able to open his film Babaouo (the first filmed rendering of Dalí’s script of the same name) by speedscanning numerous Dalí-websites indexed on Google. He then films tourists in front of the Dalí-Museum in Figueras being asked if they have ever heard of the name „Babaouo“. Admittedly, this is a fairly naive approach to the subject in a film which, in the end, does not succeed in bringing Dalí into the 21st century; however, it does demonstrate to what extent the artist functions as a brand name. In this context, the often-cited anagram that Breton formed out of Dalí’s name, Avida Dollars, appears to be ideally suited. That Dalí did not first mutate to a ,brand name‘ in the medial upheaval (Medienumbruch) around 2000 is evident in the careful and differentiated portrayal of the artist and his work in the exhibition Dalí y la cultura de masas (Barcelona, 2004), described in the meticulous analysis of Ferran Saéz-Mateu, among other contributions to this publication. Dalí’s œuvre, however, does not find its end in an image he created of himself and his art, which seems predestined to be diffused by digital media and merchandising products. Especially Dalí’s writing, in its dialogue with other media, demonstrates that Dalí the ,brand name‘ functions as a familiar facade, advertising itself using ever the same motifs. The repeated staging of the self and its increasingly inscrutable references, however, ends up reflecting back on itself. What can be discerned behind the facade is – if not the true Dalí – a serious engagement with the implications of contemporary theories of perception in philosophy and the natural sciences (Bergson, Einstein – also Lacan, Freud, etc.). Dalí very precisely traces changes in the fields of perception, culture and media of his time. From today’s standpoint he provides us with extremely valuable information, especially because he has no reservations about new devlepments and, in contrast to Breton and others, is capable of showing theoretical reflection while turning to Hollywood (Disney, Marx Brothers, etc.), publicity and television.3 It is therefore our task to reconsider this Catalan author and artist from an intermedial perspective. Dalí’s play with media is represented in the contri3
See also the articles from Amossy, Stahl, Joseph-Lowery and von Hagen in this book.
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butions of this book as a very complex, sophisticated, but nevertheless still playful net of references, which persists in deluding and disappointing the viewer, reader and analyst – and only pretends to make use of the 17th century Spanish tradition of engaño and desengaño. In fact, the play of delusion and metamorphosis between what is seen and not seen in the paranoia again only appears to be solved by its accompaniying critique. On the contrary, the relationships between image and text (and other media) show that Dalí’s self-referential analysis heightens not only his own sense of delusion and with it his creative potential, but also that of the work’s recipient. Most widely known for his painting, the Spanish artist Salvador Dalí also provides us with ample material for reflection and further research in his less known endeavours in literature, photography, design, publicity, film, theatre, and set design. While there are a number of new publications that focus on Dalí due to the centennial celebration in 2004, most concentrate on one aspect of his work, like his painting or his writings or surrealism. The aim of this publication, however, is to provide the reader with an overall view, one that not only reflects Dalí’s practice in his media and artistic endeavours, but also seeks to explain the theoretical foundation of his work, and illuminate his repertoire of sources. In so doing, the phenomenon that is Salvador Dalí the public and the private person, the figure created by the artist himself, the artist as a work of art will be presented, as well as his relationship to his work and his dialogue with his public. With his ,false leads‘ and ,paranoid self-representations‘, the Spanish allround-artist Dalí engages in (medialized-) play with his public that disrupts established assumptions about truth and fiction, imagination and reality, and leads to a rethinking of the phenomenon of perception. * Salvador Dalí compares himself to Leonardo da Vinci and to Picasso and sees himself as a universally talented genius. In contrast to his celebrated role models, he uses the media to stage his public appearances in a very special way. He makes use of the doctrine of artistic freedom as it was introduced in the 18th century and further developed in the Sturm und Drang period, and couples it with the Romantic vision of the genius on the brink of delusion, in order to dismantle and then recreate these according to his own ideas. The „master of self-propaganda and self-mystification“ (Cempel) often plays the mad creative genius, in so doing creating the myth of his own person, his own „Dalílegend“ (Bürger). Dalí, who presents himself as a „manifold and rarely palpable construction“ (Cempel), owes his increasing success not only to his broad and diversified talent, but also to his presence in the media, where he delivers
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bizarre performances where nothing is left to chance. Appearances which seem improvised are in fact planned to the last detail, and even audience reactions are taken into consideration and controlled. In particular, „the American exile marks [...] a phase of development of targeted strategies of selfpresentation and self-marketing“ (Wild). While self-presentation can be seen as „part of the surrealist understanding of art“ (Küchler), Dalí’s „two-facedness“ as well as his „unscrupulous self-propaganda“ (Bürger) earned him sharp criticism. However, if one takes a closer look, it becomes evident that his obsessions take on precise contours, his irrationality becomes „concrete“, his paranoia „critical“, his delusion brilliant, his frivolity becomes earnest and vice versa (Amossy). Dalí cannot be understood as one fixed artist; rather, the uncanny blurring of the boundaries of gender, between text and image, work and person is also evident in the artistic figure „Gala-Gradiva-Dalí“ (Rißler-Pipka). The articles in this book consider the manifold sources of the Spanish artist’s inspiration, across the realms of art, literature, philosophy, psychology and natural science. As early as in his childhood, Dalí is receptive to everything that happens around him and he later recycles his ,true and false‘ childhood memories, primarily in his early writings in Catalan and later in The Secret life of Salvador Dalí (Wild, Epps). Inspired by mystic-scientific visions, (Erstiý), Dalí creates an intermedial network of relations, linking holy images of saintly bodies from the Italian renaissance to body portraits from the Spanish Baroque Period (Felten). The Baroque Period and Mannerism are attractive to the Spanish artist especially because of the techniques of disproportion employed, such as the angled point of view, and inverted perspective, both providing him with innovative possibilities of conveying size, energy and a sense of dynamic. Further, these afford a manipulation of the recipient’s field of vision (Finkelstein). This approach is particulary prominent in his religious and mystic subjects. Dalí makes a place for himself in a genealogy of iconographic representations of saints like those of Saint Sebastian (Felten, Maurer Queipo, Wild), using the technique of ars combinatoria to recreate and redefine them. Romanticism is a further source of inspirational material and role models for Dalí, such as Raymond Russel (1877-1933), the Catalan philosopher Francesc Pujols (1882-1962), and the Italian poet Gabriele d’Annunzio (18631938), who also used film and photography to create a stylized public persona for himself (Sáez-Mateu). Dalí is also especially attracted to the „esprit of the late 19th century“, and the phenomenon of its décadence with the „substitution of external life through artificial forms of paradise (the arts, drugs, spiritual practices), its emphasis on exotic forms of the erotic [...] as well as the medialisation of all forms of communication and perception.“ (Wild)
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The following must also be added as sources of inspiration: the Catalan avant-garde; dadaism; and of course surrealism, in which Dalí was a decided influence, and from which he simultaneously distanced himself. Individual artists and their concepts served as role models for Dalí, such as Miró, who wanted to affect the death of painting with his anti-art, or such as Artaud’s cinematographic concepts, which seek to find in film its intuitionalism, and its oniric and hypnologic qualities (Minguet). So-called veristic surrealism, the effect of alienation (dépaysement), the equation of true facts or of facts which appear to be true („hechos reales o parecidos a los reales“, Minguet) with the enigmatic, the incoherent, the irrational, the absurd, or that which is without explication, make reality, every-day life, or every-day elements like the rotting donkey seem surreal. At the same time, they demonstrate both the arbitrariness of signification and a dependence on the recipient’s individual act of perception. From an ideological point of view, surrealism as a „project to revolutionise all of the conditions governing social life“ (Bürger) is very close to what the young Dalí stood for. As the means of achieving this were „automatic writing, records of dreams – which force the self into passivity“ (Bürger), Dalí later created his own active paranoid critical method. While at first Dalí was stylised as the „driving force of the movement“ (Bürger), later, private and artistic frictions surfaced that were due, among other things, to political misunderstandings. For example, Dalí called himself „un porc excellentissime“, who was honoured to be awarded a medal by Franco (Amossy). Dalí also appears to have had a sponge-like ability to absorb contemporary theoretical, scientific and technical debates and their influences, in order to regurgitate them in an alienated form. In this way, the performances of the Polish illusionist Onofroff and the way he combined unusual, bizarre and paradox events („una sucesión de hechos inusuales, extraños, paradógicos“, SáezMateu) as well as the invention of the atomic bomb and its testing, with all of its implications, left their traces in the Spanish dandy’s theoretical works and in his practice. An intensive engagement with the psychoanalytical theories of Freud, Lacan and Bataille and with reflections on memory and the perception of objects in Bergson, Warburg, and Proust can be observed, and is discussed here in numerous contributions to this publication. It is not clear from the existing studies about Dalí to what extent artist and scientists influenced one another. Certainly they profited from one another and their influences served to enrich each others’ theoretical approaches. Freud, for example, detected early the constructive side and the design of Dalí’s works, which are not a reliance on surrealist techniques to tap the unconscious for creativity, but „consciously takes up motifs from psychoanalysis“ (Bürger) and make use of the creative power of the unconscious. Further, Dalí counters the reality system with the pleasure principle, which along with
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thanatos (death drive) are considered by Freud to be the governing principles of human drives. Dalí revelled in both principles, eros and thanatos, while Freud held their limitation and their suppression to be a social necessity. Dalí shares this pleasure in erotic and perversions, „this declared intention to transgression, to break the taboo at all costs“ (Bürger) with Georges Bataille, for whom horror and illusion are one and the same or at least represent two sides of one impression (Minguet). However, this common ground between Dalí and Bataille was not enough to resolve the open quarrel provoked by the scandallous painting Le jeu lugubre (1929). There are also differences of opinion about the mutual influence betweem Dalí and Lacan. Whereas a lot of studies emphasize the influence of Lacan in Dalí’s work, here Bürger, Epps, Roloff, Amossy and others argue that Dalí found a confirmation of his own paranoid critical method in Lacan’s study of paranoia (1932), which itself draws on Hegel’s Phenomenology of the Mind. Epps names three central subjects that connect Lacan and Dalí: „the fracture of vision […], of sexuality […], of the verbal sign“. All three reference the paranoid critical method as much as the question of the relation of image to text. Roloff sees in Lacan and Dalí a mutual interest in the „mirror stage as an infinitely repeatable and reproducible inner drama, a grotesque and carnevalesque game“. For both Dalí and Lacan the phenomenon of paranoia opens up an infinite number of interpretations of the work of art, of landscapes, of clouds, etc., so that the perception becomes a never-ending process. In this context, interpretation becomes „in the end a projection of signification and thus related to paranoia“ (Bürger). In this way, new concepts of space and changes in existing concepts of space and of its perception become possible. As such, the paranoid critical method can be seen as an „intervention in life and in the social sphere“ (Finkelstein). Dalí applies the paranoid critical method to all of his work, in painting, literature, fashion (Stahl), theatre and film. As such, Tristán loco is referred to as an „espectáculo paranoico“ (Winter). Constructivism is very important here, as it is in Dalí’s whole life concept, as a departure from the passive automatism and the realm of the uncontrollable, and also as an approximation of the cathartic idea of psychoanalysis a search for meaning (Maurer Queipo). Dalí conceives of this, in part, very ironic self-analysis („autohermeneútica o autoexégesis“, Sáez-Mateu) as an „intermedial synthesis of art“ (Cempel) and as a carefully composed artistic project („projet artistique soigneusement orchestré“, Amossy) in all imaginable genres: self-portrait, photography, television performances, written interviews and autobiography. Sáez-Mateu sees a strategic plan behind Dalí’s presence in avant-garde prestige journals such as Minotaure or Cahiers d’Art, or in his participation in manifestos and conferences or his active involvement genres with the influence of mass media like film,
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record albums (opera: Dalí: Être Dieu ), television and advertising. With his targeted consideration of market mechanisms („mecanismos publicitarios“, Minguet) Dalí succeeds in creating his own mythic persona, which feeds on the inexhaustible reproduction of a fixed image („reduplication à l’infini d’une image figée“, Amossy). What stands out most about the Dalí universe is the resulting play with the media, with which Dalí constantly misleads his audience. He takes pleasure in „play with icons of tradition, in their homoerotic, mystic and sexual re-actualisation and montage“ (Felten). His delight in „plays of the visual“ (Epps) that draw on mannerism and on play with perspective in painting and theatre, and his delight in anamorphoses, deformations and manipulations appeal to his public’s synaesthetic perception and invite the creation of new mind games. By means of anticipatory and reminiscent references to artistic sources Dalí creates tensions between the verbal and the visual, between the literary and the pictoral, which, in the end, can be resolved by the recipient as a „total picture“ (Epps). Just this play of image and text is what characterises the intermedial quality of his narrative images and pictoral texts – „The narrative qualities of his pictorial works and the pictorial qualities of his narrative works“ (Epps) – because the „language of the writing painter Dalí […] is formed in the inbetween spaces of text and image, language and sound, word and delusion“ (Winter). The optical and verbal games that are the product of and enhanced by Dalí’s „way of seeing that is analogous to film and photography“ (Wild) consist not only of artistic, but also scientific and linguistic phenomena like anamorphoses, camera obscura, stereoscopy and holography, X-rays, Polysemy, Hyperbol und Hyperbaton (Epps). The key figure in Dalí’s games is always the recipient as partner or as adversary, whom Dalí continously attempts to mislead with sophisticated feints. He always has his audience in mind and, just as advertising is able pre-program the recipient’s gaze, Dalí attempts to calculate „the movement of the spectator’s eye“ (Epps). In order to do this, it is not necessary for him to use new media; Dalí, like his numerous role models, is a master at this in traditional painting. Dalí anticipates modern theories in that he keeps in mind the „viewer subject’s position in relation to the painting’s perspective and the way the painting addresses him“ (Finkelstein). In particular, Dalí’s picture puzzles (Vexierbilder) evidence his manipulation of the spectator, as the artist provides the solution directly within the image, solving the riddle and steering the spectator’s gaze in viewing the painting (Maurer Queipo). Dalí opens up a „play of refusals and irritations, which is meant to alienate the spectator“ (Stahl). In the same way, the apparent psycho-analytical explanations he offers for the questions surrounding his person in The Secret life of Salvador Dalí seek to attract at one moment the spectator’s or the reader’s voyeuristic eye only to disappoint
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in the next. This disappointment proves to be the crucial difference between Dalí’s artistic sophistication and Cathérine Millet’s response to it today (Cempel). It is only in the most recent critical edition of La vie secrète de Salvador Dalí. Suis-je un génie? by Frédérique Joseph-Lowery that Dalí’s method as a writer and his creative ,linguistic chaos‘ of Catalan, Spanish, French and English come to light. Regrettably, at the time of drafting the present publication, there were only excerpts of this new edition available. In this publication, Joseph-Lowery analyses Dalí’s play with metamorphosis on a verbal, visual and thematic level with reference to Dalí’s Disney film Destino, which was not premiered until 2003, in France, and which has hardly been screened in Germany.
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Ferran Sáez-Mateu
Cómo caerse de un tren: claves del Dalí mediático En este texto intentaremos mostrar que la estrecha relación de Salvador Dalí con los medios de comunicación de masas del siglo XX, y especialmente con la construcción del personaje que lo acabaría haciendo mundialmente famoso, es muy anterior a su actividad pública como pintor. En efecto, tal y como se desprende de la lectura de Les meves impressions i records íntims. Un dietari: 1919-1920, es el Dalí adolescente quien, con 16 años, vislumbra un proyecto vital que sólo resultaba viable, o cuando menos plausible, en un contexto estrictamente mediático. En consecuencia, el conocido lugar común según el cual Dalí habría intuído las inmensas potencialidades de promoción personal de los media a partir de su larga estancia en los Estados Unidos de América, no se ajusta a la realidad. El origen de ese tópico radica probablemente en las críticas posteriores de los surrealistas franceses, liderados por Breton. El proyecto artístico y vital de Dalí, en definitiva, fue ideado o fantaseado cuando éste todavía asistía a las clases del instituto en el año 1919. Partía de una conciencia muy clara sobre el nuevo papel que tendrían los medios de comunicación de masas tras la Primera Guerra Mundial.
1
De la pintura al pintor: un epígono mediático de la mentalidad romántica
Salvador Dalí (1904-1989) repitió en incontables ocasiones y en toda clase de contextos que su mejor obra de arte era él mismo. A diferencia de un cuadro o de una escultura, esa obra viviente era, esencialmente, el resultado de una construcción mediática muy elaborada. Dalí habría así diseñado y gestionado eficazmente, a nivel mundial, el personaje denominado „Dalí“ hasta transformarlo en una entidad autónoma, dotada de una conducta y de un discurso propio reconocible e irrepetible. Ello no significa que el personaje „Dalí“ carezca por completo de precedentes directos e identificables. El más claro es sin duda Raymond Roussel (1877-1933), al que muchos autores consideran un exponente esencial en los inicios de la actitud pública de Dalí.1 El segundo referente indudable está representado por la figura del inclasificable filósofo catalán Francesc Pujols (1882-1962), omnipresente en la obra de Dalí. El peculiar sentido del humor del pintor ampurdanés debe mucho más a Pujols y otros 1
Caburet: Raymond Roussel.
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excéntricos personajes de la Cataluña de principios de siglo que no a la influencia del París de la misma época.2 De una manera más tangencial, pero sin duda importante, cabe destacar en tercer lugar el ejemplo del poeta italiano Gabriele d’Anunzio (1863-1938), pionero en la gestación de un personaje público a través de la fotografía y del cine. Aunque todavía en un estadio muy incipiente, D’Anunzio es probablemente el primer autor moderno que no tiene reparos en mezclar el prestigio secular de la letra impresa con las todavía inciertas potencialidades de las nuevas tecnologías de la imagen, hasta el punto, por ejemplo, de posar completamente desnudo o con disfraces extravangantes ante los pioneros de la fotografía en Italia. En el momento de su muerte, en 1938, D’Anunzio era más un „personaje mediático“ – como lo llamaríamos hoy en día – que un simple poeta. El exquisito decadentismo del vate italiano – que con el tiempo se convirtió en un destacado puntal de la cultura fascista – tiene poco o nada que ver con el autor de El Gran Masturbador; la elaboración mediática de su complejo personaje, en cambio, constituye un precedente que Dalí no pudo ignorar. El personaje „Dalí“, en definitiva, no era otra cosa que la consumación de un proyecto perfectamente premeditado, basado en el control de los medios de comunicación de masas y aplicado al ámbito concreto de la creación artística. De esta manera, la pintura y toda el aura que la rodea podía autotrascenderse en forma de producto cinematográfico o televisivo, por ejemplo. El objeto artístico, en consecuencia, resultaba así indistinguible de la propia acción necesaria para llevarlo a cabo (y no en la intimidad de un taller, sinó públicamente, ante una cámara). El nuevo producto ya no era la pintura-objeto (paradigma clásico), ni siquiera el pintor-genio (paradigma romántico), sino „el pintar“. Este es el sentido de la acción, de la performance (paradigma contemporáneo). Tal y como lo intuyó Warhol, al nuevo paradigma le es inherente la complicidad de los medios de comunicación de masas; en caso contrario, la performance no trasciende la categoría de boutade que se agota en si misma (y no por el hecho de ser efímera, sino insubstancial). Pero la reivindicación del personaje público en términos de objeto, no de sujeto, tiene una raíz inequívocamente romántica.3 No es otra cosa que la reformulación agónica de la figura del genio, pero en clave vanguardista. Este cruce de perspectivas, por fuerza confuso, podría inducirnos a pensar que la asunción o reconocimiento del personaje, en cuanto entidad creada, deja entrever o pone de manifiesto la verdadera intención de su creador, en este caso Salvador Dalí. Así, el sujeto/persona quedaría, en apariencia, nítidamente se2
La mejor recreación de ese momento histórico es la que realiza Josep Pla en su biografía de Pujols. Pla: Tres biographies.
3
Argullol: El Héroe y el Único, pp. 269-301.
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gregado del objeto/personaje. Esto no es exactamente así, sin embargo. Como en un juego de espejos, no resulta nada sencillo diferenciar las figuras reales de su reflejo espectral. La cuestión nos retornaría repentinamente al alba de la Modernidad, a la célebre sentencia de Montaigne: „c’est moy que je peins“4. En definitiva: Dalí no está haciendo nada substancialmente alejado de la tradición moderna5; sólo la continúa por medio de otro lenguaje y a partir de otros condicionantes históricos (la bien o mal llamada „sociedad de masas“). Este asunto nos llevaría por senderos muy alejados de la intención inicial de este texto; nos limitamos, pues, a remarcar su importancia. En todo caso, he aquí la enorme paradoja: „Dalí“ no es un mero personaje, artificioso y sobrevenido, de Salvador Dalí en la medida en que este producto insólito forma parte inseparable del proyecto vital del pintor, expresado de una manera nítida y explícita, casi ingenua, en plena adolescencia, a los quince o dieciséis años. Nos acercamos, por tanto, a una situación muy parecida a la que plantea la célebre „paradoja del mentiroso“6. Estamos referiéndonos, naturalmente, a Les meves impressions i records íntims. Un dietari: 1919-1920, que es la primera obra literaria de Dalí.7 Por muchas razones, este libro es una pieza clave de la bibliografía daliniana. No fue reescrito – ni siquiera retocado – por el autor, y su publicación resulta extraordinariamente tardía debido a las grandes reticencias que manifestó el propio autor. Esta prevención tiene, en cualquier caso, una explicación muy sencilla. „Si bien“ – explica Fèlix Fanés – „el argumento esgrimido fue el control que quería ejercer sobre la comercialización de sus productos, lo más probable es que el motivo fundamental de las reticencias de Dalí proviniera del temor a que la publicación del diario destruyera la imagen que tan arduamente había ido construyendo; temor perfectamente comprensible si tenemos en cuenta que en aquel momento la idea que predominaba era la que él mismo había creado a través de su célebre Vida Secreta 4
„Je vois qu’on m’y voie en ma façon simple, naturelle et ordinaire, sans contention et artifice: car c’est moy que je peins.“, Montaigne: Essais, p. 3.
5
Sobre la relación de Montaigne con el inicio de esta tradición existen dos obras de referencia: Friedrich: Montaigne; Starobinski: Montaigne en movement.
6
Existen muchas versiones de esta paradoja, pero una de las más conocidas es la que se plantea en una sentencia equívoca basada en la yuxtaposición de lenguaje y metalenguaje: „Esta frase es falsa“. Si es falsa, entonces es verdadera (precisamente porque la frase se niega a si misma); pero si es verdadera, quiere decir que es falsa (es lo que dice la frase), y así infinitamente.
7
Dalí: Les meves impressions i records íntims. El texto ha sido reeditado recientemente (2003) por Destino/Fundación Gala Dalí en el primer volumen de la obra completa del pintor. Nuestras referencias directas se basarán en la paginación de esta segunda edición; el prólogo de Fèlix Fanés corresponde, sin embargo, a la edición de Edicions 62.
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(1942)“8. En este diario, que corrobora la firme vocación literaria y la voluntad de estilo del pintor, se puede observar a un joven fascinado por las ideas revolucionarias de la época, defensor incondicional de la Unión Soviética y de la causa del proletariado catalán. Nada que ver, pues, con el personaje diseñado posteriormente, monárquico, reaccionario y partícipe de una extraña – pero fructífera – relación simbiótica con el régimen del general Franco. Justo es decir que esta relación sólo se hizo efectiva en contextos estrictamente mediáticos, sobre todo en el NO-DO9 y en la televisión de la época. Dejándose filmar al lado de Franco, Dalí otorgaba una pátina de modernidad al régimen dictatorial, que resultó fundamental en las campañas internacionales de promoción de la incipiente industria turística española; a cambio, Dalí obtenía el pasaporte político que le permitía llevar una vida libérrima, escandalosa, provocadoramente caótica. Es preciso subrayar, en todo caso, que esa relación era un mero producto mediático consensuado entre ambas partes, pero nada más (según Paul Preston, el general Franco consideraba que Dalí era esencialmente „un degenerado“).
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El Dalí adolescente y los medios de comunicación: un descubrimiento precoz
Siendo todavía un adolescente, Dalí constata que la realidad del siglo XX se construye en los medios de comunicación de masas. Esa realidad mediática es autónoma y obedece a unas reglas específicas que tienen poco que ver con el discurrir de los hechos cotidianos. Esta es una de las ideas que más soprenden al leer el diario daliniano, sobre todo si comparamos ese texto con la ingenuidad de otros artistas de su generación, anclados todavía en una visión de las 8
Fanés: „Prólogo“, p. 7.
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El NO-DO (1942-1975) fue uno de los instrumentos más eficaces de la propaganda franquista. Se trataba de noticiarios y documentales exhibidos (obligatoriamente) en los cines de todo el territorio español: desde un pueblo remoto hasta una gran ciudad. Al principio poseía un formato más bien rudimentario, basado en la mera visualización de los logros económicos y sociales del régimen – casi siempre en términos hiperbólicos – así como al culto a la personalidad del dictador (reportajes sobre inauguraciones de obras públicas, ceremonias religiosas a las que asistía Franco, etc). A mediados de la década de 1960 ese carácter abiertamente propagandístico se intentó combinar con una estética más acorde a los nuevos tiempos y un lenguaje menos marcial e ideologizado. El régimen intentaba mostrar otra imagen, y cabe decir que Dalí contribuyó enormemente a la consolidación de esa ficción. A principios de la década de 1970, el NO-DO degeneró en una especie de magazine agónico, incapaz ya de competir con la televisión. Tranche/Sánchez-Biosca: NODO.
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relaciones culturales completamente decimonónica. Se trata de la exploración de un espacio dialógico complejo y nuevo, que Dalí aprenderá primero a interpretar y posteriormente a manipular y gestionar con una indudable pericia. Las intuiciones del adolescente sobre esta cuestión son precisamente las que encabezan – o quizás motivan – su diario, que empezó a escribir el 10 de noviembre del 1919. „Han corrido rumores de que el lock-out se había solucionado, pero hay algo que me hace pensar lo contrario. De todos modos, no hay nada cierto en todo esto. Esta tarde tampoco ha llegado El Sol “ 10. En tres frases, el futuro pintor (recordemos que en aquel momento sólo tiene 16 años) muestra claramente que conoce los mecanismos básicos de la comunicación de masas. Contrapone la noción de rumor a la de fuente fiable, pero interpone entre ambos su propio criterio. La conclusión – „no hay nada cierto“ – resulta significativa. Los Dalí estaban suscritos a El Sol, aunque también compraban regularmente La Publicidad (que en aquel momento no se editaba en catalán sino en español). Salvador Dalí no se limita, sin embargo, a leer las noticias. Las comenta, en general con una agudeza impropia de un joven de su edad. Más que „leer lo que ha pasado“, analiza el propio redactado de la noticia. Esta actitud crítica, casi escrutadora, queda reflejada en fragmentos como el siguiente: Monsieur Deschanel11 ha caído del tren. Vale la pena apuntarlo (los diarios no hablan de otra cosa y ponen en primera plana: „El gesto y la sangre fría del Presidente“). No veo que para caerse de un tren se necesite mucha sangre fría! Me parece que se necesita más sangre fría para morir en una barricada. No obstante, cuando esto pasa, leemos en un rincón del periódico: „después de los sucesos encontraron también cadáveres, Vicente tal y cual, etc“, y hacia estos héroes ni una línea de admiración.12
10 „Han corregut rumors de que el lock-out s’havia solucionat, però no sé que és lo que em fa pensar el contrari. De tots modos, no hi ha res de cert. Aquest vespre tampoc ha arribat El Sol.“, Dalí: Les meves impressions i records íntims, p. 45. 11 El presidente de la República Francesa en 1920. Al intentar abrir una ventana del vagón presidencial, perdió el equilibrio y cayó a la vía en plena noche. El extraño episodio lo recogió La Publicidad (25-5-1920) bajo el título El Presidente se cae del tren a la vía, resultando ileso de milagro. La sangre fría del Presidente. El hecho – intrascendente en último término – se hizo mundialmente famoso. 12 Este tipo de contraposiciones de carácter político, a menudo erráticas o intempestivas, son una constante del dietario daliniano que comentamos. A pesar de que en su madurez siempre se definió como „apolítico“, el Dalí adolescente estaba absolutamente politizado y defendía posiciones radicales de extrema izquierda, cosa que le comportó incluso una breve estancia en la cárcel.
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Ahora bien, si se cae el presidente del tren, o bien se le cae un bastón pasando por tal calle: „La heroicidad del Presidente!!!! Burros!“13 Es más que probable que el episodio protagonizado involuntariamente por el presidente Deschanel – hoy olvidado, pero que dio la vuelta al mundo en el año 1920 – tuviera una notable influencia en el proyecto vital y artístico del Dalí adolescente. El futuro pintor se da cuenta, sorprendido, que lo importante no son los hechos en sí mismos, sino su repercusión mediática. ¿Y cómo se logra ese objectivo? Sólo hay dos posibilidades: o bien a través de episodios objetivamente importantes (el estallido de una guerra, una catástrofe natural, etc); o bien – y aquí está la clave – con la recreación de hechos banales pero que, teniendo en cuenta su carácter inusual o extravagante, permiten construir una narración atractiva, apta para el consumo masivo. Las noticias que no son ni una cosa ni la otra (la barricada que comenta Dalí, relativamente frecuente en aquellos días convulsos) acaban habitando el limbo mediático en forma de noticia breve. El Dalí maduro tendrá muy claro que la inauguración de una exposición, pongamos por caso, tampoco entra en ninguna de las dos categorías mencionadas y, en consecuencia, tiene muchas probabilidades de transformarse en un miserable breve periodístico. La única posibilidad de comunicar masivamente la existencia de aquel hecho pasa, pues, por la creación de un episodio inusual o extravagante, etc. Salvador Dalí acabará siendo un maestro en esta materia. Y, de alguna manera, también acabará expresando lo mismo que dijo, siendo un joven de 16 años, en relación a la noticia del presidente Deschanel: „burros!“. El dietario que estamos comentando se hace eco extensamente de un segundo episodio, en este caso de alcance local, que llama muchísimo la atención del joven Dalí. Se trata de la actuación en Figueres de un mago llamado Onofroff, de renombre internacional, que se dedicaba especialmente al mentalismo. Como era de esperar, Dalí queda más fascinado por la repercusión que el espectáculo generó en el público asistente que no por el espectáculo en sí mismo.14 El show del tal Onofroff consistía en una sucesión de hechos inusuales, extraños, paradógicos. Parece claro que Dalí tomó buena nota de lo acontecido en la sala. 13 El texto original mezcla catalán y español. „Monsieur Deschanel ha caigut del tren. Val la pena apuntar-ho (els diaris no enraonen d’altra cosa i posen a primera plana: ‚El gesto y la sangre fría del Presidente‘). No veig que per caure del tren es necessiti molta sang freda! Trobo que se’n necessita més per morir en una barricada. No obstant, quan això passa, ens en enterem en un racó: ‚después de los sucesos encontraron también cadáveres, Vicente tal y cual, etc‘, i per aquests herois ni una línia d’admiració. Ara, cau el president del tren, o bé li cau un bastó al passar per tal carrer: La heroicidad del Presidente!!!! Burros!“, Dalí: Les meves impressions i records íntims, p. 144. 14 Ibid., pp. 206-208.
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Tener ideas originales o poseer talento no es suficiente: hace falta „exteriorizarlo“, como dirá el pintor en uno de los fragmentos más significativos del dietario. Que dichoso seré el día en que podré exteriorizar todo lo que he imaginado, todo lo que he sentido y pensado en todo un año de pensar, de ver, de tener que reprimir mis ansias creadoras! Ah! Como disfrutaré, como trabajaré, como viviré lo que no he podido vivir en un año de matemáticas y estupideces.15
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La consumación del proyecto: claves de la visibilidad mediática de Salvador Dalí
Si pensáramos que la clave del éxito mundial de Salvador Dalí se basó solamente en la suma de su talento artístico y de sus variadas excentricidades cometeríamos un error de grandes dimensiones. Ciertamente, es indudable que Dalí fue un pintor, escultor y escritor excepcional; también resulta indiscutible que protagonizó en cualquier parte del mundo escenas de una extravagancia hiperbólica. Pero debemos recordar, e incluso subrayar, que no fue precisamente el único. En el París de la época de entreguerras existían docenas de personajes que, al igual que Dalí, eran a la vez grandes artistas y participaban en una vida excéntrica y desaforada. La gran diferencia entre el pintor ampurdanés y todo aquel conjunto de genios incipientes fue que el primero partía de un proyecto inseparable de su intervención activa en los medios de comunicación. El objetivo prioritario o esencial de esta intervención consistía en crear una imagen pública que, desde la provocación calculada, resultara homologable como producto mediático definido. Dalí había aprendido que para obtener primeras páginas regularmente no bastaba con ser el presidente de la República Francesa: tambien era preciso protagonizar hechos tan infrecuentes y absurdos como caerse de un tren en plena noche. Esto no lo aprendió en Madrid, en París o en Nueva York, sino en el comedor de su casa, en Figueres, leyendo el diario cuando todavía era un adolescente. Pero „caerse de los trenes“ no es tan sencillo. Para hacerlo, es necesario un método efectivo y específico. En los siguientes cuatro puntos intentaremos explicar, muy esquemáticamente, cuáles fueron las principales claves en el uso e instrumentalización de los medios de
15 „Que ditxós seré el dia que podré exterioritzar tot lo que he imaginat, tot lo que he sentit i pensat en tot un any de pensar, de veure, de tenir de guardar i reprimir mes ànsies creadores!. Ah! Com m’hi rabejaré, com treballaré, com viuré lo que no he pogut viure en un any de matemàtiques i estupideses!“, ibid., p. 135.
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comunicación llevados a cabo por Salvador Dalí, antes y después de convertirse en un artista reconocido.
3.1
El control y la gestión mediática del propio personaje
Con la excepción de sus últimos años, a partir de la muerte de Gala, Dalí controló y gestionó su personaje de una manera muy cuidadosa, especialmente en sus apariciones en la televisión norteamericana y francesa (en esta última es, de hecho, donde se fraguó el personaje definitivo). Ningún detalle, incluso el más insignificante, resultaba casual o accesorio. Ese control sobre el personaje contrasta patéticamente con su vida privada real, no la ficticia que mostraba con regularidad ante las cámaras; una vida privada a menudo desolada y llena de deslealtades por parte de quienes lo rodeaban. Josep Pla, en su retrato de Dalí, explica que éste era una persona absolutamente normal que, en privado, jamás interpretó el papel de genio excéntrico.16 Este otro Dalí (¡el verdadero „Dalí secreto“!) casi nunca trascendió a la opinión pública (justo es decir que en el caso de Pla sucedió exactamente lo mismo). Pero ni Pla ni otros intelectuales que conocieron al pintor lo acusan en ningún momento de inautenticidad o de impostura, sino todo lo contrario. La razón es simple: Dalí siempre se asumió a si mismo, en público y en privado, como el autor de una obra de arte llamada „Dalí“, que podía gustar más o menos, pero que en cualquier caso era una obra en el sentido literal de la palabra. Sin esa consciencia mantenida a lo largo de tantos años, el control y la gestión mediática del propio personaje hubiera resultado poco menos que imposible. De la misma manera que Gustave Flaubert sabía que no era Madame Bovary (aunque a menudo jugaba a serlo), Salvador Dalí sabía que no era el „divino Dalí“ creado por él mismo (aunque también jugaba a serlo, si bien de una manera más calculadamente dosificada de lo que pueda parecer a simple vista). En la gestión mediática de su personaje Dalí llegó a extremos inverosímiles, como por ejemplo fantasear públicamente con el sentido de su propio apellido. En catalán, delir (que se pronuncia precisamente dalí) significa en su forma reflexiva (es decir, delir-se) algo así como „anhelar“, „ansiar“, „morirse de ganas“, etc; delir tambien significa „destruir“, „exterminar“ (aunque ésta es una acepción menos frecuente). En catalán oriental, que era el que usaba Dalí, los términos delirant („delirante“, pronunciado dalirant) o delirós (pronunciado dalirós, que significa „deseoso“, „codicioso“, etc) suenan a „propio de Dalí“. Todas estas etimologías son completamente absurdas, aunque el pintor parecía encantado con ellas y no dudaba en relacionarlas, por ejemplo, con el apellido 16 Pla: Homenots, pp. 161-201.
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de uno de sus mitos: el arquitecto Antoni Gaudí. El verbo gaudir (pronunciado gaudí) significa „gozar“, „disfrutar“. En este sentido una expresión como Dalí per a Gaudí („Dalí para Gaudí“), que en español o en francés no tiene ningún significado especial, en catalán sugiere algo así como „ansiar para poder gozar“. Es fácil imaginar que Salvador Dalí se sintiera fascinado por esa coincidencia, que encajaba a la perfección con su peculiar visión de la conducta humana.
3.2
La redefinición del discurso en función del medio y del formato
La repetición de un concepto en varios medios y en varios formatos fue uno de los recursos comunicativos más empleados por Dalí. La mayoría de ideas e imágenes que definían el personaje acostumbraban a ser comunicadas en siete formatos17: a) el teórico o especulativo, en forma de ensayo o artículo largo, en revistas de prestigio como Minotaure o Cahiers d’Art (un ámbito en general poco destacado en la obra de Dalí, pese a su enorme importancia)18; b) los manifiestos y las conferencias19; c) las entrevistas ante medios prestigiosos (programas culturales, revistas de arte, etc)20; d) las apariciones televisivas en programas generalistas y populares21; e) la publicidad22; f) las declaraciones informales23;
17 Como cualquier otra posible clasificación o distinción taxonómica, la que aquí proponemos resulta discutible. Sin embargo, pensamos que resulta mucho más útil que el habitual agregado de elementos inconexos con los que se acostumbra a tratar la obra no pictórica de Salvador Dalí. 18 Dalí: Sí. A pesar de haber sido poco divulgada, esta antología de ensayos breves y artículos contiene las claves más importantes del pensamiento daliniano. 19 Dalí: L’alliberament dels dits. 20 Como por ejemplo el programa A fondo, dirigido por Joaquín Soler Serrano, que en los años setenta fue el espacio cultural más prestigioso de Televisión Española. Su planteamiento divulgativo – aunque no su formato, basado únicamente en una larga entrevista – era muy parecido al que Bernard Pivot llevaba a cabo por aquel entonces en la televisión francesa. (La larga entrevista de Soler Serrano se reeditó años después en vídeo y actualmente está disponible en formato DVD). 21 Dalí apareció, por ejemplo, en el programa Un, dos, tres… responda otra vez, creado y dirigido por Chicho Ibáñez Serrador, verdadero paradigma del espacio televisivo familiar que luego fue exportado a muchos otros países. En esa aparición, Dalí hizo un collage ante las cámaras basado en la mascota del programa (una calabaza con rasgos antropomórficos) destinada a ser uno de los premios más caros que se ofrecían a los concursantes. 22 VVAA. Dalí, cultura de masas. 23 Dalí explicó, precisamente en el mencionado programa A fondo, que preparaba estas supuestas „frases improvisadas“ con un gran cuidado y mucha antelación,
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g) otros formatos (como por ejemplo el disco de vinilo de la „ópera“ Dalí: Être Dieu)24. Aunque pueda parecer el contrario teniendo en cuenta la locuacidad del personaje, Dalí disponía de un repertorio de temas extremadamente limitado: su propia vida, el método paranoico-crítico, Freud, vaguedades sobre la física cuántica, juicios de valor sobre determinados artistas (sobre todo, Velázquez, Vermeer y Picasso)... y poco más. Una de las claves de su éxito mediático consistió, precisamente, en aprender a redefinir y, sobre todo, dosificar estos temas en función del medio. El Dalí que fue entrevistado por Joaquín Soler Serrano en A fondo ejerció de intelectual, mientras que el Dalí que apareció en Un dos, tres… responda otra vez no tenía otra pretensión que participar en un programa de entretenimiento familiar, rozando casi siempre el papel de clown (delirante pero a la vez comedido; perfectamente consciente, en definitiva, de las posibilidades y de las limitaciones de ese formato mediático concreto). Es importante subrayar, sin embargo, que siempre decía lo mismo: los referentes y el contenido de su discurso entre finales de la década de 1950 y hasta su muerte en 1989 resultan casi invariables (el Dalí de finales de la década de 1920 y principios de 1930 entra, por supuesto, en otra categoría). La clave es que representaba ese mismo discurso en varios formatos, cosa que nunca supo hacer Andy Warhol, por ejemplo. A diferencia de Dalí, Warhol no resultaba asimilable o „digerible“ en un programa familiar de la televisión generalista de aquella época (ni, evidentemente, de la actual). Aunque pueda parecer lo contrario, el personaje público interpretado por Warhol y el que proponía Dalí son muy diferentes. El primero hace una apuesta por la sofisticación intelectual de la cultura popular, mientras que el pintor catalán juega justamente a popularizar la sofisticación intelectual (muchas personas pudieron llegar a interesarse por Vermeer o por el matemático René Thom a través de Dalí, por ejemplo).
consciente del efecto que tenían en la gestión de su propia imagen. Con esta insólita confesión quería dejar claro que su personaje no era un producto mediático azaroso y descontrolado, sino el resultado de una decisión premeditada, de un verdadero plan que no delegaba en nadie. De hecho, el proyecto sólo se vio truncado en sus últimos meses de vida, cuando el Ministerio de Cultura e incluso la Casa Real española utilizaron a su antojo las balbuceantes e inconexas declaraciones del anciano pintor. 24 El disco fue distribuido en una edición de lujo ilustrada y firmada por el propio pintor, con una tirada muy reducida y un precio altísimo. El libreto fue escrito por Manuel Vázquez Montalbán, hecho muy significativo teniendo en cuenta la conocida filiación comunista de este intelectual catalán. Técnicamente no se trata de una ópera sino de algo parecido a ciertas piezas de Arnold Schönberg (1874-1951) como el Lied der Waldtaube o el mismo Pierrot Lunaire. Del recitado se encargó el propio Dalí.
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3.3
La autohermenéutica: el control sobre el mensaje
Es Salvador Dalí, y sólo Salvador Dalí, quien interpreta sus propias palabras. El control sobre el propio mensaje es, de esta manera, absoluto. Cualquier otra aproximación, incluso cuando ésta resulta propicia o elogiosa, es ignorada o infravalorada por el pintor. La condición de posibilidad de esta autohermenéutica o autoexégesis es la que hemos detallado en el sub-apartado anterior (la adaptación al formato). André Breton, por ejemplo, fue siempre incapaz de alcanzar esa modulación y, sobre todo, ese control absoluto sobre el propio mensaje, hasta el punto de convertirse en una simple pieza decorativa en los intereses de la política exterior soviética en la década de 1930. El principal recurso de Picasso, en cambio, fue el silencio absoluto combinado con la administración puntual de ideas elementales y a la vez contundentes. Picasso se construye desde el silencio, y se rodea de una corte de escolásticos de su lenguaje pictórico que a la vez interpretan – y magnifican – sus gestos; Dalí, desde una locuacidad desmedida, controla igualmente el mensaje que quiere emitir, aunque pueda parecer que ello es imposible al tratarse de un discurso con un trasfondo irracional explícito. En todo caso, la base del control absoluto sobre el mensaje radica probablemente en el hecho que Dalí – a diferencia de Picasso – no poseyó un prestigio sustantivo en el mundo académico, que lo rechazó tanto por razones estéticas (la mercantilización del surrealismo, la sumisión a la cultura de masas, etc) como políticas (de manera especial a principios de la década de 1970, cuando su proximidad al régimen franquista es abierta y ostentosa)25. Paradójicamente, este alejamiento de la intelectualidad „oficial“ de la época acabó beneficiando a un Dalí que, en vez de ser interpretado, se interpretaba a si mismo (de una manera positiva, obviamente). A Picasso le pasará más bien el contrario, hasta el punto de convertirse involuntariamente hacia mediados de la década de 1960 en un icono político que acabaría condicionando la recepción pública de su propia obra. En el contexto histórico en que se inicia la actividad profesional de Dalí como pintor – las vanguardias – la obra de arte ya no es una entidad autónoma. Necesita por fuerza un discurso que la complemente – de hecho, que la legitime como obra de arte y no como objeto casual. Dalí lleva ese discurso hasta el límite, tranformándose a si mismo en una especie de „tesis viviente“ sobre su propia visión del mundo. En definitiva: lo que en otras situaciones
25 Más tarde, entre 1980 y hasta su muerte, el pintor mantendrá una tensa distancia – que a menudo derivará en fricción – con el gobierno nacionalista de la Generalitat de Catalunya. La visión folclorizante de la cultura catalana que Dalí contrapuso a la de la España imperial resultó ofensiva para muchos catalanes que durante la dictadura franquista vieron prohibida su lengua y sus instituciones de autogobierno.
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hubiera resultado accesorio – un discurso elaborado y versátil – en el arte del siglo XX es fundamental. Sin un discurso sofisticado que lo ampare intelectualmente, Duchamp sólo es un bromista. Con ese discurso, se convierte, por el contrario, en un verdadero artista (revolucionario, además).
3.4
La asunción de la cultura de masas
Es evidente que Dalí intervino activamente en la cultura de masas del siglo XX y que incluso llegó a transformarse en un icono del pop, sobre todo a comienzos de los años setenta del siglo pasado. En este sentido, constituye más un agente activo en la consolidación de la cultura de masas que no un simple producto de ésta. Dalí ayuda a gestar un nuevo paradigma cultural: el de la postmodernidad. Para Frederic Jameson una de las principales características de esta „condición histórica“ (en terminología de Lyotard) radica precisamente en la difuminación del umbral entre la cultura de élite y la cultura popular.26 La teorización de esta asunción, sin embargo, es bastante posterior. Hasta mediados de la década de 1980, este asunto era casi un tema tabú que, además, estaba connotado políticamente (cuando Warhol recreó artísticamente el mundo de la publicidad, por ejemplo, la mayoría de intelectuales occidentales mantienen todavía posiciones ideológicas próximas al marxismo). Sobre esta cuestión, Gianni Vattimo defendió que el „caos epistemológico“ inherente a la absoluta mercantilización de la cultura tenía un imprevisto componente „emancipatorio“ (justamente porque era caótico, es decir, no jerarquizado ni controlado desde las élites).27 Desde esta perspectiva, la boutade daliniana según la cual „es preciso expandir la confusión“ dejaría de serlo para transformarse en una de las premoniciones más lúcidas del siglo XX.
26 „En el postmodernismo […] se difuminan algunos límites o separaciones claves, sobre todo la erosión de la vieja distinción entre cultura superior y cultura de masas. Este es quizás el aspecto más perturbador desde un punto de vista académico, que tradicionalmente ha tenido intereses creados en la preservación del ámbito de la alta cultura.“, Jameson: „Postmodernismo y sociedad de consumo“, p. 166. 27 Vattimo: La sociedad transparente, pp. 74-87.
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Bibliografía „El Presidente se cae del tren a la vía, resultando ileso de milagro. La sangre fría del Presidente“ en: La Publicidad (25-5-1920). Argullol, Rafael: El Héroe y el Único. El espíritu trágico del Romanticismo, Madrid 1982. Caburet, Bernard: Raymond Roussel, París1968. Dalí, cultura de masas. Barcelona: Fundación La Caixa/Fundación GalaDalí/Centro de arte Reina Sofía, 2004. Dalí, Salvador: L’alliberament dels dits, Barcelona 1995. Dalí, Salvador: Sí, Barcelona 1986. Dalí, Salvador: Les meves impressions i records íntims. Un dietari: 1919-1920, Barcelona 1962, edición de Fèlix Fanés. Fanés, Fèlix: „Prólogo“, en: Dalí, Salvador: Les meves impressions i records íntims. Un dietari: 1919-1920, Barcelona 1962, edición de Fèlix Fanés. Friedrich, Hugo: Montaigne, París 1970 (1949). Jameson, Frederic: „Postmodernismo y sociedad de consumo“, in: La postmodernidad. Barcelona 1986. Montaigne, Michel de: Essais, Livre I, París 1988, edición de Pierre Villey. Pla, Josep: Homenots, Quarta serie, Obra Completa, Vol. 29, Barcelona 2004. Pla, Josep: Tres biographies, Obra completa, vol. X, Barcelona 2004. Starobinski, Jean: Montaigne en movement, París 1982. Tranche, Rafael/Sánchez-Biosca, Vicente: NO-DO. El tiempo y la memoria, Madrid 2000. Vattimo, Gianni: La sociedad transparente, Barcelona 1996.
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Peter Bürger
Kunst der Metamorphose – Metamorphose der Kunst Der Surrealist Salvador Dalí1 1. Auf der ersten Documenta von 1955, die die Absicht verfolgte, einen Kanon moderner Kunst aufzustellen, waren von den surrealistischen Malern Masson, Miró und Max Ernst vertreten, nicht Salvador Dalí. Erst auf der Documenta III taucht ein einziges Skizzenblatt von ihm in der Abteilung Handzeichnungen auf. Wie fern der Spanier dem offiziellen Kunstbetrieb gerückt war, zeigt die surreale Eintragung „1904 in Figueras (Kalifornien) geboren“, die das im Katalog abgebildete Blatt begleitet. Die Gründe für die Geringschätzung Dalís von Seiten der Kritik sind bekannt. Nachdem er 1940 in die Vereinigten Staaten gegangen war, hatte er sich mehr und mehr dem Design zugewandt. Er macht Werbezeichnungen für Haute-Couture-Modelle, entwirft Titelblätter für die Zeitschrift Vogue und Muster für Krawatten und Schmuck. Daneben porträtiert er mit hyperrealistischer Präzision Angehörige der High Society, die er in surreal anmutende, kitschige Umgebungen versetzt. Nach seiner Rückkehr nach Europa stürzt er sich in eine Überproduktion graphischer Blätter, die sich im Handel großer Beliebtheit erfreuen. Seine von einer hemmungslosen Selbstreklame begleiteten Aktivitäten schienen das Anagramm zu bestätigen, das André Breton dem ehemaligen Weggenossen angehängt hatte: Avida Dollars. Schließlich dürften seine Hitler-Obsession und seine Polemik gegen die Ästhetik der Moderne die Kritik abgestoßen haben. Scheut er doch nicht davor zurück, den Jugendstil gegen die funktionalistische Baugesinnung der Moderne, die „Architektur der Selbstbestrafung“, wie er sie nennt, und die Frauengestalten der englischen Präraffaeliten, von denen der entsetzte Betrachter sich zugleich angezogen und abgestoßen fühle, gegen die Stillleben Cézannes auszuspielen, dessen Annäherung an geometrische Formen er als Platonismus denunziert. Seit der Durchsetzung der Moderne in den 1950er und frühen 1960er Jahren ist vieles geschehen. Die Pop Art hat die Grenzen zwischen hoher und Trivialkunst eingerissen, noch bevor der amerikanische postmodernism mit dem
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Der vorliegende Text ist eine längere Version des in der ZEIT vom 06.04.2004 abgedruckten Artikels, ©Peter Bürger.
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Schlachtruf „close that gap“ auftrat. In Italien hat Oliva die Transavantgarde ausgerufen, die die Ästhetik der Moderne durch die Rückkehr zu traditionellen Malweisen und einem klassischen Formenvokabular provozierte. Dalís Rückgriff auf den Akademismus und die Salonmalerei des 19. Jahrhunderts erhielt mit einem Mal eine ungeahnte Aktualität. Es besteht also seit geraumer Zeit Anlass, das über ihn verhängte Verdikt nochmals zu überdenken. Einen Anstoß dazu gab vor einigen Jahren die Surrealismus-Retrospektive in Paris und Düsseldorf, wo eine Reihe wichtiger Bilder aus der surrealistischen Phase Dalís zu sehen waren. Jetzt feierte ihn die Kritik als „ein malerisches Großereignis des 20. Jahrhunderts, einen Alchemisten der Farben und einen Lichtregisseur ohnegleichen“.2 Aber vielleicht wird durch diese späte Anerkennung als Maler die Gestalt Dalís nur abermals verdeckt. Noch immer ist es schwierig, über Dalí zu sprechen, nicht weil sein Werk uns Rätsel aufgibt, sondern weil sich vor das Werk und dessen Autor die DalíLegende schiebt. Auch um andere Künstler haben sich Legenden gebildet; Dalí aber hat die seine selbst hervorgebracht. Fast könnte man vermuten, er benutze sie als Schutzschild, um sich dahinter auf immer unkenntlich zu machen. Ein Leben lang spielt er der Welt die Rolle des Exzentrikers vor, der an der Grenze des Wahnsinns lebt, des großen Provokateurs und Tabubrechers, liefert den Medien die lebende Karikatur des genialen Künstlers, zwirbelt seinen Schnurrbart hoch und reißt die Augen auf. Aber wie steht dazu die Arbeit des Malers, der, die akademischen Techniken perfekt beherrschend, bei den Manieristen gelernt hat, die unwahrscheinlichsten Verdrehungen und Verkürzungen des menschlichen Körpers wiederzugeben, und die Arbeit des Zeichners, der es versteht, in einem imaginären Portrait Lautréamonts aus einem fast makellos schönen, androgynen Antlitz den Schrecken hervorleuchten zu lassen? Auf vertrackte Weise bestimmt diese Doppelgesichtigkeit Dalís den Umgang der Kritik mit seinem Werk. Ob sie nun die Legende annimmt und behauptet: „Dalís Leben ist Teil seines Werks, vielleicht sein wichtigstes Werk“3 oder ob sie die Legende beiseite lässt und fragt: „Was wird bleiben von Salvador Dalís Werk?“4 – in beiden Fällen reproduziert sie jeweils eine Ansicht des janusköpfigen Gesichts, das Dalí dem Betrachter zeigt. Das Dilemma liegt hier in der Sache. Wer sich auf das Werk beschränken zu können meint, macht den Zusammenhang von Selbstdarstellung und Werk unkenntlich. Wer dagegen sein Augenmerk vor allem auf das Leben richtet, droht der Legende aufzusitzen, mit der Dalí sich umgeben hat. Es hat den Anschein, als träfe jeder Ver-
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Wiegand: „Die Hölle, das ist unsere Phantasie“.
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Schmied: „Wahnsinn als Methode“.
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Schneede: „Abschied vom großen Magier“.
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such, sich Dalí zu nähern, eine Grundsatzentscheidung, in der schon alles Weitere beschlossen liegt, als wäre es Dalí tatsächlich gelungen, sich hinter der lärmenden Veröffentlichung von Enthüllungen und Scheinenthüllungen unsichtbar zu machen. Wie schwer sich die Kritik mit Dalí tut, zeigt der eigenartige Vorschlag von Günter Metken, „Dalí von dem Etikett ‚Surrealismus‘ zu lösen.“5 Es handle sich dabei, mutmaßt er, um eine von Dalís gelungensten Mystifikationen. Der Gewaltstreich des Kritikers, der das Werk befreien möchte von dem, was ihm als Ballast der Theorie erscheint, legt den Gedanken nahe, gerade hier könnte der Zugang zum Fall Dalí liegen. Schließlich malt Dalí seine bedeutendsten Bilder in den Jahren seiner Zusammenarbeit mit den Surrealisten.
2. 1904 als Sohn eines angesehenen Notars in Figueras (Katalonien) geboren, erhält Dalí auf der Madrider Kunstakademie eine solide akademische Ausbildung, wendet sich früh dem Kubismus zu, erarbeitet sich aber gleichzeitig die Beherrschung altmeisterlicher Techniken (Der Brotkorb, 1926). Es gibt aus dieser Frühzeit einige vorzügliche Arbeiten. Das Junge Mädchen von hinten, vor einer kargen Küstenlandschaft sitzend, beeindruckt Picasso, der es in Dalís Atelier in Barcelona sieht. Das an die neue Sachlichkeit erinnernde Porträt des Vaters drängt die massige Gestalt des im Dreiviertelprofil Dargestellten, der die engen Bildgrenzen zu sprengen scheint, dem Betrachter mit erdrückender Präsenz auf. Doch bald wendet sich Dalí, angeregt durch de Chirico, Miró und Tanguy, einer surrealistisch inspirierten Malerei zu, siedelt 1929 nach Paris über, wo er schnell Kontakt zu den Surrealisten findet. Durch die Hinwendung zum Kommunismus hatte die Gruppe um André Breton so prominente und für ihre gemeinsamen provokativen Aktivitäten wichtige Mitglieder wie Antonin Artaud verloren. Dalí vermochte die vakante Position einzunehmen und wurde für einige Jahre zur treibenden Kraft der Bewegung. Wie kein anderer surrealistischer Maler hat er mit seinen oftmals polemischen Schriften der 1930er Jahre die programmatische Entwicklung und das Leben der Bewegung geprägt. Mehr noch als in den Texten Bretons aus demselben Zeitraum schwingt bei Dalí etwas von der Krise der Epoche mit. Die Skizze einer Theorie der Verantwortungslosigkeit, der Verzicht auf Kritik und die fröhliche Bejahung des „Klimas ideologischer und moralischer Verwirrung, in dem gegenwärtig zu leben, wir die Ehre und die Freude haben“, schließlich der provokatorisch ein-
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Metken: „Nachruf auf ein Chamäleon“.
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gesetzte Akademismus – das alles wirkt wie eine halluzinatorische Vorwegnahme dessen, was wir mit dem hilflosen Begriff der Postmoderne bezeichnen. Früh macht Dalí im Surrealismus ein grundsätzliches Dilemma aus. Das Projekt einer Revolutionierung aller Lebensverhältnisse soll durch Verfahren erreicht werden – automatisches Schreiben, Traumprotokolle – die das Ich auf Passivität verpflichten. Zwischen den Intentionen und den Verfahren, die das Eintreten des Wunderbaren dem objektiven Zufall überlassen, besteht eine Kluft, die die Surrealisten weder in der Theorie noch durch ihre Aktionen überwunden haben. Die Lösung des Dilemmas liefert Dalí mit seiner „paranoisch-kritischen Methode“. Anders als der surrealistische Automatismus beruht sie auf der menschlichen Fähigkeit, gegebene Formen mit Bedeutung zu belehnen. Der junge Dalí hat sie früh an den Felsen des Kap Creus erprobt, unweit von Cadaqués, wo die Dalís alljährlich ihre Ferien verbringen. „Alle Bilder, die beim Anblick der Felsen in der Vorstellung aufscheinen, transformieren sich in dem Maße, wie man näher herantritt oder weiter zurückgeht.“ Dieses schon von Leonardo da Vinci als Inspirationsquelle empfohlene Phänomen bringt Dalí auf den Gedanken, alle Interpretation sei letztlich Projektion von Bedeutung und als solche der Paranoia verwandt. Es ist gerade der systematische, konstruktive Aspekt, der ihn an der Paranoia fasziniert, die tendenziell alle Bereiche der Wirklichkeit ihrem wahnhaften Deutungssystem zu unterwerfen vermag. Ein an ihr ausgerichtetes Verfahren müsste daher geeignet sein, „zum Ruin der Wirklichkeit beizutragen“, schreibt er 1930 in seiner ersten surrealistischen Programmschrift Der Eselskadaver. Der rational geordneten, mit technischen Geräten ausgestatteten Welt der Moderne, die dem Realitätsprinzip gehorcht, setzt Dalí eine andere entgegen, eine pflanzlich wuchernde, in der das Lustprinzip gilt und selbst die Uhren weiche Gebilde sind. Daher tritt er für den Jugendstil und die „paranoische“ Architektur Gaudís ein. Eine Bestätigung für seine „paranoisch-kritische Methode“ konnte Dalí in Lacans früher Studie über die Paranoia finden, die er bald nach ihrer Veröffentlichung im Jahre 1932 gelesen hat. Für Lacan ist die Paranoia eine Verkennung (méconnaissance), setzt also Erkenntnis voraus. Er spricht daher von „paranoischer Erkenntnis“ und von den „fruchtbaren Augenblicken des Wahns“, Begriffe, die Dalís Vorstellung nahe stehen. Wenn die Wirklichkeit eine „erbärmliche geistige Ausflucht“ war, wie Breton und Eluard formulierten, d.h. ein Konstrukt aus Diskursen, dann war die Annahme plausibel, dass eine systematische Verwirrung der Diskurse revolutionäre Folgen haben würde. Anknüpfend an den Systematisierungswahn der Paranoia und ihrer Produktion von Bedeutungen, so der Gedanke Dalís, müsste es möglich sein, den herkömmlichen Wirklichkeitsbegriff zu erschüttern und damit jene allgemeine Bewusstseinskrise heraufzuführen, von der das zweite surrealistische Manifest spricht.
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Hier ist auch die Einsatzstelle für Dalís berüchtigte Faszination durch Hitler, den er als Antwort auf den Hunger nach dem Irrationalen begreift, den das Absterben der christlichen Religiosität hinterlassen hat. Die „kannibalische Raserei der moralischen und irrationalen Hungersnöte“, die einst der Katholizismus mit der „totemistischen Hostie“ befriedigt habe, suche frenetisch nach Befriedigung und finde sie – im Hitlerismus, mit den Worten Dalís: in dem Wunsch, „in den fleischigen, atavistischen, zarten, militaristischen und territorialen Nacken einer beliebigen hitlerischen Amme zu beißen“. Da das Objekt des Begehrens nach dem Irrationalen mühelos einander widerstreitende Merkmale vereinigt, kann Dalí in der Haltung des „paranoisch-kritischen“ Spezialisten der Selbstreklame den Surrealismus, der bekanntlich die Vereinigung aller Gegensätze zum Ziel hat, als Alternative zu Hitler anbieten: „Man möge doch versuchen, auch Surrealitäten zu essen.“ Denn, so fährt er fort, den Gedanken ins Kannibalische wendend, genau genommen seien die Surrealisten weder Künstler noch Wissenschaftler, sondern „Kaviar, die Extravaganz und Intelligenz des Geschmacks“. Die Metaphorik des Fressens und Gefressenwerdens durchzieht Dalís Texte auf eine derart aufdringliche Weise, dass sie in ein Beschreibungsverfahren umschlägt, das ebenso geistige wie ökonomisch-soziale Zusammenhänge wiedergegeben kann. Während Breton Hegel und Engels zitiert, Autoren, die die Geschichte als vernünftige begreifen, stellt sie für Dalí ein gastrisches Geschehen dar, das einem einzigen Prinzip folgt, der Unersättlichkeit, die durch die rationalistische Kultur, „die Fastenzeit der Imagination“, zum Paroxysmus getrieben wird. Der Konflikt mit Breton war unvermeidlich, nachdem Dalí in einem Brief vorgeschlagen hatte, „Hitler aus surrealistischer Sicht einzuordnen“. Als Breton dann 1934 im Salon des Indépendants Dalís Bild Das Rätsel des Wilhelm Tell sieht, bekommt er einen Wutanfall. Dalí hatte Lenin mit riesenhaft verlängerter Arschbacke und weichem Mützenschirm als kannibalischen Vater dargestellt (auf dem Kopf des Kindes, das Lenin im Arm hält, ist ein Kotelett platziert, das Dalí im Sinne seiner Kannibalismusthese auslegt). Lenin als Oger, das war eine ziemlich direkte Wiedergabe des bekannten Diktums „die Revolution frisst ihre Kinder“. Breton betreibt daraufhin Dalís Ausschluss aus der Gruppe. In der entscheidenden Sitzung soll Dali eine Szene gemacht, Socken und Unterhosen verlierend, vor Breton wie vor dem Heiligen Sakrament gekniet und am Ende ein allgemeines Gelächter provoziert haben mit der Drohung: „Nun, Breton, wenn ich heute Nacht träume, dass ich Sie geliebt habe, werde ich morgen früh mit der größten Detailtreue unsere besten Liebesstellungen malen.“ Zum Ausschluss kommt es vorerst nicht. Anfang der 1930er Jahre, als Aragon, der seit den dadaistischen Anfängen einer der energischsten und produktivsten Mitstreiter Bretons gewesen ist, sich
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aus der Hochspannungsatmosphäre der Gruppe in die Sicherheit des orthodoxen Marxismus flüchtet, und als Drieu la Rochelle, der eine Zeitlang mit den Surrealisten sympathisiert hatte, sich öffentlich zum Faschismus bekennt, zu eben jener Zeit geht Dalí einen anderen Weg. Den Wahn als zeitdiagnostisches Verfahren einsetzend, lässt er sich mimetisch auf Hitler ein und deutet dessen Politik als gelingende Befriedigung irrationaler Bedürfnisse. Von dieser Position aus kritisiert er die revolutionäre Intelligenz, die 1935 – vor dem Wahlsieg der Volksfront – noch einmal für kurze Zeit in der von Bataille und Breton gemeinsam ins Leben gerufenen Gruppe Contre-Attaque zusammenfindet. Scharfsinnig rügt er an dem Manifest der Gruppe, dass sich die linken Intellektuellen einmal mehr in Abgrenzungsdebatten verlieren: „Man kann die Macht nicht mit einer Nuancen-Partei ergreifen.“ Und was den heiklen Begriff des Fanatismus angeht, zu dem sich die Unterzeichner des Manifests bekennen, stellt er fest: „Man kann sich nicht entschließen, plötzlich fanatisch zu werden, man muss zunächst alles definieren und die Realitäten finden, mit denen man menschlichen Fanatismus wecken kann.“ Mit andern Worten: Dalí sieht deutlich das Moment der Selbstbefriedigung in den Verlautbarungen der radikalen Linken und räumt diesen daher keine Chancen auf Wirkung ein. Dalí hat sich wiederholt als total unpolitischen Menschen charakterisiert, das hindert ihn aber nicht daran, das politische Geschehen der Zwischenkriegszeit mit wachen Sinnen zu verfolgen und kommende Katastrophen wie den spanischen Bürgerkrieg vorauszusehen. Seine Kannibalismusthese erweist sich dabei als äußerst produktiv, auch in künstlerischer Hinsicht. 1935 zeichnet er ein Studienblatt Vorahnung des Bürgerkriegs, das er 1936 als Bild ausführt: zwei einander tretende bzw. würgende fragmentarische Menschenkörper mit nur einem schmerzverzerrten Kopf. Hinter einer riesigen am Boden liegenden Hand sieht man winzig die Figur des suchenden Wissenschaftlers, der, den Blick zu Boden gesenkt, das scheußliche Geschehen nicht wahrzunehmen scheint.
3. Die Paranoia ist ein Interpretationswahn, und so verwundert es nicht, dass Dalí die bildkünstlerische Realisierung seiner „paranoisch-kritischen Methode“ vor allem im Doppelbild sucht, d.h. in der „Darstellung eines Gegenstandes, die ohne die mindeste figürliche oder anatomische Veränderung gleichzeitig die Darstellung eines anderen, völlig verschiedenen Gegenstandes ist“. Ein einfaches Beispiel für das Verfahren ist die Zeichnung paranoisch-kritisches Gesicht aus dem Jahre 1933, bei der die Nase aus einem Knochen, die Augen aus Löffeln, die Wange aus einem Kohlkopf, die Lippen aus zwei Koteletts und das Kinn aus einer ovalen Frucht gebildet sind. Ein Blatt wie dieses erinnert an die
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aus Blumen, Früchten oder Gegenständen zusammengesetzten Köpfe des Mailänder Manieristen Giuseppe Arcimboldi. Doch während Arcimboldi, trotz der virtuosen Künstlichkeit seiner Darstellungsmittel, eine geschlossene menschliche Kopfform wiedergibt, betont Dalí das bloße Nebeneinander der Elemente, indem er Lippen und Kinn mit einem Nagel verbindet. Das paranoische Subjekt, wie es hier in Erscheinung tritt, ist in jedem Augenblick vom Zerfall in seine Teile bedroht, zusammengehalten wird es einzig durch den Wahn, ein einheitliches zu sein. Dalís Auffassung des Subjekts steht derjenigen Lacans nahe, der gleichfalls von einer ursprünglichen Zerstückelungserfahrung ausgeht und das Einheitserlebnis des Menschenkindes als Ergebnis einer imaginären Spiegelung ansieht. (Es ist übrigens nicht auszuschließen, freilich auch nicht nachzuweisen, dass Lacan, der sowohl mit Dalí als auch mit dem Surrealisten René Crevel befreundet war, diesen Anstöße zu seiner Theorie verdankt, die man ja durchaus im Sinne des Surrealismus als Versuch der systematischen Destabilisierung abendländischer Subjektivität lesen kann.) Dalí hat das Doppelbild zur höchsten Bedeutungskomplexität entwickelt. In ein Bild hat er nicht weniger als sechs verschiedene Bedeutungen hineingeheimnisst. Wie wichtig ihm dieser Bildtypus war, geht aus der Tatsache hervor, dass er die Metamorphose des Narziß 1937 zu seinem Besuch bei Freud nach London mitnimmt, bei dem es ihm offensichtlich gelungen ist, Freuds ablehnende Haltung gegenüber dem Surrealismus zu erschüttern. „Jedenfalls sind da ernsthafte psychologische Probleme“, schreibt dieser in einem Brief an Stefan Zweig nach der Begegnung mit Dalí. Freilich hat Freud auch gesehen, dass Dalí weniger aus dem Unbewussten schöpft, wie er behauptet, als vielmehr bewusst Motive der Psychoanalyse aufgreift. Im Kupferstichkabinett in Berlin wird eine Studie zu Vorort der paranoischkritischen Stadt aufbewahrt. Exemplarisch lässt sich daran Dalís halluzinatorische Fähigkeit zur variierenden Umdeutung einer Form erkennen. Ausgangspunkt der Abfolge von Metamorphosen ist ein genau von hinten gesehenes Pferd mit wehender Mähne und Schwanzhaar, das auf einem Sockel steht. In den beiden folgenden Stufen erscheint das Hinterteil des Pferdes dadurch einem Totenschädel angenähert, dass Kruppe und Hoden höhlenartig nach Innen gekehrt sind. Nun wird das Pferd geometrisiert zu einer aus Kugeln gefügten Form, dann ins Organische zurückverwandelt, eine Weintraube, die von einer ebenfalls aus der Kugelform entwickelten Hand gehalten wird. Diese Hand ergänzt Dalí dann zu einer aus Kreisbewegungen sich herausschälenden Frauengestalt, deren Haare den Schwung der Pferdemähne wiederaufnehmen. Links unten schließlich galoppiert ein Reiter in einer kahlen Landschaft davon, während vorn ein vertrockneter Baumstumpf flehend die Äste gegen den Himmel streckt. – Hat Dalí das androgyne Wesen, das neben dem Pferd, von diesem halb verdeckt, auf dem Sockel liegt, zurückgelassen, damit es, verwan-
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delt, mit wehendem Haar dem Betrachter verheißungsvoll lockend die Traube entgegenhält: eine Geburt der Frau aus dem Kannibalismus?
4. In den 1920er Jahren hatten die Surrealisten auf den objektiven Zufall gesetzt und die Langeweile als Zugang zum Wunderbaren gepriesen. Dalí will sich damit nicht zufrieden geben. Er geht davon aus, dass wir jederzeit die Bedeutungen, mit denen wir die Erscheinungsformen der Wirklichkeit belehnen, verändern können. Und er ist davon überzeugt, dass diese Kunst der Metamorphose eine Metamorphose der Kunst heraufführen wird, die eines Tages, wer weiß, einen allgemeinen Taumel bewirken kann, ein Leben, nicht nach dem Gesetz der rationalistischen „Selbstbestrafung“, sondern nach dem Gesetz des Herzens. „Das Gesetz des Herzens und der Wahnsinn des Eigendünkels“ ist in Hegels Phänomenologie des Geistes das Kapitel überschrieben, das Lacan sehr genau gelesen und dem er seine Bestimmung des Wahnsinns entnommen hat. In nichts anderem bestehe der Wahnsinn als darin, dass das Ich sich urteilend der Welt als ganzer, an der es doch teilhat, meint entgegenstellen zu können, d.h. in der Selbstisolierung des Ich. Dalí ist nicht wahnsinnig, vielmehr spielt er mit dem „Wahnsinn des Eigendünkels“. Die Beunruhigung, die noch heute von einigen seiner Texte und vielen seiner Zeichnungen und Bilder ausgeht, beruht darauf, dass unter bestimmten Bedingungen das gefährliche Spiel mit dem Wahnsinn ansteckend sein könnte. Wer Dalí als Surrealisten in den Blick nimmt, wie es hier geschehen ist, muss gewärtig sein, dass ihm die Frage nach dem ganzen Dalí gestellt wird. Dieser hat bisher in der Kunst des 20. Jahrhundert noch keinen Ort gefunden. – Immer wieder hat Dalí verkündet, er sei das größte malerische Genie des Jahrhunderts. Man hat den Satz bisher als schlichte Aussage aufgefasst. Das ist aber mehr als fraglich. Denn natürlich weiß auch Dalí, dass man zwar einen andern als Genie bezeichnen kann, nicht aber sich selbst. Der Satz ist also interpretationsbedürftig. Bedenkt man, dass Dalí Mitte der 1920er Jahre mit eigenen Bildern auftritt, also zu einem Zeitpunkt, als alle wesentlichen Neuerungen der modernen Malerei bereits stattgefunden haben – Fauvismus, Expressionismus, Kubismus und Abstraktion – dann liegt es nahe, den Satz ironisch zu verstehen. Er würde dann etwa sagen: Es gibt keine notwendige Malerei mehr und auch kein Genie in der Kunst; heute kann sich daher jeder als Genie bezeichnen. Versteht man den Satz in diesem Sinne, dann rückt Dalí in die Nähe Duchamps. Dem leisen Provokateur, der auf die Nachhaltigkeit seiner Wirkung bedacht ist, stünde der lärmende gegenüber, dem Schachspieler der Schauspieler. In Amerika ist Dalí Duchamp begegnet. Dessen Produkti-
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onsverweigerung habe sogleich seine manische Produktionswut angestachelt, berichtet er. Die unglaubliche Produktivität Dalís wäre also als Reaktion zu begreifen, als Flucht in die Verausgabung, die den Zweifel an der Möglichkeit einer notwendigen Kunst zum Schweigen bringen soll. Verausgabung ist einer der zentralen Begriffe des surrealistischen Dissidenten Georges Bataille. Von allen Künstlern, Literaten und Intellektuellen, die für kurze oder längere Zeit vom Surrealismus angezogen sind – der Surrealismus ist wirklich ein Magnet – dürfte keiner Dalí näher gewesen sein als Bataille, obwohl es zu engeren Beziehungen nicht gekommen ist. Mit ihm verbindet Dalí der Wille zur Transgression, zum Tabubruch um jeden Preis. Beide wollen den bretonschen Surrealismus überbieten. Beide setzen der rationalen ökonomischen Gesellschaftsanalyse Begriffe entgegen, die individuelles und kollektives Handeln aus irrationalen Impulsen verstehen. Und beide lassen sich mimetisch auf das Phänomen Hitler ein, Bataille, indem er diesen der Sphäre des Heterogenen zurechnet, Dalí, indem er Hitler in den Kontext des Surrealismus rückt. Freilich zu Beginn des Zweiten Weltkriegs schlagen sie entgegengesetzte Wege ein. Während Bataille sich der mystischen „inneren Erfahrung“ zuwendet, wählt Dalí die totale Veräußerlichung, was man ihm bis heute nicht verziehen hat. Aber selbst im hemmungslosen Griff nach den Mitteln des Kitschs meint man noch, die Verzweiflung eines Künstlers zu spüren, für den große Malerei Vergangenheit ist und der dennoch malen muss.
Literaturverzeichnis Metken, Günter: „Nachruf auf ein Chamäleon“, in: DIE ZEIT, Nr. 5, 27.01.1989. Schmied, Wieland: „Wahnsinn als Methode“, in: DIE ZEIT, 14. 09.1984. Schneede, Uwe M.: „Abschied vom großen Magier“, in: art, Nr. 3, 1989, S. 4457. Wiegand, Winfried: „Die Hölle, das ist unsere Phantasie“, in: F.A.Z., 13.03. 2002.
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Volker Roloff
Surreale Metamorphosen und Spiegelbilder Anmerkungen zum Narzissmus Dalís 1.
La métamorphose de Narcisse als Medienspiel Si l’on regarde pendant quelque temps, avec un léger recul et une certaine ‚fixeté distraite‘, la figure hypnotiquement immobile de Narcisse, celle-ci disparaît progressivement, jusqu’à devenir absolument invisible. La métamorphose du mythe a lieu, à ce moment précis, par l’image d’une main qui surgit de son propre reflet. Cette main tient au bout de ses doigts un œuf, une semence, l’oignon duquel naît le nouveau Narcisse – la fleur. A côté, on peut observer la sculpture calcaire de la main, main fossile de l’eau tenant la fleur éclose.1
Mit diesen Worten erläutert Dalí sein berühmtes Bild La métamorphose de Narcisse aus dem Jahre 1937 (vgl. Abb. 1) und beginnt zugleich sein poème paranoȓaque mit dem gleichen Titel, als das „erste Gedicht und das erste Bild, das nach uneingeschränkter Anwendung der paranoisch-kritischen Methode“ entstanden sei.2
Abb. 1: Salvador Dalí: La métamorphose de Narcisse, 1937, Öl auf Leinwand, 51,1 x 78,1 cm, Tate Modern, London. 1
Dalí: „La métamorphose de Narcisse“, S. 95.
2
Ebd: „Le premier poème et le premier tableau obtenus entièrement d’après l’application intégrale de la méthode paranoȓaque-critique. Pour la première fois, un tableau et un poème surréalistes comportent objectivement l’interprétation cohérente d’un sujet irrationel développé.“
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Das Gedicht erscheint als ein Versuch, die im Bild dargestellte Metamorphose mit den Mitteln der Sprache zum Ausdruck zu bringen, gleichsam als ein sprachliches Echo und Spiegelung des Bildes im Text. Dabei entwickelt der Text eine eigene Visualität und Metaphorik, die sich auf das Bild beziehen, das im Bild Dargestellte sichtbar machen, aber zugleich auch verwandeln und auflösen: Die „figure immobile de Narcisse“ gerät in Bewegung, „disparaît progressivement, jusqu’à devenir absolument invisible“.3 Es ist offensichtlich, dass das Gedicht Dalís mit der Differenz der Medien spielt, d.h. die Grenzen des Darstellbaren, des auf dem Bild Sichtbaren zu überschreiten sucht. Dalís Medienspiele sind nicht nur Beispiele für die Wechselbeziehungen und Spannungen zwischen Bild und Text, sondern entwickeln darüber hinaus Spielformen, die, in ihren grotesken, pathetischen und ironischen Varianten, für den Umgang der Surrealisten mit den Medien paradigmatisch sind. Dalís paranoischkritische Methode ist nicht der Versuch einer „traduction visuelle de l’écriture automatique“4, sondern, wie zu zeigen bleibt, ein sehr genau durchdachtes Verfahren, um das Trügerische und Phantasmatische der Wahrnehmung aufzuzeigen und damit die Grenzen von Imagination und Wirklichkeit aufzuheben.5 „Es ist gerade der systematische, konstruktive Aspekt, der an der Paranoia interessant ist.“6 Es geht in La métamorphose de Narcisse um die, wie Foucault es nennt, „unendliche Beziehung“ zwischen Text und Bild, zwischen dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren.7 Das Bild und der literarische Text Dalís sind in sich und in ihrer Kombination darauf angelegt, die Statik des Bildes und zugleich auch die Referentialität des Textes aufzulösen – und so, durch die Mittel der literarischen Metaphorik, neue Bildwelten zu entwerfen und das im Bild dargestellte Geschehen zu dramatisieren. Die Metamorphose erscheint hier als ein Schauspiel der Verwandlungen, der wechselseitigen Spiegelungen von Bild und Text; mit anderen Worten: Der Mythos des Narziss – mit der Fragmentierung und Zergliederung des narzisstischen Körpers, bis hin zur Auflösung, Unsichtbarkeit und Neugeburt – führt Dalí dazu, das Prinzip der Metamorphose selbst sichtbar, d.h. als metapoetisches und intermediales Verfahren durchschaubar zu machen. Die métamorphose de Narcisse erscheint als ein inneres Schauspiel und Spiegeldrama, das immer neue Bilder und Figuren hervorbringt:
3
Ebd.
4
Vgl. Amossy: Dalí ou le filon de la paranoȓa, S. 42.
5
Vgl. Gorsen: Kunst und Krankheit, S. 231f.
6
Vgl. Bürger in diesem Band.
7
Foucault: Die Ordnung der Dinge, S. 38.
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Narcisse s’anéantit dans le vertige cosmique au plus profond duquel chante la sirène froide et dionysiaque de sa propre image. Le corps de Narcisse se vide et se perd dans l’abîme de son reflet, comme le sablier que l’on ne retournera pas. Narcisse, tu perds ton corps, emporté et confondu par le reflet millénaire de ta disparition, ton corps frappé de mort descend vers le précipice des topazes aux épaves jaunes de l’amour, ton corps blanc, englouti, suit la pente du torrent férocement minéral des pierreries noires aux parfums âcres, ton corps...8 Diese Passage ist typisch für den gesamten Text des poème, das, als eine eigentümliche Mischung von Ekphrasis, poème en prose, lyrisches und dramatisches Szenario, keineswegs ein schon vorhandenes Bild umschreibt, interpretiert oder dramatisiert; der Text entwickelt vielmehr eine eigene Dramatik und Poesie, die dem Leser neue Bildwelten hinter dem Sichtbaren vorspiegelt, ihn zur Gestaltung eigener Narziss-Bilder verführt. Ein solches „jeu spéculaire délibéré“9 entspricht, mit dem Gleiten und Entgleiten der Bilder und Bedeutungen, surrealistischen Verfahrensweisen, aber es handelt sich nicht um den Versuch einer assoziativen, alogischen écriture automatique, sondern um eine sehr genaue Reflexion der Wechselbeziehungen zwischen Bild und Text, zwischen sichtbaren und unsichtbaren, inneren und äußeren Bildern. Der Leser gerät in ein Medienspiel, in dem auch die freudsche Prämisse von der Unterscheidbarkeit zwischen Bewusstem und Unbewusstem fraglich wird. Angelpunkt der dalíschen Reflexion ist vielmehr das prekäre Zusammenwirken von Medium, Bild und Körper, die Analyse der Zwischenräume und Passagen zwischen individuellen und kollektiven, inneren und äußeren Bildern. Der Text kreist um den Ort und ‚Nicht-Ort‘ der Bilder, er zeigt die Faszination und Verführungskraft der Bilder, aber auch ihre Beweglichkeit, Flüchtigkeit, Fraktalität, und damit den Vorgang der Fixierung und Auflösung visueller, aber auch sprachlicher Figuren. Dalí variiert damit nicht nur, wie zu erläutern bleibt, das Spiegeldrama 8
Dalí: „La métamorphose de Narcisse“, S. 98f.
9
Amossy: Dalí ou le filon de la paranoȓa, S. 46.
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Lacans, sondern er reflektiert auch avant la lettre ein zentrales Problem der Intermedialität, das von Hans Belting so formuliert wird: Unsere inneren Bilder sind nicht immer individueller Natur, aber sie werden auch dann, wenn sie kollektiven Ursprungs sind, von uns so verinnerlicht, daß wir sie für unsere eigenen Bilder halten. […] Unsere Bilderfahrung gründet zwar auf einer Konstruktion, die wir selbst veranstalten, und doch wird sie gesteuert von der aktuellen Verfassung, in der die medialen Bilder modelliert sind. Es läuft auf einen Akt der Metamorphose hinaus, wenn sich die gesehenen in erinnerte Bilder verwandeln, die fortan in unserem persönlichen Bildspeicher einen neuen Ort finden.10 Die Metamorphose des Narziss ist ein Musterbeispiel für diese Verwandlung, Bewegung und das Gleiten der Bilder, die Transformation und mise en scène des Mythos. Es handelt sich um den Versuch, den Prozess der Metamorphosen im Bewusstsein des Zuschauers und Lesers zu veranschaulichen. Schon gleich am Anfang des poème verweist Dalí auf die wahrnehmungsästhetischen und medialen Aspekte: Die Bewegung entsteht im Blick und in der Imagination des Zuschauers, ist zugleich aber auch eine Folge der körperlichen Annäherung oder der Entfernung von dem Bild, der genauen Beobachtung, „avec un léger recul“. Noch deutlicher, aber schon ironisch pointiert, ist in dieser Hinsicht die präzise Beschreibung der von Dalí so genannten heterosexuellen Gruppe: Das poème kennzeichnet die einzelnen Figuren, die in dem Bild Dalís aber so winzig sind, dass sie auch mit einer Lupe nicht so genau differenziert werden können. Déjà, le groupe hétérosexuel, dans les fameuses poses de l’expectation préliminaire, pèse consciencieusement le cataclysme libidineux, imminent, éclosion carnivore de leurs latents atavismes morphologiques. Dans le groupe hétérosexuel, dans cette date douce de l’année (mais sans excès chérie ni douce), il y a l’Hindou âpre, huilé, sucré comme une datte d’août, le Catalan au dos sérieux, et bien planté
10 Belting: Bild-Anthropologie, S. 21.
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dans une côte-pente, une Pentecôte de chair dans le cerveau. le Germain blond et carnassier, les brumes brunes des mathématiques dans les fossettes de ses genoux nuageux, il y a l’Anglaise, la Russe, la Suédoise, l’Américaine et la grande Andalouse ténébreuse, robuste de glandes et olivâtre d’angoisse.11 Die Ironie besteht darin, dass der Text hier Vergleiche, Wortspiele und Details enthält, die prinzipiell nicht im Rahmen eines gemalten Bildes fixierbar und erkennbar sind und auch nicht einmal vorhanden sein können – so dass der Leser zu einem genaueren Hinsehen verführt wird, das ihn aber täuscht und enttäuscht, und ihm damit die Differenz zwischen Bild und Text nur umso mehr verdeutlicht. Gleichwohl veranschaulichen die Sprachspiele Dalís die theatrale und quasi-filmische Phantasie, zu der die Bilder inspirieren. Sie schafft jene Figuren des Begehrens, die immer schon (lange vor der Erfindung des Mediums Film) den Zuschauer wie auch den Leser zur individuellen und imaginären Ausgestaltung reizen: Das Theater und Kino in unserem Kopf, das, wie z.B. Roland Barthes ausführt, die Sprache des Begehrens in konkrete Gestalten verwandelt, und mit den Formen der Inszenierung des Körpers und der Sinne verbindet. Tout le long de la vie amoureuse, les figures surgissent dans la tête du sujet amoureux sans aucun ordre, car elles dépendent chaque fois d’un hasard (intérieur ou extérieur). A chacun de ces incidents (ce qui lui ‚tombe‘ dessus) l’amoureux precise lui dans la réserve (le trésor?) des figures selon les besoins, des injonctions ou les plaisirs de son imaginaire.12
11 Dalí: „La métamorphose de Narcisse“, S. 97f. 12 Barthes: Fragments d’un discours amoureux, S. 10.
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Der Narziss-Text von Dalí produziert also Bilder, die das sichtbare Bild durch das nähere Hinschauen, wie z.B. durch den neugierigen Blick auf die groupe hétérosexuel, im wahrsten Sinne des Wortes auflösen, analysieren und verwandeln; sowie das Bild selbst zu einem schärferen Blick, einer quasi-filmischen Auflösung und Annäherung inspiriert, zu einer Art Großaufnahme. Die Möglichkeit extremer Vergrößerung gehört, wie Dalí an anderer Stelle anmerkt, zur Magie des Films: „Un morceau de sucre à l’écran peut devenir plus grand qu’une perspective infinie de bâtiments gigantesques.“13 Filmtheoretiker wie Bonitzer betonen die „paranoische Qualität“ der Großaufnahme14 und auch Deleuze und Guattari sprechen von der beunruhigenden Qualität des in Großaufnahme eingefangenen Gesichtes, „le visage est un conte d’horreur“.15 Dalí hat das Verfahren der Vergrößerungen schon in seinem Essay über San Sebastián (1927) beschrieben: Wenn ich mit meinen Augen bei irgendeinem Detail stehen blieb, dann vergrößerte sich dieses Detail wie im Film zu einer Nahaufnahme und gewann allerhöchste Plastizität.16 Fast könnte man hier, so folgert Peter Gorsen, „parallel zur bekannten ‚Ideenflucht‘ von ‚Bilderflucht‘ sprechen, die der Maler in seinen fixierenden Anamorphosen ästhetisch organisiert.“17 In dem San Sebastián-Text, der mit verschiedenen San Sebastián-Bildern und -Zeichnungen verbunden ist, erläutert Dalí die kinoähnlichen Bilder und Wirkungen der mysteriösen ‚Lupe‘ des Sebastian: Ich sehe die Polospielerin auf dem nickelglänzenden Leuchtturm der Isotta Fraschini. Ich tue nichts weiter, als meine Neugier auf ihr Auge zu konzentrieren und schon nimmt dieses das ganze Gesichtsfeld ein. Dieses einzige Auge wird plötzlich größer und wie ein einziges Schauspiel ist es nun ein ganzer Hintergrund und eine ganze Oberfläche von Ozean, in dem alle poetischen Eingebungen schwimmen und wo sich alle plastischen Möglichkeiten herausbilden. Jede Wimper ist eine neue Richtung und eine neue Ruhe; der klebrige und süße Rimmel bildet bei seiner mikroskopischen Vergrößerung exakte Kugelsphären, 13 Dalí: „Film-art, film-antiartistique“, S. 43. 14 Bonitzer: Le champ aveugle, S. 49. 15 Deleuze/Guattari: Milles plateaux, S. 206; vgl. auch – im Blick auf Proust – Felten: „Codierungen des Eros“, S. 242ff. 16 Dalí: Unabhängigkeitserklärung der Phantasie und Erklärung der Rechte des Menschen auf seine Verrücktheit, S. 55. 17 Gorsen: Kunst und Krankheit, S. 226.
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zwischen denen man die Jungfrau von Lourdes oder das Bild (1926) von Giorgio de Chirico: Evangelisches Stilleben sehen kann.18 Dieses Instrument produziert, wie ein Vergrößerungsglas, die verschiedensten „Visionen“ und Szenarien, die „immer neue lyrische Zustände“ hervorrufen, aber auch, wie es am Ende heißt, Bilder der Fäulnis: „Die andere Seite des Vervielfältigungsglases des heiligen Sebastian war die Seite der Fäulnis. Alles, was man hierdurch sah, war Angst, Dunkelheit, aber auch Zartheit…“19 Dalís medienästhetische Reflexionen sind vor allem darauf angelegt, die Unterscheidung zwischen inneren und äußeren Bildern, zwischen Vision und Wahrnehmung, Wahn und Wirklichkeit aufzuheben; es handelt sich bei Narziss, San Sebastián und auch Antonius20 um Figuren der Schaulust und des Begehrens, die als solche die Bilder ins Gleiten bringen, verwandeln, vervielfältigen, dramatisieren und verrätseln. Dabei sind, wie Narziss und San Sebastián als Figuren homoerotischer Projektionen und Fantasien zeigen, Subjekt und Objekt des Begehrens nicht zu unterscheiden. Auch die für Dalí typischen Vexierbilder sind im Grunde Produkte dieser Bewegung: Alle Bilder, die beim Anblick des Felsens (von Cap Creus) in der Vorstellung aufscheinen, transformieren sich in dem Maße, wie man näher herantritt oder weiter zurückgeht.21 Die Bilder geraten, so Peter Gendolla, „in eine Bewegung, an deren Ende die unbewussten Kräfte selbst sichtbar werden sollen, als Bewegung.“22 Das neue Medium des Films ist für Dalí nicht etwa interessant, weil es die Wirklichkeit genauer abbilden könnte, sondern vor allem faszinierend, weil es die Einbildungskraft, das kollektive und individuelle Imaginäre in Bewegung setzt, weil es „das sichtbar macht, was wir zuvor nicht gesehen haben“,23 weil es Träume, Visionen, Wünsche, Ängste und Halluzinationen, das ganze Spektrum des Begehrens zum Vorschein bringen kann. „Le cinéma“, so Dalí,
18 Dalí: Unabhängigkeitserklärung der Phantasie und Erklärung der Rechte des Menschen auf seine Verrücktheit, S. 55-56. 19 Ebd. 20 Vgl. zu Dalís Darstellung des heiligen Antonius Gendolla: Phantasien der Askese, S. 183ff, sowie zu „San Sebastián“ auch Wild und Felten in diesem Band. 21 Vgl. Bürger in diesem Band. 22 Gendolla: Phantasien der Askese, S. 248. 23 Kracauer: „Erfahrung und ihr Material“, S. 239.
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par sa richesse technique, peut nous donner la vision concrète et émouvante des spectacles les plus grandioses et sublimes, seul privilège, jusqu’alors, de l’imagination de l’homme, dit le metteur en scène artistique. Ainsi le film devient simple illustration de ce que l’artiste génial imagine.24 Das beste Kino, so schließt Dalí seine Buñuel gewidmeten Bemerkungen in „Film-art, film antiartistique“, sei das stumme, taube, blinde Kino: „Cinéma muet, sourd, aveugle, je dirai, puisque le meilleur cinéma est celui qu’on peut voir les yeux fermés.“25 So wird das Öffnen und Schließen der Augen bis hin zur grotesken Zerstörung der Augen zur Schlüsselszene sowohl surrealistischer Filmkunst, wie in der berühmten Eingangssequenz von Un chien andalou, aber auch zahlreicher Bilder von Dalí, die, wie in La métamorphose de Narcisse, die Grenzen des Sichtbaren und Darstellbaren zu überschreiten suchen und das Trügerische der Schaulust und des Begehrens zeigen. Die grotesken ‚Selbstdarstellungen‘ Dalís, z.B. L’énigme du désir, Jeu lugubre, Le grand masturbateur oder Les plaisirs illuminés,26 zeigen den liegenden oder schwebenden, vom Körper abgelösten Kopf immer mit geschlossenen Augen. Bilder wie Les plaisirs illuminés sind darüber hinaus Zeichen der Autoreflexion der Bildkünste selbst, der Suche nach dem Bild hinter dem Bild.27 Hier wird die Schaulust durch zahlreiche Durchblicke einerseits initiiert, andererseits aber auch ad absurdum geführt. Der Voyeur auf der rechten Seite, der hinter das Bild schauen möchte, repräsentiert das Paradox der Schaulust selbst, das Begehren, etwas sehen zu wollen, was prinzipiell nicht sichtbar werden kann. Dalí deutet hier schon auf den Zusammenhang von Schaulust, Schauspiel, Malerei und Kino, den gemeinsamen Ursprung von ästhetischer, erotischer und filmischer Einbildungskraft, fast könnte man sagen ‚hellseherisch‘, wenn man die Ähnlichkeit der von Dalí erfundenen Apparate mit den Monitoren unserer Zeit sieht. Dargestellt wird das Dispositiv Kino: als eine, wie Baudry erläutert, Apparatur, die dem Zuschauer die Möglichkeit eröffnet, die (verlorengegangene) Erfahrung einer narzisstischen Selbstliebe und halluzinatorischen Schaulust zu wiederholen.28
24 Dalí: „Film-art, film antiartistique“, S. 43f. 25 Ebd., S. 45. 26 Vgl. im Katalog Descharnes/Néret: Dalí, S. 141f., 145, 149. 27 Ebd., S. 149. 28 Vgl. Baudry: „Le dispositif“, S. 69ff.
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Abb. 2: Salvador Dalí: Les plaisirs illuminés (Illuminated Pleasures), 1929, Öl und Collage auf zusammengesetzem Paneel, 23,8 x 34,7 cm, The Museum of Modern Art, New York, The Sidney & Janis Collection.
Dalí ist auf dem Wege, die moderne Bilderhöhle, das Monadische,29 Narzisstische und Traumatische der erotischen Phantasie, die hinter dem Theater, Kino und Fernsehen stecken, anzudeuten; mit anderen Worten jene Zwischenzustände und Metamorphosen zwischen bewussten und unbewussten, kollektiven und subjektiven, realen und imaginären Produktionen, die Dalís Medienspiele und intermedialen Inszenierungen kennzeichnen. Unter diesem Aspekt erscheint es zunächst lohnend, über die Beziehung zwischen Dalí und Lacan, sowie seinen Umgang mit Freud in der Perspektive aktueller Medientheorie neu nachzudenken.
2.
Metamorphosen und Spiegelungen des Begehrens: Von Freud zu Lacan und Dalí
In Dalís La métamorphose de Narcisse kommt es nicht darauf an, neue Bedeutungen und aktuelle Interpretationen des Mythos zu schaffen, sondern darauf, das Prinzip der Metamorphosen und Spiegelungen selbst, die Autoreferentialität zu analysieren: Das zentrale Geschehen ist die Auflösung und Verwandlung des Narziss, dessen Spiegelbild, der zum Wasser gebeugte Kopf, zu einer Zwiebel
29 Zum Begriff des ‚Monadischen‘ vgl. Gerhard Wild in diesem Band.
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wird, aus dem die Narzisse wächst.30 Die „Zwiebel im Kopf“, die, wie Dalí ironisch anmerkt, in katalanischer Sprache genau dem psychoanalytischen Begriff des „Komplexes“ entspricht,31 produziert unendlich viele Metamorphosen, „des armées assourdissantes de la germination des narcisses.“32 Der Begriff der Metamorphosen verweist auf die Zirkulation der Bilder, den ständigen Wechsel zwischen innerer und äußerer Bildproduktion – und es gehört zu der von Julia Kristeva so genannten Komplexität des Begehrens, dass solche Bilder und Imaginationen immer wieder auftauchen, in Bewegung geraten, entgleiten, sich verflüchtigen und ausgetauscht werden.33 Mit der Schaulust und ihren inneren Schauspielen und Szenarien entsteht ein „Spiel von Identitäten und Differenzen“, dessen Ursprung und Ende offen sind.34 Angelpunkt des narzisstischen Szenarios ist vielmehr die Theater- und Filmphantasie des Zuschauers bzw. des Lesers. In einem solchen Szenario geht es um die Inszenierung und Vervielfältigung des Körpers, das Zusammenspiel der Sinne, aber ebenso um die Fragmentierung und Auflösung des Körpers, die Performanz und Medialität des Begehrens. Es ist schon von daher offensichtlich, dass nicht Freuds, sondern Lacans Analyse des narzisstischen Begehrens für Dalí relevant ist; nicht nur im Hinblick auf die medienästhetischen Aspekte, sondern auch auf die damit verbundene Traumästhetik und Konzeption des Subjekts. Die entsprechenden Studien von Gorsen, Amossy, Gekle und anderen deuten z.T. bereits darauf hin, aber man kann, wie auch die Beiträge dieses Bandes zeigen, das Spektrum der Wechselbeziehungen zwischen Lacan und Dalí erweitern. Immer noch wird zu wenig beachtet, dass die Produktionen der Surrealisten, insbesondere aber Dalís Bilder und Texte, eine entscheidende Grundlage für Lacans Überlegungen darstellen. Man darf indes nicht übersehen, dass schon bei Freud das Subjekt keine Instanz des Selbstbewusstseins mehr ist, „sondern eine Funktion des Narzissmus“35. Dieses Subjekt ist in der Perspektive der freudschen Psychoanalyse problematisch und gefährdet, durch narzisstische Kränkungen bedroht.36 Bekanntlich gelangt Lacan in einem Vortrag von 1936, also erst nach den engen Kontakten mit Dalí, zu einer neuen, weiterführenden Deutung des Narzissmus.37 Lacan erläutert „le stade du miroir comme forma-
30 Vgl. Amossy: Dalí ou le filon de la paranoȓa, S. 37. 31 Dalí: „La métamorphose de Narcisse“, S. 96. 32 Ebd., S. 97. 33 Kristeva: Le temps sensible, S. 42ff. 34 Warning: Proust-Studien, S. 158. 35 Hülk: Schrift-Spuren von Subjektivität, S. 6. 36 Vgl. im Einzelnen Gorsen: Kunst und Krankheit, S. 268f. 37 Hülk: Schrift-Spuren von Subjektivität, S. 6f.
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teur de la fonction du Je“ am Beispiel der frühkindlichen Urszene, der Erfahrung des Kindes, das seinen Körper im Spiegel erblickt. Das Spiegelbild ist nicht die Bestätigung der Identität des Subjekts, sondern deren Konstitution.38 Mit seiner Spiegeltheorie stellt Lacan „ein ‚Ich‘ vor, das, generiert aus einer Fiktion, in seiner weiteren Entwicklung durch deren illusionären Charakter und entfremdende, irrealisierende Wirkung bestimmt sein wird. Wer fortan ‚ich‘ sagt, und sich im Spiegel des Anderen (Spiegelbild, Augen-Blick der Mutter, der geliebten Person) erkennt, wird sich zugleich immer schon idealisierend verkannt haben. Dies motiviert die unausgesetzten Bestrebungen um Liebe und Identität, denen ein Subjekt unterworfen ist, welches gespalten ist: In ein ‚Ich‘, bestimmt durch die Wiederholungen der primären Identifikation, und ein ‚moi‘ als eine stets unerreichbare, nur um den Preis des Lebens – in einem gleichsam autoerotischen Kurzschluss – zu erringende narzisstische Identität.“39 Schon bei Ovid geht es, mit der Faszination des Narziss durch das eigene Spiegelbild, um die Unerreichbarkeit des Bildes und die Unerfüllbarkeit des Liebesbegehrens, aber bei Ovid werden weitere Aspekte eines mehrdeutigen, verschiedene Medien kombinierenden Spiegeldramas angedeutet. Mit der Geschichte der von Narziss verlassenen Nymphe Echo, dem akustischen Medium, verwandelt sich das Drama des Narziss in eine groteske Inszenierung, eine Parodie, die zugleich die fatale Macht der körperlosen Stimme Echos in einem Kontrast mit ihrem kläglich verschwindenden Körper veranschaulicht. Dieses Drama erscheint bei Lacan als ein medialer Komplex von Spiegelungen und Täuschungen, der mit dem Blick auf die Vollkommenheit und Schönheit des Körpers, die unaufhebbare Ambiguität des Begehrens zum Ausdruck bringt, die Bedrohung durch den Blick des anderen, die Gefährdung der Identität durch eine regressive Produktion der Bilder der Zerstückelung, Fragmentierung und Fragilität des Körpers. Ces corps morcelés […] sont montrés régulièrement dans les rêves, quand la notion de l’analyse touche à un certain niveau de desintégration aggressive de l’individu. Il apparait alors sous la forme de membres disjoints et de ses organes figurés en exoscopie, qui s’ailent et s’arment pour les persecutions intestines qu’à jamais a fixées par la peinture le visionnaire Jérôme Bosch […].40
38 Ebd., S. 7. 39 Ebd. 40 Lacan: Ecrits, S. 65.
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Lacan und Dalí verstehen das Spiegelstadium als ein immer neu inszenierbares und wiederholbares inneres Drama, als ein groteskes, karnevaleskes Spiel, in dem Trug- und Vexierbilder, Anamorphosen, Metamorphosen, Wahnvorstellungen und Simulationen eine Rolle spielen. So entstehen Bilder, die die Vorstellung der Einheit und Vollkommenheit des Körpers schaffen, aber immer wieder bedrohen und auflösen. „Wenn Ich- und Identitätsstrukturen sich zuerst auf der Seite des Spiegelbildes artikulieren, dann behalten sie immer etwas von dessen fiktivem, scheinhaften Charakter“, so Hanna Gekle, die – noch deutlicher als Gorsen – den entscheidenden Anteil Dalís an Lacans Analysen hervorhebt.41 Gekles Folgerungen sind daher sowohl für Lacan als auch für Dalí relevant: Was bei Freud die Mechanismen der Traumdeutung wie des Unbewussten insgesamt sind, das behält Lacan dem Imaginären vor […]. Alle Formen des Imaginären sind demnach gekennzeichnet vom Narzissmus des Ich: seiner Unabgetrenntheit vom Anderen, den er nur als Spiegelbild seiner Selbst wahrnehmen darf, von den Verleugnungen und Verkennungen seiner Angst vor dem Tod, seiner Selbstmordgefährdung sowie seiner geradezu lasterhaften Todesverfallenheit, seiner Einkapselung in eine kümmerliche Homoerotik, von seinen Phantasien der Zerstückelung, seiner entfremdeten Wiederkehr als Puppe, Maschine oder Automat […], und: seiner Einsamkeit. Das sind die Bildthemen dieses Ich, die sich in wahrhaft verblüffender Übereinstimmung mit einem breiten Spektrum nicht nur der Themen des Surrealismus, sondern auch des Manierismus in Beziehung bringen lassen.42 Es ist daher kein Zufall, dass Lacan diese Konzeption des Narzissmus im Dialog mit Dalí und im engen Anschluss an Dalís eigene Texte entwickelt – und dass er dabei (ähnlich wie auch Foucault in seiner Histoire de la folie)43 die Bilder von Hieronymus Bosch zum Vergleich heranzieht. Lacan und Dalí entwickeln ihre von Freud abweichende Deutung des Narzissmus, insbesondere die Theorie der Wechselbeziehung von Ich-Identität und deren Auflösung, von Selbstbewunderung und Selbstverlust,44 indem sie auf verschiedene Bilder und Mythen zurückgreifen: von den antiken Mythen, die – wie z.B. Narziss, Orpheus, Dionysos, der Minotaurus oder der Hermaphrodit – Metamorphosen und Transgressionen darstellen, über Bilder des 16. und 17. Jahrhunderts 41 Gekle: Tod im Spiegel, S. 57; zur Beziehung von Dalí und Lacan bes. S. 142ff. 42 Ebd., S. 159f. 43 Foucault: Histoire de la folie, S. 24ff. 44 Vgl. Gorsen: Kunst und Krankheit, S. 264.
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bis hin zu Goya und Malern des 19. Jahrhunderts. Vor allem Bilder und Texte des Manierismus, die – von Hieronymus Bosch bis Arcimboldi – die ‚Welt als Labyrinth‘, als karnevaleskes Traum-Szenario und ‚ars combinatoria‘ begreifen, gehören, wie Gustav René Hocke und Hans Holländer gezeigt haben, zum Repertoire der Surrealisten.45 Grundlage ist dabei die neue Mythologie der Surrealisten, ihr ironisch-groteskes Spiel mit den Traditionen.46 Auch Peter Gorsen gelangt zu dem Schluss, dass Dalís narzisstische Bilderwelt als ästhetische Analogie zu dem theoretischen Ansatz Lacans gelesen werden kann und bezieht sich dabei auf Dalís métamorphose de Narcisse: Die paranoisch-anamorphotische Auflösung des personifizierten Narziss in eine versteinerte Hand, die ein Ei hält, ist bewusst doppelsinnig und erlaubt die Wahrnehmung des aus dem anorganischen und organischen Sein, aus Tod und anonymer Schöpfung in seine personale Identität zurückgekehrten Narziss.47 Offen bleibt aber, ob – wie Gorsen annimmt – diese Metamorphosen bei Dalí wirklich als „Wiedergewinnung einer neuen personalen Identität im Selbst eines Anderen“48 gedeutet werden können. Entscheidend ist – im Unterschied zu Freud – die von Dalí und Lacan hervorgehobene Möglichkeit, mit den eigenen Wahn- und Traumbildern aktiv produktiv und kreativ umzugehen, sie bewusst zu gestalten. Das für Freud problematische Phänomen der Paranoia und des Narzissmus, ebenso wie der Ekstase, Psychose oder Halluzination werden bei Dalí zu Spielformen einer sehr bewussten Inszenierung,49 einer, wie Dalí es nennt, systematischen Eroberung des Irrationalen. Die – so Gorsen – im Surrealismus zahlreich anzutreffenden Zerstückelungs- und Kastrationsphantasien, der gespaltene und doppelte Narziss, die sensibilisierte und kultivierte Erfahrung der eigenen psychotischen Gefährdung wurden hier als Primärphänomene der Ichkonstituierung eines jeden Bewusstseins essentieller genommen, als es Freud je vermochte.50
45 Vgl. Hocke: Die Welt als Labyrinth, bes. S. 157ff.; Holländer: „Ars inveniendi et investigandi“, S. 244ff. 46 Roloff: „Anmerkungen zur neuen Mythologie der Surrealisten“, S. 17f. 47 Gorsen: Kunst und Krankheit, S. 264. 48 Ebd., S. 263. 49 Vgl. Amossy: Dalí ou le filon de la paranoȓa, S. 9. 50 Gorsen: Kunst und Krankheit, S. 269.
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Es erscheint sinnvoll, Dalís Umgang mit Begriffen der Psychoanalyse wie Paranoia, Narzissmus, Extase, Perversion, Hysterie genauer zu betrachten.51 In dem Maße, in dem Dalí mit diesen Begriffen spielt, ihren ursprünglichen Sinn verkehrt und als générateurs der eigenen künstlerischen Phantasien und Produktionen verwendet, geht es nicht nur um unterschiedliche Definitionen einzelner Begriffe, sondern um die Parodie und Ironisierung des psychoanalytischen Diskurses selbst. Besonders deutlich wird dies, wie Ruth Amossy zeigt, am Beispiel von Dalís Interpretation des Mythe tragique de l’Angélus de Millet.52 Auf den ersten Blick scheint es so, als ob Dalí mit den Kategorien Freuds die verdeckte Erotik, den verborgenen, phallischen Sinn des Bildes von Millet entdeckt, aber diese Interpretation gerät selbst in ein Spiel der Ambiguitäten und Metamorphosen: […] le modèle freudien subit une métamorphose à l’issue de laquelle la critique d’art devient une œuvre paranoïaque-critique à part entière […]. Au discours psychoanalytique sur la folie se superpose ainsi le discours de la folie.53 Dalí spielt selbst verschiedene Rollen, die Subjekt und Objekt der Analyse vertauschen. Le phénomène délirant comprend son interprétation, la folie son analyse, le paranoïa sa critique. Ils renvoient l’un à l’autre et s’impliquent mutuellement.54 Sowohl Dalís Kommentar als auch die auf Millets Angélus bezogene eigene Serie von Bildern55 schaffen ein Szenario von Rollenspielen und Spiegelbildern, die darauf angelegt sind, die psychoanalytischen Erklärungsmuster zu zitieren und zugleich ad absurdum zu führen. Die literarischen Verfahren der Parodie, des Pastiche und der Ironisierung freudscher Begriffe entsprechen den dalíschen Transformationen des Bildes selbst, die ebenfalls mit parodistischen Elementen – von der Karikatur, grotesken Verfremdungen, Verzerrungen und 51 Vgl. Maurer Queipo/Rißler-Pipka/Roloff: Die grausamen Spiele des Minotaure, vor allem die Beiträge von Walburga Hülk, S. 71ff., und Isabel Maurer Queipo, S. 83ff. und in diesem Band. 52 Amossy: Dalí ou le filon de la paranoȓa, S. 51ff ; vgl. Dalí: Unabhängigkeitserklärung der Phantasie und Erklärung der Rechte des Menschen auf seine Verrücktheit, S. 204-206. 53 Ebd., S. 52. 54 Ebd., S. 55. 55 Vgl. ebd., S. 50, 63; vgl. auch im Katalog Descharnes/Néret, S. 199, 246f.
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Verrätselungen bis hin zur Versteinerung der Figuren und mise en abyme der milletschen Vorlage – ein breites Repertoire surrealistischer Verfahrensweisen aufweisen – aber mit dem Unterschied, dass die Texte und Bilder Dalís, seine Medienspiele zwar den Anschein erwecken, als ob sie eine „langage secret et symbolique de l’inconscient“56 zum Ausdruck bringen, aber dabei ganz im Sinne der paranoisch-kritischen Methode sehr genau und überlegt vorgehen. Faszination und Ironie, ‚pastiche volontaire et involontaire‘ liegen sehr eng beieinander. Es fragt sich, ob Dalís Spielfreude, seine Fähigkeit zur Mimesis, Parodie und Mimikry im Grunde auch schon den akademischen Diskurs von Lacan selbst mitbetrifft.
Abb. 3: Salvador Dalí: Réminiscence archéologique de l’„Angelus“ de Millet, 1935.
56 Dalí: La vie publique, S. 43.
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3.
Die Theatralität und Flüchtigkeit der Träume Die Geschichte des Traums ist aufgehoben in den ständigen Metamorphosen seiner Theorie und den Vexierspielen der Literatur, die seine imaginären Szenen beschreibt.57
Obwohl Peter André Alt in seiner umfangreichen Kulturgeschichte des Traums auf die Traumdiskurse der Surrealisten nicht näher eingeht, kann seine Bemerkung hier als Motto dienen. Dass der Traum einem inneren Theater ähnelt, gehört zu den Topoi der Traumliteratur, so z.B. bei Borges, der in dem Prolog des Libro de sueños eine Textstelle von Addison zitiert: „Joseph Addison a observado que el alma humana cuando sueña, desembarazada del cuerpo, es a la vez el teatro, los actores y el auditorio.“58 Der Vergleich von Theater und Traum beruht auf der Beobachtung der Rollenspiele, der Verwandlungsfähigkeit des Träumers und seiner Figuren. Der Traum illustriert das Prinzip der Metamorphosen und Spiegelungen, die Veränderung des Bewusstseins von Raum und Zeit und die Vervielfältigung des Ich. Er hat, so Elisabeth Lenk, „eine Affinität zum Künstlichen, zu Masken, Kleidern, zu anorganischen Gegenständen, Apparaten.“59 Ein solches Traumtheater schafft neue Spielräume einer imaginären, subjektiven Theatralität, die man kaleidoskopisch nennen könnte; es inspiriert und präfiguriert – in dem Avantgarde-Theater zu Beginn des 20. Jahrhunderts – neue Formen der Simultanbühne ohne Kohärenz der Handlung und ohne herkömmliche Psychologie und Konsistenz der Figuren, magische mises en scène, Bilder der Schaulust.60 Dies erklärt, wie schon öfter bemerkt wurde, das Interesse der Surrealisten für die Traumspiele und Zaubereien des Theaters und Films, und besonders die – zuerst von Méliès erkannte und erprobte – Möglichkeit, die Theatralität und Magie des Traums in dem neuen Medium des Films zu veranschaulichen und zu erweitern. Esta locura por los sueños, por el placer de soñar, que nunca he tratado de explicar, es una de las inclinaciones profundas que me [Buñuel] han acercado al surrealismo. Un chien andalou […] nació de la convergencia de uno de mis sueños con un sueño de Dalí. Posterior-
57 Alt: Der Schlaf der Vernunft, S. 373. 58 Borges: Libro de sueños, S. 9. 59 Lenk: Die unbewusste Gesellschaft, S. 365. 60 Vgl. Roloff: „Vom Traumspiel zum surrealistischen Film“, S. 14ff.
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mente he introducido sueños en mis películas, tratando de evitar el aspecto racional explicativo que suelen tener.61 Buñuel betont vor allem die Produktivität der von ihm so genannten „Traumgewitter“, die unendliche Vielfalt der auftauchenden Bilder62 – und verweist damit auf den unbegrenzten ästhetischen Spielraum der Traumphantasie. Die enge Zusammenarbeit zwischen Buñuel und Dalí in der Zeit von Un chien andalou und anfangs auch von L’âge d’or beruht unter anderem darauf, dass beide den Film als ideales Medium des Traums begreifen, aber, im Unterschied zu anderen Surrealisten, den Unterschied zwischen der Spontaneität der Traumproduktion und der bewussten Konstruktion der Filme erkennen und beide Aspekte, „lo racional y lo irracional“ zu verbinden suchen: Buscábamos un equilibrio inestable e invisible entre lo racional y lo irracional que nos diera, a través de este último, una capacidad de entender lo ininteligible, de unir el sueño y la realidad, lo consciente y lo inconsciente, huyendo de todo simbolismo. […] Lo de la falta de ilación lógica en Un perro andaluz es puro cuento.63 Buñuel und Dalí stimmen zwar mit Freud überein, wenn er den Traum als Wunschbefriedigung deutet, konzentrieren sich aber eher auf die ästhetische Faszination und die Subversivität des Traums, die Möglichkeit, Träume zu gestalten, also das Konzept der gelenkten Träume, der „sueños dirigidos y deliberados“, das auch schon bei Borges die Freudsche Unterscheidung von bewusst und unbewusst relativiert.64 Dem entspricht, wie schon angedeutet, Dalís paranoisch-kritische Methode, die die Kreativität, das ästhetische Potential der Wahnvorstellungen und Traumbilder hervorhebt. So erscheint, schon in den filmischen Experimenten und in verschiedenen literarischen Texten von Buñuel und Dalí, der Traum, anders als bei Freud, als Modell einer intermedialen Ästhetik, die die Theatralität und Mehrdeutigkeit der Traumform zum Ausdruck bringt. Erst wesentlich später hat besonders Foucault die Distanz der Surrealisten gegenüber Freuds Rationalismus, vor allem gegenüber Freuds Methode, die Bedeutung der Traumbilder herauszufinden, zu einer postmodernen Theorie des Subjekts und der Imagination erweitert. Foucault kritisiert in dem Vorwort
61 Buñuel: Mi último suspiro, S. 111. 62 Ebd., S. 112. 63 Aub: Conversaciones con Buñuel, S. 60f. 64 Vgl. Borges: „la literatura es un sueño, un sueño dirigido y deliberado, pero fundamentalmente un sueño“ (ders.: „Nathaniel Hawstone“, S. 62).
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zu Binswangers Traum und Existenz die freudsche Traumdeutung, soweit dort Traumbilder einem Sinn untergeordnet werden, also nur das Vernunftsubjekt in den Blick genommen wird.65 Foucault geht, ähnlich wie auch Sartre, von der Abwesenheit des Objektes aus, auf die sich das Bild bezieht; die Imagination ist daher ein Prozess der Suche nach dem Bild; fixierbare Traumbilder seien nicht der Gipfel der Imagination, sondern schon ein Moment ihres Verfalls.66 In diesem Traumszenario, so Foucault, sind die Träume nicht die Geschichte früherer Erfahrungen, sondern umkreisen die gesamte Existenz des Subjekts.67 Foucaults Betonung einer nicht abschließbaren Suche nach dem Bild führt zu Dalís Traum- und Bilddiskurs und darüber hinaus zu einem zentralen Problem der gegenwärtigen Medienästhetik, dem Entzug bzw. der Flucht der Bilder, ihrer Flüchtigkeit und Vervielfältigung, und damit auch zu der Frage, ob es überhaupt eine „Wirklichkeit vor den Bildern“ und Inszenierungen geben kann, ob die sinnliche „Präsenz des Bildes nur die Spur einer aufgeschobenen Absenz“ ist.68 Auf dem Spiel steht die Souveränität des Subjekts, die, im Rahmen einer „medialen Anthropologie der Imagination“, eher als eine „Mediosphäre“ der Zwischenräume und Brüche, „zwischen dem Realen, Symbolischen und Imaginären“ zu begreifen wäre.69 Das Subjekt erscheint als Regisseur, aber auch Schauspieler und Zuschauer intermedialer Spielformen, die die gewohnte Opposition von Realität und Imagination, Authentizität und Rollenspiel unterlaufen. Die Spielfreude und damit die Lust am Schauspiel, der Mimesis und Mimikry, der Inszenierung der Träume und Tagträume wird zur Leitfigur – der homo ludens in seiner Freiheit, Kontingenz, Neugierde, aber auch seiner Fragilität und Abgründigkeit. Genau diese Spielfreude kennzeichnet Dalís Bilder, sein mit Lacan entwickeltes Konzept der paranoisch-kritischen Methode und nicht zuletzt seine Kultivierung eines kreativen Narzissmus, der immer neue Spielformen des Imaginären hervorbringt. Die vom Begehren gesteuerten Einbildungen produzieren imaginäre Schauspiele, Rollenspiele, Transgressionen, Metamorphosen des Ich; die inneren Bilder und Imaginationen können konkrete Gestalt annehmen, existentielle Erfahrungen spiegeln, aber in der unendlichen Serie der Bilder immer wieder in Bewegung geraten, entgleiten und sich verwandeln. Dalís Interesse an der Dynamisierung der Bilder und an den Metamorphosen 65 Vgl. Foucault: „Introduction“, S. 3ff.; dazu auch Borsò: „Foucault und Binswanger“, S. 117ff. 66 Vgl. Borsò: „Foucault und Binswanger“, S. 121, 123. 67 Vgl. ebd., S. 124; Foucault: „Introduction“, S. 16ff. 68 Wetzel/Wolf: Der Entzug der Bilder, S. 8. 69 Reck: „‚Inszenierte Imagination‘ – Zur Programmatik und Perspektiven einer historischen Anthropologie der Medien“, S. 241.
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ist dafür paradigmatisch. In der Einbildungskraft, in den Schauspielen des Imaginären vermischen und kreuzen sich innere und äußere, individuelle und kollektive, aktuelle und virtuelle Bilder. Die Phantasie der Surrealisten, mit ihren Labyrinthen, Traum-, Spiegel- und Vexierbildern, den grotesken Metamorphosen und Anamorphosen ist daher nicht völlig neu, sondern verweist, wie bereits angedeutet, auf ältere, bei Dalí, Buñuel und Lorca insbesondere spanische Bild- und Theatertraditionen, die karnevaleske Tradition der Romania.70 Literarische Vorbilder, auf die Dalí immer wieder zurückgreift, sind unter anderem Quevedo, Rabelais, pikareske Romane, Cervantes, Calderón und Juan de la Cruz. Es gehört zur karnevalesken Struktur surrealistischer Bilder, Texte, Theaterstücke und Filme, dass ihre groteske, farcenhafte Komik nicht nur auf der Ebene des Dargestellten, sondern im literarischen oder filmischen Diskurs selbst realisiert wird, mit den typischen Verfahrensweisen der Mehrdeutigkeit, der Verrätselung, Verfremdung, ihrer Irrealisation und Farcierung, der grotesken und ironischen Mischung verschiedener Medien und Diskurse. Auffällig ist dabei die Konfusion von Mensch, Tier, Pflanze und Materie, die Fragmentierung des Körpers. Dabei werden Traditionen der Farcenkomik, der Pantomime, der Parodia sacra, der grotesken und pikaresken Satire, das Motiv der verkehrten Welt aktualisiert, aber vor allem auch der zentrale Topos des theatrum mundi, der Welt als Bühne, des Lebens als Traum. Im Blick auf Dalí sind es besonders die Anamorphosen, die sich, als Zitate des Manierismus, „aus den übrigen Gestalten der Bildungen des Imaginären herausheben“71 und für Dalí ebenso wie für Lacan die Traumphantasien und narzisstischen Verwandlungen bestimmen. Für die Surrealisten gilt es, die Grenzen zwischen Vernunft und Wahn, Wirklichkeit und Traum soweit wie möglich aufzulösen. In den bösen Traumspielen der Surrealisten haben die karnevalesken Freiheiten und Tabuüberschreitungen nicht mehr die Funktion, eine gesellschaftliche, religiös fundierte Ordnung letztlich doch zu bestätigen, sondern sie sind vielmehr darauf angelegt, die Theatralität des Traums und der gesellschaftlichen Institutionen in ihrem Zusammenhang aufzuzeigen und von daher die gesellschaftliche Ordnung zu subvertieren. Die Traumphantasie ist auch nicht mehr, wie noch bei Freud, Anlass zur individuellen Psychoanalyse, sondern zu Metamorphosen und Inszenierungen, die die Grenzen zwischen Authentizität und Rollenspiel, zwischen dem individuellen und kollektiven Imaginären in Frage stellen.
70 Vgl. Teuber: Sprache – Körper – Traum. 71 Gekle: Tod im Spiegel, S. 151.
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4.
Surreale Metamorphosen und Inszenierungen in Dalís
La vie secrète Erstaunlicherweise ist die Autobiographie bzw. ‚Pseudo-Autobiographie‘ La vie secrète de Salvador Dalí (erschienen 1942, in der englischen Fassung)72 bisher nur unzureichend kommentiert worden, trotz verschiedener Ansätze z.B. bei Finkelstein, Joseph-Lowery, Amossy, Nouvet, Riese Hubert, Vilaseca.73 Erst seit kurzem ist eine kritische Ausgabe der französischen Originaltexte erschienen, herausgegeben von Frédérique Joseph-Lowery, Lausanne 2006, und man darf hoffen, dass diese sorgfältige Edition neue Impulse vermittelt. La vie secréte ist in der Kombination von Text, Zeichnungen und Fotografien ein intermediales Produkt par excellence – und kann daher nur im Blick auf die Wechselbeziehungen der verschiedenen Medien und Künste erfasst werden.74 Darin liegt auch die Grenze der neuen kritischen Ausgabe, die zwar erstmals die französischen Originaltexte präsentiert, aber auf die 130 Zeichnungen und die Fotografien der Erstausgabe verzichtet. Die meisten Anmerkungen zu La vie secrète sind bislang darauf angelegt, Dalís Text inhaltlich und oft auch nur anekdotisch auszuwerten, sei es als mehr oder weniger zuverlässigen Kommentar entweder zu einzelnen Bildern oder zur Biographie bzw. zu dem Psychogramm Dalís.75 Es gibt meines Wissens bisher kaum Versuche, die Besonderheit der Schreibweise und Bildersprache Dalís, seine Rolle als Maler-Dichter in einem gattungs- und diskursgeschichtlichen Kontext zu analysieren,76 seine neuen Spielformen sowohl der literarischen als auch der visuellen Selbstdarstellung. Auch die folgenden Bemerkungen können, mit dem Thema der surrealen Metamorphosen, nur einige Aspekte und Perspektiven andeuten. Dalís vie secrète ist, wie schon La métamorphose de Narcisse, ein Versuch, die karneva72 Vgl. Dalí: Das geheime Leben des Salvador Dalí, S. 497-503; Dalí: La vie secrète de Salvador Dalí; den m.E. passenden Begriff ‚Pseudo-Autobiographie‘ wählt Nanette Rißler-Pipka in diesem Band. 73 Vgl. Finkelstein: Salvador Dalí’s Art and Writing, S. 254ff.; Amossy: Dalí ou le filon de la paranoïa, S. 91ff.; Nouvet: „Salvador Dalí: fleur de mort, main coupée“; Riese Hubert: „Man Ray, Dalí, Max Ernst: Autobiographie et Peinture Surréaliste“; Vilaseca: The Apocryphal Subject; Vilaseca: „Le Réel de l’œuvre autobiographique de Salvador Dalí“. 74 Vgl. dazu den Beitrag von Brad Epps in diesem Band. 75 Solche Auswertungen bleiben problematisch, solange sie den Status des Textes, die Besonderheiten dieser surrealen ‚Pseudo-Autobiographie‘ nicht berücksichtigen (vgl. Nanette Rißler-Pipka in diesem Band). Sie geraten in das Labyrinth der dalíschen Ironie und Imagination. 76 Ansätze finden sich u.a. bei Riese Hubert, S. 177ff., Vilaseca und in der Edition von Joseph-Lowery.
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lesken und phantasmatischen Strukturen des Begehrens, die Erscheinungsformen des Imaginären als Angelpunkt der ‚eigenen‘ Existenz darzustellen – ein Buch der Träume und ein ironischer ‚Theaterroman‘, der das „geheime Leben“ als eine Folge von Schlüsselszenen, Rollenspielen, Transgressionen, Spiegelungen, Simulationen und Maskeraden begreift und schon von daher die Grenze von Fiktion und Wirklichkeit aufhebt. Der Begriff Theaterroman bezeichnet hier nicht nur die Theatralität der erzählten Geschichten, sondern die Theatralität des autobiographischen Diskurses selbst und seiner Visualisierung. Ziel ist, die Spielräume des Imaginären auszuweiten und die Suche nach der Identität als eine Serie von Metamorphosen darzustellen, die nicht nur das Erlebte und Gesehene in erinnerte Bilder verwandeln, sondern umgekehrt auch die wahren oder falschen Erinnerungen mit immer neuen Inszenierungen, Visionen und Mythen verbinden. Ein möglicher Ansatz zu einer intermedialen Analyse von La vie secrète wäre, wie schon im Blick auf La métamorphose de Narcisse, den Zusammenhang von Medium, Bild und Körper zu bedenken, wie z.B. Hans Belting, wenn er den Körper als Trägermedium begreift, das die „Bilder der Erinnerung und Phantasie“ hervorbringt und zu bewahren sucht. „Der Körper stößt immer wieder auf die gleichen Erfahrungen wie Zeit, Raum und Tod, die wir schon a priori in Bilder fassen.“77 Das Gleiche gilt, wie man hinzufügen kann, ebenso für Texte, die solche Erinnerungsbilder evozieren. Der Mensch erscheint nicht als der „Herr seiner Bilder, sondern – was etwas ganz anderes ist – als ‚Ort der Bilder‘, die seinen Körper besetzen: er ist den selbsterzeugten Bildern ausgeliefert, auch wenn er sie immer wieder zu beherrschen versucht“78, neu inszeniert und verwandelt. Bilderfahrung und Körpererfahrung sind – in ihrem Wandel und dem Zwang zur Wiederholung – miteinander verbunden.79 Auch Belting bezieht sich dabei auf Lacan, da das Spiegelstadium beim Subjekt eine „Verwandlung bewirkt, die durch Aufnahme eines Bildes ausgelöst wird“80 – aber er möchte diesen modernen Subjektbegriff zugleich rückbeziehen auf kulturgeschichtliche Phänomene und traditionelle Versuche, den Körper durch Nachahmungen, Masken oder Simulakren zu bewahren. „Die Bilder besitzen zwar in den historischen Medien und Techniken eine Zeitform und werden dennoch von überzeitlichen Themen wie Tod, Körper und Zeit hervorgebracht.“81 In dieser Hinsicht erscheint La vie secrète, das in allen Kapiteln durch Todes- und
77 Belting: Bild-Anthropologie, S. 12. 78 Ebd. 79 Vgl. ebd., S. 23. 80 Ebd., S. 38. 81 Ebd., S. 23.
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Wiedergeburtsphantasien geprägt ist, nicht nur als konsequente Fortführung der Metamorphosen des Narziss und zahlreicher Selbstportraits Dalís, sondern als Versuch einer Selbstdarstellung, die, so Dalí in der Schreibweise des Manuskripts, „mort et resurrection, revolution et Renesance“82 verbindet. Dies entspricht sowohl Dalís eigener paranoisch-kritischen Methode als auch aktuellen Theorien der Autobiographie, die das Schreiben über sich selbst prinzipiell als Identitätssuche und Rollenspiel definieren – im Sinne einer Konzeption, die das Subjekt von vornherein als variablen, intermedialen Spielort begreift, der durch Inszenierungen, Nachahmungen, Verfremdungen, Hybridisierung und Transgressionen geprägt ist, als ein Ort der Passagen und Zirkulationen, der Kreuzungen zwischen dem kollektiven und individuellen Imaginären. Solche Spielräume des Imaginären sind, wie Walburga Hülk erläutert, „zugleich Szenarien der Sinne, der Bruchstellen zwischen Körper und Geist, Eigenem und Fremden.“83 Der narzisstische Theaterroman von Dalí besteht aus einer Serie solcher Szenarien, spektakulären Schlüsselszenen, die durch die Kombination von Bildern und Texten immer neue Metamorphosen inszenieren. Dalís Konzeption des Narzissmus verbindet extreme Gegensätze: die Dezentrierung und Exzentrizität des Ich, Selbstaufgabe und Idolatrie, Fragmentierung und Auflösung des Ich bis hin zur Apotheose. Die Rollenspiele, Metamorphosen und Spiegelbilder wechseln zwischen pathetischer, grotesker und ironischer Selbstdarstellung als Clown oder Narr, monstre, Opfer, Genie, Erlöser und Visionär. In all diesen Inszenierungen geht es, wie in der Verwandlung des Narziss, um Leben und Tod, bzw. Tod und Wiedergeburt, wobei nicht nur die Verwandlung des Körpers, sondern die vielfältigen, grotesken Zwischenformen und Passagen zwischen Materie, Pflanzen, Tieren und Menschen eine Rolle spielen.
82 Dalí: La vie secrète de Salvador Dalí, S. 18. 83 Hülk: „Leibgericht“, S. 4.
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Abb. 4: Salvador Dalí: ,Form‘ is always the product of ‚inquisitorial‘ process of matter.84
Das Spektrum reicht, wie schon der Prolog Dalís andeutet, von der Verwandlung der Mineralien und Pflanzen bis hin zu einer spirituellen, quasi-religiösen Morphologie – und ihrer Auflösung im „Prototyp des Polymorph-Perversen“, mit dem sich Dalí identifiziert.85 In der strengsten Hierarchie der Formen steckt schon – im Sinne dieser Dialektik – ihre völlige Auflösung.86 Der Leser findet die Vielfalt der grotesken und karnevalesken Formen, Figuren und Gestalten nicht nur in den Zeichnungen von La vie secrète, sondern ebenso in den erzählten Geschichten, den Anekdoten, Märchen und Träumen, vor allem auch in der Variabilität der dalíschen écriture selbst. Der Text laviert zwischen Pathos, Satire und Ironie, er imitiert oder parodiert klassische Autobiographien, wie z.B. Goethes Dichtung und Wahrheit, Benvenuto Cellini oder Rousseau, Künstler-Biographien (u.a. Vasari) ebenso wie pikareske Romane und Cervantes; man findet Elemente, Zitate, Stilfiguren der verschiedensten 84 Dalí: Das geheime Leben des Salvador Dalí, S. 13. 85 Vgl. ebd., S. 12; zum Begriff der spirituellen Morphologie, mit Anspielung auf Goethe, vgl. S. 14. 86 Vgl. ebd., S. 12, 14 und die Abbildung S. 13 mit dem Titel: ‚Form‘ is always the product of ‚inquisitorial‘ process of matter (Abb. 4 in diesem Beitrag).
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Genres, von der mittelalterlichen Hagiographie, Märchen und Mythen bis zu Texten von Freud, Otto Rank oder Bergson, Anspielungen auf Romane des 19. Jahrhunderts (Flaubert, Huysmans, Lautréamont) bis hin zu Proust und den quasi-autobiographischen Texten von Breton, wie z.B. Nadja oder Amour fou. Eine umfassend kommentierte Ausgabe von La vie secrète, müsste, neben den vielfältigen intertextuellen Bezügen, auch die zahlreichen Verweise auf andere Medien und Künste wie Malerei, Film und Fotografie berücksichtigen. Schon das Titelbild von La vie secrète illustriert die intermedialen Beziehungen zwischen Text und Bild, die Polaritäten und Spannungen. Neben dem grotesken Selbstportrait, das an viele ähnliche Selbstportraits Dalís erinnert,87 erscheint als neue Komplementärfigur Gala, in einer androgynen Pose. Das Bild präfiguriert die Schlüsselszene des neunten Kapitels, in der Dalí Gala begegnet, und die Idolatrie Galas, die schon in La métamorphose de Narcisse angedeutet wird und in La vie secrète ihren Höhepunkt erreicht.
Abb. 5: Frontispiz aus Dalí: Das geheime Leben des Salvador Dalí. 87 Vgl. Roloff: „Groteske Gesichter in surrealistischen Bildern und Filmen“.
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Die Metamorphose des Narziss findet ihre Steigerung in der Schöpfung des Mythos Gala, des „nouveau Narcisse“. Gala ist als „nouveau Narcisse“ Angelpunkt der Metamorphosen und Spiegelbilder, die Dalís vie secrète nicht nur mit La métamorphose de Narcisse, sondern mit zahlreichen weiteren Texten und Bildern verbindet.88 In der Einführung der neuen französischen Ausgabe, die den großen Anteil Galas auch an der Genesis von La vie secrète hervorhebt, spricht Jacques Spector von der „rôle du simulacre“ bei Dalí: En raison du très grand narcissisme de Dalí, la vie privée du peintre abonde en effets de simulacres. Gala est un de ces simulacres, elle est une illusion de miroir.89 Der Begriff des simulacre, ob als Trugbild, Idol, Götter- oder Götzenbild, ist ebenso prägnant wie auch hintergründig und mehrdeutig, wie im Übrigen auch die Begriffe des Spiegelbilds, der Metamorphosen oder der Paranoia. Die Figuren der Schaulust und des Begehrens geraten – hier liegt ein Problem jeder intermedialen Analyse, die sie sich auf Bilder und Texte beziehen – in eine unauflösbare Spannung und Mehrdeutigkeit. Dass Dalí diese Begriffe nicht einfach übernimmt, sondern in seinen Texten und Bildern auf seine Weise modifiziert, abwandelt und verwandelt, kann für künftige Interpreten ein Vorteil sein, aber auch zum hermeneutischen Problem werden: Dalí entwickelt ein eigenständiges Konzept des Narzissmus, das sich, wie angedeutet wurde, von Freud unterscheidet und auch Lacans Analysen z.T. schon voraus ist; so wie auch Dalís Konzept der Metamorphosen den Spielraum akademischer Diskurse überschreitet und nur im Zusammenspiel und in der Differenz der Medien zu erfassen ist.
Literaturverzeichnis Alt, Peter-André: Der Schlaf der Vernunft. Literatur und Traum in der Kulturgeschichte der Neuzeit, München 2002. Amossy, Ruth: Dalí ou le filon de la paranoȓa, Paris 1995. Aub, Max: Conversaciones con Buñuel, Madrid 1984. Barthes, Roland: Fragments d’un discours amoureux, Paris 1977.
88 Vgl. bes. Finkelstein: Salvador Dalí’s Art and Writing; Nouvet: „Salvador Dalí: fleur de la mort, main coupée“ und Rißler-Pipka in diesem Band. 89 Dalí: La vie secrète de Salvador Dalí, S. 9f.
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Le „Divin Dalí“ du visuel au verbal: Autoportrait et interaction dans le livre-entretien Salvador Dalí n’a cessé de se mettre en scène tout au long d’une carrière ponctuée de scandales. Cet exhibitionnisme effréné de la part d’un artiste surnommé par Breton Avida Dollars n’a guère été pris au sérieux: les commentateurs, comme le grand public, n’y ont vu qu’une démonstration d’excentricité due à la folie réelle du peintre ou à son sens aigu de la promotion commerciale. Si l’on examine dans leur ensemble tous ses autoportraits visuels et verbaux, on s’aperçoit cependant qu’ils font partie d’un projet artistique soigneusement orchestré. De l’autoportrait pictural aux photographies, des apparitions télévisées aux entretiens écrits et aux textes autobiographiques les plus divers, Dalí poursuit une même entreprise et se réclame d’une même esthétique. C’est dire que chez lui, la tentative d’intégrer l’image de sa personne dans l’espace paranoïaque-critique de l’œuvre s’exprime dans tous les médias en passant incessamment du visuel au discursif.1 La gageure consistera ici à examiner comme une œuvre paranoïaque-critique de Dalí un livre-entretien quelque peu loufoque réalisé avec Alain Bosquet2, pour dégager la contribution singulière de ce genre par rapport à d’autres types d’autoportraits daliniens – dont le tableau, la photographie et surtout l’entretien télévisé. Quel est l’apport d’un autoportrait à deux voix d’où l’image visuelle est exclue, où l’interaction constitue la règle du jeu, et dont l’interviewer (Bosquet) et non l’artiste interviewé (Dalí) apparaît comme le maître d’œuvre? Les Entretiens avec Salvador Dalí 3 que surplombe sur la couverture le nom d’Alain Bosquet, lui-même écrivain renommé, soulèvent plusieurs questions. Sans doute est-il clair que L’autoportrait mou avec du lard grillé (1941, ill. 2) ou 1
Ce travail poursuit la réflexion entamée dans Amossy: Dalí ou le filon de la paranoïa, qui étudie la façon dont divers genres – comme l’autobiographie ou l’essai critique sur l’Angélus de Millet – sont annexés à l’esthétique paranoïaque-critique de Dalí qui en opère une véritable métamorphose.
2
Je n’exposerai pas ici la théorie bien connue de la paranoïa-critique de Dalí, dont la théorisation a été faite dans les textes recueillis dans les deux volumes de Oui 1 et Oui 2, et dont de nombreux commentaires ont été offerts. Voir en particulier Reynolds: Salvador Dalí, Ades: Dalí; Amossy: Dalí ou le filon de la paranoïa; Finkelstein: Salvador Dalí’s Art and Writing 1927-1942.
3
Toutes les citations dans le texte renvoient à l’édition Belfond de 1983: Bosquet: Entretiens avec Salvador Dalí.
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d’autres autoportraits sur toile font partie intégrante de l’œuvre dalinienne. Leur facture très différente au cours des ans montre bien à quel point l’image de soi, comme tout autre sujet traité en peinture, dépend d’une esthétique. Il suffit pour s’en convaincre de confronter l’Autoportrait mou de la grande période surréaliste avec Autoportrait au cou raphaëlesque de 1922 (ill. 1), l’autoportrait cubiste de 1923, ou Autoportrait (Dalí, nu) de 19544.
Illustration 1: Salvador Dalí: Autoportrait au cou raphaëlesque (Self-Portrait with Raphaelesque Neck), c.1922, huile sur toile, 40,5 x 53 cm, Fundació Gala-Salvador Dalí, Figueres.
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Collection privée, Memphis. On trouvera une reproduction dans Gérard: Dali… Dali… Dali…, illustration 98.
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Illustration 2: Salvador Dalí: L’autoportrait mou avec du lard grillé, 1941, huile sur toile, 61,3 x 50,8 cm, Fundació Gala-Salvador Dalí, Figueres.
Dans cette optique, la présentation de soi ne diffère pas de la présentation d’une femme, d’une plage ou d’un galet. Il en va de même pour les écrits autobiographiques où la représentation du moi est soumise au style paranoaïquecritique de Dalí: La vie secrète de Salvador Dalí, autobiographie dont la version de 1942 en langue anglaise est illustrée par le peintre, Le journal d’un génie (1964), la Lettre ouverte à Salvador Dalí parue chez Albin Michel en 1966 sont tous de la plume de l’artiste, et remodèlent le genre de l’autobiographie, du journal intime ou de la lettre ouverte au gré de la logique paranoïaque-critique qui est sa marque distinctive. Dans l’autoportrait pictural et le discours autobiographique, le passage de la peinture à l’écriture ne modifie pas la capacité de l’artiste à gérer son autoportrait dans le cadre d’une esthétique personnelle. Cette position change cependant lorsqu’on aborde les images de Dalí dont il n’est pas l’unique producteur. Que penser des photos où on trouve une mise en scène élaborée correspondant au style familier de Dalí, mais prises, montées et cadrées par d’autres? On pense bien sûr au Dalí moustache de Halsman, mais aussi à de nombreuses autres photos comme celle de Paul Facchetti (qu’on peut voir dans le catalogue du Centre Pompidou, p. 143), ou encore celles de Cecil Beaton dans lesquelles Dalí et Gala adoptent une pose théâtrale derrière deux tableaux daliniens où la silhouette vide d’un homme et d’une femme sert
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de cadre à un paysage au premier plan duquel apparaît une table couverte d’une nappe. Peut-on considérer que la prise de vue effectuée par un autre est littéralement happée par le génie dalinien dans l’univers paranoïaque-critique duquel elle s’inscrit désormais, et dont la photographie devient le support? Ou plutôt que le photographe apparaît ici comme le collaborateur d’une œuvre collective où Dalí figure à la fois le modèle et le co-producteur? Quoi qu’il en soit, il ressort clairement que la paternité de l’image comme production artistique ne saurait revenir uniquement au photographe: le portrait s’apparente aussi à un autoportrait. Le phénomène se complexifie encore lorsque l’on passe aux interviews télévisées consacrées à Dalí. Tous ceux qui ont vu sur le petit écran des interviews accordées par le maître de la paranoïa-critique5 se souviennent de la mise en scène élaborée de sa propre personne qu’il y entreprend: il s’agit bien pour lui de projeter une fois de plus, à l’intention du grand public et donc d’un auditoire peu spécialisé, l’image du fou génial et du grand paranoïaque-critique. Il y parvient par différents moyens, à la fois visuels et sonores. La façon dont il s’apprête, son costume et ses éventuels accessoires, sa moustache, ses poses, ses expressions confortent le public dans une image qu’il connaît déjà. S’y adjoint sa diction très particulière, son accent délibérément outré, son discours extravagant où circulent les obsessions répandues dans toute l’œuvre. A cela s’ajoute le fait que la caméra s’attarde souvent sur une toile ou sur le détail d’un tableau qui fait le joint entre la personne mise en scène et son esthétique picturale. Dans la plupart des interviews télévisées, l’interviewer minimise son rôle pour se mettre au service de son sujet – en l’occurrence, la présentation de soi programmée par Dalí lui-même. On peut donc avoir l’impression, comme pour les photographies et bien que le genre soit interactif, que l’interview télévisée vient servir une mise en scène gouvernée par les lois de l’univers dalinien, et que c’est de sa fidélité à celui-ci que dépend la réussite de l’émission. On voit donc que l’image visuelle contribue en grande partie à annexer l’interview télévisée au „Dalíland“ dans le royaume duquel elle souhaite faire pénétrer le spectateur. Qu’en est-il dès lors de l’interview écrite? Elle ne peut, quant à elle, s’effectuer sur fond des toiles et des dessins de l’artiste, ni plonger à travers eux dans la magie dalinienne. Et cela, même si Bosquet fait précéder chaque séance d’entretiens d’une description minutieuse du décor qui renvoie à l’univers délirant du peintre: Eparpillées sur les meubles, des pièces en matière plastique sur lesquelles se reflètent, par superpositions, des formes obtenues par des 5
On peut, à titre d’exemples, consulter les interviews télévisées qui se trouvent sur le site de l’INA.
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machines électroniques et qui produisent des illusions d’optique peu communes: on a ainsi l’impression d’être devant un miroir très profond avec, de loin, des cercles et des formes ovales… (23). Qui plus est, elle ne donne pas à l’artiste la liberté d’élaborer son image au niveau de la présentation physique de sa personne, avec tous les effets qu’il en tire. Là aussi, la tentative de rendre en mots les effets visuels ne possède pas la force brute dont est dotée la présence corporelle de Dalí dans la photo ou sur l’écran: „Même décor. Présence presque constante de Miodrag Bulatovic […] Dalí porte un costume qui n’est pas encore terminé, et dont la forme incomplète est cernée de tout un réseau de fils blancs…“ (81). L’image en première page de couverture, figurant Dalí avec une expression typique aux yeux exorbités, la moustache savamment recroquevillée vers le haut et du même noir corbeau que les cheveux mi-longs, ne suffit pas à compenser ce manque. En bref, contrairement à l’image filmique des interviews télévisées, l’entretien écrit ne donne pas à l’artiste la liberté d’animer et de dominer son image de soi, d’envahir et de régir l’espace où il évolue. Le passage du visuel au verbal soulève dans l’entretien une difficulté supplémentaire. Dans ses textes autobiographiques, le maniement de l’écriture permettait à Dalí d’imposer pleinement son style et ses fantasmes: la gestion de l’œuvre y revenait entièrement à l’auteur. Il n’en va pas de même dans le livreentretien où le passage à l’écrit est le fait de l’interviewer. La possibilité pour Dalí de maîtriser totalement tous les effets de sa présentation de soi est d’autant plus malaisée que c’est l’interviewer qui a par définition le dernier mot: c’est lui qui rédige le texte et peut le flanquer d’une préface (ce que Bosquet ne manque pas de faire). Cette mainmise effectuée par son partenaire sur sa présentation de soi est lucidement et humoristiquement dénoncée par Dalí luimême: Je profite de ce que vous me dites pour me faire un peu de propagande à propos d’un autre livre qui vous fera tous cocus. Albin Michel vient de me commander un ouvrage qui s’appelle „Lettre de Salvador Dalí à Salvador Dalí“. Là il n’y aura pas d’Alain Bosquet pour s’emparer de moi, et je dirai dans ce livre, beaucoup plus intime, ce que je dois dire à Dalí lui-même (31). Privé de sa corporalité et des créations paranoaïques-critiques que représentent ses mises en scènes, ses objets, parfois des prises de vue de sa peinture, Dalí s’y trouve également dépouillé de son autorité d’écrivain. Dans cette perspective, on peut se demander comment un livre-entretien peut devenir une partie intégrante de l’œuvre paranoaïque-critique de Dalí en participant de son esthétique.
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En règle générale, le principe dalinien consiste à s’approprier le medium et le genre dans lequel s’exerce son activité paranoïaque-critique pour le subvertir de l’intérieur et lui imprimer son cachet propre. Or, investir le livre-entretien, c’est avant tout gérer l’interaction qui le définit et le modèle. Rappelons que dans l’interview, et plus particulièrement dans l’entretien d’auteur, la distribution des rôles s’effectue entre d’une part, l’auteur – „l’auteur de l’instant“, mais aussi „sa figure mythique, que son interlocuteur lui tend sans arrêt comme une effigie de lui-même, constamment retouchée“, et d’autre part, „l’interlocuteur […] le représentant d’un certain public dont il se forme une certaine image“. C’est ce public à la fois absent et présent qui est la cible de l’interview – „le dialogue du modèle et de l’interlocuteur n’étant pas un vrai dialogue au premier degré, mais la construction d’un message adressé en commun à un destinataire virtuel“6. Si l’on examine de plus près la dynamique de cette interaction, on s’aperçoit que l’image co-construite de l’auteur y est la résultante „d’une tension entre ce que mettent en place, chacun de son côté, l’écrivain et son interviewer. En effet l’interviewé cherche à se présenter à sa guise tandis que l’interviewer entend le représenter d’une manière qui correspond à l’objectif de l’entretien“7. Cette tension constitutive du genre est pleinement exploitée par Dalí, qui en joue pour réaliser à son gré la mise en scène de sa personne. Et en effet le livre-entretien réalise au plus haut point ce que John Rodden, dans une introduction intitulée „The Literay Interview as Public Performance“, appelle „the rhetoric craft of artistic self-fashioning through the form of the literary interview“8. Quel est l’objectif avoué de l’interviewer? Alain Bosquet, écrivain connu et critique renommé, se doit de dévoiler aux yeux du lecteur une personnalité créatrice exceptionnelle: telle est la vocation de l’entretien avec un artiste célèbre. Dans la mesure où il connaît le peintre de longue date, il est pleinement conscient de la manipulation que Salvador s’apprête à lui faire subir. Il est décidé à l’autoriser dans la mesure où une soumission de bon aloi est indispensable à la bonne marche de l’entretien: sans cela, pas de collaboration, et qui plus est, pas de dévoilement du phénomène Dalí. Aussi fait-il le nécessaire pour assurer la réussite d’un numéro bien rôdé. „Vous vous ramollissez, Dalí“, lui dit-il à un moment donné. „A quel point de vue?“, s’inquiète Dalí. „Je dis cela pour vous exciter un peu“ (82). Ou encore: „Je vous passe vos paroxysmes à vous. Et je joue le jeu…“ (56). Face aux excentricités de Dalí, il choisit à son tour un ton provocateur et agressif peu coutumier du genre, qui mime l’irrespect de son interviewé.
6
Lejeune: „L’entretien radiophonique“, p. 128.
7
Yanoshevsky: Les discours du Nouveau Roman, p. 165.
8
Rodden: Performing the Literary Interview, p. 1.
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„Vos réponses ne me satisfont pas“, lui lance-t-il cavalièrement (73); „Vous m’ennuyez avec votre Corbusier“ (49); „Je trouve votre logique aberrante et pleine de trous“ (51); ou encore, sur le plan moral (à propos de Lorca): „Je trouve répugnant de parler ainsi de l’assassinat d’un grand poète“ (55). Lorsque Dalí affirme qu’impuissance sexuelle et créativité ont partie liée, Alain Bosquet rétorque: „Vous dites cela parce que vous avez soixante ans“ (133). Le style de l’échange obéit ainsi au modèle dalinien, créant un climat dans lequel le public pourra savourer la singularité de l’artiste. Ce faisant, l’interviewer remplit son mandat, qui consiste à révéler au lecteur la personnalité de Dalí. Si Bosquet entend par ces choix garder la maîtrise de la situation, il ne s’en tient cependant pas là. Sa stratégie consiste en effet à exposer l’excentricité du peintre tout en en minimisant l’importance et en la marginalisant. Il distingue la profondeur de la création artistique de la mise en scène bouffonne du personnage: „En France plus qu’ailleurs, on fait la différence entre vos agissements et votre peinture“ (37). Que l’ouvrage tienne à présenter une image de Dalí où triomphe, derrière la figure du clown, celle du peintre génial, se marque bien dans la quatrième de couverture: „Cependant, derrière les paradoxes, les calembours et les provocations de tous ordres, apparaît ce qu’il faut bien appeler ‚le sérieux‘ de Dalí, l’extraordinaire passion qu’il voue à son art“. La préface ajoutée à la nouvelle édition de 1983 („Dalí sans trapèze“) se termine significativement par ces mots: „oui, bien sûr, oublions ses œuvres ratées, qui sont nombreuses, et son action personnelle, qui frise le ridicule et quelque fois le dépasse, par un effroyable masochisme…“(21). En bref, la démarche de Bosquet en tant que légitime représentant non seulement du public, mais aussi de l’institution, consiste à dissocier le „matamore“ du génie en soutenant que le premier cache malencontreusement le second: Ses drôleries, ses pitreries, ses proclamations tonitruantes, ses yeux qui roulent, ses cannes qui fustigent le ciel, ses moustaches qui pourraient empaler les hirondelles ont fait de lui un personnage, sur le compte duquel on se trompe immanquablement (91). Pour Bosquet, il s’agit en dernière instance de revenir à la tradition du grand homme à laquelle est voué l’entretien d’auteur traditionnel. Ce projet auquel l’interviewer va œuvrer tout au long du dialogue ne convient pas à Dalí, qui entend effectuer et promouvoir la mise en scène paranoïaque-critique de sa personne au même titre que ses autres activités artistiques. Pour réaliser son projet au détriment de celui que poursuit son partenaire, il lui faut déjouer les procédés de celui-ci et reprendre la maîtrise d’un texte dont l’interviewer a l’avantage d’être en charge. A l’intention de son interlocuteur immédiat comme de son public, Dalí prend soin d’exposer la façon dont il récupère toute tentative d’annexion de sa personne:
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En ce moment même, une demoiselle que je ne connais pas, et qui vient d’entrer ici, peut-être pour me poser des questions en vue d’un entretien télévisé, s’asseoit près de nous. Ses genoux sont magnifiques. C’est à partir de là que ma magie va agir. Plus tard, j’en ferai un élément de ma peinture, une œuvre extraordinaire qui aura pour base ses genoux et son visage […] Là est mon génie! Voyez-vous, tout est dans cette transfiguration: vous, vous croyez que nous allons écrire un livre ensemble; elle, elle croit qu’elle va me traîner devant la télévision… Le monde est constamment cocu (38). Il signifie ainsi à Bosquet qu’il croit le faire participer à ses desseins alors qu’en réalité, c’est Dalí qui l’exploite pour élaborer son œuvre paranoïaque-critique et procéder à la transfiguration artistique dont il a le secret. Le public est dès lors convié à retrouver dans le livre-entretien non seulement les contenus que Dalí entend mettre en valeur, mais aussi la façon dont l’artiste mène la singulière partie où chacun tente de mettre l’autre en échec pour réaliser son propre projet. Telle est en effet la singularité de cet entretien d’auteur en forme de livre: contrairement aux interviews télévisées et aux présentations de soi dont l’image est le support, il permet de dévoiler les modalités de la démarche dalinienne. Il donne à voir, dans le jeu qu’autorise une interaction pleinement maîtrisée, les stratégies au gré desquelles Dalí annexe sa présentation de soi à son esthétique propre, faisant participer le public, par les voies du délire et de l’humour critique, à sa „Métamorphose en Narcisse“ et, corollairement, à la mythification de sa personne. Une première stratégie dalinienne consiste à subvertir les règles que l’interview lui impose par le biais du projet de Bosquet, en manifestant qu’il en connaît parfaitement les rouages. Derrière le délire affiché, les commentaires du peintre et la manière systématique dont il se joue des conventions laissent transparaître un savoir lucide. Tout d’abord, Dalí caricature le principe du vedettariat qui est à la base de l’interview en présentant une pratique culturelle institutionnalisée en termes de manie privée. Dans la société contemporaine, toute célébrité est censée s’exposer aux yeux du grand public. Cette obligation devient chez Dalí une déviance curieuse, un exhibitionnisme éhonté. J’ai beau être très connu, raconte-t-il, à Noël, l’année dernière, on m’a offert une petite clochette. Je me promenais dans les rues de NewYork, et chaque fois que j’avais l’impression que les gens ne faisaient pas assez attention au Divin Dalí, j’agitais la clochette. Il m’était insupportable de penser qu’on pût ne pas me reconnaître (113).
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A la question de Bosquet: „Condamné à mort, on vous laisse le choix: quel supplice choisiriez-vous?“, il répond: Celui qui comporterait le maximum d’exhibitionnisme, et qui me permettrait de me montrer sans cesse; celui qui comporterait des discours, des harangues, en un mot, celui qui me ferait profiter de l’événement (85). Plutôt que de se soumettre docilement à la norme de l’interview, Dalí se plaît donc à dévoiler ce qui s’y investit secrètement. Cette première transgression, qui tourne en dérision l’Artiste et ses interviews, met le lecteur en garde: chez Dalí, la présentation de soi est une activité où l’outrance comporte une part de démystification, et où le pitre a le pouvoir de mettre la vérité à nu. Dalí s’en prend, non seulement à la mise en scène des vedettes, mais aussi à ses modalités. Lorsqu’il se présente, l’homme célèbre veille généralement à produire une impression susceptible de renforcer son crédit. Il tient compte des valeurs et des désirs qu’il attribue au public; il prend soin de se conformer au modèle de l’artiste qui circule dans la communauté. Cette règle élémentaire est ostentatoirement violée dans la mise en scène que fait Dalí de sa propre personne. Il ne cesse de choquer le lecteur moyen en foulant aux pieds ses croyances et ses interdits. Dès les premières pages, Dalí déclare qu’étant „un porc excellentissime“, il a accepté avec délices la médaille de Franco, vainqueur d’une guerre civile où son ami Federico García Lorca a été mis à mort. Il ajoute qu’il aime la guerre, particulièrement „les costumes de la guerre civile, avec tous les brandebourgs et colifichets. C’est là une image beaucoup plus pétillante, plus picturale, et qui représente la loi “ (55). Dalí se définit par ailleurs comme un traître congénital (27), insiste sur sa cruauté (57), son avarice sordide (25, 82), explique que, tout en étant monarchiste, il vit à New York parce que „mon éthique personnelle est infaillible. J’habite là où il y a le plus d’argent“ (29). Il répète à plusieurs reprises qu’il se „considère comme un peintre très médiocre“ – „je crois simplement que je suis meilleur que mes contemporains“ (30). A cela s’ajoutent les réponses incongrues de Dalí, qui déjouent toutes les attentes dans les domaines sur lesquels l’interviewé est censé se prononcer. On se souvient de ses digressions sur l’hibernation, de ses tirades loufoques sur le „pape digestif“ et le „pape respiratoire“ (105), ou sur les Beatniks pour lesquels il s’agit „en se tordant à l’extrême, de faire tomber tous les poils qu’ils peuvent“ (56)… Et que penser de ses appréciations peu orthodoxes de Cézanne lequel, ayant passé toute sa vie „à vouloir faire des pommes concaves“, „n’a réussi à faire que des pommes convexes“ (79)? Toutes les ruptures – défi à la logique, à la tradition, aux idées reçues – sont désormais de règle. Le
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tout assaisonné de scatologie: „rien de m’est plus néfaste que de travailler de façon appliquée et assidue […] Même quand je ch… l’attitude immobile paraît superflue: je voudrais que l’on puisse ch… sans aucun effort, de sorte que la m… coulerait comme une espèce de miel fluide, un véritable fil d’Ariane“ (111). Le premier stade de la stratégie dalinienne consiste donc à briser sciemment tous les automatismes inhérents à un genre et à une situation institutionnelle en violant la décence la plus élémentaire. Cette transgression systématique aux allures délirantes permet de mettre en avant une personnalité dont la folie clamée haut et fort est doublée d’un aspect délibéré et critique: voulue, elle comporte une part de dévoilement et de dénonciation de la norme qui n’est pas sans humour. Il revient à Bosquet de diriger cette explosion perpétuelle et de maintenir l’artiste dans les limites de son propre projet, celui de l’entretien dont Dalí enfreint et expose les normes. D’un côté, l’interviewer se doit d’enregistrer l’image de soi que projette Dalí, dont les extravagances répétées, incessamment diffusées par les médias, ont d’ores et déjà défini un horizon d’attente particulier. C’est en génie et en fou, en iconoclaste qui ne cesse de violer la morale et le bon sens, que le grand public imagine l’inventeur de la paranoïa-critique, et c’est cette image qu’il désire retrouver dans l’entretien. „Aux yeux d’autrui vous êtes un personnage“, lui dit Bosquet. „Vous êtes un monstre sacré. Vous êtes probablement un monstre“ (24). L’interviewer entre donc dans le jeu de l’interviewé en promenant le miroir dans lequel il adopte ses poses favorites. Il souligne l’aspect funambulesque de l’artiste: il qualifie son comportement de „numéro“ auquel il se permet d’inviter un ami (67), et qui plus est, de numéro clownesque: „vous ne vous défendez pas d’être un clown“ (37). En même temps, il fait entendre une voix critique, qui entend dévaloriser cet aspect du peintre dont il croit nécessaire de minimiser l’importance. Il fait valoir à son interlocuteur qu’il joue sur un effet lassant de répétition dont le choc initial s’est de longue date amorti. De ses agissements, il affirme que „la plupart des gens […] sont médusés, éblouis pendant une heure, et vite lassés“ (37). L’interaction crée ainsi une tension et un retournement. Le démystificateur se voit démystifié: celui qui tourne en dérision toutes les règles du genre que lui propose son partenaire en même temps que toutes les idées reçues, se transforme luimême dans le discours de Bosquet en stéréotype dérisoire, duquel il est invité à se distinguer. A ce point précis, cependant, se dévoile un autre aspect de la stratégie de Dalí. C’est précisément la stéréotypie et son effet lassant de répétition qu’il récupère à son profit. En effet, le „mythe“ de Dalí se nourrit de la mise en place et de la réduplication à l’infini d’une image figée. Dalí se fonde une fois de plus sur la connaissance précise d’un mécanisme culturel contemporain,
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celui de la „mythification“ au sens des Mythologies de Roland Barthes, pour l’exploiter sans scrupules. Sur le marché où l’on ne cesse de consommer du mythe, seules accèdent à ce rang les figures qui, comme Marilyn Monroe, James Dean ou Charlot, ont été réduites à une image simple et figée qui se grave aisément dans l’imagination populaire. La schématisation et la récurrence sont la condition sine qua non du processus: c’est lorsqu’elle est toujours la même, reconnaissable entre toutes et incessamment redupliquée, qu’une image s’incruste dans l’imaginaire d’une époque.9 Dalí ne se soucie donc guère des dangers de la stéréotypie dont l’avertit son partenaire. Tout au contraire, il prend donc soin de se mettre en scène sous les traits d’un personnage stéréotypé; tout un style, comprenant les moustaches agressives, les effets d’yeux et de voix, le comportement loufoque,… est mobilisé à ces fins. Ne se présente-t-il pas lui-même comme un personnage de la Commedia dell’Arte, un „Arlequin“ (37)? Comme de nos jours, les médias contribuent massivement à la mythification des êtres et des choses, Dalí veille également à ce que son image soit constamment diffusée dans les journaux et à la télévision. „ Quels effets vous font les attaques dans la presse?“, lui demande Bosquet, et Dalí de rétorquer: „Elles sont toujours réconfortantes. On parle de Dalí sans arrêt…“ (116). Sans doute ne suffit-il pas de faire circuler sans relâche un stéréotype pour le hisser au rang de mythe: il faut également qu’il soit fondé en valeur et se donne comme une image fascinante et un modèle idéal.10 Là encore, Dalí reproduit fidèlement un mécanisme culturel dont il a démonté les rouages. Avec une différence, cependant: c’est qu’il produit lui-même un processus qui s’impose en général à partir de son dynamisme propre. J’entends que Dalí se divinise lui-même dans une entreprise bouffonne et cynique qu’il ne prend pas la peine de voiler. „Vous vous appelez ‚le divin Dalí‘ vous-même?“ (24) demande Bosquet, et plus loin: „ce Dalí divinisé à bon marché par lui-même existera-t-il vraiment?“ (50). En fait, Dalí reprend l’imagerie populaire de l’artiste comme génie et comme fou en la portant à son paroxysme. „Le Divin Dalí n’a pas d’égal“ (113) déclare péremptoirement celui qui affirme la „structure impérialiste de son propre génie“ (35). Et d’annoncer: Je vous apprends là une nouvelle qui est encore secrète: le Divin Dalí est en train de récrire complètement le petit Larousse […] Dans quelques années j’aurai mon Larousse à moi et le monde pourra apprendre ce que je pense de chaque chose… (116)
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Cf. Amossy: Les idées reçues.
10 Cf. ibid.
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En travaillant à l’édification de son mythe, Dalí n’ignore pas qu’elle ne contribue guère à la compréhension de l’œuvre. A la limite, elle acquiert dans la conscience populaire un statut indépendant de la connaissance de l’art pictural. Lorsque Bosquet objecte à Dalí que les jeunes d’aujourd’hui le prennent pour un mage, et ignorent son œuvre, le peintre rétorque: C’est vous que cela gêne. Moi, ce qui me fait plaisir, c’est que des gens très quelconques, qui ne comprennent rien, peuvent me dire „Bonjour, Salvador“. Il m’importe assez peu qu’on me prenne pour un peintre, un homme de la télévision ou un écrivain. Le principal, c’est qu’il y ait un mythe Dalí, même incompris et même entièrement faux. (123) Là où Bosquet essaye de ramener Dalí à ses vues en lui prouvant la vanité d’une mise en scène clownesque qui nuit à la reconnaissance de son art, Dalí déjoue toute mainmise sur sa présentation de soi et réitère la primauté de son propre projet – au sein duquel la mise en scène délirante du moi est primordiale. L’excentricité le pose délibérément en fou, tandis que l’outrance délibérée à vocation démystifiante dévoile le critique lucide et l’entreprise dûment programmée. Dans le jeu où l’entraîne Dalí, le public assume simultanément deux positions quasi incompatibles. D’un côté, il tient le rôle du „cocu“, celui dont Dalí ne cesse de se moquer. Ainsi Dalí explique qu’il a créé une manière spéciale de parler l’anglais, en roulant les r comme en espagnol et en exagérant sa prononciation française: „très souvent, ni les Américains ni les Anglais ne comprennent ce que je dis, mais s’il leur arrive de saisir un petit détail, il en résulte un tonnerre d’applaudissements. Le phénomène est extraordinaire; au fond, ils s’applaudissent eux-mêmes de m’avoir compris“ (144). Quant à ses admirateurs, ceux qu’il appelle les „Daliniens“, il dit les nourrir de ses ordures: „Chez Dupont, tout est bon“ (24). On ne saurait être plus déplaisant à l’égard de ses fans. De plus, les tirades souvent bizarres du Maître contiennent un humour souvent féroce nourri de cruauté et de scatologie qui relève de l’humour noir selon Breton, et qui comme lui s’impose au lecteur par un coup de force. Le discours de Dalí produit un effet de violence sur le public qu’il oblige à ingurgiter ses bouffonneries souvent ordurières sur la mort, le sexe, l’art… Il fait ainsi, de son propre aveu, „avaler au public les truculences qu’[il] énonce“ – en lui faisant payer ce plaisir masochiste très cher: „je suis au milieu d’une cascade de chèques qui arrivent comme une diarrhée“ (29). De l’autre côté, Dalí transforme son public comme son interviewer en victimes consentantes en leur dévoilant le mécanisme du piège qu’il dresse à leur intention. Il met le lecteur – le rieur – de son côté par la mise à nu parodique
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de ses propres procédés. Il en fait un complice dès lors qu’il lui offre en pâture le commentaire lucide de la méthode adoptée. Et en effet, en dévoilant la façon dont il exploite en s’en jouant les normes de la présentation de soi et de l’interview, Dalí associe le public à son entreprise de mystification. Il expose sans fard la démarche au gré de laquelle il édifie son propre mythe. Il veille également à mitiger cette tentative de déification pour le moins étonnante par un humour constant. Il décrète ainsi, à propos d’un procès perdu: „Je suis un être suprême, il va falloir que je m’adresse à la Cour suprême. Chez moi tout va au degré le plus haut, c’est-à-dire à la Cassation“ (143). Ou encore: Les obsessions sexuelles sont le fondement de la création artistique. Les insatisfactions accumulées mènent à un processus que Freud appelle celui de la sublimation […] les gens portés sur l’amour physique ne font rien du tout: ils s’expriment par le f… un peu partout. Pour le Divin Dalí, si par hasard il y a une goutte de f… qui sort, tout de suite il a besoin de la rentrée d’un chèque de grande valeur, afin que la dépense soit immédiatement remboursée. Mais comme cela arrive très rarement, tout se transforme en œuvres d’art, en fonctions spirituelles… (133). La référence à Freud et son exploitation parodique, la pirouette finale mettant en cause la divinité de Dalí ne manquent pas de mettre en joie le lecteur quelque peu averti. Dans cette perspective, le livre-entretien offre un avantage qui le singularise parmi les autres pratiques daliniennes de présentation de soi. Dalí y noue avec ses allocutaires un rapport complexe dont il lui fait savourer lui-même toutes les nuances. C’est qu’il lui demande d’apprécier l’opération de „crétinisation“ dont il fait l’objet en l’en rendant complice; il s’adresse à son intelligence non seulement en démontant à ses yeux sa machine à décerveler ubuesque, mais aussi en lui présentant un discours truffé d’allusions dont les défis à la tradition culturelle impliquent une grande familiarité avec celle-ci, et qui ne peut être saisi pleinement que sur fond d’art dalinien. Dès lors qu’il est invité à un spectacle de marionnettes dont on lui dévoile les ficelles, le public doit être enclin à applaudir. Ainsi donc, la stratégie dalinienne prévoit, pour sa bonne marche, deux réactions opposées et complémentaires. La première, de pur refus, est sensible à la provocation à laquelle elle confère par là même sa force de choc. Le lecteur moyen comme le destinataire cultivé s’y rejoignent dans une même indignation, ou dans la même incompréhension moqueuse. „Avez-vous peur que les jeunes se moquent de vous?“, demande Bosquet, et Dalí de répondre: „Je le désire au contraire. Les moqueries prouvent que je les domine“ (96). La seconde réaction, réservée à l’élite (et qui ne veut se définir comme élite?) stipule une re-
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connaissance lucide et une participation active au jeu dalinien. Elle allie l’admiration et le sarcasme. „Vous acceptez qu’on vous admire avec sarcasme?“ demande Bosquet, et Dalí répond: „avec le plus de sarcasme possible“ (114). A ceux qui assimilent les règles du jeu avec le détachement ironique et la passion qui conviennent, l’artiste offre les plaisirs de l’humour et de la lucidité. Il leur propose ainsi, à l’instar du dandy, un objet d’art qui est sa propre personne. Ce mélange d’humour et de désinvolture à propos de tout et de luimême, Dalí l’explique en effet par le dandysme: -
Peut-on traverser la vie en ayant l’air de se moquer de tout? Puisque c’est mon cas! Et c’est le cas de tous les dandys qui réussissent. (89)
L’une des clés de la méthode dalinienne est dans cette notion de dandysme, qui assied la supériorité sur une présentation théâtrale soigneusement apprêtée, un ensemble de règles appliquées à la mise en scène de sa propre personne. Car le dandy, ne l’oublions pas, joint le sérieux et le futile; il affirme la supériorité de son esprit par son comportement extérieur. Et en effet, que fait Dalí sinon se transformer lui-même en objet d’art? Un objet semblable à ceux qu’il s’est toujours complu à fabriquer, agressif, relevant à la fois du grotesque et du sérieux, de la folie et de la lucidité; un objet surréaliste étrangement proche des mannequins qu’il avait disposés dans les vitrines de la 5e Avenue. La mise en scène du moi obéit bien chez Dalí aux règles de son esthétique. Elle viole les tabous non seulement pour provoquer le bourgeois, mais aussi pour remonter aux sources fécondes de l’inconscient et produire une image fantasmatique dans laquelle le symbolisme onirique se mêle à l’humour. Comme dans la méthode paranoïaque-critique où le tableau, contemplé à distance et avec un certain recul, dévoile une image qui échappait à la première observation, les tirades de Dalí permettent de voir, derrière l’image du fou qui se singularise par ses excentricités, la figure de l’artiste qui joue sciemment de la transgression pour dévoiler le monde des fantasmes. Exhibitionnisme, érotisme, scatologie: chaque domaine abordé par Dalí se soumet au même jeu de métamorphoses, changeant de forme au gré du recul et du degré d’attention apportés. La scatologie, sujet controversé par excellence, le montre bien. Elle se donne chez Dalí comme une provocation outrancière qui choque jusqu’aux meilleurs esprits. Elle est aussi, néanmoins, hommage au bas corporel qui est à la source d’un art fécond (et en particulier du grotesque). Simultanément, elle autorise le dévoilement impudique des images de l’inconscient refoulées par les convenances. A tous ces titres, la scatologie participe tant du discours dalinien que de l’univers de ses toiles – comme le montre bien le tableau intitulé Jeu lugubre.
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Ainsi l’univers où se meut Dalí devient l’espace où les images de soi, comme celles de l’autre ou des objets, ne cessent de se métamorphoser en abolissant toutes les frontières entre le monde du fantasme et celui de la réalité. C’est là, justement, la particularité de la représentation dalinienne: l’obsession y revêt des contours précis, l’irrationalité y est „concrète“ et la paranoïa „critique“. De même, la folie y est génie, le ludique sérieux – et inversement. A Bosquet qui demande: „Où est la limite entre le génie et la folie?“, l’artiste répond: Je suis non seulement un agent provocateur, mais aussi un agent simulateur. Je ne sais jamais quand je commence à simuler ou quand je dis la vérité. Cela est caractéristique de mon être profond […] Il faut en tout cas que le public ne sache point si je rigole ou si je suis sérieux; de même, il ne faut pas que je le sache moi-même (98). En effet, la représentation bouffonne de l’artiste par lui-même vise tant à désarçonner le spectateur, qu’à révéler la relation complexe du sujet à son moi. Celui-ci se définit comme la „persona“ projetée dans la réalité, le masque sans cesse refaçonné; c’est celui de l’Arlequin et du saltimbanque qui se moque de lui-même et des autres dans une société commercialisée vouée à une publicité tapageuse. C’est aussi un être scindé dont la réunification utopique ne peut s’effectuer que dans la mascarade où s’exhibe un Dalí à plusieurs têtes (c’est le costume que portait Dalí au bal onirique de 1941). „Vous savez que la structure de ma personnalité est toujours binaire, je suis bicéphale et double“ (45), dit Dalí à Bosquet. De même les réponses de Dalí, en mêlant la profondeur et la pitrerie, dessinent cette figure pour le moins double qui se donne à elle-même la réplique, et où chaque élément se prête à des interprétations divergentes. Le jeu auquel Dalí soumet l’entretien d’auteur lui permet ainsi de l’intégrer dans son œuvre en le marquant du sceau de la paranoïa-critique. Il le fait en soumettant son image de soi, et le genre de l’entretien dans l’espace duquel elle s’édifie, aux lois d’une esthétique hautement revendiquée. Il faut souligner, cependant, que s’il entraîne l’interview dans la ronde carnavalesque de la transgression, il n’en sape pas pour autant les fondements. Si la réduplication dérisoire de la pratique sociale en dévoile le caractère réglé, conventionnel et arbitraire, c’est pour l’ériger en jeu, c’est-à-dire pour permettre à tous les participants de continuer à jouer. La gestion à la fois délirante et lucide de l’interaction ludique est le grand atout du livre-l’entretien. C’est dans la collaboration tout en tensions et rebondissements des deux partenaires, dans la co-construction d’une image de l’artiste à l’intention du public et dans la relation singulière que Dalí met en place avec son lecteur, que se marque la spécificité et l’apport de ce genre par rapport aux autres modalités de l’autoportrait dalinien. Il permet en effet l’intégration de la personne de
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l’artiste à son œuvre et sa mythification par des moyens qui diffèrent de ceux du tableau, de la photographie et qui plus est, de l’interview télévisée. Sans doute, la maîtrise de l’artiste qu’autorisent le tableau ou l’autobiographie y cède la place à un partage des pouvoirs. Mais la manipulation de l’interaction permet de compenser cette perte d’autorité – comme d’ailleurs de substituer à la force de la présence corporelle un pouvoir d’un autre ordre. Dans la joute verbale dont Bosquet se fait le scribe, Dalí s’exerce à investir à la fois le dialogue dont se nourrit l’interview, et l’image de soi qui s’y édifie. Les stratégies qu’il déploie à cet effet dépassent la simple présentation du grand paranoïaque-critique: elles montrent les secrets de sa fabrication. Contrairement à ce qui se produit dans les productions visuelles, y compris dans l’interview télévisée où l’artiste joue de sa présence physique et profite des éléments picturaux filmés, le livre-entretien permet de rendre le public complice du travail de déconstruction et de mythification dont se nourrit la présentation de soi. Il se dote d’une sorte de métadiscours qui dévoile les modalités de la mise en scène au moment même où elle s’effectue. Ce n’est pas le moindre intérêt de ce livre-entretien que Dalí travaille à intégrer dans le monde à la fois délirant et critique dont il détient la clé. Le nom de Bosquet a beau surplomber l’ouvrage, le livre ne s’en inscrit pas moins dans la série des œuvre daliniennes – sans doute dans la catégorie de celles qui se construisent à plusieurs en faisant entrer les partenaires dans l’espace délirant, grotesque et lucidement programmé du Maître.
Bibliographie Ades, Dawn: Dalí, London 1984. Amossy, Ruth: Dalí ou le filon de la paranoïa, Paris 1995. Amossy, Ruth: Les idées reçues. Sémiologie du stéréotype, Paris 1991. Bosquet, Alain: Entretiens avec Salvador Dalí suivis de La Conquête de l’Irattionnel par Salvador Dalí, Paris 1983. Finkelstein, Haim: Salvador Dalí’s Art and Writing, 1927-1942, Cambridge (USA) 1996. Gérard, Max: Dali… Dali… Dali…, Introduction by Dr. Pierre Roumeguère, New York 1974. Lejeune, Philippe: „L’entretien radiophonique“, Je est un autre. L’autobiographie de la littérature aux médias, Paris 1980. Reynolds, Morse A.: Salvador Dalí, A Panorama of his Art, Cleveland, Ohio (The Salvador Dalí Museum) 1974.
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Rodden, John: Performing the Literary Interview. How Writers Craft Their public Selves, Lincoln/London 2001. Yanoshevsky, Galia: Les discours du Nouveau Roman. Essais, entretiens, débats, Paris 2006.
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Dalí’s Crutches Elle va tomber, elle va tomber, comme si cela avait de l’importance, qu’elle tombât ou non. Samuel Beckett, Molloy The foetus of symmetry nourishes itself on cross purposes. Djuna Barnes, Nightwood Le monde est omnivoyeur, mais il n’est pas exhibitionniste. Jacques Lacan, Séminaire XI For my dear Naomi, in memoriam
For an artist as prone to arrogance, narcissism, and self-promotion as Salvador Dalí, it is striking that he relied so insistently on crutches.1 In a wide array of visual works, Dalí presents eroded, bloated, wasted, ruptured figures propped and buttressed, forever on the verge of collapse and yet forever resisting it. The crutch rarely, if ever, dominates the visual field, and is instead, by definition, auxiliary. If it imposes itself on the viewer’s attention, it is always beside, under, against, for, or with something else, something larger and more imposing, grander and more monumental, yet also worn, infirm, and debilitated. So positioned (beside, under, against, for, and with), the crutch functions prepositionally, signaling a relationship of dependence in which one thing is „prefixed“ to another. In a pictorial economy as marked by mimetism and associative delirium, or dalirium, as Dalí’s, the crutch, for all its ostensible rigidity, assumes many positions – and many prepositions.2 Yet it also assumes many forms, imitating and recalling a crotch, a cross, a fork, a staff, a stanchion, a brace, an easel, a trestle, a hook, a tree branch, a strapless slingshot, a split stiletto, a telephone cradle, and even a bifurcated scepter, as Dalí notes in his 1
For a shorter and significantly different version of the present article, first written in Spanish, see „El ojo cojo: Las muletas de Salvador Dalí“. I would like to thank my friend, Jonathan Katz, for his thoughtful reading, pertinent suggestions, and support.
2
„Dalirium“ is a translation of „dalirio,“ a word that appears in the table of contents of Dalí’s Diccionario privado, but that is replaced by the standard „delirio“ in the section so designated. Typographic accident or not, „dalirio“ is consistent with Dalí’s fondness for word plays, especially when they involved his own name.
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Secret Life.3 In keeping with the relation of mutual dependence that Dalí cultivated between the pictorial and the literary, the form of the crutch – and more specifically, the form of the crosspiece of the crutch – also imitates and recalls various letters: the „V“ of „Venus“ and of the „delta erotica“ (a space that from such a spectacularly Œdipal perspective as Dalí’s is also that of castration); the „U“ of „union“ and the „Y“ and the „X“ of the chromosomes and their doublings and differences in XX, XY (sexual congress and reproduction are structuring anxieties in Dalí’s work); the „X,“ moreover, of Christ, the cross, and crucifixion (the subject of a number of Dalí’s later paintings); and the „T“ of „crutch“ itself, at least as it appears in Crutches, a drawing from the aforementioned Secret Life of Salvador Dalí, published originally in English translation in 1942.4
Image 1: Salvador Dalí: Crutches, 1942, illustration in The Secret Life of Salvador Dalí.
Along with so many positions, forms, and letters, the crutch implicates an array of optical phenomena – notably, chiasma, with its x-like intersections, inversions, and crossings, and anamorphosis, with its blurrings, bendings, and distorted doublings – that Dalí explored with a dedication that bordered on the religious and a technical sophistication that bordered on the scientific and that brought him into contact, brilliantly, with the psychoanalyst Jacques Lacan, 3
Dalí: The Secret Life of Salvador Dalí, p. 96-97.
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I wish to thank the Gala-Salvador Dalí Foundation and the Artists Rights Society (ARS), New York, for permission to reproduce images by Dalí.
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likewise interested in the plays of the visual. Aware of the appeal of a sociohistorical approach that would sound out the ties between Lacan and Dalí or, for instance, between Dalí, the aristocracy, and mass culture, it is instead to some of the visual, verbal, and psychoanalytic plays of the crutch – which for Dalí was also a fetish and, as such, involved a play of seeing and not seeing, movement and fixation – that I shall attend in what follows.
1.
Dancers, Aristocrats, and other Crutched Figures
Crutches, the drawing, presents three humanoid figures that appear to be dancing (one alone, two together), but in a way that has more to do with the externally constrained movement of puppets and scarecrows than with the internally modified movement of a dancer who works with, against, and thanks to gravity. At once supported and hampered by a plethora of crutches, the dancers lack the aerostatic grace and autonomy that set aflutter the heart of the lover of the art of bodily movement. As if to reinforce the sense of constraint and dependence, a cartouche at the foot of the image contains the word „CRUTCHES,“ in capital letters and with the centrally located „T“ itself in the shape of a cross or a crutch. The picture, which includes of course the handdrawn word, is strewn with u-shaped crutches located, at least with respect to the figure in the foreground, at various joints or points of flexibility: the wrists, a knee, the waist, and the neck (supported from the upper arm to the back of the head). In the three languages that Dalí knew best – Catalan, Spanish, and French – the joint is an articulation, and the positioning of the crutches might therefore be said both to signal and to stave off a figural disarticulation shadowed in the apparently hurried execution of the drawing as a whole. Another crutch, however, supports – and elevates – not a point of flexibility but of stability: the heel. It does so, moreover, in the manner of a high-heeled shoe, a detail that reinforces not just the impression that a higher position comes at the price of grounded stability but also that the roughly sketched figure is feminine. Even more indicative of a specific gender than the high-heeled crutch are the two ovals of the upper torso and the darkly pointed v-like fan of the pelvic region. Accordingly, at the center of Crutches, and against the backdrop of two sexually indeterminate figures engaged in a pas de deux, stands a rendition of the female body, propped up and splayed out like an animal for dissection or a martyr for crucifixion, with the „u“ of the upper part of the
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largest crutch demarcating a space that virtually beckons to the „o“ of the breasts just above it.5 The specter of a faltering female specificity need not be erected into a general rule, however, for in many of Dalí’s other works the figures propped are male, as in The Enigma of William Tell (1933), in which one of the Lenin-faced figure’s phallically distended buttocks as well as the elongated, tongue-like brim of his hat rest on prominent u-shaped crutches, or as in Soft Self Portrait with Fried Bacon (1941), in which a tanned and boneless likeness of the artist’s own visage – reminiscent of that which appears stretched out in the center of The Persistence of Memory (1931) – is held up by nine crutches of varying sizes.
Image 2: Salvador Dalí: Soft Self Portrait with Fried Bacon, 1941, oil on canvas, 61,3 x 50,8 cm, Fundació Gala-Salvador-Dalí, Figueres.
Both the male and the female are associated, then, with crutches; or, more precisely, the remnants of both the male and the female, reduced as if by the passing of time or the plodding of convention to the smoothest and barest of shapes, are associated with crutches. Thus, while both sexes are individually
5
So conformed, the image recalls an episode in Dalí’s account of his boyhood, in which he fantasized using „the bifurcation of [his] crutch“ to hold the „turgescent breasts“ of a peasant woman (Dalí: The Secret Life of Salvador Dalí, p. 96, 97).
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crutched, the relation between them is also presented as in need of support. Something like the enduring fragility of heterosexual relationality is signaled in such crutch-marked paintings as Atavistic Ruins after the Rain (1934) and The Architectural Angelus of Millet (c. 1933), only two of Dalí’s many architectural and archeological versions of what he called the „tragic myth“ of The Angelus.
Image 3: Salvador Dalí: Millet’s Architectonic „Angelus“, c. 1933, oil on canvas, 73 x 60 cm, Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía, Madrid. Image 4: Salvador Dalí: Cannibalism of the Praying Mantis of Lautréamont, c. 1934, oil on panel, 6,7 x 5,2 cm, private collection.
More obscure versions include Cannibalism of the Praying Mantis of Lautréamont (1934), whose contorted, intertwined forms recall the more widely reproduced Autumn Cannibalism (1936) and which require an effort of concentration in order to perceive not so much the crutch as the small anamorphic skull (of which more, later) that issues from the dark knot of the figure on the right, the position occupied by the praying woman in Jean-François Millet’s celebrated mid-nineteenth-century depiction of rural piety. What Dalí deemed tragic about The Angelus was a deliriously encrypted tale of death and sexual predation that he extracted from a black shape that X-ray photography discovered at the foot of the praying woman and that he took to be a child’s coffin, and, more evidently, the stance of the woman (likened to that of a praying mantis), the position of the hat (covering, as if in shame and/or self-defense, the male genital region), the receptacle-like form of the cart (likened to the receptive potential of the womb), and, most persistently, the pitchfork. In The Architectural Angelus, the pitchfork is doubly distorted and displaced: into a phallic protuberance pointed upwards at an archetypally inflected female that folds itself over
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it, and into a more modest and naturalist crutch that, like the large stone that accompanies it, seems to prop up a system of sexual difference in which the male is no longer the dominant principle but has instead become the prey of female devotion. As significant as the tensions between the male and the female are to Dalí’s production over all, Crutches, a little-noted drawing in a much-cited book, presents yet another tension, more formal in scope, between the verbal and the visual, the literary and the pictorial. For with Crutches, the spectator is also a reader; the reader, a spectator, seeing and reading an image, a word, and a letter bound together, ever so tensely, in a relation of mutual dependence. In the simplest sense, the word and the letter invest the image with pictographic power (and designate a normally auxiliary element as principal), while the image illustrates the word and the letter (though the letter too can be seen, and read, as illustrating the word and signing the image). Together, the image, the word, and the letter, the one bolstering the other, help the spectator get the „total picture.“ So bolstered, the relation between image, word, and letter differs from that presented in, say, René Magritte’s La trahison des images (1929), with its famous depiction of a pipe and, beneath it, the phrase „Ceci n’est pas une pipe“. And yet, although Dalí does not use words to contradict an image and to signal the obvious but often forgotten fact that the image is not the thing that it appears to be, he too signals something treacherous in representation. For while the letter „t“, the word „crutches“, and the image of multiple crutches bolster one another, they also signal a generalized state of infirmity, inadequacy, and insufficiency, of lameness, that affects letters, words, images, things and, perhaps most importantly, the relations between them. Tense but insistent relations between masculinity and femininity, hardness and softness, convexity and concavity, and – in a register less clearly marked by gender and sexuality – stasis and movement are prominent in Dalí’s work, but so too are less readily thematized or content-driven relations between verbal and visual signifiers, signifieds, and referents. Obvious and impersonal as it may sound, literature and art were subjected throughout much of the twentieth century to a number of attempts to divorce one from the other and to remove all that was presumably extraneous from each, to realize, that is, art as art and literature as literature. If narrative and figuration were depleted and denigrated in many an avant-garde literary endeavor, they were positively banished from many a pictorial endeavor in which color, form, and composition were erected into absolute values of aesthetic autonomy and/or artistic expression. Dalí, like the surrealists in general, resisted such divisive moves, and held onto, even expanded, a notion of total art in which the synesthesia of which the symbolists were so fond acquired renewed currency (Dalí’s call to experience Antoni Gaudí’s biomorphic architec-
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ture with all five senses is a case in point). And yet, the notion of some total art in which all of the senses were harmoniously engaged and in which the visual and the verbal were folded neatly into one other was anything but secure. As the profusion of crutches suggests, Dalí’s view of totality – and of its bastard cousin, totalitarianism, with which some of his detractors associated him – was hardly free of fissures and fractures.6 The part – and the fetishistic crutch is here paradigmatic – would appear to be of the essence, at once adumbrating and occluding a supposedly self-sustaining whole, casting it into a shadowy realm as a tantalizing illusion or, worse yet, a delusion, a lure, capable of engaging the aggressiveness of a subject that seeks to realize its ideal of wholeness by denying alterity and difference.7 Operant on the level of the individual psyche (indeed, critical to the very idea of individuation), the ideal of wholeness assumed some devastatingly aggressive forms in the Spanish Civil War and World War II, the two military conflicts that Dalí experienced most closely, and entailed the figurative and physical disordering and splitting of humanity. Indeed, as political forces pushed into virtually all corners of cultural production, the verbal and the visual neither cohered in a harmonious version of total art nor attained a „separate peace.“ Instead, they were embroiled in a restive relationship of mutual dependence and divisiveness that, while especially intense in and around wartime, held for both surrealism and Dalí’s work in general. Scattering bits of himself, or of his persona, in virtually all that he did, Dalí impugned the autonomy of the embodied subject as well as the autonomy of the work of art, its solidity and integrity, its independence not just from the word and the world but also from the forces of the market: after all, Crutches appears as part of the story, published in the midst of World War II, of the 6
As Descharnes and Néret remark, „Dalí’s choice of political subjects […] was startling and scandalous, and compromised the Surrealists, who did not understand that Dalí was quite logically giving preference to regimes that clung to elites, hierarchical structures, pomp and public ceremony – regimes which espoused rituals, liturgies, splendour, and the rousing presence of a majestic army. Monarchies were plainly more magnificent than republican democracies (and Dalí – perverse creature! – preferred them to totalitarian regimes, too)“ (Descharnes/ Néret: Salvador Dalí 1904-1989, p. 255).
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The formulation owes much to Lacan, for whom, as Jay summarizes, „[t]he splitting of the ego helps to diffuse the aggressive potential in the mirror stage [and its premium on imaginary wholeness] which is still evident in paranoid psychosis. It does so because the split self is no longer in danger of projecting its ideal of wholeness onto another, which it confuses with itself“ (Jay: Downcast Eyes, p. 352). But if the split self no longer projects its ideal of wholeness onto another, it certainly can project the psychic reality of its splitting onto others, thus signaling a cultural order in which the whole of humanity is in pieces.
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artist’s personal triumph. The visual image of crutches is accompanied, that is, not just by the word „CRUTCHES“ and a crutch-like version of the letter „t“ but also by an autobiographical account that, though somewhat lengthy, merits quoting: How was I going to succeed in making society people come to my support? It was childishly simple. I was going to succeed by having them come and lean on me. What are society people? Society people are people who, instead of standing on the world with both feet, balance themselves on a single foot, like storks. This involves an aristocratic attitude by which they wish to show that, while having to remain standing in order to continue to see everything from above, they like to touch the common base of the world only by what is strictly necessary in order to continue to maintain their equilibrium. This exhaustingly egocentric posture often needs support, and it is because of this that society people habitually surround themselves with a crowd of ,unijambists‘ to lean on […]. Such being the case, I decided to join forces with the group of invalids whose snobbism propped up a decadent aristocracy which still stuck to its traditional attitude. But I had the original idea of not coming with empty hands, like all the rest. I arrived, in fact, with my arms loaded with crutches! One thing I realized immediately. It would take quantities and quantities of crutches to give a semblance of solidity to all that. And I inaugurated the ‚pathetic crutch‘, the prop of the first crime of my childhood, as the all-powerful and exclusivist post-war symbol – crutches to support the monstrous development of certain atmospheric-cephalic skulls, crutches [to] immobilize the ecstasy of certain attitudes of rare elegance, crutches to make architectural and durable the fugitive pose of a choreographic leap, to pin the ephemeral butterfly of the dancer with pins that would keep her poised for eternity. Crutches, crutches, crutches, crutches.8 Along with the architectonics of choreographic mobility so crucial to Crutches, three things, at least, stand out: 1) the place of childhood memory in the pseudo-aristocratic deployment of the crutch (Dalí’s role as a little king wielding the crutch as a scepter to hold, at a remove, a woman’s breasts9); 2) the dogged value of a decadent aristocracy, its figurative head likened to a monstrously distorted skull, as in a welter of works that redeploy, as we shall see, the anamorphic vanitas of Hans Holbein’s The Ambassadors (1533), and 3)
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Dalí: The Secret Life of Salvador Dalí, p. 260-261.
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Ibid., p. 89-111.
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the enterprising endeavors of an individual who seeks to support himself by supporting an aristocracy that in turn supports him. Now, the very idea that a class as fixated on the past as the aristocracy could maintain its footing, let alone go forward, in a modern age of speed, mass production, and uneven democratization required an unswerving commitment on the part of an artist who, years after having played the part of the king when a boy (part of the story of „the first crime of [his] childhood“), relished playing the part of the arriviste and the patron’s favorite in order to get ahead. From the perspective of the „official“ members of a surrealist movement placed in the service of leftist revolution, the part that Dalí so shamelessly played was unacceptable, indeed reprehensible, and led to his expulsion or „excommunication“ in the mid-1930s at the hands of a prudish and proprietary André Breton.10 By the time of the publication of his Secret Life, Dalí was more or less on his own, but, of course, not on his own: his wife Gala and a host of patrons and clients – including many surrealists – continued to give him their support long after Breton and others had removed theirs. Though largely affluent (and/or artistic) in the first instance (the Viscount of Noailles purchased, for example, The Lugubrious Game or Dismal Sport, from 1929), Dalí’s clients came to be more „common“ as his work, mechanically reproduced and related to everything from chocolates and shop windows to movies and the „wonderful world“ of Disney, increasingly allied itself to mass culture. No stranger to the power of paradox, Dalí used the aristocracy – or more specifically, the cult of the aristocracy – as a way to move in ever more popular and profitable circles.11 In fact, Félix Fanés, in the introduction to a collection of essays on Dalí the writer, goes so far as to say that the only critics that Dalí considered to be worthy of credit were the masses, who tended to show scant interest in the rest of modern art,12 the very same art that Dalí, for his part, tended to excoriate. The crutches that the Catalan claimed to bring to a small group of aristocrats snobbishly self-satisfied yet shakily situated in a rapidly changing social order proved, in short, to be so prolific that they soon 10 Dalí himself invokes revolution at the end of his influential „L’âne pourri.“ 11 Put a bit differently, the aristocratic functions as an antique, even auratic sign of value that circulates massively and, in circulating, accrues value – and interest – of another sort. As time went by, Dalí increasingly moved from producing singular works of art for select patrons to serialized works of art for any and all comers. For more on this „movement“, see my „The Blankness of Dalí, or Forging Catalonia“, which examines what is at stake in the so-called „blank sheets scandal“, by which Dalí flooded the art market with some 37,000 „inauthentic“ lithographs in which the only mark of „authenticity“ – and even here there is doubt – was his signature. 12 Fanés: „Presentació“, p. 7.
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got out of the hands of the aristocrats (if they were ever really in their hands) and made their way into a wider market, circulating as if endowed with a principle of movement that was critical to certain surrealist understandings of literary and pictorial production. The image of crutched dancers – one splayed in the foreground, two prancing or sparring in the background – bears some intriguing ties, for instance, to the convulsive beauty that arises, according to Breton in L’Amour fou (1937), from the „explosante-fixe“13. The explosive-fixed, which Breton formulated in conjunction with what he called the „veiled-erotic“ and the „magic-circumstantial,“ and which attests to Dalí’s influence,14 expresses a tension that challenges the static and two-dimensional qualities of pictorial representation. Dalí, much more systematically than Breton, took on the challenge and strove to endow his visual works with a multidimensionality by which even the most mortally laden still life would be animated, mobilized, and rendered transitive. The Endless Enigma (1938) is a case in point. Made in accordance with Dalí’s much-acclaimed paranoid critical method, it is a hybrid work that contains elements proper to still life, landscape, and, albeit to a lesser degree, portraiture. The movement of the spectator’s eye as it discerns and confuses images (a seated woman, a reclining man, a greyhound, a mandolin, a fruit dish, and so on) becomes an active continuation of the artist’s handiwork, thereby ensuring that the finished product is always also an open-ended process. Put more simply, the fixed image „explodes“ in a flurry of interpretation, in a convulsion that is also, as Hal Foster argues, a compulsion to repeat, inasmuch as every form that comes into view, that „takes,“ dissolves – only to „take“ again.15 With Crutches, the fixed-explosive works more conventionally, not through a paranoiac profusion of overlapping and interlocking images but through a sense of arrested movement that, although most readily generated in a photographic snapshot, is conveyed through „quantities and quantities of crutches“ as well as through a couple of curlicues on one of the central figure’s outstretched arms and a slightly pointed elevation on one of the hips. Although the curlicues on the arm may suggest a broken and protruding bone, they and the pointed elevation also suggest, less naturalistically, the pinning of „the
13 Breton: L’Amour fou, p. 26. 14 Jenny: „From Breton to Dali“, p. 106. 15 „Convulsive in its physical effect, compulsive in its psychological dynamic, surrealist beauty,“ Foster writes, „partakes of the return of the repressed, of the compulsion to repeat“ (Compulsive Beauty, p. 23). For Breton, beauty is convulsive not simply when an image breaks into movement but also when movement expires (Amour fou, p. 15).
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ephemeral butterfly of the dancer with pins that would keep her poised for eternity.“16 Eternity is indeed a long time to be pinned – and crutched. Thus, even as Dalí invokes a permanence and stability that would raise the image beyond the fray of the modern world, he signals an impermanence and instability in the very pins and props of the visual-verbal image itself. The crutch is just such a prop, compulsively repeated in a manner that both enables and disables the starts and stops of (the image of) a choreographic leap. If the crutch appears to make the dancer and the dance more solid and enduring, more „architectural,“ if it appears to make Dalí himself more sure-footed among the snobbish storks that he admires, it also indicates that neither the art nor the artist is really secure, not only because the crutch is an unstable support of a grander instability (e.g. that of the dancer in flight or the ancien régime), but also because architecture itself, as Dalí well knew, is neither solid nor immutable but is instead exposed to inclement weather and the passing of time, to erosion and ruin. Again, Dalí’s fascination with the architecture of Gaudí, whose forms conjure up frozen waves and dripping sand castles, is only one of many indications of a parallel fascination with the instability, if not the explosiveness, of seemingly fixed forms, with movement and its expiration, with the back-andforth relations of words, letters, and visual images. Beyond the visual-verbal image of an architecturally propped choreographic leap, of an instance of the „explosante-fixe,“ what Dalí recounts in his reflection on the „crutches, crutches, crutches, crutches“ scattered throughout his work is his attachment to „an individualist tradition that would be Catholic, aristocratic, and probably monarchic“17, a tradition that, though battered, might yet be able to support itself by supporting the innovative creations of an artist desirous to have a troupe of well-heeled patrons. According to Dalí, the select, individualist tradition, damaged by the ascent of the masses, collectivism, totalitarianism, and two world wars, „could arise anew from the bosom of an impoverished society“18, but in the meantime it would be in need of artful support. Whence the crutches, simple instruments of wood or metal – although Dalí prided himself on having invented „a tiny facial crutch of gold and rubies“19 – with which Dalí, in his paintings, drawings, and writings, claimed to reinforce what he most esteemed: not just the aristocracy, the monarchy, and Catholicism, but also, and more importantly, art, money, and himself.
16 Dalí: The Secret Life of Salvador Dalí, p. 261. 17 Ibid., p. 262. 18 Ibid. 19 Ibid., p. 261.
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Responding in kind to the „exhaustingly egocentric“ stance of society people, mimicking their attitude as an insect might be said to mimic its surroundings, Dalí capitalized on his „I“ (his „secret life,“ his „genius,“ his claims to perpetuate the realism of Vermeer and Velázquez in his own brand of surrealism) even as he recognized that both money and the self were, like everything else, insufficient and that, in their insufficiency, they spurred desire, a desire that tended to materialize itself in pictorial and verbal images, mutually dependent – like a cripple on a crutch.
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Words, Prolific and Paranoid
In the light of the interplays of visual and the verbal production, it is a mistake to characterize Dalí simply as an artist, if by artist one accepts the more delimited meaning of a producer of paintings, drawings, sculptures, and other visual works – as if writing and reading were not, in their most common form, visual acts as well. Dalí’s written work is vast, and not only in comparison to other celebrated compatriots like Pablo Picasso, Juan Gris, and Joan Miró. Taken together (and Dalí was given, as we have seen, to taking things together), the narrative qualities of his pictorial works and the pictorial qualities of his narrative works suggest a sort of general semiology, downright dizzying in its associations and in its reliance on a whirl of optical and linguistic games: anamorphosis, camera obsura, stereoscopy, holography, stencilization, X-rays, polysemy, hyperbole, and hyperbaton, among others. Some seven years before the publication of The Secret Life, Dalí had made clear his interest in such games in „La conquête de l’irrationnel“ (1935), an essay in which he extolled „L’illusionnisme de l’art imitatif le plus abjectement arriviste et irrésistible, les trucs habiles du trompe-l’œil paralysant, [et] l’académicisme le plus analytiquement narratif et discrédité“20. It is in this essay that Dalí gives a fuller account of his paranoid-critical method, building on ideas articulated in „L’âne pourri“ (1930) and other essays that caught the attention of Lacan, among others. Both Dalí and Lacan brought Freud’s studies of human sexuality into play with Roger Caillois’ studies of morphological mimicry in insects, thereby underscoring what Martin Jay has called „the visual fusion with the other“ and „a crisis of the boundaried well-formed self“21. Dalí’s monumental assimilation of Millet’s pious woman to the predatory mantis is perhaps the most obvious sign of an affinity with Caillois, but the duplication, indeed multiplication, of forms in paintings like Accommodations of Desire (1929) and The Metamor20 Dalí: „La conquête de l’irrationnel“, p. 182. 21 Jay: Downcast Eyes, p. 342, 343.
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phosis of Narcissus (1937) is bound up in Dalí’s interest in paranoia, an interest that Lacan shared and that led both men to publish, in 1933, articles on the subject in Minotaure, the same review in which Caillois published a scant two years later.22 Dalí’s brazenly narcissistic fascination with himself, or rather his self, is all but inseparable from his manifestly paranoid fascination with doubles, which he linked to his very inception (he claimed that he replaced, without ever fully replacing, a dead older brother also named „Salvador“) and which involved a sustained if fractured meditation on identity, otherness, and the logic of binary oppositions, including that of the word and the image. For while paranoid criticism manifests itself visually, it also manifests itself verbally, as if double vision had its corollary in a sort of doublespeak, as if the eye and the tongue were paired precisely because they cannot be paired, fully and finally. Dalí’s written works, though less notorious than his visual works, are also delirious in their images, many of which, like a „paranoiac poem“ titled „The Metamorphosis of Narcissus“, remit to his pictorial practice – and vice versa. Tellingly, translation here undoes part, perhaps even a major part, of the delirium, for the published versions of Dalí’s writings tend to be standardized and normalized in a way that removes them not only from the idiosyncrasies of the manuscripts – quite literally, Dalí’s own handwriting – but also from the deliberate confusion of the visual works. In the words of Haakon Chevalier, the English translator of the Secret Life, „Mr. Dali’s manuscript, as to handwriting, spelling and syntax, is probably one of the most fantastically indecipherable documents ever to have come from the pen of a person having a real feeling for the value and the weight of words, for verbal images, for style“23. Chevalier goes on to say that the manuscript is written „in a well-nigh illegible hand-writing, almost without punctuation, without paragraphing, in a deliriously fanciful spelling that would bring beads of perspiration to a lexicographer’s brow“24. Confronted with the writing of a man who deployed an uneven mix of Catalan, Spanish, French, and even at times English, the translator finds his task so troubled that he turns to Dalí’s wife, Gala, „the only one who does not get lost in the labyrinthine chaos of this manuscript“25. Although it is tempting to call Gala the translator’s crutch, what Chevalier points to is not simply Gala’s ability to decipher Dalí’s script but also, and more simply, the existence of a text that does not conform to standardized writing practices and 22 An all too common interpretation of Dalí’s interest in paranoia reduces it, via Freud, to a defense mechanism against homosexuality; see, for instance, Gibson: The Shameful Life of Salvador Dalí, p. 31. 23 Chevalier in Dalí: The Secret Life of Salvador Dalí, p. 74, n. 1. 24 Ibid. 25 Ibid.
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is thus in need of decipherment before it can be translated and published. The interpretative act is thus embedded in the published version of the text, which to all intents and purposes has been „cleaned up.“ This has clearly been the case for the English edition of The Secret Life, the first, but it has also been the case for all of the existing translations or „adaptations,“ Spanish and French included, as well as for Dalí’s lone novel, Hidden Faces (1944) – until very recenty.26 The publication in 2006 of a new – for old and original – version of La Vie secrète under the direction of Frédérique Joseph-Lowery underscores what I have here been arguing. In a website presentation, Joseph-Lowery declares that: le texte publié jusqu’à ce jour, en quelque langue qu’il s’agisse, n’est pas de Salvador Dalí. […] La Vie secrète de Salvador Dalí, de Salvador Dalí, originellement écrite en français, n’a jamais été publiée. […] En autorisant les versions multiples et différentes du texte original, Salvador Dalí mit, de son vivant, son texte au secret. Il le plaça dans un dispositif de reflets et de doubles images, il l’entoura de simulacres, conformément à son esthétique de peintre et à sa célèbre méthode paranoïaque-critique.27 In the absence of the manuscript or a facsimile thereof, it had been difficult, if not impossible, to embark on an analysis of Dalí’s paranoid critical method as rendered, or performed, in his writings. Imagine, for instance, what the effect 26 The English version of The Secret Life is a translation, as is the Spanish, which includes, moreover, a translation of the English-language translator’s note. The French version is an „adaptation“ by Michel Déon. Hidden Faces, also translated by Chevalier, offers further details. In the „Translator’s Forward,“ Chevalier writes: „Dali [sic] speaks a rich, colourful French that is neither too idiomatic nor too correct, full of Spanish spice and thunder. As is usually the case with people who are not primarily writers, the peculiarities of his spoken language tend to become exaggerated in writing, as if to compensate for the absence of vocal modulations, facial expression and gesture. My problem was to temper the native exuberance of his expression and reduce it to written language without losing its essential qualities. Sometimes, exhausted from hours of ploughing through the lush jungle of his prose, I would turn to him in exasperation and say, ‚You never use one word where two will do. You are a master of the mixed metaphor, of the superfluous epithet; you weave elaborate festoons of redundancy round your subject and illuminate it with glittering fireworks of hyperbole‘“ (Hidden Faces, vii). The „tempering“ and „reduction“ entail, of course, the loss of some of the „essential qualities“ that the translator professes to preserve: to wit, the mixtures, superfluities, redundancies, and excesses that make the singular double and multiple. 27 Joseph-Lowery: „La Vie secrète de Salvador Dalí“.
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would be if prior to the exhibition of one of Dalí’s paintings its doubled and redoubled images had been cleaned up and a principle of individuation, of standardized visual practice, reasserted; imagine, for that matter, what would become of the images if Georges Bataille’s schematization of The Lugubrious Game, or the series of drawings from the catalogue of a show at the Levy Gallery in 1939 that „clarify“ The Endless Enigma, or indeed some of Dalí’s preliminary sketches, were the only works to circulate. The dependence on standardized linguistic protocols in the dissemination of Dalí’s written works means that they appear, for all of their deliciously convoluted turns, more orderly and less fraught than the visual works. To be sure, the act of bringing into print a handwritten text typically entails the suppression of blotches, blobs, curlicues, and other graphic quirks, the erasure of the traces of previous erasures (including crossed-out words, phrases, and passages), the correction of slips and mistakes, and often as not the insertion of paragraph breaks and other formal divisions. In many if not most cases, such editorial and publishing conventions have few consequences, but in Dalí’s case they snake back on his interrogation of convention and its contravention as well as on his investment in the presumably unedited force of the unconscious (dreams themselves, we should remember, have an editorial function). Inasmuch as critique and criticism are etymologically related to a rationally structured separation and decision (krinein), and paranoia to a madness „beyond the mind“ (para, beyond + nous, mind), the translators, editors, and typesetters who put Dalí’s writing into conventionally intelligible form can be said to be in the service of a critical mindset that does a disservice to Dalí’s method – albeit in complicity with Dalí himself – by putting paranoia in its place: beyond the printed text and away from the reader’s eyes. The reader is thus „spared“ the almost crippling anxiety that the translator professes to have experienced before „the labyrinthine chaos“ of a „fantastically indecipherable document.“ Or rather, the reader is spared the sight of Dalí’s script and is treated only to the translator’s anxious account of it: the lexicographer’s brow may have been beaded with perspiration, but the reader’s brow can remain placidly untouched. Lacking access to the verbal works as Dalí wrote them, the reader has long had to content herself with the visual works as Dalí drew and painted them – mechanical reproduction here not entailing the same sorts of corrective distortions that attend the translated or adapted publications. It is in the light of this uneven state of affairs that the handwritten word „crutches“ that accompanies the drawings of the three propped and/or dancing figures acquires supplemental significance as a sample of Dalí’s otherwise largely unavailable script. The word, rather exceptionally, here resists translation, remaining the same in other versions (the written sign „CRUTCHES“ is reproduced as such
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in the Spanish Vida secreta, for instance) and standing, among other things, as a sign of Dalí’s interest in the powerful Anglo-American market. The question of manuscripts, adaptations, translations, and whatnot raises related questions as to the provenance, dissemination, and limitations of the verbal. Although such questions are largely the province of the professional philologist, it bears noting that Dalí took great pleasure in sounding out the resonances of the name of his much-admired Gaudí (related to the Catalan, gaudir, from the Latin gaudere, meaning „to rejoice“ and „to enjoy,“ indeed „to come,“ as in the French „jouir“) and positively delighted in the echoes of his own name, which he desired to be akin to the Catalan for „desire,“ desig, and to come from the Catalan for „delight,“ delit, also related to „delicacy,“ „delectableness,“ and, at least semantically, to „joy,“ „enjoyment,“ and „pleasure.“28 Whether or not Dalí was aware of the cross-cultural implications of „crutch,“ the linguistic games that pepper his writings allow for some delirious interpretative associations of their own. In English, „crutch“ is derived from the Middle English crucche and, before it, the Old English cryce or crycce, meaning „staff,“ and is related to the German Krücke. All of these words are related in turn to the Indo-European base ger-, meaning „to twist, turn, bend, whence ,crank‘ and ,crook.‘“ So defined, „crutch“ is a rather queer word („queer,“ as Eve Sedgwick reminds us, derives from the Indo-European „twerkw, which also yields the German quer [transverse], Latin torquere [to twist], English athwart“ [xii]), especially when crisscrossed, as Dalí was fond of doing, with other languages. In Catalan, „crutch“ is crossa, phonetically closer to „crosta,“ which means „crust“ or „scab,“ than to creu, which means „cross,“ but etymologically related to the German Krücke and hence to the English „crutch,“ unlike its Spanish and French equivalents. In Spanish, „crutch“ is muleta, which comes from mula, meaning „mule,“ and which implicitly animalizes the crutch as a little beast of burden, a carrier or indeed a metaphor, with its sense of „bearing or carrying beyond.“ The diminutive, muletilla, designates a verbal tic: you know, like, „you know“ and „like“ in colloquial American English, words or phrases whose habitual repetition all but crosses out meaning and which both affirms and negates a breakdown in discourse, an inability to speak fluently – even in one’s native language. In French, „crutch“ is not its phonetic cousin croûte, which means „crust“ and „scab“ as well as „bad painting,“ but rather béquille, a word apparently derived from bec, meaning „beak“ (possibly because of a perceived resemblance with the upper transversal part of the crutch), and that appears untranslated and 28 For Dalí’s definition of „Gaudí“ and „Dalí“, see Dalí: Les Cocus du vieil art moderne, p. 35. As Gibson notes, „Dalí“ stems from „the Arabic for ,guide‘ or ,leader‘“ (The Shameful Life of Salvador Dalí, p. 30).
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accompanied by two dictionary-like illustrations in the margin of one of the pages of The Secret Life (90). Less commonly, „crutch“ is étançon, which designates a large wooden or metallic support used in construction, and also entrejambe(s), which is commonly rendered in English as „crotch,“ one of the closest signifiers to „crutch“ itself. The entrejambes of the unijambistes that Dalí courted with his „pathetic crutches“ – their relation is thus implicitly an enjambement – are arguably as much at stake as their heels and underarms (the latter, intensely fetishized in „The Story of the Linden Blossom Picker and the Crutch“ in The Secret Life), but Dalí’s interest in words does not limit itself to some often dubious etymological and phonetic resemblances. Thick as his written works are with visual images, his visual works are notorious for the titles that they bear and, in a sense, that bear them. Along with the simple elegance of titles like Crutches and Dream (a painting from c. 1937 in which a large, eyeless face is suspended on a series of crutches in a dreamlike landscape which contains a small dog, also crutched), the titles that Dalí gave to many other of his works are elaborate, quasi-poetic compositions, far removed from the Compositions of Piet Mondrian and, later on, the numerical reduction of the abstract expressionism – Jackson Pollock’s Number 1, 1948, for example – that he loved to hate.
Image 5: Salvador Dalí: The Dream, c. 1937, oil on canvas, 51 x 78 cm, private collection.
The Weaning of Furniture Nutrition (1934), The Ghost of Vermeer van Delft Which Can Be Used as a Table (1934), Suburbs of a Paranoiac-Critical Town: Afternoon on the Outskirts of European History (1936), and the previously mentioned Cannibalism of the Praying Mantis of Lautréamont are only a few of the more suggestive titles of pictorial works, all of which also contain a single, roughly hewn crutch. These
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rather verbose titles can be taken, or rejected, as so many crutches of the visual, but, then again, so can any title, even as laconic a one as Crutches and The Dream (or, for that matter, Composition or Number this or that). While it may be true that, as Renée Riese Hubert states with respect to Dalí’s illustrations of Lewis Carroll’s Alice in Wonderland, „Dalí proclaims the mysterious affinity of all elements [visual and verbal] rather than their individuality“29, the affinity is by no means simple or straightforward, but involves instead all sorts of bifurcations, crisscrossings, inversions, and systematic confusions. Obviously, the interplay of words and images is by no means unique to Crutches or to Dalí, and obtains for a wide range of avant-garde experiments in collage, pastiche, and automatic production, and for an even wider range of ancient and early modern forms of communication (pictograms, hieroglyphics, zodiacs, illuminations, and so on). But in Dalí’s case – and „case“, with Dalí, should be understood in its full psychoanalytic sense – the interplay assumes, in its crossings, some compellingly chiasmic forms. As an anatomical X-shaped intersection of the optic nerves at the base of the brain, and as the point of interchange of two chromatids [halves of chromosomes, each containing a double helix of DNA] during meiosis, „chiasma“ and its rhetorical relative „chiasmus“, a figure of speech in which the order of words in one of two parallel clauses is inverted, are particularly intense instances of the crisscrossed structure of the crutch.30 Taken together, these crutched, chiasmic crossings bear mightily on three of Dalí’s principal interests: vision (the intersection of optic nerves), language (the inversion of words), and sexuality (the interchange of chromatids). It is to some of these crossings that we now turn.
3.
Chiasmic Relations (A Theoretical Interlude)
Vision, language, and sexuality are three of Lacan’s principal interests as well and inflect his relationship with Dalí and his work. Both men, as mentioned, had published essays on paranoia in Minotaure and Lacan had, in Dalí’s words, „congratulated [him] and expressed his astonishment at the accuracy of [his] scientific knowledge“31. Intrigued by what appeared to be a commonality of mind, the two decided to meet. Their meeting is memorable, in Dalí’s account, because the artist „forgot“ to remove a little „square of white paper from the
29 Riese Hubert: Surrealism and the book, p. 185. 30 The definitions of „chiasma“ and „chiasmus“ are culled from The World Book Dictionary and The Oxford American Dictionary. 31 Dalí: The The Secret Life of Salvador Dalí, p.17.
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tip of [his] nose“32. The square of white paper was a device that Dalí ostensibly – and perhaps ostentatiously – used in order to control the „mirrorlike reflections which made it difficult for [him] to see“ the copper surface on which he was painting a portrait of the Viscountess of Noailles, one of the aristocrats with whom he desired to build a relationship of mutual dependence. When Lacan arrived at Dalí’s studio, the two were immediately caught up in a „highly technical discussion“ and a „dialectical tumult“33 that led Dalí to lose sight of the paper on his nose. Later, after Lacan had departed, Dalí could not stop thinking about the „alarming manner in which the young psychiatrist had scrutinized [his] face from time to time. It was almost as if the germ of a strange, curious smile would pierce through [„transparentarse“ in the Spanish translation; „affleurer“ in the French adaptation] his expression“34. The image of Lacan as a modern-day Giaconda may be a figment of this reader’s deliriously interpretative imagination, but the psychoanalyst’s enigmatic smile is resolved, neatly enough, when the artist washes his hands – „the moment when one usually sees every kind of question with the greatest lucidity“35 – and sees himself reflected in a mirror. „For two hours,“ Dalí concludes, „I had discussed questions of the most transcendental nature in the most precise, objective and grave tone of voice without being aware of the disconcerting adornment on my nose. What cynic could consciously have played this rôle [in Spanish, „este papel,“ literally, „this paper“] through to the end?“36. The cynic – in the French text, „cynique mystificateur“ – may well have been Dalí himself, at least if we believe Élisabeth Roudinesco, Lacan’s biographer, who maintains that Dalí knew what he was doing and that Lacan, for his part, knew that Dalí knew what he was doing and thus did not take the paper bait ever so nosily proffered him.37 Whatever the truth, the encounter would be merely anecdotal if it were not for the crossings of vision, the intersections
32 Ibid., p. 18. 33 Ibid. 34 Ibid. 35 Ibid. 36 Ibid. 37 Roudinesco: Jacques Lacan, p. 56. Naomi Schor associates the square of paper on the painter’s nose with the „shine on the nose“ that so brilliantly informs Freud’s formulation of fetishism (Schor: Reading in Detail, p. 102). Of course, more accurately, the paper covers the shine on the nose and allows for a more controlled reflection elsewhere: a noble woman’s portrait on a burnished sheet of copper. There is, however, more: the Glanz auf der Nase, whose English echo according to Freud is „glance“ („Fetishism“, p. 152), cannot entirely cover up a more embodied echo with „glans“, the little „acorn“ that is the tip of the penis or the clitoris.
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of blindness, insight, reflection, and conscious and unconscious desire (for recognition, for support, for a relation), that underpin it.38 Dalí’s and Lacan’s mutual interest in paranoia and in the associative delirium that characterizes it seems to have caught the two up in a play of faces and mirrors, furtive glances and scrutinizing gazes, in which something as small and silly as a piece of paper on the end of a nose and its recognition, or not, was invested with a significance that at once ensnared and outstripped their personal interactions. As different as one was from the other, Dalí and Lacan shared a complex, even tortuous, view of vision. To designate this vision with so historically conditioned a term as „surrealist,“ as Dalí often advocated, would be however to delimit it in a way that Lacan, for his part, did not accept – despite his express debt to surrealist thought. Beyond the contested specifics of surrealism, both men „saw“ vision – even more than Maurice Merleau-Ponty, from whom Lacan drew a number of his ideas – as anything but unidirectional and Cartesian.39 Rather than proceeding neatly from self-conscious and self-possessed subjects to objects, vision was instead chiasmic and multidirectional. Caught in a prolific play of crossings, vision implicated, even ensnared, the subject as an object – for other animate subjects, to be sure, but also, and more intricately, for inanimate objects as well. A scrap of paper, a tin can (of which more, shortly), a rock, a watch or „montre,“ a crutch, and other inanimate objects could become animate, indeed always already were animate, as „partial objects“ by which the coherence, integrity, and identity of a whole remained, for all the gestures at imaginary unity, forever fractured. The fracture of vision remits, in the analogical moves to which both Dalí and Lacan were so given, to the fracture of sexuality (the „ségrégation urinaire“ as Lacan spatializes it in „L’instance de la lettre,“40) and to the fracture of the verbal sign after Saussure. In Dalí, the fractures are materialized in his verbal and visual works as well as in his theorization, if not practice, of sexuality; in Lacan, the fractures are in many respects similarly materialized, though the psychoanalyst went to even greater lengths to parse vision in verbal terms. The
38 Dalí is desirous of Lacan’s validation, saying that he „was flattered finally to be considered seriously in strictly scientific circles“ (The Secret Life of Salvador Dalí, p. 18). That Dalí believed Lacan to be capable of validating him scientifically is rather ironic; after all, psychoanalysis was hardly a „science“ purely and simply – hence Freud’s anxious desire to be considered seriously in strictly scientific circles as well. 39 For more on why at this historical moment vision generally – and Merleau Ponty’s version of it in particular – came to assume an increased prominence, see Martin Jay’s Downcast Eyes. 40 Lacan: „L’instance de la lettre“, p. 257.
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upshot, not surprisingly, was fraught with ambivalence and ambiguity. As Lacan observes: [l]a relation du sujet avec ce qu’il en est proprement de la lumière semble donc bien s’annoncer déjà comme ambiguë. Vous le voyez d’ailleurs sur [un] schéma [de] deux triangles, qui s’inversent en même temps qu’ils doivent se superposer. Ils vous donnent là l’exemple premier de ce fonctionnement d’entrelacs, d’entrecroisement, de chiasme […] qui structure tout ce domaine.41 Lacan’s vocabulary here plainly recalls Merleau-Ponty’s, especially the chapter titled „L’entrelacs – Le chiasme“ from Le visible et l’invisible, published shortly before Les Quatre Concepts fondamentaux de la psychanalyse, Lacan’s 1964 seminar (Séminaire XI) comprised of four lessons on the unconscious, repetition, transference, and drives in which the status and function of vision and desire, and more specifically the eye (l’œil) and the gaze (le regard), are prominent concerns. Lacan’s text includes a visual rendition of the two inverted and superimposed triangles that brings to light, as it were, a partially bounded X. Now, although the exchanges – or „x-changes“ – between Dalí and Lacan were most intense in the early 1930s, Lacan’s later work, which includes various references and allusions to Dalí, offers some interesting insights into the chiasmic nature of relationality that move beyond Merleau-Ponty’s emphasis on the reversibility, let alone reciprocity, of the visible and the invisible to offer a more radically non-reciprocal, constitutively fractured account. As if cognizant of the obscurity of his schematic „illustration“ of visuality as two chiasmically related triangles, Lacan attempts to illuminate the matter by resorting to a „true story“42 that he claims to have experienced at around the age of twenty while on vacation on the still rural coast of Brittany. The story, which is autobiographical in thrust, depends on another person, a modest fisherman whom Lacan calls „Petit-Jean“ (I cannot but hear an inversion of the saying, „il est Gros-Jean comme devant“ here). Little John, spotting an empty can of sardines shining on the surface of the sea, brings it to young Jacques attention, crying out: „Tu vois, cette boîte? Tu la vois? Eh bien, elle, elle te voit pas!“43 The budding psychoanalyst is left thinking and, showing himself to be sharper than Petit-Jean (Lacan’s lesson in perception is also a tale of self-promotion), contradicts the fisherman: the tin can, which was reflecting the light of the sun, does indeed watch them, catching them in its psycho-phenomenological net. 41 Lacan: Séminaire XI, p. 109. 42 Ibid. 43 Ibid., p. 110.
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This little anecdote, like that of Dalí’s and Lacan’s first face-to-face meeting (they ran into each other again later in life), has more than meets the eye, so much more that rather than simply helping us to see things clearly, it directs us to try to see, more obscurely, that things see us or, as Georges Didi-Huberman puts it, that what we see looks at us and, in looking, catches us in its snares, crisscrossing and complicating relations of fractured, mutual dependency. It is here that the crosses, intersections, and inversions that mark both the crutch (with its component parts) and the relation between it and what leans, relies, or depends on it, acquire their full, faltering force – beyond themes and symbols, beyond discernible and delimited content, and deep in the intertwined but non-reciprocal realms of the visual and the verbal. For while is true that, for Lacan, as Martin Jay notes, „psychosis appears to be connected to a disturbance in sight, whereas health is identified with linguistic introjection“44, it is also true that Lacan’s „linguistic turn“ (which includes his much-referenced claim that the unconscious is structured like a language) relies, in many of its most intricate articulations, on a profoundly pictorial reservoir. In Les Quatre Concepts, visual supplements are fundamental to verbal meaning, which appears to totter to such a degree that it requires the assistance of artists like Arcimboldo, who combined fruits, flowers, vegetables, twigs, and branches to create humanlike countenances; Leonardo da Vinci, who claimed to stare at a constellation of objects – spots on old walls, clouds, ashes, streams – until battles, landscapes and fantastic scenes surged forth; and Hans Holbein, who created the most celebrated and studied anamorphic object in the history of Western art. Of all of these artists and others, which include Bosch, Munch, Ensor, Kubin, Cézanne, and Caravaggio, Holbein is surely the most important, for it is his Ambassadors, or more precisely the grey smudge in the foreground, that catches Lacan’s attention and stimulates his writing most intensely. Dalí is also caught and stimulated, but introduces a notable modification to the anamorphic object that appears to float freely, if menacingly, in Holbein’s painting, a modification that, by now, should hardly come as a surprise: the supportive presence of a crutch.
4.
Anamorphic (Im)perceptions; or the Skull and the Crutch
Now, if any object can ensnare us; if „[d]ans cette matière du visible, tout est piège, et singulièrement […] entrelacs“; if what arises in and as visuality is a labyrinth or „dédale“,45 there is one object that proves particularly crafty and 44 Jay: Downcast Eyes, p. 356. 45 Lacan: Séminaire XI, p. 107, emphasis original.
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cunning: the anamorphic skull. This object, which Lacan qualifies as „étrange, suspendu, oblique“46 and which he explicitly relates to the hard loaves of bread and soft watches of Dalí, has its most famous materialization, as noted, in Holbein’s The Ambassadors, where it appears, at least at first glance, as a prominent smudge.
Image 6: Hans Holbein: The Ambassadors, 1533, oil on wood, 207 x 209,5 cm, National Gallery, London.
The smudge is, however, quite carefully rendered and constitutes a peculiar instance of trompe-l’œil, one that does not so much „trick“ the spectator into taking it as a three-dimensional object in an illusory extension of realist space as it „traps“ the spectator in a manner that threatens to de-realize his or her mastery of self and space. For the amorphous smudge that seems to lie, chiasmically, at the intersection of the viewing subjects (the spectators) and the subjects viewed (the ambassadors), reveals itself upon scrutiny to be an
46 Ibid., p. 101.
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anamorphic skull or, more generally, a „piège à regard“47 that links the ambassadors and the spectator as all equally and indistinctively bound to death. As a general visual phenomenon, anamorphosis designates a distorted image or projection that appears in „natural“ form only when reflected from a curved mirror, or anamorphoscope, or when viewed from a particular position or positions. But its specific manifestation in The Ambassadors and in so many other visual works, Dalí’s prominently among them, is that of the vanitas, an object that serves to remind the subject of the vanity of vanities, the inevitable demise of everything animate. Although the vanitas can take the form of rotten fruit, watches, hourglasses, musical instruments, and other living or manufactured objects that suggest the brevity of life, here it takes the form of a deformed or distorted skull that lies at a torturous point of intersection, as if „x“ marked the spot of a coming into view that is also a coming (into) death. In the light of Dalí’s much-trumpeted narcissism, the anamorphic skull functions as a negative reflection of the individual self (doubled and split in the circuits of specularity), showing it up as a death-bound sham. The strange anamorphic object is thus also an obscure object of desire, scopic desire, inasmuch as it catches and stimulates the spectator’s curiosity, his or her will to knowledge. What the spectator comes to know or recognize, if everything falls into place, is precisely what the spectator normally does not want to know or recognize: „une tête de mort“48, a skull in which the orifices of the eyes, ears, and mouth are black holes in which the luminosity of the inquisitive gaze disappears and scopic desire is confronted with it extinction. In Holbein’s painting, the figure of the skull seems suspended in front of two richly attired men – „raidis dans leurs ornements monstrateurs,“49 as Lacan styles it – surrounded by devices associated with the conquest of space (globes, telescopes) and artistic creation (mandolins, jewels). So suspended, it is endowed with a lapidary moral force: the folly of any subject who claims to know, truly know, the world. For Lacan, as for Dalí, the challenge to knowledge, and the mastery to which it is bound, goes even further. Martin Jay provides, once again, a scintillating summation of what is here at stake: Rather than an image in the phallic eye of the geometricalized subject, the anamorphic skull is […] to be found in the impersonal, diffuse ‚gaze as such, in its pulsatile, dazzling and spread out function, as it is in this picture.‘ Or to put it differently, the eye [l’œil] is that of the specular, Cartesian subject desiring specular plenitude and phallic 47 Ibid., p. 102. 48 Ibid. 49 Ibid., p. 101.
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wholeness, and believing it can find it in a mirror image of itself, whereas the gaze [le regard] is that of an objective other in a field of pure monstrance. To believe that these two chiasmically crossing dimensions of the scopic field could ever be reconciled harmoniously […] is to forget the lesson that Lacan had absorbed in [Alexandre] Kojève’s lecture hall: true reciprocity is only an illusion.50 The illusion of true reciprocity, of a stable resolution to the „chiasmically crossing dimensions of the scopic field,“ does not just implicate one or more subjects but also a potentially infinite number of objects, the crutch predominately among them. Although Jay focuses on Lacan, his words resonate for Dalí, who in the Dictionnaire abrégé du surréalisme signals the instability and insufficiency of „the specular, Cartesian subject“ in the „definition“ that he provides of the crutch: „BÉQUILLE: ‚Support en bois dérivant de la philosophie cartésienne. Généralement employé pour servir de soutien a la tendresse des structures molles‘.“51 Skeptical of Cartesian certainty (which itself is an outgrowth of skepticism), Dalí posits the crutch as a support for soft structures, which, for him, include objects as obdurate and unfeeling, as hard and inanimate, as watches and skulls. There is surely something phallic at stake in the modulation of softness and hardness, something that Lacan, further glossing anamorphosis, likens to the slacking and flexing of a tattoo on an arm.52 Dalí’s interest in – or obsession with – such phallically charged acts and ideas as copulation and castration, no less than his insistence on inverting normative understandings of objects and subjects and of crisscrossing hardness and softness, informs his depiction of bodies and faces as inflated and deflated, fused and fissioned, carved out and cut up. Such depictions, which run throughout his pictorial and literary production, are strikingly akin to the body in pieces, or „corps morcelé,“ of Lacanian theory. Relentlessly resurfacing in dreams, hallucinations, schizophrenia, hysteria, and artistic creation (Lacan explicitly mentions the paintings of Hieronymous Bosch), the body in pieces commemorates a constitutive violence that gainsays the putative integrity, stability, and self-possession of the subject (and of ego psychology in general).53 Attending to the aggressive disintegration of the individual that is a „re-
50 Jay: Downcast Eyes, p. 363-364. Lacan refers to a dialectic between the eye and the gaze in which „il n’y a point coïncidence, mais foncièrement leurre“ (Séminaire XI, p. 118). 51 Dictionnaire abrégé du surréalisme, p. 5. 52 Lacan: Séminaire XI, p. 101. 53 Lacan: „Stade du miroir“, p. 94.
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gular“ feature of oneiric states, Lacan posits identity and identification as a lure and self-reflection and, by implication, self-knowledge as intrinsically duplicitous.54 The mirror that appears to bring the subject together sunders it as forever and fundamentally strange to itself. But if the subject is caught in a specular drama of unity and disunity, integrity and disintegration, hardness and softness, the „virage du je spéculaire en je social“ constitutes an „aliénation paranoïaque“ that is part and parcel of „la dialectique qui dès lors lie le je à des situations socialement élaborées“. „C’est ce moment,“ Lacan goes on to assert, „qui décisivement fait basculer tout le savoir humain dans la médiatisation par le désir de l’autre“.55 If all of human knowledge totters before, and after, the very mirror that would seem to offer a point of stability, un point de repère, then it is perhaps not surprising that some sort of additional support, some crutch, is needed to prop up knowledge and keep it from collapsing altogether.56 At the risk of simplifying a notoriously complex trajectory, the specular I of a putatively single subject that is at the center of theoretical reflection in „Le Stade du miroir“ cedes to the social I, if only ever partly, that comes to the fore in Les Quatre Concepts. In both works, the vanity of a unifying vision either within a single subject or between subjects is showcased. In the work of Dalí, for whom the trappings of fame and fortune were so dear, the vanitas that is the naked human skull acquires some strangely lyrical dimensions. In a series of pictorial works from 1932 to 1934, Dalí endows the anamorphic skull with teeth that resemble piano keys – an image that recalls Jean Epstein’s reference to „l’orgue du sourire“57 in a 1921 text on photographic and filmic magnification – and that suggest not just that the skull smiles, mockingly, but that it sounds, silently, as well. Such is the case of Skull with its Lyric Appendage Leaning on a Bedside Table which Should be the Exact Temperature of a Cardinal’s Nest (1934), a work in which a large heart-shaped skull with a keyboard-like smile that issues in a grand piano leans against a table and a crutch.
54 Ibid. 55 Ibid., p. 95. 56 „Before the mirror“ should be understood both temporally and spatially, though not in an easily developmental way. As Wilden puts it: „the stade du miroir never ,occurs‘ at all – any more than the genesis of the ego does“ and is, moreover, „a purely structural or relational concept“ („Lacan and the Discourse of the Other“, p. 174). 57 Epstein: „Grossissement“, p. 94.
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Image 7-8: Salvador Dalí: Skull with its Lyric Appendage leaning on a Commode which should have the Temperature of a Cardinal Nest, 1934, oil on wood panel, 24,13 x 19,05 cm, Salvador Dalí Museum, St. Petersburg, Florida; Meditation on the Harp, c. 1933, oil on canvas, 67 x 47 cm, Salvador Dalí Museum, St. Petersburg, Florida.
Other works include Atmospheric Skull Sodomizing a Grand Piano (1934), in which one of the „monstrous […] atmospheric-cephalic skulls“ of Dalí’s Secret Life serves at once as a crutch and a penetrating organ, and Meditation on the Harp (1932-34), in which the musical instrument is not a piano but a mouth organ or harp that issues from the elbow of a male figure who kneels before a clothed man and a naked woman, both monumentalized in the iconographic posture of shame. The posture of the couple recalls that of the pious couple in Millet’s Angelus, but Dalí emboldens the image not only by stripping the woman nude but also by placing the kneeling figure’s egg-shaped head at the level of the hat-covered crotch of the standing man. The result is a perverse rendition of the family, with the suppliant son „servicing“ a shameful father and blessed by a shameful mother, her hand atop his head. The son, so to speak, is not untouched by the encounter: from one of his arms sprouts a distended skull propped up, as if it could not be otherwise, by a crutch. Jean Bobon, in an article on „neo-mimetism“ and „neo-morphism“ published in a neurological and psychiatric journal in the mid-1950s, reads the Dalinian crutch as the stabilizing counterpart to a sexually hypertrophied head: La béquille figure d’abord la réalité, la fixation au sol du réel qui garde en équilibre le monstrueux développement de la sexualité cérébralisée
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et de l’intelligence imaginative gonflée de sexuel. Elle est un contenant, ‚tenu en même temps par le contenu‘, dont la signification vécue vient de lointains souvenirs d’enfance où la béquille a joué pour Dali [sic] un rôle de gloire, d’amour et de mort. C’est aussi le symbole de la Tradition, que ‚fait tenir debout‘ et éternise des valeurs humaines essentielles.58 The Tradition, with a capital „T,“ that the crutch supposedly symbolizes is the work of sublimation, of a rising above the sexual instincts that paradoxically ensures their memorialization, if not indeed their monumentalization. And yet, the attachment to the „ground of the real“ is not the same as the symbolization of Tradition, which is not, for Dalí, as grounded and stable as Bobon suggests. We have already seen that the fixed explosiveness of the „dance“ of the „dancers“ in Crutches is in need of support. Here, we see that pianos and harps, normally the instruments of a free-floating and fugitive emanation, of a verbal and visual transcendence, are stony excrescences, also in need of support. Although both the harp and the skull are „visible“ in The Average Fine and Invisible Harp (1932) in the displaced form of a small chimney and other objects, in The Invisible Harp (1934), a large black piano-like form fills part of the background. In both paintings, as in Average Atmospherocephalic Bureaucrat in the Act of Milking a Cranial Harp (1933) and others, crutches support massive cranial excrescences, anamorphic skulls that chiasmically cross and capture, in peculiarly incisive ways, our vision. If the visual movement that is so important to Dalí’s paranoid-critical method requires the spectator to move his or her eyes, and sometimes even his or her body, to recognize an array of only partially recognizable objects, the musical movement, requiring a still greater leap of the imagination, is conveyed in Atmospheric Skull Sodomizing a Grand Piano through a double hardness: a cranial bone against a rocky background.
58 Bobon: „Contribution à la psychopathologie“, p. 1061.
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Image 9: Salvador Dalí: Atmospheric Skull Sodomizing a Grand Piano, 1934, oil on wood panel, 13,97 x 17,78 cm, Salvador Dalí Museum, St. Petersburg, Florida.
The fixation of scopic desire that is central to fetishism – and pianos, harps, skulls, watches, and crutches are all fetishes for Dalí – may appear to be absolute, but it is also, as noted, exceedingly fragile, given to erosion and collapse. Dalí claims to have spent countless hours contemplating the rocky coast of his native Catalonia and compares their form not just to Gaudí’s architecture but also, in an obvious allusion to Leonardo, to clouds.59 Under the effects of what Juan José Lahuerta calls „el reblandecimiento que la materia sufre en la arquitectura gaudiniana“60, the Dalinian eye turns liquid, but only to turn rocky; turns rocky, but only to turn erosive; turns erosive, but only to seek a support that, in accordance with the logic of the supplement, is neither simply inside nor outside of the frame but caught in the chiasmic crossings and anamorphic deformations of pictorial activity, an activity that Lacan, avidly signaling and scattering lures and traps everywhere, extends to the entire visual field and to all subjects, sighted or not. Neuropsychologists have noted that the movements of the gaze are incessant, but that they tend to converge on a few expressive points: the eyes, the mouth, and other orifices by which interi-
59 Dalí: The Secret Life of Salvador Dalí, p. 304. 60 Lahuerta: „Gaudí, Dalí“, p. 59.
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ority and exteriority, intimacy and „extimacy,“ cross. They have also signaled, as others had before them (Lacan explicitly mentions Diderot’s Lettre sur les aveugles), a sort of blind sight, a paradoxical phenomenon in which a sensation of space stands in for, but does not really „make good,“ visual perception per se.61 Blindness and the geometric perspective that it throws into relief – „ce don’t il s’agit dans la perspective géometrale est seulement repérage de l’espace, et non pas vue“62 – may well be the ultimate crutch of vision and its free-floating, transcendent, disembodied pretensions, active even in the act of reading (where braille, as a literary limit, provides a similar „repérage de l’espace“). And yet, although the perspectival illusionism of trompe l’œil is, for Lacan, a „[t]riomphe, sur l’œil“63, the triumph is not long-standing because the eye, duped and defeated, blind even, does not shut down entirely. The blind eye is not, despite the claims of some, a dead eye (the dead eye is proper only to the dead) but rather an eye that lends itself to all kinds of spatial probing that attempt to invert its „defeat“64. The seeing eye, for its part, does not see entirely either, not only because what it sees are, in part, „visions“ or fantasmatic projections, but also because what it sees does not congeal in anything entirely fixed, stable, or permanent. It is in this sense that, as Lacan insists, „le sujet du cogito tombe sous le même coup“ as that which tricks, ensnares, and defeats the eye and as that which marks the fragmented totality of his discourse, in which, as he says: „chaque terme ne se soutient que de son rapport topologique avec les autres“.65 Lacan’s reticular syntax, shot through with (references to) lures, traps, decoys, and other send-ups and pitfalls of identity, stability, and the very idea of any secure and stable relation, resembles, toutes proportions gardées, the reticular syntax and pictography of Dalí, for whom the ultimate lesson of anamorphosis, umbrously traced by Lacan – to wit, that „il nous reflète notre propre néant“66 – is materialized in the aforementioned Soft Self Portrait with Fried Bacon. In this painting, which inevitably conjures up associations with the more ghastly The Face of War (1940-1941) (in which the cavities of a medusa-like skull are „filled“ with yet more skulls in a deadly mise en abîme), the face designated as 61 Lacan: Séminaire XI, p. 100. 62 Ibid. 63 Ibid., p. 118. 64 For Ades, the „distorted skulls [are] both a triumph of and a triumph over death: they are so sucked and bent and inflated, as though by huge physical pressure as if they were in fact still malleable, that they appear alive“ („Dalí’s Optical Illusion“, p. 21). 65 Lacan: Séminaire XI, p. 103. 66 Ibid., p. 107.
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the artist’s own seems to sag like a soft watch and is mounted on a pedestal like a ruined museum piece; its eyes are full of nothing, nothing but darkness, and are propped open by little u- or y-shaped crutches that are the same color of brown as the face and the bacon. It is as if Dalí had given material form to Merleau-Ponty’s presentation of a „cavité centrale du visible qui est ma vision“67, one in which the outer globe of the eye has disappeared along with the inner x-like optical nerves, leaving only a petrified shell exposed to the eyes of others, our eyes, the eyes of the spectator and, needless to say, the consumer. Consumption comes at a price. Dalí, of course, came to revel in the anagram that Breton spat at him, „Avida Dollars,“ and trafficked in the tricks, and crutches, of art: My symbol of the crutch so adequately fitted and continues to fit into the unconscious myths of our epoch that, far from tiring us, this fetish has come to please everyone more and more. And curiously enough, the more crutches I put everywhere, so that one would have thought that people had at last become bored by or inured to this object, the more everyone wondered with whetted curiosity, ‚Why so many crutches?‘ When I made my first attempt at keeping the aristocracy standing upright by propping it up with a thousand crutches, I looked it in the face and said to it honestly, ‚Now I am going to give you a terrible kick in the leg.‘68 Although Dalí declared, in the midst of World War II, that the answer to „why so many crutches?“ lay in „the possibility of giving back to this class of the elite a historic consciousness of the role which it would inevitably be called upon to play in the ultra-individualist Europe that would emerge from the present war“69, Holbein might well offer another answer, at once less circumstantial and more adamant: art and science, power and fame, wealth and sex, are in the final analysis no more than crutches by which the poor subject illusorily attempts to steady and secure itself as other than poor. That the crutches ensnare themselves and us in anamorphic images, that they lend themselves to chiasmic plays, means that only a certain adjustment of the eye vis-à-vis the gaze, only a certain desire to see, can render perceptible the ultimate, obscure vanity of it all.
67 Merleau-Ponty: Le visible et l’invisble, p. 189. 68 Dalí: The Secret Life of Salvador Dalí, p. 261. 69 Ibid., p. 262.
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Délir – Désir: Mystik, Hysterie und Paranoia bei Salvador Dalí Neben Malerei, Skulptur, Literatur, Mode, Bühnendekoration, Werbung, Illustrationen, Architektur, aber auch den wissenschaftlichen Disziplinen (Physik, Mathematik, Topologie, Optik, Biologie, Biochemie, Holographie, Nuklearund Atomphysik, etc.1), gehören zum Universum des spanischen Künstlers Salvador Dalí die Bereiche des Transzendentalen, der Mystik, des Religiösen, des Unbewussten, des Übernatürlichen, der Hysterie, des Wahns und der Paranoia – Gebiete, die sich dem Herrschaftsbereich der Vernunft und Logik entziehen. Mit seiner „Wiederbelebung des spanischen Mystizismus“2 knüpft Dalí an eine lange Tradition der Mystik und Heiligenikonographie in Spanien an, die er vor allem nach seiner Rückkehr aus den USA 1948 intensivierte. Zu den pikturalen Referenzen gehören u.a. die spirituell-mystischen Werke Francisco de Zurbaráns (1598-1664), die biblischen Gemälde Diego Velázquez’ (1599-1660) und Bartolomé Esteban Murillos (1617-1682), die morbid-realistischen Darstellungen Juan de Valdés Leals (1622-1690) und die düster-grotesken Bilder Francisco de Goyas (1746-1828). Zu den diesbezüglich bekanntesten Werken Dalís zählen die Darstellungen des Heiligen Antonius (Las tentaciones de San Antonio, 1946, Abb. 1), des Heiligen Sebastians und der Heiligen Madonna, zu der Dalí – wie in La Madona de Portlligat (19493, Abb. 2) – auch Gala, seine Frau und Muse, hochstilisierte. Dabei wird die Madonna von Port Lligat als pikturaler Auftakt seiner ,korpuskularen Periode‘ betrachtet. In dieser so genannten ,korpuskularen Mystik‘, dem ,nuklearen Mystizismus‘, vereint er das Spektrum des Religiösen mit seinen Erkenntnissen aus Kunst und Wissenschaft und verfasst wenig später sein Mystisches Manifest4 als „dreifache Syn-
1
Vgl. Ferreira: Dalí-Lacan, S. 24.
2
Dalí zit. nach Decharnes/Néret: Dalí, S. 407.
3
Seine Faszination für das Religiöse und seine Hingabe für Gala gingen so weit, dass er dieses Bild vom Papst (Pius XII) approbieren ließ. Vgl. zu Gala auch den Beitrag von Nanette Rißler-Pipka und zum Heiligen Sebastian die Beiträge von Uta Felten und Gerhard Wild in diesem Band.
4
Dalí: „Manifeste mystique“, Paris 1951, vgl. auch: „Das Mystische Manifest“, in: Decharnes/Néret: Dalí, S. 407-536.
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these von klassischer Malerei, Atomzeitalter und ausgeprägtem Spiritualismus“5, das im Juni 1951 in der Buchhandlung Berggruen vorgestellt wurde.
Abb. 1: Salvador Dalí: Las tentaciones de San Antonio, 1946, Öl auf Leinwand, 89,7 x 119,5 cm, Musées Royaux des Beaux-Arts de Belgique, Brüssel.
Abb. 2: Salvador Dalí: La Madona de Port Lligat (erste Fassung), 1949, Öl auf Leinwand, 48,9 x 37,5 cm, Marquette University, Haggerty Museum of Art, Milwaukee. 5
Ebd., S. 418.
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Abb. 3: Salvador Dalí: El Cristo de San Juan de la Cruz, 19516, Öl auf Leinwand, 205 x 116 cm, The Glasgow Art Gallery, Glasgow. Darin kommentiert Dalí u.a. seine eigene Malerei wie das ,nuklear-mystische‘ Bildnis des am Kreuz frei schwebenden Heiligen Johannes (Abb. 3): Schluß mit Verleugnung und Rückschritt, Schluß mit der surrealistischen Krankheit und der existentialistischen Angst, dem höchsten Mystizismus und dem Grad der Freude in der ultra-individuellen Bestätigung aller heterogenen Tendenzen in der absoluten Einheit der Ekstase. Ich will, daß mein nächster Christus das Bild sein wird, das mehr Schönheit und Freude enthält als alle, die bis heute gemalt wurden. Ich will den Christus malen, der in allem und vollständig das Ge6
Eine weitere bedeutende intermediale Referenz bildet hier Hieronymus Boschs Die Versuchungen des Heiligen Antonius (1505-1506), die bei Dalí mit dem Thema der Leviation, der Aufhebung der Schwerkraft kombiniert wird.
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genteil des materialistischen und wild antimystischen von Grünewald ist. […] Jetzt beginnt mit mir die neue Epoche der mystischen Malerei.7 Zugleich zitiert Dalí das weibliche Vorbild des Heiligen Johannes Teresa de Ávila an, die zu den größten spanischen Mystikerinnen der Neuzeit zählt. Denn es sind nicht nur ihre christlich-religiösen Vermächtnisse, sondern ihre bildhaften Beschreibungen der unio mistica – jener spirituellen Vereinigung mit Gott –, die später durch die Skulptur Gian Lorenzo Berninis zusätzlich zu Weltruhm gelangten und Ende des 19. Jahrhunderts im Zuge der Hysterieforschung noch einmal zur Geltung kommen sollten. Im Sinne einer solchen unio mistica verweisen auch die spirituellen Werke Dalís auf jene rauschhaften Zustände der Verzückung, auf jenes mystische Außersichseins, bei dem das Ich aus sich und seinen Grenzen heraustritt. Das Unbewusste und die Phantasie treten in den Vordergrund und initiieren die „unaufhaltsame Bewegung des Begehrens“, da stets etwas entblößt und im gleichen Zug verborgen wird.8 Diese transzendentale Erfahrung des zirkulierenden Begehrens, das Prozesshafte und Performative, dem Schauen des Nicht-Sichtbaren, des DahinterVerborgenen wie bei mystischen Visionen findet sich nicht zuletzt auch in den Vexierbildern wieder, die nach Dalí durch seine paranoisch-kritische Methode ,interpretiert‘ und somit ,geschaut‘ werden können.
Mystik Mein, heilige Theresia von Avila!9 Ich behaupte mit voller Überzeugung, daß sich der Himmel mitten in der Brust des Menschen befindet, der Glauben hat, denn meine Mystik ist nicht nur religiös, sondern auch nuklear und halluzinogen, und im Gold, in der Malerei der weichen Uhren und in meinen Visionen des Bahnhofs von Perpignan entdeckte ich die gleiche Wahrheit. Ich glaube an die Magie und an mein Schicksal.10 Es sind insbesondere die MystikerInnen, die implizit die Macht des Wortes infragestellen und die Ohnmacht des Wortes bezeugen. Ihre Texte sind Ema-
7
Dalí zit. nach: Decharnes/Néret: Dalí, S. 474.
8
Bronfen: „Geheimnis, Macht und Tod: Dalís Vexierspiele“, S. 179.
9
Dalí zit. nach: Decharnes/Néret: Dalí, S. 407.
10 Dalí zit. nach ebd., S. 419.
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nationsprodukte ihres Inneren, textliche Prothesen ihrer Ekstasen und orgiastischen Empfindungen, die bereits auf surreale Verfahrensweisen wie écriture automatique und pensées parlées verweisen, und die Phänomene des Unbewussten, des Inneren, des Traumes, der Halluzination, der Hysterie hervorheben, die nicht zuletzt durch Freuds Psychoanalyse und Traumforschung ihren Umbruch erlebten. Die Differenz zwischen dem Unaussprechlichen, den erlebten ,Rauschzuständen‘ einer unio mistica und dem Niedergeschriebenem spiegelt sich gleichsam im Medium des Bildes wieder, durch das Dalí mit Hilfe seiner paranoisch-kritischen Methode versuchte, die Phantasie und Imagination des Betrachters und Lesers zu evozieren und das Unsichtbare, das Sich-DahinterVerborgene zu offenbaren. In diesem Spiel des Zeigens und Verbergens spielt die Erotik eine besondere Rolle, da es sich bei mystischen Schriften nicht selten um religiöse Erkenntnisse handelt, die jedoch in ein versiertes, von Wollust und Begehren dominiertes Textgewebe eingesponnen sind. Nicht selten mussten sich die MystikerInnen dabei einer außerordentlich bildlichen Sprache bedienen und sprachschöpferisch tätig sein, um diese unaussprechlichen göttlichen Offenbarungen in Worte und Bilder fassen zu können. Das Wort bleibt meist jedoch vages Ausdrucksmittel, das um den eigentlichen nicht-sagbaren Kern kreist. Viele Metaphern und Symbole, viele Bilder wie Nacht, Pyramide, Berg kehren im mystischen Diskurs immer wieder und versuchen sowohl formal, als auch inhaltlich zu korrespondieren, um das Unsichtbare zu illustrieren. Dabei dient v.a. das Hohelied Salomons11 mit seinem Metaphernreichtum als Urtext mystisch-erotischer Textproduktionen. Teresa de Ávila ihrerseits wurde neben ihrer Poesie als mystisch-poetische Gattung per se besonders durch ihr Libro de la vida bekannt. Darin beschrieb sie für ihre Ordensschwestern – meist im Auftrag ihrer männlichen Vorgesetzten – ihre Erfahrung als Braut Gottes, und v.a. ihre Wege zur unio mistica. Im Gegensatz zu ihrem männlichen Eleven Johannes vom Kreuz (San Juan de la Cruz), der nur durch Arbeit, Mühsal und Entsagung die höchste Vereinigung erreichen konnte, erfuhr sie stetig und heftig die heilige Vereinigung. Der folgende Text kann als eine der prägnantesten Beschreibungen einer solchen erotisch-mystischen Ekstase gewertet werden: Der Herr wollte, dass ich hier manchmal folgende Vision bekam: Ich sah einen Engel neben mir zu meiner Linken, sehr körperlich, was ich normalerweise außer durch Wunder nicht sehe, obwohl mir häufig Engel erscheinen, sehe ich sie nicht, sondern nur wie in der zuerst genannten Vision. In dieser Vision wollte der Herr, dass ich ihn wie
11 Vgl. „Das Hohelied Salomons“ im Alten Testament, auch abrufbar unter: http://www.bibel-online.net/buch/22.hohelied.
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folgt sehe: Er war nicht groß, sondern klein, sehr lieblich, das Gesicht so erhitzt, dass er von den hohen Engel abzustammen schien, die immer aussehen, als ob sie entbrannt wären. Es müssen wohl die sein, die man Cherubin nennt, denn die Namen nennen sie mir nicht, ich erkenne bloß, dass es im Himmel so viele Unterschiede zwischen den einen und den anderen, zwischen den anderen und den einen Engeln gibt, dass ich es nicht zu sagen vermag. Ich sah in seinen Händen einen langen Goldpfeil, und am Ende der Spitze schien mir ein wenig Feuer. Dieses schien er mir ab und an durch das Herz zu stoßen und bis in meine Gedärme zu gelangen. Beim Rausholen, schien er sie mit sich zu nehmen und ließ mich entflammt in großer Liebe zu Gott. Der Schmerz war so groß, dass er mir jene Stöhnen entlockte und die Weichheit/Zärtlichkeit diese Schmerzes war so exzessiv, dass man sich nicht wünschte, dass er aufhöre, dass die Seele sich mit (weniger) nichts anderem als Gott zufrieden gäbe. Es ist kein körperlicher, sondern spiritueller Schmerz, obwohl der Körper doch ein wenig teilnimmt, und eigentlich sehr. Es ist eine derart zarte Offenbarung, der zwischen Seele und Gott stattfindet, dass ich an seine Güte appelliere, all diejenigen daran teilhaben zu lassen, die denken sollten, dass ich lüge.12 Dabei spielt das Phänomen der concordia discors – das Zusammenspiel entgegengesetzter Bereiche wie in diesem Falle zwischen Lust und Schmerz, Eros und Thanatos – eine besondere Rolle, welches dann auch durch die Nähe zum Sado-Masochismus den Reiz für die Surrealisten und Dalí ausmachte.13 Es ist „die dem mystischen Diskurs eigene Gleichsetzung des Gegensätzlichen, die sich in der Erfahrung des Schmerzes als süße Lust, als glückliche Wunde, als Entsetzen, als Schaudern und freudiges Erbeben äußert.“14 Im ekstatischen Empfinden Teresas manifestiert sich somit nicht nur das unendliche Begehren – welches sich schließlich auch in den immer wieder neu interpretierbaren Vexierbildern Dalís wieder finden wird – im Rekurs auf die bereits bei Augustinus „diskursivierten Topoi des ‚Brennens‘ und ‚Erzitterns‘ im Angesicht des Heiligen: ‚Et inhorresco […] et inardesco‘“15, sondern auch 12 Santa Teresa de Jesús: La vida de la Santa Madre Teresa de Jesús y algunas de las mercedes que Dios le hizo, Kap. 29, v. 11, zu finden unter: http://www.cervantesvirtual.com/servlet/SirveObras/0814619659977055186785 7/p0000002.htm#32 . 13 Vgl. hierzu auch die Untersuchung von Michel Brix. 14 Felten: „Zur Superposition mystischer und erotischer Diskurse in Santa Teresas ,Vivo sin vivir en mí‘“, vgl. auch Santa Teresa de Jesús, Kap. 29, v. 8, 10, 11, 14. 15 Felten: „Zur Superposition mystischer und erotischer Diskurse in Santa Teresas ,Vivo sin vivir en mí‘“.
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eine dem männlichen Diskurs sich entziehende autoerotische Sexualität der Frau. Es sind gerade die religiösen Refugien wie Klöster und der spirituelle Ort der Mystik, die eben nicht nur als Verschlussorte, sondern als Freiräume der Frau fungieren konnten – wenn diese sich den Regeln der Obrigkeiten beugte.16 Gerade Santa Teresa verdeutlicht in ihrem Lebensbericht, welches sie im Auftrag ihres Beichtvaters schreiben musste, inwiefern sie sich jedoch dem Machtbereich des Männlichen durch die unio mistica entzog, deren Heftigkeit in den Augen ihrer männlichen Kollegen die Tabugrenzen der erotischen Empfindung überschritt und – wie lange Zeit dann auch die Hysterie – nicht selten in die Nähe dämonischer Besessenheit rückte. Gerade durch die Vereinigung und Solidarität mit Gott widersetzte sie sich der männlichen Obrigkeit, ihren Beichtvätern und Glaubensbrüdern, die sich selbst vor ihren in diesem Sinne erotisch-sinnlichen Beichtgeständnissen scheuten. 3. […] Viele Beleidigungen und große Arbeit habe ich durch das Offenbaren durchgemacht und große Ängste und Verfolgungen durchstanden. Es schien ihnen so klar, dass ich vom Dämon besessen war, dass mich einige Leute beschwören wollten. All dass berührte mich wenig: mehr beunruhigte mich, wenn ich sah, dass die Beichtväter meine Beichte fürchteten, […]. Ich sah meine Liebe zu Ihm wachsen; ich beschwerte mich bei Ihm über all diese Mühen: jedes Mal kam ich getröstet aus dem Gebet und mit neuen Kräften. Jenen wagte ich nicht zu widersprechen, weil ich sah, dass dadurch alles schlimmer würde, dass es ihnen wenig bescheiden vorkäme.17 Statt dessen wird Gott selbst zu ihrem engsten Vertrauten, zu ihrem ,Beichtvater‘ deklariert: 4. Weil die Visionen immer häufiger wurden, begann einer von ihnen, der mir zuvor geholfen hatte […], zu sagen, dass es ganz klar um einen Dämon handele. […] Sie befahlen mir, da es keine andere Möglichkeit gäbe zu widerstehen, dass ich mich immer bekreuzigen solle, wenn ich eine Vision bekäme, und es mir egal sein solle, weil es mir klar wäre, dass es sich um einen Dämon handele, und er so nicht kommen würde; und ich bräuchte keine Angst zu haben, Gott würde mich beschützen und ihn mir entfernen. Für mich war dies ein großes Leid, weil, da ich nichts anderes glauben konnte, als dass es Gott sei, es eine schlimme Sache für mich war. Und auch konnte ich nicht wie gesagt, wünschen, dass es aufhöre, doch schließlich tat ich wie man
16 Vgl. hierzu den Beitrag von Margret Bäurle und Luzia Braun. 17 Santa Teresa de Jesús, Kap. 29, § 3.
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mir befahl. […] Ich erinnerte mich an die Beleidigungen, die die Juden Ihm angetan hatten, und ich bat Ihn, mir zu verzeihen, weil ich es nur tat, um jenem zu gehorchen, den er hier an Stelle seiner hatte, und dass er mich nicht beschuldigen möge, weil es die Minister waren, die Er in seiner Kirche eingesetzt hatte. Er sagte mir, dass es mir nichts ausmachen solle, dass ich gut täte zu gehorchen, er würde dafür sorgen, dass die Wahrheit ans Licht käme. Als man mir das Gebet entzog, erschien es mir, dass er sich geärgert hätte. Er sagte mir, dass ich ihnen mitteilen solle, dass es sich um Tyrannei handele. Er gab mir Gründe, um zu verstehen, dass es sich nicht um einen Dämon handele. Einige werde ich später anführen.18 Mit der Hilfe Gottes hat Teresa de Ávila sich ihrer Stillstellung und dem Schweigegebot entzogen und sich weiterhin, selbst in der ,Öffentlichkeit‘, den göttlichen Verzückungen hingegeben.19 Das starke plastisch-visuelle Potential dieser in Worte gefassten Exaltationen inspirierte dann auch Jahre später Gian Lorenzo Bernini zu seinem gleichsam spektakulären Altar der Heiligen Teresa in der Coronarokapelle der Kirche Santa Maria Vittoria (Abb. 4). Das Bild, die Skulptur illustriert nun das Wort, potenziert es, provoziert noch einmal die Phantasie des Betrachters auf der Suche nach dem Nicht-Sagbaren, dem Nicht-Sichtbaren im Dazwischen, im Interstitium der Worte und Bilder.
Abb. 4: Gian Lorenzo Bernini: Estasi di santa Teresa (1647-52), Coronarokapelle der Kirche S. Maria Vittoria. 18 Ebd., Kap.29, v. 4,6. 19 Vgl. ebd., Kap. 29, v. 14.
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Abb. 5: Gian Lorenzo Bernini: Beata Ludovica Albertoni (1673-74), San Francesco a Ripa, Cappella Altieri, Roma.
Hysterie Auch bei der Hysterie treten ähnliche Erscheinungsformen der Ekstase auf, jenem erwähnten rauschhaften Zustand der Verzückung, der bei „religiöser Entrückung, intensiven Sinnesreizen, nervösen Störungen, Hysterie, Hypnose“ vorkommt20 und der eine Fundgrube für (die Surrealisten und) Dalí bildet. Gerade solche Darstellungen mystischer Ekstasen (vgl. Abb. 4/5) wurden nicht zuletzt zu Referenzen des hysterischen Diskurses, während dessen v.a. Ende des 19. Jahrhunderts jene hysterisch-exstatischen Verrenkungen als körperliche Symptome der Krankheit (den so genannten Konversionsreaktionen) in Fotografien und Bildern festgehalten wurden. Dalí seinerseits führt in seiner Collage der ,Ohrenekstasen‘ (Le phénomène de l’extase, Abb. 6) das kreative Bildpotential der erotischen Verzückung als Schnittpunkt von Mystik und Hysterie einem ironischen Höhepunkt entgegen.
20 „Hysterie“, in: Bilderlexikon der Erotik, Digitale Bibliothek Band 19.
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Abb. 6: Salvador Dalí: Le phénomène de l’extase, 1933.
Das Alltägliche (wie hier das Ohr) wird bei Dalí zur erotischen Offenbarung, wodurch er dem wissenschaftlichen Duktus der Hysterieforschung einen ironischen Seitenhieb versetzt, der beispielhaft für den spielerischen Umgang Dalís mit den Wissenschaften ist.21 Die Begeisterung für die – der spirituellen Vereinigung ähnlich gearteten – Gestik und Mimik der Hysterie liegt vor allem auch in dem ihr inhärenten Potential der Theatralität. So arteten bereits die medizinischen Vorführungen hysterischer Patientinnen zu spektakulären Inszenierungen aus, bei denen Ärzte wie Charcot in den Mittelpunkt des Geschehens rückten und die Patientin selbst zur Schauspielerin avancierte (Abb. 7/8).22
21 Vgl. die Artikel Dalís in der Zeitschrift Minotaure und dazu auch Maurer Queipo: „A la recherche d’images susceptibles de nous extasier.“ 22 Vgl. Bronfen: Das verknotete Subjekt und „The Language of Infirmity“.
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Abb. 7: André Brouillet: Charcot. Une leçon clinique à la Salpêtrière, 1887.
Abb. 8: D.M. Bourneville/P. Régnard: Images of hysterics under hypnosis at Salpêtrière, 1876-1880.
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Dalí eignet sich den wissenschaftlich-medizinischen Bereich an und kreiert mit seinen Collagen neue Sinnzusammenhänge. Neben Mystik und Hysterie, deren Schnittpunkt das erotische Moment, die Extase und das mit ihr verbundene Tabupotential darstellt, hat Dalí schließlich auch die Paranoia für seine ,wissenschaftlich-künstlerischen‘ Hybridprodukte und Experimente fruchtbar gemacht, indem er auch hier das kreative ästhetische und theatralische Potential und gerade nicht das Pathologische verwertet.
Paranoia „Lidia poseía el cerebro paranoico más magnífico, aparte del mío, que nunca haya conocido.“23 Dalí schöpft stets auch aus seiner Umwelt und kombiniert Alltägliches zu neuen ambivalenten Hybridprodukten. So avancierte die aus seiner Heimat Cadaqués stammende Lidia Noguer zum inspirativen Vorbild seiner Freude am Wahn und seiner paranoisch-kritischen Methode, welche gleichsam auf zahlreiche andere Quellen rekurriert wie den surrealistischen Verfahren der Automatismen, der Psychoanalyse Freuds, aber auch den Studien Lacans zur Paranoia und vice versa. Da es sich bei jeder Form von Wahn um subversive, nonkonforme Phänomene handelt, wurden sie für die Surrealisten zum besonderen Faszinosum. Mit der Figur der Lidia reiht Dalí sich in eine surrealistische Genealogie der Paranoia und des Wahns ein, die in verschiedenen Abhandlungen zu Germaine Berton, Violette Nozières und den Geschwistern Papin als antiautoritäre Modelle gegen die hypokrite Sexualmoral der Bourgeoisie und somit als erotische Musen der Subversion von den Surrealisten vereinnahmt wurden.24 Lidia Noguer selbst galt als Tochter einer ,Hexe‘ aus Cadaqués, eine ,Verrückte‘, die auch anderen Künstlern wie Eugenie d’Ors, Lorca und Picasso als Inspirationsquelle diente.
23 Dalí zit. nach Lazcano: „D’Ors, Dal y Lidia de cadaqués“, S. 12. 24 Vgl. zu den Geschwistern Papin die Abhandlung Lacans „Motifs du crime paranoïaque – Le crime des sœurs Papin“, das Theaterstück Les bonnes von Jean Genet (1947) und La Cérémonie von Claude Chabrol (1995), als auch zu Violette Nozières den gleichnamigen Film von Chabrol (1978) und Femme complète (1933) von E.L.T. Mesens. (Hierbei handelt es sich um eine Art kollektiver Verteidigungsschrift von Hans Arp, Victor Brauner, André Breton, René Char, Salvador Dalí, Paul Éluard, Max Ernst, Alberto Giacometti, Maurice Henry, René Magritte, E.L.T. Mesens, Benjamin Péret, Yves Tanguy). Vgl. zu Germaine Berton v.a. Louis Aragons gleichnamige Schrift.
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Dalís Faszination für die Verrückte spiegelt sich in seinen Werken wider und manifestiert sich beispielsweise auch in einem Bild, welches er symptomatischerweise Le spectre et le fantôme (Abb. 9) betitelte, auf dem Lidia als eine seiner typischen Rückenfiguren auftaucht:
Abb. 9: Salvador Dalí: Le spectre et le fantôme, ca. 1934, Öl auf Leinwand, 100 x 73 cm, Osaka City Museum of Modern Art, Osaka.
Lidia wird mit ihren Delirien, Visionen und extravaganten Assoziationen zur fruchtbaren Quelle mystisch-paranoider Eingebung. Auch Worthmann hebt diese Inspirationsquelle in seinem Artikel hervor und stellt fest, dass „das Paranoide an Dalís Fantasieproduktion […] nur angelernt, gezüchtet statt erlitten [war]“: Zeitlebens hat Dalí das Versiegen seiner Inspiration befürchtet. Um sie anzuheizen, hat er sich gewissermaßen kontrollierte Dosen Verrücktheit versetzt. Eine Zeit lang bediente er sich dabei (rein freundschaftlich!) der Fischersfrau Lidia aus Cadaqués, einer echten Paranoiden, die von verschiedenen Dichtern für ihre erleuchtete Blödigkeit gepriesen und schließlich sogar zum Gegenstand mehrerer Bücher wurde.25 Die wahnhaften, paranoiden Visionen Lidia Noguers dienten Dalí als Paradigmen seiner paranoisch-kritischen Methode, jener „spontane[n] Methode ir-
25 Worthmann: „Im Dalírium“.
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rationaler Erkenntnis, die auf der kritisch interpretierenden Assoziation wahnhafter Phänomene beruht.“26 So hat Dalí u.a. einen der Aussprüche Lidias in seinem gleichnamigen Bild Le miel est plus douce que le sang (Abb. 10/11) festgehalten, mit dem sich die ,Verrückte‘ vor ihrem Sohn rechtfertigte, als er ihr vorgeworfen hatte, sich mehr um den Gast Eugenio d’Ors (den ,Honig‘) zu kümmern als um die eigene Familie (,das Blut‘).27 Als der Schriftsteller D’Ors, der bei den Noguers gewohnt hatte, Cadaqués verließ, verfolgte Lidia dessen Veröffentlichungen in der Presse, da sie glaubte, d’Ors würde auf diesem Weg mit ihr kommunizieren und verfiel so in eine Art paranoisches Delirium – „delirio paranoico“28. Dalí selbst bestätigt, dass Lidia das großartigste paranoide Gehirn – neben seinem – besaß, das er je kennen gelernt habe und deklariert schließlich (neben Lorca und Gala) auch Lidia zu seiner Schutzgöttin und seinem Vorbild.29 Asís Lazcano hebt ebenso hervor, dass Lidia, so Dalí, die Realisierung der unglaublichsten Ideenassoziationen gezeigt hatte und schließlich, wie erwähnt, zur Inspirationsfigur der berühmten phänomenologischen paranoisch-kritischen Methode wurde, auf der besonders Dalís Malerei, aber eben auch seine Schriften, seine Modeschöpfungen, seine Theaterentwürfe, etc. basieren.
Abb. 10: Salvador Dalí: Studie zu Le miel est plus douce que le sang, 1926, Öl auf Holzpaneel, 36 x 44 cm, Privatsammlung, Paris. 26 Dalí zit. nach Musidlak-Schlott: Salvador Dalí und die Bildtradition, S. 12. 27 Vgl. Lazcano: „D’Ors, Dal y Lidia de cadaqués“, S. 12. 28 Vgl. ebd. 29 Vgl. ebd: „Pero sobre todo Lidia le enseñó [a Dalí] a realizar las más increíbles asociaciones de ideas, es inspiradora del famoso ‚método paranoico-crítico‘ en que se basa la pintura de Dalí. ‚Lidia poseía el cerebro paranoico más magnífico, aparte del mío, que nunca haya conocido‘. ‚Lidia, Lorca y Gala son mis dioses tutelares‘, dijo Dalí“.
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Abb. 11: Salvador Dalí: Le miel est plus douce que le sang, 1941, Öl auf Leinwand, 49,5 x 60 cm, The Santa Barbara Museum of Art, Santa Barbara.
Dalí versuchte mit Hilfe dieser Methode „im Betrachter einen Zustand ähnlich dem paranoischen Delirium hervorzubringen.“30 um wie die MystikerInnen das Verborgene zu ,schauen‘. So wie die Mystik einen spirituellen inneren Kosmos neu inszeniert, stellt auch die Paranoia und die „anamorphotische Hysterie […] für Dalí ein Beispiel für die Neuerschaffung der Welt durch die von ihm so bezeichnete paranoische Aktivität dar.“31 Ich wandte meine paranoisch-kritische Methode an, um diese Welt zu ergründen. Ich will die verborgenen Kräfte und Gesetze der Dinge erkennen und verstehen, um sie zu beherrschen. Ich habe die geniale Eingebung, daß ich über eine außergewöhnliche Waffe verfüge, um zum Kern der Wirklichkeit vorzudringen: den Mystizismus, daß heißt die tiefe Intuition dessen, was ist, die unmittelbare Kommunikation mit dem Ganzen, die absolute Vision durch die Gnade der Wahrheit, durch die Gnade Gottes. Stärker als Zyklotrone und kybernetische Rechner vermag ich, in einem einzigen Augenblick in die Geheimnisse des Realen einzudringen… Mein die Extase! rufe ich aus. Die Extase Gottes und des Menschen. Mein die Perfektion, die Schönheit, auf daß ich ihr in die Augen sehe! Tod dem Akademismus, den bürokratischen Formeln der Kunst, dem dekorativen Plagiat, den schwach-
30 Gibson: Salvador Dalí, S. 270ff, S. 34. 31 Ades: Dalí, S. 125.
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sinnigen Verirrungen der afrikanischen Kunst! Mein, heilige Theresia von Avila!... In diesem Zustand intensiver Prophetie wurde mir klar, daß die bildnerischen Ausdrucksmittel ein für allemal und mit der größtmöglichen Perfektion und Wirkung in der Renaissance entwickelt wurden und daß die Dekadenz der modernen Malerei dem Skeptizismus und dem Mangel an Glauben entspringt, den Folgen des mechanistischen Materialismus. Durch die Wiederbelebung des spanischen Mystizismus werde ich, Dalí, mit meinem Werk die Einheit des Universums beweisen, indem ich die Geistigkeit aller Substanz zeige.32 Das spanische Multitalent intendiert mit dieser Methode aktiv, jedoch immer künstlich herbeigeführt, den „Ruin der Wirklichkeit“ hervorzurufen, welcher der Mystik, der Hysterie und der Paranoia inhärent sei und sich, wie erwähnt, dem Herrschaftsbereich der Ratio und allen „möglichen niederträchtigen und ekelhaften Ideale[n]“ entziehe: Die neuen Vorstellungsbilder werden, selbst wenn sie heftig verdrängt werden, als funktionelle Form des Denkens der freien Neigung des Verlangens folgen. Die tödliche Aktivität dieser neuen Vorstellungsbilder kann […] zum Ruin der Wirklichkeit und zum Besten all dessen beitragen, was uns über alle möglichen niederträchtigen und ekelhaften Ideale, die ästhetischen, humanitären, philosophischen usw., hinweg zu den klaren Quellen der Onanie, des Exhibitionismus, des Verbrechens und der Liebe zurückführt.33 Es war vor allem die „außergewöhnliche Spontaneität und Freiheit von normativen Regeln“34, die in Momenten mystischer, hysterischer oder paranoider Entrückung gehuldigt wurden. So versuchten v.a. auch die Surrealisten bereits mit Hilfe zahlreicher surrealistischer Verfahrensweisen (Automatismen35, écriture/dessin automatique, pensées parlées, Spiele36), diese kreativen Zustände zu imitieren, um das Unbewusste ungefiltert ins Bewusstsein zu befördern wie es
32 Dalí zit. nach Decharnes/Néret: Dalí, S. 407. 33 Dalí: „Der Eselskadaver“, S. 278. 34 Irmer: „Die Eroberung des Irrationalen“, S. 46/47. 35 Vgl. Bretons geläufige Definition der écriture automatique als „reine[n] psychische[n] Automatismus, durch den man mündlich oder schriftlich oder auf jede andere Weise den wirklichen Ablauf des Denkens auszudrücken sucht, Denk-Diktat ohne jede Kontrolle durch die Vernunft, jenseits jeder ästhetischen oder ethischen Überlegung“ (Breton: Die Manifeste des Surrealismus, S. 26). 36 Vgl. Ralf Convents Studie zu den surrealistischen Spielen.
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sich auch in der naiven Kunst von Kindern und in der primitiven Kunst, L’Art brut, von psychisch Kranken zeigt.37 Die Bilder, Skulpturen, Textilien und Collagen waren zwischen 1890 und 1920 entstanden und zeugten von der dem Wahn oder dem gestörten Realitätsbewusstsein immanenten Sinnverschiebung, die den Künstlern in ihrem Schaffen eine außergewöhnliche Spontaneität und Freiheit von normativen Regeln ermöglichte. Besonders die Surrealisten suchten nach genau dieser ursprünglichen Ausdruckskraft, die keiner akademischen Schulung, keinem Stil oder Genre und keiner Ikonographie verpflichtet war. Sie vermuteten diese kreative Kraft im nicht vom Verstand kontrollierten Unterbewusstsein, dem Traum, der Vision, dem Automatismus, und sie wurden angeregt bei ihrer Suche durch die Kunst von Kindern, Primitiven und Geisteskranken.38 Wie Heidi Irmer weiter ausführt, finden „schizophrene[…] Wahnideen einen äquivalenten Ausdruck im Vexierbild“39, welches besonders auch Dalí dann für sich entdeckte. Gerade auch L’Art brut mit seinen „mehrdeutigen Bildmetamorphosen“, seiner Affinität zum Unmittelbaren, Spontanen und Unreflektierten wurde von den Surrealisten „idealisiert, als Projektionsfläche für subversive Systemverwiegerung romantisiert, ihrem Wesen nachgeifert, bis hin zum Plagiat.“40 Irmer hebt in ihrer Studie gleichsam prägnant die Bedeutung dieser von Jean Dubuffet41 so bezeichneten Kunstart für Dalí hervor. In den mehrdeutigen Bildmetamorphosen der Art brut sind die Grenzen zwischen Wahn, Vision und Wirklichkeit verwischt und als Erlebnisqualität gleichwertig. Salvador deutete diese ursprünglich pathologischen Wahngeschehen unter Berücksichtigung der Traumdeutung Sigmund Freuds und der Paranoiastudien Jacques Lacans poetisch um und entwickelte auf diese Weise seine paranoisch-kritische Methode. Sein Ziel bestand darin, in seinen Gemälden die Illu-
37 Vgl. auch die Studie Hans Prinzhorns über die „Bildnerei der Geisteskranken“ als Referenzquelle der Surrealisten. 38 Irmer: „Die Eroberung des Irrationalen“, S. 46/47. 39 Ebd., S. 47. 40 Dichter: „Art brut“, S. 240. 41 1948 gründete Dubuffet u. a. mit André Breton die Compagnie d’Art Brut.
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sion zu schaffen, Träume, Wünsche, Fantasien und Ängste seien nicht formlos und unsichtbar, sondern der Realität vergleichbar.42 Der Traum, die Psychose, die Paranoia, das kriminelle Wahnpotential werden im Zeichen einer poetischen Ästhetik als Strategien der Subversion gegen ein etabliertes prüdes und rigides System von den Anhängern des Surrealismus aufgewertet, welcher seinerseits nach Dawn Ades ein bedeutender Teil einer allgemeineren Bewegung [war], die nicht nur die Psychoanalyse, sondern auch die Physiologie und die Physik betraf, die die empirischen Grundlagen des Wissens hinterfragte und die verborgenen Mechanismen, welche die Realität bestimmten, zu verstehen suchte.43 Vor allem die Psychoanalyse hatte nach Meinung der Surrealisten „die Existenz einer erweiterten psychischen Realität zweifelsohne bewiesen“44, wobei das Pathologische, die Krankheit jedoch zugunsten der Kunst, der Ästhetik deutlich in den Hintergrund gerückt wurde. Stand für Freud die Entschlüsselung, die Enträtselung der (Traum-)Bilder, der künstlerischen Werke im Vordergrund, um die angeblich dahinter liegenden Wünsche, Traumata, etc. offen zu legen und diese therapieren zu können, erfreuten sich die Surrealisten gerade an den geheimnisvollen Werken, an der Verrätselung, der Bewahrung des Kryptischen, um die Phantasie anzuregen, um in ein Spiel mit der Wahrnehmung der Rezipienten zu treten.
Die paranoisch-kritische Methode Dalí kreierte in diesem Sinne jenes bereits erwähnte Verfahren, das sich jedoch von den gängigen surrealistischen Methoden absetzte. In der Femme visible von 1930 bzw. dem darin erschienen Artikel „Der Eselskadaver“45 (L’âne pourri) hatte Dalí die erwähnten surrealistischen Verfahren (écriture automatique, Traumberichte) zur Eroberung des Irrationalen noch gleichberechtigt neben seine „Aktivität“ gestellt, diese aber gleichzeitig von den passiven Automatismen abgegrenzt. Er proklamierte, dass der Augenblick gekommen sei, in dem es 42 Irmer: „Die Eroberung des Irrationalen“, S. 49. 43 Ades: Dalí, S. 122. 44 Ebd. 45 Gerade das Bild des verfaulten Eselskadavers spielt (v.a. auch im Zusammenhang mit Buñuel) eine bedeutende Rolle, handelt es sich um Imagina ihrer Kindheit, ihres Alltags und findet sich u.a. in Un chien andalou und in Las Hurdes wieder.
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„durch einen paranoischen und aktiven Gedankengang (gleichzeitig mit Automatismus und anderen passiven Zuständen) möglich sein wird, Verwirrung zu systematisieren und zum gänzlichen Misskredit der realen Welt beizutragen.“46 Zurecht verweist Dawn Ades auf „Dalís abschätzige Erwähnung der ,dunklen, unbewussten Vorgänge‘“ als „ein frühes Anzeichen der grundsätzlichen Meinungsverschiedenheit mit dem Surrealismus über Wert und Charakter des Automatismus, der in den Anfangsjahren der Bewegung, 1924-1929, als etablierte Art der Erforschung des Unterbewusstseins gegolten hatte. Dalí empfand das als eine allzu passive Vorgehensweise und verglich automatische Prozesse wie Zeichnen mit seiner eigenen aktiven Form der „Interpretation“, der paranoisch-kritischen Methode.“47 Der spanische Künstler weist die Automatismen, die écriture automatique, bei der Haffmann zu recht das Entstehen eines Textes oder Bildes als passive „wartende Empfängnis“48 bezeichnet, als theoretische Utopie, als Ideal aus, erweitert die passiven Methoden um den Aspekt des Aktiven und intendiert, das kreative Potential der Paranoia, des Wahns, der Halluzinationen, Visionen und Delirien für den Interpretations- und Imaginationsprozess, für das Visualisieren und Kreieren von Träumen, Phantasien und Wunschvorstellungen nutzbar zu machen. Dalí selbst beschreibt seine Methode weiter als „einen eindeutig paranoischen Vorgang“, durch den es möglich geworden sei, „ein doppeltes Vorstellungsbild zu erhalten: das heißt, die Darstellung eines Gegenstandes, die ohne die mindeste figürliche oder anatomische Veränderung gleichzeitig die Darstellung eines anderen, völlig verschiedenen Gegenstandes ist, auch sie frei von jeder irgendwie geratenen Verzerrung oder Anomalie, die auf ein Arrangement schließen ließe.“49
46 Dalí zit. nach: Ades: Dalí, S. 126/127, vgl. auch: Salvador Dalí: „L’Âne pourri“. 47 Ades: Dalí, S. 123. 48 Vgl. Haftmann: Malerei im 20. Jahrhundert, S. 219. 49 Dalí: „Der Eselskadaver“, S. 132ff. Dalí verneint zwar die Tatsache eines Arrangements, setzt dem Zuschauer aber genau ein solches vor, wenn er dessen Blick bewusst auf die verschiedenen Konstellationen und Elemente in seinen Vexierbildern lenkt. Deutlich zeigt sich demnach ein bewusstes Arrangieren und Spielen mit der Schaulust und Imagination des Rezipienten und letztlich auch sein Beherrschen der Kunst des Manipulierens.
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Das Kreative der Paranoia, diesem „Beziehungswahn, in dem der [nicht organisch] Kranke systematisch die Welt und sein Ich, dem er eine übersteigerte Bedeutung verleiht, umdeutet“50, wird verstärkt zur Relativierung der Realität, zum Auslösen von Wahrnehmungskrisen und schließlich zum Erkenntnismittel und „Bewusstseinstraining“ eingesetzt. Dalí habe, so Bronfen, „selber gerne auf seine psychoanalytische Prägung hingewiesen, vornehmlich wenn er die in seinen Vexierbildern perfektionierte Fähigkeit, die Welt mit seinem Blick zu verwandeln, sowohl als Sehschule wie auch als Bewusstseinstraining darstellte.“51 Der spanische Künstler bestätigt diese ,psychoanalytische‘ Prägung u.a. in seinen Ideen zur paranoisch-kritischen Methode, die er letztlich anwandte, um, wie er selbst in seinem Mystischen Manifest bestätigt, „diese Welt zu ergründen“ und um „die verborgenen Kräfte und Gesetze der Dinge erkennen und verstehen, um sie beherrschen“ zu können.52 Dalís paranoischkritische Methode kann somit auch als Mittelstück, als Medium zwischen den Texten und Theorien Freuds und Lacans gesehen werden. Denn die Revision Dalís der Paranoia – auch als inspirierte Synthese freudscher und lacanscher Paradigmen und ihr kreatives Potential als Vision zwischen Halluzination und Delirium, als Interpretation der Realität – hat schließlich auch Psychoanalitiker wie Lacan, der 1932 seine Doktorarbeit über die Paranoia (De la psychose paranoïaque dans ses rapport avec la personnalité) veröffentlichte, zum Überdenken ihrer eigenen Theorien zur Paranoia geführt.53 So schien es Lacan, „dass Dalí Recht hatte, wenn er die Kraft der Paranoia für kreative Zwecke, zum aktiven Eingriff in die äußere Welt, einzuspannen suchte, und er nahm Kontakt zum Maler auf.“54 Nachfolgend resümiert Patrice Schmitt einleuch-
50 Vgl. Nadeau: Histoire du Surréalisme (dt. Geschichte des Surrealismus, S. 167). 51 Bronfen: „Geheimnis, Macht und Tod: Dalís Vexierspiele“, S. 174/175. 52 Dalí zit. nach Decharnes/Néret: Dalí, S. 407. Entgegen geläufiger Meinung befindet sich Dalí näher an der Psychoanalyse als vermutet wird. 53 Diese gegenseitige Befruchtung wurde von mehreren renommierten (Dalí-)Forschern wie die Lacanbiographin Roudinesco (Jacques Lacan), Amossy (Dalí ou le filon de la paranoïa) herausgestellt, die vor allem den Einfluss Dalís und des Surrealismus auf Lacan bekräftigen. Amossy stellt das umfangreiche Wissen Dalís in den Bereichen des Unbewussten, des Traums, der inneren Welten, über Freud und die Psychoanalyse dar. Diese Einflüsse können auch zahlreichen seiner (malerischen) Werke entnommen werden wie Wilhelm Tell und der darin vorhandene Ödipuskomplex. Freud hatte seinerseits ebenfalls v.a. in seiner Psychopathologie des Alltags das Positive der Paranoia herausgestellt. Die „freudianische Periode“ Dalís datiert Ferreira wiederum auf die Zeit ca. zwischen 1929 und 1937, die ,nukleare Periode‘ auf ca. 1947-1956 (Ferreira). Vgl. auch Cowles (Dalí, la vie d’un grand excentrique) und zu Lacan/Dalí: Gekle: Tod im Spiegel. 54 Gibson: Salvador Dalí, S. 270ff. Vgl. Lacan: De la psychose paranoiaque.
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tend die Abgrenzung der dalíschen Methode zum Automatismus einerseits und die Überschneidungen zwischen Dalí und Lacan andererseits (auch wenn er missverständlicherweise die Dalísche Paranoia als Gegenteil der Halluzination auffasst, obgleich Dalí selbst von ,willentlicher Halluzination‘ spricht): Die Paranoia, wie Dalí sie auffasst, ist durch ihren aktiven Charakter genau das Gegenteil der Halluzination. Sie ist Methode, sie ist Kritik. Sie hat präzise Bedeutung und eine phänomenologische Dimension. Innerhalb der surrealistischen Bewegung stellt sie sich gegen den Automatismus. Dieser Automatismus, der sich am spektakulärsten im automatischen Schreiben und den „exquisiten Kadavern“ äußert, jener Erfindung von Dalí, mit der die Surrealisten spielen, indem sie zu mehreren Sätzen oder Zeichnungen komponieren, wobei keiner weiß, was die anderen schon gemacht haben… Lacan seinerseits wendet sich in seiner Doktorarbeit gegen den Begriff des geistigen „Automatismus“ (einfache Homonymie), der aus der paranoischen Interpretation eine Antwort der Organe macht, er hingegen zieht eine phänomenologische Bedeutung vor. Vergleicht man diese beiden Thesen, so ergibt sich folgendes: Für Lacan ist das interpretierende Faktum schon Halluzination, aber diese Äquivalenz zwischen Halluzination und Interpretation ist das eigentliche Wesen des Phänomens. Gemeinsame Schlussfolgerung: Das Phänomen der Paranoia gehört dem pseudo-halluzinatorischen Typus an. Die erste Verbindung Dalí-Lacan wird vollzogen. Das von Dalí gewählte Beispiel – das Doppelbild – ist besonders geeignet, das paranoische Faktum zu enthüllen. […] Unbestreitbar ist jedoch, daß das Doppelbild aufs deutlichste die Konsubstantialität des Deliriums und des interpretierenden Faktums erscheinen läßt. Das Doppelbild läßt die radikale Unterscheidung (Interpretation und dann Delirium) der klassischen Konzeption überholt und unverständlich erscheinen. Die beiden Momente sind gleichzeitig und gehören demselben Typus an.55 Nicht zuletzt vermochte Dalí es, seine eigene Art von mystisch-hysterischer Paranoia in den stetig wiederkehrenden Bildern von Ameisen, Heuschrecken, Schubladen, etc. in seinen Vexierbildern zu materialisieren und sich so über das Sakrale und die spirituellen Dimensionen dem Absoluten, der Wahrheit zu nähern – auch hier in psychoanalytischer Manier: Der einzige Unterschied zwischen dem unsterblichen Griechenland und unserer Gegenwart ist Sigmund Freud, der entdeckt hat, daß der menschliche Körper, der zur Zeit der Griechen rein platonisch war, 55 Schmitt zit. nach Decharnes/Néret: Dalí, S. 303/304.
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heute voller geheimer Schubladen ist, die nur die Psychoanalyse zu öffnen imstande ist.56
Assoziations- und Vexierspiele Dalí eröffnet ein (Wahrnehmungs-)Spiel mit dem Rezipienten, den er in seiner Version der Menschenrechtserklärung57 auf sein Recht auf Verrücktheit aufmerksam macht und nicht selten mit diversen Abstrusitäten humorvoll überrascht. So kommt Dalí in „Projektion eines Rhinozerosarsches“58 zu der ,paranoisch-kritischen‘ Erkenntnis, dass das Rhinozeros „auf dem Hintern eine Art Spiralnebel aus logarhitmischen Kurven in Form einer Sonnenblume“59 trägt. Einerseits amüsieren, andererseits vexieren diese Assoziations- und Vexierspiele den Zuschauer nicht selten durch die ausgelösten Verwirrungen, da Dalí mit ihnen und seinen „Manipulationen von Perspektive, Raum, Maßstab und Licht […] ein Maximum an ‚optischer Unsicherheit‘ erzeugen“ wollte.60 Laut Gorsen löst v.a. der optische Verlust eindeutiger Konturen im Vexierbild die angestrebte Bewusstseinskrise aus.61 Auch Elisabeth Bronfen hebt einprägsam diese Verunsicherungen des Publikums in ihrer Studie zu Dalís Vexierspielen hervor: Man muss die widersprüchliche Mehrdeutigkeit der Erscheinungswelt ertragen, sich weder für den scheinbar banalen Baum des alltäglichen Blickes noch den dämonischen Bären der inneren Fantasiewelt ent-
56 Dalí zit. nach ebd., S. 276. Auch wenn es sich oftmals um einen ironischen Umgang handelt, ist Dalí wie erwähnt der Psychoanalyse wohl mehr als man zugeben möchte verhaftet, wovon u.a. auch seine Aussagen im Mystischen Manifest zeugen, in dem er deklariert, dass er die paranoisch-kritische Methode anwandte, „um diese Welt zu ergründen“ und „die verborgenen Kräfte und Gesetze der Dinge erkennen und verstehen [wolle], um sie zu beherrschen.“ Während es in der Psychoanalyse um Erkennen, Verstehen und Therapieren (Heilen) geht, geht es auch Dalí um Erkennen, Verstehen und Beherrschen – wenn auch mit einem andersgearteten Ziel und Umgang. 57 Vgl. Dalí: „Unabhängigkeitserklärung der Phantasie und Erklärung der Rechte des Menschen auf seine Verrücktheit“ [1939], in: ebd., S. 288-291. 58 Dalí zit. nach ebd., S. 305. 59 Dalí zit. nach ebd., S. 206. 60 Ades: Dalí, S. 128. 61 Vgl. Gorsen: Salvador Dali, der ‚kritische Paranoiker‘, S. 64.
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scheiden, sondern sich im Überschuss einrichten, den ein auf die Wandelbarkeit der Phänomene ausgerichteter Blick mit sich bringt.62 Und Bronfen führt weiter aus, dass sich „auch bei der Visualisierung der Magie des Geheimnisses – wie dies in Salvador Dalís Vexierbildern zutage tritt“ fragen lässt, „ob die schillernde Mehrdeutigkeit einer Gestalt dazu dient, eine unumgängliche Lücke im Wissen als blinden Fleck deutlich zu machen, oder dazu, einen Chiffrierungsvorgang ins Bewusstsein zu rücken, im Zuge dessen geheimes Wissen, in visuelle Formen übersetzt, lesbar gemacht wird.“63 Letztlich bestätigen diese Spiele ebenfalls, dass alle geschauten Bilder gleichwertig nebeneinander stehen – auch das eines Paranoikers – wie Dalí selbst anführt: All das ermöglicht mir […] zumindest die Behauptung, dass selbst die realen Vorstellungsbilder vom Grad unsrer paranoischen Fähigkeit abhängen und dass also theoretisch ein hinreichend mit der besagten Fähigkeit begabtes Individuum erleben könnte, wie ein der Wirklichkeit entstammender Gegenstand je nach Verlangen fortlaufend seine Gestalt verändert, ganz wie im Falle der willentlichen Halluzination, doch mit der im zerstörerischen Sinne schwerwiegenderen Besonderheit, dass die verschiedenen Formen, die der fragliche Gegenstand annehmen kann, für jedermann nachprüfbar und wiedererkennbar sein werden, sobald der Paranoiker ganz einfach auf sie aufmerksam gemacht hat.64 Denn für Dalí benutzt die Paranoia schließlich die „äußere Welt, um die obsessive Idee zu realisieren, mit der verstörenden Besonderheit, dass die Realität dieser Idee für andere geltend gemacht wird. Die Realität der äußeren Welt wird als Erläuterung und Beweis dienen und tritt in den Dienst der Realität unseres Geistes.“65
Dalís Medienspiele Für den spanischen Exzentriker entfesselt die paranoisch-kritische Methode – auch hier nicht selten im Sinne der Psychoanalyse – des Weiteren ein im Künstler oder Betrachter latent vorhandenes Wahnsystem mit den ,obsessiven 62 Bronfen, „Geheimnis, Macht und Tod: Dalís Vexierspiele“, S. 179. 63 Ebd., S. 172. 64 Dalí zit. nach: Ades: Dalí. 65 Dalí zit. nach: ebd., S. 127.
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Ideen‘, das vor allem im Kunstwerk visualisiert oder in diesem entdeckt werden kann. Dabei benutzt Dalí medienreflektiv das Bild eines Fotografieentwicklers als Metapher und verweist in diesem Sinne auf Walter Benjamins These der Fotografie als das „optisch Unbewusste“66 und Bretons Ausführungen der „écriture automatique als eine ‚wahre Fotographie des Denkens‘“67: In dem Maße, wie sich Zeitlupen- und Zeitrafferkameras verbreiten und wir uns daran gewöhnen, Eichenbäume aus dem Boden schießen und Antilopen durch die Luft schweben zu sehen, beginnen wir mit großer Erregung vorauszusehen, was diese Zeitspanne, von der die Leute reden, sein könnte. Bald wird uns der Ausdruck ,Soweit das Auge reicht‘ bedeutungslos erscheinen. Das heißt, wir werden den Ablauf von der Geburt bis zum Tod ohne auch nur zu blinzeln wahrnehmen, und wir werden unzählige Spielarten verfolgen.68 Dalí kommentiert die Idee des Fotografischen, indem er bestätigt, dass die kritische Aktivität [also..] lediglich wie ein flüssiger Entwickler von Bildern, Beziehungen, von systematischen Zusammenhängen und Finessen [wirkt], die im Augenblick des Wahnausbruches ausgeprägt und bereits existent sind, und allein die kritisch-paranoische Aktivität ermöglicht augenblicklich, diesen Grad von Wirklichkeit objektiv ins Licht zu rücken.69 Und er führt weiter aus, dass seine „Malerei […] die von Hand gefertigte farbige Fotografie der virtuellen, überfeinen, extravaganten, hyperästhetischen Bilder des konkreten Irrationalen [ist].“70 Neben solchen Gedanken zur fotografischen Beschaffenheit jener (Vexier)Bilder, zeigt sich bei Dalí stets eine hohe Medienreflexivität, die die aktive Teilnahme des Rezipienten am Kunstwerk und den Einfluss der Medien auf die Sinne und die Wahrnehmung phänomenologisch mit bedenkt. Immer wie-
66 Ades: Dalí, S. 123. Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, S. 50. 67 Breton zit. nach Ades: Dalí, S. 123, vgl auch Breton: „Max Ernst“ (1921), S. 177 und Dalí: „La dada fotográfica“, S. 40ff. 68 „André Breton beschrieb die écriture automatique als eine „wahre Fotographie des Denkens“ und fuhr in demselben, 1921 entstandenen Text fort, durch die Kamera eine neue Realität zu erkennen.“ Ades, S. 123. Breton, „Max Ernst“. Vgl. Zur Fotographie bei Dalí auch den Beitrag von Küchler in diesem Band. 69 Dalí zit. nach Gorsen: Salvador Dali, der ‚kritische Paranoiker‘, S. 38. 70 Dalí: So wird man Dalí, S. 303.
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der verdeutlicht Dalí die „Beziehungen zwischen Wahrnehmung, Vision und optischen Effekten“71, wovon seine Medienspiele zeugen. Die Werke wie die Vexierbilder Salvador Dalís erweisen sich im Zeitalter der technischen Massenmedien vor allem auch als äußerst ,medial‘ angelegte Elemente wie imposante Umsetzungen mit den neusten Techniken beweisen: Deutlich wird dies in Inszenierungen wie El café de chinitas des Spanischen Nationalballetts, in der die lyrischen Texte Lorcas mit Flamencoelementen durchsetzt und mit den verschiedensten Fragmenten des dalíschen Œuvres verknüpft werden. Es wird aus dem umfangreichen Figurenrepertoire Dalís geschöpft und seine für die Inszenierung gefertigte Bühnendekoration eingesetzt (Abb. 12/13).
Abb. 12: Bühnendekoration für das Ballet Café de chinitas, 1943.
71 Ades: Dalí, S. 123. Vgl. auch die Beschäftigung Dalís mit der Holographie: http://www.aec.at/de/archives/festival_archive/festival_catalogs/festival_artikel. asp?iProjectID=9348.
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Abb. 13: Bühnendekoration für das Ballet Café de chinitas, 1943.
Die Motive und Stoffe des paranoiden Universums des spanischen Künstlers eröffnen ein mediales Spektakel auf der Bühne und gleichzeitig im Kopf des Zuschauers. So fliegen Brote herum, das berühmte Vexierbild des ,weiblichen‘ Totenkopfes (Abb. 14.) erscheint im Hintergrund, wird herangezoomt und scheint den Zuschauer zu verschlingen. Dann erst erkennt man im Einzelnen die nackten Frauenkörper bis schließlich ein dunkles Loch fokussiert wird, das sich als weibliches Geschlecht herausstellt und in das man sich abermals zu verlieren scheint. Wie Husmeier anführt, werden Dalís Werke schließlich „aufgrund der sukzessiv wahrnehmbaren Vieldeutigkeit zu einer visuellen Entdeckungsreise“72, bei der der Betrachter immer wieder aufgefordert wird, „in beliebige Gegenstände andere hineinzusehen bzw. das Gesehene mit Assoziationen anzureichern.73
72 Husmeier: „Dalís Doppelbilder“, S. 24. 73 Vgl. Soby: „Das unsichtbare Objekt“, S. 246.
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Abb. 14: Salvador Dalí: Weibliche Körper bilden einen Totenkopf (Gouache), 1951.
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Santa Teresa de Jesús: La vida de la Santa Madre Teresa de Jesús y algunas de las mercedes que Dios le hizo, http://www.cervantesvirtual.com/servlet/ SirveObras/08146196599770551867857/p0000002.htm#32. Soby, James Thrall: Salvador Dali, New York 1946.
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Nanette Rißler-Pipka
Gala-Gradiva: Therapeutin und Muse – Kritik und Paranoia Dalís Verbindung von Gala und Gradiva bringt die vielleicht berühmtesten beiden Musen des Surrealismus in einer Figur zusammen: Gala als geheimnisvoll machtvolle Gefährtin von Max Ernst, Paul Eluard und zuletzt von Dalí und Gradiva als imaginär-intermediales Gebilde aus Skulptur, Relief, Text, Bewegung, Traumbild, den Ruinen Pompejis entstiegen und in zahlreichen surrealistischen Werken verewigt. Der Mythenbildung um die Russin Helena Ivanova Diakonova (alias Gala) muss hier nichts hinzugefügt werden.1 Auch wenn es sich bei Gala um eine historische und bei Gradiva um eine fiktionale Figur handelt, sollen hier beide gleich behandelt werden – zumal sie in der symbiotischen Zusammenführung durch Dalí ohnehin beide einen fiktionalen Status erhalten. Gleiches gilt daher auch für Dalí selbst, der sich in seinen Werken – vor allem in La vie secrète... – unentwegt neu erfindet und hier nicht wie so oft als pathologischer Fall behandelt werden soll. Das bedeutet weiterhin, dass alle biographischen Fragen um das Verhältnis zwischen Gala und Dalí, wer wen dominierte und welchen Anteil Gala am kommerziellen oder künstlerischen Erfolg hatte, nicht zum Erkenntnisinteresse dieses Beitrags zählen.2 Vielmehr soll anhand von Dalís Texten, die er Gala widmet oder in denen er von ihr schwärmt (La femme visible, L’amour et la mémoire und La vie secrète de Salvador Dalí) sowie den Gradiva-Bildern und vor allem dem L’homme invisible die Kreation einer Gala-Gradiva-Figur nachvollzogen werden, die maßgeblich zur Entwicklung der paranoischkritischen Methode beitrug. Wie schon an der Auswahl der Texte und Bilder ablesbar, führt Dalí den Grad der semantischen und medialen Vermischung 1
Da Gala großen Anteil an der gemeinsamen Inszenierung des Paares Gala-Dalí hatte, reizt ihr Leben zahlreiche populärwissenschaftliche Autoren, wie z.B. McGirk: Gala. Die skandalöse Muse, der behauptet, Dalí sei nach Galas Tod verhungert, da sie ihn vor der Angst, am Essen zu ersticken, zeitlebens befreit habe (ebd., S. 12). Dalí überlebte seine Frau immerhin 6 Jahre. Auch die jüngste Aufführung der Oper GalaGala (Marc Aurel Floros, Uraufführung März 2006, Köln, Museum Ludwig) mit einem Libretto von Elke Heidenreich zeugt von dieser Herangehensweise – belegt aber auch, wie weit die eigene Inszenierung des Paares Gala-Dalí bis heute erfolgreich nachwirkt.
2
Diese Verbindung zwischen Leben und Werk findet sich allerdings in fast allen Untersuchungen zu Dalí, z.B. bei Gorsen: „Der ‚kritische Paranoiker‘“; Gibson: The Shameful Life of Salvador Dalí, oder jüngst bei Delassein: Gala pour Dalí.
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von Text und Bild, männlich und weiblich, Thearpie und Delirium, Autobiographie und Fiktion sowie Körper und dessen Entgrenzung im Traum auf die Spitze. Das intermediale Wechselspiel zwischen Text und Bild wird verknüpft mit einer freien Kombination von Gegensatzpaaren, die Realität in Surrealität verwandeln. Dabei verlässt Dalí die dem logos unterworfene Realität nicht, sondern behält sowohl mediale Trennungen als auch Gattungs- oder Geschlechtergrenzen zumindest dem Namen nach bei und bezieht sich auf die psychoanalytische Methode. Wie eine nähere Betrachtung der Werkbeispiele zeigt, werden auf diese Weise von Dalí zahlreiche falsche – weil nur scheinbar logische – Fährten ausgelegt, die zu einem ähnlichen „délire de l’interpretation“3 führen wie er es selbst als kreative Methode favorisiert. Im Folgenden soll zunächst die Vorgeschichte der Gradiva-Rezeption im Surrealismus skizziert werden, um dann zu den Einzelanalysen bei Dalí zu kommen.
Gradiva im Surrealismus Wilhelm Jensens kurze Erzählung Gradiva (1903) wäre ohne Freuds berühmte Analyse „Der Wahn und die Träume in W. Jensens Gradiva“ (1917) vermutlich in Vergessenheit geraten.4 So war es auch eher Freuds nachträglicher Text und der mythologische Kontext, der die Surrealisten faszinierte, als die Erzählung selbst. In der surrealistischen Rezeption lassen allerdings Breton, Duchamp, Dalí und Masson sowohl Freud als auch Jensen weit hinter sich.5 Bei Jensen und Freud ist die Gradiva zwar eine verlebendigte ‚Traumfrau‘, deren Belebung durch die Betrachtung eines antiken Reliefs initiiert wird (vgl. Abb. 1), bleibt aber eingebettet in einen rationalen, biografisch-psychologischen Kontext. In Jensens Erzählung lässt die Betrachtung des Reliefs, das eine voranschreitende junge Frau abbildet, den Archäologen Hanold nicht mehr los und verfolgt ihn bis in seine Träume. Er nennt sie „Gradiva“ nach dem griechischen Kriegsgott „Mars gradivus“, „Mars, der in den Krieg zieht“. Fortan unfähig weiter seiner wissenschaftlichen Betätigung nachzugehen, zieht
3
Vgl. Dalí: Unabhängigkeitserklärung der Phantasie und Erklärung der Rechte des Menschen auf seine Verrücktheit, S. 140.
4
Vgl. Chadwick: Women Artists and the Surrealist Movement, S. 54 oder dies.: Myth in Surrealist Painting, S. 78. Chadwick betont außerdem, dass erst C.G. Jung Freud zu der Analyse anregte.
5
Zu einer genaueren Analyse der unterschiedlichen „Gradiven“ bei Breton, Duchamp und Masson vgl. Rißler-Pipka: „La statue vivante – les métamorphoses de la Gradiva surréaliste“.
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es ihn nach Pompeji, wo er in den Ruinen die verlebendigte Gradiva trifft. Wie sich allerdings herausstellt, handelt es sich um seine Jugendfreundin Zoë Bertgang,6 deren Existenz er ebenso wie sein Begehren verdrängt hatte. Letzteres erläutert Freud in seiner Analyse und bezeichnet Zoë als Therapeutin Hanolds, die ihn behutsam von seinem Traum und Wahn befreit und sich selbst als ‚natürliches‘ Objekt seiner Begierde anbietet.7 Von Alpträumen und Halluzinationen erlöst, kann Hanold am Ende glücklich seine Zoë heiraten.
Abb. 1: Gradiva, Relief, Museo Vaticano, Rom. 6
Der Vorname Zoë entspricht im Griechischen dem „Leben“ und der Nachname „Bertgang“ enthält das Wort „Gang“ und stellt damit eine Verbindung zur Gardiva als Lebendige und Gehende her. In Dalís La vie secrète... und auch in zahlreichen Beispielen aus der Sekundärliteratur wird leider „Bertrand“ oder „Bertrang“ statt „Bertgang“ geschrieben und damit die Doppeldeutigkeit eingebüßt (vgl. Dalí: Das geheime Leben des Salvador Dalí, S. 290).
7
Vgl. Freud: Der Wahn und die Träume in W. Jensens ‚Gradiva‘, S. 115f., 139 und 141ff. vgl. dazu auch Jeffett: „El amor y la memoria en Gradiva“, S. 25: „Para Freud, Gradiva es más que un símbola de la represión de recuerdos enterrados: es una alegoría de la curación terapéutica.“
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Gerade diese Beruhigung und Wiederherstellung der Ordnung liegt den Surrealisten fern. Vielmehr sind sie fasziniert von der Bewegung der voranschreitenden Unbekannten, die auf Baudelaires berühmte Frauenfigur in À une passante verweist und in der Literatur- und Kunstgeschichte zahlreiche Schwestern hat.8 Im Unterschied zu Baudelaire betont Breton mit „Gradiva: Celle qui avance...“9 nicht die Flüchtigkeit der vorüberschreitenden Schönheit, die sich im nächsten Augenblick in der Masse auflösen wird, er sieht in ihr eher eine Figur, die vorwärts schreitet und die Zukunft ankündigt mit all ihren Versprechen, Geheimnissen und Ängsten. Die Gradiva ist nicht die „beauté fugitive“, sondern Breton spricht von „la beauté de demain, masquée encore au plus grand nombre et qui se trahit de loin au voisinage d’un objet, au passage d’un tableau, au tournant d’un livre“.10 Auffällig ist, dass die surrealistische Gradiva offenbar bereits von ihrer Konzeption her intermedial angelegt ist. Schon bei Jensen entsteigt die schreitende Gradiva dem Relief, um in Hanolds Träumen ebenso wie in seinen scheinbaren Halluzinationen als verlebendigtes Bild wieder aufzutauchen. Während Hanolds Träume ihn jedoch in seiner wissenschaftlichen Kreativität behindern, wird die Gradiva der Surrealisten zur Muse schlechthin, die als bewegliches Schattenbild zugleich Projektionsfläche als auch Gefahr bedeutet.11 Die Schatten deuten zudem auf die mythologische Bedeutung der Muse oder Sirene und auf einer medialen Ebene auf den Film hin. Ein Schattenumriss formte außerdem die von Duchamp entworfene Glastür zur Kunstgalerie „Gradiva“, die Breton 1937 eröffnete.12 Zu diesem Zeitpunkt konnte Dalí schon auf eine intensive Beschäftigung mit dem Gradiva-Motiv zurückblicken, das ihn in besonderer Weise zu intermedialen Verbindungen in seinem Werk inspirierte.13 Dalí kommentiert diese Schatten- oder Scherenschnitt-Tür von 8
Vgl. Hülk: „Fugitive beauté – Spuren einer intermedialen Laune und Leidenschaft“.
9
Breton: „Gradiva“, S. 672.
10 Ebd. 11 Vgl. ebd., S. 675: „Comme le soufflet qui fait communiquer deux wagons d’un train, ces ombres que vous aimez vous attendent pour vous guider au seuil de Gradiva.“ 12 Vgl. zur Galerie von Breton Chadwick: Women Artists in the Surrealist Movement, S. 50. Ein Schattenumriss ist es übrigens auch, der nach Plinius als Beginn der Malerei angesehen wird, vgl. dazu Wetzel: Die Wahrheit nach der Malerei, S. 22. 13 Auch wenn als Referenz für die erstmalige Beschäftigung der Surrealisten mit dem Gradiva-Motiv in der Sekundärliteratur zumeist die französische Erstübersetzung des Textes von Freud und Jensen von 1931 angegeben wird, ist es möglich, dass Dalí die frühere spanische Übersetzung kannte (von Luis Lopez-Ballesteros y de Torres, 1923). Während Gibson diese Vermutung unterstützt, wird sie im Aus-
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Duchamp mit einem ähnlichen Porträt, das seine eigenen und Galas Umrisse zeigt und durch die Rahmung außerdem Magrittes typische Rahmungen im Bild zitiert (vgl. Abb. 2). Auch durch diese verspielte Replik auf andere surrealistische Werke inszeniert sich bereits das Paar Gala-Dalí mithilfe der Gradiva.
Abb. 2: Salvador Dalí: Couple aux têtes pleines de nuages, 1936, Öl auf Holz, 92,5 x 69,5 cm und 82,5 x 62,5 cm, Stichting tot Beheer Museum Boijmans Van Breuningen, Rotterdam.
stellungskatalog Die Jahrhundert-Retrospektive (vgl. Ades, S. 179) für unwahrscheinlich erklärt. Einziges Argument ist hier jedoch, dass sich Dalí erst ab 1930/31 in Gemälden u. Zeichnungen mit dem Motiv auseinandersetzte – seine Texte werden dabei außer Acht gelassen und auch die Gradiva-Figuren in L’homme invisible (1929) zeugen von einer früheren Beschäftigung mit dem Thema. Letzteres ist aber aufgrund des längeren Entstehungszeitraums ebenfalls umstritten (vgl. dazu Jeffett: „El amor y la memoria en Gradiva“, S. 14). Außerdem erklärt Dalí in La vie secrète..., dass er Jensens Erzählung noch vor Freuds Analyse gekannt habe und Gradiva daraufhin sofort mit seiner Frau Gala identifizierte (vgl. Dalí: Das geheime Leben des Salvador Dalí, S. 283). Da er Gala aber erst 1929 kennenlernte, müsste die Lektüre Freuds nach diesem Zeitpunkt liegen. Inwieweit man auf Dalís autobiografischen Angaben vertrauen darf, ist in diesem wie in allen anderen Punkten aber äußerst fraglich.
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L’homme invisible – la femme visible Es ist müßig festzustellen, ob Dalí erst im Nachhinein in seiner Pseudo-Autobiographie La vie secrète... (1942) Gala zur Gradiva erklärte oder ob er seit Beginn ihrer Beziehung diese Verbindung zog. Festhalten kann man jedenfalls, dass Dalí 1930 sowohl an dem Bild L’homme invisible als auch am Text La femme visible arbeitete und etwa zur gleichen Zeit eine feste Beziehung mit Gala einging.14 Dalí publizierte mit La femme visible sein erstes Buch, das die drei Aufsätze „L’âne pourri“ („Der Eselskadaver“), „La chèvre sanitaire“ („Die Sanitätsziege“), „L’amour“ („Die Liebe“) und das Gedicht „Le grand masturbateur“ („Der große Masturbator“) enthält.15 Die Medien (Bild und Text) und die Geschlechter (Mann und Frau) bleiben formal betrachtet getrennt. Dem Mann wird ein Bild und der Frau ein Text gewidmet. Doch schon an den Titeln lässt sich eine kulturgeschichtliche Verwirrung ablesen. So wird der Frau traditionell das Bild und Sprachlosigkeit zugeordnet, während dem Mann das Wort gehört und er immerhin insofern sichtbar ist wie er als sehend und klar abgrenzbar definiert gilt. Die Frau dagegen ist zwar im Bild sichtbar, vertritt aber dennoch das Geheimnis schlechthin und bleibt damit das fliehende, sich verflüchtigende, sich verschleiernde Element.16 Abgesehen davon widerspricht die Betitelung eines Textes mit La femme visible und eines Bildes mit L’homme invisible schlicht den Eigenschaften des jeweiligen Mediums. Die Erwartungshaltung der Betrachter und Leser wird auf diese Weise doppelt enttäuscht. Die Täuschung und Enttäuschung betreibt Dalí angelehnt an die Dialektik des engaño und desengaño innerhalb von Text und Bild weiter – mit dem Unterschied, dass die ‚Ent-täuschung‘ uns nicht in eine göttliche Ordnung überführt wie dies in der spanischen Tradition des siglo de oro üblich ist. Die wahnhafte Täuschung Hanolds in Jensens Erzählung wird dagegen nach einer solchen Dialektik aufgelöst. Er erfährt ein Erwachen, ein desengaño als Zoë ihm die Augen öffnet. Der Text La femme visible ist zudem nicht reiner Text, sondern mit zahlreichen Bildern illustriert oder steht mit ihnen in Verbindung, wie beispielsweise
14 Vgl. Parcerisas: Dalí, S. 453. 15 Im Folgenden zitiere ich aus der deutschen Übersetzung von Brigitte Weidmann in: Dalí: Unabhängigkeitserklärung der Phantasie und Erklärung der Rechte des Menschen auf seine Verrücktheit, S. 128-156. 16 Zu diesen gender-Kategorien gibt es zahlreiche Untersuchungen von denen hier nur wenige angeführt werden können, auf die ich aber auch in Rißler-Pipka: Das Frauenopfer in der Kunst und seine Dekonstruktion, eingehe. Vgl. z.B. Barta u.a.: Frauen – Bilder – Männer – Mythen; Bovenschen: Die imaginierte Weiblichkeit; Calle: Über das Weibliche.
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mit dem Âne pourri (1928) oder dem Grand masturbateur (1929) und Guillaume Tell et Gradiva (1932). Eröffnet wird der Text mit einer Fotografie, die Galas Gesicht in Großaufnahme zeigt (vgl. Abb. 3, der Fotograf wird von Dalí verschwiegen), und einer Widmung „À Gala Eluard“, womit Dalí explizit darauf hinweist, dass Gala zu diesem Zeitpunkt noch mit Eluard verheiratet war. Wenn überhaupt etwas aus diesem Werk die Versprechungen des Titels einlöst, dann ist es diese Großaufnahme Galas, die eine „sichtbare Frau“ zeigt, deren Augen unerbittlich auf die Betrachter gerichtet sind und deren Ausdruck ganz konträr zu demjenigen der hysterischen Frauen in Dalís Collage Le phénomène de l’extase (1933) ist.17 Galas Blick ist es auch, der schon Eluard faszinierte und den Dalí in L’amour et la mémoire besonders huldigt (s.u.).18 Der durchdringende Blick wurde von Max Ernst nochmals zugespitzt dargestellt, indem er die Fotografie auf den Ausschnitt des Augenpaares reduzierte und bereits 1925 unter dem Titel La femme visible abbildete.19 Dieses Werk wählt Dalí als Abbildung für den Buchdeckel und gemeinsam mit dem Frontispiz, das Gals Gesicht in Gänze zeigt, erinnet es an ein Versteckspiel aus Kinderbüchern, bei dem zunächst nur ein Ausschnitt des dahinter liegenden Bildes zu sehen ist und erst beim Umblättern das ‚Geheimnis‘ gelüftet wird.
17 Vgl. zu diesem Werk und der Hysterie-Begeisterung der Surrealisten Maurer Queipo: „‚À la recherche d’images susceptibles de nous extasier‘“; vgl. auch Hülk: „Jacques Lacans surrealistische Liaison/Läson“. 18 Vgl. Fernández Molina: Dalí, S. 77: „Eluard ya había dicho que ‚la mirada de Gala es capaz de atravesar las paredes‘, pero fue Dalí quien se sentió más intensamente fascinado y atraido.“ 19 Im Ausstellungskatalog Ades: Dalí, S. 483 und in zahlreichen anderen Quellen (auch jüngst im Katalog der Kölner Dalí-Ausstellung: Kolberg: Salvador Dalí: La Gare de Perpignan, S. 250) wird die zugrundeliegende Fotografie Man Ray zugeschrieben und auf das Jahr 1927 verlegt. Max Ernst hat aber nachweislich das Augenpaar aus dieser Fotografie für sein Werk La femme visible 1925 genutzt. Das Werk von Ernst befindet sich in der Privatsammlung Courtsey Blondeau & Associés S.A., Paris (nachgewiesen z.B. im Ausstellungskatalog: Lampe: Die unheimliche Frau, S. 185). Vermutlich müsste die Man Ray-Fotografie Galas statt auf 1927 auf 1924 datiert werden. Diese Angabe findet sich aber nach meinen Recherchen nur im Katalog zur Hamburger Fotografie-Ausstellung: Schneede: Begierde im Blick, S. 96 u. S. 214. Dalí nutzte die Fotografie Galas außerdem 1932 nochmals um darauf handschriftlich einige Zeilen aus seiner englischen Fassung des La vie secrète... zu notieren. Es sind genau jene ironischen Beschreibungen seiner Frau, die sie mit dem Metro-Goldwyn-Meier-Löwen vergleichen (vgl. unten Anm. 28 und Kolberg: Salvador Dalí: La Gare de Perpignan, S. 106 u. S. 250).
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Abb. 3: Titelabbildung zu Dalís La femme visible, Fotografie Man Ray, 1927.
Abb. 4: Frontispiz von Salvador Dalí, in: La femme visible, 1930, Zeichnung.
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Die Zeichnung Dalís, die auf der Erstausgabe als Frontispiz gewählt wird (vgl. Abb. 4), entstammt dagegen einer Serie von Zeichnungen, zu denen auch einige der Gradiva gehören und die zum Teil Vorstudien zu L’homme invisible sind. Die eingangs platzierte Zeichnung stellt eine unendliche Metamorphose von ineinander verwachsenen Körpern und Körperteilen dar, die an Orgien- und Höllendarstellungen beispielsweise von Hieronymus Bosch denken lassen. Auch Dalís Gemälde Le Grand Masturbateur (1929), das in La femme visible als Gedicht wiederaufgenommen wird, ist ein direktes Zitat aus dem Bosch-Gemälde Der Garten der Lüste (um 1500).20 Die Fetischisierung einzelner Körperteile und die blasphemische Geste durch das Zitieren bekannter religiöser Riten oder Bilder schließt außerdem an ähnliche Darstellungen aus L’homme invisible (vgl. Abb. 5) an. Eine solche Abfolge unendlicher Metamorphosen des Körpers, die sich zugleich verdoppeln, in der Fetischisierung fragmentieren und in der Masse zerfließen, machen den Körper und sein Geschlecht gleichzeitig sichtbar und unsichtbar. Der homme visible setzt sich aus Teilen der anthropomorphen Landschaft, Architektur und Schmuckstücken zusammen; sein rechter Arm und die Schulter werden von einem weiblichen Rückenakt geformt. Insgesamt scheint dieser Mann, dessen Haarschopf von gelben Wolken gebildet wird, mehr weibliche Attribute als männliche zu besitzen. Hauptanteil seines Körpers ist das Wasser – ein traditionell weiblich konnotiertes Element – und auch sein eigentliches Geschlecht ist nicht klar als männlich zu erkennen. Ein See geht von der Mitte des Körpers aus, mündet in einen Wasserfall und verleiht schließlich den Beinen Form. Die auf Hüfthöhe befindliche Formation aus schwarzem Lavagestein oder flüssigem Material, in das sich die beringten Hände krallen, formt zwar ein geschlechtliches Merkmal, doch je nach dem, ob man nun die dunkle oder helle Fläche fokussiert, kann man ebensogut weibliche wie männliche Geschlechtsmerkmale darin sehen. Die an den Füßen befindliche Zunge lässt schließlich das Beine-Wasserfall-Gebilde als einen überdimensionierten Hals erscheinen. Der Mann ist im Bild ebenso wie die Frau im Text gleichzeitig sichtbar und unsichtbar. Eine Verbindung zwischen Bild und Text stellen auch die beiden Gradiva-Figuren am rechten Bildrand her. Denn sie verweisen neben dem Titel zusätzlich auf Jensens Erzählung, Freuds Analyse, Gala und die femme visible.
20 Vgl. Abbildungen, Nachweis und Bildanalyse in Ades: Dalí, S. 116f.
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Abb. 5: Salvador Dalí: L’homme invisible, 1929-32, Öl auf Leinwand, 140 x 81 cm, Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía, Madrid.
Im Text beschreibt Dalí in einem pseudowissenschaftlichen Stil die kritisch-paranoische Methode, die solche Bilder ermöglicht. Durch einen eindeutig paranoischen Vorgang ist es möglich geworden, ein doppeltes Vorstellungsbild zu erhalten: das heißt die Darstellung eines Gegenstandes, die ohne die mindeste figürliche oder anatomische Veränderung gleichzeitig die Darstellung eines anderen, völlig verschiedenen Gegenstandes ist.21 Wenn sich „figürlich oder anatomisch“ nichts am Gegenstand ändert und er dennoch ein völlig anderer wird, muss man sich fragen, wo und in welcher Form diese Metamorphose stattfindet. Im Bild des Gegenstands selbst darf sich nach Dalís Vorschlag strenggenommen nichts verändern, auch wenn er sich selbst nicht daran hält und das verdoppelte Vorstellungsbild bereits die paranoische Veränderung abbildet (z.B. in Communication: visage paranoïaque, 1931). Vom Medium her betrachtet vollzieht sich die Veränderung jedoch nicht so sehr im Bild selbst, sondern in der Vorstellungswelt des betrachtenden „Paranoikers“, die sich vor allem in Dalís Texten entfaltet.
21 Dalí: „Die sichtbare Frau“, S. 132.
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Während Hanold in Jensens Erzählung von der Betrachtung eines Reliefs ausgehend, die Frauenfigur zunächst in seinen Träumen und Wahnvorstellungen verdoppelt, sie schließlich in der lebendigen Frau verwirklicht sieht, um dann jedoch von Zoë zur Reduktion auf eine einzige, überprüfbare Vorstellung zurückgeführt zu werden, geht Dalí anders vor. Es lässt sich nicht mehr entscheiden, was zuerst da war, die Fantasie oder die Frau. Er sieht sich einer bereits lebendigen, realen Frau gegenüber (Gala), die ihn aber zu so zahlreichen Traum- und Wahnbildern anregt, dass sie mit diesen verschmilzt und ein nicht mehr entwirrbares intermediales Geflecht aus (angeblichen) Kindheitserinnerungen, Dalís eigener und Galas Persönlichkeit, Frauen- und Männerbildern und sexuellen Obsessionen in Bild und Text wird. Dabei ist anzumerken, dass sämtliche genannten Elemente argumentativ zwar stark an Dalí gebunden werden, jedoch ebensogut frei erfunden sein können. Er stilisiert sich als Patient (Paranoiker) und Analytiker (Kritiker) in einer Person.22 Die Erforschung des Unbewussten und die sich daraus ableitende psychoanalytische Therapie dient bei Dalí nicht der Wiederherstellung eines ‚normalen‘, geordneten und rational-gesunden Zustands, sondern wird als générateur einer surrealen Vorstellungswelt angesehen. Es handelt sich um eine kreative Methode, die den Wahn und seine Analyse, das Delirium und dessen Interpretation als Zugang zu einer surrealen Traumwelt begreift. Statt ihn zu erlösen, befördert diese Methode und ihre Inkarnation „Gala“ auch die von Dalí gefeierten Obsessionen sexueller, skatophagischer und nekrophiler Natur. Er vermag in einem Eselskadaver „den blendend harte[n] Widerschein neuer Edelsteine“23 zu entdecken. Die Entstehung von neuem (Leben, Schönheit, etc.) aus dem Sterbenden ist keine Erfindung Dalís, sondern geht – wie ihm wohl bewusst ist – bis auf Ovids Metamorphosen zurück. Entscheidend ist für Dalí jedoch die Willkür der Werteinteilung und die Verwandlung durch paranoisch-kritische Verdoppelung. Weit über den banalen Tabubruch hinaus, stellt er in La femme visible wahrnehmungstheoretische und -ästhetische Überlegungen an, die bis in unser heutiges ‚Medienzeitalter‘ hineinreichen und ganz nebenbei auch gendertheoretisch interessant sind. Wie die Titel des Paares Bild (L’homme invisible) und Text (La femme visible) zugleich versprechen, geht es um Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit der Geschlechter. Es könnte aber auch ebensogut heißen wie ein weiteres Gemälde Dalís das in La femme visible theoretisch schon vorwegge22 Vgl. dazu auch Breton: Anthologie de l’humour noir, S. 409: „La grande originalité de Salvador Dali est de s’être montré de force à participer à cette action à la fois comme acteur et comme spectateur, d’avoir réussi à se porter mi-juge, mi-partie au procès intenté par le plaisir à la réalité. En cela consiste l’activité paranoïaque-critique“. [Kursiv im Original] 23 Dalí: „Die sichtbare Frau“, S. 134.
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nommen wird: Dormeuse, cheval, lion invisibles (1930). Die Figuren werden im fraglichen Bild tatsächlich erst aufgrund ihrer Benennung im Titel und der daraus resultierenden ‚Suche‘ nach ihnen durch die Betrachter sichtbar. Ähnlich verhält es sich mit dem homme invisible, der weniger versteckt ist, aber doch erst im Kopf der Betrachter (re)konstruiert werden muss. Um den Effekt exemplarisch zu verdeutlichen, malt Dalí das Bild auch in einer ‚sichtbaren‘ Variante unter dem Titel Dormeuse, cheval, lion (1930, vgl. Abb. 7).
Abb. 6-7: Salvador Dalí: Dormeuse, cheval, lion invisibles und Dormeuse, cheval, lion, 1930, Öl auf Leinwand, 50,2 x 65,2 cm, Musée National d’Art Moderne, Centre Pompidou, Paris; Öl auf Leinwand, 60,6 x 70,7 cm, Pola Museum of Art, Pola Art Foundation, Kaganawa.
Wie malt man das Unsichtbare und schreibt das Sichtbare? Es ist sicher kein Problem, etwas sichtbar zu machen, was für andere unsichtbar ist, wie etwa ein
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Traumbild zu malen oder im Text durch geschickte Metaphorik ein Vorstellungsbild beim Leser zu erzeugen. Darum geht es bei Dalí jedoch nur am Rande. Vielmehr soll das Unsichtbare und damit scheinbar Nicht-Wirkliche sich als neue Wirklichkeit manifestieren. Diese neuen, bedrohlichen Wahnbilder werden mit der Deutlichkeit körperlicher Tageserscheinungen eine geschickte, ätzende Wirkung ausüben24 Bedrohlich sind die Wahnbilder gerade aufgrund ihrer Unsichtbarkeit. Da sie von jedem beliebigen Gegenstand und aus „kontrollierbarer, wiedererkennbarer“25 Materie abgeleitet werden können, verschmelzen die Wahnbilder mit der Realität und machen es – zumindest in der Wunschvorstellung Dalís – ganz unmöglich, nicht an Edelsteine zu denken, wenn wir einen Eselskadaver sehen, oder nicht an eine schlafende Frau, wenn wir ein Pferd sehen. Auch wenn Dalís zum Stilmittel erhobene Verbindung seines Werks und seiner Persönlichkeit dies nahelegt, sagen die von ihm vorgeschlagenen paranoischen Verknüpfungen nichts über sein Unbewusstes, verdrängte sexuelle Begierden o.ä. aus, sondern stellen eine möglichst willkürlich und zugleich provozierende Beziehung zwischen Sichtbarem und Unsichtbarem her. Denn, so argumentiert Dalí: „Gerade infolge mangelnden Zusammenhangs mit der Wirklichkeit und des willkürlichen Charakters ihrer Anwesenheit können Wahnbilder leicht die Gestalt der Wirklichkeit annehmen“.26 Dies trifft auch auf Gradiva aus Jensens Erzählung zu und auf die Gradiva, die Dalí mit Gala verschmelzen lässt. Im Grunde ein Wahnbild und in jedem Fall eine ‚Traumfrau‘, findet Gradiva doch in beiden Fällen eine Entsprechung in der Wirklichkeit. Dabei übersehen Jensen und Freud, dass es irrelevant ist, ob diese wirkliche Frau (Zoë oder Gala) tatsächlich eine Jugendfreundin des Träumenden (oder Paranoikers) ist, oder ob es sich um eine reine Projektion handelt, die im Fall Dalís nicht einmal ursächlich mit einer verdrängten Begierde verbunden werden kann. Im Gegenteil widerspricht die von Freud ausformulierte und bei Jensen nahegelegte Begründung, Hanold erzeuge wegen eines unterdrückten Begehrens gegenüber seiner Jugendliebe die Wahnvorstellung „Gradiva“, dem Dalí’schen Konzept. Gerade von der Raserei und der traumatischen Natur der Wahnbilder angesichts der Wirklichkeit und dem Fehlen auch der schwächsten 24 Ebd., S. 131. 25 Ebd. 26 Ebd., S. 133.
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Osmose zwischen dieser und den Wahnbildern schließen wir auf die (poetische) Unmöglichkeit jeder Art von Vergleich.27 Das hindert Dalí allerdings nicht daran, für sich selbst eine solche Kausalität herzustellen, indem er Gala-Gradiva in La vie secrète de... als seine (fiktive) Jugendliebe Galuschka identifiziert. Dass es sich hier jedoch um eine Parodie auf Jensen und Freud handelt, lässt sich schon daran ablesen, dass neben Galuschka auch noch Dullita eine weitere Jugendliebe Dalís darstellt und Gala sich in den zahllosen Personifikationen verliert.28 Noch weiter als eine „frühkindliche Phase“, in der sich ein Begehren entwickelt, führt Dalí sein eigenes Begehren bis vor seine Existenz zurück und behauptet, er habe Gala schon geliebt und gekannt, als er noch gar nicht geboren sei.29 Interessant ist in La femme visible zunächst, dass die Wahnbilder zwar von einem in der Wirklichkeit betrachtetem und demnach sichtbaren Gegenstand ausgelöst werden, selbst jedoch nichts mit diesem Objekt zu tun haben und dennoch die Wirklichkeit nachhaltig verändern. Bezogen auf Gala-Gradiva bedeutet dies, dass Gala als die „sichtbare Frau“ nur der Auslöser für die Gradiva-Wahnbilder ist. Es funktioniert also genau umgekehrt als bei Jensen: Dalí sieht nicht wie Hanold ein unbelebtes Relief einer schreitenden, geheimnisvollen Frau, die von nun an wie ein Gespenst seine Träume ebenso wie die Ruinen Pompejis durchstreift, sondern er lässt sich von der lebenden Gala in der Weise ‚therapieren‘, dass er seine ‚Paranoia‘ vertiefen und noch vielfältigere Wahnbilder sehen kann.30 Gala befreit Dalí nicht von der Paranoia, sondern befördert diese. Die angebliche Heilung von seinen Lachanfällen durch Gala, die Dalí in La vie secrète... behauptet, kann ebenso wenig nachgeprüft werden wie die zahlreichen anderen pseudo-biografischen Details in diesem Werk, während die Vertiefung und Pflege seiner paranoischen Fähigkeiten anhand der Werke bewundert werden können.31 Wenn Gala die „sichtbare Frau“ ist, die im Text selbst keine Erwähnung findet, inszeniert sich Dalí als der „unsichtbare Mann“, den sie durch die paranoisch-kritische Methode erst zum ‚Erscheinen‘ bringt. Das legt zumindest die
27 Ebd. [Kursiv im Original]. 28 Vgl. Dalí: Das geheime Leben des Salvador Dalí, S. 301: „Ich nenne meine Frau Gala, Galuschka, Gradiva […] Olive […] mitsamt den verrückten Ableitungen Olihuette, Orihuette, Burihueteta […]. Ich nenne sie auch Lionete (Löwchen), weil sie brüllt wie der Metro-Goldwyn-Mayer-Löwe, wenn sie wütend wird; Eichhörnchen, Tapir...“ 29 Vgl. Dalí: „Elegías a Gala“, S. 284. 30 Vgl. Dalí: Das geheime Leben des Salvador Dalí, S. 283. 31 Vgl. ebd. und Chadwick: Myth in Surrealist Painting, S. 81.
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Paarkonstellation von Gala (Frau, Text, sichtbar) und Dalí (Mann, Bild, unsichtbar) nahe. Auf die Unstimmigkeiten innerhalb dieser Paarbildung habe ich bereits hingewiesen. Sie gehören sicher zum Teil zu Dalís Strategie der Verwirrungsstiftung, zeugen aber auch von der grundsätzlichen Vermischung der genannten Oppositionen. Gala ist nur in der dem Text vorangestellten Fotografie sichtbar, im Text selbst findet sie keine Erwähnung. Es handelt sich mit den Teilen „Eselskadaver“, „Sanitätsziege“ und „Der große Masturbator“ um eine theoretische und praktische Vorstellung der paranoisch-kritischen Methode. Die Frau ist also sichtbar und gleichzeitig unsichtbar, da sie im Text nicht in Erscheinung tritt. Zitiert Dalí damit das klassische Bild der Muse als Inspirationsquelle des Dichters, deren geheimnisvolles Konterfei das Werk schmückt? Das würde zumindest zur Selbstinszenierung des Künstlers als Genie passen, die jedoch niemals ohne Selbstironie Gala wechselweise eine Rolle als Domina, Heilsbringerin, Therapeutin und eben auch als Muse zuweist. Abgesehen von der Frage, inwieweit sie selbst an dieser Performance beteiligt ist, lässt sich hier Dalís Verständnis von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit diskutieren. Unsichtbar sind für den Nicht-Paranoiker zunächst die Wahnbilder, die entweder durch entsprechende „Interpretation“ eines betrachteten Bildes, Gegenstandes, etc. hervorgerufen werden oder ihm vom Paranoiker (Dalí) aufgezeigt werden können. Auf diese Weise werden die unsichtbaren Traum- und Wahnvorstellungen für alle sichtbar – mehr noch haben sie in Dalís Augen die Kraft, die Wirklichkeit und damit das Objekt selbst zu transformieren, d.h. mit diesem in Interaktion zu treten. Diese Veränderung des Objekts erfolgt durch seine Verdoppelung, in der es die äußere Form zwar beibehält, aber durch minimale Veränderungen ganz konträre, verschleierte und bei Dalí zumeist tabuisierte Bedeutungen annimmt. So greift unser „Geist“ oder die „paranoische Denkfähigkeit“ auf die Wirklichkeit ein und nicht umgekehrt. Daraus folgert Dalí: daß also theoretisch ein hinreichend mit der besagten Fähigkeit begabtes Individuum erleben könnte, wie ein der Wirklichkeit entstammender Gegenstand je nach Verlangen fortlaufend seine Gestalt verändert32 Betont werden muss dabei, dass es sich in Dalís Konzept nicht um eine Gestaltveränderung auf geistiger Vorstellungsebene handelt, sondern diese ebenso wirklich und körperlich-materiell vonstatten geht wie ein physisch erfassbarer Veränderungsvorgang. Er macht also keinen Unterschied zwischen Vorstellungsbild und Materie. Auch für den Paranoiker aus Jensens Erzählung gab es 32 Dalí: „Die sichtbare Frau“, S. 132.
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keinen Unterschied zwischen Realität, Wahn- und Traumbild, bis ihn die ‚Therapeutin‘ Zoë heilt. Erst in der medialen Verdoppelung wird für Hanold das Wahnbild lebendig. Er zeichnet aus dem Gedächtnis die schreitende Gradiva, die er als Relief in Rom bewunderte, und fügt eine ganze Szenerie hinzu, durch die sie schreitet und die sie durch ihren Blick und die Bewegung verlebendigt. In der paranoisch-kritischen Betrachtung seiner Zeichnung wird Gradiva erneut verdoppelt und „allein aus der täglichen Anschauung ihres Kopfes hatte sich ihm allmählich noch eine neue Mutmaßung gebildet.“33 Diese Metamorphose des Objekts durch die Anschauung passt genau zur Idee Dalís, die weit mehr ist als eine reine Kreativtechnik, wie sie schon von Leonardo da Vinci seinen Schülern empfohlen wurde.34 Denn Dalí geht es in surrealistisch-revolutionärer Art darum, die Wirklichkeit selbst zu verändern. Daher lassen sich seine Überlegungen zur Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit mit Bergsons Matière et mémoire in Verbindung bringen. Obwohl sich Dalí in schon fast polemischer Art und Weise gegen Bergson und Bataille aufgrund eines angeblichen Materialismus oder Biologismus wehrt, ist er von ihnen gar nicht so weit entfernt.35 Denn Bergson leugnet ebenso wie Dalí den Unterschied zwischen materiellem und geistigem Bild. In wenigen Schritten führt er vom Glauben einer „unabhängigen Existenz“ der Gegenstände zum Gegenstand, der nur als Bild existiert, weil wir ihn nur als Bild wahrnehmen. Materie nenne ich die Gesamtheit der Bilder, und Wahrnehmung der Materie diese selben Bilder bezogen auf die mögliche Wirkung eines bestimmten Bildes, meines Leibes.36 Letzteres würde wahrscheinlich nicht Dalís Zustimmung finden, da er Bergson einen „biologischen Apriorismus“37 ankreidet. Auch wenn Bergson den Leib als Bild bezeichnet, betrachtet er zunächst scheinbar nur die „Reizungen“ der 33 Jensen: Gradiva, S. 25. 34 Wie Breton in „Le message automatique“ bemerkt, schlug bereits Leonardo da Vinci seinen Schülern vor, solange eine gewöhnliche Mauer zu betrachten, bis sie dort Bilder sehen könnten (Breton: Œuvres complètes, S. 377). 35 Dalí bezeichnet Bergson in seinem Drehbuch Babaou sogar als „Schwein“ (vgl. ders.: Unabhängigkeitserklärung der Phantasie und Erklärung der Rechte des Menschen auf seine Verrücktheit, S. 111). Auch Gorsen sieht trotz der ausdrücklichen Distanzierung Dalís von Bergson einige Gemeinsamkeiten (vgl. Gorsen: „Der ‚kritische Paranoiker‘“, S. 441). Peter Bürger betont die Nähe zwischen Bataille und Dalí, auch wenn Dalí Bataille seit dessen Interpretation des Jeu lugubre verachtete (vgl. Bürger in diesem Band). 36 Bergson: Materie und Gedächtnis, S. 56. [Kursiv im Original]. 37 Dalí: „Die sichtbare Frau“, S. 135.
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Gegenstände auf die „zentripetalen Nerven“ des Körpers, und die Wahrnehmung verändert sich in Abhängigkeit zu diesen „molekularen Bewegungen“ zwischen Gegenstand und Nervensystem.38 Dalí bezeichnet Bergsons Vorstellungen vielleicht auch aus diesem Grund als „ionistisch“, weil er ihn einer „ionischen“ Naturphilosophie zurechnet, die von der Substanz oder eben der Materie der Dinge ausgeht.39 Dazu lässt sich nur sagen, dass Dalí Bergson entweder bewusst missverstanden hat, oder dass es sich bei dieser Anspielung um eine Parodie des wissenschaftlichen und philosophischen Diskurses handelt. Denn Bergson grenzt sich sowohl vom Materialismus/Realismus also auch vom Spiritualismus/Idealismus ab.40 Betrachtet man den weiteren Verlauf dieses Textabschnitts in La femme visible („Die Sanitätsziege“), ergibt sich eine interessante Mischung aus Parodie und Inhalten, die mit Dalís Werken korrespondiert. Während Dalí einen wissenschaftlich-philosophischen Schreibstil nachahmt und parodiert, indem er zwischen Fachvokabular und derber Ausdrucksweise wechselt, stimmen doch einige Gedanken mit der paranoisch-kritischen Methode überein. Zur letztgenannten gehört „der Zweifel an den Zeugnissen unserer Sinne“, der „die systematische Form eines unerbittlichen Prozesses angenommen hat, der mit dem Ruin und der bedingungslosen Kapitulation der Realität enden dürfte“41. Sämtliche Werke Dalís tragen zu diesem Prozess bei, der auf theoretischer Ebene von Bergson vorangetrieben wurde, auch wenn dieser sicher nicht von einer „bedingungslosen Kapitulation der Realität“ sprechen würde. Dennoch verschmäht Dalí Bergson und wendet sich stattdessen Pythagoras zu – wohlwissend, dass sich dieser unmittelbar an die ionische Naturphilosophie anschließt und sich nur durch die These eines mathematischen „Urgesetzes“ statt einer „Ursubstanz“ abgrenzt.
38 Bergson: Materie und Gedächtnis, S. 56. Im Folgenden stellt Bergson jedoch die Gegenthese auf: „Wir können also nicht sagen, daß unsere Wahrnehmungen einfach von den molekularen Bewegungen der Gehirnmasse abhängen. Sondern: Sie verändern sich zwar mit ihnen, aber die Bewegungen selbst bleiben unzertrennlich an die übrige materielle Welt gebunden.“ (ebd., S. 58). Daraus leitet Bergson aber keineswegs einen Materialismus ab – wie Dalí möglicherweise vermutet –, sondern er stellt Materie und Geist auf eine Ebene, indem beides als Bild betrachtet wird (s.o.). 39 Als Ionier und Naturphilosophen könnte man beispielsweise Thales, Anaximandros und Anaximenes anführen, vgl. dazu Störig: Kleine Weltgeschichte der Philosophie. 40 Bergson: Materie und Gedächtnis, S. 58f. und 94f. 41 Dalí: „Die sichtbare Frau“, S. 135.
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Mit weit weniger Bedenken würden wir uns dagegen auf Pythagoras berufen, wenn Reverdys erbärmliches oder schlicht idiotisches kubistisches Experiment uns nicht genügend klargemacht hätte, wieviel geistige Unfähigkeit dazugehört, wenn man sich der Willkür auf abstraktem Wege nähern will.42 Die ‚hehre‘ wissenschaftliche Argumentation wird hier mit einer unflätigen Ausdrucksweise vermischt, die Dalí im Folgenden mit Adjektiven wie „lahmarschig“, „abgetakelt“ oder „ekelhaft“ weiterführt. Was Dalí demnach von Bergson, den Ioniern, Reverdy und Pythagoras hält, vermag dieser Text nicht zu vermitteln. Er führt uns aber stattdessen vor, in welcher Form Dalí die „kritische“ Analyse in eine „paranoische“ überführt.43 Dass er trotz aller Polemik von Bergsons Theorien zur Wahrnehmung, Materie und Gedächtnis fasziniert gewesen ist und diese sich mit Gala-Gradiva in Verbindung bringen lassen, zeigt sich an einem weiteren Text, den Dalí Gala widmet: es handelt sich um das Gedicht L’amour et la mémoire (1931).
Von unsichtbaren und sichtbaren Bildern: L’amour et la mémoire oder matière et mémoire Ist Hanolds Gradiva ein Erinnerungsbild aus seiner Jugend, das die verdrängte Liebe zu Zoë widerspiegelt, oder projiziert er eine fiktive Erinnerung zunächst auf das Relief und später auf die lebende Frau? Bei Jensen scheint diese Frage durch Zoës Auftauchen und ihre Erklärungen zum Schluss beantwortet, aber Dalí erzeugt fiktive, „falsche“ Erinnerungen an Gala, die vor seiner Geburt liegen.44 Auf der einen Seite ist dies eine Parodie auf den psychoanalytischen Erinnerungsbegriff. Auf der anderen Seite ist es aber auch der Versuch, die Grenzen von Raum und Zeit zu überschreiten und der Maßlosigkeit seiner Liebe Ausdruck zu verleihen. Innerhalb der zahlreichen Texte, die Dalí Gala
42 Ebd. 43 Vgl. zum wissenschaftlichen Diskurs bei Dalí Ruffa: „Dalí’s surrealist activities and the model of scientific experimentation“, hier besonders: „The paranoical-critical method actually combines the speculative plane, which claims to be objective (‚critical‘), and the irrational plane with its subjective nature (‚paranoiac‘). The irrational idea automatically projects itself into reality and is displayed there in an entirely objective manner: it takes the form of reality.“ 44 Vgl. Dalí: „Elegías a Gala“, S. 284: „... a mi Gala / que conocí antes de nacer“; vgl. auch La vie secrète..., in dem Dalí sich selbst widersprechend meint, dass es sich um eine „falsche Erinnerung“ handelt.
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widmet, nimmt das Gedicht L’amour et la mémoire/ El amor y la memoria45 eine herausragende Stellung ein.46 Neben der Auseinandersetzung mit Freud, durch das Motiv der voranschreitenden Gradiva,47 die sowohl die Vergangenheit der Ruinen Pompejis beherrscht als auch die Zukunft („la beauté de demain“), stellt Dalí in El amor y la memoria einen nicht direkt benannten Bezug zu Bergsons Matière et mémoire her.48 Schon das Motto des Gedichts „(Hay cosas inmóviles como un pan)“49 verweist ironisch auf das Motiv der Bewegung. Nicht so sehr Bergsons Theorie wird hier ironisiert als vielmehr der Glaube an eine feste, gesicherte und damit unbewegliche Materie oder die oben angesprochene „Ursubstanz“, gegen die auch Bergson argumentiert. Gerade das zugleich profane, alltägliche und symbolische, religiöse Brot versetzt Dalí besonders gerne in Bewegung. In Le chien andalou (1929) werden Brote von Fahrradfahrern auf dem Kopf gefahren und in zahlreichen Bildern wirft Dalí Brote in die Luft.50 Im Text setzt er das Brot insofern in Bewegung, als es immer wieder Teil einer Assoziationskette ist, z.B. „el pan bien dorado / parecido al llanto“ oder „contra la que pronto / se va a golpear / el pan“.51 Während im Gedicht der angesprochene Guillermo Tell, aus der gleichnamigen Bildserie (u.a. auch mit Gradiva, vgl. Guillaume Tell et Gradiva, 1931), das Brot trotz größter Anstrengung nicht hochheben kann, steht Gala-Gradiva für die Leichtigkeit der Bewegung. Sie ist eine Figur, die in alle nur denkbaren Richtungen schreiten kann und somit gleichzeitig als Auslöser und Abbild des paranoischen Interpretationsdeliriums fungiert:
45 Das Gedicht wird im Folgenden in der spanischen Fassung aus Dalís Obra completa zitiert. 46 Vgl. dazu Finkelstein: Salvador Dalí’s Art and Writing, S. 131-139, hier S. 133: „I believe, indeed, that the poem should be viewed as conceptual whole in which Gala’s ‚pure and unique representation‘ is placed in opposition to all other affective representations that governed Dalí until he met her.“ 47 Vgl. zu einem Vergleich zwischen Gradiva-Zeichnungen und dem Gedicht Jeffett: „El amor y la memoria en Gradiva“, S. 33-34. 48 Diese eher überraschende Verbindung zu Bergson betonen auch Finkelstein: Salvador Dalí’s Art and Writing, S. 134 und Gorsen: „Der ‚kritische Paranoiker‘“, S. 444-445. 49 Dalí: „El amor y la memoria“, S. 218. 50 Auch Manuel Cussó-Ferrer nimmt in seinem Film Babaouo (2000) – nach dem gleichnamigen Drehbuch Dalís – das Motiv dankend auf. Das Brot hat auch in Dalís Bildern, Statuen, Happenings immer einer zugleich sexuelle, phallische und blasphemische Konnotation, vgl. Buste de femme rétrospective (1933/1977). 51 Dalí: „El amor y la memoria“, S. 218 und 228.
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como sea que Gala es todas las fantasías todas las representaciones de mi propia vida […] El Guillermo Tell […] se queda inmóvil […] casi hasta el punto de ruptura de los músculos y aterias de la garganta para leventar el pan hasta su cuello […] el pan queda atrapado entre el cuerpo y la corteza dificultando cada movimiento52 Nun kann man anhand dieser und zahlreicher anderer Stellen in Dalís Werk „Gala“ als Gala und „Guillermo Tell“ als Dalí interpretieren (mitsamt aller psychoanalytischer Aufschlüsselung des Brotmotivs, der Schwäche des Tell etc.),53 aber entscheidender ist doch, dass Dalí gerade die Ablösung und bewusste, aktive paranoische Veränderung der ‚realen‘ Personen vorführt. In der Verdoppelung Galas als Gala-Gradiva und damit als verlebendigtes Kunstwerk in Wort und Bild eröffnet sich für Dalí die Möglichkeit, nicht nur alle Fantasien und Repräsentationen seines eigenen Lebens zu verwirklichen, sondern alle nur denkbaren Bilder, die allein durch seine „paranoische Fähigkeit“ begrenzt werden. Bemerkenswert ist dabei auch aus gendertheoretischer Perspektive, dass Dalí in Gala nicht die substantielle Inkarnation seiner eigenen Person sieht. Im Gegenteil betont er ihre Nicht-Existenz und entlarvt eine romantische Liebeskonzeption, nach der die idealisierte Geliebte nur in Form narzisstischer Eigenliebe begehrt wird. Galas Leiden und selbst ihr Tod rührt das lyrische Ich in El amor y la memoria nur insofern an, wie sein eigenes Leiden und sein eigener Tod dadurch repräsentiert sind: „nada / excepto su muerte / que representa la mía / no puede afectarme vitalmente“.54 Das dazugehörende
52 Ebd., S. 230-231. 53 Eine durchaus interessante Analyse in psychoanalytischer Richtung, in der vor allem auch Dalís Wilhelm Tell-Gemälde mit einbezogen werden, liefert Finkelstein: Salvador Dalí’s Art and Writing. 54 Ebd., S. 223.
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Motiv des Narziss wird im gleichnamigen Gedicht und Bild wieder angesprochen (vgl. La métamorphose de Narcisse, 1937).55 Selbst die fehlende Erinnerung an Gala (als Gala-Gradiva oder Galuschka) wird von Dalí nachträglich erzeugt, um dann später in Elegías a Gala und La vie secrète... behaupten zu können, er kenne sie schon vor seiner Geburt. la falta de recuerdos que de ti tengo proque no me acuerdo de ti tú no cambias estás al margen de mi memoria porque eres mi vida científicamente56 Das lyrische Ich besitzt eine „fehlende Erinnerung“ Galas. Es ist eine Erinnerung, die es nicht braucht, weil sie schon immer und unveränderlich am Rande seines Gedächtnisses weilte. Denn es sei wissenschaftlich erwiesen, dass sie sein Leben ist. Demnach erzeugt er die Figur Gala inklusive einer gemeinsamen Vergangenheit aus dem eigenen Selbst. Gala, die Figur am Rande der Erinnerung, die sich nicht wandelt, wird zum Leitmotiv und zur „representación pura y única de mis deseos“57. Geschickt und sicher auch bewusst widerspricht Dalí hier sich selbst: Nachvollziehbar ist noch der Gedanke, dass sich Gala in allen nur erdenklichen Fantasien Dalís und immer wiederkehrenden paranoischen Motiven reproduziert (z.B. „al margen / de la curva nostálgia […] al margen / de los relojes“58). Wie soll sie gleichzeitig die einzige und damit definitive Repräsentation seines Begehrens sein? Befindet sich Gala doch gerade auf diese Weise in einem unendlichen und beliebigen Verwandlungsprozess, den Dalí schon im Gedicht selbst vorführt, als er sie einleitend aus dem Bild der Schwester und zahlreichen Körperfragmenten entstehen lässt. Nebenbei verweist das Motiv des „Randes“ oder „Außerhalb“ auf die weibliche Position, die hier mitreflektiert wird. Im obigen Zitat steckt außerdem eine ironische Verdoppelung des wissenschaftlichen Diskurses, die mit einem ‚gefälschten‘ Bergson-Zitat fortgeführt wird: 55 Dalí bezeichnet Gala im Gedicht La métamorphose du narcisse (1936) als seinen Narziss, vgl. ders.: Unabhängigkeitserklärung der Phantasie und Erklärung der Rechte des Menschen auf seine Verrücktheit, S. 284; vgl. zum Narzissthema bei Dalí auch den Beitrag von Volker Roloff in diesem Band und Finkelstein: Salvador Dalí’s Art and Writing. 56 Dalí: „El amor y la memoria“, S. 223. 57 Ebd., S. 226. 58 Ebd.
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«la noción misma »de la duración del tiempo »nace »de la comparación »entre los fenómenos exteriores »(movimientos y cambios de estado) »y los fenómenos de nuestra propia vida »comparación posible »por la fijación independiente »del devenir »cuyas representaciones respectivas »permiten la memoria».59 Es ist vermutlich kein tatsächliches Zitat aus Bergsons Werk, soll aber durch die Anführungszeichen, die Kursivschrift und vor allem durch den Wortlaut diesen Anschein erwecken. Auch Bergson setzt die äußerlichen Phänomene (die „Materie“) mit den Wahrnehmungsvorgängen unseres „Bewusstseins“ in Verbindung. Dalí spricht statt vom „Bewusstsein“ von „unserem eigenen Leben“, um einen fiktiv-autobiografischen Bezug herzustellen, der dem wissenschaftlich-philosophischen Stil entgegenläuft. Auch der Verweis auf die „Dauer“ und die „Zeit“ deuten auf Bergson hin, der zwischen dem Begriff der „wissenschaftlichen Zeit“, der eigentlich auf den Raumbegriff zurückgeht, und demjenigen der „wirklichen Zeit“, d.h. der „reinen Dauer“, unterscheidet, die verstandesmäßig nicht zu erfassen ist, sondern sich nur intuitiv als ein ständiges „Fließen und Werden“ begreifen lässt.60 Letzteres passt zu Dalís Überlegungen und seiner gesamten Ästhetik, die eine immerwährende Verwandlung einschließt. Damit ist nicht die banale Übertragung von Dalís Uhrengemälden mit einem „Fließen der Zeit“ gemeint, sondern die Möglichkeit einer aktiven Verwandlung der Realität durch die paranoisch-kritische Methode. Ebenso wie Bergson ist Dalí davon überzeugt, dass die Wahrnehmung nicht auf Empfindungen oder abstrakten Repräsentationen beruht. Vielmehr handelt es sich um eine Aktivität und Bewegung, die schließlich die wahrgenommenen Objekte selbst verändert.61 Bei Bergson heißt es:
59 Ebd., S. 223. [Kursiv und Anführungszeichen im Original]. Auch Finkelstein konnte kein direktes Zitat aus Bergsons Werk, das hier passen würde, finden und legt daher ebenfalls nahe, dass Dalí nur Stil und Wortwahl Bergsons kopierte, vgl. Finkelstein: Dalí’s Art and Writing, S. 134 u. S. 289. 60 Vgl. zu dieser zugegebenermaßen recht verkürzten Zusammenfassung Bergsons, Störig: Kleine Weltgeschichte der Philosophie, S. 566-567. 61 Vgl. zum Thema des betrachteten Objekts und dessen Wahrnehmungsfähigkeit auch den Beitrag von Brad Epps in diesem Band.
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Statt von der Empfindung auszugehen, von der wir nichts aussagen können, da gar keine Notwendigkeit einzusehen ist, daß sie gerade das ist, was sie ist und nicht etwas ganz anderes, gehen wir von der Tätigkeit aus, d.h. von unserer Fähigkeit, Veränderungen in den Dingen zu bewirken62 Es ist ein wechselseitiges Verhältnis zu den Dingen, das Bergson hier beschreibt und das auch Dalí zugrundelegt. Das betrachtete Objekt übt durch Bewegung einen Reiz auf unser Nervensystem aus, dort entsteht aber nach Bergson keine fotografische Reproduktion des Bildes, das wir sehen.63 Im Gegenteil verändern wir das Objekt auf zweierlei Weise. Auf der Ebene der Materie, d.h. im hypothetischen Fall der „reinen Wahrnehmung“, reflektiert das Ding selbst bereits alle möglichen Bewegungen seiner Umgebung.64 Da es aber keine Wahrnehmung ohne Erinnerung gibt, verdoppelt sich das Objekt in dieser und verändert sich, insofern wie im Gedächtnis „viele Momente der Dauer in einer einzigen Schauung zusammen“ kommen.65 Ist demnach die Erinnerung schon immer eine paranoische Verdoppelung und gilt das auch für die Wahrnehmung insgesamt, die ja nicht ohne Erinnerung denkbar ist? Übertragen auf Dalí könnte man sagen, dass wir auf seinem Gemälde Dormeuse, cheval, lion invisibles (vgl. Abb. 6-7) nicht nur ein Pferd sehen oder gar nur organisch anmutende geometrische Figuren, sondern in der Zusammenschaltung verschiedener vorangegangener Wahrnehmungen zugleich Pferd, Schlafende und Löwe. Dalí zwingt die Betrachter regelrecht dazu, tätig, aktiv zu werden und sowohl die Möglichkeiten des betrachteten Objekts als auch eigene Erinnerungsbilder zusammenzubringen, weil ansonsten die drei Figuren tatsächlich unsichtbar bleiben. Auch die Folgerungen Bergsons, dass „die Materie keine verborgene oder unerkennbare Kraft hat“, „das Gedächtnis im Prinzip eine von der Materie absolut unabhängige Kraft“ ist und die Forderung, „den Geist zu einer selbständigen Realität zu erheben“66 müssten Dalí fasziniert, wenn nicht begeistert ha62 Bergson: Materie und Gedächtnis, S. 90. 63 Vgl. ebd., S. 69: „Die ganze Schwierigkeit des Problems, mit dem wir uns beschäftigen, rührt daher, daß man sich die Wahrnehmung als eine Art photographische Ansicht der Dinge vorstellt“. 64 Vgl. ebd., S. 91: „Diese Indeterminiertheit wird, wie wir gesehen haben, in einer Reflexion der unsern Körper umgebenen Bilder auf sich selbst oder vielmehr in einer Teilung dieser Bilder zum Ausdruck kommen […]. Unsere Wahrnehmung ist, wenn sie rein ist, wirklich ein Bestandteil der Dinge selbst.“ 65 Vgl. ebd., S. 98. „Schauung“ entspricht im französischen Original „intuition“, vgl. Bergson: Matière et mémoire, S. 42. 66 Ebd., S. 98-99.
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ben. Dennoch sind die eher kryptischen Verweise auf Bergson vor allem von sprachlicher parodistischer Wiederholung geprägt. Letzteres gilt für das gesamte ‚gefälschte‘ Bergson-Zitat in El amor y la memoria und besonders für die abschließenden Zeilen. Mit der „unabhängigen Festlegung des Werdens, dessen Repräsentationen die Erinnerung ermöglicht“ erteilt Dalí der Vorstellung eines zeitlichen Kontinuums, an das auch Bergson seine Überlegungen anknüpft, eine Absage. Die Erinnerung von der Zukunft aus zu denken, entspricht ganz Dalís surrealistischem Umstülpen des logischen Realitätsbildes und widerläuft damit auch Bergson, der davon ausgeht, dass „ohne einen Rückblick von entsprechender Weite keine Besitzergreifung der Zukunft möglich ist“.67 Dabei betont er allerdings auch die Abhängikeit der wahrgenommenen Bilder vom „Leib“ und widerspricht damit einer utopischen „vollkommenen Wissenschaft“, die meine, dass „die Zukunft der Bilder in ihrer Gegenwart enthalten sei[n] und ihr nichts mehr hinzuzufügen“ habe.68 Während Bergson stattdessen die gesamte Wahrnehmung auf die Vergangenheit bezieht,69 nimmt sich Dalí die künstlerische – oder auch paranoische – Freiheit, den Zeitbegriff gänzlich von einem linearen Verlauf zu lösen.70 Die Erzeugung einer fiktiven Erinnerung, wie es Dalí bezüglich Gala in La vie secrète... oder in Elegías a Gala vorführt, kann aber auch nur im Nachhinein erfolgen. Dalí kann zwar behaupten, Gala habe sich schon immer am Rande seines Gedächtnisses befunden und er habe schon früher gewusst, dass er sie treffen werde, doch die „beauté de demain“, die Breton ebenso in der Gradivafigur begehrt wie Dalí in seiner Gala-Gradiva, bleibt ein surrealistisches Wunschbild. Dennoch bildet die fiktive Figur „Gala-Gradiva“ gleichzeitig ernstzunehmende wahrnehmungstheoretische Überlegungen und kreative paranoische Produktionen ab. Denn bei aller Parodie des wissenschaftlich-philosophischen Diskurses Bergsons (u.a. Freud, Einstein), nützt Dalí und den Surrealisten „der Zweifel an den Zeugnissen unserer Sinne“71 und die Loslösung der Wahrneh67 Ebd., S. 91. 68 Ebd., S. 52. 69 Ebd., S. 164: „So besteht unsere Wahrnehmung, so momentan sie sein mag, aus einer unzählbaren Menge erinnerter Elemente, und in Wahrheit ist jede Wahrnehmung schon Gedächtnis. Praktisch nehmen wir nur die Vergangenheit wahr, die reine Gegenwart ist das unfaßbare Fortschreiten der Vergangenheit, die an der Zukunft nagt.“ [Kursiv im Original] 70 Daher mag auch Dalís Faszination für Einsteins Relativitätstheorie rühren, mit der sich Bergson in Durée et simultanéité. À propos de la théorie d’Einstein (1922) auseinandersetzt. Vgl. dazu Ruffa: „Dalí’s surrealist activities and the model of scientific experimentation“. 71 Dalí: „Die sichtbare Frau“, S. 135.
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mung von rein naturwissenschaftlichen zeitlich-räumlichen Betrachtungen. Dalí fordert in La femme visible die poetische Umsetzung dieser Erkenntnisse, die nicht mehr als Erkenntnisse behandelt werden sollten, sondern die Grundlage des „paranoischen Interpretationswahns“ bilden.72 Statt eines fotografischen Abbilds der Realität favorisiert Dalí die Bewegung des Films oder vielmehr die Bewegungen und die Aktivität des Wahns bei der Betrachtung eines paranoischen Bildes oder einer Frauenfigur wie Gala oder Gradiva, deren Abbild ganz unabhängig von der Realität in Bewegung versetzt wird. Diese Bewegung darf jedoch gerade nicht, wie in Jensens Erzählung in der Wiederentdeckung von etwas Bekanntem und Vertrautem münden – indem Hanold seine Jugendliebe Zoë wiedererkennt. Dies verurteilt Dalí als „Harmonie“,73 „Dreck“ oder „Schande“ und entdeckt sie z.B. auch in der „rhythmische[n] Bildabfolge der Naturgeschichte“ nach Darwins Evolutionstheorie, die er mit dem Film vergleicht und die ihn prinzipiell fasziniert – jedoch nicht in ihrer Rückführung auf kausale Zusammenhänge.74 Viel näher steht Dalí, auch wenn er es nicht explizit macht, den kunsttheoretischen Schriften Aby Warburgs, der noch vor den Surrealisten von der Gradiva und anderen ‚bewegten‘ Frauen begeistert war. Warburg begreift das bewegte Beiwerk nicht nur als Anzeichen von Bewegung (Bewegungszeichen), sondern auch als Anzeichen von und für Erinnerung (Gedächtniszeichen). Ganz so wie die signifikante Fußbewegung der jungen Frau in Freuds Studie über Jensens Gradiva nicht nur eine Bewegung im Raum anzeigt, sondern eine weit komplexere Bewegung in der Zeit, eine Wiederholung aus der Vergangenheit, so ruft auch Warburgs ‚bewegtes Beiwerk‘ eine Bewegung in der Zeit hervor75 Die für Bergsons Werk elementare Verbindung von Bewegung und Erinnerung wird von Warburg auf die bildenden Künste angewendet und spiegelt zu Beginn des 20. Jahrhunderts den medialen Umbruch, der mit der Etablierung des Kinos einhergeht, aber auch starke Auswirkungen auf die ‚alten‘ Medien
72 Vgl. ebd., S. 140: „die Physik, die die neue Geometrie des Denkens schaffen soll, wird ausgerechnet […] der paranoische Interpretationswahn sein.“ 73 Diese Ablehnung der Hamonie führt Gorsen wiederum als Argument für Dalís Ablehnung gegenüber Bergson an, dessen Idee eines élan vital Dalí zu „harmonistisch“ sei (vgl. Gorsen: „Der ‚kritische Paranoiker‘“, S. 442). 74 Vgl. Dalí: „Die sichtbare Frau“, S. 136-137. 75 Raulff: Wilde Energien, S. 24.
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hat.76 Dalí reflektiert diese komplexen Zusammenhänge wie Warburg anhand der Gradiva-Figur scheinbar nebenbei und in den verschiedenen Medien auf eine spielerisch-ironische Art. Daher werden insbesondere in der Diskussion um das Gala-Gradiva-Motiv diese Verbindungen übersehen, weil es auf einer oberflächlich biographischen Ebene abgehandelt wird. Gegen eine solche Perspektive spricht auch, dass Dalís Faszination der weiblichen Haare, die in seinen Gradiva-Darstellungen meist im Wind wehen (vgl. Abb. 8-10), auf Warburgs Analyse der Botticelli-Venus bezogen werden können. Beide, Haare und Füße (und bei Warburg zusätzlich das Gewand), drücken in der zum Bild oder Relief erstarrten Gradiva-Figur die Bewegung in der Zeit aus. Das von Raulff oben zitierte „bewegte Beiwerk“ bezeichnet die flatternden Haare der Venus, die er mit „den kleinen Staubwolken hinter den Füßen eines davoneilenden Donald Duck“77 vergleicht. Eine solche Profanisierung lag schon bei Warburg nicht fern und bestätigt sich in Dalís Wahnbildern, die wie die fiktive Figur „Gala-Gradiva“ göttliche Anbetung mit skatophagischer Perversion zusammenbringen. Erinnerung ist in Dalís Werk im Gegensatz zu Jensen, Freud, Bergson und Warburg jedoch nichts als eine nachträgliche Fiktion, die deshalb aber nicht weniger wichtig sein muss. Galas Gesicht ist gerade daher eine so brauchbare Projektionsfläche seiner paranoischen Wahnbilder, weil Dalí darin nichts Vertrautes oder Erinnertes wieder finden kann. Sie ist das Gegenteil von Erkenntnis und Erleuchtung. Sie ist intuitive Evidenz, biegsames, wandelbares und vor allem schreitendes Gespenst78 – zumindest erschafft sie Dalí in dieser Art in El amor y la memoria. Gala los signos de tu rostro no expresan sentimiento alguno porque estás más allá DE LAS PERSPECTIVAS ILUMINADAS […]
es una evidencia tal que la más primaria de las intuiciones poéticas encuentra en la mirada noastálgica la suposición de una mirada lejana y grandiosa79 76 Dies belegt nicht nur Deleuzes Bezug auf Bergson in seinen Kino-Büchern, sondern auch Warburgs Einfluss, der sich sowohl im Bereich der bildenden ‚alten‘ Künste als auch im Film ablesen lässt, vgl. dazu Erstiý: „Pathosformel ‚Venus‘?“. 77 Raulff: Wilde Energien, S. 22. 78 Vgl. zum Unterschied zwischen Phantom und Gespenst bei Dalí: „Der neue Anstrich des gespenstischen Sex-Appeals“, S. 235-239, vgl. dazu auch den Beitrag von Kirsten von Hagen in diesem Band. 79 Dalí: „El amor y la memoria“, S. 224-225 [Kapitälchen im Original].
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Dieser Abschnitt des Gedichts liest sich wie eine Beschreibung des Gala-Fotos, das der femme visible vorangestellt ist (vgl. Abb. 3). Trotz der vorangegangenen Aufzählung ihrer intimsten Körperteile, die mit einem Vergleich zwischen Galas Augen und ihrem Anus eingeleitet wurde,80 stellt Dalí hier Galas Gesicht außerhalb von Eindrücken, Gefühlen und Erkennen. Gala ist zunächst offenkundig blanke Projektionsfläche,81 die auch als solche benannt und reflektiert wird, um dann zum Ende der Strophe alle Bedeutungen im ihrem nostalgisch-entfernten Blick zu versammeln. Dabei vermischt Dalí sehr geschickt Bergsons ‚Fachvokabular‘ mit einer besonders im 19. Jahrhundert beheimateten Musenanbetung, die eine hier explizit herausgestellte Marginalisierung des Weiblichen bedeutet. Gerade weil sich Gala außerhalb oder am Rande der Dinge befindet, wertet sie dies scheinbar in Dalís Augen auf: „estás más allá“, „Gala / tu no estás incluida / en el círculo […] tu amor queda al margen“.82 Diese transzendentale Verschiebung Galas läuft jedoch der Betonung ihrer Körperlichkeit und der bergsonschen Wortwahl zuwider. In der letzten Strophe kulminiert diese ironisch-humorvolle Verbindung: Al margen de la no muy antigua alegoría corporativa del amor y la memoria esta mujer desnuda que sierra madera en lo alto de una escalera y la bestia que pasa sin mirala le dice señora no tengo muchos dientes.83 Galas Randständigkeit und ihre Funktion als Muse oder Projektionsfläche, die keine und damit gleichzeitig alle Bedeutungen in sich trägt, wird zum einen durch die oben angesprochenen Widersprüche von bedeutungsvollem Blick und ausdruckslosem Gesicht, von Fleischlichkeit und abstraktem philosophischem Gestus ironisiert. Zum anderen imaginiert Dalí Gala in dieser letzten 80 Vgl. ebd., S. 221: „Gala con los ojos parecidos al ano...“ 81 Vgl. zur Leere, die Gala insgesamt für die Surrealisten verkörpert: WattheeDelmotte: „Gala ou l’éloge du vide“, S. 155-171. 82 Dalí: „El amor y la memoria“, S. 224-226. 83 Ebd., S. 232.
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Strophe als nackte Frau am Rande der nicht sehr alten Allegorie von Liebe und Gedächtnis und sich selbst als Bestie, die schamhaft an ihr vorübergeht ohne hinzuschauen und sie beruhigt, denn sie habe nicht viele Zähne. Die maßlose Anbetung Galas in der übertriebenen Darstellung romantischer Liebesklischees ohnehin schon zum Stilmittel degradiert, wird durch den humoristischen Satz der Bestie „no tengo muchos dientes“ endgültig als Inszenierung entlarvt. Auch die zahlreichen psychoanalytisch deutbaren Hinweise auf Fetische wie das Brot, den Fleck, die Kurve, etc. führen hier wieder ins Dalí’sche Interpretationsdelirium, wenn er seine angebliche Impotenz durch die mangelnden Zähne der Bestie ironisiert.84 Zugleich haben die Leser unwillkürlich ein Dalí-typisches Gemälde vor Augen, wenn sie diese Strophe lesen: Sowohl im Jeu lugubre (1929) als auch im Homme invisible (1930, vgl. Abb. 5) steigt am rechten Bildrand eine Treppe empor,85 die Teil einer klassizistisch anmutenden Monumentalarchitektur ist. Ohne nun die zahlreichen Bilder und Anspielungen innerhalb dieser beiden Gemälde zu beachten, lassen sich zwei Details hervorheben, die zum GalaGradiva-Kontext und den hier untersuchten Texten passen. Im Jeu lugubre findet sich der große Masturbator aus dem gleichnamigen Gedicht und Bild wieder, dem, wie in allen anderen Darstellungen auch, Mund und damit auch die Zähne fehlen – ebenso wie der Bestie in oben zitierter Strophe. Im Homme invisible stehen auf der Treppe am Rand zwei Gradiva-Figuren, die verdoppelt, unbeweglich statt vorwärts schreitend und auf die biologischen Grundmerkmale ihres Geschlechts (hervorstehende Brüste und ein aus Hüfte und Bauch herauswachsendes Rosengebilde)86 reduziert dargestellt sind. Beide Gradivas blicken hoch zum ‚unsichtbaren‘ Mann, und ihrem Gesicht fehlt jegliche Kennzeichnung – ebenso wie Galas ausdrucksloses Gesicht in El amor y la me-
84 Wie Haim Finkelstein bemerkt, handelt es sich auch um eine Anspielung auf Die Schöne und das Biest – einen massenmedial vor allem in den USA seit Beginn des Kinos ausgeschlachteten Märchenstoff. Dies würde den Ironieeffekt m.E. nur verstärken, Finkelstein konzentriert sich allerdings auf eine freudsche Auslegung (Impotenz, Masturbation, Vater-Problematik). Finkelsteins Zugeständnis: „The symbolism is quite obvious, and Dalí must have been well aware of its accepted meaning.“ (Finkelstein: Dalí’s Art and Writing, S. 139) belegt jedoch, dass Dalí mit dem freudschen Deutungsvokabular ebenso satirisch spielt wie mit dem amerikanischen Kino. 85 Die Treppe ist ein aus der Traumdeutung Freuds bekanntes Symbol für den sexuellen Akt und wird von Dalí sicher als solches zitiert, vgl. Finkelstein: Dalí’s Art and Writing, S. 139. 86 Dabei handelt es sich um typische Merkmale der Dalí’schen Gradiva-Darstellung, die zu weiteren Bildern in Bezug gesetzt werden können, z.B. zu Las rosas ensangrentadas (1930) oder La muchacha de los rizos (1926), vgl. Ades: Dalí, S. 178f.
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moria. Auch in anderen Gradiva-Bildern Dalís bleibt ihr Gesicht blank oder fehlt ganz, bildet ein ovales Loch, das von langen Haaren umrandet wird, wie in Gradiva retrouve les ruines anthropomorphes (1931, vgl. Abb. 10).87
Abb. 8-9: Salvador Dalí: Gradiva, 1933, Tusche auf abgeschliffenem Schmirgelpapier, 65 x 45,5 cm, Staatl. Graph. Sammlung München; Gradiva, Studie für L’homme invisible, 1930, Tinte und Bleistift auf Papier, 49,5 x 40,5 cm, The Salvador Dalí Museum, Saint Petersburg, Florida.
87 Auch die surrealistische Frau („la mujer surrealista“), die Dalí in seinem Drehbuch für die Marx Brothers auftreten lässt, hält ihr Gesicht meist bedeckt und wird möglicherweise auch aus diesem Grund zur „Reflexionsfigur dalíscher Kunst“, wie Kirsten von Hagen bemerkt (vgl. dies. in diesem Band).
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Abb. 10: Salvador Dalí: Gradiva retrouve les ruines anthropomorphes (fantaisie rétrospective), ca. 1931-1932, Öl auf Leinwand, 65 x 54 cm, Museo Thyssen-Bornemisza, Madrid.
Neben der sexuell konnotierten weiblichen Leerstelle und der Projektionsfläche, die in Bild und Text angesprochen werden, verweist dieses leere oder fehlende Gesicht der Gala-Gradiva auch auf die in El amor y la memoria angesprochene ‚fehlende Erinnerung‘. Einen Kontrast, wenn nicht sogar einen Widerspruch bildet das leere und damit auch unsichtbare Gesicht zur femme visible, die zwar im Text unsichtbar bleibt, aber in der Fotografie durch ihren Blick die Sichtbarkeit schlechthin repräsentiert. Der nostalgische Blick, das ausdruckslose Gesicht und die fehlende Erinnerung werden im Gedicht El amor y la memoria durch die Imaginationskraft der Liebe (oder auch der Paranoia, ausgelöst durch die Liebe) zu einer fiktiven Erinnerung zusammenmontiert, die jegliche Linearität von Zeit und Raum außer Kraft setzt. Die Montage, die Dalí hier über mehrere Gemälde, eine Fotografie und Texte hinweg betreibt, setzt sich in der Fotomontage fort, die er als Frontispiz für das Buch L’amour et la mémoire anfertigt (vgl. Abb. 11). Statt Gala blickt Dalí mit ungewöhnlich kurz geschorenem und gebleichtem Haarschopf die Betrachter direkt an, während er Gala auf der Mauer sitzend an den linken Bildrand montiert hat. Auf dem Kopf trägt Dalí einen Seeigel in Anlehnung an den Apfel, den Wilhelm Tell seinem Sohn vom Kopf schießen musste. Mit dieser kaum mit bloßem Auge zu erkennenden Geste auf dem Foto inszeniert sich
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der Maler im Gedicht und Bild als Sohn des Wilhelm Tell.88 Im Schattenbild, das Dalís Kopf mit dem Seeigel auf die Mauer hinter ihm wirft, ist die runde Form auf dem Kopf fast besser zu erkennen und assoziiert sowohl den Schatten der Gradiva, den Breton und Duchamp ansprechen, als auch den Ursprungsmythos der Malerei um das Mädchen von Korinth.89 Bezogen auf Wilhelm Tell könnte man aus medientheoretischer Perspektive argumentieren, dass der Fotoapparat von Dalí (bzw. vom Fotografen Buñuel) zu Pfeil und Bogen des Wilhelm Tell mutiert, mit dem auf Dalí (und Gala) geschossen wird. So ist auch diese auf den ersten Blick banale Fotomontage Beispiel eines typischen Dalí’schen Medienspiels, das ähnlich wie Dalís Vexierbilder Unsichtbares abbildet und die Medien Fotografie und Malerei intermedial verknüpft. Unsichtbar bleibt auch Galas Gesicht, weil es wie der Seeigel kaum zu erkennen ist, da sie nach unten blickt. Dennoch ist es nicht leer oder ausdruckslos, denn man sieht deutlich, dass sie lacht.
Abb. 11: Salvador Dalí: Frontispiz für L’amour et la mémoire, Fotomontage aus einer Fotografie, die Buñuel von Dalí 1929 machte und eines Fotos, das Dalí 1930 von Gala machte (1931).
Gala wird ganz gezielt außerhalb von Dalís „circulo de mis objetos de relación“ gesetzt, wie es im Gedicht zur Fotomontage heißt. Ebenso wie im Gedicht die fehlende Erinnerung ersetzt werden kann, weil sich Gala schon im-
88 Vgl. dazu Ades: Dalí, S. 136; in La vie secrète behauptet Dalí, diese Geste sei ein zufälliger Einfall an dem Tag, an dem er aus Cadaqués vertrieben wurde. Er verschweigt die fotografische Inszenierung mit Buñuel: „Ich nahm einen Seeigel setzte ihn mir auf den Kopf und stand vor meinem Schatten stramm – Wilhelm Tell.“ (Dalí: Das geheime Leben des Salvador Dalí, S. 308). 89 Vgl. Anm. 12.
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mer am Rande seines Gedächtnisses befunden habe, wird hier Gala an den Bildrand montiert, ohne von Dalí im Zentrum des Bildes wahrgenommen zu werden. Dabei handelt es sich nicht um eine spiritualistisch angehauchte Verbindung zwischen den Liebenden, die ihre gemeinsame Zeit auf Erden überwindet, auch wenn dies in den Texten und Bildern Dalís manchmal anklingt. Nicht nur durch die offensichtliche Montage wirkt die Fotografie befremdlich, sondern auch aufgrund der Ungleichheit und Entfernung des Paares. Als Paar scheinen die beiden hier gar nicht zu existieren. Dalí steht im Vordergrund, während Gala aus der Mauer, an der Dalí lehnt, scheinbar herauswächst. Ein Bein Galas ist abgeschnitten, verschwindet fast unter der Mauer und ihre Schulter ist dagegen vor die Mauer geschoben. Ohne diese Kunstgriffe der Fotomontage würde die Fotografie Galas wie zahlreiche andere, die Dalí Anfang der 1930er Jahre von ihr in Port Lligat schoss, eine fast peinliche Intimität und Banalität der jungen Liebe zwischen den beiden ausdrücken. Die natürliche, unbeschwert glückliche Haltung und Ausstrahlung Galas auf dieser und anderen Fotografien bildet einen fundamentalen Gegensatz zur späteren (massen-)medialen Inszenierung des Paares und auch zur Musenanbetung der Surrealisten, die Dalí in ironischer und irritierender Art und Weise in Texten wie El amor y la memoria oder später in La vie secrète... fortführt. In der Fotomontage kann Dalí beides zusammenbringen und betont dadurch den spielerischen Inszenierungscharakter seiner Anbetung Galas.
Von ‚wahren‘ und ‚falschen‘ Erinnerungen: Gala und Dalí in
La vie secrète de Salvador Dalí Die Inszenierung seiner Werke, seiner Person und auch Galas als Gala-Gradiva findet in Dalís Pseudo-Autobiographie vielleicht ihren Höhepunkt, wenn man auch nicht davon sprechen kann, dass es sich auch um einen künstlerischen Höhepunkt innerhalb Dalís Schaffen handelt. La vie secrète... besteht sicher insgesamt aus zahlreichen „wahren“ und „falschen“ Erinnerungen, die obendrein dermaßen mit seinen anderen Werken verknüpft werden, dass man Leben und Werk, Fiktion und Autobiografie im doppelten Sinne nicht mehr zu trennen vermag.90 Daher wurde dieser von den drei hier untersuchten Texten zuletzt verfasste bereits im Zusammenhang mit den anderen beiden so häufig
90 Dalí zitiert mit den „falschen Erinnerungen“ erneut in ironischer Weise die Psychoanalyse und einen psychopathologischen Diskurs, der unter dem Stichwort der „False-Memory-Debate“ noch immer aktuell ist, vgl. dazu Assmann: Erinnerungsräume, S. 265-278.
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angesprochen und soll im Folgenden nur noch abschließend in aller Kürze behandelt werden. Betrachtet man La femme visible als theoretisch-praktische Formulierung der paranoisch-kritischen Methode, könnte im Vergleich dazu La vie secrète... vor allem als deren Anwendung gesehen werden. Lange bevor Dalí von seinem Zusammentreffen mit Gala berichtet, finden sich Elemente der Gala-GradivaFigur in seinen Erinnerungen an die Jugendliebe Dullita.91 Dalís Begehren wird durch den Anblick des jungen Mädchens „von hinten“ geweckt und so wird sich der, in der Kunst so traditionsreiche, weibliche Rückenakt in den Gradiva- und Gala-Darstellungen durch Dalís gesamte Schaffenszeit ziehen. Wichtig ist dabei die Unsichtbarkeit des Gesichts, die auch in der Fotomontage, dem Gedicht El amor y la memoria und den Gradiva-Bildern elementares Kennzeichen dieser Figur ist. Da ich ja auch nie Dullitas Gesicht gesehen hatte, war es für mich einfach, diese beiden Geschöpfe zu vermischen, genau so, wie ich es schon einmal mit Galuschka aus meinen falschen Erinnerungen und Dullita Rediviva getan hatte!92 Es erscheint ganz unerheblich, ob Dullita bzw. das Mädchen, das sie reinkarniert, tatsächlich existiert, denn Dalí blendet ihre Individualität (ihr Gesicht) bewusst aus, um sie durch die paranoisch-kritische Methode als Wahnbild zu erschaffen. Die kritische Analyse dieses Vorgangs liefert er gleich mit, und die damit angestoßene psychoanalytische Interpretation wird Teil des Kunstwerks. Aus einem beliebigen Objekt (hier das zwölfjährige Mädchen) kann der Paranoiker Dalí durch Verdoppelung und Vermischung mit den explizit als „falsch“ bezeichneten Erinnerungen das Wahnbild Gradiva entstehen lassen. Ausgehend von Bergsons Erinnerungsbegriff, der eine geistige Aktivität, Bewegung und die Vermischung von unterschiedlichen ‚Zeit-Bildern‘ erfordert, hantiert Dalí zusätzlich noch mit ‚wahren‘ und ‚falschen‘ Erinnerungen. Der Vorwurf, Dalí degradiere die Frau, der er begegnet – sei es nun eine zwölfjährige Erntehelferin oder Gala – zum objet trouvé, relativiert sich schon durch seine provozierend offene Art dies zuzugeben. Dalí instrumentalisiert zudem kulturgeschichtliche Traditionen, die das „Weibliche“ mit zahllosen Tieren, Pflanzen, Naturelementen gleichsetzen (Wasser, Feuer, Blumen, Pferd, Katze, etc.), um sie zu pervertieren, indem er auch im Kadaver eines Esels oder Igels weiblich sexuell konnotierte Edelsteine oder die nach Lindenblüten
91 Vgl. zur Dullita auch den Beitrag von Frédérique Joseph-Lowery in diesem Band. 92 Dalí: Das geheime Leben des Salvador Dalí, S. 120.
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duftende Dullita sieht.93 Der Esels- und Igelkadaver ist außerdem eine der zahlreichen geschickt platzierten intermedialen Verknüpfungen zwischen La femme visible, La vie secrète... und den Eselskadavern in Bild und Film (Le chien andalou). Der in Zusammenhang mit La femme visible bereits angedeutete fundamentale Unterschied zwischen Jensen und Freud auf der einen Seite und Dalí auf der anderen Seite ist in La vie secrète... deutlich zu belegen, auch wenn der Autor so manche, in der Sekundärliteratur dankbar aufgenommene, Analogie zwischen dem Vorbild (Jensen, Freud) und seiner Gradiva-Figur herstellt. Entscheidend für die Inkompatibilität zwischen dem therapeutischen Ansatz Freuds und dem surrealistischen Dalís ist, dass die Gradiva nicht auf eine reale, logisch rekonstruierbare Jugendliebe mit Namen (Zoë Bertgang), Körper und Persönlichkeit zurückzuführen ist. Dalí gefällt offenbar die Idee einer wiederkehrenden, aus einer Erinnerung entspringenden Frau, die gleichzeitig Wahnbild und als Gala schließlich Wirklichkeit ist. Nur dass sie aus einer „falschen“ Erinnerung entspringt und auch das Wahnbild mit der Materialität des fühlbaren Objekts gleichzusetzen ist. Und meine Hände ertasteten auf dem Körper des fürchterlich klaren Mittags von Cadaqués die Abwesenheit eines weiblichen Gesichts, das schon von weitem auf mich zukam. Das konnte niemand anders als Galuschka sein, die wiederaufgelebt […] und vorwärtsschritt, denn immer sah ich sie schreiten, immer vorwärtsschreiten.94 Gradiva „celle qui avance“ ist in ihrer schreitenden Bewegung immer zugleich anwesend und abwesend. Wie ein Abbild, eine Chimäre, ein Schatten, ein Gespenst schreitet sie als Todesbotin durch die Ruinen Pompejis und ist doch zugleich sinnlich erfahrbar, Quelle der Zukunft und des Lebens. Nicht einmal als Objekt kann Dalí sie körperlich berühren, sondern als Zeit (in Form des „klaren Mittags“), und es ist dennoch kein Körper, der auf ihn zuschreitet, sondern eine „Abwesenheit“. Auch das Bild, sei es nun ein Gemälde, Fotografie, Film, verweist auf die Abwesenheit des dargestellten Körpers und fordert
93 Vgl. La femme visible und La vie secrète..., Dalí: „Die sichtbare Frau“, S. 134; ders.: Das geheime Leben des Salvador Dalí, S. 124; der Lindenblütenduft, den Dullita und indirekt auch der Igelkadaver verströmen, ist offensichtlich eine Reminiszenz an Prousts berühmte Szene aus À la recherche du temps perdu als Marcel durch den Geschmack, Duft, Genuss einer Madelaine eingetaucht in Lindenblütentee einen Strom der Erinnerung auslöst. Damit werden indirekt erneut Bergsons Überlegungen zu dem Thema angesprochen. 94 Dalí: Das geheime Leben des Salvador Dalí, S. 266.
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diese zugleich ein.95 Dabei ist zu bedenken, dass auch Hanolds Gradiva bei Jensen einem Bild (einem Relief) entstiegen ist. Nun ist es keineswegs der Fall, dass Gala, als sie in Dalís Leben tritt dieser abwesenden Frauenfigur, diesem Wahnbild einen Körper und Anwesenheit geben würde. Damit würde das Wahnbild in die Realität überführt und Dalís surrealistisches Schaffen sozusagen beendet, seine paranoisch-kritische Methode hätte versagt. Indem Dalí sich selbst und Gala jedoch in einer androgynen Gradiva-Fugur neu erfindet, existiert Gradiva weiter als Wahnbild, das nun sogar den Vorteil einer gleichzeitigen materiellen Präsenz durch Galas Körper besitzt. Abgesehen davon kann Dalí sein Privatleben vor allzu neugierigen Blicken der Analytiker schützen, indem er ihnen ein fiktives, widersprüchliches Leben als Kunstwerk anbietet.96 Zudem ist diese Selbstinszenierung mit Gala ein Erfolgsrezept, denn was gibt es für die Betrachter langweiligeres als eine „glückliche Ehe“? Dalí behauptet in La vie secrète..., dass er sich bemüht habe verrückt zu werden und als Folge seine berühmten „Lachanfälle“ entwickelte, die nicht auf ihren ‚Erfolg‘ warten ließen. Daraufhin betrachteten seine „surrealistischen Freunde“ ihn als „offenkundiges Genie“.97 Sicher ist diese Beschreibung nicht ohne Selbstironie, aber sie berechtigt auch zu erheblichen Zweifeln an Dalís Behauptung, erst Gala habe ihn von den Lachanfällen geheilt.98 Galas erstmaliges Erscheinen in Cadaqués fördert dagegen Dalís Hang zur Selbstinszenierung – zumindest wenn man hier seinen Darstellungen glauben möchte –, denn er investiert viel Mühe in sein Äußeres, dass zu seiner Zufriedenheit besonders „feminin“ wirkt. Er verwandelt sich vor dem ersten Zusammentreffen zu zweit in einen „Wilden“, indem er sich mit Blut und Mist beschmiert, seine Haut aufritzt, etc. und unternimmt dies alles mit der Sorgfalt eines Schauspielers, bevor er beschließt, dass diese Inszenierung wohl keinen Erfolg haben wird. Er handelt also nicht wie der psychisch Kranke, als der er so oft betrachtet wird, sondern kalkuliert sowohl Mittel als auch Wirkung genau – möglicherweise auch die Wirkung auf die Leser seiner Biographie, die ihn daraufhin eben für jenen Paranoiker halten, für den er gehalten werden möchte.
95 Vgl. zur kunsttheoretischen Diskussion über das Doppel und dem Verhältnis zwischen Abbild und Körper (Original) Derrida, Didi-Huberman, Belting, Wetzel, Kofman u.a. in: Rißler-Pipka: Das Frauenopfer in der Kunst und seine Dekonstruktion. 96 Auch Peter Bürger zieht diese Möglichkeit des „Schutzschildes“ in Betracht (vgl. seinen Artikel in diesem Band). 97 Dalí: Das geheime Leben des Salvador Dalí, S. 271-272 u. S. 274. 98 Vgl. ebd., S. 283 u. S. 301.
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Unter diesem Gesichtspunkt muss man wohl auch die „Heilung“ betrachten, die Dalí von Gala angeblich erfährt. Nun folgt die Geschichte dieser Heilung, die allein die andersartige, unbezwingliche, unergründliche Kraft der Liebe einer Frau vollbrachte, gelenkt von einer so reinen und wunderbaren biologischen Klarsicht, daß sie an Gedankentiefe und praktischen Resultaten selbst das anspruchsvollste Ergebnis psychoanalytischer Methoden übertraf.99 Bereits in diesem Abschnitt grenzt sich Dalí von Freuds psychoanalytischer Deutung der Gradiva ab. Denn Gala „übertrifft“ eine solche Analyse und mag diese noch so „anspruchsvoll“ sein. Die Frage ist nun, in welcher Weise Gala dies gelingen kann. Ist doch die Heilung, die Hanold in Jensens Erzählung erfährt, und die Freud den therapeutischen Künsten Zoës zuschreibt, nicht zu steigern. Dalí gibt darauf eine wie immer etwas kryptische Antwort, die aber den zentralen Unterschied zur Psychoanalyse benennt: Meine Regression auf die infantile Phase wurde durch die wahnhafte Einbildung verstärkt, Gala sei diesselbe, zur Frau herangewachsene Person wie das kleine Mädchen meiner ‚falschen Erinnerungen‘, die ich dort Galuschka genannt habe, was die Verkleinerungsform des Namens Gala ist. Die Wahngebilde und Schwindelvorstellungen (Gipfelrausch, Verlangen, einen anderen oder auch mich selbst von der Klippe zu stürzen) stellten sich mit erhöhter Intensität wieder ein.100 Wie am psychoanalytischen Fachvokabular leicht zu bemerken ist, analysiert Dalí sich schon recht gekonnt selbst. Dies gehört als „Kritik“ zur „Paranoia“, folgt man seinen Ausführungen zur paranoisch-kritischen Methode. Gala braucht er daher nicht so sehr als Therapeutin, sondern vielmehr als Muse, als Beförderin des Wahns, damit sich „die Wahngebilde“ mit „erhöhter Intensität“ wieder einstellen. Ohne diese sind Dalís Werke schließlich kaum denkbar. Gala gelingt dies, weil sie möglicherweise ganz ähnliche ‚Fähigkeiten‘ wie Dalí besitzt. Sie ist wie Gradiva in der Lage, „kraft eines geschickten Abbilds ihrer Liebe moralisches Dunkel mit der scharfen Luizidität ‚lebendiger Irrer‘ zu erhellen.“101 Demnach befindet sich Dalí noch immer in den Fängen der Moral und muss durch Gala ans Licht des Wahnsinns geführt werden. Gala wäre also selbst eine „Irre“.
99 Ebd., S. 283. 100 Ebd. 101 Ebd., S. 290.
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Gerhard Wild
Heteropoiesis: Wahrnehmung und Ein-Bildungskraft in Dalís frühen Prosaschriften und die Ästhetik des Fin de Siècle Kunst ist der Umweg, auf dem sich der Traum den Weg in die Wirklichkeit bahnt. (Sigmund Freud) Für Eberhard Fahlke
1.
Geheime Leben – verborgene Gesichter – innere Bilder
Nicht erst dem Surrealisten, sondern dem Bildenden Künstler der Frühen Neuzeit war Sehen gleichbedeutend mit Staunen, – ein Zusammenhang, dem die meisten romanischen Sprachen aufgrund des etymologischen Zusammenhangs von Wunder (miraculum, milagro, merveille, miracle, meraviglia), Schauen (mirari, mirar) aber auch sich spiegeln (mirer, miroir, mirall) Rechnung tragen. Dieser Zusammenhang von Blick, Sehen und Wunder wird im Moment der Selbstbespiegelung des neuzeitlichen Subjekts ambiguisiert. Leonardo da Vinci hat in einem zwischen 1478 und 1518 abgefassten Manuskript die folgende Beschreibung hinterlassen, die seine Wahrnehmungen und Gedanken beim Betreten einer Höhle – wohl auf Sizilien – wiedergibt: E tirato dalla mia bramosa voglia, vago di vedere la gran copia delle varie e strane forme fatte dalla artificiosa natura, raggiratomi alquanto infra gli ombrosi scogli, perveni all’entrata d’una gran caverna: dinanzi alla quale, restato alquanto stupefatto e ignorante di tal cosa, piegato le mie reni in arco, e ferma la stanca mano sopra il ginocchio, e colla destra mi feci ten[ebre] abbassate e chiuse ciglia; e spesso piegandomi in qua e in là per [ve]dere se dentro vi discernessi alcuna cosa e questo vietatomi [per] la grande oscuri[tà] che là entro era. E stato alquanto, subito sa[l]se in me due cose, paura e desidero: paura per la minac[ciante] e scura spilonca, desidero per verde se là entro fusse alcu[na] miracolosa cosa.1
1
Da Vinci: Scritti letterari, S. 184f.
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Gerhard Wild | Heteropoiesis: Wahrnehmung und Ein-Bildungskraft
Anders als Petrarcas viel zitierter Bericht über die Ersteigung des Mont Ventoux, der in noch mittelalterlicher Tradition Sehen auf das Gotteserlebnis zurückbindet und es in der daraus resultierenden Demutsgeste, und sei es fiktiv, objektiviert, – ist diese von Leonardo da Vinci auf dem Blatt 155r des Codex Arundel festgehaltene ‚Urszene‘, die im Sehakt neue Signifikanzen generiert, als frühneuzeitlicher Markstein einer abendländischer Wahrnehmungstheorie bislang kaum gewürdigt worden. Der mit der Reduktion des Sehens einhergehenden „Verinnerlichung“ des Perzeptionsvorgangs geht äußere Wirklichkeit zwar noch voraus, in dem Text aber fungiert Gesehenes nur mehr als Stimulans, als Ausgangspunkt zur Ursachenforschung innerer Regungen. Es scheint kein Zufall zu sein, dass sich dieser Text in Leonardos Manuskript in unmittelbarer Nähe einer Reihe semiliterarischer Arbeiten des Universalgenies findet, die weniger auf das Moment empirischer Faktizität abzielen, als vielmehr ein Element tätiger Phantasie in den Erkenntisvorgang hineintragen.2 Denn seit Platon ist Wahrnehmung nach europäischer Tradition stets Spiegelung vorgefundener Wirklichkeit, mithin Selbstwahrnehmung, die nicht über eine mechanische Wiedergabe des im Sehakt Wahrgenommenen („Objekt“) Rechenschaft geben möchte, sondern vor allem über das innere Erleben („Subjekt“). Dabei scheint Leonardos Erlebnis den von Platon in der Höhlenmetaphorik exemplifizierten idealistischen Relativismus einer präkinematographischen Wahrnehmungsform3 aufzunehmen, wenngleich der Maler, anders als der Philosoph, die Macht des Vorgestellten über die Kategorien der Angst (paura) und des Begehrens (desidero) statt der Gefangenschaft anthropologisiert. Das bei Leonardo theatralisierte Intensitätsmoment eigener Wahrnehmung beruht auf der Konvergenz von (Un-)Lust und (Neu-)Gier. Aisthesis gründet hier in Staunen,4 dem ein Begehren einbeschrieben ist, das in der gemeinsamen etymologischen Wurzel von Voyeurismus und Vision den Akt des Sehens zwischen eros und apokalypsis definiert. Platons Trauer über die stets medial begründete Uneinsehbarkeit menschlicher Perzeptionsweisen ginge hier womöglich in einer psychologisch begründeten voyeuristischen Qualität auf, deren spezifischer Reiz nicht im realistisch begründeten Erkennen eines Au2
So befindet sich in Nachbarschaft zu der zitierten Stelle (fol. 158) der Text „Il mostro marino“, der nicht real Geschautes dokumentiert, sondern in der Tradition des Grotesken jene inneren Bildwelten transkribiert, die in frühneuzeitlicher Epik und Reiseliteratur Ausdruck einer am Wunderbaren orientierten Weltsicht waren. Kurz vor der Passage (fol. 155) handelt Leonardo von der Möglichkeit bzw. Unmöglichkeit, die Natur auf singuläre Prinzipien zurückzuführen, insofern also von Wahrnehmungsskepsis.
3
Vgl. Wild: „Platon am La Plata“, und Wild: „Von der chambre aux images zur camera obscura“.
4
Vgl. Wild: „Athaumasia – eine Theorie des Staunens aus musealem Geist“.
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Gerhard Wild | Heteropoiesis: Wahrnehmung und Ein-Bildungskraft
ßen, als vielmehr in dessen Gegenteil, der Konstruktion eines phantastischen Innen läge. Nicht nur durch den Rekurs auf die im Christentum diskreditierte „concupiscentia oculorum“, sondern mehr noch durch die diesem Laster innewohnende Hybris zielte ein sich den Wunschbildern statt den Schöpfungswundern zuwendender Voyeurismus dann womöglich auf den schlechthinnigen Urgrund abendländischer Subjektivität. Nicht zufällig verortet man in der Epoche Leonardos5 die historischen Wurzeln jener „Genialität“, die sich in dem paradoxen Malerratschlag, den Blick nie auf das zu richten, was man portraitiert,6 äußert, und in Picassos Aphorismus kulminiert, Dinge nicht zu malen, wie er sie sehe, sondern wie er sie denke. Auch nach der bereits in Leonardos Epoche virulenten Wahrnehmungskrise bleibt das ästhetische Dispositiv einer nur mehr in der Einbildungskraft wahrnehmbaren Realität das beherrschende Perzeptionsmuster: Denn wir empfangen nicht allein Bilder oder Spuren in unserem Gehirn, sondern formen auch neue, wenn wir zusammengesetzte Vorstellungen auffassen. So muß also die unser Gehirn veranschaulichende Leinwand tätig und elastisch sein. Diese Vergleichung würde das, was im Gehirn vor sich geht, ziemlich gut erklären, was aber die Seele anbetrifft, welche eine einfache Substanz oder Monade ist, so stellt diese ohne Ausdehnung dieselben Mannigfaltigkeiten der ausgedehnten Massen vor und hat eine Wahrnehmung desselben.7 Die zumal seit Leibniz’ Monadenlehre zum Gemeinplatz verkommene Erkenntnis der Subjektivität und daraus herrührenden Inkommunikabilität menschlicher Wahrnehmung wird offenbar künftig allein über die beiden von
5
Hauser: Der Ursprung der modernen Kunst und Literatur.
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Dieses seit der Renaissance überraschenderweise auch im akademischen Malbetrieb durchaus gängige Postulat hat seinen Ursprung – nicht minder überraschenderweise – in der von Platon eher geforderten als betrauerten Supplementarität des künstlerischen Bildes. Gemäß der in dem sprachtheoretischen Dialog Kratylos entwickelten Kunst- und Wahrnehmungstheorie habe ein Bild dem abzubildenden Vorwurf zugleich ähnlich und unähnlich zu sein, Bildern komme mithin Verweisfunktion zu, die er als „qualitativ“ definiert, nicht aber eine Ersatzfunktion, die er als „ nur quantitativ“ ablehnt: „Die Richtigkeit dessen aber, was vermöge einer bestimmten Beschaffenheit ist, was es ist, und so auch jedes Bildes mag, wohl nicht eine solche sein, sondern es wird im Gegenteil ganz und gar nicht einmal alles einzelne so wiedergeben dürfen, wie das Anzubildende ist, wenn es ein Bild sein soll.“ (Platon: Kratylos, 432 b, S. 546f.
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Leibniz: Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand, S. 192.
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Platon, Aristoteles8 (Plotin9, Giordano Bruno10 und später noch Schopenhauer) in die Diskussion gebrachten psychischen Modi von Bestürzung und Begehren, Flucht und Anziehung geregelt.11 Bemerkenswert ist hierbei zunächst die durchgängige Ambivalenzhaltung gegenüber der von Anbeginn als „subjektiv“ betrauerten monadischen Aisthesis, nämlich als einer Kluft zwischen übersteigerten Intensitätsmomenten und der daraus herrührenden Dämpfung des Wahrheitsanspruchs. Bemerkenswert ist ferner, dass dieses monadische Konstrukt stets als nicht hinterfragbare Innerlichkeit im Bild des Innenraums – vorzugsweise der Höhle – metaphorisiert wird: Die Götzenbilder der Höhle sind die Götzenbilder des einzelnen Menschen. Denn jeder Einzelne hat neben den Verirrungen der menschlichen Natur im Allgemeinen eine besondere Höhle oder Grotte, welche das natürliche Licht bricht und verdirbt; theils in Folge der eigenthümlichen und besonderen Natur eines Jeden, theils in Folge der Erziehung und des Verkehrs mit Andern, theils in Folge der Bücher, die er gelesen hat, und der Autoritäten, die er verehrt und bewundert, theils in Folge des Unterschiedes der Eindrücke bei einer voreingenommenen und vorurtheilsvollen Sinnesart gegen eine ruhige und gleichmässige Stimmung, und dergleichen mehr. Der menschliche Geist ist deshalb in seiner Verfassung bei dem Einzelnen ein sehr veränderliches, gestörtes und gleichsam zufälliges Ding.12 Ausgehend von den Kategorien Bestürzung und Begehren kann die monadische Konstruktion je nach ideologischem Blickwinkel heroisiert (Leonardo) oder dämonisiert (Francis Bacon) werden. Gerade Bacons Betonung des Idol8
Aristoteles: „De anima“, 431 a.
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Plotin: Die Enneaden, II, 5. Buch.
10 Bruno: Von der Ursache, dem Prinzip und dem Einen. 11 Die ursprünglich theologisch begründeten wirkungsästhetischen Kategorien werden in neuzeitlichen Perzeptionstheorien sei es nivelliert, sei es durch das postfreudianische Konzept von Voyeurismus und Wunscherfüllung substituiert. Unüberbrückbar bleibt indes stets der Hiat, welcher sich durch die Differenz von „monadischer Konstruktion“ als Basis aller Imagination und einer von daher nicht mehr objektivierbaren Außenwirklichkeit auftut. So forciert etwa Villem Flusser („Eine neue Einbildungskraft“) in der Metapher des „Zurücktretens“ vom geschauten Gegenstand den bereits von da Vinci, Bruno, Bacon und Leibniz angemerkten Dualismus. Einbildungskraft wäre demnach die Fähigkeit „in die eigene Subjektivität zurückzutreten“. Wahrnehmung wird unter monadologischer Perspektive eine daraus herrührende Form ästhetischer Obdachlosigkeit. 12 Bacon: Neues Organon, S. 76.
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charakters monadischer Empfindungen zeigt, dass das komplexe Ineinanderwirken von Aisthesis, Mnemosyne und vermittelndem Logos als das schlechthinnige Dilemma einer Wahrnehmungstheorie besteht. Während Bilder in philosophischen Wahrnehmungstheorien als „prälogisch“, und damit auch der Mnemosyne vorgeordnet, angesehen werden, bedürfen sie zugleich des Logos und des Wissens, die ihren Bestand in der monadischen Konstruktion des Subjekts verbürgt.13 Der daraus herrührende Konglomeratcharakter aller bildlichen Vor-Stellung wird bereits von Leibniz (polemisch gegen den „realistischen Ansatz“ Spinozas) äußere Wahrnehmung (sensus) über ein im Subjekt als vorgängig situiertes Bewusstsein (intellectus) gemäß der scholastischen Perzeptionshypothese, wonach die „Sache erst durch die Form ihr Sein erhalte“, harmonisiert: Nihil est in intellectu quod non fuerit in sensu, excipe: nisi ipse intellectus.14 Das hierüber postulierte subjektivistische Wahrnehmungsdispositiv erführe also seine Filterung oder Brechung in jedem Falle über ein dem Subjekt inhärent Gegebenes, ein diskursives Raster, über welches äußere Informationen verinnerlicht werden können.
13 Grundlegend hierzu sind die Arbeiten von Eckhard Lobsien, der im vergangenen Jahrzehnt unter einer stets strikt philologischen Perspektive die klassischen Imaginationslehren sowohl mit Blick auf die frühneuzeitliche englische Literatur, als auch für die klassische Moderne fruchtbar gemacht hat. Vgl. Lobsien: Imaginationswelten und ders.: Die Phantasie des Ulysses; siehe auch seinen Beitrag „Bildlichkeit, Imagination, Wissen“; Lobsien fasst, anders als neuere medientheoretisch argumentierende Imaginationstheorien, Bildlichkeit in einem strikt philologischen Ansatz als Geistesbeschäftigung auf, die in dem Dualismus zwischen implizitem Wahrnehmungswissen von Bildlichkeitsvorstellungen (d.i. Mnemosyne) und dem Erwerb dieses Wissens (d.i. Aisthesis) situiert ist. Die poetische Einbildungskraft selbst definiert Lobsien über einen an Husserls Phänomenlogie angelehnten Phantasie-Begriff als „reines Vergegenwärtigen eines Nicht-Gegenwärtigen“ (S. 109f.). Mit Blick auf unsere unten vorgestellte Analyse von Dalís „Sant Sebastià“ kommt Lobsiens Formel eine zentrale Rolle zu. Imagination bringe – vor allem über die Zentralkategorie des Wissens das Sujet (mithin: die Wahrnehmung) „zum Verlöschen“ (S. 110) und setze den reproduzierten Gegenstand in einen „Kontext aktueller Jetztauffassung“. Wie wir unten zeigen wollen, operiert Dalís früher Prosatext mit eben diesem Modus einer Anverwandlung, in der ein Phantasie-Ich die wirkliche Aufmerksamkeit durch die Geistesbeschäftigung der „Phantasie-Aufmerksamkeit“ (S. 112) substituiert: Welthaltigkeit geht so über die poetische phantasia in Innerlichkeit auf. 14 Ebd., S. 78.
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Der damit gesetzte Widerspruch zwischen einem als vorgängig bestimmten Bewusstsein (Innerlichkeit) und dessen physiologischer Konstitution (Welthaltigkeit) bzw. zwischen einer vorästhetischen Grundlegung aller Perzeptionsmöglichkeiten in einem vorgängigem Logos („veritas non in re, sed in dicto constitit“15) wird, wenn ich recht sehe, selbst von der neuzeitlichen Phänomenologie nicht aufgelöst. Das Subjekt ist sich eine camera obscura, die äußere Totalität in einen Hohlspiegel wirft, seine Materie eine Legierung aus dem kaum zu erweisenden, gleichwohl als vorgängig postulierten Logos und einer gelegentlich bestrittenen Mnemosyne (als subjektiv gefiltert gespeicherter ästhetischer Erfahrung). Für unsere weiteren Überlegungen ist einmal das Moment der Trauer entscheidend, das die monadische Setzung des Subjekts aus philosophischer Sicht künftig umgibt und in späteren Epochen in Termini wie Pessimismus oder Geworfensein stetig radikalisiert, während es in ästhetikgeschichtlicher Hinsicht über die Konvergenz mit einem stetig expandierenden Autonomiebegriff offenbar den Mangel des Subjekts als neues Eigentliches heroisiert. Haftete Leonardos Selbstbeobachtung noch der rezeptionspsychologische Dualismus von Begehren und Bestürzung an, so begründet der Zwiespalt einer uneinholbaren Differenz von Wahrnehmung und Wirklichkeit fortan den epochenspezifischen Umgang mit dem „monadologischen Dispositiv“, dem sich letztlich alle künstlerische Geistesbetätigung zu verdanken scheint, – das Ungenügen einer seit den Vorsokratikern als vieldeutig beargwöhnten Wirklichkeit, der aber, sobald sie als künstlerischer Ausdruck aufscheint, der bereits seit Platons Politeia diffamierte Hauch von Irrealität oder Phantastik anhaftet. Man kann hier die Frage anschließen, ob 1) womöglich das monadologische Dispositiv ein Modernitätskriterium per se darstellt, 2) ob seine Expansion seit dem späten 12. Jahrhundert und seine schließliche Implosion im 20. Jahrhundert Eckpunkte einer Geschichte ästhetischer Ein-Bildungskraft darstellen, und ob 3) zumal der Roman als Ort generischer Pluralität auf diese expandierende Subjektivität hingeordnet ist. Das monadische Dispositiv erklärt dabei nicht nur Aufstieg und gelegentlichen Absturz der Gattung Roman, sondern auch wie und warum sich diese Entwicklung parallel zur Entstehung und dem mittlerweile allerorts konstatierten Zerfall autobiographischer Schreibweisen vollzieht. Das seit Schlegel thematisierte Formproblem des Romans – als einer dramatische, lyrische, epische und expositorische Schreibweisen inkorporierende Übergattung – wäre dann ein Problem des je spezifischen Blicks eines Subjekts auf sich selbst, welches seinen eigenen Zerfall konstatiert, diesem aber bei aller Vehemenz des Schreibvorgangs keinen Einhalt gebieten kann. Spätestens Diderot liefert das 15 Leibniz: „De principio individui (1663)“, S. 239.
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Beispiel einer Ortlosigkeit des sich im Akt erzählerischer Selbstkonstitution zersetzenden Ichs: J’abandonne mon esprit à tout son libertinage. Je le laisse maître de suivre la première idée sage ou folle qui se présente, comme on voit, dans l’allée de Foy nos jeunes dissolus marcher sur les pas d’une courtisane à l’air éventé, au visage riant, à l’œil vif, au nez retroussé, quitter celle-ci pour une autre, les attaquant toutes et ne s’attachant à aucune. Mes pensées, ce sont mes catins.16 Zumal Diderots Vergleich der eigenen Gedanken mit den Flittchen am Palais Royal, mithin die starke Betonung des körperlich-erotischen Moments, verdeutlicht, dass Egoinszenierung nunmehr dem (neuzeitlichen) Begehren deutlich näher steht als der (vormodernen) Bestürzung über die Hingabe an die inneren Phantasmen. Bemerkenswert ist weiter, dass die von Leibniz noch schlicht als Umformung der Sinnesreize konstatierte monadische Wahrnehmungsbrechung bereits bei Diderot mit einem emphatisierten Narzissmus einhergeht, der dem Nexus von forcierter Selbstwahrnehmung und Autoerotismus unterliegt.17 Der Effekt monadologischer Schreibpraxis wäre dann bereits seit den Anfängen des Romans jene Form der Denarrativierung, die um 1600 den „peregrinatorischen“ Roman18, seit der Spätaufklärung den verwilderten Roman und schließlich die deambulatorischen19 Erzählexperimente der Fin de SiècleProsa hervorbrachte. Alle diese gründen im Scheitern jener Selbstvergewisserung, die das entheimatete Subjekt im Akt des Erzählens unternimmt. Es überrascht nicht, dass in der Romantik und den sich auf sie beziehenden Stilkonfigurationen – Décadence und Surrealismus – das monadische Wahrnehmungskonstrukt besondere Attraktivität genießt. Das Weiterleben der erzählerischen Großformen verdankt sich dem Dualismus von emphatisierter Selbstbehauptung des erzählenden Subjekts und seiner narzisstischen Entstrukturierung, für die das Fin de Siècle zahlreiche Metaphern kennt: Zerbrechen, Zerfaserung, Verdoppe16 Diderot: Le neveu de Rameau, S. 11. 17 Der wesentliche Schritt, durch den sich Diderot bereits von Leibniz (und dessen uneingestandenen Vorgängern Plotin und Giordano Bruno) absetzt, ist die Tilgung eines transzendentalen Überbaus, der bei Leibniz in dem Postulat einer „absoluten Monade“ („monas monadum“) – Gott – gründet. Am Rande sei angemerkt, dass der späte – „mystische“ – Dalí der Nachkriegsära eine Tendenz aufweist, die diese genuin aufklärerische Wende der Monadologie rückgängig machen will. 18 Wild: „Athaumasia“, S. 84-95. 19 Wolfzettel: „Der ‚deambulatorische‘ Roman“.
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lung, um nur einige zu nennen, verweisen in Deutlichkeit auf ein ästhetisches Scheitern, das weniger in der Fülle eines nicht in die Prosa hereinzuholenden äußeren Daseins liegt, als wohl eher in der uneinholbaren Verräumlichung der inneren Existenz. Der „dekadente“ oder „finisäkuläre“ Text (Roman, Essay, Novelle, Erzählung, Prosagedicht usw.) wird so zu einem Egodokument, einem Medium der Selbstwahrnehmung, das zwischen Traum, Reflexion und Erinnerung das raum-zeitliche Gefüge unserer Alltagswirklichkeit suspendiert. So spielt Flauberts Tentation de Saint Antoine mit dem Moment religiöser Entsagung, um die heiligmäßige Gebärde als Variante und vielleicht gar Wurzel neuzeitlichen Ich-Kults zu entdecken, dem das innere Sehen zum Diskursgegenstand eines sich selbst fremden, im Zerfall befindlichen Subjekts wird. Doch auch Texte von Pessoa, Sá-Carneiro, Huysmans, Barrès, Bourget, Gide, Larbaud, Asunción Silva, Azorín, Díaz Rodríguez, Unamuno, Rilke, Schnitzler, Beer-Hofmann, Musil und natürlich Proust bezeugen, dass der neuzeitliche Erzähltext spezifische Erzählverfahren in erster Linie zur Umstülpung innerer Bildwelten ins Werk setzt. Nicht umsonst handelt es sich in fast allen Fällen nicht nur um Werke, die auf den eigenen Schreibvorgang zurückverweisen, sondern die auf die äußere Wirklichkeit, wenn nicht durch die Thematisierung des Schreibvorgangs, so durch ausgedehnte Reflexion über die Künste als Medien der Wirklichkeitsreflexion rekurrieren müssen. Die vom „kulinarischen“ Leser stets eingeforderte Narrativität des Erzähltextes wäre unter finisäkulärem (und damit auch: präsurrealistischem) Aspekt dann eigentlich bloß das Verkettungsprogramm von subjektorientierten Bilderfolgen, die ihrerseits das Resultat einer in der Gattungsgeschichte der Erzählliteratur fortschreitenden „Denarrativierung“ sind. Denarrativierende Techniken wie der innere Monolog, der discours indirect libre, aphoristische, expositorische und essayistische Schreibweisen, aber gerade auch ein pseudofotografischer Mimetismus und das Verfahren der Collage gehören insofern zu einem Repertoire, das auf die statisch-deskriptive gegenüber der dynamisch-narrativen Komponente des Erzählens20 abzielt. Denn die Beziehung des Subjekts zur äußeren Wirklichkeit ist von einen Fragmentarismus geprägt, gegen den sich die Monade vermittels einer Simultanitätsempfindung wendet, die in der Struktur ihres Gedächtnisses und der Unkontrollierbarkeit der Empfindungen gründet. In mediengeschichtlicher Hinsicht markiert daher das französische Fin de Siècle, ausgehend von Baudelaires Transzendentalisierung des monadischen Dispositivs in seiner Correspondance-Lehre21, den Pol aller späteren fingiert intermedialen Bestrebungen. Der Ort des Erzählens wird spätestens mit Flau20 Vgl. die Unterscheidung bei Todorov: Poétique de la prose, S. 120ff. 21 Vgl. dazu Vortriede: Novalis und die französischen Symbolisten, und Koch: Mnemotechnik des Schönen.
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berts Tentation der Abdruck internalisierten Wahrnehmens, in dem Worte vermöge „fortschreitender Entgegenständlichung“22 einen „Übergang der Künste in die Kunst“23 feiern, den sprödere Epochen zu betrauern hätten. Für Adorno sind bezeichnenderweise Ausfransungsphänomene von Bildern, Klängen, Düften und Gesten „ein falscher Untergang der Kunst“24, insofern dieser Heterotechné ein resignatives Moment anhaftet: Aus einer vorgeblichen Erschöpfung der Gestaltungsmöglichkeiten25, die eine Verschiebung von der Verfahrens- zur Materialorientiertheit bewirkt26, tritt die „Einzelkunst“ eine Flucht nach vorn an, die im Ausweichen oder im Ausfransen in eine andere Kunst neue Form anzunehmen hofft. Den Ausgangspunkt für die heteropoetische Dokumentation der Reise durch das eigene Ich bildet die neuzeitliche Subjektemphase, die letztlich noch in den Biographien der antibourgeoisen Heroen aufscheint. Die im dekadenten Moniage von Huysmans’ asketischem Wüstling des Esseintes und Flauberts (un-)heiligem Antonius präfigurierte Eremitage Max Ernsts in der Wüste von Arizona oder Dalís ins katalanische Schloss Pubol ist in räumlicher und gesellschaftlicher Hinsicht der geometrische Ort, von dem aus das Subjekt seiner aisthetischen Ortlosigkeit im heteropoetischen Ausfransen nachspürt.
2.
Souvenirs de l’égotisme I jede einzelne Monade [produziert] die Welt aus sich selbst, aber doch existiert diese zugleich unabhängig von den Vorstellungen; […] mithin beruht alle Realität am Ende doch nur auf Vorstellkräften. (Schelling, Das System des transzendenten Idealismus)
Anders als die spärliche Forschungsliteratur zu Salvador Dalís Texten hat der Meister selbst seinen Anteil an der Geisteswelt des späten 19. Jahrhunderts in seinem Schaffen ebenso wenig verleugnet wie seine Wegbegleiter Chirico, 22 Vgl. Adorno: „Die Kunst und die Künste“, S. 432. 23 Ebd., S. 448. 24 Ebd. 25 Vgl. Wild: „Athaumasia“, S. 74: „Im Moment der Musealisierung würde demnach dem Protobarock, dem Fin de Siècle und jener ‚Anti-Moderne‘, als die sich der Surrealismus in seiner Negation der ihm vorausgehenden Abstraktionsbestrebungen zu etablieren versucht, eine gemeinsame Philosophie ästhetischer Erfahrung zugrunde liegen, die auf die Geschichtlichkeit vorgängiger Kunstwerke sei es aus einer überlegen-ironischen, sei es einer resignativ-tragischen, indes stets distanziert-globalisierenden Perspektive zurück- bzw. herabblickt.“ 26 Ebd., S. 434.
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Miró27, Ernst, Éluard, Breton und Aragon. Thematische Beziehungen zwischen dem Surrealismus und der Fin-de-Siècle-Kultur sind offenkundig und ließen sich von Bretons Frühschriften ebenso wie in Dalís erzählender Prosa der 1950er und 1960er Jahre auf der Ebene der Erzählmotive ebenso unschwer wie durch explizite Verweise28 belegen: Substitution des äußeren Lebens durch künstliche Paradiese (Künste, Drogen, spirituelle Praktiken), Betonung exotischer Formen der Erotik, die das Moment der Selbstverweigerung betonen (Narzissmus, Sadomasochismus, Satanismus), sowie die Medialisierung aller Kommunikations- und Wahrnehmungsformen.29 Hierfür ist zumal Bretons semiautobiographische bzw. semiromaneske Textsammlung Les pas perdus (1924) ein – gemessen an der Popularität seiner späteren Prosa der 1920er Jahre – zu wenig frequentiertes Beispiel. Im äußeren Kleid eine Essaysammlung, aber unter Rückgriff auf das finisäkuläre Konzept der improvisatorischen Träumerei über reale Kunstwerke, organisiert der Autor die Essays zu einem fiktiven Lebenslauf und zeichnet seinen intellektuellen Weg seit dem Ausbruch des 1. Weltkriegs anhand von realen und fiktiven Begegnungen, Lektüren oder ästhetischen Erlebnissen in einem „Roman ohne Plot“ nach.30 In Hinblick auf die in den Manifesttexten geforderte Rückführung von Kunst ins Leben eher inkonsequent, strebt Breton nach 1924 das Konzept eines fiktionalen Textes an. Bei aller prätentiös ausgestellten Welthal27 Vgl. hierzu Ehrich: Miró und Jarry, hierzu Rez. Wild: „Rezension zu Riewert Ehrich“, S. 24-28. 28 Vgl. auch den bislang ersten, allerdings sehr rudimentären Bericht über Dalís Bibliothek: Geli: „Dalí, ávido lector“. Die Textausgaben dalianischer Schriften leisten hierbei bislang keine ausreichende Kommentierungsarbeit. Bemerkenswert ist, dass Dalí sich mit dem finisäkulären Textspektrum erst in den Texten der 1940er Jahre auseinandersetzt, während in den überwiegend katalanischsprachigen „Frühschriften“ (1919-1929) Hinweise auf außerspanische Literatur in Grenzen jener zeitgenössischen Allgemeinbildung (Voltaire, Kant, Goethe, Valle-Inclán, Tschechow) angesiedelt sind, die auf die großen Vermittlergestalten Joan Maragall und Eugeni d’Ors zurückweist. Die Tatsache, dass dagegen das „amerikanische“ Œuvre Dalís reich an direkten und versteckten Bezügen auf die französische Literatur nicht nur des 19. Jahrhunderts ist, belegt, wie der kleinbürgerliche Maler aus Katalonien durch den Kreis um Breton die intellektuelle Formung zum „pictor doctus“ der späten Moderne erfuhr. 29 Vgl. dagegen Bürger: Das Denken des Herrn, S. 170f., der – mit Blick auf Bataille – das dekadente Moment der ‚vie factice‘ gegen die „surrealistische Praxis“ auszuspielen versucht. Wenn man von einer nicht verrechenbaren Differenz zwischen Décadence und Surrealismus ausgehen kann, dann allenfalls hinsichtlich des unterschiedlichen Status des Wunderbaren, das als Wirkungskategorie des Surrealismus als Vertrauensrest des Diesseits mit polemischer Vehemenz verdinglicht ist, statt für spätromantisches Verdämmern in den dekadentistischen autre monde zu bürgen. 30 Vgl. auch Rössner: Auf der Suche nach dem verlorenen Paradies.
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tigkeit kulminiert dieses Fiktionskonzept einer sich im Erzählvorgang entäußernden Innerlichkeit in Nadja (1928) und Amour fou (1937). Diese drei Prosaschriften Bretons belegen in je spezifischer Weise die Wirkungsskala der monadologischen Ästhetik, die sich von der ichbezogenen Textmontage (Les pas perdus) über den metropolitanen Erlebnisbericht (Nadja) zum authentifizierten Ichroman (Amour fou) erstreckt. Oder aber: Bei aller Hingabe an surrealistische Unwillkürlichkeit könnte man Bretons Egodokumenten einen immer stärkeren poetischen Formwillen unterstellen, der das Fragmentierungsprinzip zur Inszenierung der monadischen Konstruktion nutzt. Eine vergleichbare Entwicklung lässt sich anhand der Schriften Dalís darstellen, der zumal das monadische Dispositiv forciert. Der literarische Text wird dabei durch die Verfahren der Gattungsmischung und fingierten Intermedialität zum Wahrnehmungsspeicher, dem im späteren Werk der vierziger Jahre die literarischen Subsysteme des 19. Jahrhunderts als Medien einer freilich recht illusionistischen „Einheit“ dienen. Zum bildnerischen Werk tritt die literarische Produktion dabei nicht in die Beziehung eines erklärenden Supplements, sondern einer sich selbst etablierenden ästhetischen Alternative. „Heteropoesie“ oder „Heterotechné“31 erzeugt mit Sprache anderes als auf Papier und Leinwand, macht insofern Ernst mit der medialen Differenz von geschriebenem Wort, Zeichenkörper, Sprache, Bild, Farbe und Licht, da eine graphematische und phonematische mit einer pikturalen und einer konzeptuellen in einer mitunter mehrdeutigen ästhetischen Konfiguration konvergieren. Die heterotechnische Produktion bildender Künstler ist auch über koventionalistische Medien- und Bildtheorien insofern nicht hinlänglich aufschließbar, als hier gegen optisch wahrnehmbare Bildlichkeit ein literarischer Diskurs in Gang kommt, der mutwillig die visuelle Medialität bildener Kunst zugunsten der neu eroberten Sprachlichkeit löscht und insofern durch sprachlich-rhetorische Prozeduren aufschließbar wird, wie sie Freud – vor allem in der Psychopathologie des Alltagslebens, der Traumdeutung und der Schrift über den Witz und seine Beziehung zum Unbewussten – niedergelegt hat: Der Ort des bildlichen Diskurses der Heteropoesie ist die Sprache selbst. Inwieweit die Komponenten Schrift, Schall, Bild und Begriff – nicht nur im Werk des schreibenden Malers Salvador Dalí – in einer traumanalogen Metastruktur seiner Malerei kulminieren, soll im Folgenden nicht erörtert wer31 Die Begriffe werden hier in Anlehnung an den Begriff der „Heteronyme“ Fernando Pessoas, Antonio Machados und Pere Quarts verwendet, als eines individuellen Ausdruckskonstrukts, das es dem Künstler erlaubt, in verschiedenen stilistischen, ideologischen oder medialen Masken zu wirken. Ein solches Konzept der „Heteropoesie/Heterotechné“ trüge im Falle Dalís dazu bei, den Eigenwert einer sprachlichen Produktion ins Relief zu setzen, statt diese als Metakommentar zum bildnerischen Werk zu „ver-wenden“.
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den. Tatsache ist, dass – ähnlich wie von Freud anlässlich der Formation des Unbewussten angemerkt – der Bildwelt Dalís eine sprachlich konstituierte Textwelt vorausgeht, in der sich ein, gelegentlich an die Operationen sprachlicher Mystik und den locker gefügten Sprachkosmos der Manieristen gemahnendes „prälogisches“ Moment mit dem handwerklich-logischen Willen zur monadischen Selbstvergewisserung verbindet.32 Man hat das literarische Gesamtwerk Dalís zu Unrecht bis vor kurzem fast ausschließlich unter kunstgeschichtlichem Aspekt betrachtet. Die semi- und pseudoautobiographische Produktion, unter die auch eine Reihe seiner Essays und zumal der Roman Visages cachés zu rechnen sind, umfasst mehr als die Hälfte der Schriften und ist in allen Schaffensabschnitten präsent. Es verlohnt der vergleichende Blick in diese zwischen 1919 (Un diari) und 1973 (Comment on devient Dalí) publizierten Egodokumente. Dass auch Dalí ein intimer Spezialist für „monadische Textproduktion“ war, würde nicht nur deutlich, wenn man die Hinweise seiner Lektüren Barrès’, Villiers’, Bourgets, Baudelaires und Nietzsches verfolgte, oder aber exemplarisch den Spuren nachginge, die zumal die Bibel der Décadence, Joris Carl Huysmans’ À rebours (1884), in seinem literarischen Œuvre hinterlassen hat. Doch weniger diese motivgeschichtlichen Referenzen sollen im Mittelpunkt stehen als vielmehr ein sie tragendes Formkonzept, das die finisäkuläre Monadologie durch Modifikation eines thematischen Prinzips (Dandysme) und eines darauf bezogenen strukturellen Verfahrens (deambulatorischer Roman) reorganisiert. Wie sich durch Äußerungen33 und vor allem durch die Ikonographie34 zeigt, repräsentierte Dalí seit den späten Madrider Jahren in größter Bewusstheit die Auswüchse eines dekadentistischen Dandytums, das den eigenen Körper als ästhetisches Medium musealisiert, mit der Intention einer Selbstvergewisserung, die dem Zerfall des eigenen Ichs antwortet. Der frühe, „katalanische Dalí“ entwickelt Schreibweisen, die das deambulatorische Moment, die 32 Vgl. hierzu im Folgenenden Abschnitt 3. 33 So entwickelt der Künstler – eigenen Aussagen zufolge – bereits in jungen Jahren menschenverachtende Allüren, die der dekadenten Helden Wildes oder Huysmans’ würdig wären. Vgl. Dalí: La vie secrète, S. 154: „Je venais de sacrifier une nouvelle victime à mon dandysme.“ Erhellend ist in diesem Zusammenhang auch eine Lektüre des Kapitels XI, das Dalís unter dem Einfluss Galas betriebene Schulung zur dandystischen Affektkontrolle behandelt, die in dem Aphorismus kulminiert: „Genio y figura, hasta la sepultura“ (S. 245). Vgl. ferner S. 266ff. (Theatralisierung der aristokratischen Lebensform). 34 Vgl. hierzu die Fotodokumentation, welche die von Agustín Sánchez Vidal, Montse Aguer und Félix Fanés herausgegebene Obra completa de Salvador Dalí beschließt.
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aus dem Fin de Siècle überkommene handwerkliche Technik des improvisatorischen Vagierens über vorgefundene oder fingierte Werke in literarischen Kleinformen – Essay, Aphorismus, Erzählung, Prosagedicht – ausspekulieren, um sie vor seinen epischen Großformen der amerikanischen Phase in den Texten der vierziger Jahre in großepische Schreibweisen zu überführen: La vie secrète de Salvador Dalí und Visgaes cachés erscheinen als später Reflex der Fin de Siècle-Prosa Huysmans’, um in den späteren Werken seit etwa 1948 in jene fragmentarisierte, aphoristische Prosa zurückzuführen, wie sie etwa für Pessoas – seit den 1920er Jahren entstandenes – Hauptwerk Livro do desassossego und Machados Juan de Mairena charakteristisch war. Im Folgenden soll die katalanische Konstitutionsphase erläutert werden, wobei zunächst die Frage nach dem Verhältnis von expositorisch-konzeptistischen Gattungen (Aphorismus, Essay) und Egodokument im Vordergrund steht, um dann an dem zentralen Text der frühen Produktion Dalís – Sant Sebastià – eine für Dalís Schreibweise charakteristische Form eines „neofinisäkulären“ Gattungskonglomerats, das seine kommunikative Stabilität der monadologischen Rede verdankt.
3.
„Heteropoesie“ zwischen Aphorismus und concetto: Ästhetik des Staunens Es müsste der dunkelste Schwärmer oder ein Vieh, der abstrakteste Götterseher oder eine träumende Monade sein, der ganz ohne Worte dächte. (Herder, Abhandlung über den Ursprung der Sprache)
Dalís frühe Texte, einsetzend mit dem – horribile dictu – pubertären Tagebucheinträgen des Diari: Les meves impressions i records íntims,35 kommentieren seine Entwicklung vom authentischen Egodokument zur pseudoautobiographischen Mischgattung. Wie der Literat Breton ist der Maler Dalí mit der Dokumentation von Lektürefrüchten befasst, wenngleich gemäß seinem Alter weniger scharfsinnig, und gemäß der Zielsetzung, bildender Künstler zu werden, (noch) ohne literarische Ambitionen. Denn Dalís erste Texte beziehen sich vor allem auf die Lektüre des damals noch einzigen Nachrichtenmediums, der Zeitung, was erklärt, dass die Notizen der Jahre 1919 und 1920 Beobachtungen zum politischen Tagesgeschehen größtenteils ungefiltert wiedergeben. Mit Blick auf die weitere Entwicklung des späteren Surrealisten ist der Eintrag vom 28.11.1920 bemerkenswert: Er handelt vom Auftritt des seinerzeit gefeierten polnischen Illusionisten und Hypnotiseurs Onofroff, der als ein neuzeit35 Verbindliche Ausgabe: Dalí: Un diari 1919-1920.
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licher Cagliostro zum Medienereignis aufsteigt. Noch vor den Experimenten des Pariser Surrealistenzirkels ist der junge Dalí mit dem Phänomen der Trance als Erzeugungstechnik höherer Wirklichkeiten konfrontiert und von den varietéähnlichen Rahmenbedingungen zum Trotz beeindruckt.36 Auf diese semidokumentarische Form privater Tagebuchnotizen wird Dalí nicht mehr zurückkommen, sondern seine gesamte weitere sprachliche Produktion auf eine spätere Publikation hin ausrichten, was diese freilich als Inszenierungstyp ausweist. Bereits die „impressions“ und „records íntims“ des gerade fünfzehnjährigen Malers sind stark visuell und von einem Naturempfinden geprägt, das, wenngleich weniger anspruchsvoll, Anklänge an romantische Erlebnisdichtung aufweist. Diese Impressionen kehren auch in den ersten 1919 zur Veröffentlichung bestimmten Texten – dem kurzen Prosastück „Capvespre“ und dem Gedicht „Quan els sorolls s’adormen“37 – wieder, die von der Melancholie eines Verlaine geprägt sind und das monadologische Konzept erzählerisch durch das ältere Schema der romantischen Seelenlandschaft überblenden. Die Lektüre der frühen katalanischen Arbeiten Dalís legen uns aber ein weitere Wurzel von Dalís persönlicher „Monadologie“ frei. Denn unter dem Titel „Sketchs arbitraris“ (Willkürliche Sketche) wird der spätere Ironiker erkennbar, der sich mit gnadenlos beißendem Spott über seine Umwelt erhebt. Inspiriert vom Lakonismus des Schelmenromans, der Moralisten des Siglo de Oro und der zeitgenössischen Aphoristiker Eugeni d’Ors und Ramón Gómez de la Serna, geben diese 17 Prosafragmente auf der inhaltlichen Ebene Eindrücke beim Besuch einer Feria wieder. Splitter von Sinneseindrücken oft visueller („Les il·lusions dels dies de fira són de tots colors.“), seltener akustischer („¿Que estic sord? No, és que s’ha acabat la fira“), manchmal synästhetischer („La fira és un gran basar-vivent.“)38 Art gehen hier in überraschenden Pointen auf. Der Sinn des Katalanen für das Spiel mit Sprache lässt in dem letzten dieser Aphorismen über Klangassoziationen die Illusion der Feria in einen kruden Realismus umkippen: „¿Què són tants gossos? Res, són els gossos que vénen a escurar els ossos de la fira!“39 In der Bilderflut des Jahrmarkts wirkt die über Assonanzen erreichte Verfremdung (gossos – ossos) als finale Entzauberung. Diese weist nicht nur auf die metaphorischen Verschiebungen des Surrealismus voraus40 oder auf die Manie-
36 Ebd., S. 169: „Sé i crec en l’hipnotisme. La ciència ho ha probat.“ 37 Referenzausgabe: Dalí: L’alliberament dels dits, S. 3, 5. 38 Alle Zitate in Dalí: L’alliberament dels dits, S. 10f. 39 Ebd. 40 Vgl. hierzu Coenen-Mennemeier: „Rrose-Selavy“.
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riertheiten Góngoras zurück; sie enthält auch deutlicher als die meisten dieser aphoristischen Prosasplitter bereits das Prinzip jener monadischen Ästhetik, die der „katalanische Dalí“ im Oktober 1927 in einem Selbstkommentar zu den gerade von dem katalanischen Impressionisten Rafael Benet in einer Rezension verunglimpften Gemälden proklamiert: „Mirar és inventar.“41 Man darf annehmen, dass es sich bei den hier verteidigten Gemälden um die Werke jener Übergangsphase handelt, die bereits Bildelemente Böcklins und Chiricos mit den Musealisierungspraktiken42 Mirós und Tanguys zu jenen Traumarrangements kombinieren, die fortan den ‚Dalí-Touch‘ ausmachten und zu denen wohl auch die erste, mittlerweile verschollene43 Fassung des Gemäldes mit dem wie ein surrealistischer Aphorismus44 anmutenden Titel Le miel est plus doux que le sang (1927) gehört haben dürfte.45 Gerade die Jahre 1927 bis 1929 zeigen Dalí an einem ästhetischen Wendepunkt, an dem sich sein klassischer Stil abzuzeichnen beginnt, der einen Realismus im Detail in einem nicht definierbaren Ambiente musealisiert. Doch auch in literarischer Hinsicht handelt es sich um eine Phase erstaunlicher Produktivität, entstehen doch – bereits unter dem Einfluss der Pariser Surrealistenszene – die wichtigsten (teils García Lorca und Buñuel zugeeigneten) katalanischen Texte, die nicht nur die kunstinteressierten Katalanen (im „Gelben Manifest“, dem sog. „Manifest Groc“) mit radikalen und zugleich ironisch distanzierten Avantgardethesen und Berichten über die Pariser Kunstszene konfrontieren.
41 Dalí: „Els meus quadros del saló de tardor“, S. 40. 42 Zum Terminus Musealisierung vgl. Wild: „Athaumasia“, S. 67-70. 43 Version II aus dem Jahr 1941 hat mit dem früheren Werk nur den Titel gemein; vgl. Descharnes/Néret: Dalí, S. 263 (S-W-Abbildung der Erstfassung) und S. 346 (das in den USA entstandene Werk von 1941). 44 Zum surrealistischen Aphorismus vgl. Helmich: Der moderne französische Aphorismus, der einer hilfreichen Darstellung zur parodistischen Verfahrensweise aphoristischer Ausdrucksformen enthält. Helmichs nationaler Beschränkung gemäß wird auf Bezüge zur spanischen Tradition weitgehend verzichtet. Sieht man von Einzelstudien wie Dumas: Robert Desnos ou l’exploitation des limites, ab, so fehlen hier grundsätzliche Auseinandersetzungen mit dem surrealistischen Aphorismus, die von dem Phänomen der semantischen Diskontinuitäten als Basis der Produktion des „merveilleux“ ausgingen. Die Bedeutung des Aphorismus als monadologischer Strukturierungskonstante, über die das Staunen des entheimateten Subjekts über die vorgefundene Wirklichkeit diskursiviert wird, ist für Dalís literarisches – und malerisches – Werk bislang nicht hinlänglich gewürdigt worden; vgl. ansatzweise Konstantinovic: „L’Art dalinien et Montaigne“. 45 Weitere Werke dieser Phase: „Appareil et main“ und „Senicitas“.
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4.
Monadische Phantasie in katalanischer Tonart
Die meisten der etwa vierzig Texte, mit denen Dalí sich in literarischer Hinsicht gewissermaßen aus seiner Muttersprache verabschiedet, erweisen sich als verhältnismäßig stabil hinsichtlich ihrer unterschiedlichen Gattungszugehörigkeit. Oft handelt es sich um Reflexionen, die dem finisäkulären Typus der improvisatorischen Überschreibung von Rezeptionserlebnissen zuzuordnen sind, daneben stehen vor allem reine Kino- und Ausstellungsberichte und eine Reihe von Polemiken. Doch findet sich darunter auch der Federico García Lorca gewidmete Prosatext Sant Sebastià46, der, in acht Kapitel unterteilt, zwischen Erzählung, Prosagedicht und Essay in ähnlicher Weise changiert wie die intellektuellen Rêverien in Bretons Les pas perdus. Im Zentrum dieses „Poem-Essay“, dem wohl bedeutendsten genuin surrealistischen Text katalanischer Sprache, steht das Wirkungserlebnis Dalís angesichts eines Bildwerks, Martyrium des Hl. Sebastian. Wie in den späteren Schriften Dalís führt ein forcierter Realismus des Details im Sant Sebastià zu einer deutlichen Denarrativierung. Er verbindet Dalís erzählende Prosa (und Malerei) aus ästhetikgeschichtlicher Sicht also einerseits mit den synästhetischen Praktiken des Fin de Siècle. Aus individualstilistischer Sicht nimmt Dalís Schreibweise hier andererseits die Verfahrensweise seiner Gemälde der 1930er Jahre vorweg: Deren Makrostruktur ist über die surrealistische „Musealisierungspraxis“47 so organisiert, dass auf der Mikroebene abgebildete Objekte durch die detaillierte Elaboration einen Informationsüberhang produzieren, durch den die gegen einander ausgespielten Objekte rezeptionsästhetisches Befremden erzeugen. So thematisiert der erste Abschnitt das Moment der Ironie, indem er über das Heraklit-Fragment „die Natur liebt es, sich zu verbergen“ (ƶƽƳƩƭ […] ƪƱƽưƴƥƳƨơƩ ƶƩƫƥƩ48) die fundamentale Opposition von Sichtbarem und Verborgenem einspielt. Ein zweiter Argumentationsschritt schließt über das tertium comparationis „paciència“ das Verhalten des katalanischen Fischers Enriquet mit der Malweise Vermeers und dem Martyrium des Hl. Sebastian kurz. Der dritte Abschnitt bildet mit der Beschreibung des Sebastianbildwerks erst die Schwelle zum eigentlichen surrealistischen Text. Auffällig ist der Gegensatz zwischen einem auf Geschichtsebene entfalteten Detailrealismus und einem narrativen Rahmen, dessen Ränder in vagen, ja einander ausschließenden 46 Erstmals in L’Amic de les Arts 31.07.1927; jetzt in Dalí: L’Alliberaments dels dits, S. 15-23. (Eine deutsche Übersetzung von Til Stegmann findet sich in: Dalí: Gesammelte Schriften, S. 52-57. 47 Vgl. den Begriff der Musealisierung ebd., S. 70ff. 48 Nachgewiesen in: Mansfeld: Die Vorsokratiker, S. 252.
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Inhalten ausfransen. Denn die pragmatische Situation dieser Bildbeschreibung produziert durch die Vagheit der genannten Umstände Unbestimmtheiten: Ohne auf den vorherigen Kontext zurückzukommen, findet sich der Erzähler unvermittelt in Italien wieder („Em vaig andonar que estava a Itàlia“)49. Dies indes suggerieren ihm lediglich die schwarz-weißen Marmorstufen, die er hinaufsteigt, bis er sich vor dem Bildwerk des Hl. Sebastian befindet. Dabei bleibt in der Schwebe, ob es sich um ein Gemälde oder eine Statue oder womöglich um einen Film handelt, was durch eine pseudokinematographische Erzählweise (Szenenfolge, Schnitttechnik wechselnden Brennweiten) plausibel erschiene. Folgt man den Hinweisen Dalís, so lässt sich überdies eine Bildvorlage dieses „Sebastian“ nicht eindeutig zuordnen.50 Offenbar handelt es sich bei dem „er-innerten“ Werk um eine jener Kombinationen aus verschiedenen Eindrücken, wie sie für Überlagerungen im Traum typisch sind; Dalí kontaminiert in der Beschreibung divergierende Elemente der ikonographischen Tradition (Antonello da Messina, Andrea da Mantegna, Sandro Botticelli, Bronzino, Albrecht Altdorfer, um nur die bekanntesten Maler zu nennen). Keineswegs entscheidend ist es, zu ergründen, welches „reale“ Bild als „Vorlage“ diente, sondern vielmehr, daran das tätige Wirken der phantasia zu erkennen, nämlich als eines Überschreib- und Collagierungsvorgangs, der monadische Phantasie- und Imaginationstätigkeit selbst abbildet. Aus der Überlagerung von Autor-Mnemosyne und Autor-Aisthesis geht zunächst das Kombinationskunstwerk Sant Sebastià hervor. Sodann generieren Mnemosyne und Aisthesis zwei Ein-Bildungen. Aus der Differenz zweier vorgängiger Gedächtnisleistungen entsteht die Polarität von Autor-Phantasie und Leser-Phantasie, über die der Imaginationsvorgang – im Sinne Lobsiens bzw. Husserls51 – als Differenz zweier Aufmerksamkeitsmuster (vergangenheitsbezogenes Wissen versus gegenwartsbezogene Erfahrung) aufscheint. Das Treppenmotiv der Szenerie betont – über etwaige trivialfreudianische Implikationen hinaus – zugleich die für Traumsequenzen bezeichnende deambulatorische Raumkonfiguration, der über die für religiöse (insbesondere mystische) Texte charakteristische Vertikalbewegung zusätzlich ein visionäres Mo-
49 Dalí: L’Alliberaments dels dits, S. 16. 50 Einerseits könnte es sich um eine der beiden Versionen des Sebastianmartyriums handeln, die Andrea Mantegna 1470 bzw. 1480 gemalt hat; Dalís Bemerkung, Sebastian stehe auf dem Stumpf eines Kapitells trifft nur hierauf zu, widerspricht allerdings dem Umstand, dass der Märtyrer an einen alten Kirschbaum gebunden sei. Diese befinden sich allerdings nicht, wie der Text suggeriert, in Italien, sondern im Louvre bzw. im Kunsthistorischen Museum Wien. 51 Vgl. Lobsien: „Bildlichkeit, Imagination, Wissen“, S. 112.
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ment innewohnt. Insofern handelt es sich bei der hier inszenierten Wahrnehmungskonfiguration um eine gegenläufige Ableitung jener Initiationsepisoden, die bereits da Vincis Höhlenszene zu Grunde liegen: Dem descensus, der Katabasis der klassischen Literatur,52 entspricht offenbar in neuzeitlichen Texten ein aus der mystischen Literatur überkommener Modus des geistigen Aufstiegs.53 Auffällig ist aber, dass (inneres) Sehen dabei mit dem Moment der ƝƪƳƴơƳƩƲ (außerhalb der Wirklichkeit stehen) konvergiert, wodurch Außenwahrnehmung von einer Selbstwahrnehmung überlagert wird, die das monadische Prinzip durch den totalisierenden Zugriff auf die menschliche Empfindung54 emphatisiert. Zumal Fin de Siècle-Erzähltexte – Flauberts Tentation, Huysmans’ À rebours und Là-bas, Dujardins Les lauriers sont coupés, Asunción Silvas De sobremesa und selbst Unamunos Niebla – weisen Passagen auf, die – unter weitgehender Löschung etwaiger religiöser Ideologeme – solche sekundär apokalyptischen Momente inszenieren. Die ersten beiden Abschnitte dienen insofern vor allem der Inszenierung einer Phantasie, eines Tagtraums oder einer allegorisch konstruierten Vision, wie sie – unter dem Einfluss des Roman de la rose – besonders typisch für die katalanische Literatur des Mittelalters55 und der Frühen Neuzeit war, deren Wiederentdeckung sich zeitgleich mit der Neubegründung des Katalanischen seit dem Ende des 19. Jahrhunderts vollzog. Vision, Allegorie, Traum, Tagtraum und Ekstase repräsentieren gleichsam die Inszenierungstypen unterschiedlicher epochentypischer Monadologien. Der in der Wortgeschichte der Begriffe Vision und Apokalypse (ƜưƯƪơƫƠưƨƥƩƭ: offenbaren) manifeste optische Modus setzt einen Gegensatz von Sichtbarem und Unsichtbarem voraus: Dalí thematisiert ihn in den einleitenden Passagen über die Momente des Verbergens (ƪƱƽưƴƯƬơƩ: sich verbergen) und der Ironie (ƥƟƱƯƭƝƵƯƬơƩ: sich verstellen) des Wahrnehmbaren: „Heràclit, en un fragment recollit per Temisti, ens diu que a la naturalesa li plau 52 Vgl. Wild: „Merlinus poeta“. 53 Vgl. etwa die Subida al monte Carmelo des San Juan de la Cruz (1618). Der Zusammenhang zwischen surrealer Praxis und Mystik wäre an anderer Stelle detailliert zu untersuchen. Tatsache ist, dass die in mystischer Literatur angestrebte Ekstase aufs engste mit dem Konzept der coincidentia oppositorum verknüpft ist, die hier wie im Surrealismus der Aufhebung des seit Parmenides geltenden abendländischen Dualismus korrespondiert. 54 Nicht umsonst nennt Leibniz in den bereits zitierten „Abhandlungen vom menschlichen Verstand“, die Ekstase „ein Träumen mit offenen Augen“, das damit im Gegensatz zum Traum als Präsenz von „Vorstellungen“ stehe, bei der „die äußeren Sinne verschlossen“ sind. (S. 136) 55 Vgl. zu Visions- und Traummotiven in katalanischer Dichtung vgl. Wild: „Ausgrenzung und Integration arthurischer Themen im katalanischen Mittelalter“.
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d’amagar-se.“56 In dekadenter Tradition und in nicht nur für den frühen Dalí typischer Manier mündet das rhetorische Geplänkel in der aphoristisch paradoxen Forderung, dass im Akt einer Kunstschöpfung das Leben substituiert werde: Als Dalí dem Fischer Enriquet eines seiner Seebilder zeigt, zieht dieser es der „realen“ See vor, da man im Kunstwerk die Wellen zählen könne: „Però millor en el quadro, perquè en ell les ones es poden comptar.“57 Wenn Kunst insofern vorführt, was sie verbirgt, versteht sich der für den Einleitungstext titelgebende Begriff Ironie mithin nicht als aggressiv-komische Strategie, sondern zielt auf das Fiktionspotential von Kunst ab, dessen sich Dalí im weiteren Vorlauf bedient. Anders als die genannten Vorläufer der monadischen Ausdrucksform erzeugt Dalí allerdings die mit dem Traum- bzw. Visionscharakter einhergehenden Unbestimmtheit durch eine ihm gemäße – intertextuell bzw. intermedial überformte – Ermöglichungsstruktur, die – anders als die älteren Inszenierungstypen – das Moment des Fiktiven abblendet: Entsprechend einer generellen Strategie früher surrealistischer Prosa wird der Sitz der sich anschließenden Sebastian-Vision im realen Leben durch die Verleugnung ihres Kunstcharakters fingiert, die indes die eigene Authentizität nur noch emphatisch setzt. Dalí erreicht wie die Autoren der Décadence und des frühen Surrealismus seine Welthaltigkeit in den einleitenden Abschnitten des Sebastià nur durch Kunstbezug. Denn die eingespielten Referenzen erzeugen die Illusion einer Teilwirklichkeit, deren Fiktionscharakter erst evident wird, sobald man die Details auf ihren Wirklichkeitsstatus hin verrechnet. Das mutwillige Arrangement von Fragmenten einer literarisch präformierten Lebenswelt (Heraklit, Alberto Savinio, Cadaqués, Jan Vermeer) stanzt ein innerweltliches Koordinatensystem, in dessen Zentrum sich der eigentliche Text, die im dritten Abschnitt einsetzende monadische Phantasie über Das Martyrium des Hl. Sebastian, situiert. Das „klassische“ surrealistische Kombinationsverfahren erschafft aus der Versetzung disparater Objekte unterschiedlicher Seinsweisen in den so gestifteten Rahmen ein konsistentes „Hologramm“: eine Improvisation – oder: monadische Imagination –, ausgelöst durch Bildmotive eines fingierten Werks, das ein Effekt surrealer Kombinationskunst ist.
56 Dalí: L’Alliberaments dels dits, S. 15. 57 Ebd.
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5.
Neue Leiden eines römischen Heiligen in Katalonien oder: Ästhetik des Objektivs
Vordergründig dient die Bildbeschreibung dazu, eine – zunächst eher diffuse – „estètica de l’objectivitat“ vorzutragen: Vaig tornar a respirar, i aquesta vegada vaig tancar els ulls, no per misticisme, no per veure el meu jo intern – com podríem dir platònicament –, sinó per la sola sensualitat de la fisiologia de les meves parpelles. Després vaig anar llegint lentament els noms i indicacions estrictes dels aparells; cada anotació era un punt de partida per a tota una sèrie de delectacions intel·lectuals, i una nova escala de precisions per a inèdites normalitats. Sense prèvies explicacions intuïa l’ús de cada d’ells i l’alegria de cada de llurs exactituds suficients.58 Der entmystifizierend-polemische Gestus, der an dem Seitenhieb gegen Platons parareligiöse Theorie der seelischen Bildwelten deutlich wird, soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Passage letztlich dennoch – in einem rationalistisch-philosophischen Sinne – von der Erzeugung innerer Bilder aus dem Dualismus von Askese und Sehen heraus handelt. Durch den Gegensatz äußerer Helligkeit und dem begrenzten Sehareal ist Dalís Episode ein gnostisches Wahrnehmungsmuster einbeschrieben, das über die Kunst des Mittelalters und selbst die prähistorischen Malereien59 auf das monadische Prinzip zurückverweist, das den Sehakt nur als mediale Verfremdung dokumentieren kann.
58 Ebd., S. 18. 59 Neuere Theorien zu Entstehung der prähistorischen Verfremdungstendenzen (Zwitterwesen, Phantasiegebilde) stellen einen Zusammenhang mit dem Moment der Er/Innerung her, die in der Situation der Höhle das außen empfangene Bild zu einem Rohstoff der Phantasie werden lässt, die in dem Gegensatz außen/innen bzw. Sehen/Erinnern korrespondiert. Den Zusammenhang jüngerer neurophysiologischer Forschungen mit den Erkenntnissen der prähistorischen Malerei erläutern vor allem die Arbeiten von Lewis-Williams/Dowson, welche die vorgebliche „Primitivität“ der Verfremdung auf Höhlenbildern und Felsmalereien als Effekte des menschlichen Sehaktes in veränderten Bewusstseinszuständen (Ekstase, Rauschzustände, religiöse Trance) analysieren. Vgl. hierzu Lewis-Williams: Believing and Seeing, und ders./Dowson: Images of Power, sowie dies. (Hrsg.): Contested Images, und Clottes/Lewis-Williams: Schamanen, Trance und Magie. Die von Dalí in Sant Sebastià beschriebene Form der Selbstwahrnehmung korrespondiert augenscheinlich mit der in diesen Arbeiten zugrundegelegten wahrnehmungsphysiologischen Erklärung der Produktion innerer Bilder in Trancezuständen. In diesem Zusammenhang ist es kommentierungswürdig, dass dem Surrealismus nahe stehende Dichter wie René Char, Maurice Blanchot und Georges Bataille Texte über Lascaux verfassten.
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Doch wenn Dalí angesichts der vorausgegangenen Rhapsodie über die Begriffe des Sichtbaren und Verborgenen mit dem Terminus Objektivität operiert, so kann dies nur unter der Perspektive einer „Ironie des Sichtbaren“ aufgefasst werden. Eine Ästhetik, wie sie Dalí anregt, wäre mithin ausgerichtet am Wahrnehmungsgegenstand des Objekts, das – nach philosophischer Ansicht seit Platon – als Bestätigung des Subjekts in der Rolle eines Mediums von (oder gar: Beweises für) dessen monadische Konstruktion verharrt. Erst in der Epoche zwischen Descartes und Leibniz fndet bekanntlich jene folgenreiche Vertauschung der philosophischen Kategorien statt, der wir den neuzeitlichen Terminus der „Subjektivität“ verdanken.60 Wenn Dalís Deutung des Begriffs „Objektivität“ jenseits des konventionellen Sprachverständnisses liegt, so ist auch dies surrealistische Versprachlichungspraxis. Indes lässt sich eine weitere Lesart etablieren, die sich erst im Verlauf der gesamten Lektüre des Textes erweist, dessen zweite Hälfte eine medial abgelenkte, surreale Phantasie darstellt. Alle optischen Hilfsmittel im Hauptabschnitt „Invitacions a l’astronomia“ erweisen sich als Surrogate optischer Linsen. Der zentrale Textabschnitt selbst erweist sich als ein verzerrtes Wahrnehmungselaborat, wenn an mehreren Stellen die film- bzw. fotoanaloge Sehweise betont wird, gleichsam als würde der Text durch das Objektiv („obectiu“) einer Kamera verfremdet. Als Text, der durch ein Objektiv geschaute Objekte beschreibt, handelt Dalís „Ästhetik der Objektivität“ von einer medial verformten Wahrnehmung. Insofern läge es nahe, das Wahrnehmungselaborat Sant Sebastià als Dalís „mediale Monadologie“ zu lesen. In äußerster Dichte dekliniert Salvador Dalí für uns seine „Ästhetik des Objektivs“. Dalí rekurriert zunächst nur auf einen schlichten physikalisch-neurophysiologischen Kniff, nämlich die Selbstwahrnehmung eines gerade gespeicherten Seheindrucks bei geschlossenen Augen. Doch bereits das Schließen der Augen („per la sola sensualitat de la fisiologia de les meves parpelles“) imitiert den Vorgang des Auf- und Abblendens einer Kamera, die in den folgenden drei Abschnitten des Sant Sebastià durchgespielt wird. (Frei nach Oscar Wilde imitiert das – textinterne – Leben die Kunst!) Der insofern ambivalente Begriff „objectivitat“ wäre wohl gröblich missverstanden, fasste man ihn als eine realistische Dokumentation äußerer Wirklichkeit auf. Als kameraanaloges Reproduktionsschema äußerer Wirklichkeit berührt der Terminus ein ‚gnostisches Wahrnehmungsmuster‘, welches über die Oppositionen Hell/Dunkel, Innen/Außen und Sichtbar/Verborgen die monadische Wirklichkeitskonstruktion reflektiert.
60 Vgl. Artikel „Subjekt“, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, S. 374-399.
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Wie Leonardo da Vincis Höhlenbericht zielt Dalís Poem-Essay also auf das „Black Box-Erlebnis“ des monadischen Sehakts ab. Dieser von Breton als „état sauvage“61 angestrebte Wahrnehmungsmodus leitet über das Moment des Blicks zu einer visionären Praxis über, der das Sehen zu einer deambulatorischen Rêverie oder zur egozentrischen Flânerie wird, wie sie das 19. Jahrhundert von Flaubert über Huysmans bis zu Proust betrieb. Denn das betrachtete Sebastian-Bild bietet Anlass zu einer surrealistischen Kombinationsphantasie, die vermeintliche Bildbeschreibung zum Anlass einer Sequenz, die den Begriff des Essays in einer an die frühe Science Fiction-Literatur des Fin de Siècle erinnernden Szenerie ad absurdum führt. So ist der Kopf des Heiligen in eine Medusenhälfte und ein vage bekanntes Gesicht („rostre que em recordava algú de molt conegut“62) gespalten, die durch einen Ring aus Nickel zusammengehalten werden. Überdies weisen in der Tradition spätmittelalterlicher Abenteuerromane die Pfeile, mit denen der Heilige gemartert wird, Inschriften auf. Und, wenngleich Dalí nur eine einzige Inschrift „Invitació al coagul de sang“63 wiedergibt, rückt diese den beschriebenen Gegenstand aus seinem ursprünglichen Funktionsbereich der Meditation und Verehrung heiligmäßigen Vorbildlichkeit auf eine Realitätsebene, die das Moment der Heiligwerdung als Infragestellung der eigenen Person und des Andachtsbildes als Stellvertreter einer Reliquie in den dubiosen Bereich sadomasochistischer Praxis verweist. An Stelle solcher konventioneller postfreudianischer Lektüren64 wollen wir hier die Mechanismen der poetischen Einbil-
61 Breton: Le surréalisme et la peinture, S. 1. 62 Dalí: L’Alliberaments dels dits, S. 16. 63 Ebd. 64 Die Forschung hat sich stets ausgehend von biographischen Details zu diesem Text bislang vorzugsweise auf die Aspekte des Sadomasochismus und Fetischismus bezogen, die vor allem in der ambivalenten Beziehung Dalís zu García Lorca gründen. Letztlich repetiert die Forschung damit die Abblendung anderer Deutungsansätze, die Dalí in seinen pseudoautobiographischen Schriften und Selbstaussagen planvoll betrieb. Vgl. Santos Torroella, „Sant Sebastià i el mite dalianà“, und Uta Felten, „Der Herr kennt den Code… – Überlegungen zur Figur des Heiligen Sebastians als Chiffre homoerotischer Intimkommunikation“, in diesem Band, die ebenfalls das für unsere Argumentation irrelevante Moment des Homoerotismus und der Konstruktion von Begehrensmomenten betont. Am vehementesten, aber nicht ohne Subtilität wird die Redundanz solcher in Dalís pseudofreudianischer Selbstinterpretation aber bereits in dem grundlegenden Werks von David Vilaseca (The apocryphal Subject) vorangetrieben. Siehe bes. S. 74, S. 116-118 und zu Lorca S. 124. Diskutabel ist v.a. Vilasecas Versuch, einen „Sebastian-Mythos“ zu generieren, der, aus Zeugnissen Aragons und dem Briefwechsel Lorca-Dalí, eine homoerotische Beziehung konstruiert, die sich von dem Rezeptionserlebnis ablöst, vor allem deshalb, weil er dabei ausblendet, dass psychoanalytische Deu-
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dungskraft ins Zentrum rücken, das heißt: der Erzeugung monadischer Wirkmuster aus dem Widerspiel von Welthaltigkeit und Innerlichkeit als Polen einer Phantasieproduktion, die im Akt des Gedenkens (Mnemosyne) sich Wahrnehmung (Aisthesis) anverwandelt. In dem Maße, in dem Dalí die Details des Gemäldes beschreibt, gerät das Bildwerk selbst aus dem Blickfeld, gerade so, als würde der Leser an Dalís Hand – gleich Lewis Carolls Alice hinter dem Spiegel – in das Bild hineintreten. Dalí beschreibt ein Gerät, das den Schmerz des gemarterten Heiligen messen soll, den „Heliòmetre per a sords-muts“65, dessen groteske „relació amb l’astronomia“66 der eingehend kommentierte Gegenstand im Titel ironisiert. Die Beschreibungsmodalitäten dieses „Messgeräts für Taubstumme“ bestimmt der „Blick“67, der unter einer prätentiösen Wahrung von Objektivität die Fiktivität eines Wunderbaren inszeniert, das den Bereich jener medialen Spielereien tangiert, die den Surrealismus auf die Vormoderne zurückbeziehen: Der „Heliomètre“ gehört als von Menschenhand geschaffene Maschine dem Bereich der „mirabilia artificialia“68 an, die zu den Faszinationsgegenständen der Renaissance und auch des Surrealismus69 zählten. Als solcher ist er – nicht aufgrund seiner technischen Funktion, sondern seiner inneren Konsequenz einer eingehenden, aber absurden Beschreibung würdig („un instrument d’alta poesia física“). Die sich anschließende Deskription des imaginären Geräts aber ist auch ein Kabinettsstück jenes „Realismus des Details“, der die späteren Texte – vor allem den Roman Visages cachés und die Pseudoautobiographie La vie secrète – selbst dort auf die surrealistische Praxis zurückbindet, wo die beschriebene Realitätsebene lediglich sich in eher langweiliger Weise auf Alltägliches zu beschränken scheint.
tungsmuster wie Fetischismus, Voyeurismus und Sadomasochismus auf jedes sich an Märtyrerviten anschließende Bildwerk anwendbar sind. Überdies perpetuiert offensichtlich das frühe Christentum im Martyrium als auf „Mitleid und Schrecken“ rekurrierendes Identifikationsmuster die Wirkungskategorie des Tragischen. Die vorgeordnete Frage müsste lauten, wie stark sexualisiert ist frühchristliche Kunst – und konvergiert diese Qualität nicht mit generellen Interessen des Surrealismus an vormoderner Kunst? 65 Dalí: L’Alliberaments dels dits, S. 18 66 Ebd. 67 Vgl. ebd, S. 18-20: „vaig acostar el meu ull“, „vaig mirar“, „tot es veia netament“, „parava els meus ulls“. 68 Vgl. hierzu Heyl: Things Worthy of Observation. 69 Vgl. Wild: „Athaumasia“, S. 80-83.
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Der „Heliomètre“ dient fortan als Wahrnehmungsmedium analog einem Kaleidoskop, einer camera obscura oder den in der Frühen Neuzeit so beliebten Zerrspiegeln: Nicht umsonst wird eine Vervielfältigungslinse des Heliomètre als zugleich konkav, konvex und flach („còncau, convex i pla alhora“70) bezeichnet. Diese Linse wird zum Medium innerer Filme, die das gesamte surrealistische Repertoire der Malerei und des Films einzuschließen, ja vorwegzunehmen scheinen, und für die einige Sequenzen stellvertretend seien: Auf einem weißen Dampfschiff gibt ein Mädchen ohne Brüste südwindgesättigten Matrosen Black-Bottom-Unterricht; auf anderen Dampfern sehen die Tänzer jeden Morgen vor ihrem ersten Aperitif in ihren leeren Gin-Gläsern die Göttin Venus. Die mondäne Inhaltlichkeit weist in Richtung der anarchischen Gesellschaftsphantasien, wie sie vor allem der vorsurrealistische Film wie Germaine Dulacs La coquille et le clergyman, aber auch die Texte des Pariser Kreises transportieren. Die verkürzende Schreibweise des Poem-Essay ist hier die des Filmskripts, das seine diskursiven Brüche der Fragmentierungsmethode des „Cadavre-exquis“ verdankt.
6.
Die Fotos der Ekstase oder: Escenas de cine mudo
Entgegen der Präzision, die Dalí zur Beschreibung des optischen Geräts verwendete und der Klarheit der Sicht („to es veia netament“), betont er die [inhaltliche] Unbestimmtheit („vaguetat“) der geschauten Szenen. Dabei übernimmt der Heliomètre die technische Funktion einer idealtypischen Zoomlinse („com en un gros plan cinematogràfic“), die je nach dem Interesse des Betrachters gleich dem menschlichen Auge die Brennweiten akkomodiert. In einer späteren Sequenz erblickt der apokalyptische Tagträumer im Reflektor des Scheinwerfers einer zeitgenössischen Luxuslimousine eine Polospielerin, deren Auge durch den Heliomètre als beherrschender Aspekt der Szene herausgestellt wird. Wie wir sahen, stellt das Motiv des Sehens und des menschlichen Blicks im Sant Sebastià auf hierarchisch unterschiedlichen Ebenen ein zentrales Moment für Dalís ästhetische Ideen bereit. In dieser Sequenz kombiniert er das Motiv des Blicks auf Geschichtsebene mit einem fetischistischen Moment: In dem Maße, in dem das Auge der Polospielerin – über den Heliomètre und den Hohlspiegel des Autoscheinwerfers – fokussiert wird, gewinnt die detaillierte Beschreibung der Wimpern und der Wimperntusche zentrale Bedeutung. Über diese auf das Auge („un fons i tot una superfície d’ocea“) reduzierte weibliche Körperlichkeit erzeugt Dalí wiederum eine wahre 70 Dalí: L’Alliberaments dels dits, S. 18.
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Bilderflut: „en el qual naveguen totes les suggestions poètiques i s’establitzen totes les possibilitats plàstiques.“71 Das mediale Gelenk bildet die Wimperntusche des Mädchens, die als Wegweiser („cada pestanya é una nova direcció“) widerstreitender Visionen dient. Unter der Vergrößerungslinse des Heliomètre übernehmen die tuschebehafteten Wimpern durch Reflexionsfähigkeit, Transparenz und Rundheit in dem Text die Funktion eines weiteren Brechungsmediums, das dem Visionär wieder ein surreale coincidentia oppositorum vorführt. So erblickt man „en el seu augment microscòpic“ ein Abbild der Jungfrau von Lourdes und Chiricos Gemälde Nature morte evangelique (1916). Über die Konvergenz von Ekstase (religiöser Schwärmerei) und surrealer Visionspoetik (metaphysischem Stilleben) wird an dieser Stelle evident, dass surrealistische Spielfreude, visionäre Praxis und metapoetisch-autoreferentielle Tendenzen in dem monadischen Textkonstrukt zusammenfließen. Nicht nur datiert Dalí das (heute im Osaka City Museum befindliche) Bild statt 1916 in das Abfassungsjahr seines Textes, 1926, – Beispiel einer traumanalogen „sprachlichen Fehlleistung“, über die das eminente, Diskursivität stiftende Moment dieses für die Genese des Surrealismus wichtigen Stilllebens in einer fiktiven Aktualität vergleichgültigt wird. Vielmehr weist Dalí selbstherrlich dem einstigen Vorbild Chirico eine marginale kunsthistorische Rolle zu, indem er ihn im wahrsten Sinne des Wortes – als fingiertem Wegweiser „in seine Grenzen“ weist: „Una fletxa indicadora i a sota: Direcció Chirico; vers els limits d’una metafísica.“72 Diese metapoetische Verweisfunktion, die Erzeugung virtueller Genealogien zum Zwecke ästhetischer Selbstdefinition ist ein weiteres Moment, das der Surrealismus aus dem Fin de Siècle übernimmt. Während indes den metapoetischen Rückbezug auf die produktions-, medien- und gattungshistorischen Vorläufer im Fin de Siècle Trauer über die als uneinholbar konstatierte Vorbildlichkeit regelt, erweist sich die ästhetische Selbstvergewisserung des Surrealismus als ein ironisch-irreverenter Tanz auf und mit den Trümmern abendländischer Geisteskultur. Will man die hier artikulierte metapoetische Intention dem gesamten Text unterstellen, so ist zumal der sich anschließende Abschnitt des Poem-Essay ein Beleg dafür. In einer kaum eine Druckseite umfassenden mehrgliedrigen Rhapsodie bedient sich der junge Dalí der Form textgebundener Medienfiktionen. Die kühne Setzung medial begründeter Einstreuungen weist Dalís Text dabei nicht als trivialen malerischen Metakommentar aus, sondern als „Heteropoesie“: als Abspaltung einer medial sich konstituierenden Monade, der Literatur
71 Ebd., S. 20. 72 Ebd.
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zum idealtypischen Kommunikationsmittel komplexer synästhetischer Erfahrung wird. Mittels des Heliomètre entwirft Dalí eine dreiteilige, im letzten Abschnitt abermals dreigegliederte Szenenfolge. Stand der literarische Text von Anfang an unter dem Motto der Reproduktion seiner außerliterarischen Visualität, so erweist sich sein surreales Finale einmal mehr als literarisches „Schau-Spiel“, geeignet, nie geahnte poetische Zustande hervorzurufen („espectacles, simples fets motivadors de nous estats lírics“73). Der Abschnitt ruft Sequenzen auf, deren Konzeption als Teile eines Filmszenarios durch zahlreiche Referenzen auf das zeitgenössische Kino und Kinematographiemetaphern unterstrichen werden: -
Das Mädchen, das auf dem Grammophon Gershwins Dinah spielt.
-
Ein Autorennen mit blauen Bugattis, gefilmt aus der Vogelperspektive.
-
Eine Tanzsequenz mit Josephine Baker, überlagert vom Erblühen einer Blume im Zeitraffer.
-
Abschnitt 3 widmet je eine Sequenz den Hollywoodgrößen Adolphe Menjou, Buster Keaton und Tom Mix.
Es handelt sich um literarisch fingierte Stummfilmszenen. Neben den surrealistischen Vorlieben für den populären amerikanischen Stummfilm greift die Bilderfolge nicht nur auf Aspekte der Lebenswelt zu, wie sie sich in anderen Texten Aragons, Bretons, Tzaras und Picabias – aber auch den Filmen Cocteaus, Dulacs und Buñuels – finden, sondern organisiert diese als Inzitationsmomente ästhetischer Avantgarden: Futurismus, Dada und Surrealismus werden über wiederkehrende Motive – Technik, Geschwindigkeit, Erotik, Subkultur, Ersetzung von Natur durch Kultur und viceversa – in eine hybride Stilkonfiguration gespiegelt, die ihre Konsistenz der Kontinuität der Fragmentierung verdankt: das surreale Verfahren des „Cadavre-exquis“ wird in der Passage auf der Ebene der Makrostruktur (Szenencollage) und der syntaktischen Mikrostruktur durchgeführt. Wenngleich auch der Schlussabschnitt („Putrefacció“) vom Motiv des medial gebrochenen Sehens beherrscht wird und weiterhin die Linse des Heliomètre dabei eine Rolle spielt, so verkehrt sich die Sprachgebärde, da der Visionär die Linse umwendet. Gleich der Rückseite einer Münze repräsentiert der Blick durch die Linse nun die Verwesung des Märtyrers und spiegelt damit das surrealistische Happening à la Parisienne im altspanischen desengaño. Es ist zum einen die klassische Allegorie der „Frau Welt“, mit der das surrealistische Spiel
73 Ebd., S. 21.
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von Eros und Geschwindigkeit in die Rede über den contemptus mundi übergeht, ohne dass Dalí sich dabei freilich seines grotesken Humors begäbe. Wieder ist es zunächst das visionäre Moment, das nun seinen religiösen Traditionshintergrund über die Referenz auf Dantes Commedia freilegt: Verdankte bereits die spätmittelalterliche Unterhaltungsliteratur den immerhin noch theologisch gerechtfertigten Eskapaden Dantes zentrale Gestaltungsvorgaben bei der Organisation ästhetischer Parallelwelten, so gibt das Inferno nun den medienarchäologischen Rahmen für eine antibourgeoise Caprice ab. Kraft des Blicks in das Zauberglas des Heliomètre wandern alle Gattungen der vom Surrealismus verachteten Spießer – vom weinerlichen Künstler bis zum Psychologieprofessor74 – in diese Hölle, bevor der Leser abrupt aus der Phantasmagorie katapultiert wird, um mit dem abschließenden Verweis auf Henri Rousseaus Bohémienne endormie (1897) – das Gemälde zeigt eine exotisch gekleidete Schlafende, über die sich ein Löwe beugt – die Motivkonfiguration von Schlaf, Traum und Bedrohung und damit wieder die Thematik der ästhetischen Ambivalenz innerer Bilder aufzurufen.
Abb. 1: Rousseaus Schlafende Zigeunerin, 1897, Museum of Modern Art, New York.
Nicht erst diese Höllensequenz ist von poetologischen Signalen durchsetzt, die auf die ästhetischen Positionen der Surrealisten Bezug nehmen. Die das Entree von Sant Sebastià bestimmende Fluktuation zwischen Poem und Essay wird in den Schlusspartien wieder stärker spürbar. Die hier eingestreuten poetologi74 Ebd., S. 23.
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schen Referenzen auf Man Ray75 nehmen Dalís Interesse an der Fotografie auf, die den „visionären“ Abschnitt des Haupttextes begründen. Stärker als in den Schwellentexten des Sant Sebastià hat Dalí das Moment des Sehens und den Kontext des neuen Detailrealismus indes in den Anschlusstexten formuliert. In der Übergangsphase von den letzten Experimenten der abstrakten Moderne hin zu den Vorbildern Leonardo, Vermeer und Raffael setzt sich Dalí für die der Fotografie ein, deren Kunsthaltigkeit der Rechtfertigung seiner Ästhetik dient. Über die gerühmten fotografischen Experimente Man Rays kann sich Dalí am Ende der Periode malerischer Abstraktion der Erzeugung einer neuen, Staunen erregenden Form des Sehens zuwenden. So formuliert er in dem zeitgleich mit dem Sant Sebastià entstandenen Text La fotografia, pura creació de l’esperit: Confiem en les noves maneres de fantasia, nascudes de les senzilles transposicions objectives. Només allò que som capaços de somniar està mancat d’originalitat. El miracle es produeix amb la mateixa necessària exactitud de les operacions bancàries i comercials. […] „Saber mirar é tot un nou sistema d’agrimensura espiritual. Saber mirar ès una mena d’inventar“ […] La fotografia llisca amb una contínua fantasia damunt els nous fets, que en el pla pictòric tenen tan sols possibilitats de signe.76 Man kann vermuten, dass zumal die Entwicklung der Fotografie im 19. Jahrhundert einen entscheidenden Einfluss auf die Entstrukturierung der Erzählliteratur im Fin de Siècle77 genommen hat. Die camera obscura verweist als eine technische Allegorie auf die monadische Wirklichkeitskonstruktion. Die Erfahrung von Zerstückelung, Überlagerung und Doppelung der Seheindrücke durch die fotografische Platte steigert das fragmentarische Erleben, das die Literatur im Akt einer Denarrativierung nachzeichnet, der inkorporierte Subgenres wie Aphorismus, Essay, Beschreibung und Kurzerzählung nun als Surrogat für eine narrative Totalität dienen, die das monomanische Subjekt nicht mehr leistet. An Dalís nur wenige Seiten umfassenden Text fällt eben diese über die Momente des Blicks und der Medialisierung gelenkte Fragmentierung erzählerischer Abläufe in besonderem Maße auf. Der apokalyptische Modus eines Tagtraums umschließt die monadische Konstruktion. Die gespeicherten Bilder geraten zu medialisierten Egodokumenten eines literarischen Subjekts, das
75 Ebd., S. 22. 76 Ebd. 77 Vgl. Wild: „Athaumasia“, S. 101-116.
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seine Wahrnehmung über das Medium der fotografischen Linse allegorisiert und durch ein synästhetisches Moment bereichert. Im Gegensatz zu manchen schwer nachvollziehbaren Äußerungen in Bretons Surrealistischen Manifesten, die sich in vordergründiger Weise vom (spätbürgerlichen) Ich lossagen, wäre der Surrealismus Dalís ein weiterer Versuch des abendländischen Ichs, sich – im visionären und zugleich destruktiven Akt schöpferischer Setzung – seiner selbst zu vergewissern. Hinsichtlich der Konstruktion des Subjekts als einer sich selbst zwar denkenden, aber über Diversität und Medialität der eigenen Aisthesis gleichwohl auf eine naive Weise originär setzenden Monade wäre der Surrealismus nicht ein weiterer Abgesang an jenen Verlust spätbourgeoiser Selbstbezüglichkeit, die das Fin de Siècle so vehement beklagte: Im Versuch das lustvoll sich auflösende Subjekt der Décadence mit medialer Ironie zu restituieren, werden diese Erben des Fin de Siècle zu den Primitiven der Postmoderne.
7.
Souvenirs de l’égotisme II
Die Radikalität des Sebastià-Entwurfs wird Dalí in den Pariser Texten der frühen dreißiger Jahre nur gelegentlich erreichen. Das amerikanische Exil markiert demgegenüber eine Phase der Entwicklung gezielter Strategien der Selbstinszenierung und -vermarktung. In dieser Zeit der Konsolidierung formalästhetischer Verfahren entdeckt Dalí das Schreiben als künstlerisches Ausdrucksmedium neu. Wenngleich die Kunstwissenschaft La vie secrète de Salvador Dalí vornehmlich als autobiographischen Text und Metakommentar zum malerischen Werk missverstanden hat, handelt es sich dabei um ein romaneskes Produkt, das den kühnsten Fiktionen der Romanliteratur an Phantastik kaum nachsteht. Gleich einem manieristischen Filigran mit den membra disiecta der finisäkulären Erzählformen durchwoben, überwuchert noch deutlicher als in den katalanischen Texten die monadische Erzählerrede nun Episoden aus Dalís Leben. Lebensweltliche Versatzstücke (Personen, Orte, Kunstwerke) werden nach dem Prinzip der synästhetischen Monadologie dergestalt überfrachtet, dass mediengeformte Er-innerung in biographischer Ent-äußerung aufgeht. Wieder dominiert die Thematik des Blicks, wieder zehrt der neo-rinascimentale Künstler-Heroe eine pseudoreligiöse Textsorte aus, wieder überlagern einander Vision und Autobiographie, wieder greift das Ich auf die Präsentationsformen der visionären Literatur zurück. Wieder inszeniert Dalí in dem asketischen Modus die monadische Urszene: als Dachstube-Atelier in Katalonien, als zur Minnegrotte oder zum Schneckenhaus stilisierte Fischerhütte in Cadaquès, im zum Atelier umfunktionierten Hotelzimmer in Carry-le-Rouet,
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und selbst im Zweite-Klasse-Eisenbahnabteil, das gleich einer fotografischen Kammer äußere Bewegungsbilder in die statische Monade überträgt. Wenn Dalí vordergründig konventionell an den Modi der Biographie festhält, so befreit er sein erzähltes Leben aus dem Kontext der alltäglichen Dingwelt, um es als höhere Wirklichkeit neu zu schaffen. Erzähltes Leben wird somit zu einem weiteren objet trouvé aus unserer Wirklichkeit, das nach den Verfahren eines schulmäßig gehandhabten Surrealismus zum Medium transzendenter Erfahrungswelten aufsteigt. Insofern verweist die Titelmetapher des „geheimen Lebens“ also nicht auf etwaige spektakuläre Indiskretionen des für seine extravagante Selbstinszenierung hinlänglich bekannten Surrealisten, sondern sie beleuchtet die durch Ent- und Rekontextualisierungsmodi gesteuerte Faktur eines Werks, das gemäß der surrealistischen Poetik gerade die Grenze von Literatur und Leben im Werk selbst aufzuheben versucht. Als „vita secreta“ – Leben im Verborgenen – umkreist Dalís Text in noch expliziterer Weise das Umfeld der älteren Visions- und Konfessions-Literatur, – beides genuin religiöse Textsorten, die der Ich-Kult des Fin de Siècle auf ingeniöse Weise im monadischen Diskurs absorbierte. Das Prinzip der intellektuellen Flânerie triumphiert, – so etwa, wenn Dalí in La vie secrète die Philosophie Platons, Spinozas, Nietzsches, Voltaires, Kants, Bergsons und anderer oder die Psychoanalyse Freuds zum Inzitationsmoment poetischer Kreativität „verdinglicht“ und „entheimatet“. Dies hat zumal die Kunstgeschichte dazu verführt, in La vie secrète den Kommentar zu den Bildern zu sehen und dabei zu übersehen, dass Dalís Heteropoesie – auch in den Zwischenformen Aphorismus und Essays – bestenfalls neue Bilder erzeugt, statt alte zu erklären.
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Uta Felten
Der Herr kennt den Code… – Überlegungen zur Figur des Heiligen Sebastian als Chiffre homoerotischer Intimkommunikation1 Campos y cielos / azotaban las llagas de mi cuerpo2 À ce point je veux m’expliquer sur le sens religieux de l’érotisme. Le sens de l’érotisme échappe à quiconque n’en voit pas le sens religieux! Réciproquement, le sens des religions dans leur ensemble échappe à quiconque néglige le lien qu’il présente avec l’érotisme3 El principio de la elegancia es el que hacía a San Sebastián deliciosamente agonizar 4
Es fällt auf, dass das lyrische Ich in den Sonetos del amor oscuro und im Diván del Tamarit die Rolle eines erotischen Märtyrers übernimmt, der dem angesprochenen Geliebten seinen verwundeten Körper als Objekt der Lust anbietet. Besonders deutlich wird die Stilisierung des lyrischen Ichs zum Märtyrer in dem Soneto de la Guirnalda de Rosas, in dem der angesprochene Geliebte zum Genuss am verwundeten Körper aufgefordert wird: Goza el fresco paisaje de mi herida, quiebra juncos y arroyos delicados./ Bebe en muslo de miel sangre vertida.5 Auch die in den anderen lyrischen Texten verwendeten Bilder der Verwundung, der Qual, des Schmerzes und des Blutes – Llagas, agonía, dolor und sangre vertida – verweisen in den Isotopienbereich des Martirio. Bereits im Eingangsgedicht des Diván del Tamarit, das den Titel Del amor imprevisto trägt, wird die be-
1
Kurzfassung des Kapitels „Heilige und durchbohrte Körper: San Sebastián als homoerotische Ikone der Ekstase“ aus der Studie Felten: Traum und Körper bei Federico García Lorca, S. 65-83.
2
García Lorca: Sonetos del amor oscuro, S. 80.
3
Bataille: Les larmes d’Eros, S. 609.
4
Dalí: „Salvador Dalí escribe a Federico García Lorca“, S. 48.
5
García Lorca: Sonetos del amor oscuro, S. 25.
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schworene homoerotische Liebe seitens des lyrischen Ichs als masochistischer Lustgewinn und Martyrium erfahren.6 Explizit erscheint der Begriff des Martirio in der Gacela del recuerdo del amor: „No te lleves tu recuerdo./ Déjalo solo en mi pecho,/ temblor de blanco cerezo en el martirio de enero.“7 Auch im Sonett El poeta pide a su amor que le escriba wird die Lust an der Verwundung des Körpers, die sich zum selbstinszenierten Martyrium des lyrischen Ichs steigert, deutlich: „Pero yo te sufrí/ rasgué mis venas/ tigre y paloma sobre tu cintura,/ en duelo de mordiscos y azucenas.“8 Doch nicht nur in den lyrischen Texten, sondern auch in El Público gehört die Verwundung des Körpers zu einem wesentlichen Bestandteil der diálogos amorosos der Figuren in der Ruina Romana. So übernimmt zum Beispiel die Figura de Pámpanos im Dialog mit dem Emperador – ganz ähnlich wie in den lyrischen Texten – die Rolle eines erotischen Märtyrers, der seinen durchbohrten, zerstückelten Körper dem Emperador als Objekt der Begierde anbietet: FIGURA DE PÁMPANOS. Sí me besas yo abriré mi boca para clavarme después tu espada en el cuello. EMPERADOR. Así lo haré. FIGURA DE PÁMPANOS. Y deja mi cabeza de amor en la ruina.9 Die Verwundung und Erotisierung des sich in den lyrischen und dramatischen Texten anbietenden Körpers verweisen auf die Legende des Heiligen Sebastian. Der von den Pfeilen durchbohrte an einer Säule festgebundene Körper des Heiligen Sebastian gilt seit der italienischen Renaissance als die homoerotische Ikone par excellence. „Homoerotic iconism goes full circle in the popular Italian theme. St. Sebastian, a beautiful seminude youth pierced by phallic arrows“.10 Es ist die seit Botticelli, Raffael, Bronzino, da Messina und Mantegna (vgl. Abb. 1) habitualisierte erotische Darstellung des Heiligen Sebastian als Effemi-
6
Auch Andrew Anderson verweist in seiner Lectura der Gacela del amor imprevisto auf die Märtyrerrolle des lyrischen Ichs sowie auf die masochistischen Valenzen der im Text inszenierten homoerotischen Liebe: „[...] el poeta se otorga el papel de mártir, santo hasta Cristo […]. El martirio conduce a través de la tortura y del sufrimiento a la muerte y este proceso se une metafóricamente a la experiencia sexual masoquista“ (vgl. Anderson: „Análisis de la ‚Gacela del amor improvisto‘ del Diván del Tamarit“, S. 191).
7
García Lorca: Sonetos del amor oscuro, S. 78.
8
Ebd., S. 30.
9
García Lorca: El público, S. 138f.
10 Paglia: Sexual Personae, S. 112.
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natus,11 als knabenhafter Jüngling hermaphroditischer Provenienz, die den Heiligen zu einem der begehrtesten homoerotischen Körper im spanischen Surrealismus werden lässt. Im Jahre 1927 wird die Sebastian-Ikone zur Schlüsselfigur eines intermedialen Dialogs zwischen Dalí und Lorca. Dalí fertigt in diesem Jahr gleich zwei Zeichnungen, eine in Sepia (vgl. Abb. 2) und eine in Tinte, mit dem Titel Sant Sebastiá an und veröffentlicht in der L’Amic de les Arts unter gleichnamigen Titel ein poème en prose, das er García Lorca widmet.12 In einem kreativen intermedialen Dialog mit Dalís pikturalen und literarischen Versionen der Sebastian-Ikone steht Lorcas Federzeichnung San Sebastián aus dem gleichen Jahr (vgl. Abb. 3). Die vergleichende Gegenüberstellung von Dalís Sepia-Anfertigung Sant Sebastiá und Lorcas Federzeichnung San Sebastián aus dem gleichen Jahr lässt, so konstatiert Rolf Bläser in seiner kunsthistorischen Untersuchung Federico García Lorca als Zeichner, auf eine „gegensätzliche Position bei der Stilsuche“ schließen.13
Abb. 1: Bronzino: San Sebastián.
11 Zur Darstellung des Heiligen Sebastian als Effeminatus bei Raffael vgl. Lutz S. Malkes Untersuchung zum „Weibmann und Mannweib in der Kunst der Renaissance“, S. 38. 12 Vgl. Dalí: „Sant Sebastiá per Salvador Dalí a Federico García Lorca“. 13 Bläser: Federico García Lorca als Zeichner, S. 87.
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Abb. 2: Salvador Dalí: Sant Sebastiá, 1927, Sepia 21 x 15 cm, Sammlung unbekannt.
Abb. 3: Federico García Lorca: San Sebastián, um 1927, Federzeichnung.
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Santos Torroella, Gibson und Bläser gehen davon aus, dass Dalís Sant Sebastiá als Replik auf die Sebastian-Darstellung Andrea Mantegnas zu lesen sei, während Lorcas Federzeichnung auf Antonello da Messina verweise.14 Die Unterschiede in der ikonologischen Betrachtungsweise des Sebastian-Martyriums bei Dalí und Lorca sind auffällig: Lorca greift bei seiner Darstellung des Opfertodes auf Antonello da Messina zurück und stellt wie dieser den Heiligen an eine Zypresse gefesselt dar. Dalí hingegen rekurriert bei seiner Darstellung des Martyriums wohl ganz offensichtlich auf Andrea Mantegna und stellt wie dieser den Heiligen an eine Marmorsäule gefesselt dar. Doch sind diese ikonologischen Unterschiede im Moment noch von geringer Bedeutung. Erst die Berücksichtigung der Korrespondenz zwischen Lorca und Dalí aus den Jahren 1927-29 und vor allem die Einbeziehung weiterer literarischer und pikturaler Sebastian-Versionen Salvador Dalís – seines poème en prose und seiner „Märtyrercollagen“ – können über den Umgang Lorcas und Dalís mit dem „Sebastian-Mythos“ als Ikone homoerotischen Begehrens Aufschluss geben. Im Briefwechsel zwischen Dalí und Lorca wird der Heilige Sebastian zum Schlüsselbild eines homoerotischen Geheimcodes, eines Spiels, in dem Dalí und Lorca wechselseitig die Rolle des verwundeten erotischen Märtyrers übernehmen. Dalís Brief an Lorca vom März 1927, in dem er den italienischen Renaissance-Maler explizit erwähnt, ist nur ein Beispiel für die Lust am Spiel mit der Figur des Heiligen Sebastian als homoerotische Hieroglyphe: Carísimo amigo: […] Deseo, mon chéri!, una muy larga carta tuya… En mi San Sebastián te recuerdo mucho y a veces me parece que eres tú… ¡A ver si resultara que San Sebastián eres tú!... Pero ahora déjame
14 Vgl. Santos Torroella: La miel es más dulce que la sangre, S. 134: „Pese a que nuestro pintor no menciona expresamente al gran maestro renacentista de la corte de Gonzaga [...] debió de tener presentes sus interpretaciones del aseatamiento del santo, lo mismo la del Museo de Viena que la del Louvre. Quizá en mayor medida ésta última, que pudo admirar y estudiar en su primer viaje a Paris.“ Vgl. Gibson: Federico García Lorca, S. 486: „Se trata con toda seguridad de una alusión al San Sebastián (Museo de Viena) del pintor italiano, una reproducción de la cual habían comentado juntos ambos amigos. A este cuadro como veremos, hay una referencia en el Sant Sebastiá de Dalí.“ Vgl. Bläser: Federico García Lorca als Zeichner, S. 87: „Lorca indessen scheint das Thema von einem anderen Vorbild aus angegangen zu sein, das einmal seiner Auffassung gemäßer und vielleicht Gegenstand der Behandlung des bildnerischen Problems und seiner Realisation durch die beiden Künstler war: Liegt doch die Annahme nahe, daß seine Zeichnung des Heiligen von dem reifen Werk des Antonello da Messina (1430-1479) angeregt wurde.“
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que use su nombre para firmar. Un gran abrazo de tu SAN SEBASTIÁN ¿Mantegna... ironía?15 Neben der Lust an der ironisch-ludischen Selbstidentifizierung mit der Sebastian-Ikone, der – wie Joachim Heusinger von Waldegg es formuliert – „Uminterpretation der Sebastian-Legende in einen privaten Mythos“16, fällt Dalís Freude an der ironischen Variation und Transformation der Legende und an der Gestaltung neuer Variationen des Mythos auf. So entwirft Dalí in seinem Brief an Lorca vom Januar 1927 einen „nuevo tipo de San Sebastián“, eine ironische Märtyrercollage (vgl. Abb. 4): Querido Federico: […] Como ves, te „invito“ a mi nuevo tipo de San Sebastián, que consiste en la pura transmutación de la Flecha por el Lenguado. El principio de la elegancia es el que hacía a Sebastián deliciosamente agonizar […].17
Abb. 4: Salvador Dalí: San Sebastián, Briefe an Federico García Lorca 1925-1936, Brief 12 von 1926 (Letter to Federico García Lorca 1926).
15 Dalí: „Salvador Dalí escribe a Federico García Lorca“, S. 48. 16 Heusinger von Waldegg: Der Künstler als Märtyrer, S. 33. 17 Dalí: „Salvador Dalí escribe a Federico García Lorca“, S. 46.
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Als Vorlage für Dalís Märtyrercollage, seinen „nuevo tipo de San Sebastián“, dient eine populäre zeitgenössische Pflasterwerbung, die Dalí ironisch im Sinne einer „Märtyrerwerbung“ übermalt hat. Die populäre Werbetafel zeigt eine stehende männliche Figur mit einem Schnurrbart, die ihre Hände hinter dem Rücken versteckt und deren Oberkörper mit großen Pflastern beklebt ist. Die Figur wird mit dem Etikett „MARCA REGISTRADA“ tituliert. Die Position der Figur hat Ähnlichkeit mit der gängigen Ikonographie des Martyriums des Heiligen Sebastian, der als schöner Jüngling, an einem Baumstamm oder eine Säule gefesselt, dargestellt wird. Dalí übermalt den Kopf der Figur mit einem Heiligenschein und betitelt sie „San Sebastián“. Ein anderes Mal steht García Lorca selbst Pose für Dalís „Märtyrercollagen“. Die im Juni 1927 in der L’Amic de les Arts veröffentlichte Zeichnung „Federico García Lorca. El poeta en la platja d’Empúries vist per Salvador Dalí“ (vgl. Abb. 5) zeigt García Lorca als träumenden Sebastian am Strand umgeben von zerstückelten Körpern – einem vom Rumpf abgetrennten Kopf, einer Hand und einer Vielzahl von Blutgefäßen. Die Vielzahl der auf der Zeichnung sichtbaren Blutgefäße verweist, so konstatiert Dawn Ades18, auf eine beliebte zeitgenössische Produktwerbung für ein Mittel gegen Krampfadern mit dem Slogan „¿Se curan las varices?“, die Dalí in sein burleskes Collage-Buch Libro de las varices (vgl. Abb. 6) aufgenommen hat. Durch den intermedialen Verweisungskontext der Zeichnung mit zeitgenössischer Produktwerbung wird die Märtyrerlegende ironisch übermalt. Zu der Umgestaltung der Sebastian-Legende in ein „lenguaje privado de la sexualidad“19 gehört auch die Herausstellung der karnevalesken, ‚nicht-offiziellen‘ Aspekte der Heiligenlegende. Ein Beispiel für eine Betonung der Sebastian-Ikone ist Dalís Brief an Lorca vom September 1926, in dem er die Unversehrtheit des „culo“ San Sebastiáns während des Martyriums in den Vordergrund stellt: Querido Federico, […] Pues bien, hay una historia que me contaba Lidia, una historia de San Sebastián que prueba lo atado que está a la columna y la seguridad de lo intacto de su espalda. ¿No habrás pensado en lo sin herir el culo de San Sebastián?20
18 Vgl. Ades: „La morfología del deseo“, S. 198: „Las venas rotas de los miembros truncados están inspirados del anuncio de un remedio contra varices que Dalí ha empleado en su Libro de varices.“ 19 Ebd., S. 30. 20 Dalí: „Salvador Dalí escribe a Federico García Lorca“, S. 44.
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Die Zurschaustellung der tabuisierten analen und exkrementalen Aspekte der Sebastian-Legende, die in diesem Brief Dalís an Lorca deutlich wird, zielt auf eine karnevaleske Demontierung der Hagiographie. Das Verfahren der karnevalesken Demontierung von Heiligenlegenden, der exkrementalen Übermalung des Heiligen, war ein im Umkreis der spanischen Surrealisten beliebtes Verfahren. In seinen Tagebuchnotizen Mi último suspiro berichtet Buñuel von der Freude der Surrealisten an solchen Demontierungen. Buñuel erzählt dort, wie Lorca ihm die Heiligenlegende Simons des Stiliten aus der Legenda aurea vorlas und sie sich über die Beschreibung der exkrementalen Ausscheidungen des Heiligen amüsierten:
Abb. 5: Salvador Dalí: El poeta en la platja d’Empúries, (1927, L’Amic de les Arts, No. 15).
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Abb. 6: Salvador Dalí: Libro de las varices (Book of the Varices), 1926, Collage und Tinte auf Papier, 2 Blätter: 17,6 x 25,6 cm und 12,4 x 17,8 cm, Fundacíon Federico García Lorca, Madrid.
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Abb. 7: Salvador Dalí: Sant Sebastiá, 1927, L’Amic de les Arts, Sitges, 31.07.1927.
[…] Alatriste me ofreció la posibilidad de realizar en México una película sobre el sorprendente personaje de San Simeón el Estilita […] Yo pensaba en ello hacía tiempo, desde que Lorca me había hecho leer en la Residencia La leyenda aurea. Se reía a carcajadas al leer que las deyecciones del anacoreta a lo largo de la columna semejaban la cera de una vela. En realidad, como se alimentaba de unas cuantas hojas de lechuga que le subían en un cesto, sus excrementos debían de semejar, más bien, pequeñas cagarrutas de cabra.21 Allerdings beschränkt sich der Umgang der Surrealisten mit der Hagiographie nicht auf die Freude der karnevalesken Übermalung. Stehen doch in der pikturalen und literarischen Auseinandersetzung und Neubearbeitung der SebastianIkone seitens Dalís andere Aspekte des Martyriums des Heiligen Sebastian im Vordergrund. Bei Dalí figuriert der Heilige als Ikone erotischer und mystischer Ekstase. Die seit der Renaissance-Malerei gängige Erotisierung des Heiligen steigert sich 21 Buñuel: Mi último suspiro, S. 233.
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in Dalís Tintezeichnung Sant Sebastiá und dem gleichnamigen poème en prose zu einer orgiastischen Darstellung des Heiligen, in der sich die gewalttätigen, ‚sado-masochistischen‘ Valenzen, die – wie Dalí es nennt – „dolorosa voluptuositat“, die „schmerzliche Wollust“ einer erotischen und mystischen Ekstase offenbaren. Dalís Sant Sebastiá (vgl. Abb. 7) zeigt den Körper des Heiligen im Augenblick der Ekstase: Es ist ein durchbohrter zerstückelter, blutbespritzter Körper ohne Kopf. Auch in dem als intermedialer Dialog zur Zeichnung angelegten poème en prose stehen die gewalttätigen Seiten der Ekstase des Körpers im Vordergrund. Mit dieser Lust an der Darstellung der ‚sado-masochistischen‘ Seiten des als erotisch-mystische Ekstase erlebten Märtyrertodes korreliert eine Lust am Klinischen. Liest sich doch Dalís Sant Sebastiá stellenweise wie der Befund eines Gerichtsmediziners: Les fletxes portaven, totes, anotada llur temperatura i una petita inscripció gravada en l’acer que deia: Invitació al coàgul de sang. en certes regions del cos, les venes apareixien a la superficie amb llur blau intens de tempesta del Patinir, i descrivien corbes d’una dolorosa voluptuositat damunt el rosa coral de le pell.22 Alle Pfeile trugen genaue Temperaturangaben, und eine kleine in Stahl geritzte Inschrift lautete: „Einladung zur Blutgerinnung“. An manchen Stellen des Körpers traten die Venen mit der intensiven SturmBläue Patinirs hervor und machten die Ursachen der schmerzlichen Wollust auf dem Korallrosa der Haut sichtbar.23 Auch Joachim Heusinger von Waldegg konstatiert die Lust Dalís am Medizinischen, die sich in San Sebastiá manifestiert: Die Pfeile, die Sebastian treffen, sind zugleich Fieberthermometer und Blutgerinnungsmesser; der Opfertod des Heiligen stellt sich als medizinischer Eingriff dar.24 Neben dieser Lust am Klinischen, die sich in Dalís Darstellung des Martyriums als chirurgischer Eingriff manifestiert, wird ein Interesse an der Betonung der exhibitionistischen, voyeuristischen und artifiziellen Aspekte des Martyriums deutlich. In seinem poème en prose Sant Sebastiá vergleicht Dalí die Wunden des
22 Dalí: „Sant Sebastiá per Salvador Dalí a Federico García Lorca“, eine spanische Version dieses poème en prose erscheint im Februar 1928 in der Zeitschrift Gallo. 23 Dalí: „Der heilige Sebastian“, S. 53. 24 Heusinger von Waldegg: Der Künstler als Märtyrer, S. 33.
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Heiligen Sebstian mit den Mündern der in der „elektrischen Protzigkeit der Schaufenster“ exponierten Mannequins: Laboratorium, Klinik. […] Schuhvitrine im Grandhotel. Mannequins. Ruhige Mannequins in der elektrischen Protzigkeit der Schaufenster […] Mannequin-Münder. Wunden des Heiligen Sebastian.25 Während für Dalí, wie dieser Textausschnitt zeigt, der Aspekt des Künstlichen, Klinischen, Voyeuristischen und Exhibitionistischen des Opfertodes des Heiligen Sebastian im Vordergrund des Interesses steht, fasziniert Lorca – so schreibt er in einem Brief an Dalí vom August 1927 – die barocke Theatralität des Opfertodes des Heiligen: […] lo que a mi me conmueve de San Sebastián es su serenidad en medio de la desgracia, y hay que constatar que la desgracia es siempre barroca; me conmueve su gracia en medio de la tortura y esa carencia absoluta de resignación que ostenta en su rostro helénico, por que no es un resignado sino un triunfador, un triunfador lleno de elegancia.26 Erst in seinem Theaterstück El Público wird Lorca auf die dalísche Darstellung des Opfertodes als klinischen Eingriff rekurrieren. Inszeniert er doch im fünften Bild des Stückes den Opfertod des Desnudo rojo, einer Christusimitatio, als chirurgische Operation: DESNUDO. Yo deseo morir. ¿Cuantos vasos de sangre me habéis sacado? ENFERMERO. Cincuenta. Ahora te daré la hiel, y luego, a las ocho vendré con el bisturí para ahondarte la herida del costado.27 Dalís Lust am Medizinischen, am Klinischen und Künstlichen geht des Weiteren mit einer Betonung des gewalttätigen Aspekts des als Ekstase erlebten Opfertodes des Heiligen Sebastian einher. Angelegt ist die sich bei Dalí manifestierende Betonung dieses gewalttätigen Aspekts in der inhärenten Mehrdeutigkeit des den Körper des Heiligen Sebastian durchbohrenden Pfeils, der sowohl als Pfeil Gottes28 als auch als Pfeil
25 Dalí: „Der heilige Sebastian“, S. 57. 26 García Lorca: „XLIII De Lorca a Dalí“. 27 García Lorca: El público, S. 165f. 28 Zur Bedeutung des Pfeils als Bild für die göttliche Liebe vgl. Augustinus, Confessiones IX, 2: „Saggittaveras tu cor nostrum caritate tua“ und Soliloquia IX, 2.
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des Amor29 begriffen werden kann. In der Sprache der Mystiker signalisiert das Bild des Pfeils den gewalttätigen Aspekt der mystischen Ekstase selbst, die als „Angriff gegen die Seele“, als „Schlagen“, „Schießen mit Pfeilen“, „Angst, Entsetzen, Glut und Verwundung“ erfahren wird.30 Die Pfeile Amors signifizieren ebenfalls den gewalttätigen Aspekt der erotischen Erfahrung. Der von Pfeilen durchbohrte heilige Körper Sebastians als eine Ikone mystischer und erotischer Ekstase steht in einem intermedialen Netz der Verweise mit der berühmtesten spanischen Ikone mystisch-erotischer Ekstase, der Ekstase der Heiligen Teresa von Ávila und Gian Lorenzo Berninis berühmter Darstellung derselben in Santa Maria della Vittoria zu Rom (vgl. Abb. 8). In ihren autobiographischen Schriften, Libro de su Vida, Beschreibungen ihrer mystischen Erfahrungen, schildert die Heilige Teresa, wie ein Engel sie mit einem langen, goldenen Speer, dessen Spitze aus Feuer ist, mehrere Male „bis ins tiefste Innere durchdringt“ und betont die „Suavidad“, die „Süße“, des im Augenblick mystischer Ekstase empfundenen Schmerzes: Veía un ángel cabe a mí hacia el lado izquierdo en forma coroporal... No era grande, sino pequeño, hermoso mucho, el rostro tan encendido que parecía de los ángeles muy subidos, que parecen todos se abrasan. Deben ser los que llaman querubines... Veíale en las manos un dardo de oro largo, y al fin del hierro me parecía tener un poco de fuego. Éste me parecía meter por el corazón algunas veces, y que me llegaba a las entrañas. Al sacarle, me parecía las llevaba consigo, y me dejaba todo abrasada en el amor grande de Dios. Era tan grande el dolor, que me hacía dar aquellos quejidos; y tan excesiva la suavidad que me pone este grandísimo dolor, que no hay desear que se quite […].31 Mit ihrer radikalen Erotisierung, besser gesagt: Homoerotisierung des Heiligen Sebastian stehen Lorca und Dalí in einem intermedialen Beziehungsnetz mit den heiligen Körperbildern der italienischen Renaissance und den mystischen Körperbildern des spanischen Barock. Während Dalís Sepiazeichnung von Lorcas Federzeichnung im intermedialen Verweisungskontext mit der italieni-
29 Zur Bedeutung des Pfeils als Bild für die erotisch-profane Liebe vgl. Ovid, Amores II, 9,5: „Cur tua fax urit, figit tuus arcus amicos“? und Metamorphosen I, 468: „[…] der Venussohn […]/ nahm aus dem Köcher zwei seiner Pfeile, entgegengesetzter/ Wirkung: der eine erweckt, es vertreibt der andre die Lieben./ Der sie erweckt ist von Gold und funkelt mit schneidender Spitze,/ der sie vertreibt, ist stumpf, und Blei verbirgt sich im Schafte“. 30 Vgl. in diesem Zusammenhang: Friedrich: Epochen italienischer Lyrik, S. 79. 31 Santa Teresa de Jesús: Obras completas, S. 180.
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schen Renaissance-Malerei – Botticelli, Raffael, Bronzino, da Messina und Mantegna – stehen, die den Heiligen als Effeminatus, als schönen erotischen Knaben darstellen, der einen nackten Körper dem Betrachter als Objekt der Lust anzubieten scheint, schreibt sich Dalí mit seiner Federzeichnung Sant Sebastiá und seinem gleichnamigen poème en prose, die den Akzent auf die als lustvolles Durchbohren des Körpers, als „schmerzliche Wollust“ erfahrene mystisch-erotische Ekstase setzen, vor allem in die Tradition der Ekstase der Teresa von Ávila und Berninis Darstellung derselben ein. Bildet doch die in Dalís poème en prose als „schmerzliche Wollust“, als „dolorosa voluptuositat“ beschriebene Ekstase des Sebastian ein Analogon zu der als „Süße“ des „Schmerzes“, als „suavidad“ des „dolor“, empfundenen Ekstase der Santa Teresa.
Abb. 8: Gian Lorenzo Bernini: Santa Teresa, ca. 1645-52.
In Sant Sebastiá rekurriert Dalí auf die der mystischen Erfahrung eigene Gleichsetzung des Gegensätzlichen, die sich in der Erfahrung des Schmerzes als süße Lust, als glückliche Wunde, als Entsetzen, Schaudern und freudiges Erbeben äußert. Hugo Friedrich hat am Beispiel der mystischen Bildsprache des Ber-
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nard von Clairvaux diese „Gleichsetzung des Gegensätzlichen“ als Hauptmerkmal der mystischen Ekstase herausgestellt: Ein Hauptmerkmal der Mystik ist die Gleichsetzung des Gegensätzlichen: im letzten mystischen Akt wird das Licht der Gottesnähe gleich der Nacht […]. Doch schon die unteren Stufen des Aufstiegs geraten in den Widersinn der zusammentreffenden Gegensätze. Denn die von Gott selber geweckte Liebe ist Angriff gegen die Seele, ist besiegende Gewalt […]. Sie ist ein Schlagen, ein „Schießen mit Pfeilen“, bewirkt Angst, Entsetzen, Glut und Verwundung. Aber die der Seele zugemuteten Schrecknisse sind eine „Süße“ und verursachen eine „glückliche Wunde“. Bezeichnend, dass die Mystiker das griechische Wort Ekstasis zuweilen mit pavor wiedergeben, was sowohl freudiges Erbeben wie Entsetzen bedeutet.32 Doch kann Dalís Beschreibung des Martyriums des Sebastian als „dolorosa voluptuositat“, als „schmerzliche Wollust“, nicht nur als eine mystische – mit freudigem Erbeben, Erzittern und Entsetzen einhergehende – Ekstase, sondern auch als erotische Ekstase im Sinne Georges Batailles verstanden werden. Nach Georges Bataille sind Angst, Ohnmacht und Zittern konstitutiv für die erotische Ekstase wie auch für die Erotik überhaupt: „Seul moyen d’approcher la vérité de l’érotisme: le tremblement.“33 In Dalís später Sebastian-Version von 1943, die den Titel Saint Sébastien androgyne (vgl. Abb. 9) trägt, wird die Ikone noch stärker als bisher erotisiert und sexualisiert. Die Darstellung zeigt einen androgynen Sebastian mit weiblichen Brüsten in der Pose der Venus von Botticelli. Die Sexualisierung der Ikone kann im Anschluss an Bataille als Übertretung, transgression, und Beschwörung der Abwesenheit des Heiligen verstanden werden.34 Es ist die Lust an der Überschreitung35, an der Ansteckung des Heiligen durch das Erotische, am Spiel mit den Ikonen der Tradition, an ihrer homoerotischen, mystischen und sexuellen Reaktualisierung und Montage, die die Sebastian-Versionen Lorcas und Dalís auszeichnen.
32 Friedrich: Epochen der italienischen Lyrik, S. 79. 33 Bataille: Les larmes d’Eros, S. 608. 34 Vgl. hierzu: Foucault: „Préface à la transgression“. 35 Vgl. hierzu: Bataille: Les larmes d’Eros („Du rire érotique à l’Interdit“), S. 606: „L’interdit engage à la transgression, sans laquelle l’action n’aurait pas eu la lueur mauvaise qui séduit [...]. C’est la transgression de l’Interdit qui envoûte [...].“
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Abb. 9: Salvador Dalí: Saint Sébastien androgyne, 1941, Aquarell, 47 x 63,5 cm, Privatsammlung.
Literaturverzeichnis Ades, Dawn: „La morfología del deseo“, in: Dalí Joven (1918-1930), Ausstellungskatalog, Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofia, Madrid 1994. Anderson, Andrew: „Análisis de la ‚Gacela del amor improvisto‘ del Diván del Tamarit“, in: Hommage à Federico García Lorca. Toulouse 24-26 novembre 1981, Toulouse: Travaux de l’Université de Toulouse le Mirail, Série A, Tome XX, 1982. Augustinus: Confessiones IX, 2: „Saggittaveras tu cor nostrum caritate tua“ und Soliloquia IX, 2. Bataille, Georges: Les larmes d’Eros, Paris 1987. Bläser, Rolf: Federico García Lorca als Zeichner, Köln 1986. Buñuel, Luis: Mi último suspiro, Barcelona 1982. Dalí, Salvador: „‚Salvador Dalí escribe a Federico García Lorca‘, Presentación por Rafael Santos Torroella“, in: Poesía. Revista ilustrada de información poética, Nr. 27-28, 1987, S. 48.
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Dalí, Salvador: „Der heilige Sebastian. Für Federico García Lorca“, in: Unabhängigkeitserklärung der Phantasie und Erklärung der Rechte des Menschen auf seine Verrücktheit. Gesammelte Schriften, hrsg. v. Axel Matthes/Tilbert Diego Stegmann, München 1974, S. 52-57. Dalí, Salvador: „San Sebastián“, in: Gallo, Nr. 1, 1928. Dalí, Salvador: „Sant Sebastiá per Salvador Dalí a Federico García Lorca“, in: L’Amic de les Arts, Nr.16, 31.07.1927. Felten, Uta: Traum und Körper bei Federico García Lorca. Intermediale Inszenierungen, Tübingen 1998. Foucault, Michel: „Préface à la transgression“, in: Critique, August-September 1969. Friedrich, Hugo: Epochen italienischer Lyrik, Frankfurt 1964. García Lorca, Federico: „XLIII De Lorca a Dalí: Tu San Sebastián se opone al mío“ [Lanjarón, Agosto, 1927], in: Santos Torroella, Rafael: Dalí residente, Madrid 1992, S. 180-182. García Lorca, Federico: Sonetos del amor oscuro. Poemas de amor y erotismo, 1990. García Lorca, Federico: El público, hrsg. v. Clementa Millán, Madrid 1988. Gibson, Ian: Federico García Lorca, Bd. 1: De Fuente Vaqueros a Nueva York 1898-1929, Barcelona 1985. Heusinger von Waldegg, Joachim: Der Künstler als Märtyrer. Sankt Sebastian in der Kunst des 20. Jahrhunderts, Worms 1989. Malke, Lutz S.: „Weibmann und Mannweib in der Kunst der Renaissance“, in: Prinz, Ursula (Hrsg.): Androgyn. Sehnsucht nach Vollkommenheit, Ausstellungskatalog, Berlin 1986. Ovid: Amores II, 9,5. Ovid: Metamorphosen I, 468. Paglia, Camille: Sexual Personae. Art and Decadence from Nefertiti to Emily Dickinson, London 1992. Santa Teresa de Jesús: Obras completas, hrsg. v. Luis Santullano, Madrid 1957. Santos Torroella, Rafael: La miel es más dulce que la sangre. Las épocas lorquiana y freudiana de Salvador Dalí, Barcelona 1984.
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Haim Finkelstein
Dalí’s Theater – Elements of Mannerism and the Baroque References to Dalí’s fascination with Old Master painting and to his engagement with Renaissance art, Mannerism and the Baroque abound in various critical responses to his work. This proclivity for the art of the past is generally dealt with in terms of the influence of various exponents of the artistic expressions prevalent in the periods generally associated with these styles – with considerations ranging broadly from themes to formal devices. My concern is with Dalí’s painting and aesthetics in the 1930s, when, insofar as Old Master painting is concerned, Mannerism and the Baroque appear to be the prevalent sources of stylistic and formal allusions. One may note the elongation of forms and the tapering feet of the figures in paintings done in 1929-1931 such as The Lugubrious Game (1929). James Thrall Soby, the first critic, I believe, to have drawn attention to Mannerist and Baroque elements in Dalí’s art, refers to Luis de Morales and El Greco as artists whose influence may be detected in the „exaggerated muscularity and diminutive feet of the figures in the right background of The Old Age of William Tell.“1 Mannerist elements may be discerned in the asymmetry defining the composition of works done in the first part of the decade. Various devices and conceits adopted toward the mid-1930s allude specifically to Bracelli’s „furniture-figures“ and ribbon figures. The influence of Spanish Baroque may be discerned much earlier in Dalí’s career in the influence on Basket of Bread (1926) of Zurbaran’s still life paintings; the names of Velázques, Magnasco, Tintoretto and Caravaggio come to mind with regard to various stylistic proclivities in the 1930s. My concern, however, is not so much with these more obvious stylistic and formal borrowings or allusions, but rather with what I consider to be an underlying structure of formal thought or aesthetics in Dalí’s work in this period that suggests some affinities with Mannerism and the Baroque. A note of caution is in order, however. As argued by John Shearman, most of the contemporary meanings for the word Mannerism – and this would be equally applicable, I think, to the Baroque – are due to the fact that most of them are too contemporary and not sufficiently historical, and that sixteenthcentury art has been „endowed with virtues peculiar to our time – especially the virtues of aggression, anxiety and instability.“ His conclusion is that „each
1
Soby: Salvador Dali, p. 22. This is the second edition (1946) of a catalogue first published in 1941 which includes references to works done in the interim.
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author must define his term and justify the way he uses it ...“2 My aim is precisely the opposite; that is, rather than to consider Dalí in relation to an historically accurate view of Mannerism, one that allows Mannerist art to be „appreciated on its own terms, and according to its own virtues, not ours“3, I propose to consider Dalí’s own version of Mannerism – and by the same token, also that of the Baroque – beyond the more obvious allusions and borrowings from these two period styles. I propose then to consider a kind of „native“ style, or rather styles, an intrinsic predilection on Dalí’s part for various formal and conceptual elements that merely suggest certain affinities with these period styles. The arbitrariness often involved in the application of the term Mannerism – and this is equally applicable to the uses of the term Baroque – no longer applies then to its borrowed use along the lines suggested by Dalí’s œuvre. Mannerism and the Baroque will be thus used as tools that serve to define some of the conflicting undercurrents – indeed, dialectical tensions, as I point out later on – in Dalí’s work, particularly in the course of the 1930s. These concerns will be placed in high relief in relation to the evolving spatial conception of Dalí’s paintings as it touches on the paranoiac-critical activity, a practice whose declared purpose is to serve as a form of intervention in life and in the social sphere. Opposed to hallucination, Dalí argued from the start, the paranoiac activity „always makes use of materials that are controllable and recognizable […] Paranoia makes use of the external world in order to set off its obsessive idea, with the disturbing characteristic of verifying the reality of this idea for others“.4 This idea of intervention as effected by the ParanoiacCritical Activity is clearly spelled out in later definition of this activity as one that organizes and objectifies in an exclusivist manner the unlimited and unknown possibilities of systematic associations of subjective and objective phenomena appearing to us as irrational solicitations, solely by
2
Shearman: Mannerism, pp. 15-16.
3
Ibid., p. 15.
4
Salvador Dalí, „The Rotting Donkey,“ p. 223. The Paranoiac–Critical Activity is more fully defined in „The Conquest of the Irrational“ as a „spontaneous method of irrational knowledge based on the interpretative-critical association of delirious phenomena,“ one that „organizes and objectifies in an exclusivist manner the unlimited and unknown possibilities of systematic associations of subjective and objective phenomena appearing to us as irrational solicitations, solely by means of the obsessive idea. Paranoiac-Critical Activity reveals by this method new and objective ,meanings‘ of the irrational, and it makes the very world of delirium pass tangibly to the level of reality.“ See Dalí: The Collected Writings of Salvador Dalí, pp. 267-268 (henceforth referred to as Collected Writings).
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means of the obsessive idea. Paranoiac-critical activity reveals by this method new and objective ,meanings‘ of the irrational, and it makes the very world of delirium pass tangibly to the level of reality.5 The aspiration to verify the reality of the paranoiac idea for others, a dominant theme in Dalí’s evolving theory, is often associated with the notion of theater or the stage.6 This theatrical dimension is subsumed in an early mode of spatial subversion that characterizes some of Dalí’s paintings of 1929-31. These paintings, while appearing to follow quite closely the spatial conception of Renaissance painting, undermine it quite craftily by evoking what appears to be an horizon line but on which practically no vanishing point might be located. In quite a few of his 1929-1930 works – most notably in Le Grand masturbateur and Illumined Pleasures – the figures and objects, placed on a flat and featureless plane, appear to lie too close to the horizon line (their shadows are at times cut off by it), with the result that the horizon – or rather the edge of this plane – is brought unnaturally close to the foreground, an effect enhanced by the total absence of atmospheric perspective. In many paintings, indeed, there is a suggestion of a sheer drop from a point located not too far on the plane into an unseen chasm lying beyond it. A comparison with de Chirico is, in this respect, quite telling, since we find a similar spatial conception in his works. In The Disquieting Muses (1917), to take one outstanding example, there is no horizon line in evidence since the plane is blocked off by buildings, and it seems indeed as though the plane is cut off rather abruptly on the left, revealing buildings situated behind, and somewhat below it. Several of Dalí’s 1929-30 paintings employ, to a greater or lesser degree, this suggestion of a circumscribed space serving as an arena on which his motifs would be distributed. This seems to have been Dalí’s main procedure regarding spatial representation in the early years, until, say, 1932-1933. Such a circumscription of the arena on which the figures and objects are placed is also effected by the use of platforms or large pedestals, whose ubiquitous presence in Dalí’s work of these years attests to their conceptual importance. The platform is often depicted as a low pyramidal arrangement whose steps extend all the way to the edge of the plateau, which, as noted before, may serve as an artificial horizon (The First Days of Spring, 1929; The Hand, 1930; Premature Ossification of a Railway Station, 1930). In several
5
Dalí: „The Conquest of the Irrational“, p. 268.
6
Much of what I present in this section is treated three other publications: Finkelstein: „Dalí’s Small Stage of Paranoiac-Ceremonial“; „The Three Arenas of Paranoia-Criticism“; Chapter 8 in my forthcoming book The Screen in Surrealist Art and Thought (Aldershot U.K. and Burlington, VT: Ashgate Publishing, to be published in 2007).
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works, such an arrangement of platforms on different levels, placed within a broader vista, serves as the main setting for the motifs (Surrealist Object, Gauge of Instantaneous Memory, 1932). That Dalí had been thinking all along in terms of the theater stage can readily be seen, as early as in 1929, also in the enhancement of stage-like effects such as the excessive tilting up of the ground behind the foreground figures in a pronounced diagonal recession (somewhat in the manner of Serlio’s stage), and, at times, in the lack of spatial continuity between foreground elements and the background which seems at times like a backdrop.7 Dalí’s ambition with regard to his theories speaks of demonstration, indication and persuasion as the means of verifying the reality of the paranoiac idea for others by discrediting their perception of reality through the obsessive power of the paranoiac’s mind. The theater stage as a dominant structural metaphor in Dalí’s work – defined by the circumscribed space in his earlier 19291932 works, and by the platforms and the general layout in the later ones – supplies the arena on which the obsessive idea is verified and made concrete, and acts as the locus of the unfolding structures of interpretation formed in the paranoiac process. In addition, the stage might be viewed as a manifestation of Dalí’s overriding desire for mastery which entails structuring the beholder’s mode of viewing the painting, with this primarily being a corollary of the painting’s own mode of addressing the viewer. It can easily be seen that the theater stage, in its role as a dominant spatial conception in many of Dalí’s works, points to the painting’s function as presentation rather than representation. This function is often also accomplished – as in the late medieval theatrical genre of tableaux vivants – by the presence of small figures acting as demonstrators.8 These are at times an adult and a child (little Dalí and his „father“?) with 7
Dalí’s predilection for the theater stage is also apparent in his constructions of boxes with painted glass panels, such as in Babaouo (1932) and The Little Theater (1934), or, a few years later, in the enclosed boxlike, or rather stage like, conceptions of pictorial space in 1937 works such as Queen Salomé and Herodias. To these might be added the lines receding into space found in many works, which are not unlike the boards of a stage. While they clearly allude to similar motifs in de Chirico, it seems likely that Dalí was also fully aware of their stage-like character, the more so since the theatrical dimension of de Chirico’s work was a notion current at the time, and Dalí would also have been acquainted with de Chirico’s forays into the theater. See Martin: „On de Chirico’s Theater“.
8
See Gandelman: „The Gesture of Demonstration“, for an interesting treatment of the uses of the „gesture of demonstration“ in Italian Quattrocento painting. Gandelman argues that this gesture of demonstration „not only appeals to us to focus our attention on a particular object or detail inside the painting. It also, by virtue of its merely being there as an important element in the painting, proclaims the whole picture to be an appeal structure and not an illusion of reality“ (14).
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the adult pointing to the „objects“ on display. A related function is that of „gaze directing.“ This constitutes the gesture of a hand, capturing the gaze of the observer and directing it toward a point in the picture, or else the gaze of the demonstrator himself establishes a contact with an external observer. Figures in Dalí’s paintings appear at times to be looking directly at the viewer, as if aware of being „photographed“; which in fact is often the case, as, for instance, in Average Fine and Invisible Harp (1932), for which Dalí, in fact, used a photograph. They are often also shown in the act of displaying some object for the benefit of the beholder.9 Even without an overt gesture of demonstration, objects and figures often appear to position themselves specifically for the beholder’s perusal, arranged frontally, as if addressing him. Dalí’s double and multiple images could be viewed as presentations or demonstrations, once we choose to see them as indices or marks of the paranoiac-critical activity rather than as representations that mirror reality. It is in this capacity that Dalí’s anthropomorphic landscapes should be viewed – paintings that may be read as landscapes strewn with human figures and, alternately, as a human face or, at times, a partial or full human figure (for example, 1936 works such as Le Grand paranoïaque, or Head of a Woman Having the Form of a Battle) – as well as his morphological echoes in which one obsessive form appears under various guises throughout the space of the painting (for instance, Nostalgic Echo, 1935).10 The visual order of Dalí’s paintings is inextricably related to the spatial character of Dalí’s stage. The theater stage was often associated in Dalí’s mind with the subversion of Renaissance space; this in turn implied a perspectival manipulation associated with a diagonal recession into space, at times in a curving or zigzag motion. Space is twisted into an acute diagonal, at times with perspective orthogonals tilted almost vertically and the ground plane excessively raised. Perspectival deviations of this type exhibit a marked kinship with the nature of distortion often found in mannerist painting.11 As observed by
Gandelman bases his classification of such gestures on the model of classification of speech acts developed by J. L. Austin. See Austin: How to Do Things with Words. 9
The displaying of some object for the benefit of the beholder is found in works such as Cardinal, Cardinal! (1934), in which Gala is seen holding an elongated, eellike object for the viewer’s perusal. In Suburbs of a Paranoiac-Critical Town: Afternoon on the Outskirts of European History (1936), Gala holds up a bunch of grapes, as a demonstration of the concept underlying the „morphological Echoes,“ that is, the formal analogies between the images occupying the space of the painting.
10 See Finkelstein: Salvador Dalí’s Art and Writing 1927-1942, especially Chapter 14, pp. 190-210. 11 A Mannerist spatial form is discernible in 1930 paintings such as The Font, The Bleeding Roses, and Vertigo – Tower of Pleasure; later, in The Dream (1931), Fried Eggs on
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James Elkins, „Mannerist paintings often give us what we would see if we had bad seats [in the theater]. Either we are too low, so that the proscenium steps tower overhead and the stage is lost to sight, or too far to one side, so that the measured recessions become at once precipitous (on the nearer side) and sluggish (on the other side).“12 He notes, however, that „it can be shown that the mannerists disassembled, sheared, and disjointed perspective without abandoning the theatrical perspective box they inherited from the earlier Renaissance.“13 This ‚theatrical perspective box‘ accounts for the fact that, for all its perspectival excesses, Dalí’s creation of pictorial space appears superficially to follow the spatial conception of Renaissance painting; all the more so, as the subversion of the Renaissance conception is accomplished more craftily, as noted before, by the evocation of what appears to be an horizon line but on which practically no vanishing point might be located. This also accounts for the fact that while Dalí’s paintings convey for most beholders an impression of „unbounded horizon“ and „sense of vastness,“ in many cases this is at best an illusory impression, often accomplished by the extreme scaling down of forms and the exaggerated or abrupt convergence of the lines of walls, platforms or other structures – an effect not unlike that of looking through a glass ball or a magnifying lens held at some distance from the eye, or at the reflection in a concave mirror (a common Mannerist effect), where a whole landscape is scaled down to be encompassed within a small field of vision. Dalí was all along aware of this effect of diminution of scale in a curved space. In a 1927 text he wrote: „In a large and clear cow’s eye we see, spherically deformed, an extremely white minuscule post-machinist landscape, detailed enough to delineate a sky in which float diminutive and luminous clouds“14. This conception was presented by Dalí in its most explicit form in his works on the theme of Palladio’s Corridor (1937), alluding to Andrea Palladio’s Teatro Olimpico in Vicenza where the corridors opening out of the proscenium arch rise and taper gradually in a way that enhances the perception of recession and depth.
the Plate without the Plate (1932), Masochist Instrument (1933-34), Gala and the Angelus of Millet… (1933), Portrait of Gala with Two Lamb Chops Balanced on her Shoulder (1933), Atmospheric Skull Sodomizing a Grand Piano (1934), The Signs of Anguish (1934); and later still, in The Invention of Monsters (1937). It might also be noted that even the almost frontal conception of Illumined Pleasures (1929), for instance, with its framing devices that appear to lie parallel to the picture surface, is disturbed by an oblique view of the frames and a contrary sense of the shadows that evoke a zigzag movement into space. 12 Elkins: The Poetics of Perspective, p. 154. 13 Ibid. 14 Dalí: „Photography: Pure Creation of the Spirit“, p. 47.
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Contrary to the Renaissance perspective in which space is conceived and ordered by the cone of vision – with the implication that the ideal position of the viewer should be located at the apex of this cone, that is, outside the space of the picture – Dalí’s space, which offers no easily definable viewpoint (or rather with its suggestion of a multiplicity of optional viewpoints), draws viewers into the painting; incorporates them, so to speak. Indeed, it seems that Dalí in the early 1930s intuited much of what we find in modern theory concerning the viewing subject’s position in relation to the painting’s perspective and the way the painting addresses him. Martin Jay, for instance, notes in Renaissance perspective a „withdrawal of the painter’s emotional entanglement with the objects depicted in geometricalized space“; the gap between spectator and spectacle widens, and the bodies of the painter and viewer are „forgotten in the name of an allegedly disincarnated, absolute eye.“15 As a result of the distance created between the disincarnated eye and the depicted scene, the painting „lacks the immediacy associated with desire.“ The body returns, and with it the re-eroticizing of the visual order, once the Renaissance coherent essence opens up to accommodate a multiplicity of visual spaces, as in the Baroque.16 In his book Downcast Eyes, Jay evokes the Baroque’s subversion of the dominant visual order of scientific reason (as exemplified by Renaissance perspective, for instance) in terms of a „confusing interplay of form and chaos, surface and depth, transparency and obscurity,“ and an „overloading of the visual apparatus with a surplus of images in a plurality of spatial planes. As a result, it dazzles and distorts rather than presents a clear and tranquil perspective on the truth of the external world.“17 Jay’s view of the Baroque is clearly colored by modern concerns, but in it is fully applicable in the present context.18 It might also be noted that what Jay refers to with respect to the Baroque is, in fact, equally applicable to Mannerism. However, while the Baroque often takes over from Mannerism some of the techniques of disproportion, oblique points of view and inverted perspective, it also brings forth a new sense of grandeur, energy and dynamism; it employs an „appeal structure“ based on the rhetoric of
15 Jay: „Scopic Regimes of Modernity“, p. 4. Similar notions have been suggested by Norman Bryson in Vision and Painting. 16 It seems to me that Jay’s conception is more applicable to Mannerism, or to those proponents of Baroque painting that appear to employ various spatial devices that are akin to those practiced by Mannerist painters. 17
Jay: Downcast Eyes, pp. 47-48.
18 Ibid. Jay acknowledges his debt to similar views advanced by Christine BuciGlucksmann in a study of modern aesthetics referring to the Baroque, Baudelaire’s Paris as viewed by Walter Benjamin, and avant-garde artistic movements of the twentieth century. See Buci-Glucksmann: Baroque Reason.
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the spectacle for the purpose of presentation, demonstrating and exhortation. I am using here some of the terms employed earlier to describe the function Dalí assigns to his painting. It is in this light that I also wish to view Dalí’s painting, especially with regard to his evolving spatial conception in the course of the 1930s, and to maintain that Dalí employs various Mannerist forms and techniques for what may be viewed as an underlying Baroque program, so to speak, involving a two-pronged purpose or line of attack. This implies, to begin with, engaging the viewer and assimilating him into the painting with the painting itself constituting an image of the self projected by Dalí – that is to say, engulfing the viewer by what, in fact, amounts to an eroticized space partaking of Dalí’s bodily concerns. The second purpose, aligned with the development of the theoretical tenets underlying his paranoiac-critical activity, consists of his attempt at universalizing his bodily concerns, obsessions and scatological preoccupations. This would allow him to acknowledge his paintings’ basis in libidinal urges and, more significantly, to avow their function as a form of vicarious self-gratification, while hinting, at the same time, that their images, actively solicited by him out of his unconscious, were not uniquely his own. Rather, they were drawn out of a substratum in the unconscious that is common to all men and thus they were universally applicable. I do not want to imply that the Mannerist or Baroque spatial conception is universally applicable to Dalí’s paintings – there are many that exhibit a perspectival view that is more closely attuned to the Renaissance space. But there is another formal aspect of his painting which brings home this sense of an engulfing eroticized space, even when the spatial conception displays an affinity with academic painting. I refer to the form taken by the pictorial projection of bodily concerns of Dalí’s that are associated with his oral and anal fantasies of destruction, sadism, incorporation or cannibalism. These concerns had their earliest formal expression in Dalí’s art in shapes touching on art nouveau ornamentation, and were manifested, after 1931, in terms of what he later referred to as the „morphological aesthetics of the soft and hard.“19 This involves a confounding of expectations of the hard and soft; the softening of hard objects and the hardening or, at times, fossilization or petrifaction of soft ones. Such mechanisms are exemplified most prominently in the deformation of the human body, mostly the skull and bones, with a special emphasis on monstrously developed heads and all kinds of protrusions sprouting from the body, in which the borders separating the animate from the inanimate are obliterated.20 It is in the light of these deformations that I can argue that Dalí’s 19 Dalí: The Secret Life of Salvador Dalí, p. 304. 20 For a more complete exposition of these developments, see Finkelstein: Salvador Dalí’s Art and Writing 1927-1942, especially Chapter 11, pp. 140-161.
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spatial conception is not solely dependent on a mannerist manipulation of the field of vision. The sharp elongations and protuberances, and the excessively long skulls so often found in the paintings of the first half of the 1930s point to the anamorphotic rebus as their source of formal as well as thematic inspiration.21 The anamorphosis, in its earlier form, was a play of perspective popular in Mannerist art. It is a picture-puzzle whose frontal view shows a jumble of lines, usually drawn laterally across the picture and depicting broad vistas, yet viewed sideways, at a certain angle, the picture reveals distinct shapes, human figures, or portraits.22 The connection between skull deformations and anamorphosis is illustrated in a line engraving entitled Soft Skulls and Cranial Harps (1935), which contains some examples of the „cranial harp,“ a variation of the soft skull motif. The skulls depicted in this engraving exhibit a distention that is obviously of anamorphotic origin and is quite reminiscent of the efforts of Mannerist practitioners of this diversion. The most curious element in the engraving is the figure of a man plucking the strings of a harp, the strings forming a net of lines (similar to lines in a perspective drawing) meeting at some vanishing point located in a small skull. This arrangement resembles Dürer’s device for perspective drawing comprising a frame with strings passing through it toward different points on the object to be depicted. Such a device was also used to attain correct anamorphotic images. Dalí was a great enthusiast and promoter of these images, and especially of one particular form of the anamorphosis, the „conic anamorphosis,“ which he defined in his essay „The Latest Modes of Intellectual Stimulation for the Summer of 1934“: „Flat reconstitution of the deformation reflected in a very smooth cone. The best examples date to the 1900 period.“23 The circular anamorphotic image created with this device offers a jumble of distorted forms, mostly parts of the human body, which seem to fill up the whole of space. It is only when we look directly through its apex at the conic mirror placed at the center of the anamorphotic image that the dispersed image is reformed to present a more or less coherent picture.24 Dalí’s writings do not contain, on the whole, many references to anamorphoses, nor do we find specific implementations of these
21 Finkelstein: „Salvador Dalí’s Soft Forms, 1927-1940“; Finkelstein: Salvador Dalí’s Art and Writing 1927-1942, pp. 150-152. 22 For a full account of the various forms assumed by the anamorphoses, see Baltrusšaitis: Anamorphoses ou Thaumaturgus Opticus. 23 Dalí: „The Latest Modes of Intellectual Stimulation for the Summer of 1934“, pp. 254-255. 24 See examples of conic anamorphoses in Baltrušaitis: Anamorphoses ou Thaumaturgus Opticus, p. 141, 144.
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devices in his paintings.25 Perhaps the technique as such was quite superfluous for Dalí, whose distended forms supplied aesthetic equivalents for a whole array of psychic or psychosexual preoccupations.26 Furthermore, the anamorphotic vision permeates Dalí’s paintings in terms of both their visual order and their thematic, indeed ideological and philosophical outlook. The Anthropomorphic Landscapes, in which images of human faces and partial or full human bodies, hovering ghostlike over the landscape, are constituted by an adroit arrangement of small humans (at times on horseback) apparently strewn over a plane, present a confusing interplay of surface and depth in an anamorphotic process of fragmentation and re-formation.27 The anamorphotic vision, with its dual surface and depth projection of bodily concerns, shows that Dalí unquestionably intended the universal eroticization of the objects of external reality to extend to the whole of space. In the documentation of his essay „Aerodynamic Apparitions of ,Beings-Objects‘“ (1934), he significantly included a small reproduction of the anamorphotic skull in Holbein’s painting The Ambassadors. In this essay he developed an extended conceit concerning the extraction of comedones, or blackheads, out of the pores of the nose, equating what he considered to be the viscous consistency of the physical and conceptual space of modern thought with the flesh of the nose. Dalí sees the objects and people inhabiting the moral, philosophical and physical space of modern thought in terms of these „aerodynamic,“ „oozy,“ and „atmospheric“ comedones, the „strange bodies“ of space. Thus, mechanical and functional objects should be replaced, he argues, by aerodyna-
25 The „conic anamorphosis“ appears in the titles of a few drawings, for instance, Conical Anamorphosis (1933, The Salvador Dalí Museum, St. Petersburg, Florida). It is also referred to in the title of the painting Gala and the Angelus of Millet Immediately Preceding the Arrival of the Conic Anamorphosis (1933), but this technique is nowhere utilized as such. 26 To his definition for the conic anamorphosis, Dalí added a „psychical“ counterpart: „Psychic anamorphosis: Instantaneous reconstitution of desire deformed through its refraction by a cycle of memories,“ with a ‚cycle of masochistic memories‘ as one of its implementations. Dalí: Collected Writings, p. 255. 27 In an earlier article I suggested an analogy between the small figures strewn over a plane and engaged in combat in a few of these works (Head of a woman having the Form of a Battle, 1936; Spain, 1938), and Erhard Schön’s woodcut Puzzle Picture with Four Portraits (c. 1534), which shows a panoramic expanse of landscape strewn with small figures of men – bands of soldiers or marauders – roaming the desolate land. Viewed sideways the anamorphosis reveals portraits of kings and popes. This apocalyptic vision has much in common with the chaotic sense conveyed especially by Spain. See Finkelstein: „Dalí’s Anthropomorphic Landscapes“. For Schön’s woodcuts, see Baltrušaitis: Anamorphoses ou Thaumaturgus Opticus, pp. 16-19.
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mic or streamlined ones, „gelatinous, flattened,“ with „supersmooth curves“ and a „massive salivary anatomy“ of the „Mae West – Art Nouveau“ type.28 These „supersmooth curves“ or „aerodynamic curves“ are for Dalí the formal imprints of the curvature of eroticized space, a space that has become, as he argues in another text, „this physical thing that is terribly material, terribly personal and meaningful, that squeezes us all like real comedones.“29 Dalí’s paintings thus present an anamorphotic vision in which the body – as exemplified by bodily concerns, drives, and desires – is projected on a Mannerist space with its confusing interplay of surface and depth, the internal and the external, in an amalgam of internal sensations and fragmented external stimuli. In Dalí’s overall œuvre, this vision also implies a commingling of the „internal“ space of the painting and the space of the real, or, in the more extended sense to which I am leading, between art and life. Dalí’s notion of „beings-objects“ implies an irruption into the social and cultural space of human beings, in their capacity of excremental objects, which, in the light of their analogy with the aerodynamic „comedones,“ exemplify a form of „moral aerodynamism.“ The sadistic impulse inherent in Dalí’s example for „moral aerodynamism“ – the placing of an omelet on the shaven head of a „clean little old lady, in the most advanced stage of decrepitude,“ rented for this purpose30 – implies a hidden underground action against the norms of society. It is liable to produce, as Dalí argued with regard to a similar proposal in another essay, „deep currents of demoralization and cause serious conflicts in interpretation and practice“.31 It holds a promise of encompassing the broad range of perversions and erotic concerns that Dalí has previously applied to the idea of the Surrealist Object. There is in this respect a marked similarity between Dalí’s ideas and those proposed by Georges Bataille in his essay „The Use Value of D. A. F. de Sade.“32 To cite Bataille, Sadism […] appears positively, on the one hand, as an irruption of excremental forces […] and on the other as a corresponding limitation, a narrow enslavement of everything that is opposed to this irruption.
28 Dalí: „Aerodynamic Apparitions of ‚Beings-Objects‘“, p. 209. 29 Dalí: „The Conquest of the Irrational“, p. 272. 30 Dalí: Collected Writings, pp. 210-211. 31 Dalí: „The Object as Revealed in Surrealist Experiment“, p. 241. 32 Written in 1929-30, the essay was not published at the time, but it may be quite safely assumed that Dalí would have been acquainted with the ideas expressed in it. For a detailed analysis of various points of comparison between Bataille’s essay and Dalí’s concept of „beings-objects,“ see Finkelstein: Salvador Dalí’s Art and Writing 1927-1942, pp. 173-74.
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It is only in these concrete conditions that sad social necessity, human dignity, fatherland and family, as well as poetic sentiments, appear without a mask and without any play of light and shadow […].33 The whole array of ideas underlying Dalí’s concept of „beings-objects“ informs his notion of „performance,“ to apply this term in its modern usage. In „Lettre à André Breton,“ published in the catalogue of his exhibition at the Pierre-Colle Gallery in June 1933, Dalí offered a somewhat whimsical account of the birth of the Surrealist Object, which he traced back to the Cubist collages and papiers collés. The growth and greater concretization of the collage elements, together with the progressive reduction of their support, led eventually, Dalí argues, to the point where the object fell out materially from the picture and started living its „prenatal life“34. Dalí then relates this stage to some of the phases of the object he identified in his earlier writings, including symbolic functioning and cannibalism, and announces that all this ends up in the possibility of a „keen lyrical and irrational utilization of real and concrete objects“ leading to the coming and grandiose actuality of the opera, that is none other […] than the irrational and acute use of the objects and „beingsobjects“ surrounding us, with the complete confounding of all the lyrical genres, that makes possible for us today the true manifestation of vital „acts-objects“ of the most demented kind, enabling you to experience in its most complete form the dynamic „concrete irrationality“ of the authentic „modern and Surrealist hysteria.“35 Dalí’s notion of „performance“ is exemplified in this essay, for instance, by the „helmet invented by de Sade for the purpose of amplifying and converting the screams of pain of the victims into great bellowing of cattle“36. A similar notion introduced in an essay written around the same time concerns „one of those tragic and grandiose sadomasochistic-edible costumes…“37
33 Bataille: „The Use Value of D. A. F. de Sade“, pp. 92-93. 34 Dalí: Collected Writings, p. 251. 35 Ibid., p. 252. 36 Ibid. 37 Dalí: „Concerning the Terrifying and Edible Beauty of Art Nouveau Architecture“, pp. 193-194. Special costumes, headdresses and other accouterments are rife in Dalí’s writing and artistic practice. Here again, as in most other areas of his activity, Dalí moved between high fashion commercial exploits to conceptions that were more intriguing and thought provoking, such as the Aphrodisiac Jacket (1936), with its underlying notion of the distribution of erotic stimuli all around the body.
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I find most significant, in the terms proposed in this essay, Dalí’s reference to the „grandiose actuality of the opera.“ However whimsical Dalí’s contention might be, it is quite telling that he sees the coming period in terms of the opera, perhaps the most developed musical realization of the Baroque principle of unification, or, rather, re-unification – the synthesizing and resolving into a unity of Mannerist fragmentation and spatial incoherencies. This brings me back to Dalí’s paintings and to the dialectics of fragmentation and unification that became dominant in his work in the mid-1930s. This dialectics is fully realized in his Anthropomorphic Landscapes, referred to before, in which small figures and other elements strewn throughout the landscape coalesce into larger unified images. It has its most intriguing form in the series of paintings employing multiple images that were done in 1938, with The Endless Enigma as the apotheosis of what I may refer to now in terms of Baroque unification. The Endless Enigma is one of the most complex works in the 1938 series of multiple images. It comprises six different images, several of which appear in the other works in the series. One may discern in this grandiose vision various Baroque stylistic elements, primarily the favoring of a forward-backward movement between the frieze-like frontal plane on which all images conflate and the receding space viewed behind it in which the motifs are spread in different depths. I have considered this painting in an earlier article as a companion piece and the dialectical opposite of Impressions of Africa, another work painted around the same time, and I will only recapitulate some of the contentions presented there.38 Dalí painted Impressions of Africa and The Endless Enigma about a year after coming out with his painting The Metamorphosis of Narcissus and the poem accompanying it. It is my contention that both paintings reflect some aspects of Dalí’s version of the Narcissus myth as expanded in the poem. The first part of the poem evokes a regressive process that may have been associated in Dalí’s mind with his aesthetics in the early 1930s, dominated by the purpose of attaining the infant’s instinctual satisfaction associated with primary narcissism, along the lines proposed by Freud in Beyond the Pleasure Principle (1920).39 This regressive process is broken off in the course of the metamorphosis, to be replaced by a miraculous reversal of this process. The union of Dalí-Narcissus
Costumes of this type often figure in „performances,“ such as the bizarre event in 1934 in which Dalí, standing on a low table amidst pen holders and inkstands, wore a strange costume bearing large-scale reproductions of Millet’s L’Angélus (photographs of this exploit illustrate the „Beings-Objects“ essay). 38 See Finkelstein: „The Three Arenas of Paranoia-Criticism“. 39 I have discussed in detail the implication of The Metamorphosis of Narcissus (poem and painting alike) as far as these crucial changes are concerned in Chapters 16 and 17 of Salvador Dalí’s Art and Writing1927-1942.
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and Gala-Narcissus implies a regaining by Dalí of his experience of wholeness and ego-identity through his narcissistic identification with Gala in a process that reverses the Freudian regression. This involves a movement from fragmentation to unity or wholeness, a general movement that is reiterated in the two paintings – Impressions of Africa and The Endless Enigma. In Impressions of Africa Dalí is seen seated behind his easel, his hand extended directly forward in an extreme foreshortening, with the thumb and index finger encircling his staring eye. The painting employs the tilted plane of the paintings of the early 1930s as a backdrop or projected frieze of double images in which parts of the human figure are conflated with landscape elements – as illustrated by Gala’s head with the dark orbs of what appear to be unseeing eyes. It thus represents one phase of the metamorphosis, in which Dalí, conjuring up a whole phantasmagoric array of paranoiac images, is losing his self to the beckoning „dionysiac siren of his own image“ – to quote the poem – in an alienating maze of mirrored identities, his and Gala’s. Gala’s head reappears in The Endless Enigma, partly cut off by the frame on the right, jutting into the painting at an angle. It does not appear to be anchored to any of the spatial coordinates implied by the different motifs. Gala’s head appears as if it floats in a dimensionless void, or, rather, as if it peers into the world’s stage, with the multiple image constituting a complex and variegated Baroque „façade.“ Gala’s open eyes, satisfying Paul Eluard’s evocation of a „gaze that pierces walls,“ appear to probe the infinite stretches lying beyond the various surfaces of reality comprising this „façade.“ Thus, in her open-eyed stare and shifting eyes, and with her tangible reality, Gala seems to be leading the beholder – Dalí, by extension, or Dalí foremost – out of this world of fragments. I conclude by proposing that the two stylistic currents comprising Dalí’s own versions of Mannerism and Baroque constitute a dialectics that appears to be in effect throughout the greater part of the 1930s. Dalí’s Mannerism is discernible in the stretching of the rules of perspective to the limit; in the „convulsive-formal grinding“ to which he submits his motifs as a way for attaining a „new stylization“;40 in the „carnal and luminous dissociation and disintegration“ associated with the notion of „spectral sex-appeal.“41 The spirit of Dalí’s Baroque is in evidence in the stylistic attempts at formal integration associated with his paranoioac-critical themes. It is further substantiated in the process of unification he undertakes toward the mid-1930s and after – exemplified by his Anthropomorphic Landscapes and the later multiple images – in an effort to reconstitute the fragmented Mannerist space with its confusing interplay of surface 40 I am quoting here from Dalí’s 1933 essay „Concerning the Terrifying and Edible Beauty of Art Nouveau Architecture“, p. 194. 41 See Dalí: „The New Colors of Spectral Sex-Appeal“, p. 206.
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and depth, the internal and the external. This dialectics is part of a whole array of conflicting drives deriving primarily from the tension created by his attempt throughout this period to balance the demands of an innately anarchic and self-indulgent imagination with the need to function within the theoretical tenets of Surrealism. I consider Dalí’s decision in the early 1940s „to become classic“ – with cosmogony, synthesis, architecture of eternity as the key concepts in his search for a new style42 – not so much in terms of Renaissance art, references to which abound in his writing and art beginning in the late 1930s, but more as an endpoint in this dialectical process in which the spirit of the Baroque gains the upper hand.
Bibliography Austin, John Langshaw: How to Do Things with Words, Cambridge (Mass.) 1962. Baltrusšaitis, Jurgis: Anamorphoses ou Thaumaturgus Opticus, Paris 1984. Bataille, Georges: „The Use Value of D. A. F. de Sade“ in: Visions of Excess: Selected Writings, 1927-1939, ed. Allan Stoekl, Minneapolis 1985, p. 91102. Bryson, Norman: Vision and Painting: The Logic of the Gaze, New Haven 1983. Buci-Glucksmann, Christine: Baroque Reason: The Aesthetics of Modernity, trans. Patrick Camiller, London 1994. Dalí, Salvador: „Aerodynamic Apparitions of ‚Beings-Objects‘“, in: The Collected Writings of Salvador Dalí, ed. and trans. by Haim Finkelstein, New York/Cambridge UK 1998, pp. 207-211. Dalí, Salvador: „Concerning the Terrifying and Edible Beauty of Art Nouveau Architecture“ (1933), in: The Collected Writings of Salvador Dalí, ed. and trans. by Haim Finkelstein, New York/Cambridge UK 1998, pp. 193-200. Dalí: Salvador: „Photography: Pure Creation of the Spirit“, in: The Collected Writings of Salvador Dalí, ed. and trans. by Haim Finkelstein, New York/Cambridge UK 1998, pp. 45-47. Dalí, Salvador: The Collected Writings of Salvador Dalí, ed. and trans. by Haim Finkelstein, New York/Cambridge UK 1998.
42 See Chapter 17 in Finkelstein: Salvador Dalí’s Art and Writing 1927-1942.
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Haim Finkelstein | Dalí’s Theater – Elements of Mannerism and the Baroque
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Haim Finkelstein | Dalí’s Theater – Elements of Mannerism and the Baroque
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Scarlett Winter
Das surrealistische Bildertheater Salvador Dalís Der Theaterentwurf Tristán loco „Schreiben heißt auch, etwas anderes als Schreiber zu werden.“ so formuliert Gilles Deleuze in seinen Betrachtungen über „die Literatur und das Leben“1 und fordert einen Schriftsteller, der die Sprache aus ihren gewohnten Bahnen reißt und sie delirieren lässt. Die Sprache wird zur fremden Sprache, zur „Hexenlinie, die aus dem herrschenden System ausbricht“ und das nicht-sprachliche Sehen und Hören provoziert. Hier zwischen den Wörtern und durch sie hindurch beginnt der Schreibende zu sehen und zu hören, er wird „Sehender und Hörender“: ein Bildner der Sprache, der Malerei und Musik.2 Betrachtet man unter diesem Blickwinkel die literarischen Texte Salvador Dalís seine Romane und autobiographischen Schriften, seine Essays, Lyrikund Theatertexte werden die Faszinationsmuster, aber auch die Irritationen, die diese Texte bei der Lektüre bereiten, um so deutlicher. Ihre Sprache erweist sich als Fremd- und Traumsprache, die die Konventionen und die Stilistik des jeweiligen literarischen Genres zersprengt. Der Hexenmeister Dalí, so möchte man sagen, erprobt im Prozess des Schreibens die Kunst des Einbildens und Delirierens. Er verhext die Wörter und zugleich den Leser, indem er Geschichten, Figuren und Räume auf den Grenzlinien einer neuen Sprachlichkeit und Bildlichkeit erfindet. Die Perspektive des schreibenden Malers erlaubt, ja provoziert einen neuen Blick auf die Bedeutung literarischer und künstlerischer Ausdrucksformen, die Grundlagen ihrer Produktion und Rezeption. Hierbei werden literarische und bildnerische Prozesse unmittelbar aufeinander bezogen. So scheint es kaum mehr verwunderlich, wenn Francis Picabia 1927 behauptet, er beschäftige sich mit Literatur, weil ‚Literatur Malerei sei‘.3 Statt einer Konturierung der Einzelmedien Literatur und Malerei werden mediale Interferenzen und Dependenzen fokussiert, die die Grenzen einer je eigenen Medialität und Bildlichkeit zu überwinden scheinen. Der Maler im Medium der Literatur, dies gilt für Picabia ebenso wie für Dalí oder auch Picasso, Cocteau, Duchamp oder Max Ernst, experimentiert mit den Möglichkeiten textueller Visualität und Bilddra-
1
Deleuze: „Die Literatur und das Leben“, S. 17.
2
Vgl. ebd., S. 16f.
3
Zit. nach Funken: „Dada ist das Benzin und das Publikum der Motor“, S. 5.
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Scarlett Winter | Das surrealistische Bildertheater Salvador Dalís
maturgie, mit Stillstand und Bewegung, Klang- und Farbeffekten.4 Unter den Prämissen eines offenen Kunstwerks entsteht so eine eigene Sprache der Bildlichkeit und Synästhesie. Im Folgenden wird es darum gehen, diese Sprache des schreibenden Malers Dalí, die sich in den Zwischenbereichen von Text und Bild, Sprache und Klang, Wort und Wahn ausbildet, am Beispiel seiner Theatertexte genauer zu untersuchen. Als „proyectos escénicos“, die mit Blick auf eine mögliche Inszenierung und ihre theatrale Wirksamkeit geschrieben sind, entwerfen sie sehr eindrücklich eine visuelle Dramaturgie und experimentelle Schaulust. Der Theatertext wird zum Bilder- und Schautext, auch Hörtext, der die Grenzen von Raum und Zeit, der Wahrnehmung, des Körpers und der Sinne ausleuchtet und dabei die Beziehungen zwischen unterschiedlichen Medien und Diskursen, zwischen wirklichen, erinnerten oder geträumten Bildern neu abtastet und reflektiert. Besondere Aufmerksamkeit gebührt in diesem Kontext dem, in der Dalí-Forschung bislang kaum beachteten, Theaterprojekt Tristán loco sowie seiner nachfolgenden Trilogie Bacanal Laberinto Sacrificio. Diese Theaterentwürfe lesen sich als Paradigmen eines surrealistischen Bildertheaters, in dem Dalí Strategien, Denkfiguren und Themen seines künstlerischen Universums aufgreift und diese im Hinblick auf theatrale und bildmediale Effekte dramatisiert und neu dynamisiert.
1.
Theater der Bilder und Mythen
Seit seiner Kindheit begeistert sich Dalí für das Theater und die Bühne, für das Spiel der Verkleidungen und der Maskerade, die Verwirrungen zwischen Sein und Schein. Das ,optische Theater‘ von Señor Traite wird für den jungen Dalí so schreibt er in La vie secrète zu einer der schönsten Attraktionen. Das Erleben dieser bilderbewegten Theaterapparatur ist nicht allein geheimnisvoll und rätselhaft, sie vermag zudem als Dispositiv der sinnlichen Wahrnehmung die stärksten Illusionen hervorzubringen: So wie ich mich entsinne, sah man alles wie am Grunde eines sehr klaren stereoskopischen Wassers, das sich allmählich und gleichmäßig in den schillerndsten Tönungen verfärbte. Die Bilder selbst waren mit 4
Vgl. hier auch Cowles: Der Fall Salvador Dalí, bes. den Abschnitt „Der Maler in Prosa“, S. 164-170, der die verschiedenen Facetten des Multikünstlers Dalí beleuchtet und dabei auf das signifikante Spiel der medialen Überschreitungen im Werk Dalís hinweist: Dalí schreibt, „um das in Worten auszudrücken, was beim Malen nur unvollständig ausgedrückt werden kann, und sicher, um seine Welt bis zu den Grenzen eines jeden Mediums auszudehnen“ (S. 165).
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von hinten beleuchteten Löchern eingefaßt und übersät und gingen auf unerklärlichen Weise, die man nur mit den Metamorphosen sogenannter „hypnagogischer“ Bilder vergleichen konnte, die uns im Zustand des Halbschlafs erscheinen, ineinander über.5 Das „optische Theater“ wird zum surrealistischen Experiment des Sehens, in dem die Bilder in Bewegung geraten und im changierenden Licht Traumgespinste und Phantasien entstehen. Die hier beschriebene filmische Wirkung einer Auflösung der Statik des Bildes hin zu einer Dynamisierung und traumanalogen Dramatisierung ist nicht nur einer Vielzahl der künstlerischen Werke Dalís eingeschrieben, sondern zeichnet als ästhetisches Verfahren und Rezeptionseffekt seine literarischen Schriften, vor allem seine Theatertexte und Bühneninszenierungen aus. Das Theater dekuvriert sich als Lustort des Sehen, der es erlaubt, nicht allein Kulissen zu entwerfen, künstlerische Bilder zu zitieren oder als tableau vivant zu arrangieren, sondern auch und vor allem Kunst- und Gedankenbilder zu projizieren und in eine szenische Darstellung zu bringen. Bilder und Texte geraten auf diese Weise in eine dramatische Spannung und Bewegung.6 Bezeichnenderweise entdeckt eine Reihe von Künstlern seit den 1910er und 1920er Jahren diese Inszenierungsräume des Theaters als neues Experimentierfeld für ihre künstlerischen Inspirationen und Aktivitäten. Man denke zum Beispiel an Picasso, Georges Bracque, Henri Matisse oder Kandinsky, die sich nicht mehr damit begnügen, Dekorationen und Kostüme für einzelne Theaterproduktionen zu entwerfen, sondern beginnen, Theaterstücke zu schreiben und für die Bühne zu inszenieren. Es entstehen Produktionen eines so genannten ‚Bildertheaters‘, das vornehmlich darauf zielt, bewegte Bilder aneinanderzureihen und assoziativ zu verknüpfen. Statt der Interpretation und Inszenierung literarischer Texte im traditionellen Sinn, tritt die Kreation ganzheitlicher Bilderwelten in den Vordergrund, die die Sprache der Bühne in der ganzen Vielfalt ihrer medialen und sinnlichen Ausdrucksmöglichkeiten erforscht. Im Wechselspiel zwischen bewegtem und stillem Bild, theatraler Szene
5
Dalí: Das geheime Leben des Salvador Dalí, S. 58 (Originalausgabe: La vie secrète de Salvador Dalí, entstanden 1941); vgl. hier auch Dalís Objekt Le petit théâtre von 1934, eine Holzschachtel, 32x42x31cm, mit hintereinander geschichteten gläsernen Tafeln, die mit schemenhaft flüchtigen Figuren, Statuen, Zypressen und Säulen bemalt sind und verschiedene Raumdimensionen evozieren.
6
Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Überlegungen von Ephraim Lessing, der 1769 in der Hamburgischen Dramaturgie, S. 25, die Schauspielkunst als „transitorische Malerei“ (zwischen Dichtung und bildender Kunst) definiert, und damit die ihr inhärente Dynamik zwischen Stillstellung und Bewegung, Mortifizierung und Verlebendigung im Theaterbild zum Ausdruck bringt.
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und tableau vivant, werden dabei theatrale Darstellungs- und Wahrnehmungskonventionen unterschiedlicher Bild- und Theaterformen (vor allem auch des Tanztheaters) erkundet und entsprechend den Visionen des Künstlers organisiert.7 Dalís Engagement für das Theater und die Bühne zeigt sich besonders in den 1930er und 1940er Jahren. In diese Phase fallen sowohl die Produktionen seiner Theatertexte als auch die Entwürfe zahlreicher Bühnenkulissen und Kostüme, die in New York, London und Barcelona zur Aufführung gelangen. Dazu zählen das Ballett-Theater Bacanal (1939),8 Laberinto (1941),9 Colloque sentimental (1944)10 und Tristán loco (1944),11 die Oper Salome (1949)12 oder das Flamenco-Ballett El Café de Chinitas (1944)13. Die Reaktionen des Publikums und der Presse schwanken zwischen Begeisterung und scharfer Kritik. Die exzentrischen Ideen des Malers und Dramatikers Dalí sprengen zumeist den Rahmen der Inszenierungsmöglichkeiten; sie stellen die Künstler vor schier unmögliche Aufgaben und provozieren den Zuschauer mit surrealistischen Sinnbrüchen und schockierenden Effekten.14 Beispielhaft sei hier auf ein Szenenbild in dem von Dalí 1932 entworfenen Ballett-Text Guillermo Tell verwiesen, das, im Rückgriff auf futuristische Bild- und Stilkonfigurationen, die spektakulären Bühnenvisionen des Autors verdeutlicht: Hier, im erregendsten Mo7
Zur Geschichte und zu den Formen des Bildertheaters von ihren Anfängen (mit Gordon Craig, Kandinsky oder Oskar Kokoschka) bis in die Gegenwart (mit Theaterprojekten von Achim Freyer oder Robert Wilson) vgl. vor allem Simhandl: Bildertheater; Bezugspunkte dieses Maler- oder Bildertheaters finden sich auch in der Theaterkonzeption Antonin Artauds: Le théâtre et son double, der sich vehement gegen ein literatur- und sprachhörigen Theater behauptet.
8
Regiebuch, Bühnenbild und Kostüme: Salvador Dalí; Choreographie: Léonide Massine; Musik: Richard Wagner.
9
Regiebuch, Bühnenbild und Kostüme: Salvador Dalí; Choreographie: Léonide Massine; Musik: Franz Schubert.
10 Colloque sentimental geht auf das gleichnamige Gedicht von Paul Verlaine zurück; Bühnenbild und Kostüme: Salvador Dalí; Choreographie: André Eglevsky; Musik: Paul Bowles. 11 Regiebuch, Bühnenbild, Vorhang und Kostüme: Salvador Dalí; Choreographie: Léonide Massine; Musik: Richard Wagner. 12 Salome von Richard Strauss; Kostüme und Bühnenbild: Salvador Dalí; Inszenierung Peter Brook. 13 El café de Chinitas greift auf das gleichnamige Liebesgedicht von García Lorca zurück; Bühnenbild und Kostüme Salvador Dalí; Choreographie: La Argentina. 14 Zur Wirkungs- und Aufführungsgeschichte der genannten Bühnenstücke siehe Cowles: Der Fall Salvador Dalí, bes. das Kapitel „Der Bühnenbildner und Librettist“, S. 183-203; siehe auch Rieger: „Dalí malt Lorca. ,Poeta en Nueva York‘ und ,El publico‘“, S. 51-57.
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ment des Tanzes eine schöne, nur mit einem Hemd bekleidete Harfenspielerin vollführt in großen Metallschuhen einen wilden, erotischen Tanz wird plötzlich der Vorhang von einem Dutzend Motorräder durchbrochen, die mit laufendem Motor ausbalanciert an dicken Seilen hängen, während gleichzeitig Nähmaschinen und Staubsauger vom Schnürboden fallen, auf der Bühne zerschellen und der Vorhang sich langsam schließt.15 Dieser furiose surreale Schlussakkord des Guillermo Tell, ein Bild des ‚rasenden Stillstands‘, der Zerstörung und des Wahns, liest sich wie eine Projektion auf das sechs Jahre später geschriebene Stück Tristán loco,16 in welchem Dalí auf sehr ähnliche Weise mit explosiven Bildern, surrealen Visionen und Paradoxien experimentiert. Wie der Titel Tristán loco indiziert und der Untertitel bzw. die Genremarkierung „espectáculo paranoico“ bestätigt, wird die locura zur bestimmenden Signatur dieses Theaterentwurfs, der tradierte Sinn- und Formgebungen verrückt und dekonstruiert. Dalí verzichtet auf einheitliche Akt- und Szeneneinteilungen (er unterscheidet lediglich „primera parte“ und „segunda parte“) ebenso wie auf die Angabe der dramatis personae oder Raum- und Zeitangaben. Kurz sind die gesprochenen Dialoge, während die Regieanweisungen bzw. szenischen Kommentierungen gleich narrativen, poetischen Passagen gestaltet sind und den größten Raum des Textes einnehmen. Dalí setzt die Konventionen dramatischer Diskursformen aufs Spiel und lotet im Rahmen eines offenen Bildertheaters und Medienspiels die Grenzzonen zwischen Text und Schauspiel, Oper, Tanz und Bildkunst, zwischen mythologischen, surrealistischen und psychoanalytischen Redestücken neu aus. Dieser längste Theatertext Dalís, sein wie er selbst betont „bestes Bühnenstück“,17 ist ein Theater der Sinne, der Visionen und Metamorphosen, in dem die lose Verknüpfung erotischer und gewaltsamer Bildszenarien den Zuschauer immer wieder überrascht und ihn zwischen Lachen, Angst und Schrecken hin- und hertreibt. Der Vorhang ,El sueño‘,18 begleitet von einem kurzen und gewaltigen Musikauftakt Wagners, markiert den Beginn des Tristán loco und stellt damit be15 Vgl. Dalí: „Guillermo Tell“, S. 1155. 16 Dalí: „Tristan loco“, entstanden 1938, S. 951-976 (Seitenangaben der Zitate nachfolgend im Text). 17 Dalí: Das geheime Leben des Salvador Dalí, S. 468. 18 Vgl. hier das berühmte 1937 von Dalí gemalte Bild El sueño, Öl auf Leinwand, 51x78 cm, das einen riesigen Kopf mit dünn auslaufendem Körper darstellt, gehalten und fixiert von mehreren zerbrechlichen Krücken; in Das geheime Leben, S. 45 schreibt Dalí über den Schlaf: „Oft habe ich das Ungeheuer des Schlafs mir vorgestellt und dargestellt als riesigen, sehr schweren Kopf mit einer fadenartigen Körperandeutung, der auf wunderbare Weise durch diverse Realitätskrücken im Gleichgewicht gehalten wird, denen zu verdanken ist, daß wir im Schlaf gewissermaßen über der Erde schweben. Oft geben diese Stützen nach, und wir ,fallen‘.“
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reits signifikativ sowohl den motivischen als auch den bildnerischen und musikdramatischen Verweisungskontext des Stückes aus. Während sich der Vorhang hebt, erschließt sich als szenische Replik auf das im gleichen Jahr entstandene Bild Tristan fou dem Auge des Zuschauers/des Lesers ein weiteres Schlaf- bzw. Traumbild (vgl. Abb. 1). Minutiös beschreibt Dalí eine imposante traumartige Bühnendekoration, eine komplexe Komposition unterschiedlicher ineinander geschachtelter, zum Teil verzerrter Perspektiven und Bildeineinheiten. Im Vordergrund erhebt sich eine Gartenmauer, überzogen mit Reihen unzähliger Schubkästen und durchbrochen von einer Giebeltür, die sich auf einen langen und dunklen Korridor hin öffnet. An dessen Seiten reihen sich dicht gedrängt Skulpturen mit exponiert leidenschaftlichen, enigmatischen Gesten. Zwei Ovale zu beiden Seiten der Tür (es sind die Auftrittsorte der maniquíes), umrankt von behandschuhten Blätter- und Zweigarmen, muten ebenso rätselhaft an wie die sich über dem Giebel der Tür erhebende, von drei Caryatiden getragene Ballustrade. Hier spielt ein Pianist, von einem Orchester begleitet, kaum hörbar Straßenmelodien. Im Bühnenhintergrund, vor dem nächtlichen Himmel, zeichnen sich schattenhaft die zwei Figuren des Ángelus von Millet ab.
Abb. 1: Salvador Dalí: Tristan fou, 1938, Öl auf Paneel, 45,72 x 54,9 cm, The Salavdor Dalí Museum, St. Petersbug, Florida.
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Dieser Bühnenauftakt, der sich bereits als Rätsel- und Suchbild aus verschiedenen Zitaten und medialen Rekursen zu erkennen gibt die Ángelusfiguren von Millet, Versatzstücke aus dem Dalíuniversum, die Musik Wagners oder die Renaissancearchitektur Palladios stimmt den Leser auf die folgenden, hier eingeschriebenen Bilderszenen ein. Wir sehen den Hauptakteur des Stückes: Tristán „con peluca rubia despeinada, traje con una gran y gruesca pasamanería blanca, brazos y piernas desnudos“ (S. 952). Dalí beschreibt ihn als verwirrte Gestalt in völliger Reglosigkeit, hingestreckt in einem Rollstuhl, gestützt auf eine edle samtumwickelte Krücke. Seiner rechten, „hoffnungslos verlängerten und verlorenen Hand“ widmet sich eine Maniküre (una manicura americana), in glänzend bunter Uniform. Links neben Tristán sehen wir einen Diener (un criado francés), damit beschäftigt, Austern zu öffnen, die in eine Silberschale fallen, in der Tristáns nackter Fuß steht; rechts im Bild zwei Frauen, (mujeres insatisfechas y cubiertas de joyas), die Backgammon spielen, während ihnen ein junger Emporkömmling (un joven adolescente arribista) begeistert zuschaut. Fortschreitend exponiert Dalí diese (Bild-)Beschreibung der Eingangsszenerie, die sich mit Figuren und Objekten füllt und sich immer deutlicher in einzelnen, irritierenden Details offenbart. Der dramatische Spannungsaufbau des Stückes erfolgt dabei nicht über die monologische oder dialogische Rede, sondern mit der visuellen Einspeisung grausamer Bilder bzw. zunehmend verstörender Handlungsmomente. Schockartig wirkt das szenische Bild des eine rohe Taube verspeisenden Tristán, das sich als intermedialer Verweis auf Magrittes Bild Le plaisir von 1926 liest (im Mittelpunkt hier ein knabenhaftes Mädchen mit weißem Spitzenkragen und Armbesätzen, das in einen lebenden Vogel beißt). Con la mano que le queda libre, Tristán come perezosamente, aunque de forma salvaje, un pichón crudo sin desplumar. La sangre salpicará un poco la pasamanería blanca. La masticación bastante brusca de Tristán no ha de alterar la inmovilidad casi absoluta del resto del cuerpo. (S. 953) Unvermittelt treffen den Leser des Tristán loco die Roheit dieser Geste, die Schärfe des Farbkontrastes (rot/weiß) sowie die Fremdheit der Bewegungsmechanik (Kaubewegung/Unbewegtheit des Körpers). Es ist das erste einer Reihe disparater Schockbilder, die im Gestus des heiter ironischen Spiels sadistische Gewaltphantasien und Alptraumbilder zur Darstellung bringen. So steigert Dalí die infantile Freude Tristáns darüber, eine Sardinenbüchse mit Hilfe eines Zweiges zu öffnen, zunächst in der Lust, die Arme und Hände der manicura mit Küssen zu bedecken, alsdann in der Vision, ihr (mit dem Schlüssel der Sardinenbüchse) die Nägel auszureißen, „con la súbita calma de una cere-
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monia litúrgica“ (S. 954). Grausam und unberechenbar sind die rituellen Spiele des Tristán, dessen Begehren zwischen ungestümer Zärtlichkeit und sadistischer Qual, zwischen Liebeswerben und Todeslust schwankt. Seine Aktionen folgen hierbei einem eigenen rhythmischen Wechsel. Vom Zustand der völligen Starrheit, der Desorientierung und inneren Versunkenheit gerät Tristán in einen Zustand wilder Ekstase, emotionaler Verzückung und Aggression. Eine dramatische Schlüsselfunktion in diesem Ablauf der Krisen fällt Tristáns Frau zu, la mujer de Tristán, eine exaltierte schrille Amerikanerin, deren lauter und hysterischer Auftritt das sadistische Spiel Tristáns mit der manicura jäh unterbricht. Mit tragikomischer Gestik und schreiender Stimme schreckt sie die Figuren (und auch den Leser) auf und verkündigt das Rätsel und damit das Thema des Stückes: MUJER DE TRISTÁN: ¡Ya esta! ¡El enigma está resuelto! Traigo la horrible noticia. Y ahora tengo la certeza de… (grita con más fuerza) ¡¡¡Es horroroso!!! ¡Todas las pruebas están ahí! (se lleva las manos a la cabeza, aumentando así el desorden del pelo). […] JOVEN ARRIBISTA, ansioso, suplicante: Pero, explique. ¡Todos aquí somos sus amigos! ¿De que se trata? MUJER DE TRISTÁN (después de un silencio dramático en un tono lúgubre): ¡De qué se puede tratarse! JOVEN ARRIBISTA, suplicante, angustiado: ¡¿De que?! MUJER DE TRISTÁN, furiosa, gritando de forma histérica y con lentitud: Del Ángelus, el Ángelus, ¡Sí! ¡El Ángelus de Millet! (S. 955f.) Das Bild L’Angélus von Jean-François Millet (vgl. Abb. 2), das Dalí seit den 1930er Jahren variantenreich in seiner Kunst aufgreift (vgl. Abb. 3) und 1932 in der Schrift Le mythe tragique de l’Angélus de Millet zur Grundlage seiner paranoisch-kritischen Methode erhebt,19 erscheint in Tristán als Leitbild des Stückes, auf dessen Folie die szenische Handlung voranschreitet bzw. die unterschiedlichen Bilderentwürfe miteinander verknüpft sind.
19 Dalí: Le mythe tragique de l’Angélus de Millet; bereits 1933 verfasst Dalí den Beitrag „Interprétation paranoïaque-critique de l’image obsédante L’Angélus de Millet“, in dem er aus surrealistischer Sicht das paranoische Phänomen darlegt.
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Abb. 2: Jean-Francois Millet: L’Angélus, 1859, Öl auf Leinwand, 55,5 x 66 cm.
Abb. 3: Salvador Dalí: Rémininscence archéologique de l’,Angélus‘ de Millet, ca. 1934, Öl auf Holzpaneel, 31,75 x 39,40 cm, The Salvador Dalí Museum, St. Petersburg, Florida.
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Dieses Bild, das, wie die mujer de Tristán darlegt, nach den neuesten paranoischkritischen Entdeckungen Salvador Dalís eine ,schreckliche Tragödie‘ verbirgt, signalisiert als mise en abyme die verrätselte Tragödie des Tristánstückes selbst. Es geht um Sein und Schein, Liebe und Tod, Stillstand und Bewegung, erotische Ekstase und Gewalt, es geht zugleich aber auch um das Initialmoment des Wahnphänomens, um die Prozesse der Einbildung und damit um das Theater der Bilder in unserem Kopf. Als Element der Dekoration dominieren Millets Ángelusfiguren nicht nur den oberen Teil der Bühne und werden zum illuminierten Anschauungsobjekt für die Ausführungen der mujer, sie erscheinen als Miniaturobjekt im Hut einer der drei maniquiés und treten im zweiten Teil als lebendige Bühnenfiguren des Stückes auf. Werden mit den Ángelusfiguren zum einen neue Bilderserien der Grausamkeit imaginiert und in Szene gesetzt (der Mythos der Gottesanbeterin, die ihr Männchen frisst, die Heuschrecke, die sich am Mund des joven festbeißt20), fungieren sie zum anderen als Stimulanz und Katalysator für die ansteigenden Krisen und ekstatischen Tänze des Tristán.21 Einen Höhepunkt des Stückes bildet Tristáns Eröffnungstanz, „el baile de las muletas“, eine Parodie auf das klassische Pas de deux: El pianista ataca el tema de la crisis, que será acelerado y alegre. Tristán lo baila. Se trata del baile de las muletas. El baile de las muletas estará basado en el sentimiento de la depresión anímica y muscular más absoluta, depresión que sigue a cada impulso expansivo y explosivo. (S. 959f) Dieser Tanz, eine spektakuläre Kreation von Léonide Massine, zeichne sich, wie Dalí schreibt, durch choreographische Brillanz und perfekte Körperbeherrschung aus. Tristán, der, nach den Enthüllungen über die Ángelusfiguren, mit einem Satz aus dem Rollstuhl springt, vollführt im Rhythmus der Staccati und Pausen einen Tanz der großen übersteigerten Gesten. Er schwingt sich auf zu höchsten Spannungen, um abrupt in eine Phase des Stillstands und der Entspannung zu fallen. Festgehalten bzw. festgeschrieben werden die Tanzund Gedankenbilder dieses „delirio coreográfico“ durch den criado, der zu Beginn des Tanzes zehn Krücken in allen Größen aus einem Kästchen hervor20 Es handelt sich hier um eine Angstvorstellung, die Dalí seit seiner Kindheit beschäftigt; vgl. seine Ausführungen über den schrecklichen Sprung der Heuschrecke in: Dalí: Das geheime Leben des Salvador Dalí, S. 159ff. 21 Vgl. zum Phänomen der fortschreitenden Ekstase Dalí: „Le phénomène de l’extase“, S. 30f.: „L’extase est la conséquence culminante des rêves, elle est la conséquence et la vérification mortelle des images de notre perversion. Certaines images provoquent l’extase, qui provoque à son tour certaines images.“
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holt. Mit diesen folgt er in eigener choreographischer Manier den Bewegungsund Gedankenläufen Tristáns. Verharrt dieser im Zustand vorübergehender Unbewegtheit, wählt der criado geschickt die Größe der Krücken aus, um so, bis zum nächsten ekstatischen Impuls, die hingeworfene Körperposition Tristáns zu fixieren. Auf diese Weise scheinen die Körperbilder und Einstellungen für einen Augenblick festgenagelt, als still fokussiert. Der Tanz als Krise des Tristán endet in einem Schlussbild, das Tristán unbeweglich am Boden zeigt, während seine Frau auf Knien zu seinen Füßen stürzt: „Los insectos. La mantis religiosa devora al macho durante el acoplamiento.“ (S. 961) Wie eine Bildlegende des Tanzes liest sich dieser Texthinweis Dalís und suggeriert die phantastische virtuelle Reihung zwischen den Figuren des Ángelus, dem Mythos der mantis religiosa, dem Schrecken der Heuschrecke, der Krise des Tristán, visuelle und textuelle Referenzen, die sich wie die Bilder im ,optischen Theater‘ übereinanderlegen und gleich hypnagogischen Täuschungen ineinanderschieben. Eindrucksvoll veranschaulicht der Tanz des Tristán das Spannungsverhältnis und Wechselspiel zwischen Stillstand und Bewegung, Statik und Dynamik, und signalisiert damit zugleich die intermedialen Strategien und Dispositionen, die in den dramatischen Text des Tristán eingeschrieben sind. Die als Momentaufnahmen fixierten Positionen des Tanzes markieren die Visualität und Bildlichkeit nicht nur des Tanzes, sondern auch der Malerei, der Musik, der Fotographie und des Theaters. Tanz dekuvriert sich als ,bewegtes Gemälde‘, als Schrift (Choreographie) und dramatische Inszenierung künstlerischer oder auch literarischer Momentaufnahmen. Als Metatext erschließt der „baile de las muletas“ die dem Stück inhärente ästhetische Bilderstruktur und damit zugleich den imaginären und intermedialen Raum der tänzerischen Figuren und textuellen Einbildungen. Die im Text zitierten Bilder und Mythen generieren immer neue, übereinandergelegte Bilder und Assoziationsketten, sprengen Handlungskohärenzen und Sinnkonstruktionen und veranschaulichen auf diese Weise ein Bildertheater der Metamorphosen und phantastischen Reihungen, der Inkohärenzen und Brüche.
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2.
Surrealistische Metamorphosen oder der Wahn des Tristán Ich habe immer das gesehen, was die anderen nicht sahen und das, was sie sahen, sah ich nicht.22
Die Malerei und die Schriften Dalís sind durchzogen von dem Begehren eines anderen Sehens. Die Kultivierung der so genannten wahnhaften Methode erlaubt Seherfahrungen, in denen „eindeutige Gestalten und klar umrissene Verhältnisse allenfalls Momentaufnahmen von Kreuzungspunkten einer verwirrenden Vielfalt seelischer Prozesse sind, die sich verwandeln“ und neu konstellieren.23 Wie im Traum entgleiten in Tristán loco die vertrauten Realitätsbezüge, während im Spiel der Verwandlungen der Wahn als irrationale Selbsttätigkeit voranschreitet. In das dramatische Geschehen schieben sich zunehmend übersteigerte Traum- und Fiktionsbilder, Verwirr- und Vexierspiele, Themen, Figuren und Landschaften aus dem künstlerischen Repertoire Dalís. Im Spiel im Spiel werden die Silhouetten der Ángelusfiguren als lebendige Personen multipliziert und die Geschlechterzuordnungen vertauscht (Männerrollen werden von Frauen gespielt und umgekehrt); nach dem Tanz der Ángeluspaare verwandeln sich die Figuren in Zypressen, und eine Reihe stilisierter Bilderkörper und Kunstfiguren bevölkert die Bühne: seien es die graziösen, mit Juwelen geschmückten maniquiés, deren Herzschlag von einem Elektromotor angetrieben ist, seien es die genios de bosque: Schubkarren- und Schubladenfiguren mit Köpfen aus Laubwerk, Blättern und Zweigen. Millets Ángelus als dämmeriges Wahn- und Vexierbild wird zum Angelpunkt einerseits für die locura des Tristán, andererseits für die dramatische paranoische Inszenierungsform des Stückes insgesamt. So wie das Ángelusbild doppeldeutig strukturiert ist und verschiedene Lesarten eröffnet es entspricht, so analysiert Dalí im Rekurs auf psychoanalytische Denkansätze, der sublimen zufälligen Begegnung einer Nähmaschine und eines Regenschirms auf einem Seziertisch24 birgt auch Tristán loco das surrealistische Prinzip einer
22 Dalí, zit. nach Decharnes: „Dalí, das Bild und der Raum“, S. 45. 23 Salber: Salvador Dalí, S. 64. 24 Vgl. Dalí: Le mythe tragique de l’Angélus de Millet, S. 155 und S. 161f.: „L’Angélus de Millet, beau comme la rencontre fortuite sur une table de dissection, d’une machine à coudre et d’un parapluie! [...] Le parapluie [...] par suite de son flagrant et bien connu symbole d’érection, ne serait autre que la figure masculine de l’Angélus qui, comme on me fera le plaisir de bien vouloir se le rappeler, dans le tableau cherche à dissimuler [...] son état d’érection par la position honteuse et compromettante de son propre chapeau. En face de lui la machine à coudre, symbole féminin de tous connu, extrêmement caractérisé, va jusqu’à se réclamer de la vertu mortelle et cannibale de son aiguille de piquage, dont le travail s’identifie à
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Verschachtelung und Verkehrung. Hinter jedem Bild, so scheint es, verbirgt sich ein weiteres Bild. Das Stück inszeniert die Suche nach dem, was die sichtbare Welt verborgen hält und die Kehrseite des Bewussten enthüllt: die unheimliche Welt unserer Träume, Begierden, Ängste und Obsessionen. Die Enthüllungsfunktion der paranoischen Aktivität korreliert hierbei mit einer Ästhetik der Gewalt und Subversion, des Zerschneidens und Durchlöcherns. Schneidet Tristán zunächst fast beiläufig einer der Backgammonspielerinnen den kleinen Finger ab, eine Tat, für die er von der mujer und dem joven überschwänglich gelobt wird, sucht er immer radikaler die Tragödie des Ángelus und damit sein eigenes Schicksal, das Bilder- und Schauspiel Tristán, zu durchdringen. So stürzt er am Ende des ersten Teils auf die Gartenmauer zu und beginnt in wilder Raserei alle Schubladen aufzureißen und ihren Inhalt herauszuzerren. Frauenunterwäsche und Federschmuck türmen sich vor seinen Füßen und evozieren ein Bild der Konfusion und des Chaos. Als es Tristán schließlich gelingt, ein Loch in die Mauer zu reißen und auf die andere Seite zu schauen, steigert sich sein Wahn ekstatisch. Hier sieht er, was er nicht sehen darf und der Zuschauer nicht sehen kann: „De ninguna manera Tristán ha de ver lo que sucede allí detrás!“ (S. 966) Vergeblich bemühen sich die maniquiés im langsamen Rhythmus ihrer erhabenen Gesten und verschämten Blicke das größer werdende Loch mit Vorhängen zu verhüllen. Unaufhaltsam reißt Tristán mit Hilfe des criado die gesamte Mauer ein, bis mit erschreckendem Getöse der Konzertflügel auf der Bühne zerschmettert. Die gesamte Dekoration bricht in Schutt und Asche zusammen und gibt den geheimen Blick durch das Mauerloch frei. Was wir sehen: ein Bild der Leere. „Detrás, ya no hay nadie, todo el mundo ha desaparecido.“ (S. 967) Der voyeuristische Blick des Lesers/Zuschauers wird gereizt und zugleich enttäuscht. Dalí lockt uns in die Falle unserer Bilderphantasien und Erwartungen.25 Auf der Suche nach dem geheimen Schauspiel, der Enthüllung des Bilderrätsels, schnellt der begehrliche Blick auf sich selbst zurück. Der leere Raum hinter der Mauer, die Bühne in unserem Kopf, verweist auf ein inneres, entgleitendes Spiel der Assoziationen, cette perforation superfine de la mante religieuse, vidant son mâle.“; zur Analyse der kritisch-paranoischen Methode Dalís als ironisch kritische Aktivität und ekstatischer Komplex vgl. Maurer Queipo: „A la recherche d’images susceptibles de nous extasier“. 25 Immer wieder spielt Dalí in Tristán loco mit dieser begehrlichen Augenlust des Lesers/Zuschauers. So auch zu Beginn des zweiten Teils: Verborgen hinter einem Bettlaken vermuten wir, aufgrund lustvoller Schreie und kurzer wilder Schläge, Tristán und seine Frau im sadomasochistischen Liebesspiel. Als das Laken jedoch fällt, bietet sich ein ganz anderes Bild: Während die mujer auf ihrem Knie ein Bügelbrett stützt, agiert Tristán mit einer Vielzahl erhitzter Bügeleisen, die er wie ein Xylophonspieler auf einzelne Wäschestücke trommeln lässt.
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der Rätsel und Phantasmen. Was bleibt, ist die Zerstörung selbst, das lustvoll ironische Prinzip der Zerstückelung, der „konvulsivischen Formzermalmung“26 und Sinnzermalmung, das sich einer Zuschreibung vermeintlicher Sinngehalte und Identitäten widersetzt. Mit ihm verbunden ist das Prinzip der Metamorphose, das den unaufhörlich delirierenden Blick freisetzt und dabei die Rahmungen der Bilder und die Grenzen der dramatischen Inszenierung, der verschiedenen Sinne, der Wahrnehmung und der Körper überschreitet und auflöst. Dalí, so wird deutlich, ist in Tristán loco einer Ästhetik auf der Spur, in der (im Sinne Elisabeth Lenks)27 das Theater in die ästhetische Traumform eingeschrieben ist und die grundlegenden Unterschiede zwischen Wirklichkeit und Imagination, Text und Bild entgleiten. Die Freudschen Kategorien der Traumdeutung geraten hierbei unter den Verdacht des Zweifels, ja in die Dramaturgie eines dekonstruktiven Spiels. Psychoanalytische Deutungsmuster werden als ,Klischees‘ gesetzt und ironisch zerspielt. Die vermeintlich dechiffrierbare Botschaft des Traums verliert sich in den mythischen und poetischen Ausdrucksformen eines Traumtheaters, in dem die Vorstellungsbilder changieren und eine Sinnordnung und Hierarchisierung verweigern. Gezielt lässt Dalí den Blick des Zuschauers hinter die Gartenmauer ins Leere fallen, soll doch „die Lücke im Wissen, die über die Doppelvisionen zum Ausdruck kommt, nicht geschlossen, sondern gerade als Lücke genossen werden“28. Wie sehr Dalí die theatralen Prozesse ins bildhaft Visionäre verrückt und Tristán loco als ironisches Spiel mit tradierten Bilderwelten, Diskursformen und Mythen choreographiert, veranschaulicht vor allem der zweite Teil des Stückes. Hier, im direkten Verweis auf Wagners Oper Tristan und Isolde, bringt Dalí die Figur der Isolda ins Spiel und entwirft mit Blick auf das berühmte Liebespaar die Idee der leidenschaftlichen, wahnhaften Liebe. Verkörpert Isolda zum einen das Liebesbegehren/die locura Tristáns, reiht sie sich zum anderen ein in die Serie der Assoziations- und Traumbilder, die im Rekurs auf Millets Ángelus entstehen. In konsequenter Folge der visionären Anschauung tritt Isolda nicht als lebendige Bühnenfigur, sondern nurmehr als spektrale Erscheinung und schwindendes Bild auf:
26 Gorsen: „Der ,kritische Paranoiker‘“, S. 466; hier wird das wachsende Interesse Dalís an psychiatrischen und psychoanalytischen Phänomenen deutlich. Inspiriert von Lacans Ausführungen über die images du corps morcelé entwickelt Dalí in den 30er Jahren seine Phantasien des zerstückelten Körpers und formuliert das Prinzip der „trituration convulsive-formelle“. 27 Lenk: Die unbewußte Gesellschaft. 28 Bronfen: „Geheimnis, Macht und Tod“, S. 177.
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En efecto, la aparición de una gran imagen de Isolda completamente vestida de mantis religiosa, el pelo suelto al viento, surge de oscuridad. Abre los ojos, y desaparece dejando en su lugar un joven roble, con las hojas temblorosas al viento. (S. 974) Dalí stilisiert das mythische Bild Isolde als groteske Wahnfigur. Gekleidet als Gottesanbeterin (mantis religiosa, bezeichnenderweise auch spectre genannt) verkörpert sie die Ambivalenzen von Mensch und Tier, Gott und Teufel, Eros und Thanatos. Tristan und Isolde, als übersteigerte Metamorphose des Ángeluspaars, variieren den Mythos der Gottesanbeterin in der Zusammenschau von Liebes/Wahn und Zerstörung. Dreimal erscheint das Bild Isolda, um mit Einsetzen des Liebespräludiums Wagners den tödlichen Liebestanz mit Tristán zu eröffnen. Ein anhebender Wechselgesang verschiedener Chöre (Stimmen von Frauen und Mädchen) kündigt in steigendem Rhythmus den nahenden Tod Tristáns an: „Estás loco de amor, el recuerdo de Isolda te devora. […] Tristán va a morir. […] Por el horizonte púrpura avanza ya un navió con las velas negras hinchadas por el viento.“ (S. 974f.) Im blasphemischen Verweis auf die Passionsgeschichte Christi stilisiert Dalí Tristáns Liebeswahn als heiligen Opfertod (vgl. Abb. 4).
Abb. 4: Salvador Dalí: Tristan fou, 1944, Gouache auf Papier, 66 x 50,7 cm, Fundació Gala-Salvador Dalí, Figueres.
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Umkreist von den Chören und dem Corps de ballet tanzt die Gottesanbeterin Isolda den Todestanz, während hombres und bailarines Schubkarren, mit Erde schwer beladen, zwei unwegsame Hänge hinaufschieben. Alle Kraft wenden sie auf, um die Anhöhe der kargen Landschaft zu erklimmen (unwillkürlich stellt sich die biblische Assoziation des Berges von Golgatha ein), auf der in einer Kugel das aus Blättern bereitete (Toten)Bett Tristáns steht: „El centro de la cama de Tristán estará dividido por una espada, que el proyector hará aparecer brillante y verde.“ (S. 973) Vernetzt mit dem christologischen Verweisungskontext und mit Elementen des antiken Theaters (Chorsprechen, Chortänze, Masken) entwirft Dalí das intermediale Spiel mit Wagners Oper respektive der hier zugrundeliegenden Mythenkonstellation. Elemente des Tristanstoffes (das Schwert, das Schiff mit schwarzen Segeln, die Tierra idílica de Tintagel) werden (von den Chorstimmen) zitiert und fungieren als Generatoren neu collagierter surrealer Bildphantasien. Tristán loco greift das Motiv der Todesekstase ebenso auf wie die Ohnmachten und Wahnvorstellungen Tristans und doch sind die thematischen Komplexe der Oper nur als Punktierungen gesetzt, während sich die ästhetischen Verfahren ihrer Gesamtkomposition durchgängig zeigen. Tristan und Isolde setzt ein großes Bildertheater in Szene, in dem Musik, Dichtung und Theater ineinandergreifen. Die von Dalí erklärte Leidenschaft für Wagner basiert auf der Kühnheit dieser musikdramatischen Konzeption, in der sich die Künste und Medien mischen und eine Visualität und Bildlichkeit einfordern, die tradierte Sinn- und Genreschemata subvertieren. Wagner ist „einer der seltenen Musiker“, so schreibt Dalí, „die darauf bestehen, daß man ihnen beim Klang der Trompeten auch zusieht, nicht nur zuhört, und zwar mit Augen und Ohren, die für die Verzauberung weit offen sind“.29 Die Orchestermusiker waren angesichts der kompositorischen Freiheiten dieser neuen Musiksprache, die die Regeln der zeitgenössischen Harmonik umstürzte, überfordert. Besonders deutlich wird dies am Beispiel des berühmten „Tristanakkords“, jenem hochgradigen Spannungsakkord, der nicht in eine Tonika mündet, sondern in einem weiteren Spannungsakkord aufgelöst wird. Dieser spannungsgeladene Tristanakkord, so möchte man behaupten, bildet auch die ästhetische und dramaturgische Grundlage Dalís Tristán, der nicht nach der Vorgabe des aristotelischen Spannungsbogens strukturiert ist, sondern in immer neuen Spannungsmomenten ansteigt und in ekstatischen Bildund Bewegungsvisionen rhythmisiert ist.
29 Dalí: „Bacchanal“, S. 293.
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So wie Wagners Oper scheint auch Dalís Theatertext zunächst nicht aufführbar zu sein.30 In verwandelter Form taucht er 1939 als Balletttheater Bacanal auf, das, wie Tristán loco, unter den Vorzeichen eines mythischen Traumtheaters konzipiert ist: Bacanal, so kommentiert Dalí in seiner Theaterskizze, spiegelt die mythologischen Bilder und Halluzinationen wieder, die das Gehirn Ludwigs II erfüllten: „se desarrolla a través de toda confusión imaginativa y delirante de Luis II de Baviera.“31 Wir werden zu Spaziergängern im Kopf des ,Märchenkönigs‘ und ,décadent‘, als der Ludwig im Fin de siècle galt, dieser für Dalí genuin surrealen Erscheinung.32 Erst 1944 gelangt Dalís Tristán in New York zur Aufführung, nicht als Theaterstück, sondern als „primer ballet paranoico“, das einen „geistigen Karneval“ in Szene setzt. „Es ist wunderbar“, so formuliert der Kritiker Edwin Denby, „wie Dalí jede malerische Anspielung die er uns bietet, in symphonische Zeichen der unbewußten Welt in unserem Inneren verwandelt“.33 Tristán loco erschließt sich als visionärer Malertext und surreale Mythenund Mediencollage. Er liest sich als eine dramatisch ironische Inszenierung des Ángelus von Millet und Wagners Oper Tristan und Isolde ebenso wie der Malerei und der Denkfiguren Dalís, er liest sich aber auch und vor allem als assoziatives Schauspiel und Traumtheater, das, im Sinne der ars combinatoria, ganz unterschiedliche künstlerische, theatralische, musikalische und poetische Bilder anspielt, sie verfremdet, ironisiert und neu kombiniert. Werden die Bilder in Tristán einerseits übermächtig durch das Ansteigen ihrer Imaginations- und Assoziationskraft, werden sie andererseits durch den Text, der sie zerlegt und neu einbildet, befreit. Auf diese Weise skizziert Dalí die locura Tristáns als surreale Kopfbühne, auch als nächtliches Filmtheater,34 in dem die Bildzitate und Bild30 Dalí: Das geheime Leben des Salvador Dalí, S. 468: „Mein Verrückter Tristan [...] war, wie üblich, ,nicht aufführbar‘, wurde dann zum Venusberg umgestaltet und schließlich vom Venusberg ins Bacchanal.“ 31 Dalí: „Venusberg“, S. 984f. 32 Vgl. hier auch die Collagezeichnung Dessin pour Bacchanale Louis II de Bavière, 1939, Feder, Tusche Bleistift, Aquarell, Gouache mit Collage, 20,2x27,6 cm, die in der Mitte ein ,realistisches‘ Bild Ludwigs zeigt, umgeben von surrealen Tänzern, Regenschirm- und Krückenfiguren gleich Wahnmaskierungen und Doppelvisionen des Protagonisten. Angemerkt sei: Es war Ludwig II, der 1865, sechs Jahre nach der Fertigstellung der Wagneroper ihre Uraufführung im Königlichen Hof- und Nationaltheater ermöglichte. 33 Denby, (New York Harald Tribune), zit. nach Cowles: Der Fall Salvador Dalí, S. 193. 34 Vgl. Pixtot Soler: „Meine Erinnerungen an Salvador Dalí“, S. 24: „In seinen letzten Jahren [...] hatte ich die Aufgabe, ihm [Dalí] mittels einfacher Musikaufnahmen Momente des Nachspürens und Erinnerns zu bereiten. Das Repertoire bildeten argentinische Tangos [...] aus den 1920er Jahren, die nostalgischen Geigen aus dem alten Chez Maxim’s oder auch Wagners unumgängliche Oper Tristan und Isolde, die
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eindrücke zwischen Erinnerung, Traum und Vision, zwischen Wachen und Schlafen delirieren, stets neu gereizt und neu gemischt werden.
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ihm half vom Wachen in den Schlaf zu finden. Jeden Abend sagte er aufs Neue: ‚Geh bloß nicht nach Hause, bevor Tristan auftritt‘.“
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„Cercò … un mago“ As You Like It (1948) oder Notizen über die Zusammenarbeit Dalí-Visconti Ich habe einmal mit Dalí gearbeitet. Es war damals, vor vielen Jahren in Rom; eine ausgezeichnete Zusammenarbeit; wir machten ‚Wie es euch gefällt‘. Luchino Visconti
Luchino Visconti (1906-1976): Dieser Gigant des europäischen Films wurde von dem französischen (Kino-)Philosophen Gilles Deleuze neben Orson Welles (1915-1985) und Roberto Rosselini (1906-1977) als derjenige Filmemacher gefeiert, der mit den gängigen Kinokonventionen brach und ein neues Zeitverständnis in die Geschichte und Bildstruktur des Films brachte.1 Weltberühmt sind seine Literaturverfilmungen wie La terra trema (1947/48), entstanden nach dem Roman I Malavoglia (1881) von Giovanni Verga (1840-1922), Il Gattopardo (1962), nach dem gleichnamigen Roman (1958) von Giuseppe Tomasi di Lampedusa (1896-1957) und Morte a Venezia (1970), nach Thomas Manns (1875-1955) Novelle Der Tod in Venedig (1912). Doch wenngleich es sich bei allen genannten Filmen um äußerst freie Adaptionen literarischer Werke handelt, so bringen diese dennoch vor allem zwei verschiedene Typen der Werke Viscontis zum Vorschein: Zum einen ist eine neorealistische Tendenz der Filme zu verzeichnen, die mit einer sozialistisch-revolutionären Analyse und Kritik aktueller gesellschaftlicher Zustände einhergeht und mit Filmen wie Ossessione (1942), La terra trema und Rocco e i suoi fratelli (1960) begann, kulminierte und endete. Zum anderen evozieren primär Viscontis Historienfilme eine brüchige, im Verfall inbegriffene Welt der Aristokratie in der Zeit der italienischen Befreiungskriege – des Risorgimento – und des ausgehenden 19. Jahrhunderts, so die Filme Senso (1953/54), Il Gattopardo, L’Innocente (1975/76). Schließlich und in beiden Zusammenhängen sind die Filme der so genannten Deutschen Trilogie zu nennen – La caduta degli dei (1968), Morte a Venezia, Ludwig (1972) –, die eine mögliche Linie der Entwicklung des Nationalsozialismus aus dem Geiste des Großbürgertums und der Wagnerverehrung nachzeichnen. Eine vergleichbare Bewegung zwischen Realismus und Mythos vollziehen auch die Theater- und Operninszenierungen des, so André Bazin, „plus ‚es1
Deleuze: Das Zeit-Bild, S. 127-131.
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thète‘ des néo-réalistes“.2 Hier entpuppt sich vielleicht mehr noch als im Film die pygmalioneske und demiurgische Figur Luchino Viscontis, war es doch Visconti, der die schlechthinnige Operndiva des 20. Jahrhunderts – Maria Callas – auf der Suche nach dem Faszinosum ,Stimme‘ als einer der ersten entdeckte und ihr zu einigen ihrer größten Erfolge verhalf (La Sonnambula, 1955; La Traviata, 1955; Anna Bolena, 1957; Iphigénie en Tauride, 1957). Seine wohl typischste Pygmalion-Rolle nahm Visconti ein, als er die berühmte, durch das Theaterstück This Pity She’s a Whore (1961) eingeleitete Beziehung zwischen Romy Schneider und Alain Delon beeinflusste. Ein Stück europäischer Theatergeschichte schrieben last but not least die Inszenierungs-Kulissen der Theaterarbeiten Luchino Viscontis, durch die die Kunst des fin-de-siècle, beispielsweise Aubrey Beardsleys (1872-1898), evoziert werden sollte (La Traviata, 1967) oder an denen auch Salvador Dalí (1904-1989) (As You Like It, 1948) mitwirkte. „Macht Platz für das Vergnügen“ rief Visconti vor der Inszenierung seines As You Like It (Uraufführung am 26. November 1948), „macht Platz für eine Welt der Wunder. Es ist nun schon eine Ewigkeit her, dass das Theater diesen Weg verlassen hat. Es soll zu ihm zurückfinden und gleichzeitig auch zu seiner eigentlichen Bestimmung, nämlich einer ganz natürlichen und volkstümlichen Ver- und Bezauberung.“3 Diese Verzauberung ist bei Visconti die Faszination des großen Aufwandes, der monumentalen Kulissen und der prachtvollen Kostüme, des barocken Übermaßes. Das Stück wurde im römischen Teatro Eliseo inszeniert, und obschon dem Regisseur auch weitere, noch prächtigere Projekte vorschwebten, die allesamt von der „Oberintendantur für historische Monumente und Künste“ abgelehnt worden sind, plante man so viele prächtige Kostüme, so viele Schauspieler, so viel künstlerische Details wie nie zuvor für die (bürgerliche) Bühne ein. Für diese kostspielige Aufgabe – die Ausstattung der Kostüme und des Dekors – suchte Visconti „uno scenografo bizzarro, un mago“4/„einen ungewöhnlichen und bizarren Bühnenausstatter, einen Zauberer“5. Die Wahl ist auf Dalí gefallen, der eine Million Lire Gage bekam und Dekorationen und Kostüme von beispielloser Kostbarkeit aber auch Kostspieligkeit entwarf. Inmitten dieser theatralischen Traumästhetik herrschte auch hier ein für Visconti typischer Realismus des Details vor: Selbst die Kuchen, die die Schauspieler zu sich nahmen, mussten richtige Kuchen sein. Zur Innenbeleuchtung der archi-
2
Bazin: Qu’est-ce que le cinéma?, S. 70.
3
Schifano: Luchino Visconti, S. 275.
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Zit. nach: Rondolino: Luchino Visconti, S. 246. Zit. nach Schifano: Luchino Visconti, S. 277.
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tektonischen Elemente empfahl Visconti, wie im Theater der Antike, Öllampen. Nur jene Musik sollte verwendet werden, die für Shakespeare geschrieben worden war. Doch damit erschöpft sich auch schon die Treue der historischen Realität gegenüber. Was in As You Like It inszeniert werden sollte, war kein getreues Abbild eines 17. Jahrhunderts wie in den im 19. Jahrhundert spielenden Historienfilmen Luchino Viscontis, vielmehr eine Handlung, die in einem phantasievollen 18. Jahrhundert spielte, die eher eine Imagination des Rokokozeitalters bedeutete als seine getreue Rekonstruktion. Als Luchino Visconti im Jahr 1948/1949 nach dem Motiv seines Entschlusses gefragt wurde, das shakespearesche Stück As You Like It in ein paradiesisches, von Salvador Dalí konstruiertes 18. Jahrhundert zu übersetzen, antwortete er folgendermaßen: Mi servirò del quadro e dei costumi secenteschi, puritani, austeri, dignitosi nell’atteggiamento e nella linea? Oppure mi avvincerò – dato che la storia è senza tempo e può essere accaduta nell’Arcadia greca, o nelle foreste della Scozia, o nei boschi dei pittori veneti – a un secolo più libero, romanzesco, immaginoso e gradevole? Ecco com’è sorta in un me l’idea del settecento a cornice dell’intrigo, del balletto, realizzato da Dalí in un settecento autunnale, pieno di colore, allegria, melanconia, un settecento non storico ma immaginario. Costumi da Gatto degli stivali, i riflessi di un’età dell’oro un po’ fiabesca, la nuvola che scende dall’Olimpo di una mitologia giocosa.6 Sollte ich mich des puritanischen, nüchternen und kargen Rahmens und der strengen Kostüme des 17. Jahrhunderts bedienen, so würdevoll in Haltung und Linie? Oder sollte ich mich nicht besser einem freieren, romantischeren, phantasievolleren und angenehmeren Jahrhundert zuwenden, zumal ja die Handlung des Stückes auch außerhalb einer bestimmten Epoche gesehen werden könnte, das heißt, sie sich sowohl im arkadischen Griechenland, in den Wäldern Schottlands oder in den Wäldchen venezianischer Maler abgespielt haben kann. Über diesen Überlegungen kam mir dann auch der Gedanke, die Handlung und das Ballett in den Rahmen eines 18. Jahrhunderts zu stellen, das Dalí in ein herbstliches 18. Jahrhundert voller Farben, ausgelassener Freude und Melancholie übersetzt hat, also in kein historisches, sondern in ein imaginäres 18. Jahrhundert, in jene unschuldige Zeit der Fabeln, der Kostüme wie die des gestiefelten Ka-
6
Zit. nach Rondolino: Luchino Visconti, S. 243.
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ters, die eingetaucht sind in den Widerschein eines märchenhaften und ein wenig feenhaften goldenen Zeitalters.7 Die Berufung eines der bekanntesten und bedeutendsten Künstlers des zwanzigsten Jahrhunderts für die Inszenierung der Bühne und der Requisiten ist dabei ein Novum gewesen. Zwar gab es in Italien, so der damalige Regieassistent Franco Zeffirelli (geb. 1923) in einem Interview, bereits im musikalischen Theater Bühnenbilder, die von avantgardistischen Künstlern wie Giorgio De Chirico (1888-1974), Mario Sironi (1885-1961) und Carlo Carrà (1881-1966) stammten, doch noch nie wurden die Bühnenbilder eines Avantgarde-Malers für das gesprochene Theater verwendet.8 Für Dalí selbst handelte es sich, so Zeffirelli weiter, um seine ersten, für die Sprechbühne geschaffenen Kulissen. Nichtsdestoweniger war das Resultat seiner Beschäftigung mit dem achtzehnten Jahrhundert bewerkenswert: „He would invent costumes to get an idea, and the eighteenth century he portrayed, completely fractured, was wonderful.“9 Doch schauen wir uns das Bühnenbild des Stückes genauer an.
Abb. 1: Szenenphoto aus Rosalinda o Come vi piace (As You Like It).
Die Bühne ist symmetrisch gestaltet. Links und rechts des Bühnenbildes befindet sich je eine Grotte, auf der rechten Seite der Bühne führen zu der Grotte einige Treppenstufen. Im Hintergrund der Bühne sind einige nur noch herbstlich belaubte, schlanke Bäume zu sehen. Die Mitte des Bühnenbildes beherrscht ein für Dalí typisches Symbol der Auflösung der Materie: das Bild der Sonne, das von einem geometrisch sich zersetzenden Würfel eingerahmt wird. Unterhalb der Sonne – es könnte sich aber auch um den, den Mythos der 7 8 9
Schifano: Luchino Visconti, S. 278. Interview mit Franco Zefirelli. Ebd.
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Persephone und den Herbst symbolisierenden Granatapfel handeln – liegen – eine offensichtliche Reminiszenz an Arkadien – zwei Schafe hinter einer brunnenähnlichen Formation. Links vorne ist eine mit Schafsfell überzogene Liege zu sehen. Das Bühnenbild mit seiner herbstlichen Melancholie, mit seiner Wäldchenmetaphorik, mit seinem Schäferidyll deutet zunächst einmal auf die Idee Et it in arcadia ego hin. Doch beim näheren Hinschauen wird deutlich, nicht nur das Bild Arkadiens sollte heraufbeschworen werden, auch das Bild der Naturwissenschaften, der Massen und der Levitation sollte zu Tage kommen, wird doch die Mitte des Bühnenbildes von der Darstellung der zersetzenden Materie dominiert, wie sie von Dalí kurz zuvor in dem Gemälde Die Spaltung des Atoms (oder Dematerialisierung neben Neros Nase), (1947) konzipiert wurde (Abb. 2).
Abb. 2: Salvador Dalí: Die Spaltung des Atoms (Dematerialisierung neben Neros Nase), 1947, Öl auf Leinwand, 76,4 x 46 cm, Fundació Gala-Salvador Dalí, Figueres.
Mit diesem Gemälde tritt die Phase der mystischen, wissenschaftlichen Visionen in das Werk des Malers ein. Es ist eine Phase, in der die Stillleben lebendig werden und die architektonischen Kompositionen den Bezug zur Kunst und
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zur Existenz des Atoms und des inneratomaren Gleichgewichts herstellen, das durch die Wissenschaft entdeckt worden ist.10 Es sei, so Ralf Schiebler, eine frühe Überbrückung der two cultures, die Dalí mit diesem Gemälde gelingt. Klassisches werde mit Modernstem, Kultur mit Natur, Makrophysik mit Mikrophysik, Schriftkultur mit Bildkultur verknüpft. Die dematerialisierte Nase Neros spiele auf die Umwandlung von Masse in Energie an, den Freiraum zwischen den Dingen und darauf, dass unsere scheinbar so feste Welt zum großen Teil aus Leere bestehe und dass die Gravitation vielleicht nur die Illusion eines Körpers ist, der beschleunigt durch den Kosmos fliege.11 Durch die Zersetzung der Materie bricht die durch die atomaren Experimente gekennzeichnete Gegenwart in das Gemälde, aber auch in das Bühnenbild Salvador Dalís ein, hatte doch „die Explosion der Atombombe am 6. August 1945“ den Maler, seinen eigenen Worten zufolge, „seismisch erschüttert“ und bilde doch seitdem „das Atom den Hauptgegenstand“ seines Denkens.12 Die Zersetzung der Materie und ihrer bisher kleinsten Einheiten – der Atome – zeigt eine grundlegende Skepsis gegenüber der Materie und der Wirklichkeit. Die Welt ist nicht das, was man von ihr sieht, sie besteht aus Elektronen, Neutronen. Bald werden sich zu diesen kleinen Teilen der Wirklichkeit auch noch die Elementarteilchen hinzugesellen, doch auch jetzt schon ist der Glaube an eine kohärente, unzersetzbare Wirklichkeit für immer erschüttert. Die Kraft, die die Spaltung eines Atoms hervorbringt, muss den Glauben an die Wahrheit einer unzersetzbaren Welt Lügen strafen: Wo ist das Reale? Alle Erscheinungen sind trügerisch, das oberflächlich Sichtbare nur Täuschung. Ich betrachte meine Hand, die bereits so viel Schönheit und Gold erzeugt hat. Es sind Nerven, Muskeln, Knochen. Forschen wir weiter: Es sind Moleküle und Säuren. Noch weiter: Es ist ein unfaßbarer Walzer von Elektronen und Neutronen. Und noch weiter: eine unsichtbare Wolke, der Schatten einer Welle, immateriell und nebelhaft. Wer beweist mir, daß meine Hand da ist? Für einen Künstler der Renaissance war die Materie beständig, für uns ist sie nicht nur unbeständig sondern auch illusorisch.13 Das Schweben der einzelnen Bildelemente im Raum, das Thema der Levitation, kann somit bei Salvador Dalí auch auf die zeitgenössischen atomaren Experimente zurückgeführt werden, „wie im Atom entsteht der Zustand der 10 Vgl. Néret: Salvador Dalí, S. 66f. 11 Vgl. Schiebler: Dalís Begierden, S. 84. 12 Dalí: So wird man Dalí, S. 273. Der Hinweis ist entnommen aus Weyers: Salvador Dalís Auseinandersetzung mit den Naturwissenschaften, insb. S. 76-79. 13 Dalí: „Gott und die Engel“, S. 133.
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Ruhe aus dem Gleichgewicht zwischen abstoßenden und anziehenden Kräften“,14 und auch die Titel der Levitations-Gemälde – Die Spaltung des Atoms, aber auch Intraatomares Gleichgewicht einer Schwanenfeder (1947), geben „den entscheidenden Hinweis darauf, daß das Schweben tatsächlich in Zusammenhang mit den Entdeckungen der Atomtheorie gesehen werden muß“.15 Zumeist ist es der Granatapfel, der mit seiner Struktur auf die Spaltung des Atoms verweist, ja zu einem Symbol dieser Spaltung wird: „So wie der Granatapfel in seine Bestandteile zerfällt, wenn er zertrennt wird, hat die Spaltung des Atoms zur Folge, daß man in die Bereiche der Konstitutionen des Atoms vorstößt“, und die „Kerne des Granatapfels“ entsprechen den „elementaren Bestandteilen des Atoms“.16 Die Levitation ist somit das Bild einer anderen, jenseits der Materialität sich bewegenden atomaren Wirklichkeit. Doch was hat diese atomare Wirklichkeit im Bühnenbild eines shakespeareschen Stückes, das in das achtzehnte Jahrhundert übersetzt worden ist, zu suchen? Die Zersetzung der Materie hat im Stück eine doppelte Bedeutung: Sie deutet zum einen auf die aktuellen physikalischen Entdeckungen hin, sie stellt das newtonsche Bild der Masse, symbolisiert durch die Sonnenkugel, auf den Kopf, indem gerade diese Masse der Materie im zentralen Bild der Bühnenausstattung, in der Gestalt des sich zersetzenden Würfels, in Auflösung gebracht worden ist. Newton und die Relativitätstheorie werden somit in einem Bild in einen reziproken Zustand gebracht, das Bild der Masse verneint und abgelöst. Zum anderen ist durch das Bild des zersetzenden Atoms oder des zersetzenden Sonnenrahmens in der Mitte des Bühnenbildes auch eine Art der Leichtigkeit, des Fliegenden und des Fließenden, der Levitation heraufbeschworen. Dies scheint das zentrale Element der Inszenierung gewesen zu sein und es hat auch auf der Ebene der Schauspieler stattfinden sollen. Eine neue Idee in dem Stück war, so Franco Zeffirelli, der Einsatz des Windes, bei dem die Gewänder in Bewegung gebracht wurden.17 Durch dieses Bild des Windes wird das Thema der Levitation, das in dem Hintergrundbild der Bühnenausstattung symbolisiert wird, auf die Ebene der Schauspieler und des Schauspiels übertragen. Die Bewegung, die um das Bild der Sonne herum zentrifugal verläuft, ist hier nicht nur als das wohl charakteristischste Merkmal der Kunst des Barockzeitalters konzipiert, sondern auch als die Relativierung der Vorstellung einer ‚schweren Masse‘ und der Gravitationskraft.
14 Weyers: Salvador Dalís Auseinandersetzung mit den Naturwissenschaften, S. 78. 15 Ebd. S. 79. 16 Ebd. 17 Interview mit Franco Zefirelli.
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Masse, Relativitätstheorie, Spaltung des Atoms auf der einen und Arkadien, Schäferidyll, phantastisches 18. Jahrhundert auf der anderen Seite: Es spricht ein Bruch mit den Konventionen des Neorealismo aus dieser Konzeption des Theaterstückes, ein Bruch, den Visconti eigentlich verneint hatte, berief er sich doch auch in diesem Punkt auf die künstlerische Freiheit und auf die Realität als den Ausgangspunkt des schöpferischen Schaffens: Corre voce che io, mettendo in scena Rosalinda (o Come vi piace), abbia abbandonato il neorealismo. Questa impressione è sorta dallo stile della messinscena, dalla recitazione e dalla mia scelta per la scenografia e i costumi di Salvador Dalí.18 Es kursieren Gerüchte, dass ich seit meiner Inszenierung von ‚Wie es euch gefällt‘ dem Neorealismus abgeschworen hätte. Dieser Eindruck wurde durch den Stil dieser Inszenierung, durch das Spiel der Darsteller und die Wahl hervorgerufen, die ich bei der Bühnenausstattung und den Kostümen durch Salvador Dalí getroffen habe.19 Visconti stellt sich gegen diese eindeutige szientistische Klassifizierung des künstlerischen Ausdrucks und deutet, bevor er mit der Verteidigung der eigenen Idee ansetzt, auf die Ungenauigkeit der Definition Neorealismo hin: […] che cosa vuol dire neorealismo? In cinema è servito a definire i concetti ispirativi della recente ‚scuola italiana‘. Ha raccolto coloro (uomini, artisti) che credevano che la poesia nasce dalla realtà. Era un punto di partenza. Comincia a diventare, a me sembra, una assurda etichetta che ci si è appiccicata addosso come un tatuaggio, e, invece di significare un metodo, un momento, si fa addirittura confine, legge.20 Was heißt denn Neorealismus? Beim Film dient dieses Wort dazu, um die Begriffe zu definieren, von denen sich die allerjüngste ‚italienische Schule‘ inspirieren ließ. Das Wort ‚Neorealismus‘ hat alle (Laien wie Künstler) versammelt, die glauben, daß die Poesie aus der Realität geboren wird. So sah der Ausgangspunkt aus, der aber – wie mir scheint – nun zu einem absurden Etikett zu werden scheint, das uns wie eine Tätowierung anhaftet. Anstatt eine Methode und einen Moment zu
18 Zit.nach Rondolino: Luchino Visconti, S. 248. 19 Zit. nach Schifano: Luchino Visconti, S. 276. 20 Zit. nach Rondolino: Luchino Visconti, S. 248.
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beschreiben, wird der Begriff zu einer Grenzsetzung, zu einem Gesetz.21 Wie später im Film Le notti bianche (1957) wendet sich Visconti in seinem Theaterstück bewusst von den neorealistischen Prinzipien ab und lässt sich für die im Stück angestrebte Welt der Theater-Phantasie von den Prinzipien des Surrealismus inspirieren: Ho parlato di fantasia, e sottolineo, giacché, nel panorama dello spettacolo, il teatro ha limiti e differenziazioni che non gli scoperto io. Pure, nell’unico quadro dell’arco scenico, lasciamogli intatte tutte le sue possibilità di movimento, colore, luce, magìa. Non realismo, o neo-realismo, ma fantasia, completa libertà spettacolare.22 In der Welt des Spektakels hat auch das Theater seine Grenzen und kennt Differenzierungen; diese mußte ich nicht erst erfinden. Lassen wir ihm also all seine vielfältigen Möglichkeiten der Bewegung, der Farben, des Lichts, der Magie! Es geht hier nicht um Realismus oder Neorealismus, sondern um die Phantasie und um die totale schauspielerische Freiheit.23 Diese Ausführungen bedeuten schließlich auch, dass der Surrealismus, dessen sich Visconti bei der Aufführung bediente, ohne ihn beim Namen zu nennen, auch seinen Ursprung in der Wirklichkeit hat – dies ist der Grund, warum Visconti derart vehement bestreitet, dass er sich von den Prinzipien der neorealistischen Kunst absetzen will. Wie der Realismus und der Neorealismus so hat auch der Surrealismus einen seiner Ausgangspunkte in der Realität – die glatte, geradezu photo-realistische Oberfläche und die präzise illusorische Detailgenauigkeit der Gemälde eines René Magritte oder eines Salvador Dalí bezeugen dies. Doch im Gegensatz zum Realismus und Neorealismo überführt der Surrealismus dieses Wirkliche in die Welt des Unbewussten, des Traums, des Theaters und – durch das Bild der Levitation – nicht zuletzt in das Bild der wissenschaftlichen Wirklichkeit, gesellen sich doch im Falle Dalís der späten 1940er Jahre zu den Themen der Paranoia, des Unbewussten und des Traums auch ein Glaube an die Verbildlichung der neuen, naturwissenschaftlichen und physikalischen Entdeckungen hinzu. Dalí gelingt es somit dem Stück As You Like It auch eine aktuelle Bedeutung hinzuzufügen, durch den Einsatz des Windes und durch den intermedialen Dialog zwischen dem Bühnenbild und seinen 21 Zit. nach Schifano: Luchino Visconti, S. 276. 22 Zit. nach Rondolino: Luchino Visconti, S. 248. 23 Zit. nach Schifano: Luchino Visconti, S. 276.
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zeitgenössischen Gemälden weist er der Bühnendekoration eine Reflexionsebene zu, die die Grenzen der Kunst weit überschreitet. Das Bühnenbild des „mago“ wird somit zur phantasievollen Auseinandersetzung mit den Konstruktionen einer sei es historischen, sei es aktuellen Wirklichkeit, ihren wissenschaftlichen Erklärungen und künstlerischen Entwürfen.
Literaturverzeichnis Bazin, André: Qu’est-ce que le cinéma?, Paris 2002. Dalí, Salvador: „Gott und die Engel“, in: Meine Leidenschaften, aufgezeichnet von Louis Pauwels, München 1989. Dalí, Salvador: So wird man Dalí, zusammengestellt und präsentiert von Alain Parinaud, Rastatt 1976. Deleuze, Gilles: Das Bewegungs-Bild (Kino I)/Das Zeit-Bild. (Kino II), 2 Bde., Frankfurt a.M. 1997. Néret, Gilles: Salvador Dalí. 1904-1989, Köln u.a. 2004. Rondolino, Gianni: Luchino Visconti. Con 101 illustrazioni in nero e a colori, Turin 1981. Schiebler, Ralf: Dalís Begierden, München/New York 1996. Schifano, Laurence: Luchino Visconti. Fürst des Films, Gernsbach 1988. Weyers, Frank: Salvador Dalís Auseinandersetzung mit den Naturwissenschaften, Aachen 1995. Interview mit Franco Zefirelli auf http://www.thescenographer.com/ dettaglio.asp?ID=18, 24.03.2005.
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Andrea Stahl
Zwischen Schaufenster und Museum: Zur Modekunst Salvador Dalís Ihre Relevanz ist nicht in ihrem Bezug zur Realität zu suchen, sondern in ihrem Publikumsbezug.1
„Kunst muß“, so heißt es in Adornos Ästhetischer Theorie, „will sie sich nicht ausverkaufen, der Mode widerstehen, aber auch sie innervieren, um nicht gegen den Weltlauf, ihren eigenen Sachgehalt, sich blind zu machen“.2 Die bekanntlich kritische Haltung Theodor W. Adornos gegenüber den kurzlebigen, massenwirksamen Erscheinungen der Mode verweist auf zahllose kulturtheoretische Überlegungen zu den Interferenzen zwischen Kunst und Zeitgeschmack, die, angefangen bei Baudelaire, zur Formulierung einer modernen Ästhetik herausgefordert haben. Betrachtet man die Mode zunächst als einen „periodischen Stilwechsel von mehr oder weniger zwingendem Charakter“, als ein metadiskursives Phänomen, das „nicht allein mit der Kleidung verbunden ist, wie auch sein Ursprung jenseits der Kleidung liegt“, so hat sich diese immer mehr Erscheinungen der Kultur dienstbar gemacht, bis sie sich, so René König, als eines der wesentlichsten Gestaltungsprinzipien der modernen Massengesellschaft konstituiert habe.3 Dabei ist es immer schon der widersprüchlich-subversive Charakter der Mode gewesen, der das Interesse kultursoziologischer Beobachtungen geprägt hat, ihre zur Regel erhobene „Abweichung von der bisher beachteten und als verbindlich anerkannten Sitte“4, oder, wie im Hinblick auf die Kleidermode geltend gemacht, eine „Abwechslung auf […] abseits gelegenen Gebieten“5, nach der die Mode allerdings weitgehend auf ein Phänomen reduziert wurde, das sich auf der „Oberfläche ständig erneuerter Welten“6 entfaltet. Was wirklich von Wert ist, zeigt sich dagegen unabhängig von wechselnden Moden, denn schließlich, wie auch Hans Ulrich Gumbrecht betont, hat „die Mode […] keine Bedeutung.“7 1
Esposito: Die Verbindlichkeit des Vorübergehenden, S. 56.
2
Adorno: Ästhetische Theorie, S. 468.
3
König: Kleider und Leute, S. 80, 15.
4
Ebd., S. 20.
5
Simmel: Philosophische Kultur, S. 53.
6
Gumbrecht: „Lippen blau, Haare grün“, S. 56.
7
Ebd.
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Diese Formen einer an einem traditionellen Kunstverständnis orientierten Auseinandersetzung lassen sich mit zahlreichen Produktionen Salvador Dalís in Verbindung bringen, die ihn seit Mitte der 1930er Jahre in die Welt der Mode und des Massenkonsums geführt haben und von der Kunstgeschichtsschreibung immer noch weitgehend übersehen werden oder lediglich im Kontext kommerzieller Interessen Erwähnung finden.8 Nachdem Dalí damit begonnen hat, für Elsa Schiaparelli Stoffe, Kleider und Hüte zu entwerfen, wendet er sich mit seinem Aufenthalt in den Vereinigten Staaten mehr und mehr dem Design zu und liefert Titelseiten und Illustrationen für italienische und amerikanische Modemagazine. Er veröffentlicht in Vogue und Harper’s Bazaar Auszüge essayistischer Schriften, entwirft Stoffe, Krawatten, Parfumflakons und Schmuck, lässt sich Ende der 1940er Jahre als Mitglied der amerikanischen Costume Designers Union registrieren und präsentiert eine eigene Modekollektion, kreiert Parfums und gestaltet Werbeanzeigen unter anderem für Bryans Hosiery und die New Yorker Kaufhäuser Bonwit Teller und Bergdorf Goodman. Entgegen der Geringschätzung, die diesen Produktionen entgegen gebracht wird, verweist die Heterogenität der Modeschöpfungen auf die kontinuierliche Überlagerung von künstlerischer Kreativität und theoretischer Reflexion, die Provokation essayistischer Schriften, mit denen Dalí in den 1930er Jahren wie kein anderer surrealistischer Maler die programmatische Entwicklung der surrealistischen Kunstproduktion geprägt hat,9 oder auch auf die systematische Verunsicherung durch scheinbare Bekenntnisse aus seinem Geheimen Leben, und ließe sich damit als gezielte Strategie erschließen, nach der das Gesamtwerk Dalís auf unaufhörliche Grenzüberschreitungen, endlose Metamorphosen und die ironische Subversion suggerierter Erwartungen angelegt ist. Die bekannten Auftritte Dalís im Kreis der beau monde und seine exzentrischen Selbstinszenierungen verweisen, wie Peter Bürger an anderer Stelle hervorgehoben hat, auf die Schwierigkeit, über einen Autor zu schreiben, der alles getan hat, um nicht Position zu beziehen, und sorgen wie seine künstlerischen Produktionen in dem „undurchdringlichen lautlosen Nebelreich der Mode“10 dafür, dass sein Werk nicht abzutrennen ist von komplexen, vielfältig inszenierten Gesten der Widersprüchlichkeit.11
8
Vgl. demgegenüber den 2004 durch die Ausstellung „Dalí. Cultura de masas“ unternommenen Versuch einer Revision. Eine ausführliche Materialsammlung surrealistischer Arbeiten im Kontext der Mode bietet Martin: Fashion and Surrealism.
9
Bürger: „Zum Malen verdammt“, S. 39.
10 Benjamin: Das Passagen-Werk, S. 113. 11 Bürger: Das Altern der Moderne, S. 107.
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„In ihrer Banalität ist die Mode ein geheimnisvolles Phänomen“, so formuliert es Elena Esposito in ihren systemtheoretisch orientierten Untersuchungen zur Mode. Wir wissen über sie sehr wenig und sind weder in der Lage, sie vorherzusagen, noch sie zu neutralisieren – dennoch hegen wir keinen Zweifel an ihrer Nichtigkeit und an dem Sachverhalt, dass es sich dabei um eine oberflächliche Erscheinung handelt, der nicht so viel Bedeutung beigemessen werden sollte.12 In Anlehnung an diese geheimnisvolle Banalität liegt es nahe, das Interesse, das Dalí der Mode entgegenbringt, als weitere gestische Inszenierung mit den Paradoxien seines Gesamtwerks in Verbindung zu bringen. Wie mit den folgenden Untersuchungen exemplarisch gezeigt werden soll, transformiert der Modeschöpfer Dalí die Mode zu einem visuellen Medium, einer „Ordnung von Möglichkeiten“ im Sinne Luhmanns,13 das im Kontext medienästhetischer Reflexionen der surrealistischen Kunstpraxis als Beispiel für den subversiven Umgang mit Wahrnehmungsmustern herangezogen werden kann. Die schon von Georg Simmel festgehaltene „Unsachlichkeit“ 14 der Mode, ihre Neigung zu einem Publikum, schafft ein mediales und metadiskursives Bezugssystem, durch das jener „Diskurs in Kleidern über Kleider“15 abgelöst wird. Indem Dalí mit Entwürfen der Mode, deren Darstellung in Texten und Bildern im Rahmen von Modemagazinen, Werbung und Schaufenstergestaltungen neue Modi der Vermittlung ästhetischer Wahrnehmung vorführt, sind die Modeinszenierungen Teil einer komplexen intermedialen Praxis, die als Beitrag zu einer Reflexion und Auflösung traditioneller medialer Formen gewertet werden kann. Entsprechend der surrealistischen Ironisierung rezeptionsästhetischer Erwartungen stellt sich in diesem Zusammenhang auch die Frage, inwiefern Dalí die Banalität der Mode und ihre plastische Anschaulichkeit nutzt, um Elemente einer Theorie der Avantgarde zu reflektieren. Wie sich zeigen wird, ist die Mode einerseits in ihrem Zusammenhang mit der surrealistischen Ästhetik zu sehen, und andererseits problematisiert sie in konsequenter Erweiterung poetologischer Konzepte die programmatische Ausrichtung des Surrealismus. Die Labilität und Flüchtigkeit der Mode ist damit zum Anlass genommen für eine künstlerische Analyse theoretischer Grundlagen, die im
12 Esposito: Die Verbindlichkeit des Vorübergehenden, S. 9. 13 Luhmann: „Probleme mit operativer Schließung“, S. 15. 14 Simmel: „Philosophie der Mode“, S. 13. 15 Vinken: „Transvestie – Travestie“, S. 64.
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Zuge einer ironischen Selbstkritik auch als Reflexion einer unaufhörlichen Übergangsphase der surrealistischen Kunstpraxis gelesen werden kann.
Kreationen der Paranoia Dass die Auseinandersetzung mit der Mode keinen isolierten Ort innerhalb des dalíschen Gesamtwerks einnimmt, wird bei einem flüchtigen Blick auf die Reihe der Produktionen deutlich, die als Variation zahlreicher Versatzstücke der bildnerischen Ikonographie in Erscheinung treten. Das Interesse an der Mode mag zunächst der Faszination an allem Sinnlich-Frivolen zugeschrieben werden, an den materiellen Reizen jener Schuhfotografien, wie sie in Dalís frühem Lob des Massenverbrauchsgegenstandes evoziert werden, als „vollendete Erzeugnisse“, geprägt von einem ebenmäßigen Spiel der Linienbögen, Wechsel der verschiedenen Qualitäten, glatte Oberflächen, rauhe Oberflächen, polierte Oberflächen, getüpfelte Oberflächen; heitere, krankhafte, intellektuelle Reflexe, die auf die innere Form verweisen, die reine Metaphern für die Struktur des Fußes sind.16 Angesichts der bereits erwähnten Besonderheit der Mode, eine „Abweichung von der bisher beachteten und als verbindlich anerkannten Sitte“ zu begründen, „wie eine ständige Versuchung oder wie eine ständige Aufforderung an die Sitte und den Stil heran [zu treten], aus dem Kreis der Sitte auszubrechen“17, eröffnen die Inszenierungsformen Dalís neue Gesten der Abgrenzung von bürgerlichen Kulturmustern, die sich als weiterer Bezugspunkt heranziehen ließen. Doch ist damit noch nicht die Komplexität erfasst, die Dalís Auseinandersetzung mit der Mode bestimmt. Denkt man an strukturelle Merkmale wie die „reglementierte Ablehnung jeder Regel, ein natürliches Streben nach Künstlichkeit, die Nachahmung der Spontaneität, Technik der Improvisation, ernsteste Verspieltheit, Fixierung des Vorübergehenden“18, auf die man, wie Elena Esposito ausführt, bei der Analyse der Mode unweigerlich stößt, und die sich beinahe als zentrale ästhetische Verfahren der surrealistischen Kunstproduktion offenbaren, erscheint es kaum überraschend, dass Dalí die Mode zum Modell poetologischer und medienästhetischer Reflexionen macht. Das para-
16 Dalí: „Die Poesie des Massenverbrauchsgegenstandes“, S. 35. 17 König: Kleider und Leute, S. 20. 18 Esposito: Die Verbindlichkeit des Vorübergehenden, S. 55.
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doxe Nebeneinander von Gegensätzen, die immer zugleich auf anderes verweisen, entsprechen dem Versuch der Surrealisten, entlegene Bereiche einander gegenüber zu stellen, der zufälligen Kombination und Konfrontation von Entgegengesetztem, wie sie das Prinzip der concordia discors bezeichnet. Die von Dalí praktizierten Abweichungen von der Kunst in die populärkulturelle Welt der Mode konstituieren damit, so eine zentrale These der folgenden Überlegungen, eine Verschiebung ästhetischer Erfahrung, die dazu imstande ist, die Wahrnehmungsmuster sowohl der dalíschen Kunstpraxis als auch der Mode aufzurufen und in ihrer Verschränkung zu radikalisieren.19 Mit der „Nachahmung der Spontaneität“ und der „Technik der Improvisation“ lässt sich die Mode zunächst auf das Verfahren der écriture automatique übertragen, den unauflösbaren Widerspruch zwischen der Zufälligkeit poetischer Bilder und dem Schreiben als bewusstem Übersetzungsvorgang. Nicht nur, dass die Mode eine Formgebung erkennen lässt, die nach Benjamin jede Saison […] in ihren neuesten Kreationen irgendwelche geheimen Flaggensignale der kommenden Dinge [bringt]. Wer sie zu lesen verstünde, der wüßte im voraus nicht nur um neue Strömungen der Kunst, sondern um neue Gesetzbücher, Kriege und Revolutionen20, sondern auch die Tatsache, dass erst die „ausgedachte, konstruierte, geschnittene und genähte Kleidung“21 als Mode zu bezeichnen ist, zeugt von jenem Spannungsfeld zwischen Formgebung und einem Hang zur Willkür, der für sich genommen schon immer Gegenstand der Kritik an der Mode war: „Die Mode erweckt den Anschein des Zufälligen. Ihre Formen sind nie darin begründet, einen praktischen, ästhetischen oder wie auch immer gearteten Zweck zu erfüllen.“22 Ein derartiger Automatismus der Mode verweist auf poetologische Auseinandersetzungen des Surrealismus, auf die Dalí mit der Konzeption der activité paranoȓaque-critique im Sinne eines Gegenentwurfs geantwortet hat. Als spontane Methode irrationaler Erkenntnis, bei der das „Vorhandensein aktiver, systematischer Elemente […] weder willentlich gelenktes Denken noch einen irgendwie gearteten intellektuellen Kompromiß voraus[setzt]“, folgt die schöpferische Kreativität keinem psychischen Automatismus, wie ihn André Breton propagiert hat, sondern der aktiven, systematischen Struktur, die
19 Vgl. Erstiý: „Good vibrations?“, S. 31-41, die die ästhetische Erfahrung der Mode als „Impuls“ futuristischer Kunstformen wertet. 20 Benjamin: Das Passagen-Werk, Bd. I, S. 112. 21 Lehnert: „Mode, Weiblichkeit und Modernität“, S. 7. 22 Esposito: Die Verbindlichkeit des Vorübergehenden, S. 21.
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„bekanntlich […] bei der Paranoia […] zum wahnhaften Phänomen selbst“23 gehört. „Durch einen eindeutig paranoischen Vorgang“, so die zentrale Definition Dalís, ist es möglich geworden, ein doppeltes Vorstellungsbild zu erhalten: das heißt die Darstellung eines Gegenstandes, die ohne die mindeste figürliche oder anatomische Veränderung gleichzeitig die Darstellung eines anderen, völlig verschiedenen Gegenstandes ist, auch sie frei von jeder irgendwie gearteten Verzerrung oder Anomalität, die auf ein Arrangement schließen ließe.24 Wenn Breton die Entdeckung der activité paranoȓaque-critique mit den Worten lobt, Dalí habe dem Surrealismus ein Werkzeug ersten Ranges geliefert, das unterschiedslos auf „die Malerei, die Poesie, den Film, auf die Herstellung typisch surrealistischer Gegenstände, auf die Mode, auf die Bildhauerei, auf die Kunstgeschichte und gegebenenfalls sogar auf jede Art von Interpretation“25 anzuwenden sei, so scheinen die sich schon hier abzeichnenden methodischen Divergenzen zwischen beiden noch von geringer Bedeutung gewesen zu sein.26 In dem Maße, wie die Mode allerdings grundsätzlich das paradoxe Verfahren einer „Technik der Unvermitteltheit“27 materialisiert, bleibt zu fragen, inwiefern sich, wie von Breton hervorgehoben, bei der Anwendung der paranoisch-kritischen Methode die von Dalí theoretisierten Metamorphosen der Bilder im Gegensatz zu einem natürlichen Automatismus der Mode entfalten.
23 Dalí: „Die Eroberung des Irrationalen“, S. 273. 24 Dalí: „Der Eselskadaver“, S. 132. 25 Dalí: „Die Eroberung des Irrationalen“, S. 268 [Hervorhebung A.S.]. Bretons Formulierung ist dem 1934 verfassten Essay „Qu’est-ce que le surréalisme?“ entnommen. 26 Vgl. Pierre: „Breton und Dalí“, S. 132, wonach Bretons Lob der activité paranoȓaquecritique darauf hindeutet, dieser habe die darin enthaltene Kritik an der écriture automatique nicht erkannt. Den Einfluss Dalís relativierend, äußert sich Breton später, Dalí sei weniger der Erfinder als Verbreiter jener Methode, die ihnen eine Zeitlang zu einer Errungenschaft nach der anderen verholfen habe. „Drei oder vier Jahre lang“, so Breton 1952, „sollte Dalí den surrealistischen Geist verkörpern und ihn in all seiner Leuchtkraft erstrahlen lassen, so wie es einzig jemand vermochte, der in keiner Weise an den zuweilen unerquicklichen Stadien seiner Entstehung teilgenommen hatte.“ (Breton: Entretiens, S. 189.) Vgl. zur Heterogenität der Pariser Surrealisten in den frühen 1930er Jahren auch Nadeau: Histoire du surréalisme, S. 140ff. 27 Barthes: Literatur oder Geschichte, S. 75.
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Als „images exaltantes“28, so lässt sich beim Anblick der Tintenfass- und Kotelett-Hüte, der auf Seidencrêpe gedruckten Felsbrocken oder auch der zu Augen und Mündern geformten Bikinis zunächst festhalten, weisen die mit der Mode in Erscheinung tretenden Visualisierungen eine Verbindung von Theorie und Praxis auf, die sich als künstlerische Analyse surrealistischer Gestaltungsprinzipien konstituiert. Anstelle einer Abweichungsstilistik, wie sie nach Karlheinz Barck von der écriture automatique intendiert ist, weitet Dalí mit der Mode die dynamischen Metamorphosen der activité paranoiaque-critique, die Verwandlung der Bilder, zu neuen Möglichkeiten der Darstellung aus, deren wesentliches Merkmal in Anlehnung an die gegen Ende der 1920er Jahre geführte Stilkritik der Pariser Surrealisten die Überwindung der Trennung von Sprache und Gestus und damit die Ablösung eines mimetischen Prinzips durch ein gestisches darstellt.29 Vor diesem Hintergrund ist auch die mit der Mode in Erscheinung tretende Zeitwahrnehmung von Bedeutung, die infolge ihrer Bestimmung als einem „periodischen Stilwechsel“30 auf ein paradoxes Spannungsfeld zwischen Ephemerem und Dauerhaftem verweist, mit dem die Mode seit Baudelaires Peintre de la vie moderne Eingang in das moderne Kultursystem gefunden hat. Das „zeitumstürzende Neusein“ modischer Erscheinungen erweist sich, so Stavros Arabatzis, als ein Diskontinuierliches in ihrer Oberflächenkontinuität, das nicht bloß das jeweils Neueste nur ist, vielmehr dies als ein Un-Neues, ImmerWieder-Selbiges darstellt. Damit aber auch zugleich das Versprechen des Neuen als seine Nichterfüllung.31 Eine solche Visualisierung der Zeit als paradoxe Bewegung einer Darstellung von Vergangenheit und Gegenwart offenbart sich exemplarisch mit einem Kostüm, das 1936 in Zusammenarbeit mit Elsa Schiaparelli entstanden ist und seine Trägerin in eine lebendige Vénus de Milo aux tiroirs zu verwandeln scheint. Diese Schubladenfrau, die als Präfiguration zahlloser bildnerischer Versatzstücke des Gesamtwerks Dalís erscheint, nähert sich über ein zeitliches Paradoxon hinausweisend im Sinne einer vielschichtigen Metamorphose nicht nur der Materialität der Statue an, sondern lässt mit der Fokussierung scheinbar beweglicher Schubladen eine dynamische Transformation der Bildentwürfe deut28 Barck: „Stildiskurs und Stilkritik“, S. 262. 29 So die zentrale Forderung aus Aragon: Traité du style. Vgl. dazu insbesondere Barck: „Stildiskurs und Stilkritik“, S. 261ff. 30 König: Kleider und Leute, S. 80. 31 Arabatzis: Versenkung ins Äußere, S. 21f.
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lich werden. So ist dieses Kostüm niemals nur ein Kleid, sondern immer im Begriff, sich bildästhetisch in etwas Neues zu verwandeln, eine Variation modefremder Formen zur Darstellung zu bringen. Wie ein ebenfalls bekannter Stoffentwurf Dalís, der durch gleichmäßig herabhängende, gedruckte Risse zersetzt zu sein scheint und so einer zeitlichen Formdifferenz unterworfen ist, bildet die Schublade keine statische Struktur, sondern transportiert das in sie eingeprägte Verwandlungspotential in die Kontexte ihrer Verwendung oder Darstellung. Sie verkörpert und inszeniert die zeitliche Dynamik der Metamorphose als doppelte Bewegung eines suggerierten Herausziehens und Zurückschiebens,32 das als Ineinander einer materialisierten Zeitlichkeit vorstellbar wird. Die Faszination an dem zeitlichen Paradoxon der Mode ist mit der von Dalí inszenierten Transformation äußerer Formen an wahrnehmungsästhetische Fragen gekoppelt, die auch in der Reflexion der structures molles, der weichen Uhren, der weichen Automobile, der weichen Nachttischchen oder Ähnlichem zum Ausdruck kommt. Dem Wirkungsbereich der pseudopathologisch verfremdeten Wahrnehmung angenähert,33 verschränken sich mit der Mode die medientheoretisch relevanten Kategorien von Zeit und Form. Als plastisch formbares Medium gelingt es der Mode, beide Bereiche im Sinne der Ikonographie Dalís als fließende Bewegung in einem Moment der Gleichzeitigkeit abzubilden. „Ihre Frage“ ist damit, wie schon Georg Simmel bemerkt, „nicht Sein oder Nichtsein, sondern sie ist zugleich Sein und Nichtsein“.34 Die Mode als Phänomen zu inszenieren, das zugleich Sein und Nichtsein visualisiert, impliziert im Sinne der paranoisch-kritischen Methode eine Verunsicherung der Wahrnehmung, die im Zuge dynamischer Metamorphosen zwangsläufig durch Termini wie Relativität und Unbestimmtheit geprägt ist. Durch die Fokussierung eines innerhalb der Entwürfe integrierten Bewegungsmomentes veranschaulichen die Modeschöpfungen Dalís das zentrale Bemühen des Surrealismus, das Wahrnehmbare in einem Zwischenraum zu inszenieren. Dabei sind es die bildästhetisch integrierten Metamorphosen, die Materie als ein zugleich homogenes und differentielles Gefüge präsentieren und die Durchdringung von Bewegung und Wahrnehmung in ihrer Flüchtigkeit thematisieren.35
32 Vgl. die Untersuchungen von Brandstetter: „Spiel der Falten“, S. 166, die im Rekurs auf Deleuze und die Ästhetik des Barock die Bewegungsstruktur der Falte analysiert. 33 Vgl. dazu beispielsweise Gorsen: „Der ‚kritische Paranoiker‘“, S. 422. 34 Simmel: „Philosophie der Mode (1905)“, S. 17. 35 Vgl. im Kontext der Theorien Bergsons die Analysen zu Bewegungsmotiven von Erstiý: „Dynamisierung des Gesichts“, S. 150f.
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Wie sehr die Mode bei Dalí im Kontext medienästhetischer Reflexionen steht, wird auch durch einen Entwurf aus dem Jahr 1953 deutlich, mit dem Dalí an einem New Yorker Modewettbewerb zu dem Thema „Die Frau der Zukunft“ teilnimmt. Indem er eine überdimensionale Gestalt in Unmengen von Stoffbahnen hüllt und den Körper zu bizarren Formen verbiegt, die, an Fäden gehalten, mit der stofflichen Festigkeit kantiger Flächen kontrastieren,36 führt er eine Kreation vor, die in ihrer Subversion modegeschichtlicher Formen gerade nicht nachgemacht werden will. Die mit der Überdimensionalität des Kleides unterstrichene Plastizität stellt nicht nur eine Verbindung zu der surrealistischen Objektästhetik her, die den proklamierten Widerstand gegen die „dumme Narretei des Gebrauchs“37 auf ein anderes Medium überträgt, sondern aktualisiert die Lektüre unsichtbarer Inschriften, wie sie Dalí in „Der Gegenstand im Licht surrealistischer Experimente“ propagiert hat. Das Schreiben auf Objekte, die Vermittlung von Texten, „die überhaupt keine augenfällige oder beabsichtigte Beziehung zu dem Objekt haben, auf dem sie zu lesen sind“ und Dalí zufolge „die komplexen, greifbaren und konkreten Formen der Dinge völlig bedecken“ müssten, liest sich wie eine Theoretisierung der hier zum Ausdruck gebrachten Transformation der Mode. Wie „ein Ei oder ein grob geschnittenes Stück Brot“38 zur Beschriftung einlädt, lassen auch die Modeschöpfungen, die Untersuchung ihrer Materialität und Formen ein mediologisches Reflexionspotential entstehen, das auf die irritierende Umdeutung medienästhetischer Möglichkeiten der Darstellung konzentriert ist.
36 Mit dem Nebeneinander von Weichem und Festem, Innen und Außen, Deformiertem und Ästhetisiertem erfährt die Faszination an dem neuen „Anstrich des gespenstischen Sex-Appeals“, den utopischen Vorwegnahmen, die Dalí in dem 1934 veröffentlichten Text als Antwort auf die Frage „Wie wird man gespenstisch?“ formuliert, eine Umsetzung in die ästhetische Praxis: „Mit vollem Recht werden alle möglichen Arten von Korsetts zu Sonderzwecken wieder in Mode kommen, neue und unbequeme künstliche anatomische Teile werden Verwendung finden, um das atmosphärische Gefühl für eine Brust, eine Hinterbacke oder eine Ferse zu wecken (extrazarte und wohlgeformte, wenngleich leicht hängende und auf dem Rücken wachsende falsche Brüste werden für die Stadtkleidung unerlässlich sein.“ (Dalí: „Der neue Anstrich des gespenstischen Sex-Appeals“, S. 238f.). Vgl. als bildnerische Aktualisierung Costume de nu avec queue de morue von 1941. 37 André Breton, zitiert nach Spies: „Die Sammeltasse des Surrealismus“. 38 Dalí: „Der Gegenstand im Licht surrealistischer Experimente“, S. 170.
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Abb.1: Salvador Dalí, Entwurf für den Modewettbewerb „Die Frau der Zukunft“, 1953, Aquarell und Gouache, 20,2 x 25,5 cm, Privatsammlung.
Die durch den Titel des Wettbewerbs nahe gelegte Zeitlichkeit mündet mit der schreitenden Bewegung der beiden dargestellten Figuren in eine suggerierte Dynamik, die mit der durch Fäden und Krücken geschaffenen Stabilisierung einander überlagernder Körperformationen korrespondiert.39 Auf einer von Philip Halsmann aufgenommenen Fotografie entspricht der von Dalí gestalteten Zeiterfahrung der Mode als Verschränkung von Flüchtigem und Beständigem eine Auffächerung ihres zeitlichen Paradoxons. Die Reflexion zeitlicher Wahrnehmung, die wie das Verschwimmen formaler Konturen an Bestimmtheit verliert, bricht hier zu einem unvermittelten Gegeneinander auf, das bildästhetisch durch eine sprunghafte Bewegung einerseits und die kontrastiv dazu senkrecht im Hintergrund emporragenden Hochhäuser als Effekt monumentaler Beständigkeit andererseits veranschaulicht wird. Während die Mode also dazu in der Lage ist, die Gleichzeitigkeit zeitlicher Dimensionen zu visualisieren, die von Dalís Entwürfen noch dadurch gesteigert wird, dass das Ephemere und Dauerhafte mit einer transformatorischen Unbestimmtheit der Form verschränkt ist, zeigt sich mit dem medialen Rahmen der Fotografie eine Erstarrung des Augenblicks, die anders als die Mode das grundsätzlich Ephe39 Erstic: „Dynamisierung des Gesichts“, S. 139.
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mere im Sinne einer Momentaufnahme in den Mittelpunkt rückt. Durch das Nebeneinander von zeichnerischem Entwurf und fotografischer Inszenierung wird deutlich, dass die von Dalí im Kontext der Mode visualisierten Metamorphosen spezifische Bewegungsbilder entstehen lassen, mit denen die Form des Mediums selbst, in Differenz zur Starre der Fotografie, in den Entstehungsprozess der Bilder integriert werden. Eine solchermaßen vorgenommene Neucodierung der Mode ironisiert wie die Verwirrung, in die der gewillte Leser durch ein beschriftetes Stück Brot versetzt wird, herkömmliche medienästhetische Grenzen. Die Beschreibbarkeit der Mode durch Schubladen, Risse und vielschichtige Prozesse der Transformation von Zeit und Form, Innen und Außen, Weichheit und Festigkeit stellt diese in einer transitorischen, nicht fokussierbaren Medialität dar. 40
Abb. 2: Philip Halsmann: Fotografische Zusammenarbeit mit Salvador Dalí, 1953.
40 Vgl. in anderem Kontext Chihaia: „Aquí, ahora“, S. 116.
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Im Sinne einer Problematisierung der Wahrnehmung zielen auch die insbesondere in den 1940er Jahren angefertigten und in Vogue und Harper’s Bazaar als ganzseitige Farbabbildungen gedruckten Werbeanzeigen auf eine weiterreichende Reflexion medienästhetischer Aspekte. Die der Mode inhärente Dynamik wird hier durch die Bewegung der Bildlektüre ersetzt. Dabei entspricht die Flut der Bildfragmente sowohl der technischen Vervielfältigung durch ein reproduzierbares Massenmedium als auch der mit dem surrealistischen Traumdiskurs entfalteten Ästhetik der Serialität und Multiplikation. Umrahmt von Schmetterlingen, Ruinen, Felslandschaften, zerrinnenden Uhren, Schubladengestalten, langbeinigen Elefanten, tänzerischen Figuren, jenen wiederkehrenden bildnerischen Elementen seines Gesamtwerks,41 bleibt für die im Mittelpunkt stehenden Seidenstrümpfe der Marke Bryans Hosiery kaum noch Raum. Anstatt die Aufmerksamkeit auf eine neue Kreation der Mode zu lenken, zwingen die bildästhetisch wuchernden Zeichnungen das Auge zu einer Veränderung der Wahrnehmung: „Für uns ist ein Auge schon nicht mehr abhängig von einem Gesicht“, so Dalí, auch nicht von einer Vorstellung der Unbeweglichkeit oder des Enthaltenseins in etwas; ganz im Gegenteil haben wir seit langem gelernt, dass die Augen ebenso wie die einzelnen Weintrauben der irrsten Geschwindigkeiten fähig sind und sich in die widersprechendsten Verfolgungen stürzen können.42 Die Vervielfältigung bildnerischer Versatzstücke, deren Überlagerung und Kombination mit den zur modischen Pose erstarrten Frauenbeinen präsentiert eine Opposition von Lesarten, die sich relativierend und ironisierend auswirkt. Während die eine auf optischer Fokussierung beruht, schreibt die andere dem Betrachter keinen Standpunkt, keine Verankerung zu, sondern scheint die dargestellten Gebilde mit einem nahtlosen Netz zu umspannen, das sich im Sinne McLuhans als neue Art von Medialität beschreiben lässt.43
41 Offenbar für einen Umschlag des Modeheftes bestimmt, trägt das nach kunsthistorischer Datierung 1939 entstandene Gemälde Dame au bord de la mer im oberen Teil des Bildes unterhalb der Farbschicht die Aufschrift Vogue. Die Titelseite der Zeitschrift vom 1. Juni 1939 weist mit der Gesamtanlage, einem skelettierten Bootsrumpf und einer Perlenkette zentrale bildästhetische Analogien auf. Vgl. Maur: Salvador Dalí, S. 270. 42 Dalí: „Neue Grenzen der Malerei“, S. 37. 43 McLuhan/Fiore: The Medium is the Message, S. 111; vgl. dazu in anderem Kontext die präzise Analyse von Chihaia: „Aquí, ahora“, S. 123.
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15.03.1947
01.03.1945
01.09.1947
07.06.1947
Abb. 3: Salvador Dalí: Werbeanzeigen für Bryans Hosiery, veröffentlicht in Vogue 15. März 1947, 1. März 1945, 1. September 1947 und 7. Juni 1947.
Im Zeichen des schlechten Geschmacks Wie Elena Esposito in ihrer Studie ausführt, ändert sich die Mode zwar ständig, doch solange eine Mode währt, kann sie nicht geändert werden; sie hat keinen Zweck, dennoch gestattet sie es nicht, sich ihr zu entziehen; sie ist und muss kontingent sein, schafft es aber, als Anhalts-
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punkt zu fungieren, unabhängig davon, ob man sich ihr fügt oder nicht.44 Die Mode, so ihre These, gründet ihre Macht auf ein komplexes und ausgefeiltes Zusammenspiel zwischen verschiedenen Formen der Kontingenz. Ihre Paradoxien legen weniger die Nichtigkeit des Phänomens frei, sondern sind gerade ein Anzeichen für diese ausgefeilte Form der Erzeugung des Notwendigen aus dem Zufall heraus. „Um ihre Funktion auszuüben, muss die Mode implizit paradox sein – und demnach unbestimmbar und geheimnisvoll: Wie alle authentischen Geheimnisse schützt sich auch dieses durch den Schein des Banalen.“45 Hervorgegangen aus der „von polemischen Naivitäten und Extremismen etwas abgespeckten Haltung des Dandys“, handelt es sich bei dem, was zur modernen Mode werden sollte, um den erstmaligen Versuch, die Labilität der Zeit an die soziale Unsicherheit zu binden, um damit eine Form kontingenter Kontrolle der Kontingenz zu erhalten.46 Nach Esposito ist es die
44 Esposito: Die Verbindlichkeit des Vorübergehenden, S. 10. 45 Ebd., S. 11. 46 Ebd., S. 153. In kultursoziologischer Hinsicht wurde bislang die Industrialisierung der Mode einseitig als Bedingung für deren Entstehen angesehen, so auch die neueste Studie von Monneyron: Sociologie de la mode, S. 8ff. Nach Esposito nehmen die Erscheinungsformen der modernen Mode dagegen ihren Ursprung zur Zeit des Barock, „der die für die Moderne charakteristische Normalisierung von Kontingenz – auf der zeitlichen und auf der sozialen Ebene – ermöglicht hat. Die Kennzeichen der barocken Semantik entspringen der Auflösung der kompakten Anlage der Ontologie und dem Einbruch von Kontingenz in die Sozialdimension und in die Zeitdimension, die sich in unterschiedlich gearteten Formen ineinander verschränken. […] Das Vorherrschen des Scheins erweist sich so als das Vorherrschen von Unordnung und Regellosigkeit, das scheinbar nur durch die Wiedererlangung irgendeiner Form von Notwendigkeit überwunden werden kann, für die die Mode eine Lösung anbieten wird – eine kontingente Kontrolle von Kontingenz.“ (Esposito: Die Verbindlichkeit des Vorübergehenden, S. 54f.) Im Blick auf historische Entwicklungen der modernen Mode markiert schließlich der Dandy eine Ausnahme von der Regel, indem er durch Neuheit den Verzicht auf Konsens kompensiert: „Als Original und extravagante Person stellt er die Ausnahme von der Regel dar, die die Regel bestätigt und damit, obwohl sie zugleich die erforderliche Varietät liefert, das Problem einer Restabilisierung nicht löst.“ (Ebd., S. 153.) Dabei gilt es einschränkend zu bedenken, dass die von Esposito für die moderne Mode nachgewiesene Kontrolle von Kontingenz sich erst infolge der Prêt-àporter-Kollektionen in ihrer komplexen Institutionalisierung des Massenkonsums als universelles Phänomen verwirklichen lässt, denn bisher, so auch René König, „standen immer Minoritäten im Spiel, ja das modische Spiel war wesentlich ein Mittel, um sich von der ‚vulgären‘ Lebensart der vielen anderen zu unterscheiden.“ (König: Kleider und Leute, S. 153). Die seit dem 19. Jahrhundert begonnene Transformation der Mode zu industrieller Produktion und spezifischem Waren-
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Mode, die in ihrer komplexen und widersprüchlichen Form dafür sorgt, „mit der Undurchsichtigkeit der Einzigartigkeit – des Individuums und seiner Aufrichtigkeit, der Spezifität der Gegenwart, aber auch der einzelnen Systemoperationen und der Motive, die diese in Gang gesetzt haben“47 umzugehen. Die Mode stellt demnach eine Allianz zwischen der Zeit- und der Sozialdimension bereit, ohne ihre Last dem Individuum aufzubürden. Durch das Zusammenspiel von Kontingenz und Nicht-Beliebigkeit biete sich die Möglichkeit, im Sinne eines allgemeinen Strebens nach der eigenen Originalität zu suchen, ohne sich zu sehr um die Paradoxie eines solchen Unterfangens zu kümmern. In einer ruhelosen Gesellschaft gelingt es der Mode als Anhaltspunkt zu fungieren, das Vorübergehende und Instabile der Zeit zu einer Tugend umzuwandeln: „Moden sind ein Medikament, das die verhängnisvollen Wirkungen des Vergessens, im kollektiven Maßstab, kompensieren soll. Je kurzlebiger eine Zeit, desto mehr ist sie an der Mode ausgerichtet.“48 Dem Vorherrschen von Unordnung und Regellosigkeit entspricht vor diesem Hintergrund der Versuch, eine allgemeine Ordnung zu etablieren. Ausgehend von der Reglementierung der Beziehungen zwischen den Individuen stellt die Mode, so Esposito im Blick auf Luhmann, eine letzte Ausdrucksform auf der Suche nach einem Gleichgewicht zwischen Besonderem und Allgemeinem dar. Verstanden als Operationalisierung der Paradoxien der Kontingenz, die zum Tragen kommt, wenn aus einer vorausgesetzten Undurchsichtigkeit Orientierungen entnommen werden, verweist die Mode auf eine wie auch immer geartete Notwendigkeit, die gleich einer nicht-definierbaren und dennoch gültigen Regel zirkuliert.49 Es scheint offensichtlich, dass diese Funktion der Mode sich mit der anstößigen Haltung Dalís nicht vereinbaren lässt. Wenn er bezeichnenderweise mit gezwirbeltem Schnurrbart, Frack und Zylinder das Erscheinungsbild eines Dandys annimmt, das „auf Unannehmlichkeit, Überraschung und auf die unter Umständen auch arrogante Behauptung der eigenen Individualität“ zielt, legt dies nahe, dass Dalí mit den Möglichkeiten der Mode eine erneute Ausnahme von der Regel zelebriert, wie sie Elena Esposito für das Auftreten des Dandys nachweist. Wie es scheint, lehnt Dalí die Mode ab und nimmt für sich in Anspruch, Trends zu setzen, ohne sich an die Mode zu halten, und nimmt damit charakter mündet erst in den sechziger Jahren „in eine Massenproduktion der Prêtà-porter-Industrie […], welche die Haute Couture (das Privileg der Wenigen am oberen Rand der Gesellschaft) tendenziell auflöst und eine ‚Demokratisierung des Andersseins‘ einleitet.“ (Arabatzis: Versenkung ins Äußere, S. 22f.) 47 Esposito: Die Verbindlichkeit des Vorübergehenden, S. 174. 48 Benjamin: Das Passagen-Werk, Bd. I, S. 131. 49 Esposito: Die Verbindlichkeit des Vorübergehenden, S. 143, 174.
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die programmatische „Ablehnung der Mode bei deren gleichzeitiger Anerkennung auf sich, weil bekanntermaßen auch die Ablehnung der Mode die Orientierung an der Mode beinhaltet“. Andererseits wäre denkbar, dass die scheinbare Ablehnung der Mode im Sinne eines lediglich ironischen Paradoxons als weitere Steigerung ästhetischer Verfahren der Widersprüchlichkeit fungiert. Insofern als die Erscheinung des Dandys als Versuch zu werten ist, die soziale Unsicherheit an die Labilität der Zeit zu binden, zeigt sich nämlich bei Dalí eine ironische Form der Nachahmung und eine gleichzeitige Übermalung. Der Rekurs auf Gewesenes und die Kategorien von individueller Neuschöpfung und allgemeiner Wiederholung sind nicht mehr zu unterscheiden, sondern erzeugen ironische Bezüge, die sich im Moment ihrer Entstehung schon wieder auflösen. Es handelt sich demnach um modische Selbstinszenierungen, die ebenso wie seine Kleidungsentwürfe nicht darauf abzielen, nachgeahmt zu werden, sondern den Verzicht einer Ausgeglichenheit zwischen Allgemeinem und Besonderem nicht zuletzt durch die mediale Publizität Dalís ironisch in den Mittelpunkt stellen und damit gerade auf Merkwürdigkeiten und Extravaganzen in ihrer negativen Bedeutung rekurrieren. Denn schließlich, so René König, ist das „Extrem […] nur noch bestimmten Marginalexistenzen vorbehalten, […]; die neuen Mittelklassen halten jede Exzentrizität im Grunde für geschmacklos.“50 Das Verhältnis zur Mode offenbart sich damit als eine Mischung von Faszination und Ironie, wie sie für die ästhetische Praxis Dalís kennzeichnend ist, und folgt wie viele surrealistische Experimente einem Spiel der Verweigerungen und Irritationen, das den Betrachter verunsichern soll.51 Wenn Mode als populäre Kontrolle beunruhigender Kontingenzen zu bewerten ist, wird mit den Inszenierungsformen Dalís deutlich, dass jene Effekte, nämlich die Fragilität der Zeit und die Konstituierung der Individualität, zu einem unergründlichen und unkontrollierbaren Oszillieren gesteigert werden. Die Suche nach Ordnung und die Notwendigkeit zur Anpassung werden damit ebenso ironisiert wie der von der Mode institutionalisierte gute Geschmack. So ist es nach Dalí ein weit verbreiteter Irrtum, den schlechten Geschmack für steril zu halten; dabei hat einzig und allein der gute Geschmack eine sterilisierende Wirkung und ist deshalb nach wie vor das größte Handikap für das Kreative überhaupt… Er verurteilt die Leute zur Untätigkeit.52
50 König: Kleider und Leute, S. 157. 51 Roloff: „Einleitung“, S. 10ff. 52 Dalí: „Gaudís Vision“, S. 321.
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Bedenkt man dabei, dass es die Mode in ihrer modernen Form ist, die den Geschmack erzeugt, und nicht umgekehrt der Geschmack die Mode lenkt,53 lassen sich die von Dalí präsentierten Darstellungsformen als erstaunliche mediale Erweiterung der surrealistischen Kunstpraxis verstehen. Vor diesem Hintergrund sind auch die von Dalí illustrierten Werbeanzeigen von Bedeutung, deren Aufgabe nach Luhmann darin besteht, „Leute ohne Geschmack mit Geschmack zu versorgen“54. Die Undurchsichtigkeit der Werbeanzeigen, ihr fragmentarischer Charakter, der das im Mittelpunkt Stehende sekundär werden lässt, ist insofern nicht im Sinne ablesbarer Kriterien der modischen Geschmacksbildung zu werten, sondern verweist mit Frauengestalten, aus deren Köpfen Blumensträuße hervorsprießen, skelettierten Körpern, Gesichtern, die sich aus Mauerwerken formieren, sowie leeren, endlosen Räumen und immer wieder auftauchenden Krücken und Ameisen, die sich insbesondere in den amerikanischen Modemagazinen Vogue und Harper’s Bazaar entfalten, auf scheinbar beliebig reproduzierte und im Hinblick auf die massenmediale Semantik sinn-neutrale Produktionsprozesse. Während gerade der Verzicht auf eine formale Verwandtschaft die erfolgreichsten Schöpfungen der surrealistischen Objektkunst umgibt und damit, so Werner Spies, eine Wirkung entstehen lässt, die „von einer kontinuierlichen Überwältigung der Erwartung lebt“55, zeigt sich mit den von Dalí praktizierten Verfahren der unendlichen Abfolge bekannter Bildelemente eine nahezu schlafwandlerische Form der zyklischen Wiederholung, die sich nicht nur, wie häufig betont wird, als Quelle leicht verdienten Einkommens erweist,56 sondern einer weiteren Form der Verrätselung und Widersprüchlichkeit durch eine kontrollierte Vervielfältigung von Kontingenzeffekten entspricht.
53 Esposito: Die Verbindlichkeit des Vorübergehenden, S. 132ff. 54 Luhmann: Die Realität der Massenmedien, S. 89. 55 Spies: „Die Sammeltasse des Surrealismus“, S. 39. 56 Vgl. beispielsweise eine Aussage Bretons: „Er, der schon bald als ‚kolossal reicher Prinz der katalanischen Intelligenz‘ auftreten sollte, um aus der fieberhaften Jagd nach Reichtum schließlich sein ganzes Programm zu machen (ich bezeichnete ihn schließlich nur noch mit seinem heute bestens bekannten Anagramm: Avida Dollars)“ (Breton: Entretiens, S. 189), oder auch Gibson: Salvador Dalí, S. 451f: „Zu Beginn der vierziger Jahre war es Dalí und Gala allmählich aufgegangen, daß sich Geld machen ließ, wenn man den Namen des Malers mit Handelsprodukten verband. […] Buchillustrationen dienten als weitere Quelle leicht verdienten Einkommens – leicht, weil sie im allgemeinen nicht originäre Illustrationen waren, sondern mehr oder weniger willkürliche Variationen von Arbeiten aus den 30er Jahren. […] Dalí machte einfach dieselben Dinge immer und immer wieder.“
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Zum Metadiskurs der Mode Indem die Mode bei Dalí zu einem Medium wird, das die medienästhetischen Darstellungsformen der surrealistischen Ästhetik reflektiert, zwingt sie den Betrachter metadiskursiv zu der Frage, ob der Surrealismus nicht selbst zu einer Modeerscheinung wird. Hatte Dalí bei seinem ersten Besuch in New York 1934 in einem Brief an Breton versichert, er tue alles in seiner Macht Stehende, um in Amerika die gute Nachricht des Surrealismus zu verbreiten – woraufhin dieser in Erinnerung an ihre Meinungsverschiedenheiten, die stets nur die Methode betroffen hätten, nahe legt, mit Dalís Rückkehr einen genauen Handelsplan aufzustellen, dem sich beide gewissenhaft verpflichten würden57 –, so verkündet Dalí dem Wortführer der Surrealisten bei seiner Ankunft in New York zwei Jahre später, das Wort Surrealismus sei nun der letzte Schrei und es herrsche eine „ununterbrochene Aufregung“. Er tue sein Bestes für ihre Wirksamkeit.58 So heißt es in einem Bericht der Time, auf deren Umschlagseite ein von Man Ray aufgenommenes Foto Dalís erscheint, der Surrealismus hätte in den USA nie die Aufmerksamkeit erregt, die er zur Zeit genießt, wäre da nicht ein hübscher zweiunddreißig Jahre alter Katalane mit weicher Stimme und gestutztem FilmschauspielerSchnurrbart, Salvador Dalí, der, so der Kommentar weiter, ein „Talent für Reklame“ habe, „demgegenüber jeder Zirkus-Presseagent vor Neid grün würde.“59 Als ironische Belustigung, so scheint es, verbindet Dalí mit der von der Mode versprochenen Individuation die paradoxe Anpassung an die Mode des Surrealismus. Die gleichermaßen normierende wie normalisierende Macht der Mode, ihr Konformismus des Andersseins, der sich in der Suche nach Originalität zwanghaft konstituiert, verweist mit der euphorischen Berichterstattung Dalís, so ließe sich im Sinne einer weiteren Paradoxie festhalten, auch auf die surrealistische Programmatik und den von Breton dogmatisch betriebenen Zusammenhalt der Pariser Surrealisten. Mit der ununterbrochenen Aufregung, die seinen Aufenthalt in New York begleitet und den Surrealismus zum dernier cri werden lässt, ist damit schon in einer frühen Phase eine Reflexion über die Historisierung des Surrealismus und deren Wirkungsweise auf die Öffentlichkeit verbunden, die einerseits als Mittel der Provokation hinsichtlich der dogmatischen Vorgaben André Bretons und andererseits als Problematisierung 57 Ebd., S. 358. 58 Ebd., S. 388. 59 Ebd., S. 385.
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eines programmatischen Gestus verstanden werden kann, der mit der Publizität und der Verbreitung surrealistischer Denkformen ebenso wie die Mode unweigerlich zur Selbstauflösung neigt. Denn schließlich büßt die Mode in dem Moment, in dem Abweichung zur Normalität wird, […] ihr Wesen ein; vor allem dank massenmedialer Wirkung tendiert die Mode zur maximalen Ausbreitung; sollte sie diese aber erreichen, würde sie sich selbst auflösen.60 In einem über die enge Programmatik hinausgehenden Experimentierfeld wird die Mode demnach zu einem metareferentiellen Medium, das auch den Übergangscharakter und die Brüchigkeit programmatischer Ausrichtungen erfahrbar macht. „Kaum war ich in New York von Bord gegangen“, so Dalí in seinen Geheimen Leidenschaften, als ich auch schon verkündete, ich sei bereit, jeden gutbezahlten Auftrag anzunehmen. Skandal bei den Surrealisten! Dalí macht Parfümflakons, Teppiche, Krawatten! Diese ungebildeten Jämmerlinge wussten eben nicht, dass Michelangelo die Strumpfbänder des Papstes und die Uniformen der Vatikangarde entworfen hat. Es ist ganz und gar keine Schande, das Jahrhundert auf so vielen Gebieten wie möglich durch sein Genie zu prägen, und ich mache in der Mode, der Goldschmiedekunst, in Bühnenausstattungen, Balletten nichts, was nicht von Dalí wäre.61 Bedenkt man, dass Dalí im Januar 1939, kurz vor seinem Exil in Amerika, in einem Brief an Breton erneut daran erinnert, dass er seine Skepsis gegenüber allen Versuchen der Surrealisten zur „Zwangsorganisation“ behalte, eine Skepsis, die er schon zu Beginn der 1930er Jahre für die Association des Ecrivains et Artistes Révolutionnaires und ähnliche Initiativen gezeigt hatte,62 so folgt daraus eine Abweichung von der bretonschen Norm, die Dalí mit der Mode auf gezielte Strategien der Provokation zu übertragen scheint. In dem Maße, wie die Mode ihre Identität nur bewahren kann, wenn sie ins Extreme getrieben wird,
60 Esposito: Die Verbindlichkeit des Vorübergehenden, S. 225. 61 Dalí: Geheime Leidenschaften, S. 91f. 62 Gibson: Salvador Dalí, S. 405f. Vgl. zu den Divergenzen zwischen Breton und Dalí im Hinblick auf Le jeu lugubre, Dalís Faszination für sexuelle Motive und seine Haltung gegenüber dem Faschismus insbesondere Held: „Künstlerische Analysen des Faschismus“, sowie Pierre: „Breton und Dalí“ und Maur: „Breton et Dalí“, die ihre Untersuchungen auf einen unveröffentlichten Briefwechsel stützen.
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so büßt sie allerdings ebenso wie die surrealistischen Verfahren bei häufiger Wiederholung jede Wirkungsmacht ein, da man mit dem Überraschungswert rechnet, der sich selbst entleert.63 Wie widersprüchlich der Surrealismus damit in sich selbst ist, wird einmal mehr evident, wenn Dalí mit den scheinbar ins Modisch-Banale getriebenen Provokationen den von der surrealistischen Programmatik geforderten Gestus als geeignetes surrealistisches Verfahren in Frage stellt und den Verlust der Wirkung gleichzeitig als erneute Provokation gegenüber der Gruppe der Pariser Surrealisten ausspielt, ganz im Sinne seiner Formulierung: „Der Unterschied zwischen den Surrealisten und mir besteht darin, daß ich Surrealist bin.“64 Obwohl Dalí mit den zahlreichen Aktualisierungen bildnerischer Versatzstücke diesen Effekt der Abnutzung der provokatorischen Geste als paradoxe Strategie innerhalb des Produktionsprozesses vorwegnimmt, besteht darin auch die Fragilität der surrealistischen Ästhetik, die ihren unaufhörlichen Übergangscharakter freilegt. So berichtet Dalí nach Monaten ohne Kontakt in jenem Briefwechsel im Januar 1939 von seinem Besuch bei Freud und seinen Erfolgen im Hinblick auf die Verfeinerung der paranoisch-kritischen Methode. Er sei nach monatelanger Arbeit der Meinung, bei seinen Untersuchungen der Paranoia beträchtlich vorangekommen zu sein und freue sich, Breton ausführlich davon zu berichten, wenn er selbst am Monatsende wieder in Paris sei. Vor seiner bevorstehenden Reise nach Amerika wolle er sich mit Breton über entsprechende Maßnahmen verständigen, denn bei der augenblicklichen Empfänglichkeit der Amerikaner für surrealistische Ideen sei es lebenswichtig, dass sich die Wirkung dort nicht verliere. Breton antwortet sofort, Dalí habe die Gewohnheit, ihn aus der Ferne über seine Gedanken und Pläne zu informieren, doch solchen Mitteilungen selten einen Besuch folgen zu lassen. Er glaube, dieser Mangel an Kontakt wirke sich äußerst negativ auf das Wohl des Surrealismus aus, denn nicht nur in Amerika, sondern auch hier in Europa solle man gemeinsam handeln. Er habe Dalí oft gebeten, daran zu denken, doch ohne Erfolg. Als Dalí im Februar nach Paris zurückkehrt, kommt es zwar zu einem Treffen, doch Breton zeigt sich erneut entsetzt über die ideologischen Ansichten Dalís und vollzieht im nächsten Monat in der letzten Ausgabe des Minotaure den offiziellen Bruch: „Ich sehe von nun an keine Möglichkeit, wie in Kreisen unabhängiger Geister seine Botschaft noch ernst genommen werden könnte.“65 Ein Jahr später ist es Dalí, der, bestens vertraut mit der amerikani-
63 Esposito: Die Verbindlichkeit des Vorübergehenden, S. 225. 64 Dalí 1940, zitiert nach Pierre: „Breton und Dalí“, S. 131. 65 Gibson: Salvador Dalí, S. 405f, aus Breton: „Des tendances les plus récentes“.
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schen Sensationspresse, in New York erklärt, die Bewegung des Surrealismus sei tot und er, als ihr größter Repräsentant, stehe davor, die Rückkehr zum Klassizismus ins Leben zu rufen.66
Provokationen zwischen Kunst und Leben Es entspricht der Komplexität des dalíschen Gesamtwerks, dass der vordergründig unreflektierte Umgang mit der Mode wiederholt die Reflexionsebene der surrealistischen Programmatik und die Frage nach einer Theorie der Avantgarde beschwört, zu der als weiterer zentraler Aspekt die Aufhebung der künstlerischen Autonomie und die Überführung der Kunst ins Leben gehören. Die Mode, die ihre Spannung aus der Verbindung von Zufall und kalkulierter Formgebung, Flüchtigem und Ewigem, Kunst und Kommerz erzielt, bewegt sich, wie bereits erwähnt, immer auch zwischen Wechselwirkungen von nützlicher und ästhetischer Funktion, und könnte damit, wie es die Avantgarde im Kontext einer breiten Debatte über den Status und die Funktion der Kunst in der bürgerlichen Gesellschaft gefordert hat, als Beispiel par excellence die Überschreitung der Grenzen zwischen Kunst und Leben vorführen. Ging es dem Surrealismus darum, mit der Auflösung kunstzentrierter Grenzen Werke zu schaffen, die, wie von Duchamp proklamiert, keine seien, so ist deren Prämisse die Überwindung subjektzentrierter Kategorien. Dazu gehört in Anlehnung an Peter Bürger, das Werk eines Künstlers als Resultat eines subjektiven Eingriffs und die Anerkennung durch den Betrachter zu unterlaufen. Wie das Readymade, der serienmäßig gefertigte Gegenstand, signiert und als Kunstwerk in Umlauf gebracht,67 so lassen sich auch die im Dienst der Mode stehenden Entwürfe Dalís, die Werbezeichnungen und die vom Museum ins Schaufenster übersiedelten Bruchstücke zahlreicher bildnerischer Produktionen als Inszenierungen verstehen, die das Originalitätsprinzip der Kunst auch angesichts der technischen Reproduktion radikal in Frage stellen. Dabei erfährt die Forderung, die Kategorie des Künstlers als autonome Autorität als ein weiteres wesentliches Element der Moderne aufzugeben, angesichts der modischen Inszenierungen Dalís eine Neuformulierung. Wenn nach René König die Mode „zu einem der wesentlichsten Medien für die Selbstgestaltung der großen Massen“ geworden ist, und es das Vermögen der Mode ist, den „Gegenwartsgesellschaften ein eigenes Profil und damit einen ersten Ansatz zur Formgebung“68 zu verschaffen, so wird deutlich, inwiefern 66 Ebd., S. 424. 67 Bürger: Das Altern der Moderne, S. 115f. 68 König: Kleider und Leute, S. 165 [Hervorhebung A.S.].
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Dalí die programmatisch geforderte Überführung der Kunst ins Leben mit einer Verschiebung der Grenzen zwischen Produktion und Rezeption bis zu deren Nicht-Fixierbarkeit radikalisiert. Die Provokation des bürgerlichen und elitären Kunstverständnisses erweist sich aber nicht nur als Hochschätzung einer frei verfügbaren, nicht zum Werk verdichteten Phantasie, wie sie Dalí beispielsweise mit der paranoisch-kritischen Methode erfahrbar macht, sondern auch als überraschende, befremdende Geste außerhalb der dafür vorgesehenen Orte der bürgerlichen Kultur. Dass es dabei zu kurz greift, die Inszenierungen Dalís lediglich im Kontext einer kommerziellen Ästhetik zu sehen, und damit der einseitigen Verlagerung künstlerischer Impulse auf den Bereich der Massenkultur zuzuschreiben, sondern dass die mit der Mode medialisierten Wahrnehmungsmuster die Verschiebung des Schauplatzes als ironische Überlagerung von Museum und Warenhaus im Sinne einer zweifachen Durchbrechung institutionalisierter Kulturräume ausstellen, zeigen die von Dalí unternommenen Schaufenstergestaltungen des New Yorker Warenhauses Bonwit Teller. In Erinnerung an erste Werbeerfolge, die das berühmte Kaufhaus an der Fifth Avenue 1936 erzielt hatte, als Dalí mit anderen Künstlern zu der im Museum of Modern Art gefeierten Ausstellungseröffnung „Phantastic Art, Dada and Surrealism“ ein surrealistisches Schaufenster entworfen hatte, in dem sich schwarz gewandete Schaufensterpuppen mit einem Kopf aus roten Rosen vor Pappmaché-Wolken und langen roten Armen präsentierten, die sich ihnen aus zerbröckelnden Wänden entgegenstreckten,69 wurde er bei seiner Ankunft in New York im März 1939 erneut mit einer Schaufenstergestaltung beauftragt, um auf die neuen Frühlingsstoffe aufmerksam zu machen. Dalí beschloss, den Narziss-Mythos zu illustrieren, in einem Fenster bei Tag, im anderen in nächtlicher Umgebung. Der Tag wurde durch eine altmodische Badewanne dargestellt, die mit schwarzem Persianerpelz ausgekleidet und mit Wasser gefüllt war, auf dem Narzissen schwammen. Aus dem Wasser reckten sich drei Wachshände, die Spiegel hielten. Eine Schaufensterpuppe aus dem vergangenen Jahrhundert, gefunden in einem Gebrauchtwarenladen, mit hellroten Haaren und mit Staub und Spinnweben bedeckt, war in einem Négligé aus grünen Federn im Begriff, in die Badewanne zu steigen. Auf der nächtlichen Seite des Schaufensters stand ein Bett auf den Beinen eines Büffels, darüber dessen Kopf mit einer daraus hervorragenden blutigen Taube. Auf dem schwarzseidenen Laken des Bettes ruhte eine zweite Schaufensterpuppe, unter ihr eine Kohlenglut. Glaubt man einer Stellungnahme gegenüber der New York Post, hoffte Dalí, dies „Manifest einer elementaren Poesie unmittelbar auf der Straße“ würde bewirken, dass die Passanten erstarrten und der Anblick der „authentischen dalíschen Vision“ den damals in New York überhand nehmen69 Gibson: Salvador Dalí, S. 387.
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den, fälschlich als Surrealismus ausgegebenen „Dekorativismus“ wettmachen würde.70 Als am Morgen des 16. März die Dekoration der Schaufenster enthüllt wurde, zog sie bald Menschenmassen an, und die Geschäftsleitung schickte Spione auf die Straße, um die Reaktionen der Menschen zu erkunden. Am Mittag wurde ohne Dalís Zustimmung die schlafende Gestalt gegen eine sitzende ausgetauscht und statt der Schaufensterpuppe aus dem 19. Jahrhundert stand eine Figur im Schneiderkostüm da. Es gehört zu den publikumswirksamsten Auftritten Dalís, dass er bei dem Versuch, das Schaufenster nach seiner entsetzten Ankunft zu verwüsten und die Badewanne umzukippen, diese versehentlich durch die Schaufensterscheibe stieß und von der Polizei verhaftet wurde.71 Wird die Mode über Modezeichnungen, Modefotografie, und, so müsste man den Ausführungen Ursula Link-Heers hinzufügen, nicht zuletzt über das Schaufenster in einem „von der Kontingenz der Straße gesondert institutionalisierten Raum“ vorgeführt, „der die Zurschaustellung der Mode und ihren Konsum geplant organisiert“72, betreibt Dalí eine Form der Musealisierung der Mode, die diese wie den Surrealismus selbstthematisch werden lässt. Nicht zuletzt die permanente Überlagerung mit Zitaten seines bildnerischen Gesamtwerkes ironisiert das von der Mode ausgehende Streben nach Ausbreitung, sondern auch die Transformation des Schaufensters in einen gesonderten, doch zugleich öffentlichen Ausstellungsraum, der seine Gegenstände zwar für den ästhetischen Konsum, jedoch nicht für den Kauf anbietet.73 „Die Leidenschaft zum Antasten, dazu kein Werk sein zu lassen, was es ist, ein jegliches herzurichten, seine Distanz zum Betrachter zu verkleinern, ist unmissverständliches Symptom“ einer Tendenz, so Adorno, die „das Kunstwerk entqualifiziert“.74 Dalí zeigt sich damit als ein Kunstgegner, der seinen Protest gegen die institutionalisierte Kunst durch die im Schaufenster konsumierte Mode formuliert, und der gleichzeitig, als Erneuerung der ironischen Geste mit anderen Mitteln, mit den Inszenierungen der Mode über den surrealisierten Ausstellungsraum des Schaufensters seinen Protest gegen die kommerziell institu-
70 New York Post, 17.03.1939, zitiert nach Gibson: Salvador Dalí, S. 407. 71 Ebd., S. 408. Er betrachtete den Vorfall später, der den vielbeachteten Auftakt seiner Ausstellung bei Julien Lévy darstellte, als „die zauberischste und effektivste Handlung“ seines ganzen Lebens. 72 Link-Heer: „Die Mode im Museum“, S. 141. Vgl. mit anderem Akzent Vinken: Mode nach der Mode, wonach die Mode vorwiegend auf der Straße zur Schau gestellt wird. 73 Link-Heer: „Die Mode im Museum“, S. 141f. 74 Adorno: Ästhetische Theorie, S. 32f.
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tionalisierte Mode zum Ausdruck bringt.75 Die von den Surrealisten angestrebte Auflösung der Grenzen zwischen Kunst und Leben erweist sich im Blick auf die von Dalí geschaffenen Modeproduktionen nicht nur als Erschütterung der Kunst, die nicht länger als Sphäre reiner ästhetischer Erfahrung fungiert, sondern auch als überaus paradoxes Vorgehen, das, so die bekannte Kritik Peter Bürgers im Anschluss an Adorno, in Verbindung mit der Frage nach dem Scheitern der Avantgarde zu sehen ist: „Wird der avantgardistische Aufhebungsanspruch als realisierbar dargestellt, verfällt die Kunst. Wird er getilgt, d.h. wird die Trennung von Kunst und Lebenspraxis als selbstverständlich hingenommen, verfällt sie auch.“76 Hinzu kommt, dass die historischen Avantgarden […] die Rückführung der Kunst in die Lebenspraxis gefordert [haben] in der Hoffnung, dadurch das Leben der Menschen radikal verändern zu können. Heute erleben wir in der universalen Ästhetisierung des Alltags die falsche Realisierung dieses Programms. […] Wer Montagen von den Titelblättern der Wochenmagazine her kennt, für den geht davon kein Schock mehr aus. […] Selbstverständlich ist die Ästhetisierung unseres Alltags nicht den Avantgardisten zuzurechnen, und doch wirft die falsche Aufhebung der Kunst ein ironisches Licht auf das utopische Projekt der Avantgarden. Dies nicht sehen zu wollen, wäre Verstocktheit.77
75 Bürger: Das Altern der Moderne, S. 118f. 76 Ebd., S. 30. Vgl. auch Bürger: Theorie der Avantgarde, S. 63ff. sowie demgegenüber Barck: „Stildiskurs und Stilkritik“, S. 259: „Für die gegenüber der kanonisierten bürgerlichen Kunst und Literatur und ihren Funktionen marginale Position des Surrealismus hatte darum der Gegensatz zwischen Kunst und Leben jede Bedeutung verloren, dem jene Kritiker noch anhängen, die das ‚Scheitern‘ surrealistischer Bestrebungen vor allem an diesem Gegensatz bemessen.“ 77 Bürger: Das Altern der Moderne, S. 123f. Vgl. zur Kritik an einer Ästhetisierung des Alltags durch die Verbindung von Kunst und Lebenspraxis auch Habermas: Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 176ff. Im Kontext einer relativierenden Diskussion wird gerne auf Dalís Antizipation des Pop-Art hingewiesen, wodurch allerdings nicht der Vorwurf der Abnutzung provokativen Potentials entkräftet wird. Im Sinne einer psychoanalytischen Deutung, so beispielsweise Gorsen, setze sich Dalí „der gesellschaftlichen Nivellierung des ästhetischen und künstlerischen Hedonismus auf überraschende Weise zur Wehr. Er tut es nicht, um auf diesen Entwicklungsprozess kritisch und abweisend zu reagieren, sondern durch kalkulierte Unterwerfung. Er passt sich der gesellschaftlichen Realität des Hedonismus mit der hypertrophen Manier desjenigen an, der die Anerkennung seiner Vorläuferschaft und seines vorausschauenden Scharfblicks für den vorherrschenden Trend fordert und wie ein Avantgardist der kapitalistischen Ästhetik gefeiert und honoriert zu werden beansprucht – nicht unähnlich der noch radikaleren „revolutionären“ Unterwerfung Andy Warhols unter die massenspezifische Ästhetik von
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Während mit dieser Form der Kunstkritik die Vorstellungen von Kunst und Leben als grundsätzliche Dichotomien bestehen bleiben, in der, so auch der später relativierende Befund Peter Bürgers, „Logik des Entweder-Oder“ verbleiben,78 zeigt sich mit den Arbeiten Dalís, inwiefern sowohl dieser Gegensatz seine Bedeutung verliert als auch die Kategorien Kunst und Leben als solche in Frage gestellt werden. Für die gegenüber der kanonisierten bürgerlichen Kunst und Literatur und ihren Funktionen marginale Position des Surrealismus hatte sich der Gegensatz zwischen Kunst und Leben umso mehr abgenutzt, da es einen „Gegensatz zwischen Leben und Schreiben, zwischen Kunst und Leben […] nur aus der Sicht einer großen Literatur“79 gibt. Wie auch Karlheinz Barck ausführt, handelt es sich entgegen einer langen Tradition idealistischer Ästhetik, wie sie bis zu Adorno formuliert wurde, bei den von den Surrealisten unternommenen künstlerischen Experimenten, etwa auch der écriture automatique, um die Subversion des Stilbegriffs als einer Vermittlungsebene zwischen Kunst und Gesellschaft oder subjektiver und objektiver Wirklichkeit und um die Etablierung eines anderen Begriffs von künstlerischer Praxis.80 Indem sich die Mode als paradoxes Phänomen erschließt, das mit den Modellierungen Dalís immer zwischen „Sein und Nichtsein“ oszilliert, verlieren nicht zuletzt die rahmenbildenden Systeme von Kunst und Leben an Bedeutung. Entsprechend einer solchen Zwischenform der Kategorien Kunst und Leben sind Dalís Inszenierungen der eigenen Person zu werten, die an einem „kultursemiotischen Schwellenort“81 das bürgerliche Kunstverständnis und die Kunst der Selbstinszenierung ineinander übergehen lassen.82 Zu den inszenierten Metamorphosen gehört als Ausdruck der Subversion auch die Verwandlung geltender Begriffsvorstellungen, „die aus ihren traditionellen Kontexten gelöst und umgedeutet, gleichsam surrealisiert und verfremWaschpulververpackungen und Suppenkonserven.“ (Gorsen: „Der ‚kritische Paranoiker‘“, S. 502.) 78 Die mit der Theorie der Avantgarde geäußerte Kritik, die, an den unmittelbaren Realisierungen gemessen, zwar zutreffend sei, aber innerhalb der Logik des EntwederOder verbleibe, relativiert Bürger selbst im Zuge späterer Untersuchungen: „Verläßt man diese Logik, dann wird fraglich, ob ein Projekt wie das surrealistische überhaupt scheitern kann, das seine utopische Kraft der Verzweiflung verdankt“. Einer „Bewegung, die den Pessimismus zu ihrer Grundlage macht, stößt ihr eigenes Scheitern nicht von außen zu, vielmehr gehört es zu den Bedingungen ihres Handelns“. (Bürger: Das Altern der Moderne, S. 159, 156.) 79 Deleuze/Guattari: Kafka, S. 58. 80 Barck: „Stildiskurs und Stilkritik“, S. 259ff. 81 Wild: „Platon am La Plata“, S. 138. 82 Vgl beispielsweise Dalís ironische Selbstinszenierungen in Dalí: Das geheime Leben, S. 277f.
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det werden.“83 Mit der Loslösung von bestehenden Dichotomien, dem Verringern ihres Abstandes und der unaufhörlichen Entgrenzung der Bilder ist ein Verschieben von Kategorien und Vorstellungen verbunden, das dem Versuch der surrealistischen Avantgarde entspricht, kategoriale Zuordnungen in Frage zu stellen und Nichtvorstellbares vorstellbar zu machen. Was bleibt, ist der fragwürdige Bedeutungsgehalt der Begriffe Kunst und Leben, und, ganz im Sinne des von Dalí propagierten Denkvorgangs paranoisch-kritischen Charakters, die Instabilität definitorischer Zuschreibungen: unser ganzes Bemühen zielt darauf, ich wiederhole es, alles für null und nichtig zu erklären, was uns auf irgendeine Weise vertraut scheinen könnte, weil es uns gerade so und nur so gelingen wird, uns ganz und gar außerhalb dieser Eindrücke und sogar in einem feindlichen Gegensatz zu ihnen zu fühlen, und weil wir nur so vom Denken eine revolutionäre und wirklich vernichtende Wirksamkeit erwarten können.84 Die Interferenzen zwischen Kunst und Mode erweitern damit nicht nur ästhetische Handlungsspielräume des Surrealismus, sondern relativieren auch kulturkritische Einwände im Zusammenhang mit dem Status der Mode, die seit dem 19. Jahrhundert verstärkt laut werden. Indem bei Dalí mit der Mode immer auch eine ironische Subversion des zeitgenössischen Geschmacks und damit eines stilbildenden Garanten der bürgerlichen Kultur im Spiel ist, provoziert er eine Neuformulierung des von den Surrealisten beschrittenen kulturellen Raumes. Im Blick auf das Zirkulieren modischer Effekte, auf die konstanten Selbstinszenierungen Dalís, seine Auftritte in der Welt der Mode und der Massenmedien folgt daraus ein der surrealistischen Programmatik scheinbar zuwiderlaufender Gestus, der sich jenseits der Banalität der Mode als konsequente Erweiterung poetologischer und medienästhetischer Aspekte entfaltet. Mit der im Kontext der surrealistischen Ästhetik vollzogenen Umcodierung der Mode, die den Betrachter beständig auf mediale Aspekte lenkt, widerlegt Dalí entsprechend des avantgardistischen Angriffs auf den Autonomiestatus der Kunst auch die Trennung des Ästhetischen vom Theoretischen, wie sie in der Ästhetik Kants gefordert wurde.85 Der von Dalí gezeigte Wechsel von Modeästhetik zu künstlerischer Kreativität und theoretischer Reflexion ist
83 Roloff: „Einleitung“, S. 11. So bei Breton, Lacan und Dalí auch die Begriffe Paranoia, Ekstase, Hysterie, Delirium, Convulsion. 84 Dalí: „Der Eselskadaver“, S. 141. 85 Bürger: Das Altern der Moderne, S. 130.
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Ausdruck eines programmatischen Spiels, das statt Geschlossenheit permanente Offenheit, statt Prägnanz Polyphonie und Widersprüchlichkeit in den Mittelpunkt stellt. In dem Maße, in dem Dalí stabile Positionen verweigert und auf Verunsicherung und Steigerung von Kontingenzeffekten abzielt, lassen sich seine Produktionen im Zeichen der Mode immer auch als programmatische Programmatik-Kritik bezeichnen, etwa im Sinne seiner ambivalent-ironischen Empfehlungen für die „Neuste Mode intellektueller Erregung für den Sommer 1934“: Befolgen Sie, wenn Sie ‚anachronistisch bleiben‘ wollen, soweit das möglich und wünschenswert ist, Salvador Dalís Ideen und Systeme. Hier einige als ‚Fortsetzung folgt‘. Philosophische Provokationen […]. Malerei: […]. Bildhauerei: […] Mode. Make-up. Frisur. – Durch die tragischen sado-masochistischen Anachronismen der Jugendstilkleidung wird der zukünftige superexhibitionistische Gespensterlook wieder aktuell: blutrote Schminke in den Achselhöhlen und zwischen den Zehen; farblose, hellgraue Lippen; anamorphotische Frisuren.86 Als ein dynamisierendes Medium des Denkens87 veranschaulicht die Mode mediologische Aspekte der Darstellbarkeit und stellt mit der Vermittlung ästhetischer Erfahrung in Form jener „images exaltantes“ einen über die Grenzen der Theorie des Surrealismus hinausweisenden Ansatz dar, die Formen einer literarischen Kultur zu relativieren.88
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86 Dalí: „Neuste Mode intellektueller Erregung“, S. 241. 87 Pfeiffer: „Paul Valéry“, S. 298. 88 Barck: „Stildiskurs und Stilkritik“, S. 262.
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Paranoid Android – Salvador Dalí und der begehrliche Blick der Fotografie Und keine Erfindung ist so rein gewesen wie diejenige, die den anästhetischen Blick des glasklaren Auges ohne Wimpern von Zeiss geschaffen hat: so destilliert und aufmerksam, daß niemals die rosa Schwellung der Bindehautentzündung auftreten wird.1
Das Misstrauen gegenüber einem Medium, das vermeintlich zwangsläufig zu stark einem visuellen Realismus huldigt, wich im surrealistischen Kunstbetrieb schnell einer Neugier, einer Entdeckerfreude, die in der Fotografie ein experimentelles Feld ambivalenter Medienreflexionen sah. Die Surrealisten erweiterten nicht nur das Spektrum ihrer Einsatzmöglichkeiten extrem und integrierten im Sinne einer ars combinatoria insbesondere theatrale, bildnerische, textliche und plastische Gestaltungsmittel, sondern brachten vor allem die Metamorphosen, die das neue Medium innerhalb dieses Austauschs erfuhr, in die fotografische Produktion selbst als Gegenstand wieder ein. Einzig innerhalb einer traditionellen Kunstgeschichtsschreibung scheint sich angesichts der vergleichsweise verstreuten und oft monomedial orientierten Forschungslage zur surrealistischen Fotografie jenes Misstrauen hartnäckiger als nötig zu halten.2 Sei es jene von Roland Barthes beschriebene Tautologie, die der Fotografie von Natur aus eigne, „une pipe y est toujours une pipe, intraitablement“3, ihr „noème [qui] est simple, banal, aucun profondeur: ‚Ça a été‘“4, die die Fotografie für die surrealistische Ästhetik als weniger qualifiziert erscheinen lässt, oder die Heterogenität der fotografischen Arbeiten, die, wie Rosalind Krauss bemerkt, sich nicht unter der surrealistischen Fotografie subsumieren lasse:5 Die Fotografie – insbesondere ihr Entfaltungsbereich jenseits des ‚surrealistischen Kanons‘ – nimmt nach wie vor einen marginalisierten Raum im Interesse an 1
Dalí: „Die Fotografie, reine Schöpfung des Geistes“, S. 27.
2
Einen knappen Forschungsüberblick zu Studien zur surrealistischen Fotografie bietet Beate Ochsner in ihrer Studie: „Raoul Ubac oder: Zur Defiguration der Fotografie in Minotaure“, S. 124, sowie der von Uwe M. Schneede herausgegebene Ausstellungskatalog: Begierde im Blick. Surrealistische Photographie, S. 220f.
3
Barthes: „La chambre claire“, S. 1112.
4 5
Ebd., S. 1188. Krauss: „Die photographischen Bedingungen des Surrealismus“, S. 111.
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der surrealistischen Kunstform ein. Dabei, und hier ließen sich bereits ausgeräumte Vorurteile hinsichtlich anderer surrealistischer Medienspiele wie z.B. des Films auf die Fotografie übertragen, ist es vor allem eine methodische Fragestellung, die das surreale Potenzial der Fotografie über die surrealistische Kunst hinaus offenbart. Susan Sontag bemerkt: Surrealismus liegt bereits in der Natur des fotografischen Unterfangens, in der Erzeugung eines Duplikats der Welt, einer Wirklichkeit zweiten Grades, die zwar enger begrenzt, aber dramatischer ist als jene, die wir mit unseren eigenen Augen sehen.6 „Enger begrenzt“ ist jene „Wirklichkeit zweiten Grades“ besonders durch die Fokussierung des unheimlichen Details, den suggerierten blow up der Realität, durch die, so Walter Benjamin, „Entschälung des Gegenstandes aus seiner Hülle“7, die letztlich „eine heilsame Entfremdung zwischen Umwelt und Mensch vorbereitet“8. Dramatisch – im wahrsten Sinne des Wortes – ist jene duplizierte Wirklichkeit vor allem angesichts ihrer Konstruktivität bzw. der Entlarvung der Realität als immer schon konstruiert, wie auch Rosalind Krauss konstatiert. Alles, was die surrealistische Fotografie betrachtet, werde gesehen als ob es schon und immer schon konstruiert ist, durch eine merkwürdige Transponierung des Dings in ein anderes Register. […] Das Objekt – straight oder manipuliert – ist immer manipuliert und erscheint daher immer als Fetisch. Es ist diese Fetischisierung von Realität, die der Skandal ist.9 In dem Maße, in dem das Objekt, der Gegenstand z.B. durch die unheimliche Fokussierung des Details immer schon als konstruiert erscheint, in dem Maße, in dem die surrealistische Kunst stets auf der Suche nach jenen Spuren der Konstruktion im Realen ist, erscheint der Körper, insbesondere der weibliche, immer schon als Pose, immer bereits fetischisiert, gleichsam durch die Fotografie in seiner Theatralität überrascht. Das – in einem von der Prä- zur Postmoderne reichenden Spektrum – topische künstlerische Spiel mit dem Körper als Bühne erfährt in der surrealistischen Kunst zweifellos einen Höhepunkt. Die Akte der Theatralisierung, der Pose, der Fetischisierung von Körperlichkeit, wie sie speziell Dalí inszeniert, sollen im Folgenden anhand ausgewählter
6
Sontag: Über Fotografie, S. 54.
7
Benjamin: „Kleine Geschichte der Photographie“, S. 58.
8
Ebd.
9
Krauss: „Corpus delicti“, S. 195 [kursiv im Original].
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Fotografien aus der Zusammenarbeit mit Philippe Halsman betrachtet werden. Dabei drängen sich zwei Perspektiven auf. Zum einen interessiert der Körper als Objekt multipler Bildinszenierungen, zum anderen sollen die von Dalí kontinuierlich als Teil der künstlerischen Kreativität integrierten Prozesse und Verfahren der Selbstinszenierung, der Theatralisierung des eigenen Körpers gerade im Hinblick auf ihre mediale Selbst- und Fremdmanifestation in der Fotografie hinterfragt werden. In Anbetracht der Heterogenität des Umgangs der Surrealisten mit Fotografie10 erweist es sich, um ihre Spezifika zu beleuchten, als gewinnbringend, auf Hans Holländers berühmten Ansatz zu rekurrieren: „Surrealismus ist kein Stil, sondern mehr als das, eine Methode“11 – und zwar eine kombinatorische. Dieser Ausgangspunkt ermöglicht es, das kollektive surrealistische Ziel, nämlich die Verunsicherung traditioneller Klassifizierungs- und Sehgewohnheiten, die Entlarvung des voyeuristischen Begehrens sowie die Anwendung und Vorführung visueller Manipulierbarkeit, sprich die Konzentration auf die wahrnehmungsästhetischen Perspektiven, die im Umgang mit der Fotografie eine Rolle spielen, zu erfassen. Die surrealistische Fotografie, so auch Wolfgang Kemp, entfalte sich insbesondere rezeptionsästhetisch über den wesentlichen „sekundären Prozess der Lektüre, Interpretation, Beschriftung, des Kontextwechsels“12. Bei Dalí, so wird zu zeigen sein, ist dieser sekundäre Interpretationsprozess bereits im Bild, wenn nicht vorweggenommen, so doch ausdrücklich gefordert. Vor dem Hintergrund seines Konzepts der paranoisch-kritischen Methode, jenem „systematisch strukturierten Interpretationswahn“13, ist das Bild, auch die Fotografie, bereits produktionsästhetisch durch mehrere Schichten vorgeprägt, die zu sehen der Betrachter unvermittelt gereizt wird. Die der surrealistischen Fotografie unterstellte enigmatische Dimension liegt bei Dalí, so scheint es, weniger im Was (zu sehen ist), denn im Wie (dieses zu sehen ist), insbesondere im Hinblick auf ihre „ungewöhnlichsten Möglichkeiten zur Zusammenhanglosigkeit“14. Man muß sich klarmachen, daß es nur die Frage einer vehementen paranoischen Intensität ist, um das Erscheinen eines dritten Bildes, und eines vierten, und von dreißig Bildern zu erzwingen. In einem solchen 10 Rosalind Krauss führt in ihrer Studie eine versuchsweise Systematisierung der fotografischen Methoden an. Vgl. ebd., S. 111. 11 Holländer: „Ars inveniendi et investigandi: Zur surrealistischen Methode“, S. 258. 12 Kemp: „Theorie der Fotografie 1912 – 1945“, S. 34. 13 Dalí: „Neueste Mode intellektueller Erregung für den Sommer 1934“, S. 240. 14 Dalí: „Realität und Surrealität“, S. 69.
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Fall wäre es interessant zu wissen, was das erwähnte Bild nun wirklich darstellt, welches die Wahrheit ist; so stellt sich schließlich für den Verstand der Zweifel ein, ob man denken soll, daß die Abbilder der Wirklichkeit selbst nur ein Produkt unserer paranoischen Begabung sind.15 Unter Berücksichtigung des von Barthes als stärkstes fotografisches Merkmal herausgehobenen „ça a été“ ist es diese Verunsicherung hinsichtlich der Realität und ihres Abbildes, die zu ihrer Surrealisierung oder, wie Rosalind Krauss unterstreicht, zu ihrer Fetischisierung beiträgt.16 Die surrealistische Methode, die im Anschluss an Holländer nicht nur metahistorisch, sondern auch medienübergreifend anwendbar ist, konstituiert sich, so fasst Uwe M. Schneede zusammen, aus der Kombinatorik, der „Kollision einander fremder Wesen, Objekte“17 (und Medien), ihrer Metamorphose, d.h. der Transformation infolge ihrer zufälligen Konfrontation, aus ihrer Entkontextualisierung und schließlich dem wahrnehmungsästhetisch forcierten Effekt der Mehrsinnigkeit.18 Automatismus, Kombinatorik, Metamorphose, Intermedialität, d.h. das fotografische Festhalten des Moments des Aufeinandertreffens verschiedener Medien, eine rezeptionsästhetisch suggerierte Erwartungshaltung und ihre zwangsläufige Sinnverweigerung, Vorführung der Theatralität und Konstruktivität der abgebildeten Wirklichkeit und – insbesondere bei Dalí – ein zeitlich, methodisch, motivisch äußerst breiter Rahmen sowie eine willentliche Einschreibung in eine künstlerische Achse, die vom Barock bis zur Postmoderne reicht – dies ist das Raster, durch das die surrealistische Fotografie und – im Besonderen – Dalís Interesse daran zu sehen ist.
Dalí, ein Zeissianer? Zur Faszination am Kameraauge als ‚Kreisrunde Grenze‘ Die topische Faszination an ‚Olympias Auge‘, wie sie E.T.A. Hoffmann in seiner Erzählung Der Sandmann beschreibt und die innerhalb einer metahistorischen ‚Geschichte des Auges‘ im 19. und vor allem im 20. Jahrhundert in der Faszination an der Kamera als optische Vervollkommnung eine neue Dimension gewinnt, mag seitens des Malers Dalí überraschen. Und doch erscheint sie als Ausdruck der obsessiven Suche nach dem ultimativen visuellen Exzess im 15 Dalí: „Moralische Position des Surrealismus“, S. 24. 16 Krauss: „Die photographischen Bedingungen des Surrealismus“, S. 111. 17 Schneede: „Das surrealistische Bild“, S. 45. 18 Ebd.
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künstlerischen Selbstverständnis Dalís und vor dem Hintergrund der Vertiefung seiner paranoisch-kritischen Methode verständlich. In seiner 1942 veröffentlichten selbstparodistischen und semifiktionalen Autobiographie heißt es: Mehr und mehr begann ich an dieses wunderbare Ding, das Auge, zu glauben! Im Vorschlaf betrachtete ich bei geschlossenen Augen mit meinem Auge, aus der Tiefe meines Auges, mein Auge, und nach und nach ‚sah‘ ich mein Auge und betrachtete es als einen richtigen weichen Photoapparat zur Ausbildung nicht der objektiven Welt, sondern meines harten Denkens im Allgemeinen. Ich gelangte sofort zu der Schlussfolgerung, die mir die Behauptung ermöglichte, man könne das Denken photographieren […].19 Was hinsichtlich einer notwendigen perspektivischen Erweiterung für die Lektüre von surrealistischer Fotografie zutrifft, gilt in stärkerem Maße noch für Dalí und dessen Interesse an der Fotografie, das sich – wie zu erwarten – einer zeitlichen, motivischen und medialen Klassifizierung entzieht und dennoch kontinuierlich das künstlerische Werk Dalís begleitet. In den 1930er Jahren ist es vor allem die Lust an der „Entschälung des Gegenstandes aus seiner Hülle“20, die Dalí auf fotografischem Terrain umtreibt, wie sich besonders anhand der in der Zeitschrift Minotaure veröffentlichten Bild-Text-Konfrontationen zeigt. Zu nennen sind beispielsweise die aus Zeitschriftenmaterial zusammengesetzte Fotomontage „Le phénomène de l’exstase“21, die mit Brassaï aufgenommenen „Sculptures involontaires“22, eine Tafel mit sechs symbolisch aufgeladenen objets trouvés, darunter die Großaufnahme eines zusammengerollten Fahrscheins, eines Stücks abgenutzter Seife, einer Teigrolle und eines Kleckes Zahncreme, oder schließlich die wichtige Zusammenarbeit mit Man Ray, deren Resultate unter anderem Dalís Aufsatz „De la beauté terrifiante et comestible, de l’architecture Modern’Style“23 begleiten. Vor allem ab den 1940er Jahren bedient sich Dalí verstärkt der Fotografie als geeignetem Medium der multiplen Selbstinszenierung, aber auch der Feier und Transformation seiner skulpturalen und gemalten Kunstwerke angesichts ihrer Ankunft im „Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit“. Damit kehrt 19 Dalí: Das geheime Leben des Salvador Dalí, S. 675f. 20 Benjamin: „Kleine Geschichte der Photographie“, S. 58. 21 Dalí: „Le phénomène de l’extase“, S. 76. Vgl. auch Maurer Queipo: „,A la recherche d’images susceptibles de nous extasier‘ – Das Universum der Ekstase des Salvador Dalí“, S. 124. 22 Brassaï/Dalí: „Sculptures involontaires“, S. 68. 23 Dalí: „De la beauté terrifiante et comestible, de l’architecture Modern’Style“, S. 6976.
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sich der im malerischen Werk Dalís thematisierte dominante Aspekt der Transformation, der Metamorphose gegen das malerische Werk selbst. Kunst und Künstler als reproduzierte, recycelte Metamorphosen des Kunstwerkes selbst gehören, wie zu zeigen ist, zum Programm des surrealistischen Kunstverständnisses, mehr als es eine idealisierende Surrealismusforschung mitunter wahrhaben will. Insbesondere im Rahmen der Zusammenarbeit mit Philippe Halsman und Cecil Beaton rückt der Körper, sei es der eigene oder der fetischisierte weibliche Körper, stärker in den Vordergrund, gerinnen Dalís spezifische Körperbilder zur „Geistestaube der 36 Grautöne und der 40 neuen Weisen der Inspiration“24. Mit der von Rosalind Krauss der surrealistischen Fotografie attestierten „Fetischisierung der Wirklichkeit“ gehe, so Jörg Heiser in seinem Artikel, eine „radikale Fetischisierung der Objekte“ einher – „inklusive des als Objekt behandelten weiblichen Körpers.“25 Tatsächlich gibt sich die (männliche) surrealistische Kunst in ihren Weiblichkeitsdarstellungen weit weniger revolutionär als es ihr Gestus gemeinhin suggeriert, beteiligt sie sich doch in ihrer Orientierung an einem eher konventionellen Repertoire von Frauenbildern an der topischen Konstruktion abendländischer Männerphantasien, wie die Hamburger Ausstellung zur surrealistischen Fotografie „Begierde im Blick“ 2005 gezeigt hat.
Eros und Thanatos als Tableau Vivant – Dalí, Sade, Bataille „Toutes les femmes se rangent dans l’instant sur six rangs!“26 „Quel délicieux groupe!“27 Der lustvolle Imperativ des grausamen Libertins aus Sades JustineZyklus und die entzückte Feststellung einer libertinen Sade’schen Akteurin wären geeignete Bildunterschriften für eine Fotografie aus dem Jahre 1951, die der fruchtbaren Zusammenarbeit Dalís mit Philippe Halsman entsprang (Abb. 1). Die rechte Bildhälfte zeigt eine Gruppe nackter Frauenkörper, deren choreographisch raffiniertes Arrangement einen Totenschädel stilisiert. Links daneben posiert Dalí im Aufzug eines Dompteurs mit Stock und Zylinder. Die Parallele zwischen dem Marquis de Sade und Dalí in deren vermeintlicher Vorliebe für violente, in Bild und Text vielfach variierte, erotische Phantasien zu sehen, in ihrer Lust an fragmentarischen Körperbildern und Körperflüssigkei24 Dalí: „Die Fotografie, reine Schöpfung des Geistes“, S. 26. 25 Heiser: „Fetisch Wirklichkeit“, S. 13. 26 Zit. nach: Barthes: „Sade, Fourier, Loyola“, S. 1149. 27 Ebd., S. 1150.
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ten, griffe zu kurz. Vielmehr, so die These, verbindet beide ein ähnliches Konzept der Körperinszenierung, das sich im tableau vivant28 verdichtet. Le groupe sadien, fréquent“, so Roland Barthes, „est un objet pictural ou sculptural: le discours saisit les figures de débauche, non seulement arrangées, architecturées, mais surtout figées, encadrées, éclairées; il les traite en tableaux vivants.29
Abb. 1: Philippe Halsman: Dalí and the Skull; 1951.
Die Sade’sche Theatralisierung des Körpers und seine Mechanisierung treffen das surrealistische Konzept unter anderem im Punkt seiner willentlichen Entlarvung der Wirklichkeit als Konstruktion, im Konzept des durch den Alltag
28 Der Lust an der intermedialen „Verdichtung“ im tableau vivant ging Dalí nicht erst mit Halsman nach. Bereits 1935 veröffentlichte er in Minotaure eine Bilderfolge zu einem Beitrag, die ihn, wie sooft, selbst zum Bildgegenstand macht (vgl. Abb. 2). 29 Zit. nach: Barthes: „Sade, Fourier, Loyola“, S. 1150 [kursiv im Original].
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theatralisierten natürlichen Körpers und: in der auf den Körper übertragenen Faszination am Automatismus des künstlichen Blicks. La machine sadienne ne s’arrête pas à l’automate […]: c’est tout le groupe vivant qui est conçu, construit comme une machine. […] à partir de cette architecture de base, définie par une règle de catalyse, s’éploie un appareil ouvert, les sites se multipliant dès qu’un partenaire s’ajoute au groupe initial; la machine ne tolère aucun solitaire, personne qui reste en dehors d’elle […].30 Die Sade’schen Körperinszenierungen sind Barthes zufolge einer strikten Choreographie unterworfen, die Körpergruppierung, das Arrangement korrespondiere mit einer strengen Syntax, überlagern, befruchten und ersetzen sich doch bei Sade erotischer und sprachlich-grammatischer Code. Die minutiöse Mechanisierung, Funktionalisierung, Kombination und ‚Zerstückelung‘ des Körpers unterläuft das traditionelle Körperbild dahingehend, dass, so Barthes, ein linguistischer Diskurs auf den Körper übertragen wird.31 Eine strikte Kombination und Komposition ist es also, die Körper, Performance und Grammatik im schöpferischen Diktat vereint. Im Bild erscheint Dalí als metteur en scène, als ordonnateur der von Philippe Halsman fotografierten figure. Dem Akt des im Anschluss an Breton von Dalí als „Automatisierung des Denkens“32 gefeierten Fotografierens entspricht ein besonderer fotografischer Gestus, ein körperlicher Akt, eine Pose, die weniger als Automatisierung, denn als Mechanisierung des Körpers zu beschreiben wäre, als eine écriture automatique corporelle, wie sie Barthes im Schreiben Sades als grammatische, als syntaktische Systematisierung beschreibt: „[D]evant la scène sadienne, naît une impression puissante, non d’automatisme, mais de ‚minutage‘, ou si l’on préfère, de performance.“33 Performance ist das Stichwort, das uns zur Theatralität der Szene, der Pose zurückführt. Über die grundsätzliche Theatralität des fotografierten Körpers hinaus sind beide Bildelemente in Dalí and the Skull Teil einer bewussten Komposition und Kombination. Dalí, verkleidet, posiert vor seinem Objekt, vor einem tableau vivant, einem Abbild einer Szene, die zur Pose geronnen ist, einem Konglomerat arrangierter Körper, die jedoch – gleich der Sade’schen Maschinerie – keinen Außenstehenden dulden, sondern die nur in ihrem Zu30 Ebd. 31 Ebd., S. 1062f. 32 Zit. nach: Kranzfelder: „Nur die Versuchung ist göttlich“, S. 15-20. 33 Barthes: „Sade, Fourier, Loyola“, S. 1060.
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sammenspiel, als Teil eines ganzen Bildes jenes dritte, paranoische Bild konstituieren. Der Körper erscheint als Bühne, begriffen in einem carnaval perpétuel. Gleichwohl, so Barthes an anderer Stelle, tangiere die Fotografie die Kunst nicht vermittels der Malerei, sondern des Theaters, aufgrund ihrer Affinität zum Tod.34 Vor dem Hintergrund der ursprünglichen Beziehung zwischen Theater und Totenkult sieht Barthes in der reglosen Pose die Fotografie als „un théâtre primitif, comme un Tableau Vivant, la figuration de la face immobile et fardée sous laquelle nous voyons les morts“35. Die Morbidität, die die Fotografie Dalí and the Skull vermittelt, ist jedoch über die dem Fotografischen eigene ‚Ermordung der Realität‘ hinaus vor allem hinsichtlich einer lecture bataillenne zu lesen. Die keineswegs diskrete Thematisierung von Eros und Thanatos in Anbetracht eines von nackten Frauenkörpern stilisierten Totenkopfes verbildlicht, so plakativ sie auch inszeniert ist, eine Übereinstimmung im Denken Dalís und Batailles. Dies betrifft die ideelle Dimension der Transgression, wie sie Bataille vorstellte und Dalí auch in seinen literarischen Schriften berührte, aber vor allem, das zeigt Rosalind Krauss, Batailles von Dalí aufgegriffenes ästhetisches Konzept des informe, „eine[r] Kategorie, die es erlaubt, alle Kategorien undenkbar zu machen“, wobei „Formlosigkeit durch Zerfließen, Verfaulen, Verblühen produziert wird“36. Das von André Breton im Second manifeste du surréalisme geforderte notwendige Kollabieren der Dichotomien von Realität und Imagination, Leben und Tod37 etc. wird durch die Kategorie des informe zweifellos bedient, auf dem Gebiet der Fotografie insbesondere im spielerischen Umgang mit Geschlechteridentitäten. Philippe Halsmans Dalí and the Skull zeigt, dass die Fotografie für Dalí auch über die zeitlich enge Periodisierung der surrealistischen Gruppe hinaus ein mediales Experimentierfeld darstellt, in dem die spannungsreiche Begegnung von Theater, Malerei38, Skulptur, Literatur und Tanz festgehalten wird. Und es bedient ein Bildverständnis, so könnte man Krauss’ These hinsichtlich der surrealistischen Fotografie verallgemeinern, das „Kategorien auswischt und an ihrer Stelle den Fetisch, das informe, das Unheimliche, errichtet“39. Die Fetischisierung des Körpers in ihrer strikten theatralen Komposition reiht Dalí in eine metahisto-
34 Barthes: „La chambre claire“, S. 1129. 35 Ebd. 36 Krauss: „Corpus delicti“, S. 171f. 37 Breton: Second manifeste du surréalisme [1930], S. 781. 38 Die Fotografie aktualisiert hinter dem Vexierbild weitere Bilder auch aus dem malerischen Œuvre Dalís, insbesondere Visage de la guerre (1941) oder Ballerine – Tête de mort (1933). 39 Krauss: „Corpus delicti“, S. 197.
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rische Linie mit Sade und Bataille ein, die im Hinblick auf die aktionistischen Performances und Happenings der 1960er Jahre genreübergreifend offen ist.
Selbstbespiegelungen – Das Label Dalí als multi-reproduzierte Eigenpropaganda Dass der Künstler seine Extrovertiertheit zeitlebens über eine permanente Inszenierung seiner Person bzw. des eigens erschaffenen ‚Mythos Dalí‘ kultivierte und lange über die Dauer der kollektiven surrealistischen Gruppe um Breton hinaus vermarktete, haben ihm viele Zeitgenossen und Kritiker übelgenommen. Kaum ein anderer Künstler hat aus seinem Gesicht, das durch die Maske aus Schnurrbart und Frisur gleichsam konserviert wurde, ein derartiges öffentliches Faktum gemacht. Wer kennt nicht die vielfach reproduzierten Aufnahmen aus Dalís und Halsmans Zyklus „Dalí Moustache“ (vgl. Abb. 3). Allerdings ist, und das vergisst eine sentimentale Surrealismusrezeption, die Selbstinszenierung als Teil des surrealistischen Kunstverständnisses zu betrachten. Die Fotografie übernimmt im Rahmen des surrealistischen Projektes eine nur scheinbar dokumentarische, chronistische Rolle, indem sie über zahlreiche Gruppen- und Einzelfotos eine Art kontinuierlicher Selbstvergewisserung zu betreiben scheint und zudem den künstlerischen Produktionsprozess oft ironisch begleitet. Jedoch steht dahinter die Erprobung des surrealistischen Gestus der Subversion der Wirklichkeit und der Karikierung einer realistischen Abbildung im Selbstversuch. Ob die Nachstellungen surrealistischer Methoden, wie die von Man Ray fotografierte Séance de rêve40, die Bildnis-Tableaus in den surrealistischen Zeitschriften, in denen Porträtaufnahmen wachender, schlafender oder träumender surrealistischer Künstler arrangiert wurden41, oder die Bilder der Surrealismusausstellung von 193842, sie alle haben, so Uwe M. Schneede, eines gemeinsam: die Inszenierung von Wirklichkeit vor dem beglaubigenden Blick der Kamera.43 Auf diese Weise spielt die surrealistische Fotografie mit dem vermeintlichen Wesen des neuen Mediums, seiner „Dekla-
40 Vgl. Man Ray, „Séance de rêve“, Umschlag. 41 René Magrittes „Je ne vois pas la [femme] caché dans la forêt“ überschriebenes Tableau ziert beispielsweise das Titelblatt der Dezemberausgabe der Révolution surréaliste aus dem Jahre 1929. 42 Vgl. zur fotografischen Dokumentation der Surrealismusausstellung von 1938: Görgen: „Ein Paradies der Fallen“, S. 33-41. 43 Schneede: „Das surrealistische Bild“, S. 45.
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ration der nahtlosen Integrität des Realen“44, jenem „ça a été“, und unterläuft die abgebildete Realität durch das zur Schau gestellte Oszillieren zwischen „Improvisation und Inszenierung, Planung und Zufall“45.
Abb. 2: Salvador Dalí interprétant l’Angelus, 1934 (veröffentlicht in Minotaure, Nr. 6, 1934).
44 Krauss: „Die photographischen Bedingungen des Surrealismus“, S. 114. 45 Roloff: „Einleitung“, S. 11 [kursiv im Original].
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Abb. 3: Philippe Halsman: Dalí Moustache, 1954.
Der postmoderne, von Peter Bürger rekapitulierte Vorwurf gegenüber einer wissenschaftlichen Vereinnahmung der Avantgarden auf der einen und der Ausschlachtung des Surrealismus seitens einer postmodernen Konsumgesellschaft, die sich surrealistischer und dadaistischer Verfahrensweisen billig bediene46, auf der anderen Seite, übersieht, dass es Programm einer surrealistischen ars combinatoria war, nicht nur eine (inter-)mediale, sondern auch eine thematische Zitiermaschine zu errichten. Und er missachtet, dass der postmoderne Gestus des freien Spiels mit den Fundstücken vom ‚kulturellen Schrotthaufen des Abendlandes‘, wie ihn die Nouvelle Vague bereits verinnerlichte47, seine Wurzeln im Surrealismus hat. Er vergisst schließlich – das macht Annabelle Görgen anhand der fotografischen Quasi-Dokumentation der Surrealismusausstellung von 1938 deutlich48 –, dass es den surrealistischen Fotografen weniger um eine Dokumentation im Dienste einer traditionellen Kunstgeschichte ging, sondern vielmehr um Demonstration der kollektiven Einheit und künstlerischen Abgrenzung, um Fixierung der spezifischen Atmosphäre der Ausstellung, selbst um die Durchsetzung des surrealistischen Kunstbegriffs vermittels einer selbstreflexiven Fotografie, die über das Spiel mit geweckten
46 Bürger: „Der Surrealismus im Denken der Postmoderne“, S. 38f. 47 Als „trouvé à la ferraille“ stellt beispielsweise die Off-Stimme aus Jean-Luc Godards Weekend (1967) den Film vor. 48 Görgen: „Ein Paradies der Fallen“, S. 33-41.
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Erwartungen und Enttäuschungen und wahrnehmungsästhetischen Verunsicherungen funktioniert. Letztlich ist Dalís multiple Selbstinszenierung – die bereits in sich äußerst heterogen ist – Ausdruck eben dieses Spiels mit geweckten Erwartungen an den selbstkonstruierten ‚Mythos Dalí‘ im Besonderen, aber darüber hinaus auch mit dem Gestus der surrealistischen Künstler im Allgemeinen, deren Kunst ihrerseits längst zum zitierfähigen kulturellen Repertoire geworden ist. Es ist zu fragen, ob sich Dalí über die Zurschaustellung der Theatralisierung seines eigenen Körpers, der willentlich klischeehaften Vermarktung seiner Person und seiner Werke nicht letztlich dem ‚kapitalistischen Assimilierungsdrang‘ entzieht, indem er sich im permanenten Eigenzitat, im Ausloten (post-) moderner medialer Inszenierungsformen immer wieder neu in den eigenen Schaffungsprozess integriert. Nicht zu Unrecht weist man auf die Parallelen zwischen Dalís Selbstvermarktungsmaschinerie und Andy Warhols Factory hin49, versuchen doch beide in der „Theatralisierung der Lebensform […], Leben und Kunst anzunähern, sich selbst als Kunstwerk zu inszenieren und damit die Distanz zwischen den Spielformen der Kunst und der Gesellschaft wenn nicht aufzuheben, so doch zu verringern“50. Salvador Dalís hinter seinem malerischen Œuvre zu wenig beachtete Auseinandersetzung mit der Fotografie zeugt in ihrer ambivalenten, schwer zu klassifizierenden Absicht von einer bewussten medialen Spielfreude, die auf ihre Weise geeignet scheint, das dialektische Konzept der paranoisch-kritischen Methode zu erproben, den Zusammenprall verschiedener Medien in einem gleichzeitig aktiven und automatisierten produktiven Akt festzuhalten und im scheinbar realistischen Abbild eine als Konstruktion enttarnte Wirklichkeit zwischen den kollabierenden Kategorien von hell und dunkel, Leben und Tod, Bewegung und Stillstand aufzulösen. Hinsichtlich der triangulären Struktur des visuellen Begehrens zwischen operator, spectrum und spectator, wie sie Roland Barthes für die Fotografie ausmacht51, vereint Dalí meist alle drei Positionen in seiner Person, wird er, auch hinsichtlich der späteren fotografischen Zusam49 Einen wichtigen Schritt in diese Richtung ging man mit der Ausstellung „Dalí. Cultura de masas“, die vom 06.02. bis zum 23.05.2004 von der Fundación La Caixa in Barcelona veranstaltet wurde. 50 Lommel/Roloff/Schuhen: „Intermedialität im europäischen Surrealismus“, S. 247. 51 Barthes: „La chambre claire“, S. 1114: „J’observai qu’une photo peut être l’objet de trois pratiques (ou de trois émotions, ou de trois intentions): faire, subir, regarder. L’Operator, c’est le photographe. Le Spectator, c’est nous tous qui compulsons, dans les journaux, les livres, les albums, les archives, des collections de photos. Et celui ou cela qui est photographié, c’est la cible, le référent, sorte de petit simulacre, d’eidôlon émis par l’objet, que j’appellerais volontiers le Spectrum de la photographie […].“ [kursiv im Original].
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menarbeiten, zum ‚schöpferischen Objekt‘. Dabei ist er gerade in vielen der Aufnahmen, die er mit Philippe Halsman produzierte, niemals nur spectrum, niemals nur fotografiertes Objekt. Zu sehr atmen die Fotografien Dalís ‚Stil‘ oder – im Sinne Holländers besser gesagt – seine Methode. Immer appliziert der vom Künstler forcierte Kamerablick das visuelle Begehren auf das Objekt, den Künstler selbst. Zu Unrecht, könnte man zusammenfassen, sehen viele der großen Retrospektiven zum Werk des spanischen Künstlers wohlwollend über dessen mediale Eigeninszenierung hinweg, ist sie doch durchaus als Teil seiner künstlerischen Produktion zu sehen und im Sinne des surrealistischen Ziels der Auslotung, Subversion und Substitution von Wirklichkeit und ihrer Enttarnung als Konstruktion vor allem eines: konsequent.
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Intermediale Analyse einer surrealistischen Zeitschrift, Bielefeld 2005, S. 119-140. Ochsner, Beate: „Raoul Ubac oder: Zur Defiguration der Fotografie in Minotaure“, in: Maurer Queipo, Isabel/Rißler-Pipka, Nanette/Roloff, Volker (Hrsg.): Die grausamen Spiele des ,Minotaure‘. Intermediale Analyse einer surrealistischen Zeitschrift, Bielefeld 2005, S. 119-140. Roloff, Volker: „Einleitung“, in: Maurer Queipo, Isabel/Rißler-Pipka, Nanette/ders. (Hrsg.): Die grausamen Spiele des ,Minotaure‘. Intermediale Analyse einer surrealistischen Zeitschrift, Bielefeld 2005, S. 7-16. Schneede, Uwe M. (Hrsg.): Begierde im Blick. Surrealistische Photographie, Ausstellungskatalog, 10.03.-29.05.2005 Kunsthalle Hamburg, OstfildernRuit 2005. Schneede, Uwe M.: „Das surrealistische Bild“, in: ders. (Hrsg.): Begierde im Blick. Surrealistische Photographie, Ausstellungskatalog, 10.03.-29.05.2005 Kunsthalle Hamburg, Ostfildern-Ruit 2005, S. 43-47. Sontag, Susan: Über Fotografie, Frankfurt a.M. 1980.
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Centrar la fantasía Dalí, el cine y el surrealismo A finales de los años cuarenta, Salvador Dalí vuelve a su Cataluña natal tras un largo periplo por los Estados Unidos de América, entre 1939 y 1948. Y, acostumbrado a su recurrente presencia en la prensa norteamericana, no tiene ningún reparo en activar la estrategia necesaria para que su retorno a aquella España sometida a la dictadura fascista del general Franco no pase desapercibido en la prensa del país. Esta estrategia consiste en convocar con mucha frecuencia a los periodistas para las más variadas acciones y declaraciones, y tiene un objetivo claro: conseguir que se hable de él en cuantas ocasiones mejor. Uno de los mecanismos publicitarios que Dalí utiliza con cierta frecuencia es el de anunciar sus opiniones sobre el cine del momento. Unas opiniones que solían moverse, claro está, en el territorio de la provocación. En 1952, por ejemplo, declaraba en uno de los periódicos de más tirada de Madrid: „El cine español es malo y provinciano, pero tiene una solución: yo mismo con mi cine neomístico.“ En aquellos momentos, precisamente, el pintor tenía un proyecto de película que él mismo quería llevar a la pantalla bajo el título de „El alma“, una película que, en sus propias palabras, vendría a representar una versión „de su nueva actitud ante el arte, de contenido religioso, que le ha inducido a abandonar su anterior estilo surrealista en la pintura“. Y es que, junto a las opiniones del Dalí espectador, la prensa también recogía con precisión notarial la divulgación que el artista realizaba con cierta regularidad de sus proyectos cinematográficos. „El alma“ fue uno de esos proyectos, pero no el único. En 1949, pocos meses después de su definitivo retorno a Cataluña, instalado ya en su casa de pescadores de Port Lligat, el pintor había dado a conocer un proyecto cinematográfico que se inscribía también en este nuevo período de su obra que él mismo denominaba neomisticismo: quería hacer una película que debía titularse „La carretilla de carne“. Un proyecto del que Dalí siguió hablando durantes unos cuantos años, aún en febrero de 1954 publica en la revista La Parisienne un artículo, „Mes sécrets cinématographiques“, en el que retoma y desarrolla algunas de las ideas que cinco años antes ya había esbozado. Volvamos a 1949, no obstante. Después de que tras el verano de aquel año hubiese empezado a hablar con los periodistas de „La carretilla de carne“, en el mes de octubre sabemos que el proyecto ha pasado desde el estadio de la idea (aquel estadio en el que se movía preferentemente el cine daliniano) a una concreción mayor. Así, Alberto Puig Palau tenía que ser
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el productor de la película; Paulette Goddard la actriz principal; y André Cauvin, un realizador belga, el director. La elección de éste último no era, quizás, precipitada. Dalí y Cauvin se habían conocido en Nueva York en 1943 y el cineasta acababa de recibir el Premio Internacional al Mejor Documental por su película L’équateur aux cent visages en la prestigiosa Bienale de Venecia. Al conocerse la noticia, el periodista Manuel del Arco entrevistaba Cauvin en un diario de Barcelona para saber más cosas del proyecto, pero no conseguía extraer demasiadas precisiones. Dalí había citado a Cauvin y a Puig Palau en Palamós a través de un telegrama en el que decía: „[…] nuestra entrevista en Palamós, 15 de octubre de 1949, será un suceso histórico para el porvenir del cine.“ Y, Cauvin, antes de acudir a la cita, declaraba: „Quizá habrá que centrar la fantasía un poco desbordada de Dalí.“ Centrar la fantasía de Dalí. Me parece que se trata de un diagnóstico muy acertado sobre los problemas que el artista catalán mantuvo con el cine a lo largo de toda su trayectoria artística. Sus ideas cinematográficas siempre iban por delante de las posibilidades técnicas del medio o de las capacidades creativas de sus colaboradores. No hace falta insistir: „La carretilla de carne“ nunca llegó a estrenarse; en realidad no tengo constancia que nunca se llegase a rodar una sola secuencia de aquel film que, en julio de 1949, Dalí describía de la siguiente manera: „Es un film de tipo paranoico; es la vida de una mujer que, a causa de un traumatismo inicial, un crimen en que ha sido envuelta, se refugia en el objeto – la carretilla – que protege hasta quedarse sola con él y se entrega hasta el delirio total.“ Dalí también matizaba que, a pesar de este argumento desenfrenado, en el film pretendía dar un tono objetivista al delirio: „Piense en una escena: una caravana ciclista que caen por un acantilado del cabo de Creus y por cada ciclista caído, un paraguas que cae; al final de la escena todo el panorama está lleno de paraguas y ciclistas muertos. No es la concepción brumosa de un sueño, sino la objetividad pensante de las imágenes de un sueño que pueden ser reales.“ En 1949 Dalí aplicaba una imaginación desbordante al lenguaje del cine, pero la realidad del medio siempre le pudo superar. ¿Cómo podía filmar André Cauvin esa lluvia de ciclistas que se metamorfosean en paraguas con el exiguo presupuesto con el que debía contar? Solo en una ocasión, veinte años atrás, el pintor había conseguido traspasar el límite de la cruda realidad del oficio cinematográfico. Efectivamente, en 1929 consiguió una colaboración con Luis Buñuel, entonces en sus primeros pasos como cineasta y que acabaría convirtiéndose en uno de los grandes maestros de la historia de ese modo de representación. En aquel caso, algunas de sus ideas se consolidaron en una cadena a la que Buñuel dotó de una alta carga significante. Ya lo sabemos: Un chien andalou (1929) se convirtió en un grito de alerta sobre las infinitas e inexploradas posibilidades del cine. Unas posibilidades en las que la fantasía daliniana se
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centraba, quizás en una única ocasión. Esa fantasía y esas posibilidades tenían una fuente originaria: el surrealismo.
Dalí y el surrealismo Dalí demostró a lo largo de su vida una enorme capacidad de fagocitación cultural que le permitía asimilar y reconvertir tendencias y estilos muy disímiles de su época, y aplicarlos coherentemente tanto en su obra pictórica como en su producción literaria. En el período de su irrupción en el seno de la vanguardia catalana, en 1925-1926, aproximadamente, Dalí desarrolló la poética del antiarte, extraída, en buena medida, del influjo ejercido por la revista L’Esprit Nouveau, por el dadaísmo y, sobre todo, por la influencia que Joan Miró había ejercido en ellos al proferir su famosa sentencia „Je veux assassiner la peinture“. Sin embargo, a partir del último tercio de 1927 llega un momento en que la pintura de Salvador Dalí y la poética de la antiartisticidad empiezan a ser confundidas más o menos contundentemente con el surrealismo.1 El propio Dalí salió al paso de estas confusiones. Y publicó una especie de manifiesto personal titulado „Els meus quadros del Saló de Tardor“ en el que, tras las opiniones surgidas en la prensa tras la exhibición de sus dos cuadros Aparato y mano y La miel es más dulce que la sangre en el Salón de Otoño (Saló de Tardor) en la Sala Parés de Barcelona, lamentaba „la actitud de mal fianza que, en general, ha adoptado la crítica ante mis dos cuadros, representativos de mi más reciente producción“. Y aunque seguía manteniendo públicamente su devoción por la poética de la antiartisticidad, se definía respecto al surrealismo: Mis cosas, por contra, son antiartísticas y directas, emocionan y son comprendidas instantáneamente, sin la más leve preparación técnica. […] Todo esto me parece más que suficiente para hacer ver la distancia que me separa del superrealismo, a pesar de la intervención en el hecho que podríamos denominar de transposición poética, de la más pura subconciencia y del más libre instinto.2 Así, pues, Dalí admitía que había puntos comunes entre ambas opciones: la pura subconciencia y el más libre instinto. Este posicionamiento ambiguo se mantiene durante un cierto tiempo hasta que, durante la primavera de 1928, va despejándose. En unos artículos
1
Sobre la poética del antiarte y su posterior paso al surrealismo, cf. Minguet: El Manifiesto amarillo.
2
Dalí: „Els meus quadros del Saló de Tardor“.
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publicados por el pintor en la revista L'Amic de les Arts ya encontramos citado un importante texto de Breton en el que el líder del grupo parisino „recurriendo a la analogía de los vasos comunicantes, afirmaba que la surrealidad estaría contenida en la misma realidad“. Este concepto, incluso la propia frase, sería aprovechado por Dalí en sucesivas ocasiones hasta apropiárselo en toda su dimensión. En esta misma serie de textos de alto contenido programático el pintor decía: Asesinato del arte, que más bello elogio!! Los superrealistas son una gente que honestamente se dedican a esto. […] El superrealismo expone el cuello, los otros continúan coqueteando y, muchos, guardan una manzana para la sed.3 Dalí públicamente dice sentirse algo distanciado de los surrealistas, pero les dedica unas palabras de encomio ciertamente inconfundibles. Unas palabras que se irán repitiendo e, incluso, irán aumentando. Lo cierto es que, por enunciarlo de forma drástica, Dalí es surrealista o se siente próximo al surrealismo mucho antes de que haga pública su profesión de fe. Hay varias cartas del pintor en las que se comprueba el creciente proceso de afinidad que siente por el Surrealismo.4 Se trata de un recorrido unidireccional. E inalterable. Es en ese proceso de acercamiento intelectual al surrealismo que Dalí está realizando en los últimos meses en el que hay que situar el encuentro que se produce entre Luis Buñuel y Dalí, en enero de 1929, para preparar en Figueres el guión de una película. „Hace mucho tiempo que nos habíamos propuesto lo que ahora hemos llevado a cabo. He venido expresamente a convivir unos días con el amigo Dalí para la realización del film. Ninguna otra colaboración podrá ser nunca más íntima y convergente; así, al enmendarnos o sugerirnos el uno al otro ideas o conceptos, siempre parecía una autocrítica“, manifestaba Buñuel en un periódico de Barcelona.5 Ese espíritu fraternal, sincrético, que Buñuel anuncia en sus palabras, estaba dando lugar al nacimiento de una película programática, el primer film surrealista, Un chien andalou. Precisamente, pocas semanas antes de encontrarse con Buñuel, Dalí le envía una carta a su amigo Sebastià Gasch, conspicuo crítico de arte, en la que incluye un pensamiento sobre cómo entiende las relaciones entre el lenguaje cinematográfico y el surrealismo: „Si es verdad que podemos pensar en un cine de puras imágenes
3
Dalí: „Nous límits de la pintura (I)“, „Nous límits de la pintura (II)“, „Nous límits de la pintura (III)“.
4
Se recogen algunas de esas cartas en Fanés: Salvador Dalí, y en Minguet: El Manifiesto amarillo.
5
Pujades: „Un film a Figueres.“
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surrealistas, esto tiene que ser como condición de considerarlas un intento al margen del cine existente.“6 Y, cuando ya se encuentra con Buñuel en plena confección del guión de la película, el pintor le envía otra carta a Gasch en la que podemos leer: perdona que haya tardado tanto en contestarte, estoy con Buñuel colaborando en un film que será, estoy convencido, el intento más importante del film europeo, esto no me ha dejado tiempo para nada más, además no por ello he dejado de pintar mis cuatro horas diarias.7 Fijémonos en la audacia de Dalí: „Un film que será, estoy convencido, el intento más importante del film europeo“, eso le dice a Gasch en enero de 1929, cuando Un chien andalou no es más que un proyecto, un guión literario en un estadio precoz, y que acabará sufriendo varias transformaciones. Y, sin embargo, el pintor manifiesta una firme convicción en cuanto a la trascendencia de la película en relación a la producción cinematográfica del momento. Ahora sabemos que Dalí no se equivocaba; sabemos que, aunque su afirmación pueda parecer una petulancia desmedida, si Un chien andalou no fue el intento más importante de film europeo de su época, es sin duda una de las películas más importantes que se dieron en los estertores del cine mudo. Y su fuerza hay que buscarla tanto en la sorprendente imaginación que aquel guión contenía como en la morfología que Buñuel supo aplicar en el tránsito del guión a su concreción en imágenes. El proceso de confección de la película es largo, y repleto de influencias más o menos rastreables: Benjamin Péret, René Magritte, Man Ray, Antonin Artaud, La Révolution Surréaliste… No quiero detenerme, ahora, en ese proceso tan singular, en el que Dalí tiene un protagonismo incuestionable. Hay varios motivos iconográficos o temas culturales que aparecen en el film en los que he intentado demostrar la paternidad inicial del pintor, aunque sea Buñuel quien, al fin, les dote de una morfología estrictamente cinematográfica. Me refiero a los asnos podridos, los carnuzos, las hormigas, los insectos, las posiciones y convulsiones anticlericales, los pianos, los homenajes a pintores como Vermeer o Millet y, sobre todo, al ojo seccionado con el que se abre la película.8
6
Dalí: „Carta de Salvador Dalí a Sebastià Gasch.“
7
Ibidem.
8
Todas esas cuestiones han sido tratadas en mi libro: Salvador Dalí, cine y surrealismo(s).
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Un chien andalou, o la apropiación surrealista Pero para demostrar el carácter surrealista de Un chien andalou no es necesario remitirse al análisis de su contenido. Basta con estudiar su recepción en los medios culturales franceses de mediados de 1929. En efecto, el estreno de Un chien andalou se convierte en una especie de sacudida: la esperanza de que, por fin, el cine surrealista hubiera sido concebido. Y es con esa esperanza con la que varias facciones del surrealismo – tanto la oficial como las disidentes – intentan apropiarse del film. En realidad, más que de apropiación, casi me atrevería a hablar de incautación: algunos personajes de la época ven en el film características propias e intransferibles de su particular concepción del surrealismo. Y así lo afirman en público o en privado. Ese es el caso de uno de los mayores disidentes del grupo oficial de Breton: Antonin Artaud. En efecto, en una carta que le envía a Yvonne Allendy hacia noviembre de 1929, Artaud le habla de una conexión manifiesta entre La coquille et le clergyman (1927), película dirigida por Germaine Dulac a partir de un guión homónimo suyo, y el Chien: Vitrac QUE ME CUIDA (provisionalmente, sin duda) no se mueve del medio de Prévert, Buñuel y otros antiguos surrealistas que usted no conoce. Toda esta gente, lo siento así, se agita tanto más en cuanto que reconocen todos (lo he sabido) la relación filial Coquille-Chien andalou y esta relación LES PESA.9 Artaud viene a decir en la carta que tiene constancia de que Buñuel reconoce una deuda expresa entre su film y el que había dirigido Germaine Dulac dos años antes a partir del guión del poeta surrealista. Nada sabemos que pueda certificar ese reconocimiento. Y, sin embargo, Buñuel conocía la película de Dulac puesto que se había presentado en Madrid, en una sesión de la Sociedad de Cursos y Conferencias, en marzo de 1928, en el transcurso de la cual el cineasta aragonés pronunció la conferencia „Cinematógrafo: algunos ejemplos de sus modernas tendencias“. Por otra parte, sabemos que Artaud fue de los primeros en ver Un chien andalou. En una carta que Buñuel le envía a Dalí el 24 de junio de 1929 desde París le cuenta lo siguiente: „El sábado me pidieron prestado el film para completar una sesión que organizaban en el Studio 28 Antonin Artaud y Roger Vitrac.“10 En efecto, Artaud había pronunciado una conferencia „seguida de proyecciones“ el sábado 22 de junio de 1929 en el Studio 28 de París. Ahora sabemos que una de esas proyecciones consistía en la recién estrenada Un perro andaluz y 9
Artaud: Œuvres complètes, pp. 188-189.
10 Buñuel: „Carta de Luis Buñuel a Salvador Dalí“.
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que, por tanto, los disidentes Artaud y Vitrac se habían interesado por el nuevo film. Ese interés no es de extrañar: la poética que desplegaba las imágenes de la nueva película tenía unas coincidencias innegables con las concepciones cinematográficas de Artaud, cercanas al intuicionismo, a la calidad onírica o hipnagógica de las películas. Es más: aunque aceptemos las quejas que Artaud había expuesto en contra de Dulac por no haber sabido captar en su adaptación el espíritu de su guión, lo cierto es que La coquille et le clergyman conserva buena parte de ese discurso cercano a la ilógica de los hechos que Artaud – y también Dalí – defendían para el cine. Si Artaud se había sentido próximo al discurso poético del Perro andaluz, también Georges Bataille percibió inmediatamente unas intensas afinidades con la película. Y con sus autores, especialmente con Dalí, con el que percibió una especie de parentesco intelectual insólito. En el número 7 de su revista Documents, correspondiente a diciembre de 1929, Bataille se refería a la imagen del ojo seccionado – que atribuía en exclusiva a Dalí – en un artículo entusiasta dedicado a El juego lúgubre, uno de los cuadros más rupturistas que el pintor había presentado el mes anterior en su exposición en la galería de Camille Goemans. Pero Bataille ya había manifestado un entusiasmo parecido por la película en el número de Documents correspondiente al mes de septiembre. Bataille, al que considero el disidente del surrealismo más peligroso para Breton, manifestaba una inequívoca predilección por el tono general de todo el film: Este film extraordinario es debido a dos jóvenes catalanes [sic], el pintor Salvador Dalí, de quien reproducimos algunos cuadros característicos, y el cineasta Luis Buñuel. Nos remitimos a las excelentes fotografías publicadas por Cahiers d’Art, por Bifur y por Varietés. Este film se distingue de las banales producciones de vanguardia con las que estaríamos tentados a confundirla en lo que el guión predomina. Algunos hechos muy explícitos se suceden, sin seguimiento lógico es verdad, pero penetrando tan lejos en el horror que los espectadores son atrapados desde el principio tan directamente como en los films de aventuras. Atrapados desde el principio y más exactamente atrapados hasta la garganta, y sin ningún artificio: ¿saben, en efecto, esos espectadores dónde se detendrán, ya sean los autores de este film, ya sean sus semejantes? Si el propio Buñuel, después del rodaje del ojo rasgado ha estado ocho días enfermo (él debió rodar por otra parte la escena de los cadáveres de los asnos en una atmósfera pestilente), ¿cómo no ver hasta qué punto el horror deviene fascinante y al mismo tiempo que sólo él es suficientemente brutal como para quebrar lo que ahoga?11
11 Bataille: „Le jeu lúgubre“.
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Y es que para Bataille, el horror y lo deslumbrante son la misma cosa o el anverso y el reverso de una misma sensación. Una comunión que la literatura y la pintura de Dalí de aquellos instantes también demostraba. Bataille, Artaud, dos disidentes del surrealismo institucional, querían apropiarse o manifestar una cierta proximidad con el film. También Robert Desnos, en aquellos momentos alejado igualmente de Breton, escribía poco después de su estreno parisino: „El film de Buñuel se dirige pues a los secretos mejor guardados del alma humana y se dirige a ellos poéticamente“.12 Y poco después, en un artículo sobre el cine de vanguardia publicado, precisamente, en la revista Documents, el poeta francés escribía: No hay nada más revolucionario que la franqueza. La característica de toda reacción es la mentira y la insinceridad. Y es esta franqueza que hoy nos permite colocar en un mismo plano los verdaderos films revolucionarios: el Potemkin, la Quimera del oro, la Marcha nupcial y Un chien andalou […].13 Fijémonos en que Desnos coloca el nuevo film surrealista al lado de Eisenstein, de Chaplin y de Stroheim. Nada más y nada menos, incluso desiste de situar otros films de vanguardia citados en la primera parte de su artículo, entre ellos, L’Étoile de mer, en la que él mismo había colaborado. Todos estos elogios, este apasionamiento por Un chien andalou, estos intentos de apropiación del film – o, como los he denominado antes, de incautación – tuvieron una réplica tardía desde la oficialidad surrealista. La cúpula dirigente de los surrealistas tardará en manifestar públicamente alguna predilección por el primer film de Buñuel.14 En realidad, eso no se producirá hasta unos meses más tarde cuando Breton acaba sancionando la verosimilitud surrealista de Un chien andalou al publicar el guión del film en el último número de La Révolution Surréaliste (diciembre de 1929). Y obligando a Buñuel a encabezar el guión con una nota en la que el cineasta se comprometía con el surrealismo y desautorizaba la previa aparición del guión en las páginas de La Revue du Cinéma, iniciativa 12 Desnos: „Un chien andalou“. 13 Desnos: „Cinema d’avant-garde“. 14 En la carta de Luis Buñuel a Salvador Dalí de junio de 1929 el cineasta escribe: „He conocido a todos los surrealistas que están encantados, especialmente Queneau, Prévert, Max Morise, Naville, todos estupendos y tal como nos los habíamos imaginado“. Sin embargo, no deja de ser relevante que los nombres que cita Buñuel como „estupendos“ surrealistas sean personajes o bien adscritos a la revista Documents, como Raymond Queneau, o bien expulsados del surrealismo oficialista o a punto de serlo, como Pierre Naville o Max Morise. Cf. Minguet: Salvador Dalí. Lletres i ninots.
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que él mismo había promovido. Pero eso, insisto, sucede a finales de año, cuando Artaud, Vitrac, Bataille, Desnos, y algunos otros personajes no estrictamente surrealistas han saludado la película de estos „jóvenes catalanes“, según Bataille, con la mayor enjundia y el elogio mayúsculo. ¿Dónde estaba Breton? ¿Sufría una dosis aguda de miopía cultural? Parece que no del todo. Según Georges Sadoul, Breton sí dio una respuesta oficial al film: Un chien andalou estuvo a punto de correr la misma suerte que La coquille et le clergyman […]. Durante una de nuestras reuniones cotidianas, Breton nos dijo que se anunciaba […] en el Studio 28 una película surrealista, firmada por dos desconocidos, Luis Buñuel y Salvador Dalí. Sólo se podía tratar de una vergonzosa usurpación […]. Teníamos que acabar con aquella impostura organizando una vigorosa manifestación. Dos días más tarde, Breton cambió radicalmente de posición. […] había podido ver, en Les Ursulines, durante una proyección privada, Un chien andalou. La película le había entusiasmado. Ya no se trataba de ir a silbarla, sino de correr a aplaudirla.15 Muchos años más tarde, en 1951, André Breton escribió sobre su particular historia del cine surrealista, según la cual „Un chien andalou y L’âge d’or son las dos únicas películas totalmente surrealistas.“ En este mismo texto, Breton afirmaba que, según su parecer, Un chien andalou tenía más de Dalí mientras que L’âge d’or tenía más de Buñuel. Y añadía: „En Un chien andalou, el irracionalismo más absoluto se ha convertido en amo de la calle.“16 Creo que Breton tenía toda la razón. Y entiendo que, al principio, el líder del surrealismo no mostrara una especial predilección por la primera película de Dalí y de Buñuel. En Un chien... lo que más interesa es el choque visual que pueda producir, su capacidad de soliviantar al espectador, no por su contenido social sino por la propia fuerza visual de las imágenes. Esa capacidad de molestar al público, de herir su consciente, se nutre con una visión ilógica de los hechos que se relatan. Antonin Artaud distinguía, en un poema de grandes sugerencias, entre la sensación y el sentimiento: en la primera se toma lo que viene, en el segundo se interviene sobre lo que ha llegado. De alguna manera, Dalí apostaba en estos momentos por un cine plenamente sensorial. Que relatase los entresijos del inconsciente. El pintor creía que eso era y no otra cosa el surrealismo, era el surrealismo que había aprendido en Figueres, leyendo todo lo que llegaba a sus manos procedente de París y observando todas las imágenes que podía. Y, claro está, sintetizándolo todo a su manera.
15 Cf. Guigon (ed.): Luis Buñuel y el surrealismo, pp. 15-16. 16 Vid. Yasha: ¿Buñuel! La mirada del siglo, pp. 35-36.
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Podemos saber con mayor precisión lo que Dalí pensaba sobre el cine y el surrealismo en esa época. En una carta que le envió a su amigo Sebastià Gasch, probablemente en enero o febrero de 1929, es decir, cuando Un chien andalou estaba todavía en fase de concepción, podemos leer cual es la estética cinematográfica del pintor en aquellos momentos: Pero un film absolutamente surrealista, más claramente, un film en el que se pretendiese única y exclusivamente la planificación estricta de una serie de imágenes oníricas, o de imágenes aparecidas en el cerebro de un individuo, y la tal realización se llevase a cabo con un rigor absoluto, creo que el tal film representaría una serie de logros en el campo del espíritu, seria tan antiartístico como filmar lo que encuentra el sabio en el microscopio, o el movimiento de los (*). Lo que pasa es que Man Ray (por ahora) hace un poema premeditado con material surrealista y esto es lo inadmisible. La trascripción literal del pensamiento nunca es artística, lo que la puede convertir en artística es cualquier sistema intelectual, cualquier sistema estético aunque sea aplicado a un material antiartístico, tanto si este material es el del maquinismo como el del sueño.17 Esa concepción documentalista es la que Dalí intentó aplicar en Un chien andalou, es la que intentó inculcar en Buñuel. Es la misma concepción que mostraría unos meses más tarde, cuando, con motivo de la presentación del film en Barcelona, redactó un texto que publicó el semanario Mirador en el que podía leerse: Nuestro film, realizado al margen de toda intención estética, no tiene nada que ver con ninguno de los ensayos del denominado cine puro. Todo lo contrario, lo único importante del film es lo que pasa en él. Se trata de la simple anotación, constatación de hechos. Lo que lo diferencia en un abismo de los otros films es únicamente que tales hechos, en lugar de ser convencionales, fabricados, arbitrarios, gratuitos, son hechos reales o parecidos a los reales, y por tanto enigmáticos, incoherentes, irracionales, absurdos, sin explicación. Repito, igual que los hechos reales, que son irracionales, incoherentes, sin explicación.18 En la siguiente película que Buñuel y Dalí acometerían, L’âge d’or, aún siendo consecutiva y casi diría que inmediata, muchas cosas habían cambiado. Dalí se 17 Dalí: „Carta de Salvador Dalí a Sebastià Gasch“. Los interrogantes entre paréntesis indican una palabra indescifrable en el manuscrito original. 18 Dalí: „Un chien andalou“.
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había consagrado como pintor en París, Buñuel recibiría una financiación importante para su segundo film y sería admitido como un miembro de la vanguardia parisina con el aval que le procuraba el Perro andaluz... Pero lo que a mi entender había cambiado substancialmente eran las nuevas estrategias del surrealismo oficial, dictaminadas a través del Segundo Manifiesto. Unas estrategias que serían asumidas por Buñuel de forma irrevocable. Y que Dalí admitiría solo de forma circunstancial. De alguna manera, las ideas fílmicas que Dalí exhibiría en el futuro, tras el distanciamiento con Buñuel, tendrían mucho que ver algo con el surrealismo. Con ese surrealismo de la irracionalidad, de la incoherencia y de la falta de explicación. Con esa fantasía desbocada que la técnica cinematográfica era incapaz de aprehender en su tiempo, como se lamentaba André Cauvin en 1949. Tras Un chien andalou, las relaciones entre Dalí y el cine son una lista de proyectos frustrados: varios guiones no llevados a la pantalla, como el Babaouo que publica en 1932 en París, o el que trabaja junto a Harpo Marx en Estados Unidos en 1935; proyectos no filmados, como la secuencia onírica que prepara para Moontide (1942), de Archie Mayo, o la película de dibujos animados que prepara para la Disney, Destiny (1946); o incluso, secuencias realizadas, como su famosa participación en Spellbound (1945), de Hitchcock, pero que para el pintor son un fracaso creativo puesto que, en su concreción final, no se aprovecha todo el imaginario desbordante que Dalí había proyectado… Hasta cierto punto, el divorcio entre las ideas de Dalí para la pantalla y la práctica fílmica – tan ligada a las necesidades de la industria – no es nada extraño. Para Dalí, el cine era un medio de expresión intelectual, no era en ningún caso un mero lugar para entretener al público. Por tanto, las historias frívolas de tantas y tantas películas, la adoración popular de actores y actrices propiciada por el star-system, la falta absoluta de fantasía que se percibía en el cine de su tiempo, etc., no podían entrar en la alta significación que él concedía al medio. Ya en 1928 había escrito que el cine podía archivar la realidad con mucha mayor precisión que la que proporcionan los ojos. En 1929, con su participación en Un chien andalou, intentó archivar un fragmento de esa realidad ajena a los sentidos. Pero más tarde, el Dalí cineasta no pudo volver a aflorar: sus ideas quedaron encarceladas por una realidad mucho más empírica.
Bibliografía Artaud, Antonin: Œuvres complètes, vol. III, París 1961. Bataille, Georges: „Le jeu lugubre“, en: Documents, núm. 7, XII/1929.
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Buñuel, Luis: „Carta de Luis Buñuel a Salvador Dalí“, en: Minguet, Joan M.: Salvador Dalí. Lletres i ninots. (Fons Dalí del Museu Abelló), Museu Abelló de Mollet del Vallès, Barcelona 2001. Dalí, Salvador: „Un chien andalou“, en: Mirador, núm. 39, 24/X/1929. Dalí, Salvador: Carta de Salvador Dalí a Sebastià Gasch, Figueres, 10/XI/1928, Archivo Gasch (Barcelona). Dalí, Salvador: „Nous límits de la pintura (I)“, en: L’Amic de les Arts, núm. 22, 29/II/1928. Dalí, Salvador: „Nous límits de la pintura (II)“, en: L’Amic de les Arts, núm. 24, 30/IV/1928. Dalí, Salvador: „Nous límits de la pintura (III)“, en: L’Amic de les Arts, núm. 25, 31/V/1928. Dalí, Salvador: „Els meus quadros del Saló de Tardor“, en: L’Amic de les Arts, núm. 19, 31/X/1927. Desnos, Robert: „Cinema d’avant-garde“, en: Documents, núm. 7, XII/1929. Desnos, Robert: „Un chien andalou“, en: Le Merle, núm. 10, 21/VI/1929. Guigon, Emmanuel (ed.): Luis Buñuel y el surrealismo, Museo de Teruel, Teruel 2000. Fanés, Fèlix: Salvador Dalí. La construcción de la imagen 1925-1930, Madrid 1999. Minguet, Joan M.: El Manifiesto amarillo. Dalí, Gasch, Montanyà y el antiarte, Barcelona 2004. Minguet, Joan M.: Salvador Dalí, cine y surrealismo(s), Barcelona, 2003. Minguet, Joan M.: Salvador Dalí. Lletres i ninots. (Fons Dalí del Museu Abelló), Barcelona, 2001. Pujades, J. Puig: „Un film a Figueres. Una idea de Salvador Dalí i Luis Buñuel“, en: La Nau, 28/I/1929. Yasha, David: ¿Buñuel! La mirada del siglo, Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía, Madrid 1996.
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Dalito destiné aux enfants: Destino La pensée est enfant. (Dolorès Lyotard) Il y a bien plus d’énigme dans l’ombre d’un homme qui marche au soleil que dans toutes les religions passés, présentes et futures. (De Chirico, cité par P. Eluard in Donner à Voir (1939))
Un musée dans le noir de la pupille Il y a au fond de l’œil le cercle d’un puits noir qui s’ouvre ou se ferme selon la luminosité. S’y reflète parfois en tout petit l’interlocuteur à qui l’on parle. C’est pour cette raison que cet espace de profondeur qui réduit l’autre à une miniature s’appelle la pupille, du latin puppa, qui désigne la poupée. Il prend à Dalí, ce miniaturiste (a dit Breton), la fantaisie d’animer cette poupée avec un réalisateur qui a consacré son cinéma aux tout-petits, Walt Disney.1 Je fais l’hypothèse d’une scène hors-champ, extérieure à l’histoire racontée, que j’invente car elle semble donner au court-métrage sa raison d’être. Tout, dans le parcours dansé de la figurine de Destino, nous pousse en effet à penser que la fuite de la poupée-pupille n’a qu’un seul but, l’éloigner de l’œil que la figurine excelle à esquiver. L’œil est représenté, tout comme déjà nous le voyions prendre forme et mouvement dans la scène de Spellbound conçue par Dalí pour Hitchcock à la même époque. Dalí ne perd pas de vue qu’il est au cinéma, et il a soin de mettre en abime l’œil animé qui bouge, pré-voit et coupe pour nous les plans qui se déroulent devant nous. On se souvient des ciseaux 1
Dalí dit avoir été en contact avec Walt Disney depuis 1937. Il le rencontre à Hollywood en 1945 lorsqu’il travaille avec Hitchcock. Après avoir refusé de travailler sur des feuilles d’animation, il s’exécuta et apprit le métier avec John Hench qui l’initia à la technique du dessin d’animation pendant huit mois (1945-6). Une séquence de 18 secondes fut réalisée, mais le projet fut abandonné en 1947, suite aux difficultés financières causées par la guerre. Le projet fut repris une cinquantaine d’années plus tard. Ce que peignit et dessina Dalí est estimé à une centaine de millions de dollars. Une clause du contrat précisait que la compagnie Disney ne posséderait aucun des dessins tant que le film ne serait pas réalisé. Elle chargea Dominique Monfery de la réalisation au studio Disney de Montreuil. La première eut lieu en France au festival du film d’animation d’Annecy le 2 juin 2003.
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de Spellbound ou de la lame du Chien Andalou. Destino se distingue en ceci que le principe de la coupure s’adoucit au profit de la rupture. Le personnage de la pupille se déforme infiniment, en de multiples métamorphoses, et finit par s’immobiliser dans le trou de serrure qui clôt le film sur le mode du voyeurisme, dans un dispositif à la Duchamp: à l’extérieur d’une chambre noire percée de part en part, en son fond et en sa paroi avant, d’un trou dans le mur. C’est une porte dans Etant donnés, la déchirure d’un cœur d’homme pétrifié chez Dalí. Le film, quoique veuille la poupée, où qu’elle bouge et veuille s’échapper semble en dernière instance, destiné à l’œil; destinato a oculo. Cependant, comme la vision qui nous est proposée repousse par plus d’une façon l’organe de la vue le trajet de la danseuse ne coïncide pas avec sa destination. A peine la poupée-pupille s’approche-t-elle dans un gros-plan se portant au devant de notre visage, c’est pour fermer les paupières. La nuit de l’image se fait devant nous et, en offusquant la quatrième paroi de la salle de cinéma, elle nous plonge dans le noir. Où sommes-nous? Dans le noir de cette poupée à démarche de danseuse, ou dans les yeux de laquelle le croissant de lune se déplace au rythme de ses pas, dans la même glissée rêveuse? Ne sommes-nous pas dans la nuit de création de Dalí, l’un des artistes aux yeux fermés de la fameuse photographie surréaliste,2 enfoncé, s’enfonçant lui aussi dans la nuit de l’esprit où se construit sa cosmogonie? Destino, s’agit-il d’un rêve de créateur (son caractère erratique nous invite à le penser) ou bien plutôt d’une autre manière de visiter le musée, de nuit, comme c’est devenu une habitude en France (opération „nuit des musées“). Léo Carax en a donné l’idée dans son film des Amants du Pont-neuf. Là le guide portait sur son dos l’aveugle à demi, la nuit, pour lui faire voir, disons entr’apercevoir, un visage de Rembrandt. Sa caméra entrait frauduleusement dans le musée dont le cinéaste effondrait les murs avec ses éclairagistes. Dalí confie à la fantasque, grâcieuse et gracile pupille la tâche de faire visiter son musée en extérieur, dans le paysage natal crevassé, à sec et rendu par le studio Disney de Paris. Il travaille autant à une visite fantasmagorique de son œuvre qu’à la construction fantasmatique d’un musée (qu’il réalisera d’ailleurs à Figuéres3). Au cours des envolées de la poupée, nous reconnaissons ici un Guillaume Tell, là une montre, non molle, pétrifiée mais dalinienne: on la verra couler comme un bol de lait de lune renversée, plan qui précisément chez Buñuel informe la vision d’une lune coupée d’une nue (Le Chien Andalou). On suit la figure qui court dans le musée en extérieur où bien-
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Montage de René Magritte: „La Femme cachée“.
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Sur la proposition de Ramon Guardiola en 1961. Le Téatre-Museu Gala-Salvador Dalí sera inauguré en 1974.
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tôt s’élance une haute tour toute entière rapportée d’une page d’écriture de La vie secrète de Salvador Dalí (chapitre 5).4 L’autobiographie écrite en exil américain campe elle aussi son décor dans la plaine de l’Ampurdan. L’écrivain se met en scène en petit peintre amoureux de la petite Dullita. Devant cette enfant, Dalito (comme l’appelait sa maman) jouait au diable, entendez au diabolo, un jouet en forme de sablier étranglé qu’on rattrape au bout d’une corde dirigée à l’aide de deux bâtons. Le diabolo qu’on lance des deux mains est une balle fendue que l’enfant fantasmatiquement rapporte à la taille très étroite, très érotique pour cette raison, de Dullita. Tout comme il eut le désir de pousser Gala dans le vide (à la demande de celleci: tue-moi, lui ordonna-t-elle très sérieusement), il voulut pousser Dullita (sa Gradiva) qu’il fit monter tout en haut de sa haute tour, et d’où tombe en effet la danseuse de Destino. Et c’est en la partie la plus étroite de la petite, qui donne à sa chute de reins un effet vertigineux, que le petit garçon fantasme de placer sa béquille qui s’y ajuste très exactement. Le penchant pour les petites filles, ou femmes enfants est un trait surréaliste. Cette poupée-pupille dont la taille est la cible des regards – un véritable point de mire qui appelle au crime – rappelle l’œuvre de Hans Bellmer que Paul Eluard introduisit au groupe de Paris in 1935.5 Plusieurs dessins de cet artiste montrent l’influence dalinienne, et le goût que tous deux partagent à regarder les petites filles évoluer dans leurs jeux. La double-image, trait de notre peintre, et l’attrait du crime (lisible tout au long de la première partie de La vie secrète de Salvador Dalí et repérable également dans la séquence dalinienne du film d’Hitchcock – Dalí peint la version onirique du fratricide) se retrouvent dans le dessin de Bellmer intitulé Chapeaux paranoïaques et les trois assassins de Lombroso (1941). L’adjectif du titre de ce dessin est un clair hommage à Dalí.
4
Il est intéressant de remarquer que c’est précisément ce chapitre que cite Sue Taylor dans son livre consacré à Bellmer: The Anatomy of Anxiety, p. 114. Elle rapproche la chaise que Bellmer se confectionna (à articulation Cardan) de l’installation de Dalí dans son baquet rempli d’eau de la buanderie où enfant il travaillait. Il se trouve que c’est à cette découverte que Bellmer doit ses poupées à jointures à boule, qui rend la poupée „réversible“, adjectif que Bellmer attribue au dessin très dalinien que je cite plus loin. Contrairement à ce que soutient Taylor, la régression utérine (dans la chaise Cardan, ou dans le baquet) n’est pas le seul point commun des deux artistes qui partagent des factures graphiques et des intérêts érotiques communs incontestables.
5
Bellmer s’est intéressé à la poupée dès 1933, à la vue d’une représentation des Contes d’Hoffman. En 1939, à partir des photographies de Bellmer (1936-7), Eluard publie „Les Jeux vagues de la poupée“ qui paraît dans la revue Messages. On lira ce recueil au volume 1 de l’œuvre complète du poète, parue chez Gallimard en 1968, p. 1005-10.
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Deux autres dessins6 (de 1938) présentent également des jeune-filles sautant à la corde7 (comme dans notre court-métrage) et faisant valser leur diabolo ou glissant à cloche-pied sur leur trottinette. Dalí se met dans la posture d’un narrateur se remémorant ses souvenirs d’enfance, mais il est clair que l’homme affichant en fin d’autobiographie ses quarante ans n’est pas insensible à la figure de Dullita/Lolita qu’il se plaît à mettre en scène avec ses yeux et son désir d’adulte. Ces pages ne sont pas des enfantillages et loin d’être innocentes, elles font songer au récit pédophile érotique de Rêverie8 qu’Aragon voulut censurer (Ill. 1 et 2).
Illustrations 1 et 2: De haut en bas: Bellmer, D’après Boticelli, dessin au crayon, 1938. Bellmer, Filles réversible, héliogravure, 1939.
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Bellmer, D’après Boticelli (une réfence dalinienne), illustration pour œillades ciselées en branches (1938) de Georges Hugnet, p. 9. Comme dans l’autobiographie de Dalí, la joueuse de diabolo est sur une hauteur architecturale. La seconde illustration du livre de Hugnet est une héliogravure de 1939 et s’intitule Fille réversible. On songe à la notion de „femme démontable“ de Salvador Dalí. Les orbes de la corde du diabolo et les mouvements de la trottinette sont mis en relief par l’ornementation art-déco que Dalí fut le premier à mettre à l’honneur dans le groupe surréaliste.
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Plusieurs critiques soulignent l’influence de la toile de l’artiste italien De Chirico Mystère et mélancolie d’une rue (1914), où une jeune fille fait rouler un cerceau devant elle dans une rue déserte.
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Publié dans Le Surréalisme au Service de la Révolution en 1931 (n. 4).
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De la même façon que l’arme du crime est dans La vie secrète de Salvador Dalí un jouet (une trotinette destinée à tuer Butchaquès, un diabolo pour faire tomber Dullita du Moulin de la Tour), c’est une batte de base-ball qui décapite la petite danseuse de Destino. Elle faisait rouler sa tête sur ses bras, habile à toutes les acrobaties.9 Après le coup de batte, cette tête vole en balle de base-ball et finit en un jouet pictural illusoire, coincée qu’elle devient entre les deux profils grimaçants masculins qu’elle fait coïncider, en courant le risque de disparaître.10 Elle finit comme elle a commencé: par une double image.
Un musée pour l’oreille: l’œil cloche. L’entrée originale du personnage de Destino est qu’elle figure une sortie, non de l’œil de Dalí à proprement parler, mais du nôtre, clivé à notre insu. La figurine, en effet, entre dans notre champ de vision à mesure qu’elle sort de l’horizon constitué comme une double image animée que Dalí va diviser sous nos yeux, nous donnant l’impression, que de notre propre champ de vision, une appariion se produit.11 Notre vision semble ne reposer que sur la délinéation d’une illusoire ligne d’horizon où le plan d’un fond donne forme à la figure qui est sensée s’en détacher. Dans cette image inaugurale, la hiérarchie fond/forme est pervertie tout comme ce qui, dans le court-métrage, départage la vue de l’ouïe. C’est en cela qu’elle est intéressante. La fuite de la figurine la fait monter dans une tour en colimaçon qui a toutes les circonvolutions d’une oreille. Elle croise des musiciens sur son chemin, et lorsque les yeux casqués et guerriers la menacent de leur index pointeur, elle laisse tomber son voile pour s’engouffrer dans un coquillage (une conque). Elle en tombe, et l’on croit que sa chute dans le vide va la précipiter dans le filet d’un globe oculaire tendu au bout d’une perche. Mais non, le corps
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L’idée de la décapitation que la danseuse anticipe et que le joueur de base-ball actualise est virtuellement présentée dans Le Buste rétrospectif d’une femme que Dalí présenta à la galerie Pierre Colle en 1933. Le buste de la femme porte un serre-cou dit guillotine à la mode du XIXème siècle. Ce ruban de celluloïde représente un personnage de bande dessinée démultiplié avec pour seule variante le déplacement de sa tête de gauche à droite jusqu’à ce que celle-ci se retrouve sur l’une de ses mains. C’est ici à nos yeux, par la décapitation que le principe de la coupure est présent, quoique discrètement, dans le film de Destino.
10 En 1939, le même principe de double-image scindait le corps de la „Danseuse dans une tête de mort“. 11 Selon le principe employé dans les toiles La Charette fantôme de 1933 et Le Moment de transition de 1934.
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de la figurine rebondit de justesse et la voilà qui saute grâcieusement pardessus trois récepteurs téléphoniques. Nouvel indice de la présence de l’oreille. Cet organe est formidablement présent dans le court-métrage, mais les métamorphoses sont si nombreuses, les sollicitations de notre œil si fréquentes qu’on a tendance à l’oublier. Et pourtant. L’une des images de la fin du film présente une illusion de perspective où veut s’enfoncer notre œil conditionné par des siècles de peinture classique. Contre cet engouffrement visuel, Dalí transforme le point de fuite en la source d’un tir. Du fond de l’image, comme en son début, se projette illusoirement vers nous une balle de base-ball. Si notre œil se déprend de la fascination que l’image veut exercer sur lui, s’il se prend à regarder les bords, soient les parois de la boîte de perspective, que voit-il ? Des téléphones blancs. Ce qu’on se met tout près de l’oreille pour parler à l’autre. Je ne sais qu’en penser, je ne peux pour l’instant que constater l’extrême insistance sur le téléphone qui dans cette imagerie ne se transforme jamais en homard.12 Le troisième temps fort du film, le plus célèbre, achève de nous montrer que l’œil cloche. La figurine s’approche d’une tour dont le clocher est à clairevoie. Sa longue ombre se déploie sur le sol de la peinture dalinienne toujours assimilée au paysage natal du peintre où s’étire l’ombre du clocher de l’école de la sœur de Dalí (Ill. 3). En de nombreuses toiles, ce clocher s’est fait la double image d’une petite fille sautant à la corde.13 Sa jupe gonflante est la caisse de résonnance du battant de cloche. Les bras et la corde forment l’arche du bâtiment où résonne la cloche. Dans ce film, nous voyons la figurine incarner l’ombre de cette illusion. L’image est très belle. La femme devient son ombre. Elle a, grâce à un tour de crayon, la capacité de se fondre à son ombre. Il se 12 Le motif du téléphone est l’autre élément qui montre que le court-métrage est conçu comme un compendium de l’œuvre. Durant les années de la guerre, le téléphone n’a plus la couleur érotique et fantaisiste du récepteur en forme de homard, mais prend une tonalité nettement sinistre dans diverses toiles, parmi lesquelles L’Enigme d’Hitler (1939). 13 La figurine est un élément iconographique que Salvador Dalí aime à reprendre, comme ses fourmis, montres molles etc. Son apparition date de 1935, à la faveur d’un texte de P. Eluard que Dalí illustre: Nuits partagées. Comme je l’évoque plus loin en détails, elle subit différentes mises en scène dans la peinture. Elle est ajoutée dans un panneau du Rêve de Vénus (1939), elle est au centre de la couverture de Vogue (juin 1939). Les gouaches de l’illustration du livre de Lewis Carroll (autre récit marquant l’attachement de son auteur aux petites filles – et le goût au rapetissement) la reprennent et montrent donc l’importance que Dalí accorde à la figurine que Destino met en scène. Elles furent publiées sous forme d’héliogravures en 1969, par Maecena Press (New-York). La figurine est présente dans chacune des illustrations. Elle persiste jusqu’en 1979 lorsque Dalí illustre L’Art d’aimer, d’Ovide, pour Le Centre Culturel de Paris.
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passe quelque chose de similaire à la toile peinte quatre ans après la figure de Destino, où Dalí se montre en petite fille, un gros coquillage à la main tandis que de l’autre, il/elle effectue le geste impossible de soulever la peau de la mer, pour regarder le chien couché en-dessous. Le titre de cette toile est aussi démesuré que Dalí s’y peint rapetissé en petite fille: Moi-même à l’âge de six ans quand je croyais être petite fille, en train de soulever avec une extrême précaution la peau de la mer, pour observer un chien dormant à son ombre (1950). Le chien dort à l’ombre d’une peau illusoire, celle de la surface de l’eau. Comme Catherine Millet l’a fait remarquer,14 l’enfant ne touche pas à son ombre qui, à strictement parler, s’en dé-tache. Dans la séquence de Destino, la figurine s’approche de l’ombre du clocher de la petite-sœur, elle écarte les bras, devient la forme illusoire de l’ombre de la cloche, plonge dessous, comme entrant sous son eau noire. Il ne fait pas de doute que la figure de Destino, celle de cette toile, enfin celle de Dullita problématisent la double image féminine liée à la petite sœur ou à la petite épouse comme une image du double, qui à la façon de Gradiva se dédouble temporellement dans un passé qui hante le présent. Le prénom de Dullita est en écho sonore avec le petit nom de Dalito.15
Illustration 3: Salvador Dalí: Banlieu de la ville paranoiaque-critique: après-midi sur la lisière de l’histoire européenne, 1935 (détail), huile sur panneau, 46 x 66 cm, collection privée. 14 Millet: Dalí et moi, p. 140: „Dalí en petite fille ressemble plutôt à un ange dont le corps ne touche pas son ombre“. 15 J’ai montré dans ma transcription de l’autobiographie de S. Dalí qu’une coquille de son manuscrit écrivait ainsi le nom de Dullita: Dalita.
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Les deux autres toiles où la sauteuse à la corde apparaît portent les titres respectifs d’Écho nostalgique et d’Écho anthropomorphique (1937). La dimension sonore sur laquelle Dalí insiste répétitivement la déplace du champ purement visuel qu’elle occupe lorsqu’il la désignera comme le point de fuite du Corridor Thalia de Palladio (1938). Destino, c’est mon hypothèse, continuerait la mise en fuite du pointe de fuite personnalisée de façon ludique dans la toile de 1938 et le déporterait plus encore, aux fins de le dépayser, dans un espace visuel qui ne cesse de semer des indices d’oreille.16 La conclusion de cette errance hors de l’œil est le violent retournement du point de fuite lors du tir du joueur de base-ball et la stabilisation de l’image dans le dispositif voyeuriste de la fin. Le second appel du pied de la danseuse hors de l’œil est l’ombre de sa robe qui réplique sur le sol la cloche du clocher à claire-voie. Si l’ombre est un phénomène lumineux, elle ne s’y réduit pas, surtout s’il s’agit de l’ombre d’une cloche. L’image sollicite à l’extrême l’œil du spectateur, elle est donc celle que la presse cible dans ses articles. Il est vrai que le trouble visuel de cette image insensée qui se déploie illusoirement si naturellement sous nos yeux est si grand que seul le simulacre pictural de Dalí en rend compte. Notre description ne peut que tomber à plat. Il faut véritablement voir la chose se produire sous nos yeux, il faut voir la figurine entrer dans son ombre comme dans un gant et en ressortir, en transfigurant l’ombre, en la détachant du sol, en l’animant, en l’incarnant. Ici „l’ange“ de Dalí, comme l’appelle Catherine Millet, touche terre et se fait bel et bien petite fille. Tout cela charme notre œil et donne de la chair à notre expérience de spectateur des salles obscures, aussi appelé théâtre des ombres. Cependant si le leurre affecte notre œil – et cela Dalí l’illusioniste y est passé maître –, le motif de la cloche qui attire sa danseuse telle celle de Quasimodo son Esméralda, s’impose aussi pour désigner l’un des matériaux de la peinture de Dalí: le temps. Est-ce la fonction de la vue chez Dalí ? Nous distraire du temps ? Du passage du temps ? Du temps ne cessant de nous entraver le passage ? C’est en nous présentant le progrès d’une ombre qu’un cadran solaire indique l’heure. L’insistance du temps sculpte le titre de la Banlieu de la ville paranoïaquecritique; après-midi sur la lisière de l’histoire européenne (1936) où la figurine occupe la partie centrale de la toile. Le procédé de la double image qu’exploite Destino joue de la „rime plastique“, soit des complémentarités des creux et des pleins, et de l’„espace négatif des formes“ comme les nomme l’assistant de Dalí pour le projet hollywoodien: John Hench. Les titres des deux esquisses de cette toile réalisées en 1935 mettent en relief la dimension sonore et temporelle. Afin de 16 Ajoutons à cela, la musique du court-métrage, une balade mexicaine d’Armando Dominguez, qui donne à l’œuvre son titre mais aussi le rythme des images et de ses métamorphoses.
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bien se représenter l’enjeu du motif essentiel des toiles que Destino a pour fonction d’animer (ou de ranimer, voire de réanimer au sens clinique), signalons le triptyque moins connu de 1936, simplement intitulé Paysage avec une jeune-fille sautant à la corde. L’enjeu des différentes approches picturales et graphiques est le rapport plastique qu’entretient la jeune fille avec la figure de la béquille. Dans le tryptique, la jeune-fille est traitée sur le mode de l’allégorie, et s’oppose au panneau nettement plus étroit de la figure de la vieillesse d’un couple se soutenant l’un l’autre et s’appuyant sur une béquille, tandis que de l’autre côté s’isole le village natal. C’est une manière de figurer les Trois âges que Dalí peignit en 1941 selon le procédé paranoïaque-critique. Dans l’Écho Nostalgique, Dalí rend plus complexe l’opposition arrière-plan/avant-plan de la plaine en cloisonnant cet espace de platitude au moyen d’une architecture dont la fonction semble être de jeter une ombre entre le clocher de la femme/cloche, et le motif de la sauteuse à la corde qui la répète. Selon les esquisses, Dalí la place successivement devant ou derrière cette ombre. La trouvaille de la Ville paranoïaque-critique… est d’intégrer à l’architecture le motif de la béquille présente dans le triptyque, ce qui démultiplie l’image double de femme-clocher, en une image triple, pétrifiée et en ruine (le spectre de Gradiva se manifeste ainsi par ce biais). Cette transformation est toute à fait importante car Dalí expose alors le fantasme érotique qui, dans La Vie Secrète, se joue au creux de la taille de Dullita. Ce qui travaille la double image n’est pas purement visuel mais érotique et temporel. Les dispositifs de l’image dalinienne se construisent selon le dispositif imaginaire du fantasme et de ce qui en lui relève de la répétition et de la remémoration. Le texte de Salvador Dalí par sa dimension narrative et sa dépendance formelle vis-à-vis du temps est bel et bien là pour déployer tout ce qui dans le fantasme est de l’ordre dynamique. Les montres molles le disent. Elles sont impropres à donner le temps réél mais elles témoignent d’un autre temps, celui peut-être que l’insconscient excelle à ignorer.
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Le temps de la peinture. Magog, c’est la temporalité dépeinte par Dalí (moguèg, „faire fondre“, „amollir“), le magma enivrant en quoi la mémoire pose son empreinte et pétrit ce „quelque chose qui, commun à la fois au passé et au présent, est beaucoup plus essentiel qu’eux deux“, ce que Proust qualifie dans Le Temps retrouvé d’„un peu de temps à l’état pur.“17
De nombreuses montres jonchent le film de Destino, en battent le rythme. Les images sont pulsées et propulsées et le film déploie ses séquences entre des instruments de musique et des objets qui sonnent: téléphones ou montres. Voir aussi le nombre de coups: chute de pierre de la statue du bas-relief du premier monument (pourvue d’une horloge) dont se détachera l’homme sans oublier le coup d’envoi final du joueur de base-ball. Les images sont sans cesse re-lancées et nous sommes moins dans un espace onirique de la vision proprement dite que dans un espace se faisant la résonnance du temps. C’est par cette caractéristique que nous rapprocherons Destino de deux œuvres daliniennes qui lui font suite: Autoportrait macrophotographique avec apparition de Gala en religieuse espagnole (1962) et le Ballet de Gala (22 Août 1961, théâtre de la Fenice) (Ill. 4). Dans la toile de 1962, Dalí peint un autoportrait photographique réduit à son œil gauche serti en haut par son sourcil, et en bas par l’arc de sa moustache. Au-dessus de celle-ci l’arche de la narine. Dans le coin de l’œil est peint le visage de Gala. Le blanc de l’œil gonfle sa robe de religieuse. C’est là, dans le coin de l’œil, qu’est expulsée la poupée Gala (femme de petite taille comme on sait18).
17 Zagdansky: „Signes du temps“, p. 431. 18 Ce détail est connu par les robes de Gala qui ont été conservées, mais aussi par les petits noms et diminutifs daliniens que Dalí énumère en exergue au début de sa Vie Secrète. C’est Eluard qui a laissé une description de sa femme qui va dans ce sens, dans son texte de 1926 extrait des „Dessous d’une vie“. Voir les Œuvres complètes du poète, Vol. 1, p. 204-6: „Je dépose G…sur un lit de camp et m’aperçois qu’elle est devenue toute petite. Elle sourit…ma douleur ne vient pas de sa mort, mais de l’impossibilité de pouvoir la rendre à sa taille normale, idée qui m’affole complètement.“
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Illustration 4: Le Ballet de Gala (Archives de La Fenice, Venise).
Ainsi, la figure que notre connaissance de la langue (puppa/pupille) nous faisait imaginer en hors-champ de Destino se tient tout simplement en amont de l’œuvre, au bout de notre nez (comme dans le cadrage de cet œil). Le centre de l’iris s’arrondit en montre. La pupille dorée réunit les deux aiguilles qui indiquent l’heure: douze heures vingt-cinq minutes. Par la technique qu’elle reproduit et montre à voir (les touches Benday de la photographie), la facture de la peinture se fait instantanné: autrement dit du temps déposé sur la pellicule de l’œil. L’argument du Ballet de Gala chorégraphié par Maurice Béjart (et dont le livret fut écrit par le prince Rhallys) nous entretient pareillement du temps. Comme celui-ci est très peu connu, je me propose de le raconter en détail.19 Toute l’intrigue repose sur le don d’une montre qu’une femme offre à un homme. Cette montre informe le langage amoureux du couple qui se lie aussitôt: la chaîne de montre est, dit l’homme, la corde que la femme lui noue autour du cou. À cette chaîne, son cœur est accroché. En italien les mots core, cor, 19 Signalons qu’une exposition consacrée au Ballet de Gala sera présentée lors du colloque de Cerisy-La-Salle que je dirige: Dalí sur les traces d’Eros, 13-20 août 2007.
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cordis, résonnent de très près avec corda. Son cœur souffre… tout comme ses pantalons car la montre où il l’accroche est lourde: elle vaut son pesant d’or. L’homme amoureux en perd le boire et le manger et parcourt la ville à donner l’heure, car où qu’il aille il entend: Pardon mio, que ora es ? Il a beau avoir le temps accroché au pantalon, il n’a pas le sens du rythme et la belle le montre piètre danseur. Un passo col tempo tu muover non sai, tu ne sais pas accompagner le temps du mouvement de ton pas, tu ne laisses pas le temps emporter ton pas. L’histoire se termine lorsque Perricca, déguisée en vieille dame espagnole, quitte l’italien d’opéra et demande non pas che ora è ? mais Digame, que hora es ? L’homme brandit de nouveau sa montre, et le couple se confond en quiproquos. Elle dit „neuf heures?“ (nueve), il comprend qu’ „il neige“ (nieves). „Dix heures, onze heures?“ (diès y onze?) Il croit qu’elle lui parle du poids de sa montre dans son pantalon (dix onces). Il finit par se défaire de l’embarrassante montre qu’il rend à celle qui la lui a offerte mais qu’il n’a pas reconnue. Un doute, in extrémis, le saisit , il lui demande de se dévoiler et comprend alors que derrière la face de la montre, comme on dit en anglais, se cachait une „méduse“. Le texte italien parle d’une „harpie“. Dalí a été très sensible à l’argument du ballet auquel il a travaillé de très près contrairement à ses expériences antérieures avec Massine, par exemple. Le Ballet de Gala est le seul spectacle auquel il travailla et assista. Un des panneaux du décor qu’il réalisa fut une gigantesque montre molle qui en pivotant montrait en son verso un œil d’où sortait la ballerine (la pupille). Soit l’image que nous formulions par hypothèse avant de découvrir que Dalí la mettra en scène20 (Ill. 4). Si j’insiste sur la teneur du livret, c’est qu’une page de La Vie secrète de Salvador Dalí le joue bien à l’avance mais en inversant le rôle des protagonistes. Sous la plume dalinienne, ce fut un homme, le peintre, qui offrit à sa femme une montre appelée: La persistance de la mémoire (1931). Cette anecdote est connue, car elle est citée à l’excès, systématiquement sortie de son contexte et charcutée par les critiques d’art. Qu’on me permette de la citer dans son intégralité telle que je l’ai transcrite d’après les manuscrits originaux de S. Dalí21 (Ms 1397-1400): Gala, au lieu de m’endurcir comme la vie l’aurai voulu il reussi venai de / a me/ construire, avec la salive petrifiante de son fanatique devoument, une coquille, pour protege, la nudite tendre du Vernard
20 L’image de la ballerine sortant de la pupille frappa de nombreux photographes et elle est citée dans toute la presse de l’époque. 21 Voir mon édition critique de La Vie secrète de Salvador Dalí, d’après les manuscrits de Salvador Dalí et de Gala de la Fondation Gala-Salvador Dalí.
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L’Ermite22 que gete; de façon que pendan que en raport au monde exterieur, ge prenai de pl’us en plus les aparences du forterese; a linterieur moi meme ge p ge pouvai a continuer a vieillir, dans le mou, le et le super mu, et le jour que ge decida de peindre des montres23, ge les peigni molles ce fut un soir ou ge me s’entai fatigai et ce qui et extremement rare chez moi jAvais mal un peu de mal a la tete, nous devions sortir au cinema avec des amis et au dernier moment ge decide de ne pas i haller, Gala les aconpagnerai sortirai avec eux et moi ge restere a la maison pour me couche tot; nous havions fini notre repas avec du camembert tres fait; et une fois tout le monde fut parti, ge restai encore, l’ong temps assis a table en train de reflexir sur les problemes fhilosofiques du „super mou“ que le fromage que jAvais en ma presence posse a mon esprit; ge me leve, et rentre dans mon atelier /et alume la lumiere/ pour selon mon abitude doner un coub deill final au tra avan d’aller dormir au tableau que getais en train de peindre; ce tableau represente un peisage pres de Port lligat, les rochers des qu’els etai eclaires par une lumiere transparente et melancolique de fin de jour; /au premier plan un olivie coupe, et sans feilles/ ge s’avais que l’envience que ce p avou /avec/ ce paisage javais reussi a creer deve servir de fond a quelque idee, a quelque himage surprenante, mai ge ne s’avais pas du tout la quelle, jAller deja eteindre la lumiere pour repartir qu’an come avec la instantanement ge „vis“ la solution; ge vis 2 montres molles, l’une delles pendu l’amentablement a l’a branche de l’holibie _ Malgre que le mal de tete avait augmente jusqua devenir tres penible; ge prepare avec avidite ma palete, et ge me metai a l’eubre; qu’and Gala revint du cinema au but de 2 heures; Le tableau qui devait etre l’un des mes plus fameux, ete terminai; ge la fis asoire devant et ferme les ieux; oubre les 1 2 3 un deux troi! oubre les ieux; ge regarde fixe le visage de Gala; et ge vis sur lui la contraction inconfondable de l’etonement /emerveille/, getais / donc par cela/ conveincu de l’eficacite de mon ma nouvelle himage, car gala ne se trompe jamais devant un brai /face a l’autenticite d’un/ enigme _ Ge
22 Cette identification fréquente de Dalí est l’image inversée de l’écorché, qui est la figure de l’écrivain dans La vie secrète de Salvador Dalí. La figurine de Destino prend la pose du mollusque parasite lorsqu’après avoir échappé à l’œil elle s’endort dans un coquillage. 23 Le „super-mou“ me semble très proche de la notion hébraïque du temps que développe Zagdansky citant Proust à qui Dalí renvoie aussi le lecteur de ses Cinquante secrets magiques. L’évocation du fromage a de plus des enjeux esthétiques car Dalí sait parfaitement que la forme est l’étymologie de l’ancien-français formage. S’il est un artiste qui a introduit le mou dans l’histoire de l’art, c’est bien lui, bien avant César, Beuys ou Kiki Smith (malgré le peu de place – à peine une phrase – que lui accorde André Fréchuret dans son Histoire de la sculpture: Le mou et ses formes.
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lui demande pense tu que dans trois ans tu hauras oublie cette himage la? _ persone peu l’ublie, une fois vu _ alors /alons/ a al’ons dormir /ge tres mal a la tete, ge vais prendre un peu d’Aspirine/; quesque cet que l’on a jue au cinema, cette bien?...ge se pas, ge ne m’en soubien plus! javais le meme matin reçu une letre de „refus“, d’un /maison cinematografique/ petit escenario24 pour un film que jAvais l’aborieussement prepare, et qui etai un resume le plus frapant posible de toutes mes idees; ge conprenant l’obget informe du sens negatif de la letre de celle ci; m le mauvais humeur qui me causse le mal a la tete et le contentement de venir de finir inesperement un nouveau tableau /motive un etat d’inquietude qui/ me pousa a la relire atentivement une fois dans mon lit; apres avoir dit accepte que les idees de mon escenarios etai tres interesantes trop interesantes, on declare categoriquement que le film que j’Avais progete n’etai pas fet pour le „pas public“ et inposible a „comercialisser“, le public n’aime pas etre boulebersse a „un tel poin“ dans leurs /ses/ abitudes, mes himages etai si etranges que l’on ne pourrai plus apres, se souvenir de ce que l’on aurai vu! au bout de quelques jour un oisseau venu d’Amerique achete mon tableau de „montres molles“ que jAvais babtisse du titre „La persistance de la memoire“ cet oisseau /portai des grandes eles noires, come celles des anges du greco et que l’on ne voaAye pas; et etai abillet dans un conplet de [toil?] blanc, et un chapeau de panama que l’on voAye/ Julien lewy25, lequel devai devenir par la suite celui qui halle decoubrir mon art aux Etats unis _ Il m’avoA qu’il considere mon euvre encore tres extraordainire, mai qu’il l’achete pour ca propre maison /la propagande/ et pour le montrai dans ça propre maison, car il le considere /pas publique et/ invandable“ _ il fut neamoins vendu et revendu, jusqu’a reste definitivement acroiche aux murs du musse d’Art Moderne _ et sans aucun d’ute fut le tableau qui hu un plus total „succes publique“ ge le vus plusieurs fois recopies a la main en province, par des peintres amateurs, et d’apres des photos blanc et noir, et donc avec des /les/ couleurs /des plus/ fantaisistes; et cela servant pour atire l’atention, dans les etalages de legumes butiques de legumes, ou d’utills de conplets! /de butiques d’ameublement au bout de quelque temps ge devais assiste par hassard dans /par hazart a/ la progection un lamentable film comique, d’ans le quel on venai d’utilisse sans m’en prevenir, d la plus part de mes idees que l’on m’avait refusse; 24 Dalí fait probablement allusion au scénario Babaouo, écrit en 1932, et réédité en version diplomatique en 1978. 25 Julien Lévy.
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cete idiot, mal fet, et ineficace; et ce n’etai pas non plus public /un desastre/ les „idees“ pansege son fetes pour etre „gaspilles“ mai cet toujour les profiteurs qui en creven!; car souvent elles leur fond explosion entre les /leur propres/ mains, avant /que/ la previv „premiere“ e hu pu avoir lieu; aussi le jour que l’on viendra enfin me proposer a moi meme d’allumer la meche de mon espectacle /integrall/ je pourrai conte avec le prestige des eros morts pour moi, et qui /en realite ne/ voulurent /que/ m’afame; come /ainsi que/ la feme modern estil de la couverture du dictionaire Larousse ge diss prononçais tout en souflant sur la fleur de mes idees /dangereusses/; ge s’eme a tout vent mai ma generosite etai celle des germes virulents; ON nimite pas inpunement Salvador Dali; /car/ celui qui fait du Dali, en meurt! _ Vole, escroque, imitai plagie; [Je souligne, F.J.-L.] Ce qui est frappant dans cette longue page est bien évidemment la présence du cinéma: les montres se peignent après-coup, dans le temps exact de la durée du film que voit Gala. Si Gala ne se souvient plus du film qu’elle vient de voir, la toile de Dalí, justement appelée Persistance de la mémoire, elle s’en souviendra toute sa vie, dit-elle. Et c’est à ceci qu’on reconnaît la valeur d’une toile dalinienne: c’est une énigme mémorable. Enfin, la peinture se termine tandis que la lettre de refus d’un de ses scénarios (Babaouo, vraisemblablement) tracasse l’artiste et lui donne mal à la tête. La toile fait une impression sur la mémoire de Gala, et lorsque le peintre relit la lettre de rejet de son scénario, il lit (ou interprète) que ses images sont trop fortes pour faire une impression durable sur le spectateur. Elles ne peuvent s’inscrire dans sa mémoire consciente mais elles sont néanmoins là. Ce sont, autrement dit, des images subliminales. Dalí en fait la démonstration en montrant comme sa toile hante la mémoire populaire, qui en a donné les reproductions les plus fantaisistes. Il ne cessera en effet de voir cette toile, de la re-voir travestie de toutes les façons et déformée à cause de sa reproduction photographique en noir et blanc. La peinture est cernée par la photographie de toutes parts. Un seul homme (à part Gala) la voit, qui introduira la peinture de Dalí aux États-Unis: Julien Levy. Les toiles de Dalí, Julien les vit. Son nom est de bon augure. Il est un ange dont „on ne voit pas“ les ailes, dit l’écrivain. Le scénario qui se joue est qu’on voit Dalí mais on ne veut pas le montrer (cinéastes, galiéristes). Cependant, avant qu’il soit montré, il est vu et pillé ; y compris par la critique qui ironiquement pille à l’endroit du texte où Dalí dénonce le pillage. Cette critique est vraiment aveugle. Dalí la dénonce en s’identifiant à la femme du dictionnaire Larousse qu’on dilapide à tous vents, dit-il. Il se trouve que la tête pissenlit26 est une des méta26 Je n’ai pas ici la place de commenter ce détail important de la figurine de Destino. J’ai montré dans l’introduction de ma transcription de La vie secrète de Salvador Dalí
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morphoses de la figurine de Destino. Et c’est à la faveur d’un film comique ridicule, dont Dalí ne se souvient plus le titre, qu’elle surgit dans la page. Il est inutile d’insister sur le fait que ce projet cinématographique de Dalí lui permet de régler des comptes. D’une certaine façon Dalí qui sait l’importance de sa peinture attend son heure, et c’est ce qu’il peint. J’attends, ma femme voit, Julien vit, et vous finirez bien par voir vous aussi, car avant même que vous voyez, cela est déjà inscrit dans votre mémoire, à la façon du déjà-vu freudien. Exactement comme j’ai „vu“ instantanément la figurine de la danseuse de Destino comme une figuration animée et cinématographique de la pupille. Je n’ai fait que voir ce qui fut montré plus tard dans un autre contexte de danse. Cette image à laquelle je n’ai pas prêtée attention est présente dans le catalogue de Robert Descharnes qui l’étale sur deux pages! Et peut-être que la scène a été pensée par Dalí à l’époque de Destino et qu’en allant fouiller en Californie les archives de WaltDisney, je la trouverai comme je l’imagine. Ce qu’on trouve à Barcelone parmi les rares archives que publia Fèlix Fanés dans le catalogue de son exposition Dalí, la culture de masse27 est un auto-portrait de l’écrivain la tête coupée (Ill. 6). Le clivage de la double image de la danseuse entre deux profils fonctionne comme un couperet. La décapitation est un autre fantasme que j’ai pressenti, aussi masqué soit-il. Des 22 toiles et 135 dessins que réalisa Dalí, il ne reste dans le film de 2002 que 5 toiles originales (transformées d’ajouts d’images digitales qui corrompent la planéité des images originales). On sait aussi que comme Dalí abandonna le projet, son story-board, a déclaré David Stainton, est incomplet. Qu’importe, l’incomplétude de l’œuvre a son sens puisque les images de Salvador Dalí, en surréaliste qu’il fut, se fomentent autant sur la toile que dans son imagination et dans ses textes.
que la femme du dictionnaire Larousse dans son alliance au pissenlit est une figure d’identification à la figure de Dalí écrivain. J’en donne aussi la démonstration dans mon article à paraître en 2007 aux presses de Pennstate University: „Dalí, the apory of birth“. 27 Dalí: mass culture, exposition organisée la Fondation La Caixa, La Fondation Gala-Salvador Dalí et le musée national de Centre d’art de la reine Sofia, 2004 sous la direction de Felix Fanés, p. 107. L’autoportrait de Dalí écrivain décapité est reconnaissable à sa moustache, mais aussi à ce que sa tête sort de l’encrier, fidèlement au portrait d’un autre écrivain, Montaigne, dont il a illustré Les Essais en 1947 (année de Destino). La carapace de tortue est également un trait narcissique, elle renvoie non seulement au à l’exosquelette (comparable au Bernard-l’hermitte), mais aussi au commerce familial de la branche maternelle, qui fut le premier à fabriquer et vendre des objets réalisés en écorce de tortue, comme le signale Ian Gibson au début de sa biographie de Salvador Dalí (1997).
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Illustration 5: Dalí sautant à la corde au Parc Güell, photographie prise en 1952, par Català Roca.
Illustration 6: Etude pour le film de Destino, 1946, crayon sur papier, 20,3 x 22,8 cm, collection privée, courtesy de la Galerie Manuel Barbié, Barcelone.
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Bibliographie Dalí, Salvador: La vie secrète de Salvador Dalí. Suis-je un génie?, édition critique des manuscrits originaux de la Vie de Salvador Dalí, de Gala et Salvador Dalí établie par Frédérique Joseph-Lowery, Lausanne 2006. Dalí, Salvador: Babaouo, (version diplomatique), Barcelona 1978. Eluard, Paul: „Dessous d’une vie“ (1926), in: Œuvres complètes, vol. 1, Paris 1968, p. 204-6. Eluard, Paul: „Les jeux vagues de la poupée“, in: Œuvres complètes, vol. 1, Paris 1968, p. 1005-10. Fanés, Fèlix: Dalí: mass culture, exposition organisée la Fondation La Caixa, La Fondation Gala-Salvador Dalí et le musée national de Centre d’art de la reine Sofia, 2004. Fréchuret, André: Le mou et ses formes, Paris 2004. Joseph-Lowery, Frédérique: „Dalí, the apory of birth“, à paraître en 2007 aux presses de Pennstate University. Magritte, René: „La femme cachée“, in: La Révolution Surréaliste, n. 12, 1929. Millet, Catherine: Dalí et moi, Paris 2005. Taylor, Sue: The Anatomy of Anxiety, Cambridge Mass./London 2000. Zagdansky, Stéphane: „Signes du temps“, in: Fini de rire, Paris 2003.
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Giraffes on horseback salad – Dalí schreibt ein Drehbuch für die Marx Brothers Für Felix Ein Zuckerwürfel auf der Kinoleinwand kann größer werden als die endlose Perspektive gewaltiger Gebäude. (Dalí)
Dalí und die Marx Brothers: Stars waren sie alle – und Meister der Selbstinszenierung auch. Im Jahr 1936 reiste Dalí zum zweiten Mal in die Vereinigten Staaten. Offizieller Anlass waren zwei Ausstellungen, eine „Fantastic Art: Dada and Surrealism“ im Museum of Modern Art in New York, die andere bei seinem Galleristen Julien Levy, ebenfalls in New York. Dalí erhoffte sich von der Reise aber auch einen größeren Bekanntheitsgrad auf dem amerikanischen Markt. Im Januar des Jahres 1937 wandte er sich der Ostküste zu auf der Suche nach neuen Aufträgen, aber auch um die Berühmtheiten Hollywoods kennen zu lernen, allen voran die Brüder Marx (insbesondere Harpo), die zu seinen persönlichen Favoriten zählten, seitdem er in Paris ihren Film Animal Crackers (1930) gesehen hatte. Der Film war ihr zweiter Langfilm und basierte auf einem Bühnenstück von 1928, das keinem Plan, keiner Abstimmung folgte und doch – oder gerade deshalb – bereits auf der Bühne sehr erfolgreich war. Auch der Film avancierte zu einem Publikumserfolg, Groucho-Sprüche und das Lied Hooray for Captain Spaulding wurden allerorten zitiert. Aber die Marx Brothers waren nicht nur auf der Leinwand Meister anarchischer Komik, sondern wussten auch außerhalb der Leinwand zu provozieren. Auf der Premierenparty für Animal Crackers warfen Groucho und Chico die Speisen vom kalten Buffet auf das Garagendach unter ihrem Hotelzimmer und schoben mit Unterstützung von Harpo das Klavier zum Fenster, um es ebenfalls aus selbigem zu stürzen. Einmal schickte Harpo eine Stripteasetänzerin ins Büro des MGM-Produktionschefs Louis B. Mayer – während dieser eine Unterredung mit Hollywoods oberstem Moralwächter Will Hays hatte. Häufig ist im Kontext der Späße der Marx Brothers von „undomestizierter Triebhaftigkeit“ die Rede.1 Es ging den Marx Brothers stets darum, die Ordnung auf den Kopf zu stellen, Regeln zu übertreten, Grenzen des Anstands zu missachten, andere mit ihren Späßen zu brüskieren – und zu provozieren. Rainer Nolden schreibt in seiner Marx-Brothers-Biographie: 1
Brandlmeier: Filmkomiker, S. 83.
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Damit unterschieden sie sich deutlich von ihren Kollegen […]. Ihnen fehlte die Sentimentalität Charlie Chaplins, die Melancholie Buster Keatons und die Naivität Harry Langdons. […] Die Marx Brothers waren unbarmherzig, hinterlistig, gemein, böse, ehrlich bis zur Brutalität und destruktiv in einer Weise, die jedes bis dahin denkbare Maß übertraf.2 Und Norbert Jochum konstatiert: Einen Film der Marx Brothers richtig gesehen zu haben, heißt: In Zukunft misstrauisch sein, den Menschen, den Dingen, den Wörtern, vor allem aber den Beziehungen der Menschen zu Dingen und Wörtern gegenüber.3 Vorherrschend ist die Lust am Spiel, an der neuen Kombination von Wörtern, Begriffen und Lauten, an sexuellen Anspielungen und bildlichen Ambiguitäten, aber auch an infantilen Späßen und grotesken Einfällen, wie besonders Harpo Marx sie pflegt. Während Groucho seinen Wortwitz entfaltet, lässt Chico nur ein rudimentäres Beherrschen der Sprache erkennen. Doch ist er es, der zum Übersetzer von Harpos Pantomimen wird. Harpo kommuniziert mit Hilfe von Gebärden, Mimik, Fahrradklingeln, Hupen, Topfdeckeln, er schüttelt das Absurde buchstäblich aus dem Ärmel seines überdimensionierten Mantels. So verbinden sich screwball-comedy-artiger Dialog mit der stummen Slapstickkomödie, Körpersprache mit Wortwitz. Harpo ist auch ein Bindeglied des medialen Umbruchs vom Stumm- zum Tonfilm. Bei all dem geht es nicht zuletzt um De(kon)struktion: Wenn alle Intrigen nicht weiterhelfen, alle Späße und Derbheiten, dann hilft nur noch die Destruktion der Gegenstände selbst. Kein Wunder, dass sich Dalí für die Komik der Marx Brothers begeisterte. Insbesondere der stumme Harpo – so genannt, weil das mit ihm assoziierte Musikinstrument die Harfe war – inspirierte Dalí. Durch Dritte kam ein Kontakt des katalanischen Malers mit den amerikanischen Slapstickstars zustande, und am 31. Dezember 1936 schickte Harpo Dalí ein Telegramm, in dem er mitteilte, er sei hocherfreut, von Dalí gemalt zu werden.4 Harpo war für den spanischen Meister der surrealistischen Kunst ein Gespenst, kein Phantom. In seiner Zuordnung, wer zu den Gespenstern, wer zu den Phantomen zu rechnen sei, ordnete er Picasso, Gala, Harpo Marx und Marcel Duchamp in die
2
Nolden: Die Marx Brothers, S. 102.
3
In: Tagesspiegel, 7. September 1979, zitiert nach Nolden: Die Marx Brothers, S 103.
4
Descharnes: Dalí, la obra y el hombre, S. 158.
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Kategorie der Gespenster ein. Das Gespenst stand für Zerlegung, Zerstörung, irisierende Schnelligkeit. Das Gespenst war der „Spender von Licht und Stimmung.“5 Es war vor allem der stumme, Harfe spielende Harpo mit seiner verstörenden Poesie der Dinge, der Dalí inspirierte. In seiner Zuordnung, was surreal sei und was nicht, schrieb er: Einer der Marx Brothers, der mit dem lockigen Haar, verweist sowohl am Ende des Films [gemeint ist Animal Crackers, kvh] wie auch in dem viel zu kurzen Augenblick, wo er endlos Harfe spielt, mit seinem Gesicht überzeugenden triumphierenden Wahnsinns, Charlie Chaplins unendlich prosaischen Blick am Ende von Lichter der Großstadt […], hinter den Horizont literarischer Initiationen in den psychologischen Pseudo-Transzendentalismus.6 Kein Wunder, dass ausgerechnet Harpo ihn zu seinem filmischen Traumspiel inspirierte: Äußerlich der Engels- und Kindgleiche, der in bester romantischer Tradition seiner Äolus-Harfe die Eingebungen seiner Kunst zu verdanken schien, war er doch zugleich wohl der Marx Brother, dessen Späße häufig am wenigsten dem Gesetz von Anstand und Vernunft, sondern eher einem sadistischen Impuls zu folgen schienen: Harpo, eine Figur, die gleichsam freien Zutritt zum Imaginären, zum Unbewussten zu versprechen schien. Dass Harpo in Wahrheit nicht stumm war, daran wollten viele nicht glauben. Trotz der zahlreichen Tondokumente, die er in Umlauf brachte und die seine Stimme hörbar machten. Zu hartnäckig hielt sich der Mythos, Harpo sei in Wahrheit stumm – nur durch seinen Körper und die Stimme seiner Harfe könne er sich mitteilen. Bei seinem Besuch überreichte Dalí Harpo eine stacheldrahtbesaitete Harfe, eingewickelt in Zellophanpapier. Das Geschenk verweist auf das Spiel mit Objekten, mit Alltagsgegenständen, wie sie sowohl für die Poetik Dalís als auch für die der Marx Brothers zentral war. Das kreative Spiel mit Objekten legte jene poetische und destruktive Kraft frei, wie sie vor allem für die fünf Filme, die die Marx Brothers für Paramount drehten, zentral war. „Irrsinnige Komödie“ nannten die Marx Brothers selbst ihre Kunst. Zum Markenzeichen insbesondere der frühen Marx Brothers-Filme zählten zahlreiche ungereimte Absonderlichkeiten, die Dialoge sind zusammenhanglos, was ihre besondere Komik ausmacht. In einer Filmszene steht Harpo – anstelle der „Figur der bürgerlichen Tugend“ auf einem Brunnen und spuckt symmetrische Muster, bis ihm einige Fische aus dem Mund springen.
5
Dalí: „Der neue Anstrich des gespenstischen Sex-Appeals“, S. 235-239.
6
Dalí: „Babaou“, S. 113.
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I have come to Hollywood and am in touch with the three great American surrealists – the Marx Brothers, Cecil B. DeMille and Walt Disney, 7 schrieb Dalí 1937 an seinen Freund André Breton. Er zeichnete Harpo wie einen Engel – mit einem Kindergesicht und Engelslocken, vor sich die Harfe. Nichts, höchstens das sardonische Lächeln scheint anzudeuten, dass er zuvor wie ein Derwisch Blondinen gejagt, Kleider zerschnitten und Inneneinrichtungen demoliert hat – oder genau dies bald wieder tun wird. Zerstörung und Poesie, diese Gegensätze werden, so Nolden, am eindrucksvollsten von Harpo verkörpert, „dem bösartigen Troll mit dem engelsgleichen Lächeln.“8 In der Zeichnung, die Dalí von Harpo anfertigt, ist jedoch vor allem der märchenhafte Aspekt Harpos betont, der Dalís Ansicht zufolge Teil dieser „altmodischsten der zeitgenössischen Persönlichkeiten“ war.9 Dalí hat seiner Faszination für die Marx Brothers und insbesondere Harpo immer wieder Ausdruck verliehen. In seiner Betrachtung über den Surrealismus in Hollywood feiert er Harpo als „die faszinierendste und surrealistischste Persönlichkeit Hollywoods. In dem Kurzporträt, das er hier von ihm erstellt, sind zahlreiche Elemente vorhanden, die Harpo in einen surrealistischen Kontext stellen. Er schildert eine Begegnung mit dem Filmstar in dessen Garten: „Er war nackt, trug eine Krone aus Rosen und stand mitten in einem echten Wald aus Harfen […]. Wie eine neue Leda streichelte er einen blendendweißen Schwan und gab ihm eine aus Käse geformte Venus von Milo zu essen, die er durch die Saiten der nächststehenden Harfe rieb.“10 Der Text verrät sehr viel von dem Blick Dalís auf Harpo. Während der Sitzungen muss Dalì, der zeitlebens fasziniert war von der Technik des Fotografierens ebenso wie von der des Filmens, auf die Idee gekommen sein, auch ein Drehbuch für die Marx Brothers zu verfassen. Schon in einer frühen Betrachtung zum Film schreibt Dalí ein Manifest gegen den künstlerischen Gestus beim Filmen und für einen anti-künstlerischen, der in gewisser Weise bereits seine spätere Faszination für die Filme der Marx Brothers erklärt: Die Welt des Films und der Malerei sind sehr unterschiedlich; und die Möglichkeiten der Fotografie und des Films liegen gerade in dieser unbegrenzten Phantasie, die aus den Sachen selbst entspringt. In den 7
Zitiert nach Silverman: „Disney Animates Dalí’s Flick“.
8
Nolden: Die Marx Brothers, S. 121.
9
Dalí: „Der Surrealismus in Hollywood“, S. 359f.
10 Ebd., S. 359.
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anderen mehr oder weniger künstlerischen Kinoproduktionen sind die Elemente der Ermüdung, der Langeweile und der Freudlosigkeit, die für das künstlerische Faktum typisch sind, unübersehbar; nur das anti-künstlerische Kino und besonders das komische Kino produziert jedesmal bessere Filme, die voller nie dagewesener, äußerst intensiver und lustiger Emotionen sind.11 Hervorzuheben an dieser Äußerung sind drei Elemente, die uns im Folgenden weiter beschäftigen werden: „die unbegrenzte Phantasie, die aus den Sachen selbst entspringt“, die Poetik der Objekte auf der Leinwand ohne literarischkünstlerische Überfrachtung und ein Plädoyer für die Freude, für das komische Kino mit seinen intensiven aber auch lustigen Emotionen. Schaut man sich das Drehbuch zu dem Marx-Brothers-Film genauer an, fällt auf, dass es gerade diese Elemente sind, die den gesamten Film strukturieren: Die poetische Autonomie der Dinge, lustvoll in Szene gesetzt, eine Freude an der Komik. Ein Plädoyer für die kleinen Dinge „still wie ein Brot“.12 Entstehen sollte ein antikünstlerischer Film „fröhlich, klar, sonnig, Produkt höchster Sinnlichkeit“.13 In Harpo Marx und den Filmen der Marx Brothers sah Dalí das Irrationale am ehesten verwirklicht. Er setzte ihre anarchischen Komödien ab von Filmen, die, wie er schrieb, unpassenderweise als Filmkomödien bezeichnet wurden, aus dem einzigen und unzureichenden Grund, weil sie im allgemeinen Gelächter hervorrufen, ein ganz besonderes Gelächter, das nicht etwa die wohlbekannten Tränen miteinschließt, die dieses Lachen angeblich überdecken soll, was eine erbärmliche, schiefe, von Schweinen wie Bergson noch bekräftigte Erfindung der Literaten ist, die somit jedes Lache, Bajazzo, propagieren.14 Diese Art der Komik, zu der er Filme von Sternberg ebenso zählte wie solche von Chaplin, Stroheim, Pabst galt ihm nichts. Nur die Filmkomödien mit einer irrationalen Tendenz waren seiner Ansicht nach wahrhaft poetisch. Filme von Mack Sennett, von Harry Langdon oder vor allem der Marx Brothers. In ihrem Film Animal Crackers sah Dalí den Höhepunkt in der Entwicklung der Filmkomödie erreicht. Es waren die destruktiven Späße der Marx Brothers, die ihn anzogen, ihre nicht von der Handlung motivierten sadistischen Impulse, die
11 Dalí: „Kunst-Film – Antikunst-Film“, S. 33. 12 Dalí: Gesammelte Schriften, S. 60f. 13 Dalí: „Kunst-Film – Antikunst-Film“, S. 33. 14 Dalí: „Babaou“, S. 111.
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Eigendynamik einzelner Nummern. Ihre Komödien galten ihm als Beispiel für den Kulminationspunkt eines in allen Filmkomödien latent vorhandenen Verlangens nach systematischer konkreter Irrationalität, ein Verlangen, das immer mehr auf Rechtfertigungen, Vorwände, subjektiven Humor usw. verzichtet, auf diese mildernden Umstände also, die verhinderten, daß man sich ihre heftige geistige Qualität, durch die sie zu Tendenzfilmen werden, bewußt machen.15 In Animal Crackers sah Dalí eben jene „hartnäckige und geisttötende, kalte und durchsichtige Ansteckung“ verwirklicht, die wahre lyrische Bestürzung markiert. Frida Grafe schrieb einmal über das Kino Fritz Langs: Dass durch das Kino die Dinge anfingen sich zu bewegen, wirkte wahrscheinlich nachhaltiger als der Umstand, dass die Darstellung menschlicher und tierischer Bewegung – der alte Traum der Malerei – möglich wurde.16 So sind es besonders im Stummfilm aber auch im frühen Tonfilm häufig die Objekte, denen ein zentraler Status zukommt. Die Slapstickkomödie, wie sie von den Marx Brothers gepflegt wurde, ist allzu oft ein einziger endloser Kampf gegen Objekte, aber auch ein Hort ihrer kreativen Umdeutung. Den Objekten wird dabei eine Funktion als Akteur zugeordnet, insbesondere in surrealen Darstellungen verselbstständigen sie sich. Die Objekte machen sich nicht nur an den Menschen heran, sie verdrängen ihn häufig auch aus seiner Subjekt-Position. Während Harpo in Go West im Schreibtisch eines Saloonbesitzers nach einer Urkunde sucht, verselbstständigen sich plötzlich die Schubladen: Schiebt er eine zu, geht eine andere wie von selbst wieder auf. Und in The Big Store (1941) führen Küchen- und Bürogeräte ein wildes Ballett auf, während Harpo versucht, die Gegenstände zu bändigen. In zahlreichen Filmen werden sie zu Handlungsträgern, usurpieren den angestammten Platz der Subjekte. Ihre Inszenierungen vermitteln Verhältnisse. Häufig werden sie zu obsessionellen Objekten. Das Filmobjekt ist wie in der Kunst vor allem ein gesehenes Objekt. Die Objekte treten dabei aus ihrem angestammten Zusammenhang mit ihrer Umwelt und richten die Gedanken auf andere Zusammenhänge, treten in neuen Kombinationen auf. Um noch einmal Frida Grafe zu zitieren:
15 Ebd., S. 112. 16 Grafe: Licht aus Berlin, S. 43.
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Das wirkt auch befreiend, bestehende Verhältnisse zerstörend, vergleichbar den Dingen im Traumdiskurs, die auf logische Verknüpfungen verzichtend zirkulieren, den alten, auf rationalen Zusammenhang bestehenden Geschichten nicht mehr folgend.17 Die Objekte, die derart entstehen, sind häufig faszinierend und bedrohlich zugleich und entziehen sich rationalistischen Erklärungsversuchen. Ganz ähnlich hat es Dalí in einem Aufsatz über „Realität und Surrealität“ formuliert: Wenn wir in unserem Eifer für Allgemeingültiges beim jetzigen Zustand der Dinge fortfahren, indem wir diese von der absurden Einordnung befreien, in die sie unser Verstand hineingezwängt und damit ihre wirkliche Bedeutung durch eine völlig neue konventionelle ersetzt hat, stellen wir fest, daß die Dinge, wenn sie erst von den tausend merkwürdigen Zumutungen befreit sind, denen sie unterworfen waren, ihre wesentliche und angemessene Seinsweise wiederfinden, indem sie das Tiefste ihrer Bedeutung verändern und ihre Schatten in neue Richtungen werfen.18 Dazu zählten die zerfließenden Uhren ebenso wie die auf dem Kopf balancierten Brote oder die Hummertelefone. Bereits der Titel des avisierten Filmes deutet auf die eigentümliche Mischung dalíscher Kunst mit der Komik der Marx Brothers: Giraffes on Horseback Salad.19 Der Film, der eine halbe Stunde dauern sollte, wurde Metro-GoldwynMayer offeriert. Dalí fertigte zahlreiche Zeichnungen für das geplante Projekt an, ebenso wie Skizzen. Lange Zeit existierten nur mehr die Zeichnungen sowie eine Seite des Drehbuchs. Erst vor einigen Jahren tauchte im Zuge einer Pariser Versteigerng ein Manuskript auf, das überschrieben war mit „Scénario original de Salvador Dalí, projet de film avec les Marx Brothers.“ Der Text, verfasst zu großen Teilen auf Französisch, enthielt sowohl Zeichnungen als auch Ideen und Gags. Er wurde vom „Musée National d’Art Moderne – Centre George Pompidou“ erworben. Auf diese Nachricht hin suchte Félix
17 Ebd., S. 44. 18 Dalí: „Realität und Surrealität“, S. 71. 19 In den gesammelten Schriften wird der ursprüngliche Titel – nicht ganz nachvollziehbar, weist doch bereits der Titel auf die Kombinatorik dalíscher Elemente mit der Komik der Marx Brothers hin – in den programmatischen Titel La mujer surrealista geändert, aus dem ich im Folgenden zitieren werde: „Una película de los Hermanos Marx. Guión y decorados de Salvador Dalí“, in: Dalí: Obra completa, S. 1169-1188.
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Fanés in den Papieren der Fundación Gala-Salvador Dalí und fand dort zehn maschinengeschriebene Seiten in Englisch, die den Titel trugen: „Film by Marx Brothers. Scenario and Setting Salvador Dalí.“20 Neben den Marx Brothers agieren dort drei weitere Figuren: Jimmy, ein spanischer Geschäftsmann, und seine naive, snobistische Verlobte Linda sowie „la mujer surrealista“, deren Gesicht über weite Strecken des Films unsichtbar bleibt und die zu einer zentralen Reflexionsfigur dalíscher Kunst avanciert. Der Anfang ist fast realistisch zu nennen, der Beginn einer klassischen Liebesgeschichte., Linda teilt Jimmy in einem Telefongespräch mit, dass sie ihn später bei „Chey Phoenix“ treffen werde. Jimmy isst daraufhin enttäuscht mit seinen Freunden zu Abend, die ihm von einer ebenso schönen wie verrückten Frau berichten, die sie „la mujer surrealista“ nennen. Im Zentrum des Filmplots steht somit eine amouröse Verwicklung: Am Abend lernt Jimmy in einem Kabarett „la mujer surrealista“ kennen, die in Begleitung Grouchos und Harpos in einer Limousine vorfährt. Nicht sichtbar ist das Gesicht der Frau, was ihren rätselhaften Aspekt betonen soll. Durch einen Tunnel aus Atlasstoff, der sich wie eine Schlange windet, bahnen sie sich ihren Weg durch die wartende Publikumsmenge. Bereits hier wird mit Elementen des typischen marxschen Anarcho-Humors gespielt: So öffnet sich der Reißverschluss des Tunnels zunächst und die „surrealistische Frau“ grüßt in die Menge. Linda, die erwartet, dass sie auch sie begrüßt, wird plötzlich mit dem Anblick Grouchos konfrontiert, der statt ihrer aus der Öffnung schaut, den Mund weit öffnet und die Augen verdreht. Danach setzen sich die surrealistische Frau und die Marx Brothers an einen Tisch und verspeisen ein weiteres Dalísches Objekt, einen Hummer, wobei ihre Zähne die Schale des Tieres knacken – eine Anspielung auf die Melange von Hart und Weich, wie Dalí sie so häufig in Szene gesetzt hat. Im Folgenden führt Dalí beide Ebenen zusammen. So gibt Groucho den Kellnern Order, ein Tablett mit einem Hühnchen auf dem Kopf der Musiker des Orchesters zu befestigen: Was an andere surrealistische Bilder wie die balancierten Brote auf dem Kopf erinnert, die uns an späterer Stelle wiederbegegnen, wird so in spezifischer Weise mit den absurd-grotesken Späßen der Marx Brothers verknüpft, tropft der Saft des gebratenen Hühnchens doch den Musikern während ihrer Performance auf Gesicht und Hemd.21 Als nächstes folgt eine Spiegel-Inszenierung: Ein dreigeteilter Spiegel lässt in der Mitte ein Sofa in Form eines Mundes erkennen, auf dem eine fast nackte Tänzerin ruht. Aus den Löchern, die den Spiegel rahmen, ragen zahlreiche Frauenarme hervor, die sich wie Schlangen zur Musik des Orchesters bewegen und den Kör-
20 Vgl. zur Genese des Drehbuchs Fanés: „Dalí y Harpo Marx: un guión inédito“. 21 Dalí: „Una película de los Hermanos Marx“, S. 1174.
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per der Tänzerin liebkosen – Eros und Verstörung, wie sie typisch sind für das Dalísche Bilduniversum. Die Szenerie steigert sich erst ins Komische, dann ins Destruktive, als Harpo und Groucho versuchen, an der Stelle des Frauenkörpers von den Armen liebkost zu werden und dabei nur Schläge ernten, woraufhin sich die Marx Brothers dadurch rächen, dass sie die Arme beißen, was Schmerzenschreie der Personen evoziert, die sich hinter dem Spiegel befinden. Erst als Harpo beginnt, „wie ein moderner Orpheus“ auf seiner Harfe zu spielen, sind die Arme wieder liebkosend zärtlich und bewegen sich nun im Rhythmus seiner Musik. Groucho gelingt es sogar, dass einer der Arme ihm die Zigarre anzündet und ein anderer ihn am Bein kratzt. Diese Szene ist ein gutes Beispiel für die gelungene Amalgamierung von surrealistischen Bildern mit marxscher Komik. Im Folgenden wird der Fokus auf den Beginn der Liebesgeschichte zwischen der surrealistischen Frau und Jimmy gelegt. Die folgende Sequenz, überschrieben mit „Organización de la cena fantástica de la ‚mujer surrealista‘“, beginnt mit einem Telefonat (geführt von Dalís berühmtem Hummertelefon). Die surrealistische Frau bittet Groucho, ein außerordentliches Abendessen zu organisieren, zu dem sie auch Jimmy eingeladen hat. Groucho, der dafür vor allem die Arme junger Frauen benötigt, interviewt rund 50 Frauen und begutachtet ihre Körper. Hier nun wird das surreale Bild der vorigen Sequenz realistisch aufgelöst. Zehn von ihnen werden ausgewählt, eine Buddhastatue zu komplettieren, indem sie ihre Arme durch die Löcher stecken – anstelle der fehlenden Gliedmaßen. Die Arme führen die Befehle Grouchos aus: sie telefonieren etwa, während er frühstückt. Harpo beschafft derweil 18 Zwerge aus einem Zoo. Die weiteren Zutaten für das fantastische Abendessen erinnern nicht von ungefähr an das malerische Universum Dalís: eine Herde Ziegen, ein toter Ochse, ein übergroßes Bett, ein Taxi, in dem es regnet. Die folgende Sequenz zeigt einen Streit zwischen Jimmy und Linda, die versucht, die surrealistische Kopie der surrealistischen Frau zu sein, indem sie selbst auch in Austern badet, dabei, so klärt Jimmy sie auf, sei das doch nur eine Erfindung Grouchos gewesen. Das Abendessen, dessen absonderlichen Vorbereitungen wir beigewohnt haben, findet auf dem großen Bett statt, auf dem neben der surrealistischen Frau auch das Essen serviert wird. An den Rändern des Bettes stehen die Zwerge, wie Statuen auf einem Piedestal aus Glas. Doch der Abend findet ein abruptes Ende: Sintflutartige Regenfälle überspülen das Haus, die Flut führt einige Gegenstände mit sich, eine Herde Schafe, einen toten Ochsen, ein Baby in seiner Wiege, die an Bildwelten Dalís erinnern. Auf der Flucht vor dem Wasser betreten Jimmy und die surrealistische Frau das Zimmer ihrer Kindheit, das seit Jahren nicht verändert wurde. Jetzt sieht der Zuschauer zum ersten Mal ihr Gesicht – im Spiegel. Singend erklären sich beide ihre Liebe. Linda und ihre Freunde sowie die
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Marx Brothers und das neue Paar machen sich auf den Weg nach Kalifornien. Im Folgenden werden einige seltsame Zwischenfälle geschildert. In einer Stadt taucht eine riesige Brotstange auf, in einer anderen erscheint ein Denkmal, das mit Essen bedeckt ist, so dass sich ihm alle Hunde der Stadt nähern. In einer dritten wird der Zuschauer erneut mit einem Lieblingsmotiv des Malers konfrontiert: einer Stampede brennender Giraffen. Lindas Freunde klagen die surrealistische Frau all der seltsamen Vorkommnisse an. Währenddessen organisieren die Marx Brothers ein großes Fest. Hauptgang ist ein Wettbewerb mehrerer Fahrradfahrer, die so langsam wie möglich radelnd einen Stein auf dem Kopf balancieren und dabei von den Marx Brothers von ihrem Richterturm (der die Form eines Schiffbugs hat) begutachtet werden.22 Auf dem Turm sind neben dem Liebespaar, Jimmy und der surrealistischen Frau, auch die drei Marx Brothers erkennbar: Harpo, wie er seine obligatorische Harfe spielt, Groucho rauchend und Chico im Taucheranzug Klavier spielend.23 Schließlich treten alle vor dem Richter an, der jedoch zu keinem abschließenden Urteil kommt. Jimmy macht der surrealistischen Frau einen Heiratsantrag, sie, desillusioniert von den Vorwürfen, flieht, teilt ihm dann jedoch in einem Telegramm mit, sie habe das ideale Haus für beide gefunden, um ein normales Leben zu führen. Ein konventionelles Haus mit einem weiteren Lieblingsobjekt des dalíschen malerischen Universums, der Uhr, die hier jedoch in ihrem normalen Funktionszusammenhang zu sehen ist. Beide langweilen sich, sie geht – ein wahrhaft artistischer Abgang, der den Slapstick der Marx Brothers mit dem Imaginarium dalíscher Bildwelten verbindet: Von einem Trampolin springt sie gegen eine Tür, dahinter befindet sich das Meer. Die Marx Brothers fangen sie in einem Fischernetz auf und bringen sie auf ihr Schiff – ebenso wie später auch Jimmy, der den gleichen Fluchtweg aus der tristen Zweisamkeit wählt. Im zweiten Akt überspült eine Welle das gesamte Haus mit Algen und Wasser – Uhr, Fotografien und Möbel. Zur gleichen Zeit segelt das Schiff der Marx Brothers dem Horizont entgegen, während die Ruder, die in Wahrheit Frauenarme sind, in die Kamera grüßen (Dalí scheint hier auf das spanische Wort „remo“ zu alludieren, dass sowohl Ruder als auch Gliedmaßen meint).
22 Ebd., S. 1185f. 23 Auch die Harfe ist ein wiederkehrendes Dalísches Objekt. Vgl. die beiden in den 1930er Jahren entstandenen Gemälde Bureaucrate moyen atmosphérocéphale dans l’attitude de traire du lait d’une harpe crânienne (1933) und La Harpe invisible, fine et moyenne (1932) sowie Méditation sur la harpe (1932-34), Abb. in: Descharnes/Gilles: Salvador Dalí: 1904-1989, S. 56f.
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Im Vergleich zu dem Drehbuch, das in Figueras aufgefunden wurde, ist das französische Manuskript um einiges komplexer. Der Plot ist im Kern derselbe, doch der Ton ist programmatischer. Die Idee seines Drehbuchs beschrieb Dalí folgendermaßen: La idea general del guión consiste en transponer a la época contemporánea todo el fasto imaginativo, esplendor y carácter épico de los films sobre la antigüedad de Cecil B. de Mille. Para esto se creará como protagonista una mujer inmensamente rica que vive sobre el principio de la fantasía y de la locura más sensacional. Reconstruye cotidianamente con minuciosidad encarnizada las imágenes de sus sueños y de su imaginación con frecuencia delirante. Y en todo está ayudada por una banda de amigos fanáticos e incondicionales que la envuelven con una atmósfera sólo comparable a esas épocas tan maravillosamente decadentes de la historia (la película estará precedida por un préambulo histórico sobre Calígula).24 Vergleicht man beide Fassungen miteinander, so fällt auf, dass die erste französische Variante ungleich politischer ist (am Anfang tauchen tatsächlich wahnsinnige Personen der Historie auf, wie Caligula) aber auch erotisch-sadistische Züge trägt. Auch der Schluss weicht deutlich von der endgültigen Fassung ab. So mündet der Streit Jimmys mit der surrealistischen Frau in einen schrecklichen Unfall, der den Tod der Protagonistin herbeiführt. Dieses Ende weist zahlreiche Parallelen zu Dalís spanischem Drehbuch Babaouo auf, bei dem die Frau ebenfalls bei einem Autounfall ums Leben kommt, während er das Augenlicht verliert. Die Übersetzung einiger Seiten ins Englische lässt die Schlussfolgerung zu, dass Dalí diese Drehbuchfassung den Marx Brothers gezeigt hat, die sich dann für die spanische – komischere, aber auch politisch und bildsprachlich entschärfte – Textvariante entschieden haben, die ich hier kurz vorgestellt habe. Die These wird dadurch gestützt, dass die darauf folgende Fassung tatsächlich der von Figueras ziemlich genau entspricht.25 Interessant ist, dass Dalí Harpo in einem Brief versichert, dass er der eigentliche Protagonist des Drehbuchs sei und einen Erfolg des Filmskripts voraussagt, da sich ihre Art der Imagination ähnele: Después de que le he conocido, estoy completamente decidido que haremos algo juntos, porque los dos realmente pensamos en el mismo tipo de cosas y nos gusta exactamente el mismo ‚tipo de imaginación‘; estoy seguro que un film corto, con el guión sensacional hecho expre24 Zitiert nach Sánchez Vidal: „Introducción“, S. 131. 25 Vgl. Fanés: „Dalí y Harpo Marx: un guión inédito“, S. 4.
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samente para su genio, con extraordinarias decoraciones y una música muy lirica, como la de Cole Porter, sería algo alucinante que además de divertirnos a nosotros podría resultar una revolución con éxito en el cine.26 Auch wenn Harpo und die Marx Brothers sicher nicht im Zentrum der Aktion stehen, so ist doch evident, dass hier Dalísche Bildwelten auf Marxsche Komik trifft: Surrealism meets Slapstick. Aufschlussreich sind in dem Kontext ausgewählte Szenen, die im Folgenden genauer analysiert werden sollen, sowie einige der Zeichnungen. Zunächst zu den Zeichnungen: In der Pariser Drehbuchfassung ist eine Reihe von Zeichnungen versammelt. Viele von ihnen enthalten typische Dalísche Bildelemente und Objekte, wie ein Sofa in Form eines Mundes (das an sein Werk „Rostro de Mae West“ erinnert) oder ein Spiegel, aus dessen Perforationen Frauenarme ragen. Die Zeichnung nimmt die Szene im Kabarett wieder auf, als sich die Arme wie Schlangen im Rhythmus der Musik von Cole Porter bewegen und beginnen, den Körper der Tänzerin zu liebkosen. Auf einer anderen ist Groucho Marx als indische Gottheit zu sehen, dessen Arme zahlreiche Telefone halten – auch dies ein rekurrentes Objekt Dalís.27 Die Zeichnung korrespondiert mit einer der Szenen des Drehbuchs, in der Groucho zehn Mädchen mit in sein Büro nimmt, in dem eine große Buddha-Statue zu sehen ist, die an Stelle eines Gesichts ein Loch hat und Perforationen, wo Arme sein sollten. Ein weiteres Motiv ist gleich mehrfach von Dalí zeichnerisch bearbeitet worden: Ein Tisch-Bett, an dessen Seiten neben anderen Tischgästen auch brennende Giraffen Platz nehmen. Auf einem weiteren Tisch-Bett sind die bereits erwähnten Zwerge erkennbar, die hier als Kandelaber fungieren sowie Frauenkörper als Kandelaber. Auch folgendes Motiv ist mehrfach bearbeitet worden: Eine surrealistische Gondel, auf der sich Musiker befinden. Die Gondel bahnt sich ihren Weg durch ein Meer von Fahrradfahrern, die alle einen Stein auf dem Kopf balancieren. (Im Drehbuch handelt es dabei um einen Richterturm in Form eines Schiffsbugs.)28 Hierbei handelt es sich erneut um ein Motiv, das Dalí häufig aufgegriffen hat – in Variation. In dem mit Buñuel realisierten Film Un chien andalou (1929) ist es ein Brot, das die Fahrradfahrer auf dem Kopf balancieren, in Babaou (1932), dem erst postum verfilmten Drehbuch, ein Stein. 1929 hatte Dalí in Los placeres iluminados die Fahrradfahrer 26 Zitiert nach Etherington-Smith: Dalí, S. 261f. 27 Vgl. Abb. in: Walther: Salvador Dalí, S. 344. 28 Die Skizzen finden sich in folgendem Band abgebildet: Descharnes/Néret: Salvador Dalí 1904-1989, Bd. 1, S. 296f.
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mit dem Brot auf dem Kopf visualisiert. Auf einer anderen Zeichnung ist Chico wie im Drehbuch im Taucheranzug zu erkennen, wie er Klavier spielt, Groucho ausgestreckt auf dem Bug, rauchend und Harpo an der Spitze mit seiner obligatorischen Harfe.29 Resümierend lässt sich konstatieren, dass sich zahlreiche Anspielungen an die visuelle und konzeptuelle Welt Dalís in diesem Drehbuch finden lassen, die sich hier jedoch auf einzigartige Weise mit der Filmsprache, v.a. slapstickartigen Elementen der Marx Brothers verbinden. Die Obsession mit Telefonen und zerlaufenden Uhren ist ebenso gegenwärtig wie die brennende Giraffe oder der mit Wasser überspülte Innenraum, ohne die Frau „sin rostro“ zu vergessen.30 Das Drehbuch wurde nie realisiert, galt es dem Filmstudio doch als zu surreal. Die zahlreichen Projektskizzen, Zeichnungen, Notizen, Korrekturen und schließlich die – so lässt sich vermuten – dem Stil der Marx Brothers angepasste Drehbuchfassung verdeutlichen jedoch, welchen Stellenwert Dalí selbst dem Projekt beimaß. Es fällt aber auch auf, dass Dalí hier ein Spiel zwischen den Charakteren der Marx Brothers und seiner eigenen Kunst initiiert. Alle sind gemäß ihrer üblichen Charaktere inszeniert. Groucho seinem gängigen Repertoire folgend als Karikatur eines Großbourgeois mit zu großer Hornbrille und schlechtsitzendem Anzug. Die Zeichnung von ihm als vielarmiger Gott der Geschäftswelt, der in jeder Hand einen Telefonhörer hält, ist zugleich eine Dekonstruktion des intriganten Geschäftsmannes, wie Groucho ihn so häufig verkörpert. Was im Drehbuch fehlt, sind indes die Wortspiele Chicos. Dalí setzt Chico vor allem als Klavierspieler in Szene, gekleidet in einen Taucheranzug, eine Hommage an seine eigene Selbstinszenierung. Bei einem Vortrag anlässlich der Surrealisten-Ausstellung in London 1936 trat der Künstler im Taucheranzug auf, begleitet von zwei weißen Windhunden und entging nur knapp dem Erstickungstod. Auffällig ist indes, dass die Marx Brothers hier nicht im eigentlichen Sinne Protagonisten des Films sind, sondern diese Funktion von der surrealistischen Frau und Jimmy übernommen wird. Allenfalls Harpo spielt eine größere Rolle. Vor allem Elemente seiner spezischen Komik sind deutlich erkennbar, etwa wenn er die Zwerge am Bett der surrealistischen Frau jagt. Harpo war der naive Narr der Truppe, der vor allem seine Harfe oder Hupe sprechen ließ und sein Gegenüber durch ein ausgestreckes Bein anstelle einer Hand begrüßte – ein respektloser Spaß, der Dalí entzückt haben dürfte. In einer Zeichnung zeigt Dalí Harpo mit einem Hummer und einem Apfel auf dem
29 Vgl. Abb. in: Walther: Salvador Dalí, S. 344. 30 Vgl. das Téléphone-Homard (1936) und L’enigme d’Hitler (1939).
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Kopf, wie er an einer Harfe sitzt, die mit einer Zunge dekoriert ist, was auch als ironischer Hinweis darauf zu deuten ist, dass Harpo sich vor allem durch sein Harfenspiel mitteilt. Dennoch kann man sich eines Eindrucks nicht ganz erwehren, dass die Brüder hier häufig in das Korsett dalíscher Vorstellungen gepresst werden, wie Chico in den Taucheranzug. Die Komik der Marx Brothers speist sich ja gerade daraus, dass sie reale Objekte umdeuten, in ihren aberwitzigen Sprachspielen und bildlichen Surrealismen Wahrnehmungs- und Vorstellungswelt, Reales und Imaginäres überlagern, etwa wenn in Duck Soup (1933) auf einer Tätowierung Harpos ein Hund als real bellender aus der Zeichnung heraustritt, oder er in Monkey Business (1931) eine voluminöse Sängerin an seiner Harfe begleitet und dabei die Hand zwischen den Saiten stecken bleibt: Doch es ist nur eine künstliche Hand, die er herauszieht, um sich damit am Kinn zu kratzen und sie danach fortzuwerfen. Oder wenn er in dem ersten Langfilm, The Cocoanuts (1929), als Hotelgast erst einen Füllfederhalter in Gestalt einer Kartoffel verspeist und sie mit einem Schluck aus dem Tintenfass runterspült und anschließend auch das Telefon aufisst. Anders als die berühmte Szene aus Goldrush, in der Chaplin einen Schuh verspeist, ist diese Handlung völlig unmotiviert. Dennoch benötigt sie den realistischen Rahmen, um ihn durch diese Handlung sprengen zu können. Nolden konstatiert: „Wo alles ‚ver-rückt‘ ist, ist nichts mehr verrückt; wo es keine Reibungsfläche gibt, können sich keine komischen Funken entzünden.“31 Eine Erkennntnis, die sich kaum je so anschaulich zeigen lässt, wie an dem Drehbuch, das Dalí im Jahr 1937 für die Marx Brothers verfasste.
Literaturverzeichnis Brandlmeier, Thomas: Filmkomiker. Die Errettung des Grotesken, Frankfurt a.M. 1983. Dalí, Salvador: Obra completa, Vol. III, Barcelona 2004. Dalí, Salvador: „Una película de los Hermanos Marx“, in: Obra completa, Vol. III, Barcelona 2004. Dalí, Salvador: „Der Surrealismus in Hollywood“, in: Walther, Ingo F. (Hrsg.): Salvador Dalí. Retrospektive 1920-1980, Centre Georges Pompidou, Musée National d’Art Moderne, Paris, Ausstellung vom 18. Dez. 1979 bis 14. April 1980, München 1980. Dalí, Salvador: „Babaou. Unveröffentlichtes Drehbuch, im Vorspann ein Abriß einer kritischen Filmgeschichte“, in: Unabhängigkeitserklärung der 31 Nolden: Die Marx Brothers 2002, S. 122f.
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Phantasie und Erklärung der Rechte des Menschen auf seine Verrücktheit. Gesammelte Schriften, hrsg. v. Axel Matthes/Tilbert Diego Stegmann, München 1974, S. 108-127. Dalí, Salvador: „Der neue Anstrich des gespenstischen Sex-Appeals“, in: Unabhängigkeitserklärung der Phantasie und Erklärung der Rechte des Menschen auf seine Verrücktheit. Gesammelte Schriften, hrsg. v. Axel Matthes/Tilbert Diego Stegmann, München 1974, S. 235-239. Dalí, Salvador: „Kunst-Film – Antikunst-Film“, in: Unabhängigkeitserklärung der Phantasie und Erklärung der Rechte des Menschen auf seine Verrücktheit. Gesammelte Schriften, hrsg. v. Axel Matthes/Tilbert Diego Stegmann, München 1974, S. 29-34. Dalí, Salvador: „Realität und Surrealität“, in: Unabhängigkeitserklärung der Phantasie und Erklärung der Rechte des Menschen auf seine Verrücktheit. Gesammelte Schriften, hrsg. v. Axel Matthes/Tilbert Diego Stegmann, München 1974, S. 68-73. Descharnes, Robert/Néret, Gilles: Salvador Dalí: 1904-1989, Bd. 1: 1904-1946, Köln 1993. Descharnes, Robert/Néret, Gilles: Salvador Dalí: 1904-1989, Köln 1989. Descharnes, Robert: Dalí, la obra y el hombre, Barcelona 1984. Etherington-Smith, Meredith: Dalí, London 1992. Fanés, Félix: „Dalí y Harpo Marx: un guión inédito“, Alicante 2000, in: http://www.cervantesvirtual.com/servlet/SirveObras/0925173752248179 5332268/p0000001.htm#I_1_ (abgerufen am 02.02.06, 12.34) zuerst veröffentlicht in: Actas del VI Congreso de la A.E.H.C., Academia de las Artes y las Ciencias Cinematográficas de España, Madrid 1998, S. 175-186. Grafe, Frida: Licht aus Berlin: Lang, Lubitsch, Murnau und Weiteres zum Kino der Weimarer Republik, Berlin 2003. Nolden, Rainer: Die Marx Brothers, Reinbek bei Hamburg 2002. Sánchez Vidal, Agustín: „Introducción“, in: Dalí: Obra completa, Vol. III, Barcelona 2004, S. 7-135. Silverman, Jason: „Disney Animates Dalí’s Flick“, in: http://www.wired.com/ news/digiwood/0,1412,60385,00.html (abgerufen am: 02.03.2006, 12.30). Walther, Ingo F. (Hrsg.): Salvador Dalí. Retrospektive 1920-1980, Centre Georges Pompidou, Musée National d’Art Moderne, Paris, Ausstellung vom 18. Dez. 1979 bis 14. April 1980, München 1980.
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Salvador Dalí und Catherine Millet Es fällt auf, dass sich die Kunstkritik selbst heute noch, nahezu zwei Jahrzehnte nach dem Tod des katalanischen Malers Salvador Dalí im Jahre 1989, mit der Rezeption des dalíschen Werkes schwer tut. Denn nach wie vor ist Folgendes zu bedenken: als Bauherr eines Labyrinths ohne Ariadnefaden hat Dalí eigens den Zugang zu seinem Universum erschwert, war er es doch, der Zeit seines Lebens die Legende um seine eigene Person bewusst kreiert und genährt hat.1 Stets darauf bedacht, eine konkrete Deutung seines Schaffens zu verhindern und den Rezipienten in die Irre zu führen, gelingt es Dalí, mehr Fraugen im Hinblick auf seine Werke aufzuwerfen, als Antworten und Lösungsansätze zu liefern. Derartiges wäre auch zu viel verlangt von jemandem, der sich allzu gern als Opfer seiner eigenen Selbst-Inszenierung ausgab: Wie sollen meine Feinde, meine Freunde und das Publikum ganz allgemein die Bedeutung der Bilder begreifen, die in mir auftauchen und die ich auf meine Gemälde übertrage, wenn sogar ich, derjenige, der sie macht, sie nicht begreift.2 Als Meister der Selbst-Propaganda und Selbst-Mystifizierung verweigert der katalanische Exzentriker fortwährend die Anpassung an das Reale, um letztendlich neuartige Verknüpfungen zu bilden und Beweise für die Brüchigkeit des konventionellen Wirklichkeitsbegriffes zu liefern.3 Dies gelingt ihm mittels seiner paranoisch-kritischen Methode, die Dalí überdies in den Schriften Jacques Lacans bestätigt sieht. Als vielversprechendes Instrument der Sinnverzerrung geht sie über die von Breton im Surrealistischen Manifest gepriesene Technik der écriture automatique hinaus und wird dementsprechend in den Dienst der Heraufbeschwörung einer allgemeinen Bewusstseinskrise gestellt:4 „Ich glaube, der Augenblick ist nahe, wo ein Denkvorgang paranoisch, aktiven Charakters […] die Verwirrung zum System erheben und zum vollständigen Verruf der realen Welt beitragen kann.“5 Fasziniert von dem konstruktiven Aspekt der Paranoia, wendet Dalí seine Erkenntnisse konsequent auf sein Ge1
Vgl. den Beitrag von Peter Bürger in diesem Band.
2
Dalí zit. n. Dopagne: Dalí, o.S.
3
Dalí: Meine Leidenschaften, S. 11, 26.
4
Vgl. den Beitrag von Peter Bürger in diesem Band.
5
Dalí: „Der Eselskadaver“, S. 131.
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samtwerk an, das bekanntlich nicht nur auf die Malerei beschränkt bleiben sollte. Das Resultat bilden komplexe Doppelbilder, deren Potential darin besteht, mehrere Gegenstände sichtbar zu machen, ohne dass eine figürliche oder anatomische Veränderung vorgenommen werden müsste.6 Ungefähr seit 1930 findet jenes Stilmittel auch in der Schrift Anwendung und gelangt, wie Ralf Schiebeler im Nachwort zu deutschen Ausgabe von La vie secrète konstatiert, gerade in dieser pseudo-autobiographischen Schrift zu ihrem Höhepunkt, etwa wenn zur Umschreibung des Sonnenuntergangs die Figur der Genitivmetapher gewählt wird: „Der rötliche, dicke, nach Wein riechende Bodensatz der untergehenden Sonne.“7 Eine derart komplexe und auf (optische) Täuschung angelegte Arbeit verfehlt ihre Wirkung selbst heute nicht. Der Schwierigkeit einer angemessenen Deutung des Werkes von Dalí zum Trotz oder aber gerade ob dieser Schwierigkeit gelingt es dem Exzentriker wieterhin, Neugierige in seinen Bann zu ziehen und zu verblüffen: Hereinspaziert. Treten Sie ein in Dalís Wunderland. Betreten auf eigene Gefahr! Denn zu hoch ist das Risiko, zwischen Ernst und Farce nicht unterscheiden zu können und sich auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten zu verirren. Früh sollte sich Dalí in der Inszenierung seines eitlen Wesens üben. Schenkt man seinen eigenen Worten Glauben, so wurde der Grundstein für seinen Narzissmus bereits durch die Geburt respektive durch den Tod des älteren Bruders gelegt: Dieser tote Bruder, dessen Phantom mich willkommen hieß, war, wenn man so will, der erste Dalische Teufel. Er ist sieben Jahre alt geworden. Ich betrachte ihn als einen ersten Entwurf für mich selbst, eine Art extremen Genies. […] Er war der Liebling, mich liebte man zu sehr. Ich trat, als ich geboren wurde, in die Fußstapfen eines angebetenen Toten, den man in mir weiterliebte, ja vielleicht noch mehr liebte. Eine narzißtische Wunde war für mich dieses Übermaß von Liebe, eine Wunde, die mir mein Vater am Tage der Geburt zufügte und die ich im Schoß meiner Mutter spürte. Nur durch die Paranoia, das heißt, durch stolze Selbstverherrlichung, gelang es mir, mich vor dem Nichts des systematischen Selbstzweifels zu retten.8 Auch das Ableben der Mutter versteht Dalí als Schicksalsschlag zu inszenieren, wie aus La vie secrète hervorgeht:
6
Ebd.
7
Dalí zit.n. Schiebler: „Ein ästhetisches Prinzip“, S. 501.
8
Dalí: So wird man Dalí, S. 11.
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Der Tod meiner Mutter kam mir als Affront des Schicksals vor – so etwas durfte mir nicht geschehen – weder mir noch ihr. Ich fühlte, wie mitten in meiner Brust die tausendjährige Libanonzeder der Rache ihre gewaltigen Äste ausbreitete. Weinend und mit zusammengebissenen Zähnen schwor ich mir, mit den Lichtschwertern, die eines Tages meinen ruhmreichen Namen umstrahlen würden, meine Mutter dem Tod und dem Schicksal zu entreißen!9 Der Wunsch, das Hinscheiden der Mutter zu rächen und dem Tod einen Streich zu spielen, spiegelt sich nicht zuletzt in Dalís Begeisterung für naturwissenschaftliche Themen wider. Manifest wird diese Faszination unter anderem in einem regen Interesse für den Aufbau der DNS, Gedanken zur Hibernation und der Wiederauferstehung.10 Immerhin lehrt uns der Exzentriker in Meine Leidenschaften: „Denn ich sorge mich um meine Gesundheit und bemühe mich, das am Leben zu halten, was für mich das Außergewöhnlichste auf der Welt ist: ich.“11 Die Sorge um sich selbst, die Gier nach Unsterblichkeit und (posthumer) Aufrechterhaltung der eigenen Legende scheint Früchte zu tragen, führt man sich Dalís nachhaltige Wirkung auf die zeitgenössische Kulturlandschaft vor Augen. Dabei fällt auf, dass die Rezeption von Dalí nicht nur im Hinblick auf Einzelaspekte wie Malerei, Photographie oder Film lohnt. Ausgehend von dem facettenreichen und schwer zu greifbaren Konstrukt Dalí bietet es sich ebenso an, den katalanischen Exzentriker als intermediales Gesamtkunstwerk zu betrachten, der seinen Körper permanent zur Kunst stilisiert, ihn gar zum Verzehr anbietet und infolgedessen die Grenze zwischen Körperlichkeit und Medium, zwischen Fassbarem und Un-fassbaren verblassen lässt. So wie in Lewis Carolls Roman Alice in Wonderland Trinkflaschen und Pillen mit der Aufschrift „Trinke mich“ bzw. „Esse mich“ zum Verzehr einladen, verführt Dalí, indem er mit seiner eigenen Person wirbt: „Nehmt mich, ich bin die Droge, nehmt mich, ich bin halluzinogen.“12 Damit weicht die Authentizität der Maskerade sowie dem Spiel mit dem Rezipienten, der jedoch zugleich auch Konsument dalíscher Rauschgifte ist.13
9
Dalí: Das geheime Leben des Salvador Dalí, S. 187.
10 Zu Dalís Schwäche für Naturwissenschaften vgl. auch: Ruffa: „Dalí’s surrealist activities and the model of scientific experimentation“. 11 Dalí: Meine Leidenschaften, S. 159. 12 Dalí: Dalí über Dalí, S. 97. 13 Zu Dalís Spiel mit dem Rezipienten vgl. auch den Beitrag von Ruth Amossy in diesem Band.
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Einblicke in Dalís Medienspiele der Gegenwart dürfte jene Literatur- und Kulturszene Frankreichs gewähren, an deren Spitze auffällig viele Frauen, darunter Catherine Breillat, Virginie Despentes und Nelly Arcan stehen. Alle Künstlerinnen konnten in der jüngsten Vergangenheit durch an Pornographie grenzende Arbeiten von sich reden machen und verschaffen sich Dank Tabubrüchen, bewusst inszenierter Skandale oder aber Inszenierung und Verkauf der eigenen Geschichte immer wieder Gehör. Die Meinungen zu diesen (ästhetischen) Transgressionen divergieren. Im Hinblick auf die filmische Arbeit Catherine Breillats konstatiert René Prédal zum Beispiel ernüchternd: „[…] c’est purement et simplement du porno de base […] la méthode employée par Catherine Breillat – recycler du verbal et du visuel empruntés aux films x – ne pouvait pas convenir.“14 Doch es lassen sich auch Stimmen vernehmen, welche den freizügigen und anstößigen Umgang mit der Sexualität nicht als Bestreben nach Manifestation der Pornographie im Alltag deuten. So resümiert Thomas Hettche: Es gehe offensichtlich nicht länger darum den verdrängten Raum der Pornographie im Sinne eines Befreiungsaktes für alle zu öffnen, sondern gerade um das gegenteilige Bemühen, die Körper aus diesem Raum zu befreien.15 Die Liste der eingangs zitierten Künstlerinnen ließe sich durch die 1948 geborene Catherine Millet, Kunstkritikerin und Chefredakteurin der Zeitschrift Art Press, ergänzen. Kennern der französischen Kulturlandschaft dürfte dieser Name spätestens seit dem Jahr 2001 ein Begriff sein, als Millet mit dem autobiographischen Roman La vie sexuelle de Catherine M. einen beachtlichen internationalen Erfolg verbuchen konnte. Zu ihrer letzten Veröffentlichung zählt der 2005 publizierte, kunstkritische Essay Dalí et moi, der, wie schon der zuvor genannte Roman, para- und intertextuelle Bezüge zu dem schriftlichen Werk, insbesondere zu La vie secrète Dalís ankündigt. Millet selbst betont im Klappentext ihres Essays Interferenzen: Mon approche est objective car elle s’appuie scrupuleusement sur les écrits de l’artiste ainsi que sur son œuvre peinte. Mais j’assume sa part subjective, laquelle tient à la capacité qui a été la mienne de me glisser dans le texte dalinien. Si je me suis engagé dans ce travail, c’est que cette œuvre, depuis longtemps, me touche en profondeur. J’ai choisi
14 Prédal zit.n.: Felten: „Bühnen der Ars Erotica“, S. 161. 15 Hettche zit.n.: Felten: „Bühnen der Ars Erotica“, S. 161.
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de ne pas réprimer ni dissimuler cette implication personnelle. N’est elle pas le moteur même de la compréhension d’une œuvre?16 Obwohl Millet selbst den Anspruch einer „approche objective“ erhebt, werden dennoch Spuren der „part subjective“ im Fließtext erkennbar. Sie äußern sich unter anderem in dem teils vulgären Schreibstil: „[…] mon intérêt s’est cristallisé lorsqu’en 1998 j’ai travaillé sur la merde dans l’art moderne et contemporain.“ Auch gelangen gelegentlich persönliche Kommentare der Autorin an die Oberfläche und verweisen damit auf ihre Verbundenheit zu Dalí: „Dalí a été affecté, comme l’a été Warhol (et comme l’auteur de ces lignes) d’une timidité personnelle.“17 Expliziert erläutert wird jedoch die „inclination personelle“ erst im Nachwort. Nach Aussagen der Autorin erklärt sie sich durch: […] quelques traits de caractère ou tendances névrotiques, comme on voudra (la priorité donnée à la perception visuelle, l’obsession du détail, le goût en parallèle de la dissimulation et de l’honnêteté scrupuleuse…), par des inclinations sexuelles (onanisme, scatologie bénigne, tropisme du postérieur), et aussi par quelques faits d’importance variée (perte prématurée d’un frère, attachements catalans…), j’avais commencé à approfondir mon intérêt pour l’œuvre de Dalí au travers d’un intérieur et pour la personne que, me semblait-il, je pouvais connaître un peu de l’intérieur.18 Der Publikation von Dalí et moi geht, dies ist dem Vorwort des Essays zu entnehmen, einer intensive, 4 Jahre währende Auseinandersetzung mit dem Künstler voraus. Als motivierend sollte sich ebenso das Erscheinen von La vie sexuelle de Catherine M. erweisen, denn: „Mais qu’autant de lecteurs […] aient trouvé quelque utilité personnelle dans l’exposition de mon intimité, cela a fini de m’éclairer sur une organisation de la psyché que Salvador Dalí exemplifie.“19 Demnach bildet die „exposition de mon intimité“ die Schnittstelle zwischen der Autobiographie Dalís und dem Roman Millets, der bereits auf den ersten Seiten durch seine Radikalität und Provokationen besticht und nicht von ungefähr einen Literaturskandal heraufbeschwören sollte.
16 Millet: Dalí et moi, Klappentext. 17 Ebd., S. 150. 18 Ebd., S. 173. 19 Ebd., S. 173.
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Im ersten Kapitel widmet die Erzählerin nur wenige Sätze ihrer Kindheit. Von Zahlen und Mengen fasziniert, fragt sie sich als Mädchen: Une femme pouvait-elle avoir plusieurs maris en même temps ou bien seulement l’un après l’autre? Dans ce cas, combien de temps devaitelle rester mariée avec l’un avent de pouvoir changer? Combien pouvait-elle ‚raisonnablement‘ en avoir: quelques uns, de l’ordre de cinq ou six, ou bien un nombre beaucoup plus important, voire illimité? Comment m’y prendrai-je, moi, lorsque je serai grande? Au fil des années, s’est substitué au comptage des maris celui des enfants. […] J’imaginais de façon plus concrète ma vie de femme mariée et donc la présence d’enfants.20 Antworten auf diese Fragen werden bereits nach einigen Zeilen geliefert: Mittlerweile ist die Erzählerin 18 Jahre alt. Wer jedoch eine schüchterne junge Frau erwartet, die weiterhin über die angemessene Anzahl ihrer Ehemänner sinniert, wird enttäuscht. Kaum hat sie ihre Jungfräulichkeit verloren, erweitert die Heranwachsende den Horizont ihrer sexuellen Erfahrungen. Auftakt dieser vie sexuelle bildet ein erotisches Abenteuer gemeinsam mit 3 Jungen und 2 Mädchen während der Ferien in Lyon. Mit den Jahren gewinnen die erotischen Eskapaden an Raffinement und Komplexität, sie werden anonymer, obszöner und orgiastischer: À chaque reprise du membre dans cette poche molle que je suis devenue, l’air qu’il déplace émet une sonorité claire. Cela fait pas mal de temps que je ne crie plus, depuis que j’avais réveillé le bébé des voisins et que ceux-ci avaient protesté en tambourinant contre le mur. L’ami chez qui je me trouvais, mécontent, m’avait appelée quelques jours plus tard pour m’annoncer: ‚Je me suis renseigné auprès d’un copain médecin, crier comme ça est un signe d’hystérie.‘ […] Le copain médecin aurait-il corrigé son diagnostic s’il avait su que, pendant une période, mes partenaires, après l’amour, abandonnaient sur le lit, la table ou le sol, un corps aussi raide qu’un cadavre? Heureusement ce n’étais pas à chaque fois, mais autant que je m’en souvienne, quand le plaisir avait été exacerbé. J’avais une crise de tétanie.21 Es ist die lakonische und gelassene Art der Schilderung sexueller Ausschweifungen, aus der La vie sexuelle de Catherine M. ihren Reiz bezieht. Eine mögliche Erklärung für diese Gelassenheit liefert die Erzählerin selbst, etwa wenn sie
20 Ebd., S. 10. 21 Millet: La vie sexuelle de Cathérine Millet, S. 216f.
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von ihrer „indifférence, au fond, à l’usage qu’on fait des corps“22 spricht. Insofern verwundert es nicht, wenn Jürgen Ritte, ausgehend von jenem Erzählmodus der Distanz, Millets Enthüllungsroman nicht der Literatur, sondern dem Genre Sachbuch zuordnet.23 Im Schreiben nach Befriedigung suchend und sich in die Rolle einer Beobachterin versetzend, lässt Millet ihre Leser an den Intimitäten der Erzählerin teilhaben. Verknüpft werden auf diese Weise zwei Sachverhalte, namentlich das Auge und die Erotik: Le désir d’écrire est une pulsion qui se manifeste avant de trouver son objet et qu’on satisfait ensuite comme on peut. En l’associant à une faculté d’observation et même de contemplation assez développée, j’y réponds dans la critique d’art. […] Je me suis mise dans la situation d’exercer au maximum ma faculté d’observation en choisissant le terrain le plus accessible et, par jusqu’au-boutisme, j’ai focalisé sur la matière la plus aveuglante, le sexe (en tant que critique d’art, j’ai beaucoup écrit sur la peinture monochrome, autre type d’objet aveuglant).24 Auch im dalíschen Universum wird dem Optischen sowie der Erotik eine entscheidende Bedeutung beigemessen, wie unter anderem aus Meine Leidenschaften hervorgeht: „Meine Liebe geht durch die Seele, meine Erotik durch das Auge.“25 Jedoch bleibt festzuhalten, dass das Auge als Hyperonym nicht nur die Erotik, sondern sämtliche Inszenierungstechniken und Verschleierungstaktiken dirigiert, basiert doch deren Wirkung erst auf dem Vorhandensein eines Beobachters. La vie secrète liefert in diesem Zusammenhang reichlich Beispiele, denn die Autobiographie wird wahrhaft durch den Gestus der Selbstoffenbarung und Zurschaustellung dominiert. Allerdings handelt es sich immer wieder um eine scheinbare Offenbarung, korreliert doch, wie noch zu zeigen sein wird, die Enthüllung der eigenen Person bei Dalí immer wieder auch mit Verschleierungstaktiken. Zur Veranschaulichung des permanenten Entblößens, des Aus-Sich-Herausgehens seien an dieser Stelle nur einige Beispiele genannt.
22 Ebd., S. 203. 23 Ritte: „Pornographie als Lebensform“. 24 Millet: „Pourquoi et Comment“, S. 70. 25 Dalí: Meine Leidenschaften, S. 112.
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„Da oben!“ Das ist der wunderbare Ausdruck! Mein ganzes Leben ist von diesen beiden antagonistischen Vorstellungen bestimmt worden, dem Oben und dem Unten. Seit meiner frühesten Kindheit habe ich mich verzweifelt bemüht, „oben“ zu sein. Es ist mir gelungen, und jetzt, wo ich da bin, werde ich dort bleiben, bis ich sterbe.26 Noch ein Kind, aber schon möchte der junge Dalí, der, als König verkleidet, im Waschraum seines Elternhauses der Malerei nachzugehen pflegt, die Welt von oben herab regieren und alle Blicke auf sich lenken. Getreu dem Motto „Sehen und Gesehen werden“ wird die Gier nach Aufmerksamkeit zum Programm erhoben. Verständlich also, wenn der mittlerweile erwachsene und gerade in Paris angekommene Dalí verärgert reagiert, als man sich auf offener Straße erdreistet, seine Person zu ignorieren: Ich dachte über das nach, was ich gerade getan hatte, und war so tief bewegt wie Jesus es gewesen sein muß, als er die Heilige Kommunion erfand. […] Ich war phänomenal. Ich war phänomenal. […] Ich fing an, durch die Straßen zu laufen, so schnell mich meine Beine tragen wollten. Es erstaunte mich, daß die Leute, an denen ich vorbeilief, das nicht mehr überraschte. Sie wandten kaum den Kopf in meine Richtung und widmeten sich auf die selbstverständlichste Art der Welt weiterhin ihren Angelegenheiten. Über ihre Gleichgültigkeit erbost, verzierte ich meinen Lauf mir immer höheren Sprüngen.27 Der Schilderung erotischer Motive kommt ebenfalls ein Platz zu Gute. Im Vergleich zu Millet hingegen erfolgt sie bei Dalí wesentlich subtiler: Der Kontakt mit den heißen Ähren war sehr angenehm gewesen; ich wechselte meinen Platz, um einen noch heißeren Haufen zu finden. […] Eine unendliche Trägheit überkam mich, und mit langsamen Bewegungen zog ich meine Hose aus. Ich wollte das heiße Getreide direkt am Körper haben. Langsam schüttete ich einen Sack Körner über mir aus. Die Körner rieselten über meinen Körper und bildeten eine Pyramide, die Bauch und Schenkel bald völlig bedeckte.28 In So wird man Dalí belehrt uns der Autor wiederum völlig en passant: Ich verbrachte einen Großteil meiner Zeit damit, allein und nackt in meinem Zimmer, und es geschah oft, daß ich den Pinsel weglegte, um 26 Dalí: Das geheime Leben des Salvador Dalí, S. 96. 27 Ebd., S. 225f. 28 Ebd., S. 110f.
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in dieselbe Hand mein Glied zu nehmen, so daß ich von der einen Lust zur anderen überwechselte und durch beide die gleiche Ekstase erlebte.29 Diese Subtilität bleibt nicht zuletzt der Tatsache verschuldet, dass Dalí die Verwirrung und Irritation des Lesers konsequent zu seinem Programm macht und ihn beständig an der Authentizität des Geschriebenen zweifeln lässt. Genau hier wird Millet selbst zum Spielball Dalís, basiert doch ihre Rezeption des dalíschen Wortes auf der Tatsache, dass der Katalane den Mut aufbringt, Tabus zu brechen und somit (prekären) Sachverhalten wie dem Narzissmus oder der Onanie eine Sprache verleiht.30 An dieser Feststellung ist nichts auszusetzen, jedoch ignoriert Millet die Art und Weise, auf welche der Logothet Dalí Stummes wieder hörbar werden lässt. Folglich vertieft sich die Autorin zu sehr in eine „sexuelle Lektüre“ und übergeht darüber hinaus die oftmals hinter den Aussagen des Künstlers lauernde Ironie, so dass sie die zahlreichen Enthüllungsmomente nicht als Verhüllung und Verschleierung entlarvt. Durch diese einseitige Leseweise geblendet und durch die Verschleierungsstrategien abgelenkt, entgeht der Autorin das scheinbar Unscheinbare, welches wiederum den eigentlichen Akt der Enthüllung darstellt. Es handelt sich dabei insbesondere um jene Momente, in denen Dalí, der La vie secrète im Exil verfasst hat, auf seine Heimat und seine Freunde zu sprechen kommt. Zur Veranschaulichung seien drei Beispiele genannt: Gala und ich brachten ganze Monate zu, in denen wir keinen anderen persönlichen Umgang hatten als Lydia, ihre beiden Söhne, unser Hausmädchen, Ramon de Hermosa und die Handvoll Fischer, die in Port Lligat ihre Gerätschaften in Schuppen aufbewahrten.31 Beim Ausbruch der Revolution starb mein großer Freund, der Dichter der mala muerte, Frederico Garcia Lorca, vor einem Exekutionskommando in dem von den Faschisten besetzten Granada. Sein Tod wurde zu Propagandazwecken ausgeschlachtet. Dies war schändlich, denn man wußte so gut wie ich, daß Lorca seinem Wesen nach der unpolitischste Mensch auf Erden war.32 Genau zu jener Zeit ereichten mich die tragischen Nachrichten aus Cadaqués. Die Anarchisten hatten ungefähr dreißig Leute erschossen, 29 Dalí: So wird man Dalí, S. 100. 30 „Rencontre avec Catherine Millet“. 31 Dalí: Das geheime Leben des Salvador Dalí, S. 369. 32 Ebd., S. 445.
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die alle Freunde von mir gewesen waren, darunter drei Fischer von Port Lligat, die uns sehr nahe standen. Mußte ich mich letztlich doch dazu entschließen, nach Spanien zurückzukehren, und das Schicksal derer zu teilen, die mir nahe standen?33 Prompt verblassen hier die Spuren der Selbstinszenierung und lassen den Leser teilhaben an Dalís Intimität, welche nicht sexuellen Charakters ist. Die Erotik mag zwar, um mit den Worten des Exzentrikers zu sprechen, durch das Auge gehen, jedoch geht umgekehrt das Auge nicht nur durch die Erotik, so dass es zum Hyperonym dalíscher Semantik wird. Anders als Millet, deren Intimität dort beginnt, wo Blicke gewährleistet sind, setzt der Regisseur Dalí bei der Schilderung seiner Intimsphäre, seiner Geheimnisse auf Ablenkungsmanöver, „Kameraschwenkungen“ und Umlenkung des Auges. Fremden soll der Zutritt zu dem Mikrokosmos von Cadaques, diesem Ort der „Askese, der Isolierung“34 verwehrt bleiben. Insofern findet hier, und dies entgeht der Autorin von La vie sexuelle de Catherine M, eine Umkehrung statt, denn es ist die Abwesenheit des Sehenden, durch welche sich bei Dalí der eigentliche Akt definiert.
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33 Ebd., S. 450. 34 Ebd., S. 371.
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Bildernachweis Bellmer: Filles réversible, Lichtdruck, 1939. Bellmer: D’après Boticelli, Bleistiftzeichnung, 1938. Dalí, Salvador: ‚Form‘ is always the product of ‚inquisitorial‘ process of matter. Aus: Das geheime Leben des Salvador Dalí, München 1984. Dalí, Salvador: Frontispiz. Aus: Das geheime Leben des Salvador Dalí, München 1984. Dalí, Salvador: Entwurf für den Modewettbewerb Die Frau der Zukunft, 1953, Aquarell und Gouache, 20,2 x 25,5 cm, Privatsammlung. Dalí, Salvador: El Cristo de San Juan de la Cruz, 1951, Öl auf Leinwand, 205 x 116 cm, The Glasgow Art Gallery, Glasgow. Dalí, Salvador: Weibliche Körper bilden einen Totenkopf, 1951, Gouache. Dalí, Salvador: La Madona de Port Lligat, (erste Fassung), 1949, Öl auf Leinwand, 48,9 x 37,5 cm, Marquette University, Haggerty Museum of Art, Milwaukee. Dalí, Salvador: Die Spaltung des Atoms (Dematerialisierung neben Neros Nase), 1947, Öl auf Leinwand, 76,4 x 46 cm, Fundació Gala-Salvador Dalí, Figueres. Dalí, Salvador: Werbeanzeigen für Bryans Hosiery, veröffentlicht in Vogue 15. März, 1947, 1. März 1945, 1. September 1947 und 7. Juni 1947. Dalí, Salvador: Studie zu dem Film Destino, 1946, Bleistift auf Papier, 20,3 x 22,8 cm, Privatsammlung, courtesy de la Galerie Manuel Barbié, Barcelone. Dalí, Salvador: Las tentaciones de San Antonio, 1946, Öl auf Leinwand, 89,7 x 119,5 cm, Musées Royaux des Beaux-Arts de Belgique, Brüssel. Dalí, Salvador: Tristan fou, 1944, Gouache auf Papier, 66 x 50,7 cm, Fundació Gala-Salvador-Dalí, Figueres. Dalí, Salvador: Crutches, 1942, Abbildung. Aus: The Secret Life of Salvador Dalí. Dalí, Salvador: L’autoportrait mou avec du lard grillé, 1941, Öl auf Leinwand, 61,3 x 50,8cm, Fundació Gala-Salvador-Dalí, Figueres. Dalí, Salvador: Le miel est plus douce que le sang, 1941, Öl auf Leinwand, 49,5 x 60 cm, The Santa Barbara Museum of Art, Santa Barbara. Dalí, Salvador: Saint Sébastien androgyne, 1941, Aquarell, 47 x 63,5 cm, Privatsammlung. Dalí, Salvador: Soft Self Portrait with Fried Bacon, 1941, oil on cavnas, 61,3 x 50,8 cm, Fundació Gala-Salvador-Dalí, Figueras.
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Bildernachweis
Dalí, Salvador: Gradiva retrouve les ruines anthropomorphes (fantaisie rétrospective), ca. 1931-1932, Öl auf Leinwand, 65 x 54 cm, Museo Thyssen-Bornemisza, Madrid. Dalí, Salvador: Frontispiz für L’amour et la mémoire, 1931, Fotomontage. Dalí, Salvador: Dormeuse, cheval, lion, 1930, Öl auf Leinwand, 60,6 x 70,7 cm, Pola Museum of Art, Pola Art Foundation, Kaganawa. Dalí, Salvador: Dormeuse, cheval, lion invisibles, 1930, Öl auf Leinwand, 50,2 x 65,2 cm, Musée National d’Art Moderne, Centre Pompidou, Paris. Dalí, Salvador: Frontispiz zu La femme visible, 1930, Zeichnung. Dalí, Salvador: Gradiva, Studie für L’homme invisible, 1930, Tinte und Bleistift auf Papier, 49,5 x 40,5 cm, The Salvador Dalí Museum, Saint Petersburg, Florida. Dalí, Salvador: Les plaisirs illuminés, 1929, Öl und Collage auf zusammengesetztem Paneel, 23,8 x 34,7 cm, The Museum of Modern Art, New York, The Sidney & Janis Collection, 1967. Dalí, Salvador: El poeta en la platja d’Empúries, 1927. Dalí, Salvador: Sant Sebastiá, 1927. Dalí, Salvador: Sant Sebastiá, 1927, Sepia, 21 x 15 cm, Sammlung unbekannt. Dalí, Salvador: Libro de las varices (Book of the Varices), 1926, Collage und Tinte auf Papier, 2 Blätter; 17,6 x 25,6 cm und 12,4 x 17,8 cm, Fundacíon Federico García Lorca, Madrid. Dalí, Salvador: San Sebastián, Briefe an Federico García Lorca 1925-1936, Brief 12 von 1926 (Letter to Federico García Lorca 1926). Dalí, Salvador: Studie zu Le miel est plus douce que le sang, 1926, Öl auf Holzpaneel, 36 x 44 cm, Privatsammlung, Paris. Dalí, Salvador: Autoportrait au cou raphaëlesque (Self-Portrait with Raphaelesque Neck) c. 1922, huile sur toile, 40,5 x 53 cm, Fundació Gala-Salvador Dalí, Figueres. Halsman, Philippe: Dalí Moustache, 1954. Halsman, Philippe: Dalí and the Skull, 1951. Lorca, Federico García: San Sebastián, um 1927, Federzeichnung. Man Ray: Titelabbildung zu Salvador Dalís La femme visible, 1927, Fotografie. Roca Català: Dalí sautant à la corde au Parc Güell, Fotografie, 1952. Für alle hier aufgelisteten (Dalí-)Abbildungen gilt: © Salvador Dalí, Fundació Gala-Salvador Dalí/VG Bild-Kunst, Bonn 2007.
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Autoren Ruth Amossy est Professeur de Littérature française à l’Université de Tel-Aviv. Elle est l’auteur de plusieurs ouvrages sur le cliché et le stéréotype, de deux livres sur Julien Gracq, de divers articles sur le surréalisme et d’un essai sur Dali: Dali ou le filon de la paranoia (1995, PUF). Elle est également spécialiste d’analyse du discours et de rhétorique: son livre sur L’argumentation dans le discours a été réédité chez Colin en 2006. Dans ce domaine, elle a entre autres dirigé un ouvrage sur Images de soi dans le discours. La construction de l’ethos (1999). Peter Bürger, Jahrgang 1936, hat bis Ende 1998 an der Universität Bremen Literaturwissenschaft und ästhetische Theorie gelehrt. Geprägt von der Frankfurter Schule, hat er in mehreren Arbeiten die Umrisse einer Ästhetik nach Adorno skizziert: am bekanntesten geworden ist seine in viele Sprachen übersetzte Theorie der Avantgarde (Suhrkamp, 1974, 13. Aufl. 2005), zuletzt erschien Das Altern der Moderne (Suhrkamp 2001). Daneben hat er sich, seit dem Ende der 1980er Jahre der zeitgenössischen Lektüre postmoderner Texte von Bataille bis Foucault zugewandt: Das Verschwinden des Subjekts (Suhrkamp 1998, 2. Aufl. 2001) und Ursprung des postmodernen Denkens (Velbrück Wiss., 2000). Justyna Olimpia Cempel, Jahrgang 1979, Studium der Fächer Englisch und Französisch auf Lehramt Sekundarstufe I/II in Siegen und Tours. Studentische Hilfskraft an den Lehrstühlen für französische Literatur und Linguistik (Universität Siegen). Seit August 2005: wissenschaftliche Hilfskraft am Lehrstuhl für französische Literatur und im Teilprojekt „Intermedialität im europäischen Surrealismus“ des kulturwissenschaftlichen Forschungskollegs Medienumbrüche (Universität Siegen). Promotionsprojekt zu Catherine Breillat. Brad Epps is Professor of Romance Languages and Literatures and current Chair of the Committee on Degrees in Studies of Women, Gender, and Sexuality at Harvard University. He has published over seventy articles on modern literature, film, art, architecture, and immigration from Spain, Latin America, Catalonia, and France and is the author of Significant Violence: Oppression and Resistance in the Narratives of Juan Goytisolo (Oxford UP); Spain Beyond Spain: Modernity, Literary History, and National Identity (with Luis Fernández Cifuentes; Bucknell UP), and Passing Lines: Immigration and Sexuality (with Bill JohnsonGonzález and Keja Valens; Harvard UP). He is currently preparing four books: The Ethics of Promiscuity, on gay and lesbian issues in Latin America and Spain; Barcelona and Beyond, on the transformations of the Catalan capital; All About Almodóvar: A Passion for Cinema (with Despina Kakoudaki: University of Minnesota Press), and Tránsitos corporales: Sexualidad y cultura en el Cono Sur (with
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Carmen Berenguer, Luis Cárcamo-Huechante, and Raquel Olea), as well as a special issue of GLQ on Monique Wittig. Marijana ErstiÚ, Studium der Germanistik, Italianistik und Kunstgeschichte in Zadar und Siegen. 2002-2005 wissenschaftliche Mitarbeiterin im FK Medienumbrüche der Universität Siegen (Teilprojekt B2 Macht- und Körperinszenierungen in der italienischen Medienkultur); derzeit wissenschaftliche Mitarbeiterin im DFGForschungsprojekt Macht und Körperinszenierungen. Modelle und Impulse der italienischen Avantgarde. Dissertation über die Familienbilder bei Luchino Visconti, Veröffentlichungen zu den Avantgarden in der Romania, zur Intermedialität sowie zu den Konzepten von Bewegung, Wahrnehmung und Gedächtnis um 1900 und 2000. Herausgeberin der Anthologie Zagreb erlesen (Klagenfurt 2001). Mithg. von Avantgarde – Medien – Performativität. Inszenierungs- und Wahrnehmungsmuster zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts (Bielefeld 2005) und von Gesichtsdetektionen in den Medien des zwanzigsten Jahrhunderts (Siegen 2006). Uta Felten, Professorin für Romanische Literaturwissenschaft an der Universität Leipzig, mit Schwerpunkt im Bereich der französischen und italienischen Literatur und der Kultur- und Medienwissenschaft. Studium an den Universitäten Düsseldorf, Sevilla und Bordeaux, 2001 Habilitation an der Universität Siegen. Aktuelle Forschungsschwerpunkte: Das moderne Kino in Frankreich und Italien, Proust und die Medien, Forschung zur italienischen Librettoliteratur des Settecento, Genderdiskurse und subversive Strategien, Systeme der libertinage, écriture transgressive. Haim Finkelstein holds the Evelyn Metz Chair in Art History at Ben-Gurion University of the Negev, Israel. His book Surrealism and the Crisis of the Object was published in 1980; his more recent books include two volumes devoted to Dalí, Salvador Dalí's Art and Writing 1927-1942 (Cambridge University Press, 1996), and a critical edition of his shorter writings, The Collected Writings of Salvador Dalí (CUP, 1998). His book The Screen in Surrealist Art and Thought is to be published by Ashgate Publishing. His current research focuses on the notion of space in Surrealist film. Kirsten von Hagen, Jahrgang 1970, Studium der Komparatistik, Romanistik, Anglistik und Germanistik in Bonn, Oxford, Reims. Stipendiatin am Graduiertenkollleg „Intermedialität“ der Universität Siegen. Dissertation zum Thema Intermediale Liebschaften: Mehrfachadaptationen von Choderlos de Laclos’ Les liaisons dangereuses ist 2002 im Stauffenburg Verlag erschienen. Lehre an den Universitäten Bonn, Salamanca und Siegen. Vertretung der Juniorprofessur „Geschichte und Theorie der Bildmedien“ an der Bauhausuniversität Weimar, Fa
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kultät Medien (2004/05). Habilitation im Rahmen eines Lise-Meitner-Habilitationsstipendiums an der Universität Bonn (2006/07): „Inszenierte Alterität: Zigeunerfiguren in Literatur, Theater, Oper und Film im 19. und 20. Jahrhundert“. Venia für Romanische und Vergleichende Literaturwissenschaft. Arbeitsschwerpunkte sind Poetik des Briefromans, Intermedialität, v.a. die Relation Literatur/Film/Theater, Paratexte, Performativität, Alterität, Medienumbrüche und Fragen des Medienwechsels. Seit August 2006 Feodor-Lynen-Stipendiatin der Alexander-von-Humboldt-Stiftung an der Pariser Sorbonne. Hg. mit C. Hoffmann und V. Roloff, Proustiana XXIV. ‚Ein unerhörtes Glücksgefühl...‘ Von der Kunst des Genießens bei Marcel Proust, Frankfurt/M. (Insel Verlag) 2006 und mit C. Hoffmann, Intermediale. Festschrift zu Ehren von Franz-Josef Albersmeier, Bonn 2007. Veröffentlichungen u. a. zu Cervantes, Mérimée, Laclos, Proust, Ophüls, Chaplin, Godard, Saura, Jean-Pierre Jeunet und Alejandro Amenábar. Frédérique Joseph-Lowery est docteur-es-lettres et chercheur indépendant. Auteur de nombreux articles sur l’œuvre écrite de Salvador Dalí, elle a dirigé un numéro spécial consacré à Dalí écrivain, pour la Revue des Sciences humaines: Lire Dalí (février 2001, 290 p.) et vient de publier aux éditions de l’Age d’homme (2006) une édition critique des manuscrits de Gala et Salvador Dalí: La Vie secrète de Salvador Dalí. Suis-je un génie? (740 p.). Directrice d’un colloque intitulé Dalí. Sur les traces d’éros qui se déroulera à Cerisy-La-Salle du 13 au 20 août 2007, elle est en charge de deux expositions qui montreront, l’une, au Scriptorial du Mont St Michel, les dessins originaux des manuscrits de l’autobiographie de Salvador Dalí et l’autre, à Cerisy, le travail que Dalí effectua avec Maurice Béjart en 1961, pour le ballet Gala. Kerstin Küchler, 1999-2006 Studium der Romanistik und Germanistik an den Universitäten Leipzig, Aix-en-Provence und Zürich; Mitarbeit als studentische und später wissenschaftliche Hilfskraft am Lehrstuhl für französische, italienische und frankophone Literatur am Institut für Romanistik an der Universität Leipzig (Prof. Dr. Uta Felten), seit 2006 wissenschaftliche Assistentin von Prof. Dr. Uta Felten. Isabel Maurer Queipo, Studium der französischen und spanischen Literaturwissenschaften und Wirtschaftswissenschaften in Siegen. Wissenschaftliche Mitarbeiterin im DFG-Projekt „Theater und Theatralität im Film. Französische Theater/Filme von 1930-60“, dann im Teilprojekt „Intermedialität im europäischen Surrealismus“ des kulturwissenschaftlichen Forschungskollegs Medienumbrüche der Universität Siegen. Dissertation zu Pedro Almodóvar; Habilitationsprojekt zum (Alb)Traum und Medien. Weitere Forschungsinteressen:
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Intermedialität in der Romania; europäische Avantgarden, Gender Studies. Publikationen u.a. zu Renoir, Fantômas, Borges, Buñuel und Dalí. Joan Maria Minguet Batllori (1958). Doctor en Historia del Arte. Profesor de Historia del Arte Contemporáneo y de Historia del Cine en la Universidad Autónoma de Barcelona. Ha publicado más de veinte libros, los más recientes: El Manifiesto Amarillo. Dalí, Gasch, Montanyà y el antiarte (2004); Salvador Dalí, cine y surrealismo(s) (2003); Joan Miró. L’artista i el seu entorn cultural (1918-1983) (2000); Segundo de Chomón, beyond the cinema of attractions (1999). Ha sido curator en varias exposiciones: „L’art del risc. Circ contemporani català“ (CCCB, Barcelona, 2006); „Serra. El arte de la cerámica“ (Museo Nacional de Cerámica, Valencia, 2005); „Manifest Groc. Dalí, Gasch, Montanyà i l’antiart“ (Fundació Joan Miro, Barcelona, 2004); „Salvador Dalí: lletres i ninots. (El fons Dalí del Museu Abelló)“ (Museo Abelló, Mollet del Vallés, 2001). Volker Roloff, Professor für Romanische Literaturwissenschaft an der Universität Siegen, mit Schwerpunkt im Bereich der französischen und spanischen Literatur und der romanischen Kultur- und Medienwissenschaft. Aktuelle Arbeitsbereiche und Forschungsinteressen: Theorie und ästhetische Praxis der Intermedialität; europäische Avantgarden (Schwerpunkt Frankreich und Spanien); Proust und die neuen Medien; französische Theater- und Filmgeschichte. Neueste Veröffentlichungen: Theater und Film in der Zeit der Nouvelle Vague, Tübingen 2000 (Hrsg. mit S. Winter); Rohmer intermedial, Tübingen 2001 (Hrsg. mit U. Felten); Bildschirm-Medien-Theorien, München 2002 (Hrsg. mit P. Gendolla, P. Ludes); Erotische Recherchen. Zur Decodierung von Intimität bei Marcel Proust, München 2003 (Hrsg. mit F. Balke); Die Ästhetik des Voyeur, Heidelberg 2003 (Hrsg. mit W. Hülk, Y. Hoffmann); Jean Renoirs Theater/Filme, München 2003 (Hrsg. mit M. Lommel). Nanette Rißler-Pipka, Studium der Allgemeinen Literaturwissenschaft, Romanistik und Wirtschaftswissenschaften in Siegen und Orléans. Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt „Intermedialität im europäischen Surrealismus“ des Siegener kulturwissenschaftlichen Forschungskollegs Medienumbrüche. Dissertation zum Thema Das Frauenopfer in der Kunst und seine Dekonstruktion (München 2005); Habilitationsprojekt unter dem Arbeitstitel „Passagen zwischen Bild und Text: Picassos Schriften“, zahlreiche Artikel zu intermedialen Themen bei Chabrol, Rohmer, Rivette, Zola-Manet, Balzac, Poe, Verne, Jean Renoir, Picasso und Meret Oppenheim.
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Autoren
Ferran Sáez F. Mateu (1964) es doctor en Filosofía por la Universidad de Barcelona y profesor titular en la Universidad Ramon Llull, donde dirige el Institut d’Estudis Polítics Blanquerna y coordina el programa de doctorado Política, media, sociedad. Colabora regularmente en los periódicos Avui y La Vanguardia, y en la revista El Temps. Entre sus libros destacan ensayos como La invenció de l’home (1996), El crepuscle de la democràcia (1998), Dislocacions (1999) Què (ens) passa? (2003) o Comunicació i argumentació (2003). Su obra ha sido galardonada con algunos de los premios más prestigiosos de la cultura catalana, como el Josep Vallverdú o el Joan Fuster, entre otros. Andrea Stahl, Studium der Allgemeinen, Französischen und Spanischen Literaturwissenschaft in Siegen und Barcelona. Stipendiatin der Friedrich-EbertStiftung und Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Romanische Literaturwissenschaft an der Universität Siegen. Dissertationsprojekt zu dem Thema „Surrealistische Inszenierungen des Körpers am Beispiel Claude Cahuns“. Bisherige Forschungsinteressen zur Medienästhetik der historischen Avantgarde. Gerhard Wild, Studium der Romanistik, Komparatistik, Musikwissenschaft, Kunstgeschichte, Altphilologie, Philosophie und Arabistik in München. Dissertation 1993: Transformation von Erzählstrukturen im Ritterroman des 13. Jahrhunderts. Forschungsaufenthalte in Spanien (1991), Portugal (1987) und Lateinamerika (1993-96). Assistent für Romanistik in München (1988-91) und Siegen (1991-2000). Habilitation 1998: Paraphrasen der Alten Welt: Interkulturelle Ästhetik im Werk Alejo Carpentiers. Redakteur an Kindlers Neuem Literaturlexikon. Herausgeberschaft: Hispanorama: Der spanische Film (1992). Zahlreiche Aufsätze zur Ästhetik und Poetologie in den romanischen Literaturen des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, des Fin de Siècle und der Avantgarden. Seit 2001 Ordinarius für Iberoromanistik an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt. Scarlett Winter, Wissenschaftliche Assistentin am Institut für Romanische Literaturen und Sprachen der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt, mit Schwerpunkt im Bereich der iberoromanischen Kultur- und Medienwissenschaft. Habilitation 2006 an der Universität Siegen. Aktuelle Arbeitsbereiche und Forschungsinteressen: europäische Theater- und Filmgeschichte, Medienästhetik in der Nouvelle Vague; Surrealismus in Frankreich und Spanien. Neueste Veröffentlichungen: Theater und Film in der Zeit der Nouvelle Vague, Tübingen 2000 (Hrsg. mit Volker Roloff); Körper – Ästhetik – Spiel. Zur filmischen ecriture der Nouvelle Vague, München 2004 (Hrsg. mit Susanne Schlünder); Robbe-Grillet, Resnais und der neue Blick, Heidelberg 2007.
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Medienumbrüche Albert Kümmel-Schnur, Jens Schröter (Hg.) Äther Ein Medium der Moderne November 2007, ca. 350 Seiten, kart., ca. 31,80 €, ISBN: 978-3-89942-610-6
Stefan Eichhorn Die Vermessung der virtuellen Welt Von »Sacred« bis »GTA«: Karten im Computerspiel Oktober 2007, ca. 120 Seiten, kart., ca. 14,80 €, ISBN: 978-3-89942-755-4
Sigrid Baringhorst, Veronika Kneip, Annegret März, Johanna Niesyto (Hg.) Politik mit dem Einkaufswagen Unternehmen und Konsumenten als Bürger in der globalen Mediengesellschaft Oktober 2007, ca. 320 Seiten, kart., ca. 27,80 €, ISBN: 978-3-89942-648-9
Isabel Maurer Queipo, Nanette Rißler-Pipka (Hg.) Dalís Medienspiele Falsche Fährten und paranoische Selbstinszenierungen in den Künsten September 2007, 416 Seiten, kart., 36,80 €, ISBN: 978-3-89942-629-8
Peter Gendolla, Jörgen Schäfer (eds.) The Aesthetics of Net Literature Writing, Reading and Playing in Programmable Media Februar 2007, 394 Seiten, kart., 33,80 €, ISBN: 978-3-89942-493-5
Walburga Hülk, Gregor Schuhen, Tanja Schwan (Hg.) (Post-)Gender Choreographien/Schnitte 2006, 236 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN: 978-3-89942-277-1
Ralf Schnell (Hg.) MedienRevolutionen Beiträge zur Mediengeschichte der Wahrnehmung 2006, 208 Seiten, kart., 23,80 €, ISBN: 978-3-89942-533-8
Rainer Geißler, Horst Pöttker (Hg.) Integration durch Massenmedien / Mass Media-Integration Medien und Migration im internationalen Vergleich Media and Migration: A Comparative Perspective 2006, 328 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN: 978-3-89942-503-1
Rainer Leschke, Jochen Venus (Hg.) Spielformen im Spielfilm Zur Medienmorphologie des Kinos nach der Postmoderne August 2007, 422 Seiten, kart., 33,80 €, ISBN: 978-3-89942-667-0
Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de
Medienumbrüche Isabel Maurer Queipo, Nanette Rißler-Pipka, Volker Roloff (Hg.) Die grausamen Spiele des »Minotaure« Intermediale Analyse einer surrealistischen Zeitschrift 2005, 206 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN: 978-3-89942-345-7
Josef Fürnkäs, Masato Izumi, K. Ludwig Pfeiffer, Ralf Schnell (Hg.) Medienanthropologie und Medienavantgarde Ortsbestimmungen und Grenzüberschreitungen 2005, 292 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN: 978-3-89942-380-8
Rainer Geißler, Horst Pöttker (Hg.) Massenmedien und die Integration ethnischer Minderheiten in Deutschland Problemaufriss – Forschungsstand – Bibliographie 2005, 546 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN: 978-3-89942-280-1
Isabel Maurer Queipo, Nanette Rißler-Pipka (Hg.) Spannungswechsel Mediale Zäsuren zwischen den Medienumbrüchen 1900/2000 2005, 220 Seiten, kart., 23,80 €, ISBN: 978-3-89942-278-8
Nicola Glaubitz, Andreas Käuser, Hyunseon Lee (Hg.) Akira Kurosawa und seine Zeit 2005, 314 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN: 978-3-89942-341-9
Ralf Schnell, Georg Stanitzek (Hg.) Ephemeres Mediale Innovationen 1900/2000 2005, 242 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN: 978-3-89942-346-4
Ralf Schnell (Hg.) Wahrnehmung – Kognition – Ästhetik Neurobiologie und Medienwissenschaften 2005, 264 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN: 978-3-89942-347-1
Marijana Erstic, Gregor Schuhen, Tanja Schwan (Hg.) Avantgarde – Medien – Performativität Inszenierungs- und Wahrnehmungsmuster zu Beginn des 20. Jahrhunderts 2004, 370 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-182-8
Peter Gendolla, Jörgen Schäfer (Hg.) Wissensprozesse in der Netzwerkgesellschaft 2004, 286 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN: 978-3-89942-276-4
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Medienumbrüche Michael Lommel, Isabel Maurer Queipo, Nanette Rißler-Pipka, Volker Roloff (Hg.) Französische Theaterfilme – zwischen Surrealismus und Existentialismus 2004, 334 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN: 978-3-89942-279-5
Uta Felten, Volker Roloff (Hg.) Spielformen der Intermedialität im spanischen und lateinamerikanischen Surrealismus 2004, 364 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN: 978-3-89942-184-2
Jens Schröter, Alexander Böhnke (Hg.) Analog/Digital – Opposition oder Kontinuum? Zur Theorie und Geschichte einer Unterscheidung 2004, 438 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN: 978-3-89942-254-2
Matthias Uhl, Keval J. Kumar Indischer Film Eine Einführung 2004, 174 Seiten, kart., 18,80 €, ISBN: 978-3-89942-183-5
Michael Lommel, Isabel Maurer Queipo, Nanette Rißler-Pipka (Hg.) Theater und Schaulust im aktuellen Film 2004, 172 Seiten, kart., 19,80 €, ISBN: 978-3-89942-181-1
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