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German Pages [352] Year 2013
de Gruyter Lehrbuch Wächter · Hausen Chemie für Mediziner 6. Auflage
Wächter · Hausen
Chemie für Mediziner 6., bearbeitete und erweiterte Auflage unter Mitarbeit von Dietmar Fuchs und Gilbert Reibnegger
w DE
G Walter de Gruyter-Berlin-New York 1989
Univ.-Prof. Univ.-Prof. Univ.-Doz. Univ.-Doz.
D r . D r . h . c . Helmut Wächter Dr. A r n o Hausen Dr. Dietmar Fuchs Dr. Gilbert Reibnegger
Institut für Medizinische Chemie und Biochemie Universität Innsbruck A-6010 Innsbruck
1. 2. 3. 4. 5. 6.
Auflage Auflage Auflage Auflage Auflage Auflage
1975 1977 1979 1982 1985 1989
Cip-Titelaufnahme
der Deutschen
Bibliothek
Wächter, Helmut: Chemie für Mediziner / Helmut Wächter ; A r n o Hausen. — 6., bearb. u. erw. Aufl. / unter Mitarb. von Dietmar Fuchs u. Gilbert Reibnegger. - Berlin ; New York : de Gruyter, 1989 (De-Gruyter-Lehrbuch) ISBN 3-11-011976-5 NE: Hausen, Arno:
Copyright © 1989 by Walter de Gruyter & C o . , D-1000 Berlin 30. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. D a s gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Satz: Frohberg, Freigericht; Druck: Tutte Druckerei G m b H , Salzweg-Passau. Buchbinderische Verarbeitung: Dieter Mikolai, Berlin.
Vorwort zur 6. Auflage Bedingt durch die Neufassung des Gegenstandskatalogs für die Ärztliche Vorprüfung* wurde die 6. Auflage dieses Lehrbuches vollständig überarbeitet. Dementsprechend wurde auch das Korrelationsregister den neuen Bedingungen angepaßt. Das bisherige didaktische Konzept wurde beibehalten. Wünsche und Ratschläge von Studierenden und Fachkollegen wurden berücksichtigt, Ergänzungen und Erweiterungen wurden eingebaut. Allen Lesern, die uns mündlich oder schriftlich wertvolle Anregungen gegeben haben, möchten wir ganz herzlich danken. Über weitere Vorschläge würden wir uns sehr freuen. Innsbruck, im Juli 1989
*
H. Wächter · A. Hausen D. Fuchs • G. Reibnegger
Stoffgrundlagen für die schriftlichen Ärztlichen Prüfungen Sammlung von Gegenständen, auf die sich der schriftliche Teil der Ärztlichen Vorprüfung bezieht 1MPP Institut für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen D-6500 Mainz, Große Langgasse 8
Vorwort zur 1. Auflage Über die Ausbildung der Medizinstudenten in der Chemie fanden sich bisher an verschiedenen Universitäten unterschiedliche Auffassungen, die sich unter anderem auch in der inhaltlichen Verschiedenheit bestehender Lehrbücher ausdrückten. Zum Zwecke eines einheitlicheren und zweckmäßigeren Chemieunterrichtes für Medizinstudenten erarbeitete eine deutsche Sachverständigenkommission den Umfang des Lernstoffes der Chemie für Mediziner, und das Institut für medizinische Prüfungsfragen, Mainz, verlegte erstmals im September 1973 den deutschen „Gegenstandskatalog für die Fächer der ärztlichen Vorprüfung". Etwa zur gleichen Zeit erstellten wir den Entwurf eines österreichischen „Lernzielkataloges für medizinische Chemie", der sich inhaltlich vollständig mit dem deutschen Gegenstandskatalog deckt, und legten diesen Entwurf im Sommer 1973 dem Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung zur weiteren Diskussion vor. Das vorliegende Buch „Chemie für Mediziner" umfaßt das Wissensgebiet dieser Gegenstandskataloge, allerdings aus Gründen einer zusammenhängenden und leicht verständlichen Darstellung oft in etwas anderer Reihenfolge. Teilweise überschreitet das Buch geringfügig den Umfang des Wissensgebietes des deutschen Gegenstandskataloges, wenn eine erweiterte Ausführung für ein leichteres Verständnis notwendig erschien. Um die Koordination zum deutschen Gegenstandskatalog zu erleichtern, haben wir ein Korrelationsregister aufgenommen, das die Punkte des Gegenstandskataloges mit der Seitennummer des Lehrbuches verbindet. Das Buch selbst entstand nach einer Vorlesung, die wir in dieser Form erstmals im Wintersemester 1972/73 an der Universität Innsbruck gehalten haben. Wir sehen die Aufgaben des Buches nicht darin, medizinische Anwendungsmöglichkeiten chemischer Substanzen zu beschreiben oder eine Einführung in die klinische Chemie zu geben, sondern wir wollen dem Leser soweit einen Einblick in die Chemie geben, daß er in der Lage ist, die Chemie als Grundlage für andere Fächer wie beispielsweise die Biochemie, Physiologie, Pharmakologie u.a. zu verstehen. Chemische Synthesen, Ableitungen und Berechnungen haben wir, um allzuviel Lernstoff zu vermeiden, auf ein unbedingt nötiges Mindestmaß beschränkt. Naturgemäß wird ein Anspruch auf umfassende Darstellung und exakte mathematische Ausführung des behandelten Stoffes nicht erhoben. An dieser Stelle danken wir auch allen Studenten, die uns in dem an die Vorlesung angeschlossenen Seminar wertvolle Anregungen gegeben haben. Zu besonderem Dank sind wir Herrn Dr. L. Call für die kritische Durchsicht des Manuskripts verpflichtet. Frl. K. Kováts danken wir für das gewissenhafte Schreiben des Manuskripts und die Anfertigung des Sachregisters. Dem Verlag Walter de Gruyter danken wir für die jederzeit gewährte Unterstützung und die sorgfältige Drucklegung. Innsbruck, im Juli 1975
H. Wächter · A. Hausen
Inhaltsverzeichnis Größen und Einheiten Tabelle der Abkürzungen und Symbole Korrelationsregister zum Gegenstandskatalog. Stoffgrundlagen für die schriftlichen Ärztlichen Prüfungen
XII XIV XVII
A.
Grundlagen der allgemeinen Chemie
3
1.
Einleitung
3
2.
Zustandsformen der Materie 2.1 Phasen 2.2 Aggregatzustände 2.3 Kristalline Festkörper 2.4 Ionenkristalle 2.5 Riesenmoleküle 2.6 Molekülkristalle 2.7 Kristalle mit Wasserstoffbrückenbindung 2.8 Gase 2.9 Das Boyle-Mariottesche Gesetz und die Stoffmenge 2.10 Das Gesetz von Charles und Gay-Lussac und die thermodynamische Temperaturskala . 2.11 Das Gesetz von Avogadro und das molare Volumen 2.12 Das ideale Gasgesetz 2.13 Ideale und reale Gase 2.14 Molekülmassebestimmung von Gasen und verdampfbaren Substanzen 2.15 Das Daltonsche Partialdruckgesetz 2.16 Abhängigkeit der 0 2 -Aufnahme in der Lunge vom Sauerstoffpartialdruck 2.17 Kinetische Gastheorie 2.18 Flüssigkeiten 2.19 Gläser 2.20 Gummiartige Stoffe 2.21 Phasenumwandlungen
3 3 4 5 6 7 7 8 9 9 10 12 12 13 13 13 14 15 16 18 18 18
3.
Atombau 3.1 Atome 3.2 Elementarteilchen 3.3 Kernbau 3.4 Kernumwandlungen 3.5 Radioaktivität
20 20 21 21 23 24
4.
Wechselwirkung zwischen Licht und Materie 4.1 Elektromagnetische Strahlung 4.2 Spektren 4.3 Photometrische und spektrometrische Verfahren
27 27 31 32
5.
Struktur der Elektronenhülle 5.1 Erklärung des Wasserstoffspektrums nach Bohr 5.2 Unschärferelation 5.3 Wellencharakter des Elektrons 5.4 Wellenmechanische Elektronenmodelle 5.5 Elektronenzustände des Wasserstoffatoms, Quantenzahlen
37 37 39 40 41 42
Inhaltsverzeichnis
Vili 5.6 5.7 5.8 5.9 6.
Elektronenspin Atome mit mehreren Elektronen Elektronenkonfiguration von Mehrelektronenatomen Periodensystem der Elemente
46 46 47 49
Chemische Bindung 6.1 Ionisierungsenergie, Elektronenaffinität und Ionenbindung 6.2 Einfache kovalente Bindung 6.3 Bindungswinkel und Hybridisierung 6.4 Mehrfachbindungen 6.5 Mesomerie und polyzentrische Molekülorbitale 6.6 Metallische Bindung 6.7 Semipolare (koordinative) Bindung 6.8 Polarisierte kovalente Bindung 6.9 Bindungskräfte zwischen Molekülen 6.10 Kovalente Bindung und Hybridisierung der Hauptgruppenelemente 6.10.1 Verbindungen mit maximaler Bindigkeit 6.10.2 Verbindungen mit trägem Elektronenpaar 6.10.3 Basizitätsunterschiede der Hydride 6.10.4 Wasserstoffbrückenbindungen 6.10.5 Doppelbindungen 6.11 Isomerie 6.11.1 Strukturisomerie (Ketten-, Stellungsisomerie, Tautomerie) 6.11.2 Stereoisomerie (geometrische und optische Isomerie) 6.11.3 Charakterisierung der räumlichen Anordnung der Substituenten am asymmetrischen C-Atom 6.11.3.1 Projektionsformel nach E. Fischer 6.11.3.2 D-und L-Konfiguration 6.11.3.3 R-, S-System 6.11.4 Diastereomerie 6.12 Freie Radikale
50 50 53 56 61 63 65 65 66 69 71 72 73 73 73 74 75 75 76
7.
Chemische Gleichungen 7.1 Relative Atom-und Molekülmassen 7.2 Das Mol und die molare Masse 7.3 Chemische Formeln und Gleichungen 7.4 Stöchiometrische Rechnungen 7.5 Konzentrationsangaben
82 82 83 84 85 87
8.
Thermodynamik 8.1 Zustandsfunktionen 8.2 Intensive und extensive Zustandsfunktionen 8.3 Reversible und irreversible Prozesse 8.4 Innere Energie 8.5 Volumenarbeit 8.6 Reaktionswärmen bei konstantem Volumen 8.7 Enthalpie 8.8 Thermochemische Reaktionsgleichungen 8.9 Entropie 8.10 2. Hauptsatz der Thermodynamik 8.11 3. Hauptsatz der Thermodynamik 8.12 Freie Enthalpie 8.13 Chemisches Gleichgewicht
78 78 78 78 79 81
89 89 89 90 91 92 93 94 96 97 98 100 100 101
Inhaltsverzeichnis 8.14 Gleichgewichtskonstante und freie Enthalpie 8.15 Löslichkeitsprodukt
IX 106 106
9. Säuren und Basen 9.1 Säure-Base-Definitionen 9.2 Protolyse des Wassers 9.3 pH-Wert 9.4 Stärke von Säuren und Basen 9.5 Protonenübergänge beim Lösen von Salzen 9.6 Protolysengrad 9.7 Pufferlösungen 9.8 Titration von Säuren und Basen 9.9 Indikatoren
108 108 110 111 113 116 117 119 123 126
10. Oxidation und Reduktion 10.1 Definitionen der Oxidation und Reduktion 10.2 Oxidationszahl 10.3 Redoxgleichungen 10.4 Elektrochemische Spannungsreihe 10.5 Lösungsdruck 10.6 Konzentrationsabhängigkeit des Potentials 10.7 Nernstsche Gleichung 10.8 Potentiometrische pH-Messung 10.9 Elektrolyse
127 127 129 131 132 135 136 137 139 140
11. Gleichgewichtsphänomene zwischen verschiedenen Phasen 11.1 Diffusion 11.2 Osmotischer Druck 11.3 Dialyse 11.4 Donnan-Beziehung 11.5 Dampfdruckerniedrigung 11.6 Löslichkeit von Gasen in Flüssigkeiten 11.7 Nernstsches Verteilungsgesetz 11.8 Oberflächenspannung 11.9 Oberflächenaktive Substanzen 11.10 Kolloide 11.11 Adsorption 11.12 Trennverfahren
141 141 142 143 143 144 145 146 147 148 149 150 152
12. Chemische Kinetik 12.1 Reaktionsgeschwindigkeit 12.2 Reaktionsordnung 12.3 Temperaturabhängigkeit der Reaktionsgeschwindigkeit 12.4 Katalyse
153 153 154 156 159
B.
163
Spezielle anorganische Chemie
13. Chemie der Elemente und Verbindungen 13.1 Hauptgruppenelemente 13.2 Alkalimetalle (s'-Elemente) 13.3 Erdalkalimetalle (s 2 -Elemente) 13.4 Erdmetalle (p'-Elemente) 13.5 Kohlenstoffgruppe (p 2 -Elemente) 13.6 Stickstoffgruppe (p 3 -Elemente) 13.7 Chalkogene (p 4 -Elemente)
163 163 163 164 165 166 168 171
X
Inhaltsverzeichnis 13.8 13.9 13.10 13.11
Halogene (p 5 -Elemente) Edelgase (p 6 -Elemente) Wasserstoff Übergangselemente (d-und f-Elemente)
174 175 175 176
14. Komplexverbindungen
177
C.
183
Spezielle organische Chemie
15. Allgemeines zur organischen Chemie 15.1 Sonderstellung der Chemie des Kohlenstoffs 15.2 Reaktionstypen in der organischen Chemie 15.3 Einteilung organischer Verbindungen
183 183 183 186
16. Gesättigte Kohlenwasserstoffe (Alkane) 16.1 Struktur und Nomenklatur 16.2 Physikalische Eigenschaften 16.3 Chemische Eigenschaften
186 186 190 190
17. Alkene (Olefine) 17.1 Struktur und Nomenklatur 17.2 Physikalische und chemische Eigenschaften 17.3 Polyene
193 193 194 198
18. Alkine (Acetylenkohlenwasserstoffe) 18.1 Struktur und Benennung 18.2 Chemische Eigenschaften
200 200 201
19. Cycloalkane 19.1 Struktur und Benennung 19.2 Physikalische und chemische Eigenschaften
203 203 203
20. Aromatische Kohlenwasserstoffe 20.1 Struktur 20.2 Benennung aromatischer Kohlenwasserstoffe 20.3 Physikalische und chemische Eigenschaften 20.4 Reaktionen der Seitenketten von Aromaten 20.5 Kondensierte aromatische Kohlenwasserstoffe
205 205 206 207 212 213
21. Halogenierte Kohlenwasserstoffe 21.1 Halogenalkane 21.1.1 Struktur und Benennung 21.1.2 Physikalische und chemische Eigenschaften 21.1.3 Grignard-Verbindungen 21.2 Aromatische Halogenverbindungen
214 214 214 215 217 217
22. Alkohole 22.1 Struktur und Benennung 22.2 Physikalische Eigenschaften 22.3 Chemische Eigenschaften 22.3.1 Säure-und Basenreaktionen der Alkohole 22.4 Nucleophile Substitutionen 22.5 Wasserabspaltung aus Alkoholen 22.6 Oxidation von Alkoholen 22.7 Einzelne Alkohole
219 219 220 221 221 221 222 223 224
Inhaltsverzeichnis
XI
23. Phenole und Chinone 23.1 Phenole 23.2 Chinone
225 225 227
24. Ether . . .
229
25. Aldehyde und Ketone 25.1 Struktur und Benennung 25.2 Redoxreaktionen 25.3 Additionsreaktionen 25.4 H-Acidität am a-C-Atom 25.5 Aldoladdition 25.6 Einzelne Aldehyde
231 231 232 233 235 236 237
26. Carbonsäuren 26.1 Struktur und Benennung 26.2 Acidität der Carbonsäuren 26.3 Reaktionen an der Carboxylgruppe Γ 26.4 Reaktionen von Carbonsäurederivaten mit Nucleophilen 26.5 Einzelne Carbonsäuren 26.6 Ungesättigte Carbonsäuren 26.7 Mehrprotonige (mehrbasige) Carbonsäuren 26.8 Hydroxycarbonsäuren und Ketocarbonsäuren 26.9 Aminosäuren und Proteine
237 237 239 240 242 246 246 247 249 252
27. Amine 27.1 Struktur und Benennung 27.2 Chemische Reaktionen der aliphatischen Amine 27.3 Chemische Reaktionen aromatischer Amine 27.4 Diamine
263 263 264 265 268
28. Kohlensäurederivate 28.1 Kohlensäureamide 28.2 Ureide 28.3 Guanidin
269 269 270 272
29. Organische Schwefel Verbindungen
273
30. Kohlenhydrate 30.1 Struktur und Benennung 30.2 Physikalische und chemische Eigenschaften der Monosaccharide 30.3 Disaccharide 30.4 Polysaccharide
274 274 278 281 283
31. Heterocyclen 31.1 Allgemeines 31.1 Nucleinsäuren
284 284 288
32. Lipide 32.1 Fette 32.2 Phosphatide, Sphingolipide und Glykolipide 32.3 Wachse 32.4 Steroide
292 292 293 295 295
33. Energiereiche Bindungen
297
Weiterführende Literatur
300
Sachregister
301
Periodensystem der Elemente
326
Größen und Einheiten
Mit nur wenigen Ausnahmen benützen wir die Einheiten des Internationalen Einheitensystems, (Système International d'Unités, Abk. SI). Die Basiseinheiten und -großen des SI sind: Basisgröße
Basiseinheit
Zeichen
Länge Masse Zeit Stromstärke Temperatur Stoffmenge Lichtstärke
Meter Kilogramm Sekunde Ampere Kelvin Mol Candela
m kg s A Κ mol cd
Teilweise ist auch auf die Celsiustemperatur Bezug genommen, die als Grad Celsius (°C) angegeben ist. Auch bei den abgeleiteten Einheiten bevorzugen wir die SI-Einheiten. Lediglich in der folgenden Tabelle geben wir noch die Umrechnung in ältere Einheiten an. Abgeleitete Einheiten und Beziehung zu älteren Einheiten: abgeleitete Größe
Einheit
Zeichen
Beziehung zu Grundeinheiten
Kraft Druck
Newton Pascal
Ν Pa
m · kg · s - 2 m"1 · kg · s - 2
Arbeit, Energie, Wärmemenge
Joule
J
m 2 · kg · s"2
Umrechnung in ältere Einheiten
1 Pa = 9,869 · IO -6 atm l P a = 0,0075 Torr 1J = 0,239 cal 1 cal = 4,187 J l e V =1,6022-IO" 1 9 J
XIII
Größen und Einheiten
Wenn wir mit den erwähnten Größen zu kleine oder zu große Zahlenwerte erhalten, sind Vielfache oder Teile der Einheiten zweckmäßig, die mit den folgenden Vorsätzen bezeichnet werden:
Faktor
Vorsatz
Vorsatzzeichen
10" 18 IO" 15 IO" 12 IO"9 10~6 IO"3 IO3 IO6 IO9 IO12 IO15 IO18
Atto Femto Pico Nano Mikro Milli Kilo Mega Giga Tera Peta Exa
a f Ρ η
μ m k M G Τ Ρ E
Tabelle der Abkürzungen und Symbole
a A A A Ae An
AR Ar atm bar c c C
°c
cal const. d D e~ E E E° E Ελ
EE £kin Εΐρ ^Κρ
EN ER
EMK
/ F F Fp. G (g)
Aktivität Nucleonenzahl Fläche Arrhenius-Konstante elektrophile Additionsreaktion nucleophile Additionsreaktion radikalische Additionsreaktion aromatischer Rest Atmosphäre Bar Stoffmengenkonzentration Lichtgeschwindigkeit Coulomb Grad Celsius Kalorie konstant Schichtdicke Debye Elektron Extinktion Spannung Normalspannung Energie Aktivierungsenergie elektrophile Eliminierungsreaktion kinetische Energie molare Gefrierpunktserniedrigung molare Siedepunktserhöhung nucleophile Eliminierungsreaktion radikalische Eliminierungsreaktion elektromotorische Kraft, Spannung Aktivitätskoeffizient Faraday-Konstante Kraft Schmelzpunkt freie Enthalpie gasförmig
Tabelle der Abkürzungen und Symbole
h H I J k Κ KB KK Ks κ* Κ Kp. 1 ι ι (1) L L ig 1η m m m M Mt mmHg MO mol η η η η η Ν ΝΑ nm οχ ΟΖ Ρ Ρ osm Pen Ρ
Ρ
Planck-Konstante Enthalpie Lichtstärke Joule Boltzmann-Konstante Gleichgewichtskonstante Basekonstante Komplexbildungskonstante Säurekonstante Ionenprodukt des Wassers Kelvin Siedepunkt Liter Nebenquantenzahl Strecke flüssig Löslichkeitsprodukt Drehimpuls dekadischer Logarithmus natürlicher Logarithmus Masse Orientierungsquantenzahl Meter molare Masse (Molmasse) relative Molekülmasse Millimeter-Quecksilbersäule Molekülorbital Mol Exponent der Konzentrationen im Zeitgesetz Hauptquantenzahl Laufzahl Stoffmenge (früher Molzahl) Neutron Teilchenzahl Avogadro-Konstante Nanometer oxidierte Form des Redoxpaares Oxidationszahl Druck osmotischer Druck Sauerstoffpartialdruck Impuls Proton
XV
XVI
Ρ Pa q q qp qw r R R R RG red s s (s) S SE SN SR SI t t ty2 Τ U ν V val w W W χ ζ Ζ Ζ α ε λ λ ν ν ν σ
Tabelle der Abkürzungen und Symbole
sterischer Faktor Pascal Ladung Wärmemenge Wärmemenge bei konstantem Druck Wärmemenge bei konstantem Volumen Abstand, Radius, Reaktionsgeschwindigkeit allgemeine Gaskonstante Rydberg-Konstante organischer Rest Reaktionsgeschwindigkeit reduzierte Form des Redoxpaares Spinquantenzahl Sekunde fest Entropie elektrophile Substitutionsreaktion nucleophile Substitutionsreaktion radikalische Substitutionsreaktion Système International d'Unités Celsius-Temperatur Zeit Halbwertzeit thermodynamische („absolute") Temperatur innere Energie Geschwindigkeit Volumen Äquivalent Arbeit thermodynamische Wahrscheinlichkeit Watt Strecke Zahl der Elektronen Ordnungszahl Zahl der Zusammenstöße Protolysegrad molarer Extinktionskoeffizient Wellenlänge Zerfallskonstante Frequenz Antineutrino Wellenzahl Oberflächenspannung
Korrelationsregister zum Gegenstandskatalog Stoffgrundlagen für die schriftlichen Ärztlichen Prüfungen* Neuauflage 1989 Lernziel Nummer
1
Ausgewählte anorganische Verbindungen
1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6 1.7 1.8 1.9 2
Seite
171 f., 175 163 f. 164f. 166 f. 168f. 168f. 171 f. 174 f. 176 f. Ausgewählte organische Verbindungen
2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6 2.7 2.8 2.9 2.10 2.11 2.12 2.13 2.14
186 f., 203 f. 193 f. 205 f. 214f. 219 f., 225 f. 273 f. 229 f. 263 f. 274 231 f. 227 f. 237 f. 242 f. 242 f.
Lernziel Nummer
Seite
2.15 2.16 2.17 2.18 2.19 2.20 2.21 3
242 f. 242 f. 247 f. 249 f. 252 f. 274 f. 284 f.
Aufbau der Materie
3.1 Atome, Elemente 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4 3.1.5 3.1.6 3.1.7
20 f. 22 22 10 82 20,82 41 f.
3.2 Periodensystem 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.2.5 3.2.6
20,49 f. 46 f. 46 f. 46f.,50f. 46f.,50f. 46f.,50f.
3.3 Chemische Bindung 3.3.1
20,82 f.
* Stoffgrundlagen für die schriftlichen Ärztlichen Prüfungen Sammlung von Gegenständen, auf die sich der schriftliche Teil der Ärztlichen Vorprüfung bezieht IMPP Institut für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen D-6500 Mainz, Große Langgasse 8
Korrelationsregister
XVIII 3.3.2 3.3.3 3.3.4 3.3.5 3.3.6 3.3.7 3.3.8 3.3.9 3.3.10 3.3.11 3.3.12 3.3.13 3.3.14 3.3.15 4
50 f. 54f.,71f. 72 f., 127 f. 5,50f. 50 f. 7 , 5 3 f. 56 f. 59 66 f. 70 f. 69,106 f. 65 f., 177 f. 65 f. 178
Reaktionen der Stoffe
4.1 Massenwirkungsgesetz 4.1.1 4.1.2 4.1.3 4.1.4
34,87 f. 101 f. 104 f. 104
4.2 Salze 4.2.1 4.2.2
116f. 106 f.
4.3 Säuren und Basen 4.3.1 4.3.2 4.3.3 4.3.4 4.3.5 4.3.6 4.3.7 4.3.8 4.3.9 4.3.10 4.3.11
116 f. 113f. 108 f. l l l f . , 113f. 115 115 f. 123 f. 119f. 120 126 f., 139 f. 126 f.
4.4 Oxidation und Reduktion 4.4.1 4.4.2
127 f. 128 f.
4.4.3 4.4.4 4.4.5 4.4.6
137 f. 134 135 132 f., 229 f.
4.5 Reaktionen von Metallkomplexen 4.5.1 4.5.2 4.5.3
5
179 f. 179 f. 180
Heterogene Gleichgewichte
5.1 Grundbegriffe 5.1.1 5.1.2 5.1.3 5.1.4 5.1.5 5.1.6
3 f., 149 f. 141 f. 146 150 f. 145 f. 142 f.
5.2 Anwendungen auf Trennverfahren 5.2.1 5.2.2 5.2.3 5.2.4
6
152f. 152f. 143 37,144 f., 152
Energetik und Kinetik
6.1 Grundbegriffe der Energetik 6.1.1 6.1.2 6.1.3 6.1.4 6.1.5 6.1.6 6.1.7
96,101 101 94 f. 97 f. 101 106 133
6.2 Grundbegriffe der Kinetik 6.2.1 6.2.2 6.2.3 6.2.4
153 f. 154 f. 155 158
XIX
Korrelationsregister
6.2.5 6.2.6
158 159 f.
6.3 Biochemische Anwendung 6.3.1 6.3.2 6.3.3 6.3.4 7
90 105 104 f. 297 f.
Struktur und Reaktion einfacher Verbindungen
7.1 Grundkörper (Aliphaten, Aromaten, Heterocyclen) 7.1.1 7.1.2 7.1.3 7.1.4 7.1.5 7.1.6 7.1.7 7.1.8 7.1.9 7.1.10 7.1.11 7.1.12 7.1.13 7.1.14 7.1.15 7.1.16 7.1.17 7.1.18 7.1.19 7.1.20 7.1.21
61 f. 60 f. 61 f. 187 f. 197 187 203 f. 187 205 193 193 198 f. 205 f. 206 f. 63 f. 284f. 284 f. 183 f. 183 f. 183 f. 183 f.
7.2 Verbindungen mit einfach gebundenen Heteroatomen 7.2.1 7.2.2 7.2.3 7.2.4 7.2.5
219f. 220 f. 223 f., 273 f. 273 f. 229 f.
7.2.6 7.2.7 7.2.8 7.2.9
273 f. 225 f. 263 f. 245,263 f.
7.3 Carbonylverbindungen 7.3.1 7.3.2 7.3.3 7.3.4 7.3.5 7.3.6 7.3.7 7.3.8
231 231 231 f. 232 235 236 227 f. 227 f.
7.4 Carbonsäuren und Carbonsäure-Derivate 7.4.1 7.4.2 7.4.3 7.4.4 7.4.5 7.4.6 7.4.7 7.4.8 7.4.9
239 f. 247 f. 148 f. 190 242 f. 242 f. 240 f. 241 f. 251
7.5 Hydroxy- und Ketocarbonsäuren 7.5.1 7.5.2 7.5.3 7.5.4
249 f. 251 251 f. 251 f.
7.6 Organische Derivate der PhosphorSchwefel- und Kohlensäure 7.6.1 7.6.2 7.6.3 8 8.1
297 f. 273 f., 297 f. 269 f.
Isomerie organischer Verbindungen 76 f., 189f.
Korrelationsregister
XX 8.2 8.3 8.4
187 76 f. 189 f.
10.3.2 10.3.3 10.3.4
283 f. 283 f. 283 f.
8.5 Konfigurationsisomere 8.5.1 8.5.2 8.5.3 8.5.4 8.5.5 8.5.6 8.5.7 8.5.8 9
75 f., 193 204,275 f. 77 f. 77 f. 77 f 78 79 f. 79 f.
Funktionelle Gruppen und Stereochemie von Naturund Arzneistoffen
11.1 Aminosäuren 11.1.1 11.1.2 11.1.3 11.1.4 11.1.5
12.1 Fettsäuren 12.1.2
10.1 Monosaccharide 10.1.1 10.1.2 10.1.3 10.1.4 10.1.5
274 f. 275 f. 275 f. 274 f. 278 f.
10.1.6
281
10.2 Disaccharide
252 f. 257 f. 252 f. 257 f. 252 f.
12 Fettsäuren, Lipide
12.1.1
10 Kohlenhydrate
10.2.1 10.2.2 10.2.3 10.2.4
11 Aminosäuren, Peptide, Proteine
12.1.3 12.1.4
237 f . , 292 f. 237 f., 292 f. 148 f., 237 f., 292 f. 240 f.
12.2 Lipide 12.2.1 12.2.2 12.2.3
292 f. 148 f., 292 f. 292 f.
13 Nucleotide, Nucleinsäuren 281 f. 281 f. 281 f. 281 f.
13.1 Nucleotide 13.1.1 13.1.2
10.3 Oligo- und Polysaccharide
13.2 Nucleinsäuren
10.3.1
13.2.1
283 f.
288 f. 288 f.
288 f.
Α. Grundlagen der allgemeinen Chemie
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12.
Einleitung Zustandsformen der Materie Atombau Wechselwirkungen zwischen Licht und Materie Struktur der Elektronenhülle Chemische Bindung Chemische Gleichungen Thermodynamik Säuren und Basen Oxidation und Reduktion Gleichgewichtsphänomene zwischen verschiedenen Phasen Chemische Kinetik
Α. Grundlagen der allgemeinen Chemie
1 Einleitung Chemische Kenntnisse und Arbeitsmethoden erhalten vor allem über die Biochemie, Physiologie und klinische Chemie eine ständig wachsende Bedeutung für die moderne Medizin. Das Verständnis der Biochemie erfordert eine gründliche Kenntnis der Chemie, wie sie in Vorlesungen und Büchern der Biochemie nicht gebracht werden kann. Beim Studium der Biochemie sollten elementare chemische Grundbegriffe und chemisches Denken bereits vorhanden sein. Um einen leichten Zugang zu chemischem Denken zu ermöglichen, haben wir das Kapitel „Zustandsformen der Materie", das am meisten mit der Welt des Alltages verbunden ist, an den Anfang gestellt. Anschließend behandeln wir den Bau der Atome und der Moleküle, wobei auf das Entstehen von Bindungen besondere Aufmerksamkeit gerichtet wird. Einer kurzen Betrachtung der Thermodynamik schließt sich eine ausführlichere Behandlung von Säuren und Basen sowie von Redoxvorgängen an. Der allgemeine Teil endet mit dem chemischen Gleichgewicht und der Kinetik. Im speziellen anorganischen Teil haben wir auf die beschreibende Chemie weitgehend verzichtet, da es uns sinnvoll erschien, nicht Einzelerscheinungen ausführlich darzustellen, sondern Gesetzmäßigkeiten zu erfassen. Auch im organischen Teil wird das Ziel verfolgt, mit Hilfe von Reaktionsmechanismen und systematischer Besprechung der funktionellen Gruppen die Stoffchemie zu verlassen und den Merkstoff auf ein Minimum zu reduzieren. Die klassische Unterteilung der Chemie haben wir mit den drei Hauptkapiteln beibehalten: A. Grundlagen der allgemeinen Chemie B. Spezielle anorganische Chemie C. Spezielle organische Chemie
2 Zustandsformen der Materie 2.1 Phasen Je nachdem, ob eine Substanz über den betrachteten Bereich gleichmäßig einheitliche chemische und physikalische Eigenschaften hat, oder ob beispielsweise ihr Aussehen, spezifisches Gewicht, ihre Härte usw. unterschiedlich sind, bezeichnet man sie als homo-
4
Α. Grundlagen der allgemeinen Chemie
gen oder als heterogen. Eine homogene Substanz besteht aus einer Phase, eine heterogene aus zwei oder mehr Phasen. Homogen bedeutet nicht, daß nur eine Komponente vorhanden ist. So befinden sich in einer Lösung von Kochsalz in Wasser zwei chemisch unterschiedliche Substanzen, die eine homogene Phase bilden, da ihre Verteilung überall völlig gleichmäßig ist. Andererseits bilden chemisch einheitliche Stoffe wie Wasser und Wasserdampf zwei Phasen. Ein solches Gemisch ist daher heterogen. Ein Metallblock z.B. ist überall gleichmäßig hart, reflektiert Licht, leitet Strom und Wärme, bildet also eine Phase. Geben wir Öl in ein Gefäß mit Wasser, erhalten wir ein System mit zwei flüssigen Phasen. An der Grenze Öl-Wasser ändern sich Lichtbrechung und spezifisches Gewicht deutlich. Auch chemisch einheitliche Substanzen, z.B. Eis in Wasser schwimmend, können, wie bereits erwähnt, mehrere Phasen darstellen. An der Phasengrenze ändert sich in diesem Falle nicht die chemische Zusammensetzung, sondern es ändern sich nur die physikalischen Eigenschaften. Eis, Wasser und Wasserdampf sind verschiedene Aggregatzustände ein und derselben Substanz. Schmilzt Eis oder verdampft Wasser, so ändern sich die physikalischen Eigenschaften sprunghaft, eine Phasenumwandlung unter Änderung des Aggregatzustandes findet statt. Bei homogenen Stoffen kann man Lösungen (bzw. homogene Mischungen) und Reinsubstanzen unterscheiden. Im Gegensatz zu den Reinsubstanzen enthalten Lösungen zwei oder mehr Bestandteile. Beispiele dafür sind in Wasser gelöster Zucker, eine homogene Mischung von Alkohol und Wasser, Luft als Mischung verschiedener Gase oder eine Legierung, die aus zwei oder mehr Metallen besteht. Reine Substanzen haben im Gegensatz zu den meisten Lösungen einen konstanten Schmelzpunkt und Siedepunkt. Zur Charakterisierung von Reinsubstanzen bedient man sich zweckmäßigerweise physikalischer Daten wie des Schmelzpunktes, Siedepunktes, Brechungsindexes, Spektrums oder chromatographischer Parameter.
2.2 Aggregatzustände Ob ein bestimmter Stoff im festen, im flüssigen oder im gasförmigen Aggregatzustand vorliegt, hängt vom Druck und der Temperatur ab. Zu jedem der drei Aggregatzustände gehören charakteristische Eigenschaften, die weitgehend unabhängig von der chemischen Zusammensetzung sind. Festkörper sind hart und schwer komprimierbar, sie haben also eine bestimmte Gestalt und ein bestimmtes Volumen. Gase erfüllen jeden beliebigen Raum und sind leicht komprimierbar. Da Gase in jedem Verhältnis mischbar sind, existiert jeweils nur eine gasförmige Phase. Flüssigkeiten fehlt zwar wie den Gasen eine feste Gestalt und Härte, aber sie sind ähnlich wie feste Körper schwer komprimierbar. Die Grenze zwischen dem gasförmigen und dem flüssigen Zustand ist leicht zu ziehen. Zwischen Festkörpern und Flüssigkeiten gibt es Übergänge in Form der amorphen Stoffe. Solche amorphen Stoffe haben zwar meist eine größere Härte als Flüssigkeiten, aber
5
2. Zustandsformen der Materie
auf Grund ihres molekularen Ordnungsgrades ähneln sie doch mehr den flüssigen als den festen Stoffen. Die charakteristischen Merkmale des festen Aggregatzustandes finden wir nur bei den Kristallen gut ausgebildet. Ein weiterer Aggregatzustand ist das Plasma. Als Plasma bezeichnet man Gase, Flüssigkeiten oder auch Festkörper, in denen freie Ladungsträger (Ionen, ungebundene Elektronen) in einer solchen Anzahl vorkommen, daß die physikalischen Eigenschaften des Mediums wesentlich verändert sind. Die Anzahl der positiven und negativen Ladungen pro Volumeneinheit muß dabei annähernd gleich groß sein (Quasineutralität).
2.3 Kristalline Festkörper Kristalle unterscheiden sich von amorphen Körpern durch eine regelmäßige Form und durch anisotrope (richtungsabhängige) physikalische Eigenschaften. Das Verhalten von Gasen, Flüssigkeiten und amorphen Körpern hingegen ist richtungsunabhängig (isotrop).
Die Unterschiede in den makroskopischen Eigenschaften spiegeln den unterschiedlichen molekularen Aufbau wider. In den Kristallen sind die Bausteine regelmäßig an bestimmten Plätzen, den Gitterpositionen, angeordnet. Jeder Baustein befindet sich nur auf einer bestimmten Gitterposition. Die Verbindungslinien gleicher Bausteine heißen Gittergeraden, die Schnittpunkte von Gittergeraden Gitterpunkte. Eine Netzebene besteht aus den Gittergeraden einer Ebene. Mehrere Netzebenen im Raum angeordnet bauen ein Raumgitter auf. Als Beispiel ist in Abb. 2.3.1 das Raumgitter eines NaCl-Kristalls (Kochsalz) dargestellt.
ο
Να+
• CI"
ç -
Gittergerade
^Netzebene Gitterpunkt
Abb. 2.3.1. Raumgitter eines NaCl-Kristalls (Ausschnitt).
Die Bestandteile der festen Körper halten ihre Gitterpositionen ziemlich genau ein. Die Moleküle, Atome oder Ionen schwingen nur um ihre Gleichgewichtslage, führen aber keine fortschreitende (translatorische) oder Drehungs-(Rotations-)bewegung aus.
6
Α. Grundlagen der allgemeinen Chemie
Amorphe Körper haben keine natürlichen ebenen Begrenzungen. Im Inneren unterscheiden sie sich dadurch von den Kristallen, daß sich eine regelmäßige Ordnung der Bausteine nur über kleinere Bereiche erstreckt. Beispiele für nichtkristalline, amorphe Festkörper sind Glas und viele Kunststoffe.
Tab. 2.3.1 Einteilung der Kristalle Kristalltyp
Bausteine
Bindungsart
Beispiele
Eigenschaften
Ionenkristall
Ionen
Ionenbindung
NaCl, Salze
Hoher Schmelzpunkt (Fp.) hart, spröd
Riesenmolekül
Atome
kovalenteBdg.
Diamant
Hoher Fp. sehr hart
Molekülkristall
Moleküle
van der Waalssche Bdg.
Iod Org. Krist.
Niedriger Fp. weich
Kristall mit H-Brückenbdg.
Moleküle
H-Brückenbdg.
Eis
Niedriger Fp. weich
Eine Einteilung der Kristalle kann entweder nach der geometrischen Anordnung der Bausteine in 7 Kristallsysteme erfolgen, oder man unterscheidet nach der Art der Gitterbausteine und den zwischen ihnen bestehenden Bindungsarten. Obwohl letztere Einteilung nicht immer ohne Grenzfälle durchzuführen ist, wollen wir sie doch vornehmen, da sie auf eine Beziehung zwischen dem inneren Bau und den äußeren Eigenschaften aufmerksam macht (Tab. 2.3.1). Die Bindungsarten selbst besprechen wir in Kap. 6.
2.4 Ionenkristalle Die Bausteine von Ionenkristallen sind positiv bzw. negativ geladene Ionen, die durch die elektrostatischen (Coulombschen) Anziehungskräfte zusammengehalten werden. Da elektrostatische Kräfte nicht gerichtet sind, ist jedes Ion bestrebt, sich mit möglichst vielen Gegenionen zu umgeben. Die Ionen sind daher mit möglichst wenig Zwischenraum dicht gepackt. Die Koordinationszahl, d.h. die Zahl der sich in nächster Umgebung befindenden Gegenionen, ist meist recht hoch (6—8). Als Folge der starken Anziehungskräfte und der hohen Koordinationszahl haben Ionenkristalle hohe Schmelzpunkte und sind hart. Ein einfaches Beispiel eines Ionenkristalls ist der Natriumchloridkristall (Abb. 2.3.1). In Natriumchlorid umgeben 6 Chloridionen jedes Natriumion und 6 Natriumionen jedes Chloridion. Für jedes Ion resultiert so die Koordinationszahl 6.
2. Zustandsformen der Materie
7
2.5 Riesenmoleküle Im Gitter des Diamant ist jedes Kohlenstoffatom symmetrisch von vier weiteren Kohlenstoffatomen umgeben, die Koordinationszahl beträgt also nur vier. Die niedrige Koordinationszahl zeigt, daß zwischen den Bausteinen gerichtete Kräfte wirksam sind, denn ungerichtete Kräfte ergeben eine viel dichtere Packung. Die zwischen den Kohlenstoffatomen wirkenden Kräfte werden als Atombindungen oder kovalente Bindungen bezeichnet. Da die kovalenten Bindungen sehr stark sind und alle C-Atome des Diamant so miteinander verbunden sind, ist der Diamant sehr hart und hat einen hohen Schmelzpunkt (Abb. 2.5.1).
Abb. 2.5.1. Struktur des Diamant.
Ähnliche Strukturen treten stets auf, wenn viermal so viel Valenzelektronen vorhanden sind wie Atome, z.B. bei Siliciumcarbid SiC oder bei Aluminiumphosphid AIP.
2.6 Molekülkristalle Zwischen Edelgasen sowie zwischen Molekülen können sich keine chemischen Bindungen ausbilden. Der Zusammenhalt in Edelgas- und Molekülkristallen und in deren flüssigem Zustand erfolgt durch van der Waalssche Kräfte, die viel schwächer sind als die kovalenten Bindungen oder die Anziehungskräfte zwischen Ionen. Die Moleküle sind meist ebenfalls nicht sehr dicht gepackt, allerdings nicht infolge gerichteter Anziehungskräfte, sondern als Folge ihrer nicht kugelförmigen Gestalt. Molekülkristalle sind deshalb weich und schmelzen tief. Zu den Molekülkristallen gehören die Nichtmetallverbindungen einschließlich der meisten organischen Verbindungen (Abb. 2.6.1).
8
Α. Grundlagen der allgemeinen Chemie
y β
β
w
β
χ
^
w
μ
i 2 Moleküle on der Rückseite ^
i 2 Moleküle an der Vorderseite
Abb. 2.6.1. Struktur des Iod-Kristalls als Beispiel eines Molekülkristalls.
2.7 Kristalle mit Wasserstoffbrückenbindung Die Wasserstoffbrückenbindung ist eine gerichtete Bindung, aber viel schwächer als die kovalente Bindung. Kristalle mit Wasserstoffbrückenbindung sind daher relativ weich und voluminös. Diese Kristallbildung finden wir bei vielen Säuren, Alkoholen und besonders bei Eis. Bei Eis ist jedes Sauerstoffatom jeweils über ein Wasserstoffatom tetraedrisch von vier weiteren Sauerstoffatomen umgeben. Das Wasserstoffatom ist mit
O o
O-Atom Η-Atom Η-Brücken Bindung
Abb. 2.7.1. Struktur des Eiskristalls.
2. Zustandsformen der Materie
9
dem einen Sauerstoffatom durch eine kovalente, mit dem anderen durch eine Wasserstoffbrückenbindung verbunden (Abb. 2.7.1).
2.8 Gase Gase sind in ihrem physikalischen Verhalten einander sehr ähnlich: Sie breiten sich gleichmäßig in Gefäßen aus, sind leicht komprimierbar und vollständig miteinander mischbar. Experimentell findet man bei Gasen außer der leichten Komprimierbarkeit, also einer starken Abhängigkeit des Volumens vom Druck, eine viel höhere Temperaturabhängigkeit des Volumens als bei Festkörpern. Die Kenntnis der Abhängigkeit des Volumens von Druck und Temperatur hat Bedeutung für die Gasmengenmessung. Da Gase viel kleinere Dichten als Flüssigkeiten und Festkörper haben, ist die Gaswägung zur Massenbestimmung wenig zweckmäßig. Statt dessen bestimmt man das Volumen und berechnet die Gasmenge mit den Gesetzen, die die Abhängigkeit des Volumens von Druck und Temperatur beschreiben. Aus diesem Grund beschäftigen wir uns etwas mit den Gasgesetzen.
2.9 Das Boyle-Mariottesche Gesetz und die Stoffmenge Wie das Volumen einer bestimmten Gasmenge durch Ändern des Druckes beeinflußt wird, untersuchte schon 1662 Robert Boyle. Er fand, daß das Volumen reziprok proportional dem Druck ist:
Ρ
Andere Schreibweisen für diese umgekehrte Proportionalität sind: _ const. Ρ
oder ρ · V = const. oder auch, wenn ein ideales Gas, ausgehend vom Volumen Vi und dem Druckp\, auf ein Volumen V2 und den Druck p2 gebracht wird: Pi-V1=p2-V2
Da bei dieser Druck- und Volumenänderung die Temperatur des Gases konstant gehalten wird, spricht man von einem isothermen Prozeß.
10
Α. Grundlagen der allgemeinen Chemie
Die Schreibweise (p ' Vh = const, symbolisiert den isothermen Vorgang. Das Boyle-Mariottesche Gesetz läßt sich graphisch in einemp, F-Diagramm darstellen. Für jede Temperatur erhält man eine bestimmte Hyperbel (Abb. 2.9.1).
Das Produkt aus Druck und Volumen ist nur konstant, wenn neben der Temperatur auch die Stoffmenge η des Gases konstant gehalten wird. Die SI-Einheit der Stoffmenge ist das Mol (Symbol mol): Ein Mol ist diejenige Stoffmenge, die ebensoviele Molküle, Atome oder Ione enthält, wie in 0,012 kg des Isotops 12C Kohlenstoffatome enthalten sind, das sind NA = 6,022 · 102 3 mol -1 . Na ist die Avogadro-Konstante (früher auch als Loschmidtsche Zahl bezeichnet). Nun können wir das Boyle-Mariottesche Gesetz endgültig formulieren: (Ρ • Κ)τ,η = const.
2.10 Das Gesetz von Charles und Gay-Lussac und die thermodynamische Temperaturskala 1787 berichtete Charles und 1802 Gay-Lussac über die Beziehung zwischen dem Volumen von Gasen und der Temperatur. Sie fanden, daß sich das Volumen eines idealen Gases um 1/273 des Volumens bei Null Grad Celsius ausdehnt, wenn es um ein Grad Celsius erwärmt wird. Wenn das Volumen des Gases bei 0°C V0 ist, gilt:
11
2. Zustandsformen der Materie
Eine graphische Darstellung der Temperaturabhängigkeit des Volumens in einem V, tDiagramm ergibt für verschiedene Drücke Geraden, die sich alle in einem Punkt schneiden (Abb. 2.10.1). Führt man eine neue Temperaturskala ein, wobei man diesen Schnittpunkt gleich Null Grad setzt, jedoch die Intervalle der Celsiustemperaturskala beibehält, so vereinfacht sich das Gesetz von Gay-Lussac zu: V =
V · Τ — = const. · T. T0
Die auf diese Weise eingeführte Temperaturskala nennt man thermodynamische (früher: absolute) Temperaturskala. Die Einheit dieser Skala ist das Kelvin (K): Als Bezugspunkt ist der Tripelpunkt des Wassers mit 273,16 Κ festgelegt. 1 Kelvin ist somit 1/273,16 dieses Wertes. Am Tripelpunkt des Wassers befinden sich Eis, flüssiges Wasser und Wasserdampf im Gleichgewicht. Die Temperatur des Wassertripeipunktes liegt 0,01 °C über der Temperatur des schmelzenden Eises, die den Nullpunkt der Celsiustemperaturskala festlegt. Zur Umrechnung von Grad Celsius in Kelvin muß man also zur Temperatur in Grad Celsius 273,15 dazuzählen. Für die meisten Berechnungen rundet man der Einfachheit wegen auf 273 ab (Abb. 2.10.2). Wassertripelpunkt
273,16
0.01
273,15
0
Wassertripelpunkt
(Bezugstemperatur) Schmelzpunkt
des
Eises
Schmelzpunkt des Eises (Bezugstemperatur)
1
o- Kelvin
-273,15 Grad Celsius
Abb. 2.10.2. Vergleich der Kelvinund der Celsiusskala (nicht maßstabgetreu).
12
Α. Grundlagen der allgemeinen Chemie
Es gelten also folgende Beziehungen zwischen den beiden Temperaturskalen: t = T-T0=
T- 273,15
t
Grad Celsius
bzw. Τ = t + 273,15
Τ Kelvin
Der absolute Nullpunkt (0 K) ist grundsätzlich experimentell nicht erreichbar. Immerhin ist man heute bis auf 2 · 1(Γ5 Κ an ihn herangekommen.
2.11 Das Gesetz von Avogadro und das molare Volumen Das Gesetz der Verbindungsvolumina von Gay-Lussac, nach welchem Gasvolumina miteinander im Verhältnis ganzer Zahlen reagieren, veranlaßte Avogadro 1811, eine Hypothese zur Deutung dieses Gesetzes aufzustellen. Heute gilt diese Hypothese als gesichert und wird als Gesetz bezeichnet: Gleiche Volumina verschiedener idealer Gase enthalten unter gleichen äußeren Bedingungen die gleiche Anzahl von Molekülen. Aus diesem Gesetz folgt auch, daß ein Mol jedes idealen Gases bei gleicher Temperatur und bei gleichem Druck das gleiche Volumen einnimmt. Experimentell findet man, daß das molare Volumen (Molvolumen) bei 0°C und 1 bar 22,414 I-mol -1 beträgt. Auf 0°C und 1 bar Druck rechnet man gewöhnlich alle Gasvolumina um und nennt diesen Temperatur- und Druckzustand Normzustand oder „Normalbedingungen".
2.12 Das ideale Gasgesetz Das Gesetz von Boyle-Mariotte, das Gesetz von Gay-Lussac und das Gesetz von Avogadro kann man zu einer Gleichung kombinieren, dem idealen Gasgesetz: ρ •V = η ·R · Τ In dieser Gleichung ist ρ der Druck, V das Volumen, Τ die thermodynamische Temperatur und η die Stoffmenge des Gases. R ist eine Konstante, die wir finden, wenn wir die anderen vier Größen für einen bestimmten Zustand einsetzen, z.B. für ein Mol bei Normalbedingungen η = 1 mol, ρ = 101,325 kPa, V = 22,414, Τ = 273,15 Κ; dann erhalten wir R =
ρ·V 101,325-22,414 = 8,314 J Κ" 1 mol -ι η·Τ ~ 1 · 273,15
R heißt allgemeine Gaskonstante und hat die Dimension Energie durch Temperatur und Stoffmenge.
2. Zustandsformen der Materie
13
2.13 Ideale und reale Gase Die Gasgesetze von Boyle-Mariotte und von Gay-Lussac und damit auch das ideale Gasgesetz gelten nur in bestimmten Druck- und Temperaturbereichen, wobei diese Bereiche von der Art des Gases abhängig sind. Gase, die diese Gesetze befolgen, nennt man ideale Gase. Gase, die (infolge ihres Eigenvolumens und der Anziehungskräfte, die zwischen Molekülen oder Atomen bestehen) größere Abweichungen von den besprochenen Gasgesetzen zeigen, heißen reale Gase. Allgemein ist ein bestimmtes Gas umso „idealer", d.h. es befolgt die idealen Gasgesetze umso genauer, je höher seine Temperatur und je niedriger sein Druck ist.
2.14 Molekülmassebestimmung von Gasen und verdampfbaren Substanzen Da die Stoffmenge η durch m η =
—
M
definiert ist, wobei m die Masse und M die molare Masse bedeuten, kann man durch experimentelle Bestimmung der Gasmasse und des Volumens bei bekannter Temperatur und bekanntem Druck mit dem idealen Gasgesetz die molare Masse von Gasen oder verdampfbaren Substanzen bestimmen. ρ ·V = η ·R ·Τ mit
m η = — ergibt M B1 „ „ p V . - . R . T
und ,, M
=
m-R-T V p
2.15 Das Daltonsche Partialdruckgesetz Da das ideale Gasgesetz für viele Gasarten gilt, ist anzunehmen, daß man es auch auf Gasmischungen anwenden kann. Experimentell fand Dalton 1801, daß das Vermischen verschiedener Gase das Gesamtvolumen nicht verändert. Dalton nannte den Druck eines Bestandteiles einer Gasmi-
14
Α. Grundlagen der allgemeinen Chemie
schung, den dieser Teil ausüben würde, wenn er sich allein in dem Gefäß befände, den Partialdruck des Gases. Mit dieser Definition lautet das Daltonsche Partialdruckgesetz: Der Gesamtdruck einer Gasmischung ist gleich der Summe der Partialdrücke der einzelnen Gase.
2.16 Abhängigkeit der 02-Aufnahme in der Lunge vom Sauerstoffpartialdruck Der Übergang des Sauerstoffs aus der Lunge in das Blut erfolgt hauptsächlich durch Bindung des 0 2 an Hämoglobin unter Bildung von Oxyhämoglobin. Das Sauerstoffbindungsvermögen hängt außer vom C0 2 -Partialdruck und dem pH-Wert des Blutes auch stark vom Sauerstoffpartialdruck ab (Abb. 2.16.1). Die atmosphärische Luft enthält bei einem Gesamtdruck von 1 bar 21 Vol.-% 0 2 , 78 Vol.-% N2 sowie Edelgase (ca. 1 Vol.-%) und C 0 2 (0.01 Vol.-%). Bei Sättigung mit Wasserdampf müssen, da der Wasserdampfpartialdruck bei 37°C (Körpertemperatur) 63 mbar beträgt, diese 63 mbar vom Gesamtdruck abgezogen werden. Aus der idealen Gasgleichung und dem Daltonschen Partialdruckgesetz ergibt sich: Pn 2
=
M,N2
Po, =
M,o2 ™o2
P^-PH2O 1 + ^ N l MOL Λ^ν2 m 0 l
Pch
=
+ P N 2 - Pges. -
1000 - 63 ι + 11
PH20
« 180 mbar
H
28 ' 21
40 60 Θ0 100 120 Partialdruck (mbar 0 Z )
Abb. 2.16.1. Sauerstoff-Bindungskurve des Blutes.
HO
2. Zustandsformen der Materie
15
In der Lunge ist allerdingsp 0l noch etwas niedriger, da einerseits vom Blut Sauerstoff aus dem Gasgemisch sofort entnommen wird, andererseits bei der Ausatmung stets Luft mit geringerem Sauerstoffgehalt zurückbleibt (Residualvolumen). Wie wir aus der Sauerstoffbindungskurve des Blutes (Abb. 2.16.1) ersehen, haben wir bei po2 = 130 mbar noch fast den Höchstwert der Sauerstoffsättigung. Bei einem Sauerstoffpartialdruck von 110 mbar, wie er einer Höhe von 5000 m entspricht, kann es jedoch bereits zu Mangelerscheinungen kommen.
2.17 Kinetische Gastheorie In den vorhergehenden Kapiteln betrachteten wir das Verhalten der Gase rein empirisch, ohne zu fragen, warum sich die Gase so verhalten. Aus den empirischen Gesetzen kann man den Aufbau der Materie nicht erklären, hierzu müssen Modellvorstellungen herangezogen werden. Modellvorstellungen sind in den Naturwissenschaften ein oft verwendetes Hilfsmittel für das Verständnis von Experimenten. Die kinetische Gastheorie als Modell hat sich zur Erklärung des Verhaltens von Gasen sehr bewährt und ermöglicht mit einigen einfachen Annahmen, die Gasgesetze anschaulich zu machen oder auch theoretisch abzuleiten. Nach der kinetischen Gastheorie besteht ein Gas aus einer sehr großen Anzahl von Molekülen. Diese sind soweit voneinander entfernt, daß sie keine Anziehungskräfte aufeinander ausüben können. Das Volumen des Gases ist so groß, daß das Volumen der Moleküle selbst nicht berücksichtigt zu werden braucht. Die Gasmoleküle bewegen sich ständig sehr rasch. Zusammenstöße zwischen den Molekülen untereinander und zwischen Molekülen und der Gefäßwand sind völlig elastisch, d.h. bei den Zusammenstößen kann Energie nur übertragen werden, der Gesamtbetrag der Energie bleibt erhalten. Die durchschnittliche kinetische Energie £
kin. = ^ m • υ2
eines Gases nimmt mit der Temperatur zu und ist der thermodynamischen Temperatur proportional. Am absoluten Nullpunkt befinden sich die Moleküle in Ruhe. Temperaturerhöhung ist gleichbedeutend mit einer Erhöhung der Geschwindigkeit der Moleküle. Nach dieser Modellvorstellung läßt sich der Druck eines Gases durch die Impulsübertragung der aufprallenden Moleküle auf die Gefäßwände erklären. Befinden sich mehr Moleküle in einem bestimmten Volumen, ist die Anzahl der aufprallenden Moleküle und somit auch der Druck größer. So findet das Gesetz von BoyleMariotte eine einfache Erklärung.
16
Α. Grundlagen der allgemeinen Chemie
Erhöht man die Temperatur eines Gases, so erhöht sich die Geschwindigkeit der Moleküle. Infolge der höheren Geschwindigkeit prallen sie häufiger auf die Wände und übertragen auch bei jedem Aufprall mehr Impuls. Deshalb erhöht sich der Druck bzw. das Volumen des Gases bei Temperaturerhöhung, wenn das Volumen bzw. der Druck konstant gehalten wird. Da die mittlere kinetische Energie bei allen Gasen bei gleicher Temperatur konstant ist, muß auch die Anzahl der Moleküle und die Stoffmenge gleich sein (Gesetz von Avogadro). Denn: •Ekin. 1 = £kin. 2 Nach der kinetischen Gastheorie ist auch: 1 2 m\ ·
v
\
2 1m 2 = 2 2 ' ^
Nun ist: mj = n t · M l und m2 = n2- M2 Durch Einsetzen erhalten wir: i η, · AÍ! · vj = ^ n2 • M2 · v\ Nach der kinetischen Gastheorie ist auch: Mi · v] = M2 · v2 Daher ist τΐχ = n2
2.18 Flüssigkeiten Flüssigkeiten stehen in ihren Eigenschaften und in ihrem Existenzbereich, bezogen auf die Temperatur, zwischen den Festkörpern und den Gasen. Beim Erwärmen fester Substanzen entstehen gewöhnlich zuerst Flüssigkeiten, die Kristalle schmelzen. Bei weiterer Wärmezufuhr geht die Flüssigkeit in die Gasphase über, sie verdampft. Die Flüssigkeiten sind infolge ihrer fehlenden Härte mit den Gasen vergleichbar, sie können ebenso wie Gase jede beliebige Form annehmen.
2. Zustandsformen der Materie
17
In ihrer Druckabhängigkeit des Volumens gleichen sie eher den Festkörpern. Auch liegen die Dichten bei den meisten Flüssigkeiten in derselben Größenordnung wie bei den Festkörpern. So wie die makroskopischen nehmen auch die molekularen Eigenschaften der Flüssigkeiten eine Mittelstellung zwischen Festkörpern und Gasen ein. Die Anziehungskräfte zwischen den Molekülen sind nicht so groß wie im Kristall, aber auch nicht vernachlässigbar klein wie bei den idealen Gasen. Die bindenden Kräfte sind trotzdem so stark, daß zwischen den Molekülen nicht viel Platz bleibt. Eine starke Volumenverminderung als Folge einer Druckerhöhung ist nicht möglich. Die zusammenhaltenden Kräfte können andererseits aber eine gegenseitige Verschiebung der Moleküle nicht verhindern, deshalb können Flüssigkeiten beliebige Formen annehmen. Die Moleküle eines Kristalls können nur Schwingungsbewegungen um eine Gleichgewichtslage ausführen. Bei Gasen fliegen die Moleküle ohne gegenseitige Bindung rasch hin und her. Bei Flüssigkeiten müssen wir einen Zwischenzustand zwischen Kristallen und Gasen annehmen. Die Moleküle befinden sich zwar meist im Anziehungsbereich ihrer Nachbarn (wie bei Kristallen), haben aber auch die Möglichkeit einer translatorischen, d.h. einer fortschreitenden Bewegung (wie bei Gasen). Eine Ordnung fehlt nicht vollständig, sie beschränkt sich aber auf kleinere Bereiche. Man bezeichnet diesen Ordnungszustand als Nahordnung. Da Flüssigkeiten und Gase bei Temperaturerhöhung, also durch Energiezufuhr, aus Kristallen entstehen, haben Flüssigkeiten und Gase einen höheren Energieinhalt als kristalline Körper. Die Kristalle sind also Gleichgewichtszustände geringster Energie. Wir können uns vorstellen, daß aus Flüssigkeiten durch ihr Streben nach dem geringsten Energieinhalt kristalline Körper entstehen. Andere Stoffe liegen aber unter den gleichen äußeren Bedingungen als Flüssigkeiten oder als Gase vor. Das Bestreben nach geringer Energie kann also nicht das einzige Gleichgewichtskriterium sein. Bei Gasen finden wir auf Grund der heftigen Bewegung der Moleküle und der elastischen Zusammenstöße eine äußerst unregelmäßige Anordnung der einzelnen Bestandteile. Wir wollen annehmen, daß als Folge des Dranges nach Unordnung Kristalle schmelzen und Flüssigkeiten verdampfen. Mit diesen beiden Annahmen resultiert ein Gleichgewicht zwischen den Aggregatzuständen aus zwei gleich großen Kräften: erstens dem Streben nach minimaler Energie und zweitens dem Streben nach maximaler Unordnung. Diese Gesetzmäßigkeit, die uns hier zum ersten Male begegnet, und die im Kap. 8 (Thermodynamik) näher erläutert wird, müssen wir als eines der fundamentalsten Naturprinzipien betrachten. Ein System strebt nach dem Zustand niedrigster Energie, der mit der größten Ordnung verbunden ist, und gleichzeitig strebt es nach dem Zustand maximaler Unordnung, der erst mit dem höchsten Energieinhalt realisiert ist. Wir werden immer wieder Gelegenheit haben, zu beobachten, wie diese beiden Triebkräfte der Natur den Ablauf chemischer Reaktionen bestimmen.
18
Α. Grundlagen der allgemeinen Chemie
2.19 Gläser Beim Abkühlen von Flüssigkeiten entstehen nicht immer kristalline Festkörper. Die Moleküle müssen sich zu einem bestimmten Gitter ordnen können, damit ein Kristall entstehen kann. Erfolgt die Abkühlung sehr rasch oder ist die Viskosität der Flüssigkeit schon oberhalb des Schmelzpunktes sehr hoch, so bleibt der Ordnungsgrad der Flüssigkeit erhalten. Bei weiterem Abkühlen steigen die Anziehungskräfte zwischen den Molekülen und damit die Viskosität noch weiter an, die thermische Bewegung und damit die Fähigkeit der Flüssigkeit zu kristallisieren nimmt ab. Solche hochviskosen Substanzen, die sich schon tief unter ihrem Schmelzpunkt befinden, bei denen aber der Ordnungszustand einer Flüssigkeit erhalten ist, nennt man Gläser. Gläser bestehen aus hochvernetzten Molekülen, bei denen eine kristalline Ordnung infolge ihrer komplexen Form nur sehr schwer zu erreichen ist. Glas hat keinen scharfen Schmelzpunkt. Bei mechanischer Spaltung des Glases werden keine ebenen Flächen erhalten.
2.20 Gummiartige Stoffe Gummiartige Stoffe verändern unter Einwirkung einer Kraft ihre Form. Hört die Krafteinwirkung auf, so nehmen sie ihre ursprüngliche Form wieder an. Gummi besteht aus langen Fadenmolekülen, die sich unter dem Einfluß der thermischen Bewegung umherschlängeln und unregelmäßige Knäuel bilden. Dehnt man Gummi, so streckt man die Kette, die Knäuel entwirren sich teilweise und orientieren sich in die Streckrichtung. Beim Dehnen bringt man also die Moleküle des Gummis in eine höhere Ordnung. Das Zusammenziehen des gespannten Gummis ist auf sein Streben nach größerer Unordnung zurückzuführen. Dieses Bestreben wächst nun mit steigender Temperatur infolge der stärkeren thermischen Bewegung. Ein Temperaturanstieg vergrößert also die Kraft, mit der sich gespanntes Gummi zusammenzieht. Ein belasteter Gummifaden (gedehntes Gummi) zieht sich also beim Erwärmen zusammen. Im Gegensatz zum Zusammenziehen des Gummifadens ist das Zusammenziehen einer gespannten Stahlfeder auf ihr Bestreben nach ungestörter Ordnung zurückzuführen. Dehnt man eine Schraubenfeder, so werden die Bausteine des kristallinen Metalls etwas aus ihrer Ruhelage gebracht. Ebenso nehmen beim Erwärmen des Metalls die Schwingungsbewegungen der Kristallbausteine zu. In beiden Fällen wird die Ordnung des Kristalls etwas gestört. Erwärmung und Dehnung der Schraubenfeder wirken also in gleicher Richtung. Erwärmt man eine belastete Schraubenfeder, so dehnt sie sich noch weiter aus.
2.21 Phasenumwandlungen Der Übergang aus der festen in die flüssige Phase heißt Schmelzen, der umgekehrte Vorgang Kristallisation.
2. Zustandsformen der Materie
19
Beim Erwärmen eines Kristalls - etwa von Eis - beobachtet man, daß der Kristall bei einer bestimmten Temperatur - dem Schmelzpunkt - zu schmelzen beginnt. Nur bei dieser Temperatur, die wenig druckabhängig ist, können Festkörper und Flüssigkeit nebeneinander bestehen. Führt man weiter Wärme zu, so schmilzt der Festkörper vollständig. Erst wenn die feste Phase umgewandelt ist, steigt bei weiterer Wärmezufuhr die Temperatur der Flüssigkeit an. Kühlt man eine Flüssigkeit ab, so erreicht man eine Temperatur - die Kristallisationstemperatur — , bei der die Flüssigkeit zu kristallisieren beginnt. Diese Temperatur heißt auch Festpunkt oder Gefrierpunkt (Fp). Gefrierpunkt und Schmelzpunkt einer Substanz sind identisch. Wir wollen Phasenumwandlungen aus molekularer Sicht betrachten: Unter Normalbedingungen führen die Bausteine eines Kristalls Schwingungen um eine Gleichgewichtslage aus. Mit steigender Temperatur werden diese Schwingungen immer stärker, bis letztlich die Teilchen ihre Gitterplätze verlassen: Die kristalline Ordnung bricht zusammen, der Kristall schmilzt. Als Verdampfung bezeichnet man den Übergang aus der flüssigen in die Gasphase; der umgekehrte Vorgang heißt Kondensation (Verflüssigung). In der Flüssigkeit befinden sich auch Moleküle, die so energiereich sind, daß sie die Anziehungskräfte der anderen Moleküle überwinden können. Je höher die Temperatur ist, desto schneller bewegen sich die Moleküle und desto größer wird der Anteil der Moleküle, die energiereich genug sind, um aus der Flüssigkeit in den Gasraum übertreten zu können. Befindet sich die Flüssigkeit in einem geschlossenen Gefäß, so wächst die Zahl der Moleküle im Gasraum. Mit der Anzahl der Gasmoleküle steigt auch die Wahrscheinlichkeit, daß Moleküle aus dem Gasraum wieder von der Flüssigkeit aufgenommen werden. Schließlich stellt sich ein Zustand ein, in dem Verdampfungs- und Kondensationsgeschwindigkeit gleich groß sind, also ein Gleichgewichtszustand. Dieser Gleichgewichtszustand ist nicht statischer, sondern dynamischer Natur. Zwei entgegengesetzte Vorgänge (Verdampfung und Kondensation) erfolgen in gleichem Ausmaße. Der Druck eines Dampfes, der sich bei einer bestimmten Temperatur mit der Flüssigkeit im Gleichgewicht befindet, ist nur temperaturabhängig und heißt Dampfdruck. Der Dampfdruck wächst mit steigender Temperatur. Erreicht der Dampfdruck den äußeren Druck, so verdampft die Flüssigkeit auch im Inneren, die Flüssigkeit siedet. Auch direkte Übergänge von der festen Phase in die Gasphase und umgekehrt gibt es: Sie heißen beide Sublimation. Schließlich wäre noch zu bemerken, daß auch jeder Festkörper einen - allerdings oft sehr kleinen - Dampfdruck hat, der mit steigender Temperatur zunimmt.
20
Α. Grundlagen der allgemeinen Chemie
3 Atombau 3.1 Atome In den gewöhnlichen Aggregatzuständen besteht die Materie aus Atomen oder Molekülen. Moleküle sind Atomgruppen, die aus einer oder mehreren Atomsorten bestehen können. Die Vorstellung, daß die Materie aus kleinsten, unteilbaren Bestandteilen aufgebaut ist, stammt schon von den Griechen des 6. bis 4. Jahrhunderts vor Christus. Doch bis zu John Dalton, dem zu Beginn des 19. Jahrhunderts experimentelle Untersuchungen und Gesetzmäßigkeiten zur Verfügung standen, blieb die Atomtheorie eine reine Hypothese. Heute ist nicht nur die Existenz von Atomen sicher bewiesen, sondern man kennt auch die Struktur der Atome und noch kleinere Teilchen, die Elementarteilchen, die am Aufbau der Atome beteiligt sind. Die Atome sind außerordentlich klein, ihr Durchmesser beträgt etwa 0,2-0,5 nm. Je nach ihrer Masse unterscheidet man rund 300 natürlich vorkommende Atomsorten (Nuclide). Ein Atomi besteht aus dem positiv geladenen Atomkern und der Hülle, die fast das gesamte Volumen des Atoms einnimmt. Die Hülle trägt gleich viel negative wie der Atomkern positive elektrische Ladung, sodaß das Atom insgesamt elektrisch neutral ist. Die Zahl dieser Ladungen bestimmt die chemischen Eigenschaften. Jedem chemischen Element entspricht eine bestimmte Kernladungszahl (Ordnungszahl). Isotope sind Nuclide mit verschiedener Masse und gleicher Kernladungszahl. Isotope haben daher gleiche chemische Eigenschaften. Für den Zusammenhalt von Atomkern und Hülle sind elektrostatische Kräfte maßgebend, also die Kräfte, die zwischen elektrischen Ladungen wirksam sind. Die Größe dieser Kräfte findet man nach dem Coulombschen Gesetz: F=K
?Kßi r
K = 8,99-10 9 N-m 2 -C" 2
Es sind F die Kraft, die die beiden Ladungen aufeinander ausüben, qx und q2 die Ladung der beiden Teilchen, Κ eine Naturkonstante und r der Abstand der beiden Ladungen. Ladungen gleichen Vorzeichens stoßen sich ab, ungleiche Ladungen ziehen sich an. Da die Kraft umgekehrt proportional dem Quaderat des Ladungsabstandes ist.
wirkt zwischen gleich großen Ladungen in doppelter Entfernung nur eine ein Viertel so große Kraft. Die Kräfte nehmen also relativ rasch mit der Entfernung ab. Elektrostatische Kräfte sind auch für den Zusammenhalt zwischen den Atomen verantwortlich, d.h. sie bewirken chemische Bindungen.
21
3. Atombau
3.2 Elementarteilchen Elementarteilchen sind Teilchen, die kleiner als Atome sind. Obwohl sehr viele Elementarteilchen bekannt sind, wollen wir uns nur mit den wichtigsten beschäftigen: den Protonen, den Neutronen und den Elektronen. Protonen und Neutronen sind etwa 10 -15 m groß, Elektronen sind kleiner als 10"18 m. Tab. 3.2.1 zeigt Massen und Ladungen dieser drei Elementarteilchen. Tab. 3.2.1 Elementarteilchen
Elementarteilchen
relative Masse (atomare Einheiten)
absolute Masse (kg)
Elektron, e~ Proton, ρ Neutron, η
5,485930 · 10"4 1,007276 1,008665
9,109558 · IO' 31 1,672614 · 10" 27 1,674920 · 10" 27
Ladung (atomare Einheiten)
-1 +1 0
Ladung (Coulomb)
- 1 , 6 0 2 · 10" 19 + 1,602 · 10" 19 0
Protonen und Neutronen sind Bestandteile des Atomkerns. Deshalb heißen sie Nucleonen (lat. nucleus = der Kern). Die Elektronen befinden sich in der Atomhülle. Neutronen sind außerhalb des Atomkerns instabil, sie wandeln sich in Protonen und Elektronen um: η —» ρ + e" + ν (Antineutrino) + Energie
3.3 Kernbau Ein Versuch von Ernest Rutherford im Jahre 1911 lieferte zum ersten Male Erkenntnisse über die Größe des Atomkernes. Rutherford bestrahlte dünne Goldfolien mit α-Strahlen und beobachtete die Ablenkung der Strahlung durch die Goldatome. Die α-Strahlung besteht aus Heliumatomkernen, die zwei positive Elementarladungen tragen. Da die Heliumkerne sehr viel schwerer als die Elektronen sind, werden sie von der Elektronenhülle nicht beeinflußt. Treffen die Heliumkerne jedoch auf den positiv geladenen Atomkern, werden sie infolge der großen Coulombschen Abstoßungskräfte abgelenkt. Rutherford fand, daß der größte Teil der α-Strahlen die dichtgepackten Goldatome ohne jede Ablenkung durchdringt. Das bedeutet, daß der größte Teil des Volumens der Goldatome leer oder nur mit Elektronen gefüllt ist. Aus dem Verhältnis der unbeeinflußten zu den abgelenkten Strahlen und dem Atomdurchmesser von 10"10 m ergibt sich der Kerndurchmesser von etwa 10"15 m.
22
Α. Grundlagen der allgemeinen Chemie
Eine Analyse der Ablenkungswinkel bei unterschiedlichen Atomen ermöglicht Rückschlüsse auf die Größe der Abstoßungskräfte und damit auf die Kernladung. Rutherford beobachtete einen direkten Zusammenhang zwischen der Ordnungszahl und der Kernladung. Die Ordnungszahl gibt den Platz des Elementes in der Reihung der Elemente im Periodensystem der Elemente an. Der Atomkern enthält die der Ordnungszahl entsprechende Anzahl Protonen, die jeweils eine positive Elementarladung tragen. Fast alle Atomkerne enthalten zusätzlich zu Protonen noch ungeladene Neutronen. Die Summe der Protonenzahl und der Neutronenzahl ist die Nucleonenzahl. Atomkerne mit gleicher Protonenzahl, aber unterschiedlicher Neutronenzahl bezeichnet man als Isotope, Atomarten mit gleicher Nucleonenzahl, aber unterschiedlicher Protonenzahl als Isobare. Zur Charakterisierung eines Isotops schreibt man vor das Elementsymbol links oben die Nucleonenzahl und links unten die Ordnungszahl, z.B.: ¿He Diese Angabe bedeutet, daß das Heliumisotop aus 2 Protonen und aus 2 Neutronen besteht. Das Symbol ^Cl bedeutet ein Chlorisotop mit 17 Protonen und 18 Neutronen. Ein Nuclid mit der Nucleonenzahl A und der Ordnungszahl Ζ hat Ζ Protonen und (Α - Ζ) Neutronen. Den Zusammenhalt des Atomkernes bewirken die sogeiiannten Kernkräfte, die zwischen allen Kernbausteinen, also sowohl zwischen Protonen und Neutronen als auch zwischen Protonen und Protonen oder auch zwischen Neutronen und Neutronen, gleich wirksam sind. Diese Kernkräfte sind sehr viel stärker als die Coulombschen Kräfte oder die Gravitationsanziehung, und sie gehorchen auch nicht einem formal gleichen Gesetz. Unterschiedlich zu den Coulombschen Kräften und der Gravitationswechselwirkung ist auch die geringe Entfernung, in der die Kernkräfte wirken, nämlich nur in der Größenordnung von 10"15 m. Da die Kernbausteine durch außerordentlich starke Kräfte gebunden sind, ist für ihre Trennung sehr viel Energie - die Kernbindungsenergie — aufzuwenden. Die gleiche Energie würde frei werden, wenn man einen Atomkern aus Protonen und Neutronen aufbauen würde. Um diese Kernbindungsenergie ist der Atomkern ärmer als die Summe der Energien der entsprechenden Kernbausteine. Nun sind nach Einstein Energie und Masse einander äquivalent, wobei die Beziehung gilt: E = m - c2 E m c c =
Energie Masse Lichtgeschwindigkeit 2,99793· 108 m -s" 1
Der Atomkern ist um das Massenäquivalent der Kernbindungsenergie leichter als die ihn aufbauenden Protonen und Neutronen. Die Differenz der Massensumme der Nucleonen
3. Atombau
23
und der tatsächlichen Masse des Isotops heißt Massendefekt und ist ein Maß für die Kernbindungsenergie und damit für die Stabilität des Isotops. Anschaulicher für die graphische Darstellung ist der Massendefekt pro Nucleón, der Packungsanteil. Trägt man den Massendefekt pro Nucleón gegen die Nucleonenzahl auf, erhält man eine Kurve, die etwa beim Eisen mit 56 Nucleonen ein Maximum hat (Abb. 3.3.1).
Abb. 3.3.1. Der Packungsanteil in Abhängigkeit von der Nucleonenzahl des Isotops.
Bauen nur wenige Nucleonen einen Atomkern auf, so ist der Massendefekt pro Nucleón geringer, da der Anteil der Teilchen, die sich an der Oberfläche des Kernes befinden und deshalb nicht von allen Seiten an andere Nucleonen gebunden sein können, mit abnehmender Teilchenzahl rasch größer wird. Atomkerne höherer Nucleonenzahl enthalten mehr Protonen. Die Coulombschen Abstoßungskräfte innerhalb des Atomkernes nehmen mit der Protonenzahl zu. Obwohl die Kernbindungskräfte viel stärker sind als die elektrostatische Abstoßung, wirken sie nur auf eng benachbarte Nucleonen. Die Coulombschen Kräfte haben eine größere Reichweite und wirken auf alle Kernprotonen. Aus diesem Grunde nimmt der Massendefekt pro Nucleón und damit die Stabilität des Kernes bei größeren Nucleonenzahl wieder ab. Die Abhängigkeit des Massendefektes pro Nucleón von der Nucleonenzahl (Abb. 3.3.1) bewirkt, daß bei der Fusion leichter Nuclide und bei der Spaltung schwerer Nuclide im allgemeinen Energie frei wird.
3.4 Kernumwandlungen Die starken elektrischen Felder der Atomkerne erschweren Reaktionen zwischen den positiven Kernen sehr. Künstliche Kernreaktionen lassen sich durch Beschüß von Kernen entweder mit ungeladenen Neutronen oder mit positiven Teilchen so großer Geschwin-
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Α. Grundlagen der allgemeinen Chemie
digkeit, d.h. so hoher kinetischer Energie, daß sie die elektrostatische Abstoßung überwinden können, durchführen. Ohne äußere Einwirkung laufen Kernumwandlungen bei radioaktiven Isotopen ab. Die erste künstliche Kernumwandlung gelang Ernest Rutherford 1919 durch Einwirkung von Heliumkernen aus natürlicher α-Strahlung auf Stickstoff. Über einen instabilen Fluorkern entstanden ein Sauerstoffisotop und Wasserstoff nach der Kerngleichung: "N + ¡Ht -» '9F
l
¡0 + }H
Bei Kernreaktionen bleibt die Summe der Nucleonenzahlen und die Summe der Kernladungszahlen gleich, die Elementsymbole sind auf beiden Seiten unterschiedlich. Heute kennt man sehr viele solcher Kernreaktionen, die meist mit leichten Atomkernen hoher kinetischer Energie durchgeführt werden. Größere Bedeutung haben Kernreaktionen, die durch Neutronen ausgelöst werden. 1939 entdeckten Otto Hahn und Fritz Straßmann die Kernspaltungsreaktion. Treffen langsame Neutronen auf das Uranisotop 235 U, so zerfällt der Kern in zwei nahezu gleich schwere Bruchstücke und mehrere Neutronen, die weitere 235U-Kerne spalten können. Fängt man die Neutronen nicht weitgehend ab, erfolgt eine nukleare Kettenreaktion unter außerordentlich großer Energiefreisetzung (Atombombe). Im Kernreaktor ist der Prozeß durch Neutronen einfangende Substanzen so gesteuert, daß ein lawinenartiges Anwachsen der Reaktion vermieden wird. Die überschüssigen Neutronen können Kernreaktionen mit in den Reaktor eingebrachten Isotopen eingehen, wodurch künstliche Isotope entstehen, die großteils radioaktiv sind. In Forschung und Medizin werden radioaktive Isotope als Indikatoren und als Strahlungsquelle häufig verwendet, z.B.: 2 H, 3 H, 14C, 32P, ^Co, 1251, 1291, 131I. Bei der Kernspaltung entsteht eine beachtliche Energie, weil die Nucleonen in den Spaltprodukten stärker gebunden sind als in den ganz schweren Kernen (Abb. 3.3.1). Noch mehr Energie liefern Verschmelzungsreaktionen (Fusionen) sehr leichter Kerne. Solche Reaktionen verlaufen im Innern von Sternen. Die der hohen Temperatur (Größenordnung 109 °C) entsprechende kinetische Energie der leichten Kerne genügt zur Auslösung von Kernfusionen. Auf der Erde wurden Kernfusionen bisher nur mit Hilfe der hohen Temperaturen erreicht, die bei Kernspaltungen auftreten. Das Problem der Kernfusion zum Zwecke der Energiegewinnung ist gegenwärtig noch nicht gelöst, wird aber intensiv bearbeitet.
3.5 Radioaktivität Viele Isotope wandeln sich unter Aussendung einer Strahlung spontan um, d.h. ohne äußere Einwirkung. Solche Isotope nennt man im Gegensatz zu den stabilen Isotopen, die sich auch in langen Zeiträumen nicht verändern, instabile oder radioaktive Isotope. Die natürlichen radioaktiven Isotope haben fast alle eine hohe Nucleonenzahl, sie befinden sich auf der rechten, fallenden Seite der Kurve der Abb. 3.3.1. Künstliche radioaktive
25
3. Atombau
Isotope gewinnt man hauptsächlich in Kernreaktoren. Auch Isotope von nicht in der Natur vorkommenden Elementen mit höherer Ordnungszahl als Uran konnten erhalten werden (Transurane). An natürlichen radioaktiven Isotopen beobachtet man drei Strahlungsarten, die sich in elektrischen und magnetischen Feldern unterschiedlich verhalten und a , ß- und γ-Strahlen genannt werden. Die a-Strahlen sind zweifach positiv geladene Heliumkerne hoher Geschwindigkeit. Der zurückbleibende Atomkern ist um 4 Masseneinheiten leichter und steht im Periodensystem 2 Stellen links vom Ausgangselement. Ein Beispiel eines α-Zerfalls ist: 2
Ü R a ^ 2 | R n + 2He
Bei der ß-Strahlung verläßt ein schnelles Elektron den Kern, es entsteht ein Kern der gleichen Nucleonenzahl, jedoch einer um eine Einheit erhöhten Ladung. Im Augenblick der Kernreaktion wandelt sich ein Kernneutron in ein Proton und ein Elektron um, das sofort den Kern verläßt. ¿ n - + i p + _?e Die y-Strahlung ist eine elektromagnetische Strahlung sehr kleiner Wellenlänge und daher hoher Energie: Masse und Ladung des Kernes ändern sich nicht. Untersucht man die Zerfallsgeschwindigkeiten radioaktiver Substanzen, findet man für alle radioaktiven Substanzen, daß die Intensität der Strahlung durch Temperaturänderung nicht beeinflußt wird und nur von der Menge der vorhandenen radioaktiven Atomkerne abhängig ist. Eine graphische Darstellung der zeitlichen Abnahme der Radioaktivität einer bestimmten Atomsorte ergibt einen für eine Reaktion 1. Ordnung (vgl. Kap. 12.2) typischen Verlauf (Abb. 3.5.1).
Abb. 3.5.1. Der radioaktive Zerfall.
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Α. Grundlagen der allgemeinen Chemie
/ Die Geschwindigkeit des radioaktiven Zerfalls I unzerfallenen Atome: ^
λ
d N\
ist proportional der Anzahl der
^ '
dt Zerfallskonstante
Die Zerfallskonstante ist eine für jedes radioaktive Isotop charakteristische Konstante. Umformung ergibt:
Durch Integration erhält man: V No
AN Ν
0
,
wobei Ν0 die Anzahl der zur Zeit 0 und Ν die zur Zeit t vorhandenen radioaktiven Atome sind. Daraus folgt:
Wo oder in exponentieller Form N0-e~x'
Ν =
Löst man nach t auf, folgt:
λ
Ν
Ν Setzt man für die Zeit, in der die Hälfte der radioaktiven Atome — zerfallen ist, die 3 Halbwertszeit t1/2 ein, erhält man: tu= /2
1.1η-^2· = - · 1 η 2 = - · λ
No_
λ
0,693
λ
2 Auch die Halbwertszeit ist für jede Zerfallsreaktion eine charakteristische Konstante. Die Messung der radioaktiven Strahlung beruht auf ihrer ionisierenden Wirkung, auf der Schwärzung photographischer Schichten und darauf, daß die Energie der radioaktiven Strahlen von einigen Stoffen absorbiert und teilweise in Strahlungsenergie sichtbaren Lichtes umgewandelt wird.
4. Wechselwirkung zwischen Licht und Materie
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Ionisationsdetektoren existieren in verschiedenen Typen. Ihre Wirkungsweise beruht darauf, daß hochenergetische radioaktive Strahlung aus Molekülen Elektronen herausschlägt. Längs des Weges der Strahlung entstehen Ionen, die entweder beim Anlegen einer Spannung einen Strom^luß ermöglichen (Geiger-Müller-Zählrohr) oder als Kondensationskeime in übersättigten Dämpfen wirken und durch Tropfenbildung die Bahn der radioaktiven Strahlung sichtbar machen (Nebelkammer). Medizinisch wichtig ist die Schwärzung photographischer Platten bei der Autoradiographic. Die feste Probe wird einige Zeit in Kontakt mit einer lichtgeschützten photographischen Platte gebracht. Nach dem Entwickeln zeigen geschwärzte Stellen die Stärke und Lage der Radioaktivität der Probe an. Szintillationszähler enthalten sog. Szintillatoren, d.s. Kristalle z.B. aus Zinksulfid, Natriumiodid oder Anthracen. Der Szintillator absorbiert die Energie der radioaktiven Strahlung und gibt sie als Lichtblitz wieder ab. Diese Lichtblitze wandelt man mit empfindlichen photoelektrischen Detektoren in elektrische Impulse um, die gezählt werden. Radioaktivitätsmessungen haben auf Grund der verbreiteten Anwendung von natürlichen und künstlichen radioaktiven Substanzen medizinisch eine große Bedeutung. Strahlentherapeutisch wichtig sind [^Co] Cobalt, [32P] Phosphor, [226Ra] Radium und [198Au] Gold (gesprochen: Cobalt 60, Phosphor 32, Radium 226 und Gold 198). Chemisch und diagnostisch interessant ist die,, Tracer- oder Indikator-Methode", d. h. die Markierung von Verbindungen mit radioaktiven Isotopen. Da das allgemeine Verhalten der Elemente durch den Bau der Elektronenhülle bestimmt ist, verhalten sich alle Isotope eines Elementes in chemischen Reaktionen und biologischen Umsetzungen gleich. Über ihre Strahlung läßt sich der Weg der radioaktiven Substanzen mit großer Empfindlichkeit verfolgen. Wichtig sind hier etwa die lodnuclide 123I und 131I. Die Nuclide 3 H, 14C und 125I finden in der biochemischen Analytik Anwendung.
4 Wechselwirkung zwischen Licht und Materie 4.1 Elektromagnetische Strahlung Einen großen Teil unserer Kenntnisse des Aufbaues der Materie verdanken wir Untersuchungen der Wechselwirkung elektromagnetischer Strahlung mit Materie. Zur Beschreibung der Eigenschaften der elektromagnetischen Strahlung existierten schon im 17. Jahrhundert zwei Modellvorstellungen. Auf Huygens geht die Auffassung des Lichtes als wechselnde elektrische und magnetische Felder zurück. Newton sah im Licht winzige Teilchen, die von der Lichtquelle ausgeworfen werden. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erkannte Einstein, daß sich elektromagnetische Strahlung nur durch Kombination beider Modellvorstellungen beschreiben läßt. Beugungs- und Interferenzerscheinungen können gut mit der Wellentheorie des Lichtes gedeutet werden. Zur Erklärung der Energieverteilung der Strahlung heißer Körper oder des lichtelektrischen Effektes bedient man sich zweckmäßiger des Korpuskularmodelles.
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Α. Grundlagen der allgemeinen Chemie
Die elektromagnetische Strahlung breitet sich mit Lichtgeschwindigkeit aus. Röntgenstrahlen, Licht, Radiowellen z.B. sind elektromagnetische Wellen, die sich in ihrer Frequenz bzw. Wellenlänge unterscheiden. Die Frequenz gibt die Anzahl der Schwingungen an, die einen bestimmten Punkt in einer Sekunde durchlaufen. Die Wellenlänge ist der Abstand zwischen zwei benachbarten Wellenbergen, die Amplitude die maximale Abweichung von der Mittellage. Der Zusammenhang zwischen Frequenz, Wellenlänge und Ausbreitungsgeschwindigkeit der elektromagnetischen Strahlung ist durch die Gleichung c = ν·λ c Lichtgeschwindigkeit ν Frequenz, Einheit Hertz (Hz) oder s - 1 λ Wellenlänge, Angabe in m, nm gegeben. Üblich ist auch die Angabe der Wellenzahl v, die als der Kehrwert der Wellenlänge definiert ist und meist in der Einheit cm - 1 angegeben wird. .
1
ν
Die Größenordnung der Wellenlänge, der Frequenz und der Wellenzahl einiger Strahlungsbereiche enthält die Tab. 4.1.1. In der Abb. 4.1.1 kann man die ungefähren Bereiche der unterschiedlichen elektromagnetischen Strahlungen gut erkennen. Tab. 4.1.1 Größenordnung der Wellenlänge, der Frequenz und der Wellenzahl elektromagnetischer Strahlung
Strahlung
Wellenlänge m
Frequenz s"1
Röntgenstrahlung UV-Strahlung Sichtbares Licht IR-Strahlung Radiowellen
1· 2 · 5 · 1· 3 ·
IO" 10 IO"7 IO"7 10" s IO 3
3 · IO 18 1,5 · IO 15 0,6 · IO 15 3 · IO 1 3 1 · IO 5
Wellenzahl cm"1 1 · IO8 5 · IO4 2 · IO4 1 · IO3 3 · IO -4
Die Deutung der Energieverteilung der Strahlung heißer Körper gelang Max Planck 1900. Ein heißer Körper sendet Energie in Form elektromagnetischer Schwingungen aus, die sich über einen größeren Frequenzbereich erstrecken. Trägt man für verschiedene Temperaturen die Energie der Strahlung gegen die Wellenlänge auf, so erhält man die Kurven der Abb. 4.1.2.
29
4. Wechselwirkung zwischen Licht und Materie W e l l e n l ä n g e in m
ΙΟ"12
10'" I
I
ΙΟ"10
1 ,1
I
10"β I
1
10"6 I,
UltraKosmische Strahlen
I
10'; Ί
10'2 ι
ι
I
ι
ι
ι
ΙΟ4 ι
ι
ΙΟ6 ι
ι
ξ
Mittel-
Lang-
^
welle
welle
Röntgen-
violette
ϊ
Infrarote
strahlen
Strahlen
£
Strahlen
Radar
a Violett
102
1
Fernsehen UKW
Rot
Radioweilen
Abb. 4.1.1. Bereich der elektromagnetischen Strahlungen.
Das Maximum der Kurve verschiebt sich mit steigender Temperatur zu kleineren Wellenlängen hin. Nach der Wellentheorie sollten die schwingungsfähigen Atome oder Moleküle der Oberfläche des heißen Körpers Schwingungen verschiedenster Frequenz aussenden können. Alle Schwingungen sollten gleichmäßig angeregt werden, wodurch bei kleinerer Wellenlänge immer höhere Energiebeträge ausgestrahlt würden. Die Energieabhängigkeit von der Wellenlänge sollte also gemäß den Kurven verlaufen, wie sie rechts von der strichlierten Kurve in Abb. 4.1.2 gezeigt sind. Diesen Kurvenverlauf findet man aber nur bei großen Wellenlängen.
Abb .4.1.2. Abhängigkeit der Energie der Strahlung heißer Körper von der Wellenlänge bei verschiedenen Temperaturen.
Max Planck konnte den raschen Abfall der Strahlungsenergie bei kleineren Wellenlängen mit der Quantentheorie erklären. Nach dieser Theorie kann die Strahlungsenergie nur in ganzen Einheiten, den Quanten, aufgenommen oder abgegeben werden. Die Energie eines Quants ist direkt abhängig von der Frequenz:
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Α. Grundlagen der allgemeinen Chemie
E =
h-v
h = 6,6· 10" 34 Js
Die Konstante h ist die Planck-Konstante bzw. das Plancksche Wirkungsquantum. Die Quanten einer Strahlung mit höherer Frequenz (kürzerer Wellenlänge) haben größere Energie als diejenigen einer Strahlung mit niederer Frequenz (größerer Wellenlänge). Die Quantentheorie stellt eine Art Atomtheorie der Energie dar, allerdings ist die Größe der „Energieatome", der Quanten, von der Frequenz der Strahlung abhängig. Bei der Deutung der Energieverteilung des heißen Strahlers durch die Quantentheorie ergibt sich, sofern die Energie der schwingenden Moleküle größer ist als die Energie der Quanten entsprechender Frequenz, ein Abfall der Strahlungsenergie bei größeren Wellenlängen. Sind die Strahlungsquanten größer als der Energieinhalt der Moleküle, kann natürlich bei dieser Wellenlänge keine Strahlung abgegeben werden. So erklärt sich der Abfall der Strahlungsenergie nach der Seite kürzerer Wellenlänge zwanglos. Mit der Quantentheorie konnte Einstein 1905 den lichtelektrischen Effekt erklären. Fällt Licht auf gewisse Metalloberflächen, so lösen sich aus ihnen Elektronen heraus. Die kinetische Energie der emittierten Elektronen hängt nicht von der Beleuchtungsstärke, sondern ausschließlich von der Frequenz des eingestrahlten Lichtes ab. Licht unterhalb einer bestimmten Frequenz schlägt keine Elektronen heraus. Mit der Betrachtung des Lichtes als reine Wellenerscheinung gelang eine plausible Deutung des lichtelektrischen Effektes nicht. Nach Einstein können die Lichtquanten, die Photonen, nur als ganze Energiebeträge aufgenommen oder abgegeben werden. Trifft ein Photon auf ein Metall, so überträgt es seine gesamte Energie auf ein Elektron. Ein bestimmter Energiebetrag, die Abtrennarbeit, ist zur Lösung des Elektrons aus dem Metall notwendig, der Überschuß verbleibt dem Elektron in Form kinetischer Energie. Ist der Energieinhalt des Photons geringer als die Abtrennarbeit, unterbleibt die Loslösung des Elektrons. Da die Energie eines einzelnen Photons proportional der Frequenz der Strahlung ist, ändert sich die kinetische Energie der ausgelösten Elektronen mit der Frequenz der Strahlung, vorausgesetzt, daß die Energie der einzelnen Quanten größer ist als die Abtrennarbeit des Elektrons. Erhöhung der Strahlungsintensität vergrößert die Zahl der emittierten Elektronen, nicht aber deren kinetische Energie. So können die Energieverteilung des heißen Strahlers und der lichtelektrische Effekt physikalisch nur verstanden werden, wenn man das Licht als einen diskontinuierlichen Strahl von Energiequanten, den Photonen, auffaßt. Die Phänomene der Beugung und der Interferenz hingegen können nur mit dem Wellencharakter des Lichtes gut gedeutet werden. Die Auffassung der Natur der elektromagnetischen Strahlung sowohl als Wellenvorgang als auch als Teilchenstrom führt zur Bezeichnung „Dualismus des Lichtes".
31
4. Wechselwirkung zwischen Licht und Materie
4.2 Spektren Führt man Atomen oder Molekülen im Gaszustand Energie zu, etwa durch Erhitzen oder durch elektrische Anregung, so senden sie Licht bestimmter Frequenzen aus, die für das Gas charakteristisch sind. Man erhält ein Linienspektrum. Zur Zerlegung des Lichtes in seine spektralen Bestandteile, d.h. in seine Komponenten unterschiedlicher Frequenzen, kann man ein Prisma benützen. Da der Brechungswinkel von der Frequenz des Lichtes abhängig ist, erfolgt die Ablenkung durch ein Prisma aus Glas oder Quarz für verschiedene Frequenzen unterschiedlich. Weißes Licht enthält alle Wellenlängen des sichtbaren Lichtes. Deshalb erhält man bei seinem Durchtritt durch ein Prisma ein kontinuierliches Spektrum aus allen Farben (rot, orange, gelb, grün, blau und violett) (Abb. 4.2.1).
violett
Abb. 4.2.1 Zerlegung weißen Lichtes durch ein Prisma.
Die Aufzeichnung des von strahlenden Atomen oder Molekülen ausgesandten Lichtes in Abhängigkeit von der Wellenlänge heißt Emissionsspektrum. Die Emissionsspektren von Elementen können zu ihrem Nachweis verwendet werden. Ebenso erhält man ein charakteristisches Spektrum, das Absorptionsspektrum, wenn man weißes Licht durch Gase sendet und es anschließend spektral zerlegt. Im Absorptionsspektrum sieht man schwarze Linien an genau denselben Stellen, wo im Emissionsspektrum helle Linien liegen. Sehr viele Elementspektren waren schon bekannt, als Balmer 1885 rein empirisch eine gesetzmäßige Beziehung für die Wellenzahlen einiger Linien des Wasserstoffatoms fand:
Die Konstante i?H, die Rydberg-Konstante, hat den Wert 109677,581 cm -1 . Setzt man für n¡ ganze Zahlen ab 3 ein, also 3 , 4 , 5 . . ., so erhält man die Spektrallinien der nach Balmer benannten Serie des Wasserstoffatoms. Etwas später zeigte Rydberg, daß alle beobachteten Wasserstoffspektrallinien einer allgemeinen Gleichung folgen:
Man nennt n¡ den konstanten Term, n¡ den Laufterm.
32
Α. Grundlagen der allgemeinen Chemie
Um die Spektrallinien einer Serie zu erhalten, setzt man für den Laufterm ganze Zahlen ein, wobei man mit der um 1 größeren Zahl als dem konstanten Term beginnt. Der konstante Term variiert nur bei verschiedenen Serien und kann ganzzahlige Werte größer als 1 annehmen. Die Serien des Wasserstoffatomspektrums sind in Abb. 4.2.2 und Tab. 4.2.1 zusammengefaßt. Tab. 4.2.1 Serien des Wasserstoffatom-Spektrums die Hauptlinien liegen im Lyman-Serie Balmer-Serie Paschen-Serie Brackett-Serie Pfund-Serie
1 2 3 4 5
2, 3 3,4 4,5 5,6, 6,7
ultravioletten Bereich sichtbaren Bereich infraroten Bereich infraroten Bereich infraroten Bereich
Man sah also, daß die Energie bei Emission oder Absorption von Licht nur in bestimmten Quanten abgegeben oder aufgenommen wird. Eine Erklärung der experimentellen Befunde auf Grund eines Atommodelles fehlte damals noch.
4.3 Photometrische und spektrometrische Verfahren Ultraviolettes und sichtbares Licht kann in Atomen und Molekülen Elektronen aus energetisch tieferen in höhere Zustände heben (UV-Spektroskopie). Die Energie zur Elektronenanregung wird der Energie des Lichtes entnommen, wodurch sich die Intensität des Lichtes vermindert. Elektromagnetische Strahlung geringerer Energie, infrarotes Licht, bewirkt die Anregung von Molekülschwingungen und -rotationen (IR-Spektroskopie). In allen Fällen gilt: AE = h • ν Δ£ Energiedifferenz zwischen Grundzustand und angeregtem Zustand h Planck-Konstante ν Frequenz der elektromagnetischen Schwingung Die Verminderung der Intensität des eingestrahlten Lichtes beim Durchtritt durch eine Substanz in gasförmigem oder gelöstem Zustand heißt Absorption des Lichtes. Für die Absorption von Licht einer bestimmten Wellenlänge gilt oft das Lambert-Beersche Absorptionsgesetz über einen größeren Konzentrationsbereich der gelösten oder gasförmigen Substanz.
33
4. Wechselwirkung zwischen Licht und Materie
ε +2•» m υ&
ε
•*o•» je s·-· "m o
£tn υ •α β ν
—οο
Ε Ο Ο-)
U-)
α» en e: σ e Οι 5
0
'S
χΐ σ rsi cQJ
co riΝ < τ* Χ)
~QJ
s
34
Α. Grundlagen der allgemeinen Chemie
E = log y = ε · c · d E /0 I ε
Extinktion (Absorbanz) der Probe einfallende Lichtintensität durchtretende Lichtintensität molar Extinktionskoeffizient
Die Angabe der Konzentration c erfolgt gewöhnlich in mol Γ 1 , die Länge des Lichtweges d in der Substanz in cm. ε = 1 bedeutet also, daß eine Substanz in der Konzentration 1 mol Γ 1 und einer durchstrahlten Strecke von 1 cm die Lichtintensität auf 1/10 des ursprünglichen Wertes vermindert. Extinktionsmessungen führt man im Spektralphotometer durch, das als wichtigste Bauelemente eine Lichtquelle, einen Monochromator, Küvetten für die Probe und Vergleichsprobe und einen Empfänger enthält. Die Lichtquelle (thermische Strahler, Gasentladungslampen) sendet weitgehend kontinuierliches Licht aus. Ein Monochromator (ein Prisma oder Gitter mit anschließendem Spalt) filtert einen schmalen Wellenlängenbereich aus, der durch die Proben- bzw. die Vergleichsküvette auf den Empfänger (Detektor) gelangt (Abb. 4.3.1). Vergleichsprobe
Wellenlänge oder Frequenz
Abb. 4.3.1. Bauschema eines Spektralphotometers.
Durch Messung und Aufzeichnung der Extinktion in Abhängigkeit von der Wellenlänge erhält man ein Spektrum. In Abb. 4.3.1 wird es z.B. von einem Schreiber aufgenommen. UV-Spektren geben vor allem Informationen über konjugierte Systeme wie aromatische Verbindungen oder Alkene mit konjugierten Doppelbindungen. IR-Spektren geben Aufschluß über im Molekül vorhandene funktionelle Gruppen (Keton, Carbonsäure, Alkohol usw.) Oft werden Photometer aber nicht zur Charakterisierung von Verbindungen, sondern zur Messung der Konzentration einer bekannten Verbindung in einer Lösung verwen-
4. Wechselwirkung zwischen Licht und Materie
35
det. In diesem Fall wird der Monochromator auf die Wellenlänge eingestellt, bei der die zu messende Verbindung am meisten Licht absorbiert. Kennt man den molaren Extinktionskoeffizienten , der z.B. mit einer Serie von Extinktionsmessungen von Lösungen bekannten Gehaltes leicht ermittelt werden kann, so wird die Konzentration der zu messenden Verbindung in der Probe nach dem Lambert-Beerschen Gesetz aus der Extinktion errechnet. Ein Atomabsorptionsspektrometer ist ähnlich wie ein Spektralphotometer aufgebaut. Dié Probe (in verdünnter Lösung) befindet sich jedoch nicht in einer Küvette, sondern wird entweder durch Einsaugen in eine Flamme oder durch schnelles Erhitzen in einem Graphitrohr in Atome zerlegt (daher der Name Atomabsorption). Als Lichtquelle dient eine Lampe, die nur die Spektrallinien des Elementes aussendet, das gemessen wird. Diese monochromatischen Lichtquellen sind Hohlkathodenlampen, die das zu bestimmende Element enthalten. Die Atome dieses Elementes absorbieren je nach der in der Flamme vorhandenen Menge das ausgesandte Licht mehr oder weniger stark. Nach dem Ausblenden aller anderen Wellenlängen (z.B. des Leuchtens der Flamme) durch einen Monochromator wird die Schwächung der Lichtintensität mit einem Detektor und Schreiber registriert. Die verwendeten Wellenlängen liegen im sichtbaren und ultravioletten Bereich. Flamme
eingesaugte Lösung
Abb. 4.3.2. Schema eines Atomabsorptionsspektrometers.
Atomabsorptionsspektrometer werden zur quantitativen Bestimmung von Elementen (z.B. Calcium, Magnesium, Blei oder Quecksilber) in verdünnten Lösungen verwendet. Besonders bei Atomisierung der Probe in einem Graphitrohr können außerordentlich kleine Mengen eines Elementes quantitativ bestimmt werden (in der Größenordnung von 10 10 g). Flammenemissionsspektrometer sind gleich aufgebaut wie Atomabsorptionsspektrometer, besitzen jedoch keine Lichtquelle. Es können daher nur Elemente untersucht werden, die durch die Flamme zum Leuchten angeregt werden (hauptsächlich Elemente der ersten und zweiten Hauptgruppe des Periodensystems). Die Wellenlänge der ausgesandten Strahlung ist für das Element charakteristisch. Aus der Intensität läßt sich die Menge
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Α. Grundlagen der allgemeinen Chemie
des Elementes bestimmen. Konzentrationen von Natrium und Kalium in Körperflüssigkeiten z.B. werden häufig mit Flammenemissionsspektrometern gemessen. Kernmagnetische Resonanz (NMR-)-Spektroskopie. Die Abkürzung NMR bedeutet nuclear magnetic resonance. Viele, aber nicht alle Nuclide haben die Eigenschaft, in einem homogenen äußeren Magnetfeld in Zuständen unterschiedlicher Energie auftreten zu können. Diese Eigenschaft wird durch den sogenannten Kernspin bestimmt. Der Unterschied zwischen diesen Energieniveaus ist sehr klein und hängt von der Stärke des äußeren Magnetfeldes ab. Trifft elektromagnetische Strahlung, deren Energie dem Energieunterschied zwischen zwei solchen Zuständen entspricht, auf den Kern, so wird dieser in den energetisch höheren Zustand angehoben und die elektromagnetische Strahlung absorbiert. In der Praxis benötigt man zur Messung dieses Effektes die stärksten technisch erzeugbaren homogenen Magnetfelder. Die elektromagnetische Strahlung liegt dann im 100-MHz-Bereich, der auch bei Rundfunksendungen verwendet wird (UKW). Für NMR-Messungen gut geeignete Kerne sind z.B. Ή und 31P. Kohlenstoff liegt hauptsächlich als 12-C-Nuclid in der Natur vor, dessen Kernspin Null ist und das daher einer NMR-Messung nicht zugänglich ist. Im NMR sichtbar ist aber das nicht radioaktive 13CIsotop, das zu 1,1% im natürlichen Kohlenstoff enthalten ist. Für den Chemiker liefert die NMR-Spektroskopie vielfältige Informationen über das Molekül, weil der NMR-Effekt von der chemischen Umgebung beeinflußt wird. Zusätzlich gibt es sogenannte Kopplungseffekte mit benachbarten Kernen, deren Kernspin ungleich Null ist. Ein einfaches Beispiel dafür soll die Information darstellen, die man aus dem 13C-NMR-Spektrum des Methanol, C H 3 - O H , erhält. Die Verbindung enthält nur ein Kohlenstoffatom oder aber mehrere Kohlenstoffatome, die sich wegen der Symmetrie des Moleküls in genau der gleichen Umgebung befinden. Dieser Schluß ergibt sich daraus, daß im 13C-NMR-Spektrum nur ein Signal sichtbar ist. An dieses Kohlenstoffatom ist ein elektronenanziehendes Element wie z.B. Sauerstoff gebunden. Dies kann aus der Lage des Signales geschlossen werden. Aus dem Kopplungsmuster ergibt sich, daß an dieses Kohlenstoffatom drei Wasserstoffatome gebunden sind. In jüngster Zeit beginnt sich auch eine medizinische Anwendung des NMR-Effektes zu entwickeln, die sogenannte Kernspintomographie. Dabei wird der menschliche Körper in das homogene magnetische Feld gebracht, und ein NMR-Absorptionsbild des Körpers oder von Körperteilen bezüglich der Kerne 'H oder 31P gemessen. Erste Versuche zeigen vielversprechende Ergebnisse. Informationsgehalt und Qualität der Bilder sind den üblichen Röntgen-Computertomogrammen zum Teil überlegen. Im Gegensatz zur Röntgenstrahlung sind keine gesundheitsschädlichen Wirkungen der verwendeten starken Magnetfelder bekannt. Massenspektroskopie. Zur Aufnahme eines Massenspektrums werden sehr kleine Mengen (z.B. 1 μg) einer Verbindung verdampft und ionisiert. Durch die Ionisierung zerfällt das Molekül zum Teil (je nach Bedingungen). Die geladenen Moleküle und Bruchstücke werden dann (durch Beschleunigung und anschließende Ablenkung in einem Magnetfeld) gemessen. Aus der Art des Auseinanderbrechens des Moleküles können Schlüsse
5. Struktur der Elektronenhülle
37
auf die Struktur der Verbindung gezogen werden. Aus dem Massenspektrum ist auch das Verhältnis der Isotope sichtbar, die sich durch ihre Masse unterscheiden und daher im Massenspektrum an verschiedenen Stellen liegen. Neben Schmelzpunkt, Siedepunkt und chromatographischen Daten sind spektroskopische Eigenschaften wichtig als Reinheitskriterien von Substanzen. Hierbei finden insbesondere die UV- und IR-Spektroskopie Anwendung; in zunehmendem Maße wird auch die NMR-Spektroskopie eingesetzt.
5 Struktur der Elektronenhülle 5.1 Erklärung des Wasserstoffspektrums nach Bohr Die Erscheinung, daß das Wasserstoffatom nur Licht ganz bestimmter Frequenzen ausstrahlt, war mit dem Rutherfordschen Atommodell nicht vereinbar. Nach diesem Modell umläuft das leichte Elektron den Atomkern auf einer Kreisbahn, ähnlich wie die Planeten die Sonne (auf elliptischen Bahnen) umkreisen. Nach den Gesetzen der klassischen Physik sollte ein auf einer Kreisbahn umlaufendes Elektron als beschleunigte Ladung Energie in Form von Licht aussenden und sich infolge des Energieverlustes immer mehr dem Kern nähern. Die Umlauffrequenz des Elektrons und damit die Frequenz des emittierten Lichtes müßte ständig wachsen, also ein kontinuierliches Spektrum ausgesandt werden. Beides ist nicht zu beobachten, denn das Wasserstoffatom sendet ein Linienspektrum aus und ändert seine Größe nicht. Gemäß dem Bohrschen Atommodell kann das Elektron innerhalb des Wasserstoffatoms nur auf bestimmten Kreisbahnen rotieren, d.h. in ganz bestimmten Energiezuständen existieren, die Bohr stationäre Zustände nannte. Für diese Zustände setzte er die Bedingung, daß der Bahndrehimpuls L nur ein ganzzahliges Vielfaches des Elementardrehimpulses
2π
sei.
Es gilt also
η =
1,2,3...
Die Laufzahl η bezeichnet man als die Hauptquantenzahl. Der Zustand mit dem niedrigsten Energieinhalt ist der Grundzustand, die Zustände höherer Energie sind die angeregten Zustände. Elektronen in stationären Zuständen senden keine Strahlung aus. Strahlungsabsorption oder Strahlungsemission, allgemein Energieaufnahme oder Energieabgabe, erfolgt bei Elektronenübergängen zwischen stationären Zuständen.
38
Α. Grundlagen der allgemeinen Chemie
Für die ausgetauschte Energie gilt die Planck-Einsteinsche Beziehung: Ei - E2
= h •ν
Mit Hilfe seiner Annahmen berechnete Bohr die Radien der Elektronenbahnen zu rn = n2 • 0,053 nm und die Energie der stationären Zustände zu En = -13,605 · \
rr
eV
oder 1 En = -1313,0 · -=• kJ/mol κι*rr
Zeichnet man alle stationären Energiezustände des Wasserstoffatoms als horizontale Linien in ein Diagramm ein, so erhält man ein Termschema oder Energiestufenschema (Abb. 5.1.1). at
CT
η
UJ
B r o c k e t t - Serie
Balmer - Serie
2
Lyman-Serie
Abb. 5.1.1. Termschema des Wasserstoffatoms.
Die unterste Linie symbolisiert das Energieniveau des Grundzustandes (n = 1), die folgenden die Niveaus der angeregten Zustände, die oberste entspricht dem Zustand, in welchem das Elektron vollständig aus dem Anziehungsbereich des Atomkerns entfernt ist.
5. Struktur der Elektronenhülle
39
Die Energieniveaus liegen mit steigender Hauptquantenzahl immer dichter beieinander Gewöhnlich befindet sich das Elektron des Wasserstoffatoms im Grundzustand. Nimmt das Elektron Energie auf, so springt es in einen angeregten Zustand. In dem höheren Energiezustand verweilt das Elektron nur kurze Zeit, es fällt unter Aussenden von Energie in Form eines Photons auf einen niedrigeren Zustand wieder zurück. Die Photonenenergie entspricht der Energiedifferenz zwischen den beiden Energiezuständen. Im Termschema (Abb. 5.1.1) sind die Elektronenübergänge durch senkrechte Verbindungsstriche der Energieniveaus symbolisiert. Alle Übergänge, die auf dem Grundzustand (n = 1) enden, führen zu den Linien der Lyman-Serie. Die Linien der Balmer-Serie sind durch Elektronensprünge verursacht, die auf dem ersten angeregten Zustand (n = 2) enden. Entsprechendes gilt für die Linien der Paschen-, der Brackett- und Pfund-Serie, die sich im infraroten Bereich anschließen. Die aus den Elektronenübergängen der stationären Zustände nach Bohr berechneten Frequenzen stimmen gut mit den empirischen Werten überein. Man kann also das Wasserstoffspektrum mit dem Bohrschen Atommodell sehr gut, auch quantitativ, deuten. Als man jedoch versuchte, Spektren von Atomen mit mehreren Elektronen zu berechnen, hatte man mit dem Bohrschen Atommodell keinen Erfolg mehr. Neuere theoretische Ergebnisse führten schließlich zu einer anderen Auffassung der Elektronenanordnung im Atom. Der interessierte Leser findet diese Vorstellungen im anschließenden Kapitel behandelt.
5.2 Unschärferelation Eines der wichtigsten Gesetze für den Bau der Elektronenhülle und damit für die chemische Bindung ist die Unschärfebeziehung von Heisenberg (1927). Nach diesem Prinzip können der Ort χ und der Impuls ρ eines Teilchens höchstens auf Ax und Ap genau bekannt sein (Δ*>0, Δρ>0), wobei gilt: λ * h Αχ • Ap 2ϊ — 2π h
Planck-Konstante
Das Produkt der Ungenauigkeit (Unschärfe) des Ortes und der des Impulses ist größer, h— . bestenfalls gleich — 2π Je genauer man den Ort des Teilchens bestimmen will, desto weniger kann man seinen Impuls kennen und umgekehrt. Die Heisenbergsche Unschärferelation gilt nicht nur für
40
Α. Grundlagen der allgemeinen Chemie
Elementarteilchen, nur ist sie bei größeren Partikeln bedeutungslos, da die PlanckKonstante sehr klein ist. Die Unschärfebeziehung setzt eine Grenze, die nicht etwa durch schlechte Geräte oder Messungen bedingt ist, sondern dadurch, daß jede Beobachtung eine Störung des Aufenthaltsortes oder des Impulses verursacht. Als Folge der Unschärferelation sind genaue Aussagen über die Bewegungen der Elektronen in Atomen prinzipiell nicht möglich. Das Bohrsche Atommodell kann also nicht richtig sein, da sich genaue Angaben der Bahn einerseits und der Geschwindigkeit und damit des Impulses eines Elektrons andererseits nicht gleichzeitig erhalten lassen. Wollten wir in einem Atom den Ort des Elektrons auf 10"11 m genau wissen, könnte seine Geschwindigkeit höchstens auf 107 m/s genau sein. Sollte umgekehrt der Impuls genauer bestimmt sein, muß die Ortsangabe entsprechend ungenau erfolgen. Dies bedeutet eine Delokalisierung des Elektrons, die dessen Auffassung als Materiewelle nahelegt.
5.3 Wellencharakter des Elektrons De Broglie hatte 1924 den Gedanken, bewegten Elektronen Welleneigenschaften zuzuschreiben. Zwei Motive führten ihn zu dieser Annahme: Analog den Photonen, die sowohl als Wellen als auch als Partikel angesehen werden müssen, könnten Elektronen und Protonen ebenfalls Wellennatur aufweisen. Dazu ergeben sich bei der mathematischen Behandlung stehender Wellen ganze Zahlen, ähnlich wie sie Bohr in Form der Quantenzahlen willkürlich einführte.
-bf3 Die eingekreisten Ladungen über dem Stickstoff- und dem Boratom entstehen nur durch die formale Vorgehensweise bei der Ableitung der Lewis-Formel; man nennt sie formale Ladungen. Sie dürfen nicht als reale Ladungen betrachtet werden. In Abb. 6.7.1 ist die Entstehung einer semipolaren Bindung bei der Reaktion von Ammoniak mit Bortrifluorid auf den zwei allerdings nur theoretisch unterscheidbaren Wegen bildlich dargestellt.
H \ / α) Η—Ν© + OB—F H F H F \ b) H—N© + OB—F/ \
H
F
H F \® Θ/ H—N®B—F H F H—Ν© h/
©ffF F
Η \θ H—N©B—F / F
Abb. 6.7.1. Entstehung einer semipolaren Bindung auf zwei theoretisch unterscheidbaren Wegen: a) Durch Überlappung eines zweifach besetzten Atomorbitals mit einem unbesetzten AO. b) Durch Elektronenübergang von einem doppelt besetzten AO in ein unbesetztes AO und anschließende Überlappung zweier einfach besetzter Atomorbitale von Radikalionen.
6.8 Polarisierte kovalente Bindung Fast alle Bindungen zwischen verschiedenen Atomen und sogar Bindungen zwischen gleichen Atomen, die mit unterschiedlichen Partnern verbunden sind, sind polar, d.h., die Elektronen sind nicht gleichmäßig über die Bindung verteilt und die Atome tragen Partialladungen (Bruchteile einer Elementarladung). Zusätzlich zur kovalenten Bindung liefert die elektrostatische Anziehung einen Beitrag zur Bindung. Als Maß für das Bestreben eines Atoms innerhalb eines Moleküls, Elektronen an sich zu ziehen, führte L. Pauling 1932 den Begriff der Elektronegativität ein. Die Zahlenwerte
67
6. Chemische Bindung
der Elektronegativität wurden auf verschiedenen physikalisch-chemischen Wegen erhalten (Tab. 6.8.1). R.S. Mulliken definiert die Elektronegativität als den Mittelwert aus der Ionisierungsenergie (I) und der Elektronenaffinität (A). Um die Zahlenwerte dieses Mittelwertes mit den Pauling-Werten und anders definierten Elektronegativitätswerten möglichst gut übereinstimmen zu lassen, berechnet man die Elektronegativität (X E in eV) nach folgender Gleichung: XE = 0,168 (/ + A) —0,204 Tab. 6.8.1 Die Elektronegativitäten der Hauptgruppenelemente (nach Pauling)
H 2,1 Li
Be
Β
C
Ν
0
F
1,0
1,6
2,0
2,5
3,0
3,4
4,0
Na
Mg
Al
Si
Ρ
S
Cl
0,9
1,3
1,6
2,1
2,2
2,6
3,2
Κ
Ca
Ga
Ge
As
Se
Br
0,8
1,0
1,8
2,3
2,2
2,6
3,0
Rb
Sr
In
Sn
Sb
Te
I
0,8
1,0
1,8
2,0
2,1
-
2,7
Cs
Ba
T1
Pb
Bi
Po
At
0,8
0,9
2,0
2,3
2,0
-
-
Fr
Ra
0,9
1,0
Die Elektronegativitätswerte der Elemente der ersten beiden Achterperioden liegen zwischen 0,9 und 4,0. Ein niedriger Zahlenwert der Elektronegativität bedeutet ein geringes Bestreben, Elektronen anzuziehen, und eine große Tendenz, Elektronen abzugeben. Ein hoher Zahlenwert hingegen bedeutet eine große Fähigkeit, Elektronen anzuziehen, und eine geringe Tendenz, Elektronen abzugeben. Die Elektronegativität nimmt innerhalb einer Gruppe des Periodensystems von oben nach unten ab und innerhalb einer Periode von links nach rechts zu. Zu betonen wäre noch, daß die Elektronegativität nicht eine Eigenschaft der Atome im Grundzustand ist, sondern sich auf im Molekül gebundene Atome oder Ionen bezieht.
68
Α. Grundlagen der allgemeinen Chemie
Zur Kennzeichnung der Partialladungen verwendet man die Symbole δ + und δ - . Sie zeigen die Richtung der Polarisation einer Bindung an. δ+
δ-
H - C l bedeutet, daß das Chloratom das bindende Elektronenpaar teilweise zu sich herüberzieht. Dieses Verhalten ist dadurch bedingt, daß Chlor elektronegativer als Wasserstoff ist (s. Tab. 6.8.1). Moleküle mit polarisierten Bindungen sind elektrische Dipole, wenn die Schwerpunkte der positiven und negativen Partialladungen nicht zusammenfallen. Dies ist z.B. bei zweiatomigen Molekülen wie HCl oder CO der Fall. Ein Dipol ist durch sein Dipolmoment charakterisiert. Das Dipolmoment erhält man als das Produkt der Ladung und des Abstandes der Ladungen. Die Einheit für atomare Dipolmomente ist das Debye (D). 1 D = 3,33 · IO -30 C · m C Coulomb m Meter Bringt man eine polare Verbindung zwischen die Platten eines Kondensators, so nimmt seine Kapazität zu. Das Verhältnis der Kapazität eines Kondensators mit einem isolierenden Stoff zwischen seinen beiden Platten zu seiner Kapazität im Vakuum bezeichnet man als die Dielektrizitätskonstante des Stoffes. Polare Verbindungen haben eine hohe Dielektrizitätskonstante. Die molekularen Dipolmomente stehen also in Zusammenhang mit der experimentell bestimmbaren Dielektrizitätskonstante. Enthält ein Molekül mehrere polare Bindungen, so muß das Molekül als Ganzes nicht unbedingt ein Dipolmoment haben, denn das Dipolmoment einer Bindung ist eine gerichtete Größe, ein Vektor. Das Gesamtdipolmoment des Moleküls resultiert aus der Vektorsumme der Dipolmomente aller Bindungen. So sind beide Bindungen des Kohlenstoffs zu Sauerstoff im Kohlendioxid (C0 2 ) polar: δ - δ+ δ -
Da die Vektoren der Dipolmomente der beiden C = O-Bindungen in genau entgegengesetzte Richtung zeigen, ergibt ihre Addition Null. Als Folge seines linearen Baues hat das C0 2 -Molekül kein Dipolmoment. In C - O - , C - C l - und C-N-Bindungen ist das Kohlenstoffatom positiv polarisiert. Das Ausmaß dieser Polarisierung nimmt, der Elektronegativität der an den Kohlenstoff gebundenen Elemente folgend, in der angegebenen Reihenfolge ab. Beim Wassermolekül addieren sich die Vektoren der beiden O-H-Bindungen nicht zu Null, da das Molekül einen gewinkelten Bau aufweist. Die Schwerpunkte der positiven Partialladungen der Wasserstoffatome liegen nicht am Ort der negativen Teilladung des Sauerstoff atoms.
69
6. Chemische Bindung
H Schwerpunkt der positiven Ladung
H δ+
6.9 Bindungskräfte zwischen Molekülen Auch zwischen Molekülen oder zwischen Ionen und Molekülen wirken Kräfte, die allerdings schwächer sind und mit größerem Abstand rascher abnehmen als die Anziehungskräfte zwischen Ionen oder kovalente Bindungen. Alle zwischenmolekularen Kräfte sind im Prinzip Coulombsche Anziehungen. Den stärksten zwischenmolekularen Kräften, den Ion-Dipol-Anziehungskräften, Löslichkeit von Salzen in polaren Lösungsmitteln zuzuschreiben.
ist die
Die Dipole des Lösungsmittels orientieren sich zu den Ionen vorwiegend so, daß ihr negativer Pol näher beim Kation und ihr positiver näher beim Anion liegt.
M
* G>
Kation
Dipol
Anion
©
Dipol
Wenn die Dipol-Ion-Anziehungskräfte größer als die elektrostatischen Anziehungskräfte zwischen den Ionen sind, kann sich der Salzkristall auflösen. Deshalb eignen sich nur Lösungsmittel, deren Moleküle starke Dipole sind, zur Lösung von Salzen (siehe auch Kap. 14). Außerdem verringern Lösungsmittel nach Maß ihrer Dielektrizitätskonstante die Coulombschen Anziehungskräfte zwischen den Ionen. Die Anziehungskräfte zwischen Dipolen, zwischen Dipolen und unpolaren Molekülen und zwischen unpolaren Atomen oder Molekülen sind im allgemeinen noch schwächer und nehmen mit wachsender Entfernung sehr rasch ab. Diese Kräfte zwischen ungeladenen Molekülen heißen nach ihrem Entdecker van der Waalssche Kräfte. Polare Moleküle orientieren sich so, daß ein positiver Pol eines Moleküls einem negativen eines anderen benachbart ist. In dieser Lage ziehen sich die Dipole an, wenn sie einen kleinen Abstand haben.
O
O
Dipol-Dipol-Orientierung Die Dipol-Dipol-Kräfte wirken zwischen Molekülen mit den extrem kleinen Wasserstoffatomen besonders stark, da sich diese Moleküle gut gegenseitig nähern können. Ist Wasserstoff an stark elektronegative Elemente gebunden, dann entstehen außergewöhnlich starke Dipol-Dipol-Kräfte, die mit etwa 4-40kJ/mol bis zu 10% der Stärke einer durchschnittlichen kovalenten Bindung erreichen können. Solche starken Dipol-
70
Α. Grundlagen der allgemeinen Chemie
Dipol-Anziehungen heißen Wasserstoffbrückenbindungen. Der positive Pol ist stets das kleine Wasserstoffatom, der negative kann nur von den stark elektronegativen Elemen,ten der ersten Achterperiode (F, Ο, N) gebildet werden, die nichtbindende Elektronenpaare in Hybridorbitalen enthalten. Da die Hybridorbitale stärker nach einer Seite ausgedehnt sind, fällt der Ladungsschwerpunkt des Elektronenpaares nicht mit dem des Atomkerns zusammen. Dadurch resultiert ein zusätzliches Dipolmoment. Befindet sich der positive Pol, das Wasserstoffatom, in der Richtung der Symmetrieachse des Hybridorbitals, ziehen sich die beiden Dipole am stärksten an. Daraus ergibt sich, daß die Wasserstoffbrückenbindung gerichtet ist, wie es z.B. bei Eis zu beobachten ist. In Eis ist jedes Sauerstoffatom tetraedrisch von vier Wasserstoffatomen umgeben, und zwar sind zwei H-Atome kovalent und zwei über Wasserstoffbrückenbindungen gebunden (vgl. Abb. 2.7.1). Die tetraedrische Anordnung der Η-Atome in Eis erklärt die geringe Dichte des Eises. Da die tetraedrische Struktur beim Schmelzen teilweise verloren geht, können sich die Moleküle dichter zusammenlagern, und die Koordinationszahl des Sauerstoffs erhöht sich. Wasser hat deshalb beim Schmelzpunkt eine größere Dichte als Eis. Bei weiterem Erwärmen nimmt infolge der höheren thermischen Bewegung einerseits das Volumen zu, andererseits wird auch die tetraedrische Struktur noch mehr gestört, und die Moleküle lagern sich enger zusammen. Als Folge dieser entgegengesetzten Effekte hat Wasser bei 4°C ein Dichtemaximum. Dieses Dichtemaximum verhindert ein Zufrieren der Gewässer vom Grunde her und hat deshalb für das Leben von Wassertieren große Bedeutung. Eine Sonderstellung bei den Ion-Dipol- und Dipol-Dipol-Wechselwirkungen nimmt die Hydratation ein, bei der einer der beiden Partner der starke Dipol H 2 0 ist. Auch zwischen vollkommen unpolaren Molekülen und selbst zwischen Edelgasatomen wirken schwache Anziehungskräfte. Die Elektronenverteilung ist auch bei Edelgasen und unpolaren Molekülen nur im zeitlichen Mittel symmetrisch. In sehr kurzen Zeitabschnitten kann sogar ein Edelgasatom infolge ungleichmäßiger Elektronenanordnung ein schwacher Dipol sein und auf ein benachbartes Edelgasatom polarisierend wirken. Zwischen dem ursprünglichen und dem induzierten Dipol, der wieder ein weiteres Molekül induzieren kann usw., bestehen kurzzeitige Anziehungskräfte, die Heitler-Londonsche Dispersionskräfte genannt werden (Abb. 6.9.1).
Abb. 6.9.1. Enstehung induzierter Dipole aus unpolaren Atomen.
Dispersionskräfte sind grundsätzlich zwischen allen Atomen und Molekülen wirksam, sind aber schwächer als sonstige Bindekräfte. Nur wenn andere Kräfte fehlen, wie bei Edelgasen oder unpolaren Molekülen, sind sie für den Zusammenhalt dieser Stoffe in fe-
71
6. Chemische Bindung
stem oder flüssigem Zustand verantwortlich und zeigen sich in Form der Verdampfungsund der Schmelzenergie. Die Dispersionskräfte steigen mit der Atom- bzw. Molekülmasse. Deshalb nehmen bei ähnlichen Atomen oder Molekülen auch die Schmelz- und Siedepunkte mit steigender Molekülmasse zu, wie wir z.B. an den Siedepunkten der Halogene und der einfachsten Kohlenwasserstoffe sehen können (Tab. 6.9.1). Die Energie von van der Waalsschen Bindungen zwischen unpolaren Atomen bzw. Atomgruppen liegt gewöhnlich zwischen 5 und 15 kJ/mol. Tab. 6.9.1 Siedepunkte der Halogene und einiger n-Kohlenwasserstoffe in °C
F2
Ch Br 2
h
-187 - 34,6 + 59 + 183
CH 4 C2H6 C3H8 C4H10 C5H12
-164 - 89 - 42 0,5 + 36
Wasserstoffbrückenbindungen sind mit einem Bereich von 4—40 kJ/mol zwar stärker als die Anziehung zwischen unpolaren Atomgruppen, jedoch bedeutend schwächer als normale kovalente Bindungen (250-460 kJ/mol) oder ionische Bindungen (300-500 kJ/ mol). Wasserstoffbrückenbindungen sind für den Zusammenhalt der räumlichen Struktur von biologischen Makromolekülen wie Nucleinsäuren (s. Kap. 30.2) und Proteinen (s. Kap. 26.9) wichtig. Auch die Ablesung des genetischen Codes wird durch die Ausbildung spezifischer Wasserstoffbrückenbildungen vermittelt.
6.10 Kovalente Bindung und Hybridisierung der Hauptgruppenelemente Trotz großer Ähnlichkeiten im chemischen Verhalten bestehen doch gewisse Unterschiede innerhalb der Gruppen der s- und p-Elemente. Vor allem nehmen die Elemente der ersten Achterperiode (Lithium bis Neon) eine Sonderstellung ein: 1. Elemente der ersten Achterperiode können höchstens 4bindig sein. Im Periodensystem tiefer stehende Elemente können höhere Bindigkeit aufweisen. 2. Die bevorzugte Oxidationszahl (siehe Abschn. 10.2) der Elemente sinkt innerhalb einer Gruppe mit steigender Ordnungszahl. 3. Nichtbindende Valenzelektronenpaare neigen bei Elementen höherer Perioden weniger dazu, Wasserstoff anzulagern, sind also weniger basisch. 4. Wasserstoffbrückenbindungen sind vor allem bei Elementen der ersten Achterperiode wichtig.
72
Α. Grundlagen der allgemeinen Chemie
5. Die Fähigkeit zur Ausbildung von Mehrfachbindungen ist bei Elementen höherer Perioden geringer ausgeprägt. Im Folgenden werden die einzelnen Punkte näher erläutert.
6.10.1 Verbindungen mit maximaler Bindigkeit Die Elemente der ersten Achterperiode (Li bis F) können, da ihnen maximal vier Orbitale (2s, 2p x , 2p y , 2p z oder daraus gebildete Hybridorbitale) zur Verfügung stehen, höchstens vier kovalente Bindungen ausbilden (Oktett-Prinzip). Eine Hybridisierung unter Heranziehen von Orbitalen der Hauptquantenzahl η = 3 ist infolge der zu großen Energiedifferenz ausgeschlossen. Im Gegensatz dazu sind bei den Elementen ab der zweiten Achterperiode Hybridorbitale unter Beteiligung der d-Orbitale möglich, wodurch die maximale Bindigkeit 6, in seltenen Fällen sogar 7 betragen kann (sp 3 d 2 -, sp 3 d 3 -Hybridorbitale). Zur Erläuterung dieses Sachverhaltes betrachten wir die Valenzstrichformeln von Salpetersäure ( H N 0 3 ) , Phosphorsäure (H3PO4) und Ammoniak (NH 3 ) in Abb. 6.10.1:
/0\ ®3 M IÖ" " Ö - H
Η-O
-Pv I O- Η ΙΟΙ I Η
Η I Η
Abb. 6.10.1. Lewis-Formeln von Salpetersäure, Phosphorsäure und Ammoniak.
Während der Phosphor fünfbindig sein kann, ist Stickstoff wegen der Oktettregel höchstens vierbindig. Damit alle Atome eine Edelgasschale erreichen (Prinzip von Lewis), wird ein Elektron vom Stickstoff in Salpetersäure auf den Sauerstoff übertragen. Dieser Sachverhalt wird oft durch die Kurzschreibweise Ν —» O ohne Angabe der Ladungen dargestellt. Mit der Bindigkeit nicht zu verwechseln ist die Wertigkeit; man versteht darunter die Zahl der Elektronen, die ein Atom in einer bestimmten Verbindung entweder aufgenommen (Anion) oder abgegeben (Kation), bzw. für kovalente Bindungen zur Verfügung gestellt hat. Statt des mehrdeutigen Begriffes Wertigkeit verwendet man heute den Begriff Oxidationszahl. In einer kovalenten Verbindung werden für die Errechnung der Oxidationszahl die gemeinsamen Elektronenpaare dem elektronegativeren Element (s. Tab. 6.8.1) zugeordnet. Für die Verbindungen in Abb. 6.10.1ergibt sich: Stickstoff in Salpetersäure ist4-bindig und hat die Oxidationszahl + 5 , Stickstoff in Ammoniak ist 3-bindig und hat die Oxidationszahl - 3 , Phosphor in Phosphorsäure ist 5-bindig und hat die Oxidationszahl + 5 (s. Abschn. 10.2).
6. Chemische Bindung
73
6.10.2 Verbindungen mit trägem Elektronenpaar Die Elemente der höheren Perioden erreichen oft nicht die maximale Oxidationszahl. Um s-Elektronen in p- oder d-Orbitale anzuheben, ist Energie notwendig, die von der Bindungsenergie nicht immer zur Verfügung gestellt werden kann. Denn mit der Atommasse wächst auch der Radius der Elemente einer Gruppe. Mit dem Radius steigen die Bindungslängen, die Bindungsenergien nehmen ab. Aus diesem Grunde finden wir z.B. in der 3. Gruppe bei Gallium und Indium neben der Oxidationszahl + 3 auch die Oxidationszahl +1. Bei Thallium sind sogar beide von ähnlicher Beständigkeit. Ebenso finden wir in der vierten Gruppe mit steigender Atommasse zunehmende Stabilität der Oxidationszahl +2. Kohlenstoff und Silicium kommen fast ausschließlich mit der Oxidationszahl +4, Germanium mit +2 und +4 vor; bei Zinn sind die Oxidationszahlen +2 und + 4 von ähnlicher Stabilität, und bei Blei ist +2 bevorzugt. Bei den schwereren Atomen neigt das s-Elektronenpaar infolge der kleineren Bindungsenergien dieser Elemente weniger zu Entkopplung und Hybridisierung als bei den leichten, wodurch sie oft eine um zwei niedrigere Oxidationszahl haben. Sidgwick bezeichnete dieses s-Elektronenpaar als inertes Elektronenpaar.
6.10.3 Basizitätsunterschiede der Hydride Einen weiteren Unterschied zwischen den Elementen der ersten Achterperiode und den anderen Hauptgruppenelementen finden wir bei den Wasserstoffverbindungen der 5. Hauptgruppe. In Ammoniak (NH3) befindet sich das nichtbindende Elektronenpaar des Stickstoffs in einem stark nach einer Seite ausgedehnten sp3-Hybridorbital. An dieses unsymmetrische Orbital kann sich leicht ein Proton anlagern, was bedeutet, daß Ammoniak basisch ist. Da infolge der zunehmenden Atomgröße bei den schwereren Atomen die Bindungen mit Wasserstoff schwächer und die Bindungsenergien kleiner sind, ist eine sp3-Hybridisierung des Phosphors in Phosphin (PH3) nicht begünstigt. Der Phosphor bindet in PH 3 drei Wasserstoffatome über p-Orbitale. Deshalb liegt der Bindungswinkel nahe bei 90°, und das nichtbindende Elektronenpaar besetzt das 3s-Orbital. Das Elektronenpaar im kugelsymmetrischen s-Orbital neigt viel weniger dazu, ein Proton anzulagern. Phosphorwasserstoffist deshalb viel schwächer basisch als Ammoniak.
6.10.4 Wasserstoffbrückenbindungen Ähnlich wie in der 5. Gruppe (N) sind auch in der 6. und 7. Gruppe nur die Wasserstoffverbindungen der leichtesten Elemente (O, F) hybridisiert. Die Schwerpunkte der Elektronenpaare in nicht hybridisierten Orbitalen fallen mit den positiven Ladungsschwerpunkten, den Atomkernen, zusammen. Die Elektronenpaare der nicht hybridisierten schwereren Atome verursachen deshalb kein Dipolmoment und können keine Wasserstoffbrückenbindungen bilden. Die Wasserstoffbrückenbindungen sind als besonders
74
Α. Grundlagen der allgemeinen Chemie
starke zwischenmolekulare Anziehungskräfte für die außergewöhnlich hohen Schmelzund Siedepunkte der Hydride NH 3 , H 2 0 und HF verantwortlich. Da in Methan (CH4) kein nichtbindendes Elektronenpaar vorhanden ist, bildet dieses keine Wasserstoffbrükkenbindung. In der 4. Hauptgruppe steigen daher die Schmelz- und Siedepunkte mit wachsender Molekülmasse genauso, wie es auf Grund des steigenden Atomvolumens und der damit zunehmenden Polarisierbarkeit zu erwarten ist.
6.10.5 Doppelbindungen Zwischen den Elementen der ersten Achterperiode und den übrigen Hauptgruppenelementen besteht eine unterschiedliche Neigung zur Ausbildung von Doppelbindungen. Doppelbindungen, die schon zwischen den Elementen der ersten Achterperiode nicht doppelt so stark wie Einfachbindungen sind, werden bei schwereren Elementen energetisch so ungünstig, daß sie nur ausnahmsweise stabil sind. Außerdem wird in Molekülen mit Doppelbindungen nicht die maximale Koordinationszahl erreicht, die jedoch gerade bei den Elementen höherer Perioden angestrebt wird. Mehrfachbindungen finden sich deshalb vorzugsweise bei Elementen der ersten Achterperiode. Sauerstoff und Stickstoff bestehen, da sie zwischen zwei Atomen Mehrfachbindungen bilden, aus zweiatomigen Molekülen. Als Folge ihrer kleinen relativen Molekülmasse sind beide Elemente ( 0 2 und N2) gasförmig. Die schwereren Homologen Schwefel und Phosphor vermeiden Doppelbindungen, indem sie große Moleküle bilden. So bildet Schwefel S^-Ketten oder Sg-Ringe und Phosphor Doppelschichten aus gewellten Sechsringen (Abb. 6.10.2 und 6.10.3).
y? ? V
-O-Si-O-S^-ODoppelschichten b e s t e h e n d o u s P B - R i n g e n in der S e s s e l f o r m
-O-Si-O-Si-O? Abb. 6.10.2. Atomanordnung im schwarzen Phosphor und im Siliciumdioxid.
N
/\/\/V
,
Abb. 6.10.3. Schwefelkette im Molekül und Schwefelring im Molekül S 8 .
? (Si02)x
75
6. Chemische Bindung
Auch die Dioxide der 4. Gruppe vermeiden mit Ausnahme des Kohlendioxids Doppelbindungen. C 0 2 enthält zwei Doppelbindungen und ist als kleines Molekül gasförmig. Siliciumdioxid hingegen ist ein Riesenmolekül mit Si-O-Einfachbindungen (Abb. 6.10.2). In (Si0 2 ) x ist Silicium tetraedrisch von vier Sauerstoffatomen und der Sauerstoff von zwei Siliciumatomen umgeben, wodurch ein räumliches Gitter entsteht. Das hochpolymere Siliciumdioxid ist fest und hat einen hohen Schmelzpunkt.
6.11 Isomerìe Viele Verbindungen haben bei unterschiedlichen chemischen und physikalischen Eigenschaften die gleiche Summenformel. Solche Moleküle heißen Isomere und enthalten die gleiche Art und Anzahl Atome, jedoch in anderer Anordnung. Die Isomerie bedingt die große Zahl organischer Verbindungen. Die Anordnung und Lage der Atome und Atomgruppen und die Bindungen in einem Molekül können durch eine Strukturformel anschaulich gemacht werden, die als Abbild oder als eine Art „Konstruktionszeichnung" des Moleküls gelten kann. Um Reaktionsabläufe genauer zu beschreiben, kann man zusätzlich die freien Elektronenpaare einzeichnen. Soll der räumliche Bau betrachtet werden, sind Projektionsformeln vorteilhaft. Isomere Verbindungen teilen wir in zwei Hauptgruppen: I. Strukturisomere und II. Stereoisomere. Isomere Strukturisoniere
Stereoisomere
Kettenisomere Stellungsisomere Strukturisomere im engeren Sinn Tautomere
geometrische Isomere (cis-trans-Isomere) Optische Isomere (Spiegelbildisomere) Diastereomere
6.11.1 Strukturisomerie (Ketten-, Stellungsisomerie, Tautomerie) Strukturisomere unterscheiden sich durch die Anordnung der Atome im Molekül: Kettenisomere (Gerüstisomere): In Kohlenwasserstoffen können die Kohlenstoffatome unterschiedliche Gerüste bilden:
-H3 —CJH—CH3
C4H10
CH3 n-Butan (unverzweigt)
2-Methylpropan (verzweigt)
Cyclohexan
Methyl-cyclopentan
76
Α . Grundlagen der allgemeinen Chemie
Stellungsisomere: Dieselbe funktionelle Grappe substituiert verschiedene C-Atome: CH,—CH—CH·»
çh2-ch2-çh2
I I OH OH
OH
Propan-l,2-diol
Propan-l,3-diol
CH3—CH2—CH2- -OH
OH I CH3-CH-CH3
Propan-l-ol
Propan-2-ol
c3h8o2
OH
C3HgO
Strukturisomere im engeren Sinne: Es sind verschiedene funktionelle Gruppen vorhanden: CH3—CH—COOH
0 2 N—CH2—CH2—CH3
C 3 H 7 N0 2
nh2 2-Amino-propionsäure
1-Nitropropan
Tautomere: Besteht der Unterschied in der Anordnung eines Wasserstoffatoms und einer Doppelbindung, so bezeichnet man diesen Spezialfall von Strukturisomeren als Tautomere. Im Gegensatz zu den anderen Strukturisomeren können tautomere Verbindungen meist leicht ineinander übergehen. Ein Beispiel ist Aceton:
CH,—C—CH,^
C H , = C — CH,
Ketoform
Enolform
II \0/
Bei Tautomeriegleichgewichten steht an Stelle des Gleichgewichtszeichens chen
das Zei-
6.11.2 Stereoisomerie (geometrische und optische Isomerie) Stereoisomere unterscheiden sich bei gleichartiger Bindung aller Atome durch die räumliche Anordnung der Atome im Molekül, die man als Konfiguration bezeichnet. Geometrische Isomere oder cis-trans-Isomere finden wir bei Molekülen mit Doppelbindungen und bei Ringverbindungen. Bei der cis-Form stehen die zwei betrachteten Atome oder Atomgruppen auf der gleichen Molekülseite in Bezug auf den Ring oder die Doppelbindung, bei der trans-Form auf verschiedenen Seiten. Dadurch unterscheiden sich die cis- und die trans-Form durch die Abstände zweier nicht direkt miteinander verbundener Atome, obwohl in beiden Formen die gleichen Atome und Bindungsarten vorliegen.
77
6. Chemische Bindung
Ein Beispiel ist Dichlorethen: H\ H C=C / \ CÍ Cl
und
Cl
W /
H
\
H Cl trans-1,2-Dichlorethen cis-1,2-Dichlorethen Spiegelbildisomere oder „optische" Isomere unterscheiden sich nur durch ihre unterschiedliche Wirkung auf linear polarisiertes Licht. Nur dissymmetrische Moleküle, d.h. Moleküle, die weder eine Symmetrieebene noch ein Symmetriezentrum haben, drehen die Schwingungsebene des polarisierten Lichtes und sind optisch aktiv. Ein dissymmetrisches Molekül läßt sich nicht mit seinem Spiegelbild zur Deckung bringen. Spiegelbildisomere verhalten sich zueinander wie die rechte zur linken Hand (Gr. χειρ = die Hand, deshalb auch Chiralität = Händigkeit). Zwei zueinander spiegelbildliche Substanzen drehen die Schwingungsebene linear polarisierten Lichtes um den gleichen Betrag, aber in entgegengesetzte Richtungen. Zwei spiegelbildisomere Moleküle bezeichnet man auch als optische Antipoden oder Enantiomere. Ein l:l-Gemisch zweier Antipoden nennt man Racemat; es dreht die Schwingungsebene linear polarisierten Lichtes nicht. Die Mehrzahl der dissymmetrischen Verbindungen enthält ein sog. asymmetrisches CAtom, d.i. ein Kohlenstoffatom, das mit vier verschiedenen Substituenten verbunden ist (Abb. 6.11.2.1). Die tetraedrische Anordnung der vier Substituenten am asymmetrischen C-Atom ist die Voraussetzung für diesen dissymmetrischen Bau. Die räumliche Anordnung dieser Substituenten bezeichnet man als Konfiguration.
^ J
"
/
Abb. 6.11.2.1. Das asymmetrische C-Atom.
Sehr viele Naturprodukte weisen dissymmetrischen Bau auf und sind optisch aktiv, vor allem viele biologisch wichtige Substanzklassen. Hierbei kommt meist ein bestimmtes Stereoisomeres vor. Beispielsweise haben fast alle natürlich vorkommenden Aminosäuren dieselbe Konfiguration am Asymmetriezentrum, wobei es belanglos ist, ob die Aminosäuren aus Eiweiß von Pflanzen, Tieren oder Mikroorganismen stammen, θ
COO © I H3N-C—Η I R L-Aminosäure Während sich Enantiomere chemisch üblicherweise identisch verhalten, ist ihre Reaktivität gegenüber Reaktionspartnern, die selbst chiral sind, unterschiedlich. Dies ist insbesondere in der Biochemie von Bedeutung.
78
Α. Grundlagen der allgemeinen Chemie
6.11.3 Charakterisierung der räumlichen Anordnung der Substituenten am asymmetrischen C-Atom 6.11.3.1 Projektionsformeln nach E. Fischer Zur Darstellung der räumlichen Verhältnisse am asymmetrischen C-Atom sind Projektionsformeln nach E. Fischer allgemein üblich. Bei der Projektion in die Papierebene, in der man sich das asymmetrische C-Atom vorstellt, dreht man das räumliche Molekül so, daß die hinter der Ebene stehenden Substituenten oberhalb und unterhalb und die vor der Ebene stehenden rechts und links des asymmetrischen C-Atoms zu schreiben sind. Das höchstoxidierte C-Atom steht immer oben. Man kann vor der Papierebene stehende Substituenten mit stark ausgezeichneten und die hinter der Papierebene stehenden mit strichlierten Valenzstrichen kennzeichnen. 6.11.3.2 D- und L-Konfiguration Um die Konfiguration am asymmetrischen C-Atom festzulegen, dient Glycerinaldehyd als Bezugssubstanz. Das rechtsdrehende Isomere des Glycerinaldehyds bezeichnet man definitionsgemäß als D-Form, das linksdrehende als L-Form. Alle optischen Isomeren, die zum D-Glycerinaldehyd in Beziehung gebracht werden können, gehören zur DReihe. Die Bezugssubstanzen D- und L-Glycerinaldehyd haben in der Projektionsformel die Konfiguration: CHO H-
CHO
CHO
!
!
-0H s H—C—OH ,0H
D -(+) Glycerinaldehyd
CH2OH
HO—C— H « H0-
CHO H
CHjOH L - ( - ) Glycerinaldehyd
Die Zugehörigkeit zur D- bzw. L-Reihe steht nicht in Zusammenhang mit dem Drehsinn, der experimentell zu finden ist, und den man mit (+) (rechtsdrehend) und mit (—) (linksdrehend) kennzeichnet. 6.11.3.3 R-, S-System Die Zuordnung zur D- bzw. L-Reihe ist oft schwierig oder gar nicht möglich, wenn man keine Beziehung zum Glycerinaldehyd herstellen kann. Seit einigen Jahren setzt sich deshalb die R, S-Nomenklatur nach Cahn-Ingold-Prelog immer mehr durch, die in allen Fällen anwendbar ist. Man ordnet die mit dem asymmetrischen Kohlenstoffatom verbundenen Atome nach abnehmender Ordnungszahl, also I > B r > C l > S > P > F > 0 > N > C > H („Fallende Priorität")
79
6. Chemische Bindung
Sind bei mehreren Substituenten gleiche Atome mit dem asymmetrischen C-Atom verbunden, entscheidet die Rangfolge der an diesen Atomen stehenden Gruppen, wobei doppelt gebundene Atome zweifach und dreifach gebundene dreifach zählen. Man dreht das Molekül nun so, daß der Substituent mit der niedrigsten Rangordnung hinter der Papierebene, das C-Atom in ihr und die drei anderen Substituenten vor ihr stehen. Den Substituenten hinter der Papierebene symbolisiert man in der Projektion durch eine punktierte Bindung, die drei vorderen bilden einen regelmäßigen Stern. Wenn der Weg vom ranghöchsten zum rangniedrigsten Substituenten vor der Papierebene im Uhrzeigersinn verläuft, gehört das Molekül zur R-Reihe. In der S-Reihe findet man die abnehmende Rangfolge dem Uhrzeigersinn entgegengesetzt, beispielsweise bei Glycerinaldehyd: OH > CHO > CH 2 OH > H CHO CHO ist identisch mit
HO
I I
K"-C —
CHjOH
R-Glycerinaldehyd
D-Glycerinaldehyd
CHO
tèe.
OH
I CH2OH
CHO ist identisch mit
¿
CH¡OH OH
I CH2OH
S - Glycerinaldehyd
L - Glycerinaldehyd
6.11.4 Diastereomerie Die vier Substituenten eines asymmetrischen C-Atoms können in zwei verschiedenen Konfigurationen angeordnet sein. Enthält ein Molekül mehrere asymmetrische C-Atome, so sind pro asymmetrischem CAtom zwei stereoisomere Formen möglich. Die Gesamtzahl der Stereoisomeren beträgt deshalb 2", wenn η die Zahl der asymmetrischen Kohlenstoffatome bedeutet und die asymmetrischen C-Atome ungleiche Substituenten tragen (Abb. 6.11.4.1). A* ß^
Α - B"
^ ! ^ A'B*
^
I I A* B"
Die durch
verbundenen Stereoisomere sind Antipoden
Die durch
verbundenen S t e r e o i s o m e r
sind Diostereomere
Abb. 6.11.4.1. Antipoden und Diastereomere bei zwei ungleichwertigen Asymmetriezentren.
80
Α. Grundlagen der allgemeinen Chemie
Beispielsweise sind bei der Verbindung mit der Strukturformel HOH2C-CH-CH-CHO I I OH OH
c
asymmetrisches C-Atom
vier stereoisomere Moleküle möglich. Wir schreiben die Verbindung in der Fischer sehen Schreibweise: CHO I H-C-OH I H-C-OH I ch2oh
CHO I HO-C-H I HO-C-H I ch2oh
D-Erythrose
L-Erythrose
CHO I HO-C-H I H-C-OH I
CHO I H-C-OH I HO-C-H I
CHjOH D-Threose
CHjOH L-Threose
Die D- und L-Erythrose sowie die D- und L-Threose sind Enantiomerenpaare (Spiegelbildisomere) , da sie an allen asymmetrischen C-Atomen entgegengesetzte Konfiguration haben. Die beiden Erythrosen verhalten sich jedoch zu den beiden Threosen nicht spiegelbildlich, da die Konfiguration an einem Asymmetriezentrum gleich, an dem anderen aber verschieden ist. Solche Stereoisomere optisch aktiver Verbindungen, die nicht (Spiegelbildisomere) sind, bezeichnet man als Diastereomere.
Enantiomere
Da in diastereomeren Molekülen die Abstände nicht direkt miteinander verbundener Atome oder Atomgruppen unterschiedlich sind, sind ihre physikalischen und viele chemische Eigenschaften verschieden. Diastereomere Verbindungen lassen sich oft auf Grund unterschiedlicher Schmelz- und Siedepunkte oder Löslichkeiten trennen. Bei zwei gleichwertigen Asymmetriezentren (beide asymmetrischen C-Atome tragen jeweils gleiche Substituenten) gibt es eine intramolekular kompensierte, optisch nicht aktive Form, die meso-Form. In der Fischer-Projektion tritt eine Symmetrieebene auf (Abb. 6.11.4.2). CO7H
co2h
COΗ ,
•OH
HO
Symmetrieebene
Η
•OH
-OH
HO-
C02H
co2h
D-Weinsäure 2S, 3S-Weinsäure
L-Weinsäure 2 R , 3R-Weinsäure
C02H meso-Weinsäure 2 R , 3S-Weinsäure (optisch nicht aktiv)
Abb. 6.11.4.2. Fischer-Projektionsformeln der Weinsäuren.
81
6. Chemische Bindung
6.12 Freie Radikale Alle bisher besprochenen Moleküle enthalten in ihren Orbitalen stets Elektronenpaare. Partikel mit einzelnen Elektronen sind meist äußerst reaktionsfähig und deshalb nicht in größerer Menge zu erhalten. Sie führen die Bezeichnung freie Radikale. Freie Radikale entstehen aus Molekülen durch Zufuhr von mindestens soviel Energie, wie zur Spaltung der schwächsten Bindung aufzuwenden ist. Bei Ethan beträgt die C-H-Bindungsenergie 435 kJ/mol, die der C-C-Bindung nur 331 kJ/ mol. Führt man durch starkes Erhitzen Energie zu, so spaltet sich zuerst die C-CBindung und es entstehen zwei Bruchstücke mit je einem ungepaarten Elektron, zwei Methylradikale: H H II
H I
H-C-C-H
H I
H-C · + · C-H
II H H
H
Ethan
I
I H
Methylradikal
In dieser Schreibweise symbolisiert ein Punkt ein ungepaartes Elektron. Leichter lassen sich Methylradikale aus Molekülen mit besonders schwachen Bindungen gewinnen, wie sie z.B. im Tetramethylblei vorliegen: Pb(CH3)4
Energie pb + 4 · C H ,
Tetramethylblei hat für die Regulierung der Benzinverbrennung in Explosionsmotoren große technische Bedeutung (Antiklopfmittel). Methylradikale existieren nur Sekundenbruchteile, da sie dazu neigen, unter Dimerisation sofort wieder Moleküle mit doppelt besetzten Molekülorbitalen zu bilden. H3C · +
CH 3 + H 3 C - C H 3 Ethan
Im Methylradikal ist der Kohlenstoff sp2-hybridisiert. Mit den drei in einer Ebene liegenden sp2-Hybridorbitalen bildet das C-Atom drei σ-Bindungen zu den Wasserstoffatomen. Das einzelne Elektron besetzt das verbleibende p-Orbital, dessen Symmetrieachse auf der Ebene der σ-Bindungen senkrecht steht (Abb. 6.12.1).
kO
H I = 1 Elektron
Abb. 6.12.1. Das Methylradikal.
82
Α. Grundlagen der allgemeinen Chemie
Ersetzen wir im Methylradikal die drei Wasserstoffatome durch Phenylreste (C6H5-), so erhalten wir das viel weniger reaktive Triphenylmethylradikal. Dieses ist in Lösung im Gleichgewicht mit seinem Dimerisationsprodukt beständig.
Triphenylmethylradikal
Die erhöhte Beständigkeit des Triphenylmethylradikals resultiert aus der Ausbildung polyzentrischer Molekülorbitale bzw. der Stabilisierung durch Mesomerie (vgl. Kap. 6.5) Das mit dem einzelnen Elektron besetzte p-Orbital überlappt mit den drei aromatischen 6jt-Elektronenräumen der Phenylreste zu einem polyzentrischen Molekülorbital, wenn die Symmetrieachse des p-Orbitals parallel zu den Symmetrieachsen der aromatischen 6jt-Elektronenräume steht.
7 Chemische Gleichungen 7.1 Relative Atom- und Molekülmassen Um nicht sehr kleine Zahlen zu erhalten, verwendet man für die Atom- und Molekülmasse nicht das Kilogramm, sondern bezieht sie auf eine Einheit, die als 1/12 der Masse eines 12C-Atoms festgelegt ist. Die relativen Atommassen Ar der Elemente (oft etwas unkorrekt als Atomgewichte bezeichnet), die im Periodensystem links über dem Elementsymbol stehen, geben an, um wievielmal schwerer ein Atom eines Elementes ist als diese Grundeinheit. Diese relativen Atommassen sind, außer bei den „Reinelementen" - von denen nur ein Isotop in der Natur vorkommt - „gewichtete" Mittel der Isotopenmassen, d.h. der nach der Häufigkeit der Isotope berechnete Mittelwert. Sie sind konstant, da die prozentuelle Isotopenzusammensetzung im allgemeinen unabhängig von der Herkunft und der chemischen Behandlung des Elementes ist. Die relativen Molekülmassen Mr erhält man durch Addition der Atommassen der Elemente, die ein Molekül bilden. Relative Molekülmasse des Kohlendioxids (C0 2 ): C 2 O
31,998
co2
44,009
12,011
(2 X 15,999)
83
7. Chemische Gleichungen
Für die meisten Zwecke genügt eine auf zwei Stellen hinter dem Komma auf- oder abgerundete Berechnung. Relative Atom- und Molekülmassen sind als reine Verhältniszahlen dimensionslos. In der Praxis spricht man auch bei ionischen Verbindungen von relativen Molekülmassen, wobei man diese aus dem einfachsten Zahlenverhältnis der Ionen berechnet. Relative Molekülmasse des Kupfer(Il)-chlorids (CuCl2): Cu 2 Cl
63,54 70,90
CuCl2
(2 χ 35,45)
134,44
7.2 Das Mol und die molare Masse Als ein Mol (Symbol: mol) bezeichnete man ursprünglich soviele Gramm einer Substanz, wie der relativen Molekülmasse entsprechen. Ein Mol einer Substanz enthielt die der Avogadro-Konstante (NA = 6,022 · 1023 mol -1 ) entsprechende Anzahl Moleküle bzw. Formeleinheiten bei Ionenverbindungen. Heute bezeichnet man diejenige Stoffmenge (Symbol: n), die NA Teilchen enthält, als ein Mol. Die Teilchen können Atome, Moleküle, Ionen, Elektronen, Photonen und andere sein. Die molare Masse (Molmasse) M eines Stoffes ist der Quotient aus der Masse m und der Stoffmenge η des Stoffes: M = — η SI-Einheit kg/mol
Übliche Einheit g/mol
Der Zahlenwert der molaren Masse in g/mol ist gleich dem der relativen Atom- oder Molekülmasse. Ein Mol eines Stoffes entspricht sovielen Gramm, wie seine molare Masse beträgt. Beispiele: Wasser (H 2 0): 2 H O
2,02 g/mol (2 X 1,01) 16,00 g/mol
H20
18,02 g/mol
Ein Mol H 2 0 entspricht 18,02 g. Silberchlorid (AgCl): Ag Cl
107,87 g/mol 35,45 g/mol
AgCl
143,32 g/mol
Ein Mol AgCl entspricht 143,32 g (ein Mol Ag + -Ionen und ein Mol Cr-Ionen).
84
Α. Grundlagen der allgemeinen Chemie
7.3 Chemische Formeln und Gleichungen Die Elementsymbole sind Abkürzungen der lateinischen oder deutschen Namen. Die chemischen Formeln beschreiben die Zusammensetzung von Molekülen bzw. das Ionenverhältnis ionischer Substanzen sowohl qualitativ als auch quantitativ. Es bedeutet beispielsweise CHCI3, daß ein Kohlenstoffatom, ein Wasserstoffatom und drei Chloratome ein Molekül bilden. Durch die Festlegung der Atomverhältnisse sind auch die Massenverhältnisse des Moleküls bestimmt. Aus der Bruttoformel kann man daher die prozentuelle Verbindungszusammensetzung berechnen. Kennt man die Ionenladungen, so kann man das Verhältnis der Ionen in Verbindungen durch Division des kleinsten gemeinsamen Vielfachen der Ionenladungen durch die jeweilige Ionenladung erhalten. Z.B. möchte man das Ionenverhältnis von Cr3"1" und SC>4_ erhalten: Das kleinste gemeinsame Vielfache ist 6; für Cr3+ bekommen wir ^ = 2 und für SO4-: ^ = 3. Das Ionenverhältnis ist daher Cr2 (S0 4 ) 3 . Diese quantitativen Verhältnisse gelten ebenso für chemische Gleichungen. In einer chemischen Gleichung schreibt man gewöhnlich die Ausgangsstoffe auf die linke, die Endprodukte auf die rechte Seite. Auf beiden Seiten des Reaktionszeichens (Pfeil oder Doppelpfeil) müssen gleich viel Atome jedes Elementes stehen. Bei Ionengleichungen muß außerdem die Summe der Ladungen auf beiden Seiten gleich sein. Möchte man eine stöchiometrische Gleichung aus den Formeln der Ausgangsstoffe und der Endprodukte finden, so setzt man für die Koeffizienten Unbekannte ein und stellt unbestimmte (diophantische) Gleichungen für die beteiligten Atome auf. Beispiel: Phosphorpentachlorid (PC15) reagiert mit Wasser zu Phosphorsäure (H3PO4) und Chlorwasserstoff (HCl). Wir schreiben die Gleichung mit Unbekannten an Stelle der Koeffizienten: aPCI5 + ÒH20 -» CH3PO4 + ¿HCl Alle auf der linken Seite der Gleichung stehenden Atome eines Elementes müssen wir in derselben Anzahl auch auf der rechten Seite wiederfinden. Für die Unbekannten können wir deshalb folgende Gleichungen aufstellen: P: a=c CI: 5α = d H: O:
2b = 3c + d b = 4c
Da wir die kleinstmöglichen, ganzzahligen Koeffizienten suchen, kommen wir zu einer Lösung, wenn wir für einen Buchstaben eine ganze Zahl setzen und notfalls alle Koeffizienten entsprechend dividieren oder multiplizieren.
7. Chemische Gleichungen
Setzen wir
a = 1,
85
so ist:
c = 1, b = 4, d = 5
Wir finden also die Gleichung: PCI5 + 4 H 2 0
H3PO4 + 5HC1
Auf der Grundlage der chemischen Gleichung lassen sich die Massenverhältnisse aller Substanzen, die in ihr vertreten sind, berechnen. Einige Beispiele solcher stöchiometrischen Berechnungen bringen wir im nächsten Abschnitt.
7.4 Stöchiometrische Rechnungen 1. Wieviel Gramm metallisches Kupfer erhält man bei der Elektrolyse von 100 g Kupfer (Il)-chlorid? Die Reaktion verläuft nach der Gleichung: CuCl 2 —» Cu + Cl2 Wir berechnen die molaren Massen: Cu 2 Cl CuCl 2
63,54 g/mol 70,90 g/mol
(2 x 35,45)
134,44 g/mol
Da nach der Reaktionsgleichung ein Mol CuCl 2 (134,44 g) ein Mol Cu (63,54 g) ergibt, ergeben 100 g CuCl 2 x g Cu. Demnach verhält sich: 134,44 : 100 = 63,54 : χ
x =
63 5
' ^ " 1°° = 47,26 134,44
Die Elektrolyse von 100 g CuCl 2 ergibt 47,26 g Kupfer. 2. Wieviel Gramm Sauerstoff benötigt man zur Oxidation von 160 g Schwefel zu Schwefeldioxid, und welches Volumen hat diese Menge Sauerstoff bei 25 °C und 1 bar unter Annahme der Gültigkeit der idealen Gasgesetze? Der Schwefel reagiert nach der Gleichung:
s + o2-»so2 Wir berechnen die benötigten molaren Massen: S 02
32,06 g/mol 32,00 g/mol
(2x16,00)
Nach der Reaktionsgleichung reagieren 32,06 g S mit 32,00 g 0 2 .
86
Α. Grundlagen der allgemeinen Chemie
Es verhält sich also: 32,06 : 160,00 = 32,00 : χ
jc = ^
= 159,70
160 g Schwefel benötigen 159,7 g Sauerstoff zur Oxidation. Ein Mol eines idealen Gases hat bei 0°C und 1 bar Druck ein Volumen von 22,41 Liter. Da ein Mol 0 2 32,00 g Sauerstoff entsprechen, gilt die Proportion 32,00 : 159,7 = 22,41 : *
*=
22 41 · 159 7 3 2 QQ
=111,84
Dieses Volumen müssen wir mit dem Gesetz von Gay-Lussac auf 25 °C und 1 bar Druck umrechnen: V V =
=Vo_
V ^ T T0
=
111,84-298 273
Zur Oxidation von 160 g Schwefel zu Schwefeldioxid benötigt man 122,081 Sauerstoff bei 25 °C und 1 bar. 3. Wieviel Gramm Nitrobenzol entstehen bei der Nitrierung von 20 g Benzol? a) Reaktionsgleichung: C 6 H 6 + HN0 3 C 6 H 5 N0 2 + H 2 0 b) Molare Massen: 6 C 6 H C6H6 6 C 5 H Ν 2O C 6 H 5 N0 2
72,06 g/mol
(6 x 12,01)
6,06 g/mol
(6 x 1,01)
78,12 g/mol 72,06 g/mol 5,05 g/mol 14,01 g/mol 32,00 g/mol 123,12 g/mol
c) Proportionalität 78,12 : 20 = 123,12 : *
(6x12,01) (5 x 1,01) (2 x 16,00)
123 12 · 20 '' = 31,52 78,12 Bei der Nitrierung von 20 g Benzol entstehen 31,52 g Nitrobenzol. 4. Wie groß ist die Ausbeute, wenn bei der Nitrierung von 20 g Benzol 26,79 g Nitrobenzol erhalten wurden? x =
a) Theoretische Ausbeute 31,52 g Nitrobenzol (siehe vorherige Rechnung) = 100% b) Ausbeute in % der Theorie: 2 6 ' 7 9 ' 1 0 0 31,52
=
84,99%
7. Chemische Gleichungen
87
7.5 Konzentrationsangaben Zur Angabe der Konzentration von Lösungen sind sehr unterschiedliche Einheiten im Gebrauch. Wir besprechen nur die Angaben auf der Grundlage des Internationalen Einheitensystems (SI). Kennt man die chemische Formel oder das Ionenverhältnis einer Substanz, so soll die Stoffmengenkonzentration (früher Bezeichnung Molarität) bevorzugt werden. Die Stoffmengenkonzentration ist definiert durch die Stoffmenge einer Komponente dividiert durch das Volumen der Lösung (SI-Einheit: mol/m3; übliche Einheit: mol/1). Wegen der Druck- und Temperaturabhängigkeit des Volumens ist auch die Stoffmengenkonzentration druck- und temperaturabhängig. Für kleine Stoffmengenkonzentrationen macht man die Angabe in mmol/1 = 10~3 mol/1, μπιοΐ/ΐ = IO"6 mol/1 oder nmol/1 = IO"9 mol/1. Die früher übliche Konzentrationsangabe der Normalität (val/1) sollte nicht mehr verwendet werden (vgl. Kap. 9.8). Kann man für eine Komponente keine chemische Formel angeben, so empfiehlt es sich, auf die Massenkonzentration auszuweichen. Die Massenkonzentration ist definiert als die Masse der Komponente, dividiert durch das Gesamtvolumen des Systems. Je nach der Konzentration erfolgt die Angabe in kg/1, g/1, mg/1, μ^Ι oder ng/1. Da die Massenkonzentration eine volumenbezogene Größe ist, ist sie ebenfalls temperatur- und druckabhängig. Diese Abhängigkeit fehlt der Angabe des Massenanteils, der als die Masse der Komponente, dividiert durch die Gesamtmasse der Lösung, definiert ist. Der Massenanteil ist dimensionslos. Bei kleinen Massenanteilen benützt man die Faktoren IO -3 , 10"6, 10~9 oder 10"12 oder macht die Angabe in g/kg, mg/kg, μg/kg oder ng/kg. Für die Massenanteile 10~6 und IO -9 sind die Abkürzungen ppm „parts per million" sowie ppb „parts per billion" (billion = 1 Milliarde = IO9) gebräuchlich, obwohl sie nach SI nicht mehr verwendet werden sollten. 1 ppm = 1 mg/kg A (in wäßriger Lösung) 1 mg/1 1 ppb = 1 μg/kg = (in wäßriger Lösung) 1 μg/l Ebenso ist die Angabe des Stoffmengenanteils (früher als Molenbruch bezeichnet) unabhängig von Druck und Temperatur. Der Stoffmengenanteil ist definiert durch die Stoffmenge einer Komponente, dividiert durch die Stoffmengen aller Bestandteile der Lösung. Er ist ebenfalls dimensionslos. Für kleine Stoffmengenanteile kann man die Faktoren 10"3 oder 10"6 heranziehen oder macht die Angabe in mmol/1 oder μηιοΙ/1.
88
Α. Grundlagen der allgemeinen Chemie
Ältere Bezeichnungen wie Gewichts- oder Volumenprozent sollen nicht mehr verwendet werden. Gewichtsprozent steht für die Masse eines gelösten Stoffes in g pro 100 g Lösung. Analog ergibt sich bei Gemischen von Flüssigkeiten für Volumenprozent: Volumen des gelösten Stoffes in ml pro 100 ml Lösung.
Einfache Umrechnungen a) Massenkonzentration und Stoffmengenkonzentration: Eine NaOH-Lösung hat die Massenkonzentration 30,2 g/1. Berechne die Stoffmengenkonzentration. Berechnen der Stoffmenge:
1 mol NaOH . . . . 40,0 g, 30 2 daher sind 30.2 g = ^ = 0,755 mol NaOH.
Die Stoffmengenkonzentration beträgt daher 0,755 mol/1. b) Massenanteil und Stoffmengenanteil: Eine Lösung von Ethanol in Wasser enthält die Massenanteile Ethanol = 70% ( = 0,70) und H 2 0 = 30% ( = 0,30). Berechne das Stoffmengenverhältnis. Wir nehmen 100 g Gemisch an und berechnen die Stoffmengen von Ethanol (C 2 H 5 OH, 1 mol = 46 g) und H 2 0 (1 mol = 18 g):
n(Ethanol) = ^ ,tT n(H20)
=
= 1,5 mol
46
100 · 0,30 , _ , - = 1,7 mol
Daher beträgt der Stoffmengenanteil von Ethanol . . .
H
'0··
^^
^ η = 0,47 = 47%, von
t s t ü
- °·53 -
53%
·
8. Thermodynamik
89
8 Thermodynamik 8.1 Zustandsfunktionen In den vorherigen Kapiteln befaßten wir uns mit dem Atom- und Molekülbau, mit den Bindungskräften, die Atome und Moleküle zusammenhalten, und mit der Wechselwirkung zwischen Atomen und elektromagnetischer Strahlung. In diesem Kapitel wollen wir uns mit makroskopisch beobachtbaren und meßbaren Eigenschaften der Materie beschäftigen mit dem Ziel, Gleichgewichtszustände chemischer Reaktionen zu erfassen. Der Weg zu den chemischen Gleichgewichtszuständen führt über die Thermodynamik, die die Materie unabhängig von atomaren Vorstellungen durch empirisch gefundene Zusammenhänge bestimmter Eigenschaften charakterisiert. Diese Eigenschaften, die den Zustand eines Systems festlegen, heißen Zustandsfunktionen oder Zustandsgrößen. Die Zustandsfunktionen beschreiben den Zustand des Systems und sind unabhängig davon, auf welchem Weg das System in den jeweiligen Zustand gelangt. Zustandsfunktionen sind beispielsweise Masse, Druck oder Temperatur. Auch der Begriff System bedarf in der Thermodynamik einer genauen Festlegung. Als System bezeichnen wir einen Teil des Universums, der durch definierte Grenzen gegen unkontrollierte Einwirkungen abgeschirmt ist und für dessen Verhalten wir uns interessieren. Den restlichen Teil des Universums nennen wir die Umgebung. Die Wahl der Grenzen des Systems ist durchaus willkürlich und richtet sich danach, welche für das Ziel zweckmäßig sind. Wir nehmen als System ein Gefäß, in dem eine chemische Reaktion abläuft, in einem anderen Fall eine Zelle oder ein bestimmtes Volumen einer Lösung. Ein System, dessen Grenzen keinen Stoffaustausch, jedoch Wärmeaustausch ermöglichen, heißt geschlossenes System. Bleibt infolge des Wärmeaustausches mit der Umgebung die Temperatur des Systems konstant, so ist es ein isothermes System. Unterbinden wir den Austausch von Materie und Wärme, dann haben wir ein abgeschlossenes (adiabatisches) System. In einem offenen System sind Übergänge von Materie und Wärme möglich. Lebewesen sind gewöhnlich als offene Systeme anzusehen.
8.2 Intensive und extensive Zustandsfunktionen Zustandsfunktionen kann man in zwei Gruppen ordnen, in extensive und intensive. Extensive Eigenschaften ändern sich mit der Systemgröße, z.B. Masse und Volumen. Die Masse eines doppelt so großen Systems beträgt bei sonst gleichen Eigenschaften das Doppelte. Intensive Eigenschaften sind nicht additiv. Beispiele sind die Temperatur, der Druck und die Dichte. Die Temperatur eines Systems ist die gleiche wie die jedes Teilbereiches, wenn sich ein Gleichgewicht eingestellt hat.
90
Α. Grundlagen der allgmeinen Chemie
8.3 Reversible und irreversible Prozesse Jede chemische Reaktion in einem geschlossenen System führt zu einem Gleichgewichtszustand, in dem alle an der Reaktion beteiligten Substanzen in bestimmten Konzentrationen vorliegen. Das chemische Gleichgewicht ist ein zentrales Thema der Thermodynamik. Die Thermodynamik kann jedoch nichts darüber aussagen, wie rasch Gleichgewichtszustände erreicht werden, da in ihr die Zeit nicht als Veränderliche vorkommt. Den zeitlichen Ablauf chemischer Reaktionen behandelt die Reaktionskinetik. Ein Gleichgewichtszustand ist dadurch charakterisiert, daß keine spontanen Umwandlungen des Systems erfolgen, andererseits äußere Einflüsse sofort mit Veränderungen beantwortet werden. Ein anschauliches Beispiel ist eine Balkenwaage im Gleichgewicht. Legt man ein kleines zusätzliches Gewicht auf eine Waagschale, dann neigt sich der Waagbalken sofort. Im arretierten Zustand bewirken zusätzliche Gewichte keine Änderung des Systems, es besteht also kein Gleichgewichtszustand. Sehr geringfügige oder ganz langsame Einwirkungen führen zu einem Zustand, der praktisch dem Gleichgewicht gleichzusetzen ist. Ganz langsame Vorgänge, bei denen die Systeme nie weit vom Gleichgewicht entfernt sind, heißen reversible Prozesse. Obwohl also die Thermodynamik nur Gleichgewichtszustände behandelt, lassen sich auch solche „unendlich langsamen" reversiblen Prozesse erfassen. In Wirklichkeit kann ein Vorgang nur annähernd reversibel verlaufen, da er in einer endlichen Zeitspanne beendet sein soll und bei einem streng reversiblen Prozeß keine Energie in Form von Wärme verloren gehen dürfte, was in der Praxis unmöglich ist. Den Unterschied zwischen einem reversiblen und einem irreversiblen Prozeß möchten wir an dem Beispiel eines expandierenden idealen Gases deutlich machen: Vor der Expansion befindet sich das Gas in einer Hälfte eines Zylinders, die andere Hälfte ist evakuiert. Durch zwei unterschiedliche experimentelle Anordnungen besteht die Möglichkeit, das Gas irreversibel oder reversibel zu expandieren (Abb. 8.3.1). Bei der irreversiblen Expansion trennt eine Klappe das Gas vom evakuierten Zylinderteil. Öffnen wir die Klappe, so strömt so lange Gas in den evakuierten Teil, bis es den Zylinder völlig gleichmäßig erfüllt. Spontan kehrt das Gas nicht wieder in seinen ursprünglichen Zylinderteil zurück. Der Prozeß verläuft also irreversibel. Wollte man das Gas auf sein ursprüngliches Volumen komprimieren, müßte man eine äußere Kraft einwirken lassen. Bei dieser irreversiblen Expansion leistet das Gas keine Arbeit und tauscht auch keine Wärme mit der Umgebung aus. Um die Expansion reversibel verlaufen zu lassen, ersetzen wir die Klappe durch einen möglichst reibungsfrei beweglichen Kolben. Um den Kolben gegen den Druck des Gases auf der Stelle zu halten, benötigen wir eine gleich große, entgegengerichtete äußere Kraft. Verringern wir diese Kraft in ganz kleinen Schritten, so verschiebt sich der Kol-
8. Thermodynamik
91
Abb. 8.3.1. Expansion eines Gases. a) irreversibel b) reversibel
ben, bis das eingeschlossene Gas schließlich den ganzen Zylinder ausfüllt. Bei diesem Prozeß leistet das Gas gegen die auf den Kolben wirkende Kraft mechanische Arbeit, die etwa zur Hebung eines Gewichtes dienen kann und so als potentielle Energie gespeichert wird. Diese potentielle Energie könnte, vorausgesetzt, daß keine Energie in Form von Reibungswärme verloren würde, dazu verwendet werden, das Gas wieder auf sein ursprüngliches Volumen zu komprimieren. Bei dieser Art der Prozeßführung kann das Gas ohne Einwirkung einer äußeren Kraft in seinen Ausgangszustand zurückkehren. Der Vorgang verläuft also umkehrbar, reversibel. Im Unterschied zum irreversiblen Prozeß leistet das Gas beim reversiblen Prozeß Arbeit. Eine dieser Arbeit entsprechende Wärmemenge wird dem Gas entzogen, wodurch es sich abkühlt oder Wärme aus der Umgebung aufnimmt.
8.4 Innere Energie Wie beim Beispiel des expandierenden Gases lassen sich bei einem Vorgang je nach Art der Ausführung eine wechselnde Wärmemenge und eine wechselnde Arbeit erhalten, die Summe aus beiden jedoch ist konstant. Diese Erfahrung wurde bei allen Prozessen, die mit Umsatz von Wärme, Arbeit und anderen Energieformen verbunden sind, ohne Ausnahme bestätigt und führte dazu, eine Zustandsfunktion, die alle Energieformen umfaßt, einzuführen — die innere Energie. Jedes System besitzt eine innere Energie U, die alle Energieformen, wie z.B. Wärmemenge, potentielle, kinetische und chemische Energie, umfaßt. Die innere Energie eines Systems ändert sich nur, wenn man dem System Energie in Form von Wärme, Arbeit oder anderen Energieformen zuführt oder wegnimmt. Dies ist zugleich eine mögliche Formulierung des ersten Hauptsatzes der Thermodyna-
92
Α. Grundlagen der allgmeinen Chemie
mik. Für geschlossene Systeme gilt: Die Zunahme der inneren Energie Δ U ist gleich der Summe von aufgenommener Wärme q und aufgenommener Arbeit w: AU = q + w Die Änderung der inneren Energie Δ U ist die Differenz der inneren Energie des Endzustandes Ub und des Ausgangszustandes i/ a : Δί/ =
Ub-Ua
Die Vorzeichengebung für q und w erfolgt altruistisch, d.h. vom Standpunkt des Systems aus. Ein positives Vorzeichen von q und w bedeutet vom System aufgenommene Wärme und Arbeit, ein negatives Vorzeichen vom System abgegebene Energien. Jeder Austausch von Wärme und Arbeit zwischen System und Umgebung ändert die innere Energie des Systems. Daraus folgt, daß man Energie nicht aus dem Nichts gewinnen kann. Diese Erkenntnis ist heute bereits Allgemeingut und nicht nur dem Naturwissenschaftler selbstverständlich. Das war nicht immer so. Das erste Mal wurde die Äquivalenz von Wärme und mechanischer Arbeit von Mayer (1842) ausgesprochen. Der Äquivalenzfaktor wurde erst von Joule experimentell bestimmt. Er fand, daß eine Kalorie (cal) 4,1868 Joule (J) sind. Heute ist das Joule als internationale Energieeinheit festgelegt. Beziehungen: 1 Joule = IO7 erg = 1W · s = 0,239 cal Helmholtz hat das Äquivalenzprinzip noch verallgemeinert: Die Summe aller Energieformen in einem abgeschlossenen (isolierten) System ist konstant. Weitere Energieformen sind potentielle, kinetische, elektrische und magnetische Energie, nach Einstein auch die Masse: E = m · c2 c Lichtgeschwindigkeit c = 2,998· 108m -s" 1 Die Umwandlung von Masse in Energie ist infolge des außerordentlich großen Proportionalitätsfaktors allerdings nur bei Kernreaktionen meßbar.
8.5 Volumenarbeit Gase können bei Expansion oder Kompression sogenannte Volumenarbeit umsetzen. Wir betrachten einen Zylinder, in dem ein Gas eingeschlossen ist (Abb. 8.5.1). Der Zylinder ist mit einem beweglichen Kolben verschlossen. Die Fläche A des Kolbens ist dem Druck ρ des Gases ausgesetzt. Auf den Kolben wirkt von außen die Kraft F, die dem Gasdruck entgegengerichtet ist. Bei der Expansion leistet das Gas gegen diese Kraft die Arbeit Δνν, wenn es den Kolben um die Strecke Al gegen diese Kraft verschiebt. Aw =
FAl
8. Thermodynamik
93
Abb. 8.5.1. Volumenarbeit eines idealen Gases bei Expansion.
Im Gleichgewichtszustand wirkt die äußere Kraft dem Gasdruck entgegen. Sie ist gleich dem Gasdruck multipliziert mit der Kolbenfläche A : F = —ρ · A Durch Einsetzen in obige Gleichung erhalten wir: Δνν = —ρ · A · Al Al · A ist die Volumenänderung Δ Vdes Gases. Wir erhalten: Aw =
-p-AV
Vorausgesetzt ist hierbei, daß sich der Gasdruck während der Expansion nicht ändert. Ist AV positiv, d.h. expandiert das Gas, so leistet das System Arbeit. In Übereinstimmung mit der schon erwähnten Vorzeichengebung in der Thermodynamik hat diese Arbeit ein negatives Vorzeichen. Wird das Gas komprimiert, so ist ΔV negativ; die Arbeit wird dadurch positiv, da sie vom System aufgenommen wird.
8.6 Reaktionswärmen bei konstantem Volumen Bei fast jeder chemischen Reaktion entsteht Wärme oder wird Wärme verbraucht. Diese Wärme führt zunächst zu einer Temperaturänderung des Reaktionsgemisches, die durch Wärmeaustausch mit der Umgebung ausgeglichen wird. Die vom System abgegebene oder aufgenommene Wärme entspricht dem Unterschied an innerer Energie der Endprodukte und der Ausgangsstoffe, wenn sonst kein Energieaustausch mit der Umgebung erfolgt. Ein chemischer Vorgang kann nur Arbeit leisten, wenn elektrische Energie erzeugt wird oder eine Änderung des Volumens eintritt. Führt man die chemische Reaktion ohne Entnahme elektrischer Energie in einem geschlossenen Gefäß durch, d.h. bei konstantem Volumen, so entspricht die umgesetzte Wärme der Änderung der inneren Energie. Die Reaktionswärme bei konstantem Volumen ist die Änderung der inneren Energie der Reaktionsteilnehmer im Verlauf der Reaktion und heißt deshalb auch die Reaktionsenergie. AU=q(=qv) qv
Reaktionswärme bei konstantem Volumen
94
Α. Grundlagen der allgmeinen Chemie
Reaktionsenergien mißt man in einem Kalorimeter. Dieses besteht aus einem Reaktionsgefäß mit einem Heizdraht, das in einem größeren Gefäß steht. Der Heizdraht dient nur zur Reaktionszündung. Die durch diese Zündung zugeführte Wärme muß natürlich von der gemessenen Reaktionswärme abgezogen werden. Das größere Gefäß ist thermisch isoliert, mit Wasser gefüllt und enthält ein empfindliches Thermometer und einen Rührer (Abb. 8.6.1).
- —Thermometer
Isolierung
Wasser
Abb. 8.6.1. Kalorimeter.
Eine Eichung mit einer Reaktion bekannter Reaktionsenergie liefert den sog. Wasserwert, d.i. diejenige Wassermenge, bei der bei gleicher Wärmezufuhr die gleiche Temperaturerhöhung beobachtet wird wie am Kalorimeter. Aus der bei der Reaktion im Kalorimeter gemessenen Temperaturerhöhung kann mit Hilfe des Wasserwertes die bei einer Reaktion freigesetzte Wärmemenge berechnet werden.
8.7 Enthalpie Gewöhnlich führt man chemische Reaktionen nicht bei konstantem Volumen, sondern bei konstantem Druck, meist Atmosphärendruck, durch (Isobarer Prozeß). Ändert sich bei der Reaktion das Volumen, so tauscht das System mit der Umgebung Volumenarbeit aus. Um diese Arbeit unterscheidet sich die Änderung der inneren Energie von der umgesetzten Wärme. AU=qp-p-AV oder qp = &.U + qp
p-äV
umgesetzte Wärme bei isobarer Prozeßführung
95
8. Thermodynamik
Da innere Energie, Druck und Volumen Zustandsfunktionen sind, muß auch die bei konstantem Druck umgesetzte Wärmemenge qp eine Zustandsfunktion sein; sie wird als Enthalpie bezeichnet. Die Enthalpie H ist durch die Gleichung H = U+ρ ·V definiert. Für Prozesse bei konstantem Druck (Δρ = 0) erhalten wir für die Änderung der inneren Energie und der Enthalpie die Beziehung AH=AU+pAV Durch Vergleich mit der vorletzten Gleichung sehen wir, daß die vom System bei einem isobaren Prozeß aufgenommene oder abgegebene Wärme qp gleich der Enthalpieänderung AH ist. AH=qp Führt man einem System bei konstantem Druck Wärme zu, so erhöht ein Teil der Wärme die innere Energie, der andere Teil leistet Arbeit gegen den äußeren Druck. Die Volumenänderungen und somit die Arbeitsbeträge sind, wenn bei chemischen Reaktionen nur Flüssigkeiten und Festkörper beteiligt sind, allerdings sehr klein, sodaß sich die Änderungen der inneren Energie und der Enthalpie praktisch nicht unterscheiden. Erst wenn im Verlaufe der Reaktion Gase entstehen oder verbraucht werden, unterscheiden sich AH und Δ U beträchtlich. Nimmt man für die Gase die Gültigkeit der idealen Gasgesetze an, so erhält man für den Unterschied von AH und AU: AH-AU
=
pAV=RTAn
An bedeutet die Änderung der Stoffmenge („Molzahl") der an der Reaktion beteiligten gasförmigen Stoffe. Ist beispielsweise die Differenz zwischen gasförmigen Ausgangsstoffen und Endprodukten ein Mol bei 25°C und 1 bar Druck, d.h. ein Mol Gas wird verbraucht (Δη = - 1 mol), so ist die Änderung der Enthalpie um 2478 J kleiner als die Änderung der inneren Energie. Denn AH-AU
= R T An = 8,314 · 298 ( - 1 ) = -2478 J
oder AU - AH= 2478 J Die Reaktionsenergien lassen sich also leicht in Reaktionsenthalpien umrechnen und umgekehrt.
96
Α. Grundlagen der allgmeinen Chemie
8.8 Thermochemische Reaktionsgleichungen Wird bei einer chemischen Reaktion Wärme frei, so erniedrigt sich die Enthalpie des Systems. Deshalb bekommt AH ein negatives Vorzeichen. Solche Reaktionen bezeichnet man als exotherme, Reaktionen mit Wärmeverbrauch als endotherme Reaktionen. Thermochemische Reaktionsgleichungen beziehen sich auf ein Mol Endprodukt, wobei die Phasen der Reaktionsteilnehmer und die Reaktionsbedingungen stets anzugeben sind. Ein nachgestellter Index (s), (/) oder (g) bedeutet feste, flüssige oder gasförmige Phasen. Druck und Temperatur, für welche die Werte von AH bzw. Δ U gelten, kennzeichnet man durch einen hochgestellten (der Index ° bedeutet 1,013 bar) bzw. durch einen tiefgestellten Index, der die absolute Temperatur angibt. Für die Reaktion von H 2 und 0 2 zu H 2 0 schreibt man: H
2(g) + \ 02(g) -> H 2 0 (g)
AH°298 = "242,0 kJ
Diese Reaktionsenthalpie ist zugleich ein Beispiel für eine Bildungsenthalpie. Die Standardbildungsenthalpie ist die Wärmemenge, die bei der Synthese eines Mols der Verbindung aus den Elementen im sog. Standardzustand, d.h. bei 1,013 bar Druck und 25°C = 298 K, freigesetzt wird. Experimentell sind nur Enthalpiedifferenzen meßbar. Deshalb kennt man keine absoluten Enthalpien. Aus Gründen der Zweckmäßigkeit setzt man die Enthalpien der Elemente im Standardzustand willkürlich gleich Null. Oft bestehen experimentelle Schwierigkeiten, Reaktionsenthalpien direkt zu messen. Man hilft sich in solchen Fällen, indem man den Endzustand über einen Umweg aus den Ausgangsstoffen erreicht und die gesuchte Reaktionsenthalpie auf Grund des Hessschen Satzes berechnet. Der Hesssche Satz ist ein Spezialfall des Energieerhaltungsgesetzes, der allerdings schon vor diesem ausgesprochen wurde, und besagt, daß die bei chemischen Reaktionen umgesetzte Wärmemenge unabhängig vom Weg ist. Beispielsweise kann man die Bildungsenthalpie des Kohlenmonoxids direkt nicht bestimmen, da sich bei der Verbrennung des Kohlenstoffs auch Kohlendioxid bildet. Man bestimmt die Verbrennungsenthalpien der Verbrennung von C zu C0 2 und der von CO zu C 0 2 und erhält die thermochemischen Reaktionsgleichungen:
c + o 2 ->co 2
AHI98 = -393,2 kJ/mol
CO + - o 2 -»co 2
Δ// 298 = -283,2 kJ/mol
2
Nach dem Hessschen Satz ist die Enthalpie der Oxidation des C zu C 0 2 unabhängig davon, ob sie direkt oder über eine Zwischenstufe verläuft. Die Summe der Enthalpien der Teilreaktionen 1 C + -0,->C0
und
1 C 0 + - 0 2 - * C 0 '2:
8. Thermodynamik
97
ist gleich der Enthalpie der vollständigen Oxidation. Wir setzen χ für die Enthalpie der Reaktion C + ^ 02-> CO und erhalten: * + (-283,2) = -393,2 * = 283,2 - 3 9 3 , 2 = -110,0 Die Bildungsenthalpie des Kohlenmonoxids beträgt also —110,0 kJ/mol.
8.9 Entropie Ebenso wie mechanische Systeme nach dem Zustand geringster Energie streben, erwartete man früher auch, daß bei chemischen Reaktionen der Gleichgewichtszustand der Zustand der geringsten Energie wäre. Alle Reaktionen mit negativem Δ U oder AH sollten also freiwillig ablaufen. Tatsächlich sind Reaktionen mit großer Wärmeabgabe oft rasch und weitgehend quantitativ. Das Vorkommen endothermer und trotzdem freiwillig ablaufender Reaktionen beweist jedoch, daß die Reaktionswärmen nicht ausschließlich die Richtung einer chemischen Reaktion bestimmen, sondern daß dabei noch eine andere Größe mitbeteiligt sein muß. Um etwas über diese Größe zu erfahren, betrachten wir einen Prozeß, der spontan stets nur in einer Richtung abläuft. Öffnet man einen gefüllten Gasbehälter in einem evakuierten Raum, so dehnt sich das Gas spontan über den ganzen Raum aus. Von sich aus kehrt es niemals wieder in den ursprünglichen Behälter zurück. Die Gasmoleküle, die sich zuerst nur im Behälter bewegen konnten, verteilen sich nun über den ganzen, zur Verfügung stehenden Raum. Der Grad der inneren Unordnung, d.h. die Anzahl der Anordnungsmöglichkeiten der Moleküle, die den gleichen makroskopischen Zustand ergeben, hat zugenommen. Diese Zahl der Anordnungsmöglichkeiten wird als thermodynamische Wahrscheinlichkeit W bezeichnet und steht nach Boltzmann mit einer Zustandsfunktion, der Entropie S, in Beziehung: S = k · In W k, die sog. Boltzmann-Konstante, ist die auf ein Molekül bezogene allgemeine Gaskonstante: k = — = 1,3806 · 10 -23 J · K - 1 NA Die Entropie ist ein Maß für die molekulare Unordnung oder die Wahrscheinlichkeit eines Zustandes. Der am wenigsten geordnete Zustand ist der wahrscheinlichste. Dies ist die molekularkinetische Deutung der Entropie, die, wie auch bei den anderen Zustandsfunktionen, die einzige anschauliche Vorstellung liefert. Für die Thermodynamik selbst ist dieses statistische Modell nicht notwendig, da sie sich nur mit den Zusammenhängen und Änderungen von Zustandsfunktionen befaßt. Jeder spontane Vorgang kann zu einer Arbeitsleistung verwendet werden, wobei der Ar-
98
Α. Grundlagen der allgmeinen Chemie
beitsbetrag von der Art der Ausführung abhängt. Bei vollständig irreversiblem Verlauf kann keine Arbeit gewonnen werden, bei einem reversiblen ist die maximale Arbeit verfügbar. Bei reversibler, isothermer Prozeßführung ist die maximale Arbeit nur abhängig vom Ausgangs- und Endzustand, nicht aber vom Weg des Vorganges. Nach dem ersten Hauptsatz gilt für einen reversiblen Prozeß bei konstantem Druck und konstanter Temperatur: AH = wrev + qrev Die Änderung der Reaktionsenthalpie setzt sich bei reversiblem Prozeßablauf zusammen aus zwei Beträgen, aus der maximalen Arbeit wrev und einer Wärmemenge qTev, die nicht in Form von Arbeit verfügbar ist, sondern zur Erhöhung der inneren Unordnung des Systems dient. Diese Wärmemenge heißt deshalb auch die gebundene Energie. Der Quotient der reversibel und isotherm mit der Umgebung ausgetauschten Wärmemenge und der thermodynamischen Temperatur ist als die Entropieänderung AS definiert: AS =
^L T
Die Entropie hat die Einheit J · K _ 1 · mol -1 . Diese Definition ist gleichzeitig eine mögliche Formulierung des 2. Hauptsatzes der Thermodynamik für geschlossene Systeme. Durch Umformung der Gleichung erhalten wir: TK, ist AS > 0. Nach dem 2. Hauptsatz kann der Prozeß freiwillig ablaufen. Der umgekehrte Vorgang, der Fluß von Wärme vom kälteren auf den wärmeren Körper, ist zwar nach dem Energieerhaltungsgesetz (1. Hauptsatz) her möglich. Δ5 wäre für diesen Vorgang aber kleiner als Null, da sich in den Gleichungen die Vorzeichen umkehren, er ist daher nach dem 2. Hauptsatz verboten. Ein Fluß von Wärme von einem kälteren Körper auf einen wärmeren wird auch niemals beobachtet. Wie in diesem Beispiel, dessen Ergebnis jedem einleuchtend erscheint, kann AS auch für kompliziertere Vorgänge wie z.B. chemische Reaktionen als Kriterium dafür angewendet werden, ob ein Vorgang ablaufen kann oder nicht.
100
Α. Grundlagen der allgmeinen Chemie
8.11 3. Hauptsatz der Thermodynamik Der 3. Hauptsatz der Thermodynamik ist genau wie der 1. und 2. ein Erfahrungssatz. Es wurden nie Beobachtungen gemacht, die dieser Erfahrung widersprochen haben. Bei der Annäherung an den absoluten Nullpunkt nehmen alle Entropieunterschiede immer mehr ab. Als erste Formulierung des 3. Hauptsatzes der Thermodynamik sagte Nernst, daß die Entropiedifferenzen am absoluten Nullpunkt gegen Null gehen. Wenn keine Entropiedifferenzen bestehen, dann haben alle Substanzen den gleichen Entropiewert. Planck erweiterte den 3. Hauptsatz, indem er sagte, daß die Entropie selbst beim idealen Festkörper bei Annäherung an den absoluten Nullpunkt gegen Null geht. Beim idealen Kristall besteht bei der Temperatur des absoluten Nullpunktes die größtmögliche Ordnung. Eine Zufuhr von Wärme bewirkt nur eine relativ geringe Entropiezunahme. Erst beim Schmelzen des Kristalls erfolgt eine starke Abnahme der inneren Ordnung. Die Schmelzwärme, die der Kristall aufnimmt, dient dazu, den Ordnungszustand zu verringern. Weitere Wärmezufuhr erhöht die Entropie der Schmelze nur wenig. Erst beim Verdampfen der Flüssigkeit nimmt die Ordnung wieder sehr stark ab. Die Entropie von Gasen ist viel höher als die von Flüssigkeiten. Beim Verdampfen muß ebenfalls Wärme aufgenommen werden, die Verdampfungswärme. Auch die Verdampfungswärme ist eine Energie, die die innere Unordnung erhöht. Im Gegensatz zu der inneren Energie und der Enthalpie, bei denen nur Differenzen meßbar sind, können für die Entropie chemischer Substanzen auf Grund des 3. Hauptsatzes absolute Werte angegeben werden. Solche Entropiewerte stehen schon für viele Verbindungen in Tabellen zur Verfügung. Sie haben Bedeutung für die Berechnung chemischer Gleichgewichte.
8.12 Freie Enthalpie Mit der Entropie haben wir bei isolierten Systemen ein Kriterium, ob eine Reaktion freiwillig abläuft oder nicht. Steht das System während der Reaktion in Wärmeaustausch mit der Umgebung, so benötigen wir die Kenntnis der Entropie des Systems und der Umgebung, um beurteilen zu können, wie die Gesamtentropieänderung verläuft. Denn erst diese liefert uns die Information über die Richtung des Vorganges. Wenn wir ein Kriterium für die Spontaneität einer Reaktion erhalten wollen, das nur von den Eigenschaften des Systems abhängt, müssen wir zu dem Drang nach höchster Unordnung noch ein anderes Prinzip hinzuziehen. Dieses Prinzip, das wir schon öfter erwähnt haben, ist das Bestreben nach niedrigster innerer Energie bzw. nach niedrigster Enthalpie. Das Bestreben nach Zunahme der Entropie und nach Abnahme der Enthalpie wirkt meist in entgegengesetzte Richtung. Gleichgewicht besteht, wenn zwischen den beiden Bestrebungen ein Kompromiß geschlossen ist.
8. Thermodynamik
101
Exakt wurde das von Gibbs formuliert, der eine neue Zustandsfunktion, die freie Enthalpie (G), einführte, die durch die Gleichung G= H-TS definiert ist. Im angelsächsischen Schrifttum ist für G der Name „Gibbs' free energy" gebräuchlich. Die Einheit der freien Enthalpie ist kJ/mol. Für die Änderung der freien Enthalpie eines isothermen, isobaren Prozesses gilt: AG = AHTAS Die Änderung der freien Enthalpie einer Reaktion ist der Höchstbetrag an Arbeit, die sich bei dem Prozeß erhalten läßt. Die Energie Τ · AS, die gebundene Energie, ist nicht in Arbeit umwandelbar. Die Reaktionsenthalpie AH besteht demnach aus der freien Enthalpie AG und der gebundenen Energie Τ · AS. Die freie Reaktionsenthalpie dient zur Definition des Gleichgewichtes. Die freie Enthalpie eines Systems strebt einem Minimum zu. Nimmt sie während der Reaktion ab, ist also AG < 0, so läuft der Vorgang freiwillig ab. Eine solche Reaktion heißt exergonisch. Ist AG > 0 (endergonische Reaktion), so verläuft der Prozeß nicht spontan. Bei AG = 0 befindet sich das System im Gleichgewicht. Wenn die Reaktionsenthalpie AH negativ und die Reaktionsentropie AS positiv ist, wenn also bei der Reaktion Wärme freigesetzt wird und die Unordnung zunimmt, dann ist die freie Reaktionsenthalpie AG negativ, d.h. die Reaktion kann von der Thermodynamik her gesehen spontan ablaufen. Ist die Reaktionsenthalpie positiv und die Reaktionsentropie negativ, so verläuft die Reaktion nicht spontan, da die freie Reaktionsenthalpie stets positiv ist. Sind AH und AS negativ, so hängt das Vorzeichen von AG von der Reaktionstemperatur ab. Da der Wert des Produktes Τ · AS unterhalb einer bestimmten Temperatur kleiner als der Wert der Enthalpie ist, verlaufen solche Reaktionen nur unterhalb dieser Temperatur exergonisch. Wenn umgekehrt AH und AS positiv sind, wird AG negativ, wenn Τ · AS > AH ist. Da dies erst oberhalb einer bestimmten Temperatur der Fall ist, verlaufen solche Reaktionen erst oberhalb dieser Temperatur freiwillig. Wie bei der Enthalpie sind die freien Bildungsenthalpien der Elemente im Standardzustand (25 °C, 1,013 bar = 1 atm) mit dem Wert Null festgesetzt. Die freien Standardbildungsenthalpien vieler chemischer Verbindungen sind in Tabellen enthalten. Mit diesen können freie Standardreaktionsenthalpien berechnet werden: AGR = tAG ¿(Produkte) - ΣΔ Gß( Ausgangsstoffe)
8.13 Chemisches Gleichgewicht Prinzipiell führen alle chemischen Reaktionen zu einem Gleichgewichtszustand. Bei manchen Reaktionen sind jedoch die Konzentrationen der Ausgangssubstanz im Gleichge-
102
Α. Grundlagen der allgmeinen Chemie
wicht so niedrig, daß sie vernachlässigt werden können. Andere Reaktionen kommen äußerlich bereits zum Stillstand, wenn sowohl Ausgangsstoffe als auch Endprodukte in vergleichbaren, leicht nachzuweisenden Konzentrationen vorhanden sind. Erwärmt man beispielsweise Iodwasserstoff in einem verschlossen Kolben, so zerfällt er zum Teil in die Elemente, jedoch bleibt eine bestimmte Menge Iodwasserstoff unzersetzt. Zu demselben Gleichgewichtszustand kommen wir auch durch Erwärmen von Wasserstoff und Iod. Die Reaktion ist also umkehrbar. H2 + I2
Hinreaktion „ Riickreaktion
2
HI
Wir betrachten nun die Geschwindigkeiten der Hin- und der Riickreaktion etwas näher. Das Reaktionsgemisch enthält nur gasförmige Stoffe, deren Moleküle untereinander einen großen Abstand haben. Infolge dieses Abstandes können die Moleküle nur bei Zusammenstößen miteinander reagieren. Die Reaktionsgeschwindigkeit der Bildung von HI (RÒ) ist daher der Wahrscheinlichkeit der Zusammenstöße von H 2 und ^-Molekülen proportional, und diese ist proportional den Stoffmengenkonzentrationen der Ausgangsstoffe H2 und I2. RG = k+l • cHj · ch Ebenso ergibt sich die Geschwindigkeit des Iodwasserstoffzerfalls (&G) zu: RG = k—i · cHI · cHI = k-i • Gehen wir von einer Mischung aus H2 und I2 aus, so haben wir zu Beginn eine bestimmte Reaktionsgeschwindigkeit der Hinreaktion, aber noch keine endliche Rückreaktion, da cHI = O. Als Folge der Iodwasserstoffbildung nehmen die Konzentrationen der beiden Ausgangsstoffe ab und die Iodwasserstoffkonzentration zu. Dadurch fällt die Reaktionsgeschwindigkeit der HI-Bildung, und die Geschwindigkeit des HI-Zerfalls wächst so lange, bis beide Reaktionsgeschwindigkeiten gleich groß sind. In diesem Zustand läuft äußerlich keine Reaktion mehr ab. Es besteht ein chemisches Gleichgewicht, in dem sowohl die Hinreaktion als auch die Rückreaktion mit gleicher Geschwindigkeit vor sich gehen. Es gilt also: RCj = tïG Durch Einsetzen erhalten wir: * + l ' CH2 ' Cl2
=
* - l ' CHI
£ Umformen und Zusammenfassen des Verhältnisses - Ü zu einer neuen Konstante, der k-1 Gleichgewichtskonstante K, ergibt:
103
8. Thermodynamik c
Hi _ k+1 _ H2 Cl2
κ
c
'
Diese Gleichung, die von Guldberg und Waage (1867) aufgestellt wurde, heißt Massenwirkungsgesetz (MWG). Formuliert man die Reaktion allgemein: aA + bB ?± cC + dD, so erhält man: nc
.
/d
£
π = Κ C A ' CB Das Massenwirkungsgesetz besagt: Im Gleichgewicht einer chemischen Reaktion hat der Quotient aus dem Produkt der Konzentrationen der Endstoffe und dem Produkt der Konzentrationen der Ausgangsstoffe einen bestimmten, charakteristischen Wert K, die Gleichgewichtskonstante. Das Massenwirkungsgesetz kann auch thermodynamisch abgeleitet werden. Es gilt sowohl für homogene Systeme (die Reaktionspartner sind alle im gleichen Aggregatzustand) als auch für heterogene Systeme (nicht alle Reaktionspartner befinden sich im gleichen Aggregatzustand). Bei Gasen lassen sich die Konzentrationen der Reaktanden durch ihre Partialdrücke ersetzen. Bei heterogenen Reaktionen treten diejenigen Reaktanden, (Me als reine feste oder flüssige Stoffe vorliegen, im MWG nicht auf, da ihre Konzentration konstant ist. Für das Gleichgewicht C(s) + C 0 2 ( g ) ? ± 2 C 0 ( g ) gilt also z.B. Pco, Da das Massenwirkungsgesetz für Partikel abgleitet wurde, die sich gegenseitig nicht beeinflussen, gilt es nur in Lösungen, in denen die Konzentrationen der Reaktionspartner kleiner als 10_1 mol/1 sind. Bei höheren Konzentrationen sind die Voraussetzungen nicht mehr erfüllt. Man kann mit dem Massenwirkungsgesetz jedoch auch bei konzentrierten Lösungen arbeiten, wenn man an Stelle der Konzentrationen die Aktivitäten der Reaktanden einsetzt. Die Aktivität ist definiert als der Bruchteil der vorhandenen Konzentration, der im Sinne des Massenwirkungsgesetzes wirksam ist. Die Aktivität (a) ist gleich dem Produkt aus der Konzentration (c) und dem Aktivitätskoeffizienten ( f ) , den man so wählt, daß die Gültigkeit des Massenwirkungsgesetzes erhalten bleibt. a =/· c
104
Α . Grundlagen der allgmeinen Chemie
Der Aktivitätskoeffizient ist konzentrationsabhängig und nähert sich bei großer Verdünnung dem Wert 1. Die Gleichgewichtskonstante Κ ist außer von der Art der Reaktion nur von der Temperatur abhängig. Gewöhnlich schreibt man die Reaktionsgleichung so, daß die Reaktion exergonisch verläuft. Denn in diesem Fall stehen die Produkte im Zähler des Massenwirkungsgesetzes, wodurch ein höherer Zahlenwert der Gleichgewichtskonstante eine höhere Ausbeute an Reaktionsprodukten bedeutet. Je größer der Zahlenwert der Konstante ist, desto weiter verläuft die Reaktion auf die rechte Seite der Reaktionsgleichung. Oft symbolisiert man die Lage des Gleichgewichts einer Reaktion durch die Größe der Gleichheitspfeile. So bedeutet Α + Β ^ τ * C + D, daß die Produkte im Gleichgewicht weit überwiegen. Jede Änderung einer Konzentration, die als Faktor im Massenwirkungsquotienten steht, bringt das System aus dem Gleichgewicht. Das System kehrt durch Verschieben der anderen Faktoren des Massenwirkungsgesetzes in den Gleichgewichtszustand zurück. Eine Erhöhung der Konzentration eines Ausgangsstoffes führt zur Bildung von Endprodukten. In derselben Richtung wirkt eine Konzentrationsverminderung der Endprodukte, beispielsweise durch Ausfällen oder Abdestillieren. Ebenso wird die Konzentration eines Endproduktes herabgesetzt, wenn es als Ausgangsstoff einer anderen Reaktion dient. Solche aufeinanderfolgenden Reaktionen bezeichnet man als gekoppelte Reaktionen. Die Reaktion A?±B sei mit der Reaktion B?±C gekoppelt. Nach dem Massenwirkungsgesetz ist:
daraus CB
*
=
und λΚ2 -
Cc
daraus cc
,
C
A
105
8. Thermodynamik
Durch Einsetzen erhalten wir:
~ c c — ist der Massenwirkungsquotient, den wir bei der direkten Reaktion A î ^ C erhalten. C
A
würden. Die Gleichgewichtskonstante der Gesamtreaktion ist also gleich dem Produkt der Gleichgewichtskonstanten der gekoppelten Reaktionen. Ist die Gleichgewichtskonstante der ersten Reaktion klein, die Gleichgewichtskonstante der Folgereaktion jedoch sehr groß, so ist das Produkt Kx · K2 > 1. Im Gleichgewicht der Gesamtreaktion überwiegen in solchen gekoppelten Reaktionen die Endprodukte, obwohl das Gleichgewicht der ersten Reaktion weitgehend auf der Seite der Ausgangsstoffe liegt. Derartige gekoppelte Gleichgewichte finden wir bei den meisten enzymatischen Reaktionen, bei denen gewöhnlich sogar mehrere Einzelreaktionen hintereinander geschaltet sind. In biochemischen Systemen hat die Entfernung von Reaktionsprodukten besondere Bedeutung, da Organismen und ihre Zellen gewöhnlich offene Systeme sind. In einem offenen System kann sich kein echtes chemisches Gleichgewicht einstellen, da ständig Substanzen zu- und abgeführt werden. Stellen sich in einem offenen System über längere Zeitspannen konstante Konzentrationen ein, so ist das gewöhnlich durch ein Fließgleichgewicht bedingt. Ein Fließgleichgewicht ist durch eine gleichbleibende, endliche Reaktionsgeschwindigkeit charakterisiert, die dadurch zustandekommt, daß in der Zeiteinheit gleiche Mengen Ausgangsstoffe in das System eingeschleust werden wie Reaktionsprodukte das System verlassen. Die Verschiebung von Gleichgewichtskonzentrationen durch Konzentrationsänderung von Reaktionsteilnehmern erfaßt auch das Prinzip von Le Chatelier, das Prinzip der „Flucht vor dem Zwang"·. Übt man auf ein System im Gleichgewicht einen Zwang aus, dann reagiert das System so, daß es dem Zwang ausweicht. Ein Zwang besteht beispielsweise in einer Konzentrationserhöhung eines Reaktionsteilnehmers. Nach dem Prinzip von Le Chatelier reagiert das System so, daß es die Reaktion begünstigt, die diesen Reaktanden verbraucht. Der „Zwang" kann in einer Änderung von Konzentration, Druck oder Temperatur bestehen. Druckerhöhung begünstigt eine Reaktion, die mit einer Volumenabnahme verbunden ist. Auch die Temperaturabhängigkeit der Gleichgewichtskonstante kann wenigstens qualitativ mit dem Prinzip von Le Chatelier erklärt werden. Führt man einem System im Gleichgewicht Wärme zu, so fördert man die Reaktionsrichtung, bei der Wärme verbraucht wird. Temperaturerniedrigung begünstigt die exotherme Reaktion.
106
Α . Grundlagen der allgmeinen Chemie
8.14 Gleichgewichtskonstante und freie Enthalpie Für eine reversible chemische Reaktion der allgemeinen Form aA + bB τ* cC + dD ist die Änderung der freien Enthalpie AG gegeben durch AG = AG° + RT In °a c ' C ° r C
A
Τ R
. cr" Β
thermodynamische Temperatur 8,31 J · KT1 · mol - 1
Im Gleichgewicht wird der Quotient gleich der Gleichgewichtskonstante Κ und AG wird Null. Die Beziehung der Gleichgewichtskonstante Κ zur Änderung der freien Enthalpie AG° einer Reaktion ist durch die Gleichung gegeben: AG° = -R- Τ In Κ Für 25 °C und mit Umrechnung des natürlichen Logarithmus in den dekadischen erhält man AG 0 in kJ · mol - 1 . AG° = - 5 , 6 9 lg Κ Löst man die Gleichungen nach Κ auf, erhält man: AG"
AG
Κ = e R T bzw. Κ = 10 5 · 69 In dieser Form sieht man gut, wie die Gleichgewichtskonstante von der Änderung der freien Enthalpie abhängt. Ist AG° < 0, so ist der Exponent positiv und Κ > 1. Im Gleichgewichtszustand ist das Produkt der Konzentrationen der Endstoffe größer als das der Ausgangsstoffe. Die Reaktion verläuft mehr nach der rechten Seite der Reaktionsgleichung. Entsprechend überwiegen die Ausgangsstoffe, wenn AG° < 0 und Κ < 1 ist.
8.15 Löslichkeitsprodukt Gibt man zu einer bestimmten Menge Lösungsmittel immer mehr einer Substanz, so erreicht man einen Zustand, bei dem man die Menge gelöster Substanz nicht weiter erhöhen kann. Die Lösung ist gesättigt. Die in einer Lösung maximal erreichbare Konzentration heißt Löslichkeit. Sie ist temperaturabhängig. An den Phasengrenzflächen der gesättigten Lösung mit dem Bodenkörper besteht ein dynamisches Gleichgewicht. In der Zeiteinheit gehen ebensoviel Teilchen aus der festen Phase in Lösung, wie gelöste Partikel aus der Lösung in das Kristallgitter eingebaut werden. Wir wenden das Massenwirkungsgesetz auf die elektrolytische Dissoziation eines schwerlöslichen Salzes AB zu den Ionen A + und B~ an. Da es ein reiner fester Stoff ist, tritt es im MWG nicht auf: Κ = CA+ · CBLab = CA- · CB-
107
8. Thermodynamik
Bei Lösungsgleichgewichten verwendet man das besondere Symbol L für die Gleichgewichtskonstante; L a b ist das Löslichkeitsprodukt des Salzes AB. Je kleiner das Löslichkeitsprodukt ist, desto schwerer löslich ist das Salz. Der Wert des Löslichkeitsproduktes ist temperaturabhängig. Die Tab. 8.15.1 enthält die Löslichkeitsprodukte einiger schwerlöslicher Salze. Das Löslichkeitsprodukt hat für die Lösung und Fällung von Salzen eine ähnliche Bedeutung wie die Gleichgewichtskonstante für chemische Reaktionen. Bringt man so viele Ionen in eine Lösung, daß das Produkt ihrer Ionenkonzentrationen das Löslichkeitsprodukt überschreitet, so bildet sich ein Niederschlag. Verdünnt man eine gesättigte Lösung, die festen Bodensatz enthält, löst sich feste Substanz so lange, bis das Produkt der Ionenkonzentrationen wieder gleich dem Löslichkeitsprodukt ist. Erhöht man in einer gesättigten Lösung von AB die Konzentration einer Ionensorte, beispielsweise die von A + , so bildet sich ein Niederschlag von AB, bis die Gleichung CA+ ,B- = L A B wieder gilt. Tab. 8.15.1. Löslichkeitsprodukte schwerlöslicher Salze AgCl AgBr Agi CaS0 4 BaS04 PbS0 4
IO"10 mol 2 · l2 5 · IO"13 IO"16 IO"2 ' " 10-.Θ
IO"8
Ca(OH) 2 Mg(OH) 2 MgNH 4 P0 4 Fe(OH) 2 Fe(OH) 3 Al(OH) 3
8 · IO"6 mol 3 • Γ 3 IO"12 3 · IO"13 IO"15 IO"38 mol 4 · Γ 4 IO"33
FeS ZnS PbS CdS HgS
IO"21 mol 2 IO"23 IO"28 IO"28 IO"54
Diese Überlegungen sind zu berücksichtigen, wenn man Fällungen möglichst quantitativ durchführen will. Wenn wir z.B. Bleiionen quantitativ mit Sulfationen ausfällen möchten, empfiehlt es sich, einen Überschuß an Sulfationen zuzugeben. Je größer die Konzentration der Sulfationen ist, desto kleiner wird die in der Lösung verbleibende Bleiionenkonzentration. In einer gesättigten Bleisulfatlösung beträgt die Bleiionenkonzentration: C w = Cscv- = VLPbSo4 = V k R = 10"4 In einer Lösung, die eine Sulfationenkonzentration von 10~2 mol/1 enthält, dagegen: Cpb2. =
io-«
Bariumsulfat BaS0 4 wird in der Medizin als Kontrastmittel bei Röntgenuntersuchungen verwendet. Bleiionen sind aufgrund der extremen Schwerlöslichkeit von Bleisulfid PbS äußerst giftig, da HS-Gruppen enthaltende Enzyme desaktiviert werden. Calciumsulfat CaS0 4 (in der Natur als Hydratkomplex CaS0 4 · 2 H 2 0 „Gips" vorkommend) wird medizinisch zum „Eingipsen" von Frakturen (Ruhigstellen des verletzten Gliedes) eingesetzt. Magnesiumammoniumphosphat MgNH 4 P0 4 kann Bestandteil von Konkrementen (Harnstein) sein. Knochen enthalten schwerlösliches Calciumphosphat Ca 3 (P0 4 ) 2 .
108
Α. Grundlagen der allgmeinen Chemie
9 Säuren und Basen 9.1 Säure-Base-Definitionen Die Säure-Base-Definitionen haben sich mit zunehmender Einsicht in chemische Reaktionen verändert. Da mit einem einzigen Säure-Base-Begriff nicht alle Säuren und Basen charakterisiert werden können, gibt es mehrere Definitionen, von denen wir drei besprechen. 1. Arrhenius bezeichnete alle Wasserstoffverbindungen, die in wäßriger Lösung H + -Ionen abgeben, als Säuren. Basen definierte er als Hydroxidverbindungen, die in Wasser OH~-Ionen bilden. Beispielsweise entstehen H + -Ionen (Protonen) nach der Gleichung: HCl
H+ + C r
und OH~-Ionen nach der Gleichung: NaOH ?± Na + + OH" Bei einer Reaktion zwischen einer Säure und einer Base, einer Neutralisation, entsteht ein Salz, z.B. NaCl bei der Reaktion: HCl + NaOH
H 2 0 + Na + + C r
Die allen Neutralisationen gemeinsame Reaktion zwischen einer Säure und einer Base formuliert man als Ionengleichung: H + + OH" H20 Die Theorie von Arrhenius leistet für das Verständnis der Reaktionen von Säuren und Basen viel. Einige Mängel, wie die Beschränkung der Basen auf Substanzen, die Hydroxidgruppen enthalten, und ihre ausschließliche Anwendbarkeit auf wäßrige Lösungen, führten dazu, daß man noch nach umfassenderen Definitionen suchte. 2. Brönsted definierte Säuren als Stoffe, die an andere H + -Ionen (Protonen) abgeben, und Basen als Stoffe, die H + -Ionen aufnehmen können. Die Brönstedschen Definitionen charakterisieren nicht bestimmte Stoffe, sondern bestimmte Fähigkeiten. So ist HCl (auch gasförmig) ebenso wie das H 3 0 + -Ion oder das NH 4 + -Ion eine Säure, weil es H + Ionen abgeben kann. Hydroxidionen (OH - ), Ammoniak (NH3) oder Acetationen (H 3 CCOO _ ) sind Basen, da sie fähig sind, H + -Ionen aufzunehmen. Salze sind alle Substanzen, die in festem Zustand Ionengitter bilden. Da in gewöhnlicher Materie freie Protonen nicht existieren können, weil ihre Ladung im Verhältnis zu ihrer Größe zu hoch ist, kann eine Säure nur Protonen abgeben, wenn eine Base zugegen ist. Bei der Reaktion einer Säure mit einer Base, einer sog. Protolyse, resultieren wieder eine Säure und eine Base. I
HA
konjugiert
+
1 +
Β ί BH
+
Α-
ϊ konjugiert-!
Säure
Base
Säure
Base
9. Säuren und Basen
109
Die relative Stärke der beiden Basen bestimmt die Lage des Gleichgewichtes. Stoffpaare, die durch den Übergang eines Protons ineinander umgewandelt werden, heißen konjugierte Säure-Base-Paare. Beispielsweise ist das Chloridion (Cl~) die zu Chlorwasserstoff (HCl) konjugierte Base oder das Ammoniumion (NH 4 + ) die zur Base Ammoniak (NH3) konjugierte Säure. Konjugierte Säure-Base-Paare schreibt man in der Form: HCl/Cr NH 4 + /NH 3 H 3 O + /H 2 O H 2 O/OHDie Säure geht durch Protonenabgabe in ihre konjugierte Base über, die Base durch Protonenaufnahme in ihre konjugierte Säure, z.B. : HCl
Cl" + H + oder OH" + H + ?± H 2 0
Für die Reaktion einer Säure mit einer Base benötigen wir zwei konjugierte Säure-BasePaare. Wir müssen die den zwei konjugierten Säure-Base-Paaren entsprechenden Teilgleichungen addieren. Für die Säure-Base-Paare HC1/C1" und H 3 0 + / H 2 0 gilt z.B.: HCl H 3 0 + + PO4 3 -
Tab. 9.4.1 enthält die am häufigsten benötigten p^ s -Werte von Säuren und Basen. Tab. 9.4.1 piCs-Werte einiger Säuren Name der Säure
Säure
konjugierte Base
pKs-Wert
Perchlorsäure Chlorwasserstoffsäure Schwefelsäure Hydroniumion Salpetersäure Trichloressigsäure Oxalsäure Hydrogensulfation Phosphorsäure Milchsäure Essigsäure Kohlensäure Ammoniumion Blausäure Wasser Hydroxidion
HCIO4 HCl H2SO4 H3O+ ΗΝΟ3 CI3CCOOH (C00H)2 HS04 H3PO4 C3O3H6 H3CCOOH H2CO3 NHj HCN H2O OH"
cio; cr
-
HSO7 H2O NO 3 CljCCOO" HOOCCOO" S05H 2 P07 C3O3H5 H3CCOO" HCO 3 NH3 CN" OH"
o2-
-
9 6 3 1,74 1,32 0,65 1,46 1,92 1,96 3,87 4,75 6,46 9,21 9,4 15,74 24,0
115
9. Säuren und B a s e n
Starke Säuren und Basen reagieren mit Wasser praktisch vollständig unter Bildung von H 3 0 + -Ionen bzw. OH~-Ionen. Die pH-Berechnung der verdünnten wäßrigen Lösung einer starken Säure oder Base ist sehr einfach, da die Gesamtkonzentration der Säure oder Base gleich der H 3 0 + - bzw. OH~-Konzentration gesetzt werden kann. Starke Säuren sind z.B. Salpetersäure und Chlorwasserstoffsäure (Salzsäure), starke Basen sind z.B. Natriumhydroxid (NaOH) und Kaliumhydroxid (KOH). Es soll beispielsweise der pH-Wert einer Kalilauge, 0,06 mol/1, berechnet werden: cOH- = 0,06 = 6,0 · 10~2 lg cOH- = log 6 + log 10"2 = 0,78 - 2 = -1,22 -lgCoH- = 1,22 pOH = 1,22
pH = 14 - 1,22 = 12,78
Der pH-Wert einer KOH-Lösung, 0,06 mol/1, beträgt 12,78. Wenn wir den pH-Wert einer Lösung einer schwachen Säure oder Base berechnen wollen und die Säurekonstante Ks sowie die Konzentration der Säure c s oder Base cB vor Einstellung des Protolysegleichgewichtes kennen, so gehen wir von der Definitionsgleichung der Säurekonstante aus: C
HJO + '
C
A- _
ÄV
—
s
C
HA
Aus der Säure HA entstehen in gleicher Menge H 3 0 + -und A"-Ionen, es ist daher C H,O + = C A - · Das Einsetzen in obige Gleichung ergibt: ^ C
=
und
C2Hi0, = Ks • c H A
HA
Die Konzentration der nicht protolysierten Säure HA ist die Differenz der Konzentration der Säure c s vor Einstellen des Protolysegleichgewichtes und der Konzentration des protolysierten Anteiles cHi0+ oder cA : C
H,O+
=
c
—
s
C
H,CR
Für schwache, nicht zu sehr verdünnte Säuren können wir den protolysierten Anteil gegenüber der Gesamtkonzentration vernachlässigen und erhalten: = c C HA s Durch Einsetzen ergibt sich: CH,O+ =
K
S
- CS
oder
c H ,cr =
cH,0+ = Vtf s · c s nach Logarithmieren: - P H = ^ ( - P * s + Igc s ) pH =
p*s-lgcs
· cs
116
Α. Grundlagen der allgemeinen Chemie
Analog gilt für schwache Basen: pOH =
P
*B"'gCB 2
bzw.
pH =
14 + P
*s
+
lgCB
2
Rechenbeispiele: Welchen pH-Wert hat eine Blausäurelösung der Konzentration 0,5 mol/1 (Blausäure ist eine schwache Säure, ρK s = 9,4)? = P
p H
=
P * s - ig es 2
=
9 , 4 - lg 0,5 2
9,4-(0,70-l)=^7
= 4 8 5
Eine Blausäurelösung, 0,5 mol/1, hat einen pH-Wert von 4,85. Welchen pH-Wert hat eine Natriumacetatlösung der Konzentration 0,1 mol/1 (Natriumacetat ist eine schwache Base, p/Cs der Essigsäure = 4,8)? ptf B = 14 - ρK s = 14 - 4,8 = 9,2 „ PH
14 + PKS + lg cB _ 2
14 + 4,8 + lg 0,1 2
p H = ü ± M ^ ! = 8,9 Eine Natriumacetatlösung, 0,1 mol/1, hat einen pH-Wert von 8,9.
9.5 Protonenübergänge beim Lösen von Salzen Die Bausteine eines Salzes (Ionenkristalls) sind positive und negative Ionen (Abschn. 2.4). Die beim Auflösen eines Salzes in Wasser entstehenden Lösungen enthalten hydratisierte Kationen und Anionen. Beim Anlegen einer elektrischen Gleichspannung leitet eine solche Lösung den elektrischen Strom, da die Ionen zur entgegengesetzt geladenen Elektrode wandern und sich dort entladen. Solche Salze sowie Säuren und Basen, die sich im elektrischen Feld gleich verhalten, bezeichnet man als Elektrolyte. Salze, die keine sauren oder basischen Ionen enthalten und starke Säuren bzw. Basen, die mit Wasser praktisch vollständig unter Bildung von H 3 0 + Ionen bzw. OH~-Ionen reagieren, heißen starke Elektrolyte. Schwache Säuren und Basen sind dementsprechend schwache Elektrolyte. Enthält ein Salz ein saures Kation oder ein basisches Anion, so erfolgen beim Auflösen des Salzes in Wasser Protonenübertragungen. Wie weit diese ProtolySe verläuft, richtet sich nach dem ρ/C-Wert des Kations oder des Anions, die als Brönsted-Säuren bzw. -Base wirken können.
117
9. Säuren und Basen
Viele Anionen wirken als Basen, einige Kationen wie NH 4 + oder hydratisierte, mehrfach geladene Kationen wirken als Säuren. Salzlösungen, die solche sauren oder basischen Komponenten enthalten, reagieren nicht neutral. Hierzu einige Beispiele: Eine Lösung von Natriumchlorid (NaCl) regiert neutral: Das hydratisierte Na + -Ion ist eine äußerst schwache Säure und das Cr-Ion eine äußerst schwache Base, es tritt praktisch keine Reaktion mit Wasser auf. Deshalb erfolgt beim Auflösen von NaCl in Wasser kein Protonenübergang. Aluminiumchlorid (AICI3) ergibt mit Wasser eine saure Lösung: Das Chloridion reagiert nicht mit Wasser, wohl aber das hydratisierte Aluminiumkation: [A1(H20)6]3+ + 3 H 2 0 se* [A1(0H) 3 (H 2 0) 3 ] + 3 H 3 0 + Ρ K s = 4,9 Da die hydratisierten Aluminiumionen an das Wasser Protonen abgeben, reagiert die Lösung sauer. Ebenso wie das Aluminiumion wirken z.B. NH4 und [Fe(H 2 0) 6 ] 3+ . Häufiger reagieren Anionen als Basen, z.B.: CH3COO", C O ^ , S 2 " und PO|". Eine wäßrige Lösung von Natriumcarbonat (Na 2 C0 3 , „Soda") reagiert alkalisch. Die Natriumionen sind viel zu schwache Säuren, um mit Wasser zu reagieren, während die C0 3 _ -Ionen mit Wasser unter Protonenübergang reagieren. C0 3 ~ + H 2 0
H C 0 3 + OH"
pKB = 3,6
Da das C0 3 ~-Ion stärker basisch als Wasser ist, nimmt es Protonen von ihm auf. Die Natriumcarbonatlösung reagiert deshalb alkalisch. Solche Protonenübergänge von Wasser auf Ionen (Protolyse) wurden früher als Hydrolyse bezeichnet. Heute versteht man unter Hydrolyse die Spaltung kovalenter Bindungen bei einer Reaktion mit Wasser.
9.6 Protolysegrad Bei schwachen Säuren oder Basen charakterisiert man das Ausmaß der Protolyse zweckmäßig durch den Protolysegrad a. Mit dem Protolysegrad erfaßt man im Gegensatz zur Säure- oder Basenkonstante die Konzentrationsabhängigkeit der Protolyse. Der Protolysegrad ist das Verhältnis der Konzentration der Säure oder der Base, die sich an der Protolysereaktion beteiligt hat, zu der Ausgangskonzentration der Säure oder Base. Konzentration des protolysierten Elektrolyten cu = Konzentration des ursprünglichen Elektrolyten Wir bezeichnen die ursprüngliche Konzentration des Elektrolyten mit c s bzw. cB und erhalten für die Reaktion einer schwachen Säure HA mit H 2 0:
118
Α. Grundlagen der allgemeinen Chemie
H30+ + A-
HA + H 2 0
Die ursprüngliche Konzentration c s ist gleich der Summe des nach der Protolyse noch unprotolysierten Anteils HA und des protolysierten Anteils A~: C
S
=
C
A-
C
C
HA +
A
Daraus: =
CS -
CHA
Außerdem gilt: C
A-
=
C
H,O+
und für den Protolysegrad a: c
_
a
C
s ~
c
HA
_
CA-
s
es
_
CH 3 O*
cs
daraus: C
HJO*
=
A
•
C
S
CA- = α · c s
Cs - cHA = « · c s bzw.: = c s - a • c s = c s (l - a)
CHA
Die Säurekonstante Ks ist: FR
_
C
H 3 O* ' C
C
A-
HA
Durch Einsetzen erhalten wir: K-s
_ a • cs • a • cs y\ r c s (1 - a)
a2 c " s 1- a
Ist a wie bei schwachen Säuren sehr klein, so kann man im Nenner a gegenüber 1 ohne großen Fehler vernachlässigen. Es wird: Ks = a2· cs bzw. a = ^I
Ostwaldsches Verdünnungsgesetz
9. Säuren und Basen
119
Analog kann der Protolysegrad einer schwachen Base zu a =
Ku
/ — V cB
abgeleitet werden.
Der Protolysegrad ist demnach konzentrationsabhängig Mit abnehmender Konzentration der schwachen Säure oder Base steigt die Protolyse. Für c s = Ks oder cB = KB wird α = 1. In hoher Verdünnung erfolgt also praktisch 100%ige Protolyse. Rechenbeispiel: Berechne den Protolysegrad von Milchsäure, 0,01 mol/1, mikt dem pKsWert von 3,87. c s = 0,01 = 1 · 10"2 K s = IO"3'87 / IO"3·87
Ks cs
V
10"2
Logarithmieren:
5
3.87-(-2) 2
=
_ M7 2
=
Da nur positive Mantissen tabelliert sind, müssen wir umformen: lg α = 0,065 - 1 Entlogarithmieren: α = 1,161· IO"1 = 0,1161. Milchsäure, 0,01 mol/1, ist zu 11,61% protolysiert.
9.7 Pufferlösungen Lösen wir eine starke Säure oder Base in reinem Wasser, so ändert sich der pH-Wert sehr stark. In Lösungen, die eine schwache Säure und ihre korrespondierende Base (z.B. Essigsäure und Natriumacetat) oder eine schwache Base und ihre korrespondierende Säure (z.B. Ammoniak und Ammoniumchlorid) enthalten, bleibt der pH-Wert bei Säure- oder Basezusatz nahezu konstant. Solche Lösungen werden als Pufferlösungen bezeichnet, das korrespondierende Säure-Base-Paar als Puffer. Pufferlösungen können pH-Änderungen bei Säure- oder Basezusatz nicht völlig verhindern. Sie wirken am besten in einem bestimmten Bereich. Diesen optimalen Wirkungsbereich können wir mit dem Massenwirkungsgesetz finden. Für das Protolysegleichgewicht einer Säure HA mit Wasser gilt:
120
Α . Grundlagen der allgemeinen Chemie
HA + H 2 0 ?± H 3 0 + + A~ _ CH,Q+ ' CAC HA Auflösen nach c Hj0+ : c-
_ HjO+ -
K A
S
. c ha C A"
Logarithmieren: lg c HjC r = lg -lg
+ lg
— A"
C
= - l g Ks + lg
pH = pATs + lg
C—
HA
C
HA
Bei schwachen Säuren liegt das Protolysegleichgewicht weitgehend auf der Seite der freien Säuren, ebenso bei der schwachen Base A " auf der Seite der freien Base. Für c HA kann man deshalb ohne großen Fehler die Gesamtkonzentration der Säure c s und für c A die Konzentration der Base cB einsetzen und erhält so die Henderson-Hasselbalchsche Gleichung:
pH = pKs + lg
^
Cs
Gehen wir bei der Herstellung einer Pufferlösung von einer äquimolaren Mischung der Cr Säure HA und ihrer korrespondierenden Base A aus, so ist lg — = lg 1 = 0 und cs daher pH = pKs. Geben wir zu dieser Pufferlösung eine starke Säure, so reagieren die H 3 0 + -Ionen der Säure mit der Base A~ unter Bildung einer entsprechenden Menge freier Säure HA: H 3 0 + + A " N a + + e" Chlor nimmt ein Elektron pro Atom auf. Es ist daher ein Oxidationsmittel. Die Teilgleichung der Reduktion ist: Cl2 + 2e~ —> 2 d " Die Teilgleichung der Oxidation ist mit 2 zu multiplizieren, damit die Zahl der übergehenden Elektronen in beiden Teilgleichungen übereinstimmt. Durch Addition der beiden Teilgleichungen erhält man die Gleichung der Gesamtreaktion: 2Na 2 N a + + 2e~ Cl2 + 2e~ - » 2C1" Cl2 + 2Na —»· 2 Na + + 2 Cl" Ebenso wie man Stoffpaare, die durch Protonenübergänge ineinander umwandelbar sind, zu konjugierten Säure-Base-Paaren zusammenfaßt, kann man Stoffpaare, die durch Elektronenübergänge zusammenhängen, zu konjugierten Redoxpaaren kombinieren. Bei der Redoxreaktion von Natrium mit Chlor haben wir die Redoxpaare Na/Na + und 2Cr/Clz. Bezeichnet man die reduzierte Form eines Redoxpaares mit Red und die oxidierte Form mit Ox, so kann man Teilgleichungen von Redoxvorgängen allgemein formulieren: Reduktion: Oxidation: bzw.:
Ox + ze~—»Red Red —» Οχ + ζ e~ Oxidation)
Red
2 C 0 2 + 2 e" d) C 2 0 2 4 -
2 C02 + 2 e-
MnOï MnO^ + 5 e " MnO^ + 5e~ + 8 H 3 0 +
• Mn 2+ > Mn 2+ Mn 2+
M n O ; + 5e" + 8 H 3 0 + - > Mn 2+ + 12 H 2 0
3. Multiplikation mit 5 bzw. mit 2: 5C
2
0 - > 10 C 0 2 + 10 e"
2 MnOï + 10 e~ + 16 H 3 0 + - > 2 Mn 2+ + 24 H 2 0
Addition: 5 C 2 Oj- + 2 M n O ¡ + 1 6 H 3 0 + - > 1 0 C 0 2 + 2Mn 2 + + 2 4 H 2 0 Ein weiteres Beispiel: Chlor (Cl 2 ) geht in alkalischer Lösung in Chlorid ( C l - ) und Hypochlorit (CIO") über 1. Elektronenlieferndes Paar Elektronenaufnehmendes Paar 2. a) b) c) d)
Cl2/2 C1CT Cl2/2 Cl"
o + i Cl2 > 2 CIO Cl2 > 2 CIO - + 2 e~ Cl2 + 4 O H — » 2 CIO - + 2 e Cl2 + 4 O H - — » 2 CIO" + 2 e~ + 2 H 2 0
o l Cl2 > 2 C\~ Cl2 + 2 e ~ — • 2 CT Cl2 + 2e~—> 2 CT Cl2 + 2 e - ^ 2 Cl"
3. Addition: 2 Cl2 + 4 OH" — • 2 CIO - + 2 Cl" + 2 H 2 0 Da alle Koeffizienten durch 2 teilbar sind, erhält man: Cl2 + 2 O H - — C I O " + Cl" + H 2 O Redoxreaktionen, bei denen ein Atom in eine höhere und eine niedrigere Oxidationsstufe übergeht, heißen Disproportionierungen, gegenteilige Reaktionen Komproportionierungen.
10.4 Elektrochemische Spannungsreihe Gibt man zwei Redoxpaare zusammen, so liefert das Redoxpaar mit der größeren Neigung, Elektronen abzugeben, Elektronen an das andere Redoxpaar. Öie Tendenz eines Redoxpaares zur Elektronenabgabe bezeichnet man als das Potential des Redoxpaares. Gibt das Redoxpaar 1 (reduzierte Form 1/oxidierte Form 1) Elektronen an das Redoxpaar 2 (reduzierte Form 2/oxidierte Form 2) ab, so hat das Redoxpaar 1 ein höheres Potential als das Redoxpaar 2.
10. Oxidation und Reduktion
Red 1/Ox 1 — höheres Potential
133 Red 2/Ox 2 niedrigeres Potential
Vereinbarungsgemäß gibt man dem Redoxpaar, das Elektronen abgibt, ein Potential, das weiter im negativen Bereich liegt, und dem Redoxpaar, das Elektronen aufnimmt, ein Potential, das weiter im positiven Bereich liegt. Dadurch fließen die Elektronen stets von - nach + . Voraussetzung für einen Elektronenfluß ist eine unterschiedliche Neigung zur Elektronenabgabe, also eine Potentialdifferenz. Diese Potentialdifferenz bezeichnet man als Spannung oder elektromotorische Kraft (EMK). Die EMK, Symbol AE, die zwei Redoxpaare in einer elektrochemischen Zelle liefern können, steht in direktem Zusammenhang mit der Änderung der freien Enthalpie der Reaktion:
bzw. AG = - z F L E wobei ζ die Zahl der übergehenden Elektronen und F die Faraday-Konstante (F = 96487 C · mol - 1 ) ist. Diese Spannung ist die Triebkraft der Redoxreaktion. Läßt man die beiden Teilreaktionen einer Redoxreaktion in einem Reaktionsgefäß ablaufen, so kann man die Potentialdifferenz zwischen den Redoxpaaren nicht messen. Die Messung der Spannung ist möglich, wenn man die Teilreaktionen in zwei Reaktionsgefäßen durchführt, die leitend miteinander verbunden sind. Als Beispiel nehmen wir die Reaktion zwischen Zink und Kupfer(II)-Ionen: Zn + Cu 2+ -> Zn 2 + + Cu Das elektronenliefernde Redoxpaar ist Zn/Zn 2+ (sein Potential liegt weiter im negativen Bereich). Das elektronenaufnehmende Redoxpaar ist Cu/Cu 2+ (sein Potential liegt weiter im positiven Bereich). Um die Potentialdifferenz zwischen den beiden Redoxpaaren messen zu können, lassen wir die Teilreaktionen Zn und
Zn 2 + + 2 e~
Cu 2+ + 2 e" - * Cu
in getrennten Gefäßen ablaufen, in denen wir einen Zinkstab in eine Zinksalzlösung bzw. einen Kupferstab in eine Kupfersalzlösung eintauchen. Um den Elektronenfluß von Zink zum Kupfer zu ermöglichen, verbinden wir die Metallstäbe über einen Draht mit einem Spannungsmeßgerät und die Lösungen mit einem sog. Stromschlüssel (z.B. KN0 3 -Lösung in Agar-Gel) oder durch eine poröse Tonwand, die beide einen Ausgleich der Ladungsdifferenz in den Lösungen ermöglichen (Abb. 10.4.1) In dieser Anordnung bildet jedes Redoxpaar eine Halbzelle. Die Kombination zweier solcher Halbzellen heißt galvanisches Element oder Batterie.
134
Α. Grundlagen der allgemeinen Chemie
Abb. 10.4.1. Galvanisches Element
Abb. 10.4.2 Standardwasserstoffelektrode (Halbzelle)
Vereinigt man unterschiedliche Redoxpaare zu galvanischen Elementen, so kann man die Potentialdifferenzen der Redoxpaare messen und dadurch den Ablauf vieler Redoxreaktionen vorhersagen. Da prinzipiell jedoch nur Potentialdifferenzen meßbar sind, ist es zweckmäßig, das Potential einer Halbzelle willkürlich als Nullpunkt zu definieren. Dafür hat man das Redoxpotential der Standardwasserstoffelektrode gewählt (Abb. 10.4.2). An der Standardwasserstoffelektrode stellt sich das folgende Redoxgleichgewicht ein: 2 H 2 0 + H 2 2 H 3 0 + + 2 e" Eine mit fein verteiltem Platin überzogene Platinelektrode, die mit Wasserstoff von 1,013 bar (1 atm) Druck umspült wird, taucht bei 25 °C in eine Säure einer Konzentration von 1 mol/1 H 3 0 + (genauer: Aktivität statt Konzentration).
10. Oxidation und Reduktion
135
Tab. 10.4.1 Die Spannungsreihe Redoxpaar
Reaktion
Standardpotential E" (Volt)
Li/Li* K/K+ Ca/Ca2* Na/Na+ Mg/Mg2+ Al/Al3* Zn/Zn2+ Fe/Fe2+ Pt/H2/2 H30+
Li* + e" ü Li r + e'?K Ca2* + 2 e" ^ Ca Na+ + e' íi Na Mg2+ + 2 e" ϊί Mg Al3+ + 3 e' Ü Al Zn2+ +2 e'ïïZn Fe2+ + 2 e'îi Fe 2H 3 0 + + 2 e i * H 2 + 2 H 2 0 h + 2 e-îi 2 Γ Ag+ + e-iîAg Βγ2 + 2 e' ^ 2 Br" Cr202" + 14H30+ + 6e-îi2Cr 3 t + 21H 2 0 Cl2 + 2 e" iî 2 Cl" MnO¿ + 8H3CT + 5 e"ííMn2+ + 12 H 2 0 S 2 o!" + 2e- * 2 SOI"
-3,045 -2,925 -2,866 -2,714 -2,363 -1,662 -0,763 -0,440 0,000 +0,536 +0,799 + 1,065 + 1,33 + 1,36 + 1,51 + 2,01
Γ/Ι2 Ag/Ag* Br"/Br2 Cr3+/Cr202~
ci-/ci2 Mn2+/Mn04
sor/s2o!"
Die gegen die Standardwasserstoffelektrode gemessenen Potentialdifferenzen (bei 25 °C, wobei alle Reaktionspartner in der Konzentration von 1 mol/1 vorliegen) nennt man Normalspannungen oder Standardpotentiale. Redoxpaare, die an die Standardwasserstoffelektrode Elektronen abgeben, erhalten ein negatives Vorzeichen, Redoxpaare, die Elektronen von ihr beziehen, ein positives. Ordnet man die Redoxpaare in der Reihenfolge abnehmender negativer Spannung gegen die Standardwasserstoffelektrode, so resultiert die Spannungsreihe oder Redoxreihe (Tab. 10.4.1). Oben in der Spannungsreihe stehen die Redoxpaare mit der größten Tendenz, Elektronen abzugeben; das sind die Redoxpaare, deren reduzierte Form am stärksten reduzierend wirkt. Unten befinden sich die Redoxpaare, die die größte Neigung haben, Elektronen aufzunehmen, deren oxidierte Form am stärksten oxidierend wirkt. Beispielsweise reduziert das Redoxpaar Sn/Sn2+ das Paar AG/Ag + . Das Paar S04~/S20g~ wirkt oxidierend gegenüber dem Redoxpaar I2/2I~. Somit erlaubt die Spannungsreihe eine Vorhersage, in welche Richtung Redoxreaktionen spontan ablaufen.
10.5 Lösungsdruck Die unterschiedlichen Potentiale von Halbzellen sind durch den ungleichen Lösungsdruck der in eine Lösung ihrer Salze eintauchenden Elektroden bedingt.
136
Α. Grundlagen der allgemeinen Chemie
Wenn beispielsweise eine Zinkelektrode in eine Zinksalzlösung eintaucht, können Zinkionen die Metalloberfläche verlassen, wobei Elektronen auf dem Metall zurückbleiben. Zwischen der durch die zurückbleibenden Elektronen negativ geladenen Zinkelektrode und den positiven Zinkionen besteht eine elektrostatische Anziehung, die die Ionen in der Nähe der Elektrodenoberfläche festhält. Auf der Zinkoberfläche entsteht so eine elektrische Doppelschicht (Abb. 10.5.1).
Abb. 10.5.1. Elektrische Doppelschicht
Das Bestreben eines Metalles, in Lösung zu gehen, wurde von Nernst als der Lösungsdruck bezeichnet. Der Lösungsdruck ist für jedes Metall charakteristisch. Andererseits haben die Zinkionen der Zinksalzlösung das Bestreben, die Lösung zu verlassen. Dieses Bestreben heißt osmotischer Druck und ist dem Lösungsdruck entgegengerichtet. Das Potential der Halbzelle resultiert aus dem Gleichgewicht zwischen dem osmotischen Druck der Zinkionen und dem Lösungsdruck des Zinks. Da der osmotische Druck bei konstanter Temperatur nur konzentrationsabhängig ist, können die unterschiedlichen Potentiale von Metallen, die in Salzlösungen gleicher Konzentration eintauchen, nur durch unterschiedlichen Lösungsdruck bedingt sein. Für Metalle, die gute Reduktionsmittel sind (unedle Metalle), muß man einen höheren Lösungsdruck annehmen, für edlere Metalle (d.s. Metalle, die in der Spannungsreihe unten stehen) einen sehr kleinen Lösungsdruck.
10.6 Konzentrationsabhängigkeit des Potentials Redoxpotentiale sind vom Lösungsdruck der Metalle und vom osmotischen Druck der Metallsalzlösungen abhängig. Halbzellen gleicher Redoxpaare unterschiedlicher Konzentration sollten deshalb auch unterschiedliche Potentiale ergeben. Tatsächlich kann man eine Spannung erhalten, wenn man zwei solche Halbzellen zu einer galvanischen Zelle zusammenschließt. Ein Beispiel einer solchen Konzentrationskette finden wir in Abb. 10.6.1. Der Elektronenfluß zwischen den Halbzellen erfolgt so,
10. Oxidation und Reduktion
137
daß sich die unterschiedlichen Konzentrationen der gelösten Reaktionsteilnehmer ausgleichen. , elektrisches MeOgerät
C2NO 2 + O2 eine Reaktion 2. Ordnung, die, molekular betrachtet, dann abläuft, wenn ein NO- und ein 0 3 -Molekül ausreichender Aktivierungsenergie zusammenstoßen. 4. Reaktionen 3. Ordnung sind sehr selten, da die Wahrscheinlichkeit, daß gleichzeitig drei reaktionsbereite Moleküle zusammenstoßen, sehr klein ist. Reaktionen höherer Ordnung, bei denen mehr als drei Moleküle zusammentreffen, wurden nicht beobachtet. Der Grund dafür, daß die stöchiometrischen Faktoren selten mit der experimentellen Reaktionsordnung übereinstimmen, ist darin zu suchen, daß die meisten chemischen Reaktionen aus mehreren Teilschritten bestehen. Nur der langsamste Teilschritt bestimmt die Reaktionsordnung der Gesamtreaktion. Deshalb erscheinen nur die Konzentrationen der Reaktionspartner des langsamsten Teilschrittes im Zeitgesetz.
12.3 Temperaturabhängigkeit der Reaktionsgeschwindigkeit Die Geschwindigkeitsgleichung ändert sich meist nicht mit der Temperatur, stark dagegen die Größe der Geschwindigkeitskonstante. Um die Temperaturabhängigkeit der Reaktionsgeschwindigkeit zu erfassen, müssen wir deshalb nur die Temperaturabhängigkeit der Geschwindigkeitskonstante untersuchen.
157
12. Chemische Kinetik
Empirisch fand Arrhenius (1889) eine exponentielle Temperaturabhängigkeit der Geschwindigkeitskonstante : bzw. i l k = A •e
RT
Die Arrheniusgleichung kann mit der Stoßtheorie gedeutet werden: Moleküle können nur miteinander reagieren, wenn sie direkt miteinander Kontakt haben, wenn sie zusammenstoßen. Die Zahl der Zusammenstöße übersteigt aber meist die Zahl der miteinander reagierenden Moleküle, d.h. die beobachteten Reaktionsgeschwindigkeiten, um ein Vielfaches. Auch ist die starke Zunahme der Reaktionsgeschwindigkeit bei steigender Temperatur durch die schwache Zunahme der Zahl der Zusammenstöße nicht zu erklären. Nimmt man an, daß nur ein örtlich begrenzter Teil eines größeren Moleküls an der Reaktion beteiligt ist, so führen nur die Zusammenstöße, die direkt auf diesen Molekülausschnitt erfolgen, zu einer Reaktion. Diesen Bruchteil der „erfolgreichen Zusammenstöße" berücksichtigt der sogenannte sterische Faktor. Aber auch der sterische Faktor kann die vielen Zehnerpotenzen, um die die tatsächliche Reaktionsgeschwindigkeit kleiner ist als die Zahl der Zusammenstöße, bei weitem nicht erfassen. Ebenso kann der sterische Faktor die große Temperaturabhängigkeit der Reaktionsgeschwindigkeit nicht erklären. Um die starke Zunahme der Reaktionsgeschwindigkeit zu deuten, nahm Arrhenius an, daß nur die Moleküle bei einem Zusammenstoß reagieren können, die mindestens die Energie E = £ a haben.
Nach Boltzmann ist das der Bruchteil e Die Energie £ a bezeichnete Arrhenius als die Aktivierungsenergie
der Reaktion.
Die Geschwindigkeitskonstante ist also nach der Stoßtheorie gleich der Zahl der Zusammenstöße, multipliziert mit dem sterischen Faktor und dem Bruchteil der Molekülzusammenstöße, deren Energie die Aktivierungsenergie übersteigt. Es ist also A k= Ζ •Ρ •e
RT
Ζ Zahl der Zusammenstöße Ρ sterischer Faktor E.d Aktivierungsenergie R allgemeine Gaskonstante Τ absolute Temperatur
158
Α. Grundlagen der allgemeinen Chemie
Diese Gleichung geht in die empirisch gefundene über, indem man für Ζ · Ρ die Konstante A einsetzt. Den größten Einfluß auf die Geschwindigkeitskonstante chemischer Reaktionen hat meistens die Aktivierungsenergie. Je größer die Aktivierungsenergie ist, desto langsamer verläuft die Reaktion. Je höher die Temperatur ist, desto größer ist der Anteil der Moleküle, deren Aktivierungsenergie den Mindestbetrag überschreitet, und die bei einem Zusammenstoß reagieren können. Viele chemische Reaktionen haben Aktivierungsenergien in der Größenordnung von 4 0 - 8 0 kJ/mol. Praktisch ergibt sich daraus, daß sich die Reaktionsgeschwindigkeit bei einer Temperaturerhöhung um 10 Κ verdoppelt bis verdreifacht. Abb. 12.3.1 enthält das Energieprofil einer Reaktion, in dem die Energie der Reaktionspartner im Verlaufe der Reaktion gegen die Reaktionskoordinate aufgetragen ist. Die Reaktionskoordinate ist ein Maß für den Reaktionsablauf (er könnte z.B. die Atomabstände der reagierenden Atome enthalten). Beim Energiemaximum zwischen Ausgangs· und Endzustand entspricht die Atomanordnung der Reaktanden dem „aktivierten Komplex" oder Übergangszustand. Die Energiedifferenz zwischen dem Ausgangszustand und dem Übergangszustand entspricht der Aktivierungsenergie, die Energiedifferenz zwischen Ausgangszustand und Endzustand der Reaktionsenergie.
E 0 = Aktivierungsenergie Δ Η = Reaktionsenergie
Ausgangs- Übergangszustand zustand
Endzustand
Reaktionsablauf
Abb. 12.3.1. Energieprofil einer Reaktion
Läuft eine Reaktion in mehreren Teilschritten ab, so hat jede Reaktionsstufe eine eigene Aktivierungsenergie. Im Energieprofil einer solchen Reaktion (Abb. 12.3.2) erscheinen die Zwischenstufen als Energieminima. Isolierbare Zwischenstufen bezeichnet man als Zwischenprodukte. Stehen einem chemischen System unterschiedliche Reaktionsweisen offen, so läuft bei kinetischer Kontrolle diejenige Reaktion ab, für die die niedrigste Aktivierungsenergie aufzuwenden ist. Dem Übergangszustand entspricht eine bestimmte Atomanordnung der Reaktanden mit genau definierten Atomabständen und Bindungswinkeln. Diese Bindungen sind teilweise anders als in thermodynamisch stabilen Molekülen.
159
12. Chemische Kinetik
Energie
Ausgangsstoffe
Zwischen-
(Edukte)
Produkte
stufen
Reaktionsablauf
Abb. 12.3.2. Energieprofil einer Reaktion, die in mehreren Teilschritten verläuft
Der Übergangszustand ist nur kurzzeitig existent, der aktivierte Komplex reagiert sofort weiter. Beispiele für aktivierte Komplexe sind: Bei der Reaktion von H 2 mit D (Deuterium) H — H + D H . . . H . . . D < ± H + H - D besteht der Übergangszustand in einer linearen Anordnung der 3 Atome mit gleichen Abständen: Η · · · Η · · · D. Beim Iodwasserstoffzerfall sind am aktivierten Komplex 2 Iod- und 2 Wasserstoffatome beteiligt. 4
H
+
H •••H
H-H
-*•':
: -*· + i ··· i ι-ι
12.4 Katalyse Katalysatoren erniedrigen die Aktivierungsenergie einer Reaktion dadurch, daß sie mit den Ausgangsstoffen einen energetisch niedrigeren Übergangszustand bilden (Abb. 12.4.1). Katalysatoren ermöglichen dadurch einen Reaktionsablauf, der sonst entweder Energie
/
ohne Katalysator
Ea ohne Katalysator
E0 mit K a t a l y s a t o
Reaktionsabiauf
Abb. 12.4.1. Energieprofil einer Reaktion mit und ohne Katalysator
160
Α. Grundlagen der allgemeinen Chemie
erst bei höheren Temperaturen möglich wäre oder, wenn dort die Gleichgewichtslage ungünstig ist, nur sehr langsam oder überhaupt nicht stattfände. Ein Katalysator hat keinen Einfluß auf die Lage des chemischen Gleichgewichtes, er beschleunigt sowohl die Hin- als auch die Rückreaktion. Beispielsweise katalysiert fein verteiltes Platin oder Nickel die Addition von Wasserstoff an doppelt gebundenen Kohlenstoff, aber auch die Abspaltung von Wasserstoff aus gesättigten Kohlenwasserstoffen, wodurch Verbindungen mit Doppelbindungen entstehen. Allerdings wirken viele technische Katalysatoren und Enzyme (Biokatalysatoren) sehr spezifisch, indem sie durch Bildung eines sehr reaktiven Komplexes die Reaktion ausschließlich in eine Richtung lenken. Dieselben Ausgangsstoffe können so je nach der Wahl des Katalysators unterschiedliche Endprodukte liefern. Liegen der Katalysator und die Reaktionspartner in einer Phase vor (Gasphase oder flüssige Phase), so spricht man von Homogenkatalyse. Heterogenkatalyse erfolgt an den Oberflächen fester Substanzen, an denen die Reaktionspartner chemisch oder physikalisch adsorbiert sind.
Β. Spezielle anorganische Chemie
13. Chemie der Elemente und Verbindungen 14. Komplexverbindungen
Β. Spezielle anorganische Chemie 13 Chemie der Elemente und Verbindungen 13.1 Hauptgruppenelemente Die Hauptgruppenelemente oder s-, p-Elemente enthalten die zur Bildung chemischer Bindungen verfügbaren Elektronen, die Valenzelektronen, ausschließlich in s- und p-Orbitalen. Die Hauptgruppenelemente haben entweder leere oder vollbesetzte d- und f-Schalen. Ausnahmen sind die Elemente Zink, Cadmium und Quecksilber, die, obwohl sie in der Valenzschale zwei s-Elektronen haben, bei den d-Elementen behandelt werden. Die Einteilung der Elemente in Gruppen berücksichtigt ihre chemische Ähnlichkeit und den weitgehend analogen Bau der Valenzschalen. Die chemische Ähnlichkeit ist innerhalb einer Gruppe ab der zweiten Achterperiode besonders stark. Zwischen der ersten und der zweiten Achterperiode findet man in der gleichen Gruppe teilweise Abweichungen, dagegen gewisse Ähnlichkeiten im Verhalten von Elementen der ersten Achterperiode mit Elementen der zweiten Achterperiode mit einer um eins höheren Gruppennummer. So ist Lithium dem Magnesium ähnlich, Beryllium ähnelt dem Aluminium usw. Diese sog. Schrägbeziehung zwischen Elementen der ersten und der zweiten Achterperiode ist durch ein nur wenig unterschiedliches Verhältnis von Ladung zu Radius bedingt.
13.2 Alkalimetalle (s1-Elemente) In der Gruppe der Alkalimetalle stehen die Elemente Lithium (Li), Natrium (Na), Kalium (K), Rubidium (Rb), Caesium (Cs) und Francium (Fr). Sie enthalten ein sValenzelektron. Wasserstoff enthält zwar auch nur ein s-Elektron in der Valenzschale; da er jedoch in seinen Eigenschaften und Reaktionen sehr von den Alkalimetallen abweicht, rechnet man ihn nicht zu diesen. Die s'-Elemente haben eine geringe Dichte (Masse der Volumeneinheit) und einen tiefen Schmelzpunkt. Alkalimetalle geben das s-Elektron sehr leicht ab, d.h. sie haben eine niedrige Ionisierungsenergie und sind ausgesprochen elektropositive Metalle. Infolge ihrer großen Neigung zur Elektronenabgabe stehen sie in der elektrochemischen Spannungsreihe weit oben. Bei der Abgabe des s-Elektrons gehen die Alkalimetalle in einfach positiv geladene Ionen über. Die Oxidationszahl dieser Ionen ist also +1. Die Ionen sind farblos, zeigen geringe Neigung, Komplexe zu bilden oder mit Wasser unter Protolyse zu reagieren. Alkalimetalle reagieren mit Wasser sehr heftig unter Wasserstoffentwicklung, z.B. 2 Na + 2 H 2 0 —» 2 NaOH + H 2
164
Β. Spezielle anorganische Chemie
Die dabei entstehenden Hydroxide (etwa NaOH Natriumhydroxid, KOH Kaliumhydroxid) reagieren in wäßriger Lösung infolge ihrer Dissoziation in Ionen stark alkalisch. Neben den Hydroxiden sind die wichtigsten Verbindungen der Alkalimetalle die Halogenide [NaCl Natriumchlorid (Kochsalz), KCl Kaliumchlorid] die Carbonate [Na 2 C0 3 Natriumcarbonat (Soda), K 2 C0 3 Kaliumcarbonat (Pottasche)], die Hydrogencarbonate (NaHC0 3 Natriumhydrogencarbonat, K H C 0 3 Kaliumhydrogencarbonat), die Nitrate [NaN0 3 Natriumnitrat (Chilesalpeter), K N 0 3 Kaliumnitrat], die Cyanide (NaCN Natriumcyanid, KCN Kaliumcyanid) und die Sulfate [Na 2 S0 4 Natriumsulfat, Na 2 S0 4 • 10 H 2 0 (Glaubersalz, Karlsbader Salz, ein Laxans, in vielen Heilquellen enthalten)]. Da die meisten Verbindungen der Alkalimetalle rein ionisch gebaut sind, existieren fast keine in Wasser schwerlöslichen Verbindungen. Da der Radius mit der Atommasse zunimmt und das s-Elektron der Valenzschale bei den schwereren Elementen weniger stark gebunden ist, nimmt die Ionisierungsenergie zum Francium ab und die Reaktionsfähigkeit der s'-Elemente gegenüber elektronegativen Partnern (Halogene, Sauerstoff und Wasser) zu. Aus dem gleichen Grund nimmt auch die Basizität der Hydroxide vom Lithium zum Fracium zu. Physiologisch haben Na + und K + -Ionen eine besondere Bedeutung für die Nervenreizleitung, aber auch für die elektrochemischen Potentiale an allen Zellmembranen. LiSalze werden als Psychopharmaka eingesetzt.
13.3 Erdalkalimetalle (s2-Elemente) Die Erdalkalimetalle Beryllium (Be), Magnesium (Mg), Calcium (Ca), Strontium (Sr), Barium (Ba) und Radium (Ra) stehen in der zweiten Hauptgruppe des Periodensystems. Verglichen mit den Alkalimetallen haben Erdalkalimetalle eine höhere Dichte und auch höhere Schmelzpunkte. Ihre Ionisierungsenergie ist höher und der elektropositive Charakter geringer. Da sich Beryllium und Magnesium an der Luft mit einer dünnen, undurchlässigen Oxidschicht bedecken (Passivierung), werden sie von Luft und Wasser nicht angegriffen und finden deshalb als Werkstoffe Verwendung. Ebenso wie bei den Alkalimetallen nimmt auch die Reaktivität der Erdalkalimetalle mit wachsender Ordnungszahl zu. Man erklärt dies mit dem in der gleichen Richtung wachsenden Atomradius. Infolge des größeren Abstandes sind die beiden Valenzelektronen weniger stark gebunden. In den überwiegend ionischen Verbindungen haben die Erdalkalimetalle die Oxidationsstufe +2. In Wasser leicht löslich sind die Nitrate und Chloride. Schwer löslich sind die Hydroxide der leichteren Elemente, die Fluoride, die Phosphate, die Carbonate und, mit Ausnahme des Magnesiumsulfats (MgS0 4 · 7 H 2 0 , Bittersalz, laxierend), die Sulfate der Erdalkalimetalle. Der basische Charakter der Hydroxide nimmt mit steigender Atommasse zu: Be(OH) 2 ist amphoter, Ba(OH) 2 stark basisch.
13. Chemie der Elemente und Verbindungen
165
Be(OH) 2 + 2 H 3 0 + Be 2 + + 4 H 2 0 Be(OH) 2 + 2 O H " Be(OH)^ Calcium ist in Form von Hydroxylapatit C a 5 ( P 0 4 ) 3 0 H am Aufbau der Knochen beteiligt. Calcium kommt in der Natur als CaF 2 (Calciumfluorid, Flußspat) vor. Calciumchlorid (CaCl 2 ) besitzt starke wasseranziehende Wirkung und wird als Trockenmittel eingesetzt (Bildung eines Hexaaquakomplexes). Calciumoxalat (CaQO,,) ist in Wasser schlecht löslich und kann Hauptbestandteil von Harnsteinen (Konkrementen) sein. Gelöste Calcium- und Magnesiumsalze [Ca(HC0 3 ) 2 , Mg(HC0 3 ) 2 , C a S 0 4 und MgS0 4 ] bedingen die Wasserhärte, die sich beim Erhitzen des Wassers und beim Waschvorgang störend bemerkbar macht. Die sog. temporäre Härte ist durch die Hydrogencarbonate verursacht, die beim Erhitzen als unlösliche Carbonate ausfallen, z.B.: C a ( H C 0 3 ) 2 ?± C a C 0 3 + C 0 2 + H 2 0 Die durch die Sulfate bedingte permanente Härte ändert sich beim Erhitzen des Wassers nicht. Calciumcarbonat ( C a C 0 3 Kalkstein), Calciumsulfat ( C a S 0 4 · 2 H 2 0 Gips) und das sehr schwerlösliche Bariumsulfat (BaS0 4 Schwerspat; Röntgenkontrastmittel) sind weitere wichtige Erdalkaliverbindungen. Berylliumverbindungen sind sehr giftig und krebserregend. Magnesium- und Calciumionen sind physiologisch bedeutend. Calcium ist für den Organismus in vielfältiger Weise wichtig, z.B. für den Aufbau der Knochen, die aus Hydroxylapatit aufgebaut sind, als Vermittler von Nervensignalen für die Muskelkontraktion, zur Stabilisierung von Membranen , als Vermittler von Nerven- und Hormonsignalen in Form eines Calcium-ProteinKomplexes (Calmodulin) und für die Blutgerinnung. Der Calciumspiegel im Blut ist einer genauen hormonellen Steuerung unterworfen. Bei Strontium ist zu erwähnen, daß das radioaktive Isotop ^Sr ein Hauptprodukt der Kernspaltung des 235 U ist. Wird es in den menschlichen Körper aufgenommen, so wird es statt Calcium in die Knochen eingebaut und schädigt dann die Knochenmarkszellen durch seine Strahlung. Da Ba 2 + -Ionen außerordentlich toxisch sind, ist sorgfältig darauf zu achten, daß B a S 0 4 in Röntgenkontrastmitteln frei von löslichen Ba 2 + -Ionen ist.
13.4 Borgruppe (p1-Elemente) Die Elemente Bor (B), Aluminium (Al), Gallium (Ga), Indium (In) und Tahllium (Tl) haben im Grundzustand die Elektronenkonfiguration s ^ 1 . Die Ionisierungsenergie der p'-Elemente ist höher und der metallische Charakter geringer als bei den Erdalkalimetallen. Al, Ga, In und Tl werden auch als Erdmetalle bezeichnet. Bor ist als ein Nichtmetall anzusehen. In elementarer Form leitet es den elektrischen Strom schlecht, da die Boratome weitgehend durch kovalente Bindungen aneinander gebunden sind. Auch in Verbindungen finden wir nur kovalent gebundenes Bor, da seine Ionisierungsenergie zu hoch ist, um Ionen bilden zu können. Mit Wasserstoff bildet Bor zahlreiche Verbindungen, die Borane, die eine besondere Bindungsart haben. Borhydroxid B(OH) 3 (Borsäure) reagiert mit Wasser als schwache Lewis-Säure:
166
Β. Spezielle anorganische Chemie
B(0H)3 + 2 H 2 0
H 3 0 + + B(OH)¡
Die anderen Elemente der dritten Hauptgruppe kommen als dreifach positiv geladene Kationen vor, die in wäßriger Lösung als Kationsäuren wirken. So ist z.B. das hydratisierte Al 3+ eine Kationsäure. [A1(H 2 0) 6 ] 3+ + H 2 0
[Al(OH) (H 2 0) 5 ] 2 + + H 3 0 +
Aluminiumhydroxid ist amphoter, es löst sich sowohl in Säuren unter Bildung von hydratisierten Al 3+ -Ionen als auch in Laugen unter Entstehung von Hydroxokomplexen: Al(OH) 3 + 3 H 3 0 + Al(OH) 3 + 3 O H "
[A1(H 2 0) 6 ] 3+ [Al(OH) 6 ] 3 -
Aluminium ist trotz seiner Stellung in der Spannungsreihe gegen Luft und Wasser beständig, da es sich mit einer kompakten Oxidschicht gegen weiteren Angriff von Wasser oder Sauerstoff schützt. Deshalb kann Aluminium als Werkstoff verwendet werden. Die p'-Elemente haben eine mit zunehmender Ordnungszahl steigende Neigung, in einer um zwei Einheiten niedrigeren Oxidationszahl aufzutreten (träges Elektronenpaar, vgl. Kap. 6.10.2). Bor und Aluminium kommen nur in der Oxidationsstufe + 3 vor. Gallium und Indium können schon in der Oxidationsstufe + 1 existieren, bei Thallium sind die Stufen + 1 und + 3 von ähnlicher Beständigkeit. Der Grund hierfür ist das Abnehmen der Bindungsenergien infolge des größeren Atomradius. Die kleinere Bindungsenergie reicht nicht aus, um ein Elektron aus einem s- in ein p-Orbital zu heben. Es resultiert ein inertes Elektronenpaar. Dagegen gibt Thallium das p-Elektron an elektronegative Partner leicht ab, wodurch das Tl + -Ion entsteht. Das chemische Verhalten des Tl + gleicht teilweise dem K + -Ion: Thalliumhydroxid (TlOH) ist leicht wasserlöslich und eine starke Base. Auch Thalliumcarbonat (T1 2 C0 3 ) ist wasserlöslich. Tl + ist sehr giftig. In Bezug auf Löslichkeit und Farbe der Halogenide gleicht Tl + dem Ag + . Thalliumhalogenide sind schwerlöslich. Außer dem giftigen Tl + , das als Rattengift verwendet wird, sind die Elemente der 3. Hauptgruppe physiologisch nur wenig bedeutend.
13.5 Kohlenstoffgruppe (p2-Elemente) In der vierten Hauptgruppe finden wir die Elemente Kohlenstoff (C), Silicium (Si), Germanium (Ge), Zinn (Sn) und Blei (Pb) .Der Kohlenstoff ist das wichtigste Element in der organischen Chemie und im Pflanzen- und Tierreich. Eine ähnliche Bedeutung hat Silicium für die Gesteine, die zum Großteil Silicate (Sauerstoffverbindungen des Siliciums) als Hauptbestandteil enthalten. Kohlenstoff ist als Nichtmetall anzusehen. Er bildet in seinen Verbindungen überwiegend kovalente Bindungen aus. Silicium und Germanium sind Halbmetalle, Zinn und Blei Metalle. Die Elektronenkonfiguration der Elemente der vierten Hauptgruppe ist
167
13. Chemie der Elemente und Verbindungen
s 2 p 2 . Die maximale Oxidationszahl ist +4, daneben aber auch +2, wobei die Beständigkeit der Verbindungen der Elemente mit der Oxidationszahl +2 mit zunehmender Atommasse steigt. Si(II)- und Ge(II)-Verbindungen sind unbeständiger als die Si(IV)und Ge(IV)-Verbindungen,. Zinn(II)- und Zinn(IV)-Verbindungen sind etwa gleich beständig. Blei(II)-Verbindungen sind bereits stabiler als Blei(IV)-Verbindungen. Die Elemente der Kohlenstoffgruppe bilden kovalente Hydride, wobei die X - H Bindungsenergie und damit die Stabilität vom Kohlenstoff zum Blei sehr stark abnimmt. Die große Stabilität der C - Η - und der C-C-Bindung ermöglicht die große Zahl der organischen Verbindungen. Kohlenstoff reagiert bei höherer Temperatur mit Sauerstoff unter Bildung von Kohlendioxid. Da Kohlenstoff bei hoher Temperatur auch vielen Metalloxiden Sauerstoff entziehen kann, wirkt er als Reduktionsmittel. Viele Metalle werden aus den Oxiden durch Reduktion mit Kohlenstoff in Form von Koks gewonnen. C 0 2 ist ein farbloses Gas, das in geringer Menge in der Luft enthalten ist. C 0 2 entsteht bei der vollständigen Verbrennung kohlenstoffhaltiger Substanzen. Bei ungenügender Sauerstoffzufuhr bildet sich das giftige, ebenfalls gasförmige und geruchlose Kohlenmonoxid (CO). Die Giftigkeit des CO ist dadurch bedingt, daß es einen Carbonylkomplex mit dem Eisen des Hämoglobins bildet, der nicht mehr zum Sauerstofftransport fähig ist. Die Elektronenformeln der beiden Oxide des Kohlenstoffs sind: ΙΟ=φ «*IC=©|
und
Cp=C=CT;
Kohlenmonoxid
linear
Kohlendioxid
Kohlendioxid löst sich in Wasser zum größten Teil rein physikalisch, nur ein ganz geringer Prozentsatz reagiert mit Wasser unter Bildung von Kohlensäure: C0 2 + H 2 0 ? H 2 C 0 3 Kohlensäure
Die Salze der Kohlensäure, die Carbonate, enthalten das eben gebaute Carbonation (CO 2 - ). Dieses enthält polyzentrische Molekülorbitale, es wird durch Mesomerie stabilisiert. Θ
φ !
_
ΙΟΙ ι
θ
„
Ί2"
ΙΟΙ ι
Die stabilsten Siliciumverbindungen sind Siliciumdioxid und die Silicate, die S i - O Bindungen enthalten. Die Siliciumatome sind im Quarz und den Silicaten tetraedrisch von vier Sauerstoffatomen umgeben, die Si0 4 -Tetraeder sind über die Ecken zu Ketten, Schichten oder zu einem Raumgitter miteinander verbunden (Abb. 13.5.1). Die Verbindungen der Elemente Germanium, Zinn und Blei weisen in der Oxidations-
168
Β. Spezielle anorganische Chemie
• =Si o =0 Abb. 13.5.1. Tetraedrische Anordnung der Sauerstoffatome um die Siliciumatome in Ketten- und Schichtsilicaten.
stufe +4 mit Ausnahme der Fluoride und Oxide, die salzartigen Charakter haben, weitgehend kovalenten Bindungscharakter auf. Sn(II)-Verbindungen sind überwiegend, Pb(II)-Verbindungen ausschließlich ionisch gebaut. Blei ist ein giftiges Element, das unter anderem die Synthese des Hämoglobin in den roten Blutkörperchen inhibiert. Blei wird durch Verwendung von Bleirohren mit dem Trinkwasser oder durch Einatmen von Autoabgasen aufgenommen, sofern bleihaltiges Benzin verwendet wird.
13.6 Stickstoffgruppe (p3-Elemente) In der fünften Hauptgruppe finden sich die Elemente Stickstoff (N), Phosphor (P), Arsen (As), Antimon (Sb) und Bismut (Bi). Der metallische Charakter der p 3 -Elemente nimmt, wie in jeder Hauptgruppe, mit der Atommasse zu. Stickstoff ist ein reines Nichtmetall. Phosphor, Arsen und Antimon existieren in metallischen und nichtmetallischen Modifikationen, Bismut nur in einer metallischen. Stickstoff (N2) ist ein Gas, das in der Luft zu 78 Vol.-% enthalten ist. Molekularer Stickstoff ist sehr reaktionsträge, da seine beiden Atome durch eine Dreifachbindung besonders hoher Bindungsenergie (945 kJ/mol) verbunden sind. IN=NI Die Elektronenkonfiguration der Valenzschale der atomaren Elemente der Stickstoffgruppe ist s2p3. Die Elemente können drei Wasserstoffatome kovalent binden. In den entstehenden Verbindungen des Typs XH 3 haben die p 3 -Elemente die Oxidationszahl - 3 . Die Stabilität dieser Wasserstoffverbindungen nimmt in Richtung zu Bismut hin sehr stark ab. Ammoniak (NH 3 ) ist bei Zimmertemperatur gasförmig und thermodynamisch stabil.
13. Chemie der Elemente und Verbindungen
169
Auf Grund der Bildung von Wasserstoffbrückenbindungen löst es sich sehr gut in Wasser. Eine wäßrige Ammoniaklösung reagiert infolge Protolyse schwach alkalisch: NH 3 + H 2 0
NHJ + O H -
Starke Säuren ergeben mit NH 3 Ammoniumsalze, die das tetraedrisch gebaute Ammoniumion (NH 4 + ) enthalten. Das Ammoniumion hat eine ähnliche Ionengröße wie das Kaliumion (K + ) und zeigt deshalb ähnliches Löslichkeitsverhalten. Basisch reagiert auch eine wäßrige Lösung von Hydrazin, das eine N-N-Einfachbindung hat. Hydrazin ( H 2 N - N H 2 ) ist ein schwaches Reduktionsmittel, das den Vorteil bietet, daß ein Überschuß durch Kochen zerstört wird, ohne Rückstände in der Lösung zu hinterlassen, da Hydrazin leicht in seine Elemente zerfällt: H 2 N—NH 2 —» N2 + 2 H 2 Hydrazin ist eine der Verbindungen, die auf den Menschen krebserzeugend wirken. Als weitere Stickstoff-Wasserstoff-Verbindung ist HN 3 (Stickstoffwasserstoffsäure) zu erwähnen. Ihre Salze heißen Azide; Schwermetallazide werden als Initialzünder verwendet. Die Wasserstoffverbindungen der übrigen p 3 -Elemente PH 3 , AsH 3 , SbH 3 und BiH 3 sind an der Luft selbstentzündlich und mit steigender Atommasse des p 3 -Elementes in zunehmendem Ausmaß thermodynamisch instabil. Die Bindungswinkel von 107° bei NH 3 , von 93° bei PH 3 und von nahezu 90° bei den übrigen p 3 -Elementhydriden zeigen, daß das Stickstoffatom in NH 3 weitgehend sp3-hybridisiert ist, während bei den anderen Hydriden der p 3 -Elemente die bindenden Elektronen p-Charakter haben und das freie Elektronenpaar sich eher im s-Zustand befindet. Da zur Entkopplung des s-Elektrons Energie aufgewendet werden muß, die X—H-Bindungen aber mit Ausnahme der N—Η-Bindung sehr schwach sind, neigen diese Hydride nicht dazu, Protonen anzulagern. Die Verbindungen PH 3 , AsH 3 und BiH 3 sind deshalb viel weniger basisch als NH 3 . Die Stabilität der Sauerstoffverbindungen dagegen nimmt in umgekehrter Reihenfolge zu, wobei bei Phosphor die Oxidationsstufe +5, bei Bismut + 3 am stabilsten ist. Alle Stickstoffoxide (Oxidationsstufe + 1 bis + 5) zerfallen beim Erhitzen in die Elemente. Distickstoffoxid (Lachgas) N 2 0 ist linear gebaut und enthält polyzentrische Molekülorbitale, die durch die mesomeren Grenzstrukturen .Θ e ν , © — θ (Ν=Ν=φ~ΐΝΞΝ-0| beschrieben werden können. Es ist ein farbloses, reaktionsträges Gas, das als Narkotikum verwendet wird. Stickstoffmonoxid (NO) ist ein farbloses giftiges Gas, das mit Luft spontan zum braunen gasförmigen Stickstoffdioxid reagiert: 2 NO + 0 2 £ 2 N 0 2
170
Β. Spezielle anorganische Chemie
Stickstoffmonoxid gewinnt man großtechnisch durch katalytische Ammoniakoxidation: 4 NH 3 + 5 0 2 -»· 4 NO + 6 H 2 0 NO oxidiert man mit Luft zu N 0 2 , das beim Einleiten in Wasser durch Disproportionierung salpetrige Säure (HN0 2 ) und Salpetersäure (HN0 3 ) ergibt: 2 N 0 2 + H 2 0 -*· HNO 3 + HN0 2 Salpetrige Säure ist unbeständig. Sie zerfällt in Wasser, Stickstoffmonoxid und Stickstoffdioxid: 2 HN0 2 ->· H 2 0 + NO + N 0 2 Die Salze der salpetrigen Säure, die Nitrite, sind beständig. Das Nitrition ist gewinkelt gebaut und in der Schreibweise der Grenzstrukturen anzugeben als:
10'
\
„N $e
Ol
cM
Nitrite, etwa Natriumnitrit (NaN0 2 ), wirken sowohl als Oxidations- als auch als Reduktionsmittel. Salpetersäure ist eine starke Säure und ein Oxidationsmittel. In konzentrierter Salpetersäure lösen sich Kupfer und Quecksilber unter Entwicklung von NO, wobei das Nitration zu NO reduziert wird: NO¡ + 4 H 3 0 + + 3 e" -»· NO + 6 H 2 0 Die Salze der Salpetersäure heißen Nitrate und sind alle leicht wasserlöslich. Das Nitration ist eben gebaut und enthält polyzentrische Molekülorbitale, d.h., es ist mesomeriestabilisiert: Θ Θ ΙΟΙ 101 Ν®
Ν® io
κι® 01
Silbernitrat (AgN0 3 ) ist das wichtigste Silbersalz. Auf der Haut wirkt es oxidierend unter Abscheidung von festem Silber und diente früher als „Höllenstein" (lapis infernalis) zur Entfernung von Hautwucherungen. Die wichtigsten Oxide des Phosphors sind Phosphor(III)-oxid P 4 0 6 und Phosphor(V)oxid P 4 O 10 , in denen der Phosphor die Oxidationszahl +3 bzw. +5 hat. Das feste Phosphor(III)-oxid reagiert mit Wasser unter Bildung der zweiprotonigen Phosphonsäure (H 2 PH0 3 ; alter Name: phosphorige Säure): P406 + 6 H 2 0 4H2PH03 Da ein Wasserstoffatom direkt an Phosphor gebunden ist, ist es nicht als Proton abspaltbar und daher nicht sauer. Strukturformel: Η HO-P-OH \0/
13. Chemie der Elemente und Verbindungen
171
Phosphonsäure wirkt stark reduzierend. Phosphor(V)-oxid ist eines der besten Trockenmittel für Gase und wenig Wasser enthaltende Lösungsmittel. Mit Wasser entsteht über mehrere Zwischenstufen, wie etwa der vierbasigen Diphosphorsäure H 4 P 2 0 7 (Pyrophosphorsäure), die Orthophosphorsäure
(H3PO4). Als dreiprotonige Säure
OH
\0/ bildet die Orthophosphorsäure drei Reihen von Salzen. Als Beispiel führen wir die Natriumsalze an: Natriumdihydrogenphosphat N a H 2 P 0 4 , Dinatriumhydrogenphosphat N a 2 H P 0 4 uns Natriumphosphat N a 3 P 0 4 . Analog aufgebaut sind die technisch wichtigen Kaliumphosphate. Calciumphosphat C a 3 ( P 0 4 ) 2 ist Grundlage von Düngemitteln. Im Phosphation P 0 4 ~ sind die Sauerstoffatome tetraedrisch um das Phosphoratom angeordnet. Die Salze der Diphosphorsäure heißen Diphosphate (Pyrophosphate). Phosphorverbindungen sind als Bestandteil biochemisch wichtiger Moleküle von größter Bedeutung, so z . B . in Form des Adenosin-5'-triphosphats, des Energielieferanten der Zelle. Arsen(III)-oxid A s 4 0 6 , Arsenik, eine weiße feste Substanz, löst sich in Wasser, wobei die schwache arsenige Säure H 3 A s 0 3 entsteht. A s 4 0 6 ist ebenso wie Antimon(III)-oxid ein amphoteres Oxid, denn es löst sich sowohl in Säuren als auch in Basen: AS406 Und
+ 12 H 3 0 + £
4 A s 3 + + 18 H
2
0
A s 4 0 6 + 12 O H " ^ 4 AsC>3~+ 6 M Ì O
Arsen(III)-oxid kann zu Arsen(V)-oxid As 4 O 1 0 oxidiert werden. Arsen(V)-oxid reagiert mit Wasser zu Arsensäure, H 3 A s 0 4 , die ebenfalls amphoteren Charakter aufweist. Bismut(III)-oxid ( b i 2 0 3 ) ist ein reines Basenanhydrid, das sich in Säuren utner Bildung von Bismutsalzen löst.
13.7 Chalkogene (p4-Elemente) In der sechsten Hauptgruppe stehen die Elemente Sauerstoff ( O ) , Schwefel ( S ) , Selen (Se), Tellur (Te) und Polonium (Po). Sauerstoff und Schwefel sind Nichtmetalle, Selen und Tellur haben Halbleitereigenschaften, Polonium ist ein reines, äußerst giftiges Metall. Die Elemente dieser Gruppe werden Chalkogene genannt. Sauerstoff kommt in der Atmosphäre zu rund 21 V o l . - % in Form des Moleküls 0 2 (genau: Disauerstoff) vor. Sauerstoff ist als einziges p 4 -Element gasförmig, die anderen p 4 Elemente sind fest. Die Wasserstoffverbindungen X H 2 enthalten kovalente Bindungen. Die thermodynamische Stabilität der Hydride der Chalkogene nimmt mit der Ordnungszahl des p 4 -Elementes stark ab, die Säurestärke dagegen zu.
172
Β. Spezielle anorganische Chemie
Wasser enthält stark polare, thermodynamisch stabile, kovalente O-H-Bindungen. Zusätzlich zu den kovalenten Bindungen sind zwei benachbarte Wassermoleküle noch über Wasserstoffbrückenbindungen gebunden. Daraus resultieren der außergewöhnlich hohe Schmelz- und Siedepunkt des Wassers. Durch die Polarität der H-O-Bindung und den gewinkelten Bau Η—Ο—Η = 104,5°) ist das Wassermolekül ein Dipol und daher fähig, Salze und polare Moleküle zu lösen. Ähnlich wie Wasser sind auch die kovalenten Sauerstoffverbindungen der anderen Nichtmetalle so polarisiert, daß der stark elektronegative Sauerstoff der negative Pol ist. Nur in Verbindungen mit Fluor ist die Polarisierung umgekehrt. Die Oxide der Metalle sind großteils salzartig gebaut, d.h. sie enthalten das Oxidion O 2 - , das ein sehr starker Protonenakzeptor ist. Wenn diese Oxide wasserlöslich sind (das sind die Oxide der ersten und teilweise der zweiten Hauptgruppe), so reagieren die Oxidionen sofort mit Wasser zu Hydroxidionen: O2
-f-^O^OH-
Das Gleichgewicht dieser Reaktion liegt ganz auf der rechten Seite. Eine weitere Verbindung des Sauerstoffs mit Wasserstoff ist Wasserstoffperoxid (H 2 0 2 ), das Sauerstoff in der Oxidationsstufe —1 enthält. Wasserstoffperoxid zersetzt sich sehr leicht in Wasser und Sauerstoff, da die O-O-Bindung sehr schwach ist: 2 H 2 0 2 —» 2 H 2 0 + 0 2 Wasserstoffperoxid wirkt gegenüber vielen oxidierbaren Substanzen (z.B. SO 2 ", N 0 2 , A s O ^ , Fe 2 + ) oxidierend: H 2 0 2 + 2 e~ —» 2 OH~ H 2 0 2 , das in Zellen als Nebenprodukt anfallen kann, ist schädlich und wird von speziellen Enzymsystemen entgiftet. Physiologisch von Bedeutung ist auch das Superoxidanion ( 0 2 ) , eine sehr reaktive, schädliche Verbindung, die durch Übertragung eines Elektrons z.B. von Fe 2+ auf Sauerstoff entstehen kann und zur Entgiftung von einem speziellen Enzym, der Superoxiddismutase, zu H 2 0 2 umgewandelt wird: 0 2 + Fe 2+ 2 0
_
+
2 H +
0 2 + Fe 3+ Superoxiddismutase ^
+
^
Sehr starke Oxidationsmittel wie MnO^ und Cl2 oxidieren H 2 0 2 zu Sauerstoff: H202 + 2 H20
0 2 + 2 H 3 0 + + 2 e"
Die Peroxide, die sich von der sehr schwachen Säure Wasserstoffperoxid ableiten, enthalten das Peroxidion O 2 - (z.B. Na 2 0 2 , Ba0 2 ). Die dem Wasser entsprechende Schwefelverbindung, Schwefelwasserstoff (H 2 S), ist ein giftiges, übelriechendes Gas, das sich in Wasser unter schwach saurer Reaktion etwas
13. Chemie der Elemente und Verbindungen
173
löst. Die Salze des Schwefelwasserstoffs heißen Sulfide. Die Schwermetallsulfide sind in Wasser schwer löslich. Die wäßrigen Lösungen der Hydride H 2 Se und H 2 Te reagieren ebenfalls schwach sauer und, wie auch H 2 S, reduzierend. Die Hydride H 2 Se und H 2 Te sind viel unbeständiger als H 2 0 und H 2 S. Die thermodynamische Stabilität der Oxide des Typs X 0 2 nimmt mit der Ordnungszahl von X zu. Ozon (O3) ist thermodynamisch instabil und zerfällt rasch in molekularen Sauerstoff (0 2 ). Ozon ist gasförmig, ein sehr starkes Oxidationsmittel und extrem giftig. Es enthält drei gewinkelt verbundene Sauerstoffatome mit polyzentrischen Molekülorbitalen. Mesomere Grenzstrukturen: 10, ©
®
Schwefeldioxid (S0 2 ) entsteht beim Erhitzen von Schwefel oder Metallsulfiden an der Luft sowie bei der Verbrennung schwefelhaltiger Brennstoffe (Kohle, Erdöl). Schwefeldioxid ist ein farbloses, für Tiere und Pflanzen giftiges und korrodierend wirkendes Gas. Schwefeldioxid wirkt sowohl reduzierend, wobei es selbst in Schwefeltrioxid übergeht, als auch oxidierend, wobei es zu Schwefel reduziert wird. Schwefeldioxid löst sich gut in Wasser. Die Lösung reagiert infolge eines Protonenüberganges sauer: S 0 2 + 2 H 2 0 ?± H 3 0 + + HSO3 Mit Laugen sind die Salze der frei nicht existenten schwefligen Säure (H 2 S0 3 ), die Sulfite, erhältlich, z.B.: 5 0 2 + 2 NaOH
Na 2 S0 3 + H 2 0
Selendioxid (Se0 2 ) und Tellurdioxid (Te0 2 ) wirken stärker oxidierend als Schwefeldioxid. Selenige Säure (H 2 Se0 3 ) und tellurige Säure (H 2 Te0 3 ) sind sehr schwache Säuren. Schwefeltrioxid ist ein starkes Oxidationsmittel und eine Lewis-Säure. Mit Wasser reagiert Schwefeltrioxid unter Bildung von Schwefelsäure: 503 + H 2 O
H 2 SO 4
Konzentrierte Schwefelsäure wirkt stark wasserentziehend und wird deshalb als Trokkenmittel verwendet. Sie entzieht auch vielen organischen Substanzen (z.B. Holz, Papier, Baumwolle) Wasser und verkohlt sie. Verdünnte Schwefelsäure ist eine starke, zweiprotonige Säure. Ihre Salze heißen Hydrogensulfate bzw. Sulfate. Blei-, Barium-, Strontium- und Calciumsulfat sind in Wasser schwer löslich. Selentrioxid (Se0 3 ), Tellurtrioxid (Te0 3 ), Selensäure (H 2 Se0 4 ) und Orthotellursäure (H 6 Te0 6 ) sind noch stärkere Oxidationsmittel als die entsprechenden Schwefelverbindungen. Die beiden Säuren sind schwächer als H 2 S0 4 .
174
Β. Spezielle anorganische Chemie
Schwefel ist als Bestandteil von Aminosäuren und in Form von Sulfat physiologisch bedeutend. Sufat kommt im Blut sowie kovalent an Biomoleküle, wie z.B. Membraniipide, gebunden vor. Selenverbindungen sind sehr giftig, Tellurverbindungen giftig. Selen ist als Bestandteil eines Enzyms (Glutathionperoxidase) physiologisch von Bedeutung.
13.8 Halogene (ps-Elemente) Zu den Halogenen gehören die Elemente Fluor (F), Chlor (Cl), Brom (Br), Iod (I) und Astat (At). Astat ist von geringer Bedeutung, da nur instabile Isotope existieren. Alle Halogenatome haben in ihrer Valenzschale die Elektronenkonfiguration s 2 p 5 . Auf Grund dieser Elektronenkonfiguration haben die Halogene eine hohe Elektronegativität, die allerdings in Richtung Astat stark abnimmt. Die Halogene sind mit Ausnahme der beiden schwersten als reine Nichtmetalle zu betrachten. Fluor (F 2 ) ist das elektronegativste Element und deshalb das stärkste Oxidationsmittel. Es oxidiert z.B. Wasser: 2 F 2 + 2 H 2 0 —» 4 H F + 0 2 In Verbindungen hat Fluor stets die Oxidationszahl —1. Chlor (Cl2) ist ebenso wie F 2 gasförmig. Brom (Br 2 ) ist eine tiefbraune Flüssigkeit mit relativ hoher spezifischer Masse, die rotbraune, stechend riechende, giftige Dämpfe entwickelt. Iod (I 2 ) bildet schwarzgraue Kristalle mit teilweise metallischen Eigenschaften. Die Reaktionsfähigkeit der Halogene gegenüber Wasserstoff, organischen Verbindungen und Metallen nimmt vom Fluor zum Iod hin ab. Fluor reagiert mit H 2 explosionsartig, Iod mit Wasserstoff bei Temperaturen über 200°C nur bis zu einem Gleichgewicht. Chlor und Brom sind etwas wasserlöslich. Die Lösungen heißen Chlorwasser bzw. Bromwasser und wirken ebenso wie Chlor und Brom selbst oxidierend. In den Wasserstoffverbindungen (HX) haben die Halogene die Oxidationszahl - 1 . Die thermische Beständigkeit dieser HX-Verbindungen nimmt von Fluorwasserstoff (HF) zu Iodwasserstoff (HI) ab. Im Gegensatz dazu nimmt die Säurestärke zu Iodwasserstoff hin zu. Außer Fluorwasserstoff (die wäßrige Lösung heißt Flußsäure) sind alle Halogenwasserstoffe starke Säuren. Die wäßrige Lösung von HCl heißt Salzsäure. Die Salze der Halogenwasserstoffsäuren sind meist aus Ionen aufgebaut und wasserlöslich. Ausnahmen sind Silber(I)-, Quecksilber(I)-, Blei(II)- und Thallium(I)-chlorid, -bromid und -iodid. Außer Fluor kommen die Halogene in Verbindungen mit Fluor oder Sauerstoff auch in positiven Oxidationszahlen ( + 1 bis +7) vor. Die Beständigkeit der Halogenverbindungen mit positiven Oxidationszahlen steigt in Richtung Iod.
13. Chemie der Elemente und Verbindungen
175
Die wichtigste Sauerstoffsäure der Halogene, die Perchlorsäure, ist eine sehr starke Säure. Ihre Salze enthalten das tetraedrisch gebaute Perchloration (CIO4). Physiologisch von Bedeutung sind Fluorid, Chlorid und Iodid. Fluorid ist nicht lebensnotwendig, es wird zur Kariesbekämpfung angewendet, wobei die Zweckmäßigkeit dieser Maßnahme nicht unumstritten ist. Chlorid ist das Hauptanion zur Aufrechterhaltung der Elektroneutralität innerhalb und außerhalb der Zellen. Iodid ist als Bestandteil von Schilddrüsenhormonen wichtig.
13.9 Edelgase (p6-Elemente) Die Edelgase haben mit Ausnahme des Heliums in ihrer äußersten Schale die Konfiguration s 2 p 6 . Die Edelgase Helium (He), Neon (Ne), Argon (Ar), Krypton (Kr), Xenon (Xe) und Radon (Rn) sind einatomige Gase und in sehr kleinen Mengen in der Luft enthalten. Die Schmelz- und Siedepunkte der Edelgase liegen sehr tief, da zwischen den Atomen nur van der Waalsche Kräfte wirksam sind. Die Schmelz- und Siedepunkte nehmen mit der Atommasse des Edelgases zu. Da die Elektronenkonfiguration s 2 p 6 eine vollständig gefüllte Achterschale bedeutet, die keine ungepaarten Elektronen enthält und sehr symmetrisch ist, sind die Edelgase sehr reaktionsträge. Erst 1962 ist es gelungen, von den drei schwersten Edelgasen Verbindungen herzustellen.
13.10 Wasserstoff Wasserstoff ist ein typisches Nichtmetall. In molekularer Form (H 2 ) ist er gasförmig und reduziert stark elektronegative Elemente (F 2 , 0 2 , Cl2) unter starker Wärmeentwicklung (Knallgasreaktion). Das Wasserstoffatom (H) ist das kleinste Atom und besitzt nur ein Elektron in der Elektronenhülle. Bei Abgabe dieses Elektrons bleibt der positive Atomkern zurück, der als Proton bezeichnet wird. Das Proton ist frei nur sehr kurzfristig existent, hat aber bei Säure-Base-Reaktionen eine große Bedeutung. Durch Aufnahme eines Elektrons erreicht das Wasserstoffatom die Elektronenkonfiguration des Heliums, die mit ihrer vollständig besetzten ersten Schale sehr stabil ist. Das entstehende Ion H~ wird als Hydridion bezeichnet. Wasserstoffverbindungen existieren von den meisten Elementen mit Ausnahme der Edelgase. Man teilt sie gewöhnlich in vier Gruppen ein: kovalente, salzartige, metallische und komplexe Hydride. Die kovalenten Hydride sind Waserstoffverbindungen der Nichtmetalle, der Halbmetalle und einiger Metalle, z.B. CH 4 , SiH 4 , NH 3 , H 2 0 , HF, SnH 4 u.a. Zahlenmäßig überwiegen hier die zahlreichen organischen Verbindungen. Salzartige Hydride enthalten in ihrem Kristallgitter das Hydridion (H~). Es sind dies die Hydride der Alkalimetalle (z.B. LiH) und der schwereren Erdalkalimetalle (z.B. CaH 2 ).
176
Β. Spezielle anorganische Chemie
Beispiele für komplexe Hydride sind NaBH 4 und LiAlH 4 . Sie sind wichtige Reduktionsmittel der organischen Chemie. Schwermetalle (Pd, Pt) besitzen die Fähigkeit, Wasserstoff in großer Menge molekular zu lösen. Viele Übergangselemente bilden metallische Hydride mit weitgehend veränderlicher Zusammensetzung und metallischen Eigenschaften.
13.11 Übergangselemente (d- und f-Elemente) Übergangselemente sind jene Elemente, die in elementarer Form oder in einer ihrer Oxidationsstufen nur teilweise gefüllte d- oder f-Schalen aufweisen, das sind im Periodensystem die Gruppen I b, III b bis VIII b sowie die Lanthanoide und Actinoide. Diese Definition trifft nicht für die Elemente der Gruppe II b zu (Zn, Cd, Hg), die oft aber ebenfalls als Übergangselemente bezeichnet werden. Technisch werden Übergangsmetalle durch Reduktion der Oxide mit Kohlenstoff, Wasserstoff oder Aluminium gewonnen. Alle Übergangselemente sind Metalle und bilden Verbindungen mehrerer Oxidationsstufen . Die Ionisierungsenergien der d- und f-Elemente sindhöheralsdieders-Elemente. Scandium (Sc), Yttrium (Y) und Lanthan (La) erreichen höchstens die Oxidationszahl +3. Bei Titan (Ti), Vanadium (V), Chrom (Cr) und Mangan (Μη) ist die höchste Oxidationszahl gleich der Summe der 3d- und 4s-Elektronen. Die jeweils höchste Oxidationszahl ist also: Ti + 4 , V + 5 , Cr + 6 und Mn + 7 . Diese Ionen werden mit zunehmender Oxidationszahl instabiler. V v , Cr VI und M n v n kommen nur in kovalenten Verbindungen und mit den am stärksten elektronegativen Elementen Sauerstoff oder Fluor vor, z.B. K 2 C r 0 4 und K M n 0 4 . Ganz gleich verhalten sich auch die Oxidationszahlen der Elemente, die im Periodensystem unter diesen stehen. Die höchsten Oxidationszahlen der rechts von Mangan stehenden Übergangselemente nehmen mit einigen Unregelmäßigkeiten wieder teilweise ab. Die vierzehn auf das Lanthan (Z = 57) folgenden Elemente heißen Lanthanoide oder seltene Erden, die vierzehn auf das Actinium folgenden Actinoide. Da sich diese Elemente (mit einigen Ausnahmen) nur im Aufbau der drittäußersten Schale unterscheiden, die nur einen geringen Einfluß auf die chemischen Eigenschaften hat, sind sie sich sehr ähnlich. Die Farbe der hydratisierten Ionen in wäßriger Lösung steht mit der Elektronenkonfiguration in Zusammenhang. Ionen mit unkompletten d- und f-Niveaus sind farbig, Ionen mit edelgasähnlichem Bau farblos oder nur sehr schwach farbig, z.B. ist Cr 3 + schwach grün, Mn 2 + rosa, Fe 3 + gelb, Fe 2+ hellgrün, Co 2+ rosa, Ni 2+ grün, Cu 2 + hellblau und Zn 2 + farblos. Die Verbindungen der Übergangsmetalle haben nur in niedrigen Oxidationsstufen salzartigen Charakter. Bei den höheren Oxidationsstufen steigt der kovalente Bindungsanteil. Infolge ihrer teilweise besetzten d- und f-Orbitale neigen die Übergangsmetalle zur Komplexbildung.
14. Komplexverbindungen
177
Übergangsmetalle sind zum Teil lebensnotwendige Spurenelemente, praktisch alle sind in gelöster Form je nach Konzentration giftig. Sowohl die lebensnotwendigen Funktionen als auch die Giftigkeit und der Transport sowie die Ausscheidung der Übergangsmetalle sind durch die Fähigkeit der Übergangsmetallionen zur Komplexbildung bedingt. Eisen ist in der Fe 2+ -Form als Zentrum des Hämoglobinmoleküls zum Sauerstofftransport im Blut und als aktives Zentrum von Enzymen für Redoxvorgänge bedeutend. Kupfer und Molybdän sind in Form von Enzymkomplexen für die Katalyse von Reaktionen mit Sauerstoff wichtig. Zink ist ebenfalls ein lebensnotwendiges Spurenelement, das unter anderem als zentraler Bestandteil von Enzymen durch die Polarisierung von Bindungen die Spaltung biologischer Makromoleküle wie Ribonucleinsäuren oder Proteine ermöglicht. Cobalt wird als Zentrum des Vitamins Cobalamin benötigt. Zn und Co kommen in biochemisch wichtigen Verbindungen meist in der Oxidationszahl +2 vor, Eisen bevorzugt die Oxidationszahlen +2 und +3 und Kupfer die Oxidationszahlen +1 und +2. Eisen- und kupferhaltige Proteine sind daher bei biochemisch wichtigen Redoxvorgängen von größter Bedeutung. Die Giftigkeit von Metallionen, z.B. von Cu 2 + , Co 2+ und Hg 2 + , beruht darauf, daß durch Komplexbildung Enzyme in ihrer räumlichen Struktur verändert und dadurch gehemmt werden, oder das biochemisch „richtige" Metallion durch ein „falsches" mit anderen Eigenschaften ausgetauscht wird. Zu erwähnen ist, daß von manchen Metallen (z.B. Mo) nur sehr kleine Mengen benötigt werden, sodaß ein Nachweis der Notwendigkeit dieses Metalles für den Organismus schwierig ist. Zu große Mengen auch eines essentiellen Metallions sind giftig, da es nicht auf den vom Organismus vorbestimmten Wegen (in Form von Komplexen) transportiert werden kann und so durch Komplexbildung an anderen Stellen schadet.
14 Komplexverbindungen Komplexverbindungen sind bei den Übergangsmetallen von besonderer Bedeutung. Auch die Metallionen der Hauptgruppenelemente liegen in wäßriger Lösung als vergleichsweise schwächere Solvatkomplexe (Aquakomplexe) vor, z.B. hydratisierte Metallkationen wie [Ca(H 2 0) 6 ] 2 + oder [A1(H 2 0) 6 ] 3+ . Solche Solvatkomplexe (Solvate) entstehen beim Auflösen von salzartigen Verbindungen in Wasser oder polaren Lösungsmitteln. Die Solvatation der Ionen und damit die Löslichkeit des Salzes ist um so besser, je kleiner die geladenen Teilchen (Kationen und Anionen) und je höher ihre Ladungen sind. Die Solvatation salzartiger Stoffe ist in stark polaren Lösungsmitteln stärker ausgeprägt als in weniger polaren. Die Löslichkeit von Salzen ist in Wasser als einem besonders polaren Lösungsmittel meist am größten und nimmt gewöhnlich mit steigender Temperatur zu. In Wasser sind aber auch organische Verbindungen mit polaren Gruppen wie Zucker oder Proteine leicht löslich. Zwischen den Wassermolekülen und den Hydroxylgruppen der Zucker bilden sich Wasserstoffbrückenbindungen aus. An die protonierten Aminogruppen -NH 3 ® und die Carboxylgruppen - C O O ® der Proteine lagern sich Wassermoleküle an. Zucker und Proteine lösen sich so unter Hydratation in Wasser auf.
178
Β. Spezielle anorganische Chemie
Komplexionen oder Komplexverbindungen enthalten ein zentrales Atom (meistens ein Kation), an das ein oder mehrere Ionen oder Moleküle, die als Liganden bezeichnet werden, angelagert sind. Die Zahl der Liganden, die um das Zentralteilchen angeordnet sind, heißt Koordinationszahl. Die Bindung zwischen dem Zentralatom und den Liganden erfolgt durch semipolare (koordinative) Bindungen in der Art, daß ein Partner ein Elektronenpaar, der andere ein unbesetztes Orbital zur Verfügung stellt. Prinzipiell können alle Metallkationen Komplexe bilden. Die Neigung dazu ist bei den Übergangsmetallen besonders ausgeprägt, da diese nur teilweise gefüllte d- oder f-Orbitale enthalten. Als Liganden finden wir sowohl neutrale Moleküle mit einem freien Elektronenpaar (z.B. H 2 0 , NHS, NO) als auch Anionen (z.B. OH", F", CT, Γ , CN", SCN~) und in selteneren Fällen Kationen (z.B. NO + ). Manche Liganden, besonders organische, besitzen mehrere koordinationsfähige Atome und können dadurch mehrere Koordinationsstellen besetzen. Derartige Liganden heißen mehrzähnige Liganden, Komplexe mit mehrzähnigen Liganden Chelatkomplexe. Dabei werden 5- oder 6-gliedrige Ringe bevorzugt gebildet. Biologisch bedeutsame Chelatkomplexe sind Hämoglobin (Fe 2+ ), Cytochrome (Fe 2+ , Fe 3+ ), Cobalamin (Co 2+ ), Ferrioxidase I (Cu 2+ ), Alkolholdehydrogenase (Zn 2+ ). Ferrioxidase I wird auch als Caeruloplasmin bezeichnet. Beispiele für mehrzähnige Liganden sind:
HJN — t
t t Carbonat-Ion
CH—CH—NHJ t
H2N t
/-C
^N
G
^NHJ t
1,2 - D i a m i n o e t h a n ( E t h y l e n d i a m i n ) Biuret
ei 101
101 t l = C CH 2
.CH,
\
/ ιοι
(Θ
N—CH2/' .CH,
Ί2
T\
CH, C=0)
10) et
Anion der Ethylendiamintetraessigsäure (EDTA)
EDTA besitzt eine Reihe medizinischer Anwendungsmöglichkeiten; so setzt der Zusatz zu Blut wegen der Komplexbildung mit freien Ca2+-Ionen die Gerinnungsfähigkeit herab.
179
14. Komplexverbindungen
Die Pfeile bezeichnen die freien Elektronenpaare, die die Koordinationsstellen besetzen können. Die Benennung der Komplexverbindungen erfolgt nach folgenden Regeln: 1. An das positive Ion hängt man den Namen des negativen Ions an. 2. Das Anion erhält die endung -at, wobei man die Oxidationszahl des Zentralatoms als römische Ziffer anfügt. 3. Die Zahl der Liganden wird in Form eines griechischen Präfixes mit dem Namen des Liganden verbunden. 4. Anionische Liganden erhalten die Endung -o. 5. Enthält das komplexe Anion als Zentralteilchen ein Metallatom, benennt man dieses oft mit seinem abgekürzten lateinischen Namen. 6. Komplexe Anionen oder Kationen werden in eckige Klammern geschrieben. Einige Namen häufiger Liganden enthält die Tab. 14.1, einige Benennungsbeispiele von Komplexen Tab. 14.2. Tab. 14.1 Namen häufiger Liganden
H2O OH"
NH3 NO
cr CN" SCN"
AquaHydroxoAmminNitrosylChloroCyanoThiocyanato-
Tab. 14.2 Namen einiger Komplexverbindungen [A1(H 2 0) 6 ]C1 3 Na 3 [Al(OH) 6 ] [CU(NH 3 ) 4 ]S0 4 [Ag(NH 3 ) 2 ]Cl K 4 [Fe(CN) 6 ] K 3 [Fe(CN) 5 (NO)] K 2 [Hg(I 4 )]
Hexaaquaaluminiumchlorid Natriumhexahydroxoaluminat Tetraamminkupfer(II)-sulfat Diamminsilberchlorid Kaliumhexacyanoferrat(II) Kaliumpentacyanonitrosylferrat(II) Kaliumtetraiodomercurat(II)
Die Reaktivität der Komplexverbindungen ist sehr unterschiedlich. Manche Lösungen von Komplexen geben fast ausschließlich die Reaktionen des komplexen Ions. In Lösungen des komplexen Ions [Fe(CN)6]4" z.B. kann man mit den üblichen Fällungsreaktionen weder Fe 2+ - noch CN~-Ionen nachweisen. Dagegen lassen sich aus Lösungen des komplexen Ions [Ag(NH3)2]+ Ag + -Ionen als AgBr oder Agì ausfällen. In welchem Ausmaße in einer Lösung des Komplexes noch die einfachen Ionen vorhanden sind, richtet sich danach, wie vollständig die umkehrbaren Reaktionen, die zur Bildung der Komplex-
180
Β. Spezielle anorganische Chemie
ionen aus den Einzelionen bzw. dem Aquakomplex führen, nach der Seite Komplexbildung ablaufen: z.B.: [Fe(H 2 0) 6 ] 2 + + 6 CN" ?± [Fe(CN) 6 ] 4 " + 6 H 2 0 Wendet man das Massenwirkungsgesetz auf dieses Gleichgewicht an (die praktisch konstante Wasserkonzentration nimmt man mit in die Konstante), so erhält man die Konstante K K : K
_ C[Fc(CN)6]'c
Fe2+ ' CCN"
Die Konstante K K , die die Lage des Gleichgewichtes zwischen dem Aquakomplex und dem Komplex mit anderen Liganden angibt, heißt Komplexbildungskonstante oder Stabilitätskonstante des Komplexes. Je größer die Komplexbildungskonstante ist, desto stabiler ist der Komplex. Oft gibt man die negativen dekadischen Logarithmen der Stabilitätskonstanten, die ρ/^κ"Werte, an. Tab. 14.3 enthält die ρίί κ -Werte einiger Komplexe.
Tab. 14.3 pK K -Werte einiger Komplexe [Ag(NH 3 ) 2 ] + [CU(NH 3 ) 4 ] 2+ [Hgl 4 ] 2 [Al(OH) 4 ][Fe(CN) 6 ] 3 "
-
8 12 30 30 31
Der Kehrwert von KK heißt Zerfallskonstante
von
Komplexen.
Liganden an Komplexen können untereinander ausgetauscht werden. Physiologisch wichtig ist etwa der Austausch von Sauerstoff 0 2 in Oxyhämoglobin durch Kohlenstoffmonoxid CO (Giftwirkung). Strenggenommen sind alle Komplexreaktionen in H 2 0 Ligandenaustauschreaktionen, da alle Metallkationen in wässeriger Lösung hydratisiert sind. Komplexbildungsreaktionen sind biochemisch von großer Bedeutung, wie wir bereits bei der Besprechung der Übergangsmetalle gesehen haben. Die Liganden sind in diesem Fall biologische Moleküle wie z.B. Proteine. Auch die Wirkung von Calciumionen, denen man eine zentrale Rolle im Organismus zuschreiben kann, wird ebenso wie die der anderen Erdalkaliionen durch Komplexbildung vermittelt. Komplexbildungen unter Beteiligung von Metallionen sind aber nur Spezialfälle. Bei ähnlichen Reaktionen von organischen Verbindungen miteinander spricht man von der Bildung von Molekülkomplexen oder Assoziaten. Diese Reaktionen, die in lebenden Systemen ebenfalls entscheidende Bedeutung besitzen (z.B. für die Bindung von Molekülen an Enzyme), werden hauptsächlich von elektrostatischen und van der Waalschen Kräften vermittelt.
C. Spezielle organische Chemie
15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31. 32. 33.
Allgemeines zur organischen Chemie Gesättigte Kohlenwasserstoffe (Alkane) Alkene (Olefine) Alkine (Acetylenkohlenwasserstoffe) Cycloalkane Aromatische Kohlenwasserstoffe Halogenierte Kohlenwasserstoffe Alkohole Phenole und Chinone Ether Aldehyde und Ketone Carbonsäuren Amine Kohlensäurederivate Organische Schwefelverbindungen Kohlenhydrate Heterocyclen Lipide Energiereiche Bindungen
C. Spezielle organische Chemie 15 Allgemeines zur organischen Chemie 15.1 Sonderstellung der Chemie des Kohlenstoffs Ursprünglich trennte man die organische Chemie von der anorganischen, da man glaubte, daß sich die Materie lebender Organismen prinzipiell von der unbelebten Materie unterscheide. Diese Unterscheidung erwies sich als nicht stichhaltig. Heute definiert man die organische Chemie als die Chemie der Kohlenstoffverbindungen, wobei man einige einfache Kohlenstoffverbindungen wie Kohlenstoffoxide, Carbide und teilweise die Kohlensäurederivate ausnimmt und diese in der anorganischen Chemie behandelt. Die Abgrenzung der Chemie der Kohlenstoffverbindungen erwies sich als sehr zweckmäßig, da man schon mehr als zwei Millionen Kohlenstoffverbindungen kennt und da organische Verbindungen sich von anorganischen durch ein typisches Reaktionsverhalten unterscheiden. Die Sonderstellung der Chemie des Kohlenstoffs beruht auf dessen Fähigkeit, sich beliebig mit anderen C-Atomen zu Ketten, Ringen, Schichten oder dreidimensionalen Gebilden zu vereinigen, und auf seiner geringen Neigung zur Ionenbildung. Kettenförmige Verbindungen kennt man zwar auch bei Schwefel, Bor, Silicium oder Stickstoff, aber diese Bindungen sind deutlich schwächer als bei Kohlenstoff. Dazu kommt, daß die C—Η-Bindung noch etwas stärker ist als die C-C-Bindung und daß die Stabilität der C-C-Bindung meist wenig geschwächt wird, wenn die C-Atome an Stelle der H-Atome andere Partner binden.
15.2 Reaktionstypen in der organischen Chemie Bei den Reaktionen organischer Moleküle verändern sich meistens nur relativ kleine Bereiche des Moleküls, während der Rest des Moleküls nicht an der Reaktion teilnimmt. Je nach der Art der Veränderung unterscheidet man Substitutions-, Additions-, Eliminierungs- und Umlagerungsreaktionen. Den Austausch eines Atoms oder einer Atomgruppe gegen einen anderen Substituenten bezeichnet man als eine Substitution. Allgemein ist eine Substitution: I I --C-X + Y -> - C - Y + X I I Bei Additionsreaktionen lagert sich ein Molekül an ein anderes an, das eine Doppelbindung enthält:
C. Spezielle organische Chemie
184 A-B + ^
C=C -> - C - C ^ I I Α Β
Die umgekehrte Reaktion, die Abspaltung eines Moleküls unter Entstehung einer Doppelbindung, ist eine Eliminierung: M -C-CI I Α Β
/ C=C + A - B ^ V.
Bei Umlagerungsreaktionen tauschen zwei Substituenten ihre Plätze, oder ein Substituent wandert, wobei sich gleichzeitig eine Doppelbindung verschiebt: M -C-CI I A B
I I -C-CI I B A
oder
I I I . A = C - C - -* B - A - C = C I \ Β
Bei organischen Reaktionen unterscheiden wir zwischen dem angreifenden Reaktionspartner, dem Reagens, und dem angegriffenen, dem Substrat. Obwohl diese Unterscheidung prinzipiell willkürlich ist und nur unter dem Gesichtspunkt erfolgt, welches der reagierenden Moleküle uns in dem gegebenen Falle mehr interessiert, ist sie meist recht praktisch. Das Substrat ist gewöhnlich das größere organische Molekül. Nach der Art des Reagens teilen wir die organischen Reaktionen weiter in elektrophile, nucleophile und radikalische Reaktionen ein. Ein elektrophiles Reagens (Elektrophil, ein Reagens mit einem ElektronenmangelZentrum, z.B. ein Kation), greift an den Stellen hoher Elektronendichte des Substrates an. Ist das Elektrophil eine Kohlenstoffverbindung, so heißt das positive Zentrum Carbenium- (früher Carbonium)-Kohlenstoff:
Kohlenstoff mit einem Elektronensextett ist sehr reaktiv, da er bestrebt ist, ein Elektronenoktett (Edelgasschale) zu bekommen, und tritt daher nur als kurzlebige Zwischenstufe auf. Nucleophile Reagenzien (Nucleophile, Reagenzien mit einem Elektronenüberschuß-Zentrum, z.B. Anionen) reagieren bevorzugt mit den Stellen geringer Elektronendichte im Substrat. Der Kohlenstoff mit einem freien Elektronenpaar heißt Carbeniatkohlenstoff I θ
I θ
-C: oder -C| I I und ist ebenfalls sehr reaktiv. Er sucht für das freie Elektronenpaar einen Atomkern mit einer Elektronenlücke. Ein Reagens mit einem ungepaarten Elektron, ein freies Radikal, ist im allgemeinen besonders reaktionsfähig.
15. Allgemeines zur organischen Chemie
185
Kohlenstoffradikal : I
-οι
Die Bildung freier Radikale erfolgt durch hämolytische Spaltung einer kovalenten Bindung: A - B -»· Α · + Β • Erfolgt die Trennung einer kovalenten Bindung so, daß zwei entgegengesetzt geladene Ionen entstehen, bezeichnet man sie als heterolytische Trennung: A-B -
: A~ + B+
A-B
A+ + : fi-
oder
Die Richtung einer heterolytischen Trennung wird von der Elektronegativität der verbundenen Atome bestimmt. Organische Reaktionen charakterisiert man weiter, indem man angibt, ob sie unimolekular oder bimolekular ablaufen. Die Geschwindigkeit unimolekularer Reaktionen ist proportional der Konzentration eines Reaktionspartners, die Geschwindigkeit bimolekularer Reaktionen ist proportional dem Produkt der Konzentrationen beider Partner (vgl. Kap. 12.2). Zur kurzen Beschreibung des Reaktionsablaufes ist eine Symbolik üblich: Der erste Großbuchstabe gibt an, ob es sich um eine Substitution (S), eine Addition (A) oder eine Eliminierung (E) handelt. Umlagerungsreaktionen werden nicht gesondert bezeichnet. Ein tiefgestellter Index Ν (für nucleophil), E (für elektrophil) oder R (für radikalisch) kennzeichnet das angreifende Reagens. Nach dem Index erfolgt die Angabe der Reaktionsordnung durch eine arabische Ziffer. Beispielsweise bedeutet eine S N l-Reaktion eine unimolekulare Substitutionsreaktion, wobei das angreifende Reagens ein Nucleophil ist. Diese Kurzbeschreibung liefert uns den vereinfachten Mechanismus der Reaktion. Der Mechanismus ist an sich das genaue Verhalten aller an der Reaktion beteiligten Atome. Man müßte die Abstände aller Atome, ihre Bindungen und ihre Elektronen während der Reaktion verfolgen können, was natürlich nicht möglich ist. Man muß sich in der Praxis mit der Kenntnis von Zwischenstufen und der Abschätzung der Struktur des Übergangszustandes zufrieden geben (Abb. 12.3.1 u. 12.3.2). Aber auch Informationen über reaktive Zwischenstufen sind nicht leicht zu erhalten. Voraussetzung ist die genaue Kenntnis aller Ausgangsstoffe und Produkte. Die Bestimmung des Zeitgesetzes und damit der Reaktionsordnung kann ein Hinweis auf einen möglichen Mechanismus sein. Der mögliche Mechanismus muß nun durch Beobachtung der Katalyse (besonders, ob die Reaktion sauer oder basisch katalysiert ist) und durch chemischen oder physikalischen Nachweis von Zwischenstufen wahrscheinlich gemacht werden. Auch Untersuchungen mit radioaktiven Isotopen können wichtige Hinweise liefern („Isotopenmarkierung").
186
C. Spezielle organische Chemie
15.3 Einteilung organischer Verbindungen Die organischen Verbindungen ordnet man gewöhnlich nach der Art des Kohlenstoffgerüstes in Gruppen: Verbindungen aromatische / isocyclische
\
nichtaromatische heteroaromatische
/ aliphatische
oder
\ cyclische y
carbocyclische
alicyclische
\ mit Heteroatomen
Aliphatische und alicyclische Verbindungen enthalten Kohlenstoffketten oder ausschließlich C-Atome enthaltende Ringe, deren C-Atome durch Einfach- oder Mehrfachbindungen verbunden sind. Aromatische Verbindungen sind Ringe mit polyzentrischen Molekülorbitalen. Sie zeichnen sich durch ein besonderes Reaktionsverhalten aus. Heterocyclische Verbindungen (Heteroaromaten und cyclische Verbindungen mit Heteroatomen) enthalten im Unterschied zu den anderen cyclischen Verbindungen auch andere Atome außer Kohlenstoff als Ringglieder (meist Ν, O oder S). Zusätzlich zu dieser Einteilung unterscheidet man organische Verbindungen nach den vorhandenen funktionellen Gruppen. Funktionelle Gruppen sind bestimmte Atomgruppierungen im Molekül, die das reaktive Verhalten entscheidend prägen.
16 Gesättigte Kohlenwasserstoffe (Alkane) 16.1 Struktur und Nomenklatur Alkane sind die einfachsten Kohlenstoffverbindungen, die außer Kohlenstoff nur noch Wasserstoff enthalten. Sie leiten sich vom Methan (CH 4 ) durch Einfügen von CH 2 -Gruppen zwischen Kohlenstoff und Wasserstoff ab. Für die ersten drei Alkane erhalten wir so: H I H-C-H I H Methan
H H II H-C-C-H II H H
H H H I I I H-C-C-C-H I I I H H H
Ethan
Propan
187
16. Gesättigte Kohlenwasserstoffe (Alkane)
An Stelle der ausführlichen Strukturformeln verwendet man meist Halbstrukturformeln, in denen man nur das Kohlenstoffgerüst und die funktionellen Gruppen durch Strukturformeln wiedergibt. Für die obigen Verbindungen schreibt man also: CH4
CH3-CH3
CH 3 -CH 2 -CH 3
Methan
Ethan
Propan
Da jedes Kohlenstoffatom zwei Η-Atome bindet und die beiden endständigen drei, ist die allgemeine Summenformel der Alkane C n H 2n+2 . Verbindungen, die sich nur durch CH2-Gruppen unterscheiden, bezeichnet man als Homologe.
Die chemischen Eigenschaften von Homologen sind wenig unterschiedlich. Die physikalischen Eigenschaften (insbesondere Schmelzpunkt und Siedepunkt) ändern sich wegen eines Mehrgehaltes von CH2-Gruppen regelmäßig. Von den höheren Homologen des Propans existieren Strukturisomere (Gerüstisomere), deren Anzahl mit der Zahl der Kohlenstoffatome sehr rasch ansteigt. So gibt es zwei strukturisomere Alkane mit vier Kohlenstoffatomen. Den Kohlenwasserstoff mit unverzweigter C-Kette bezeichnet man als normal-Butan.
CH3—CHj—CH2—CH3
CH3 I CH3—CH—CH3
n-Butan
2-Methylpropan (Isobutan)
Entsprechend gibt es drei strukturisomere Pentane und fünf strukturisomere Hexane. Bei zehn C-Atomen sind es bereits fünfundsiebzig Isomere und bei zwanzig C-Atomen 366319. Die Namen, Halbstrukturformeln, Schmelzpunkte und Siedepunkte der normalen (unverzweigten) Alkane mit bis zu zehn C-Atomen sind in Tab. 16.1.1 enthalten. Tab. 16.1.1 Siedepunkte und Schmelzpunkte der unverzweigten Alkane Name
Halb Strukturformel
Schmelzpunkt °C
Siedepunkt °C
Methan
CH 4 CH3-CH3 CH 3 -CH 2 —CH 3 CH3-CH2-CH2-CH3 CH3-CH2-CH2-CH2-CH3
-183 -172 -187 -135 -131 - 94 - 91 - 57 - 54 - 30
-162 - 88 - 42 0,5 36 69 99 126 151 174
Ethan Propan Butan Pentan Hexan Heptan Octan Nonan Decan
CH3-(CH2)4-CH3 CH3-(CH2)S-CH3 CH3-(CH2)6-CH3 CH3-(CH2)7-CH3 CH3-(CH2)8-CH3
188
C. Spezielle organische Chemie
Heute benennt man Alkane fast ausnahmslos nach dem IUPAC-Nomenklatur-System. Die ersten Regeln wurden auf einer Tagung der IUPAC (International Union of Pure and Applied Chemistry) 1892 in Genf vorgeschlagen. Für die Benennung gelten folgende Regeln: 1. Man sucht die längste unverzweigte Kohlenstoffkette und gibt ihr den Namen des entsprechenden Alkans, d.h. die Abkürzung eines lateinischen oder griechischen Zahlwortes mit der Endung -an. Sind mehrere gleichlange Ketten vorhanden, wählt man diejenige, die die meisten Verzweigungen hat. 2. Die Kohlenstoffatome dieser Kette numeriert man, an einem Ende beginnend, so, daß die erste Verzweigungsstelle eine möglichst kleine Ziffer erhält. 3. Die von den Verzweigungsstellen ausgehenden Seitenketten faßt man als Substituenten auf und benennt sie mit dem Namen des Alkans gleicher Kohlenstoffanzahl, wobei die Endung -an des Alkans durch die Endung -yl ersetzt wird. Vor jedem Substituenten nennt man die Nummer des Atoms, an das er gebunden ist. Die Substituenten werden in alphabetischer Reihenfolge (ohne Berücksichtigung der Zahlworte) vor den Namen der Hauptkette gesetzt. Sind mehrere gleiche Substituenten vorhanden, so verwendet man griechische Zahlworte und trennt die Nummern der C-Atome durch Komma. Zwischen den Zahlen und den Substituenten schreibt man Bindestriche. Zum Beispiel wäre das folgende Alkan nach der IUPAC-Nomenklatur als 6-Ethyl-2,2,4trimethyl-4-propyl-octan zu bezeichnen. ch3 ch3 a 7 6 5 Θ h^SH Bromoniuin-lon
195
17. Alkene (Olefine)
Im abschließenden Reaktionsschritt lagert sich das Bromidion an das Carbeniumion von der anderen Seite, von „rückwärts", an, da das Bromatom infolge seiner großen Raumerfüllung eine Annäherung von der gleichen Seite nicht zuläßt: H
•
\
H
—Br L c*\»
\
— Br-
Η
I
—Br \
Die Reaktion von Alkenen mit Ozon dient vor allem dazu, die Lage der Doppelbindung in ungesättigten Verbindungen festzustellen. Die Ozonaddition verläuft über mehrere Schritte und ist als Cycloaddition zu klassifizieren. Sie wird durch einen elektrophilen Angriff des Ozon eingeleitet. Mesomere Strukturen des Ozon:
^^—erN
eCc/Nf
—
1,2-Dipol
1.3-Dipol
Elektrophiler Angriff an ein Alken (hier Propen):
CH H '>/ Λ
Î !
ν +
y
V >
Γ H 5 C-C—O ι H-C-O^
— -
H Da dieses Zwischenprodukt (Isoozonid) eine schwache O—O-Bindung enthält, reagiert es leicht weiter, indem eine dieser Bindungen aufbricht: H H ι I β CH)—C—0. CH—c—δ I ">' — I " θ H—C—Q H—C — Ö— öl I I H H Ein Sauerstoff mit einem Elektronensextett ist äußerst elektronenaffin. Er nimmt das bindende Elektronenpaar der C-C-Bindung auf: H uC_]_ö® "YV > Y Κ _ _θ — ^ Η—C—0—Ql I Η
"A
\®
_Θ
ρ—Q' / Η
» +
\Θ
/
_
_Θ
c—o—QI
Η
Die beiden Bruchstücke reagieren miteinander zum Ozonid:
196
C. Spezielle organische Chemie
t
/se-
—-
er
Br~> CI" > F" Halogenalkane werden als Lösungsmittel und als Kältemittel in Kühlschränken verwendet. Chlorethan dient zur örtlichen Betäubung (Vereisung) bei kleineren Operationen (Lokalanästhesie). Chloroform (CHC13) war früher als Narkosemittel in Gebrauch und wird heute als Lösungsmittel viel verwendet. 21.1.3 Grignard-Verbindungen Erwärmt man Halogenalkane mit Magnesiumspänen, so bilden sich die GrignardVerbindungen, in denen die Alkylgruppe direkt mit dem Magnesium verbunden ist, z.B. : CH3 - ε π ί -CH 2 - B r + Mg -> CH3 -OBJ - ( Ή -MgBr Grignard-Verbindung
Die Grignard-Verbindungen lösen sich in Ether. Da ihre C-Mg-Bindung stark polarisiert ist, wobei das C-Atom eine negative Teilladung erhält, reagieren die GrignardVerbindungen als starke Nucleophile. Mit acidem Wasserstoff ergeben Grignard-Verbindungen Alkane: H-OH + R-MgX
R - H + Mg2+ + X" + OH"
Grignard-Verbindungen lagern sich leicht an polare Mehrfachbindungen wie > C = 0 , > C = N - und - C = N an, beispielsweise an Kohlendioxid: OMgX g* g- g" J 0 = C = 0 + R-MgX -> 0=C—R Dieses Zwischenprodukt isoliert man meist nicht, sondern man erhält mit Wasser oder verdünnten Säuren direkt die Carbonsäure: (j)MgX
· 0=C—R + Mg2+ + X"+ OH"
21.2 Aromatische Halogenverbindungen Verbindungen, in denen das Halogenatom direkt an den aromatischen Kern gebunden ist, geben nicht die bei Halogenalkanen üblichen nucleophilen Substitutionsreaktionen, da die Bindung des Halogens zum C-Atom durch Mesomerie verstärkt ist, wie die folgenden Grenzstrukturen zeigen:
218
C. Spezielle organische C h e m i e
Die Bildung von Grignard-Verbindungen, die genau wie die entsprechenden Alkylmagnesiumhalogenide reagieren, ist dagegen leicht möglich: MgBr
ö
•
Ö
Mg
Brombenzol
Phenylmagnesiumbromid
Die Reaktivität von Halogen, das an das dem aromatischen Ring benachbarte C-Atom gebunden ist, ist viel höher als bei Halogenalkanen. Benzylchlorid hydrolisiert sehr leicht zu Benzylakohol, Benzalchlorid zu Benzaldehyd und Benzotrichlorid zu Benzoesäure: CHjCI
O
CHjOH
Ä
o
+ HCl
Benzylalkohol HC=0
O
Ä
o
+ 2 HCl
Benzaldehyd
COOH
2jfi
;oj [o Benzotrichlorid
+ 3 HCl
Benzoesäure
Die nucleophile Substitution bei Benzylhalogeniden verläuft nach einem S N 1-Mechanismus (Substitution, nucleophil, unimolekular). Die Reaktionsgeschwindigkeit hängt nur von der Konzentration der Halogenverbindung ab. Da das nach der Trennung der Kohlenstoff-Halogen-Bindung entstehende Kation durch Delokalisation der positiven
219
22. A l k o h o l e
Ladung stabilisiert ist, bildet sich das Carbeniumion leicht, d.h. die Reaktivität des Halogens ist in der sog. α-Stellung zum Kern erhöht. Im ersten Schritt bildet sich das Carbeniumion: ® CH,
DJ
- ( O l · ·
Benzylchlorid
Das Carbeniumion ist stabilisiert: CH,
CH,
Κ
CH,
CH,
II
Im abschließenden Reaktionsschritt reagiert das Carbeniumion mit dem Nucleophil, z.B. dem Hydroxidion: CHî-OH
©CH,
OH"
Ö Benzylalkohol
22 Alkohole 22.1 Struktur und Benennung Alkohole leiten sich von den Alkanen durch Ersatz eines oder mehrerer nicht am gleichen C-Atom stehender Wasserstoffatome durch Hydroxylgruppen ab. Nach der IUPACNomenklatur benennt man Alkohole nach folgenden Regeln: 1. Die Endung -ol bezeichnet die Alkoholgruppe. 2. Den Alkylrest benennt man nach den für die Alkane geltenden Regeln, wobei die längste Kohlenstoffkette, die die Hydroxylgruppe trägt, die Hauptkette festlegt.
220
C. Spezielle organische Chemie
Bei einfachen Alkoholen hängt man oft die Bezeichnung Alkohol an den Namen der Alkylgruppe, z.B. Ethylalkohol. Die Namen, die Schmelz- und Siedepunkte einiger Alkohole sind in der Tab. 22.1.1 enthalten. Tab. 22.1.1 Namen, Schmelz-und Siedepunkte einiger Alkohole Formel
Name
Schmelzpunkt °C
Siedepunkt °C
CH3-OH
Methanol
-
65
CH3-CH2-OH
Ethanol
-117
78
CH3-CH2-CH2-OH
Propanol
-126
97
CH3-CH-CH3
Propan-2-ol
-
90
82
CH3-(CH2)2-CH2-OH
Butan-l-ol (n-Butanol)
-
90
118
CH3-CH2-CH-CH3
Butan-2-ol (sec-Butanol)
-114
100
2-Methylpropanol (Isobutanol)
-108
108
26
83
94
OH
OH CH3-CH-CH2-OH CH 3 CH 3 CH3-C-OH
I
CH 3
2-Methylpropan-2-ol (tert-Butanol)
Bei Alkoholen unterscheidet man drei Typen: primäre, sekundäre und tertiäre Alkohole, je nachdem, ob sich die alkoholische Hydroxylgruppe an einem primären, sekundären oder tertiären Kohlenstoffatom befindet. Alkohole bezeichnet man auch nach der Anzahl der Hydroxylgruppen im Molekül als einwertige, zweiwertige, dreiwertige und mehrwertige, wobei sich die Hydroxylgruppen an verschiedenen C-Atomen befinden müssen.
22.2 Physikalische Eigenschaften Die Hydroxylgruppe ist wie die OH-Gruppe des Wassers sehr stark polarisiert und zur Wasserstoffbrückenbindung fähig. Alkohole, die kleine Alkylreste oder mehrere Hydroxylgruppen enthalten, sind deshalb leicht wasserlöslich und lösen selbst polare Substanzen. Alkohole mit längeren Kohlenwasserstoffresten verhalten sich ähnlich wie Kohlenwasserstoffe. Die Wirkung des lipophilen Molekülanteiles überwiegt.
22. Alkohole
221
Infolge der Wasserstoffbrückenbindung schmelzen und sieden Alkohole höher als Alkane.
22.3 Chemische Eigenschaften Die Reaktivität der Alkohole ist durch ihre funktionelle Gruppe, die Hydroxylgruppe, bestimmt. Die Hydroxylgruppe fungiert als schwache Säure und Base. Sie kann substituiert, eliminiert und oxidiert werden.
22.3.1 Säure- und Basenreaktionen der Alkohole Alkohole wirken als Basen und als Säuren, wobei die Acidität geringer und die Basizität etwa gleich ist wie die des Wassers. Mit starken Mineralsäuren bilden sich Alkyloxoniumionen: _ — R — Ο - H + M í O® *
R - O - H + Hj 0
H Alkyloxoniumion
In konzentrierten Mineralsäuren sind Alkohole deshalb löslich. Mit Alkalimetallen reagieren wasserfreie Alkohole unter Wasserstoffentwicklung zu Alkoholaten: 2 R — Ο — H + 2 N a -»· 2 N a ® + 2 R - Ö |
9
+
H2
Alkoholat
Das Alkoholation ist eine starke Base.
22.4 Nucleophile Substitutionen Die nucleophilen Substitutionsreaktionen der Hydroxylgruppe verlaufen nur im stark sauren Bereich genügend rasch. Im stark sauren Milieu bildet sich ein Alkyloxoniumion, in welchem die O-C-Bindung geschwächt ist, da die positive Ladung am Sauerstoffatom seine Elektronegativität noch steigert. φ R - O - H + H30+ 3
2
R-O-H +
I Η
H
2
0
Oxoniumion
Das Oxoniumion reagiert mit dem Säureanion der starken Säure in einer S N 2-Reaktion: Φ X
e
+ R-O-H
_ Ζ
X-R +
|0—Η
222
C. Spezielle organische Chemie
Bei dieser Reaktion verdrängt das Säureanion ein Wassermolekül, das weit weniger nucleophil ist als ein Hydroxidion. Die Reaktionsgleichung der Gesamtreaktion
R - O H + HX 2 X - R + H 2 0 Alkohol gilt auch für die Esterbildung mit schwachen Säuren (z.B. Carbonsäuren), die jedoch nach einem anderen Mechanismus verläuft. Diesen besprechen wir in Abschn. 26.3. Nach dem oben besprochenen Mechanismus entstehen die Ester starker Säuren. Besonders wichtig sind die Ester der Phosphorsäure, Schwefelsäure, Salpetersäure und der Halogenwasserstoffsäuren. Arbeitet man mit einem Überschuß an Alkohol, z.B. mit Ethanol, so substituiert ein Alkoholmolekül das Oxoniumion. Als Reaktionsprodukt entsteht über ein Dialkyloxoniumion Diethylether:
Η3 ΐ φ/ »C^-Ol
H3C-CH2-OI I Η
/ \ Η Η
CH, ©I 3
\ Η
2
,
| χ
2
ΗΗ Η
Diethylalkoxonium
Das Dialkyloxoniumion spaltet ein H + -Ion ab und ergibt Diethylether: CH3-CH2-ÏÏ-CH2-CH3 Diethylether
H3C-CH2-Ö-CH2-CH3 +
H+
Η
Die Gleichung der Gesamtreaktion ist: C H 3 - C H 2 - O H + C H 3 - C H 2 - O H £ C H 3 - C H 2 - Q - C H 2 - C H 3 + H2O Die Etherbildung gelingt mit dieser Reaktion allerdings nur mit primären Alkoholen bis zu vier Kohlenstoffatomen. Tertiäre Alkohole bilden unter Wasserabspaltung das entsprechende Alken.
22.5 Wasserabspaltung aus Alkoholen Aus primären Alkoholen bildet sich bei Temperaturen über 180 °C (bei sekundären und tertiären Alkoholen dagegen bereits bei tieferen Temperaturen) aus dem Oxoniumion durch Eliminierung von Wasser ein Carbeniumion: ®
Φ
R - C H 2 - C H 2 - Ö - H -»· R - C H 2 - C H 2 + |Ö-H Η
Η
223
22. A l k o h o l e
Aus dem Carbeniumion entsteht durch Protonenabgabe ein Alken: β R-CH2-CH2 R-CH=CH 2 + f f Die Gesamtreaktion der Alkenbildung aus Alkoholen verläuft nach der Gleichung: R-CH2-CH2-OH ^ R - C H = C H 2 + H20 Die Reihung abnehmender Reaktivität von den tertiären über die sekundären zu den primären Alkoholen zeigt, daß sich tertiäre Carbeniumionen am leichtesten bilden und primäre am schwersten (vgl. Abschn. 17.2). Denn die Bildung der Carbeniumionen aus den Oxoniumionen ist der langsamste und deshalb der geschwindigkeitsbestimmende Reaktionsschritt.
22.6 Oxidation von Alkoholen Alkohole können mit Luft oder Sauerstoff bei hoher Temperatur zu C 0 2 und H 2 0 oxidiert werden. Auch starke Oxidationsmittel wie K 2 Cr 2 0 7 und K M n 0 4 in Lösung oxidieren Alkohole je nach Typ (primär, sekundär oder tertiär) zu unterschiedlichen Produkten. Primäre Alkohole werden zu Aldehyden oxidiert, diese sehr leicht zu Carbonsäuren weiter oxidiert: R_CH2-OH
Ä
prim. Alkohol
-
/ \ H
Aldehyd
Ä
-
/ \ OH
Carbonsäure
Bei sekundären Alkoholen ist die Oxidation nur bis zur Stufe der Ketone möglich: Οχ R-CH-OH ^ I R sek. Alkohol
O II R-C-R Keton
Tertiäre Alkohole reagieren unter vergleichbaren Bedingungen nicht mit den erwähnten Oxidationsmitteln. Die unterschiedliche Reaktionsweise der primären, sekundären und tertiären Alkohole bei Oxidation kann zu ihrer analytischen Unterscheidung eingesetzt werden. Die vollständigen Oxidationsgleichungen für die obigen Reaktionen können ähnlich wie in der anorganischen Chemie mit Hilfe der Änderung der Oxidationszahlen gefunden werden. Bei den organischen Partnern betrachtet man zweckmäßigerweise nur die Oxidationszahl des C-Atoms der funktionellen Gruppe.
224
C. Spezielle organische Chemie
Zum Beispiel findet man nach den Regeln der Bestimmung der Oxidationszahl (Kap. 10.2) für das C-Atom einer primären Alkohol-Gruppe die Oxidationszahl - 1 und für das der Aldehydgruppe +1. Die Teilgleichung der Oxidation des Alkohols ist: ,0 R—CH —OH + 2HjO — R—C^
+ 2e"+ 2^0*
Η und die Teilgleichung der Reduktion des Oxidationsmittels, etwa des Dichromations: Cr 2 0?" + 6 e " + 1 4 H 3 0 + ->· 2 C r 3 + + 2 1 H 2 0 Zur Bildung der Gesamtgleichung müssen wir die Gleichung des Elektronen abgebenden Systems mit drei multiplizieren, beide Teilgleichungen addieren und erhalten: 0 3R—CH—OH + Cr,0'-+ 8H,0+ — 2Cr*+ 3R—C^ + 15Ha0 Η Diese Reaktion dient zum Nachweis des Alkohols in der Atemluft. Die Reaktion kann anhand der Farbe verfolgt werden, da das Dichromation gelborange, das Chrom ( l i c ión jedoch grün gefärbt ist.
22.7 Einzelne Alkohole Der einfachste Alkohol, Methanol, dient vor allem als billiges Lösungsmittel und zur Herstellung von Kunststoffen. Er ist giftig, und sein Genuß führt zur Erblindung. Die letale Dosis ist 25 g. Die Bedeutung des Ethanol beruht besonders auf seiner Verwendung zu Genußzwekken. Trinkalkohol stellt man fast ausschließlich durch Vergärung von Monosacchariden unter der Einwirkung von Enzymen der Hefe dar. Nach der Bruttogleichung: C 6 H i 2 0 6 E n z y m e > 2 CH3—CH2—OH + 2 C0 2 entstehen aus dem Zucker C 6 H 1 2 0 6 Ethanol und Kohlendioxid. Glycol H 2 C—CH 2 ist der einfachste zweiwertige Alkohol. HO
OH
Es ist leicht wasserlöslich (Verwendung als Frostschutzmittel) und schmeckt süß. Auch Glycerin H2C—CH—CH2, ein dreiwertiger Alkohol, ist leicht wasserlöslich HO OH OH und schwach hygroskopisch.
225
23. Phenole und Chinone
Glycerin ist als Baustein in Fetten und Ölen enthalten, die Ester höherer Fettsäuren mit Glycerin sind. Die pharmazeutische Industrie verwendet große Mengen Glycerin zur Herstellung nicht austrocknender Salben und Kosmetika.
23 Phenole und Chinone 23.1 Phenole Die den Alkoholen analogen aromatischen Verbindungen, deren Hydroxylgruppe direkt am aromatischen Kern gebunden ist, heißen Phenole. Wie bei den Alkoholen unterscheidet man Phenole nach der Zahl der Hydroxylgruppen und bezeichnet sie als einwertige bzw. mehrwertige Phenole. Formeln und Namen der wichtigsten Phenole enthält die Tab. 23.1.1. Tab. 23.1.1 Namen und Formeln der wichtigsten Phenole (Trivialnamen in Klammer) CH, OH
OH OjN
.NO; 'OH NO,
Phenol OH
1,2-Dihydroxybenzol o-Dihydroxybenzol (Brenzcatechin) OH
2, 4, 6 - Trinitrophenol (Pikrinsäure) OH
1,3-Dihydroxybenzol m-Dihydroxybenzol (Resorcin) OH
2-lsopropyl-5-methyl-phenol (Thymol) OH
OH 1,4-Dihydroxybenzol p-Dihydroxybenzol (Hydrochinon) OH
OH 1, 2, 3-Trihydroxybenzol vic-Trihydroxybenzol (Pyrogallol)
1 , 3 , 5-Trihydroxybenzol sym-Trihydroxybenzol (Phloroglucin)
1 , 3 , 4-Trihydroxybenzol asym-Trihydroxybenzol (Hydroxyhydrochinon)
226
C. Spezielle organische Chemie
Die chemischen Eigenschaften der Phenole unterscheiden sich von denen der Alkohole auf Grund der Auswirkungen des aromatischen Kernes auf die Reaktivität der Hydroxylgruppe. Phenole sind stärkere Säuren als Alkohole, da das nach Abgabe eines Protons entstehenden Phenolation mesomeriestabilisiert ist: IÖH
Mesomerie des Phenolations: ιδι®
όPhenolationen sind deshalb schwächere Basen als Alkoholationen und deshalb im Gegensatz zu diesen in wäßriger Lösung beständig. Phenole lösen sich in starken wäßrigen Laugen unter Bildung des Phenolations. Stark elektronenanziehende Gruppen als Substituenten am aromatischen Kern, beispielsweise Nitrogruppen, verstärken die Acidität der Hydroxylgruppe noch weiter. So ist Trinitrophenol (Pikrinsäure) eine starke Säure. OH
Pikrinsäure
Nicht nur beim Phenolation, sondern auch bei Phenol selbst ist ein nicht bindendes Elektronenpaar des Sauerstoffatoms an der Bildung eines polyzentrischen Molekülorbitals mit dem aromatischen System beteiligt. Die Mesomerie ist allerdings nicht so ausgeprägt wie beim Phenolation. Durch die Mesomerie ist einerseits eine nucleophile Substitution der Hydroxylgruppe ebenso wie eine Substitution von direkt am aromatischen Kern gebundenem Halogen sehr erschwert und andererseits die elektrophilen Substitutionsreak-
23. Phenole und Chinone
227
tionen (Halogenierung, Nitrierung, Sulfonierung) bei Phenol verglichen mit Benzol sehr erleichtert. So reagiert eine Phenollösung mit Bromwasser unter Substitution von drei H-Atomen:
+ 3HBr
+ 3Br,
1,2- und 1,4-Dihydroxybenzole sind sehr leicht zu Chinonen oxidierbar. Besonders im Alkalischen wirken sie als Reduktionsmittel:
+ 2 OH"
1,4 - Oihydroxybenzol (Hydrochinon)
2H,0 • 2e~
ρ - Chinon
OH OH + 20H1.2 - Oihydroxybenzol (Brenzca techin)
+ 2H,0 +2e" o-Chinon
Das dreiwertige Phenol Pyrogallol kann in starker Kaliumhydroxidlösung zur Entfernung von molekularem Sauerstoff aus Gasgemischen verwendet werden.
23.2 Chinone Chinone sind keine Aromaten, sie enthalten das chinoide System mit zwei Carbonylgruppen ( > C = 0 - G r u p p e n ) in cyclischer Konjugation. Chinone sind gegen Oxidationsmittel recht stabil. Durch Reduktion erhält man aus ihnen, in Umkehrung der oben besprochenen Reaktion, Dihydroxybenzole. Bei der Reduktion des p-Chinons kann man eine Zwischenstufe, eine Additionsverbindung aus einem Molekül Hydrochinon und einem Molekül Chinon, das sog. Chinhydron, erhalten. Da Chinhydron schwerlöslich ist und sich in wäßriger Lösung wie ein Gemisch aus gleichen Konzentrationen von Chinon und Hydrochinon verhält, die miteinander im Redoxgleichgewicht stehen, ist das
228
C. Spezielle organische Chemie
Potential einer gesättigten Chinhydronlösung nur vom pH-Wert der Lösung abhängig. Eine Platinelektrode, die in die gesättigte Chinhydronlösung eintaucht, kann also zur Messung des pH-Wertes verwendet werden. Nach der Nernstschen Gleichung (vgl. Abschn. 10.7) gilt: κ» -L. E/τ = Er H °'
059
ιlg c °*
z
C
Red
Die Oxidationsgleichung des Hydrochinons zum Chinon ist: OH
0 +2H 3 0 + + 2e"
+ 2H 2 0
OH
0
Hydrochinon
ρ-Chinon
z, die Anzahl der übergehenden Elektronen, ist 2. E = E° +
. lg Z
Cchinon
'
^Hydrochinon
In der gesättigten Chinhydronlösung gilt cChinon =
cHydr0chinon,
deshalb
^ ^ 0,059 , , E = + lg c l o . Tab. 23.2.1 Reihung einiger Hydrochinon-Chinon-Redoxpaare in der Reihenfolge abnehmender reduzierender Wirkung (R = Alkylrest)
OH — CH,
OH OH
OH
24. Ether
229
Die oxidierende Wirkung substituierter Chinone ist geringer, wenn die Substituenten Elektronendonatoren sind, da Chinon bei seinem Übergang in Hydrochinon Elektronen aufnimmt. Umgekehrt ist das Reduktionsvermögen von Hydrochinonen, die mit elektronenabgebenden Gruppen substituiert sind, stärker als das des Hydrochinons selbst. Das Redoxpotential (die Tendenz eines Redoxpaares zur Elektronenabgabe) ist also bei mit elektronenspendenden Gruppen substituierten Hydrochinon-Chinon-Redoxpaaren größer als beim unsubstituierten. Die Tab. 23.2.1 enthält einige wichtige HydrochinonChinon Redoxpaare (angeführt ist die reduzierte Form) in der Reihenfolge ihrer Stellung in der Spannungsreihe (vgl. 10.4). Redoxsysteme substituierter Chinone kommen auch in biologischen Systemen vor. Ubichinon ist ein Bestandteil der Atmungskette. 0 II CH3-CK / C
CH,
\\
χII CH— ^ " C ^ X (CH—CH = II \ 0 Ubichinoti (Coenzym Q)
C—CH,)/1 —H °
Physiologisch ist die Kopplung der Reaktion mit einer pH-Änderung(OH~ bzw. H 3 0 + in der Reaktionsgleichung!) wichtig. Die aus 10 Isopreneinheiten (s. Kap. 17.3) bestehende Kette am Chinonsystem bewirkt eine hohe Fettlöslichkeit des Coenzym Q, sodaß sich dieses Molekül innerhalb einer biologischen Membran bewegen kann, die aus einer Lipiddoppelschicht besteht (s. Kap. 32). Ein 1,4-Naphthachinon ist in den Substanzen der Vitamin-K-Gruppe enthalten: o CH3 R
24 Ether
°
Formal leiten sich Ether vom Wasser ab, in dem beide Wasserstoffatome durch Kohlenwasserstoffreste ersetzt sind: H R X
/ H
o
Wasser
R
/
Ether
Ether benennt man durch Voraussetzen der Namen der beiden Alkylgruppen vor den Namen -ether. Je nach den beiden Alkylresten gibt es „symmetrische" oder „unsymmetrische" Ether.
C. Spezielle organische Chemie
230
Beispiele: CH3-O-CH3 CH3-CH2-O-CH2-CH3 Dimethylether Diethylether CH3-CH2-O-CH2-CH2-CH3 Ethylpropylether Die Gruppe R - O - als Substituent heißt Alkoxy-Gruppe. Zwischen Ethermolekülen bestehen keine Wasserstoffbrückenbindungen, da sie kein Wasserstoffatom am Sauerstoff tragen. Ether sieden daher viel tiefer als Alkohole ähnlicher Molekülmasse. Einige Ether haben Bedeutung als Lösungsmittel für unpolare Substanzen. Die Reaktivität der Ether ist nicht sehr groß. Mit starken Säuren ergeben sie wasserlösliche Dialkyloxoniumsalze, beispielsweise CH—CH, Ö + HCl / CH—CH,
CH—CH,
/
— Η cr
CH,—CH, Diethyloxoniumchlorid
Nur ein Iodidion ist hinreichend nucleophil, um aus einem Dialkyloxoniumsalz einen Alkohol zu verdrängen (SN 2). Beim Erhitzen von Ethern mit Iodwasserstoffsäure erhält man ein Iodalkan und einen Alkohol: CH,—CH, CH—CH, Η V > I" — CH,—CH,—I + CH—CH—OH CH—CH,
lodethan
CH—CH,
Ethanol
Der wichtigste Ether ist Diethylether, der noch als Narkosemittel verwendet wird. Die Dämpfe des leicht flüchtigen Diethylethers (Kp. 35 °C) sind leicht entzündlich und bilden mit Luft explosive Gemische. Beim Stehen an der Luft bildet Diethylether in kleinen Mengen Peroxide, die sich explosionsartig zersetzen können. Einige cyclische Ether, besonders Tetrahydropyran, Dioxan und Tetrahydrofuran, dienen als Lösungsmittel. H,C I
"CH, I .CH, H,C
Tetrahydropyran
H,C I Oioxan
XH, I
H,C—CH, 7 \ H,C CH, X 0 Tetrahydrofuran
231
25. Aldehyde und Ketone
25 Aldehyde und Ketone 25.1 Struktur und Benennung Aldehyde und Ketone enthalten als funktionelle Gruppe die Carbonylgruppe > C = O In der > C = O -Gruppierung sind der Kohlenstoff und der Sauerstoff genau wie die CAtome des Ethens über eine σ- und eine π-Bindung verbunden. Infolge der hohen Elektronegativität des Sauerstoffatoms und der leichten Polarisierbarkeit der π-Bindung ist die C=0-Doppelbindung stark polar. Aldehyde unterscheiden sich von Ketonen dadurch, daß am Carbonylkohlenstoffatom ein Wasserstoffatom gebunden ist, während die Carbonylgruppe der Ketone zwei weitere C-Atome trägt. Η Rx > - ° R Aldehyde
R
/c"°
Ketone
Nach der IUPAC-Nomenklatur benennt man Aldehyde durch Anhängen der Endung -al und Ketone durch Anhängen der Endung -on an den Namen des Stammkohlenwasserstoffes. Muß man den doppelt gebundenen Sauerstoff als Substituenten benennen, bezeichnet man ihn mit der Vorsilbe Oxo-. Häufig sind auch Trivialnamen in Gebrauch: In diesem Fall benennt man Aldehyde mit dem lateinischen Namen der Carbonsäure, die bei der Oxidation aus dem Aldehyd entsteht, und hängt die Bezeichnung -aldehyd an. Bei Ketonen nennt man die Namen der Alkylreste, die an die Ketongruppe gebunden sind und setzt den Namen -keton dazu. Die Formel, die systematischen Namen und die Trivialnamen einiger wichtiger Aldehyde und Ketone sind in der Tab. 25.1.1 enthalten.
Tab. 25.1.1 Formeln, systematische Namen und Trivialnamen einiger Aldehyde und Ketone Formel
Systematischer Name
Trivialname
Ην C=0
Methanal
Formaldehyd
CH3-CH=0
Ethanal
Acetaldehyd
CH3-CH2-CH=0
Propanal
Propionaldehyd
Η
Fortsetzung: s. Seite 232
232
C. Spezielle organische Chemie
/
/
H Phenylmethanal
Benzaldehyd
2-Hydroxyphenylmethanal
Salicylaldehyd
4-Hydroxy-3-methoxyphenylmethanal
Vanillin
H
-C OH
H -Ζ
CH3O
H CH=CH-C CH3-C-CH3
O
HO-CH2-C-
CH 2 -OH
II o CH3-CH2-C-CH3
3-Phenylpropenal
Zimtaldehyd
Propanon
Aceton
l,3Dihydroxypropan-2-on
1,3-Dihydroxyaceton
Butanon
Methylethylketon
Phenylethanon
Acetophenon
Diphenylmethanon
Benzophenon
I O
25.2 Redoxreaktionen Gegenüber starken Reduktionsmitteln verhalten sich Aldehyde und Ketone ähnlich: Die Reduktion der Aldehyde führt zu primären, die Reduktion der Ketone zu sekundären Alkoholen. Aldehyde können schon durch relativ schwache Oxidationsmittel nach der folgenden Teilgleichung oxidiert werden:
233
25. Aldehyde und Ketone
«
//
R—C
J/ + 3H,0 5=^· R—C
X Aldehyd
H
• 2H30 + 2e~
OH
Carbonsäure
Da sich Ketone durch schwache Oxidationsmittel nicht oxidieren lassen, können Aldehyde von Ketonen und anderen nicht leicht oxidierbaren Substanzen durch solche Oxidationsmittel unterschieden werden, z.B. durch Cu 2+ und Weinsäure (Fehlingsche Lösung) oder [Ag(NH3)2]+ in alkalischer Lösung (Tollenssche Lösung). Aldehyde reduzieren das komplex gebundene Cu(II) zu Cu(I) und das komplex gebundene Ag(I) zu metallischem Silber. Auch Luftsauerstoff oxidiert Aldehyde langsam zu Carbonsäuren.
25.3 Additionsreaktionen Infolge der starken Polarisation der Carbonylgruppe sind Additionsreaktionen sehr leicht durchführbar. Der erste Reaktionsschritt ist gewöhnlich die Anlagerung eines Nucleophils an das positivierte polarisierte C-Atom. Anschließend reagiert das negativierte Sauerstoffatom mit einem positiven Partner. In saurem pH-Bereich lagert sich zuerst ein Proton an das Sauerstoffatom an. Dadurch verstärkt sich die Positivierung des C-Atoms, und die Addition eines Nucleophils ist sehr begünstigt. Bei den Additionsreaktionen von Ammoniak, Hydroxylamin, Hydrazin und ihren Derivaten schließt sich gewöhnlich eine Wasserabspaltung aus dem Reaktionsprodukt an. Als Beispiel einer Additionsreaktion betrachten wir die säurekatalysierte Anlagerung von Alkoholen an Aldehyde. Das Hydroxoniumion überträgt ein Proton auf den Aldehyd: R
H
\δ+ sI ε = φ+ Η—Q—Η / ® Η Aldehyd
/ Η
C—ΟΙ \ Η
HjO
Carbeniumion
An das Carbeniumion lagert sich der nucleophile Alkohol an. Anschließend erfolgt eine Übertragung eines Protons auf ein Wassermolekül: R· «• I R /R1 R xQ—H O /0 —R' = ν + HjO® + y / \H \ -Ηί0 / 0 Η Halbacetal
Das Zwischenprodukt, ein Halbacetal, ist meist nicht faßbar, sondern setzt sich in einer Substitutionsreaktion mit weiterem Alkohol zu einem Acetal um. Diese Reaktion ist ebenfalls säurekatalysiert und verläuft über ein Carbeniumion:
234
C. Spezielle organische Chemie
X
\
/°-
H
R
'
-HjO \ Λ » = H σ—\H
2
0—H
\ H
H
X
/°-
R
'
+H
°'
Carbeniumion
Das Carbeniumion reagiert mit Alkohol, wobei anschließend das Proton auf Wasser übertragen wird: R V / +
0—R'
Rv ,0—R' „ Λ V Ä / X§-R· IH
« Ö—R' H π
R O—R* V + HjO® / \ - R · Acetal
Die Gesamtreaktion verläuft nach der Bruttogleichung: ;
R—CH=0 + 2R —OH
HjO+
OR' / R—CH + 2H20 \>r·
Die Anlagerung von Alkohol an Ketone führt zu Ketalen: V / R
o
" ' 0R'
N\
Gleich wie die Anlagerung eines Moleküls Alkohol an ein Molekül Aldehyd oder Keton verlaufen die Additionsreaktionen von Wasser, Ammoniak, Hydroxylamin, Hydrazin und Phenylhydrazin: \/ C = 0 + H20 3=B \ κV0 Η ' / OH Hydrat d e s Aldehyds bzw. Ketons
\
C—0 + NH, - ί " *
/
\ κ0Η C'
'
5 =
\
/ C = N — Η 4- HjO
NH,
Aldimin bzw Ketimin
\ = 0 + H,N—OH «—- ^C / / NH — OH
V = N — O H + H,0 '
\
\
^
C—0 + HjN—NH25=s-
\ '
C
Oxim
^—NH— NHj
\ C = 0 + H,N—NH—C,H 5=t \ C^ /0H 5 NH
C=N—NHj + HjO Hydrazon
\ = N—NH —C H + H,0 3=E ^C 6 s ΝH
CeHs
Phenylhydrazon
25. Aldehyde und Ketone
235
An die Carbonylgruppe lagern sich leicht Grignard-Verbindungen an, die einen Carbeniat-Kohlenstoff enthalten: \ί.
t.
«-
s*
I
C = 0 + R—MqX — • — C —OMqX
/
I
R
Die Addukte reagieren mit Wasser zu Alkoholen: —C—OMgX + H2 O -»• - C - O H + Mg2+ + OH' + X" R
R
Ist die Carbonylkomponente Formaldehyd, erhält man primäre Alkohole. Die anderen Aldehyde ergeben sekundäre und Ketone tertiäre Alkohole.
25.4 H-Acidität am α-C-Atom Die starke Positivierung des Kohlenstoffatoms, das den doppelt gebundenen Sauerstoff trägt (Carbonyl-C-Atom), wirkt auch etwas auf das benachbarte C-Atom, das sog. a-CAtom. Die Wasserstoffatome des α-C-Atoms sind aktiviert. Sie können durch starke Basen als Protonen abgespalten werden. Das entstehende Carbanion ist mesomer mit einem Enolation: H Base I R — ? — C = d — R—C=C—ζ R—C—C=C£I l I I H H H H H H Carbeniat Enolat Die Anlagerung eines Protons kann zu der Enol- oder der Carbonylform führen. Θ
2
g R — c — c = gs —• R—C=C—Ql H H
H H
+H,0+ — R — C = C —OH I I H H Enol form
H H I I R—C—C=0 Carbonylform
Die Carbonylverbindungen mit mindestens einem Wasserstoff am α-C-Atom sind also der Tautomerie fähig. Bei den meisten Aldehyden und Ketonen liegt das Gleichgewicht, das sich bei Gegenwart von Säuren oder Basen rasch einstellt, weit auf der Seite der Carbonylform.
236
C. Spezielle organische Chemie
25.5 Aldoladdition Aldehyde und Ketone mit a-Η-Atomen bilden unter Katalyse von starken Basen Aldole, d.s. Verbindungen mit einer Hydroxylgruppe und einer Carbonylgruppe. Beispiel: / H,C—C ^
H 0
/ + HjC—C 1 ^
H
H OH" / — - H,C—CH— CH,—C I ^0 0 OH Aldol (Acetaldol )
Durch die Einwirkung der starken Base entsteht aus der Carbonylverbindung ein mesomeriestabilisiertes Anion:
ΐ
H
Ol CH,—C^ + OH" H
ËHΗC
/ —> CH=C
\
+ HjO
Dieses Anion lagert sich als starkes Nucleophil an die polarisierte C=0-Doppelbindung der Carbonylgruppe eines zweiten Aldehydmoleküls an: .016-
5+/ HjC — C
H
©
h
.01
+ CH—C \
CHj—C—CHj—C^ H
H_
Mit Wasser bilden sich der Katalysator und das Aldol: Θ
ιδι I H,C—CH—CH2—C \
-|Θ
°H 0 I // + HjO — H3C—CH — CHS— C^ Η
+ OH"
3- Hydro* ybulanal
Gewöhnlich spaltet das Aldol Wasser ab, da dadurch eine Verbindung mit einer konjugierten C—C-Doppelbindung entsteht. Systeme mit konjugierten Doppelbindungen sind energetisch günstig, da sie polyzentrische Molekülorbitale aufweisen. OH o I // / H,C — CH — CH,—C CH— CH=CH—C H,0 \ \ Η Η But-2-enal (Crotonaldehyd)
Solche Verbindungen bezeichnet man als α,β-ungesättigte Aldehyde.
237
26. Carbonsäuren
25.6 Einzelne Aldehyde Methanol (Formaldehyd) ist ein stechend riechendes, gut wasserlösliches Gas. Methanal härtet Eiweiß (Verwendung zum Konservieren anatomischer Präparate). Wäßriger Formaldehyd (Formalin) polymerisiert leicht zu unlöslichem Polyoxymethylen (Paraformaldehyd): H
\
H \ — HO —C—(
1i
Paraformaldehyd
Ethanal (Acetaldehyd) polymerisiert mit Säure als Katalysator zu trimerem, flüssigem Paraldehyd. Ein tetrameres Polymerisat, der Metaldehyd, findet als Hartspiritus (Trockenspiritus) Verwendung. H,C „CH, Η
1
çC 1 "H
H
xO CH, Paraldehyd
1
°>C
Η
^H
H
.o—CC"
H3C
—
CH,
h
Metaldehyd
26. Carbonsäuren 26.1 Struktur und Benennung Carbonsäuren enthalten die Carboxylgruppe: —C
oder - C O O H
OH Nach dem IUPAC-Nomenklatur-System bildet man den Namen der Carbonsäure, indemman an den Namen des Kohlenwasserstoffes gleicher Kohlenstoffzahl die Endung -säure anhängt. Viele, besonders die einfachen Carbonsäuren werden fast ausschließlich mit Trivialnahmen benannt. Die Formeln, systematischen Namen und Trivialnamen einiger wichtiger Carbonsäuren sind in der Tab. 26.1.1 enthalten. Sind in einer Verbindung mehrere funktionelle Gruppen vorhanden, so wird die ranghöchste funktionelle Gruppe zur „Hauptfunktion", die als Endsilbe gekennzeichnet wird. Die anderen funktionellen Gruppen benennt man als Substituenten mit Vorsilben. Die Reihenfolge (Priorität) einiger funktioneller Gruppen ist in Tab. 26.1.2 enthalten. Sind beispielsweise in einer Verbindung eine Carboxylgruppe und eine Hydroxylgruppe vorhanden, nennt man die Verbindung Hydroxy-Säure.
238
C. Spezielle organische Chemie
Tab. 26.1.1 Foimeln, systematische Namen und Trivialnamen einiger Carbonsäuren Formel
Systematischer Name
Trivialname
H - COOH
Methansäure
Ameisensäure
H 3 C -COOH
Ethansäure
Essigsäure
H3C-CH2- COOH
Propansäure
Propionsäure
H 3 C-(CH 2 )a-COOH
Butansäure
Buttersäure
H 3 C - ( C H 2 ) 3 - COOH
Pentansäure
Valeriansäure
H 3 C-(CH 2 )io-COOH
Dodecan säure
Laurinsäuie
H 3 C - ( C H 2 ) 1 4 - COOH
Hexadecan säure
Palmitinsäure
H 3 C - ( C H 2 ) 1 6 - COOH
Octadecansäure
Stearinsäure
Benzolcarbonsäure
Benzoesäure
4-Aminobenzolcarbonsäure
p-Aminobenzoesäure
Phenylethansäure
Phenylessig säure
COOH
COOH
CH2 -COOH
26. Carbonsäuren
239
Tab. 26.1.2 Reihenfolge einiger funktioneller Gruppen in abnehmender Priorität ^O -C
>
•s
-C
Ο-H
N
-C
N
0-R
Carbonsäure
- c '
O >
-c
Χ
Ester
> Jc=0 > -0-H
>
Säurehalogenid
> -NH2
> -0-R >
>
·\
-ON
>
ΝΗ 2 Säureamid
-OC-
Nitrii
>
H Aldehyd
Keton
Alkohol
Amin
Ether
Dreifachbindung
Doppelbindung
Die Siedepunkte der Carbonsäuren liegen viel höher als die der Alkane ähnlicher Molekülmasse. Der erhöhte Siedepunkt erklärt sich dadurch, daß sich zwischen zwei Molekülen unter Entstehung von Dimeren je zwei Wasserstoffbrückenbindungen ausbilden. Diese Assoziate bleiben sogar im Dampfzustand erhalten, z.b. bei Essigsäure: 0. . . . „ - 0 HjC—C \
C—CH, / 0—H
0
26.2 Acidität der Carbonsäuren Die Hydroxylgruppe in Carbonsäuren gibt viel leichter ein Proton an andere Stoffe ab als die Hydroxylgruppe in Alkoholen. Die O-H-Bindung in der Carboxylgruppe ist durch die benachbarte Carbonylgruppe stärker polarisiert als bei den Alkoholen. Dadurch ist das Wasserstoffatom leichter als Proton abspaltbar: pi R - - /
Ρ « = . . - /
10—H
·Η· Ql°
Im dabei entstehenden Anion bilden sich polyzentrische Molekülorbitale aus, die in der Grenzstrukturschreibweise zwei gleiche mesomere Strukturen ergeben. Die Säurestärke der Carboxylgruppe ist von dem Rest R abhängig. Ameisensäure ist stärker sauer als die Essigsäure und diese etwas saurer als die Propionsäure. Die Alkylgruppen vermindern infolge ihres +I-Effektes den Elektronenmangel der Carboxylgruppe und damit die Säurestärke. Der +I-Effekt der Alkylgruppen ist viel gerin-
240
C. Spezielle organische Chemie
ger als der — I-Effekt, den Halogenatome als Substituenten am α-C-Atom ausüben. Auch Hydroxylgruppen am α-C-Atom erhöhen die Säurestärke der Carbonsäuren. Der induktive Effekt nimmt rasch ab wie immer, wenn sich zwischen Carboxylgruppe und der Elektronen anziehenden oder Elektronen spendenden Gruppe mehrere σBindungen befinden. Die Wirkung des induktiven Effektes auf den p/Cs-Wert einiger Carbonsäuren zeigt die Tab. 26.2.1. Tab. 26.2.1 Einfluß einiger Substituenten auf den pK s -Wert von Carbonsäuren Formel
Name
H-COOH
Ameisensäure
3.7
CH3-COOH
Essigsäure
4.8
CH3-CH2-COOH
Propionsäure
4.9
CI-CH2-COOH
Chloressigsäure
2,8
Dichloressigsäure
1,3
Trichloressigsäure
0,65
I-CH2-COOH
Iodessigsäure
3,1
CH3-CH-COOH
Milchsäure
3,9
P*S
Cl /
CH-COOH
Cl Cl Cl-C-COOH α
OH
Infolge der Polarität der Carboxylgruppe lösen sich Carbonsäuren mit bis zu vier Kohlenstoffatomen in Wasser, die höheren sind schwer oder nicht in Wasser löslich. Bei den freien höheren Carbonsäuren überwiegen deutlich die lipophilen Eigenschaften des Kohlenwasserstoffrestes.
26.3 Reaktionen an der Carboxylgruppe Bei Reaktionen der Carboxylgruppe, die unter Substitution der Hydroxylgruppe verlaufen, liegt das Gleichgewicht meist auf der Seite der Ausgangssubstanz, da die Hydroxylgruppe, die verdrängt werden müßte, nucleophiler ist als die meisten Reaktanden. Eine wichtige Reaktion, in deren Verlauf die Hydroxylgruppe der Carbonsäuren substituiert wird, ist die Esterbildung (Veresterung). In einer reversiblen Gleichgewichtsreak-
241
26. Carbonsäuren
tion entstehen durch Erwärmen von Carbonsäuren mit Alkoholen Ester und Wasser. Beim Kochen mit Wasser lassen sich Ester wieder zu Carbonsäuren und Alkoholen umsetzen. Diese Reaktion hat die Bezeichnung Hydrolyse oder Verseifung. Die Gleichgewichtseinstellung sowohl der Veresterung als auch dèr Hydrolyse wird durch katalytische Mengen starker Säuren beschleunigt. Die starke Säure überträgt ein Proton auf das Carbonyl-Sauerstoffatom der Carboxylgruppe. Das entstehende Kation ist mesomeriestabilisiert: - I ®
U
t-
R — C = ( £ + HjO+
=
:=§—H
-Β—ο—H
+ H,0
OH OH OH An das sehr reaktive Kation lagert sich das Alkoholmolekül an (Nucleophile Addition). Anschließend verschiebt sich das Proton auf eine benachbarte Hydroxylgruppe, und Wasser spaltet sich ab (Eliminierung): ®
Ol
R·—öR—C —OH + 10 —R' OH
H
R—C — OÍ® I \ OH H
-C — 0—H OH
R' V 9/ R—C© 10 —H
Im letzten Schritt gibt das Carbeniumion an ein Wassermolekül ein Proton zurück. Wir erhalten den Ester und wieder den Katalysator: IÖ — R' I _ R—C—0—H + Η,Ο ®
10 — R' I _Θ HjO + R—C—Ol ©
10 — R' I N R — C = 0 x: Carbonsäureester
Da die säurekatalysierte Veresterung vollständig reversibel verläuft, kann man Ester durch Kochen mit Wasser und Säure auch wieder spalten. Gewöhnlich bevorzugt man jedoch die alkalische Verseifung der Ester, da sich im Alkalischen das Carboxylation bildet, wodurch die Hydrolyse irreversibel wird. In analoger Weise lassen sich Amide durch alkalische Katalyse verseifen. Die basenkatalysierte Esterhydrolyse beginnt mit dem nucleophilen Angriff eines Hydroxidions auf den Ester: t. -Θ | | /o\ 0 I R—C + OH" = R—C—0—Η \I " 0—R loi I R Das Zwischenprodukt spaltet sehr rasch ein Alkoholation ab. Da das Alkoholation eine starke Base ist, entzieht es der entstehenden Carbonsäure ein Proton:
242
C. Spezielle organische Chemie
.öP
I
ιδ®
-
11 R—C — «g—Η
R—Ol + R—C—Q—Η
R—C — Q—H I 101 I R
R—(/
/o\
1
®
+ ®IQ—R — R — ( f + H—Ö — R \ q ~ Q—H OP
Da das Gleichgewicht der Protonenübertragung von der Carbonsäure auf das Alkoholation vollständig auf der rechten Seite der Gleichung liegt, verläuft die alkalische Esterhydrolyse unter Verbrauch der Base irreversibel. Die Ester sind nicht wasserlösliche, in Fettlösungsmitteln lösliche, meist angenehm riechende Verbindungen. Ester kommen als Naturprodukte vor. Die pflanzlichen und tierischen Fette und Öle sind Ester aus dem dreiwertigen Alkohol Glycerin und langkettigen gesättigten und ungesättigten Carbonsäuren, wobei Carbonsäuren mit 16 und 18 C-Atomen überwiegen (Palmitinsäure, Stearinsäure und Ölsäure). Wichtige Beispiele für Ester sind Essigsäureethylester, Tristearoylglycerin („Tristearin"), S-Acetylcysteamin H2N-CH2-CH2-S-C-CH3. Acetylsalicylsäure ist als „Aspirin" ein weit verbreitetes Medikament. ^ O II .0-C-CH3 ^ C O O H
26.4 Reaktionen von Carbonsäurederivaten mit Nucleophilen Carbonsäurederivate sind viel reaktiver als Carbonsäuren selbst, wenn die Hydroxylgruppe durch einen Substituenten ersetzt ist, der weniger nucleophil ist als das Hydroxidion. Für nucleophile Substitutionen besonders geeignet sind Acylhalogenide, Säureanhydride und Ester. Säureamide reagieren noch langsamer als Carbonsäuren. Für die Reaktivität gegenüber Nucleophilen findet man folgende Reihung:
/
R—C \
0
CI
/
>
/
,0
R—C \
/
>
0
/
,0
R—C \
/
OR
/
>
/
R—C \
.0
/
OH
>
/
R—C
0 \ NH,
""i Säurechlorid
Säureanhydrid
Ester
Carbonsäure
Säureamid
243
26. Carbonsäuren
Die Carbonsäurederivate reagieren mit Nucleophilen unter Substitution der an das Carbonylkohlenstoffatom gebundenen reaktiven Gruppe. Gewöhnlich verläuft die Reaktion so, daß sich das Nucleophil mit einem freien Elektronenpaar an das stark positivierte C-Atom der Carbonylgruppe anlagert (nucleophile Addition). Von dem sp3-hybridisierten C-Atom des entstandenen Zwischenproduktes spaltet sich abschließend die am .wenigsten nucleophile Gruppe ab (Eliminierungsreaktion). Als Nucleophile können Amine (R-NH 2 ), Alkohole (R—OH) oder Wasser (H 2 0) eingesetzt werden, wobei die Nucleophilie in der angegebenen Reihenfolge abnimmt. So verläuft beispielsweise die Umsetzung eines Säurechlorids (Propionsäurechlorid) mit Ammoniak wie folgt (nucleophile Addition): s-
®
0 CH,-CH}—C
+ INH, — CI
NH, g CH—CH—< α
Vom positiven Stickstoff wandert ein Proton zum negativen Sauerstoff: ©
NH, I
NH, _Θ
I
CH,—CH,—C—öl — - CH,—CH}—C—OH I I Cl Cl Die am wenigsten nucleophile Gruppe spaltet sich ab (Eliminierung): NH, NH, I' I CH —CH—C—5—H — CH,—CH—g—0—H • CI" Cl Das Carbeniumion stabilisiert sich durch Abspaltung eines Protons zum Propionsäureamid: NH, NH, / C H j — C H j — = s
HT + CH,—CHj—C
S— H
/ QI
Da das entstehende Proton mit der Base NH 3 zu NH4 reagiert, müssen insgesamt 2 Mol NH 3 eingesetzt werden. Die Reaktion verläuft nach der Bruttogleichung: 0 0 / CH,—CH — C
+ 2NH, Cl
CH,—CH—C
/
+ NH^CI
NH,
Verläuft die nucleophile Substitution von Carbonsäurederivaten oder Carbonsäuren im sauren pH-Bereich, so lagert sich vor der eigentlichen Substitution ein Proton an den negativierten Carbonylsauerstoff an und spaltet sich erst nach Abgang der zu substituierenden Gruppe wieder ab. Das Proton wirkt als Katalysator, indem es die Positivierung
244
C. Spezielle organische Chemie
des C-Atoms der Carbonylgruppe verstärkt. Ein Reaktionsbeispiel haben wir in der sauer katalysierten Veresterung bzw. Verseifung bereits kennengelernt. Claissen-Esterkondensation: Unter katalytischer Wirkung starker Basen (z.B. Natriumethanolat, metallisches Natrium) kondensieren zwei Moleküle Carbonsäureester zu ßKetocarbonsäureestern nach folgendem Schema. θ C,H-1
• Η—CHz-C^ χ
5=£
χ X«
Ethanolat
® • ICHz-C^
C,H.0H
N
C2H5
5
Essigsäureethylester
Das entstandene Anion des Esters lagert sich an die polarisierte Carbonylbindung eines zweiten Estermoleküls an. Das entstehende Zwischenprodukt spaltet Ethanol ab. Als Endprodukt entsteht 2-Acetylessigsäureethylester (Acetessigester):
h3c-c
M il 101 I CjHs
Jt
HJC-C-CHJ-C^
v < c2h5
c2H5
C
2H5
Zwischenprodukt
C,H-0
•
0 I
H3C-C—CHrCx c2hs
2-Acetylessigsäureethylester
Die am Anfang dieses Kapitels erwähnte Reihenfolge der Reaktivität der Carbonsäurederivate gegenüber Nucleophilen bewirkt, daß Amine mit Carbonsäureestern zu Amiden reagieren können. Amide wirken aber im Gegensatz zu den Estern nicht mehr acylierend, sie reagieren nicht mit Aminen.
/ 0—R* R—C/
\
+ R— NH, —• R—C \
+ R—OH NH-
+ R—NH, NH
R'
Dazu ein Beispiel aus der Biochemie: Puromycin, das einen Abbruch der Proteinsynthese bewirkt, ist ein Antibiotikum. Puromycin ist in seiner Struktur demjenigen Ester (der sogenannten Aminoacyl-tRNA) ähnlich, der zum Anhängen von Aminosäuren (s. Kap. 29.6) an eine wachsende Peptidkette verwendet wird. Puromycin wird statt des natürli-
245
26. Carbonsäuren
chen Substrats eingebaut. Da Puromycin aber im Gegensatz zur Aminoacyl-tRNA kein Ester, sondern ein Amid ist, wirkt es nicht acylierend und kann also nicht mit dem Aminoende der nächsten Aminosäure reagieren. Die wachsende Peptidkette kann nicht verlängert werden. y CH,
CO HOCH, H H _HjN
Amid
H OH
C=0 H—C—CHr I NH,
H—C —R' I NHZ
0—CH, Puromycin
Aminoacyl-tRNA
In analoger Weise reagieren Amide nicht basisch. Es besteht folgende Mesomerie, durch die das formal freie Elektronenpaar des N-Atoms betroffen ist: R-C;
R-C;
Φ
Carbonsäurehalogenide selbst (Acylhalogenide) können durch Reaktion von Phosphorpentachlorid (PC15) oder von Thionylchlorid (SOCl2) mit Carbonsäuren erhalten werden, z.B.:
/,0
/0
R—C^
+ SOCI,
— •
R—C
OH
+ S O j + HCl \ |
Carbonsäureanhydride lassen sich durch Wasserabspaltung aus Carbonsäuren mit wasserentziehenden Mitteln, z.B. H 2 S0 4 , gewinnen:
/
0
CH,—C^
0
\
+ OH
Essigsäure
-»fi C—CH,
0
II
0
II
C H — C — 0 — C — C H ,
HO Essigsäureanhydrid (Acetanhydrid)
Gemischte Säureanhydride sind Acetylphosphat und Carbamoylphosphat:
246
C. Spezielle organische Chemie
O II
O II
H3C-C-O-P-OH II
Q
Acetylphosphat
O II
H2N-C-O-P-OH
I
QJ_J
Carbamoylphosphat
I
QJ_[
26.5 Einzelne Carbonsäuren Ameisensäure (Methansäure) ist ein wichtiges technisches Zwischenprodukt. Ameisensäure hat etwas andere Eigenschaften als ihre höheren Homologen. Sie ist die stärkste unsubstituierte Carbonsäure, da ihr der +I-Effekt der Alkylgruppen fehlt. Als einzige Carbonsäure wirkt sie reduzierend, da sie auch als Aldehyd angesehen werden kann:
a l s Aldehyd
als Säure
Schwache Oxidationsmittel oxidieren Ameisensäure zu C 0 2 und H 2 0 . Ameisensäure bildet beim Erwärmen mit Schwefelsäure kein Anhydrid, sondern zerfällt in CO und H 2 0 . Dichlorameisensäure C1 2 C=0 („Phosgen") ist ein hochgiftiges Gas (Kampfgas). Essigsäure (Ethansäure) dient als Lösungsmittel, ist Ausgangssubstanz für zahlreiche chemische Umsetzungen und wird in großen Mengen als „Speiseessig" konsumiert. Im Stoffwechsel nimmt die „aktivierte" Essigsäure eine Schlüsselstellung ein. Acetylchlorid ist reaktives Ausgangsmaterial für viele Acetylierungen.
26.6 Ungesättigte Carbonsäuren Die einfachsten ungesättigten Carbonsäuren, Acrylsäure und Methacrylsäure, bzw. ihre Ester haben große technische Bedeutung zur Herstellung glasartiger Polymerisate (Plexiglas). 0 H,C=CH—C Acrylsäure
\
0 H,C=C—C
OH
I
¿Hj
\
OH
Methacrylsäure
Höhere ungesättigte Fettsäuren finden sich in Form der Glycerinester (Triglyceride) in pflanzlichen und tierischen Fetten. Besonders in Ölen ist der Anteil der ungesättigten Fettsäuren sehr hoch. Die ungesättigten Fettsäuren können mit Ausnahme der Ölsäure von den Warmblütern nicht selbst synthetisiert werden. Da sie für den Organismus unentbehrlich sind, müssen sie mit der Nahrung aufgenommen werden. Sie führen deshalb die Bezeichnung „essentielle" Fettsäuren bzw. Vitamin F. Einige wichtige höhere ungesättigte Fettsäuren enthält Tab. 2 6 . 6 . 1 .
247
26. Carbonsäuren Tab. 26.6.1 Einige höhere ungesättigte Fettsäuren Formel
Systematischer Name
Trivialname
cis-Octadec-9-ensäure
Ölsäure
trans-Octadec-9-ensäure
Elaidinsäure
CH3-(CH2)7-C-H HOOC — ( C H 2 ) 7 - C - H
CH3-(CH2)7-C-H
H
H-C-(CH2)7-COOH
CH 3 -(CH 2 )4-CH=CH-CH 2 -CH=CH-(CH 2 ) 7 -COOH Octadeca-9,12-diensäure
Linolsäure
CH 3 -CH 2 -CH=CH-CH 2 -CH=CH-CH 2 -CH=CH-(CH 2 ) 7 -COOH Octadeca-9,12,15-triensäure
Linolensäure
CH 3 -(CH 2 )4-(CH=CH-CH 2 -) 3 CH=CH-(CH 2 )3-COOH Eicosa-5,8,11,14-tetraensäure
Arachidonsäure
26.7 Mehrprotonige (mehrbasige) Carbonsäuren Carbonsäuren mit mehreren Carboxylgruppen im Molekül reagieren ähnlich wie Monocarbonsäuren. Ihre Acidität ist etwas höher. Sie können mehrere Reihen von Salzen bilden, je nachdem ob ein oder mehrere Protonen ersetzt werden. Die Namen und Formeln der einfachsten Dicarbonsäuren enthält die Tab. 26.7.1. Zum Unterschied zu Monocarbonsäuren bilden sich beim Erhitzen einiger Dicarbonsäuren 5- und ógliedrige Ringe. Bernsteinsäure und Glutarsäure reagieren mit Essigsäureanhydrid durch intramolekulare Wasserabspaltung zu cyclischen Anhydriden: .0 CH,-
CH,-
\
OH
CH—C
/
(CHjCO)JO
OH
\ 0 • Η£ /
CH,—C.
V Bernstrinsäure
Bernsteinsäureanhydrid
C. Spezielle organische Chemie
248 Tab. 26.7.1 Namen und Formeln einiger Dicarbonsäuren Formel O
systematischer Name
Trivialname
Name des Anions
Ethan-disäure
Oxalsäure
Oxalat
Propan-disäure
Malonsäure
Malonat
Butan-disäure
Bernsteinsäure
Succinat
Pentan-disäure
Glutarsäure
Glutarat
Hexan-disäure
Adipinsäure
Adipat
cis-Buten-disäure
Maleinsäure
Maleinat
trans-Buten-disäure
Fumarsäure
Fumarat
Benzol-1,2-carbonsäure dicarbonsäure
Phthalsäure
Phthalat
Benzol-1,4dicarbonsäure
Terephthalsäure
Terephthalat
O
HO
OH COOH
H2C COOH H 2 C-COOH I H 2 C-COOH
COOH (Η2θΓ COOH .COOH (H 2 C) 4 ^COOH COOH HC HC COOH HOOC CH II CH COOH COOH COOH COOH
COOH
26. Carbonsäuren
249
CH —C. /
Hl c
X
'
0H
\
OH
(CH}C0)}0 H,C \
CH
'"AO
0 • HjO /
Y
Glutarsäure
Glutarsäureanhydrid
Beim Erhitzen von Adipinsäure, Pimelinsäure oder Korksäure mit Essigsäureanhydrid entstehen unter Abspaltung von Kohlendioxid und Wasser die cyclischen Ketone Cyclopentanon, Cyclohexanon und Cycloheptanon, z.B.: COOH I CH, I
OH CH, \ J I (CH,C0),0 I C = 0 + C0, +H,0 ch = ° * -CH,
Adipinsäure
Cyclopentanon
26.8 Hydroxycarbonsäuren und Ketocarbonsäuren Die wichtigsten Hydroxycarbonsäuren und Ketocarbonsäuren enthält die Tab. 26.8.1. Ketocarbonsäuren lassen sich aus Hydroxycarbonsäuren durch Oxidation gewinnen, etwa Brenztraubensäure aus Milchsäure. Nach der Stellung der Hydroxylgruppe zur Carboxylgruppe bezeichnet man die Verbindungen als α-, β-, γ- und δ-Hydroxycarbonsäuren, je nachdem ob die Hydroxylgruppe an einem α-, β-, γ- oder δ-C-Atom steht. Nach der Stellung der Hydroxylgruppe zur Carboxylgruppe bezeichnet man die Verbindungen als α-, β-, γ- und δ-Hydroxycarbonsäuren, je nachdem ob die Hydroxylgruppe an einem α-, β-, γ- oder δ-C-Atom steht. Da Hydroxycarbonsäuren sowohl eine Hydroxylgruppe als auch eine Carboxylgruppe enthalten, geben sie die chemischen Reaktionen der beiden Gruppen. Hydroxycarbonsäuren spalten beim Erwärmen Wasser ab. Bei den a-Hydroxysäuren entsteht durch intermolekulare Esterbildung zwischen zwei Molekülen ein Sechsring mit zwei Sauerstoffatomen (ein Dioxanderivat). Dieser Verbindungstyp wird als Lactid bezeichnet. 0 II 0 CH I HO
OH OH I .CH
HO. I o
Milchsäure
H,C. • 2 H,0 + CHj
CH I I 0 ^ /CH C CHj H 3,6 - Dimethyl 1A - dio»an - 2,5 - dion (ein Lactid)
C. Spezielle organische Chemie
250
Tab. 26.8.1 Formeln und Namen der wichtigsten Hydroxy säuren und Ketosäuren Systematischer Name
Formel CH2-COOH
Trivialname
Name des Anions
2-Hydroxyethansäure
Glycolsäure
Glycolat
2-Hydroxypropansäure
Milchsäure
Lactat
HOH2C—CH—COOH I OH
2,3-Dihydroxypropansäure
Glycerinsäure
Glycerat
HOOC-CH-CH2-COOH I OH
2-Hydroxy-butan-l ,4disäure
Äpfelsäure
Malat
HOOC-CH-CH-COOH I I OH OH
2,3-Dihydroxybutandisäure
Weinsäure
Tartat
2-Hydroxy-propan1,2,3-tncarbonsäure
Citronensäure
Citrat
o-Hydroxybenzoesäure 2-Hydroxybenzolcarbonsäure
Salicylsäure
Salicylat
2-Oxoethan säure
Glyoxylsäure
Glyoxylat
CHS-C-COOH H O
2-Oxopropansäure
Brenz traubensäure
Pyruvat
CH3-C-CH2-COOH H O
3-Oxobutan säure
Acetessigsäure
Acetoacetat
HOOC—C—CHj—COOH II o
2-Oxo-butan-l,4disäure
Oxalessigsäure
Oxalacetat
HOOC-C-(CH2)2-COOH
2-Oxo-pentan-l,5-
α-Ketoglutarsäure
a-Ketoglutarat
OH CH3-CH-COOH OH
OH HOOC—CH1-y2—C—CH —COOH — ν ^ - ^ Π2 Γ I COOH OH COOH O^ C-COOH H
O
251
26. Carbonsäuren
Die Wasserabspaltung aus ß-Hydroxysäuren führt zu α-, ß-ungesättigten Carbonsäuren: OH I CH—CH—CH—COOH
H,0 + CH— CH=CH—COOH
Hydro«y butti r säure
Crotonsäure
Die γ- und δ-Hydroxysäuren bilden intramolekulare Ester, die Lactone:
Ρ
.0
CH—C \ OH
CH—C \ 0 • H,0
CH,—CH—OH
CH—CH,
γ - Hydroxybutter säure
r
. Butyrolacton
Einige Hydroxysäuren sind wichtige Naturprodukte, die bei biologischen Redoxvorgängen Bedeutung haben. Milchsäure bildet sich bei nichtausreichender Sauerstoffzufuhr im Muskel beim anaeroben Kohlenhydratstoffwechsel. Im aeroben Stoffwechsel wird die Milchsäure zur Ketocarbonsäure, der Brenztraubensäure (2-Oxopropansäure), oxidiert: CH;—CH—COOH + 2H,0 — • CH;—C — COOH + 2H,0% 2e~ I II OH 0 Milchsäure
Brenztraubensäure
Weinsäure, eine zweiprotonige Säure, bildet mit Cu 2+ -Ionen Komplexe, die auch im alkalischen pH-Bereich stabil sind und zum Nachweis reduzierender Substanzen verwendet werden (Fehlingsche Lösung). Citronensäure, 2-Hydroxypropan-l,2,3-tricarbonsäure, ist ein Bestandteil vieler Früchte und ein wichtiges Stoffwechselprodukt des menschlichen und tierischen Organismus (Citronensäurecyclus). Brenztraubensäure (2-Oxopropansäure), entsteht beim Erhitzen der Weinsäure mit KHSO4 als Wasser abspaltendem Reagens: COOH COOH I I HO—C—Η K H S 0 C=0 ι h2o + co z + I HO—C—Η CH, I COOH Weinsäure
Brenz traubensäure
Sie ist ein wichtiges Stoffwechselprodukt. Das Η-Atom am α-C-Atom ist in Derivaten (z.B. Estern) der Acetessigsäure (3-Oxobutansäure) sauer und kann durch starke Basen als Proton abgespalten werden, da dem α-C-Atom zwei Carbonylgruppen direkt benachbart sind. Infolge der Ausbildung einer intramolekularen Wasserstoffbrückenbindung, die einen Sechsring ermöglicht, ist die Enolform in dem Keto-Enol-Tautomeriegleichgewicht begünstigt:
252
C. Spezielle organische Chemie
CHj—C^Cl·^ C OH I II 0. H'
CH.—C—CH—COOH II A Ketoform
Enolform
ß-Hydroxy- und ß-Ketosäuren entstehen beim Abbau der Fettsäuren im Organismus (ß-Oxidation der Fettsäuren). Eine biologisch wichtige Reaktion ist die enzymatische Decarboxylierung von a-Ketocarbonsäuren und α-Aminosäuren: R—C — C
II
"-OH
0
•
Λ X
I
0
Ct-Ketocarbonsäure
R—CH—c:
R—C—-H + C02 Aldehyd
•
R — CH — Η + CO,
0H
NH2 α-Aminosäure
nh 2 Amin
26.9 Aminosäuren und Proteine Aminosäuren enthalten in ihrem Molekül eine oder mehrere Aminogruppen und eine oder mehrere Carboxylgruppen. Die große Bedeutung der Aminosäuren besteht darin, daß sie die Bausteine der Proteine sind. Proteine (Eiweiße) sind unentbehrlicher Bestandteil aller biologischen Zellen. Auch die Enzyme, die Biokatalysatoren, die alle chemischen Prozesse in den Zellen ermöglichen, sind zum großen Teil aus Aminosäuren aufgebaut. Fast alle natürlichen Aminosäuren gehören zum Typ der L-a-Aminosäuren:
« ι HjN — C — Η R Mit Ausnahme des Glycins sind sie optisch aktiv. In ihrem Aufbau unterscheiden sich die Aminosäuren nur durch den Rest R. Das Rückgrat einer jeden Peptidkette bildet die Gruppierung R
I N r ' N ' ' I Η II Η 0
253
26. Carbonsäuren
die jede Aminosäure mit Ausnahme des Prolin in die Peptidkette einbringt. Die Proteine des menschlichen Körpers werden primär aus den 20 Aminosäuren aufgebaut, die genetisch codiert sind. Darüber hinaus findet man in Proteinen einige weitere Aminosäuren, die durch enzymatische chemische Modifizierung von manchen dieser Aminosäuren, z.B. durch Hydroxylierung oder Methylierungentstehen. Enthält eine Aminosäure im Rest R nur weitgehend neutrale Gruppen, bezeichnet man sie als neutrale Aminosäure. Saure Aminosäuren tragen im Rest R noch eine weitere Carboxylgruppe, die basischen noch weitere basische Gruppen. Die Formeln, Namen und isoelektrischen Punkte der wichtigsten Aminosäuren finden wir in Tab. 26.9.1. Tab. 26.9.1 Formeln, Namen, isoelektrische Punkte und Kurzbezeichnung der wichtigsten Aminosäuren Formel 1. Neutrale
Kurzbezeichnung
Isoelektrischer Punkt
Glycin
Gly
5,97
Alanin
Ala
6,00
Valin
Val
5,96
Leucin
Leu
6,02
Aminosäuren
Οθ
C>
Name
C H3N-C-H
Η C)
O' C
H3N-C-H
I
CH 3
O e
V
O
I
HJN-C-H
I
CH H3C
e
CH 3
C I
H3N-C-H
I
CH2
JM H3c'
^CHs
Fortsetzung:
s. Seite 254ff.
C. Spezielle organische Chemie Tab. 26.9.1
(Fortsetzung) Name
Formel ΟΘ
(5
Isoleucin
Kurzbezeichnung Ile
Isoelektrischer Punkt 5,98
C
Θ 1
HJN-C-H j CH H2C
"CH3
H3C 0
Θ
C • 1 H3N-C-H
Phenylalanin
Phe
5,48
Prolin
Pro
6,30
Hydroxyprolin nc
Hyp
5,83
Serin
Ser
5,68
Threonin
Thr
6,0
Cystein
Cys
CH 2
è c j CH v
® ^
H2N CH, \ / HJC — CH 2 ο
θ
c 1 E S CH ^ H2N CH 2 \ / H2C ^ C H ^ÒH
ν
© I HSN-C-H CH2-OH
οθ
C> c
θ 1 H3N-C-H CH-OH J CH 3
ο
.Y
οθ
H3N-C-H CH2—SH nc
nicht genetisch codiert
5,05
26. Carbonsäuren Tab. 26.9.1 Foimel
255
(Fortsetzung) Name
Kuizbezeichnung
Isoelektrischer Punkt
Cystin"
ÇysÇys
4,8
Methionin
Met
5,74
Tryptophan
Trp
5,89
Tyrosin
Tyr
5,66
H
256
C. Spezielle organische Chemie
Tab. 26.9.1
(Fortsetzung)
Formel
Name
^
Kurzbezeichnung
Isoelektrischer Punkt
Asparagin
Asn
4,38
Glutamin
Gin
4,40
C ® I H3N-C-H CH 2
I c O
NH 2
C œ I H3N-C-H CH2 CH2
c O
NH 2
2. Saure A minosauren
η
^Q^ ® I
ο
θ
Asparagin säure
Asp
2,77
Glutaminsäure
Glu
3,22
H3N-C-H CH 2 COOH
O^
^
Γ»θ
C © I H3N-C-H CH 2 CH 2 COOH
257
26. Carbonsäuren Tab. 26.9.1
(Fortsetzung)
3. Basische Aminosäuren
V
o.
o
CH2
I H 2 N-CH I CH2
CH2
¿H 2
CH2
¿H I 2 NH
ι H2N-C-H
X
CH 2 -NH 3
Name: Kurzbezeichnung: Isoelektrischer Punkt:
Lysin Lys 9,74
e
V ° · ® I H3N-C-H CH2
Ν
φ NH 2
N-H
NH,
Name: Kurzbezeichnung: Isoelektrischer Punkt:
Arginin Arg 10,76
Name: Kurzbezeichnung: Isoelektrischer Punkt:
Histidin His 7,59
Daneben gibt es „nicht-proteinogene" Aminosäuren wie Citrullin, γ-Aminobuttersäure und ß-Alanin.
V
® I
H3N-CH CH 2 I CH 2 I CH 2 I NH
Vo' CH 2 I CH 2 I CH 2
Vo' I CH 2 I CH2 I ®NH,
CH 2 I ®NH3
I
c=o I NH 2 Citrullin
y-Aminobuttersäure
ß- Alanin
Die chemischen Eigenschaften der Aminosäuren sind weitgehend von ihren beiden funktionellen Gruppen, der Amino- und der Carboxylgruppe, bestimmt. Aminosäuren enthalten sowohl eine saure als auch eine basische Gruppe und reagieren als amphotere Verbindungen. Da innerhalb eines Moleküls eine Protonenübertragung stattfindet, liegen Aminosäuren überwiegend als Zwitterionen vor:
258
C. Spezielle organische Chemie H
• I HjN—C—H
H,N—C — H
R R Bei Zugabe von Säure zur Aminosäure reagiert das Carboxylation als Base: 10,
'α—h
1
Η,•Ν—C—H + HjO HjN—C—H + HjO I I R Gibt man zur Aminosäure eine Base, so wirkt die Ammoniumgruppierung als Säure, indem sie ein Proton an die Base abgibt: 10*
Öf I Η,Ν—C—H
HjN—C—H + OH"
+ HjO
Insgesamt bestehen je nach dem pH-Wert in wäßriger Lösung folgende Gleichgewichte: /tf -o
-H2O +0H" © 1 HjN — C— H -0H" 1 +HjO R
HjN—C—H
+
+HjO -H20
Aminosäure a l s Kation
1 HjN—C—H I1 R Aminosäure a l s Anion
HjN—C—H R
Der pH-Wert, bei dem eine Aminosäure in wäßriger Lösung gleich viele positive wie negative Ladungen trägt, d.h. überwiegend als Zwitterion vorliegt, und daneben sehr geringe, aber gleiche Konzentrationen an Kationen und Anionen bestehen, heißt der isoelektrische Punkt. Beim pH-Wert des isoelektrischen Punktes erfolgt beim Anlegen eines Gleichstromfeldes (Elektrophorese) keine Ionenwanderung. Bei niedrigerem pH-Wert sind die Aminosäuren zu einem größeren Teil positiv geladen (Kationen) und wandern daher im elektrischen Feld zur Kathode. Führt man die Elektrophorese bei einem höheren pH-Wert durch, als dem isoelektrischen Punkt entspricht, so wandern die Aminosäuren, da sie in diesem Fall weitgehend als Anionen vorliegen, zur Anode.
26. Carbonsäuren
259
Da Ionen (Kationen und Anionen) leichter wasserlöslich sind als ungeladene Partikel, ist die Wasserlöslichkeit der Aminosäuren beim pH-Wert des isoelektrischen Punktes am kleinsten. Den pH-Wert des isoelektrischen Punktes erhält man aus der Beziehung: pH
_ pATSi + pKS2
pKsl bezieht sich auf die Säurestärke der Carboxylgruppe und ρK S2 auf die der protonierten Aminogruppe. Bei Aminosäuren mit mehreren funktionellen Gruppen gilt analog: 1. Saure Aminosäuren (mit einer zusätzlichen Carboxylgruppe), z.B. Glutaminsäure: pA^si
=
P^s der Carboxylgruppe höchster Säurestärke
pKS2 = P^s der Carboxylgruppe nächsthöchster Säurestärke 2. Basische Aminosäuren (mit einer zusätzlichem Aminogruppe), z.B. Arginin: pH = ρ KS2 + ρ KS3 2 pKS3 = pKs der Ammoniumgruppe geringerer Säurestärke pK§2 = ρ d e r Ammoniumgruppe höherer Säurestärke Die Carboxylgruppe der Aminosäure reagiert mit Alkoholen bei saurer Katalyse unter Esterbildung:
I H,N — C—Η I R
+ HÖR'
H*
I H,N — C — Η I R
+ Η,Ο
Da die Aminosäureester nicht mehr amphoter sind, können sie wie gewöhnliche schwache Basen mit starken Säuren titriert werden. Bildet man mit Formaldehyd Kondensationsprodukte, sog. Formaldimine, so blockiert man die basische Gruppe (SörensenReaktion): L I H—C—NH, R
u / + 0=C^ H
ν* I HjO + H—C—N=CH, R
Das Kondensationsprodukt ist so mit starken Laugen gegen Phenolphthalein als Indikator titrierbar. In den Proteinen sind Aminosäuren säureamidartig verknüpft, d.h. die Carboxylgruppe einer Aminosäure ist mit der Aminogruppe einer anderen unter Wasseraustritt zusammengeschlossen:
C. Spezielle organische Chemie
260
H,N
R I .CH
0 I)
H
C II O
-OH •
iN\
R H 0 / C \ I I II CH OH — .CH .Νn + H,0 I H,N ^C CH OH R· II I O R ' Dipeptid
Die C-N-Bindung der Säureamidgruppiefung - C O - N H - hat die Bezeichnung PeptidBindung. Wie in anderen Säureamiden bedingt der — I-Effekt der benachbarten Carbonylgruppe eine - verglichen mit den Aminen — herabgesetzte Basizität des N-Atoms. Der planare Bau (das C-Atom der Carbonylgruppe, das N-Atom der Amidgruppe und alle vier an diese beiden gebundenen Atome liegen in einer Ebene) zeigt die Bildung von polyzentrischen Molekülorbitalen an: H H 1/ I U ι II \0/
13 101°
ι -
Jede nicht endständige Aminosäure ist in einer Peptidkette an zwei Peptidbindungen beteiligt. Ist Prolin Bestandteil einer Polypeptidkette, so ist an dieser Stelle der Peptidstickstoff in einen Ring eingebaut. Für die räumliche Struktur wirkt sich das so aus, daß an dieser Stelle ein „Knick" in der Kette auftritt: Η I I
o=c
Die beiden endständigen Aminosäuren bilden nur eine Peptidbindung aus. Eine der endständigen Aminosäuren trägt eine freie Aminogruppe, die andere eine freie Carboxylgruppe, weshalb man sie als Ν-terminale bzw. C-terminale Aminosäure bezeichnet. Zwei Peptidketten können außer an ihren Enden auch über Seitenketten von Aminosäuren verknüpft sein, z.B. über eine Disulfidbrücke ( - S - S - ) unter Beteiligung zweier Cysteine oder über eine Amidbindung der Seitenkette einer sauren Aminosäure (Asparaginsäure, Glutaminsäure) mit der Seitenkette von Lysin. 7 \ HN C=0 \ / C=0 NH / /CH—CH—S—S— CH,—CH \
\
C—0
H
/
\
/ 0 c=0 NH II / \ / JXH—CH— CH,—C — NH—v CH,7 L —CH 0=»C \ \ NH
/
261
26. Carbonsäuren
Für die Angabe der Sequenz (Primärstruktur), das ist die Reihenfolge der Aminosäuren in einem Peptid, haben sich Kurzbezeichnungen eingebürgert, in der meist die ersten drei Buchstaben des Trivialnamens die Aminosäure symbolisieren. An den Kettenenden bezeichnet H die N-terminale und OH die C-terminale Aminosäure. Die Kurzschreibweise für Glycyl-seryl-alanin ist H - G l y - S e r — A l a - O H . H 0 CH, I II I ^ChU Ν /C CHx J Ò H2N C CH Ν cr II I I OH 0 CH,OH Η Peptidketten, an deren Aufbau bis zu 10 Aminosäuren beteiligt sind, bezeichnet man als Oligopeptide, solche mit etwa 10—100 Aminosäuren als Polypeptide. Bauen mehr als 100 Aminosäuren ein Molekül auf, so liegt ein Makropeptid bzw. Protein (Eiweiß) vor. Proteine haben Bedeutung als Enzyme (Biokatalysatoren), als strukturgebende Moleküle (z.B. Collagen), als Transportmoleküle (z.B. Serumalbumin) als strukturerkennende Moleküle (Rezeptoren) und als Hormone. Oft sind Proteine mit anderen Gruppen verbunden, z.B. mit Lipiden (s. Kap. 32, die Verbindung heißt dann Lipoprotein), mit Kohlenhydraten (s. Kap. 31, die Verbindung heißt dann Glycoprotein), mit Metallionen (s. Kap. 13.11, die Verbindung heißt dann Metalloprotein). Wir haben bereits gesehen, wie Proteine aus Aminosäuren aufgebaut sind und wie einzelne Polypeptidketten kovalent verknüpft werden können. Zusätzlich zu chemischen Bindungen werden Proteine durch elektrostatische Kräfte, Wasserstoffbrückenbindun- gen und sogenannte hydrophobe Wechselwirkungen zusammengehalten, wie das folgende Schema zeigt. \ / X = 0 · · • Η—Ν Wasserstoffbrückenbindung Η — fsj \ \
C=0
\
(alle Aminosäuren außer Prolin)
'
C=0
/ NH-^CH—CH— CH—CH—CH—NHj ®
\ NH © — CH,—CH / Ó0C > - 0 Asparagi nsäure
Lysin
elektrostatische Kräfte wirken zwischen basischen (Lysin, Arginin) und sauren (Glutaminsäure, Asparaginsäure) Aminosäuren
\
/ NH
c=o CH,
/ ' ^CH—CH,— CH \ CH, \ Leucin
CH,
\
NH / CH \ CHj C=0 / Valin
\ CH /
hydrophobe Wechselwirkungen wirken zwischen Aminosäuren mit großen unpolaren Resten (Valin, Leucin, Isoieucin, Phenylalanin, Tryptophan)
262
C. Spezielle organische Chemie
Für die Wirksamkeit von Proteinen ist die räumliche Struktur entscheidend. Eine Zerstörung der räumlichen Anordnung der einzelnen Proteinketten, ohne daß kovalente Bindungen gebrochen werden, nennt man Denaturierung. Eine Denaturierung, die im allgemeinen nicht einfach rückgängig gemacht werden kann und einen Verlust der biologischen Aktivität bewirkt, wird durch eine Störung des fein ausgewogenen Gleichgewichts der einzelnen Beiträge bewirkt, die die Polypeptidketten zusammenhalten. Denaturierung kann erfolgen durch Hitze, zu hohe oder niedrige Salzkonzentrationen (Einfluß auf elektrostatische Beiträge), Säuren oder Basen (Veränderung der Ladungen durch Protonierung oder Deprotonierung von Seitenketten und Enden) und Detergenzien (s. Kap. 11.9) oder Lösungsmittel (Einfluß auf hydrophobe Wechselwirkungen). Bei der Denaturierung werden keine chemischen Bindungen gespalten. Man kann Proteine aber auch durch Hydrolyse der Peptidbindungen in einzelne Aminosäuren zerlegen. Die Hydrolyse der Peptidbindung gelingt mit starken Säuren, wobei man Aminosäuren in protonierter Form erhält oder mit starken Basen. Dabei entstehen Aminosäureanionen. Zum Nachweis von Aminosäuren und Peptiden auf Papier- und Dünnschichtchromatogrammen und zur kolorimetrischen, quantitativen Bestimmung von Aminosäuren dient ihre Reaktion mit Ninhydrin (2,2-Dihydroxyindan-l,3-dion). Ninhydrin reagiert mit Aminosäuren unter Bildung eines blauvioletten Farbstoffes. Im ersten Reaktionsschritt kondensiert die Aminosäure mit Ninhydrin: 0 0
0 0 Das Kondensationsprodukt spaltet C 0 2 ab, anschließend bildet sich ein Tautomeriegleichgewicht aus: 0 0
0
0 0
263
27. A m i n e
Die letztere Verbindung stellt ein Iminoderivat eines Aldehyds dar, der aus ihr bei Hydrolyse entsteht: 0 0 + H,0 N=CH—R
2-Aminoindan-1,3-dion
Aldehyd
Im Verlauf der Reaktion wird die Aminofunktion der Aminosäure zum Aldehyd oxidiert. Abschließend kondensiert das 2-Amino-indan-l,3-dion mit Ninhydrin zum Farbstoff: 0
V
-2H20
ç/\„, o Tautomerie
OH
OH
0
C
\
- @C/ io
II 0
»o
C
—N=C
/
Y ι 0
27 Amine 27.1 Struktur und Benennung Amine sind formal Substitutionsprodukte des Ammoniaks. Je nach der Anzahl der im NH 3 substituierten Wasserstoffatome ordnet man Amine in primäre, sekundäre und tertiäre. In den quartären Ammonium-Ionen sind alle vier Wasserstoffatome des Ammonium-Ions durch organische Reste ersetzt. Beispiele: CH, CH, CH—NHj
CHj—NH—CHj
CHj—Ν — CH,
CH,—N—CH,
Methylamin primär
Dimethylamin sekundär
Trimethylamin tertiär
Tetramethylammoniumion quartär
CH,
264
C. Spezielle organische Chemie
Die Benennung der Amine erfolgt nach der IUPAC-Nomenklatur durch Anhängen der Bezeichnung -amin an die Namen der Kohlen wasserstoffreste, die an den Stickstoff gebunden sind. Vor gleiche Reste stellt man die Zahlworte di-, dri-, oder tetra. Bei ungleichen Resten wird d^r größte zusammen mit der Aminogruppe zur Stammverbindung. Die anderen werden als am Ν sitzende Substituenten benannt, z.B. CH,
I
CH,
I
CHJ—Ν — C H , — C H — CH3
N-Ethyl-N-methyl-propylamin Muß man die Aminogruppe als Substituent bezeichnen, stellt man den Namen Aminobei primären, N-Alkylamino- (z.B. Methylamino) bei sekundären und N,N-Dialkylamino-(z.B. Dimethylamino) bei tertiären Aminen voraus. COOH
p-Dlethylamlnobenzoesëure Einige aromatische Amine haben Trivialnamen: Phenylamin
NH2 bezeichnet
man als Anilin.
27.2 Chemische Reaktionen der aliphatischen Amine Infolge des +I-Effektes der Alkylgruppen sind die aliphatischen Amine stärker basisch als Ammoniak. Die Salze der Amine mit Säuren sind wasserlöslich, z.B.: H CH,—NI + H,0 +
+ H,0 H Methylammoniumion
Primäre, sekundäre und tertiäre aliphatische Amine unterscheiden sich in ihren Reaktionen mit salpetriger Säure. Primäre Amine geben mit H N 0 2 N 2 , als organische Produkte werden Gemische von Alkoholen und Olefinen erhalten. R - C H 2 - N H 2 + ΗΝΟ2
R - C H 2 - O H + H 2 O + N2
Die Reaktion dient zur quantitativen Bestimmung primärer Amine (und auch Aminosäuren) nach van Slyke, indem man das Volumen des entstandenen Stickstoffs mißt. Sekundäre Amine ergeben mit H N 0 2 die nicht wasserlöslichen, gefärbten Nitrosamine:
27. Amine
265
HN0 2 + Bao* 2 N0 + + 2 H 2 0 R-CH, Ν + IN—CÌ / \ R—CH, Η
R—CH,
/ \ -
R—CH, '
^
R—CH, H
/
R—CH, Nitrosamin
N-Nitrosoverbindungen sind potente krebserregende Verbindungen(Cancerogene). Ist Nitrit, das Salz der salpetrigen Säure HN0 2 , in der Nahrung vorhanden, so bietet das saure Milieu des Magens die chemischen Voraussetzungen zur Umwandlung sekundärer Amine in N-Nitrosamine. Tertiäre Amine reagieren mit HN0 2 zu Salzen (Nitriten). Die quartären Ammoniumsalze Cholin und Acetylcholin sowie der Aminoalkohol Colamin haben biologische Bedeutung: CH3 CH, I® I. H,C—CH,—Ν—CH, H,C—CH, H f -CH,—Ν—CH, I Ί ι I I HO NH, HO CH, 0 CH, 1 Colamin 2-Aminoethanol Ethanolamin
Cholin Trimethyl-(2-hydroxyefhyl) ammonium
< % H , Acetylcholin
27.3 Chemische Reaktionen aromatischer Amine Da das freie Elektronenpaar einer direkt an einen aromatischen Kern gebundenen Aminogruppe mit den polyzentrischen Molekülorbitalen des aromatischen Systems größere Molekülorbitale bildet, steht das Elektronenpaar weniger zur Bindung eines Protons zur Verfügung. In der Schreibweise der Resonanzstrukturen erhält man:
Η Die aromatischen Amine sind deshalb schwächere Basen als Ammoniak (p^ B Anilin = 9,42).
C. Spezielle organische Chemie
266
Auch die aromatischen Amine reagieren mit salpetriger Säure unterschiedlich. Primäre Amine liefern bei 0°C mit H N 0 2 die wasserlöslichen Diazoniumsalze. Unter der Einwirkung von starken Säuren bildet sich aus salpetriger Säure das Nitrosylkation: _ ® _ _ H30+ + H - 0 - N = Ò ; t- H20 + Η - 0 - Ν = φ ί 2 H 2 0 + Ν = φ I ® Η Das Nitrosylkation reagiert mit dem Anilin:
Nitrosammoniumion
Das Nitrosammoniumion gibt an Wasser ein Proton ab. Das dabei erhaltene Nitrosamin lagert sich in das Diazohydroxid um: Η Ν — Ν = φ
+ HjO —
H,0+
+
Ν—N=d
Nitrosamin
I Η
Η
Tautomerie
N = N
OH
Diazohydronid
Im sauren pH-Bereich entsteht aus dem Diazohydroxid das Diazoniumion: - I ®
N = N
HjO*" V ÖH
OH"
2H20 +
N=N®
Θ
Ns=NI
OH+N,
2H20
+HjO+
Diazoniumion
Diazoniumsalze sind nur bei tiefer Temperatur (2 γ -Pyran
Thiophen
.η ,3
Pyrazol
Chinolin
Pyrazin j
5
Purin
H' 3 3
•O· *Γ, Ν
Imidazol
Pyrimidin
Η
iN^N Ν
Pteridin
Ν3 Oxazol
y2
ss. s
0< Pyridazin 3
Ν Thiazol
Ss.
rr
>2
Da das freie Elektronenpaar des Stickstoffatoms in Pyrrol ein Teil des aromatischen Sextetts ist, steht es weniger zur Bindung eines Protons zur Verfügung. Die Basizität des Pyrrols ist deshalb viel geringer als die aliphatischer Amine. Pyrrol wirkt gegenüber Alkalimetallen sogar als Säure, beispielsweise entwickelt es mit Kalium Wasserstoff:
286
C. Spezielle organische Chemie
2Û
+ 2Κ+ + Η,
U2K. Ν I Η
Ν 5
Beim Pyridin
dagegen ist das freie Elektronenpaar des Stickstoffs nicht an der Ν Ausbildung des aromatischen Sextetts beteiligt, da es senkrecht zu den polyzentrischen Molekülorbitalen des aromatischen Sextetts steht. Pyridin ist daher, wenn auch vergleichsweise schwach, basisch (piCB«10). Auch Pyrazol und Imidazol reagieren deutlich basisch. Im Vergleich mit Pyrazol ist Imidazol die stärkere Base, aber auch die stärkere Säure. Der Grund besteht darin, daß bei Imidazol sowohl das durch Protonenanlagerung entstehende Kation als auch das durch Entfernung eines Protons erhaltene Anion durch den größeren Abstand der möglichen Ladung stärker mesomeriestabilisiert ist als bei Pyrazol:
-H* Ν
θ
Η
N® +H+
Imidazol
Die Hydrierung von Pyrrol führt zu Dihydro- und zu Tetrahydropyrrol:
2,5- Oihydropyrrol 3 - Pyrrolin
Tetrahydropyrrol Pyrrolidin
Biologisch wichtige Pyrrolderivate sind die Porphyrine (roter Blutfarbstoff Hämoglobin, grüner Blattfarbstoff Chlorophyll) und Vitamin B12. Häm ist ein Porphyrin, das in seinem Zentrum Eisen in der Oxidationsstufe +2 trägt und einen Bestandteil des Hämoglobins darstellt:
31. Heterocyclen
287 COO
COO"
Porphyrin ist ein aromatisches System und deshalb eben gebaut. Die anderen beiden erwähnten Pyrrolderivate sind ähnlich aufgebaut und enthalten ebenfalls im Zentrum ein Metallatom, und zwar Magnesium im Fall von Chlorophyll und Cobalt im Fall von Vitamin B12 (weshalb dieses auch „Cobalamin" genannt wird). Pyrazol hat als Grundkörper pharmakologisch wirksamer Substanzen Bedeutung. Das Imidazolderivat Histamin, das bei der enzymatischen Decarboxylierung der Aminosäure Histidin entsteht, wirkt blutdrucksenkend und ist auch am Zustandekommen allergischer Reaktionen beteiligt. HOOC — CH — C H j — r NH,
Ν
r
•
Histidin
CO, +
H,N—CH,—CH,—τ—Ν
VΪ
Histamin
Η
Das Thiazolringsystem findet sich im Vitamin Bj und in den Penicillinen. Biologisch wichtige Pyridinderivate sind das Nicotinsäureamid und das Pyridoxal (Vitamin B6):
Nicotinsäureamid
Pyridoxal
288
C. Spezielle organische Chemie
31.2 Nucleinsäuren Die Pyrimidinderivate Uracil, Thymin und Cytosin sind ebenso wie die Purinderivate Adenin, Guanin und Hypoxanthin (Tab. 31.2.1) die heterocyclischen Bestandteile der Nucleinsäuren. Sie werden fälschlich als „Basen der Nucleinsäuren" bezeichnet, obwohl zumindest einige Vertreter (Uracil, Thymin, Hypoxanthin) nicht basisch sind. Tab. 31.2.1 Heterocyclische Bestandteile der Nucleinsäuren Pyrimidinderivate :
NH, HN Ν Η
Η Thymin
Uracil
Purinderivate :
Cytosin
NH,
Nr , 9/ ""N Η
HjN
Ν Guanin
Adenin
-N Η Hypoxanthin
Sind diese sogenannten Basen ß-glycosidisch mit D-Ribose (s. Kap. 30) verbunden, so nennt man diese Verbindung Nucleosid. Bei Pyrimidinen ist der Anknüpfungspunkt das Stickstoffatom Ν—1, bei Purinen N—9. Tab. 31.2.2 gibt die Namen der Nucleoside an. Tab. 31.2.2
Heterocyclus
Nucleosid
Vorkommen der Heterocyclen in Nucleinsäuren (s. unten)
Uracil Thymin Cytosin Adenin Guanin Hypoxanthin
Uridin Thymidin Cytidin Adenosin Guanosin Inosin
RNA DNA RNA + DNA RNA + DNA RNA + D N A RNA
289
31. Heterocyclen
Nucleotide. Je nachdem, ob in der 5'-Stellung ein, zwei oder drei Phosphatgruppen vorliegen, heißen die Verbindungen Nucleotidmono-, di- oder triphosphate. Nucleotidtriphosphate (z.B. ATP) sind energiereiche Verbindungen (s. Kap. 33), deren Energie für Muskelkontraktionen oder zum Knüpfen von Bindungen verwendet wird. NH,
Cyclisches Adenosinmonophosphat (cAMP) hat zur intrazellulären Weiterleitung von Hormonsignalen Bedeutung.
290
C. Spezielle organische Chemie
Ribonucleinsäuren (RNS bzw. RNA, von engl, „acid") bestehen aus Nucleosiden, die über ihre Zucker zwischen den 5'- und den 3'-Hydroxylgruppen durch eine Phosphodiesterbindung verknüpft sind. In Desoxyribonucleinsäure (DNS bzw. DNA) ist die Hydroxylgruppe in 2'-Stellung durch ein Wasserstoffatom ersetzt. In DNA ist die genetische Information gespeichert (von Sonderfällen abgesehen). Die Realisierung der genetischen Information erfolgt durch ein erstes Überschreiben in die Messenger-RNA („Transkription"), die dann als Vorlage zur Protein-Biosynthese dient („Translation"). Die Natur bedient sich dabei eines Codes, bei dem drei Nucleinbasen einer Aminosäure entsprechen (genetischer Cote, Triplett-Code). Bei diesem Vorgang ist es entscheidend, daß nur bestimmte Nucleinbasen mit bestimmten anderen durch Ausbildung von Wasserstoffbrückenbindungen („Basenpaarung") zwei Nucleinsäurestränge miteinander verbinden können.
Ausschnitt aus einem Ribonucleinsäuremolekül (RNA)
DNA bildet aus zwei Desoxyribonucleinsäuren bestehende Doppelstränge, die durch Wasserstoffbrückenbindungen zusammengehalten werden. Diese Doppelstränge sind schraubenartig angeordnet, weshalb man sie als Doppelhelix bezeichnet. Aus räumlichen Gründen ist eine Basenpaarung durch Wasserstoffbrückenbindungen nur zwischen Adenin und Thymin (bzw. Uracil bei RNA) und zwischen Guanin und Cytosin möglich. Diese Selektivität bildet die molekulare Grundlage für die Ablesung
291
31. Heterocyclen
e
0—Ρ
des genetischen Codes. Ebenso wie Proteine denaturiert der DNA-Doppelstrang in Einzelstränge, wenn folgende Einflüsse auf ihn einwirken: zu hohe Temperatur oder Salzkonzentration, Säuren, Basen und wasserstoffbrückenbildende Verbindungen wie z.B. Harnstoff. Die Reaktion von salpetriger Säure mit DNA erzeugt Veränderungen in der Aufeinanderfolge der Nucleotide (Mutationen). Wie wir in Kap. 27.3 gesehen haben, reagieren primäre aromatische Amine mit salpetriger Säure (bei Temperaturen über 0°C) zu den entsprechenden Hydroxyverbindungen. Dadurch wird Adenin zu Hypoxanthin, Cytosin zu Uracil und Guanin zu Xanthin. OH
HNOj+ ΐ
|(
\
—
H,0 • N ? + I
¡ Γ / Tauto merie
Adenin
NH, HNOj+
0^
"N' Η Cytosin
Hypoxanthin
292
C. Spezielle organische Chemie
Guanin
Xanthin
Die Mutation entsteht dadurch, daß Hypoxanthin, das aus Adenin entstanden ist, durch Wasserstoffbrückenbindungen mit Cytosin statt mit Thymin einen zweiten Nucleinsäurestrang findet. Bei der Realisierung der genetischen Information kann dadurch z.B. eine falsche Aminosäure in ein Protein eingebaut werden, da der Triplettcode verändert ist (s. oben). Das gleiche gilt für Uracil, das aus Cytosin entstanden ist. Uracil „paart" mit Adenin, während Cytosin mit Guanin entsprechende Wasserstoffbrückenbindungen bildet. Xanthin verhält sich in dieser Hinsicht gleich wie Guanin (es „paart" mit Cytosin), so daß in diesem Fall kein Effekt sichtbar ist.
32. Lipide 32.1 Fette Natürliche Fette und Öle sind Ester geradzahliger, gesättigter oder ungesättigter Fettsäuren höherer Molekülmasse (meistens 12-20 C-Atome) mit Glycerin (Triglyceride, Triacylglycerine). O II
HJ C O C (CHJ )X—CH3
I I
0
0
H C — O — ( C H 2 )y—CH 3
Triacylglycerin
Die Hydrolyse der Fette und Öle ergibt Glycerin und Fettsäuren (vorwiegend Palmitin-, Stearin-, Öl-, Linol- und Linolensäure) und ermöglicht so die Bestimmung der Zusammensetzung der Triacylglycerine. Die festen Fette enthalten hauptsächlich gesättigte Fettsäuren. Der Schmelzpunkt sinkt, je höher der Anteil der ungesättigten Fettsäuren ist. Bei den ölen ist er am größten. Die natürlich vorkommenden Fette sind immer Gemische zahlreicher Triacylglycerine. Die Anordnung der Fettsäuren in den Glyceriden folgt keinen bestimmten Gesetzmäßigkeiten. Bei der alkalischen Hydrolyse von Fetten entstehen Alkalisalze höherer Carbon-
32. Lipide
293
säuren. Da diese als Seifen verwendet werden, bezeichnet man ganz allgemein eine hydrolytische Spaltung als „Verseifung". Fette werden in Pflanzen, im tierischen und menschlichen Organismus in Form von Triacylglycerinen als Depotfett gespeichert und dienen hauptsächlich als Energiereservesubstanz. Wir finden die Fette jedoch auch als Strukturbestandteile mancher Gewebe und in den Lipoproteiden des Blutes.
32.2 Phosphatide, Sphingolipide und Glycolipide In den Zellen finden wir vor allem Phosphatide (Phospholipide, Phospholipoide) und Glycolipide, die am Aufbau von Membranen beteiligt sind. In den Phosphatiden sind zwei Hydroxylgruppen des Glycerin mit zwei Molekülen Fettsäuren und die dritte mit einem Molekül Phosphorsäure verestert (Phosphatidsäure): 0 II 0
h
II
c-o-c-r
2
I
R-C-O-C-H
I
O
II
H2C-0-P-0H
Phosphatidsäure
Die Phosphorsäure ist zusätzlich noch mit einem weiteren Alkohol, z.B. Cholin, Colamin, Serin oder Inosit, verestert. In den Sphingolipiden ist der dreiwertige Alkohol Glycerin durch den zweiwertigen, ungesättigten Aminoalkohol Sphingosin ersetzt. Die höhere Fettsäure ist säureamidartig mit der Aminogruppe des Sphingosin verknüpft (Ceramid). H 3 C—(CH2)i 2 - C H = C H - C H - C H - C H 2 OH OH NH 2 Sphingosin
O II hn-c-cch2)16-ch3 h o - H 2 C-CH-CH-CH=CH-