C. M. Wielands Sämmtliche Werke: Band 35/36 Philosophische und kulturhistorische Werke, Band 6 [Reprint 2021 ed.] 9783112465103, 9783112465097


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C. M. Wielands Sämmtliche Werke: Band 35/36 Philosophische und kulturhistorische Werke, Band 6 [Reprint 2021 ed.]
 9783112465103, 9783112465097

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E M. SB i t la nb 4 sämmtliche

Werke

Fünf und dreißigster Band.

Herausgegeven von

Z. G. Gruber.

Philosophische und Kulturhistorisch« Wert« vi. Band. Bgathodämon.

r e r p 1 i g, bev Georg Joachim Göschen »925.

fBielanbttlaiatiM D. 35 Db.

Hegesias von Cydonia an seinen Freund Timagenes.

Hier, lieber Timagenes, sende ich dir die verlangte Erzählung meines Abenteuers (wenn ich es anderso nennen kann) mit dem außerordentlichen Manne, den ich in einer beinahe unzugangbaren Einöde der weißen Berge kennen lernte. Billig mußte die geheimnißvolle Art, wie ich die­ ser Begebenheit bei unsrer neulichen Unterredung er­ wähnte, deine Neugier um so viel höher spannen, da ich die Auflösung des verwickelten Knotens, der uns damals beschäftigte, in ihr gefunden zu haben versicherte, ohne mich in eine nähere Erklärung ein­ lassen zu wollen. In der That schien mir die Stiche von solcher Beschaffenheit zu seyn, daß sie sich besser für eine schriftliche Erzählung, zu welcher ich durch sorgfältige

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Sammlung meiner Erinnerungen mich vorbereiten könnte, als für den irrenden Gang eines Gesprächeschickte; und gewiß wurdest du, wenn ich deiner Un­ geduld damals nachgegeben hatte, manchen nicht gleich­ gültigen Zug an dem Bilde dieses merkwürdigen Menschen verloren haben. Erwarte indessen nicht mehr als ich geben kann. Was du hier empfängst, wird doch weiter nichts als ein leicht gefärbter Umriß deS tebentigen Bildes seyn, welches Agathodämon selbst mit enkaustischen Farben meinem Herzen einbrannte. Denn wie viel hier ver­ loren gehen mußte, wirst du nur zu gut einsehen, wenn ich dich ein wenig bekannter mit meinem Wun­ dermanne gemacht haben werde.

Erstes

B u ch

I.

Bor einigen Jahren, als ich auf einer der botani­ schen Wanderungen, die ich all? Frühlinge vorzuneh­ men gewohnt bin, einen Theil des Diktaischen Ge­ birges durchstrich, fügte sichs, daß ich mich genöthigt sah, meine Nachtherberge bei einigen Ziegenhirten zu nehmen, die sich den Sommer über mit ihren Herden auf diesen Bergen aufzuhalten pflegen. Gutherzig theilten sie ihren kleinen Dorrath mit mir; und da ich an der Unterhaltung mit ungebildeten aber dafür auch unverkunstelten Menschen immer ein eigenes Be­ lieben fand, so brachten wir einen Theil der Nacht mit allerlei zufälligen Gesprächen hin. Unvermerkt geriethen wir auf die Lieblingsmaterie dieser Art Leute, auf wunderbare Geschichten von Ahnungen, Erscheinungen, Zaubereien, Verwand­ lungen, Berggeistern, und was sonst in dieses Fach gehört. Kreta, die Wiege des großen Zevö, ist bekanntlich an dieser Art luftiger Waare reich, und

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Agathodämon.

es giebt vielleicht kein Volk in der Welt, die Thessa­ lier selbst nicht ausgenommen, das den Kretern in der Neigung, unglaubliche Dinge zu erzählen und zu glauben, den Vorzug streitig machen könnte. Meine Wirthe schienen an solchen Geschichten unerschöpflich zu seyn; und wiewohl sie ehrlich bekannten, sie hat­ ten das wenigste aus eigner Erfahrung, so waren es doch immer Augenzeugen, denen sie diese Wun­ derdinge mit einer solchen Lebhaftigkeit und Gewißheit nacherzählten, daß ihnen unvermerkt eben so dabei zu Muthe ward, als ob sic das Gehörte selbst gese­ hen hatten. Du trauest mir hoffentlich so viel Nachsicht gegen die schwache Seite der menschlichen Natur, oder wenigstens so viel Klugheit zu, daß ich diese guten Leute nicht durch entschiednen Unglauben und hart­ näckigen Widerspruch gekränkt, und mir selbst dadurch ihre gute Meinung entzogen haben werde. Alles was ich mir erlaubte, waren Zweifel, ob solche Erzäh­ lungen, indem sie aus einem Mund in den andern gingen, nicht unvermerkt ziemliche Veränderungen erlitten? Ob nicht etwa der erste Erzähler zuweilen ohne seine Schuld sich selbst getäuscht haben, oder von andern getäuscht worden seyn könnte? und der­ gleichen. Wir sind nur einfältige Leute, sagte einer von ihnen, und verstehen uns nicht auf die gelehrten Dinge, die du da vorgebracht hast; aber was wirst

Erstes Buch.

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du sagen, wenn wir dich versichern, daß seit geraumer Zeit in dieser, nämlichen Gegend eine Art von Dämon sich aufhalt, den ein jeder von unS, schon mehr als Einmal, wiewohl immer nur bei Nacht, gesehen hat, ohne daß wir begreifen wo er herkommt, oder wo er hingeht, wenn er uns aus den Augen schwindet; denn noch keiner von uns hat den Muth gehabt, ihm nachzugehen. Wer es versuchen wollte, dem war als ob ihn eine unsichtbare kalte Hand berühre, und er mußte wie im Boden eingewurzelt stehen bleiben. Die Sache hat ihre Richtigkeit: du kannst es uns ohne Bedenken nachsagen. Wunderbar genug! rief ich: und unter welcher Gestalt laßt sich denn dieser Dämon sehen? Gewöhnlich, erwiederte einer von den Hirten, als ein langer hagerer Greis von einer Ehrfurcht gebietenden Gesichtsbildung, und einem weit kräfti­ gern Aussehen, als man von seinem eisgrauen Bart und den weißen Locken, die noch ziemlich dicht auf seinem Nacken liegen, erwarten sollte. Er zeigt sich gewöhnlich in einem langen enge gefalteten Rock von weißer Leinewand, mit einem Lorberkranz um die Stirn, und mit einem schlangengleich gewundnen Stab in der Hand. Einige unsrer Nachbarn, sagte ein andrer, haben ihn kurz vor Sonnen - Aufgang als einen schönen gelblockigen Jüngling, mit einer Lyra im Arm, auf einer Felsenspitze sitzen sehen, wo er mit einer un-

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A g a t h o d a m o n.

beschreiblich süßen Stimme dem Gott des Tages einen Hpmn entgegen sang. Beim Pan! rief ein junger Hirt, ich selbst hab' ihn in dieser Gestalt gesehen und fingen gehört. Es ging die Rede/ setzte ein Alter hinzu, eine von unsern Meibern habe ihn einstmals in Ge­ statt einer ungeheuern .großen Schlange zwischen den Felsen in eine Kluft hinein schlüpfen gesehen: aber wie wir genauer nachfragten, wollte sich keine finden) dieses mit eignen Augen gesehen hatte. Das gewisseste ist, daß wir unS seit der Erscheinung dieses DamonS besser befinden. Denn daß er unS Glück bringt, ist augenscheinlich. Unsre Herden haben fich, seitdem er sich in unsrer Nahe aufhalt, dreifach vermehrt, und es ist keiner von uns, dem er nicht Gutes gethan hatte.

Davon kann ich ein Wort mitsprechen, fiel ihm einer ein. Ich vermißte neulich eine meiner besten Ziegen. Nachdem ich sie im ganzen Gebirge verge­ ben- gesucht hatte, und mnd' und mißmüthig nach Hause kehren wollte, rief mich jemand bei meinem Namen: und wie ich mich umsah, stand er an einer Erpresse und sagte mir: Lykas, deine Ziege weidet dort zwischen den Felsen neben dem Wasserfall. Ich erschrak so heftig, daß er schon wieder verschwunden war, eh' ich ein Wort herausbringen konnte; und da ich hinging, fand ich meine Ziege, mit Blumen und

Erstes Buch.

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Bändern bekränzt, ruhig auf derselben Stelle weiden, die der Genius bezeichnet hatte. Meinen Vater ( sagte ein andrer ) hat er bloß dadurch, daß er Ihn anrührte und ihm einen Becher Weins, mit dem Saft unbekannter Kräuter vermischt, auszutrinken gab, von einer langwierigen Krankheit hergestellt. Er weiß alles was uns gebricht, sagte ein drit­ ter, und wir finden es entweder unversehens in un­ sern Hütten, oder er schickt es uns durch eine junge Nymfe zu, die ihm dient, oder ihn vielleicht noch näher angeht, Eine Nymfe I rief ich: woher wißt ihr, daß es eine Nymfe ist? Was könnte sie anders seyn's antwortete jener mit Verwundrung über meine Frage: sie erscheint, eben so wie er selbst, nur bei Nacht; niemand von den unsrigen kennt sie, oder weiß ihren eigentlichen Aufenthalt; auch ist sie an Gestalt und Kleidung ganz von unsern Mädchen verschieden. Das alles ist sonderbar genug, sagte ich mit einer etwas unglaublichen Miene. Sie versicherten mich, ich könnte mich von der Wahrheit ihrer Aussagen durch mich selbst überzeu­ gen , wenn ich nur etliche Tage in dresen Gegenden des Gebirges verweilen wollte. Es vergeht, sagten sie, selten eine heitre Nacht, ohne daß der A g athodämon da oder dort sichtbar wird. Denn so

IO

Agathvdämon.

nennen wir ihn, weil wir ihm keinen andern Namen zu geben wissen. Ihn zu fragen, wer er sey, und unter welchem Namen wir ihn verehren sollen, hat sich noch keiner von uns unterfangen. Einer und der andere wollten es versuchen: aber sobald sie ihm ins Gesicht sahen, blieb ihnen die Frage im Munde ste­ cken : es war als ob sein Blick sie zw Boden würfe; sie fielen vor ihm nieder, und er war verschwunden, ehe sie eS wagten wieder aufzuschauen. Ihr seyd gar zu schüchtern, meine Freunde, sagte ich; was solltet ihr, da er so gut ist, von ihm zu befürchten haben? Ich wenigsten- getrauete mir, ihn

auf der Stelle aufzusuchen und an-ureden, wenn ihr mich an einen Ort bringen wolltet, wo er zu erschei­ nen pflegt. »Die gemeine Meinung ist, daß er in einem der Felsen wohne, die sich über jenem Kiefernwald erhe­ ben : aber den Eingang zu seiner Wohnung hat noch niemand gefunden." Vermuthlich, fiel ich ein, weil sich noch niemand

getraut hat ihn zu suchen. Welcher unter euch hat Lust dieses Dierdrachmenstück zu verdienen, wenn er mich bis zu den Felsen begleitet? Nach langem Zögern erbot sich endlich einer von den jüngsten dazu, aber unter keiner andern Bedin­ gung, als wenn einer seiner Gesellen mitgehen wollte. Ich zog noch einen Staier für den Begleiter meines Führers hervor; und da sich sogleich einer

Erstes Tuch.

ii

fand, der das Abenteuer unter dieser Bedingung wagen wollte, so machten wir uns bei sehr Hellem Mond­ schein, von den guten Wünschen der übrigen begleitet, auf den Weg. Al- wir endlich mit vieler Beschwerlichkeit den

Wald erstiegen hatten, sahen wir uns, gegen die Zeit derMorgsndämmerung, amFuß einer hohenFelsenwand, auf der Ostseite mit steilen Abgründen und von der entgegen stehenden mit über einander gethürmten Fel­ senstücken und dicht verwachsnen Gesträuchen umge­ ben, durch welche es beim ersten Anblick unmöglich schien, fich einen Weg zu machen. Der Tag fing be­ reit- an zu dämmern, und eine scharfe Morgenluft verdoppelte das Schauerliche dieser furchtbaren Witdniß. Meine Begleiter bestanden darauf, daß sie nicht weiter gehen könnten, fall- ich kühn genug wäre, durch die unzugangbaren Trümmer noch höher empor dringen zu wollen; und da dieß allerdings meine Meinung war, so empfahlen sie mich dem Schutze des Agathodamon, dem sie, seiner Menschen­ freundlichkeit ungeachtet, nicht sonderlich zu trauen schienen, und ließen mich allein. Die mahrchenhaste Erzählung der guten Leute von diesem vermeinten GeniuS hatte ein unbezwing­ bares Verlangen in mir erregt, einen so sonderbaren Einsiedler durch mich selbst kennen zu lernen. Ich be­ schloß also das ganze Gebirge so lange zu durchsuchen, bis ich ihn oder seine Wohnung gefunden haben würde.

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Agathodämon

II. Nachdem ich etwa dreißig Fuß hoch mit großer,Mühe über die Trümmer empor geklettert war, entdeckte ich eine Art von steilem Fußsteig, der mich mit Hülfe der Gesträuche, die zwischen den Spalten des Ge­ steins hervor drangen, durch immer enger zusammen gedrängte Klüfte auf einmal in eine Plane brachte, die dem Ansehen nach fünf bis sechs hundert Schritte lang, ungefähr die Hälfte breit, und ringsum von schroffen oder senkrecht empor ragenden Felsen eingefchloffen war. Ich fand sie mit dem frischesten Grase und allerlei duftenden Kräutern und Blumen bewach­ sen, deren lebhaftes Grün und üppige Fülle von verschiednen Quellen genährt wurde, die aus den benach­ barten Felsen herab rieselten. Ein so unmuthiger Ort, und einige Ziegen, die ich an den Anhöhen

herum klettern, und Kräuter abfressen sah, ich hier finden würde Die aufgehende Spitzen der Felsen. Fußpfade bis in die

die sparsam hervor sprießenden ließen mich nicht zweifeln, daß was - ich suchte. Sonne vergoldete bereits die Ich ging auf einem schmalen Mitte des kleinen Thales fort,

und ward jetzt eines großen Platzes gewahr, der von Menschenhänden mit allen Arten von eßbaren Ge­ wachsen bepflanzt, und mit blühenden Büschen, Fei­ genbäumen, und vielerlei andern fruchtbaren Stau-

Erste-

den und Bäumen

Buch.

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in anmuthiger Unordnung umge­

ben war. Der Pfad wurde nach und nach breiter, und wand sich, mit Blumcnrandern eingefaßt, und von einzelnen grupprten Bäumen beschattet, durch alle Abtheilungen dieses kleinen Paradieses. Ich gestehe dir, Timagenes, daß mir das Herz höher zu schlagen anfing v und du kannst dir vor­ stellen daß es nicht schwächer pochte, als ich auf ein­ mal hinter einem Gebüsche von glühenden Effigrosen eine ehrwürdige Gestalt langsam auf mich zu kommen sah, die mit der Beschreibung der Hirten völlig über­ einstimmte. Es ist ein ivnndertich Ding um unsre Einbil­

dungskraft, mein Freund. Wie gänzlich ich auch über­ zeugt war, daß der vermeinte Dämon ein Mensch sey wie wir andern, und wie gut ich auf seinen An­ blick (den einzigen Zweck meiner dießmaligen Wan­ derung) gefaßt zu seyn glaubte: so fand sich den­ noch, daß auch mir, als ich ihn auf einmal erschei­ nen und langsam auf mich zu gehen sah, eben so zu Muthe war,, wie jedem andern Menschen, der sich, ohne schon von langem her mir Geistern Umgang gepflo­ gen zu haben, in diesem Augenblick an meiner Stelle befunden hätte. Die treuherzige Erzählung der Hirten, die Ermattung von einem sehr beschwerlichen Wege, das Schauerliche der Gegend und der Morgenluft, und der überraschende Eintritt in dieses stille, von der Welt so ganz abgeschaittene kleine Elysium, alles

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Agathodamon.

trug das seinige dazu bei; kurz, ich fuhr bei Er­ blickung des Ehrfurcht gebietenden Greises eben so zusammen, als wenn es wirklich eine Erscheinung aus der unsichtbaren Welt gewesen wäre. Indessen faßte ich mich doch bald genug wieder, um einem so weisen Manne, als sein ganzes Ansehen ihn ankündigte, keinen ungünstigen Eindruck von meinem Verstände zu geben. Ich blieb ruhig stehen, und erwartete ihn mit der Ehrerbietung, die sein hohes Alter und die Majestät seines ganzen Wesens von einem so viel jüngern und gewöhnlichen Menschen forderte. Was suchst du hier? fragte er mich ernst und gelassen. Einen Weg aus diesen Felsen, worin ich mich verirret habe, stotterte ich. Wenn es auch bloße Neugier wäre, was dich hierher geführt hat, versetzte er, indem er mir mit einem durchdringenden Blick in die Augen sah, du bist willkommen, Hegesias. Es scheint unmöglich, ( erwiederte ich, sehr be­ troffen mich bei meinem Namen nennen zu hören) einem Auge wie das deinige mich verbergen zu wollen. Du hast meinen Bewegungsgrund errathen, ich suchte dich selbst. »Ich weiß es, und darum komm' ich dir ent­ gegen.« Wenn du, versetzte ich, in meiner Seele lestn

Erstes

Buch.

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kannst, so wird es dich nicht gereuen, mich dieser Gunst werth geachtet zu haben. Ich sagte ihm nun wer ich sey, welche Beschäf­ tigung mich in diese Gebirge geführt habe, wie ich unter die Hirten gekommen, was für wunderbare Dinge sie mir von ihm erzähl^ hatten, und wie ich dem Verlangen nicht widerstehen können, den Mann selbst zu sehen, von welchem sie mir als einem Wesen höherer Gattung gesprochen: was mich nicht langer wundert, C setzte ich hinzu ) da auch ich, nachdem mir dieses Glück zu Theil geworden, mich kaum er­ wehren kann, dem einfältigen Gefühl dieser kunst­ losen Menschen mehr zu glauben als meiner Filosofie. Der Epikurischen vermuthlich , sagte er lächelnd» Ohne von dieser Sekte zu seyn, erwiederte ich, hab' ich mich bisher von dem Daseyn der Wesen, die wir Dämonen nennen, (den Begriff, den man sich gewöhnlich von ihnen macht, vorausgesetzt) niemals überzeugen können. Du kennst also nichts höheres als den Men­ schen? sagte er. Wenn ich dir mit Einem Worte gestehen soll wie ich denke — nein I So bist du, fuhr er fort, was die Dämonen be­ trifft, der Wahrheit sehr nahe. Es hat — für die Menschen wenigstens — nie andere Dämonen ge­ geben als Menschen; und, was noch mehr ist,

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Agathodamon.

was sie waren zu werden — steht in unsrer Macht. Ich wünschte dieß von dir erklärt zu hören, sagte ich, indem ich ihn mit neuer Aufmerksamkeit betrach­ tete. Er mußte in seiner Jugend einer der schönsten Manner gewesen seyn, wie er jetzt der ehrwürdigste GreiS war, den meine Augen je gesehen hatten; und das Feuer seiner Angen, der Wohlklang seiner Stimme, die gerade Stellung seines Körper- und sein fester Gang kündigte einen desto außerordentlichern Menschen an, da er, seinen Silberhaaren nach, schon weit über siebzig hinaus seyn mußte. Er hatte mich unter diesen Reden auf eine sanft empor steigende Anhöhe zu eiüem Sitze geführt, der, von einem hohen Lorbergebüsche beschattet, der ein­ zigen Oeffnung gegenüber stand, durch welche die diese- That einschließenden Felsen dem Aug' einen herzerweiternden Blick in eine Ferne verstatteten, wo der Azur der Luft in dem grünlichen Purpur des MeereS' zu zerfließen schien. Indem ich mich einen Augenblick in dieser Aussicht verlor, trat ein leicht bekleidetes liebliche- Mädchen von zwölf oder drei­ zehn Jahren aus dem Gebüsch herzu, und reichte, mit jungfräulichem Anstand, dem Alten und mir, jedem einen krystallnen Becher des reinsten Wassers, welches sie so eben ans einer nahe vorbei rieselnden Quelle zu schöpfen gegangen war. Nachdem wir uns gelabet hatten, entfernte sich

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das Mädchen wieder, und der Alle setzte ukser unbe­ fangenes Gespräch folgender Maßen fort.

III. »Zwei unverträglich scheinende Eigenheiten unsrer Natur vereinigen sich, die Idee von dem, was man Dämonen oder Götter nennt, in unsrer Seele zu erzeugen: auf der einen Seite ein angeborner instinktmäßiger Drang, uns über diese sichtbare Welt, den für unsern Geist allzu engen Kreis der Sinne, Bedürfnisse und Leidenschaften, ins Unendliche empor zu schwingen; auf der andern, die Unmöglichkeit, jemals (wenigstens in diesem Erdenleben) aus der Schranken heraus zu kommen, die unsrer Dorstes lungskraft von innen und außen gesetzt sind. »Nichts von allem wa- wir sehen und hören, und keiner von den angenehmsten Eindrücken, womit diese Erscheinungen in unserm Innern verbunden sind, kann jenem wunderbaren Triebe genug thun. Nichts er­ scheint uns so schön, so groß, so vortrefflich in seiner Art, daß wir nicht etwas noch schöneres, größeres und vortrefflicheres in dieser Art denken könnten, oder, oft sogar wider unsern Willen, ahnen müß­ ten. Wenn es auch einige Gegenstände und Gefühle giebt, die unsre ganze Seele auszufüllen und zu befriedigen scheinen, so ist es doch in der That nur im unmittelbaren Augenblick des Genusses. Dieser ist kaum vorüber, so dehnt sich die von ihm zusamWielandS W. 35. D0.

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A g a t h o d a m o n.

mengedrückte Einbildung mit ihrer ganzen Schnell­ kraft wieder aus, und was uns unübertrefflich schien, dient ihr jetzt bloß zur Springfeder, um sich zur Idee einer noch höhern.Vollkommenheit zu erheben, wovon sich ein mehr oder weniger tauschendes Bild in ihrem Zauberspiegel darstellt. »Diese Ungenügsamkeit unsres Geistes mit dem, was uns die Welt der Erscheinungen und Täuschun­ gen, welche man sich irriger Weise als die wirk­ liche vorzustellen gewohnt ist, darbietet, erstreckt sich nicht allein auf alle h in z elne Gegenstände der Natur für sich, oder bloß in ihrem besondern Verhältniß gegen uns betrachtet: auch der Zusam­ menhang und die Ordnung dieser Dinge, eS sey nun daß wir sie als Theile eines Ganzen, oder als Wirkungen gewisser Ursachen, oder als Mit­ tel zu gewissen Zwecken betrachten, vermag uns, au- eben demselben Grunde, nie mehr als eine vor­ übergehende Befriedigung zu geben. Juimer fehlt etwa- daran was wir wünschen; immer finden wir irgend eine Erwartung getauscht; alles sollte sich, meinen wir, besser schicken und in einander fügen, alle- leichter und schneller -um Zweck eilen, reiner zusammen klingen, kurz schöner und vollkommner seyn, als es nach unserm Maßstab ist. »Daher diese lieblichen Traume der Dichter und Filosofen von einem goldnen Weltalter, von Götter­ und Heldenzeiten, von Unschuldswelten, Atlantiden

E r st e s Buch.

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und Platonischen Republiken, womit die Menschen fich von jeher so gern haben einwiegen lasten, und die, so oft man sie im Ernst zur Wirklichkeit brin­ gen wollte, allemal so viel Unheil angerichtet haben. »Es ist ein wunderbares Etwas üi uns, das immer geneigt ist, die Dinge außer uns als bloßen Stoff zu behandeln, und sich unaufhörlich beschäf­ tigt, Welten nach seinem eigenen Entwurf und zu seinem eigenen Zweck darauf hervor zu rufen. Aber auch dann, wenn es, von der vergeblichen oder verderblichen Arbeit ermüdet, seine Schöpfungskraftruhen laßt, und das G ött lich e in der N atur anerkennt, aber nun mit gleicher Dermeffenheit in ihr Geheimniß einzu­ dringen, und die innere Beschaffenheit, die wirken­ den Ursachen und den wahren Zusammenhang der Dinge zu erforschen strebt, wird es durch eine unwi­ derstehliche Nothwendigkeit immer wieder in sich selbst zurück gezogen; wo es sich, nach dem hart­ näckigsten Herumtreiben in den Gewinden und Irr­ gängen der Spekulazion, immer wieder auf der alten Stelle findet, unvermögend sich von seinem Ich los zu winden, und wider Willen genöthigt, immer sich selbst zum Maß, Muster und Urbild der Wesen, die ein undurchdringlicher Schleier ihm verbirgt, zu nehmen. »Diese Nothwendigkeit ist es denn, was in jenem jugendlichen Alter der Welt, als der menschliche Geist, aus der Belaubung der Kindheit erwachend, seine

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Agathodamon.

ihm selbst noch unbekannten Kräfte zu versuchen und zu entwickeln anfing, den Dämonen, alS unsicht­ baren Bildnern, Bewegern und Beschützern der sicht­ baren Dinge, im Mikrokosmos seiner Ideen­ welt das Daseyn gab. Denn da es ihm eben so unmöglich war, an einem dummen thierischen An­ staunen der Natur sich genügen zu lasten, als sich die Erscheinungen derselben aus den Ursachen, die zunächst in die Sinne fallen, zu erklären: wie hätte er sich anders helfen können, als den Grund dieser Erscheinungen in dem Willen und der Macht gewisser unsichtbarer Wesen zu finden, die er sich auf eben diese Weise als die Werkmeister derselben vorstellte, wie er sich bewußt war, Urheber der Werke feiner eignen Hande zu seyn? » Aber mit unsichtbaren Dämonen können sich die Menschen (wenigstens so lange sie nicht mit Wörtern wie mit Ziffern rechnen gelernt haben") nicht behelfen. Auch daS Unsichtbare muß ihnen, wenn es Etwas für sie seyn soll, sichtbar werden können; muß eine Gestalt bekomntrn, ohne welche es weder ihrer Einbildungskraft erscheinen kann, noch ihrem Verstände denkbar ist. Wenn also die Dämo­ nen, die man sich als Beweger der Natur und Be­ schützer der Menschen vorstellte, eine Gestalt haben mußten, so konnten sie schicklicher Weise unter keiner andern, als der edelsten und vollkommensten aller Gestatten, gedacht werden: und wo in der gan-

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zen Natur hatte der Mensch eine schönere, edlere, vollkommnere, als seine eigene gefunden? Luch würden alle Versuche, sich z. B. den Vater der Götter und Menschen unter einer andern alS der menschlichen Form vorzustellen, ewig fruchtlos blei­ ben. Zwar kann und soll der Dichter und der bil­ dende Künstler, um uns würdige Göttergestalten zu zeigen, die Menschen, die er zu Modellen zu nehmen genöthigt ist, von allen der Einzelnheit anklebenden Mangeln befreien; kann und soll sie in ihrer reinsten Schönheit denken, und sie größer, edler und kraftvoller darstellen, als vielleicht jemals ein wirklicher Mensch gewesen ist. Er kann die Blü­ the der Jugend mit der Reife des vollendeten Alters in ihren Formen vereinigen; kann sie mit Ambrosia nähren, in atherischen Schimmer kleiden, durch himm­ lische Wohlgerüche und einen leichtern alS menschlichen Gang als Wesen höherer Art sich ankündigen lassen: aber nichts desto weniger werden seine Götter, sobald er sie erscheinen läßt, zu dem was sie in feiner eigenen Einbildung zu seyn genöthigt sind, zu Menschen; — und immer werden sich, unter dem ganzen Menschengeschlecht, sogar einzelne Gestalten finden, die einem Fidias für eineP a lla s Ath en e, einem L y s i p p für seinen besten Merkur oder Apollo, einem Praxiteles für eine Kn idische Venus oder einen Thespischen Amor, zu Mo­ dellen dienen könnten.

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Agathobamon.

»Unb eben darum, weil die Dämonen im Grunde nichts als Menschen sind, die der Volksglaube, von Priestern, Dichtern und Künstlern unterstützt, zu höher» Wesen geadelt hat, finden wir, daß die Vor­ stellungen von ihnen mit der Kultur immer glei­ chen Schritt gehalten haben. Die Homerischen Götter sind noch eben so roh als seine Menschen, und daher auch eben denselben Bedürfnissen und Lei­ denschaften unterworfen. Der Wunsch des großen Redners der Römer, »daß Homer die Menschen lieber zu den Göttern empor gehoben, als die Götter zu Menschen herabgewürdigt haben mochte," wap ein frommer Wunsch — einer unmöglichen Sache; denn Homer, wie gewaltig auch seine Dichtungskraft war, konnte so wenig über die Schranken der Menschheit als über seine eigenen hinaus gehen. Seine Götter waren alles, wozu sie ein Geist, wie der seiniqe, in einem Zeitalter, wie das seinige, machen konnte. Fünf hundert Jahre später würde ein Dich­ ter von gleich mächtigem Geist uns schwerlich ein majestätischeres Bild des Vaters der Götter auf sei­ nem Thron haben geben können, als jenes, das die Seele des großen Fidias mir der Idee des Okumpischen Jupiters schwängerte: aber gewiß hatte sich ein Dichter aus der Zeit des Fidias nicht ein­ fallen lassen, seinem Jupiter so große Schmähun­ gen und so tpklopenmäßige Drohungen gegen die Königin der Götter in den Mund zu legen, wie sich

Erste- B u ch.

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der Homerische im Angesicht des ganzen himmel­ erlaubt. Die Götter Homer- schimpfen einander, wenn sie aufgebracht sind, eben so ungezogen als seine Helden; und seine Helden sprechen mit den Un­ sterblichen in einem Ton, als ob sie recht gut wüß­ ten/ daß sie mit ihres gleichen sprachen."

IV. Während Agathodämon sich über die D ä m o« nen, seine Geschlechtsverwandten, so offenherzig gegen mich heraus ließ, ging etwas in mir vor, das ich dir zu gestehen erröthen würde, wenn eS nicht eine Schwachheit wäre, die ich vermuthlich mit dem größten Theile der Menschen, wo nicht mit allen, gemein habe. Ich hatte nämlich über daS Kapitel von den Dämonen schon lange ungefähr eben so gedacht, wie dieser Einsiedler; und dennoch war es mir unangenehm, mich in der Hoff .ing, daß er meine Meinung vielmehr widerlegen aß bekräftigen werde, getäuscht $u finden. Denn wie wenig Ursache wir auch haben zu hoffen, daß wir über Dinge die­ ser Art jemals weiter kommen könnten, als, mit So­ krates, zu wissen daß wir nichts davon wissen; so regt sich doch bei jeder Gelegenheit ein leiser instinktartiger Wunsch in uns, von Personen, die sich uns als außerordentliche Menschen ankündi­ gen, etwas befriedigenderes zu erfahren, als jene

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Agathodämon.

gelehrte Unwissenheit, womit wir unS, ungern genug, behelfen müssen. Ich konnte mich also nicht enthalten, — als Aga­ thodämon (vermuthlich um seine Brust ein wenig ruhen zu lassen) eine Pause machte — in einem bei­ nahe mißmüthigen Tone die Krage zu thun: Sollte denn der Umstand, daß wir uns die Dämonen nicht wohl anders als unter menschlichen Formen vorstellen können, hinlänglich seyn, ihr Daseyn außer unsrer Vorstellung zweifelhaft zu machen? Wenn du mich bisher verstanden hast, versetzte er lächelnd, so kannst du dir diese Frage mit wenigem Nachdenken selbst beantworten. Deine Meinung ist also, erwiederte ich, daß sie in der That keine andere Existenz haben, als die sie durch die Gesänge der Dichter, den Meißel der Bildhauer, und den Glauben des Volks erhalten? »Wenn dir das noch zweifelhaft scheint, Hegesias, so laß doch sehen, wie sie sich unS auf eine andere Art offenbaren könnten. Gesetzt, Jupiter oder die goldne Afrodite, seine Tochter, wollte dich so, daß keinem Iweifel Raum übrig bliebe, von ihrem Daseyn überzeugen: so könnten sie es doch wohl nicht anders, als wie es deine Natur zuläßt, bewerkstelli­ gen? also auf eben dieselbe Weise, wie du und ich und alle andre Menschen, vermöge unsrer Natur, von dem Daseyn irgend eines Dinges außer unS gewiß werden? Nämlich vermittelst des äußerlichen

Erstes

Buch.

2A

Sinnes, durch den unmittelbaren Eindruck, den fie auf eines oder mehrere Organe desselben machen müß­ ten. Setze also, ZevS erschiene dir unter der Ge­ stalt eines Stiers oder Schwans, so würdest du nicht i h n, sondern einen Stier oder Schwan sehen; und wie könntest du — oder wie hatten E uropa und Le da, denen dieses Abenteuer wirklich begegnet seyn soll, auf den Einfall kommen können, den Vater der Götter unter dieser MaSke zu suchen? Eben dasselbe würde geschehen, wenn Ievs oder Afrodite sich dir unter menschlicher Gestalt zeigten: du würdest Menschen sehen, nicht Götter. Wolltest du sagen, sie könnten ihre Erscheinung durch Umstande und Eindrücke auszeichnen, wodurch sse nothwendig als wirkliche Dämonen erschei­ nen müßten: so würde ich dich fragen, wie sie daS anfangen sollten, wofern sie nicht daS Unmögliche thun, und dem Menschen neue bisher unbekannte Einnenwerkzeuge, oder Empfänglichkeit für Erschei­ nungen, die außerhalb deS Kreises ihrer Anschauung liegen, geben können? Gesetzt, Jupiter zeige sich dir in der ganzen Majestät, womit ihn Homer und Fidias umgeben, auf einer Donnerwolke sitzend, die Rechte mit Blitzen bewaffnet, und den göttlichen Adler zu seinen Füßen: waS hattest du da gesehen, als ein Bild, das dir Dichter und Maler oft genug vorgemalt haben, um eS deiner Einbildungskraft einzupragen? und wie könntest du je gewiß werden,

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Agathodamon.

daß es nicht diese, sondern wirklich der äußere Sinn sey, der dir eine so ungewöhnliche Erschei­ nung darstellt? Laß es aber auch seyn, daß sie dei­ nem körperlichen Auge wirklich widerfahren wäre: so würdest du darum nicht mehr noch weniger, als einen mit Blitzen bewaffneten Menschen, nicht den Gott auf der Donnerwolke gesehen haben; und der wirkliche Jupiter hatte in dieser Gestalt keine andre Eindrücke auf dich machen können, als die Schranken, die er selbst seiner Kraft durch seine scheinbare Vermenschlichung gesetzt hatte, zugelaffen haben würden; daö heißt, weder mehr noch weniger als denselben Eindruck, den eine erhabne Menschen­ gestalt in dem besagten Jupiters-Kostüm auf die natürlich disponirten Organe eines Menschen machen kann. Meine Behauptung behielt also ihre volle Kraft. Was auch die Dämonen an sich seyn mögen, uns können sie weiter nichts alsidealisirte Menschen seyn; eine göttlichere Ge­ statt, als die menschliche, gesehen oder erfunden zu haben, hat sich meines Wissens noch kein Sterblicher gerühmt. »Ich habe bisher nur von der Gestalt der Dämonen gesprochen. Sollte sichs etwa mit ihrer innern Form, in so fern sie als geistige, den­ kende und handelnde Wesen gedacht werden, anders verhalten ? Wird nicht auch da die Menschen - Natur der nothwendige Typus bleiben müssen, an welchen

Erstes wir,

wenn wir uns das

Buch.

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Göttliche in ihnen Vör­

stetten wollen, schlechterdings gebunden sind? Wir können ihnen keine anders Erkenntnißvermögen bei­ legen als die unsrigen, keine andre Vernunft alS die unsrige, keine sittliche Vollkommenheit und Größe, die nicht auch einem Menschen erreichbar wäre; denn wie könnten wir ihnen etwas beilegen, wovon wir keine Vorstellung haben? Nie hat daher ein Gott etwas gesagt, was sein Priester nicht eben so wohl hatte sagen können; nie etwas so edlcS und gutegethan, was ein Mensch nicht auch thun könnte, oder schon gethan hatte. Nur -u oft sind die Götter bloße Dratpuppen ihrer Priester; und der Musen­ führer Apollo selbst macht, bekannter Maßen, schlechte Verse, wenn die Pythia, die ihm ihren Mund leihen, oder der Poet, der ihr Orakel auf der Stelle verfificiren muß, keine guten zu ma­ chen gelernt hat. Eben daher ist auch, wie ich schon bemerkte, der Grad von Sittlichkeit, wozu sich die Menschen, auf den verschiedenen Stufen der Kultur nach und nach erhoben haben, von jeher der Maß­ stab des sittlichen Charakters der Götter gewesen; und wenn wir jetzt anständigere Begriffe von den unsrigen hegen als in den Homerischen Jetten im Schwange gingen; wenn jedermann, der auf Erzie­

hung Anspruch macht, sich die Götter entweder durch personisicirte Naturkräfte und Tugenden, oder als vergötterte Menschen, die wegen großer Verdienste

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A g a r h o d a m o n.

um da- menschliche Geschlecht nach ihrem Tode zu Schutzgeistern desselben erhoben worden, oder alweise Regenten der menschlichen Dinge und gerechte Austheiler der Belohnungen und Strafen, die der Tugend und dem Verbrechen gebühren, vorstellt; so ist eS bloß die Filosofie, die über diesen Punkt die Begriffe der höher» Stande und Klaffen ver­ edelt hat.

»Das Vermögen, Wunderdinge zu thun, ist in der That daö einzige, worin die Dämonen etwas voraus zu haben scheinen könnten, wenn wir ihnen nicht unsere Zauberer und Taschenspieler entgegen zu stellen hatten, die daS alle- durch Kunst zuwege bringen, was man jenen als ein Vorrecht ihrer höher» Natur zuzuschreiben pflegt. Denn bekannter Maßen machen unsre Chaldäer und Magier Anspruch darauf, sich unsichtbar machen und in jede beliebige Gestalt verwandeln zu können; sie gebieten den Ele­ menten, erregen Stürme, ziehen den Mond auf die Erde herab, rufen die Todten aus ihren Grabern hervor, sehen das Zukünftige, können zu gleicher Zeit an mehr als einem Orte seyn, und was derglei­ chen mehr ist. Ja, wenn man ihnen glaubt, so be­ sitzen sie daS Geheimniß, sich sogar die Dämonen selbst zu unterwerfen: eine Behauptung, wodurch sie meine Meinung von den letztern nicht wenig unter­ stützen. Denn gewiß können die nicht mehr als

Erstes

Buch.

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Menschen seyn, die einen Menschen für ihren Meister erkennen muffen. »Und nun, setzte der Unbekannte hinzu, glaube ich mich hinlänglich darüber erklärt zu haben, Wa­ ich mit meiner Behauptung über die Natur der Wesen, die man unter dem allgemeinen Namen der. Dämonen zu begreifen pflegt, sagen wollte. Oder hast du vielleicht noch etwas zu erinnern?” Da ich in den großen Mysterien zu Eleusis eingeweiht bin, versetzte ich, so darf weder diese Behauptung, noch dein Beisatz, daß es in unsrer Macht siede zu werden was sie waren, etwas be­ fremdendes für mich haben. Gleichwohl muß 'ich dir gestehen, ich kann in ui) nicht ohne Muhe dazu bequemen, daß dieß Alles seyn soll, was wir von den hohem Wesen wissen, deren Daseyn ein geheim­ nißvoller Instinkt uns zu glauben nöthigt. . Und was könntest du denn mehr verlangen? erwiederte. jener. In das Geheimniß der Natur selbst einzudringen, ist uns verwehrt.* Der Kreis der Menschheit ist nun einmal unser Antheil, und der Umfang, worin alle unsre Ansprüche einge­ schloffen sind. Sobald wir uns über ihn versteigen wollen, finden wir uns mit einem undurchdringlichen Dunkel umgeben; oder das Licht selbst, das uns dann entgegen strömt, ist so blendend, daß es für Augen wie die unsrigen zur dichtesten Finsterniß wird. Aber 0 daß wir die Wurde unsrer eigenen

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Agathodamon.

Natur erkennen möchten.' es ganz durchschauen und immer gegenwärtig haben möchten, daß der Mensch nichts größeres kennt noch kennen soll als fich selbst; daß er alle-, was er zu seiner Vollständigkeit bedarf, in sich finden kann, und daß seinem ewigen Wachs­ thum an Kraft und Vollkommenheit keine andere Grenze gesetzt ist, als die wesentliche Form seiner eignen Natur, über welche er fich eben so wenig hinaus denken als hinaus dehnen kann, er müßte fich denn nur ins unendliche — N i ch t s ausdehnen wollen!

V.

Indem Agathodamon diese letzten Worte sprach, ließ fich plötzlich eine liebliche Singstimme hören, deren reine Silbertöne von dem schönsten Echo ver­ vielfältigt, meine ganze Aufmerksamkeit nach dem Ort, woher fie zu kommen schienen, hinzog. Stelle dir vor, Timagenes, wie betroffen ich war, als ich auf einem der Felsen eine schöne Jünglingsgestalt erblickte, die fich selbst zu einem O rfisch en Hym­ nus auf der Cither begleitete, und in ihrer Begei­ sterung nicht zu achten schien, daß sie Zuhörer hatte. Eine Fülle von kunstlos lockigen blonden Haaren wallte, halb in der Morgenluft fliegend, um ihre weißen Schultern. Sowohl ihre Kleidung alS ihr schlanker Wuchs und die rundlichen Formen ihrer Arme und Beine Ließen das Auge ungewiß, ob man

E r st e^s B u ch.

3i

sie für den Sohn der Maja oder für eine der Oreaden dieses Gebirges halten sollte. Ass sie zu singen aufgehört hatte, warf ich einen staunenden Blicke auf Agathodamon; und wie ich die Augen nach dem Felsen zurück drehte, war die Erscheinung verschwunden. Nun, Hegesias, sagte der Alte lächelnd, hast du alles gesehen, was mir in den Augen meiner Nach­ barn, der Iiegenhirten, den Schein eines übernatürli­ chen Wesens giebt; und du kannst dir jetzt zum Theil selbst erklären, wie diese guten Leute, in ihrer aber­ gläubischen Einfalt ungewöhnliche Erscheinungen zu wunderbaren zu erheben wissen. Das junge Mädchen, das uns Wasser reichte, ist die Nymfe, von welcher sie dir gesprochen haben; und der Apollo, in dessen Gestalt ich selbst (wie dir einer sagte) zuweilen gesehen und gehört werde, ist ein schöne- Weib von dreißig Jahren, die Mutter der kleinen Nymfe und die Gattin des wackern Manne-, den du dort hinter den Gebüschen mit dem Spaten in der Hand beschäftigt sehen kannst. Denn für dich, Hegesias, soll hier keine Täuschung seyn. Dieser Mann war in meinem väterlichen Hause als Sklave geboren, und diente mir, sobald er jemand zu dienen fähig war. Er ist einer der besten Menschen, die ich kenne, und hat mich mit einer seltenen Anhänglichkeit auf einigen der Reisen beglei­ tet, die einen großen Theil meines Lebens wegnah-

men. AlS ich nach vielen Jahren zurück kam, um einige Zeit in meinem Daterlande zuzubringen, belohnte ich seine Treue, indem ich seine Liebe zr einem in unserm Hause gebornen Mädchen begünstigte, welches von meiner Mutter selbst eine feinere Erzie­ hung und die Ausbildung der Naturgaben, wovon du nur eben eine Probe hörtest, erhalten hatte. Ich verheirathete sie mit ihm, und schenkte ihnen die Freiheit, ohne mich sogleich von ihnen zu trennen. Er begleitete mich noch auf verschiedenen neuen Reisen; und als ich mich endlich entschloß, den Rest meiner Tage in gänzlicher Verborgenheit auszuleben, konnt' ich ihn nicht verhindern, mir mit seinem Weibe und ihrer Tochter in diese Einsiedelei zu folgen, wo sie sich alle drei beeifern, für meine ziemlich mäßigen Bedürfniße zu sorgen, und allemögliche zu thun, um mich in die. angenehme Täu­ schung zu setzen, als ob mein Leben im Elysium schon angegangen sey. Sie hangen an mir wie an einem geliebten Vater, und ich lebe mit-ihnen wie unter meinen Kindern. Sie wissen sich so gefällig in meine Eigenheiten zu schicken, und verstehen mich so gut, daß ich kaum der Sprache nöthig habe, um ihnen meine Wünsche zu erkennen zu geben. Der alte K y m o n, der (wie du siehest) noch ein rüstiger Mann ist, besorgt den Garten, dessen Gemüse und Früchte, nebst der Milch etlicher Ziegen, uns eine leichte und gesunde Nahrung geben. Das Wenige

Erste- Buch.

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wa- un- sonst noch nöthig ist, weiß er au- der näch­ sten Stadt herbei zu schaffen, ohne daß jemandAufmerksamkeit dadurch erregt *wird. Die Hirten, die, den Sommer über, diese Berge bewerben, halten

ihn für den Einwohner eine- benachbarten Dorfe-, und sehen ihn zu selten, um -ch genauer nach ihm zu erkundigen; indessen er durch seinen Reffen, der einer au- ihrem Mittel ist, so viel von ibnen auökundschaftet, als e- bedarf, sie in dem Wahne zu erhallen, die Spitze de- Gebirge- werde von einem guten Dämon bewohnt, dessen Rahe ihnen Segen bringe; eine Täuschung, die ihnen unschädlich ist, und mir vor den Folgen ihre- Vorwitze- Sicherheit gewährt. — In allem diesem wirst du viel Grillen­ hafte- finden, lieber Hegesia-; und in der That muß man mit meiner ganzen Leben-geschichte bekannt seyn, um gelinder davon zu urtheilen. Das einzige, wa- ich noch nicht begreife, versetzte ich, ist, wie du in dieser Einöde die Abwech-lungen der Witterung aushalten, und dich gegen die Un» fteundkichkeit de< Winter- verwahren kannst. Dafür, erwiederte er, ist von langem her gesorgt. Der ehemalige Eigenthümer diese- Berge- war der vertrauteste meiner Freunde, und e- wurde schon vor vielen Jahren unter un- verabredet, daß ich, sobald ich urtheilen würde daß e- Zeit sey, diese Einöde zum Aufenthalt wählen wollte. Er ließ

eine zu diesem Zweck überflüssig bequeme Wohnung W. 35. Dd.

3

34

Agathodämon.

in einen dieser Felsen hauen, und alles darin so einrichten, daß es mir an keiner Gemächlichkeit fehlt, die in meinen Jahren zum Leben unentbehrlich ist. Die Höhe, in welcher ich hier wohne, ist sehr mäßig, und die Felsen, die dieses enge Thal ein­ schließen, verwahren es vor den Winden der rauhen Jahreszeit. Mein Freund ist nicht mehr; aber sein Sohn (der einzige, der um unser Geheimniß weiß) hat die Gesinnungen seines Vaters für mich geerbt. Er hat, dem letzten WUlen desselben zu Folge, sogar

das Eigenthum diese- ganzen Berge- an meinen freigelaffenen Kymon abgetreten, wiewohl er, um meine Verborgenheit desto besser zu begünstigen, eingewilligt hat, so lang' ich lebe, den Ramen des Eigenthümer- zu tragen. Kurz, wir haben alle mög­ liche Vorsicht gebraucht, um der Welt ein Geheim­ niß daraus zu machen, wa- aus einem Manne ge­ worden sey, der beinahe ein Jahrhundert durch ihre Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte. Agathodämon schien voraus gesehen zu haben, daß diese letzten Worte auch meine Aufmerksamkeit auf ihn verdoppeln wurden. Denn indem ich meine Augen mit einem forschenden Blick auf ihn heften wollte, blitzten mir die seinigen so mächtig und Ehrfurcht gebietend entgegen, daß ick sie sogleich wieder zu senken genöthigt war. Der Ausruf, welch ein wunderbares Wesen bist du?

schwebte mir schon auf den Lippenr aber auch diesen

Erste- Buch.

IS

hielt eine Scheu, von welcher ich nicht Meister wer­ den konnte, zurück. Gleichwohl war diese Scheu mit einer so sonderbaren Art von Anmurhung ver­ mischt^ daß ich mich nicht erwehren konnte, meinen Mund auf seine hagere Hand zu drücken-, und diesen freiwilligen Aufdruck des Gefühls, das er mir ein­ flößte, mit einigen abgebrochenen Worten zu beglei­ ten, die ihn besser, als die zierlichste Rede, dessen waS in meinem Gemüthe vorging, verständigten. Rach einer kleinen Stille fing er wieder an: Du bist vielleicht nicht neugieriger zu wissen wer ich bin, att ich geneigt bin, mich dir ohne Zurückhaltung zu offenbaren. Es ist eine Art von Bedürfniß für

mich 5 aber ich würde mir die Befriedigung desselben versagen, wenn ich nicht einen andern Bewegungs? gründ hatte, der, wiewohl sich vielleicht die Titeln feit auch hinter i h n versteckt, dem ungeachtet wichtig genug ist meine Entschließung zu bestiuunen. Mein Leben hat zu viel Aufsehens gemacht, alS daß ich erwarten könnte, der Nachwelt unbekannt, mit dem großen Haufen der Sterblichen den Strom der Der» geffenheit hinab zu rinnen. Ich kenne mehr att Einen, der meine Geschichte schreiben, und fie sehr

unrichtig schreiben wird, wenn er auch kein Wort mehr sagt, alS was er selbst gesehen und gehört zu haben glaubt. Meine wahre Geschichte könnte der Welt vielleicht nützlich werden: verfälscht oder in ein tauschendes Licht gestellt, kann fie nicht anders

36

AgathodLmon.

als Schaden thun. Warum also sollte ich dem Ge­ fühl wiederstehen, da- dir mein Herz beim ersten Blick aufgethan hat, und nicht einen Mann von reiner gesunder Seele, wie ich in dir zu erkennen glaube, zum Verwahrer des Geheimnisses meinerathselhaften Lebens zu machen? Denn ein Räthsel war es, und wie ich gestehen muß, bloß darum, weil ich wollte, daß eö nicht begriffen werden sollte. Die Ursachen, warum ich es wollte, sind nicht mehr; ich habe meine Rolle ausgespielt - und du, Hegefias, (setzte er hinzu, indem er meine Hand ergriff und drückte) du sollst der erste seyn, dem ich mich so zeigen will, wie ich mich selbst sehe. Er sprach dieß mit einem Ton und Ausdruck von Wahrheit in seinem ganzen Wesen, daß ich von den mannichfaltigen und sonderbaren Gefühlen, die er in mir aufregte, überwältigt, im Begriff war mich hm zu Füßen zu werfen; aber er hielt mich noch zurück, schloß mich in seine Arme, und sagte: Für

jetzt kein Wort weiter von dieser Sache! Du bist gerührt; laß uns von andern Dingen sprechen. Und damit nahm er mich bei der Hand, und führte mich durch die verschiedenen Abtheilungen seiner Pflanzung nach seiner Wohnung. Kannst du dich, setzte er hinzu, mit Pythag arischer Diät be­ helfen, wie ich einem Manne von deiner Profession zutrauen darf, so verweile einige Tage bei mir: ich

Erstes

Buch.

müßte mich sehr irren, wenn sie dir langer

97 Vorkom­

men sollten, als die Stunden, die du bei den Ziegen­ hirten zugebracht hast.

VI. Wir kamen bei dem wackern Kymon vorbei, der eben beschäftigt war einige Rankengewachse zu stangeln. Hier bringe ich dir den Fremden, den du mir in verwichener Nacht ankündigtest, sagte der Greis,

und machte mir dadurch mit zwei Worten begreiflich, wie er zur Kenntniß meines NamenS gekommen war. Nun führte er mich unter eine große Laube von Wein­

reben, die das Vorhaus seiner Wohnung ausmachte. Wir ließen uns auf Banke nieder, die, wie es schien,

kurz zuvor mit frischen Rosenblattern bestreut worden waren. Wir unterhielten uns von allerlei, bi- das Gespräch unvermerkt auf die große Geneigtheit der Men­ schen gerieth, zu glauben was sie nicht wissen kön­ nen, und wovon sie sogar sich einen Begriff zu machen unfähig sind. Ich behauptete, daß dieß ein wirkliches Be­ dürfniß unsrer Natur sey; daß der Unzulänglichkeit unsrer Vernunft dadurch nachgeholfen werde, und daß insonderheit der Glaube eines daS Ganze um­ fassenden und beseelenden Geistes, und einer allge­ meinen Weltregierung, ja, in Ermangelung eines bessern Begriffs, sogar der DamonismuS, der sich diese Regierung als unter Diele vertheilt vor-

SS

Agath^dämoeu

stellt, daS einzige sey, was die keidenschsften roher Menschen zahmen, und dem Gebildeten die Bürde der unzähligen Uebel und Drangsale des Lebens ertrag, kicher machen könnte. Agathodamon hörte alles, was ich über diesen Gemeinplatz vorbrachte, mit vieler Gefälligkeit an; und alS ich fertig war, sagte er: Ich bin nicht nur, was den großen Haufen der Menschen betrifft, dei­ ner Meinung § ich gestehe dir fegor zu, daß der Hang zum Glaub en eines llge m eine Schwach­ heit der Menschen ist. Aber anstatt, wie du, fie als

eine Wohlthat der Natur anzusehen, betrachte ich sie vielmehr als einen geheimen Feind, den wir in un­ serm Busen tragen, und dem wir, anstatt ihn zu nähren und -u pflegen, vielmehr, so viel nur immer möglich, alle Nahrung zu entziehen suchen sollten. Bedenke, lieber Hegcsias, (fuhr er mit etwas ver­ stärktem Tone der Stimme fort, da er mich über diese Rede stutzen sah ) bedenke, daß der größte Theij der Uebel und Drangsale, gegen welche du im Glau­ ben eine Stütze findest, ohne ihn gar nicht vor­ handen wäre. Denn auch Aberglauben ist Glauben: und wenn wir nicht jenem, svridern bloß einem von der Vernunft selbst gebilligten Glauben, wohlthätige Einflüsse auf das menschliche Gemüth zuschreiben wollen; wie so gar unbedeutend ist das Gute, das dieser gethan haben mag, gegen die Unernreßliche Sumnre der Uebel, welche jener über

Erstes

Buch.

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das menschliche Geschlecht gebracht hat! Sehen wir richt bei allen Völkern und zu allen Zeiten Ver­ nunft und Sittlichkeit durch Aberglauben verfinstert und gefesselt? Und Haler uns etwa darum Weniger Böses zugefügt, weil ihu: ein dunkles

Gefühl zum Grunde liegt, welches, durch Vernunft erleuchtet, gereinigt und geleitet, ein mächtiger An­ trieb zur Tugend und ein fester Grund der Ruhe und Hoffnung für gute Menschen werden kann? Ist

es nicht jenes vielgestaltige Ungeheuer, welches, von uralten Zeiten her, das Joch der religiösen und poli­ tischen Sklaverei über den Nacken der Menschheit ge­ worfen, ihre edelsten Kräfte gelähmt, ihrem freien Fortschritt zur Ausbildung und Vollendung unüber-* steigliche Hindernisse entgegen getbürmt hat? Alles Jammers ohne Mab und Ziel nicht zu gedenken, welchen er durch die schändliche Gleißnerei, die über­ müthige Herrschsucht, den unersättlichen Geitz und die wüthende Unduldsamkeit seiner Priester über ein­ zelne Menschen, Länder und Zeiträume aufgehäuft hat. Zufällige Umfianbe führten mich frühzeitig auf diese Betrachtungen. Ich erkannte die Gefahr, in einem dunkeln, auf allen Seiten mit Klippen und Abgründen umgebenen Irrgang zu suchen» was ich auf einem vom hellsten Sonnenl cht bestrahlten Wege viel sichrer und gewisser erlan­ gen konnte; und von dieser Zeit an machte ich mirs zu einer meiner ersten Pflichten, dem Hang zum

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Agathodämon.

stauben eben so ernstlich -u widerstehen, als ich dem Hang zur Wollust widerstand; wiewohl ichs einem Aristipp nicht hatte ablaugnen können, daß dieser letztere, durch Vernunft veredelt, gelau­ tert und gemaßiget, glücklich organisirte und unter besonders günstigen Gestirnen (wie man zu sagen pflegt; gebvrne Menschen auf einem sehr angenehmen Wege zu einem nicht gemeinen Grade von sittlicher Vollkommenheit, innerer Harmonie, Zufriedenheit und Lebensgenuß führen könne. Warum, sagte ich zu mir selbst, sollt' ich auf gefahrvollen Umwegen suchen, was ich ohne Gefahr viel naher haben kann? Wenn der Hang zum Glauben auch keinen andern Nachtheil hatte, ist es nicht genug, daß er unvermerkt die Nerven des Geistes abspannt? daß seine narko­ tische Kraft die Vernunft emschlafert? daß wir, wenn wir seinem Einfluß Raum geben, uns beruhigen, wo wir forschen, leiden, wo wir thätig seyn, hoffen, wo wir fürchten, uns ergeben, wo wir widerstehen sollten? Aber ( fiel ich ein ) giebt es nicht so viele Falle im Leben, wo wir mit allem unsern Forschen nichts herausbringen, mit aller unsrer Thätigkeit nichts ausrichten, und gezwungen sind, zu leiden was nicht zu ändern ist? Welch ein elender Tröster ist in solchen Fällen das Gefühl der eisernen Nothwendigkeit, un­ sern Hals unter die zermalmende Gewalt eines blin­ den Verhängnisses beugen zu müssen — gegen den

Erster Buch.

*x

©foulen, daß Weisheit und Güte alle unsre Schicksale angeordnet habe, und jeder einzelne Mißklang sich im Ganzen in die reinste Harmonie auflöse!

Ohne Zweifel antwortete er, hat derjenige, der unter einem schweren Leiden in diesem Glauben Trost und Linderung findet, viel vor dem voraus, der seinem gepeinigten Gefühle keinen weichern Pfühl, alS ein eisernes Schicksal, unterzulegen hat. Indessen möchte ich mich doch auf dein eigenes Be­ wußtseyn berufen, ob der Gedanke, »die Mißklange, die jetzt mein Ohr zerreißen, werden in eine Har­ monie, die ich nicht höre, aufgelöst," — ob dieser Gedanke, so lange mein Ohr gepeinigt wird, eine sonderliche Wirkung thun kann's Auch wüßte ich nicht, was du einem Leidenden antworten wolltest, der dich verficherte: dieß sey es eben, was ihn am empfindlichsten schmerze, daß er unter einer milden und weisen Regierung leiden müße. Von einem an­ erkannten Tyrannen gequält zu werden, würde we­ niger unerträglich seyn; oder vielmehr, wir sind nun einmal organifirt, daß unser Gefühl den, der uns peinigt, immer einen Tyrannen nennen wird. Findest du nicht auch, (setzte er in einem halb scherz­ haften Ton hinzu) es sey schwer, das unmittelbare Gefühl, dal uns übel ist/ durch Glauben, daß uns wohl sey, zu übertauben? Mehr als schwer, sogar unmöglich, erwiederte

4*

Agathodaarorr.

ich beinahe zu ernsthaft^ wenn der Mensch nichts als ein Thier wäre, aber — Hier wars, wo ich dich erwartete, rief der AlteAber — sagst du? — Erkläre dich! »Du hast mich verstanden, Agathodämon.* Das habe ich, und wir sind also nahe dabei, einander beide zu verstehen. Da dem Menschen etwas im Busen schlägt, das dem SinnengefühL das Ge­

gengewicht halten kann, und ö S und Gutes nach einer ganz andern Regel beu t »lt — Gut, Hege­

stas! ich weiß, was du daraus folgern willst; aber laß mich die Periode nach meinem Sinne vollenden, und das rvahre Resultat aus deinen Vordersätzenziehen. Der Mensch, über welchen die Vernunft so viel Macht hat als ihr zukommt, wozu sollte er die Täu­ schungen der Einbildungskraft und eines Glauben-, der seinem innern Gefühle Gewalt anthut, vonnöthen haben? Wozu ein erbettelter und ungewiffer frem­ der Beistand, wo unsre eigne Kraft völlig hinrercht, sobald wir uns ihrer gehörig bewußt sind, und uns nicht, durch unzeitiges Verzagen an uns selbst, aus unserm Vortheil setzen? Oder nenne mir einen Fall, wo es nicht in unsrer Macht stände, jedem Eindruci der Sinne, jedem Reitz und Drang der Begier, bloß dadurch hinlänglichen Widerstand zu thun, daß wir widerstehen wollen? Laß uns nicht an unsrer Kraft verzweifeln, ehe wir versucht haben wieweit sie gehen sann, und zu welchem Grade wir sie durch unab>

Erste- Buch.

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lässige Uebung, oder, da wo es Noth ist, durch ungewöhnliche Anstrengung, erhöhen können! Gewiss, Hegesias, ist es unsre eigne Schuld, daß wir nicht ganz andere Menschen sind; und ich bin völlig überzeugt, daß die Neigung -um Glauben, die der weichlichen Trägheit unsrer sinnlichen Natur so wohl zu Statten konnnt, keine der geringsten Ursachen ist, warum der Mensch bisher so weit hinter dem zurück­ geblieben ist, was er seyn könnte und müßte, wenn es ihm etwas ein für allemal ausgemachtes wäre, daß er alle seine Hilfsquellen in sich selbst zu suchen habe. E- kommt mich hart an ( versetzte ich ) einer meiner Lieblingsidecn zu entsagen. Auch bekenne ich dir, Agathodämon, daß sie durch das, was du bis­ her gegen sie vorgebracht hast, noch nicht erschüttert worden ist, wiewohl ich nicht von mir erhalten kann, mich hierüber naher zu erklären. Wie- ohne dichs anfechten zu lassen, (sagte Agathodamon mit einem ironischen Blick) ob du nicht dadurch den Verdacht bei mir erweckest, du scheuest dich nur deinen Liebling dem Licht auszusetzen, damit seine blöde Seite nicht -um Vorschein komme.

Ich gestehe, der Argwohn wäre nicht ganz ohne Schein, erwiederte ich. Indessen geschieht es doch, die Wahrheit zu sagen, bloß aus eben dem Zartge­ fühl, weßwegeu ein sehr wanmer Liebhaber nicht

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Lgathodämo«.

gern zu einem kalten Zuhörer von seiner Geliebten spricht. Wenn eS nur dieß ist, Hegestas, sagte er, so finden wir in der Folge wohl noch Gelegenheit,

zu deiner Geliebten zurück zu kommen. Denn auch ich habe — wie du vielleicht schon hattest merken können — noch nicht alles gesagt, was ich über diesen Gegenstand zu sagen habe.

VII. Als die Tageshitze zunahm, führte mich Agathedamon in seine Felsenwvhnung. Die Natur und die Zeit hatten durch verschiedene größere und kleinere Aushöhlungen dem ehemaligen Besitzer vorgearbeitet, alS er es unternahm, eine Wohnung für seinen Freund darin zurichten zu lasten. Wir traten in einen hohen und geräumigen Saal, der auf zwei Reihen Dorischer Säulen ruhte, und mit den Brust, bildern der berühmtesten Weistn, Dichter, Redner, Staatsmänner und Künstler Griechenland- ausgeziert war. Eine der schmälern Wände nahmen verschie­ dene Schränke mit Büchern ein. Auf der langem Seite führte eine Thüre in einen kleinen Speisesaal, und eine andere in erliche Schlafkammern und zum Aufenthalt der Hausgenoffen. Hier, sagte Agathodämon, indem er mir die Bequemlichkeiten feiner Wohnung zeigte, hier ist alles, wie du siehst, und

Erstes Buch.

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noch mehr, ass waS ein Mann von sechs und neun­ zig Jahren bedarf, der sich an dem Schauspiel des menschlichen Leben- müde gesehen, und seine eigene Rolle ousgespielt hat. Für eine Grabhchhle ist hier alle- raumig und gemächlich genug. Du, Agathodamon, du sechs und neunzig Jahre? rief ich mit einem Erstaunen, welches ihm an Unglauben zu grenzen schien. WaS befremdet dich am meisten, (sagte er lächelnd)daß ich in einem so hohen Alter nicht gebrechlicher aussehe? oder, daß ich, mit einer solchen LeibeSbeschaffenheit, ein so hoheS Alter erreichen konnte? Ein solches Alter, (erwiederte ich) bei einer Leb» Hastigkeit und Starke, welche von vielen, die kaum halb so viel Jahre zahlen, beneidet werden dürften, zeugt unfehlbar von einer vortreftichen Natur: aber ich müßte mich sehr irren, wenn nicht Weisheit und Enthaltsamkeit den größten Antheil an der Ehre batten, die du der Menschheit auch in diesem Stücke machst. Ein Nestor war schon in den heroischen Zeiten der Ilias eine seltne Erscheinung; wie sollte sie in den unsrigen nicht unglaublich seyn? ' Ich meines Theils (versetzte der Alte) bin völlig überzeugt, es liege bloß an den Menschen selbst, daß ein Jahrhundert nicht das gewöhnliche Maß ihres Lebens ist. Ware die Lebensweise, welcher ich dieses hohe noch ziemlich kräftige Alter zu dan-

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Agathodamo*.

ken habe, allgemein , so würde man nichts leichter und bequemer finden, als so -u leben: aber in einer Zeit, wo man, um eine solche Lebensweise zu behaup­ ten, mit der ganzen Verfassung des gesellschaftlichen Lebens unb mit dem allgemeinen Beispiel beinahe m allem zu kämpfen hat, ist vielleicht nichts schwerer. Um so eher wirst du mir zu gut halten, (sagte ich) wenn sch zu wissen begierig, bin, wie du eine so unmöglich scheinende Cache bewerkstelligen konntest. Die Antwort auf diese Frage führt uns mitten in die Geschichte, die ich dir versprochen habe, erwie­ derte Agathodärnon. Wie also, (versetzte ich) wenn du, wofern eS dir nicht beschwerlich ist, sogleich den Anfang mach­ test, mich mit der Erfüllung dieses Versprechens zu begünstigen? Sehr gern, sagte er, indem er sich zwischen zwei. Säulen, den Bildern des Pythagoras und Diogen.es gegenüber setzte, unb mich neben ihm Platz nehmen hieß. In diesem Augenblick trat die liebliche junge Nymfe wieder herein. Sie stellte einen kleinen Tisch, der mit zwei krystallnen Bechern unvermischten Weins von Naxos und einer sehr leichten Art von kleinen Weizenbroten besetzt war, vor den Alten hin, und trippelte eben so geräuschlos und schweigend, wie sie gekommen war, wieder davon. 2n meinen Jahren, sagte Agathodämon, bedarf

Erstes

Buch.

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die Natur öfters ein wenig Stärkung, und nähert sich hierin wieder dem Bedürfniß der ersten Kind­ heit. Auch dir, Hegesias, wird ein wenig reiner Wein wohl thun, zumal da du bei mir mit einer magern Mahlzeit vorlieb nehmen wirst. — Diese Libazjon den Grazien, unter deren Einfluß sich unsre neue Freundschaft angefangen hat! Ich folgte seinem Beispiele. Nach einer Viertel­ stunde kam das Mädchen wieder, den kleinen Tisch wegzutragen, und mein ehrwürdiger Wirth begann seine Erzählung folgender Maßen.

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Zweites

Buch.

I. 3 D». 4

5o

Agathodamon.

wenig ausgezeichnete Hellenische Stadt in einer Esiatischen Provinz war seit einigen Jahrhunderten der Sitz meiner Voraltern, welche zwar immer unter die Ersten ihres Orts gezahlt wurden, von denen aber

keiner, meines Wissens, fich einen Namen in der Welt gemacht hat. Indessen verschafften mir der Rang meines Vaters unter seinen Mitbürgern und seine Glücksumstande zur Entwickelung der ungewöhn­ lichen Anlagen, die man bei mir zu entdecken glaubte, eine bessere Erziehung, alS vermuthlich jemals einem meiner Vorfahren zu Theil geworden war. Man gab mir die geschicktesten Lehrer, die man auftreiben konnte, und ich machte in allen Arten von Uebun­ gen des Körpers und des Geistes so rasche Fort­ schritte, daß ich die öffentliche Aufmerksamkeit schon in der ersten Jugend auf mich zog. WaS ohne Zweifel daS meiste zu dem unmäßigen Beifall, womit mir geschmeichelt wurde, beitrug, war eine vorzüglich glückliche Gestalt und Gesichts­ bildung, die-mich vor allen jungen Leuten meines Elters auszeichnete, und allem andern, wobei ich mir selbst einiges Verdienst zuschreiben konnte, einen höhern Glanz und Werth zu ertheilen schien. Das kann ich mir vorstellen! unterbrach ich ihn; nach dem zu urtheilen, was du noch mit sechs und neunzig Jahren bist, mußt du mit sechzehn von den Maler« und Bildnern schrecklich verfolgt worden

ftv«.

Zweites Buch.

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Wie ungereimt es immer seyn mag, fuhr Agathodamon fort, daß die Menschen (zumal unsere Helle­ nen) eine ungewöhnliche Schönheit durch die schwär­ merische Achtung, die sie ihr beweisen, gleichsam zu einem Verdienst erheben, da sie doch, ihrem wah­ ren Werthe nach, selbst unter den Geschenken der Natur eines der letzten ist: so muß man doch geste­ hen, daß keine andere Eigenschaft so schnell zu unserm Vortheil einnimmt, die Herzen der Menschen so leicht in unsere Gewalt bringt, und sie so geneigt macht, uns als eine Art höherer, von den Göttern besonders begünstigter, Wesen zu betrachten. Ohne zu behaupten, daß diese außerordentliche Parteilichkeit, wovon ich bereits als eik kaum ange­ hender Jüngling von allen Arten Menschen tausend Beweise erhielt, gar keinen Einfluß auf meine Sin­ nesart gehabt hätte, erinnere ich mich doch sehr deut­ lich, daß ich mich selbst nicht höher darum schätzte, und daß ich diejenigen mit einer Art von Verachtung ansah, die einen so hohen Werth auf Vorzüge fetz­

ten, gegen welche ich gleichgültiger zu seyn glaubte, als eS sich vielleicht in der That verhielt. Gewiß ist, daß ich schon damals einen Ehrgeitz in mir fühlte, dem weder die Meinung andrer von mir, noch mein eigenes Bewußtseyn genug thun konnte. Zwar stand das Ideal, zu welchem ich ausstrebte, noch in unbe­ richtigten Verhältnissen und unbestimmten Formen, alS eine helldunkle Riesengestalt, vor mir, mehr einem

za

Agakhodäm on.

Rachtgespenst alö einem Göttergebilde ähnlich, und, gleich beut Proteus der Fabel, immer seine Ge­ stalt wechselnd: aber eben diese Unbestimmtheit gab meiner Einbildungskraft freieres Spiel, und trieb mich, mir rastlosem Eifer allen Arten von wahren und vermeinten Vollkommenheiten, deren Züge ich iv ihm vereinigt sab, nackzujagen. Es bedarf kaum erwähnt zu werden, daß ich in den Jahren, wo der Knabe sich in den Jüngling zu verlieren anfangt, mich, nach alter Hellenischer Sitte, von einer deschwerlichen Menge so genannter Lieb­ haber belagert sah, welche nichts unversucht ließen, um fich in meine Gunst einzuschleichen, und einander darin zuvorzukommen. Der kalte Stolz, womit ich auf sie alle herabsah, sicherte zwar die Unschuld und den guten Ruf des Jünglings: aber ich gewöhnte mich doch dadurch, einen rauschenden Hof um mich her zu haben, überall Aufsehen zu erregen, und derjenige zu seyn,, von welchem am meisten und mit übertriebener Bewunderung gesprochen wurde; und da das Gewohnte unvermerkt iu Bedürfniß übergeht, -so hatte dieser Umstand vielleicht mehr An­ theil, als ich mir selbst bewußt war, an der Wahl der Lebensart, für welche ich mich in der Folge be­ stimmte. Ich hatte in diesen Jahren, die man unter den Handen der Pädagogen und Padotriben hin­ bringt, ein Menge berühmter Namen kennen ge-

Zweites B u ch.

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ernt, und von den Mannern, welche sie führten, nur eben so viel gehört, um vor Begierde zu bren­ nen, hinter keinem von ihnen zurück -u bleiben, und, wo möglich, alles, womit sie einst groß gewesen waren, in mir zu verewigen. Warum, dachte ich, sollt' es einem Menschen nicht möglich seyn, alles zu werden was Menschen waren? Was ist dem unverdroßnen Fleiß und dem hartnäckigen Willen un­ möglich ?

II. Die Zeit war nun gekommen, da ich, auf einer unsrer berühmtesten (reimten der Redekunst und Filosofie, die letzte Ausbildung erhalten sollte. Mein Vater brachte mich nach T a r f o s, welches damals in dem Rufe stand, der Hauprs'tz der Gelehrsamkeit in Aßen zu seyn. Aber das Getümmel einer sehr volkreichen Handelsstadt und die üppige Lebensart ihrer wollüstigen Einwohner hatte vor kurzer Zeit einige der vorzüglichsten Lehrer bewpgen, sich in die benachbarte Stadt Äe ga zurückzuziehen, deren ge­ ringere Volksmenge und verhaltnißmaßige Stille den Geschäften der Musen aünstiger schien. Ich erhielt von meinem Vater die Erlaubniß, ihnen zu folg-n; und weil mein Aufenthalt daselbst mehrere Jahre dauern sollte, so miethete er mir ein artiges Haus in der Vorstadt, welches mit schönen Garten und Spaziergängen versehen, und nahe an einem, in

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dieser

Agathodamon. Gegend

berühmten,

Tempel

de-

ASklepios

gelegen war. Hier machte ich mich nach und nach mit den Lehr­ begriffen der verschiedenen filosofischen Sekten be­ kannt, und benutzte jede Gelegenheit, mich mit aNen Arten von Kenntnissen zu bereichern. Vorzüglich hielt ich mich zu einem alten Epikureer, der hier in der Stille lebte, und, nebst der Raturgeschichte, die Wissenschaften, die der ausübenden Arzneikunst zum Grunde liegen, zu seinen Lieblingsstndien ge­ macht hatte. Der Umgang mit diesem, der Welt fast ganz unbekannten, Manne verschaffte meinerWißbegierde eine ganz andere Befriedigung, als die scha­ len Spitzfindigkeiten der Akademiker und Stoi­ ker; denen eS, wie ich bald genug merkte, weder um Wahrheit noch Lebensweisheit, sondern bloß dar­ um zu thun war, sich in einen großen Ruf zu setzen, die Wissenschaft als Gewerbe zu treiben, mit ein. ander zu wetteifern, wer die meisten und freigebig­ sten Schüler an sich locken könne, und sich übrigens bei den Reichen, in deren Gunst sie sich einzuschmei­ cheln wußten, gute Tage zu machen. Iu meiner großen Befremdung fand ich, daß sogar der Pythagoraer Eurenos, welchem ich von meinem Vater besonders emvfodien war. außer dem Pythagorischen Kostüm, einigen dieser Sekte eigenen Kunstwör,

tern, und den goldnen Sprüchen des Mei­ sters, die er auswendig wußte, nicht- Pythagori-

Zweiter

Buch.

sches an sich hatte, al- daö vornehme und feierliche Ansehen, wodurch die vorgeblichen Jünger des Wei­ sen von Samos sich vor den andern Sekten auszu­

zeichnen pflegen. Indessen verlor Pythagoras selbst durch die Unwürdigkeit seines Stellvertreters so we­ nig bei mir, daß ich vielmehr nur desto eifriger wurde, der reinern Querte nachzuspüren, woraus ich einige Aufschlüsse über den Geist und Zweck diese-, mehr berühmten als gekannten, großen Manne- zu

schöpfen hoffen konnte. Nachdem ich einige Jahre auf diese Weise zu AegL zugebracht, rief mich der Tod meines Vaters nach Hause, um mich wegen* feiner beträchtlichen Ser« lassenschaft mit meinem Bruder ins reine zu setzen. Jede auf Geschäfte dieser Art verwandte Zeit war, nach meiner Schatzung, verlorne Zeit. Ich überließ also meinem etwas habsüchtigen Bruder was er wollte, um nur desto eher nach AegL, in meine liebe Halle am Tempel des Asklepios — die durch die täglichen Besuche der Gelehrten eine Art von Akademie ge­ worden war — und in die noch geliebtere Einsam­ keit meiner stillen Garten zurück zu fliegen.

III.

Ich hatte nun da- Alter erreicht, wo ich mich,

wie der junge Herakles des ProdikoS, ent­ scheiden sollte, waS für einen Weg durchs Leben ich

$6

Agathodamon.

einschtagen wollte. Es bedurfte keiner langen Ueberlegung, um mit mir selbst einig zu werden, daß ich zu keiner gewöhnlichen Beschäftigung berufen sey, und zu keiner Rolle tauge, wozu Geldgier, oder Hang zu einem wollüstigen Leben, oder die gemeine Art von Ehrfurcht, die durch Ehrenstetten und glan­ zende Dienstbarkeit zu befriedigen ist, den großen Haufen zu bestimmen pflegt. Ich wollte in einem großen Kreise wirken: aber unter solchen Welt­ beherrschern, wie Casar Augusts erste Nachfolger waren, würde jede Hoffnung, durch unmittelbaren Einfluß auf sie selbst, oder durch Verwaltung einet Theils ihrer höchsten Gewalt, der Menschheit nützlich zu w e rd e n,Thorheit gewesen seyn ; wenn es auch einem frei gebornen Hellenen aus einer unbe­ kannten Stadt in Kappadoz'en möglich gewesen wäre, sich durch Verdienste einen Weg zu den ersten Stellen des Reichs zu öffnen. Hellenische Sklaven oder sklavische Römer, Kinaden, Histrionen, Kuppler, Elende, die das schändlichste zu leiden und zu verüben fähig waren, harren von der Regierung der Römischen Welt Besitz genommen; und wer an­ ders, Lls ihres gleichen, harre sie zu verdrängen, oder ihnen nachzufolgen, wünschen können? Freilich gab es auch eine Menge von Aemtern und Würden im Umfang der Hellenischen Welt, zu wel­ chen meinet gleichen sich hinauf schwingen konnten; nur mußte es auf jedem andern, als dem Wege deS

Zweite- Buch.

ST

Verdienste- geschehen. Wer in jenen Zeilen reine Grundsätze und Eilten, als einen Titel zu solchen Stellen, batte an führen wollen, würde für einen aus hem Monde herabgefallenen Menschen angesehen worden seyn. Fugte sichs auch einmal durch einen sonderbaren Zufall, daß ein Mann von solchem Cha­ rakter irgend eine Rolle int gemeinen Wesen zu spie­ len bekam; so fand er bald genug, daß ihm keine andre Wahl.übrig bliebe, als entweder seine Grund­ sätze aufzuopfern, oder selbst das Opfer derselben zu werden. Aber (sagte ich zu mir selbst) warum denn von äußerlichen Bestimmungen erwarten, waich im Leben seyn soll? Die Natur selbst hat mir meine ganze Bestimmung schon gegeben, da sie mich zu einem Menschen machte: wenn ich dieß bin, Alles bin, was die Idee des Menschen in sich faßt, was sonnt' ich edleres und größeres zu seyn verlan­ gen ? Je tiefer die Verderbnis ist, zu welcher ich meine Zeitgenossen herab gesunken sehe, je geringer die Menschheit in ihrer eignen Schätzung, und je verächtlicher sie in den Augen ihrer Unterdrücker ist: desto nöthiger ist es, daß Menschen aufstehen, welche die Würde ihrer Natur zu behaupten wissen, und in ihrem Leben darzusrellrn, was für ein erhabenes, unabhängige- und viel vermögendes Wesen ein Mensch bloß dadurch seyn samt, daß er alle seine Anlagen entwickeln und alle seine Kräfte gebrauchen ge­ lernt hat.

38

Agathodamon.

Don dem Augenblick an, da mir dieser Gedanke in seinem ganzen Umfang klar geworden war, füllte

er auch meine ganze Seele aus. Er allein beschäf­ tigte im Wachen und Schlafen meinen Verstand und meine Einbildungskraft. Innigst glaubte ich zu suh­ len, das meine ganze Bestimmung von dieser einfa­ chen Formel umschrieben werde: »sey so frey und thätig, so groß und gut, alS du durch dich selbst seyn kannst! “ — und innigst fühlte ick, daß nur das unaufhaltsame Streben nach dieser Vollkommenheit den stolzen Wunsch, keinen höhern über mir zu sehen, befriedigen könne. Was blieb mir nun übrig, als unverzüglich Hand anö Wert zu legen? Denn von nun an mußte ich, so zu sagen, mein eigneDerk seyn. Ich selbst mußte die wesentliche Form meiner Natur ausbilden, den Zweck meine- Lebenfortsetzen, und in allem meinem Thun und Lassen mein eigner Oberherr, Gesetzgeber und Richter seyn. Ich erlasse dir, HegesiaS, um deine Geduld nicht zu sehr zu ermüden, den größten Theil der Betrach­ tungen, die ich in diesem entscheidenden Zeitpunkte meines Leben- anstellte, um dir nur die Resultate davon zu geben, die (wie ich hlaube) einem Manne von deinem Scharfsinn hinlänglich sind, da si: dich

von selbst auf die Wege Hinweisen, worauf ich zu ihnen gelangte. Don Zeit zu Zeit waren in den vergangenen Jahrhunderten einzelne Menschen aufgetreten, die

Zweiter

B u ch.

59

ich mir, bei diesem für mich so wichtigen Geschäfte, -u Mustern nehmen konnte. Ich kannte und schätze fie alle; aber vorzüglich ragten, in meinen Augen, au- allen andern Pythagoras und Dio­ genes hervor. Indem ich stückweise durchdachte, waS jeder von ihnen gewesen war, sah ich, daß jeder in einigen Stücken über, in einigen unter dem andern gewesen war. Aber wenn ich die Unab­ hängigkeit und Selbstgenügsamkeit des

DiogeneS mit den tiefern Kenntnissen und der Wurde des Pythagoras, und mit der M a ch t über die Gemüther, die sich dieser zu verschaffen wußte, verei nigen könnte, dann, dacht' ich, würde ich eine Höbe erreichen, welche noch von kei­ nem Sterblichen erstiegen worden; — und dieß bauchte mir ein Ziel, das mit allen nur erfinnlichen Aufopferungen nicht zu theuer erkauft würde. Du siehest, Hegesiaö, wie viel daran fehlte, daß mein Verlangen nach Vollkommenheit rein genannt werden konnte: aber ich entschuldige nicht-, wie ich nickt- verschönere. Ich versprach dir nichts, als mich ehrlich darzustellen, wie ich war, wie ich wurde, und wie ich bin. Ich sage dir was ich selbst davon weiß, und kann dich nur alsdann betrugen, wenn ich unvermerkt von mir selbst betrogen würde. Höre

also, wenn du Lust dazu hast, wie ich e- anflng, daS hohe Ziel zu erringen, das ich mir vorgesteckl hatte.

Go

Lgathodamon. IV. Um zu (eben wie Diogenes,

hatte ich nichts

vonnöthen, als den Willen so zu leben: aber um dem Pythagoras zu gleichen, brauchte eS etwas mehr, als keine Bohnen zu essen, ein stark gelocktes Haar zu unterhalten, oder einen meiner Schenkel mit vergoldetem Leder zu überleben; da - u hatte ich noch viele Kenntnisse zu erwerben, und den Kräften meiner Seele eine viel höhere Spannung zu geben. Diese- erforderte Zeit: jenes konnte ich von Stund an bewerkstelligen. Ich fing also mit dem leichtern an. Meine Art zu leben , war von jeher immer sehr mäßig gewesen: indessen batte ich mir doch, ohne Bedenken, manche Bequemlichkeiten und kleine Be­ friedigungen der Sinne, die von begüterten Perso­ nen zum Nothwendigen gerechnet werden, nachge­ sehen. Jetzt schrankte ich mich, im strengsten Sinn, auf das Unentbehrlichste der Natur ein. Ich be­ gnügte mich eine geraume Zeit mit der dürftigsten Kost eines Cvnikers, der gewöhnlich nur aus Mangel einer bessern damit vorlieb nimmt. Ich trank bloßes Wasser. Meine Kleidung war so schlecht und einfach als möglich, und ich schlief mit einem Stein unterm Kopfe auf dem harten Boden. Auch legte ich mit selbst verschiedene Arten von Selbstpeinignng auf, in der Absicht, mich gegen Hunger, Durst und jeden andern körperlichen Schmerz weniger empfindlich zu

Zwei t e v machen.

Buch.

61

Ich setzte diese Mtnrwei'fe so lange fort,

alS sie mir einige Mühe kostete, und bis es mir gangleichgültig war, so oder anders zu leben. Was ich dadurch erhallen wollte und wirklich er­ hielt, war eine doppelte Unabhängigkeit; eine innerliche, von den Trieben und Forderungen der Sinnlichkeit, und eine äußerliche, von den Men­ schen, unter welchen ich lebte. Da ich auf die Vor­ theile der bürgerlichen Gesellschaft.Verzicht that, s-

glaubte ich berechtigt zu seyn, mich als einen bloßen Menschen, und das ganze menschliche Geschlecht als eine einzige große Familie anzusehen, mit welcher ich bloß durch die Bande der Sympathie und des Wohlwollens zusammen hange. Alle übrigen Bande fielen wie versengte Faden von mir ab, sobald ich keine Bedürfniffe der Gemächlichkeit, der Wollust, der Eitelkeit, des Ehrgeitzes und der Habsucht zu befriedigen hatte. Die Narur war nun meine ein­ zige Gesetzgeberin, und, meiner Natur gemäß zu leben, mein letzter Zweck. Diese beiden Formeln, die man oft genug in den Schulen unsrer vermeinten Weisen tönen hört, lassen, so allgemein ausgespro­ chen , mancherlei Deutungen zu. Ich nahm fie in dem hohen Sinne der Pyrhagorischen Grundbegriffe. Man betrachtet den Menschen gewöhnlich alS ein Wesen, das aus der thierischen und geistigen Natur zusammen gesetzt ist. Aber irrig ist eS, wenn man sich diese so ungleichartigen Naturen im Men,

6r

Lgathodimou.

schen al- in Ein Gan-e- zusammen -eschmelzr vorstellt, wie daS Weib und da-Mutterpferd in der be­ rühmten Centaurin des Jeuris. Der Künstler konnte durch eine geschickte Verschmelzung der Farben und durch den Ton des ganzen Stücks dem getausch­ ten Auge möglich scheinen machen, was der Natur selbst unmöglich ist. Denn nie wird es diese un­ ternehmen, aus zwei widerwärtigen Naturen ein reines gleichartiges Ganzes zusammen zu setzen. Geist und Körper, Sinnlichkeit und Vernunft, ver­ halten sich im Menschen zu einander, wie die Seh­ kraft zum Auge, und die Hand zum Willen. Ich betrachtete meine geistige Natur als wein eigentliches Ich; und meiner Natur gemäß leben, hieb mir, das thierische Leben dem geistigen dergestalt uuterordnen, daß dieses so wenig als möglich durch jenes gestört und eingeschränkt werde. Desto g emdier also der Natur, je mehr der Mensch ein bloß geistiges Leben lebt, je völliger er die Sinnlich­ keit zur- bloßen Sklavin des Geistes gemacht hat, je weniger er die Bürde des Organs, an welches seine Wirksamkeit gebunden ist, fühlt, je zarter die Bande sind, wodurch er mit demselben zusammen hangt, und je mehr der Geist sie in seiner Gewalt hat, kurz, je mehr der Körper einer rein gestimmten Laute gleiche, die dem Tonkünstler bloß dazu dient, die melodischen Harmonien, die er i» sich selbst spielt, hörbar zu machen.

Zweites Buch. In diesem Sinne — und selbst dem gemeinen Sprachgebrauch gemäß, der das h ö ch st e in jeder Art göttlich nennt — pflegte ich die geistige Natur den Gott in unS zu nennen, und so ver­ stand ich mich selbst, wenn ich von meinem Dä­ mon sprach; wiewohl in der Folge Leute, die mich nicht verstanden oder nicht verstehen wollten, mir, unter manchen ähnlichen Auflagen, auch die Thor­ heit aufbürdeten, daß ich einen eigenen Dämon zu meinem Befehle zu haben, und Wunderdinge durch

ihn zu verrichten vorgebe. V.

Ich

hatte'nun einige Jahre,

theils zu Aega,

theils in einer noch größern Abgeschiedenheit vom Geräusche der Menschen, in diesen Uebungen zugebracht, und mir eine so große Gewalt über mich selbst (weil man doch auch den thierischen Theil zu unserm Selbst zu rechnen gewohnt ist) erworben, daß ich mir in diesem Stücke große Proben au-zuhalten schmeicheln konnte. — Im Vorbeigehen darf ich nicht vergeben zu erwähnen, daß die strengste Enthaltung von den Afrodisischen Mysterien eines der Gesetze war, die ich mir selbst aufgelegt

hatte. Hier, lieber TimageneS, konnt' ich mich nicht län­ ger zurück halten,

meinen

alten Wirth -u unter-

64

Agathodamon.

brechen. Und die Schönen Asien-, rief ich aus, erlaubten dir, mir einer Gestalt, wie die deinige in einer »«geschwächten Jugend seyn mußte, unange­ fochten einem so unnatürlichen Gesetze treu -u bleiben? Die Wahrheit zu gestehen, erwiederte Agathodamon, nicht ganz unangefochten, und selbst auf mei­ ner Seite, nicht ohne alle Schwierigkeit. Denn wie­ wohl ich in diesem Punkte mit keinem sehr ungeleh­ rigen Temperamente zu kämpfen hatte; so sah ich mich doch, im Lauf eines so langen Lebens, mehr als Einmal in Lagen verwickelt, wo ich die ganze Starte des Willens nöthig hatte, um mich unbeschä­ digt loS zu reißen. Die größte Schwierigkeit in sol­ chen Fällen ist, wenn die zartern Gefühle des Her­ zens mit int Spiel gezogen werden. Indessen kam mir dabei sehr zu Statten, daß ich von Jugend an der Einbildungskraft wenig Nahrung gegeben, und ihr nie erlaubt hatte, sich durch reitzende Bilder der Schönheit und Liebe zu erhitzen. Ueberhaupt aber kannst du mir über diesen Umstand um so eher, glau­ ben, weil meine Feinde, die mich gewiß nicht aus Schonung hatten entwischen lassen, meinen Ruhm wenigstens in diesem Stück unangetastet ließen. Aber wieder zur Hauptsache! Noch wahrend meines Aufenthalts in Aegä, als ich mich zu dem, was ich für meine besondere Be­ stimmung hielt, schon ziemlich vorbereitet glaubte,

Zweites B u ch.

6z

brachte mich der große Verfall der Pythagorischen Schule auf den Gedanken, eine Art von Pytha­ goräischem Orden zu stiften, oder vielmehr zu erneuern, dessen Glieder sich feierlich zu Beobachtung der Lebensvorschriften des Meisters verbinden, und zu möglichster Beförderung des großen Werks der Entfeßlun g der Menschheit vereinigen soll­ ten. Anfangs bestand unser Bund nur aus sechs Gliedern. Nach und nach kamen noch einige hinzu; bis sich endlich, bei Gelegenheit meiner häufigen Reisen, der Orden dergestalt vermehrte, daß kaum eine beträchtliche Stadt im ganzen Römerreiche war, wo sich nicht eine unsichtbare Kolonie dessel­ ben aufgehalten hätte; denn Geheimniß und Ver­ schwiegenheit war eines seiner Grundgesetze. In der ersten Ordensverfassung war auch eine völlige Gleichheit der Brüder festgesetzt; doch mit dem Vorbehalt, daß es ihnen, bei künftiger Vermeh­ rung ihrer Anzahl, überlassen seyn sollte, denjenigen zum Vorsteher zu erwählen, von dessen Eifer und Tüchtigkeit sie die meiste Ueberzeugung hätten. Dieb machte mich, wie ich voraus gesehen hatte, zum Oberhaupt dieser geheimen Gesellschaft, welche eineder mächtigsten Organe war, wodurch ich die außer­ ordentlichen Dinge wirkte, die zu ihrer Zeit so viel Aufsehens in der Welt gemacht haben. Bei diesen Worten faßte ich meinen Alten aber­ mals scharf ins Auge; eine Vermuthung, die mir üßlehnDd W- 35. 5

66

Agathodämon.

schon eine gute Weile dunkel vorgeschwebt hatte, trat auf einmal ins Licht, und ich glaubte den Mann zu errathen, den ich vor mir hatte. Aber weit ich ihn nicht unterbrechen wollte, hielt ich mit mei­ ner vermeinten Entdeckung noch zurück, und erwar­ tete schweigend den Verlauf seiner Erzählung. Agathodämon begnügte sich, mir mit einem durch­ dringenden scharfen Blick zu sagen, daß er in mei­ ner Seele lese, und fuhr ruhig in seiner Erzäh­ lung fort.

VI. Ich hatte mir mit dem Orden, dessen Stifter oder Wiederhersteller ich war, keine geringen Zwecke vorgesetzt, und es gehörte zu den Mitteln, wodurch ich sie zu erreichen hoffte, alle in den Schleier des Geheimniffes eingehüllte Gesellschaften, von welchen ich bereit- einige Kenntnisse hatte, genauer kennen zu lernen: theils, um ihren wahren Zweck zu erfor­ schen, und zu sehen, ob und wie fern ich sie entwe­ der mit der meinigen verbinden, oder vielleicht, ohne ihr eigenes Wissen, zu meinen Werkzeugen machen könntet theil-, um gelegentlich hinter die gehei­ men Kenntnisse zu kommen, die, (wie ich glaubte) als Ueberbteibsel aus einer unsre Zeitrech­ nung weit übersteigenden Epoche der Menschheit, in den ältesten dieser geheimen Orden aufbewahrt würden.

Zweites Buch.

67

Außer den Gymnosofisten in Indien nnd Aethiopien, und den Priestern zu Memfis und Sais, welche ich zu besuchen gedachte, zeich­ nete sich damals ein gewisser Orden aus, der seinen Ursprung bis zu jenem berühmten Orfeus hinauf führte, welcher von den Griechen ( wisivohl ihn einige für eine fabelhafte und bloß allegorische Per­ son erklären) insgemein für einen der ersten Stifter ihrer Religion und Polizei gehalten wird. Soweit auch die Insel Samothrake, wo diese Orfiker in einem berühmten Tempel der Göt­ ter mutter ihren Hauptfitz halten, von meinem bisherigen Wohnort entfernt war, so lag fie mir doch unter den Orten, die ich besuchen wollte, am nächsten. Ich machte also den Anfang meiner mystagogifchen Reisen mit ihr, und wurde von den Orfi kern sehr freundlich aufgenommen. Anstatt mir den Zugang zu ihren Geheimnissen zu erschweren, schienen ste vielmehr eine Verbindung

mit mir als etwas wünschenwürdige- anzusehen; und nachdem ich die verschiednen Grade, wodurch fie die Jnizianten, abfichtlich, theils abzuschre­ cken , theils aufzuzögern suchten, in ungewöhnlich kurzer Zeit erstiegen hatte, wurde ich unter die Wenigen ausgenommen, denen man nichts^verbergen zu müssen glaubte. Diese Grade, wodurch es immer in ihrer Gewalt blieb, wie viel oder wenig fie

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Agathodamvn.

einem Aspiranten von ihren Geheimnissen mit­ theilen wollten, schienen mir eine so weise Erfin­ dung, daß ich sie auch in meinen eigenen Orden übertrug. Es würde uns, wenn ich mich auch durch ein vor mehr als sechzig Jahren gethanes Versprechen nicht länger gebunden hielte, zu weit aus unserm Wege führen, wenn ich dir entdecken wollte, was ich bei dieser Gelegenheit zu sehen und zu hören be­ kam; und du verlierst um so weniger dabei, da dir das hauptsächlichste aus den Mysterien zu Eleusis schon bekannt ist. Genug, meine Wtßbegierde fand in Samothrake so reichliche Nahrung, daß ich mehrere Jahre unter meinen Orfikern zubrachte, weil ich ste nicht eher verlassen wollte, als bis sie mir nichts mehr zu entdecken hatten. Dieser Orden bestand eigentlich nur aus zwei Hauptklaffen. Schwärmer, die mit vollem Glauben an den Träumereien der Dämonologie, Magie und Theurgie hingen, sich dem Erforschen und Ausüben dieser Dinge gänzlich widmeten, und (da nichts so gern sich mittheilt als Schwärmerei) ihr ganzes Leben damit zubrachten, andre eben so zu betrügen, rote sie sich selbst betrogen, ohne daß ihnen jemals ein Zweifel über ihre eigne Ehrlichkeit oder die Wahrheit ihrer Hirngespenster aufgestiegen wäre; — diese Fantasten machten in verschiedenen Abthei­ lungen die erste und zahlreichste Klaffe aus. Die

Zweites Buch.

h)

zweite bestand aus den Obervorstehern des ganzen Ordens; drei oder vier Mannern von ziemlich Hellem Kopfe, die sich auS den Gliedern der ersten Klaffe so viele Werkzeuge bildeten, als sie zu Beförderung ihres Zweckes nöthig hatten. Diesen fiel es gar nicht ein, über die Beschaffenheit der Mittel, deren sie sich bedienten, sich selbst tauschen zu wollen: aber dafür hielten sie ihren Zweck für so groß und gemeinnützig, daß es ihnen eben so wenig einfiel, sich wegen der Rechtmäßigkeit der Mittel, wodurch sie ihn zu bewirken suchten, das mindeste Bedenken zu machen. Dieser Zweck war nicht- geringere-, als der alten Volk-religion, — deren täglich zuneh­ mender Verfall ihren gänzlichen Umsturz als etwasehr nahes befürchten heißt — wieder aufzuhelfen, und zu solchem Ende die berühmtesten Tempel, die in Ruinen zu zerfallen drohten, wieder in Aufnahme, die Orakel, welche zu verstummen anfingen, wieder in Ansehen zu bringen, und den fast ganz erloschenen Glauben an Belohnung und Bestrafung in einem andern Leben, durch alle nur ersiNnlichen Kunstgriffe, wieder aufzufrifchen und wirksam zu machen. Ihrer wirklichen oder vorgeb­ lichen Ueberzeugung nach, hangt die Erhaltung der bürgerlichen Ordnung an der Erhaltung de­ alten Volksglaubens, so wie an jener die Wohlfahrt des menschlichen Geschlechts und die Hoffnung der

70

Agalhodätnorr.

bessern Zeiten, die der ewige Gegenstand der allge» meinen Wünsche sind. — Gestehe, Hegefia-, daß ein solcher Zweck auch täuschende Mittel, sobald fie tauglich find, rechtmäßig macht.'

Das möchte ich nicht gern gestehen, erwiederte

ich; wenigsten- nicht, so lange ich mich versichert hatte, die Vernunft sei keine so todte Kraft im Menschen, daß eS weiser seyn sollte, anstatt ihn über sein wahres Interesse aufzuklären, ihn durch betrü­ gerische Kunstgriffe, gleichsam wider seinen Willen, auf den Weg der Glückseligkeit zu verführen.

So dachte ich damals auch, sagte der Alte, lächelnd: aber der ehrwürdige Theosranor, mein Mystag o g, der nun einer meiner vertrautesten Freunde war, unterließ nicht-, um mich eines andern zu belehren. Wie? sagte er, wir machen uns kein Bedenken, den Rand des Bechers, woraus wir un­ sern Kindern eine bittere Arznei geben, mit Honig zu bestreichen: und wir sollten Bedenken tragen, den Glauben an höhere Machte durch Orakel zu bestär­ ken, oder einen Menschen, den zügellose Sinnlichkeit und Verderbniß des Herzens zum Ungläubigen gemacht haben, in der Höhle des Trofonios schlafen zu lassen, um ihn durch das eingebildete Zeugniß seiner Sinne zu überzeugen, daß es eine Unterwelt, einen Tartarus und einen Piriflegethon giebt?

Zweites Buch.

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Du setzest, wie es scheint, voraus, (wendete ich ein), daß der große Haufe der Menschen immer alS Kinder behandelt werden müsse? Ohne Zweifel, versetzte er, so lange sie in den wichtigsten Angelegenheiten der Menschheit wie Kinder denken und handeln; und daß dieß immer der Fall gewesen sey, liegt am Tage. Vermuthlich, erwiederte ich, weil ihre Erzieher und Beherrscher sich immer alle mögliche Mühe ge­ geben haben, daß es nicht anders seyn könne. In­ dessen ist nicht zu zweifeln, daß eben diese Men­ schen , die in allem, was ihr sinnliches Interesse be­ trifft, sich ihrer Vernunft gar meisterlich zu bedienen wissen, nicht auf dem Wege der Aufklärung so weit gebracht werden könnten, daß sie nicht nöthig hatten zu ihrem Besten hiunrgangen zu werden. Theofranor glaubte cm kürzesten aus der Sache zu kommen, wenn er mir die Voraussetzung, worauf ich mich alS auf eine bekannte Thatsache berief, geradezu ableugnete. Er behauptete, daß daS, was man so höflich sey, bei dem unendlich größer» Theil der Menschen Vernunft zu nennen, nichts weiter als ein vernunftähnlicher Instinkt sey, der wenig oder nichts über ihre Dorurtheile und Gelüste ver­ möge, und alle Augenblicke von ihren Leidenschaften irre geführt werde. Oder würden sie sonst, (sagte er) wenn sie sich der Vernunft, auch nur in Dingen, wovon ihr sinnliches Interesse abhängt, so gut zu

72

Agathodämon.

bedienen wüßten, würden fie seyn waS sie find? oder leiden, was sie mit lastthierischer Geduld, wiewohl unter ewigem Murren, aus Furcht vor ihrem eigenen Schatten ertragen? da es doch in ihrer Macht steht, sich durch vernünftigen Gebrauch ihrer vereinigten Kräfte in einen ungleich beffern Zustand zu versetzen? Theofranor behauptete: das menschliche Ge­ schlecht muffe, eben so wohl wie der ein z e ln e Mensch, zur Vernunft erzogen werden: die Natur selbst befördere dieses Erziehungsgeschäft, bei jenem wie bei diesem, durch die innerlichen Antriebe und äußerlichen Deranlasiungen, wodurch die Ver­ nunft entwickelt und in Thätigkeit gesetzt werde; nur könne es nicht ander- seyn, als daß es bei jenem unendlich langsamer damit hergehen muffe. So lange sinnliche Triebe und Leidenschaften, oder, mit Einem Worte, so lange die Thier heit bei dem größten Haufen die Vernunft noch gefangen halte, sey Täuschung ihrer Sinne und Einbildungskraft eine unentbehrliche Hülfsquelle der Religion, und den Gesetzen — als den einzigen Mitteln der Humanisirung des rohen Menschen — Eingang, Ansehen und Uebergewicht bei ihnen zu verschaffen. Die älteste Geschichte der Welt setze dieß in das helleste Licht. Hermes, Orfeus, Minos, Foroneus, LykurguS, Ruma, Pythagoras, und alle übrigen Stifter oder Verbes­ serer der gottesdienstlichen und bürgerlichen Perfas-

Zweites Buch, sungen unter den Menschen hatten sich dieses Hülfs­ mittels mit Erfolg bedient. »Und warum (sagte Theofranor) hatten sie Bedenken tragen sotten, ent­ weder ungeschlachte und unwissende, oder durch die übermäßige Verfeinerung der Sinnlichkeit geschwächte Menschen durch heilsame Täuschun­ gen zu hintergchen? Ist nicht auch in diesem Punkt die Natur selbst unsre Lehrerin? sie, die uns, vom ersien Augenblick unsers Daseyns an, von außen mit Erscheinungen umgicbt, die nicht sind was sie scheinen, und von innen durch die magischen Wir­ kungen der Liebe und der H o ffn u n g unser ganzes Leben durch aus den wohlthätigsten Absichten tau­ schet? — Was dich (fuhr er fort) gegen dieses der Natur selbst abgelernte Verfahren der Erzie­ her der Menschheit eingenommen hat, ist der Mißbrauch, welchen die Priesterschaft und die mit ihr einverstandenen Herrscher bei den meisten, wo nicht bei allen Völkern davon gemacht haben, und noch lange machen werden. Aber diesem Mißbrauch entgegen zu arbeiten, ist ja eben, wie du weißt, der Hauptzweck der Filosofie sowohl als der My­ sterien. Warum fditcn wir Anstand nehmen, so lang' es nöthig ist, die Kunstgriffe, wodurch religiöse und politische Tyrannei das Menschengeschlecht in ewiger Kindheit znrückzuhalten sucht, gegen ihre Feinde selbst zu richten, und zur Befreiung desselben anzuwenden? Je naher wir unserm

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A-athodamotr.

gwecfe kommen, je weniger werden wir denselben nöthig haben. Ist die Vernunft einmal in Freiheit und auf den Thron gesetzt, der ihr allein gehört, dann bedarf es keiner Herablassung zu den Schwach­ heiten und Vorurtheilen der Menschen Mehr: die wohlthätige Absicht, warum wir sie, so lange sie noch als Kinder oder Thoren behandelt werden mußten, zu ihrem eigenen Vortheil zu tauschen ge­ nöthigt waren, ist dann erreicht; und wohl denen, die vielleicht in einigen Jahrtausenden diese goldne Zeit erleben werden!* Diese Dorstellungsart, und diese großen Gesin­ nungen, welche Theofranor, ein großer Meister in der Tauschungskunst durch eine lange Uebung so geschickt zu heucheln gelernt hatte, daß er einen viel scharfsichtigern Menschenkenner, als ich damals war, hatte hintcrgehen können, stimmten zu gut mit den meinigen überein, um seine Absicht bei mir zu ver­ fehlen; welche wohl keine andere seyn mochte, als mich zu überreden, daß diese Gesinnungen wirklich die seinigen seyen, und sie dadurch gänzlich von mei­ nem Herzen Meister zu machen. Aber die Vertrau­ lichkeit, die nun zwischen uns entstand, gab mir zu viele Gelegenheit in das (einige zu blicken, um nicht zuletzt gewahr zu werden, daß ich mich an. ihm betrogen hatte', da ich aus der Gleichförmigkeit unsrer Sprache auf die Gleichheit unsrer Gesinnung schloß. Je genauer ich ihn und seine Gehülfen ken-

Zweite- Buch«

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ttfn lernte, je mehr überzeugte ich mich, daß pe da-, was, ihrem Dorgeben nach, nur Mittel zu einem höhern Zweck seyn sollte, zum Zweck selbst mach­ ten, und daß es ihnen mehr um Einfluß auf ihre Zeitgenossen zu ihren besonderen Absichten, als um Beförderung dessen, was ich für die große Sache der Menschheit hielt, zu thun war. Es schmeichelt- ihrer Eitelkeit, sich vom Volke als Manner, die mit den Göttern in Gemeinschaft stan­ den, verehrt zu sehen; und der Kredit, in welchen sie sich durch diesen Wahn selbst bei vielen Großen zu setzen wußten, verschaffte ihnen und ihren An­ hängern so beträchtliche Vortheile, daß sie, über dem Bestreben sich im Besitz derselben zu erhalten, zuletzt jenen hohen Zweck gänzlich aus den Augen verloren. Diese Entdeckung kostete mir einige Jahre; aber die natürliche Folge davon war auch, daß die O r fi­ ter in meiner Achtung zu den herum ziehenden Jsispriestern, Siebdrehern, Schatzgrä­ bern und Geister bannern herab sanken, wel­ che damals schon die östlichen und westlichen Pro­ vinzen des Römischen Reichs zu überschwemmen an­ fingen. Indessen hütete ich mich wohl, sie merken zu lassen, wie ich von ihnen dachte. Denn wozu hatt' es geholfen? Ich konnte nicht hoffen, sie zu meiner Denkart umzustimmen. Die ihrige war ihnen durch lange Gewohnheit persönlich geworden;

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A g a t h o d ä m o n.

und wie groß auch mein Selbstvertrauen war, so schien mir doch das Unternehmen, Schwärmer ver­ nünftig oder Heuchler redlich machen zu wollen, schon damals so unmöglich, als ich es im ganzen Laufe meines Lebens befunden habe. Auf der an­ dern Seite stand ich nun einmal mit diesen Leuten in einer Verbindung, welche wieder aufzuheben gegen alle Klugheit gewesen wäre: den^es konnten fich Falle ereignen, wo sie zu meinen Absichten brauch­ bar waren, und ihr Haß konnte mir auf jeden Fall nur schädlich seyn. In dieser Rücksicht beschloß ich, alle Orfiker, die noch in den untern Graden ihres Ordens standen, zum ersten Grade des meinigen zuzulaffen; wodurch sie, wiewohl ihnen der letzte Zweck desselben unbekannt blieb, wenigstens in ein gewisies Derbältniß mit ihm gesetzt wurden, und durch die Hoffnung, dereinst in seine Geheimnisse schauen zu dürfen, angespornt wurden, ihm ihre Anhänglichkeit durch ihren Diensteifer zu beweisen. Eine Einrich­ tung, diL ich treffen mußte, weil beinahe jedermann gut genug war, als bloßes Werkzeug zu meinem Zwecke mitzuwirken; da hingegen nur den Edelsten und Besten zuzutrauen war, daß sie diesen Zweck selbst zum ihrigen machen würden.

VII. Wahrend meine- Aufenthalts unter den Orsikern

Zweites

B u ch.

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fehlte mirS nicht an Zeit und Gelegenheit, verschie­ dene Reisen nach dem festen Lande zu machen, und die merkwürdigsten Inseln des Aegeischen und Joni­ schen Meeres zu besuchen. Da cs zu meinem Plan gehörte, auch dem seltsamen Gemische von Aberglau­ ben und Betrügerei, das unter dem Namen der Magie von jeher den unaufgeklärten Theil der Menschheit auf dem ganzen Erdboden bethört hat, wo möglich auf den Grund zu kommen, so begab ich mich bloß in dieser Äbsicht nach Thessalien, wo, der gemeinen Sache nach, die Zauberei seit uralten Zeiten ihren tzauptsitz gehabt haben soll. Ich hielt mich eine geraume Zeit zu Larissa und Hipata auf, machte mit allen Arten von Menschen Bekannt­ schaft, und fand — was ich mit etwas mehr Welt­ kenntniß, als ich damals besaß, leicht hätte voraus sehen können. Wer zu den höhern Standen gehörte, und an Erziehung und feinere Lebensart Anspruch machte, verlachte größten Theils alles, was gelegent­ lich von dergleichen Dingen erzählt wurde; wiewohl es mir vorkam, als ob dieser Unglaube bei manchen mehr aus Anmaßung als wirklicher Ueberzeugung entspringe. Das gemeine Volk hingegen war von der Wahrheit aller der Zauberrnahrchcn, die es von Kindheit an gehört hatte, so innigst durchdrungen, daß, wer den geringsten Zweifel in die ungereimte­ sten Erzählungen dieser Art setzte, ein Wahnsinniger oder gar ein Gottesläugner in ihren Augen war.

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Agathodämon.

Ihren Reden nach wimmelte Thessalien von ZauVerem beiderlei Geschlechts, die den Mond vom Him­ mel herab ziehen, die Geister der Verstorbenen aus dem Erebus herauf rufen, ja die furchtbare Hekate selbst zu erscheinen zwingen konnten; die mit einem einzigen Worte Menschen in Thiere verwandelten, fich unsichtbar machten, auf dem Wasser oder auf den Wolken gingen, bei heiterm Himmel Stürme und Ungewitter erregten, Wildnisse und Steinhaufen im Augenblick zu prächtigen Garten und Pallästen umschufen, unterirdische Schatze hoben, und eine Menge andrer übernatürlicher Dinge bewerkstelligten r obwohl ein Fremder, dem von diesem allen nichtvoraus gesagt worden wäre, zwanzig Jahre in Thessalien hatte leben können, ohne etwas davon gewahr zu werden, oder auf den mindesten Verdacht zu gerathen, daß nicht alles in diesem Lande eben so natürlich zugehe, als in jedem andern. In der That schien der Glaube an diese Ungereimtheiten sich bei dem Thessalischen Volke bloß aufTradi5 ton und Hören sagen zu gründen: denn unter zehen, die davon als von allgemein bekannten That­ sachen sprachen, war kaum Einer, der sich auf seine eigne Erfahrung berief; und an diesen letztern mußt' es jedem Unbefangenen sogleich in die Augen leuchten, daß sie entweder Betrogene oder Betrüger waren.

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Das beste also, was ich durch den Aufenthalt in diesem Zauberlande gewann, war, die ungeheure Uebermacht vorgefaßter Meinungen, und einer früh­ zeitig an erstaunliche und unbegreifliche Dinge ge­ wöhnten Einbildungskraft über den gemeinen Men­ schenverstand, an einem der auffallendsten Beispiele, das vielleicht der ganze Erdboden darbietet, kennen zu lernen. Denn wiewohl mir, auch ohne naherUntersuchung, klar genug war, daß in manchen Fallen vorsetzlicher Betrug der unwissenden Einfalt Netze stellte, so waren diese doch von so grobem Gewebe, baß man es für unmöglich hatte halten sollen, daß jemand anders als ein Kind sich darin fangen lassen würde. Unter mehrern Beispielen dieser Art erinnere ich mich eines einzigen noch deut­ lich genug, um dir von den Künsten der Thessali­ schen Zauberer, und von der blinden Leichtgläubig­ keit derjenigen, die fich von ihnen täuschen ließen, einen anschaulichen Begriff zu geben. VITT.

Ich gerieth zu Larissa in die Bekanntschaft einer Frau, die (nach der Versicherung meiner alten Wirthin) für eine der gefährlichsten Zaubrerinnen in ganz Thessalien gehalten wurde. Sie- war die Gattin eines reichen Kaufmann-, den seine Geschäfte häufig von Larissa ertfebnteu; und wenn Jugend

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und Schönheit, mit allen Arten von Reiz verbunden, für Zaubcrmittel gelten können, so mußte man gestehen, daß Chrysanthis (so nannte man sie) nicht mit Unrecht zu dem Ruf einer zweiten Eirce gekommen war. In der That schien sie nur, beim ersten Anblick, keiner andern Magie, als ihrer eignen Reizungen, zu bedürfen; und wenn sie (wie die Sage ging) einer nicht geringen Anzahl edler Theffalischen Jünglinge, gleich ihrer Homerischen Vorgängerin mitgespiclt hatte, so war es ohne Iwei­ fel ganz natürlich dabei zügegangen. Daß es ihr an Neigung und Fertigkeit, einen solchen Gebrauch von dem Zauber ihrer Augen zu machen, nicht fehlte, erfuhr ich ziemlich bald durch mich selbst: denn sie ergriff jede Gelegenheit, oder machte vielmehr deren so viele als ihr nur immer möglich war, um mir auf die unzweideutigste Art zu entdecken, daß ich mich nicht über eine Grausame zu beklagen haben sollte, wenn ich ihren Einladungen Gehör geben würde. Lebensart und Sitten sind bekannter Maßen in der ganzen Hellas nirgends freier als in Thessalien. Das überhaupt zu sehr vernachlässigte weibliche Ge­ schlecht wird vielleicht nirgend schlechter erzogen; und es ist daher kein Wunder, wenn die Bewohnerin­ nen dieses schönen Landes kein höheres Gluck, als die Befriedigung ihrer sinnlichen Triebe, kennen, und sich ihnen mit der ganzen Lebhaftigkeit des feurigen

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Temperaments, womit die Natur sie begabt hat, ohne Bedenken überlassen. ChrysanthiS mochte wohl bisher zuwenig Schwie­ rigkeiten angctroffen haben, um die Kalte, womit ich ihre Blicke abglitschen ließ, nicht unbegreiflich zu finden. Indessen ließ sie sich lnicht dadurch abschrekken, und nachdem ihr verschiedene andre Versuche mißlungen waren, nahm sie endlich (wasihr vermuth­ lich noch nie begegnet war) ihre Zuflucht zu einer berüchtigten alten Zaubrerin, die sich außerhalb der Stadt in einem kleinen Gartenhause aufhielt, welches sie zum Behuf ihres doppelten Handwerks (denn sie machte nebenher auch die Kupplerin) ziemlich zweckmäßig eingerichtet hatte. Die Alte besaß ihrem Vorgeben nach, unfehlbare Geheimnisse, hartnäckige Verächter der Liebesgöttin kirre zu machen. Chrysanthis überließ sich ihr mit blinder Zuversicht, und die Nacht auf den nächsten Vollmond wurde zum Anfang ihrer magischen Arbei­ ten angesetzt. Die Zaubrerin wandte (wie es scheint) die Zwi­ schenzeit theils zu den nöthigen Zurüstungen, theils zu genauern Erkundigungen nach dem Aufenthalt und der Lebensart des jungen Mannes an, den sie ihrer Klientin tn die Arme zu liefern versprochen hatte. Glücklicher Weise für ihre Absichten hielt ich mich ebenfalls vor der Stadt auf, und meine Woh­ nung in der Nähe eines anmuthigen Wäldchens, wo Wielands A. 35. Bd.

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ich gewöhnlich in mondhellen Nächten zu lustwan­ deln pflegte, war nur durch einen schmalen Fußweg von dem Gärtchen der Alten abgesondert; eiy Um­ stand, der ihr zur Anlegung ihres Plans sehr zu Statten kam. Sobald die bestimmte Nacht erschienen war, schlich die Theffalierin sich heimlich aus ihrem Hause in die Hütte der Zaubrerin, worin sie, ungeachtet des äußerlichen armseligen Ansehens, ein ziemlich nettes Zimmer zu ihrem Empfang bereit fand. Es war mit einem wohl gepolsterten Ruhebette versehen, und von einer dicken Lampe mit wohlriechendem Oehl beleuchtet, dessen Dufte die Zaubrerin große Kräfte zuschrieb. Neben dem Ruhebette stand ein Tisch von Elfenbein, mit Erfrischungen und goldnen Trink­ gefäßen besetzt, und einer von den Bechern war mit einem Liebestrank angefüllt, der, nach ihrer Ver­ sicherung, den Nektar an Süßigkeit übertreffe, und wovon ein einziger Zug genug sey, um den greifen Tithon selbst in einen Jüngling zu verwandeln. Jetzt blieb nur noch die Schwierigkeit übrig, den­ jenigen herbei zu schaffen, um deffentwillen alle diese Anstalten gemacht waren. Die Alte hatte zu diesem Ende ein kleines wächsernes Bild in Bereit­ schaft, welches meine Person vorstellte, und aus ver­ schiedenen magischen Mischungen kunstgemaß verfer­ tigt war. Ihrem Dorgeben nach hatte sie auch sieben meiner längsten Haare in ihre Gewalt bekommen.

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die zu ihrem Vorhaben unentbehrlich waren. Sie knüpfte sie zu einer Schnur zusammen, wovon sie das eine Ende um den linken Daumen der Chrysauthis, das andere um die Hüfte der kleinen Wachs­ puppe befestigte. Hierauf holte^ sie eine Pfanne mit glühenden Kohlen, warf einige Weihrauchkörner darauf, steckte das Bild auf eine mitten aus der Pfanne hervorragende Spitze, und versicherte nun die Schöne, die ihren Vorrichtungen mit klopfendem Herzen zusah ehe das Bild völlig geschmolzen seyn würde, sollte sie ihren Geliebten herbei eilen sehen. Was du alsdann zu thun hast, setzte sie hinzu, weißt du bester als ich. Er müßte kein Mensch wie andre seyn, wenn er deinem eignen Liebreitz und dem Zau­ bertrank, den du ihm reichen wirst, widerstehen könnte. Auf den Fall aber, daß er, wider alles Hoffen, seinen Starrsinn so weit treiben sollte, über­ gebe ich dir meinen Zauberstab. Tritt alsdann auf diese mit Sand bestreute Stelle, ziehe mit dem Stab einen Kreis um dich her, schlage dreimal auf den Boden, und rufe dreimal immer kauter, He­ kate, Hekate, Hekate! — und eine Göttin wird dir zu Hülfe kommen, deren bloßer Anblick den Widerspenstigen auf immer in deine Arme hinein schrecken wird. Chrysanthis (aus deren Munde ich alle diese Umstande erzähle) hatte, zu aller ihrer natürlichen Herzhaftigkeit, noch die ganze Stärke einer durch

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Widerstand aufs äußerste gebrachten Leidenschaft vonNöthen, um fich zu einem Mittel zu entschließen, vor dessen bloßer Vorstellung ihr das Blut in den Adern gerann: aber die Alte betheuerte bei allen Göttern des Himmels und des Erebus, daß sie nicht' die geringste Gefahr dabei laufe, steckte ihr zum Ucberfluß noch einen talismanischen Ring an den Finger, und brachte es durch ihren Zuspruch so weit, daß die Thessalierin Heldenmuth genug in sich zu fühlen glaubte, um den Anblick der gräßlichsten Ungeheuer des Tartarus auszuhalten. Indessen hatte die Alte, wie gewiß sie auch der Macht ihrer Zauberkünste zu seyn vorgab, sich dennoch auf die Wirkung des magischen Wachsbildchens und der sieben Haare nicht so gänzlich verlassen, um ein natürlicheres Mit­ tel für überflüssig zu halten, wodurch sie mich un­ fehlbar herbei zu schaffen hoffte. Die Schönheit der Nacht, in welcher alles dieß vorging, hatte ur-.ch seit mehr als einer Stunde auf meinen gewöhnlichen Spaziergang gelockt, und ich irrte, meinen Betrach­ tungen nachhangend, zwischen den Baumen hin und her, als plötzlich ein Mädchen t.n eilf oder zwölf Jahren mit ängstlichem Geschrei und ausge­ breiteten Armen auf mich zulief, und mich flehentlich beschwor, ihrem alten Vater zu Hülfe zu eilen, der in einer nahen Hütte v^on zwei bösen Menschen über­ fallen worden sey, die ihn unfehlbar ermorden wür­ den, wenn er nicht schleunigen Beistand erhielte.

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Das Kind spielte seine Rolle so natürlich, daß ich, vom Gefühl des Augenblicks fortgerissen, mich von ihm führen ließ, ohne eine Hinterlist -u argwohnen, oder zu bedenken, daß ich unbewaffnet war. Bilde dir ein, wie ich stutzte, da ich, anstatt eines unter Räuberbanden sich sträubenden Alten, die schöne Chrpsanthis fand, die, in einem leichten Anzug auf ein wollüstiges Kanapee hingegossen, mit Blicken, Gebcrden und Reden mich zu einem viel gefährli­ chern Kampf als ich erwartet hatte, heraus forderte. Du verlangst von einem Greise in meinen Jah­ ren keine umständliche Beschreibung der Waffen, womit die schöne Versucherin die Hartnäckigkeit meines Widerstandes bestürmte: aber noch fetzt ist mir unbegreiflich, wie sie von irgend einer andern Magie erwarten konnte, was ihren eigenen Reizen unmöglich gewesen war. Und doch ergriff sie endlich in der Verzweiflung das einzige Mittel, das ihr, wie ich glaubte, übrig blieb; denn den Liebestrank hatte ich durch die Bekheurung, daß ich nichts als Wasser trinke, unbrauchbar gemacht. Sie sprang mit der Wuth einer Bacchantin auf, um nach dem schwar­ zen Stabe zu greifen, den ihr die Alte zurück gelas­ sen; und noch in diesem Augenblicke sehe ich sie fast eben so lebendig vor mir schweben, als damals, da sie mit halb fliegendem, halb in großen Locken bis unter die Hüfte herab wallendem Haar, rollenden

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Augen, und entblößten Armen und Füßen, nur von einer Koischen Tunika umflattert, furchtbar und wollustathmend zugleich, den mächtig geglaubten Jauberstab gegen mich schwang; eine wahreM e dea, die ich, als ob sie mir diese Rotte auf dem Schau­ platz darstellte, nicht ohne eine Beimischung von Vergnügen betrachtete, mit ziemlich ruhiger Neugier erwartend, was aus diesem Anfang emer andern Art von Zauberei werden sollte. Die nur mühsam unterdrückte Angst war auf ihrem erbleichenden Ge­ sicht und langsam sich hebenden Busen sichtbar, da sie, nachdem sie den Kreis gezogen, und dreimal auf den Boden geschlagen, den furchtbaren Namen H esott! so laut als ihr möglich war, ausrief. Sie hatte ihn kaum iuin dritten Mal ausgxrufen, so erschütterte ein hohles, dumpfes Getöse den Boden unter uns, das Zimmer verfinsterte sich, ein schwarzer, mit zückenden Flammen vermischter Rauch wirbelte aus dem krachend sich spaltenden Boden empor, man hörte Donner rotten, Schlangen zischen und Hunde heulen; das fürchterliche Unwesen kam immer naher, und unter Blitzen und Donnern stieg die dreiköpfige Hekate herauf, in der ganzen gräßlichen Ungestalt, wie sie von den Dichtern ge­ schildert wird, mit Schlangenhaaren und Drachen­ füßen, in schwarzem Gewand, und eine ungeheure Schlange in der Rechten schwingend. Zittre, verweg­ ner Sterblicher, schrie sie mich mit hohler krechzender

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Stimme an, zittre vor der Rache der Götter! Fliehe vor Afroditens Zorn in die Arme der Liebe, oder stürze in den flammenden Tartarus! — Elende, rief ich, indem ich die unter der gräßlichen Maske versteckte Zaubrerin, trotz ihren unschädlichen Schlan­ gen, kräftig beim Arme ergriff und zu mir her­ über zog, — bekenne, daß du eine schändliche Be­ trügerin bist, oder du bist verloren! Die Zaubrerin, die auf einen solchen Ausgang nicht vorbereitet war, verlor auf einmal die Besonnenheit, kroch aus ihrer Verkleidung hervor, und bat fußfällig um Gnade. Der Verfolg dieser Geschichte gehört zwar nicht mehr in das Fach, wovon die Rede war; aber er gehört zur Geschichte meines Lebens, und du wirst mir gern verzeihen, das ich mich deffen nicht ohne Vergnügen erinnere. Bestürzung, Scham und Erstaunen schien die arme Chrysanthis einige Augenblicke versteinert zu haben; aber ein noch mächtigeres Gefühl brachte sie bald wieder zu sich selbst. Eine wunderbare Art von Ehrfurcht überwältigte, oder veredelte vielmehr plötzlich ihre vorige Leidenschaft. Wer bist du, sagte sie zu mir, den weder die heißeste Liebe zu schmelzen noch die Hölle selbst zu schrecken vermag? Aber, wer du auch bist, verlaß mich nicht in dieser Ver­ wirrung meiner Sinne! Du hast ein mir selbst un­ bekanntes Gefühl in mir erregt. Führe mich von hinnen, und vollende deinen Sieg über eine Leiden-

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schäft, die deiner unwürdig war, und mich unter mich selbst erniedrigte. Sey mir mehr als ein Liebhaber, sey mein Freund! Verschmähe diese Hand nicht, die ich dir zum Pfande der Gelehrigkeit, womit ich mich deiner Führung überlasten will, darbiete! Die Reihe zu erstaunen war nun an mir. Ich glaubte die erwachte bessere Seele aus ihren Augen strahlen zu sehen, und widerstand dem Gedanken nicht, eine Bekehrung zu vollenden, welche (wie ich mir schmeichelte) die Uebermacht meines Genius über den ihrigen zu bewirken angefangen hatte. * Ich begleitete sie nach ihrer Wohnung, und sie wieder­ holte ihre Bitte, daß ich (nach ihrem Ausdruck) ihr Schutzgeist gegen sie selbst seyn, und sie nicht eher verlassen möchte, bis sie durch meinen Umgang Kraft genug erhalten haben würde, sichs zuzutrauen, daß es noch in ihrer Macht stehe, die Verirrungen einer allzu leichtsinnigen Jugend durch die Unsträflichkeit ihres künftigen Lebens zu vergüten. Es würde Un­ sinn seyn, setzte sie hinzu, meine Heilung von einem solchen Mittel zu erwarten, wenn ich dir nach dem, was ich heute gesehen habe, nicht alles, und beinahe sogar das Unmögliche zutraute. Ich kann dich nicht tadeln, Hegesias, wenn dir die Verwegenheit des jungen Mannes, der sich eines solchen Abenteuers unterfing, die Strafe eines be­ schämenden Falles zu verdienen scheint. Aber eben die Schwierigkeit der Unternehmung war es, was

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meinen Entschluß bestimmte z denn es gehörte zum Plane meines Lebens, keiner moralischen Gefahr aus dem Wege zu gehen, und keine Gelegenheit zu ver­ säumen, wo ich durch mich selbst das äußerste erfahren könnte, was menschliche Kraft vermag, um über.Lust oder Schmerz den Sieg zu erhalten, wenn jene oder diese uns von Ausübung irgend einer edlen und guten Handlung abzulocken oder abzuschrecken streben. Die schöne Chrysanthis auf den Weg der Tugend zurück zu bringen, war doch des Versuches werth; nach meinen Grundsätzen wär' es die schänd­ lichste Feigheit gewesen, wenn ich mich durch die Gefahr, in welche meine eigene Tugend dabei gera­ then konnte, von diesem Versuch hätte abhalten lasten wollen. Wir nahmen also Abrede, wie ich sie während meines Aufenthalts zu Lariffa insgeheim besuchen könnte; und da dieß nur bei Nacht anging, so ließ ich mir ( wie unschicklich auch diese Zeit in andern Rücksichten war) gefallen, jedesmal von ihrer vertrautesten Sklavin durch eine von hohem Gesträuche verdeckte Hinterthür ihres Gartens in einen Saal, wo sie mich erwartete, geführt zu werden.

Chrysanthis schien mir auf diese meine Herablas­ sung (wie sie es nannte) einen Werth zu legen, der mich abnehmen ließ, wie tief sie in ihren eigenen Augen unter mir stehe, und wie nöthig es sey, ihrem zu sehr gesunknen Stolze zu Hülfe zu kommen. Meine

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erste Bemühung war also darauf gerichtet, sie mit sich selbst auszusvhnen, und zu überzeugen, Vdß da-, was die Würde unsrer Natur ausmacht, in der Selbstbewegung unseres Willens bestehe, welche zwar zufälliger Weise gehemmt und gebunden, aber nicht verloren werden könne. Um dem Un­ terrichte, dessen sie zu bedürfen schien, eine bessere Haltung zu geben, las ich ihr aus TenofonS Cyropädie die Geschichte des Araspes vor, dessen Fall so viele Aehnlichkeit mit ihrem eigenen hatte, daß sie sich desto mehr ermuntert fühlen mußte, ihm auch in dem edeln Schwünge, den seine bessere Seele unter den Augen des Cyrus nahm, ähnlich zu werden. Diese zwei in angeborncm Kriege mit einander liegenden Seelen, durch welche Araspes das schwankende seines Gemüths-ustandes sich zu erklären suchte, schienen ihr stark einzuleuchten, und sie nahm alles, was ich ihr von den Mittely, der bessern Seele den Sieg über die schlechtere zu ver­ schaffen, sagte, mit einer Gelehrigkeit auf, die mich aufmerksam hatte machen können, "wäre in ihrem ganzen Betragen auch nur daS geringste zu bemer­ ken gewesen, was einen geheimen Anschlag und verdeckte Absichten verrathen hatte. Aber nichts konnte einfacher und kunstloser seyn, als die Art, wie sie sich in allem gegen mich benahm. Ihre Klei­ dung, ohne weder nachlässig oder überzüchtig zu seyn, war ein Muster des schicklichsten Anzugs für eine

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Matrone von ihren Jahren, die nichts hinterlistig -eigen noch verbergen will, und bei ihrem Putze keine andere Absicht hat, als anständig bekleidet -u seyn. In der sittsamsten Stellung oder Lage ließ sie immer so viel Raum -wischen uns, daß die natürliche Anziehungskraft, die -wischen Personen von verschiednem Geschlechte gewöhnlich Statt findet, wenn sie sich nahe kommen, keine oder nur sehr schwache Wirkung thun tonnte; und überdieß war ihre Vertraute, in einem Winkel des Saals mit stiller Arbeit beschäftigt, immer bei unsern Zusam­ menkünften gegenwärtig. Ihr Ton gegen mich war mehr gefällig als schmeichelhaft, und mehr aufmerksam als gefällig. Eine Art von Ehrfurcht, wie man in Gegenwart eines höhern Wesens fühlen würde, schien ihr von der feurigen Leidenschaft, deren Gegen­ stand ich noch vor wenig Tagen gewesen war, nur ein sanft sich hingehendes unbegrenztes' Vertrauen übrig gelassen zu haben. Wofern wirklich ein geheimer Anschlag unter diesem allen verborgen lag, so hatte sie allerdings kein zweckmäßigeres Mittel wählen können, meine Vorsicht unvermerkt einzuschläfern, und meinem Her­ zen ganz leise immer näher zu kommen. Wir schie­ nen beide nichts davon gewahr zu werden; aber schon nach dem fünften oder sechsten Besuch fand ich, daß mir ChrysanthiS immer liebenswürdiger vorkam, daß meine Besuche immer länger dauerten, und daß

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es mir einige Mühe kostete, mich wieder zu entfernen. Auch ich bemerkte endlich, daß wir, ohne uns des warum? bewußt zu seyn, naher ats Anfangs zu­ sammen rückten, und daß ich einmals, da ich mit ziemlicher Warme von dem Unterschiede der sittli­ chen Venus und ihrer Grazien von den ge­ meinen Volksidolen dieses Namens sprach, un­ vermerkt eine ihrer Hande in der meinigen hielt.

Nach dieser Entdeckung dauchte eS mir hohe Zeit, meinen Besuchen ein Ende zu machen, und dieß um so mehr, da ich mich, der schönen Chrvsanthis zu Gefallen, bereits langer, als es mein Reise­ plan erlaubte, zu Larissa aufgchalten hatte. Was sollte ich langer da? Meine Absicht war erreicht. Chrysanthis schien von ihrer Leidenschaft geheilt und eine aufrichtige Verehrerin der himmlischen Ve­ nus geworden zu seyn. Ich tonnte sie also ruhig sich selbst überlassen, und kündigte ihr meinen Ent­ schluß beim nächsten Besuch nicht ohne einige Verle­ genheit an. Sie nahm ihn mit ihrer gewohnten Ehrfurcht und Ergebung auf, wiewohl ich merken tonnte, daß sie etwas unterdrückte, was wider ihren Willen in ihrem ganzen Wesen sichtbar wurde. Sie sprach warmer als jemals von den Verbindlichkeiten, die ich ihr aufgelegt hatte; wie ganz sie sich als mein Geschöpf betrachte, und wie sehr sie meinen Verlust empfinden würde. Sie hielt wieder inne —

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drückte mehr als Einen Seufzer zurück, wahrend die Hülle, die ihren schönen Busen fesselte, nach und nach immer loser wurde — fing von neuem an mich zu versichern, daß sie selbst die Nothwendigkeit unsrer Trennung starker als jemals fühle — ergriff, wahrend sie mir dieß versicherte, meine Hand, preßte sie an ihr hochschlagendes Herz, und brach in Thrä­ nen aus, die sie an den: meinigen zu verbergen suchte. Kurz, ohne recht zu wissen wie eS zugegangen war, fand sichs, daß ich sie in meinen Armen hatte, daß ihre glühenden Lippen an den meinigen hingen, und daß diese Scene keinen Augenblick länger dauern durfte. Ich raffte mich zusammen, legte die halb ohnmachtigte Schöne auf den Sofa, empfahl sie der Sorgfalt ihrer Sklavin, und entfernte mich so schnell als mir möglich war.

Diesmal bist du einer großen Gefahr entgangen, sagte ich zu mir selbst, als ich mich wieder im Freien befand. Ob Chrysanrhis in allem diesem nur die Art ihrer Zauberkünste verändert hatte, oder ob sie wirklich aufrichtig war, und nur jetzt, bei dem Ge­ danken der Trennung, einen unfreiwilligen Rückfall erlitt, laste ich unentschieden. Damals fand meine Eigenliebe ihre Rechnung dabei, das letztere zu glau­ ben, und vielleicht traf sie die Wahrheit. Ich ent­ fernte mich wirklich den folgenden Morgen aus Larissa, und es fügte sich, daß ich unterwegs mit

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einem in dieser Stadt wohnhaften feinen Mann Bekanntschaft machte, der von einer Geschäftsreise, die ihn einige Zeit zu Buzanz aufgehatten hatte, zu Pferde nach seiner Heimath zurückkehrte. Bei der Unterredung, in welche wir geriethen, wahrend wir unsre Thiere ausruhen ließen, entdeckte sich, daß er der Gemahl der schönen Chrysanthis war. Er schien sehr nach dem Augenolick des Wiedersehens zu verlangen, und ich benutzte diese Gelegenheit, um ihn, auf eine Art, wodurch ihm die Aufführung seiner Gattin nicht verdächtig werden konnte, zu überzeugen, daß die Vortheile, die er von feinen häufi­ gen Reisen ziehe, nur eine schwache Vergütung der häuslichen Glückseligkeit feiten, die er ihnen auf­ opfere. Meine Vorstellungen schienen den erwarteten Eindruck auf den Mann zu machen, denn er schied Von mir mit dem Vorsatz, solche Einrichtungen in seinen Geschäften zu treffen, daß er künftig nur selten und auf kurze Zeit in den Fall kommen könne, sich von seiner geliebten Chrysanthis zu efitfernen, die er mir als die schönste, sanfteste und zärtlichste aller Weiber schilderte. Wofern er Wort hielt, so zweifle ich nicht, daß beide sich bei meinem Rathe wohl befunden, und Chrysavthis, ohne die Lehren ihre- Mentors gänzlich zu vergessen, über seinen Verlust sich bald und leicht getröstet haben werde.

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IX. Im Verfolg meiner Rückreise aus Thessalien kam ich in eine Gegend, deren erster Anblick dem Fleiß und der Wirthschaft ihrer Anbauer ein schlechtes Zeugniß gab. Auf den Feldern stand das Getraide dünn, mager und von Unkraut erstickt. Die Wiesen, dem von benachbarten Bergen abfließenden Gewässer im Frühling und Herbst unbeschützt preis gegeben, und aß vielen Stellen von vernachläßigten Brunn­ adern ersauft, brachten nur saueres Gras hervor, und waren zum Theil in sumpfiges Mohr ausgeartet, worin einige magere Kühe einzeln herum irr­ ten, und trotz ihres Hungers das schlechte Futter unter ihren Füßen verschmähten. Auf den kahlen Angern weideten schmutzige, von der Räude ange­ fressene Schafe. Wohnung,. Kleidung und Lebensart der Landleute waren, wie es beim Anblick der elen­ den Beschaffenheit ihrer Grundstücke zu erwarten war. Kurz, alles hatte ein höchst armseliges und trauriges Ansehen, welches desto mehr auffiel, da diese Flur von zweien Seiten an Ländereien grenzte, über welche der Ueberfluß sein ganzes Füllhorn aus­ gegossen zu haben schien, und wo das Auge nicht müde wurde, fich am Anblick der fruchtbarsten und lachendsten Auen, der schönsten Viehherden aller Ar­ ten, und einer Menge wohl genährter, eben so fröh­ licher als emsiger Jünglinge und Mädchen, zu er-

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götzen, welche so eben mit Einsammlung der Reich­ thümer beschäftigt waren, womit CereS und Pomona diese reihenden Fluren gesegnet hatten. Der auffallende Abstich so nah an einander gren­ zender Ländereien war eine sehr einleuchtende Dar­ stellung des Unterschieds der natürlichen Folgen einer guten und schlechten Kultur. Indessen wünschte ich doch die Ursachen zu erfahren, warum die Eigen­ thümer der einen so weit hinter den andern zurück geblieben waren, und erkundigte mich darüber bei einem jungen Manne, der im Begriff war, die karge Ausbeute eines ftcinichten Ackers auf einem Karren nach Hause zu führen. Ich erhielt zu meinem Er­ staunen den Bescheid: daß ein verruchterZ a u berer der einzige Urheber des elenden Zustandes sey, worin die Bewohner dieser Gegend seit mehr als vierzig Jahren schmachteten. Er nennt sich Pythokles, sagte der junge Bauer; das große Haus dort auf der Anhöhe, das dem Pallast eines Königs gleicht, ist seine Wohnung, und die herrlichen Fluren, die sich an dem Hügel hinauf ziehen, sind nur ein klei­ ner Theil seiner Besitzungen. Es ist uns unmöglich, vor einem so gefährlichen Nachbar aufzukommen. Nicht zufrieden, seine eignen Ländereien durch seine Zauberkünste zu einem übernatürlichen Ertrag zu bringen, bedient er sich ihrer auch noch, sich des unsrigen zu bemächtigen. Denn er versetzt, mit Hülfe der bösen Dämonen, die ihm zu Gebote stehen, unser

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Getreide alle Jahre von unsern Feldern auf die seinigen ; ja er weiß sogar die Milch unsrer Kühe in dir Euter der seinigen zu zaubern; und wenn er seine Markung umgeht, braucht er nur einen Blick auf die unsrigen zu werfen, so ists als ob nichts gedei­ hen könne, was er angesehen hat. Ich ergrimmte in mir selbst, diese arrjien Men­ schen durch einen so sinnlosen Aberglauben, der zu­ letzt doch wohl die Hauptursache ihrer Trägheit war, so übet gemißhandelt zu sehen. Aber es wäre ver­ lorne Mühe gewesen, Leute, die solchen Unsinn glau­ ben konnten, durch Vernunftgründe eines bessern belehren zu wollen. Ihr guter Genius gab mir ein anderes Mittel ein. Euer Zustand ist traurig, sagte ich, aber euch kann geholfen werden. Führe mich zu den Aettesten in deinem Dorfe. — Der Bauer sah mich mit großen Augen an, besann sich eine Weile, und hieß mich endlich mitgehen, indem er ein mit zusammen geschrumpftem Leder überzogenes Ge­ rippe von einem Pferde, das seinen Karren zog, hin­ ter sich nachschleppte. Als wir ankamen, versammelten sich die Alten um mich her, und ich vernahm die Bestätigung ihrer unglaublichen Dummheit aus ihrem eigenen Munde. Meine Freunde, sprach ich zu ihnen, euer Zustand jammert rrnch. Ich bin ein Priester der heiligen Kabiren in Samothrake. Die Götter haben unS hohe Geheimnisse anvertraut, und es giebt keine WielandS W- 35- Ed. 7

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Zauberei, die wir nicht durch ihren Beistand ver­ nichten könnten. Setzt Vertrauen auf mich. Ich will das Orakel de-großen Ax Locher so- fragen, wie euch zu helfen sey, und in weniger als zehen Tagen will ich euch seine Antwort bringen. Da ich, unglücklicher Weise, kein Wunder bei der Hand hatte, um diesen einfältigen Leuten meine Sendung zu beweisen, so war ich darauf gefaßt, daß ein solche- Versprechen von einem Unbekannten keinen großen Eindruck auf sie machen würde. In­ dessen schien ihnen doch mein Aeußerliches und mein zuversichtlicher Ton Vertrauen einzuflößen; ich wieder­ holte meine Zusage, bestieg, wahrend sie leise mit einander sprachen, mein Pferd, und verschwand so schnell aus ihren Augen, daß meine Erscheinung unter ihnen in ihrer Dorstellungsart etwa- hinläng­ lich wunderbare- haben mußte, um sie, wahrend «einer Abwesenheit, mit mir und meinem geglaubten oder bezweifelten Wiederkommen bei ihren Zusam­ menkünften zu beschäftigen. Inzwischen begab ich mich, ödrch einen Wald von hohen Nußbaumen, der die angrenzende Flur gegen Norden beschützte, zu dem Eigenthümer des schönen Landsitzes, und wurde gastfreundlich von ihm aufgeuommen. Ich fand einen Mann von siebzig Jahren, der nicht viel über fünfzig zu haben schien, von sechs oder sieben Söhnen seiner Art und etlichen wohtgebildeten Töchtern umgeben, deren braunröthliche

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Sonnenfarbe mir bewies, daß die Schonung einer zarten j)aut fie nicht abhiett, bei allen ländliche« Arbeiten, die ihrem Geschlechte ziemen, Hand ayzulegen. Die weitläufigen Gebäude, die beinahe die ganze obere Fläche des Hügels bedeckten, wimmelten, wie Bienenkörbe im Frühling, von beschäftigten Menschen, auf deren Angesichtern Zufriedenheit mit ihrem Zustand glänzte. Der Hausherr führte mich, auf mein Ansuchen, in allen Zubehören seiner Land­ wirthschaft herum, und ich konnte die Reinlichkeit, Ordnung, Zweckmäßigkeit und Harmonie, die überall in die Augen fielen, und alle Theile zu einem voll­ ständigen Ganzen verbanden, nicht genug bewundern. Ich sprach von der Schönheit und dem vortrefflichen Anbau seiner Güter, so viel ich im Vorbeigehen davon gesehen hatte, und er gestand mir, daß ihr Ertrag ihn zu einem der reichsten Landwirthe in Thessalien mache, und in den Stand sehe, eine sehr große Anzahl meistens in seinem Hause geborner Dienstleute so zu halten, daß sie ihre Lage um keine andere in der Welt vertauschen würden. Ich erwähnte bei dieser Gelegenheit des armseli­ gen Zustandes des benachbarten Dorfes. Die Schuld liegt an ihnen selbst, sagte Pythokles; fle wollen es nicht besser haben, oder wollen wenigstens die Mittel nicht, wodurch ihrem Elend abgehotfen wer­ den könnte. Ein großer Theil des Gutes, deffen Eigenthümer ich bin, war vor fünfzig Jahren in

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feinem bessern Stande als die Grundstücke meiner Nachbarn, Alles, was du hier siehest, ist, nächst dem Segen der Götter, die Frucht eines unverdrosse­ nen Fleißes, einer schärfen Aufmerksamkeit auf den Gang und die Winke der Natur, einer durch Ver­ suche und Fehler nicht wohlfeil erkauften langen Er­ fahrung, einer guten Eintheilung der Arbeiten, und genauen Berechnung der Mittel und Zwecke, Vor­ theile und Nachtheile, — kurz, einer in allen ihren Theilen klug und emsig betriebenen Oekonomie. Die Natur hat mir ein neidloses Herz gegeben; ich würde mich gefreuet haben, wenn mein Wohlstand auch meinen Nachbarn nützlich geworden wäre. Aber die Thoren halten mich für einen Zauberer; sie lassen sich- nicht ausreden daß meine Kornböden nur dar um so voll sind, weil ich ihr Getre d.' auf meine Felder zaubere; und so kann ihnen weder mein Bei­ spiel noch mein Unterricht nützlich seyn. — Einem su edeln Manne wie du, versetzte ich, würde es gewiß Freude machen, diese Unglücklichen von ihrem Wahn geheilt .zu sehen. Ich bin auf einen Einfall gekom­ men, der mir vielleicht gelingt; wenigstens ist es des Versuche- werth, ob sich der Aberglaube dieser Leute, der ihnen bisher so schädlich gewesen ist, nicht zu ihrem Vortheil benutzen lasse. Pyrhokles lobte mein Vorhaben, ohne einige Neugier zu zeig-u, durch was für Mittel ich es zu bewerkstelligen gedachte, und wir kamen bald auf andere Gegenstände.

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Es war so viel merkwürdiges in diesem Hause zu sehen, und so viel von seinem Besitzer zu lerne:., dre ganze Famllie war ein so guter Schlag Mensche", und man setzte mir auf eine so freundliche Art.zu, einige Tage bei ihnen zu verweile^, daß ich nicht daran denken konnte, ihnen etwas abzuschlagcn, wozu ich selbst so geneigt war. Nach a-hf Tagen, die mir unter diesen Glückli­ chen, im schönsten Genuß der Natur, so schnell xpxe ein einzelner Tag entschlüpften, erinnerte ich mich, daß es Zeit fcn, meine Zusage gegen die Thalbewohner zu erfüllen. Meine Einweihung in den Samotbrakischeu Mysterien gab mir die Rechte eines Prie­ sters der Kabiren. Ich erschien also unter ihnen mit der priesterlichen Binde um die Stirne, und sie empfingen nuch wie einen Gott. Ich Hache, sprach ich zu ihnen von einer erhöhten Stelle, in einem Tone, der zugleich Vertrauen einflößte und Ehrfurcht gebot, ich habe das Orakel für euch gefragt, und bringe euch seine Antwort. Allerdings ist ein gehei­ mer Zauber, der euer Land drückt, die Quelle eures Elends; aber die Ursache dtfielben ist viel al^er als der älteste unter euch. Merket auf meine und gehorchet von Wort zu Wort dem, was ich euch nn Namen der großen Götter sagen werde, und die Be­ zauberung , die euer Land so unfruchtbar gemacht hat, wird aufhören. Auf Befehl des Orakels habe ich einen milchweißen Stein von der Größe eines

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U - a 1 hodLmon.

Schwaneneie- in eurer Flur begraben.

Diesem sollt

ihr, wenn die Bestellzeit heran kommt, von Öfftn nach Westen, und von Westen nach Osten zugleich, so lange mit dem Spaten nachgraben, bi- auf allen euern Feldern fctn Fuß breit Lande- übrig ist, den ihr nicht wie Gartenland umgegraben habt; und weil dieser weiße Stein keinen andern in seiner Nahe duldet, so sollt ihr alle Steine auf euern Aeckern sorgfältig zusammen lesen, und an einem besondern Orte zu dem Gebrauch, den ich euch sagen werde, aufbewahren. So oft ihr an die Arbeit geht, so rufet die großen Götter auf euern Knieen um ihren Segen an, and wenn ihr sie vollendet habt, dann bestellet euere Anker wie gewöhnlich; und so verfah­ ret sieben 'Jahre nach einander. Mit jedem Jahre wird der milchweiße Stem einen Fuß tiefer in die Erde sinken; mit jedem Fuße, den er tiefer gesunken ist, wird sich die Fruchtbarkeit eures Bodens ver­ mehren, aber nach dem siebenten Jahre wird der Stein ruhen; und seine geheimnißvolle Kraft wird nie wieder von euern Feldern weichen. Merket nun weiter auf, und gehorchet von Wort zu Wort dem, was ich euch im Namen der großen Götter befehle! Euer Wiesengrund wird von Nomfen bewohnt, wel­

chen ihr versäumt habt, die gebührende Ehre zu er­ weisen. Zur Strafe dieser Vernachlaßigung haben sie ihn in einen Sumpf verwandelt, worin euer Vieh nur karge und ungesunde Nahrung findet. Um

Zweites Buch.

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den Zorn der Nymfen zu besänftigen, befiehlt euch daS Orakel, die sumpfigen Stellen auszutrocknen, das ganze Thal durch tiefe Gräben und erhöhte Dämme vor künftigen Überschwemmungen zu schützen, die Brunnquelten hingegen zu fasten, und in kleinen Kanälen durch eure Fluren hin und herzu leiten. Mit den Steinen, wovon ihr euere Aecker gereiniget habt, sollt ihr die tiefsten Stellen euerer Sümpfe auöfüllen, nachdem ihr aus den größten dieser Steine den Nymfen eine kleine Kapelle erbaut, und den ganzen An­ ger um sie her mit einem Hain von fruchtbaren Bäumen bepflanzt habt, deren Erstlinge ihr alle Jahre, festlich versammelt, den freundlichen Nymfen opfern werdet. Endlich soll ich euch aus dem Munde des Orakels sagen, daß euer Argwohn dem reichen Pythokles Unrecht thut. Die Götter haben sein Herz zu euch geneigt; und er wird euch, wenn ihr ihm einen bester« Willen zeigt, mit Rath und That zu Hülfe kommen. Denn nicht böse Zauberkünste, son­ dern der Segen der Götter, und sein von Klugheit geleiteter Fleiß sind die Quellen seines Reichthums, und wenn ihr seinem Beispiel folget, werdet ihr ihm auch an Wohlstand ähnlich werden. Die Bauern horchten meinem Orakel mit starrer Aufmerksamkeit zu, wiewohl leicht zu sehen war, daß sie ein weniger mühsames Mittel erwartet hatten, und über den Schluß meiner Rede stutzig wurden. Ich fand aber nicht für gut, das Ende des leisen

104

Agathodamon.

Gemurmels, das jetzt unter ihnen begann, abzuwar­ ten. Ich übergab ihrem Nettesten eine Abschrift des Orakels, ermahnte sie nochmals, den Befehlen der großen Götter zu gehorchen, schwang mich, nachdem ich eine Hand voll Drachmen unter ihre zerlumpten Kinder geworfen hatte, wieder auf mein Roß, und verschwand eben so schnell alS ich gekommen war, ohne mich um den Erfolg dieses Abenteuer- weiter zu bekümmern. Ungefähr vor zehen Jahren, da ich aus Italien durch Epirus und Thessalien zurück reiste, erinnerte ich mich dieser alten Begebenheit wieder, und ließ mich von der Neugier, zu sehen was sie für Folgen gehabt hätte, zu einem Umweg in die Gegend, wo die Scene derselben lag, verleiten. Ich befand mich eine gute Weile mitten darin, ohne sie zu erkennen; so gänzlich hatte sich das unfruchtbare Land, der sumpfige Thalgrund und das armselige Dörfchen in diesem langen Zeitraum umgestaltet. Bin ich wirk­ lich zu Gyreina? fragte ich endlich einen ziemlich abgelebten GreiS, der vor £cr Thür eines ansehnli­ chen Meierhofes in der Sonne saß. Der alte Mann bejahte meine Frage, indem er mich mit großer Auf­ merksamkeit betrachtete. So hat es sich in fünfzig Jahren sehr verändert, sagte ich. Du hast es also vyr fünfzig Jahren gesehen? fragte jener, mit sicht­ barem Streben sich meiner zu erinnern. Allerdings, erwiederte ich, und, wenn mich ein Rest von Aehn-

Zweites Buch.

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lichkeit nicht trügt, auch d i ch, der damals ein jun­ ger Mann von fünf und zwanzig seyn mochte, und eben beschäftigt war, einige magere Garben einem Gespenst von einem Karrengaul sirtschleppen zu hel­ fen, als ich seine Bekanntschaft machte. Ist dein Name nicht Dryas? Bei diesen Worten sprang der Alte so lebhaft auf, als ob sie ihm seine Jugend wieder gegeben halten, und ich konnte ihn kaum abhalten, sich vor mir auf die Erde zu werfen. Göttlicher Mann, rief er aus, nur die Schwache meiner Augen konnte mich verhindern, in dir, an dessen Gestalt und Gesichtszügen diese lange Zeit nur wenig verändert hat, den ehrwürdigen Priester aus Samothrake zu erkennen, dem die Bewohner dieser Gegend den Wohlstand, worin sie jetzt leben, einzig zu verdanken haben; dem auch ich es verdanke, daß ich 'ihm das Gastrecht unter meinem eigenen Dach anbieten kann. — Angenehmer würd' ich vielleicht in meinem ganzen Leben nie überrascht, als durch diesen Erfolg einer Handlung, die bloß aus einem schnell aufwallenden Gefühl entstanden war, und von welcher sich ein solcherAusqang mehr wünschen als erwarten ließ. Der alte Dryas, dem ich es nicht abjchlagen konnte, einen Tag bei ihm zu verweilen, befriedigte mein Verlangen, von diesem Hergang genauer unter­ richtet zu seyn, durch eine sehr umständliche Erzäh­ lung , wovon ich nur das Wesentliche berühren will. AlS ich mich nach Verkündigung meines Orakels so

schnell entfernt hatte, entstand ein ziemlich lebhafter Streit unter den Dorfbewohnern. Die Alten, die in dem Wahne, daß PythokleS ein Zauberer und die Ursache ihrer schlechten Ernten sey, grau geworden waren, wollten fitz nicht ausreden lassen, der vor­ gebliche Priester der Kabiren sey mit Pythokles ein* verstanden, und habe sie mit seinem Orakel nur zum besten. Die Jüngern hingegen behaupteten, es sey keine Ursache vorhanden, den Fremden für einen Be­ trüger zu halten; sein bloßes Ansehen zeuge schon genugsam für das Gegentheil, und das Orakel müsse schlechterdings befolget werden. Eie legten auch, da fie die Mehrheil ausmachten, sogleich Hand anS Werk, gruben die Aecker um, reinigten fie von Stei­ nen und Unkraut, bauten den Rymfen eine Kapelle, trockneten die Sivnpfe aus, und brachten nicht ohne große Mühe nach uitd nach alles zu Stande, was das Orakel befohlen hatte. Die reiche Ernte des nächsten Jahres, womit die Natur ihren Fleiß be­ lohnte, stopfte der Gegenpartey den Mund; fie bewies, daß ihnen der Fremde wohl gerathen hatte, und daß ihre böse Meinung von dem reichen Pytho­ kles grundlos war. Denn warum hatte er ihr Getraide nicht auch dießmal auf seine Felder gezaubert, wenn er es jemals gethan hatte? Die Verständigern erwogen nun den Inhalt des Orakels mehr als je­ mals, und forschten seinem wahren Sinne so lange nach, bis fie zu sehen glaubten, seine Abficht sey

Zweite- Buch.

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bloß gewesen, sie von ihrem Dorurtheil gegen Pythokles und von ihrer daher entsprungenen Mutlosigkeit und Trägheit zu heilen, und ihnen durch die Erfah­ rung einleuchtend -u machen, daß nicht die Zauber­ künste ihres Nachbars, sondern ihre eigne Unthätigfeit und schlechte Wirthschaft, die Ursache, warum sie nicht gedeihen konnten, gewesen sey. Aber was sie von dem weißen Steine, dem sie sieben Jahre lang nachgraben mußten ohne ihn jemals zu finden, denken sollten, wurde ihnen immer zweifelhafter. Sollte nicht vielleicht, sagte einer, der immer die besten Einfalle ^zu haben pflegte, dieser Stein bloß dazu erfunden seyn, uns zu einer mühseligen Arbeit zu vermögen, wozu wir vielleicht durch keine andere Vorstellung zu bringen gewesen waren? — Diese Vermuthung war nicht ohne Wahrscheinlichkeit; aber sie getrauten sich dennoch nicht von den Buchstaben des Orakels abzugehen. Sie setzten das Umgraben der Felder noch zwei Jahre fort, und wurden jedes­ mal reichlich für ihre Mühe belohnt. • Inzwischen hatten fie sich auch mit ihrem Nachbar PythokleS ausgesöhnt, und erhielten von dem edelmüthigen Mann alle mögliche Unterstützung bei der neuen Ein­ richtung ihretz Landwirtschaft. Er bestätigte fie in dem Gedanken, daß es bei dem oft erwähnten Orakel weniger darauf ankomme, es wörtlich zu befolgen, als in seinen Sinn und Geist einzudringen, der kein andrer sey, als sie zu belehren: »Daß die Götter

loQ

Hgathodamori.

den Sterblichen nichts Gutes ohne Mühe verleihen; daß der Erdboden desto reichlicher ertrage, je fleißi­ ger er bearbeitet werde, und daß der Mensch bie Vernunft darum empfangen habe, damit er der Na­ tur zur $ü(fe komme, sie vor Verwilderung bewahre, gegen die verwüstende Gewalt der Elemente schütze, und, indem er sie durch klugen und unverdrossenen Fleiß zum möglichsten Ertrag bringe, sich selbst einen frohen Lebensgenuß, und den Thieren, die ihm von der Natur als eine Art dienstbarer nnd nützliche Hausgenoffen zugegeben sind, zu seinem eigenen Vor­ theil reichlichern Unterhalt verschaffe." Pythokles und seine Söhne machten sich ein Vergnügen daraus, den fähigsten und lehrbegierigsten jungen Mannern zu Gyreinä Anleitung zu geben, wie sie es anfangen müßten, um es mit der Zeit, wenn auch nach einem kleinern Maßstab, eben so weit zu bringen als sie selbst. Da nun ihre Nachbarn sahen, wie der Wohl­ stand dieser Leute von Tag zu Tag zunahm, so wurde die Wirkung ihres Beispiels endlich allgemein: und so geschah es, daß eben dieses Gyreina, von dessen äußerstem Verfall ich vor fünfzig Jahren ein Augenzeuge gewesen war, binnen dieser Zeit in den blühenden Zustand kam, worin ich es wieder sah. — Und was ist aus den Nachkommen des Pytbokles geworden? fragte ich. — Ein trauriges und lehr­ reiches Beispiel, versetzte der Alte, daß ein wohl erworbenes Gut nur durch eben die Mittel erhalten

Zweites Buch.

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werden kann, wodurch es erworben wurde. Sv lange Pythokles lebte, blieb seine Familie in Eintracbt beisammen, und machte eine kleine Republik von tugendhaften und glücklichen Menschen aus. Auch unter seinen Söhnen erhielt sich diese Einrich­ tung noch; und wiewohl frei* Ge'st des Vaters unver­ merkt von ihnen zu welchen schien, so vermehrte sich doch ihr Reichthum noch immer, vielleicht zum Ver­ derben der dritten Gencrazien, die durch Zwietracht, Ueppigkeit und Verschwendung wieder zerstreute, was die Vater mit Mühe gesammelt hatten. Du würdest dich vergebens nach den Enkeln des guten Pythokles in diesen Gegenden umsehen; es ist schon eine ge­ raume Zeit verflossen, seit sie von uns weggezogen sind, und wir haben seitdem nichts mehr von ihnen gehört. Halt' eß mir zu gut, Hegesias, fuhr Agathodamon fort, wenn ich zu umständlich in Erzählung meiner kleinen Abenteuer in Thessalien gewesen bin. Das Alter ist geschwätzig, und ist eS nie mehr, als wenn es auf Geschichten seiner Jugend kommt. Aber ich habe mich vorsetzlich bei der letztem langer ver­ weilt, als einem doppelten Beispiel, von der unge­ heuern Gewalt, die der damonitische Aberglauben über einfältige Menschen ausübt, und von einer viel­ leicht unverwerfiichen Arr, wie mon sich der Verblen­ dung solcher Leute zu ihrem eigenen Vortheil bedienen könnte. Ich denke dir dadurch begreiflich gemacht zu

iio

Agathodamon.

haben, waS ich unter einer T a u sch u n g verstehe, d i e, so-u sagen, ihrGegengift bei sich führt,weil sie in eben dem Augenblicke, da sie ihre abgeziette Wirkung gethan hat, als Täuschung erkannt wird.

Sie fallt dann, wie die Schale von einer reifen Frucht, von selbst ab, und die Wahrheit, deren Hülle sie war, bleibt allein zurück. Hier machte Agathodamon eine Pause, und da ich ihn von den langen Reden ein wenig erschöpft sah, war ich im Begriff, ihn -u bitten, dab er mich auf

etliche Stunden beurlauben machte, als er mir mit einem gefälligen Lächeln zuvorkam. Ich sehe, warum du mich bitten willst, sprach er : du bist hier gänzlich dein eigener Herr; vielleicht ist es dir angenehm in der Zeit, die noch bis zu unserm kleinen Mahl ver­ streichen wird, mit meinem wackern Kpmon Bekannt­

schaft zu machen. Mit diesen Worten begab er sich in ein Nebenzim­ mer, und ich entfernte mich, von Gefühlen durchdrun­ gen, wie sie mir noch kein Sterblicher eingesiößt hatte.

Drittes Buch. L Anstatt den alten Kymon im Garten auf-usuchen, begab ich mich nach der Felsenhöhle, in welcher die Quelle entsprang, woraus ich diesen Morgen die kleine Nymfe Wasser schöpfen gesehm hatte. Die von der Hitze deß Tages gemäßigte Kühle dieser Grotte lud mich ein, auf einer dicht bemoosten Bank auszuruhen, und meinen Gedanken über alles, was ich an diesem Morgen gesehen und gehört hatte, nachzuhangen. Je mehr ich darüber dachte, desto mehr fand ich mich in der Vermuthung bestätiget, daß dieser außerordentliche Greis, auf den daS Ho­ merische Beiwort götterahnlich so gut paßte, kein andrer sey, als der berühmte Apollonius von Tyana, eben derselbe, dessen Lebensgeschichte von einem gewissen Da miß aus Ninive geschrie­ ben, mir vor kurzem aus Athm -ugeschickt worden war. Dieser DamiS hatte, seiner Versicherung nach, den großen Wuudermanu auf seinen morgenlaudischen

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A g a t h o d ä m o n.

Reisen begleitet, und alles, was er von ihm erzählt, entweder selbst gesehen, oder glaubwürdigen Perso­ nen nachgeschriebm. Aber welch eine Erzählung! Wie viel Unsinn in den Sachen! Welche Barbarei im Styl! Eine gewisse kindische Art von Einfalt und Leichtgläubigkeit, die aus dem ganzen Buch hervor leuchtet, scheint ihn zwar gegen allen Ver­ dacht vorsetzlicher Unwahrheit sicher zu stellen: aber diese Einfalt ist mit einer so großen Schwache des Geistes und einem so gänzlichen Mangel an Urtheils­ kraft und Kenntnissen verbunden, daßs eine Erzählung, durch die beständige Vermischung oder Verwechslung dessen, was er sah oder hörte, mit seinen eigenen verworrenen Begriffen und Dorurtheilen, in dem wunderbaren Theil derselben alle Glaubwürdigkeit vertiert, und selbst da, wo er vielleicht die Wahr­ heit sagt, den Leser gegen seine Zuverlässigkeit miß­ trauisch macht. Ich hatte sein Buch, der barbarischen Schreibart zu Trotz, auf meiren Wanderungen im Gebirge nach und nach durchgegangen; und da mir alleS noch in frischem Andenken lag, so schien mir, wie augenschein­ lich auch der schiefe Blick und die ungeschickte Hand des Malers das ausgestellte Bild verzeichnet hatte, doch in mehreren Zügen die Aehnlichkeit noch immer groß genug, um mir keinen Zweisel übrig zu lassen, daß ich in dem vermeinten Agathodamon daUrbild selbst gefunden hätte.

Drittes

Tuch.

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Aber wie es möglich gewesen, daß aus einem so lichtvollen Geist, einem so erklärten Feind aller Schwärmerei, einem Manne, der die höchste Vered­ lung 'der Menschheit an ihm selbst und andern zum einzigen Geschäfte seines Lebens gemacht, sogar unter den Händen des stümperhaftesten Sudlers, entweder ein fanatischer Wiederhersteller und Beförderer des ungereimtesten Damonismus und der gröbsten Dolksvorurtheile, oder ein moralischer Gaukler, der aus selbstsüchtigen Bewegursachen sein Spiel mit der Leichtgläubigkeit der Menschen treibt, hätte werden können; dieß schien mir noch immer etwas unerklär­ bares ; wiewohl verschiedene, von Agathodämon selbst mir gegebene Winke mich auf eine Spur gewiesen­ hatten, die zur Auflösung dieses Räthsels führen konnte.

II. In Verfolgung dieser Spur hatte ich mich so sehr in meinen Gedanken vertieft, daß ich den wackern Kymon, der mich im Vorbeigehen erblickt hatte, nicht eher gewahr wurde, bis er vor mir stand und mich anredete. Ich bat ihn, wenn er Muße hatte, sich zu mir zu setzen. Unvermerkt entspann sich ein Gespräch zwischen unS, worin er sich mir als einen Mann von gesundem Sinn und scharfem Blick zeigte, der, zwar ohne die Vortheile, aber auch Wielands W, 35, Bb.

g

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Agathodamon.

ohne das Nachtheilige einer frühen Erziehung, durch das Leben selbst, und durch das Glück, so viele Jahre um Agathodamon gewesen zu seyn, zu einer in seiner Klaffe ungewöhnlichen Klarheit des Begriffs und Richtigkeit des Urtheils gebildet worden war. Unser Gespräch lenkte sich gar bald auf den erhabe­ nen Greis, deffen Gast ich so unverhofft geworden war. Kymons Anhänglichkeit an diesen seinen ehe­ maligen Gebieter schien eben so unbegrenzt, als seine hohe Meinung von ihm; und er nannte ihn noch immer seinen Herrn, wiewohl er schon lange gewohnt war, als sein Freund von ihm behandelt zu werden. Ich bahnte mir den Weg zu den Erläuterungen, die ich über verschiedene Punkte von ihm zu erbalten hoffte, indem ich mich glücklich pries, den Zu­ gang in dieses, allen Menschen verborgene Heiligthum gefunden zu haben, und von dem darin wohnenden guten Dämon einer so freundlichen Aufnahme gewür­ digt worden zu seyn. Kmnon sah mir mit einem mehr freimüthigen als forschenden Blick in die Augen, und versetzte: Ich sehe, daß mein alter Herr eben denselben Eindruck auf dich gemacht hat, den er immer auf alle Men­ schen machte, denen er sich, oder die sich ihm näher­ ten. Wiewohl er, wie ich leider! befürchte, nur ein Sterblicher ist, so begreife ich doch sehr wohl, wrc man sich versucht finden kann, ihn für etwas mehr

Drittes Buch.

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zu hatten. Ich wenigstens habe seines gleichen nie gesehen. Die Natur scheint kein Geheimniß vor ihm zu haben, und seine Gewalt über sich selbst, und über alle Arten von Menschen, ist beinahe unglaub­ lich. Ich rede als einer, der in mehr als fünfzig Jahren kaum von seiner Seite, gekommen ist, und in dem Verhältniß eines vertrauten Dieners wah­ rend einer so langen Zeit Gelegenheiten genug ge­ habt hat, ihn genauer als irgend ein anderer kennen zu lernen. Welch ein glücklicher Mann bist du, rief ich aus, du, der, sein ganzes Leben durch, einem so außer­ ordentlichen Manne nah, und ein Augenzeuge aller der Wunder, die er verrichtet haben soll, gewe­ sen ist! Ich weiß nicht, was du Wunder nennest, erwie­ derte Kymon. Etwas, wodurch die Ordnung und der Lauf der Natur unterbrochen worden wäre, hab' ich ihn niemals verrichten sehen. Aber daß er theils durch seine Wisienschaft, theils durch seine immer wah­ rende Geistesgegenwart und die Allgewalt seines Genius über gemeine Menschen, Dinge gethan hat, die in den Augen der letztern für Wunder gelten konnten, davon bin ich mehr als Einmal Zeuge gewesen. Du scheinst also, sagte ich, die Biografie nicht zu kennen, die ein gewisser Dam is von deinem Hnrn (den er bereits für gestorben halt) verfaßt

hat, und von welcher verschiedene Abschriften in die Welt herum geheu? Em gewisser Damis? Tief er mit dem Auedruck einer Verwunderung, die mit etwas Mißbelieben ver­ mischt -u seyn schien. »Ja, ein Damis von Ninive, der den göttli­ chen Apollonius sehr genau gekannt zu haben versi­ chert, und im Ton der treuherzigsten Selbstüberzeugung eine Menge erstaunlicher, und, wenn ich frei heraus reden darf, unglaublicher, ja sogar äußerst ungereimter Dinge von ihm erzählt." DaS mag mir allerdings eine seltsame Biografie

von eine gut auf

Apollonius seyn, wenn Damis geschrieben hat! Ich habe diesen gekannt. CS ist wahr, daß er einem -roßen Theil feiner Reisen

von Ninive Menschen sehr meinen Herrn begleitet hat,

und einer seiner 'eifrigsten Anhänger gewesen ist. Seine Landsleute gelten, wie dir.bekannt seyn wird, überhaupt für ein sehr unwissendes und abergläubi­ sches Volk: aber mit einem solchen Hang Wunder zu glauben, -und mit einer solchen Gabe zu sehen, ist schwerlich in allen Morgenlandern jemals ein Menschenkind geboren worden wie Damis; und nie­ mand war wohl weniger fähig als er, sich von einem Manne wie mein Herr, einen Begriff zu machen. Für daS, was Apollonius wirklich ist, hatte der arme Ninivit schlechterdings keinen Sinn: aber da­ für hielt er ihn. für einen Dämon vom-ersten Rang,

Drittes

Buch^

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der mit den andern Göttern als seines gleichen um­ gehe,, den Elementen und den Geistern gebiete, noch etwas mehr als Alles wisse, und das Unmögliche möglich machen könne. WaS brauchte wohl em Mensch, den so sehr nach Wundern hungerte, mehr alS diesen Wehn, um seine Dienste dem vermeinten Wunderthater beinahe mit Gewalt aufzudringen, und ihn mit einer wenig verdienstlichen Anhänglichkeit virke Jahre lang allenthalben wie sein Schatten zu verfolgen? In einem solchen Schwindelkvpf mußte nun freilich das, was er in dieser Zeit sahund hörte, seltsame Gespenster hervorbringen! Auch käugne ich nicht, daß mein Herr selbst — der vielleicht seine Ab­ fichten dabei-haben mochte, und die Blödigkeit dieseMenschen für unheilbar ansay — auf eine Art mit ihm umging, die ihn in seinen Einbildungen eher bestärken, als davon zurück bringen konnte. Ich begreife, (erwiederte ich) wie fich in dem benebelten Gehirn eines so schwachen Menschen manche Dinge, womit es sehr natürlich zugeht, in Wunder­ dinge verwandeln konnten. Aber es giebt eine Art von Wundern, die dem kältesten Zuschauer und dem wärmsten, dem hellsten und dem finstersten Kopfe unter einerlei Gestalt erscheinen, und wobei eL der Fantasie des Augenzeugen kaum möglich ist, den Sinnen einen- Streich zu spielen, vorausgesetzt, daß Er eben so wenige von an dern betrogen worden scp, als er u n s betrügen will.

ng

Agathodawon.

Ium Beispiel? »Ium Beispiel, die Erweckung eines Todten. ■ Damis sagt also, daß mein Herr Todte erweckt habe? »Er führt zwar nur Ein Beispiel an; aber in solchen Fallen ist Eines so gut wie tausend. * Wenn es, wie ich vermuthe, die nämliche Be­ gebenheit ist, von welcher ich selbst Augenzeuge war, so konnte Damis fich auf eine große Anzahl von Zu­ schauern berufen, die eben so von der Sache sprachen wie er. Indessen kann ich dir zuschwören, daß die Todten, die mein Herr erweckt hat, nicht todter waren als ich oder du. »Ich verstehe dich. — Es waren nur Scheintodte. Dein Herr erweckte sie durch seine Kunst. Die Leute machten ein Wunder daraus, und Er ließ sie auf ihrem Glauben, oder half ihm auch wohl absichtlich ein wenig nach?" Du hast es nahezu^errathen. ES ist (wie du von ihm selbst hören kannst) eine seiner Maximen, daß es, zumal in einer Zeit wie die gegenwärtige, einem Weisen nicht unanständig, ja demjenigen, der sich (wie er) mächtig auf sein Zeitalter zu wirken be­ stimmt fühlet, sogar Pflicht sev, anstatt den großen Haufen voreiliger Weise aufklären zu wollen, die Wahnbegriffe desselben und seine Liebe zum Wunder­ baren zum Vortheil der guten Sache zu benutzen. Er folgte hierin, wie in vielem andern, dem Bei-

Drittes Buch.

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spiele des großen Pythagoras, der, wofern er in unsern Tagen gelebt hatte, von den Epikureern ohne Zweifel eben sowohl für einen Betrüger ausge­ schrieen worden wäre, als mein Herr, welcher diese Beschuldigung weder mehr verdient, noch durch ein anderes Betragen und wegen anderer Absichten sich zugezogen hat, als jener. Daß er in vielen Falle», wo es nur auf ihn ankam, den Leuten den Wahn, er könne Wunderdinge wirken, zu benehmen, sie ab­ sichtlich auf ihrem Glauben ließ, ist eben so unlaug­ bar, als daß er durch das Feierliche seiner Person und seines Benehmens, durch seine Pythagorische Lebensweise, seinen Aufenthalt in Tempeln, und eine Menge anderer Dinge, wodurch er sich von den ge­ wöhnlichen Menschen unterschied, die Vorstellung, daß er ein besonderer Günstling der Götter sey, beim Volk veranlaßte und unterhielt. Aber daß er jemals (so oft ein Fall eintrat, von dieser Meinung des Volks Gebrauch zu machen ) sich niedriger oder gauklerischer Kunstgriffe dabei bedient habe, dieß laugne ich schlechterdings. Das Beispiel einer vorgeblichen Todtenerweckung, dessen Damis Meldung thut, wie du sagst, wird dir alles klar machen. Die Sache ereignete sich wahrend des ersten Aufenthalts meines Herrn in Rom. Die einzige Tochter eines gewissen Kajus Anicius, eines angesehenen Mannes, in dessen Haus er bekannt war, wurde in einem ungewöhnlichen

i2o

Agathodamon.

Grad von Nervenzufallen befallen, die in diesen Zeiten eine fast allgemeine Krankheit der Römerinnen sind. Sie war von ihren Aeltern einem Jüngling versprochen worden, der meinem Herrn eifrig zugethan, und einer von seinen Schülern der zwei­ ten Klasse war, das ist, von denen, die in der Vorbereitung zum zweiten Grade seines gehei­ men Ordens standen. Apollonius wußte von der Krankheit der jungen Römerin, und blieb daher ganz ruhig, als ihm der Bräutigam in größter Bestür­ zung den plötzlichen Tod seiner Geliebten ankündigte. Er ließ sich umständlich erzählen, wie es damit zuge­ gangen, und überzeugte sich aus diesem Berichte, daß der alte Freigelaßne, der den Hausarzt beim Anicius machte, und sich in diese ihm ganz treue Art von Krankheit nicht zu finden wußte, die Familie in einen voreiligen Schrecken gesetzt und eine hartnäckige Ohnmacht mit dem wirklichen Tode verwechselt habe. Beruhige dich, sagte mein Herr, nachdem er alle Ilmstände aufs genaueste erfragt hatte, sie ist nicht todt: ihr Zustand ist nur eine ungewöhnliche Art von Ekstasie, aus welcher ich sie zu erwecken gewiß bin, wenn sie auch schon drei Tage lang für todt gelegen hätte« Der junge Mann wollt' es darauf nicht ankommen lassen, und lag meinem Herren dringend an, die Erweckung keinen Augenblick zu verschieben. Wenn sie wirklich todt ist, sagte Apol­ lonius, so kann ich ihr das Leben so wenig wieder-

Dritte- Buch.

uz

geben alS ein andrer: aber ich bin gewiß, daß sie es nicht ist. Ich kenne diese Art von hysterischen Zu­ fällen; deine Braut liegt bloß in einem dem Tod ähnlichen Schlaf, und das Mittel, wodurch ich sie erwecken will, kommt in vier und zwanzig Stunden noch früh genug. Laß indessen diejenigen, die sie für todt halten, auf ihrer Meinung; stelle dich, als ob du selbst nicht daran zweifeltest; beschleunige die Anstalten zu ihrem Leichenbegängniß, und beruhige dich damit, daß ich zu rechter Zeit erscheinen werde, euere Trauer in Freude zu verwandeln. Du weißt, setzte er mit einem Ernst hinzu, der jede Einwen­ dung auf den Lippen des Jünglings erstickte, unter welchen Bedingungen ich dich in den engern Kreiö meiner Freunde ausgenommen habe. Du bist mir unbegränztes Vertrauen, und der Sache, für welche wir leben, jedes Opfer schuldig. Ein Fall wie dieser, kommt zu selten, als daß es unS erlaubt wäre, ihn unbenutzt )u lassen. Der junge Römer entfernte sich, nachdem er Ge­ horsam und Stillschweigen angelobt hatte, und Apol­ lonius setzte seine gewöhnlichen Geschäfte fort, ohne dieser Sache weiter zu erwähnen. Am folgenden Tage sandte er mich an den Jüngling ab, mit dem Auftrag, auf eine schickliche Art zu veranstalten, daß von den Verwandten, Nachbarm und Freunden des HauseS gegen Abend so viele zusammen kamen, als das Vorhaus, wo die vermeinte Leiche bereits auf

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Agathodam o n.

einem Prachtbette lag, nur immer fassen könnte. Der junge Mann glaubte dieß nicht sicherer bewerk­ stelligen zu können, als indem er unter der Hand das Gerücht verbreiten ließ, Apollonius hatte sich von ihm erbitten lassen, um diese Zeit zu kommen, und durch die Gewalt seiner theurgischen Kunst die entflohene Seele der schönen Anicia zurück zu rufen, und mit ihrem Leibe wieder zu vereinigen. Mein Herr fand also, da er bald nach Sonnenunter­ gang anlangte, ein großes Gedränge von Personen alles Alters, Standes und Geschlechts, welche theils die Leichtgläubigkeit, theils der Unglaube herbei ge­ führt hatte, zu sehen was die Sacke für einen Aus­ gang nehmen würde. Der Saal, worin das erblaßte Mädchen, einer Schlafenden ähnlich, aber kalt und athemlos, auf einem lieblich duftenden Blumenbette lag, war von einer großen Anzahl silberner Lampen erleuchtet, und die Aeltern nebst den nächsten Anver­ wandten saßen, in stummer Traurigkeit und wenig hoffender Erwartung, um die geliebte Leiche her. Alle standen auf, als Apollo,nius mit dem hohen, Ehr­ furcht gebietenden Anstand, der ihn auch im höchsten Alter noch nicht verlassen hat, mehr einem Gott als einem Sterblichen ähnlich, herein trat. Vor ihm her gingen sieben schöne Knaben, aus den jüngsten seiner Anhänger ausgesucht, alle weiß gekleidet, und die fliegenden Haare mit Myrtenzweigen und Rosen be­ kränzt. Indem sie sich mit gesenktem Blick, vier zu

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den Häupten und drei zu den Füßen der Erblaßten, stellten, näherte sich der Jüngling meinem Herrn, fiel ihm zu Füßen, und beschwor ihn in einem Tone, der um so rührender war, weil er wirklich zwischen Angst und Hoffnung schwankte, daß er sich des Kum­ mers, worin er dieses ihm ergebene Haus versenkd sehe, erbarmen, und als ein Günstling der Götter, dem nichts unmöglich sen, seinen Freunden den Lieb­ ling ihrer Herzen wiedergeben möchte. Mein Herr hob ihn mit einem Trost einsprechenden Blick auf, näherte sich der Entschlafenen, und befahl, daß eine Lampe nach der andern bis auf eine einzige ausge­ löscht würde. Jetzt stimmten auf seinen Wink die sieben Knaben, mit gedampften aber sehr reinen Sil­ berstimmen, einen feierlich langsamen Hymnus an die Götter des H a d e s an; und während die herzer­ schütternden Worte und Töne alle Anwesenden in Thränen auflösten, bückte sich Apollonius über die Leiche hin, so daß sein weites faltenvclles Oberkleid die obere Hälfte derselben einige Augenblicke ganz verhüllte; und in dieser Zeit goß er aus einer in seinem Busen verborgenen Fiele unbemerkt einige Tropfen einer flüchtigen Esienz in ihren Mund. Nun richtete er sich langsam wieder auf, und befahl nach einer Weile die Lampen allmählich eine nach der andern wieder anzuzündcn. Die sieben Knaben wech­ selten Tonart und Rhythmus; ihr Gesang rief Trost und Hoffnung in die Herzen zurück, und endigte

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Agathodämon.

zuletzt

irr fröhlich jubelnde Töne, womit sie die vom Schlaf des Todes Erwachende ins Leben willkommen

hießen. Wahrend diese- Gesang- waren die Augen aller Gegenwärtigen in tiefer Stille und unbeweglich, gleich den Augen eben so vieler Steinbilder, auf die Entschlafene geheftet, und alle sahen mit süßem Er­ schrecken, daß ihre Lippen und Wangen sich zu färben ansingen, ihre Augendeckel sich hoben, und aus ihrem steigenden Busen ein langer Seufzer sich empor arbei­ tete. Bald darauf regte sie auch eine Hand nach der andern, richtete sich endlich mit halbem Leib auf, blickte verwundernd bald um sich her> bald aufsich selbst, und schien nichts von allem was sie sah zu begreifen. Aber- das Erstaunen, die Freude, die Rührung, die zitternde Ungewißheit, ob man seinen Augen glau­ ben dürfe, dir fchauervolle Ehrfurcht vor dem göttlichen Manne, der dieß Wunder gethan, und die fragenden Blicke, ob es erlaubt sey, in die Arme der Wiederbelebten zu fliegen, kurz die Wirkung^ welche dieses Ereigniß auf die Personen, die es am nächsten anging, und auf alle übrigen machte, — man mußte ein Augenzeuge davon gewesen seyn, und auch ein solcher nnrhte beredter seyn als ich, um einem, der es nicht war, eine Vorstellung davon zu geben, die der Wahrheit nahe käme. Apollonius war der ein­ zige, der seine gewöhnliche Fassung behielt, und wiewohl er an dem Jubel der Aeltern und seines

jungen Freundes Antheil nahm, schien er doch wegen deffen, was er selbst dazu beigetragen, keine beson­ dere Ansprüche zu machen. Er erfreute sich des Er­ folg-; aber wie es damit zugegangen, darüber er­ klärte er sich nicht, und rriemand wagte es, ihn zu fragen. Seinem jungen Freunde sagte er, als sie -sich wieder allein befanden, bloß: Wirst du nun künftig Vertrauen auf mich setzen? Du siehst? daß ich d i ch nicht tauschen wollte: denn da würde ich dir nicht gesagt haben, deine Braut lebe, ungeachtet jedermann, und du selbst, sie für todt hielt. Ich kannte den Zufall, der ihren Scheintod hervorbrachte, und besitze ein eben so natürliches als unfehlbares Mittel dagegen. Das ist alles, und für dich genug. Die übrigen mögen von der Sache glauben was sie können. Ein Irrthum in solchen Dingen kann guten Menschen nicht schaden; und auf allen Fall haben wir ihnen ein Schauspiel gegeben, wie sie noch kei­ nes gesehen haben, und deffen Erinnerung ihren Fechterspielen und Pantomimen, eine Zeit lang we­ nigstens, das Gegengewicht halten wird. IIT.

Diese Begebenheit machte wohl viel Aufsehen- in Rom? sagte ich. Nicht so viel als du zu vermuthen scheinst. In einer so ungeheuern Scadt, wo jedermann mit sich

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A g a 1 h o d ä m o n.

selbst genug zu thun hat und des Neuen so viel ist, wird selbst von dem außerordentlichsten Ereigniß nur so lange gesprochen, als es die Neuigkeit des Tages ist; und gemeiniglich langt es in den ent­ fern tern Regionen erst alsdann, wenn es in der, wo eS flch zutrug, schon wieder vergessen ist, al- ein bloße- Gerücht, oder -ar in Gestalt eines Mahrchens an. »Apollonius verfehlte also am Ende dennoch sei­ nen Zweck?« Ich glaube nicht, daß er sich mehr von der Sache versprach, als er wirklich erhielt. Es wurde freilich über diese Geschichte und über ihn selbst sehr ungleich geurtheilt. Unter dem Volke hielten ihn viele für einen göttlichen Mann, einige sogar für einen Halb­ gott, die meisten für einen Zauberer. Die Leute aus den höhern Klaffen hingegen, und wer für einen starken, über alle Vorurtheile hinweg gesetzten,Geist angesehen seyn wollte, sprachen von ihm als einem Scharlatan, und affektirten, alles,- was andere zu seinem Lobe sagten , iit Naserümpfen anzuhören. Doch muß ick fistln sehen, eaß dieß lauter Leute waren, die ihn .nie gesehen hatten: denn mir wenig­ stens t?t noch kein Mensch vorqekonuncn, dem in sei­ ner Gegenwart nickr so zu Muthe gewesen wäre, als ob er vor einem b obern Wesen stände. Jener große Haufe zweifelte nicht daran, daß er das junge Mäd­ chen wirklich durch seine magische K u n st ins

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Lebe« zurück gerufen habe; und wiewohl es ihnen schwer gewurden seyn möchte, zu sagen was fie bei diesem Worte dachten, so schien es ihnen doch etwas eben so natürliches, dai ein großer Zauberer Wun­ der wirke, als daß ein Bildhauer eine Menschen­ oder Göttergestalt aus Marmor hervorbringe. Die andern hingegen erklärten die.Sache, sobald sie sich genöthiget sahen, sie als etwas geschehenes gelten zu lasten, für einen zwischen Apollonius, dem Mäd­ chen und ihrem Liebhaber abgeredeten Handel, und glaubten den Schlüssel des Geheimnisses in dem Um­ stand entdeckt zu haben, daß mein Herr ein sehr ansehnliches Geschenk, welches ihm der Vater des Mädchens im ersten Ueberwallen seiner Freude und Dankbarkeit aufdringen wollte, ausgeschlagen, und sich bloß ausgebeten hatte, daß es ihrer Mitgift zu­ gelegt werden sollte. Da es wohl wenig Römer giebt, die sich von der Möglichkeit einer uneigennützigen Handlung einen Begriff machen können: so meinten diese Leute, gerade dieser Umstand verrathe das heimliche Einverstandniß zwischen den Hauptpersonen des Spiels, und Apollonius habe sich die vornehme Miene einer großmüthigen Uneigennützigkeit um so leichter geben können, da er sich die Entschädigung ohne Zweifel zum voraus von dem Liebhaber auebedungen haben werde. Aber wer in diesem Tone von meinem Herrn sprach, legte dadurch, außer seiner eignen niedrigen Gemüthsart, nichts zu Tage, als

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Agathodamon.

daß ihm ber Charakter, die Leben-art und die äußern Umstände des Mannes, von welchem er so ungebühr­ lich urtheilte, gänzlich unbekannt waren. Ueberhaupt wurde diese Auferweckungs-Geschichte nicht nur von denen, welche sie bloß andern nachsagten, sondern selbst von vielen Augenzeugen, so verschieden und mit so vielen Zusätzen und einander widersprechenden Unrstandev herum getragen, daß eS mich wundern sollte, wenn sie nicht in der Erzählung des schwachköpfigen D a m i s, der damals eben von Rom abwesend war, eine ganz andere Gestalt bekommen hätte. Uebrigeus befestigte sich doch durch diese Begebenheit, ungeachtet fie so verschieden ausgenommen und gar bald durch andere Gegenstände verschlungen wurde, die öffent­ liche Meinung, daß ApolloniuS mehr wiffe und könne als andre Menschen, und daß eS besser sey, ihn zum Freund als zum Gegner zu haben: und dieß, glaube ich, war alles, was er sich von ihr versprochen hatte« I ch. Aus diesem einzigen Beispiel läßt sich schon hinlänglich abnehmen, waS von einer Menge anderer, zum Theil äußerst ungereimter Wunderdinge zu hatten sey, welche Damis, in einem Tone, der kaum an einer alten Wollspinnerin erträglich wäre, seiner Meinung nach zum Ruhm, aber in der That -um größten Nachtheil seines Helden, zusammen gestoppelt hat. Ohne Zweifel wird an dem läppischen Mahrchen von Menippus und der Empuse zu Ko-

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rinth noch weniger wahres seyn, als an der Römischen Auferweckungsgeschichte? Kymon. Ich erinnere mich eine- MenippuS, der ein sehr warmer Anhänger meines Herren war, und sich zu Korinrh mit einer gewissen L amia in einen Liebesknoten verstrickte, dessen Auflösung von meinem Herren auf eine seiner würdige Art bewirkt wurde. Ich. Damis erzählt sein Mahrchen so umständ­ lich und treuherzig, daß niemand, der an Wasser­ nixen, Empusen, Eselsfüßlerinnen, und an die drei Gräen mit ihrem einzigen gemeinschaft­ lichen Aug' und Zahn, glaubt, das geringste Be­ denken tragen kann, es für wahr -u halten. Höre nur! Als Menippus einst einen Spaziergang von Ko­ rinth nach dem Hafen von Kenchrea machte, be­ gegnete ihm einGespenst in Gestatt einer schönen Frau. Sie nahm ihn bei der Hand, sagte ihm: sie liebe ihn schon seit langer Zeit; sie fcv eine Fönrzjexin, und wohne üt einer von den Vorsiö.dlen von Korintb. Wenn er sie begleiten und den Abend bei ihr zubringen wollte, sollte er sie sin­ gen hören, und einen Wein zu trinken bekommen, wie er in seinem Leben noch keinen gekostet habe; auch sollte er keinen Nebenbuhler zu fürchten haben, und, wofern er sich ihr ganz ergeben wolle, die Treue einer Turteltaube bei ihr finden. MenippuS 2L; 35 Tü. 9

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Agathodämon.

ließ sich verführen, folgte der vermeinten Schönen,

und lebte von nun an auf einem vertraulichen Fuß mit ihr. I« Korinth hieß es, Menippus sey so glücklich gewesen r sich die Gunst einer schönen und reichen Ausländerin zu erwerben, und vfelc seines gleichen fanden ihn um so beneidenswürdigcr, da er, außer einer blühenden Jugend und einer athleten­ mäßigen Art von Schönheit, nichts aufzuweisen hattte, was dieWaht der fremden Dame rechtfertigen konnte. Aber ApolloniuS wollte die Korinther und seinen jungen Freund nicht langer in Irrthum lasten. Er

nahm den letzten vor, betrachtete ihn eine Weile von Kopf zu Fuß, alS ob er (sagt Damis) ein Bild­ hauer wäre, der ihn abbilden müßte, und redete ihn endlich mit diesen Worten an: Schöner junger Mensch und Günstling schöner -Damen, du wärmst eine Schlange in deinem Busen! Du hast dich einer Per­ son ergeben, die nie die deinige werden kann. Glaubst du etwa, sie liebe dich lvirklich? — O gewiß, versetzte Menippus, und so -artlich als ich nur wünschen kann. — »Und du gedenkst sie zu heirathen? * Warum nicht? — „ Wird die Hochzeit bald vor sich gehen?" — Vielleicht schon morgen. — Gut, sagte Apollonius, und liefe es dabei bewenden. Die Geliebte des jungen Menschen hatte inzwischen das Hochzeitfest wirklich veranstaltet. 5)ie dazu ein» geladenen Gaste waren versammelt, die Tafeln auf-

geschmückt, der Schenktisch mit goldnen und fllber-

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Buch.

lii

nen Gefäßen betastet. Man erwartete nur noch die Braut, atS Apollonius unerwartet herein trat. Wo ist denn die Schöne, fragte er, um derentwillen alle diese Zurüstungen gemacht findet Sie wird sogleich erscheinen, sagte Menippus erröthend, und stand auf, vermuthlich um sie abzuholen. Wern gehört, fragte Apollonius, alles dieß Gold und Silber und das übrige prächtige Gerathe, womit dieser Saal geschmückt ist, dir oder der Dame? Der Dame, erwiederte Menippus: denn dieser Mantel ist meine ganze Habe. Du wirst durch alle-, was du hier glanzen flehst, nicht reicher werden, versetzte Apollo­ nius. Habt ihr, fuhr er zu den Gasten fort, jemals den Garten des Tantalus gesehen? — Sie antworten: Ja, i m Homer; denn in den Tartarus find wir nie hinab gestiegen. — So wißt ihr, ver­ setzte Apollonius, daß dieser Garten ist und nicht ist. Gerade so verhält es fich auch mit den Reich­ thümern, die ihr hier sehet. Alles ist bloßeö Blend­ werk; und damit ihr sogleich die Wahrheit meiner Worte erkennet, so sage ich euch, daß die Königin dieses Festes (sie war eben herein getreten) eine von den G m p u s e n ist, die man im gemeinen Leben L a m i e n zu nennen pflegt. Sie find sehr lüstern, aber nicht nach den Freuden der Liebe, sondern nach Menschenfleisch; und wenn sie jünge Manner durch die Lockspeise der Wollust anködern, so geschieht es bloß, um sie aufzufressen. — Die vermeinte Braut

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A g a t h o d ä m o tt.

stellte sich über diese seltsame Rede eben so erstaunt als beleidigt, und erlaubte fich in der ersten Bewe­ gung einige heftige Ausdrücke gegen den Filosefen: aber wie sie auf ein heftiges Wort des ApolloniuS alles Gold- und Silbergeschirr, und die elfenbeiner­ nen 'Tische und alles übrige Hausgeräthe, sammt dem Gastmal, den Kochen und den Aufwärtern, verschwinden sah, wurde sie auf einmal geschmei­ dig, und flehte den Filosofen, sie nicht zu quälen und zum Gestandniß dessen, was sie wäre, zu nöthi­ gen. Aber er setzte ihr nur desto härter zu, und ließ" nicht eher von ihr ab, bis sie bekannte, sie fn; wirklich eine Empuse, und habe den Menippus bloß darum so gut gehalten, um ihn recht fett zu machen und dann aufzufreffen; denn das Fleisch schöner Knaben und Jünglinge sey ihre gewöhnliche Nah­ rung, weil sie gar süßes Blut harren.

IV. Das muß ich gestehen, Heaesias, sagte Kymon lachend, dein Damis übertrifft wirklich alles, was ich ihm zugetraut hatte! Er ist ein wahrer Meister in der Kunst, eine ziemlich alltägliche Begebenheit in — ein Ammenmahrchen zu verwandeln. Aber warum nannte sich auch die arme Föni;ierin Lamia? Denn in dem Doppelsinn dieses Namens (ie