C. M. Wielands Sämmtliche Werke: Band 27/28 Poetische Werke [Reprint 2021 ed.] 9783112457146, 9783112457139


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C. M. Wielands Sämmtliche Werke: Band 27/28 Poetische Werke [Reprint 2021 ed.]
 9783112457146, 9783112457139

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C M. Wieianvs

sämmtliche Werke Sieben und zwanjigster Band.

HerauSgege-t» von

I.

G.

Gruber.

Poetische Werk«

XXVII. B a n d.

r e t p r i g, bey Georg Joachim Göschen rS25.

Inhalt.

Bonifaz Schleicher- Iugendgeschichte. Der Stein der Weisen. Die Salamandrin und die Bildsäule. Göttergespräche. l — X. Gespräche im Elysium.

Dona) Schleicher-

Jugendgeschichte ober sann man ein Heuchler seyn ohne es selbst zu wissen?

Sine gesellschaftliche Unterhaltung,

i 7 r 6.

Die im Oktober 1775 im Deutschen Merkur

aufgeworfene Frage: Ob man ein Heuchler seyn könne ohne eS selbst zu wissen? wurde einige §cit darauf, bei einem Besuche^ den ich von meinem Freund und LaudSmann S. erhielt, der Gegenstand- unsrer Unterredung. Die Frage hatte, wie er mir sagte, einige- Auf­ sehen gemacht, und es war hier und da viel dage­ gen und dafür gesprochen worden. Ich selbst (sagte Herr S.) befand rniich. neulich in einer hübschen Gesellschaft, wo diese Materie, mit aller Seichtigkeit, womit dergleichen spekulative Dinge in allen gesellschaftlichen Gesprächen behandelt zu werden pflegen, durchgebeutelt wurde. Einer der ausgemachtesten Tartüffen, die jemals von Sonne und Mond beschienen wurden, (wiewohl nicht eigent­ lich von der andachtelnden Klasse) führte da­ große Wort. Er fand die Frage überflüssig und

ärgerlich. ES wäre (behauptete er) gerade alS wenn man fragte, ob jemand ein Falschmünzer seyn könnte ohne eS zu wissen? Da hatten die Schelme gut Schelme seyn, meinte er, wenn e- noch zweifelhaft

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Bonifaz Schleichers

wäre, ob man wohl gar mit gutem Gewissen ein Schelm seyn könne? Der Mann war desto unparteiischer, da er wider sich selbst zeugte; wiewohl dieß freilich eben nscht seine Abficht seyn mochte. Man fleht doch, — sagte eine gewisse Frau von A. (die vor fünf und zwanzig Jahren^ für das schönste Mädchen unsres Ortes gehalten wurde, und seitdem in einer Art von Besitz vel quasi ge­ blieben war, fich für die Venus der Stadt und Landschaft *• ju halten) — Man sieht doch, sagte sie, indem sie ihre Augen mit einer anmuthsvollen Verdrehung über den gegen über hängenden Spiegel wegstreifen ließ, und sich ein wenig in die Oberlippe biß, — wunderbare Beispiele, wie die Menschen sich selbst betrügen können!. Hält sich nicht die kleine I. trotz ihrer Stumpfnase und ihrer großen Unterlippe, für die reizendste kleine Person unter der Sonne? Kennen wir nicht alle die dicke Frau von B., die zu Kaiser Karls des siebenten Zeiten sich so gern sagen ließ, sie sehe der berühmten Montespan wie zwei Tropfen Wasser gleich? Thut sie nicht noch immer als ob jeder, der sie ansieht, zum Ster­ ben in sie verliebt werden müßte? — Warum sollt' es einem Heuchler nicht eben so gehen können? Sich für schön, oder wenigstens für liebenswür­ dig zu halten, (sagte Herr D.) ist ein sehr^natürlicher- und, wie ich vermuthe, allgemeiner Glaube

Iugendgeschichte.

7

junger Frauenzimmer. Diejenigen, die es nur in einigem Grade sind, hören es überdieß so viel und oft, daß ihre Bescheidenheit endlich gezwungen ist, sich auf die Seite der Eigenliebe zu schlagen. Indessen überschleicht ein Tag den andern. Unvermerkt werden Jahre daraus. Man wird dreißig, man wird vierzig, ohne es gewahr zu werden. Äer Uebergang von einem Augenblick zum andern ist so unmerklich, daß man sich natürlicher Weise -in jedem noch immer für das halt, waS man im vorhergehenden war; und so geht es ganz begreiflich-zu, daß eine Venus von -wa-nzig, die so nach und nach von Augen­ blick zu Augenblick vierzig geworden ist, noch immer die nämliche Venus zu seyn glaubt. Was ihre Runzeln auch dagegen einwenden mö­ gen, — schnarrte die junge Fra^u C., indem sie einen anspielenden Seitenblick auf^ie Frau von A. warf. Die Einwendungen junger Runzeln kommen gegen das beglaubie Zeugniß von mehr als zwanzig Jah­ ren in keine Betrachtung, erwiederte Herr D. mit dem Tone, womit gewisse Personen oft den platte­ sten Einfall so geschickt hinzuwerfen wissen, daß er wie Witz klingt, und ohne weitere Prüfung dafür genommen wird. Ich bin vollkommen ihrer Meinung, sagte der Tartü ff. Aber das von Frau v. A. angezogene Beispiel, wovon Sie uns einen so guten Grund angegeben haben, beweiset, anstatt wider, voll-

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Bonifaz Schleicher­

kommen für meine Meinung. Der Heuchler muß nothwendig vom ersten Augenblick an, da er seine Kunst zu treiben anfangt, durch- alle folgende sich eben so gut bewußt seyn daß er ein Heuchler ist, al- die Frau von B. sich von Kindheit an ihrer Schönheit bewußt war. Die Folge ist bei beiden die nämliche. Je älter sie wird, desto tiefere WurLeln schlagt bei ihr da- Bewußtseyn ihrer Reizungen; je langer er heuchelt» desto mehr Starke gewinnt da­ innerliche Bewußtseyn, daß er ein ganz andrer Mann ist al- er scheinen will. Sollten wir nicht lieber sagen, versetzte Herr D., e-,ginge dem Heuchler wie einem in seiner Profes­ sion grau gewordnen Lügner, der seine Lügen so oft für wahr erzählt, bi- er sie endlich selbst glaubt? Richtig, he, he, he, getroffen, Herr D., getrof­ fen! rief ein ältlicher Herr, der vor kurzem zu Rathe erwählt worden war, weil ihn die gute Mutter Na­ tur mit einem herrlichen Vollmond-gesicht und einem stattlichen Bauche begünstiget harte, und weil er auf alle- wa- man sagte ein Kopfnicken, ein he, he, he, und ein Erempelchen bereit hatte. Erinnern Sie Sich noch, fuhr er fort, indem er sich unhöflicher Weise an die Frau vor^A. wandte, des hagern lun­ gensüchtigen Schlosser- Jakob, den man gemeiniglich nur,den Gadrig a hieß- Sein Sohn, bei dessen älterem Jungen ich Gevatter war, erbte die Werk­

statt und den Namen Gadriga- aber eigentlich

Iuglnbgeschichte.

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schrieb fich dieser vom Großvater her, den flch mein seliger Vater oft erinnerte in seinem schmutzigen

LederwammS und mit seiner hohen schwarzsammtnen Pelzmütze, die er mitten in den Hundstagen nicht ablegte, als ein Knabe gesehen zu haben. Dieser alte Gadri ga hatte in seinen jungen Jahren lange gewandert, war in Frankreich, und in Holland, und sogar in England gervesen; wie er denn wirklich ein so guter Schlosser war, als wir keinen wieder gehabt haben, seitdem wir alle unsre Dürgerssöhne, sobald sie sich die Nase am Aermel schneutzen können, dispensancio in- Heirathen pfuschen lasten. Aber wieder auf den alten Sadriga zu kommen, so pflegte der, wenn er an Sonn - und Feiertagen Abends mit andern Bürgern bei einem Kruge Bier im Wirthshause faß, gemei­ niglich von seiner Wanderschaft -u erzählen; und wie er in Kolmar, Trnb zu Kölln, und in Middel­ burg, und in Delft und Rotterdam gearbeitet, und sich da in frischem Haring und LachS und Austern dick gefteffen, und Englisch Bier dazu getrunken habe, und wie er in einem großen Boote nach Har­ wich in England überfahren wollen, und wie das Boot mit allen darauf befindlichen Personen in einem schrecklichen Sturm jämmerlich zu Grunde gegangen sey. ,Ju gutem Glücke, fuhr dann Gadriga fort, würd' ick, just da ich vor Mattigkeit nicht einen Augenblick tanger hatte schwimmen können, von einem ungeheuern Wallfisch verschlucke. Soll mich dieser und

io

Bonifaz Schleichers

jener, wenn nicht unsre große Pfarrkirche mit sammt dem Thurm und den Seitenkapellen in seinem Bauche Platz gehabt hätte! Ich wollte ihn Schritt für Schritt auSgemejsen haben, wenn ich vor den vielen Mastbäumen und Kabeltauen, die er im Leibe hatte, hatte fortkommen können. Nun stellt euch einmal vor, Brüder, rief er, wie einem ehrlichen Christenmensch en so mutterseel allein in so einem Saracenischen Wallfischbauch zu Muthe seyn muß! Master fand ich da genug für mein Leben lang; aber der Henker hatte trinken mögen! es war lauter Salz, Pech, Schwefel und Kolofonium. Ich hatte -war noch ein Endchen Tabak und einen Fingerhut voll Branntwein in der Ficke; aber daS reichte nicht weit, und mich hungerte wie sechs hundert Wölfe. Da war guter Rath theuer, nicht wahr? Möchte wohl sehen, was solche Bursche, wie ihr da., hätten anfangen wollen, wenn ihr in einem solchen Gewölbe von Wallfisch - Rippen, jede dicker als ein Jimmerbatken, gesteckt hättet! Aber, potz Wetter ', wozu hälf einem ehrlichen Kerl auch der Verstand, wenn einem in solchen Umstän­ den nichts einfiele? Der Wallfisch hatte eine Leber, wohl so groß wie fünf oder sechs von den größten Elsaster Mastschweinen, die ihr in euerm Leben gese­ hen habt. Cs war eine schöne frische Leber, meiner Seel! Das Wasser lief mir ins Maul, wenn ich sie ansah. Ha, denk' ich, wer da eine gute Schüssel Leberklöße von dieser Wallfischleber hätte! — Ihr

Iugeadgeschichte.

XI

hattet ihm Stücke zentnerweise abschneiden können, ohne daß er's gewahr worden wäre. Ju gutem Glücke find' ich eine BauernganS in meinem Ho­ sensacke! Lin Maltersack voll Dukaten und Dublonen hatte mich nicht so gefreut.” — In diesem Ton erzählte nun Gadriga fort, wie er Feuer in des Wallfisches Bauch angemacht, und fich Leberklöße dabei gekocht hatte, besser als er sie je in seinem Leben gegessen; und aus jede Frage, die seine Zuhö­ rer an ihn thaten, wo er dieß und das dazu herge­ nommen, und wie es ihm tpeiter im Wallstschbauch ergangen, und wie er den Weg wieder ^heraus gefunden, hatte er eine Antwort in Bereitschaft; und wenn ihm dann die altern Bürger ins Gesicht lach­ ten, schwor er Himmel und Hölle zusammen, daß alles Jug für Zug so wahr wäre wie Amen. — Nun, hören Sie nur weiter! denn jetzt kommt erst der rechte Spaß von der Sache, he, he, he! weßwegen ich Ihnen nämlich die ganze Historie erzählt habe. Denn da der ehrliche Gadriga über achtzig Jahre alt wurde, und alle Sonn - und Feiertage Jahr auS Jahr ein ins Wirthshaus ging, wo es sehr oft Ge­ legenheit gab von seiner Wanderschaft- zu reden: so erzählte Gadriga seine Lüge von des Wattfisches Bauch, und von den Leberklößen, die er sich darin gekocht, so viel und oft, daß er sie zuletzt im Schlaf hätte erzählen können. Und weil die Leute, die indessen nachwuchsen, immer ungläubiger wurden: so

Bonifaz Schleicher-

XI

log er binnen fünfzig Jahren nach 4tnb nach so viel Umstände hinzu, und bekräftigte die Wahrheit davon bei jedem Worte mit so vielen Straf mich Gott, Sappermenten und Legionen Teufeln, daß er sie endlich selbst zu glauben anfing, und in den letzten Jahren seines Lebens sich darauf hätte sengen und brennen lasten, daß ihm alles von Wort zu Wort wirklich so begegnet sey. He, he, he! — Woraus denn zu ersehen ist —

Ihre

Erzählung

hätte

nicht

passender

kommen

können, Herr E. (unterbrach zu unserm Glücke Herr D. den dicken Rathsherrn, der sich in die Laune zu schwatzen, hinein erzählt hatte.) Friede sey mit dem alten Gadriga, wo sich seine Seele auch befinden mag! Nichts könnte geschickter seyn als sein Beispiel, um un- begreiflich zu machen, wie ein Mann dazu kommen kann, nicht nur wider seinen eigentlichen Vorsatz ein bloß zur Lust ersonnenes Mährchen für Wahrheit zu geben, sondern eß zuletzt selbst dafür zu halten. Ich bin, gewiß, daß er anfänglich weiter nichts alö Spaß macken wollte. Da er aber unter den Zuhörern immer einige mehr oder weniger geneigt fand seine Lüge zu glauben, oder wenigstens sich daran zu belustigen: so war nichts natürlicher, als daß ihn die Begierde zu interessiren und zu überreden unvermerkt weiter führte, al- er Ln, fangs zu gehen im Sinne hatte. Diese allen Erzih-

Jugendgeschichte.

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fern so natürliche Begierde erwärmt seine EinbildungSkraft; der Wider-spruch erhitzt sie immer mehr; die Begierde recht zu behalten schürt nach; man überzeugt andre nur nach dem Maße, wie man selbst überzeugt scheint ; er spricht also immer aus einem starkem Tone; erdichtet immer neue Umstande, um seine Erzählung wahrscheinlicher zu machen; sie wird es endlich für ihn selbst, wird's mit jeder Wieder­ holung mehr, und zuletzt kommt heraus, daß er der Narr von sich selbst geworden, und der einzige ist, den er mit feiner Lüge betrogen hat. Nun dünkt mich (um wieder auf unfern vorigen Diskurs zu kommen) gerade so wie es dun ehrlichen Gadriga mit seinem Mährchen erging, könnt' eS einem Men­ schen ergehen, der sich einige Jahre lang viel Mühe gegeben hatte, weiser und tugendhafter zu scheinen alS er wirklich wäre. Je großem Vortheil er davon hätte, die Welt durch diesen angenommenen Schein zu hintergehen, und je mehr es ihm Mühe und Aufmerksamkeit kostete den Tugendhaften zu spielen: um so natürlicher war' es, wenn sich seine Einbil­ dungskraft endlich mit einmischte, und ihn, wenig­ stens in gewissen Augenblicken, beredete, daß er eS Wirklich sey. Mir daucht, sagte Frau F. (die nicht gern eine Gelegenheit vorbei geben laßt, wo sie ihre Belesen­ heit in englischen Dichtern, Wochenschriften und

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Bonifaz Schleichers

Schauspielen anbringen kann,) man könnte auf ihren Heuchler sehr schicklich eine feine Stelle anwenden, die ich heute in Kongreve's Lauf der Welt gelesen habe. Die Rede ist von einer gewissen Lady Wishfort, die in einem Alter, wo Ansprüche dop­ pelt lächerlich sind, und mit einer Figur, die nie­ mals welche zu machen gehabt hatte, sich noch ein­ fallen ließ auf Eroberungen auszugehen. Sie erwar­ tet einen Liebhaber, oder, eigentlicher zu reden, einen Heirather, den die Reizungen ihres Vermögens herbei gelockt haben, und der sie noch nicht anders als aus ihrem Bildniß kennt. Aber unglücklicher Weise hat ein heftiger Unwillen, in den sie eben über einen ehmaligen Ungetreuen ausgebrochen, ihre Mor­ genarbeit am Putztische so übel zugerichtet, daß ihr vor sich selbst graut, wie sie die schreckliche Verwü­ stung im Spiegel gewahr wird. »Du mußt mich wieder zu rechte machen, ehe Sir Roland kommt, sagt sie zu ihrer Kammerjungfer, oder ich werde meinem Bildnisse schlecht Wort haltend — Sorgen Sie nicht, gnädige Frau, (spricht die.Jungfer,) ein Bißchen Kunst machte, daß Ihr Bild Ihnen ähnlich sah; nun muß ein Bißchen von der nämlichen Kunst machen, daß Sie Ihrem Bilde ähnlich sehen. Wir waren so gerecht oder so höflich, die Anwen­ dung sinnreich und paffend zu finden; und ungefähr in diesem Tone wurde das Gespräch noch eine Weite

Iugendgeschichte.

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fortgesetzt, Lis jemand bemerkte, daß ich der einzige in der Gesellschaft wäre, der seine Meinung noch nicht gesagt hatte. Man wollte sich nicht damit abfpeisen Lassen, daß ich versicherte, ich fände, es wäre bereits biet Gutes über die Frage gesagt wor­ den. Ich sollte mich schlechterdings erklären, ob ich sie mit Ja oder Nein beantwortete.

Ich gestand: daß ich kein Bedenken trüge, mich auf die Seite der Mehrheit zu stellen, die in die­ ser Gesellschaft sich für Bejahung der Frage zu erklären scheine. Der Lar 1üff sagte: er hoffe, daß ich schärfere Beweise zu geben haben würde als bisher auf die Dahn gekommen wären. Ich halte es für etwa- ganz au-gemachtes, erwie­ derte ich, daß — nur sehr wenige schneeweiße Seelen, die ich für große Seltenheiten in der menschlichen Natur ansehe, allenfalls ausgenommen, — die allermeisten von einem geheimen Bestreben, weniger unvollkommen scheinen zu wollen alS sie sind, nicht frei gesprochen werden können. Ich sehe dieses geheime Bestreben alS eine Art von Instinkt an, wodurch die Natur in einem jeden unter un­ arbeitet, uns mit den übrigen, von welchen wir ent­ weder wirklich übertroffen oder unbilliger Weise übervortheilt werden, so viel möglich in wagerechten Stand zu setzen. Doch, was auch die Ursache seyn

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B o n i faz Schleichers

mag', das Faktum hat unstreitig seinen Grund; und in so fern Möchte sich das bekannte omnis homo menganz richtig übersetzen lassen: »alle Menschen sind Heuchler." — Mehr oder weniger macht wohl auch hierin, wie in allem andern, den Unterschied. Da man aber in diesem Sinne von jedem Men­ schen alles, was sich von irgend einem Menschen sagen laßt, sagen könnte, (denn aus dem nämlichen Grunde, warum alle Menschen Heuchler find, find auch alle Menschen Narren, Wollüstige, Geizhalse, Diebe, Mörder u. s. w.) so enthalt man sich solcher Sätze, die nach dem gemeinen Sprachgebrauchs z u viel sagen, Ueber gänzlich, rrnd läßt es dabei bewenden, daß, —- wiewohl alle Menschen mehr oder weniger zum Heucheln geneigt sind,— doch nur derjenige ein Heuchler heißt, der es in einem so hohen Grade ist, daß wir andern, mit ihm verglichen, für aufrichtige Leute gelten können; oder, der aus dem, was bei uns andern ein bloßer (ziem-, lich unschuldiger) Naturtrieb unsre Blöße zu verbergen, oder zu scheinen was wir zu seyn wünschen, ist, eine Kunst gemacht hat, die er in der unedlen Absicht treibt, andre zu seinem Vortheil, und fast immer zu ihrem oder eines Drit­ ten Schaden zu hintergehen. Indessen scheint mir die vorerwähnte Erfahrungöwahrheit hier doch zu etwas gut zu seyn;

Iugendgeschichte.

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nämlich uns einiger Maßen begreiflich zu machen, wie man ein Heuchler werdenkönne, ohne es zü wissen. Wir brauchen darüber niemand zu fragen als — uns selbst. Nichts ist heimlicher un­ leiser als die in unsenn Innerstern nie ruhenden Wir­ kungen der Eigenliebe. Es ist als ob fie sich immer fürchte über der That ertappt zu werden, und sich deßwegen in die dunkelsten Winkel des Herzens^ ver­ berge, um da ihr Wesen ungestört treiben zu können. Da nun wenige Menschen Zeit und Gelegenheit ha­ ben, sie bis dahin zu verfolgen, und noch wenigere mit ihren Geistesaugen im Dunkeln sehen kön­ nen: was Wunder, daß die meisten unzählige Mal von ihr hintergangen werden, und sich ganz treuher­ zig bereden lassen, »daß es bald diese, bald jene Tugend oder edle und schöne Gesinnung sey, die dieß oder jenes in ihnen thue oder nicht thue;« — da eS doch, beim Lichte besehen, immer nur die ewige Ei­ genliebe ist, die bald^u.uer dieser, bald unrer jener Maske alles thut, und eben darum desto besser Spiel dabei hat, weil wir sie immer maskirt, nie in ihrer eigenen Gestalt sehen. Es sollte mir vielleicht nicht unmöglich seyn, (setzte ich hinzu,) aus diesen und einigen andern sehr bekannten Bemerkungen durch gehörige Entwick­ lung deutlich zu machen, wie sogar ein Mensch, des­ sen ganzes Leben eine immer währe-nde Lüge wäre, es endlich dahin bringen könnte, sich WlelünvS W. 27. Dd.

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Bonifaz Schleichers

selbst für einen ehrlichen Mann zu halten. Aber werden Sie nicht unruhig; ich weiß zu wohl, Wa­ ich einer so guten Gesellschaft schuldig bin, um Sie mit metafysisch - moralischen Dedukzionen , den lang­ weiligsten unter allen Schlaf machenden Mitteln, einzuschlafern. Die Damen, welche glaubten, daß ich ihrem Verstände ein schlechtes Kompliment gemacht hatte, waren die ersten, die darauf drangen, daß ich meine sogenannte Dedukzion, auf Gefahr was daraus ent­ stehen könnte, führen sollte. Die Herren, besonders der Tartüff, (der sich einbilden mochte, ich suche nur eine Ausflucht, um nicht beim Worte genommen zu werden,) machten Chorus mit ihnen; den dicken Aathsherrn ausgenommen, der in Friede seine Pfeife rauchte und die Sache Gott befahl. Lasten Sie Sich einen Vorschlag zur Güte thun, sagte ich endlich. Ich Haffe die Dedukzionen in solchen Materien wie die Hölle. Aber ich will Ihnen eine Geschichte erzählen, die sich ganz vortrefflich -u unserm Gespräche schickt, und worüber Sie wenig­ stens viel sanfter sollen einschlummern können, als über einer akademischen Abhandlung. Eine Geschichte? rief der Rathsherr aus seinem Lehnstuhl, indem er mit der einen Hand die Pfeife aus dem Munde nahm, und mit der andern auf sei­ nen Bauch klopfte: — gut! die sollen Sie uns er­ zählen! — Ich liebe die Historie. Ein schönes Stu-

Iugendgefchichte.

J9

Lium! Und, man sage mir was man will, es taffen sich wahrlich recht gute Moralen daraus ziehen, wenn man sie mit Bedacht liest! Erzählen Sie im­ mer, junger Herr, erzählen Sie! Und wenn auch hier und da ein Schwankchen mit unterliefe, — Sie verstehen mich? he, he, he! Es hat nichts zu sagen! es bleibt unter uns! Und hie Damen — die können ja die Augen -umachen, he, he, he! Wir ergeben uns dem Herrn S. auf Gnade und Ungnade, sagte die Frau von A. Alle übrigen stimmten ein. Rur vergessen Sie nicht, (raunte mir der Tartu ff mit einem zwei­ deutigen kücheln zu, wobei er gewöhnlich seine spitzige Rase ein wenig zu rümpfen pflegte,) daß eS schwer seyn wlrd, unS auf den G a d r i g a etwa- zu geben, das sich noch hören lasse.

Da ich meinen Freund S. dazu vermocht hatte, mir die vorstehende Unterredung mitzutheilen: so kann man leicht denken, daß ich ihm die Geschichte, womit er seine Gesellschaft zu unterhalten versprochen hatte, nicht geschenkt haben werde. Wie viel auch beides, indem ich es ihm hier, so viel möglich in seiner Manier, nacherzahle, von der Anmuth des mündlichen Vortrags verloren hat, so ist mir doch mein Gedächtniß in allem, was die Thatsachen und

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Bonifaz Schleichers

Umstande betrifft, getreu geblieben; und ich bereue die Zeit, die ich aufgewandt habe sie zu Papier zu bringen, um so weniger, da ich in Bonifaz Sch lei^chers I u g e n d g e sch i ch t e, — außerdem, daß sie ein nicht verächtliches Sittengemälde aus der Mitte unsers Jahrhunderts (wozu die Urbilder in gewissen teutschen Provinzen überall zu finden waren) aufstellt, — eine hinlängliche und befriedigende Auflösung der Eingangs erwähnten moralischen Aufgabe zu finden glaube. Hier ist also die Erzählung meines Freundes.

Bonifaz Schleicher ist der jüngste von ejlf Söhnen eines ritterschaftlichen Beamten zu T. im Kanton * *. Von seinen Aeltern ist, außer ihrem Verhältniß gegen ihn, eben nicht viel Merkwürdiges zu sagen. Es waren ganz alltägliche Leute, deren Begriffe sich niemals über den engen Kreis ihrer eig­ nen Existenz ausgedehnt hatten, und denen in ihrem ganzen Leben nicht das geringste davon ahnete, daß, außer dem was sie selbst unmittelbar betraf, noch etwas ihrer Theilnehmung würdiges seyn oder vorge­ hen könnte. Der sittliche Zustand unsers lieben teut­ schen Vaterlandes und des ganzen Europa ging wäh­ rend dieser Zeit durch viele merkliche Verbesserungen und Verschlimmerungen; große Entdeckungen in Wis-

I u gendgefchich te.

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senschäften und Künsten wurden gemacht; neue Systeine und Hypothesen in der Fitosofie auf- und ab­ gebracht ; große Geister in allen Arten thaten sich zu­ gleich Und nach einander hervor, rangen mit einan­ der, verdrängten einander, wirkten mancherlei gute und schlimme Veränderungen in der Denkart und dem Geschmack ihrer Zeitgenossen; alte Vorurtheile und Thorheiten wurden abgeschafft,-und neue kamen an deren Stelle: kurz, der Schauplatz der Welt ver­ änderte sich alle Augenblicke, ohne daß der Herr Oberamtmann Schleicher zu T. im Kanton ** das mindeste von allem diesem gewahr wurde. Er wartete mit großer Regelmäßigkeit seine Gerichtstage ab; stellte seine Rechnungen; bezog mit der äußersten Genauigkeit seine Gefälle und Akzidenzien; hielt streng über Observanz und altem Herkommen; schor mit aller gebührenden Legalität- seine. Bauern; plagte seinen Pfarrer, und sah seinen gnädigen Fun­ ker für einen von den Großen dieser W e l t cM, an dessen Daseyn, hohem Wohlbefinden, und hoch­ freiherrlichen Rechten und Gerechtsamen dem ganzen Erdkreise mächtig viel gelegen sey; wohnte übrigens seiner Frau als ein guter Christ ordentlich und regel­ mäßig bei; that alle Sonn- und Feiertage seinen guten Schlaf in der Predigt; ließ zwanzig Jahre hin­ ter einander jährlich ein bis zwei Kinder taufen; be­ grub die meisten davon wieder; schmauchte den gan­ zen Tag seine Pfeife , und brachte alle Wochen zwei

Abende in Gesellschaft einiger Nachbarn damit zu, über den Korn- und Viehpreis, die Balance von Europa, die Granzstreitigkeiten von Pohlen, und die Mark - und Iurisdikzions - Streitigkeiten deS Herrn von 3* mit der Stadt J). oder andere solche Welthandel zu sprechen, — hernach den Pagad zu jagen, — und endlich, bei Wildbraten und Sa­ lat, in gutem alten Landwein alle in seiner Gegend feit undenklichen Seiten hergebrachte und observanztnäfcigc politische, patriotische, ökonomische, gesell­ schaftliche, freundschaftliche, ernsthafte, lustige und zweideutige Gesundheiten aufzubringen und mitzutrinken; bis gegen Mitternacht feine Gaste, sämtlich wohl bezecht, ihren Abschied nahmen, und er selbst von seiner getreuen Penelope, mit Hülfe der Stubenmagd und des Hausknechtes, zu seiner Ruhestätte gebracht wurde. Was die Frau O b er am t m a n n i n betrifft, so war sie eine große, dicke, kupfernasige Frau, die immer in Bewegung war; den ganzen Tag mit ihrem Gesinde und den Kindern keifte; sehr scharf über ihren Rang hielt; sich mit einer höchst lächer­ lichen Mischung von Eitelkeit und Sparsamkeit, aber immer (wie sie glaubte) nach der neuesten Mode kleidete, und darüber mit zwei oder drei Kammerjungfern benachbarter Damen in Briefwech­ sel stand; sich gern von jungen Offizieren schön

Jugendgeschichte.

t$itn ließ; gar -üchtiglich schmunzelte,

rz wenn sie ihr

galante Zweideutigkeiten sagten; sich p ikirte eine Frau von Lebensart und Verstand zu seyn; alle Haus-Anekdoten und ärgerliche Histör­ chen von mehr als hundert Familien in der Runde sammelte und im Kreislauf erhielt; und übrigens gar keinen Begriff davon hatte, daß außer der Bi­ bel, ihrem Gesang - und Kommunionbüche, dem Ka­ lender, dem klugen Beamten, der Insel Felsenburg, und den Gesprächen im Reich der Todten (welche die Bibliothek ihre- Mannes ausmachten) noch irgend ein andre- gedrucktes Buch

in der Welt seyn könnte. Es ist

nicht sehr zu vermuthen, daß die Natur

einen Menschen, mit dem sie etwa- Großes vor­ hatte, gerade bei solchen Leutchen, wie der Herr Amtmann Schleicher und seine Gemalin, bestellen sollte. Bei unserm Bonifaz kam noch der Um­ stand hinzu, daß er unter drei und zwanzig Kin­ dern, welche dieses würdige Paar in rechtmäßi­ gem Ehebett erzeugt hatte, da- letzte war. Ein Umstand, der zweier Ursachen wegen merkwürdig ist: erstlich, weil wahrscheinlicher Weise bei solcher Bewandtniß der Sache weder Stoff, nochForm, noch Arbeit viel an ihm taugen konnte; und zweitcni, weit er dem ungeachtet der Liebling seiner

Aeltern war, und daher von der Wiege an so voll-

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Boni faz Sch reichens

ständig verzärtelt wurde, als nur immer hätte ge­ schehen können , wenn er -um Erben von Cilicia, Paflagonia, Mpsia, Frygia und Pamfilia wäre ge­ boren worden. Der kleine Bonifaz war bei allem dem ein ganz hübsches blondes kraushaariges Bübchen; lernte bald gehen und reden, plapperte den ganzen Tag, hatte Einfalle, neckte gern seine Brüder und Schwe­ stern; war aber dabei ein gräulicher Heuler, und schrie und winselte gleich erbärmlich, wenn ihm eines von seinen Geschwistern, die ihm an Alter die näch­ sten warm, etwa für die ewigen Plagen, die er ihnen anthat, einen kleinen Schlag gab, oder auch nur eine Faust gegen ihn machte. Alle diese .Eigenschaften rechtfertigten in den Augen dm Frau Oberamtmännin ihre unmäßige Liebe zu denz holden Bonifazchen, welcher (wie sie alle Augenblicke bemerkte) der artigste, gescheidteste, drolligste und sinnreichste Junge wäre, der jemals Kindsbrei gegessen und an einem Schnul­ ler gesuckelt hätte. Besonders rühmte man an ihm sein gutes Herz, weil er sich nie wehrte, wenn er Händel mit seinen Brüdern oder Schwestern be­ kam, (wozu freilich er selbst fast immer die Ursache gab,) sondern sich begnügte, ihnen entweder durch sein Geheul und Wehklagen Schlage von der Mut-

Iugendgeschpchte.

25

ter zuzuziehen, oder eine Gelegenheit abzulauern, wo er ihnen, ohne daß sie wußten woher es kam, einen Possen spielen konnte. Außerdem hatte seine zärtliche Mama den Trost zu sehen, daß sich ihr lie­ ber kleiner Bonifaz nie in einige Gefahr begeben würde, die ihr mütterliche- Herz durch Besorgniß für sein theures Leben ängstigen könnte. Denn der Bube war sö hasenherzig, daß er sich noch im sechs­ ten Jahre vor seinem eignen Schatten fürchtete, und die Furcht zu fallen oder sich weh zu thun, hielt ihn immer von allen seinem Geschlechte zuständigen Uebungen ab. Ueber einen Graben zu springen, auf einen Baum zu klettern, oder nur über einen Zaun zu steigen, waren Herkules-Arbeiten in seinen Augen, vor deren bloßem Anblick er an allen Glie­ dern zitterte. Natürlicher Weise flößte diese Feigheit seinen Brüdern und den übrigen Knaben im Dorfe herz­ liche Verachtung gegen Bonifazen ein, der sich im­ mer von ihnen absonderte, und dafür mit den klei­ nen Mädchen Versteckens, Frau Sonn, Gerad oder Ungerad, und dergleichen Spielchen spielte; oder, wenn er auch mit den Jungen lief, zu nichts in der Welt gut war, als den Spion zu machen- und Vater und Mutter altes was man ge­ trieben hatte, und oft mehr dazu, wieder zu sagen. Allein auch diese Eigenschaften wurden ihm von sei-

16

Bonifaz Schleichers

ner-weisen Frau Mama als eben so viele Verdienste angerechnet, anstatt daß eine kluge Mutter darin den Keim des künftigen Schurken entdeckt, und an dessen möglichster Erstickung gearbeitet hatte. Seine Brü­ der verloren immer bei der Vergleichung mit ihm; immer wurde ihnen Bonifaz chen als ein Muster vorgestellt, dessen Tugenden ihre Unarten und Laster beschämten. Sie waren so leichtfertig, so wildZ lie­ fen immer im Felde herum, stellten immer etwas an worüber Klage einlief, rauften und balgten fich im­ mer, bald aus Muthwillen, bald im Ernste, mit den andern Buben, u. s. w. Er hingegen wat so sittsam, so wacker, so unschuldig, so folgsam! ließ sich nie von ihnen verführen, an ihren Bosheiten

(wie mans zu nennen beliebte) Antheil zu nehmen, und bewies sein gerechtes Mißfallen daran, indem er sie aus purer Liebe und Wohlmeinung den Aeltern oder dem Hofmeister verrieth. Kurz, Bonifazchen hörte fich immer wegen solcher Handlungen loben, um derentwillen er hatte die Ruthe kriegen oder ans Katzentischchen gesetzt werden sollen, Bei einem Jungen, den die Natur selbst schon so angelegt hatte, daß, auch im glücklichsten Fa!!e, höchstens ein leidlicher — Schneider aus ihm werden konnte, mußte eine so sinnlose Art von Er­ ziehung nothwendig mancherlei schlimme Folgen haben. Bei seinen Brüdern, die um seinetwillen

Iugeudgeschichtk.

*7

so ost leiden mußten, verwandelte flch die Verach­ tung gegen den, der nichts mitmachen konnte, end­ lich in Haß gegen den Verräth^ Sie schlossen ihn von allen ihren Spielen, Anschlägen und Unterneh­ mungen gänzlich au-, jagten ihn fort, wenn er flch etwa hinzu schleichen wollte, und brauchten immer alle mögliche Dorflcht, damit er nie erführe was fle vorhätten. Dieses Verfahren reizte den Buben auf Mittel zu denken, wie er dem ungeachtet hinter ihre kleinen Geheimnisse kommen könnte. Sein Instinkt lieb ihn nicht lange unberathen. Er hatte sich durch seine Furchtsamkeit einen schleichenden Gang ange­ wöhnt, und war dabei von Natur mit sehr feinen Ohren begabt. Durch die Gelegenheiten, die ihm seine Brüder gaben, diese Talente ju entwickeln, bracht' er eS in kurzem in der Kunst auf den Zehen zu schleichen, du/ch Schlüssellö­ cher zu gucken, und vor den Thü ren oder in einem Winkel, wo ihn niemand vermuthete, zu horchen, zu einer bewundernswürdigen Fertig­ keit; und weit Gewohnheit endlich zur andern Na­ tur wird, so blieb ihm auch diese so lang' er lebte. Gr behielt immer den schleichenden Gang, spitzte und reckte immer die Ohren auf alle Seiten, und konnte unmöglich ein paar Leute mit einander reden sehen, ohne daß er einen unüberwindlichen Trieb in sich fühlte, zu wissen was sie redeten. In solchen Fallen wußte er, nach der Lage de- Orts und Bc-

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Bonifaz Schleichers

schaffenheit der Umstande, entweder in Spirallinien oder Asymptoten ihnen unvermerkt mit einem seiner lauschenden Ohren nahe genug -u kommen, um we­ nigstens so viel einzelne Worte zu erschnappen, daß er durch muthmaßliche Verknüpfungen (worin er ein großer Meister war) heraus bringen konnte, wovon wohl die Rede seyn, oder waS sie im Schilde führen möchten.

Die natürliche Schwache des kleinen Bonifaz; die überschwengliche Sorgfalt, womit er von der Wiege an verzärtelt worden war; und das unver­ ständige Mitleiden, das er immer über den gering­ sten Zufall oder Wehklagen bei seiner Mutter fand; alles dieß gab ihm eine unartige Reizbarkeit, die so weit ging, daß man ibn nicht schief ansehen noch mit dem Ellenbogen anrühren durfte, ohne daß er gleich ein Jammergesicht zu machen und zu heulen anfing. So wie er nun heran wuchs, und die Miß­ helligkeiten zwischen ihm und seinen Brüdern zunah­ men, hausten sich auch die vorgeblichen oder wirkli­ chen Beleidigungen, die ichm die Ltztern -ufügtcn: und wenn er dann zu Vater oder Mutter lief, und seinen Brüdern durch sein Klagen und Weinen Strafe zuzog; so war der ganze Vortheil, den er davon hatte, dieser, daß sie ihm alle Ohrfeigen, Schlage und Rippenstöße, die sie um seinetwillen empfingen, bei der ersten Gelegenheit doppelt wieder

Iugendgeschichte.

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gaben. Wie er nun merkte, daß er auf diesem Wegemehr verlor »16 gewann: so sann er auf Mittel, seine Rachbegierde durch Hinterlist, und so daß man ihm nicht zu Leibe gehen könnte, an ihnen auszulassen. Er lernte seinen Groll meisterlich ver­ bergen: aber wenn sie glaubten, sie ständen am besten mit ihm; so spielte er ihnen irgend einen tückischen Streich, und wußte es dabei immer so fein anzugeben, daß der Verdacht auf einen andern siel. Diese Art, sich die Wollust der Rache zu verschaf­ fen, hatte einen dreifachen Vortheil: sie war mit Sicherheit für seine kleine Person, die er über alles liebte, verknüpft; sie gab ihm häufige Gelegenheit, sich selbst zu seinen Erfindungen Glück zu wünschen, und sich für einen sinnreichen verschmitzten Kopf in Vergleichung mit den Kalbsköpfen seinen Brüdern zu hatten, die, ehe sie sichs versahen, wieder eins auf die Nase kriegten, ohne zu sehen wo der Schlag herkam; und er erhielt sich dabei im Besitz des Ruhmes eines gutartigen friedliebenden Knaben, und aller damit verbundnen Nutzungen und Nießungen, wenigstens so lange seine Mutter lebte. "ES war also sehr natürlich, daß er auch in dieser Kunst nach und nach ein eben so großer Meister ward, als in der Kunst zu schleichen und zu horchen. Bonifazchen

war nun ein Knabe von eilf

So

Bonifaz Schleicher­

bis zwölf Jahren geworden, und, wie wir sehen, ein hoffnungsvoller Knabe: weichlich, feigherzig, einbildisch, selbstisch, rachgierig, falsch und tückisch; und dünkte flch mit allen diesen schönen Eigenschaf­ ten nicht um ein Haar schlimmer. Im Gegentheil, ta er von Kindheit an seinen Brüdern vorgezogen, und unzählige Mal um eben dieser besagten Eigen­ schaften willen angelachelt, geküßt, gelobt und be­ lohnt worden war: so hatte dadurch nicht nur über­ haupt das natürliche Wohlgefallen eines Menschen an sich selbst bei ihm unendlich viele Nahrung bekommen; sondern es verband sich auch nothwendig mit den niederträchtigen und strafbaren Handlungen, die an ihm gelobt wurden, der Begriff der Ehre und des Verdienstes in seinem Gehirne; er gewöhnte sich an, seine sinnliche Weichherzigkeit für Güte/ seine Feigheit für Behutsamkeit, seinen Hoch­ muth für Ehrliebe, seine Ränkesucht und Arglist für Witz und Klugheit zu halten. Kurz, Bonifazchen war in seinem zwölften Jahre bereits ein ausgemach­ ter kleiner Schurke, ohne daß ihm nur der mindeste Argwohn darüber in den Sinn kam. Noch eine böse Folge der unverständigen Liebe seiner Mutter zu ihm war diese: daß der Junge, weil ihm m allen Handeln mit seinen Geschwistern fast immer Recht gegeben wurde, sich unvermerkt eine mechanische Fertigkeit -u-og, -u glauben

Iugendgeschichte.

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daß er immer Recht habe, und folglich bei allen Gelegenheiten immer Recht haben -zu wol­ len. Bei der ungemeinett Lebhaftigkeit seiner Eigenliebe und der wenigen Starke seines Kopfe-, war dieß die schlimmste aller Unarten z die er sich in seiner Kindheit angewöhnt hatte. Sie machte nicht nur alle seine übrigen Untugenden unheil­ bar; sondern gab ihm auch eine so verzweifelte Schiefheit, und versperrte der Wahrheit alle Zugänge zu seiner Seele so sehr, daß er zuletzt gegen wahr und falsch völlig gleich­ gültig wurde, oder vielmehr, daß es ihm zur Natur wurde, mit gänzlicher Beruhigung seiner Seele zu glauben, eine Sache sey alsbald wahr oder falsch, so bald er sie dafür halte.

AuS diesem ganz einfachen Grunde wird auf ein­ mal begreiflich, wie cs möglich war, daß Boni­ faz Schleicher fein ganzes Leben durch, trotz allen seinen verächtlichen Eigenschaften, fich selbst für einen sehr edeln, moralischen und untadeligen Mann, und jeden, der seinen eigensüchtigen Entwür­ fen und Ränken im Wege stand, mit der innigsten Ueberzeugung seines Herzens für einen sehr schlimmen Menschen ansah. Es war seinvm Eigendünkel, lyib seinen übrigen se l b sti sch en Lei­ denschaften gemäß, dieß zu glauben; er glaubte es also; und weil ers glaubte, so wars

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Bonifaz Schleichers

so; wenigstens wars für ihn so, und sein Inter­ esse forderte, so viel möglich jedermann auch glauben zu machen, daß es so sey. Und wer dann nicht so denken und glauben wvllte oder konnte, hatte Un­ recht, war sein Feind und Widersacher, und wurde, als ein böser gefährlicher Mensch, aus allen Kräf­ ten, bei aller Gelegenheit, mit Worten und Werken von ihm verfolgt. Denn Bonifaz war (in seinem Wahne) ein tugendhafter Mann und guter Christ, der alle böse Menschen (d. i. alle, die nicht so gut von ihm dachten als er selbst) haßte, als Leute, denen er, wie dem Teufel und allen seinen Werken und Wesen, in seinem Taufbund entsagt hatte. — Doch wieder zur Geschichte seiner ersten Jugend!

Weil Herr Amtmann Schleicher auf dem Lande wohnte, und von der nächsten Stadt, (die ohnehin nur eine schlechte Trivialschule hatte,) über drei Stunden weit entfernt waf, so hielt er seinen Kin­ dern einen Hauslehrer, oder so genannten Hofmei­ ster. Cs war ein C a n d i d a t u s T Ii e o 1 o g i a e, wie mans nennt; ein ziemlich wohl gewachsner, gesun­ der, starker Bengel, der in T. und I. Logik und Metafysik, Dogmatik, Polemik, Moral, Kirchen­ historie, und, weil es damals Mode zu werden an­ fing, auch ein Kollegium über die schönen

Jugendgeschichte.

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Wissenschaften gehört, — von allem diesen, vielleicht zu seinem Glücke, so viel als nichts gelernt, — der Tochter in dem Bürgerhause wo er wohnte, die Taille verderbt, — und sich übrigens, für einen Studiosus Theo logia e, so ziemlich ehrbar auf­ geführt hatte. Weil er nun, nachdem er absolvirt hatte und in patriam zurück gekommen war, bei seinem Vater (einem ehrlichen aber mit vielen Kin­ dern beladnen Schuhflicker in N.) nichts zu essen fand: hatte er sich, in Erwartung eines bessern, bei Herrn Amtmann Schleicher als Hauslehrer verdun­ gen, mit der Hoffnung, durch Vorschub des letztem den Pfarrdienst zu 93*** nach dem Ableben des alten Pastoris loci zu erhalten. Der Kandidat hieß Thomas Schräger, ging fleißig mit seinem Herrn Patron, oder allein mit seinem Hund, auf die Hühner- und Entenjagd, schäkerte gern mit den Mädchen und jungen Weibern im Dorfe, wenn sie Heu und Flachs dörrten, und wurde von jedermann — den Herrn Amtmann selbst ausgenommen — (wie die Welt böse ist) in Verdacht gehalten, daß er mit der Frau Amtmännin etwas vertrauter lebe als seine Schuldigkeit war, und wohl gar an der Fruchtbar­ keit ihrer letzten Jahre einigen Antheil gehabt haben könne. Unter diesem Hofmeister ging es nun dem kleinen Bonifaz, (der etwa sechs Lis sieben Jahre alt war, Wielands W.

27. Bd.

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Bonifaz Schleicher-

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da er unter seine Aufsicht kam,) so gut als er sichs nur wünschen konnte. Denn weil Vonifazchen der Liebling seiner Mutter und überdieß ein sehr schmeich­ lerisches Bübchen war, und die kleinen Botschaften zwischen Mama und Herrn Thomas, wozu man ihn "brauchte, mit großer Schlauheit auszurichten wußte: so war er sicher, daß er ungestraft faullen­ zen, den ganzen Tag in der Küche herumnistern, mit dem Gansemadchen Posten treiben, seine Geschwister plagen, lügen, naschen, schleichen, horchen, kurz so ungezogen seyn durfte als ihm beliebte. Indessen weil der Junge in seiner Kindheit ein gutes Gedächt­ niß hatte und eine Sache leicht faßte: so bracht' er es dem ungeachtet so weit, daß er in seinem zwölf­ ten Jahre Teutsch und Lateinisch lesen, leidlich schrei­ ben, und in Erasini Colloquiis die leichtesten ziemlich fertig exponiren konnte; welches alles ihm denn bei seinen hochwerthen Aeltern und ganzer hoch­ ansehnlichen Verwandtschaft, wie leicht zu erachten, bei jeder Gelegenheit nachgerühmt und zu großem Verdienst angerechnet wurde.

Unglücklicher Weise für Bonifazen starb um diese Zeit seine liebe Mutter, und Thomas Schräger wurde wenige Monate darauf zum Pfarrdienst in »*** befördert. Herr

Amtmann

Schleicher befand

sich

nun in

Jugendgesetz ichte.

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seinem acht und fünfzigsten Jahre, mit einem sehr großen Wanst und sehr wenig Thätigkeit, ohne Frau mit Fünf noch unerzognen Kindern, an der Spitze einer ziemlich weitlaufrigen Wirthschaft. Nun hatte er zwar, außer den fünfen, noch eine Tochter zu Hause, die bereits das achtzehnte Jahr zurück« gelegt hatte, und sowohl Alters als Verstandes halber sei­ ner Haushaltung, unter väterlicher Obsicht, ganz wohl hätte vorsteben könnten. Allein des Mädchens Jugend, und seine Amtsgcschäste — die ihm (wie er seit dreißig Jahren zu glauben und zu sagen gewohnt war, ohne die Sache jemals genau untersucht zu haben,) nicht erlaubten sich mit seiner eigenen Oekonomie zu placken, — hatten ihm zum Vorwande gedient, eine Art von Basen, Frau.Garmundin genannt, zu sich zu nehmen; eine Person, die zwar bereits über fünfzig Frühlinge gesehen hatte, aber doch bei einer starken und gesunden Leibesbeschaffen­ heit, und einer Gemüthsart, die durch Theilnchmung an irgend einem Wesen außer ihr selbst niemals ange­ griffen worden war, noch frisch genug aussah, um ohne große Unschicklichkeit nur zwei und vierzig zu gestehen. Diese Person erlangte in kurzem un­ umschränkte Gewalt über das ganze Haus. Der Herr Amtmann, der seines Lebens Rest so viel möglich in Ruhe zubringen wollte, nahm sich, gleich Epikurs Göttern, keines Dinges an; aß, trank und schlief;

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Bonifaz Schleichers

rauchte, in einen wohl gepolsterten Großvaterstuhl hingestreckt, seine Pfeife; las die Zeitungen oder die Geschichte der Insel Felsenburg, und wies jeder­ mann an seinen Schreiber und an Frau Garmundin. Weil er nun, nach Abgang des Herrn Thomas Schrä­ ger, einen andern Hofmeister für seine Söhne brauchte: so nahm er, auf Empfehlung der Dame Garmund, einen Bruder ihres vor einigen Jahren verstorbenen Mannes dazu an; einen alten Kandida­ ten des heiligen Predigtamts, der aus mancherlei Ursachen bisher immer ohne Dienst geblieben war, wiewohl er in der Gegend umher für einen gelehr­ ten Mann und für einen der besten Disputirer im ganzen Lande passirte. Er hieß Magister Samuel L e b e r e ch t S p i tz e l i u s; war ein Mann von mittlerer Größe, etwas hager, hatte ein sehr langes schmales Gesicht, eine kurze flache Stirn, dicke Augenbraunen, deren Zug so ziemlich einem Grie­ chischen Circumflex ähnlich sah, eine über die Lippen herab winkende Nase, grünliche, weit hervor stehende und ein wenig schielende Augen, einen Mund, der gar nicht wußte was Lächeln war, — kurz, sein Gesicht hatte alles was zu einem Gesichte gehört, dem man gern aus dem Wege geht. Böse Leute sagten: Frau Garmundin, weil ihr der Ruf, worin die wohlselige Frau Amtmännin mit dem vorigen Informator gestanden, nicht unbekannt gewesen

Jugendgefchich te
da Korn wall noch seine eigenen' Fürsten hatte, regierte in dieser kleinen Halbinsel der großen Britanniens vctn junger König Namens Mark, ein Enkel desjenigen, der durch seine Gemalin, die schöne Asel de, auch Äse ult di B l o n d e genannt,, und ihre Liebesgeschichte mit dem edeln und Unglück» lichen Tristan von Leonnois so berühmt wo'rdm ist. Dieser König Mark hatte viel von seinem Groß­ vater: er war hoffärtig ohne Ehrgeiz, wollüstig ohne Geschmack, und geizig ohpe ein guter Wirth zu seyn. Sobald er zur Regierung kam, welches sehr früh geschah, fing er "damit an, lich seinen Leidenschaften und Launen zu überlassen, und auf einem Fuß zu leben, der ein weit größeres und reicheres Land als das seinige, hatte zu Grunde richten müssen. Als seine gewöhnlichen Einkünfto nicht mehr zureichen wollten, drückte er seine Unterthanen mit neuen Auf­ lagen'; und als sie nichts mehr zu geben hattenmachte er sie selbst zu Gelde, und verkaufte sie an seine Rachbarrn Bei allem dem hielt König Mark einen glanzen­ den Hof, und wirthschaftete alS ob er eine unerfchöpf-

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Der Stein der Weisen.

liche Geldquelle gefunden hatte. Nun hatte er sie zwar noch nicht gefunden, aber er suchte sie wenig­ stens sehr eifrig; und sobald dieß ruchtbar wurde, stellten sich allerlei sonderbare Leute an seinem Hofe ein, hie ihm suchen helfen wollten. Schatzgräber, Geisterbeschwörer, Alchymisten, und Beutelschneider, die sich Schüler des dreimal großen Hermes nann­ ten, kamen von allen Enden herzu, und wurden mit offnen Annen ausgenommen; denn der arme Mark hatte zu allen seinen übrigen Untugenden auch noch die, daß er der leichtgläubigste Mensch von der Welt war, und daß der erste beste Landstreicher, der mit geheimen Wissenschaften prahlte, alles aus ihm machen konnte was er wollte, Es wimmelte also an seinem Hofe von solchem-Gesindel, Der eine gab vor, er hatte eine natürliche Gabe alle Schätze zu wittern, die unter der Erde vergra­ ben lägen; ein andrer wußte sie mit Hülse der Wünschelrulhe zu entdecken; ein dritter versicherte, haß das eine und das andere vergeblich sey, wenn man nicht dgs Geheimniß besitze, die Geister, die in Ge­ stalt der Greifen, oder unter andern noch fürch­ terlichern Larven, die unterirdischen Schätze bewach­ ten, einzuschläfern, zu gewinnen, oder sich unter­ würfig zu machen; und er ließ sichs auf eine be­ scheidne Art anmerken, daß er im Besitze dieser Ge­ heimnisse sey. Noch andere sahen auf alle magischen Künste

Der Stein der Wessen.

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mit Verachtung herab; bei ihnen Hing alles natür­ lich zu. Sie verwarfen alle Talismane, Zauber­ worte, Kreise, Charaktere, und was in diese Rubrik gehört, als eitel Betrügerei und Blendwerk. Was jene durch übernatürliche Kräfte zu leisten vorgaben, das leisteten sie, wenn man ihnen glaubte, durch die bloßen Kräfte der Natur. Wer in das in­ nerste H eilig thu m derselben eingedrungen ist, sagten sie; wer in dieser ihrer geheimen Werkstätte die wahren Elemente der Dinge, ihre Verwandt­ schaften, Sympathien und Antipathien kennen ge­ lernt hat; wer den allgestaltigeN Naturgeist mit dem allauflösenden Natursalze zu vermählen weiß, und durch Hülfe des alldurchdringenden Astralfeuers diesen Proteus fest halten und in seiner eigenen Urgestalt zu erscheinen zwingen kann: der allein ist der wahre Weise. Er allein verdieyt den hohen Namen eines Adepten. Ihm ist nichts unmöglich, denn er gebietet der Natur, welcher alles möglich ist. Er kann die geringern. Metalle in höhere verwandeln; er besitzt das allge­ meine Mittel gegen alle Krankheiten; er kann, wenn es ihm und den Göttern gefällt, Todte ms Leben zurück rufen, und es steht in seiner Macht, selbst so lange zu leben, bis es ihm angenehmer ist in eine andere Welt überzugehen. König Mark fand dieß alles sehr nach seinem Geschmacke: aber weil er sich doch nicht entschließen

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Der S'tein der Weife n.

konnte, nur Einen von seinen Wundermannern beyzubehalten und die übrigen fortzuschicken, so behielt er sie alle, und versuchte es mit einem nach dem an­ dern. Der Tag wurde mit Laboriren, die Nacht mit Geisteröannen und Schatzgraben zugebracht; und wie die Betrüger sahen, daß er kein Freund von Monopolien war, so vertrugen sie sich, zu seiner großen Freude, gar bald so gut zusammen, als ob alles ir^ Einen Beutel ginge. Verschiedene Jahre verstrichen auf diese Weise, ohne daß König Ma-rk dem Ziele seiner Wünsche um einen Schritt naher kam. Er hatte die Halste seines kleinen Königreichs aufgraben lasten und keinen Schatz gefunden; und über der Hoffnung, alles Ku­ pfer und Zinn seiner Bergwerke in Gold zu verwan­ deln, war alles Gold, das seine Vorfahrer daraus gezogen hatten, zum Schornstein hinaus, geflogen Einem andern waren nach so vielen verunglückten Versuchen die Augen aufgegangen; aber Mark, des­ sen Augen immer trüber wurden, wurde desto hitzi­ ger auf den ©teils der Weisen , je mehr er sich vor ihm zrr verbergen schien. Seine Hoffnung, den a l lgestaltigen Proteus endlich einmal fest zu hal­ len, stieg in eben dem Verhältnisse., wie die Schale seines Verlustes sank: er glaubte, daß er nur noch nicht an den rechten Mann gerathen sey; und indem er zehn Betrüger fortjagte, war ihm der eilste neu angelangte willkommen.

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Endlich ließ sich^ein Aegyptischer Adep^ aus der achten und geheimen Schule des großen Her­ mes bei ihm amnelden. Er nannte sich Misfragmutosiris, trug einen Bart, der ihm bis an den Gürtet reichte, eine pyramidenförmige Mütze, auf. deren Spitze- ein goldner Sfinr befestigt war, einen langen mit Hieroglyfen gestickten Rock, und einen Gürtel von vergoldetem Blech, in welchem die gwölf. Zeichen des Thierkreifes gegraben waren. König Mark schätzte sich für den glücklichsten aller Menschen, einen Weisen von so viel versprechendem An­ sehen an seinem Hofe ankommen zu sehen; und wie­ wohl der Aegypter sehr zurückhaltend that, so wur­ den sie. doch in kurzem ziemlich gute Freunde. AlleS an ihm, Gestalt, Kleidung, Sprache, Manieren und Lebensart, kündigte einen außerordentlichen Mann an. Er aß immer allein und ^nichts was andere Menschen esien; er hatte einige große Schlangen und ein ausgestopftes Krokodill bei sich in seinem Zim­ mer, denen er mit großer-Achtung begegnete, und mit welchen er von Zeit zu Zeit geheime Unterredun­ gen zu halten schien. Er sprach die wunderbarsten und räthselhaftesten Dinge mit einer Offenheit und Gleichgültigkeit, als ob es die gemeinsten und be­ kanntesten Dinge von der Welt waren: aber auf Fragen antwortete er entweder gar nicht; oder wenn er es that, so geschah es in einem Tone, als ob nun weiter nichts zu fragen übrig wäre, wiewohl der

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Fragende jetzt noch weniger wußte als zuvor. Von Peksonyi, die vor vielen hundert Jahyen gelebt hat­ ten, sprach er als ob er sie sehr genau gekannt habe; und überhaupt mußte man aus seinen Reden schlie­ ßen,. daß er wenigstens ein Zeitgenosse des Königs Amasis gewesen sey, wiewohl er sich nie deutlich darüber erklärte. Was ihm bei Mark den meisten Kredit gab, war, daß er viel Gold und eine Menge seltner Sachen bei sich hatte, und von sehr großen Summen als von einer Kleinigkeit sprach. Alle diese Umstande schraubten nach und nach die Neugier des leichtgläubigen Königs von Kornwall so hoch hinauf, daß er es nicht länger aushalten konnte; und, wie er es nun auch angefangen haben mochte, genug, der weise Misfragmutosiris ließ sich endlich erbit­ ten, oder sein Herz erlaubte ihm nicht länger un­ dankbar gegen die Ehrenbezeugungen und Geschenke zu seyn, womit ihn der König überhäufte; und so entdeckte er ihm endlich, — doch nicht eher als bis er ihn mittelst verschiedener Jniziazionen durch einige höhere Grade des Hermetischen Ordens geführt hat­ te, — das ganze Geheimniß seiner Person. Die Götter, sagte Misfragmutosiris, geben ihre kostbarsten Gaben wem sie wollen. Ich war nichts weiter als ein Mensch wie andere; noch jung, doch nicht ganz unerfahren in den Mysterien der Aegyptischen Fitosofie: als mich die Neugier anwan­ delte, in das Innere der großen Pyramide -uMemfis,

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deren Atter trn Aegyptern selbst ein Geheimniß ist, einzüdringen. Eine gewisse hieroglyfische Auffchrift, die ich schon zuvor über dem Eingang des ersten Saa­ les entdeckt und abgeschieden hatte, brachte nricfy nach vieler Mühe ihren Sinn zu errathen, auf die Vermuthung, daß diese Pyramide das Grabmahl des großen Hermes sey. Ich beschtoß, 'mich in einer Stunde hinein zu wagen, worin gewiß noch kein Sterblicher sich dessen unterfangen hat; und noch jetzt wäre mir meine Verwegenheit unbegreiflich, wenn ich nicht überzeugt wäre, daß dieser Gedänke, dessen meine eigene Seele nicht fähig war, von einer höhern Macht in mir.erschaffen wurde. Genug, ich stieg um Mitternacht, ohne Licht und mit gänzlicher Ergebung in die Führung desjenigen, der mir ein so kühnes Unternehmen angegeben, in die Pyramide hinab. Ich war auf einem sanften Abhang eine Zeit lang ablvarts, und dann wieder eben so unvermerkt empor gestiegen, als ich auf einmal ein Helles Licht erblickte, das wie eine Kugel vom reinsten gediege­ nen Feuer vor mir her schwebte. Hier hielt Misfrag mutosiris einige Augenchlkcke ein. — Und ihr hattet den Muth diesem Lichttz zu folgen? fragte König Mark, der in der Stel­ lung eines versteinerten Horchers, den Leib schräg vorwärts gebogen, mit straff zurück gezogenen Füßen, beide Hande auf die Knie gestützt, ihm gegenüber saß, und furchtsam nur eine Sylbe von der Erzäh-

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lung zu verlieren, wiewohl unter beständigem Schau­ dern vor dem was kommen würde, mit zurück gehaltnem Athem und weit offnen Augen schaute. Ich folgte dem Lichte, fuhr der Aegypter fort, und kam durch einen immer niedriger und enger wer­ denden Gang in einen viereckigen Saal von polirtem Marmor, dessen Ausgang mich in einen andern Gang leitete. Als ich ungefähr fünfzig Schritte fort­ gekrochen war, fand ich zwei Wege vor mir. Der eine schien ziemlich steil in die Höhe zu führen, der andere, linker Hand, tief gerade fort. Ich folgte der Lichtkugel auf diesem letztern, bis ich an den Rand eines tiefen Brunnens gelangte. Bei dem sehr lebhaften Lichte, das die Kugel umher streute, wurde ich gewahr, daß eine Anzahl kurzer eiserner Stan­ gen, eine ungefähr zwei Spannen weit von der an­ dern, von oben bis unten aus der Mauer hervor­ ragten, eine-gefährliche Art von Treppe, auf welcher man zur Noth in den Brunnen hinab steigen konnte. Ohne mich lange -u bedenken, schickte ich mich an, diese schwindlige Fahrt, anzutreten, und war schon drei oder vier Stufen hinabgestiegen, als die Licht4ugel plötzlich verschwand und mich in der schrecklich­ sten Dunkelheit zurück ließ. Ich begreife nicht, wie ich in diesem entsetzlichen Augenblicke nicht vor Schrecken in den Abgrund hin­ unter stürzte. Genug, ich faßte mich, und fuhr mit verdoppelter Behutsamkeit fort hinab zu klettern, in-

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dem ich mich mit Einer Hand an einer Stange über mir fest hielt, wahrend ich eine andere unter mir mit den Füßen suchte. Endlich merkte ich, daß keine Stangen mehr folgten ; ich hörte das Master unter mir rauschen; aber zugleich ward ich an der Seite, woran ich herunter gestiegen, einer Oeffnung gewahr, aus welcher mir ein dämmernder. Schein entgegen kam. Ich sprang in diese Oeffnung hinein,^und ge­ langte auf einem abschüssigen Weg in eine ungeheure Höhle von glimmerndem Granit, die durch einen mitten aus der gewölbten Decke herab hangenden großen Karfunkel erleuchtet war. Wie grob war meine Bestürzung, als ich mich auf einmal an dem Rande eine- reißenden Strome- sah, der sich mit entsetzlichem Geräusch aus einer Oeffnung dieser Höhle über schroffe Felsenstücke herab stürzte.' Indessen be­ dachte ich mich nur einen Augenblick was ich zu thun hatte. Ich war schon zu weit gegangen um wieder zurück zu gehen, und ein Genius schien mir -uzuflüstern, daß mir alle diese Schwierigkeiten nur, um meinen Muth zu prüfen, entgegen gestellt würden. Ich zog alle meine Kleider aus, band sie in einen Bündel über meinem Kopfe zusammen, und stürzte mich in den Strom. In wenigen Augenblicken wurde, ich von der Gewalt desselben durch ein dunkles Ge­ wölbe fortgeristen. Run merkte ich, daß das Wasser unter mir seicht wurde; bald darauf verlor e- sich gänzlich, und ließ mich in einer großen Höhle auf

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einem moosigen Grunde sitzen. Eine ungewöhnliche Hitze, die ich hier verspürte, trocknete mich so schnell, daß ich mich sogleich wieder anzog, um zu sehen, wohin mich eine ziemlich enge Oeffnung führen würde, aus welcher ein lebhafter Schein in die Höhle eindrang. So wie ich der Oeffnung naher kam, hörte ich ein zischendes Geprassel, wie von einem lodernden Feuer. Im kroch hinein, die Oeff­ nung erweiterte sich allmählich, und ich befand mich am Eingang eines weiten gewölbten Raumes, wo mein Fortschritt durch ein neues Hinderniß gehemmet wurde, das noch viel fürchterlicher als alle vori­ gen war. Ich sah einen feurigen Abgrund vor mir, der beinahe den ganzen Raum erfüllte, ifnb dessen wal­ lende Flammen, wie aus einem Feuersee, über die Ufer von Granitfelsen, womit es rings um einge­ faßt war, empor loderten, und bis an meine Füße herauf zu zücken schienen. Statt einer Brücke war eine Art von Rost, aus vierfach neben einander lie­ genden schmalen Kupferblechen zusammen gefügt, hinüber gelegt, der von einem Ufer zum andern reichte, aber kaum drei Palmen breit war. Ich ge­ stehe aufrichtig, ungeachtet der großen Hitze biese­ schrecklichem Ortes lief mirs eiskalt durchs Rücken­ mark auf und nieder; aber was war hier anders LU thun, als auch dieses Abenteuer zu wagen, ohne

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mich-lange über die Möglichkeit -u bedenken. Wie ich hinüber gekommen, weiß ich selbst nicht: genug ich tun hinüber; und ehe ich Zeit hatte wieder -u mir selbst -u kommen, fühlte ich mich von einem Wirbelwind ergriffen, und mit unbeschreiblicher Ge­ schwindigkeit durch die graüenvollcste Finsterniß fort­ gezogen. Ich verlor alle Besinnung, kam aber bald wieder zu mir selbst, indem ich mich etwas unsanft gegen eine Pforte geworfen fühlte. Sie sprang aufund ich befand mich auf meinen Füßen stehrnd, in einem herrlich erleuchteten Saale, dessen gewölbte mit Azur überzogene Decke die Halbkugel des Him­ mels vorsiellte, und mit einer unendlichen Menge von Karfunkeln, als eben so viel Sternbildern, ein­ gelegt war. Sie ruhete auf zwei Reiben massiv goldener Säulen, nn welchen unzählige Hieroglyfen aus Edelsteinen von allen möglichen Farben, schimmerten. Ich stand etliche Minuten ganz verblendet und entzückt von der Herrlichkeit dieses Ürtes. Das glaub' ich, rief König Mark,, und nach solchen ausgestandencn Fahrlichkeiten! Jchr möchte da wohl an euerm Platze gewesen seyn!

Als ich mich wieder in etwas gefaßt hatte, (fuhr Misfragmutosiris in seiner Erzählung fort, ohne auf die lebhafte Theilnehmung des Königs Acht zu geben,) fiel mir eine hohe Pforte von Ebenholz in die Augen, vor welcher zwei Sfinxe

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Der Stein der Weifen.

von kolossalischer Größe einander gegenüber tagen. Sie waren aus Elfenbein geschnitzt, und von wun­ derbarer Schönheit: aber, zu meinenr großen Be­ dauern, lagen sie so dicht an der Pforte und so nahe beisammen, daß es schlechterdings für mich un­ möglich schien, sie zu öffnen, und die Begierde zu befriedigen, welche mich in ein so gefahrvolles Aben­ teuer verwickelt hatte. Indem ich nun, der verbo­ tenen Pforte gegenüber stehend, vergebens auf ein Mittel sann diese Schwierigkeit zu überwinden, er­ blickte ich über der Thür, in diamantnen Charakte­ ren feer heiligen Priesterschrift, die mir nicht unbekannt war, den Namen Hermes Tri sm egistos. Ich laS ihn mit lauter Stimme, und kaum hatte ich ihn ausgesprochen, so öffnete sich die Pforte von selbst, die beiden Sfinxe belebten sich, sahen mich mit funkelnden Augen an , und wichen so weit zurück, dak ich zwischen ihnen durchgehen konnte. Sobald ich über die Schwelle der Pforte von Eben­ holz. geschritten war, schlossen sich ihre Flügel, wie von einem, tnwohnenden Geiste bewegt, von sich selbst wieder zu, und ich befand mich in einem run­ den Dome von schwarzem Jaspis, dessen furchtba­ res Dunkel nur von Zeit zu Zeit, in Pausen von zehn bis zwölf Sekunden, durch eine Art von plötz­ lichem Wetterleuchten erhellt wurde, das an den schwarzen- glatt geschliffnen Wanden herum zitterte, und eben so schnell verschwand äls entstand

Der Stein der Weisen.

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Bei dieser majestätischen und geheimnißvollen Art von Beleuchtung erblickte ich in der Mitte deDoms ein großes Prachtbette von unbeschreiblichem Reichthum, worauf ein langer ehrwürdiger Greis, mit kahlem Haupte und einem schtoßweißen Barte, die Hände auf die Brust gelegt, sanft -u schlum­ mern schien. Zu seinen Häupten lagen zwei Dra­ chen, von so seltsamer und schrecklicher Gestalt, daß ich sie noch jetzt, nach so viel Jahrhunder­ ten, vor mir zu. sehen glaube. Sie hatten einen flachen Kopf mit langen herab hangenden Ohren, runde gläserne Augen, die weit aus ihren Krei­ sen hervorragten, einen Rachen gleich dem Kro­ kodil!, einen langen äußerst dünnen Schwanen­ hals, und ungeheure lederne Flügel, wie die Fledermäuse; der vordere Theil des Leibes war mit starren spiegelnden Schuppen bedeckt und mit Adlersfüßen bewaffnet- und der Hinterleib endigte flch in eine dicke fiebenmal um sich selbst gewun­ dene Schlange. Ich bemerkte bald, daß das Wet­ terleuchten, das diesen Dom alle zehn Sekun­ den auf einen Augenblick erhellte, aus den Nasen­ löchern dieser Drachen kam, und daß dieß ihre Art zu athu/en war. Wie schauderhaft auch der Anblick dieser gräßlichen Ungeheuer war, so schie­ nen sie doch nichts feindseliges gegen rmch im Sinne zu haben, sondern erlaubten mir, derr majestäti­ schen Greis, der hier den langen Schlaf des Todes

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Der Stein der Weisen,

schlief, bei dem flüchtigen Lichte, das sie von flch' ga­ ben, so. fang' ich wollte zu betrachten. Ich bemerkte eine dicke Rolle von Aegr-ptischem Papier, die zu den Füßen des Greises lag, und mit Hieroglvfen und Charakteren beschrieben schien. Eine unsägliche Begierde, der Besitzer- dieser Handschrift zu seyn, bemächtigte sich meiner bei diesem Anblick; denn ich zweifelte nicht, daß sie die verborgensten Geheimnisse des großen Hermes enthalte. Zehnmal streckte ich die Hand nach ihr aus, und zehnmal zog ich sie wieder mit Schaudern zurück. Endlich wurde die Begierde Meister, und meine Hand berührte schon den heiligen Schatz, gegen welchen ich alle Schatze über und unter der Erde, verachtete; als mich ein Blitz- auS dem Munde eines der beiden Drachen plötzlich zu Boden warf, und alle meine Glieder dergestalt lahmte, daß ich unfähig war wieder auf­ zustehen. Sogleich fuhr eine kleine geflügelte und gekrönte Schlange, die den hellsten Connenglanz von sich warf, aus der Kuppel des Doms herab, und hauchte mich an: ich fühlte die Kraft dieses Anhauchs, gleich einer lieblich scharfen geistigen Flamme, alle meine Nerven dergestalt durchdringen, daß ich etliche Augenblicke wie beraubt davon war. Als ich mich aber wieder aufraffte, sah ich einen Knaben vor mir, der auf einem Letusbtatte saß, und in­ dem er den Zeigefinger der rechten Hand auf den Mund drückte, mir mit der Linken die Rotte dar-

Der SteLn der Weisen.

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reichte, die ich zu den Füßen des schtafenden Greises gesehen hatte. Ich erkannte den Gott deS heiligen Stillschweigens, und warf mich "vor ihm zur Erder aber er war wieder verschwunden; und nun wurde ich erst gewahr, daß ich mich, ohne zu begreifen wie es damit zugegangen, anstatt in der großen Pyra­ mide bei Memfis, in meinem Bette befand. — Wunderbar! seltsam, bei meiner Ehre! riefKönig Mark, mit allen Zeichen des Erstaunens und der tteberraschung auf dem gläubigsten Gesichte von der Wett.

So kam es mir auch vor, erwiederte Misfragmutosiris; und ich würde mich sicher selbst bere­ det haben, daß mir alle diese wunderbaren Dinge bloß geträumt hatten, wenn die geheimnißvolle Molle in meiner Hand mich nicht von der Wirklichkeit derselben hätte überzeugen müssen. Ich betrachtete sie nun mit unbeschreiblichem Entzücken, ich betastete und beroch sie auf allen Seiten, und konnte es gleich­ wohl kaum meinen eignen Sinnen glauben, daß ein so unbedeutender Mensch als ich der Besitzer eines Schatzes sey, um welchen Könige ihre Kronen gege­ ben hatten. Das Papier war von der schönsten Pur­ purfarbe, die Hieroglyfen gemahlt, und die Charak­ tere von dünn geschlagenem Golde. Das muß ein schönes Buch seyn, sprach Köniz Mark; ich weiß nicht was ich nicht darum gLke> Wieland- W. 27. Dd. 5

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Der Stein der Weifen.

es nur eine Minute lang in meiner Hand zu haben. Dürft' ich bitten? — Don Herzen gern, wenn es nur in meinen Han­ den wäre. Wie? 'Es ist nicht mehr in euern Händen? rief Mark mit kläglicher Stimme. Ich besaß es nur sieben Tage. Am achten erschien mir der Knabe auf dem Lotusbtatte wieder, nahm die Rolle aus meiner Hand, und verschwand damit auf ewig. Aber diese sieben Tage waren für mich hinreichend, mich zum Meister von sieben Ge­ heimnissen zu machen, deren geringstes von un­ schätzbarem Werth in' meinen Augen ist. Seit dieser merkwürdigen Nacht sind nun über tausend Jahre verstrichen — Ueber tausend Jahre? unterbrach ihn König Mark abermal; — Ist- möglich? über tausend Jahre? Alles ist möglich, antwortete der tausendjäh­ rige Schüler des großen Hermes, mit seinem gewöhn­ lichen Kaltflnne: dieß ist es kraft des siebenten Ge­ heimnisses. Seitdem ich im Besitze desselben bin> ist der ganze Erdboden mein Vaterland, und ich sehe Königreiche und Geschlechter der Menschen um mich her fallen, wie die Blätter von den Bäumen. Ich wohne bald hier bald da, bald in diesem bald in jenem Theile der Welt; ich rede alle Sprachen der Men­ schen, kenne alle ihre Angelegenheiten , und habe bei

S)et Stein der Weisen.

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keiner zu gewinnen noch zu verlieren. Ich verlange über niemanden zu herrschen und bin niemanden Unterthan: aber wenn ich (waS mir selten begegnet) einen guten König antreffe, so habe ich mein Vergnügen daran, sein Vermögen Gute- zu thun zu vermehren. König Mark versicherte, er wünsche nnd hoffe einer von den guten Königen zu seyn; wenigstens habe er immer seine Lust daran gehabt GuteS zu thun; und bloß, um unendlich viel Gute- thun zu können, habe er sich immer gewünscht, den Stein der Weisen in seine Gewalt zu bekommen. Mis frag mutosiris gab ihm zu verstehen^ dazu könne wohl noch Rath werden; er schien die Sache als eine Kleinigkeit zu betrachten, wollte sich aber dießmal nicht näher darüber erklären. König Mark, der einen Mann, dem nichts un möglich war , zum Freunde hatte, glaubte den Stein der Weisen schon in seiner Tasche zu fühlen, und gab, auf Abschlag der Gokdberge, in welche er seine Kupferberge bald zu verwandeln hoffte, alle Tage glänzendere Feste; denn der Wundermann mit dem gvldnen Sfinr auf der Mütze, der schon tausend Jahre alt war, alle Krankheiten heilen tonnte- und einen Krokodill zum Spiritus familiäres Hütte, war bereits im ganzen Lande erschollen, und mit der hohen Meinung, die das Volk von ihm gefaßt hatte, war auch der gesunkene Kredit des Königs

wieder höher gestiegen. Die Königin Mabittje mit ihren Dame« ttnb Jungfrauen trug nicht tvenig Lei, diese Hoflustharkeiten lebhafter und schimmernder zu machen. Es war -war schon lange, daß König Mark, der die Veränderung liebte, seiner Gemahlin einige Ursachen gab, sich von ihm für vernachlässiget -u halten; und die Eifersucht, womit sie ihm ihre Zärtlichkeit zu beweisen sich verbunden hielt, war ,hm so beschwerlich gefallen, daß ihm zuweilen der Wunsch entfahren war, daß sie (ihrer Lugend unbe­ schadet) rrgend ein anderes Mittel, sich die lange Weile zu vertreiben, aussündig machen möchte, als das Vergnügen , das sie daran zu finden schien, wenn sie ihm seine kleinen Jeitkürzungen verkümmern konnte. Er schien es daher entweder nicht zu bemerken, oder (wie einige Hofleute wissen wollten) es heimlich ganz gern zu sehe«, daß ein schöner junger Kitter, der seit kurzem unter dem Namen FloriLell von Nikomedien an seinem Hoflager erschiene war, sich auf eine sehr in die Augen fal­ lende Art um die Gunst der Königin bewarb, und »alle Tage größere Fortschritte in derselben machte. 5n der Lhät war es schon so weit gekommen, daß Mabillje ihre Parteylichkeit für den schönen Floribell sich selbst nicht langer laugnen konnte: da sie aber fest entschlossen war einen tapfern Widerstand zu thun, so nahmen ihr die Angelegenheiten ihres Eigenen Herzens so viel Zeit weg, daß sie keine

Der Stein der Weisen» hatte /

den

König

in

den

feinigett

6-

zu

bemr-

ruhiqen. Vie lebhaft auch König Mark feine Geschäfte auf dieser Seite treiben mochte, so verlor er doch das Ziel seiner Hauptleidenschaft keinen Augenblick ans dem Gesichte. Es waren nun bereit- einige Mo­ nate verstrichen, feit der Erbe, des großen LriSrttegistos an seinem Hofe wie ein König bewirthet würde, und Mark glaubte, sich einiges Recht an seine Freundschaft erworben zu haben. Misfragüluto sir i S hatte sich zwar bei aller Gelegenheit gegen Belohnungen und groke Geschenke erklärt; aber kleine Geschenke, pflegte er zu sagen, die ihren Wertb bloß von der Freundschaft erhalten, deren Symbole sie sind, kann sich kein Freund weigern von dein andern anzunehmen. Wert aber die Be­ griffe von klein und groß relativ find, und unser Adept von Sachen, die nach der gemeinen Schä­ tzung einen großen Werth haben, als von sehr unbe­ deutenden Dingen sprach: so hatten die kleinen Ge­ schenke, die er nach und nach von seinem Freunde Mark anzunehmen die Güte gehabt hatte, die Schatz­ kammer des armen Kenigs ziemlich erschöpft, und -s war hohe Zeit ihr durch neue und ergiebige Auftitfft wieder aufzuhelfen. Der Aegypter schien die Billigkeit hiervon selbst zu fühlen; und bei der ersten Anregung, welche der König von den sieben Ge­ heimnissen that, trug, er kein Bedenken mehr,

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Der Stein der Weifen,

ihm zu gestehen, daß das erste und geringste dersel­ ben die Kunst, den Stein derWeisen zu berei­ ten, sey^ Mark betheuerte, daß er mit diesem geringsten gern fürlieb nehmen wolle, und der Adept machte sich ein Vergnügen daraus, ihm ein Geheim­ niß zu entdecken, worauf er selbst zwar keinen gro­ ßen Werth legte, das aber gleichwohl, wie er weis­ lich sagte, um des Mißbrauchs willen allen Profa­ nen ewig verborgen bleiben muffe. Der wahrt Hermetische Stein derWeisen, sagte er, kann aus keiner andern Materie als aus den feinsten Edelsteinen, Diamanten, Smaragden, Ru­ binen, Saffiren und Opalen gezogen werden. Die Zubereitung desselben, vermittelst Beimischung eines großen Theils Zinnober, und einiger Tropfen von einem aus verdickten Sonnenstrahlen gezo­ genen flüchtigenOehle, ist weniger kostbar oder ver­ wickelt als mühsam, und erfordert beinahe nichts 'alS einen ungewöhnlichen Grad von Aufmerksamkeit hnb Geduld; und dieß ist die Ursache, warum eS der Mühe nicht werth wäre, einen Versuch im Klei­ nen zu machen. Das Resultat der Operazion, welche unter meinen Händen nicht länger als dreimal sieben Tage dauert, ist eine Art von purpurrother Masse, die sehr schwer ins Gewicht fällt, und sich zu einem feinen Mehle schaben läßt, wovon eines halben Ger­ stenkorn- schwer hinreichend ist, zwei Pfund Blei zu eben so viel Gold zu veredeln: und dieß ist, was

Der Stein der Weisen.

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man -en Stein der Weisen zu nennen pflegt. König Mark brannte vor Begierde, sobald nur immer möglich einige Pfund dieser herrlichen Komposizion zu seinen Diensten zu haben. Er fragte also, ein wenig furchtsam; ob wohl eine sehr große Quantität Edelsteine vonnöthen wäre, um ein Pfund deS filosofischen Steines zu gewinnen? O, sagte Misfragmutosiris, ich merke wo die Schwierigkeit liegt. An Edelsteinen soll es unnicht fehlen; denn ich besitze auch daS Geheimniß die feinsten und ächtesten Edelsteine zu machen. Ich muß gestehen, die Operazion ist etwas langweilig; sie erfordert gerade so viel Monate als der Stein der Weisen Tage: aber — Nein, fiel ihm Mark in die Rede, so lange kann ich unmöglich warten! Lieber will ich meine Kronen und mein ganze- übriges Geschmeide dazu hergeben! Ein und zwanzig Monate sind eine Ewigkeit! Wenn wir nur erst den Stein aller Steine haben, so soll es uns an den übrigen nicht fehlen. Für Gold rst alles zu, bekommen; und allenfalls habe ich nichts dagegen, wenn ihr bei guter Muße auch Edelsteine machen wollt. Wie' es beliebig ist, sagte der Adept. ^Don zwei Unzen Diamanten und zweimal so viel Rubi­ nen, Smaragden, und dergleichen, erhalten wir genau einen Stein von zwölf tausend Gran an

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Der ©lein der Weisek.

Gewicht, ltnb damit laßt sich schon was machen. Ich für meinen Theil brauche in hundert Jahren nicht so viel. Kleinigkeit, rief König Mark; ich wette, an meiner schlechtesten Hauskrone müssen mehr Steine seyn alS ihr verlangt: aber, wenn wir einmal an die Arbeit gehen, so muß es auch der Mühe werth seyn. Laßt mich dafür sorgen! Wir müssen einen Stein von vier und zwanzig tausend Gran bekommen, oder ich heiße nicht König Mark! Das beste ist, sagte der Adept, daß ich mit dem Sonn enöhle schon versehen bin, welches von allen Ingredienzien daS kostbarste ist, und dessen Zubereitung ein und zwanzig Jahre dauert. Ich bin immer besorgt, einige Fiolen davon vorrathig zu haben; denn, außerdem daß es bei Verfertigung des Steins die Hauptsache ist, so ist eS auch die Mate­ rie, woraus, vermittelst einer Koncentrazion welche dreimal ein und zwanzig Jahre erfordert, das Her­ metische Oeht der Unsterblichkeit bereitet wird, von dessen wunderbaren Kräften ich dir künf­ tig so viel entdecken werde alS mir erlaubt seyn wird. König Mark war vor Freude außer sich, einen Freund zu besitzen der solche Entdeckungen zu machen hatte, und eilte was er konnte, alles nöthige zu dem großen Werke veranstalten zu helfen.- An Oeftn und an allen Arten chymischer Werkzeuge konnte es an

Der Stein der Weisen.

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einem Hofe, wo schon solange laborirt wurde, nicht fehlen: aber Misfragmutofiris erklärte sich, daß er außer einem kleinen Herde, den er in einem Kabinette seines Zimmers bauen ließ, und einem Sacke voll Kohlen, nichts vonnöthen habe, weil er alles, was-zur Operazioii erforderlich sey, bei sich führe. Als man mit den Zurüstungen fertig war, zog er die Gestirne zu Rathe, und setzte den Anfang der geheimen Arbeiten auf einen gewissen Tag um die erste Stunde nach Mitternacht fest. Vorher aber iniziirte er den König in einem neuen Grade der Hermetischen Mysterien, welcher ihn fähig machte, ei« Arrgenzelrge aller zu dem großen Werke gehörigen Arbeiten zu seyn. Eine.einzige höchst geheimnißvolle war hiervon ausgenommen, bei wel­ cher der Geist des dreimal großen Herme­ selbst erscheinen nurßte, tun zu dem verhakenden Werke seinen Beifall zu geben. Die Gegenwart die­ se- Geistes ertragen zu können, war ein Vorrecht der Eingeweihten des höchsten Grades; und Misfragmutosiris gab dem Könige zu verstehen, daß er selbst unter allen Lebendigen der einzige, der sich dieses Vorrechts rühmen könne, und kraft dessel­ ben das unsichtbare Oberhaupt deS ganzen Hermeti» schen Ordens sey. Endlich, als die sehnlich erwartete Mitternacht heran nahte, übergab König Mark dem Adepten eigenhändig ein goldenes Kästchen, mit Dicksteinen,

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Der Stein der Weisen.

Smaragden, Rubinen, Saffiren undmorgenlandischen Opalen angefüllt, die er aus zwei oder drei von sei­ nen Vorfahren geerbten Kronen hatte ausbrechen taffen. Bei dieser Gelegenheit wurde er zum ersten Male in da- geheime Kabinet eingelassen , welches bisher, außer dem Adepten, kein sterblicher Fuß hatte betreten dürfen. Es war um und um mit Aegyptischen Götterbildern und Hieroglyfen ausgeziert, und nur von einer einzigen Lampe, die von der Decke herab hing, beleuchtet; in der Mitte stand ein kleiner runder Herd von schwarzem Marmor, in Form eines AltarS, auf welchem daS große Werk zu Stande kom­ men sollte, Misfragmuto siris, in der Klei­ dung eines alten Aegpptischen Oberpriesters , fing die Ceremonie damit an, daß rr den König mit einem angenehm betäubenden Rauchwerk beraucberte. Er zog hierauf einen großen Hermetisch-magischen KreiS um den Altar, und in denselben einen kleinern, den tr mit sieben, wie jenen mit neun, hieroglyfischen Charakteren bezeichnete. Er befahl dem Könige in dem äußern Kreise stehen zu bleiben: er selbst aber trat in den innern KreiS vor den Altar, warf etliche Körner Weihrauch in die Gluthpfanne, und mur­ melte einige dem Könige unverständliche Worte. Co wie der Rauch in die Höhe stieg, erschien über dem Altar ein langöhriger Knabe auf einem Lotuiblatte sitzend, den Zeigefinger der rechten Hand an den Mund gelegt, und in der linken eine brennende

Der Stein der Weisen.

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Fackel tragend» Mark wurde bei dieser Erscheinung leichenblaß und konnte sich kaum auf den Beinen erhalten: aber der Adept näherte seinen Mund dem rechten Ohre des Knaben , mnd flüsterte ihm etwas zu, worauf dieser mit einem bejahenden Kopfnicken antwortete, und verschwand. Misfragmnt osiris hieß den König gutes Muthes seyn, gab ihm, um seine Lebensgeister wieder zu starken, einen Löffel voll von einem Elixir von großer Tugend, und empfahl ihm morgen in der siebenten Stunde sich wieder einzufinden; indessen aber sich zur Ruhe zu begeben, während er selbst wachen werde, um der Erscheinung des großen 5) ermes, welche ihm angetan* digt worden, abzuwartsn, und die Mysterien zu voll­ ziehen, womit das große Werk angefangen werden muffe, wenn man sich eine- glücklichen Ausgang­ persichern wolle. König Mark begab sich voll Glauben und Er­ wartung in sein eigenes Gemach; und weil das, waS ihm der Adept gegeben hatte, ein Schlaftrunk gewe­ sen war, so schlief er hart und ununterbrochen zwei Stunden langer als die Zeit, auf welche er bestellt war. Endlich erwachte er, warf sich in seine Kleider und eilte dem geheimen Zimmer zu. Er fand alle­ in eben dem Stande wie er es verlassen hatte: nur der weise MisfrägmutosiriS und das goldne Kästchen mit den Edelsteinen waren unsichtbar geworden.

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Der Stein der Weisen.

Hs giebt keine Worte, nur die Bestürzung des Königs zu schildern, wie er seine sanguinischen Hoff­ nungen und fein grenzenloses Vertrauen auf das Haupt des Hermetischen Ordens so grausam betrogen sah. Auf die erste Betäubung des Erstaunens folgte Unwillen über stch selbst, und dieser brach endlich in Verwünschungen nnd wüthende Drohungen gegen den Betrüger aus, der in einer sichern Freistätte seiner Leichtgläubigkeit spottete. Er war im Begn'ff in die Hatte herunter -u steigen, und alle seine Reisigen und Knechte aufsitzen -u lasten, uin den Flüchtling auf allen. Seiten nachzusetzen - als auf einmal ein wun­ derschöner Jüngling, in einem hell glanzenden Ge­ wände, mit einer goldnen Krone auf dem Haupte und einem Liticnstangel in der Hand vor ihm stand, und ihn anrcdcte. Ich kenne den Unfall, sprach der Jüngling , der dich beunruhiget, und bringe dir Ent­ schädigung. Du suchest den Stein der Weisen. Nimm diesen Stein, bestreiche dreimal mit ihm deine Stirne und deine Brust hin und wieder, und du wirst die Erfüllung deines Wunsches sehen. Mit diesen Worten gab- ihm der Jüngling einen purpurrothen Stein iu die Hand und verschwarrd. König Mart sank aus einer Bestürzung in die andre. Er betrachtete den Stein, den er auf eine

so wunderbare und unverhoffte Art empfangen harte, von allen Seitennnd wiewohl er nicht begriff, wie die Erfüllung ferner Wünsche und das Bestreichen seiner Stirne und seiner Brust wit diesem Steine

Der Stein -er Weisem

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-usammen hange; so war er -och zu sehr gewohnt, Dinge, von denen er nicht- begriff zu glauben und zu thun, al- daß er hatte Anstand nehmen sollen, dem Befehle deS Genius Folge zu leistem Er bestrich sich also Stirne und Brüst dreimal mit dem nragischen Steine hin und wieder, und stand heim dritten Mal — in einen Eset verwandelt da. Wahrend daß dieses mit dem Könige vorging, erhob sich auf einem andern Flügel des Schlosse-wo die Königin wohnte, auf einmal ein entsetzlicher Lärm. Der junge schöne Ritter Floritzell (der, wie wir nicht läugntn können, im Äerdacht stand,

die Nacht im Schlafzimmer der Königin zugebracht zu haben,) hatte sich mit dein besten Theile ihrer Juwelen diesen Morgen unsichtbar gemacht. Ma­ tz illje war die erste Person am Hofe^ diees gewahr wurde. Sie war im Begriff hör Scham und Aerger

sich ihre schönen Haare aus dem Kopfe zu raufen, als eine Dame von unbeschreiblicher Schönheit- in rosenfarbnem Gewand und mit einer Krone von Ro­ sen auf dem Haupte, vor ihr stand und zu ihr sagte: Ich kenne dein Anliegen, schöne Königin, und komme dir zu helfen. Nimm diese Rose und stecke sie an deine Brust, so wirst du glücklicher wer­ den alS du jemal- gewesen bist. Mit diesen Worten reichte sie ihr eine Rose aus ihrer Krone und ver­ schwand. Die Königin wußte nichte besseres zu thun als zu gehorchen: sie steckte die Rose an ihren Busen,

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Der Stein der Weisen.

und sah sich in dem nämlichen Augenblick in 'eine rosenfarbne Ziege verwandelt, und in eine unbekannte wilde Einöde versetzt. ^Als die Kammerfrauen des Morgens um die gewöhnliche Stunde herein kamen, und weder die Königin noch ihre Juwelen, noch den schönen Floribell fanden, war die Bestürzung und der Cärm so arg als man flchs vorstellen kgnn. Man konnte nicht zweifeln/ daß sie sich von dein jungen Ritter habe entführen lassen, und man ging, es dem König anzuzeigen. Aber wie groß ward erst -er Schrecken und die Verwirrung, da auch der König und sein neuer Günstling, der Mann mit dem großen weißen Parte, nirgends zu finden waren! Sich vorzustellen, daß König Mark fich von dem alten Graubqrt habe entführen lassen, war keine Möglichkeit. Man stellte sich also gar nichts vor, wiewohl acht Tage lang in ganz Kornwall von nichts anderm gesprochen wurde. Die Ritter nnd Knappen setzten sich alle zu Pferde, und suchten den König und die Königin vier Mo­ nate lang in allen Winkeln von Britannien. Aber alles Suchen war umsonst. Sie kamen wieder so klug nach Hause wie sie ausgezogen waren; und das einzige, womit sich das Volk tröstete, war bie Ueber* zeugung, daß es ihnen leicht seyn werde wieder einen König zu finden, wennn sie keinen weisern haben wollten als König Mark. Der königliche Esel hatte sich indessen mit vieler.

Der Stein der Weisen.

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Behutsamkeit, um nicht entdeckt zu werden, aus sei­ ner Burg ins Freie hinaus gemacht, un.h war, mißmuthig und mit gesenkten Ohren, schon einige Stun­ den lang durch Wälder und Felder daher getrabt, alS er in einem Hohlwege eine junge mit einem Ouersack beladene Bäuerin antraf, deren Wohlge­ stalt, frische Farbe, und schönen blonden Haare ihm beim ersten Anblick etwas einflößten, das sich besser für seinen vorigen als gegenwärtigen Zustand schickte. Er blieb stehen um das junge Weib anzugaffcn, die sich ganz außer Athem gelaufen hatte, und vor Mü­ digkeit nicht weiter konnte. Die Theilnehmung, die sie diesem allem Anschein nach herrenlosen Thiere einzuflößen schien, erregte ihre Aufmerksamkeit: sie näherte sich ihm, streichelte ihn mit einer sehr weißen atlaßweichen Hand; und, da er ganz ruhig und (zum Zeichen daß es ihm wohl behage von einer so wei­ chen Hand gekrabbelt zu werden) die Zähne blökte und beide Ohren Elken lang vorstreckte, so bekam sie auf einmal Lust, ihn in ihre Dienste zu nehmen, und schwang sich auf seinen Rücken. Der Esel bequemte sich zu dem ungewohnten Dienste mit einer Gefällig­ keit, von deren geheimen Beweggründe die schöne Bäuerin sich wenig träumen ließ; er schien stolz auf die angenehme Bürde zu seyn, und trabte so munter mit ihr davon, wie der beste Maulesel aus Andalu­ sien. Wiewohl sie nichts hatte womit sie ihn lenken konnte, als seine kurze Mähne, schien er doch die

Der Stein der Weisen.

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Bewegungen ihrer Hande, ja sogar den Sinn ihrer Worte zu verstehen; und so brachte er sie, durch eine Menge Abwege die sie ihm andeutete, gegen Ein­ bruch der Rächt in eine wilde Gegend an der See­ küste, die von Felsen und Gehölz eingeschloffen und

nur

gegen

die benachbarte See

ein wenig

offen

war. Sie hielten vor einer mit Kiefern und wildem Gebüsche umwachsenen Höhle still, wo die junge Bäuerin kaum mit etwas heller Stimme zwei- oder dreimal Kasilde rief, als ein feiner wohl gewachsner Mann von dreißig bis vierzig Jahren, in Ma­ trosenkleidung, aus der Höhle hervor eilte, und, mit großer Freude über ihre Ankunft, ihr von dem lastbaren Thier herunter half. Dank sey dem Him­ mel, rief er, sie umarmend, daß du da bist, liebe Kasilde; mir war schon herzlich bang, es möchte dir ein Unfall zugestöken seyn. — Sage lieber. Dank diesem guten Esel, versetzte die Bäuerin lachend;

denn ohne ihn würdest du mich schwerlich so bald, vielleicht gar nicht wieder gesehen haben. — Dafür soll er nun auch ausrasten, und so viel Gras oder Disteln freffen als er in dieser hungrigen Gegend fin­ den kann, sagte jener: ich bin unendlich in seiner Schuld, daß er dich, und, wie ich sehe, auch den lieben "Üuersack so^ glücklich in meine Arme gelie­ fert hat. Der König - Esel

stutzte

mächtig,

da

er eine

Stimme hörte, die ihm nur gar zu wohl bekannt war. Er betrachtete die beiden Personen (denen er unvermerkt in die Höhle gefolgt war) beim Schern einer Lampe, die aus dem Felsen herab hing, und eS kam ihm vor, als ob ihm die Züge deS Matrosen und der jungen Bäuerin nicht ganz fremde waren. Er schaute dem ersten scharfer ins Gesicht; die Sehn­ lichkeit schien immer größer zu werden; und, wie er von ungefähr nach einer Art von steinernem Tische sah, der auS einer von den Felsenwänden hervor­ ragte, fiel ihm ein langer weißer Bart in die Augen, der auf einmal ein verhaßtes Licht in seinen dumpfen Schädel warf. Ha, ha, rief die Bäuerin lachend; da ist ja auch der Hermetische Bart! — Ich weiß wahrlich nicht, sagte der Mann im nämlichen Tone, warum ich ihn nicht unterwegs in eine Hecke geworfen habe; er hat nun seine Dienste gethan, und wir werden ihn schwerlich wieder nöthig haben- — Dafür ist ge­ sorgt, versetzte jene, indem sie auf den 2uersack klopfte. Sieh einmal, und sage, ob ich nicht wür­ dig bin die Geliebte eines Zeitgenossen des Königs

AmasiS zu seyn. O gewiß, rief der weise MisfragmutosiriS, und des dreimal großen Hermes selbst, wenn du willst. Aber, fuhr er fort, indem rr den Sack aus­ leerte, wo hast du deine schimmernde Hofritter-Kteidung gelassen, Kasilde? — »Wie du siehst, hab' ich

WirlandS W. 27. Dd.

6

62

Der Stein der Weisen.

fle mit der ersten hübschen Bäuerin, die ich nach der Stadt zu Markte gehen sah, vertauscht. « — Der Schade ist zu verschmerzen, sagte das unsicht­ bare Haupt des Hennetischen Ordens, indem er den kostbaren Inhalt deS Ouersackes durchmusterte: aber, damit du mir nicht gar zu stolz auf deine Talente wirst, Mädchen, — sieh einmal her, ob ich mir du Abenteuer in der großen Pyramide zu Memfis, und den Schrecken, den mir die wetterleuchtenden Dra­ chen am Prachtbette des großen Hermes eingejagt, nicht theuer genug habe bezahlen lassen. Man stelle sich vor, wie des armen Esel- Maje­ stät dabei zu Muthe war, da er alle die Geschenke, die der schelmische Adept nach und nach von ihm erhalten hatte, mit den gesamten Edelsteinen seiner Kronen nnd dem größten Theile des Schmuckes der Königin, in funkelnder Pracht auf dem steinernen Lisch ausgevreitet sah. Wär' ihm nicht die unbe gränzte Duldsamkeit zu Statten gekommen, die alt eine charakteristische Tugend der Gattung, zu welcher er seit kurzem gehörte, von jeher gepriesen worden ist, er würde sich unmöglich haben halten können, die Wuth, die in seinem Busen kochte, auf die fürchterlichste Art ausbrechen zu lassen. O warum mußte ich nun auch gerade in einen Esel verwandelt werden? dacht' er: war' ich ein Leopard, ein Lieger, ein Nashorn, wie wollte ich! — Aber wozu kann daS helfen? Mit einem Esel würden sie bald fertig

Der Steirr der Weisen».

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werden. — So sprach der arme König Mark zu sich selbst, und tag in seinem Winket so still und in einen so kleinen Raum zusammen geschmiegt, alihm nur immer möglich war, um wenigstens seine Neugier zu befriedigen, indem er dem vertraulichen Gespräche dieser zu seinem Unglück verschwornen Schlauköpfe zuhörte.

Nachdem sie ihre Augen an der kostbaren Beuke satt geweidet hatten, regte sich ein Bedürfniß von einer dringendern Art; denn sie hatten beide den ganzen Tag nicht- gegessen. Der Adept, der immer an alles dachte, hatte, da ihm in der Burg noch alles zu Gebote stand, sich auS der königlichen Küche mit Dorrath auf etliche Tage reichlich versehen lassen. Er zog einen Theil davon nebst einer Flasche köstli­ chen WeinL aus seinem Sacke, iytb> während sie sichs trefflich schmecken ließen, vergaßen sie yicht^ sich durch tausend leichtfertige Einfalle über die Leicht­ gläubigkeit des Königs von Kornwaltuod die Schwach­ heit seiner tugendreichen Gemalin lustig zu machen. Nun muß ich dir doch erzählen, lieber Gablitone, sagte die schöne Spitzbübin, wie ich es anfing, um die Tugend der guten Königin so kirre zu machen, daß ich Gelegenheit bekam, unsern Anschlag auszu­ führen. »Wie du das anfingst, Kasilde? So wie du in deiner Hofritter-Kleidung aussahest, und bei allen

84

Der Stein der Weisen.

deinen übrigen Gaben, welche Königin in der Welt hatte sich nicht von dir fangen lassen Schmeichler! Die meinige zappelte noch im Garne so heftig, daß sie es beinahe zerrissen hatte. Meinen Derführungskünsten würde sie vielleicht wi­ derstanden haben: aber die Eifersucht über die Buh­ lereien des Königs, die lange Weile, die Gelegen­ heit, eine gereizte Einbildungskraft und unbefriedigte Sinne kämpften für mich, und sie wurde endlich überwältigt, indem sie sich bis auf den letzten Au­ genblick wehrte. Das Fest, das der König am Tage vor unsrer Entweichung gab, beförderte mein Glück nicht wenig. Ich verdoppelte die Lebhaftigkeit mei­ ner Anfälle auf ihr Herz ; Tanz und Griechische Weine hatten ihr Blut erhitzt; eine gewisse Fröhlichkeit, der sie sich überließ, machte sie arglos und zuver­ sichtlich; sie that, was sie noch nie gethan hatte, sie machte sich ein Spiel auS meiner Leidenschaft, und verwickelte sich unvermerkt immer starker, je weniger sie Gefahr -u sehen schien. Endlich wirkte das Opiat, da- ich zu gehöriger Zeit in ihren Wein hinein prakticirt hatte. Eine angenehme Mattigkeit überfiel ihre Sinne, ihre Augen funkelten lebhafter, aber ihre Knie erschlafften; sie schrieb es der Müdigkeit vom Tanze zu, und begab sich in ihr Schlafgemach. Sobald ihre Jungfrauen sie zu Bette gebracht hat­ ten, kamen sie in den Tan-saal zurück, und ich schlich mich davon. Mab i l tj e erschrak nicht wenig, da sie,

Der Stein der Weifen.

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schon halb eingeschlummert, mich vor ihrem Bette sah. Gleichwohl merkte ich, daß ich nicht ganz un­ erwartet kam, und daß ein anderer an meinem Platze klüger gethan hatte, etwas später zu kommen. Ge­ nug, die Delikateste, womit ich, vermöge der Vor­ theile meines Geschlechts, meine vorgebliche Leiden­ schaft in diesen kritischen Augenblicken zu mäßigen wußte, ohne darum weniger zärtlich und feurig zu scheinen, gewann unvermerkt so viel über die gute Dame, daß ich mich, wenn der Schlaftrunk nicht so wirksam gewesen wäre, in keiner geringen Verlegen­ heit befunden haben würde. Aber ^r überwältigte sie gar bald unter so zärtlichen Liebkosungen, daß fie beim Erwachen fich vermuthlich für viel strafbarer halten wird als ich sie machen konnte; und dieses Kästchen von Ambra mit dem besten Theil ihres Ge­ schmeides ist der Beweis, daß ich meine Zeit nicht mit Betrachtung ihrer schlummernden Reize verlor, wie vielleicht der weise Misfragmutostris selbst an meinem Platze gethan haben möchte. Spitzbübin, sagte Gab litone, indem er sie auf die Schulter klopfte: jedes von uns war auf sei­ nem gehörigen Posten. Du hast deine Rolle wie eine Meisterin gespielt; und weniger konn.e ich auch nicht von dir erwarten, als ich dich beredete das Theater zu Atexandxia zu verlassen, und mir den Plan ausführen zu helfen, der un- so glücklich ge­ lungen ist. Wir haben nun genug, um künftig bloß

Der Strin der Weisen.

imfre eigenen Personen zu spielen. Merzen soll uns ein Fischerboot nach Klsinbritannien hinüber bringen, und von dort wird es uns nicht an Gelegenheit feh­ len in unser Vaterland zurückzukehren. Inzwischen, schöne Kafllde, laß uns dem guten Beispiel unsers Esels folgen, der dort im Winkel eingeschlafen ist. Wir sind hier vor allen Nachsetzcrn sicher, und bedür­ fen der Ruhe. Der königliche Esel war nichts weniger als emgeschlafen, wiewohl er sich so gestellt hatte. Der Ver­ druß, sich so schändlich hintergangen zu sehen, ein Augen- und Ohrenzeuge der Ranke und deS glückli­ chen Erfolges der Betrüger, und (was noch das ärgste war) aus einem König in einen Esel verwan­ delt zu seyn, seine Feinde vor Augen zu sehen und sich nicht an ihnen rachen zu können, ja in seiner Eselsgestald noch sogar selbst em Werkzeug ihreGlückes gewesen zu seyn, alles das schnürte ihm die Kehle so zusammen, daß er kaum noch athmen konnte. Aber eine andre Scene, die in alle Leidenschaften, welche in seinem Busen kochten, noch das Furiengift des Neides goß, setzte ihn auf einmal in solche Wuth, daß er nicht langer von seinen Bewegungen Meister war. Et sprang mit einem gräßlichen Ge­ schrei von seinem Lager auf, und über die beiden Glücklichen her, die sich einer solchen Ungezogenheit zu ihrem Esel so wenig versehen hatten, daß sie etliche tüchtige Hufschläge davon trugen ehe sie sich seiner

Der Stein -er Weisen»

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erwebren konnten. Aber -er Handel 'fiel -och zuletzt, wie natürlich, zum Nachtheil des unglücklichen Kö­ nigs aus; denn -er ergrimmte Adept fan- bald einen Knüttel, womit er einen so -ichten Hagel von Schlägen auf den Kopf und Rücken -es langöhrigen Geschöpfes regnen lief, daß es halb todt zu Boden fiel, und zuletzt, nachdem jener auf inständiges Bit­ ten der mitleidigen Kafilde seiner Rache endlich Grän­ zen setzte, in einem höchst kläglichen Zustande zur Höhle hinaus geschleppt wurde. Der arme Mark war nunmehr auf einen Grad von Elend gebracht, wo der Tod daö einzige zu seyn scheint, was einem, der ein Mensch und ein König gewesen war, in einer solchen Lage noch zu wünschen übrig ist. Aber der mächtige Trieb der Selbsterhattung ringt in jedem lebenden Wesen dem Tode bis zum letzten Hauch entgegen. Der gemißhandelte Esel kroch so weit er konnte von -er verhaßten Höhle ins Gebüsche, und ein paar Stunden Ruhe, die freie Luft, und etwas frische Weide, -ie er auf einem offnen Platze des Waldes fand, brachten ihn so weit, daß er mit Anbruch des Tages seine Beine wieder ziemlich munter heben konnte. Er lief -en ganzen Tag in der Wildniß herum, ohne einen andern Zweck, als fich von den Wohnungen -er Menschen zu entfer­ nen, in deren Dienstbarkeit zu gerathen er nun für -a- einzige Unglück hielt, daS ihm noch begegnen konnte; denn von Wölfen und andern reißenden

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Thieren war das Land ziemlich gereinigt. So trabte er den ganzen Tag auf ungebahnten Pfaden daher, stillte seinen Hunger so gut er konnte, trank, ivenn er Durst hatte, aus einer Quelle oder Pfütze, und schlief des Nachts in irgend einem dicken Gebüsche, wiewohl ihn die Erinnerung an seinen vorigen Zu­ stand wenig schlafen ließ. Das seltsamste bei dem allem war, daß er die unselige Grille, die ihm so theuer zu stehen kam, das Verlangen nach dem Be­ sitze des SteinS der Weisen, auch in seinem Eselsstande nicht aus dem Kopfe kriegen konnte. Den Tag über dachte er an nichts andre-, und des Nachts träumte ihm von nichts anderm.

Der wohlthätige Genius, der den Entschluß ge­ faßt hatte, ihn von dieser Thorheit zu heilen, machte sich diese Dispoflzion seines Gehirnes zu Nutze, und wirkte durch einen Traum, was vielleicht die Vor­ stellungen und Gründe aller Weisen des Erdbodens wachend nicht bei ihm bewirkt haben würden. Ihm träumte, er sey noch König von Kornwall, wie ehemals, und stehe voll Unmuth über einen mißlungnen Versuch an seinem chemischen Herde. Auf einmal sah er den schönen Jüngling wieder vor sich stehen, von welchem er den purpurrothen Stein em­ pfangen zu haben sich sehr wohl erinnerte. König Mark, sprach der Genius mit einer Stirne voll Ernstes zu ihm, ich sehe, daß das Mittel, wodurch

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ich dich von deinem Wahnsinne zu heilen hoffte, nicht angeschlagen hat. Du verdienst, durch die Gewäh­ rung deiner Wünsche bestraft zu werden. Vergeblich würdest du bis ans Ende der Tage den Stein der Weisen suchen, denn es giebt keinen solchen Stein; aber nimm diese Lilie, und alles was du mit ihr berührst wird zu Golde werden. Mit diesen Worten reichte ihm der Jüngling die Lilie dar und verschwand. König Mark stand einen Augenblick zweifelhaft, ob er dem Geschenke trauen sollte; aber seine Neu­ gier und sein Durst iiach Golde überwogen bald alle Bedenklichkeiten: er berührte einen Klumpen Blei, der vor ihm lag, mit der Lilie, und das Blei wurde zum feinsten Golde. Er wiederholte den Versuch an allem Blei und Kupfer, womit das Gewölbe angefüllt war, und immer mit dem nämlichen Erfolge. Er berührte endlich einen großen Haufen Kohlenr auch dieser wurde in einen eben so großen Haufen Gold verwandelt. Die Wonnetrunkenheit deS be­ ihörten Königs' war unaussprechlich. Er ließ unver­ züglich zwölf neue Münzhauser errichten, wo man Tag und Nacht genug zu thun hatte, alles Gold, das er mit seiner Lilie machte, in Münzen aller Arten auszuprägen. Da in Traumen alles sehr schnell von Statten geht, so befanden sich in kurzem alle Ge­ wölbe seiner Durg mit mehr barem Gelde angefüllt, alö jemals auf dem ganzen Erdboden im Umlauf ge­ wesen ist. Nun, dachte Mark, ist die Welt mein.

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D.er ©teiir b er Weifen.

Er fragte sich selbst, was ihn gelüstete, unt sein Gold verschaffte es ihm, es mochte noch so kostbar ober ausschweifend seyn. Mit der Willkühr über eine unerschöpfliche Geldquelle zu gebieten, gcrieth er sehr natürlicher Weise in ben Wahn, daß er alles ver­ möge : er wollte also auch seine Wünsche eben so schleunig ausgeführt wissen, als sie in ihm entstan­ den, und was er gebot, sollte uuf den Stur- da stehen. Seine Unterthanen zogen daher wenig Vor­ theil von dem unermeßlichen Aufwande, den er machte; denn er ließ ihnen keine Zeit, weder die zu seinen Unternehmungen nöthigen Materialien herbei zu schaffen, noch sie zu verarbeiten. Zudem fehlte eS auch in seinem Lande an Künstlern; und zu war­ ten, bis er durch seine Unterstützung welche erzogen hatte, konnte ihm gar nicht einfallen. Wozu hatte er das auch nöthig gehabt? Es fanden sich Künstler und Arbeiter aus allen Enden der Welt bei ihm em, und alle nur ersinnliche Produkte und Waaren wur­ den ihm aus Italien, Griechenland und Aegypten in unendlichem Aeberfluß zugeführt. Er ließ Berge ab­ tragen, Thaler ausfüllen, Seen austrocknen, schiff­ bare Kanüle graben; er führte herrliche Palaste auf, legte zauberische Garten an, erfüllte diese und jene mit allen Reichthümern der Natur, mit allen Wun­ dern ber Künste, und das alle-, so zu sagen, wie man eine Hand umwendet. Die schönsten Weiber, die vollkommensten Virtuosen, die sinnreichsten Er-

Der Stein der Weisen,

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finder neuer Wollüste, alles was jede seiner Leiden­ schaften, Gelüste und Launen reizen und befriedigen konnte, stand zu seinen, Gebot. Er gab Turniere, Schauspiele- und Gastmahler, hrit man notfr keine gesehen hatte, -und verschwendete oft in einem Tage mehr Gold, als die reichsten Könige im ganzen Jahre einzunehmen hatten. Bei allem diesem zog die ungeheure Menge Gold, die er auf einmal in die Welt ergoß, einige sehr be­ trächtliche Unbequemlichkeiten nach sich. Die erste war, daß die Fremden, die aus allen Landern der Welt herbei strömten, ihm ihre Waaren, ihre Köpfe, Hände oder Füße anzubiclcn, sobald sie von der Un­ erschöpflichkeit seiner Geldquelle benachrichtigt waren, ihre Preise in kurzer Zeit erst um hundert, dann um taufend, zuletzt um zehn tausend pro Cent stei­ gerten. Alle Produkte des Kunstfleißes, wurden so theuer, das Gold hingegen wegen seines UeberfluffeS so wohlfeil, daß es endlich ganz unfähig ward als ein Zeichen des Werthes der Dinge im Handel und Wandel gebraucht zu werden. Aber bevor es so weit kam, zeigte sich eine noch weit schlimmere Folge der magischen Lilie, die in den Handen des Königs die Stelle des Steins der Weisen vertrat: denn während seine gränzenlose Hoffart, Ueppigkeit und Verschwen­ dung die halbe Welt mit Gold überschwemmte- ver­ hungerte der größte Theil seiner eigenen Untertha­ nen, weil ihnen beinahe alle Gelegenheit etwas zu

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verdienerr abgeschnitten war. Ackerbau und Gewerbe lagen darnieder; denn wer hatte sich im Lande noch damit abgeben sollen, da man alle Nothwendigkeiten und Ueberflüssigkeiten des Lebens in allen Hafen deS Königreiches zu allen Zeiten in größerer Güte und Vollkommenheit haben konnte, und da überdieß alle hübschen jungen Leute vom Lande nur nach der Hauptstadt zu gehen brauchten, um tausend Gelegen­ heiten zu finden, durch Müßiggehen 6ort ein ganz anderes Glück zu machen, als sie an ihrem Orte durch Arbeit und Wirthschaft zu machen hoffen konnten?

König-Mark, sobald er von der Noth des Vol­ kes Bericht erhielt, glaubte ein unfehlbares Mittel dagegen zu besitzen, und säumte nicht, in allen Städten, Flecken und Dörfern des Landes so viel Gold austheilen zu lassen, daß sich der ärmste Tage­ löhner auf einmal reicher sah, als es vormals sein Edelmann gewesen war, Mark glaubte dadurch dem liebel abgeholfen zu haben: aber er hatte auS übel arger gemacht. Denn nun hörte vollends aller Fleiß und alle häusliche Tugend auf; jedermann wollte sich nur gute Tage machen, und in kurzem waren alle diese Reichthümer, die so wenig gekostet hatten, in Saus und Bc^us und unter den zügellosesten Ausschweifungen durchgebracht. Der König konnte nicht Gold genug machen; und, rme cs endlich seinen

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Werth gänzlich verlor, so stellte fich wieder der vorige Mangel litt, der aber nun durch die Erinne­ rung der goldnen Tage deß Wohlleben- desto uner­ träglicher fiel, und unter einem Volte, das alles fittliche Gefühl und alle Scheu vor den Gesetzen ver­ loren hatte, ein allgemeines Signal zu Kaub, Mord und Aufruhr wurde. Der König, der fich und sein Volk vor lauter Reichthum in Bettler verwandelt sah, wußte fich nicht zu helfen: aber er hatte ndch nicht alle Früchte seines wahnsinnigen Wunsches ge­ kostet. Sie blieben nicht lange aus. Sein von allen Arten der Schwelgerei erschöpfter und zerrütteter Körper erlag endlich den übermäßigen Anstrengungen der Lüste; sein Magen hörte auf zü verdauen, seine Kräfte waren dahin, seine abgenützten Sinne taub für jeden Reiz des Vergnügens; scheußliche Krank­ heiten, von den empfindlichsten Schmerzen begleitet, racheten die gemißbraucht Natur, und ließen ihn in den besten Jahren seines Lebens alle Qualen einer langsamen Vernichtung fühlen.

In diesem Zustande merkte König Mark, daß es noch ein elenderes Geschöpf gebe als einen halb todt geprügelten Esel, und daß dieses elendeste aller Geschöpfe ein König sey, dem irgend ein feindseliger Dämon die Gabe Gold zu machen gegeben, und der unsinnig genug habe seyn können, ein so verderbli­ ches Geschenk anzunehmen. Aber wie unbeschreiblich

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De§ Stein der Weiserr.

war dafür auch feine Freude, Sa er mitten in diesem peinlichen Zustand erwachte, und im nämlichen Au­ genblicke fühlte, daß alles nur ein Traum, und er selbst glücklicher; Weise der nämliche Esel sey, wie zu­ vor. Er stellte jetzt, in der lebhaften Spannung, die dieser Traum seinem Gehirne gegeben hatte, Betrachtungen an, wie sie vermuthlich noch fein Ge­ schöpf seiner Gattung vor ihm angestellt hat; und das Resultat davon war, daß er ans voller Ueber­ zeugung. Lei sich selbst festsetzte, lieber ewig ein Esel zu bleiben, als ein König ohne Kopf und ein Mensch ohne Herz zu seyn. Wahrend der Nutzanwendung, welche der könig­ liche Esel aus seinem Traume zog, war der Mor­ gen angebrochen, und wie er sich aufmachte, um die Segeyd, in die er gerathen war, ein wenig auszu­ kundschaften, ward er am Fuß eines mit Tannen und Kiefern bewachsenen Felsens eine Art von Ein­ siedelei gewahr, um welche einige Ziegen herum klet­ terten, und hier und da, wo sich zwischen den Spal­ ten oder auf den flachem Theilen des Felsens etwas Erde angesetzt hatte, ihre Nahrung suchten. Dor der Einsiedelei zog sich ein schmaler sanft an den Felsen angelegter Hügel hin, wovon der Fleiß des Menschen, der auch die wildeste Gegend zu bezähmen werk, einen Theil zu einem Küchengarten aygebaut, und den andern mit allerlei Arten von Obstbäumen bepflanzt hatte, die unter dem Schirme der benach-

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barten Berge sehr wohl zu gedeihen schienen, und das romantische Ansehen dieser Wildniß vermehrten. Indem der gute Mark ziemlich nahe, aber von einem dünnen Gesträuche bedeckt, alles dieß mit eini­ gem Vergnügen betrachtete, sah er eine Magd mit einem großen Krug auf dem Kopf aus der Hütte hervor gehen, um an einer Quelle, welche fünfzig Schritte davon aus dem Felsen hervor sprudelte, Wasser zu holen. Sie schien eine Person von vier und zwanzig Jahren zu seyn, wohl gebildet, schlank, etwas bräunlich, aber dem Ansehen nach von blü­ hender Gesundheit und munterm gutlaunigem Wesen, wie Mark, der jetzt seine Menschheit wieder fühlte, aus ihrem leichten Gange und einem Liedchen, das sie vor sich her trällerte, zu erkennen glaubte. Sie ging in einem leichten aber reinlichen bäurischen An­ zuge daher, ohne Halstuch, die Haare in einen Wulst zusammen gebunden, und, indem sie sich im Vorbeigehen bückte, um eine frisch aufgeblühte Rose zu brechen und vorzustecken, hatte er einen Augen­ blick Gelegenheit eine Bemerkung zu machen, die den Hofbusen, an die er gewöhnt war, wenig schmeichelte. Das Wenige was ihm ein nicht allzu langer Rock von ihrem Fuße sehen ließ, bestärkte ihn vollends in der günstigen Meinung, die er nach diesem Muster von den Töchtern der kunstlosen Na­ tur zu fasten anfing. Aber mit allen diesen Bemer­ kungen ward auch der Verdruß über seine gegen-

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wärtige Gestatt wieder so lebhaft, daß er Kopf und Ohren voll Verzweiflung sinken ließ, und (war noch nie ein Eset gethan hat noch jemals thun wird) untrem Gedanken umging, sich von einem der be­ nachbarten Felsen in die Schlucht herab zu stürzen. Er entfernte sich mit einem schweren Seufzer von dem Orte, wo er ein so schmerzliches Gefühl seiner -Ur Halste verlornen Menschheit bekommen hatte, und war im Begriff den Gedanken der Verzweiflung auszuführen, al- ihm unversehens eine aus dem Grase empor prangende Lilie in hie Augen fiel. Ihm schauderte vor ihrem Anblick; aber zu gleicher Zeit wandelte ihn eine so starke Begierde an, diese Lilie aufzuessen, daß er sich dessen nicht enthalten konnte. Kaum hatte er sie mit Blume und Stän­ gel hinab geschlungen, o Wunder! so verschwand seine verhaßte Eselsgestalt, und er fand sich in einen wohl gewachSnen, nervigen, von Kraft und Gesund­ heit strotzenden Bauerkerl von dreißig Jahren ver­ wandelt, der, (außer dem, waS in der menschlichen Bildung assen gemein ist,) mit dem, was er sich erinnerte torö' seiner ersten Verwandlung gewesen zu seyn, wenig ähnliches hatte. Das sonderbarste da­ bei war, daß er mit deqr völligsten Bewußtseyn, noch vor wenig Tagen Mark, König von Korn­ watt gewesen zu seyn, und mit deutlicher Erinne­ rung aller Thorheiten, die er in dieser Periode seiner LebenS begangen, eine ganz andere Dorstessungsart in

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seinem Gehirn eingerichtet fand, eine ganz andre Art von Herz in seinem Busen schlagen fühlte, und an Leib, und Seele bei diesem Tausche stark gewon­ nen-zu haben glaubte. Man kann sich einbilden, wie groß seine Freude über eine so unverhoffte Veränderung war. Er dachte mit Schaudern daran, waS sein Schicksal hätte seyn können, wenn er wieder König Mark geworden wäre; und so lebhaft war der Eindruck, den er von seinem Traume noch in seiner Seele fand, daß ihn däuchte, wenn er wählen müßte, er wollte lieber wieder zum Esel als zum König Mart von Kornwall werden. Unter diesen Gedanken befand er sich unvermerkt wieder vor der Hütte, aus welcher er die Frauens­ person mit dem Krug auf dem Kopfe hatte hervor gehen sehen. Ihm war als ob ihn eine unsichtbare Gewalt nach der Hütte hinzöge. Er ging hinein, und fand einen steinalten Mann mit einem eisgrauen Bart in einem Lehnstuhle, und gegenüber ein zusam­ men geschrumpftes Mütterchen an einem Spinnrocken sitzen. Beim Anblick des eisgrauen Bartes wandelte ihn eine Erinnerung an, die ihn einen Schritt zurück warf: aber alles übrige in dem Gesichte des alten Mannes paßte so gut zu diesem ehrwürdigen Barte, und flößte zugleich so viel Ehrfurcht und Liebe ein, daß er sich augenblicklich wieder faßte, und die ehr­ würdigen Bewohner dieser einsamen Hütte um VerWielands W. 27.^0. 7

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gebung tüt, daß er ohne Erlaubniß sich bei ihnen eingedryngen habe. Ich irre, sprach er, drwch einen Zufall, der mich aus meinem Wege warf, schon zwei Tage in dieser wilden Gegend herum, und meine Freude, endlich eine Spur von Menschen darin anzu­ treffen, war so groß, daß es mir unmöglich gewesen wäre vorbei zu gehen, ohne die Bewohner dieser Hütte zu grüßen, wenn mich auch kein anderes Be­ dürfniß dazu getrieben hatte. Die beiden alten Leut­ chen hießen ihn freundlich willkommen, und da die Magd inzwischen ihr Frühstück herein gebracht hatte, nöthigten sie ihn sich zu ihnen zu setzen, und mitzueffen. In kurzem wurden sie so gute Freunde, daß Mark, der sich den Namen Sylvester gab, sich aufgemuntert fühlte, ihnen seine Dienste anzubieten. Ich bin, sprach er, ein rüstiger junger Mann, wie ihr seht; ihr seyd alt, und die junge Frauensperson hier mag doch wohl einen Gehülfen zu Beschickung dessen, was das Haus erfordert, nöthig haben, wie­ wohl sie flink und von gutem Willen scheint. Ich habe Lust und Kräfte -um Arbeiten, wenn ihr mich annehmen wollt, so will ich alle Arbeit, die einen männlichen Arm erfordert, übernehmen, und euch in Ehren hallen wie meine leiblichen Aeltern. Die Magd, die inzwischen ab - und zugegangen war, und den Fremden seitwärts, wenn sie nicht bemerkt zu werden glaubte, mit Aufmerksamkeit betrachtet hatte, erröthete bei dieser Erklärung, schien

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aber vergnügt darüber zu seyn, wiewohl sie that als ob sie nicht zugehört hätte, und ungesäumt wieder an ihre Arbeit ging. DieÄlten nahmen das Erbieten des jungen Man­ nes mit Vergnügen an, und S yl vaster, der unter einer Schuppe neben der Wohnung daß nöthige Feld- und Gartengeräthe fand, installiere sich noch an demselben Tage in seinem neuen Amte, indem er rings um die Wohnung alle noch unbepflanzten Plätze auszustocken und umzugraben anfing, um sie theils zu Kohl - und Rübenland, theils zum Anbau des nöthigen Getreides zuzurichten. Diese Arbeit beschäftigte ihn mehrere Wochen ; und wie er damit fer­ tig war, fing er an einen Keller in den Felsen zu hauen, und brachte alle Zeit damit zu, die ihm die Gartenund Feldarbeit übrig ließ. Das alte Paar gewann ihn so lieb, als ob er ihr leiblicher Sohn gewesen wäre, und er fühlte sich alle Tage glücklicher bei einer Lebensart, die ihm so leicht und bekannt vorkam, als ob er dazu geboren und erzogen gewesen wäre. Nie hatte ihm als König Essen und Trinken so gut geschmeckt, denn ihn hatte nie gehungert noch gedürstet, nie hatte er so wohl geschlafen, denn er hatte sich nie müde gearbeitet, noch mit so ruhi­ gem Herzen niedergelegt; nie war er zu den Lustbar­ keiten des Tages so fröhlich aufgestanden, als jetzt zu mühsamer Arbeit; nie hatte er das angenehme Gefühl nützlich zu seyn gekannt; kurz, nie hatte er

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Der Stein der Weisen,

solche Freude an seinem Daseyn, solche Ruhe in sei­ nem Gemüth, und so viel Wohlwollen und Theilnehmung an den Menschen, mit denen er lebte, empfunden; denn nun war er selbst ein Ärensch, und nichts als ein Mensch; und wie hätte er das seyn können, als er König, und, was noch arger ist, ein thörichter und lasterhafter König war? Mittlerweile hatten Sylvester und die junge Frauensperson, die sich Rosine nannte, täglich so manche Gelegenheit sich zu sehen, daß es in ihrer Lage ein gewaltiger Bruch in die Naturgesetze gewe­ sen wäre, wenn die Sympathie, welche sich schon in der ersten Stunde bei ihnen zu regen ansing, nicht zu einer gegenseitigen Freundschaft hatte werden sol­ len, die in kurzem alle Kennzeichen der Liebe hatte, und, ungeachtet sie einander noch kein Wort davon gesagt, sich auf so vielfältige Art verrieth, daß das Einverständniß ihrer Herzen und Sinne keinem von beiden ein Geheimniß war. Endlich kam es an einem schönen Sommerabend zur Sprache, da sie im Walde, Er, bei der Beschäftigung dürreS Reisholz zusammen zu binden, Sie, indem sie junges Laub für ihre Ire­ gen abstreifte, wie von ungefähr zusammen kamen. Anfangs war.der Kreis- innerhalb desien sie in der Entfernung eines ganzen Durchmessers arbeiteten, ziemlich groß, aber er wurde unvermerkt immer kleiner und kleiner; und so geschah es zuletzt, daß sie, ohne daß es eben ihre Absicht zu seyn schien,

DefStein der Weisen.

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sich nahe genug beisammen fanden, um wahrend der Arbeit ein freundliches Wort zusammen zu schwatzen. Die Warme des Tages und die Bewegung hatte RosinenZ bräunlichen Wangen eine so lebhafte Röthe, und ich weiß nicht was andres, das ihren Busen aus seinen Windeln zu drangen schien, ihren Augen einen so lieblichen Glanz gegeben, daß Syl­ vester sich nicht erwehren konnte, vor ihr stehen zu bleiben, und sie mit einer Sehnsucht zu betrachten, die den beredtesten Liebesantrag werth war. R osin e war vier und zwanzig Jahr alt und eine un­ verfälschte Tochter der Natur. Sie stellte sich nicht, als ob sie nicht merke was in ihm vorging, noch fiel es ihr ein, ihm verbergen zu wollen, daß sie eben so gerührt war wie er. Sie sah ihm freundlich ins Gesicht, erröthete, schlug die Augen nieder und seufzte. Liebe Rosine! sagte Sylvester, indem er sie bei der Hand nahm, und konnte kein Wort wei­ ter heraus bringen, so voll war ihm das Herz. Ich merke schon lange, sagte Rosine, nach einer ziemlichen Pause, mit leiserer Stimme, daß du — mir gut bist, Sylvester. Ob ich dir gut bin, Rosine? Was in der Welt wollt' ich für dich thun, und für dich leiden, um dir zu zeigen wie gut ich dir bin! — rief Sylve­ ster, und drückte ihr die Hand stark genug an fein Herz, daß sie sein Schlagen fühlen konnte. So ist mirs auch, versetzte Rosine, aber —

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»Aber waS? Warum dieß Aber, wenn ich dir nicht zuwider bin, wie du sagst?® Ich weiß nicht was ich dir antworten soll, Syl­ vester; ich bin dir herzlich gut; ich wollte lieber dein seyn als die vornehmste Frau in der Welt heißen, — aber — mir ist es werde nicht angehen können. „Und warum sollte es nicht angehen können, da wir uns beide gut sind?® Weil eS — eine gar besondere Sache mit mir ist, sagte Rosine stockend. »Wie so, Rosine?® fragte Sylvester, indem er ihre Hand erschrocken fahren lieH. Du wirst mirs nicht glauben, wenn ich dirs sage. »Ich will dir alles glauben, liebe Rosine, rede nur!“ Ich bin nur zwei Tage vorher, eh' ich dich zum ersten Male sah, eine — rosenfarbne Ziege gewe­ sen. »Eine rosenfarbne Ziege? — Doch, wenns nichts weiter ist alö dieß, so haben wir einander nichts vvrzuwerfen, liebes Mädchen; denn um eben dieselbe Zeit war ich, mit Respekt, ein Esel.® Ein Esel? rief Rosine eben so erstaunt wie er; das ist sonderbar! Aber wie ging es zu, daß du es wurdest, und daß du nun wieder Mensch bist? »Mir erschien in einem Augenblicke, ha ich mir auS Verzweiflung das Leben nehmen wollte, ein

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wunderschöner Jüngling mit einer Lilie in der Hand, gab mir einen Stein, mit welchem ich mich bestrei­ chen sollte, und sagte mir, dieß würde mich glücklich machen. Ich bestrich mich mit dem Stein, und wurde zum Esel.*' Erstaunlich! sprach Rosine. Mir erschien, da ich mir eben vor Herz leid alle Haare aus dem Kopfe raufen wollte, eine wunderschöne Dame mit einer Rosenkrone auf der Stirne. Sie gab mir eine von diesen Rosen. Stecke sie vor den Busen, sagte sie, so wirst du glücklicher werden als du jemals gewesen bist. Ich gehorchte ihr, und wurde stracks in eine rosenfarbne Ziege verwandelt. »Wunderbar! Aber wie kam es, daß du wieder Rosine wurdest?" Ich irrte beinahe einen ganzen Tag in Waldern und Gebirgen herum, bis ich von ungefähr in diese Wildniß und an diese Hütte der beiden Alten kgm. Richt weit davon, am Fußsteige der nach der Quelle führt, erblickte ich einen großen Rosenbusch. Da wandelte mich eine unwiderstehliche Begierde an von diesen Rosen zu essen; und kaum hatte ich das erste Blatt hinab geschluckt, so war ich wie du mich hier stehest, aber nicht was ich zuvor gewesen war. Mit mir gings gerade eben so, erwiederte Syl­ vester. Ich fand eine Lilie dort im Walde; mich kam eine unwiderstehliche Begierde an sie zu verschlingen; und da ward ich was du siehest, und was ich vor-

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her nicht gewesen war. Es ist eine wunderbare Ähnlichkeit in unsrer Geschichte, liebe Rosine. Aber was warst du denn vorher ehe du in eine Ziege ver­ wandelt wurdest? »Die unglücklichste Person von der Welt. Ein Betrüger, der sich durch die feinste Verstellung in meine Gunst eingeschlichen hatte, fand, ich weiß nicht wie, ein Mittel, sich in mein Schlafzimmer zu schlei­ chen, und machte sich mit allen meinen Juwelen aus dem Staube." Immer wunderbarer, rief Sylvester. Ein andrer Betrüger spielte ungefähr die namlicheGeschichte mit mir. Er machte mir weiß, er besitze ein Geheimniß, mich zum reichsten Mann in der Welt zu machen; aber es war ein Mittel, mich um den Werth einiger Tonnen Goldes zu prellen und damit unsichtbar zu werden. Aber diesemnach müssen wir, wie es scheint, alle beide sehr vornehme Leute gewesen seyn? »Du magst mirs glauben oder nicht, aber ich war wirklich eine Königin." Destobesser, liebste Rosine! rief Sylvester, so kannst du mich ohne Bedenken heirathen; denn ich selbst war auch nichts geringers als ein König. »Seltsam genug, wenn es dein -Ernst ist! — Aber —« Wie, Rosine? schon wieder ein Aber, da ichs mir am wenigsten versehen hatte?

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»Du kannst -mich nicht heirathen, denn mein Ge­ mahl ist noch am Leben," Die Wahrheit zu sagen, ich fürchte, dieß ist auch bei mir der Fall. »Du liebtest also deine Gemahlin nicht?" Sie war eine ganz hübsche Frau, wiewohl bei weitem nicht so hübsch wie du. Aber, was willst du? ich war ein König, und in der That keiner von den besten. Ich liebte die Veränderung; meine Gemah­ lin war mir zu einförmig, zu zärtlich, zu tugend­ haft, und zu eifersüchtig. Du kannst dir nicht vor­ stellen, wie sehr sie mir mit allen diesen Eigenschaf­ ten zur Last war. »So warst du ja um kein Haar besser als der König, dessen Gemahlin ich war, als ich noch die Königin Mabillje hieß." Wie, Rosine? dein Gemahl war der König Mark von Kornwall? »Nicht anders." Und der schöne junge Ritter, der sich in dein Schlafzimmer schlich und dir deine Juwelen stahl, nannte sich Flor^bell von Nikomedien ? Himmel.' rief Rosine bestürzt, wie kannst du das alles wissen, wenn du nicht — Mein Mann selber bist? fiel ihr Sylvester ins Wort, indem er ihr zugleich um den Hals fiel. Da­ hin ich, liebste Rosine, oder Mabillje, wenn du dich lieber so nennen hörst; und wenn du mir als Syl-

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vester nur halb so gut seyn kannst wie ich dir als Rosine bin, so haben der Jüngling mit dem Lilienstängel und die Dame mit der Rosenkrone ihr Wort treulich gehalten. »O wie gern wollt' ich nicht- als Rosine für dich seyn! Aber, armer Sylvester! sprach sie weinend, indem sie sich aus seinen Armen wand, ich fürchte, ich bin deiner nicht mehr werth. Zwar mit meinem Willen geschah es nicht; aber der Bösewicht muß Zauberei gebraucht haben. Denn es überfiel mich ein übernatürlicher Schlaf, leider! gerade da ich aller meiner Kräfte am nöthigsten hatte um mich von ihm los zu machen; und was kann ich besorgen, als daß er sich — * Ueber diesen Punkt kannst du ruhig seyn, sagte Sylvester lachend; dein Bösewicht war ein verklei­ detes Mädchen, eine Tänzerin von Alexandrien, die sich mit dem Goldmacher Misfragmutosiriö heimlich verbunden hatte, uns in Gesellschaft zu bestehlen. Ein glücklicher Zufall brachte mich, da ich noch ein Esel war, in die Höhle, wohin sie sich mit ihrer Beute flüchteten, und ich hörte alles auS ihrem eige­ nen'Munde.

Wenn dieß ist, sprach Rosine, indem sie sich in seine Arme warf, so bin ich daS glücklichste Geschöpf, so lange du Sylvester bleibst —

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Und ich der glücklichste aller Männer, wenn du nie aufhörst Rosine -u seyn.

Seyd ihr das? hörten sie zwei bekannte Stimmen sagen; und als sie sich umsahen, wie erschracken sie, den Greis mit dem eisgrauen Bart und das gute alte Mütterchen vor sich zu sehen! Sylvester wollte eben eine Entschuldigung Vorbringen: aber bevor er noch zu Worte kom­ men konnte, verwandelte sich der Greis in den Jüngling mit dem Lilienstangel und das Müt­ terchen in die Dame mit der Rosenkrone. Ihr sehet, sprach der schöne Jüngling, diejenigen wieder, die es auf sich nahmen, euch glücklich zu machen, als ihr euch für die unglücklichsten gller Wesen hieltet, und ihr seht unS zum letz­ ten Male. Noch steht es in eurer Willkühr, ob ihr wieder werden wollt was ihr vor eurer Ver­ wandlung wäret, oder ob ihr Sylvester und Rosine bleiben wollt. Wählet!

Laßt uns bleiben waö wir sind, riefen sie auS Einem Munde, indem sie sich den himmlischen Wesen zu Füßen warfen; der Himmel bewahre unS, einen andern Wunsch zu haben!

log

Der Stein der Weise«.

So haben Wir unser Wort gehalten, sprach die Dame, und Ihr habt in dieser Wildniß den Stein der Weisen gefunden. Mit diesen Worten verschwanden die beiden Gei­ ster, und Silvester und Rosine eilten beim lieblichen Schein des Mondes Arm in Arm nach ihrer Hütte zurück.

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Salamandrin und die Bildsäule. Eine

Erzählung.

Alö Gegenstück der Vergehenden.

1757*

Es war an einem schwülen Sommertage, da die Sonne sich bereits zu neigen anfing, als ein plötz­ lich einbrechendes Ungewitter einen wandernden Fremd­ ling, dessen äußerliches Ansehen eher Dürftigkeit als Wohlstand ankündigte, in einer ziemlich wilden und ihm gänzlich unbekannten Gegend überfiel, und ihn nöthigte sich nach irgend einem Orte umzusehen, wo er Schirm gegen den daher brausenden Sturm finden könnte. Die natürliche Dunkelheit eine- fin­ stern Tannenwaldes, durch die Schwärze der Ge­ witterwolken, womit der ganze Horizont umzogen war, verdoppelt, hüllte ihn auf einmal in eine so grauenvolle Nacht ein, daß er ohne das blendende Licht der Blitze nicht zwanzig Schritte vor sich hätte sehen können. Glücklicher Weife entdeckte er bei die­ ser furchtbaren Art von Beleuchtung einen alten halb verfallnen Thurm, der auf einer kleinen An­ höhe auS wildem Buschwerk hervorragte, und ihm, wenn er ihn erreichen könnte, eine erwünschte Zu­ flucht anzubieten schien. Bei diesem Anblick fiel ein Strahl von Freude in die Seele deö Wanderers: eine Freude, die sich

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Die Sala mandrin

in Entzücken verwandelte, da ein neuer sehr Heller Strahl ihn wahrnehmen ließ, daß unter den zerfal­ lenen Zinnen dieses Thurms noch drei ganz unbe­ schädigt waren. Endlich, rief er, hab' ich gefunden, was ich schon so lange vergebens suche; denn es ist unmöglich, daß mich Kalasiris betrügen könnte. Ganz gewiß ist dieß der Thurm, wo ich das Ziel meiner Wünsche finden sott. Indem erblickte er einen schmalen Fußpfad, der sich durch das Gebüsche zu dem Thurm hinauf zu winden schien. Eine gute Vorbedeutung! dacht' er; und wirklich führte ihn dieser Pfad einen so kurzen Weg, daß er in wenigen Minuten bei dem Thurme anlangte, dem einzigen Ueberbleibsel eines dem An­ sehen nach uralten zerstörten Schlosses, dessen maje­ stätische Ruinen, mit Buschwerk und Farnkraut durchwachsen, in wilden seltsamen Gestalten umher lagen. Der Fremdling, dem der einfallende Platzregen keine Zeit ließ diese rauhen Schönheiten zu betrach­ ten, eilte was er konnte das Innere des Thurms zu gewinnen, dessen Eingang offen stand; und er befand sich nun in einer großen gewölbten Halle, die durch den Eingang und von oben herab durch eine schmale Oeffnung in der dicken Mauer nur gerade so viel Licht empfing, daß er eine Wendeltreppe gewahr werden konnte, die in den obern Theil des

Gebäudes führte. Ungeachtet des freudigen Ausgangs, den sich seine Seele weiffagte, überfiel ihn eine Art von Grauen, und das Herz klopfte ihm, wie einem der zwischen Furcht und Hoffnung der Entscheidung seines Schicksals entgegen geht, indem er, mit beiden Handen um sich toppend, die finstre Treppe hinauf stieg. Er fand, daß sie ohne Stufen sich in ziemlich sanfter Erhebung dreimal um den Thurm herum wand, bis sie ihn zu einem kleinen Dorsaal führte, der so schwach beleuchtet war, daß er nichts darin erkennen konnte, als eine steinerne Bank an der einen Seitenwand, und den schmalen Eingang in ein ande­ res Gemach, aus welchem das wenige Licht hervor­ brach, das in dem kleinen Saale dämmerte. Er blickte durch diesen Eingang hinein, und was er auf den ersten Blick entdeckte, gab seiner Erwartung auf einmal eine solche Gewißheit, daß er zurück bebte, und, um einen ruhigern Schlag seines Herzen- abzu­ warten, sich auf die mit Malten belegte Bank im Vorsaal niedcrsetzte. Er betrachtete seinen Aufzug, und schämte sich -um ersten Mal der armseligen Higur, die er darin machte. In der That sah er keiner Person gleich, die zum Eintritt in ein so prächtiges Gemach berechtigt war. Ein brauner Leib­ rock von grober Leinwand, der ihm bis an die Knö­ chel reichte, und ein sehr abgetragener, an den Enden zerrissener Mantel von blauem Tuche, mit einem ledernen Gürtel tun den Leib, machte seine ganze Wieland- W. 27. Bd. 8

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Die Salamandrin

Kleidung aus. Er trug eine Art von Halbstiefeln, denen man es nur zu sehr ansah, daß sie durch lange Dienste mitgenommen waren; und den Kopf hatte er in einer großen Mütze von braunem Luche stecken, die von seinem schwarzbraunen, runzligen und abge­ zehrten Gesichte nur so viel sehen ließ, als nöthig war, seinen Anblick widerlicher zu machen. Dieß alles, mit einem auf die Brust herab hangenden rothen Bart, machte ein Ganzes aus, das jeder­ mann beim ersten Anblick für — einen Bettler hal­ ten mußte, und war nicht sehr geschickt weder das Auge noch das Herz für ihn einzunehmen. Indessen, da er mit dieser nämlichen Figur schon über ein gan­ zes Jahr durch die Welt gekommen war, raffte er sich zusammen, und entschloß sich es darauf ankom­ men zu lasten, wie er in dem schimmernden Zimmer würde ausgenommen werden. Er ging hinein, und es dauchte ihn, er trete in das Schlafzimmer einer Göttin. Der Fußboden war mit einer Decke von goldnem Stoffe belegt; die Wände mit blaßgrünen atlaßnen Tapeten beschlagen, und ringsum mit Kränzen von vergoldetem Schnitz­ werk eingefaßt, woran große Ketten von frischen natürlichen Blumen herab hingen. Mit eben der­ gleichen waren auch die rosenfarbnen Vorhänge eines prächtigen -eltförmigen Ruhebettes aufgebundcn, wel­ ches nebst einigen an den Wänden aufgeschichteten Polstern von blaßgelbem Atlaß, mit Silber durch-

und dieBildsaule.

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Wirkt, alleGeräthschaft in diesem Zimmer ausmachte. Das Ganze empfing durch die bunt bemahlten Glas­ scheiben eines einzigen großen eirunden Fensters eine Art von gebrochnem Lichte, das die angenehmste Wirkung that, und diesen Ort zum unbelauschten Genuß eines geheimnißvollen Glückes zu bestimmen schien. So unerwartet alles dieß unserm Wanderer in dem halb verfallnen Thurm eines alten zertrümmer­ ten Schlosses war, so war ihm doch noch unerwar­ teter, daß er, anstatt dessen was er hier zu finden hoffte, einen jungen Menschen auf dem Ruhebette liegen sah, der bei seiner Annäherung sich aufrich­ tete, und einen finstern aber ruhigen Blick auf ihn warf, ohne das mindeste Zeichen von Furcht oder Verlegenheit über die plötzliche Erscheinung einer Gestalt von so schlimmer Vorbedeutung von sich zu geben. Der Jüngling war in einen abgenutzten Mantel von Scharlach gehüllt; seine Haare (die schönsten gelben Haare die man sehen konnte) hingen nachlaßig in langen natürlichen Locken um seine Schultern; seine Augen lagen tief im Kopfe, seine Gesichtsfarbe war blaß und kränklich, und über sein ganzes Wesen war ein Ausdruck von Schwermuth ausgegossen, der den Rest einer welkenden, aber noch immer seltnen, Schönheit etwas unwiderstehlich rührende- gab. Der Fremde fühlte sich beim ersten Blick so start

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zu dem liebenswürdigen Unbekannten hingezo^en und mit so viel Theilnehmung für ihn erfüllt, daß er verlegen war, Worte für das zu finden, was er ihm aus einmal hatte sagen mögen. Er fing an eine Ent­ schuldigung hervor zu stottern, die ihn der Jüngling nicht zu Ende bringen ließ. Da scheinst, sagte er, nach deinem Ansehen zu urtheilen, dem Glucke wenig schuldig zu seyn. Wenn du unglücklich bist, so bist du mein Bruder, und mir willkommen, wer du auch seyn magst. Ich bin ein Fremdling, antwortete der Wande­ rer; ein Ungewitter, das mich in diesem Walde über­ fiel, trieb mich hieher. Ich erblickte, indem ich nach einem Schirmort mich ruhig umsah, diesen Thurm; und das Wunderbarste ist, daß es gerade der war, den ich schon seit fünf bis sechs Monaten in diesem Lande suche. Bei diesen Worten richtete der schöne Jüngling sich noch mehr in die Höhe, um den Fremden mit verdoppelter Aufmerksamkeit zu betrachten. Wie abschreckend auch da- Aeußerliche desselben war, so glaubte er doch den Klang seiner Stimme im Inner­ sten seines Herzens wiederhallen zu hören; und bloß um dieses Klanges willen, der auf einmal die süße­ sten und schmerzlichsten Erinnerungen in ihm rege machte, fühlte er sein Herz gegen den Unbekannten aufgeben, der ihm, ohne das er sich sagen kennte warum, ganz etwas andres zu seyn schien, als feme

und die Bildsäule.

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Außenseite zu erkennen gab. Kurz, sie wurden in wenig Minuten so gute Freunde, alS ob sie sich schon eben so viele Jahre gekannt hatten. Der schöne Jüngling hieß den Alten neben sich auf das Ruhebette sitzen, und stand auf, um aus einem verborgenen Schrank "in der Mauer einige Früchte, etwas Brot und eine Flasche Cyprischen Wein zu holen. Diese Flasche, sprach er, steht schon einige Tage unerbrochen hier; ich kann sie nicht besser anwenden als dich damit zu erfrischen. Du scheinst dessen zu bedürfen, Freund; ich nabre mich seit mehr als einem Monat von blo­ ßem Brot und Wasser. Der Alte dankte ihm mit einem Blick der zärt­ lichsten Theilnehmung für seine Güte: und, um dir wenigstens meinen Willen, dankbar zu seyn, zu beweisen, sprach er, will ich damit anfangen, mich dir in meiner eigenen Gestalt zu zeigen. Mit diesen Worten lösete er eine unter seinem Bart verborgene Schnur auf, nahm seine Mütze und sein schwarz­ braunes runzliges Mumiengesicht mit dem langen rothen Barte, (welches nichts weiter als eine sehr künstlich gearbeitete Larve war,) ab, warf seinen Mantel von sich, und zeigte dem schönen Jüngling einen schwarzlockigen jungen Menschen von seinem Alter, der an Schönheit nur ihm allein weichen konnte; wiewohl er, so wie er selbst, von irgend einem geheimen Grame noch mehr als von ausgestandenen Mühseligkeiten gelitten zu haben schien.

ii8

Die Salamandrin

Der Unbekannte war bei den Worten — -»ich will mich dir in meiner eigenen Gestalt zeigen" — in eine Bewegung gerathen, die er nicht verbergen konnte: aber, wiewohl er sich einen Augenblick darauf in der seltsamen Hoffnung, die sie in ihm entzündet hatten, betrogen sah, so fand er doch etwas so besonderes und anziehendes in der Gesichtsbildung des schönen Fremden, daß er nicht satt werden konnte ihn anzu­ sehen. Endlich hielt er sich nicht langer ; er sprang auf, fiel ihm um den Hals, drückte ihn mit feuriger Warme an seine Brust, und überschwemmte seine Wangen mit einem Strome von Thränen. Der Fremde, wie gerührt er sich auch von einem so plötzlichen und sonderbaren Ausbruch von Zärtlich­ keit fühlte, konnte sich doch nicht enthalten, ein Er­ staunen darüber in seinem Gesichte zu zeigen, welches dem Jüngling vom Thurme nicht unbemerkt blieb. Du sollst alles erfahren, sprach dieser, indem er ihn von neuem umarmte; aber vorher schwöre mir, wenn du anders willst daß ich das Leben wieder lieb gewinne, schwöre mir daß du mich nie wieder ver­ lassen willst, und daß uns von nun an nichts alö der Tod trennen soll! — Ich schwöre dirs, antwortete der Fremde mit halb erstickter Stimme und thränen­ den Augen, ich schwöre dirs bei dem Leben derjeni­ gen, für die ich selbst athme, die ich so lange schon suche, und die ich hier zu finden hoffte. Hier in diesem Thurme? rief der andere mit einer

und die Bildsäule.

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sichtbaren Bewegung. — Doch, ich denke, das hast du mir schon gesagt. Es ist etwas geheimnißvolles in deinen Reden, in deinen -Gesichtszügen, und in unserm Zusammentreffen in diesem Thurme. Sage mir, ich beschwöre dich, wer du bist und wen du hier suchest; und ich will deine Offenherzigkeit erwie­ dern, und deinem Busen ein Geheimniß anvertrauen, das noch niemals aus dem meinigen gekommen ist, und woran das Schicksal meines Lebens hangt. Eine unfreiwillige Sympathie zieht mich zu dir, seitdem meine Augen den deinigen begegneten, ant­ wortete der Fremde; was könnte ich dir vorenthalten wollen, da ich alle Augenblicke bereit bin, dir die Starke der Zuneigung die du mir einflößest, mit Darsetzung meines Lebens zu beweisen? Aber mache dich auf eine seltsame Geschichte gefaßt! Sie kann schwerlich seltsamer seyn, erwiederte jener, als diejenige, die ich dir zu erzählen habe, wenn du erst so gefällig gewesen seyn wirst meine Ungeduld zu befriedigen. Wahrend diese beiden Jünglinge, zu sehr mit ein­ ander und mit sich selbst beschäftigt um auf etwas andres aufmerksam zu seyn, in diesem Gespräche begriffen waren, langten zwei bis an die Augen ein­ gehüllte Reiter an, welche der noch fortdauernde Sturm hier ebenfalls Schirm zu suchen nöthigte. Sie ließen einen Knecht bei ihren Pferden, und stie­ gen die Wendeltreppe hinauf. Aber bevor sie den

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D i e Sa la man drin

Dorsaal erreichten,

merkten sie,

daß sie hier nicht'

allein seyen, und daß tn dem daran stoßenden Zim­ mer ziemlich laut gesprochen werde. Bescheidenheit oder Vorwitz, oder was es sonst war, hielt sie ab, die Unbekannten in ihrer Unterredung zu stören. Sie setzten sich also, ohne von jenen bemerkt worden zu seyn, auf die steinerne Bank, nahe bei dem Eingang in das offne Zimmer, wickelten sich aufs neue in ihre Mantel ein, und horchten mit hingerecktem Ohre und zurück gehaltnem Athem, um, wo möglich, kein Wort von dem was gesprochen wurde zu vertieren. Der Ort wo ich geboren bin, fing der Fremde an, ist MemfiS in Aegypten, wo Kalasiris, mein Vater, Oberpriester und Statthalter des Kö­ nigs ist. WaS hör' ich? unterbrach ihn der Jüngling vom Thurme: Kalasiris dein Vater? und du sein Sohn Osmandiaö?

Wie? rief der Aegypter erstaunt, du kennest unS also? Dergieb mir, OSmandraS, versetzte der andere, ich werde dich nicht wieder unterbrechen. Du sollst

alles wissen — aber jetzt fahre fort! Die Namen Osmandias und Kalasiris setzten auch die beiden Vermummten im Dorsaal in eine so sonderbare Bewegung, daß ihre Gegenwart da­ durch hatte verrathen werden müssen, wenn die bei­ den Jünglinge nicht im nämlichen Augenblick unfähig

und die Bildsäule.

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gewesen waren ju hören was außer ihnen vorging. Sie faßten sich aber bald wieder, winkten einander zu, ruhig zu seyn, und rückten noch ein wenig naher, um mit allen ihren Ohren aufzuhorchen. t Da du mit Aegypten nicht unbekannt zu seyn scheinst, fuhr der Fremde fort, so war' eS überflüs­ sig, dir zu sagen, wie die Söhne unsrer Oberprie­ ster erzogen werden. Als ich das sechzehnte Jahr zurück gelegt hatte, schickte mein Vaters um meine Erziehung zu vollenden, mich unter der Aufsicht eines alten Priesters nach Griechenland, um in den Kabirischen, Orfischen und Eleusinischen Mysterien einge­ weiht zu werden, und dadurch meine zu Memsis und Sais erlangte Einsicht in die Geheimnisse der Ur­ welt, welche seiner Meinung nach alle Wissenschaften der spätern Zeiten weit hinter sich lassen, vollständig zu machen. Ich brachte über zwei Jahre mit diesen Meisen zu, und kehrte, nachdem ich in Samothraze, in Kreta, zu Lemnos, zu Eleusis und andrer Orten alles erfahren hatte was mir die Mystagogen sagen konnten, mit der Ueberzeugung nach Hause, daß ich von altem, was ich zu wissen am begierigsten war, gerade so viel wußte als zuvor. Bei meiner Iurückkunft wurde ich von meinem Vater sehr gütig empfangen; und da er fand, daß der Zweck meiner Reisen nicht verfehlt war, so machte er sich, (vermuthlich um mich vor dem Eigendünkel

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Die Salamandrin

junger Leute, die viel zu wissen glauben, zu ver^ wahren,) ein eigenes Geschäft daraus, mich von dem wenigen Werth aller meiner erworbenen Kenntnisse zu überzeugen. — »Was, sagte er mir, kannst du nun mit allen diesen vorgeblichen Geheimnissen wir­ ken? Der wahre Weise ist nicht der, der schwa­ tzen kann was wenige wissen und niemand zu wissen verlangt noch braucht, sondern der Mann, der ein vollkommneres Leben als die gemeinen Menschen, der die Kräfte der Natur zu seinen eigenen zu machen weiß, und der durch sie Dinge thun kann, die in den Augen der Unwissenden Zauberei und Wunder­ werke sind. Die wahren Mysterien, zu welchen dich nur langwieriger Fleiß und unermüdetes Forschen vorbereiten kann, sind der Treue und Weisheit einer kleinen Anzahl von Günstlingen des Schicksals anvertraut; und selbst diese Geheimnisse sind nur schwache Ueberreste dessen, was die Menschen ehemals wuß­ ten und konnten, ehe die letzte Katastrofe unsers Planeten dieser edlern Menschengattung ein Ende machte. Du selbst wirst davon Proben sehen, die dich in Erstaunen setzen werden, — und die doch nur ein geringer Theil dessen sind, was der Mensch her­ vorzubringen vermag, der im wirklichen Besitz aller seiner Kräfte ist." »Durch dergleichen Reden suchte Kalasiriö, wie ich glaube, meine Wißbegierde zu entflammen, rind mich zu einem Fleiße anzuspornen, ohne welchen ich

und die Bildsäule.

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(wie er sagte) keine Empfänglichkeit für die Geheim­ nisse haben könnte, die allein diesen Namen verdien­ ten. Aber das Schicksal scheint mich nicht zum Er­ ben seiner Weisheit bestimmt zu haben. Eine Leiden­ schaft, die er mit aller seiner Filosofie nicht verhin­ dern konnte, (die seltsamste und unsinnigste, trenn du willst, die vielleicht jemals die Einbildung eines Sterblichen überwältigt hat,) bemächtigte sich meines ganzen Wesens, und vernichtete alle Plane meines vorigen Lebens, alle Bestrebungen mich des Unter­ richts von Kalasiris würdig zu machen, indem sie mich — an die Füße einer Bildsäule anheftete.* Einer Bildsäule? rief der Jüngling vom Thurme lächelnd und erstaunt. »Höre mich an, sagte O s m a n d y a s, und ent­ schuldige oder verdamme mich alsdann, wie dein Herz dirs eingeben wird. D:nn von Sachen des Herzens kann nur das Herz urtheilen. Seit meiner Iurückkunft nach Memfis hatte mir Kalasiris den freien Zutritt in sein Zimmer verstattet, welches ich zuvor nie anders, als wenn er mich rufen ließ, betre­ ten durfte. An dieses Zimmer stieß ein Kabinet, das niemand in seinem Hause um irgend einen Preis zu öffnen sich unterstanden hätte, wiewohl es gewöhn­ lich unverschlossen war; denn man machte sich ernt sehr fürchterliche Vorstellung von diesem Kabinette. Man war fest überzeugt, daß die Thür von einem Geiste bewacht werde, welcher außer dem Oberprie-

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D ie Sala m an dri n

ster jeden andern, der sich erkühnen wollte sie zu öff­ nen, auf der Stelle todten würde. Auf mich hatte ein bloßes Verbot meines Vaters starker gewirkt als die Furcht vor diesem Geiste; denn ich war von Kind­ heit an gewohnt, alle seine Befehle oder Verbote als unverletzbare Gesetze anzusehen. Aber da er mir über diesen Punkt gar nichts gesagt hatte, so über­ wog endlich der Vorwitz, was in diesem geheimniß­ vollen Kabinette zu sehen seyn möchte, jede andere Betrachtung; und ich benutzte dazu die erste Stunde, wo ich gewiß war nicht von ihm überfallen zu werden. »Ich gestehe, daß ich an allen Gliedern zitterte, als ich den Riegel zurück zog. Aber der furchtbare Geist war so gefällig mich einzulaffen; und, sobald ich mich wieder gefaßt hatte, war das erste, was mir unter einer Menge sonderbarer Sachen in die Augen fiel, ein alter Mann in priesterlicherKleidung, dessen majestätisches Ansehen und sanft ern­ ster Blick mich so sehr überraschte, daß ich im Be­ griff war mich zu seinen Füßen niederzuwerfen, wenn seine Unbeweglichkeit, die mir nicht ganz natürlich vorkam, mich nicht zurück gehalten hätte. Sollte es, dachte ich, eine bloße Bildsäule seyn? Ich hatte aller meiner Herzhaftigkeit nöthig, um mich von der Wahrheit dieser Vermuthung zu überzeugen; aber es blieb mir unbegreiflich, wie die Kunst ein so vollkommenes Werk zu bilden, einer todten Mass-'

und die Bildsäule.

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diesen Schein von athmenden Leben und diesen Ausdruck eines inwohnenden Geistes zu geben ver­ mocht hatte. »Ich war noch mit dieser Betrachtung beschäftigt, als mir in einer andern Ecke des Kabinets ein wun­ derschönes junges Mädchen in die Augen fiel, das auf einem Ruhebettchen sitzend mit einer Taube spielte, die etwas aus ihrer schönen Hand zu picken schien. Sie war in eine lange Tunika von feinem Bisius mit goldenen Streifen gekleidet, die oben auf den Schultern mit einem Knopfe befestigt und dicht unter dem leicht bedeckten Busen mit einem goldenen Bande umschlungen war; Arme und Schultern wa­ ren bloß, und das leichte Gewand, wiewohl es sie nach morgenländischer Weise sehr anständig bekleidete, bezeichnete doch auf die ungezwungenste und reitzendste Art alle schönen Formen ihres mit vollkommenstem Ebenmaß gebauten Körpers. Ich erstaunte, eine so reizende Person in dem geheimen Kabinette des Kalasiris zu finden, den seine Weisheit, sein Alter und seine Würde über allen Verdacht von dieser Seitweit erhob; und wiewohl ich so eben gesehen hatte, wie weit es die Kunst im Nachahmen der Natur bringen kann, so täuschte mich doch der erste Anblick -um zweiten Male, und der Gedanke, daß auch die­ ses liebenswürdige Mädchen eine bloße Bildsäule sey, kam mir nicht eher, bis mich ihre gänzliche Unbe­ weglichkeit davon überzeugte^

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Die Salamandern

»Ich bin unvermögend dir zu beschreiben was in diesen Augenblicken in mir vorging; man müßte selbst durch meinen damaligen Zustand gegangen seyn, um etwas davon zu begreifen. Ich konnte nicht zweifeln, daß es ein bloßes lebloses Bild sey; und doch bestand mein Herz hartnäckig darauf, es lebe und athme und höre was ich ihm sage. Meine Fantasie half die Täuschung unterhalten; und diese Täuschung war so stark, daß ich eine halbe Stunde auf den Knieen vor ihr lag, und ihr alles sagte was der zärtlichste und ehrerbietigste Liebhaber der Gelieb­ ten seines Herzens sagen kann, ohne daß ich gewagt hätte sie anzurühren, um mich zu überzeugen, daß sie nichts als eine Maffe ohne Leben sey. Unfehlbar, dachte ich, ist sie bloß bezaubert; sie lebt, wiewohl sie nicht athmet; sie hört mich, wiewohl sie mir nicht antworten kann; ganz gewiß wird sie gegen die un­ begrenzte Liebe, womit sie auch mich bezaubert hat, nicht immer unempsindlich bleiben; ich werde sie durch die Beständigkeit meiner Leidenschaft rühren, und vielleicht ist es mir aufbehalten, den Zauber, der ihre Sinne gebunden hält, aufzulösen, und zur Belohnung in ihren Armen der glücklichste aller Sterblichen zu seyn.^ »Ich begreife, daß dir eine solche Leidenschaft unsinnig vorkommen muß, und ich habe nichts zu ihrer Rechtfertigung zu sagen, als daß ich (wie es damit auch zugegangen seyn mag) von dem Augen-

und die Bildsäule.

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blick an, da ich dieses himmlischen Mädchens ansich­ tig wurde, meiner selbst nicht mehr mächtig war. Ich war es so wenig, daß ich endlich ihre nicht wi­ derstehende, aber leider! auch nicht fühlende Hand ergriff, und sie mit eben so schüchterner und eben so inniger Inbrunst an meinen Mund drückte, als ob sie lebendig gewesen wäre. „In dem nämlichen Augenblick trat mein Vater in das Kabinet, und überraschte mich, auf meinen Knieen vor dem leblosen Mädchen liegend, und mein Gesicht über eine ihrer Hände gebückt. Ich fuhr über seinen Anblick zusammen, und erwartete hart von ihm angelaffen zu werden: aber ich irrte mich glück­ licher Weise; seine Miene hatte nichts strenges. Du bist, wie ich sebe, bei den Griechen ein großer Be­ wunderer der Kunst geworden, Osm^ndyaS? sagte er lächelnd. — Ich habe in meinem Leben nichts so liebenswürdiges gesehen, antwortete ich errathend. — Liebenswürdig? versetzte Kalasiris, indem er mir mit Aufmerksamkeit in die Augen sah. — So vollkommnes wollt' ich sagen, mein Vater. — Das kann seyn, erwiederte er; es ist das Werk eines gro­ ßen Meisters. — Und hiemit brach er die Unterre­ dung ab. Wie gern ich auch eine Menge Fragen an ihn gethan batte, so wagte ichs doch nicht eine ein­ zige laut werden zu laffen; so groß war die Ehr­ furcht, an die ich von Kindheit an gegen ihn gewöhnt

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Die Salamandrin

war. Es war mir nie ertaubt gewesen, durch Fra­ gen mehr über eine Sache von ihm erfahren zu wollen, als er mir von freien Stücken zu sagen für gut befand.

»Ich entfernte mich ans dem Kabinet, aber mein Herz blieb bei der schönen Bildsäule zurück, der es einen ganz andern Namen gab. Ich bestärkte mich immer mehr in dem Wahne, daß es eine wirtliche Person in einem sonderbaren Zustande von Bezau­ berung sey. Dieser Wahn schmeichelte meiner Leiden­ schaft, und erhöhte sie in wenigen Tagen auf einen solchen Grad, daß ich an nichts andres dachte, und, weil ich sonst nichts, das sich auf sie bezog, thun konnte, im eigentlichsten Verstände gar nichts that.

»Mein Vater unterließ einige Wochen lang dieser Sache nur mit einem Worte zu erwähnen. Er schien sogar nicht zu bemerken, daß ich allen meinen gewohn­ ten Arbeiten und Ergötzungen entsagte, und unver­ merkt in eine Art von Schwermuth verfiel, die mich die einsamsten Orte suchen und allen Umgang mit Menschen fliehen machte. Indessen däuchte es mir sein Werk zu seyn, (wiewohl keine besondere Veränsialtung von seiner Seite dabei in die Augen fiel,) daß ich in dieser ganzen Zeit keine Gelegenheit fand in sein Kabinet zu kommen. Die Folgen davon wur­ den endlich so sichtbar, daß ^le seiner Aufmerksamkeit nicht entgehen konnten: ich wurde niedergeschlagen und

und die Bildsäule.

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traurig, verlor Eß tu st und Schlaf, bekam Ringe um die Augrn, und veränderte mich/mit Einem Worte, so sehr, daß ich mir selbst unkenntlich wurde. Ka­ la siris allein schien es nicht gewahr zu werden: aber auf einmal erhielt ich wieder Gelegenheit, ganze Stunden unbeobachtet in seinem Kabinette zuzu­ bringen. »Die Entzückung, mit welcher ich das erste Mat, da mir dieses Glück wieder zu Theil wurde, dem geliebten Mädchen zu Füßen fiel, wie ich ihre Kniee umarmte, was ich ihr sagte, und wie glücklich ich war, kannst du dir nur vorstellen, wenn du jemals wahrhaftig geliebt hast." O gewiß kann ichs, rief der Jüngling vom Thurme mit einem tiefen Seufzer. » Dieses erste Wiedersehn wirkte so stark auf mein Gemüth und auf meine Gesundheit, daß ich auf ein­ mal wieder ein ganz anderer Mensch zu seyn schei­ nen mußte. Kalasiris bemerkte immer nichts; aber ich fand acht bis zehn Tage lang täglich eine Stunde, die ich zu den Füßen niemes bis zum Wahn­ sinn geliebten Bildes zubringen konnte. Es gab Aur genblicke, wo meine Bcthörung so weit ging,.daß ich mir einbildete sie von meinen Thränen gerührt zu sehen, und als ob ihre Lippen sich bewegen wollten mir etwas gütiges zu sagen. Meine Ueberredung, daß sie kein lebloses Bild sondern nur bezaubert sey, bekam, wie natürlich, neue Stärke dadurch; und Wielands W. 27. 9

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ich konnte mich endlich nicht länger zurückhatten, diese Hypothese meinem Vater als eine Sache vorzurragen, die mir keinem Zweifel unterworfen zu seyn scheine. »Kalasiris Höne mich ruhig an; aber als ich fertig war, warf er einen ernsten Blick auf mich und sagte: Allerdings ist hier jemand bezaubert, wie ich sehe; und dieß ist sonst niemand als du selbst. Eist hohe Zeit, Osmandyas, einem so lächerlichen Spiel ein Ende zu machen; oder, wohin glaubst du, daß dich deine Liebe für eine Bildsäule endlich füh­ ren werde? » Co hart mir diese auf einmal angenommene Strenge meines Vaters auffiel, so war ich doch froh, daß er mir selbst Gelegenheit gab, ihm den Zustand meines Herzens zu entdecken. Die Stärke meiner Leidenschaft durchbrach jetzt auf einmal den Damm, in welchen die Ehrfurcht vor ihm sie bisher einge­ zwängt hatte; ich warf mich zu seinen Füßen, bat ihn um Mitleiden, und erklärte ihm zugleich in den stärksten Ausdrücken, daß diese Liebe, wie unsinnig sie auch immer scheinen möge, das Glück oder Un­ glück meines Lebens entscheiden werde. »Die Leidenschaft pflegt in solchen Fallen wortreich zu seyn; gleichwohl hörte mich Kalasiris mit gro­ ßer Geduld an, ohne von dem Feuer, womit ich sprach, beleidiget zu scheinen. Aber er sagte mir dem unge­ achtet alles, was ein so weiser Mann nur immer aufbringen konnte, um einen einzigen geliebten Sohn

und die Bild sä ul

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von einer in seinen (und ohne Iweifel in eines jeden andern) Augen so widersinnigen Verirrung des Ver­ standes und Herzens zurück zu bringen. Er brachte mich endlich zum Stillschweigen, aber ohne mich überzeugt zu haben; und entließ mich auf eine gütige Art, je­ doch mit einigem Ausdruck von Mißvergnügen, daß ich unr (wie er sagte) so wenig Mühe gäbe, meiner Vernunft den Sieg über eine unwürdige und aben­ teuerliche Schwachbeit zu verschaffen'. » Von dieser Zeit an verflossen mehrere Wochen, ohne daß es dieser Sache halber wieder -wischen uns zur Sprache kam. Die Gelegenheiten, den Gegenstand meiner Leidenschaft zu sehen', wurden seltner, und Ka­ la siris machte dagegen täglich andere entstehen, wodurch er meine Sinne zu zerstreuen und meiner Fantasie eine andere Richtung zu geben hoffte^ Bald warerr eS Auftrage oder kleine Verschickungen, bald Lustfahrten auf dem Nil, bald andere meinem Alter angemessene Vergnügungen. Aber alle diese vermein­ ten Heilmittel bewirkten gerade das Gegentheil. Wo mein Leib auch immer seyn mochte, meine Seele war Lei dem was ich liebte; und ich ertrug den Verdruß, mich oft viele Tage lang davon getrennt zu sehen, bloß darum mit einiger Gelassenheit, »teil eine ein­ zige Viertelstunde, die ich wieder im Anschauen mei­ ner lieben Bildsäule zu brachte, mir alles vergütete, und ein Glück war, das ich mit noch viel größerrr Leiden willig erkauft haben würde.

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»E- schien, als ob Kalasiri- ein besondereAugenmerk darauf habe, keine Gelegenheit zu verab­ säumen, wo ich die schönsten jungen Personen in Memfis zu sehen bekommen könnte. Das Fest der IsiS kam ihm dazu ganz erwünscht. Eine feierliche Prozession führte alle junge Mädchen aus Memfiund der umliegenden Gegend, unverschleiert und in ihrem schönsten Putze, vor meinen Augen vorbei. Ich sah einige, die als außerordentliche Schönheiten gerühmt wurden) wiewohl ich sie unter den übrigen entweder übersehen oder nichts besonderes an ihnen gefunden hatte. Mein Vater ergriff diese Gelegen­ heit. Er fragte mich in einem scherzenden Tone, der mir an ihm ungewöhnlich war: ob ich unter dieser Menge von schönen Personen keine gesehen hätte, die mir das Original meiner Bildsäule zu seyn schiene? — Keine, (antwortete ich in eben dem Tone,) die mir schön genug vorgekommen wäre ihre Aufwärterin zu seyn. — Das thut mir leid, versetzte Kalasirietwas ernsthafter; denn du hast unter diesen Jung­ frauen diejenige gesehen, die ich dir zur Gemalin bestimmt habe. — Mir, mein Vater? rief ich, be­ stürzt über einen Antrag, auf den ich gar nicht vor­ bereitet war. — Sie ist die liebenswürdigste unter allen, (fuhr er fort) und, wenn meine Augen mich nicht sehr betrügen, auch die schönste; wenigstens ge­ wiß schöner als diese Dame von emaillirtem Thon, jtin d.er du einen so sonderbaren Geschmack findest. —

und die Bildsäule.

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DaS ist unmöglich, rief ich. — Wenn es auch wäre, sagte Kalasiris, so ist Schönheit nicht das, was die Wahl einer Gattin bei einem verständigen Menschen entscheidet. Aber da du selbst nicht im Stande bist eine vernünftige Wahl zu treffen, fuhr er mit großem Ernste fort, so habe ich für dich ge­ wählt. Ich bin meiner Sinne mächtig, ich weiß was flch für dich und mich schickt, und du kannst keine Einwendung gegen meine Wahl zu machen haben. »Diese Rede stürzte mich wie ein Blitz zu meines Daters Füßen. — Wenn du dir vorstellest, daß ich meine Bildsäule über alles liebte, daß meine Leiden­ schaft, ihrer Ungereimtheit ungeachtet, alle Eigen­ schaften der wahrsten, zärtlichsten und entschiedensten Liebe hatte, die jemals eines Menschen Brust ent­ flammte: so kannst du auch leicht ermessen, waS ich sagte und that, um das Herz meines Vaters zu rüh­ ren, und ihn von dem Vorhaben, das er mir mit tincr so auffallenden Härte angekündigt hatte, zurück -u bringen. — Er hörte mich lange an, und da ev mich zu heftig bewegt sah, um durch Vernunftgründe etwas auszurichten, stand er auf, und ließ mich allein, mit dem Bedeuten: mich zu fassen, damit ich ihm, wenn er wieder käme, mein letztes Wort über diese Sache sagen könnte. * Kaum hatte er das Kabinet verlassen, so warf ich mich meiner geliebten Bildsäule zu Füßen, und schwor ihr, in einer Begeisterung, die ich noch nie

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in diesem Grade gefühlt hatte, ewige Treue, und wenn auch das Unglück meines Lebens oder ein grau­ samer Tod die Folge davon seyn sollte. Zum ersten Mal überwältigte in diesem Augenblick die Heftigkeit mein er Empfindungen die zärtlich ehrerbietige Zu­ rückhaltung, die mir bisher nie etwas mehr erlaubt hätte, als ihre Füße zu umfassen, oder meinen Mund auf ihre Hand zu drücken. Ich umarmte sie mit der feurigsten Inbrunst, ich drückte mein Herz an ihren unelastischen Busen, ich überdeckte ihr holdseliges Gesicht mit Thränen und Küssen, und mein Wahn­ sinn ging so weit, daß ich mir auf einen Augenblick einbildete, sie erwärme unter meinen Umarmungen. »Die Täuschung konnte nicht lange dauern, und es war ein Glück für meinen Kopf, daß ich sie so bald gewahr wurde. Aber wie unzufrieden auch mein Herz darüber war, so veränderte es dpch nichts an meiner schwärmerischen Liebe, und als Katasiris zu­ rück kam, fand er mich entschloßner als jemals, ihr alles, wenn es seyn müßte, aufzuopfern. Mit dieser Entschließung in meinem Blick und Tone ging ich ihm entgegen. Mein Vater, sprach ich, ich bin über­ zeugt, daß etwas außerordentliches in dieser Bild­ säule, und in den Gesinnungen, die sie mir einflößt, ist. Sie ist entweder durch Zauberei in diesen Zu­ stand versetzt worden; oder sollte sie ja nichts als eine todte Masse seyn, so lebt ganz gewiß eine Per­ son, die das Urbild dieses bis zur Täuschung der

iinb die Bildsäule.

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Sinne und der Vernunft vollkommnen Nachbildes ist. 2" beiden Fällen hängt das Schicksal meines Lebens von dieser Tcrfon ab; sie wird bis zum letz­ ten Athemzug der Gegenstand meiner feurigsten Liebe bleiben, und es ist vergebens das Unmögliche von mir zu fordern. Ich kann nur mit meinem Leben aufhören sie zu lieben, und wer das Verlangen sie zu besitzen aus meiner Seele verbannen will, muß mir zuvor dieß Herz aus meinem Busen reißen. Laß mich, mein Vater, deiner Güte das Glück des Le­ bens, das du mir gabst, zu danken haben! Ich bin gewiß, das Geheimniß dieser wundervollen Bild­ säule, die, eben so wie jener ehrwürdige Greis, zu leben und zu athmen scheint, ist kein Geheimniß für dich. Ich kann diesen Zustand der Ungewißheit und des Schmachtens nicht länger ertragen! Du, mein Vater, ich bin es gewiß, kannst ihm ein Ende inachen. Sage mir, ich beschwöre dich bei den ehr­ würdigen Geistern unsrer Vorältern, was ich thun muß, um meiner Liebe zu genießen, oder sage mir, daß es unmöglich ist, und gieb mir den Tod! »Ist dieß dein letztes Wort, mein Sohn? sagte mein Vater mit einem furchtbar ruhigen Ernst in seinem Blicke. — Mein letztes, antwortete ich unerschrocken und mit fester Stimme. — So komm morgen mit Anbruch der Sonne wieder hirher, und vernimm, was ich dir sagen werde, sprach er mit

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einem Blick, worin ich mehr Theilnehmung als Strenge zu fühlen glaubte, und winkte mir mich zu entfernen. » Ich verließ ihn mit Ehrerbietung, aber in einem Eemüthszustande, den ich dir nicht zu schildern ver­ suchen will. Die Erwartung verschlang alle meine Gedanken, und jede Minute, bis die Sonne unterund bis sie wieder aufgegangen war, schien mich an einer ausdehnenden Folter langsam aufzuschrauben. »Kaum fing der Himmel an zu dämmern, so fand ich mich schon in dem Vorzimmer meines Va­ ters ein; aber ich mußte noch eine äonenlange Stunde warten. Ich zahlte meine Pulsschlage, indem ich dabei unverwandt nach dem Punkte des Himmels sah, wo die Entscheidung meines Schicksals im An­ bruch war. Endlich ging die Sonne auf, die Thür meines Vaters öffnete sich, ich trat hinein, und fand ihn vor dem majestätischen Alten stehend, in einer Stellung, als ob er in einer geheimen Unterredung mit ihm begriffen fei;. Weil er mir den Rücken zu­ kehrte und nicht auf mich Acht zu geben schien, so bediente ich mich dessen, um mich meiner geliebten Bildsäule zu nähern. Sie schien mich gütiger als jemals anzublicken, und da ich meine Lippen auf ihre Hand drückte, fühlte ich ganz deutlich einen sanften Gegendruck. »In diesem Augenblicke wandte sich mein Vater gegen mich. Du willst es so, mein Sohn! (sprach

und die Bildsäule.

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er ruhig und in einem Töne, der mir Gute- vorzu­ bedeuten schien,) wir- muffen uns trennen. Eine so wunderbare Liebe wie die deinige muß jede Probe ausbalten können, oder sie würde nur Jauberwert und Täuschung seyn. Hier, OsmandyaS, lege diese Kleider an, und verbirg dein Gesicht in dieser Larve! Beide werden dir das Ansehen eines dürftigen Grei­ ses gebens dem niemand nachstellen und ber im Roth­ fall überall Mitleiden finden wird. Hier ist dein Wanderstab, und hier ein Beutel, worin so viel Drachmen sind als du Tage deiner Wanderschaft zah­ len wirst. Geh, mein Sohn, und der GeniuS deiner Liebe geleite dich! Wandre so lange nordwestwärts, bis du nach Gallien kommst; und wenn du die Gränze von Armorrka erreicht haben wirst, so suche darin einen alten Thurm, an welchem nur noch drei Annen unbeschädigt sind. Dort wirst du das Ende deiner Wanderschaft und daS Ziel deiner Wünsche

finden." Indem der junge Aegypter diese Worte sprach, schien der Jüngling vom Thurm auf einmal in ein tiefes Nachdenken zu fallen, und OsmandyaS hielt ein. Aber jener bemerkte eS in wenig Augenblicken, erheiterte sich plötzlich wieder, und bat ihn seine Er­ zählung zu vollenden. »Kalasiris half mich ankleiden, und band mir mit eigner Hand die Larve um, die so künstlich ge­ macht war und sich so genau an mein Gesicht an-

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schmiegte, daß sie bei jedermann für das meinige gelten konnte, zumal da ficb niemand versucht führte mir lange und scharf ins Gesicht zu schauen. — Ich sehe Fragen auf deiner Zunge schweben, mein Sohn, sagte Kalasiris, indem er mich so ausrüsteter aber frage mich nichts, und unterwirf dich deinem Schicksal. Verlaß dich nie selbst, so wird dich auch dein Genius nicht verlassen. Mein Her- weissagt mir Gutes. Lebe wohl, Osmandyas, wir werden uns wieder sehen! » Bei diesen Worten umarmte er mich mit voller Liebe, küßte mich auf die Stirne, und hieß mich mit diesem Schritte meine Wanderschaft antreten. »Es sind nun zehn Monden, seit ich Memfis ver­ ließ. Die Beschwerden meiner langen Pilgrimschaft würden mich vielleicht mehr als Einmal zu Boden gedrückt, oder den Gedanken zurückzukehren in mir hervorgebracht haben, wenn ich mit der Hoffnung ausgegangen wäre, eine Krone zu finden. Aber was ich suchte, konnte nach der Schatzung meines Herzens um keinen Preis zu theuer erkauft werden. Ich sollte die Belohnung meiner Beharrlichkeit in den Armen meiner geliebten Bildsäule finden! Ich hatte daWort eines Mannes dafür, dessen Worte mir immer Göttersprüche gewesen waren; und ich hielt mich des glücklichen Erfolges gewiß, wiewohl nur die Mittel dunkel amd unbegreiflich waren. Diesen Morgen hatte ich meine letzte Drachme auögegeben, und der

und die Bildsäule.

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Thurm, den ich suchte, entzog sich noch immer mei­ nen Augen. Unverhofft mußte ich ihn mit Hülfe eines Sturmes finden, und in ihm einen Freund, den ick nicht suchte: aber ach.' das Ziel meiner Wünsche —e Ist dir vielleicht naher alS du gtautst, fiel ihm der Jüngling vom Thurm ins Wort. Wenigstens hast du Ursache so zu denken, da die übrigen Um­ stände mit deines ehrwürdigen Vaters Dorhersagung so genau zugetroffcn haben. Wollte der Himmel, ich hatte nicht mehr Ursache zur Verzweiflung als du! Du selbst, Osmandyas, in den neu belebten Armen deiner wieder liebenden Bildsäule würdest nicht glück­ licher seyn, als ich war, als ich noch wäre und immer hätte seyn können, wenn ich nicht auö eige­ ner Schuld, — denn wozu hals' es mir, das Schick­ sal anzuklagen? — durch den unwiederbringlichen Verlust dessen, was ich einzig liebe, der elendeste aller Menschen geworden wäre.' Der Jüngling vom Thurm, indem er dieß mit halb erstickter Stimme sagte, sank mit dem Gesichte auf ein Polster, das neben ihm gegen die Mauer angelehnt war, um eine Flur von Thränen zu ver­ bergen, deren eindringende Gewalt er nicht zurück zu halten vermochte. Osmandy.as wurde von dem Schmerz seines jungen Freunde- so gerührt, daß er seines eigenen darüber vergaß. Er näherte sich ihm, nahm seine herab hängende Hand, drückte

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Die Salamandern

sie mit theitnehmender Warme, und blieb so eine gute Weile stillschweigend neben ihm stehen. Der schöne Jüngling blieb nicht lange unempfind­ lich gegen das Mitgefühl seines neuen Freundes; er schien sich seiner übermäßigen Weichheit zu schämen, und raffte sich zusammen, um etwas mehr Gewalt über seine Leidenschaft zu zeigen. Endlich, als Osmandyas ihn wieder ruhiger sah, sprach er: ES ist zuweilen wohlthätig für ein gepreßtes Herz, sich in den Busen eines Freundes erleichtern zu können. Glaubst du, daß dieß Mittel dir gegenwärtig zuträg­ lich seyn könne, so entdecke mir, wenn meine Bitte nicht unbescheiden ist, die Ursache des Kummers, wo­ von ich dich verzehrt sehe. Vielleicht ist dein Austand nicht so verzweifelt, als eine von Schmerz und Gram verdüsterte Fantasie ihn darstellt. Vielleicht sieht daö ruhigere Auge der Freundschaft einen Ausweg, wo du selbst keinen sehen kannst. Höre meine Geschichte, antwortete ihm der Jüng­ ling, und urtheile dann, ob ich noch etwas hoffen kann. Ich habe sie dir versprochen, ich bin sie dei­ ner Offenherzigkeit schuldig; auch ist et, selbst für den, der das Glück seines Herzens auf ewig verlo­ ren hat, noch immer Wonne, mit einem mitfühlenden Wesen von seiner ehemaligen Glückseligkeit zn reden. Die Natur hat mich mit einem weichen Herzen begabt, und mit einem Hang/ lieber in eine»

und die Bildsäule.

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Welt von schönen Ideen alS in dem Gedränge der gewöhnlichen Menschen, und in dem unreinen Dunstkreis ihrer so widerlich zusammen gahrenden Leidenschaften -u leben. Meine Erziehung nährte diesen Hang, wiewohl ich von edler Herkunft bin; denn ich wuchs in einer sehr einsamen Lebensart auf; und so erzeugte sich, unter andern Folgen derselben, 'als ich die Jahre der Mannbarkeit erreichte, eine seltsame Abneigung gegen die Weiber und Töchter der Menschen, die ich zu sehen Gelegenheit hatte; desto seltsamer, weil schwerlich jemals ein Sterbli­ cher mit einem zärtlichern Gefühl für das Schöne, und mit mehr Empfänglichkeit für die reinste und erhabenste Art zu lieben auf die Welt gekommen ist als ick. In einer solchen Gemüthsstimmung fielen mir aus einer Sammlung von seltnen Handschriften, welche mein Vater, (der das Haupt der Druiden dieses Landes ist,) zusammen gebracht hatte, einige in die Hande, woraus ich die Einwohner der reinen Elemente kennen lernte: eine Art von Mittelwesen zwischen Geistern und Menschen, die, sobald ich durch diese Schriften mit ihnen bekannt wurde, einen ganz andern Reiz für mich halten, als die aus gröberm Thon gebildeten rohen Einwohner von Armorika. Urtheile selbst, ob das, was ich audiesen Quellen von der hohen Schönheit und Dollkommenheit der elementarischen Nymfen

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Die Salamandrin

erfuhr, geschickt war, meine Abneigung gegen die Töchter meines Landes zu vermindern; und ob, nach­ dem ich von der Möglichkeit, zur Gemeinschaft und sogar zu den innigsten Verbindungen mit diesen herrlichen Wesen zu gelangen, versichert war, etwas natürlicher seyn konnte, als die Entschließung, die ich von meinem vierzehnten Jahr an faßte, allem Umgang mit den Töchtern der Menschen zu entsagen, um durch die pünktlichste Beobachtung aller Vorschrif­ ten der Weisen mich des hohen Glückes, vielleicht dereinst von einer Sylfide oder Salamandrin geliebt zu werden, fähig unb würdig zu machen. Meine Mutter, eine Frau von großer Schönheit unb Tugend, und meine einzige Schwester, ein jun­ ges Mädchen, die ein Abdruck ihrer Mutter schien, waren ganz allein von diesem Gelübde ausgenom­ men: die erste, .weil ich mich überredete, daß sie selbst eines dieser höhern Wesen sey; als woran mich ihre großen Vorzüge vor allen Weitern, die ich je gesehen hatte, und die außerordentliche Ach­ tung, die ihr ein so großer Weiser als mein Vater bezeigte, gar nicht zweifeln ließen. Da mir Er­ ziehung, die ich in einem einsamen Druidenhaus erhielt, das Vergnügen sie zu sehen nur selten und auf kurze Zeit erlaubte, «so befestigte sich diese Mei­ nung um so mehr in meinem Gemüthe; upd indem ich in dieser in gleichem Grade majestätischen und

und die Bildsäule.

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liebreizenden Frau eine Sulfide sah, erhielten die Ideen, die sich in meiner Fantasie von diesen geistigen Schönheiten bildeten, mehr Bestimmtheit und Leben, und wirkten um so viet stärker auf mein Herz, als sie ohne dieß hätten thun können. Die Kenntnisie, die ich aus der Geschichte von den verderbten Sitten der Weiber in den Hauptstädten der Welt bekam, trugen nicht wenig dazu bei, meine Abneigung von den Erdetöchtern zu unterhal­ ten. Diese wurde endlich zu einem beinahe körperli­ chen Ekel; so daß es, als ich siebzehn bis achtzehn Jahre hatte, unmöglich war, mich dahin zu bringen, nur eine Viertelstunde in einer Frauenzimmergesell­ schaft auszudauern. Mein Vater schien diese seltsame Wendung mei­ ner Fantasie (wie er es nannte), sobald er sie gewahr wurde, zu mißbilligen, und mit allerlei Gründen zu bestreiten; und meine Schwester erlaubte sich bei allen Gelegenheiten über meine Unempfind­ lichkeit zu scherzen, und mir mit der Rache ihres Geschlechts zu drohen: aber beides wirkte keine Veränderung in meiner Denkungsart. Von meinem Vater glaubte ich, daß er mich bloß auf die Probe stellen wolle: und meine Schwester, wiewohl ich sie zärtlich liebte, vermochte wenig über mich, weil sie durch ihre Verbindungen mit verschiedenen Erdctöchtern alles Recht an mein engeres Vertrauen ver­ wirkt hatte.

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Die Salamandern

Ls sind nun ungefähr acht oder neun Wochen, als mich auf einem der einsamen Spaziergänge, die, ich zuweilen in diesen Gegenden mache, eine nahe bei mir im Gebüsch auffliegende Taube von ungewöhnlicher Schönheit verleitete, ihr nachzugehen, indem sie so zahm schien, so niedrige und kurze Satze machte, und sich so oft wieder ganz nahe vor mir niederließ, daß ich hoffte, sie würde sich von mir fangen lassen. Sie schien sich eine Lust daraus zu machen, mich in einem Umfang von zwei bis drei lausend Schritten im Kreise herum zu führen, bis ich sie endlich, da die Nacht herein brach, ganz aus den Augen verlor. Ich befand mich in einer so wilden Einöde, daß ich, ungeachtet sie nicht sehr weit von dem Schlosse des Druiden, meines Vaters, entfernt seyn konnte, mich nicht erinnerte, jemals so tief in den Wald ein­ gedrungen zu seyn. Es war schon zu dunkel, um mich wieder heraus zu finden, und ich sah mich bloß nach irgend einem Obdach oder einer Höhle um, wo ich die Nacht, die um diese Zeit sehr kurz war, zubringen könnte, als ich auf ein­ mal dem Eingang dieses nämlichen Thurmes, worin wir uns jetzt befinden, gegenüber stand. Ich glaubte einen Hellen Schein in dem mittlern Theile des Thurmes zu sehen; und wiewohl die öde Stille, die in und um denselben "herrschte, mir einiges Grauen erweckte, so gewann doch die Neugier

und die Bild saute.

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die Oberhand. Ich ging hinein ; eine über dem Ein­ gang der Treppe Hangende Lampe wies mir den Weg; ich stieg hinauf, und kam endlich in dieses Ge­ mach , welches ich von einer Art von Morgenröthe beleuchtet fand, ohne zu sehen, wodurch dieser Glanz hervorgcbracht wurde. In der That hatte ich keine Zeit mich danach umzusehen; denn eine junge Dame, die auf diesem Ruhebette schlummerte, fesselte mei­ nen Blick beim ersten Eintritt. Ein. langes feuerfarbnes Gewand von dünner Seide hüllte sie bis zu den Füßen ein. Es war nach Griechischer Weise gefaltet, und mit einem schimmernden Gürtel unter dem Busen zusammen gehalten, dessen Schönheit ein purpurfarbner Schleier, der ihr Gesicht bedeckte, mehr errathen als sehen ließ. — Eine der vermummten Personen im Dorsaal flü­ sterte bei diesen Worten der andern zu: nun ists hohe Zeit unsers Weges zu gehen. — Hiemit stand sie leise auf, schlich sich mit einer kleinen Flasche, die sie unter ihrem Mantel hervor zog, in den obern Theil des Thurmes, kam ober bald wieder zurück, und stahl sich mit der andern vermummten Person eben so unvermerkt wieder weg als sie gekommen waren. Ein Grieche, (fuhr der Jüngling vom Thurme fort,) würde geglaubt haben in das Schlafgemach der Aurora gekommen zu seyn; in mir ließ^ das, was ich sah und fühlte, keinen andern Gedanken entstehen, als daß ich eine dieser himmlischen Nymferr Wi^larn-S M 27. Dd. 10

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Die Satamandrin

vor mir sahe, deren bloße Idee seit mehrer« Jahren hinlänglich gewesen war, jedem Eindruck, welchen irdische Schönheiten auf meine Sinne hatten machen können, daö Gegengewicht -u halten. Die unbe­ schreiblichen Empfindungen, die ihr Anblick mir ein­ flößte, erhöhten diesen Gedanken gar bald zur Ge­ wißheit. Es war ein süß verwirrtes Gemisch von ganz neuen nie gefühlten Regungen, ein blitzschnelleAbwechseln von G.lut und Frost, von Grauen und Entzücken, wofür die menschliche Natur keine Bilder und die Sprache keine Worte hat. Es würde also vergebens/eyn, lieber Osmandyas, wenn ich versu­ chen wollte dir zu beschreiben, — »Und unnöthig dazu, fiel ihm üsmandyas ein; denn was du fühltest, kann nicht außerordent­ licher, nicht reiner noch starker gewesen seyn, als was ich beim ersten Anblick meiner bezaubernden Bildsäule empfand." Der Jüngling vom Thurme war im Begriff etwas hierauf zu sagen, als eine plötzliche Besinnung eauf seinen Lippen zürück hielt. — Du hast Recht, fuhr er nach einer kleinen Pause fort, solche Erfah­ rungen lassen sich weder beschreiben noch vergleichen. Wer sie beschreiben will, setzt seinen Zuhörer in den Fall, entweder gar nichts zu denken, oder das, was er selbst in dieser Art erfahren hat, zum Bild und Maße dessen, was der andere erfuhr, zu machen. Du müßtest nicht nur an meinem Platze, du muß-

und feit Bildsäulen

test ich selbst gewesen seyn, um die unbeschreib­ liche Leidenschaft zu begreifen, die diese göttliche Schöne, sogar in ihrem Schlummer, und in einer Verhüllung, die den größten Theil ihrer Reizungen verbarg, in mir zn erschaffen fähig warOsmcrndy aS, der (mit aller seiner Schwär­

merei für eine Bildsäule) mehr Fitosof war al- man ihm zutrauen sollte, lächelte dem Jüngling vom

Thurme stillen Beifall zu, und dieser fuhr in seiner Erzählung folgender Maßen fort r Es giebt Gefühle, die so rein und einfach find und die Seele so ganz erfüllen, daß fie allen Be­ griff von Zeit ausschließen. Dasjenige, in welches die meinige zerfloß, indem ich, allmählich kühner, mit leisem Tritt und zurückgehaltn em Athem der schlummernden Göttin mich näherte und in wonne­ vollem Anschauen unbeweglich vor ihr stand, war ohne Zweifel von dieser Artr denn ich kann nicht sagen, ob ich eine oder zwei Stunden oder noch län­ ger in dieser Entzückung verharrte; aber al- die himmlische Erscheinung wieder verschwunden war, schien es mir nur ein Augenblick gewesen zu seyn. Armer Freund! rief QSmcrndyaSr so war eö nur ein Traum?

Du irrest weit, mein Lieber, antwortete der anderer aber sie erwachte, richtete sich auf, betrach­ tete mich einige Augenblicke mit Verwunderung, und, indem sie mit der linken Hand eine Bewegung machte.

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Die Salarnandrin

die zu schnell war, als daß ich sie deutlich hatte sehen können, schwand sie aus meinen Augen. Ich stand von der dichtesten Finsterniß umgeben, und würde vor Schrecken zu Boden gesunken seyn, wenn ich nicht, eben da ich die Besinnung zu verlieren anfing, von unsichtbaren Armen aufgehalten worden wäre. Als ich wieder zu mir selbst kam, fand ich mich auf ehen dem Ruhebette, wo ich die Dame lie­ gen gesehen hatte; der anbrechende Tag warf eine schwache Helle durch das gefärbte Glasfenster; ich sah mich voll Erstaunen um, und erkannte den Ort; aber von ihr war keine ©pur mehr übrig, als ihr Bild, daS ich in meiner Seele fand, und das neue Wesen, das sie mir gegeben hatte. Ich verließ den Thurm, und kehrte nach Hause, wo mein Außenbleiben einige Unruhe verursacht hatte. Ich erzählte, wie ich mich verspätet, und endlich von ungefähr einen Thurm im Walde gefunden, wo ich die Nacht wenigstens bequemer als im Walde zugebracht hatte: aber von dem, was mir darin begeg­ net war, Ließ ich mir nichts merken. Niemand wußte etwas von einem solchen Thurme; aber jeder­ mann wollte eine seltsame Veränderung in meinem Gesichte wahrnehmen, und beunruhigte mich mit der Vermuthung, daß mir etwas außerordentliches zugestoßen seyn müsse. Ich machte mich los so gut ich konnte, und brachte den Tag in Betrachtungen über mein wundervolles

und die Bild sä ule.

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Abenteuer zu. Die Meinung, worin man war, daß ich die vergangene Nacht schlecht geruhet hatte, gab mir einen Vorwand, mich früher als gewöhnlich schlafen zu legen. Ich fand Mittel, mich heimlich davon zu machen, eilte dem Walde zu, und suchte, so gut es in der Dämmerung möglich war, den. Weg, der mich gestern zum Thurme geführt hatte: aber, da die Dunkelheit immer zunahm, würde mirS schwerlich gelungen seyn ihn zu finden, wenn ich nicht ein paar hundert Schritte vor mir ein Licht wahrgenommen hatte, dem ich zu folgen beschloß. Es bewegte sich immer vor mir her, und brachte mich auf einem viel kürzern Weg so nahe an meinen Thurm, daß ich ihn, wiewohl das Licht verschwand, um so weniger verfehlen konnte, weil der Mond inzwischen aufgegangen war, und durch eine Oeffnung im Gebüsch einen Hellen Glanz auf einen Theil der Ruinen warf, woraus der Thurm hervorragte. Stelle dir vor, wie mir ward, als ich, in einer Entfernung von zwanzig bis dreißig Schritten, auf einem Stück einer umgestürzten Säule die nämliche Dame sttzend fand, die ich in der vorigen Nacht auf dem Ruhebette gesehen hatte. Ihr Anzug war eben derselbe, außer daß ihr zurück geschlagener Schleier, wiewohl ich noch zu fern war, ihreGefichtszüge deut­ lich zu erkennen, mir den schönsten Kopf zeigte, den ich jemals gesehen zu haben glaubte. Sie saß auf ihren linken Arm gestützt, und sah nach dem Mond,

als ob sie das Bild eines Geliebten tarifi suche. Der unwiderstehliche Reiz, den ihr diese Stellung gab, würde mich in fliegender Eile zu ihren Füßen

hingeworfen haben , wtnn nicht zu gl-icher Zeit die Majestät ihrer Gestalt, nebst dem Gedanken an daS was fle war, mich zurück geschreckt and in .ehr­ furchtsvoller Entfernung gehalten hatte. Sobald sie mich gewahr lvurde, hüllte sie -sich «in, und stand auf, mir entgegen 311 gehen. — Suchest du hier jemand, Klvdion? fragte sie mit einer Stimme, die in meiner Seele wiederktang. — Wen könnte ich hier suchen als dich selbst? antwor­ tete ich. — Ist dieß Schmeichelei oder Empfindung deines Herzens? erwiederte fle lächelnd. — Ein Blick in meine Seele, versetzte ich, würde dir diese Frage am besten beantworten; denn seitdem gestri­ gen Abend, der mir die Wonne dich %u sehen ver­ schaffte, hat dein Bild alle Spuren anderer Eindrücke in ihr ausgelöscht. — Das ist viel, sprach sie, für eine Bekanntschaft, die wenigstens von deiner Seite noch so jung und unvollständig ist. Denn, waS mich betrifft, so muß ich gestehen, der Zufall war mir günstiger alS dir : ich kenne dich schon lange; und wenn du dich mit meinen Augen sehen könn­ test, so »vürdest du in dieser Versicherung die Ant­ wort auf die deinige finden. Ich warf mich zu ihren Füßen, und küßte ihre dargebotne wunderschöne Hand in einem Taumel von

Liebe tinb Entzücken. Was ich ihr in diesem Justande sagte, weiß ich selbst nicht: aber sie fand für gut, mich baldmöglichst wieder zu mir selbst zu bringen. Sie hieß mich aufstehen, und führte mich, weil die Nacht ungewöhnlich schön und warm war, in die Gegend hinter den Ruinen, die, bei aller ihrer Anmuth und scheinbaren Freiheit der Natur, zu viel Geschmack und Harmonie in den mannigfaltigen Theilen, woraus

sie zusammen gesetzt war, verrieth, um die verschö­ nernde Hand der Kunst verbergen zu können. Wir irrten durch Lustgange von wohlriechenden Gebüschen, die uns bald zu großen mit Blumenrändern eingefaß­ ten Rasenplätzen, bald auf einem sanft steigenden Pfade zu hohen mit Baumen und Strauchwerk bewachsenen Felsenwanden führten, wo wir uns unvermerkt eingeschloffen fanden, bald in kleine Thä­ ler, wo murmelnde Quellen sich zwischen zerstreuten Daumen und Leichten Gebüschen schlangelten, und zuletzt in einen Kanal zusammen flössen, welcher dem Ganzen die Gestalt einer Halbinsel gab, die mit allen ihren abwechselnden Schönheiten, in der magi­ schen Beleuchtung des Mondscheins, bei der heitersten Luft und am Arme der Göttin meines Herzens, so

sonderbare Eindrücke auf meine Sinne machte, daß ich mich in eine Gegend des Feenlandes versetzt glaubte: ein Gedanke, der in dieser Lage um so natür­ licher war, weit ich mir nicht erklären konnte, wie ein so reizender Ort, der so nahe an dem Schlosse

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DieSala mandrin

meine- Vaters zu liegen schien, mir bi- zu dieser Stunde hatte verborgen bleiben, können. Meine schöne Unbekannte unterhielt mich, indes­ sen wir 1n ldiesen Jaubergärten bald umher irrten, bald auf eine Moosbank oder unter eine lieblich dämmernde Laube un- setzten, mit tausend angeneh­ men Dingen, auf eine Art, die mir von der Schön­ heit ihres Geistes und von dem Umfang ihrer Kennt­ nisse die größte Meinung gab, und mit einer so ein­ nehmenden Offenheit und Vertraulichkeit, als ob wir uns immer gekannt hattey. Endlich kamen wir mit­ telst einer über den Kanal geworfenen Brücke in den Wald zurück, und auf einmal fand ich mich wieder den Trümmern und dem Thurm gegenüber, wo ich sie angetroffen hatte. Die Morgenröthe war nun in Anbruch. Wir muffen uns trennen, sagte die Unbe­ kannte; aber, wenn dir meine Gesellschaft angenehm gewesen ist, so steht es bei dir, mich, so oft du willst, um die nämliche Stunde wie heute in diesem Thurme zu finden. Und hiemit führte sie mich von einer andern Seite an den Eingang eine- durch den Wald gehauenen Weges, der durch einige Krümmun­ gen mich in weniger als einer Viertelstunde nach meiner Wohnung zurück brachte. Sie begleitete mich eine Zeit lang, und verschwand so unvermerkt, daß ich einige Schritte fortging, eh' ich gewahr wurde daß sie mich verlassen hatte. Ich brauche dir nicht zu sagen, lieber Oöman-

und die Bildsäule.

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dyas, ob ich von der Erlaubniß, die mir meine wundervolle Unbekannte gab, Gebrauch machte. Glücklicher Weise schien weder mein -Vater noch sonst jemand von unserm Hause auf mein Thun und Las­ sen Acht -u haben. Ich schützte bald Spaziergange, bald die Jagd, bald Besuche in der Nachbarschaft vor, um mein nächtliches Aukenbleiben zu beschöni­ gen; und man beruhigte sich damit, ohne genauer nachzufragen, oder sich darüber zu wundern, daß ich gewöhnlich die erste Hälfte des Tages verschlief, und alle Nächte abwesend war. Auf diese Weise brachte ich etliche Wochen lang in dem geheimen Umgang mit meiner Unbekannten wahre Götternächte zu. Ich durfte ihr alles sagen was ich für sie empfand; sie ließ mich hinwieder in ihrer Seele lesen: und wiewohl meine Ehrfurcht und ihre majestätische Sittsamkeit meine Begierden in so engen Schranken hielten, daß eine Vestalin über das, was sie mir bewilligte, nicht hätte erröthen dürfen; so wußte sie doch-den kleinsten Gunstbezeigungen so viel Werth und Bedeutung zu geben, und war so unerschöpflich an Unterhaltung, Witz und guter Laune, daß ich mich für den glücklichsten aller Sterblichen hielt. Sie entdeckte mir in diesen Stunden der zärtlichen Vertraulichkeit, daß sie von dem ersten Augen­ blicke, da sie mich gesehen, beschlossen habe, mich -um Meister ihres Herzens und ihrer Person zu

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machen, -wofern flc mich -essen -er näherer Erfor­ schung meines Charakters wüthig fände. Sie gestand, daß meine Abneigung von den Erdetöchtern und meine Parteylichkeit für die elementarischen Schönen mir kein kleines Verdienst en ihren Augen gegeben Haber indessen beharrte sie doch darauf, mir aus ihrem Namen und Stande ein Geheimniß zu machen, bis sie genügsame Ursache hatte, von der Aufrichtig­ keit und Beständigkeit meiner Liebe eine bessere Mei­ nung zu fassen, alö die Liebe derManner gewöhnlich verdiene Da ich sie wirklich über alles liebte, so war eS mir leicht, mich zu jeder Probe zu erbieten, auf welche sie meine Treue stellen wollte: aber so groß war meine Ehrerbietung für sie, und meine Furcht, durch allzu feurige Begierden die zarte Empfindlich­ keit eines Wesens ihrer Gattung zu erschrecken, daß ich eS nicht wagte, -fie um Abkürzung einer Probe­ zeit, die mir eben so unnöthig als beschwerlich vor­ kam, zu bitten. Sogar des verhaßten Schleiers, der mir noch immer mehr als die Hälfte ihres Gefichtes verbarg, wurde nur mit großer Behutsamkeit erwähnt. Denn da sse stch über die Proben, auf welche siemeineZärtlichkeitstellen wollte, nicht deutlich erklärte: wer sagte mir, ob nicht gerade dieß eine Probe war, woraus sie sehen wollte, wie weit ich meine Gefälligkeit gegen ihre kleinen Grillen oder Eigenheiten zu treiben fähig wäre?

und die Bildsäule

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Es waren nun ungefähr vier bis fünf Wochen verflossen, seitdem meine Liebe zu der schönen Unbe­ kannten, -wiewohl beinahe bloß m't geistiger Speise

genährt, täglich zugenommen und endlich die ganze Stärke der feurigsten Leidenschaft -gewonnen hatte; als ich sie einsinats, gegen ihre bisherige Gewohn­ heit, weder unter den Trümmern, noch in irgend einer Laube oder einem kleinen Tempel des Zauber­ gartens, sondern 4m Thurm auf dem nämlichen Arrhebelte fand, wo ich sie zum ersten Mal gesehen hatte. Ein kleiner Regen, der diesen Abend gefallen war, hatte sie (wie sie sagte) befürchten lassen, daß mir die Luft im Freien nachtheilig seyn könnte; und sie schien übrigens hier eben so wenig von meiner Lei­ denschaft zu besorgen , als an den Orten, wo wir bisher alle Nächte einige Stunden beisammen gewe­ sen waren. Mein ehrerbietiges Betragen rechtfertigte ihr Ver­

trauen: indeß wurde doch unsere Unterredung unver­ merkt zärtlicher als sie jemals gewesen war. Sie selbst schien es mir mehr als gewöhnlich zu seyn; ihr Ton war die Stimme der Liebe, und das schöne Feuer ihrer Augen blitzte durch den doppelten Schleier, der von ihrer Stirne auf ihren Busen herab hing. Ich sprach mit Entzücken von der Wonne der Liebe und von den Hoffnungen, zu welchen sie mich aufge­ muntert hatte; und zum ersten Mal wagte ichs, ihr in den zärtlichen Ausdrücken eine Ungeduld zu zeigen,

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von welcher sie nicht beleidigt zu werden schien. Nur noch sieben Tage, sagte sie. — Sieben Jahrhunderte! rief ich, indem ich zu ihren Füßen fiel. Sie ließ sich endlich erbitten, die sieben Tage auf drei zu vermindern. Schenke, sagte sie mit einem gerührten bittenden Tone, noch diese drei Tage merner Furcht, einen Unbeständigen glücklich zu machen. Du selbst^ fuhr sie fort, wende diese Zeit dazu an, dein Herz zu prüfen, ob du einer so reinen, so getreüen, so standhaften Liebe fähig bist, als die Wesen meiner Gattung von ihren Liebhabern for­ dern. Denke nicht, daß diese Prüfung überflüssig sey, und rechne nicht auf die Zärtlichkeit meines Her­ zen-, wenn du jemals fähig wärest mir ungetreu zu werden. Sie würde mir zwar ke*ne grausame'Rache erlauben; aber niemals würdest du mich wieder sehen. Ich athme nur für dich; aber ich verlange dagegen, daß dein Herz mir ganz und allein ange­ höre. Glaubst du, daß mein Besitz eines solchen Opfers werth sey, und findest du dich fähig in jeder Probe rühmlich zu bestehen: so komm in der dritten Nacht nach dieser wieder hieher, und laß undie Schwüre einer ewigen Treue gegen einander aus­ wechseln. Aber heute verlaß mich, Klodion! Verlang es nicht, angebetete Beherrscherin mei­ nes HerzenS, rief ich, indem ich ihre Kniee mit der feurigsten Inbrunst umarmte; laß mich hier zu dei­ nen Füßen —

und die Bildsäule.

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In diesem Augenblick erstarb die zauberische Mor­ genröthe, die das Zimmer erfüllt hatte, in pech­ schwarze Finsterniß, und die schöne Unbekannte war meinen Armen entschlüpft. Vergebens flehte ich ihr, wieder sichtbar zu werden, vergebens tappte ich über­ all nach ihr herum: sie war verschwunden, und ich mußte mich, wie grausam ich auch diese Prüfung fand, mit der Hoffnung beruhigen, daß ich in drei Tagen die reichste und vollkommenste Vergütung für den Schmerz, den sie mir verursachte, erhalten würde. Die Zwischenzeit zwischen dieser und der dritten Nacht war eine Kluft in meinem Leben. Ich existirte bloß als eine Uhr, welche Stunden, Minuten und Sekunden zahlte. Unter lautem Zahlen kam endlich doch der sehnlich erwartete Abend, und ich eilte frü­ her als gewöhnlich dem Walde zu. Aber, wie es auch zugegangen seyn mag, ich konnte den Weg, den mich die Unbekannte gelehrt hatte, nicht wieder fin­ den, wie hartnäckig ich ihn suchte. Endlich verirrte ich mich in dem Walde, gerieth auf unbekannte Wege, kam wieder zurück, um andere zu suchen, und wurde endlich von der Nacht überfallen, ohne den Thurm, das Ziel meiner ungeduldigsten Wünsche, erreicht zu haben. Zuletzt erblickte ich ein Licht, und ich ging ihm nach, in der festen Hoffnung, daß es mich wieder auf den rechten Weg bringen werde. Nachdem es

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Die Salamandrirr

mich ziemlich lange wie in einem Labyrinth herum geführt hatte, fand ich mich, so viel ich im Dun­ keln erkennen konnte, unter dem Portal eines präch­ tigen Palast-. Ein wohl gekleideter Diener mit einer Fackel in der Hand kam heraus, betrachtete mich, und fragte mit Ehrerbietung: Edler Herr, ist euer Name Klo­ dion?— Ich war nicht gewohnt meinen Namen zu verlaugnen, wie auffallend mir auch die Frage vorkam; aber kaum hatte ich mit Ja geantwortet, so wandte sich der Diener, und flog mit einem Aus­ ruf der lebhaftesten Freude in den Palast zurück. In wenigen Augenblicken öffneten sich beide Flü­ gel der Pforte; sechs schöne prächtig gekleidete Jung­ frauen , denen sechs Sklaven eben so viele WachS-

fackeln vortrugen, kamen heraus, hießen mich will­ kommen, und ergriffen ehrerbietig meine Hände, um mich in den Palast hinein zu führen. Ich bat sie um Entschuldigung, sagte ihnen, ich wäre irre gegan­ gen, wäre ganz und gar nicht an dem Orte, wo ich erwartet würde, und könnte mich hier keinen Augen­ blick verweilen. Verzeihet uns, edler Herr, versetzte eine der Jungfrauen: ihr seyd, zu unser aller Freude, an dem Orte, wo ihr schon lange mit Schmerzen

erwartet werdet! Dieß ist unmöglich, sagte ich; ihr spottet meiner, und ich habe keine Zeit mich aufhalten zu lasten. Mit diesem wollte ich mich eilends davon machen:

und die Bildsäule.

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ater die Sklaven versperrten mir mit ihren Fackeln den Weg, die Jungfrauen warfen sich vor mir auf die Erde, und die älteste unter ihnen, welche schon gesprochen hatte, beschwor mich bei dem Leben mei­ ner Dame, sie nur einen Augenblick anzuhören. WaS wir von euch bitten, großmüthiger Ritter, sagte sie, ist etwas, daS ihr allein vermöget; es wird euch keine Viertelstunde aufhalten, und es ist, waS kein Mann eures Standes und Ansehens dem Flehen so vieler Unglücklichen versagen kann. Gewahret uns unsre Bitte, und niemand in diesem Palaste soll sich unterstehen, euch einen Augenblick länger alS ihr wollet aufzuhalten. Die übrigen fünf Jungfrauen vereinigten pd) mit der ersten, mich mit thränenden Augen zu beschwören, daß ich mich erbitten lassen möchte; und da ich keine Möglichkeit sah, ihnen ihre Bitte unter solchen Umstanden abzuschlagen, und längeres Weigern nur so viel verlorne Zeit mehr gewesen wäre, so folgte ich ihnen, aber so mißmuthig, daß ich kaum höflich seyn konnte, in das Innere des Palastes. Sie führten mich durch eine 'ange stark erleuch­ tete Gallerte, und durch verschiedene Zimmer, wo­ von das letzte nur von einer einzigen Lampe schwach erhellt war. Eine große Pforte in der Mitte dessel­ ben führte in ein anderes, und zu beiden Seiten der Pforte standen zwei Riesen mit ungeheuern Streitkolben, um den Eingang zu bewachen. Ich blieb

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stehen unb sah die Jungfrau, die meine Führerin war, an; denn ich war unbewaffnet: aber in diesem Augenblicke fuhr ein feuriger Drache, mit einem fun­ kelnden Schwert im Munde, aus der Decke vor mir herab; die Jungfrau bar mich, dieses mir zugedachte Schwert von ihm anzunehmen cknd meinen Weg zu verfolgen. Ich gehorchte ihr; der Drache verschwand; und so wie ich, das Schwert um meinen Kopf schwingend, mich der Pforte nahte, fielen die Niesen zu Boden. Ich trat in einen schwarz ausgeschlagnen Saal, in dessen Mitte sich aus einer hohen und von einer Menge Pechpfannen erleuchteten Kuppel ein bleicher Lichtstrom herab stürzte, der die furchtbare Dunkel­ heit der Wände nur desto auffallender machte. Unter der Kuppel stand auf einer drei Stufen hohen Estrade ein großer mit schwarzem Sammet beschla­ gener Sarg. Sechs Mohren mit runden Schürzen von Goldstoff um die Hüften, mit feuerfarbnen Feder­ tüschen auf dem Kopfe und mit bloßen Sabeln in der Faust, umringten den Sarg in drohender Stellung: aber kaum blitzte das wundervolle Schwert in meiner Hand in ihre Augen, so sanken sie zu Boden und ver­ schwanden. Zwei von den Jungfrauen, tue mich hieher begleitet hatten, stiegen hinauf, und hoben den Deckel des Sarges ab. Diejenige, die bisher das Wort geführt hatte, winkte mir herauf. Ich stieg hinauf, und erblickte in dem dumpfen

und die Bildsäule.

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Lichte, das aus der Kuppel auf den Sarg herab fiel, eine darin liegende Dame von ausnehmender Schönheit, mit einem Pfeile, der bis zur Hälfte des Schaftes in ihrer linken Brust steckte. Indem ich mit Entsetzen von diesem Anblick zurück fuhr, sprach die Jungfrau zu mir: Ihr sehet hier den mitleidcnswürdigen Gegenstand,, besten Befrei­ ung euch das Schicksal aufbehalten hat. Diese junge Dame, unsre Gebieterin, hatte das Unglück, einem Genius von grober Macht, wider ihren Willen, die heftigste und hartnäckigste Leidenschaft einzuflößen. Ihr Abscheu vor ihm war so groß als seine Liebe; denn er ist das häßlichste aller Wesen, wie sie das liebenswürdigste ist. Nachdem er sie lange vergebens mit seinen verhakten Anmaßungen gequält, und nie etwas andre-als die entschloffensten Erklärungen ihres unüberwindlichen Widerwillens von ihr hatte erhal­ ten können, verwandelte sich endlich seine Liebe in Wuth. Er brachte sie mit Gewalt in diesen Saal, legte sie in diesen Sarg, und stieß ihr mit eigner Hand diesen Pfeil in die Brust. Seit mehr als einem Jahre kommt er alle Morgen und zieht den Pfeil aus ihrem Busen. Sogleich ist die Wunde geheilt, die Dame kommt wieder zu sich selbst, und er verfolgt sie aufs neue den ganzen Tag mit seiner verabscheuten Leidenschaft. Aber da sie unbeweglich auf ihrer Weigerung beharret, so stößt er ihr alle Abend den Pfeil wieder in die Brust, legt sie in den SBieLmM W. 27. Bd. II

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Sarg, und entfernt sich, indem erf bei den Anstal­ ten, die er zu ihrer Verwahrung getroffen hat, sicher ist, sie des Morgens wieder zu finden. Denn, außer den Riesen und Mohren, die zu ihrer Bewachung bestellt sind, hat er einen Talisman über die Pforte dieses Palastes gesetzt, der ihn unsichtbar macht; und als ob es daran noch nicht genug wäre, versetzt er uns und den ganzen Palast durch die Geister, die ihm Unterthan sind, alle Tage an einen andern Ort. Gleichwohl hat er mit allen diesen Vorkehrungen nicht verhindern können, daß es nur von euch ab­ hangt, dem schrecklichen Schicksal unsrer geliebten Gebieterin ein Ende zu machen. Ein berühmtes Orakel, welches ich deßwegen um Rath fragte, gab mir zur Antwort: dieses Abenteuer könne von nie­ mand als von einem jungen Gallischen Ritter, Na­ mens, K l o d i o n, -u Stande gebracht werden, der sich zur bestimmten Zeit einfinden und unter dem Schutz einer höhern Macht die Bezauberungen unsers Tyrannen zerstören würde. Nach langem Warten sind wir endlich so glücklich gewesen euch zu finden, edler Ritter, und es ist kein Zweifel, daß ihr der Befreier seyd, den uns das Orakel versprochen hat. Der Umstand, daß euch allein dieser Palast nicht unsichtbar war; das bezauberte Schwert, das euch auf eine so wunderbare Art' zuqeschickt wurde; die Gewalt, die es euch über die Sklaven unsers Fein­ des gab: alles versichert uns eines glücklichen Alis-

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gangs. Vollendet nun das Werk des Schicksals, wohlthätiger Ritter! Keine Macht in der Welt, außer dem Genius und euch selbst, vermöchte diesen Pfeil aus der Brust unsrer unglücklichen Gebieterin zu ziehen. Versuchet es! Wenn es euch gelingt, so hat der verhaßte Tyrann alle seine Gewalt über die schöne Pa sidora verloren, und ihre unbegrenzte Dankbarkeit wird die Belohnung eurer Großmuth seyn. Ich versicherte die Jungfrau, wenn haS Verdienst, so ich mir um ihre Gebieterin machen sollte, auch zehnmal größer wäre, so verlangte ich keine andere Belohnung, als daß ich nicht einen Augenblick länger abgehalten würde mich aus diesem. Palaste zu entfer­ nen. Die Jungfrau, ohne mir hierauf zu antwor­ ten, bat mich, zu bedenken, daß ihre Dame, so lange der bezauberte Pfeil in ihrem Herzen stecke, noch immer in der Gewalt ihres Verfolgers sey, wel­ cher alle Augenblicke kommen könne, sie, wenn ich länger zögerte, meinen Augen zu entrücken und viel­ leicht an einen Ort zu verbergen, wo es mir unend­ lich schwerer seyn würde, das mir vom Schicksal auf­ getragene Werk zu Stande zu bringen. Ich näherte mich also der jungen Dame, deren Schönheit mir so blendend vorkam, daß ich mir nicht getraute sie recht zu betrachten. Schaudernd faßte ich den Pfeil, und, indem ich ihn mit einiger Mühe heraus zog, verschwand auf einmal der Glanz, der

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die Mitte deß Saales bisher erleuchtet hatte.

Ein

lauter Donnerschlag erschütterte den ganzen Palast, und ich befand mich einige Augenblicke in einen dich­ ten schweflichten Nebel eingehüllt. Aber, als er sich verlor, wie groß war mein Erstaunen, mich in einem von allen Seiten schimmernden und von einer Menge krystallner Kronleuchter erhellten Saale zu finden, und den Sarg, worin die junge Dame gelegen hätte, in einen prachtvollen Thron verwandelt zu sehen, auf welchem ich sie in der Stellung einer Person erblickte, die nur eben auß einer langen Ohnmacht wieder ins Leben zurück gekommen ist. Ihr Gesicht lag auf dem Busen einer der Jungfrauen, wahrend die andern, um sie her kniend, ihre Freude über die Befreiung ihrer Gebieterin zu bezeigen schienen. Sie stand auf um sich wegzubegeben, und indem sie, an zwei Jungfrauen gelehnt, langsam bei mir vorbei ging, warf sie einen Blick voll zärtlicher Dankbar­ keit auf mich, der mir in die Seele drang. Meine Augen folgten ihr unfreiwillig, bis ich sie aus dem Gesichte "verlor.

Verwirrt von so unerwarteten und seltsamen Be­ gebenheiten stand ich und fragte mich selbst, warum ich langer hier verweile? als eine der Jungfrauen zurück kam, und mich im Namen ihrer Gebieterin ersuchte, den Palast nicht zu verlassen, bis sie mir für de»7 wichtigen Dienst, den ich ihr erwiese»-, gedankr haben würde. Da sie sich in dem Aufzuge,

und die Bildsäule.

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worin sie im Sarge lag, mit Anständigkeit nicht wohl vor euch sehen lasten kann, fuhr sie fort, so seyd so gütig nur so lange zu verziehen, bis sie sich umgekleidet hat. ES wird nicht lange währen. Wie peinlich mir auch dieser neue Aufschub war, so hielt ich es doch für unmöglich, ohne Beleidigung aller Gesetze der Höflichkeit mich dessen zu weigern. Ich ließ mich also von der Jungfrau in ein Zimmer führen, wo sie mich ersuchte einen Augenblick auszuruhcn, und mich einiger Erfrischungen zu bedie­ nen , womit ich einen Tisch von Ebenholz auf Sil­ berfüßen, der neben einem Lehnstuhl stand, reichlich versebcn fand. In der That hatte mich das lange Herumirren im Walde, und der Verdruß über die abenteuerlichen Hinderniffe, die mir so sehr zur Un­ zeit aufstoßen mußten, so abgemattet, daß einige Minuten Ruhe und etwas Erfrischung mir sehr gele­ gen kamen. Indessen fand ich doch die Zeit, die ich hier mit Warten verlieren mußte, unendlich lang. Die Jungfrau, welche sich entfernt hatte, um mich wieder abzuholen wenn ihre Dame bereit seyn würde meinen Besuch anzunehmen, zögerte, und eine Vier­ telstunde verging nach der andern ehe sie wieder kam. Unglücklicher Weise brach indessen der Tag an, und ich sah mit einem unbeschreiblichen Schmerz, daß die Zeit, in welcher ich mich in dem Thurme hätte einfinden sollen, verstrichen war. Ich hätte bei dem Gedanken, von meiner Unbekannten vergebens erwar-

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tet worden zu seyn, von Sinnen kommen mögen. Was mußte sie von mir denken? Welches Hinderniß konnte groß genug seyn, mein Außenbleiben zu ent­ schuldigen? Und wie konnt' ich, da sie 'Ursache hatte, sich so unbegreiflich von mir beleidigt zu glau­ ben, jemals Vergebung von ihr zu erhalten hoffen?

In diesen niederschlagenden Betrachtungen fand mich die Jungfrau, da sie mich zu ihrer Gebieterin abholte. Ich folgte ihr mit einer Unruhe und mit einem Ausdruck von Verdruß und Traurigkeit in meinem Gesichte, der ihr aufzufallen schien: aber — kann ich es dir gestehen, Osmandyas, ohne von dir eben so sehr verachtet zu werden wie ich mich selbst verachte? — beim ersten Blicke, den die allzu reizende Pasidora auf mich heftete, verschwand, wie durch Bezauberung, aller Unmuth aus meiner Seele; und, was auch die Folgen des Dienstes seyn möchten, den ich, (wiewohl als bloßes Werkzeug einer höhern Macht,) einer so liebenswürdigen Person geleistet hatte, so konnte ich michs unmöglich reuen lassen, ihre». Rettung mein Glück aufgeopfert zu haben. Meine Unbekannte selbst, dachte ich wie ein Thor, würde mein Außenbleiben billigen, wenn sie die Ursache desselben sehen würde.

Ich fand die schöne Pasidora auf einem Ka­ napee sitzen, der die Bequemlichkeiten eines Ruhe­ bettes hatte; wie es sich für eine Person zu schicken

schien, auf deren lieblichem Gesichte noch einige Blasse und etwas schmachtendes, alS Spuren dessen, was sie so lange gelitten hatte, zurück geblieben war. Sie bat mich neben ihr Platz, zu nehmen, und dankte mir mit einem gefühlvollen Tone für das, zvas ich für sie gethan hatte. Der Klang ihrer Stimme rührte mich sonderbar. Es war nicht die Stimme meiner Unbekannten; aber sie hatte etwas so ähnli­ ches mit ihr, daß mein Herz um so viel mehr zu ihrem Vortheil eingenommen wurde. Sie sprach wenig; aber ihre schönen Augen sprachen desto mehr. Ihre Blicke waren eben so viele Pfeile der Liebe, die gerade ins Herz trafen, aber zu süße Wunden mach­ ten, als daß man daran denken konnte sich ihnen zu entziehen. Jeder Theil ihres schönen Gesichtes war dieser zaubervollen Augen würdig, und alles zusam­ men machte ein Ganzes aus, das an Feinheit und Harmonie der Züge, an Vollkommenheit her Formen und Reinheit der Farbe, alles unendlich übertraf, was ich je gesehen hatte. Denke dir noch hinzu, was die Seele der Schönheit ist, den Ausdruck der zar­ testen Empfindlichkeit, und ein gewisses verborgenes Lächeln, das ihren Mund und ihre Wangen umfloß und alle Augenblicke neue Reize entstehen machte, die eben so schnell wieder verschwanden um andern Platz zu machen: und sage, ob es möglich war — Armer Klodion, fiel ihm der schöne Fremde ns Wort, wo blieb das Bild deiner liebenswürdigen

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Unbekannten, daß du fähig seyn konntest, ein Ge­ sicht, das nicht daS ihrige war, so genau und so unbehutsam anzusehen? Du wirst mich noch mehr bedauern, vielleicht auch entschuldigen, - wenn du alles gehört haben wirst, fuhr der Sohn des Druiden fort. So schwer eS war, die Augen von einem so liebreizenden Gesichte zu verwenden, so fehlte es doch nicht an Versuchun­ gen dazu. Die schöne Pasidora hatte auf ihrem weichen Polstersitze eine halb liegende Stellung gekommen, welche mit allem möglichen Anstand die Reizungen ihrer ganzen Person in das vortheilhafteste Helldunkel setzte, das der schlaueste Mahler zu einem Bilde von grober Wirkung wählen könnte. Ihr Anzug war ein zauberisches Mittelding von Pracht, Geschmack und Simplicität. Ein leichter Schleier von durchsichtiger weißer Seide vertrat die Stelle des Kopfputzes, bloß um den Glanz ihrer Au­ gen zu mildern, und ihrery Gesicht einen Schein von Mattigkeit zu geben. Eine sechsfache Schnur von großen Perlen schmückte ihre rundlichen Arme, als war' es bloß um die Weiße derselben noch auFallender zu machen. Ihre pechschwarzen Haare, gleich­ falls mit Perlenschnuren durchwunden, fielen in langen zierlich krausen Locken, an dem schönsten Halse der jemals einen so schönen Kopf trug, auf ihren Busen herab, der etwas weniger, als gewöhn-

und die Bildsäule.

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lief) ist, verhüllt war, vermuthlich um ihrem Retter die Sorge zu benehmen, daß der bezauberte Pfeil eine Narbe zurück gelassen haben möchte. Gesteh es, liebster OSmandyas, meine Treue gegen die Unbe­ kannte wurde auf eine schwere Probe gesetzt! ES war grausam, meinem Herzen und meinen Sinnen zugleich nachzustellen, und es giebt vielleicht keinen Sterblichen, der gegen die vereinigte Macht so vieler Reizungen ausgehalten hatte. Ich fühlte die Gefahr, und meine Unruhe, welche (wie ich glaube) mehr ängstlich als zärtlich scheinen mußte, konnte der schönen Pasidora nicht verborgen bleiben. Sie fragte mit einem theilnehmenden Tone, was mir fehle? und setzte hinzu: sie würd: untröst­ lich seyn, wenn mir das Verdienst, das ich mir um sie gemacht, vielleicht ein größeres Opfer kosten sollte, als sie mir zu vergüten fähig wäre. Diese Rede war ein Dolch in mein Herz. Cs fehlte wenig, daß ich meine geliebte Unbekannte nicht um ihren Beistand an gerufen hatte. Ich erneuerte ihr in meinem Herzen die Schwüre einer ewigen un­ verbrüchlichen Treue; aber jeder Blick auf die allzu reizende Zaubrerin machte mich wider Witten treulos. Ich fühlte zu gleicher Zeit, daß mich nur die schleu­ nigste Flucht retten könne, und daß nicht einmal der Wunsch zu fliehen in meiner Gewalt war.

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Während dieß in meiner Seele vorging, bemühte ich mich der schönen Pa sidora eine Antwort zu geben, die ihr den Zustand meines Herzens verbärge ohne ihre Eigenliebe zu beleidiaen. Ich sagte ihr etwas, das nur sehr höflich seyn sollte, aber, wie ich besorge, sehr zärtlich war; wenigstens schien sie es dafür genommen zu hoben, weil sie flch dadurch berechtigt hielt, unter dem Vorwande der Dankbar­ keit mich ihre Zuneigung mit weniger Zurückhaltung als bisher merken zu lasten. Die Gefahr 'tvurbc jetzt mit jedem Augenblicke größer, und es war hohe Zeit, daß ich alle meine Kräfte zusammen raffte. Ich sagte ihr also: Es gebe für mich keine Belohnung in der Welt, die mit dem Vergnügen zu vergleichen sey, einer Person von ihrem Werthe vielleicht mit meinem Schaden nützlich gewesen zu seyn. Da ich aber versichert worden wäre, daß sie von ihrem Verfolger nichts weiter zu besorgen habe: fa bäte ich um die Erlaubniß mich von ihr zw beurlauben, weil eine Sache von der äußersten Wichtigkeit für mich meine Gegenwart an einem Orte erfordere, wo ich schon gestern, als ein unvermutheter Zufall mich vor die Pforte ihres Pa­ lastes gebracht, erwartet worden sey. Diese Ditte, deren sie sich ganz und gar nicht versehen zu haben schien, brachte einen sehr sichtba­ ren Ausdruck von Verdruß in ihre schönen Gesichts-

und die Bild faule.

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züge. Sie verbarg mir nicht, wie sehr es ihr auf­ falle, daß nach der Art, wie sie mir ihre Dankbar­ keit beweise, die Entfernung von ihr die einzige Be­ lohnung fei; / die ich zu wünschen habe. Ich entschul­ digte mich mit der Nothwendigkeit; aber vermuth­ lich in einem Tone, der sie glauben machte, daß mein Herz, wenigstens zur Halste, auf ihrer Seite sey. Denn auf einmal klarte sich ihr Gesicht wieder auf, und sie sagte nur mit der offensten und gelassensten Miene: Sie würde sichs nicht verzeihen können, wenn mir der Wunsch sie zu verbinden das geringste Opfer kosten sollte; das, was sie mir bereits schuldig sey, gäbe ihr kein Recht noch neue Gefälligkeiten von mir zu erwarten; und wenn ich ihr nur diesen ein­ zigen Tag schenken wollte, so wolle sie sichs gern gefallen lassen, (setzte sie lächelnd hinzu,) die Nacht derjenigen zu überlassen, welcher die vorige zugedacht gewesen fei;; Mein Unglück wollte, daß ich, bei so großer Ur­ sache mich vor ihr zu fürchten, nicht bedachte, wie viel ich wagte, wenn ich einen ganzen Tag der Macht ihrer Reizungen und der Verführung ihrer übel ver­ hehlten Liebe ausgesetzt bliebe. Kurz, lieber Osmandvas, ich willigte ein, und nachdem sie einen so wichtigen Sieg über mich erhalten hatte, befahl sie einer ihrer Jungfrauen, mich in ein 3 imitier zu füh­ ren, wo ich einige Stunden der Ruhe pflegen könnte. Kaum sah ich mich allein, so war mein erster

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Gedanke, mir die Sicherheit, worin man wegen mei­ nes Bleibens war, zu Nutze zu machen, und, un­ geachtet meines der schönen Pafldora gegebenen Wor­ tes, heimlich davon zu gehen. Glücklich, wenn ich dieser Eingebung meines guten Genius gefolgt wäre! Aber der Gedanke, eine so liebenswürdige Person, die sich auf mein Wort verließ, zu hintergehen, hatte etwas so niedriges und grausames in meinen Augen, daß ich es unmöglich über mich gewinnen konnte ihm Platz zu geben. Je weniger ich mir indeffen den Zustand meines Herzens verbergen konnte, desto star­ ker war mein Vorsatz, mich gegen alle die Eindrücke zu waffnen, die ihre Schönheit und Liebe auf mich machen würden. Gegen Mittag wurde ich wieder zu der Dame des Palastes gerufen. Ich fand sie in einem herrli­ chen Saale, der gegen eine Terrasse des Gartens offen stand, mitten unter ihren Jungfrauen, in einem morgenlandischen Anzuge, der ollen Grazien ihrer anmuthsyollen Formen ein freieres Spiel zu geben schien. Ich konnte mich kaum enthalten, mich zu ihren Füßen zu werfen, und fühlte alle meine muthigen Entschließungen bei ihrem ersten Anblick dahin sterben. Der peinliche Kampf, der jetzt von neuem in meinem Innern anfing, mußte mir ein zwangvolles und verlegenes Ansehen geben: aber sie schien es so wenig zu bemerken, daß sie vielmehr desto muntrer

und die Bildsäule.

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aussah, und, wiewohl sie selbst über der Tafel wenig sprach, doch ihren Jungfrauen immer Gelegenheit gab, mich mit angenehmen Gesprächen zu unterhalten. Nach der Tafel trug sie mir ein Schachspiel an; und wenn (wie ich nicht zweifeln kann) ihre Absicht war, mich in einem so engen Kreise, allen ihren zau­ berischen Reizungen gegenüber, vollend- um die we­ nige Vernunft, von der ich noch Meister war, zu bringen, so hatte sie kein schlaueres Mittel, diese Absicht zu erreichen, wählen können. Du kannst dir einbilden, Osmandyas, wie oft ich schachmatt ward, und ob Pafidora große Ursache hatte, auf die Siege, die sie im Spiel über mich erhielt, stolz zu seyn; aber desto sichtbarer funkelte in ihren unwi­ derstehlichen Augen daö Vergnügen de- Sieges, den sie über mein Her- davon getragen hatte. Indessen kam der Abend herbei, und lud uns durch seine Schönheit zu einem Spaziergang in die Garten ein, die an die Terrasse des Palastes stie­ ßen. Sie schienen von sehr weitem Umfang zu seyn, und alles, was die Natur Großes, Schönes und Unmuthiges hat, in der geschmackvollesten Abwechse­ lung in sich zu vereinigen. Da mir unbegreiflich war, wie dieser Palast und diese Garten, von denen ich nie etwas gehört hatte, in eine mir so bekannte Gegend gekommen seyn könnten: so bestärkte mich dieß um so mehr in dem Gedanken, daß die schöne Pasidora eine Fee, odereines von den elemen-

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tarischen Wesen sey, mit denen meine Einbildungs­ kraft vertraut genug war, daß es nichts befremden­ des für mich hatte sie meinen Sinnen dargestellt zu sehen. Unvermerkt verloren sich die Jungfrauen, die uns einige Zeit begleitet hatten; unvermerkt wurden wir beide, Pasidora und ich, immer stiller; unvermerkt wirkte die schöne Natur, die laue von Blumendüften durchwürzte Luft, das Sayseln der Blatter, das Singen der Vögel, das Rieseln der Quellen, und, was über das alles ist, die wunder­ bare Magie der Schlaglichter und des lieblichen Wett­ streites zwischen Licht und Schatten, um die Zeit, wenn die Sonne sich zum Untertauchen neigt; unver­ merkt fühlten wir uns, ohne es zu sagen, in einen Einklang von zärtlichen Rührungen gestimmt; unver­ merkt drückte, ich Pasidorens willige Hand an mein höher-schlagendes Herz; unvermerkt hatte ich aus ihren in Liebe zerfließenden Augen ein zauberisches Vergessen alles Vergangenen uud Zukünftigen elngcsogen, und unvermerkt befanden wir uns in einem kleinen Marmortempel, mitten in einem dichten Ge­ büsche von Myrten, eingeschloffen. Ich sehe du zitterst- für mich, O'mandyaS, — und ich erröthe fortzufahren. — Die liebenswürdige Derratherin sank auf einen Polstersitz, und ich zu ihren Füßen, ihre Hand in sprachlosem Entzücken mit Küssen überdeckend; als auf einmal der ganze Tem­ pel in Flammen stand, ein heftiger Donnerschlag

und die Bildsäule.

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mich zu Boden warf, Pasidora aus meinen Armen verschwand, und meine Unbekannte mir mit zürnen­ der Stimme zurief: Treuloser, du hast mich auf ewig verloren! Verschone mich, Freund, mit der weitern Erzäh­ lung; ich habe keinen Athem mehr für das, was ich dir erzählen müßte, und keine Kräfte, die Quakn dieser schrecklichen Nacht noch einmal auszuhalten. Seit dieser Zeit bin ich der elendeste unter den Men­ schen, wie ich ohne diese unselige Probe der glück­ lichste gewesen wäre. Denn nun seh' ich es und bin ganz überzeugt, daß es meine geliebte Salamand rin selbst war, die fich mir unter dem Namen Pa­ sidora unverschleiert zeigte, und durch alle die Reizungen, wovon ich während unsre- nächtlichen Umgangs im Thurme nur einige einzelne Strahlen erblickt hatte, mit allen diesen Schauspielen und Kunstgriffen, die sie zu meiner Verblendung an­ wandte, mich zur Untreue an ihr selbst verleitete. Die Grausame! wie konnte sie zweifeln, daß mein Herz einer solchen Probe unterliegen würde? Oder wie kann sie es von dem ihkigen erhalten, mich so unerbittlich dafür zu bestrafen, daß ich, unter einem andern Namen, und unrer dem Zauber, den sie aufmeine Augen geworfen hatte, doch nur sie selbst liebte? Auch bin ich gewiß, sagte Osmandpas, sie wird, sie kann nicht unerbittlich bleiben. Daß sie dich liebt, ist zu offenbar —

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Du kennst, wie eS scheint, das Zartgefühl der Wesen ihrer Gattung nicht, unterbrach ihn der un­ glückliche Liebhaber der schönen Salamandrin: sie ver­ zeihen auch nicht den Gedanken, nicht den Schatten einer Untreue. Cie wird mir nie vergeben! sagte er, mit thränenden Augen die Hande ringend. Cs sind nun mehrere Wochen seit dieser unglücklichen Katastrofe, daß ich alle Nächte in diesem Thurme zubringe. Sie hat meinen Schmerz, meine Reue, meine Verzweiflung sehen können und ist ungerührt geblieben! Was hab' ich nicht versucht sie zu bewe­ gen! wie hab' ich ihr gefleht! — Denn wiewohl sie mir immer unsichtbar blieb, so bin ich doch gewiß, daß sie mich gehört hat. Aber ich habe sie auf ewig verloren! — Dieß waren die schrecklichen Worte worin sie mir mein Urtheil ankündigte, und eS ist nur zu gewiß, daß es unwiderruflich ist. Da ich aller Hoffnung entsagt habe jemals wieder glück­ lich zu werden, so war ich entschlossen mein Leben in diesem Thurme zu enden, den ich seit drei Ta­ gen nicht mehr verlassen habe. Meine Liebe, die mich tobten sollte, und das Wenige, was ich von der Speise zu mir nehme, die ich täglich, ohne zu wissen wie, in diesem verborgenen Schranke finde, hat mir bisher ein verhaßtes Leben gefristet. Aber, ich gesteh' es, seit mir die Götter auf eine so unverhoffte Art den Sohn des KalasiriS zugeschickt haben, ist ein schwacher Strahl von

und die Bildsäule.

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Hoffnung in meine Seele gefallen; und vielleicht ist es ein Zeichen, daß meine angebetete Salamandrin meinen Tod nicht will, weitste noch gütig genug ist für die Erhaltung meines Lebens zu sorgen. Denn es nur zu desto längerer Qual mir zu fristen, wie ich in meiner düstern Verzweiflung wähnte, — einer solchen Grausamkeit kann ein Herz wie das ihrige nicht fähig seyn. Wer ste auch seyn mag, sagte der Sohn des wei­ sen Kalasiris, so ist es unmöglich, daß sie so sehr ihre eigene Feindin sey, um einen Fehler nicht zu verzeihen, den du mit so ernstlicher Reue gebüßt hast, und der, wenn mans genau besieht, für ihre Eigenliebe mehr schmeichelhaft als beleidigend ist. — Aber erlaube mir, da du mich selbst wieder daran erinnert hast, dich zu fragen, woher du meinen Va­ ter zu kennen scheinest? Warst du jemals in Ae­ gypten ? Eh' ich dir antworte, erwiederte der Jüngling vom Thurme, laß dich bitten, mit dem Wenigen fürlieb zu nehmen, was ich dir vorsetzen kann. Wir bedürfen beide einiger Erfrischung. Hiemit öffnete er den geheimen Schrank, und zog noch etwas kalte Küche und Früchte und eine Flasche Wein hervor, die er vorher nicht barin wahrgenommen hatte. Meiye unsichtbaren Verpfleget, sagte er, indem er seinen Dorrath auf dem Fußteppich auslegte, haben, wie es scheint, auf meinen Gast gerechnet. — Eine gute Wielands W. 27. Dd. 12

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D7e Sa l-mandrin

Vorbedeutung für uns beide, versetzte Osmandyas, indem er der Bewirthung seines neuen FreundeEhre machte. Der weise Mann hatte woht Recht, der den be­ trübten Seelen Wein zu geben befahl. Das Mittel schlug bei den beiden Jünglingen sowohl an, daß sie unvermerkt ihres Kummers zu vergessen und gutes Muths zu werden anfingen.

Es kommt mir auf einmal ein wunderlicher Ge­ danke, fing jetzt der Sohn des Druiden an. Was sagtest du dazu, wenn deine Bildsäule von meiner Bekanntschaft und sogar meine nächste Verwandte wäre? — Der Aegypter starrte ihn mit großen Augen an. — Wenigstens, fuhr jener fort, war" eS keine Unmöglichkeit, wie du hören wirst, wenn ich dir erzähle, wie ich dazu gekommen bin deinen Va­ ter zu kennen. Es sind nun über drei Jahre, seitdem uns meine vortreffliche Mutter durch den Tod entrissen wurde. Mein Vater, wiewohl er für den weisesten aller Druiden anerkannt wird, fand in dem ganzen Schatze der steheimtn'ffe, welche ihm die Natur entdeckt hatte, keines, das ihm diesen Verlust erträglich machte. Er sah sich gezwungen seine Zuflucht zu dem gemeinsten Mittel in solchen Fallen zu nehmen, und befahl mir und meiner Schwester Klotilde, welche damals ungefähr fünfzehn Jahr alt war, uns zu einer gro­ ßen Reise anzuschicken. Ich will nach Aegypten rei-

und die Bildsäule.

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sen und in den Armen meines Freundes KalasiriS Trost suchen, sagte er. Ich erfuhr bei dieser Gele­ genheit, daß sie einander in ihrer Jugend kennen gelernt und seit mehr als dreißig Jahren, der gro­ ßen Entfernung ungeachtet, die engeste und vertrau­ teste Freundschaft unterhalten hatten. Nachdem wir die berühmtesten Städte und Inseln der Griechen besucht hatten, langten wir zu Memfis an, und wurden von dem ehrwürdigen Kalasiris mit unbeschreiblicher Freude empfangen. Die beiden Al­ ten schienen durch das. Vergnügen, einander nach so langer Zeit wieder zu sehen, verjüngt zu werden, und fanden in ihrem wechselseitigen Umgang so große Unterhaltung, daß mein Vater sich leicht überreden ließ ein ganzes Jahr zu Memfis zuzubringen. Du hieltest dich damals in Griechenland auf, und ich selbst, nachdem ich mich etliche Tage in dem Hause deines Vaters erholt hatte, schloß ich mich in den großen Tempel der Isis ein, um in euern Mysterien iniziirt zu werden. Ich brachte den größten Theil des Jahres damit zu: und, weil ich begierig war, auch die Merkwürdigkeiten von Oberagypten zu be­ sehen, und sodann noch eine Reise zu den Aethiopischen Gymnosofisten thun wollte; so erhielt ich die Erlaubniß noch zwei Jahre dazu anzuwenden, und mein Vater kehrte ohne mich nach Armorika zurück. Deine Schwester ThermutiS hielt sich zur Zeit unsrer Ankunft bei einer Schwester ihrer Mutter

igo

D i e Salamandrin

auf; ich war nicht mehr in eurem Hause als sie zurück kam, und ich habe sie nie gesehen. Mein Ab­ scheu vor dem Geschlechte, zu dem sie gehörte, war damals schon so groß, daß mein "Vater, als er mir von seinem Vorhaben sprach, mich mit der Tochter eines seiner Freunde zu vermählen, kein andres Mit­ tel mich wieder zu beruhigen fand, als ein feierliches Versprechen, mich mit Anträgen dieser Art auf immer zu verschonen. Die Furcht, daß Thermutis die­ jenige sey, die er mir zugedacht, war ein neuer Be­ weggrund für mich, allen Gelegenheiten, wo ich sie tyatte sehen können, sorgfältig auszuweichen. Aber zwischen ihr und Klotilden entspann sich eine Freundschaft, die so weit ging, daß man sie die Un­ zertrennlichen zu nennen pflegte: und wie es endlich zum Scheiden kommen sollte, fand sichs, daß Klo­ tilde entweder zu Memsis bleiben, oder Thermutis mit ihrer Freundin nach Armorika ziehen müßte, wenn ihre Vater nicht beide Töchter auf einmal verlieren wollten. Der meinige hatte inzwischen eine so große Zärtlichkeit für deine Schwester gefakt, daß Kalasiris sich gern überreden ließ ihm seine Rechte an sie abzutreten: hingegen bat er sich dafür die Bilder seines Freundes und Klotildens aus, damit er we­ nigstens etwas hatte, das ihm die Trennung von ihnen verrußte. Der Druide, mein Vater, besitzt unter andern wunderbaren' Kenntnissen auch daß Ge­ heimniß, den feinen Ton, woraus das Aegvvtische

und die Bildsäule

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Porzellan gemacht wird, so zuzubereiten, daß die daraus verfertigten Bilder im Feuer einen Schmelz erhalten, der ihnen eine bis zur Täuschung gehende Aehnlichkeit mit dem wirklichen Leben giebt. Ein Griechischer Künstler, der mit ihm nach Memfis ge­ kommen war, verfertigte die Bilder, mein Vater vollendete das Werk mittelst seines erwähnten Ge­ heimnisses, und so entstanden —Hier bewog eine sehr unerwartete Wahrnehmung den Sohn des Druiden auf einmal einzuhalten; und dieß war nichts geringers, als daß sein jungerFreund über einer Erzählung, die so viel Interesse für ihn hätte haken sotten, — eingeschlafen war. Dieser Zufall kam ihm, ungeachtet er die kleine Flasche leer sah, unbegreiflich vor: allein, indem er noch im Nachdenken darüber begriffen war, sank er selbst, von einem unwiderstehlichen Schlummer überwältigt,auf ein hinter ihm liegendes Polster zurück. Wir können nicht sagen, wie lange die beiden Jünglinge in diesem magischen Schlafe verharreten. Genug, fle erwachten ungefähr zu gleicher Zeit, und man stelle sich ihr Erstaunen vor, als sie die Augen aufschtugen, und O s m a n d y a s seine geliebte Bild­ säule, und Klodion seine ängebetete Salamandrin vor sich sah. Beide glaubten in diesem Augenblick aus einem schönen Traume zu erwachen, und schloffen eilends die Augen wieder, um weiter fortzuträumen: aber,

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Die (Salamandrirr

da sie fanden, daß sie nun nichts mehr sahen, so öff­ neten sie die Augen wieder, und sahen mit Entzücken die nämliche Erscheinung vor ihrer Stirne stehen. Osmandyas erblickte seine Bildsäule mit ihrem Täubchen auf dem Schooße auf eben demselben Ruhebettchen sitzend, und eben so lebenathmend und liebe­ blickend wie er sie oft in dem Kabinette seines Vaters gesehen hatte. Klodion sah seine Unbekannte in ihrem feuerfarbnen Gewände, mit dem schimmernden Gür­ tel um den Leib und dem purpurnen Schleier über ihrem Gesichte, wie er sie mehrmals in diesem Thurme gesehen hatte. Beide wußten nicht was sie denken und ob sie ihren Augen trauen sollten: aber beide sprangen in eben demselben Nu von ihren Polstern auf, um in sprachloser Entzückung sich ihren Geliebten zu Füßen zu werfen; als eine verborgene Thür auf­ ging, und die majestätischen Alten, Daran es und Kalasiris, Hand in Hand zwischen sie tretend, durch eine so, unvermuthete Erscheinung ihr Erstaunen auf die höchste Spitze trieben. Taranes ergriff lächelnd die Hand des jungen AegypterS, und sagte, indem er ihn zu der Bildsäule führte: Belebe sie wenn du kannst, und sey glücklich! Iu glei­ cher Zeit führte Kalasiris den Sohn des Druiden zu der vermeinten Salamandrin, und sagte, indem er ihren Schleier wegzog: Verzeihet einan­ der—euer Glück; denn es würde nicht so voll­ kommen seyn, wenn es euch weniger gekostet hatte.

und d ie Bildsäule.

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Die Augenblicke, die nun folgten, sind von denen, die sich weder malen noch beschreiben taffen. Oöman^ dvas, in die Amre seiner geliebten Bil.dsaule sin­ kend, fühlte mit sprachloser Wonne ihr Herz zum, er­ sten Male dem seinigen entgegen schlagen ; Klo­ dion, zu den Füßen der liebenswürdigen Thermuthis, hatte alles das Feuer der Liebe, das ihn aus den Augen der zauberischen Pasidora über­ strömte, vonnöthen, um von der Wonne, in beiden seine geliebte und wieder versöhnte Sala man.drin LU finden, nicht entseelt zu werden. Nie hatte die Liebe vier Sterbliche so glücklich gemacht; und nie hatten zwei Vater das Vergnügen, in der Wonne­ trunkenheit ihrer Kinder ihre eigenen-Ent­ würfe vollzogen zu sehen, in solchem Grade genoffen. Der Thprm mit den drei Zinnen war zu enge für so viele Glückliche. Sie eilten in die Garten herab, die hinter den Ruinen in einem sanften Ab­ hang sich bis in die Ebne herab zogen, und Klo­ dion erkannte nun auf einmal in dem nächtlichen Elysium der Salamandrin die Zaubrrgarten, in welche ihn die Fee Pasidora dei Tage geführt hatte. Auch zeigte ihm die schöne Thermutis, daß eS nur auf die Salamandrin angekommen wäre, ihn durch einen kleinen Schlangenweg bis zu Pasidorens Palast zu führen, der ihm bei ihren nächtlichen

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Die Salaman drin

Spaziergängen von einigen Gebüschen und einem kleinen Pappelwalbchen versteckt worden war. Unvermerkt befanden sich die beiden ehrwürdigen Alten Mit ihren glücklichen Kindern in dem kleinen Tempel, den -die Verwandlung der Fee Pasidora in die eifersüchtige Salamandrin dem schönen Ktodion unvergeßlich gemacht hatte. Sie ließen sich auf die rings herum taufenden Polstersitze nieder, und der Äberdruidt Daran es, da er in den Augen der beiden Jünglinge das Verlangen las, das, was in ihrem schönen Abenteuer,noch rathselhaft war, sich erklären zu können, befriedigte ihre Neugier folgen­ der Maßen: „Die Freundschaft, welche mich mit dem ehrwür­ digen Kalasiris verbindet, war von ihrem ersten An­ fang an so beschaffen, daß es uns vielleicht unmög­ lich gewesen wäre, in der ganzen Welt den dritten Mann dazu zu finden. Aber sobald wir uns beide, jeder mit einem Sohne und einer Tochter gesegnet sahen, deren erste Jugend die-schönsten Hoffnungen von dem, was sie einst seyn würden, faffen ließ, be­ schlossen wir, wo möglich nur eine einzige glückliche Familie aus ihnen zu «rachen. Wir fragten bei eurer Geburt die Sterne um Rath: aber wir kamen über­ ein, daß euer Glück eben so sehr das Werk euers eigenen Herzens* und unsrer Vorsicht, als das Werk des Schicksals seyn sollte, und «rächten uns ein Ge­ schäft daraus, auf alle Winke und Spuren Acht zu

und die Bildfaule.

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geben, die uns den Weg zeigen würden, wo das, was der Himmel über euch beschlossen hatte, mit euern Wünschen und den unsrigen in Einem Punkte zusam­ men träfe. »Bei dem Besuche, den ich vor mehr als drei Jahren meinem Freunde Kalasiris gab, erneuerte sich das Verlangen, unser lange verabredetes Familienbündniß zu Stande -u bringen, mit verdoppelter Wärme. Aber der Sohn des Kalasiris war abwe­ send; und meinem Sohne Klodion, der von seiner ersten Jugend an ein so seltsames aber hartnäckiges Vorurtheil gegen die Erdenröchter gefaßt hatte, würde es gefährlich gewesen seyn, die liebenswürdige Thermutis, die ihm, wenn er sie für ein Wesen von hö­ herer Ordnung hielte, vielleicht unendliche Liebe^eingeflößt haben würde, als die Tochter des Kalasiris sehen zu lassen. Osmandyas sollte in dem Laufe sei­ ner Reisen und Studien nicht unterbrochen, Klodion in seiner grillenhaften aber Nachsicht verdienenden Laune nicht voreilig gestört, und der sanft aufkeimen­ den Neigung unsrer Töchter sollte Zeit gelassen wer­ den, sich zu entwickeln und zur Reife zu kommen. Denn Thermutis hatte meinen Sohn mehr als Ein­ mal gesehen, ohne von i h m gesehen werden zu kön­ nen; und Klotilde hatte nichts als die Versicherung einer großen Aehnlichkeit zwischen Osmandyas und seiner Schwester vonnöthen, um ganz zu seinem Vortheil eingenommen zu seyn.

fß6

Die Salamandrin

»Wie gewiß wir uns aber auch zum voraus hiel­ ten, daß alles am Ende nach unsern Wünschen aus­ gehen würde, so fanden wir doch für nöthig, eine wechselseitige Zuneigung, die das Glück oder Unglück des ganzen Lebens unsrer Kinder entscheiden sollte, auf die stärksten Proben zu setzen: und so veranstal­ teten wir das doppelte Abenteuer, dessen Ausgang unsere Entwürfe so schön gerechtfertigt hat. Osmandyas lernte Klotilden nicht anders als in Gestalt einer Bildsäule kennen, und Klodion glaubte in Thermutis eine Salamqndrin zu lieben. Die zwei Jahre, mein Sohn, die du noch mit deinen Reisen zubrachtest, nachdem ich mit Thermutis und Klotil­ den schon wieder in Armorika angelangt war, gaben uns hinlängliche Zeit, die zu unserm Vorhaben benöthigten Anstalten zu treffen. Der wildeste Theil des an meine Wohnung angränzenden Waldes wurde in die Gärten der vermeinten Salamandrin umgeschaffen; und der neu erbaute Pavillion, welcher den beiden Schwestern während deiner Zurückkunft zur gemeinschaftlichen Wohnung diente, wurde an einem solchen Ort gestellt und auf eine so geschickte Weise verborgen, daß Thermutis ihre zweifache Rolle sehr bequem spielen konnte, und der Gedanke, daß es mit deinen Abenteuern in einer dir, wie du glaubtest, so wohl bekannten Gegend nicht natürlich -»gehe, um so nothwendiger in dir entstehen mußte, weil alle unsere Hausgenoffen in Pflicht genommen waren, dir

und die Bildsäule.

i87

auS dem, waS in deiner Abwesenheit vorgegangen, und aus allem, was dir das Wundervolle der Sache hätte enträthseln können, ein Geheimniß zu machen." Und daß es, fuhr Thermutis lächelnd fort, mit den Wunderdingen im Palast der Fee Pafidora sehr natürlich zugegangen, wird dir der Augenschein zeigen, wenn du diesen Jauberpatast, mit allen sei­ nen Jungfrauen, Mohren und Drachen, und allem übrigen Zubehör, als ein Geschenk Don mir anneh­ men willst, das der Hand und dem Herzen der Eigenthümerin folget. —

Und das ich mit Vergnügen bestätige, fiel der ehrwürdige Kalasiris ein. Was dich anbetrifft, mein Sohn Osmandyas, fuhr er fort, indem er sich an Klotildens Liebhaber wendete, so wird auch dir alles begreiflich werden, wenn ich dir — Das Geheimniß der beiden Bildsäulen hab' ich ihm bereits aufgeschlossen, sagte Ktodion: aber eh' ich noch damit fertig war, sah ich ihn eingeschlum­ mert, vermuthlich durch eine geheime Kraft des Weins in der kleinen Flasche — Die wir selbst heimlich in den Schrank hinein prakticirtcn, sagten die beiden Schönen, als uns die Ungeduld, zu erfahren, ob Osmandyas, den wir mit Schmerzen erwarteten, glücklich angelangt sey, rTch.

Jupiter. ES hieße daS Unmögliche unternehmen, und daS ist, wie gesagt, meines Thuns nicht. Um dir daS begreiflich zu machen, mein Sohn, will ich nur dieß einzige anführen, daß nichts in der Welt entgegen­ gesetzter seyn kann, als meine Art von den Sa­ chen zu denken und die ihrige.

5- e r k u l e s. Wie meinst du das eigentlich, Herr Vater?

Jupiter. Ich will dir ein kleines Beispiel geben. Neulich machte, ich weiß nicht welcher, EpigrammendrechSler zu Rom ein paar unverschämte Verse, um sich darüber aufzuhalten, daß ein pfiffiger Kerl, der durch Casars Gunst aus einem Barbier ein Se­ nator und ein reicher Mann geworden war, von seinen Erben ein marmornes Grabmal bekommen hatte. »Wie, sagte der Witzling, der Barbier LicinuS soll ein Grabmal von Marmor haben? und Pompej us hat nur einen schlechten Grabstein, Kato gar keinen! Wer kann das sehen und noch Götter glauben?" — Der Mensch bildete sich ein, ein gewaltiges Argument gegen uns auf^etrieben zu haben, und zehn tausend Strohköpfe klatschten ihm Beifall zu.

L Göttergespräch.

109

Herkules.

DaS war dumm von ihnen?

Pompejus konnte

sich, für das was er gewesen war, immer an einem Sandstein begnügen; und ein Mann wie Kato braucht gar kein Grabmahl: aber der Barbier mußte eines von Marmor haben, um die Eitelkeit seiner Erben -u befriedigen, und der Nachwelt weiß zu machen, daß ihr Detter ein großer Mann gewesen sey. — DaS greift sich mit Handen.

Iup iter.

Und gesetzt, eS wäre Unrecht gewesen, daß LicinuS ein marmornes Grabmahl hatte und Kato gar kei­ nes, waS ging das die Götter an? Hatte ich etwa das marmorne Grabmahl au Boden donnern, oder auf Kato'S Grab hinüber zaubern, oder diesem ein noch prächtigeres von Vulkan bauen taffen sollen? — Die Narren! Wenn sie ja glaubten, daß etwas über die Sache gesagt werden müsse, warum griffen sie nicht in ihren eigenen Busen? Warum sollen es die Götter entgelten, wenn die ausgeartetcn Römer alles Gefühl für Freiheit und Tugend, und alle Scham vor ihrem eigenen Namen verloren haben? Herkules.

Gegen

solches

Gesindel waren ein paar Donner­

keile nicht übel angebracht.

WirlanvSW. 27. »Lv.

210

L Göttergespräch,

Jupiter. Wo denkst du hin, Herkules? Was würde aus dem armen Menschengeschlechte werden, wenn ich alle ihre Dummheiten mit Donnerkeilen bestrafen wollte? Denn solche Urtheile und solche Schlüsse höre ich alle Tage.

Herkules. Der Kerl mit dem Zottelhaar und öem Knoten­ stocke hatte also doch so Unrecht nicht. Jupiter. Das brauchen wir ihm nun| eben nicht sogleich ohne alle Einschränkung zuzugeben. Zwischen dir und mir ists ein andres, mein Sohn.

Herkules. Bei dieser Gelegenheit, Herr Vater, weil ich doch (was mir selten begegnet) im Fragen bin, dürst' ich nicht noch eine Frage thun?

Jupiter. Ich höre die Musen schon zur Tafel blasen; also mach' es kurz! Herkules, Indem et Iupitern scharf hi die Augen sieht.

Es betrifft einen Punkt, worüber mir niemand bessere Auskunft geben kann, als Du. Ist es wirklich

I. Göttergespräch.

an

an dem, daß ich die Ehre habe dein Sohn zu seyn, Jupiter? Jupiter. Woher kommt dir auf einmal dieser demüthige Zweifel? Hast du nicht Thaten genug gethan, um dich als einen Sohn Jupiters zu erweisen? Herkules. Aufrichtig zu reden, wenn man alles davon ab­ zieht, was die Poeten nach Handwerksgebrauch dazu gelogen haben, so möchte ich mit dem übrigen zu Stande gekommen seyn, wenn auch nur Amfitryon mein Vater gewesen wäre. Jupiter. Das ist mehr als Amsitryon selber glaubte. Deine Mutter Alkmene konnte es mit jeder Europa, Danae, Semele und Leda aufnehmen, und ich dachte du könntest mit dem Vater zufrieden seyn, den sie dir gegeben hat. Ist dirs nicht genug, daß du von den Menschen für meinen Sohn gehalten und von mir selbst nicht verlaugnet wrrst? Was verlangst du mehr ?

Herkules. Ich spreche mit dem Herzen in der Hand. Am Ende kann einer doch weder mehr noch weniger seyn als er ist, wofür er auch von andern gehalten werden mag. Wenn ich also dem, waS ich bin, die Ehre, die mir erwiesen wird, zu danken habe —

I. G -ttergesprach.

t$/ wie unverdient es auch seyn mag, klingt in jenem Lande der Täuschungen thunte angenehmer als der heilsamste Tadel, sind dann mußt fcü, auch be­ denken, daß es nur von dir abhmg, anstatt deewitzigen Loöschrtft eme eben so witzige Satire auf mich zu machen, — und daß ich dieß wußte. Dir kostete das eme nicht mehr Witz als das andre, und der Welt, wurde der Spötter Lucian un­ fehlbar mehr Vergnügen gemacht haben als der Schmeichler Lu ei an. Wür es nicht billig von mir, dw haS Opfer, das du mir dadurch brachtest, zum Verdienst anzurechnen? Lucian.

Es war mehr als billig, schöne Panthea, es war sogar großmüthig. Denn es kam doch nur auf Dich an, zu sehen, daß ich ziemlich gewiß berechnen tonnte, das, was ich mit diesem Opfer bei dir gewann, sey mehr werth, als was ich bei her Welt dadurch verlor. Panthea. Am Ende wird denn wohl heraus kommen, dab wir uns berde in unserer Rechnung betrogen. Wielands W. 27. Dd.

370

Gespräche im Elysium.

Lucian. Ober, daß wir gerade so handelten, akS ob wir einander in6 Spiel guckten. Denn unge­ achtet des Verdienstes, das die schöne Panthea mir so hoch in Rechnung brachte, erinnere ich mich doch nicht, daß ich viel mehr dadurch bei ihr gewonnen hatte, als ich mit ein paar Versen um einen Blu­ menstrauß zu ihrem Geburtstage hatte gewinnen können.

P a n t h e a. Und Lucian wurde sein schönes Ideal nicht um ein Haar schlechter gemacht haben, wenn er auch weniger auf meine Dankbarkeit gerechnet hätte. Denn, er machte eS doch mehr sich selbst -u Gefallen, als mir. Diokles, für sich. Sie sind offenherziger alS ich dachte!

Lucian. Wie dem auch seyn mag, d aS solltest du uns doch gestehen, daß du nicht ganz aufrichtig warst, als du mir wissen ließest, „du wärest gar keine Freundin von übertriebenen Schmeicheleien." Panthea. Da irrest du dich doch wohl ein wenig, Lucian.

Gespräche im Elp siurm

371

Lucian. Wer war denn die Damo, die mir sagen ließ: »Sie sep versichert, ich würde sie nicht so sehr gelobt haben, wenn es mir nicht von Herzen gegan­ gen wäre?" Panthea. Und gerade daraus solltest du geschloffen haben, daß ich aufrichtig war. Allerdings war ich keine Freundin von übertriebenen Schmeiche­ leien; aber ich hielt die deinigen nicht für über­ trieben.

kucian, rachen-.

Oh, oh, daran dacht' ich freilich nicht l Das ver­ schließt mir den Mund auf einmal.

Panthea. Was willst du, Lucian? Ich war ein SB ei 6 —

Lucian. Und aufrichtig zu seyn, meine Schmeicheleien waren wenigstens — Lächelnd. — so scheinbar, so wahr­ scheinlich — Panthea. Spötter? — wenigstens mit so viel Witz und Feinheit angebracht, so neu und gefällig eingeklei­ det, so schön gesagt! — Das Vergnügen, von einem

372

Gespräche im Elysium.

Manne, der so toben kann, gelobt zu werden, ist em zu berauschender Trank, um das Bißchen Ver­ nunft nicht zu übertauben, das der Eitelkeit in dem Kopfe.eines schönen Weibes die Wage halten soll. — Doch, yergieb, Lucian, daß ich dir nicht langer das Vergnügen machen kann, dich und deinen neuen Freund hier auf Kosten meiner ehemaligen Thorheit SU' belustigen. Ich muß einen kleinett Flug nach der Oberwelt thuri. Sie verschwindet.

D i okles, »ii Lucian.

Einen Flug nach.der Oberwelt? Sie wird doch nicht spuken wollen? Wenigstens habe ich nie ge­ hört, daß sich jemand gerühmt hatte, ein so liebliches Gespenst gesehen zu haben. Lucian. Das ist ein Räthsel, das ich dir vielleicht ein andermal auflösen darf. Sage mir jetzt, wie gefiel £ir Panthea? Ist sie nicht schön?

Diokles. Noch liebenswürdiger als schön, wie du sagtest. Aber noch immer sehr schön, wiewohl der Kontur ihrer Wangen nicht ganz so sanft abgerundet ist, gls .an der Venus des Alkamencs. Und, wenn ich

Gesp rache im Elysium.

373

dirs frei gestehen darf, der Zug ihrer Augenbraunen dauchte mich gerade darum desto geistreicher, weil er nicht so mit dem Zirkel gezogen ist, wie an dem Meisterstücke des Praxiteles. Auch ihre Stirn schien mir merklich- breiter, als sie seyn müßte, um der Knidischen Venus so gleich zu seyn, und ihre Lippen langer und schmaler, als die den Kuß heraus fordernden Lippen der Roxane des Aetion. Und doch dauchte mich, andre Lippen und eine andere Stirn würden ihrem Gesichte nicht so gut anstehen als ihre eigenen.

Lucian.

So, daß du also findest, ich habe ihr gerade da­ durch Unrecht gethan, daß ich sie schöner malen wollte als sie ist?

Diokleö. Ich denke, dieß mag beim Dexschönern öfters der Fall seyn.

Lucian. Da hast du Recht. — Aber wie gefallt dir die Aufrichtigkeit, die unter uns eingeführt ist? Dünkt dich nun nicht, daß wir sehr angenehm zusammen leben? Und fühlst du nicht, daß du die schöne Pan-

374

Gespräche im Elysium,

thea lieben könntest, wiewohl btt sie ohne irgend eine Art von Täuschung siehst? Denn du wirst ver­ muthlich wahrgenommen haben, daß die Begierde, die dort oben die natürliche Wirkung der Schönheit hindert, unter die Dinge gehört, die wir zurück gelassen haben. D L o k l e s. Ich hatte mimet gehört, die Schönheit sey das, was die Begierde reize. Itzt erklärt mir meine eigene Erfahrung, warum du sagtest, die Be­ gierde h i n d r e die natürliche Wirkung der Schön­ heit. Ich denke du hast vollkommen Recht. Schön­ heit für sich allein wirkt bloßes Wohlgefallen, und gewahrt reinen ruhigen Genuß. Begierde hin­ gegen ist körperlicher Reiz, der, auch ohne von der Schönheit erregt zu werden, für sich selbst wirken kann, und durch die unruhige Bewegung, wodurch er die Heiterkeit der Seele trüfct, der reinen Wir­ kung des Schönen nothwendig hinderlich ist.

Lucian. So ists, denke ich: wiewohl in jenem sterbli­ chen Leben geheime Triebfedern, von der Natur zu gemeinnützlichen Endzwecken angebracht, auch die Schönheit zu einem natürlichen Mittel machen, die Begierde zu erwecken. Daher ist es zwar unschick-

Gespräche im Elysium.

375

lich, Reiz und Schönheit zu verwechseln; aber eben so unläugbar, daß Schönheit rei-1, als daß Rerverschönert. Da dieß letzte aber bloß Täu­ schung ist: so erscheint unS Ely siern nichts schöner als es wirklich ist; und die Schönheit erzeugt in uns reine Liebe, ohne fremdes Jugemisch. Kurz, die berühmte Platonische Liebe, die auf der Oberwelt den meisten lächerlich, bei manchen betrügerische Anmaßung, bei einigen schuldloser Selbst­ betrug, bei andern verdienstlose Wahrheit, und nur bei sehr wenigen verdiensttose Täuschung ist, — diese Platonische Liebe ist die einzige, deren wir fähig sind, — das Schwärmerische ausgenommen, wel­ ches, als fremder unreiner Zusatz, von ihr abgeschie­ den wird. Diokles.

Aber gerade diese Schwärmerei, diese schöne Seelentrunkenheit, die uns die Gegenstände unsrer Bewundrung, unsrer Liebe, unsers Verlangens, in einem so zauberischen Lichte zeigte, machte die höch­ ste Wonne unsers vorigen Zustandes aus,—

Lucian.

Und seine bittersten Qualen. Denn die unglücklichsten Menschen, die ich je gekannt habe, waren gerade diese so leicht zu berauschenden See-

376

Gespräche im Llysium.

len, di-, in ihrer Trunkenheit, sich- wie Bacchan­ ten, stark genug fühlten Eichen zu entwurzeln, und, wenn der Taumel vorüber war, von einem. Stroh­ halm zu Boden fielen; die jeder Genuß zu Göt­ tern machte, und jeder Verlust an Jxions Rad heftete. Diokles.

Aber kannst du läugnen, daß es eine Art von Schwärmerei giebt, "die uns wirklich veredelt und glücklich macht? Lucian. Glücklich? Ja, so glücklich alS ein Bacchusfest.machen kann! Denn was auch die Ursache seyn mofl z die uns berauscht, die Trunkenheit selbst ist — Trunkenheit, und die Wirkungen sind ungefähr die nämlichen.

Diokles. Ich hatte Unrecht, mich eines Wortes zu bedie­ nen, das mich unverständlich machte. Ich wollte sa­ gen, giebt es nicht eine Art von Begeisterung, wo das An sch au en der Schönheit, der Vollkom­ menheit, des Göttlichen, wo es^auch sey,— die Seele ergreift, erhebt- .über alles Irdische, Kör­ perliche, Beschränkte und Vergängliche empor reißt; sie, so lange-dieß Anschauen dauert, (wär's auch

Gespräche im Elysium.

377

nur auf Augenblicke) ganz durchglüht, verherrlicht, beseligt, vergöttert? Lucian.

Aus meinem Munde sollte es dich wohl befrem­ den Ja zu hören? Aber bilde dir ein, daß es Py­ thagoras oder Plate sey, der dir durch mich antwortet. Ja, Diokles, es giebt einen solchen Zu­ stand; und er ist uns Bewohnern des Elysiums viel weniger fremd, als ers dort oben ist, wo ein Becher Wein von Chios, der Kuß einer Glyeerion, das Lä­ cheln eines Großen — freilich nur Narren, aber wer ist dort nie Narr gewesen? — zu Göttern machen kann. Nur, was bei den Sterbli­ chen fast innuer ganz, oder doch zum Theil bloßes Spiel der Sinne und des wallenden Blutes, oder Blendwerk der Einbildungskraft und Heberspannung der Seele ist, ist hier Wahrheit: und wenn dort oben jeder, der etwas'von dieser Art erfahren zu haben meint, nicht laut genug krähen, nicht hyper­ bolisch genug davon schwatzen kann; so sind hier die heiligsten Augenblicke der Freundschaft, der rein gestimmten Sympathie, kaum heilig genug, von Empfindungen oder Erscheinungen dieser Art, auch nur in abgebrochnen Lauten, zu reden. Es sind Mysterien, in welchen wir alle iniziirt sind, wiewohl nicht in einerlei Graden — Aber au^s

378

Gespräche im Elysium,

dem Heiligthum der Menschheit plaudern nur Schwätzer, die kaum hinein geblickt haben, und werden dafür gestraft, daß sich die Thür vor ihnen -«schließt, ehe fie hinein gekommen sind.

D i o k l e s. Aber woran erkennt Ihr, daß es nicht auch bei Euch Täuschung ist, was Ihr in einem Zustande, wovon sogar zu reden verboten ist, zu erfahren glaubt? Lucian. In jedem gesunden Zustande der Seele,— wie vielmehr in der tiefen Stille und reinen Klar­ heit, worin die Weisen im Elysium leben, — ist nichts untrüglicher als das Kennzeichen, wodurch sich Wahres und Falsches unterscheidet, Licht und Finsterniß sind einander nicht mehr entgegen. Wah­ res Gefühl des Göttlichen unterbricht die Stille der Seele nicht, — es macht sie viel­ mehr noch stiller, kehrt sie noch Unverwandter in ihr Innerstes. Derjenige, dem dieser Sinn aufgeschloffen ist, spricht nicht von dem was er sieht, was er fühlt; aber sein ganzes Wesen, seine ganze Art zu seyn und zu wirken spricht da­ von. Etwas diesem Aehnliches findet sich schon an jenen erhabenen Sterblichen, denen die Natur das Geheimniß der Künste entsiegelt hat. Homer

Gespräche im Elpsium.

379

schrieb kein Buch von der Dichtkunst; aber er machte seine JliaS; Fidias, Praxiteles, ApelleS, fchriebm keine Theorien, definirten daS Erhabne, die Schönheit, die Grazie nicht; aber ihre Werke spiegeln die Idee des Göttlichen zurück, die flch ihrer Seele eingesenkt hatte. Sie schwatzten eben darum nicht davon, weil sie gesehen hat­ ten, was die Schwätzer nie sahen; versuchten eben darum nicht, es zu erklären, weil sie es als unerklarbar fühlten: sie machten es, und stell­ ten es dar — denen welche sehen können. Dieß ist der Charakter de5 Dichters, des wahren Ma­ chers; und in diesem Sinne ist jeder achte Künstler Dichter, — ein kläglich entweihtes, beinahe schambares Wort, aber ehrwürdig dem, der seinen Sinn umfassen kann, wie es unsern Alten war! — Bloß aus diesem Grunde labt sich das, was in der Kunst das Höchste ist, waö der wahre Künstler selbst mehr fühlt als erkennt, oft nur vorüber blitzen sieht, nur von fernher ahnet, eben darum läßt sich das nicht lehren. Kein Fleiß, kein Nachtwachen, keine Nachahmung, kein Studium, wird es dem erforschlich, noch ers reichbar machen, dem es die Natur nicht of­ fenbart. Und aus eben diesem Grunde können alle Schriften eines Plotin und Jambtich wohl eine Menge theososischer Schönredner und Großspre-

3S0

Gespräche im Elysium,

chee— vielleicht auch einige Schwärmer, Träumer, und Narren—aber keinen Apollonius machen. Dieß ist alles, Diokleö, was ich dir jetzt über diese Sache sagen kann. D i o k l e s. Unt ist genug.

38i

III. 8 a o n , N > reus, -«rnach Saffo, „lrtzt noch A rt vk r e o n.

Die Scene ist In einem Haine, der mit Spaziergängen nnd Lauben durchschnitten ist.

Faon.

Schöner Unbekannter, genblick.

höre mich nur einen Au­

N ir eu s. Was verlangst du von mir ?

Faon. Sage mir aufrichtig, wo bin ich? wer bin ichF und was soll ich hier? Welche Fragen!

N i r e u s. Du bist im Elysium,

wie-

382

Gespräche im Elysium.

wohl noch kein Elysierz — wer du bist, solltest du selbst am besten wissen; — und was du hier sollst, wird sich geben, wenn du eine Zeit lang da gewesen bisu Faon. Ein seltsamer Ort! das muß ich gestehen, und seltsame Einwohner! Wenn ich mir nicht noch ganz genau bewußt wäre, daß ich Faon bin, so müßt' ich glauben, jemand hätte mir meine eigene Person abgetauscht. Rireus, für sich. Der Mensch ist noch ganz neu, wie ich sehe, und hat viel abzustreifen. — Zu Faon. — Und wer glaub­ test du denn auf der Oberwelt zu seyn?

Faon. Ich glaubte nichts- zu seyn als was ich war. Ich wurde einhellig für den schönsten Jüngling meiner Zeit gehalten. Nireus sieht Ihn lächelnd an.

Du? — Du warst vermuthlich ein Skythe? Faon. Eine feine Vermuthung, bei Cnthereen! Was für Augen habt ihr im Elysium? Gleichwohl, schön wie

Gespräche^im Elysium.

383

du selbst bist, solltest bu einen Hellenen, und, fn wahr mir Amor gnädig sey! dein eigenes Bild io mir erkennen.

N ireus. Erkennst du das deinige in mir? Fayn sieht Ihn an und verwirrt sich.

Das Ist doch nicht auszuhalten! Lieber wollt* ich dem Sisyfus seinen Stein walzen, oder den Danaiden ihr Faß füllen helfen! N ireus. Was hast du, daß du so unruhig scheinst? Deine Farbe wird immer düstrer, und deine Bildrmg immer ungestalter! Faon. Und das schlimmste ist, sobald ich dir in die Au­ gen sehe, so komm* ich mir selbst so vor. Ja, der erste beste, der mir in diesem unbegreiflichen Lande begegnet, wirkt das nämliche. Ich begreife nichts von dieser seltsamen Bezauberung. Wo ich Hinblicke, bin ich von Spiegeln umgeben, die mich häßlich machen; und es giebt einige, deren Anblick ich gar nicht aushalten kann. Gleichwohl bin ich der näm­ liche Faon, der noch "vor kurzem der Schönste unter allen Griechen hieß.

384

Gespräche km E lysium< Nireus.

Das will ich dir wohl glauben, versicherst.

weil du mirs

Faon.

Du würdest es dir selbst geglaubt haben, wenn du mich gesehen hattest. Ich war so schön r daß die Leute nicht begreifen konnten, wie einer., den weder ein Unsterblicher gezeugt noch eine Göttin geboren, ohne Wunder so schön seyn könne, und daher auf die Einbildung verfielen, die Mutier der Lie­ besgötter selbst habe mich zur Belohnung eines ihr geleisteten Dienstes mit übernatürlichen Reizun­ gen begabt. Die Menge meiner Liebhaber war so groß, daß sie mir zur Last wurde. Alle Maler mal­ ten nur mich. Alle Weiber verloren ihre Ruhe um meinetwillen, und Saffo, die berühmte Sängerin von Lesbos, sogar ihren Verstand. Das arme Mäd­ chen stürzte sich aus Verzweiflung, weil sie alle ihre feurigen Lieder an mir verschwendet sah, vom Leukadischen Felsen herab, um dessen Klippen, wie man sagt, ihre lieblich wehklagende Stimme noch immer in stillen Nachten umher irret, und mit schwachem in Thränen ersticktem Tone, Faon, Faon! ruft. N i r e u s.

Dafür hat sie büßen müssen!

Gespräche im Elysium.

385

Faon. Mir selbst gereichte meine Schönheit endlich zum Verderben. Ein brutaler Eifersüchtiger, der mich fand, wo er nicht erwartet war, versetzte mich mit einem Dolchstoß hieher, — wo ein feindseliger Dä­ mon mich angeblasen, und (wie ich nicht mehr zweifeln kann) alle Augen, ohne meine eigenen auözunehmen, zu meinem Nachtheil bezaubert hat. Es ist eine sehr unangenehme Veränderung, das kannst du mir glauben! Nireus. Armer Faon, ich begreife wie dir zu Muthe ist. Was du jetzt erfährst, hab' ich ehemals, da ich hie­ her kam, auch erfahren. Ich bin Nireus. —

Wie?

Faon. Du bist Nireus?

Nireus, Charopos Sohn, des Herrschers, und der Aglaja, Nireus, der schönste Mann, der gegen Ilion auszog Unter den Danaern, nach dem tadellosen Achilleus? Nireus. Aber unstreitbar er selbst, und klein die Schaar, die ihm folgte. Wielands W. 27. Dd. 25

336

Gespräche im Ely sium. Faon, mit einer feldftaefälligen Miene.

Nun, so unbescheiden bin ich nicht, daß ich mich mit Dir vergleichen sollte, — wiewohl mirs, beim Kastor! nicht an Schmeichlern gefehlt hat, die mich den Nireus meiner Zeit, den zweiten Hyacinth, und den wieder ins Leben zurück gerufenen Ado­ nis nannten. Ilnd ich will dir sogar gestehen, daß es Augenblicke gab, wo ich mir selbst kaum getraute in einen Brunnen zu sehen, ohne vor dem Schicksal des Narciffus zu erzittern.

Nireus, für Der widerliche Mensch!

sich.

Faon. Laß dich umarmen, schöner Nireus! Mir ist, ich erkenne mich selbst wieder in dir, — laß dich umarmen! Nireus zurück Du übereilst dich, Faon!

weichend.

Faon, als ob er vor sich selbst zurück fahre.

Weh mir! Welch eine plötzliche Verwandlung! So wahr mir Venus helfe, ich begreife nichts davon.

Gespräche im Elysium,

387

NLreu §. Ich begreif' es sehr wohl.

Faon. Aber sagtest du nicht, du hattest, als du hier­ her kamst, eben das erfahren? Gleichwohl hast du deine ganze Schönheit wieder erhalten. O sage mir, schöner Nrreus, ist denn keine Hoffnung für mich, daß ich wenigstens nur wieder werde was ich gewe­ sen bin? Nireus. Davor mögen die guten Götter dich bewahren I

Faon.

Du bist grausam. N L r e u s.

Und Du verstehst mich nicht.

Faon. Ich frage bloß, ob kein Mittel ist, wodurch ich meine natürliche Gestalt wieder erlangen könnte? N i r e u s. Allerdings giebts ein Mittel. Hier im Elysium giebts Mittel für alles: denn die Unheilbaren, wenn dergleichen sind, kommen yicht zu uns.

388

Gespräche im Elysium.

'8 a o n. So beschwör' ich dich bei den Grazien, entdeck es mir! Ich vergehe vor Ungeduld, bis du mir sagst, was ich thun muß.

Nireus. Für Dich weiß ich nur Ein Mittel; —-suche den Aesopus auf, Liebe ihn und gewinne seine Gegenliebe! 'Faon. Wie? den kleinen buckligen glatzköpfigen Zwerg mit der breiten vorgedrückten Stirne? mit den.tief liegenden Augen? mit der Faunennase, und dem weiten Seehundsrachen?— der vorhin, an die schöne Rho dope gelehnt, bei mir vorbei schlenderte? Nire u s. Wie du ihn beschreibst! Er wird dir wohl schö­ ner vorkommen, wenn du genauer mit ihm bekannt wirst. Faon. Du spottest meiner. Ich habe solche Mißgsschöpfe nie leiden können. Es ist als ob alles um sie her von ihrer Häßlichkeit angesteckt würde. Ich versichre dich, da er im Dyrübergehn nur einen Blick auf mich warf, war mir einen Augenblick lang, als ob ich in einen Affen verwandelt wäre.

Gespräche tut Ely siüm.

389

Nireu s. Das ist schon ein gutes Zeichen, Faon. 8 a 0 n , ungehalten.

Der Vorzug, den du über mich zu haben glaubst, macht dich übermüthig. Ich dächte doch nicht, daß ich dir Ursache gegeben hätte mir so -u begegnen. Nireu s, gelassen.

Du kannst dich hier noch in nichts finden. Ge­ dulde dich! Es wird besser gehen, wenn du erst bei uns eingewohnt bist. Ich dachte gleich, daß dir mein Mittel widersinnig vorkommen würde. Aber du wolltest es wissen, und, ich wiederhole dirs, ich weiß kein andres. Fahr wohl. Nireus entfernt sich.

Faon, ihm nachsehenb, für sich.

Wie schön er ist! Wenn er sich in dieser Gestalt zu Olympia zeigte, die Hellenen würden ihn für den Merkur oder den ewig jungen Apollo ansehen.— Ich möchte rasend werden! Mit jedem Augenblicke komm' ich mir ungestalter vor. Es muß mit Zau­ berei zugehen, anders Lsts nicht möglich. — Ich kanns nicht länger ertragen. Er geht tiefer in den Hain; indem begegnet ihm Saffo, die aus einer Laube hervor kommt —

Aber,

wer ist die Nymfe, die, mit so reizendem

390

Gespräche im Elysiu m.

Anstand, eine Lyra von Elfenbein im schönen Arm, aus jener Laube hervor geht? — Wie? seh' ich recht? — Wahrlich, beim Kastor! es ist die Les­ tische Sängerin, cs ist Saffo selbst! — Ich muß ihr aus^eichen. — Aber sie geht auf mich zu; — sie lächelt mir; — O gewiß liebt sie mich noch! *So ist doch wenigstens Eine Person hier, in deren Augen ich noch der schöne Faon bin! — Ich will ihr entgegen gehen. — Saffo.

Wie? der schöne Faon auch im Elysium?

Faon, fhv ßch.

Dacht' ichs nicht! — Willkommen, Dichterin. Du hast mich wohl nicht so bald in diesen Gegenden zu sehen gehofft?

Saffo, lächelnd. Hat sich vielleicht eine Grausame gefunden, die mich an dir gerochen hat? Hast du dich auch vom Leukadischen Felsen herab gestürzt?

Faon. Vergieb mir deinen Tod, reizende Saffo — Ich glaubte nicht, daß dich die Liebe zu einer so ernsthaften Verzweiflung treiben wurde.

Gespräche im Elysium.

391

Saffo. Es war ein kindischer Zustand, was wir da oben Leben nannten! Wenn ich jetzt an meine Lieder denke, Faon, — Eie hält die Hand vor- Gesicht.

Faon. Laß sie dich nicht gereuen, schöne Sasso! Faon sicht dich )etzt mit ganz andern Augen an — Saffo, ihm schnell ins Wort fallend.

O gewiß nicht mit verschiednern, als womit Saffo den schönen Faon ansieht, Faon., erschrocken.

Wie so? Was willst du damit sagen? — ZKrsich. Götter! ich werde mir doch nicht zu viel geschmei­ chelt haben?

Saffo. So gefalle ich dir hier wirklich besser als zu Mi­ lulen e? Faon. Und Du, — findest du mich so verändert von dem was ich war, als du mein Herz — Afrodite mußt' es in ihrem Zorne verhärtet haben.' — durch so feurige Lieder in Lrebe zu zerschmelzen suchtest?

392

Gespräche im Elysium.

Sa ff o. Erinnere mich nicht mehr daran! Mir wird gleich fb wunderlich hier — Sie legt die Hand auf den Magen.— Ich finde dich gar nicht verändert.

Faon, lebhaft-, indem er sie bei der Hand nehmen toiU.

Wirklich nicht?

Saffo, die Hand zurück ziehend.

Ich finde dich noch eben so blond, eben so krau-lockig, blauäugig, lilienwangig, kirschlippig, noch eben so weich und zart und wie mit lauter Rosen und Küssen aufgefüttert, als ehemals — Kurz, Faon, du bist so schön, daß — mir ganz übel davon wird. Sie bricht einen Zweig von einem blühenden Citronenbaum ab, und hält ihn vor den Mund.

Faon. Mir sollen die Grazien den Rücken kehren, wenn ich dich verstehe! Saffo.

Ich dächte, ich erklärte mich. — Siehst du, schöner Faon, — ich kann mich nicht lange aufhalten;

G.esprache im Elysium.

393

— Aber so schöne sperren wie du — sind nun, seit ich hier bin, meine tägliche Gesellschaft. ES find ihrer nicht weniger als fieben, und immer einer blon­ der, süßer, zarter, lilienwangiger, geistloser, unbedeutender, leerer, stroherner als der andre. Und denke, ich muß sie, schon -fieben ganzer Monden lang, den ganzen Tag um mich her flattern lassen, ihre gefühllosen Schmeicheleien, ihren ewigen eintönigen Grillengesang, ihr gedankenloses Elstergeschwätz an­ hören, und — darf mir weder die Augen verbinden, noch die Ohren verstopfen, noch davon taufen, — und das alleS, schöner Faon, zur Strafe, wsil ich — so ein albernes Ding war, mich, aus Ungeduld darüber, Haß du so wenig Seele hattest, von dem Leukadischen Felsen zu stürzen. Ich ^versichre drch, mein Zustand würde ärger als ein Platz im Tar­ tarus gewesen seyn, wenn nicht alle sieben Tage ein­ mal der eisgraue Nestor, und der alte Si­ mon i des, und der weise Soton, und andre solche hübsche Leute Erlaubniß gehabt hätten, mich zu besuchen und meines Leides zu ergötzen. Faon, für sich.

Ich möchte von Sinnen kommend Saffo. Du glaubst nicht, wie viel dieser alte Home­ rische Nestor über mein Herz gewonnen hat!

394

Gespräche im Elysium.

Das nenn' ich einen Mann, bei dem einen die Stunden zu Augenblicken werden! Wenn ja noch einer ist, der ihm den Vorzug in meiner Liebe strei­ tig machen kann, so ists Anakreon, — der lie­ benswürdigste, natürlichste, munterste, angenehmste, jugendlichste Greis im ganzen Elysium. Mein guter Faon ! das sind die Manner, von denen ein Mädchen im Elysium geliebt zu werden stolz seyn mag! Faon, für sich.

Was sie schön wird, indem sie von den alten eisbärtigen, hohläugigen Flußgöttern spricht! — Laut. — Wenn du das alles nicht bloß sagst um mich rasend zu machen, so har der Sturz vom Leukadischen Felsen eine mächtige Veränderung in dir gewirkt. Saffo. Das ist auch noch das einzige, weßwegen ich dir von Herzen gut bin, lieber Faon; und sobald du deine Quarantäne überstanden, und dich zu einem Menschen, der in guter Gesellschaft einen Platz be­ haupten kann, abgestreift haben wirst, sollst du keine Ursache finden, mich der Undankbarkeit zu be­ schuldigen. Inzwischen fahr wohl! — Sie wendet sich von ihm ab, um tveazng-hen. Für sich. — Ich kanns nicht länger bei dem widerlichen Menschen aushalten.

Gespräche int Elysium.

395

Faon. Du bist ja sehr eilfertig. — Suchst du etwa dei­ nen alten Anakreon, oder den Großvater Nestor auf? — so ersparst du eine Muhe — denn, wenn ich recht sehe, so kommt dir der alte Bacchus­ bruder von Teos, seine Glatze mit Rosen u mkränzt, und den vollen Becher in der Hand, aus jenem Seitengang entgegen. Er weicht auf die Seite.

Saffo. Du hast recht gesehen. — Woher, o Sänger der Grazien, diese unverhoffte Erscheinung? Anakreon. Die seligen Bewohner Elysiums senden mich, schöne Dichterin, dich in ihre Versammlung einzu­ führen. Deine Buße ist vorbei, — und in diesem goldnen Becher, mit Wafferaus Lethe gefüllt, Bring' ich dir ein ewiges Vergessen aller Thorheiten und Plagen deines Erdenlebens. Saffo. Reiche her! —- Dieß trink' ich den schönen Les­ bierinnen, dem goldlockigen Faon, und den Nymfen des Leukadischcn Felsens zu! — Sie trinit aus, und wirft sich dem Anakreon in die Arme.

30

Gespräche im Elysium.

Anakron. Komm, meine Liebe. — Er singt. 'Ai MovGai tov Epcora t>T)Ga8ai STEpavoiGt Teo KaXXti icaptbcorxav U. s. w.

Sie gehen Arm in Arm singend ab.

F a o n. Und was aus mir werden soll, darum beküm­ mert sich niemand. — Ein feines Tlyflum!

A

ii

m

e

rk

ungen.

Bonifaz

Schleicher.

S. 5. Tartuffe — Diesen Namen wählte Moliere zum Titel eines feiner Lustspiele, und nach dem Charakter der darin dargestellten Person be­ zeichnete man nachher jeden Scheinheiligen und Heuch­ ler damit. S. 6. Montespan — Franziska Athanasia von Rochechouart, Gemalin des Marquis von Mon­ tespan, ausgezeichnet durch ihre Schönheit, war die Geliebte Ludwigs XIV. Sie starb 1707 im Kloster, p>ohin sie sich 1692 zurückgezogen hatte.

Anmerkungen.

400

Der

Stein der Weisen.

(Als Zugabe zu

Nicolaus Flame!.)

Dieser Aufsatz Wielands kann erst in der folgen­ den Abtheilung mitgetheilt werden. S. Bd. 43. Die gegenwärtige Erzählung ist zwar auch ohne ihn ver­ ständlich, jedoch will W. durch diesen Beisatz wohl noch anderes Verständniß herbeiführen, welches auszufinden dem Scharfsinn des Lesers billig überlassen bleibt. S. 5r. Korn wall u. s. w. — S. Dd. 24. was in der Abhandlung über das romantische Epos von dem Cyklus deS Königs Artus gesagt ist.

S. 53. Naturgeist. Natur salz. Assralfeuer. Proteus. —Die Erklärung beginnt am schicklichsten mit diesem letzten. Der hier genannte P r 0 t e u S, mit dessen Namen man öfters einen Menschen bezeichnet, dev mit Leichtigkeit die verschie­ densten Gestalten anzunehmen fähig ist, kommt zuerst bei Homer vor (Odyss. 4, 334. fgg.) als ein weissa­ gender Meergott der Aegypter, der die Gabe besaß, sich in alle Gestalten zu verwandeln, und der nur gebunden und gezwungen seine Weissagungen mittheilte. Sowohl diese Sagen als sein Name, welcher den Ersten bedeutet, veranlaßten die Forscher aus

Anmerkungen.

401

dem Orphischen Institute, ihn für ein Sinnbild des Urstoffes zu erklären, und ein solcher Orphiker sang von ihm:

Proteus tönt mein Gesang, der Meeresschlüffel Besitzer, Welcher, zuerst erzeugt, der Natur Anfänge geordnet, Wandelnd den heiligen Stoff in vielgestaltiger Bildung, Allgeehrt, vielrathig, ein Kundiger dessen, waö da ist, Oder was vormals war, und was Zukünftiges seyn wird; Denn die erste Natur hat in Proteus alles geleget. Alle diese Dichtungen hangen zusammen mit einer uralten Naturphilosophie, nach welcher Wasser das Urelement ist, aus dem sich alles andere entwickelt. Andere nahmen statt dessen auch em anderes Element, z. B. Luft oder Feuer, oder mehrere dieser Elemente zugleich an, aus deren Zusammen - und IneinanderWlrken sie die Entstehung der Dinge erklärten, wo­ zu es, außer dem Element oder den Elementen, noch einer bewegenden Kraft, eines Geistes be­ durfte. Es ist nicht nöthig zu sagen, wre große WtelandS W. 27. Bd, 26

402

Anmerkungen.

Verschiedenheit der Meinungen auch hierüber ge­ herrscht hat. Einige nahmen alle Elemente als be­ seelt oder von Seelen durchdrungen an. Andere er­ klärten bald die Luft, bald das Feuer oder Licht für das schaffende und bildende Prinzip, den Geist, die Seele der Natur. Späterhin theilten sich alle Naturphilosophen in zwei Hauptparteien, deren eine den Platon, die andere den Aristoteles für ihr Hqupt erklärte. Jene find die Hauptstützen der Geisterlehre, indem sie für die Elemente, die Weltkörper u. s. w. eigenthümliche Geister annahmen, diese strebten nach Begründung einer chemischen Naturphilosophie, und wollten statt der Geister physische Kräfte. Aristoteles, wiewohl öfters zu der andern Partei noch hinüber­ schwankend, legte dem Astralfeuer (der Acht­ und Feuermaterie, die am -gestirnten Himmel beob­ achtet wird) die größte, mächtigste Wirkung bei. Als man im Mittelalter in der Naturkunde den Weg der Beobachtung zu betreten wieder anfing, konnte man sich von seinen Ideen nicht sogleich gänzlich los­ reißen, und man brachte fie — in denen man dun­ kel eine Wahrheit ahnete — mit den selbstgemachten Entdeckungen oder Hypothesen in Verbindung. Wie­ land hatte hier bei feiner Darstellung wohl zunächst den Paracelsus und dessen Anhänger im Sinne, welche drei sogenannte Prinzipiate annahmen, Salz, Schwefel und Merkur, mittelst deren der Archaus alles hervorbringe und bewirke. Wenn der

Anmerkungen.

403

vorige Weg, den alle Gnostiker, Kabbalisten u. s. w. betraten, zur übernatürlichen Magie führte, so führte dieser nur zur natürlichen, welche zu mißbrauchen man jedoch ebenfalls nicht unterlassen hat, wie die Geschichte der Alchymie bewerbt. Auf diese hatten ohne Zweifel die Araber im Mittelalter, wenigstens von Spanien aus, keinen geringen Einfluß. Durch sie wurden viel altere Indische, Persische und Aegyprische Ideen hierüber verbreitet, wie schon der Name deS Dinges andeutet, das man suchte — Stein der Weisen, d. i. das Mittet, unedlere Metalle in edlere, namentlich in Gold, zu verwandeln, und die Universal-Medizin, die gegen alle Krankheiten, ja den Tod selber helfe. Warum schon der Name Stein dieß andeute, erhellt sogleich, wenn man weiß, daß der Edelstein im Orient ein Zauber­ schmuck sey. Daß die Edelsteine (als Lichtsammler) iitr Orient von ganz anderer Wichtigkeit für die Völker sind, als im Occident, daß der Besitz von Edelsteinen nicht nur Reichthum, sondern auch Ruhm und eine im Occident unbekannte Art mystischer Würde giebt, so wie über die geglaubten magischen Kräfte und Wirksamkeiten derselben, darüber findet man das Beste, was noch manche Anwendung er­ fahren muß, bei Ritter in der Erdkunde II. 554. fgg» und Vorhalle zur Europäischen Dölkergeschichte S. 124. fgg.

404

Anmerkungen.

S. 56. Amasis war Aegnptiscker König (Pha­ rao) noch vor dem obengenannten Proteus, den Einige auch in die Reihe der Aegyptischcn Könige gestellt haben, also noch vor dem Trojanischen Kriege. Dahin setzt ihn wenigstens Diodor, denn Herodot kennt nur den jüngeren Amasis, welcher von Kambyses bekriegt wurde. Man hat übrigens unter bei­ den hier die Wahl. S. 66, Der Knabe auf einem Lotus­ blatte — den Zeigefinger am Munde — ist der Gott Harpokrates, der wenigstens, wegen dieser symbolischen Gestikulazion, für gewöhnlich als Gott des Stillschweigens erklärt wird. S. 67, Spiritus familiaris — dienender Haus, seist-

D i e Salamandrin und die Bildsäule.

S. 121. Mystagogen heißen eigentlich die Priester, welche diejenigen, denen die Weihe der Mysterien (Geheimnisse des Lebens nach dem Tode) gestattet war, in den heiligen Weihungsbezirk ein­ führten. Oesters werden jedoch Mystagog und Hie­ rophant (Oberpriester der Mysterien) als gleichtedeutend gebraucht.

Anmerkungen.

405

Göttergespräche.

Don den Göttergesprachen soll hier nur stehen, was Wieland selbst für freien Erguß Lucianischer Laune erklärt hatte,, und dann durfte höchstens das neunte hier noch mitgetheilt werden, da, von dem zehnten an, alle übrigen am zweckmäßigsten seinen politischen Aufsätzen und den Gesprächen unter vier Augen bcigefügt werden. S. Bd. 42. I.

S. 197- Was über in ir ist. — Jupiter, ob­ gleich der Herr der Götter und Menschen, wurde doch von Homer weder als unwissend noch allmächtig vorgestellt, denn auch über ihm selbst war das Schicksal. Die Leser Lucians erinnern sich, welche Bedenklichkeiten von diesem hierüber erregt werden. Uebrigens will W. hier der Herrschaft Jupiters ge­ rade so viel SB rite einräumen, als die Weltkunde der Griechen hatte, die bekanntlich nicht sehr groß war. S. 201. Menipp scheint unter den Philosophen der Liebling Lucians zu seyn; er kommt häufig bei ihm vor, und Wieland hat bei diesem Gespräch des Jkaro-MenippuS öfters sich erinnert. Dieser Menipp, ein Phönizier aus Gadara, kam als Sklave nach Griechenland, erhielt zu Theben seine Freiheit,

406

Anmerkungen.

und wurde Philosoph von der Sekte der Cyniker. Wäre das wahr, was Diogenes der Lakrter von ihm erzählt, daß er durch Wucher ein beträchtliches Ver­ mögen erworben, um dieses betrogen worden, und aus Verdruß darüber sich erhängt habe; so würde man nicht begreifen, wie Lücian auf den tollen Ein­ fall gekommen sey, gerade diesen Menschen sich zum Liebling zu erwählen. Die Wahrheit jener Sage- ist aber sehr verdächtig, denn nicht bloß in' den Todten­ gesprächen Lucians, worin er vorkommt, erscheinen sein Leben und sein Tod aus einem gäNz andern Gesichtspunkte, sondern auch Mark-Antonin in sei­ nen Selbstbetrachtun^en (VL 47») stellt ihn bloß unter die spottenden Verächter des Eintaglebens der Menschen. Man mag also wohl einen besondern Grund gehabt haben, jene Anekdote zu ersinnen, und dieser Grund scheint kein anderer gewesen zu seyn als — Rache an einem Todten zu nehmen, welcher der Lebenden nie geschont hatte. Er war ein saly­ rischer Kopf, dem man den Beinamen Spudogeloios gab, d. i. Belacher dessen, was andere Menschen ernsthaft behandeln. Dieß Belachen mochte er auf gut Cynisch woht oft iitr Leben zeigen, er that eS aber auch als Schriftsteller. Was er alles geschrieben habe, geht uns hier nichts an, genug der Römer Terentius Vatro fand seine Satyren der Nachahmung würdig, und nannte die, die er schrieb, Menippische Satyren (.Gell. K. A. IL iß)

A n irr e r k u rr g e n.

4o7

U-iter seinen Schriften werden aber auch Nekyia genannt, d. i. Hervorrufung der Todten, und Briefe der Götter. Hemsterhuis vermuthet in jenen das Vorbild Lucians zu seinen Todtengesprachen, und giebt dieß als Grund an, warum gerade Menipp hier bei ihm eine Hauptrolle spiele;, vielleicht tvaren diesem Briefe auch Lucians Vorbild zu den Götter­ gesprächen. So lange diese Vermuthungen nicht widerlegt sind, muß man annehmen, daß man Me­ nipp nirgend besser kennen lerne als bei Lucian. Wieland stellt, ihn ganz so dar, wie dieser. St2Og.

Das hier erwähnte Epigramm lautet so:

Marino reo Uiinufo Licinus jacet, al Cato nullo Pompe jus parvo. Quis crcdat esse Deos! u.

S. 214, Julia war die Gemahlin des Augustus, Faustina des Markus Aurelius. Diva heißt jene und diese wegen ihrer Versetzung unter die Götter jCApoihcosis, Consecraiio), welche der Römische Senat für fast alle Kaiser und Kaiserinnen zu dekretiren -Pflegte, sie mochten ^ut oder schlecht, weise oder thö­ richt gewesen seyn. — Ueber die Livia Augusta und über Faustina findet sich späterhin auch noch eine andere Würdigung von Wieland. Alle sonst hier

408

Anmerkungen,

genannten Personen sind bereits in früheren Banden geschildert.

S. 233. Denkmahl von M. Aurelius — Das schönste ohne Zweifel, welches dieser vortreff­ liche Kaiser seiner Gemahlin setzen konnte, ist, daß er sich glücklich prieß, in ihr eine gehorsame, anmuthige, gefällige Gattin, voll Zärtlichkeit gegen ihn und einfach in ihrem Wesen, zu besitzen. S. dessen Selbstbetrachtungen I. 17.

in. Den Jupiter zu Olympia nicht gesehen zu haben, hielt jeder Grieche für ein Unglück (Lpiciet. Am Piss. ]. 6.). Es ist hier der Ort nicht, von diesem Götterideal des Phidias , worüber wir eigene Werke von Dölkel und Sicbenkees besitzen, etwas zu sagen. Wüßten wir nur das Mindeste von seinen spateren Schicksalen, — wir wissen bloß, daß Kaliauta cs nach Rom wollte bringen lassen —; so würden wir entscheiden können, ob der Athenagoras, den Wie­ land hier als Christ dagegen eifern laßt, derselbe sey, von welchem wir eine Bittschrift Qxpcsßiua) für das Christenthum und Apologie für die Christen noch besitzen. Diese Schrift ist gerichtet an den Kaiser Markus Aurelius Antoninus und dessen Sohn Kommodus; der Verfasser muß also um das Jahr 177 n. Chr. gelebt haben. Die Schrift (aus welcher

Anmerkungen.

409

man gute Auszüge findet in Rößlers Bitlioth. d. Kirchenväter J. iß*, fgg.) zeugt von eben so genauer Kenntniß der Werke griechischer Poesie und Philo­ sophie als der christlichen Lehre; sie ist mit viel Ver­ stand, Umsicht und in einem ruhigen, gemäßigten Ton abgefaßt. Gerade dieses macht aber zweifelhaft, ob der Wielandische Athenagoras dieser habe seyn sollen, denn der wirkliche erklärt sich über die Götter­ bilder viel besonnener, und -sagt ausdrücklich, daß er keineswegs eine Anklage gegen sie erheben wolle. Indeß findet sich doch bei ihm allerdings die Mei­ nung, daß Dämonen sich der angeblichen Götter­ bilder bedienen, um die Menschen zu täuschen. S. 240. Theofanie — Eöttererscheinung. Altar des unbekannten Gottes, s/Apo­ stelgeschichte 17, 23.

S. 245. Apage u. s. w. — Hebe dich weg, Satan.' Ich banne dich im Namen — Der folgende Vers, welchen Jupiter anführt „Bekreuze, bekreuze dich, vergebens strebst du mich zu fassen und zu ängstigen" ist einer von denen, welche nur die Kunst des Teufels sollte hervorbringen können, weil sie vorwärts und rückwärts gelesen dieselben Worte utifr denselben Sinn haben. Jupiter hätte also nicht satyrischer antworten können al^ gerade mit diesem Verse.

4io

Anmerkungen. IV.

S. 250. Daß er mich bei den Haaren gefaßt u. s. w. — Zufolge der Schilderung jn Homers Ilias Ges, 8. S.255- Marcellus, Virgils sPes altera Rohiac — Mit diesem Lobspt-uche, Roms zweite Hoffnung zu seyn, belegte Virgil eigentlich den Akcanius CAch. 12, 163.); mit boshaftem Witze wen­ det aber Livia diese Stelle hier auf Marcellus, den Sohn der Oktavia, der Schwester Augusts, an, ein­ gedenk des Denkmahls, welche- der Dichter an einer andern Stelle (Avn. 6, 856 — 687») diesem hoff­ nungsvollen Jünglinge setzte. Auf August und Okta­ via machte diese Stelle liefen Eindruck, und der

Dichter'ward für sie reich beschenkt. reizt noch hier die Galle der Livia.

Dieser Umstand

V. S. 260. Die Töchter des PrötoS, Königes vött Tiryns, wurden wahnsinnig, entweder weil sie die'Mysterien des BakchoS vdt- die der Here ge­

schmäht hatten. In diesem Zustande durchirrten sie Argolis und Arkadien, und steckten nrit ihrem Wahn­ sinn andere Jungfrauen an, daß sie ihre Wohnun­ gen verließen und mit jenen die Walder durch­ schwärmten. Durch den Seher Melampus wurden sie geheilt.

Anmerkungen.

411

VI. VIII.

Es muß den Lesern dieses merkwürdigen Dialogs überlassen bleiben, sich dabei entweder in die Zeiten des Konstanzius oder, was vielleicht noch wahrschein­ licher ist, des Theodosius (£. 379 — 395 n, Chr.) zu versetzen. Selbst solche, die sich sonst in der Beurtheilung Wielands weder gerecht und billig noch — denn war­ um sollte ich es nicht sagen, wenn ich gleich dteselben Manner in andrer Beziehung hochschätze — einsichtrg genug gezeigt haben, konnten doch hier ihpen Beifall nicht versagen. So schreibt z. P. Huber (Sammtl. Werke Bd. 1. S. 426.)-. , Apropos! das kann lch nicht vergessen, Dir zu sagen, daß ich die Göttergespräche nun ganz durchgelesen habe, und vieles zurücknchme von dem, was ich Drr schrieb. Die Einkleidung behält immer vieles Platte, und amalgannrt sich etwas steif und geziert mit dem Fonds. (?) Aber merkwürdig ist die nut denr Alter zunehmende Kühnheit dieses Kopfes. In den Dialog­ gen nach Jupiters Entsetzung ist sehr viel Schönes, und ich finde nun auch, daß der ganze Juprter sehr gut gehalten ist. War Dirs nicht interessant, in der langen Rede Jupiters vor den Gpttssrn zu finden, wie Schillers Manier und Jdeengang hier auf den alten Wieland eingewirkt hat? gern und komisch tst

4i2

Anmerkungen.

der Dialog, wo Jupiter Horkius und Pluvius kom­ men.^ Wenn Schillers Götter Griechenlands, die hier allein gemeint seyn können, und die zuerst im T. Merkur v. I. 1788 erschienen, nicht ohne manchen Widerspruch zu erregen, auf Wieland eingewirkt haben sollen: was hat denn auf ihn eingewirkt, alS er seinen noch früher erschienenen Aufsatz von der Freiheit über Gegenstände des Glaubens -u philosophiren, schrieb? Nur ein Mann aber von den hier ausgesprochenen Grundsätzen konnte auch diese Dia­ logen' schreiben. Es ist jedoch eben so unnöthig, hierüber mehr zu sagen, als weitere Anmerkungen über diese Dialogen beizufügen, deren Leser ihrer nicht bedürfen. Statt aller andern daher nur diese, daß man den achten Dialog von dem sechsten nicht trennen darf. Wer der in diesem eingeführte Unbe­ kannte sey, ist wohl Keinem unbekannt.

Gespräche im Elysium. I. Von Dichtern und Weisen versprochen — Pindar. Olymp. 2. Aeschin. Dial. in. 20. W.

Anmerkungen.

4X3

Die alten Atlanten — Anwohner des Ber­ ges Atlas in Afrika, sind hier mit den benachbarten Ätaranten verwechselt, von denen Herodot IV. 184. berichtet, daß .die einzelnen Personen unter ihnen keine Eigennamen haben. II.

Panthea — Dieser Dialog Lucians steht in Wielands Übersetzung Bd. 3. S. 277. fgg. In der Anm. 36. führt Wieland den Beweis, daß diese Panthea des Kaisers Antoninus Philosophus Kon­ kubine gewesen sey, d. h. seine Gattin, die aber nicht Kaiserin war. Wie ein anderer Jeuris — Dieser berühmte Mahler soll sich, als er den Agrigentinern eine Helena mahlen sollte, flehen der schönsten Mädchen zum Modell ausgesucht haben. Filtrum — Durch Zauber bereiteter Liebe-trank. Plotin und Jam blich, — Zwei Philosophen der Neuplatonischen Schule im • 3ten Jahrhundert n.Chr., der letzte ein Schüler des Porphyrins, der ein Schüler des ersten war. Plotin hat am meisten da-zu beigetragen, die Phi to so pH ie, Liebe zur Weis­ heit, in Theo sop hie zu verwandeln, die man als Gottes-Weisheit eben sowohl für die Weisheit erklären kann, deren Ziel Gott ist, g.lS für eine solche, wie sie in Gott ist. Plotin wird von seinen

4i4

Anmerkungen.

Verehrern für einen tiefen Denker, von seinen Gegner für einen Schwärmer erklärt; ohne Zweifel war er beides. — Apollonius werden die Leser Wielands aus seinem Agathodämon kennen lernen.

in. Nireus — Bei Homer, in der von Wieland selbst angeführten Stelle, Ilias 2, 671. fgg. ‘Ji M o t, et i u. s. w. — Die Musen banden Amorn mit Blumenkränzen, um ihn der Schönheit auszuliefern.

C M. Wielands

sämmtliche Werke Acht und zwanzigster Band.

Herausgegeben von

I.

G.

Gruber.

Poetische Werte XXVIIL B and.

Leipzig, bey Georg Joachim Göschen 1825.

Menander und Glycerion.

Krates und Hipparchia.

Mttiander und Glycerion.

Geschrieben im Jahre 1303.

Vorberkcht

Di« Glyeera oder Glycerion dieser Briefe

ist eine ganz andere, als die Gkycer» des Athen ä u S, welcher selbst zu vermuthen scheint, daß

eS mehr als Eine berühmte Schboe dieses Na­

mens gegeben habe. Die unsrige ist wenigstens zwanzig Zahre jünger, und mit der Strphano-

polis oder StephanoplokoS (Kränzehändlerin ober Kränzefltchtrrin ) des Malers PaufiaS, deren der ältere PliniuS erwähnt, und mit

der Glycera, welche Alciphron einen so schi-

4

Dorbericht

neu Brief an Menandern schreiben läßt, bdaß

man ihn für ächt halten möchte, eine und ebben dieselbe Person.. Zn dem Men an der, den uns diese Driiiefe

darstellen, werden griechischgelehrte Leser (wernn sie anders solchen Lesern in die Hände sallllen sollten) alle die Züge wieder finden, die vvon

dem Charakter des berühmten komischen DichteerS

dieses Namens theils aus den übrig gebliebennen Trümmern seiner Werke, nicht ohne eine 2Art von Divinajion, errathen oder 'geahnet werdden können, theils von dem Herausgeber derselbe««,

Le Clerc, aus alten Schriftstellern Husammacngetragen worden sind.

Dorbertcht.

5

Die sechs Zahre, worin diese Briefe geschrie­

ben seyn sollen, fallen zwischen die n6te und

H7te Olympiade, in eine Zeit, wo Athen, die glänzende aber stürmische politische Rolle, die «S 150 Zahre lang gespielt hatte, und die fiol-

zen Ansprüche an die höchste Gewalt in Griechen­

land, aufzugrben genöthigt, an dem edlem Vor­ zug, die Pflegerin der Philosophie und der Musen­

künste zu seyn, sich allmählich begnügen lernte.

Daß eS übrigens bei einem Sittengrmälde,

wie das vorliegende, um innere Wahrheit, um Verbindung aller Theile zu Einem harmonischen

Ganzen, um Uebereinstimmung der Personen mit sich selbst und dem Geist ihrer Zeit, und um

6

Vorder ich t.

eine, zwar nicht ängstliche, aber doch zu einem

gewissen Grade von Täuschung unentbehrliche

Beobachtung desKostumS und andrer charak­ teristischer Umstande mehr, als um strenge historische und rhronologische Wahrheit zu thun

sey, bedarf wohl kaum erinnert zu werden.

I. Menander an Dinias.

Du beschuldigest mich

der Unempfindlichkeit gegen

die Meize des Geschlechts, d?m Götter und Men­ schen huldigen; ich sey ein wahrer Weiberfeind, sagst du, ein Verwegner, der Amorn und seiner Mutter Trotz biete, mit Einem .Wort, ein zweiter Hippolytus; und du zitterst in meinem Namen vor der Gefahr, die dein leichtsinniger Freund wenig, zu achten scheint, wie jener Sohn der Amazone, ein klägliches Opfer der Rache dieser so leicht zür­ nenden Götter zu werden. Du thust mir großesUnrecht, lieber Dinias, und zitterst ohne Noth für. mich; denn wie sehr auch der Schein gegen mich zeugen mag, ich bin eher alles andere als gefühllos gegen die Reize unsrer Schönen. Seit meinem vier­ zehnten oder fünfzehnten Jahre sah ich keine Panathenaen noch Eleusinien, wo ich mich nicht entweder in goldgelbes oder rabenschwarzes Haar, in einen milchweißen Nacken, oder in die runden Lilienarme und zierlichen Knöchel dieser oder jener jungen Korb trag er in verliebt hatte. Daß solche

8

Menander und Glycerion.

Liebesflämmchen eben so schnell wieder verfackelten, als sie sich entzündet hatten, versteht sich. Aber ist es meine Schuld, wenn unter allen Töchtern Athens noch keine meine Phantasie zu fesseln und mir eine dauernde Zuneigung einzuflößen vermocht hat? Wenn ich noch keine gesehen habe, die zur Liebe, in der edelsten Bedeutung des Worts, lie­ benswürdig genug war, ist es meine Schuld? Daß ich der Art von Liebe, die voM ersten Anblick zu einer unbündigen Leidenschaft aufbrennt, einem Menschen alle Gewalt über sich selbst raubt, und das Glück oder Unglück seines ganzen Lebens unwiederruflich entscheidet, daß ich dieser tragischen Art zu lieben unfähig bin, habe ich glücklicher Weise der Natur zu danken. Aber zeige mir ein Mädchen, auS deren Augen— blau oder schwarz, gleich viel! — eine kunstlose, offene, im Bewußtseyn ihrer Unschuld freie und fröhliche Seele, und ein reiner, zarter, angeborner Sinn für alles Schöne hervorblickt; zeige mir eine, deren Blicke weder frech umher schießen und die Manner zum Kampf heraus for­ dern, noch, hinterlistig unter langen Augenwimpern emporschielend,-zu verrathen wünschen, was sie zu verbergen gelehrt worden sind: zeige mir ein Mäd­ chen, die, mit einer Rose im Haar und einem ein­ fachen leichten Kettchen um den Hals, den prächtig­ sten Schmuck einer reichern Gespielin ohne Mißgunst ansieht r kurz, zeige mir ein Mädchen, wie ich zu

Men ander und G lycerion. Athen keines zu finden hoffen darf, unverfälscht an Seel und Leib, ohne Ansprüche, ohne Lüsternheit, eine ächte Tochter der Natur, von den Grazien ge­ pflegt, von ddn Musen erzogen, würdig geliebt zu^' werden und'fähig wieder zu Heben/ Und ich schwöre meine Freiheit auf immer in rhkStt Armen ab! Wahr istS, wir haben keine Gelegenheit, unsre Jungfrauen anders als an öffentlichen Festtagen -u sehen, wo fle im höchsten Staat, mit züchtig ge­ senkten Blicken und mädchenhaftem Stolz, .wie ein Zug Schwäne, bei uns vorüber ziehen; es ist un­ möglich sie eher kennen zu lernen, bis es uns zu nichts mehr helfen kann. Aber ich denke mich nicht zu irren, wenn ich von den Müttern auf die Töchter schließe; und daß unsre Frauen, im Durchschnitt ge­ nommen, viel besser geworden seyn sollten, als Arkstophanes und die andern Dichter der alten Komödie vor hundert Jahren ihre Aeltermütter schilderten, scheint mir, nach allem was ich sehe und höre, nicht sehr wahrscheinlich. Gönne mir also, Freund Dinias, bis mir etwa durch mein gutes Glück ein fd seltner Vogel in den Busen fliegt, meine gewohnt- Art, keine zu lieben, weil ich in alle verliebt bin, oder (wenn du lieber willst) laß mir meine Freiheit und Gleichgültigkeit; und mögest du dages gen täglich neue Ursache finden, die Stunde zu seg­ nen, da Amor und HymenauS, in seltner Eintracht,

io

Menander und Glycerion.

dir mit den hochzeitlichen Fackeln ins Brautgemach lichteten! Ich vernehme ungern, daß die Besitznahme der Hüter,.die dir dein alter L.heim verlassen hat, dich langer in Euböa aufhatten werden als du gedachtest und ich hoffte. Eine so lange Trennung zu versüßen, sehe ich kein Mittel, als uns recht oft zu schreiben, und bis zum Wiedersehen einander alles durch Briefe mitzucheilen, was der Freund dem Busen des Freun­ des zu vertrauen wünschen mag.

IL Menander an den Maler Nicias. ibu kennest ohne Zweifel Gemälde des Pau­ las von Sicyon, das unter dem Namen der Kranzehandlerrn seit kurzem so viel von sich reden macht? Denn du mußt es nothwendig bei dem, reichen Tanthippid.es, der es um eine be­ trächtliche Summe an sich gebracht, mehr als ein­ mal gesehen haben, Der Besitzer hat mir erlaubt eine Abbildung davon nehmen zu lassen. Du wür­ dest mich also dir sehr verbinden, lieber Nicias, wenn du jede andere Arbeit, die sich aufschieben

Menander und GLpcerion.

n

bel Seite legen, und nur die Freundschaft er­ weisen wolltest, unverzüglich, so lange das Verspre­ chen des Lqnthippides noch warm ist, ein deines Pinsels würdiges Nachbild dieser Kranzehandterin für mich zu fertigen, lieber den Preis werden wir leicht einig werden; bestimme ihn so hoch, als du für billig hältst, es wird doch immer dein Schade seyn, daß ich nicht so reich wje Tanthippides bin. Ich weiß, du wirst mich keine Fehlbitte thun lassen; nur, guter Nicias, laß mich auch nicht zu. lange, warten! Zehn Tage sind zehn Monate, für einen so. ungeduldigen Sterblichen als dein Freund Menander.

in. Menander an Dinias* Freue dich, oder Lraure über deinen Freund — welches von beiden, mögen die Götter wissen! — derne Drohung geht in Erfüllung, Amor und Aphro­ dite scheinen eine schwere Rache an mir nehmen wollen. Ich bin, seit meinem letzter» an dich., so unvermuthet —wie ein Knabe am Rand eines. Bachs Schmetterlinge haschend, ins Wasser herabglitscht—r bis. an den Hals in Liebe hinein g-p(umpt. —

x*

Menauder und Tlycerion.

Menander verliebt? rufst du. — Ja, mein Freund, und in ganzem Ernst verliebt. Aber in wen? *Das ist eben das Schlimmste! Nicht in die spröde Königin der Götter, wie Ixion; nicht in ein Marmorbild, wie Pygmalion; nicht in mich selbst, wie Narcissus — Ich bin — um dich nicht länger rathen zu lassen — in eine kleine, von Pauflas mit Wachsfarben gemalte Blumenhändlerin verliebt, Lache nicht, Dinias! die Sache ist ernst­ hafter, att du dir vorstellst. Höre nur, wie eS damit zuging. Ich habe ein kleines Geschäft mit XanthippideS, LemlSohn des weiland reichen Wechslers PythokleS, abzuchun. Er führt mich in eine mit Gemälden auSgezierte Halle. Ich spreche mit ihm von unsrer Angelegenheit, ohne mich um die Gemälde zu be­ kümmern, die ich schon mehr als einmal gesehen habe. Aber im Weggehen fallt mein Blick von Un­ gefähr auf ein drei Palmen hohes Bild, daö mir neu ist, und mich schon von fern durch den Glanz und die Harmonie seiner Farben anzieht. Ich nähere mich ihm und betracht' eS mit immer steigendem Entzücken. Es ist, sagte XanthippideS, wie du stehst, ein enkaustisches Gemälde von -er Hand deS berühmten Pausias, das ich vor Kurzem um drei Tausend Drachmen gekauft habe. Man weiß nicht, waS das Schönere darin ist, das junge Mäd­ chen, oder der Blumenkranz, den sie in ihrer nied-

Menandrr und Glyeerion^

x3

Lichen Hand emporhält/ um -u dem großen Korb voll ähnlicher Kränze, det neben ihr steht, Käufer einzuladen. Ich gebe alle Blumen in der Welt, und wenn auch keine Wurzelfaser und kein Samen­ körnchen von ihnen übrig bleiben sollte, um das. Mädchen, rief dein unweiser Freund. Tanthippidelachte, und schien fich nicht wenig darauf einzubilden, der Besitzer eines Stücks zu seyn, daS einem Schüler des weisen-Theophra sts einen solchen Wunsch auspressen konnte. Das Mädchen nennt sich Glycera, fuhr er fort; sie ist eine Sicyone-

rin, und nährt sich und ihre alte Mutter vom 93er« kauf der Blumenkränze, die sie mit einer zuvor un­ bekannten Kunst zusammenzusetzen weiß. Sie ist meine Lehrmeisterin in der Blumen-Malerei, sagte mir Pausias, und wirklich scheint es unmöglich, eine größere Mannigfaltigkeit von Blumen malerischer zusammen zu ordnen, als du in diesen Kränzen siehest, welche Pausias aufs sorgfältigste von den ihrigen abgebildet hat. Seit dieser Stunde, mein Dinias, ist es mit deinem Menander nicht wie es sollte. Das ver­ wünschte kleine Blumenmädchen, mit seinem kindi­ schen runden Gesichtchen und mit seinen unschuldigen Schelmenaugen, sitzt mir immer vor der Stirn, folgt mir wohin ich gehe, und mischt sich in alle meine Gedanken; ich kratze, ohne recht zu wissen, was ich thue, ihren Namen in alle Bäume, und träume

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Menander und Tlycerion.

alle Nachte von nichts als ihr. Bald seh ich sie als die Göttin der Blumen am Jlyssus wandeln; bei Tausenden entsprossen sie dem Boden unter ihren Blicken, und steigen, sich um ihre schönen Knöchel schmiegend, aus ihrem Fußtritt empor. Zephyr fliegt mit offnen Armen auf sie zu, sie liebkosen sich, und ich vergehe vor Neid und Mißgunst. Bald sitzt sie, einen Blumenkranz flechtend, mir gegenüber; ich lese ihr eine Scene acks meiner Andria, die an den nächsten Dionysien gegeben werden soll; sie lächelt mir Beifall zu, und bindet mir, mit einem Kuß, der mich zum Jupiter macht, ihren Kranz um die Schlafe. Kur-, ich schäme mich sogar, dir, dem schon so lange alle meine Gedanken offen stehen, zu bekennen, wie verdächtig es in meinem Kopf aus­ sieht. Erinnere mich nicht an die strengen Forderun­ gen, die ich neulich zu den Bedingniffen machte, unter welchen ich mich einer dauerhaften Anhänglich­ keit an ein weibliches Wesen fähig halte. Frage mich nicht, woher ich wisse, daß die Blumenhänd­ lerin der Ausbund aller jungftäulichen Tugenden sey, die ich verlangte. Ich sehe Alles, was schön und gut ist, aus ihren Augen, aus jedem Zug ihres lieblichen Gesichts, aus ihrer Miene und Stellung, kurz aus ihrem ganzen Wesen hervorblicken. Der weise Sokrates hat Recht; ein schöner Leib bürgt für eine schöne Seele. Und gesetzt auch, es wäre anders, warum sollte ich meinem Gefühl nicht glau-

Menander und Glyeerion.

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ben? Im schlimmsten Falte wage ich wenig oder nichts dabei; ich habe doch eine Zeitlang die süßeste Täuschung als Wahrheit genossen, und 6m, wenn mir die Augen endlich aufgehen, um eine Erfahrung reicher, die in der bloßen Erinnrung noch süßen Ge­ nuß gewahrt. Das Unglück ist nur, daß ich diese Erfahrung nie machen werde; denn Sie lebt zu Sicyon, und i ch bin an Athen gebunden. Wie darf ich hoffen, daß Sie, die von mir -nichts weiß, zu mir nach Athen kommen werde, da ich, den ihr bloßeS Bild schon bezaubert, nicht zu Ihr kommen kann? WaS aus einer so seltsamen Art in die Ferne zu lieben werden soll, mag der delphische Apollo errathen! Oder begreifst du etwas davon, Dinias?

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Menander und Glycerion.

IV. Nicias an Menander.

Deinem Begehren soll Genüge geschehen, Menan­ der, so gut als ein enkaustischeö Gemälde sich mit Saftfarben kopiren laßt; nur so schnell, als du wünschest, geht es nicht an, weil ich ein schon lange bestelltes großes Stück in der Arbeit habe, das ich nicht bei Seite legen kann. Aber ich habe dir etwaS zu berichten, was dir das Warten vermuthlich sehr erleichtern wird. Vor einigen Tagen ist die junge Sicyonerin, von deren Bilde die Rede ist, in eigner Person zu Athen angelangt. Sie nennt sich Glycera, und ist wirklich das reizendste Mädchen, das ich je gesehen habe. Lebe wohl.

Menander und Glycerion.

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V. Glycera an ihre Verwandte N a n n i o n zu

Sicyon.

Ich lebe nun beinahe einen Monat in dem schönen Athen, und mir ist ich lebe unter den Göttern. Was ich für ein Kind war, als ich mir einbildete, Sicyon sey eine schöne und große Stadt! Jetzt, da ich Athen gesehen habe, dünkt mich jenes ein Dorf und diese die einzige Stadt in der Welt. Mit jedem Schritt glanzt dir ein Tempel oder eine auf zierlichen Säulen ruhende Hatte, oderein Gymnasien, oder ein andres öffentliches Prachtgebaude in die Augen; überall siehst du dich von ehrwürdigen Denkmälern des Alterthums und den herrlichsten Werken der neuern Kunst und des reinsten Geschmacks umge­ ben, und du würdest (wie es mir erging) vor Vergnügen in Entzückung gerathen, wenn du die Propyläen, das Parthenon und das Odeon des Perikles zum ersten Mal sehen solltest.

Meine Mutter hat (wie es unsre Umstände mit sich bringen) ein kleines Häuschen in der Vorstadt Piräus gemiethet, woran das Beste ein ziemliches

Wielands 2D. 2§ Dd.

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Menander und Glycerion.

Stück Gartentand ist, wo wir mancherlei Blumen, besonders Rosen, Hyacinthen, Anemonen und Ranun­ keln von allen Farben zum Behuf meiner Blumen­ kränze ziehen werden. Für jetzt haben wir einige Blumengarten in Beschlag genommen, um mich mit den, Materialien zu meiner Kunst zu versehen, die hier großen Beifall findet, und uns, wie ich hoffe, hinlänglich nähren wird. Man sagt, ein sehr reicher und angesehener Mann zu Athen habe dem Pausias die Tafel, wor­ auf er mich, einen meiner schönsten Blumenkränze emporhaltend, abgemalt hat, um großes Geld — einige sagen von sechstausend, andere gar von zehen­ tausend Drachmen — abgehandelt. Meine Mutter und meine Schwestern bauen große Hoffnungen auf diese Sage. Wenn er um dein bloßes Bildniß eine so ungeheure Summe giebt, sprechen fie, wie viel wirft du ihm erst selber werth seyn? Ich höre sie nicht gern so reden. Ich will weder nach Drachmen noch nach Minen geschätzt seyn. Ich weiß, daß ich nur ein armes Mädchen bin, aber ich,habe keinen Preis. Gewiß ist indessen, daß der reiche Herr bis jetzt noch nichts vpn sich hören ließ. Am Ende ist wohl an der ganzen Sache nichts, und desto besser. Mit jedem Tage werde ich von Athen und seinen Einwohnern mehr bezaubert; es sind die artigsten, angenehmsten und gefälligsten Leute von der Welt. Aber was mich am meisten freut, ist, daß ich nun

Meyan-er und Glycerton.

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in der Stadt lebe, wo Menander wohnt. Du weißt, daß ich seine Stücke beinahe auswendig kann. Nun werd' ich sie auch aufführen sehen, vielleicht mit ihm selbst bekannt werden; und wer weiß — Be­ wahre mich, gute Adrastea, vor einem gar zu übermüthigen Gedanken! Aber daH ich ihn wenig­ stens nur zu sehen bekommen möchte, das darf ich doch wohl wünschen? Lebe wohl Nannion! Ich ge­ denke Vir so oft zu schreiben, als ich etwas von mir zu berichten habe, und erwarte dasselbe von dir.

VI. Menander an Dinias. Die Götter der Liebe sind mir frerurdlicher, als ich hoffen durste. Sie ist in Athen! — Wer? fragst du — Nun, wer anders als mein Blumenmädchen? das versteht sich doch von selbst. — Mit Einem Wort also, Glycerion ist hier. Ich Habeste, ohne von ihr wahrgenommen zu werden, gesehen, und o? welch ein armer Stümper dünkte mich in jenem Augenblick der berühmte Pausias! Es ko­ stete Mühe, mich zurück zu hatten; meine Arme wollten sich mit aller Gewalt öffnen: aber ich be­ zwang wich, und du siehest daraus, Lieber Dinias,

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N-nander und Glyeerion.

daß noch einige Hoffnung für weinen Verstand übrig ist. Je liebenswürdiger Sie mir scheint, desto mehr liegt mir daran, mich gänzlich zu überzeugen, daß ich mich nicht tausche »Viel kaltes Blut für einen. Verliebten,« wirst du sagen. In der That, seitdem ich weiß, daß Sie nur eine kleine Meile von mir entfernt ist, bin ich so ruhig, als ob Sie mit mir in Einem Hause wohnte. Das Vergnügen, so ich mir von unsrer nähern Bekanntschaft verspreche^ ist so groß/ daß ich mich nicht entschließen kann, es mir selber wegzugenießen; gerade wie ein Gei­ ziger seine Geldkiste täglich und stündlich mustert, aber, aus Furcht sie -u vermindern, lieber hungert und dürstet, als das Herz hat, etwas davon zum Gebrauch heraus zu nehmen. Denn freilich das Ge­ noffene kann nicht wieder genossen werden. Anfangs wollte mir vor dem reichen Xanthippideö ein .wenig bang seyn. Ich befühlte ihn daher ganz leise, fand aber, daß er seine Stephanopolis eigentlich bloß der Blumenkränze wegen schätzt, und der Meinung ist, ein Mann, der reich genug sey, die Königin aller Hetären unsrer Zeit, die schöne B a c ch i s , zu unterhalten, würde sich lächerlich machen, wenn er sich zu einem Mädchen wie Glycerion herabließe. Das war nun gerade was ich wollte; und doch ist die Liebe so ein grillenhaf­ tes Ding, daß ich Händel mit ihm hätte anfangen mögen, als ich merkte, er sey bloß darum nicht

mein Nebenbuhler, weil er

meine

Geliebte seiner

Aufmerksamkeit nicht würdig halt. Ein Liebhaber ist über jeden Blick, den ein Anderer auf die Gebie­ terin feines Herzens wirft, eifersüchtig, und ver­ langt doch, daß die ganze Welt vor seinem Abgott auf den Knieen liege. 1 Ruhig von dieser Seite fuhr ich gleichwohl noch einige Tage fort, das Mädchen scharf bewachen und beobachten zu lassen. Aber alle Nachrichten, die ich erhielt^ stimmten darin überein, daß man nicht ein­ gezogener und sittsamer leben könne; daß sie ihre Blumenkränze durch eine ihrer Schwestern verkaufe, und daß es von den vielen Mannspersonen, die ihre Thüre unverriegelt zu finden gehofft, noch kei­ ner einzigen geglückt sen, sie auch nur in ihrer Mutter Gegenwart zu sprechen. Jetzt hielt mich nur noch eine Grille zurück. Ich wollte das Bacchusfest vorbeilassen, um zu sehen, ob mir vielleicht meine Andria zur Empfehlung bei ihr dienen könnte. Denn, wiewohl mein Name be­ reits ziemlich bekannt in Griechenland ist, so darf ich mir doch nicht schmeicheln, daß er an einem. Ort ,wie Cicyvn, bis zu ihr durchgedrungen sey, ge­ schweige daß sie meine Komödien gelesen und daraus eine gute Meinung von imr nach Athen mitgebracht haben könnte. Philemon, der mir, bekannter Maßen, schon mehr als Einmal, mit Recht oder

Anrecht den Preis abgewonnen hat,

setzt mir dieß-

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Menander und Gtycerion.

mal ein Stück entgegen, der Kaufmann betitelt, das wohl keines seiner besten seyn mag, aber der Leichtfertigkeit wegen, womit ein sehr schlüpfriger Stoff darin behandelt ist, mehr Anziehendes für unsre Zuhörer hatte als meine Andria, die in der That

für eine neue Gattung gelten kann, und eher zu weinen als zu lachen macht. Ich gestehe dir, daS Herz pochte mir wahrend der Aufführung stärker alS jemals, weit ich wußte, daß Glycera unter den Zu­ schauern seyn würde.' Maß ich fürchtete war weniger der Verdruß, den Preis einem Andern überlasten zu müssen, als der nachtheilige Eindruck, den ein schlechter Erfolg auf meine Geliebte machen würde. Denn bei den Weibern hat der Ueberwundene gegen den Sieger immer Unrecht. Aber dießmal fiel es anders aus: meine Nieder­ lage war der glücklichste Umstand, der mir begegnen konnte. Glycera urtheilte ganz anders als unsere Kampfrichter. Mein Stück hatte einige Thränen in

ihre schönen Augen gelockt; fie gab ihm in allem den Vorzug vor dem gekrönten, fand den Ausspruch der Richter ungerecht und geschmackwidrig, und sagte so laut, daß es hören konnte wer wollte: sie gehe, Menandern den schönsten Kranz zu binden, der je­ mals aus ihren Händen gekommen sey. Die Pflicht, ihr für einen so unverhofften Beifall zu danken, gab nun meinem Besuch den schicklichsten Vorwand. Ich wurde schr wohlaufgenommen, und aus dem eignen

Menander und Glycerion.

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Munde der schönen Glycera mit der Versicherung überrascht, daß sie mehr als Eine meiner Komödien auswendig wisse. Ihr ganzes Gesicht überzog sich mit der reizendsten Schamröthe, indem sie dieß sagte. Was konnt' ich da weniger thun, als ein so schmei­ chelhaftes Gestandniß zu erwiedern, indem ich ihr dagegen bekannte, welche Wirkung ihr bloßes Bildniß auf mein Herz gemacht, und dieß zu einer Zeit, da ich keine Hoffnung hatte, sie jemals selbst zu sehen? Die Freude, die sie mich hierüber ohne alle Zurück­ haltung sehen ließ, verbreitete ein so zauberisches Lä­ cheln über ihr liebliches Gesicht, daß jeder Rest von Weisheit, den mir die Liebe noch gelassen haben mochte, wie Schnee im Sonnenstrahl darin zerrann. Sie war nun in meinen Augen das liebenswürdigste aller Wcsen, und ich, von ihr geliebt, der glückse­ ligste aller Sterblichen. Von dieser Zeit an ward ich alS der Freund vom Hause betrachtet; es stand mir zu allen schicklichen Stunden offen, und ich brachte gewöhnlich in jeder Dekade drey-oder viermal den ganzen Abend bei Glycerion zu. Die Mutter schien Anfangs kein son­ derliches Wohlgefallen an dieser Vertraulichkeit zu haben; ein Hausfreund, wie Tanthippides, wäre ihr besser angestanden, als ein Komödiendichter, der, nach seinem schlichten Aufzug zu urtheilen, eben kein Günstling des Plutus zu seyn schien. Aber Glycerion hat durch ihre liebkosende Zärtlichkeit und die Vortheile,

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Menander und Gtycer'ron.

die das Hauswesen von ihrer Geschicktichkeit zieht, eine Art von sanfter Herrschaft über die Mutter er­ langt, welcher diese nie lange widerstehen kann. Auch wirst du leicht erachten, daß ich es an meinem Theil nicht fehlen ließ, mir die Alte sowohl als die Schwe­ stern immer gewogener zu machen. Das einfachste Mittel war, daß ich mich in einer geheimen Unterre­ dung mit der Mutter anheischig machte, ihre Glycerion nie zu verlassen, und die Hälfte meines (wie du weißt) nicht unbeträchtlichen Einkommens zu ihrer Wirthschaft beizutragen. Mehr brauchte es nicht, fie über das Verschwinden ihrer anfangs zu hoch gespannten Hoffnungen zu trösten, und mit ihrem Loose so zufrieden zu machen, als sie in der That Ursache hat es zu seyn. Seit dieser Zeit sind die Stunden, die ich in dieser kleinen Familie zubringe, die angenehmsten meines Lebens. Glycera hat zwey ältere und eine jüngere Schwester. Die älteste, Myrto genannt, beschickt mit einer einzigen Sclavin das Hauswesen und die Küche; die zweyte ist eine Kunstweberin, die es mit Arachnen, ja, wofern man so.reden dürste, mit M in er v en selbst aufnehmen könnte; und Me­ lissa, oder (wie man zu Athen spricht) Melitta, die jüngste, ein niedliches, gewandtes kleines Ding, geht der schönen Glycerion in ihrer Kunst an die Hand. Praxilla (so nennt sich die Mutter) scheint zu ibrer Zeit sehr schön gewesen zu seun, und

MenanderundGlycerion.

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das Bewußtseyn davon so wenig verloren zu haben, daß sie sich noch immer gern etwas schmei­ chelhaftes darüber sagen laßt. Sie spielt das Bar­ biton mit vieler Geschicklichkeit, und, da Glycerion und Melitta überaus unmuthige Stimmen haben, und ich selbst ehmals von dem berühmten Antigenidas die Flöte spielen lernte: so dienen auch diese Zweige der Musenkunst, dem Vergnügen, das ich in diesem weiblichen Hauskreise finde, mehr Abwechs­ lung zu geben. Meine Muse befindet sich sehr wohl bei dieser Lebensart, und ich mache mir gute Hoff­ nung , daß es mir an den nächsten großen Diony'si-en gelingen werde, einen wohl verdienten Sieg über den launischen und willkührlichen Geschmack unsrer Athener zu erringen.

VIL Glycera an Nanni0n. Hüpfe beim Empfang dieses Briefes hoch auf, Mannion, und freue dich über das Glück deiner Freundin! Sie hat ihn gesehen und gehört, und, was sie nie zu hoffen gewagt hatte, sie sieht ihn beinahe täglich, sie ist —- wirst du mirs glauben, Mannion? — sie ist der Liebling seines Herzens. Die kleine Kränzehändlerin aus Sicyon wird von

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Menander und Glycerion.

Menander geliebt! von Menander! — O ver­ zeihe mir, gütige Nemesis, wenn ich zu stolz dar­ auf bin, von Menander geliebt zu seyn! — Doch nein, liebe Nannion, ich bin nicht stolz, ich bin nur glücklich. Wie viel fehlt, daß ich so liebenswürdig wäre, als ich glücklich bin! — Ich wollte dir er­ zählen, wie dieß alles stch begeben habe; aber ich bin noch nicht ruhig genug, noch zu wenig an mein Glück gewöhnt, als daß ich Ordnung in meine Ge­ danken bringen könnte. Doch, ich willß versuchen. An den letzten Dionysien kämpfte Menanders Andria mit Philemons Kaufmann, einer Ko­ mödie, worin es viel zu lachen giebt, aber die Fa­ bel- so anstößig, und die Ausführung in mehrerern Scenen so leichtfertig und unsittlich ist, daß wir ehrlichen Sicyonerinnen nicht begreifen konnten, wie der erste Archon einem solchen Stück die öffent­ liche Aufführung habe erlauben mögen. Kannst du dir vorstellen, daß die Richter die Unverschämtheit hatten, diesen nämlichenK aufmann, der Andria des Menander vorzuziehen; die zwar wenig zu lachen giebt, aber von keinem Menschen, dem ein Herz im Busen schlägt, ohne Theilnahme und Rührung ange­ hört werden kann, und an Schönheit und Wahrheit der Charaktere, Urbanität der Sitten, Zierlichkeit der Sprache und Harmonie der Verse ein unübertreff­ liches Muster ist. — Diese schreyende Ungerechtigkeit gegen meinen Lieblingsdichter brachte mich auf; eS

Menander und Gly'cerion.

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war, nach meinem Gefühl, eine unverzeihliche Der» sündignng an allen Musen und Grazien; ich brach in bittre Klagen über den schlechten Geschmack der Athener aus, kurz, ich vergaß mich so sehr, daß ich, laut genug, um von den Umstehenden gehört zu wer­ den, ausrief: wenn gefühllose Richter Menandern den Kranz versagt haben, so soll ihm wenigstenGlycera den schönsten binden, der je aus ihren Han­ den gekommen ist! Die meisten, die diese unbedachtsame Rede hörten, lachten über den kindischen Jörn der kleinen Auslän­ derin: aber einer von Menanders Freunden hinter­ brachte ihm auf der Stelle, was ich gesagt hatte, und der Dichter kam noch denselben Abend, mir zu danken, daß ich ihn (wie er sich ausdrückte) so über­ schwänglich für den verlornen Epheukranz entschä­ digt hatte. Sein Anblick setzte mich in die angenehm­ ste Ueberraschung: denn mich däuchte, gerade so müsse Menander aussehen. Noch warm von dem Vergnügen, das mir sein Mädchen von Andros ge­ macht hatte, und von dem Eifer, worein ich über die Richter gerathen war, dacht' ich nicht daran, mich zurückzuhalten; was ohnehin, wie du weißt, meine Sache nie gewesen ist. Ich sagte ihm vielleicht mehr, als ein sittsames Mädchen einem Manne, der ihr nicht gleichgültig ist, bei der ersten Unterredung sagen sott — wenigstens meinte dieß meine Mutter, — und er entdeckte mir dagegen, daß er zufälliger

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M.enandev und Glycerrorr.

Weise schon vor einigen Monaten die Kranzehandlerin des Paüsias (wozu ich, wie du weißt, dem Maler als Modell gesessen,) zu Gesicht bekommen, und auf der Stelle eine so heftige Zuneigung zu ihr gefaßt habe, daß er bei Tage nichts anders ge­ dacht, und bei Nacht" nichts anders geträumt habe, als das' Original dieses Bildes. Ich mußte mir alle mögliche Gewalt anthun, nicht vor Freude über dieses Gestandniß wie eine Bacchantin im Saal herumzutanzen. Ich erröthete, glaube ich, bis an die Fingerspitzen, und weinte und lächelte zu­ gleich, wie Homers Andromacha; abeewaS ich ihm sagte, davon weiß ich kein Wort. Genug/ unsre Seelen waren nun einverstanden, und schwuren einander, mehr durch unmittelbare Mittheilung als durch Worte, ewige Liebe. Meine Mutter war ganz und gar nicht mit mei­ nem Benehmen zufrieden: ich wäre ein rasches, unbe­ sonnenes Ding, sagte sie, ich hatte mich weggewor­ fen, und vielleicht ein großes Glück verscherzt, das mir noch bevorgestanden wäre, und was dergleichen mehr war. Giebt es ein größeres Glück, versetzte ich, als von Mcnandern geliebt zu seyn? Für mich gewiß nicht! Er hat indeffen bald das rechte Mittel gefunden, sie mit meiner Liebe zu ihm zu versöhnen. Er hat sie und meine Schwestern mit beschenken überhäuft; und sagt ihr bei jeder Gelegenheit etwas schmeichelndes über, ihre Schönheit, die in der That

Menander und Glyrerüon^

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vor zwanzig bis dreißig Jahren nicht gemein gewesen seyn mag. Er ist nun gleichsam ein Mitglied unsrer kleinen Familie. Meine Schwestern sind ihm alle gewogen, ohne mich, wegen des Vorzugs, den er mir giebt, zu beneiden; und weil Myrto sich gar zu gern geputzt sieht, bringt er ihr immer bald dieß, bald jenes, womit das gute Mädchen derNatur zu Hülfe zu kommen sucht. Ich bekomme immer am wenig­ sten; denn er behauptet, ich gewinne dabei, je we-. niger ich entlehntes und fremdartiges an mir trage. Das Kostüm der Grazien— der Sokratischen allenfalls — sagt der leichtfertige Mann, stehe mir am besten. Mit einem Wort, Nannion, wir sind hier sehr glücklich, und mir fehlt nichts, als daß Du nicht auch bei uns bist, um deinen Theil an meiner Glückseligkeit 311 nehmen, welche weder schim­ mernd noch rauschend, aber eben darum meiner Sin-ulsart so angemessen ist, daß ich, dünkt mich, mein Loos mit keiner Königin vertauschen möchte.

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Menarrder undGtyce^ion.

VIIL Men ander an DiniaS. Ich merke,

daß du mich für

glücklicher hältst, als

ich zu seyn mich rühmen kann. Glycera ist ein seltsa­ mes Mädchen. Eie hat sich in ihr Starrköpfchen setzen taffen, daS letzte Ziel der Liebe sey — ihr Grab, und noch hab' ich eS nicht dahin bringen kön­ nen, sie von diesem Wahn — (wenn es anders einer ist) — 31t heilen. Dafür aber besitzt sie eine außer­ ordentliche Wundergabe, den Nektar Cytheräens, worauS wir gemeine Sterbliche kaum fünf Theile zu machen wissen, in so unzählig viele Tropfen zu zer­

theilen, und jedem Tröpfchen eine eigne Süßigkeit zu geben, daß man sich am Ende doch auf ihre Weise am glücklichsten fühlt, und ihr sogar Entbehrung für Genuß anrechnet. Ich weiß nicht, ob dir das sehr klar seyn wird; ich könnte dir artige und son­ derbare Dinge hierüber entdecken, und bin, der hol­ den Glycera zu Ehren, stark dazu versucht: aber sie selbst, in Gestalt der jungfräulichen Grazie Aedo, druckt mir ihren Rosenfinger aus den Mund, und ich schweige. Alles, was ich dir sagen darf, ist, daß Sie, wie Aurora im Frühling, mit jedem Tage schö-

Menander und Gtycerion.

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ner aufgeht, und, wenn das noch einige Zeit so fort dauert, mir zuletzt von der ganzen Hellas abgestritten werden wird. Es klingt nicht sehr glaublich, aber ich schwöre dir, daß ich bisher nicht eine einzige weibliche Untugend an ihr habe ausspähen können. Das (wirst du lachend sagen) beweiset weiter nichts, als daß du sie mit den Augen eines Liebhabers betrachtest, in welchen die dunkeln Flecken selbst zu Lichtern werden. Wenn du das dächtest, Freund, so würdest du dich sehr irren; denn ich habe wirklich das Eigne, daß die feurigste Liebe, deren ich fähig bin, mich nicht verhin­ dert, klar zu sehen, und ich ^stehe dir dafür, wenn irgend ein Flecken an Glycerion^ish- und sie kaun doch schwerlich ohne allen Tadel seyn ; — so werde ich ihn noch ausfindig machen, wiewohl ich sie darum nicht weniger lieben werde. Denn mit welchem Rechte könn­ ten wir Unholden, mit allen unsern männlichen Unar­ ten und Lastern, von diesen lieblichen Wesen verlangen, daß sie, wie eben so viele eingefleischte Platonische Ideen, ohne alle Mängel seyn sollten? Ich belangweilige dich vielleicht, guter Dimas, da ich dich schon seit geraumer Zeit mit nichts aNderm, als dem Gegenstand meiner Leidenschaft unterhalte. Von einem Verliebten ist es nicht anders zu erwarten. Der spricht den ganzen langen Tag von seinein Abgott, und glaubt immer noch nichts gesagt zu haben. Aber weißt vu, wie du dir am besten helfen könntest ? Komm auf die großen Dionysien zu uns herüber, und sieh

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Merian der undGlycerion.

meine ©tycerion selbst. Als Zugabe würdest du auch meine Brüder sehen, auf die ich mir (unter uns ge­ sagt) nicht wenig zu Gute thue, seit Glynra sie mir mit ihrer Sirenenstinnne vorgelesen hat. Auch diese Gabe (bei ihr ist es nicht Kunst) hat ihr die Ratut verliehen. So tanzt sie wie eine Nymphe, und fingt wie eine Nachtigall, ohne jemals singen oder tanzen gelernt zu haben. Sogar in der Kunst zu küssen hat sie es, ohne einen andern Meister als Amorn, zu einer Vollkommenheit gebracht, von welcher ich keinen Begriff hatte, bis mich die Erfahrung lehrte, wie so etwas ganz anders ein Kuß von Glycerion ist, als was man gewöhnlich einen Kuß zu nennen pflegt. Aber still! beinahe hatte ich die unaussprechlichen Dinge der geheimnißvollsten aller Mysterien ausge­ plaudert !

Menander und Glycerion.

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IX.

Menander an Glycera. ^ch schicke hier meiner Glycerion — meiner Gty-

cerion! o wie reich macht mich dieses einzige Wort! — einen Korb voll der seltensten Blumen, die in die­ ser Jahreszeit aus den Treibhäusern unsrer Kunst­ gärtner zusammenzubringen waren. Es ist eine früh­ zeitige prächtige Rosenknospe darunter, die an deinem Busen vollends aufblühen soll; denn kein andrer Platz ist für diese schön genug. Unten im Korbe wirst Du eine Abschrift meiner Adelph oi finden, mit denen ich, da sie unter deinem Einfluß geboren, und gleichsam mit deinen Küssen aufgenährt worden sind, an den nächsten Dionysien unfehlbar zu siegen hoffe. Ich schicke sie dir, damit du dich ein wenig mit ihnen bekannt machen könnest, um sie mir, wenn dirs gefällig ist, morgen vorzulesen. Denn aus dei­ nem Grazicnmund, und mit deiner lieblichen Stimme, die der reinste Flötenton nicht zu erreichen vermag, muß ich sie gehört haben, bevor ich gewiß seyn kann, daß nichts weiter an dem kleinen Werke zu glätten ist. Myrto wird hoffentlich nicht vergessen, daß schon fünf Tage verflossen sind, seit ich mit euch

Wlelai'dS W. 28. Dd.

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Menander und ® (i; c e r i o n.

zu Nacht gegessen habe. Für Melittarion und die übrigen bringe ich zwei neue ©selten von T i m otheus mit, und meine Glycera, hoffe ich, hält mir den süßesten ihrer Küsse bereit, um mich für eine so lange Entbehrung zu entschädigen.

X. Menänder an Dinia Du wunderst dich, Freund Dinkas, wie ich es von mir erhalten könne, die schöne Glycera, wenn (le so liebenswürdig sey, als. ich (le beschreibe, nicht je eher je lieber zu heirathen? —Zu heirathen, Dimas? Welch ein Wort ist über den Zaun deiner Lippen gesprungen, mein Freund? Ich, der Komö­ diendichter, Menander, des D.iopeithes Sohn, ich sollte ein solcher Wagehals seyn, mir ein so unaus­ löschliches Gelachter von allen, die meine Arreph oros, meine Ungebrannte, mein Halsband, ünd meinen Weiberfeind gehört oder gelesen haben, -uzuziehen? — Glycera ist in der That ein bezauberndes Mädchen; aber ein bezauberndes Mäd­ chen macht darum noch keine gute Eh fr au« ©ie

Menander und Glycerion,



ist kaum siebzehn Jahr alt; wer kann sagen, was sie im dreißigsten seyn wird? Jetzt ist sie unbefangen, anspruchlas, unverfälscht, und von der Scheitel bis -ur Fußsohle lauter Herz. Wird sie, von Sie von nach Athen, in eine von Uepplgkeit und Wohlleben überfließende Stadt versetzt, wo die Unsittlichkeit einen so hohen Grad erreicht hat, daß das Laster höchstens nur so lächerlich ist, als die Tugend, wird sie, von so vielen bösen aber anlockenden Bei­ spielen umgeben, und täglich allen Arten von Nach­ stellungen ausgesetzt, immer bleiben, was sie jetzt ist? Ich will es glauben: aber das Sicherste bleibt doch, sich ans Gegenwärtige zu halten, und aufs rmgewisse Künftige so wenig als möglich zu wagen. Wenn ich aber auch über das alles hinausgehen wollte, so stünde mir ein Hinderniß entgegen, dessen du dich schwerlich versehen hättest, — Gtycerion selbst. Sie, an der alles Natur ist, philosophirt auch von Natur über alles, was ihr wichtig ist, und (dermalen we­ nigstens) ist ihr nichts wichtiger, als unsre Liebe. Diese , spricht sie, höre auf Liebe zu seyn, sobald sie ihrer Freiheit beraubt werde; — das Gesetz habe sich nicht in die Angelegenheiten des Herzens zu mischen, und eine bei Strafe gebotene Liebe verdiene diesen Namen so wenig , als man den Söldner, der seinen Wurfspieß auf Befehl seines Officiers unter die Fein­ de schleudert, einen Helden nennen könne. Sie be­ hauptet sogar, die Ehe an sich selbst habe mit der

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Menander und G lycerion.

Liebe nichts zu schaffen: sie sey nichts als ein bürger­ licher Vertrag, zu dessen Erfüllung bloße Redlichkeit ja schon bloße Rücksicht auf die damit verknüpften Vortheile völlig Hinreiche, und sie will nicht zugeben, daß ein so schönes Bündniß wie unsre Liebe in einen Kontrakt verwandelt werde. — Mich dünkt, meine Natur-Philosophin hat im Grunde Recht. Wenn gleich die Ehe zu Gründung der ersten bürgerlichen Gesellschaften unentbehrlich war, und es für die zahlreichsten Volksklaffen, um sie in Jucht und Ord­ nung zu erhalten, immer bleiben wird: bei edlen und gebildeten Menschen fallen jene Ursachen weg, und diese bedürfen keines solchen Zwangmittels. Die Verhältnisse, worin ich mit Glycerion stehe, werden so lange dauern, als unsre Liebe, und unsre Liebe so lange, als sie — dauern kann: ob unser ganzes Leben durch, oder nur eine Jeit lang, was kümmert dieß den Staat? oder was verschlägt es ihm, ob Liebende durch den Tod, oder ihren freien Willen getrennt werden? Wie beut auch sey, genug, Glycera kann sich mit dem Gedanken nicht vertragen, daß sie irgend einem Sterblichen ein gesetzmäßiges Recht einräumen sollte, wodurch sie sich selbst des schönsten Vorzugs ihres Geschlechts begäbe, und aus einer beglückenden Göttin, die sie dem Geliebten sevn könnte, so lange alles, was sie giebt, freiwillig ist, die Sclarin eines ihr, ('dien allein aus diesem Grunde, mit Recht verbaßten Mannes würde. Ich

Menander und Glycerion.

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will keinen Augenblick länger mehr wie alle Andere von der geliebt fern, sagt sie mir, als so lange ich dir liebenswürdiger scheine, wie alle andere; — und nichts ist billiger, antwortete ich ihr, als daß ich dir eben dasselbe Hecht -»gestehe. Jetzt da ich frei bin, sagt sie, fallt mir gar nicht ein, daß ich jemals aufhören könn.e, dich eben so innig -u lieben, wie jetzt; — „und mir eben so wenig, daß etwas lie­ benswürdigeres für mich seyn könnte, als meine Glycerion. “ — Aber ich werde nur zu bald aufhören, jung und schön zu seyn, sagt sie. — »Für mich nie­ mals, so lanLe die Schönheit deiner Seele und dei­ ne Liebe zu mir eben dieselbe bleibt," antwortete ich. — Was ist gegen ein solches durch Freiheit zu­ gleich veredeltes und befestigtes Bündniß einzuwen­ den? Bedarf es der Fackel des Hymenaus, um die Flamme einer so reinen Liebe zu unterhalten ? Sie ent­ brannte ohne ihn, und wird ohne ihn dauern, so lange sie Nahrung in unserm Herzen findet: Gebricht cs an dieser, so könnte Jupiter mit allen seinen Blitzen sie nicht langer brennen machen.

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Menaüder und Glyceriow

XL

Glycera an Nannion.

)ch male ein wenig, wie du weißt; aber dir Me­ na ndern zu malen, es sey mit Worten, oder mit dcm Pinsel, getraue ich mir nicht, wiewohl man sagt; der Liebe sey alles möglich. Eine Art von Schattenbild kann ich dir allenfalls wohl von ihm machen, wenn du damit zufrieden bist. Verlangst du mehr-, so weiß ich dir keinen bessern Rath, als, berede deine Base, es zu machen wie meine Mutter, und nach der schönen .Minervenstadt zu ziehen, wo dir deine Kunst die Hauser aller Günstlinge des Glücks, und deine Liebenswürdigkeit die Herzen aller edeln Menschen, öffnen wird. Mit Vergnügen würde deir•'& Glncxrion die Freundschaft ihres Menanders mit dir theilen. Und nun die Hand ans Werk! Menander ist von mittlerer Größe, und kann, ob ihn gleich Polykletus eben nicht, zum Modell seines Kanons genommen hatte, m den Augen einer Geliebten für einen ganz hübschen Mann gel­ ten. Du merkst, denke ich, daß ich dir eben so wohl hatte geradezu sagen können, daß seine glänzende Seite nicht die äußere ist. Seine Geslchtsbildung

Menander und Glycerion.

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ist fein und geistreich, seine Stirne breit und hoch, sein Auge etwas hervorstehend und voll Feuer, und um seinen Mund, den die Grazien ausdrücklich zum sprechen und — zum küssen gebildet zu haben scheinen, schwebt ein leiser, mehr kitzelnder, als beissender Spott, vom zartesten Gefühl des Schicklichen gemil­ dert. Ich darf dir nicht verbergen, daß er, wie die Leute sagen, ein wenig schielen soll. Anfangs ward ich es nicht gewahr: aber da mich meine Schwester Myrto aufmerksam darauf machte, konnt' ich's ihr nicht ganz abstreiten, wiewohl es mir mehr etwas Angewöhntes, als ein Naturfehler scheint. Gewiß ist, daß es ihm gar nicht übel laßt. Es giebt ihm etwas angenehm schalkhaftes, etwas von der Miene der besten Sokratesköpfe, — also etwas Fau­ nenhaftes, wirst du sagen; — denke davon was du kannst, — mir gefallt er darum nur desto besser, und ich möchte ihn nicht anders haben als er ist. Die Lebhaftigkeit seines Geistes, und die Reizbarkeit seiner Sinne leihen ihm bei Gelegenheit etwas schiparmerisches, das zuweilen in Begeisterung übergeht: aber int Grund ist er (wenn ich mich nicht sehr an ihm irre) ein so kaltblütiger Sterblicher, als ein Athener und ein Dichter möglicher Weise seyn kann. Er liebt das Vergnügen und die Freude mehr als Ruhm und Gold: und wenn seine Komödien die Werke aller seiner Zeitgenossen und Nebenbuhler ver­ dunkeln und auslöschcn, wie die Mittagssonne den

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Menander und G lycerion.

Mondschein und das Sternenlicht: so ist weder Ruhmsucht noch Begierde, dem großen Haufen zu gefallen, die Ursache davon, sondern eine angeborne Liebe zum Schönen, und ein Kunsigefühl, das ihm nicht eher erlaubt, die Hand von einem Werke abzu­ ziehen, bis es so rund, glatt und vollendet ist, daß sein zartes Gefühl nichts mehr daran zu poliren fin­ det. Desto mehr ist zu bewundern, daß er in einem Alter von dreißig Jahren bereits über zwanzig Stücke geschrieben hat, wovon immer eines das andere an Schönheit und Interesse übertrifft. Es find eben so viele sprechende Sittengemahlde, zwar aus unsrer Zeit genommen, aber auf alle Zeiten passend; so getreu find die wahren Züge und Lineamente der Menschheit darin nachgezeichnet und der Natur wie aus den Augen gestohlen. Seinen großen Ruhm hat ihm nicht die Volksgunst und der Beifall des großen Haufens, sondern das Gefühl und Urtheil der gebiltesten unter seinen Zeitgenossen gemacht: denn er hat bis jetzt kaum dreimal den Sieg über seine Mit­ werber, Aleris, Apollodorus, Diphilus und Phile­ mon erhalten. Man sagt — nicht ohne allen Grund vermuth­ lich — daß sein Hang zu unserm Geschlecht seine schwächste Seite sey. Er kann, heißt es, weder der Allmacht der Schönheit, noch dem Zauber des Reizes widerstehen, und wer auf unverletzliche Treue in der Liebe bei ihm rechnet, wird fich übel betrogen finden.

Menander und Gkycerion.

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Dafür hat er ein Herz, das für die Freundschaft ge­ macht ist, und wofern diejenige, die ihm Liebe ein­ flößt, Achtung und Vertrauen verdient, kann sie sicher seyn, daß sie einen Freund aufs ganze Leben gewonnen hat. Doch, die Hand von der Tafel! Denn es ist gerade nicht mein Wille, Nannion, daß du dich in mein Gemälde verlieben sollst.

XIL

Gtyeera an Menander. Alles ist zu dem kleinen Feste vorbereitet, welches ich den Musen gelobte, wenn sie dir heute den wohlverdienten Sieg verschaffen würden. Mein Herz sagte mir mit Gewißheit vorher, ich hatte keine Fehlbitte gethan. Es war ein schöner Tag, Menander, und er soll mit einer schönen Nacht gekrönt werden. Xanthippides und die schöne Bacchis haben sich in die Wette dafür beeifert, daß dir einmal wieder Ge­ rechtigkeit widerführe. Ich wußte, daß Bacchis schon lange mit dir Bekanntschaft zu machen, und Xanthippides das Original seiner Kranzehandlerin zu sehen wünschte. Ich habe also etwas dir angenehmes

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Menander und Glycerion.

zu thun geglaubt, wenn ich sie zu unserm Fest einlkde. Sie werden kommen, und der reiche Herr hat einen großen Korb voll Thasischen und Cyprischen WeinS geschickt, um seinen Antheil (wie er uns sagen ließ) zu dem freundschaftlichen Feste beizutragen. Die schöne Bacchis — darauf mache dich gefaßt — wird von Kopf zu Fuß gerüstet, und mit Aphroditens Zaubergürtel um ihren verführerischen Busen erscheinen. Nimm dich in Acht, Menander! Glycera ist vielleicht nicht so ganz harmlos und ohne alle Ei­ fersucht, wie du dir einbildest. Liebrigens ist unser Haus wie ein Grazientempel aufgeschmückt, und du wirst es hoffentlich nicht übel nehmen, daß ich die Ersparnisse meiner kleinen Blumenkasse bei einer sol­ chen Gelegenheit nicht geschont habe. Die Küchen­ meisterin Myrto hat alle ihre Künste aufgeboten ; meine Mutter und meine Schwestern haben sich aus Leibeskräften herausgeputzt; und mit mir wirst du, denke ich, auch zufrieden seyn. Ich kenne deinen Geschmack am Einfachen, er ist immer auch der mei­ nige gewesen. — Komm sobald du kannst, und bring deinen Dinias mit, der uns als dein Freund höchst willkommen seyn soll.

Menander und Glpcerion.

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XIII. Glycera an Nannion. Der

vierzehnte

des

Elaphobolion

war

der

schönste meines freilich noch jungen Lebens. Ich sah meinem Menander in einem Kreise von vielen taiu send Zuschauern, unter dem jauchzenden Zuruf seiner Stamm- und Zunftgenoffen, den Siegeskranz der komischen Muse um die Stirn binden, und ich hatte alle meine Schüchternheit nöthig, um vor Entzücken nicht laut auszurufen, und dem ganzen Volk zu verkündigen, daß ich die Geliebte des Mannes sey, auf welchen in diesem Augenblick ganz Athen stolz war. Da ich nicht zweifelte, daß die Vortrefflichkeit des Stücks, und der Eifer der Freunde des Dichters uns diesmal den Sieg verschaffen würde: so hatte ich alles schon zu einem kleinen Feste vorbereitet, dem es, ich versichere dich, an nichts fehlte, was zur angenehmsten Unterhaltung der Gaste erforderlich war. Mir war es indessen bloß darum zu thun, Menandern Vergnügen zu machen, der kein Freund von großen lärmenden Gastmalern ist; und so hatte ich (zumal da unser Saal keine große Gesellschaft faßt) außer Menandern und zweyen seiner vertrautesten

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Menander und Glycerion.

Freunde Niemand eingeladen, als den Besitzer der Kranzehandlerin, den reichen Tanthippides, der durch seinen Eifer, und die große Anzahl seiner Klienten am meisten zum Glück des Tages beigetra­ gen hatte, und die schöne Bacchis, seine Geliebte, die unter den Hetären unsrer Zeit beinahe das ist, was Lais vor siebzig oder achtzig Jahren war. Du mußt wissen, Nannion, daß meine Blumenkrän­ ze zu Athen um einen ungewöhnlichen Preis verkauft werden, und daß die Freigebigkeit Menanders meine Mutter in den Stand gesetzt hat, unser Haus ohne meinen Beitrag zu unterhalten; so daß ich mir un­ vermerkt einen kleinen Schatz gesammelt habe, den ich (wie du mir zutrauen wirst) bei einer solchen Gelegenheit nicht sparte. Altes gelang mir nach Wunsch. Die Grazien selbst schienen, was sie nach Pindar bei den Götterfesten sind, die Vorste­ herinnen des meinigen zu seyn; man war lebhaft und fröhlich ohne bacchantische Schwärmerei. Myrto hat ihr Aeußerstes gethan; es wurde viel gesungen; der Cyperwein des Xanthippides erweiterte alle Her­ zen, und eine reizende junge Tänzerin aus Lesbos, von einer trefflichen Citherspielerin unterstützt, vol­ lendete das allgemeine Vergnügen, indem sie, als die Tafel aufgehoben war, mit einem in einen Kna­ ben verkleideten schönen Mädchen die Fabel von V enus und Adonis so lebhaft und zugleich so an-

Menander u nb Glycerion.

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ständig darstettte, daß Xenophons Sokrates selbst Vergnügen daran gehabt hatte. Zwischen den Akten dieses mi misch en Duo­ dram a's spielten Bacchis und Xanthippides ihre Rollen nach Vermögen. Es galt, wie ich bald merkte, dem Menander und deiner kleinen Freundin. Bacchis hatte sich in ein sehr verführerisches Kostüm gesetzt, und, die Wahrheit zu sagen, selbst für ihren Anschlag auf meinen Freund, des Guten eher zu viel, als zu wenig gethan. Ihre Kleidung war zwar faltenreich genug, aber beinahe durchsichtig; ihre Arme, auf deren Schönheit sie vorzüglich stolz ist, bis an die Schultern bloß, und um ihren wenig verhüllten Bu­ sen schlang sich ein breites Band, mit großen Perlen vom schönsten Wasser, gestickt, in der Absicht, die blendende Weiße ihrer Haut durch einen Schmuck, der den meisten nicht Vortheilhaft wäre, noch auffal­ lender zu machen. Sie hatte sich nach der Tafel in einer reizend nachlaßigen Stellung auf die gegen die Wand aufgeschichteten Polster hingegossen, und schien sich, so oft die Tänzer eine Pause machten, sehr leb­ haft mit Menandern zu unterhalten. Meine Mutter, die es zu ihrer Zeit mit der schönen Bacchis viel­ leicht hatte aufnehmen können, gab sich alle Mühe, den gefälligen Dinias ( den Freund Menanders ) vergessen zu machen, daß sie dreißig Jahre zu früh in die Welt gekommen war. Mir war Xanthippides zugefallen, der mich in kurzem deutlich merken ließ,

Menander und Glycerion. daß er mich zum Werkzeug seiner Rache an seiner Ungetreuen ausersehen habe; wiewohl ich überzeugt bin, daß sie ihr Spiet mit einander abgeredet hatten, denn beide stehen im Ruf, wenig Anspruch aufBestandigkeit in ihren Liebschaften zu machen. Gern hatt' er meine Schwester Chelidonis, und die kleine Me­ litta, die für seine Absicht zu viel waren, entfernen mögen: aber sie wußten ihre Rolle, und wirklich thaten wir alle drei unser Bestes, ihn zu unterhal­ ten. Meine Schwestern waren bis zur Ausgelassen­ heit lustig, sangen ihm ein Sicyonisches Liedchen nach dem andern, und schenkten ihm dazu so fleißig von seinem eignen Cypernwein ein, daß Herkules selbst zuletzt hätte unterliegen müssen. Menander hielt sich tapfrer, als ich ihm zugetraut hatte: er schielte fleißig nach mir, (da siehst du, Nannion, wozu das Schielen bei Gelegenheit gut ist!) denn die schöne Bacchis setzte ihm ernstlich zu, und er schien mir wirklich eine Herzstarkung nöthig zu haben, tun in einem so gefährlichen Kampf auszuhalten, und wenigstens nur mit leichten Wunden davon zu kommen. Endlich brach mit der Morgenröthe das Ende unseres Festes ein. Der gute Xanthippides wurde, in Wein und Schlaf begraben, von vier Bedienten nach seinem Hause im Piräus getragen; und Bacchis, die mir einen kleinen Verdruß über das Fehlschlagen ihres Plans kaum verbergen

MenanderuüdGlycerion.

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konnte, bat mich beim Abschied, etwas kalt, um die Fortsetzung der angefangenen Bekanntschaft, und hatte mich gern glauben gemacht, es liege nur an mir, so eifersüchtig über sie zu seyn, als ich wolle. „Menander hat alle meine Erwartung übertroffen, er ist ein bezaubernder Mann," sagte sie mit einem schlauen, viel bedeutenden Blick. — Wirklich, ver­ setzte ich mit der harmlosesten Miene von der Wett, wirklich bezaubert er schon seit zehn Jahren ganz Griechenland. Dinias, der einzige ganz Unbefan­ gene unter uns, führte sie in einem mit zwei raschen Thraziern bespannten Halbwagen nach Hause, und der zweifache Sieger Menander, der endlich allein übrig blieb, empfing den Lohn seiner Tugend * rathe, Nannion, in wessen Armen?

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Menander und Glpcerion.

XIV.

Menander an Dinias. Empfange nochmals meinen Dank für die Freund­ schaft, die du mir durch deinen Besuch an denDionysien erwiesen hast. Dein Beifall würde mich entschädiget haben, falls ich den Kranz abermals einem andern hatte überlassen müssen: um so ange­ nehmer war mir's, daß du, wie ich versichert bin, nicht wenig zum Siege meiner Brüder beigetragen hast. Seitdem nicht mehr der innere Werth eines Stücks, als Kunstwerk betrachtet, sondern Verabre­ dung, Einfluß von Gunst oder Mißgunst gewisser Partheien, und geheime Zusammenverschwörungen für oder wider ein neues Stück, den Sieg oder die Niederlage eines Mitbewerbers um den Epheukranz, entscheiden, hat ein Dichter zwar wenig Ursache auf einen Triumph, woran er selbst so wenig Antheil hat, stolz zu seyn: aber immer durchfallen, und immer Den, den wir wirklich geschlagen hüben, als Sieger ausrufen hören, wird doch in die Lange so unangenehm, daß man endlich zufrieden ist, wenn man nur den Preis erhalten hat, sey es auch damit zugegangen, wie es wolle.

Menan der und

Glycerion.

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Noch sicherer, als ich für meine Brüder" auf deinen Beifall zahlte, konnt' ich darauf rechnen, daß Glycera dir gefallen würde, die in ihrer Art noch einziger ist. Was wirst du also von mir den­ ken, wenn ich dir gestehe, daß ich, der einen so zarten Sinn für ihre Liebenswürdigkeit hat dennoch einer unwürdigen Buhlerin die Freude gemacht, sich schmeicheln zu können, daß sie einen Triumph über das holde Mädchen erhalten habe? Du erräthst leicht, daß hier von Bacchis die Rede ist, da du ein Augenzeuge der hitzigen Angriffe warst, welche sie an dem Abend, den wir bei Gtycera zubrachten, auf meine Beständigkeit machte. Du sähest aber auch, wie wenig sie damals Ursache hatte, sich des Erfolgs ihrer Bemühungen zu rüh­ men. In der That hatte'sie, in Hoffnung ihren Sieg zu beschleunigen, einen Aufwand von Anstal­ ten gemacht, der ihrer Absicht mehr schadete, als nützte. Sie bestürmte meine Augen, (. fccit einzigen Sinn, gegen welchen sie damals ihre Angriffe rich­ ten konnte,) auf einmal zu stark, und das, was sie damit wollte, sprach zu laut an, um nicht jedem Manne, der nicht alles Zartgefühls ermangelte, an­ stößig zu seyn. Es bedurfte nur von Zeit zu Ait einen Blick auf Glycerion, deren anspruchlose Ein­ fachheit so gewaltig von der prunkvollen Nacktheit der stolzen Bacchis abstach, um allen Zauber ihrer so übermüthig ausgclegtcn Meitze zu vernichten. 4 S5ie(anfr6 28

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Menander und Glycerion.

Daß Bacchis alles dieß hinten nach sich selbst gesagt haben müßte, zeigte sich einige Zeit darauf, bei einem großen Gastmahl, welches Xanthippides sei­ nen Freunden an den Panathenaen gab, wozu, nebst mir, auch Glycerion und ihre Mutter einge­ laden waren. Er und seine gefällige Freundin hat­ ten es darauf angelegt, ihre neulich mißlungenen An­ schläge bei dieser Gelegenheit mit besierm Erfolg auszuführen, und waren (wie ich deutlich merken konnte) übereingekommen, einander dazu beyülflich zu seyn. Bacchis zeigte sich dießmal als eine Meisterin in den schlauesten Kunstgriffen des Hetarischen Putzti­ sches. Sie war mehr edel und zierlich als schim­ mernd ungezogen, beinahe matronenmaßiger, als ihr zukam: doch so,' daß die Augen zwar geschont, aber die Phantasie und die Erinnerung des ehemals gesehenen desto lebhafter beschäftigt wurden. Der verschrvenderische Xanthippides hatte nichts vergessen, was sein Fest glanzend machen, und der schönen Glycera von seinem Reichthum sowohl als von seiner Freigebigkeit eine hohe Meinung beibringen konnte. Die prachtvolle Halle, worin man speiste, war von großen Blumenstücken und blühenden Gebüschen um­ geben, die mit bequemen Sitzen, Lauben und klei­ nen Kabinetten reichlich versehen waren. Nach aufgehobener Tafel lockte die Schönheit der Nacht die Gaste, sich in den Gebüschen zu zerstreuen, und so fand Xanthippides Gelegenheit, sich mitGly-

Menander und Glycerion.

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cerion ungestörter als das erste Mal zu unterhalten, und Bacchis sich mit deinem Freund unver­ sehens allein zu befinden.— Du kennst diesen zu gut, als daß er dir erst zu sagen brauchte, mit welchem Erfolg. In der That mochte sie wohl selbst nicht erwartet haben, daß er ihr den Sieg so leicht machen würde; und vermuthlich war dieser Umstand für sie ein Beweggrund mehr, ihn keinen bedeutenden Vor­ theil von einer so günstigen Gelegenheit ziehen zu lasten. Denn Ihr war es darum zo thun, ihn, wo nicht gänzlich, doch lange genug von Glycera zu entfernen, um für Xanthippides so viel Zeit zu ge­ winnen, als er nöthig haben möchte, sich derselben zu nähern und gehört zu werden. Du kannst leicht erachten , Dinias, daß die Sprö­ digkeit einer Bacchis deinen Freund nur desto mehr erhitzte, fein Ziel zu verfolgen, — kurz, denn ich kann über dieses Glatteis nicht schnell genug hinweg­ kommen, — sie wußte /lch ganzer drei Wochen lang seiner so völlig zu bemächtigen, daß er, (wiewohl nickt ohne Widerspruch seines Herzens,) in dieser langen Zeit, die ihm freilich sehr kurz vorkam, Glycerens Haus vermied, und die Vorwürfe, die ihm seine bessere Seele deßwegen machte, dadurch zu beschwichtigen suchte, daß er sein Wegbleiben alle drei Tage durch ein heuchlerisches Entschuldigungsbrief­ chen mit vorgeschützten Geschäften und unvermeidli­ chen Abhaltungen rechtfertigte. Aber kaum hatte er

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Menander und Glycerion.

beiBacchiß seinen Iweck erreicht, so würde er, Trotz allen ihrm Reitzungen, noch an demselben Tage zu Glycera .zurückgekehrt seyn: wenn ihn nicht die Scham und die Unmöglichkeit, ihr seine Untreue zu verheimlichcn, so lange abgchalten batte, bis Sie Selbst den ersten Schritt that, und ihm in dein Briefe (ben ich dir mittheile) mit einer Verzeihung zuvor­ kam, die er so leicht nicht zu erhalten gehofft hatte. Wirklich kostet es dem holden Mädchen zu wenig, mir zu verzeihen, als daß es mir viel mehr kosten könnte, mich mit mir selber auszusöhnen. Sie weiß dem ganzen Handel einen so komischen Anfrrich'zu geben, und Bacchis, mit ihrer fchlgeschlagenen doppelte« Hoffnung und mit ihrer Gutmüthigkeit, mir den Lohn eines sehr ungewiffen Erfolgs vorauszuzahlen, kommt ihr so lächerlich vor, daß ich beinahe wider Willen mitlachcn muß. Denn ich kann nicht bergen, diese leichte Art, die Cache zu nehmen, will mir nicht recht gefallen, und beweiset mir wenigstens so viel, daß Glycerions Liebe zn mir das nicht ist, was ich mir einbildete; daß sie mehr den Namen der Freundschaft, als der Liebe verdient. Es giebt sogar Augenblicke, wo ich mir'5 kaum ausreden kann, daß sie mehr meinen Ruhm, als mich selbst liebt, und daß ich ihr vielleicht noch gleichgültiger als Xanthippides wäre, wenn sie sich nicht geschmeichelt fände, einen Dichter, desien Namen die ganze Hellas kennt, zum erklärten Verehrer zu haben. Sollte sie mir je-

Menander und Glycerion.

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mals Ursache geben, mich von diesem vielleicht unge­ rechten Argwohn völlig überzeugt zu halten — nun dann? — so hätt' ich mich eben an ihr getauscht, ohne daß ich darum berechtigt wäre, mich über sie zu beklagen. Denn int Grunde, könnte wohl eine über­ müthigere Forderung erdacht werden, als wenn ein Mensch um seines kahlen Ichs willen geliebt seyn wollte?

XV.

Gtycera an Menander. Was ist dir, Menander, daß wir dich schon ganzer drei Wochen nicht gesehen haben? Und wofür alle deine Ausreden und Anstrengungen deiner Ersindungskraft, womit du alle drei oder vier Tage dein Au­ ßenbleiben entschuldigest? Als ob die wahre Ursache, warum du dich vor uns scheuest, ein Geheimniß seyn könnte! Siehst du nun, wie gut ich's mit dir meinte, daß ich, anstatt dich zu einer feierlichen Verbindung zu verführen, dich aus allen Kräften abhielt diese Thorheit zu begehen? Ich nenne es eine Thorheit, nicht als ob ich mir zu viel zu schmeicheln glaubte, wenn ich denke, daß. ich im Nothfall eine ganz leit-

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Menander und Glycerion.

liche, vielleicht sogar eine wohlachtbare Matrone ab­ gegeben hatte: aber aus dir, mein Freund, würde schwerlich jemals ein guter Ehemann werden. Jetzt bist du frei, und ich habe dir bösen Ruf und. zu späte Reue dadurch erspart, daß ich ehrlich genug war, keinen der Augenblicke zu mißbrauchen, wo ein Weib alles aus dir machen kann was sie will. Bediene dich also auch deiner Freiheit ungeschent. Du hast Bedürfnisie, die ich nicht habe; es ist ein Mangel, den ich der Natur für eine Gabe anrechne. Meinetwegen brauchst du dir keinen Zwang anzuthun : ich werde nie über etwas anders als dein Herz eifer­ süchtig seyn; und was kümmert sich die schöne Bacchis um dein Herz! Was sie dir ist, kann ich dir niemals /eyn, wenn ich auch wollte; dafür aber bin ich auch zufrieden, wenn du nur der erste und getreueste mei­ ner Freunde bist—der einzige, sollt' ich sagen; denn, habe ich einen andern Freund als dich ? Dir gänzlich ver­ trauend dacht' ich nie daran, mir einen andern zu machen. Besorge also nie einen Vorwurf von mir, wenn eine unsrer Schönen, wer sie auch sey, die einzige Stelle, wo du, wie Achilles, verwundbar bist, aus­ findig gemacht hat. Nur vorder schönenBacchis laß dich warnen, guter Menander! Sie ist eine gefährliche Spinne. Ich sehe schon lange, wie sie dich mit Einem Faden nach dem andern umwickelt: unsichtbar, wie die Maschen des Vulkanisch en Netzes, sind sie eben nicht: aber du fliegst so lüstern und gierig

Menander und Glycerion.

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auf die Lockspeise zu, daß du dich mit offnen Augen fangen lassest. Das Lustigste indessen, und was du nicht zu sehen scheinst, ist, daß sie ihr Netz zwar für Dich, aber zu Gunsten eines Dritten aufgespannt hat, der dich aus seinem Wege haben wollte. Solltest du denn wirklich nicht wissen, daß, wahrend du, von dem süßen Gift ihrer Augen berauscht, zu ihren Füßen lagst, der edle Xanthippides alles mögliche versuchte, mich zu gewinnen, und, da es ihm bei mir nicht gelang, wenigstens meine Mutter durch die glänzendsten Versprechungen und Aussichten auf seine Seite zu bringen? Oder sollte Dacchis dich schon so sehr bezaubert haben, daß es dir gleichgültig ist, wer sich deiner verlassenen Glycerion bemächtigt? So spricht meine Mutter, so sprechen meine Schwe­ stern; und sind sie zu verdenken? Ich allein sage Nein, halte fest an meiner guten Meinung von dir, und bringe die Nachte damit zu, die Schutzreden zu ersinnen, die ich den ganzen Tag für dich halten muß. Aber Zeit war' es endlich, daß du mir diese Mühe abnähmest, und deine Rechtfertigung selbst führtest.

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Menander und Glycerion.

XVI.

Menander an Glycera. Rechtfertigen kann ich mich nicht, beste Glycerion; aber nach dem Piräus fliegen kann ich, um zu dei­ nen Füßen die Verirrung meiner Sinne auf ewig abzuschwören. Du erweisest der schönen Bacchis zu viel Ehre, wenn du sie für so gefährlich hältst. Ich kann mir hier das berühmte Wort des AristippuS zueignen: „ich hatte die Bacchis, aber sie hatte mich nicht." Auch war es bloß eine unüber­ windliche Furcht vor der Beschämung des ersten Au­ genblicks, was mich so lange abhielt, dir unter die Augen zu treten. Meine Ruhe hei den Versuchen des Lanthippides, dich zu Genehmigung seiner An­ träge zu bewegen, war keine Folge meiner Berau­ schung aus dem Jauberkelch der Bacchis: sie war die Frucht meiner Ueberzeugung, daß es weder ihm noch irgend einem seines Gleichen je gelingen könne, ein Herz wie das Deinige zu gewinnen; und daß du mit Gold erkaustich seyest, ist ein Gedanke, der gar nicht in meine Seele kommt. Dem ungeachtet fühle ich jetzt nur zu sehr, daß auch der bloße Schein der Gleichgültigkeit eine gerechte Ursache wäre, mich auf

Menanderund Gtycerion.

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immer aus deinen Augen zu verbannen, wenn meine Glvcerion über die gemeinen Schwachheiten ihres Geschlechts nicht so hoch erhaben wäre.

XVII. Nannion an Glycera.

Was seit mehrern Jahren unser beider Wunsch war, liebste Gtycera, — daß eine wohlwollende Gottheit uns in Athen wieder zusammen bringen möchte, — ist nun endlich, wenn sich uns anders kein neues Hinderniß in den Weg legt, der Erfüllung nahe. Meine Base findet, daß ich es durch ihren Unter­ richt und meinen Fleiß in meiner Kunst weit genug gebracht, mit Vortheil zu Athen auftreten zu können. Ob sie sich hierin geirrt habe oder nicht, darüber sollen meine Glvcerion und ihr Menander Richter seyn; denn vor Euch will ich meine erste Probe ab­ legen. Genug, es ist beschlossen, daß wir Sicyon mit Athen vertauschen. Alle Anstalten werden dazu gemacht, und ich brauche dir nicht erst zu sagen, wie eifrig ich sie betreibe. Ich bin wie berauscht, wenn ich Athen nur nennen höre, und träume alle Rächte, daß ich in Athen bin, und unter dem alten

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Menander und ® (pcerion.

Feigenbaum euerer Göttin, oder unter dem Ahorn des Sokrates am Jlnffus tanze. Kurz, Glpcerwn, am Vorabend der nächsten Panathenaem wird, wenn die Götter uns günstig sind, deine Nannion in deinen Armen seyn.

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Glpcera an Nannion. Ich freue mich auf deine Ankunft in Athen, liebe Nannion, wie ich mich vor sechs Jahren auf die erste Hyacinthe, und auf die erste Nachtigall im Früh­ ling freute. Ich sehe dich in 'Gedanken, bald Daphne von Apollo gejagt, bald Ariadne auf Naxos, bald die Entführung Proserpina'S, oder Orpheus und Euridice tanzen— mit einer Wahrheit des Ausdrucks und Leichtigkeit und Zierlichkeit der Bewegungen, die selbst in Athen noch nie gesehen wurde. Glaube mir, Nannion, du wirst, Trotz deiner kleinen Faunennase, so viel Eroberungen in dieser üppigen Stadt machen, daß du nicht wissen wirst, wo du sie hin thun sollst. Aber du wirst, hoffe ich, weise seyn, und, indem du in der Blüthezeit den möglichsten Vortheil von

Menander und Glycerion.

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deiner Kunst ziehest, der Zukunft immer einge­ denk bleiben, und von unserm Epikuk, oder viel­ mehr von seiner Schülerin und Freundin Leontion, die auch meine Freundin ist, und die dei­ nige werden soll, diese Mäßigung im Ge­ nießen lernen, ohne welche das freudenreichste Leben nur ein Bacchischer Rausch ist, auf den ein schmerzhaftes und reuvolles Erwachen folgt. Menander hat uns seit einigen Monaten verlas­ sen, um seinen Freund Demetrius nach Alexan­ drien zu begleiten, wohin ihn der König Ptolemaus sehr verbindlich eingeladen hat. Ich bin seit mchrern Jahren so gewohnt worden, alle zwei oder drei Tage mit ihm zuzubringen, daß mir durch seine Abwesenheit ein Theil meiner Selbst zu fehlen scheint. Ohne den äußerst anziehenden und unterhaltenden Umgang mit meiner neuen Freundin, Leontion, wüßte ich mir wirklich kaum zu helfen. Denn, daß ich der Lieblingsbeschäftigung meiner kindlichen Jahre, des ewigen Blumenlesens und Zusammengattens, endlich müde worden bin, und durch Mcnandern eine edlere und genußreichere Art von Dasevn ken­ nen gelernt habe, kannst du dir leicht vorstellen. Anfangs wollt' er mich bereden, ihm nach Aegypten zu folgen, und ich fühlte mich nicht wenig dazu versucht: aber bessere Gedanken kommen über Nacht: er selbst machte sich, als Ernst daraus werden sollte, Einwürfe, auf die er keine Antwort fand: und so

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Menander und Glycerion.

blieb ich hier, und erwarte seine Wiederkunft um so sehnlicher, da ich seit unsrer Trennung nur zwei Briefe von ihm erhalten habe. Ein Zufall hat inzwischen den Komödiendichter Philemon Gelegenheit verschafft, uns einen wich­ tigen Dienst zu leisten, und unsere Derlaffcnheit durch seine Besuche zu erheitern. Denn dieser Philemon ist, Trotz seiner fünfzig Jahre, seines halbgrauen Kopfes, und seiner auffallenden Häßlichkeit:- in Ge­ sellschaft einer der kurzweiligsten Menschen, die ich noch gesehen habe. Sein böser Dämon hat den Alten mit einer Art von Leidenschaft für deine Freundin angehaucht, die ihn zum Helden einer viel lächerli­ chern Komödie gemacht, als er jemals auf den Schau­ platz gebracht hat. Anfangs konnt' ich lange nicht von mir erhalten, dem Menschen, der mit schlechten Stücken oft den Sieg über meinen Me­ nander erhielt, ein freundliches Gesicht zu verleihen: aber seitdem er uns diese Komödie giebt, hab' ich mich unvermerkt mit ihm ausgesöhnt. Denn, damit ich ihm erlaube, mir von Zeit zu Zeit eine erzkomi­ sche Liebeserklärung zu thun, und mich in einem sei­ ner Stücke die Gute zu nennen, laßt er sich so übel von mir mitspielen, als ich Lust habe. Du bildest dir vielleicht ein, daß er seine Häßlichkeit und seinen grauen Iiegenbart durch Freigebigkeit gut machen werde: aber da würdest du dich sehr irren; er ist der zäheste Filz in ganz Athen. Gleichwohl bringt ihn

Menanderund Glycerion.

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Amor, ».derGötterund der Menschen Herr­ scher," dahin, daß er sich zuweilen mit kleinen Ge­ schenken wehe thut, auf die er einen so hohen Werth lenk, als ob er die Schatze des Krösus mit mir theilte. So schickte er mir neulich an meinem Ge­ burtstag ein winziges Körbchen voll sehr gemeiner Blumen aus seinem eignen Garten, die, seiner Ver­ sicherung nach, die einzigen in Attika waren; und an einem kleinen Gastmahl, das meine Mutter an den Lenaen gab, wußte er sich nicht wenig mit einem Kruge Syrakuserwein, den er zum Feste bei­ steuerte, aber, wobl zu merken, nicht etwa für sein Geld gekauft, sondern von einem Freunde geschenkt bekommen hatte. Doch genug von diesem Ehren­ manne, deffen Freundschaft uns, da wir hier fremd sind, und er bei einigen Häuptern der Stadt viel vermag, in Abwesenheit unsers bisherigen Beschü­ tzers, nicht so gleichgültig ist, daß wir sie ganz vernachlößigen dürsten.

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Menander und G lycerion.

XIX. Glycera an Leontium.

Menander ist endlich angelangt; aber wohl kam es

nur, daß ich die Freude des Wiedersehens, wenig­ stens in der Einbildung, vorausgenossen hatte: denn für eine so lange Trennung war die erste Um­ armung ziemlich frostig. Vergebens bemühte er sich, einen fröhlichen und zärtlichen Ausdruck in sein Ge­ sicht zu bringen; die Natur scheint den Menschen sei­ ner Art die Gabe der Verstellung schlechterdings ver­ sagt zu haben. Menandern wenigstens sieht man's immer auf den ersten Blick an, daß er etwas verbergen möchte, und auf den zweiten oder dritten, was es ist. Daß die düstre Wolke, die auf seinen Augenbrauncn lag, mich mit einem Ungewit­ ter bedräue, war gerade, was er am wenigsten ver­ bergen konnte: womit ich mir aber seinen Unwillen zugezogen haben mag, ist mir bis auf diesen Augen­ blick ein Räthsel. Denn zu einer Erklärung war der einsylb.ge Mensch nicht zu bringen; auch verschwand er unter dem Vorwand dringender Geschäfte eben so schnell wieder, als er gekommen war. Gewiß ist, daß er Ursache hat mit seiner Aufnahme in Alexan-

Mrnander und Glycerion.

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drien sehr zufrieden zu seyn, und daß er also sei­ nen Mißmuth nicht von dorther mitgebracht haben kann: denn der Bediente, der ihn auf dieser Reise begleitete, konnte meiner Schwester Myrto nicht genug anrühmen, wie sehr sein Herr von dem Könige aus­ gezeichnet und mit Geschenken überhäuft worden sey« Ich gestehe dir, liebste Leontion, daß ich nicht ruhig seyn kann, bis ich über dieses sonderbare Be­ tragen meines launenvollen Freundes im Klaren bin. Du würdest mich daher sehr verbinden, wenn du mich diesen Abend besuchen, oder, wofern dieß nicht angeht, mir auf halbem Weg' einen Platz bestimmen wolltest, wo wir uns zu einer von dir bestimmten Stunde antreffen, und unsre klugen Köpfe zusammcnstecken könnten, um zu überlegen, wie ich mich in einer so unerwarteten Lage zu benehmen habe.

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Mena n der und Glycerion

XX. Leontion an Glycera.

Du wirst sehen,

liebe Glvcera,

daß es am Ende

nichts als der leidige Dämon der Eifersucht seyn wird, der dem guten Mcnander in den Leib gefahren ist. Irgend ein dienstfertiger Freund wird ihm von dem Zutritt/ bsn sein Antagonist PH itemon wah­ rend seiner Abwesenheit in deinem Haust erhalten hat, im engesten Vertrauen Nachricht gegeben, und, wie gewöhnlich, die Sache vergrößert, und in ein zweideutiges Licht gestellt haben. Was braucht es mehr, um die Einbildungskraft eines poetischen Lieb­ habers in Feuer und Flammen zu setzen? Ohne ein Ungewitter wird es nicht ablaufen, das kann ich dir voraussagen. Sehr gern, meine Liebe, würde ich diesen Abend bei dir zugebracht haben, wenn ich mich nicht bereits an den jungen Metrodor ver­ sprochen hatte, der seinem Freund und Lehrer Epi­ kur, dessen Geburtstag heute ist, ein glanzendes Fest geben wird. Wenn du dich aber um die vierte Stunde nach Mittag im äußern Ceramikus bei der Bildsäule des Harmodius einfindcn willst, so wirst du nicht lange auf deine Leontion warten müssen.

M enander und Glyeerton.

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XXL

Glycera an Menander. Höre mich jetzt, Menander, und nimm wohl zu Herzen, was ich dir zu sagen habe: denn gestern warst du nicht in der Fassung, auftdie Stimme der Vernunft zu achten, und — ich schwieg. Es sind nun bald sechs Jahre verflossen, seit dem wir uns zum ersten Male sahen. Meine Seele flog dir entgegen; und wie hattest du mich nicht wieder lieben sollen, da du dich (wie du sagtest) bereits in mein B i l d n i ß verliebt hattest? Seit dieser Zeit hab' ich, weder aus Noth noch aus Pflicht, sondern aus freier Zuneigung, bloß für dich gelebt, und meine angelegenste Sorge wgr, dich so glücklich zu machen, als in meinem Vermögen steht. Alle meine Gedanken lagen immer offen vor dir; wen solltest du kennen, wenn du mich nicht kennst? — Und dennoch bist du fähig, mich mit einer Art von Weibern zu vermengen, mit der ich nichts gemein habe, als das Unglück, auch ein Weib zu seyn. Oder woher sonst diese Eifersucht, mit deren rasenden Ausbrüchen du gestern' unser kleines Wtelanos W. 28 Bv. 5

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Menander und Glyeerion.

Haus erschüttert, und sogar die Nachbarn in Unruhe und Schrecken gesetzt hast? — Du brichst mit Gewalt in meine Kammer ein, wirfst alles darin übereinan­ der, durchsuchst alle Winket des Hauses, zerbrichst in deiner Wuth alles, was dir vor die Hände kommt, überschüttest mich und die meinigen mit den schmäh­ lichsten Vorwürfen, und stürmst endlich unter den wildesten Drohungen und Verschwörungen wieder zum Haus hinaus, — und warum alles das? — Weit ich dem Philemon in deiner Abwesenheit den Zutritt bei mir gestattete; weil er als ein Freund vom Hause angesehen wird, weit er — in fünf Mo­ naten ein einziges Mat — bei uns zu Nacht gegessen hat. Welche Ursachen! Wenn es nur nichtPhilemon wäre, sagst du; jeder Andre aus Athen, aus Grie­ chenland, aus der weiten Wett, nur nicht Philemon! — Und warum das? — Aus einer Ursache, die du zu gestehen erröthen müßtest, — weit er auch Komö­ dien schreibt, wie du, (wiewohl kein Mensch von gesundem Kopf sie den deinigen an die Seite stellt,) and weit ihm (nicht d i r, sondern euernRichtern zur Schande,) schon öfters der Sieg zuerkannt wurde. — Wie klein! wie deiner unwürdig! Doch, es ist nicht meine Absicht, dich durch Vorwürfe, wie ver­ dient sie auch seyn möchten, noch mehr zu erbittern: aber die Wahrheit mußt du von mir anhören, und dann — soll es von dir abhangen, ob wir uns gestern -um letzten Mal gesehen haben oder nicht.

Menander und Glycerion.

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Höre also vor allen Dingen, wie ich zur Be­ kanntschaft mit Philemon gekommen bin. Sie schreibt sich von einem sehr wesentlichen Dienst her, den er uns gegen einen Sykophanten leistete, von welchem wir angeklagt wurden, daß wir unverzollte Waaren heimlich von Sicyon nach Athen gebracht hatten. Dieß trug sich wenige Tage nach deiner Abreise zu. Wärest du zugegen gewesen, so hatten wir ohne Zweifel der guten Dienste Philemons nicht bedurft. Genug, er leistete sie uns., und meine Mutter fand sich ihm zu sehr verpflichtet, um seine Besuche, da er sie auch nach. Endigung unsers Prozesses fortsetzte, verbitten zu können. Daß er sich in eine ihrer Töch­ ter vergaffte, war desto schlimmer für ihn: denn das solltest du dir doch wohl vorstellen können, daß Glycera sich weder in sein häßliches Angesicht, noch in seine fünfzig Jahre, noch in seinen stadtkundigen Geiz verliebt haben werde. Sich über seine Bethörung lustig zu machen, war natürlicher Weise alles, wozu ein solcher Liebhaber gut seun kann. Uebrigens mußt du so gut als wir wissen, daß er einer der witzigsten Köpfe in Athen ist, und daß ein ihm eige­ nes mimisches Talent, alles, was er spricht, und selbst die Personen, von denen er spricht, durch seine Geberdeu, und den Ton seiner Stimme darzustellen, ihn zu einem überall beliebten Gesellschafter macht: und so sonnt' ich es doch wohl geschehen lassen, daß ihm meine Mutter gut begegnete, wenn mir auch

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Menander und Glycerion.

seine Liebe, wegen deren er öfters über sich selbst spottete, mehr lange Weile als Spaß gemacht hatte. Dieß, Freund Menander, ist das ganze Verhältniß, worin Philemon mit uns steht. Ich sehe nichts darin, was deine Eifersucht, geschweige einen so wüthenden Ausbruch dieser häßlichen Leidenschaft, entschuldigen könnte. Oder solltest du mir etwa daraus ein Verbrechen machen, daß ich in deiner Abwesenheit mich ganz leidlich zu behelfen, und mir, auch ohne dich, manche fröhliche Stunde zu verschaffen gewußt habe? Wahrlich, Menander, wenn du dir eingebil­ det hast, daß ich, wahrend du am Hofe zu Alexan­ drien in Sauö und Braus lebtest, diese ganze Zeit über, in Trauerkleider gehüllt, am Gestade des Pi­ räus umherschleichen, und den ganzen Tag nichts thun werde, als deinen Namen in den Sand schrei­ ben oder in die Felsen kratzen, und die See von mei­ nen Thränen schwellen machen, so hast, du dich sehr an mir betrogen l Bei so bewandten Umstanden erwarte also keine Nachgibiegkeit, die mich zu deiner Sclavin erniedri­ gen würde. Dix Liebe giebt dir kein Recht, deine Launen und Grillen zu Gesehen für mich zu machen; du hast kein Recht, den ergrimmten Herren in mei­ ner Wohnung zu spielen; kein Recht, von meiner Mutter zu verlangen, daß sie dir einen Freund, der Verdienste um sie hat, aufopfern, oder von mir, daß ich diesem Mann aus dem Wege gehen soll, weil

Menander und Glyceriott.

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er mich liebt. Ich habe über mich selbst zu gebieten, und weiß am besten, was mir zu thun oder zu lasten geziemt. Kurz, Menander, wenn du dein ge­ striges Betragen Liebe nennst, so sage ich dir, daß ich nicht auf diesen Fuß geliebt seyn will. Du selbst hattest mich an eine zartere Behandlung gewöhnt, wofern ich jemals eine andere gekannt hatte. Der Menander, den ich liebte, war ein ganz anderer Mann als der gestrige; jener kann gewiß seyn, immer eine Freundin in mir zu finden: diesem — ich schwör' es bei meiner Urania und ihren Grazien! — wird sich meine Thür nie wieder öffnen.

XXIT.

Menander an Glycera. Der Jähzorn ist eine Erbkrankheit in meiner Fami­ lie, liebe Glycera, und

Wir rasen alle,

wenn der Aorn uns übernimmt,

wie dein Freund Philemon in einem seiner Stücke sagt. Dergieb mir also, was nicht ungeschehen ge­ macht werden kann, und sey so billig zu gestehen, daß ein leicht aufbrausender Liebhaber, wenn er zu

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Menander und Glycerion.

allem Ueberfluß noch das Unglück hat ein Dichter zu seyn, zu entschuldigen ist, wenn er darüber rasend wird, daß er einen ihm verhaßten Nebenbuhler im Hause seiner Geliebten so frei aus-und eingehen steht, als ob er zur Fanrilie gehöre: zumal, wenn dieser Nebenbuhler unverschämt genug gewesen ist, in Gegenwart mehrerer Zeugen zu prahlen, er habe gute Hoffnung, Menandern auch bei der schönen Glycera den Preis abzugewinnen, den er scheu sooft im Theater über ihn erhalten habe. Wenn ihm diese Rede auch von seinen Feinden zur Ungebühr nachge­ sagt würde, ist es nicht daran schon genug, daß er nichts driNgendcrs hatte, als dich in seiner letzten Komödie mit offenbarer Affektazion' die Gute zu nennen, um zu verstehen zu geben, er möge wohl seine Ursachen haben, warum er an der schönen Glycera gerade nichts anders rühme, als ihre Güte? — Doch, wenn dieser Umstand gleich meinen Unwillen über Philemon rechtfertigt, meine gestrige Aufführung in deinem Hause kann nichts entschuldigen. Ich un­ terwerfe mich daher jeder Buße, die du mir aufiegen willst, beste Glycerion; nur verzeihe mir — was ich mir selbst nie verzeihen werde; schenke mir, wcnn's möglich ist, deine ganze Liebe wieder; und, um mir einen Beweis davon zu geben, der mich dir unend­ lich verpflichten wird, rache mich an dem unseligen Menschen, der an allem diesen Unheil schuldig ist, an diesem mir mit so vielem Recht verhaßten Phile-

Men ander und Glh cerion.

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mon, dessen Wangen noch weniger erröthen können, als seine Fußsohlen, und verschließe ihm deine Thür auf immer.

XXIII.

Glpcera an Menander.

Was könnt' ich Menandern nicht verzeihen, wenn er seine Fehler bereut? und wie würde ich ihn lieben, wenn er Herr über sie würde! Tu glaubst eine Buße verdient zu haben, und ich hatte große Lust, dir eine aufzulegcn, die dir etwas bitter schmecken dürfte. Von einer Buße ist aber auch nicht zu erwarten, daß sie wie Honig vom Hymcttus schmecke. —* n llnb worin bestünde diese Buße?" — Worin anders, als daß du mir das Ver­ gnügen machen solltest, dich n;it Philemon auszusöhncn. Er schwört bei allen Göttern, die Rede, deren er beschuldigt wird, sey nie über seine Lippen gekom­ men. Dip Hilus, sagt er, und Hermias hatten ihn, in Gegenwart etlicher anderer Bekannten, etwas spöttisch mit seiner Liebe zu Glncera aufgezo­ gen, und da sie es gar zu arg getrieben, habe er endlich lachend geantwortet: warum sollt' es nicht

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Menander und Glycerion.

möglich seyn, daß die schöne Gtycera in einem gril­ lenhaften Augenblick mich mit allen meinen Runzeln dem Menander vorziehen könnte, da unsre Kampf­ richter schon so oft blind gewesen sind, meinen Ko­ mödien den Vorzug vor den seinigen zu geben? — Daß dieß seine Worte gewesen, sagt er, würden Diphitus und Hermias bezeugen müssen; und ich bin um so geneigter ihm zu glauben, weil er wirklich bei jedem Anlaß mit der größten Achtung von deinen Werken spricht. Es ist noch nicht lange, daß ich zwi­ schen Ernst und Scherz zu ihm sagte: aber Phi­ lemon, wirst du nicht allemal bis an die Ohren roth, wenn du den Sieg über Menandern davon trägst? Das könnte wohl mehr als Einmal der Fall bei mir gewesen seyn, war seine Antwort: der Sieg ist freilich immer etwas angenehmes, wenn wir ihn auch ( was den berühmtesten Feldherren schon begegnet ist) bloß dem Zufall zu verdanken haben: aber ich werde immer laut bekennen, daß Menander der erste unter den komischen Dichtern unsrer Zeit ist, und rechne mirs zu großer Ehre, wenn verständige Liebhaber der Musenkunst mir die zweite Stelle zu­ erkennen. Alles wohl erwogen, denke ich, du solltest die Buße, die ich dir aufzulegen willens bin, nicht zu streng finden. Was meinest du?

Menander und Glycerion.

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XXIV. Menander an Glycera.

Mach, alles mit mir, was dir beliebt, meine Köni­ gin, nur mit der feierlichen Aussöhnung, womit du mich bedrohest, verschone mich. Ich verspreche dir, daß ich mich gegen Philemon mit aller Urbanität, die einem gebornen Athener zukommt, betragen will, wo wir uns nur immer antreffen, sollt' es auch in deinem Hause seyn; aber Freunde, — das mußt du so gut fühlen, als ich, — Freunde können wir niemals werden. Deine Mutter, um deren Verzei­ hung ich in einem eignen Briefe bitte, hoffe ich durch einen großen Tragkorb voll neuen Hausgerathes zu besänftigen, den ich dir statt des zerbrochnen alten übersende. Werdet mir wieder gut, liebe Sicyonerinnen, so viele euer an Glycerion hangen; ich werde nicht eher wieder leicht athmen, bis ihr mir wieder alle mit den freundlichen Gesichtern ent­ gegen kommt, an welche ihr mich von so langem her gewöhnt habt.

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Menander und Glycerion.

XXV.

Menander an Dinias. Es hat bei meiner Iurückkunft aus Aegypten einen

ziemlich harten Strauß zwischen mir und Glycerion abgesetzt, lieber Dinias. Ich erinnere mich dessen nicht gern, aber die angeschloßnen Briefe, die bei dieser Gelegenheit zwischen ihr und mir gewechselt wurden, werden dir mehr davon sagen, als dir meinetwegen lieb seyn wird. Genug, der Sturm ist vorüber, alles lacht uns wieder an: wir bilden uns ein, beide zu gleicher Zeit einen bösen Traum ge­ träumt zu haben, und der Sommer unsrer Liebe, welche wirklich einiger Auffrischung benöthigt war, hat dadurch die Lebhaftigkeit und den Glanz ihrer ersten Blüthe wieder erhalten. Glycerion, welche nächstens ihr zwei und zwanzigstes Jahr zurücklegen wird, gleicht jetzt einer so eben in der Morgensonne völlig aufgebrochnen hundertblattrigen Rose; ihre körperlichen und geistigen Reizungen haben den Punkt der Reife erreicht, eie ist nun alles, was sie seyn kann — ein äußerst liebenswürdiges Weib, bei Amorn und Aphroditen! aber am Ende doch so gut ein

Menander und Glycerion.

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Weib, wie alle andere. Es giebt der verwünschten Hellen Augenblicke immer mehrere, wo ich nur gar zu klar zu sehen glaube, daß ich mich auch an ihr getäuscht habe; daß auch Sie ihrer Vortheile über uns sich nur zu sehr bewußt ist; daß auch Sie nicht so ganz ohne Eitelkeit, Ansprüche und Launen ist, als sie zu seyn schien, da sie mir mit aller Unerfahren­ heit, Unschuld und Kindlichkeit ihrer sechszehn Jahre in die Arme flog. Soll ich nun mit der aufgeblühten Rose hadern, daß sie nicht Knospe ist? Ver­ muthlich ist das, was ich von einem Mädchen, daS mich auf immer fesseln sollte, forderte, gar nicht in der Natur. — Auch werde ich täglich geneigter zu glauben, daß diese holden Zaubrerinnen, ohne alle diese Ungleichheiten, Grillen, Widersprüche mit sich selbst und unsern Erwartungen, kurz ohne alles, womit sie uns zuweilen rasend machen, nicht halb so bezaubernd wären, als sie sind. Verkümmern wir unS also nicht selbst, durch eigensinnige nnd über­ spannte Forderungen, die Freude, die wir an ihnen haben könnten, wenn wir sie nahmen, wie sie sind! Ueberlaffen wir uns den süßen Täuschungen, so lange sie uns täuschen können, und beschleunigen nicht selbst den leidigen Augenblick der Entzauberung, der immer zu früh kommt, wie spät er auch kommen nrag!

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Menander und Glycerion.

XXVI, An Ebendenselben. Seit einigen Tagen ist eine Jugendfreundin meiner (5h;ccrton, Nannion genannt, von Sicyon ange­ kommen, die, wie es scheint, zu Athen ihr Glück versuchen will. Ich war eben gegenwärtig als sie anlangte, und muß gestehen, der erste Anblick ist ihr nicht besonders günstig. Solltest du wohl glauben, daß sie eines der häßlichsten Mädchen ist, die man sehen kann? Denke dir auf den Körper einer ziem­ lich plumpen Bacchantin einen runden weiblichen Faunenkopf, einen großen Mund mit dicken Lippen, eine kleine Stirn, eine aufgestülpte Nase, und zu allen diesen Reizungen ein paar grobe, funkelnde, herausfordernde Augen, die immer in Bewegung sind, und-nicht drei Pulsschläge lang auf ebendemselben Gegenstand verweilen, so siehst du sie leibhaftig vor dir stehen. Urtheile, ob ich betroffen darüber war, daß ein Mädchen dieses Schlages die vertrauteste Jugendfreundin meiner Glycerion seyn sollte. Wahr ist's, sie sind Anverwandte, und wuchsen von Kind­ heit an neben einander auf; und daß es dieser Nan»

Menander und Glycerin.

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nion an Geist nicht fehlen kann, dafür bürgen schon ihre Augen, deren gleichen ich wirtlich in meinem Leben noch nie gesehen habe. Denn mit jedem Blick schleudert dir das wilde Mädchen einen Iynx in den Busen, und was das Schlimmste ist, sie scheint keine Absicht dabei zu haben, und sieht so harmlos und unbefangen dazu aus, als ob sie nicht wüßte, daß sie Augen habe. Bey allem dem versichre ich dich, daß sie einen widerlichen Eindruck auf mich gemacht, und gegen meinen Willen ein - Etwas, dem ich kei­ nen Namen zu geben weiß, in mir aufgeregt hat, welches mich nöthigen wird, die schöne Glycerion mit etwas kälterem Blute zu beobachten, als mir bisher möglich war. Nannion soll eine vortreffliche Mimi­ sche Tänzerin seyn, und dieß ist cs eigentlich, worauf sie die Hoffnung gründet, sich auf Kosten unsrer üppigen Athener zu bereichern. Ich bin unge­ duldig , eine Probe ihrer Kunst zu sehen. Wie bald dieß geschehen wird, ist noch ungewiß. Denn bevor sie sich in einer großen Gesellschaft zeigt, will sie ihre erste Probe in Glycerions Hause machen, und nnr ist bereits angekündigt worden, daß keine Manns­ person zu diesen Mysterren zugelaffen werden könne; eine Vorsicht, die mir einiges Mißtrauen zu verra­ then scheint, und meine Erwartung Don dem gerühm­ ten Talent dieser Sicyonischen Künstlerin ziemlich tief herabgestimmt hat.

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Menander und Glpcerion.

XXVII. Elycera an Leontion. Sage mir doch, Leontion, — denn du hast mehr Gelegenheit gehabt, die Männer kennen zu lernen, als ich, — ist es eine Untugend des ganzen Ge­ schlechts, daß sie sich so wenig aus ihren Vergehun­ gen machen, oder ist es ein eigner Zug im Charak­ ter Menanders? Es ist noch nicht sehr lange, seit er sich so gröblich gegen mich vergangen hat, daß er vielleicht selbst kaum hoffen durfte, Verzeihung zu erhalten. Ich verzieh' ihm, und in den ersten Ta­ gen unsrer Aussöhnung war der Mensch so demüthig, so geschmeidig, so aufmerksam auf meine leisesten Winke, daß ich mich verführen ließ zu glauben, ich hätte endlich den Sieg über seine Unbeständigkeit erhalten. Aber kaum hielt er sich meiner Liebe wie­ der gewiß, so war auch alles Geschehene wieder ver­ gessen. Er laßt allen seinen Launen und Unarten den Zügel wieder, übersieht sich selbst alles, und «immt es dafür mir mir so scharf, als ob Er sich nichts vorzuwerfen, ich hingegen die größte Ursache hatre, alles von ihm zu ertragen. Wie hatte ich vor sechs Jahren denken sollen, daß dieser Meuandcr, der

Menander und ®(yceriort.

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mich damals so zart'behandelte, so aufmerksam auf meine stillsten Wünsche, so selig durch meine klein­ sten Gunsterweisungen war, in so ipenig Jahren sich selbst so unähnlich seyn würde? Ich darf es dir wohl gestehen, liebste Leontion, mir laufen zuweilen wunderliche Gedanken durch den Kopf, und daß ich ihnen kein Gehör gebe, kommt im Grunde bloß da­ her, weil ich von keinem andern Mann eine bessere Meinung habe, als von Menandern. Doch nichts mehr von diesen leidigen Geschöpfen! Wie hat dir meine Nannion gefallen? — Wir waren freilich wenig mehr, als Kinder, da wir unsre Freundschaft stifteten. Nannion hat sich in den sechs Jahren meiner Abwesenheit von unsrer Vaterstadt mächtig entwickelt, oder soll ich verändert sagen? Denn beinahe hatt" ich sie auf den ersten Anblick nicht erkannt. Indessen war sie immer ein gutmü­ thiges Wesen, und ich halte mich versichert, daß sich ihr Herz nicht verändert hat.

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Menander und Tlycerion.

XXVIII. Leontion an Glycera. Du fragst mich, wie mir die Gespielin deiner Kin­ derjahre gefallen habe? und ich antworte dir mit meiner gewohnten Offenheit. Es dürfte schwer seyn, ein Mädchen zu finden, bei welchem das, was man gewöhnlich Häßlichkeit nennt, in so viele Reizungen eingewickelt wäre. Beim ersten Anblick scheinen alle Züge ihres Gesichts in einem allgemeinen Aufstand gegen einander begriffen; keiner paßt recht zum an­ dern ; nichts ist in seinem gehörigen Ebenmaß: aber ihr großes feuersprühendes Auge herrscht wie ein Gott in diesem Chaos, und zwingt die widerspensti­ gen Elemente ihres Gesichts zu einer Art von seltsa­ mer aber gefälliger Einigung. Nimm dazu die fri­ scheste Blume der Jugend und Gesundheit, eine blen­ dende Weiße aller sichtbaren Theile ihres Körper-, und eine gewiffe einladende Ueppigkeit der Formen, die von den meisten Männern der reinen, Anbetung gebietenden, Schönheit vorgezogen wird: so wirst du finden, daß ich, ohne die Gabe der Weiffagung vom Delphischen Apollo erkauft zu haben, Vorhersagen kann, sie werde bei ihrem ersten öffentlichen Auftritt

Menander und Glycerion.

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eine große Niederlage unter unsern jungen und alten Athenern anrichten. Ich verspreche ihr viel von ihrem natürlichen Geschicke zur Mimischen Kunst, aber noch vielmehr von ihren Anlagen zur Kunst die Manner einzufangen. Noch scheint das rohe Mäd­ chen nichts davon zu wissen / aber in Athen, wird sie sich schnell genug entwickeln. Auf alle Fälle rathe ich dir, auf deinen Menander wohl acht zu geben, wenn du anders Lust hast, ihn noch länger beizube­ halten. Wirklich ist die Treue, womit du ihm schon sechs ganzer Jahre zugcthan bist, etwas sehr muster­ haftes. Eben so gut hättest du ihn vollends gehetrathet; denn ich sehe nicht, ivj6 die tugendreichste Ehefrau mehr thun könnte. Unter unsern Atheni­ schen Matronen sind schwerlich drei oder vier, die der geheimen Feier der Thesmophorien mit so reinem Gewissen beiwohnen, als das Deinige dich dazu berechtigte, trenn dir die alte Sitte nicht im Wege stünde. Ich sage dieß nicht, als ob ich Unkraut unter euch läcn wollte: aber ich bin doch zu sehr deine Freun­ din, um dir nicht zu rathen, was ich mir selbst in deiner Lage rathen würde. — Doch du scheinst mir kaum eines andern Rathe- zu bedürfen, als daß du den Muth habest, den Eingebungen deiner eigenen Vernunft zu folgen. Menander ist in seiner Art, die Weiber, die er liebt, zu behandeln, weder viel besser, noch viel schlimmer/ als andere Männer. SiBleUuö» W. 23. Dr.

Du würdest dich bei manchem andern nicht so gut, bei keinem vielleicht bester befinden. Aber, meine Liebe, dieß ist m.tt das Einzige, was in Betrach­ tung kommt. Die Weisheit befiehlt uns, über dem Gegenwärtigen der Zukunft nicht zu vergessen. Da wir doch Einmal, mehr oder weniger, von diesen rohen Geschöpfen zu leiden verdammt sind, und uns ihrem tyrannischen Joch nicht ganz entziehen können, so laß uns wenigstens die Gewalt, die unS zu unsrer Entschädigung über sie gegeben ist, so gebrauchen, daß wir uns selbst nicht dabei vergessen. Wenn du mich diesen Abend in meinem Garten, der an Epikurs an­ grenzt, besuchen wolltest, würdest du Gelegenheit finden, mit einem der merkwürdigsten Manner uns­ rer Zeit Bekanntsrbaft zu machen; und welcher an­ dere könnte dieß seyn, als Epi kur selbst?

Menander und Gtycerion.

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XXIX.

Glycera an Leontion. 3 daß sie nicht immer das liebliche, unbefangene, sich selbst unbekannte, alles nur ahnende, nur durch leiseö schüchternes Tasten sich wahr machende, an­ spruchlose, trauliche Kind bleiben konnte, das sie mit sechözehn Jahren war! — Thörichter Wunsch! und doch die einzige Bedingung, unter welcher der Zauber, womit sie mich umfangen hielt, ewig dauern

konnte. — Ewig dauern, sagte ich? Sollte nicht auch dieß bloße Einbildung seyn? Es ist mehr alS wahrscheinlich. Wenigstens begehre ich mich von dem Dorwurf der Liebe zur Veränderung nicht ganz freizusprechen.

Eben derselbe Gegenstand, wie vollkorn-

men er auch seyn mag., immer -gesehen, immer genoffen, wird mir endlich gleichgül­ tig; und, um mich fest zu halten, müßte das Weib, daS ich liebe, alle Arten von Reizungen, die wntar

los

Menander und Glycerio ».

das ganze Geschlecht vertheilt sind, in sich vereini­ gen und in ewiger Abwechselung nach und nach vor mir entfalten. Lache über meine'Ungenügsamkeit so viel du willst, aber ehre meine Aufrichtigkeit; denn ich bin gewiß, daß ich aus der Seele aller Manner, dich selbst nicht ausgenommen, gesprochen habe. Und soll ich nun so einfältig treuherzig seyn, den Weibern auf ihr Wort zu glauben, daß sie bestän­ diger im Lieben seyen als wir ? Das soll mir, beim Jupiter! keine weiß machen, nachdem mich die Er­ fahrung belehrt hat, daß ein Mädchen, das lauter Natur, Wahrheit und Gefühl war, — daß Glycerion selbst ihrer ersten Liebe ungetreu werden konnte. Ungetreu? hör' ich dich ausrufen: hat sie denn einen Andern geliebt als dich? sich einem andern ge* geben als dir? — Das sag' ich nicht, DiniaS. Aber ist sie nicht ihren ersten Gesinnungen gegen mich, ihrem Versprechen immer dieselbe für mich zu blei­ ben und meiner kleinen Verirrungen wegen mich nicht weniger zu lieben, ungetreu worden? Ist sie immer das anspruchlose, zutrauliche Kind der Natur geblieben, das sie Anfangs war? und hat sie mir nicht mehr als Einen Beweis gegeben, daß sie von den gewöhnlichen Untugenden ihres Geschlechts, von Stolz, Eifersucht und Neigung, die Gewalt, die ihnen unsre Schwache über uns giebt, zu mißbrau­ chen, nicht ganz frei ist? Hat sie sich nicht, iumal

Menand er und Glycerion.

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seitdem die Philosophin L e 0 n t i 0 n sich ihres Ver» trauens bemächtigt, und ihr unvermerkt ihre eigenDenkart beigebracht hat, zu einem Selbstgefühl, einem Bewußtseyn ih-rer Liebenswürdigkeit erhoben, wovon an der kleinen Kränzehändterin keine Spur zu sehen war? Es mag seyn, daß von dem allen, ohne meine Verirrung mit der schönen Baechis und neuerlich ohne meine Schwärmerei für die unwiderstehliche Nannion, vielleicht wenig oder nichts zum Vorschein gekommen wäre: aber hätte es jemals zum Vorschein kommen können, wenn es nicht da war? Doch das klingt ja, als ob ich, meine eigene Schuld zu erleichtern, ihr Vorwürfe machen wolle, und wozu bedürft' ich das? Gesteht sie nicht selbst, daß unsre Liebe im Grunde bloße Täuschung war? daß überhaupt alle Verhältniffe zwischen Mann und Weib, Kraft eines nothwendigen Naturgesetzes, auf wechselseitiger Täuschung beruhen? Meine Unbestän­ digkeit ist also durch sie selbst gerechtfertigt, und wir haben einander nichts vorzuwerfen; glücklich genug, wenn uns anstatt der Liebe, die mit unsern Schwüren davon geflogen ist, die Freundschaft bleibt, welcher es, weil sie an keine ausschließliche Vor­ rechte Anspruch macht, um so leichter wird, dir Fehler und Schwachheiten des Freundes zu ertragen. Daß es beiden Theilen wenigstens nicht an gutem Willen fehle, einander diese Entschädigung zu ge­ wahren,. wirst du aus den-angeschloßnen Abschrif-

iio

M enander und Glyeerion.

ten der Absagebriefe ersehen, die zwischen uns ge­

wechselt worden sind. Ist es oder nicht sonderbar, daß unsre Sympa­ thie sich sogar in dem Augenblick zeigen mußte, da wir unS von einander lossagten? Beide Briefe wurbenf wie es scheint, in eben derselben Stunde ge» schrieben und abgeschickt^ Unsre Briefträger begegnen einander auf Hakbein Wege. Eben gehe ich deinem' Herrn diesen Brief zu bringen, sagt Glycerions Sclavin zu meinem Drymio. — Und ich diesen hier deiner jungen Frau, antwortet dieser. So könnten wir unS ja den halben Weg ersparen, und unsre Herrschaften bekamen ihre Briefe desto balder, sagen Beide. Sie wechseln also die Briefe gegen einander au5> und wir erhalten JcdeS den seinigen im nämli­ chen Augenblick. Welcher Dichter hatte unserm ero­ tischen Drama einen zierlichern Ausgang erfinden können? Ich muß dir gestehen, Dinias, das unverhoffte Glück meinen Mitwerbern um die reizende Rannion den Borsprung abgewonnen zu haben, macht mich gegen die Trennung von Glycera unempfindlicher, alS ich vielleicht seyn sollte. Aber auch — welch ein Gluck! — Ich sage dir nichts weiter, als daß mich sogar Jupiter darum beneiden wurde, wenn die Zei­

ten nicht bei ihm vorüber waren, da ihn die Io's, die Europen, die Kalisto's, die Leden und Antiopen fiu so manchen nicht attzuanständigen Verwandlungen

Menander rrnd Glycerion.

ui

nöthigten. Wenn für die Olympier selbst endlich eine solche Zeit kommt, wär' eö nicht thöricht von einem Sterblichen, wenn er eine Gelegenheit, rote diese, nicht bei ihrer fliegenden Lacke faßte ? Je gewisser ich, (der bezaubernden Trunkenheit ungeachtet, womit das ahnungslose Mädchen sich seinen Gefüh» len überläßt,) voraussehen kann) daß mein Glück von keiner sehr angen Dauer seyn wird, desto mehr liegt mir ob, dafür zu sorgen, daß ich mir, wenn diese Wvnnetage vorüber seyn werden, keinen Vorwurf machen muffe, auch nur einen Augenblick, dessen Genuß in meiner Gewalt war, leichtsinniger und undankbarer Weise verloren zu haben. WaS kann ein Erdensohn mehr verlangen, als daß ihn da- An« denken eines so hohen Lebensgenusses durch die ganze Zeit seines Daseyn- begleite?

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Mencrnder vnd Vl^cerion.

XXXVI. Mxnan der an G lycera. Mancherlei Erfahrungen, besi^ Glycera, hatte« mich ehmals beinahe gewisi gemacht, daß ich nie eine Person deines Geschlechts finden würde , die alles in sich vereinigte, was mein Eigensinn von derjeni­ gen forderte, an welche mein Herz sich auf ewig ergeben könnte. Ich sah Dich, und fühlte, oder glaubte zu fühlen, daß ich die Einzige, die dieses Wunder zu thun vermöchte, in Dir gefunden hatte. Lange dauerte der süße Wahn. Aber, da alle deine Reize, alle deine Vorzüge, alle deine Tugenden, die Flatterhaftigkeit und Ungenügsamkeit meiner Sin­ nesart nicht bezwingen konnten: so sehe ich klar, daß die Magie der Liebe, so gut als alles andere Jauberwesen, bloße Täuschung, und die Gefühle des Augenblicks das einzige sind, was daran wahr und wirklich ist. Fern sey es' von mir dir Vorwürfe zu machen, daß du meine ausschweifende Erwar­ tung nicht ganz erfüllt hast; daß du bei allen dei­ nen Vorzügen — mit Einem Wort — doch nur ein Weib bist. Warum solltest du nicht seyn, wozu die Natur dich gemacht hat? llnt) wenn ich eigen-

Menander und Slycerion.

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nützig genug war zu wünschen, daß du von jeder Schwachheit deines Geschlechts zu Gunsten der mei­ nigen frei seyn möchtest, was für ein Recht hatte ich es zu fordern? Du hofftest, mich desto gewisser fesseln zu kön­ nen, wenn du mich frei ließest; ich wähnte thörich­ ter Weise, du würdest die naive Unbefangenheit, die holde bezaubernde Kindlichkeit von sech-zehn Jahren, immer behalten, und, die reine Wahrheit zu gestehen, darauf allein gründete sich die ewige Liebe, die ich dir schwur. Die Erfahrung hat uns beiden die Augen geöffnet. Wir können unS selbst nicht länger täuschen. Eine neue Liebe hat meine Sinnen gefesselt; ich war überwunden, ehe ich daran denken konnte, Widerstand zu thun: auch diese Be­ rauschung aus Amors vollster» Nektarbecher wird ein Ende nehmen. - Ich sage mirs in den Hellen Au­ genblicken der Besonnenheit selbst. Ich werde er­ wachen, und zu meiner Glycera, die in meiner Er­ innerung doch immer die Einzige bleibt, zurückkeh­ ren wollen: aber werde ich meine Glycera in ihr wieder finden? — Es zu hoffen, wäre Wahnsinn. — Ich spreche mir also selbst mein Urtheil. Hältst du mich so, wie du mich nun kennest, deiner Achtung nicht unwürdig; kannst du meine Fehler ertragen, wie ein Freund die Fehler des Andern erträgt: so sey mein Freund, liebe Glycera! — Mich wird das lebhafteste Gefühl deines Werths, von der SßielaiiOö W. 28 D0. S

H4

Men an der und Glpcerion.

wärmsten Dankbarkeit erhöht, nur mit dem letzten Athemzug verlassen.

XXXVII. Glycera an Menander. Erschrick nicht beim Anblick der Handschrift dieses

Briefs, Freund Menander! Du hast keine Vorwürfe von G^ncera zu besorgen. Cie hat das Glück, dich zu lieben und von dir geliebt zu seyn, lange genug genossen, um sich nicht beklagen zu dürfen, daß es der Unbeständigkeit aller menschlichen Dinge unter­ worfen ist. Weg mit den eiteln Wehklagen über die Täuschungen der Liebe! Meine Gesinnungen, meine Gefühle waren keine Täuschungen; ich batte sie wirk­ lich; es waren Blumen, die meinem eignen Boden entsprossen. Ich war selig in dem Gedanken, von Menandern geliebt zu senn, Menandern glücklich zu machen. Die Erinnerung an diese Wonnetage meiner ersten Jugend, an die Tage des unbedingten Glau­ bens an die Liebe, des sorglosen kindlichen Ver­ trauens, womit ich mich dem Geliebten hingab, der Unmöglichkeit eines Zweifels, ob es jemals anders werden könnte, sie verbreitet noch jetzt ein liebliches

Menander und Glpcerion.

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Rosenlicht durch meine Seele. Ich habe nichts zu klagen, Menander; denn wenn ich mit dir deßwegen hadern wollte, daß du ein Mann bist, und ich ein Weib, war' ich nicht belachenswerth? Es hat der Natur nun einmal beliebt, zwei so ungleichartige Wesen, als Mann und Weib es sind, durch den Jauberring der lLiebe auf längere oder kürzere Zeit an einander zu ketten. Awei Wesen, die von keiner ein­ zigen Sache in der Welt dieselbe Vorstellung haben, und keinen einzigen Augenblick dasselbe fühlen; die einander nie verstehen, nie begreifen, nie errathen können, und sich also unaufhörlich an einander irren müssen, — zwei solche Wesen so zusammenzustimmen, daß sie, indem jedes seine eigeneMelodie spielt, beide ebendasselbe zu hören glauben, was kann wunderba­ rer seyn? Wer wird laugnen wollen, das; hier eine seltsame Täuschung mit im Spiel seyn müsse? Aber so ordnete es die Natur, und da sie ohne Zweifel ihre Ursachen dazu hatte, wie könnten wir begehren, daß es anders seyn sollte? Ohne Täuschung ' laßt sich zwischen Weib und Mann kein Verhältniß denken; mehr oder weniger Annäherung ist alles, was wir uns versprechen dürfen, und daran laßt die Freundschaft sich genügen. Diese hast du um mich verdient, Menander, und diese hoffe ich auch um dich verdient zu haben. Was ich für dich fühlte, bevor wir uns persönlich kannten, durch alles, was ich dir seitdem zu danken habe, vermehrt, kann

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Menander und ©lycerion.

nur mit meinem Leben aufhören. Bloß die Zauber­ binde, womit die Liebe unsre Augen umschlang, ist aufgelöst. Ob die Schuld an dir, oder mir, oder an beiden liegt, verändert nichtsan der Sache: denn wiewohl ich nie einen andern liebte, als dich, so laugne ich doch nicht, daß ich dich mit vieler Ge­ müthsruhe einer andern überlaste. Schmeichle dir also nicht, mein Freund, wenn deine neue Leidenschaft sich selbst verzehrt haben wird, daß du mich jemals bereit finden werdest, den Irrthum zu begünstigen, der dich Liebe und Begierde so leicht verwechseln laßt. Wie geschickt auch PothoS und Himeros die Gestalt ihres BruderS anzunehmen wiffen mögen, mich werden sie in dieser Verkleidung nie wieder hintergeden.

NenanderundGlycerion.

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XXXVIII. £contion an Glycera. Ach begreife dich nicht, liebe Glycerion. Was für einen Beweggrund kannst du haben, unsern Freund Hermotimus auf so harte Proben -u stellen? — Du gestehst, daß du ihn liebenswürdig findest, und wie sollte auch ein Mann, der so viele Vorzüge, Wohlgestalt, ungeschwachte Jugend, reine Sitten, Sinn für alles Schöne, und Liebe der Musen, in sich vereinigt, und dem sogar der Reichthum, wegen des edeln Gebrauchs, den er davon macht, zum Ver­ dienst angerechnet wird: wie sollte ein solcher Mann nicht liebenswürdig seyn? Und welches Weib, daS über sich selbst zu gebieten hat, würde sich durch die Art, wie du von ihm geliebt wirst, nicht geehrt fin­ den? Wie selten ist an unsern Mannern sein zarter Sinn für deinen innern Werth, für alles,! waS dich von unsern übrigen Schönen so sehr zu deinem Dortheil unterscheidet? Ohne blind und gefühllos für das reizende Weib zu seyn, ist eS doch gewiß nicht, was du mit so vielen gemein hast, und worin du vielleicht von manchen übertroffen wirst, was ihn an dich fesselt. Du selbst kannst daran nicht zweifeln.

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Menander und G tycerion.

Seine Liebe ist kein schwärmerisches Gebraus, keine sich selbst verzehrende Leidenschaft, (um dir einen Ausdruck' aus deinem letzten Brief an Menandern abzuborgen, ) ftc tragt alle Merkmale einer reinen, von der Vernunft selbst gebilligten Zuneigung. Wenn man je der Liebe eines Mannes zutrauen konnte, daß sie von Selbsttäuschung frei sey, so ist cs die seinige; und wenn je ein Weib hoffen durfte, treu und beständig geliebt zu werden, so darfst es Du. Daß du nicht gleichgültig gegen ihn bist, hast du mir selbst gestanden, und wie solltest Du, deren Augen so getreue Spiegel deines Innern sind, Du, in deren Gesicht jedermann alles-, was in deinem Gemüth vorgeht, lesen kann, und deren ganze Per­ son ein beständiger Wiederschein desselben zu seyn scheint: wie wolltest du die Gewalt verbergen kön­ nen, die du dir anthun mußt, dich den Bewegungen deines. Herzens nicht zu überlassen? Wozu also, um aller Grazien willen! dieser Zwang/ der für Ihn peinvoll ist, und Dir schwer­ lich Vergnügen machen kann? Was kann dich abhal­ ten, deine Lippen bekräftigen zu lassen, was ihm deine Augen schon so oft verrathen haben? Und wozu vollends das sich selbst Widersprechende in deinem Betragen gegen ihn? In Gesellschaft zeichnest du ihn geflissentlich vor allen andern aus, und begegnest ihm mit einer Achtung, Gefälligkeit und Anmuth, die ihn nothwendig immer mehr an dich fesseln muß;

Menander und Glpcerion.

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sobald du dich mit ihm allein siehest, jvtrfr du ent­ weder einsilbig, oder krankest ihn durch den leichtsin­ nigen ironischen Ton, womit du über seine Liebe scherzest. — Verzeih Ihm, daß er nach langem Dul­ den und Schweigen sich endlich den Trost nicht lan­

ger versagen konnte, seine Klagen dem Busen einer g eurem sch aftlich en Freundin zu vertrauen. — Noch Einmal, liebe Glycera, wie soll ich mir dieses Be­ nehmen erklären ? Solltest du dich wohl gar ungern von den Vorzügen des Hermotimus gerührt fühlen? Sollte Menandcr, ohne das; du es dir selbst gestehen willst, noch in deinem Herzen herrschen? Solltest du schwach genug seyn, dich auf den möglichen Fall aufzusparen, daß Sattheit und Langweile ihn wieder zu dir zurückführen könnten? Siehe zu welchem Ge­ danken du mich nöthigest! Ich weiß, daß ich dir dadurch Unrecht thue, und sehe doch,keinen andern Weg, mir dein Betragen gegen einen Mann begreif­ lich zu machen, der, das Einzige ausgenommen, daß er keine Komödien schreibt, Menandern in allen andern Stücken hinter sich laßt, und von dem du nie zu besorgen hast, daß er dich einer Nannion nufopfern werde, Indessen ist es sehr wahrscheinlich, daß. es dich, so wie die Sachen zwischen deinem Unge­ treuen und dieser holden Faun in stehen, nur einen Wink kosten würde, um ihn wieder zu deinen Füßen zu sehen., Die Umstande haben sich, Dank derKlughert der alten Base, und der grenzenlosen Guthek-

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Menattder und Gly cerion.

-igkeit der Nichte, seitdem diese an demHochzeitfcste der Tochter deö ersten Archon ihre Künste auögeleg^ hat, gar sehr geändert. ES haben sich so viele kauft lustige Kunstfreunde hervorgethan, daß die Alte, um so viel möglich keinen ganz unbefriedigt zu lassen, nöthig befunden hat, eine festgesetzte Taxe für den ausschließlichen Besitz der Künstlerin auf bestimmte Zeiten, unter der Hand bekannt zu machen. Zehen Tage werden ein gemeines attisches Talent, ein Monat deren fünf, aber ein ganzes Vierteljahr nicht weniger als fünf und zwanzig Talente kosten. Die schlaue Alte hat bei dieser dem ersten Anschein nach verhaltnißwidrigen Taxe sehr richtig auf die Narrheit uns­ rer jungen Krösussöhne gerechnet. Xanthippides, der sichö nun einmal in den Kopf gesetzt hat, in allen Arten von Thorheiten unübertrefflich zu seyn, hat fein bestes Landgut in LemnoS verkauft, um sich des Alleinbesitzes dieses Kleinods für die nächsten drei Sommermonate zu versichern. Du siehst, daß unserm Dichter bei so bewandten Umstanden nichtS, als ein schöner Rückzug übrig blieb. Auch hat er, schon ein paar Tage bevor der Handel mit Xanthippides völlig abgeschlossen worden war, seinen Freunden zu erkennen gegeben, daß er, der Grundlehre deß LyceumS und deS Wahlspruchs deS weisen Chiton eingedenk, den Augenblick der Uebersattigung nicht abwarten wolle, und daher den Platz, den ihm Amor unentgeldlich verschafft habe, dem P tu tu 6 mit Dera

St en ant er und Glycerion.

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gnügen überlasse. Die Wahrheit ist, daß der gute Menander, den ich gestern zufällig bei Stetrotoren an traf, in den letzten drei Wochen um dreizehn Jahrr älter geworden scheint; und wenn er zugleich um zwanzig oder dreißig weiser geworden ist, so möcht? er noch Ursache haben, mit seinem Schicksal zufrieden zu seyn. Auf jeden Fall traue ich weder Ihm soviel Unverschämtheit zu, sich wieder bei dir einschleichea zu wollen, noch Dir ein solches Uebermaß von Gut­ herzigkeit, daß du dich verbunden halten solltest, ihn dafür zu entschädigen, daß er den reichsten Gecken in Attika nicht überbieten konnte. Ich bitte dich also, liebe Glycera, die Nachrichten, die ich dir von dei­ nem alten Freunde mitgetheilt habe, bloß att einen Beweis aufzunehmen, daß er noch nicht so tief in meiner Achtung gesunken ist, daß ich ihn unserer Au^ «zerksamkeit unwürdig halten sollte.

LLL

Menander und ® h; c e r i o ft
daß sie diesen Weg einschlagen würde; denn warum hatte ihre Base sie sonst nach Athen geführt? Auch sehe ich nicht, wie em Mädchen von Nannions Schlage sehr zu tadeln seyn könnte, wenn sie die überschwängliche Thorheit und Ueppigkeit euerer reichen Wüstlinge benutzt, und einen so hohen M. 23. Bd. 9

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Menander und G lycerion.

Werth auf ihre Person und Kunst setzt, als sie kann, ^br Marktpreis wird bald genug fallen, und es ist em Glück für das wilde kurzflnnige Ding, daß sie eine Vormünderin hat, die in Zeiten auf die Sicherheit der Zukunft bedacht ist.

Menander und Glpcerion.

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XL.

Glpcera an Ebendieselbe. Meine Mutter ist im Begriff, von meinen altern Schwestern begleitet, nach Sicyon abzugehen, um die Erbschaft ihres Oheims, die uns gegen alles Vernu rf)cn durch den Tod seines kinderlos gebliebenen Sohnes zugefallen ist, in Besitz zu nehmen. Ich werde mit meiner Schwester Melissa in Athen zurück­ bleiben, wofern du dich entschließen kannst, uns in­ dessen als Kostgängerinnen anzunehmen, und uns irgend einen kleinen Winkel in deinem (so viel ich weiß) ziemlich geräumigen Gartenhause zu überlassen. Ich würde sehr betroffen seyn, wenn du mich eine Fehlbitte thun ließest, und fürchte mich doch beinahe vor der Gewißheit, daß es nicht geschehen wird. Bin ich nicht ein widersinniges Geschöpf?

Noch etwas neues, liebe Leontiorr. Menander hat sich unvermuthet wieder bei uns sehen- lassen. Mich dünkte nicht, daß er sich so sehr verändert habe, als du neulich sagtest; nur schien mirs, er schiele etwas sitn-ker als ehmals. Ucbrigens spielte er eine

Hi

Mena n der und Gtycerion.

sonderbare Rolle, und es fiel in die Augen, daß er, um seine Verlegenheit zu verbergen, eine Laune erkünsteln mußte, die ihm nicht recht natürlich saß. Anfangs sagte er mir sehr verbindliche Dinge, oder Le es doch scheinen sollten: Ich wäre am Ende doch das einzige durchaus liebenswürdige Weib, das er kenne, und wenn er sich auch tausendmal von mir verirrte, sein Geschmack und sein Herz würden ihn doch immer zu mir zurückführen. Du kannst leicht denken, daß ich in meiner Antwort auf diese unziem­ liche Liebeserklärung die Ironie nicht sparte. Dieß warf ihn auf einmal in eine ausgelassene Lusti.< it, die sich mit einem allgemeinen Ausfall auf unser ganzes Geschlecht endigte, wobei er so viel witzig­ tolles Zeug vorbrachte, daß man drei Aristophani­ sche Komödien daraus hatte machen können. Aber unvermerkt lvurde er wieder artiger, sagte mir aller­ lei Schönes über mein freundschaftliches Verhältniß mit dir und Metrodor, und fand zuktzt sogar Gele­ genheit, mit der unbefangensten Miene auch etwas vom Herrnotimus einfließen zu lasten, der das Ansehen habe, sich (wie er zu sagen beliebte) in der guten Gesellschaft, die in den Garten Epikurs zu Hause sey, zu einem sehr liebenswürdigen Mann auszubilden. Endlich sagte er mir beim Abschied: Er schmeichle sich, ich würde nie aufhören, ihn als den wärmsten meiner Freunde zu betrachten, wiewohl er mir, so wie die Sachen standen, keinen starkem

Menander und Glycerion.

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Beweis seiner hohen Achtung für mich zu geben wisse, als indem er sich einstweilen, wie eine Schnecke, die ihre Hörner zu weit vorgestreckt, in sein Haus zurückziehe, und auf einige Zeit in Vergessenheit zu kommen suche, da er gestehen müsse, die öffentliche Aufmerksamkeit mehr beschäftiget zu haben, als seinem Ruhm zuträglich gewesen sey. Ich fand seinen Vor­ satz sehr löblich; die Musen, sagte ich, würden ihn für die kleinen Opfer, die er ihnen zu bringen ge­ denke, reichlich entschädigen; und so schieden wir als alte gute Freunde von einander, und es ist mehr als wahrscheinlich, daß wir ihn vor Aufführung seiner nächsten Komödie nicht wieder sehen werden.

XLL

Leontion an Glycera.

Ich bin vor Freude über die Nachricht,

die du mir

mitgetheilt hast, hoch aufgesprungen, liebste Glycera. Es werden bereits alle Anstalten zu deinem Empfang in meinem Häuschen, das zur Noth für ein Haus gelten kann, gemacht. Denn an so viel Raum, als wir nöthig haben, soll es uns nicht fehlen. Du

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Menander und Glycerion.

kennst, denke ich, das Schlafzimmer mit dem artigen Kammerchen, das die Aussicht auf den Garten hat, und ringsum von einem geschickten Lehrling deö Pausias mit der Art von Blumenketten, die deine berühmten Kranze bei uns Mode gemacht haben, bemahlt ist. Dieß ist für dich und die kleine Melitta bestimmt, und ich hoffe, du wirst dich wohl darin befinden. Meine beiden Nachbarn — die ich dir nicht zu nennen nöthig habe —- nehmen an meiner Freude so lebhaften Antheil, daß ich, wenn ich nicht eine so gute Seele wäre, auf den Argwohn gerathen könnte, ihre Mitfreude sey nicht so ganz uneigen­ nützig, als sie sich die Miene geben möchten. Mein Verlangen, dich bei mir zu haben, ist so ungeduldig, daß du, wenn du mich liebst, deinen Einzug so sehr alS dir nur immer möglich ist, beschleunigen wirst.

Menander und Glycerion,

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XLIL Menander an Dinia §.

Wieder aus einem süßen Traum erwacht, Freund Diniasl Wenn Endynrion in seinem langen Schlaf von solchen Träumen besucht wurde, so wird er sich bei dem, der ihn aufweckte, nicht sehr bedankt haben. Ich saß, wie Tantalus, an Jupiters Tafel, und schwelgte, gleich den Unsterblichen, in Nektar und Ambrosia. Aber es ist sehr zu besorgen, daß ich auch nun, da der Götterrausch verdunstet ist, zwischen Glycera, die ich um Nannions willen ver­ scherzte, und Nannion, die mich dem Krösus Xanthippideö aufopfert, mich wenig bester befinden werde, als Tantalus zwischen den köstlichen, zu ihm herab­ hangenden, Früchten, die er nicht erreichen kann, und dem frischen Master, das an seinen dürren Kippen vorbeifließt, ohne sie zu berühren. Die Erin­ nerung an den ehmaligen Genuß kann wohl den gegenwärtigen erhöhen, scharst hingegen auch das peinliche Gefühl, auf immer verloren zu haben waS uns glücklich machte. Doch, weg mit den albernen Klagen! Ich will nicht bedauert seyn, Dinias! Ich bin um eine Menge

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Menander und Glycerion.

goldner Erfahrungen reicher, und sobald der erste Schmerz des Verlusts verbraust seyn wird, werde ich auch durch die bloße Erinnerung noch immer glücklicher seyn, als zehentausendmal tausend andre im Gegenwärtigen sind. Unter allen Leidenschaften, die aus Pandorens Unglücksbüchse flogen, um die armen Sterblichen zu tauschen^ zu necken und zu peinigen, kenne ich keine heillosere, niederträchtigere und hassenswürdigere als die Reue; »neunter allen Arten von Reue die unsinnigste und lächerlichste wäre doch wyhl, wenn ein Mensch sichs verdrießen lassen wollte, daß er glücklich war? — Wahr ists, so ganz unentgeltlich habe ich an der Göttertafel nicht geschmaust. Alle meine Freunde behaupten, ich sey seit einigen Dekaden um zehen Jahre alter geworden. Wenn dem so wäre, so müßte es nur daher kommen, daß die Natur die Hastigkeit, womit der Ueberschwänglichglückliche die Zeit verschlingt, zum Maß­ stab genommen, und mir unvermerkt einzelne Tage und Nächte für Jahre angerechnet hatte. Indessen, falls es auch mit dem raschen Fortschritt meines Alters seine Richtigkeit hätte: so bedenke, daß ich dadurch um zehen Jahre klüger worden bin, und mich nun rühmen kann, daß Nannion (wenigstens so lange sie so hoch im Preise steht) nie wieder über meine Tugend siegen soll, wiewohl es in der That nicht an der letztem lag, daß ich die Sirene dem weisen Tanthippides abtreten mußte, der sie in den

Menander und Glycerion.

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drei nächsten Monaten um bare fünf und zwanzig Talente für sich allein haben wird. Ich bitte dich, bester Dinias, keine Moral über alle diese Geschichten! Sie springt so nackt und bloß von selbst daraus hervor, daß es ganz übevflüssig wäre, sie mir noch, in Vernunftschlüffe eingekleidet und mit zierlichen Redensarten behangen, vorzufüh­ ren. Sey versichert, ich habe mir, seit ich meiner gewöhnlichen Besonnenheit wieder habhaft worden bin, alles Mögliche, was du mir sagen könntest, selbst gesagt; in manchen Stunden sogar mit Bitter­ keit; und ich schwöre dir, daß mich dieser einzige Frühling in der Philosophie meines Meisters weiter vorwärts gebracht hat, als ich in allen zwei und dreißig Jahren meines Lebens gekommen bin. In ganzem Ernst, Dinias, ich fühle, daß es hohe Zeit ist, von meinen Verirrungen zurückzukommen, und mich der Liebe der Musen, deren Zauber doch über allen andern geht, gänzlich und einzig zu ergeben. Sie sind freilich auch — Mädchen, so gut wie an­ dere, und haben mich schon manchmal, unwürdigen Nebenbuhlern zu lieb, znruckqesctzr. Aber am Ende lag die Schuld doch nur an mir selbst, und ich habe nun gute Hoffnung, sobald ich ihnen mit allem Eifer, dessen ich fähig bin, dienen werde,wenn gleich nicht der einzige, doch der erste ihrer Günst­ linge zu seyn.

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Menander und Glpcerkon.

Die schöne Glycera — wirklich dermalen schöner und reizender als je — hat, seit unserm letzten Abenteuer mit den Absagebriefen, die Eroberung eines ziemlich liebenswürdigen Lesbiers gemacht, und, zum Ueberfluß, noch von einem alten Großoheim so viel geerbt, daß sie allenfalls einer sorgenfreien Unab­ hängigkeit sicher ist. Ich denke aber, Hermolimus, (so nennt sich der Lesbier,) der mir einer von den gemäßigten rechtlichen Erdensöhnen scheint, die zur Beharrlichkeit im Lieben ausdrücklich zugeschnitten sind, werde zuletzt doch den Sieg über ihre Bedenk­ lichkeit davon tragen, und so glücklich durch sie wer­ den, als Menander es hätte seyn können, wenn er — Hermotimus wäre.

Krates u n d Hipparchia. Ein Seitenstück

zu Men ander und Glycerion.

Geschrieben im Jahre 1304.

I. Leukonoe an ihre Nichte Hipparchio. Wenn ich je nm dich verdient habe, als deine zweite Mutter betrachtet zu werden, liebe Hipparchia; wenn es wahr ist, was du mir so oft in der unzwei­ deutigsten Sprache des Gefühls versichert hast, daß du mich als solche liebest — Doch, wozu dieser feier­ liche Eingang, alS hatt' ich etwas mit dir vor, wobei ich dein Herz aus meine Seite zu bringen suchen müßte, um deinen Verstand desto eher über, raschen zu können? — Dieß ist keineswegs der Fall, und was halse mir auch eine so wenig verdeckte List bei einem so besonnenen Mädchen wie du? Nein, liebste Nichte, dieser Eingang sollte dir nur sagen, daß mir die Sache, wovon ich mit dir zu reden habe, sehr am Herzen liegt, und daß du mich über­ aus glücklich machen würdest; — aber das sieht ja schon wieder einer Bestechung ähnlich? Also, ohne Vorrede, mein Kind! Dein Vater hat mir aufgetragen, dich zu benach­ richtigen, daß sein alter Freund und Stammgenoß

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Krates und Hipparchia.

Chabrias für seinen Sohn Leotychus um dich angehalten habe. Daß der Vater für einen der angesehensten und reichsten Bürger von Athen gehalten wird, ist dir bekannt; weniger vielleicht, daß unter unsern schönsten und gebildetsten Jünglingen nicht viele sind, die dem Sohne den Vorzug streitig machen könnten. Aber was du, wie ich besorgen muß, am besten kennst, ist die unbegrenzte Güte deines Vaters gegen dich, die ich, wie groß auch meine eigene Liebe zu dir ist, Schwachheit nennen würde, wäre ich nicht gewiß, daß deine ungemeine Aehnlichkeit mit deiner seligen Mutter die wahre Quelle derselben ist Schreib' es bloß einem aus dieser vielleicht übermäßigen Güte entspringenden Zartgefühl zu, daß er, statt dir seinen Witlen selbst anzukündigen, mich zur Auslegerin und Fürsprecherin seiner Wünsche bei dir erbeten hat. Er hat sein Versprechen, deinem Herzen keinen Zwang anzuthun, nicht vergessen. Aber dagegen erwartet er auch, daß seine schon so oft bewahrte Nachsicht gegen deine Wünsche, dich desto williger machen werde, den (einigen entgegen zu kommen, wenn sie, so augenscheinlich wie int gegenwärtigen Fall, dein eigenes Bestes zur Absicht haben. Du hast bereits vier oder fünf Freier abgewiesen, unter denen keiner war, der nicht zwanzig andern Mädchen deinesgleichen willkommen gewesen wäre. Auch haben sie sich bereits durch Verbindungen mit den ersten

Krates und 5)ipparchia.

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Häusern der Republik für deine Verachtung entschä­ digt. Du machtest gegen jeden von ihnen Einwen­ dungen, denen unsre Parteylichkeit für dich mehr Gewicht beilegte, als sie billig hätten haben sollen. Jndeffen hat dich unvermerkt dein vier und zwan­ zigstes Jahr überschlichen, und deine Blüthezeit eilt zu Ende. Hoffentlich ist es nicht deine Meinung, eine Priesterin der Athene oder Artemis zu wer­ den, und dem besten der Vater die Freude zu ver­ sagen, sich in einem Sohn seiner einzigen Tochter wieder aufleben zu sehen. Was könnte dich also ab­ halten, ihm dießmal zu Gefallen zu seyn, da er deine Verbindung mit dem Sohne seines besten Freundes eifrig wünschet? Ich habe mich, weil sonst keine Einwendung gegen den jungen Leotychus mög­ lich ist, unter der Hand nach seinen Sitten und seiner bisherigen Lebensweise aufs genaueste erkun­ diget. Er steht in einem sehr guten Ruf. Er soll, ein vorzüglicher Redner seyn, und in allen edlern Leibesübungen nicht seinesgleichen haben. Der Stadtpfleger Demetrius selbst hat in öffentlicher Gesellschaft sehr Vortheilhaft von ihm gesprochen. Kurz, das Einzige, was an ihm auszusetzen ist, — und was ich dir hätte ver­ heimlichen können, wenn ich nicht ganz offenherzig gegen dich seyn wollte, — ist, daß er seit einiger Zeit die Tänzerin Lycänion aus Lesbos unter­ halten haben soll, welcher ich (.um nicht ungerecht

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Krates und Hipparchia.

zu seyn) nachsagen muß, daß sie für die beschei­ denste und sittigste ihres Gelichters bekannt ist. Leotychus hat indessen seinem Vater feierlich zugesagt, daß er sie von dem Augenblick an verabschieden Werde, da er sich Hoffnung machen dürfe, deine Hand zu erhalten, und der Vater verbürgt sich für die Erfüllung dieses Versprechens, Ich brauche kaum hinzuzusehen, daß die vorgefchlagene Herrath den Beifall beider Familien hat, und daß kein Iweifel ist, auch dein abwesender Bruder (dessen Rückkunft aus Sicilien nahe ist) werde große Zufriedenheit über eine Verbindung zei­ gen , die ihm seinen Weg in der Republik nicht wenig erleichtern wird. Ziehe nun das Alles in reife Ueberlegung, liebe Hipparchia, und setze mich bald durch eine gefällige Antwort in den Stand, deinem Vater einen schö­ nen Beweis zu geben, daß du nicht nur die Gestalt, sondern auch das Gemüth deiner edeln Mutter ge­ erbt habest, die immer ihr höchstes Glück darin fand, sich ihren Pflichten aufzuopfern. Deine Antwort wird mich auf meinem Landgute ohnweit Munychia finden, wo ich mich, häusli­ cher Angelegenheiten wegen, einige Dekaden aufzu­ halten genöthiget seyn werde. Lebe wohl! Den 7ten Thargelion (Mai).

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Hipparchia an Leukonoe. Ganz gewiß, ehrwürdige Leukonoe, haltest du weder beschwörender Formeln, noch herzgewinnender Be­ weggründe nöthig, um mein Verlangen, dem gütig­ sten Vater, so viel in meinem Vermögen steht, immer gefällig zu seyn, zu Gunsten des Antrags, den du mir in seinem Namen gethan hast, in Be­ wegung zu setzen. Ware die Rede von etwas, wobei es nur auf das Opfer eines Vergnügens oder Vortheils, einer Laune oder Leidenschaft, ankame: so dürfte ich mich bekla­ gen, wenn du nur- einen Augenblick zweifeln könntest, daß deine Hipparchia immer dazu bereit fen. Aber bei einer Sache, wo das Schicksal meines ganzen Lebens, oder vielmehr, wo das Einzige, was dem Leben einen Werth in meinen Augen giebt, auf dem Spiele steht, daß ich bei einer solchen Sache mit meiner innersten Seele zu Rath gehe, und vor Allem auf die Stimme horche, die, nach meiner Ueberzeugung, aller Göttersprüche heilig­ ster ist, wirst du selbst nicht mißbilligen; und in dieser Rücksicht ist es glücklich für mich, daß ich beSBlcUnM W. 2Z. Bd. io

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Krates und Hipparchia.

reits über die Jahre der ersten Jugend hinaus bin, wo man eben so leicht Gefahr lauft, durch schüch­ terne Nachgiebigkeit oder zärtliche Gefälligkeit gegen Andere, als durch eigene Unerfahrenheit, Leichtsinn oder ungezügelte Leidenschaften, zu Schritten verlei­ tet zu werden, auf welche öfters die bitterste Reue folgt. Ich bin gewiß, mein Vater würde , die angetra­ gene Verbindung nicht wünschen, wenn es ihm auch nur zweifelhaft schiene, ob er mein Glück dadurch befördern werde. Tausend andere Mädchen würden sich vielleicht selig preisen, wenn die Wahl des alten Chabrias auf sie gefallen wäre. O warum mußte sie gerade auf die einzige fallen, die weder Sinn noch Herz für ein Gut hat, um welches so viele andere sie beneiden würden! Mein Vater liebt seine Tochter; aber — Adrastea verzeihe mir, wenn ich ihin unrecht thue! — er sieht in seiner Tochter nicht sie selbst; er sieht nur das geliebte Bild seiner Artemidora in ihr. Die sanfte, genügsame, den Pflichten der Gattin, der Mutter, der Hausfrau allein lebende Artemidora, die einst aus bloßem Gehorsam gegen ihre Aeltern die Seinige geworden war, und ihn doch so glücklich gemacht hatte, wäre vermuthlich für jeden andern, den ihr Vater für sie ausgewählt hätte, eben dieselbe gewesen: der Mann, mit welchem sie sich unglücklich gefühlt hätte, müßte eines so liebenswürdigen Wei-

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bes gänzlich unwürdig gewesen seyn. Warum sollte nun mein Vater von ihrer und seiner Tochter nicht dasselbe erwarten dürfen? Was könnte sie an dem Jüngling, der ihr angetragen wird, auszustellen haben? Er ist schön, reich und von edlem Hause; er hat sich bereits die gute Meinung seiner Mitbür­ ger erworben; das Haupt der Republik spricht gut von ihm: er ist sogar bereit, die reizende Lycanian mit der Unbekannten zu vertauschen, die sein Vater für ihn ausgesucht hat. Was kann ein gutes Mädchen mehr verlangen? Welche Attische Tochter würde nicht stolz darauf seyn, das Weib eines solchen Man­ nes zu werden? Aber, beste Leukonoe, ist es meine Schuld, wenn ich unter Tausenden auch die einzige wäre, die, von allen diesen Vorzügen wenig gerührt, noch mehr verlangte? die einzige, die sich nicht entschließen könnte, sich diesem oder irgend einem andern Manne aufzuopfern? Daß mein Vater kein solches Opfer von mir fordern wird, dafür bürgt mir sein fei­ erlich gegebnes Wort. Oder war es etwa bloß An­ wandelung einer zärtlichen Laune gegen ein begün­ stigtes Kind, dessen Bitten er in einem schwachen Augenblick nicht zu widerstehen vermochte? Wehe mir, wenn ich dieß von meinem edeln Vater denken könnte! Nein l Er erkannte die Rechtmäßigkeit mei­ ner Bitte, und bewilligte sie, weil er die väterliche Gewalt nicht mißbrauchen wollte. Er wußte, dgß

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Krates und Hipparchia.

bei der Wahl eines Gatten das Glück meines Ge­ bens, nicht das seinige, auf dem Spiel stehe, und daß Ihm kein anderes Recht dabei zukomme, als meine Wahl zu leiten, nicht mir die seinige aufzudringen; mich zurückzuhalten, wenn das unerfahrne Mädchen, von ihren Augen oder einem andern blinden Trieb verführt, fich unbedachtsam ins Unglück stürzen wollte, nicht sie zu zwingen, gegen ihr eigenes Gefühl sich glücklich genug zu glauben, wenn sie es in seiner Meinung sey. So dachte mein gütiger Vater, als er mir die Freiheit zugestand, den Mann, mit welchem, und für welchen ich leben und sterben sollte, selbst zu wählen. Ob ich jemals in den Fall kommen werde, von dieser Freiheit zu wählen Gebrauch zu machen, wissen die Götter: da sie aber auch das Recht zu verwerfen in sich schließt, so wünschte ich allen weitern Bewerbungen durch die Versicherung zuvorzukommen, daß ich unter allen unsern Jünglingen keinen kenne, dessen Gattin ich zu seyn wünschen möchte. Nachdem ich mich nun einmal so freimüthig her­ ausgelassen habe, sey es mir erlaubt, noch weiter zu gehen, und ohne Zurückhaltung zu erklären: daß ich den Gedanken hasse, mich in das Gynaceon irgend eines Mannes zu einem Webstuht, einem Spinnrocken und einem Dutzend Mägden einspcrren zu lassen, nm unter eirrer ehrenvollen Benennung im Grunde weder mehr noch weniger als die gefetzt

Krates und Hipparchia.

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mäßige Beischläferin eines Mannes zu seyn, der mir, in den ersten zwei oder drei Monaten, mit einer Zudringlichkeit, die ich für Liebe nehmen müßte, das Recht abgekauft zu haben glauben würde, mich, mein ganzes übriges Leben durch, der Unterhaltung mit mir selbst, der Kinderstube, und den Geschäften einer Oberschaffnerin seines Hauses zu überlassen, unbe­ kümmert, ob die Erfüllung dieser Pflichten zu Be­ friedigung meiner wesentlichsten Triebe hinreichend sey oder nicht. Unsre griechischen Manner sind, nach dem Beispiel der morgenländischen, seit undenklichen Zeiten gewohnt, den einzigen Vorzug, den die Natur ihnen vor uns zugetheilt hat, die Stärke ihrer Knochen und Sennen, zu unsrer Unterdrückung zu mißbrauchen, und uns in Schranken einzuzwangen, worin die Entwicklung unsrer edelsten Kräfte beinahe unmöglich ist. Wie? hat Prometheus den göttlichen Funken nicht auch in unsre Brust gesenkt? -Oder hat er wie der Dichter Simonides fabelt) unsre* Seelen nur von Katzen, Hunden, Affen, Schweinen und andern Thieren gestohlen? — Halte mich nicht für so unverständig, liebe Leukonoe, daß ich die Verdienste der Frauen, die sich auf eine kluge und edle Ausübung ihrer häuslichen Pflichten einschranken, verkennen, oder zu verkleinern suchen sollte. Gewiß sind sie dadurch sehr achtungswürdige Bestandtheile des Gemeinwesens: es sey nun, daß «ihre Anlagen wirklich nicht weiter reichen, oder daß

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Krates und Hipparchia.

sie sich freiwillig einer Art von Beschäftigung wid­ men, wodurch sie den Ihrigen am nützlichsten zu seyn glauben. Ich verehre die Lehtern nach dem Grade von Tugend, der zu einer solchen Selbst.verläugnung erfordert wird. Wenn nun aber ein weib­ liches Wesen Trieb und Kraft in sich fühlt, weiter zu gehen; wenn eine Seele in ihm erwacht, die sich den Seelen der edelsten unter den Mannern nahe genug verwandt fühlt, um, wie sie, nach geistiger Schön­ heit und geistigen Genüssen, nach einer höhern Voll­ kommenheit, kurz nach dem Glück zu trachten, dessen diejenigen theilbaft werden, die sich über die Nebel des Wahns und der Leidenschaften in das Element der Wahrheit und Freiheit erhoben haben: wie sollt' es da Pflicht für die arme aufstrebende Psyche seyn, sich, gleich einem von spielenden Kindern gefangenen und an einem Faden zu ihrer Belustigung hin und her flatternden Schmetterling, von Amorn oder Hymenaus an eine unzerreißbar: Kette legen, oder, wie die Psyche des M i l e si sch e n ä h r ch e n s, zu niedrigen Sklavenarbeiten und qualvollen Entbeh­ rungen verdammen zu lassen? Ich kann und will es nickt länger verhehlen, daß ich eines dieser luftigen Wesen bin, und es mir ganz und gar nicht zuträglich fühle, lebenslänglich zu Mägden und Nachbarinnen in einen wohlvergitterten Frauenzwinger, wie in einen zierlichen Wachteln­ schlag, eingeschloffen zu werden.

Krates und Hipparchia.

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Was willst du also, wirst du mich fragen: was für Anschläge und Aussichten kannst du wohl haben, einem Schicksal zu entgehen, dem sich alle andere ehrliche Mädchen in Griechenland immer willig unter­ worfen haben? — Ich muß gestehen, liebe Tante, meine Aussichten sind nicht sehr tröstlich. Vier und' zwanzig Jahre sind freilich ein hübsches Alter für ein junges Mädchen, und ich hatte sehr Unrecht gehabt, so lange zu warten, wenn das, was ich dadurch entbehrte, einen Werth in meinen Augen hatte. Das schlnnmsie indessen, was ich bei meiner Denkart über diesen Punkt zu befürchten habe, wäre, lebenslänglich zu bleiben was ich bin. Es ist nicht was ich wünsche; muß es aber seyn; so werde ich mich darein zu finden wissen. Indessen gebe ich noch nicht alle Hoffnung auf, über lang oder kurz, durch Vermittlung meines guten Genius, an einen Mann zu gerathen, der für mich taugt: einen Mann, der es nicht unter seiner Würde hält, eine Verbin­ dung auf gleiche Vortheile mit mir einzugehen, und was ich ihm an Schönheit und Verniögen zu­ bringe, mir durch die Schönheit seines Gemüths und die Schätze seines Geistes zu ersetzen. Schmeichle ich mir zu viel, liebes Mütterchen, wenn ich eines solchen Mannes werth zu seyn glaube? Das wäre traurig für mich! denn gewiß, es fehlt mir nicht an gutem Willen, das meinige zu Erfüllung des löblichen Wunsches beizutragen, der meinem guten

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Krates und Hipparchia.

Vater so sehr am Herzen zu liegen scheint. Nur bitte ich mir nicht zuzumuthen, daß ich zu einem so ernsthaften Geschäft mit einem unsrer edlen, schönen, und reichen jungen Herren in Gesellschaft trete. Das ist nun einmal, wofern nicht irgend eine unnatürliche Verwandlung mit mir vorgeht, schlechterdings un­ möglich. Den 9ten Thargelion.

III.

Leukonoe an Hipparchia.

Was kann ich zu deiner Antwort sagen, Hipparchia ? was soll ich von dir denken? Sage mir, um aller Götter willen, Mädchen, wo nimmst du all das selt­ same Zeug her, das du dir in den Kopf gesetzt hast? Doch, ich merke nur zu wohl, daß es die Früchte der größern Freiheit sind, die dir dein Vater, seit dem Ableben meiner guten Schwester, unvermerkt zugesiand. Es wollte mir nie gefallen, daß du im­ mer mehr Lust hattest, über Büchern, die wir Wei­ ber nicht verstehen und die nicht für uns geschrieben sind, als an deinem Spinnrocken zu sitzen, und lie­ ber Briefchen an deine Freundinnen kritzeltest, als

die Küchenrechnung führtest. Wie oft habe ich deine« Vater gewarnt, sich vor deinen Schleichereien in seine Dücherkammer in Acht zu nehmen! Aber so geht es, wenn man zu viel Nachsicht gegen euch junge Schwindelköpfe hat! Zu unsrer Großmütter Zeiten war ein Mädchen gelehrt genug, wenn sie ein halb Dutzend Aesopische Fabeln auswendig wußte, und einen leslichen Markt­ zettel zu Stande bringen konnte. Je weniger sie sah, je weniger sie hörte, je weniger sie fragte, desto besser erzogen war sie. Die edelgeboren­ sten Jungfrauen von Athen trugen an den Pan athenaen die heiligen Körbe darum nicht mit weni­ ger Anstand und Grazie auf ihren leeren Köpfen, als wenn sie mit ganzen Schiffsladungen philosophi­ scher Spinneweben ausgestopft gewesen waren; und keine ehrbare Matrone in ganz Attika ließ sich's nur int Traum einfallen, mit ihrem Mann auf glei­ chem Fuße leben zu wollen, und sich über Unter­ drückung zu beklagen, weil Gesetz und alte Sitte uns von jeher ein abgesondertes Frauengemach, wo wir allein regieren, eingeraumt haben. Aber wozu sage ich dir das? Du hast, wie ich sehe, deinen Plan gemacht, und beinahe muß ich glauben, du kennest auch den Mann schon, mit dem du deine Verbindung auf gleiche Vor­ theile, wie du es nennst, zu schließen gesonnen bist. Wir werden Acht haben müssen, daß uns der

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Krates und Hipparchia.

Schmetterling nicht einmal unversehens mit dem Faden um den Leib davon fliege. Doch so schlimm kann ich von der Tochter meiner Schwester nicht denken. Wahrlich wir haben es nicht um dich verdient, daß es dir so gleichgültig sey, ob du uns Kummer oder Freude machest.

Ich habe weder Zeit noch Lust, über das, waö du deine Denkart nennst, mit dir zu streiten. Nur eins will ich dir sagen, und ich bitte dich, es wohl zu Herzen zu nehmen. Ich erinnere mich von mei­ ner seligen Mutter, die eine sehr kluge Frau war, gehört zu haben, daß die schöne und in der Folge nur allzu berüchtigte Lais von Korinth "gerade durch die nämliche Art zu denken, worauf du dir so viel zu Gute thust, durch denselben Abscheu vor den her­ kömmlichen Einschränkungen unsers Geschlechtes, durch dieselbe Begierde, alle Vorrechte der Freiheit mit dem männlichen zu theilen, und durch den nämlichen heroischen Muth, sich über die sogenannten Vorurtheile und die öffentliche Meinung hinwegzusetzen, endlich so weit gekommen sey, daß sie sich auch über die Schaam hinweggesetzt, und keine Scheu getra­ gen, an der Spitze einer Klasse von Frauenspersonen zu stehen, deren bloßer Name die Lippen einer ehr­ baren Frau beflecken würde. Ich erwähne dieser Un­ glücklichen nicht, als ob ich dich nur des flüchtigsten Gedankens, ihrem Beispiel zu folgen, fähig glaubte.

Lsber wenn ich dich von demselben Blendwerk bezau­ bert sehe, in dessen Verfolgung fie ihren Untergang fand, könntest du mir übel nehmen, daß ich dich von einem Wege zurückrufe, worauf du unvermerkt mit ihr zusammen treffen würdest?

Wähne übrigens nicht, Hipparchia, daß dein Vater einer Verbindung, von welcher er sich das Glück seiner alten Tage verspricht, so leicht entsagen werde. So lange du nichts besonderes und erheb­ liches gegen Leotychus einzuwenden vermagst, werden wir uns nie bereden, daß es dir mit seiner Verwer­ fung Ernst sey. Man wird dir Zeit lassen dich eines Bessern zu besinnen, und Lamprokles wird sich hoffentlich in der Erwartung, daß er eine eben so gehorsame als gelehrte Tochter habe, nicht betrogen finden.

Den iaUn Thargelion.

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Krates und Hipparchia.

IV.

Melanippe an Hipparchia.

^ch eile dir zu melden, daß unsre ehrliche Blumen­ händlerin Mnxto mir diesen Morgen durch ein mit Behutsamkeit in einen großen Blumenstrauß versteck­ tes Briefchen zu wissen gethan hat, daß sie uns ihr Gartenhäuschen zu dem bewußten Gebrauch nicht länger überlassen könne. Sie sey gewiß, sagt sie, daß wir beobachtet würden. Eine ihr wohlbekannte Sklavin aus deinem Hause sey gestern den ganzen Morgen mit unruhig hin und her flatternden Blicken um ihren Garten herumgeschlichen, als ob sie ausspä­ hen wollte, wer hinein und heraus gehe. Mittags sey das" Mädchen von einer andern, und diese Abends von einer dritten, abgelöst worden; auch habe sich heute früh schon wieder eine auf der Lauer eingefun­ den, welche sie auf den ersten Blick für eine der gestrigen erkannt habe. Offenbar seyen die Sklavin­ nen dazu befehligt, und wir könnten also, ohne Gefahr für sie und uns, nicht länger in ihrem Häus­ chen zusammen kommen. Du siehest, Liebe, wie glücklich es war, daß ich gestern verhindert wurde, dir unser gewöhnliches Zeichen zu geben. Das

Krates und Hip parchia.

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Sicherste wird vor der Hand seyn, daß wir uns einige Tage gedulden, bis wir wieder einen schickli­ chen Ort zu unsrer Metamorphose ausgefunden haben. Es versteht sich, daß du dir nicht die ge­ ringste Unruhe anmerkcn lastest, aus - und eingeheft wie gewöhnlich, und mit keiner Miene verräthst, daß etwas vorgefallen sei), das dich verdrießt. Verlaß dich indessen auf meinen bewahrten Diensteifer, Liebste Freundin; du kannst es mit desto vollkommnerer Zu­ versicht, da er nicht uneigennützig genug ist, um sehr verdienstlich zu seyn. Den i2ten Thargelion.

V. Hipparchia an Melanippe. 32eine Base ist noch auf ihrem Gute, und i.v habe diesen Morgen eine Unterredung mit meinem Vater gehabt, die mich von einem großen Theil der Unruhe, in welche mich dein letztes Briefchen setzte, erleichtert hat. Sie verhalf mir zu drei wichtigen Entdeckun­ gen: die erste, daß unser Geheimniß bis itzt noch nicht verrathen ist; die zweite, daß meine Verbin­ dung mit dem Sohne des Chabrias meinem Vater

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Krates und Hipparchia.

bei weitem nicht so sehr am Herzen liegt, alsLenkonoe mich glauben machen wollte; die dritte, daß sie selbst und die Mutter des Leotychus, Herrn otiina, ihre vertrauteste Freundin, die wahren Stifterinnen der vorgcschlagenen Ehe sind, und (wie ich nicht zweifle) diese dem Manne, jene dem Schwager so lange in den Ohren gelegen, bis beide für ihren Plan ge­ wonnen wurden. Dieß habe ich wenigstens, mit Hülfe meines Dämon io ns, aus einigen meiner» Vater entfallenen Worten herausgebracht, und eS sieht meiner guten', vielgeschastrgen, und für ihr Leben gern Heirathen stiftenden Tante zu ähnlich, als daß ich zweifeln könnte, recht gerathen zu haben. Dieß giebt uns nun auch Licht über die drei Kund­ schafterinnen, von welchen Myrto dir geschrieben hat. Leukonoe führt, seit dem Tode meiner Mutter, eine Art von Oberaufsicht über meines Vaters Hauswesen, und hat, in..der löblichen Absicht, — von allen, auch den unbedeutendsten Dingen, die in einem großen Hause wie das unsrige- vorfallen, aufs genaueste unterrichtet zu seyn, — zwei oder drei von unsern Sklavinnen durch kleine Geschenke und anscheinende Vertraulichkeit dermaßen an sich gezogen, daß die Dirnen sich zu allem, was sie will, gebrauchen lasten. Vermuthlich ist ihr etwas zu Ohren gekommen, das sie auf den Argwohn gebracht hat, cs steckte ein Ge­ heimniß hinter meinen öftern Besuchen bei der Blu­ menhändlerin, und sie wird nicht ruhen, bis sie es

Arates und Hipparchia.

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ausgegattert hat. Vielleicht habe ich ihr wohl selbst durch ein voreiliges Wort, das ich in meinem Briefe an sie fallen ließ, einen Verdacht gegen mich gegeben. Ich werde nun desto mehr auf meiner Hut seyn, und da sie List gegen mich gebraucht, warum sollte ich Bedenken tragen, mich zu meiner Nothwehr ihrer eigenen Waffen zu bedienen? Ich tausche mich vielleichk, aber mir ist als sage mir eine geheime Ahnung, daß mein Schicksal am Punkt ist, auf die eine oder andere Art zur Entschei­ dung zu kommen. Das dringendste ist, Zeit zu gewinnen, und den leidigen Freier, den mir Leukonoe aufzwingen will, so lange abzuhalten, als nur immer möglich seyn wird. Dieß nöthigt mich, meiner Ge­ müthsart Gewalt anzuthun, und mich so gegen sie zu erklären, daß sie die Hoffnung, mich noch zu ge­ winnen, nicht ganz aufgcben kann. — Würde unser Lehrer dieß gut heißen? — Ich fürchte, nein! Aber wie soll ich mir in einem solchen Gedrang anders helfen? Mein Vater ist die Güte selbst gegen mich; aber eben dieß vermehrt die Schwierigkeiten meiner Lage; denn desto mehr muß ich mich hüten ihm nicht zu mißfallen. Ich habe mich zu einer Zusammen­ kunft mit Leotychus verstehen müssen, die vermuth­ lich auf dem Landhause meiner Tante veranstaltet werden soll. Wie sie abkaufcn wird, soll dir sogleich berichtet werden. Ich gedenke, mich sehr altklug auf­ zuführen, und dem Feinde keine Blöße zu geben,

das versprech' ich dir. Indessen lebe wohl, meine Liebe. Den isten Thargelion. Erkundige dich doch unter der Hand, ob es unserm Philosophen nicht ein wenig auffallt, daH er seine jungen Zuhörer Melampus und Hipparchides seit sieben ganzen Tagen weder im Cynosarges, noch unter den Platanen am Jlyffus gesehen hat?

VI. Melanippe an Hipparchia.

Ein alter eisgrauer Vatersbruder meiner Mutter, der sich auf seinem Gute zu Acharna aufhalt, und seit mehr als dreißig Jahren nicht in die Stadt gekommen ist, hat eine Nachteule vor seinem Kam­ merladen singen hören, und meine Mutter deßwegen durch einen Eilboten zu sich beschieden, weil er seinen letzten Tag nahe glaubt. Da sie, seitdem er seinen einzigen Sohn in der Schlacht bei Charonea verlor, seine Erbin ist, so kannst du denken, wie große Eile die gute Frau hat, und 'wirst dich nicht wundern, daß deine Melanippe, die man zu Athen

Ärates und Hipparchia.

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nicht zurücklaffen will, vor lauter Zurüstungen nur gerade noch so viel Zeit erübrigen kann, dir ihre schleunige Abreise zu berichten. Weil mein Derwandter Euthyphron hier bleibt, so wird er in­ dessen, nach seiner wohlbekannten Anhänglichkeit an unS beide, unsern Briefwechsel aufs beste besorgen. Lebe wohl. Den löten Thargelion,

VII. Hipparchia an Leukon oe.

Wenn mir in meinem letzten Briefe ein Wort ent­ fahren wäre, beste Leukonoe, wodurch ich mein Pflicht­ gefühl gegen dich und meinen geliebten Vater in ein zweideutiges Licht gesetzt hatte, so verzeih' einer unfreiwilligen Lebhaftigkeit, und sey versichert, daß ich lieber auf alle Glückseligkeit Verzicht thun, alS die Befriedigung irgend eines meiner Wünsche mit der Unzufriedenheit des ehrwürdigen Greises erkaufen wollte, dem ich Leben, Erziehung und Wohtthaten ohne Zahl zu danken Hobe. Und wahrlich nie war ich weniger fähig, ihn nur mit einem Gedanken zu beleidigen, als seitdem er die Güte gehabt hat, mir Wtelan d6 W. 28. B!>. II

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Sfr at et und Hipparchia.

in einer Unterredung über den Gegenstand deiner Briefe sein wahrhaft väterliches Herz. aufzuschließen, und mich aufs stärkste zu überzeugen, daß meine Wohlfahrt das einzige Ziel seiner Wünsche ist. Er versicherte mich, er habe seinem Freunde nicht ver­ halten, daß er mir schon von langem her sein Wort gegeben, meiner Neigung in der Wahl eines Gatten keinen Zwang anzuthun. Indessen habe er ihm doch auch nicht alle Hoffnung benommen, daß sein Sohn durch seine ausgezeichneten Vorzüge bei näherer Be­ kanntschaft einen günstigern Eindruck auf mich machen könnte, als alle, deren Bewerbungen ich bisher abge­ lehnt; und Chabrias habe sich mit dieser Hoffnung ziemlich zufrieden bezeigt. »Dor der Hand, fuhr mein Vater fort, verlange ich weiter nichts von dir, alS daß du dich nicht voreilig gegen Leotychus ent­ scheidest, den ich schätze, und der in Athen allgemei­ nen Beifall findet. Ich werde dir auf eine schickliche Art Gelegenheit verschaffen, ihn zu sprechen, und durch dich selbst kennen zu lernen. Zwei oder drei solche Zusammenkünfte werden dazu hinreichend seyn; und wenn du mir alsdann auch nur Einen halt­ baren Grund einer Abneigung von dieser Herrath geben kannst, so soll nicht weiter davon die Rede seyn.« Was für ein Herz müßte das meinige seyn, wenn so viel Güte, so viel Herablassung mir nicht den . Wunsch abdränge, daß ich den Sohn deiner

KraLes und Hipparchia.

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Freundin mit deinen Augen möchte ansehen, und, wenn auch nicht alles, doch das Wesentlichste bei ihm finden können, was der Mann besitzen muß, mit welchem ich mich in einem so furchtbaren Ver­ hältniß nicht unglücklich fühlen soll. Denn furchtbar muß es doch wahrscheinlich jeder nicht ganz unbe­ sonnenen Jungfrau seyn, die, weder vom Zauber der Liebe geblendet sich in ihrem Netze verfängt, noch von der Gewalt eines blinden Triebs, den ich nicht kenne, in die Arme eines Mannes geworfen wird. — Glaube mir, verehrte Leukonoe, auch der warme Antheil, den Du an dieser Sache nimmst, ist mir nichts weniger als gleichgültig. Indessen kann ich mich vor der Hand zu nichts verbindlich machen. Alles, was ich dw verspreche, ist, daß ich viel guten Willen, ein'Paar helle Augen, und einen ruhigen Sinn zur Zusammenkunft mit dem schönen Leotychus mitbringen will. Uebrigens sehe ich nicht, warum eS nicht eben so möglich wäre, daß, wenn wir einander in der Nähe besehen, ich ihm, als er mir mißfiele; und wenn jeneö der Fall seyn sollte, wär' es nicht billig oder wenigstens gütig gewesen, meiner kleinen Eigenliebe eine solche Demüthigung zu ersparen? Noch Eins, liebe Tante, n. .ß ich mir mit deines Erlaubniß vom Herzen wegschaffen. Vermuthlich hast du mir nur einen heilsamen Schrecken einjagen wollen, indem du mir das Verspiel der schonen

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Krates und Hipparchia.

Laib zu Gemüthe führst, die von eben denselben Grundsätzen über die Rechte unser- Geschlechts auSging, wie ich, aber zu einem schlechten Ende von ihnen geführt wurde. Wirklich entsetzte ich mich selbst ein wenig über diese Äehnlichkeit, als mir unlängst die Abschrift eines Briefes in die Hände fiel, den der berühmte Aristipp, über seine Zusammenkunft mit der schönen Lais zu Aegina, geschrieben haben soll. Aber ich erholte mich bald wieder von meinem Schrecken: denn, trotz der Äehnlichkeit unsrer Grund­ sätze, waltet ein mächtiger Unterschied zwischen ihr und deiner Hipparchia vor, den du übersehen zu haben scheinst. Diese Grundsätze führten nämlich die stolze und kalte LaiS, die sich alle Männer­ herzen unterwerfen wollte, ohne ihr eigenes dabei auf's Spiel zu setzen, geraden Weges zum Hetä­ ren stand: und eben dieselben Grundsätze werden hingegen die bescheidene und ziemlich warme Hippar­ chia, die sich an dem Herzen Eines Mannes begnügt, und das ihrige dafür zu geben bereit ist, dahin führen, daß sie entweder nahezu das Muster einer guten Hausfrau darstellen, oder als Jungfrau leben und sterben wird. Den iöten Thargelion.

KrateS und Hipparchia.

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VIII.

H ipparchia an Melanippe.

Die erste Zusammenkunft ist glücklich überstanden, liebe Melanippion, und die Hauptpersonen haben sich beide leidlich aus der Sache gezogen. Wenig­ stens hoffe ich dem schönen Leotychus keine Ursache gegeben zu haben, seine Tänzerin vor dem nächsten Gamelion zu entlassen; und bis dahin ist mein Loos entweder nach meinem eignen Sinn entschieden, oder — ich stehe vor nichts. Die Scene war, wie ich vermuthete, das Landgut meiner Tante, welches mit einem von den Befitzthümern des reichen Chabrias unmittelbar zusammen grenzt. Man hatte mich darauf vorbereitet, daß Leotychus mich, in einiger Entfernung von der übrigen Gesellschaft, unter einer Gartenlaube wie von unge­ fähr überraschen würde. Er fand mich in einer von Menanders Komödien lesend. Er stellte sich betroffen, mich allein zu finden, und that, als ob er stch aus Bescheidenheit sogleich entfernen wollte, blieb aber nichts desto weniger in einer zierlichen Stellung, die alle Grazien seiner Gestalt zusammen spielen ließ, wie eine zur Schau ausgestellte Bildsäule vor mir

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Krates und Hipparchia.

steten. Als eine solche schaute ich ihn denn auch mit weit offnen Augen an, und ergötzte mich an dem Ausdruck des stolzen' Bewußtseyns, womit seine großen funkelnden Augen, mehr sich selbst als mir, zu sagen schienen, daß. kein armes Madchenherz gegen eine Gestalt, wie die seinige, aushalren könne. Ich bin gewiß, die meinigen sagten ihm kein Wörtchen, das ihn in diesem süßen Wahn bestärkte. Unver­ blümt zu reden, .sie sagten gar nichts; aber so etwas gewahr wrrden, wäre so viel gewesen, als voraus setzen daß es möglich sey. Er wurde also nichts davon gewahr, oder schrieb es dem dumpfen Erstaunen zu, in welches sein Anblick mich setzen müßte, und, um mir Zeit zu lassen wieder zu mir selbst zu kommen, sagte er. mir viel Schönes über das unverhoffte, wiewohl lange gewünschte, Glück, mich so nahe zu sehen; wahrend seine selbstgefällige Miene sich an meiner Statt die Antwort gab: »daß mein Vergnügen an dem überraschenden Anblick eines so vollkommnen Jünglings wenigstens eben so groß sey als das seinige." Nichts kann bequemer seyn, als Zwiesprache mit einer Person zu halten, die sich das immer selbst sagt, was sie von uns zu hören wünscht. Ich cmfe wertete ihm ich weiß nicht was; genug, es war so wenig, daß er es klüglich fallen ließ, um sich (wofern die Frage nicht zu unbescheiden sey) ja er­ kundigen, was für eine Leserei so glücklich gewesen,

Krates und Hipparchia.

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meine Aufmerksamkeit bei seinem Eintritt zu beschäf­ tigen. Ich hatte das Buch neben m ch auf die Bank gelegt, und stellte ihm frei, seine Neugier mit eige­ nen Augen zu befriedig'n. Er bediente fich meiner Erlaubniß mit einem artigen Kompliment, und nahm, als er sah, daß es die Andria von Menander war, Gelegenheit von ihr, über diesen Dichter und ferne Nebenbuhler einige nicht unfeine Bemerkungen zu machen. Um ein so unverfängliches Gespräch mög­ lichst zu verlängern, verwickelte ich ihn in einen Streit über die Frage : ob Menander oder P h ilemon die Oberstelle unter den itztlebenden Komi­ kern behaupte? Leotychus erklärte sich für die Grazie Menanders, ich stritt mit Zähnen und Klauen für die Starke und den Reichthum Philemons. Darüber verging die Zeit; die Sonne war am Untergehen. Ich dankte meinem, kaltblütigen Freier mit verbindlichem Lächeln für die angenehme Unterhaltung, und entließ ihn zufrieden mit sich selbst, und (wie meine Tante versichert) auch mit mir. Denn er sagte ihr, daß er den Mann glücklich preise, d'em das Schicksal eine so geistvolle und gebil­ dete Person wie deine Hipparchia zur ehelichen Beiliegerin bestimmt habe. Ich müßte mich sehr irren, wenn ihm viel mehr daran gelegen wäre dieser Glückliche zu seyn, als mir selbst. Indessen, da er doch einmal seiner Familie zu Gefallen heirathen muß, so bin ich ihm, alles übrige gleich, so 311t

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Krates und Hipparchia.

als eine andere, und, da er mich für sehr kalt halten muß, vielleicht darum nur desto anständiger. GS steht also noch immer mißlich genug um mich, meine Liebe. Aber wenn ich auch'meinen Hals aus dieser Schlinge ziehe, wie wenig hab' ich noch damit gewonnen Den 24sten Thargelion.

IX.

Melanippe an Hlpparchia.

Der alte Großoheim ist in eine Schlafsucht verfallen, die sich, wie uns der Arzt sehr bedenklich ins Ohr sagt, über lang oder kurz in den ewigen Schlaf verlieren wird. Indessen hat er, so ost er wieder aufwacht, so viel Eßlust, als ob er von vorn zu leben anfangen wollte, und so wie er mit seiner Mahlzeit fertig ist, schlaft das alte Kind unter einem Liedchen, das ich ihm singe, wieder ein. Da unS nun, bei so bewandten Umstanden, seine Unterhal­ tung viel müßige Zeit übrig laßt, so füllen wir sie aus, so gut wir können, meistens mit Besuchen, die wir unsrer zahlreichen Nachbarschaft geben, oder von ihr empfangen.

Krates und Hipparchia.

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So befand ich mich, -um Beispiel, gestern in einem solchen Kränzchen von Frauen und Mädchen, theils aus der Familie, theils auS unsern Nachba­ rinnen. Unvermerkt fiel das Gespräch auf eine Mate­ rie, die für unser Geschlecht immer den Reiz der Neuheit behalten wird, auf die Männer und dia Liebe. Don jenen wurde (wie sich von selbst ver­ steht) viel Böses, von dieser viel Poetisches gesagt; bis endlich Eine auf den Einfall kam, zur Unter­ haltung der Gesellschaft Fragen aufzuwerfen, über welche jede Anwesende ihre Meinung sagen sollte. Eine dieser Fragen war: ob . wohl möglich sey, daß ein schöner Mann sich in ein häßliches Weib, oder ein schönes Mädchen sich in einen häßlichen Mann verliebe? Um in keinen Wortstreit zu gerathen, wurde vor allem ausgemacht, daß zwar von einer beim ersten Anblick auffallenden und entschiednen, aber doch nicht widerlichen und -urücksto Ariden Häßlichkeit die Rede seyn sollte. Dieß vorausgesetzt, wurde die Frage im Allgemei­ nen von Einigen schlechterdings verneinend beantwor­ tet. Schönheit des Geliebten, behaupteten fie, sey eine nothwendige Bedingung der Liebe; Häßlich­ keit könne unmöglich ein Zunder der Licke seyn. Andere meinten, man könne dieß zugeben, ohne daß die Frage dadurch entschieden werde. Es gebe auch eine geistige Schönheit, die, ihrer Natur nach,

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Krates und 5^ip parck/ia.

eine viel reinere und beständigere Liebe entflöße «als diejenige, die nur die Augen auf sich ziehe: eine Liebe, deren Zauberkraft mächtig genug sey, den Eindruck der körperlichen Häßlichkeit zu schwächen, ja zuletzt gänzlich aufzuhebcn; und in diesem Sinne könne man sagen: was man liebe, scheine dem Lie­ benden niemals häßlich, wie es auch andern vorkom­ men möge. Die meisten Stimmen fielen dahin aus: Das letztere könnte vielleicht bei uns Weibern, aber nie bei den Männern, der Fall seyn. Diese seyen für eine so geistige Liebe viel zu sinnlich: wenigstens lege ein schöner Mann zu viel Werth auf seine eigene Gestalt, um ein häßliches--Weib lieben zu können, wenn sie auch die leibhafte Weisheit und Lugend wäre. Offenbar zeigten wir uns ein wenig parteyisch gegen unser eigenes Gesch/echt: wäre ein Mann zu­ gegen gewesen, er würde wahrscheinlich das nämliche von uns behauptet haben. Ich für.meinen Theil bin indessen ziemlich geneigt zu glauben, es sey nicht schlechterdings unmöglich, daß ein sehr schönes, und obendrein ein sehr wohl erzogenes und reiches Mädchen, wie z. B. meine Freundin Hipparchia, sich in einen ziemlich häßlichen Mann, wenn er sonst recht liebenswürdig wäre, in ganzem Ernst ein wenig — verlieben könnte. Was meinst du, Schwe/

Kr ates und Hipparchia.

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sterchen? Sey doch so gut und sage mir deine Ge­ danken von der Sache, und, wenn dir anders dein Liebeshandel mit dem schönen Leotychus Zeit dazu laßt, so laß mich auch wissen, wie du eine andere Frage, die jemand in unserm Kränzchen aufwarf, beantworten würdest, nämlich: ob und wie lange es wohl möglich seyn dürfte, daß ein ehrliches Mädchen, mit einem ziemlich warmen Herzchen und einem noch marinem Kopf, eine gehenme Liebe zu irgend einem schönen oder häßlichen Mann unter einem der Freundschaft abgebergten ziemlich dünnen Schleier vor einer vertrauten Freundin, oder gar vor sich selbst verbergen könnte?

Bis dahin, daß ich deine Antwort erhalte, hoffe ick dir Nachricht geben zu können, wie unser Philo­ soph die fortdauernde Abwesenheit seiner noch vor Kurzem so lehrgierigen Schüler Hipparchides und Melampus aufzunehmen scheint. Im Vorbeigehen r hast du Menanders neue Komödie, den Selbst­ peiniger, schon gelesen? Es ist ein sehr unter­ haltendes Mittelding von Charakter-und IntrigueStück', voll Witz und Laune, und findet, wie ich höre, vielen Beifall,

Teine Zusammenkunft mit dem schönen Leotychus ist sogar zu Acharna kein Geheimniß mehr. Es scheint, deine Tante will es absichtlich unter die Leute bringen. Du kannst also nicht genug auf deiner

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Krates und Hipparchia.

Hut seyn, wenn es Lein Ernst ist, dir diesen Freier vom Halse zu schaffen. Den zosten Lhargelion.

X. Hipparchia an Melanippe. Wer hätte je gedacht, daß die rüstigen und kernhaften Acharnerinnen flch mit so spitzfündigen Untersuchungen in ihren Kränzchen unterhielten? Du bist ein schelmisches Mädchen, Melanippe, aber ich verzeihe dir um der Erfindung willen, und zum Be­ weis, daß es mir von Herzen geht, will ich dir alles gestehen — was du schon lange weißt, nämlich: daß du eine eben so schlechte Meisterin in der Kunst, ein Herzensgeheimniß aus zu finden, als ich, eS zu verbergen, seyn müßtest, wenn du nicht durch den dünnen Schleier, unter welchem ich, wie ein verschämtes Kind, recht gut versteckt zu seyn glaubte, biS auf den Grund meines Herzens geschaut, und so viel gesehen hattest, daß ich dir nichtS ReueS mehr zu entdecken habe. ES ist also nur zu wahr, daß ich die von dir behauptete große Wahrheit, »daß ein leidlich hübsches, wohl erzogene- und ziemlich reiches Mädchen fich in

KrateS und'Hippar-chia.

einen ziemlich häßlichen Mann in ganzem Ernst ver­ lieben könne,« stark genug mit meiner eigenen Per­ son beweise, um dich jeder andern Demonstrazion zu überheben. — Aber ist denn der Mann wirklich so häßlich, als du ihn zu finden vorgiebst? Ich ge­ stehe gern, daß ihn kein Bildhauer zum Modell eines Hpacinthus oder Nireus, — deS schönsten der Männer, die gegen Ilion Zogen,

nehmen wird; auch ist nicht zu läugnen, daß eine seiner Schultern etwas zu hoch, seine Haare etwas zu dünn, und seine Ohren vielleicht ein wenig zu spitzig find; daß sein Mund kleiner und seine Nase höher seyn könnte, kurz, daß er dem Sokrates (dessen Bildsäule du im Pompeion oft gesehen haben wirst) nicht nur sehr ähnlich siebt, sondern in der That (ohne den Hangebauch des Gemahls der edeln Tantippe mit in Anschlag zu bringen) eher für den schönern Mann pon beiden gelten kann. Wenn nun sogar Sokrates in einer großen Gesell­ schaft sich mit dem schönen Kritobulus in einen Wettstreit um den Preis der Schönheit einlaffen durfte: was für ein eitles Ding müßte Hipparchia seyn, wenn sie sich zu schön für einen Mann hielte, der es wenigstens mit dem schönen Sokra­ tes aufnehmen kann? Ernsthaft zu reden, wirst du mir einräumen muffen, daß seine Augen Geist

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KraLes und Hipparchia.

und Feuer haben, und daß etwas sehr feines und angenehmes in seinem Lächeln ist. Aber was bedeutet das Aeußertiche, wenn von einem der edelsten, weisesten und besten aller Sterb­ lichen die Rede ist? Du, z. B. die du seinen Geist, seine Tugenden und die Anmuth seines Umgangs kennst, mußt du nicht, ohne in ihn verliebt zu seyn, gestehen, daß es keinen liebenswürdigern Mann von dieser Seite giebt? Ich hoffe, du nimmst mir nicht übel, daß ich keinen ausnehme. Denn unstreitig ist in der wahren, eigentlich so genannten Liebe, in so fern fie von bloßem Wohlwollen, und selbst von der Freundschaft im höchsten Sinn, verschieden ist, etwas Magisches, Unerklarbares, Uebersinnliches, danicht unter die gewöhnlichen Verhältnisse von Ursach und Wirkung gebracht werden, und worüber der Liebende nicht einmal sich selbst Rechenschaft gebet, kann, geschweige, daß er andern welche schuldig wäre. Diesen kann daran genügen, wenn der Gegen­ stand unsrer Liebe der allgemeinen Achtung würdig ist: daß er auch ihnen so liebenswürdig vorkomme als uns, können sie nicht fordern, noch uns wegen dessen, was wir mehr für ihn fühlen als sie, ohne Unbilligkeit tadeln. Du giebst mir zu verstehen, kleine Spötterin, als ob ich dir nur darum ein Geheimniß aus meiner Liebe gemacht hatte, weil ich mir nicht einmal ge­ traue, sie mir selbst zu gestehen. Wenn du das mit

Krates und Hipp archia.

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einem schalkhaften Seitenblick' auf meinen Freund sagst, so irrest du dich gewaltig. -Bist du denn nicht selbst ein Mädchen? Weift du nicht aus Erfahrung, daß es mit der Liebe, wie mit dem Fieber ist, wo­ von man den Stoff ziemlich lange mit sich herum­ tragen, wovon man sogar die ersten Wirkungen schon verspüren kann, ohne die Ursache zu wissen, oder ihr ihren rechten Namen geben zu können? Das Wahre an der Sache ist, daß ich die eigentliche Natur meiner Neigung selbst nicht eher zu errathen anfing, als bis mir Lenkonoe den schönen Leotychus antrug. Da erst wurde mir auf einmal klar, dass cs einen Mann gebe, mit dem ich, trotz seiner aner­ kannten Häßlichkeit, lieber leben möchte, als mit dem schönsten Jüngling in Athen: und ich schwöre dir bei den Grazien, von diesem Augenblick an war alleö bei mir entschieden. Aber warum hatte ich eiten sollen, von einer Neigung mit dir zu reden, die nicht nur den Absichten meiner Familie entgegen, sondern dem Gegenstände derselben selbst noch unbe­ kannt ist, und vielleicht nie erwiedert wird? Was sage ich vielleicht? Ist es nicht mehr als wahr­ scheinlich, daß ein so weiser, sich selbst so streng be­ herrschender, über die Gewalt der Leidenschaften so hoch erhabener Mann, wenn ihm auch meine Partheilichkeit für ihn bekannt wäre, nur zu viele Be­ weggründe finden würde, sich nicht mit mir einzu­ lassen ? Bei dieser Lage der Sachen w: st du dich

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ÄrateS und Hipparchia.

mit mir freuen, daß mich die Natur, zu aller Be­ harrlichkeit, die ich in mir finde, noch mit einem reichlichen Antheil Sanftmuth und Geduld ausgestattet hat, (eine Andere, die mich weniger kennte alS du, würde es vielleicht Unempfindlichkeit und Kalte nennen,) die mein Inneres so ziemlich im Gleichgewicht erhalten, und mir Besonnenheit genug lassen, keinen falschen Schritt zu thun, und mich immer auf beide Falle gefaßt zu halten. Nichts ist gewisser, als daß mich ganz Athen für verrückt halten wird, wenn ich je so glücklich seyn sollte, das Ziel meiner Wünsche zu erreichen, und es dann bekannt wird, daß ich einen Mann, an dem der große Haufe nichts sieht als was in die Augen fallt, und der selbst in der Meinung der Meisten, die sich an seinem Umgang ergötzen, doch nur ein Schwärmer und Sonderling ist, einem Leotychus vprzuziehen fähig war. Auch über diesen Punkt kennst du mich genug, um mir zuzutrauen, daß ich auf dgs alles gefaßt bin, und Muth genug habe, in, einer Sache, wo mein Herz mit meinem Kopf ein­ verstanden ist, den Urtheilen der Menge die Stirne zu bieten. Wäre ich hundert Jahre früher in die Welt gekommen, so hätte ich, vermöge eben derselben Gesinnungen, den Sokrates, trotz seiner S ilen en­ ge statt, dem schönen .allbewunderten Alcibia-es vorgezogen,

Krates und Hi? parchia.

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Wollte Gott! wir waren nur schon so weit, daß die gerümpften Naschen meiner Gespie­ linnen und die Epigrammen unserer witzelnden Gecken das Schlimmste waren, was ich zu befürchten hatte! Wie muthvoll ich bin, wenn es darauf ankommt, den Spott der Thoren zu verachten, so zaghaft fühl' ich mich bei dem bloßen Gedanken, die Erwartung meines guten Vaters zu tauschen, und seiner Liebe zu mir eine schmerzliche Nachgiebigkeit auf Kosten seiner Zufriedenheit abzudringen. Wenn aber auch mein Vater, ohne sich gar zu große Gewalt anzuthun, meine Wünsche begünstigen könnte, darf ich hoffen, das größte Hinderniß überstiegen zu haben? Und nun sage mir, Melanippe, wenn du an allen den ungeheuren Bergen, die zwischen mir und dem Glück meines Lebens liegen, hinaufschaust, kannst du mir s verdenken, daß ich nicht offenherziger gegen dich war? Ich, die ich noch in diesem Augenblick vor meinen eignen Wünschen erschrecke, und mir kaum selbst gestehen darf, daß es für mich nur eine einzige Art glücklich zu seyn giebt. Was für ein Mädchen müßte das sei;n, die der Gedanke ohne Gegenliebe zu lieben, nicht in die Erde sinken machte? Wußt' ich gewiß, daß mir eine solche Schmach bevorstünde, ich würde auf der Stelle, wie die Kreusen und Helenen des Euripides, mit mir zu Rathe gehen, welches das edelste Mit­ tel aus der Welt zu kommen fei;,

Wielands W. 28. Vd.

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Krates und H ipparch ia.

— Gift/ Eisen, oder Strick? Doch, zu einem so tragischen Ende bin ich hof­ fentlich nicht bestimmt. Ein Mann müßte (mit dem Dichter zu reden) den Drachen von Kolchis zum Vater, und einen Felsen des Kaukasus zur Mutter gehabt haben, wenn er ein ehrliches hübsches Mäd­ chen , das ihm von Liebe überwältigt um den HalS fiele, und ihn mit gerungnen Armen und heißen Thränen beschwüre, sie zu heirathen, mit kaltblüti­ ger Grausamkeit zurückstoßen könnte! Wundre dich nicht, Liebe, daß ich in meiner traurigen Lage noch scherzen kann. Man sagt, es giebt Leute, auf welche Schmerz und Lust gerade umgekehrt wirken: sie werden traurig, wo andre fröhlich sind, und scheinen nie ftöhlicher, als wenn sie sich lieber han­ gen möchten. Wie das zugeht, laß dir von einem andern erklären; ich bin heute gar nicht zum Grü­ beln aufgelegt. Den 4ten Skirrophorion. Wir sind schon wieder von Leukonoe eingeladen worden, und es hat, wie du vermuten wirst, eine zweite Zusammenkunft Statt gehabt. Leotychus hatte sich ungewöhnlich herausgeputzt, und durchbalsamte den Garten xmit einem ganzen Arabien von Wohlgerüchen — die mir unglücklicher Weise zuwi­ der sind. Er fand mich, abermals von ungefähr,

Krates und Hipparchia.

auf einer Bank des kleinen Lorbeerwäldchens, in Gesellschaft meiner Cvperkatze. Um die gehörige Gradazion zu beobachten, sagte er zuerst der Katze und dann mir die artigsten Sachen von der Welt. Da ich ihm scherzend antwortete, rückte er mir un­ vermerkt immer naher, und sprach, in sehr lyri­ schen Ausdrücken und mit großer Zuversicht auf seine eignen Reize, von der mächtigen Wirkung der meinigen auf sein zertes Herz. Um seine Aufmerk­ samkeit auf einen gleichgültigern Gegenstand zu len­ ken, zeigte ich ihm die Katze, die, beinah in eine Kugel zusammen gezogen, hinter einem Busch auf ein Vögelchen lauerte, das unbesorgt hin - und her­ hüpfte, und, hie und da ein Körnchen aufpickend, unvermerkt dem Busche näher kam. Auf einmal brach die Katze aus ihrem Hinterhalt hervor, und über das arme Vögelchen her. Ich schrie laut auf, weil ich es schon zwischen ihren Zähnen glaubte, als wir es noch glücklich mit Verlust Einiger Federn

davon flattern sahen. Leotychus lächle, vermuthlich über den allegorischen Sinn dieser kleinen Begeben­ heit. Grausamer Mensch, rief ich; was wäre nun aus dem armen Dinge geworden, wenn ihm die Natur nicht zu gutem Glück Flügel gegeben hätte? — Du, reizende Hipparchia, sagte er, du bemitleidest den Vogel, dem, ein paar verlorne Federn abgerech­ net, kein Leid geschah; mich dauert vielmehr die arme Katze, die mit angestrengter Aufmerksamkeit

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States und HLpparchia.

und unverwandtem Blicke 'so geduldig auf ihren Raub lauerte, und im Nu, da-sie ihn erschnappt zu haben glaubt, mit leeren Kinnbacken mißmuthig davon schleichen muß. Jehes nimmt Antheil an sei­ nesgleichen, versetzte ich . lächelnd; hoffentlich hat die Natur, die so mütterlich für die Sicherheit ihrer ge­ ringsten Geschöpfe sorgte und sie alle mit Waffen gegen ihre Feinde versah, auch uns arme Mädchen nicht vergessen — Darauf, fiel . ein, hat der alte Vater Anakreon schon geantwortet: Dein Weibe gab sie Schönheit. Das mag eine ganz gute Waffe zum Angriff seyn, erwiederte ich; aber zur Vertheidigung? — Wozu, rief er, sollten die Schönen diese nöthig haben, da die Natur sie doch einmal bestimmt hat, sich über­ winden zu taffen? Mit diesen Worten warf er sich mir zu Füßen, und beschwor nüch, die zärtliche Leidenschaft nicht länger zu verkennen, die.ihn auf ewig zu meinem Leibeigenen machen werde. Seinen Bitten einen desto größern Nachdruck zu geben, wollte er eben meine Knie umarmen, als ich plötzlich aufstand, und von ihm weggehend mit der kaltblütigsten Ruhe versicherte, wir hätten uns zum letztenmal allein gesehen. Was sagst du zu dieser kleinen Scene, Melanippe? Ich gestehe, sie macht mir großes Vergnügen; denn ich kann nicht zweifeln, daß er sie wohlbedächtlich gespielt hat, und sich nichts geringeres davon ver-

Krates und HLpparchLa.

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spricht, als den Ehestandsfesseln, die ihm seine Fa­ milie anlegen will, dießmal glücklich entgangen zu seyn. An mir soll es wenigstens nicht liegen, wenn ihm seine Hoffnung fehl schlagt. Ich ermangelte nicht, den ganzen Hergang mei­ nem Vater, wahrend unsrer Rückkehr nach Athen, umständlich, nur vielleicht mit zu vieler Hitze, mitzutheilen. Er billigte mein Betragen, wiewohl er den jungen Herrn damit zu entschuldigen suchte, daß er keinen Begriff davon habe, wie seine Hano von irgend einer Athenischen Jungfrau ausgeschlagen wer­ den könnte. Und ich selbst, setzte mein Vater hinzu, begreife eben so wenig, was du gegen den jungen Mann haben kannst, den jede andere deinesgleichen zu besitzen sich glücklich schätzen würde; sie müßte denn nur gänzlich für einen andern eingenommen seyn, was bei dir nicht der Fall seyn kann. — Was konnt' ich antworten? Ich seufzte und schwieg. Mein Vater sah mir bedenklich in die Augen, wiegte seinen Kopf, und schwieg ebenfalls. Er bezeigte sich zwar eben so gütig gegen mich als gewöhnlich, aber das Gespräch blieb einsylbig, und ich zog mich' sobald als möglich in meine Cchlafkammer zuruä. Mir ist zu Muth, wie wenn ein schweres Gewitter am"Himmel steht. Mein Herz wird mich hoffentlich nie verlassen: aber ich kann mich dennoch nicht erwehren, ein wenig zu zittern. Ich warte mit Schmerzen auf.eineri Brief von

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Krates und Hipparchia.

dir; mein Herz sagt mir, daß du — mir etwas zu berichten hast. Was ich in mir selbst erfahre, be­ kräftigt mich täglich mehr in dem Glauben, daß etwaS Magisches in der Liebe ist, das alle Springfedern unsers Wesens starker spannt, und neue Sinne in uns entwickelt, die ohne sie vielleicht nie erwacht waren. Mir ist, als ob ich jedem Menschen, der sich mir nähert, bis in den Grund der Seele sahe, und ich versichre dich, einige gewinnen nicht viel dabei.

So eben erfahre ich von meiner Lesbia, daß Leotychus große Klagen über mich bei meiner Tante geführt hat. Mein letztes Betragen gegen ihn sey ihm unbegreiflich ; entweder müsse eine lächerliche Prüderie, oder eine entschiedene Verachtung seiner Person dabei zum Grunde liegen: das eine sey so unerktärbar als das andere; er fühle sich aber vor: beidem wenig auf­ gemuntert, seine Bewerbung fortzusetzen. Leukonos habe alle ihre Beredtsamkeit aufgeboten, mich in ein günstigeres Licht bei ihm zu stellen, und ihn er­ mahnt, mehr Beharrlichkeit und mehr Nachsicht gegen das jungfräuliche Zartgefühl ihrer Nichte zu zeigen ohne welches sie ja der Ehre, seine Gattin zu werdens unwerth wäre. Unter anderck habe Leotychus gesagt: er könne kaum zweifeln, daß er einen mehr begünstig-

ten Nebenbuhler habe, und da es fein geringerer seyn könne alS ein Gott, so sehe er nicht, was ihm eine längere Beharrlichkeit helfen sollte. Leukonoe habe ihn dieses tollen Einfalls wegen erst ausgelacht, und dann tüchtig ausgeschotten z er habe zuletzt selbst darüber gelacht, und sie hatten sich, dem Anschein nach, als gute Freunde getrennt. — Alles dieß hat meine kleine Lesbia mit der Gewandtheit, die ihren Landsmänninnen eigen ist, aus der alten Droso, der vertrautesten Sclavin meiner Tante, herausgefischt. Ich sehe daraus, daß ich die Wirkung, dic mein Betragen auf Leotychus thun würde, richtig gcahnet habe. Aber was sagst du zu dem bescheidenen Jüngling, der sich einöildet, das Mädchen, das ihm wiederstehen könne, muffe nur einen Gott zum Lieb­ haber gewonnen haben? — Am Ende hat der Mensch so Unrecht nicht. Gegen ihn ist Krates in der That in meinen Augen ein Gott. Den yten Skirrophorion. (Iuny.)

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Ärates und Hipparchia»

XI. Mela nippe an Hipparchia. Dank sey der jungfräulichen Aedo und dem Uranischen Amor, daß du den Schleyer endlich abge­ legt hast, durch welchen ich verlor, ohne daß du dabei gewannst; was der Fall mit allen Schleyern und Hüllen ist, sie mögen nun einen schönen Leib oder eine schöne Seele bedecken. Von nun an wirst du dich deiner Melanippe zeigen, wie Aphrodite sich in ihren Grazien zeigt. Du wirst sie durch diese Traulichkeit glücklicher machen; und sollte auch an dem schönen Ganzen irgend ein unbedeutendes Fleck­ chen oder ein zufälliges Hitzblatterchen zu sehen seyn, so wird das Auge der Liebe es entweder nicht ge­ wahr werden, oder einen kleinen Reiz mehr entdeckt zu haben glauben. Zur Belohnung der Aufrichtigkeit, womit du deine vorige Zurückhaltung so schön vergütet hast, eile ich nun, dir ein Paar von Eutuphron auf­ gehaschte Neuigkeiten mitzutheilen, die dir nicht gleichgültig seyn werden. Die erste weniger bedeurende ist, daß Leotychus unter seinen Vertrauten von

Krates und Hipparchia.

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seiner Verbindung mit der Tochter des Lamprykles, als von einer sehr weit entfernten und wahrscheinlich nie zu Stande kommenden Sache spricht. Es wäre zwar zwischen beiden Familien die Rede davon ge­ wesen , und die Dame, die den letzten Tagen ihrer Rosenzeit nahe sey, scheine, nachdem sie mehrere nicht verächtliche Freier abgewiesen, nicht abgeneigt, mit ihm vorlieb zu nehmen, besitze aber, aufrichtig zu reden, nicht Reize genug, um ihn in das Netz zu locken, das man seiner Freiheit gestellt habe; und was der Armseligkeiten mehr sind, womit der hoffar­ tige. Mensch sich vor der Schmach, unter den Abge­ wiesenen die Oberstclle zu erhalten, in Zeiten zu verwahren sucht. Du siehst, er verdient beinah un­ sern Dank, daß er so eifrig für dich arbeitet, und dir die Mühe, seiner mit guter Art los zu werden, so dienstfertig erleichtert. Noch angenehmer wird dir seyn zu vernehmen, daß der weise Krates über die plötzliche Derschwindung seiner jungen Zuhörer aus Sunium nichts weniger als gleichgültig ist, — wiewohl ich für meinen Theil, ( Dank meiner Ilnscheinbarkeit, wenn ich neben dir stehe,) gar nicht in Betrachtung komme. Denn die Rede ist immer nur von dem schönen Hipparchi.des. Er hat sich schon mehr­ mals bei meinem Vetter Eutyphron (.der viel bei ihm gilt) erkundiget, ob er nicht wisse, was aus

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Krateö und Hipparchia.

dem jungen Menschen aus Sunium mit den großen schwarzen Augen geworden, der seit einiger Zeit mit einem andern seines Alters so häufig unter seinen Zuhörern erschienen sey, und sich durch seine ganz besondere Aufmerksamkeit ausgezeichnet habe. Er selbst habe sich (sagt er) die große Liebe des Sokrates zu schönen Knaben, besonders zu dem Wildfang und Wüstling Alcibiades, nie recht erklären können: aber wie ein tugendhafter Mann eine heilige Liebe zu diesem Knaben fühlen könne, sey ihm sehr be­ greiflich. So viel Freiheit des Geistes, mit so viel Bewußtseyn innerer Kraft, wie aus den seelenvollen Augen des jungen Hipparchides spreche, mit einer so zarten, man möchte fast sagen, jungfräulich schüchternen Bescheidenheit vereinigt, habe er noch an keinen: andern Jüngling wahrgenommen, und der­ gleichen mehr.

Was sagst du dazu, junger Hipparchides? Wächst dir das Herz nicht zusehnds, indem du diese gotdnen Worte liesest? Fürchtest du n o ch, die größte der Schwierigkeiten, die du zu besiegen hast, bei dem Manne zu finden, der einen so feinen Sinn für jungfräuliche Schüchternheit hat? Aber das ist noch nicht altes. Ein paar Tage darauf sagte er zu Eutyphron, er sey von ungefähr auf einen Fischer von Sunium gestoßen, der ihn versichert habe, er kenne alle Einwohner seiner kleinen Vaterstadt, aber unter

KrateS und Hipparchia.

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Jungen und Alten kenne er weder einen Hipparchides noch Metampus. Krates scheine darüber nicht wenig betroffen zu seyn und zu vermuthen, daß unter diesem Namen irgend ein sonderbares Geheimniß stecke, deffen Gkund und Beschaffenheit er nicht zu errathen vermöge. Indessen fahrt er fort, so oft er meinen Anverwandten sieht, ssch zu erkundigen, ob er den jungen Hipparchides nirgends wieder gesehen habe. Ziehe nun die Folgen selbst, die aus diesem allem hervorgehen. So viel dünkt mich wenigstens augenscheinlich, daß der bartlose Knabe Hipparchides mit seinen großen seelenvollen Augen und seiner jung­ fräulichen Sittsamkeit einen Grund gelegt hat, wor­ auf die schöne Hipparchia, mit einem mäßigen Auf­ wand der letztern, ziemlich sicher fortbauen könnte. Den 9ten Skirrophorion.

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Krates und Hipparchia.

XII.

Hipparchia an Melanippe. Damit du wissest,

wie ich gegenwärtig mit Leu-

konoe stehe, liebste Freundin, laß dir eine kleine Unterredung erzählen, die seit ihrer Zurückkunft aus Munychia zwischen uns vorgefallen. Daß sie nicht sonderlich mit mir zufrieden sey, verrieth die ziem­ lich sichtbare Gewalt, die sie sich anthun mußte, meine freundliche Bewillkommnung nicht ganz un­ freundlich anzunehmen. Sie fand, oder machte sich vielmehr sogleich im ganzen Hause so vielerlei zu thun, daß ihr keine Zeit übrig blieb, sich mit mir abzugeben. Aber diesen Morgen ließ sie mich rufen, und, nach etlichen einsilbigen Fragen und Antwor­

ten, begann folgendes Gespräch zwischen uns. L e u k o n o e. Du hast nun den Sehn des Chabrias gesehen und gesprochen, Hipparchia, wie gefallt er dir?

H i p p a r ch i a. Er würde mir vielleicht besser wenn er sich selbst weniger gefiele.

gefallen haben,

Krates und Hipparchia,

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Leukonoe. Das ist eine deiner Grillen, — bloßes Dorurtheil! Leotychus ist ein junger Mann von sehr feiner Lebensart, und weiß sich-gegen unser Geschlecht sehr gut zu benehmen.

H i p p a r ch i a.

Vermuthlich gegen den ehrwürdigern Theil dessel­ ben, Mütter, Großmütter und Tanten: dagegen scheint er sein Betragen gegen die Töchter, Enke­ linnen und Richten in der Schule der schönen Lycaniyn und ihrer Junftgenossinnen gelernt zu haben. Leukonoe.

Das tönt ja beinahe wie Eifersucht, Hipparchia? Ich nehme es für ein gutes Anzeichen. H ipparchia.

Ich bitte dich, liebe Tante, gieb meinen Worten keine so feine Deutung. Ich rede geradezu, wie ich denke. Leukonoe.

Es ist unmöglich, daß er sich gegen dich vergessen haben könnte.

H i p p-a r ch i a. Er mag sich einbilden, sehr artig gewesen zu seyn. Ich balte die Bescheidenheit für eine Tugend, die

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Krates und Hipparchia.

dem andern Geschlechte nicht weniger geziemt alS dem unsrigen. Leukonoe. Unstreitig. Dagegen ist eine unzeitige Sprödig­ keit weder eine Tugend, noch eine Grazie an einer Jungfrau, um deren Hand fich ein Jüngling bewirbt, der sich zutrauen darf, daß er ihrer in jeder Betrachtung würdig fei;. Hipparchia. Leotychus scheint in der That dieses Zutrauen in einem hohen Grad zu besitzen. Leukonoe. Und du scheinst auf eine seltsame Weise gegen den jungen Mann eingenommen. Was in aller Welt kannst du gegen ihn einzuwenden haben? Hipparchia. O sehr viel, liebe Tante! Zum Beispiel, daß er viel zu schön für mich ist. Leukonoe. Ein Fehler von einer ganz neuen Art, das muß ich gestehen! Aber keinen unzeitigen Scherz, Mäd­ chen! wenn ich bitten darf. Hipparchia. Es ist mein ganzer Ernst. Er ist zu schön für

Krates und Hipparchia.

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mich, oder ich bin nicht schön genug für ihn, wie du willst. Ich werde nie einen Mann nehmen, der nicht in diesem Stück so weit unter mir ist, daß er sich nicht einbilden kann, ich habe mich durch sein Aeußerliches verführen lassen. Leukonoe. Wenn dieß ist, so weiß ich dir keinen bessern Rath, als den bucklichten Krates zu heirathen, der sich gewiß nie einfallen lassen wird, dir den Vorzug der Schönheit streitig zu machen. Es war ein Glück für mich, daß sie vermuthlich eher alles andere für möglich hielt, als daß mich diese Spottrede so nahe angehe; sonst hatte sie mir gewiß dabei in's Gesicht gesehen, und möchte die plötzliche Gluth, womit es sich überzog, leicht für etwas anders gehalten haben, als Ausdruck meines Unwillens über ihre verächtliche Art, von einer Per­ son zu sprechen, die ich hochachte. Indessen könn? ich mich doch nicht enthalten, ihr zu sagen: daß ich eher diesen Krates, trotz seiner wenigen Ansprüche an Schönheit, heirathen würde, als den einbildischen Leotpchus mit allen seinen Reizen. Soll ich diese Erklärung deinem Vater bringen? sagte sie mit verbißnem Grimm. Ich beschwor sie, nicht auf mich zu zürnen, und meinen Widerstand als einen Beweis anzusehen, daß die erwartete Nach­ giebigkeit nicht in meiner Gewalt sey. Ich kann,

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Krates und Hipparchia.

fuhr ich fort, meinem Willen nicht gegen meine Ueberzeugung gebieten, und wen geht die Sache naher an als mich? Ich will zugeben, es sey nicht unmöglich, daß ich mit Leotychus, wo nicht glück­ lich, wenigstens erträglich leben könnte. Da aber das Gegentheil eben so leicht möglich ist, sollte wohl ein liebender Vater die Glückseligkeit seines Kindes auf eine so schwankende Spitze stellen wollen? Leukonoe schwieg eine Weile, als ob sie mit ihren Gedanken zu Rathe gehe. Auf einmal schien sie etwas sagen zu wollen. Unmöglich, — rief sie aus und hielt plötzlich wieder ein, ohne sich auf meine Frage, was unmöglich sey, zu erklären. Ich bat sie, indem ich mich auf ihren Wink entfernte, sie möchte mir wenigstens Zeit lasten, meine Abneigung gegen Leotychus zu bekämpfen; aber sie kehrte mir den Rücken zu, und ich zog mich zurück, ohne einen neuen Versuch, sie zu besänftigen, über mich gewin­ nen zu können. Ich zweifle nicht, daß sie eine ge­ heime Neigung bei mir argwohnt, und sich alle Mühe geben wird, ihr auf die Spur zu kommen. Dieser Umstand, und was du mir von den Aeußerungen des Krates gegen deinen Verwandten schreibst, be­ stimmt mich, einen Schritt vorwärts zu thun, der über lang oder kurz doch gethan werden müßte. Es ist gewiß, daß der Mensch seinem Schicksal nicht entgehen kann: aber es ist nicht weniger gewiß, daß er selbst das Hauptwerkzeug seines Schicksals ist,

Arates und Hipparchia.

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oder mit andern Worten, daß er durch seine mit­ wirkende Thätigkeit das Werk seines guten oder bösen Dämons fördern oder hindern kann. Ich bin in einer wahren Klemme, liebste Melanippe, aber mir wird leichter um's Herz werden, wenn ich den Schritt gethan habe, zu welchem mich einer der besagten Dämonen antreibt. Sobald ich den Erfolg weiß, sollst du mehr davon erfahren. Verdopple indessen deine Aufmerksamkeit auf meine Tante; belaure durch unsern Freund Eutyphron alle ihre Bewegungen, und sage ihm, daß er sich meiner Lesbia sicher anvertrauen könne, so oft er mir etwas mitzutheilen hat. Die sonderbare Lage, worin ich mich befinde, hat mich endlich genöthigt, ihr unser Geheimniß zu entdecken; so viel nämlich, als sie zu wissen braucht, um zu glauben, daß ich von ihrer Anhänglichkeit überzeugt bin, und nichts geheimes vor ihr habe. Den ioten Skirrophorion.

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Krater und Hipparchia.

XIIL Hipparchia an Krates« ^ch kann nicht langer zögern, weiser und ehrwür­ diger Krates, dir einen unschuldigen Betrug zu ent­ decken, dessen zwer unbesonnene Mädchen sich gegen dich schuldig gemacht haben, indem ich dir gestehe, daß unter dem doppelten Mantel der vorgeblichen Jünglinge Hipparchides und Melampus von Sunium, die sich seit einigen Monaten unter deinen Zuhörern einfanden und deren plötzliches Verschwin­ den dir ausgefallen seyn soll, Hipparchia, die Toch­ ter des LamprokleS, die dir dieses schreibt, und eine ihrer Freundinnen verborgen war. Um dir über dieses seltsame Geheimniß das ge­ hörige Licht zu geben, muß ich dich um Erlaubniß bitten, meine Geschichte, wie jener Dichter, vom Ey anzufangen. Die Natur scheint der Neugierig­ feit, womit sie die Personen meines Geschlechts vor­ züglich ausgestattet haben soll, bei mir eine be­ stimmte Richtung nach dem, was das wiffenswürdigste ist, gegeben zu haben. Von der Kindheit an zeichnete sich die kleine Hipparchia durch ihre immer rege Lernbegierde aus, und wußte sogar mit ihren

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Puppen nichts anders anzufangen, als daß sie immer alles, was sie selbst gelernt hatte, mit ihnen wieder­ holte, um sie eben so gelehrt zu machen als ihre Gebieterin. Ich wußte den größten Theil der Odys­ see auswendig, bevor ich acht Jahre alt war, wie­ wohl ich dieweil, sie zu lesen, beinahe stehlen mußte. Der frühzeitige Tod meiner guten Mutter, die das wahre Ebenbild der Hausfrau des Xeno phobischen I sch i m a ch u s war, und mich vorzüglich zu weib­ lichen Beschäftigungen ungehalten hatte, und die gefällige Güte meines Vaters, dessen einzige Toch­ ter ich bin, setzte mich in diesem Stück in eine grö­ ßere Freiheit. Ich brachte einen ziemlichen Theil des Tags in dem Büchcrzimmer meines Paters zu, und durchlas, oder verschlang vielmehr anfangs, was mir zuerst in die Hände fiel, Dichter und Geschicht­ schreiber, Tragiker und Komiker, ohne Ordnung und Auswahl. Endlich gerieth ich auch über ein Fach, das mit den Werken Xenophons und mit den Dialo­ gen aller Sokratiker angefüllt war. Die erstern und alle von den andern, die mir verständlich waren, hatten einen ganz besondern Reiz für mich. Sie machten von nun an meine Lieblingsunterhaltung aus; ich hatte Mühe mich von ihnen zu trennen, kehrte immer wieder zu ihnen zurück, und verspürte bald die guten Folgen ihrer mächtigen Einwirkung auf mein Gemüth. Unvermerkt lösete sich die Ver­ wirrung, die aus jener unordentlichen Leserei in mei-

nem Kopf entstanden war. Es begann darin zu tagen, und eine dunkle Stelle trat nach der andern ms Licht hervor. Ich wagte mich nun sogar an die Dialogen des göttlichen Platon, die ich anfangs mit heiliger Scheu vor ihrer erhabenen Dunkelheit auf die Seite gelegt hatte: vieles war mir nun ohne Mühe verständlich; was ich nicht verstand, glaubte ich zu errathen, und was ich nicht errieth, ersetzte meine Einbildungskraft. Aber was sollte nun ein Mädchen, zur Regierung eines Gynaceons bestimmt, und auf die Geschäfte desselben eingeschränkt, mit allen den Ideen und Kenntnissen anfangen, die ich erlangt hatte? Und wie sollte ste, die von ihrem fünfzehnten Jahre an mit Xenophon, Cebes und Simmias, mit Platon, Aristipp und Diogenes, so zu sagen, gelebt, und ihre Seele mit dem Geist der edelsten unter den Mannern genährt hatte, wie sollte sie sich zu der gewöhnlichen Lebensweise der griechischen Frauen be­ quemen können? Ich sah, was mir als der Tochter eines reichen Mannes in Athen bevorstand, erschrak vor dem, was alsdann wahrscheinlich mein Loos seyn würde, und ließ nun nicht von meinem Vater ab, bis ich die heiligste Zusage von ihm erhielt, daß es in meiner Willkühr stehen sollte, jeden Freier auszuschlagen, mit welchem ich nicht nach meiner eigenen Weise glücklich zu leben hoffen könnte. Die Wahr-

Krates und HLpparchia.

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heit zu sagen, fühlte ich nichts in mir, was mich geneigt gemacht hatte, meine Freiheit irgend einem Manne aufzuopfern. Ich sah die ausgezeichnetsten unsrer Jünglinge mit kalter Gleichgültigkeit an, und wies nach und nach mehrere Anträge zurück, die meiner Familie gemacht wurden, und, nach dem gewöhnlichen Maßstab, sehr annehmenswürdig waren. Indessen konnt' ich doch von den Beweggründen nicht ungerührt bleiben, um derentwillen mein Vater mich verheirathet zu sehen wünschte, und indem ich mich an die Vorstellung, nicht immer ledig zu blei­ ben, unvermerkt gewöhnte, bildete sich eine Idee in mir aus, wie der Mann an Geist und Gemüth, Sitten und Lebensweise beschaffen sevn müßte, mit welchem ich in die engste und heiligste aller Verbin­ dungen zu treten wünschen könnte. Geburt, Reich­ thum und Gestalt kamen bei mir in keinen Anschlag: hingegen war sehr natürlich, daß er denjenigen nicht ähnlich genug seyn konnte, deren Geist den meini­ gen erweckt und gebildet hatte, deren Tugend und Seelengröße ich bewunderte, und die, mit Einem Wort, in meinen Augen die Ersten unter ten Men­ schen, und, in der ganzen Starke des Homerischen Beiworts, den Göttern gleich waren. Schon damals stand der große König Alexander, Philipps Cohn, in meinem Sinn tief unter dem Manne, der, wiewohl vielleicht der ärmste in gvnz Korinth, sich keine andere Gnade von jenem auszubitten wußte

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Krates und Hipparchia.

als "daß er ihm aus der Sonne gehen möchte.

Mit

dieser Art zu denken hatte ich bereits mein drei und zwanzigstes Jahr zurückgelegt, als ich zum erstenmal von einem gewissen Krates hörte, der sich seit Kur­ zem zu Athen aufhalte, und als der größte Son­ derling, auf den die Sonne je geschienen, beschrie­ ben wurde. Abkömmling aus einer edeln Thebanischen Familie habe er sich (sagte man) eines an­ sehnlichen Erbgutes und alles Glückes, so er in seiner Vaterstadt hätte machen können, freiwillig

entschlagen, um, nach dem Beispiel des Diogenes, mitten in der bürgerlichen Gesellschaft, unter auögearteten, durch Kunst verfeinerten, und durch Reichthum und Ueppigkeit, oder Begierde nach bei­ den, verderbten Menschen, unabhängig von ihren Gewohnheiten und frei von ihren Leidenschaften, ein reines Naturleben zu führen, und sich in allem, was den Leib betrifft, auf das strengste Unentbehrliche einzuschranken, um sich gänzlich dem, was das höchste Gut der Seele ist, der Weisheit und Tugend, unge­ stört ergeben zu können. Ich hörte sehr verschie­ dene Urtheile über diesen Krates füllen; einige spot­ teten über seine Lebensweise, andere machten sich über sein Aeußeres lustig; die meisten stimmten darin überein, daß man nicht wenig verrückt seyn müsse,

um ein so armseliges Leben, als er führe, mit baren achtzig Talenten zu erkaufen: aber alle gestanden, daß er ein Mann von Geist, voll Witz und guter

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Laune, und bei der unbeschranktesten Freimüthigkeit äußerst angenehm im Umgang sey. Diese Erzählungen machten einen so tiefen Ein­ druck auf mich, daß ich ihn, vermöge eines eigenen meinem Geschlecht angebornen Instinkts, auf'S sorg­ fältigste zu verbergen beflissen war. Ich bewunderte die Seelenstärke des Mannes, der dem großen Ge­ danken, das Ideal unverkünstelter, aber veredelter Menschheit in sich darzustellen, Alles, was in den Augen der Menge den größten Werth hat, aufzu­ opfern fähig war. Unvermerkt, ehrwürdiger Krates, entstand ein unruhiges Verlangen, dich selbst zu sehen und zu hören, in mir, das durch die anscheinende Unmöglich­ keit,es zu befriedigen, täglich heftiger wurde. Im väterlichen Hause würde ich schwerlich jemals dazu gelangt seyn, wenn auch mein Vater auf den Gedan­ ken gekommen wäre deine Bekanntschaft zu suchen: was nicht zu hoffen war, da er seit manchen Olym­ piaden nur einen kleinen Theil des Jahres in der Stadt lebt, und sich bloß mit Verwaltung seiner Güter beschäftigt. Endlich half mir die vertrauteste meiner Freundinnen, ein lebhaftes genialisches Mäd­ chen, auf einmal aus der Noth. Warum, sagte sie, sollten wir nicht den Muth haben zu thun, was Axiothea von Phlius that, um sich unerkannt unter die Zuhörer des göttlichen Platon mischen zu können? Es braucht dazu nichts als ein paar schlichte

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Doppelinäntel, und die Kunst unsere Haare so zu­ sammenzurotten, daß sie einem krausen dichtlockigen Knabenkopf ähnlich sehen. Man wird uns für ein paar Jungen von siebzehn bis achtzehn Jahren hal­ ten, und unter der Menge, die sich täglich beim Cynosarges, oder in der Hatte am Tempel des Her­ kules versammeln, um den Krates reden zu hören, werden wir leicht übersehen werden. Auf alle Falle nennen wir uns Hipparchides und Melampus, wir sind zwei Brüder, aus Sunium gebürtig, Söhne des Kaufmanns Ktesiphon, oder was du willst, nie­ mand wird sich darum bekümmern. Ich bin ein drei­ steres MadcheU, bester Krates, als du der Schüch­ ternheit des verkappten, sich selbst bewußten, Hip­ parchides zugetraut hattest. Ich ergriff diesen Ein­ fall mit der lebhaftesten Ungeduld, ihn je balder je lieber ins Werk zu setzen. Meine Freundin gewann eine gewisse ihr gänzlich ergebene Blumenhändlerin, die am Wege nach dem Cynosarges ein kleines Haus mit einem Gärtchen besitzt. Hier vertauschten wir unsere weibliche Kleidung mit der Sokratischen, und dahin schlichen wir uns wieder zurück, um diese wie­ der abzulegen, und wohlverschleiert, jede ihr Blu­ menkörbchen am Arm, wieder nach Hause zu wan­ dern. Und so habe ich seit den letzten Anthesterien das Glück genossen, dich alle zwei bis drei Tage zu hören, und mich dadurch in einer Denkart zu befesti­ gen, wozu ich mit einer großen Anlage geboren seyn

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muß, weil sie sich meiner in so kurzer Zeit gänzlich bemeistert hat. Alles dieß, bester Krates, mußtest du voraus wisien, bevor ich zu der Hauptsache kommen konnte, die mir den kühnen Schritt an dich zu schreiben ab­ genöthigt hat. Ich befinde mich in einer Verlegen­ heit, aus welcher du allein, wie ich glaube, mich ziehen könntest. Seit einiger Zeit bewirbt sich ein junger Mann um mich, der in ganz Athen unter dem Namen Leotychus bekannt ist. Er ist reich und von edler Her­ kunft, schön wie Adonis, in sich selbst verliebt wie Narcissus, eben so ehrgeitzig als wollüstig, und der­ malen eine Art Günstling des Volks. Beide Fami­ lien, besonders seine Mutter und meine Mutterschwe­ ster, betreiben eine Verbindung zwischen uns, die ihm selbst ziemlich gleichgültig zu seyn scheint; nach und nach haben sie auch meinen Vater dahin gebracht, sie eifriger zu wünschen als für meine Ruhe gut ist. Sage mir, weiser Mann, ich beschwöre dich bei den Grazien, bin ich aus Liebe zu meinem Vater schuldig, einem von ihm selbst mir zugestandencn Rechte zu entsagen, und das Glück meines Lebens seinen Wünschen aufzuopfern? Habe ich keine Pflich­ ten gegen mich selbst? Kommt mein eignes Herz, meine eigne Ueberzeugung in einer mich so nahe an­ gehenden Sache in gar keine Betrachtung? Der Mann, den man mir aufzudringen sucht, kann dem-

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KrateS und Hipparchia.

jcnigen, den ich selbst mir zum Gatten wünsche, nicht unähnlicher seyn als er's ist. Mein Herz sagt mir's, und meine Vernunft bestätigt es, daß ich mit Leotychus nicht glücklich seyn würde. Ist es bil­ lig, daß ich unglücklich werde, um einem getauschten Vater zu Willen zu seyn, der gewiß keine frohe Stunde mehr haben würde, wenn er mich unwieder­ bringlich elend sahe? Rathe mir, weiser und guter Krates, sey mein Genius, mein Orakel! Was soll ich thun? Waö darf ich thun? Leite mich in einer Sache, wovon daS Wohl oder Weh meines LebenS abhangt; und wenn du anders das Wohlwollen, welches Hipparchia das Glück hatte, dir einzuflößen, als sie dir Hipparchides zu seyn schien, ihr nicht um eines unschuldi­ gen Betrugs willen entzogen hast, so beklage flej Den ixten Skirrophorion.

ArateS und Hipparchia.

XlV. A-raLeö an Diogenes zuKorinth. Hast du jemals, Freund Diogenes, du, der unter Betrachtung und Züchtigung der unermeßlichen Thor­ heiten des Menschengeschlechts eisgrau geworden bist, hast du jemals etwas belachenswürdigers gesehen, gehört oder geträumt, als die Möglichkeit, daß dein Freund Krates, mit seiner ellenbreiten Stirn, seiner Faunennase, und dem kleinen Hügel, den er, unwis­ send wie oder wann, seinem Rücken aufgepackt hat, und, was die Sache nicht sonderlich besiert, mit seinem Sokratischen Mantel und Diogenischen Kno­ tenstock, und mit einem Einkommen von drei baren Obolen des Tags, thöricht genug seyn könnte, sich in das schönste und reichste Mädchen von Athen zu verlieben? — Wohlan, alter Freund, wie undenkbar dir auch ein solcher Fall vorkommen mag, daß er möglich ist, beweißt dein Freund und Jünger KrateS mit seiner selbst eigenen Person: denn es ist leider! nichts gewisser, als daß der arme Mann, es sey nun wegen irgend einer schlcchtverwahrten Seite seiner Natur, oder durch Antrieb eines über ihn er­ zürnten Gottes, sich in einer so widersinnigen und

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KrateL und Hipparchia.

natürlicher Weise hoffnungslosen Liebe wirklich ver­ fangen hat. Du lachst so herzlich, daß mich dünkt, ich höre es von Korinth bis in meine Hütte. Gut, lache so viel du willst und kannst! ich würde dir selber lachen helfen, wenn die Sache nicht mit einem so tragischen Umstand verbunden wäre, daß der Erztragiker Euri­ pides selbst nie etwas kläglicheres ersonnen hat. Quäle dich nicht mit vergeblichen Versuchen, zu er­ rathen, was für ein unglücklicher Umstand das seyn könne: du könntest zehnmal schwerere Räthsel, als das, was die einfältige Sphinx — im Vertrauen auf die weltberühmte Dumpfheit der Böotier — meinem Landsmann Oedipus aufgab, glücklich er­ rathen haben, an diesem würdest du dennoch mit allem deinem Scharfsinn zu Schanden werden. Wisse also, guter Alter, daß jenes nämliche Mäd­ chen, wie gesagt eines der schönsten, reichsten, und zugleich der sittsamsten und unbescholtensten in ganz Attika, aus zarter Liebe zu besagtem Krates, und ohne ein Wort davon zu wissen daß sie von ihm geliebt wird, die Hand des schönsten und reichsten aller edelbürtigen Jünglinge von Athen ausgeschtagcn hat. Sage mir nun einer, daß nach einem solchen Ereigniß noch etwas unmöglich sey! Ich sehe, du starrst mir mit weit offnen Augen in's Angesicht, und glaubst noch immer nicht, daß ich im Ernst rede. Der Götter-und Menschen-Herrscher Amor hat frei-

Strateg und Hipparchia.

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(ich schon manches unglaubliche Wunder gethan: aber von einer so furchtbaren Wirkung seiner Allge­ walt über den Verstand und die Sinne der Erden­ kinder, ist bis itzt noch kein Beispiel gesehen worden. Vernimm dann wie es damit zugegangen, und höre auf dich zu wundern! Es sind seit den letzten Anthesterien drei bis vier Monate, daß ich unter den Jünglingen, die sich täg­ lich in der Hatte oder unter den Platanen des Cynosarges um mich versammeln, ein Paar feine Knaben von siebzehn oder achtzehn Jahren gewahr wurde, die, in ihre Mantel bis an die Augen eingehüttt, sehr aufmerksam auf meine Reden horchten, und von dieser Zeit an, drei-oder viermal in jeder Dekade sich immer richtig wieder einstellten. Einer von ihnen fiel mir durch seine Schönheit und das Feuer, das aus seinen großen schwgrzen Augen blitzte, so stark auf, daß ich mich nach seinem Namen erkun­ digte. Sein Gefährte, ein hübscher ziemlich dreister Bursche, nahm sogleich das Wort und sagte mir: der Name seines Bruders sey Hipparchides und der (einige Melampus; sie seyen Söhne eines Handelsmanns in Sun Lum, und, von dem Ruf meiner Weisheit angezogen, nach Athen gekommen, um bis zur Wiederkunft ihres Vaters von Rhodus sich hier bei einem Anverwandten aufzuhalten. — Ich habe (gegen das Beispiel unsers Vorgängers und Meisters, Sokrates,) anstatt, wie er schöne

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Krateö und Hipparchia.

Knaben aufzüsuchen und an mich zu ziehen, mir zum Gesetz gemacht, ihnen so viel möglich aus dem Wege zu gehen. Ich vermied also, auch mit diesen mich naher einzulassen, und das um so mehr, da sie selbst es nicht zu wünschen schienen, und weil ich mich von dem Schönern unter beiden so stark an­ gezogen fühlte, daß ich mir wirklich Gewalt anthun mußte, ihn nickt zu oft anzusehen. Warum der Umstand, daß beide an den gewöhn­ lichern Leibesübungen der Jünglinge ihres Atters im Gymnasium niemals Antheil nahmen, mir keine Ge­ danken machte, weiß ich dir nicht zu sagen. Genug, ich gewöhnte mich unvermerkt so sehr daran, die vermeinten Brüder von Sunium unter meinen Zu­ hörern zu sehen, daß es mir auffiel, als sie sich seit dem siebenten Thargelion weder blicken ließen, noch -u erfragen waren. Denke nun, wie mir zu Muthe wurde, als ich gestern einen Brief erhielt, worin der vermeinte Hipparchides sich mir als Hippa rchia, die Tochter des Lamprokles, entdeckt, und, nachdem sie den gespielten Betrug durch eine interessante Selbstschilderung zu entschuldigen ge­ sucht hat, mir (warum gerade mir?) die Eröffnung thut, daß sie sich durch einen ihr selbst verhaßten, aber von ihren Verwandten begünstigten Freier in ein Gedrang von streitenden Pflichten gesetzt befinde, woraus sie sich nicht anders zu ziehen wisse, als indem sie mich beschwöre, ihr meinen Rath zu geben.

Krates und Hipparchia.

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£)tr fatalste und für mich gefährlichste Umstand bei dieser Entdeckung ist, daß sie mir, zwar mit aller ihrem Geschlecht eigenen Zartheit und Zurückhaltung, aber doch deutlich genug zu verstehen giebt, der Mann, den ihr Her- dem schönen Leotychus vorziehe, sey kein andrer als derselbe, dessen Leitung sie sich anvertrauen will. Damit du mit eignen Augen sehen könnest, ob ich mir hierin zu viel schmeichle, schicke ich dir ihren eigenhändigen Brief, worin du, aus Vorsicht gegen einen möglichen Zufall, bloß die Namen ausgelöscht finden wirst. Du begreifst nun, alter Freund, daß dieser Han­ del, der auf den ersten Blick so lächerlich aussieht, ernsthaft genug ist, um zwei weisen Mannern wie du und ich zu schaffen zu machen. Indessen kann das, was ich dabei zu thun habe, für mich wenig­ stens keinen Augenblick zweifelhaft seyn. Hatte ich nicht daS unglückliche Glück, selbst der Mann zu seyn den sie vorzieht; wäre ich bloß ein unparteii­ scher Dritter, so würde ich die Fragen, die sie mir vorlegt, ohne Bedenken zum Vortheil ihres HerzenS entschieden haben. Aber kann ich dieß itzt, ohne zugleich ein Thor und ein schlechter Mensch in mei­ nen eignen Augen zu seyn? Was wäre die Tugend, wenn sie der ersten Versuchung, in welche sie ge­ führt würde, unterläge? Alles, was ich bisher auS Liebe zu ihr aufgeopfert habe, war im Grunde kein Opfer: denn es kostete mich keine Ueberwindung, es

los

Krates und Hipparch ia.

war nichts in meinen Augen. Itzt kommt es darauf an, stark genug zu seyn, um den zauberischen Täu­ schungen einer Neigung zu widerstehen, die mein Herz nicht für Täuschungen erkennen will: gegen eine Neigung zu kämpfen, die meine Vernunft nicht schel­ ten kann; die nichts gegen sich hat, als die herge­ brachten Begriffe und Dorurtheile der Welt; die unter andern Umstanden das Glück meines Lebens machen würde, ja, (wenn anders Hipparchia wirk­ lich so groß und edel ist als sie mir erscheint,) uns beide, sogar der Welt und den Umständen zu Trotz, glücklich machen könnte. Wäre das, was ich für Hipparchia fühle-, ein bloßes Werk der Sinne und der Phantasie, so möcht' es mir nicht schwer fallen es zu unterdrücken. Aber ich bin mir der Reinheit der Gesinnungen, die diese unfreiwillige Neigung in mir nähren, so innig bewußt; ich bin so gewiß, daß Hipparchia, was sie von mir erwartet, finden, und daß kein anderer sie lieben würde wie ich, kein andrer sie in dem, was sie für ihr höchstes Gut erkennt, in Vervoltkonnnnung ihrer selbst, weniger hindern, mehr befördern würde als ich. Und mit diesem Bewußtseyn bin ich genöthigt ihr einen Rath zu geben, dem mein Herz widerspricht, den mein Verstand Lügen straft! Rathe mir, Freund, wenn du kannst, oder vielmehr bedaure mich: denn was könntest du mir anders rathen, als zu thun, was die unerbittliche, unbedingten Gehör-

Krates und Hipparchia.

209

sam fordernde Stimme des Gottes in uns mir -u thun gebietet? Ich schließe diesen in einem ganz andern Ton angefangenen Brief sehr ernsthaft, wie du siehst. Die Gleichmüthigkeit, die du einst an mir schätztest, ist — auf einige Zeit wenigstens — dahin. Ich suche mich zu zerstreuen, und, in den Stunden der Einsamkeit und der Nacht, die zauberischen Traume, in welche Phantasie und Herz mich wiegen wollen, dadurch zu verjagen, daß ich sie, und die Leiden­ schaft, deren Kinder sie sind, in ein lächerliches Licht stelle: aber ich fühle nur zu bald das Unwahre eines solchen Selbstbetrugs. In allen Fällen, wo der eigennützige Trieb mit der Ehre und der Pflicht in Widerspruch steht, bleibt doch immer das Beste, daß man aufrichtig gegen sich selbst sey, sich über feinen wahren Zustand nicht zu verblenden suche, und, so­ bald der Sitz der Krankheit entdeckt ist, ohne Scho« nung sich jedem noch so unangenehmen Genesungs­ mittel unterwerfe. Dieß ist's, wozu ich fest entschlossen bin. Ich werde mir so lange sagen, H i pparchia kqnn nie die Deinige seyn, bis ich es mir selbst glaube. Ich will sie nie wieder sehen, mein Geheimniß in meiner beust verschließen, und durch den strengen Rath, den ich ihr geben werde, alle Hoffnung niederschlagen, daß ich das ihrige errathen haben könnte. Den i2ten Skirrophorion. WMand- W. 2g. DV.

210

Krates und Hipparchia.

XV.

Hipparchia an Melanippe. Ich wußte schon seit einigen Tagen, daß Leukonoe in großer Bewegung ist, um dem Geheimniß, so sie hinter unsern Besuchen bei der alten Myrto ver­ muthet, auf den Grund zu kommen. Was ich be­ sorgte, ist nun geschehen. Diesen Augenblick kommt dein Eutyphron keuchend angelaufen, um mir durch meine Lesbia sagen zu lassen, man habe vor einer kleinen Stunde eine Dame, von einer alten Skla­ vin geführt, bei der Myrto eingehen sehen, welche, der Beschreibung und den Umstanden nach, keine andere, als meine liebe Tante seyn kann. Ich weiß, daß wir uns auf die Ehrlichkeit der guten Myrto ziemlich verlassen können: aber da sie eine bloße Schutzverwandte ist, und schwerlich Muth genug hat, gegen das Eindringen einer Frau wie Leukonoe auszuhalten, so zweifle ich kaum, daß sie nicht am Ende alles gestern werde was sie weiß. Wenig­ stens ist dieß ein nur gar zu möglicher Fall. Du siehst leicht, was die Folgen seyn werden. Zum Glück befindet sich mein Vater auf seinem Gut am Pentelikus. Da er morgen Abends schon wieder zu-

Krates und Hipparchia.

211

rückkommt, so wird Leukonoe, wenn sie ihm auch etwas zu berichten hat, wahrscheinlich seine Rückkunft abwarten, und ich habe indessen Zeit ihr zuvorzu­ kommen. Besser, mein Vater erfährt die Sache durch mich selbst, als so verschönert, wie meine Tante sie ihm vortragen würde. Ich schreibe ihm also un­ verzüglich, und entdecke ihm alles, was ich auf dem Herzen habe. Eutyphron hat es übernommen, meinen Brief unfehlbar morgen mit dem frühesten in meines Vaters Hande zu liefern. Ich bin auf alles gefaßt, und werde mich selbst nicht verlassen. Die hier beigelegte Abschrift meines Briefs an Krates wird dich überraschen. Ich weiß nicht, ob ich es für ein gutes oder schlimmes Zeichen halten soll, daß ich noch keine Antwort habe. Er wird mich doch hoffentlich verstehen? Den röten Skirrophorion.

LIL

Ärates und Hipparchia.

XVI.

Hipparchia an Lamprokleö.

Zu wem soll

ein

bedrängtes Kind

seine Zuflucht

nehmen als zu seinem Vater? Wem soll es sein Herz getroster aufschließen? Wem, selbst dann, wenn eS ihm einen Fehltritt zu bekennen hat, eher Nach­ sicht und Verzeihung Zutrauen, als einem gütigen

Vater? Diese Ueberzeugung giebt mir den Muth, schrift­ lich zu wagen, was ich mündlich, ohne allzugroße Verwirrung, nicht zu thun vermöchte, und dir, lie­ ber Vater, einen unvorsichtigen Schritt, eine Thor­ heit (ww du es vielleicht nennen wirst) zu offenba­ ren, ore deine Hipparchia begangen hat, indem sie, durch den großen Ruf des weisen Krates, und daS Beispiel einer ehemaligen edlen Schülerin der Aka­ demie verleitet, sich mit einer Freundin, in der Kleidung eines Jünglings, heimlich und un­ erkannt unter die Zuhörer desselben stahl, und da­ durch den unschätzbaren Vortheil gewann, den Mann zu hören, den seine Freunde, mit großem Recht, denke ich, den zweiten Sokrates nennen. Wenn ich dadurch nicht besser worden bin, so liegt die Schuld weder an seinen Lehren, noch an dem

Krates und H ipparchia.

rrz

großen Beispiel, das er unsrer tugendarmen Jeit von dem, was Liebe zur Weisheit über eine schöne Seele vermag, gegeben hat. Ich bin gewiß, bester Vater, wenn du den Mann kenntest, von dem ich dieses sage, du würdest ihn deiner ganzen Achtung würdig finden. Daß die Urtheile des großen Hau­ fens ihm nicht günstig sind; daß er, edel und reich geboren, eine von den Meisten verachtete Armuth freiwillig erwählt hat, um sich einzig demjenigen -u widmen, was er für den höchsten Adel und das reinste Glück des Menschen halt: wirst du, — einst einer der treuesten Freunde des tugendhaften Phocions, — ihm gewiß so wenig zum Dorwurf machen, als daß die Natur die Schönheit seines Geistes in ein unscheinbares Aeußcrtiches gehüllt har.

Ich muß in ft Beschämung gestehen, dieß alles rechtfertigt den großen Fehltritt nicht, daß ich ohne dein Vorwissen etwas gewagt habe, was mich, wenn ich zufälliger Weise entdeckt worden wäre, zu einem Ziel öffentlichen Tadels und Spottes gemacht, und einen Theil meiner Schmach auf dich selbst geworfen hätte: doch deine Verzeihung hoffe ich — um der Unschuld meiner Absicht, um des Beispiels der unbescholtnen Axiothea, und um der Vortrefflich­ keit des Mannes willen, der dadurch (wiewohl un­ wissender Weise) mein Lehrer worden ist — bereits erhalten zu haben.

2i4

KraLeö und Hipparchia.

Aber — darf Lch's dir bekennen, mein Vater? und doch, warum sollte deine Hipparchia nicht ganz wahr, ganz offen gegen den gütigsten der Vater seyn? — ob ich mir gleich nicht verbergen kann, daß ich gefehlt habe, so ist mir's doch unmöglich, mich reuen zulasten, daß es geschehen ist; und so oft ich mir Vorwürfe deßwegen machen will, erhebt sich eine Stimme in mir, die mir sagt, ich habe wohl gethan, ihr zu folgen. — Zürne nicht, lieber Vater, über diese anscheinende Hartnäckig­ keit ! Ich bin noch lange nicht am Ende meiner Ge­ ständnisse, und ich beschwöre dich auf meinen Knien, mich noch ferner mit Geduld und Nachsicht anzu­ hören! Leukonoe wird nicht ermangelt haben, dir zu bestätigen, was du schon aus meinen eigenen Aeuße­ rungen abgenommen hast: daß ich nicht nur keine Neigung zu dem schönen Leotychus, sondern im Ge­ gentheil den unbezwingbarsten Widerwillen gegen die vorgeschlagene Verbindung mit ihm fühle. . Wie manches hätte ich anzuführen, um diesen Wider­ willen zu rechtfertigen! Aber warum sollt' ich's, da ich einen Grund, seine Bewerbung auszuschlagen, habe, der dazu ganz allein mehr als hinreichend ist? — den nämlich, daß ich meine Hand nie anders als mit meinem Herzen verschenken werde; und mein Herz kann und wird Leotychus nie gewinnen. Ich kann mich entschließen lebenslänglich Jungfrau zu

Krates und Hipparchia.

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bleiben, aber sein Weib zu werden, niemals, nie­ mals !

Ich bediene mich, indem ich dieß erkläre, des von deiner Billigkeit und väterlichen Huld mir zu­ gestandenen Rechts, bei der Wahl eines Gatten immer eine verneinende Stimme zu haben. Aber ist es darum weniger dein Wille und Wunsch, mich verheirathet zu sehen? Das Weib, sagst du, ist bestimmt, Gattin und Mutter zu seyn: und ich bin so sehr davon überzeugt als du selbst. Aber wie kann ich es jemals werden, wenn ich zwar den Mann, mit welchem ich's nicht werden will, verwerfen, aberden Einzigen nicht wählen darf, den ich mir zum Gatten wünsche? Irre ich, wenn ich glaube, das Recht zu wählen liege im Recht zu ver­ werfen eingeschloffen, und mein Herz müsse eben so frei seyn als meine Hand? Mit Einem Wort, lieber Vater, mein Herz hat gewählt, und o! möchte ich so gewiß seyn deine Beistimmung zu erhalten, als ich's bin, daß der Mann miener Wahl — deiner und meiner Liebe würdig ist! Ich schmeichle mir, du hast bereits errathen, daß es kein anderer als Krates selbst seyn kann. Ja, er ist's! Er allein hat mir eine so innige Vereh­ rung, ein so unbegränzies Zutrauen eingeflößt, daß ich ihm alles zu werden wünsche, was ein edles und gutes Weib einem Manne, wir Er seyn kann, Freun-

2i6

Krates und H ip p>ar chLa.

din, Geliebte, Gattin, Mutter seiner Kinder, Theil« nehmerin seiner Lebensweise und aller seiner Freu­ den und Leiden, Genossin aller seiner Vorzüge, und Vertraute aller seiner Gedanken, kurz seine treue und unzertrennliche Gefährtin durch alle Schicksale deö Lebens biS in den Tod.

So, Lieber Vater, denke ich mir das Verhältniß

einer Gattin zu ihrem Manne, so denke ich mir die Pflichten, wozu sie sich verbindlich macht: aber wehe mir, wenn mich auch nur Eine derselben an einen Mann binden sollte, dem ich mich nicht aus reier Neigung ergeben hätte!

Noch weiß Krates nichts von meiner Gesinnung gegen ihn: aber ich kann kaum zweifeln, daß mir, wenn er deinen Beifall hatte, der seinige nicht fehlen würde. Und warum, mein Vater, solltest du ihm deinen Beifall versagen? Was könnte gegen ihn einzuwenden seyn? Er stammt aus einem alten Thebanischen Geschlecht, — ein Vorzug, der dir vielleicht weniger gleichgültig ist als mir, — er hat eine edle Erziehung genoffen; seine Armuth kann ihm nicht -um Vorwurf gereichen, denn sie ist frei­ willig ; er war Erbe und Herr eines großen Vermö­ gens; und was seine Gestatt betrifft, so denke ich, wenn er mir schön genug ist, werde daS, waS er in diesem Stück zu viel oder zu wenig haben mag, bei dir in keine Betrachtung kommen. Alles übrige

Krates und HLppqrchia»

217

spricht laut für ihn. Es dürfte wohl schwer seyn, in der ganzen Hellas einen Mann zu finden, der dem Bilde, das uns Xenophon und Simmias von dem weisen Sokrates hinterließen, ähnlicher wäre als er. Auch wird die Urbanität seiner Sitten, und die Anmuth seines Umgangs allgemein gerühmt. Möchtest du ihn doch durch dich selbst zu kennen Lust bekommen! Ich bin gewiß, sein persönlicher Werth würde dich bewegen, über alles, was nur Leute die ihn nicht kennen, oder Thoren, gegen meine Wahl einwenden werden, hinaus zu gehen, und deine Hipparchia durch eine Einwilligung glück­ lich zu machen, ohne welche sie zwar ewig deine ge­ horsame Tochter, aber auch nichts anders alS deine Tochter, bleiben würde. Den iötcn Skirrophorion.

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Krates und Hipparchia.

XVII. Hipparchia an Melanippe. Ich habe dir wenig erfreuliches zu berichten, meine Freundin. Mein Vater ist diesen Abend ziemlich spät üngekommen. Ich ging ihm mit offnen Armen und klopfendem Herzen entgegen; aber er schreckte mich mit einem Blick zurück, dessen Ernst mir durch die Seele ging, und mir das Ansehen einer Verbreche­ rin in feinen Augen geben mußte. Wahrend ich ei­ nige Augenblicke im Boden eingewurzelt stand, eilte er an mir vorbei, und als ich mich zusammenraffte, ihm zu folgen, war er schon aus meinem Gesicht. Bin ich nicht eine Thörin?'Was für Ursache hatt' ich denn seinen Ernst zu fürchten? Hab' ich ihn belei­ digt? Bediene ich mich nicht bloß meines Rechts? Und kann ich mehr thun, als ihm, falls er meine Wahl mißbilligt, angeloben, daß ich bleiben will wie ich bin. Aber ich schreibe dir ja, als ob du meinen Brief, den er diesen Morgen durch deinen Verwandten er­ hielt, schon gelesen hattest,? Hier ist er. Ich habe einen Theil-der Nacht dazu angewandt diese Abschrift für dich zu machen. Sie ist voller Verkürzungs-

Krates und Hipparchia.

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-eichen, aber du wirst sie ohne große Mühe entzif­ fern können. Sage mir, findest du etwas in diesem Briefe, das einem immer begünstigten Kinde den Jörn eines zärtlichen Vaters zuziehen müßte? Hattest du denken sollen, daß er so stark an dem Sohne seines alten Freundes hinge? Freilich sind sie Stammgenossen; sein schönstes Gut grenzt unmittelbar an eine große Meierei des Chabrias, und vielleicht haben die alten Herren schon ein Planchen zusammengerechnet, wie, durch meine Ueberlassung an Leotychus, aus beiden Gütern ein prächtiges und einträgliches Gan­ zes werden könnte. Ein so leidenschaftlicher Land­ wirth, wie mein Vater, verliebt sich leicht in einen solchen Plan: aber ist es billig, daß ich Arme das Opfer davon werde? Ten i7ten Skirrophorion.

Mein Vater und Leukonoe haben sich, wie mir Lesbia sagt, schon seit einer Stunde eingeschlossen. Das Mädchen, das so feine Ohren hat wie ein Maul­ wurf, hörte die alte Dame ziemlich laut krähen, konnte aber nur einzelne Worte aufhaschen, woraus nichts abzunehmen war, als daß von mir die Rede sey.

HO

Krales und Hipparchia.

AuS der ungewöhnlichen Kalle und Trockenheit, womit Leukonoe mir diesen ganzen Tag begegnete, so oft sie nicht vermeiden konnte mit mir zusammenzutreffen, schließe ich, daß sie unser Geheimniß aus der alten-Myrto herausgepreßt hat. Nun wird sie mäch­ tig große Augen gemacht haben, wie sie hörte, daß mein Vater alles, und noch mehr atS sie ihm sagen konnte, bereits von mir selbst erfahren hatte. Das trotzige unverschämte Mädchen! hör' ich sie ausrufen; und, erbittert wie sie auf mich ist, wird sie gewiß nichts vergessen, was meinen Vater gegen mich auf­ bringen kann. — Doch wozu plage ich mich mit sol­ chen Gedanken? Es ist spat; ich habe in der letztern Nacht keine Ruhe gehabt; ich will mich in die Arme des Schlafs legen, und so sanft schlummern, wie es einem guten arglosen Mädchen zukommt, dessen einziges Verbrechen ist, daß sie den ziemlich häß­ lichen Krates (mit meiner Freundin Melanippe zu reden) dem bildschönen Gecken LeotpchuS vorzieht.

Den ißten Skirrophorion.

Diesen Morgen, Liebe, habe ich den erste« Sturm glücklich ausgehalten. Leukonoe überfiel mich in meiner Schlafkammer, bevor ich mich völlig angekleidet hatte, was ich seit einiger Zeit immer

Krates und Hipp^archia.

Ml

selbst und ohne Beihülfe verrichte. »So war ich also eine Prophetin, ohne es selbst zu wissen!" fing sie mit ziemlich kreischender Stimme und höhnischem Na­ serümpfen an; »der schöne Krates also ist es, dem der kahlköpfige, bucklichte, plattnasige Leotnchus auf­ geopfert wird! Eine herrliche Wahl, das muh ich gestehen! Bist du denn verrückt, Mädchen? Und oben drein noch die acht cynische Unverschämtheit, so etwas deinem Vater geradezu zu gestehen, und mit einer Entschlossenheit, als ob ihm nun weiter nichts übrig sey, als zu einer so tollsinnigen Wahl ja zu sagen!* In diesem Tone fuhr sie mit einer unglaublichen Behendigkeit der Zunge, während ich mich vollends anzog, eine ganze Weile fort, ohne daß ich Miene machte, sie zu unterbrechen. Endlich währte mir'5 doch zu lange. Ich trat ganz gelassen, aber ohne die kleinste Spur von der Schüchternheit, die der ehrliche Krates an dem jungfräulichen Knaben Hipparchides bemerkt haben wollte, vor sie hin, und sagte ihr mit der äußersten Kaltblütigkeit: Wozu dieser Strom von Schmähungen, liebe Tante? Sey so gut und sage mir mit Gelassenheit was du mir zu sagen hast, und ich will dir mit der Achtung ant­ worten, die ich dir schuldig bin.

Sie machte eine rasche Bewegung mit der Hand, alS ob sie mir einen Schlag versetzen wollte, zog sie

222

Krates und Hipparchia.

aber, mit einem, sehr unnöthigen, Seitenblick auf meine zur Nothwehr ziemlich kräftigen Arme, schnell wieder zurück. Du solltest meine Tochter seyn, rief sie, ich wollte dich fühlen lasten, was eine solche Rede verdient! So ist es glücklich für mich, daß ich deine Tochter ni*cht bin, erwiederte ich mit einem Ton, als ob ich ihr etwas sehr schmeichelhaftes gesagt hatte. »Mädchen, Mädchen! Reize mich nicht durch deine herausfordernde Kaltblütigkeit!" Das ist ganz und gar nicht meine Absicht, Leukonoe; gerade weil ich dich gern besänftigen möchte, bleibe ich bei Beleidigungen, die ich nicht verdiene, so ruhig. Ich werde nie vergessen, daß du meiner guten Mutter Schwester bist. »Erinnere mich nicht an deine Mutter! Wie würde sie sich gegrämt haben, wenn sie eine solche Schmach an ihrer einzigen Tochter hätte erleben müssen! Wohl ihr, daß sie unter der Erde ist!"

Wollte Gott, sie lebte noch! rief ich bis zu Thränen gerührt: sie würde mir nicht begegnen wie du; sie würde mich anhören — »Was ist da anzuhören, fiel sie mir in die Rede, wenn die Tochter eines edeln Atheners, wie Lamprokles, sich einem im Lande herumziehenden Theba nischen Bettler an den Hals werfen will?"

Wie? fragte ich mit naiver kindisch-lächelnder Verwunderung, hat dich Krates wirklich an­ gebettelt? So aufgebracht sie war, konnte sie sich doch kaum des Lachens enthalten. Sie wandte sich plötz­ lich von mir weg, warf sich in einen Armstuhl, hu­ stete ein paar Mal, und schien unschliisiig, wie sie es anfangen sollte, um mir beizukommen. Ich fühlte Mitleiden mit der armen Frau: denn es war mir leichter, mich an ihren Platz, als ihr, sich an den meinigen, zu setzen. Ich näherte mich ihr langsam und ehrerbietig, und sagte: liebe Tante, denke nicht auf einmal so schlimm von einer Nichte, die du vier und zwanzig Jahre lang liebtest. Wenn du meinen Brief an meinen Vater gelesen hast, so kann dir, hoffe ich, nichts darin aufgestoßen seyn, was eine so ungewohnte Strenge rechtfertigen könnte. Ich habe das mir zugestandene Recht ausgeübt, indem ich den Leotychus ausschlug, den ich unmöglich hoch genug achten kann, um sein Weib zu werden. Ich habe einen andern empfohlen, bei dem ich nichts zu wagen glaube, der in meinen Augen alles in sich vereinigt, was ich bei dem Manne finden will, mit welchem ich zu leben wünsche. Glaubt man, daß ich mich täusche, halt man mich nicht für verständig genug zu wissen, was mir das zuträglichste ist, so hat mein Vaterja das Recht, mir seine Einwilligung zu ver-

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Krateö und Hipparchia.

sagen. Aber wenigstens, darf ich doch hoffen, daß man die Gründe für und wider meine Wahl in ruhige Erwagung ziehen werde. Der Mann, gegen den

man eifert, ist weder dir, noch meinem Vater naher bekannt. Die öffentliche Meinung von ihm if noch getheilt: aber das schlimmste, was man ihm nach­ sagt, ist, daß er ein Sonderling sey. Man wird sich unvermerkt an seine Sonderlichkeiten gewöhnen,

und zuletzt wird üfar seinen Charakter und innern Werth nur Eine Meinung seyn. Da indessen weder etwas unrechtes noch ungereimtes pnd beispielloses in meinen Wünschen ist, so sehe ich nicht, womit ich die ungütige Behandlung verdient hatte, die ich seit her Rückkunft meines Vaters erfahren: und so hoffe ich, du selbst,Werdest, nach yuhiger nicht bloß einseitiger

Ueberlegung der Sache, .finden, -daß eine solche-Beo Handlung kein Mittel ist, ein edlesGemüth-zu. Aende­ rung seines Sinnes zu bewegen. Leukonoe schien, wahrend ich sprach, mit ihren Gedanken anderswo zu seyn, und mir nur mit hal­ bem Ohre zuzuhören. Als ich wieder schwieg, stand sie hastiK auf und sagte: du bist eine Sophistin, Hipparchia! ich verlöre nur meine Zeit/ wenn ich mit dir über langst ausgemachte Dinge Haberechten wollte. Ich werde mich nicht jn deinen abenteuerlichen Lie­ beshandel mengen, sondern dich deinem Vater über­ lassen, der npn die schönen Früchte seiner über-art­ lichen Nachsicht in reichem Maße erntet. Mit diesem

Krates und Hipparchia.

225

Worte begab sie sich wer?, und ich habe sie den gan­ zen Tag nicht wieder gesehen.

Ich ließ meinen Vater durch mein Mädchen um Erlaubniß bitten, mit ihm zu sprechen. Es wurde mir, unter dem Vorwand daß er keine Zeit habe, abgeschlagen. Ich suchte ihm mehr als einmal im Garten zu begegnen: aber er ging mir immer schon voo fern aus dem Wege. Man brachte mir das Essen auf mein Zimmer, und eine Stunde darauf erhielt ich Befehl, mich auf den folgenden Tag zu einer Reise auf unser Gut bei Marathon anzu­ schicken. Man halt es also für nöthig, mich von Athen zu entfernen, und hofft vermuthlich durch die Zeit von mir zu erhallen, was man sich m|f keinem andern Wege zu be irken getraut. Was mich bei dieser Versetzung am meisten krankt, ist nicht, daß ich von Athen, sondern, daß ich weiter von dir entfernt werde. Diesem Ungemach kann indessen ab­ geholfen werden, wenn du einen -uverläßigen und schnellfüßigen Sklaven hast, dem wir unsere Briefe anvertrauen können. Den gegenwärtigen wirst dv noch durch Besorgung deines treueifrigen Verehrers Cutyphron erhalten. WtrlandLNl.

28- Vb.

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Krates und Hipparchia.

Siehe da den Wölfin der Fabel! So eben steckt mir Lesbia (die nicht weniger als ich selbst auf allen Tritten und Schritten beobachtet wird) die lang erwartete Antwort unsers Philosophen zu, die sie von dem unermüdeten Eutyphron, in einem un­ bewachten Augenblick, im Flug erhascht hat. Kannst du glauben, daß ich, mit der größten Ungeduld seinen Inhalt zu erfahren, dennoch eine gute halbe Stunde den Muth nicht hatte, das Siegel zu lösen? Mein pochendes Herz erinnerte mich an ein Wort, das ich dir in einem meiner letzten Briefe geschrieben Hatter »am Ende werde die größte Schwierigkeit in der Weisheit des Mannes liegen, mit dem wir eS zu thun habend Meine Ahnung ist nur zu sehr eingetroffen! Welche Antwort! Welche Strenge! Welche Kälte! Wenn ihm auch nur ein Wort, ein einziges armes Wörtchen, entwischt wäre, worausich vermuthen ließe, daß er sich Gewalt habe anthun muffen, mir mit solcher Hm e zu begegnen! Wie eifrig er flch's^ angelegen seyn läßt, mich einem an­ dern in die Arme zu jagen! — Sage, hatte mich eine solche Antwort nicht erbittern sollen? Und mir selbst noch sagen zu muffen: er hat Recht! er konnte mir, ohne feine eignen Grundsätze zu verläugnen, keinen andern Rath geben! — Ich Thörin! Warum stellte ich auch meine Frage so? Ich bin an allem selbst Schuld! Konnte ich keine bessere Wendung nehmen, um an sein Herz zu kommen? Albernes

Krates und HLpparchia.

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Ding das ich war! Ich meinte wie gut ich meine Sache gemacht hätte, und nun seh' ich klar, daß ich ihn in die Nothwendigkeit setzte, mir diese Antwort -u geben, wenn er auch nicht gewollt hätte! Fin­ dest du es nicht auch so, Melanippe? Ich setzte mich sogleich in der ersten Bewegung hin, und antwortete ihm, was mir meine Empfind­ lichkeit über ihn, und mein Unmuth über mich selbst, eingab. Hier schicke ich dir eine Abschrift beider Briefe. Den seinigen behalt' ich zurück, um ihn so oft zu lesen bis ich mich mit ihm versöhne, oder — stark genug werde, seinem Rathe zu folgen; den meinigen soll er morgen erhalten, sobald ich abge­ reist bin. Ich habe nur mit vieler Mühe erlangen können, daß Lesbia mich begleiten darf. Dafür aber wird mir eine alte hohläugige Sklavin meiner Tante, die, glaub' ich, vor fünfzig Jahren ihre Amme war, und ihrer Wachsamkeit wegen im Hause berühmt ist, als Aufseherin zugegeben, und zum Ileberfluß noch ein großer handfester Lümmel von einem Kappado­ zier, der uns zum Beschützer dienen soll. Lächer­ lich! Sie bilden sich doch nicht ein, daß ich ihnen davon laufen werde? Schreibe mir, sobald du kannst, nach Marathon, und sage mir deine Meinung von meinem Brief­ wechsel mit dem weisen fischblütigen Böozier. Mich dünkt, ich bin nun um vieles ruhiger. Ich mache

22ß

Krates und Hipparchia.

wir sehr angenehme Vorstellungen davon, wie unsre Göttin, ewig Jungfrau zu bleiben. Leotychus wenigstens und meine Tante sollen nicht viel dabei gewinnen, daß Krates mich nicht haben will. Den ipten Skirrophorion.

xvin. Krates an Hipparchia.

Da die unvermuthete Umwandlung meines jungen Freundes Hipparchides in die schöne Hipparchia ohne Nachtheil für ihn und mich (wie ich hoffe) abgetanfen ist: so wollen wir dazu als zu einer geschehenen Sache das Beste reden, oder, was noch raihsamer seyn mag, gar nicht davon reden. Alles was ich mir mit Rücksicht auf diese kleine Ao nm alte zu sagen erlauben will, ist, daß sie mir die Pflicht auferlegt, bei dem Rathe, welchen Hip­ parchia von mir verlangt, um so behutsamer zu Werke zu gehen, je leichter es geschehen könnte, daß eine unfreiwillige Erinnerung an den verschwundenen Hipparchides den Rathgeberparteiischer machen könnte, als ihm erlaubt ist zu seyn, wenn er das Vertrauen rechtfertigen soll, womit sie ihn begünstigt.

Du meldest mir, daß deine nächsten Verwandten dir einen Jüngling, den ich mit ganz Athen unter dem Namen des schönen Leotychus kenne, wider deine Neigung zum Gemahl aufbringen wollen; und du begehrst nun von mir zu wissen, ob du schuldig seyest, das Glück deines Lebens den Wünschen eineS getauschten Vaters aus kindlicher Liebe aufzuopfern?

Und wer ist, frage ich vor allen Dingen mich selbst, die Person, welche dir eine Aufgabe vorlegt, die vielleicht im Munde von tausend andern Attischen Töchtern nichts auffallendes hätte? — Ist es nicht eben diese Hipparchia, die, schon im frühen Morgen ihres Lebens vom Licht der Philosophie an­ gestrahlt, aus der betäubenden Dumpfheit, worin die verpuppten Seelchen ihrer meisten Geschlechts­ schwestern ihr Daseyn verträumen, zum Gefühl der Würde ihrer Natur erwacht ist? Die, nicht zufrie­ den sich in die bloßen Pflichten ihres Geschlechts einengen zu lassen, nach einer höhern und reinern Art zu seyn, nach männlicher Weisheit und Tugend, kurz, nach dem höchsten Punkt, der dem Menschen erreichbar ist, emporzustreben sich getraut? Hätte diese Hipparchia nicht in demselben Augenblick, da jene Frage in ihrem Busen sich erhob, auS dem in­ nersten Heiligthum des Gottes in ihr die Ant­ wort vernehmen sollen:

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Krates und Hipparch ia.

»Was ist deine Tugend, wenn sie vor einem »Opfer erschrickt, das sie der Pflicht bringen »soll? Aber habe ich denn keine Pflichten gegen mich selbst, fragt die verkappte Eigenliebe. Nein, Hipparchial Pflichten beziehen sich nur auf Andere. Der Mensch hat Pflichten gegen Bettern, Familie, Vater­ land, gegen die Menschen überhaupt, gegen die ganze Natur: denn diese alle haben ein Recht an ihn, zu dessen Besitz sie nur in so fern gelangen können, als er die davon abstammenden Pflichten erkennt und ausübt. Ohne Zweifel ist Selbsterhaltung die Grundlage aller Forderungen, welche die Natur in allen ihren Beziehungen auf uns macht. Ich muß da seyn, um die Pflichten erfüllen zu können, wo­ mit ich der Natur verhaftet bin. Aber dazu wur­ den stärkere Springfedern als das bloße Pflichtgefühl erfordert. Dazu hat uns die Natur mit Trieben versehen, deren Wirkung so mächtig ist, daß es selbst den Weisesten und Besten nicht immer leicht ist, sie zu beherrschen, und den Pflichten, mit welchen sie immer im Streit liegen, zu unterwerfen. Sie kann sich in jedem Menschen sicher auf die Starke dieser Triebe und auf ihre Hinlanglichkeit zu dem, wozu sie uns gegeben sind, verlassen. Aber es ist Selbst­ täuschung, wenn der Mensch Tr ieb e z u P flichten adeln will, und so oft dieß geschieht, liegt un-

Krates und Hipparchia.

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fehlbar irgend eine verschleierte Begierde, sich aus eigennützigen Bewegursachen einer wirk­ lichen Pflicht -u entziehen, im Hinterhalt. Wenn ich dir aber auch, damit ich nicht um Worte zu streiten scheine, zugebe, daß du Pflichten gegen dich selbst habest: so bleiben sie doch immer höhern Pflichten untergeordnet, und das Selbst darf in keine Betrachtung kommen, sobald es mit dem, was wir andern schuldig sind, in Widerspruch gerath. Aber hier bewundere mit mir die Weisheit der Natur, die uns eine solche Selbstverläugnung durch einen andern, edlern und nicht minder mächtigen Trieb erleichtert hat. Brauche ich dir diesen erst zu nennen, Hipparchia? Was sind wir nicht fähig für diejenigen zu thun, die wir lieben? Welche Mühe, welche Sorgen, welche Leiden sind uns zu schwer, wenn wir sie für eine geliebte Person auf uns nehmen? Laß uns nun die vorgelegte Frage wiederholen, und ich glaube es dir selbst überlassen zu dürfen, daß du sie aus der sophistischen Sprache des Eigen­ nutzes in die Sprache des reinen Pflichtgefühls über­ setzest. Wie? eine Seele gleich der deinigen hatte nicht Starke genug, aus Liebe zu einem Vater, der die zärtlichste Anhänglichkeit um dich verdient hat, ihre Wünsche den seinigen aufzuopfern? Wie könnte sie, ohne von irgend einer selbstsüchtigen Leidenschaft

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KrateS und Hipparchia.

verblendet zu sesin, im ersten Augenblick, da Lin Zweifel hierüber iw ihrer Brust aufstiege, sich selbst verbergen, die kindliche Lieke muffe sehr schwach seyn, Vie der Pflicht ein solches Opfer nicht mit Freuderzu bringen vermöchte. Und worin besteht es denn am Ende, diesel schwere Opfer, welches ein gütiger Vater mehr von der Liebe seiner Tochter erwartet, als von ihrer Pflicht fordert? Wenn die Rede davon wäre, daß sie, wie^Andromeda und Psyche, um den Göttern für irgend ein schweres Verbrechen ihrer Erzeuger zu büßen, einem Ungeheuer ausgeliefert werden-sollte, so Möchte ihr eine Anwandlung von Mitleiden- Mit sich selbst billig zu verzeihen seyn. Aber dem schönen, talentvollen, zu den ersten Wür­ den der Republick geeigneten Leotychus, wäre er auch mit viel größern Fehlern behaftet als du an ihm rügest, zur Gemahlin gegeben zu werden, wird, außer dir selbst, schwerlich jemand für ein großes Unglück halten. Die Fehler, die dich so sehr an ihm beleidigen, würden dir unbedeutend scheinen, wenn du ihn liebtest. Es sind theils Fehler der Ju­ gend, die sich unvermerkt von selbst verlieren, theils ziemlich allgemeine Eigenschaften der Leute seines Standes und der Manner überhaupt. Sie find weder unheilbar, noch so beschaffen, daß ein Mann, der von andern Seiten jchatzenswürdig ist, (und das muß er doch seyn, da er den Beifall deines Vaters

ÄratcS un- Hipparchia.

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hat,) sich um ihrentwillen der Achtung eines tugend­ haften Weibes unwerth halten feilte: noch viel we­ niger könnten sie dich verhindern, die heiligen Pflich­ ten der Gattin und Mutter zu erfüllen, und im Bewußtseyn sie erfüllt zu haben dich glücklich -u fühlen. Wenn du deine Lage in diesem Lichte betrachtest, edle Hwparchia, so sehe ich nicht, warum du nicht mit einiger Anwendung der Seelenstarke, die du zu besitzen scheinst, zu der verdienstlichen Entschließung gelangen könntest, den Wünschen deines Vaters nach­ zugeben, und, um den Preis einer großmüthig auf­ geopferten Neigung'oder Phantasie, das schöne Be­ wußtseyn zu erkaufen, daß die Zufriedenheit seiner alten Tage das Werk deiner Tugend sey. Den isten Ckirrophorion.

234

Krates und Hipparchia.

XIX.

Hipparchia an Krates. Nein, ehrwürdiger Krates, ich will gegen dich, odir die Weisheit die aus dir redet, nicht die Sophstin spielen! Ich will auch nicht fragen, ob du mt einem wirklichen Hipparchides, der sich in meinen Fall befunden hatte, eben so streng verfahren waref, als mit der armen, in ihre eigene Gestalt zurückglschreckten Hipparchia. Ich danke dir vielmehr für diese Strenge; sie ist heilsam, sie führt mich zr meiner Pflicht zurück. Ich will sie bekämpfen, und werde sie bezwinge, diese selbstsüchtige Leidenschaft, die de, Wahn, daß ich mir selbst etwas schuldig sey, in tiiv erzeugte, und es mir schwer machte, das, was io (vielleicht auch hierin getauscht) für das Glük meines Lebens hielt, den Wünschen eines lieben» den und geliebten Vaters aufzuopfern. Du hast iiuq zu dem demüthigen Gefühl gebracht, wie viel mr noch fehlt, bis ich mich, ohne deinem Ruhm zu sch» den, für deine Schülerin bekennen dürfte: aber der Muth weiser zu werden, will ich darum nicht out’ geben. Fahre fort, o mein ehrwürdiger Meister, mio

Krates und Hipparchia.

235

ohne Schonung in dem Pflichtgefühl zu stärken, daS du wieder in mir erweckt hast; du sollst nicht ver­ gebens arbeiten! Möchte nur irgend eine freundliche Gottheit das Wunder, was die Göttin Isis an der Tochter des Ligdus gethan haben soll, an mir wiederholen, und die unglückliche Hipparchia, die ein tyrannisches Vorurtheil deines Umgangs und mündlichen Unterrichts beraubt, um beides ungehin­ dert genießen zu können, in diesem Augenblick auf ewig in einen wirklichen Hipparchides verwan­ deln ! Den 2vsten Ckirrophorion.

XX. Ebendieselbe an Melanippe.

Diesen Morgen lre»ß mich mein Vater in sein Kabinet rufen, um iniv meine Verweisung auf sein Land­ gut zwischen Marathon, und Brauron selbst anzukünden. Ich fand ihn in seinem Armstuhl sitzend, und näherte mich ihm langsam und wider meinen Willen schüchtern; denn ich hatte mir vor­ gesetzt heiter und ruhig zu seyn. Strenger Ernst und stiller Gram hingen wie ein Gewölk um seine

236

Krateö und Hipparchia.

ehrwürdige Stirn;

nur der Ton,

womit er mich

anredete, war sanfter als ich bei seinem ersten An» blick hoffen durfte. Nach einer ziemlich langen Pause sing er an: Hipparchia, du gehst nach Marathon; die Luft von Athen taugt nicht langer für'dich. Hier hielt er ein, einen Blick auf mich heftend,

der mich weichherziger machte als mir lieb war.

Hipparchia, fing er wieder an, wann hatt" ich je gedacht, daß du, das Kind meines Herzens, das dir immer nur Freude machte, das mir so theuer war,'weil dein Anblick mir immer deine Mütter m der Blüthe ihres LebenS vor die Augen stellte, wann hätt' ich's je für möglich gehalten, daß du mich da­ hin bringen würdest, mich anders als durch meinen Tod von dir zu trennen? Innigst gerührt ließ ich mein Gesicht auf sein» Hand sinken, und er mußte fühlen, daß sie von me» nen Thränen naß wurde. O mein Dater, rief ich, sobald ich zu reden vermochte, laß mich immer bei dir bleiben? Warum willst du deine Hipparchü verstoßen?

Auf einmal stieg die finstere Wolke wieder über seinen Augenbraunen auf; er entzog mir seine Hand, und ich wankte etliche Schritte zurück. »Verkehrtet, unbegreifliches Mädchen! wie kannst du einen jun­ gen Mann wie Leotpchus, den Sohn meines Freun-

Krates und Hipparchia^

237

des, die anständigste und unverwerflicbste Partie, Lie ich in ganz Attika für dich finden tonnte, ver­ schmähen, um dich einem mißgeschaffncn, grillenfän* gerischen, vor lauter Weisheit übergeschnappten, lumpichten Böozier an den £a($ -u werfen?a Verzeihe, mein Vater, er ist nichts von allem diesem. »Der Mensch muß einen Zauber auf dich geworfen haben, Mädchen! Du bist deiner Sinne nicht mehr mächtig! Und ich sollte dich, nach der wahnsinnigen Erklärung, die du mir gethan hast, noch langer in seiner Gewalt lassen?" Er kennt mich nicht einmal, mein Vater, er weiß nicht — »Wie? (fiel er mir in die Rede) Du erfrechst dich mir zu sagen, er kenne dich nicht, und du bist, deinem eigenen Gesiändniß nach, seit vier Monaten beinahe alle Tage mit ihm zusammen gekommen!a

Seit dem 6ten Thargelion nicht wieder, und vor­ her in einen Jüngling verkleidet, wie ich dir in meinem Briefe gestanden habe. Er kannte mich nie als Hipparchia. »Also itzt wenigstens kennt er dich, als bas was du bist!" Ich erblaßte über meine Unvorsichtigkeit.

238

Krates und Hipparchia.

»Unglückliche, rief er mit einem Blick der mich zittern machte, du gebrauchst Kunstgriffe gegen dei­ nen Vater?-

O lieber Vater, denke nicht so wegwerfend von deinem Kinde! Ich erblaßte nicht auS der schnöden Ursache die du argwohnst. Ich schwöre dir bei der heiligen Athene, Krates hat mich nie als Hipparchia gesehen noch gesprochen. Er weiß nichts von meiner Neigung, und ist weit entfernt sie zu er­ wiedern. »Und das hoffst du mich glauben zu machen?Glaub' es deinen Augen, rief ich, vom schmerz­ lichsten Gefühl des Unrechts, das ihm und mir zugefügt wurde, überwältigt, indem ich seinen Brief aus dem Busen hervorzog, und meinem Vater überreichte.

»Was soll mir das?" fragte er. ES ist die Antwort, die ich von Krates auf den ersten und einzigen Brief erhielt, den ich an ihn geschrieben habe. »Du schriebst also zuerst an ihn?e

Um mir über meinen Fall mit Leotychus seinen Rath auszubitten.

»Und was rieth er dir?-

Meinem Vater ohne Weigerung zu gehorchen.

Krates und Hipparchia.

LZ9

Lamprvkles schien verwundert und verlegen. Er überlas den Brief, erst flüchtig, dann an einigen Stellen langsamer, wiegte den Kopf, (wie er zu thun pflegt, wenn ihm etwas bedenklich oder un­ glaublich vorkommt,) und schwieg eine gute Weile. Ich stand in verwirrter Erwartung, nachflnnend und ungewiß, ob ich recht oder unrecht gethan, ihm den Brief zu geben. Hipparchia, sagte endlich mein Vater, nachdem er bis zum Schluß des Briefs gekommen war, du kannst nichts beffers thun als dem Rath dieses Krates zu folgen, der wenigstens ein ehrlicher Mann zu seyn scheint. Ich wünsche ihm folgen, ich wünsche dir gehorchen zu können, mein Vater; aber ich fürchte, es ist mehr als in meinem Vermögen steht. Albernheit, Albernheit! rief er, unwürdig einer Tochter, die immer so verständig war!

Das Herz, lieber Vater, ist nicht immer in unsrer Gewalt. »Das ist nicht die Meinung deines Philoso­ phen! — Gut! Ich will dir Zeit zum Besinnen lassen, •— drei, vier Dekaden, noch mehr, wenn es seyn muß. Der stille einsame Aufenthalt auf mei­ nem Gut bei Marathon schickt sich ganz dazu, dich wieder zu dir selbst zu bringen, und die Harmonie

240

Lrates und Hipparchicu

zwischen deinen Neigungen und Pflichten wieder herzustellen. Gehe, Hipparchia, setzte er hinzu, indem er von seinem Sitz aufstand, — in Kurzem hoffe ich dich unter einem fröhlichern Gestirn wiederzusehen-z und damit schlüpfte er eilends in fein Schlafzimmer, und schloß die Thür hinter sich.*

Ich stand noch einige Augenblicke wie verblüfft und nun merkte ich, daß er meinen Brief mit sich genommen hatte. Warum, wozu that er das?

Meine Gedanken liefen hin und her. Zuletzt schien eS mir, meine Ucbereilung könnte doch eher gute als nachtheilige Folgen haben, und ich wurde ruhiger, indem ich dieser Vorstellung nachhing. Alles war zur Abreise fertig. Ich wollte noch von meiner Tante Abschied nehmen, aber sie war diesen Morgen in aller Frühe nach Munychia aba­ gangen. Sie will mich fühlen lassen, wie ungehalten fle auf mich ist: aber vor ihrer ungebetenen Thätig­ keit werd' ich mich darum nicht weniger zu fürchten haben.

Ich bin nun auf dem Gut bei Marathon angekommen. Das Haus ist ansehnlich und bequem, von den schönsten Ahornen und großen Pflanzungen fruchtbarer Baume aller Arten umgeben. Die Land­ schaft ist eine der anmuthigsten in Attika. Aber ich bin allein, und, (wie Lesbia von der alten Krobyle gehört hat,) es soll mir nicht erlaubt seyn,

Krates und Hipparchia.

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weder "Besuche M geben noch Mzunehmen. Da ich zu weit von dir entfernt bin, um -einen Besuch von dir hoffen zu können, so ist mir diese Einschrän­ kung sehr gleichgültig; desto mehr werde ich mich nut meinen eigenen Gedanken unterhalten. Es fehlt mir nicht an BücherU, und das große göttliche Buch, worin ich am Liebsten lese, Liegt überall, wo ich Hinblicke,- vor mir aufgeschtagem Die Lehren, die ich dqraus ziehe/ sind der Absicht, weßwegen man mich hreher verbannt hat, nicht sehr förderlich. Mir fehlt hier nichts als du und Krates, oder auch, im Nothfall,, Krates allein, um mich, bei dem ge­ ringsten Antheil von allem andern was zum mensch­ lichen Leben gehört, für das glücklichste aller Wesen zu Hallen. In Ermanglung deiner selbst, liebste Melanippe, sind itzt deine Briefe ein sehr dringendes Bedürfniß für mlch: denn mir ist nur gar zu oft, als ob du noch der einzige Faden seyest, an dem ich mit der Welt zusammen hange. Den 2isten Skrrrophorion.

Wrelands W

2ß, Bd

242

Krates und Hipparchia.

XXI. Melanippe an Hipparchia.

Der alte Großoheim ist endlich auf immer schlafen gegangen, sein Schatten nach Attischem Gebrauch aufs vollständigste beruhigt worden, und meine Mutter in voller Arbeit, seine sämmtliche Verlassen­ schaft in Besitz zu nehmen, und dann A< eher je lieber nach Athen (außer welchem, wie sie sagt, kein Leben ist,) -urückzukehren. Unser Freund Eutyphron, dessen Anhänglichkeit an mich durch den Zuwachs von dreißig Talenten zu meinem künftigen Erbgut nicht vermindert worden ist, wird inzwischen immer auf der Straße seyn Unsern Briefwechsel zu befördern, und uns fleißig mir den Neuigkeiten zu versehen, an Venen und gelegen ist. Er hat sich zu diesem Ende einen Thrazischen Klepper angeschafft, der dem Winde nahe zu gleich lauft; und er scheint eS dir nicht wenig Dank zu wiffen, daß du ihm eine so schöne Gelegenheit giebst, sich um mich verdient zu machen. Die Antwort, die du von unserm Philosophen bekommen hast, ist gerade wie ich sie von einem Mann erwartete, den fein einmal erwähltes System zum Selbstpeiniger verdammt. Sein Kopf und seine

Ärates und Hipparchia.

24z

Hand durften dir keinen andern Rath geben: aber ich will meine ganze Erbschaft verloren haben, wenn sein Herz nicht jedes Wort, was er zu Gunsten des schönen Leotychus verliert, mit lautem Pochen Lügen straft. Aber beinahe eben so laut mußt' ich, mit deiner Erlaubniß, über die Antwort lachen, die du ihm stehendes FußeS, im ersten Feuer deiner Dankbarkeit für seine guten Lehren, hast zukommea

lassen. Wenn du glaubst, er werde alle die schönen Dinge, die du ihm geschrieben, im buchstäblichen Sinne nehmen, und den verliebten Verdruß nicht merken, der aus deinen Versicherungen und guten Vorsätzen, wie die bloße Haut aus dem durchlöcher­ ten Mantel einer Bettlerin, hervorscheint, so betrügst du dich gewaltig, liebe Hipparchia: die Antwort, die dir Eutyphron morgen unfehlbar zu überbringen hat, wird meine dreiste Vorhersage rechtfertigen. Aber waS das Ende von dem allem seyn wird, so weit erstreckt sich meine WeiffagungSgabe nicht. Doch bin ich nicht ohne Hoffnung, daß der Brief, den do deinem Vater zu lesen gegeben hast, etwas mehr als einen bloß vorübergehenden Eindruck auf ihn gemacht haben könnte. Der Umstand, daß er ihn zurück be­ halten hat, ist von guter Vorbedeutung. In der That, Liebe, wenn du ihm den Brief mit Vorbe­

dacht hattest in die Hande spielen wollen, du hattest die erste Gelegenheit dazu mit keiner beffero Art ergreifen können.

244

Krateö und Hipparchia.

Gegen deine Verweisung in die reizenden Gefilde von Marathon hab' ich nichts einzuwenden, als die Entfernung von Acharna, und ein geheimes Grauen vor deiner Nachbarin, derPiana zu Brauron. In ganzem Ernst, es kommt mich zuweilen eine Furcht an, du möchtest einmal in einer deiner heroi­ schen Launen pfeilgerade nach dem Tempel der Göttin rennen, und ihr ewige Iungfrauschaft angeloben. Denn daß weder Artemis noch IsiS es so übel mit dir meinen, dich in einen Jungen zu verwandeln, darauf kannst du dich verlassen. Mit der schönen Iphiö war es ein ganz anderer Fall. Was hatte daS arme Ding, heimlicher Weise von der Mutter als ein Junge aufgezogen, und vom Vater (dem ihr Geschlecht ein Geheimniß bleiben mußte) an das schönste Mädchen in ganz Kreta verheirathet, mit seiner geliebten Braut anfangen sollen, wenn die Götter sich nicht ins Spiel gemischt hatten? Vergiß nicht, was ich von dir selbst gelernt habe, daß es nicht erlaubt ist, einen Knoten durch Dazwischenkunft einer Gottheit zu zerhauen, so lange noch ein natür­ liches Mittel ihn zu entschlingen übrig ist. Du flehest, liebes Schwesterchen, ich thue mein Bestes, dich mit meiner guten Laune anzustecken. Kur- und unverblümt von der Sache zu reden, ich habe, in Hoffnung eines glücklichen Ausgangs, dieser Tagen ein paar Dutzend prächtige Rosenstöcke in Töpfe gesetzt, die bis -um nächsten Game Lion

Krates und Hipparchia.

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voller Rosen für dich hangen sotten; und wenn die Unglücksprophetin Kassandra selbst käme, und mir Jammer und Noth ankündigte, ich würde ihr, mit aller gebührenden Urbanität, die Thür weisen. Lebe wohl! Den zten Hekatombäon. (Julius.)

XXII. Diogenes an Krates.

Ich borge die Augen und die Hand meines Freundes Teniades, um deinen Brief -u lesen und zu beantworten; denn meine eigenen wollen mir die gewohnten Dienste nicht mehr thun. Ich hatte großes Unrecht, wenn ich mich darüber beklagen wollte. Ich habe mein neunzigstes Jahr hinter mir; es ist, wie du siehst, endlich Zeit vom Gastmahl der Natur aufzustehen, und, mit Dank, zu sagen ich bin satt. Das wollen die Götter der Liebe und der Freude nicht, daß rch über das glückliche Unglück lachen sollte, das du gehabt hast, da du, in aller Unschuld und Unbefangenheit deines Herzens einher­ schlendernd, unversehens in Liebe gefallen bist. Ich selbst habe zwar, weil mein Schicksal es so wollte, mein ganzes langes Leben ehlos, wiewohl nicht kin-

246

Krates und Hipparchia.

dertos, zugebracht z denn die Söhne meines XeniadeS sind durch Erziehung und Liebe die meinigen gewor­ den : aber noch in dem hohen Atter, wozu ich gelangt bin, haben mir die Götter so viel gesunden Menschen­ finn übrig gelassen, daß ich mich, bei Gelegenheit deines Abenteuers, noch mit zartem Gefühl der schö­ nen Lais erinnerte, deren großherziger Denkart ich'S zu danken habe, daß ich nicht aus der Welt gehen muß, ohne erfahren zu haben, wie glücklich ein Weib, wie Lais, einen Mann, wie Diogenes, machen kann. Ich denke zwar nicht, daß ein Mann, der sich der Philosophie und den Musen ergeben hat, heirathen soll, wenn er's Umgang haben kann: aber dein Fall mit Hipparchia gehört unter die Auönahmen. Ware mir im Lauf meines Lebens eine Hipparchia aufgestoßen, die es so ernstlich mit mir gemeint hatte, wie diese mit dir, ich hatte sie nicht akgtwiesen, das versichere ich dichl Was die Leute davon sagen werden, soll dich so wenig kümmern, als es mich gekümmert hätte. Die Frage ist, wie du selbst dich bei ihr befinden wirst? Eine Gattin, wie Hip­ parchia, kann weder der Freiheit deines Geistes noch der Ruhe deines Gemüths gefährlich werden; und wenn sie nicht so schön wäre als du sagst (vielleicht weil du sie mit den Augen der Liebe siehst) so würde ich mit Platons Aristophanes sagen, du hättest glück­ licher Weise deine Hälfte gefunden.

Krates und Hipparchia.

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»Aber der Vater wird nicht einwilligen.* — Das ist freilich eine schlechte Aufmunterung! Aber warum solltest du, mit allem dem, was du persönlich werth bist, die Freundschaft eines verständigen und wackern Mannes nicht gewinnen können? Zumal eines Vaters, der seine Tochter so zärtlich liebt wie dieser. Ich sehe hier keine Unmöglichkeit: und so lange das, was wir wünschen, nicht unmöglich ist, war' es voreilig alle Hoffnung aufzugeben. Inzwischen, lieber Krates, hast du dich gegen Hipparchia auf eine deiner würdige Art benommen. Du konntest ihr, da sie deinen Rath verlangte, keinen andern geben, als die Pflicht der Neigung vorzuzie­ hen; und da dein Begriff von der Pflicht auch twr meiflige ist, so habe ich dir darüber nichts weiter zu sagen. Wenn wir nicht glücklich sind, so ist es doch schön, wenn wir es zu seyn verdienen. Me aber auch die Würfel fallen mögen, glücklicher kannst du mit Hipparchia werden, unglücklich, auch ohne sie, niemals! Lebe wohl, Krates! Wenn du etwas an Sokra­ tes, Antisthenes, Krito und ihre Freunde zu bestellen hast, so melde mir's in Zeiten: denn ich werde jenseits erwartet, und wahrscheinlich ist der Augenblick der Abreise nicht mehr fern. Den zosten Skirrophorion.

348

Krates und Hipparchia.

XXIII. Krates an Hipparchia. Mit solchen Gesinnungen/ solchen Entschließungen/ wie deine Antwort mir zeigt/ edle Hipparchia, bist du was du seyn sollst; so beweisest du dich der Philosophie würdig, der du dich ergeben hast: der Philosophie, die, anstatt ihre Freunde mit spitzfün­ digen Grübeleien über daS Unbegreifliche und Uner­ reichbare um ihr Daseyn zu betrügen, sie geraden Wegs zu dem erreichbaren hohen Ziel ihrer Bestim­ mung hinführt, und die göttliche Idee der Tugend in ihrem Leben darzustellen strebt. Nur eine gefühl­ lose Härte könnte mich fähig machen, die^ leise Klage zu schelten, die dir über meine Strenge entfahren ist. Wie grausam müßte der Wundarzt seyn, der, während einer schmerzhaften Operazion, dem Leiden­ den nicht einen kleinen Schrei oder eine sanfte Klage über die Hand, die in seiner Wunde wühlt, zu gut halten wollte? Wenn ich recht muthmaße, daß du deiner Pflicht gegen deinen edeln Vater nicht bloß eine Abnei­ gung, sondern (was freilich ein weit größeres Opfer ist) eine an sich selbst untadeliche Neigung auf­ opferst, so wird der Sieg, den du über dich selbst erhalten wirst, desto verdienstlicher seyn. In diesem

Krates unb 5^ ipparchia.

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Fall möchtest du vielleicht glauben, dein kaltblütiger Arzt habe gut operiren und Vorschriften geben, da er die brennende Schärfe seines Messers, und die Bitterkeit seiner Arzneien nicht aus eigner Erfah­ rung kenne. Ich will dich nicht länger in diesem Irrthum lassen, Hipparchia. Glaube mir, nur daö Bewußtseyn, daß ich nicht schonender mit mir selbst verfahre, konnte mir Muth machen, so strenge For­ derungen an dich zu thun. Mein ganzes Herz hängt mit der reinsten Liebe an einer Person, die Alles was liebenswürdig ist in sich vereinigt. Ich bin überzeugt, sie ist die einzige, mit der ich in der engsten Verbindung glücklich seyn würde. Aber unersteigliche Hindernisse liegen mir im Wege. Heilige Pflichten untersagen mir jeden Versuch, diese Hinder­ nisse zu überwältigen. Ich fühle die ganze Stärke dieser Pflichten; aber ich fühle auch die ganze Schwache der Menschennatur, und der Sieg kostet manchen harten Kampf. — Möge dieß Gestandniß dich mit der Strenge deines Freundes versöhnen! Zwei unumschränkte Mächte fordern von dem freien Menschen unbedingte Unterwerfung, die Noth­ wendig ke i t und die P f l i cht. Wohl dem, der schon so früh wie du in der Schule der Weisheit an den Gehorsam gewöhnt wird, welchen er jener nicht entziehen kann, dieser nicht entziehen darfLebe wohl! Den 28sten Skirrophorion.

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RsfrUi ^ttnb HLppsrchla.

XXIV, Hipparchta an ® e (anrpptr Da,

Metanippe, tieS — und erstaune! -?-* Znm zweiten und dritten Mal hab' ich'S gelesen, und frage mich noch immer ob meine Augen bezaubert sind. Wer härte sich daS vorgestellt? — Arme Hipparchia! — Aber du, Mclanippe, warum mußtest

du meiner Thorheit schmeicheln ? Warum das glim­ mende Fünkchen, dessen ich mir kaum bewußt war, recht geflissentlich anfächeln und nähren? Siehe nun, du vorschnelles Mädchen, was du angerjchtet hast.' Mir fahren seltsame Gedanken durch den Kopf. — Ist sein Herz wirklich für eine Andere eingenommen? (Zu Athen lebt sie nicht, das bin ich gewiß.') Oder hatte er vielleicht gar in meinen Briefen an ihn etwas von meinem Geheimniß gewittert, und daS alles, was er mir im Vertrauen von seiner unglücklichen Herzensangelegenheit schreibt, wäre bloß erdichtet, um mir aus einmal alle Hoffnung zu benehmen, und seinen leidigen Ermahnungen einen desto grökern Nachdruck zu geben?— Schreibe mir unverzüglich, was du von der Sache denkst. Den 2ten Hekatombäon.

Lrale«S an- Ht>parchia^

251

XXV« Metanipp« an Hipparchia.

Daß man die Liede mit einer Binde tnn die Augen

wählt, ist eine bekannte Sache: aber, daß sie auch ein Mädchen mit so hellen JunonsaUgm und einem fö klaren Verstand, wie meine Freundin, blind, stock - und starrblmd machen könne, hatte ich erst ooch zu lernen. Wie? Du merkst wirklich nichts? Greifst nicht mit Händen, daß der ungenannte Gegen­

stand seiner zarten Liebe keine andere ist als Hippar» chra, Lamprokles Tochter, eine Dame, an welche freilich ein Mann wie der befcheidenstolze Kratts vernünftiger Weife keinen Anspruch machen kann; gumal da sie von ihrem vornehmen und reichen Vater bereits an den vornehmen, reichen, und obendrein schönen Leotychus versagt ist. Gute, werfe, scharfflnnige Hrpparchia, siehst du denn nicht, daß der feinste aller Attischen Köpfe kerne fernere Arr, drr eine verdeckte Liebeserklärung zu thun, hätte ersin­ nen können als eben diese? Stille also deinen Schmerz, liebe Seele, und gieb den Gedanken, die drch um nrchtS und wieder nichts quälen, nicht länger Gehör! — Du wirst sagen, meine Erklärung sey aufs höchste eine bloße

252

Krates und Hipparchia»

Hypothese. Laß es seyn was du willst, und antworte ihm nur, als ob meine Hypothese die einzig wahre wäre, d. i. als ob du ihn zwar nicht verstehen wolltest, aber sehr gut verstanden hättest; und du wirst sehen, es thut Wirkung. Du hast vermuthlich schon erfahren, daß dein Bruder Metrokles von seiner langen Reise endlich zurückgekommen ist. Mich verlangt zu sehen, was für schöne Sachen er uns von Karthago und Syrakus mitgebracht hat. Aber noch ungeduldiger bin ich, was er zu dem Heirathsantrag des alten Chabrias sagen wird. Leotychus und er haben sich, wie ich höre, von der Schule her nicht recht leiden können. DaS ist Wasser auf unsere Mühle, Hipparchia! Meine Mutter kam dieser Tagen auf den Einfall, Leotychus, weil du ihn doch nicht haben wolltest, wäre so ein Mann für mich. E u t y p h r o n, meinte sie, sey wohl ein guter Mensch; aber nun, da ich eine der besten Parthien in der Stadt gewor­ den, sey er nicht mehr reich genug für ihre einzige Tochter. Liebe Mutter, sagte ich, du bist sonst eine treffliche Rechnerin, aber dießmal rechnest du nicht gut. Legen wir ihm das, was er itzt zu wenig für mich hat, von dem, was ich zu viel für ihn habe, zu, so ist das Gleichgewicht wieder gestellt. Sie nannte mich einen Kindskopf; aber ich fiel ihr um den Hals und liebkosete ihr so lange, bis sie mir ihr Wort gab, der erste Gamelion sollte unser Hoch-

Krates und HLpparchia.

*53

zeittag fetm. Wär' es nicht abscheulich, wenn der arme dienstfertige Detter für alt sein Laufen und Rennen und Spionniren und Briefchenbestellen, am Ende mit einem kahlen Schöndank! abgefunden wor­ den wäre? Aber bis wir uns zu Athen Wiedersehen, soll er seinen Botenlohn noch redlich verdienen l Den yten tzekatombaon.

XXVI.

Hipparchia an Krates. Wir sind einander auf einem seltsamen Wege begeg­ net, bester Krates; aber da wir uns nun einmal begegnen sollten, warum wollten wir nicht, so lange als möglich, munter und traulich mit einander fort stapfen? Unsre Gesinnungen, unser Schicksal, mnser Anliegen, alles hat so viel Aehnlichkeit, daß ich fest glaube, wir mußten einander zu unserm wechsel­ seitigen Troste finden. Es scheint wunderlich, aber dein Beispiel macht mir Muth, und ich denke, das meinige sollte bei dir dieselbe Wirkung thun. Warum wollten wir der Hoffnung entsagen? Mein Vater, wenn er meine Beharrlichkeit sieht, wird nicht uner­ bittlich bleiben; und auf der andern Seite, wie sollte ein Mann wie du unübersteigliche Schwierigkeiten finden ?

Ärafreti and Hipparchia.

254

Verzeihe indessen deiner Schülerin und Freundin, daß sie ungeduldig ist, die Glückliche, die du allen andern vorziehst, fennäi zu Lernen. Wenn sie sich mir entdecken wollte, wer weiß ob ich nicht Mittel sande, euch zu dienen? Wenn du liebst, so wirst da unfehlbar wieder geliebt, und wer wollte fich da nicht ^ino Pflicht daraus machen, die Zufriedenheit einrö solchen Paarö zu befördern? Ich hoffe, du wirst dir auL meiner Zurückhaltung keinen Beweg­ grund mache», auch gegen mich zurückhaltend zu seyn. Geziemt in solchen Fallen einem Mädchen nicht Schüchternheit? Aber zu dir hat mehr Vertrauen keine Grenzen, und sobald du wir den Namen deiner GrlieLten entdeckst, sollst du auch unter dem Siegel der Verschwiegenheit erfahren — Doch nein! zu viel will ich nicht versprechen. Mein Geheimniß gehört nicht mir allein: es ist in der Gewalt meines Freundes, und nut wenn ich seine Einwilligung erhalte, darf und soff KntteS in HipparchienS innerster Seele lesen.

Den rrteu Hekatombaon.

LrateS und Hipparchia.

»55

XXVIL WetrokleS

Freue dich mit mir,

Hipparchia. liebe Schwesters

Die Götter

haben deinen Met^otleö, nach einer Wanderschaft von zwei vollen Jahren, glücklich wieder in das väterliche Haus zurückgeführt. Welch ein Augenblick das war, da mir, auf dem Verdeck fitzenden und mir unverwandten gierigen Augen nach meinem geliebten Ithaka hiustarvenden, auf titimaC der ehrwürdige Cekroplsche Fels mit dem schimmernden Par­ thenon auf der Stirne wieder sichtbar würde! In meinem Leben werd ich nichts mehr fühlen, was dieftm überströmenden Wonnegefühl gleicht. +-« Ich habe viel erwandert, viel Großes und Wunderbares, gesehen, aber eins Stadt, die mit unserm schönen Athen zu vergleichen wäre, giebt es auf dem ganzen Erdboden mcht. Doch davon künftig, wenn wir, Alle wieder vereinigt, im häuslichen Kreise Unter dem prächtigen Ahorn unsers Vorhofs sitzen, und ich in eurer Mitte^ eben so geschwätzig, aber weniger lügenhaft alS Odysseus, euch die Abenteuer meiner Herumirrungen erzählen werde. Als ich unserm Hause mit raschem Schritten -ueilte, wie freute ich mich,

meine Hipparchia,

nach einer

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Krates und Hipparchia.

so langen Trennung dein liebes Angesicht wieder zu sehen! Ich hatte, um euch nicht gar zu unversehens zu überraschen, meinen Dromo vorangeschickt, und hoffte, du würdest die erste seyn, die mir aus der Thür des väterlichen Hauses mit offnen Armen ent­ gegen flöge. Ich fand mich übel getäuscht. Wo ist Hipparchia, rief ich mit ängstlich klopfendem Herzen, und erfuhr nun nach und nach — alles, was mir deine Abwesenheit begreiflich machen sollte. Aber wie wirst du dich wundern, wenn ich dir sage, daß ich (den einzigen Umstand deiner Verweisung nach dem Marathonischen Gut ausgenommen) von deiner Geschichte bereits .so gut und noch besser unterrichtet war, als der Vater und die Tante? Du vermuthest ohne Zweifel, ich werde einen Jauberspiegel oder einen magischen Ring, der mir die Geister unterwürfig macht, von meinen Reisen mitgebracht haben? Das-nicht, Schwesterchen! Laß dir sagen, wie es damit ganz natürlich zuging. Ich brachte, (wie du weißt) vor meiner Reise drei Jahre zu Korinth zu. Dort lernte ich deinen Freund Krates kennen, gesellte mich zu seinen Schülern, gewann seine Zuneigung, ward ein ganz andrer Mensch durch ihn als du mich vorher.kanntest, und fakte dafür auch eine Liebe zu ihm, die nur mit meinem Leben erlöschen wird. Als ich auf meiner Rückreise von Syrakus nach Korinth kam, war mein erstes, dem Philosophen Krates nachzufragen. Ich

Krates und Hipparchia.

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erfuhr von dem neunzigjährigen Diogenes, (der seit mchrern Jahren bei seinem edeln Freund Xeniades lebt und im ganzen Hause wie ein guter Genius angesehen und geehrt wird) daß er seit geraumer Zeit nach Athen gezogen sey. Wie der ziemlich schwach gewordene Greis sich endlich meiner Person und der ehemaligen Zuneigung seines Freundes zu mir wieder erinnerte, trug er kein Bedenken, mir Alles, was ihm von deinem Verhältniß zu demsel­ ben bekannt war, zu entdecken, und mir sogar die von Krates erhaltenen Briefe mitzutheilen. Ich weiß also Alles, liebe Schwester, und ich kann dir nicht ausdrückcn, wie glücklich mich der Gedanke macht, daß du das Band werden sollst, das den Mann, den ich vor Allen ehre, an unser Haus knüpfen wird. Die Schwierigkeiten, die uns noch int Wege stehen, wegzuräumen, soll nun meine Sache seyn.' Unsre Base Melanippe, deine Vertraute, die seit Kurzem wieder hier ist, sagt mir, du zweifeltest noch, ob Krates dich liebe. Ueber diesen Punkt, gutes Mädchen, lege nur immerhin dein Herz zur Ruhe. Krates ist zwar keiner schwindlichten Leiden­ schaft fähig; aber die Art von Liebe, die er für dich fühlt, ist die einzige, die dieses Namens werth ist. Sie wird ihn weder Thorheiten noch Verbre­ chen um deinetwillen begehen machen; aber dieß allein ausgenommen, ist nichts, was er nicht dir zu lieb zu thun oder zu leiden fähig wäre. Kurz, Wielands W. 2Z. Bd. 17

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Krates und Hipparchia.

du wirst Ursache finden, dich für die glücklichste der Weiber zu halten, wenn du die ©einige wirst. In­ dessen darf ich dir nicht verbergen, daß er noch kei­ nen Begriff davon zu haben scheint, daß eine solche Verbindung zwischen euch unter die möglichen Dinge gehöre; und ich fürchte sehr, wofern der Antrag nicht unmittelbar von unserm Vater selbst an ihn gelangt, wird er nie glauben, daß Lamprokles ihm seine Tochter mit gutem Willen gebe. Von diesem Punkt sind wir freilich noch weit entfernt; aber Geduld, Zeit und Beharrlichkeit haben schon man­ ches zu Stande gebracht, was niemand für möglich gehalten hatte. Die Tante ist sehr unzufrieden mit dir. Der Vater scheint es weniger zu seyn; doch hat er bis­ her, so oft ich deiner erwähnte, die Rede sogleich auf etwas anders gelenkt. Gegen Krates scheint er -mir nicht ohne Dorurtheile zu seyn; sie werden aber einer ganz andern Meinung Platz machen, wenn ich ihm erst (was nächstens geschehen soll) umständ­ lich entdeckt haben werde, wie viel wir beide, ich um meiner selbst, er um seines Sohnes willen, die­ sem Krates schuldig sind. Das erste und nöthigste, was ich zu unterneh­ men hatte, schien mir, die Sache mit Leotychus auf eine gute Art abzuthun. Wir kamen deßwegen zu­ sammen, und du brauchtest eben nicht eitler zu fern als die meisten deines Geschlechts, um dich ein wenig

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beleidigt zu finden, daß es mir so wenig Mühe kostete, dich von diesem Beschwerlichen zu befreien. Er sagte anfangs viel Schmeichelhaftes über deine seltnen Eigenschaften, setzte aber hinzu: er höre, daß du noch keine Lust habest, dich in's ehe­ liche Joch spannen zu taffen, und er höre es mit desto großen« Vergnügen, weil dieß gerade sein Fall auch sey. Er liebe seine Freiheit noch zu sehr, als daß er sie selbst einer Hipparchia auf­ zuopfern versucht seyn könnte. Auch habe er es be­ reits bei seinem Vater so weit gebracht, daß von der vorgeschlagenen Verbindung keine Rede mehr seyn werde, wofern wir über diesen Punkt mit ihnen gleicher Meinung waren. Ich versicherte ihn dessen mit Mund und Hand, nicht ohne das ver­ bindlichste Bedauren, daß ich der Ehre, einen Leotychus zum Bruder zu erhalten, entsagen müßte; und so trennten wir uns, dem Anschein nach, als die besten Freunde von der Welt, und haben uns seit­ dem — nicht wieder gesehen. Von dieser Seite kannst du also ruhig seyn, Schwesterchen. Der junge Eutyphron dringt darauf, daß ich mich seiner eben so frei bedienen soll, wie du und Melanippe bisher gethan habt. Er ist em sehr wackerer junger Mensch, und unserm Freund eifrig ergeben. Um jedoch seinen guten Willen nicht zu mißbrauchen, schicke ich meinen Dromio mit diesem Brief an dich. Sobald ich dir etwas angenehmes

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