Bewerbungsgespräche mit Ost- und Westdeutschen: Eine kommunikative Gattung in Zeiten gesellschaftlichen Wandels [Reprint 2011 ed.] 9783110915129, 9783484304413

Differences in the linguistic behaviour of West and East Germans have so far been traced largely in the area of lexis. T

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German Pages 259 [260] Year 2001

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Table of contents :
Einleitung
1 Forschungsüberblick und Methoden
1.1 Forschungsüberblick
1.2 Methodisch-theoretische Grundlagen der Arbeit
2 Datenkorpus
2.1 Datentypen
2.2 Datenerhebung und -transkription
3 Die kommunikative Gattung “Bewerbungsgespräch”
3.1 Das Bewerbungsgespräch als Gattung
3.2 Die Außenstruktur
3.3 Die Zwischenstruktur
3.4 Die Binnenstruktur
3.5 Zusammenfassung
3.6 Maximen der Interviewführung im Bewerbungsgespräch
4 Normen der Gattung im Gespräch
4.1 Explizite und implizite Rekurse auf Gattungswissen
4.2 Zwischenresümee
4.3 Konkurrenz um das legitime Wissen
5 Typische Fragen – Präferierte Antworten
5.1 Fragen zur Selbstattribuierung
5.2 Die Gehaltsfrage
5.3 Die Perspektivenfrage
5.4 Zusammenfassung
6 “Kritische Momente” im Bewerbungsgespräch
6.1 Agreement preferred? – Nichtübereinstimmung im Gespräch
6.2 Verfahren der Nichtübereinstimmung von Interviewenden
6.3 Reaktionen der Bewerbenden
6.4 Ost/West-Differenzen
6.5 Zusammenfassung
Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
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Bewerbungsgespräche mit Ost- und Westdeutschen: Eine kommunikative Gattung in Zeiten gesellschaftlichen Wandels [Reprint 2011 ed.]
 9783110915129, 9783484304413

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Linguistische Arbeiten

441

Herausgegeben von Hans Altmann, Peter Blumenthal, Hans Jürgen Heringer, Ingo Plag, Heinz Vater und Richard Wiese

Karin B irkner

Bewerbungsgespräche mit Ost- und Westdeutschen Eine kommunikative Gattung in Zeiten gesellschaftlichen Wandels

Max Niemeyer Verlag Tübingen 2001

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Birkner, Karin: Bewerbungsgespräche mit Ost- und Westdeutschen : eine kommunikative Gattung in Zeiten gesellschaftlichen Wandels / Karin Birkner. - Tübingen : Niemeyer, 2001 (Linguistische Arbeiten; 441) Zugl.: Hamburg, Univ., Diss., 1999 ISBN 3-484-30441-3

ISSN 0344-6727

© Max Niemeyer Verlag GmbH, Tübingen 2001 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Druck: Weihert-Druck GmbH, Darmstadt Einband: Industriebuchbinderei Nadele, Nehren

Danksagung

Die vorliegende Arbeit ist untrennbar mit dem DFG-Projekt "Sprachgebrauchswandel in den neuen Bundesländern am Beispiel alltagsrhetorischer Strategien in Bewerbungsgesprächen" verbunden. Mein Dank gilt deshalb seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, deren Unterstützung, Tatkraft und Ideen im Laufe der Zeit in das Projekt eingeflossen sind. Meiner Kollegin Friederike Kern möchte ich nicht nur für die fruchtbare Zusammenarbeit danken, sondern auch für das Teilen von Freud und Leid des wissenschaftlichen Alltags. Besonderer Dank gilt Peter Auer für seine konstruktive Betreuung als Doktorvater und für die gelungene Mischung aus Kollegialität, Führung und zugestandener Eigenverantwortlichkeit als Chef. Das wichtigste Forum außerhalb des Projektes, in dem verschiedenste Vorstufen der vorliegenden Arbeit intensiv diskutiert werden konnten, war die "Arbeitsgruppe Konversationsanalyse". Hier ist Ilona Packe und Birgit Apfelbaum sowie noch einmal Friederike Kern zu danken, deren Fachkompetenz, Interesse und Kooperativität sich während der letzten Jahre nachhaltig positiv auf die Entwicklung der vorliegenden Arbeit ausgewirkt haben. Für mich als Westdeutsche, die zum Thema Ost/West arbeitet, war der Austausch und die Diskussion mit den Hallenser und Leipziger Mitarbeiter/inne/n des Forschungsverbundes „Fremdheit in der Muttersprache" Jörg Palm, Stefan Richter und Wilma Kauke von besonderer Bedeutung. All jene zu benennen, deren Diskussionsbeiträge auf Tagungen und Arbeitstreffen in die Arbeit eingeflossen sind, ist unmöglich; gedankt sei hier stellvertretend Ricardo Wolf für einige hilfreiche kritische Anmerkungen. Auch dem Zweitkorrektor Norbert Dittmar möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich danken. Nicht unerwähnt bleiben sollen außerdem Susanne Birkner, Thomas Duve, Ines Lange und Sofia Pick für die orthographische und stilistische Beratung sowie Michael Kockert für seine unermüdliche Hilfe bei der Lösung meiner Computerprobleme. Und last but not least gilt mein Dank den Bewerber/innen und Interviewer/innen, die sich der wissenschaftlichen Dekonstruktion ausgeliefert haben.

Inhalt

Einleitung 1 Forschungsüberblick und Methoden 1.1 Forschungsüberblick 1.1.1 Institutionelle Kommunikation 1.1.2 Bewerbungsgespräche in der linguistischen Forschung 1.1.3 Ost/West-Kommunikation in der linguistischen Forschung 1.1.4 Interkulturelle Kommunikation 1.2 Methodisch-theoretische Grundlagen der Arbeit 1.2.1 "Kontext" in der Gesprächsanalyse 1.2.2 Luckmanns Konzept der "Kommunikativen Gattungen" l .2.3 Der empirische Zugang zu deutsch-deutschen Bewerbungsgesprächen 2 Datenkorpus 2.1 Datentypen 2.1.1 Die authentischen Bewerbungsgespräche 2.1.2 Die Rollenspiele 2.1.3 Die Nachbesprechungen 2.1.4 Die Experteninterviews 2.2 Datenerhebung und-transkription 3 Die kommunikative Gattung "Bewerbungsgespräch" 3.1 Das Bewerbungsgespräch als Gattung 3.2 Die Außenstruktur 3.2. l Gesellschaftliche Funktionen und Ziele von Bewerbungsgesprächen 3.2.2 Die Institutionalität von Bewerbungsgesprächen 3.3 Die Zwischenstruktur 3.3.1 Thema 3.3.2 Dialogizität 3.4 Die Binnenstruktur 3.4.1 Schlüsselwörter und Topoi 3.4.2 Formalität 3.5 Zusammenfassung 3.6 Maximen der Interviewführung im Bewerbungsgespräch 3.6.1 Erste Maxime: Eine Atmosphäre der Offenheit schaffen 3.6.2 Zweite Maxime: Nicht nur auf das "Was", sondern auch auf das "Wie" hören 3.6.3 Dritte Maxime: Nach kritischen Momenten suchen 3.6.4 Vierte Maxime: Von Vergangenem auf die Zukunft extrapolieren 3.6.5 Paradoxe Anforderungen? 3.6.6 Zusammenfassung 4 Normen der Gattung im Gespräch 4.1 Explizite und implizite Rekurse auf Gattungswissen 4.1.1 Normative Formulierungen

l 7 7 7 9 14 19 31 32 34 42 45 45 45 48 50 50 52 55 56 56 57 66 70 70 82 102 102 103 106 107 107 108 109 110 112 115 117 119 119

VIII 4.1.2 Spielräume 4.1.3 Lehr-Verfahren 4.1.4 Lektionen 4.2 Zwischenresümee 4.2.1 Belehrungen über Gattungswissen 4.2.2 Lektionen für Ostdeutsche? 4.3 Konkurrenz um das legitime Wissen 4.3.1 Ein schismogener Verlauf. 4.3.2 Die Nachbesprechung 4.3.3 Zusammenfassung: Differenzen oder Defizite? 5 Typische Fragen- Präferierte Antworten 5.1 Fragen zur Selbstattribuierung 5.1.1 Thematisierungsvarianten 5.1.2 Relevanz der Fragen 5.1.3 Analyse der Antworten auf Selbstattribuierungsfragen 5.1.4 Die Rollenspiele 5.1.5 Unterschiede zwischen Ost- und Westbewerbenden 5.2 Die Gehaltsfrage 5.2.1 Thematisierungsvarianten 5.2.2 Antworten 5.2.3 Unterschiede zwischen Ost- und Westbewerbenden 5.2.4 Aussagen der Expert/inn/en 5.2.5 Rollenspiele 5.3 Die Perspektivenfrage 5.3.1 Thematisierungsvarianten 5.3.2 Unterschiede zwischen Ost- und Westbewerbenden 5.3.3 Verwendung von Schlüsselwörtern in den Antworten auf die Perspektivenfrage 5.4 Zusammenfassung 6 "Kritische Momente" im Bewerbungsgespräch 6.1 Agreement preferred? - Nichtübereinstimmung im Gespräch 6.1.1 Studien zum Präferenzsystem 6.1.2 Dissens im Gespräch 6.2 Verfahren der Nichtübereinstimmung von Interviewenden 6.2.1 Suggestivfragen 6.2.2 Psychologisierende Deutung 6.2.3 Konfrontation mit Widersprüchen 6.3 Reaktionen der Bewerbenden 6.4 Ost/West-Differenzen 6.4.1 Konflikte als Thema im Bewerbungsgespräch 6.4.2 Die Experteninterviews 6.5 Zusammenfassung Schlussbetrachtung Literaturverzeichnis

122 126 129 133 133 134 135 136 141 147 151 151 152 154 155 160 161 167 169 172 175 177 178 179 179 180 183 188 191 191 196 198 201 ....201 203 206 210 223 225 229 232 235 239

Einleitung

Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen sind ein Thema, das mehr als zehn Jahre nach der Wiedervereinigung in den Medien und auch in der (Sprach-)Wissenschaft noch immer aktuell ist. Dass die Kategorien "Ostdeutsch/Westdeutsch"1 als dichotomische Ausschlusskategorien Verwendung finden, ist zwar nicht unbedingt ein Garant dafür, dass im Sprachverhalten von Deutschen tatsächlich Unterschiede vorhanden sind; fuhrt man sich jedoch die Dauer von 40 Jahren vor Augen, in denen zwei getrennte Gesellschaften existiert haben, so erscheint es zumindest plausibel, solche Differenzen zu erwarten. Seit der Maueröffnung 1989 und der Wiedervereinigung 1990 vollzieht sich im Osten Deutschlands ein gesellschaftlicher Umbruch, der nahezu alle sozialen und privaten Bereiche des Lebens durchzieht und der vor allem für die Ostdeutschen Konsequenzen hat. Der Beitritt der damaligen DDR zur Bundesrepublik brachte Ost und West zwar die Chance des Zusammenwachsens, war für die Ostdeutschen jedoch gleichbedeutend mit einer Einwanderung in ein anderes System [...]. Sie wurden Teil des 'einen Volkes' und wurden es auch wieder nicht, denn die 'Vereinigung' bedeutete nicht die Verschmelzung beider Teile, sondern die Integration des 'fremden' Teils in den bereits vorhandenen; die Ostdeutschen wurden zu Fremden im eigenen Land. (Grötsch 1994:45)

Diese "Fremdheit" wird im täglichen Leben z.B. immer dann erfahren, wenn Ostdeutsche mit Institutionen konfrontiert werden, mit denen sie bis dahin keine oder wenige Erfahrungen gemacht haben. Die neuen Strukturen sind mit fremden, weitgehend unbekannten Handlungsmustem verbunden; diese nicht zu kennen oder erst kennen lernen zu müssen bedeutet nicht nur einen erhöhten Aufwand, sondern birgt auch das Risiko, Ziele zu verfehlen. In institutionellen Settings treffen nicht selten Ostdeutsche auf westdeutsche Institutionsvertreter/innen; sie geraten damit in Situationen, die - wie Untersuchungen zur Interkulturellen Kommunikation in anderen Bereichen gezeigt haben (vgl. Kap. 1.1.4) - aufgrund sprachlich-kommunikativer Unterschiede zu Misskommunikationen fuhren können. Solche Begegnungen zwischen Ost- und Westdeutschen unter den Bedingungen institutioneller Kommunikation finden in den Situationen, in denen die Daten der vorliegenden Untersuchung erhoben wurden, statt: Bewerbungsgespräche von Ostbewerbenden mit westdeutschen Einstellenden. Bewerbungsgespräche haben in der DDR erst im Zuge des gesellschaftlichen Wandels Bedeutung erlangt; da sie in der DDR eine eher periphere Rolle bei der Arbeitsplatzvergabe gespielt haben,2 sind sie für Ostdeutsche eine weitgehend neue

Die Denomination des Untersuchungsgegenstandes ist nicht unproblematisch; angesichts der Umständlichkeit vieler Bezeichnungen wie "Deutsche aus den neuen" oder den "alten Bundesländern" oder der "ehemaligen DDR" und der "Bundesrepublik vor/nach der Wiedervereinigung" usw. werden in der vorliegenden Arbeit vorrangig die Bezeichnungen "Ost- und Westdeutsche" respektive "Ost- und Westdeutschland" verwendet, die auch im Alltagssprachgebrauch sehr verbreitet sind. Es stehen zwar keine wissenschaftlichen Untersuchungen über Bewerbungsgespräche in der DDR zur Verfugung, es kann aber davon ausgegangen werden, dass sie eine andere Rolle bei der Vergabe von Arbeitsplätzen gespielt haben, als in der alten bzw. neuen Bundesrepublik. Das berichten

institutionalisierte Interaktionsform. Auf dem westlichen Arbeitsmarkt dagegen spielen Bewerbungsgespräche seit langem eine zentrale Rolle bei der Vergabe von Arbeitsplätzen. Sie stellen eine Hürde dar, die als ein Selektionsinstrument über Partizipation oder Marginalisierung (mit)entscheidet; eine Tatsache, die gerade in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist. Die vorliegende Arbeit entstand im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projektes "Sprachgebrauchswandel in den neuen Bundesländern am Beispiel alltagsrhetorischer Strategien in Bewerbungsgesprächen" ? Auf der Basis des Datenkorpus des Projekts, das sich hauptsächlich aus Bewerbungsgesprächen mit ost- und westdeutschen Bewerbenden zusammensetzt (vgl. Kap. 2), entstand neben dieser Arbeit außerdem die Dissertation von Friederike Kern (im Erscheinen). Die beiden Arbeiten verfolgen unterschiedliche, aber sich in vieler Hinsicht ergänzende Fragestellungen: Während Friederike Kern stärker Fragen von Kulturalität und Interkulturalität verfolgt, beschäftigt sich die vorliegende Arbeit mit der kommunikativen Gattung "Bewerbungsgespräch". Natürlich spielt sowohl die kulturelle Zugehörigkeit Ost/West als auch die Situation Bewerbungsgespräch für beide Arbeiten eine zentrale Rolle; die unterschiedliche Gewichtung spiegelt sich jedoch deutlich in den theoretischen Vorarbeiten wider: Während Friederike Kern sich ausführlich mit der Forschungsgeschichte und Begriffsklärung von Kultur und Interkulturalität befasst, liegt der Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit vor allem in der Gattung "Bewerbungsgespräch". Somit ergänzen sich die Arbeiten und vertiefen Aspekte, die in der jeweils anderen ebenfalls eine - wenn auch weniger zentrale - Rolle spielen. Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist es zu untersuchen, ob sich in einer vergleichbaren Situation, dem Bewerbungsgespräch, rekurrente Unterschiede im sprachlichen Verhalten von Ost- und Westbewerbenden feststellen lassen. Als Voraussetzung für die Bearbeitung dieser Fragestellung müssen zunächst die Bedingungen und konstitutiven Elemente der institutionalisierten Interaktionsform "Bewerbungsgespräch" geklärt werden. Hinsichtlich der Bedingungen institutioneller Kommunikation stellt die linguistische Forschung bereits fundierte Erkenntnisse aus den unterschiedlichsten institutionellen Settings bereit, die auch für Bewerbungsgespräche gültig sind (vgl. 1.1.1). Zur Erfassung der konstitutiven Elemente von Bewerbungsgesprächen kann ebenfalls auf eine umfangreiche Forschungsliteratur zurückgegriffen werden; diese beschreibt u.a. die typischen Beteiligungsrollen und die damit verbundene Verteilung des Rederechts, die Phasenstruktur und Themenorganisation sowie Ziele und versteckte Strategien der Beteiligten (vgl. 1.1.2). Für die linguistische Untersuchung sprachlicher Merkmale bei der Realisierung des Gesprächstyps einerseits und den Vergleich von Ost- und Westbewerbenden andererseits ist ein Konzept erforderlich, dass sowohl sprachliche Strukturen im Mikrobereich als auch die gesellschaftliche Einbettung von Bewerbungsgesprächen zu erfassen vermag. Dieses leistet das Konzept der "kommunikativen Gattungen"; seine theoretisch-methodischen Grundan-

auch ostdeutsche Personalfachleute in den Experteninterviews, die im Rahmen des Projektes durchgeführt wurden (vgl. Kap. 2). Das DFG-Projekt unter der Leitung von Prof. Peter Auer arbeitete im Forschungsverbund "Fremdheit in der Muttersprache" mit zwei weiteren DFG-Projekten zusammen, dem Projekt Wissenstransfer und Wertewandel als Kommunikationsproblem an der Universität Halle unter Leitung von Prof. Gerd Antos und den zwei Projekten Sprachbiographien und Ritualitäi im Wandel an der Universität Leipzig unter Leitung von Prof. Ulla Fix.

nahmen und die Strukturmerkmale von Gattungen werden in Kap. 1.2.1 ausführlich diskutiert. In der vorliegenden Arbeit wird die Rolle der Sprache im Mittelpunkt stehen. Da linguistische und konversationelle Strukturen auf verschiedenen Ebenen sprachlichen Handelns in Bezug auf eine Ost/West-Differenz untersucht werden sollen, sind die linguistischen Studien zur deutsch-deutschen Kommunikation ein weiterer Forschungsbereich, dessen Erkenntnisse für die Bearbeitung der Fragestellung fruchtbar gemacht werden können. Ein wesentlicher Bereich dieser Forschung hat sich bisher auf die Untersuchung der Lexik konzentriert und weniger die Interaktion zwischen Ost- und Westdeutschen ins Auge gefasst. Es konnten zwar Differenzen im lexikalischen Gebrauch von Ost- und Westdeutschen festgestellt werden; allerdings muss geklärt werden, ob diese Differenzen in Bewerbungsgesprächen von "pragmatischer Relevanz" (Stenger 1998:22) sind, d.h. ob sie zu interaktiven Konsequenzen oder gar Störungen des Interaktionsverlaufs führen, oder ob es sich lediglich um regionale Varianz handelt. Daran schließt sich die Frage an, inwieweit die Kommunikation zwischen Ost- und Westdeutschen strukturelle Gemeinsamkeiten mit Phänomenen aus dem Bereich der interkulturellen Kommunikation haben; hier sind empirische Arbeiten aus der Interkulturellen Interaktionsforschung von Interesse. Deren Ergebnisse können in Bezug auf die Frage ausgewertet werden, ob die Bedingungen und Besonderheiten interkultureller Kommunikation auch auf die Interaktion von Ost- und Westdeutschen zutreffen. Es sind insbesondere die Ergebnisse aus der Untersuchung interkultureller Bewerbungsgespräche, die erste Hinweise liefern. Auf dieser Grundlage kann untersucht werden, ob sich linguistische und konversationelle Unterschiede in ost/westdeutschen Bewerbungsgesprächen im Vergleich zu Gesprächen mit ausschließlich westdeutschen Beteiligten nachweisen lassen. Dass die einstellenden Interviewer/innen in den untersuchten Bewerbungsgesprächen ausnahmslos Westdeutsche sind, so dass es im Datenkorpus zur Konstellation "Ostbewerbende mit Westinterviewenden", aber nicht zum umgekehrten Fall kommt, ist weder ein Zufall noch dem Forschungsdesign der Studie geschuldet; vielmehr entspricht es der sozio-ökonomischen Realität im wiedervereinigten Deutschland zum Zeitpunkt der Datenerhebung, dass das Gros der leitenden Posten im Personalwesen mit Westdeutschen besetzt war. Die vorliegende Arbeit will klären, ob konversationelle Differenzen in deutsch/deutschen Bewerbungsgesprächen interaktive Konsequenzen haben, z.B. zu Missverständnissen, negativen Zuschreibungen o.a. führen. Eine zentrale Frage ist ferner, welcher Erklärungshintergrund für solche etwaigen Unterschiede zwischen Ost- und Westbewerbenden angemessen ist. Aus der Forschung zu interkultureller Kommunikation und zu Bewerbungsgesprächen ist u.a. bekannt, dass divergierende Diskursstrategien und Unterschiede in den konversationeilen Stilen, die auf eine unterschiedliche kulturelle Sozialisation zurückzuführen sind, die positive Selbstdarstellung in Bewerbungsgesprächen behindern können. Insbesondere ist zu fragen, in welcher Weise die Tatsache eine Rolle spielt, dass Bewerbungsgespräche für Ostdeutsche eine in wesentlichen Elementen neue, durch westdeutsche Regeln und Normen geprägte kommunikative Gattung darstellen. Aufgrund der genannten Fragestellungen ergibt sich folgender Aufbau der Arbeit: In Kapitel l wird zunächst ein Forschungsüberblick über die Vorarbeiten o.g. relevanter Forschungsbereiche gegeben sowie die methodisch-theoretische Grundlage der Arbeit erarbeitet.

Vor dem Einstieg in die Analyse von ost/westdeutschen Bewerbungsgesprächen wird in Kapitel 2 die der Untersuchung zugrunde liegende empirische Basis vorgestellt. Die Arbeit kann neben den authentischen Bewerbungsgesprächen auf weitere Datentypen wie Rollenspiele, Nachbesprechungen und Experteninterviews mit den Interviewenden und einigen weiteren ost- und westdeutschen Personalverantwortlichen zurückgreifen; diese Korpora werden vorgestellt und kurz charakterisiert. Kapitel 3 befasst sich eingehend mit den konstitutiven Elementen der kommunikativen Gattung "Bewerbungsgespräch". Die Erkenntnisse aus der einschlägigen Literatur zu Bewerbungsgesprächen werden hier wesentlich vertieft und ergänzt. Auf der Grundlage des Gattungskonzeptes, dessen Strukturebenen die Darstellung gliedert, wird die Gattung aus der Beteiligtenperspektive, veranschaulicht durch zahlreiche Beispiele aus dem Datenkorpus, rekonstruiert. Ergänzt werden soll die Untersuchung durch eine Auswertung der Experteninterviews. Studien haben gezeigt, dass der Ablauf von Bewerbungsgesprächen maßgeblich durch die Interviewenden gesteuert wird (vgl. Kap. 1.1.2). Sie verwenden dabei Befragungsstrategien und Bewertungsschemata, die in den Bewerbungsgesprächen selbst nicht explizit werden und analytisch aus den Daten allein nicht verlässlich rekonstruiert werden können (die sog. "Hidden Agenda", vgl. Kap. 3). Um diese Dimension, die für den Interaktionsverlauf in Bewerbungsgesprächen von größter Bedeutung ist, zu erfassen, werden aus den Aussagen der Personalfachleute in den Experteninterviews "Maximen der Interviewführung im Bewerbungsgespräch" ermittelt. An die Klärung dieser Grundlagen schließen sich die stärker auf den Vergleich ost- und westdeutscher kommunikativer Praktiken zielenden Analysekapitel an. In Kapitel 4 werden Sequenzen aus den authentischen Bewerbungsgesprächen untersucht, in denen Gattungswissen der Beteiligten wie in einem Spiegel auf der linguistischen Oberfläche erscheint. Es handelt sich um Fälle, in denen Teilnehmer/innen Regeln der Gattung - auf explizite oder implizite Weise - zum Thema machen und ggf. Differenzen im Gattungswissen, wie über Normen und Erwartungen, bearbeiten. Daran schließt sich die Frage an, welche Chancen und Risiken damit im Bewerbungsgespräch verbunden sind und wie das Potenzial für einen konversationellen Wissenstransfer, der diesen Fällen inhärent ist, von den Beteiligten genutzt wird. Die Beantwortung der Frage, ob die Bearbeitung von Gattungswissen in Gesprächen mit Ostbewerbenden einen speziellen Verkauf nimmt, liefert interessante Einsichten in die ost/westdeutsche Aushandlung eines gültigen diskursiven Wissens. Dass Interviewende regelmäßig und erwartbar bestimmte Fragen stellen, ist ebenso konstitutives Element von Bewerbungsgesprächen wie die Tatsache, dass sich bestimmte, topische Antworten für die erfolgreiche Selbstdarstellung von Bewerbenden besser eignen als andere (Adelswärd 1988:68ff). In Kapitel 5 werden Antworten von Bewerbenden auf drei ausgewählte "typische Fragen des Bewerbungsgesprächs" verglichen, ein Vorgehen, das die Kontrastierung von ost- und westdeutschen Antworten möglich macht. An diese vergleichende Untersuchung sind die Fragen geknüpft, ob sich unterschiedliche Normen der positiven Selbstdarstellung von Ost- und Westbewerbenden aufweisen lassen und/oder ob sich Divergenzen im Gattungswissen um präferierte Antworten zeigen. Bewerbungsgespräche dienen Einstellenden zur Auswahl des/der geeignetsten Kandidaten/Kandidatin aus einer größeren Zahl von Bewerbenden. Ein hohes Maß an kritischer Prüfung ist deshalb erwartbar. In Kapitel 6 sollen Momente untersucht werden, in denen Interviewende Aspekte, die für die positive Selbstdarstellung der Bewerbenden von Belang sind, kritisch hinterfragen. Bewerbende geraten so in den Zugzwang, zu widersprechen und

Nichtübereinstimmung zum Ausdruck bringen zu müssen. Dem steht entgegen, dass Nichtübereinstimmung als ein potenzieller Ausgangspunkt für Dissens einen Gesprächsverlauf einleiten könnte, der mit den Selbstdarstellungszielen u.U. schwer zu vereinbaren ist. Wie Ost- und Westbewerbende mit diesen zwiespältigen Situationen umgehen und ob sich konversationelle Stilunterschiede feststellen lassen, wird ebenso zu klären sein wie die Frage, ob sich zwischen der Einschätzung von Konfliktfähigkeit bzw. -Unfähigkeit durch die Interviewenden und dem konversationeilen Umgang mit Nichtübereinstimmung bei Ost- und Westbewerbenden ein Zusammenhang herstellen lässt. In der Schlussbetrachtung werden die Ergebnisse der vorausgegangenen Analysen zusammenfassend formuliert.

Kapitel l: Forschungsüberblick und Methoden

Das Kapitel beginnt mit einem Forschungsüberblick über Institutionelle Kommunikation (1.1.1) und stellt im Anschluss die Forschungsergebnisse aus Studien zu Bewerbungsgesprächen vor (1.1.2). Daran schließt sich ein Überblick über Untersuchungsergebnisse zu Ost/West-Kommunikation an (1.1.3). Die Auseinandersetzung mit Interkultureller Kommunikation (1.1.4) beginnt mit der Reflexion des Kulturbegriffs (1.1.4.1). Anschließend werden einige wichtige Arbeiten aus dem Bereich "Interkulturelle Kommunikation" vorgestellt (1.1.4.2) und Ergebnisse aus Untersuchungen zu "Interkulturellen Bewerbungsgespräche" referiert (1.1.4.3). Punkt 1.2 beschäftigt sich mit den methodischen Grundlagen der Arbeit. In 1.2.1 wird "Kontext" als ein zentrales Konzept in der Gesprächsanalyse vorgestellt. Daran schließt sich in 1.2.2 eine ausführliche Darstellung der "Kommunikativen Gattung" nach Luckmann an. Abschließend wird in Punkt 1.2.3 auf der Basis dieser theoretischen Vorüberlegungen das methodische Vorgehen der Arbeit vorgestellt.

l. l Forschungsüberblick 1.1.1 Institutionelle Kommunikation Bewerbungsgespräche sind in der Regel in einem institutionellen Setring, der Arbeitswelt, anzutreffen (vgl. Drew/Heritage 1992a; Pauwels 1994). Die linguistische Forschung stellt umfangreiche Erkenntnisse über sprachliches Handeln in institutionellen Kontexten zur Verfügung. Geforscht wurde in nahezu allen Bereichen gesellschaftlichen Lebens: in der Medizin, vor Gericht, in Schule und Ausbildung, auf der Behörde, in Beratungen, im Unternehmen, in religiösen Organisationen, in den Massenmedien, aber auch in der Familie, zu öffentlicher Kommunikation in der Stadt usw.1 Dabei standen vor allem klassische soziolinguistische Parameter wie Schicht- oder Kulturzugehörigkeit und auch Geschlechtszugehörigkeit im Vordergrund. Institutionen sind gesellschaftliche Einrichtungen mit klar definierten Funktionen und Aufgaben, in denen Interaktanten in typisierten Rollen mit typisierten Handlungen Ziele (bzw. "Zwecke", Ehlich/Rehbein 1980:338) verfolgen. Dementsprechend weist jede Institution spezifische institutionalisierte Interaktionsformen und Verfahren auf, die sich als geeignete Formen der Bearbeitung herausgebildet haben. Ein auch nur annähernd vollständiger Überblick über den Stand der Forschung würde den gegebenen Rahmen sprengen, ich verweise daher auf die Studienbibliographie von Becker-Mrotzek (1992), in der linguistische Arbeiten zu "Institutioneller Kommunikation" dokumentiert sind. Einen nach institutionellen Domänen gegliederten Forschungsüberblick über Verständigungsprobleme in der IKK gibt Rost-Roth (1994).

Interactions within institutions are premised upon a high degree of shared knowledge and beliefs, among these beliefs about what are and what are not allowable contributions and concerning the rights and duties associated with particular institutional roles. (Thomas 1985:776)

Institutionelles Wissen ist im gesellschaftlichen Wissensvorrat verankert.2 Ein großer Teil ist schriftlich fixiert und wird in eigens der Wissensvermittlung dienenden Institutionen wie Schule, Universität, Ausbildungsprogrammen, Fortbildungseinrichtungen, Beratungen usw. weitergegeben. Eine Schulung erfahren allerdings vor allem die Institutionsvertreter/innen; für Klient/innen ist häufig die eigene (oder fremde, berichtete) Erfahrung die "bessere Schule". Es ist eine ungleiche Wissensverteilung, die als ein typisches Kennzeichen insbesondere von komplexen Gesellschaften mit ihrer zunehmenden Spezialisierung des Wissens gilt (Linell/Luckmann 1991:14); ein Faktum, das in institutioneller Kommunikation deutlich zum Tragen kommt. Asymmetrie in Bezug auf Wissen und in Bezug auf Macht gilt durchgehend als ein Merkmal institutioneller Kommunikation und prägt ganz wesentlich die institutionalisierten Handlungsrollen (vgl. Markova/Foppa 1991). Die professionellen Institutionsvertreter ("Agenten", Ehlich/Rehbein 1980:343) haben typischerweise nicht nur einen deutlichen Wissensvorsprung vor den "Klienten" (ebda) hinsichtlich institutioneller Verfahren und Vorgaben, sondern häufig auch weitreichende Entscheidungsbefugnisse (z.B. Notengebung in der Schule, Urteilsverkündung bei Gericht usw.). Das trifft besonders auf die typischen "gatekeeper" (Erickson/Shultz 1982:14) zu, d.h. Berater/innen, Sozialarbeiter/innen, Personalchef/innen u.a., zu deren Aufgabe es gehört, Entscheidungen zu treffen, die für die Klienten u.U. sehr weitreichende Konsequenzen haben können. Sprache ist das zentrale Medium für institutionelles Handeln, denn: [...] talk-in-interaction is the principle means through which lay persons pursue various practical goals and the central medium through which the daily working activities of many professionals and organizational representatives are conducted. (Drew/Heritage 1992b:3)

Nicht die Tatsache, dass Interaktionen in einer Institution stattfinden, kennzeichnet sie als institutionell. Institutionalität wird nicht durch äußere Parameter allein vorgegeben, wie z.B. durch die Tatsache, dass sich eine Begegnung im Sozialamt o.a. vollzieht, sondern dadurch, dass die Interaktion "work- or task oriented" ist und zwischen mindestens einem professionellen Institutionsvertreter und einem Laien stattfindet (Drew/Heritage 1992b:3; sowie S. 59, Fußnote l). 3 Somit wird Institutionalität durch die Orientierung der Beteiligten auf ihre professionellen und institutionellen Identitäten hergestellt: Thus the institutionality of an interaction is not determined by its setting. Rather, interaction is institutional insofar as participants' institutional or professional identities are somehow made relevant to the work activities in which they are engaged. (Drew/Heritage 1992b:3) Nach Berger/Luckmann (1994:58) findet Institutionalisierung statt, sobald "habitualisierte Handlungen durch Typen von Handelnden reziprok typisiert werden. Jede Typisierung, die auf diese Weise vorgenommen wird, ist eine Institution. Für ihr Zustandekommen wichtig sind die Reziprozität der Typisierung und die Typik, nicht nur der Akte, sondern auch der Akteure. Wenn habitualisierte Handlungen Institutionen begründen, so sind die entsprechenden Typisierungen Allgemeingut." Damit schließen die Autoren Interaktionen innerhalb der Institution "Familie" ebenso aus wie ein privates Gespräch am Fließband; den Hausbesuch der Hebamme hingegen würden sie erfassen.

Die typischen Merkmale "Institutioneller Interaktionen" liegen nach Drew/Heritage in Anlehnung an Levinsons Konzept des Aktivitätstyps in den folgenden drei Dimensionen (1992b:22): "Institutionelle Kommunikation" ist erstens zielgerichtet in Hinsicht auf jeweils spezifische institutionelle Zwecke. Die Aktivitäten der Interaktanten unterliegen zweitens typischen Beschränkungen möglicher Beiträge, die mit den institutionellen Rollen der Beteiligten verbunden sind. Diese Beschränkungen betreffen z.B. die Themenwahl und die Gesprächsorganisation im Allgemeinen. (Auf dieser Ebene liegt u.a. auch die typische Gestaltung des turn-taking von Interviews und Bewerbungsgesprächen im Frage/AntwortSchema.) Ein dritter Aspekt sind die Inferenzen, die Beteiligte aufgrund eines spezifischen institutionellen Hintergrunds ziehen. Diese Ebene illustriert z.B. Levinson durch seine Analyse eines Kreuzverhörs. Darin zeigt sich ein Zuschnitt der Antworten einer Zeugin auf Unterstellungen und verdeckte Strategien in den Fragen des Verteidigers, die sie nur aufgrund von Inferenzen über dessen institutionsspezifische Ziele ziehen kann (1992:86). Inferenzen von Institutionsvertreter/innen liegen Kriterien zugrunde, die den Laien in der Regel nicht oder nur annäherungsweise bekannt sind. In einigen Institutionen, wie der Schule und in der Arzt-Patient-Interaktion, gehört gar eine "Hidden Agenda" (Versteckte Agenda) zu den typischen Kennzeichen (Drew/Heritage 1992b:50; vgl. a. Kap. 3.2.1.5 zur "Versteckten Agenda" in Bewerbungsgesprächen). Inferenzen im Allgemeinen sind nicht nur institutionsspezifisch, sondern auch "more cultural specific than other sorts, they are likely to play a large role in cross-cultural or inter-ethnic miscommunication [...]" (Levinson 1979:393). Bewerbungsgespräche stellen das zentrale Selektionsinstrument fur Arbeitsplätze quer durch alle Institutionen dar. Dabei sind sie selbst eine institutionalisierte Interaktionsform in der Arbeitswelt: Sie sind zielgerichtet, werden geprägt durch die typische, doppelte Asymmetrie von Macht und Wissen und weisen spezifische Handlungsrollen und -formen auf. Die "Versteckte Agenda" ist ein zentrales Element von Bewerbungsgesprächen: den Fragen der Personalverantwortlichen liegt häufig ein Kriterienkatalog zugrunde, den sie nicht offen legen und der von Bewerbenden kaum inferiert werden kann. Und in ihrer typischen Ausprägung sind Bewerbungsgespräche nach Roberts/Sayers (1987:114) "one of the most culture-specific speech events we all have to face".

1.1.2 Bewerbungsgespräche in der linguistischen Forschung Bewerbungsgespräche sind linguistisch bereits relativ ausführlich untersucht worden. Es liegen Untersuchungen vor zu schwedischen (Adelswärd 1988), israelischen (Ade 1swärd/Ziv 1995), niederländischen (Komter 1991), britischen (Raffler-Engler 1983; Button 1992), österreichischen (Menz 1999), deutschen (Fache, im Erscheinen; Grießhaber 1987a; 1987b; Auer/Birkner/Kern 1997b), dänischen (Scheuer 1998) Daten.4 Das mag mit der Bedeutung zusammenhängen, die ihnen bei der Vergabe von Arbeitsplätzen in der modernen Arbeitswelt zukommt. Gesellschaftliches Prestige hängt entscheidend davon ab, ob und welche Arbeit man "hat". Auch wenn die Grenzen der Verlässlichkeit des Instruments Die Gattung Bewerbungsgespräch ist eng mit dem Interview verwandt, auch hierzu gibt es eine umfangreiche Forschungsliteratur. Wie ein Interview von den Interaktionspartner/innen gemeinsam hergestellt wird, zeigt Uhmann (1989).

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"Bewerbungsgespräch" häufig beklagt werden (was bisweilen zur Ergänzung des Auswahlverfahrens durch Assessment Center bis hin zur Einbeziehung graphologischer Gutachten fuhrt), so werden Einstellungen selten ohne ein - häufig entscheidendes - persönliches Gespräch zwischen Personalverantwortlichen und Stellensuchenden vorgenommen. In Bewerbungsgesprächen geht es Einstellenden u.a. (wenn nicht sogar in erster Linie) um einen persönlichen "Eindruck" von der/dem Betreffenden. Die Selbstdarstellung und ihre Evaluation beginnt mit dem ersten Moment der Begegnung. In einer Studie zu nonverbaler Kommunikation in Bewerbungsgesprächen gaben 26 von 35 befragten Personalchefs an, dass sie die in den ersten zwei Minuten gefällte Entscheidung selten revidierten:5 Employers admittedly pay a great deal of attention to 'the first impression'. They do so particularly when recruiting on college campuses and business schools and to a somewhat lesser extent when hiring experienced people. [...] All interviewers admit that they get some impression of the candidate as soon as they see him, but not all consider this an integral part of their conscious evaluation; of 35 interviewers which I surveyed, 26 said that they seldom changed their mind after the first two minutes had passed. (Raffler-Engler 1983:65f)

Sollte das zentrale Vergabeinstrument von Arbeitsplätzen tatsächlich dem hohen Potenzial an subjektiven Fehlschlüssen ausgeliefert sein, das einem ersten Eindruck innewohnt? Verschiedene Objektivierungsbemühungen wie das schriftliche Fixieren eines Kriterienkataloges u.a. auch von Seiten der Einstellenden unseres Korpus (vgl. Kap. 2) lassen zumindest auf einen Verbesserungsbedarf schließen. Die Personalpolitik gilt als ein ausgesprochen sensibler Bereich der Unternehmensführung, der der Öffentlichkeit ungern zugänglich gemacht wird. Das führt unter anderem dazu, dass viele linguistische Untersuchungen auf Rollenspiele zurückgreifen (vgl. auch Roberts/Sayers 1987:122) bzw. ein kleines Korpus von authentischen Bewerbungsgesprächen mit Rollenspielen auffüllen, was u.U. einen interessanten Vergleich zwischen den beiden Datentypen ermöglicht (vgl. z.B. Grießhaber 1987b). Zwei der wohl wichtigsten linguistischen Arbeiten, die auf einem umfangreichen Korpus authentischer Bewerbungsgespräche beruhen, stammen aus den Niederlanden (Komter 1991) und Schweden (Adelswärd 1988). Die Untersuchung von Komter (1991) basiert auf einem heterogenen Korpus von 35 Interviews in Zusammenhang mit 16 Stellenausschreibungen bei 10 niederländischen Unternehmen. Komters forschungsleitende Fragestellung ist u.a. auf die Identifikation konstitutiver Elemente von Bewerbungsgesprächen gerichtet, um herauszufinden, "how the participants conduct the business they have met for" (Komter 1991:21). Komter bestimmt die Aufgaben der beteiligten Parteien folgendermaßen: The main task of the interviewers in job interviews is to select the candidate and to reject the others. [...] The main task of the applicants is to get selected for the job. (Komter 1991:32) Bewerbungsgespräche bestehen nach Komter aus folgenden Phasen, die durch typische Themen charakterisiert werden: 1. small talk, 2. information on job and company, 3. information on applicant, 4. information on administrative details, 5. small talk. (vgl. Komter 5

Ähnliches ermittelte Schmitt (1976:82). Sie fand in einer Studie heraus, dass Einstellende ihre Entscheidung in vier Minuten treffen. Grießhaber spricht vom "prima vista Effekt", einem Begriff aus der Psychologie (1987a:32). Vgl. a. Menz (1999).

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1991:54). Das "offizielle Hauptgeschäft" von Bewerbungsgesprächen ist der Austausch von Informationen (ebda:54; 58), Phase 2 und 3 stellen somit die wichtigsten Teile der Bewerbungsgespräche dar.6 Ein Merkmal von Bewerbungsgesprächen ist ihr hohes Maß an Explizitheit sowohl bei Phasenübergängen als auch bezogen auf den Stand der Information und die wechselseitige Orientierung darüber, an welcher Stelle des Gesprächs man sich gerade befindet: It seems that the 'unsayables1 connected with the institutional tasks of applying and selecting are counterbalanced by the utter explicitness with which the interviewers manage their responsibility for the formal organization of the interviews. (Komter 1991:37)

Dieser Explizitheit steht das Unaussprechliche ("the unsayables", s.o. Zitat) gegenüber; z.B. die Machtasymmetrie oder die strategischen Intentionen der Beteiligten, die sehr selten thematisiert werden. Das resultiert u.a. aus dem typischen Interessenskonflikt der Gattung: Während Interviewende eine Wahl zu treffen haben, versuchen Bewerbende, diese Wahl zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Aus dieser Orientierung erwachsen einige unausgesprochene Erwartungen hinsichtlich des strategischen Verhaltens der Beteiligten: Interviewende setzen voraus, dass Bewerbende bestimmte Dinge sagen, um einen guten Eindruck zu machen. Sie werden deshalb versuchen, hinter diese positive Selbstdarstellung zu blicken. Bewerbende dagegen wissen um dieses Bemühen der Interviewenden (was den Interviewenden ebenfalls bewusst ist) und versuchen, ihr positives Image aufrechtzuerhalten (ebda:35f). Nach Komter sind die Aufgaben der Beteiligten unauflösbar widersprüchlich: The talk exhibits the simultaneous requirements of openness and camouflage which leads to an exploitation of 'sayables' on the one hand, and to an unspoken recognition of secrecy on the other. (ebda:50)

Den expliziten Zielen stehen die verdeckten Motive auf impliziter Ebene gegenüber, z.B. die sog. "Versteckte Agenda", d.h. die Tatsache, dass Interviewfragen häufig eine verborgene Intentionalität haben, die auf der sprachlichen Oberfläche nicht unbedingt erkennbar ist, sondern auf der Grundlage von Zielen der Gattung inferiert werden muss (ebda:36; vgl. a. Kap. 3.2.1.5). Das schwedische Korpus von Adelswärd (1988) besticht durch seine Homogenität. Es besteht aus 48 einstündigen Bewerbungsgesprächen mit 24 Hochschulabsolvent/innen bei einer Bank. Diese werden jeweils von einem männlichen und weiblichen Zweierteam geführt. Von den 24 Bewerbenden werden 12 für ein Traineeprogramm für das mittlere Management ausgewählt und eingestellt. Dieses Design erweist sich als ausgesprochen günstig für die Forschungsfragestellung der Untersuchung: die Rekonstruktion erfolgreicher und nicht-erfolgreicher Stile der Selbstdarstellung im Bewerbungsgespräch. Das Ziel der Bewerbenden ist es nach Adelswärd, sich als geeignete Kandidat/inn/en für die Stellenbesetzung zu präsentieren; dieses stellt aus argumentationstheoretischer Perspektive den "superclaim" (1988:75) dar. In Nachinterviews hat Adelswärd die Kriterien der Interviewenden für Erfolg im Bewerbungsgespräch erhoben; sie bilden die Grundlage Die Phase 2 "Informationen über die Stelle und das Unternehmen" und die Phase 3 "Informationen über den Bewerber" können vertauscht sein, der häufigere Fall in den niederländischen Daten ist aber die o.g. Struktur; in unseren Bewerbungsgesprächen dagegen ist die umgekehrte Reihenfolge der Regelfall.

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für die Bewertung der "Argumente" der Bewerbenden. Die Versteckte Agenda als ein typisches Merkmal von Bewerbungsgesprächen erweist sich hier darin, dass diese Bewertungskriterien der Einstellenden in der Regel implizit bleiben. Der Vergleich erfolgreicher und nicht-erfolgreicher Bewerber/innen zeigt, dass sich einige Mittel besser als andere zur Unterstützung des "superclaims" eignen. So basieren die von Adelswärd beschriebenen Erfolgsstile im Wesentlichen auf der Fähigkeit der Perspektivübernahme, die es Bewerbenden ermöglicht, dem "employment frame", bzw. dem Bewerbungsgesprächsrahmen, angemessene Antworten zu geben (ebda:162f). Auch wenn die Teihiehmerrollen durch die Gattung institutionell vorgegebenen sind, wird die Beziehung zwischen den Interaktanten doch beständig ausgehandelt (ebda:166f). Erfolg im Bewerbungsgespräch, stellt Adelswärd fest, wird interaktiv hergestellt; so erhalten erfolgreiche Bewerbende u.a. mehr interaktive Unterstützung durch die Interviewenden als nicht-erfolgreiche (ebda:103ff). Mit der detaillierten Untersuchung von Phasenwechseln sowie Themenwechseln und Verschiebungen zeigt Adelswärd, dass die globale Gesprächsorganisation maßgeblich von Interviewenden gesteuert wird, während die Bewerbenden für die thematische Ausgestaltung verantwortlich sind. Die arbeitsteilige Kooperation von Interviewenden und Bewerbenden manifestiert sich demnach so: When looking at phase structure we could see that the interviewer manages the phase changes almost singlehandedly. On the next level, there is more co-operation, a slightly more equal division of labour and on the sub-topic level, the responsibility of providing the stuff that conversation is built upon lies heavily with the applicant. (ebda:67)

Aufschlussreich sind auch die Ergebnisse einer geschlechtsdifferenzierenden Analyse der Daten. Neben Unterschieden im interaktiven Verhalten von männlichen und weiblichen Interviewenden und in der Initiativität von Bewerber/innen zeichnet sich deutlich die Tendenz ab, männliche und weibliche Bewerbende an geschlechtsstereotypen Maß Stäben zu messen: Ein Vergleich der Beurteilungen nicht-erfolgreicher Bewerbender hinsichtlich Bescheidenheit, Lachfreudigkeit und Gesprächigkeit ergab, dass Bewerberinnen abgelehnt wurden, weil sie zu bescheiden waren, Bewerber dagegen, weil sie nicht bescheiden genug waren; Bewerberinnen, die zu viel lachten, wurden ebenso abgelehnt wie Bewerber, die zu wenig lachten; zu große Gesprächigkeit wurde als negatives Charakteristikum von Bewerberinnen angeführt, während Bewerber mit dem Argument, zu einsilbig zu sein, abgelehnt wurden. Eine umfangreiche Untersuchung von Rollenspielen in Bewerbungstrainings wurde von Lepschy (1995) vorgenommen.7 Das (deutsche) Datenmaterial der Untersuchung stammt aus sieben Rollenspielen von ca. 15-25 Minuten Dauer, die bei Bewerbungstrainings im Rahmen einer berufsbildenden Maßnahme aufgezeichnet wurden. Das Ziel der Arbeit ist es, linguistische Handlungsmöglichkeiten von Bewerberinnen und Bewerbern für das erfolgreiche Führen von Bewerbungsgesprächen zu ermitteln. Bewerbungsgespräche werden als kooperativer, wechselseitiger Verständigungsprozess begriffen. Eine zentrale These ist, dass Bewerbende und Einstellende ein gemeinsames Ziel verfolgen: die wechselseitige Passungsüberprüfung. Diese gemeinsame Orientierung trifft allerdings auf eine konversationelle Asymmetrie, die die Handlungsmöglichkeiten der Für eine detailliertere Rezension von Lepschy (1995) vgl. Birkner (1997).

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Bewerbenden eingeschränkt. Die Gesprächssteuerung wird ausschließlich von Interviewenden vorgenommen, jedoch können Bewerbende auf der Ebene der lokalen Themenbearbeitung aktiv steuernd in den Gesprächsverlauf eingreifen, indem sie mit ihren Antworten Material für weitere Interviewfragen liefern. Eine wichtige Fähigkeit der Bewerbenden bei der angemessenen Beantwortung von Fragen ist die Perspektivübernahme. Die Beteiligten agieren innerhalb "interdependenter, sich wechselseitig bedingender, dynamischer Erwartungssysteme" (1995:81), die aufgeteiltem Handlungswissens beruhen. Auf dieser Basis entspannt sich ein komplexes Geflecht von Erwartungen und je besser sich die Bewerbenden in die Erwartungen der Interviewenden hinein versetzen können, um so größer sind die Chancen auf einen erfolgreichen Verlauf des Bewerbungsgesprächs. Neben den drei bisher vorgestellten, auf einer sehr breiten empirischen Datenbasis beruhenden Studien ist auch die Untersuchung von Grießhaber (1987) zu nennen. Sie basiert auf acht authentischen Bewerbungsgesprächen zu Ausbildungsstellen als Einzelhandelskaufmann mit deutschen und türkischen Jugendlichen (ders.:1987a) sowie auf Rollenspielen im Rahmen von Sprachkursen mit vorwiegend portugiesischen und türkischen Deutschlernenden (ders.:1987b). Grießhaber beschreibt die Entscheidungsfindung in Bewerbungsgesprächen als einen dynamischen, selbstverstärkenden Rückkopplungseffekt. Er stellt schon bei Gesprächsbeginn "erste, den weiteren Verlauf steuernde Einschätzungsprozesse" (1987a:26ff) fest, die dann die Grundlage für weitere Einschätzungen und Fragestrategien bilden. Diesen Rückkopplungszirkel nennt er die "Bewertungsdrift" (1994:36), die sich folgendermaßen auswirkt: Nach der Entscheidung trennen sich die Gesprächsverläufe: im negativen Fall wird die Absage diskursiv ratifiziert, der Bewerber wird auf die spätere Absage vorbereitet, indem ihm eine partielle Inkompetenz im Zusammenhang mit der angestrebten Stelle aufgezeigt wird, im positiven Fall wird der Bewerber auf die neue Stelle vorbereitet. (1994:36)

Schon in den Fragen der Interviewerin bildet sich deutlich eine "Konvergenz" bzw. "Divergenz" hinsichtlich der Eignung ab. So wird eine positiv eingeschätzte Bewerberin bei Fragen zum Berufsbild mit der Information versehen, dass Verkäuferinnen in diesem Unternehmen wenig Kundenkontakt haben, bevor sie ihre Vorstellungen von der Tätigkeit nennen soll. Bei einer negativ eingeschätzten Bewerberin dagegen wird der Kontrast zwischen ihren Erwartungen an viele Kundenkontakte und einem realistischen Berufsalltag geradezu hervorgehoben. Dieses Ergebnis stimmt mit den Beobachtungen Adelswärds über die interaktive Herstellung von Erfolg im Bewerbungsgespräch überein.8 Erwähnenswert ist weiterhin die Arbeit von Roberts (1985). Sie ist keine wissenschaftliche Publikation im eigentlichen Sinne (beruht aber auf wissenschaftlichen Arbeiten zu Bewerbungsgesprächen im Umkreis von Gumperz, vgl. Punkt 1.1.4.2), sondern wendet Auch Gumperz (1992) beschreibt die tätige Mitarbeit der Interviewenden an der Herstellung eines erfolgreichen Bewerbungsgesprächs: „Evidently, both interviewers have decided that T would make a good candidate and are cooperating with him in creating an interview record that will justify their decision." (1992b:312) Nicht nur Erfolg, auch Misserfolg wird von den Interviewenden als Ergebnis im Bewerbungsgespräch sichtbar gemacht, ein anderer Kandidat wird von den Interviewern auf seine Ablehnung vorbereitet (ebda: 316).

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sich als eine Art anspruchsvoller Ratgeber an Bewerbende, Interviewende und Bewerbungstrainer/innen zugleich. Roberts vergleicht Bewerbungsgespräche mit einem Spiel und formuliert 10 ungeschriebene Regeln, die nicht allen Beteiligten gleichermaßen bekannt sind. Eine Regel soll hier erwähnt werden; sie betrifft eine typische Eigenschaft von Interviewfragen im Bewerbungsgespräch, auf die vielfach hingewiesen wird: "Candidates should relate their answers to the job on offer, but are seldom invited to do so. Questions from interviewers are usually indirect. The real purpose is the 'hidden message'." (Roberts 1985:13).

Das, was Roberts hier als "verdeckte Botschaft" von Interviewfragen bezeichnet, entspricht den „expliziten" und „impliziten Erfolgskriterien" bei Adelswärd: Sie werden nicht direkt erfragt, sondern müssen auf der Grundlage von Inferenzen über Ziele und Zwecke der Gattung erschlossen werden. Abschließend soll noch eine kleine Fallanalyse vorgestellt werden, die besonders interessant erscheint, weil sie ein ungewöhnliches Bewerbungsgespräch untersucht. In der Studie von Menz (1999) wird der Entscheidungsprozess des Interviewers in den Fokus genommen. Menz zeigt anhand der Abweichung von Verlaufsmustern, wie sie die Literatur zu Bewerbungsgesprächen beschrieben hat, dass die Entscheidung des Interviewers für die Bewerberin bereits nach wenigen Minuten fällt. Das fuhrt im weiteren Verlauf zu einem Rollentausch: Nicht die Bewerberin bewirbt sich um die Stelle, sondern der Interviewer wirbt um die Bewerberin und für die Stelle. (Die anschließende Befragung des Interviewers im Rahmen der Triangulierungsmethode bestätigt dieses Analyseergebnis.) Der Rollentausch zeigt sich u.a. in der Quantität der Redebeiträge9 sowie in der interaktiven Unterstützung, die die Bewerberin erhält. Menz bestätigt sowohl Adelswärds Ergebnisse hinsichtlich der Cokonstruktion von Erfolg im Bewerbungsgespräch als auch Überlegungen Grießhabers zur Bewertungsdrift. Offensichtlich dient das Gespräch in weiten Teilen nicht der Entscheidungs/z«i/i/«g, sondern der retrospektiven Rechtfertigung einer bereits in den ersten Minuten getroffenen Entscheidung. Für die Untersuchung von Ost- und Westbewerbenden im Vergleich ist neben dem Forschungsbereich "Institutionelle Kommunikation" und der Untersuchung von Bewerbungsgesprächen als institutionalisierter Interaktionsform die Ost/West-Forschung von Relevanz. Mit dem folgenden Überblick über Ergebnisse aus der Untersuchung deutsch-deutscher Kommunikationen rücken Differenzen zwischen Ost- und Westdeutschen ins Zentrum der Aufmerksamkeit.

1.1.3 Ost/West-Kommunikation in der linguistischen Forschung Seit dem Fall der Mauer 1989 und besonders seit der "Wiedervereinigung" 1990 wurde das Thema Ost/West unter verschiedensten Perspektiven beleuchtet; besonders die Sprachwissenschaft fühlte sich herausgefordert, das Kuriosum "zweier deutscher Sprachen" ge-

Anders als in den meisten Bewerbungsgesprächen redet der Interviewer mehr als die Bewerberin, ein Effekt, den auch Roberts beschreibt: "If Interviewers are very impressed with a candidate they tend to talk more - trying to 'sell' the job to the candidate." (Roberts 1985:54)

15 nauer zu untersuchen.10 Beruhen die vielfach konstatierten Kommunikationsstörungen auf sprachlichen Differenzen oder entstehen sie etwa trotz oder gerade wegen der gemeinsamen Sprache? - eine Frage, die zu teilweise kontroversen Debatten geführt hat.'' Ein Hauptuntersuchungsbereich in der linguistischen Ost/West-Forschung ist die Lexik, vor allem im Bereich der öffentlichen (politischen oder medienvermittelten) Kommunikation, sowohl im Rückblick auf die DDR als auch auf die Zeit nach und während der Umbruchphase 1989/90.12 Lexikologische Studien sagen wenig über Interkulturelle Kommunikation zwischen Ost- und Westdeutschen aus, sie zeigen jedoch z.B. einen Sprachwandel auf, der Rückschlüsse auf das Ost/Westverhältnis zulässt. So gilt es als belegt, dass sich ein Wandel in der Lexik vornehmlich als eine Anpassung Ost an West vollzieht, wie überhaupt das Gros der (u.a. sprachlichen) Anpassungsleistungen von Ostdeutschen geleistet wird.13 Daneben beschäftigen sich einige Arbeiten mit Alltagserfahrungen von Ostdeutschen, die in narrativen Interviews erhoben werden. Fix (1997a, 1997b, 1997c), Fix/ Barth (2000) untersuchen im Rahmen des Projektverbundes "Fremdheit in der Muttersprache" Sprachbiographien von Menschen, die die DDR und die Wende erlebt haben. Unter der Prämisse, dass "Reden über Sprache immer Reden über gesellschaftliche Wirklichkeit ist" (1997b:34), werden aus den Darstellungs- und Deutungsweisen sowie den Argumentationsstrategien der Interviewten Schlüsse über die "Ordnung des Diskurses" (Foucault 1996) bzw. dessen Veränderung gezogen. Fix unterscheidet die zwei großen Gruppen der "Konformisten" und "Non-Konformisten", die spezifische Sprachhandlungen bevorzugen; so 10

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Die Debatte um die Frage, ob in der DDR und der BRD zwei Sprachen, zwei Varianten einer Sprache oder eine Sprache mit (geringen Unterschieden, z.B. in der Lexik) gesprochen wurden, ist deutlich ideologisch überschattet und reicht weit in die Zeit vor der Wende, vgl. hierzu Domaschnew (1991), Schönfeld (1993); Polenz (1988); Hellmann (1989; 1994); Schlosser (1989), Oschlies (1989); Bauer (1990); Lerchner (1976; 1992a); Dieckmann (1967; 1989). Seit der Wiedervereinigung zweifelt eigentlich niemand mehr an dem Faktum einer gemeinsamen Sprache, Kommunikationsprobleme werden seither jedoch mehr gefunden denn je (Hellmann 1997:80). Auch Stevenson (1995) bemerkt dazu: "For many observers, the sudden demise of the GDR inevitably entailed the end of research on East-West linguistic contrast." (ebda:40) Er dagegen meint, "the removal of formal barriers between the two speech communities has only revealed the extent and depth of the communicative differences that continue to divide them." (ebda:55) Vgl. die Bibliographie von Hellmann (1999) für einen umfassenden Überblick über sprachwissenschaftliche Publikationen zur Ost/West-Thematik. Vgl. u.a. die Mehrzahl der Beiträge in Welke/Sauer/Glück (1992); Lerchner (1992b); Reiher/ Läzer (1993); Reiher (1995b); Holly/Habscheid (1997); Barz/Fix (1997); Herberg/Stickel (1992), Burkhardt/Fritzsche (1992). Vgl. Reiher (1995a:212); Schönfeld (1993); Stenger (1998); zu deutsch-deutschem Sprachwandel vgl. a. Schönfeld/Schlobinski (1995); Fix (1990); Dittmar (1997); Teubert (1993); Hellmann (1997). Hellmann verzeichnet ein gutes Dutzend DDR-spezifischer Wörter, die seit der Wiedervereinigung weiterhin in Gebrauch sind, von denen sich ein kleiner Teil auch in den alten Bundesländern ausgebreitet hat (wie z.B. "abnicken", "andenken", "Fakt ist...."). Daneben beobachtet er die Wiederkehr einiger Wörter, die nach der Wende zunächst außer Gebrauch geraten zu sein schienen sowie eine zunehmende Ablehnung der Übernahme spezifisch westdeutscher Wörter, für die eine ostdeutsche Variante bereits existiert. Darin sieht Hellmann weniger ein Indiz für eine "Ostalgie", die die Medien häufig mit dem Wunsch nach Rückkehr der DDR gleichsetzen; vielmehr handele es sich um die "Abwehr allzu forcierten Anpassungsdrucks, eher um Selbstbehauptung als um Rückwendung" (Hellmann 1997:78).

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greifen Konformisten auf ein "Rechtfertigen" zurück, während Non-Konformisten eher zu einem "Beschreiben-wie" bzw. "Erklären-warum" tendieren (Fix 1997c:39).14 Dittmar (1997) sowie Bredel (1999) untersuchen Erzählungen persönlicher Erfahrungen mit dem Fall der Mauer am 9. November 1989. Der Vergleich von Ost- und Westberliner/inne/n macht die Unterschiedlichkeit der Betroffenheit durch die Ereignisse und die Differenz der "Perspektive auf die jeweils andere 'Welt'" deutlich (Dittmar 1997:3f). In den Erzählungen vom Umbruch sind Brüche im Muster des Erzählens, syntaktische Planbrüche sowie sog. Kontaminationen auf Phrasenebene zu verzeichnen, die als Indizien für eine nachhaltige kognitive Veransicherung15 ehemaliger DDR-Bürger/innen nach der Wende gewertet werden (Dittmar 1997; Bredel 1999, Bredel/J. Dittmar 1997).16 Arbeiten unter interaktionsanalytischen Prämissen sind rar in der Ost/West-Forschung.17 Eine Ausnahme bilden einige der im Rahmen eines ZiF-Forschungsprojektes entstandenen Arbeiten zur Konstitution "Nationaler Selbst- und Fremdbilder im Gespräch", die sich mit deutsch-deutscher Kommunikation beschäftigen (vgl. Czyzewski/Gülich/Hausendorf/ Kastner 1995). Auf der Basis von Sacks' Konzept der Mitgliedschaftskategorisierungen (Sacks 1992, vgl. a. Hester/Egling 1997) untersuchen die überwiegend ethnomethodologischkonversationsanalytisch orientierten Arbeiten Vorkommensweisen und Funktionen von Selbst- und Fremdbildern als Manifestationen im Diskurs. Hausendorf (1995; 1997; 2000) charakterisiert die lokale Hervorbringung kultureller Identitäten von Ost- und Westdeutschen als interaktiven Zuschreibungs- und Herstellungs14

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Ein zweites Projekt im Rahmen des Projektverbundes beschäftigt sich mit "Ritualität im Wandel". Anhand der Untersuchung von "Jugendweihe" (Kauke 1997; 1998) und den Feiern zum 1. Mai (vgl. Hoffmann 1997) wird die kulturelle Semiotik der Rituale zu DDR-Zeiten sowie deren Veränderungen nach der Wende untersucht. Indizien für "kommunikative Unsicherheit" findet auch Kreutz (1997) in der verstärkten Verwendung von "hedging strategies" durch ostdeutsche Jugendliche im unmittelbaren Kontext von DDR-Spezifika. Vgl. a. Auer (1998), der in rollengespielten Bewerbungsgesprächen durch Ostdeutsche ebenfalls zahlreiche lexikalische Koselektionsverstöße, Reparaturphänomene sowie Zitate aus dem offiziellen Staats- und Parteijargon der DDR aufzeigt. Auer führt als Erklärung das Bemühen um eine der Gesprächssituation angemessene Formalität an. Dazu greifen die ostdeutschen Bewerbenden teilweise auf die öffentliche Sprache der DDR als stilistischer Ressource zurück. Die so entstehende Mischung ost- und westdeutscher kommunikativer Praktiken ergibt einen "gebrochenen" Diskurs (ebda:28), der zu Turbulenzen auf der sprachlichen Oberfläche führt. Birkner/Kern (1996) untersuchen an demselben Datenmaterial Wiederholungsstrukturen, wie sie für den offiziellen Staats- und Parteijargon der DDR als typisch gelten (Fix 1992; Hellmann 1989, 1990; Fraas/Steyer 1992; Teichmann 1991). Auch sie bieten als Erklärung für diese Anleihe die von der westlichen Gattung geforderte stilistische Markierung von Formalität an, die "bei ostdeutschen Sprecherinnen in ein Vakuum [stößt]; es herrscht Unsicherheit bezüglich der den westlichen Erwartungen angemessenen sprachlichen Mittel. Die ostdeutschen Sprecherinnen verwenden in den Rollenspielen bestimmte stilistische Muster u.a. deshalb, weil sie ihnen aus dem Kontext des öffentlichen DDR-Staatsdiskurses (einschließlich der Medien) bekannt sind und sie in den als formell eingeschätzten Situationen nur darauf zurückgreifen können." (Birkner/Kern 1996:65). Eine zweite Beobachtung ist, dass sich einige der Wiederholungsstrukturen aus einer ost- und westdeutschen Variante zusammensetzen, worin eine ost-/westdeutsche Doppelorientierung zum Ausdruck kommt. Für einen neueren Überblick vgl. Auer/Hausendorf (2000).

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prozess. Er schlägt für die empirische Analyse von Kategorisierungen in Gesprächen ein Modell vor, in dem "Aufgaben", "Mittel" und „sprachliche Formen" zu differenzieren sind.18 Anhand der Untersuchung eines umfangreichen Ost/West-Korpus stellt Hausendorf u.a. ein Macht- und Achtungsgefälle und die Stigmatisierung der Ostidentität fest. Auch Wolj'(1995, vgl. a. 1993) weist ein interaktives Gefalle in der Interaktion zwischen ost- und westdeutschen Frauen nach, und zwar im Rahmen einer Begegnung, die unter dem Motto gegenseitigen Kennenlemens die Ost/West-Differenz in den thematischen Fokus stellt. Ostdeutsche Frauen leisten im Vergleich zu westdeutschen einen kommunikativen Mehraufwand zur Selbstverortung und Legitimierung ihrer sozialen Identität, ein Ergebnis, das sich mit Kerns (1998) Analyse der biographischen Narrative in Bewerbungsgesprächen deckt (vgl. a. Kern, im Erscheinen). Die Fokussierung der Differenz führt geradezu in eine "interaktive Falle", insofern sich die Beteiligten für die Identitätskonstitution erwarteter, determinierter Kategorien bedienen. In dem voranschreitenden Stereotypisierungsprozess zeigt Wolf mikroanalytisch die Makrofaktoren eines "sozial-ökonomisch determinierten Machtverhältnisse [s] zwischen 'Gewinnern' und 'Verlierern' des Wettbewerbs der beiden Gesellschaftssysteme" auf (ebda:230). Paul (1995) untersucht mediale Diskurse nach der Wende, in denen Ost und West als bipolare Kategorisierungen "installiert und aufgefüllt" werden (ebda:306). Er bringt das Konzept der Schismogenese nach Bateson (1972) in die Untersuchung von Ost/West-Interaktionen ein und beschreibt als eine Folge bipolarer Kategorisierung die Emergenz schismogener Beziehungsmuster. Fiehler (1995) zeigt anhand einer Fernsehtalkshow verschiedene Formen der Ost/WestKategorisierung. Er entwirft u.a. ein Modell der ost/westdeutschen Kulturberührung (nach Bateson 1972), das er als "Experten und Laien im Lehr-Lem-Diskurs" bezeichnet (ebda:331). Es ist dadurch gekennzeichnet, dass sich die Westdeutschen als die Experten inszenieren, die die ostdeutschen Laien belehren (vgl. hierzu a. Kap. 4 der vorliegenden Arbeit sowie Stenger 1998). Die Analyse berücksichtigt allerdings m.E. zu wenig die durch die Situation vorgegebene Asymmetrie; da es sich bei den Westdeutschen um geladene Politiker und den Talkmaster und bei den Ostdeutschen um Zuschauer/innen handelt, agieren beide Seiten in institutionalisierten Beteiligungsrollen, die mit unterschiedlichen Gesprächsrechten verbunden sind. Alle analysierten Phänomene werden jedoch ausschließlich einer Asymmetrie in der Ost/West-Kommunikation zugeschriebenen und die institutionelle Asymmetrie kommt gar nicht erst in Betracht. Die vorgestellten Arbeiten basieren mehrheitlich auf Daten, in denen die Ost/West Dichotomie als relevanter Kontext bereits vorgegeben ist (als Thema der Sendung oder der Veranstaltung etc.). Drescher/Dausendschön-Gay (1995) dagegen untersuchen eine Unterhaltung zwischen einer westdeutschen Lehrerin und einer ostdeutschen Sekretärin am Arbeitsplatz, in der die Kategorien Ost/West thematisch nicht vorgegeben sind und von den Beteiligten auch nicht explizit aufgerufen werden. Dennoch zeigen verschiedene Aktivitäten die Orientierung der Gesprächspartnerinnen an diesem Aspekt ihrer Identität; so u.a. bei der Vermeidung eines drohenden Kommunikationskonfliktes, den die Autor/innen darauf zurückführen, dass sich die Westdeutsche in negativer Weise über Sachverhalte äußert, die die ostdeutsche Lebenswelt betreffen. Den Konsens stellen die Interaktantinnen wieder her, 18

Das Modell wurde entwickelt für die Analyse kindlicher Erzählkompetenz, vgl. Hausendorf/ Quasthoff (1996); für die Anwendung auf Ost/West-Kommunikation vgl. Hausendorf (1998).

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indem sie statt der trennenden politisch-kulturellen eine gemeinsame Generationsidentität relevant setzen (ebda: 100). Die Arbeiten zur Selbst- und Fremdkategorisierung zeigen sehr eindrucksvoll, dass Ost/West relevante Mitgliedschaftskategorien für die Interaktant/innen sind; Unterschiede im sprachlichen Handeln von Ostdeutschen im Vergleich zu dem von Westdeutschen, wie sie die vorliegende Arbeit untersuchen will, liegen nicht im Forschungsfokus. Diese Aufgabe hat sich das Projekt "Wissenstransfer und Wertewandel als Kommunikationsproblem", das zum Projektverbund "Fremdheit in der Muttersprache" gehört, gestellt (Antos/Palm/Richter 2000). Auf einer breiten empirischen Basis von 40 Stunden telefonischen Beratungsgesprächen zu verschiedensten Themen wie Baufinanzierung, Versicherungsfragen etc. soll anhand des Transfers von alltagsweltlich relevantem Fachwissen die Frage nach Ursachen von Kommunikationsproblemen zwischen Ost- und Westdeutschen beantwortet werden. Die vergleichende Untersuchung von Gesprächen zwischen Ost- bzw. Westberater/innen mit ostdeutschen Ratsuchenden weist Unterschiede im für Sprecher/innen schwer monitorisierbaren Bereich der Diskursorganisation nach (Antos/Schubert 1997b; Antos/Palm/Richter, im Erscheinen). Es lassen sich zwei idealtypische Muster unterscheiden: "Auskunft" und "Beraten". Ost-/ bzw. Westberatende zeigen dabei jeweils typische Präferenzen, die die Autoren auf unterschiedliche kulturelle Prädispositionen sowie Erfahrungsdifferenzen zurückführen (Antos/Schubert 1997a). Das Muster "Beraten", an dem sich vor allem Westberatende orientieren, besteht aus einer langen Explorationsphase, in der das Problem des Ratsuchenden zunächst detailliert eruiert wird. In der anschließenden Problemlösung informiert der Ratgebende über einen weiten Problemhintergrund mit mehreren Handlungsalternativen. Im Muster "Auskunft", das besonders Ostberater/innen verwenden, wird das Problem der Ratsuchenden dagegen stark eingegrenzt und in der Problemlösung werden bisweilen klare Handlungsanweisung gegeben. Beide Muster haben Implikationen auf der Beziehungsebene; während die Westberatenden bisweilen zur Überinformation neigen und sich zu distanzierten Experten stilisieren, bringen Ostberatende stärker Solidarität mit den Ratsuchenden zum Ausdruck, neigen aber zu einer gewissen paternalistischen Dominanz. Der Überblick über die Ost/West-Studien macht deutlich, dass die Untersuchung von deutsch-deutscher Kommunikation aus interaktionsanalytischer Perspektive noch viele Fragen offen lässt. Zwar gibt es eine breite Forschung unter textlinguistischen Vorzeichen; diese nimmt jedoch interaktive Phänomene nicht in den Blick. Die Arbeiten zu den interkulturellen Mitgliedschaftskategorisierungen wiederum beschäftigen sich mit der interaktiven Konstitution der Ost/West-Kategorien, untersuchen aber keine diskursiven Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen im Vergleich. Andere Arbeiten verfügen dagegen häufig nicht über eine ausreichend breite Datenbasis authentischer Interaktionen für einen Vergleich zwischen Ost- und Westdeutschen. Das Projekt, in dessen Rahmen die vorliegende Arbeit entstanden ist, versucht, diese Lücke ein wenig zu schließen. Damit nahem wir uns immer stärker Fragen und Problemen, die im Rahmen der Forschung zu interkultureller Kommunikation seit längerem im Mittelpunkt stehen.

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1.1.4 Interkulturelle Kommunikation Das Interesse an der Untersuchung von Interkultureller Kommunikation (IKK) hat in den letzten Jahrzehnten fraglos einen Boom erfahren. Ein wesentlicher Grund dafür liegt sicherlich in der faktischen Zunahme "interkultureller" Begegnungen angesichts weitgreifender Migrationsbewegungen und zunehmender Globalisierung. Von der nahezu unüberschaubaren Flut von Publikationen, und zwar sowohl in der linguistischen Pragmatik als auch in verschiedensten Fachgebieten wie Psychologie, Soziologie, Sozialpsychologie, Anthropologie, Volkskunde, Ethnologie usw., sollen hier die empirischen und interaktionsanalytischen Arbeiten aus dem Bereich der linguistischen Gesprächsforschung erwähnt werden. Bevor wir uns den Ergebnissen dieser Forschung zuwenden, soll ein kurzer Einblick in eine Diskussion gegeben werden, die die Interkulturelle Kommunikationsforschung (IKKF) überspannt: die Klärung des Begriffes, den sie programmatisch im Titel trägt: Kultur.

1.1.4.1 Der Begriff der "Kultur" Nicht nur Kommunikation, sondern auch Kultur sind "passe partout notions" (Knapp/ Knapp-Potthoff 1987:3), die einer übergreifend geltenden Definition entbehren. Dass der Begriff der "Kultur" auch in der Alltagssprache häufige Verwendung findet, erleichtert nicht gerade seine klare Konzeptualisierung für den wissenschaftlichen Diskurs. Die beachtliche Menge teilweise divergierender Definitionen in zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen (bzw. deren ostentatives Fehlen) lassen an der wissenschaftlichen Brauchbarkeit des Begriffs bisweilen Zweifel aufkommen.19 Zumindest darin, dass "Kultur" ein problematischer und bislang unzureichend geklärter Begriff sei, herrscht weitgehend Einigkeit (vgl. u.a. Knapp/Knapp-Potthoff 1987:4, Redder/Rehbein 1987:7, Hinnenkamp 1989a; 1989b), jedoch lässt die Persistenz seiner Verwendung darauf schließen, dass er einen Erklärungswert besitzt, der ihn unverzichtbar macht, auch wenn er sich gegen eine klare Bestimmung sträubt. Der Begriff der Kultur hat wissenschaftshistorisch eine bewegte Geschichte; auf die jüngere IKK-Forschung hatte der "kognitive Kulturbegriff' großen Einfluss, der sich in den 60er Jahren in der "kognitiven Anthropologie" entwickelte. Goodenough (1964) bestimmt Kultur als das, was Menschen in der Sozialisation erlernen, und zwar nicht als "Einzeleinträge", sondern als Organisationsmodelle in den Köpfen, aufgrund derer sie die Dinge der Welt wahrnehmen und interpretieren (verstehen). Dieses Modell betont gemeinsames Wissen als Voraussetzung zur Kulturteilhabe, neigt aber damit zu einer starken Homogenisierung. Eine offene Frage ist darüber hinaus, wie man erfasst, was Menschen in ihren Köpfen 19

Und schon die Diversität der Begrifflichkeiten, die im Forschungsfeld - besonders in der anglophonen Fachwelt - für den Untersuchungsgegenstand Verwendung finden, verweist auf das Bedürfnis nach Spezifizierung des Labels "interkulturell/intercultural": cross-cultural, multicultural, pan-cultural, intergroup, interethnical, interracial, transracial u.s.f. Auf diese begriffliche Vielfalt wurde vielfach hingewiesen, vgl. Hinnenkamp (1994:3f) für eine Zuordnung zu entsprechenden Forschungstraditionen; einen kurzen Überblick über die Disziplinen, die sich mit IKK beschäftigt haben, geben Knapp/Knapp-Potthoff (1990:63f).

20 haben, zumal wenn es sich um einen so komplexen und heterogenen, bisweilen gar widersprüchlich erscheinenden Gegenstand wie Kultur handelt. An diesem Punkt lieferte das hermeneutische und handlungsbezogene Kulturkonzept des Ethnologen Clifford Geertz eine notwendige Ergänzung. Auch er setzt zunächst "in den Köpfen" an, definiert aber das ehemals kognitive, immaterielle Konstrukt Kultur als ein "Gefüge von Kontrollmechanismen", das sich im Handeln der Angehörigen einer Kultur materialisiert. Mit der Befreiung von Kultur aus den Köpfen ist kulturelle Bedeutung nicht mehr individuell, sondern öffentlich, wird beständig ausgehandelt bzw. verändert und kann als kulturelles Wissen weitergegeben und erlernt werden. Die zentrale Rolle, die Sprache dabei spielt, ist offensichtlich. Aufgabe der Wissenschaft ist eine verstehende Analyse des kulturellen Handelns. Dieses Vorgehen nennt Geertz (1997) "dichte Beschreibung", im Gegensatz zu einem bloßen Dokumentieren isolierter Phänomene ("dünne Beschreibung"). Damit ist der Paradigmenwechsel vollzogen zu einem Kulturbegriff, mit dem Kultur als das beobachtbare und verstehbare Handeln von Menschen untersucht werden kann. Wenden wir uns nun den Ergebnissen der linguistischen Forschung zur IKK zu, die aufgrund der Untersuchung von interkulturellen Störungen und Verfahren der interaktiven Bearbeitung divergierender Kulturalität auch für die Untersuchung deutsch-deutscher Bewerbungsgespräche aufschlussreich sind.

l. l .4.2 Forschung zur Interkulturellen Kommunikation Das Aufeinandertreffen verschiedener Sprachen gilt für viele Untersuchungen als ein typisches Kennzeichen für interkulturelle Kontaktsituationen: Ein wesentliches Charakteristikum von interkultureller Kommunikation ist jedoch damit gegeben, daß sich einer der an ihr beteiligten Kommunikationspartner typischerweise einer zweiten und fremden Sprache bedienen muss, die nicht eine Varietät seiner eigenen ist. (Knapp/KnappPotthoffl 990:66)

Entsprechend hat die Fremdsprachenforschung bzw. die Zweitsprachenerwerbsforschung einen wesentlichen Beitrag zur Forschung von IK beigetragen. Zentral ist ein Forschungsinteresse an den Bedingungen des Zweit- bzw. Fremdsprachenerwerbs20 in der Kontaktsituation. Hier wurde zum einen das "exolinguale Arbeitsbündnis" (DausendschönGay/Gülich/Krafft 1995), aber auch die Merkmale des "Foreigner Talk" (vgl. Clyne 1981) beschrieben. Ein wesentlicher Beitrag dieser Forschungsansätze besteht u.a. darin, die breite Palette von Verfahren gezeigt zu haben, die zur Bearbeitung von Verständnisstörungen zur Verfügung steht, wenn die Beteiligten sich verstehen wollen.21 20

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Die Unterscheidung Fremd- vs. Zweitsprachenerwerb zielt auf die Bedingungen des Lemens ab. Fremdsprachenerwerb findet in Sprachkursen, z.B. in der Schule statt, während Zweitsprachenerwerb (u.U. durch unterrichtliche Unterweisung begleitet) im Land der Zielsprache selbst stattfindet. Erste Arbeiten zu Letzterem entstanden in der BRD in den Anfängen der 70er Jahre zum sog. "Gastarbeiterdeutsch" (Heidelberger Forschungsprojekt Pidgin-Deutsch 1979). Dabei rückten neben den Spracherwerbsprozessen zunehmend die soziokulturellen Bedingungen des ungesteuerten Zweitsprachenerwerbs ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Voraussetzung für eine reibungslose Kommunikation ist zwar grundsätzlich die Bereitschaft der Beteiligten, sich zu verstehen (vgl. u.a. Streeck 1985:33), aber selbst in günstigen Fällen beid-

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Der Stellenwert der Sprache in der IKKF basiert darauf, dass Sprache Transport- und Ausdrucksmittel von Kulturalität ist. (Die Muttersprache ist häufig das entscheidende Kriterium für kulturelle Zugehörigkeit.) Sprache kann, z.B. in Fällen unzureichender Sprachkompetenz, Verständigungsprobleme verursachen, sie ist aber auch das Medium, mit dem diese bearbeitet werden können. Ein Schwerpunkt der IKKF liegt jedoch auf der Untersuchung von Codedifferenzen als Quelle für Störungen und als Hindernis bei der Behebung kommunikativer Störungen. Allerdings sind Störungen in der interkulturellen Kommunikation nicht allein auf Sprachkompetenzdefizite zurückführen, denn Verständigungserfolge stellen sich offensichtlich nicht in dem Maße ein, wie die Sprachkompetenz der Beteiligten steigt. Dieses Ergebnis ist besonders interessant für die Untersuchung deutsch-deutscher Kommunikation, denn hier spielen Sprach&owpete/izdifferenzen kaum eine Rolle. Gerade eine hohe Sprachkompetenz scheint das Aufdecken von Miss Verständnissen eher zu behindern; das jedenfalls zeigen u.a. die Arbeiten von Gumperz und Mitarbeiter/innen (s.u.), die viele Beispiele gesammelt haben, in denen es in Interaktionen zwischen kompetenten Sprechern zu Missverständnissen kommt, die aber dennoch auf Codedifferenzen zurückgeführt werden konnten, auch wenn sie von den Beteiligten nicht als solche erkannt wurden.22 Die Arbeiten von Gumperz und Mitarbeiter/inne/n gehören zu einem zweiten wichtigen Strang in der IKKF neben der Zweitspracherwerbsforschung, der hier erwähnt werden soll: Untersuchungen auf dem Hintergrund multikultureller Gesellschaften (Gumperz/Jupp/Roberts 1979; 1981; Roberts/Davies/Jupp 1993; Blommaert/Verschueren 1991 a; Hinnenkamp 1989b, Meeuwis 1994b). Auch bei diesen Begegnungen, die typischerweise in Institutionen der "Gast"gesellschaft verlaufen, spielen Sprachbarrieren eine Rolle; jedoch wird der sozio-ökonomische Hintergrund, vor dem sie stattfinden und der häufig durch Vorurteilsstrukturen, Diskriminierung und Rassismus geprägt ist, stärker in die Untersuchung einbezogen.

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seitiger Verständigungsbereitschaft lauern unzählige interkulturelle Stolpersteine auf die wohlmeinenden Beteiligten gemischtkultureller Kontaktsituationen. Jedoch muss auf den Unterschied hingewiesen werden zwischen interkulturellen Verständigungsstörungen einerseits und den tiefergehenden sozialpsychologischen Ursachen für Xenophobie und kriminelle Praktiken rassistischer Gewalttäter andererseits. Es wäre eine gefährliche Verharmlosung, Rassismus, zunehmende Gewaltbereitschaft und Rechtsradikalität mit dem Konzept des interkulturellen Missverständnisses fassen zu wollen. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Meeuwis (1994a), der die Kommunikation von Flamen, Tansaniern und Südkoreanem in der lingua franca Englisch untersucht. Obwohl das Englisch der tansanischen Ingenieure weit stärker dem Standardenglisch entspricht als das der Koreaner und auch ungeachtet des Einsatzes ähnlicher verständnissichernder Verfahren der flämischen Kursleiter, wurde das Lernverhalten der Tansanier von den Kursleitern wesentlich negativer bewertet. Das kann nach Meeuwis nur durch extrasituative, nicht auf Codedifferenzen beruhende Faktoren erklärt werden, wie eine stereotype und durch Vorurteile belastete Wahrnehmung der Tansanier durch die Kursleiter. Auf einen selten thematisierten Zusammenhang von "Verstehen" und "Hegemonie" verweist Hinnenkamp (1994) unter Bezugnahme auf eine Untersuchung von Todorov, in der gezeigt wird, dass bei Cortes' Eroberung Mexikos das "Verstehen" erst die Voraussetzung zur Unterdrückung und Ausrottung der Ureinwohner Amerikas geschaffen habe. Hinnenkamp kommt zu dem Schluss: "Zweifellos hängen interkulturelle Kommunikation und die Durchsetzung hegemonialer Ansprüche zusammen, auch wenn dies nicht immer intendiert ist." (1994:10).

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Die im Umkreis von Gumperz seit den 70er Jahren entstandenen Arbeiten im Rahmen der "Interactional Sociolinguistic" stellen fraglos einen Meilenstein in der IKKF dar. Sie sollen im folgenden aufgrund des Stellenwertes, der Gumperz' Forschungsarbeit im Feld der IKKF zukommt, ausführlicher vorgestellt werden. Dass in diesem Rahmen auch Untersuchungen von interkulturellen Bewerbungsgesprächen durchgeführt wurden (vgl. hierzu Punkt 1.1.4.3), macht sie für die vorliegende Arbeit besonders relevant. "Crosstalk"23 - Interkulturelle Kommunikation in Institutionen Gumperz gilt als einer der ersten, der interkulturelle Kommunikation an Transkriptionen von authentischem Sprachmaterial untersucht hat und eine konsequent empirisch-interaktionsanalytische Ausrichtung verfolgt. Gumperz und Mitarbeiter/innen untersuchten institutionelle Interaktionen wie z.B. Gespräche in der Bank, Bewerbungsgespräche, Beratungen auf dem Sozialamt von anglo-britischen "gatekeepem"24 mit asiatischen Migrant/innen (vgl. Gumperz/Jupp/Roberts 1979; 1981). Much of my work on conversational inference in interethnic settings during the last few years has concentrated on what I could call "the comparative analysis of speech events in institutional settings". (Gumperz 1989a:86)

Die Untersuchungen setzen bei Missverständnissen an, die auf Unterschiede in den diskursiven Strategien zurückgeführt werden. Gumperz/Jupp/Roberts (1979) nennen drei Hauptquellen für Missverständnisse in interkulturellen Begegnungen: • • •

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Different cultural assumptions about the situation and about appropriate behaviour and intentions within it. Different ways of structuring information or an argument in a conversation. Different ways of speaking: the use of a different set of unconscious linguistic conventions (such as tone of voice) to emphasise, to signal connections and logic, and to imply the significance of what is being said in term of overall meaning and attitudes, (ebda: 5)

Auf der Grundlage ihrer Ergebnisse entwickelten Gumperz und Mitarbeiter/innen das Trainingsprogramm "Crosstalk" fur interkulturelle Kontaktsituationen in institutionellen Zusammenhängen, das auf die Bewusstmachung unterschiedlicher, kulturell geprägter Diskursstrategien und daraus resultierender Missverständnisse als Ursache für Fehlschläge in der interethnischen Kommunikation abzielt (Gumperz/Jupp/Roberts 1979, 1981;) Vgl. Roberts/Davies/Jupp (1993) zur Arbeit des "Industrial Language Training", ein in Großbritannien jahrzehntelang durchgeführtes Kommunikationstraining für interkulturelle Arbeitszusammenhänge. Es ist anzumerken, dass nicht die Minoritätsangehörigen, sondern die Majoritätsangehörigen geschult werden. Unter "gatekeepem" fassen die Autoren: "[...] personnel officers, job supervisors, people who take part in selection and promotion interviews, career officers, job centre staff, social workers, professionals on the health service, teachers who counsel parents about their children's future, and so on. These types of people are "gatekeepers", because they control access to all sorts of opportunities and entitlements on our society. The "gate" is itself usually in the form of one or several intensive conversations or interviews. The ability of both sides to communicate effectively in such situations is vital to a satisfactory and fair outcome." (Gumperz/Jupp/Roberts 1979:4)

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Für die Beobachtung und Beschreibung dieser Vorgänge hat Gumperz als zentrales Konzept die "Kontextualisierungshinweise" (contextualisation cues) entwickelt (vgl. Gumperz 1982a; 1992a; Auer/Di Luzio 1992). Er definiert Kontextualisierungshinweise folgendermaßen: As verbal signaling mechanisms, contextualization cues typically operate on the following level of language (a) prosody, including accent and intonation, (b) rhythm, tempo and such related phenomena as pausing, overlap, and latching, between either utterances or turns at speaking; (c) shifts (i.e. lowering or raising) in pitch register; (d) selection among code options within a linguistic repertoire (Gumperz 1971), as in language, dialect or style switching and selection among phonetic or morphological variables - part of what is commonly regarded as a single language, dialect or style. (Gumperz 1996:379)

Geteiltes Hintergrundwissen erleichtert die reibungslose Kommunikation: People who share common background experiences are of course more likely to succeed in negotiating shared interpretations than those who do not. (Gumperz 1996: 397) Kontextualisierungshinweise haben keine referentielle Bedeutung im eigentlichen Sinn, dennoch gibt es konventionelle Verfestigungen innerhalb von Kommunikationsgemeinschaften, die in der interkulturellen Begegnung zu Missverständnissen fuhren können. Deren Bearbeitung wird dadurch erschwert, dass Kontextualisierungshinweise aufgrund ihres arbiträren, nicht-referentiellen, komplexen Charakters einer Metathematisierung schwer zugänglich sind, so dass Ursachen für Missverständnisse, die auf divergierenden Kontextualisierungskonventionen basieren, den Beteiligten oft nicht bewusst werden (Gumperz 1996:383). Ein häufig zitiertes Beispiel soll den Missverstehens-Mechanismus aufgrund von differierender Verwendung prosodischer Kontextualisierungshinweise im Sinne Gumperz1 veranschaulichen. Die negative Beurteilung von indischen und pakistanischen Angestellten einer Flughafenkantine durch britische Gäste und Vorgesetzte führt Gumperz auf die Intonation zurück, mit der sie beispielsweise fragten, ob "gravy" (Soße) gewünscht werde. Entgegen der im britischen Englisch üblichen finalen Hebung der Stimme bei solchen Fragen senkten die Angestellten die Stimme, wie es in ihrer Muttersprache üblich ist. Dadurch hätten die Gäste die Äußerung nicht - wie intentiert - als Angebot, sondern allenfalls als rüde Zurechtweisung interpretiert (Gumperz 1982a:173).

Kritische Stimmen zu IKKF Der Analysefokus aus den Anfängen dieser Forschung, der zunächst noch vorrangig auf Unvereinbarkeiten in ethnisch determinierten Diskurstrategien ausgerichtet war, wird heute zunehmend erweitert und Faktoren wie Situation, Macht, geteiltes Wissen etc. finden verstärkt Berücksichtigung. Dass dies notwendig ist, wird auch in der kritischen Rezeption des Gumperz'schen Ansatzes betont (vgl. u.a. Streeck 1985; Hinnenkamp 1990; Sarangi 1994b; Meeuwis 1994b). Eine Kritik betrifft den zugrunde liegenden Kulturbegriff. Gumperz betrachte "Kultur" als ein statisches Set von Merkmalen, das als kulturelles Inventar außerhalb der Interaktion existiere. Die zweite Kritik betrifft den (vermeintlichen) Anspruch der Theorie, Fehlkom-

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munikationen ausschließlich durch kommunikative Differenzen zu erklären. Dadurch werde der Blick auf entscheidende soziale Differenzen und Mechanismen der Ausgrenzung verstellt. Das wurde u.a. von Streeck (1985) pointiert; die implizite Annahme, dass Interkulturelle Kommunikation, einer Sackgasse gleich, aufgrund der gegebenen (unbewussten) Differenzen in den linguistischen Codes der Interaktanten zwangsläufig zum Scheitern verurteilt sei, übersehe die Funktionalität von Fehlkommunikationen bei der Aufrechterhaltung von ethnischer Identität. So belegen verschiedene Untersuchungen der Soziolinguistik den identitätsstiftenden Effekt von Sprache, der Codes geradezu hervorbringt. Unter Bezugnahme auf die Theorie der "ethnic boundaries" nach Barth (1969) argumentiert Streeck, dass Code-Differenzen identitätsstiftend wirken und sowohl als ein Resultat (politischer) Ausgrenzung als auch identitätssichernder Abgrenzung zu betrachten sind. Somit kommt es zu einem Zirkel von Ein- und Ausgrenzung, in dem Sprache eine zentrale Funktion hat (vgl. Barth 1969; zur sozialen Distinktion und zum Marktwert von Sprache vgl. a. Bourdieu 1993). Gumperz' Ansatz eigne sich zwar zur analytischen Erfassung der Mechanik von interkultureller Fehlkommunikation im Mikrobereich, erschließe aber nicht deren Funktionalität, die in der interaktiven Reproduktion eines ethnisch stratifizierten Sozialsystems zu sehen sei. Als ein zweites Argument gegen die Zwangsläufigkeit von Fehlkommunikationen in interethnischen Kontakten führt Streeck die Ergebnisse von Erickson/Shultz (1982) an, die in universitären Counselling-Interviews gezeigt haben, dass die "interaktive Synchronisiening" der Interaktanten bei ethnisch gemischter Zusammensetzung (schwarze Studierende mit weißen Counselors) häufiger gestört war als in homogenen Dyaden, was zur Konsequenz hatte, dass schwarze Studierende weniger Unterstützung erhielten. Sehr aufschlussreich war dann jedoch die Beobachtung, dass dieser Mechanismus quasi unterlaufen wird, wenn die Interaktanten Gemeinsamkeiten in anderen Identitätskategorien entdecken, z.B. dieselbe Sportart betreiben oder von demselben Fachbereich kommen. Kulturelle Zugehörigkeit ist also eine Größe, die offensichtlich auch von anderen Zugehörigkeitskategorien überlagert werden kann. Ein Ausweg aus dem Dilemma wird in der Verwendung eines "interaktiven Kulturbegriffs" bei der Untersuchung von /«terkulturalität gesehen (u.a. Hinnenkamp 1987, 1989b; Roberts/Sarangi 1993; Günthner 1994; Streeck 1985; Blommaert 1991; Auer/Kern, im Erscheinen). In neueren Arbeiten, auch solchen, die an Gumperz anschließen, wird Kultur zunehmend als ein Kontextfaktor verstanden, der relevant werden kann oder auch nicht und dessen Aktualisierung den unterschiedlichsten Zwecken dienen und zu verschiedensten (antagonistischen wie gänzlich unmarkierten) Verlaufsformen fuhren kann - von denen Missverständnisse eine mögliche Ausprägung sind. Damit rücken "kommunikative Störungen", wie sie die Linguistik besonders in den Anfängen der Beschäftigung mit Interkultureller Kommunikation untersucht hat, aus dem Zentrum des Analysefokus.25 Blommaert (1991:14) z.B. kritisiert das gängige Kulturkonzept der IKKF als "monolithic", "stable" und "transcendental". Monolitisch bezieht er auf die Tatsache, dass Kultur, Rasse ("race", ebda) und Ethnizität als Einflussfaktoren auf die Kommunikation undifferenziert zusammengefasst werden; statisch, weil Kultur als eine apriorische Größe und als 25

"Eines der Schlüsselprobleme interkultureller Kommunikation sind fehlgeschlagene Kommunikationen ('miscommunication')." (Rehbein 1985b).

25 nicht situiert verhandelbar gilt; und transzendental insofern, als interkulturelle Konflikte jenseits der realen Welt mit ihren sozialen, politischen etc. Gegebenheiten stattzufinden scheinen. In der IKKF werde ein naiver Kulturbegriff verbreitet, nach dem gilt "whenever culturally different interlocutors meet, their cultures meet, and whenever they have a conflict, their cultures collide" (Blommaert 1991:19). Auch Sarangi (1994b, 1995) warnt in seiner kritischen Auseinandersetzung mit Erklärungsansätzen der IKKF vor einem Kurzschluss zwischen kultureller Zugehörigkeit und Misskommunikation. Das Risiko eines Zirkelschlusses sei sehr hoch, wenn in einer vorab als interkulturell klassifizierten Situation alle Missverständnisse und Störungen auf interkulturelle Differenzen zurückgeführt werden, ein Vorgehen, dass Sarangi (1994b:413) als "'analytic stereotyping' of intercultural events" stigmatisiert. Die Frage sollte vielmehr lauten, ob die Erklärung von unterschiedlichen Diskursstrategien als Ursache für kommunikative Störungen in interethnischer Kommunikation nicht ein Mäntelchen um die "wahren" Ursachen für die Probleme hängt, wie z.B. institutionellen Rassismus und Diskriminierung, was einer Verwechslung der linguistischen Differenzen als Ursache statt als Symptom gleichkommt. Wenn auch nicht mit Störungen, so erscheint es doch unausweichlich, dass sich IKKF mit Differenzen beschäftigt. In der Untersuchung m/erkultureller Kommunikationen ist immer eine Vergleichsdimension enthalten; das ist verschiedentlich beklagt worden, wie auch Wimmer (1996) feststellt: Andere gehen gar so weit, jede Rede über kulturelle Unterschiede als Versuch der 'Ethnisierung' und 'Kulturalisierung' zu brandmarken, und widmen sich fortan ausschließlich dem Studium solcher Prozesse diskursiver Ausgrenzung. (1996:403)

In diesem Sinne auch Roberts/Davies/Jupp (1993:371): "Focusing on differences is perceived as focusing on deficit." Tatsächlich ist der Schritt von Differenzen zu Defiziten klein und de facto werden Differenzen häufig zum Ausgangspunkt von Minorisierungsprozessen, die Gumperz folgendermaßen definiert: I use the term minorization to refer to bilingual situations where one or more participant's verbal performance is interpreted or evaluated in terms of other participants' standards, and where this difference in interpretative criteria has a pejorative effect on the outcome of the interaction. (Gumperz 1989a:21)

Es ist der hegemoniale Anspruch auf die Richtigkeit der interpretativen Kriterien, der Differenzen zu Defiziten werden lässt, und natürlich darf die IKKF nicht in die "ethnozentrische Falle" tappen und dieser Bewegung folgen. Dennoch wäre es fahrlässig, sich jede Analyse von Differenzen zu verbieten, auch wenn bei der Explanation und Evaluation nicht vergessen werden darf, dass sprachliche Differenzen leicht als "Projektionsfläche" (Palm 1997) für ganz andere Differenzen dienen können. Asymmetrische Machtverteilung, wirtschaftliche und soziale Ungleichheit sind zentrale Kontextfaktoren interkultureller Begegnungen. Ursachen für kommunikative Fehlschläge in interkulturellen Interaktionen werden von der IKKF jedoch meist in kulturellen Unterschieden und eher selten in den (Makro-) Faktoren, die die Kontaktsituation bestimmen, gesucht. Das beklagen auch einige Forscher/innen, die meinen, dass die linguistische Gesprächsforschung die sozio-ökonomischen Bedingungen, unter denen Interkulturelle Be-

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gegnungen stattfinden, bei der Analyse von IKK noch immer zu sehr vernachlässige.26 Die Einlösung dieses Desiderats ist in der gesprächsanalytischen Interaktionsforschung methodisch bislang noch nicht befriedigend gelöst.27 Hinzu kommt, dass einem Kulturkonzept, das wesentlich auf geteiltem Wissen einer Kommunikationsgemeinschaft beruht, ein grundsätzliches Dilemma für den analytischen Interpretationsprozess eingeschrieben ist: Wenn Forscherinnen und Forscher aus einer der beteiligten Gruppen stammen, ist der Verstehenszugang zu der anderen notwendiger Weise geringer (Knapp/Knapp-Potthoff 1987:9). Von dort führt ein direkter Weg zur Reifizierung der Normen der Majoritätskultur (Blommaert 1991:17).28 Hält man sich dann noch die starke Überrepräsentation westlicher Autoren bzw. von Angehörigen der Majoritätskulturen in der IKKF vor Augen, wird die Gefahr des "Ethnozentrismus" deutlich, für die ein präsupponierendes Konzept von Interkulturalität besonders anfällig ist (vgl. u.a. Blommaert/Verschueren 1991b:3; 7). Ein Ausweg ist, "Kultur" als eine Facette von Identität zu verstehen, die aber nicht wie ein Stigma am Individuum klebt, sondern wie andere Identitätskategorien (z.B. Geschlecht, Alter, regionale Herkunft etc.) eine Ressource für die interaktive Relevantsetzung darstellt. Damit konstituiert sich Interkulturalität nicht schon durch die bloße Begegnung zweier Menschen mit unterschiedlichem kulturellen Hintergrund; in den analytischen Fokus kommen vielmehr diejenigen kommunikativen Praktiken, mit denen kulturelle Zugehörigkeit in der Orientierung der Teilnehmenden zu einem relevanten Merkmal der Begegnung wird. Situierte Analysen müssen zunächst einmal zeigen, ob "kulturelle Zugehörigkeitskategorien" für die Beteiligten überhaupt relevant sind.

Kultur als interkultureller Rezipientenzuschnitt In diesem Sinne argumentieren auch Schmitt/Keim (1995); sie warnen nachdrücklich davor, das "voranalytische, heuristische Konzept Kultur" als analyseleitende Vorabannahme in die empirische Analyse von Gesprächsdaten einzubringen. Die theoretische Annahme kultureller Differenz enthebt die Analyse nicht der Aufgabe, die empirische Bedeutung kulturell unterschiedlicher Konzepte zu belegen und in jedem konkreten Fall nach äußerungs- und interaktionsstrukturellen Hinweisen und nach Spuren der Sinnkonstitution im Gespräch zu suchen, die die faktische Relevanz kultureller Differenz bzw. von Interkulturalität anzeigen, ohne diese bereits vorauszusetzen. (Schmitt/Keim 1995:414)

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Vgl. hierzu u.a. die Beiträge in Meeuwis (1994b) sowie Sarangi/Slembrouck (1992:142); Streeck (1985:114); Blommaert (1991:26), Günthner (1993:37); Kotthoff (1994:75). Vgl. auch die Beiträge in Kotthoff (im Erscheinen); zur Methodendiskussion der Verbindung von Mikroanalyse und Makrofaktoren a. Schegloff (1987). Blommaert (1991:19) beklagt auch, dass es gängige Praxis sei, dass sich (wohlmeinende) interkulturelle Trainingsprogramme vor allem an westliche Teilnehmende wendeten und von der stillschweigenden Prämisse ausgingen, dass die westliche Kultur in Hinsicht auf Flexibilität und Dynamik überlegen sei. Für Singh/Martohardjono (1985) dagegen offenbart sich ein Ethnozentrismus gerade in der Schulung von Minoritätsangehörigen, da darin ein Anspruch auf Assimilation an Normen der Majoritätskultur zum Ausdruck käme.

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Schmitt/Keim schlagen vor, den Begriff des Rezipientenzuschnitts fruchtbar zu machen, um die Interkulturalität einer Interakion zu erfassen (ebda:415). In Anlehnung daran weisen einige Untersuchungen die interkulturelle Orientierung von Interaktanten in "accounts" nach, so beispielsweise Dausendschön-Gay/Krafft (1998), die an Erklärungen von kulturell gebundenen Wissensbeständen (wie regionale Besonderheiten eines Landes u.a.) die antizipatorische Bearbeitung von Verständnisproblemen und mithin eine interkulturelle Orientierung aufzeigen. Ein großes Verdienst dieses Vorgehens liegt in der systematischen Berücksichtigung der Rezipienten; Interkulturalität wird somit als Interaktion und nicht als bloßes Aufeinandertreffen kultureller Andersartigkeit erfasst.29 Diesen Ansatz wendet auch Kern (im Erscheinen) in der Untersuchung deutsch-deutscher Bewerbungsgespräche an. Ihre Ergebnisse zeigen, dass die Zugehörigkeit zur Gruppe der West- bzw. Ostdeutschen von den Beteiligten in unterschiedlicher Weise relevant gesetzt wird. So lassen sich in den biographischen Narrativen ostdeutscher Bewerber/innen, d.h. der mündlichen Präsentation des Lebenslaufs (vgl. Kern, im Erscheinen), unterschiedliche Explizitheitsgrade der Verortung im Osten beobachten. Oft ist in den (in Bewerbungsgesprächen frequenten) Ortsangaben die Zugehörigkeit implizit enthalten und nur auf dem geteilten geographischen Wissen von Ost- und Westdeutschen basiert das Verständnis. Besonders aufschlussreich als Mittel interkultureller Orientierungen sind z.B. Übersetzungen von DDR-Spezifika in westdeutsche Äquivalente (z.B. "Erweiterte Oberschule" vs. "Gymnasium", vgl. Auer/Kem, im Erscheinen; Birkner/Kern 2000). Auch in der Strukturierung biographischer Narrative im Bewerbungsgespräch durch längere Erklärungssequenzen, in denen Elemente der DDR-Lebenswelt erläutert werden, bildet sich ein spezifisch interkultureller Rezipientenzuschnitt der Beteiligten ab (vgl. Auer/Kem, im Erscheinen). Zum einen handelt es sich bei der Darstellung und Erklärung von Wissensdifferenzen um Verständnissicherung; darüber hinaus wird aber auch auf einer symbolischen Ebene Fremdheit angezeigt, mit der Funktion, diese qua Äquivalentsetzung zu überwinden. In der Darstellung von Unterschieden in kulturell gebundenen Wissensbeständen zeigen sich die Gesprächsbeteiligten kulturelle Differenz an. Auch die westdeutschen Interviewer/innen offenbaren Erwartungen hinsichtlich des ostdeutschen Hintergrundes. Bestimmte Nachfragen geben Aufschluss über westdeutsche Präsuppositionen hinsichtlich ostdeutscher Lebenswelten. Häufig werden Ostdeutsche mit Fragen konfrontiert, die so "heiße Eisen" betreffen wie Stasikontakte und Wendeerlebnisse, wobei die Interviewenden sich des kritischen Potenzials ihrer Fragen für Ostdeutsche anscheinend gar nicht bewusst sind (Auer/Birkner/Kem 1997a).

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Die Forschungsperspektive von Dausendschön-Gay/Krafft (1998) ist auf Wissensbestände gerichtet, die auf nationale oder ethnische Zugehörigkeit verweisen (ebenso könnte man auch Differenzen zwischen Generationen, Regionen, Schichten, etc. untersuchen (ebda: 165)). So erklärte z.B. ein französischer Agraringenieur einer britischen Interviewerin seine Tätigkeit folgendermaßen: also zum Beispiel baue ich Flüsse aus, ja? äh nehmen wir ein konkretes Beispiel: In dieser Region des Zentrums, die Brenne heißt - Sie können auf dieser Karte sehen, dass sie von Seen bedeckt ist [...]. Die Autoren argumentieren, dass die Brenne eine in Frankreich allgemein bekannte Landschaft ist und im Gespräch mit Franzosen nicht näher spezifiziert werden würde. Der Britin gegenüber wird sie - Unkenntnis aufgrund ihrer ethnischen Nicht-Zugehörigkeit voraussetzend - mit ihren Spezifika (als ein ausgedehntes Seengebiet) erläutert, worin sich ein interkultureller Rezipientenzuschnitt offenbart.

28 Betrachten wir nun die Ergebnisse, die die IKKF zu interkulturellen Bewerbungsgesprächen vorzuweisen hat.

l. l .4.3 Studien zu interkulturellen Bewerbungsgesprächen Eine Reihe von Arbeiten im Bereich der IKKF hat sich im Rahmen der Untersuchung von Begegnungen von Immigrant/inn/en und "gatekeepem" in institutionellen Kontexten auch mit Bewerbungsgesprächen beschäftigt. Besonders im Umkreis von Gumperz, dessen Arbeiten in Punkt 1.1.4.3 bereits Erwähnung fanden, wurden interkulturelle Bewerbungsgespräche untersucht. Entscheidungen von "gatekeepem" in institutionellen Kontexten werden zu einem großen Teil im "Miteinander-Sprechen" getroffen; Gumperz (1982a) und Gumperz/Jupp/Roberts (1979; 1981) zeigen vielfältige Missverständnisse, die aus unterschiedlichen kulturellen Hintergründen und divergierenden Kontextualisierungskonventionen der Beteiligten resultieren. Diese wirken sich in der Regel zu Ungunsten der Minderheitsangehörigen aus, ohne dass wohlmeinende Institutionsvertreter das beabsichtigen. In dem in "Crosstalk" (Gumperz/Jupp/Roberts 1979; 1981) untersuchten Bewerbungsgespräch zwischen anglo-britischen Interviewer/inne/n und einem anglo-indischen Bibliothekar wird beispielsweise gezeigt, dass dessen Informationsstrukturierung (die wichtigsten Punkte als letzte zu nennen) den diskursiven Praktiken seiner Herkunftssprachgemeinschaft entspricht, aber von den britischen Einstellenden missverstanden wird. Sie erwarten die umgekehrte Reihenfolge und kommen nach seinen ersten allgemeinen Ausführungen auf die Frage nach beruflichen Tätigkeiten zu dem Schluss, dass er keine einschlägigen Qualifikationen vorzuweisen habe. Ferner weisen die Autor/inn/en nach, dass der Bewerber die indirekten Fragen der Interviewenden und deren "Versteckte Agenda" nicht versteht; ebenso wie die Interviewenden aus den Antworten des Bewerbers nicht die richtigen Inferenzen zu ziehen in der Lage sind. Auch die vergleichende Untersuchung von Antworten auf Fragen nach Tätigkeitsbeschreibungen von nativen und nicht-nativen Bewerbenden mit anglo-britischen Interviewenden kommt zu ähnlichen Ergebnissen (Gumperz 1989b; 1992b). Das Antwortverhalten der asiatischen Bewerbenden kann im Vergleich zu den britischen Bewerbenden als unkooperatives Ausweichen gedeutet werden. Kooperation, die sich bei Gumperz auf die gemeinsame Herstellung des Gesprächs bezieht, ist jedoch Voraussetzung für den Erfolg im Bewerbungsgespräch.30 Kooperation und reibungslose sprachliche Interaktion beruhen auf interaktiver Synchronisierung (Erickson/Shultz 1982), die u.a. über prosodische Kontextualisierungshinweise vollzogen wird. So zeigt beispielsweise ein Vergleich des ersten Begrüßungsaustausches von nativen/nicht-nativen Bewerbenden mit den Interviewenden, dass die britischen Bewerbenden die relativ informellen Begrüßungen der Interviewenden auf einem vergleichbaren Niveau erwidern, während die asiatischen Bewerbenden ein höheres Stilniveau wählen (Gumperz 1992b:318ff).31 30 31

Vgl. a. die vorgestellten Ergebnisse Grießhabers unter 1.1.2 sowie Roberts/Sarangi (1993:104). Auch Komter (1991:59) verweist darauf, dass die Begrüßung mehr ist als ein routinisierter Standardaustausch, denn "the style of the greeting anticipates the relative formality of the interview

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Die Untersuchung von Akinnaso/Seabrook Ajirotutu (1982), die im Umkreis von Gumperz entstanden ist, basiert auf 12 Rollenspielen mit afroamerikanischen Teilnehmer/innen eines berufvorbereitenden Schulungskurses in den USA. Sie ist vom Design kontrastivinterkulturell angelegt; in der detaillierten Analyse zweier ausgewählter Gespräche werden Differenzen in paralinguistischen Merkmalen sowie der Strukturierung zweier Erzählungen aufgezeigt. Die kommunikative Effektivität der als erfolgreich eingestuften Bewerberin beruht auf der Beherrschung von Diskurskonventionen der weißen Mittelklasse; die andere Bewerberin dagegen orientiert sich an afroamerikanischen Nonnen. Damit verdeutlichen die Autorinnen den Mechanismus der Benachteiligung ethnischer Minderheiten, wenn diese aufgrund kulturspezifischer Diskurskonventionen beurteilt werden. Auch Akinnaso/Seabrook Ajirotutu betonen die Asymmetrie des Gesprächstyps "Bewerbungsgespräch" und heben die Rolle von Fragen als Ausdruck von Macht und Autorität hervor. Das Recht, Fragen zu stellen, liegt bei den Interviewenden, die allein das Gespräch eröffnen, beenden, Themen einführen und wechseln können (ebda:121f). Bewerbende dagegen stehen in der Pflicht zu antworten. Perhaps the interviewer's greatest weapon is the legitimate responsibility for asking questions designed to elicit responses by which the interviewee will be evaluated, (ebda: 121)

Wie auch in anderen Arbeiten beschreiben die Autorinnen die "Hidden Agenda" von Bewerbungsgesprächen: Unter der semantischen Oberfläche von Interviewfragen liegen nichtlexikalisierte Annahmen und Frageabsichten, die von Bewerbenden erkannt werden müssen, um eine angemessene Antwort zu geben. Nur geteiltes (kulturelles/soziales) Wissen ermöglicht ein "to 'go beyond1 surface meaning" (ebda: 124). Ein zentraler Angelpunkt von Inferenzen ist, dass Fragen in Bewerbungsgesprächen in (mehr oder weniger direktem) Bezug zu dem zu vergebenden Job stehen.32 Beispielsweise wird eine der Bewerberinnen, die sich um eine Stelle als Bibliothekarin in einer Universitätsbibliothek bewirbt, gefragt, was sie bei ihrer derzeitigen Tätigkeit in einer Bücherei am meisten interessiere. Ihre Antwort "die Kinderbücher" verfehle, so argumentieren Akinnaso/Seabrook Ajirotutu, die nicht-lexikalisierte Frageabsicht auf der "Versteckten Agenda", die sich auf ihre Motivation für die Tätigkeiten einer Universitätsbibliothekarin gerichtet habe, in deren Rahmen Kinderbücher allerdings keine Rolle spielen (ebda: 125). Auch Roberts/Sarangi (1993; 1995) sowie Sarangi (1994a; 1994b) betonen die Entscheidungsrelevanz von Fragen in Bewerbungsgesprächen und die Notwendigkeit, die "Versteckte Agenda" zu erkennen und Antworten darauf zuzuschneiden. Sarangi (1994a: 172, vgl. a. Sarangi/Roberts 1995:380) bezeichnet solche Antworten, die einen adäquaten Bezug zur Zielsetzung des Aktivitätstyps erkennen lassen, als "preferred answers". Nicht zuletzt verweisen präferierte Antworten auf einen gemeinsamen Hintergrund geteilten Wissens. In diesem Zusammenhang plädiert Sarangi für einen Perspektivwechsel von kulturell determinierten Diskursstrategien hin zu dem flexibleren Konzept der "rhetorical strategies" nach Gumperz (Sarangi 1994a:189; vgl. a. Roberts/Sarangi 1993), das u.a. die Berücksichtigung situationsabhängiger Normen (z.B. von Aktivitätstypen/Gattungen) als Erklärungsressource für kommunikative Störungen möglich macht. In seinen eigenen Analysen von 32

Vgl. auch Roberts Spielregel: "Candidates should relate their answers to the job on offer, but are seldom invited to do so.[...]" (1985:13).

30 Bewerbungsgesprächen zwischen britischen Interviewer/innen und asiatischen Bewerbenden fuhrt er kommunikative Störungen auf Fehlanpassungen an die Normen des Aktivitätstyps zurück. Dabei spielen zwar Unterschiede in kulturell geprägten Diskursstrategien auch eine Rolle, sie verlieren aber ihren zentralen Erklärungswert gegenüber einem Wissen um aktivitätstypspezifische rhetorische Strategien, das auf geteilte oder eben auch nicht geteilte kommunikative Erfahrungen zuriickgefiihrt wird (Roberts/Sarangi 1995). Aus geteiltem Wissen, das zu Übereinstimmung in den diskursiven Praktiken und rhetorischen Strategien fuhrt, resultiert ein "alignment" (Roberts/Sarangi 1995:379), das eine ganz wesentliche Basis für positive Entscheidungen der Interviewenden im Bewerbungsgespräch ist. Aufschlussreich ist außerdem die Untersuchung dreier Bewerbungsgespräche in Großbritannien, in dem ein Interviewteam aus Immigrant/inn/en drei Kandidat/inn/en für Sozialarbeit mit asiatischer Klientel auswählt (Roberts/Sarangi 1993). Die Entscheidung fällt ebenso gegen den weißen Kandidaten, dessen "low involvement style" den Erwartungen eines weißen Interviewerteams, wie der/die Autor/in vermuten (ebda:103f), entsprochen hätte, wie auch gegen den asiatischen Bewerber, der das Einstellungskriterium "Kenntnis der asiatischen Kultur" eigentlich am besten erfüllt hätte. Statt dessen wird eine Afroamerikanerin eingestellt, deren Selbstdarstellung in einem "high involvement style" zwar gegen die ("weißen") Spielregeln der Gattung verstößt, sich aber (oder vielleicht gerade wegen dieses Verstoßes) mit dem präferierten Stil der Interviewer/innen deckt. Die Analyse überzeugt nicht in jeder Hinsicht, so ist z.B. die Vergleichsfolie "Präferenzen eines weißes Interviewerteams" hypothetisch und beruht auf desituierten, kulturellen Zuschreibungen, die einen Kulturbegriff reifizieren, den Roberts/Sarangi eigentlich ausdrücklich ablehnen (ebda:98). Dennoch scheint das Plädoyer für ein dynamisches Konzept von "communicative styles which cut across ethnic differences, thus playing down the notion of culturally-determined discourse strategies" (ebda: 195) gerechtfertigt, da es Raum für Wandel in den diskursiven Normen eröffnet, der gerade in multikulturellen Gesellschaften von Bedeutung ist, in denen Immigrant/inn/en zunehmend auf "gatekeeper"-Positionen gelangen.33 Die bisherige Zusammenschau von Ergebnissen aus der interkulturellen Forschung sowie aus den Untersuchungen zu Bewerbungsgesprächen als institutionalisierter Interaktionsform haben gezeigt, dass Bewerbungsgespräche einen Kontext mit spezifischen Bedingungen und Asymmetrien darstellen. Die Gattung "Bewerbungsgespräch" selbst gilt als stark kulturgeprägt in Bezug auf ein Wissen um Regeln, angemessene rhetorische Strategien der positiven Selbstdarstellung und deren Bewertung, das via kommunikativer Praxis in der Kommunikationsgemeinschaft erworben und in der Interaktion beständig ausgehandelt wird. Genau darin liegt in der interkulturellen Begegnung ein potenzieller Störfaktor: In der Interaktion zwischen Angehörigen verschiedener Gruppen können Differenzen in Bezug auf Regeln der Gattung und Normen für erfolgversprechende, positive Selbstdarstellung ebenso wie im Wissen um Diskurskonventionen (z.B. Kontextualisierungshinweise zur Strukturierung und Fokussierung von Information) Konsequenzen für den Gesprächsverlauf haben. In der Regel sind die Entscheider Majoritätsvertreter/innen, deren Maßstäbe und Normen auf einer hegemonialen Grundlage Gültigkeit beanspruchen können (zu He-

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Vgl. a. Fache (1998, im Erscheinen) für interkulturelle Bewerbungsgespräche, in denen Migrantinnen im Rahmen politisch fixierter Quotierung für Stellenbesetzungen bevorzugt gesucht sind.

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gemonie vgl. Kem, im Erscheinen; zu Hegemonie in der Ost/West-Kornmunikation Auer 1995b). Um u.a. zu klären, ob diese Ergebnisse auch auf deutsch/deutsche Bewerbungsgespräche übertragbar sind, bedarf es eines methodischen Instrumentariums, das in den folgenden Abschnitten vorgestellt wird.

l .2 Methodisch-theoretische Grundlagen der Arbeit Bei der vergleichenden Analyse von OsWund Westdeutschen wurde ein methodisches Vorgehen gewählt, das nicht von der kulturellen Zugehörigkeit der Beteiligten ausgeht und das bewusst vermeidet, Phänomene in den Daten sofort auf Ost-/ bzw. Westzugehörigkeit der Bewerbenden zurückzuführen, bevor nicht andere Erklärungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind. Die Analysen berücksichtigen zuerst die Aufgaben und spezifischen Bedingungen der Gattung "Bewerbungsgespräch". Werden generalisierende Aussagen über Differenzen zwischen Ost- und Westdeutschen getroffen, liegt diesen immer die Rekurrenz von Phänomenen zugrunde, die darüber hinaus kontrastiv ermittelt wurden. Ein wesentlicher methodischer Bezugsrahmen der vorliegenden Arbeit ist die ethnomethodologische Konversationsanalyse. Mit Bezugnahme auf ethnomethodologische Prämissen soll die Kontextbezogenheit sprachlichen Handelns erfasst werden; eine zentrale Grundannahme ist, dass in sozialer Interaktion Sinnherstellung als wechselseitiger Interpretationsprozess beobachtbar ist (vgl. 1.2.1). Mit der methodischen Basierung der Arbeit auf der Konversationsanalyse ist vorrangig die Orientierung an einer bestimmten "analytischen Mentalität" angesprochen, die ein sequenzanalytisches Vorgehen bevorzugt, das sich der Untersuchung empirischer Sprachdaten in einem interpretativ-verstehenden Paradigma widmet und auf analytische Kategorien zurückgreift, die in Abstimmung mit dem Untersuchungsgegenstand entwickelt und ausgewertet werden (vgl. Schegloff 1992 zu Methodenreflexion von Konversationsanalyse bei Institutionellen Daten). Von zentraler Bedeutung ist der Nachweis der interaktiven Relevanz der Analysekategorien für die beteiligten Interaktanten. Mit der Sequenzanalyse stellt die Konversationsanalyse den technischen Basisapparat zur Verfügung, um lokale Phänomene zu untersuchen. Bei Bewerbungsgesprächen handelt es sich jedoch um institutionalisierte Interaktionsformen mit spezifischen Normen und Regularitäten, die durch globale Merkmale gekennzeichnet sind, die mit einem sequenzanalytischen Vorgehen allein nicht erfasst werden können. Es ist deshalb notwendig, das methodische Inventar zu erweitern. Der Kontext der Daten im engeren Sinne, das "Bewerbungsgespräch", wird mit dem wissenssoziologischen Konzept der kommunikativen Gattungen erfasst (vgl. 1.2.2). Dieser "Kontext" ist allerdings kein starr vorgegebener, sondern wird von den Beteiligten interaktiv hergestellt - das entspricht einem dynamischen Kontextbegriff, wie er in neueren, konversationsanalytisch inspirierten Konzepten von Kontext, wie sie z.B. Duranti/Goodwin (1992) vorstellen, entwickelt wird (vgl. 1.2.1). Ein wesentliches Merkmal von kommunikativen Gattungen nach Luckmann ist ihre kulturelle Geprägtheit. Gattungswissen ist kulturelles Wissen, das in kommunikativen Erfahrungen tradiert und erworben wird. Auf diesem Wege kommt nun "Kultur" in Bezug

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auf Ost- und Westdeutsche ins Spiel, jedoch auf kontrollierbare Weise. Das Korpus der Arbeit macht ein Forschungsdesign mit einer kontrastiven Perspektive von Ost- und Westbewerbenden gegenüber Westeinstellenden möglich. Diese Analyse wird methodisch durch Anleihen aus der Ethnographie der Kommunikation ergänzt. Mit Experteninterviews und Nachbesprechungen im Anschluss an Bewerbungsgespräche kommen ethnographische Methoden der Einbeziehung von Sekundärdaten zur Anwendung, deren Status diskutiert werden muss (vgl. l .2.3).

l .2. l "Kontext" in der Gesprächsanalyse Bei der Untersuchung institutionalisierter Interaktionsformen ist die analytische Klärung des Begriffes "Kontext" zentral, stellt der institutionelle Kontext doch ein Bündel von Beschränkungen und Bedingungen bereit, das sich auf das interaktive Handeln auswirkt.34 Das heute in der Gesprächsanalyse weithin akzeptierte Postulat der Reflexivität von Kontext ist wesentlich auf die Ethnomethodologie zurückzuführen. Garfinkel (1967) geht in seiner radikal konstruktivistischen Auffassung von Kontext davon aus, dass soziale Wirklichkeit lokal und endogen von den Beteiligten einer Interaktion hergestellt wird ("Vollzugswirklichkeit", Bergmann 1981, vgl. a. Heritage 1984). Aufgrund der Indexikalität von Sprache, d.h. ihrer unauflöslichen Vagheit und Unbestimmtheit, wird der Sinn von Äußerungen und die Bedeutung von Handlungen erst in konkreten Interaktionen von den Beteiligten konstituiert. Interaktant/inn/en stützen sich dabei auf das Prinzip der Reflexivität, nach dem in den Handlungen selbst die Informationen enthalten sind, aus denen sich die Interpretations- und Sinngebungsverfahren der Beteiligten speisen. Dieser "Spiegel" ist der zentrale, analytische Zugang für die ethnomethodologische Konversationsanalyse. Externes, nur von Analytiker/inne/n eingeführtes Kontextwissen in die Analyse sprachlicher Interaktion einzubeziehen lehnt die klassische ethnomethodologische Konversationsanalyse ab. Das ist konsequent, insofern ein streng konstruktivistischer Ansatz davon ausgehen kann, dass alle relevanten Kontextinformationen in der Reflexivität, mit der die Beteiligten ihr Verständnis leiten, ohnehin verfügbar sind. Wie Reflexivität mikroanalytisch funktioniert, kann u.a. durch das zentrale Konzept der Konversationsanalyse, die Sequenzialität von Redebeiträgen, illustriert werden. Danach enthält die Abfolge von Redebeiträgen Informationen, die die Indexikalität wesentlich verringern und als ein "reflexives Verfahren" Sinngebung steuern. Jede Äußerung ist sowohl "context shaped" als auch "context renewing", insofern sie auf eine vorausgehende Äußerung Bezug nimmt (oder: konditionelle Relevanzen erfüllt) und gleichzeitig die folgende bestimmt (oder: konditionelle Relevanzen etabliert). Im sequenziellen Ablauf von Alltagskonversationen spiegelt sich der Interpretationsprozess der Beteiligten über den

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Für einen Überblick über die Forschungsgeschichte zu "Kontext" vgl. Duranti/Goodwin (1992). Sie illustrieren die Beziehung von einem "Ereignis" zu seinem "Kontext" auf der Basis des Gestaltkonzeptes "Figur/Hintergrund" als "focal event/context" (ebda:3; 9ff) und betonen damit die Interdependenz beider Elemente. Die Tatsache, dass der "Löwenanteil" linguistischer Aufmerksamkeit gemeinhin dem "focal event" zukommt, fuhren die Autoren u.a. darauf zurück, dass der "Hintergrund" amorpher, weniger klar strukturiert ist als die "Figur" (ebda 10).

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laufenden Austausch.35 Auf diesem Hintergrund ist Kontext nicht starr und vorgegeben, sondern wird von den Beteiligten interaktiv und lokal hergestellt. In seinen Arbeiten zu Kontextualisierungshinweisen im Rahmen der Interpretativen Soziolinguistik hat Gumperz als einer der ersten dezidiert sprachliche Verfahren der Kontextherstellung beschrieben. Kontextualisierungshinweise (vgl. a. Kap. 1.1.4.2), die in Gumperz' Theorierahmen suprasegmentale, nicht-referentielle, nicht-lexikalische "Signale" aus den Bereichen Prosodie, Gestik, Körperhaltung, Blickverhalten darstellen, steuern konversationelle Inferenzen darüber, wie eine Äußerung interpretiert werden soll. Diese inferenzleitenden, kulturell geprägten Bündel von Kontexualisierungshinweisen sind mit konventionalisierten Erwartungsstrukturen verknüpft, die zu Missverständnissen führen können.

Institutioneller Kontext In Bezug auf die vorangegangene Diskussion über interkulturelle Kommunikation in Institutionen ist die Frage, wie viel Vorwissen Interaktant/inn/en in die Situation einbringen bzw. wie viel externes Wissen in die Analyse einbezogen werden muss, für die Betrachtung institutionalisierter Interaktionsformen von besonderer Relevanz. So werden z.B. die komplementären Teilnehmerrollen im typischen Turn-taking in Bewerbungsgesprächen nicht jedesmal neu ausgehandelt, sondern als Wissensmuster aufgerufen. Offensichtlich bringen die Beteiligten das Wissen um solche gattungstypischen, kontextbezogenen Merkmale mit und es sind Anzeige- und Relevantsetzungsverfahren, mit denen diese Wissensbestände lokal und interaktiv aktualisiert werden. Andernfalls ließe sich z.B. der völlig reibungslose Übergang von Smalltalk zum Befragungsteil mit den jeweils typischen Tum-TakingMerkmalen in Bewerbungsgesprächen gar nicht erklären. Dieses Wissen ist zwar "in den Köpfen" der Interaktanten (und auch der Analysierenden), da es sich aber im Datenmaterial bzw. im sprachlichen Handeln der Interaktanten als deutliche Orientierung abbildet, kann es analytisch erfasst werden. Jede einzelne Institution hinterlässt typische "Fingerabdrücke", deren einzigartiges Ensemble es unter ständiger Rückbindung an konkrete Daten zu rekonstruieren gilt: The ensemble of these variations from conversational practice may contribute to a unique 'fingerprint' for each institutional form of interaction - the 'fingerprint' being comprised of a set of interactional practices differentiating each form both from other institutional forms and from the baseline of mundane interaction itself. (Drew/Heritage 1992b:26)

Drew/Heritage fordern im Zusammenhang mit der Untersuchung von Asymmetrien in institutionalisierten Settings, dass eine vergleichende Analyse die Orientierung der Beteiligten aufzeigen muss. Erst wenn das Datenmaterial analytisch ausgeschöpft ist, sollte die

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Im Rahmen der "Präferenz-Organisation" (Sacks 1987) wurden z.B. Paarsequenzen (adjacency pairs) beschrieben, in denen zwei Handlungen durch die Beziehung der konditionellen Relevanz eng miteinander verbunden sind: So macht eine Frage eine Antwort erwartbar, auf einen Gruß erfolgt ein Gegengruß usw. Ein wesentlicher Aspekt bei der Präferenz-Organisation ist die Unterscheidung von "dispräferierten" und "präferierten" zweiten Teilen; vgl. hierzu Levinson (1983) sowie Kap. 6 der vorliegenden Arbeit.

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Analyse exogene Faktoren der Interaktion hinzuziehen (1992b:53; vgl. a. die Diskussion um Kulturalität in der IKKF, Kap. l. l .4.1). Ein Konzept zum Erfassen des Musterwissens u.a. in institutioneller Kommunikation, das sich in der Arbeit mit empirischen Sprachdaten bereits vielfach bewährt hat, ist das Konzept der "Kommunikativen Gattungen". In den verschiedensten Bereichen wie Rhetorik, empirische Kulturwissenschaften, Sprachwissenschaft, Anthropologie, Volkskunde, Soziologie wurde es aufgegriffen und analytisch fruchtbar gemacht. Es trägt dem Faktum Rechnung, dass im sprachlichen Handeln Musterhaftes erkennbar ist, das sich anhand rekurrenter semantischer, sequenzieller und stilistischer Merkmale bestimmen lässt. Von Luckmann im Rahmen der Wissenssoziologie entworfen, bietet es einen methodischen Rahmen, um die gesellschaftliche Bedingtheit sprachlichen Handelns zu erfassen, ohne deterministisch zu sein.

1.2.2 Luckmanns Konzept der "Kommunikativen Gattungen" Die Wissenssoziologe, als deren bedeutendster Vertreter Luckmann gilt, ist Teil der von Max Weber begründeten Verstehenden Soziologie (Bühl 1972). In der Weiterentwicklung des Weberschen Sinn- und Handlungsbegriffs durch Schütz (Schütz/Luckmann 1975) verschiebt sich der Fokus vom subjektiven Sinn zu dessen Abbild in sozialen Handlungen. Damit ist der Anfang einer Entwicklung gesetzt, die, von der Soziologie ausgehend, entscheidende Impulse in Ethnomethodologie und Konversationsanalyse und weitergehend in die pragmatisch orientierte Sprachwissenschaft gegeben hat (Auer 1999:115).

Begriffsgeschichte Der Begriff der "Gattung" blickt auf eine weitgefächerte Forschungstradition zurück.36 Von zentraler Bedeutung ist er seit jeher in der Literaturwissenschaft, wo er aufschriftliche Texte appliziert wird. Jolles (1982) gilt als ein Vorreiter, der schon in den 30er Jahren Gattungen der mündlichen Rede untersucht. In seinem Buch "Einfache Formen" beschäftigt er sich u.a. mit Sage, Memorabile, Witz und Rätsel. Einen wieder anderen Gattungsbegriff verwendet Bahktin, dessen Arbeiten bereits in den 20er/30er Jahren erste Ansätze zeigen, Sprache in der Interaktion zu verankern (vgl. Bahktin 1986). Mit der Ethnographie der Kommunikation begründen Gumperz/Hymes (1972) eine Forschungsrichtung, in der die Untersuchung mündlicher Alltagskommunikation die zentrale Rolle spielt; die Untersuchung verbaler Zweikämpfe ("Playing the Dozen", Abraham 1972) oder der "Verbal Dueling Rhymes" türkischer Jungen (Dundes u.a. 1972) bis hin zu jüngeren Untersuchungen im Rahmen der anthropologischen Linguistik von Trinksprüchen (Kotthoff 1991b) und Trauergesängen in Georgien (Kotthoff 1992b) verankern Gattungen - auch wenn nicht alle Autor/innen auf diesen Begriff zurückgreifen - zunehmend im Prozess der Interaktion. Innerhalb der Sprachwissenschaft beschäftigt sich seit den 70er und 36

Für einen Überblick über die Traditionen der Gattungsforschung vgl. Günthner/Knoblauch (1994).

35 80er Jahren die Textlinguistik mit Gattungen; unter Verwendung des Terminus "Textsorte" untersucht man schriftliche, aber auch zunehmend mündliche Texte.37 Gesprächsanalytische Arbeiten der jüngeren Zeit schließen an die Luckmannsche Begriffsverwendung an.38 Unter kommunikativen Gattungen versteht Luckmann "intersubjektiv verbindliche sprachliche Typisierungen von Erfahrungs- und Handlungsschemata" (1986:196). Gesellschaftliche Institutionen sind mehr oder minder wirksame und verbindliche 'Lösungen' für 'Probleme' gesellschaftlichen Lebens. Kommunikative Gattungen sind dagegen mehr oder minder wirksame und verbindliche 'Lösungen' von spezifisch kommunikativen Problemen. (Luckmann 1986:202)

Mit Gattungen als analytischem Konstrukt werden kommunikative Handlungen erfasst, die erkennbar an einem Gesamtmuster orientiert sind, das als Mittel einem Zweck dient, sich durch eine typische Auswahl aus dem Code kennzeichnet und in seinem Ablauf vorhersagbar ist (Luckmann 1986:201 f). Im Zuge von Sedimentierungsprozessen in der Zeit sind diese Muster in den gesellschaftlichen Wissensvorrat eingegangen (Luckmann 1995:46) und stellen (kulturspezifische) Lösungen für kommunikative gesellschaftliche Probleme bereit, so dass diese zu "unproblematischen Problemen" werden (Berger/Luckmann 1970:27). Zwar kann eine spezifische Handlungsfunktion auch in nicht vorgeprägten Bahnen verfolgt werden; wählen Interaktanten aber ein Muster für die Lösung ihres "Problems", ist der Ablauf des Handlungsvollzugs vorstrukturiert. Abweichungen werden dann u.U. als Erwartungsverletzungen erfahren und ggf. sanktioniert (Luckmann 1995:52).

Sprache, Wissen, Kultur Bei der Entstehung, Bewahrung und Vermittlung gesellschaftlichen Wissens spielt nach Luckmann Sprache eine zentrale Rolle. In ihr lagern die prototypischen Erfahrungsschemata einer historischen Gesellschaft ab, in ihr geschieht die Typisierung der Wirklichkeit und mit ihr vollzieht sich gesellschaftliches Handeln. Intersubjektiv verbindliche Erfahrungsschemata, auf elementaren Typisierungen der Wirklichkeit aufbauend und in verschiedene Handlungsschemata einfugbar, bilden somit eine grundlegende Schicht gesellschaftlich approbierten handlungsorientierenden Wissens. (Luckmann 1986:199) Im Zuge eines natürlichen Wandels verändern sich auch Gattungen, so dass sich der kommunikative Haushalt (s.u.) einer gegebenen Gesellschaft diachron verändert, auch wenn Veränderungen immer aus dem "bisherigen semantischen Inventar" gespeist werden (ebda: 199). Und weiterhin unterscheiden sich Gesellschaften sowohl im Repertoire als auch in der Ausgestaltung funktional äquivalenter Gattungen: Of course, what is important in one kind of society may not be equally important in another, and what is important in one epoch need not remain important at a later date. It should therefore come 37

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Günthner (1995) weist auf die uneinheitliche terminologische Verwendung innerhalb der Textlinguistik hin. Häufig ist der Begriff der "Gattung" den literarischen Texten vorbehalten, während Textsorte (bzw. Textmuster oder -typ) für nicht-literarische Texte verwendet wird. Beispiele für Gattungsanalysen sind u.a. Bergmann (1987); Keppler/Luckmann (1991, 1992); Günthner/Christmann (1996).

36 as no surprise that different societies do not have the same repertoire of communicative genres [...]. (Bergmann/Luckmann 1995:291)

Wissen hat einen zentralen Stellenwert im Gattungskonzept. Dieser schillernde Begriff spielt in diversen Forschungsrichtungen eine große Rolle und es ist deshalb ratsam, ihn rechtzeitig einzugrenzen: Wenn in der vorliegenden Arbeit von Wissen bzw. Wissensbeständen die Rede sein wird, dann sind damit nicht kognitive Prozesse gemeint. Wie Wissen verarbeitet, strukturiert, erfasst wird, kurz: über mentale Prozesse kann und will eine interaktiv orientierte, empirische, linguistische Untersuchung keine Aussagen machen. Untersuchungsgegenstand sind vielmehr Handlungen, die erkennbar Strukturen aufweisen, die notwendig ein Wissen der Beteiligten um die Gattung und deren Ziele und Strategien, Beteiligungsrollen, Ablaufmuster, Themenkataloge etc. voraussetzen, ohne das ein reibungsloser Ablauf, wie er sich z.B. in den aufgezeichneten Gesprächen präsentiert, gar nicht denkbar wäre. Gattungswissen ist historisch gewachsen und sedimentiert. Es ist kulturelles Produkt, insofern es in kommunikativen Praktiken konstituiert und weitergegeben sowie im Wissensvorrat einer Kommunikationsgemeinschaft aufbewahrt wird. Günthner (1995:205) weist auf Unterschiede im Gebrauch von kommunikativen Gattungen bei verschiedenen kulturellen Gruppen hin, bspw. bei der kleinen Gattung "Sprichwort" im Vergleich chinesischer und deutscher Argumentationen (Günthner 1993). Die Unterschiede betreffen sowohl den Gebrauch, z.B. in den Argumentationsstrukturen, Rezipientenfeedbacks oder prosodischen Kontextualisierungshinweisen, als auch die kommunikative Funktion dieser Gattungen. Strukturmerkmale von Gattungen Luckmann differenziert Gattungen hinsichtlich einer "sozialen Außenstruktur", einer "materialen Binnenstruktur" und einer "intersubjektiv-situativen Zwischenstruktur" (Luckmann 1995:53f). Unter der Außenstruktur von Gattungen erfasst Luckmann die Beziehung kommunikativer Handlungen zur Sozialstruktur. Auf dieser Ebene werden die gesellschaftlichen Funktionen der Gattung und damit zusammenhängend die Ziele der Interaktanten erfasst. Ferner wird die Außenstruktur hinsichtlich des Milieus, der kommunikativen Situation (z.B. einem evtl. institutionellen Hintergrund) sowie des Typs der wechselseitigen Beziehung der sozialen Akteure bestimmt. Hier sind Makrofaktoren einzutragen wie Geschlechtszugehörigkeit, Schicht, kulturelle Zugehörigkeit u.a. (Günthner 1995:204). Gattungen verweisen auf "prototypische" Milieus. Allerdings kommen sie nicht nur ausschließlich in diesen vor, wie Auer (1999) sehr anschaulich erläutert: In bestimmten Nachbarschaftsmilieus mag z.B. Klatsch als Gattung eine ausgezeichnete Rolle spielen, in der Universität ist die Gattung der Vorlesung milieutypisch, und die Außenstruktur des Plädoyers ist an das juristische Milieu gebunden. (Die Beispiele machen bereits klar, daß der Zusammenhang nicht determinierend gedacht werden darf: auch an der Universität wird geklatscht, in einer Prüfungsbesprechung kann jemand ein Plädoyer für den Kandidaten abhalten, und manchmal hält auch ein Priester statt einer Predigt eine Vorlesung.) (Auer 1999:180)

Gattungen sind zwar mit klar definierten sozialen Situationen assoziiert; in einem konversationsanalytisch inspirierten Umkehrschluss kann man aber auch sagen, dass der Rekurs

37 auf die typischen Merkmale einer Gattung im Sinne einer Kontextualisierung an der Herstellung sozialer Situationen konstitutiv beteiligt ist (vgl. Auer 1999:17839, Günthner 1995:309). Die Binnenstruktur bezieht sich auf die verschiedenen Ebenen des kommunikativen Codes, aus dessen materialer Grundlage Gattungen gespeist werden. Sie lässt sich mit linguistischen Kategorien auf folgenden Ebenen beschreiben: "sowohl Phonologie und Prosodie als auch Semantik und Syntax als auch Register und Stilformen einer Sprache und zugleich auch mimische, gestische und paralinguistische kommunikative Formen" (Luckmann 1995:53). Als Verbindungsglied zwischen Binnen- und Außenstruktur wirkt die Zwischenstruktur, "Regelungen der Dialogizität, der Redezugabfolge, der Erfordernisse der Abstimmung und Vorinterpretation (des recipient design), der Themafestlegungs- und Entwicklungsrechte und pflichten, der Notwendigkeit (oder der Missachtung der Notwendigkeit) des Einsatzes konversationeller Reparaturtechniken usw." (Luckmann 1995:54)

Während die Binnenstruktur die "zeichenhaften Elemente kommunikativer Handlungen umfasst" (Günthner/Knoblauch 1994:705), stehen auf der Zwischenstruktur sequenzielle Phänomene sowie die Beteiligungsrollen der Teilnehmer/innen im Mittelpunkt. Der Komplexitätsgrad und die Verbindlichkeit, mit der die Kookkurrenz gestaltbildender Merkmale festgelegt ist, ist in verschiedenen Gattungen recht unterschiedlich. Mit dem Verbindlichkeitscharakter einer Gattungen wird einerseits "Zwang" ausgeübt, andererseits gewährleistet genau dieser die kommunikative Entlastung, die einen wesentlichen Gewinn von Gattungen darstellt (Luckmann 1986:204)40. So weisen Ritual-Gattungen einen hohen Verbindlichkeitsgrad auf, aber auch Begrüßungen ähneln stark verfestigten, rekurrenten Schablonen. Diese beiden unterscheiden sich allerdings maßgeblich hinsichtlich der Komplexität. Günthner/Knoblauch (1994) differenzieren zwischen komplexen, prototypischen kommunikativen Gattungen im engeren Sinne (z.B. Bewerbungsgespräch, Lamento), den kommunikativen Mustern (z.B. Streitgespräch, Beratungsgespräch) mit geringerem Komplexitätsgrad und den Klein- und Kleinstformen (z.B. Begrüßungssequenzen, Frotzeleien)

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Sowohl die Binnenstruktur ('Stil') als auch das sequenzielle Ablaufmuster, das mit der strukturellen Zwischenebene der Gattung assoziiert ist, stellen ein Bündel von Merkmalen dar, die als 'Kontextualisierungshinweise' [...] geeignet sind, die Gattung zu indizieren und so für die Teilnehmer an der Interaktion die immer relevante Frage: 'Was tun wir gerade miteinander?' zu beantworten. Dabei muss die Gattung nicht explizit benannt werden." (Auer 1999:180) Auer bemerkt zur entlastenden Funktion von Routinen für das Individuum folgendes: "Diese Routinisierung entindividualisiert das sprachliche Handeln, sie entlastet den Sprecher aber auch: Er muss seine 'Energie' nicht mehr in die sprachliche Formulierungsarbeit stecken, und er ist nicht mehr für alle Aspekte seines Handelns voll selbst verantwortlich. Dasselbe gilt für den Hörer: da die Gattung Folgehandlungen und ihre Gestaltung teilweise erwartbar macht, ist die Belastung durch die Dekodierung der sprachlichen Form gering." (Auer 1999: 178) Andererseits verstärkt ein hohes Maß an Verbindlichkeit aber den normativen Druck, die verbindlichen Elemente angemessen zu verwenden. Auer führt dazu aus: "Kognitiv entlastend scheint also nur ein mittleres Niveau von Konventionalisierung zu sein; während das Fehlen jeder Form den Sprecher zur spontanen, eigenständigen Formgebung zwingt, belastet ihn ein hohes Maß an Routinisierung durch die übermäßige Detaillierung der vorgeschriebenen Formelemente."( 1999:179)

38 (Günthner/Knoblauch 1994:703, auch "Minimalgattungen"41, vgl. Günthner 1995:199). So mögen Gattungen, die sich hinsichtlich ihres Komplexitätsgrades unterscheiden, auf der Ebene der Verbindlichkeit ähnlich sein (wie Begrüßungen und Lamentos), während vergleichbar komplexe Gattungen mit Blick auf Verbindlichkeit große Unterschiede aufweisen können (z.B. Lamento vs. Bewerbungsgespräch). Der Grad an verfestigender Kanonisierung variiert nicht nur von Gattung zu Gattung, sondern auch im Verlaufe der Geschichte einer Gattung. Gattungen sind nie starre Vorlagen, sondern erwartungsleitende Orientierungen für Sprecher/innen wie Rezipient/inn/en. So kündigt beispielsweise die Äußerung "Kennste den schon..." das Erzählen eines Witzes an (Günthner 1995:198). Damit werden sowohl typische textuelle und strukturelle Merkmale (z.B. hinsichtlich relativer Länge, einer finalen Pointe usw.) als auch eine spezifische Form des Sprecherwechsels erwartbar gemacht und eine bestimmte Situation indiziert (z.B. eher ein geselliges Beisammensein als eine Trauerfeier). Was die Verbindlichkeit betrifft, muss ein Witz nicht mit der Routineformel eingeleitet werden, sollte aber wohl eine Pointe aufweisen. Aber selbst wenn diese fehlt, ist er vermutlich in den meisten Fällen immer noch unverwechselbar als - wenn auch missglückter - Witz zu identifizieren.

Institutionalisierung von Gattungen Gattungswissen kann im gesellschaftlichen Wissensvorrat als Sonderwissen abgelagert und von Experten ausformuliert und fixiert werden oder sogar aus "alltäglichen, allgemeinen Sozialisierungsvorgängen ausgegliedert und verschult werden" (Luckmann 1995:56). Vergleichbares ist in den letzten Jahrzehnten mit der Gattung "Bewerbungsgespräch" geschehen: Bewerbungsgespräche verfügen wie kaum eine andere Gattung über einen normativen Überbau. Da ist zum einen die umfangreiche Ratgeberliteratur für Bewerbende zu nennen und zum anderen das betriebswirtschaftliche Personalmarketing sowie die Betriebspsychologie, die die Eignungsdiagnostik auf Unternehmensseite beständig zu optimieren suchen.42 Die gesellschaftliche Verankerung geht sogar soweit, dass Institutionen wie das Arbeitsamt oder private Weiterbildungseinrichtungen mit sogenannten Bewerbungstrainings betraut werden, die eigens dem Zweck der Einweisung von Gesellschaftsmitgliedern in die Gattung und der Vermittlung von Gattungswissen dienen.43 Bewerbungstrainings gehören mittlerweile zum Standardangebot von Schulen, Universitäten, Volkshochschulen, Arbeitsämtern usw. Eine solche Basis macht es möglich, die Performanz in einem Bewerbungsgespräch als "falsch" oder "richtig" zu evaluieren und sie gewährleistet, dass man es lernen kann, ein Bewerbungsgespräch zu führen bzw. sich bei

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Diese Begrifflichkeit geht auf Dell Hymes (1974) zurück, der im Zuge der Differenzierung von 'speech styles' "elementary, or minimal, genres" von "complex genres" unterscheidet (1974:441). Sehr beliebt ist das Thema auch bei Zeitschriften, als Informationsbroschüre etc. Das wird in der vorliegenden Arbeit ebenso wenig berücksichtigt wie die Fachliteratur des Personalmarketings oder die Ratgeberliteratur. Wie so ein Bewerbungstraining verläuft, wird bei der Vorstellung des Datenkorpus in Kap. 2.1.2 dargestellt.

39 zunehmender Erfahrung zu "professionalisieren".44 Bei einem derart hohen Grad an Institutionalisierung, wie ihn z.B. Bewerbungsgespräche aufweisen, ist es leicht, die Strukturmerkmale der Gattung zu erkennen und analytisch zu bestimmen (Luckmann 1984:62).

Der kommunikative Haushalt Komplexe Gattungen können weniger komplexe einschließen;45 so enthält die Gattung "Bewerbungsgespräch" beispielsweise u.a. eine rekonstruktive Gattung46, das biographische Narrativ (vgl. Kern 1998). Es weist typische Merkmale erzählerischer Genres auf, ist aber gleichzeitig in seiner spezifischen Ausprägung unverkennbar mit dem Bewerbungsgespräch assoziiert. Die rekonstruktiven Gattungen bilden eine Familie verwandter Formen, die wiederum mit anderen Familien kommunikativer Gattungen verzahnt ist. Luckmann spricht in diesem Zusammenhang vom "kommunikativen Haushalt" einer Gesellschaft (Luckmann 1986:206), der das Gesamtinventar kommunikativer Formen und Muster, Gattungen sowie Gattungsfamilien einer Gesellschaft umfasst.47 Auer (1999:183) nennt einige wichtige moderne Gattungen, die zugleich (nach gesellschaftlichen Funktionen zusammengestellte) Gattungsfamilien repräsentieren: wissensvermittelnde (z.B. Workshop, Seminar, Vorlesung), moralvermittelnde (z.B. das Wort zum Sonntag, Beichte, Konversionserzählung), verkäuferische (z.B. Verkaufsgespräche vom Telefonmarketing bis zur Kaffeefahrt) und dem "gatekeeping"-dienende (z.B. Bewerbungsgespräch, Quartalsgespräch). Die von Luckmann untersuchte Familie der rekonstruktiven Gattungen setzt sich eher nach formalen Kriterien zusammen. Ein Beispiel für eine Querverbindung zwischen nach funktionalen und formalen Kriterien sortierten Gruppen ist

44

45

46

47

Diese Verschulung ist ein sicheres Indiz dafür, dass es sich bei Bewerbungsgesprächen um eine in den Wissensvorräten der Gesellschaft verankerte Gattung handelt. In den Trainingskursen wird sowohl der normative Überbau deutlich, der sich u.a. aus der Ratgeberliteratur speist und in der Person des Trainers verkörpert wird, als auch die besonderen Schwierigkeiten, die Novizen - in unserem Falle die ostdeutschen Bewerber/innen - auf diesem Gebiet haben. Schon Bahktin (1986) unterscheidet Gattungen hinsichtlich ihrer Komplexität, er spricht von "primären" und "sekundären" Gattungen, die in einem Inklusions-Verhältnis zueinander stehen können (vgl. a. Hanks 1987:671). Bahktin, dessen Gattungskonzept sich in mancher Hinsicht von dem Luckmanns unterscheidet, deutet damit ein hierarchisches Bezugsverhältnis zwischen elaborierteren, überwiegend schriftlichen und alltäglichen, gesprochenen Gattungen an: "Secondary (complex) speech genres - novels, dramas, all kinds of scientific research, major genres of commentary, and so forth - arise in more complex and comparatively highly developed and organized cultural communication (primarily written) that is artistic, scientific, sociopolitical, and so on. During the process of their formation, they absorb and digest various primary (simple) genres that have taken form in unmediated speech communion." (Bahktin 1986:62). Rekonstruktive Gattungen umfassen all jene Darstellungen, in denen vergangene Ereignisse sprachlich "rekonstruiert" werden, also sowohl die klassische Erzählung als auch Biographien, Klatsch etc. (Bergmann/Luckmann 1995) Nach Luckmann (1986:206) umfasst der "Kommunikative Haushalt" sowohl die Gesamtheit der kommunikativen Gattungen als auch die spontanen Handlungen in einer Gesellschaft. Dieses Ganze ist allerdings schwer bestimmbar, so dass es sinnvoll erscheint, sich bei der Analyse auf einen Kernbereich zu beschränken, der durch die kommunikativen Gattungen gebildet wird.

40

die Konversionsgeschichte, die zum einen als moralisierende, zum anderen als rekonstruktive Gattung einzuordnen ist. Luckmann betont, dass es sich bei dem Begriff des "kommunikativen Haushalts" um einen rein analytischen Begriff handelt, dem kein "reales kulturelles Objekt" entspricht und der keinen zentralen Stellenwert für die Analyse kommunikativer Gattungen beansprucht. Seine Nützlichkeit kann sich nur in der sozusagen buchhalterischen Übersicht über recht unterschiedliche kommunikative Vorgänge erweisen. Wenn er sich darin nicht bewährt, sollte man ihn wieder fallen lassen. (Luckmann 1986:206)

Vermutlich ist es bei aller buchhalterischen Bemühung sehr schwierig, mehr als nur einen annähernden Überblick über den kommunikativen Haushalt einer Gesellschaft zu erlangen. Aufgrund des beständigen Wandels von Gattungen einerseits und ihrer Offenheit für spontanes Handeln andererseits dürfte die Momentaufnahme einer bestimmten Kommunikationsgemeinschaft zu einem gegebenen Zeitpunkt ein so komplexes Bild ergeben, dass es nach Abschluss der Auswertung bereits als überholt gelten muss.48 Gibt man sich allerdings mit einer Näherung zufrieden, so verspricht das Konzept kommunikativer Gattungen, die Rückbindung sprachlichen Handelns an gesellschaftlich relevantes Handeln zu ermöglichen. Abgrenzung gegen ähnliche Konzepte49 Die Verbindung zum gesellschaftlichem Handeln erscheint zugleich als der wichtigste Vorteil des Konzeptes der kommunikativen Gattungen gegenüber dem Aktivitätstyp Levinsonscher Prägung, ein Konzept, das ebenfalls auf die Untersuchung von Bewerbungsgesprächen angewendet wurde (z.B. von Sarangi 1994a). "Aktivitätstyp" nach Levinson ist eine unscharfe ("fuzzy") Kategorie, die charakterisiert ist als zielgerichtetes, sozial konstituiertes, abgrenzbares und hinsichtlich u.a. der Beteiligten, des Settings und der erlaubten Beiträge beschränktes kommunikatives Ereignis (Levinson 1979:368). Diese Bestimmungen werden vom Gattungskonzept ebenfalls abgedeckt, darüber hinaus stellt es aus stärker soziologischer Perspektive eine Verbindung von Wissen und Handeln her und versucht damit, eine Antwort auf die Frage, wie Gattungen (bzw. Aktivitätstypen) entstehen, sich entwickeln und vermittelt werden, zu geben.50 Gerade in der Untersuchung von "gatekeeping"-Gattungen erweist sich das Verfugen über relevantes Wissen als eine entscheidende Voraussetzung für die adäquate Performanz dieser Handlungsmuster. Anders als in Luckmanns Konzept, das den Zweck von Gattungen in der Lösung gesellschaftlicher Probleme 48

49 50

Vgl. beispielsweise den Wandel des Topos "Spaß an der Arbeit" hin zu "Spaß an der Herausforderung" (Auer/Birkner/Kern 1997b) oder auch im Entstehen begriffene Gattungen im Rahmen der neuen Medien (z.B. email). Vgl. a. Auer(1999:184-186). Sarangis kritische Reflexion der Grenzen des Konzepts "Aktivitätstyp" bei der Untersuchung interkultureller Bewerbungsgespräche knüpft u.a. an dem Punkt "Wandel" an: "If we adopt Fairclough's (1989) position that there is a dialectic relationship between social practice and discourse conventions, Levinson's notion of 'activity type' has to be recast as a more flexible construct." (Sarangi 1994a:185). Das Konzept der kommunikativen Gattungen kann diese eingeklagte größere Flexibilität bieten.

41

verortet, sucht Levinson das Ziel oder den Zweck von Aktivitätstypen in den rationalen Plänen individuell Handelnder. Darüber hinaus sind Luckmanns Gattungen wesentlich begrenzter: Nicht alles Sprechen vollzieht sich in Gattungen wie bei Levinson, der darüber hinaus nicht-sprachliches Handeln mit in sein Konzept des Aktivitätstyps einbezieht (zum Beispiel ein Fußballspiel, vgl. Levinson 1992:69).51 Ein weiteres Konzept, das aufgrund seiner inhaltlichen und terminologischen Nähe erwähnt werden muss, ist das der "sprachlichen Handlungsmuster", wie es von der funktionalen Pragmatik verwendet wird (vgl. Ehlich/Rehbein 1979). Auch hier spielt Wissen eine große Rolle. Handlungsmuster existieren vor allem in institutionellen Zusammenhängen, sie repräsentieren feste Abläufe, deren Kenntnis oder Unkenntnis für die Klienten weitreichende Konsequenzen hat. Im Unterschied zum Gattungskonzept bedienen sich Handelnde festgefügter, auf spezifische Zwecke begründete Handlungsmuster und wählen Muster nicht, wie es Luckmann betont, als Orientierungen aus, die für die Lösung gesellschaftlicher Probleme geschaffen wurden und einen relativen Handlungsspielraum bieten. Kommunikative Gattungen existieren nicht außerhalb ihrer sprachlichen Realisierung, sie werden in der Interaktion erworben, tradiert und verändert. Handlungsmuster sind darüber hinaus theoretischer bestimmt, in ihren Ablaufstrukturen viel stärker festgelegt und werden in der linguistischen Analyse als vorhersagbar behandelt.

Zusammenfassung Zusammenfassend sollen noch einmal diejenigen Merkmale des skizzierten Gattungskonzeptes herausgestrichen werden, die es für die Analyse von Bewerbungsgesprächen geeignet erscheinen lassen. Da ist in erster Linie die Orientierung auf die empirische Untersuchung von Kommunikation zu nennen. Dabei geht es nicht um die Konstruktion eines idealtypischen Kategoriensets, sondern um die Rekonstruktion der in der sozialen Wirklichkeit verwendeten Formen, unter Berücksichtigung ihrer u.U. unsystematischen Bezüge, Merkmale und Funktionen. Gattungen sind keine festen Formen, sondern "Gestalten" im Sinne Wertheimers (1957). Damit ist ein Unterschied im Spielraum verbunden: Formen sind starr, die Ordnung von Gestalten dagegen kommt von innen und lässt mehr Raum für Gestaltung. Gattungen sind somit den Interaktanten zur Verfügung stehende Orientierungen mit mehr oder weniger obligatorischen Elementen, die sie typischerweise indizieren. Wie stark Interaktanten sich an Gattungstypisierungen und -regeln orientieren, ob sie sie ignorieren, befolgen oder mit ihnen spielen, ist eine Frage der Entscheidung und wird von den Beteiligten als Kontextualisierungshinweis interpretiert. Die Untersuchung von Gattungen im Interaktionsprozess geht einher mit einem flexiblen und reflexiven Kontextbegriff, der mittels kontextinduzierender und damit Kontext herstellender Aktivitäten der Beteiligten soziale Wirklichkeit schafft. Die Verortung des Gattungswissens im gesellschaftlichen Wissensvorrat bewahrt einerseits vor der streng konstruktivistischen Überfrachtung des Individuums. Andererseits stellt es sich gegen die kontra-intuitive Annahme, es gäbe kein Individuum-übergreifendes Wissen um kommunikative Muster, ohne aber zu statisch zu sein. Und nicht zuletzt ermöglicht das Konzept die Be-

51

Für einen Vergleich der beiden Konzepte vgl. a. Linell (1998:235ff).

42

rücksichtigung exogener Faktoren ebenso wie einen diachronen und auch interkulturellen Vergleich.

1.2.3 Der empirische Zugang zu deutsch-deutschen Bewerbungsgesprächen Kulturelle Zugehörigkeit basiert auf der Teilhabe an den kommunikativen Praktiken einer Gesellschaft. Auf diese Weise geht der Erwerb kulturellen Wissens vonstatten; Kulturelles Wissen als ein System von Sinnstrukturen ist gesellschaftliches Wissen, es wird im Laufe der Sozialisation (die nicht nur die Kindheit, sondern verschiedene Lebensphasen umfasst; vgl. Tillmann 1989) in der kommunikativen Praxis erworben.52 Es umfasst auch das Wissen um kommunikative Praktiken in Gattungen wie dem Bewerbungsgespräch. Sprache hat in diesem interaktiv-empirischen, handlungsorientierten Konzept von Interkulturalität einen zentralen Stellenwert, da das Wissen einer Gesellschaft in Sprache aufbewahrt wird. Für die vergleichende Untersuchung von ost-/westdeutschen Bewerbungsgesprächen ist der Aspekt geteilten oder nicht-geteilten kulturellen Wissens ein zentraler Ansatzpunkt. Dazu muss zunächst geklärt werden, welche Merkmale und Bedingungen in der Gattung "Bewerbungsgespräch" angelegt sind. So können normative Erwartungen und Interpretationsfolien der Interviewenden sichtbar gemacht werden und u.U. gezeigt werden, auf welchen geteilten Erwartungsstrukturen west/west-Gespräche stattfinden, bzw. ost/west-Gespräche einen Aushandlungsbedarf aufweisen. Ferner wird es möglich, interaktionsstrukturelle Konsequenzen etwaiger Differenzen und Divergenzen zu ermitteln. Die Analyse stützt sich auf die erkenntnisleitende Prämisse, dass Turbulenzen und Reparaturmechanismen aufgrund divergierender Erwartungen oder Missverständnisse eine Fülle von Einsichten eröffnen. Daneben ist es die Rekurrenz von Merkmalen in der sprachlichen Performanz der Angehörigen der jeweiligen Gruppen, die Aufschluss hinsichtlich des kulturell geprägten Wissens über die Gattung "Bewerbungsgespräch" und Normen adäquater Selbstdarstellung geben soll. Im Rahmen eines kontrastiven Paradigmas wird davon ausgegangen, dass die Rekurrenz von Merkmalen den Schluss begründet, dass es sich um relevante Phänomene handelt. Insofern gibt auch das nicht durch Störungen und Reparaturen gekennzeichnete, rekurrente Handeln der Beteiligten Aufschluss über kulturelle Normen und Erwartungen. Handlungsleitende Präferenzen und Relevanzen spiegeln sich so beispielsweise in wiederkehrenden Strategien der Selbstdarstellung, typischen Antworten, argumentativen Topoi etc. Somit ist sowohl Divergenz als auch Konvergenz im gattungsorientierten Handeln potenzielles Analyseobjekt. Die wichtigste Quelle zur Rekonstruktion handlungsleitender Wissensbestände der Beteiligten ist ihr praktisches Tun. Mit der Untersuchung des Teilnehmerhandelns im Datenkorpus aus authentischen und rollengespielten Bewerbungsgesprächen lassen sich die konstitutiven Elemente der Gattung bestimmen und so ein Bild dessen zusammensetzen, was ein Bewerbungsgespräch zu einen Bewerbungsgespräch macht. Die erkennbare Orientie52

Damit ist gewissermaßen der Prototyp kulturellen Wissenserwerbs benannt. Kulturelles Wissen kann trotz potenzieller Erwerbsgelegenheiten ebenso gut nicht erworben werden (vgl. die Diskussion um die symbolische Aufrechterhaltung ethnischer Grenzen); ferner kann es zwar erworben werden, aber nicht erkennbar bzw. nur in bestimmten Kontexten eingesetzt bzw. relevant gemacht werden.

43 rung der Beteiligten an Wissensbeständen, die ein übersubjektiv gültiges, typisiertes Handlungsmuster rekonstruierbar machen, belegt die Gültigkeit des Konstruktes "Gattung". Für die anschließende Analyse ist damit der Rahmen bestimmt, innerhalb dessen einzelne Bewerbungsgespräche untersucht und mit anderen verglichen werden können. Zur Klärung des Wissenshintergrundes soll im Folgenden die kommunikative Gattung "Bewerbungsgespräch" aus der Beteiligtenperspektive rekonstruiert werden. Diese Rekonstruktion profitiert ganz wesentlich von der Tatsache, dass dieselben Mittel, die Interaktanten zur wechselseitigen Orientierung verwenden, auch für die linguistische Analyse fruchtbar gemacht werden können. Die Orientierung der Beteiligten an einem Gattungsmuster spiegelt sich in der Herstellung eines konkreten Bewerbungsgesprächs (als "token") wider und die Handlungen der Interaktanten reflektieren in der Rekurrenz eines größeren Korpus die Bestimmungsmerkmale der Gattung (als "type"). Das erfolgt aufgrund der Datenlage auf der Basis der authentischen und rollengespielten Bewerbungsgesprächen, den sog. Primärdaten. Es ist jedoch ein konstitutives Merkmal von Bewerbungsgesprächen, dass das Handeln der Interviewenden von nicht offengelegten Relevanzen und Präferenzen, der sog. "Versteckten Agenda" geleitet wird. Diese können aus den Daten allein kaum ermittelt werden; das führt zu einer besonderen Bedeutung von Sekundärdaten wie den Experteninterviews und Nachbesprechungen. Allerdings muss berücksichtigt werden, dass diese Sekundärdaten auf einer Metaebene angesiedelt sind und nicht auf derselben analytischen Ebene liegen wie die Primärdaten. Was Interaktanten denken, was sie es tun, und was sie sagen, dass sie es tun würden, kann ganz erheblich von dem abweichen, was die Analysierende vorfindet, wenn sie die Transkriptionen der Gespräche untersucht. Dennoch erfährt man in diesen Daten vieles, was aufgrund der glatten Oberfläche eines Bewerbungsgesprächs nicht im sprachlichen Handeln aufscheint. In den Experteninterviews explizieren Unternehmensvertreter/innen verborgene Relevanzen .und Interpretationsfolien ihres Handelns. In den Nachbesprechungen werden Urteile und Bewertungen des Bewerberverhaltens verbalisiert, die zwar nicht als fertige, wissenschaftlich adäquate Beschreibungen gelten können, aber Auskunft darüber geben, wie sprachliche Handlungen der Bewerbenden von den Interviewenden interpretiert werden. (Für eine ausführliche Reflexion von ethnographischen Methoden in der Gesprächsanalyse vgl. Auer (1995a).) Bevor die Rekonstruktion der Gattung in Kapitel 3 und im Anschluss daran die Analyse ost/westdeutscher Bewerbungsgespräche beginnen kann, soll nun im folgenden Kapitel (2) die empirische Basis der Arbeit vorgestellt werden.

Kapitel 2: Datenkorpus

2.1 Datentypen Das Korpus, das den Analysen der vorliegenden Arbeit zugrunde liegt, setzt sich aus vier verschiedenen Datentypen zusammen: 1. authentische Bewerbungsgespräche, 2. rollengespielte Bewerbungsgespräche sowie 3. Nachbesprechungen zu einigen Bewerbungsgesprächen und Rollenspielen und 4. Experteninterviews.

2.1.1 Die authentischen Bewerbungsgespräche Die authentischen und die rollengespielten Bewerbungsgespräche stellen die Primärdaten dar; unter ihnen bilden die authentischen Gespräche die wichtigste Datenbasis für die Analysen. Dieses Teilkorpus besteht aus 41 Einstellungsgesprächen in 7 Unternehmen, in denen 22 ostdeutsche sowie 19 westdeutsche Bewerber/innen von westdeutschen Einstellenden interviewt werden. Die Datenerhebung fand im Zeitraum zwischen Dezember 1994 und Mai 1996 statt. In der folgenden Übersicht wurden die 41 Bewerbungsgespräche des Korpus nach Unternehmen getrennt zusammengestellt und mit einigen Hintergrundinformationen charakterisiert.

Teilkorpus Archiv Stadtverwaltung einer mittleren Kleinstadt; Stelle: Leitung des historischen Stadtarchivs; Bewerber sind Historiker oder Diplomarchivare; Interviewende: Bürgermeister (II), Kulturamtsleiter (12), Personalrätin (13), Personalamtsleiterin (14); Besonderheiten: die Stelle ist gemessen an der hohen Qualifikation der Bewerber schlecht bezahlt. Kürzel

Stelle als

Geschlecht

ost/west

Interviewende

Aufnahme

Archiv.l*1 Archiv.2 Archiv.3 Archiv.4

Archivar Archivar Archivar Archivar

männl. männl. männl. männl.

west ost west west

11,12,13,14 11,12,13,14 11,12,13,14 11,12,13,14

Dez. Dez. Dez. Dez.

1

1994 1994 1994 1994

Zu den mit Sternchen gekennzeichneten Bewerbungsgesprächen liegen Nachbesprechungen der Interviewenden bzw. der Teilnehmer/innen der Bewerbungstrainings vor.

46 Teilkorpus Bank Größere Privatbank; Stellen: 1. Traineeprogramm für Hochschulabsolvent/inn/en, 2. Allg. Banktätigkeit; Interviewer: Personalleiter Norddeutschland (II), Filialleiter (12, 13); Besonderheiten: Traineekandidat/inn/en haben in der Regeln eine Vorauswahlrunde in der Bankzentrale erfolgreich durchlaufen. Kürzel

Stelle als

Geschlecht

Bank.l Bank.2 Bank.3 Bank.4 Bank.5 Bank.6 Bank.7

Praktikum männl. Trainee weibl. Trainee männl. Trainee männl. Trainee weibl. Banktätigkeit männl. Trainee männl.

ost/west

Interviewende

Aufnahme

ost ost west ost ost ost west

II 11,12 11,13,14 11,15 II II II

Feb. 1995 Feb. 1995 Feb. 1995 April 1995 Juli 1995 Sept. 1995 Mai 1996

Teilkorpus Bau Großer Baukonzem; Stelle: 1. Projektleitung; 2. Bauleitung; Bewerbende sind Bauingenieure; Interviewende: Niederlassungsleiter (II), Kaufmännischer Leiter (12), leitender Angestellter (13); Besonderheiten: es sollen zwei verschiedene Positionen besetzt werden, deren Stelleninhalte geklärt und abgegrenzt werden müssen. Kürzel

Stelle als

Geschlecht

ost/west

Interviewende

Aufnahme

Bau.l* Bau.2* Bau.3* Bau.4 Bau.S

Projektleiter Bauleiter Projektleiterin Projektleiter Projektleiter

männl. männl. weibl. männl. männl.

west west west ost west

11,12 11,12 11,12 11,12 12,13

Juli Juli Juli Juli Juli

1995 1995 1995 1995 1995

Teilkorpus Chemie Chemische Großindustrie; Stelle: Forschung mit Perspektive Managementlaufbahn; Bewerbende sind promovierte Chemiker/in, Physiker, Biologin; Besonderheiten: B. verbringen den Tag im Unternehmen und führen mehrere Gespräche (nur je eines wurde aufgezeichnet), Interviewer (männl.): Personalverantwortliche für das Hochschulprogramm Kürzel

Stelle als

Geschlecht

ost/west

Interviewende

Aufnahme

Chemie, l Chemie.2

Chemiker Chemiker

männl. männl.

ost west

II 12

Okt. 1995 Okt. 1995

47

Chemikerin Physiker Chemiker Chemiker Chemikerin Biologin

Chemie.3 Chemie.4 Chemie.5 Chemie.6 Chemie.7 Chemie.8

weibl. männl. männl. männl. weibl. weibl.

ost west west west ost west

11 12 12 11 12 11

Okt. Okt. Okt. Okt. Okt. Okt.

1995 1995 1995 1995 1995 1995

Teilkorpus Edv Regionaler Energieversorger, Stelle: Datenverarbeitung/Systemadministration; Bewerber sind Informatiker (mit/ohne Hochschulabschluss); anwesende Interviewer (männl.): Personalleiter (II); zwei Fachvertreter (12,13); Besonderheiten: Fachvertreter sind Ostdeutsche. Kürzel

Stelle als

Geschlecht

ost/west

Interviewende

Edv.l* Edv.2* Edv.3* Edv.4* Edv.5* Edv.6* Edv.7

Edv-Fachmann Edv-Fachmann Edv-Fachmann Edv-Fachmann Edv-Fachmann Edv-Fachmann Edv-Fachmann

männl. männl. männl. männl. männl. männl. männl.

ost ost ost ost ost ost ost

II, 12,13 II, 12,13 11,12,13 11,12,13 11,12,13 II, 12,13 11,12,13

Aufnahme

Aug. Aug. Aug. Aug. Aug. Aug. Aug.

1995 1995 1995 1995 1995 1995 1995

Teilkorpus Sekretariat Softwarehandelshaus; Stelle: Assistentin der Geschäftsleitung (Schwangerschaftsvertretung); Bewerberinnen sind Fremdsprachenkorrespondentinnen, vom Arbeitsamt vermittelt; Interviewende: II: Personalleiterin, 12: Stelleninhaberin, 13: Geschäftsführer; Besonderheiten: B l und B2 werden einige Tage später zum Zweitinterviews mit 12 eingeladen, B2 wird bei der Gelegenheit anschließend vom zukünftigen Vorgesetzen 13 interviewt. Kürzel

Stelle als

Geschlecht

Sekretariat.l Sekretariat.2 Sekretariat.3 Sekretariat.4 Sekretariat.5

Sekretärin weibl. Sekretärin weibl. Sekretärin weibl. Zweitinterview Bewerberin 2 Zweitinterview Bewerberin l

ost/west

Interviewende

ost west ost

II II

n

II, 12,13 11,12

Aufnahme

Aug. Aug. Aug. Aug. Aug.

1995 1995 1995 1995 1995

Teilkorpus Telefon Großes Versandhaus; Stelle: Kundenberaterin/Mahnwesen per Telefon (Teilzeit); Bewerberinnen sind Verkäuferinnen; Interviewende: Personalleiter Norddeutschland (II), Filial-

48

leiter (12), Abteilungsleiterin (13); Besonderheiten: II schult 12 und 13 in Bewerbungsgesprächsführung. Kürzel

Stelle als

Geschlecht

ost/west

Interviewende

Aufnahme

Telefon.l* Telefon.2* Telefon.3* Telefon.4* Telefon.5*

Kundenberaterin Kundenberaterin Kundenberaterin Kundenberaterin Kundenberaterin

weibl. weibl. weibl. weibl. weibl.

west ost west ost west

11,12,13 II, 12,13 H, 12,13 II, 12,13 12,13

Sept. Sept. Sept. Sept. Sept.

1995 1995 1995 1995 1995

Die typischen Verläufe, die Themengestaltung und die spezifischen Rahmenbedingungen der jeweiligen Bewerbungsverfahren werden in Kap. 3 ausführlicher dargestellt.

2.1.2 Die Rollenspiele Das Rollenspielkorpus umfasst 18 ostdeutsche und 9 westdeutsche Rollenspiele, die im Rahmen von Bewerbungstrainings durchgeführt und aufgezeichnet wurden. Die Rollenspiele werden herangezogen, um Ergebnisse aus den authentischen Bewerbungsgesprächen zu überprüfen und ggf. zu ergänzen.2 In Bewerbungstrainings werden die Teilnehmenden von einem Trainer/einer Trainerin in einschlägigen Fertigkeiten für die Arbeitssuche ausgebildet. Auf der Basis von authentischen, für die Betreffenden in Frage kommenden Stellenanzeigen bearbeitet man die verschiedenen Stationen eines Bewerbungsverfahrens. Das umfasst das Erstellen des Lebenslaufs, eines Bewerbungsschreibens sowie die Simulation eines Bewerbungsgesprächs im Rollenspiel, das mit Video aufgezeichnet und anschließend kommentiert wird. Die ostdeutschen Rollenspiele stammen aus Bewerbungstrainings des Arbeitsamtes, die bereits im März 1993 in Rostock in zwei verschiedenen Kursen aufgezeichnet wurden. Zeitlich gesehen sind es die ältesten Daten. Bei den Teilnehmer/inne/n handelt es sich weitgehend um arbeitslose Akademiker/innen, von denen viele gehobene Positionen in der DDR innehatten. Die 9 westdeutschen Rollenspiele wurden in Konstanz im September 1993 sowie in zwei Bewerbungstrainings in Hamburg im Januar bzw. Juli 1994 aufgezeichnet. Die Rollenspiele finden in "herkunftshomogenen" Gruppen statt. Hier übernehmen die Teilnehmenden jeweils füreinander die Interviewerrollen, so dass die Zusammensetzung der Bewerbungsgespräche in den Rostocker Rollenspielen ostdeutsch/ostdeutsch ist (hier sind allerdings die Trainer und die anwesenden Linguist/inn/en Westdeutsche), in den Hamburger und Konstanzer Daten westdeutsch/westdeutsch.

Rollenspiele sind in der vorliegenden Arbeit nur randständiger Gegenstand der Analyse; für detailliertere Analysen dieses Teilkorpus vgl. Auer (1998; 2000), Birkner (1995), Birkner/Kern (1996);Kreßin(1995).

49

Die ostdeutschen Rollenspiele Kürzel

Stelle als

Geschlecht

Aufnahme

ROS-I.l* ROS-I.2* ROS-I.3* ROS-I.4* ROS-I.5* ROS-I.6* ROS-I.7* ROS-II.l* ROS-II.2* ROS-II.3* ROS-II.4* ROS-II.5* ROS-II.6* ROS-II.7* ROS-IL8* ROS-II.9* ROS-II.10* ROS-II.l l*

Transportunternehmen Pharmareferent Mitarbeiter Naturpark Straßenbauingenieur Produktionsmeister Geschäftstellenleiter Bankangestellte Informatiker Funkoffizier Landesbehörde Angestellte Behörde Reiseleiterin Schiffsingenieur Verkaufsleiterin Statiker Ingenieur Arbeitsamtsberaterin Prüfungsassistentin Bank Bankangestellte

männl. männl. männl. männl. männl. männl. weibl. männl. männl. weibl. weibl. männl. weibl. männl. männl. weibl. weibl. weibl.

März 1993 März 1993 März 1993 März 1993 März 1993 März 1993 März 1993 Juni 1993 Juni 1993 Juni 1993 Juni 1993 Juni 1993 Juni 1993 Juni 1993 Juni 1993 Juni 1993 Juni 1993 Juni 1993

Aufnahme

Die westdeutschen Rollenspiele Kürzel

Stelle als

Geschlecht

HH-I.l* HH-I.2* HH-I.3* HH-II.1 HH-II.2 HH-II.3 HH-II.4 KON.l KON.2

Import/Export Lektorin Lexikographin Buchhalterin Geschäftsführer Filialleiterin Kaufhaus Telekommunikation Verwaltungsreferendar Leiter Qualitätskontrolle

weibl. weibl. weibl. weibl. männl.. weibl. männl. männl. männl.

Juli 1994 Juli 1994 Juli 1994 Jan. 1994 Jan. 1994 Jan. 1994 Jan. 1994 Sept. 1993 Sept. 1993

Zu den Unterschieden zwischen Rollenspielen und authentischen Bewerbungsgesprächen sei angemerkt, dass Rollenspiele zwar Artefakte sind, aber eine Eigendynamik entwickeln, die zweifellos Authentisches zutage fördert, ein Mechanismus, den sich nicht nur Bewerbungstrainings, sondern u.a. auch Psychotherapie und Pädagogik zu eigen machen (vgl. a. Bliesener/Brons-Albert 1994). Gewisse Phänomene können durch den Rollenspielkontext sogar wie durch ein Brennglas verstärkt werden, da die Aufmerksamkeit weniger als in natürlichen Gesprächen gebunden ist, sondern voll auf die Einübung eines prototypischen Be-

50

werbungsgesprächs konzentriert werden kann (was z.B. das Bemühen um ein hohes Formalitätsniveau erleichtert). Eine auffällige Differenz ist die Dauer; authentische Bewerbungsgespräche sind erheblich länger (30 bis 90 Minuten) als die Rollenspiele (max. 15 Minuten). Die Tatsache, dass es sich um nicht-professionelle Interviewende handelt, wirkt sich besonders auf den thematischen Verlauf der Gespräche aus.3 Wesentliche Elemente authentischer Bewerbungsgespräche (wie z.B. die Darstellung des Arbeitsplatzes, Informationen über das Unternehmen usw.) fallen weg. Zudem sind die Rollenspiel-Interviewenden in aller Regel branchenfremd und können die Qualifikationen der Bewerbenden schon aus diesem Grunde weniger kritisch prüfen als echte Unternehmensvertreter/innen.

2.1.3 Die Nachbesprechungen Nachbesprechungen und Experteninterviews bilden die Sekundärdaten, sie ergänzen die Analyse der Primärdaten. Die Nachbesprechungen fließen nur in Einzelfällen in die Analysen ein, da sie nicht systematisch zur Verfügung stehen (vgl. die mit Sternchen gekennzeichneten Gespräche in der tabellarischen Übersicht). Sie kamen nur dann vor, wenn die Gespräche von Interviewergruppen geführt wurden. In den Nachbesprechungen tauscht sich das Team von Interviewenden über den Eindruck aus, den ein Kandidat/eine Kandidatin in einem gerade durchgeführten Bewerbungsgespräch hinterlassen hat. Diese Daten geben nicht nur Aufschluss über die allgemeine Bewertung der Performanz der Kandidat/inn/en, häufig äußern sich die Interviewenden auch zu konkreten Einzelheiten und Beobachtungen. Daneben gibt es in einigen Bewerbungsgesprächen des Subkorpus Telefon eine besondere Form von Nachbesprechungen, hier wird einzelnen Bewerberinnen ein Feedback über das absolvierte Gespräch gegeben. Bei den Rollenspielen gibt es sehr ausführliche Auswertungsrunden, in denen die Ausbilder/innen, die Betroffenen selbst und auch die Gruppe Stellung beziehen.

2.1.4 Die Experteninterviews Die Experteninterviews bestehen aus 11 narrativen, ethnographischen Interviews, in denen die Mehrzahl der beteiligten Einstellenden sowie einige weitere Personalverantwortliche (Bank.B, Bank.C und Messe, s.u.) nach einem Interviewleitfaden zu zwei Themenschwerpunkten befragt werden: 1. nach dem üblichen Bewerbungsverfahren und 2. ihren Erfahrungen mit osWwestdeutschen Bewerbenden. Der Erhebungszeitraum umfasst Mai 1996 Juli 1996. Die wechselweise Ergänzung von Primär- und Sekundärdaten verspricht einen methodischen Zugewinn, der besonders im Bereich der IKKF immer wieder gefordert wird (vgl. a. Kap. 1). Die Experteninterviews (wie auch die Nachbesprechungen) stellen Daten zur Verfügung, die Aufschluss geben über Interpretationsweisen der Interviewenden. Die Aussa3

Vgl. a. Grießhaber (1987b:56-77) zu den Auswirkungen, die der Einsatz von "unvorbereiteten" und "vorbereiteten" Agenten auf den Verlauf von authentischen bzw. rollengespielten Bewerbungsgesprächen haben.

51 gen der Experten zu Unterschieden zwischen Ost- und Westbewerbenden liefern zwar kein Material für die Untersuchung interkultureller Kommunikation, sie gestatten aber Einblick in den interkulturellen Diskurs. Die Aussagen zum Bewerbungsverfahren und den Gattungskonzepten erwiesen sich als ausgesprochen fruchtbar, um die "Versteckte Agenda" hinter bestimmten Fragen und Vorgehensweisen zu erkennen und Relevanzen und Präferenzen der Gattung zu eruieren, die in den authentischen Bewerbungsgesprächen in der Regel nicht explizit gemacht werden. Mit folgenden Personalfachleuten wurden Interviews geführt: Experte Telefon.A Experte Telefon.B Experte Bau.A Experte Bau.B Experte Chemie.A Experte Chemie.B Experte Edv Experte Bank.A Experte Bank.B Expertin Bank.C Expertin Messe

Versandhaus, Personalleiter Bereich Ost Versandhaus, Filialleiter Bauunternehmen, Niederlassungsleiter Bauunternehmen, kaufmännischer Leiter Chemiekonzern, Leiter der Stelle Hochschulkontakte Chemiekonzern, Bereich Hochschulkontakte Energieversorger, Personalleiter Bank, Personalleiter Bereich Ost Bank, verantwortlich für Einstellung von Auszubildenden Bank, Personalbetreuerin Bereich Thüringen (Ostdeutsche) Messeveranstalter, Personalleiterin (Ostdeutsche)

Den Experteninterviews liegt der folgende Interviewleitfaden zugrunde: /. Allgemein zur Person • Aus welchen Arbeitszusammenhängen kommen Sie? • Was sind Ihre konkreten Aufgaben? 77. Bewerbungsverfahren • Sie führen Bewerbungsgespräche durch? Wie sehen diese Gespräche im Allgemeinen aus, d.h. wie bauen Sie ein Bewerbungsgespräch auf, welche Themen werden angeschnitten? • In welchem Zusammenhang wurden die Erfahrungen, von denen Sie hier berichten wollen, gemacht? • Seit wann fuhren Sie Einstellungsgespräche durch? • Wie viele Ost-, wie viele Westgespräche? • Auf welche Qualifikationen legen Sie besonderen Wert? Nach welchen Kriterien beurteilen Sie, ob eine Bewerberin oder ein Bewerber geeignet oder ungeeignet ist? • Worauf sollten die Bewerberinnen und Bewerber Ihrer Meinung nach besonders achten? • Stoßen die Ostbewerberinnen und -bewerber Ihrer Meinung nach auf besondere Schwierigkeiten bei der Arbeitssuche (z.B. in Ihrer Branche)? Wenn ja, welche? • Welche Ursachen haben Ihrer Meinung nach diese besonderen Schwierigkeiten? Reagieren Sie auf diese „besonderen" Schwierigkeiten? 777. Ost/Westdifferenzen • Welche Unterschiede sind Ihnen zwischen Ost- und Westbewerbenden in Bewerbungsgesprächen aufgefallen? (Unterschieden im Verhalten und in der Sprache)

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Abschließend sei an dieser Stelle erwähnt, dass sich die Anbahnung von Kontakten mit kooperationsbereiten Unternehmen bis hin zur Datenaufnahme als ein ausgesprochen schwieriger und langwieriger Prozess erwies. Das Personalwesen ist offensichtlich ein sensibler Unternehmensbereich, der einer Beobachtung durch Außenstehende ungern zugänglich gemacht wird. Als nicht realisierbar erwies sich die geplante Aufzeichnung von Gesprächen mit ostdeutschen Interviewenden. Dass alle Personalverantwortlichen unseres Korpus Westdeutsche sind, ist nicht unserem Forschungsdesign, sondern vor allem der realen ökonomischen Asymmetrie zwischen Alten und Neuen Ländern geschuldet. Tatsächlich war zur Zeit der Datenerhebung die überwiegende Zahl von Personalleitungsposten auch in den neuen Ländern mit Westdeutschen besetzt. Darüber hinaus hatten die wenigen ostdeutschen Personalverantwortlichen, zu denen ein Kontakt zustande kam, einer Datenaufnahme gegenüber noch größere Vorbehalte als ihre westdeutschen Kolleg/inn/en und letztendlich gestatteten sie sie nicht. Einige von ihnen stellten sich lediglich für ein Experteninterview zur Verfügung (die Experten Bank.B, Bank. C und Messe). Die folgende Zusammenstellung gibt einen Überblick über das Gesamtkorpus: Bewerbungsgespräche insgesamt: Anzahl beteiligter Unternehmen: Herkunft der Bewerbenden: ostdeutsch: westdeutsch: Geschlecht der Bewerbenden: weibl.: männl.:

41 7

Rollenspiele insgesamt: Rollenspiele ost: Rollenspiele west:

27 18 9

Experteninterviews insgesamt:

11

Nachbesprechungen insgesamt:

25

22 19 16 (8 ost/8 west) 25 (13 ost/12 west)

2.2 Datenerhebung und -transkription Die authentischen Gespräche sowie die Expertengespräche wurden mit einem Sony DATRecorder und einem Originalkopfmikrophon aufgenommen. Bei den Rostocker und Konstanzer Rollenspielen stehen Videoaufzeichnungen zur Verfügung, die Hamburger Rollenspiele wurden lediglich mit einem Sony Walkman Professional aufgezeichnet. Bei allen Aufnahmen war ein Mitglied des Projektes anwesend. Anschließend wurden alle authentischen und rollengespielten Bewerbungsgespräche von einem Projektmitglied transkribiert sowie in einem zweiten Durchgang durch eine weitere Person kontrolliert. Sequenzen, die sich für die Analyse als relevant erwiesen, wurden in der Regel noch mehrmals verfeinert. Die Transkriptionskonventionen, die den analytischen

53 Zwecken entsprechend ausgewählt wurden, erfassen die üblichen Phänomene gesprächsanalytischer Basistranskripte (vgl. Selting et al. 1998). Die Transkription orientiert sich grundsätzlich an der schriftsprachlichen Norm (allerdings bei konsequenter Kleinschreibung), von der nur in markierten Fällen (auffälliger Dialektgebrauch o.a.) abgewichen wurde. In der folgenden Übersicht sind die verwendeten Transkriptionskonventionen zusammengestellt: Transkriptionskonventionen B: Bewerber/in I: Interviewer/in anwesende/r Linguist/in L: Experte/Expertin E: kürzere Auslassung in zitierten Transkriptpassagen unverständliche Passage vermuteter Wortlaut/ weitere mögliche Variante (worte/warte) Abbruch (phonetisch eindeutig markiert) wo/ [bla bla] bla eckige Klammern markieren simultane Passagen [worte ] Verschleifung zweier Wörter oder unmittelbarer Anschluss an Vorredner/in ausatmen h einatmen auffällige Aspiration wort Mikropause Pause bis zu 0.5 Sekunden Pause von 2 Sekunden (2) blaBLA Akzent (Primärakzent) blablA Sekundärakzent (nicht immer transkribiert) bla:bla: Dehnung wort, leicht steigende Intonation wort? stark steigende Intonation wort ; leicht fallende Intonation wort . stark fallende, finale Intonation wortschwebende Intonation ( h ) w o r t ( h ) wort lachend gesprochen hehehe silbisches Lachen ( (lacht) ) Beschreibung des Lachens längere laut/sehr laut gesprochene Passage, endet bei > «p>/«p>wort> leise/sehr leise gesprochene Passage, endet bei > «all>wort> schneller gesprochen, endet bei >

Pausen werden normalerweise im laufenden Text notiert; soll ihre analytische Relevanz hervorgehoben werden, erhalten sie in den Transkriptbeispielen aus Darstellungsgründen eigene Zeilen.

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«len>wort > «t>wort> «h>wort> < < dim> wo r t > «cresc>wort> ( (hustet) }

langsamer gesprochen, endet bei > tief, endet bei > hoch, endet bei > lauter werdend, bei > zurück auf Normalniveau leiser werdend, bei > zurück auf Normalniveau Kommentar

Die Kürzel zur Bezeichnung von Beispielen aus den Transkriptionen setzen sich folgendermaßen zusammen:Chemie.5/w/m bedeuten, dass es sich um das 5. Gespräch aus dem Subkorpus Chemie handelt, die erste Angabe nach dem Schrägstrich informiert über die Ost/West-Herkunft (w = west und o = ost), die zweite Angabe über das Geschlecht (f= weiblich; m = männlich). Das Geschlecht der Interviewenden ist in der obigen Aufstellung der Teilkorpora verzeichnet.

Kapitel 3: Die kommunikative Gattung "Bewerbungsgespräch"

"Jedes Bewerbungsgespräch ist anders", formulierte es einer der Experten sehr pointiert. Und so ist auch jedes Bewerbungsverfahren anders und jede Interviewerin/jeder Interviewer hat einen eigenen, unverwechselbaren Stil. Das Erstinterview unterscheidet sich stark von einem Zweitinterview, ebenso wie eine Initiativbewerbung anders verläuft als das Gespräch mit direkten Vorgesetzten nach der erfolgreichen Teilnahme an einem Assessmentcenter. Darüber hinaus legen die jeweiligen Anforderungsprofile des zu besetzenden Postens fest, welcher Stellenwert z.B. den sozialen Kompetenzen bei der Auswahl zugewiesen wird. Das während des Bewerbungsgesprächs demonstrierte Kommunikationsverhalten einer Telefonacquisiteurin ist eher Bestandteil des Qualifikationsprofils der zu besetzenden Stelle als bei einem Systemprogrammierer, dessen Beurteilung stärker von seinen Fachkenntnissen abhängt. Jedes Unternehmen hat eine spezifische "Corporate Identity", in die eine Bewerberin/ein Bewerber passen soll, und jede Branche entwickelt ein eigenes "Milieu", das wiederum seine typischen Vertreter hervorbringt. Das äußert sich nicht zuletzt in Kleidungskonventionen, die die Bewerbenden respektieren sollten. Während Anzug und Krawatte in der Bank selbstverständlich sind, würde Vergleichbares in handwerklichen Branchen leicht als "overdressed" empfunden. So macht ein sprachlich sehr formeller Bewerber vielleicht in der Pharmaindustrie eher Eindruck als in einem jung-dynamischen Softwareladen. Dennoch ließe sich mit dem gleichen Recht behaupten: "Alle Bewerbungsgespräche sind gleich". Bewerbungsgespräche sind unverwechselbar; sie werden durch typische strukturelle Eigenschaften gekennzeichnet, haben einerseits obligatorische Bestandteile, z.B. die Interviewer-Frage als primäre Aktivität, starke thematische Routinen (z.B. den Lebenslauf oder Verabredungen über das weitere Vorgehen), und andererseits Beschränkungen (z.B. der Rederechte und der Themenorganisation). Diese Gemeinsamkeiten, also das, was ein Bewerbungsgespräch zu einem Bewerbungsgespräch macht, sollen im folgenden beleuchtet werden. Einen geeigneten Rahmen dazu liefert das Konzept der kommunikativen Gattungen, das in Kap. l vorgestellt wurde. Die Strukturmerkmale des Gattungskonzeptes dienen im folgenden als Leitlinien für die Rekonstruktion dessen, was Interaktanten tun, wenn sie sich zu einem Bewerbungsgespräch versammeln. Dazu werden in einer kaleidoskopartigen Zusammenschau Beispiele aus den Primärdaten "Bewerbungsgespräche" und den Sekundärdaten "Experteninterviews" und "Rollenspiele" illustrieren, wie Teilnehmende ein Bewerbungsgespräch herstellen. Die Aussagen der Interviewenden, die immer wieder ergänzend in die Darstellung eingeflochten werden, können die versteckten Handlungsmotive und Relevanzen erhellen und sollen als ein Fundus für plausibilisierende Erklärungen ausgeschöpft werden. Darüber hinaus werden Ergebnisse aus einschlägigen Studien angeführt. Die Bestimmungsmerkniale der Gattung "Bewerbungsgespräch" ergaben sich nicht (auch wenn die Reihenfolge in der Darstellung dies suggerieren mag) aus einer vorausgehenden theoretischen Bestimmung, sondern haben sich in der Auseinandersetzung mit dem Datenmaterial als adäquat erwiesen. Einige werden bereits in der Sekundärliteratur beschrieben, wieder andere sind untrennbar mit dem eigenen Wissen der Analysierenden als Mitglied der Kommunikationsgemeinschaft bzw. ihren Erfahrungen als teilnehmende

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Beobachterin zahlreicher Bewerbungsgespräche verbunden. Alle aber mussten ihre Gültigkeit am Datenmaterial unter Beweis stellen. Eine abschließende Bemerkung zum Vorgehen: Im folgenden wird der Versuch unternommen, aus "konkreten Exemplaren" der kommunikativen Gattung das Gattungswissen der Beteiligten zu rekonstruieren. Zwar erhält man auf diesem Wege nur das, was von den Beteiligten in den "realen kulturellen Objekten" (Luckmann 1986:203), die gewissermaßen zufällig Eingang in das Datenkorpus gefunden haben, realisiert wird. Tatsächlich unterliegt die letztendliche Realisierung eines Gattungsexemplars vielfaltigen individuellen und institutionellen Entscheidungs- und Abwägungsprozessen. Der Spielraum, der in Bewerbungsgesprächen (stärker als in Ritualgattungen) zur Verfugung steht, gewährleistet sowohl, dass die Unternehmensvertreter das Verfahren auf ihre Zwecke zuschneiden und gemäß einer Corporate Identity gestalten, als auch, dass Bewerbende jedem Gespräch ihren individuellen Stempel aufdrücken, beispielsweise indem sie einen stärker formalisierten Stil realisieren oder aber die Grenzen spielerisch überdehnen. So mag es unzählige, in vielen Details abweichende Bewerbungsgespräche geben, dennoch sind sie aufgrund übergeordneter struktureller Ähnlichkeiten zweifelsfrei als konkrete Exemplare der kommunikativen Gattung "Bewerbungsgespräch" zu erkennen.

3. l Das Bewerbungsgespräch als Gattung Im Zusammenwirken typischer Bestimmungsmerkmale auf den drei strukturellen Ebenen "soziale Außenstruktur", "intersubjektiv-situative Zwischenstruktur" und "materiale Binnenstruktur" (vgl. Kap. 1) konstituiert sich eine spezifische Gattung. Welche Merkmale damit verbunden sind, ob sie mehr oder weniger verpflichtend sind, welche spezifischen Funktionen und gesellschaftlichen Zwecke eine Gattung evtl. erfüllt, muss im Einzelfall genau bestimmt werden. Das soll im folgenden für die kommunikative Gattung "Bewerbungsgespräch" geschehen.

3.2 Die Außenstruktur Die Außenstruktur von Gattungen ist hinsichtlich ihrer Funktionen und Ziele einerseits, des Milieus, der Situation und der Beteiligungsrollen andererseits bestimmt.

Strenggenommen kann die folgende Rekonstruktion nur Gültigkeit für das vorliegende Korpus beanspruchen. Da Bewerbungsgespräche eng mit sozialen und wirtschaftlichen Gegebenheiten verbunden sind und außerdem auf Distinktion und Konkurrenz beruhen, ist ein beständiger Wandel in dieser Gattung erwartbar, so dass es sich bei den erhobenen Daten nur um ein Blitzlicht zu einem bestimmten Zeitpunkt handelt.

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3.2.1 Gesellschaftliche Funktionen und Ziele von Bewerbungsgesprächen

3.2.1.1 Funktionen Kommunikative Gattungen stellen nach Luckmann (1988:202) mehr oder minder wirksame und verbindliche Lösungen für spezifisch kommunikative, gesellschaftliche Probleme zur Verfügung. Die Probleme, die mit der Gattung "Bewerbungsgespräch" gelöst werden sollen, sind die der Selektion und Allokation von Arbeitskräften durch Unternehmen. Insofern handelt es sich bei einem Bewerbungsgespräch um eine gatekeeping-Gattung (Erickson/Shultz 1982:14). Einige der typischen Merkmale von Bewerbungsgesprächen ergeben sich quasi natürlich aus diesem Zweck, so z.B. der Entscheidungsfindungscharakter der Interaktion und die Machtverteilung bei dieser Entscheidung zugunsten der Unternehmensseite. Andere Merkmale wiederum "passen" zwar zu diesem Zweck, sind aber nur ein möglicher Umgang mit dem Problem: Dass sich beispielsweise - wie unsere Untersuchung zeigt - bestimmte Argumente besser eignen als andere, um "typische Fragen" des Bewerbungsgesprächs zu beantworten, lässt sich nur bedingt aus den Zwecken der Gattung inferieren. Welche es sind, gehört ebenso zum Wissen um die Gattung wie die Tatsache, dass in letzter Instanz die Einstellenden definieren, was als "richtige" Antwort gelten kann. Zum Zwecke der Selektion suchen Einstellende nach Anhaltspunkten für eine Entscheidungsfindung. Dabei spielt aber weniger als häufig angenommen die fachliche Qualifikation der Bewerbenden eine ausschlaggebende Rolle. In der Regel wird diese vorab in der Vorauswahlphase geklärt und es kommt erst dann zur Einladung zum Gespräch, wenn die formale Qualifikation des Kandidaten/der Kandidatin grundsätzlich als gegeben gilt. Und auch wenn auf der Oberfläche eines Bewerbungsgesprächs Inhalte verhandelt werden, so geht es doch nicht nur um den Austausch von Informationen, sondern eher darum, den/die Bewerbende/n als Person einzuschätzen. Das Wie spielt eine zentrale Rolle in Bewerbungsgesprächen (vgl. a. Punkt 3.6.2); das zeichnet sich bereits im Vorfeld des Bewerbungsgesprächs bei den schriftlichen Unterlagen ab. Beispiel (1) - Experteninterview (Bau.B) E:

Ich schau mir erst einmal die Bewerbungsunterlagen an und daraus kann man schon, aus der Art, wie die Leute sich präsentieren, sehr viel herauslesen.

Bewerbungsgespräche haben einen festen Platz innerhalb eines mehrgliedrigen Auswahlverfahrens, in dem u.a. weitere mündliche wie schriftliche Gattungen zum Zuge kommen: Häufig wird eine Stellenanzeige veröffentlicht, woraufhin eine schriftliche Bewerbung erfolgt, die in einer ersten Vorauswahl von den Unternehmensvertretern nach Qualifikationskriterien, aber in aller Regel auch nach formalen Gesichtspunkten ausgewählt werden. Hat ein Bewerber/eine Bewerberin diese erste Hürde genommen, kommt es zur Einladung zum Bewerbungsgespräch, evtl. sogar vorher noch zur Teilnahme an weiteren vorgeschalteten Auswahlprozeduren wie Assessmentcenter oder schriftlichen Tests. Diese Vorgeschichte, besonders die Informationen aus den schriftlichen Unterlagen, gehen als vorauszusetzendes Wissen in das Bewerbungsgespräch ein. Vermutlich bilden die Unternehmensvertreter/innen bereits eine "Prä-Hypothese" bezüglich der Eignung der Kandidatin/des Kandidaten (Schilling 1997:148). Vor dem Gesprächstermin werden nicht selten manchmal ausführliche - Telefonate geführt und letztendlich eine Verabredung zu einem

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Termin und an einem bestimmten Ort, in aller Regel das Unternehmen selber, getroffen (telefonisch oder als schriftliche Einladung). Es handelt sich also nicht um spontane Kommunikation. Für den Termin werden auch von Seiten der Einstellenden Vorbereitungen getroffen. Der Experte Telefon.A schildert im Interview seine Bemühungen um eine gesprächsfördernde Atmosphäre, indem er einen möglichst ungestörten Raum wählt, der einen runden Tisch haben sollte, und er Getränke bereitstellen lässt. Wenn auch die Mittel variieren, die die Interviewenden nutzen, so ist doch bei allen das Bemühen zu erkennen, Rahmenbedingungen zu schaffen, die den Zielen und Besonderheiten der Gattung Rechnung tragen. Die Termine haben in der Regel ein von den Einstellenden vorgegebenes Zeitlimit, entweder weil an einem Tag mehrere Gespräche geführt werden oder auch weil sie eine gewisse Vorstellung davon haben, was ein angemessener Zeitrahmen sein könnte: Beispiel (2) - Experteninterview (Bank.A) E:

Ein gutes Personalgespräch dauert eineinhalb Stunden. So. Und viele dauern nicht so lange, da fehlt denn in der Regel aber denn auch was gegen das Lehrbuch. Wenn die natürlich nur ne halbe Stunde dauern, denn ist von beiden irgendwas falsch gemacht worden. Entweder sagt der Bewerber nix oder man stellt die falschen Fragen. Aber nach ner halben Stunde kann man eigentlich noch nicht wissen, ob der Kandidat nun richtig auf der Stelle ist oder falsch, das kann man auch nicht. Und wenn, dann hat man nach ner halben Stunde höchstens raus, dass der nicht der richtige ist.

Neben der Selektion ist die Allokation, d.h. die adäquate Platzierung von potenziellen zukünftigen Mitarbeiter/inne/n, eine wichtige Funktion von Bewerbungsgesprächen. Beispiel (3) - Experteninterview (Bank.A) E:

Ziel der Personalarbeit ist immer der richtige Mitarbeiter zur richtigen Zeit am richtigen Ort auf der richtigen Funktion, das ist immer das Oberste. ((.·.)) Es geht nicht nur darum, einen Job zu kriegen, auch wenn das heute immer wichtiger is, es geht aber darum, ob einem dieser Job auch einigermaßen Spaß bringt, weil es hat keinen Sinn, wenn wir einen Kreditsachbearbeiter einstellen, der Aktivgeschäft macht, also Kredite prüft und in Wirklichkeit ist er am liebsten Wertpapierberater, ((...)) dann ist das der falsche Mitarbeiter am falschen Platz und dann wird der Mitarbeiter nicht glücklich und die Bank sowieso nicht. Und das ist die Problematik des Einstellungsgespräches, das herauszukriegen.

Der Interviewer aus dem Korpus Edv weist im Expertengespräch ebenfalls auf die Aufgabe des Personalleiters hin, die Betreffenden angemessen zu platzieren, und formuliert für sich eine Fürsorgepflicht gegenüber den Mitarbeiter/inne/n: Beispiel (4) - Experteninterview (Edv) E:

Wen kann ich da platzieren, also ich kann nicht in einen Bereich, der noch sehr hierarchisch strukturiert ist, Teamleute positionieren, weil die würden kaputt gehen. ((...)) Da könnt ich höchstens gestandene Leute reinbringen, die vielleicht also dann dadurch auch irgendwie was bewirken dann in dem Bereich. Aber da is man natürlich irgendwie schon so=n bisschen auch in der Fürsorgepflicht, dass man den da nicht platziert. Denn geht er nach nem halben Jahr und man ist dann also, dann steht er letztendlich dann auf der Straße, da muss man schon so=n bisschen aufpassen.

Welche Rolle der Aspekt der Allokation im Bewerbungsgespräch spielt, hängt vom Vergabeverfahren ab. Zwei Fragestellungen sind in unterschiedlicher Gewichtung von Bedeutung: 1. passt der/die (grundsätzlich geeignete) Bewerbende in das Team oder 2. für welche

59 Position kommt er/sie in Frage. Die zweite Frage spielt in unserem Korpus Bank eine zentrale Rolle: Diese Kandidat/inn/en haben Vorauswahlen bereits erfolgreich bestanden, so dass die Selektion in den Hintergrund und die Allokation in den Vordergrund rückt. Deshalb geht es häufig vorrangig darum, welche fachliche Ausrichtung die potenziellen späteren Führungskräfte anstreben bzw. in welche Filiale sie damit passen würden. Auch wenn beide Seiten eine Entscheidung treffen müssen, so zeichnet sich in Bewerbungsgesprächen jedoch eine Priorität der Einstellenden ab. Während die Untemehmensvertreter zwei Entscheidungsmöglichkeiten haben, nämlich die Betreffenden abzulehnen oder einzustellen, kann der/die Bewerbende die Stelle zunächst nur ablehnen. Erst wenn die Einstellenden eine positive Entscheidung getroffen haben, kann sie angenommen werden: What is important is the fact that the interviewer have the initiative of the choice. It is only after an applicant has been selected that he or she can decide to take the job. Pending the decision of the interviewers, the only choice the applicant has is a negative one. (Komter 1991:32) Natürlich gibt es viele Hinweise darauf, dass die Beteiligten auch die Entscheidungsmöglichkeit der Bewerbenden berücksichtigen; im Vergleich zu dem Umfang, in dem Unternehmensvertreter/innen Bewerbende "unter die Lupe" nehmen, ist das aber nachrangig. Dass viele Ratgeber und auch einige Studien die Reziprozität der Begegnung hervorheben (vgl. u.a. Lepschy 1995), entspricht eher Beschwörungsformeln als der Wirklichkeit. In diesem Sinne auch Komter, die von einer "pseudo-symmetry" spricht (1991:41). Unternehmensvertreter/innen sind sich in der Regel der Tatsache bewusst, dass sie am längeren Hebel sitzen, wie das folgende Beispiel verdeutlicht:

Beispiel (5) - (Chemie.5/w/m) 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23

II:

B: II:

B: II:

B: II: B: II:

also (.) ganz « f > k l a r . > . hh und (-) es is AUCH sO, wenn sie für uns in die engere WAHL kommen, ( . ) .h dann: (.} beDEUtet das zwar auf der Einen seite nicht; dass (-) wir sie dann tatsächlich Auswählen? ( . ) aber UMgekehrt gilt dasselbe natürlich auch für SIE. j a; = =auch WIR können ja nich sicher sein; dass «f>SIE> uns auswählen. (-) «p>ne,> {-) «p>ich mein-> { . ) des is halt IMmer so=ne/ ( . ) so=ne sache dann letztendlich auf GEgenseitigkeit. .h «f>obwohl die chancen> zugebener maßen momentan eher auf UNse«dim> (h) rer (h) seite (h) s i n d ; > [ = ( h e ) ] [muss ] man SAgen. ja; GUT. aber das is ehm (-) ich mein TROTZdem. (-) das nützt uns NICHTS wenn sie hier arbeiten, .h (.) weil sie keine WAHL haben. (-) ja, ( - ) « r a l l > d a s (.) is (.) nicht gut für SIE?> (.) und auch nich gut für UNS. (-) «p>ne?> ich sag ihnen dann schon o f f e n meine MEInung. [ ( h ) ] [ d a s : ] is GUT. [ { h ) d a s ( h ) i s ( h ) a u f ] ( h ) j e d e n ( h ) f a l l [hehehehehehehehehehe] ( h ) W I C H t i g ( h ) ; = (h) .hh «f>okEY; herr ERDmann.>

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Der Interviewer spricht hier aus, dass sich letztendlich beide Seiten füreinander entscheiden müssen. Diese grundsätzliche Symmetrie schränkt er aber sofort wieder ein, denn er ist sich auch darüber bewusst, dass «f>die chancen zugebener maßen momentan eher auf> «dim>UNse(h)rer (h)seite (h)sind> (Z. 11). Und indem er seine Einschätzung zum Ausdruck bringt, dass die Beschäftigungssituation für Chemiker so schlecht sei, dass der Bewerber sich veranlasst sehen könnte, die Stelle zu nehmen, obwohl er eigentlich andere Berufswünsche hat, nutzt er die Gelegenheit darauf hinzuweisen, dass solch eine "Notentscheidung" für beide Seiten nicht gut sei (Z. 14ff).

3.2.1.2 Ziele Ein Kennzeichen institutioneller Kommunikation sind die unterschiedlichen Ziele, die Interaktant/inn/en verfolgen und die eng mit den Funktionen der Gattung verbunden sind. Die Forschungsliteratur spricht in diesem Zusammenhang von einem "frame conflict" (Wodak 1988:802). In Bewerbungsgesprächen wollen Bewerbende von ihrer Eignung überzeugen, während die Einstellenden eine Auswahlentscheidung zu treffen haben. Und während der/die Bewerbende ein möglichst positives Bild von sich zu zeichnen bemüht ist, wird der/die professionelle Institutionsvertreter/in versuchen, hinter „den schönen Schein" zu blicken. Die Personalexperten formulieren ihr Ziel in den Experteninterviews und auch in den Bewerbungsgesprächen häufig so, dass sie den Bewerber/die Bewerberin "kennen lernen wollen". Beispiel (6) - (Telefon.B) E:

Mir is halt auch wichtig dann, die Leute erst mal reden zu hören, mal hören, wie sie sich verhalten, wie sie argumentieren und da kann man schon sehr viele Punkte annehmen und dann auch noch mal hinterfragen, meist zu den Wechseln, zu den Schnittstellen, von einem Job zum ändern, von einer Schule zur ändern, was gab 'sßir Motive. Um den Menschen halt kennen zu lernen.

Mit diesem Ziel lassen sich u.a. auch potenziell gesichtsbedrohende Handlungen begründen und rechtfertigen. Beispiel (7) - (Telefon. 5/w/f) B: 12: B: 12: B: B: 12: B: 12:

(2) na SIE stelln fragen; « f f > J A : . is mein JOB. wir möchten sie KENnen lernen f r a u [KOHLhauser.> (-) [MENSCH. ( . ) und wir wollen auch, dass das [ja: [ k l a : r ; und das alles in Einer für SIE g u t ] is wenn sie in so=n (-) TEAM reinkommen. stunde; ] ja. (-) [ich möcht/ das möchte ich AUCH; ] [müssen sie auch schon/ wir KENNen die leute] die da ARbeiten, und dann: [machen=wa uns geDANken] darüber, [is ja auch RICHtig; ] .h (-) wer passt da REIN.

Grießhaber (1987a:22) bezeichnet Einstellungsgespräche als dem Diskurstyp "Entscheidungen treffen" zugehörig. Auch Adelswärd (1988) benennt es als das Ziel der Interviewenden, Informationen zu sammeln, um eine Entscheidung zu treffen.

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Das Ziel der Bewerbenden wird von den Interviewenden auch als ein "Sich-Verkaufen" formuliert: Beispiel (8) - Experteninterview (Bau.A) und (Bau.B) E2: E.·

Man muss aber auch die Situation als Ganzes betrachten. Da sitzt ja jemand, der sich verkaufen will. So is=et.

Beispiel (9) - Experteninterview (Telefon.B) E:

Wenn mir persönlich jemand gegenüber sitzt, der sich nicht verkaufen kann, stell ich=s in Zweifel, ob er da drüben sitzen kann und Kunden unsere Philosophie, Produkte oder Ideen verkaufen kann.

Die Kehrseite des "sich verkaufen" ist das "jemanden einkaufen". Beispiel (10) - (Edv.6/o/m) II:

«acoja GUT; aber was für> imPULse könnten wir von ihnen erHOFFen. «acoalso wenn wir sie j e t z > (1) sozusagen EINkaufen,

Bewerbende verwenden diese ökonomische Metapher für ihre Ziele im Bewerbungsgespräch nicht.

3.2.1.3 Konfligierende Ziele In gewisser Weise kann man von einem Interessenskonflikt (Komter 1991:36) sprechen, der sich aus den unterschiedlichen Zielen von Bewerbenden und Interviewenden in Bewerbungsgesprächen ergibt: Während Interviewende eine Wahl zu treffen haben, versuchen Bewerbende, diese Wahl zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Das klingt auch in den Expertengesprächen immer wieder an: Beispiel (l 1) - Experteninterview (Chemie.l) E:

Das ist sehr schwer, da muss man viel also auch komplex denken, aus vielen Informationen sich nen Bild machen, ja manches is schwer, is es vorgetäuscht, ((...)) is einer nen guter Schauspieler und macht uns hier nen Ixför Ypsilon oder ist es echt, ((...)) das is schwer, das wirklich qualitativ festzustellen.

Das Bemühen der Bewerbenden, sich als geeignete Kandidat/inn/en für die Stelle zu präsentieren, bestimmt Adelswärd als das "supergoal" (1988:69; vgl. a. Grießhaber 1994; Roberts 1985). Dieses Ziel fuhrt zu einer besonderen Bedeutung von positiver Selbstdarstellung in Bewerbungsgesprächen.

"The main task of the interviewers in job interviews is to select the candidate and to reject the others. [...] The main task of the applicants is to get selected for the job." (Komter 1991:32)

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3.2.1.4 Positive Selbstdarstellung als Ziel von Bewerbenden Selbstdarstellung wurde von Gofftnan als "impression management" untersucht. In dem Aufsatz "On face-work: An analysis of ritual elements in social interaction" (1955:5) definiert Gofftnan "face" als einen "positiven sozialen Wert", den eine Person beansprucht, zugeschrieben bekommt, aber auch verlieren kann. "Face-work" spielt in jeder Interaktion eine Rolle und hat immer zwei komplementäre Seiten: Gelungenes "face-work" erweist sich darin, wie jemand in der Lage ist, das eigene "face" (defensiv) und das anderer (protektiv) zu wahren. Die Aufrechterhaltung von "face" ist Bedingung, nicht aber das Ziel von Interaktion. "Face" wurde in der Höflichkeitsforschung, besonders in der Weiterentwicklung von Brown/Levinson (1987), zu einem zentralen Konzept. Brown/Levinson unterscheiden positives und negatives "face". Die Bedürfhisse des negativen "face" zielen auf uneingeschränkte Handlungsfreiheit und Distanz der Interaktanten ab, während die Bedürfnisse des positiven "face" den Wunsch jedes einzelnen betreffen, Bestätigung und Bewunderung und damit Nähe zu finden. Alle Handlungen, die das (positive wie negative) "face" bedrohen, werden als "face-threatening-acts" bezeichnet. In einer strategisch auf Selbstdarstellung orientierten Gattung wie dem Bewerbungsgespräch hat "face-work" eine besondere Bedeutung. Für den „vom Individuum in Anspruch genommenen sozialen Wert" spielen hier auch Qualifikationsnachweise, pünktliches Erscheinen, angemessene Kleidung usw. eine Rolle. Darüber hinaus müssen verschiedene „face"-Bedürfnisse gattungsspezifisch angepasst werden: Einige Fragen, die im Alltag als ausgesprochene „face-threatening acts" erfahren würden, sind geradezu typisch für das Bewerbungsgespräch (z.B. die nach den Schwächen, vgl. 3.3.1.2). Die zentrale Bedeutung von positiver Selbstdarstellung erwächst aus der Funktionalität und Zielorientierung der Gattung: Die Eignung der Bewerbenden steht auf dem Prüfstand und sie versuchen, sich von "ihrer besten Seite" darzustellen. Diese "beste Seite" setzt sich in der Regel aus der Vorweisbarkeit einschlägiger Qualifikationen und sozialer Kompetenzen zusammen, strategisch orientiert an den (vermeintlichen) Anforderungen der Stelle. Interviewende dagegen sind bestrebt, sich nicht blenden zu lassen und stellen deshalb das von Bewerbenden entworfene Image häufig in Frage. "Face-work" und positive Selbstdarstellung sind also nicht nur wie in jeder Interaktion üblicherweise beteiligt, sondern werden in besonderer Weise relevant, da sie zugleich Thema und Ziel von Bewerbungsgesprächen sind: The interviewers expect that, as the applicants want the job, they will say those things that they think will make a good impression with the interviewers. In order to be able to select the best candidate, the interviewers must see through these expressions of "social desirability". (Komter 1991:35f)

In der deutschen Übersetzung des Aufsatzes "On face work" (Goffman 1955) wird der Begriff "Image" fur "face" verwendet (vgl. auch die Arbeit von Holly (1979), die sich mit "Imagearbeit im Gespräch" beschäftigt). Dieser Übersetzungsvorschlag hat sich aber in der deutschen Fachliteratur nicht durchgesetzt; stattdessen wird in der Regel "face" aus dem Original übernommen (so auch in der vorliegenden Arbeit). Die andere Möglichkeit, "face" mit "Gesicht" zu übersetzen, eignet sich für einige Redewendungen wie "das Gesicht wahren" oder "verlieren"; ist aber nicht ebenso produktiv wie im Englischen einsetzbar ("Gesichts-Pflege" fur "face-work" wäre irreführend).

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Aus dieser Orientierung erwachsen einige unausgesprochene Erwartungen hinsichtlich des strategischen Verhaltens der Beteiligten: Interviewende setzen voraus, dass der/die Bewerbende bestimmte Dinge sagt, um bei ihnen einen guten Eindruck zu machen. Sie werden deshalb versuchen, hinter dieses Image zu blicken. Bewerbende dagegen wissen, dass Interviewende um dieses Bemühen wissen (was wiederum den Interviewenden ebenso bewusst ist). In den Expertengesprächen wird es sehr deutlich, dass Personalleute von einem strategischen Handeln der Bewerbenden ausgehen. Das führt z.B. zu ausgefeilten Elizitierungstechniken, die gewährleisten sollen, dass Bewerbende nicht nur das antworten, was sie glauben, dass es die Interviewenden hören wollen. Beispiel (12) - Experteninterview (Telefon.A) E:

Insgesamt von den Fragen her ((...)) versuchen wir keinen Druck oder wenig Druck zu erzeugen, weil wir denken, wenn die Bewerberin sich wohlfühlt, dann erzählt sie auch viel, viel mehr von sich und wird auch freier und erzählt dann auch mal über ne kritische Situation, die sie früher mal hatte. Wenn ich nur Druck ausübe, denn das kennen wir ja an uns auch, also irgendwann entsteht dann mal ne Blockade oder man erzählt eben genau das, was gehört werden soll.

Auch die Beziehung zwischen Arbeitsmarktlage und Bewerbersituation wird reflektiert. Schon in Beispiel (3) weist Experte Bank.A darauf hin, dass es auf einem angespannten Arbeitsmarkt schwieriger ist, die optimale Platzierung von Bewerbenden zu ermitteln, da sie stärker unter dem Druck stehen, irgendein Stellenangebot anzunehmen, auch wenn sie vielleicht nicht optimal daraufpassen. Auf eines sei an dieser Stelle ausdrücklich hingewiesen: Es ist kein zentrales Anliegen der Untersuchung, Aussagen über das erfolgreiche bzw. nicht erfolgreiche Führen von Bewerbungsgesprächen zu treffen, die sich in Ratgebermanier in Tipps für verbesserte Chancen auf dem Arbeitsmarkt umsetzen ließen. Die Analysen der Gespräche erfolgen vielmehr unabhängig von einer letztendlich getroffenen Auswahlentscheidung durch die Unternehmensvertreter/innen. Dass eine gelungene Selbstdarstellung ein ausschlaggebender Faktor bei der Vergabe der Stelle ist, ist selbstverständlich, jedoch hängt es häufig in nicht zu kontrollierender Weise von äußeren Bedingungen ab, ob eine Einstellung erfolgt: von Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt, Gehaltsvorstellungen, internen Zwängen wie Personalräten, der Teamzusammensetzung u.a.m. Und nicht zuletzt wird die Entscheidung, ob ein Kandidat/eine Kandidatin eingestellt wird, auch wesentlich vom Profil der konkurrierenden Mitbewerbenden beeinflusst. Auf welche Weisen ein Kriterienkatalog für eine Stellenbesetzung zustande kommen kann, soll das folgende Beispiel illustrieren. Beispiel (14) - Nachbesprechung (Telefon.5/w/f) 12:

Wir haben mal so=n Spielchen aufm Teamentwicklungsworkshop gemacht, wo wir uns darüber Gedanken gemacht haben, welche Person in dem Team wo anzusiedeln ist. Ob sie jetzt sehr emotional sind oder rational und wie sie mit Konflikten umgehn, ob das aktive oder passive Leute sind. Wir harn das in Quadranten aufgeteilt, ich weiß nicht, ob Sie dieses Spielchen kennen, es war ein Quadrant da, der war fast unbesetzt, nämlich dieser rationale und ehm ich sag mal der Typ eigentlich, den sie ((die Bewerberin, K.B.)) vertritt.

Die Nachbesprechung bezieht sich auf ein Bewerbungsgespräch mit einer Bewerberin, die den Beteiligten durch ein großes Maß an Offensivität aufgefallen war. Damit passt sie of-

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fensichtlich genau in das Team, wie ein Spielchen auf m Teamentwicklungsworkshop ergeben hat. Hätte dem Team ein Typ aus einem der anderen Quadranten gefehlt, wäre der Bewerberin vermutlich nicht die Einstellung angetragen worden. Eine kausale Beziehung zwischen Erfolg im Bewerbungsgespräch und bestimmten Strategien (z.B. offensiv aufzutreten) herzustellen läuft Gefahr, kurzschlüssig zu sein. Bei der detaillierten Analyse des Bewerbungsgesprächs wird zwar sehr deutlich, dass die Bewerberin in ihrer Offensivität "ankommt", das ist aber sicher nicht als Erfolgsstrategie über das konkrete Gespräch hinaus zu generalisieren.

3.2.1.5 Die "Versteckte Agenda" im Bewerbungsgespräch Die strategische Orientierung der Beteiligten und im Besonderen die Zielkonflikte führen zu einem hohen Maß an Indirektheit und Implizitheit in Bezug auf zentrale Anliegen der Gattung. Ein konstitutives Merkmal von Bewerbungsgesprächen ist die scharfe Trennung zweier Ebenen: die Oberflächenebene, auf der über Daten und Fakten gesprochen wird, und eine darunter liegende Tiefenebene verdeckter Ziele, Botschaften und Interpretationsfolien, auf der das Teilnehmerhandeln motiviert ist bzw. interpretiert wird. Dieses Merkmal, das die Literatur als die "Versteckte Agenda" bezeichnet (vgl. Kap. 1.1.1), kann nach Roberts (1985) in verschiedenen Dimensionen des Bewerbungsgesprächs festgestellt werden. Interviewende verfügen häufig über eine Art Checkliste von Vergabekriterien, die den Bewerbenden nicht offengelegt wird: So the whole interviewers' 'agenda' is hidden from the candidate. The interviewers' line of questioning has a hidden purpose that the candidate may not pick up on. (Roberts 1985:37; vgl. a. Adelswärd 1988:77 "explicit and implicit criterior of success", Komter 1991:49; Akinnaso/Seabrook Ajirotutu 1982:124)

Dieser Kriterienkatalog leitet die Befragung der Bewerbenden. Interviewende versuchen, relevante Aussagen der Bewerbenden zu elizitieren, die Aufschluss hinsichtlich ihrer versteckten Kriterien geben, ohne sie explizit zu machen. Dabei spielt eine weitere Form der Indirektheit eine Rolle: "These are all hidden messages in the sense that the message lies not with what we say but how we say it" (Roberts 1985:44, Hervorhebung der Autorin). Fragen, das zentrale Elizitierungselement in Bewerbungsgesprächen, weisen versteckte Dimensionen in besonderem Maße auf. Die Intentionalität vieler Interviewfragen erschließt sich nicht direkt auf der Äußerungsebene, sondern muss rekonstruiert werden. Adelswärd beschreibt im Rahmen der "explicit agenda" 12 Themenbereiche, die in ihrem Korpus regelmäßig behandelt werden und die darüber hinaus als typische Themen des Bewerbungsgesprächs gelten können. Doch sie betont, ganz im Sinne von Roberts, dass "different topics on the explicit agenda can in fact constitute one topic on the implicit agenda - for instance ambition" (Adelswärd 1988:65).

Das ist als graduelle Differenz gemeint. In jedem Gespräch sind immer beide Ebenen beteiligt, allerdings mit unterschiedlicher Priorität. So hat die Inhaltsebene in Beratungsgesprächen einen höheren Stellenwert als z.B. in Therapiegesprächen und in Alltagsgesprächen wird es zumindest nicht als unbedingt legitim erachtet, verdeckte Ziele zu verfolgen.

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Bewerbende müssen die Intentionalität einer Frage hinter den unterschiedlichsten Frageformen erkennen. So weist Roberts darauf hin, dass Interviewende zur Verwendung von Statements tendieren, die allerdings sehr wohl die konditionellen Relevanzen einer Frage etablieren, und zwar dergestalt, dass sie längere Ausführungen elizitieren sollen ("prompter"). Adelswärd vermutet hinter der Vorliebe von Interviewenden für Statements, dass so der Eindruck eines Verhörs vermieden werden soll: Maintaining a smooth flow is done in several ways. One way is for the interviewer to make leading statements rather than questions so that the interview sounds less like an interrogation. (Adelswärd 1988:153)

Das liegt in einer Linie mit der Tatsache, dass Bewerbungsgesprächen gern der Anschein eines lockeren, informellen und gleichberechtigten Gesprächs gegeben wird. Sehr deutlich wird das u.a. in den Formulierungen der Interviewenden, mit denen sie die Gespräche beginnen. Beispiel (15) - (Telefon.4/o/f) 12: B: 12: B: 12: B: 12:

(1) .h s=soll=ne ganz lockere RUNde sein,

[ ( - ) wo [ja: wir uns m a l ] KENNen lernen, (-) GEgenseitig, [ganz K L A R , ] natuerlich;] [{RICHtig.)] (-) wo SIE gelEgenheit haben werden, nochma zu FRAgen; worum GEHT=s eigentlich; und so W E I t e r [und so FORT, n=bisschen [ja: informaTIOnen gegenseitig zu GEben,

Um angemessen zu agieren, muss man - dem Alltagsverständnis von einer lockeren Runde zum Trotz - wissen, was "gegenseitiges Kennenlernen" in Bewerbungsgesprächen bedeutet, nämlich z.B. dass Bewerbende zum Teil sehr private Fragen beantworten müssen, während sich die Informationsverpflichtung der Unternehmensvertreter auf den Arbeitsplatz bzw. das Unternehmen beschränkt. Tatsächlich muss man von einer allgegenwärtigen Bewertung der Bewerbenden ausgehen. Eine Grundregel lautet folglich: Alles, was Bewerbende in Bewerbungsgesprächen sagen, wird zur Entscheidung über die Eignung herangezogen. Die Umkehrung dieser Regel ergibt dann, dass hinter allem, was in Bewerbungsgesprächen gefragt wird, eine Relevanz für die Vergabe der Stelle verborgen sein kann, was wiederum eine gute Ausgangsbasis ist, um die verborgene Intentionalität von Fragen zu decodieren. Demgegenüber gehen Interviewende davon aus, dass Bewerbende sich so positiv wie möglich darstellen wollen, und ein Großteil ihrer Bemühungen ist darauf ausgerichtet, herauszufinden, is es vorgetäuscht, ((...)) is einer nen guter Schauspieler und macht uns hier nen Ix für Ypsilon oder ist es echt (vgl. Bsp. 11 Experteninterview Chemie, l). Auf der expliziten Agenda des Bewerbungsgesprächs werden also Informationen ausgetauscht (über die Bewerbendenbiographie, -qualifikation, das Unternehmen usw.) und darunter wird die "Versteckte Agenda" behandelt: die Bewertung des/der Bewerbenden. Beide Seiten wissen in der Regel um dieses Spiel mit doppeltem Boden und akzeptieren, dass es zum "Unaussprechlichen" (Komter 1991:37) der Gattung gehört. Eine Folge der "Versteckten Agenda" ist, dass geübte Bewerbende einen deutlichen Vorteil haben:

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Whether interviewers are deliberately indirect or not, the result of so many hidden questions is to favour the candidates who know the rules of the Game already. (Roberts 1985:36). Wird also im Grunde genommen geprüft, wie gut jemand ein Bewerbungsgespräch führen kann? Das hätte die logische Konsequenz, dass Erfolg im Bewerbungsgespräch erlernbar ist. Und tatsächlich zeigen gerade die Arbeiten von Gumperz/Jupp/Roberts (1979; 1981), Akinnaso/Seabrook Ajirotutu (1982), Sarangi (1994a; 1994b) die potenzielle Benachteiligung von Minderheitsangehörigen aufgrund nicht vorhandener Erfahrungen/verfügbaren Wissens um die Regeln der Gattung, und zwar besonders um ihre impliziten Dimensionen.

3.2.2 Die Institutionalität von Bewerbungsgesprächen Die Gattung "Bewerbungsgespräch" ist typischerweise im Milieu "Arbeitswelt" situiert, also in einem institutionellen Setting. Die Koniakteituation in einem Bewerbungsgespräch ist (halb-)öffentlich und formell. Die Versammlung findet zu einem verabredeten Termin, an einem speziell ausgesuchten Ort, häufig mit einer vorher arrangierten Sitzordnung statt. Sie gestaltet sich für die beteiligten Seiten sehr ungleich. Die Interviewenden haben in der Regel einen Heimvorteil (die Bewerbenden finden sich in den Räumen des Unternehmens ein) und sie treten den Bewerbenden als Institutionsvertreter häufig mit der Rückendeckung einer relativ hohen Position in der Firmenhierarchie gegenüber, die sie auch im Falle einer möglichen Einstellung bewahren werden.

3.2.2.1 Die institutionelle Orientierung der Beteiligten Die "Institutionalität" einer Begegnung mag zwar auf der Außenstruktur der Gattung angelegt sein, sie wird aber erst in der institutionellen Orientierung der Beteiligten hergestellt (vgl. Drew/Heritage 1992a:3). Dieses Merkmal von Bewerbungsgesprächen macht der Experte Bank.A im Experteninterview sehr deutlich. Nach seinem Selbstverständnis repräsentiert er als Personalleiter die Bank auch im Bewerbungsgespräch: Beispiel (16) - Experteninterview (Bank.A) E: Man muss eins ganz ßirchlerlich doll bedenken: man verkauft in diesem Bewerbungsgespräch die (Name-Bank). Wir als Personalmenschen verkaufen ja auch. So. Und wir verkaufen die (Name-Bank) und auch so ein Bewerber erzählt das denn seiner Kollegin oder seinem Kollegen, irgendwann mal, und hat einen Eindruck bekommen und das=s auch der Eindruck über die (Name-Bank). Denn ich bin ja nicht Herr Meier, sondern ich bin (Name-Bank). Mit demselben Argument begründet der Experte Bank.B von einem anderen Geldinstitut die sehr ausführlichen Auswahlverfahren gerade bei Auszubildenden.

Akinnaso/Seabrook Ajirotutu (1982:122) weisen auf die Verwendung von "we" durch die Institutionsvertreter als dem "pronoun of power" hin. Dem steht das individualisierte "ich" in der Selbstdarstellung der Bewerbenden gegenüber.

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Beispiel (17) - Experteninterview (Bank.B) E:

Eins, was man nie vergessen darf, das is auch so dieser Aspekt, warum wir dieses Auswahlverfahren sehr intensiv betreiben: Es ist nen Marketing. Damit verkauf ich meine Firma an sehr viele Leute.

Im weiteren Verlauf des Experteninterviews begründet er damit auch, warum er sich als Interviewer nicht konfrontativer Fragetechniken bedient. Auch in den Bewerbungsgesprächen selbst, und zwar in den sehr ausführlichen Vorstellungsrunden der Eröffhungsphase, spiegelt sich die Orientierung der Beteiligten auf ihre institutionellen Rollen deutlich wider: Beispiel (18) - (Archiv. 1/w/m) 1 2 3 4 5 6 7

II:

eh das is frau KORschi; personalratsvorsitzende; herr schmidt; .h der LEIter unseres f/ eh: kulTURamtes; (.) eh f r a u MANdel ist die: ( . ) eh LEIterin unseres amtes für ( . ) eh persoNAL- ich bin der OBerbürgermeister; meine name ist MESser. .h sie haben sich hier freundlicherweise ( . ) beWORben, ( . ) um diese STELle, ( . } eh beim eh arCHIV hier; in ( . ) in IXberg,

Mit der Aktivierung gattungsspezifischer Identitätskategorien wird ein Kontextwechsel bzw. die Kontextinitiierung "Bewerbungsgespräch" vollzogen. Nach der Vorstellung der Interviewgruppe mit Namen und institutioneller Position (Z. 1-5) erwähnt der Interviewer Grund des Gesprächs (sie haben sich hier freundlicherweise (.) beWORben, Z. 5), Art der Stelle (um diese STELle, (.) eh beim eh archIV, Z. 6f), Ort des Archivs (hier; in (.) in IXberg, Z. 7). Diese Vorstellungsrunden sind Bestandteil von Bewerbungsgesprächen auch bei kleineren Besetzungen und werden selbst dann erwähnt, wenn die Anwesenden über diese Informationen bereits verfügen.

3.2.2.2 Asymmetrien Die Asymmetrie der Kontaktsituation gilt als ein gemeinsames Charakteristikum institutioneller Kommunikation, das auch auf Bewerbungsgespräche zutrifft. Es handelt sich hier im Prinzip - wie bei den meisten in institutionellen Settings untersuchten Gesprächsdaten - um Kommunikation zwischen "professionellen" und "nicht-professionellen" Aktanten, was sich fundamental auf die Beteiligungsrollen der Teilnehmenden auswirkt. Die Asymmetrie der Beteiligungsrollen innerhalb der Gattung "Bewerbungsgespräch" ist auf der Außenstruktur angelegt, insofern es sich um eine typische "gatekeeping"-Situation handelt, in der eine beteiligte Seite über die Belange der anderen entscheidet. Wie Linell/ Luckmann (1991) ausführen, überspannt Asymmetrie als Begriff ein sehr weites Feld verschiedenster Verhältnisse, so dass eine Differenzierung lohnend erscheint. Die Autoren unterscheiden Asymmetrie hinsichtlich der Domäne, die sie betrifft (z.B. Wissens- oder Machtasymmetrie) und der Reichweite ("scope", Linell/Luckmann 1991:8). Die grundlegende Differenzierung bei der Reichweite betrifft globale und lokale Asymmetrien: "Global" bezieht sich dabei gemäß der üblichen Verwendung auf längere Sequenzen von Rede Roberts (1985:12) konstatiert in diesem Zusammenhang, Bewerbungsgespräche "will always be an unequal encounter".

68 (u.U. auch eine ganze Gattung), während "lokal" auf der Ebene einzelner Redebeiträge oder Nachbarschaftspaare angesiedelt ist. Wie sich eine potenzielle Asymmetrie nun in Interaktionen auswirkt, muss am konkreten Gesprächsmaterial untersucht werden. Es wäre kurzschlüssig, Asymmetrie mit Dominanz gleichzusetzen, denn Ungleichheit fuhrt nicht zwangsläufig zu einem Ungleichgewicht (Linell/Luckmann 1991). Ungleichheit ist vielmehr ein omnipräsentes Merkmal auf den verschiedensten Ebenen von Interaktion und auch in kleinsten interaktiven Einheiten enthalten: So könnte man z.B. das Verhältnis einer Frage gegenüber einer konditioneil relevant gemachten Antwort als asymmetrisch charakterisieren. Es wäre jedoch falsch, daraus vorschnell interaktive Dominanz zu folgern, denn die Verhältnisse können sich je nach lokalem Kontext schnell verkehren. Auch eine rein quantitative Analyse würde die qualitative Differenz der komplementären Aktivitäten verdecken; so sagt die Menge der Redebeteiligung nichts über deren qualitative Differenz. Bewerbende mögen zwar im Schnitt "mehr reden" als Interviewende, das zeugt aber keineswegs von deren Dominanz, sondern entspricht der Gattung. In anderen Kontexten, beispielsweise im Universitätsseminar, wo männliche gegenüber weiblichen Studierenden auffällig häufiger zu Wort kommen, haben Studien dagegen einen Zusammenhang von Quantität des Sprechens und einem männlichen Dominanzanspruch innerhalb des Geschlechterverhältnisses aufgezeigt. Umgekehrt sind auch Dominanz und Macht nicht gleichzusetzen: It is important to realize that being dominant in actual behaviour is not the same as being in power over the dyad or the social relationship involved. Power may be defined as, for example, a potential for exercising influence over other people's actions, decisions, and thoughts. The relations between manifest dominance patterns in interaction and underlying power structures are manifold and varied. (Linell/Gustavson/Juvonen 1988:416). In der institutionellen Kontaktsituation herrschen in aller Regel sowohl konkrete Abhängigkeiten, und infolge dessen eine Machtasymmetrie, als auch eine Wissensasymmetrie. Damit sind die typischen Domänen benannt, die Bewerbungsgespräche kennzeichnen. Insofern Interviewende über die Vergabe von Stellen entscheiden und damit Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen gewähren oder verweigern können, verfügen sie über Macht. Aber sowohl solch globale als auch lokale Asymmetrien können hinsichtlich eines Dominanzanspruchs unmarkiert sein. Erst durch lokales Ausüben von "interaktiver Kontrolle" (Drew 1991) wird Dominanz konstituiert und Ungleichheit zu Ungleichgewichtigkeit. Es liegt in der Natur der Sache, dass sich Dominanz besonders leicht in der Verbindung von globalen mit lokalen Asymmetrien herstellen lässt. So sieht die Gattung "Bewerbungs"Following rather well-established usage, we take the term 'local' to refer to single utterances and turns, single exchanges (e.g. 'adjacency pairs'), and contributions in their relation to immediately preceding and anticipating next contributions (cf. Linell, 1990: 'local context'), while the term 'global' would apply to longer streches of dialogue, or sequences treated at higher levels, such as 'stories', 'topics', 'activities' or 'speech events' and 'phases' thereof; such global units are often anchored in socially or culturally sedimented genres." (Linell/ Luckmann 1991:4) So kann eine Frage beispielsweise eine Belehrungssequenz initiieren, die eine asymmetrische Beteiligungsweise von Lehrenden-Lernenden für den Fragenden mit sich bringt. "[...] pupils to be usually initiate a teaching sequence by a question or a query." (Keppler/Luckmann 1991:147). Für eine kritische Sicht von zu sehr auf Quantität der Redebeiträge reduzierten Geschlechtervergleichen s. Frank (1992) sowie Günthner (1992).

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gespräch" die Gesprächsfiihrung als Aufgabe der Interviewenden vor, was verbunden ist mit bestimmten lokalen Aktivitäten wie Fragen stellen, resümierende Zusammenfassungen leisten, Antworten ratifizieren, Themenwechsel etablieren usw., kurz: Aktivitäten, denen eine lokale Asymmetrie eingeschrieben ist. Ob Interviewende diesen strukturellen Vorteil nutzt, um über eine unmarkierte Form hinausgehende interaktive Kontrolle und Dominanz auszuüben (beispielsweise in einer Belehrung, vgl. Kap. 4), erweist sich erst in der interaktiven Hervorbringung des Einzelfalls: "Thus asymmetries are generated in the talk through occasioning the interactional relevance of those exogenous or structural categories." (Drew 1991:37)12

Machtasymmetrie In Hinsicht auf Macht und Einfluss kann man fraglos von einer asymmetrischen Verteilung zwischen Bewerbenden einerseits und Interviewenden als Institutionsvertreter/innen mit gatekeeper-Befugnissen andererseits sprechen. Sie beruht auf Faktoren, die außerhalb der konkreten Interaktionssituation liegen, und zwar auf der Tatsache, dass der ungleiche Zugriff auf Ressourcen und Entscheidungsbefugnisse die größere Abhängigkeit des einen vom anderen begründet. Diese in der Außenstruktur verankerte Asymmetrie bei der Entscheidung ist allerdings von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen abhängig. So ist es absolut denkbar, dass ein für Bewerbende günstiges Verhältnis von Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt dazu führt, dass Unternehmen um Bewerbende konkurrieren oder dass in speziellen Fällen eine besonders qualifizierte Bewerberin für ein Unternehmen gewonnen werden soll und sich so der Machtvorteil des Interviewenden ausgleicht (vgl. Menz 1999). Im Allgemeinen aber entscheiden sie darüber, was ein erfolgreiches und was ein misslungenes Bewerbungsgespräch ist, ein defmitorischer Anspruch, der sich u.a. in verschiedenen Normdiskussionen und Belehrungen widerspiegelt (vgl. Kap. 4).

Vgl. auch Käsermann (1991:105), die auf "inverse Verhältnisse" von asymmetrischer Wissensverteilung verweist, z.B. bei Berater/Ratsuchenden "there are also instances of an 'inverse' asymmetry created by the advice-seeker's superiority with regard to knowledge of her/his own condition." Ähnlich sind Bewerbende in bestimmten Phasen "Experten" in Bezug auf ihren Lebenslauf und Qualifikation. Fache (im Erscheinen) spricht in diesem Zusammenhang von symmetrisierenden und asymmetrisierenden Interviewstilen. "However strong the democratic convictions of the interviewers may be, the fact that the choice is theirs gives them power over the applicant." (Komter 1991:34) Angebot und Nachfrage des Arbeitsmarktes haben nicht unerheblichen Einfluss auf die Verhandlungspositionen der Beteiligten in Bewerbungsgespräche. Der Zeitraum, in dem die Gespräche unseres Korpus aufgezeichnet wurden (Dezember 1994-Mai 1996), ist durch zunehmende Arbeitslosigkeit und soziale Unsicherheit gekennzeichnet.

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Wissensasymmetrie Personalleute verfugen häufig über eine intensive Schulung in Interviewfuhrung bzw. haben im Laufe ihrer Tätigkeit viel Erfahrung akkumulieren können. Aber weder sind die Interviewenden immer professionalisierte Personalexperten , noch kann man Bewerbende mit einer großen Routine in Bewerbungen guten Gewissens als Laien bezeichnen. In unseren Daten variiert das Bild auch bei den Bewerbenden sehr stark. In einigen Fällen handelt es sich um erste Bewerbungsgespräche, während andere Bewerbende bereits mehr Erfahrung sammeln konnten. Ein wesentlicher Aspekt von Wissensasymmetrie im Bewerbungsgespräch ist die asymmetrische Informationsverteilung hinsichtlich der Vergabekriterien. Und abgesehen davon, dass die Interviewenden mit den Spielregeln der Gattung besser vertraut sind, kennen nur sie die "Versteckte Agenda" hinter ihren Fragen wirklich. Ferner haben die Bewerbenden unseres Korpus einen sehr unterschiedlichen KenntnisStand bezüglich der zu vergebenden Stelle und des Unternehmens. Einige haben bereits eine Ausbildung im Betrieb abgeschlossen (Bank. 3 und 7), andere haben schon einmal im Unternehmen gearbeitet (Telefon.2 und 4) und wieder andere verfugen nur über die Informationen aus der Anzeige (Sekretariat.3). Interviewende wissen bereits viel über die Fakten einer Bewerbendenbiographie aus den schriftlichen Unterlagen. Bewerbende haben u.U. nur die Anzeige als Informationsgrundlage, es wird in der Regel erwartet, dass sie sich auf ein Einstellungsgespräch vorbereiten, was das Beschaffen von Informationen über das Unternehmen und die Stelle ebenso umfasst wie Gehaltsvorstellungen zu bilden oder Fragen vorzubereiten (vgl. Kap. 5).

3.3 Die Zwischenstruktur Auf der intersubjektiv-situativen Zwischenstruktur stehen Thema und Dialogizität im Vordergrund der Bestimmung von Gattungsmerkmalen.

3.3.1 Thema Themen stellen das Material für die Gesprächsarbeit zur Verfügung. "One common sense notion, shared by professionals, is that the 'topic' in a conversation is what the conversation is 'about'." (Maynard 1980:263). Nach Sacks (1992:752) bereitet es normalerweise selbst Laien wenig Schwierigkeiten, zu bestimmen, worüber gesprochen wird. In unserem Korpus stehen Gespräche mit einer Bandbreite von Konstellationen zur Verfügung: II im Subkorpus Archiv hat anscheinend keine Schulung, aber Erfahrung. Telefon.A und B sind professionalisierte Personalexperten ebenso wie II von Edv. Bei den meisten 13 handelt es sich dagegen um sog. Fachvertreter/innen. Für die Rollenspiele gilt das natürlich ohnehin nicht, hier wird die Interviewerrolle durchgängig von anderen Teilnehmer/inne/n (und damit im o.g. Sinne von Laien) übernommen.

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Themen sind im Prinzip unerschöpflich. In Gesprächen haben sie aber nur eine begrenzte Aktualität, sei es aus Zeitgründen, sei es, weil alles im Kontext eines bestimmten Gesprächs Relevante gesagt ist oder weil andere Themen oder thematische Fokussierungen den Beteiligten interessanter erscheinen. Es lassen sich zwei analytische Blickwinkel bei der Beschäftigung mit Themen unterscheiden: einerseits, "worüber" geredet wird (im Sinne einer Inhaltsanalyse) und andererseits, "wie" diese Inhalte interaktiv gesteuert werden (im Sinne einer Strukturanalyse). Die Frage, wie Themen aufkommen, sich entwickeln und wechseln, wird unter dem Gesichtspunkt der Dialogizität behandelt (Punkt 3.3.2); im folgenden soll es um Letzteres, nämlich eine Inhaltsanalyse, gehen.

3.3.1.1 Themen in Bewerbungsgesprächen Tatsächlich ist der Themenfächer von Bewerbungsgesprächen relativ kanonisiert (vgl. u.a. Adelswärd 1988; Mackeprang 1991, Komter 1991). Themen in Gesprächen stehen in einem globalen und einem lokalen Zusammenhang. Global gesehen bestimmen die Ziele und Funktionen der Gattung, worüber in den Hauptphasen der Bewerbungsgespräche geredet wird bzw. mit welcher Schwerpunktsetzung ein Thema fokussiert wird. Adelswärd illustriert am Beispiel der Interviewfrage "Why don't you tell us about South America?" den Einfluss des Kontextes auf die thematische Bearbeitung: Der Bewerber interpretiert sie im Rahmen der Gattung als Aufforderung, über seine persönlichen Reiseerfahrungen zu berichten und nicht etwa einen Vortrag über die politische Situation Südamerikas zu halten. Im folgenden soll ein Überblick über die Themen gegeben werden, die in unserem Korpus zur Sprache kommen. Dabei dürfen die Grenzen solch einer Übersicht nicht aus den Augen verloren werden; aufgrund der "Versteckten Agenda" verzeichnen Bewerbungsgespräche unter der Oberfläche eine implizit bleibende thematische Relevanz. So kann es sein, dass über Familienverhältnisse gesprochen wird, tatsächlich aber die Mobilität und Flexibilität der Bewerbenden verhandelt wird. Ein als Inhaltsanalyse konzipiertes Vorgehen kann jedoch nur die thematische Oberfläche der Gespräche unseres Korpus erfassen. Eine Inhaltsanalyse in intuitiver Form ist relativ eindeutig, denn das Thema eines Abschnittes lässt sich problemlos erfassen und in Form knapper Überschriften paraphrasieren. Die Bestimmung thematischer Abschnitte wird durch die für die Gattung typische explizite Themenbegrenzung (topic bounding) ganz erheblich erleichtert (vgl. Punkt 3.2.2.2). Im Rahmen einer solchen Inhaltsanalyse, die hier nicht im Detail präsentiert werden soll, wurde das gesamte Korpus erfasst und für jedes Bewerbungsgespräch ein Verlaufsschema erstellt, in dem alle behandelten Themen sukzessive verzeichnet wurden. Bevor diese Themenübersicht - als überblicksartige Zusammenschau - präsentiert wird, muss zunächst ein Adelswärd wählte ein ähnliches Vorgehen, in einem Wechselspiel zwischen "topic bounding identification" und "topic characterization" untersuchte sie jede Sequenz unter der Frage "what are they talking about". Das Ergebnis waren 12 Themengruppen, die sie einer quantitativen Distributionsanalyse unterzog, ein Vorgehen, das durch die homogene Zusammenstellung ihres Korpus erleichtert wurde. Es ergaben sich u.a. aufschlussreiche Ergebnisse für Adelswärds Forschungsfragestellung nach Erfolg und Misserfolg: Es zeichnete sich z.B. ab, dass in Gesprächen mit erfolgreichen Kandidat/innen die privateren Themen HOBBYS und HERKUNFTSFAMILIE signifikant ausführlicher behandelt wurden als die öffentlicheren Themen ABSCHLUSSARBEIT und BERUFSERFAHRUNG.

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Element vorgestellt werden, das in vielen, aber nicht allen Bewerbungsgesprächen vorkommt: der Smalltalk.

Smalltalk Themen für Smalltalk (Schneider 1988) stammen aus bewerbungsgesprächsnahen Kontexten (Bergmann 1990), wie z.B. An- und Abfahrt, aber auch Sehenswürdigkeiten vor Ort für die weitere Gestaltung des Tages oder das Wetter, ein sehr geläufiges Thema für Smalltalk in allen Lebenslagen. Im Smalltalk steht Verständigung weniger im Vordergrund als in anderen Phasen des Bewerbungsgesprächs, seine hauptsächliche Funktion ist das Rahmen von größeren sozialen Aktivitäten im Sinne eines "preplay" bzw. "postplay" (Goffman 1981:125). In Bewerbungsgesprächen wird dem "preplay" eine besondere Funktion zugewiesen: Ratgeber empfehlen Smalltalk vor Beginn des Bewerbungsgesprächs, um die Bewerbenden zu entspannen (vgl. u.a. Roberts 1985:21; Adelswärd 1988:35). Das bestätigen auch die Experteninterviews; so beschreibt Experte Telefon.A es als "Anwärmen", die Gespräche mit Fragen nach dem Anfahrtsweg, aber auch mit einer relativ ausführlichen Vorstellung der Anwesenden zu beginnen. Das Vorkommen von Smalltalk (in den Phasen "Vorspiel" und "Nachspiel", s.u.) ist ein Merkmal, das Bewerbungsgespräche mit vielen anderen sozialen Begegnungen teilen, auch die dabei rekrutierten Themen sind keineswegs sonderlich typisch für die Gattung. Das ist anders bei den Themen in den Hauptphasen der Bewerbungsgespräche, hier kommen einige Themen vor, die - bzw. deren Art der Bearbeitung - eng mit der Gattung verbunden sind.

Themen der Hauptphase Die im Subkorpus Archiv aufgezeichneten Gespräche beginnt II mit einer doppelteiligen Einstiegsfrage hinsichtlich a) der Motivation für die Bewerbung und b) des Qualifikationsprofils der Bewerber. Auf die Selbstpräsentation der Bewerbenden folgten Nachfragen des Interviewers zum Lebenslauf, zu erforderlichen Kenntnissen (wie Archivarssysteme, Leitungserfahrung), Gründe für Stellenwechsel und Formalia wie Gehalt und Mobilität. Nach der Übergabe des Fragerechts an 12 fragt dieser nach fachlichen Kompetenzen für den Aufbau eines Archivs und das Lesen von historischen Manuskripten. Der einzige ostdeutsche Bewerber wird darüber hinaus eindringlich über Stasikontakte und nach dem abgeleisteten Militärdienst befragt. Die Gespräche enden mit dem Angebot, den zukünftigen Arbeitsplatz zu besichtigen. In der Mehrzahl der Bewerbungsgespräche bei Bank geht es um eine Traineeausbildung für Hochschulabsolvent/innen. In der Einstiegsfrage werden die Bewerbenden aufgefordert, ihren Lebenslauf zu schildern. Die Selbstdarstellung der Bewerbenden geht allmählich über in eine Befragung durch den Interviewer entlang dem schriftlichen Lebenslauf über Stu18

Nach Sacks (1995, zit. n. Uhmann 1989:129) handelt es sich beim Wetter um ein sog. "safe topic", das auch Gesprächspartner, die sich nicht näher kennen, anschneiden können, um ein Gespräch anzuknüpfen.

73 dium, Praktika, Berufsperspektive, Freizeitgestaltung und Hobbys. Ostdeutsche Bewerbende werden darüber hinaus gefragt, wie sie die Wendezeit erlebt haben, und Männer werden zum Wehrdienst befragt. An diese sehr ausführliche Beschäftigung mit der Biographie der/des Bewerbenden schließt sich eine ebenfalls sehr ausführliche Darstellung des Unternehmens sowie des Ablaufs der Trainee-Ausbildung an. Im Subkorpus Bau steht wie bei Edv sehr stark die fachliche Qualifikation der Bewerbenden im Vordergrund. Aufgrund der Branchenspezifik, dass sich hinter Berufsbezeichnungen keine festumrissenen Tätigkeiten verbergen, muss genau geklärt werden, welche Berufserfahrungen jeder einzelne Bewerber mitbringt. Das erfolgt teilweise über kleinschrittiges Nachfragen, in dem der alltäglichen Arbeitsablauf detailliert zur Darstellung kommt. Häufig wird im direkten Zusammenhang die ausgeschriebene Stelle beschrieben bzw. anschließend im Detail dargestellt. Persönlichere Themen wie Freizeitbeschäftigung, Hobbys, Stärken und Schwächen spielen kaum eine Rolle. Die Bewerbungsgespräche im Subkorpus Chemie stehen im Kontext von Veranstaltungen eines ganzen Tages; das wirkt sich thematisch so aus, dass bestimmte Themen in den aufgezeichneten Gesprächen nicht vorkommen, weil sie im Laufe des Tages andernorts behandelt werden, so z.B. die fachliche Qualifikation der Bewerbenden, aber auch Informationen über die Stelle. In diesem Subkorpus zeichnen sich als Themenschwerpunkte das Studium bzw. die Doktorarbeitsphase ab: Studienfach- und Ortswahl, Erfahrungen bei PostDoc-Aufenthalten im Ausland. Einen weiteren Themenbereich bilden Freizeitgestaltung und Hobbys und ein dritter Bereich schließlich die beruflichen Pläne und Perspektiven. Aus letzterem rekrutieren sich die typischen Einstiegsfragen (vgl. 3.3.2.1 zur "Orientierung"), in denen entweder nach den Motiven für die Entscheidung für eine Berufstätigkeit in der Industrie gefragt wird oder nach Erwartungen an berufliche Perspektiven, die sich mit der Bewerbung verbinden. Die Bewerbungsgespräche bei Edv werden sehr fachbezogen geführt. Der Einstieg erfolgt über die Aufforderung, den beruflichen Werdegang zu skizzieren, daran schließen sich häufig detaillierte Nachfragen der Interviewer an, um das individuelle Qualifikationsprofil eines Bewerbers zu ermitteln. Da in der EDV-Branche eine große Bandbreite von Berufsbezeichnungen und Ausbildungsgängen existiert, werden die Themen "Ausbildung", "Qualifikationen" und "Berufserfahrungen" sehr ausführlich behandelt. Dieser thematische Schwerpunkt wird durch die Anwesenheit zweier Fachvertreter verstärkt, die auch die Stellenbeschreibung übernehmen. Der Personalleiter, der die Gesprächsleitung innehat, klärt Formalia wie mögliches Eintrittsdatum, Mobilität, sehr ausfuhrlich wird die Gehaltserwartung behandelt. Fragen nach Freizeitgestaltung und andere eher private Themen kommen nicht vor. In den ersten drei Gesprächen des Subkorpus Sekretariat, die von II, der Personalleiterin des Unternehmens, geführt werden, folgen auf den Einstieg über die biographische Selbstdarstellung der Bewerberinnen Informationen über die zukünftige Stelle, verknüpft mit prüfenden Nachfragen, ob die Bewerberin die sich daraus ergebenden Anforderungen erfüllt. Anschließend werden Formalia geklärt und über das weitere Vorgehen informiert. Die folgenden zwei Gespräche werden weitgehend von der Stellenvorgängerin, für die eine Schwangerschaftsvertretung gesucht wird, geführt. Auch sie thematisiert mit der Einstiegsfrage die beruflichen Biographie der Bewerberinnen, allerdings etwas eingeschränkt durch die Frage, wie sie zur Bürotätigkeit gekommen seien. Als Fachvertreterin fokussiert sie sehr stark die Anforderungen der Stelle und erfragt detailliert die Qualifikationen der Bewerbe-

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rinnen, bevor sie selbst eine ausführliche Stellenbeschreibung gibt. In einem der beiden Gespräche wird anschließend der Vorgesetzte hinzugerufen; er steigt mit der Frage nach Stärken und Schwächen in das Gespräch ein, fragt dann gezielt nach einzelnen biographischen Stationen und thematisiert einschlägige Qualifikationen für die Stelle sowie die Corporate Identity des Unternehmens. Gegen Ende stellt er den eigenen Tätigkeitsbereich dar, dem die zukünftige Sekretärin zuarbeiten soll. Im Verlauf des Interviews kommt es zunehmend zu thematischen "Schlenkern", z.B. Urlaubspräferenzen der Bewerberin oder die ausführliche Schilderung der Marketingstrategien des Unternehmens. Auch die Bewerbungsgespräche Telefon steigen in die Hauptphase mit der Einstiegsfrage nach dem Lebenslauf ein. Nach einer kurzen biographischen Selbstdarstellung schließt sich ein Befragungsteil durch die Interviewenden an, in denen die genannten biographischen Stationen noch einmal ausführlich nachgefragt werden, mit thematischen Fokussierungen zu Einschätzungen und motivationalen Hintergründen. Sowohl Fremd- als auch Selbsteinschätzungen persönlicher Stärken und Schwächen werden thematisiert sowie kleine Test durchgeführt, in denen die Bewerberinnen in Rollenspielmanier ein Verkaufsgespräch und eine Streitschlichtung simulieren sollen. Die Darstellung der zukünftigen Tätigkeit fällt vergleichsweise kurz aus, geeigneten Kandidatinnen wird im Anschluss Gelegenheit gegeben, den Arbeitsplatz zu besichtigen. In der Zusammenschau der Bewerbungsgespräche unseres Korpus zeichnet sich eine grundlegende thematische Differenzierung ab zwischen Interviews mit einem stark fachlichen Fokus und Interviews, in denen auch persönliche Themen wie Freizeitgestaltung, Reiseberichte, Wendeerlebnisse, Stärken/Schwächen u.a.m. eine Rolle spielen. Grundsätzlich gilt, dass Privates der Unternehmensvertreter völlig im Hintergrund bleibt, Bewerbende dagegen beantworten Fragen, die z.T. sehr private Bereiche betreffen (z.B. Kinderbetreuung, persönliche Schwächen, Partnerschaft etc.). Es gibt eng umgrenzte Themen und andere, die immer wieder aufgegriffen werden, weil sie von größerer Relevanz sind. So ist z.B. im Subkorpus Archiv die Gehaltsfrage von besonderer Relevanz, weil die Akzeptanz der Tarifstufe die Voraussetzung dafür ist, dass die Bewerber die Stelle überhaupt annehmen. Die Themenwahl wird außerdem stark vom jeweiligen Bewerbungsverfahren bestimmt: Soll eine konkrete Stelle besetzt werden, lassen sich sowohl Anforderungen besser darstellen als auch Qualifikationen konkreter prüfen. In Bewerbungsgesprächen, in denen über eine zukünftige Führungsposition verhandelt wird und/oder denen ein bestandener Eignungstest vorausgeht, spielt die angemessene Allokation entsprechend der Interessen und Kompetenzen der Bewerbenden eine große Rolle. Auch Besonderheiten der Branchen wirken auf thematische Setzungen ein, wie im Falle von Bau und Edv, wo die branchenbedingte Notwendigkeit, das Qualifikationsprofil der Bewerbenden zu klären, zu einer detaillierten Thematisierung von Berufserfahrungen führt. Insgesamt gesehen sind die Unterschiede in der thematisch-inhaltlichen Gestaltung sowohl einzelner Gespräche als auch der Subkorpora im Vergleich jedoch relativ begrenzt (wie auch andere Untersuchungen von Bewerbungsgesprächen bestätigen). Zwar fließen Faktoren wie die jeweiligen Interviewkonzepte der Einstellenden, Branchenspezifika und auch Persönlichkeitsprofile der Beteiligten in die Gespräche ein, unzweifelhaft handelt es sich allerdings bei allen behandelten Inhalten um Themen, deren Relevanz für das Bewerbungsverfahren rekonstruierbar ist.

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3.3.1,2 Typische Fragen In Bewerbungsgesprächen ist nicht nur ein bestimmter Kanon von Themen zu verzeichnen, die Behandlung dieser Themen weist auch strukturelle Verfestigungen auf, die sich als "typische Fragen" beschreiben lassen (zu binnenstrukturellen Merkmalen vgl. Punkt 3.4). "Typische Fragen" fallen zunächst durch ihre Rekurrenz auf. Versetzt man eine solche Frage versuchsweise in einen anderen Kontext, z.B. in ein Alltagsgespräch, wird schnell deutlich, wie stark sie an die Gattung "Bewerbungsgespräch" gebunden ist. Auch die Sekundärliteratur liefert interessante Hinweise; in den relativ zahlreichen Untersuchungen zu Bewerbungsgesprächen tauchen bestimmte Fragen immer wieder auf (vgl. Adelswärd 1988; Grießhaber 1987a und b; Komter 1991; Fache 1998; Roberts 1985; Sarangi 1994a, 1994b; Button 1992). Und nicht zuletzt stellt die Ratgeberliteratur Listen von Fragen und Themen bereit, die als höchst erwartbar gelten und auf die sich Bewerbende tunlichst vorbereiten sollten. Gerade die "typischen Fragen" stehen in engem Zusammenhang mit der "Versteckten Agenda". Auf die besondere Doppelbödigkeit von Fragen weist u.a. Grießhaber hin: "Das Problem für die Bewerber besteht darin, die entscheidungsrelevante Funktion von Fragen zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren." (Grießhaber 1994:41) Welches nun die jeweils entscheidungsrelevanten Funktionen von Fragen sind, kann analytisch durch die Expertengespräche erfasst werden. In ihnen werden einzelne "typische Fragen" der Gattung benannt und ihre versteckten Relevanzen und verborgenen Intentionen erläutert. In anderen Fällen bzw. ergänzend kann aus den Maximen der Interviewführung (vgl. Punkt 3.6) auf die verdeckten Relevanzen einschlägiger Fragen rückgeschlossen werden. Welches die entscheidungsrelevante Dimension einer Frage ist, beispielsweise welche Stärke oder Schwäche sich am besten mit dem Anforderungskatalog der zu besetzenden Stelle vereinbaren lassen, wird von den Untemehmensvertreter/innen im Bewerbungsgespräch nicht offengelegt. In unserem Korpus sind folgende Fragen rekurrent, die anschließend genauer vorgestellt werden: Stärken/Schwächen-Frage, Gehaltsfrage, Motivationsfrage, Perspektivenfrage, Frage nach der Freizeitgestaltung/Hobbys, Frage nach den Familienverhältnissen. Selten kommt das gesamte Repertoire der genannten "typischen Fragen" vor, die einzelnen Interviewenden verwenden aber in der Regel in allen von ihnen geführten Gesprächen dieselben Fragen. Daneben mag es möglicherweise weitere Fragen mit einer hohen Frequenz in Bewerbungsgesprächen geben, die aber in unserem Korpus nur am Rande eine Rolle spielen und deshalb bei der Untersuchung nicht berücksichtigt wurden. Die folgende Darstellung beschränkt sich auf die häufigsten "typischen Fragen" in unserem Korpus.

Die Stärken/Schwächen-Frage Die wohl berühmteste und gleichermaßen berüchtigte Frage der Gattung ist die Frage nach den Stärken und Schwächen (vgl. Kap. 5.1 für eine ausführliche Analyse). Sie soll Aussagen der Bewerbenden zu persönlichen Attributen (im folgenden: Selbstattribuierung) elizitieren. Dazu dient die Form WO liegen ihre STÄRken? - und wo meinen sie liegen ihre SCHWÄchen (Archiv.2) sowie die verwandte Frage nach der Fremdeinschätzung durch Arbeitskollegen, Freunde oder Familienmitglieder, z.B. und wie würde ihr MANN sie

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charakterisieren (Telefon.l) oder auch die Form was würden sie SAGen, was sind die GRÜNde, warum wir UMbedingt SIE einstellen sollen (Telefon.l). Die Stärken/Schwächen-Frage wird entweder als eine sehr persönliche Frage fokussiert oder auf fachliche Kompetenzen bezogen. Während die positive Selbstattribuierung die Gefahr des Selbstlobes birgt, ist die negative Selbstattribuierung mit Risiken für die positive Selbstdarstellung verbunden und kann darüber hinaus leicht als Entblößung empfunden werden. Einige Antworten haben sich im Umgang mit diesen widerstrebenden Anforderungen bereits bewährt, wie z.B. Ungeduld als Schwäche, und haben sich binnenstrukturell zu einem Topos des Bewerbungsgesprächs verfestigt (vgl. a. Punkt Kap. 5.1).

Die Gehaltsfrage Die Gehaltserwartungen werden häufig bereits im Bewerbungsschreiben angegeben (vgl. Kap. 5.2 für eine ausführliche Analyse der Gehaltsfrage). Ungeachtet existierender Tarifstrukturen werden Bewerbende häufig in die potenziell dispräferierte Lage gebracht, eine Forderung artikulieren zu müssen. Unternehmensvertreter/innen wollen zuerst von den Bewerbenden die Bezahlung erfahren, mit der sie "zufrieden" wären, ohne sich strategisch an der vom Unternehmen vorgesehenen Summe auszurichten. Die Befürchtung mag sein, dass Beschäftigte, die mit dem Gehalt unzufrieden sind, bei der nächsten Gelegenheit auf eine besser bezahlte Stelle wechseln könnten. Beispiel (19) - (Sekretariat.2) II: B:

«f>was HAM sie f ü : r > (-) geHALTSvorstellungen. (-) hehe j a . dreitausendfünfHUNdert,

Dies ist ein Beispiel für eine ausgesprochen direkte Frage/Antwort Sequenz in Bezug auf das Gehalt. Sehr häufig wird sich der Gehaltsfrage über den derzeitigen bzw. letzten Verdienst angenähert, sowohl von Interviewenden als auch von Bewerbenden. Dabei ist impliziert, dass man sich auf der neuen Stellen nicht verschlechtern, allenfalls gleichstellen sollte. Beispiel (20) - (Edv.2) II: B:

.h (1) «f>und> (-) wo sind=so/ liegen so ihre geHALTSvorstellungen?> t j a ; (-) zur ZEIT hab ich (-) drei drei, ( 2 ) also (-) auf alle fälle NICHT (-) WEniger;

Die Gehaltsfrage nicht zu beantworten, ist - wie bei den meisten Fragen - sehr schwierig. Dabei geraten sie leicht in das typische Dilemma der Gehaltsfrage: Pokern sie zu hoch, scheiden sie vielleicht aus, da es kaum möglich ist, einmal aufgestellte Forderungen zurückzunehmen. Liegen sie zu niedrig, vergeben sie vielleicht die Chance, besser zu verdienen. In jedem Fall aber erweisen sie sich als schlecht vorbereitet.

Die Motivationsfrage Wie die Auswertung der Experteninterviews ergab, ist es ein zentrales Anliegen der Interviewenden, herauszufinden, ob der/die Bewerbende "richtig" motiviert ist. Um Informa-

77 tionen^zu diesem Thema zu elizitieren, wird häufig nach dem Grund der Bewerbung ge19 fragt. Beispiel (21) - (Archiv, l/w/m) II: was be/ (.} beWEGT sie (-) sich gerade HIER zu beWERben, Diese Frage wird u.U. in Verbindung gebracht mit dem Grund für die Kündigung der alten Anstellung. Dabei gilt, dass eine ernsthafte Motivation nur dann angenommen wird, wenn mit dem Wechsel Vorteile verbunden sind (z.B. eine Verbesserung des Einkommen oder . .. . . 20 ein Kamerespmng). Beispiel (22) - (Edv. l/o/m) II: B: II:

(-) ( ( s c h n a l z t ) ) « f ; > j a ; und dann ham> sie sich beWORben, s i e wollen also WEG; ( . ) a u s WOLFSburg; ( . ) [warum WOLlen [ja. se=nn da WEG; (-) dis macht ihnen doch anscheinend SPAß, und die (.) die MÖGlichkeiten; und die FREIräume die sie da HAben (-) die MÜSSten sie dann ja AUFgeben;

Mit der Motivationsfrage erhält der Interviewer Aufschluss über die Erwartungen an die neue Stelle bzw. über die Motivation des Bewerbers/der Bewerberin (Gehaltsverbesserung, Interesse an der Tätigkeit, Nähe zum Wohnort, Aufstiegschancen etc.) und auch darüber, wie stark das Interesse an der ausgeschriebenen Stelle tatsächlich ist. Ist nicht Arbeitslosigkeit Triebfeder für die Bewerbung, geht man davon aus, dass ein Stellenwechsel eine Verbesserung für Bewerbende bedeuten muss. Grundsätzlich ist die Bearbeitung dieser kniffligen konversationeilen Aufgabe abhängig davon, auf welchem Hintergrund sich jemand bewirbt: Eine Person in ungekündigter Stellung, die einen Karrieresprung machen will, kann selbstbewusster eine optimistische, ehrgeizige Zielvorstellung formulieren als ein/e Arbeitslose/r aus strukturschwacher Region. Anzugeben, dass man die Stelle braucht, um damit den Lebensunterhalt zu bestreiten, ist dagegen in Bewerbungsgesprächen nicht üblich, auch wenn es die tatsächlichen Beweggründe der Bewerbenden u.U. am besten trifft. Ein "need statement", d.h. damit zu argumentieren, Geld verdienen zu müssen, weil man arbeitslos ist, gilt auch den Expert/inn/en als wenig präferierte Antwort: Es geht nicht nur darum, einen Job zu kriegen, auch wenn das heute immer wichtiger is, es geht aber darum ob ei=m dieser Job auch einigermaßen Spaß bringt (Experteninterview Bank.A, vgl. auch 19

Dian Fossey berichtet von einem ungewöhnlichen Verfahren, um die Motivation einer Bewerberin zu testen. Der berühmte Paläontologe und Anthropologe Louis Leakey verlangte in einem Gespräch über die Eignung Fosseys für die geplante Freilandbeobachtung der Berggorillas, dass sie sich den Blinddarm herausnehmen lassen solle: "Als ich sechs Wochen später ohne Blinddarm aus dem Krankenhaus kam, fand ich einen Brief von Dr. Leakey vor. Er begann: 'Eigentlich ist es nicht dringend erforderlich, dass Sie Ihren Blinddarm herausnehmen lassen. Das ist nur meine Art, die Entschlossenheit eines Bewerbers zu testen!" (Fossey 1991:25) Auch Sarangi beschreibt die "typical question" nach der Motivation „why do you want to join this particular course?" in einem Bewerbungsverfahren zu einem berufsbildenden Kurs: "This may seem an easy question, but it is always difficult to provide a satisfactory answer. The 'preferred answer', or what Roberts (1985) calls a doctored answer, in this case is for the interviewee to talk enthusiastically about the course applied for, but with a certain amount of modesty." (Sarangi 1994a:173)

78 Bsp. 3). Interesse an der Tätigkeit, Spaß an der Herausforderung, verbesserte Aufstiegschancen hingegen gewährleisten eine positive Motivation (vgl. Auer/Birkner/Kern 1997b).

Die Perspektivenfrage Die Perspektivenfrage hängt eng mit der Motivationsfrage zusammen; sie ergänzen einander, da beide Erwartungen an die neue Stelle betreffen (vgl. Kap. 5.3 für eine ausführliche Analyse). Verbesserte Perspektiven, die sich eine Bewerberin/ein Bewerber ausrechnen, sind eben häufig das Motiv für einen Stellenwechsel. Eine Form der Perspektivenfrage ist folgende: wo wolln sie mal HIN; was is so ihr ZIEL (Edv.2). Klare Perspektiven sind die Voraussetzung für Zielorientiertheit, eine Qualität, die besonders für zukünftige Führungskräfte hoch im Kurs steht, da sie große Leistungsfähigkeit verspricht. Das folgende Zitat aus einem Experteninterview schlägt den Bogen zwischen Motivation, Zielperspektive und Selbsteinschätzung: Beispiel (23) - Experteninterview (Bank.C) E:

Die Zielorientierung, wo mein Bewerber hin will, ob er sich in der Bank schon entsprechend auch auskennt, dass er sagt, meinen Stärken entsprechend möchte ich dort und dort eingesetzt werden. Und das istßir mich son son Knackpunkt auch im Gespräch und da kann ich nur über die Frage nach den Stärken hinkommen. Weil ich hab sehr sehr oft Bewerber, die, wenn ich sie dann frage, wo möchten sie denn gern eingesetzt werden, die dann sagen, sie können mich überall einsetzen, ich bin flexibel, wo ich dann halt schon versuche, denen klar zu machen, dass es nicht ist, was ich mir wünsche, sondern dass ich jemanden haben will, der sich selbst sehr gut kennt, und sagt, eben weil ich weiß, dass das und das und das meine Stärken sind, möchte ich die und die Position haben.

Die Perspektivenfrage steht in engem Zusammenhang mit der Allokation, sie soll klären, ob sich die Vorstellungen des Bewerbenden mit den Gegebenheiten der zukünftigen Stelle decken. Sie dient auch dazu, das Maß an beruflichem Ehrgeiz und damit mittelbar das Interesse an der Stelle und die Motivation der Bewerbung zu eruieren. Schwierig kann die Frage für Bewerbende sein, weil sie häufig nicht genau wissen, was von ihnen erwartet wird, da ihnen die Stellenbeschreibung bzw. die Organisationsstruktur des Unternehmens oftmals nicht ausreichend bekannt sind, so dass die Gefahr besteht, etwas zu äußern, was sich nicht realisieren lässt.

Die Frage nach den Familienverhältnissen Familienverhältnisse spielen vor allem im Hinblick auf Mobilität eine große Rolle. Wenn der derzeitige Wohnort der Bewerbenden nicht mit dem zukünftigen Arbeitsort identisch ist, versuchen Unternehmensvertreter häufig über die Frage nach dem Beschäftigungsverhältnis der Partnerinnen oder Partner die Voraussetzungen für einen Umzug zu eruieren. Beispiel (24) - (Bank.2/o/f) II: B: II:

haben sie=n festen FREUND? (-) zur ZEIT?= = j a : [aber das is: [ja was sacht DER denn?

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Beispiel (25) - (Chemie.7/o/f) 12:

was sagt denn die ANdere h ä l f t e zu dem hier j e t z t ; zu ihrer bewerbung in (stadtname) .

Beispiel (26) - (Archiv.4/w/m) II: (2) ihre frau gemahlin ist WO tätig? Zu diesem Fragenkomplex gehört auch die Frage nach Kindern bzw. deren Alter. Häufig erwähnen Frauen selbstinitiativ, dass sie Kinder haben, schon weil die Schwangerschaft als Einschnitt in der Biographie (als Unterbrechung der Berufstätigkeit oder Umorientierung) sichtbar ist. Im Bewerbungsgespräch spielt diese Frage dann für die Einstellenden im Hinblick darauf eine Rolle, ob die Kinderbetreuung gewährleistet ist. Beispiel (27) - (Sekretariat.5/w/f) II: B:

II:

B: II:

B:

ich hab nochmal ne FRAge : ; j e t z t mit ihm/ also eher so ne [persönliche frage ] ehm mit der betreuung ihres KINdes [ ( h ) j a ( h ) SAgen=se ( h ) ]

( . ) nochmal .h weil sie harn ja j e t z t so=n bisschen gehört auch dass also oft Sachen sind wo auch irgendwelche terMIne (-) .h eingehalten werden müssen; also wo man halt (-) schon denk ich auf jeden f a l l auch an bestimmten tagen auch DA sein muss ; hm=hm, und (.) ob das bei ihnen j e t z t gewährleistet ist dass sie da: (1) ehm ( h ) wenigstens an ( h ) solchen tagen dann auch voll einsatzfähig [ehm (1) sind [d=is auf jeden f a l l gewährleistet

Kommt das Thema Kinder bei Männern vor, steht es in einem anderen Kontext. Bei ihnen geht es eher um die Höhe des Gehaltes: Beispiel (28) - (Bank.6/o/m) verheiratet sind sie AUCH? ja? [ ( ...... )] [ kinder ] noch NICHT?

B:

II:

das sind natürlich denn schon: (-) reGIOnen wo m a n : ; / «acOna gut ne familie erNÄHren müssen sie NICHT; > «dim>ihre f r a u ( . ) verDIENT j a auch m i t ( . ) aber-> ( - ) über welche region ( ( d . h . Höhe des Gehalts, K . B . ) ) SPREchen wir da eigentlich. da aber kinder gePLANT sind; wird sowas auf k u r z oder lang ja auch wieder der FALL sein;=dass: dann: (-) der Schwerpunkt a u f MICH f ä l l t . ( ( . . . ) ) « a l l > j a was (.) was harn sie zuletzt verDIENT. >

Viele Arbeitgeber legen Wert darauf, dass die Bewerbenden an den Arbeitsort umziehen. Diese Mobilität hängt entscheidend davon ab, ob Partnerinnen, Partner und evtl. Kinder mitziehen würden. Pendeln dagegen bedeutet aus Unternehmenssicht eine zusätzliche Belastung und außerdem erhöht sich die Gefahr, dass der/die Betreffende bei Gelegenheit eine günstiger zu erreichende Stelle annimmt.

80 Die Frage nach Freizeitgestaltung und Hobbys Die Frage nach der Freizeitgestaltung ist in zweierlei Hinsicht von Relevanz: Zum einen stellt sie ein unverfängliches Thema für ein lockeres Gespräch zur Verfügung, bei dem man privatere Seiten "kennen lernen" kann, Das gehorcht dem schon bekannten Diktum, dass sich beliebige Themen eignen, um einen Eindruck zu bekommen, "wie jemand ist". Die Frage nach Hobbys und Freizeitbeschäftigung wird in unserem Korpus in der Hälfte der Fälle gestellt. (Häufig machen Bewerbende entsprechende Angaben bereits in den Bewerbungsunterlagen.) In den stark fachlich ausgerichteten Gesprächen Bau und Edv kommt sie nicht vor, ebenfalls nicht bei Sekretariat und Archiv. Bei Telefon, Chemie und Bank gehört sie dagegen zum Standardrepertoire. Beispiel (29) - (Bank, l/o/m) I: hm=hm, (1) oKAY.> (2) .h was MACHen sie denn (-) wenn sie: ( . ) nicht zur SCHULE gehen, eh (-) HOBbies ( . ) und so? was machen sie DA so? (-) wenn noch ZEIT ist, ( h ) a u ß e r (h)LERnen; Beispiel (30) - (Chemie.4/w/m) 12: was machen sie eigentlich in ihrer FREIzeit. (-) sie erzählen so begeistert über phySIK, und so w e i [ t e r ; HAM sie überhaupt B: [ 12: f r e i z e i t . hehe> Personalexpert/innen sprechen der Freizeitbeschäftigung auf der "Versteckten Agenda" der Gattung eine hohe Aussagekraft über Schlüsselqualifikationen zu, insbesondere über Sozialkompetenzen wie Teamfähigkeit, Führungsqualitäten etc. (vgl. Punkt 3.6). Gerade aus sportlichen Betätigungen werden Rückschlüsse auf die Persönlichkeitsstruktur gezogen. Beispiel (31) - Experteninterview (Edv) E: ((Kommunikationsfähigkeit, K.B.)) legen wir schon Wert drauf, nur das Problem is eben halt, das abzuprüfen. Das is völlig schwierig. Wie will man das denn in nem Gespräch abprüfen, also man kann höchstens überlegen, über irgendwas, was er macht, also in seinem Umfeld, wenn der irgendwo Mannschaftssportler is oder so. (...) Darüber schon zu überlegen, also inwieweit is seine Inlegrationsföhigkeit denn überhaupt gegeben in ein Team vielleicht oder inwieweit is er eigentlich eher nen Einzelgänger. Schon die Tatsache, ob jemand in einer Mannschaftssportart die Gelegenheit zur Entwicklung sozialer Kompetenzen hatte oder ob er/sie als "Angler" (s.u.) in einer Individualsportart eher ein Einzelkämpfertum gepflegt hat, soll Aufschluss geben über soziale Kompetenzen. Je nach Stellenprofil kann natürlich gerade ein "Angler" von Vorteil sein, da Teamleute auf Einzelkämpferposten schlecht platziert sind. Beispiel (32) - Experteninterview (Bank.A) E: Wenn sie da nen Auszubildenden haben, aber auch Mitarbeiter, die viel Vereinsleben schon kennen gelernt haben, die Pfadfinder kennen gelernt haben oder im Verein Fußball gespielt haben oder irgendwelche Dinge gemacht haben, die etwas mit Teamarbeit zu tun haben oder mit Zusammenarbeit mit anderen, dann ist das jedenfalls so vom Vorurteil her meistens etwas vorteilhafter, weil es kommt immer mehr auf Teamarbeit an in der Bank, als wenn sie da son Angler dabei haben, der möglichst nur alleine sein möchte oder jemand der sagt, mein Hobby is Bücherlesen.

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Die Personalexperten der BASF präferieren nach eigenen Angaben eine Persönlichkeit, die ihr Leben selbst aktiv gestaltet und auch im Beruf eine eigeninitiative und selbstbewusste Rolle spielt. Da sie in erster Linie junge, beruflich unerfahrene Hochschulabsolvent/inn/en interviewen, ist es nicht immer möglich, aus vorangegangener Berufstätigkeit und biographischen Entscheidungen auf die Zukunft zu extrapolieren. Besonders erschwert wird das nach ihren Aussagen bei ostdeutschen Bewerbenden, deren Lebensweg längere Zeit unter anderen Rahmenbedingungen verlief. Beispiel (33) - Experteninterview (Chemie.2) E:

Da spielt zum Beispiel die Freizeit jetzt ne große Rolle. Weil Freizeit kann ich im Allgemeinen selbst gestalten. Ja, muss ich nicht, kann ich aber und sicherlich auch in der ehemaligen DDR. Im Rahmen der Möglichkeiten und was man dann eben getan hat. Ich kann eben in der Menge mitlaufen oder ich kann mich - um jetzt die Klischees zu machen - eben an die Spitze der Menge stellen und eben sagen, wohin der Verein jetzt eine nächste Reise macht oder eben nicht.

Die Frage nach der Freizeitbeschäftigung und besonders sportlichen Hobbys bietet darüber hinaus einen Anknüpfungspunkt für gemeinsame Erfahrungen und Interessen, ein Aspekt, der nach Erickson/Shultz (1982; vgl. a. Kap. 1) für ein positives Gesprächsklima von außerordentlicher Bedeutung sein kann.

Besondere Elizitierungstechniken: Testfragen & Rollenspiele Eine besondere Form von Elizitierungstechniken sind Rollenspiele und Testfragen, die nur im Korpus Telefon vorkommen. Der Experte Telefon.B schildert das Verfahren folgendermaßen: Beispiel (34) - Experteninterview (Telefon.B) E:

Wir konstruieren irgendwelche Situationen und bringen die Leute in dem Gespräch in diese Situationen und fragen sie, wie sie damit umgehen, und versuchen diese Situationen nachzuspielen, zum einen. Zum zweiten ehm befragen wir auch die Leute nach Konflikten der Vergangenheit, die sie hatten und fragen, wie sie damit umgegangen sind, wie sie die ausgetragen haben.((...)) und ja dann gibt's auch noch so diese kleinen Rollenspielchen. Was den Verkauf angeht, was Teamfähigkeit angeht, Konfliktfähigkeit, ehm wo wir dann auch nen bisschen persönlicher werden.

In den entsprechenden Bewerbungsgesprächen kommen zwei kleine Rollenspiele vor: a) die Bewerberinnen werden aufgefordert, eine Verkaufssituation zu simulieren und b) wird ein Streit z.B. zwischen II und 12 simuliert, zu dem sich die Bewerberin verhalten soll. a) Beispiel (35) - (Telefon.3/w/f) II: B: II:

( 2 ) «p>hm=hm, > (3) ich würd ganz gerne noch so=n: ( . ) kleines SPIELchen mit ihnen machen, SPIELchen. «p>hehe (-) N E I N ; > einfach dass sie: (-) aus ihrer (-) alten TÄtigkeit heraus; (1) dass sie einfach versuchen, MICH a n z u r u f e n ? (1) sie harn mich auf irgend=ner liste (-) entDECKT, (-) ich bin=n POtenzieller ( - ) käufer für immoBIlien, (1) und SIE versuchen/=sie harn genau das haus das a u f mich PASST, ( l ) ( w i e : / s i e : / ) ( - ) s i e rufen mich A N , i c h

82 nehm AB, (1) wie sind sie dann: (.) VORgegangen. also j e t z nich theoREtisch, sondern ich nehm j e t z einfach ab und sage hier (-) M ü l l e r . (-) guten TAG,

b) Beispiel (36) - (Telefon.4) 12:

stelln sich vor wir beide hätten- (1) theAter mit=nander; (-} wir hätten uns geSTRItten; (1) wie reagiert frau BAcher; was TUN sie. ((...)) II: ( ( = > I 2 : ) ) w a s is/ ( . ) w a s is=n VORgefallen. ( . ) ( s a g m a l ) ( . ) wieso? hehe wieso ham [wir j e t z auf einmal STREIT? 12: [de/ ((...)) 12: weil ich der MEInung bin, dass die geSPRAche, ( . ) die mein kolLEGe erLEDigt, dass die nich GUT sind, der kann nich verKAUfen. und das NERVT mich, der sitzt mir gegenüber, ich krieg das mit, .h

Bei dem Rollenspiel zum Streitschlichtungsverhalten beginnen die Interviewer in der Regel mit der Frage "Wie gehen sie mit Konflikten um?" Wenn sie mit den Antworten nicht zufrieden sind, gehen sie zu einer Simulation über. (Die Verkaufsübung scheint geläufiger zu sein, auch die Personalexpertin Bank. C berichtet, dass sie "kleine Verkaufsspielchen" einsetze.) Da sich die Bewerberinnen meist schwer tun, sich auf ein Rollenspiel einzulassen, oszillieren diese Passagen häufig zwischen der Übernahme einer fiktiven Identität (was u.a, durch direkte Rede gekennzeichnet ist) und einer Außenperspektive. Nicht selten sind es auch die Interviewer, die die Rollenspielperspektive beibehalten, während die Bewerberin immer wieder in eine Außenperspektive zurückkehrt. Wie die Zusammenstellung gezeigt hat, haben "typische Fragen" im Bewerbungsgespräch häufig eine "versteckte Agenda" und spielen bei der Evaluation der Bewerbenden eine zentrale Rolle. Darüber hinaus lassen sich in den typisierten Frageformen binnenstrukturelle Verfestigungen erkennen (vgl. a. Punkt 3.4). Ob sich auch "typische Antworten" feststellen lassen, wird in Kap. 5 Untersuchungsgegenstand sein.

3.3.2 Dialogizität Ein zweiter Bereich neben "Thema", der im Gattungskonzept auf der Zwischenstruktur der Gattung angesiedelt wird, ist Dialogizität. Nachdem wir im Vorangegangenen Gesprächsverläufe unter einer thematisch-inhaltlichen Perspektive betrachtet haben, soll es im folgenden stärker um eine strukturelle Analyse gehen, in der die sequenzielle Organisation ins Zentrum des Interesses rückt. Die gattungstypische Gesprächsorganisation wird auf zwei Ebenen untersucht werden: den Phasen und Phasenwechseln (vgl. Punkt 3.3.2.1) und der Gesprächssteuerung via Themenorganisation (vgl. Punkt 3.3.2.2).

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3.3.2.1 Phasen und Phasenwechsel im Bewerbungsgespräch Bewerbungsgespräche werden - wie Gespräche im Allgemeinen - von der Forschung übereinstimmend in Eröffnungs-, Haupt- und Beendigungsphase unterteilt (Adelswärd 1988; Komter 1991; Lepschy 1995; Grießhaber 1987a und b; Akinnaso/Seabrook Ajirotutu 1982; Schilling 1997). Ausgehend von dieser grundlegenden Struktur differenzieren sich die Gespräche unseres Korpus in eine Eröffnungsphase, die aus der Gesprächseröffnung, einem fakultativen Vorspiel und der Orientierung besteht, eine Hauptphase sowie eine Beendigungsphase mit der Gesprächsbeendigung, der fakultativ ein Nachspiel vorgeschaltet sein kann. Die Herstellung von Phasen und Phasenübergängen ist eng mit bestimmten Themen verknüpft.

Gesprächseröffnung Die Gesprächseröffnung erfolgt mit der Begrüßung. Danach lassen sich bei den Bewerbungsgesprächen unseres Korpus zwei grobe Verlaufsformen unterscheiden. Die eine ist relativ kurz, sie beinhaltet die obligatorische Begrüßung und tritt dann direkt in die Orientierung (s.u.) ein: Beispiel (37) - (Archiv, l/w/m) ( ( B e w e r b e r wird hereingebeten)) II: ( 2 ) « f > G U : T . > herr: ( . } doktor KENSCH; ( . ) guten TAG ( . ) nehmen sie doch dort [bitte PLATZ; (-) wir MÜSSen/ B: [guten tag II: sind etwas in ZEITverzug; ich bitte um entSCHULdigung;= B: =hm=hm II: eh: nehmen sie bitte PLATZ; ( ( e s folgt die Vorstellung der Anwesenden))

Es gibt offensichtlich keine obligatorischen Präliminarien zu besprechen (u.a. da in diesem Gespräch das Einverständnis zur Gesprächsaufzeichnung bereits vorliegt) und der Interviewer geht gleich in medias res. Mit dem Hinweis auf die drängende Zeit gibt er einen expliziten "account" dafür, warum die Eröffhungsphase so knapp geraten muss. Die zweite Verlaufsform sieht vor dem Einstieg in die Orientierung ein mehr oder weniger ausgedehntes Vorspiel vor.

Vorspiel Ein Vorspiel lässt sich vom "eigentlichen" Bewerbungsgespräch (dem "interview proper", Adelswärd 1988:38) deutlich unterscheiden. Der Sacks'sche Begriff des "first topic" bezeichnet nach Schegloff das, was Gesprächsteilnehmer/innen im Nachhinein angeben würden, wenn sie eine Aussage folgendermaßen begännen: "x rief an, um zu sagen..." (Schegloff 1986, vgl. auch Schegloff/Sacks 1973:330f). Bestimmt man das "first topic" eines Bewerbungsgesprächs nach Sacks als die Eignung des/der jeweiligen Bewerbenden und die zu vergebende Stelle, kennzeichnet sich das Vorspiel in der Eröffnungsphase (ebenso wie das Nachspiel in der Beendigungsphase) thematisch dadurch, dass es inhaltlich

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nicht direkt zum "first topic" beiträgt (aber dennoch natürlich möglicher und typischer Bestandteil von Bewerbungsgesprächen ist). Ein Vorspiel kann sehr ausgedehnt sein. So wird u.U. Garderobe verstaut, die Sitzordnung bestimmt, Getränke angeboten, Smalltalk gemacht und gescherzt. In diesen Phasen wird häufig gemeinsam gelacht, die Redebeiträge sind eher kurz, Themen werden nur kurz angerissen und es finden sich viele Überlappungen. In den meisten aufgezeichneten Gesprächen wird nach der Begrüßung die Einverständniserklärung für die Datenaufnahme eingeholt, da die Zustimmung die Voraussetzung für die Fortsetzung bzw. den Beginn der Aufzeichnung ist. Meistens stellen die Gesprächsleiter/innen die anwesende Linguistin vor, erläutern ihr Anliegen oder übergeben ihr selbst das Wort. Das ist aber nicht immer der Fall; die Einverständniserklärung kann auch innerhalb der Orientierung eingeholt werden (vgl. Bsp. 39).

Orientierung Auf die Begrüßung und einem fakultativen Vorspiel folgt der Kontextwechsel in das Bewerbungsgespräch. Er wird durch eine Orientierung vollzogen, die sich durch ihren formelleren Charakter vom evtl. Vorlauf unterscheidet: Beispiel (38) - (Sekretariat.l/o/f) ( ( v o r h e r Einverständnis zur A u f z e i c h n u n g ) ) I: ALles k l a r . ( . ) ( a l s o ) (-) KÜMmern wir uns gar nicht drum. ( ( u m d i e Datenaufnahme, K . B . ) ) ha[hehe] B: [nee, ] (-) geNAU. L: «p>hehe> I: okay; (-) fangen wir einfach mal AN? (-) mein name ist MEIERling, das/ ( . ) w i r hatten j a schon telefoNIERT, [mit=nander, [ n i c h ? ( . ) ich br/ mach hier die h ( . ) B: [genau. [hm=hm, If: persoNALabteilung in der firma;

Nachdem die Einverständniserklärung gegeben wurde, wird die Eröffnung des eigentlichen Bewerbungsgesprächs deutlich markiert. Das ist verbunden mit einem Themenwechsel, der im obigen Beispiel durch das Gliederungssignal okay und die metadiskursive Formulierung (s.u.) fangen wir einfach mal AN markiert wird. Die Orientierung ist ein typisches Merkmal der Gattung und hat stark routinisierte Züge. Sie gehört zu den kategoriengebundenen Aktivitäten der Gesprächsleitung und wird nie von den anderen Interviewenden vollzogen. Orientierungen sind durch ein hohes Maß an Explizitheit geprägt; Interviewende geben häufig kurze Statements darüber, "warum" und "mit Die direkte Eröffnung der Gespräche, d.h. der erste Kontakt mit Begrüßung, ist aus verschiedenen Gründen nicht in allen Fällen aufgezeichnet. Einerseits mussten wir häufig noch das Einverständnis der Bewerbenden einholen und konnten erst danach das Band einschalten. In anderen Fällen trafen sich die Beteiligten bereits auf dem Flur und begaben sich dann gemeinsam in den für das Bewerbungsgespräch vorgesehenen Raum, so dass das Aufnahmegerät erst eingerichtet werden musste. "Und was eignet sich besser, einen Wechsel der Interaktionsmodalität anzuzeigen, als das explizite Formulieren dessen, was 'wir-gerade-tun' oder 'noch-tun- müssen'." (Uhmann 1989: 131)

85 welcher Vorgeschichte" sich "wer" "wann" "für wie lange" "wo" versammelt hat, unbeschadet der Tatsache, dass diese Fakten vielleicht allen Beteiligten bekannt sind. (Nicht immer wird diese Liste vollständig abgearbeitet, aber in der Regel sind mindestens die Elemente "wer" und "warum" enthalten.) Werden keine Korrekturen vorgenommen, gelten die aufgerufenen Entitäten für alle Teilnehmenden als verbindlich ratifiziert. Diese ausführliche Erwähnung der professionellen Identitäten der Beteiligten trägt zur Schaffung des institutionellen und formellen Charakters der Interaktion bei (vgl. a. Kap. 1). Die hohe Explizitheit, sogar mögliche Redundanz der Informationen, die gleichsam zu Protokoll gegeben werden, und auch das Aufrufen institutioneller Identitäten sind Merkmale von Formalität (vgl. Irvine 1979). Häufig wird an dieser Stelle auch der weitere Verlauf des Tages oder die geplante Dauer des Gesprächs angekündigt. Und spätestens hier wird das Einverständnis für die Datenerhebung eingeholt bzw. scherzhaft auf die Aufzeichnung Bezug genommen. Ferner ist jetzt der Moment für Bewerbende, um fehlende Unterlagen nachzureichen. Am folgenden Beispiel sollen die genannten Elemente von Orientierungen in ihrem Zusammenspiel illustriert werden: Beispiel (39) - (Telefon.3/w/f) 1 12: ja. um uns kurz noch mal VORzustellen, (-) herr HUTmacher 2 von=er (.) persoNALabteilung aus HAMburg is heute hier, (-} 3 «len>de:r uns bei den gesprächen hier unterSTÜTZT,> (1) 4 f r a u georg als die zukünftige LEIterin der 5 telefonmarketingabteilung; .h (1) e:hm (1) wir hatten 6 telefoNIERT, ich leite hier das KUNdencenter, (1) und die 7 f r a u b l r k n e r , (-) gehört NICHT zum (unternehmen), und sie 8 hat au=schon=n paar geRÄTschaften aufgebaut, und was=se 9 damit VORhat, das wird sie ihnen am besten gleich SELbst 10 eben erklären, 11 ( ( . . . ) ) ( ( Ü b e r g a b e an Linguistin, B gibt Einverständnis zur 12 Gesprächsaufzeichnung)) 13 12: is oKAY? 14 B: ja KLAR.= 15 12: =wollen sie=n: ( . ) KAFfee trinken? 16 B: N E I N ; bin [kein K A F f e e t r i n [ ( h ) k e r 17 12: [nicht. [ ( a c h ) KEIN k a f f e e t r i n k e r . g u t . 18 dann nehm ich mal die KANne weg damit ich sie auch richtig 19 SEHE, (2) so. ( 1 . 5 ) und dann wom=wa einfach ma so=n 20 bisschen EINsteigen, (1) und uns ma=n bisschen KENnen 21 lernen. (1) ne? 22 B: [hm=hm, 23 12: [das=is das Eine ziel, das andere, wir wollen auch (1) 24 IHnen natürlich no=ma gelegenheit geben, paar FRAgen zu 25 stellen, die SIE, ( 1 . 5 ) e:h für sich noch geKLÄrt haben Komter bezeichnet dieses Verfahren als "token up-dates", diese "concern statements about events or circumstances that are known by everybody present." Sie unterscheidet die drei Kategorien "where we are", "what we are doing" und "who we are" (1991:75). So gehört es z.B. auch in Festreden zu den festen Bestandteilen, zu Beginn das "wer", "wo" und "warum" zu erwähnen: "Liebes Brautpaar, liebe Gäste, wir haben uns heute hier in Himrnelshausen versammelt, um gemeinsam einen wichtigen Tag im Leben zweier Menschen...". (Vgl. a. Komter 1991:80).

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WOLlen, B: hm=hm, 12: und dazu haben wir j e t z so=ne stunde uns ZEIT genommen. B: g u : t . = 12: =«f>okay? (1) gut. > I3f: ja f r a u MEYer. dann erZÄHlen sie uns doch ma:l- (-) ihren (-) WERdegang; (-) in (-) kürze.

Dieses Beispiel für eine längere Orientierung enthält folgende Elemente: Zunächst stellt 12 die anwesenden Interviewenden mit Namen und institutioneller Funktion vor. Seinen eigenen Namen hat er bereits bei der Begrüßung genannt, so dass er bei seiner Vorstellung nur die institutionelle Funktion (Leiter des Kundencenters, Z. 6) nennt. Außerdem gibt er sich als Telefongesprächspartner der Bewerberin zu erkennen (Z. 5f). Anschließend übergibt er das Wort an die Linguistin, die die Einverständniserklärung zur Datenaufzeichnung einholt (Auslassung ca. 23 Z.). Nachdem er einen Kaffee angeboten hat (Z. 15), kündigt der Interviewer den "eigentlichen" Beginn an: dann wom-wa einfach ma so=n bisschen EINsteigen (Z. 19f). Worin ein Einstieg erfolgen soll, wird ebenfalls formuliert: uns ma=n bisschen KENnen lernen. Das Kennenlernen wird dann als Ziel des Bewerbungsgesprächs bezeichnet, wobei der Akzent auf das Eine ziel ein zweites erwartbar macht, das auch sofort genannt wird: Fragen der Bewerberin zu beantworten (Z. 23ff). Abschließend nennt der Interviewer den zur Verfügung stehenden Zeitrahmen (Z. 28) und nach einer Ratifizierungsrunde (Z. 29f) ist die Orientierung und damit die Eröffhungsphase abgeschlossen. In diesem Beispiel ist der Phasenübergang auch mit einem Sprecherwechsel von 12 auf 13 verbunden. Häufig werden solche Sprecherwechsel metadiskursiv ausgehandelt oder kommentiert, was hier entfällt, weil vorher vereinbart wurde, dass 13 die Gesprächsleitung übernehmen soll. Sind mehrere Interviewer anwesend (wie teilweise bei Bank, Telefon, Archiv, Edv), gibt es einen Hauptinterviewenden; in der Regel ist dies die/der Verantwortliche für Personalfragen. Sie/Er gestaltet die Eröffnungs- und Beendigungsphase sowie Teile der Hauptphase. Die übrigen Anwesenden, z.B. Vorgänger auf der besagten Stelle, Fachvertreter oder direkte Vorgesetzte, befragen andere thematische Bereiche als die Hauptinterviewenden (z.B. thematisieren Kolleg/inn/en nicht die Gehaltsvorstellungen u.a.). In der Phase der Eröffnung fungiert die Orientierung wie eine Eröffnung des eigentlichen Bewerbungsgesprächs. Der Wechsel bzw. der Einstieg in eine spezifische Interaktionsmodalität ist immer verbunden mit einer: [...] Neuverteilung von Rechten und Pflichten. Verhaltens- und Verstehenspraktiken, die bisher Gültigkeit hatten, verlieren sie und müssen durch neue Regeln ersetzt werden, so daß es auch dann erforderlich ist, den Übergang zu markieren, wenn die Aufmerksamkeitszentrierung nicht das primäre Problem darstellt. (Uhmann 1989:128).

Die Orientierung mündet in eine für das jeweilige Subkorpus typische Einstiegsfrage (s.u.) in die Hauptphase, mit der eine explizite Tumzuweisung an den oder die Bewerbende/n verbunden ist.

87 Hauptphase Die Hauptphase besteht meistens aus zwei deutlich zu unterscheidenden thematischen Blöcken: In unserem Korpus beginnen die Gespräche mit der Biographie und dem Qualifikationsprofil der Bewerbenden. Im zweiten Teil informieren die Unternehmensvertreter über die zukünftige Stelle und ihre Rahmenbedingungen. Diese Reihenfolge kann umgekehrt sein, wie sich in anderen Arbeiten über Bewerbungsgespräche gezeigt hat, in der Regel behalten die Interviewenden aber eine einmal gewählte Reihenfolge bei. Als "preclosing"-Themen schließen sich Formalia, Verabredungen über das weitere Vorgehen an, die die Gesprächsbeendigung einleiten. Der Beginn der Hauptphase und die Überleitung in den ersten Block erfolgt über die Einstiegsfragen. Einstiegsfragen sind nach Beginn des eigentlichen Bewerbungsgesprächs in der Orientierung in der Regel das erste Ausführen der zentralen kategorienbezogenen Aktivität des Interviewers, Fragen zu stellen. Zu den typischen Einstiegsfragen gehört die Aufforderung zu einem biographischen Narrativ (vgl. a. Bsp. 39, Z. 31). Hier werden deutlich markierte biographiebezogene Phasen der Selbstpräsentation durch eine Aufforderung an die Bewerbenden eingeleitet, den Lebenslauf oder den bisherigen beruflichen Werdegang zu schildern. Der Lebenslauf, entweder stärker auf Persönliches oder auf das Berufliche fokussiert, gehört für die Mehrzahl der Personalexperten zu den obligatorischen Elementen des Bewerbungsgesprächs. Zum einen wird auf den entspannenden Effekt hingewiesen, wenn man Bewerbende über etwas Bekanntes sprechen lässt. Ferner stellt der Lebenslauf schlicht Gesprächsstoff als Basis für eine Einschätzung der Kandidat/inn/en zur Verfugung. Und schließlich stellen sowohl Lebens- als auch Berufserfahrungen der Vergangenheit die zentrale Entscheidungsgrundlage des Bewerbungsgesprächs dar. Beispiel (40) - (Edv.5/o/m) II: wir harn ( . ) IHre/ (1) «all>also wir haben ihre unterlagen geLEsen,> und einfach vielleicht mal (-) «p>hm>=um ins In Grießhabers Korpus (1987a und b; 1994) entspricht die Reihenfolge der unserer Gespräche, anders als bei Schilling (1997), Komter (1991) und Adelswärd (1988). Roberts (1985) rät von längeren Ausführungen der Einstellenden zu Beginn ab, da Bewerbende noch zu aufgeregt seien, um alle Informationen zu erinnern. Unsere Experten allerdings betonen, dass sie zunächst versuchen herauszubekommen, wo die Interessen der Bewerbenden liegen. Wüssten diese zuviel über die Anforderungen der Stelle, bestünde die Gefahr, dass sie "sozial erwünschte Antworten" (Experte Telefon.A) gäben, nur um die Stelle zu bekommen. "Fragen stellen" ist hier gesprächsanalytisch gemeint, wie es z.B. Selling (1991:264) definiert: "Eine 'konversationelle Frage' ist also eine konversationelle Aktivität einer Sprecherin bzw. eines Sprechers, die eine 'Antwort'reaktion des Rezipienten konditioneil relevant macht." Dabei kann es sich bei den "Ersten Teilen" formal um Aufforderungen oder sogar Statements handeln, ein übliches Format in Bewerbungsgesprächen, um "Fragen zu stellen". Uhmann spricht hier von "Ersten Fragen" (1989:137), sie beobachtet in ihrer Untersuchung sozialwissenschaftlicher Interviews, dass diese häufig mit "expliziten Performativen" (wie im obigen Fall "fragen") gekennzeichnet werden. Die Kontextualisierung via expliziter Formulierungen der Gesprächsaktivitäten ist ein gängiges Mittel (vgl. a. Beispiel (48) "FANgen wir einfach mal an"), jedoch weist Uhmann darauf hin, dass Performativ und tatsächlich vollzogene Aktivität häufig nicht kongruieren.

88 gespräch REINzukommen skizzieren sie «all>doch=noch=ma=so> gAnz knApp ihren WERdegang h .

Mit der Begründung, dass es als Einstieg in das Gespräch dienen soll, wird ein "account" dafür gegeben, warum der Bewerber eine potenziell redundante Information liefern soll. Tatsächlich sind die Fakten einer Biographie aus den Unterlagen oft hinlänglich bekannt (außer dem Interviewer im Korpus Archiv, der die Unterlagen vorher nicht gesichtet hat). In den Experteninterviews geben die Interviewenden den Informationswert damit an, dass sie nicht auf das "Was", sondern auf das "Wie" der Präsentation achteten. Nach der Aufforderung, die Biographie zu schildern, folgt häufig ein längerer typisch rekonstruktiv-monologischer Teil, evtl. mit klärenden Nachfragen von Seiten der Interviewenden, den Bewerbende thematisch weitgehend eigenständig gestalten. In manchen Fällen allerdings beginnen sie zwar mit ihren Ausführungen, aber bald nehmen ihnen die Interviewenden das Heft wieder aus der Hand, z.B. indem sie den schriftlichen Lebenslauf Eintrag für Eintrag durchgehen (z.B. im Korpus Bank). Einstiegsfragen, mit denen biographische Narrative elizitiert werden sollen, enthalten häufig explizite Hinweise, wie diese zu gestalten sind (vgl. Kern, im Erscheinen). In der Anweisung skizzieren sie «all>doch=noch=ma=so> gAnz knApp kommt unmissverständlich zum Ausdruck, dass der Interviewer eine kurze Darstellung wünscht. Beispiel (41) - (Sekretariat, l/o/f) ( { F o r t s e t z u n g des Beispiels 3 8 ) ) II: ich br/ mach hier die h ( . ) persoNALabteilung in der firma; und eh: (-) ich würde ( . ) von IHnen: (.) ganz gern erst mal so=n ( . ) bisschen zuSAMmengefasst ihren lebenslauf noch mal. B: ja: II: «p>hören.> hehe

Auch hier wird Kürze der Darstellung gefordert. Das ist häufig, aber nicht immer der Fall. Der Raum, der für die biographische Selbstdarstellung zur Verfügung gestellt wird, hängt vom individuellen Konzept der Interviewenden und auch vom verfügbaren Zeitrahmen ab. Was in der Einstiegsfrage gefragt wird, wird femer durch die Position bestimmt, die das Gespräch im Gesamtbewerbungsverfahren hat. Entsprechend fragen die Interviewenden in den Gesprächen des Korpus Chemie, die nach Durchlaufen verschiedener Stationen im Betrieb stattfinden, in der Einstiegsfrage nach den Eindrücken des Tages: Beispiel (42) - (Chemie.5/w/m) 12:

.h « f > j a ; > sie waren also im amMONlabor wie ich SEH? ( . ) katalysaTOren und s/verfAhrenschemie? (-) wie hat=s ihnen denn geFALlen.

In den ersten Gesprächen des Tages werden die Bewerbenden bei BASF nach ihren besonderen Motiven für eine Bewerbung in einem Chemieunternehmen gefragt: 28

In den Experteninterviews erklärt der Experte Telefon.A, dass er daraus, ob Bewerbende solche Vorgaben berücksichtigen, Schlüsse über deren Auffassungsgabe ziehe. Auch die Expertin Bank. C äußert die Erwartung, dass die Darstellung des Lebenslaufes auf die Gattungsziele zugeschnitten wird: "Offen erzählen über das Leben und dabei natürlich auch bewusst gewisse Sachen ausklammern, von denen er weiß, also das spielt jetzt hier sicherlich keine Rolle. Es gibt ja manche, die erzählen einem so ihre ganze Lebensgeschichte, wo ich manchmal denke, oh, die dritte Scheidung hätten se vielleicht weglassen können."

89 Beispiel (43) - (Chemie.4/w/m) 12: JA;=hh (1) is=jetz=zuerst mal die FRAge, (-) physiker? (-) «p>ne,> ( - ) CHEmische Industrie;=«p>hehe> ( . ) .h wie sind sie denn auf uns geKOMmen; Im Subkorpus Bau spielt der Lebenslauf gegenüber der Berufserfahrung eine untergeordnete Rolle, auch hier wird als Einstiegsfrage nach dem Motiv für die Bewerbung gefragt: Beispiel (44) - (Bau.3/w/m) II: warum wolln sie

( . ) BAUleitung machen; frau hinleih?

Im weiteren Verlauf werden nun die Themen bearbeitet, die in 3.3.1.1 vorgestellt wurden.

Nachspiel Das Nachspiel, das der Gesprächsbeendigung vorgeschaltet sein kann, wird mit SmalltalkThemen ausgestaltet, z.B. über den Abfahrtsweg oder das Wetter. Betrachten wir ein Beispiel: Beispiel (45) - (Bank.6/o/m) 1 B: dann beDANK ich mich. 2 I I : gut. dann bedank ich mich für=s KOMmen, 3 B: hm=hm, 4 I I : h o f f e n t l i c h finden sie ihr auto noch WIEder; aber 5 der gr/[hehehehehehehehe[hehehehehehehehehe 6 B: [hehehehehehehe [DOCH das: GEHT wohl; ich wird 7 nochmal rauf auf=s SCHLOSS; mir das noch ANgucken; 8 [also DIE zeit nehm mir wenn [ich schon mal HIER bin; 9 II: [ · [ j a : gut. 10 I I : (1) freitach ist immer viel LOS. also:=eh: es iss:=eh VIEL 11 los wenn sie richtung berLIN fahren; richtung HAMburg 12 fahren; «p>das iss eh> man muss also RECHTzei/das iss=ne 13 gute zeit j e t z t noch WEGzufahren? wenn sie nachher um 14 FÜNFzehn uhr erst wegfahren dann:? puh «p>hehe> 15 [also JETZT kommen sie noch 19 einigermaßen rAus.> in: alle RICHtungen? [ ( - ) e h : ] 20 B: [hm=hm; ] 21 II: vierzehn f ü n f z e h n sEchzehn uhr iss HART. 22 B: «p>hm=hm. (-) na=gut dann werd [ich->] 23 II: «f>[ist ] HART=eh.> aber ( . ) 24 gut. de/«all>deswegen sind sie ja j e t z t nun einmal in 25 ( N A M E ) ; dann Nutzen sie die zeit man auch, vor allen dingen 26 bei dem WEDder.> (-) so sieht das natürlich noch ganz GUT 27 aus. «p>[aber- (-) es ISS schon->] (-) iss 28 B: [ j a : das hat sich wieder-] 29 I I : DOLL. [ = j a ] 30 B: [ e r f ] r e u l i c h verBESsert. mit regen bin ich noch 31 HERgekommen? so ZWISCHenzeitig? (-) «p>aber [nun> ( - ) ] 32 II: [ j a : ich ]

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B: rlchtung schweRIN wurd=s immer schöner, [ne; das II: «p>[okay> B: lässt doch zu HOFfen [übrig. II: [ < < f > g u t . > (-) vielen DANK? (-) ( ( a n die Linguistin gewandt)) den können sie j e t z t Ausmachen,

Es wird kurz angerissen: Dank (Z.l, 2, 36), Abfahrt und Verkehrssituation (Z. 4ff), Besichtigung einer Sehenswürdigkeit (Z. 6ff) und das Wetter (Z.25ff). Das Thema "Abfahrt" ist ein typisches Smalltalk-Thema für diese Phase. Der gegenseitige Dank für Einladung bzw, die Teilnahme am Gespräch signalisiert schon deutlich die nahe Gesprächsbeendigung; ab hier würde es besonderer Aktivitäten bedürfen, mehr als Smalltalk zu machen. Allerdings haben die Beteiligten das Gespräch bereits mit verschiedenen Ankündigungen diesem Ende zugeführt. Zur Einleitung der Beendigungsphase gegen Ende der Hauptphase tragen auch bestimmte Themen bei, die ausschließlich in dieser Phase auftauchen und als starke "possible pre-closings" (Schegloff/Sacks 1973:304), d.h. als die Gesprächsbeendigung ankündigende Signale fungieren. Dazu gehören Verabredungen über das weitere Vorgehen ebenso wie Formalia und auch die Frage der Interviewenden an Bewerbende "Haben Sie noch Fragen" signalisiert das nahende Ende . Da Bewerbungsgespräche in aller Regel eine vorab festgelegte Dauer haben, richtet sich die Gestaltung einzelner thematischer Abschnitte auch danach, wie viel Zeit zur Verfügung steht. Den Bewerbenden wird dieser Zeitrahmen durchaus nicht immer mitgeteilt; u.U. haben die Interviewenden auch einen Spielraum, den sie ausschöpfen können, wenn sie wollen. Ein Blick auf die Uhr und der Verweis auf den vorgegebenen Zeitrahmen kann das nahe Ende vorbereiten. Beispiel (46) - (Chemie.4/w/m) 12:

(na schön.) (-) «f>okEY. wir sind j e t z t ehm> (-) fast zuENde? ( - ) trotzdem noch=ne kurze FRAge? ( . ) «p>ja, also unsere zeit ist fast ABgelaufen,> {-) ehm (-) was machen sie eigentlich in ihrer FREIzeit.

Ge sprächsbeendigung Wie auch die Gesprächseröffhung kann die Beendigungsphase sehr kurz sein, indem auf den Austausch der Grußformeln die Auflösung des Miteinanders folgt. Sie wird aber auch häufig durch ein Nachspiel ausgedehnt. Zu den routinemäßigen Bestandteilen einer kurzen Gesprächsbeendigung gehört der Austausch gegenseitigen Dankes (für das Gespräch, die Anreise, die Einladung) und die Verabschiedung. Zu bestimmen, wann die Hauptphase in 29

Für die Erkennung von "possible pre-closings" ist eine Berücksichtigung ihrer sequenziellen Position erforderlich, z.B. um "okay" als "pre-closing" von dem "okay" als Bejahung zu unterscheiden: "In brief, utterances of the form 'Well', O.K.', etc., operate as possible pre-closings when placed at the analyzable (once again, TO PARTICIPANTS) end of a topic." (Schegloff/Sacks 1973:305, Hervorhebung der Autoren) Schegloff/Sacks weisen darauf hin, dass bestimmte Themen beendigungsrelevanter sind als andere. Verabredungen allgemein zählen zu den "possible pre-closings" (Schegloff/Sacks 1973:306). Nach Komter leiten auch die Besprechung von Formalitäten wie Gehalt, Urlaubsanspruch usw. zu "disengagement" hin (1991, Kap. 7), Adelswärd (1988:40) beschreibt die Ansprache mit dem Namen in Zusammenhang mit den "pre-closing"-Aktivitäten.

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die Beendigungsphase eintritt, ist schwieriger, als zu bestimmen, wann die Eröffhungsphase abgeschlossen ist und die Hauptphase beginnt. Das liegt u.a. daran, dass die Eröffhungsphase stärker von den Interviewenden allein gesteuert wird. Die Beendigungsphase wird dagegen kooperativer vollzogen, da von beiden Seiten Übereinkunft darüber hergestellt werden muss, dass keine "mentionables" zum "first topic" mehr vorhanden sind. Beispiel (47) - (Sekretariat.2/w/f) 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

II: dann beDANke ich mich für=s gespräch hehe B: ( h ) i c h (h)AUCH ( - ) ( h ) d a n k e ; L: tschüß II: tschüß; bis morgen hehe B: ja, II: ( - ) FINden sie: ( - ) raus? ( . ) j a ? B: GRADaus denk ich ne? II: ( w a s ? ) ( - ) j a . gut: ( - ) tschüß B: ( d a n n ) wünsch ich ihnen noch nen schönen TACH II: (-) danke E B E N f a l l s : ( ( I I schließt die T ü r ) )

Diese Gesprächsbeendigung beinhaltet in schöner Symmetrie von Nachbarschaftpaaren den gegenseitigen Dank (Z. l und 2), Verabschiedungsformeln (Z. 3 und 4) und gute Wünsche (Z. 9 und 10). Die Kontextualisiemng von Phasenwechseln hängt, wie wir gesehen haben, eng mit Themenwechseln zusammen, umgekehrt führt aber nicht jeder Themenwechsel zu einem Phasenwechsel. Die Gesprächssteuerung kann aber auf noch feineren Schichten untersucht werden, so z.B. bei der Themenorganisation. (Zur Themakonstitution und Gesprächsorganisation in einer anderen Gattung, dem Therapiegespräch, vgl. Dittmar (1988)). Welche typischen Aktivitäten Interaktanten im Bewerbungsgespräch auf der Ebene der Themenorganisation verwenden, soll im folgenden dargestellt werden.

3.3.2.2 Gesprächssteuerung im Bewerbungsgespräch Anders als Alltagsgespräche, wie z.B. Unterhaltungen auf der Parkbank oder beim Abendbrot, sind Bewerbungsgespräche durch das gehäufte Vorkommen von expliziten Themenwechseln charakterisiert, wie Komter feststellt: „the material on tape reveals an extreme explicitness of other kinds of business, especially at points of transition between one phase of the interview and the next" (Komter 1991:37). In Bezug auf Themen wird bei Bewerbungsgesprächen und Interviews im Allgemeinen von "topical dominance" der Interviewenden gesprochen (Adelswärd 1988:32; Akinnaso/Seabrook Ajirotutu 1982:121). Diese akzentuiert sich in überraschend deutlicher Weise lokal in der gesprächsorganisatorischen Arbeitsteilung beim Themenmanagement: Während der/die Interviewende das Gespräch strukturiert, d.h. eröffnet, beendet und Themen einführt, besteht die konversationeile Pflicht (bzw. das Recht) der Bewerbenden in der Ausgestaltung dieser Themen. Das typische Merkmal der Gattung "Bewerbungsgespräch", die Explizitheit, mit der Interviewende die Gesprächssteuerung vornehmen, zeigt sich, wie schon Komter im obigen Zitat feststellt, an den Übergängen, und zwar nicht nur bei Phasenwechseln, sondern bei Themenwechseln allgemein. Im Unterschied zu Alltagskonversationen, die sich stärker

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durch ein unmerkliches thematisches Gleiten auszeichnen, werden thematische Schritte in Bewerbungsgesprächen mit großer Deutlichkeit markiert. Ein wesentlicher Teil der Gesprächssteuerung in Bewerbungsgesprächen kann über Verfahren der Themenorganisation erfasst werden, die bereits ausführlich untersucht wurden. In ihrer einschlägigen Arbeit "Opening up Closings" untersuchen Schegloff/Sacks (1973) im Zusammenhang mit Gesprächsbeendigungen Aktivitäten, die Themen abgrenzen, die sog. topic bounding activities. Bei der Abgrenzung thematischer Einheiten, die u.a. der Orientierung der Beteiligten darüber dient, was sie gerade miteinander tun und an welcher Stelle im Gesprächsablaufsie sich augenblicklich befinden (vgl. a. Komter 1991:48), spielen "possible pre-closings" die zentrale Rolle. Deren wichtigste Funktion besteht in der Möglichkeit, die Ratifizierung der Beendigung zu verweigern und weitere thematische Beiträge einzubringen. Sie eröffnen eine strukturelle Anschlussmöglichkeit für weiteren "topic talk", ohne selber thematisch dazu beizutragen: Possible pre-closings [...] occupy the floor for a speaker's turn without using it to produce either a topically coherent utterance or initiation of a new topic. (Schegloff/Sacks 1973:304)

An jeder Stelle des Gesprächs - selbst in Gesprächsbeendigungen - gibt es die Option zur Wiederaufnahme von "topic talk". Dabei entstehende Brüche im Anschluss können dann mit "misplacement markers" (Schegloff/Sacks 1973:319) geglättet werden, wie z.B. "ach, was ich noch fragen wollte" o.a. Themenabgrenzung ist nicht obligatorisch: "Not all topics have an analyzable end. One procedure whereby talk moves off a topic might be called 'topic shading'" (Schegloff/ Sacks 1973:306f). Es lassen sich demnach zwei Arten thematischer Bewegungen unterscheiden: das Abgrenzen von Themen durch "topic boundary activities" oder das Gleiten von Thema zu Thema ohne deutliche Markierung, das "topic shading". (Dem entspricht wenn auch nicht terminologisch - Adelswärds Unterscheidung "topic glides" vs. "topic shifts" (1988:55ff)). Ein zentrales Anliegen bei der Thema-Analyse ist das Erkennen von Grenzen thematischer Abschnitte; das wird in Bewerbungsgesprächen gegenüber Alltagsgesprächen durch ein hohes Maß an Explizitheit und Strukturierung auch und gerade im Bereich der Themenorganisation begünstigt. Adelswärd nennt folgende Mittel, mit denen Interviewer das Phasen- und Themenmanagement steuern: Metakommentare, Pausen, prosodische Merkmale und Ansprache mit dem Namen (1988:33f). Komter spricht von "transition devices" (u.a. der Namensnennung), führt diese aber nicht weiter aus. Sie nennt nur "okay" als einen "transition marker" (1991:60). Im folgenden sollen zentrale Verfahren der Themenabgrenzung in den Bewerbungsgesprächen vorgestellt werden. Die Untersuchung unseres Datenkorpus ergab folgende Verfahren und Mittel der Gesprächssteuerung: Gliederungssignale, Prosodie, Pausen und metadiskursive Formulierungen. Eine besondere Rolle spielen Fragen, die abschließend betrachtet werden.

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Gliederungssignale, Prosodie und Pausen Gliederungssignale zeichnen sich nach Gülich (1970) dadurch aus, dass sie nicht vorrangig neue, thematisch relevante Informationen beisteuern, sondern den Gesprächsverlauf strukturieren; ihre Bedeutung ist also eher funktional als semantisch. Im folgenden Beispiel kommen in der Einstiegsfrage einige typische Gliederungssignale vor. Beispiel (48) - (Bank.2/o/f) II: B: II:

( 2 ) « f > o k a y . > ( 0 . 5 ) « f > j a . > f r a u TÖPfer. dann? ( - ) schaun=wir=mal? dann: [ ( - ) eh (-) FANgen wir einfach mal [hm=hm? an? indem SIE uns=n bisschen erzählen was sie so bislank; eh geMACHT haben?

(-)

Wir finden ein mit erhöhter Lautstärke artikuliertes okay, gerahmt von Pausen mit einer Länge von zwei Sekunden und einer halben Sekunde. "Okay" ist ein von allen Interviewenden in den Bewerbungsgesprächen sehr häufig verwendetes Gliederungssignal. Neben seiner (hier primären) strukturierenden Funktionen hat "okay" (wie auch "gut" u.a.) eine evaluierende Semantik, die der gattungsspezifischen Intervieweraufgabe des Bewertens entspricht. Das laut artikulierte ja mit finaler Intonation hat hier ebenfalls weniger eine semantische als eine strukturierende Funktion. Neben der Namensnennung, die schon Adelswärd (1988:33) als ein Mittel der Themaorganisation in Bewerbungsgesprächen beschreibt, und dem prospektiven schaun=wir -mal finden wir eine metadiskursive Formulierung FANgen wir einfach mal an (s.u.). Gliederungssignale als Strukturierungsmittel treten häufig in Kombination mit prosodischen Merkmalen auf wie Lautstärkeveränderungen und Pausen, die einen Kontrast hervorrufen. Im folgenden Beispiel äußert der Interviewer ein lautes okay, nach einer Sekunde ein gut auf Normalniveau und an den Kommentar über den Zeitrahmen schließt sich ein durch einsekündige Pausen gerahmtes, lautes ja an, auf das eine metadiskursive Formulierung folgt, die einen Themawechsel einleitet. Beispiel (49) - (Chemie.5/w/m) B: 12:

ich denke so mit (.) im laufe der ZEIT; (-) werd ich schon: (-) «dim>wahrscheinlich mehr LUST bekommen; auch noch MEHR Verantwortung zu übernehmen.> « f > o k A Y . > (1) g u t . «p>was sacht denn die UHR; {-) naJA. ein bisschen zeit HAM wir noch;> ehm (1) « f > j a . > (1) j e t z t ham sie ja schon=ne menge FRAgen beantwortet ne, (-} ( ( e s folgt Übergabe des Fragerechts an B . ) )

"Die Gliederungssignale gehören zweifellos zu diesen Sprachmitteln, die über den Satz hinausweisen und deren Leistung nur aus der Rede verstanden werden kann, d.h. aus der kommunikativen Verwendung von Sprache in einem situativen Kontext." (Gülich 1970:16). Eine Definition von Gliederungssignalen nach Gülich gibt Rath (1985:1658): "Der Sprecher portioniert seinen Text mit Hilfe sogenannter Gliederungssignale. Darunter sind sprecherische (Intonation und Pausen) und sprachliche (lexikalisch-syntaktische) Mittel zu verstehen: Stimmsenkung, Stimmerhöhung; längere und kürzere (auch gefüllte) Pausen; Gliederungspartikel wie 'ja? nicht? nicht wahr? und, und so weiter'; syntaktische Formeln wie 'ich meine, ich glaube, verstehst du, ich würde sagen'."

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Interviewer/innen unterscheiden sich durchaus hinsichtlich des Einsatzes dieser Verfahren. Adelswärd beschreibt beispielsweise den ideosynkratischen Gebrauch des schwedischen Diskursmarkers "hörredu" als einen typischen Themenwechselmarker durch einen der beteiligten Interviewenden. Aber wenn sich auch die Mittel von Person zu Person unterscheiden mögen, so zeichnen sich doch alle Bewerbungsgespräche durch die hohen Vorkommen expliziter Themenbegrenzungen aus. Dazu tragen auch themenwechselbegleitende metadiskursive Formulierungen bei.

Metadiskursive Formulierungen s 33

Der Begriff der "Formulierung" (formulation) geht auf Garfinkel/Sacks (1970) zurück. Sie beschreiben damit einen Reparaturmechanismus für die unauflösliche Indexikalität von Sprache, indem Sprecher "saying-in-so-many-words-what-we-are-doing (or what we are talking about, or who is talking, or who we are, or where we are" (1970:351). Formulierungen sind explizite Kontextualisierungen , die die Beteiligten zur wechselseitigen Orientierung verwenden, die aber ebenso einen analytischen Zugang eröffnen. Heritage/Watson (1979; 1980) haben Typen von Formulierungen untersucht, die das Wesentliche einer Unterhaltung oder eines thematischen Abschnittes resümieren. Das folgende Beispiel für eine resümierende Formulierung stammt aus einem Radiointerview mit der "slimmer of the year", die zuvor den Krisenzustand geschildert hatte, in den sie wegen ihres Übergewichts kurz vor Beginn der Schlankheitskur geraten war. Der Interviewer resümiert zusammenfassend das bisher Gesagte in der Formulierung: "You really were prepared to commit suicide because you were a big fatty." (Heritage/Watson 1979:132). In dem Beispiel aus einem Bewerbungsgespräch finden wir gleich zwei Formulierungen: I: (also) kann ich für mich FESThalten, dass sie ERST (.) versuchen zu schlichten. Zum einen spiegelt sich in der Formulierung des Interviewers "für mich festhalten" der typische Bestandteil von Bewerbungsgesprächen wider, dass Interviewer Informationen protokollartig erfassen, die sie als Grundlage für eine Beurteilung verwenden. Im zweiten Teil findet sich eine resümierende Formulierung dessen, was die Bewerberin zuvor geschildert hatte (ERST versuchen zu schlichten).

Garfinkel/Sacks definieren den Begriff der "formulation" folgendermaßen "A member may treat some part of the conversation as an occasion to describe that conversation, to explain it, or to characterize it, or furnish the gist of it, or take note of its accordance with rules, or remark on its departure from rules. That is to say, a member may use some part of the conversation as an occasion to formulate the conversation." (Garfmkel/Sacks 1970:350). Schmitt (1993:344) spricht von Kontextualisierungen zweiter Ordnung (alternierend mit expliziten bzw. manifesten Kontextualisierungen), in Abgrenzung zu den nicht-referentiellen, nichtlexikalischen Kontextualisierungshinweisen in der Tradition von Gumperz (vgl. Kap. l). Uhmann warnt aufgrund der häufig zu beobachtenden Inkongruenz zwischen expliziter Kontextualisierung durch ein performatives Verb und der vollzogenen sprachlichen Handlung zur Vorsicht vor vorschneller Gleichsetzung (1989:139ff). Berücksichtigt man die sequenzielle Position solch etikettierender Deutungen, die das Prinzip der Reflexivität zu unterlaufen scheinen, so stellt man fest, dass es sich um "Erste Fragen" handelt, die an der Herstellung eines Kontextwechsels von Smalltalk auf das eigentliche Interview beteiligt sind.

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Formulierungen lenken die Aufmerksamkeit auf die konversationeile Ordnung und thematisieren die Gesprächsaktivität. Insofern Formulierungen das Verständnis des Formulierenden von einem vorangegangenen oder einem zukünftigen Teil der Konversation spiegeln, spielen sie eine große Rolle bei der Verständnissicherung. Beispielsweise via Paraphrasen und Reformulierungen leisten sie eine momentane Fixierung des Status quo geteilten Wissens. Neben dieser eher semantischen Funktion spielen Formulierungen eine Rolle bei der Gesprächssteuerung. Sie haben Scharnierfunktion und sind Bestandteil des "interactional cement" (Heritage/Watson 1979:148), der Gespräche im Innern zusammenhält. Das gilt besonders für metadiskursive Formulierungen, die wir im folgenden auf ihre Rolle bei der Themenorganisation untersuchen wollen. Als metadiskursive Formulierungen sollen Äußerungen bezeichnet werden, die eine Gesprächsaktivität explizit machen und in denen gewissermaßen aus einer Metaperspektive ein Themenwechsel, ein Phasenwechsel, das Fragenstellen o.a. "in so und so vielen Worten" verbalisiert werden. Typische metadiskursive Formulierungen finden wir z.B. beim Übergang der Eröffnungsphase zur Hauptphase, dem eigentlichen Bewerbungsgespräch. Auch wenn man sich schon vor geraumer Zeit versammelt hat, sprechen Interviewende hier häufig von "anfangen": Beispiel (50) - (Sekretariat, l/o/f) {vorher Raumwechsel und Einverständnis zur Aufzeichnung} 1 I: ALles k l a r . { . ) (also) (-} KÜMmern wir uns gar nicht 2 drum, ( h ) [ = ( h ) 3 B: [ N E E , (-} geNAU. 4 L: «p>hehe> 5 I: okay; (-) fangen wir einfach mal AN? (-) mein name ist 6 MEIerling, das/ (.) wir hatten ja schon telefoNIERT, 7 [mit=nander, [ n i c h ? ( . ) ich br/ mach hier die h ( . ) 8 B: [genau. [hm=hm, 9 I: persoNALabteilung in der firma;

In dem bereits bekannten Beispiel erscheint die Formulierung fangen wir einfach mal AN? (Z. 5) nach der Begrüßung, nachdem man den Raum gewechselt hatte und das Einverständnis zur Datenaufhahme verhandelt wurde, kurz: ein Anfang also strenggenommen bereits gemacht war. Ebenso geläufig sind retrospektive metadiskursive Formulierungen. In Beispiel (60) schließt die Interviewerin mit der Kommentierung eines thematischen Wechsels den Befragungsteil ab und geht zur Beschreibung des Arbeitsplatzes über: Beispiel (60) - (Sekretariat.4/o/f) 12:

«p> ja. das war=n erst mal so> (1) MEIne f r a g e n , ehm vielleicht nochmal so ( . ) ehm zur/ ne kurzbeschreibung; eh des Stellenprofils;

In metadiskursiven Formulierungen kann die thematische Progression expressis verbis formuliert werden. Diese Aktivitäten spiegeln das Bedürfnis der Sprechenden, thematische Kohärenz her- bzw. sicherzustellen. Beispiel (61) - (Bank.5/o/f) II:

im ih ka be beREICH, (1) das harn sie auch ( . ) geHÖRT. (-) um j e t z t ( . ) a u f n e ( . ) ü b e r / ( . ) ne ÜBERleitung ha/ z u HAben, ( . ) auf das NÄCHste thema? { . ) nämlich ih ka be Ausbildung.

96 ( 1 , 7 ) .h sie ham (.) von frau (-) ASmussen und RALFsen; (-) ja auch geHÖRT; (-) WAS die ih ka be ausbildung (-) b e t r i f f t ;

Differenziert man zwischen Phasenwechseln (die gleichzeitig immer Themenwechsel sind) und kleinräumigeren Themenwechseln, so stellt man fest, dass metadiskursive Formulierungen vor allem bei Phasenwechseln auftauchen. Gliederungssignale und/oder prosodische Phänomene allein kommen dagegen häufiger bei Themenwechseln vor. Eine wichtige Funktion metadiskursiver Formulierungen liegt in der Orientierung der Beteiligten über den Stand der Interaktion. Aufgrund der einseitig bei Interviewenden liegenden Verantwortlichkeit für die Gesprächssteuerung sind Bewerbende auf explizites Themenmanagement angewiesen.

Arbeitsteilige Gesprächssteuerung Über die grundsätzliche Asymmetrie der Verteilung der konversationellen Aufgaben zwischen Bewerbenden und Interviewenden herrscht Einvernehmen in allen einschlägigen Arbeiten zu Bewerbungsgesprächen. Die Einflussmöglichkeiten der Bewerbenden bei der Gesprächssteuerung werden sehr unterschiedlich bewertet; sie sollten jedoch nicht unterschätzt werden. Bewerbende haben nicht nur die Pflicht, die eingeführten Themen aufzugreifen und auszubauen, sondern es bietet sich Ihnen auch die Chance, die Einführung von Unterthemen initiativ zu gestalten. Das hat vor allem die Untersuchung von Adelswärd gezeigt, die darüber hinaus auch sehr deutlich machen konnte, dass einige Bewerbende ihre Chancen besser zu nutzen wissen als andere. Wie die Arbeitsteilung bei der Gesprächssteuerung genau aussieht, wollen wir uns im folgenden ansehen. Wenden wir uns erneut den Formulierungen zu, um ihre Rolle bei der Themenorganisation genauer zu betrachten. Zunächst ist es notwendig, eine grundsätzliche Unterscheidung einzuführen: die Differenzierung zwischen Fremd- und Selbstformulierungen, d.h. ob ein Sprecher seine eigene Gesprächsaktivitäten oder die anderer Beteiligter formuliert. In diesem Sinne verbindet das zitierte Beispiel (also) kann ich für mich FESThalten, dass sie ERST (.) versuchen zu schlichten eine metadiskursive Selbstformulierung und eine resümierende Fremdformulierung. Fremdformulierungen haben sequenzielle Implikationen. Heritage/Watson (1979) beschreiben das Nachbarschaftspaar "Fremdformulierung" und "Entscheidung" (decision) über Zustimmung oder Ablehnung, aus dem sich eine Präferenzstruktur ableiten lässt: Resümierende Fremdformulierungen wirken wie "Bewertungen" und haben als erste Teile von Nachbarschaftspaaren eine Präferenzstruktur für Übereinstimmung. Fremdformulierungen wirken bei der Themenbeendigung mit, insofern sie eine "Lesart" des bisher Gesagten spiegeln, und da sie eine zweite Bewertung bzw. eine Ratifizierung relevant setzen, eröffnen sie die systematische Möglichkeit, diese Lesart zu modifizieren, zu korrigieren oder zu ratifizieren. Heritage/Watson weisen sogar darauf hin, dass "the

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Zum Präferenzsystem für "Übereinstimmung/Nichtübereinstimmung" vgl. a. Kap. 6. Uhmann beschreibt resümierende Verfahren von Interviewten als „Wiederholungen", wie sie auch in unserem Korpus vorkommen, die sie als Angebote der Interviewten an die gesprächsleitenden Interviewer analysiert, das Thema zu beenden (1989:156).

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failure of a formulation may recycle entire sections of topical talk as matters now mentionable 'for another first time'" (1979:152). Heritage/Watson bemerken femer, dass das Recht, zusammenfassende Formulierungen ("summary assessments") vorzunehmen und damit die Gesprächsbeendigung einzuleiten, in institutionellen Settings bestimmten Beteiligungsrollen wie denen von Richtern, Vorsitzenden u.a. vorbehalten ist (1980:150, vgl. a. Thomas 1985:773). In Bewerbungsgesprächen sind es die Interviewenden, die Fremdformulierungen vornehmen bzw. Gesprächs- oder Phasenbeendigungen einleiten. Bewerbende dagegen beteiligen sich via Selbstformulierungen an der Steuerung kleinräumiger thematischer Abschnitte. Das wird am nächsten Beispiel deutlich: Beispiel (62) - (Telefon, l /w/f) B: II: B: II: B:

also mir war=s dann dOch ( . ) so nach=m JAHR? (-) zu LANG? «p>hm=nm,> «p>nur zuHAUse zu bleiben. (-) j a ; > (-) SONST [gibt=s] über [gut. ] mich nichts ( h ) z u (h)sagen ((gemeinsames l a c h e n ) )

Mit der Selbstformulierung SONST gibt=s über mich nichts (h)zu (h)sagen schließt die Bewerberin das biographische Narrativ ab. Solche resümierenden Selbstformulierungen wirken als "pre-closings" an redeübergaberelevanten Stellen, sie setzen eine Abschlussmarkierung und sind insofern ein wichtiger Bestandteil der arbeitsteiligen Gesprächssteuerung. Die Bewerberin kündigt an, dass sie zu dem Thema/zu der Frage genug gesagt hat und gibt damit demonstrativ das Rederecht - und mehr noch: die Gesprächssteuerung - an den Interviewer zurück. Ähnliche Formulierungen haben wir vor allem in den Gesprächen mit eher monologischen biographischen Narrativen, die nicht schon unmerklich in eine Befragung durch die Interviewenden geglitten sind. Beispiel (63) - (Sekretariat, l/o/f) B:

und (-) ja j E t z t bin ich HIER, soweit mein LEbenslauf.

Beispiel (64) - (Telefon.4/o/f) B: 12: B:

also ANderthalb jähr war ich zu HAUse bevor ich Übergesiedelt (bin). (3) hm=hm, «p>das WAR=s eigentlich so kUrz, ich WEISS nich ob ihnen das REICHT, hehe>

Beispiel (65) - (Telefon.2/o/f) B:

II:

« f > j a ; das WAR=s eigentliche (1) bis ende sepTEMber bin ich wie jesacht noch bei (NAme), (1) un=wenn sich da nichts ändern SOLlte, .h (-) «dim>läuft dieser vertrag eigentlich zum (-) «p>dreißigsten AUS.> «p>hm=hm?>

B:

«p>ja;>

Beispiel (66) - (Archiv.2/o/m) B: (1) ja und dArauf hab ich mich beWORben. (-) um es ziemlich KURZ zu sagen.

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Gesprächssteuerung in Bewerbungsgesprächen ist ein kooperatives, wenn auch arbeitsteiliges Unterfangen. Haben sie aus ihrer Sicht alles Relevante gesagt, signalisieren Bewerbende den Interviewenden den Abschluss ihres Beitrags und die Rückgabe des Turns.

Gesprächssteuerung und Fragen Das wichtigste Mittel zur Gesprächssteuerung in Bewerbungsgesprächen sind Fragen: "The interview overwhelmingly consists of talk that is organized into a series of questions and answers" (Button 1992:214). Mit Fragen führen Interviewende neue Themen ein, die die Bewerbenden aufgreifen und ausbauen müssen. Die Einflussmöglichkeiten der Bewerbenden liegen also vor allem kleinräumig im Bereich der Ausgestaltung der Antworten. Das entspricht auch u.a. Adelswärds Ergebnissen: "The interviewers have to manage the global planning, the applicants the smooth running of the local coherence machinery [...]." (Adelswärd 1988:65) Fragen als "Erste Teile" (first pair parts) eines Nachbarschaftspaares etablieren die konditionelle Relevanz einer Antwort. Da Interviewende ein nahezu uneingeschränktes Recht haben, Fragen zu stellen, zeigt und etabliert sich hier die gesprächsorganisatorische Asymmetrie der Gattung in besonders deutlicher Weise: "Perhaps the interviewer's greatest weapon is the legitimate responsibility for asking questions designed to elicit responses by which the interviewee will be evaluated" (Akinnaso/Seabrook Ajirotutu 1982:121). Eine zentrale Aufgabe für Bewerbende im Bewerbungsgespräch besteht im adäquaten Umgang mit Interviewfragen: "Questions from the interviewers work as prompters, giving an open cue to the applicant, meaning 'talk about this topic adequately'."(Adelswärd 1988: 84). In diesem Sinne argumentiert auch Schilling: "Die Entscheidungsfrage des Agenten, ob der Bewerber sich schon einmal in einer bestimmten Situation befand, hat im Bewerbungsgespräch die illokutive Kraft einer Aufforderung, eine konkrete Situation und ihr Verhalten in ihr zu schildern. Eine einfache Bestätigung ist unangemessen." (1997:159). Das Erkennen einer Äußerung als "Frage" ist dabei die notwendige Voraussetzung für eine im Rahmen der Gattung angemessene Antwort. Neben den üblichen Frageformaten mit Fragesyntax oder W-Fragen, die grammatisch eindeutig als Fragen identifizierbar sind, finden wir in Bewerbungsgesprächen sehr häufig weniger eindeutige Formate, die aber pragmatisch ebenso eine Antwort konditionell relevant setzen (was zu erkennen den Bewerbenden in aller Regel keine Probleme bereitet). Besonders in den Befragungsphasen elizitieren Interviewende Antworten mit Äußerungen, die formal nicht als Fragen erscheinen. In der Literatur wird u.a. näher auf Statements eingegangen: "If the interviewer makes a statement about an applicant event, this is a request for elaboration." (Adelswärd 1988:66). Die sequenzielle Position ist von entscheidender Bedeutung. Eröffnet ein Statement einen thematischen Abschnitt, hat es die pragmatische Implikation, zu längeren Ausführungen aufzufordern. Steht es am Ende, handelt es sich dagegen um ein "preclosing", dass zur Ratifizierung der Themenbeendigung auffordert. Gattungswissen um diese besonderen pragmatischen Bedingungen spielt hier eine Rolle wie auch bei dem Problem, das bereits in Zusammenhang mit der "Versteckten Agenda" angesprochen wurde: das Dechiffrieren einer verborgenen Intentionaliät von Interviewerfragen (vgl. a. Punkt 3.2.1.5).

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Betrachten wir nun die bislang vorgestellten Verfahren der Themenorganisation exemplarisch an einem längeren Ausschnitt.

Beispiel (67) - (Telefon, l/o/f) 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 32 34 35

B: II: B: II: B: II:

13: 12: B: II:

B: II: B: II: B: II: B:

II: B: II: B: II: B: II:

B: II:

also mir war=s dann dOch (.) so nach=m JAHR? (-) zu LANG? «p>hm=hm, > «p>nur zuHAUse zu bleiben. (-) j a ; > (-) SONST [gibt=s] [gut. ] über mich nichts ( h ) z u ( h ) s a g e n ((gemeinsames l a c h e n ) ) ( ich werd) noch=en bisschen R E I N f r a g e n , ((gemeinsames l a c h e n ) ) j e t z t , sie harn ( m i r ) nen bisschen FUTter j e t z t [gegeben, (-) ich FANge (.) ganz vorne an, [hehehehehehe [hehehehehehe [hehehehehehe (-) ehm (-) wenn sie nochmal so an die SCHUle z u r ü c k d e n k e n . (-) glbt=s da (-) IRgendjemanden (-) der sie beEINdruckt hat? ( . ) als lEhrer? (1) mein KUNSTlehrer. [hehehehehehehehehehehehehehehehehehe] [hehe was WAR denn an dem so toll; ] .h (1) eh RUhig? «p>hm=hm, > Ausgeglichen? «p>hm=hm, > ehm (1) hm=ja und (1) es war=n MANN? (-) wenn der was geSAGT hat? (-) hehe dann (-) er hat WEnig gesagt, als [MENSCH; aber WENN er was gesagt hat hatte man das [hm=hm, geFÜHL das h a t t e hand und fuß (h)irgendwie hehe «p>hm=hm, > (-) das SCHÄTzen sie. (-) j a . = =«p>hm=hm, > «p>hehe>= =«p>hehe (-) o k a y . > (-) ich schreibe immer son=bisschen M I T . damit wir (-) dann hinterher das (hier so=nen bisschen) [ABgleichen können, (1) okay. (-) wie ging=s [«p>hm=hm, W E I t e r . so in=ner SCHUle.

Hier wird das arbeitsteilige Zusammenspiel von Aktivitäten des Interviewers mit denen der Bewerberin besonders deutlich. Der Ausschnitt beginnt mit dem Ende des biographischen Narrativs. Mit der metadiskursiven Selbstformulierung SONST gibt=s über mich nichts (h)zu (h)sagen (Z. 3, 5) kündigt die Bewerberin an, dass sie zu einem thematischen Ende gekommen ist und das Rederecht an den Interviewer zurückgibt. II kommentiert seine Gesprächsaktivität ebenfalls metadiskursiv und kündigt den weiteren Verlauf an: ich werd noch=en bisschen REINfragen, ((gemeinsames lachen)) jetzt, sie ham (mir) nen bisschen FUTter jetzt gegeben, (-) ich FANge (.) ganz vorne an, (Z. 7ff). Nun folgt eine Frage, wie sie für ein Bewerbungsgespräch typisch ist: Die Themaeröffnung beginnt mit dem Entwurf einer Szenerie (wenn sie nochmal so an die SCHUle zurückdenken, Z. 13f). Nach einer Vorlauffrage (Z. 14f) und der kurzen Antwort folgt die

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Frage (was WAR denn an dem so toll, Z. 18), die von der Bewerberin ausführlicher beantwortet wird (Z. 19-27). Im nächsten Turn schließt sich formal gesehen ein Statement an. Strukturell handelt es sich um eine Fremdformulierung des Interviewers: das SCHÄTzen sie (Z. 28), die sequenziell zwei Anschlussmöglichkeiten eröffnet. Sie ermöglicht entweder das Einbringen weiterer "mentionables" (Schegloff/Sacks 1973:305) oder macht eine Ratifizierung relevant. Die Bewerberin ratifiziert mit ja (Z. 29). Der Interviewer wiederum ratifiziert die Ratifizierung, womit er einen thematischen Neuanfang weiterhin verzögert. Das Lachen der Bewerberin anstelle einer thematisch relevanten Äußerung - signalisiert erneut eindeutig ihren Verzicht auf weitere thematische Beiträge. Ihr kurzes Auflachen wird vom Interviewer erwidert, der anschließend mit dem Gliederungssignal okay (Z. 32), begleitet von Lautstärkeveränderungen und gerahmt von Pausen den Abschluss des thematischen Abschnitts vollzieht und zur nächsten Frage übergeht. Der Ausschnitt illustriert, dass Bewerberin und Interviewer gemeinsam die Gesprächssteuerung vollziehen; wenn auch in einer komplementären Arbeitsteilung. Die Bewerberin "bedient" die Fragen des Interviewers und signalisiert durch die Selbstformulierungen, wann sie diese Aufgabe als abgeschlossen betrachtet. Damit überlässt sie es dem Interviewer, die Gesprächssteuerung wieder aufzunehmen. Der Interviewer wiederum verschafft ihr in den Ratifizierungsrunden systematische Möglichkeiten zur Expansion. Fragen zu stellen ist die gattungsspezifische, kategoriengebundene Hauptaufgabe von Interviewenden in Bewerbungsgesprächen. Doch auch Bewerbende stellen Fragen, allerdings geschieht das - abgesehen von vereinzelten klärenden Nachfragen - in der überwiegenden Zahl der Fälle erst nach expliziter Zuweisung des Fragerechts durch Interviewende. Beispiel (68) - (Sekretariat.5/o/f) 12:

harn SIE denn fragen; so was die/ die TÄtigkeit die AUFgaben ( . ) anbelangt?

Häufig wird bei der Übergabe des Fragerechts ein prosodischer Kontrast markiert zwischen der Tatsache, dass vorher vor allem Unternehmensvertreter gefragt haben und nun der/die Bewerbende das Fragerecht bekommt. So auch im folgenden Beispiel: Beispiel (69) - (Telefon. 1/w/f) 12: II:

« f > g u t . > (-) noch jemand ne FRAge, ( ( a n 12 und 13 g e w a n d t ) ) ( ( = > B . ) ) vielleicht harn S I E noch fragen

Die sequentielle Hierarchie der Gesprächsrechte wird in Beispiel (69) sehr deutlich: Erst werden alle anwesenden Interviewenden zu letzten "mentionables" aufgefordert und dann wird das Fragerecht an die Bewerberin weitergegeben. Bei Anwesenheit von mehreren Interviewenden haben nicht alle das gleiche Recht auf Tumübernahme, was sich darin zeigt, dass ihnen das Wort vom Gesprächsleiter häufig explizit zugewiesen wird. Damit verbunden ist in der Regel auch ein Themenwechsel, wie im folgenden Beispiel: Beispiel (70) - (Telefon. 1/w/f) II: 12: II:

«p>okay;> (3) ( ( I l = > 1 2 ) ) [ g u t . ] ( - ) ja [hehe]

[sie sind j e t z t ] AUCH mal dran, [] ( - ) wir harn j e t z t ganz aufmerk[sam geLAUSCHT,] [DANke erstmal ]

101 B: II:

he[hehehehehehe [ f ü r den ersten teil,

Eine andere Form des Aufrufens von "last mentionables" in Bewerbungsgesprächen ist die folgende Frage: Beispiel (71) - (Chemie. 5/w/m) 12:

B: 12:

«f>GIBT=s denn irgendetwas. (-) was sie mir gerne erZÄHlen wollten, aber bisher noch nicht erzählt HAben;> (D also (-) SIE harn ja vorhin gesagt- {-) es gibt ja ein=n bestim/ (-) die LEUte harn schon einen gewissen "(-) EINdruck von ihnen. (-} [ne, (-) harn sie sich (-) SO präsentieren [ja, können wie sie gerne WOLlten?=oder FEHLT noch irgendwas. (-) wo sie glauben was noch WICHtig is; was vielleicht nicht Rübergekommen ( i s ) .

Hier werden keine "letzten Fragen" gefordert, sondern dem Bewerber die Möglichkeit gegeben, seine Selbstdarstellung zu ergänzen. Darüber hinaus wird "metakommentiert", dass der Bewerber - ohne eine Schuldzuweisung dabei zu insinuieren - nicht die Gelegenheit gehabt haben könnte, alle für die Selbstdarstellung relevanten Informationen einzubringen. Interviewende betonen zwar immer, dass es ein obligatorischer Bestandteil von Bewerbungsgesprächen sei, Bewerbende zum Fragen aufzufordern, tatsächlich kommt es oft nicht dazu. Die Übergabe des Fragerechts an Bewerbende taucht häufig gegen Ende des Bewerbungsgesprächs auf, sie ist schon ein deutliches "pre-closing signal". Der weitere Verlauf des Beispiels (71) zeigt die sehr ausgedehnten Gesprächsbeendigungsaktivitäten der Beteiligten. Nachdem der Bewerber angibt, keine "last mentionables" mehr zu haben, wird die Gesprächsbeendigung in drei Runden ratifiziert: Beispiel (72) - (Fortsetzung Chemie.5/w/m) 12: harn sie sich {-) SO präsentieren können wie sie gerne WOLlten?=oder FEHLT noch irgendwas. (-) wo sie glauben was noch WICHtig is; was vielleicht nicht Rübergekommen ( i s ) . B: nein ich glAub ich hab schon die wichtigsten geSAGT. 12: (1) ja? B: « p > j a . > 12: (1) « t > j a ; dann machen wer SCHLUSS.> (-) oder? (-) ne? (-) hehehe B: ((h)ja) 12: «f>okEY. (-) ja. (-) ich hab ihnen gesagt wie=s also WEItergeht?>

l.Ratifizierung 2.Ratifizierung 3.Ratifizierung Annahme

Darauf folgt ein kleines "Nachspiel" und die Begegnung wird aufgelöst. Nachdem wir uns mit der Rolle von Fragen bei der Gesprächssteuerung beschäftigt haben, soll es im folgenden um binnenstrukturelle Verfestigungen gehen.

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3.4 Die Binnenstruktur Die Binnenstruktur ist mit einer linguistischen Mikroanalyse zu untersuchen, mit der verbale und prosodische Merkmale gesprochener Sprache erfasst werden. Sie wird durch eine typisierte Selektion aus dem Material des kommunikativen Codes gekennzeichnet. Die Darstellung binnenstruktureller Merkmale wird sich auf zwei zentrale Aspekte beschränken: 1. Schlüsselwörter und Topoi der Gattung und 2. formeller Stil.

3.4.1 Schlüsselwörter und Topoi Gattungstypische Verfestigungen auf der Ebene rhetorischer Figuren zeigen sich nicht nur in den bereits erwähnten Formulierungen, mit denen die Beteiligten ihre Ziele fremd- und selbstformulieren: "kennen lernen", "sich verkaufen" etc. (vgl. 3.2.1.2). Auch in den Antworten auf "typische Fragen" lassen sich gattungsstypische Schlüsselwörter ausmachen: "Spaß", aber auch "Interesse", "Herausforderung" und "Reiz", d.h. positive Aussagen von Bewerbenden über die Arbeitsmotivation, sind zentrale Schlüsselbegriffe der Gattung (Auer/Birkner/Kern 1997a). Man wird auf Kandidaten für die Kategorie "Schlüsselwörter" dadurch aufmerksam, dass sie mit einer gewissen Häufigkeit verwendet werden. Schlüsselwörter stehen im Dienste argumentativer Figuren, den Topoi, die in typischen Antworten auf typische Fragen Verwendung finden (vgl. a. Kap. 5). So stellten Adelswärd (1988) und Adelswärd/Ziv (1995) in schwedischen ebenso wie in israelischen Daten von Ende der 80er Jahre fest, dass die Frage nach Schwächen besonders häufig und gerade von erfolgreichen Kandidat/inn/en mit der Eigenschaft "Ungeduld" beantwortet wurde (Adelswärd/Ziv 1995). Auch in unseren Daten taucht "Ungeduld" vereinzelt auf, so dass die Annahme nahe liegt, dass es sich hier um einen argumentativen Topos handelt, der typisch für die Gattung "Bewerbungsgespräch" ist (vgl. Kap. 5.1). Möglicherweise ist Ungeduld tatsächlich eine sehr verbreitete Charakterschwäche; sie hat aber auf jeden Fall vor etlichen anderen den Vorteil, dass sie sich problemlos in die Nähe von hoher Leistungsbereitschaft rücken lässt. Allerdings scheint der Topos "Ungeduld" als Antwort auf die Frage nach Schwächen derzeit im Abwärtstrend zu liegen. Eine Personalleiterin berichtet im Experteninterview, dass diese Antwort an Glaubwürdigkeit verloren habe, weil der Topos zu häufig verwendet wurde. Das gibt Anlass zu der Überlegung, das Topoi des Bewerbungsgesprächs "Abnutzungserscheinungen" aufweisen können. Sarangi (1994a:172) spricht von "preferred answers" des Bewerbungsgesprächs. Während präferierte Antworten die "Versteckte Agenda" berücksichtigen, zeichnen sich dispräferierte Antworten durch eine Fehlanpassung an "Regeln" und Zielsetzungen des Aktivitätstyps aus. Analytisch erkennt man dispräferierte Antworten an der Reaktion der Interviewenden, z.B. einem Themawechsel oder Nachfragen (1994a:173), da sie letztendlich bestimmen, mit welcher Antwort sie zufrieden sind. Das notwendige Wissen für eine adäquate Performanz ist als kulturelles Wissen im weitesten Sinne in der Sozialisation bzw. über Erfahrungen und Routinisierungen erwerbbar. (Eine detaillierte Analyse "typischer Fragen" und "präferierter Antworten" in unserem Datenmaterial erfolgt in Kap. 5.)

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3.4.2 Formalität Auf der Binnenstruktur sind Bewerbungsgespräche durch eine relativ hohe stilistische Formalität gekennzeichnet: Most analysis, if not all, intuitively agree on a distinction between all types of interview and casual conversation, with interview lying at the formal end of the speech continuum. (Sarangi 1994a: 182)

Stil ist ein ähnlich unscharf konturierter Begriff wie Kultur, scheint aber ebenso unverzichtbar zu sein wie dieser. Stil wurde begriffsgeschichtlich vor allem in der klassischen Rhetorik, unter stark normativen Vorzeichen untersucht. Erst in jüngerer Zeit werden Stile auch umfassender als "ways of speaking" (Hymes 1974) verstanden. Im Zuge der pragmatischen Wende wird Stil in einer interaktiven Dimension untersucht; hier wird Stil verstanden als "Menge kookkurrierender, sozial interpretierter Merkmale", die "nicht nur über eine längere Textpassage harmonieren, sondern auch zusammen oder jeweils individuell von den Mitgliedern einer Kultur bzw. Sprechergemeinschaft konsistent interpretiert werden" (Auer 1989:29, vgl. a. Hinnenkamp/Selting 1989; Sandig/Selting 1997). Die Beschäftigung mit Stil setzt immer eine Untersuchungsperspektive voraus, so werden u.a. Sozialgruppenstile (Labov 1972, Bernstein 1973), Stadtstile (Dittmar/Schlobinski 1988), Konversationelle Stile (Tannen 1984), Gebrauchstile (auch: konversationeile Stile; Sandig 1978), Sprechstil (Selting 1997), Argumentationsstile (Kotthoff 1989a, 1989b), Genderstile (Tannen 1984), Stilisierung (z.B. ethnische, Hinnenkamp 1989a) untersucht. Die Stilperspektive, die hier eingenommen wird, fasst Stil in der Gattung "Bewerbungsgespräche" auf einer Achse von Formalität/Informalität ins Auge. Betrachtet man die binnenstrukturelle Gestaltung des Sprechens im Bewerbungsgespräch, so fällt auf, dass stark markierte Umgangssprache kaum verwendet wird, statt dessen dominiert eine gehobene Sprechsprache mit einigen schriftsprachlichen Anleihen (Nussbaumer 1991:279). Beispiel (73) - (Chemie.4/w/m) 1 2 3 4

B:

5 6 7 8

.h und eh (-) das hat also gleich (-) beGEIStert. ja? (-) und zwar (-) aus dem FOLgenden grund, (2) wenn ich das richtig daraus entNOMmen habe, dann ist es bei der (name) SO, (-) dass man tatSÄCHlich wirklich erstmal (2)

im bereich fOrschung (-) einsteigt, also 12: B:

9

[zumindest j e t z t als PHYsiker, (1) und eh (1) spÄter, [hm=hm (-) vielleicht nach einigen jAhrn, (-) auch nen bisschen

richtung (-) eh (-) technisches MAnagement gehen kann.

10

(-)

11

Übergang (-) sehr NAHTlos gestalten lässt, (1) eh (-)

.h und eh (2) ich glAube; dass das für MICH diesen

12 13 14 15

12:

ich bin natürlich ( . ) eh (-) Bisher (-) befasst/ (-) befab/ (-) eh beFASST gewesen nur mit der (1) FORschung? und (-) möchte aber ( . ) SPÄter (-) hm=hm

16

B:

eh (-) also auch ruhig in richtung MAnagement gehn,

Merkmale dieses Textes sind relativ klare Satzgrenzen und explizite Kohäsionsmittel (und zwar (-) aus dem FOLgenden grund). Ferner fallen Elemente auf, die eher gehobener Lexik entsprechen (etwas "entnehmen", Z. 3, "mit etwas befasst sein", Z. 12).

104 Auch die Verwendung von Fachlexik ist in Bewerbungsgesprächen nicht selten; im folgenden Beispiel könnte die Schilderung der täglichen Arbeitsaufgaben auch aus einer offiziellen Stellenbeschreibung stammen: Beispiel (74) - (Sekretariat.3/o/f) B: der andre teil eh der bestand in der erledigung der typischen klassischen ( . ) sekretariATSaufgaben; also postEINgang; postAUSgang; .h die eh (-) sicherstellung der telefonischen ERreichbarkeit des Unternehmens; der Schriftverkehr; Ablage; und natürlich auch eh die bewlrtung. II: hm=hm, B: v o n ( l ) gasten. Nominalisierung wie im vorangegangenen Beispiel ist weniger ein Merkmal gesprochener denn geschriebener Sprache. Dasselbe gilt auf morpho-syntaktischer Ebene für komplexe Konstruktionen, wie im folgenden Beispiel: Beispiel (75) - (Archiv.4/w/m) B: was mich ( . ) deswegen beWEGT, (-) ausgerechnet nach (IXberg) zu kommen, oder überhAupt auch in=eh (-) die neuen BUNdesländer, (-) wäre; (-} die (.) MÖGlichkeit, (-) ehm (.) j e t z t ( . ) in JUNgen jAhren- die ich noch aufzuweisen habe, (.) etwas ( . ) NEUes z u schaffen? ( ( . . . ) ) und=eh würde gerne, ( . ) auch aufgrund meiner erfahrung mit d e r ( . ) ORTSgeschichte; mit der HEImatgeschichte; mit ( . ) eh und zwar durch Alle jahrHUNderte hindurch, ( . ) eigentlich, also wirklich vom ( . ) frUhen mittelalter bis (-) bis in die vierziger f ü n f z i g e r JAHre hinein, ( . ) eh könnte ich mir eben GUT vorstellen, dass ein archIV (-) «len> das: ja auch alle/ ( . ) > die gesamte ( . } STADTgeschichte, die geschichte der komMUNen abdecken mu:ß, ( . ) e h ( . ) «all> ne=interessante AUFgabe für mich w ä r e . > Dass die komplexen Nebensatzstrukturen einige Stolpersteine bereithalten, zeigt sich in den Schwierigkeiten, die der Sprecher hat, nach den ineinander verschachtelten Präzisierungen den korrekten Anschluss wiederzufinden. Sehr stilisiert wirkt auch die Formulierung jetzt (.) in JUNgen JAHren- die ich noch aufzuweisen habe. Immer wieder auftretende Hyperkorrekteren, Brüche, Koselektionsverstöße, besonders in den ostdeutschen Rollenspielen und Bewerbungsgesprächen zeugen von dem Bemühen, aber auch den Schwierigkeiten, dieses Formalitätsniveau zu halten/herzustellen (vgl. Auer 1998; Birkner/Kern 1996). Auf eine eher schrift- als gesprochensprachliche Orientierung deutet die Wahl des Tempus in einigen biographischen Narrativen von ostdeutschen Bewerbenden hin. Hier fällt vereinzelt der Gebrauch des Präteritums auf, ein Tempus, das eher schriftsprachlich verwendet wird. Beispiel (76) - (Bank.4/o/m) B: .h t j a . (-) nach der Schulzeit (be/ent)stand für mich die frage was ich denn beRUFlich machen möchte, (-) .h «len>und e h : > ich entschied mich Erstmal; ( . ) einen beRUF zu erlernen, (-} ( ( s c h l u c k t ) ) in Verbindung .h ( . ) mit dem abiTUR? (1) da gab=s ( . ) in=der ( . ) ehemaligen de de er ebent die ( . )

105 möglichkeit berufsausbildung mit abiTUR? (-) zu absolVIEren, (-) ( ( s c h l u c k t ) ) «acc,f>ich ging drei jähre nach s c h w e r I N , > ( . ) erlernte dort d e n beruf d e s ( . ) MAUrers, .h ( . ) u n d legte gleichzeitig mein abiTUR ab? Nicht nur das Tempus, auch die Wahl der Lexik weist auf ein Bemühen um ein gehobenes Stilniveau hin (vgl. einen beRUF zu erlernen oder berufsausbildung mit abiTUR? (-) zu absolVIEren bzw. "ablegen"). Grundsätzlich muss man von einer stilistischen Heterogenität von Sprechereignissen ausgehen. In Bewerbungsgesprächen beispielsweise unterscheidet sich das Formalitätsniveau je nach Kontext, so werden Smalltalk-Phasen deutlich weniger formell gehalten als beispielsweise das biographische Narrativ, das innerhalb des Bewerbungsgesprächs durch ganz spezielle Stilmerkmale gekennzeichnet ist. Unter einer funktionalen Perspektive sind Stilwechsel, z.B. von Smalltalk auf das eigentliche Bewerbungsgespräch, an der Herstellung von Aktivitäten ganz wesentlich beteiligt. Ein weiteres Merkmal von Bewerbungsgesprächen ist, dass sich die institutionell vorgegebene Asymmetrie auch in einem "asymmetrischen" Formalitätsniveau niederschlägt: So sind die Institutionsvertreter/innen grundsätzlich weniger formell als Bewerbende. Beispiel (77) - (Bank.2/o/f) 1 B: das ging bis in die tätigkeit im AUSsendienst? (-) und 2 (-) «len> man FÄHrt verschiedene firmen An?> die bei 3 uns in der region ANsässig sind, erKUNdigt sich; 4 ( (schluckt) ) bei den verANTwortliehen; «all> ob die 5 mitarbeiter vermögenswirksame LEIStungen erhalten;> (-) 6 geht in die FRUHstückspause rein und sagt; (-) ehm (.) 7 zu den MITarbeitern; (-) welche MÖGlichkeit sie haben; 8 «all>diese vermögenswirksamen LEIStungen in Anspruch zu 9 nehmen, (-) auch ein BAUsparkonto anzulegen;> (-) 10 [ ( u n d ) (-) und so wEiter;> ] 11 II: [also da sind sie tAtsächlich] in die beTRIEbe gegangen; 12 in den [FRÜH]Stückspausen; hallo JUNGS, [hier] BIN ich, 13 14 15

B: II: B:

[JA ] (-) oder w i e . ja natürlich; e h [ : : t r i t t man nicht

16 17 18

II: B: II:

[hehe ( h ) s o n d e r n ; .h als TEAM, das is s c h f o n GÜNStiger. [okay

[JA

]

(h)alLEIne

(h)auf

Interessant ist die Nachfrage des Interviewers, die sich im Formalitätsniveau von der vorangegangenen Schilderung der Bewerberin deutlich unterscheidet: z.B. werden in den Worten, die er der Bewerberin in den Mund legt, die mitarbeiter (Z. 5) zu JUNGS (Z. 12). Dieser sehr saloppe Stil kontrastiert mit dem formellen, von Fachlexik geprägten Beitrag der Bewerberin, die den Stilwechsel nicht aufgreift. In ihrer Antwort wird aus seiner Vorlage hallo [...] hier BIN ich (Z. 12; 14) eine sehr viel formelleres naTÜRlich; eh: tritt man nicht (h)alLEIne (h)auf. Der umgekehrte Fall, dass eine Bewerberin den Interviewer in einem vergleichbaren Stil fremdformuliert, kommt im Datenmaterial nicht vor. Diese stilistische Asymmetrie ist an die institutionellen Teilnehmerrollen gebunden, darüber hinaus lässt sich jedoch die Tendenz feststellen, dass ostdeutsche Bewerbenden ein höheres Formalitätsniveau anstreben als die westdeutschen Bewerbenden.

106

3.5 Zusammenfassung Die Gattung "Bewerbungsgespräch" verfugt, wie im Vorangegangenen gezeigt wurde, über eine komplexe Ausgestaltung der drei strukturellen Ebenen des Gattungskonzeptes. Anders als kleine Gattungen wie Sprichwörter oder die meisten rekonstruktiven Gattungen verfugt sie über eine breite außenstrukturelle Verankerung. Besonders deutlich lässt sich die Zwischenstruktur bestimmen, neben ihrer thematischen Typisierung ist vor allem die gattungsspezifische Dialogizität mit der Verteilung von Rederechten zu erwähnen. Sie ermöglicht es, ein Bewerbungsgespräch zu erkennen, auch wenn man nur einen kurzen Ausschnitt davon zu hören bekäme. Auch binnenstrukturell ist eine deutliche Prägung auszumachen, Bewerbungsgespräche weisen sowohl deutliche Formulierungsroutinen als auch topische Argumente auf, deren Verbreitungsradius weit über regionale Grenzen hinauszugehen scheint. Diese Merkmale der Gattung könnte man als ein komplexes Regelwerk beschreiben (vieles wird tatsächlich in Regeln gefasst, vgl. Roberts 1985 "The Interview Game" sowie Adelswärd 1988:103). Diese Regeln und Regularitäten sind Teil des gesellschaftlichen Wissensvorrats einer Kommunikationsgemeinschaft. Bei der Rekonstruktion typischer Merkmale der Gattung zeichnen sich drei zentrale Wissensbereiche ab: globales Wissen, sequenzielles Wissen und Wissen um spezifische Präferenzen und Relevanzen des Bewerbungsgesprächs. Globales Wissen betrifft die gesellschaftliche Funktion und Einbettung von Bewerbungsgesprächen. Das gesellschaftliche Problem, das Bewerbungsgespräche lösen sollen, wurde als die Selektion und Allokation von Arbeitskräften bestimmt. Daraus ergibt sich die Charakterisierung von Bewerbungsgesprächen als asymmetrischer, zielgerichteter Entscheidungsfindungsdiskurs. Diese Entscheidungsfmdungsfunktion ist aus Sicht der Bewerbenden eher untergeordnet, ihre Ziele werden im Bewerbungsgespräch in erster Linie durch die positive Selbstdarstellung bestimmt. Der zweite Bereich, Sequenzielles Wissen, umfasst die spezifische Dialogizität (TurnTaking-Regularitäten) und die Themenentwicklung mit der typischen Verteilung konversationeller Aufgaben und Pflichten. Ein dritter Bereich schließlich beinhaltet sehr spezifisches Gattungswissen: Wissen um Präferenzen und Relevanzen des Bewerbungsgesprächs. Dieser dritte Bereich ist methodisch sehr schwer zugänglich, u.a. aufgrund der strategischen Orientierung der Beteiligten und insbesondere der Interviewenden, die ihre Bewertungskriterien und die "Versteckte Agenda" nicht offen legen können, wenn sie weiterhin Bewerbungsgespräche führen wollen, ohne allzu topische Antworten zu elizitieren. Um diese Ebenen etwas genauer zu beleuchten, wenden wir uns abschließend noch einmal speziell den Experteninterviews zu.

107 ·%

3.6 Maximen der Interviewfuhrung im Bewerbungsgespräch Es gibt ja nich den idealen Bewerber oder was. Man muss sie nehmen, wie sie sind. (Experteninterview Chemie.A)

Wie im Vorangegangenen gezeigt wurde, führen die "Versteckte Agenda" und die teils komplementären, teils antagonistischen Ziele der Beteiligten zu einer impliziten, strategischen Dimension des Teilnehmerhandelns, die ein konstitutives Merkmal der komplexen, kommunikativen Gattung "Bewerbungsgespräch" darstellt. Diese implizite Dimension verläuft quer zu allen drei strukturellen Ebenen: Sie ist in den außenstrukturellen Funktionen der Gattung angelegt und wird durch die Ziele der Beteiligten bestimmt, sie schlägt sich zwischenstrukturell sowohl in der Präferenz als auch Vermeidung bestimmter Themen nieder und lässt sich binnenstrukturell auf der Äußerungsebene in Topoi und Schlüsselwörtern wiederfinden. Ihre methodische Erfassung mit gesprächsanalytischem Instrumentarium indes ist schwierig. Dagegen erweist sich die Auswertung der Experteninterviews als eine reichhaltige Quelle, um das verdeckte Handeln der Interviewenden nachzuvollziehen. Im folgenden kommen die Interviewenden (und einige weitere Personalexperten) zu Wort, aus deren Aussagen in den narrativen Experteninterviews vier Maximen der Interviewführung kondensiert werden konnten, die einen Einblick geben in handlungs- und bewertungsleitende Präferenzen und Relevanzen.

3.6. l Erste Maxime: Eine Atmosphäre der Offenheit schaffen Einige Interviewende heben hervor, dass sie sich bemühen, eine Atmosphäre der Offenheit und Lockerheit zu schaffen. Dazu werden gewisse Rahmenbedingungen sichergestellt, wie auch ein bestimmter, ungezwungener Interaktionsstil gepflegt: Beispiel (78) - Experteninterview (Chemie, l) E:

Wir bemühen uns eigentlich immer, ne Lockerheit hier zu induzieren, weil das ja die einzige Möglichkeit is, sich vernünftig zu unterhalten.

Experte Bank. A bemüht sich, ein Vertrauensverhältnis zu schaffen, räumt aber ein, dass der Erfolg entscheidend von der Person des Interviewers abhängt: Das muss man einfach sein. ((...)) Wenn man selber offen und ehrlich ist, ((...)) das kriegt auch der Bewerber mit in der Regel. Von einer ähnlichen Interdependenz zwischen Interviewerverhalten und Bewerben-

38

Der Begriff „Maxime" wird hier nicht im Sinne von Grice (1975) verwendet, sondern ganz allgemein als Leitorientierung. Entsprechende Interviews mit Bewerbenden wären sicherlich ebenfalls sehr aufschlussreich gewesen; dass sie nicht zur Verfügung stehen, ist auf das Setting zurückzuführen: Die Unternehmen stellten uns keine persönlichen Daten zur Verfügung, um später Kontakt mit den Bewerbenden aufnehmen zu können.

108

denreaktion geht auch Experte Bank. B aus, der die eigene Authentizität als wichtige Voraussetzung für ein gutes Gesprächsklima im Bewerbungsgespräch benennt: Beispiel (79) - Experteninterview (Bank.B) E:

Für mich hat das auch mit Authentizität zu tun, also wenn ich wirklich authentisch rüber komme, so wie ich einfach bin, dann wird das auch angenommen.

Ein weiteres Kalkül hinter dem Bemühen um einen "lockeren" Interviewstil liegt darin, dass ein angenehmes Gesprächsklima ehrlichere Antworten bedingt. Beispiel (80) - Experteninterview (Telefon, l) E:

Insgesamt von den Fragen her ((...)) versuchen wir keinen Druck oder wenig Druck zu erzeugen, weil wir denken, wenn die Bewerberin sich wohlfiihlt, dann erzählt sie auch viel, viel mehr von sich und wird auch freier und erzählt dann auch mal über ne kritische Situation, die sie früher mal hatte.

Die Interviewenden machen sich als "Kommunikationsprofis" auch so manche pragmalinguistische Erkenntnis zunutze. So berichtet Experte Bank.A, dass er die Dynamik des Erzählens nutze, um Informationen zu elizitieren, die der oder die Bewerbende vielleicht sonst nicht preisgeben würde: Beispiel (81) - Experteninterview (Bank.A) E:

Man rasselt im Grunde dann den Lebenslauf runter, so dass man den anderen erzählen lässt, ((...)) die Fragen stellt man möglichst so, dass man immer den ändern sprechen lässt. ((...)) Und je mehr man den erzählen lässt, desto mehr kriegt man auch raus, eh weil oftmals im Erzählfluss erzählt man auch etwas, was man auch gar nicht so unbedingt wollte, das passiert denn schon, also lässl man den ruhig den Lebenslauferzählen und da erkennt man denn auch, ob das so ganz gebrochen ist und auswendig gelernt oder ob das wirklich ehrlich gemeint ist.

3.6.2 Zweite Maxime: Nicht nur auf das "Was", sondern auch auf das "Wie" hören Für Bewerbungsgespräche gilt ganz allgemein, dass es weniger um die fachliche Qualifikation geht, als vielmehr darum, "wie einer oder eine ist". Das "Wie" bekommt also gegenüber dem "Was" eine gesteigerte Relevanz. Unsere Experten weisen darauf besonders in Zusammenhang mit der Behandlung des Lebenslaufes hin. In der Regel ist dieser ja bekannt und liegt u.U. sogar als schriftliches Exemplar auf dem Tisch. Die nun eigentlich redundante Thematisierung der Biographie kann verschiedene Motive haben: Zum einen wirke es spannungslösend, wenn man Bewerbende über Bekanntes sprechen lässt (Experte Telefon.A betont, dass dabei die Unterlagen möglichst nicht auf dem Tisch liegen sollten). Ein immer wieder betontes Motiv aber ist, dass man nicht auf das achte, "was" gesagt wird (das sei ja aus den Bewerbungsunterlagen bereits bekannt), sondern auf die Art der Darstellung: Beispiel (82) - Experteninterview (Bank.A) E:

Aber das Entscheidende ist ja, mit dem Bewerber über ein Thema zu sprechen und zu hören, wie er sich ausdrückt, was er zu dem Thema sagt, und auch ruhig mal über kritische Themen zu sprechen, um zu merken, wie die damit umgehen. Weil das ist viel entscheidender, das Thema an sich ist ear nicht so wichtie. wichtig ist, dass die über irgendetwas sprechen, was

109 sie vielleicht auch nicht so gerne sagen und dann kommt das drauf an, wie sie das sagen und wie sie damit umsehen.

Nicht das Thema selbst, sondern die Art der Präsentation ist für die Interviewenden aussagekräftig in ihrem Anliegen, sich einen Eindruck über die Person zu verschaffen. Dabei spielen gerade in der ersten Phase der Befragung der Lebenslauf oder auch der bisherige berufliche Werdegang eine zentrale thematische Rolle. Die Bedeutung des Lebenslaufs ist aber nicht nur auf die Art der Selbstpräsentation oder seine Bedeutung als unverfängliches Thema zurückzuführen. Ein dritter Gesichtspunkt ist der schier unerschöpfliche Bedarf an Begründungen: Warum haben Sie X studiert? Warum haben Sie die Universität gewechselt? Warum haben Sie sie nicht gewechselt? Warum haben Sie sich hier beworben? etc. In den Experteninterviews klingt das exemplarisch so: Beispiel (83) - Experteninterview (Telefon.B) E:

Lebenslauf noch mal, gut, dann seh ich, dass von dann bis dann diese und jene Schule besucht worden is oder dass man erst Bauzeichner war und dann hier ne kaufmännische Ausbildung gemacht hat. Das is auch alles schön, aber ich mächt wissen, warum das so war. Und mir is wichtig, die Wechsel zu erfragen, welche Motive vorlagen, und wenn das schlüssig is, dann is das okay und wenn das nich schlüssig is, dann muss man halt mal nen bisschen nachfragen.

3.6.3 Dritte Maxime: Nach kritischen Momenten suchen Bereits in den Beispielen (83) und (81) deutete sich an, dass es gerade die Brüche und Unglätten sind, für die sich Interviewende besonders interessieren. Beispiel (84) - Experteninterview (Edv) E:

Aus dem Lebenslauf heraus können sich, ich sag mal, kritische Momente ergeben, denk ich mal, wo man dann einhaken kann, und zu diesen kritischen Momenten kann man denn letztendlich ne Exploration machen. ((...)) bei Leuten, die schon im Beruf gestanden haben, ((...)) könnte man ((...)) sich kritische Phasen oder kritische ja Momente in seinem Leben letztendlich mal herauspicken, sich von ihm sagen lassen, und zu überlegen oder zu hören dann, wie er damit umgegangen ist.

Aussagen, in denen die Bedeutung "kritischer Momente" (oder Lücken und Widersprüche etc.) betont wird, durchziehen wie ein roter Faden die Experteninterviews. Selbst diejenigen Experten, die erklärtermaßen den Lebenslauf im Bewerbungsgespräch nicht thematisieren, geben an, dass sie dennoch nachfragen, wenn ihnen während der Lektüre der schriftlichen Unterlagen Lücken aufgefallen sind: Beispiel (85) - Experteninterview (Bau.A) und (Bau.B) El: E2:

Lebenslauffragen wir auch nicht ab, Lebenslauf gucken wir normalerweise oder kennen wir aus der Bewerbung ((...)) Wenn sich Lücken ergeben, dann hinterfragt man.

Scheinen solche Stellen in den Unterlagen oder Darstellungen der Bewerbenden auf, reagieren die Interviewenden mit "bohren", "nach-" und "einhaken", "nen Häkchen finden" und "hinterfragen". In diesen Formulierungen spiegelt sich die Annahme der Expert/inn/en wider, dass Bewerbende hinter der positiven Selbstdarstellung Negativpunkte verstecken mögen, die es mit handwerklichem Geschick aufzuspüren gilt. Und gerade das, was Bewer-

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bende nicht offenbaren wollen, scheint für die Interviewenden von besonderem Interesse zu sein. Einschlägige Stellen werden u.a. über das "Wie" der Präsentation aufgespürt. Beispiel (86) - Experteninterview (Telefon.A) E:

Es sind stellenweise dann halt Punkte, ((···)) bei denen der Bewerber sehr schnell weitergeht und die er nicht vertiefen will. Und stellenweise bin ich halt auch so fies und frag da auch noch mal nach. So, ehm, da is dann ne gewisse Unsicherheit dann halt auch zu spüren, dann merkt man, dass da irgendwas war. ((...)) Geh dann in den Beruf rein, frag dort nach kritischen Situationen, den größten Erfolgen. So, und hör dann immer genau hin, wo bietet mir der Bewerber da nen Häkchen, wo ich noch nen bisschen weiter machen kann, wo is da noch was, wo is da nen Punkt, wo ich merke, da is noch nen bisschen was dahinter. Das kann man so im Theoretischen relativ schwer erklären, wie man dann dort genau vorgeht.

Interviewende behandeln die Aussagen der Bewerbenden über ihren Umgang mit kritischen Situationen als ernstzunehmende Informationen. Sie spielen eine Rolle bei der Elizitierung ehrlicher Antworten, z.B. dadurch, dass Bewerbende vielleicht ein wenig die Contenance verlieren. Das Thematisieren kritischer Momente der Vergangenheit zielt auch auf das Herbeiführen kritischer Momente in der Gesprächssituation selbst (ne gewisse Unsicherheit, vgl. Beispiel 86). Um aber die ganze Tragweite ihrer Bedeutung zu ermessen, muss man berücksichtigen, in welchen funktionalen Zusammenhang die Experten das Thematisieren von kritischen Situationen einordnen. Beispiel (87) - Experteninterview (Bank.A) E: Aus solchen schwierigen Lebenssituationen ((gemeint sind bspw. Wendeerlebnisse, K.B.)) kriegt man unwahrscheinlich viel Eindruck über diesen Bewerber, wie hat er sich da benommen und wie hat er sich da bewährt, denn man kann das transferieren auf die Zukunft. Wenn es denn ne schwierige Führungssituation in der Bank gibt oder ne schwierige Kundensituation, denn bewältigen die das in der Regel auch.

Hier lässt sich eine weitere Maxime der Personalexperten für Interviewführung erkennen:

3.6.4 Vierte Maxime: Von Vergangenem auf die Zukunft extrapolieren Diese Maxime will das zentrale Defizit des Bewerbungsgesprächs überbrücken, das ein Experte folgendermaßen formuliert: Beispiel (88) - Experteninterview (Bank.A) E:

Das ist aber natürlich alles vergangenheitsbezogen, zukunftsorientierl ist das kaum nachprüfbar, dazu müssen sie den Mann in der Praxis erleben. Dazu haben wir sechs Monate Probezeit.

Über die Grenzen der Aussagekraft von Bewerbungsgesprächen sind sich alle Personalleute bewusst, allerdings gelten Bewerbungsgespräche noch immer als das wichtigste Instrument für die Personalauswahl. Wie sich eine Person am Arbeitsplatz bewährt, wird sich erst nach der Einstellung erweisen. Und angesichts einer relativ hohen Wahrscheinlichkeit, dass man sich in einem oder einer Kandidat/in täuscht, hängt man die Erwartungen tief und hofft, dass man sich nicht mehr als fünfzig Prozent täuscht (Bank.A).

Ill

Beispiel (89) - Experteninterview (Bank.A) E:

Oder man nimmt irgendein Beispiel aus dem Berufsleben, wenn jemand schon vorher eine Führungskraft war, dann fragt man ihn einfach mal, hatten sie denn auch Mitarbeiter, die nicht immer auf sie gehört haben, oder hatten sie schwierige Fälle, ich sag mal ältere Mitarbeiter, die achtundfünfzig Jahre alt sind und kein Bock mehr haben ((...)) irgendwo irgendwannfindet man eine Stelle, wo man immer tiefer bohrt. So, und dann kriegt man schon raus, in dem man immer wieder nachfragt, ((lacht)) ob und wie die damit umgegangen sind ((...)) Man darfauch nicht zu unangenehm bohren. ((...)) Man hat ja ein berechtigtes Interesse, der andere weiß ja auch, warum man das fragt, und der soll ja auch kein Blödsinn erzählen, der soll ja auch nicht lügen, das is also auch Quatsch. Also insofern unterhält man sich da ganz lockig flockig drüber.

Bewerbungsgespräche basieren also ganz wesentlich auf einer direkten Beziehung zwischen dem, was ausgesagt wird, und dem, was "sein könnte". Das setzt notwendig voraus, dass Bewerbende in Bewerbungsgesprächen wahre Aussagen machen, was die Bedeutung der Forderung von Interviewenden nach Ehrlichkeit und Authentizität noch einmal unterstreicht. Das Verfahren, sich Erfolge und Misserfolge aus vergangenen Situationen schildern zu lassen, um auf dieser Basis in die Zukunft zu extrapolieren, funktioniert auch bei dem Transfer des kommunikativen Verhaltens im Bewerbungsgespräch auf die zukünftige Berufstätigkeit. Beispiel (90) - Experteninterview (Telefon.B) E:

Wenn mir persönlich jemand gegenüber sitzt, der sich nicht verkaufen kann, stell ich 's in Zweifel, ob er da drüben sitzen kann und Kunden unsere Philosophie, Produkte oder Ideen verkaufen kann.

Auch hier geht der Abteilungsleiter von einer"! zu l-Beziehung" zwischen dem Verhalten im Bewerbungsgespräch und einer zukünftigen Berufstätigkeit aus. Und wieder spielt das "Wie" der Darstellung eine zentrale Rolle, besonders bei einer der zentralen Aufgaben, die Bewerbende in den Gesprächen erfüllen müssen, der Präsentation des Lebenslaufs. Ein Kriterium für potenzielle Mitarbeiter/innen, das der Experte Telefon.A als Personalchef in einer Tischvorlage für die Personalauswahl schriftlich fixiert hat, ist "gute Auffassungsgabe". Ob jemand die gestellten Aufgaben erkennt bzw. in der Lage ist, eine zweite Chance zu nutzen und indirekte Hinweise des Interviewers umzusetzen, dient ihm als Hinweis, ob das Kriterium erfüllt wird oder nicht. Beispiel (91) - Experteninterview (Telefon.A) E:

Man merkt 's aber dann auch in=n Gesprächen, wenn ich einer Bewerberin gesagt hab, erzählen Sie mal in zwei bis drei Minuten so ihren Lebenslauf son bisschen, und sie braucht dazu einfach zehn Minuten und ich unterbrech sie irgendwann so nach sieben und sage, so, vielen Dank, es war jetzt sehr ausfuhrlich ehm, dann sollte sie eigentlich den Schuss hören. Und wenn sie dann bei ändern Fragen auch noch so ständig halt sehr sehr viel erzählt, drumrum erzählen, nicht auf'n Punkt kommen, dann würd ich sagen, dann ist die Auffassungsgabe halt dann auch nen bisschen mangelhaft, weil sie den Schuss eben nicht hört.

Voraussetzung für ein gelungenes Bewerbungsgespräch ist folglich die gute Gabe, die Erwartungen der Interviewenden zu entschlüsseln.

112

3.6.5 Paradoxe Anforderungen? Was ist der ideale Bewerber? Einerseits ist das gemeinsame Wissen um die Spielregeln des Bewerbungsgesprächs Voraussetzung für einen reibungslosen Ablauf, andererseits gefährdet zuviel Strategie die Authentizität. Und Authentizität, das ergab die Auswertung der Experteninterviews, ist eine wesentliche Anforderung an Bewerbende. Beispiel (92) - Experteninterview (Telefon.A) E:

Das Thema Authentizität ist sicherlich eins. So dieses 'ich bin, wie ich bin'. Wenn sie 's weiterspinnen, ist es Authentizität, geht 's Richtung Individuum auch. Ich bin einfach ein Individuum, mit meinen Stärken mit meinen Schwächen, mit meinen Besonderheiten. ((...)) Hören sie wahrscheinlich öfter: möglichst authentisch sein. Also, ich geh mir ja wirklich alle Mühe, das Gespräch auch nett und auch sehr, sehr freundlich insgesamt halt zuföhren und zu sagen: so, wir erzählen dir ja praktisch alles über uns, sei bitte genau so offen und erzähl uns ne ganze Menge über dich, damit wir halt auch einschätzen können, ob du der Richtige bist hier bei dem diesen oder für diesen Job.

Authentizität und Ehrlichkeit hängen sehr eng zusammen. Diesen beiden Attributen wird häufig eine besondere Relevanz unter dem Gesichtspunkt der Allokation zugewiesen, wie das folgende Beispiel deutlich macht: Beispiel (93) - Experteninterview (Bank.A) E:

Man soll wirklich offen und ehrlich von der Bewerberseite auftreten, weil man muss weitergucken. Es geht nicht nur darum, einen Job zu kriegen, auch wenn das heute immer wichtiger is, es geht aber darum, ob ei=m dieser Job auch einigermaßen Spaß bringt.

Beispiel (94) - Experteninterview (Edv) E:

Es nutzt mir keiner, der also nur erzählt, also ich bin der Tolle, sondern da find ich die Ehrlichkeit dann doch schon etwas besser. Wenn also einer sehr differenziert sagt, okay, also das kann ich, das nicht oder hier hob ich meine Stärken, da hob ich meine Schwächen,((...)) der also letztendlich sich irgendwo realistisch beurteilt. Das halt ich ßir sehr sehr wichtig.

In diesem Zusammenhang wird auch häufig Lockerheit gefordert. Ein angespannter, nervöser Kandidat ist auch deshalb kein idealer Bewerber, weil es für die Auswahlentscheidung wichtig ist, zu sehen, wie einer/eine "normalerweise" ist. Die Reduzierung einer belastenden Atmosphäre zielt auf die Schaffung eines Gesprächsklimas, in dem sich Bewerbende zeigen können, wie sie normalerweise sind. Beispiel (95) - Experteninterview (Bank.B) E:

Es geht einfach dadrum, nen Verhältnis zu schaffen, wo ich mich auch relativ normal bewegen kann, weil es hilft mir ja nichts, wenn derjenige mir jetzt wer weiß was vorspielt und in Wirklichkeit ganz anders ist. Also das heißt, nen Bewerber, der so sehr nervös ist, dass er gar nichts rauskriegt, den lern ich auch nie richtig kennen, dass heißt, ich kann ihn auch gar nicht einschätzen, wie er vielleicht in der Situation ist, wenn er bei uns arbeitet.

Um auf der Basis der Bewerbungsgespräche eine Entscheidung zu treffen, sind die Interviewenden darauf angewiesen, dass Bewerbende ihnen Informationen für die Entscheidungsfmdung zur Verfügung stellen. Authentizität und Ehrlichkeit erleichtern den Inter40

"We demand of an individual that he not be too good at acting, especially during occasions of talk." (Goffman 1970:44)

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viewenden ihre Aufgabe natürlich erheblich. Das bestätigt sich in der Beobachtung Komters, dass aus den verdeckten Dimensionen und dem Unaussprechlichen der Gattung folgt, dass vor allem die Glaubwürdigkeit der Antworten der Bewerbenden auf dem Prüfstand steht(Komterl991:36). Dass es mit guter Vorbereitung und Routine leichter wird, "unehrlich" und "unauthentisch" zu sein, mag ein Grund dafür sein, warum einige Einstellende weniger erfahrene und unvorbereitete Bewerbende bevorzugen. Beispiel (96) - Experteninterview (Bank.A) E:

Also, ich sag immer, man soll sich möglichst nicht vorbereiten. Man soll locker bleiben und ehrlich. Das mag ich jedenfalls am liebsten.

Ehrlichkeit und Authentizität gepaart mit souveräner Lockerheit auszustrahlen stellt große Anforderungen an die Bewerbenden in einer Situation, die durch ein hohes Maß an verdeckter Strategie, Kontrolle und Formalität gekennzeichnet ist. Aber genau diese gekonnte Verbindung fordert der Experte Edv: Beispiel (97) - Experteninterview (Edv) E:

Und natürlich, gut, und das is reine Übungssache, möglichst natürlich wirken. Das is sicherlich das Schwierigste dabei. Und wenn man trotzdem schweißnasse Hände hat, nich, das is ja völlig egal, aber irgendwo is das ja auchförs Gespräch letztendlich verträglicher, also wenn sich ein nettes Gespräch entwickelt und nicht ein Frage/Antwort-Spiel oder ein sehr verkrampftes eh Gespräch, weil das behält man immer negativ im Hinterkopf.

Der Interviewer bringt unmissverständlich zum Ausdruck, dass in Bewerbungsgesprächen der Schein eines lockeren, natürlichen Gesprächs zu wahren ist, hinter dem all die Nervosität und Anspannung verborgen bleiben sollte, die mit so einem entscheidenden Ereignis zwangsläufig verbunden sind. Tatsächlich zeichnet sich sowohl in den Experteninterviews als auch in den Bewerbungsgesprächen selbst ab, dass erwartet wird, dass sich Bewerbende auf das Gespräch vorbereiten. Für die Expertin Bank.C zeugt die Vorbereitung u.a. von Motivation und Interesse an der Stelle. Beispiel (98) - Experteninterview (Bank.C) E:

Im Vorfeld darauf fachten], dass sie sich gut vorbereiten, auf das Gespräch. Ich hob da auch nichts dagegen, wenn jemand vorher Literatur liest und sich Gedanken wenigsten dadrüber macht, weil das zeugt für mich auch davon, dass er nicht einfach alles so auf sich zukommen lässt, nach dem Motto, mal sehen, was bei raus kommt, sondern eben wie gesagt im Vorfeld sich schon damit identifiziert. ((...)) Äußeres, klar sollte er auch aufsein Äußeres achten, ich möchte halt beim Bewerber auch so die Wertschätzung mir gegenüber spüren, dass ich denke, okay, der bewirbt sich in einer Bank, dann muss er sich auch vorher Gedanken drüber machen, wie laufen die dort rum.

Offensichtlich zieht diese Personalverantwortliche gerade aus der sichtbaren Anpassung und Vorbereitung auf das Bewerbungsgesprächpositive Schlüsse. Auch wenn Ehrlichkeit in vielen Expertengesprächen als positive Eigenschaft einer/s idealen Bewerbenden benannt wird, ist es dem Untemehmensvertreter doch bewusst, dass Ehrlichkeit im Bewerbungsgespräch Grenzen hat.

114

Beispiel (99) - Experteninterview (Chemie. 1) E:

Es is ganz klar, dass auch eine absolute komplette Offenheit in einem Bewerbungsgespräch fehl am Platz ist, nich. Das ist eigentlich nicht zumutbar. Offen ist zwar wichtig und richtig, aber man muss ja weiß Gott nicht alles sagen, nich. Man darf nichts Falsches sagen, aber man muss ja nicht alles sagen.

Beispiel (100) - Experteninterview (Bank.C) E:

Ehrlich ist mir immer sympathisch, aber ja, manchmal is auch ehrlich und dumm nicht so weit auseinander. ((.··)) Offenheit halt wirklich, aber nicht Dummheit, also offen erzählen über das Leben und dabei natürlich auch bewusst gewisse Sachen ausklammern, von denen er weiß, also das spielt jetzt hier sicherlich keine Rolle.

In diesen Aussagen wird deutlich, dass die Interviewenden selbstverständlich davon ausgehen, dass das Ziel positiver Selbstdarstellung legitimer Weise zur Auslassung von Informationen fuhrt, die dieses Ziel konterkarieren würden. Gerade darin wird ein Zeichen von Intelligenz gesehen und somit positiv bewertet. Experte Bank.A dagegen, der unvorbereitete Bewerbende bevorzugt, ist perfekt inszenierter Selbstdarstellung gegenüber eher skeptisch. Für ihn könnte eine zu gelungene Bewerbung ein Indiz von hoher Stellenfluktuation sein. Beispiel (101) - Experteninterview (Bank.A) E:

Es ist im Gegenteil eigentlich mehr negativ, wenn sie da jemanden haben, der astreine Bewerbungsunterlagen abliefert. Oder wenn sie jemanden haben, der ein total tolles einwandfreies Bewerbungsgespräch abliefert, dann ist das eher ein Indiz dafür, dass er nicht das erste Mal Bewerbungsunterlagen erstellt und nicht das erste Bewerbungsgespräch führt, und das ist ein Indiz daßir, dass er ständig wechselt. Das wollen wir eigentlich nicht. ((...)) Es ist mir viel lieber, wenn das mal n=büschen hakt, dann seh ich: aha, das ist nun kein Profi, kein Bewerbungsprofi.

Eigentlich ist es paradox: Auf der einen Seite wird von Bewerbenden gefordert, ganz "authentisch" und auf keinen Fall geschult zu wirken und ein möglichst natürliches Gespräch zu gewährleisten, andererseits aber wird selbstverständlich davon ausgegangen, dass hinter diesem schönen Schein nicht nur eine ganz erhebliche Anspannung, sondern auch Vorbereitung und überdies eine gehörige Portion gekonnter Selbstdarstellung steckt. Wenn Experte Bank.A negativ von Bewerbungsprofis spricht und der Experte Edv positiv den Übungseffekt betont, so gehen doch beide Experten offensichtlich davon aus, dass auch bei Bewerbungsgesprächen Übung den Meister macht. Kann man also Erfolg im Bewerbungsgespräch lernen? Ginge es lediglich um die Selektion fachlich geeigneter Kandidat/inn/en, müsste man diese Frage wohl verneinen, denn die fachliche Qualifikation lässt sich schwerlich per Bewerbungstraining verbessern. Und ebenso wenig geht es in Bewerbungsgesprächen nur um den Austausch von Informationen über Schulabschlüsse, Berufsqualifikationen, Gehaltstarife, denn dieser ließe sich auf einfacherem Wege bewerkstelligen. Wenn es sich aber um eine Gattung mit Regeln und Normen handelt, die als lehr- und lernbar betrachtet werden muss, kann man ein Bewerbungsgespräch mehr oder weniger gut

4l

Offensichtlich gehört ein gewisses Wissensgefälle für Interviewende zur Gattung ebenso dazu wie auch der Glaube an die (oder die Furcht vor der) Optimierbarkeit der Performanz. Nicht zuletzt auf diesem Boden gedeihen Bewerbungstrainings.

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ausführen. Auch wenn die Experten das unterschiedlich bewerten, herrscht doch Konsens über diese Tatsache als solche. Die Interviewenden aus dem Korpus Telefon betrachten es geradezu als ihre Aufgabe, Bewerbenden ein Feedback über ihre Performanz in den Bewerbungsgesprächen zu geben. Begründet wird das z.B. damit, dass alle Beteiligten "was gewonnen haben", wobei der Gewinn für die Bewerbenden in der Optimierung zukünftiger Bewerbungsgespräche liegt. Beispiel (102) - (Telefon.2/o/f) 12: B: 12: B: 12:

vielleicht hat=s ihnen j e t z auch=n bisschen H I L f e s t e l l u n g geleistet, für das NÄCHste gespräch, OH ja. OH ja; dass m a n ( . ) vielleicht noch=n bisschen- ( . ) LERNT, (-) «p>ja;> (-) was für FRAgen kommen können,

Es gibt zahlreiche weitere Beispiel dafür, dass ein Transfer von Gattungswissen in Bewerbungsgesprächen eine Rolle spielt, besonders bei Novizen der Gattung. Dieser Aspekt des Lernens und Lehrens von Gattungswissen wird im folgenden Kap. 4 genauer untersucht werden.

3.6.6 Zusammenfassung Die vorgestellten, aus den Experteninterviews gewonnenen vier Maximen geben Einblick in verborgene Relevanzen, die einen ganz wesentlichen Teil der "Versteckten Agenda" des Bewerbungsgesprächs bestimmen. Sie veranschaulichen das, was Interviewende mit den teilweise professionalisierten - Elizitierungsverfahren zu tun glauben. Darin verdeutlicht sich eine strategische Orientierung, z.B. wenn die Schaffung eines angenehmen Gesprächsklimas mit dem Ziel begründet wird, offenere Antworten der Bewerbenden zu erzielen, in denen auch mal Negativpunkte zur Sprache kommen. Gerade diese Negativpunkte sind von außerordentlicher Bedeutung für die Interviewenden. Das ist zurückzuführen auf den bewusst wahrgenommenen Zielkonflikt zwischen Unternehmensvertreter/inne/n und Bewerbenden: Da die Interviewenden davon ausgehen müssen, dass Bewerbende Negatives im Zuge einer positiven Selbstdarstellung eher verschleiern oder verbergen, muss danach "gebohrt" bzw. bei sich bietenden Gelegenheiten "nachgehakt" werden. Negativpunkte haben für Untemehmensvertreter eine große Relevanz, weil sie für antizipierte Leistungen ebenso entscheidend sein mögen wie Positivpunkte - wenn nicht gar entscheidender. Das Verfahren des Schlussfolgerns und Übertragens ist eine typische kategoriengebundene Aktivität von Interviewenden. Es zeichnet sich ab, dass Interviewende verstärkt auf das "Wie" der Selbstdarstellung achten. Das Schlussfolgern aus den Aussagen (bzw. der Darstellungsweise) erweist sich als zentral bei der Einschätzung von Bewerbenden. Dabei werden vergangene Leistungen oder Misserfolge auf zukünftige Leistungen (oder Misserfolge) transferiert. In diesem Zusammenhang spielen zweitens Freizeitbeschäftigungen, und darunter der Sport, eine große Rolle. Sie sind zentral für das Schlussfolgem auf soziale Kompetenzen. Eine dritte Stoßrichtung des Schlussfolgerns verläuft vom kommunikativen Verhalten im Bewerbungsgespräch auf zukünftige Berufstätigkeiten. Neben den vorgestellten Maximen der Interviewerführung gibt es sicherlich noch etliche weitere Techniken, die hier nicht zur Sprache gekommen sind. Einer der hierfür zu nennen-

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den Gründe ist, dass die vorliegende Analyse in erster Linie auf Rekurrenzen in den Aussagen der interviewten Personalexperten basiert, so dass z.B. individuellere Strategien nicht zu Wort gekommen sind. Dabei mag es sein, dass einige Verfahren den Interviewenden gar nicht so bewusst sind, dass sie sie in einem Experteninterview erwähnen würden, oder auch, dass unsere Elizitierungsverfahren und die Fragen des Interviewleitfaden weitere, ebenfalls sehr relevante Aussagen nicht begünstigt haben. Und ein weiterer Grund für eine mögliche Begrenztheit der Ergebnisse ist sicherlich die relativ geringe Zahl der befragten Personalexperten. Aber auch wenn die präsentierten Ergebnisse nur begrenzt verallgemeinerbar sind, sind sie doch für den vorliegenden Forschungszusammenhang sehr fruchtbar, da sie Einblick geben in die "Versteckte Agenda" sowie Relevanzen von Personalleuten, die als Interviewende unseres Korpus beteiligt waren.

Kapitel 4: Normen der Gattung im Gespräch

Beispiel (1) - "Raucher" 1 2 3 4 5 6

II: B: (1) 12: II: B:

h m : : : ( 1 . 5 ) sind sie RAUcher oder NICHTraucher; ich RAUche. «p>hehe> (1) wie STARK? (2) eh (-) ich drEhe schwarze KRAUse, und DAS ö f t e r .

Allein das Kontextwissen, dass diese kurze Sequenz aus einem Bewerbungsgespräch stammt, reicht aus, um eine Hypothese darüber zu bilden, ob es sich hier um eine günstige oder weniger günstige Antwort der Bewerberin handelt. Das macht eine "Austauschprobe" deutlich. Versetzt man die Sequenz in einen anderen Kontext, z.B. in ein Arzt/PatientenGespräch, fallen unsere Hypothesen ganz anders aus. Für das Bewerbungsgespräch vermutet man vielleicht, es wäre strategisch geschickter gewesen, das Laster zwar einzugestehen, aber doch auch herunterzuspielen und eilfertig zu bekunden, dass man selbstverständlich in der Lage sei, den Konsum einzuschränken. Und diejenigen, die wissen, welches Aroma selbstgedrehter Tabak der Marke "Schwarzer Krauser" verströmt, würden vielleicht anmerken, dass es nicht notwendig gewesen wäre, ihn überhaupt zu erwähnen. Offensichtlich greifen wir auf ein Wissen über Bewerbungsgespräche zurück, das uns bestimmte Ziele und strategische Orientierungen der Teilnehmer/innen annehmen lässt, gegen die im obigen Beispiel verstoßen worden zu sein scheint. Wir gehen davon aus, dass die Bewerberin das Ziel verfolgt, einen möglichst guten Eindruck zu machen, und vermuten, dass diese unumwundene Antwort das Risiko birgt, von einem Nichtraucher als Minuspunkt verbucht zu werden. Gesprächsanalytisch Versiertere haben vielleicht schon das Lachen der Interviewerin (Z. 4 als ein Indiz dafür gedeutet, dass die Antwort - neutral formuliert - auffällig ist (Zur Funktion von Lachen im Diskurs vgl. Kotthoff (1996), (1998)). Und da die Frage des Interviewers keinen Hinweis auf seine präferierte Antwort enthält, wäre es vielleicht klüger gewesen, die Antwort weniger endgültig und offensiv zu formulieren. Der weitere Verlauf der Sequenz wird zeigen, ob sich unsere Befürchtungen bestätigen: Beispiel (2) - (Sekretariat.4/w/f) "Raucher" (Fortsetzung) 7 8 9 10 11 12 13 14 15

B: 12: II:

(2) eh (-)

ich drEhe schwarze KRAUse, und [DAS ö f [ t e r . [ [ B: h a [ h a 12: [hehe B: ( h ) i c h hab=s nämlich geSEHN; des[wegen (-) 12: [hehe B: FREU ich mich, hehe

16 17

II: nee; das is das überhaupt kein proBLEM; also das: war höchstens n=problem wenn sie NICHT rauchen würden.=

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B:

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II:

[hehehehehehehehe

20

12:

[hehehehehehehehe

=ach so [hehehehehehehehe

deswegen

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13: L: B: 12: II: 12: II: 12: II: B: 12: B: II:

12:

[hehehehehehehehe [hehehehehehehehe ( h ) G O T T ( h ) s e i ( h ) d a n k ( h ) h a b [ich das geSEHN. hehe [das weiß man aber N I E ; wenn man so was geFRAGT wird, wenn da [ j e t z t (meier) [WEIß ich ja. sitzen würde, dann war das genau ( h ) d i e (h)FALsche (h)antwort (h)gewesen. (-) ja. «p>ha[ha> [ k l a r . (1) dann wär=s genau FALSCH.= =ja.= =ha[ha [norMAlerweise sagt man [da NUR gelegenheitsraucher; [wer weiß was RICHtig ist NUR zum essen mal [eine, hehe [hehehe

Die Bewerberin kannte also die "richtige" Antwort im voraus (Z. 13; 23). Durch dieses Eingeständnis entschärft sie retroaktiv den Eindruck, eine zu offensive, dispräferierte Antwort gegeben zu haben. Sie spielt selbstbewusst ein etwas riskantes Spiel und das gemeinsame Lachen (Z. 18-22) deutet u.a. darauf hin, dass die Anwesenden das Gelingen des Spiels goutieren. Von besonderem Interesse ist nun der kleine Metadiskurs, der sich im Anschluss daran zwischen den Beteiligten entspinnt (Z. 24-37). Sie kommentieren hier Chancen und Risiken einer solchen Frage und Antwort und gewähren dabei u.a. einen kurzen Einblick in ihre normativen Orientierungen und Regeln des Bewerbungsgesprächs. Offensichtlich sind sich die Anwesenden einig, dass es sich um eine prekäre Frage handelt, bei der das Risiko einer falschen Antwort hoch ist (Z. 24). In der Freude der Bewerberin drückt sich ihre Erleichterung aus, dem Dilemma entronnen zu sein ((h)GOTT (h)sei (h)dank..., Z. 23). Besonders aufschlussreich ist das "man-Statement", in dem die Bewerberin formuliert, welche Antwort eigentlich angemessen gewesen wäre: norMAlerweise sagt man da NUR gelegenheitsraucher; NUR zum essen mal eine (Z. 34ff). Damit demonstriert sie den anderen Beteiligten, dass sie über adäquates Handlungswissen verfügt und repariert damit vorsorglich einen Normverstoß. Für unsere Analyse ist diese Aussage nicht nur interessant, weil sie die eingangs angestellten Überlegungen bestätigt, sondern auch, weil hier die Teilnehmerin eines Bewerbungsgesprächs Handlungswissen und strategisch-normative Orientierungen explizit formuliert. Ziel der Analyse dieser Sequenz war es, für diese Normorientierung der Beteiligten den analytischen Blick zu schärfen. Als eine Sequenz, in der die Gültigkeit von Normen bzw. die Angemessenheit von Handlungen zur Sprache kommt, ist es ein anschauliches Beispiel für den Spielraum, der auch Bewerbenden in Hinsicht auf Gattungsregeln zur Verfügung steht. Ein vergleichbar gelungener und spielerischer Metadiskurs kommt in unserem Datenkorpus freilich nicht noch einmal vor. Außergewöhnlich ist das vorgestellte Beispiel auch deshalb, weil eine Regel von der Bewerberin formuliert wird. Häufiger sind hingegen Fälle,

Was natürlich nicht nur für Bewerbungsgespräche gilt, sondern auch für andere Situationen, wie z.B. für ein Gespräch über die Vergabe eines WG-Zimmers.

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in denen Interviewende ihre Erwartungen und die Orientierung an Gattungsnormen explizit machen. Das folgende Kapitel wird sich solchen Ausschnitten aus Bewerbungsgesprächen beschäftigen, in denen die Beteiligten Gattungswissen thematisch relevant machen und bearbeiten. Gattungswissen wird dabei verstanden als adäquates Handlungswissen bzw. auf Zielen und Relevanzen der Gattung begründete normative Orientierungen und Regeln, die sich auf (im Einzelnen zu bestimmende) Strukturebenen des Gattungskonzepts beziehen lassen. Die vorgestellten Beispiele kennzeichnen sich durch eine Bewegung von expliziten zu impliziteren Formen. Fälle expliziter Verweise auf normative Orientierungen wie im Einstiegsbeispiel, in dem das Normative schon in dem "man-Statement" und in der Formulierung "normalerweise sagt man da..." als Orientierung an einer Normalform lexikalisch zum Ausdruck kommt, werden im folgenden "normative Formulierungen" genannt (zu "Formulierungen" vgl. Kap. 3.3.2.2). In anderen Beispielen wird der Verweis auf Gattungsregeln nicht mit dem Formulieren von Handlungsnormen, sondern indirekter vollzogen. Wie aber dennoch Gattungswissen zu einem interaktiv relevanten Thema wird, soll im Einzelnen untersucht und vorgestellt werden. Neben der Darstellung verschiedener Formen, in denen Gattungswissen im Gespräch aufscheint, werden Fragen nach den interaktiven Funktionen solcher Sequenzen sowie dem Bezug zu Strukturebenen des Gattungskonzeptes im Zentrum der folgenden Ausführungen stehen.

4. l Explizite und implizite Rekurse auf Gattungswissen 4.1.1 Normative Formulierungen Betrachten wir ein weiteres Beispiel, in dem Regeln und normative Erwartungen des Bewerbungsgesprächs zum Thema werden; in diesem Falle ist es allerdings der Interviewer, der sich auf die "normale Weise" beruft. Beispiel (3) - (Archiv.2/o/m) "Auto" 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16

I I : VORher hatten sie d/ ( . ) harn sie sich ( . ) nur SO erkundigt. «all>vorher harn sie=s ( ( d a s Archiv, K . B . ) ) NICHT gesehen.> ((...)) B: man kennt ja LEUte; und die KENN=n das hier; und dann FRAGT man einfach mal. (-) da brauch man nicht ( . ) sich SELber zu [( ) I I : [also; ( . ) norMAlerweise is=s so. bevor ich mir nen AUTO k a u f e , setz ich mich REIN. (-) also ( . ) [nicht HINterher. B: [ja; I I : (-) ich sag das nur DEShalb, nur meine ( . ) etwas verwunderte FRAGE, ich hätte mir=das VORher angeguckt. B: j a j a ; das liegt ja [nun an IHnen. sie wollen das au/ eh II: [(denn die/) B: Ob ( . ) sie mir das auto überhaupt verKAUfen. ( 1 . 5 ) das=s ja nun auch ( n e ) andere seite.

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II:

(-) « f > j a . > okay, aber ob=s des (auch) verKAUft wird; an

DEM tisch is doch eigentlich erst heut nAchmittag.

Der Interviewer in Beispiel (3) versucht herauszufinden, in welchem Umfang der Bewerber über das Archiv, für dessen Leitung er sich beworben hat, informiert ist, und ob er den potenziellen zukünftigen Arbeitsplatz besichtigt hat. Auf die Aussage des Bewerbers, er hätte sich von Dritten informieren lassen, hebt der Interviewer zu einer normativen Formulierung an norMAlerweise is=s so (Z. 7). Die darauffolgende Regel lässt sich paraphrasieren als "Normalerweise besichtigt man den zukünftigen Arbeitsplatz vor dem Bewerbungsgespräch". In dem als beispielhaft gesetzten eigenen Verhalten ich hätte mir=das VORher angeguckt (Z. llf) ist ein Fehlverhalten des Bewerbers impliziert, das in Zusammenhang mit der gattungsspezifischen Erwartung steht, dass sich Bewerbende auf Einstellungsgespräche vorbereiten sollen, was das Beschaffen von Informationen über das Unternehmen und die Stelle ebenso umfasst wie Fragen vorzubereiten oder Gehaltsvorstellungen zu bilden. Und auch wenn in der Formulierung norMAlerweise is=s so der Anspruch auf eine allgemeingültige Regel zum Ausdruck kommt, so verkehrt das Bild, das der Interviewer verwendet, doch die wahren Entscheidungsbefugnisse. Der Vergleich der Bewerbung mit einem Autokauf suggeriert eine Entscheidungsfreiheit des Bewerbers. De facto obliegt die Entscheidung über die Vergabe der Stelle dem Interviewer und während er als Einstellender zwei Wahlmöglichkeiten hat, nämlich den Kandidaten abzulehnen oder einzustellen, hat der Bewerber zunächst nur die Wahl, die Stelle abzulehnen. Die Möglichkeit, sie anzunehmen, ergibt sich erst dann, wenn die Einstellenden eine positive Entscheidung getroffen haben. Darauf verweist auch der Bewerber, der kontert, indem er das Bild zwar aufgreift aber zeigt, dass der Vergleich hinkt: im Gegensatz zum Autokauf, wo der Käufer entscheidet, ob er etwas erwerben will, entscheidet im Bewerbungsgespräch der Einstellende, ob "das Auto" überhaupt verkauft wird. Der Rekurs des Interviewers auf eine Handlungsnorm steht hier in einem völlig anderen Zusammenhang als im Einstiegsbeispiel. Mit dem Verweis auf die Regel, sich über den zukünftigen Arbeitsplatz zu informieren, klagt der Interviewer einen Verstoß gegen sie ein. Dazu etabliert der Interviewer eine "Normalform" - auch wenn diese keine ist, sondern auf einer Verbrämung der wahren Machtverhältnisse beruht, wie die Replik des Bewerbers pointiert. Vor allem eines wird hier deutlich: dass es sich um einen Versuch des Interviewers handelt, über die Definition einer Regel einen Regelverstoß zu konstruieren. Auf einer sehr buchstäblichen Ebene geht es in diesem Beispiel um ein Gattungswissen, das sich auf die Vorbereitungsphase des Bewerbungsgesprächs bezieht. Mithilfe der normativen Formulierung, die einen Anspruch auf Gültigkeit des konstatierten Wissens zum Ausdruck bringt, vollzieht der Interviewer hier eine Belehrung in Sachen Gattungsnormen. Diese Regel wird sowohl in anderen Bewerbungsgesprächen deutlich, als auch in den Experteninterviews und Ratgebern erwähnt. Dem Informieren über die Stelle unterliegt die Logik, dass ernsthaftes Interesse an der Stelle nur dann vorausgesetzt wird, wenn der Bewerber weiß, worum er sich bewirbt. Interesse an der zukünftigen Tätigkeit wiederum steht in Zusammenhang damit, dass Spaß und Interesse Garanten für gute Leistungen sind (vgl. Auer/Birkner/Kern 1997a). Allerdings ist es keineswegs üblich, den Arbeitsplatz vorab zu besichtigen, und auch die anderen Bewerber haben das (ohnehin nicht zugängliche) Archiv nicht besichtigt, was der Interviewer übrigens bei ihnen auch nicht moniert. Allen wird vielmehr im Anschluss an die Gespräche die Gelegenheit gegeben, an einer Führung durch das Archiv teilzunehmen.

12 i Belehrungen sind gegenüber einem Informationsaustausch durch einen deutlichen Anspruch auf die Gültigkeit des Wissens gekennzeichnet, dessen Transfer überdies nicht von den Belehrten, sondern vorn Belehrenden initiiert wurde. Keppler (1989) und Keppler/Luckmann (1992), die Belehrungen in alltäglichen, nicht-asymmetrischen Gesprächssituationen wie Tischgesprächen und Dia-Abenden untersuchten, zeigen, dass durch Nachfragen von Nicht-Wissenden eingeleitete, d.h. fremdinitiierte Belehrungen gegenüber selbstinitiierten als präferiert gelten. Da Belehrungen die Gesprächssituation von egalitär zu hierarchisch modifizieren, ist es ein typisches strukturelles Merkmal alltäglicher Belehrungen, dass ihr Vollzug interaktiv ratifiziert werden muss, wenn der/die Belehrende vermeiden will, dass das Anliegen scheitert oder er/sie als "Oberlehrer" gilt (Keppler 1989:546). In Bewerbungsgesprächen dagegen können Interviewende auf asymmetrisch vorstrukturierte Handlungsrollen zurückgreifen und sind auf die Ratifizierung ihrer Gesprächsinitiative nicht angewiesen. Der Begriff der Belehrung mit seinen alltagssprachlichen negativen Konnotationen trifft deshalb besonders auf solche selbstinitiierten Wissensdemonstrationen zu, wie sie der Interviewer im vorliegenden Beispiel vornimmt. Auch im folgenden Beispiel rekurriert der Interviewer auf eine Gattungsnorm, um damit einen Regelverstoß zu monieren. Beispiel (4) - (Edv.6/o/m „man informiert sich doch" 1 II: j a : ; Einen punkt ham=se bisher immer Ausgeklammert. 2 ( 1 . 2 ) von den erWARtu[ngen. 3 B: [das GELD; hehe .h (-) naja zum 4 GELD, das:- (-) is im gründe NOCH schlechter. weil=ich 5 da: (1) im moment ( . ) überhaupt keene ( . ) verGLEIchs(-) 6 möglichkeiten habe. 7 II: aber [man inforMIERT sich doch vorher. 8 B: [ ( v o n daher/und da) 9 B: (2) h e h e ( - ) ja G U T : ; aber;= 10 II: =ich meine; ich NEHme ma AN, dass sie sicherlich auch 11 mit den kommiliTOnen drüber gesprochen haben; was die 12 so- [ ( . . . und) da gib=s ja verÖFfentlichungen-] 13 B: [najA, das (-) das is alles noch NICH so ] j a n z 14 ( 0 . 8 ) noch nlch so: (-) alles SPRUCHreif; Der Bewerber weist die Frage nach den Gehaltsvorstellungen, die zu den "typischen Fragen" des Bewerbungsgesprächs gehört (vgl. a. Kap. 6), als nicht-beantwortbar zurück (Z. 4f) mit der Begründung, dass er keine Vergleichsmöglichkeiten habe. Dieses Argument lässt der Interviewer nicht gelten, sondern formuliert kontrastierend eine Norm: aber man inforMIERT sich doch vorher (Z. 7). Das "man-Statement" deklariert die Regel als "everyone's knowledge", das auch der Bewerber haben müsse. Damit legitimiert und verstärkt der Interviewer seine Erwartung auf die thematisch relevante Antwort und etabliert die Frage neu. Der Bewerber bleibt die Antwort erneut schuldig und der Interviewer verstärkt den Antwortdruck noch einmal, indem er anzweifelt, dass der Bewerber sich nicht vorher mit der Frage beschäftigt habe. Die Regel bezieht sich wie im vorangegangenen Beispiel auf ein Gattungswissen hinsichtlich der Vorbereitung des Bewerbungsgesprächs. In diesem Zusammenhang erfährt der Bewerber (und die Analysierende) hier auch, wie das Bilden von Gehaltsvorstellungen nach Meinung des Interviewers vonstatten geht, nämlich sich mit Kommilitonen austauschen oder auf einschlägige Veröffentlichungen zurückgreifen. Auch hier wirkt die selbstinitiative

122 Artikulierung von Gattungsregeln ähnlich wie im vorangegangenen Beispiel belehrend. Lokal gesehen hat die normative Formulierung die Funktion, den Antwortdruck zu forcieren und als eine thematisch relevante Antwort die Gehaltsvorstellung des Bewerbers zu elizitieren (für eine ausführlichere Darstellung des Konzeptes "Forcieren" vgl. Kap. 6.1.2.). Dieser Versuch scheitert und der Interviewer lässt das Thema fallen - jedenfalls vorerst, wir werden später noch einmal auf dieses Beispiel zurückkommen. Die beiden letzten Beispiele haben eine Funktion von Rekursen auf Gattungsregeln illustriert, die mit der Durchsetzung von gattungsspezifischen Zielen in Zusammenhang steht. Via der Legitimierung von Erwartungen qua Gattungsnormen sollen Handlungserwartungen an Bewerbende durchgesetzt werden; ein Vorgehen, bei dem die spezifische Asymmetrie von Bewerbungsgesprächen die Interviewenden deutlich begünstigt. Günthner/ Knoblauch (1994:702) weisen daraufhin, dass sich ein Erwartungsbruch hinsichtlich Gattungsmerkmalen anhand von Reparaturprozeduren und Sanktionen zeigt; in diesem Sinne indizieren die vorangegangenen Beispiele Erwartungsbrüche und deren Bearbeitung und verweisen auf Gattungswissen.

4.1.2 Spielräume Die interaktive Brisanz im Kontext von normativen Formulierungen variiert sehr stark. In den folgenden Beispielen sind die Risiken für die positive Selbstdarstellung der Bewerberin, die sich aus der interaktiven Bearbeitung von Gattungsregeln ergeben, vergleichsweise geringer als in den vorangegangenen. Beispiel (5) 1 II: 2 3 4 5 6 B: 7 8 9 II: 10 B: 11 L: 12 II: 13 B: 14 15 16 17 II: 18 19 B: 20 II:

(Bank.5/o/f) - "Hobbys" .h «all>so. was machen sie SONST noch?> ( ( l i e s t im lebenslauf) ) «dim>=VOLleyball, (.) tennis, ski, ( ( m u r m e l t ) ) (warten se mal h i e r ) > was ist «len> ( ( b u c h s t a b i e r e n d ) ) callan:ETics:?> [ ( w a s IS [das? [hebe [ ( h ) d a s ( h ) f r a g t ( h ) J E d e r ; (-) ich glaub; (-) ich schreib das ( h ) n i c h t ( h ) m e h r ( . ) ( h ) i n ( h ) d i e (-) .h [«cresO (h)beWERbung ( h ) m i t (h) rein?> ] [«cresonee schreiben sie lieber NICH rein.>] ha[ha [hehe weil so was wird IMmer gefragt. [ (-) hehe [hehehehehehehehe (-) « l e n > ( h ) d a s ( h ) i s ( h ) a l s o (h)eine: spezielle gymNAStik;> (-) ( h ) f ü r ( h ) d i e (h)problEmzonen ( h ) d e r ( h ) f r a u ? hehe ALles k l a r . (-) gut. (-) denn FRAgen wir nicht weiter, [hehe [ ( h ) g u t hehe gut. (-) und (-) volleyball, tEnnis, skllaufen? (1)

Der Interviewer liest aus dem Lebenslauf die unter Hobbys angegebenen Sportarten vor und stößt dabei auf eine, die ihm unbekannt zu sein scheint, wie das buchstabierende Lesen und die Nachfrage zeigen. Seine Frage wird schon vom Lachen der Bewerberin überlappt, die nicht darauf antwortet, sondern in einer Art Vorlauf lachend äußert, dass "jeder" das

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frage und sie diese Angabe deshalb in Zukunft nicht mehr machen werde. Die Verzögerung der Antwort legt die Interpretation nahe, dass es sich um eine für die Bewerberin unangenehme Antwort handelt. Mit der Reflexion über die Verbesserung zukünftiger Bewerbungsunterlagen wechselt sie aus dem aktuellen Thema "Hobbys" auf eine Metaebene "Bewerbungsunterlagen". Diesem Wechsel auf die Metaebene folgt der Interviewer, indem er die Erwägung der Bewerberin (ich glaub; (-) ich schreib das (h)nicht (h)mehr, Z. 6f) in eine Handlungsanweisung umformuliert: nee schreiben sie lieber NICH rein (Z. 9). Da der Interviewer nur ahnen kann, warum die Bewerberin die Antwort verzögert, beruht sein "Rat" wohl darauf, dass es besser ist, eine Angabe auszulassen, wenn sie erklärungsbedürftig, die Erklärung aber unangenehm ist. Die Bewerberin liefert die ausstehende Erklärung von Callanetics als (h)eine: spezielle gymNAStik;> (-) (h)för (h)die (h)problEmzonen (h)der (h)frau? (Z. 14ff). Interessant an diesem Beispiel ist der Weg, den ein Verständnisproblem des Interviewers hin zur Thematisierung von Gattungswissen nimmt. Es ist die Bewerberin, die den ersten Schritt auf eine Metaebene vollzieht und damit die Verantwortung für das Verständnisproblem übernimmt. In dem von ihr initiierten Diskurs über günstige und ungünstige Angaben in Bewerbungsunterlagen spiegelt sich ihre normative Orientierung, Verständnisprobleme zu vermeiden, besonders dann, wenn sie unangenehme Erklärungen nach sich ziehen. Der Interviewer behandelt diese Äußerung der Bewerberin als Frage, auf die er mit einer dezidierten Handlungsanweisung antwortet. Anders als in den Beispielen (3) und (4), in denen Interviewende versuchten, unter Bezugnahme auf Gattungswissen Fragen zu legitimieren und durchzusetzen, handelt es sich hier um eine weniger asymmetrisierende Bearbeitung von Wissensdifferenzen. Dennoch lassen sich die typischen Beteiligungsrollen und damit verbundene Asymmetrien des Bewerbungsgesprächs auch hier rekonstruieren. Die erste, vielleicht augenfälligste Wissensdifferenz, das Nichtverstehen des Wortes "Callanetics", behandelt der Interviewer als ein Informationsdefizit, das er durch die Nachfrage interaktiv relevant macht. Die Weise, wie die Bewerberin dafür die Verantwortung übernimmt, zeigt ihre Orientierung auf Ziele des Bewerbungsgesprächs. Dir Wechsel auf die Metaebene ist ein Angebot an den Interviewer, aus seiner Expertenperspektive eine Bewertung vorzunehmen, das dieser annimmt. Zwei Wissensebenen sind hier im Spiel: Auf der einen ist die Bewerberin die Expertin, als diejenige, die weiß, was Callanetics ist; auf der anderen Ebene geht es um die Angemessenheit von Angaben in Bewerbungsunterlagen. Mit dem Wechsel von der einen auf die andere Ebene nimmt sie ihren Expertenstatus zurück und rückt die Expertise des Interviewers in den Vordergrund. Das Thema "Hobbys" ist damit noch nicht abgeschlossen, sondern wird fortgesetzt. Beispiel (6) - Fortsetzung "Hobbys" 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30

( ( . . . ) ) c a . 1 . 5 Minuten später II: ( ( l i e s t im l e b e n s l a u f ) ) «f>MENschen kennen lernen>; ( 1 , 2 ) HOBbies, B: ( 1 , 3 ) jaha. ( 1 , 3 ) schon bedingt durch meine Arbeit im stuDENtenclub; ( 0 , 8 ) wenn ich da hinter der BAR stehe; oder ( 0 , 8 ) wie auch immer, ( 1 , 4 ) «p>lernt man VIEle neue leute kennen.> (2) [das ist eigentlich WITzig, II: [nm=hm, B: « p > ( h e h e ) > II: ja aber das=ehm ( 0 , 8 ) also d/ ( 1 , 6 ) «p>MENschen kennen

124 31 32 33 34

lernen>; als HOBby. (-} gut. okay. B: h a [ h a II: [hehe (-) ja es=ist=eh: ( 1 , 9 ) ehm ( 2 , 1 ) B: is UNgewöhnlich für sie.

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II: ja.

36 37

(-) «len>UNgewöhnlich=eh jedenfalls schreiben das die

,

meisten NICHT, die MEIsten schreiben logischerweise immer ( 0 , 7 ) eh ( 2 , 5 ) irgendwelche SPORTarten? (3) BÜCHer lesen;

38

(1) und SOwas kommt natürlich IMmer, aber

39 40

B:

[(m:) [FACHbücher lesen; hehe

41

II: «p>menschen>= [

42 43 44 45

L: [ B: [ I I : MENschen kennen lernen; ist eigentlich nicht so; ( 0 , 8 ) eh (-) «p>FÜRCHterlich (-) o f t > . (1) okay,

Auf das Zitat des Interviewers aus dem Lebenslauf MENschen kennen lernen liefert die Bewerberin eine Erklärung bedingt durch meine Arbeit im stuDENtenclub (Z. 25) und eine Evaluation das is eigentlich WITzig (Z. 27). Offensichtlich hat sie seine Äußerung als die Ankündigung von Nichtübereinstimmung interpretiert, was sich im nächsten Turn des Interviewers als richtig bestätigt. Die Einleitung mit ja aber, die Verzögerungen durch Pausen, das leise Wiederholen des betreffenden Elements künden zweifelsfrei von Nichtübereinstimmung, die er aber nicht artikuliert, sondern wie nach einem inneren Abwägen schließlich durch ein Gliederungssignal mit positiv-evaluierender Semantik (vgl. Kap. 3.3.2.2) abschließt: gut. okay (Z. 31). Das anschließende Lachen der Bewerberin könnte als Einladung an den Interviewer interpretiert werden, nach diesem kleinen imagebedrohenden Vorfall in ein gemeinsames Lachen einzustimmen und die Reparatur der Störung damit interaktiv zu ratifizieren. Der Interviewer stimmt auch tatsächlich ein und setzt dann zu einer Erklärung an. Diese wird nicht ausgeführt, die Pausen lassen auf eine Wortsuche für das fehlende Attribut schließen, mit dem die begonnene Aussage ja es=ist=eh: ergänzt werden soll. Hier springt die Bewerberin mit einer Fremdreparatur ein und schlägt "ungewöhnlich" vor. Diesen Vorschlag akzeptiert der Interviewer, ergänzt ihn aber mit einer längeren Ausführung darüber, unter welchen semantischen Vorzeichen er dem Vorschlag "ungewöhnlich" zustimmt, und zwar als Abweichung von der Norm, die er anschließend ausführt, wenn er erklärt, was die meisten Bewerbenden als Hobbys angeben. Die fragliche Angabe "Menschen kennen lernen" als Hobby wird hier nicht explizit als ein Normverstoß behandelt, eine Entwicklung, an der das aktive Eingreifen der Bewerberin einen großen Anteil hat. Wie schon in der unmittelbar vorangegangenen Sequenz wird das Wissen des Interviewers eher als ratgebende Expertise relevant gesetzt. Die Bewertung der potenziellen Normverletzung wird gemeinsam ausgehandelt und der Einfluss, den die Bewerberin dabei geltend macht, ist sehr groß. Sie nutzt die Wortsuche, um einen Kandidaten für die Leerstelle vorzuschlagen, der sich durch Wertungsneutralität auszeichnet. In der kleinen Metasequenz, in der ein weiteres Mal die Orientierung des Interviewers an dem "Normalen" zum Ausdruck kommt, wird wie auch im ersten Teil des Beispiels die "Normalität" durch die "Abweichung" gefährdet. Hier erfährt die Bewerberin u.a. auch, was gewöhnlich als Hobbys angegeben wird. So wie Bewerbende u.U. gerügt werden, wenn sie von dem abweichen, was andere Bewerbende normalerweise tun, kommt es auch vor, dass sie gelobt werden, wenn sie die normativen Erwartungen der Interviewer erfüllen, wie im nächsten Beispiel.

125 Beispiel (7) l

2 3 4 5 6 7

9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30

(Telefon.2/o/f) "kurz und knapp" f r a u HOLske;=wir möchten sie natürlich heute: ( . ) in der STUNde, (-) die wir (dort) verANschlagt haben, n=bisschen KENnen lernen? B: ja=a, und dazu wär=s vielleicht (.) als EINstieg, ( . ) ganz II: intressAn=wenn sie uns so in (1) knapp drei vier minUten mal sagen, was sie bisher geMACHT haben; und was so WICHtig daran war für sie. ( ( .) ) 11 ( 2 ) gut. (1) FEHLT noch was? .h nö; das WAR=s eigentlich kurz un=kn[App. hehe B: 11 [ersma kurz und knApp . ( . ) B: j[a. 11 [gut. (-) prima. (-) (jo w a r ) auch so in der ZEIT. j a , [hehe ( h ) i c h ( h ) h a b ( h ) j e t z t ( h ) n i c h t ] ( h ) rauf B: 11 [((lacht)) ] 12 [ ( (lacht) ) [ ( (lacht) ) 13 B: (h)jeguckt. [hehe ] 11 [na : gut . ] II:

12 13 B: 12 11 B: 11 B: 11

[ ( h ) also ( h ) nur ( h ) k u r z ; ] (h) da so=n ( h ) bisschen [hehehehehehehehehehehe ] (manche) legen ja da=ne halbe STUNde los; [und ich fand [ja das schon gut. «p>=nee; nur so kurz un=KNAPP;> «p>okay; >

In der Einstiegsfrage war die Bewerberin aufgefordert worden, in knapp drei vier minUten ihre bisherige Laufbahn darzustellen. Im Anschluss daran vermerkt es II als sehr positiv, dass sich die Bewerberin an das vorgegebene Zeitlimit gehalten habe (Z. 15). Die Bewerberin reagiert wie auf ein Kompliment mit einem Lachen und der leichten Herabstufung ihrer Leistung. Das Lachen, in das alle Anwesenden einstimmen, macht das "Lob" des Interviewers zu einem kleinen Zwischenfall. Die Rechtfertigung seiner Bewertung (Z. 26ff) zeigt, dass der Interviewer die Reaktion der anderen darauf bezieht. Jemanden dafür zu loben, dass er etwas gut gemacht hat, oder auch zu rügen, wenn er vermeintlich etwas falsch gemacht hat, ist immer geknüpft an einen Anspruch auf die Macht zur Bewertung. Diese "Bewertungsmacht" als ein konstitutives Merkmal von Bewerbungsgesprächen gehört nach Komter (1991:37, vgl. a. Kap. 3) zu den "unsayables" der Gattung. Trotz der Allgegenwärtigkeit von Bewertung im Bewerbungsgespräch ist es tatsächlich eher selten, dass sie explizit formuliert wird, noch weniger, wenn es sich wie im vorliegenden Fall nicht um die Bewertung fachlicher Qualifikationen, sondern um die Performanz der Gattung handelt. Dieses Tabu scheint der Interviewer berührt zu haben, wie zur Rechtfertigung verweist er auf seine Erfahrungen mit anderen Bewerbenden, die sich nicht an die vorgegebene Kürze halten, und bekräftigt noch einmal die positive Bewertung der kurzen Selbstdarstellung.

126 Auf der Ebene von Normerwartungen erfahren wir von dem Interviewer hier nicht nur etwas darüber, was manche in Bewerbungsgesprächen tun, sondern auch, dass er es schätzt, wenn seine Vorgaben befolgt werden. Dieses Beispiel ist auch deshalb ein interessanter Fall, weil in ihm der Interviewer einen Norm- bzw. Erwartungsbruch begangen zu haben scheint, indem er die allgegenwärtige Bewertung - und zwar nicht nur hinsichtlich der fachlichen Passung, sondern auch der Gattungsadäquatheit - in den Fokus interaktiver Relevanz gerückt hat.

4.1.3 Lehr-Verfahren Als ein häufiger Bezugspunkt für die Bearbeitung von Gattungswissen erwiesen sich die gattungsspezifischen Handlungsrollen von Interviewenden und Bewerbenden in Bezug auf die asymmetrischen Beteiligungsrechte von Fragen und Antworten. Diese Asymmetrie, ein zentrales Merkmal von Bewerbungsgesprächen, das es mit Interviews im Allgemeinen und Prüfungen teilt, bedingt, dass Interviewende beurteilen, was als relevante und ausreichende Antwort gilt. Wie sie diese Maßgeblichkeit durchsetzen, soll im folgenden an einem LehrVerfahren beispielhaft vorgeführt werden. Beispiel (8) - (Edv.2/o/m) "Erwartungen" 1 II: (1) «p>okay>. (-) «pp>gut. > (1) .h «f;dim>ja wAs sind 2 denn so ihre erWARtungen> an uns. 3 (2) 4 was erwArten sie sich denn von UNS als unterNEHmen. 5 (2) 6 ich meine sie Müssen ja gelesen haben; ( ( n a m e ) ) ? und (-) 7 gut; (-) die Arbeitsaufgaben is was ANderes (vielleicht) 8 (-) v=leich=ham sie auch geSACHT; mensch das is nen 9 attrakTIVes unternehmen; ich WEIß es nich. also weiß ja 10 nich; W:AS sie von uns ( . ) WISsen; oder WAS (sie von 11 [uns KENnen, 12 B: [(tja ) ich würde j e t z t DENken, dass ich den (1) 13 die DAtenbank pflege; (-) KUNdenstamm; (-) (oder) (-) 14 ABrechnungen; (3) Schriftwechsel mit (-) KUNden; (1) 15 oder auch (-) eh (-) anderen geSCHÄFTSpartnern, (1) das 16 wird ja alles (-) FESTgehalten; in=ner (.) DAtenbank. 17 II: (3) .h nee ja die (.) frage ging an sich in=ne ganz 18 ANdere richtung. also was erWARten sie sich ( h i e r ) (-) 19 vom unternehmen. (-) was was eh (-) .h was MÜSsen wir 20 für sie tun; damit wir attrakTIV für sie werden. 21 ((räuspert sich)) 22 B: ( 2 . 1 ) «pp>was müssen sie T U N . > Die Frage des Interviewers kehrt die dominante Perspektive des Bewerbungsgesprächs, nämlich die Erwartungen des Unternehmens an die Qualifikation des Bewerbers, um und fragt nach den Erwartungen, die der Bewerbende an das Unternehmen stellt. Als der Bewerber nach einer zweisekündigen Pause nicht geantwortet hat, wiederholt der Interviewer die Frage mit einer leichten Reformulierung (Z. 4). Nach einer erneuten Pause, in der der Bewerber wiederum eine Antwort schuldig bleibt, entwirft der Interviewer ein Szenario, in dem der Bewerber die Stellenanzeige liest. Er formuliert in direkter Rede imaginierte Worte

127

des Bewerbers über den Eindruck, den das Unternehmen ausgelöst haben mag (mensch das is nen attrakTIVes unternehmen; Z. 8f). Damit exemplifiziert er eine mögliche Antwort, die seinen Erwartungen entsprechen würde. Deren Rahmung als Vorschläge wird durch die Vagheitsmarkierungen (vielleicht, Z. 8, ich WEIß es nich Z. 9) erreicht. Der Bewerber nennt nun mögliche Tätigkeiten im Rahmen der zukünftigen Stelle (Z. 12ff), womit er allerdings ausdrücklich gegen die Vorgaben des Interviewers handelt, der die Arbeitsaufgabe explizit ausgeschlossen hatte (die Arbeitsaufgabe is was ANdres; Z. 7). Damit hat er "etwas erwarten" in einer Weise interpretiert, die mit "sich vorstellen" paraphrasiert werden kann (vgl. Z. 12 ich würde jetzt DENken vs. der Lesart "Erwartungen stellen"). Nach einer kurzen P.ause kündigt das nee des Interviewers unmissverständlich die Zurückweisung der Antwort an. Seine Frage sei "in eine andere Richtung" gegangen (Z. 17), er wiederholt zunächst leicht reformuliert die Eingangsfrage (Z. 18) und formuliert sie dann noch einmal ein wenig um (Z. 19f). Die leise deliberative Wiederholung der Frage durch den Bewerber zeigt dessen Verständnislosigkeit (Z. 23). Er übernimmt zwar den Turn und gewinnt so etwas Zeit, liefert aber keine konditionell relevante Antwort. Beispiel (9) - (Edv.2/o/m) (Fortsetzung) 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35

B: II:

B: II:

B: II:

( 2 . 1 ) «pp>was müssen sie T U N . > (-) oder was sind so FORderungen; die sie an uns STELlen. ( 1 . 2 ) also Eine is die fOrderung; sie wolln (-) nicht weniger als dreieinHALB. ( e h ) (-) «p>erreichen. > (3) t j a (dass) ich mein abiTUR noch zu ende mache? (2) also dass sie zumindest (-) eh (-) in dem (-) RAHmen; wie es NOTwendich is zur erlangung ihres abitUrs, (-) von uns sozusagen vielleicht FREIstellung in form von/ oder oder «f>MÖGlich[keiten angeboten> bekommen das zu [also machen.

Daraufhin formuliert der Interviewer seine Frage eine weiteres Mal, ersetzt aber den zentralen Begriff "Erwartungen" durch "Forderungen" (Z. 23). Nach einer Pause, die der Bewerber nicht zur Turnübernahme nutzt, führt der Interviewer eine adäquate Antwort vor. Um klar zu machen, was er unter "Forderungen" versteht, nennt er beispielhaft die Gehaltserwartungen des Bewerbers, die er kennt, weil bereits darüber gesprochen wurde: also Eine is die fOrderung; sie wolln (-) nicht weniger als dreieinHALB. (eh) (-) «p>erreichend (Z. 24ff). Das Vorgehen des Interviewers erinnert an ein didaktisches Verfahren; es beruht darauf, ein Muster für eine mögliche Antwort vorzugeben, indem er den ersten Teil einer potenDiese Frage wird in Varianten allen £ ( i c h = ) f ra=ma=ANdersrum. > was hätten sie für=n FORderungskatalog. was würden SIE; wenn sie .h (-) gAnz f r E i j e t z an uns FORderungen s t e l l ( t ) e n , wie wie=wie ihr arbeitsplatz zu geSTALten is; was würden sie für FORderungen aufmachen. (3) dann/ dazu müsst ich die konkreten: arbeits/ eh Arbeitsanforderungen ersma Wissen, um: meinen

arbeitsplatz zu (ge (h) stalten.) (-) «p>muss ich jetzt

II: B:

II: B:

SAgen. (1) ( j a , ) > (1) ich=meine GUT. (wenn ich) eh (1) j e t z mehr oder weniger zu sysTEMverwaltung un:d- (2) CE Programmierung habe, (1) «p>ja was BRAUCH ich dann (am) arbeitsplatz. dann brauch ich=n: (.) eh> (1) pe CE, wo:mit ich programMIERen kann, «p>hm=hm, > (1) un:d ebend auch die möglichkeiten; an (1) eh (1) die dementsprechenden UNixrechner rAnzukommen; um sysTEMverwaltung zu machen. (1) das is ja das/ (1) das is auch DA wieder=n problem; ( I ) die: unixrechner selber stehn im RECHenzentrum, (1) wir machen die verWALtung, kommen aber nich ins rechenzentrum REIN, wir müssen da uns erst immer (.) ANrufen, REINlassen, das geht alles per CHECKkarte, hm=hm, wir kriegen keine Zulassung, ja, (-) und das sin/ (-) das sind alles so=ne KLEINigkeiten, j e t z (-) so: (-)

26

«p> (mehr oder weniger so mal> (-) gleich so)

27 28

MITschildere. .h damit sie so=n (-) EINblick harn. ja nee. ich ( . ) ich frAg ja auch dann nach den

29 30

II:

RAHmenbedingungen und so. .h (1) freie verFÜGbarkeit und Zutritt an:=nh die dinge; die sie brAuchen. (-) das wäre

129 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47

B: II: B: II: B: II: B: II: B: II: B:

Eine forderung. «p>ja;> (1) «p>gut.> (1) ABgrenzung; oder klare definition des AUFgabengebietes. (-) wäre die ZWEIte forderung. «p>(ja.)> .h (-) Unterstützung der/ durch die ANderen. TEAM; (-) ja dass eben TEAMarbeit [ ( i s )] [wäre die DRItte] forderung. ( . ) gibt=s da noch MEHR. ( 4 ) das warn schon so: die HAUPTpunkte; die (mir) ersma WICHtig warn. hm=hm, ja, um:=n gutes arbeiten: (.) zu geWAHRleisten. (2) vor allem; (-) wie gesacht; die: (-) TEAMarbeit. (-) dass [ ( m a n so) zuSAMmenarbeitet, und ( 2 . 5 ) nich [hm=hm GEgen=nander.

Der Bewerber schildert als Antwort auf die Frage nach Forderungen an den potenziellen neuen Arbeitgeber, was ihm an seinem derzeitigen Arbeitsplatz nicht gefallt. Diese Aussagen transferiert der Interviewer in eine Form, die sich durch Kürze, Nominalisierung und Listenformat kennzeichnen, Stilmerkmale, mit denen sich die "Übersetzung" deutlich von dem "Original" unterscheidet. Wie schon im vorangegangenen Beispiel sind mit diesen Verfahren zweifellos Chancen und Risiken für den Bewerbenden verbunden. Zum einen hat es kooperative Züge für den Bewerber, insofern der Interviewer ihm bei der Formulierungsarbeit behilflich ist. Auf die drei "Übersetzungen" des Interviewers erhält der Bewerber die Möglichkeit zur Bestätigung und er ratifiziert auch abschließend die Dreierliste des Interviewers ausdrücklich als die HAUPTpunkte; die (mir) ersma wichtig wÄrn (Z. 40f). Andererseits macht sich der Interviewer zum Sprachrohr des Bewerbers, spricht für ihn und korrigiert ihn zugleich, mit dem symbolischen Gehalt, dass der Bewerber bestimmte Anforderungen nicht erfüllt und der Interviewer ihm nun zeigt, wie "man das macht". Die beschriebenen Lehr-Verfahren erinnern an Unterrichts- oder auch Prüfungsinteraktion; in einer Art didaktisiertem Vorexerzieren wird den Bewerbern gespiegelt, was bzw. welche Antwort von ihnen erwartet wird. Der Interviewer weiß sich auf dem legitimen Boden der Gattung, die ihm das Recht zugesteht, Antworten zu fordern, einzuklagen und gegebenenfalls vorzuexerzieren. 4.1.4 Lektionen Die bisher dargestellten Formen der Bearbeitung von Gattungswissen zeichnen sich durch die Beteiligung expliziter bis zu impliziteren Verfahren aus. Ihnen ist gemeinsam, dass sie Erwartungsbrüche in Bezug auf Gattungsregeln reparieren bzw. sanktionieren (Günthner/ Knoblauch 1994:702), die sich in ihrem face-bedrohenden Gehalt für die Bewerbenden unterscheiden. Am folgenden Beispiel soll eine besonders starke "Sanktion" für die Verletzung einer Gattungsregel illustriert werden. Es handelt sich um die Fortsetzung des Beispiels (4). Der Interviewer hatte unter Bezugnahme auf die Norm "aber man informiert sich doch" versucht, eine Antwort auf die Frage

130 nach den Gehaltserwartungen des Bewerbers zu forcieren. Das war ihm nicht gelungen und das Thema wurde gewechselt. Dass der Themenwechsel keineswegs bedeutet, dass der Zwischenfall nicht wieder aktualisiert werden könnte, zeigt sich in einem Nachspiel. Als der Bewerber einige Zeit später selbst Fragen stellen kann, greift er das Gehaltsthema wieder auf und fragt nach der Bezahlung, die das Unternehmen für diese Stelle vorsieht. Beispiel (l 1) - (Edv.6/o/m) "man informiert sich doch" (Fortsetzung von Bsp. 4) 1 ( ( . . . ) ) ca. 4 Minuten später 2 B: (2) .h na j a = f h {-) ich kAnn ja einfach mal (1) nach=m 3 gehalt FRAgen; (-} (i=)meine- (-) da JIB=s ja von ihnen 4 Och (.) eh (.) VORstellungen. (-) sicher. ( 1 . 8 ) in 5 welchen (-) reGIOnen sich das bewegt. 6 II: ( 1 . 2 ) «len>da:: ham=wer> KLAR, also wir harn 7 VORstellungen, und eh=s (1) es gibt bei uns einen 8 GRUNDsatz, (1) ( ( s c h n a l z t ) ) dass: «p>absolventen eben 9 halt mit .h (-) der lohngruppe ZEHN> Eingestellt werden? 10 ( 2 . 2 ) ich verRAT ihnen jetz aber nicht die SUMme; weil 11 ich ( . ) ganz gErne erstmal Wissen [möchte, was sie 12 B: [ 13 II: verDIEnen wollen, das hatt ich sie vorHIN schon 14 ge[fragt. 15 B: [ Der Vorwurf an den Bewerber das hatt ich sie vorHIN schon gefragt (Z. 13f) klagt die Nichterfüllung der gattungsspezifischen Pflicht auf Antwort an. In ihm bildet sich vor allem die Asymmetrie in den Beteiligungsrechten von Bewerbenden und Interviewenden ab: Fragen zu stellen und Antworten darauf zu erwarten ist in erster Linie ein Recht des Interviewers. (Die Differenz konversationeller Rechte führt eine Austauschprobe vor Augen, wenn man sich vorstellt, dass der Bewerber diese Äußerung gemacht hätte.) Das Einklagen einer Antwort bezieht sich auf mehr als auf das allgemeine Prinzip, dass eine Frage eine Antwort relevant setzt. Dieser Pflicht hätte der Bewerber mit dem Argument der fehlenden Erfahrung formal Genüge getan. Die lokale Asymmetrie einer Frage/Antwort wird durch die globale Asymmetrie der Gattung überformt, nach der es in der Macht des Interviewers liegt, festzulegen, wann eine Antwort als ausreichend gilt. Diese manifestiert sich vor allem darin, dass für den Bewerber Vergleichbares nicht gilt; der Interviewer gibt keine Antwort auf die Frage des Bewerbers nach der Höhe der Bezahlung, sondern nimmt ihm statt dessen kurzerhand das Fragerecht wieder ab und stellt die Frage nach den Gehaltserwartungen noch einmal. Nachgerade legitimiert durch den monierten Normverstoß des Bewerbers, verweigert der Interviewer sein Expertenwissen (ich verRAT ihnen jetz aber nicht die SUMme; Z. 10) und er inszeniert auf der Grundlage seines exklusiven Wissens um Gehaltsstufen eine Art Ratespiel. Während die normative Formulierung "aber man informiert sich doch" in Beispiel (4) noch in erster Linie die Beantwortung der Gehaltsfrage durch Gattungsregeln forcieren sollte, transzendiert dieses Nachspiel die Verletzung einer übergeordneten Norm: der Nichtbeantwortung einer Interviewfrage und damit die Verletzung einer gattungsspezifischen Pflicht. Unmittelbarer Anlass für diesen Zwischenfall ist der Versuch des Bewerbers, für sich selbst ein Fragerecht zu reklamieren: ich kAnn ja einfach mal (1) nach=m geholt FRAgen, Z. 2ff). Genau das aber verweigert ihm der Interviewer. Die Reetablierung einer Frage, die der Bewerber offensichtlich nicht beantworten will, ist die Sanktion für die Inan-

131 spruchnahme eines nicht zugestandenen konversationeilen Rechtes und die Verletzung von Gattungsregeln. Betrachten wir nun den weiteren Verlauf des Gesprächs. Beispiel (12) - (Edv.6/o/m) "man informiert sich doch" (Fortsetzung) 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48

B:

II: B: II: B: II: B: II:

B: II: B: II:

B: II:

«p>hehe> .h (-} ( (räuspert sich vernehmlich)) ( 5 . 8 ) ich KANN ihnen j e t z sagen; ( 3 . 2 ) vielleicht- (1) t j a ; ( 1 . 5 ) fünfnhalb bis sEchs, so; (-) « p > ( j a . ) > = =DAS wolln sie verdienen.= =oder SECHsnhalb; oder. (-) DAS wolln sie verdienen. NEE; ich ( . ) MEIN ja; ich kann ihnen das j e t z ( . ) e : h (-) so SAgen; ja. bloßja. .h (2) irgendwie MACHT=s halt(1) ja ich mein sein sie realistisch. « p > ( n i c h , ) > (1) .h wenn sie (.) wenn sie der MEInung sind, sie sind sechstausend mark WERT, dann SAgen sie=s doch. ( 1 . 8 ) «p>hehe> (1) da=is doch nichts schlimmes BEI; ( 1 . 4 ) ja: das STIMmt. ( . ) «p>das stimmt ( [...)> [un=WENN sie nu der mEinung sind, s : : : / .h (1) dass sie/ dass sie ( . ) was weiß ich drEienhalb, oder zwEienhalb, oder vlernhalb WERT sind; ja. dann SAgen sie=s doch auch. (1) «all>es geht doch darum> dass SIE ( . ) letztendlich mir sAgen, (.) oder UNS sagen, .h (-) eh (1) mit welchem gehalt sie zuFRIEden sind, wo sie SAgen würden; das is ( . ) das is i/ irgendETwas; was .h (-) «len>was ich der MEInung bin, meiner LEIstung, entspricht,> und und eh hm (1) was ich okEY finde, wo ich mich dann nich über=n TISCH gezogen fühle; und nich überVORteilt. « p > ( e h ) > (-) «p>darum GEHT=s doch.> (1) n a j A dann=würd ich so (-) FÜMF. (-) «p>fünf ( e t w a . [ (.) ja.)> [ < < p > f ü n f t a u s e n d MARK.> (1) ja da liegen sie DEUtlich über dem was wir ZAHlen können.> .h ( ( r ä u s p e r t s i c h ) ) ( 1 . 6 ) «p>also liegen sie um tausend mark zu HOCH. >

Der Bewerber nennt auf die erneut gestellte Frage nach seinen Gehaltserwartungen (nach einer langen Pause) zwar Summen (fönfiihalb bis sEchs, Z. 18; oder SECHsnhalb Z. 20), er legt sich aber nicht auf eine gültige Antwort fest. Nach zweimaliger Nachfrage des Interviewers, mit der er die Verbindlichkeit der Antwort testen will, nimmt der Bewerber seine Antwort jedoch wieder zurück (Z. 22-23). Offensichtlich will er sich nicht festlegen, ein Eindruck, der durch das zögerliche Antworten, die langen Pausen und unvollendeten Sätze unterstrichen wird. Über die Gründe dieser demonstrativen Nichtfestlegung kann man nur spekulieren. Naheliegend erscheint eine strategische Motivation, denn die Gehaltsfrage versetzt den Bewerber in ein typisches Dilemma: Nennt er eine zu hohe Summe, fällt er vielleicht aus dem Kreis potenzieller Kandidaten heraus, nennt er aber eine zu niedrige Summe, verspielt er vielleicht ein gutes Einkommen (vgl. a. Kap. 5). Aus der Perspektive des Unternehmens geht die Bedeutung der Frage allerdings auf andere Relevanzen und strategische Erwägungen zurück. Über diese belehrt der Interviewer

132

den Bewerber in der sich anschließenden längeren Sequenz. Zunächst ermuntert er ihn zu einer relativ hohen Gehaltsforderung. Die Gehaltserwartung wird dabei zu einer Frage "der Meinung über den eigenen Wert" erklärt, die u.a. Aufschluss darüber gibt, wie "hoch" die Meinung von sich ist. Anschließend kündigt eine normative Formulierung es geht doch darum (Z. 36, a. Z. 43) an, dass der Interviewer nun die Relevanz der Antwort erläutern wird, die in erster Linie in der Bedeutung der Zufriedenheit mit dem Verdienst besteht. Daraufhin nennt der Bewerber eine im Vergleich zu seiner ersten Äußerung deutlich geringere Summe, die aber über dem niedrigsten Wert liegt, den der Interviewer genannt hatte: fünf (etwa.) (Z. 44). Doch diese Summe ist offensichtlich zu hoch, wie der Interviewer im Anschluss offenbart: ja da liegen sie DEUtlich über dem was wir ZAHlen können.> .h ((räuspert sich)) (1.6) «p>also liegen sie um tausend mark zu HOCH.> (Z. 46ff). Damit ist der Bewerber nicht mehr im Rennen, denn einmal geäußerte Gehaltserwartungen sind schwer wieder zurückzunehmen, da, wie der Interviewer so unmissverständlich klar gemacht hat, die Zufriedenheit mit dem Gehalt für das Unternehmen von großer Relevanz ist. Tatsächlich wird das Gehalt aber in aller Regel durch Vorgaben des Unternehmens bestimmt und ist (außer vielleicht bei hohen Führungspositionen) nicht verhandelbar, so dass sich der "eigene Wert" immer nach einer externen Vergleichsgröße bemisst. Über diese "informiert man sich", eine Regel, die der Interviewer zuvor explizit formuliert hatte. In diesem Nachspiel allerdings zieht sich der Interviewer - ähnlich wie der Interviewer in Beispiel (3) "Auto" - auf eine Paradoxie des Bewerbungsgesprächs zurück, hier der Illusion, als orientierten Bewerbende ihre Gehaltsvorstellungen in erster Linie an der Messlatte eines persönlichen "(Tausch-)Wertes". Der Verlauf, den das Gespräch nimmt, gleicht einer Lektion, die der Interviewer dem Bewerber erteilt, um ihm zu zeigen, wohin es fuhren kann, wenn man gegen die Gattungsregel verstößt, dass Fragen von Interviewenden zu beantworten sind, und zwar gemäß deren thematischen Relevanzen. Mit der Reetablierung einer bereits zweimal vom Bewerber zurückgewiesenen Frage, dem Nichtbeantworten der Bewerberfrage und, mehr noch, der Restituierung seiner selbst als Fragender benutzt er seine gattungsspezifischen, asymmetrischen Beteiligungsrechte als Interviewer zur Ausübung von interaktiver Dominanz (vgl. Linell/Gustavson/Juvonen 1988; Linell/Luckmann 1991).

Grießhaber (1994:36) beschreibt im Rahmen der Bewertungsdrift, dass Interviewende bemüht sind, bei Nichteignung, die sich bereits im Verlaufe des Bewerbungsgesprächs abzeichnet, "Konsens" mit den Bewerbenden herzustellen: "der Bewerber wird auf die spätere Absage vorbereitet, indem ihm eine partielle Inkompetenz im Zusammenhang mit der angestrebten Stelle aufgezeigt wird." Verfahren dazu sind u.a.: Druckerzeugung, Offenlegung mangelnden Interesses, ungenügender Motivation oder unzutreffender Vorstellungen vom Arbeitsalltag. Diese Motivation könnte bei der ausfuhrlichen Belehrungssequenz eine Rolle gespielt haben, tatsächlich wird der Bewerber abgelehnt. In der Nachbesprechung des Interviewerteams zeigt sich, dass der Interviewer das gesichtsbedrohende Potenzial seines Gesprächsverhaltens durchaus realisiert: Also er hatte zwei enttäuschende Erlebnisse im Gespräch, das eine war das Geld. Ich meine, er hat sich das schon... Oder (-) ich Hab ihn in so=ne Ecke manövriert, dass er sich verarscht fühlte hinterher. (...) dass ich ihn genatzt hatte halt, ne, also dass ich ihn (-) er sich hochgetrieben fühlte.

133

4.2 Zwischenresümee 4.2. l Belehrungen über Gattungswissen Betrachten wir noch einmal die bisher vorgestellten Beispiele in der Zusammenschau. Es ist feststellbar, dass sie alle mehr oder weniger direkt auf Elemente von Gattungswissen verweisen, wenngleich die lokale Funktion dieser Verweise sehr unterschiedlich ist. Im Einstiegsbeispiel ist es die Bewerberin, die einen Erwartungsbruch produziert, es aber nicht versäumt, ihn als kalkuliertes Spiel zu rahmen, indem sie ihr Wissen um die Gattungsregel retroaktiv explizit macht. Ihr Rekurs auf die Norm soll zeigen, dass sie sie gleichwohl beherrscht. Im Beispiel (3) "Auto" zielt der Verweis auf eine Regel eher auf die Konstruktion eines Verstoßes, während die beiden Beispiele (5) und (6) um das Thema Hobbys den Verhandlungsspielraum für die gemeinsame Bearbeitung und Bewertung potenzieller Verletzungen von Erwartungen illustrieren. Sie zeigen eindrücklich den Einfluss, den die Bewerberin auf die Bewertung des Erwartungsbruchs nehmen konnte. Das Lehrverfahren, das in den Beispielen (8-9) und (10) zum Einsatz kommt, ist ein didaktischer Versuch des Interviewers, die Bewerber zu den von ihm präferierten Antworten zu fuhren. Fragen und Antworten spielen auch im letzten Beispiel (11-12) eine Rolle. Es stellt die stärkste Sanktion eines Bewerbers für die Verletzung von Gattungsregeln vor. Die Belehrung über Gattungsrelevanzen ist Teil einer regelrechten Lektion über u.a. die Verteilung des Fragerechtes und der Antwortpflicht im Bewerbungsgespräch. Drei Bereiche von Gattungswissen werden in den Beispielen bearbeitet, a) Wissen, dass sich auf Vorbereitungen im Vorfeld des Bewerbungsgesprächs bezieht, b) globales Wissen um Relevanzen bestimmter Themen (z.B. Mobilität, die Gehaltsfrage) und c) die Asymmetrie von Beteiligungsrechten bei Frage und Antwort. Belehrungen über die Normen der Gattung als eine Form der Sanktionierung (auch vermeintlicher) Verletzungen von Gattungsregeln bieten potenziell die Möglichkeit, "differierende Wissensbestände" zu bearbeiten und ggf. auszugleichen. Bewerbende erwerben so ein Wissen über die Gattung, das ihnen in zukünftigen Bewerbungsgesprächen von Vorteil sein kann. Mit solchen Belehrungen "erziehen" - wenn auch in Grenzen - die professionellen Aktanten im Verlauf des Vollzuges der Gattung ihre Klientel. Und Belehrungen sind für die Analyse ausgesprochen aufschlussreiche Momente, denn sie transzendieren Regeln, die einen Einblick in die normativen Erwartungen der Beteiligten, vor allem aber der Interviewenden, gestatten. Wir erhalten so Gelegenheit, Verfahren der Vermittlung gesellschaftlich relevanten Wissens zu beobachten. Aber Belehrungen haben ein hohes asymmetrisierendes Potenzial und stellen ein "kommunikatives Gefalle" her (Keppler 1991:539), das der positiven Selbstdarstellung der/des Belehrten nicht zuträglich ist. Das Asymmetrisierende von Belehrungen liegt darin, dass Interviewende als diejenigen, die Gattungsregeln explizieren, in ihren selbstinitiierten Belehrungen von Wissensdefizitunterstellungen ausgehen bzw. sie damit gleichsam herstellen. Diese vermeintlichen Wissendefizite werden dann mit dem eigenen, als verbindlich präsentiertem Wissen aufgefüllt. Das Wissen, dass sie zur Behebung des Defizits präsentieren, wird als gültiges, legitimiertes Wissen, bisweilen in einer Art Zwangsbelehrung (Keppler 1989: 545), vermittelt.

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4.2.2 Lektionen für Ostdeutsche? In Zusammenhang mit Erwartungsbrüchen und der Bearbeitung von Gattungswissen muss es nicht zwangsläufig zu Imagebedrohungen der Bewerbenden kommen. Die bisher analysierten Beispiele unterscheiden sich in dieser Hinsicht ganz wesentlich voneinander. In den expliziten oder impliziten Rekursen auf Regeln der Gattung liegt das Potenzial für die Eröffnung von Reparatur- und Aushandlungsprozessen, mit denen die Bewertung und etwaige negative Folgen für die Imagearbeit bearbeitet werden können. Auch weniger explizite Verfahren, wie das im vorangegangenen beschriebene Lehr-Verfahren, kann der Wissensvermittlung dienen und Bewerbenden die Möglichkeit eröffnen, etwas darüber zu erfahren, was in Bewerbungsgesprächen von ihnen erwartet wird. Jedoch hat sich gezeigt, dass Wissensdefizitunterstellungen durch Interviewende häufig als Ausgangspunkt für eine asymmetrisierende interaktive Entwicklung dienen. In der Weise, wie sie Wissen präsentieren, ob als Ausgangsbasis für eine Aushandlung, als Maßstab für die Abweichung oder gar in Verbindung mit einer Lektion über adäquates Handeln im Bewerbungsgespräch spiegelt sich ein Anspruch auf die Legitimität dieses Wissens. Die Risiken für die positive Selbstdarstellung in der konkreten Situation können für Bewerbende dramatisch sein. Die vorgestellten Beispiele haben noch eine Gemeinsamkeit in einer ganz anderen Hinsicht: Mit Ausnahme des Einstiegsbeispiels handelt es sich bei den "betroffenen" Bewerberinnen und Bewerbern um Ostdeutsche. Explizite Thematisierungen dieses Faktums, interkulturelle Orientierungen oder sonstige Hinweise darauf, dass diese Tatsache für die Beteiligten relevant wäre, sucht man zwar vergebens; bei genauerer Betrachtung erscheint es jedoch sehr plausibel, dass es gerade mit Novizen der Gattung verstärkt zu Erwartungsbrüchen, Regelverstößen und deren Bearbeitung kommt. Gattungswissen ist kulturelles Wissen, dass im Zuge der Sozialisation und durch kommunikative Praxis erworben und vertieft wird. Die westdeutschen Interviewenden greifen auf eine "westdeutsch" geprägte Gattung zurück, die den ostdeutschen Bewerbenden in vieler Hinsicht fremd oder sogar unbekannt ist, wenn man berücksichtigt, dass deren Erfahrungen aus einer bis vor kurzem "anderen" Kommunikationsgemeinschaft stammen. Verlässliche Daten über die Praxis von Bewerbungsgesprächen während der Zeit der DDR gibt es leider nicht. Berichte von Ostdeutschen und die Aussagen der ostdeutschen Personalexpertinnen unseres Korpus deuten darauf hin, dass sich die Gattung in der DDR bereits auf der Außenstruktur in wesentlichen Merkmalen von der westdeutschen unterschied. Bei der Selektion und Allokation von Arbeitskräften spielte sie eine eher untergeordnete Rolle. Vielfach wurden Arbeitskräfte den Betrieben zugewiesen, hier waren "Vorstellungsgespräche" zum Zwecke des gegenseitigen Kennenlernens und der Besprechung von Rahmenbedingungen üblich. Ein wesentlicher Unterschied liegt somit im Wegfall der Konkurrenz mit anderen Bewerbenden, die man durch eine gelungene Selbstdarstellung ausstechen muss, wie es in der westlichen Gattung sehr üblich ist. Ein "sich verkaufen", im Sinne der offensiven Präsentation der eigenen Kompetenzen, ist unter solchen außenstrukturellen Bedingungen nicht gleichermaßen zentral. Welche Unterschiede es auf den tieferDieses Element von Bewerbungsgesprächen wird von Ostdeutschen häufig als typisches Merkmal von westlichen Bewerbungsgesprächen betrachtet, dem sie jedoch nicht entsprechen können oder wollen und das sie moralisch für fragwürdig halten. Personalverantwortliche dagegen beklagen es

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liegenden strukturellen Ebenen Zwischen- und Binnenstruktur gegeben haben mag, kann mangels authentischer Daten aus dieser Zeit nicht direkt untersucht werden. Es ist aber davon auszugehen, dass auch auf diesen Ebenen nicht unerhebliche Unterschiede bestehen. So zeugen die in der vorliegenden Arbeit untersuchten Bearbeitungsprozesse beispielsweise als Spuren von solchen Differenzen. Die Bereiche des Gattungswissen, die bearbeitet werden, sind so divers wie die präsentierten Beispiele: Von der Regel, sich über Gehaltsstufen oder die Arbeitsplatzbeschaffenheit zu informieren, über adäquate Angaben als Hobbys, die Relevanz von Mobilität bis hin zu der adäquaten Formulierung von Erwartungen an den zukünftigen Arbeitsplatz. Es stellt sich die Frage, ob Differenzen im Gattungswissen Ursache für unterschiedliche Verläufe von Bewerbungsgesprächen sind. Dass Gattungswissen in westdeutsch/westdeutsch besetzten Gesprächen kaum in vergleichbarer Weise expliziert thematisiert wird, gibt einen ersten Anhaltspunkt. Während Ostbewerbende mit den bisweilen sehr negativen Folgen für die positive Selbstdarstellung, die z.B. mit Belehrungen u.a. einhergehen, umgehen müssen, sind Westbewerbende solchen Risiken nicht ausgesetzt. Wie aber verhält es sich in Sequenzen, in denen sich kein so direkter Rekurs auf Gattungswissen der Beteiligten nachweisen lässt? Dieser Frage soll nun an einer längeren Fallanalyse mit einer ostdeutschen Bewerberin nachgegangen werden.

4.3 Konkurrenz um das legitime Wissen Bei den bisher vorgestellten Fällen, in denen Erwartungsbrüche und Normverstöße (z.T. in Belehrungen) bearbeitet werden, handelt es sich nur um die Spitze eines Eisberges. Die typische Doppelbödigkeit von impliziter und expliziter Agenda in Bewerbungsgesprächen legt es nahe anzunehmen, dass Regelverletzungen u.a. häufig gar nicht angesprochen werden. Das wird um so plausibler, wenn man davon ausgeht, dass nicht nur die Fachkompetenz und Passung im engeren Sinne, sondern auch die Performanz der Gattung in die Bewertung einfließen. Dass es in Bewerbungsgesprächen zur Bearbeitung, sogar zu Kontroversen über Elemente des Gattungswissens kommt, wurde in den vorangegangenen Analysen kürzerer häufig als ostdeutsches Defizit, so z.B. die ostdeutsche Personalleiterin Bank.C im Experteninterview: Das einzige, was ich eben denke, was wirklich typisch ostdeutsch is, dass wir nicht gelernt haben, uns verkaufen zu müssen. Von entsprechenden Beobachtungen berichtet auch Wagner: "Bei einer Befragung von westlichen und östlichen Bewerbern um Führungspositionen in der Wirtschaft stellte sich heraus, dass die Westdeutschen im Unterschied zu den Ostdeutschen meinen, im Vorstellungsgespräch müsste man sich gut verkaufen. Die Ostdeutschen fanden dagegen dieses Ansinnen unmoralisch. [...] In der Untersuchung wird für die westliche Seite festgestellt: 'Für die westlichen Führungsnachwuchskräfte gehört das 'Sich verkaufen' zur Unternehmensrealität, die moralischen Implikationen werden dabei nicht thematisiert.' Dieses 'Sich verkaufen' bedeutet keineswegs, dass gelogen würde oder sonstige unlautere Mittel zum Einsatz kämen, wie es die ostdeutschen Aussagen unterstellen. Diesen Vorwurf würden westliche Bewerber und Bewerberinnen ihrerseits mit moralischer Empörung zurückweisen." (Wagner 1996:153)

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Sequenzen gezeigt. Im folgenden wird das methodische Vorgehen verändert; wieder geht es um die Bearbeitung von Gattungswissen, allerdings werden verschiedene Datentypen analytisch fruchtbar gemacht. Zunächst wird ein Bewerbungsgespräch mit einer ostdeutschen Bewerberin und westdeutschen Interviewer/innen vorgestellt, in dessen Verlauf divergierende Normerwartungen bzw. Erwartungsbrüche nicht explizit verhandelt werden, aber für die Beteiligten doch eine Rolle spielen. Zur Untermauerung der Intuition steht ein längeres Metagespräch zur Verfügung; es handelt sich um eine im direkten Anschluss stattfindende Nachbesprechung, in der die Bewerberin ein Feedback über das gerade absolvierte Gespräch erhält. Feedbacks sind in dem betreffenden Subkoipus Telefon allgemein üblich. In den meisten Fällen konnten sie von uns aber nicht aufgezeichnet werden, da sie einige Tage später zusammen mit der Vergabeentscheidung erteilt wurden. Anders im vorliegenden Fall; hier stellte sich im Laufe des Gespräches heraus, dass die Bewerberin an der Stelle nicht mehr interessiert war, weil es sich um eine Teilzeitstelle handelte, so dass sie ein Feedback direkt anschließend an das Gespräch erhielt. Dieses Feedback fällt sehr viel länger aus als üblicherweise und nimmt einen ungewöhnlichen Verlauf: Es kommt zu einem Metadiskurs über das Bewerbungsgespräch, in dem sowohl die Bewerberin und als auch die Interviewer ihre handlungsleitenden Relevanzen explizieren. Dabei kommen nicht nur verdeckte Handlungsmotive und die normativen Orientierungen der Beteiligten explizit zur Sprache, die Interviewer belehren die Bewerberin sogar mit zunehmender Deutlichkeit über ihren Machtanspruch auf das legitime Gattungswissen. Bevor wir uns aber der Nachbesprechung zuwenden können, sollen Teile des Bewerbungsgesprächs, auf die sich der anschließende Metadiskurs bezieht, einer eingehenden Analyse unterzogen werden.

4.3.1 Ein schismogener Verlauf Die folgende Sequenz stammt aus dem zweiten Drittel des eigentlichen Bewerbungsgesprächs. Ein wesentliches Merkmal des Beispiels ist die Dauer, über die sich die Nachfragen der Interviewer hinziehen, die über die präsentierte Passage hinaus noch weitergehen. Dieser Eindruck kann in der Analyse leider nur unvollständig wiedergegeben werden. Aus Gründen der Darstellung wird das Material in mehreren Teilen präsentiert und, wo es möglich erschien, gekürzt. Beispiel (13) - (Telefon.2/o/f) "Kollegen und Kolleginnen" 1 2 3 4

12: und wie haben=sie=sich mit ihren kollEgen und kollEginnen denn verstanden? 13: ( ( r ä u s p e r t s i c h ) ) B: sehr GUT.

Im betreffenden Unternehmen spielen Werte wie "Konfliktfähigkeit", "Offenheit", "Teamfähigkeit" usw. eine große Rolle; das führt u.a. dazu, dass allen Bewerberinnen ganz selbstverständlich ein positives und negatives Feedback über den Eindruck, den sie im Bewerbungsgespräch gemacht haben, gegeben wird, mit der Begründung, ggf. in weiteren Bewerbungsgesprächen davon zu profitieren. Selbst von mir, die ich als Zaungast während der aufgezeichneten fünf Bewerbungsgespräche anwesend war, wurde als Tribut ein abschließendes Feedback über das Einstellungsverfahren verlangt.

137 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29

12: ja, B: ja. 12: (-) was: ( . ) konnten die so; (-) oder was würden DIE SAgen, wenn wir sie FRAgen würden, was sie besonders an ihnen SCHAtzen? B: .hh joa. ( 0 . 5 ) das is=ne gute FRAge. ( 1 . 0 ) ( ( s c h n a l z t ) ) man muss EIgntlich, wie jesagt, wie alle Ändern AUch, PUENKTlich sein, man muss ( . ) na[türlich, .h (-) wie 12: [ B: jesAcht, weil ja auch jeder seine arbeit HAT, seine KUNden, daß man dran intresslert is, diese Alle ANzurufen, und .h (-) es hat ja jEder sein festes AUFgabengebiet. ne, also wo jeder KOMmt, und MAcht, und(-) wie jesAgt, (.) sieht denn dOch, MENsch, kann ich noch was HELfen, öde:r ( . ) [kann ich was MACHen, also .h 12: [hmhm, B: (-) das is da eigntlich (-) ganz TOLL jerEgelt; muss ich sagen, ja, und die mitarbeiter sind auch alle sehr sehr LANge da, .h (-) es is auch würklich: (-) ne=TOLle TEAMarbeit; mUss ich sagen, also JEDer [probiert da [«p>hmhm, > wirklich JEDen zu helfen. 12: «p>hmhm,> B: [das LÄUft eigntlich sehr GUT da. II: [

Die Sequenz wird eingeleitet mit einer Vorfrage danach, wie sich die Bewerberin an ihrem bisherigen Arbeitsplatz mit den Kolleginnen und Kollegen verstanden habe. Daran schließt sich die Hauptfrage an: oder was würden DIE SAgen, wenn wir sie FRAgen würden, was sie besonders an ihnen SCHAtzen? (Z. 7ff). Dieser Frage liegt eine verschachtelte Perspektivierung zugrunde: es ist ein Selbstbild (als Gefragte) aus der Fremdsicht (der Kolleginnen) zu entwerfen, mit einem Rezipientenzuschnitt auf die Interviewer ('wenn wir sie fragen würden'). (Zur Untersuchung von Perspektive in ost/westdeutschen Bewerbungsgesprächen allgemein und in dieser Sequenz im Besonderen vgl. Kern (im Erscheinen).) Die Bewerberin macht einige unpersönliche, allgemeine Aussagen über die Arbeitsanforderungen und die gute Teamarbeit. Die Kategorien, die sie dazu wählt, könnten aus einem Kanon von Eigenschaften stammen, wie er in schriftlichen Beurteilungen (auch der DDR, vgl. Keßler 1997) Verwendung findet und die sich folgendermaßen pointieren lassen: Pünktlichkeit (Z. 12), Gewissenhaftigkeit/Leistungsbereitschaft (Z. 15ff), Hilfsbereitschaft (Z. 18f), Kollegialität (Z. 23f). 7 Der Interviewer hatte in seiner Frage allerdings ein Szenario entworfen, in dem die Bewerberin aufgefordert war, die Antwort der Kolleginnen auf die Frage nach einer Bewertung ihrer Person zu produzieren. Diese Perspektive übernimmt sie nicht; sie spricht nicht für ihre Kolleginnen (z.B. sie sagen/würden sagen...), sondern aus einer eher depersonaliStevenson (1995b:49) zitiert einen in der DDR gebräuchlichen Lehrvertragstext, in dem diese Eigenschaften u.a. ebenfalls genannt werden: "Das Lehrziel ist die Erziehung und Bildung eines Facharbeiters, [...] den [...] die Entwicklung solcher Eigenschaften wie Liebe zur Arbeit, Fleiß, Gewissenhaftigkeit, Exaktheit, Pünktlichkeit und Disziplin, Ordnungssinn, beharrliches Eintreten für das Neue, Unduldsamkeit gegenüber Mängeln in der eigenen Arbeit und in der Arbeit anderer auszeichnet."

138 sierten Sprecherperspektive 'man muss' (Z. 11, 12). Sie benennt allgemeine Anforderungen im Rahmen ihrer Tätigkeit bzw. das, was 'jeder' tut (Z. 14, 16, 17, 26, 'alle' Z. 11, 22). Die Bewertung der Arbeitsatmosphäre (Z. 23f) sowie die Auswahl der Anforderungen (Pünktlichkeit, Gewissenhaftigkeit...) spiegeln einen normativen Anspruch, an dem sich die ganze Gruppe orientiert hat. Dass sie in diesem Rahmen erfolgreich agiert hat, ist zwar impliziert, bleibt aber indirekt und unausgesprochen. Die ausdrücklich erfragte Einschätzung ihrer Person nimmt sie nicht vor. Beispiel (14) - (Telefon.2/o/f) Fortsetzung #1 29 I I : [«pp>hmhm?> 30 II: «len>wie konKRET-> ( 0 . 5 ) also wenn: ( . ) wenn ich j e t z ihre 31 (-) koLLEgin; die NEben ihnen sitzt; (.) [frAge; 32 B: [ja? 33 I I : (-) die [ f r a u HOLske. 34 B: [ja? 35 B: = j a , 36 I I : was finden sie TOLL an i h r . 37 B: =hmhm, 38 I I : was würde die denn über SIE sagen. 39 B: «h> das kann ich nich SAgen.> (-) [ ( ( l a c h t ) ) ( h ) das 40 II: [(h)waRUM(h) 41 B: (h)WEIß (h)ich (h)nich. ((lacht)) ] 42 I I : (h) nich. (h) ( ( l a c h t ) ) (h) sitzt (h) da] (h)immer=ne 43 (h)ANdere, oder [ ( ( l a c h t ) ) ] 44 B: [ ( j a ; ) (-) «f> nee das is] Eigentlich, > das 45 [sind eigntlich immer FESte platze, 46 II: [«p>hmhm,> 47 B: aber [bei mir war das eigntlich SO:? .h ( . ) da:ss ich 48 II: [ja, 49 B: hab ja=n saiSONvertrag? «rall>und ich> ( . ) bin eigntlich 50 von Einem platz zum ANdern. wenn doch mal URlaub war, oder 51 so, 52 II: =hmhm, 53 B: .h ich habe doch geWECHselt; ne, [ich war 54 II: [hmhm, 55 B: mehr=oder=wenijer als SPRINger, und hab dann doch .h (-) eh 56 «f>verSCHIEdene plätze> «dim>in dem sinne jehabt; aber 57 eigntlich immer im teleFONverkauf in DEM sinne. j a , > 58 I I : «p>hmhm,> 59 B: « f > j a ; ob mich da einer mehr> (.) oder wenjer so GUT, oder 60 NICH so gut leiden kann, gut; das is=ne (.) ANdre frage, 61 aber ich: (.) DENke mal, ich bin mit den kollegen sehr GUT 62 ausjekommen. 63 II: «p>hmhm?> (-) [.h 64 B: [wAs die meinung der EINzelnen is; WEIß ich 65 nicht. «gepresst>DAnach hab ich auch nich ( h ) j e F R A G T . > 66 [ ( h ) . h ( - ) j a , ( - ) i s UNterschiedlich. 67 I I : [hmhm? 68 B: ( n e , ) ich mein- ( ) einer kann DEN gut leiden, der andre 69 NICH, aberDass die erste Antwort dem Interviewer offensichtlich nicht ausreichte, zeigt seine präzisierende Nachfrage. Die geforderte Konkretisierung (und wie konKRET-, Z. 30) wird durch

139

die Einschränkung von der Gruppe der Kolleginnen in der ersten Fragen auf die koLLEgin; die NEben ihnen sitzt; (Z. 31) schon in der Interviewerfrage vollzogen. Hatte er im ersten Ansatz die Frage in indirekter Rede vorgegeben, so inszeniert der Interviewer nun einen Dialog mit der Kollegin über die Bewerberin: diefrau HOLske. wasßnden sie TOLL an ihr (Z. 33, 36). Dieser Dialog ist noch unvollständig, denn die Antwort ist der Bewerberin vorbehalten. Damit grenzt der Interviewer unmissverständlicher als in der ersten Frage ein, welche Antwort er konditionell relevant setzt. Die Bewerberin weist die Frage zurück «h>das kann ich nich SAgen.> (Z. 39). Die Artikulation mit hoher Stimme und das Lachen schwächen die Dispräferenz der Zurückweisung der Frage ab, die sie damit legitimiert, dass sie nicht wisse, was die Kollegin antworten würde. Die Bewerberin folgt hier einer konversationeilen Logik, die Pomerantz folgendermaßen beschreibt: "The speakers' claiming insufficient knowledge serves as a warrant for their not giving assessments because assessments are properly based on the speakers' knowledge of what they assess. One of the ways of warranting a declination, then, is to deny the proper basis, that is, sufficient knowledge, for its production." (Pomerantz 1984:58) In ihrer anschließenden Reformulierung der Interviewerfrage: «f>ja; ob mich da einer mehr> (.) oder wenjer so GUT, oder NICH so gut leiden kann (Z. 60f) erweitert sie die geforderte positive Fremdeinschätzung um negative Einschätzungen, in Bezug darauf, 'wie man sie leiden konnte'. Auch diese Antwort ratifiziert der Interviewer nicht, sondern fragt ein weiteres Mal nach: Beispiel (15) - (Telefon.2/o/f) Fortsetzung #2 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86 87 88 89

B: II: B: B: II: B: II: B: B: II: B: II: B: B:

gut leiden, der andre NICH, abersie harn ja sicherlich=n [FREUNdeskreis. [ (1.0) ja=a? einen gewissen. ja, (-) doch, (.) ich glaub [SCHON; [mAchen mit DENen auch was? un=wenn ich j e t z dOrt ihre beste FREUNdin, ihren {-) [FREUND frage; [ja, ja, ( 1 . 0 ) die frau HOLske. (-) [hehehe {h)wie IS die [hmhm; hehehehehe denn so. hehehe ] ( h ) j a : ; hehe ( h ) j a ] .h ( - ) n a j a sagen=wa=ma=SO. eh diREKt ehm (-) würd=s ei=m ( . } eigntlich NIEmand sagen, ja, ich denk ma GUT; wenn=s ne=gute FREUNdin is, oder so- die sAgt dann: .h (-) DOCH schon- MENsch, so=und=SO, das sind die FEHler, aber

Diese zweite Nachfrage folgt einen ähnlichen Muster wie die erste, der Interviewer verlegt das Szenario kurzerhand in den Freundeskreis und wiederholt reformuliert die Frage nach der Fremdeinschätzung. Das insistierende Nachfragen, die Einschränkung der Antwortmöglichkeiten erinnern an ein forcierendes Verfahren, das von Kallmeyer/Schmitt folgendermaßen beschrieben wurde: Die Handlungsverpflichtung des anderen (z.B. Auskunft zu

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geben, Stellung zu beziehen, einzuwilligen) verschärfen und ihn ggf. festnageln (Kallmeyer/Schmitt 1996:22; vgl. a. Kap. 6). Wie sich hier zeigt, ist es in Bewerbungsgesprächen sehr schwierig, sich Fragen zu entziehen, denn die asymmetrische Verteilung der Gesprächsrechte ermöglicht es dem Interviewer zu bestimmen, wann ein Thema gewechselt wird, eine Antwort als ausreichend gilt etc. Statt die geforderte Einschätzung zu vollziehen, bezweifelt die Bewerberin, dass ihre Freunde die Frage des Interviewers beantworten würden. Damit reklamiert sie erneut mittelbarer als in der vorangegangenen Antwort - ein Nichtwissen als Legitimierung für das Zurückweisen der Frage. Die dritte Nachfrage folgt auf dem Fuße. Beispiel (16) - (Telefon. 2/o/f) Fortsetzung #3 89 B: 90 II: 91 92 B: 93 94 B: 95 II: 96 B: 97 II: 98 B: 99 100 101 102 103 104 10511: 106 B: 107 108 109 II: 110 B:

aber [ . h [ich gEh mit der j e t z mal=n KAFfee trinken; un=dann SACHT die [mir das. ( . ) was würd [die SAGen [ja, [ja, (2.0) ja we=man DAS immer so genau w ü s s [ t e . ( h ) j a , hehehe .hh [hehehehehehehe nie ach ich ] ich DENK eigntlich mal, ehm ( 1 . 0 ) man mal geFRAGT?] kennt ja dOch FREUNde, «all>und es is ja heutzutage doch SCHWIErig,> .h sagen=wa=mal frEunde zu FINden; in dEm sinne, und (.} und die die man HAT, oder die man KENnenlernt, .h (-) mit DENen sollte man sich eigntlich gut verstehn, «dim>und verTRAUen haben; DEnk ich eig=ntlich m a . > «p> und daß die dann einfach AUch dementsprechend-> .h (-) man [KENnt ja seine frEunde, [ «p>hmhm, > ( ) d:ass DIE dann auch «p>dEmentsprechend, (-) ne=MEInung über einen haben; «p;all>slcher; FEHler hat jeder;> «p>hmhm, > DENK ich mal.

Der Interviewer als derjenige, der das Szenario entwirft, erklärt den Einwand der Bewerberin kurzerhand für irrelevant ich gEh mit der jetz mal=n KAFfee trinken; un=dann SACHT die mir das (Z. 90f) und wiederholt seine Frage: was würd die SAgen (Z. 91). Es entsteht eine Pause, dann versucht die Bewerberin einen kleinen Scherz: ja we=man DAS immer so genau wüsste. ja (Z. 94). Daran schließt sie einen moralisierenden Exkurs an über Freundschaft und Vertrauen und die Schwierigkeiten, heutzutage Freunde zu finden. Beispiel (17) - Fortsetzung #4 110 111 112 113 114 115 116 117 118 119

B: II:

DENK ich mal. Auch

B: B: II: B: II: B:

ja?

( . ) und [ [ja nach den FEHlern würd ich

[fragen. [ja.

=ja. =was würden die=n DA sagen. ( 1 . 0 ) he[hehe «hoch> na ich DENke mal; so im Inneren:; [hehehe also ob da nun j E d e r , > .h (-) die WAHRheit so in=s geSICHT sagt, glaub ich NICH; ne, «p>ich meine (eh)

141

120 121 122 123 124 125 126 127 128 129 130

II: B: II: B: II: II:

131

132

hinterm rücken wird IMMer irgendwo erzAehlt, ode:r (.) eh (.) das is UEBERall. ob in=ner FIRma oder priVAT. j a , > .h ( 1 . 0 ) «pp>abe:r-> (-) «p>hm[hm,> [ [ ( 1 . 0 ) ja; aber das [WEIß man ja n i f c h ; ne, hehehe]hehe [hmhm, [weiß man NICHT] =ham sie m a l ( = n ) (irgendwann) RAUSgekriegt, [(

B:

)

[ouh; . ( - ) bis j E t z eigntlich NICH. nein. g

Nachdem die Bewerberin einen Gemeinplatz geäußert hat «p;all>slcher; FEHler hat jeder;> (Z. 107f), knüpft der Interviewer an dieser Vorlage an, um über Negatives zu sprechen und fragt, was ihre Freunde zu Fehlern sagen würden (Z. 115). Statt einer direkten Antwort fokussiert die Bewerberin allgemeinere, moralische Themen wie 'Ehrlichkeit' (Z. 118f) und hinter dem Rücken über andere reden' (Z. 120). Soweit der Verlauf des Bewerbungsgesprächs. Man könnte sich fragen, wer hier "hartnäckiger" ist: der Interviewer in seinem insistierenden Nachfragen oder die Bewerberin, die sich den mit zunehmender Deutlichkeit gesetzten thematischen Relevanzen des Interviewers entzieht. In komplementärer Schismogenese, wie sie Bateson (1972) beschrieben hat, hakt der Interviewer um so mehr nach, je stärker die Bewerberin aus seiner Sicht ausweicht (und umgekehrt). Es bleibt festzuhalten, dass die Bewerberin keine Antwort gibt, mit der sie die vom Interviewer gestellte Aufgabe, nämlich eine positive Selbstattribuierung aus der Fremdperspektive zu vollziehen, zu dessen Zufriedenheit erfüllt. Angesichts des Verlaufs der Sequenz mit den zahlreichen Reformulierungen und Vorgaben des Interviewers sowie seine forcierenden Verfahren, die relevante Antwort der Bewerberin immer stärker anzulegen, liegt die Interpretation nahe, dass die Bewerberin der Erfüllung dieser Aufgabe systematisch ausweicht. Anstatt Hypothesen über die Gründe, wieso es zu dieser Entwicklung kommt, zu formulieren, sollen die Beteiligten selbst zu Wort kommen. Die Nachbesprechung ist in dieser Hinsicht sehr aufschlussreich.

4.3.2 Die Nachbesprechung Direkt an das eigentliche Bewerbungsgespräch mit der ostdeutschen Bewerberin schließt sich nun die Nachbesprechung an, in der sich ein langer Metadiskurs entwickelt, der sowohl die Motive der Bewerberin als auch die Evaluationen ihres Verhaltens durch die Interviewer zur Sprache bringt. Wir erhalten hier für die Analyse des Bewerbungsgesprächs wertvolle Einsichten sowohl in Handlungsmotive als auch in Gattungsregeln und normative Erwartungen der Beteiligten. Nach Quasthoff (im Erscheinen) handelt es sich dabei um eine "universelle formelhafte Wendung mit Satzcharakter", deren Formelhaftigkeit den Anspruch der artikulierten Wissensbestände auf kollektive Gültigkeit unterstreicht. Zu Gemeinplätzen und ihrer Funktionsweise im Diskurs vgl. außerdem Gülich (1981).

142 Beispiel (18) - (Telefon.2/o/f) Nachbesprechung #1 1 II: ich hab stEllenweise=n bisschen Schwierigkeiten gehabt 2 3 4 5

B: II:

6

B:

[«p>hmhm, hmhm,

II: B: II: B:

kolLEGe ein;

7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

II: B:

II: B: II: B: B:

sie: ( . ) FESTzunageln. ham=sie auch geMERKT. ich hab=n paar mal NACHgefragt, =ja:, [ (ne, ( . ) also=so=ne frage wie wie schätzt sie ( . ) ihr [oder wie schätzt [sie ihr bester FREÜnci [ja; [hmhm, hmhm, [ein; da ham=se mir keine ANTwort draufgegeb[en. [ja; [ SCHWIErig. (.) [ja ja; hmhm? ] [ja das is eh [ ( n e , ) das=s so FREMD]bild h a l t , [ne, ich möchte- im [GRUNde möcht ich wissen[ja:; [ach SO; na GUT; {-) hm[hm, [wie SIND sie. (-) [ne, da ( . ) [hmhm, dazu dient das [ganze geSPRÄCH. [ja. is RICHtig.

Im analysierten Ausschnitt des Bewerbungsgesprächs manifestierte sich in dem forcierenden Nachhaken des Interviewers, der die Bewerberin nicht aus der Pflicht lässt zu antworten und sein Recht behauptet, Themenwechsel nicht zu ratifizieren, ein konversationelles Handeln, das auf einer gattungsspezifischen Asymmetrie in den Gesprächsrechten fußt. Auf diese beruft sich der Interviewer in der Formulierung des Gesprächsverlaufs aus der Retrospektive: Dass er die Bewerberin trotz Nachfragens nicht 'festnageln' konnte, gipfelt in dem Vorwurf da ham=sie mir keine ANTwort drauf gegeben (Z. 9), mit dem er die Verletzung einer konversationellen Pflicht moniert (vgl. a. Beispiel 11). Im Anschluss expliziert er die "versteckte Agenda" seiner Frage im vorangegangenen Bewerbungsgespräch, indem er die Metakategorie benennt, auf die sie abzielte: das Fremdbild (Z. 12). Dieser Kategorie weist er eine zentrale Relevanz zu, wenn er ihren Zusammenhang mit dem globalen Ziel des Bewerbungsgesprächs hervorhebt: "Ich möchte wissen, wie Sie sind, dazu dient das ganze Gespräch" (Z. 18-20). Beispiel (19) - (Telefon. 2/o/f) Nachbesprechung #2 20 21 22 23 24 25 26

B: is RICHtig. [ k l A r . ] II: [un da] da hädd=ich mir geWÜNscht, daß da IRgendwas kommt, [also] B: [ja. ] I I : ( - ) I R g e n d [ ( = n e n e ) ] ( - ) [ n e STÄr]ke; B: [hmhm? ] [ach sO; ] ((...))

27

B:

28 29

12: [ja, B: wahrscheinlich auch der TYP zu;(der=nich=sagt=komm=hier)

(-} gut. da [KANN ich, {-) wie jeSACHT. da bin ich dann

Man beachte die Übereinstimmung der Formulierung 'festnageln' mit dem von Kallmeyer/ Schmitt beschriebenen forcierenden Verfahren: Die Handlungsverpflichtung des anderen (z.B. Auskunft zu geben, Stellung zu beziehen, einzuwilligen) verschärfen und ihn ggf. festnageln (1996:22).

143 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47

II: B:

II:

B: II: B: II: B: II: II: B: B:

ich BIN das. ( . } oder so. ja, =ja, man weiß nie, wie die freunde j e t z so reaGIERN dEnk ich mir m a l . = j a , und von SELber sagen, ( . ) ich bin TOLL und SUper, .h (-) «all>WEIß ich n i c h . > [ich kann[das ( . ) das hab ich mir [auch geDACHT, [ n e , [ja, [in DEM [sinne, [weil die FREUNde die sind mir so e[GAL. ich würde auch nich mit denen KAFFee [ja; [trinken gehen oder [so, .h mich intresSIERT im [ja; . [ j a , geNAU. [GRUNde; {-) wie schätzen SIE sich [auch selber [hmhm, [ja. [ein. ne, [ja; = j a = j a ; SICHer; klAr;

Die Bewerberin begründet ihr Verhalten damit, dass sie nicht der Typ sei, der sich gem selbst so positiv hervorhebe (Z. 27f, 33f). Positive Selbstattribuierungen sind konversationell prekär, sie geraten leicht in den Geruch dispräferierten Selbstlobs (Pomerantz 1978). In Bewerbungsgesprächen werden Bewerbende jedoch häufig zu positiven Selbstattribuierungen aufgefordert (vgl. Kap. 5). Die Bewerberin verändert selbst ab der ersten Nachfrage die Vorgaben des Interviewers, der so ausdrücklich nach positiven Eigenschaften fragte, in Richtung negative Seiten und Fehler (auch wenn sie diese letztendlich nicht nennt, sondern nur eingesteht, z.B. 'mehr oder weniger gut leiden', 'Fehler hat jeder'). Das erinnert an Lösungen, die Pomerantz (1978) für Kompliment-Antworten in Alltagsgesprächen beschrieben hat, um dem Dilemma zwischen dem Selbstlobtabu einerseits und der Präferenz für Übereinstimmung andererseits zu entgehen. Mit dem Hinweis, dass sie nicht wisse, was ihre Freunde sagen würden (Z. 32), wiederholt sie ein Argument, dass sie bereits im eigentlichen Bewerbungsgespräch verwendet hat. Daraufhin expliziert der Interviewer die "versteckte Agenda" der Frage noch weiter: Nicht auf die buchstabengetreue oder wahrheitsgemäße Beantwortung, sondern auf die Selbsteinschätzung habe die Frage gezielt, die Freunde sind ihm 'egal' (Z. 38f), ihn intresSIERT im GRUNde; (-) wie schätzen SIE sich auch selber ein (Z. 41, 43, 45). Hier befinden wir uns bereits mitten in einem Metadiskurs, in dem der Interviewer mit einer ungewöhnlichen Deutlichkeit seine Gattungsrelevanzen und Erwartungen expliziert. Dieser wird fortgesetzt: Beispiel (20) - (Telefon.2/o/f) Nachbesprechung #3 ((...)) 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57

II: B: II: B: II: B: II: B: II: B:

im beWERBungsgespräch, das sind fragen die IMmer; STÄRken,

[kommen ] [ACH so;]

[SCHWÄchen. ] [ ( d i e komm/} j a ] = j A ; s l [ c h e r . (-) hmhm, [wenn-wenn(=n)

=hmhm, perso[NAler] die nich stellt, dann stellt sie spätestens [hmhm,] der VORgesetzte, j a = j a ; he[hehehehe]

144 58 59 60 61

II: B:

[e:hm ( - ) ] das is klAr.

(-) kommt [ I m m e r . ] [gut. ]

62

B:

63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86

II: - n [ e , B: [ B: ja [das Is (-) so meine ART [eigntlich. daß] ich da:, II: [( ) [( )] B: ich könnt da NIE sagen, ja ( . ) ich BIN das, und .h ( — ) bessre FINden=se nich, [oder so, ja, da würd ich II: [is KLAR; ja; B: d e n [ k e n , [mensch um gottes WILLen, ja, was haste da [ ( j a ) [hmhm, B: erZÄHlt. oder [so, heheheheheh II: [ich sag, beSCHEIdenheit is eine zier, (-) B: ja, geNAU. I I : also auf JEden f a l l , B: = j a , (-) [is RICHtig. (-) «p>hmhm, > II: [abe:rI I : wenn sie=n JOB [haben wolln, müssen sie=n bisschen da B: [ja; I I : [auf=n PUNKT kommen. B: [ja. B: = j a , I I : das war [schon WICHtig. B: [klar SICHer. (-) GUT; (-) hmhm, (-) «hoch>naja. man lernt daZU. [ j a , > II: [hmhm

(-)

ja. I I : [da müssen] einfach so=n PAAR [dinge-]

[hmhm,

]

[hmhm, ] (-}

ja;

Um der Berechtigung der Frage nach Stärken und Schwächen Nachdruck zu verleihen, bezeichnet der Interviewer sie als einen konstitutiven Bestandteil der Gattung (Z. 48-56). (Das mag zwar vielleicht für das Unternehmen gelten, in dem er als Personalchef die Verfahrensweise bestimmt, tatsächlich kommt die Frage in unserem Bewerbungsgesprächskorpus nur in 15 von 41 Fällen vor.) Auf diese erneute, deutliche Kritik daran, die geforderte Antwort nicht gegeben zu haben, entgegnet die Bewerberin mit einem zweiten Verweis darauf, dass ihr eine starke positive Selbstaussage widerstrebt: ich könnt da NIE sagen, ja (.) ich BIN das, und .h (--) bessre FINden=se nich, (Z. 67f). Auch wenn der Interviewer es für nötig hält, die Bewerberin über die Frageintentionen aufzuklären, so scheint sie deren Hintergründe zwar zu kennen, gleichwohl abzulehnen. Somit stehen sich hier zwei Positionen noch immer unvereinbart gegenüber: Während der Interviewer seine Erwartungen mit Gattungsregeln legitimiert, weist die Bewerberin die Fragen und geforderten Antworten des Interviewers zurück. Daraufhin formuliert der Interviewer die Haltung als Bescheidenheit und macht zugleich deutlich, dass diese hier fehl am Platze sei: ich sag, beSCHEIdenheit is eine zier, (-) ((...)) abe.r- wenn sie=n JOB haben wolln, müssen sie=n bisschen da auf-n PUNKT kommen. (Z. 73; 78ff). Sie klingt ein wenig wie eine Drohung, diese Belehrung darüber, dass die Haltung der Bewerberin unvereinbar sei mit dem Ziel, einen Job zu bekommen. Der Interviewer konzediert der Bewerberin zwar eine Orientierung an einer moralischen Norm, die einen hohen Stellenwert in Alltagsgesprächen besitzen mag, in denen man möglicher Weise Antworten, die diese verletzen, verweigern kann, um damit einen positiven sozialen Wert

145 einzutauschen. Doch für das Bewerbungsgespräch weist der Interviewer die Gültigkeit dieser Norm zurück: 'Bescheidenheit ist eine Zier, doch weiter kommt man - im Bewerbungsgespräch - ohne ihr'. Nicht nur in den Zielen des Interviewers, sondern sogar in den Zielen der Bewerberin sei begründet, dass sie sich den Spielregeln des Bewerbungsgesprächs zu unterwerfen habe (wenn sie=n JOB haben wolln...). Wie schon im eigentlichen Bewerbungsgespräch, so vollzieht sich auch hier eine Eskalation; in dem Maße, wie die Bewerberin den Explikationen des Interviewers die eigene Position entgegenhält, steigert er die Wucht seiner Argumente. Beispiel (21) ((...)) 87 12: 88 89 90 B: 91 92 B: 93 12: 94 I I : 95 B: 96 12: 97 B: 98 12:

99

(Telefon.2/o/f) Nachbesprechung #4 und dann ne fehlende OFfenheit, (-) ehm hab ICH mir noch mal hingeschrieben, { . ) dass=se sagen MENSCH- (1) wie geh ich mit konFLIKten um, un=und [eh wie [(WARn) [ja, [hm=hm, Konflikte.= =hm=hm,= =NEE hab ich noch nich geHABT. ja.= = j a ; (1) ( n ö ; ) liebe [frau HOLske. (-) j e [ d e r mEnsch hat konFLIKte;=wir [klar; [ja; ALle,

B:

ja [so (ja aber/)

100 101 102

12: B: 12:

[und DA so=n biß]chen einfach (-) mh [auch OFfener [ja; sein.=

103 104

B: 12:

=hm=hm,= =dass [man sie] irgendwo EINschätzen kann.

105

B:

106 107

B: 12:

j a; ja,=

108 109

B: 12:

=hm=hm,= =denn ICH (-) hab mein TEAM vor äugen?

110

B:

ja:,=

111 112 113 114 115 116 117 118

12: B: 12: B: 12:

=ich KENN die mitarbeiter, ich [ARbeiJte: seit=ner [ja, ] gewissen zeit mit denen zuSAM[men, ( . ) [ k e n n e die [hm=hm, [hm=hm, charakTEre. (-) ICH mach mir gedanken darüber, passt=ne f r a u holske da REIN. ja. (-) m[hm, ] [wenn] sie mir nicht aber (-) nicht ZEIgen; wie

B: 12:

119

120 121 122 123 124 125 126 127

[hm=hm, ]

sie

B: B: 12: B: 12: B:

]

[SIND;

[ja; ja; wie sie mit konflikten UMgehn. und welche sie ROlle sie in dem TEAM einnehmen würden. ja:, fällt es mir SCHWER, das EIN[zuschätzen. [ hm=hm, ja das STIMMT.>

146 Der zweite Interviewer hat sich fehlende OFfenheit (Z. 87) notiert, eine Einschätzung, die dem internen Qualifikationsprofil der zu besetzenden Stelle entgegen läuft. Auch seiner Meinung nach hat die Bewerberin Gattungspflichten verletzt; das wird offensichtlich, wenn er aus den Notwendigkeiten der Gattung rechtfertigt, warum die Bewerberin Auskunft geben und die Fragen beantworten muss: in Bewerbungsgesprächen werden Bewerbende aufgrund ihrer Antworten "eingeschätzt" (Z. 104). Indem die Interviewenden die Bewerberin über Regeln und normative Relevanzen der Gattung aufklären, behandeln sie den Vorfall als eine Wissenslücke der Bewerberin. Mit der belehrenden Darstellung dieses Wissens, wie es bei ostdeutschen Bewerbenden häufig geschieht, verbindet sich auch ein Anspruch auf dessen Gültigkeit. Dass die Bewerberin die geforderte positive Selbstattribuierung nicht vollzieht, führen sie darauf zurück, dass die Bewerberin die Fragen nicht auf die "versteckte Agenda" des Bewerbungsgesprächs bezieht. (Das impliziert übrigens auch die Annahme, dass solch eine Aufklärung sinnvoll wäre und Gattungsregeln erlernbar seien.) Ob die Bewerberin die Frage im vorangegangenen Bewerbungsgespräch nun nicht beantwortet hat, weil sich ihr deren Relevanz nicht erschlossen hat, da sie sie nicht angemessen auf die "versteckte Agenda" bezieht, ist nicht zweifelsfrei zu entscheiden. Dass selbst das sehr auffällige Nachhaken des Interviewers nicht zu einer Änderung ihrer Strategie führt, legt allerdings nahe, dass sie sich den Forderungen des Interviewers verweigert. Etwas Ähnliches passiert in der Nachbesprechung; auch hier schaukeln sich Explikationen und Gegenpositionen von Interviewer und Bewerberin hoch, bis dass 12 mit einer kaum zu übertreffenden Deutlichkeit die dem Bewerbungsgespräch zugrunde liegenden Machtverhältnisse ins Feld führt: Beispiel (22) - (Telefon.2/o/f) Nachbesprechung #5

((...)) 128 129 130 131 132 133 134 135 136 137 138 139 140 141 142 143 144 145 146 147 148 149 150 151 152

B: 12: B: 12: B: 12: B: 12: B: II: B: 12: B: II: B: 12: B: 12: B:

.h ja, das=STIMmt. das=s RICHtig. aber ich DENke auch mal, ( ) mh (-) ob das dann nach=er auch immer so der WAHRheit e n t s p r i c h t . = j a , denn gra[de j e t z ] in meine:r [hmhm, ] .hh (-) verGANgnen firma, ( ) der chEf hatte auch SEHR viele bewerbungsge[spräche,] .h (-) und sAgte dann auch [hmhm, ] SELber, «tief>MENsch da hab ich mich wieder geIRRT. das passt doch GAR n i c h t . > =hmhm? zum BEIspiel. [ j a , ] .h (-) dass sich VIEle dann auch [hmhm,] vielleicht auch anders GEBen, öde:r doch viele SACHen sagen, mensch [ so=und=so]=und=so IS=es, .h (-) was sich [«p>hmhm,>] dOch; .h im E N D e f f e k t , (-) wirkt sich das doch erst mal (-) HINterher aus; würd ich SAgen. w e n n - ( - ) [ d i e person [((räuspern)) dement[sprechend weeß=]ICH h h ( - ) i n die [abteilung [völlig korrEkt. ] [hmhm, KOMmt, (.) wie sie sich GIBT, wie sie [sich AN]passt, .h [hmhm, ] [DA: würd ich s ä ] g e n , ( - ) e n t W I C K e l t sich das erstmal, da [völlig k o r r E k t . ] ( . ) sieht man DOCH erst mal, .h ( 1 . 0 ) [so würde ICH das

147 153 154 155 156 157 158 159 160 161 162 163 164 165 166 167 168

12: B: 12: B: 12: B: 12: B: B: 12: B: 12: II: B:

[hmhm, einschätzen. das is UNser

[job.] [ j a , ] ja; =deswegen sind wir [heute] HIER, und das [is UNSre [ja; ] [hmhm? aufgäbe; [das herAUS]zufinden. [ja genAu. ] ja;(-)RICHtig. = n e , ( - ) d e s w e g e n - ( - ) [ i c h SACH=mal ( . ) z e r [ b r e c h e n SIE sich [ja; [klAr; nich UNSern kOpf. [denn [das müssen [WIR b e a n t [ W o r t e n . ] [hehehehehehehhehehehehe [nee [nee=nee [ja=ja; ] SI[CHer. 12: [ja.

An dieser Stelle hakt die Bewerberin ein, sie stimmt zwar zu, dass Interviewende in Bewerbungsgespräch anhand von Aussagen der Bewerbenden Einschätzungen vornehmen, doch das nachfolgende aber kündigt bereits unmissverständlich an, dass nun etwas Konträres folgen wird. Sie bezweifelt, dass Bewerbende wahre Aussagen machen, und belegt diese Zweifel mit den Erfahrungen ihres vorherigen Chefs, der sich nach eigenen Angaben oft genug bei der Einschätzung von Bewerbenden geirrt habe (Z. 135f). Wenn sie dann weiter ausführt, dass sich erst in der praktischen Arbeit erweisen wird, ob jemand "passf oder nicht, erkennt sie die Legitimierung der Interviewer für ihr insistierendes Nachfragen nicht an und zieht den Sinn von Bewerbungsgesprächen grundsätzlich in Zweifel. Die Bewerberin hatte ihre Nichtübereinstimmung noch sehr abgeschwächt dargebracht, man beachte die Heckenausdrücke, Vagheitsmarker und den Konjunktiv (z.B. ich DENke auch mal Z. 128, würd ich SAgen Z. 144, weeß=ICH Z. 146, DA: würd ich sagen, Z. 150, so würde ICH das einschätzen Z. 152, 154). Die starke Zustimmung, die der Interviewer während dieser Ausführungen signalisiert, ist wohl eher ein "Pseudokonsens" (vgl. Kotthoff 1989b:192), denn es folgt eine starke Zurückweisung: das is UNser job (Z. 155) und zerbrechen SIE sich nich UNsern kOpf. denn das müssen WIR beantworten. (Z. 162ff). Die Replik des Interviewers ist überaus direkt und konfrontativ und erstickt jegliche Diskussion über Sinn und Unsinn des Auswahlverfahrens Bewerbungsgespräch im Keim.

4.3.3 Zusammenfassung: Differenzen oder Defizite? Die Nachbesprechung ist in zweierlei Hinsicht von Interesse. Zum einen stellt sie uns Sekundärdaten zur Verfügung, in denen die Beteiligten in Kommentaren ihre Perspektive auf eine gerade stattgefundene Interaktion offenbaren und im Rückblick Gattungsrelevanzen und Handlungsnormen explizieren. Die Sekundärdaten, die wir in den Nachbesprechungen erhalten, geben Aufschluss über Interpretationsweisen der Beteiligten. Hier liegt ein wesentlicher methodischer Zugewinn der wechselweisen Ergänzung von Primär- und Sekundärdaten. Der schismogene Verlauf des Bewerbungsgesprächs wird so erklärbar als das Aufeinanderstoßen zweier Normorientierungen: Die Bewerberin erklärt ihr Gesprächsverhalten aus der Orientierung an einem Selbstlobtabu bzw. der Ablehnung einer offensiven Selbstattribuierung. Ein Gewinn für die positive Selbstdarstellung lässt sich aus dieser Per-

148 spektive folgerichtig aus der Vermeidung der geforderten Selbstattribuierung erzielen. Die Interviewer dagegen weisen "Bescheidenheit" als im Rahmen der Gattung unangemessen zurück. Eine zweite Einsicht betrifft die explanativen Zuschreibungen der Interviewer. Ihr Bemühen, Gattungsnormen zu explizieren, impliziert die Annahme, dass die Bewerberin nicht über entsprechendes Wissen verfügt. Auf ihren Versuch hin, dieser Zwangsbelehrung eine Diskussion über Sinn und Berechtigung der Gattung entgegenzusetzen, wird sie von den Interviewenden unter Berufung auf die zugrunde liegenden Machtverhältnisse in die Schranken ihrer Handlungsrolle verwiesen. Mit unübertroffener Deutlichkeit bringen die Interviewer zum Ausdruck, dass für sie Gattungsnormen zwar lehr- und lembar, aber nicht verhandelbar sind. Differierende Gattungskonzepte sind nicht zugelassen, als abweichend entbehren sie der Legitimität. In Belehrungssequenzen ist zumindest potenziell die Möglichkeit angelegt, "divergierende Wissensbestände" zu bearbeiten oder ein Wissen zu erhalten, was in zukünftigen Gesprächen von Vorteil sein kann. Das asymmetrisierende Potenzial von Belehrungen jedoch resultiert aus dem Verlust der Übereinstimmung, die aus gemeinsamem Wissen resultiert. Gemeinsames Wissen führt zu Symmetrisierung und einer positiven Atmosphäre von Übereinstimmung. Das soll abschließend an folgendem Beispiel exemplarisch demonstriert werden. Beispiel (23) - (Telefon, l/w/f) II: und wie würde ihr MANN sie charakterisieren, B: «pp>ach GOTT . > II: «p> he [heheh> ] B: [ < < p > ( h ) h ] (-) «p>wie würde DER mich charakterisieren. > II: ( 2 . 0 ) den müssen sie wahrscheinlich nicht so oft RUNterbringen. deswegen würde=er (-) auf die STÄRke nich so viel (-) .h wErt legen, (-) (h) aber vielleicht hat er [ B: [eh:: B: was würde ER sagen. (-) huMORvoll? II: «p>hmhm, > B: ( 1 . 0 ) ich h o f f e LIEB? h e f h e h e ( - ) ] « p > j a . > (-) HÄUSlich? II: [hmhm,> B: =würde ER wahrscheinlich sAagen? ( 2 . 5 ) hm:: (-) und (-) ne gUte MUTter würde er wahrscheinlich sagen, II: (-) «p>hmhm, > ( - ) [DAS sind die dinge, die für=n MANN B: [DENK ich so. II: wichtig sind. 12 «ff>hehehe> ((allgemeines lachen)) ( h ) i c h (h)wollt (h)sAgen; ( . ) ( h ) D A S ( . ) ( h ) i s ( h ) s o d i e .h ( . ) d i e staTIStik d e r deutschen (-) eh: (-) WUENsche der (-) der deutschen Ehemänner [wahrscheinlich,(h)huMORvoll, HAUSfrau, LIEB, B2: [hehehehehehe « f f > j a ESSen kochen kann ich 12: und ] Vgl. für eine detaillierte Diskussion der wechselseitigen Ergänzung von Primär- und Sekundärdaten in Bezug auf interkulturelle Fragestellungen Birkner (im Erscheinen), wo weite Teile des oben präsentierten Datenbeispiels unter dieser Fragestellung analysiert werden.

149 B2: 12: B2: II:

A.uch;>] he [hehehe [ja: ( . ) WUNderbar; das FEHlte noch um ( . ) das war das IH t ü p f e l ( h ) c h e n ( h ) d a n n (h)insgesAmt. hehehe «p>okay;>

Die Antwort der Bewerberin auf die Frage nach Fremdeinschätzung durch den Ehemann löst allgemeines Lachen aus. 12 kommentiert sogar die Übereinstimmung der genannten Eigenschaften mit einem übergeordneten Wertekanon deutscher Ehemänner. Auch wenn hier - auf beiden Seiten - Ironie im Spiel zu sein scheint, deutet doch nichts darauf hin, dass die Antwort der Bewerberin als unglaubwürdig beurteilt wird. Vielmehr scheinen alle Beteiligten zufrieden mit dieser positiven Selbstdarstellung, eine Zufriedenheit, die wohl weitgehend darauf zurückzuführen ist, dass die Bewerberin die Spielregeln der Gattung kennt und befolgt. Kommen wir nun zurück zu der Beobachtung, dass Belehrungen (in den vorgeführten Verfahren) und Machtkämpfe um das legitime Gattungswissen fast ausschließlich in ost/westdeutschen Bewerbungsgesprächen vorkommen. Aus der Verletzung von Gattungsregeln bzw. der Erwartungsverletzung inferieren die Interviewenden Wissensdefizite, deren Behebung zugleich die "Unterwerfung" unter das Initiationsritual durchzusetzen sucht. Dabei wird auch deutlich, dass die westdeutsche Norm den Standard der Bewertung darstellt, ein Ergebnis, zu dem auch Kern (im Erscheinen, Kap. 5) bei der Auswertung der Experteninterviews kommt. Sie stellt fest, dass bei der Bewertung von Unterschieden zwischen Ost- und Westbewerbenden die ostdeutsche Varianten häufig als "abweichend" dargestellt wird, ein Zeichen dafür, dass westdeutsche Standards hegemoniale Gültigkeit erlangt haben. Ferner liefert die Hinzuziehung weiterer Sekundärdaten wie das Experteninterview interessante Hinweise bezüglich der Frage, ob die Interviewer die spezifischen Verläufe der Bewerbungsgespräche mit ostdeutschen Bewerbenden mit der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe in Verbindung bringen. Interviewer l, allgemein befragt nach Unterschieden zwischen Ost- und Westdeutschen, die er in seiner mehrjährigen Praxis als Personalleiter feststellen konnte, äußert im Experteninterview folgendes: Beispiel (24) - Experteninterview (Telefon.A) 77.

Ein zweiter großer Unterschied: wenn ich konkrete Fragen stelle, die persönlich sind, weichen mir Ostbewerber stärker aus als Westbewerber. Das kann durch die Schulung sein, dass Westbewerber da eben vielleicht insgesamt besser geschult sind oder so, weiß ich nicht, aber wenn ich Westbewerberfrage, was sind deine Stärken und Schwächen, dann sagt der mir drei Stärken, drei Schwächen ((...)) aber wenn ich nen Ostbewerber das frage, hob ich=s häufiger, dass er mir dann sagt, ja. Schwächen hat ja eigentlich jeder. Also Stärken kommen da vielleicht noch, obwohl das auch schon schwieriger fällt, von sich zu sprechen, sich zu loben auch, eh sich gegenüber anderen halt auch mal darzustellen, in dem Sinne bin ich vielleicht auch besser als nen anderer. Wir sind ja eigentlich alle noch nen großes Kollektiv und da möchte ich auch nicht rausgucken. Ich hob immer das Geßihl, dass das vielleicht im Kopf noch mitschwimmt, weiß ich nicht. Da komm ich schlecht ran, ich hob da Leute gehabt, die wie nen Stück Seife mir wegrutschten, -nasses Stück Seife, einfach immer wegrutschten ((...)) dass ich gedacht hob, is das vielleicht auch in der ändern Sicht halt irgendwo Schule.

12 beschreibt das Gesprächsverhalten von ostdeutschen Bewerbenden folgendermaßen:

150

Beispiel (25) - Experteninterview (Telefon.B) 12:

Ostmitarbeiter reden eher in Allgemeinplätzen, in Ausdrücken, die das Kollektiv angehen, aber sie lassen sich unheimlich schwer konkretisieren auf irgendwelche persönliche Erfolge und auf ihre eigene Leistung, die sie gebracht haben, und eigene Fähigkeiten, die sie mitbringen. Die können nich sagen, das is gut bei mir, das kann ich, das will ich und deswegen bin ich auch der richtige Mann oder Frau für diesen Job. Da tun se sich unheimlich schwer mit.

Das in beiden Experteninterviews als ostdeutsch beschriebene Gesprächsverhalten (nicht direkt über Leistungen und Kompetenzen sprechen, Antworten auf persönliche Fragen ausweichen, weniger unumwunden als Westdeutsche Stärken und Schwächen benennen) erinnert intuitiv an das analysierte Bewerbungsgespräch. Vor allem Interviewer l zieht Wissensdifferenzen als Erklärung für Unterschiede zwischen den Gruppen heran: Bei den Westbewerbenden spricht er von Schulung, was sicher Bewerbungstrainings einschließt, die die institutionalisierte Einweisung von Gesellschaftsmitgliedern in die (westlich geprägte) kommunikative Gattung darstellen. Für die Ostbewerbenden verweist er auf kommunikative Erfahrungen aus einer Zeit, als es noch 'Kollektive' gab, und analysiert somit die Differenzen als Folge unterschiedlicher Sozialisation und Unterweisung. Damit bestätigt sich das Ergebnis aus verschiedenen Arbeiten zu interkultureller Kommunikation, in denen gezeigt wurde, dass sozio-kulturelle Wissensdifferenzen zu Störungen fuhren können (Roberts/Sarangi 1993; Sarangi 1994a). Das vorliegende Analyseergebnis geht aber noch weiter: Es wurde gezeigt, dass gerade in der Bearbeitung von vermeintlichen Wissensdifferenzen ein großes Potenzial zur interaktiven Konstruktion von Wissensdefiziten liegt, mit dem ein hegemonialer Anspruch auf das legitime Wissen und die Ausübung interaktiver Kontrolle durchgesetzt werden können.

Kapitel 5: Typische Fragen - Präferierte Antworten

Während im vorangegangenen Kapitel die Bearbeitung von Wissensdifferenzen untersucht wurde, sollen im vorliegenden Kapitel Antworten auf "typische Fragen" der Gattung ins Zentrum des Forschungsinteresses rücken. In Kapitel 3 wurden bereits die häufigsten "typischen Fragen" vorgestellt, die in den Bewerbungsgesprächen unseres Korpus vorkommen; nun soll es noch einmal detaillierter um drei ausgewählte Typen gehen: Fragen zur Selbstattribuierung (z.B. die Stärken/Schwächen-Frage), die Gehaltsfrage und die Frage nach beruflichen Perspektiven (Perspektivenfrage). In Zusammenhang mit der Perspektivenfrage werden gattungstypische Topoi untersucht, die eine positive Motivation zum Ausdruck bringen. Das Vorgehen ist folgendes: Zunächst werden die mit den jeweiligen Fragen verbundenen Anforderungen und Beschränkungen rekonstruiert, wie z.B. die Bedeutung des Selbstlobtabus in Zusammenhang mit Selbstattribuierung (s.u.) oder auch das Formulieren von Erwartungen, das besonders im Zusammenhang mit der Gehalts-, aber auch mit der Perspektivenfrage ins Spiel kommt. In einem zweiten Schritt werden die Antworten der Bewerbenden einer detaillierten Analyse unterzogen. Auf dieser Grundlage lassen sich schließlich Differenzen zwischen Ost- und Westbewerbenden aufzeigen, die einerseits auf Gattungswissen verweisen, die sich andererseits aber auch in Bezug auf Unterschiede in den konversationeilen Stilen interpretieren lassen. Dabei wird sich zeigen, dass die Rollenspieldaten eine interessante Vergleichsfolie bilden, da sie zum einen aus Schulungssituationen stammen, in denen relevantes Gattungswissen vermittelt wurde und andererseits in ihnen bestimmte Anforderungen des "face-works" in Interaktionen, die zur stilistischen Markierung von konversationeller Indirektheit/Direktheit führen, aufgrund der Künstlichkeit der Situation nicht in gleichem Maße wie in den authentischen Bewerbungsgesprächen gegeben sind.

5.1 Fragen zur Selbstattribuierung In Bewerbungsgesprächen kommen häufig Fragen vor, in denen Interviewende von Bewerbenden eine explizite Selbstattribuierung, d.h. die Nennung sowohl positiver wie negativer Eigenschaften und/oder Fähigkeiten fordern. Hier erhält die Selbstdarstellung als ein globales Ziel von Bewerbenden in Bewerbungsgesprächen eine besondere lokale Relevanz. Sie müssen Aussagen über sich selbst produzieren und sich mit Attributen belegen, die auf der versteckten Agenda auf die Eignung für die Stelle bezogen werden. Selbstattribuierung-elizitierende Fragen zählen zu den persönlichen, undistanzierten Fragen. Davon existieren in Bewerbungsgesprächen noch weitere in typisierten Formaten, die zu Aussagen darüber fuhren, "wie jemand ist", z.B. Fragen nach Umgang mit Konflikten (vgl. a. Kap. 6), zur Kritikfähigkeit oder zu Umbruchsituationen (z. B. der Wende). Diese sind allerdings nicht so frequent, was sie für eine vergleichende Analyse ungeeignet macht.

152

5.1.1 Thematisierungsvarianten Eine sehr bekannte (und berüchtigte) Frage zur Selbstattribuierung ist die Stärken/Schwächen-Frage. Sie taucht häufig in dieser Doppelstruktur auf. Beispiel (1) - (Sekretariat.3/o/f) 13: wo sind ihre größten stärken. (-) ((...)) 13: «f> (nach der) frage nach den größten stärken kommt natürlich auch die frage nach den größten SCHWACHEN,> dis is auch ganz klar; (-) schwächen HAT jeder; ( . ) harn sie sich schon mal überlegt welches IHre sind.

Stärken und Schwächen werden häufig als die zwei Seiten einer Medaille präsentiert. Das Elizitieren von Schwächen scheint face-bedrohender zu sein als das von Stärken, denn häufig dient der Verweis auf die Zwangsläufigkeit, mit der die Frage nach den Schwächen auf die nach den Stärken folgt, zu deren Rechtfertigung. So auch im obigen Beispiel, in dem der Interviewer die Stärkenfrage durch den Rekurs auf einen Gemeinplatz rechtfertigt, mit einem Geltungsanspruch, der durch das natürlich und die Aussage dis is auch ganz klar noch bekräftigt wird. Das ist auch die Funktion des zweiten Rekurses, der auf den Gemeinplatz "Schwächen hat jeder" verweist, ebenfalls ein wiederkehrender Topos im Kontext der Schwächenfrage (s.u.). Ein vergleichbarer propositionaler Gehalt kann in verschiedenen sprachlichen Realisierungsformen ausgedrückt werden und die Fragen zur Selbstattribuierung weisen einen recht unterschiedlichen Typisierungsgrad auf. Statt nach Stärken kann z.B. auch nach Fähigkeiten oder nach Talenten gefragt werden, wie im folgenden Beispiel: Beispiel (2) - (Chemie, l/o/m) II:

(3) « f > j a wo harn sie denn so noch f : ü r taLENte;> (1) ode:r; (-) besondere FÄhigkeiten die sie dann später in ihrem berufs .h äh (-) bild mit EINbringen können;

Anders als bei der o. zit. Frage nach Stärken ist mit der Wahl des Begriffs taLENte bereits eine thematische Eingrenzung auf die Tätigkeit verbunden, die in der Reformulierung besondere FÄhigkeiten (für das Berufsbild) noch eindeutiger wird. Damit sind in dieser Fragevariante private Persönlichkeitsmerkmale eher defokussiert. Das ist in thematisch offeneren Fragen, wie der nach Stärken oder Schwächen, häufig anders; hier müssen Bewerbende entscheiden, ob sie ihre Antwort privat oder beruflich fokussieren. Eine andere, relativ häufige Variante ist die Aufforderung, den Unternehmensvertreter/inne/n entscheidende Gründe für die Einstellung zu nennen: Beispiel (3) - (Telefon.3/w/f) 12:

(3) .hh «all>frau meyer was GLAUben sie;> (-) wir harn j e t z hier (.) die beWERberrunde, (1) wir sprechen mit (mehreren) LEUten, .h (-) was: ( . ) würden sie SAgen, was sind die GRÜNde, warum wir UMbedingt «f>sie> einstellen sollen. (1) warum sind sie DIEjenige; ( . ) diejenige perSON; .h ( - ) (die sagen würde) die würde unser team da beREICHern.

Vereinzelt kommt es vor, dass Bewerbende die Attribute/Qualitäten nennen sollen, die dazu geführt haben, dass ein früherer Arbeitgeber sie einmal eingestellt hat:

153 Beispiel (4) - (Edv.3/o/m) II: aber er ( ( d e r frühere Arbeitgeber, K . B . ) ) wollte ja SIE haben.> (1) 'ts warum denken sie wollte er grade SIE haben. (-) «acc,p>warum hat er nich=n ANdern angesprochen.> Bevor sie sich den Tücken der Selbstattribuierungsfrage stellen können, müssen Bewerbende also je nach Elizitierungsvariante darunter die Aufgabe Selbstattribuierung erst einmal erkennen. Je indirekter die Frage gestellt wird, desto größer ist die Gefahr, dass Interviewende nicht die gewünschte, relevante Antwort erhalten. Beispiel (5) - (Telefon, l/w/f) II: «p>nm=hm, (-) [was FEHlte] dem team denn noch; dass sie dort B: [( )] II: REINpassten.> B: «f>bitte?> II: was FEHlte dem team denn noch dass SIE (.) geNAU (-) in das kleine mosalKsteinchen noch REINpassten. B: (hehe) ( h ) d a s ( h ) k a n n ( h ) i c h ( h ) n i c h [ ( h ) S A g e n , hehe] ( h ) d a s II: ' [hehehehehe ] B: (h) kann (h) ich (h) nich (h) SAgen. II: nein das is so die v e r : / (-) verKAPpte frage; wo so ihre STÄRken sind; ne, (-) wir möchten sie ja KENnen lernen; deswegen; Der Interviewer behandelt die Zurückweisung der Frage durch die Bewerberin als ein Verständnisproblem, das er löst, indem er die "verkappte" Agenda der Frage explizit macht: das is so die ver:/ (·) verKAPpte frage; wo so ihre STÄRken sind. Und um die Frage zu legitimieren, beruft er sich auf die Ziele, die er im Bewerbungsgespräch verfolgt: wir möchten sie ja KENnen lernen; deswegen. Vereinzelt werden Bewerbende auch mit Fremdeinschätzungen aus Beurteilungen und Zeugnissen konfrontiert. Das verlangt genau genommen keine direkte Selbstattribuierung, sondern nur eine Stellungnahme zu einer Fremdattribuierung. Das eröffnet die Möglichkeit, zugeschriebene Eigenschaften zu akzeptieren oder aber auch zu korrigieren. Beispiel (6) - (Bank.2/o/f) I: in den (-) diPLOM eh: (-) beSCHEInigungen; ZEUgnis und so weiter; (1) stehen ja immer so=n paar (-) L E I S t u n g s ( . J m e r k m a l e drin: eh ( - ) O f t steht drin; sie sind sehr FLEIßig. sind sie das? B: (-) ich bin sehr EHRgeizig; (-) ja. auf alle FÄLle. ja ich hab mir ja=nun=mal als ZIEL gesetzt, mal ins BANKwesen einzusteigen,= I: =hm=hm, B: und versuche nun daran, (-) alle MÖGlichkeiten auszuschöpfen; «all>dass das auch mal geLINGT;> Die Bewerberin nimmt das Zitat aus den Unterlagen zum Anlass, um ihre hohe Motivation für die künftige Tätigkeit hervorzuheben. Die Fremdattribuierung FLEIßig allerdings deutet sie um in EHRgeizig. Das ist ein geschickter Zug, wenn man bedenkt, dass diese Zuschreibungen nach Ergebnissen der Schulforschung gängigen Geschlechterstereotypen entsprechen. Während hohes Engagement bei Mädchen häufig als Fleiß gilt, wird es bei Jungen prestigereicher als Ehrgeiz interpretiert.

154

Ein wesentlicher Unterschied zwischen den verschiedenen Varianten der Selbstattribuierungsfrage liegt in der Perspektivierung (vgl. Kern, im Erscheinen, Kap. 8). Der "klassische" Typ, die Frage nach Stärken/Schwächen, präsentiert sich auf der sprachlichen Oberfläche insofern monoperspektivisch, als Sprecher/in und Objekt der Aussage kongruieren. Bei der Frage nach Gründen für die Einstellung aus Sicht des Unternehmens (Bsp. 3) kommen zunehmend Fremdperspektiven ins Spiel und wenn gar Gründe eines früheren Arbeitgebers oder die Meinung von Kolleginnen gefragt ist (Bsp. 4, 5), wird nicht nur die Perspektive immer komplexer, was das Erkennen der Frageintention erschwert, sondern es kommt auch eine Dimension von Wissen ins Spiel, über das man verfugt oder auch nicht. Das macht ein Verweigern der Antwort unter Verweis auf Nichtwissen zumindest plausibel (vgl. Bsp. 5), allerdings heißt das u.U. auch, die Fragen zu sehr auf der Oberfläche zu verstehen und ihre Gattungsspezifik zu verkennen. Hinzu kommt, dass die Regel der Gattung, dass jede Information über Bewerbende, die im Bewerbungsgespräch zur Sprache kommt, für die Entscheidung über Eignung oder Nichteignung verwendet wird/werden kann, bei der Frage, was der Ehemann einer Kandidatin an ihr kritisiert, leicht aus dem Blick geraten kann. Bei der Stärken/Schwächen-Frage dagegen sind die zur Selbsteinschätzung Aufgeforderten als Experten für ihre Person angesprochen, was die Verweigerung der Antwort schwieriger macht.

5. l .2 Relevanz der Fragen Selbstattribuierung setzt Selbsteinschätzung voraus, eine Kompetenz, deren Bedeutung die Interviewenden in den Experteninterviews betonen, z.B. Experte Telefon.B: Von den Qualifikationen, die ich eben genannt hob, mal abgesehen, würd ich mir wünschen, dass die Leute sich über ihre Fähigkeiten, die sie zweifellos haben, bewusster sind. Die Selbsteinschätzung der eigenen Stärken und Schwächen beispielsweise gilt als Voraussetzung für eine angemessene Selbstallokation und in zweiter Linie als gute Ausgangsbasis für das Verfolgen selbstgesteckter Ziele. So expliziert die Personalbetreuerin Bank.C im Experteninterview die "Versteckte Agenda" als Hintergrund für die Frage nach den Stärken: Beispiel (7) - Experteninterview (Bank.B) E:

Aberför mich is die Zielorientierung, wo mein Bewerber hin will, ob er sich in der Bank schon entsprechend auch auskennl, dass er sagt, meinen Stärken entsprechend möchte ich dort und dort eingesetzt werden und das istßir mich son Knackpunkt auch im Gespräch. Und da kann ich nur über die Frage nach den Stärken hinkommen, weil ich hob sehr sehr oft Bewerber, die, wenn ich sie dann frage, wo möchten sie denn gern eingesetzt werden, die dann sagen, sie können mich überall einsetzen, ich bin flexibel, wo ich dann halt schon versuche, denen klar zu machen, dass es nicht ist, was ich mir wünsche, sondern dass ich jemanden haben will, der sich selbst sehr gut kennt, und sagt, eben weil ich weiß, dass das und das und das meine Stärken sind, möchte ich die und die Position haben ((...)). Deswegen ist Stärken Schwächenför mich nen wichtiger Punkt, obwohl ich da eben auch die Gefahr sehe, dass man sich auch auf so 'ne Frage sehr sehr gut vorbereiten kann.

Mit der Stärken/Schwächen-Frage bemüht sich diese Interviewerin, das Problem strategischer Antworten von Bewerbenden zu umschiffen, die eine angemessene Allokation behindern könnten. Sie ist sich aber auch bewusst, dass diese Antworten u.U. vorbereitet werden, da sie aufgrund ihres hohen Grades an Typisierung erwartbar sind.

155

Die Verbindung von Selbstattribuierung und Selbsteinschätzung wurde schon in Kap. 4 bei der Analyse des Feedbacks der Interviewer zum Bewerbungsgespräch Telefon. 2 sehr deutlich. Die Bewerberin hatte auf verschiedene Fragen, die eine Selbstattribuierung aus der Fremdperspektive forderten, sehr ausweichend geantwortet. Im Anschluss an das Bewerbungsgespräch kam es zu einer ausführlichen Belehrung der Interviewer/innen über die Relevanz und Intentionaliät von verschiedenen Fragen. In diesem Zusammenhang erklärte der Interviewer, dass seine Fragen hinsichtlich der Einschätzung durch Freunde, Kollegen etc. das "Fremdbild" und jenes wiederum die Selbsteinschätzung der Bewerberin elizitieren sollten (vgl. Kap. 4.2.2). Diese "Versteckte Agenda" hinter den Fragen zu erkennen ist nicht immer einfach. In dem entsprechenden Bewerbungsgespräch war die Selbstattribuierungsfrage als Frage nach der Einschätzung durch Dritte gestellt worden: was: (.) konnten die ((Kolleginnen, K.B.)) so; (-) oder was würden DIE SAgen, wenn wir sie FRAgen würden, was sie besonders an ihnen SCHÄtzen? Hier ist ein Selbstbild (als Gefragte) aus der Fremdsicht (der Kolleginnen) mit einem Rezipientenzuschnitt auf die Interviewer ('wenn wir sie fragen würden') zu entwerfen. Im Laufe der o. zit. Nachbesprechung zu Telefon.2 behauptet der Interviewer außerdem: das sind fragen die kommen IMmer; STÄRken, SCHWÄchen. wenn (-) wenn(=n) (-) persoNAL(leiter) die nich stellt, dann stellt sie spätestens der VORgesetzte, (... ) e:hm (-) das is KLAR. (-) kommt IMmer. Überprüfen wir daraufhin das Korpus, so ergibt sich ein etwas anderes Bild. Selbstattribuierung in einer der beschriebenen Varianten wird in 15 der 41 Bewerbungsgespräche des Korpus sowie in 7 der 27 Rollenspiele verlangt.

5.1.3 Analyse der Antworten auf Selbstattribuierungsfragen In order to preserve face in a job interview an applicant cannot too openly talk about her own excellent qualities - at least not in Sweden. There is a general constraint against self-praise (cf. Pomerantz, 1978). (Adelsward 1988:81)

Nach Adelsward (1988) gilt es eine Balance zu finden zwischen einem zu selbstsicheren und zu unsicherem Auftreten (ebd.:78), offen aber nicht zu offen zu erscheinen (ebd.:99). persönlich, aber nicht zu persönlich von sich zu berichten (ebd.:100) . Ebenso gilt für die positive Selbstattribuierung, dass eine Überbetonung von Stärken Gefahr läuft, unglaubDie Vorkommen verteilen sich folgendermaßen auf die verschiedenen Varianten: Die Frage nach Schwächen (bzw. einmal Fehlem) kommt in den Bewerbungsgesprächen insgesamt 8 mal vor, davon wird 7 mal eine positive Selbstattribuierung verlangt (in 4 wird explizit nach Stärken gefragt, in weiteren 3 wird eine indirekte Selbstattribuierung aus der Fremdperspektive der Kolleginnen, des Ehemannes usw. gefordert). In einem Gespräch fragt der Interviewer nach Talenten, und in weiteren sieben Gesprächen fordern die Interviewenden eine indirekte explizite Selbstattribuierung aus der Fremdperspektive, z.B. in Form der Konfrontation mit Beurteilungen in Zeugnissen bzw. über eine Begründung für die Einstellung aus Untemehmensperspektive. Die 7 Vorkommen in den Rollenspielen verteilen sich folgendermaßen: 2 mal in der Doppelversion von Stärken und Schwächen, 3 mal als Frage ausschließlich nach Stärken, 2 mal ausschließlich nach Schwächen (davon l mal in der Variante "Kritik"). Adelsward (1988:116) beschreibt als ein wesentliches Kennzeichen der "Erfolgsstile" die Perspektivübernahme, die eine Anpassung an Gattungserwartungen möglich macht.

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würdig zu wirken. (Negative Selbstbewertungen dagegen gelten nach Adelswärd grundsätzlich als glaubwürdiger.) Hinzu kommt die besondere Problematik, dass sich positive Selbstattribuierung hüten muss vor übertriebenem Selbstlob, ohne andererseits eine Chance auf positive Selbstdarstellung zu vergeben. Pomerantz (1978) beschreibt in Zusammenhang mit Komplimenten in Alltagsgesprächen eine allgemeine Präferenz für Selbstlobvermeidung (vgl. a. Kap. 6). Diese bildet sich u.a. in den Lösungen ab, die Empfanger von Komplimenten wählen, z.B. begleitende Verletzungsmarker ("violation markers", 1978:91) wie "Ich will mich ja nicht loben" oder "Versteh mich nicht falsch" sowie Dispräferenzmarker wie Verzögerungen und Herabstufungen. Obwohl Selbstdarstellung ein auf Gattungsrelevanzen gegründetes Ziel von Bewerbenden ist, spiegelt sich doch auch in den Bewerbungsgesprächen das Diffizile positiver Selbstattribuierung als ein Dilemma zwischen Selbstlobvermeidung einerseits und strategischer Zielorientierung in Form einer positiven Selbstdarstellung (verstärkt durch die etablierten konditionellen Relevanzen der Frage durch die Interviewenden) andererseits wider. Anzeichen dafür, dass Selbstattribuierung für die Betreffenden (in unterschiedlichem Maße) problematisch ist, sind in unserem Datenmaterial zahlreich. Nach Goffman (1971) kooperieren Interaktionspartner bei der Wahrung des eigenen, aber auch des fremden "face". Pomerantz (1978:91) zeigt, dass sich eine Orientierung auch der Komplimente-Macher auf das Selbstlobtabu nachweisen lässt. Darüber hinaus gilt "Selbstabwertung", wie sie im Rahmen der Schwächenfrage verlangt wird, als dispräferiert und Gesprächspartner reagieren auf eine Selbstabwertung in der Regel mit Nichtübereinstimmung (Pomerantz 1978:77; vgl. Kap 6. für eine detaillierte Darstellung des Präferenzsystems). Anders im Bewerbungsgespräch: Obwohl eine Frage wie die nach Stärken/Schwächen Regeln negativer Höflichkeit verletzt, da sie die Bewerbenden zu dispräferierten Akten auffordert, sind die Fragen der Interviewenden zu Selbstattribuierung häufig sehr direkt (abgesehen von einzelnen "accounts", die aber zumindest zweideutig sind, da sie auch als Verstärker der Zugzwänge fungieren, vgl. Bsp. 1). Eine solche Verletzung ist offensichtlich mit den gattungsspezifischen Beteiligungsrechten der Interviewenden vereinbar und Bewerbende haben wenig Spielraum, sich dagegen zu verwehren, ohne "aus der Rolle zu fallen". Sie betrifft u. U. sehr persönliche Bereiche der Person. Auch wenn es je nach dem variiert, ob die Frage eher fachbezogen oder persönlich fokussiert wird, ist sie doch immer mit einer gewissen Selbstenthüllung verbunden. Bei Selbstenthüllungen achten Interaktanten normalerweise immer sehr auf Reziprozität; diese ist jedoch in Bewerbungsgesprächen keineswegs gegeben, denn Interviewende müssen solche Fragen niemals beantworten.

Positive Selbstattribuierung Positive Selbstattribuierung lässt sich am ehesten mit den gattungsspezifischen Zielen der Bewerbenden verbinden; negative Selbstattribuierung wie in der Schwächen-Frage birgt das Risiko, Defizite enthüllen zu müssen. Doch es zeigt sich, dass Bewerbende Antworten auf beide Fragen mit Verzögerungsphänomenen markieren, was als Indikator für die Dispräferenz des Themas zu werten ist.

157 Beispiel (8) - (Archiv.2/o/m) 1 II: «f>wo llegen> denn nun eigentlich ihre STÄRken. 2 (2) 3 aber die frAge is ja ( e h ) NACHgeschoben; wo liegt denn 4 ihre SCHWAche. 5 (1) 6 SAgen=sie=mal; ( . ) eh diese FRAge stellt ihnen 7 wahrscheinlich { keiner.) worin sehen sie eigentlich 8 ihre STÄRke. 9 (2.1) 10 sie müssten/ sie s/ verKAUfen sich ja uns. = ( u n d sie 11 sin=net/) (-) sie sind auf mein BEIspiel h' (-) mit dem 12 mercedes Eingegangen? (-) sie verKAUfen sich ja uns; (.) 13 oder WIR verkaufen ihnen was, wie sie=s wollen, spielt 14 keine ROLle. wir sind v e r / ( . ) künftige Vertragspartner.

15

=(und) wo liegen ihre STÄRken? (-) und wo meinen sie

16

liegen ihre SCHWÄchen.

(1.8)

17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27

B: II:

B: II:

«p>(des is=aber ne frage; )> das=ne FRAge. ( . ) STIMmt=s, ( . ) die is ihnen noch NIE begegnet, ((allgemeine E r h e i t e r u n g ) ) u n d dann kriegen sie sie hier in IXSberg zum erschten mal. (-) ( ( s c h l ä g t auf t i s c h ) ) zu hören. na ja es is/ (.) (was will man immer) (-) darauf SAgen. ja sie können ja auch sagen; ich habe WEder eine stärke; NOCH eine schwäche; dann is es AUCH eine antwort. (-) ich FRAge sie j e t z t , wo (liegt) ihre STÄRke; (-) GRAde für diese arbeit, und WO liegt ihre schwäche.

Auffällig ist die mehrmalige Wiederholung der Frage, zu der die langen Pausen (Z. 2, 5, 9, 17) sowie die zeitgewinnenden, metakommentativen Antworten des Bewerbers (Z. 18; 23). Bewerbende beanspruchen zwar häufig Reflexionszeit (entweder weil sie tatsächlich von der Frage überrascht werden oder vielleicht auch, weil eine postwendende Antwort sehr vorbereitet wirken würde), die Pausen im obigen Beispiel sind jedoch auffällig lang und der Interviewer reagiert auf die Antwortverzögerung mit zunehmender Forcierung (z.B. durch die explizite Formulierung seiner Aktivität ich FRAge sie jetzt, Z. 26). Während das obige Beispiel eine sehr verzögerte, dispräferierte Beantwortung darstellt, steht das nächste Beispiel für eine vergleichsweise direkte Antwort (vgl. a Kap. 4, Bsp. 23). Beispiel II: B: II: B: II: B: B:

(9) - (Telefon, l /w/f) und wie würde ihr MANN sie charakterisieren, «p>ach GOTT.> «p>he [hehehehe>] [] (-) «p>wie würde DER mich charakterisieren.> (2) den müssen sie wahrscheinlich nicht so oft RUNterbringen. deswegen würde=er ( . ) auf die STÄrke nich so viel (-) .h WERT legen, (-) (h)aber vielleicht hat er [ [eh:: was würde ER sagen. (-) huMORvoll?

158

Das sehr leise geäußerte ach GOTT deutet an, dass die Bewerberin von der Frage überrascht ist. Mit der leisen, wie zu sich selbst gesprochenen Wiederholung der Frage signalisiert sie Nachdenken und verschafft sich einen Zeitgewinn. Der Interviewer reetabliert seine Frage, die der Bewerberin offensichtliche Mühen bereitet, mit einem "account" und rechtfertigt seine Erwartung auf eine thematisch "neue" Antwort damit, dass die zuvor genannte berufliche Stärke "das Beruhigen aufgebrachter Kunden (nicht im Transkript) für den Ehemann nicht relevant sei.

Negative Selbstattribuierung Wie schon am Beispiel (1) gezeigt wurde, taucht im Kontext der Schwächen-Frage häufig der Gemeinplatz "Schwächen hat jeder" auf. Dieser Rekurs hat verschiedene Funktionen. Zum einen verwenden ihn Interviewende als "account", um die Frage zu rechtfertigen. Damit verstärken sie die Erwartung auf eine thematisch relevante Antwort, z.B. wenn die Verzögerungen eine Zurückweisung der Frage wahrscheinlich werden lassen. Beispiel (10) - (ROS-I.2/o/m) I: B:

I: B:

hm=hru? (-) haben Sie irgendwelche SCHWÄchen. schwächen, (3) wer denkt an SCHWÄchen; h: gibt [es: ] [jeder] mensch hat SCHWÄchen. [ ( ] ) auch SIE sicherlich. [sicher.]

In der Nachbesprechung von Telefon. 2 bezeichnet der Interviewer es als unglaubwürdig, dass die Bewerberin keine Stärken/Schwächen genannt habe, und die Bewerberin pflichtet unter Verweis auf den Gemeinplatz bei: Beispiel (l 1) - (Telefon.l/w/f) Nachbesprechung 12: B: 12: 12: B: 12: B:

ehm (1) ich GLAUB ihnen das nich; dass sie keine STÄRken und keine SCHWÄchen haben. (1) un: (.) wenn sie sich da n/ (.) [nich Äußern, ] [ ( n e e d a s : ) j a ; ] (-) ja; [KLAR;] die hat JEder. ne, [ehm::] wenn«p>ja;> KLAR. das is RICHtig.

Ein Rekurs auf den Gemeinplatz kann auch das face-bedrohende Potenzial der Antwort verringern. Bewerbende verweisen darauf, dass es sich um ein allgemeines menschliches

Vgl. Kern (im Erscheinen, Kap. 8.4.1.1) zur Funktion von Verweisen auf kollektive Wissensbestände und zur "man"-Verwendung in Gemeinplätzen. Aber auch prophylaktisch kann der Gemeinplatz eingesetzt werden, um den Antwortdruck zu erhöhen, wie in dem Beispiel (1): «f> (nach der) frage nach den größten stärken kommt natürlich auch die frage nach den größten SCHWÄCHEND dis is auch ganz klar; (-) schwächen HA Tjeder· (.) harn sie sich schon mal überlegt welches IHre sind.

159

Phänomen handelt und reduzieren so die mit der Antwort verbundene Bedrohung ihres positiven "face". So auch im folgenden Beispiel: Beispiel (12) - (Bau.l/w/m) II:

B: II: B:

(-) eh: ( 0 , 6 ) wo sehn sie { . ) denn (.} SONST ihre schwächen? ( 1 , 6 ) weil sie SACHten; (-) sie ( 0 , 8 ) SCHÄTzen sich auch so ein; dass sie SCHWÄchen haben; ( 1 , 6 ) joa: (2) warum sollte man das NICH? ( 0 , 6 ) das (-) MUSS man ( . ) eh (-) einfach [auch; «cresoes hAt auch>] jeder jeder [ ( w a r sowieso ( )] SCHWÄchen, (-) das wäre (hehe) das wäre verMESsen, das (-) ANdersrum zu nehmen;

Der face-bedrohende Gehalt der Frage nach Stärken und der nach Schwächen differiert also; letztere hat deutlich mehr Risiken für das Image. Auch Adelswärd stellt fest, dass Bewerbende es offensichtlich schwieriger finden, Schwächen zu benennen als Stärken (1988:82) und Adelswärd/Ziv (1995) zeigen sowohl für die schwedischen als auch die israelischen Daten, dass negative Selbstbewertungen nur auf Anfrage der Interviewenden, also fremdinitiiert, vorkommen, während positive häufiger und selbstinitiiert auftauchen. Eine Auszählung unseres Korpus ergab ferner, dass negative Selbstattribuierung etwas seltener verlangt wird als positive. Dass das Behandeln von Stärken gegenüber Schwächen in unseren Daten bevorzugt zu sein scheint, zeigt sich auch in der Tatsache, dass als Antwort auf die Schwächenfrage diejenigen Attribute bevorzugt werden, die sich am leichtesten in eine Stärke uminterpretieren lassen. Das bestätigt Adelswärd/Zivs kontrastive Untersuchung der "weakness question" in 40 israelischen und 48 schwedischen Bewerbungsgesprächen. Die Antworten der Bewerbenden wurden in Kategorien gefasst: (1.) die Nennung von "Ungeduld" und (2.) weitere Nennungen von Eigenschaften für Durchsetzungsvermögen (dominant, ehrgeizig, etc.), (3.) Nennungen, die eher mit Mangel an Durchsetzungsvermögen in Verbindung zu bringen waren, und (4.) eine "leere" Kategorie mit "keinen Angaben". Die Autorinnen setzen diese Antworten mit positiven Schlüsselkriterien wie "Dynamik", "Entschlossenheit" und "Ehrgeiz" in Verbindung, die sie in Interviews mit den beteiligten Personalverantwortlichen erhoben hatten. Sie stellten fest, dass die "Schwächen" der Kategorie l und 2 eine auffällige Nähe zu diesen impliziten Erfolgskriterien aufweisen. Besonders "Ungeduld", die am häufigsten genannte Schwäche, "is definitely a double-faced weakness and therefore a most viable currency in a competitive Western, modem industrialized society" (Adelswärd/Ziv 1995:31). Sie fügt sich nahtlos in eine westliche Business-Kultur ein, in der die Devise gilt "time is money" (ebd.: 11). Diese auffällige Entsprechung zeigt, dass viele Bewerbende die verdeckten Schlüsselkriterien der Interviewenden sehr genau erfassen, was nach Adelswärd/Ziv aufgeteiltes kulturelles Wissen verweist (vgl. Kap. 3.4.1).

Negative Selbstattribuierung kommt insgesamt 12 mal vor, und zwar achtmal in Bewerbungsgesprächen und viermal in Rollenspielen. Dem stehen 18 positive Selbstattribuierungen gegenüber, die sich folgendermaßen verteilen: 13 in Bewerbungsgesprächen und 5 in Rollenspielen. Das bestätigen auch die Experteninterviews, so z.B. die Expertin Bank.B: Das sagen ganz viele eben (ne) Schwäche na ja, also ich muss lange überlegen und hob trotzdem nur eine gefunden und das is Ungeduld oder so was, wo sie eben genau wissen, dass es letztendlich als Stärke ausgelegt wird.

160 Die Analyse ergab auch, dass die Schwächen-Frage nicht nur Risiken, sondern auch Chancen birgt, denn Punkte in Bezug auf Ehrlichkeit und Authentizität lassen sich leichter mit Schwächen als mit Stärken machen. Bei der Untersuchung von Antwortstrategien und der interaktiven Bearbeitung der Schwächenfrage erwiesen sich kompensierende Strategien als besonders erfolgreich. Sie bestehen darin, Schwächen zuzugeben und damit zwar ein Risiko für das Image in Kauf zu nehmen, dieses aber durch einen Gewinn an Ehrlichkeit und Authentizität wettzumachen. Durch anschließende Umbewertungen und abwägendes Betrachten lassen sich Schwächen sogar in ihr Gegenteil verkehren oder jedenfalls die Risiken erheblich minimieren.

5.1.4 Die Rollenspiele Die Antworten auf die Selbstattribuierung unterscheiden sich in den Rollenspielen auffällig von denen der authentischen Bewerbungsgespräche. Jene sind häufig sehr viel direkter, ohne Verzögerungen oder Reflexionspausen benennen die Rollenspiel-Bewerbenden Stärken und Schwächen. Beispiel (13) - (ROS-II.12/o/f) II: wElche besonderen STÄrken haben sie. (-) um bei UNS im unterNEHmen (wirken) zu können. B: ja ich bin konTAKTfreudig? und eh (-) ich bin auch Ausdauernd wenn es um: eh (-) eine TÄtigkeit geht,=also das heißt ich könnte j e t z t Auch am stück ( . ) mehrere stunden BUChen? Beispiel (14) - (HH-II.2/w/m) I: was halten sie eigentlich für ihre größten STÄrken, und was halten sie eigentlich für ihre größten SCHWÄchen; B: t . h h (2) um mit den STÄrken anzufangen:, (-) würde ich einmal sehen ( . ) Zuverlässigkeit; I: «p>hm=hm> B: flexibiliTÄT; (-) das WAR=s;=also ich sehe mich SCHON in der läge auch ( . ) .h KURZfristig bei neuen Problemen; mich drauf EINzustellen; .hh eh:: (3) ich halte mich für einen ( . } RUhigen, I: hm=hm B: ja=überlegten (.) MITarbeiter oder auch eh (-) VORgesetzten; in: Zusammenarbeit mit den kolLEgen, I: mm B: .hh (-) NEgative seiten könnten sein; manchmal ein bisschen ZU ( . ) zu NACHsichtig mit eigenen schwächen umzugehn; Es entsteht der Eindruck, dass diese Antworten vorbereitet sind (was nicht verwundert, da es sich um Bewerbungstrainings handelt), aber auch, dass Selbstattribuierung in dieser artifiziellen Situation nicht in der gleichen Weise wie in authentischen Bewerbungsgesprächen konversationeil bearbeitet wird. Die Rollenspiele stellen einen Freiraum bereit, um eine idealisierte Norm einzuüben, und der geforderten Selbstattribuierung kann ohne Gesichtsverlust nachgekommen werden. Anders in authentischen Bewerbungsgesprächen; Vgl. a. Komter (1991:48): "In fact, honesty is most convincing when applicants give negative information about themselves."

161

hier stehen Bewerbende offensichtlich vor komplexeren und teilweise widersprüchlichen Anforderungen. Nachdem nun die grundsätzliche Problematik von Selbstattribuierung im Bewerbungsgespräch beleuchtet wurde, kann vor diesem Hintergrund untersucht werden, wie einzelne Bewerbende mit den widerstreitenden Anforderungen der Selbstattribuierungsfrage umgehen, und damit der Frage nachgegangen werden, ob bzw. welche Unterscheide zwischen Ost- und Westbewerbenden festzustellen sind.

5.1.5 Unterschiede zwischen Ost- und Westbewerbenden In den Antworten auf die Selbstattribuierungsfrage lassen sich ungeachtet der Tatsache, dass bei den meisten Bewerbenden Dispräferenzmarkierungen zu finden sind, dennoch drei Bereiche feststellen, in denen tendenzielle Unterschiede zwischen Ost- und Westbewerbenden festgestellt werden können: 1. in Bezug auf Direktheit/Indirektheit der Antworten, 2. hinsichtlich der Auswahl genannter Stärken und Schwächen und 3. bei der argumentativen Präsentation der Attribute.

l. Direktheit/Indirektheit der Antworten Westbewerbende beantworten Fragen zur Selbstattribuierung häufig direkter als Ostbewerbende. Am Korpus Telefon lassen sich die Unterschiede sehr gut illustrieren, weil alle fünf Bewerberinnen mit verschiedenen Varianten der Selbstattribuierung konfrontiert werden. Bewerberin Telefon. 3 wird nach Gründen gefragt, warum sie das Unternehmen einstellen sollte. Beispiel (15) - (Telefon.3/w/f) 12:

B: 12: B: 12: B:

(3) .hh «all>frau meyer was GLAUben sie;> (-) wir harn jetz hier (.) die beWERberrunde, (1) wir sprechen mit (mehreren) LEUten, .h (-) was: ( . ) würden sie SAgen, was sind die GRÜNde, warum wir UMbedingt «f>sie> einstellen sollen. (1) warum sind sie DIEjenige; (.) diejenige perSON; .h (-) (die sagen würde) die würde unser team da beREICHern. (1) weil ich hier schon geARbeitet habe, mich: (1) «f>noch> ( . ) wenn ich=s ( . ) SAgen kann, mit dem proGRAMM auskenne? hm=hm, un wei=ich eigentlich GUT mit LEUten umgehn kann. (-) hm=hm, ( 2 . 5 ) auch per TElefon.

Der direkte Anschluss der Antwort ist nicht nur durch fehlende Verzögerungsmerkmale kennzeichnet, sondern wird auch durch den syntaktischen Anschluss mit der kausalen Konjunktion weil (auf die Frage warum...) unterstrichen. Ebenso im folgenden Beispiel; hier wird eine Antwort aus der Fremdperspektive der Kollegen erfragt, die mit der Konjunktion „dass", syntaktisch als Nebensatz direkt angeschlossen, gegeben wird.

162

Beispiel (16) - (Telefon. 5/w/f) 13: B: 13: 13: 12: 13: B: 13: B:

(1) na dann können ja sicherlich auch ihre ( . ) kolLEgen, wenn wir die j e t z FRAgen würden, könn=se [JERne ] machen; [mensch] was [halten] sie denn von der frau KOHLhauser; was hm=hm,> dass ich sehr kollegiAL bin, (3) «len>dass ich e:h w ( - ) w e n n not am mann: (-) is:> (-) DA bin? (2) «len>dass ich ehm:> (5) tja eigentlich gerade DIS, was ich eben geSCHILdert hab, und das find ich eigentlich auch SELber gut, .hh (1) dass ich versuche, e:hm (1.5) n=gutes beTRIEBSklima zu schaffen, oder zumindest dazu BEIzutragen. (3) also für mich is=ne FIRma:, eh nich nur=ne FIRma.

Die ostdeutsche Bewerberin Telefon. 2 dagegen, die ebenfalls nach der Fremdperspektive der Kolleginnen gefragt wird, übernimmt nach einer Verzögerung der Antwort nicht die vorgegebene Perspektive der Kolleginnen (vgl. für eine detaillierte Analyse auch Kap. 4.2.1; in Bezug auf Perspektivübernahme Kern, im Erscheinen). Beispiel (17) - (Telefon.2/o/f) 12: und wie haben=sie=sich mit ihren kollEgen und kollEginnen denn verstanden? 13: ((räuspert sich)) B: sehr G U T . 12: ja, B: ja. 12: (-) was: ( . ) konnten die so; (-) oder was würden DIE SAgen, wenn wir sie FRAgen würden, was sie besonders an ihnen SCHÄtzen? B: .hh joa. ( 0 . 5 ) das is=ne gute FRAge. ( 1 . 0 ) ( ( s c h n a l z t ) ) man muss EIgntlich, wie jesagt, wie alle Ändern AUch, PUENKTlich sein, man muss ( . ) na[türlich, .h (-) wie jesAcht, weil ja 12: [«p>hm:hm, > B: auch jeder seine arbeit HAT, seine KUNden, daß man dran intresslert is, diese Alle ANzurufen, und .h (-) es hat ja jEder sein festes AUFgabengebiet. ne, also wo jeder KOMmt, und MAcht, und- (-) wie jesAgt, ( . ) sieht denn dOch, MENsch, kann ich noch was HELfen, öde:r ( . ) [kann 12: [hmhm, B: ich was MACHen, also .h (-) das is da eigntlich (-) ganz TOLL jerEgelt; muss ich sagen, ja, und die mitarbeiter sind auch alle sehr sehr LANge da, .h (-) es is auch würklich: (-) ne=TOLle TEAMarbeit; mUss ich sagen, also JEDer [probiert da 12: [«p>hmhm, > B: w i r k l i c h JEDen zu helfen. 12: «p>hmhm, > B: [das LAUft eigntlich sehr GUT da. II: [«pp>hmhm?>

163 Bei ihren Aussagen fällt ins Auge, dass die Bewerberin keine Angaben über ihre Person macht, sondern allgemeine Anforderungen des Arbeitsplatzes nennt, eine Selbstattribuierung bleibt dabei nur implizit. Die Attribute, die sie nennt, verweisen auf einen allgemeinen Kanon von Eigenschaften, der an schriftliche Beurteilungen erinnert (vgl. a. Kap. 4.2.1). Die zweite ostdeutsche Bewerberin, die ebenfalls zur Fremdattribuierung durch die Kolleginnen aufgefordert wird, zitiert sogar ausdrücklich die Beurteilungen: Beispiel (18) - (Telefon.4/o/f) 12: sie hatten kolLEGinnen frau bacher. (-) kolLEGinnen mit denen sie zuSAMmengearbeitet [ h a b e n . ] ( - ) ne, .h {-) was würden (-) B: «p>[ja ]> 12: DIE denn SAgen wenn wir «all>DIE heute fragen würden;> mEnsch die frau BACher. «all>wissen=se noch damals (harn s i e ) > zuSAMmengearbeitet, (2) was fanden sie KLAsse an der frau bacher. (-) was zeichnet sie AUS. (2) in der zuSAMmenarbeit. (3) B: ( ( s c h n a l z t ) ) ich war eine FREUNDliche? (-) wenn ich an diese: ( - ) hehe ( . ) beURteilung den[ke? ] FREUNDliche:, ( . ) un:d 12: [hm=hm,] B: (-) «p>( ) sagt man (2) e : h (2) freundliche, u n : d > (1) na ich hab ja alles für die geTAN eigentlich. [ ( . ) h e ] h e ich 12: [hm=hm,] B: w a r immer, ( . ) b e [ ( )] 12: [HILFS]bereit. B: HILFSbereit. [ja so] stand immer in=ne beURteilung drin. 12: [ja ] B: [war] immer so:, (.) FREUNDlich, HILFSbereit. ja, 12: [ja ] Anders als die Bewerberin Telefon. 2 nennt diese Bewerberin (verzögert) Eigenschaften; doch auch sie macht keine direkten Aussagen aus der Perspektive der Kolleginnen, wie in der Frage des Interviewers angelegt, sondern zitiert aus Beurteilungen. Beispiel (19) - (Telefon, l/w/f) (Fortsetzung von Bsp. 5) 1 II: nein das is so die ver:/ (-) verKAPpte frage; wo so ihre 2 STÄRken sind; ne, (-) wir möchten sie ja KENnen lernen; 3 deswegen; 4 B: «p>und wo sind meine STÄRken. > (-) ( h ) hm he [he ] (-) 5 II: [hehe] 6 B: hm=hm ( . ) hehe (-) fragen=wa ma lieber nach SCHWÄchen; hehe 7 (-) [weil] 8 II: [ j a : ; ] das würd ich dann im ANschluss noch 9 [(machen) hehe] 10 B: [heheheheheheh] gut. (-) meine SCHWÄchen? [hehe] 11 II: [hehe] okay? 12 ( . ) die SCHWÄchen? 13 B: ehm: ( . ) meine SCHWÄchen sind, ( 1 . 8 ) dass wenn ich ungefähr 14 (1) den ( . ) zehnten unzufriedenen KUNden hab? 15 ( ( . . . ) ) ( ( B . führt Ungeduld a n ) )

164 16 17 18 19 20 21

B: ja das is eigentlich so (-) ne SCHWÄche von mir. II: «p>mhm,> B: ne STÄRke von mir? (-) das is halt immer wieder dass ich (-) das Eigentlich ganz gut SCHAFfe, (-) nen=aufgebrachten MENschen? (-) indem ich ganz RUHig ( . ) bleibe ( ( . . . ) ) ) in dEm moment hat ER sich schon wieder (h)beruhigt;

Diese Bewerberin, ausdrücklich nach Stärken befragt, setzt durch, dass sie zuerst über Schwächen reden kann. Obwohl der Interviewer diese Frage zurückstellt, besteht sie lachend darauf, die Schwächen vorzuziehen (Z. 6), allerdings nicht ohne dem Interviewer Gelegenheit zur Ratifizierung dieser Initiative gegeben zu haben (Z. llf). Nachdem sie so dem Selbstlobtabu Tribut gezollt hat, beantwortet sie die Frage - zunächst nach Schwächen und dann nach Stärken - sehr direkt. In der Nachbesprechung von Telefon.2, die in Kap. 4.2. l genauer untersucht wurde, wird das ausweichende Gesprächsverhalten mit der Orientierung am Selbstlobtabu plausibilisiert, was zur Vermeidung von Selbstattribuierung geführt hat. Im folgenden Beispiel wird das Tabu von einer (westdeutschen) Bewerberin im Kontext einer Selbstattribuierung sogar explizit formuliert: Beispiel (20) 1 12: 2 3 4 B: 5 12: 6 B: 7 B: 8 12: 9 B: 10 11 12 12: 13 14 B: 15 16 17 18 12: 19 B: 20 21 12: 22 B: 23 12: 24 B: 25 12: 26 B:

(Telefon. 5/w/f) ich möchte gerne w/ w/ von ihnen von Wissen, warum sie GLAUben, dass sie den GUT machen können. (2) hh ohne [den job jetz en detail] zu KENnen. [ ( ( s e u f z t ) ) hhhhhh ] also ich eh g/ [eh hm eh ] [was bring] sie MIT. ich bringe ganz EINfach, glaube ich: (1.5) würde mir sponTAN einfallen; (1) ich glaube dass ich sehr gut mit MENschen umgehn kann. hm=hm, (3) ich trau mich das immer nich so richtig zu SAgen, das is so (-) so Eigenlob. (-) eigenlob STINKT; (-) h aber da: ich das jetz e:h (1) in letzter zeit ÖFter gehört ha[be, weil ich eh geSACHT hab, ich hab mich hier [nm=hm, beWORben, (-) .h ich hab mit vielen MENschen da drüber geSPROchen, nm=hm, (1) un:d e:h hab ihre: (-) anNONce gezeigt, ja, (-) mit MENschen umgehn. ja das biste RICHtig. m[hm,] [ j a . ] «dim>das is meine ANTwort d a r a u f ; >

In Fortsetzung des Themas "Fremdeinschätzung" (vgl. Bsp. 17) und nach erfolgter Selbstattribuierung (sehr gut mit MENschen umgehn, Z. l Of) rekurriert die Bewerberin mit einem Verletzungsmarker auf das Selbstlobtabu, das ihr die gemachte Aussage eigentlich verbietet. (Die Formulierung "sich nicht trauen" in Z. 14 zeugt von einer moralischen Instanz, die verletzt werden kann.) Sie bezeichnet das Tabu als eigenlob und zitiert anschließend einen

165

Gemeinplatz eigenlob STINKT (Z. 15). Der Verstoß, den sie ja bereits begangen hat, wird retroaktiv durch dieses demonstrative Bekenntnis ausgeglichen. Damit nicht genug: Anschließend erläutert sie, dass viele Bekannte, mit denen sie im Vorfeld des Gesprächs über ihre Eignung für die Stelle gesprochen hat, diese Einschätzung teilen. Damit autorisiert sie ihr "Selbstlob" durch die Aussagen Dritter, ein Beleg, der die Geltung des positiven Attributs argumentativ stützt. Für die westdeutschen Bewerberinnen aus den beiden vorausgehenden Beispielen scheint das Selbstlobtabu bei der geforderten positiven Selbstattribuierung also durchaus eine Rolle zu spielen. In Beispiel (19) tut die Bewerberin dem Selbstlobtabu genüge, indem sie darauf insistiert, erst Schwächen zu nennen, um anschließend dann direkt und unumwunden die Stärken nachzuliefern, während die Bewerberin aus Beispiel (20) das Tabu als Gemeinplatz "Eigenlob stinkt" sogar explizit nennt (um dann dagegen zu verstoßen). Anders als die ostdeutsche Bewerberinnen in Beispiel (17), die Beurteilungen zitiert, und in Beispiel (18), die die Antwort verweigert, vollziehen beide die geforderte negative und positive Selbstattribuierung.

2. Auswahl genannter Stärken und Schwächen Betrachten wir nun die Nennungen, die auf die verschiedenen Fragevarianten, besonders aber auf die Stärken und Schwächen-Frage, gemacht werden, lassen sich auch hier Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen feststellen. Bei einigen der von Ostbewerbenden genannten positiven Attribute fällt auf, dass sie sehr allgemein gehalten sind bzw. als selbstverständliche Eigenschaften für eine erfolgreiche Berufstätigkeit gelten müssen, wie Pünktlichkeit, Gewissenhaftigkeit. Andere Angaben dagegen stehen in keinem direkten Zusammenhang mit der Berufstätigkeit (z.B. "Gutmütigkeit", "Menschlichkeif', "Aufgeschlossenheit"). Westdeutsche dagegen orientieren sich häufig an Kriterien, die unmittelbarer für die Berufstätigkeit relevant sind, z. B. "gut mit Kunden umgehen können", "Organisationstalent besitzen" usw. Dies kann als ein Hinweis auf eine stärkere Bezugnahme der Westbewerbenden auf Gattungsrelevanzen gewertet werden. Zu negativer Selbstattribuierung, die ohnehin in unserem Korpus nicht häufig ist, werden Ostbewerbende noch seltener befragt als Westbewerbende. Die folgenden Beobachtungen sind deshalb nur Tendenzen von Differenzen: Westbewerbende nennen häufig Schwächen aus dem privaten Bereich: Morgenmuffel sein, launisch sein. Auch liefern sie Variationen auf den bekannten Topos "Ungeduld": ungeduldig mit dem Kind sein, mit Zuhörern, die Anweisungen nicht sofort verstehen, mit unfreundlichen Kunden. Ostbewerbende zeigen In einer sozialwissenschaftlichen Studien stellte Stratemann (1992) Ähnliches fest: "Das positive Herausstellen der eigenen Person, das 'Sich-in-den-Mittelpunkt-einer-sozialen Situation-setzen' und die Steuerung dieser Situation z.B. in einer Gruppendiskussion macht Teilnehmern aus dem Osten deutlich größere Schwierigkeiten, vor allem aus emotionalen Gründen. Sie empfinden es als 'negativ', sich in einer solchen Weise zu profilieren. [...] Kaum einer der [ostdeutschen, K.B.] Kandidaten verstand das [Bewerbungs- K.B.] Gespräch als eine Möglichkeit, für sich selbst zu werben. Informationen wurden schlicht gegeben und erst durch intensives Nachfragen weiter umschrieben. Offen gestellte Fragen wurden nicht selten als Aufforderung zur Rechtfertigung gesehen." (Stratemann 1992:135f).

166 dagegen die Tendenz, thematisch relevante Antworten zu vermeiden oder eine Antwort zu geben, die sich durch wenig strategisches Kalkül auszeichnet, wie im folgenden Fall: Beispiel (22) - (Archiv.2/o/m) B:

es is manchmal (-) die mangelnde kontinuitTÄT. würd ich mal sagen. =also dass man (-) sich EINfach mal (-) LÄNger; über ne LÄNgere zeit; ( 2 . 5 ) dann (-) wenn also was/ ( . ) was ANsteht; dass man da nich intensiv (-) auch TÄGlich sondern dass man irgendwann mal noch mal ne PAUse einschiebt, das würd ich schon sagen das is schon eine SCHWÄche.

Diese Antwort macht den Eindruck, "zu ehrlich" zu sein, sie könnte leicht zum Knock-out Kriterium für die Einstellenden werden.

3. Argumentative Präsentation Adelswärd/Ziv beschreiben die argumentative Präsentation der Selbstattribuierung als eine entscheidende Größe, sie fanden in ihren Daten u.a. die Strategie der Angabe von Pseudoschwächen. Sie wird in unserem Korpus von Westbewerbenden häufig eingesetzt, z.B. von der Bewerberin Telefon.3, die ihre schlechten Noten in Stenographie als verbesserungswürdig benennt, aber im Anschluss betont, dass Stenokenntnisse im heutigen Berufsalltag unwichtig seien. Eine andere Form der Angabe von Pseudoschwächen ist, auf die Frage nach negativen Eigenschaften aus der Fremdperspektive solche zu nennen, die zwar von den Ehemännern negativ bewertet werden mögen, aber z.B. bei einer Bürokraft für den Arbeitgeber einen Vorteil versprechen: sehr gewissenhaft und perfektionistisch bzw. putzsüchtig und überaus ordentlich zu sein. Bei Westbewerbenden fällt ferner auf, dass sie auf die Fragen der Interviewenden häufig Klärungssequenzen initiieren, z.B. kurze Rückfragen stellen, ob die Frage eher Eigenschaften aus dem privaten oder dem beruflichen Bereich elizitieren soll. Das hat nicht nur den Effekt einer - interaktiv günstigen - Verständnissicherung, sondern tatsächlich erwirken die Bewerbenden damit häufig die Zustimmung, die Antwort weniger persönlich anzugehen. Beispiel (23) - (Telefon. 5/w/f) 13: 12: 13: B: 13?:

was [halten] sie denn von der frau KOHLhauser; was hm=hm, >

Beispiel (24) - (Sekretariat.4/w/f) 13: B: 13: B:

wo sind ihre GRÖSSten stärken. (-) meine [GRÖSSten stärken hehehehe] (-) .h mein=n sie j e t z t im [hehehehehehehehehehehehe ] beRUFlichen bereich; (-) hier in diesem sekretariATSbereich.

Die Schwächen stammen dann u.U. trotzdem aus dem privaten Bereich, so dass die Bewerbenden via der Stärken Pluspunkte für die berufliche Eignung sammeln, die Negativpunkte aber in den für die Berufstätigkeit weniger relevanten Privatbereich verlagern.

167

5.2 Die Gehaltsfrage

Ein rekurrentes Thema im Bewerbungsgespräch ist das Gehalt. Es wird häufig mit einer "typischen Frage" bearbeitet, in der die Interviewenden die Gehaltsvorstellungen der Bewerbenden zu elizitieren suchen, um herauszufinden, ob diese mit dem vorgesehenen Gehalt für die Stelle vereinbar sind. Die Gehaltsfrage hat verschiedene Tücken. Da sich die Einschätzung der eigenen Leistung und deren adäquater Belohnung immer an Vergleichswerten wie der unternehmensinternen Gehaltsstruktur oder an Tarifen orientieren muss, avanciert die Gehaltsfrage leicht zu einem Test in Sachen Gattungswissen: Bewerbende sollten sich auf ein Einstellungsgespräch vorbereiten, was das Beschaffen von Informationen über das Unternehmen und die Stelle ebenso umfasst wie angemessene Gehaltsvorstellungen zu bilden. Dem Informieren über die Stelle unterliegt u.a. die Logik, dass ernsthaftes Interesse wohl nur dann als begründet gelten kann, wenn der/die Bewerbende weiß, worauf er/sie sich bewirbt. Zum anderen suggeriert die Gehaltsfrage die Verhandelbarkeit des Gehaltes; tatsächlich aber ist in unserem Korpus die Höhe des Verdienstes in allen Fällen durch unternehmensinteme Regelungen oder Tarifbindungen festgelegt. Grundsätzlich scheint das Gehalt nur in wenigen, relativ hohen Positionen überhaupt verhandelbar zu sein. Dennoch wird die vorgesehene Summe den Bewerbenden nicht mitgeteilt, bevor sie nicht ihre eigenen Vorstellungen genannt haben. (Es kommt z.B. nicht vor, dass die Einstellenden den vorgesehenen Verdienst zuerst nennen und fragen, ob er den Vorstellungen der Bewerbenden entspricht.) Selbst wenn Bewerbende bereits das Fragerecht erhalten haben und nun ihrerseits nach dem vorgesehenen Verdienst fragen, suspendieren Interviewende die Antwort solange, bis die Bewerbenden ihre Gehaltsvorstellungen nennen: Beispiel (25) - (Bank.7/w/m) B: II:

B:

hehe (-) na ja me/ eh mich persönlich würden auch die kondiTIOnen eh (-) [dieser stelle intressieren, ] [ < < f > j a klar dis dis is klar>] .h hm=hm, « f > j a da würd ich ganz gerne> von IHnen wissen was sie sich so VORgestellt haben. eh na ja ich (.) kann ja mal sagen ich hatte DREIzehn monatsgehälter

In dem bereits ausführlich untersuchten Ausschnitt aus dem Gespräch Edv.6 in Kap. 4 wurde gezeigt, wie ein Interviewer die Nichtbeantwortung der Frage unter Verweis auf fehlende Vergleichsmöglichkeiten zwar zunächst akzeptiert. Nach der Initiative des Bewerbers, die vorgesehene Tarifstufe des Unternehmens zu erfragen, nimmt der Interviewer ihm das Fragerecht jedoch wieder ab und reetabliert die Gehaltsfrage: ich verRAT ihnen «dim> jetz aber nicht die SUMme; weil ich ganz gerne erstmal wissen möchte, was sie verdienen wollen (vgl. Kap. 4, Bsp. 16). Im weiteren Verlauf entwickelt sich eine stark imagebedrohende Lektion über die verdeckten Relevanzen der Fragen. Darin wird der Zufriedenheit mit dem Gehalt ein hoher Stellenwert für die Zufriedenheit mit dem Arbeitsverhältnis beigemessen, was hohe Leistungen implizit und Fluktuation verhindert. Der Interviewer des Subkorpus Archiv artikuliert eine etwas andere Befürchtung: «f>aber sie müssen sich das WIRKlich überlegen, also ich möchte KEInen unzufriedenen (.) eh eh a/eh

168

archiv- (.) mitarbeiter chef haben; (.) der dann mir ständig auf(.) der pelle sitzt; und sagt; also (-) .h ich hab=s DOCHbe(.)reut; dass ich hierhergekommen bin (Archiv.4). Bewerbende zuerst ihre Gehaltsvorstellungen nennen zu lassen soll verhindern, dass sie "sozial erwünschte" Antworten geben, d.h. sich den Gegebenheiten anpassen, nur um die Stelle zu bekommen. Es ist schwierig, die Gehaltsfrage nicht zu beantworten, wohl auch weil es selbstverständlich ist, dass man arbeitet, um Geld zu verdienen, auch wenn sich das nicht als Schlüsselargument für eine nachhaltig positive Motivation für die zukünftige Tätigkeit eignet Um die Gehaltsfrage angemessen zu beantworten, müssen Bewerbende entweder die Gehaltslandschaft gut kennen (außenstrukturelles Wissen) oder zumindest wissen, dass es sich um ein rekurrentes Thema handelt, für dessen Behandlung man im Vorfeld Informationen einholen sollte (binnenstrukturelles Wissen). Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt auch Sarangi (1994a). Im Rahmen eines Auswahlgesprächs für einen berufsbildenden Automechanikerkurs wird der Bewerber gefragt, ob er die üblichen Verdienstmöglichkeiten von Automechanikern kenne. Das eingestandene Nichtwissen und die scherzhafte, thematisch irrelevante Antwort des Bewerbers auf die erneute Nachfrage analysiert Sarangi als Fehlanpassung an Regeln des Aktivitätstyps: "The 'preferred' answer in this respect would be the candidate's awareness of the exact amount s/he will be paid if successful." (Sarangi 1994a:182f) Die "exakte" Summe zu kennen ist ein hoher Anspruch, doch auch eine nur approximative Vorstellung zu bilden ist nicht immer leicht. Unternehmensinterne Tarifstrukturen sind für Außenstehende kaum zugänglich und die Kenntnis von Vergleichswerten setzt einen vertieften Einblick in die Arbeitswelt voraus, über den Berufseinsteiger und andere Novizen auf dem Arbeitsmarkt in der Regel nicht verfügen. Da die Höhe des Gehaltes in direkter Beziehung zu sozialem Prestige und dem persönlichen "Marktwert" steht, spiegelt der Anspruch auf einen hohen Verdienst in der Logik der Gattung auch einen hohen Selbstwert (vgl. a. Kap. 4, Bsp. 12: wenn sie (.) wenn sie der MEInung sind, sie sind sechstausend mark WERT, dann SAgen sie=s doch). Andererseits dürfen Bewerbende nicht zu viel verlangen, weil eine zu hohe Forderung ein Ausschlusskriterium bedeuten kann. Ein Dilemma kann nicht nur dann entstehen, wenn Bewerbende keine Anhaltspunkte zum vorgesehenen Gehalt haben, sondern auch, wenn sie nicht wissen, ob es überhaupt einen Verhandlungsspielraum gibt. Der Fall, dass sich die Gehaltsvorstellung der/des Bewerbenden mit denen des Unternehmens deckt, ist der unproblematische; Unternehmensvertreter stellen dagegen nur ungern fest, dass sie bevorzugte Kandidat/inn/en nicht gewinnen können, weil die Bezahlung nicht stimmt. Hingegen genießen es einige Interviewende sichtlich, ein höheres als das erwartete Gehalt anzukündigen. Beispiel (26) - (Bank.4/o/m) II:

B: II: B: II:

hm=hm ( ( b l ä t t e r t in Bewerbungsbogen)) sie WOLlten ja nur, (1) «p>hab ich geLEsen>; sie wollen nur viertausend mark verDIEnen. ( ( b l ä t t e r t ) ) hehe na GUT eh (-) hehe monatsgehalt (-) circa vierTAUsend; (-) steht hier, hehe [ehm] [na ] ja nun GUT.= =das können wir nun leider nicht erFÜLlen? ( 0 , 6 ) weil ( 1 , 4 )

169 eh ( 0 , 6 ) da sie (h)geNAU so ( h ) v i e l , (1) kriegen SOLlen; (-) wie (-) alle ANderen; ( . ) kriegen sie MEHR; Mit Bedauern festzustellen, dass man den Gehaltswunsch des Bewerbers leider nicht erFÜLlen kann, weil für die Stelle ein höherer Verdienst vorgesehen ist, ist ein Erwartungsbruch, der das Scherzhafte dieses Beispiels ausmacht. Erinnern wir uns an das Bewerbungsgesprächs Edv. 6, in dem der Interviewer den Bewerber im Zuge einer hohen Gehaltsvorstellung buchstäblich in seiner (wie sich nachträglich zeigen wird) zu hohen Forderung bestärkt (vgl. Kap. 4). Auch im obigen Beispiel (26) hat der Bewerber oberflächlich gesehen eine "unangemessene" Antwort gegeben; es besteht jedoch der wesentliche Unterschied, dass der Bewerber Edv.6 um 1000 DM drüber liegt, wohingegen der Bewerber Bank. 4 um 1000 DM unter dem vorgesehenen Satz bleibt. Auch diese Abweichung von der "präferierten Antwort" im Sinne Sarangis wird ausführlich bearbeitet - allerdings verbunden mit weitaus weniger Imagebedrohungen und keinerlei praktischen Konsequenzen.

5.2.1 Thematisierungs Varianten Das Thema "Gehalt" wird in unserem Korpus in 18 (von 27) Rollenspielen und in 27 (von 41) authentischen Bewerbungsgesprächen behandelt. Dass es somit in 14 Bewerbungsgesprächen nicht zur Sprache kommt, erklärt sich zum größten Teil aus spezifischen Rahmenbedingungen, z.B. dass es sich um Zweitinterviews bzw. um Initiativbewerbungen handelt oder dass sich im Laufe des Gesprächs herausstellt, dass eine Einstellung aus unterschiedlichen Gründen nicht in Frage kommt. Es lassen sich zwei hauptsächliche Thematisierungsvarianten in Verbindung mit dieser "typischen Frage" differenzieren. Eine rekurrente Form ist die "einfache Gehaltsfrage", sie elizitiert die Gehaltsvorstellungen der Bewerbenden, indem sie direkt danach fragt, wie in den folgenden Beispielen: Beispiel (27) - (Telefon.5/w/f) 12:

was ham=se denn für geHALTliche Vorstellungen.

Beispiel (28) - (Bau.l/w/m) II:

wat harn sie denn für EINkommensvorstellungen;=herr;

(1) bäum;

Beispiel (29) - (Bau.4/o/m) 12:

wie sind denn ihre geHALTSvorstellungen;

Beispiel (30) - (Sekretariat, l/o/f) II:

(2) g u : t . ehm ( . ) dann würd ich ganz gern noch wissen was sie für geHALTSvorstellungen haben, hehe

Beispiel (31) - (Edv.5/o/m) II:

.h «len>und=e:h> ( 2 ) wo liegen so ihre VORstellungen, was sie verDIEnen möchten?

Eine binnenstrukturelle Prägung lässt sich schon an den offensichtlichen Formulierungsroutinen feststellen. Auf lexikalischer Ebene fallen die Verwendungen von "Vorstellung" bzw. "vorstellen" auf; neben "Gehaltsvorstellungen" kommt auch manchmal "verdienen" vor. Diese Formen sind auch in den Rollenspielen besonders rekurrent, wenn über das Thema Gehalt gesprochen wird.

170

Beispiel (32) - (ROS-I.7/o/f) 12:

welche (.)geHALTSvorstellungen (-) bestehen IHrerseits. frau pilger.

Beispiel (33) - (ROS-II.8/o/m) I:

( 2 , 5 ) ja; (-) also. geHALT bei uns vor.

(2) wie STELlen sie sich denn;

(-) ihr

Beispiel (34) - (HH-I.2/w/f) II:

hm=hm. (-) ehm (1) uns interesSIERT eh auch eh es ist ja nun eine initiaTIVbewerbung.=es ist (.) keine ausgeschriebene STELle, was sie verDIENen wollen.

Beispiel (35) - (HH-I.3/w/f) II:

vielleicht noch die GANZ knappe frage, um uns auch=ne orienTIErung zu geben; wie stEllen sie sich ihr geHALT vor?

Angesichts der Tatsache, dass es sich in den Rollenspielen nicht um professionelle Interviewer/innen handelt, ist die Übereinstimmung mit den sprachlichen Formen in den authentischen Bewerbungsgesprächen auffällig. Hier zeigt sich deutlich die binnenstrukturelle Verfestigung für die Behandlung dieses Themas. In den normativ orientierten Rollenspielen, in denen ein Prototyp der Gattung eingeübt werden soll, wurde die Gehaltsfrage in diesem typisierten Format vermutlich sogar von den Trainer/innen eingeführt. Eine zweite, weniger häufige Thematisierungsstrategie (die sich allerdings nur in den authentischen Bewerbungsgesprächen findet), erweitert die einfache Gehaltsfrage um eine Vorfrage. Hier nähern sich die Interviewenden der Elizitierung der Gehaltsvorstellung über einen Zwischenschritt an, der Frage nach dem derzeitigen Verdienst, um daran anschließend die Gehaltsfrage zu stellen. Beispiel (36) - (Edv.l/o/m) II: B: II: B: II:

«p>=hm=hm, hm=hm,> was verDIEnen sie da j e t z t wenn ich mal so FRAgen d a r f ? > ich habe zur zeit viertausendsechshundert MARK ( . ) BRUtto; ( . ) «p>mal ( . ) DREI zehn ;> mal DREIzehn; ja; ( . ) plus verMÖgenswirksame leistungen, hm (1) «p>=und was wolln sie bei UNS verdienen?>

Mit dem Verletzungsmarker wenn ich mal so FRAgen darf(vg\. a. Bsp. 41) holt der Interviewer symbolisch die Erlaubnis ein, den Bewerber nach seinem derzeitigen Verdienst zu fragen. Offensichtlich hat der Interviewer das Bedürfnis, die Frage auf der "face"-Ebene zu bearbeiten, woraus man schließen kann, dass es auch im Bewerbungsgespräch nicht unbedingt selbstverständlich ist, jemanden danach zu fragen, wie viel er/sie verdient. Diese zweitschrittige Variante macht einen "common sense" offenbar, der etwas genauer beleuchtet werden soll, weil er auch bei der Untersuchung der Antworten der Bewerbenden noch eine Rolle spielen wird. In Bewerbungsgesprächen gehen die Beteiligten gemeinhin davon aus, dass sich mit dem Wechsel einer Arbeitsstelle der Verdienst verbessern bzw. auf jeden Fall nicht verschlechtern sollte. Diese Logik bleibt häufig implizit, lässt sich aber u.a. an der Beziehung rekonstruieren, die das zweischrittige Vorgehen - bisheriger Verdienst und zukünftige Gehaltsvorstellung - etabliert. Darüber hinaus bringen Bewerbende sie auch explizit zum Ausdruck, z.B. um eine Gehaltsforderung zu rechtfertigen (s.u.). Das geschieht besonders dann, wenn die Logik aufgrund spezieller Rahmenbedingungen außer Kraft ge-

171 setzt ist, so z.B. aufgrund von Arbeitslosigkeit. Es ist schwierig, in einer Position der Schwäche hohe Gehaltsvorstellungen durchzusetzen, wie das folgende Beispiel zeigt. Der derzeitige Arbeitgeber des Bewerbers steht kurz vor dem Konkurs: Beispiel (37) - (Bau.B/w/m) 1 II: wat ZAHLT=n der (Firmenname) ihnen. 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16

II: B II:

(0,5) j e t z im MOnat? hm, sieben DREI. (2,5) und det woll=n=se och WIEder haben. (0,5) «p>m:h p f : : > (-) so: unjefähr würd ich das seh/ natürlich SCHON sehen; ja. (-) man wechselt ja UNgerneindem man:=eh nen schritt zuRÜCK macht; man sucht ja den schritt nach VORne. (0,5) [hehehehehehe] ( h ) a l s o ( h ) D A ( h ) m ü s s e n = ( h ) s e ( h ) j e t z t [((räuspern))] (h)ERSTmal=n ( h ) s c h r i t t .h ( h ) m a c h e n , = ( h ) d a m i t = s e nich

17 18

B:

in ABgrund stürzen; herr:- [ . h ] herr brinkmeier. ( . ) [ja::-]

B: II: B: II: B:

In dem Gemeinplatz man wechselt ja UNgerne; indem man=eh nen schritt zuRÜCK macht; man sucht ja den schritt nach VORne (Z. l Off) sucht der Bewerber Rückhalt für seine hohe Gehaltserwartung. Anlass dazu könnte ihm die lange Pause des Interviewers (Z. 6) auf die geäußerte Summe gegeben haben, die er als Nichtübereinstimmung interpretiert hat. Und tatsächlich weist II die Berechtigung der Gehaltserwartung mit einem starken Oppositionsformat zurück, indem er an das vom Bewerber eingeführte Bild vom "Schritt nach vorn" anknüpft und mit einer recht drastischen Metapher auf dessen zukünftige Arbeitslosigkeit anspielt ("in den Abgrund stürzen", Z. 14-17). Weitere Belege finden wir im Subkorpus Archiv, in dem das Gehaltsthema sehr ausfuhrlich behandelt wird, weil Personalverantwortliche hochqualifizierte Bewerber für eine minderdotierte, gleichwohl anspruchsvolle Position eingeladen haben. Dass diese Verschlechterung des Einkommens dazu führt, dass die Bewerber die Stelle vermutlich nicht annehmen würden, wenn man sie ihnen anböte, scheint auch dem Hauptinterviewer bewusst. Im Beispiel (38) fuhrt er das Thema "Gehalt" bereits als problematisch ein. Beispiel (38) - (Archiv, l/w/m) II: ich muss ihnen natürlich EINS sagen; wir werden SCHWIErigkeiten kriegen; ich hab das ( . ) .h auch grade FESTgestellt; und zwar Schwierigkeiten in der beSOLdung; sie sind A DREIzehn. ne,= B: =hm=hm, II: das HAM wir nicht die stelle (hier) B: (-) «p> hm=hm, II: dann KÖNN=n wir (-) glaub ich (-) kriegen wir auch SCHWIErigkeiten mit mit=nander nehm ich an; ne, B: ja. (-) wahrSCHEINlich. ((...)) B: ich denke NICHT dass ich da (-) in den eh (-) also in der

172

I:

finanZIELlen situation mich eh verSCHLECHtern wäre ( . ) ganz IRrational; « f > I R r a t i o n a l . > (-) gut. (-) ich MUSS ihnen sagen ich lieber herr doktor kensch ich würde stelle dann AUCH nicht machen; hab ich volles

( . ) kann; das (.) eh LEIder es an ihrer verSTÄNdnis;

Es herrscht Einigkeit zwischen Bewerber und Interviewer darüber, dass eine Gehaltsverschlechterung (die in diesem Fall von der Beamtenbesoldung AI3 auf die Bezahlung nach Bat IVb tatsächlich sehr groß wäre) nicht akzeptabel ist. Der Bewerber bezeichnet es als irrational, eine Einschätzung, die der Interviewer ausdrücklich teilt. Damit sind die beiden zwei Hauptthematisierungsvarianten der Gehaltsfrage in unserem Korpus benannt: die einfache Frage nach den Gehaltsvorstellungen und die zweischrittige Elizitierungsvariante via dem bisherigen Verdienst. Es gibt noch eine dritte, weniger häufige Form, um das Thema "Gehalt" zu bearbeiten, allerdings ausschließlich in einigen Gesprächen des Korpus Bank, was auf die spezifischen Rahmenbedingungen des Bewerbungsverfahrens zurückzuführen ist. Da es sich um Zweitinterviews handelt, klärt der Interviewer zunächst die Relevanz des Themas ab und fragt, ob über das Gehalt bereits im Erstinterview gesprochen wurde. Das ist in der Regel nicht der Fall, allerdings haben die Bewerbenden ihre Gehaltsvorstellungen in einem Bewerbungsbogen angegeben, auf den sie in diesem Zusammenhang dann verweisen. Diese Behandlung des Themas weicht von den Gehaltsfragen im engeren Sinne somit schon dadurch ab, dass die Frage bereits schriftlich beantwortet wird. (Das ist übrigens nicht unüblich, häufig wird auch bereits in der Stellenanzeige die Angabe der Gehaltsvorstellungen im Bewerbungsschreiben verlangt. In unserem Korpus scheint nur im Korpus Bank eine schriftliche Angabe vorzuliegen, denn in den anderen Bewerbungsgesprächen behandeln die Beteiligten das Thema als "neu".) Ein zweiter Unterschied zeigt sich im weiteren Verlauf. Anders als die meisten Interviewenden, die den Bewerbenden das vorgesehene Gehalt gar nicht mitteilen, informiert der Interviewer im Anschluss sehr ausführlich über die vorgesehene Gehaltsstufe, soziale Zusatzleistungen und Rahmenbedingungen (nicht ohne zuvor die Differenz zwischen den durchweg niedrigeren Angaben und der deutlich höheren Bezahlung hervorzuheben, vgl. a. Bsp. 27). Das ist darauf zurückzuführen, dass es sich um Zweitinterviews handelt, und die Bewerber/innen tatsächlich alle für eine Einstellung in Frage kommen. Es lässt sich also festhalten, dass die Gehaltsfrage in unserem Korpus als eine direkte Frage nach den Gehaltsvorstellungen und als eine Variante mit Vorfrage nach dem derzeitigen Verdienst realisiert wird. Wie sehen nun die Antworten aus?

5.2.2 Antworten Untersucht man die Antworten der Bewerber/innen auf die Gehaltsfrage, fallen zahlreiche Dispräferenz anzeigende Phänomene ins Auge. In den direkten Antworten der Bewerbenden kommen z. B. Verzögerungsmarkierungen vor, u.a. Pausen, wie das folgende Beispiel illustrieren soll: Beispiel (39) (Edv.4/o/m) II: B:

(-) hm=hm, .h was wollen sie bei uns verDIEnen; (5.5) « p > t j a ; > ( . ) JAHresgehalt, «p>(oder was->)

173 (5) SECHzig FÜNFunsechzigtausend? (D als (-) EINstiegsgehalt.

Nicht nur die langen Pausen vor Tumübemahme und in der Antwort des Bewerbers, auch das vorgeschaltete leise tja, die Überlegung, ob er das Monats- oder Jahresgehalt nennen soll, zögern die Nennung der Summe ein wenig heraus. Im folgenden Beispiel wählt der Interviewer das zweischrittige Format mit vorgeschalteter Frage nach dem derzeitigen Gehalt, um die Gehaltsvorstellung zu elizitieren. Beispiel (40) - (Edv.l/o/m) II: B: II: B: II: B: II: B:

«p>=hm=hm, -hm=hm,> was verDIEnen sie da j e t z t wenn ich mal so FRAgen d a r f ? > ich habe zur zeit viertausendsechshundert MARK ( . ) BRUtto; ( . ) «p>mal ( . ) DREIzehn;> m a l DREIzehn; j a ; ( . ) plus verMÖgenswirksame leistungen, hm (1) «p>=und was wolln sie bei UNS verdienen?> .h na ich dachte (an [sich) ich will ] [= = j a j a . gut; ( . ) also WENiger nich.

Auf die Vorfrage antwortet der Bewerber ohne Verzögerungen. Die Antwort auf die Frage nach den Gehaltsvorstellungen dagegen wird durch ein hörbares Ausatmen, einen Heckenausdruck (ich dachte) und modalisierende Partikel (an sich) eingeleitet. Nach der Unterbrechung den Interviewer beantwortet der Bewerber die Frage dann, indem er seine Erwartung in Relation zum derzeitigen Gehalt setzt (WENiger nich). Wie in diesem Beispiel zeigen die Antworten auf die Vorfrage nach dem bisherigen Verdienst in der Regel keine Verzögerungsphänomene, sondern werden direkt beantwortet: Beispiel (41) - (Bau.2/o/m) II: wat ZAHLT=n der (Firmenname) ihnen. (0,5) B: j e t z im MOnat? II: hm, B: sieben DREI. Beispiel (42) - (Archiv.2/o/m) II: B:

wie SIND sie denn j e t z t eingruppiert. mit ner DREI.

Beispiel (43) - (Archiv.4/w/m) II: aha. (1) «all>wie sind sie denn EINgruppiert;> (-) jetzt; B: zuletzt eh ( . ) zwo A.=be ah te zwo A. ( 2 . 5 ) II:

«p> hm

B:

mit

(h)ministeriALzulage

Auch wenn der thematische Zusammenhang der Vorfrage mit der Gehaltserwartung natürlich auf der Hand liegt, zeigen die Direktheit und das Fehlen von Dispräferenzmarkierungen, dass die Vorfrage weit weniger dispräferiert ist als die eigentliche Gehaltsfrage. Diese Beobachtung kann die Interpretation einer sehr verbreiteten Antwortstrategie der Bewerbenden leiten. Nicht nur fremdinitiiert, d.h. auf die Vorfrage der Interviewenden hin, nen-

174

nen die Bewerbenden einen früheren Verdienst, auch auf die einfache Gehaltsfrage schaffen sie mit dem Verweis auf das bisherige Gehalt eine Referenzgröße, zu der sie ihre Gehaltserwartungen in Relation setzen. Da der Verweis auf ein bisheriges Gehalt weniger face -bedrohend ist als die Nennung einer konkreten Summe, lässt sich mit dieser Vermeidungsstrategie eine direkten Antwort umgehen. Dieser Weg wird häufig beschritten. Wie schon bei der zweischrittigen Frage hat diese Antwort zwei Teile, die sich schematisch folgendermaßen darstellen lassen: [Nennung früheres Gehalt] + [Bezug zum zukünftigen Gehalt]. Damit wird die Angabe einer konkreten Summe überflüssig, da auch in der Angabe einer Relation wie z.B. "nicht weniger" (s.o.) oder "in diesem Rahmen" (s.u.) etc. eine relevante Information enthalten ist. Betrachten wir ein weiteres Beispiel: Beispiel (44) - (Edv.2/o/m) II: B:

.h (1) «f>und> (-) wo sind=so/ liegen so ihre geHALTSvorStellungen? t j a ; (-) zur ZEIT hab ich (-) drei drei, (2) also (-) auf alle fälle NICHT (-) WEniger;

Das Beispiel weist ein Vorlaufelement auf, dann folgt die Angabe des derzeitigen Verdienstes ohne Verzögerungen. Dazu wird das erwartete Gehalt - nach einer auffällig langen Pause - in Relation gesetzt. Eine konkrete Gehaltssumme muss somit nicht genannt werden, es ist indirekt eine Mindestsumme benannt und zugleich wird der Höhe keine Grenzen gesetzt. Beispiel (45) - (Bank.7/w/m) B: II: B: II: B: II: B:

hehe (-) na ja me/ eh mich persönlich würden auch die kondiTIOnen eh (-) [dieser stelle intressieren, ] ( « f > j a klar dis dis is k l a r > ] .h hm=nm, « f > j a da würd ich ganz gerne> von IHnen wissen was sie sich so VORgestellt haben. eh na ja ich ( . ) kann ja mal sagen ich hatte DREIzehn monatsgehälter hm=hm,= =von dreitausend eh fünfhundert ( . ) brutto. hm=hm, (-) und in diesem RAHmen eh würden sich schon meine {-) Vorstellungen (1) bewegen.

Die Antwort des Bewerbers wird durch das Vorlaufelement na ja ein wenig verzögert, mit dem misplacement marker ich (.) kann ja mal sagen gestattet sich der Sprecher sozusagen selbst eine nicht primär-thematische Antwort. Nach diesem Vorlauf nennt er das Einkommen bei seiner letzten Anstellung. Die direkte Kohärenz zur Frage wird im zweiten Schritt hergestellt, in dem der Bewerber einen Bezug zur Gehaltserwartung schafft (deren Geltung er konjunktivisch modalisiert). Es lassen sich also zwei Typen von Antworten auf die Gehaltsfrage unterscheiden: i) die direkte Antwort und ii) die indirekte Antwort über den Vergleich mit dem jetzigen oder einem früheren Verdienst. Wenden wir uns auf diesem Hintergrund nun Ost/West-Unterschieden zu.

175

5.2.3 Unterschiede zwischen Ost- und Westbewerbenden Exklusive Differenzen zwischen Ost- und Westbewerbenden lassen sich auch in den Antworten auf die Gehaltsfrage nicht feststellen. Beide Gruppen verwenden die verschiedenen Antworttypen, die in der vorangegangenen Analyse ermittelt werden konnten. Bei genauer Betrachtung jedoch zeichnen sich Unterschiede in der Verwendungsfrequenz der Typen sowie Unterschiede in der konversationellen Direktheit/Indirektheit innerhalb der Typen ab. So wählen ostdeutsche Bewerbende unseres Korpus für die Beantwortung der Gehaltsfrage bevorzugt die zweite Antwortvariante, d.h. auf eine direkte Frage nach ihren Gehaltsvorstellungen nennen sie den Verdienst in einem früheren Arbeitsverhältnis, den sie zum erwarteten Gehalt in Relation setzen. Jedoch nicht nur in der Frequenz, sondern auch in der stilistischen Gestaltung unterscheiden sich Ost- und Westbewerbende. Anhand der Gegenüberstellung von Beispielen sollen diese Unterschiede in der Realisierung des Antworttyps exemplarisch dargestellt werden. Zunächst eine westdeutsche Bewerberin: Beispiel (46) - (Telefon, l/w/f) II: B:

12: B: 12: 12:

was stellen sie sich denn VOR. (-) (zum beispiel) also ich hatte bei auror, ( . ) bei ner Vollbeschäftigung (-) drei FÜNF gehabt? ( - ) d a s wäre ( . ) b e i n e r ( . ) teilzeitbeschäftigung von fünf (-) stunden (-) zwo drei brutto hm=hm, und ehm (-) ( i c h ) wollte mich eigentlich j e t z t nich viel verSCHLECHtern (-) [ [hm=hm ] «f>hm=hm,> (-) ja.

Befragt nach den Gehaltsvorstellungen, nennt die westdeutsche Bewerberin (direkt und ohne Verzögerungsmarkierungen) den Verdienst des letzten Arbeitsverhältnisses. Den Bezug zur Gehaltsvorstellung stellt sie in zwei Schritten her. Da sie sich auf eine Teilzeitstelle bewirbt, errechnet sie die Höhe eines vergleichbaren Gehaltes; im nächsten Schritt setzt sie diese Summe als Maßstab für ihre Gehaltserwartung. Dieser zweite Teil ist etwas stärker indirekt markiert durch die Verzögerung (und eh -), die Modalpartikel (eigentlich), die negative Aussage (nicht viel verSCHLECHtern anstatt z.B. "so viel will ich mindestens verdienen"), dem nachgeschobenen, leise artikulierten Heckenausdruck (so dacht ich mir). Das Beispiel repräsentiert eine Realisierung in einem (relativ) direkten Stil, wie er von vielen Westbewerbenden und durchaus auch von einigen ostdeutschen Bewerbenden verwendet wird. Neben diesen finden sich bei den Ostbewerbenden allerdings auch sehr viel stärker durch konversationelle Indirektheit geprägte Vorkommen. Beispiet (47) - (Edv.5/o/m) 1 2 3 4 5 6 7 8

II: B: II: B:

.h «len>und=e:h> (2) wo liegen so ihre VORstellungen, was sie verDIEnen möchten? (2) ja; ich hatte (-) vier SECHS zuletzt, (-) weiß ich nich, es: ( 1 . 5 ) MUSS nich in dEr höhe sein, (3) welche höhe muss es=n DANN sein; «p>hehe[hehe]> «p>[hehe]he>

176 9 10 11 12

13 14 15 16 17

(1) «p>das is/ (-) na: j a : ; das=s ne blöde SAche.> aber ich denke mal so vierTAUsend, (3)

II: B:

«p>das würden sie schon gern HAben wollen.> .hh (-) sie wohn jetz in (stadtname}. (1) zum beispiel DEShalb. (1) das is ja immer relativ WEIT. (2) man kriegt z w a : r ( . ) von=er Steuer nachher=n teil zuRÜCK, aber (da i s : / )

Auf die Frage nach den Gehaltsvorstellungen verweist der ostdeutsche Bewerber (nach einer Pause) auf den Verdienst in seinem alten Betrieb. Der Bezug zu seiner Gehaltserwartung allerdings wird eingeleitet durch einen Vagheitsausdruck (weiß ich nich, Z. 4) und die Aussage, dass das zukünftige Gehalt auch niedriger sein könnte, signalisiert Verhandlungsbereitschaft anstelle einer konkreten Aussage. Entgegen anderen Bewerbenden, die den bisherigen Verdienst als Untergrenze ansetzen, dem das zukünftige Entgelt mindestens entsprechen sollte, nennt der Bewerber eine Höchstgrenze und macht statt einer positiven Relation zwischen bisherigem und zukünftigem Gehalt eine negative auf (in der Höhe muss es nicht sein, vgl. Z. 5). Diese Aussage bleibt nicht nur vage, sie verstößt auch gegen den "common sense" der Gattung, dass man sich auf einer neuen Stelle verbessern sollte. An der negativen Aussage knüpft die Nachfrage des Interviewers an, der - in einem Oppositionsformat die Formulierung des Bewerbers aufgreifend - erneut eine konkrete Angabe fordert. Die Antwort beginnt prosodisch markiert leise, mit Pause, einem Fehlstart, Vorlaufelement, Heckenausdruck ich denke mal (Z. l Of). Neben diesen Indirektheitsmarkierungen signalisiert der Metakommentar «p>das=s ne blöde SAche> (Z. 10) eine große Dispräferenz der nun folgenden Nennung einer Summe. Den anschließenden Themenwechsel des Interviewers auf den Wohnort nutzt der Bewerber, um mit dem Verweis auf den weiten Anfahrtsweg seine Gehaltsforderung zu rechtfertigen (Z. 15f). Beispiel (48) - (Bau.4/o/m) 12: B:

12: B: 12: B:

wie sind denn ihre geHALTSvorstellungen; (D h m ( . ) LETztes gehalt ( . ) betrug ( . ) e h ( . ) sechstausend MARK. (2) «pXnun) > (2) .h (.) ich meine; (-) eh (-) (ja g u t ) (-) des war vielleicht o c h noch n e FRAge, ( 2 ) j a ( . ) s i e sind j a ( . ) reine ( . ) BAUfirma, (-) wenn ick rlchtich sehe,= =ja= =sie sind ( . ) also ( . ) taRIFlich wahrscheinlich [jebunden], [( )] oder?

Dieser ostdeutsche Bewerber beantwortet die direkte Frage nach den Gehaltsvorstellungen ebenfalls mit der Nennung eines bisherigen Verdienstes. Anstatt aber im zweiten Teil einen expliziten Bezug zu schaffen, fragt er nach der Tarifbindung des Unternehmens. Damit macht er ein Verhandlungsangebot und bereitet den Boden für abweichende Vorstellungen des Unternehmensvertreters vor. Dieser zweite Teil zeichnet sich durch einen vergleichsweise hohen Formulierungsaufwand aus. Das ist ein weiteres mögliches Kennzeichen von

177

Antworten auf die Gehaltsfrage; durch vorgeschaltete "accounts" und Erklärungen (dem Verweis, auf welchen Quellen die genannte Gehaltsvorstellung beruht u.a.) kann die relevante Information verzögert oder vermieden werden. Der unterschiedliche Grad an Indirektheit und Dispräferenz von Antworten auf die Gehaltsfrage, der an den vorangegangenen drei Beispielen illustriert werden sollte, steht exemplarisch für einen Ost/West-Unterschied. Nicht nur dass Ostbewerbende auf direkte Fragen nach den Gehaltsvorstellungen bevorzugt auf den bisherigen Verdienst verweisen, auch der Grad der Indirektheitsmarkierung ist höher als bei Westbewerbenden. Der Bezug zum erwarteten Gehalt bleibt dabei oft implizit oder wird, wie im obigen Beispiel, nicht direkt gezogen. Insgesamt entsteht der Eindruck, dass Ostbewerbende konkrete Antworten auf die Gehaltsfrage stärker vermeiden und mit Mitteln konversationeller Indirektheit markieren. Das führt bei Interviewenden häufig zu weiteren, teilweise insistierenden Nachfragen.

5.2.4 Aussagen der Expert/inn/en Da das Thema nicht Teil des Interviewleitfadens war, haben sich in den Experteninterviews nur Einzelne zur Gehaltsfrage geäußert; die vorhandenen Aussagen sind also zufällig entstanden und stehen nicht systematisch zur Verfügung. Dennoch sind einige interessante Überlegungen daran anschließbar. Beispiel (53) - Experteninterview (Telefon.A) E:

Von der Gesamttendenz sind Ostbewerber, ich hob auch Ausnahmen gesehen, aus meinem Gefühl her einfach, sind Ostbewerber etwas vorsichtiger. ((...)) Es wird nicht mal gefragt, wie was is eigentlich vom Gehalt her vorgesehen und wie soll ich da eigentlich eingestellt werden und wann geht 's=n los. Also das kann schon mal passieren, weil da vielleicht schon gedacht wird, na das ist vielleicht schon zu fordernd und die werden mich schon/ das is nen großes Unternehmen, da hab ich sowieso 'nen gutes Gefühl, die werden mich schon richtig eingruppieren. Erleb ich bei Westbewerber ganz selten, dass dann jemand nicht fragt, wie sieht=n das aus mit=m Gehalt, sag mal.

Die Beobachtungen dieses Experten betreffen bewerberinitiierte Gehaltsfragen und sind deshalb nur mittelbar auf unsere Analysen zu beziehen. In Zusammenhang mit den Gehaltserwartungen beschreibt er eine Strategie der Themenvermeidung und vermutet, dass Ostbewerbende befürchteten, "zu fordernd" aufzutreten, wenn sie die Rahmenbedingungen der Einstellung nachfragen. Insgesamt schreibt er Ostbewerbenden ein höheres Maß an "Vorsicht" zu, im Gegensatz zu Westbewerbende, die das Thema direkt nachfragen. Beispiel (54) - Experteninterview (Bau.A) und (Bau.B) El: E2: El:

Ich habe den Eindruck gewonnen, ich weiß nicht, ob Sie das bestätigen können, dass die aus den neuen Bundesländern oft überzogene Gehaltsforderungen haben, [dass sie also sehr viel] schlechter oder weniger gut als die Leute aus dem Westen [Ja nee das is richtig ] das einschätzen können, wat=se fordern können. Das ist also generell eigentlich so. Sie sind dann aber auch bereit, größere Abstriche hinzunehmen, wenn man ihnen det klar macht und wenn man se denn auch haben will. Oft sagt man ja, okay, das hat ja keinen Bezug zur Realität und da hält man sich ja auch vorher informieren müssen, was auf=m Markt möglich ist zu erzielen.

178 E2:

Ja, ihnen fehlte natürlich auch die Erfahrung aus dem Vergleich heraus, aus dieser Entwicklung aus dem gewachsenen Vergleich. Sie messen sich dann immer an dem, was sie vom Hörensagen ((kennen, K.B.)) ((...)) und da wird ja natürlich auch viel Unsinn erzählt, vergleichen sie sich mit Leuten in Positionen, die ihnen gemäß ihrer persönlichen Entwicklung einfach nicht zustehen.

Die beiden Experten berichten übereinstimmend von der Erfahrung, dass Ostbewerbende zu hohe Gehaltsforderungen artikulieren. Sie führen das auf die falsche Einschätzung des Marktes zurück, was fehlender Erfahrung mit Vergleichswerten zuzuschreiben sei. Diese Erklärung für mögliche Diskrepanzen zwischen dem vorgesehenen und dem geforderten Gehalt erscheint zwar sehr plausibel; in Bezug auf die Ost/West-Differenz zeigt sich in unserem Datenkorpus ein etwas anderes Bild. Ein Blick in das Datenmaterial macht deutlich, dass mangelnde Kenntnis der Gehaltsstrukturen nicht nur überhöhte, sondern auch zu niedrige Gehaltsvorstellungen nach sich ziehen kann. Und tatsächlich halten sich zu hohe und zu niedrige Gehaltsvorstellungen weitgehend die Waage. Auch ein Vergleich von Ost- und Westbewerbenden zeigt, dass durchaus alle Bewerbenden Schwierigkeiten mit der angemessenen Einschätzung des Gehaltes haben. Es gibt eine leichte Tendenz, dass die Abweichung des erwarteten vom vorgesehenen Gehalt - in die eine oder die andere Richtung - bei Ostbewerbenden besonders hoch zu sein scheint. Deutlichere Unterschiede liegen eher darin, wie die Bewerbenden mit dieser Unsicherheit umgehen: Ostbewerbende markieren ihre Antworten sehr viel stärker mit Dispräferenzmarkierungen, weisen die Frage unter Verweis auf Unkenntnis der üblichen Entlohnung zurück oder vermeiden die direkte Antwort, indem sie auf den bisherigen Verdienst verweisen, wie es schon in der Organisation der Gehaltsfrage zu beobachten war. Die Nennung einer konkreten Summe und damit die direkte Forderung wird vermieden, zugunsten einer indirekten Antwort, die ein früheres Gehalt zu dem erwarteten in Relation setzt.

5.2.5 Rollenspiele Schauen wir noch einmal in die Rollenspiele. Hier wird nur die einfache Gehaltsfrage gestellt, die im Vergleich zu den authentischen Bewerbungsgesprächen sehr kurz und direkt beantwortet wird. Beispiel (55) - (ROS-I. l/o/m) II: B:

welche geHALTSvorstellungen haben sie. meine geHALTSvorstellungen, ( - ) liegen bei sechzigtausend ( 1 ) p r o j ä h r .

(-) etwa

Beispiel (56) - (ROS-I.7/o/f) 12:

welche (.)geHALTSvorstellungen (-) bestehen IHrerseits. pilger.

frau

B:

eh: f h (-) nach den: (-) WESTtarifen würde das ungefähr bei «dim>ungefähr bei (-) vierzig bis fünfzigTAUsend liegen?>

Beispiel (57) - (ROS-II.l/o/f) II: B:

wAs haben sie denn: (-) so als Anfänger für eine geHALTSvorstellung. ja also ehm ( . ) in der EINarbeitungszeit würd ich mich mit zweiTAUsend, sicherlich (.) zuFRIEden geben, (-} man kann

179 auch diskuTIEren darüber, .h « f > und eh danach> ( . ) kann man ja dann nach taRIF bezahlen, also, (.} (in den) tariflichen rahmen; (1) hinein.

Beispiel (58) - (HH-I.3/w/f) II: vielleicht noch die GANZ knappe frage, um uns auch=ne orienTIErung zu geben; wie stEllen sie sich ihr geHALT vor? B: also ich bin mit äh freier mitarbeit insofern vertraut als dass ich seit zwei Jahren arbeite, und DA bekomme ich für ( . ) Eine Unterrichtseinheit fünfzig mark, (-) und ich dEnke mal ( . ) das war auch so das MINdeste (-) was ich für eine stunde (-) als lexikographin (-) verLANgen müsste;

So direkte Antworten finden sich nur in den Rollenspielen. Hier kommt zum einen die Tatsache zum Tragen, dass in den Rollenspielen weder strategische Erwägungen eine Rolle spielen, noch wirkliche Forderungen an einen direkten Gesprächspartner gestellt werden. Außerdem wurden die Bewerbenden vermutlich in der vorangegangenen Schulung auf diese Frage vorbereitet und mit entsprechenden Informationen versorgt. Ost/Westunterschiede lassen sich folglich hier nicht feststellen.

5.3 Die Perspektivenfrage In einem dritten Bereich von Fragen, der untersucht werden soll, geht es um berufliche Perspektiven, die die Kandidat/inn/en mit dem potenziellen künftigen Arbeitsplatz verbinden.

5.3.1 Thematisierungsvarianten Bei der Perspektivenfrage werden Vorstellungen und Erwartungen der Bewerbenden erfragt, teilweise in sehr allgemeiner Form, wie die folgenden Beispiele zeigen: Beispiel (59) - (Chemie.8/w/f) II: «f>wie stellen sie sich denn so eine ( . ) TÄtigkeit; nun (-) beRUFStätigkeit als biologin (-) VOR.> ( . ) in der chemischen indusTRIE.= B: II: B: II: B:

=hh = ( i h r n ) WERdegang; oder was harn sie so für berufsPLÄne. hm=hm, oder [TRÄUme; [.hh

Beispiel (60) - (Bank.6/o/m) I: .h okay, wie sie seh:/ ehm: stEllen sie sich denn eine {-) oder wie würden sie sich eine (-) Ausbildung; WEIterbildung; für sie selber; bei der bank VORstellen. was würden sie denn gerne bei einer (name)bank; (1) oder ähnliche: MAChen. (-) «p>wollen. >

180

Zu einem großen Teil stammen die Perspektivenfragen aus den Gesprächen der Subkorpora Bank und Chemie. In ihnen ist keine bestimmte Vakanz zu besetzen, sondern es soll die Eignung zukünftiger Führungskräfte für ein Traineeprogramm geprüft werden. Im Hintergrund der Perspektivenfrage steht hier die Allokation der Betreffenden im Unternehmen; häufig ist ein konkreter Klärungsbedarf gegeben, ob der/die Banktrainee Kreditbearbeitung oder Kundenbetreuung anstrebt oder ob ein/eine Naturwissenschaftler/in sich für die Abteilung Verfahrenschemie oder Katalysatorenentwicklung interessiert o.a. Diese Fokussierung wird allerdings häufig erst im Verlauf der thematischen Sequenz deutlicher; die Perspektivenfrage wird oft sehr offen gestellt, dabei spielen ähnliche strategische Erwägungen der Interviewenden eine Rolle wie bei der Gehaltsfrage: Bewerbende sollen ungeachtet der Rahmenbedingungen und vermeintlich erwünschter Antworten ihre Vorstellungen artikulieren, um den Interviewenden eine gute Entscheidungsbasis für die Allokation zu geben. Eine weitere Ähnlichkeit mit der Gehaltsfrage liegt auf binnenstruktureller Formulierungsebene. Die frequenteste Formulierung in diesem thematischen Kontext ist "Vorstellungen" bzw. "vorstellen" (s.o.). Eine weitere häufige Formulierung, die bei der Perspektivenfrage verwendet wird, ist "Erwartung/erwarten": Beispiel (61) - (Chemie.2/w/m) I:

o k a y . > sie sind also j e t z t wieder HIER? ( . ) und wollen in die indusTRIE? (-) was erWARten sie hier; (-) was möchten sie für=n job HAben;

Der/die Bewerbende sieht sich mit Fragen konfrontiert, deren Beantwortung facebedrohende Implikationen haben: Erwartungen und Forderungen zu formulieren. Das Dilemma der Perspektivenfrage ähnelt dem der Gehaltsfrage: Was tun, wenn sich herausstellen sollte, dass sich die gehegten Vorstellungen im Unternehmen nicht verwirklichen lassen? Einmal geäußerte Erwartungen sind ohne Gesichtsverlust nur sehr schwer wieder zurückzunehmen, denn ein positives Image im Bewerbungsgespräch beinhaltet auch eine selbstbewusste und angemessene Selbsteinschätzung (vgl. 5.1.2), die sich mit dem bedingungslosen Akzeptieren von Konditionen nicht verträgt.

5.3.2 Unterschiede zwischen Ost- und Westbewerbenden Wie bereits in den vorangegangenen Abschnitten sollen nun Differenzen zwischen ost-/und westdeutschen Bewerbenden beleuchtet werden. Die folgende Antwort eines ostdeutschen Bewerbers bezieht sich auf eine Frage, in der nach ideALvorstellungen hinsichtlich des beruflichen Werdegangs gefragt wird. Beispiel (62) - (Chemie, l/o/m) II: B: II: B: II: B:

.hh wie stellen SIE sich denn so ihren (.) beRUFS: (-) Werdegang vor. (-) was wÄre so: ihre ideALvorstellung. (-) 'ts .hh j a : ; = a l s o ich würde (-) gern zuerst mal im: (1) äh in der FORschungs h ( . ) arbeiten?= =hm=hm, «all>also im chemischen laboraTOrium auch noch:>= =«pp>hm=nm> (-) synTHEtisch? (2) u n : : d h (-) .hh das wEitere würd ich sagen (-) müsste sich dann ZEIgen;

181 Alle Kandidat/inn/en, die im Rahmen des Subkorpus Chemie eingestellt werden, beginnen mit einer mehrjährigen Forschungstätigkeit, an die sich eine Weiterentwicklung in Fühnmgspositionen anschließt. Diese Information ist allgemein bekannt bzw. kann erwartet werden, dass Bewerbende sie sich im Vorfeld verschafft haben. Mit seiner Antwort zeigt der Bewerber des obigen Beispiels zwar, dass er weiß, was ihn auf der Stelle erwarten würde, er sagt aber wenig Neues über seine Ambitionen und Zukunftsperspektiven aus. Damit nutzt er die Chance nicht, positive Motivation und Ehrgeiz zu zeigen. Das folgende Beispiel zeigt die Diskrepanzen zwischen den Aussagen des Bewerbers und den Erwartungen des Interviewers auf die Perspektivenfrage besonders deutlich: Beispiel (63) 1 II: 2 3 4 5 B: 6

7 8 9 10 11 12

bereich, (1) un:d (.) diese: (.) CE Programmierung, ne, II: B: II:

13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23

(Edv.4/o/m) hm=hm. (1) ( ( s c h n a l z t , räuspert s i c h ) } (1) .h « f > j a . > «p>nun> (-) ham=se sich hier beWORben, (-) was (-) sind denn so ihre VORstellungen von der ausgeschriebenen stelle, was verBINden sie denn damit. (1) ja also SO, wie ( 1 . 5 ) ich das aus d e : r anNONgse: rAusgelesen habe; (1) ( s / z ) i e h t das ja auch im UNix (D so als ( 2 . 5 ) HAUPTaufgäbe. hm=hm, ( 2 . 5 ) «p>ja und/> (1) joa. was verBINden sie damit. (-) finden sie das SPANnend, oder .h sehn sie das für sich als berufliche

CHANce, oder ( 1 . 5 ) sagen sie naja gOtt, ehm: (-) das is B: II: B: II: B: II:

in MAgdeburg, .h (2) na ERstmal; wie jeSACHT; (-) «f>meinen/> ( . ) meinen JETZige::n ARbeitsplatz hab ich ja beSCHRIEben, «p>hm=hm;> (-) und h (-) ich HOFfe:; dass es: «len>hier nicht die gleichen/> ( . ) die gleiche entwicklung nimmt wie DA, «p>hm=hm;> un: d= =also ( . ) was ( . ) «all> (i=) f ra=ma=ANdersrum. > was hätten sie für=n FORderungskatalog. ( ( f ä h r t f o r t ) )

Auch dieser Bewerber beantwortet die Frage des Interviewers, die u.a. ausdrücklich auf Evaluationen abhob (vgl. Z. 4 was verBINden sie denn damit), zunächst nur mit der Arbeitsaufgabe, wie sie in der Ausschreibung der Stelle dargestellt wurde. Das fuhrt zur Nachfrage des Interviewers, in der dieser deutlicher hervorhebt, dass er persönliche Einschätzungen, auch in Bezug auf die potenzielle Berufsperspektive, elizitieren wollte (Z. 11 ff). Doch die Antwort des Bewerbers bleibt indirekt, insofern er keine positiven Aussagen über seine Erwartungen macht, sondern nur kontrastierend auf die Nachteile der alten Stelle verweist und seine Vorstellungen sehr implizit im Negativmodell abbildet. Das führt zu einer erneuten reformulierten Nachfrage des Interviewers (Z. 22f). Wie auch bei der Gehaltsfrage zeichnet sich bei der Perspektivenfrage das Bedürfnis der Bewerbenden ab, die Antworten auf der Ebene von "face" zu bearbeiten. Die Unterschiede in der konversationellen Direktheit/Indirektheit, die bereits bei der Gehaltsfrage und der Selbstattribuierung festgestellt wurden, bestätigen sich in den Antworten auf die Perspektivenfrage. Auch hier gibt es ein breites Feld, das sich aus Ost- wie Westbewerbenden zu-

182

sammensetzt; das Gegenüberstellen von Beispielen, die auf den extremen Polen liegen, macht jedoch eine Tendenz augenfällig. Beispiel (64) - (Edv.l/o/m) 1 2 3 4 5

B: II: B:

6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17

ich halt mich sElbst auch für=n bisschen EHRgeizig, ( . ) und möchte auch «len> Irgendwann mal;> ( . ) in den nächsten fünf jähren mal was ANderes machen; hm=hm, ( . ) was stelln=se sich denn VOR. (na gut dann;) (.) ich: (.) hatte eigentlich: (.) eh die

VORstellung; ( ( b e t o n t ) ) später mal.> (.) wenn sich die II: B: II: B:

gelegenheit erGEBen sollte, mal auch wieder (-) in ( . ) FÜHrungspositionen zu kommen, na[türlich im eh de [hm=hm, vau beREICH; wenn=s gEht, (-) und auch (-) mehr denn wieder (-) KonzeptioNELL zu arbeiten; (-) mitarbeiter zu FÜHren; das (-) is ja nich SCHLECHT;= =NEE; de/ dis is ja auch (-) n=legitimer WUNSCH; {-) hehe ((Erheiterung bei den Interviewern)) (-) u:nd ( . ) es ist DORT glaub ich (-) auf absehbare zeit nicht Möglich;

Nach inhaltlichen Gesichtspunkten betrachtet handelt es sich hier um eine typische und die "versteckte Agenda" der Frage berücksichtigende Antwort des Bewerbers. Er betont sein Interesse am EDV-Bereich, die Bereitschaft zu eigeninitiativem (konzeptionellem) Arbeiten, der Übernahme von Verantwortung und bringt einen gewissen Ehrgeiz in Bezug auf beruflichen Erfolg zum Ausdruck. Auf stilistischer Ebene ist die Antwort jedoch durch einen hohen Formulierungsaufwand und Dispräferenzmarkierungen gekennzeichnet: Modalisierung mit eigentlich (Z. 5) und Partikeln mal auch (Z. 7), konditionale Einschränkungen wenn sich die gelegenheit erGEBen sollte (Z. 6f), wenn=s geht (Z. 10) das Präteritum in Bezug auf Zukunftsvorstellungen hatte [...] die Vorstellung. (Z. 6). Der Bewerber steckt in dem bekannten Dilemma, dass er nicht weiß, was die Stelle vorsieht und ob Aussicht besteht, dass sich seine Perspektivenwünsche dort erfüllen (oder ob er die Position eines der Anwesenden begehrt!). Das Minimalfeedback hm=hm (Z. 4) des Interviewers und die Nachfrage geben ihm keinerlei Anhaltspunkte über dessen präferierte Antwort. Besonders interessant ist die abschließende Evaluation seines Redebeitrags das (-) ist ja nich SCHLECHT (L. 12), die wie eine Rechtfertigung der gestellten Ansprüche wirkt. Sie impliziert die Befürchtung, die artikulierten Vorstellungen könnten als "schlecht" für seine positive Selbstdarstellung bewertet werden. Die Evaluation hat die Funktion, diesen facebedrohenden Gehalt abzuschwächen und die Interviewer ggf. zur Ratifizierung seines Ansinnens zu veranlassen. Tatsächlich folgt auf diese "Erste Bewertung" eine "Zweite" des Interviewers im Format einer starken Übereinstimmung mit Eskalation (vgl. Kap. 6) von "nicht schlecht" auf "legitim" und auch der schnelle Anschluss, die Parallelstruktur (B: das is ja nich vs. /: das is ja auch) unterstreichen die Übereinstimmung der Interviewer. Interessant ist, dass der Austausch zum allgemeinen Schmunzeln der anwesenden drei Interviewer führt. Was mag die allgemeine Heiterkeit ausgelöst haben? Vielleicht ist es die Tatsache, dass eine Selbstverständlichkeit der Gattung hier so aufwendig gerechtfertigt wird.

183 Betrachten wir dazu im Vergleich einen westdeutschen Bewerber: Beispiel (65) - (Chemie.2/w/m) I:

B: I: B: I: B: I: B:

« f > o k a y . > sie sind also j e t z t wieder HIER? ( . ) und wollen in die indusTRIE? (-) was erWARten sie hier; (-) was möchten sie für=n job HAben; «h>joa> ich stell mir VOR- (-) hm als laBORleiter anzufangenhm=hm, vielleicht ein zwei MITarbeiter zu haben- (.) [und (-) [hm=hm, zusammen m i t anderen ( . ) labors ( . ) «p>ein p r o j e k t z u > bearbeiten, (-) hm=hm, vielleicht 11 ( - ) interakTIV mit h ( . ) e h ( . ) geoLOgen, «p>vielleicht sogar ( . ) (auch) ( . ) medizinern; >

So frappierend sich die Antworten inhaltlich ähneln, so sehr unterscheiden sie sich in ihrem konversationellen Stil. Auch der Westbewerber formuliert Hypothetisches, jedoch vergleichsweise direkt. Was im Vergleich zum Bewerber Edv. l (Bsp. 64) besonders ins Auge fällt, ist das Fehlen von "accounts" zur Rechtfertigung seiner Erwartungen. An den Antworten auf die Perspektivenfrage soll nun ein Phänomen untersucht werden, dass in Zusammenhang mit den "typischen Fragen" sehr aufschlussreich für Ost-/Westunterschiede ist: Die Verwendung von Schlüsselwörtern.

5.3.3 Verwendung von Schlüsselwörtern in den Antworten auf die Perspektivenfrage "Typische Fragen" haben "typische Antworten". Unsere Untersuchung bestätigt die Beobachtung von Adelswärd/Ziv (1995), dass in Bewerbungsgesprächen rekurrente Topoi zur Anwendung kommen, die geteiltes kulturelles Wissen westlicher, industrialisierter Kommunikationsgemeinschaften anzeigen. In den vorangegangenen Analysen wurde sichtbar, dass es Antworten gibt, die die verborgenen Präferenzen und Relevanzen der Interviewerfragen besser treffen als andere (wie zum Beispiel "Ungeduld" als Antwort auf die Schwächenfrage). Ein Weg, präferierte Antworten auf typische Fragen zu erkennen, verläuft über die Bestimmung von solchen Schlüsselwörtern bzw. Topoi auf der Binnenstruktur der Gattung (vgl. a. Kap. 3.4.1). Es sollen nun die Antworten auf die Perspektivenfrage daraufhin untersucht werden, ob sie Verwendungsrekurrenzen von Schlüsselwörtern und topischen, "präferierten" Antworten aufweisen, in denen sich Unterschiede zwischen Ost- und Westbewerbenden feststellen lassen. Positive Aussagen über die zukünftigen beruflichen Tätigkeiten sind ein zentraler, argumentativer Topos im Bewerbungsgespräch. Bewerbende sind bemüht, den Einstellenden glaubwürdig zu vermitteln, dass sie gern arbeiten und auch, dass sie an der anvisierten Stelle und der damit verbundenen Arbeit viel Interesse und Spaß haben würden. Einstellende erhalten so Aufschluss über die positive Motivation der Bewerbenden, denn im Kontext von Bewerbungsgesprächen gilt, dass die Motivation bei der Arbeit und entsprechend die in Aussicht gestellte Leistung besonders hoch sind, wenn die Arbeit Spaß macht und interessant ist. "Spaß" und "Interesse" eignen sich als Begründung für diverse berufliche Entscheidungen in der Vergangenheit, femer gewährleisten sie eine positive Motivation

184 g

und rechtfertigen hohe Leistungserwartungen. Die Perpektivenfrage bietet sich an, in den Antworten eine solche positive Motivation zu demonstrieren. Die Untersuchung der Antworten zeigt, dass das Schlüsselwort "Interesse" mit verschiedenen Varianten wie "sich interessieren", "etwas interessant finden" eine wesentliche Rolle spielt. Es wird vor allem von Westbewerbenden benutzt, deren Verwendungsweisen mit den folgenden Beispielen illustriert werden sollen: Beispiel (66) - (Bau.3/w/f) II: B:

warum wollen sie ( . ) BAUleitung machen; frau hinleih? (2) «p>ich find es sehr intresSANT>,

Beispiel (67) - (Chemie.5/w/m) 12: B: 12: B: 12: B:

ja können sie sich vorstellen hier zu ARbeiten. ( - ) j a , ( . ) naTÜRlich, und waRUM? (D ich dEnke dass es e:h grade in: ( . ) in dem amMONlabor; hm=hm? für=n PHYsikochemiker mit meiner (.) Ausbildung; (-) ganz

viele interesSANte ( . ) tätigkeitsfeider gibt? ( . ) .h ich hab j e t z t ja: eh zwei geSEHen? (-) zwei etwas NÄher gesehen, ((führt aus))

Wird nach dem Warum einer Bewerbung gefragt, wie in dem obigen Beispiel, bietet es sich besonders an, berufliche Vorstellungen und Entscheidungen auch mit Evaluationen und Motivationen zu belegen. Es reicht nicht aus, Interesse lediglich zu konstatieren, sondern es sollten weitere Ausführungen und Begründungen geliefert werden. Der Bewerber in Beispiel (67) belegt seine Aussage, dass es viele interesSANte (.) tätigkeitsfelder gibt mit zwei Erfahrungen, die er während der Betriebsbesichtigung im Unternehmen gemacht hat. Die Bewerberin Chemie.8 verwendet "Interesse" gleich in einer Dreierliste. Beispiel (68) - (Chemie.8/w/f) II: B: II: B: II: B:

II: B:

«f>wie stellen sie sich denn so eine ( . ) TÄtigkeit; nun (-) beRUFStätigkeit als biologin (-} VOR.> ( . ) in der chemischen indusTRIE.= =hh = ( i h r n ) WERdegang; oder was harn sie so für berufsPLÄne. hm=hm, oder [TRAUme; [ . h h (-) hehehe=(h)TRAUme, (-) .hh also: (-) ich stelle mir- (-) MITtelfristig etwas vor, (-) eine art (-) FÜHrungsposition i n einem ( . ) Umweltmanagement(.)be[REICH. [

(-) «pp>hm=hm> (0,5) DAS: stell ich mir VOR. « p > ( i c h ) > / (-) nicht unbedingt (.) direkt «h>FORschung?> . hh (1) u n : d (-) grade in diesem (-) bereich; ( . ) Ökonomie: ( . ) Schnittstelle: ( . ) Ökologie:; ( . )

Diese Einschätzung teilt Roberts, ihre Spielregel Nr. 6 lautet: "Candidates are expected to say that they enjoy their job. New jobs are supposed to be treated as a challenge and not as easy as the current job." (1985:13)

185

II: B: II: B: II: B: II: B:

che[MIE; UMwelt; [ . h h ( - ) i s t f ü r MICH ( . ) eigentlich [«p>hm=hm, [hm=hm, hm=hm, > sehr interesSANT.=und war [eigentlich auch schon ( . ) [ während meines ganzen STUDiums interessant; (.) [ja; [s=liegt natürlich AUCH/ (-) von meinem familiären HINtergrund ( ( F a m i l i e besitzt kl. Chemieunternehmen, K . B . ) ) her; [ . h h (-) das is natürlich IMmer was gewesen, was so [hm=hm, ( - ) «f>interesSANT w a r . >

Für alle drei Zeitdimensionen belegt diese Bewerberin ihre Vorstellung von einer Tätigkeit an der Schnittstelle von Ökologie & Chemie: diese "ist", "war" und "ist immer interessant gewesen". "Interessant" kommt in Bewerbungsgesprächen mit Ostbewerbenden ebenfalls vor, die Verwendungen sind aber fast ausschließlich durch die Interviewenden fremdinitiiert. Beispiel (69) - (Edv.2/o/m) II: «p>hm=hm,> (1) .h (-) GUT. (-) sie WOLLN da j e t z : t (-) WEG, (-) oder (-) oder oder (-) WOLln sie da nlch weg; SUCHn sie einfach mal was NEUes; oder hat sie (unsre arbeit) interesSIERT, als sie [die anzeige gelesen ( h a b e n , ) ] B: [ich hatte mich j e t z t ] interesSIERT, und eh (-) ich DENK mir; wenn SIE (1) einen (-) sysTEMprogrammierer datenaministrator suchn, (1) dass sie auch (-) eine (1) eh eine neue Softwareanwendung AUFbaun; und (1) diese NEUprogrammierung; (-) dieses neue proJEKT, (-) was dann vielleicht entSTEHT, (-) das würde mich (-) interesSIERN. Beispiel (70) - (Bank.4/o/m) 12: .hh HAM sie ( . ) während dieses PRAKtikums bei der ( . ) deutschen bank, (-) scho:n (.) erKANnt,=wo ihre SCHWERpunkte liegen. ( . ) s o mehr i m verTRIEB, ( . ) oder mehr i n d e r ( . ) administraTIO:N, ( 1 , 5 ) wo sind ihre «cresOinteRESsen d a n n . > (0,5) B: tjoa meine [inteRESsen,] (1) sind (-) «all>so denk ich 12: [] B: SCHON, (und/oder) auch> meine FÄHigkeiten,> Der Bewerber des folgenden Beispiels beantwortet die Aufforderung, seine Vorstellungen von der ausgeschriebenen Stelle und damit die Motivation für die Bewerbung zu nennen, mit einem need-statement (vgl. Kap 3.3.1.2). Beispiel (71) 1 II: 2 3 4 5 6 B: 7 II: 8

(Edv.6/o/m) (-) «p>ja, j a , > (.) gut. ja wa: s was stellen sie sich denn so VOR. ich meine e:h ( . ) sie harn das nu so geLESen, was ( . ) was STELLN sie sich denn unter der TÄtigkeit vor; die wir da Ausgeschrieben haben. ( . ) was würden sie: da so REINinterpretieren. (1) e:hm= =IS das etwas; was sie auch sagen; das is genau hundertprozentig DAS, was ich mir VORstelle.

186 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26

B:

II: B: II:

also die sysTEMprogammierungsstrecke; (2) ja; es is einfach SO, dass es e:hm (-) wenig STELlen, (.) in richtung sysTEMprogrammierung gibt. (-) ja, das: ( 1 . 5 ) IS nu ma so, wei:l ( . ) halt in DEUtschland, noch nich so viel (-) entWICKelt wird; ganz einfach. (1) viel (.) gib=s halt die DAtenbankstrecke; die is eh (-) j e t z ja Auch dabei, ( ( r ä u s p e r t s i c h ) ) (1) aber Eigentlich, (.) mEine richtung is so die sysTEMprogrammierung. (1) «p>ja, un> (-) DA (1) was es dA nu letzendlich is; ob das eh (2) mit NETzen (1) zu tun hat; (1) das=ja im gründe auch MEIne, (1) RICHtung; (-) eh das: (-) is dann letzENDlich; (3) da muss man sich dann halt REINfuchsen. hm=hm, (-) «p>SAG ich m a . > (5) tja. ja was sind so ihre VORstellungen. ( . ) auch so ( . ) «p> (wenn sie ma so D E N k e n ) > ( ( . . . ) )

Die Frage des Interviewers suggeriert eine positive Bewertung der ausgeschriebenen Stelle geradezu (das is genau hundertprozentig DAS, was ich mir VORstelle, Z. 7f). Die Antwort des Bewerbers wirkt daran gemessen sehr zurückhaltend, er verweist auf die schlechte Arbeitsmarktlage für Systemprogrammierer und beantwortet damit die Frage mit einem "need statement" (Z.9ff). Im Gegensatz zu "Interesse" eignen sich "need statements" wie Arbeitslosigkeit oder ähnliche Argumente, die äußere Umstände als Beweggründe für eine Bewerbung in den Vordergrund rücken, nicht besonders, um eine positive Motivation für die Stelle zu vermitteln; darauf haben auch die Personalverantwortlichen in den Experteninterviews wiederholt hingewiesen. In Bezug auf Datenbankadministration, die in der Ausschreibung der Stelle ebenfalls angegeben war, betont er (durchsetzt mit langen Pausen) die Bereitschaft, sich "reinzufuchsen". Ein besonderes Interesse an der Stelle kommt nicht zum Ausdruck und dass die Frage damit für den Interviewer nicht befriedigend beantwortet ist, zeigt sich in dessen Nachfrage (Z. 25f). Neben "Interesse" stellt auch "Spaß" ein zentrales Schlüsselwort bei der argumentativen Präsentation positiver Motivation dar. In einer Untersuchung von Auer/Birkner/Kern (1997a) wird "Spaß" in Zusammenhang mit dem argumentativen Topos "Spaß an der Arbeit" genauer untersucht. Dazu wurden alle Vorkommen von "Spaß" in den Korpora authentischer und rollengespielter Bewerbungsgespräche zusammengestellt, um sie auf Verwendungsunterschiede zwischen Ost- und Westbewerbenden zu untersuchen. In den frühen Rollenspiele scheint "Spaß an der Arbeit5' als ein rekurrenter Topos vor allem von Westbewerbenden verwendet zu werden. Das erscheint sehr plausibel, da "Spaß" in Verbindung mit "Arbeit" ein eher westliches Bild von unabhängigen, sich selbstverwirklichenden Individualisten evoziert. Die weitere Analyse zeigt bald, dass dieser Eindruck nur auf die frühen Rollenspiele zutrifft, in denen Ostbewerbende "Spaß" tatsächlich sehr viel seltener verwenden als Westbewerbende. In den authentischen Bewerbungsgesprächen dagegen präsentiert sich ein anderes Bild, hier ist die Verteilung von "Spaß" auf Ost- und Westgespräche relativ ausgewogen. Dieses Faktum lässt sich deuten als ein zunehmender "Erwerb" des Topos auch

187

durch Ostbewerbende, der durch Erfahrung und Bewerbungstrainings (u.a. mit Rollenspielen) vorangetrieben wird. Aber abgesehen von diesen rein quantitativen Ergebnissen stellen die Autor/innen bei der Kontextanalyse der Vorkommen subtilere Differenzen fest. So erweist sich die Geschlechtszugehörigkeit der Sprecher/innen als ein wichtiger Faktor bei der Verwendung von "Spaß": Sprecherinnen verwenden es häufiger als Sprecher (40 Vorkommen bei 14 Frauen vs. 20 bei 25 Männern). Bei einer zusätzlichen Differenzierung nach Ost- bzw. Westzugehörigkeit findet man überdies, dass ostdeutsche Männer den Topos am wenigsten verwenden, während er bei ostdeutschen Frauen am häufigsten auftaucht. Betrachtet man aber die Ausgestaltung im Argument (z.B. sehr viel Spaß, am meisten Spaß), so fällt auf, dass Westbewerbende beiden Geschlechts "Spaß" mit expressivem Nachdruck verwenden. In diesen Ergebnissen spiegelt sich eine Überschneidung zweier Makrofaktoren, der "Geschlechtszugehörigkeit" und der "regionalen Herkunft". Als ein weiteres Ergebnis wurden feinste Verwendungsdifferenzen zwischen Ost- und Westdeutschen festgestellt; Auer/Birkner/Kera (1997a) fanden, dass bei Westbewerbenden eine Tendenz zur Spezifizierung des Topos "Spaß an der Arbeit5' hin zu "Spaß an der Herausforderung einer Arbeit" zu verzeichnen ist, während ihn ostdeutsche Bewerbende in der allgemeineren Form bevorzugen. Bei der Benutzung von Schlüsselwörtern müssen feinste kontextuelle Verwendungsbedingungen berücksichtigt werden, um zu vermeiden, dass sie ihre argumentative Kraft verlieren oder sogar zu unwillkommenen Nachfragen der Interviewenden fuhren. Ähnliches stellt auch Sarangi (1994a) fest. In einer Beispielsequenz antwortet ein Kandidat auf die (Perspektiven-)Frage "why do you want to be a motor mechanic" (ebd.: 174) auch auf mehrmaliges Nachfragen mit "I like it" bzw. "interest". Sarangi analysiert diese Antwort als aktivitätstypspezifische Fehlanpassung, da das Interesse an dem Kursus "Automechaniker" qua Bewerbung als vorausgesetzt gelten kann und somit "given information" sei. Der Interviewer erwartet weitere Argumente, die der betreffende Bewerber aber nicht liefert. Ein ähnlicher Fall liegt in der Antwort des Bewerbers in Beispiel (62) vor; das Nennen des Aufgabenbereichs als Antwort auf die Frage nach seinen Vorstellungen von der Tätigkeit ist als "given information" zu betrachten. Die Zurückweisung eines Schlüsselwortes im Bewerbungsgespräch, wie im folgenden Beispiel, ist ein aufschlussreiches Datum in Zusammenhang mit der Untersuchung gattungsspezifischer Topoi. In der folgenden Sequenz aus dem Kontext der Perspektivenfrage soll die Motivation der Bewerberin für eine verkäuferische Tätigkeit geklärt werden, die bei der potenziellen Stelle im Vordergrund steht. Beispiel (72) 1 13: 2 B: 3 13: 4 5 B: 6 7 13: 8 B: 9 13: 10 B: 11

(Telefon.4/o/f) was macht ihnen denn SPAß am verkaufen; (1) t j a ( . ) S P A ß ( . ) hm (-) .h was macht mir SPAß; .h (1) weil sie grade SAchten das MÖCHT ich ja auch (irgendwo). ja ich will ja GELD verdienen; ja, (.) also we=man GELD verdienen (will musste ja) irgendwo: [was ( . ) ick kann [hm=hm, ja nich [daHIN gehen, und (mich daHINstellen) und [hm=hm, SAgen, (-) also LEUte ich mach das mal aus lauter SPA:ß. (-) [das mach ich ja nu=NICH. e:h eh NUR (.) aus

188 12

13:

13

B:

[hm=hm,

spaß, ich möcht ja och wat verDIEnen. .h

Die Frage der Interviewerin was macht ihnen denn SPAß am verkaufen präsupponiert "Spaß" als eine relevante Bewertung. Die Reaktion der Bewerberin jedoch zeigt, dass sie Schwierigkeiten hat, diese zu ihrer Verkaufstätigkeit in Beziehung zu setzen. Die etwas ratlose, leise Wiederholung der Frage lässt die Interviewerin zu einer Begründung ihrer Frage ansetzen. Doch anstelle einer Antwort weist sie den Topos schlichtweg zurück und benennt statt dessen GELD verdienen (Z. 5f) als ihre primäre Motivation. Offensichtlich verbindet hier die Bewerberin mit „Spaß" eher „Unernsthaftigkeit", darauf deutet der fast moralisierende Unterton ihrer Aussage hin: ick kann ja nich daHIN gehen, und (mich daHINstellen) und SAgen, (-) also LEUte ich mach das mal aus lauter SPA:ß. (Z. 6f). Das mag zwar der alltagsweltlichen Wahrheit sehr nahe kommen; in der Logik des Bewerbungsgesprächs aber zählt ökonomische Motivation nicht eben viel, während "Spaß" ein verbreiteter und akzeptierter Topos ist, den die Bewerberin hier ostentativ zurückweist. In der Nachbesprechung wird ihr von den Interviewer/innen eine starke finanzielle Motivation zugeschrieben. Auf dem Hintergrund unserer Analyse erscheint es aber plausibler anzunehmen, dass sich die Bewerberin der Angemessenheit des Topos "Spaß" aus Sicht der Gattung nicht bewusst ist oder seine Verwendung ablehnt. Eine westdeutsche Bewerberin wird mit einer sehr ähnlichen Frage konfrontiert: Beispiel (73) - (Telefon, l/w/f) 12: hm=hm, (-) was hAtt denn bei dem verkAufen jetzt insbesondere so den REIZ für sie ausgemacht; was hat ihnen daran SPAß B: 12:

gemacht; (1) wenn jemand NICHTS kaufen wollte; und DOCH gekauft hat. aha,

Der Kontrast könnte größer nicht sein. Die westdeutsche Bewerberin scheint nicht nur keine Schwierigkeiten mit dem Topos "Spaß" zu haben, ihre Antwort dürfte den Interessen der Unternehmensvertreter sogar sehr gelegen kommen und weist deutlich eine Perspektivübemahme auf, die die Voraussetzung für einen gattungsspezifischen Zuschnitt auf die Einstellenden darstellt.

5.4 Zusammenfassung Typische Fragen haben präferierte Antworten - welche das sind, ist Teil des Gattungswissens, über das Ost- und Westbewerbende offenbar nicht in gleichem Maße verfügen bzw. das in bestimmten Punkten zu divergieren scheint. Das zumindest legt z.B. eine Auswertung der Antworten auf die Selbstattribuierungsfrage nahe; hier zeichnet sich ab, dass Westbewerbende einen stärkeren Zuschnitt auf die "Versteckte Agenda" des Bewerbungsgesprächs vornehmen, was sich u.a. darin zeigt, dass sie positive Attribute nennen, die für eine zukünftige Berufstätigkeit Bedeutung haben, während die genannten Schwächen vornehmlich in der privaten Domäne relevant sind. Auch die Nennung von Ungeduld, einem verbreiteten Topos in westlichen Industrieländer, verweist auf geteiltes kulturelles Wissen.

189

Bei Schlüsselwörtern und Topoi der Gattung, die in Zusammenhang mit der Perspektivenfrage untersucht wurden, ist die genaue Kenntnis ihrer Verwendungsbedingungen im Bewerbungsgespräch die Voraussetzung für ihren produktiven Einsatz. Und schließlich spielt auch bei der Gehaltsfrage das Gattungswissen eine nicht unerhebliche Rolle: Um angemessene Gehaltsvorstellungen nennen zu können, muss man entweder über ein solides außenstrukturelles Wissen von den Tarifstrukturen verfügen oder wissen, dass diese Frage im Bewerbungsgespräch erwartbar ist und sich auf eine Antwort vorbereiten. Doch nicht nur Gattungswissen bietet sich als Erklärung für die gefundenen Differenzen zwischen Ost- und Westbewerbenden an; eine zweite verweist auf konversationeile Stilunterschiede. Die Antworten von Ostbewerbenden sind im Vergleich zu Westbewerbenden sehr viel stärker durch dispräferenzanzeigende Stilelemente sowie Verzögerungen und Vermeidungsstrategien geprägt, die konversationeile Indirektheit konstituieren. Sie sollen noch einmal kurz zusammengefasst werden: Paraverbal sind Lachen und tiefes Ein- oder Ausatmen zu verzeichnen, nonverbal kommen Verzögerungen, häufige und lange Pausen vor Turnübernahme sowie im Turn vor. Unter den verbalen Mitteln findet man gefüllte Pausen im Turn, false starts, diverse Vorlaufelemente. Gegenüber direkten Antworten fällt ein erhöhter Formulierungsaufwand auf, der sich besonders im lexiko-semantischen Bereich zeigt an Geltungseinschränkungen (Modalpartikeln, Konjunktiven), Hecken- und Vagheitsausdrücken ("ich weiß nicht" u.a.), der Versenkung primärthematischer Antworten oder deren Vermeidung sowie "accounts" und Rechtfertigungen. In der Kookkurrenz und Verwendungsfrequenz dieser Stilelemente in den Antworten auf alle drei Frageformate manifestiert sich ein Grad an konversationeller Indirektheit, der Ostbewerbende Westbewerbende gegenüber auszeichnet. Das Datenmaterial liefert erste Ansätze, um die Bevorzugung dieses Stils durch Ostbewerbende zu erklären. Bei den Selbstattribuierungsfragen lässt sich anhand ost- wie westdeutscher Antworten nachweisen, dass sie (vergleichbar mit Komplimenten einerseits und Selbstabwertungen andererseits) ein Dilemma zwischen verschiedenen pragmatischen Beschränkungen aufrufen: die gattungsspezifischen Ziele positiver Selbstdarstellung, die Zugzwänge einer zumeist sehr direkten Frage und die Beschränkungen durch das Selbstlobtabu. Ost- und Westbewerbende zollen diesen Bedingungen in unterschiedlicher Gewichtung Tribut. Ostbewerbende scheinen sich eher an kommunikativen Normen zu orientieren, die weniger eng mit der Gattung verknüpft sind: Konfliktvermeidung, Selbstlobtabu und Zurückhaltung gelten nicht als zentrale Relevanzen in Bewerbungsgesprächen; hier zählen eher ein offensives Verkaufen der eigenen Person, Konfliktbereitschaft und Dynamik. Auch ist anzunehmen, dass die Vertrautheit mit den Normen und Erwartungen der Gattung sich darin äußert, mit welcher Direktheit oder Indirektheit Gehaltsvorstellungen geäußert werden können, wie stark das Selbstlobtabu bei der Selbstattribuierung angedeutet werden sollte und ob Aufstiegswille bei der Perspektivenfrage gerechtfertigt werden muss. Die Beobachtungen aus den Rollenspielen unterstützen diese Deutung, auch wenn ihre Evidenz nicht überbewertet werden darf: In den rollengespielten Bewerbungsgesprächen sind die Antworten auf die Selbstattribuierungs- wie auch auf die Gehaltsfrage durch Direktheit und das reduzierte Vorkommen besagter Stilmerkmale gekennzeichnet - ein Phänomen, das plausibel mit dem Aufbau von Gattungswissen durch Schulung erklärt werden kann. Eine eindeutige Trennung der beiden Ebenen "Gattungswissen" und "konversationeller Stil" ist diffizil. Begrenzt man die Gültigkeit der Ergebnisse stärker auf den untersuchten

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Datentyp, liegt es nahe, Gattungswissen als Erklärung ein stärkeres Gewicht zu geben. Konversationelle Stile dagegen verweisen auf grundsätzlichere Unterschiede, deren Auftreten auch in anderen Situationen erwartbar ist. Der Frage, ob bzw. in welchem Maße sich Ost- und Westbewerbende auf der Ebene konversationeller Stile unterscheiden, soll im nächsten Kapitel weiter nachgegangen werden.

Kapitel 6: "Kritische Momente" im Bewerbungsgespräch

Im vorliegenden Kapitel soll der Umgang von Bewerberinnen und Bewerbern mit "Nichtübereinstimmung" im Zentrum stehen. Das Anliegen ist, unter einer stärker kontrastiven Perspektive herauszufinden, ob sich Differenzen von Ost- und Westbewerbenden im Umgang mit Nichtübereinstimmung abzeichnen, die sich auf konversationelle Stilunterschiede zurückführen lassen. Es wurden Sequenzen in den Bewerbungsgesprächen gesucht, in denen eine Vorlage der Interviewenden Nichtübereinstimmung seitens der Bewerbenden notwendig macht, um eine Beschädigung der positiven Selbstdarstellung zu verhindern. Es zeichneten sich drei Frageverfahren ab, mit denen solche "kritischen Momente" herbeigeführt werden: Suggestivfragen, (negative) psychologisierende Deutungen und Konfrontation mit Widersprüchen. Diese drei Formate "kritischer Fragen" kommen häufig auch in Kombination vor, vor allem dann, wenn sich eine "Dissenssequenz" (Kotthoff 1992a:191) entwickelt. Den vorgestellten Verfahren ist gemeinsam, dass sie Bewerbende dem Zugzwang aussetzen, Nichtübereinstimmung zum Ausdruck bringen zu müssen, um ihr Ziel, sich als geeignete Kandidat/inn/en zu präsentieren, nicht zu gefährden. Nichtübereinstimmung gilt jedoch als konversationeil prekär, da sie mit dem Präferenzsystem für Übereinstimmung in Konkurrenz tritt (vgl. hierzu u.a. Pomerantz 1984; Kotthoff 1989b; 1992a). Wie Bewerbende unter diesen widerstrebenden Anforderungen von globaler Übereinstimmung vs. lokaler Nichtübereinstimmung agieren, soll im Folgenden beschrieben werden. Einführend wird dazu zunächst der Stand der Forschung zum konversationellen Präferenzsystem für Übereinstimmung skizziert.

6. l Agreement preferred? - Nichtübereinstimmung im Gespräch Ein zentrales Konzept der Konversationsanalyse bei der Analyse der Herstellung sozialer Ordnung ist die Präferenz-Organisation, das auf Sacks (1987) zurückgeht. Im sequenziellen Ablauf von Alltagskonversationen lassen sich Prinzipien erkennen, die das sprachliche Handeln der Gesprächspartner ordnen und seinen Ablauf vorstrukturieren. Am deutlichsten bildet sich dieses Prinzip in den Paarsequenzen (adjacency pairs) ab: Hier sind zwei Handlungstypen eng miteinander verbunden und man spricht von einer Beziehung der konditionellen Relevanz zwischen einem "Ersten Teil" (1st pair part) und einem "Zweiten" (2nd pair part) (Schegloff 1972:363ff). So setzt ein Gruß einen Gegengruß konditionell relevant, eine Frage etabliert die konditionelle Relevanz einer Antwort usw. Sequenziell gesehen macht in einer solchen Basissequenz aus zwei aufeinander folgenden Teilen ein Erster den Zweiten erwartbar bzw. würde ein Fehlen des Zweiten Teils als bedeutungsvoll interpretiert. Nicht immer werden natürlich diese konditionellen Relevanzen prototypisch erfüllt, wie im Falle der Erwiderung eines Grußes mit einem Gegengruß oder der Beantwortung einer Frage; vielmehr gibt es eine Reihe alternativer zweiter Paarglieder. Das Prinzip der PräferenzOrganisation zeigt jedoch, dass verschiedene Zweite ein sehr unterschiedliches "standing"

192

(Levinson 1983:307) haben. Es werden "dispräferierte" und "präferierte" Zweite unterschieden; die sich strukturell unterscheiden. So sind präferierte Zweite einfacher (weniger komplex), dispräferierte Zweite erfolgen häufig mit Verzögerung und sind gekennzeichnet durch Vorlaufelemente und Erklärungen ("accounts") (vgl. Pomerantz 1984). Sacks (1987) geht von einer Präferenz für Übereinstimmung (preference for agreement) aus, einem allgemeinen Kooperationsprinzip menschlicher Kommunikation, dessen theoretische Nähe zu Goffmans "face"-Begriff (Goffman 1955) und den Grice'schen Maximen (Grice 1975) offensichtlich ist. In der als Aufsatz veröffentlichten Vorlesung "On the Preference for Agreement and Contiguity in Sequences in Conversation" zeigt er, dass Gesprächspartner systematisch dazu tendieren, ihre Antwort auf eine Frage so anzulegen, dass sie mit der (vom Fragenden) präferierten Antwort übereinstimmt. Das setzt u.a. voraus, dass Interaktant/inn/en Inferenzen darüber bilden, welches die präferierte Antwort ist. Und er zeigt darüber hinaus sogar, dass Sprecher/innen ihre Fragen so gestalten, dass Antwortende Inferenzen darüber ziehen können, um in ihrer Antwort Übereinstimmung ausdrücken zu können. Sacks hat immer darauf hingewiesen, dass Präferenz für Übereinstimmung nicht gleich Übereinstimmung im Sinne von "Affirmation" bedeutet, sondern Übereinstimmung mit der präferierten Antwort. So kann ein „Nein" präferiert sein, so dass die Nichtübereinstimmung Übereinstimmung mit der Position des Sprechers herstellt, womit dem übergeordneten Prinzip der Präferenz für Übereinstimmung wieder Genüge getan wäre. Auch Pomerantz (1984) kommt wie Sacks zu der Schlussfolgerung, dass sich in den untersuchten Daten eine Orientierung von Interaktanten auf Übereinstimmung abbildet, was sie u.a. damit erklärt, dass dies als "angenehm" empfunden wird: Put another way, across different situations, conversants orient to agreeing with one another as comfortable, supportive, reinforcing, perhaps as being sociable and as showing that they are likeminded. [...] Likewise, across a variety of situations conversants orient to their disagreeing with one another as uncomfortable, unpleasant, difficult, risking threat, insult or offense. (Pomerantz 1984:77)

In ihren Arbeiten verfolgt Pomerantz jedoch einen eher formalen Präferenzbegriff. Sie untersucht "Bewertungen" (assessments) und zeigt 1., dass sie eine Beziehung der konditi-

Levinson betont ausdrücklich, dass "präferiert/dispräferiert" nicht auf eine psychologische Sprecherdisposition Bezug nimmt. Er stellt vielmehr einen Zusammenhang mit dem Konzept der Markiertheit her; präferierte Zweite wären demnach unmarkiert, dispräferierte markiert (1983:307). Hier spiegelt sich das Zusammenwirken des Prinzips der "preference for contiguity" (Präferenz für Nähe) mit dem der Präferenz für Übereinstimmung wider: Das präferierte Item kommt ohne Verzögerung (direkt), das dispräferierte "may well be pushed rather deep into the turn" (Sacks 1987:58). Ursprung war eine einfache Beobachtung: "The blandest look would say that if you examine only answer turns, then 'yes's' are a lot more frequent than 'no's' are. Any next look at that in its sequences would then give us a candidate 'preference' with regard to selection, which would run something like this: if a question is built in such a way as to exhibit a preference between 'yes' or 'no', or 'yes-' or 'no-'like responses, then the answerer will tend to pick that choice, or a choice of that sort will be preferred by answerers, or should be preferred by answerers." (Sacks 1987:57)

193 4

onellen Relevanz aufweisen, insofern auf Erste Bewertungen Zweite Bewertungen folgen; und 2., dass die Übereinstimmung der Zweiten mit der Ersten Bewertung präferiert ist (Pomerantz 1984). Der Präferenzstatus einer Zweiten Bewertung ist formal daran erkennbar, dass dispräferierte Aktivitäten durch eine Verzögerung und präferierte durch direkten Anschluss des Turn-Formats gekennzeichnet sind. Die Inferenzen der Beteiligten werden schon durch die Gestaltung der Ersten Bewertungen geleitet, nach Pomerantz laden sie zu Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung häufig geradezu ein. Die Ergebnisse von Pomerantz (1984) wurden von Auer/Uhmann (1982) für das Deutsche überprüft. Grundsätzlich bestätigen sie die Ergebnisse Pomerantz', ergänzen aber das Bild im Bereich der typischen deutschen Partikeln. Im Gegensatz zu Pomerantz, die Vorlaufelemente in der Regel nur bei Nichtübereinstimmung fand, stellen Auer/Uhmann fest, dass Zweite Teile sehr häufig Vorlaufelemente aufweisen, diese aber verschiedenen Klassen angehören, so dass die Wahl des Vorlaufelements bereits ankündigt, ob Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung folgen wird. An den Ergebnissen zu Bewertungen/Gegenbewertungen sollen beispielhaft die TurnFormate von präferierten und dispräferierten Zweiten dargestellt werden. Diese müssen unterschieden werden nach Kontexten, in denen Übereinstimmung bzw. Nichtübereinstimmung präferiert ist. Mittels Kreuzung ergeben sich vier Typen: Übereinstimmung/Nichtübereinstimmung in Kontexten, in denen Übereinstimmung präferiert ist, und Übereinstimmung/Nichtübereinstimmung in Kontexten, in denen Nichtübereinstimmung präferiert ist. l a) Gleichlaufende Bewertungen als Typen von Übereinstimmung in Kontexten, in denen Übereinstimmung präferiert ist, sind "upgrades" ("Eskalierungen", nach Auer/Uhmann 1982:4) und "same" ("Niveaugleiche", ebd.). Eskalierungen drücken starke Übereinstimmung aus und steigern die Erste Bewertung, beispielsweise von "schön" auf "hervorragend" o.a. Beispiel (1) (aus Auer/Uhmann 1982:5) H.: schö: :nes A her —> X.: ja ne hh (0.8) besten jähren "Niveaugleiche" bestätigen die Erste Bewertung, allerdings können sie auch Nichtübereinstimmung andeuten. Beispiel (2) (aus Auer/Uhmann 1982:9) X.: aber ich fand die hundertfiinfzig auch schon nicht schlecht —> H.: och ja is schon ganz gut Ib) Bei Nichtgleichlaufenden Bewertungen, d.h. Nichtübereinstimmung in Kontexten, in denen Übereinstimmung präferiert ist, werden "schwache Nichtübereinstimmungsformate" (weak disagreements) bevorzugt, die sich durch Verzögerungen und Pausen kennzeichnen, ferner durch reparaturinitiierende Fragen/klärende Nachfragen u.a.m. Sehr häufig werden sie mit "agreement tokens" (Pomerantz 1978:99) eingeleitet, denen Nichtübereinstimmung auf dem Fuße folgt.

"Second assessments are assessments produced by recipients of prior assessments in which the referents in the second are the same as those on the priors." (Pomerantz 1984:59)

194

Beispiel (3) (aus Auer/Uhmann 1982:5) Q.: sehr gutes Zeugnis -» P.: naja sehr gut; (1.0) sehr gut [kann mas doch a net heißn] Mit dem Verfahren, erst Übereinstimmung zu signalisieren, um dann Nichtübereinstimmung zu kontrastieren, wird Nichtübereinstimmung verzögert. Ein sehr gebräuchliches Format, um schwache Nichtübereinstimmung zu markieren, ist das klassische "ja, aber". Das durch den adversativen Konnektor "aber" verknüpfte Konjunkt verschiebt die Evaluation, wie im folgenden Beispiel: Beispiel (4) (aus Pomerantz 1984:72) C: ... you Ve really both basically honestly gone your own ways. D: Essentially, except we 've hadda good relationship at home. —> C: .hhhh Ye:s, but I mean it's a relationship where ... In Argumentationen hat diese "Ja, aber-Strategie" große Bedeutung. Dabei kann auch das Konjunkt vor "aber", das ein Zugeständnis macht und eine starke Kohäsion mit der Vorgängeräußerung herstellt, ausgebaut werden, es ist aber immer das kontrastierte zweite Konjunkt nach "aber", das die größere Relevanz hat. Diesen schwachen Formaten steht starke Nichtübereinstimmung gegenüber. Hier fehlen in der Regel abschwächende Vorlaufmarkierungen, die Nichtübereinstimmung kann z.B. durch "contrastive opposites" zum Ausdruck gebracht werden, wie im folgenden Beispiel durch "gleicher Referent - kontrastierende Evaluation". Beispiel (5) (aus Kotthoff 1992a:16) D: ich finde das eigentlich keine so schlechte Möglichkeit. -» A: also ich find das eigentlich die BR UTALSTE Möglichkeit. Das Beispiel illustriert die "Oppositionsformate", die Kotthoff (l992a) als ein rhetorisches Verfahren zur antagonistischen Verschärfung von Dissens beschreibt. Hier wird eine Vorgängeräußerung in weiten Teilen "zitiert", was eine starke kohäsive Verknüpfung bewirkt, die Äußerungen dann aber in entscheidenden Teilen negiert (vgl. auch Goodwin/Goodwin 1987; Günthner 1993:246ff). 2a) In speziellen Fällen kann ein Nichtgleichlaufen der Zweiten Bewertung und sogar starke Nichtübereinstimmung die präferierte Variante sein, ohne dissensverschärfend zu wirken. Mit solchen Fällen, in denen das Prinzip der "Präferenz für Übereinstimmung" scheinbar verkehrt ist, beschäftigt sich Pomerantz (1978) ausführlicher: Selbstabwertungen (self-depreciation) und Komplimente. Beispiel (6) (aus Pomerantz 1984:74) L: ...I'm so dump I don't even know it. hhh! - hehl -» W: Y-no, y-your^re not du:mb, ... "The counterpart of an upgrade as optimal agreement is a contrastive opposite as optimal disagreement. Contrastive opposites are produced in environments in which disagreements are preferred, for example, subsequent to selfdepreciation; they ocurr in disagreement turns and sequences and typically not in combination with agreement." (Pomerantz 1978:93)

195

Bei selbstabwertenden Ersten Bewertungen ist die präferierte nächste Aktivität des Rezipienten eine Nichtübereinstimmung: Diese kann folglich im präferierten Turnshape direkt und ohne Verzögerung erscheinen. Der Grund ist, dass Zustimmung zu einer Selbstabwertung indirekt Kritik am Gegenüber wäre, Kritik wird aber in der Regel in dispräferierten, verzögerten Turn-Formaten vollzogen (Pomerantz 1984:75f). Bei Komplimenten als Ersten Bewertungen geraten die Rezipienten bei der Wahl der Zweiten Bewertung in ein Dilemma zwischen dem Prinzip der Selbstlobvermeidung einerseits und dem Prinzip der "präferierten Übereinstimmung" andererseits. Antworten auf Komplimente fallen in zwei große Gruppen: Wechsel des Referenten (referent shifts) und Umbewertungen (evaluation shifts) (Pomerantz 1984:106). Das folgende Beispiel illustriert eine solche Umbewertung: Beispiel (7)-(Edv. l/o/m) I:

—»

B:

wo sie letztendlich ( . ) neben zwei ANderen, eh ( . ) aber wohl dOch so=n bisschen der der hm «all>wenn ich sie=richtig=verSTANden habe,> der heRAUSragende MANN ( . ) b e i dieser betreuung sind, na ich würd nich heRAUSragend sagen, aber ich ( . ) FIND mich (schon) ziemlich ehm (-) sag ich mal ziemlich GUT geBILdet;

2b) Da Übereinstimmung in Nichtübereinstimmung-präfeneienden. Kontexten dispräferiert ist, erfolgt Zustimmung zur Selbstabwertung häufig in schwacher Form. Der Rezipient kann die vom Sprecher geäußerte Selbstbewertung aber auch für sich in Anspruch nehmen, so dass die interaktionale Balance wieder hergestellt ist: "ich bin X - ich auch". Eine andere Art der "schwachen Übereinstimmung" sind Pausen: Hier gilt die Regel, dass eine nicht geäußerte Nichtübereinstimmung als Übereinstimmung gewertet wird (relevant absence). Beispiele für starke Übereinstimmung in solchen Kontexten sind selten, in unserem Datenmaterial findet sich das folgende Beispiel für Übereinstimmung bei Komplimenten: Beispiel (8) - (Bank.2/o/m) I:

—>

B:

in den (-) diPLOM eh: (-) beSCHEInigungen; ZEUgnis und so weiter; (1) stehen ja immer so=n paar (-) LEIS t u n g s ( . ) m e r k m a l e drin: eh ( - ) O f t steht drin; sie sind sehr FLEIßig. SIND sie das? (-) ich bin sehr EHRgeizig; (-) ja. auf alle FÄLle.

Vorausgesetzt man stimmt zu, dass der Evaluationsshift von "fleißig" auf "ehrgeizig" eine "Eskalierung", d.h. eine positivere Bewertung, darstellt, handelt es sich hier um den dispräferierten Akt der eskalierten Zustimmung auf ein "Kompliment".

"Subsequent to compliments, the preferences of (a) avoiding self-praise and (b) accepting and agreeing with the compliment are at odds with one another." (1984:92) oder "The production of compliment responses are sensitive to the cooperation of multiple constraint systems. One preference system is that of supportive actions, that is, responses which legitimize, ratify, affirm, and so on, prior compliments. A second contraint system is that of self-praise avoidance." (1984:106)

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6.1.1 Studien zum Präferenzsystem Bilmes (1988) setzt sich kritisch mit dem Sacks'schen Präferenzsystem bzw. dessen Ausarbeitung durch Pomerantz auseinander. Ein sicherlich berechtigter Einwand betrifft die Begrifflichkeit: Nach Bilmes ist "Präferenz" so stark durch ein Alltagsverständnis geprägt, dass der Begriff zu systematischen Missverständnissen geradezu einlädt. Das mag u.a. dazu geführt haben, dass Äußerungen in dispräferiertem Format gleichgesetzt werden mit dispräferierter Aktivität. Tatsächlich sind die "dispreference rum shapes" nicht automatisch dispräferierte Zweite und natürlich orientieren dispräferiert markierte Turns nicht immer auf Nichtübereinstimmung; man denke z.B. nur an bestimmte Höflichkeitsphänomene, wo gewisse Handlungen starke Dispräferenz-Markierungen haben, obgleich sie den präferierten Akt der Annahme eines Angebots begleiten. Hier laufen tatsächlich zwei Bedeutungen quer: auf der einen Seite das eher allgemeine (semantische) Prinzip der interaktiven Orientierung auf Übereinstimmung und das lokale, strukturelle Kriterium markierter Turn-Formate. Bilmes Vorschlag, den Pomerantz'sehen Terminus der "dispreference markers" durch "reluctance markers" (Unwilligkeitsmarker) zu ersetzen und als von der Präferenz-Struktur unabhängiges Konzept zu behandeln (Bilmes 1988:172), hätte vielleicht für mehr Eindeutigkeit sorgen können. Im Grunde löst es aber nicht das Problem der etwas verwirrenden Verschränkung von globaler/lokaler Dis/Präferenz und Nicht-/Übereinstimmung. Vermutlich muss man für verschiedenste Handlungstypen und Kontexte das Präferenzsystem jeweils spezifisch bestimmen. Die Regularität, mit der dispräferierte Varianten jeweils in "verzögertem" Format erscheinen, mag auf die Untersuchung von Bewertungen/Zweiten Bewertungen in Alltagsgesprächen zutreffen. Ist sie aber auch für andere Sequenztypen gültig? Eine weitere Frage ist, wie Teilnehmer/innen treffende Inferenzen darüber ziehen, ob der Erste Teil zu Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung einlädt. Tatsächlich wird das Postulat Bilmes' "The situational context is a possible determinant of preference" (1988:175) von verschiedenen Untersuchungen bestätigt. So zeigen die Studien zu Gerichtskommunikation von Atkinson/Drew (1979), dass "Leugnen" ("denials"), d.h Nichtübereinstimmung, bei "Beschuldigungen" ("accusations") präferierter Zweiter ist. Bilmes führt das auf das übergeordnete Wirken einer Präferenz für Widerspruch bei Attribuierung zurück (Bilmes 1988:167). Die bisherigen Überlegungen zum Präferenzsystem gehen stillschweigend von isolierten Paarsequenzen aus. Tatsächlich stehen schon Erste Teile in einem größeren Kontext; so hängt der Präferenzstatus von "denials" nach "accusations" auch damit zusammen, dass Anschuldigungen als unkooperative Attribuierungen erkannt werden. Aber weder sind Attribuierungen immer unkooperativ (man denke an Komplimente), noch ziehen negative Attribuierungen immer Nichtübereinstimmung nach sich (z.B. bei eingestandenen Beschuldigungen). Kotthoff'(1992a) weist daraufhin, dass in Therapiegesprächen anders als in Alltagskonversationen Selbstabwertungen weder den Widerspruch noch die Zustimmung des Therapeuten präferieren, sondern als gattungsspezifische Aktivitäten die Bearbeitung dieses Ersten Paargliedes unter völlig anderen Präferenzen und Relevanzen erfolgt. Offensichtlich ist aber auch ein Lernprozess der Patient/inn/en vonnöten, da Novizen der Gattung nicht auto-

7

Vgl. a. die Kritik Bilmes' an Levinson (1988:176).

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matisch über das Wissen um diese institutionellen Vorgaben und gattungsspezifischen Abweichungen von Alltagserfahrungen verfugen. Great bate h (1992) untersucht das Management von Nichtübereinstimmung in Nachrichteninterviews. Er zeigt die Auswirkungen der auf die Gattung „Interview" zugeschnittenen speziellen Tum-taking-Verfahren auf den Umgang mit Nichtübereinstimmung. Das Setting, in dem zwei Vertreter unterschiedlicher Positionen von einem Journalisten interviewt werden, kennzeichnet sich dadurch, dass sich die Kontrahenten nicht direkt, sondern immer nur mittelbar durch die Person des Interviewers adressieren. Das fuhrt dazu, dass Nichtübereinstimmung sehr direkt und offen geäußert und nicht, wie in Alltagsgesprächen, als dispräferierter Akt markiert wird. Ein Grund dafür liegt nach Greatbatch darin, dass sich die Beteiligten nicht um einen Ausstieg aus dem Dissens kümmern müssen, da das zur institutionalisierten Rolle des Interviewers gehöre. Die Zwischenschaltung des Interviewers und nicht-direkte Adressierung führt gleichzeitig auch dazu, dass die Nichtübereinstimmung zwar direkt ist, aber relativ schwach bleibt. Um Nichtübereinstimmung zu eskalieren, kann der Interviewrahmen verlassen werden, das stellt eine Art gattungsspezifischem Ersatz für Nichtübereinstimmungseskalierung dar: "In other words, the strength of disagreements is determined in large part by the extent to which speakers opt to maintain or step out of their institutionalized footing in producing them." (Greatbatch 1992:287) Goodwin (1983) zeigt, dass in der "Maple Street-Gruppe", die sich aus 7-13jährigen schwarzen Mädchen und Jungen aus einem Arbeiterviertel zusammensetzt, Nichtübereinstimmung ganz und gar nicht in "dispreferred-action turn shapes" realisiert wird. Goodwin (1983) und Goodwin/Goodwin (1987) beschreiben detailliert verschiedene Verfahren, die dazu dienen, Nichtübereinstimmung geradezu hervorzuheben, beispielsweise durch das "format tying" (Formatanbindung), das später von Kotthoff (1992a) als Oppositionsformat analysiert werden wird (vgl. a. Bsp. 5). Das "he-said-she-said"-Format, eine komplexe Streit/Klatsch/Argumentationsaktivität von Mädchen, ist ein starkes Nichtübereinstimmungsformat ohne jegliche Dispräferenz-Markiemngen. Besonders das Stereotyp einer generellen weiblichen Nichtübereinstimmungsvermeidung und größeren Harmoniestrebens korrigiert Goodwin (1980) damit nachhaltig. Kotthoffs (1989b; 1991 a) Kritik an der universellen Gültigkeit der Regel "agreement preferred" geht in eine ähnliche Richtung wie die von Bilmes. Sie postuliert die Notwendigkeit, das Präferenzsystem zu erweitem und aufgrund seiner Kontextabhängigkeit sowohl von lokalen sequenziellen als auch von globalen Kontexten wie Gattungen, Institutionellen Rahmen, (Sub)- Kulturen usw. feiner zu differenzieren. Sie zeigt sehr überzeugend, dass sich nach der Etablierung von Dissens das Präferenzsystem umkehrt in ein "disagreement preferred". Nachdem ein erstes dissentes Turn-Format gezeigt wurde, fallen jegliche sog. "dispreference markers" weg bzw. ihr Vorkommen verringert sich und ein direkter Austausch von Nichtübereinstimmung beginnt. Gestützt wird die These von der Umkehrung des Präferenzsystems im Dissensmodus auch von der Beobachtung, dass die Anbahnung von Konzessionen (d.h. der Wiederherstellung von globaler Übereinstimmung) über TurnFormate mit Dispräferenz-Markierungen verläuft, was nach Kotthoff als deutliches Zeichen für das Operieren einer Präferenz für Nichtübereinstimmung zu werten ist.

198

6.1.2 Dissens im Gespräch Zu Konflikt, Streit und zu antagonistischen Gattungen im Allgemeinen liegen bereits zahlreiche Untersuchungen vor (vgl. zu Konfliktkommunikation u.a. den Überblick bei Gruber 1996:17-27 sowie Spiegel 1991; Vuchinich 1990; Schank/Schwitalla 1987). Wie etablieren sich „dissente Sequenzen" (Kotthoff 1989b) und welche interaktiven Entwicklungen können sie nehmen? Dissente Sequenzen lassen sich anhand der Präferenzorganisation von konsensueller Gesprächsorganisation unterscheiden. Gruber (1996:60) benennt folgende kennzeichnende Merkmale: Umkehrung des Präferenzsystems in "Nichtübereinstimmung präferiert", Sprecherwechsel mit zahlreichen unkooperativen Unterbrechungen und erhöhtes Vorkommen oppositiver Verknüpfungsformate. Nach Maynard hat jeder Dissens ein "vorausgehendes Ereignis" ("antecedent event"), auf den eine "Opposition" folgt und auf diese wiederum eine Reaktion (1985:1). Maynard beschäftigt sich mit dem Punkt, an dem ein Dissens entbrennt, und untersucht Züge in Interaktionen von Schulkindern, die eine potenzielle Störungsquelle darstellen und einen Widerspruch oder eine Nichtübereinstimmung beinhalten. Er stellt fest, dass jedwede Vorgängeräußerung (oder Handlung) eine Opposition nach sich ziehen kann, umgekehrt aber nicht jede Opposition zwangsläufig zur Entwicklung eines Streits führt (Maynard 1985:8). Die interaktive Dynamik stellt offensichtlich einen Fächer von Interaktionsverläufen für dissente Sequenzen bereit. Es herrscht Einigkeit darüber, dass auch dissente Interaktionen kooperativ von den Beteiligten hergestellt werden: "It takes two to tangle" (Vuchinich 1990:119). Kallmeyer/ Schmitt (1996) weisen auf die Unterscheidung von divergenten Zielen und Interessen einerseits und der formalen Kooperation andererseits hin: "Die gemeinsame Orientierung an grundlegenden Ordnungsstrukturen ist Ergebnis und Ausdruck einer elementaren Kooperation der Akteure" (Kallmeyer/Schmitt 1996:28). Diese zeigt sich in dissenten Sequenzen nicht zuletzt in der strukturellen Kohäsion der Formatanbindung, die u.a. ein hohes Maß an Involviertheit kontextualisiert (Goodwin/Goodwin 1987). Daneben wird in der Regel zwischen kooperativen und unkooperativen Austragungsweisen unterschieden. Spiegel (1991) definiert Streit als verbale, kontroverse und unkooperative Austragungsform von Konflikt. Ein vollentwickelter Streit durchläuft verschiedene Eskalationsstufen, er endet entweder in einer Renormalisierung oder in der Aufkündigung der Kooperation und Auflösung der Interaktion. Streit ist aber eben nur eine Form des Umgangs mit "Nichtübereinstimmung". So kann eine Partei den Dissens ignorieren oder versuchen, ihn durch beschwichtigendes Verhalten aus der Welt zu schaffen suchen, während die andere Partei unbeirrt dissensverschärfend wirkt. Wird eine Dissenssignalisierung nicht aufgegriffen oder wird sie als Reparaturinitiator behandelt und die Störung "repariert", verläuft der Dissens im Sande. "Verbal conflict can continue only as long as the participants tacitly agree to engage in the conflict. Participants may terminate the conflict-speech acticity without achieving a consensus on the feature of the social world which is the source of the trouble. Consensus of the speech activity can occur independently of consensus on features of the social world. Participants can tacitly agree to disagree and move on to other speech activities." (Vuchinich 1990:119). Sowohl Günthner (1993: 241) als auch Kotthoff (l989b:188) weisen dieses Phänomen in ihren Daten nach. Unter Bezug auf Klein (1980), der Argumentationsverläufe als Aneinanderreihung von Knoten be-

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"Forcieren oder: Die verschärfte Gangart" Einen interessanten Analyseansatz zur Erfassung der interaktiven Entwicklung von Dissens haben Kallmeyer/Schmitt (1996) entwickelt. Mit dem Konzept des Forcierens soll die "kommunikative Behandlung von divergenten Sehweisen und Interessen" erfasst werden. Es geht um interaktive Sequenzen, in denen eine Nichtübereinstimmung zwischen Teilnehmenden vorliegt und diese "mit dem Ziel [agieren], sich gegen den anderen im Gespräch durchzusetzen" (Kallmeyer/ Schmitt 1996:22). Interaktiv brisant sind Forcierungen u.a. aufgrund ihres gesichtsbedrohenden Gehalts für den "Forcierten", denn die spezifische Interaktionsmodalität des Forcierens widerspricht Höflichkeitsmaximen zum Schutz des "negative face" und hat Eigenschaften aggressiven Verhaltens (ebd.:29). Kallmeyer/Schmitt fuhren folgende Verfahren auf: • • • • • • •

Dazwischenreden, wenn der andere das Wort hat, z.B. mit provozierenden Kommentaren, und ihm das Rederecht streitig machen. Der Äußerung des anderen eine von ihm nicht intendierte Bedeutung unterstellen und ihn auf das (angeblich) Gesagte festlegen. Die Handlungsverpflichtung des anderen (z.B. Auskunft zu geben, Stellung zu beziehen, einzuwilligen) verschärfen und ihn ggf. festnageln. Handlungsanforderungen, die der andere an einen selbst richtet, übergehen. Den anderen provozieren durch überspitzte oder unzutreffende Behauptungen. Dem anderen eine Fangfrage stellen. Den Gegner diskreditieren, d.h. seine Glaubwürdigkeit oder seine Kompetenz in Frage stellen. (ebd.:22)

Kallmeyer/Schmitt beobachten, dass Adressaten sich u.U. gegen forcierende Züge durch von Vorwürfen begleitetes Zurückweisen wehren. Dabei reagieren sie häufig auf denselben Konstitutionsaspekt, der den Angriffen zugrunde liegt. Insofern sind forcierte Interaktionen nicht zwangsläufig asymmetrisch, sondern es entsteht häufig ein Gleichgewicht des Forcierens. schreibt, in denen Fragliches in kollektiv Geltendes überführt wird, weist Kotthoff darauf hin, "dass auch die Möglichkeit besteht, von einem Knoten definitiver kollektiver Nichtgeltung zum nächsten zu kommen" (Kotthoff 1989:188). Die Arbeit von Kallmeyer/Schmitt (1996) wurde im Rahmen der Gesprächsrhetorik am IDS Mannheim entwickelt. Gesprächsrhetorik "konzentriert sich auf die praktisch-rhetorischen Probleme beim sprachlichen Handeln unter Interaktionsbedingungen" (Kallmeyer 1996:10), sie grenzt sich damit gegen die klassische, normative Rhetorik ab und arbeitet statt dessen mit einem Konzept der "rhetorischen Potentiale": Die Untersuchung sprachlichen Handelns unter Interaktionsbedingungen hat gezeigt, dass Züge immer mehr als nur eine Möglichkeit eröffnen. Der interaktive Verlauf, wie er sich der linguistischen Analyse de facto präsentiert, entsteht aufgrund einer Auswahl, die die Aktanten aus diesen "rhetorischen Potentialen" treffen und die den weiteren interaktiven Verlauf bestimmt. Konstitutionsaspekte sind nach Kallmeyer/Schmitt Gesprächsorganisation (Verteilung der Redebeiträge und der Gelegenheiten zur Gesprächssteuerung), Sachverhaltsdarstellung sowie soziales Handeln und soziale Identitäten und Beziehungen (ebd.:29). Auf diesen verschiedenen Ebenen kann sich der Versuch eines Beteiligten manifestieren, gezielt "Druck" zu machen. Quer dazu verläuft die Bedeutungskonstitution, d.h. das Aushandeln der Äußerungsbedeutung.

200 Forcieren ist ein Versuch der egozentrischen Verschiebung dieser Balance; der Adressat kann sie akzeptieren, auch unfreiwillig, oder er kann durch Kontern seine Bestimmungsrechte verteidigen, was ggf. zu einer veränderten Balance (einem Gleichgewicht des Forcierens) führt. (ebd.:31)

Das Datenmaterial, an dem sie den Ansatz entwickeln, stammt aus der heißen Phase einer Fernsehdiskussion zwischen Rauchern und Nichtrauchern. Damit unterscheidet sich der globale Kontext der Daten von den Bewerbungsgesprächen in der wesentlichen Hinsicht, dass es sich um eine grundsätzlich symmetrische Konstellation handelt. Ferner befinden sich die Interaktionssequenzen, die Kallmeyer/Schmitt untersuchen, anders als die Bewerbungsgespräche bereits in einem Dissensmodus, wie es in unserem Korpus von Bewerbungsgesprächen praktisch nicht vorkommt. Aber auch wenn sich die interaktive Dynamik unterscheidet, sind nichtsdestotrotz die forcierenden Verfahren, die die Autoren beschreiben, auch im Bewerbungsgespräch zu finden.

Dissens im Bewerbungsgespräch Freilich kommen offene Konflikte in Bewerbungsgesprächen kaum vor. Bewerbungsgespräche bringen besondere Rahmenbedingungen für Nichtübereinstimmung mit sich. So wirkt sich die Asymmetrie von Bewerbungsgesprächen nicht nur deutlich in der gesprächsstrukturellen Dominanz der Interviewenden aus, sondern auch in der Einseitigkeit der Bereitschaft, die "Einvernehmlichkeit" zu durchbrechen und Nichtübereinstimmung im Gespräch zu etablieren. Bewerbende müssen bei Nichtübereinstimmung mit den Interviewenden negative Konsequenzen befürchten. Die Punkte, auf die z.B. auch die vorgestellten kritischen Fragen abzielen, sind eng mit der Person der Bewerbenden verknüpft. In Fernsehdiskussionen (wie sie von Kallmeyer/Schmitt und auch Gruber 1996 untersucht wurden) wird dagegen ein "neutrales" Thema behandelt, in Zuge dessen die Interaktion dann eine verschärfte, persönlich diskreditierende Gangart einschlagen kann; in Bewerbungsgesprächen dagegen droht die persönliche Diskreditierung von Bewerbenden bereits bei einer sich ankündigenden Nichtübereinstimmung. Angesichts dieser Bedingungen verwundert es nicht, dass die Initiierung von Nichtübereinstimmung durch Bewerbende eher selten ist. Um eine dissente Sequenz einzuleiten, bedarf es der beidseitigen, interaktiven Ratifizierung; es ist aber zu beobachten, dass Bewerbende insgesamt mehr deskalierende Aktivitäten aufweisen als Interviewende, vermutlich da sie ein größeres Interesse daran haben, den Übergang in den offenen Dissens zu verhindern. In Bewerbungsgesprächen kommt es fast nie zum Streit , aber trotzdem spielt natürlich Nichtübereinstimmung eine wichtige Rolle.

Ähnliches beobachtete auch Kotthoff: "Die Formate der Initialäußerung erwiesen sich in stilistischer Hinsicht oft als implikativ für die Reaktion, nicht immer allerdings. Auf einen unabgeschwächten Angriff kommt oft ein unabgeschwächter Gegenangriff [...] und ein leises Bedenken stößt auf leises Gegenbedenken[...]. Es ist aber nicht immer so, dass die Beteiligten sich stilistisch aneinander ausrichten. Verhältnisse von Macht und Unterordnung werden dadurch geschaffen, dass die eine Seite einen konfrontativen Stil beibehält, obwohl die andere Seite konsensorientiert argumentiert." (Kotthoff 1989b:195) Überhaupt der einzige Fall in unserem Korpus, bei dem man von "Streit" sprechen könnte, ist ein Musterbeispiel für forcierende Eskalation durch den Interviewer (Edv.7, vgl. dazu die Analyse der Bsp. 15-18).

201

Im Folgenden werden "Kritische Momente" im Bewerbungsgespräch untersucht. Damit sind solche Situationen für Bewerbende gemeint, in denen ihr Ziel, sich als geeignete/r Kandidat/in zu präsentieren, gefährdet erscheint. Um eine Vergleichbarkeit zu gewährleisten, wurden Sequenzen zusammengestellt, in denen drei Verfahren von Interviewenden mit einem hohen kritischen Potenzial vorkommen. Diese Verfahren werden in 6.2 zunächst in ihrer Funktionsweise beschrieben, bevor in 6.3 die Reaktionen der Bewerber/innen untersucht werden. Anschließend werden in 6.4 diese Ergebnisse in Bezug auf Ost/Westdifferenzen ausgewertet.

6.2 Verfahren der Nichtübereinstimmung von Interviewenden Die Verfahren von Interviewenden unseres Datenkorpus, die zu "kritischen Momenten" im Bewerbungsgespräch führen, unterscheiden sich hinsichtlich ihrer strukturellen Identifizierbarkeit erheblich. Zwei der "kritischen" Verfahren lassen sich als eindeutige Formate beschreiben: "Suggestivfragen" und "(negative) psychologisierende Deutungen". Das dritte Verfahren "Konfrontation mit Widersprüchen" wird durch eine Kombination von Struktur, Position und auch Semantik charakterisiert.

6.2.1 Suggestivfragen Unter Suggestivfragen wird die negierte Form von Fragen gefasst, die in der Sekundärliteratur auch als "Bestätigungsfragen" bezeichnet werden. Folgende Beispiele aus dem Datenkorpus exemplifizieren den Typ: eh: is es nicht n=bissel arg MUtig; (1) eh sich auf so=ne STELle zu bewerben oder beLAStet das nich. Dieser kurzen Form stehen Formen gegenüber, die mit negierten Verben des "Meinens und Denkens" gebildet werden: MEInen sie nicht; dass das vielleicht (.) proBLEme bereiten könnte oder finden sie NICHT dass es ein=bissel KURZ is wo sie in berLINsind. Es ist die Negation, die das "Suggestive" dieser Fragen ausmacht. Die Austauschprobe verdeutlicht, dass das Eliminieren der Negation (und evtl. begleitender Elemente wie die Modalpartikel "vielleicht*') die Fragen neutralisiert: "Meinen Sie, dass das Probleme bereiten könnte?" oder in der kurzen Form: "Könnte das Probleme bereiten?" Blanken spricht vom "Behauptungscharakter" der Bestätigungsfrage, sie dient dazu, "den Gesprächspartner von den eigenen Vermutungen und Unterstellungen in Kenntnis zu setzen" (Blanken 1983:259). Bestätigungsfragen wirken wie Erste Bewertungen und etablieren eine Präferenz für Übereinstimmung. Da sie die Sachverhaltsbewertung des Sprechenden durchblicken lassen, wird die präferierte Antwort eindeutig inferierbar. Schwitalla betont, dass Bestätigungsfragen die Annahmen des Sprechers ausdrücken und der "Hörer zu einer positiven, bestätigenden Antwort zu dieser Annahme bewegt werden soll" (Schwitalla 1984:135). Schwitalla (1979:258) bezeichnet diesen Typ als "Fragen mit Wertung (Meinungsfragen, Kritikfragen)".

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Die Negation in Bestätigungsfragen ist in der Regel keine echte Negation, sondern es handelt sich um eine Partikelverwendung (vgl. Weydt 1979). Franck bezeichnet Fragen, die hinsichtlich "einer zustimmenden oder ablehnenden Antwort des Sprechers" nicht neutral sind, als "tendenziös" (1979:4). Sie weist daraufhin, dass Fragen mit abtönendem "nicht" im Deutschen mit "doch" beantwortet werden müssen (bzw.: können, K.B.). Bei diesen Fragen "wird der positive Sachverhalt suggeriert und um Bestätigung der Sprechermeinung gebeten", bei negierendem "nicht" gehört es zur erfragten Proposition (1979:9). Suggestivfragen formulieren einen Sprecher-Standpunkt, sie sind nicht neutral, sondern "laden" zu einer Übereinstimmung ein. Das hat auch Blanken im Auge, wenn er Ergebnisse Borillos vorstellt, nach denen Bestätigungsfragen ungleiche Anschlussmöglichkeiten eröffnen: zum einen die nahegelegte Ja-Reaktion als einfache Lösung und zum anderen bei Nichtzustimmung der Eintritt in eine argumentative Sequenz (Blanken 1983:253). Borillos Beobachtung, daß eine negative Antwort auf eine Bestätigungsfrage nicht ohne weitere Zusätze wie Erklärungen, Begründungen usw. gegeben werden kann, scheint mir zutreffend zu sein. Der Hörer ist vor die alternative Wahl gestellt, entweder der Frage nicht zuzustimmen und eine Begründung zu liefern, d.h. er muß argumentieren, oder aber er stimmt der Frage zu, d.h. er geht den Weg des geringsten Widerstandes. (Blanken 1983:254)

Diese Entscheidung für den "Weg des geringsten Widerstandes" (s.o.) aber verlangt u.U. einen hohen Tribut: In unseren Daten tauchen Suggestivfragen in Zusammenhängen auf, in denen eine Zustimmung negative Implikationen für das Image der/des Bewerbenden haben würde. Suggestivfragen verlangen nach argumentativer Bearbeitung, denn der Nichtübereinstimmung, die sich in Suggestivfragen andeutet, muss begegnet werden, soll ein Schaden für das positive Image abgewendet werden. Das Brisante der Suggestivfragen besteht also darin, dass sie lokal zu Übereinstimmung einladen, diese Übereinstimmung aber imagebedrohende Implikationen in Bezug auf das globale Ziel der Bewerbenden beinhaltet, sich als geeignete Kandidat/inn/en zu profilieren. Bewerbende stehen somit in einer Zwickmühle zwischen nahegelegter Übereinstimmung und erforderlicher Nichtübereinstimmung. Beispiel (9) - (Edv.2/o/m) ( ( K o n t e x t : der Bewerber macht neben seiner Berufstätigkeit das Abitur in A b e n d k u r s e n . ) ) II: «p>hmhm,> (3) beLAStet das nich? also so ( . ) so abiTUR und ARbeiten?

In der Suggestivfrage beLAStet das nich? also so (.) so abiTUR und ARbeiten? könnte sich prima facie Empathie ausdrücken. Der Interviewer übernimmt die Perspektive des Bewerbers und man könnte denken, dass er sich voller Mitgefühl in die Situation des Bewerbenden versetzt. Ob er dahinter aber die Interessen des potenziellen Arbeitgebers im Auge hat, der herausfinden will, ob der Bewerber privat unter Belastung steht, ist an dieser Stelle (noch) nicht ersichtlich. Die Suggestivfrage legt eine Bejahung von "es belastet" nahe: Aus der Logik des Bewerbungsgesprächs darf es aber Belastungen, besonders wenn sie aus nebenberuflichen Tätigkeiten erwachsen, nicht geben. Auf diesem Hintergrund wäre ein deutlicher Widerspruch des Bewerbers angezeigt. Beispiel (10) - (Archiv.2/o/m) "arg mutig" II:

(3) eh: is es nicht n=bissel arg MUtig; (1) eh sich auf so=ne STELle zu bewerben; sie waren bis einundneunzig ( . ) im

203 STUdium, (-) und dann harn sie Eigentlich im=grunde genommen ( 0 . 8 ) ah be EM maßnahmen gemacht, (-) kann es nicht ((Unterbrechung))

Die Frage des Interviewers eh: is es nicht n=bissel arg MUtig; (1) eh sich auf so=ne STELle zu bewerben im Format einer Suggestivfrage stellt nicht nur die Eignung des Bewerbers in Frage, sondern unterstellt ihm eine Selbstüberschätzung (arg MUtig) schon bei der Bewerbung. Das ist besonders brisant, da so die Legitimität der Bewerbung und damit die Grundlage der laufenden Begegnung angezweifelt wird. Dieser Dissenskern wird nun mit Belegen gestützt. Das Zitieren aus dem Lebenslauf (sie waren bis einundneunzig (.) im STUdium, (-) und dann ham sie Eigentlich im=grunde genommen (0.8) ah be EM maßnahmen gemacht, (-) kann es nicht) enthält zwei Argumente: l. dass der Bewerber zu wenig Berufserfahrung mitbringt und 2. dass die, die er vorweisen kann, keine "richtige" ist, weil sie nur aus ABM-Maßnahmen stammt. (Damit hat sich die Argumentation des Interviewers vermutlich nicht erschöpft, bevor er sie aber ausführen kann, wird er vom Bewerber unterbrochen.) Diese Einschätzung stellt die Eignung des Bewerbers massiv in Frage und entspricht im Wesentlichen dem forcierenden Verfahren "Den Bewerber/die Bewerberin diskreditieren, d.h. seine Glaubwürdigkeit oder seine Kompetenz in Frage stellen" (Kallmeyer/Schmitt 1996:22). Die kritische Einschätzung des Interviewers wird über den Suggestivfragecharakter mehr als deutlich, es bedarf nun der Gegenargumentation, will der Bewerber dieser negativen Einschätzung entgegenwirken.

6.2.2 Psychologisierende Deutung Ein weiteres, deutlich konturiertes Verfahren mit einem hohen, kritischen Potenzial sind "psychologisierende Deutungen". Damit wird das Ziehen von Inferenzen auf der Basis psychologischer Kategorien bezeichnet. Diese Inferenzen sind im Grunde Fremdformulierungen, die Bewertungen oder (Fremd-) Attribuierungen, in denen Bewertungen implikativ sind, enthalten. Wie Bewertungen setzen sie einen Zweiten Teil konditionell relevant. Sie sind entweder positiv oder negativ (und damit imagebedrohend) und präferieren entsprechend Übereinstimmung bzw. Nichtübereinstimmung als Zweite. "Deutungen" wurden u.a. im Rahmen des therapeutischen Diskurses untersucht (Flader/Grodzicki 1982). In Alltagskonversationen gelten sie als face-bedrohend, in bestimmten institutionellen Kontexten sind sie nichtsdestotrotz üblich. Flader/Grodzicki weisen darauf hin, dass Deuten ein "allen Menschen vertrautes und naheliegendes Verfahren" darstellt (1982:139). Während aber Deutungen (und negative Deutungen im Besonderen) unter unmittelbaren Gesprächspartner/inne/n im Alltag problematisch sind, da sie als "ungewöhnlich" (Flader/Grodzicki 1982:142), wenn nicht gar als "aggressiver Akt" (ebd.) empfunden werden, stellen Deutungen z.B. in Gerichtsverhandlungen in bestimmten Phasen ein übliches, im psychoanalytischen Setting sogar das zentrale Handlungsmuster dar. Die Autoren unterstreichen den interaktionalen Charakter von Deutungen. Damit verweisen sie auf die Tatsache, dass diese vom Gedeuteten problematisiert werden können, man kann ihnen zustimmen oder sie ablehnen. "Deuter" erheben nicht automatisch einen "Wahrheitsanspruch", denn sie formulieren meistens keine fertigen Urteile, sondern stellen "Lesarten" vor.

204

Das bestätigt sich auch in Bewerbungsgesprächen; psychologisierende Deutungen als eine besondere Form der Fremdformulierungen verlangen nach einer Ratifizierung durch die Formulierten/Gedeuteten. Dabei ist es nicht verwunderlich, dass positive psychologisierende Deutungen als "pre-closing" fungieren können, während sich negative Deutungen u.U. als topikperpetuierend/initiierend auswirken. Ob und wie stark Interviewende in Bewerbungsgesprächen überhaupt mit psychologischen Kategorien arbeiten bzw. diese offen legen, hängt sehr stark von ihrem jeweiligen Interviewkonzept ab. So finden sich psychologisierende Deutungen weniger in Gesprächen mit dem thematischen Schwerpunkt auf dem Fachlichen als in Gesprächen, in denen es auch ausdrücklich um soziale Kompetenzen geht. Das folgende Beispiel exemplifiziert eine positive psychologisierende Deutung: Beispiel (l 1) - (Sekretariat.4/w/f) ((Kontext: Schwächenfrage)) B: also ungeduldig bin ich SCHON. (-) .h (3) LAUnisch? hm nee launisch weniger eh also ich finde ich sollte eher ( . ) öfter mal schlechte laune HAben; also hehe

13:

sie würden sich also ( a l s ) relativ Ausgeglichen (1) bezeichnen/-

Der Interviewer inferiert aus den vorangegangenen Äußerungen der Bewerberin die Attribuierung "ausgeglichen", ein Adjektiv, das einem Register für die psychologische Wesensbeschreibung entstammt. Von der sequenziellen Position her handelt es sich um eine typische themenabschlusseinleitende Formulierung, die gleichzeitig als Verständnissicherungsverfahren dient. Semantisch steht sie nicht in Kontrast zu dem, was die Bewerberin zuvor geäußert hat, sondern "geht mit". Das unterscheidet sie deutlich von negativen psychologisierenden Deutungen. Das folgende Beispiel zeichnet sich durch die Kombination von positiver und negativer psychologisierender Deutung aus: Beispiel (12) - (Telefon. 5/w/f) "harmoniebedürftig" ( ( K o n t e x t : die Bewerberin hatte ihren Umgang mit Konflikten am Arbeitsplatz geschildert.)) 12: sin=sie sehr harmoNIEbedürftig.= B: =ja. (1.5)

12: B:

s c h l i e f ß ich daraus dass sie ] nicht konFLIKTfähig sind? []

Auch mit dieser psychologisierenden Deutung sin=sie sehr harmoNIEbedürftig fasst der Interviewer die Schlussfolgerungen, die er aus vorangegangenen Äußerungen (der Schilderung eines Konfliktes) gezogen hat, zusammen und bietet sie der Bewerberin in Frageformat zur Ratifizierung an. (Es handelt sich dabei um eine neutrale bis positive Deutung, auch wenn eine gewisse Ambivalenz des Begriffs bereits angelegt zu sein scheint, denn Harmoniebedürftigkeit schließt die Möglichkeit ein, dass Disharmonie als problematisch empfunden wird.) Wie im Beispiel (11) handelt es sich sequenziell gesehen um eine bewertende Fremdformulierung, die wie eine gleichlaufende Bewertung strukturell ein "possible pre-closing" ist. Zu diesem Zeitpunkt besteht eine relativ hohe Wahrscheinlichkeit für einen bevorstehenden Sequenzabschluss.

205

Die zur Ratifizierung aufgeforderte Bewerberin bestätigt die Fremdformulierung (ja), lobt sie sogar ausdrücklich (s=gut Ausgedruckt) und akzeptiert damit die Fremdattribuierung. Nach einer kurzen Pause nun lässt der Interviewer eine Falle zuschnappen: Er interpretiert den Begriff "harmoniebedürftig" um in "nicht konfliktfähig" und konfrontiert die Bewerberin mit der negativen Auslegung seiner vorangegangenen positiven psychologisierenden Deutung. Das entspricht in Grundzügen dem forcierenden Verfahren nach Kalimeyer/Schmitt (1996:22): "Der Äußerung des anderen eine von ihm nicht intendierte Bedeutung unterstellen und ihn auf das (angeblich) Gesagte festlegen." Eine Besonderheit dieses Beispiels ist, dass der Interviewer der Bewerberin die Worte, deren Bedeutung er dann "verdreht", selbst in den Mund gelegt hat. In der Frage formuliert er dabei die Aktivität des Deutens explizit als schließ ich daraus. Wie auch im vorangegangenen Beispiel wird der Bewerberin der "floor" für eine Stellungnahme zugewiesen und ihr damit die Gelegenheit eingeräumt, der negativen Implikation entgegenzuwirken. (Man könnte von "weichem" Forcieren sprechen, da Raum für Widerspruch explizit zugestanden wird.) Es wird aber auch deutlich, dass es vor allem die negativen Deutungen sind, die forcierend wirken und für die Untersuchung von Nichtübereinstimmung in Betracht gezogen werden müssen. Psychologisierende Deutungen sind Erste Teile eines Nachbarschaftspaares, die Zweite (z.B. in Form einer Ratifizierung) relevant machen; häufig werden sie als Fragen präsentiert. Bewerbende haben somit Gelegenheiten, Stellung zu beziehen, das im Entstehen begriffene Urteil der Interviewenden zu ratifizieren oder aber auch - und das ist besonders bei Negativdeutungen erforderlich, um ein negatives Urteil zu verhindern - gegenzuargumentieren. Psychologisierende Deutungen kommen auch in Form von Statements (Assertionen) vor. Labov weist darauf hin, dass Statements über eine Angelegenheit des Rezipienten als eine Aufforderung zur Bestätigung, d.h. wie eine Frage, behandelt werden: "If A makes a Statement about a B-event, it is heard as a request for confirmation." (Labov 1972:303, zit. n. Bilmes 1988:179). Es zeigt sich bei der Analyse von Nichtübereinstimmung in den Bewerbungsgesprächen, dass es eine Hierarchie zwischen psychologisierenden Deutungen als Fragen und als Statements zu geben scheint, dergestalt, dass das kritische Potenzial (der face-bedrohende Gehalt der implizierten Kritik) in Frageformat in Relation zu einer expliziten Attribuierung im Statement reduziert ist. Die Selbstformulierung des Deutens schließ ich daraus aus Beispiel (12) ist eine Aktivität des Interviewers, den face-bedrohenden Gehalt einer Deutung zu modifizieren. Sie hat legitimierenden Charakter, insofern sie andeutet, dass sich diese Schlussfolgerung aus dem Vorangegangenen ableitet und nicht etwa eine unkooperative negative Fremdattribuierung Psychologisierendes Deuten spielt vermutlich eine große Rolle bei der Entscheidungsfindung in Bewerbungsgesprächen; darauf deuten die Nachbesprechungen hin, in denen sich die Interviewenden über ihre Deutungen und Urteile austauschen. Werden sie von Interviewenden im Bewerbungsgespräch explizit gemacht, setzten sie in der Regel eine Stellungnahme der Bewerbenden konditionell relevant; hat sich dagegen eine Deutung zu einem Urteil verfestigt, ist sie nicht mehr verhandelbar und taucht im Bewerbungsgespräch selbst nicht mehr auf. Diese Geltungsbedingungen können nach Adelswärd für Bewerbungsgespräche pragmatisch spezifiziert werden: "If the interviewer makes a statement about an applicant-event, this is a request for elaboration" (Adelswärd 1988:66; vgl. a. Kap. 3). Vgl. a. Thomas (1985:773) "An assertion is more difficult to counter, since it involves a subordinate interactant in a direct contradiction."

206

darstellt. Dieses und ähnliche Vorlaufelemente machen den dispräferierten Status kritikimplikativer, negativer Deutungen erkennbar, ebenso wie weitere begleitende Merkmale wie Verzögerungen durch Pausen, Minimalfeedback, etc. Im folgenden Beispiel dagegen fehlen genau diese Dispräferenzmarkierungen: Beispiel (13) - (Edv.7/o/m) II:

B: II:

also wenn sie sagen; es is ne interessante Aufgabe? (-) und eh (1) dann/ (.) eh und sie beWERben sie sich noch woanders, um mal zu GUcken, eh (-) na vielleicht ist das da ja interesSANter, in nach[bars garten, .h ( . ) eh dann ZEIGT das [hm=hm, ja; dass sie so überzEugt davon gar nicht SIND. (-) traun sie sich das nicht ZU dort, oder ( . ) (oder harn sie da irgendwie)

Wir finden hier eine interessante Doppelstruktur zweier negativer Deutungen, deren erste nicht als Frage formuliert ist: dann ZEIGT das ja; dass sie so überzEugt davon gar nicht SIND. Sie ist als Statement in den Beitrag des Interviewers eingebettet und somit nicht direkt der Stellungnahme des Bewerbers anheim gestellt. Sie bildet vielmehr das Fundament für eine abgeleitete zweite, negative Deutung traun sie sich das nicht ZU dort. Der Interviewer unterstellt dem Bewerber Motive, die er aus einer Kombination seines Verhaltens und Aussagen inferiert. Er bedient sich dabei eines Schlüsselbegriffes des Bewerbungsgesprächs ("sich etwas zutrauen"). Das Beispiel stammt aus dem Einstieg in eine dissente Sequenz. Und bereits in diesem Moment ist das Fehlen von Dispräferenzmarkierungen im direkten Umfeld der negativen psychologisierenden Deutung ein Kontextualisierungshinweis auf eine im Entstehen begriffene dissente Sequenz. Ein weiteres Verfahren, Nichtübereinstimmung von Interviewenden zum Ausdruck zu bringen, ist das Konfrontieren der Bewerbenden mit vermeintlichen Widersprüchen. Es ist nicht so eindeutig an formalen Kriterien festzumachen, sondern erschließt sich vor allem über die Semantik.

6.2.3 Konfrontation mit Widersprüchen Im obigen Beispiel (13) wird der Widerspruch aus den Bausteinen "zitierte Aussage" (sie sagen; es is ne interessante AUFgabe?) und Handlung (sie beWERben sie sich noch woanders) konstruiert. Auch im folgenden Beispiel baut der Interviewer aus einer zitierten Aussage des Bewerbers und einer Gegenpositon einen Widerspruch auf. Die Worte, die der Interviewer als vermeintliche Aussage des Bewerbers zitiert, stammen allerdings gar nicht von diesem, sondern wurden ihm vom Interviewer "in den Mund gelegt". Beispiel (14) - (Chemie.5/w/m) "da harn sie gesagt" B:

und dann «all>die harn mich natürlich AUCH gefragt; ob ich Tatsächlich endet dieses Bewerbungsgespräch im Eklat: Der Interviewer wird den Bewerber mit weiteren kritischen Fragen "in die Zange nehmen" (vgl. unten) und ihm am Ende die Legitimität absprechen, sich überhaupt auf die Stelle beworben zu haben, da er erst vor kurzem eine interessante Stelle bei der Konkurrenz angenommen hat. Damit steht die Ernsthaftigkeit seiner Bewerbung in Zweifel, was der Interviewer als Verstoß gegen die "Spielregeln" ahndet.

207 12: B: 12:

mich das/> mir das VORstellen könnte; hm=hm, = =«p>sowas zu t u n ; > (-) und da harn sie gesagt SELBSTverständlich. «all>produkTION ANwendungstechnik und MARketing mach (-) aber sie können ja nich ALles machen.>

ich.

Besonders häufig wird ein Widerspruch in Zusammenhang mit einer typischen Fragen des Bewerbungsgesprächs konstruiert: der Grund für den Wechsel der jetzigen Arbeitsstelle. Dahinter kann sich auf der "Versteckten Agenda" u.a. die Frage nach der Motivation für die künftige Tätigkeit verbergen. Interviewende erhalten so möglicherweise Aufschluss über die Erwartungen an die neue Stelle bzw. über die Motive des/der Bewerbenden (Gehaltsverbesserung, Interesse an der Tätigkeit, Nähe zum Wohnort, Aufstiegschancen etc.) und auch darüber, wie stark das Interesse des/der Bewerbenden an der ausgeschriebenen Stelle tatsächlich ist (vgl. Kap. 5). Kritisch wird die Frage, wenn Interviewende dabei die derzeitige Stelle und die Position der Bewerbenden sehr positiv hervorheben und sie mehr oder weniger direkt mit der zu vergebenden Stelle kontrastiert. Der vermeintliche Widerspruch steht in Zusammenhang mit der Logik des Bewerbungsgesprächs, dass ein Stellenwechsel eine Verbesserung der derzeitigen Position anstreben sollte. Ein Zweifeln daran impliziert Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Bewerbung, denn eine Stelle muss für Bewerbende attraktiv sein, damit sie langfristige Mitarbeiter werden. Hinzu kommt, dass dieses Verfahren des "Hochlobens" einem Komplimentieren gleichkommt und leicht eine Konkurrenz von zu vergebender Stelle einerseits und der derzeitigen Stelle evoziert, so dass ein "Hochloben" der anderen Stelle durch den Interviewer auch immer eine gewisse Selbstabwertung der zu vergebenden Stelle impliziert. Beispiel (15) - (Edv. l/o/m) "der herausragende Mann" I: B: II: B: II:

[warum WOLlen se=nn da WEG; (-) dis macht ihnen doch [ja. anscheinend SPAß, und die ( . ) die MÖGlichkeiten; und die FREIräume die sie da HAben (-) die MÜSSten sie dann ja AUFgeben; also .h «cresOwenn ich das mal so S E [ h e , > ( . ) eh= [ja. dann ( . ) sind sie ( . ) in einem sehr sehr KLEInen team, (-) .h eh wo sie letztendlich ( . ) neben zwei ANderen, eh ( . ) aber wohl doch so=n bisschen der der hm «all>wenn ich sie=richtig=verSTANden habe,> der heRAUSragende MANN ( . ) bei dieser betreuung sind,

Der Interviewer konfrontiert den Bewerber mit einem vermeintlichen Widerspruch: Warum wollen sie die Stelle wechseln, wenn sie Ihnen so gut gefallen hat? Dazu hebt er die derzeitige Beschäftigung des Bewerbers positiv hervor: 1. "Es macht Ihnen Spaß", 2. "Sie haben Möglichkeiten und Freiräume, die müssten Sie aufgeben" und 3. "Sie sind der herausragende Mann im Team"; Bewertungen, die der Interviewer aus der vorausgegangenen Darstellung des Bewerbers ableitet. Der Bewerber muss verschiedene Vor- und Nachteile einer Antwort abwägen: Eine gute, verantwortungsvolle Stelle lässt sich für eine positive Selbstdarstellung verwenden. Darüber hinaus stärkt es seine Verhandlungsposition, wenn er nicht auf die zu vergebende Stelle angewiesen ist. Hinzu kommt, dass der Interviewer Schlussfolgerungen präsentiert, die er aus der Darstellung des Bewerbers gezogen hat, er ihn also mittelbar mit den eigenen Wor-

208 ten konfrontiert. Dem allerdings steht gegenüber, dass er sich für die neue Stelle beworben hat. Dieser Widerspruch muss aufgelöst werden, um das Bild einer ernsthaften Bewerbung aufrechtzuerhalten. Ein vergleichbarer Fall liegt auch im bereits bekannten Beispiel (13) vor, auch hier ergibt sich der Widerspruch aus einer positiv attribuierten, "lobenden" Hervorhebung der derzeitigen Stelle: Beispiel (l6)-(Edv.7/o/m) II: also wenn sie sagen; es is ne interessante AUFgabe? (-) und eh (1) dann/ (.) eh und sie beWERben sie sich noch woanders, Das wiederholt sich - akzentuiert - kurze Zeit später: Beispiel (17) - (Edv.7/o/m) 1 II: ach so. also das interesSANtere liegt bei ihnen in der 2 hArdware, und nicht in dem [INhalt der [arbeit. ( . ) 3

B:

4

II:

5 6

7

[n:ein

ich

entwickeln wie W I R . oder HAben eine genauso W I R . ( . ) [nur dass natürlich bei UNS (.) was weiß ich (-) (1)

B:

8 9 10 11 12

B:

13

II:

14 15 16 17 18 19

[nein

denn INhaltlich werden die geNAUso eine datenbank

II:

B: II: B: II:

[ja. Hunderttausend datensätze MEHR drin sind; oder ZWEIhunderttausend; (-) aber die ANforderungen dort sind doch die GLEIchen. ( . ) die verkaufen AUCH ström. ( . ) und [da verkennen sie auch EINS; letztendlich machen die [«p>hm=hm>

noch viel interesSANtere sachen. die machen noch ABwasser; die machen noch ABfallwirt[schaft; die machen [hm=hm, noch GAS; (-) machen «all>(wir ALles n i c h . ) > { . ) ( ( s c h n a l z t ) ) das heißt [es ist doch noch ein/ von den [hm=hm, anforderungen viel VIELfältiger.

Die positive Darstellung der Stelle im Konkurrenzunternehmen entspricht dem Verfahren des "Hochlobens". Es steht im Kontext des Versuchs des Interviewers, dem Bewerber einen Denkfehler vorzuführen (vgl. a. die Formulierung da verkennen sie auch EINS, Z. 11). Die ausführliche Positivdarstellung der anderen Stelle kulminiert in einer Selbstabwertung des eigenen Unternehmens: letztendlich machen die noch viel interesSANtere sachen (Z. l Iff). Der Widerspruch im folgenden Beispiel bleibt implizit; er basiert darauf, dass der Interviewer der positiven Selbstdarstellung der Bewerberin eine negative Bewertung ihres Abschlusszeugnisses entgegenhält. Beispiel (18) - (Sekretariat.4/w/f) "so schlechte Noten" 1 2 3 4 5

B:

hm=hm, (-) ( ( s c h n a l z t ) ) nu is ma ganz geMEIN; das hat sich dann wahrscheinlich n=bisschen geWANdelt. ich hatte mir hier noch mal den SCHULabschluss angeschaut; speziell den von (1) (name S C H U l e ) , hm=hm,

6

13:

eh es war glaub ich inner (STRAßenname), nich?

7

B:

ja;

8

13:

war ich AUCH noch mal drauf; auf der schule, kenn

9

13:

[die

ganzen leute,]

209 10

B:

[heheheheheheheheh]he

11 12

13:

( ( r ä u s p e r n ) ) und (-) «lächelnd gesprochen>so schlechte noten MÜSsen dort nich sein.>

Der Einstieg des Interviewers (nu is ma ganz geMEIN, Z. 1) ist eine "prophylaktische Selbstanzeige" (Kallmeyer/Schmitt 1996:36) und kündigt an, dass der Boden des üblicherweise "nicht Gemeinen" verlassen und eine "verschärfte Gangart" eingeschlagen wird, was durch die Ankündigung gleichsam legitimiert werden soll. Die Aussage das hat sich dann wahrscheinlich n=bisschen geWANdelt (Z. If) ist kataphorisch (der Referent von das ist noch nicht bestimmbar) und nimmt ein mögliches Gegenargument vorweg. Nun erst kommt er auf einen Dissenskem zu sprechen, den der Vorlauf bereits unmissverständlich ankündigt: der Schulabschluss. Die Erwähnung, dass er selbst auf der Schule war, bietet einen Anknüpfungspunkt für ein "comembershipping" (Erickson/Shultz 1982); das Lachen der Bewerberin könnte als Kommentar zu dieser Koinzidenz verstanden werden. Doch der Interviewer zielt in eine andere Richtung; er hat sich als Experte ausgewiesen und setzt nun seine eigene Perspektive und Bewertung auf die Noten dominant: so schlechte noten MÜSsen dort nich sein (Z. l If). Da sich der Interviewer als "Insider" verortet hat, wiegt das Urteil besonders schwer. Der recht ausgedehnte Vorlauf (und auch das begleitende Lächeln) schwächen den Angriff etwas ab, dennoch beinhaltet die negative Bewertung der Noten einen Zweifel an der Eignung der Bewerberin. Die negative Bewertung der Schulnoten (schlechte noten, Z. llf) durch den Interviewer ist für die Bewerberin grundsätzlich problematisch. Die Gestaltung der Frage verschärft ihre Brisanz: Sie erscheint als Statement und die negative Bewertung des Interviewers wirkt dadurch relativ endgültig. Da er bereits ausschließt, dass die Ursache für die schlechten Noten in den hohen Anforderungen der Schule zu suchen sein könnte, impliziert er, dass die Schuld des Versagens bei der Bewerberin liegen muss. Beispiel (19) - (Telefon. 3/w/f) ( ( K o n t e x t : die Bewerberin schildert ihren Umgang mit aufgebrachten Kunden während einer Tätigkeit in der telefonischen Reklamationsannahme) )

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

B:

ich geb das gespräch lieber AB. (-) .h und dann ham=wa das unternander immer (-) ner ändern kolLEgin gegeben. II: «p>hm=hm, > (1.5) das is der richtige WEG. B: ja denk ich ma SCHON. ( ( . . . ) ) ((schildert i h r Vorgehen)) II: hm=hm, (-) .h da sag ich mal, da sind sie AUSgewichen. (-) da harn sie NICH mit dem ( . ) künden versucht das probLEM zu lösen, sondern ( ) ((...)) B: aber=s war bei ZWEI prozent von hundert. II: (1) das is schon VIEL. ( . ) oder NICH?

Die etwas verzögerte Reaktion des Interviewers und das Statement das is der richtige WEG (Z. 3) deuten bereits eine Nichtübereinstimmung an. Die Bewerberin versucht sie argu18

Noten spielen bei der Auswahl von Bewerbenden eine große Rolle, allerdings normalerweise weniger in den Bewerbungsgesprächen selbst als in der Vorauswahl. In diesem Fall war 13 als Chef zum Schluss hinzugezogen worden und sah die Bewerberin sowie ihre Unterlagen zum ersten Mal.

210 mentativ durch eine erneute Schilderung ihres Vorgehens auszuräumen. Das scheint ihr nicht gelungen zu sein, denn im nächsten Zug liefert der Interviewer eine psychologisierende Deutung ihres Verhaltens mit einer negativen Implikation: da sind sie A USgewichen (-) da harn sie NICH mit dem (.) künden versucht das probLEM zu lösen (Z. 6ff). Die Deutung erscheint im Format eines Statements und nicht im Frageformat. Es folgt ein weiterer Versuch der Bewerberin, sich zu rechtfertigen, in dessen Zuge sie betont, dass diese Fälle sehr selten waren: aber=s war bei ZWEI prozent von hundert (Z. 10). Dem hält der Interviewer eine konträre Einschätzung entgegen das is schon VIEL (Z. 11).

6.3 Reaktionen der Bewerbenden Wie gehen Bewerbende mit diesen dissenten Vorlagen der Interviewenden um? Die Frage wird anhand der Antworten der Bewerbenden auf einige der im Vorangegangenen vorgestellten „kritischen Fragen" beantwortet. Die folgende Sequenz beginnt mit dem bereits bekannten Beispiel (15) für das Interviewerverfahren "Hochloben". Beispiel (20) - (Edv. l/o/m) "der herausragende Mann" 1 I: [warum WOLlen se=nn da WEG; (-) dis macht ihnen doch 2

B:

3 4 5

II:

6

B:

7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30

II:

B: I: B: II: B:

II: B: II: B:

[ja.

anscheinend SPAß, und die ( . ) die MÖGlichkeiten; und die FREIräume die sie da HAben (-) die MÜSSten sie dann ja AUFgeben; also .h «cresowenn ich das mal so S E [ h e , > [ja.

( . ) eh=dann (.) sind sie (.} in einem sehr sehr KLEInen team, (-) .h eh wo sie letztendlich ( . ) neben zwei ANderen, eh ( . ) aber wohl dOch so=n bisschen der der hm «all>wenn ich sie=richtig=verSTANden habe,> der heRAUSragende MANN (.) bei dieser betreuung sind, na ich würd nich heRAUSragend sagen, aber ich ( . ) FIND mich (schon) ziemlich ehm (-) sag ich mal ziemlich GUT geBILdet; hm=hm; wir sind dort eigentlich ( . ) ZWEI oder DREI ( . ) MITarbeiter, die sich wirklich gut AUSkennen, hm=hm, ( . ) und bei mir kommt noch daZU, bestimmte Sachen mit Unix system und so weiter; (.) wo die anderen mitarbeiter einfach nicht die bil/ eh die Ausbildung haben; (-) hm=hm; «p>MACHT ja nichts;> (-) ehm eh aber es ( . ) is jedenfalls so, dass das TEAM sehr GUT is, u:nd (.) es macht auch SPA:SS so zu ARbeiten, (-) hm=hm, (2) .h ehm (.) der HAUPTpunkt, is eigentlich; (2) dass aufgrund der (-) KLEInen abteilung dort; (.) es gibt (.) keine große perspekTIVE. (.) [und die Positionen sind

211 31 32 33

34 35 36

II: B:

II:

[hm=hm, auf jähre hinaus verGEben? ( - ) und: ich halt mich selbst auch für=n bisschen EHRgeizig, { . ) und möchte auch

«len>IRgendwann mal,-> (.) in den nächsten fünf jähren mal was ANderes machen; hm=hm, (.) was stelln=se sich denn VOR.

Das Brisante des Verfahrens "Hochloben" liegt hier in dem Widerspruch, den es aufzulösen gilt, der sich vereinfacht auf die Formel reduzieren lässt: Warum bewerben Sie sich hier, wenn die andere Stelle besser ist? Das ist verbunden mit einem Komplimentieren der derzeitigen Stelle, die der Bewerber innehat, und einer Selbstabwertung des eigenen Unternehmens durch den Interviewer, dem es zu widersprechen gilt, wenn das Interesse des Bewerbers glaubhaft sein soll. Der Bewerber beginnt die Bearbeitung der Interviewerfrage bei der Fremdattribuierung, er sei der heRAUSragende MANN. Er behandelt sie als ein Kompliment, das Nichtübereinstimmung relevant macht und deskaliert es zunächst in einem Vorlauf (na ich würd nich heRA USragend sagen, (vgl. Negation, Konjunktivgebrauch, und Heckenausdruck/ Kontrastierung seiner Sprecherperspektive ich würd nich sagen). Daran schließt ein adversatives "aber" Belege für das an, was er statt dessen für sich reklamieren würde: 1. Z. 12ff: ich (.) FIND mich (schon) ziemlich ehm (-) sag ich mal ziemlich GUTgeBILdet; 2. Z. 16f: wir sind dort eigentlich (.) ZWEI oder DREI (.) MITarbeiter, die sich wirklich gut A USkennen, 3. Z. 19ff: und bei mir kommt noch daZU, bestimmte Sachen mit Unix system und so weiter; (.) wo die anderen mitarbeiter einfach nicht die bill eh die A USbildung haben; «p>MACHTja nichts;> (-) ehm eh aber 4. Z. 25: dass das TEAM sehr GUT is, 5. Z. 25f: u:nd (.) es macht auch SPA:SS so zu ARbeiten, Durch einen erhöhten Formulierungsaufwand an Stellen, die als Selbstlob ausgelegt werden könnten, vermeidet er den Anschein von Prahlerei zu erwecken. So betont er, dass neben ihm zwei, drei weitere Mitarbeiter ebenfalls sehr kompetent seien. Die Überlegenheit in der Kenntnis des Unix-Systems will er nicht als sein Verdienst gewertet wissen, sondern führt sie auf Defizite in der Ausbildung der anderen zurück. Das leise geäußerte «p>MACHT ja nichts;>, (Z. 24) unterstreicht das Bemühen, diese Differenz herabzustufen und statt auf persönliche Verantwortlichkeit auf äußere Umstände zurückzuführen. Die abschließende Evaluation es macht auch SPASS so zu ARbeiten bildet durch das Zitieren aus der Frageformulierung des Interviewers (vgl. Z. 25f) eine Art Rahmen und kündigt die Überleitung zu einem neuen thematischen Abschnitt an. Der Bewerber hat der Fremdzuschreibung des Interviewers nicht nur zugestimmt, sondern sie sogar durch Detaillierung übertroffen, so mit hat er eine mit Nichtübereinstimmungsvorlauf eingeleitete Übereinstimmung vollzogen, die sich durch einen hohen Formulierungsaufwand und Elaboriertheit kennzeichnet. In Z. 28 beginnt der Bewerber mit der Begründung für den Stellenwechsel. Der Übergang wird markiert durch eine zweisekündige Pause, ein Einatmen und eine gefüllte Pause, lexikalisch kündigt das Lexem HAUPTpunkt - prosodisch markiert durch Akzent - an, dass nun ein zentrales Argument folgt. Sein Hauptargument ist die fehlende Aufstiegsperspektive im derzeitigen Unternehmen, was das Motiv "Karrieresprung" impliziert. Die Kontrastmarkierung zum ersten Teil, mit der dem vom Interviewer vorgeführten Widerspruch Rech-

212 nung getragen würde, bleibt damit vergleichsweise schwach. Den fehlenden Aufstiegschancen als Grund für die Bewerbung wird eine explizite Selbstzuschreibung als unterstützende Begründung angefügt: ich halt mich selbst auch ßir=n bisschen EHRgeizig (Z. 32f). Die Formulierung "ich halt mich für" statt "ich bin" und der Abschwächer n=bisschen EHRgeizig gibt der expliziten Selbstzuschreibung ein dispräferiertes Format. In dem erhöhten Formulierungsaufwand mit Dispräferenzmarkierungen, Abschwächungen und dem Nichtübereinstimmungs-Einstieg spiegelt sich eine starke Orientierung auf Selbstlobvermeidung einerseits und deren Konkurrenz mit den Erfordernissen positiver Selbstdarstellung andererseits. Offensichtlich hat der Bewerber aber einen Weg gefunden, positive Selbstdarstellung, Übereinstimmung mit dem Kompliment des Interviewers und die Kontextualisierung von Selbstlobvermeidung zu verbinden. Seine Argumentation hat zwei (prosodische, semantisch und diskursiv zu unterscheidende) Teile: 1. "Ich habe eine gute Stelle" und 2. "Mir fehlen die Aufstiegschancen". Bei der Verknüpfung dieser zwei Teile verwendet er ein schwach kontrastierendes Verfahren. Insgesamt ist die Reaktion des Bewerbers inhaltlich wie formal als stark konsensuell gekennzeichnet. Doch das Bewerbungsgespräch ist noch nicht zu Ende. Im Anschluss an die Sequenz gibt es keinen Hinweis darauf, dass der Interviewer mit der Auflösung des präsentierten Widerspruchs nicht zufrieden wäre, es kommt zu einer Themenverschiebung auf "berufliche Perspektiven". Doch kurze Zeit später greift der Interviewer die Fragestellung erneut auf. Beispiel (21) - (Edv. l/o/m) (Fortsetzung von Bsp. 20) 1 ((.-.)) 2 II: ( 1 ) . h < < p > i c h > { . ) MÖCHT noch mal ( . ) mal drauf 3 zuRÜCKkommen; (.) waRUM sie dort WEGwollen:. [also- d/ 4 B: [ja 5 II: eh: {-) letztENDlich, ( . ) also für mich SCHEINT das, wo 6 sie SIND, ein unterNEHmen zu sein, «all>also ihre 7 gründe> ( . ) gut k l a : r : ; (-) hab ich ( . ) verSTANden, (-) 8 eh ( . ) aber EIN aspekt also ( . ) wollt ich noch mal 9 irgendwie NÄher erläutert haben; also «all>letztendlich 10 isses ja ein> unterNEHmen, was ( ( r ä u s p e r t ) ) (-) sehr 11 flexibel als Zulieferer in der automobilindus[trie; ( . ) 12 B: [ja. 13 II: mit einem HOhen ABhängigkeitsgrad,.h eh (-) muss ma ja 14 auch ne HOhe flexibiliTÄT dann (.) letztendlich eh {-) 15 beweisen, um eben halt auf ( . ) auf verÄNderungen auch 16 sehr schnell zu reaGIEren; [ hm, > (3) beLAStet das nich? also so (.) so abiTUR 2 und AR[beiten? 3 B: [ ( g u t ) der (.) TACH is ziemlich VOLLjepackt; aber 4 ich WOHne noch zu hause, un[d (1) gehe MORgens aus=dem 5 II: [mhm; 6 B: haus, und komme ABends; (-) gegen ZEHN wieder, (2) ESse 7 noch was; 8 II: «p>abends [um zehn wieder>ach so «f> dann;> (-) von 9

10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34

B:

II: B: II: B: II:

B: II: B: II:

B:

II: B: II:

[(

der SCHUle

)

dann [schon. [ j a j a genAU. [ ( ) [is das JEden abend.

JEden abend. (1) «p>oijoijoi. (2) puh (1) MEIne GÜte.> (-) eh (-) MEInen sie nicht; dass das vielleicht (.) proBLEme bereiten könnte, wenn man sich irgendwo neu EINarbeitet. (2) also j e t z t in SO einer phase zu WECHseln. wäre (.) M:öglich. ja. (2) «p> hm> (aber) eh: (-) ( ( s c h n a l z t ) ) also dass letztendlich dann durch dadurch ihr abiTUR leidet. neu Einarbeiten (-) würd ich (-) verGLEIchen mit der entwicklung eines ( . ) komplexen neuen proJEKtes. (-) wie ich=s letztes jähr geMACHT habe. (1.2) «p>hm=hm.> (1) .h (1) ja GUT. aber das is eh (-) so oder so (-) es is natürlich immer beLAStung. nich, ) und es geht immer nur auf KOSten/ ( . ) oder es geht MEIST immer auf kosten von irgndeiner sAche dann, .h (2) «pp>hm=hm>(2.2) ( ( s c h n a l z t ) ) eh: (-) zu WANN (.) würden sie denn zur verFÜgung stehn.

Auf die Suggestivfrage des Interviewers wäre ein deutlicher Widerspruch des Bewerbers angezeigt, wie die Analyse gezeigt hat. Tatsächlich reagiert er mit sehr schwächer Nichtübereinstimmung, die durch eine Zustimmungspartikel gut (Z. 3, ein "agreement token") und einem vorlaufenden Zugeständnis der (.) TACH is ziemlich VOLLjepackt (Z. 3) eingeleitet wird, wobei ziemlich VOLLjepackt gemessen an "belasten" eine Deeskalation ist.

214

Daran schließt sich ein durch "aber" angekündigter Kontrast an: aber ich WOHne noch zu hause, (Z. 3f); dessen argumentative! Bezug aber implizit bleibt. Die Antwort wirkt merkwürdig irrelevant, weil die kontrastierten Konjunkte eigentlich keinen Kontrast aufweisen, sondern das zweite Konjunkt nur eine Detaillierung des ersten liefert. Eine mögliche Lesart des impliziten argumentativen Gehalts könnte sein: aber ich wohne zu Hause und *weil meine Mutter den Haushalt versorgt, ist die Belastung nicht groß. Ein derartiger Tagesablauf könnte allerdings leicht als Prototyp einer belastenden Lebensführung gelten, vor allem wenn man berücksichtigt, welchen Stellenwert Interviewer/innen in Bewerbungsgesprächen bisweilen den Themen Hobbys und Freizeitbeschäftigung geben. Wollte der Bewerber zum Ausdruck bringen, dass es keine Belastung für ihn ist, so kündigen die emphatischen Ausrufe des Interviewers ((1) «p>oijoijoi. (2) puh (1) MEIne GÜte.>, Z. 14) schon frühzeitig an, dass dieser zu einem gänzlich anderen Schluss gekommen ist. In der folgenden zweiten Suggestivfrage zeigt es sich, dass der Interviewer die Doppelbelastung für sehr problematisch hält, besonders, da der Interviewer nun einen expliziten Bezug zur verhandelten Stellenbesetzung schafft: «f>MEInen sie nicht; dass das vielleicht (.) proBLEme bereiten könnte, wenn man sich irgendwo neu EINarbeitet (Z. 15f). Er formuliert zwar allgemein (irgendwo einarbeiten), doch durch die Präzisierung also jetzt in SO einer phase zu WECHseln (Z. 17), die er nach 2 Sekunden Nichtantwortens des Bewerbers nachschiebt, zieht er sogar die Legitimität der Bewerbung massiv in Zweifel. Damit stellt er brisanter Weise nicht nur einen Teilbereich der Bewerberqualifikation, sondern die Berechtigung des Gesprächs grundsätzlich in Frage. In dieser zweiten Suggestivfrage hat sich der Dissens über die Eignung des Bewerbers gegenüber der ersten Frage also noch verschärft. Retrospektiv offenbart sich nun der problematische Gehalt der ersten Suggestivfrage und die scheinbar empathische Nachfrage erscheint als Falle, die eine stark imagebedrohende Antwort nahe gelegt hat. Statt eines Widerspruchs liefert der Bewerber auch auf die zweite Suggestivfrage eine "schwache Übereinstimmung": wäre (.) M:Öglich. ja. (Z. 18). Die fallende finale Intonation kontextualisiert den Abschluss seines Beitrags; der leise Continuer des Interviewers jedoch macht deutlich, dass der weitere Ausführungen erwartet. Mit dem (leider nicht eindeutig transkribierten) "aber" kündigt der Bewerber einen Kontrast an, was eine Rekategorisierung der Äußerung wäre (.) M:Öglich als Vorlauf für eine "schwache Nichtübereinstimmung" nach sich ziehen würde. Bevor der Bewerber das zweite Konjunkt aber ausführen kann, kommt ihm der Interviewer mit einer Reformulierung/Fokussierung zuvor: also dass letztendlich dann durch dadurch ihr abiTUR leidet (Z. 22f). Mit dieser Verschiebung von der Beeinträchtigung der Arbeit auf die Beeinträchtigung des Abiturs bietet der Interviewer einen möglichen Ausweg aus dem Dilemma an. Der Bewerber führt nun aus, was er vielleicht in Z. 21 adversativ einleiten wollte: neu Einarbeiten (-) würd ich (-) verGLElchen mit der entwicklung eines (.) komplexen neuen proJEKtes. (-) wie ich=s letztes jähr geMACHT habe (Z. 24ff). Ein Bezug zu den negativen Implikationen der Suggestivfrage wird nicht deutlich, auch fehlen Evaluationen gänzlich, in 19

Allerdings ist es wenig plausibel, dass seine Befürchtungen tatsächlich das Abitur und nicht die Arbeitsleistung betreffen, u.a. da es im Bewerbungsgespräch normalenveise nicht der Interviewer ist, der eine Perspektivübernahme für die (privaten) Belange des Bewerbers leistet. Vielmehr sollte an dieser Stelle der Bewerber erkennen, welche negativen Schlussfolgerungen seine Äußerungen aus der Perspektive des Unternehmens nahe legen.

215 denen zum Ausdruck kommen würde, dass er die Entwicklung des "komplexen neuen Projekts" gut gemeistert hat, ohne das eine oder das andere zu vernachlässigen. Der abschließende Kommentar des Interviewers zeigt, dass seine Bedenken nicht zerstreut wurden. Im Gegenteil, was er zuvor als Frage formuliert hatte ("belastet es nicht..." und "meinen Sie nicht, es geht auf Kosten...), wird zur Assertion: es is natürlich immer beLAStung und es geht immer nur auf KOSten/ (.) oder es geht MEIST immer auf kosten von irgndeiner sAche dann (Z. 32f). Auch die selbstinitiierte Selbstkorrektur von immer auf meist immer schränkt den negativen Gehalt nur wenig ein. Zwar benennt irgendeine sAche nicht explizit die Berufstätigkeit als gefährdet, aber während in Zeile 23 noch explizit die Rede vom Abitur war, das leiden könnte, schließt irgendeine sAche Berufstätigkeit ein. Die Gelegenheiten des Bewerbers zur Gegenrede haben sich erschöpft, diese Bemerkungen des Interviewers leiten bereits den Themenwechsel ein. Betrachten wir die Antworten in der Zusammenschau, zeichnet sich eine starke Nichtübereinstimmungsvermeidung und kommunikative Indirektheit des Bewerbers ab. Es entsteht der Eindruck, dass dieser Stil den Bewerber immer stärker in die Enge treibt. Möglicherweise versteht er die Frage des Interviewers nicht als gattungsrelevante Frage nach seinem beruflichen Karrierewillen, sondern bezieht sie auf seine Lebensplanung. Die negativen Implikationen seiner Äußerungen scheint er nicht vorherzusehen, bzw. kann er sie auch dann nicht ausräumen, wenn sie vom Interviewer deutlicher artikuliert werden. Auch das nächste Beispiel basiert auf einer Suggestivfrage des Interviewers. Beispiel (23) - (Archiv.2/o/m) "arg mutig" 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26

B: II:

B:

12: II: B: II:

(1) ja; und DArauf hab ich mich beWORben. (-) um es ziemlich KURZ zu sagen. (3) eh: is es nicht n=bissel arg MUtig; (1) eh sich auf so=ne STELle zu bewerben; sie waren bis einundneunzig ( . ) im STUdium, ( - ) und dann harn sie Eigentlich im=grundegenommen ( 0 . 8 ) ah be EM maßnahmen gemacht, (-) [kann es nicht] [klar es ist ] nich SO (-) ( ) ( . ) es=is nun mal die SCHWIErige situation ( . ) momenTAN, dass einfach keine F E S t e ( n ) stellen DA sind? es is UMgekehrt so (.) dass die arCHIve die muSEEN abgeBAUT ham? und dann ( . ) war ich natürlich als ( . ) als NEUeinsteiger erst mal auf ah be ems ANgewiesen. um erst mal ( . ) « a l l > b e r u f s e r f a h r u n g zu SAMmeln. ja: ich habe dann eben (.) ich meine ah be em IS ja; ( . ) in DEM sinne ( . ) zwar wird das vom vom (-) STAAT beZAHlt? aber v o ( n die) tätigkeit=her unterscheidet sich ja nicht von> (.) von einer eh: (.) FESTanstellung. also j e t z t ne archiVARSanstellung. [von daher ] [ja wir harn/] [ja ja g u : t ? ] aber ich mein nur hier= =«f> drei JAHre.> [ ( )] [ja=ja ] drei jähre (.) LEHRling? und dann gleich MEISter hier. S0=is=es=doch=ne frage;=ob sie ne ah be em, (-) oder NICH ah be em; na DAS frag ich ja; nu is es nich nen bissei- (-) eh eh a u f / aufgrund ihrer {-) bisherigen TÄtigkeit,

Die Suggestivfrage hat einen stark imagebedrohenden Gehalt; wie ihre Analyse gezeigt hat (vgl. Bsp. 10), zweifelt der Interviewer die Eignung des Bewerbers in Hinsicht auf fachli-

216

ehe Kompetenz und Berufserfahrung an. Der Bewerber unterbricht den Interviewer mit der Zustimmungspartikel klar (Z. 8) und schließt Ausführungen an, die rechtfertigen, dass seine Berufserfahrung im Rahmen von ABM-Maßnahmen stattgefunden hat. Zunächst weist er auf die schwierige Arbeitsmarktsituation hin (es=is nun mal die SCHWIErige situation (.) momenTAN, Z. 8f) und lenkt damit die eigene Verantwortung um auf die objektive Notwendigkeit. Im zweiten Schritt folgt nun die Umbewertung der ABM-Maßnahme, indem er darauf hinweist, dass sich ja nur die Herkunft des Gehaltes und nicht die Tätigkeit selbst von einer "normalen" Archivarsanstellung unterscheidet (Z. 15ff). Der zentralen Imagebedrohung, dem Zweifel an der fachlichen Eignung, widerspricht der Bewerber nicht. Argumentativ hat er nicht die in der Suggestivfrage des Interviewers unterstellte Selbstüberschätzung aufgegriffen, sondern deren Grundlage, nämlich die Abwertung der ABM-Maßnahme. Das erfolgt in einem schwachen Nichtübereinstimmungsformat mit einem längeren Zustimmungsvorlauf, in dem er sehr ausführlich konzediert, dass die ABM-Stelle nur eine Art Notlösung in Ermangelung fester Archivarsstellen war, und einer durch "aber" verknüpften Umbewertung der Interviewerbewertung (Z. 16). Dass er mit seiner Argumentation nicht den zentralen Dissenskem des Interviewers bearbeitet hat, wird in der Folge deutlich. Der Interviewer fokussiert seine Frage neu und mit dem Vergleich (drei jähre (.) LEHRling? und dann gleich MEISter hier, Z. 24f) akzentuiert er die Selbstüberschätzung und mangelnde Eignung des Bewerbers erneut. Damit hat gegenüber seinem ersten Beitrag eine erhebliche Verschärfung des Dissens stattgefunden. In der Formatanbindung, die starke Nichtübereinstimmung zum Ausdruck bringt, greift der Interviewer die Bewerberworte "drei Jahre" auf und deutet das als Unterstützung der Eignung geplante Argument (im Sinne von "viel/gute" Berufserfahrung) durch die Abwertung in "Lehrjahre" um in "wenig/schlechte" Berufserfahrung. Alle drei bisher vorgestellten Beispiele weisen lange Übereinstimmungsvorläufe auf, bevor sie in indirekter Weise oder stark modalisierter Weise beginnen, Nichtübereinstimmung zum Ausdruck zu bringen. Hinzu kommt, dass in den kontrastierten zweiten Teilen der Argumentation häufig eine Defokussierung des zentralen Dissenspunktes stattfindet. In Beispiel (20) "der herausragende Mann" wird der vom Interviewer präsentierte Widerspruch noch verstärkt, indem der Bewerber dessen Positivdarstellung noch übertrifft, Bewerber (22) bezieht sich nicht auf die problematische Doppelbelastung, sondern schildert Rahmenbedingungen, die eine Umbewertung nur implizieren, und Bewerber (23) bearbeitet nicht den Dissenskem, die Schlussfolgerung "Vermessenheit", sondern eine Teilprämisse. Die sich im weiteren Verlauf der Sequenzen abzeichnende Verschärfung des Dissens durch die Interviewenden legt den Schluss nahe, dass die Verzögerung und Defokussienmg von Nichtübereinstimmung nicht geeignet sind, dem kritischen Gehalt der Intervieweräußerung zu begegnen. Betrachten wir nun ein anderes Bewerbungsgespräch mit demselben Interviewer aus Beispiel (23) im Gespräch mit einem anderen Bewerber, den er mit einer ähnlichen Suggestivfrage konfrontiert. Beispiel (24) - (Archiv, l/w/m) "bissle kurz" 1 2 3 4 5

II:

(4) finden sie NICHT dass es ein=bissel KURZ is wo sie in berLIN sind; dreiundneunzig bis ( - ) .h eh sie sind grade ma VIERenhalb jähre, und j e t z t beWERben sie sich schon wieder woANders hin? (-) (eh) aber «all> wie schon gesagt> di:e ARbeit sagt ihnen letztENDlich, (2)

217 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

B: II: B: II: B: II: II:

weil zu: ( . ) überSCHAUbar nicht/ ( . ) auf DAUer gesehen nicht zu. ja? in berlin. also es is hehe ( 1 . 5 ) hm: ich würd Eigentlich/ eh (-) es is n=bisschen schwer ( h ) j e t z t (h)über (-) (h)meine ( h ) j e t z i g e stel[le (-) (etwas) n e g a t ( h ) i ] v e s ( h ) z u (h) [ (-) ( j a ) ] SAgen; [also (es ist wirklich nichts ( ) [ ( n e e se=solln nichts NEgatives sagen) nee=nee (verändere) da eh] daHIN bringen .h eh/= ) nee=nee da ] =nu MUSses/ (-) aber ich will sie da AUCH nicht/ ich verfolg die FRAge nich weiter; ich muss ihnen natürlich EINS sagen; wir werden SCHWIErigkeiten kriegen; ich hab das ( . ) .h auch grade FESTgestellt; und zwar SCHWIErigkeiten in der beSOLdung; sie sind A dreizehn.

Diese Suggestivfrage mag weniger problematisch für das Image des Bewerbers sein als die aus Beispiel (23), da sie eher auf mangelnde Konstanz abzielt und nicht die fachliche Qualifikation des Bewerbers und die Legitimität der Bewerbung grundsätzlich in Frage stellt. Dennoch bringt sie Zweifel an der Eignung des Kandidaten zum Ausdruck. Anders als der Bewerber des vorangegangenen Beispiels geht der Bewerber jedoch nicht auf die Vorlage des Interviewers ein. Er weist statt dessen die Frage als nicht legitim zurück, indem er sie retroaktiv als insistierendes Nachfragen kontextualisiert, das ihn veranlassen soll, etwas Negatives über seine jetzige Stelle zu sagen. Damit rekurriert er auf eine Regel des Bewerbungsgesprächs, wonach es nicht üblich ist, Interna und Negativa früherer Arbeitsverhältnisse offen zu legen. Die begleitenden Disfluenzphänomene, zwei Abbruche und die Pausen, die den Planungsprozess seiner Äußerung anzeigen sowie das kurze Auflachen, die lachend gesprochene Passage und das Zögern kontextualisieren die Bredouille, in die ihn die vermeintliche Erwartung des Interviewers versetzt. Der Interviewer zieht daraufhin seine Frage eilig zurück: (nee se=solln nichts NEgatives sagen) nee=nee (-) nee=nee ((...)) ich verfolg die FRAge nich weiter (Z. 13ff). Im Unterschied zum Bewerber in Beispiel (23) versucht dieser Kandidat gar nicht, dem Interviewerangriff auf argumentativer Ebene zu begegnen. Er kontert mit einem wohldosierten Gegenangriff, der sich auf eine Gattungsregel berufen kann. Damit ist er moralisch abgesichert, ganz im Gegensatz zum Interviewer, der sich dafür verantworten muss, ihn in diese unangenehme Lage gebracht zu haben. Er erreicht so, dass der Interviewer die Frage unter Entschuldigungen zurückzieht. Im folgenden Beispiel wird die Bewerberin mit der negativen psychologischen Deutung "nicht konfliktfähig" konfrontiert (vgl. Bsp. 12). Beispiel (25) - (Telefon.5/w/f) "harmoniebedürftig" ( ( K o n t e x t : die Bewerberin hatte ihren Umgang mit Konflikten am Arbeitsplatz g e s c h i l d e r t . ) ) 1 12: sin=sie sehr harmoNIEbedürftig.= 2 3 4 5 6 7

B: = j a . (1.5) 12: schlie[ß ich daraus dass sie ] nicht konFLIKTfähig sind? B: [] (1) B: hehe (-) man kann ALles von zwEi Seiten

218 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18

12: B: 12: B: 12: B: 12: B: 12: B:

b e [ t r a c h t e n , (das is) ( . ) sie fragen ganz schön [hm=hm, ( . ) deswegen frag ich ma so exTREM. raffiNIERT; ] ich provoZIEre] j e t z etwas. j a : ; das is oKEY. «p>ja,> .hhh ich sach ihnen noch=n [BEIspiel; um ihnen vielleicht [e:h so=n bisschen zu HELfen. ja: ( . ) gut wenn sie wolln.

Die Bewerberin hat die Ambivalenz des Begriffs "harmoniebedürftig" augenscheinlich nicht vorhergesehen und wird von der Umdeutung des Interviewers sichtlich überrascht. Es entsteht eine Pause von l Sekunde, die Bewerberin atmet schwer, lacht kurz auf, bevor sie sagt: man kann ALles von zwEi seifen betrachten (Z. 7f). Mit diesem Gemeinplatz holt sie sich Rückendeckung aus der Tatsache, dass sich die negative Implikation im vorliegenden Fall relativiert, wenn "alles" zwei Seiten hat (man beachte den Akzent auf ALles). Auch die Wahl des Verbs betrachten ist interessant, es referiert direkt auf die Handlung des Interviewers, wenn sie sagt, dass man alles von zwei Seiten betrachten kann (und nicht, dass alles zwei Seiten hat). Dieser Verweis auf die Perspektivität der Aussage des Interviewers impliziert, dass die negative Interpretation weniger als objektivierbar auf der Sachverhaltsebene angesiedelt ist, sondern als eine Frage der persönlichen Perspektive bestimmt werden kann. Und nicht zuletzt verschafft dieser Zug der Bewerberin einen Vorteil durch Zeitgewinn. Was sie im Vergleich zu den Bewerbern der Beispiele (22) "oijoijoi" und (23) "arg mutig" unterlässt, ist rechtfertigendes Erklären und es fehlen Dispräferenzmarker einer "schwachen Nichtübereinstimmung" (die Verzögerung und das kurze Lachen sind eher auf die Überraschung zurückzuführen). Ihr Beitrag verlässt das Thema "Attribuierung" und zieht sich auf eine Metaebene zurück. Bereits hier setzt der Interviewer mit einem "account" für seinen dissenten Vorstoß ein. Er greift das Argument der Bewerberin auf und benutzt es als Rechtfertigung für seine Frage. Er "muss" - entsprechend dem von der Bewerberin eingeklagten Gemeinwissen, dass man alles von zwei Seiten betrachten kann - so handeln: deswegen frag ich ma so exTREM (Z. 9). Mit der Selbstformulierung seiner Beteiligungsweise in Abweichung von einer Normalform als "extrem" ratifiziert der Interviewer den Protest der Bewerberin zwar als berechtigt, er nimmt die Frage aber nicht zurück, da es Gründe für diese Frage gibt, die außerhalb seiner Verantwortung liegen. Der Interviewer bringt hier eine große Rollendistanz zum Ausdruck, die typisch ist für Interaktionen, in denen ein Individuum innerhalb einer stark vordefinierten Beteiligungsrolle agiert. Überlappend mit dieser Selbstformulierung formuliert die Bewerberin das Interviewerhandeln als: sie fragen.ganz schön raffiNIERT, Z. 8, 10). Noch stärker als der Schritt auf die Ebene des Gemeinplatzes verlässt diese Äußerung das Thema und begibt sich auf eine Der Interviewer vollzieht eine rhetorisch geschickte Umdeutung, indem er das Gemeinwissen zum Handlungsmotiv erklärt. Dieser argumentative Zug beruht auf der von Quasthoft (im Erscheinen) beschriebenen Funktionsweise von formelhaften Wendungen. Da sie kollektiv gültige Wissensbestände zitieren, ist es unmöglich, "diese Äußerung zu bestreiten, zu relativieren oder für den eigenen Erfahrungsbereich als nicht gültig zurückzuweisen."

219

metadiskursive Ebene, indem sie das Gesprächsverhalten des Interviewers fokussiert und eine zentrale Aktivität des Bewerbungsgesprächs bewertet. Diese Fremdformulierung, die wie ein Vorwurf wirkt, zeichnet sich durch eine für Bewerbende in Bewerbungsgesprächen eher ungewöhnliche direkte Adressierung und Attribuierung des Interviewers aus. Im semantischen Umfeld des Attributs raffiniert sind sowohl positive Konnotationen fdes Gekonnten) als auch negative Konnotationen (des Verschlagenen) angelegt. Es spielt geschickt mit der Ambivalenz zwischen einem Kompliment und einem Vorwurf. Auch ruft raffiniert eher weibliche Stereotypisierungen auf, was dafür verantwortlich sein könnte, dass die Aussage leicht kokett klingt ("Sie sind mir aber einer..."). Die "prophylaktische Selbstanzeige" des Interviewers (ich provoZIEre jetz etwas Z. 11), die einen retrospektiven als auch prospektiven Gehalt hat, wird von der Bewerberin ratifiziert (Ja:; das is oKEY, Z. 12). Darauf folgt ein Test, der die offene Frage der Konfliktfähigkeit klären soll. Die Bewerberin kontert - vergleichbar mit dem Bewerber aus Beispiel (24) "bissle kurz" - mit einem Vorwurf an den Interviewer und dem Ausstieg aus der laufenden Aktivität. Das führt dazu, dass der Interviewer die Bearbeitung der negativen psychologisierenden Deutung fallen lässt und statt dessen sein Anliegen auf andere Weise verfolgt (Z. 15f). Das folgende Beispiel weist ein starkes Nichtübereinstimmungsformat auf, das im Zuge einer Replik auf einen Widerspruch durch den Interviewer erscheint. Beispiel (26) - (Chemie.5/w/m) "da ham sie gesagt" ( ( K o n t e x t : Bewerber berichtet vom Gespräch mit potenziellen Vorgesetzten während einer B e t r i e b s f ü h r u n g ) ) 1 B: .h un:d ( . ) dass man DAnach eben verschiedene 2 MÖGlichkeiten hat; zum beispiel eh ANwendungstechnik; 3 produkTION; oder MARketingähnliches zu machen. 4 12: hm=hm, {-) 5 B: und dann «all>die harn mich natürlich AUCH gefragt; ob ich 6 mich das/> mir das VORstellen könnte; 7 12: hm=hm,= 8 B: =«p>sowas zu tun;> 9 12: (-) und da harn sie gesagt SELBSTverständlich. 10 «all>produkTION ANwendungstechnik und MARketing mach ich. 11 (-} aber sie können ja nich ALles machen.> 12 (0.5) 13 B: nee; des hab ich NICH gesagt. 14 12: was HAM sie gesagt? 15 B: (-) ich hab gesagt dass ich mir im Augenblick, ( . ) nich so 16 gut VORstellen kann. (-) «all>sondern dass ich=s 17 eigentlich ganz GUT finde; dass man hier ZUNÄCHST in der

18

forschung eingestellt wird/-

Der Interviewer kontrastiert zwei Positionen. Die eine (alle drei zentralen Tätigkeitsbereiche im Unternehmen abdecken zu wollen) zitiert eine Aussage des Bewerbers, deren Autor nicht er, sondern der Interviewer selbst ist. Die kontrastierte, zweite Position formuliert den Zweifel des Interviewers an der Machbarkeit des Ausgesagten. Diese Fremdformulierung weist der Bewerber als Unterstellung zurück. Dazu wählt er ein "contrastive opposite" und damit ein Verfahren, dass Goodwin (1983:672) als das stärkste Nichtübereinstimmungsformat beschreibt: Ohne Dispräferenzmarkierungen und ohne

220 weitere Erklärungen oder Gegenargumente wird die Vorgängeräußerung negiert.21 Hinzu kommt die starke Kohäsion durch die Formatanbindung mittels eines "Oppositionsformats", das die Vorgängeräußerung weitgehend zitiert und negiert. Durch die Verkettung der Syntagmen da harn sie gesagt - des hab ich NICH gesagt. - was HAM sie gesagt? - ich hab gesagt entsteht der Eindruck eines Schlagabtausches. Dieses Beispiel ist durch massives Kontern des Bewerbers mit einem starken Nichtübereinstimmungsformat gekennzeichnet. Es mündet jedoch nicht in eine dissente Sequenz, sondern führt zu einem "Rückzieher" des Interviewers. Er räumt dem Bewerber den Floor ein, die eigenen Worte selbst zu formulieren und damit eine Reparatur zu vollziehen. Die folgende, längere Sequenz dokumentiert ebenfalls starke Dissensbereitschaft einer Bewerberin. Beispiel (27) - (Sekretariat.4/w/f) "so schlechte Noten" 1 13: hm=hm, (-) ( ( s c h n a l z t ) ) nu is ma ganz geMEIN; das hat sich 2 dann wahrscheinlich n=bisschen geWANdelt. ich hatte mir 3 hier noch mal den SCHULabschluas angeschaut; speziell den 4 von (1) (name SCHUle) , 5 B: htn=hm, 6 13: eh es war glaub ich inner ( STRAßenname ) , nich? 7 B: j a ; 8 13: war ich AUCH noch mal drauf; auf der schule, kenn 9 [die ganzen leute,] 10 B: [heheheheheheheheh] he 11 13: ( (räuspern) ) und> (-) «lächelnd gesprochen>so schlechte 12 noten MÜSsen dort nich sein.> 13 B: an DIEser schule?= 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 21

13: B: 13: B: 11: B: 13: B:

=nö.

am (schule) für Wirtschaft und Verwaltung. ja. (-) [(Straßenname.) ] [ ( (leises Lachen) ) (1) (welchen) LEHrer sie haben, (-) jo: nat/ klar; [es gibt die- ] [wie viel sie ] nebenbei ARbeiten müssen; was sie SONST noch am HALS [haben. 13: [JA ( . ) geNAU. ( . ) warum WAR=n [denn die noten so SCHLECHT. ( - ) [ < < f > also B: [ja ja [also das 13: ich hab das GLEIche] ding gemacht; muss ich SAgen; ich ] B: ERste jähr, 13: hatte ne einskommasieben als ABschluss>? ich hab (-) GAR nichts (1) für die schule gemacht ürgendwie.

Bei Kindern entwickeln sich leicht Nichtübereinstimmungsrunden, die häufig in Drohungen münden. Goodwin gibt folgendes Beispiel: A: I'm on Michael side. B: No you not. A: Yes I is.

C: No you ain't. B: Yeah? You gonna get shot too you come here. (Goodwin 1983:672) Vielleicht ist das spielerische Moment der Sequenz auf die Ähnlichkeit mit diesem Format zurückzuführen?

221

30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48

B:

(-) na vielleicht sind sie SCHLAUer als ich, (h)oder (h)was weiß ich, hehehehe[he ((lachen der anderen anwesenden)) 13: [«f,dim>nö; ich war jedes mal DA:?> nich, aber jetzt hat f : : ' h ( . ) ürgendwie so f : : ' h dass das so RIEsig nach ARbeit roch; ((...)) 13: ich WEISS gar nicht mehr; wer der diREKtor war; (MEIer) hieß der glaub ich. [geNAU. B: [der is eh/ zu MElner zeit war der AUCH noch direkter, ja. 13: ach is AUCH noch direk[tor. ja. genau, und (frau B: [ja. 13: müller) stellvertreterin. B: also das ERste JAHR, (-) für die mittlere REIfe, ich habe das ZWEIjährige gemacht; ich bin als [HAUPTschüler dort hingekommen; 13: [ja ich AUCH; hm=hm, B: ja, das ERste jähr hatte ich auch noch zweikommaZWEI:; im durchschnitt.

Die negative Bewertung der Abschlussnoten stellt die Kompetenz der Bewerberin massiv in Frage (vgl. Bsp. 18). Sie reagiert mit einer "ungläubigen" Rückfrage an DIEser schule (Z. 13), einem Reparaturinitiator, der dem Interviewer Gelegenheit gibt, einen Irrtum zu bemerken und selbst zu reparieren. Auch in der zweiten Nachfrage sucht die Bewerberin zu klären, ob man von derselben Schule spricht. Damit signalisiert sie bereits Nichtübereinstimmung und dass sie diese Einschätzung nicht mit ihrem Referenzobjekt Vereinbaren kann. Die Bewerberin setzt nun zu einer Modifizierung der Geltungsbedingungen für die Behauptung des Interviewers an: («len>es KO:MMT drauf an.>, Z. 17). Dispräferenzmarkierungen sind nicht vorhanden und die betont langsame Realisierung kontextualisiert eher eine Replik als eine entschuldigende Rechtfertigung. Alles deutet auf den Eintritt in eine dissente Sequenz hin. Das Lachen der Interviewerin l zeigt aber auch, dass sie das sich abzeichnende "Duell" nicht als ernsten Zwischenfall interpretiert (oder ihm die Schärfe zu nehmen sucht?). Dann spezifiziert die Bewerberin das, "worauf es ankommt": (welchen) LEHrer sie haben, wie viel sie nebenbei ARbeiten müssen; was sie SONST noch am HALS haben, (Z. 19-22). Das Format der Dreierliste verleiht der Aufzählung einen gewissen Nachdruck. Allen drei Argumenten ist gemeinsam, dass sie die Verantwortung für die schlechten Noten von der Bewerberin weg auf die Rahmenbedingungen des Schulbesuchs verlagern. Starke oder eskalierte Übereinstimmung in dissenten Sequenzen sind häufig Vorstufen zu weiterem Dissens.22 Das überlappend plazierte Ja (.) geNAU (Z. 23) des Interviewers ratifiziert nicht die Gegenargumentation der Bewerberin; statt dessen wiederholt der Interviewer seine face-bedrohende Thematisierung der Schulnoten, allerdings auf modifizierte Weise. Er greift die Einwände der Bewerberin auf, indem er genau das fokussiert, was sie angeführt hat: die Gründe und Rahmenbedingungen. Dabei wird aus dem Statement (Z. 11) 22

"We know that in heated disputes speakers use upgraded assent, such as 'wonderful' or 'you are absolutely right', and we do not think that this means an acknowledgement of the opponents point on the contrary." Kotthoff(1992a:17)

222

eine Frage (Z. 24), deren kritisches Potenzial, wie wir schon in Zusammenhang mit den psychologischen Deutungen gesehen hatten, gegenüber dem Statement reduziert ist, u.a. da der Interviewer der Bewerberin explizit den Floor für ihre Gegendarstellung und damit die Chance auf eine Reparatur der Imageverletztung zuweist. Mit diesem Wechsel geht aber auch eine forcierende Themeneingrenzung und Festlegung der Folgehandlung einher. Und tatsächlich modifiziert er weder das vernichtende Urteil der ersten Äußerung so SCHLECHT noch weicht er von seiner Behauptung ab, dass so schlechte Noten an dieser Schule nicht sein müssten. Das bestätigen seine folgenden Ausführungen. Um sein Argument vom geringen Anforderungsniveau der Schule zu stützen, verweist er auf eigene Erfahrungen: ich hatte ne einskommasieben als ABschluss>? ich hob (-) GAR nichts (1) für die schule gemacht ürgendwie (Z. 26-29). Wenn man ohne etwas für die Schule zu tun, eine 1,7 erreichen kann, ist das Argument der Bewerberin, zeitraubende Nebentätigkeiten würden sich automatisch negativ auf die Noten niederschlagen, entkräftet. Auch wenn der Interviewer diese Aussage unter dem Mäntelchen verwendet, den "Normalzustand" der Schule zu veranschaulichen, enthält sie doch ein deutliches Selbstlob. Das führt zu einer Umplanung der Bewerberin, sie fährt nicht dort fort, wo sie unterbrochen wurde, sondern reagiert auf diese letzte Äußerung: na vielleicht sind sie SCHLAUer als ich, (h)oder (h)was weiß ich (Z. 3Of). Damit adressiert und attribuiert sie den Interviewer sehr direkt. Fremdattribuierungen der Interviewenden durch Bewerbende sind ausgesprochen selten im Bewerbungsgesprächskorpus (vgl. a. Bsp. 25). Dass es sich um eine positive Zuschreibung, quasi ein "Kompliment" handelt, mag die Bewerberin immunisieren, auch wenn wiederum ihr Lachen andeutet, dass sie es vielleicht nicht ganz ernst meint. Der Aussage liegt überdies eine Selbstabwertung zugrunde; da sie diese aber als eine logische Schlussfolgerung aus den Worten des Interviewers präsentiert, weist sie ihm die Verantwortung dafür zu. Und indem sie die guten Abschlussnoten seiner Intelligenz zuschreibt, widerspricht sie dem implizierten Normalleistungsniveau der Schule. Vor allem aber entlarvt sie seine Äußerung als Selbstlob und damit als tabuisierten Akt. Somit kann sie einen kleinen rhetorischen Etappensieg verzeichnen, der von den anderen Anwesenden mit Lachen honoriert wird (Z. 32). Der Interviewer negiert diese Kombination aus Selbstabwertung und Kompliment ohne größeren Nachdruck und benennt die regelmäßige Anwesenheit als Grund für seine guten Leistungen («f,dim>nö; ich war jedes mal DA:?> nich, aber jetzt hatf::h (.) {irgendwie so f::'h dass das so RIEsig nach ARbeit roch;, Z. 32ff). Damit betont er ein weiteres Mal, dass diese Schule keine höheren Anforderungen stellte. Dann leitet er den thematischen Ausstieg aus der dissenten Sequenz ein und initiiert ein gemeinsames Erinnern von Lehrern. Dieses "comembershipping" steht nicht mehr im Dienste des Klärens, ob man über dieselbe Schule redet, sondern ist gleichsam eine korrektive Ausgleichshandlung, in der nach Differenzen nun die Gemeinsamkeiten in den Fokus gestellt werden. Außerdem entfernt sich der Interviewer so von der heiklen Thematisierung der Noten und stellt seine Antworterwartung auf die imagebedrohende Frage zurück. Doch die Bewerberin greift das Thema "Noten" eigeninitiativ wieder auf (Z. 43) und erläutert, allerdings nun unter anderen, sehr viel positiveren Vorzeichen als zu Beginn der Sequenz, ihre Abschlussnote. Die Reaktionen der Bewerberin zeichnen sich durch ein aktives Gegenforcieren aus. Ihre teilweise sehr konfrontativen Beiträge, die sich durch das Fehlen von Dispräferenzmarkie-

223

rungen, Unterbrechungen und Gegenargumentationen in starken Nichtübereinstimmungsformaten kennzeichnen, sind ein Beispiel für aktives Dagegenhalten und zeugen nicht von Dissensvermeidung. Dennoch besteht in dieser Sequenz nie die Gefahr einer Eskalation zum offenen Konflikt, vielmehr kooperieren die Beteiligten auf einer spielerischen Ebene von Nichtübereinstimmung und Dissens.

6.4 Ost/West-Differenzen Die dargestellten konversationellen Strategien von Bewerbenden im Umgang mit kritischen Vorlagen seitens der Interviewenden lassen sich auf einer Achse von Dissensvermeidung einerseits und Dissensbereitschaft andererseits einordnen. Dissensvermeidung zeichnet sich semantisch durch die Defokussierung des Dissenskerns und konversationelle Indirektheit aus und ist formal durch ein hohes Vorkommen von Dispräferenzmerkmalen gekennzeichnet. Dissensbereitschaft dagegen ist durch das Fokussieren und Kontern zentraler Nichtübereinstimmungspunkte charakterisiert, wobei die Verwendung von Dispräferenzmarkierungen verringert ist. Im Datenkorpus finden sich weitere, hier nicht präsentierte Beispiele für solche, mit den beschriebenen Interviewerverfahren herbeigeführte sog. "kritischen Momente". Ordnet man alle Fälle von Bewerbendenreaktionen auf die drei kritischen Verfahren von Interviewenden den idealtypischen Polen "Dissensvermeidung" und "Dissensbereitschaft" zu, zeichnete sich eine deutliche Differenzierung nach Ost- bzw. Westzugehörigkeit ab. Während sich Ostbewerbende eher durch die Wahl dissensvermeidender, übereinstimmender Strategien auszeichnen (vgl. a. Bsp. 21, 23, 24), weisen Westbewerbende ein größeres Maß an Dissensbereitschaft auf (vgl. a. Bsp. 25, 26, 27, 28). Nichtübereinstimmung wird von Ostbewerbenden tendenziell stärker als dispräferiert markiert, schwache Nichtübereinstimmungsformate dominieren, während Westbewerbende nicht selten starke Nichtübereinstimmungsformate aufweisen. Die Begrenzung auf die drei Verfahren erfolgte aus Gründen der Vergleichbarkeit, natürlich ist der Umgang mit Nichtübereinstimmung im Bewerbungsgespräch ein Phänomen, das über diese eng definierten Kontexte hinaus eine Rolle spielt. Die Ergebnisse hinsichtlich der Ost/West Differenz werden beispielsweise von der Beobachtung bestätigt, dass nur sehr vereinzelt von Bewerbenden initiierte Nichtübereinstimmungs-Sequenzen vorkommen, diese wenigen stammen dann aber nahezu ausschließlich von westdeutschen Bewerbenden. Dabei zeichnet sich auch ab, dass es immer wieder bestimmte Personen sind, die sich durch einen eher dissensfreudigen oder konsensorientierten Stil auszeichnen, ebenso wie bestimmte Interviewende stärker als andere "kritische Verfahren" einsetzen. Doch jenseits dieser individuellen Varianz ist eine klare Differenzierung zu erkennen, dass die sowohl in der einen oder anderen Hinsicht "auffälligen" Individuen häufig aus den entsprechenden Herkunftsgruppen Ost/West stammen. Verschiedene Studien haben gezeigt, dass Dissensbereitschaft oder -Vermeidung konversationelle Stile kennzeichnen, die als kulturell geprägte Größe gelten. Kotthoff (1989a und b; 1992a) stellt unterschiedliche Grade der Dissens- bzw. Konsensorientierung zwischen

224

(westdeutschen und amerikanischen Sprecher/innen fest. Dissens scheint besonders für (West-)Deutsche einen gewissen "Geselligkeitswert" (Kotthoff 1989b) zu besitzen. Auch Günthner (1993) kommt bei der Studie zu kulturellen Unterschieden in Argumentationsstilen von chinesischen und (west)deutschen Sprecher/innen zu dem Schluss, dass die Fokussierung von Dissens den deutschen konversationeilen Stil kennzeichnet. Kotthoff (l989b; 1992a) konnte dieses Ergebnis darüber hinaus geschlechtsspezifisch differenzieren. So zeigen Männer - und unter diesen besonders die deutschen - eine hohe Dissensbereitschaft, während Sprecherinnen allgemein, besonders aber amerikanische Frauen, tendenziell eine höhere Konsensorientierung aufweisen. Kotthoffs als auch Günthners Ergebnisse weisen somit Dissensbereitschaft als kommunikative Ressource für die Gruppe der Westdeutschen aus. Auch die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung bestätigen dieses Bild. Dass diese dissenten Stellen für die Westbewerbenden tatsächlich einen gewissen "Geselligkeitswert" zu haben scheinen, ist in vielen der Beispiele an begleitendem Lachen und scherzhafter Kommunikation ersichtlich. Dass es sich aber nicht um tiefgreifende Verstöße gegen kommunikative Normen handelt, lässt das Fehlen ausgedehnter Reparaturaktivitäten vermuten. Die Geschlechterdifferenzierung bestätigt sich dagegen in unserer Untersuchung nicht so eindeutig. In unserem Datenkorpus weisen zwei westdeutsche Frauen im Gespräch mit männlichen Interviewern die meisten einschlägigen Beispiele auf (vgl. Bsp. 25, 27). Während die vorgestellte Dissensorientierung die positive Selbstdarstellung von Bewerbenden nicht zu behindern scheint, zeichnet sich für Dissensvermeidung ein dramatisch anderes Bild ab. Untersucht man die analysierten Beispiele in Bezug auf ihre interaktiven Konsequenzen, so stellt sich heraus, dass konsensorientierte Reaktionen auf dissente Vorlagen von Interviewenden häufig zur Verlängerung der "kritischen Momente" führen, während ein Kontern auf gleicher Ebene den "kritischen Moment" meist sehr schnell beendet. Beleuchten wir daraufhin noch einmal die vorgestellten Beispiele. Das Beispiel (20) "der herausragende Mann" erscheint zunächst als eine in Bezug auf positive Selbstdarstellung im Bewerbungsgespräch sehr gelungene Antwort. Doch tatsächlich defokussiert sie den Widerspruch, der den zentralen Dissenskern darstellt, was zu einer späteren Wiederaufnahme mit zunehmender Forcierung durch den Interviewer führt (Bsp. 21). Im nächsten

26

Die Information, dass es sich sowohl in Kotthoffs als auch in Günthners Untersuchung um Westdeutsche handelt, geht auf persönliche Mitteilungen der Autorinnen zurück; in den einschlägigen Publikationen wird es nicht explizit erwähnt. Vgl. a. Schiffrin (1984) für kulturelle Differenzen im Umgang mit Dissens unter Amerikaner/inne/n. "Während die deutschen Sprecherinnen Nichtübereinstimmung innerhalb eines argumentativen Rahmens geradezu hervorheben, die Position des Gegenübers sehr direkt attackieren und gelegentlich parodieren, zeichnet sich der Argumentationsstil der chinesischen Teilnehmer durch starke Indirektheitsstrategien und Konsensbereitschaft aus: Nichtübereinstimmungen werden abgeschwächt (bzw. werden inhaltlich nichtübereinstimmende Äußerungen nicht als Dissensaktivitäten kontextualisiert), der Oppositionscharakter häufig minimiert, Kompromisse werden angeboten und zahlreiche Versuche unternommen, den argumentativen Rahmen zu beenden." (Günthner 1993:299). Übrigens führt erst eine „emotionale Entgleisung" (Günthner/Christmann 1996:339) des Bewerbers zum Themen Wechsel. B: ich ich will da nich hin; (h)[hehehehehehehehehehehehehehehehehehehe] I: [ j a . (.) ja gut; ich will sie nich hehe]

225

Beispiel (22) "oijoijoi" erfahrt die negative Einschätzung des Interviewers eine Verschärfung, was sich formal im Übergang einer (relativ offenen Suggestiv-) Frage zum (relativ geschlossenen) Statement abbildet. Ebenso Beispiel (23); hier weist die Wiederholung der Interviewerfrage eine dramatische Verschärfung des imagebedrohenden Gehaltes auf. Anders dagegen verhält es sich bei den zum Pol "Dissensbereitschaft" tendierenden Beispiele (24), (25) und (26). Ihnen ist gemeinsam, dass die Bewerbenden die Dissenspunkte der Interviewervorlagen nicht defokussieren, sondern sich auf die eine oder andere Weise damit auseinander setzen oder sogar kontern und damit in der Regel aus der Welt schaffen.

6.4. l Konflikte als Thema im Bewerbungsgespräch Die Einschätzung von Bewerbenden hinsichtlich ihrer Konfliktfähigkeit erfolgt laut Experteninterviews auf verschiedenen Wegen. Zum einen werden dazu Inferenzen aus dem konkreten Gesprächsverhalten im Bewerbungsgespräch gezogen (vgl. 3.6 Maximen der Interviewführung); zu dieser Dimension haben wir nur mittelbar in den vereinzelten Nachbesprechungen, in denen ein Interviewerteam seine Bewertungen austauscht, einen gesprächsanalytischen Zugang. Darüber hinaus ist der Umgang mit Konflikten in einigen Bewerbungsgesprächen auch Thema auf der expliziten Agenda; so beispielsweise im Subkorpus Telefon, dessen einschlägigen Sequenzen bei den fünf Kandidatinnen genauer ins Auge gefasst werden sollen. Im Korpus Telefon gehört das Thema "Konflikte" zu einem Block thematisch verwandter Fragen hinsichtlich "Teamfähigkeit" und "Umgang mit Kritik". Dabei gibt es eine thematische Entwicklung von Konflikten am Arbeitsplatz hin zu Konflikten mit dem Vorgesetzten bzw. der Frage nach Umgang mit Kritik und/oder der Rolle, die die Betreffende im Team einnimmt. Abschließend wird in 4 von 5 Fällen ein kleines Rollenspiel durchgeführt, in dem die Interviewenden einen Streitfall inszenieren und die Bewerberin auffordern, sich dazu zu verhalten. Während einige dieser Fragen nicht immer vorkommen, wird das Thema "Konflikte" in allen 5 Bewerbungsgesprächen explizit angesprochen. Die Antworten der Bewerberinnen auf diese Frage sollen im Folgenden verglichen werden. Da dieser Vergleich mit den Ergebnissen zum Umgang mit Dissens von Ost- und Westdeutschen in Verbindung gebracht werden soll, spielt die Gruppenzugehörigkeit bei der Darstellung gleich eine zentrale Rolle. Die Fragen ähneln sich besonders bei vier der Bewerberinnen sehr stark: (Telefon, l/w/f) (Telefon.3/w/f) (Telefon.4/o/f) (Telefon.5/w/f)

B: II:

gab=s da auch irgendwann ma konFLIKte, an die sie sich erINnern können? (-) so (.) während dieser TÄtigkeit? gab=s da auch mal - konFLIKte an den (.) arbeitsplätzen wo sie (1) geWIRkt haben? (1) so mib=m CHEF, (-) oder mit kolLEgen? gab=s auch ma so=n bisschen konFLIKte? (.) da (.) an den ARbeitsplätzen wo sie warn? nee ich=ich=ch m=möchte einfach nur WISsen:, ((...)) s=gab nie konFLIKte. (1) innerhalb der (-) zuSAMmenarbeit.

(h)das (h)sind (.) zum größten teil auch perSÖNliche gründe; also; =ja ja.

226 Auch die Antworten ähneln sich auf gewisse Weise. Alle vier Bewerberinnen schildern einen konkreten Fall aus ihrer beruflichen Vergangenheit und wie sie sich dabei verhalten haben als Beleg für die Fähigkeit, dass sie Konflikte erfolgreich handhaben: Beispiel (29) - (Telefon. 1/w/f) 12: B: 12: B: 12: B: 12: B:

gab=s da auch irgendwann ma konFLIKte, an die sie sich erINnern können? (-) so (.) während dieser TÄtigkeit? jaha, (-) ich hatte [mal: den ehemaligen INnensenator [hm=hm, (-) [KEwenig hieß der glaub ich. (-) ja genau; (-) DEN [hm=hm, [hat] ich mal als KUNden gehabt, (-) und der wollte [hm,] Unbedingt, (-) (h)ehern (-) zu seinem TURNschuh, (-} einen passenden ( . ) SOcken haben. (-) das werd ich NIE vergessen. ((fährt fort))

Beispiel (30) - (Telefon.3/w/f) 12:

B: 12: B: 12: 12: B:

ja, (1) gab=s da auch mal - konFLIKte an den ( . } arbeitsplätzen wo sie (1) geWIRkt haben? (1) so mib=m CHEF, (-) oder mit kolLEgen? mib=m chef NICH; n/ und ( . ) ICH selber persönlich NICH mit k o l [ L E g e n . ] aber (-) halt zwei kollEgen mal UNternander. die [hm=hm,] ham [ ( w o h l ) ] ihre disPUte gehabt; [hm=hm,] und wie harn SIE sich da verhalten, (-) neuTRAL;

Während die Bewerberin Telefon, l, befragt nach einem Konflikt im Laufe ihrer Berufstätigkeit, von einem missglückten Verkauf erzählt, war die Frage an die Bewerberin Telefon. 3 bereits sehr stark auf die Kollegen und den Chef eingegrenzt. Sie verneint zwar, persönlich in Konflikte involviert gewesen zu sein, berichtet aber von einer Konflikterfahrung mit Arbeitskollegen. Anders die ostdeutsche Bewerberin Telefon. 2. Der expliziten Thematisierung von Konflikten geht eine längere Sequenz voraus, in der sie nach ihrem Umgang mit Kritik befragt wird. Ihre Antworten bleiben ausweichend, ungeachtet des dreimaligen Nachhakens des Interviewers mit forcierter Deutlichkeit. Danach fragt er nach ihrem Umgang mit Konflikten: Beispiel (31) - (Telefon.2/o/f) 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

12:

B: 12: B: 12: B:

(so=n) konFLIKTfall. wie reaGIERn sie. (-) sind sie jemand der eher AUFbraust, oder ( s i n d = ) s i e jemand der IN sich gekehrt is; (1) wie geh[n sie grundSÄTZlich mit [m::hkonflikten um. hm=ich: hör mir das eigntlich erstma AN? .h hm=hm, ( 1 . 5 ) und Sicher; aber dass ich j e t z AUFbrau(send) bin oder so NICH. wenn es geRECHTfertigt is, sach=ich, (1) okay, is: (.) is pasSIERT? un:=man hört sich das AN, denk ich ma, un=[man probiert das irgendwie zu (a) (-) zu

227 12 13

12: B:

[hm=hm, (.) verARbeiten;

Während der Interviewer eine themarische Umfokussierung von "Kritik" auf "Konflikt" vollzieht, antwortet die Bewerberin auf die Frage mit Ausführungen zu ihrem Umgang mit Kritik. Das kann entweder ein Hinweis darauf sein, dass Kritik und Konflikthaftigkeit für die Bewerberin sehr eng miteinander verknüpft sind, so dass diese Antwort aus ihrer Perspektive eine relevante ist. Der Interviewer hakt nach, engt stärker auf eine konfliktträchtige Situation ein und entwirft einen exemplarischen Konfliktfall mit dem bereits notorischen cholerischen Chef:

Beispiel (32) - (Telefon.2/o/f) 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27

II: B: B: II:

un=was machen sie DANN, wenn=s [ungerechtfertigt is, [ja na dann [sollte man-/ ] [der chef S C H I E J ß T sie an. ich sach=ma dieser choLErische chef, [ ( d e n sie . . . ) ] B: [ j a ; ( . ) ja; ] nee dann sollte man sich doch schon WEHRN denk ich mal. II: «p>TUN sie das?> B: « p > j a ; > (-) . h e : h (-) j o a . ( . ) würd ich SCHON sagen. ( . ) doch. wenn=s U N g e r e c h t ( . ) f e r t i g t is, würd ich SCHON sagen, dass ich da doch reaGIERn würde; ((...}) II: vielleicht (-) ham sie=ne situation im KOPF; «p,dim> wo sie mal ungerechtfertigt kritisiert wurden.> B: ( ( s e u f z t leise}) (-) «p>is mir eigntlich bis j e t z noch nich so-/ (-) kann ich mich j e t z eigntlich nich dran erINnern muss ich e h r [ l i e h sagn. II: «p>[hm=hm,> B: (1) j a , > (-) wenn irgendwas WAR, öde:r so, .h (-) « a l l > ( d a n n h a = i c h ) = j e s a c h t oKAY?> ich mein daraus LERNT man? aber- .hh (-) is mir eigntlich noch nich pasSIERT muss ich sagen, oder kann ich mich j e t z ( . ) im moment nich [erINnern. II: («p>[hm=hm?>) 12?: « p > ( o k a y ; ) > II: is nich SCHLIMM. ( ( e s folgt 12 mit Rollenspiel "Konflikt im T e a m " ) )

Im Gegensatz zu den anderen vier Kandidatinnen verweist die Bewerberin nicht auf einen konkreten Fall als Beleg und greift auch eine entsprechende Vorlage, die der Interviewer liefert (Z. 4f), nicht auf. Sie bleibt hypothetisch (vgl. den Konjunktiv sollte man sich doch schon WEHRN, Z. 6f) und auch die Wahl des "man" entspricht, gemessen an der vom Interviewer relevant gesetzten "ich"-Perspektive, einer Depersonalisierungsstrategie (zu Perspektivenverschiebungen vgl. Kern, im Erscheinen). Diese Vagheit der Antwort veranlasst den Interviewer zu einer weiteren Nachfrage: TUN sie das? (Z. 8), deren relativ leises Niveau eine gewisse Nachdrücklichkeit und zunehmende Ungeduld kontextualisiert. Aber auch die folgende Antwort verankert sie statt im Faktischen konjunktivisch im Bereich des Möglichen. Eine letzte Aufforderung des Interviewers, von einer einschlägigen Situation zu erzählen, weist sie mit der Begründung zurück, sie könne sich an keine erinnern. (Die Glaubwürdigkeit dieser Aussage wird für den Interviewer sicherlich davon beeinträchtigt,

228 dass sie die letzte Stelle wegen der cholerischen Ausbrüche des Chefs gekündigt hatte und die Anspielung des Interviewers darauf in Z. 4f lässt vermuten, dass er von einer hohen Wahrscheinlichkeit zahlreicher konfliktträchtiger Situationen ausgeht.) Die Antworten der Bewerberin Telefon.2 auf persönliche Fragen fallen insgesamt sehr ausweichend aus (vgl. a. Kap. 4.2.1). Auf eine lange Kette insistierender Nachfragen (die hier bei weitem nicht alle aufgeführt wurden) reagiert sie mit gleichbleibender ausweichender Freundlichkeit und unter Vermeidung jeglicher Form dissenten Konterns. Dieses entspricht in den Grundzügen dem konversationellen Stil, wie er sich bei der Untersuchung von Nichtübereinstimmung abzeichnet. An das eigentliche Bewerbungsgespräch schließt sich ein Feedback mit der Bewerberin an, in dem die Interviewer/innen dieses Antwortverhalten sehr negativ bewerten (vgl. a. Birkner, im Erscheinen), ungeachtet der anders lautenden Versicherung des Interviewers im Transkript (vgl. is nich SCHLIMM, Z. 26). Beispiel (33) 1

12:

2

3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22

B: 11: 12: B: B: 12 11 B: 12 B: 12 B: 12 B: 12 B:

12 B: B:

(Telefon.4/o/f) und dann ( . ) fehlende OFfenheit; ( . ) ehm hab ICH mir nochma hingeschrieben; (.) dass=se sagen MENSCH- (1) wie geh ich mit konFLIKten um, un=und [eh [ja, ja [(stimmt) wie [(WARN) Konflikte.= [hm=hm, =hm=hm,= =nee hab ich noch nich geHABT. ja.= = j a ; (1) (nö;) liebe [frau HOLske. (-) je [der mEnsch hat konFLIKte,-=wir [klar; [ja; ALle, ja [so (ja aber/) ] [und DA so=n biß]chen einfach (-) hm [auch OFfener [ja; sein.= =hm=hm,= =dass [man sie irgendwo EINschätzen kann. [hm=hm, ja;

Sehr deutlich formuliert der Interviewer hier seine Bewertung von Konflikten. Unter Berufung auf den Gemeinplatz (jeder mEnsch hat konFLIKte, Z. 12) bestätigt sich, dass er den Aussagen der Bewerberin, keine Konflikte gehabt zu haben, nicht glaubt. Damit hält er ihr eine Einschätzung entgegen, nach der Konflikte normal und moralisch nicht verurteilungswürdig sind. (Zur Analyse der Belehrungssequenz, in der die Bewerberin über entsprechende Erwartungen und Bedingungen der Gattung aufgeklärt wird, vgl. Kap. 4.2.2) Betrachten wir nun die Aussagen der zweiten ostdeutschen Bewerberin. Auf die Frage gab=s auch ma so=n bisschen konFLIKte? (.) da (.) an den ARbeitsplätzen wo sie warn? hatte sie von einem konkreten Fall mit unzuverlässigen Kolleg/inn/en berichtet und betont, dass sie Probleme immer anspräche. Anschließend wird sie gefragt, ob es auch mit dem Chef einmal Konflikte gegeben habe:

229 Beispiel (34) - (Telefon.4/o/f) 12: B:

un=d mit ihrem CHEF? ham=se auch mal, «entrüstet, f f > N E I : N ; >

(-) so=n paar-

12:

(-) disKURse gehabt, NEIN?=

B: 12: B: 12:

=nie. weil s=sich so gut mit dem verSTANden habe. (-) nee das hat DAmit nischt zu [tun; (da hab i c h ) reschPEKT. [nee,

B:

hehe[hehehehehehehehehe]

12:

[sie haben r e s P E K T . ]

B: 12:

j a ; resPEKT; [ ( . ) j a ] also/ [aha, ]

Ihre starke Distanzierung begründet die Bewerberin mit Respekt vor Vorgesetzten, dem sie sogar über konkrete Personen hinausgehend den Status einer allgemeingültigen Norm zuweist. Diese Aussage trägt direkt zu ihrer Einschätzung als nicht konfliktfähig bei, wie die Nachbesprechung im Interviewerteam zeigt: Beispiel (35) - Nachbesprechung (Telefon.4/o/f) II:

sie [ist, K.B.] wahrscheinlich eben auch Teamkollegen gegenüber nicht konfliktfahig. Deutliches Zeichen haben wir gesehen, dass sie gegenüber ner Führungskraft wenig konfliktfahig is.

((.-)) 12:

Konflikte hat sie Probleme mit, weil sie da auch, ja wie sich jetzt so im Lauf der Gespräche herauskristallisiert hat, die östliche Mentalität hat, dass sie damit hinter dem Berg hält, ganz klar.

Hier wird die Selbstaussage bezüglich des Konfliktverhaltens gegenüber Vorgesetzten auch auf die Kolleg/inn/en übertragen, ungeachtet des Fallbeispiels, mit dem sie zuvor Konfliktbereitschaft und Lösungsstrategien belegt hatte. Zudem ist 12 zu der Einschätzung gekommen, dass sie die östliche Mentalität teile, nach der Ostdeutsche sich in ihrer Konfliktbereitschaft von Westdeutschen unterscheiden. Die Fremdeinschätzung der Gruppe der Ostdeutschen wird auch in den Experteninterviews sehr deutlich.

6.4.2 Die Experteninterviews Besonders die professionalisierten und in Gesprächsführung geschulten Interviewenden aus dem Telefon-Korpus haben eine hohe Aufmerksamkeit für kommunikative Phänomene und benennen Unterschiede in den konversationellen Stilen der ost- und westdeutschen Bewerbenden. So machen die Personalexperten/Interviewer aus den 7e/e/ön-Gesprächen in den ethnographischen Interviews auch Aussagen darüber, wie sie den Umgang von Ostund Westdeutschen mit Konflikten wahrnehmen: Ostdeutsche seien weniger konfliktfahig, was als mangelndes Selbstbewusstsein und wenig souveränes Auftreten interpretiert wird (kann sich nicht verkaufen, Experteninterview Telefon.B/12). Häufig wird Konfliktfähigkeit auch mit Teamfahigkeit assoziiert, die als Schlüsselqualifikation gilt, so dass ihr Fehlen ein gewichtiges Manko für die Eignung darstellt (vgl. a. Kap. 3). Filialleiter Telefon.B führt das im Experteninterview folgendermaßen aus:

230

Beispiel (36) - Experteninterview (Telefon.B) E:

Wenn wir unter Teamföhigkeit auch diesen Begriff Konfliktbereitschaft und Konfliktfähigkeit mit ein/ließen lassen wollen, is es schon so, dass die 'nen bisschen zurückhaltender sind, die Ossis.

Später beurteilt er Ostdeutsche als sehr autoritätshörig, teilweise so, was der Chef sagt, das isses, und da wird nicht widersprochen. Typisch sei es ferner, Konflikte am Arbeitsplatz abzustreiten: Beispiel (37) - Experteninterview (Telefon.B) E:

Standardaussage von Ossis is so, Standard nich, aber die oft kommt, < nee, da war immer super Stimmung und is immer klasse gewesen. > Aber es gab doch mal Theater mit m=Chef. Nee. Das war immer super, wir haben uns gut verstanden, wir warn nen gutes Kollektiv. So. Und dann konkretisieren se das noch zweimal, kommt nix, kommt nix. Das is Ossi, da weiß ich, hundertprozentig Ossi und das is so ne Sache, die sehr schwer zu knacken is.

Konfiiktfahigkeit wird auch häufig mit Kritikfähigkeit in Zusammenhang gebracht. Beispiel (38) - Experteninterview (Telefon.B) E:

Die Wessis insbesondere sagen sofort, was ihnen stinkt, die sind eher am Masern und beschweren sich auch über irgendwas, was jetzt nicht unbedingt Teamföhigkeit und Konfliktfahigkeit heißen muss, aber ehm sie haben sie vielleicht nen kleinen Vorsprung, was dieses Sagen von Missständen oder von Dingen angeht, die sie stören.

Experte Telefon.Afll beobachtet ähnliches: Beispiel (39) - Experteninterview (Telefon.A) E:

Is so Mund aufmachen und zu seiner eigenen Meinung stehen, auch mal Ecken und Kanten irgendwo zu liefern, da liegt der Schluss einfach sehr nahe, (...) dass die Leute früher eben auch son bisschen dahingehend sozialisiert wurden, eben ruhig zu bleiben, angepasst zu bleiben und eben nicht rauszugucken.

Diese Einschätzungen entsprechen den Bewertungen der Ostbewerberinnen, die die Interviewenden auch in der Nachbesprechungen geäußert hatten. Dass diese Urteile teilweise durch stereotypisierte Erwartungen der Interviewenden geleitet sein könnten, deutet das folgende Beispiel an: Verfolgt man das Bewerbungsgespräch mit der Kandidatin Telefon.4 weiter, die ausgesagt hatte, dass sie diskurse mit Vorgesetzten aus Respekt vermeide (vgl, Bsp. 34), stößt man zu einem späteren Zeitpunkt in einem etwas anderen thematischen Zusammenhang auf eine aufschlussreiche Erzählung: Beispiel (40) - (Telefon.4/o/f) 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

B: II: B: 12: B:

II: B:

ich hab Einen fehler; ich bin zu sehr OFfen ja; ( . ) eh (1) ich SA[ge .h (-) DAS was ich ] [ ( i c h seh das nicht als fehler a n ; ) ] hier [DRIN] habe, ( . ) SAG ich manschma; und da muss ich [hm ] manschma sehr (.) VORsichtig sein dabei, .h (.} also ich schlucke denn DOCH paar ma; sagst=es? Sagst=es NICH; ja, (-) also zum beispiel, meine CHEfin sagt, ( . ) «h>IMmer wenn ich die BESten Umsätze hatte?= =hm=hm,= =KAM sie?> (-} u n : d (.) rief AN, und sagt, da und DA stimmt irgendwas nich, und DA, un=da sag ich, (.) .h

23 i 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32

N E E . sie hat=s ANdern erzählt; und die ham=s mir WIEdererzählt? · ((...)) B: und dann geh ich ZU ihr. (-) un=[dann sa=ich ( N A m e ) , eh II: [hm=hm, B: ich muss mit dir REden? oder ich r u f = s e AN? [ich sage II: [hm=hm, B: wenn=de ma ZEIT hast? eh (-) .h müssen=ma REden. un=dann SAG i=ihr das. ich sage (NAme) (-) das kannst mir Eigentlich ins geSICHT sagen, du MUSST es nich andren. .h na es war ja nich so geMEINT, ich sage NEE. aber, .h «h>IMmer?> ( . ) hat=se d a s we/ ( . ) MITtlerweile j e t z geMACHT; immer we=ich GUT w a r . II: GUte erfahrungen damit gemacht, mit DIEser [ ( - ) B: [ja. II: handlungs[weise, oder SCHLECHte e r f a h r u n g e n . ] B: [ICH war beruhigt, sie AUCH. ] 12: (-) hm=[hm, B: [GUte erfahrungen. 12: hm=hm,

Vorausgegangen war die Aufforderung, ihre Aussage zu erläutern, dass sie im Westen gelernt habe, dass sie nicht alles sagen dürfe, was sie denke. Daraufhin schildert sie ausführlich eine Situation, in der sie ihre Chefin damit konfrontierte, hinter ihrem Rücken unberechtigterweise abfällig über ihre Umsatzzahlen geredet zu haben. Sie liefert hier ein exzellentes Beispiel für eine Konfliktlösung (ohne den Begriff "Konflikt" zu verwenden) mit einer Vorgesetzten; ihr Vorgehen, aktiv das Gespräch zu suchen und das Problem anzusprechen, dürfte sich mit den Vorstellungen der Interviewenden völlig decken. Dennoch ändert das nichts an ihrer Einschätzung als konfliktunfahig, ein gravierender Grund für ihre Ablehnung (vgl. die Nachbesprechung Bsp. 35). Wie passt die Erzählung eines offensiv und erfolgreich gelösten Konflikts mit einer Vorgesetzten zu der wenige Minuten zuvor getroffenen Aussage, aus Respekt Konfliktkommunikation mit dem Chef abzulehnen? Zunächst ist festzuhalten, dass die beiden Fälle auf verschiedenen Ebenen liegen. Die Aussage "Konfliktvermeidung aus Respekt" ist eher ein moralisches Statement, in dem ein kommunikativer Wert formuliert wird. Die Erzählung von einem Konflikt dagegen fungiert als Beleg für eine kritische Sicht auf den Westen und vielleicht ist der Bewerberin ein Lapsus unterlaufen, als sie ihre eigenen Worte vom Respekt Lügen strafte. Interessanterweise führt sie dieses Verhalten als fehler ein, wogegen der Interviewer ausdrücklich widerspricht. Hier deutet sich (wie schon bei Telefon. 2} an, dass der Begriff "Konflikt" und auch konfliktbereites kommunikatives Verhalten am Arbeitsplatz allgemein für Bewerberin und Interviewer sehr unterschiedliche Konnotationen haben. Während er für die Bewerberin eher negative moralische Implikationen zu haben scheint, verknüpft der Begriff für den Interviewer eine Reihe von positiven Schlüsselqualifikationen - zumindest im Rahmen des Bewerbungsgesprächs und der Arbeitswelt. Auch das ausweichende Verhalten der Bewerberin aus Beispiel (32), die erst nach massiver thematischer Forcierung eine - und zwar nur hypothetische - Notwendigkeit für Konfliktbearbeitung einräumt, ließe sich aus dieser Perspektive betrachten.

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Das Beispiel veranlasst ferner einige Überlegungen in Bezug auf die Gattung. Es scheint, als bekäme man in Bewerbungsgesprächen schlechterdings keine zweite Chance. Die Frage nach Konflikten mit Vorgesetzten wird in bestimmter Weise beantwortet und "abgehakt". Auch wenn die Bewerberin später eine aus Sicht der Interviewenden erwünschte Antwort liefert, revidieren die Interviewenden den gewonnenen Eindruck nicht. Es liegt nahe, anzunehmen, dass das im vorliegenden Fall dadurch verstärkt wird, dass sich die erste Antwort mit den Stereotypen der Interviewer in Bezug auf typisch ostdeutsche Konfliktvermeidung deckt.

6.5 Zusammenfassung Es wurden Sequenzen untersucht, die von drei ausgewählten Interviewerverfahren eingeleitet werden, in denen für die Aufrechterhaltung einer erfolgreichen Selbstdarstellung die Nichtübereinstimmung von Bewerbenden angezeigt war. Die Unterschiede in den Antwortreaktionen von Ost- und Westdeutschen lassen sich als differente konversationeile Stile fassen. Wenn diese Unterschiede auch keine exklusiven Differenzen der beiden Gruppen darstellen, so weisen die Ergebnisse doch sehr deutliche Tendenzen auf: Während Ostbewerbende eher einen konsensorientierten konversationellen Stil wählen, erweisen sich Westbewerbende häufig als dissensorientierter. Dieses Ergebnis wird auch durch die Tatsache bestätigt, dass die seltenen Initiativen zu Nichtübereinstimmung ausschließlich von Westbewerbenden stammen. Die interaktiven Konsequenzen dieser zwei konversationellen Orientierungen sind auffallig: Das Signalisieren von Dissensbereitschaft durch die Verwendung starker und schwacher Nichtübereinstimmungsformate führt keineswegs in antagonistische Interaktionen. Vielmehr stellen Westbewerbende (z.B. durch Kontern) ein gewisses Gleichgewicht her, wie es Kallmeyer/Schmitt (1996) schon für das Forcieren in anderen Kontexten beschrieben haben, und die Interviewenden beenden die kritischen Momente zumeist rasch durch thematische Umfokussierungen o.a. Dissensvermeidung durch die Verwendung schwacher Übereinstimmung und Defokussierung der Dissenskeme in den untersuchten Kontexten, wie es besonders bei Ostbewerbenden zu verzeichnen ist, führt dagegen häufig zu weiteren kritischen Nachfragen und zur Verfestigung von in den Interviewerfragen angelegten Negativeinschätzungen. Der Umgang mit Nichtübereinstimmung kann mit Konfliktverhalten in Beziehung gesetzt werden. In den Nachbesprechungen und Experteninterviews werden Zuschreibungen der Interviewenden explizit, nach denen eine "typische ostdeutsche Mentalität" durch die Vermeidung von Konflikten und die fehlende Bereitschaft, Kritik zu äußern, bestimmt ist. Westdeutschen wird dagegen eine größere Konfliktbereitschaft zugeschrieben. Die Aussagen einiger Bewerberinnen zu ihrem Umgang mit Konflikten am Arbeitsplatz sind in dieser Hinsicht aufschlussreich: Während die (West-)Interviewer eine Bewertung von Konflikten als normal und unproblematisch zugrundelegen, reflektieren die Aussagen der Ostbewerberinnen eine andere Normorientierung: Das Leugnen von Konflikterfahrungen sowie die moralische Ablehnung von Konfliktbereitschaft gegenüber Vorgesetzten deutet auf eine negative Bewertung von Konflikten hin. Das wird übrigens auch von ande-

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ren Beobachtern von Ost/West-Interaktionen festgestellt; Wagner konstatiert im Bereich der Konfliktbereitschaft deutliche Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen: Westdeutsche "heben das Trennende hervor und sind zum Konflikt bereit", Ostdeutsche dagegen "überspielen den Konflikt und betonen verbindende Rituale" (Wagner 1996:171). Damit signalisieren vermeintlich beide Gruppen der jeweils anderen positive Werte: die Westbewerbenden "Offenheit" und "Gesprächsbereitschaft", die Ostbewerbenden "Solidarität" und "Freundlichkeit" (ebd.). Eine weitere, ergänzende Hypothese für die sehr deutlichen Präferenzen bei der Wahl konversationeller Stile greift auf den Kontext der Bewerbungsgespräche zurück. Während Westdeutsche (Interviewende wie Bewerbende) eher bemüht sind, eine Asymmetrie herunterzuspielen, kollidiert Nichtübereinstimmung mit Interviewenden für Ostbewerbende mit einer stärker hierarchischen Situationsdefinition, die von (symbolischen) Normen wie Respekt bestimmt ist. Die demonstrative Entrüstung, mit der die Bewerberin im Beispiel (34) Konflikte mit Vorgesetzten von sich weist, lässt sich in Lichte ihrer Erzählung über die erfolgreiche Konfliktbearbeitung mit der Chefin auch als eine Frage von Gattungswissen interpretieren: Wie viel Konfliktbereitschaft kann und muss eigentlich in Bewerbungsgesprächen zum Ausdruck gebracht werden?

Diese unterschiedliche kommunikative Orientierung fuhrt in gemischten Gruppen besonders häufig zu Ärgernissen: "Die Westdeutschen kritisierten frisch von der Leber weg drauflos und meinten, durch dieses Verhalten ihre Gesprächspartner für sich zu gewinnen, denn sie bewiesen ja damit ihre Offenheit und dass sie ihre ostdeutschen Gesprächspartner für voll nahmen. Die meisten Ostdeutschen (außer den wenigen Kämpfern, die es natürlich auch unter ihnen gibt) bleiben zuerst freundlich, wurden dann aber immer stiller und zogen sich bald ganz zurück, was sie in den Augen der Westdeutschen zu verlogenen Feiglingen stempelte. Dabei waren die ostdeutschen Gruppenmitglieder häufig bis ins Innerste von der für sie herabwürdigenden und bedrohlichen Aggressivität betroffen." (Wagner 1996:171)

Schlussbetrachtung

Ziel der vorliegenden Arbeit war es, zu untersuchen, ob sich Unterschiede im sprachlichen Handeln von Ost- und Westdeutschen in Bewerbungsgesprächen feststellen lassen. Als eine Arbeit, die sich an gesprächsanalytischen Grundannahmen orientiert, war der Nachweis der interaktiven Relevanz der untersuchten Phänomene für die Beteiligten ein wesentlicher Maßstab. In Kapitel l erfolgte die theoretisch-methodische Grundlegung der Arbeit. Mit der Darstellung des Forschungsstandes zu Bewerbungsgesprächen als institutionalisierter Interaktionsform einerseits und der Klärung der Bedingungen von interkultureller Kommunikation andererseits waren die Voraussetzungen geschaffen für die Untersuchung von ost/westdeutschen Bewerbungsgesprächen in einer empirischen, interaktionsanalytischen und kontrastiven Forschungsperspektive. Ferner wurde die Grundannahme der Arbeit begründet, dass kulturelle Zugehörigkeit wesentlich auf geteiltem Wissen um kommunikative Praktiken basiert. Wie die ausführliche Darstellung gezeigt hat, bietet das Konzept der kommunikativen Gattungen hierzu einen geeigneten analytischen Zugang: Bewerbungsgespräche als Gattung stellen einen Komplex von Wissensbeständen über kulturgeprägte, kommunikative Praktiken dar. Das Konzept ermöglicht nicht nur die Berücksichtigung von Wissen, das die Interaktanten in die Situation einbringen, sondern ist gleichzeitig offen für die lokale Herstellung und die interaktive Aushandlung von Bedeutung. Auf einer breiten empirischen Basis von Bewerbungsgesprächen, Rollenspielen, Experteninterviews und Nachbesprechungen, die in Kapitel 2 ausführlich vorgestellt wurde, erfolgte in Kapitel 3 die Rekonstruktion der kommunikativen Gattung "Bewerbungsgespräch" aus dem vorhandenen Datenmaterial. Die drei Ebenen des Gattungskonzeptes Außen-, Zwischen- und Binnenstruktur wurden anhand von Beispielen aus den authentischen und rollengespielten Bewerbungsgesprächen illustriert, ergänzt durch Aussagen der Interviewer/innen in Experteninterviews oder Nachbesprechungen. Diese Ergänzung durch Sekundärdaten erwies sich aufgrund der Besonderheiten von Bewerbungsgesprächen als notwendig und fruchtbar. Die Beteiligungsrolle von Interviewenden sieht im Wesentlichen die Auswahl und Evaluation von Bewerbenden vor. Die dazu dienenden Bewertungsverfahren sind zwar allgegenwärtig, gehören aber weitgehend zum "Unaussprechlichen" (Komter 1991:37) der Gattung. Die Interviewfragen sind darüber hinaus häufig von einer "versteckten Agenda" geprägt. Um diese impliziten Dimensionen zu erfassen, wurden die Experteninterviews ausgewertet und Maximen der Interviewführung daraus gewonnen. Sie gewähren einen Einblick in die Grundlagen des interpretations- und bewertungsgeleiteten Handelns und in Präferenzen und Relevanzen der Gattung. Die Ergänzung von Primär- und Sekundärdaten hat sich somit als methodischer Zugewinn erwiesen. Bewerbungsgespräche haben zwar in den letzten Jahrzehnten eine zunehmende Institutionalisierung und Verschulung erfahren, doch grundsätzlich ist Gattungswissen als kulturelles Wissen an Erfahrungen in der Kommunikationsgemeinschaft gebunden. Kapitel 4 beschäftigte sich mit einer besonderen Form des "learning by doing", und zwar mit Aus-

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handlungsprozessen von Gattungswissen im (Bewerbungs-)Gespräch und damit mit einer Form des Transfers von gesellschaftlich relevantem Wissen. Die Analysen haben gezeigt, dass in diesem Wissenstransfer auch die interkulturelle Aushandlung von Angemessenheit und Legitimität von Gattungswissen vollzogen wird. Für Ostbewerbende bedeutet die Gattung "Bewerbungsgespräch" in ihrer westdeutschen Ausprägung die Konfrontation mit einer großen Zahl neuer kommunikativer Praktiken, Normen und Regeln. Die interaktive Bearbeitung von Gattungswissen wird als Lehr/Lernprozesse vollzogen; dieser verläuft allerdings häufig nicht neutral, sondern als asymmetrisierende Belehrung durch die (westdeutschen) Interviewenden. Es ist nicht allein auf die Asymmetrie der Beteiligungsrollen Interviewende/Bewerbende zurückzuführen, dass solche Belehrungen besonders Ostdeutsche als Neulinge auf dem westdeutsch dominierten Arbeitsmarkt betreffen, sondern hier kommt auch ein hegemonialer Anspruch westdeutscher Interviewender auf die Legitimität ihres (kulturellen) Wissens zum Ausdruck.1 In diesen Aushandlungs- und Deutungsprozessen im sprachlichen Handeln vollziehen sich die Kämpfe um einen kulturellen Konsens (Wimmer 1996). Welche Grenzen der Konsensbildung und der Verhandelbarkeit von Gattungsnormen und -relevanzen in deutschdeutschen Bewerbungsgesprächen jedoch gesetzt sind, deutet sich ebenfalls an; in den "Lektionen" und mehr noch in den Belehrungen kommt ein Anspruch der Interviewenden auf die Gültigkeit ihres westdeutschen Gattungswissens zum Ausdruck, der für abweichende Konzepte keinen Platz lässt. Damit gibt die Untersuchung auch eine Antwort auf die Frage, wie sich ein Sprachwandel unter den ökonomischen und hegemonialen Bedingungen des wiedervereinigten Deutschlands vollzieht. Zumindest in Bezug auf die Gattung "Bewerbungsgespräch" ist festzustellen, dass die kommunikativen Praktiken nach westdeutschem Muster durchgesetzt werden. Nach der Untersuchung interaktiver Aushandlungsprozesse in Bezug auf Gattungswissen kann die Relevanz von Wissensdifferenzen in der ost/westdeutschen Kommunikation als belegt gelten. Dieser Aspekt wurde in Kapitel 5 unter einer stärker kontrastiven Perspektive weiter verfolgt. Gattungswissen umfasst auch die Kenntnis, dass Bewerbungsgespräche nicht nur über eine Reihe "typischer Fragen", sondern auch über "präferierte Antworten" verfügen, die sich u.a. dadurch auszeichnen, dass sie die "versteckte Agenda" und argumentative Dilemmata stärker berücksichtigen als andere Antworten. Bei der Untersuchung von Antworten auf die Frage zur Selbstattribuierung, der Gehalts- und der Perspektivenfrage wurden Gemeinsamkeiten in den Antworten von Ostdeutschen gegenüber Antworten von Westdeutschen festgestellt. Westdeutsche lassen eine stärkere Orientierung als Ostdeutsche an den impliziten Kriterien der Interviewer/innen und "präferierten Antworten" der Gattung erkennen. Weiterhin lassen sich Rekurrenzen in den ostdeutschen bzw. westdeutschen Antworten als konversationeile Stilpräferenzen interpretieren: Während Ostdeutsche zu einer stärkeren Indirektheit tendieren, zeichnen sich die Antworten der Wagner beschreibt den sprachlichen Belehrungsanspruch der Westdeutschen folgendermaßen "Wenn Ostdeutsche von 'Kapitalismus' reden, wird ihnen gesagt, den gebe es in Deutschland nicht, da herrsche 'Marktwirtschaft'. Wenn sie von ihrem Kollektiv erzählen, werden sie von Westdeutschen entsetzt angestarrt, weil diese an Kollektivierung denken und nicht an 'Teamarbeit'. Wenn sie 'man' benutzen statt 'ich', wird ihnen unterstellt, sie wollten sich verstecken. [...] Den Ostdeutschen wird in allen Bereichen eine sprachliche Unterwerfung unter den symbolischen Rigorismus der Westdeutschen abgefordert, dem sie sich nicht beugen mögen." (Wagner 1996:114)

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Westdeutschen durch Direktheit aus. Die Ergebnisse rufen also zwei Erklärungshintergründe auf: Einerseits verweisen die Unterschiede auf Differenzen im Gattungswissen und andererseits auf unterschiedliche konversationeile Stile. Der Frage nach dem Verhältnis dieser beiden Erklärungsansätze wurde in Kapitel 6 weiter verfolgt. In spezifischen Kontexten von Interviewfragen, in denen Nichtübereinstimmung mit dem/der Interviewenden zum Ausdruck gebracht werden musste, konnten unterschiedliche konversationeile Stile von Ost- und Westbewerbenden aufgezeigt werden. Während Ostbewerbende sich durch Konsensorientierung auszeichnen, weisen Westbewerbende eine höhere, bisweilen spielerische Dissensbereitschaft auf. Der Umgang mit Nichtübereinstimmung spielt eine große Rolle bei der Einschätzung von Konfliktfähigkeit, die bei vielen Interviewer/inne/n als eine zentrale soziale Kompetenz gilt. In den Experteninterviews kamen stereotype Einstellungen einiger Interviewer gegenüber Ostdeutschen als weniger konfliktfähig zum Ausdruck; diese scheinen auch bei der Behandlung und Auswertung des Themas "Konfliktfähigkeit" auf der expliziten Agenda des Bewerbungsgesprächs im Spiel zu sein. Die Bevorzugung eines spezifischen konversationeilen Stils ist jedoch nicht als Beleg dafür zu werten, dass Westbewerbende in einem faktischen Sinne konfliktfähiger bzw. Ostbewerbende weniger konfliktfähig sind, sie verweist vielmehr auf konversationeile Normen und Werte auf einer symbolischen Ebene. Hier muss wieder der situative Kontext berücksichtigt werden: Auch in Bezug auf Dissensbereitschaft spielt das Wissen darum, wie viel davon im Rahmen der Gattung zum Ausdruck kommen sollte, eine Rolle. In der Performanz der Gattung als einer kulturellen Praxis liegt ein symbolischer Gehalt von geteiltem Wissen und Zugehörigkeit; Divergenzen im kulturellen Handlungswissen führen in vielen Fällen zu einem Mehraufwand an Aushandlung und auch zu Turbulenzen im Gesprächsverlauf, die häufig mit negativen Konsequenzen für die positive Selbstdarstellung verbunden sind. Das wiegt in einer "gatekeeping"-Gattung wie dem Bewerbungsgespräch, in der über soziale Chancen entschieden wird, schwer. Zweifelsohne sollte man sich hüten, in unterschiedlicher kultureller Herkunft allzu leichtfertig den Ausgangspunkt für kommunikative Störungen zu suchen und mit der Arbeitshypothese zu starten, dass die Zugehörigkeit zu verschiedenen kulturellen Gruppen zwangsläufig zu Missverständnissen führt (vgl. zur Diskussion innerhalb der IKKF Kap. l. l .4). Wer plakaktive Ergebnisse in Bezug auf Ost/ West-Differenzen erwartet hat, wurde vielleicht enttäuscht. Weite Teile der Bewerbungsgespräche des Datenkorpus verlaufen in Bezug auf eine Ost-/Westdifferenz völlig unauffällig, ein Faktum, das aus Darstellungsgründen und der thematischen Fokussierung der Arbeit auf Differenzen manchmal in den Hintergrund getreten sein mag. Erst die Mikroanalyse, verbunden mit einem Vergleich rekurrenter Phänomene und der ständigen Rückbindung an den Kontext, ist in der Lage, Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen aufzuzeigen. Sie macht es möglich, die Verbreitung und Durchsetzung von kulturellem Handlungswissen sowie spezifische deutsch-deutsche Sprachkontaktphänomene unter sehr besonderen gesellschaftlichen Bedingungen zu aufzuzeigen.

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