Besteuerung der öffentlichen Hand 9783504386795

Das Werk erläutert die systematischen Grundlagen über die Besteuerung der öffentlichen Hand nach Einzelsteuergesetzen bi

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Table of contents :
Vorwort
Inhaltsübersicht
Abkürzungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
1. Teil Grundlagen
Kapitel 1. Organisationsformen und Strukturen der Aufgabenerfüllung der öffentlichen Hand
Inhalt
Literatur
A. Einleitung
B. Wettbewerbsteilnahme der öffentlichen Hand
C. Organisatorische Rahmenbedingungen der Aufgabenerfüllung durch die öffentliche Hand
D. Strukturen staatlicher Aufgabenerfüllung
E. Steuerliche Implikationen struktureller und organisatorischer Vorgaben
Kapitel 2. Grundlagen der Besteuerung der öffentlichen Hand
Inhalt
Literatur
A. Überblick über die Besteuerung der öffentlichen Hand
B. Historischer Abriss
C. Verfassungsrechtlicher Rahmen
D. Europarechtliche Vorgaben für die Besteuerung der öffentlichen Hand
E. Öffentliche Hand und Gemeinnützigkeit
Kapitel 3. Umsatzsteuerrecht als Schlüsselmaterie
Inhalt
A. Die juristische Person des öffentlichen Rechts im Fokus der Umsatzbesteuerung
B. Das Umsatzsteuergesetz – Herausforderungen für juristische Personen des öffentlichen Rechts aus rechtlicher Sicht
C. Herausforderungen faktischer Natur
2. Teil Die Besteuerung der öffentlichen Hand nach den Einzelsteuergesetzen
Kapitel 4. Körperschaftsteuer
Inhalt
A. Die Besteuerung der Betriebe gewerblicher Art nach § 4 KStG
B. Einkommensermittlung im Sinne des § 8 KStG
C. Einkünfte aus Kapitalvermögen gem. § 20 Abs. 1 Nr. 10 EStG
D. Besonderheiten bei gemeinnützigen Betrieben gewerblicher Art
Kapitel 5. Die juristische Person/Einrichtung des öffentlichen Rechts im Umsatzsteuerrecht
Inhalt
A. Einführung
B. Rechtsgeschichtliche Entwicklung
C. Die Regelung in § 2b UStG
D. A bis Z
E. Fazit
Kapitel 6. Umsetzungsstrategien des § 2b UStG in der Verwaltung (Huschens)
Inhalt
A. Einführung
B. Wechselwirkungen zwischen § 2 Abs. 3 UStG und § 2b UStG
C. Die allgemeine Interpretation des § 2b UStG durch die Verwaltung
D. Bestimmung der Wesentlichkeitsgrenze des § 2b Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. d UStG
E. Gesonderte Prüfung möglicher größerer Wettbewerbsverzerrungen bei § 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG
F. Anstalt des öffentlichen Rechts im Anwendungsbereich des § 2b UStG – Leistungsbeziehungen zwischen einer AöR und ihrer Trägerkommune
G. Privatrechtliche Entgelte bei Leistungen der öffentlichen Hand unter Anschluss- und Benutzungszwang
H. Konzessionsabgaben
I. Wahrnehmung wesentlicher Teilaufgaben für eine andere jPöR in den Bereichen der Durchführung von hoheitlichen Aufgaben, z.B. Abwasserbeseitigung und Abfallentsorgung
J. Hoheitliche Hilfsgeschäfte – Allgemein
K. Hilfsgeschäfte im Entsorgungssektor
L. Steuerbefreiung für Kostenteilungsgemeinschaften (§ 4 Nr. 29 UStG)
M. Vor- und Nachteile einer (temporären) umsatzsteuerlichen Anrufungsauskunft für jPöR für Abgrenzungsfragen zum § 2b UStG
N. Umsatzsteuerliche Organschaft/Gruppenbesteuerung und Anstalten öffentlichen Rechts
O. Einzelsachverhalte, Einzelfragen
P. Vorsteuerabzug einer Kurortgemeinde aus den Kosten für die Errichtung und Unterhaltung von öffentlichen Kureinrichtungen
Q. Ausblick
Kapitel 7. Sonstige Einzelsteuergesetze
Inhalt
Literatur
A. Gewerbesteuer
B. Grundsteuer
C. Grunderwerbsteuer
D. Erbschaft- und Schenkungsteuer
E. Kraftfahrzeugsteuer
F. Luftverkehrsteuer
G. Versicherungsteuer
H. Stromsteuer
I. Energiesteuer
Kapitel 8. Verfahrensrecht
Inhalt
Literatur
A. Allgemeines
B. Stellung der öffentlichen Hand im Besteuerungsverfahren nach der AO
C. Steuerliche Beteiligungs- und Handlungsfähigkeit der öffentlichen Hand
D. Zuständigkeit der Finanzbehörden
E. Steuererklärungspflicht der öffentlichen Hand
F. Weitere Mitwirkungspflichten im Steuerfestsetzungsverfahren
G. Amtsermittlungsgrundsatz und Beweislast/Feststellungslast
H. Bekanntgabe von Steuerbescheiden
I. Festsetzungsverjährung
J. Bestandskraft von Steuerbescheiden
K. Einspruchsverfahren
L. Steuererhebungsverfahren
M. Zahlungsverjährung
N. Zinsen und Säumniszuschläge nach der AO
O. Vollstreckung
P. Gerichtliches Rechtsbehelfsverfahren
Kapitel 9. Kommunalverwaltung
Inhalt
Literatur
A. Parkplätze
B. Marktbetriebe
C. Verpachtungs-Betriebe gewerblicher Art und Betriebsaufspaltungsfälle
D. Museen, Theater und andere kulturelle Einrichtungen
E. Kurbetriebe, Tourismuseinrichtungen
F. Umsatzbesteuerung von Sportstätten, Bürgerhäusern, Stadthallen, Wissenschafts- und Kongresszentren (Gemeinschaftseinrichtungen) im Rahmen der Kommunalverwaltung
G. Entsorgungseinrichtungen – Abfallentsorgung, Abwasserbeseitigung und Straßenreinigung
Kapitel 10. Gesundheitswesen und Sozialversicherung
Inhalt
Literatur
A. Die Bedeutung der öffentlichen Hand für das Gesundheitswesen
B. Krankenhäuser in öffentlicher Trägerschaft
C. Sonstige Einrichtungen der Gesundheitsversorgung
D. Die Besteuerung der gesetzlichen Krankenkassen
Kapitel 11. Besteuerung der Hochschulen
Inhalt
Literatur
A. Ausgangslage
B. Hochschulrecht und Steuerrecht
Kapitel 12. Besteuerung von Religionsgemeinschaften
Inhalt
Literatur
A. Überlagerung des Steuerrechts durch Religions- und Steuerverfassungsrecht: Doppelte Neutralitätsanforderung
B. Organisationsfragen im Bereich von Religion und Besteuerung
C. Bedeutung der Wettbewerbsgleichheit für Religionsgemeinschaften
D. Fragen der Gemeinnützigkeit
E. Sonderprobleme des Ertragsteuerrechts
F. Sonderprobleme des Umsatzsteuerrechts
G. Sonstige Steuern
Stichwortverzeichnis
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Besteuerung der öffentlichen Hand
 9783504386795

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Musil/Küffner

Besteuerung der öffentlichen Hand

.

Besteuerung der öffentlichen Hand herausgegeben von

Prof. Dr. Andreas Musil † Vizepräsident Universität Potsdam

Prof. Dr. Thomas Küffner Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer München

2022

.

Bearbeiter Michael Baum Regierungsdirektor, Berlin

Prof. Dr. Andreas Musil † Vizepräsident Universität Potsdam

Dr. Christian Gastl Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Wiesbaden

Dr. jur. h.c. Thomas A.H. Schöck Assessor, Diplom-Volkswirt, Universitätskanzler a.D., Fürth

Stefan Gries Rechtsanwalt, Dreieich

Prof. Dr. Thomas Stapperfend Präsident des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg

Dr. Hans-Hermann Heidner Richter am Bundesfinanzhof, München

Prof. Dr. Christian Waldhoff Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin

Dr. Jens-Uwe Hinder, LL.M. Rechtsanwalt, Steuerberater, Berlin

Dr. Martin Westendorf, LL.M. Diplom-Finanzwirt (FH), Berlin

Ferdinand Huschens Diplom-Finanzwirt, Mahlow

Dr. Thomas Wiesch Richter am Finanzgericht Münster

Prof. Dr. Thomas Küffner Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, München

Zitierempfehlung: Verfasser in Musil/Küffner, Besteuerung der öffentlichen Hand, Rz. 1.1 ff.

2022

ÖKOSTROM mit

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-23032-6 © 2022 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungsbeständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung: Lichtenford, Mettmann Satz: Schäper, Bonn Druck und Verarbeitung: CPI books GmbH, Leck Printed in Germany 3 |

Vorwort Die Neuregelung des § 2b UStG mit einer Übergangsphase von sieben Jahren hat die Besteuerung von juristischen Personen des öffentlichen Rechts in den Fokus gerückt. Sämtliche Körperschaften mussten ihre Einnahmen – selbst wenn diese bislang nur von untergeordneter Bedeutung waren – neu bewerten. Viele Körperschaften wurden oder werden bis zum 31.12. 2022 daher erstmals steuerlich erfasst. Dies war Anlass und Grund für uns, ein neues Handbuch zur Besteuerung der öffentlichen Hand zu entwickeln. Das Handbuch widmet sich aber nicht nur dem neuen Umsatzsteuerrecht, sondern auch allen Feinheiten des Ertragsteuer- und Verfahrensrechts. Mein Mitherausgeber Musil hatte die Ursprungsidee für dieses Werk. Ihm gebührt ein besonderer Dank an dieser Stelle. Er hat mich schnell für das Konzept eines gemeinsamen Handbuchs begeistert. Zahlreiche weitere Mitautoren wurden gewonnen. Sie sind allesamt Experten in ihrem jeweiligen Spezialgebiet. Es war der Wunsch jedes Einzelnen, ein gemeinsames Handbuch entstehen zu lassen, das dem Praktiker nicht nur den Einstieg in diese schwierige Materie erleichtert, sondern ihn auch mit den Besonderheiten dieses Rechtsgebietes vertraut macht. Es gibt kaum eine spannendere Rechtsmaterie als die Besteuerung von Körperschaften des öffentlichen Rechts. Denn hier vereinen sich Fragen des Europarechts und des Beihilferechts, des allgemeinen Verwaltungsrechts und des Zivilrechts, aber auch schwierige Aspekte der Gewinnermittlung. Es geht dabei immer um die Klärung, ob die Sphäre der Besteuerung bereits erreicht ist oder noch nicht. Diese Frage ist eine echte Herausforderung und wird bereits seit über 100 Jahren diskutiert. Schon das Reichsstempelgesetz von 1916, einem Vorläufer des heutigen Umsatzsteuergesetzes, legte fest: „Die Gewerbsmäßigkeit einer Unternehmung wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass sie von einer Körperschaft des öffentlichen Rechts … betrieben wird.“ Ebenso lange existiert die Diskussion in der Ertragsteuer. Bereits im Körperschaftsteuergesetz 1925 war die Besteuerung von „Betrieben und Verwaltungen von Körperschaften des öffentlichen Rechts festgeschrieben, es sei denn, dass diese Betriebe und Verwaltungen der Ausübung von öffentlicher Gewalt dienen“. Bis heute ist die Grenzlinie zur Steuerpflicht nicht trennscharf gezogen. Der Praktiker steht täglich vor großen Aufgaben. Unser Ziel war es deshalb, ihm nicht nur eine Hilfestellung für die tägliche Arbeit zu geben, sondern ihm auch die dogmatischen Hintergründe zu erläutern. Kurz vor Drucklegung des Werkes erhielt ich die Nachricht vom überraschenden und viel zu frühen Tod meines Mitherausgebers, meines Kollegen Andreas Musil. Wir waren tief getroffen und sind sehr traurig. Zusammen mit dem Verlag haben wir uns entschieden, dieses Werk dennoch zu veröffentlichen. So hätte es Kollege Musil gewollt. Er hat so viel Herzblut in das Handbuch hineingesteckt. Es war ihm wichtig, dass es zügig erscheint. Wir haben also auch in seinem Sinne gehandelt. Ihm ist die 1. Auflage gewidmet. Meinem Kollegen Musil und mir war es ein Anliegen, Ihnen mit dem Handbuch einen guten Ratgeber in dieser schwierigen Materie zur Seite zu stellen. Vor der 1. Auflage ist man immer unsicher, ob die einzelnen Themen ausreichend abgedeckt sind und welche Themen zukünftig noch intensiver behandelt werden sollten. Ich würde mich deshalb über zahlreiche Zuschriften und Anregungen freuen, die wir dann hoffentlich in einer 2. Auflage umsetzen dürfen. Feedback und Kritik sind daher herzlich willkommen. München, im Juni 2022

Prof. Dr. Thomas Küffner VII

VI

Inhaltsübersicht Seite Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abkürzungsverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rz.

VII XV XXIII Seite

1. Teil Grundlagen Kapitel 1 Organisationsformen und Strukturen der Aufgabenerfüllung der öffentlichen Hand (Musil) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Einleitung

1

.............................................

1.1

3

B. Wettbewerbsteilnahme der öffentlichen Hand . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1.3

5

C. Organisatorische Rahmenbedingungen der Aufgabenerfüllung durch die öffentliche Hand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1.55

21

D. Strukturen staatlicher Aufgabenerfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.106

34

E. Steuerliche Implikationen struktureller und organisatorischer Vorgaben

40

1.132

Kapitel 2 Grundlagen der Besteuerung der öffentlichen Hand (Musil) .

41

A. Überblick über die Besteuerung der öffentlichen Hand . . . . . . . . . . . . .

2.1

43

B. Historischer Abriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2.3

45

.............................

2.23

52

D. Europarechtliche Vorgaben für die Besteuerung der öffentlichen Hand .

2.68

66

E. Öffentliche Hand und Gemeinnützigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2.84

71

C. Verfassungsrechtlicher Rahmen

Kapitel 3 Umsatzsteuerrecht als Schlüsselmaterie (Küffner) . . . . . . . . . .

75

A. Die juristische Person des öffentlichen Rechts im Fokus der Umsatzbesteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3.1

76

B. Das Umsatzsteuergesetz – Herausforderungen für juristische Personen des öffentlichen Rechts aus rechtlicher Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3.19

82

C. Herausforderungen faktischer Natur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.190

135

IX

Inhaltsübersicht

Rz.

Seite

2. Teil Die Besteuerung der öffentlichen Hand nach den Einzelsteuergesetzen Kapitel 4 Körperschaftsteuer (Hinder) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Die Besteuerung der Betriebe gewerblicher Art nach § 4 KStG . . . . . . .

151 4.1

153

B. Einkommensermittlung im Sinne des § 8 KStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.140

189

C. Einkünfte aus Kapitalvermögen gem. § 20 Abs. 1 Nr. 10 EStG . . . . . . . 4.279

214

D. Besonderheiten bei gemeinnützigen Betrieben gewerblicher Art

224

. . . . . . 4.334

Kapitel 5 Die juristische Person/Einrichtung des öffentlichen Rechts im Umsatzsteuerrecht (Heidner) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Einführung

231

............................................

5.1

232

B. Rechtsgeschichtliche Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

5.6

233

5.93

256

D. A bis Z . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.176

C. Die Regelung in § 2b UStG

277

E. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.253

289

Kapitel 6 Umsetzungsstrategien des § 2b UStG in der Verwaltung (Huschens) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

291

A. Einführung

................................

............................................

6.1

293

B. Wechselwirkungen zwischen § 2 Abs. 3 UStG und § 2b UStG . . . . . . .

6.4

294

C. Die allgemeine Interpretation des § 2b UStG durch die Verwaltung . . .

6.13

298

D. Bestimmung der Wesentlichkeitsgrenze des § 2b Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. d UStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

6.39

306

E. Gesonderte Prüfung möglicher größerer Wettbewerbsverzerrungen bei § 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

6.43

309

F. Anstalt des öffentlichen Rechts im Anwendungsbereich des § 2b UStG – Leistungsbeziehungen zwischen einer AöR und ihrer Trägerkommune . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

6.45

311

G. Privatrechtliche Entgelte bei Leistungen der öffentlichen Hand unter Anschluss- und Benutzungszwang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

6.48

312

H. Konzessionsabgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

6.56

316

I. Wahrnehmung wesentlicher Teilaufgaben für eine andere jPöR in den Bereichen der Durchführung von hoheitlichen Aufgaben, z.B. Abwasserbeseitigung und Abfallentsorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

6.61

318

J. Hoheitliche Hilfsgeschäfte – Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

6.62

319

K. Hilfsgeschäfte im Entsorgungssektor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

6.65

322

X

Inhaltsübersicht

Rz.

Seite

L. Steuerbefreiung für Kostenteilungsgemeinschaften (§ 4 Nr. 29 UStG) . .

6.70

323

M. Vor- und Nachteile einer (temporären) umsatzsteuerlichen Anrufungsauskunft für jPöR für Abgrenzungsfragen zum § 2b UStG . . . . . . . . . .

6.76

327

N. Umsatzsteuerliche Organschaft/Gruppenbesteuerung und Anstalten öffentlichen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

6.78

328

O. Einzelsachverhalte, Einzelfragen

6.79

330

P. Vorsteuerabzug einer Kurortgemeinde aus den Kosten für die Errichtung und Unterhaltung von öffentlichen Kureinrichtungen . . . . . . . . . . . . . . 6.180

366

Q. Ausblick

367

.............................

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.181

Kapitel 7 Sonstige Einzelsteuergesetze (Westendorf) . . . . . . . . . . . . . . . A. Gewerbesteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

369 7.1

372

B. Grundsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.163

408

C. Grunderwerbsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.338

445

D. Erbschaft- und Schenkungsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.406

462

E. Kraftfahrzeugsteuer

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.435

467

F. Luftverkehrsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.448

470

G. Versicherungsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.452

471

H. Stromsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.455

472

I. Energiesteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.457

472

Kapitel 8 Verfahrensrecht (Baum) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

475

A. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

8.1

479

B. Stellung der öffentlichen Hand im Besteuerungsverfahren nach der AO

8.32

484

C. Steuerliche Beteiligungs- und Handlungsfähigkeit der öffentlichen Hand

8.59

488

D. Zuständigkeit der Finanzbehörden

8.92

492

E. Steuererklärungspflicht der öffentlichen Hand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.134

499

F. Weitere Mitwirkungspflichten im Steuerfestsetzungsverfahren

. . . . . . . 8.139

500

G. Amtsermittlungsgrundsatz und Beweislast/Feststellungslast . . . . . . . . . . 8.140

502

H. Bekanntgabe von Steuerbescheiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.153

504

I. Festsetzungsverjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.177

507

J. Bestandskraft von Steuerbescheiden

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.248

518

K. Einspruchsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.291

527

L. Steuererhebungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.401

544

M. Zahlungsverjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.430

549

...........................

XI

Inhaltsübersicht

Rz.

Seite

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.447

551

O. Vollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.489

557

P. Gerichtliches Rechtsbehelfsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.501

559

Kapitel 9 Kommunalverwaltung (Gastl/Wiesch/Gries) . . . . . . . . . . . . . . .

565

N. Zinsen und Säumniszuschläge nach der AO

A. Parkplätze (Gastl) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9.1

568

B. Marktbetriebe (Gastl) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9.69

585

C. Verpachtungs-Betriebe gewerblicher Art und Betriebsaufspaltungsfälle (Gastl) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.102

595

D. Museen, Theater und andere kulturelle Einrichtungen (Gastl) . . . . . . . . 9.159

610

E. Kurbetriebe, Tourismuseinrichtungen (Wiesch) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.206

623

F. Umsatzbesteuerung von Sportstätten, Bürgerhäusern, Stadthallen, Wissenschafts- und Kongresszentren (Gemeinschaftseinrichtungen) im Rahmen der Kommunalverwaltung (Wiesch) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.292

650

G. Entsorgungseinrichtungen – Abfallentsorgung, Abwasserbeseitigung und Straßenreinigung (Gries) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.441

699

Kapitel 10 Gesundheitswesen und Sozialversicherung (Musil) . . . . . . . .

713

A. Die Bedeutung der öffentlichen Hand für das Gesundheitswesen

.....

10.1

715

B. Krankenhäuser in öffentlicher Trägerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

10.2

716

C. Sonstige Einrichtungen der Gesundheitsversorgung . . . . . . . . . . . . . . . 10.122

746

D. Die Besteuerung der gesetzlichen Krankenkassen . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.145

753

Kapitel 11 Besteuerung der Hochschulen (Schöck) . . . . . . . . . . . . . . . .

757

A. Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11.1

759

B. Hochschulrecht und Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11.7

777

Kapitel 12 Besteuerung von Religionsgemeinschaften (Waldhoff/Stapperfend) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

843

A. Überlagerung des Steuerrechts durch Religions- und Steuerverfassungsrecht: Doppelte Neutralitätsanforderung (Waldhoff) . . . . . . . . . . . . . . .

12.1

846

B. Organisationsfragen im Bereich von Religion und Besteuerung (Waldhoff) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

12.4

848

C. Bedeutung der Wettbewerbsgleichheit für Religionsgemeinschaften (Waldhoff) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.43

881

D. Fragen der Gemeinnützigkeit (Waldhoff) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.44

882

XII

Inhaltsübersicht

Rz.

Seite

E. Sonderprobleme des Ertragsteuerrechts (Waldhoff) . . . . . . . . . . . . . . . . 12.66

892

F. Sonderprobleme des Umsatzsteuerrechts (Stapperfend) . . . . . . . . . . . . . 12.86

903

G. Sonstige Steuern (Waldhoff) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.121

931

Stichwortverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

945

XIII

XII

Abkürzungsverzeichnis

a.A. a.M. abl. ABl.EG ABl.EU Abs. Abschn. AcP AdVermiG AEAO AEUV AfA AG AktG AlkStG AlkStV Alt. Anm. AO Art. AsylbLG Aufl. AvH Az. BAföG BayBeamtVG BayBG BayHO BayHSchG BayHSchPG BayObLG BayObLGZ BayStiftG BayUniKlinG BB BbgHG BdF BeamtStG BerlHG BerlStudWG BewG BFDG

andere(r) Ansicht anderer(r) Meinung ablehnend Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Amtsblatt der Europäischen Union Absatz Abschnitt Archiv für die civilistische Praxis (Zeitschrift) Gesetz über die Vermittlung der Annahme als Kind und über das Verbot der Vermittlung von Ersatzmüttern Anwendungserlass zur Abgabenordnung Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union Absetzung für Abnutzung Aktiengesellschaft, auch „Die Aktiengesellschaft“ (Zeitschrift) Aktiengesetz Alkoholsteuergesetz Alkoholsteuerverordnung Alternative Anmerkung Abgabenordnung Artikel Asylbewerberleistungsgesetz Auflage Alexander von Humboldt-Stiftung Aktenzeichen Bundesausbildungsförderungsgesetz Bayerisches Beamtenversorgungsgesetz Bayerisches Beamtengesetz Bayerische Haushaltsordnung Bayerisches Hochschulgesetz Bayerisches Hochschulpersonalgesetz Bayerisches Oberstes Landesgericht Sammlung der Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Zivilsachen Bayerisches Stiftungsgesetz Bayerisches Universitätsklinikagesetz Der Betriebs-Berater (Zeitschrift) Brandenburgisches Hochschulgesetz Bundesminister(ium) der Finanzen Beamtenstatusgesetz Berliner Hochschulgesetz Gesetz über das Studierendenwerk Berlin Bewertungsgesetz Gesetz über den Bundesfreiwilligendienst XV

Abkürzungsverzeichnis

BFH BFH/NV

BGB BGBl. BGH BGHSt BGHZ BierStG BierStV BMF BNatSchG BPflV BR-Drucks. BremHG BremStWG BSHG BStBl. BT-Drucks. Buchst. BVerfG BVerfGE BVerfSchG BVersG BVerwG BVerwGE BWHG bzw.

Bundesfinanzhof Sammlung der amtlich nicht veröffentlichten Entscheidungen des BFH (Zeitschrift) Entscheidungen des BFH für die Praxis der Steuerberatung (Zeitschrift) Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Sammlung der Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Sammlung der Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Biersteuergesetz Biersteuerverordnung Bundesminister(ium) der Finanzen Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege Bundespflegesatzverordnung Bundesrats-Drucksache Bremisches Hochschulgesetz Gesetz über das Studierendenwerk Bremen Bundessozialhilfegesetz Bundessteuerblatt Bundestags-Drucksache Buchstabe Bundesverfassungsgericht Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverfassungsschutzgesetz Bundesversorgungsgesetz Bundesverwaltungsgericht Sammlung von Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Gesetz über die Hochschulen in Baden-Württemberg beziehungsweise

CCZ CSR

Corporate Compliance Zeitschrift Corporate Social Responsibility

d.h. DAAD DB DBA DFG DGStZ dies. Diss. DJT DNotZ DStBl. DStJG

das heißt Deutscher Akademischer Austauschdienst Der Betrieb (Zeitschrift) Doppelbesteuerungsabkommen Deutsche Forschungsgemeinschaft Deutsche Gemeindesteuer-Zeitung dieselbe Dissertation Deutscher Juristentag Deutsche Notar-Zeitschrift Deutsches Steuerblatt Veröffentlichungen der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft (Tagungsbände) Deutsches Steuerrecht (Zeitschrift) Deutsches Steuerrecht Entscheidungsdienst

BFH/PR

DStR DStRE XVI

Abkürzungsverzeichnis

DStZ DStZ-B DStZ/E DSZ DurchfVO DUVwG DV DZI

Deutsche Steuer-Zeitung Deutsche Steuer-Zeitung/Ausgabe B Deutsche Steuer-Zeitung/Eildienst Deutsches Stiftungszentrum Durchführungsverordnung Landesgesetz über die Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Durchführungsverordnung Deutsches Zentralinstitut für soziale Fragen

e.V. EFG EG EGAO EGV ErbStB ErbStG ErbStR EStDV EStG EStH EStR etc. EU EuGH EuZW EWR EWS

eingetragener Verein Entscheidungen der Finanzgerichte (Zeitschrift) Europäische Gemeinschaft Einführungsgesetz zur Abgabenordnung Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Der Erbschaft-Steuerberater (Zeitschrift) Erbschaft und Schenkungsteuergesetz Erbschaftsteuer-Richtlinien Einkommensteuer-Durchführungsverordnung Einkommensteuergesetz Einkommensteuer-Hinweise Einkommensteuerrichtlinien et cetera Europäische Union Europäischer Gerichtshof Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Europäischer Wirtschaftsraum Europäisches Wirtschafts und Steuerrecht (Zeitschrift)

f. FA ff. FG FGO FhG FinMin FinSen. Fn. FN-IDW FR FS FVG FZV

folgende (Seite) Finanzamt folgende (Seiten) Finanzgericht, Festgabe Finanzgerichtsordnung Fraunhofer Gesellschaft Finanzminister(ium) Finanzsenator Fußnote Fachnachrichten des IDW Finanzrundschau (Zeitschrift) Festschrift Finanzverwaltungsgesetz Fahrzeug-Zulassungsverordnung

GbR GemVO GenG GeS GewStDV GewStG

Gesellschaft bürgerlichen Rechts Gemeinnützigkeitsverordnung Genossenschaftsgesetz (österreichische) Zeitschrift für Gesellschafts und Steuerrecht Gewerbesteuer-Durchführungsverordnung Gewerbesteuergesetz XVII

Abkürzungsverzeichnis

GewStR GG ggf. gGmbH GKKB GmbH GmbHG GmbHR GmbH-StB GNotKG GPR GrS GrStG GrStR GS GuV GVBl.

Gewerbesteuer-Richtlinien Grundgesetz gegebenenfalls gemeinnützige GmbH Gemeinsame Konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage Gesellschaft mit beschränkter Haftung GmbH-Gesetz GmbH-Rundschau (Zeitschrift) Der GmbH-Steuerberater (Zeitschrift) Gesetz über Kosten der freiwilligen Gerichtsbarkeit für Gerichte und Notare Zeitschrift für Gemeinschaftsprivatrecht Großer Senat Grundsteuergesetz Grundsteuer-Richtlinien Gedächtnisschrift Gewinn und Verlustrechnung Gesetz und Verordnungsblatt

h.A. h.L. h.M. Halbs. HeimG HessHG HessStudWG HFA HFR HGB HmbHG HmbStWG HRK Hrsg.

herrschende Ansicht herrschende Lehre herrschende Meinung Halbsatz Heimgesetz Hessisches Hochschulgesetz Gesetz über die Studentenwerke bei den Hochschulen des Landes Hessen Hauptfachausschuss Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung (Zeitschrift) Handelsgesetzbuch Hamburgisches Hochschulgesetz Gesetz über das Studierendenwerk Hamburg Hochschulkonferenz Herausgeber

i.d.F. i.d.R. i.e.S. i.S. i.V.m. IDW INF InsO Intertax InvZulG ISR IStR

in der Fassung in der Regel im engeren Sinne im Sinne in Verbindung mit Institut der Wirtschaftsprüfer Die Information für Steuerberater und Wirtschaftsprüfer (Zeitschrift) Insolvenzordnung International Tax Review (Zeitschrift) Investitionszulagengesetz Internationale Steuer-Rundschau (Zeitschrift) Internationales Steuerrecht (Zeitschrift)

JbFStR JKG

Jahrbuch der Fachanwälte für Steuerrecht Justizkostengesetz

XVIII

Abkürzungsverzeichnis

JM JMBl. JöR JStG JustG JZ

Ministerium der Justiz Justizministerialblatt Jahrbuch für öffentliches Recht Jahressteuergesetz Justizgesetz Juristenzeitung

Kfz KG KGaA KHEntG KHG Kita Komm. KostO KraftStG KStDV KStG KSt-Kartei KStR KSzW KVStG

Kraftfahrzeug Kommanditgesellschaft Kommanditgesellschaft auf Aktien Gesetz über die Entgelte für voll und teilstationäre Krankenhausleistungen Krankenhausfinanzierungsgesetz Kindertagesstätte Kommission/Kommentar Kostenordnung Kraftfahrzeugsteuergesetz Körperschaftsteuer-Durchführungsverordnung Körperschaftsteuergesetz Körperschaftsteuer-Kartei Körperschaftsteuer-Richtlinien Kölner Schrift zum Wirtschaftsrecht (Zeitschrift) Kapitalverkehrsteuergesetz

LfSt LG Lit. LStR Ltd.

Landesamt für Steuern Landgericht Litera Lohnsteuer-Richtlinien Private Company Limited by Shares, Limited

m.w.N. MDR MoMiG MPG MünchKomm MVLHG MVStudWG MwStR MwStRL MwStSystRL

mit weiteren Nachweisen Monatszeitschrift für Deutsches Recht (Zeitschrift) Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen Max-Planck-Gesellschaft Münchener Kommentar Gesetz über die Hochschulen des Landes Mecklenburg-Vorpommern Studierendenwerksgesetz – MV MehrwertSteuerrecht (Zeitschrift) Mehrwertsteuerrichtlinie Richtlinie über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem

n.F. n.v. NHG NK-GemnR NPO npoR Nr. NRWHG

neue Fassung nicht veröffentlicht Niedersächsisches Hochschulgesetz Nomos Kommentar Gesamtes Gemeinnützigkeitsrecht Non Profit Organisation Zeitschrift für das Recht der Non Profit Organisationen Nummer Gesetz über die Hochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen XIX

Abkürzungsverzeichnis

NRWKunstHG NVwZ NVwZ-RR NWB NZG

Gesetz über die Kunsthochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Rechtsprechungs-Report Verwaltungsrecht Neue Wirtschafts-Briefe (Zeitschrift) Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht

o.Ä. OFD OFH OFHE OHG OLG OLGR öRdW ÖStZ OVG

oder Ähnliches Oberfinanzdirektion Oberfinanzhof Sammlung der Entscheidungen des Oberfinanzhofs Offene Handelsgesellschaft Oberlandesgericht Oberlandesgerichts-Report Recht der Wirtschaft (österreichische Zeitschrift) Österreichische Steuerzeitung Oberverwaltungsgericht

PartG Pkw preuß. PrOVG

Parteiengesetz Personenkraftwagen preußisch Preußisches Oberverwaltungsgericht

R RAO RennwLottG Rev. RFH RFHE RG RGBl. RGZ RhPfHSchG RIW rkr. RMBl. Rs. RStBl. RundfbStV Rz.

Richtlinie Reichsabgabenordnung Rennwett und Lotteriegesetz Revision Reichsfinanzhof Sammlung der Entscheidungen des Reichsfinanzhofs Reichsgericht Reichsgesetzblatt Sammlung der Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Hochschulgesetz Rheinland-Pfalz Recht der internationalen Wirtschaft (Zeitschrift) rechtskräftig Reichsministerialblatt Rechtssache Reichssteuerblatt Rundfunkbeitragsstaatsvertrag Randzahl

S. s. s.o. SaarlHSG SAHMG SCE SchaumwZwStG SEStEG

Seite siehe siehe oben Saarländisches Hochschulgesetz Hochschulmedizingesetz des Landes Sachsen-Anhalt Europäische Genossenschaft Schaumwein und Zwischenerzeugnissteuergesetz Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft

XX

Abkürzungsverzeichnis

SGB III SGB VII SGB VIII SGB IX SGB XI SGB XII Slg. sog. SolzG st. StAnpG StbJb StBp StEd StEK StEStG StiftG str. StuB StuW StVj StWa SWI

Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung Sozialgesetzbuch Siebtes Buch – Gesetzliche Unfallversicherung Sozialgesetzbuch Achtes Buch – Kinder und Jugendhilfe Sozialgesetzbuch Neuntes Buch – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen Sozialgesetzbuch Elftes Buch – Soziale Pflegeversicherung Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – Sozialhilfe Sammlung der Rechtsprechung des EuGH und des Gerichts erster Instanz so genannt(e) Solidaritätszuschlagsgesetz ständig(e) Steueranpassungsgesetz Steuerberater-Jahrbuch (Tagungsbände) Die steuerliche Betriebsprüfung (Zeitschrift) Steuer-Eildienst (Zeitschrift) Steuer-Erlasse in Karteiform Staatseinkommensteuergesetz Stiftungsgesetz strittig Steuern und Bilanzen (Zeitschrift) Steuer und Wirtschaft (Zeitschrift) Steuerliche Vierteljahresschrift Die Steuer-Warte (Zeitschrift) Steuer und Wirtschaft International (Zeitschrift)

TFG ThürHG TierSchG

Transfusionsgesetz Thüringer Hochschulgesetz Tierschutzgesetz

u.a. u.Ä. u.U. Ubg UG UmwG UmwRG

und andere, unter anderem und Ähnliches unter Umständen Die Unternehmensbesteuerung (Zeitschrift) Unternehmergesellschaft Umwandlungsgesetz Gesetz über ergänzende Vorschriften zu Rechtsbehelfen in Umweltangelegenheiten nach der EG-Richtlinie 2003/35/EG Umwandlungssteuergesetz Umsatzsteuer-Rundschau (Zeitschrift) Urteil Vereinigte Staaten von Amerika Umsatzsteuer-Anwendungserlass Der UmsatzSteuerberater (Zeitschrift) Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung Umsatzsteuergesetz Umsatzsteuer-Richtlinien und so weiter Umsatzsteuer und Verkehrsteuer-Recht (Zeitschrift) Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb

UmwStG UR Urt. USA UStAE UStB UStDV UStG UStR usw. UVR UWG

XXI

Abkürzungsverzeichnis

v. v.H. v.T. VAG VAT VereinsG VG vGA vGH vgl. VJStFR Vorbem VSt VStG VVaG VwVfG VZ

vom, von vom Hundert (Prozent) vom Tausend (Promille) Versicherungsaufsichtsgesetz Value Added Tax (Umsatzsteuer) Vereinsgesetz Verwaltungsgericht verdeckte Gewinnausschüttung Verwaltungsgerichtshof vergleiche Vierteljahresschrift für Steuer und Finanzrecht Vorbemerkung Vermögensteuer Vermögensteuergesetz Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit Verwaltungsverfahrensgesetz Veranlagungszeitraum

WiGBl. WissR WM WPg WRP WRV

Gesetzblatt der Wirtschaftszonen Wissenschaftsrecht (Zeitschrift) Wertpapiermitteilungen (Zeitschrift) Die Wirtschaftsprüfung (Zeitschrift) Wettbewerb in Recht und Praxis (Zeitschrift) Weimarer Reichsverfassung

z.B. z.T. ZDG ZErb ZEV ZEW ZfB ZfbF ZfHR

zum Beispiel zum Teil Gesetz über den Zivildienst der Kriegsdienstverweigerer Zeitschrift für die Steuer und Erbrechtspraxis Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge Schriftenreihe des (Bonner) Zentrums für Europäisches Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Betriebswirtschaft Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung (österreichische) Zeitschrift für Hochschulrecht, Hochschulmanagement und Hochschulpolitik Zeitschrift für Unternehmens und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handels und Wirtschaftsrecht Ziffer Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und Insolvenzpraxis Zivilgesellschaft in Zahlen Zeitschrift für Kommunalfinanzen Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift zum Stiftungswesen Zeitschrift für Stiftungs und Vereinswesen zuzüglich

ZGR ZHR Ziff. ZInsO ZIP ZiviZ ZKF ZRP ZSt ZStV zzgl.

XXII

Literaturverzeichnis Behrens/Wachter, GrEStG, Kommentar, 2. Aufl., Köln 2022 Birk/Desens/Tappe, Steuerrecht, 24. Aufl., Heidelberg 2021 Bott/Walter, KStG, Kommentar, Loseblatt, Bonn Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, Kommentar, Loseblatt, München Bunjes, UStG, Kommentar, 20. Aufl., München 2021 v. Camphausen/de Wall, Staatskirchenrecht, 4. Aufl., München 2002 Carlé/Stahl/Strahl, Gestaltung und Abwehr im Steuerrecht, Festschrift für Klaus Korn, Bonn 2005 Dötsch/Pung/Möhlenbrock, KStG, Kommentar, Loseblatt, Stuttgart Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz, Kommentar, Loseblatt, München Ehlers/Pünder, Allgemeines Verwaltungsrecht, 15. Aufl., Heidelberg 2015 Engels/Eibelshäuser, Kommentar zum Haushaltsrecht, Kommentar, Loseblatt, Berlin Erle/Sauter, KStG, Kommentar, 3. Aufl., Heidelberg 2010 Flämig/Kimminich/Krüger/Meusel/Rupp/Scheven/Schuster/Stenbock-Fermor, Handbuch des Wissenschaftsrechts, 2. Aufl., Berlin, Heidelberg, New York 1996 Friedrich/Dehne/Nam/Parsche/Wellisch, Die Besteuerung gemeinnütziger Organisationen im internationalen Vergleich: Forschungsvorhaben des Bundesministeriums der Finanzen, ifo Forschungsberichte 24, V, München 2005 Gastl, Betriebe gewerblicher Art im Körperschaftsteuerrecht, 2001 Geis, Hochschulrecht im Freistaat Bayern, 2. Aufl., Heidelberg 2017 Geis, Hochschulrecht in Bund und Ländern, Kommentar, Loseblatt, Heidelberg Glanegger/Güroff, GewStG, Kommentar, 10. Aufl., München 2021 Gosch, AO/FGO, Kommentar, Loseblatt, Bonn Gosch, KStG, Kommentar, 4. Aufl., München 2020 Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Kommentar, Loseblatt, München Grimm, Deutsches Wörterbuch, München 1984 Grüneberg (vormals Palandt), Bürgerliches Gesetzbuch: BGB, Kommentar, 81. Aufl., München 2022 Hartmann/Metzenmacher, UStG, Kommentar, Loseblatt, Achim Hartmer/Detmer, Hochschulrecht, 3. Aufl., Heidelberg 2017 Haug, Das Hochschulrecht in Baden-Württemberg, 3. Aufl., Heidelberg 2020 Heckhausen, Die Umsatzbesteuerung der öffentlichen Hand, Diss., Berlin 2017 Heidler, Besteuerung von juristischen Personen des öffentlichen Rechts und privaten gemeinnützigen Körperschaften – Eine Analyse am Beispiel der Hochschulen, Diss., Freiburg 2006 Herdegen, Europarecht, 23. Aufl., München 2022 Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, Kommentar, Loseblatt, Köln Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, München 2017 Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, FGO, Kommentar, Loseblatt, Köln Hüttemann, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, Köln 2002 Hüttemann, Gemeinnützigkeits und Spendenrecht, 5. Aufl., Köln 2021 XXIII

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Literaturverzeichnis

Staudinger, BGB, Kommentar, München/Berlin Stenger/Loose, Bewertungsrecht – BewG/ErbStG/GrStG, Kommentar, Loseblatt, Köln Streck/Mack/Schwedhelm, Tax Compliance, 3. Aufl., Köln 2019 Streinz, Europarecht, 11. Aufl., München 2019 Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht, 5. Aufl., München 2017 Tipke/Kruse, AO/FGO, Kommentar, Loseblatt, Köln Tipke/Lang, Steuerrecht, 24. Aufl., Köln 2021 Voßkuhle/Eifert/Möllers, Grundlagen des Verwaltungsrechts, 2. Aufl., München 2013 Wäger, Umsatzsteuergesetz, Kommentar, 2. Aufl., Köln 2022 Wagner/Fisch, Patentverwertung in Wissenschaft und Wirtschaft nach Wegfall des Hochschullehrerprivilegs, Bonn 2004 Wallenhorst/Halaczinsky, Die Besteuerung gemeinnütziger und öffentlich-rechtlicher Körperschaften, 7. Aufl., München 2017 Weber-Fas, Allgemeines Steuerrecht, Tübingen 1979 Weitemeyer/Schauhoff/Achatz, Umsatzsteuerrecht für den Nonprofitsektor, Köln 2018 Wendt/Suchanek/Möllmann/Heinemann, GewStG, Kommentar, 2. Aufl., Köln 2022 Westendorf, Der Betrieb gewerblicher Art, Diss., Berlin 2019 Wiesch, Die umsatzsteuerliche Behandlung der öffentlichen Hand, Diss., Köln 2016 Winheller/Geibel/Jachmann-Michel, Gesamtes Gemeinnützigkeitsrecht, Kommentar, 2. Aufl., Baden-Baden 2020 Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht: Band II, 7. Aufl., München 2010

XXV

XXIV

1. Teil Grundlagen Kapitel 1 Organisationsformen und Strukturen der Aufgabenerfüllung der öffentlichen Hand A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Wettbewerbsteilnahme der öffentlichen Hand I. Der Begriff der öffentlichen Hand . II. Aufgaben und Funktionen der öffentlichen Hand . . . . . . . . . . . . . . . . III. Wirtschaftliche Betätigung und Wettbewerbsteilnahme der öffentlichen Hand 1. Begriff der wirtschaftlichen Betätigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abgrenzung zu anderen wirtschaftsrelevanten Tätigkeiten . . . 3. Öffentliche Unternehmen und ihre Organisationsformen . . . . . . IV. Vorgaben für die wirtschaftliche Betätigung 1. Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . 2. Europarecht a) Rechtsquellen, Vorrang des Unionsrechts, Wirtschaftsverfassung . . . . . . . . . . . . . . b) Grundfreiheiten, Grundfreiheiten und öffentliche Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . c) Europäisches Wettbewerbsund Beihilfenrecht . . . . . . . . 3. Vorgaben aus einfachem Gesetzesrecht a) Kommunales Wirtschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Haushaltsrecht . . . . . . . . . . . c) Wettbewerbsrecht . . . . . . . . 4. Insbesondere: Privatisierung versus Rekommunalisierung (bzw. Publizisierung) . . . . . . . . . . C. Organisatorische Rahmenbedingungen der Aufgabenerfüllung durch die öffentliche Hand I. Der Begriff der jPöR . . . . . . . . . . . .

1.1

1.3 1.12

1.17 1.20 1.23 1.25

1.33 1.37 1.39

1.44 1.49 1.52 1.53

1.55

II. Grundzüge des Staats-, insbesondere des Verwaltungsorganisationsrechts 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unmittelbare Staatsverwaltung der Länder und des Bundes a) Landesverwaltung . . . . . . . . b) Bundesverwaltung . . . . . . . . 3. Mittelbare Staatsverwaltung durch kommunale Gebietskörperschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Sonstige mittelbare Staatsverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Körperschaften des öffentlichen Rechts . . . . . . . . . . . . b) Anstalten des öffentlichen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Stiftungen des öffentlichen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Organisationsformen wirtschaftlicher Betätigung: Öffentliche Unternehmen 1. Grundsätzliche Formenwahlfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Öffentlich-rechtliche Organisationsformen a) Regiebetriebe . . . . . . . . . . . . b) Eigenbetriebe . . . . . . . . . . . . c) Landesbetriebe und Sondervermögen . . . . . . . . . . . . . . . d) Organisationsformen mit Rechtsfähigkeit, insbesondere Anstalten . . . . . . . . . . . 3. Privatrechtliche Organisationsformen a) Organisationsformen ohne Rechtspersönlichkeit . . . . . . b) Organisationsformen mit Rechtspersönlichkeit . . . . . . 4. Kooperationen zwischen öffentlich-rechtlichen Trägern . . . . . . .

1.56 1.58 1.62 1.65 1.71 1.72 1.75 1.76

1.77 1.80 1.82 1.84 1.86

1.90 1.95 1.99

Musil | 1

Kap. 1 | Organisationsformen u. Strukturen der Aufgabenerfüllung 5. Verwaltungskooperationen mit Privaten und Öffentlich-Private Partnerschaften . . . . . . . . . . . . . . D. Strukturen staatlicher Aufgabenerfüllung I. Organisationsformen versus Strukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Aufgabenwahrnehmung durch die öffentliche Hand 1. Öffentliche Aufgabe und Staatsaufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Formen der Aufgabenerfüllung und -wahrnehmung, Verantwortungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . .

1.103

1.106

1.107 1.108

III. Privatisierungsformen und ihr rechtlicher Rahmen 1. Begriffsfragen . . . . . . . . . . . . . . . 1.111 2. Organisationsprivatisierung . . . 1.113 3. Erfüllungsprivatisierung . . . . . . 1.115 4. Aufgabenprivatisierung . . . . . . . 1.117 5. Vermögensprivatisierung . . . . . . 1.123 IV. Hoheitliche und nichthoheitliche Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.124 V. Öffentlich-rechtliches und privatrechtliches Handeln . . . . . . . . . . . . . 1.128 E. Steuerliche Implikationen struktureller und organisatorischer Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.132

Literatur: Bauer, Privatisierung oder Publizisierung?, JZ 2014, 1017; Bauer/Meier, Freie Fahrt für PPP auf deutschen Autobahnen?, DÖV 2020, 41; Becker/Schweitzer, Schutz der Versicherten vor unlauterem Kassenwettbewerb, NJW 2014, 269; Berger, Staatseigenschaft gemischtwirtschaftlicher Unternehmen: Eine Untersuchung der staatlichen Qualität unternehmerischer Entscheidungen, Diss., Berlin 2006; Budäus, Kooperationsformen zwischen Staat und Markt: Theoretische Grundlagen und praktische Ausprägungen von Public Private Partnership, 1. Aufl., Baden-Baden 2005; Burgi, Funktionale Privatisierung und Verwaltungshilfe, Habil., Tübingen 1999; Burgi, Kommunalrecht, 6. Aufl., München 2019; Correll, Probleme der Rekommunalisierung von Energienetzen unter besonderer Berücksichtigung vergabe- und beihilferechtlicher Aspekte, DVBl. 2016, 338; Dickersbach, Die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand im Verhältnis zur Privatwirtschaft aus öffentlichrechtlicher Sicht, WiVerw 1983, 187; Di Fabio, Privatisierung und Staatsvorbehalt: Zum dogmatischen Schlüsselbegriff der öffentlichen Aufgabe, JZ 1999, 585; Dompke/Schulz, Grundzüge des Kartellrechts – Teil 1: Kartellverbot und Verfahren, JURA 2015, 822; Droege, Zur Besteuerung der öffentlichen Hand, Tübingen 2018; Ebert-Weidenfeller/Gromotke, Krankenkassen als Normadressaten des Lauterkeits- und Kartellrechts, EuZW 2013, 937; Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, Berlin 1984; Ehlers, Rechtsprobleme der Kommunalwirtschaft, DVBl. 1998, 497; Ehlers, Die Zulässigkeit einer erwerbswirtschaftlichen Betätigung der öffentlichen Hand, Jura 1999, 212; Ehlers/Pünder, Allgemeines Verwaltungsrecht, 15. Aufl., Berlin 2015; Engels/Eibelshäuser, Kommentar zum Haushaltsrecht, Loseblatt, München; Faßbender, Rechtsschutz privater Konkurrenten gegen kommunale Wirtschaftsbetätigung, DÖV 2005, 89; Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. 1: Allgemeiner Teil, 7. Aufl., München 1958; Gabler, Wirtschaftslexikon, 19. Aufl., Wiesbaden 2019; Gersdorf, Öffentliche Unternehmen im Spannungsfeld zwischen Demokratie- und Wirtschaftlichkeitsprinzip, Habil., Berlin 2000; Giesen, Die Konkurrenz von freiwilliger Sozialversicherung und Privatversicherung im europäischen Wettbewerbsrecht, VSSR 1996, 311; Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union: EUV/ AEUV, Kommentar, Loseblatt, München; Gramm, Privatisierung und notwendige Staatsaufgaben, Berlin 2000; Heintzen, Rechtliche Grenzen und Vorgaben für die wirtschaftliche Betätigung von Kommunen im Bereich der gewerblichen Gebäudereinigung, Berlin 1999; Heintzen, Zur Tätigkeit kommunaler (Energieversorgungs-)Unternehmen außerhalb der kommunalen Gebietsgrenzen, NVwZ 2000, 743; Heintzen, Öffentliche Gemeinwohlverantwortung im Wandel, VVDStRL Band 62, Berlin 2003; Hellermann, Anmerkung zur Entscheidung des LG Berlin, Urt. v. 9.12.2014 – 16 O 224/14 – Beteiligung eines gemeindeeigenen Unternehmens am Gaskonzessionierungsverfahren ist entgegen LG Berlin zulässig, EnWZ 2015, 239; Herdegen, Europarecht, 22. Aufl., München 2020; Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, 1. Aufl., München 2017; Hoffmann-Riem, Tendenzen in der Verwaltungsrechtsentwicklung, DÖV 1997, 433; Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, 2. Aufl., München 2012; Hüttemann, Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht, 4. Aufl., Köln 2018; Isensee, Staatsaufgaben, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch

2 | Musil

A. Einleitung | Rz. 1.1 Kap. 1 des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV: Aufgaben des Staates, 3. Aufl., Heidelberg 2006, § 73; Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl., Heidelberg 1929; Jungkamp, Rechtsschutz privater Konkurrenz gegen die wirtschaftliche Betätigung der Gemeinden: Eine Untersuchung des Drittschutzes der Schrankentrias in den verschiedenen Bundesländern, NVwZ 2010, 546; Kämmerer, Privatisierung, Habil., Tübingen 2001; Kindler, Grundkurs Handels- und Gesellschaftsrecht, 9. Aufl., München 2019; Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, Habil., Tübingen 1997; Koewius, Das Wettbewerbskriterium der Mehrwertsteuersystemrichtlinie und dessen Einfluss auf die Umsatzbesteuerung der öffentlichen Hand, Diss. Berlin 2020; Körber, Wettbewerbsbeschränkungen auf staatlich gelenkten Märkten, 1. Aufl., Baden-Baden 2015; Krüger, Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl., Stuttgart 1966; Lecheler, Verwaltungslehre, Stuttgart 1988; v. Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz: GG, 7. Aufl., München 2018; Mann, Die drittschützende Wirkung der kommunalrechtlichen Subsidiaritätsregelungen unter Berücksichtigung aktueller Fallbeispiele aus der Rechtsprechung, DVBl. 2009, 817; Maunz/ Dürig, Grundgesetz, Kommentar, Loseblatt, München; Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 20. Aufl., München 2020; Masing, Regulierungsverantwortung und Erfüllungsverantwortung – Alternativen der Verwaltungsverantwortung am Beispiel der Privatisierungsdiskussion zur Wasserversorgung, VerwArch 2004, 151; Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht II, 3. Aufl., Berlin 2004; Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, Diss., Berlin 2000; Mehde, Ausübung von Staatsgewalt und Public Private Partnership, VerwArch 2000, 540; Möller, Die gemeinschaftsrechtliche Vorgaben für Sozialversicherungsmonopole und ihr Verhältnis zum Grundgesetz, VSSR 2001, 25; Mössner/ Seeger/Oellerich, Körperschaftsteuergesetz Kommentar, 4. Aufl., Herne 2019; Münch/Mager, Staatsrecht I, 8. Aufl., Stuttgart 2015; Musil, Das Bundesverfassungsgericht und die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, DÖV 2004, 116; Musil, Wettbewerb in der staatlichen Verwaltung, Habil., Tübingen 2005; Musil/Burchard, Klausurenkurs im Europarecht, 5. Aufl., Köln 2019; Musil/Kirchner, Das Recht der Berliner Verwaltung, 4. Aufl., Heidelberg 2017; Musil/Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, 1. Aufl., München 2019; Ossenbühl, Bestand und Erweiterung des Wirkungskreises der Deutschen Bundespost, Berlin 1980; Otting, Öffentlicher Zweck, Finanzhoheit und fairer Wettbewerb – Spielräume kommunaler Erwerbswirtschaft, DVBl. 1997, 1258; Peine/Siegel, Allgemeines Verwaltungsrecht, 13. Aufl., Heidelberg 2020; Pieroth/Hartmann, Grundrechtsschutz gegen wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand, DVBl. 2002, 421; Popitz, Der künftige Finanzausgleich zwischen Reich, Ländern und Gemeinden, Berlin 1932; Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, 2. Aufl., Stuttgart 1985; Remmert, Private Dienstleistungen in staatlichen Verwaltungsverfahren, Habil., Tübingen 2003; Ronellenfitsch, Wirtschaftliche Betätigung des Staates, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV: Aufgaben des Staates, 3. Aufl., Heidelberg 2006, § 98; Schmidt, Kommunalrecht, 2. Aufl., Tübingen 2014; Schmidt, Rechtliche Rahmenbedingungen und Perspektiven der Rekommunalisierung, DÖV 2014, 357; Schoch, Besonderes Verwaltungsrecht, 1. Aufl., München 2018; Sendke, Der Anwendungsbereich von unionalen und nationalen Grundrechten im Steuerrecht, StuW 2020, 219; Streinz, Europarecht, 11. Aufl., Heidelberg 2019; Uechtritz/Otting, Das „ÖPPBeschleunigungsgesetz“: Neuer Name, neuer Schwung für „öffentlich-private Partnerschaften“?, NVwZ 2005, 1105; Voßkuhle, Öffentliche Gemeinwohlverantwortung im Wandel, VVDStRL Band 62, Berlin 2003; Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht: Band II, 7. Aufl., München 2010; Wolfers, Privatisierung unter Wahrung der öffentlich-rechtlichen Rechtsform: Der Modellfall Berliner Wasserbetriebe, NVwZ 2000, 765; Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl., München 2020.

A. Einleitung Ein Handbuch über die Besteuerung der öffentlichen Hand muss sich zunächst einmal seines Gegenstandes versichern. Was mit „öffentlicher Hand“ gemeint ist, ist weniger klar, als es zunächst den Anschein hat. Der Begriff besitzt Unschärfen, die auch bei näherer Betrachtung nicht vollends ausgeräumt werden können. Deshalb wird auch keine trennscharfe Abgrenzung angestrebt. Vielmehr sollen in diesem Handbuch alle Lebens- und Wirtschaftsbereiche Berücksichtigung finden, die mit dem Staat und seinen Untergliederungen in unmittelbarem oder mittelbarem Zusammenhang stehen und für die Besteuerung relevant sind. Der AbgrenMusil | 3

1.1

Kap. 1 Rz. 1.1 | Organisationsformen u. Strukturen der Aufgabenerfüllung

zung dienen zunächst organisatorische Kriterien. Zur öffentlichen Hand gehören alle Organisationseinheiten, die unmittelbar oder mittelbar vom Staat getragen werden oder an denen er maßgeblich beteiligt ist. Dies reicht von unmittelbar dem Staat zuzurechnenden Behörden bis hin zu bloß vertraglichen Kooperationen. Eine wesentliche Rolle spielen im vorliegenden Zusammenhang die öffentlichen Unternehmen. Funktional fragt sich, welche Aufgaben durch die öffentliche Hand erledigt werden und welche dieser Funktionen steuerliche Folgen nach sich ziehen. In früheren Jahrzehnten wurde der sogenannte hoheitliche Bereich als vorherrschend angesehen. Es bestand weitgehend Einigkeit, dass der Staat in den wesentlichen Bereichen seiner Aufgabenerfüllung nicht der Besteuerung unterliege, weil die Erfüllung von Staatsaufgaben und Steuerbarkeit nicht zusammenpassten. Diese Übereinkunft gilt schon lange nicht mehr. Mittlerweile ist klar, dass die Erfüllung staatlicher Aufgaben angesichts ihrer partiellen Wettbewerbsrelevanz sehr wohl der Besteuerung zugeführt werden muss. Damit tritt die Frage der Abgrenzung zwischen dem hoheitlichen Bereich einerseits und dem nicht-hoheitlichen, im Kern wirtschaftlichen Bereich der Aufgabenerfüllung andererseits in den Vordergrund. Vor allem die wirtschaftliche Tätigkeit und die damit verbundene Wettbewerbsteilnahme ist es, die zum Schutze privater Wettbewerber eine Besteuerung der öffentlichen Hand auslösen muss. Damit ist es besonders wichtig, im Folgenden diejenigen Bereiche zu identifizieren, in denen eine solche Konkurrenzsituation auftreten kann und eine genaue Abgrenzung besteuerungsrelevanter Tatbestände vorzunehmen. Um dies tun zu können, müssen Fragen des Verwaltungsorganisationsrechts und der Staatsaufgabenlehre geklärt werden. Zudem stellt sich die Frage nach den entsprechenden Vorgaben aus Europa-, Verfassungs- und Wirtschaftsrecht.

1.2

Im Folgenden soll zunächst der Begriff der öffentlichen Hand umrissen und der Rahmen für ihre wirtschaftliche Betätigung gespannt werden (B.). Dabei geht es um die Vermessung des tatsächlichen Lebensbereichs, der von dem vorliegenden Handbuch erfasst werden soll. Neben dem Begriff der öffentlichen Hand wird der der Daseinsvorsorge, aber auch der wirtschaftlichen Betätigung sowie der öffentlichen Unternehmen zu erörtern sein. Sodann können die rechtlichen Rahmenbedingungen für die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand näher betrachtet werden. Zuerst geht es um die verfassungsrechtlichen Schranken für eine wirtschaftliche Betätigung. Sodann wird das Europarecht in den Blick genommen. Schließlich sollen die einfach-gesetzlichen Rahmenbedingungen des öffentlichen Wirtschaftsrechts skizziert werden. In einem nächsten Schritt können die organisatorischen Rahmenbedingungen der Aufgabenerfüllung durch die öffentliche Hand beleuchtet werden (C.). Hier steht der Begriff der juristischen Person des öffentlichen Rechts im Vordergrund. Dieser bildet den Gegenbegriff zu privatrechtlichen Organisationsformen. Um den für die vorliegende Darstellung relevanten Kreis denkbarer Organisationsformen umreißen zu können, muss zunächst ein Blick auf die Grundlagen des Staatsorganisationsrechts geworfen werden. Nach einer kurzen Skizzierung der anzutreffenden Organisationsformen sollen auch die betroffenen Lebensbereiche aufgeführt werden, in denen eine Besteuerung der öffentlichen Hand praxisrelevant werden könnte. Schließlich sei die öffentliche Aufgabenerfüllung in Privatrechtsform oder in Kooperation mit Privaten angesprochen. Hier werden die verschiedenen Formen öffentlicher Unternehmen dargestellt, aber auch vertragliche Kooperationen mit „echten“ Privaten. Unter D. werden weiterhin die Strukturen staatlicher Aufgabenerfüllung behandelt. Der Begriff der Staatsaufgaben ist äußerst schillernd und bedarf der Konturierung. Grundsätzlich darf sich der Staat aller Aufgaben mit Gemeinwohlbezug annehmen. Tut er dies, kann dies in verschiedenen Formen erfolgen. Grundsätzlich können staatliche Aufgaben in hoheitliche und nicht-hoheitliche Funktionen unterteilt werden. Diese Grundfestlegung besitzt maßgeb4 | Musil

B. Wettbewerbsteilnahme der öffentlichen Hand | Rz. 1.5 Kap. 1

liche Bedeutung für die Frage der Besteuerung. Deshalb wird der Abgrenzung im Einzelfall auch breiter Raum in der Darstellung eingeräumt. Es kann auch zwischen öffentlich-rechtlichem und privatrechtlichem Handeln der öffentlichen Hand unterschieden werden. Schließlich fragt sich, wie Organisationsform und Handlungsform zusammenhängen und welche Auswirkungen dies auf die Besteuerung hat. Im letzten Teil des 1. Kapitels (E.) geht es kurz um die steuerlichen Implikationen der zuvor getroffenen Aussagen. Insbesondere wird das Verhältnis von Verwaltungsrecht und Steuerrecht thematisiert. Mit diesen Erwägungen kann ins zweite Kapitel übergeleitet werden.

B. Wettbewerbsteilnahme der öffentlichen Hand I. Der Begriff der öffentlichen Hand Der Begriff der öffentlichen Hand ist kein Rechtsbegriff. Vielmehr meint dieser umgangssprachlich alle Organisationseinheiten, die formal dem öffentlichen bzw. staatlichen Sektor zugeordnet werden können.1 Der Begriff der öffentlichen Hand besitzt damit eine gewisse Verwandtschaft zum Begriff der öffentlichen Verwaltung, ohne mit ihm identisch zu sein.2 Während der Begriff der öffentlichen Verwaltung der Abgrenzung einer Staatsfunktion dient, geht es beim Begriff der öffentlichen Hand um ein Phänomen des Wirtschaftslebens und der Wirtschaftsverfassung. Der Begriff besitzt die Funktion, bestimmte Organisationseinheiten zu identifizieren, die dem Staat in finanzwirtschaftlich zuzuordnen sind und in verschiedenen rechtlichen Konstellationen einer besonderen Behandlung bedürfen. Diese besondere Behandlung ist vor allem im Bereich des öffentlichen Wirtschaftsrechts notwendig, aber eben auch im steuerlichen Bereich.

1.3

Eine gewisse Verwandtschaft besteht zum Begriff des öffentlichen Sektors.3 Dieser verwaltungswissenschaftlich geprägte Begriff denkt weniger von der Organisationsstruktur als von Funktionen her und soll daher im Folgenden nicht weiterverfolgt werden.

1.4

Gesetzlich wird der Begriff der öffentlichen Hand oft nicht definiert, allerdings häufiger in Bezug genommen. So wird der Begriff in § 224 SGB IX oder in Art. 126 AEUV bzw. Art. 2 der EU-Transparenzrichtlinie verwandt.4 Auch Art. 301 MwStSystRL verwendet den Begriff, ohne ihn zu definieren. Eine Definition findet sich allerdings in § 2 Abs. 2 Nr. 6 EEWärmeG.5 Dort heißt es:

1.5

„Im Sinne dieses Gesetzes ist öffentliche Hand a) jede inländische Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse des öffentlichen Rechts mit Ausnahme von Religionsgemeinschaften und 1 Siehe ausführlich Hidien in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 1 Rz. 3. 2 Zum Begriff der öffentlichen Verwaltung siehe Peine/Siegel, Allgemeines Verwaltungsrecht13, § 2. Zum Verhältnis von öffentlicher und staatlicher Verwaltung siehe auch Ehlers in Ehlers/Pünder, Allgemeines Verwaltungsrecht15, § 1 Rz. 4; Musil, Wettbewerb in der staatlichen Verwaltung, S. 7 f. 3 Näher Stober in Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht II7, § 92 Rz. 20 ff. 4 Vgl. Art. 2 lit. a RL 2006/111/EG v. 16.11.2006, ABl. 2006 L 318, 17. Die Richtlinie definiert öffentliche Hand als alle Bereiche der öffentlichen Hand, inklusive Staat sowie regionale, lokale und alle anderen Gebietskörperschaften. 5 Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz v. 7.8.2008, BGBl. I, S. 1658, zul. geänd. d. Artikel 261 der Verordnung v. 19.6.2020, BGBl. I, S. 1328.

Musil | 5

Kap. 1 Rz. 1.5 | Organisationsformen u. Strukturen der Aufgabenerfüllung b) jede Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse des Privatrechts, wenn an ihr eine Person nach Buchstabe a allein oder mehrere Personen nach Buchstabe a zusammen unmittelbar oder mittelbar aa) die Mehrheit des gezeichneten Kapitals besitzen, bb) über die Mehrheit der mit den Anteilen verbundenen Stimmrechte verfügen oder cc) mehr als die Hälfte der Mitglieder des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans bestellen können, ...“

Diese Definition kann nicht als allgemeingültig angesehen werden, erfüllt sie doch lediglich einen bereichsspezifisch relevanten Zweck. Sie kann jedoch den Weg für eine Annäherung weisen.

1.6

Zur öffentlichen Hand gehören danach alle inländischen Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen des öffentlichen Rechts. Dazu zählen alle staatlichen Organisationen selber, also Bund und Länder. Weiterhin werden alle kommunalen Gebietskörperschaften erfasst, also die Landkreise, Städte und Gemeinden. Zudem werden der öffentlichen Hand auch die sonstigen Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts zugerechnet. Hierzu gehören beispielsweise die berufsständischen Kammern, staatliche Hochschulen, Rundfunkanstalten, Sozialversicherungsträger und staatliche Kulturstiftungen.1

1.7

Die Religionsgemeinschaften sind in der oben genannten Definition nicht enthalten. Dies ist allerdings dem besonderen Gesetzeszweck geschuldet. Im vorliegenden Zusammenhang besteht kein Grund, sie generell aus dem Begriff der öffentlichen Hand auszuschließen. Vielmehr sind Religionsgemeinschaften unter bestimmten Voraussetzungen als öffentlich-rechtliche Körperschaften verfasst und gehören damit schon formal zum öffentlichen Sektor (siehe hierzu noch ausführlich Kapitel 12).

1.8

Insgesamt lässt sich sagen, dass alle juristischen Personen des öffentlichen Rechts (jPöR) vom Begriff der öffentlichen Hand umfasst sind (zum Begriff noch ausführlich Rz. 1.55).

1.9

Inwieweit auch Organisationseinheiten des Privatrechts zur öffentlichen Hand gehören, hängt einerseits von der Begriffsdefinition im Einzelnen, andererseits von der konkreten Konstellation ab. Für die Zwecke des vorliegenden Handbuchs wird ein weiter Begriff der öffentlichen Hand zugrunde gelegt, der auch solche Privatrechtssubjekte einschließt, derer sich der Staat zur Erfüllung seiner Aufgaben bedient und die er beherrschen kann. Es ist allgemein anerkannt, dass der Staat sich zur Erfüllung seiner Aufgaben der Privatrechtsform bedienen kann.2 Allein die Tatsache, dass eine Organisationseinheit privatrechtlich organisiert ist, spricht nicht gegen ihre Zugehörigkeit zur öffentlichen Hand.3 Uneingeschränkt zur öffentlichen Hand rechnen Rechtssubjekte in Privatrechtsform, an denen ausschließlich der Staat beteiligt ist. In der Einordnung problematisch sind indes solche Privatrechtssubjekte, an denen sowohl der Staat als auch Private beteiligt sind. Man spricht auch von gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen.4 Gemischt-wirtschaftliche Unternehmen stehen an der Schnittstelle des Begriffs der öffentlichen Hand. Man könnte versucht sein, eine eindeutige Zuordnung

1 Siehe auch Hidien in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 1 Rz. 5. 2 Siehe bereits Forsthoff, Verwaltungsrecht, Bd. 1, § 25 S. 510. Auch Ehlers in Ehlers/Pünder, Allgemeines Verwaltungsrecht15, § 1 Rz. 16; Peine/Siegel, Allgemeines Verwaltungsrecht13, Rz. 874. 3 Vgl. etwa Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 1 ff. 4 Zum Begriff siehe BVerfG v. 22.2.2011 – 1 BvR 699/06, BVerfGE 128, 226, 245 f.; zur verwaltungsrechtlichen Einordnung siehe Ehlers in Ehlers/Pünder, Allgemeines Verwaltungsrecht15, § 1 Rz. 16.

6 | Musil

B. Wettbewerbsteilnahme der öffentlichen Hand | Rz. 1.14 Kap. 1

zur öffentlichen Hand anhand materieller Kriterien wie Staatsaufgabe, Ausübung von Staatsgewalt oder Grundrechtsbindung vorzunehmen.1 Ein solches Unterfangen ist jedoch mit erheblichen Folgeproblemen behaftet, weil die Reichweite von Staatsgewalt und Grundrechtsbindung zu den umstrittensten Fragestellungen der Staatsrechtslehre gehören.2 Eine eindeutige Grenzziehung kann an dieser Stelle unterbleiben, weil sie für die steuerrechtliche Darstellung nicht entscheidend ist. Schlichte Beteiligungen an privaten Unternehmen machen diese Unternehmen nicht zu einem Teil der öffentlichen Hand. Auch echte Privatisierungen führen aus dem Bereich der öffentlichen Hand heraus (siehe hierzu noch Rz. 1.117). Da der öffentlichen Hand aus solchen Aktivitäten gleichwohl steuerliche Folgen erwachsen können, werden sie im Rahmen dieses Buches an geeigneter Stelle mitbehandelt.

1.10

Im Ergebnis dient der Begriff der öffentlichen Hand vor allem der darstellerischen Abgrenzung eines Wirtschafts- und Lebensbereichs. Klar konturierte Rechtsfolgen sind an ihn nicht geknüpft.3

1.11

II. Aufgaben und Funktionen der öffentlichen Hand Angesichts der klassischen Funktions- und Aufgabenzuschreibung der öffentlichen Hand liegt es nicht nahe, sie der Besteuerung zu unterwerfen. Gleichwohl ist die Besteuerung der öffentlichen Hand ein Phänomen, das immer stärkere Aufmerksamkeit in Wissenschaft und Praxis erfährt. Es erscheint lohnenswert, die Grenzlinie zwischen nicht-steuerbaren und steuerbaren Tätigkeiten angesichts der staatlichen Aufgabenerfüllung vorzunehmen. Hier gibt es verschiedene Zuschreibungsmodelle, die im Folgenden kurz skizziert und auf ihre Tauglichkeit für die Abgrenzung überprüft werden sollen.

1.12

Zunächst sei das Drei-Sektoren-Konzept genannt.4 Die öffentliche Hand wird im Sinne dieses verwaltungswissenschaftlichen Konzepts traditionell im ersten Sektor tätig. Das Konzept zählt zum ersten Sektor die hoheitliche Tätigkeit des Staates und seiner Untergliederungen. Dazu gehören alle dem Staat vorbehaltenen Aufgaben wie beispielsweise die Landesverteidigung oder Aufgaben der Eingriffsverwaltung. Der zweite Sektor ist dem marktwirtschaftlichen Handeln der Privatwirtschaft mit Gewinnerzielungsabsicht zugeordnet. Soweit sich die öffentliche Hand in diesem Sektor bewegt, unterliegt sie auch dessen Regeln. Das schließt auch die Besteuerung mit ein. Der dritte Sektor hingegen ist der Erfüllung von Gemeinwohlbelange vorrangig durch Akteure der Zivilgesellschaft gewidmet. Hier hat das Gemeinnützigkeitsrecht seinen Platz.5 Auch der Staat kann hier tätig werden.

1.13

Die steuerlichen Folgen sind differenzierend zu betrachten. Es zeigt sich, dass die Zuordnung staatlicher Tätigkeit im Rahmen des Drei-Sektoren-Konzepts noch keine eindeutige und abschließende Aussage im Hinblick auf die Besteuerung der öffentlichen Hand erlaubt. Allerdings lässt die Zuordnung zum ersten Sektor, also zur hoheitlichen Tätigkeit, die Folgerung

1.14

1 Zur einheitlichen Grundrechtsbindung siehe BVerfG v. 22.2.2011 – 1 BvR 699/06, BVerfGE 128, 226, 246. 2 Ausführlich Berger, Staatseigenschaft gemischtwirtschaftlicher Unternehmen. Eine Untersuchung der staatlichen Qualität unternehmerischer Entscheidungen, 2006, passim. 3 Siehe auch Hidien in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 1 Rz. 3 ff. 4 Zur Konzeption Stober in Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht II7, § 92 Rz. 20 ff. 5 Zur grundlegenden Einordnung des dritten oder Non-Profit-Sektors Hüttemann, Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht4, Rz. 1.5., m.w.N.

Musil | 7

Kap. 1 Rz. 1.14 | Organisationsformen u. Strukturen der Aufgabenerfüllung

zu, dass hier keine Besteuerung erfolgt (zu einem entsprechenden Besteuerungsverbot siehe noch Rz. 2.63 ff.). Im marktwirtschaftlichen zweiten Sektor kann grundsätzlich von einer Besteuerung ausgegangen werden. Im dritten Sektor ist zu differenzieren. Letztlich bedarf es genauerer Abgrenzungsparameter, um die Besteuerungsfolgen für die öffentliche Hand abschätzen zu können.

1.15

Im Hinblick auf die Aufgabenerfüllung durch die öffentliche Hand ist weiterhin fraglich, welche Bedeutung dem Begriff der Daseinsvorsorge zukommt. Dieser Begriff wurde 1938 von Ernst Forsthoff geprägt und umschreibt alle Staatsleistungen, die der Versorgung der Bevölkerung mit lebensnotwendigen Leistungen und Gütern dienen.1 Das Bundesverfassungsgericht spricht von Dienstleistungen, deren der Bürger zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz unumgänglich bedürfe.2 Beispielhaft fallen darunter Leistungen und Güter wie Nahrung, Wohnung, Strom, Wasser, Energie, Telekommunikation, Bildung und Ähnliches. Aber auch die Aufrechterhaltung des Gesundheitswesens, der Kreditversorgung und der Abfallentsorgung gehören hierher. Der Begriff der Daseinsvorsorge löst grundsätzlich keine unmittelbaren Rechtsfolgen aus.3 Vielmehr handelt es sich um einen deskriptiven verwaltungswissenschaftlichen Sammelbegriff. Er sagt nichts darüber aus, in welcher Form und mit welchen Mitteln sich der Staat der Daseinsvorsorge widmet. Grundsätzlich erfolgt die Bereitstellung entsprechender Güter heutzutage durch öffentliche Unternehmen, die zumindest potentiell zu privaten Mitbewerbern im Wettbewerb stehen können. In einem solchen Fall werden für die öffentliche Hand Steuerfolgen ausgelöst. Wird allerdings eine Aufgabe der Daseinsvorsorge erfüllt, ohne dass ein Markt vorhanden ist, kann auch auf eine Besteuerung verzichtet werden (zum Topos des Wettbewerberschutzes siehe noch Rz. 2.26 ff.).

1.16

Es wird deutlich, dass es für die Frage der Besteuerung der öffentlichen Hand nicht allein darauf ankommt, welche Aufgabenkategorie durch staatliches Handeln betroffen ist. Vielmehr muss zusätzlich gefragt werden, in welchen Formen die Aufgabenerfüllung erfolgt. Von besonderer Bedeutung scheint hier der Marktzutritt durch die öffentliche Hand durch eigene Unternehmen zu sein. Wirtschaftliche Betätigung und Wettbewerbsteilnahme werden zu Schlüsselbegriffen für die Frage der Besteuerung. Dem ist im Folgenden näher nachzugehen.

III. Wirtschaftliche Betätigung und Wettbewerbsteilnahme der öffentlichen Hand 1. Begriff der wirtschaftlichen Betätigung 1.17

Die wirtschaftliche Betätigung des Staates ist so alt wie der Staat selbst. Je nach der konkreten Verfasstheit des Wirtschaftslebens greift der Staat auf wirtschaftliche Vorgänge zu. Dies kann in verschiedensten Formen geschehen. Zunächst gibt der Staat durch seine Verfassung und die darauf fußende Gesetzgebung den Rahmen für wirtschaftliche Betätigung vor. Für sein eigenes Handeln ist er an das Wirtschaftlichkeitsgebot gebunden.4 In Deutschland besitzt dieses

1 Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Band I, S. 368 ff.; siehe ausführlich auch Ronellenfitsch in HStR Bd. IV3, § 98 Rz. 49 ff. 2 BVerfG v. 20.3.1984 – 1 BvL 28/82, BVerfGE 66, 248, 258; BVerfG v. 14.4.1987 – 1 BvR 775/84, BVerfGE75, 192, 199. 3 Ebenso Hidien in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 1 Rz. 9; gleichwohl bezeichnet ihn Ronellenfitsch als Rechtsbegriff: Ronellenfitsch in HStR Bd. IV3, § 98 Rz. 50. 4 Zum Inhalt des Wirtschaftlichkeitsprinzips siehe Musil, Wettbewerb in der staatlichen Verwaltung, S. 72 ff.

8 | Musil

B. Wettbewerbsteilnahme der öffentlichen Hand | Rz. 1.19 Kap. 1

sogar Verfassungsrang, so dass der Staat verpflichtet ist, immer nach der wirtschaftlichsten Entscheidung zu suchen. Auf der Grundlage der geltenden Wirtschaftsverfassung greift der Staat ständig regulierend und lenkend in die wirtschaftliche Betätigung der Bürger ein. Schließlich agiert der Staat selbst als Wirtschaftssubjekt, indem er sich mit seinen Öffentlichen Unternehmen an der Erbringung von Dienstleistung und der Erzeugung von Gütern beteiligt. Es gilt, aus all diesen Rollen und Tätigkeitsfeldern diejenigen herauszufiltern, die als genuin wirtschaftliche Betätigung und Wettbewerbsteilnahme qualifiziert werden können.1 Hierzu mögen einige gesetzliche Vorgaben Anhaltspunkte bieten. Vor allem im kommunalen Wirtschaftsrecht wird die wirtschaftliche Betätigung meist explizit definiert. Orientierung bietet hierbei nach wie vor die überkommene Popitz’sche Formel. Danach liegt wirtschaftliche Tätigkeit vor, wenn Dienstleistungen und Lieferungen in Rede stehen, die ihrer Art nach auch durch Privatunternehmen in der Absicht der Gewinnerzielung in den allgemeinen Verkehr gebracht zu werden pflegen2. Diese Abgrenzungsformel findet sich in den Gemeindeordnungen wieder. So formuliert die Brandenburgische Kommunalverfassung3 in § 91 Abs. 1 Satz 1 BbgKVerf:

1.18

„Wirtschaftliche Betätigung im Sinne dieses Gesetzes ist das Herstellen, Anbieten oder Verteilen von Gütern, Dienstleistungen oder vergleichbaren Leistungen, die ihrer Art nach auch mit der Absicht der Gewinnerzielung erbracht werden könnten.“

Mit steuerlichen Implikation findet sich in Art. 9 Abs. 1 Satz 2 und 3 MwStSystRL4 eine ähnliche Definition: „Als „wirtschaftliche Tätigkeit“ gelten alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe. Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt insbesondere die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen.“

Die Definitionen unterscheiden sich wegen ihrer bereichsspezifischen Funktionen insbesondere hinsichtlich des Merkmals der Einnahme- bzw. Gewinnerzielungsabsicht. Das kann an dieser Stelle allerdings noch auf sich beruhen. Jedenfalls liegt wirtschaftliche Betätigung vor, wenn sich die öffentliche Hand auf einen Markt begibt, auf dem sie ebenso wie Private Dienstleistungen erbringt oder Waren liefert. Der wirtschaftlichen Betätigung immanent ist die Tätigkeit auf einem offenen Markt, auf dem Wettbewerb zwischen den verschiedenen Marktteilnehmern herrscht.5 Als Markt wird ein Ort des Zusammentreffens von Angebot und Nachfrage beschrieben, wodurch sich im Falle eines Tausches die Preisbildung vollzieht.6 Einem solchen Markt ist auch ein wettbewerbliches Verhältnis zwischen den Marktteilnehmern immanent. Der Staat bzw. die öffentliche Hand tritt also im Rahmen der wirtschaftlichen Betätigung immer auch – zumindest potentiell – mit anderen Marktteilnehmern in Wettbewerb. Wettbewerb kann aber nur funktionie1 Dazu auch Hidien in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 1 Rz. 23 ff. 2 Popitz, Der künftige Finanzausgleich zwischen Reich, Ländern und Gemeinden, S. 49. 3 Kommunalverfassung des Landes Brandenburg (BbgKVerf) v. 18.12.2007, GVBl. I S. 286, zul. geänd. d. G. v. 18.12.2020, GVBl. I, Nr. 38, S. 2. 4 Richtlinie 2006/112/EG des Rates v. 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem, ABl. L 347 v. 11.12.2006, S. 1-118, zul. geänd. d. RL (EU) 2020/2020, ABl. L 419 v. 7.12.2020, S. 1. 5 Zum Begriff des wirtschaftlichen Wettbewerbs siehe Musil, Wettbewerb in der staatlichen Verwaltung, S. 11 ff. 6 Zur wirtschaftswissenschaftlichen Begriffsbildung siehe Gabler, Wirtschaftslexikon, „Markt“, S. 2106; vgl. auch Koewius, Das Wettbewerbskriterium der Mehrwertsteuersystemrichtlinie und dessen Einfluss auf die Umsatzbesteuerung der öffentlichen Hand, S. 50 ff.

Musil | 9

1.19

Kap. 1 Rz. 1.19 | Organisationsformen u. Strukturen der Aufgabenerfüllung

ren, wenn zwischen den Marktteilnehmern weitgehend vergleichbare Markteintrittsbedingungen herrschen.1 Da die Besteuerung insoweit einen wesentlichen Faktor bildet, liegt es nahe, diese Wettbewerbsteilnahme zum Auslöser für eine Besteuerung auch der öffentlichen Hand zu machen (ausführlich noch Rz. 2.26 ff.).

2. Abgrenzung zu anderen wirtschaftsrelevanten Tätigkeiten 1.20

Die wirtschaftliche Betätigung ist von den anderen wirtschaftsrelevanten Betätigungen der öffentlichen Hand abzugrenzen. So liegt keine wirtschaftliche Betätigung vor, wenn der Staat durch Gesetzgebung und Verwaltung von außen auf das Marktgeschehen einwirkt. Normierungen der Wirtschaftsverfassung und Maßnahmen im Rahmen der Regulierungsverwaltung sind nicht der wirtschaftlichen Sphäre des Staates zuzuordnen, sondern zählen zur Ausübung der öffentlichen Gewalt.2

1.21

Auch der Wettbewerb innerhalb der öffentlichen Verwaltung gehört nicht zur wirtschaftlichen Betätigung.3 Ein Wettbewerb um bessere „Verwaltungsprodukte“ ist nicht als marktwirtschaftlicher Wettbewerb, sondern als virtueller Wettbewerb organisiert, wenn er sich innerhalb der staatlichen Strukturen vollzieht.4 Gemeint ist hier etwa ein Wettbewerb um die besten Studierenden oder Schüler, ein Wettbewerb zwischen verschiedenen Verwaltungseinheiten um die besten Ergebnisse und Ähnliches. Wird der Wettbewerb allerdings unter Hinzunahme Privater organisiert, liegt wieder wirtschaftliche Betätigung vor.

1.22

Schließlich ist auch die staatliche Auftragsvergabe nicht vom Begriff der wirtschaftlichen Betätigung erfasst.5 Zwar betritt der Staat mit der sogenannten Fiskalverwaltung auch den allgemeinen Markt, tritt hier aber nicht in einen für das öffentliche Wirtschaftsrecht im engeren Sinne oder die Besteuerung relevanten Wettbewerb zu privaten Mitbewerbern. Vielmehr gelten hier die Vorgaben des nationalen und europäischen Vergaberechts.6 Diese bleiben im Folgenden außer Betracht.

3. Öffentliche Unternehmen und ihre Organisationsformen 1.23

Alle der öffentlichen Hand zugehörigen Organisationseinheiten können sich grundsätzlich wirtschaftlich betätigen. In der Praxis hat sich eine ausgreifende Formenvielfalt entwickelt. So können öffentliche Verwaltungsträger selbst wirtschaftlich tätig werden, indem etwa eine Universität einen kostenpflichtigen Weiterbildungsstudiengang anbietet. Kommunale Gebietskörperschaften werden oft durch ihnen organisatorisch eingegliederte Regie- und Eigenbetriebe tätig. Wirtschaftliche Tätigkeit kann aber auch in formal selbstständige Privatrechtssubjekte ausgegliedert werden, oder es werden sogenannte gemischt-wirtschaftliche Unternehmen unter Beteiligung „echter“ Privater gegründet.7

1.24

Von besonderer Bedeutung sind im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Betätigung damit die sogenannten öffentlichen Unternehmen. Dabei handelt es sich wiederum nicht um 1 2 3 4

Dazu Musil, Wettbewerb in der staatlichen Verwaltung, S. 13 ff. Zum Begriff der öffentlichen Gewalt siehe Huber in vM/K/S, Grundgesetz7, Bd. 1, Art. 19, Rz. 420 ff. Dazu ausführlich Musil, Wettbewerb in der staatlichen Verwaltung, passim. Zu entsprechenden Modellierungen siehe etwa Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, passim. 5 Hidien in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 1 Rz. 29. 6 Vertiefend Ziekow/Völlink, Vergaberecht4, passim. 7 Zum Begriff siehe BVerfG v. 22.2.2011 – 1 BvR 699/06, BVerfGE 128, 226, 245 f.

10 | Musil

B. Wettbewerbsteilnahme der öffentlichen Hand | Rz. 1.27 Kap. 1

einen Rechtsbegriff, sondern um einen Sammelbegriff für eine Vielzahl von Erscheinungsformen wirtschaftlicher Tätigkeit.1 Öffentliche Unternehmen sind solche Organisationseinheiten, die sich wirtschaftlich betätigen und an denen die öffentliche Hand zumindest mehrheitlich beteiligt ist. Der Begriff der Öffentlichen Unternehmen umfasst also sowohl die Marktbeteiligung von jPöR durch eigene Aktivitäten, als auch die Gründung eigens für diese Aufgaben verantwortlicher Träger in Privatrechtsform. Die Ausgestaltung im Einzelnen ist entscheidend für die steuerliche Beurteilung und wird deshalb weiter unten noch näher ausdifferenziert (siehe noch ausführlich Rz. 1.77 ff.). Die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand ist indes nicht schrankenlos möglich. Den vorhandenen Grenzen ist der nächste Abschnitt gewidmet.

IV. Vorgaben für die wirtschaftliche Betätigung 1. Verfassungsrecht Zunächst können sich Grenzen des wirtschaftlichen Handlungsspielraums der öffentlichen Hand aus dem Grundgesetz ergeben. Die hier vertretenen Auffassungen gehen weit auseinander.2 Während die einen wirtschaftliche Betätigung des Staates nur in engen Grenzen zulassen wollen, geht die Gegenauffassung von einer weitgehenden verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der wirtschaftlichen Betätigung aus. Ausgangspunkt der Divergenzen ist eine unterschiedliche Sichtweise der Rolle des Staates im Gemeinwesen. Während die einen eine „Staatswirtschaft“ für einer marktwirtschaftlichen Ordnung eher wesensfremd erachten3, scheint sie anderen als Garantin für hohe Qualitäts- und Sozialstandards4. Diese staatspolitische Debatte soll an dieser Stelle nicht geführt werden. Vielmehr werden im Folgenden nur konkrete Verfassungsfragen angerissen.

1.25

Umstritten ist zunächst, ob die öffentliche Hand bei ihrer wirtschaftlichen Betätigung an das bundesstaatliche Kompetenzgefüge des Grundgesetzes gebunden ist. Dies wird teilweise mit dem Argument verneint, dass nur für genuin staatliche Aufgaben ein Kompetenztitel erforderlich sei. Solche Aufgaben, die auch ein Privater erledigen könne, bedürften demgegenüber keiner Regelung der Zuständigkeit.5 Dem muss entgegengehalten werden, dass jegliche staatliche Betätigung am Maßstab des Grundgesetzes zu messen ist.6 Es bedarf auch bei wirtschaftlichen Tätigkeiten grundsätzlich der Kompetenzabgrenzung zwischen den verschiedenen Ebenen der öffentlichen Hand.7 Dies bedeutet, dass sich Bund und Länder, Kommunen und die übrigen staatlichen Einrichtungen grundsätzlich nur in ihrem eigenen Aufgabenbereich wirtschaftlich betätigen dürfen.

1.26

Weiterhin ist fraglich, inwieweit die Grundrechte als Schranken wirtschaftlicher Betätigung wirken können. Generell ist anerkannt, dass sich private Konkurrenten grundsätzlich gegen-

1.27

1 Ausführlich Ronellenfitsch in HStR Bd. IV3, § 98 Rz. 21 ff. 2 Siehe ausführlich Heintzen, Rechtliche Grenzen und Vorgaben für die wirtschaftliche Betätigung von Kommunen im Bereich der gewerblichen Gebäudereinigung, S. 47 ff. 3 Siehe statt vieler Isensee in HStR Bd. IV3, § 73 Rz. 73, m.w.N. 4 Otting, DVBl. 1997, 1258. 5 Dickersbach, WiVerw 1983, S. 187 ff., 194; so auch Ossenbühl, Deutsche Bundespost, S. 131; ähnlich Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, S. 164. 6 Ronellenfitsch in HStR Bd. IV3, § 98 Rz. 3 f. 7 Ebenso Heintzen, Rechtliche Grenzen und Vorgaben für die wirtschaftliche Betätigung von Kommunen im Bereich der gewerblichen Gebäudereinigung, S. 39 ff.; Heintzen, NVwZ 2000, 743 ff.

Musil | 11

Kap. 1 Rz. 1.27 | Organisationsformen u. Strukturen der Aufgabenerfüllung

über wirtschaftlicher Betätigung der öffentlichen Hand auf die Berufsfreiheit gem. Art. 12 Abs. 1 GG, die Eigentumsgarantie gem. Art. 14 Abs. 1 GG oder den Gleichheitssatz gem. Art. 3 Abs. 1 GG berufen können. Die öffentliche Hand ist auch im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Betätigung grundrechtsgebunden.1 Damit ist aber noch nichts über die Reichweite des Grundrechtsschutzes ausgesagt. Insbesondere die Anwendbarkeit von Art. 12 Abs. 1 GG gegenüber staatlicher Konkurrenz wird uneinheitlich beurteilt.

1.28

Das Bundesverwaltungsgericht hat in einer Leitentscheidung aus dem Jahre 1972 zum kommunalen Wirtschaftsrecht ausgeführt: „Art. 12 Abs. 1 GG schützt nicht vor Konkurrenz, auch nicht vor dem Wettbewerb der öffentlichen Hand2.“ Dem Grundgesetz lasse sich kein verfassungskräftiges Bekenntnis für ein bestimmtes Wirtschaftssystem entnehmen. Die Berufsfreiheit könne erst tangiert sein, wenn durch die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand jede private Konkurrenz unmöglich gemacht werde. Die Verwaltungsgerichte sowie Teile der Literatur treten dieser engen Lesart von Art. 12 Abs. 1 GG mit der Erwägung bei, dass Konkurrentenschutz generell nicht von der Berufsfreiheit erfasst sei.3

1.29

Dem wird entgegengehalten, dass die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Konkurrentenschutz nicht mehr der heutigen Realität entspreche.4 Mittlerweile habe sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass auch erwerbswirtschaftliches Handeln des Staates grundrechtsrelevant sei. Zudem sei die Aussage, die Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik sei wirtschaftspolitisch indifferent, mit Blick auf Art. 119 Abs. 1 und 120 AEUV sowie Art. 1 Abs. 3 EinVertr in dieser Allgemeinheit nicht mehr haltbar.5

1.30

Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass sich jegliches staatliche Handeln, auch wirtschaftliches, grundrechtlich rechtfertigen lassen muss. Es ist daher zutreffend, dass wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand am Maßstab von Art. 12 Abs. 1 GG zu messen ist. Fraglich ist aber, wie weit dieser Schutz reicht. So muss sich das entsprechende Handeln auch als Eingriff qualifizieren lassen. Insbesondere bei mittelbaren Eingriffen ist zu prüfen, ob diesen berufsregelnde Tendenz zukommt. Nur dann muss sich die staatliche Maßnahme vor Art. 12 Abs. 1 GG rechtfertigen.6 Vor diesem Hintergrund wird es privaten Konkurrenten häufig nicht gelingen, gegenüber einer wirtschaftlichen Betätigung der öffentlichen Hand einen wirksamen grundrechtlichen Schutz zu erlangen.

1.31

Zu fragen ist schließlich, inwieweit insbesondere das Demokratieprinzip aus Art. 20 Abs. 1 und 2 GG bestimmten Formen der wirtschaftlichen Betätigung durch die öffentliche Hand Schranken setzt. Vor allem bei gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen stellt sich die Frage, welchen Einfluss der Staat in den Organen solcher Unternehmen behalten muss.7 Aus der Ver1 Hidien in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 1 Rz. 55. 2 BVerwG v. 22.2.1972 – I C 24.69, BVerwGE 39, 329, 336. 3 OVG NW v. 13.8.2003 – 15 B 1137/03, DVBl. 2004, 133 (137); OVG NW v. 2.12.1985 – 4 A 2214/ 84, DÖV 1986, 339 (341); VGH Baden-Württ. v. 6.3.2006 – 1 S 2490/05, GewArch 2006, 211 ff.; Pieroth/Hartmann, DVBl. 2002, 421 ff.; Otting, DVBl. 1997, 1258 (1260). 4 Faßbender, DÖV 2005, 89 (97); differenzierend Ehlers, DVBl. 1998, 497 (502); Röhl in Schoch, Besonderes Verwaltungsrecht, 2. Kap., S. 400. 5 Heintzen, Rechtliche Grenzen und Vorgaben für die wirtschaftliche Betätigung von Kommunen im Bereich der gewerblichen Gebäudereinigung, 1999, S. 47 ff.; Ronellenfitsch in HStR Bd. IV3, § 98 Rz. 33. 6 Zu verschiedenen Eingriffsbegriffen Pieroth/Hartmann, DVBl. 2002, 421 (424). 7 Dazu umfassend Berger, Staatseigenschaft gemischtwirtschaftlicher Unternehmen, Eine Untersuchung der staatlichen Qualität unternehmerischer Entscheidungen, passim.

12 | Musil

B. Wettbewerbsteilnahme der öffentlichen Hand | Rz. 1.34 Kap. 1

pflichtung jeglicher staatlicher Tätigkeit auf das Demokratieprinzip wird teilweise geschlossen, es seien nur staatliche Mehrheitsbeteiligungen an privatrechtlich organisierten Unternehmen zulässig.1 Dem ist entgegenzuhalten, dass sich die Bindung an das Demokratieprinzip in gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen nicht auf deren Organe insgesamt, sondern nur auf die dort tätigen staatlichen Vertreter erstreckt.2 Auch Minderheitsbeteiligungen sind also zulässig, die betroffenen Unternehmen fallen allerdings angesichts der oben skizzierten Abgrenzung begrifflich nicht mehr unter die „öffentliche Hand“.3 Umgekehrt können dem Grundgesetz möglicherweise Normen entnommen werden, die die wirtschaftliche Betätigung unter ihren Schutz stellen. Diskutiert wird dies insbesondere mit Blick auf die Selbstverwaltungsgarantie der Kommunen aus Art. 28 Abs. 2 GG.4 Nach allgemeiner Auffassung schützt die Selbstverwaltungsgarantie auch die wirtschaftliche Betätigung der Kommunen. Ihnen muss das Recht gewährleistet sein, in Bereichen traditionell kommunaler Prägung wie der Daseinsvorsorge eigenverantwortlich tätig zu sein. Allerdings besteht dieses Recht insbesondere gegenüber staatlichen Institutionen, nicht aber gegenüber privaten Konkurrenten.5 Deren grundrechtlicher Schutz wird durch Art. 28 Abs. 2 GG nicht tangiert.

1.32

2. Europarecht a) Rechtsquellen, Vorrang des Unionsrechts, Wirtschaftsverfassung Fragt man nach den Schranken für die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand, ist besonderes Augenmerk auf das Recht der Europäischen Union zu richten. Das Europäische Wirtschaftsrecht, wie es sich aus dem AEUV und dem dazu ergangenen Sekundärrecht ergibt, hat mittlerweile weitreichenden Einfluss auf die wirtschaftliche Betätigung gewonnen. Im Folgenden soll nur ein kurzer Überblick über die einschlägigen Regelungen gegeben werden. Eine weitere Darstellung erfolgt im Zusammenhang mit den besteuerungsrelevanten Fragestellungen (siehe dazu Rz. 2.68 ff.).

1.33

Mit Blick auf das Unionsrecht kann zwischen dem Primärrecht und dem Sekundärrecht unterschieden werden. Das Primärrecht findet sich vor allem in den vertraglichen Grundlagen der Union, also dem EUV und dem AEUV, sowie weiteren Zusatzdokumenten.6 Zusätzlich gibt es auch ungeschriebenes Primärrecht in Form von allgemeinen Rechtsgrundsätzen. Auf der Grundlage des Primärrechts wird das Sekundärrecht der Union erlassen, insbesondere in Form von Verordnungen und Richtlinien. Das Unionsrecht geht grundsätzlich jeglichem nationalen Recht vor, sog. Vorrang des Unionsrechts.7 Es handelt sich nicht um einen Geltungsvorrang, sondern um einen Anwendungsvorrang. Das bedeutet, dass nationales Recht im Kollisionsfall nicht unwirksam wird, aber nicht mehr angewendet werden darf. Der Vorrang er-

1.34

1 So insbesondere Gersdorf, Öffentliche Unternehmen im Spannungsfeld zwischen Demokratieund Wirtschaftlichkeitsprinzip, S. 166. 2 So auch Heintzen, VVDStRL 62 (2003), S. 220 (249); Mehde, VerwArch 91 (2000), 540 (559); siehe auch Musil, Wettbewerb in der staatlichen Verwaltung, S. 101 f. 3 Anderes gilt natürlich für die staatliche Beteiligung als solche, die der Vermögensverwaltung zuzurechnen ist. 4 Ausführlich Droege, Zur Besteuerung der öffentlichen Hand, S. 92 ff. 5 Ebenso Heintzen, Rechtliche Grenzen und Vorgaben für eine wirtschaftliche Betätigung von Kommunen im Bereich der gewerblichen Gebäudereinigung, S. 37 ff. 6 Musil in Musil/Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, Einführung, Rz. 35. 7 Musil in Musil/Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, Einführung, Rz. 39.

Musil | 13

Kap. 1 Rz. 1.34 | Organisationsformen u. Strukturen der Aufgabenerfüllung

streckt sich grundsätzlich auch auf das Verfassungsrecht der Mitgliedstaaten, allerdings behalten sich die Mitgliedstaaten in bestimmten Konstellationen eine Prüfung von Unionsrecht an grundlegenden Normen ihrer Verfassungen vor.

1.35

Das Unionsrecht formt eine Wirtschaftsverfassung, die für alle Mitgliedstaaten verbindlich ist und der marktwirtschaftlichen Ordnung mit möglichst freiem und gleichem Wettbewerb verpflichtet ist (vgl. Art. 3 Abs. 3 EUV, Art. 119 Abs. 1 und 120 AEUV).1 Elemente der sozialen Marktwirtschaft sind ebenfalls prägend. Den Kern der Europäischen Union bildet der Binnenmarkt, in dem sich Personen und Waren frei bewegen können und Wettbewerbsschranken zwischen den Mitgliedstaaten möglichst abgebaut werden. Wörtlich heißt es in Art. 26 Abs. 2 AEUV: „Der Binnenmarkt umfasst einen Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gemäß den Bestimmungen der Verträge gewährleistet ist.“

1.36

Die Normen des Primärrechts formen diesen Binnenmarkt näher aus. Auch die öffentliche Hand ist in den normativen Rahmen eingebunden. Von Bedeutung sind hier zunächst die Grundfreiheiten, die für den grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr gelten.2 Neuerdings gewinnen auch die Grundrechte der Europäischen Grundrechtecharta Bedeutung. Ihre Schutzrichtung liegt etwas anders als die der Grundfreiheiten, kann für die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand aber durchaus relevant werden.3 Schließlich ist das Europäische Wettbewerbsrecht von besonderer Bedeutung, das in den Art. 101 ff. AEUV ausgeformt wird. Zu diesem Normenkomplex gehört auch das Beihilfenrecht in den Art. 107 ff. AEUV (dazu sogleich Rz. 1.39 ff. sowie Rz. 2.74 ff.). b) Grundfreiheiten, Grundfreiheiten und öffentliche Unternehmen

1.37

Zunächst lassen sich den Grundfreiheiten Vorgaben für die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand entnehmen. Die Grundfreiheiten, also die Warenverkehrsfreiheit (Art. 28 ff. AEUV), die Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 45 ff. AEUV), die Niederlassungsfreiheit (Art. 49 ff. AEUV), die Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 ff. AEUV) sowie die Zahlungs- und Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 ff. AEUV), binden die Mitgliedstaaten hinsichtlich aller ihrer Maßnahmen. Auch die wirtschaftliche Betätigung durch vom Staat beherrschte Unternehmen und Verwaltungseinheiten wird von dieser Bindung erfasst. Verboten sind alle Maßnahmen, die den freien Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital behindern, ohne aus Gemeinwohlgründen gerechtfertigt zu sein.4 Im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Betätigung der öffentlichen Hand sind hier vor allem solche staatlichen Maßnahmen denkbar, die öffentliche Unternehmen gegenüber privaten Mitbewerbern unzulässig begünstigen.5 Demgegenüber können wirtschaftliche Aktivitäten der öffentlichen Unternehmen nur ausnahmsweise selbst in den Anwendungsbereich der Grundfreiheiten fallen. Dies ist vor allem dann denkbar, wenn sie in der Lage sind, den Marktzugang für Mitbewerber selbst zu beschränken oder deren Wirtschaftstätigkeit zu beschneiden.

1 Dazu Herdegen, Europarecht22, § 13; Streinz, Europarecht11, Rz. 1062 ff. 2 Siehe den Überblick bei Musil in Musil/Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, Einführung, Rz. 62 ff. 3 Streinz, Europarecht11, Rz. 757 ff.; siehe für das Steuerrecht Weber-Grellet in Musil/Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, Art. 6 EUV, Rz. 1 ff.; Sendke, StuW 2020, 219 ff. 4 Zur Dogmatik siehe grundlegend Herdegen, Europarecht22, § 14; Streinz, Europarecht11, Rz. 820 ff. 5 Siehe hierzu Musil/Burchard, Klausurenkurs im Europarecht5, Rz. 507 ff.

14 | Musil

B. Wettbewerbsteilnahme der öffentlichen Hand | Rz. 1.41 Kap. 1

Eine neue Schutzdimension eröffnen seit einigen Jahren die Grundrechte der Europäischen Grundrechtecharta.1 Diese bindet zunächst die Union und ihre Organe. Aber auch die Mitgliedstaaten sind gebunden, sofern sie Unionsrecht vollziehen. Grundsätzlich kann die öffentliche Hand im Rahmen ihrer Wirtschaftstätigkeit also auch durch Unionsgrundrechte gebunden sein. Allerdings bestehen hier im Einzelnen noch viele offene Fragen. So dürfte in üblichen Konkurrenzfällen zwischen öffentlicher Hand und privaten Mitbewerbern der nationale Grundrechtsschutz vorrangig sein, weil kein hinreichender Bezug zum Unionsrecht besteht. Umgekehrt kann bei öffentlichen Unternehmen analog zum deutschen Recht kein Grundrechtsschutz bestehen. Noch nicht abschließend geklärt ist die Frage bei gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen.

1.38

c) Europäisches Wettbewerbs- und Beihilfenrecht Die stärkeren Vorgaben für die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand gehen vom Europäischen Wettbewerbs- und Beihilfenrecht aus.2 Zunächst finden sich in den Art. 101 ff. AEUV allgemeine Wettbewerbsregeln. Art. 101 Abs. 1 AEUV verbietet alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, welche den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken. Art. 102 Abs. 1 AEUV formuliert ein Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung. Art. 106 Abs. 1 AEUV stellt klar, dass diese Vorschriften auch für öffentliche Unternehmen gelten. Absatz 2 lässt allerdings für solche Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind, Abweichungen zu. Die Art. 107 ff. AEUV enthalten Regelungen über staatliche Beihilfen. Art. 107 Abs. 1 AEUV formuliert das sogenannte Beihilfenverbot. Danach sind staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Binnenmarkt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen.

1.39

Im Zusammenhang mit der Besteuerung der öffentlichen Hand sind die wettbewerbsrechtlichen Regelungen der Art. 101 und 102 AEUV von untergeordneter Bedeutung, weswegen sie im Folgenden außer Betracht blieben. Hingegen hat das Beihilfenrecht in den vergangenen Jahren stark an Bedeutung gewonnen. An dieser Stelle soll indes nur eine allgemeine Einführung erfolgen, die Bedeutung in steuerlicher Hinsicht wird ausführlich an entsprechender Stelle erörtert (siehe noch Rz. 2.74 ff.).

1.40

Die Regelungen der Art. 101 ff. AEUV gelten ausweislich ihrer jeweiligen Formulierungen nur für „Unternehmen“. Soweit die öffentliche Hand also nicht als Unternehmer handelt, kommt eine Anwendung des entsprechenden Abschnitts des AEUV nicht in Betracht. Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat mittlerweile eine gefestigte Rechtsprechung zum unionsrechtlichen Unternehmensbegriff entwickelt. Danach ist ein Unternehmen jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung.3 Der EuGH folgt damit einem funktionalen Unternehmensbegriff, der

1.41

1 Streinz, Europarecht11, Rz. 757 ff.; siehe für das Steuerrecht Weber-Grellet in Musil/Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, Art. 6 EUV, Rz. 1 ff.; Sendke, StuW 2020, 219 ff. 2 Dazu ausführlich Streinz, Europarecht11, § 14; Herdegen, Europarecht22, § 22. 3 St. Rspr., z.B. EuGH v. 23.4.1991 – Rs. C-41/90, Slg. 91, I-1979, NJW 1991 S. 2891 ff., Rz. 21, Höfner-Elser./.Macrotron GmbH; EuGH v. 16.3.2004 – verb. Rs. C-264/01, C-306/01, C-354/01 und

Musil | 15

Kap. 1 Rz. 1.41 | Organisationsformen u. Strukturen der Aufgabenerfüllung

nicht auf bestimmte Organisationsformen abstellt, sondern die Abgrenzung zwischen wirtschaftlichem und nicht-wirtschaftlichem Handeln in den Mittelpunkt der Betrachtung stellt. Für die öffentliche Hand bedeutet dies, dass sie mit ihren wirtschaftlichen Tätigkeiten generell den Vorgaben des Wettbewerbs- und Beihilfenrechts der EU unterliegt. Die Abgrenzung kann im Einzelfall Schwierigkeiten bereiten. So hat der EuGH die gesetzlichen Krankenkassen und ihre Verbände unter Verweis auf deren solidarische Grundausrichtung grundsätzlich als nicht-wirtschaftlich tätig eingestuft und die Anwendbarkeit des Unternehmensbegriffs des AEUV verneint.1 Dieser Entscheidung ist zuzustimmen, weil die gesetzliche Krankenversicherung der Sicherstellung einer gemeinwohlorientierten Gesundheitsversorgung dient. Die auch vorzufindenden wettbewerblichen Elemente sind untergeordneter Natur.2

1.42

Erfüllt eine Betätigung der öffentlichen Hand den Unternehmensbegriff, so ist weiter zu fragen, ob und inwieweit Art. 106 Abs. 2 AEUV eine Herausnahme aus dem Anwendungsbereich der Wettbewerbsvorschriften rechtfertigt. Nach Art. 106 Abs. 2 Satz 1 AEUV gelten für Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind oder den Charakter eines Finanzmonopols haben, die Vorschriften der Verträge, insbesondere die Wettbewerbsregeln, soweit die Anwendung dieser Vorschriften nicht die Erfüllung der ihnen übertragenen besonderen Aufgabe rechtlich oder tatsächlich verhindert. Der Begriff der „Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse (DAWI)“ wird im EU-Recht nicht definiert und in den Mitgliedstaaten unterschiedlich ausgefüllt und verwendet. Generell werden unter Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse wirtschaftliche und nichtwirtschaftliche Dienstleistungen verstanden, denen die Mitgliedstaaten ein allgemeines Interesse beimessen und die von ihnen daher mit spezifischen Gemeinwohlverpflichtungen verknüpft werden.3 Als Beispiele können Bahn, Post, Elektrizitäts-, Wasser- und Gasversorgung genannt werden. Die von Art. 106 Abs. 2 Satz 1 AEUV normierte Bereichsausnahme wird vom EuGH eher restriktiv interpretiert.4 So reicht es nicht aus, wenn die europäischen Wettbewerbsregeln die Aufgabenerfüllung behindern oder erschweren. Vielmehr muss diese tatsächlich oder rechtlich gefährdet werden.5 Zudem normiert Art. 106 Abs. 2 Satz 2 AEUV eine Einschränkung dahingehend, dass durch die Ausnahme die Entwicklung des Handelsverkehrs nicht in einem Ausmaß beeinträchtigt werden darf, das dem Interesse der Union zuwi-

1 2

3 4 5

C-355/01, Slg. 2004, I-2493, EuZW 2004, 241 ff., Rz. 46, AOK-Bundesverband. Statt „Einheit“ verwendet der EuGH auch den Begriff „Einrichtung“, siehe Dompke/Schulz, JURA 2015, 822 (825). EuGH v. 16.3.2004 – verb. Rs. C-264/01, C-306/01, C-354/01 und C-355/01, Slg. 2004, I-2493, EuZW 2004, 241 ff., AOK-Bundesverband. Kritisch zur Herausnahme der gesetzlichen Krankenversicherung aus dem Unternehmensbegriff Giesen, VSSR 1996, 311 (321 f.) und wohl auch Kamann, in: Körber, Wettbewerbsbeschränkungen, S. 173 ff.; wie hier Möller, VSSR 2001, 25 (42). Allerdings hat der EuGH inzwischen im Fall BKK Mobil Oil eine gesetzliche Krankenkasse als „Gewerbetreibenden“ i.S.d. RL 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern eingestuft, ohne sich mit dem Unternehmensbegriff der Art. 101 ff. AEUV auseinanderzusetzen (EuGH v. 3.10.2013, Rs. C-59/12, ECLI:EU:C:2013:634, NJW 2014, 269 ff., BKK Mobil Oil Körperschaft des öffentlichen Rechts./.Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e.V., dazu Becker/Schweitzer, NJW 2014, 269 ff., und Ebert-Weidenfeller/Gromotke, EuZW 2013, 937 ff.). Ausführlich Wernicke in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 106 AEUV (St. 1/2016), Rz. 62 ff. Zur Rechtsprechungsentwicklung siehe Wernicke in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 106 AEUV (St. 1/2016), Rz. 64 ff.; siehe auch Streinz, Europarecht11, Rz. 1109 ff. EuGH v. 23.10.1997 – C-157/94 – Strommonopol, Slg. 1997, I-5699.

16 | Musil

B. Wettbewerbsteilnahme der öffentlichen Hand | Rz. 1.43 Kap. 1

derläuft.1 Aufgrund der restriktiven Interpretation der entsprechenden Vorschriften greift die Bereichsausnahmen für weite Bereiche der mitgliedstaatlichen Daseinsvorsorge nicht. Vor diesem Hintergrund gewinnt die Reichweite des Europäischen Beihilfenrechts für die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand erhebliche Bedeutung. An dieser Stelle werden nur Grundzüge dargestellt, weil das Beihilfenrecht noch im Zusammenhang mit der Besteuerung der öffentlichen Hand ausführlich gewürdigt wird. Art. 107 Abs. 1 AEUV bestimmt, dass staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Binnenmarkt unvereinbar sind, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen. Der Beihilfenbegriff erfasst hierbei direkte Zahlungen aus öffentlichen Mitteln, also Subventionen, erstreckt sich aber auch auf indirekte Erleichterungen für die wirtschaftliche Betätigung.2 Gerade der letztgenannte Aspekt kann bei öffentlichen Unternehmen relevant werden, weil sie häufig von der organisatorischen Eingliederung in die staatliche Organisation profitieren können. Werden allerdings Ausgleichzahlungen für die Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse geleistet, kann unter bestimmten Voraussetzungen ein Vorteil und damit eine Beihilfe zu verneinen sein.3 Weiterhin müssen bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige begünstigt werden. Diese sogenannte Selektivität setzt voraus, dass sich die Vorteile auf klar umgrenzte Unternehmen oder Produktionszweige erstrecken.4 So fallen allgemeine Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik nicht unter den Beihilfenbegriff. Schließlich muss es zu einer Wettbewerbsverfälschung und zu einer Handelsbeeinträchtigung kommen. Ausnahmen vom Beihilfenverbot finden sich in den Absätzen 2 und 3. Absatz 2 normiert für bestimmte Fälle Legalausnahmen vom Beihilfenverbot, während Absatz 3 der Kommission ein Ermessen zur Genehmigung von Beihilfen einräumt. Art. 108 AEUV betrifft das Verfahren der Beihilfenaufsicht.5 Hier ist zwischen sogenannten Altbeihilfen und Neubeihilfen zu unterscheiden. Während die Kommission bei Altbeihilfen nicht automatisch tätig wird, trifft die Mitgliedstaaten bei jeder Neubeihilfe eine Notifizierungspflicht, die mit einer Entscheidung der Kommission einhergeht. Auf der Basis von Art. 109 AEUV schließlich hat die Union eine Reihe von Durchführungsverordnungen erlassen, die die Beihilfenaufsicht näher ausgestalten. So wurden einige Gruppenfreistellungsverordnungen verabschiedet, die zu einer generellen Genehmigung von Beihilfen in bestimmten Lebensbereichen führen, etwa für solche gegenüber kleinen und mittleren Unternehmen.6

1 Wernicke in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 106 AEUV (St. 1/ 2016), Rz. 67 ff. 2 Von Wallenberg/Schütte in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 107 AEUV (St. 7/2016), Rz. 28 ff. 3 Siehe EuGH v. 24.7.2003 – C-280/00 – Altmark Trans, Slg. 2003, I-7747; dazu im Einzelnen Von Wallenberg/Schütte in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 107 AEUV (St. 7/2016), Rz. 56 ff. 4 Von Wallenberg/Schütte in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 107 AEUV (St. 7/2016), Rz. 41 ff. 5 Dazu Streinz, Europarecht11, Rz. 1126 ff. 6 VO (EU) Nr. 651/2014 v. 17.6.2014 zur Feststellung der Vereinbarkeit bestimmter Gruppen von Beihilfen mit dem Binnenmarkt in Anwendung der Artikel 107 und 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. L 187, 1.

Musil | 17

1.43

Kap. 1 Rz. 1.44 | Organisationsformen u. Strukturen der Aufgabenerfüllung

3. Vorgaben aus einfachem Gesetzesrecht a) Kommunales Wirtschaftsrecht

1.44

Einfach-gesetzliche Schranken gemeindlichen Wirtschaftens ergeben sich aus dem kommunalen Wirtschaftsrecht in den Kommunalverfassungen und Gemeindeordnungen. Die Kommunalverfassungen und Gemeindeordnungen normieren rechtsformunabhängige Voraussetzungen wirtschaftlicher Betätigung. Die wichtigste ist, dass die Betätigung einem öffentlichen Zweck dienen muss (z.B. § 91 Abs. 2 Nr. 1 BbgKVerf).1 Weiterhin muss sie in einem angemessenen Verhältnis zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Gemeinde stehen (z.B. § 91 Abs. 2 Nr. 2 BbgKVerf). Schließlich darf sich die Gemeinde nur wirtschaftlich betätigen, wenn die Aufgabe nicht besser und wirtschaftlicher durch private Anbieter erledigt werden kann (sog. Subsidiaritätsgrundsatz).2

1.45

Über den Inhalt des Kriteriums des öffentlichen Zwecks herrscht in der Literatur keine Einigkeit. Die hierzu vertretenen Auffassungen werden bestimmt durch die Beurteilung der verfassungsrechtlichen Ausgangslage. Geht man davon aus, dass private Konkurrenten gegenüber gemeindlicher Wirtschaftstätigkeit durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützt sind, so dient das Zweckkriterium der Ausgestaltung des grundrechtlichen Schutzbereichs und ist dementsprechend von diesem determiniert. Großzügiger kann man das Kriterium interpretieren, wenn man einen Eingriff in den Schutzbereich verneint.3 Einigkeit besteht dahingehend, dass die bloße Gewinnerzielung kein hinreichender öffentlicher Zweck ist (so auch § 91 Abs. 2 Nr. 1 BbgKVerf).4

1.46

Das Kriterium des öffentlichen Zwecks besitzt allerdings nur eine eingeschränkte Direktionskraft.5 Oft wird formuliert, das Bedürfnis für eine wirtschaftliche Betätigung müsse sich von außen ergeben und dürfe nicht nur dem Wunsch gemeindlicher Organe entspringen. Die Gemeinde dürfe den rechtfertigenden Zweck nicht selbst schaffen, sondern sei darauf angewiesen, dass er sich aus den Bedürfnissen der örtlichen Gemeinschaft ableiten lasse.6 Diese Formulierungen lassen viel Gestaltungsspielraum. So wird es den handelnden Kommunen häufig nicht schwerfallen, einen hinreichenden öffentlichen Zweck zu benennen. Ein solcher kann beispielsweise auch in der Belebung der Konjunktur oder der sozialen Sicherung bestimmter Gruppen von Einwohnern bestehen. Im Ergebnis ermöglich das Zweckkriterium vor allem eine Plausibilitätskontrolle. Zudem ist es betriebs- und nicht handlungsbezogen. Das heißt, dass auf den Unternehmensgegenstand insgesamt und nicht auf einzelne Handlungen abzustellen ist.7 Grundsätzlich unbedenklich solche wirtschaftliche Betätigungen, die sich als Ausnutzung ansonsten brachliegender öffentlicher Ressourcen darstellen.8 Derartige Randnutzungen dürfen aber einen bestimmten Umfang nicht überschreiten und sich nicht organisatorisch verselbständigen. 1 Dazu Schmidt, Kommunalrecht2, Rz. 947. 2 Dieses Erfordernis ist nicht in allen Gemeindeordnungen enthalten, gilt aber ohnehin lediglich als Ausprägung des Erfordernisses eines öffentlichen Zwecks, vgl. ausführlich und m.w.N. Schmidt, Kommunalrecht2, Rz. 949. 3 Siehe Burgi, Kommunalrecht6, § 17 Rz. 34. 4 Siehe nur Burgi, Kommunalrecht6, § 17 Rz. 24; Schmidt, Kommunalrecht2, Rz. 947. 5 So auch Burgi, Kommunalrecht6, § 17 Rz. 43. 6 OLG Hamm v. 23.9.1997 – 4 U 99/97, JZ 1998, 576 (577); Heintzen, Rechtliche Grenzen und Vorgaben für die wirtschaftliche Betätigung von Kommunen im Bereich der gewerblichen Gebäudereinigung, 1999, S. 81 ff., m.w.N. 7 Ausführlich OVG NW, Beschl. v. 13.8.2003 – 15 B 1137/03, DVBl. 2004, 133 ff., 135. 8 Ebenso Ehlers, Jura 1999, 212 (214).

18 | Musil

B. Wettbewerbsteilnahme der öffentlichen Hand | Rz. 1.50 Kap. 1

Sollen Unternehmen in Privatrechtsformen gegründet werden, so müssen zusätzlich die hierfür aufgestellten Vorgaben der Gemeindeordnungen erfüllt sein. Sie dienen weitgehend dem Zweck, die gemeindliche Einflussnahme auf das entstehende Privatrechtssubjekt zu sichern und finanzielle Risiken zu minimieren (vgl. § 96 BbgKVerf).

1.47

Mit Blick auf den Rechtsschutz privater Mitbewerber ist vor allem die Klagebefugnis gem. § 42 Abs. 2 VwGO problematisch. Die Frage nach dem drittschützenden Charakter der Normen des kommunalen Wirtschaftsrechts wird von den Verwaltungsgerichten nicht einheitlich beantwortet.1 Ursprünglich war man davon ausgegangen, dass die Normen des kommunalen Wirtschaftsrechts nicht drittschützend seien, sondern nur die Gemeindehaushalte schützen wollten.2 Mittlerweile setzt sich aber eher die Gegenauffassung durch.3 So hat das OVG Münster in einem Beschluss vom 13.8.2003 ausgesprochen, private Konkurrenten könnten sich auf das Erfordernis des öffentlichen Zwecks in § 107 Abs. 1 Nr. 1 GO NW berufen, um sich gegen unzulässigen Wettbewerb von Seiten kommunaler Unternehmen zu wehren.4 Allerdings richtet sich der Kontrollmaßstab des Gemeindewirtschaftsrechts nicht gegen einzelne Wettbewerbshandlungen kommunaler Unternehmen, sondern knüpft an den Unternehmensgegenstand an.

1.48

b) Haushaltsrecht Auch das Haushaltsrecht enthält einige einfach-gesetzliche Beschränkungen der wirtschaftlichen Betätigung der öffentlichen Hand. Die Bundeshaushaltsordnung gilt für alle dem Bund zuzurechnenden Organisationseinheiten, während alle Länder eigene Landeshaushaltsordnungen für ihre eigenen Einrichtungen erlassen haben. Während das Kriterium des öffentlichen Zwecks unabhängig von der Rechtsform bereits das „Ob“ wirtschaftlicher Betätigung reglementiert, ergeben sich rechtsformbezogene Schranken der wirtschaftlichen Betätigung aus den jeweiligen Haushaltsordnungen. Im vorliegenden Zusammenhang sind vor allem § 65 BHO und die entsprechenden Vorschriften der Länder von Bedeutung. In § 65 Abs. 1 heißt es:

1.49

„Der Bund soll sich ... an der Gründung eines Unternehmens in einer Rechtsform des privaten Rechts oder an einem bestehenden Unternehmen in einer solchen Rechtsform nur beteiligen, wenn 1. ein wichtiges Interesse des Bundes vorliegt und sich der vom Bund angestrebte Zweck nicht besser und wirtschaftlicher auf andere Weise erreichen lässt, 2. die Einzahlungsverpflichtung des Bundes auf einen bestimmten Betrag begrenzt ist, 3. der Bund einen angemessenen Einfluss, insbesondere im Aufsichtsrat oder in einem entsprechenden Überwachungsorgan erhält, 4. gewährleistet ist, dass der Jahresabschluss und der Lagebericht, soweit nicht weitergehende gesetzliche Vorschriften gelten oder andere gesetzliche Vorschriften entgegenstehen, in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Dritten Buchs des Handelsgesetzbuchs für große Kapitalgesellschaften aufgestellt und geprüft werden.“

Im vorliegenden Zusammenhang von besonderer Bedeutung ist das Erfordernis des wichtigen Interesses.5 Dieses Kriterium scheint dem des öffentlichen Zwecks ähnlich zu sein. Jedoch ist zu beachten, dass sich der öffentliche Zweck auf die wirtschaftliche Betätigung als solche 1 2 3 4 5

Zusammenfassend Jungkamp, NVwZ 2010, 546 ff. Grundlegend BVerwG v. 22.2.1972 – I C 24.69, BVerwGE 39, 329, 336. Ausführlich Mann, DVBl. 2009, 817 ff. OVG NW v. 13.8.2003 – 15 B 1137/03, DVBl. 2004, 133 ff. Dazu Ronellenfitsch in HStR Bd. IV3, § 98 Rz. 29.

Musil | 19

1.50

Kap. 1 Rz. 1.50 | Organisationsformen u. Strukturen der Aufgabenerfüllung

bezieht, während ein wichtiges Interesse an einer Betätigung gerade in privater Rechtsform bestehen muss. Die Bezugspunkte beider Begriffe sind also verschieden. Bei dem Merkmal „wichtiges Interesse“ handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, bei dessen Ausfüllung die Rechtsprechung dem Staat einen weiten Spielraum zubilligt.1 Ein wichtiges Interesse kann sich aus einer Vielzahl von Gesichtspunkten ergeben.2 So kann etwa die kostengünstigere Aufgabenerledigung durch Einschaltung eines Privatrechtssubjekts ein wichtiges Interesse darstellen. Aber auch andere Aspekte kommen in Betracht, wie zB. größere Autonomie und Flexibilität bei der Aufgabenerfüllung, Abkoppelung vom öffentlichen Dienst-, Organisations-, und Haushaltsrecht, leichtere Gewinnung qualifizierten Fachpersonals.3

1.51

Rechtsschutz für private Konkurrenten kann es auf der Grundlage des Haushaltsrechts nicht geben. Dieses hat aufgrund seines Charakters als bloßes Innenrecht des Staates keinen drittschützenden Charakter. c) Wettbewerbsrecht

1.52

Weitere Bindungen für die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand sind dem Wettbewerbsrecht, insbesondere dem UWG, zu entnehmen. Dessen Vorschriften sind grundsätzlich auf wirtschaftliche Unternehmen der öffentlichen Hand anwendbar, wenn sie mit privatwirtschaftlichen Unternehmen in einem Wettbewerbsverhältnis stehen. Unter anderem ist zu prüfen, ob das Unternehmen im Sinne von § 3a UWG einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln, und der Verstoß geeignet ist, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen. Als verletzte Vorschriften sind die Regelungen des kommunalen Wirtschaftsrechts in Betracht zu ziehen. Ein bloßer Verstoß gegen diese Vorschriften reicht allerdings nach ständiger Rechtsprechung des BGH nicht aus, um eine unlautere Handlung zu begründen. In einer Leitentscheidung aus dem Jahre 2002 führt das Gericht aus, das UWG regele nicht den Zugang zum Wettbewerb, sondern die Art und Weise der Beteiligung am Wettbewerb.4 Die Vorschriften des kommunalen Wirtschaftsrechts seien demgegenüber zugangsbezogen. Verstöße gegen sie könnten keine Sittenwidrigkeit nach UWG (der alten Fassung) begründen. Diese Rechtsprechung lässt sich auch auf die neu gefassten Vorschriften des UWG übertragen. Dementsprechend können private Konkurrenten der öffentlichen Hand unter Berufung auf das UWG in Verbindung mit den Vorschriften des kommunalen Wirtschaftsrechts keinen wirkungsvollen Schutz erlangen.

4. Insbesondere: Privatisierung versus Rekommunalisierung (bzw. Publizisierung) 1.53

In den letzten Jahrzehnten hat die öffentliche Hand in immer größerem Umfang wirtschaftliche Aktivitäten entfaltet. Insbesondere die Kommunen waren angesichts sinkender Einnahmen aus klassischen Finanzierungsquellen gezwungen, sich neue Finanzierungsmittel zu erschließen. Die Ausweitung wirtschaftlicher Tätigkeit ging auch mit erheblichen Privatisierungen einher. Bisher durch Regie- oder eigenbetriebe erledigte Aufgaben wurden auf private

1 OVG NW v. 2.12.1985 – 4 A 2214/84, DÖV 1986, 339 (341); OVG NW v. 15.12.1994 – 9 A 2251/ 93, OVGE 44, 211, 213. 2 Vgl. auch Engels/Eibelshäuser, Kommentar zum Haushaltsrecht, § 65 BHO, Z. 16. 3 OVG NW v. 15.12.1994 – 9 A 2251/93, OVGE 44, 211, 213. 4 BGH v. 25.4.2002 – I ZR 250/00, BGHZ 150, 343 = NJW 2002, 2645 ff.

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C. Organisatorische Rahmenbedingungen der Aufgabenerfüllung | Rz. 1.55 Kap. 1

GmbHs übertragen.1 Dabei haben sich mitunter auch Konzernstrukturen zwischen staatlichen und kommunalen Organisationseinheiten einerseits und privatrechtlich organisierten Unternehmen andererseits gebildet. Es hat sich aber gezeigt, dass die Privatisierung für viele Bereiche der öffentlichen Hand und insbesondere auch die Kommunen nicht nur Vorteile gebracht hat. So werden allgemein Kontrolldefizite im Hinblick auf gemeinwohlrelevante Ressourcen beklagt. Zudem bleiben oft auch die erhofften wirtschaftlichen Vorteile aus. Aufgrund dieser Erfahrungen hat sich ein gegenläufiger Trend herausgebildet, der sich mit den Stichworten Rekommunalisierung, Reetatisierung oder Publizisierung umschreiben lässt. Privatisierungen sollen wieder rückgängig gemacht und bestimmte Aufgaben wieder in öffentlich-rechtlichen Formen erledigt werden.2 Vor allem im Bereich der Energienetze versuchen viele Kommunen, die entsprechenden Ressourcen wieder in die eigenen Hände zu bekommen und Privatisierungen rückgängig zu machen. Allerdings müssen bei dieser Publizisierung unter anderem das Vergaberecht und das Beihilfenrecht beachtet werden.3 Von besonderer Bedeutung ist das Diskriminierungsverbot, das es verbietet, im Rahmen einer Rekommunalisierung private Mitbewerber schlechter zu stellen als ein kommunales Unternehmen. In jüngerer Zeit hat sich um die Reichweite des Diskriminierungsverbots in Rechtsprechung und Literatur eine Kontroverse entsponnen. Nach ersten, sehr restriktiven Entscheidungen4, die in der Literatur kritisiert wurden5, gibt es mittlerweile auch Rechtsprechung, die den Kommunen größere Spielräume lässt.6 Im Ergebnis sind Publizisierungen zwar umsetzbar, aber mit erheblichen Belastungen und Risiken verbunden. Auch die steuerlichen Folgen sind im Rahmen entsprechender Umstrukturierungen in den Blick zu nehmen.

1.54

C. Organisatorische Rahmenbedingungen der Aufgabenerfüllung durch die öffentliche Hand I. Der Begriff der jPöR Für die Besteuerung der öffentlichen Hand ist der Begriff der juristischen Person des öffentlichen Rechts (jPöR) von besonderer Bedeutung.7 So knüpft beispielsweise das Körperschaftsteuerrecht in den §§ 1 Abs. 1 Nr. 6, 4 KStG an den Begriff an, ohne ihn näher zu definieren. Juristische Personen des öffentlichen Rechts sind alle Struktureinheiten, denen durch das öffentliche Recht die Fähigkeit verliehen worden ist, Träger von Rechten und Pflichten zu sein.8 Die Rechtsfähigkeit kann durch jedweden Hoheitsakt verliehen werden, also beispielsweise durch Gesetz, aber auch durch Gewohnheitsrecht.9 Unter den Begriff der jPöR sind alle Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts zu fassen. Im Einzelnen zählen 1 Vgl. OLG Hamm v. 23.9.1997 – 4 U 99/97, JZ 1998, 576 ff.; weitere Fundstellen zu einschlägigen Gerichtsentscheidungen bei Faßbender, DÖV 2005, 89 (90), insb. Fn. 16. 2 Siehe grundlegend Bauer, JZ 2014, 1017 ff.; Schmidt, DÖV 2014, 357 ff. 3 Dazu ausführlich Correll, DVBl. 2016, 338 ff. 4 Siehe LG Berlin, Urt. v. 9.12.2014 – 16 O 224/14 Kart, juris; siehe auch BVerfG, Beschl. v. 22.8.2016 – 2 BvR 2953/14, juris. 5 Kritisch Hellermann, Anmerkung zur Entscheidung des LG Berlin, Urt. v. 9.12.2014 – 16 O 224/ 14, EnWZ 2015, 239 f.; differenzierend Correll, DVBl. 2016, 338 (343). 6 KG v. 4.4.2019 – 2 U 5/15 Kart, juris. 7 Dazu auch Hidien in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 1 Rz. 159 ff. 8 Musil in Mössner/Seeger/Oellerich, KStG4, § 4, Rz. 26. 9 Vgl. dazu BFH v. 1.3.1951 – I 52/50 U, BStBl. III 1951, 120; v. 8.7.1971 – V R 1/68, BStBl. II 1972, 70.

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1.55

Kap. 1 Rz. 1.55 | Organisationsformen u. Strukturen der Aufgabenerfüllung

dazu Bund, Länder und Kommunen als Gebietskörperschaften, öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften, Träger der funktionalen Selbstverwaltung wie Hochschulen und berufsständische Kammern, Sparkassen, die Träger der Sozialversicherung sowie die öffentlichen Rundfunkanstalten.1 Bereits diese exemplarische Aufzählung zeigt die Vielgestaltigkeit der Strukturen im Bereich der öffentlichen Hand. Im Folgenden soll dem näher nachgegangen werden.

II. Grundzüge des Staats-, insbesondere des Verwaltungsorganisationsrechts 1. Grundlagen 1.56

Im Folgenden werden die Grundzüge des Staatsorganisationsrechts dargestellt, da die Normen des Steuerrechts an diese anknüpfen und sie voraussetzen. Das Grundgesetz enthält die wesentlichen Regelungen über die Organisation des Bundes und die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern.2 Das Landesrecht einschließlich der jeweiligen Landesverfassungen regelt das Staatsorganisationsrecht der Länder. Im Folgenden soll vor allem die Verwaltungsorganisation näher dargestellt werden, da die Staatsfunktionen der Gesetzgebung und der Rechtsprechung für Fragen der Besteuerung der öffentlichen Hand keine nennenswerte Bedeutung besitzen. Es wird mit den Ländern begonnen, da die Verwaltung im deutschen Bundesstaat grundsätzlich den Ländern obliegt. Die Verwaltung durch den Bund bildet demgegenüber die Ausnahme.

1.57

Grundlegend ist zwischen der unmittelbaren und der mittelbaren Staatsverwaltung zu unterscheiden.3 Während die unmittelbare Staatsverwaltung durch den Staat, also Bund und Länder, selbst erfolgt, wird mittelbare Staatsverwaltung durch organisatorisch verselbständigte Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts ausgeübt.4 Die wichtigste Erscheinungsform mittelbarer Staatsverwaltung stellen die Kommunen als Gebietskörperschaften dar. Daneben existiert eine Vielzahl sachbezogener Verwaltungsträger in vielfältigen Organisationsformen, die der jeweiligen Aufgabe adäquat sein sollen.

2. Unmittelbare Staatsverwaltung der Länder und des Bundes a) Landesverwaltung

1.58

Der Verwaltungsaufbau der Länder ist sehr heterogen ausgestaltet, folgt aber einigen gemeinsamen Grundprinzipien. So kann zwischen allgemeinen Verwaltungsbehörden und Sonderverwaltungsbehörden unterschieden werden.5 Die Zuständigkeit einer allgemeinen Verwaltungsbehörde erstreckt sich auf alle Aufgaben, für die keine andere Behörde zuständig ist, während eine Sonderverwaltungsbehörde nur für ihr ausdrücklich zugewiesen Aufgaben zuständig ist.6 In den größeren Flächenländern findet sich ein dreistufiger Verwaltungsaufbau, 1 Siehe die Aufzählung bei Musil in Mössner/Seeger/Oellerich, KStG4, § 4, Rz. 27. 2 Siehe den Überblick bei von Münch/Mager, Staatsrecht I8, Rz. 371 ff.; Burgi in Ehlers/Pünder (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht15, § 7 Rz. 1 ff.; zur vertieften Lektüre siehe die Beiträge in Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR VI3. 3 Dazu Burgi in Ehlers/Pünder (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht15, § 8 Rz. 10 ff.; Jestaedt in Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I2, § 14 Rz. 32. 4 Burgi in Ehlers/Pünder (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht15, § 8 Rz. 11 ff. 5 Burgi in Ehlers/Pünder (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht15, § 9 Rz. 14. 6 Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht20, § 22 Rz. 15.

22 | Musil

C. Organisatorische Rahmenbedingungen der Aufgabenerfüllung | Rz. 1.64 Kap. 1

während er in kleineren nur zweistufig ist.1 Die Stadtstaaten sind noch einmal besonders gegliedert2. Die Oberstufe wird zunächst durch die obersten Landesbehörden, also die Landesregierung und den Ministerpräsidenten, die Minister bzw. die Ministerien gebildet.3 Hinzu treten die Landesoberbehörden. Diese sind einem Minister unmittelbar nachgeordnet und für einen bestimmten Sachbereich für das gesamte Landesgebiet zuständig. Beispiele bilden das Landeskriminalamt, das Landesamt für Denkmalpflege, das Landesamt für Verfassungsschutz usw.

1.59

Die Mittelstufe gibt es nur noch in einigen Bundesländern, etwa in Bayern und NordrheinWestfalen.4 Sie wird durch die Bezirksregierungen bzw. Regierungspräsidenten geprägt, die als allgemeine Verwaltungsbehörden für ihren jeweiligen Bezirk zuständig sind. Fachlich unterstehen sie nicht einem einzelnen, sondern allen Ministern in deren jeweiligen Aufgabenbereich.

1.60

Die Unterstufe wird zunächst von den Landräten gebildet.5 Landräte haben damit eine Doppelstellung, weil sie sowohl als allgemeine staatliche Verwaltungsbehörde der Unterstufe fungieren, als auch Aufgaben der Selbstverwaltung für die sie tragenden Gebietskörperschaft Landkreis wahrnehmen. Die kreisfreien Städte und Stadtkreise sind demgegenüber keinem Landkreis untergeordnet, so dass sie auf ihrem Gebiet auch die Aufgaben der allgemeinen staatlichen Verwaltungsbehörde auf der Unterstufe wahrzunehmen. Dies geschieht im Regelfall durch den Oberbürgermeister. Dieser ist nicht staatliche Unterbehörde, sondern wird im Wege der Organleihe tätig. Neben den allgemeinen Verwaltungsbehörden existieren auf der Unterstufe noch viele Sonderverwaltungsbehörden, die einen abgegrenzten sachlichen Zuständigkeitsbereich haben. So können beispielhaft die Gewerbeaufsichtsämter, die Finanzämter und die Forstämter genannt werden.6

1.61

b) Bundesverwaltung Auf Bundesebene gibt es keine allgemeinen Verwaltungsbehörden, sondern nur Sonderverwaltungsbehörden. Zudem hat der Bund in der Regel nur Behörden der Oberstufe, nur ausnahmsweise einen eigenen Verwaltungsunterbau mit Behörden der Mittel bzw. Unterstufe.7

1.62

Oberste Bundesbehörden sind zunächst die Bundesregierung, die Bundeskanzlerin und die Bundesminister.8 Daneben gibt es eine Reihe von Bundesoberbehörden, also solcher Sonderverwaltungsbehörden, die sachlich für bestimmte Verwaltungsaufgaben und örtlich für das Bundesgebiet zuständig sind. Sie unterstehen dem jeweiligen Bundesminister. Beispielhaft seien das Bundeskriminalamt, das Statistische Bundesamt oder das Umweltbundesamt genannt.9

1.63

In Art. 87 GG sind diejenigen Gegenstände genannt, die in bundeseigener Verwaltung mit eigenem Verwaltungsunterbau geführt werden. Dies sind nach Absatz 1 Satz 1 der Auswärtige

1.64

Übersicht bei Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht20, § 22 Rz. 16. Für Berlin siehe ausführlich Musil/Kirchner, Das Recht der Berliner Verwaltung4, Rz. 69 ff. Vgl. Peine/Siegel, Allgemeines Verwaltungsrecht13, Rz. 135. Peine/Siegel, Allgemeines Verwaltungsrecht13, Rz. 136. Zur Unterstufe siehe Burgi in Ehlers/Pünder (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht15, § 9 Rz. 17. Näher zum Stufenaufbau siehe Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht20, § 22 Rz. 18 ff. Siehe den Überblick bei Burgi in Ehlers/Pünder (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht15, § 9 Rz. 1 ff. 8 Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht20, § 22 Rz. 36. 9 Vgl. Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht20, § 22 Rz. 37.

1 2 3 4 5 6 7

Musil | 23

Kap. 1 Rz. 1.64 | Organisationsformen u. Strukturen der Aufgabenerfüllung

Dienst, die Bundesfinanzverwaltung und die Verwaltung der Bundeswasserstraßen und der Schiffart. Weitere Behörden dürfen durch Bundesgesetz nach Absatz 1 Satz 2 eingerichtet werden. Art. 87b GG ergänzt die Bundeswehrverwaltung. In bundeseigener Verwaltung werden zudem gem. Art. 87e GG und Art. 87 ff. GG die hoheitlichen Aufgaben im Zusammenhang mit Eisenbahn, Post und Telekommunikation ausgeübt.1

3. Mittelbare Staatsverwaltung durch kommunale Gebietskörperschaften 1.65

Mittelbare Staatsverwaltung ist gegeben, wenn der Staat seine Verwaltungsaufgaben nicht selbst, sondern durch rechtlich selbstständige, in die Staatsorganisation einbezogene Verwaltungsträger erledigen lässt.2 Die mittelbare Staatsverwaltung wird durch öffentlich-rechtliche Körperschaften, Anstalten und Stiftungen ausgeübt. Eine Sonderstellung nehmen die Kommunen, insbesondere die Gemeinden, ein, da sie aufgrund der Volkswahl ihrer Organe eine besondere verfassungsrechtliche Legitimation besitzen und auch sonst das Bild des Gemeinwesens der Bundesrepublik Deutschland prägen. Sie werden im Folgenden näher dargestellt. Der Begriff „mittelbare Staatsverwaltung“ ist hierbei nicht ganz treffend, weil die Gemeinden das Recht der Selbstverwaltung haben, das sie aufgrund von Art. 28 Abs. 2 GG auch gegenüber dem Staat durchsetzen können.3 Sie haben aus ihrer Sicht also eine gewisse Distanz zum Staat. Aus Sicht des Bürgers sind Gemeinden aber wie die übrigen Verwaltungsträger Erscheinungsformen des grundrechtsverpflichteten Staates, weshalb an der Begrifflichkeit hier festgehalten wird.4 Neben den Gemeinden existieren auf kommunaler Ebene weitere Gebietskörperschaften. Hier sind vor allem die Landkreise zu nennen.

1.66

Verfassungsrechtlich ist die kommunale Selbstverwaltung durch Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG abgesichert. Danach haben die Gemeinden das Recht, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Vergleichbare und teilweise auch weitergehende Regelungen sind auch in den Landesverfassungen enthalten.5 Die Selbstverwaltungsgarantie ist als subjektiv-öffentliches Recht ausgestaltet und begründet so ein Klagerecht der Gemeinde gegen staatliche Eingriffe.

1.67

Die interne Organisation der Gemeinden ist in den Gemeindeordnungen bzw. Kommunalverfassungen geregelt. Mittlerweile haben sich die Organisationsmodelle der Gemeinden in den Bundesländern stark angenähert. Die meisten Kommunalverfassungen folgen einem dualistischen Modell, in dem Bürgermeister und Gemeindevertretung selbstständig nebeneinanderstehen und jeweils durch eine Volkswahl ins Amt kommen.6 Früher gab es auch monistische Modelle, in denen der Bürgermeister von der Gemeindevertretung gewählt wurde.7

1.68

Mit Blick auf die Aufgabenerfüllung durch die Gemeinden ist zwischen Selbstverwaltungsangelegenheiten und Auftragsangelegenheiten zu unterscheiden.8 Mit Selbstverwaltungsangelegenheiten sind die eigenen Aufgaben gemeint, die sich auf die örtliche Gemeinschaft bezie1 Burgi in Ehlers/Pünder (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht15, § 9 Rz. 2 ff. 2 Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht20, § 23 Rz. 1; Jestaedt in Hoffmann-Riem/ Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I2, § 14 Rz. 32. 3 Hierzu ausführlich Mehde in M/D, GG, Art. 28 Abs. 2, Rz. 38 ff. 4 Siehe auch Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht20, § 23 Rz. 1. 5 Hierzu Mehde in M/D, GG, Art. 28 Abs. 2, Rz. 20 ff. 6 Vgl. Schmidt, Kommunalrecht2, Rz. 367 ff. 7 Zu den verschiedenen Modellen Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht20, § 23 Rz. 8 ff.; Schmidt, Kommunalrecht2, Rz. 375 ff. 8 Vgl. Schmidt, Kommunalrecht2, Rz. 226 ff.

24 | Musil

C. Organisatorische Rahmenbedingungen der Aufgabenerfüllung | Rz. 1.72 Kap. 1

hen und vom Schutz des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG umfasst sind. In diesem Aufgabenkreis besitzt die Gemeinde eine Allzuständigkeit, kann sich also auch neuer Aufgaben annehmen. Demgegenüber werden die Auftragsangelegenheiten den Gemeinden durch Gesetz übertragen. Sie sind nicht vom Selbstverwaltungsrecht umfasst. Während im Hinblick auf Selbstverwaltungsaufgaben nur eine Rechtsaufsicht besteht, unterliegen Auftragsangelegenheiten einer umfassenden staatlichen Fachaufsicht. Neben diesem dualistischen Modell der Aufgabenzuschreibung gibt es auch noch ein monistisches Modell, das nur einen einheitlichen Bereich von Gemeindeaufgaben kennt. Hier spricht man nicht von Selbstverwaltungs- und Auftragsangelegenheiten, sondern von freien Aufgaben, Pflichtaufgaben und Weisungsaufgaben.1 Den Gemeinden kommt in ihrem Aufgabenbereich ein umfassendes Satzungsrecht zu. Neben den Gemeinden sind auch die Gemeindeverbände durch Art. 28 GG verfassungsrechtlich gewährleistet. Zu den Gemeindeverbänden gehören vor allem die Landkreise.2 Diese stellen eine alle Kreisbürger erfassende Gebietskörperschaft dar. Den Landkreisen kommen eigene Aufgaben zu, die sie in Selbstverwaltung ausüben können, etwa die Unterhaltung sozialer und kultureller Einrichtungen. Daneben haben sie durch Gesetz übertragene Aufgaben zu erfüllen, etwa nach dem Wohngeldgesetz. Der Landrat fungiert einerseits als Organ des Landkreises, ist aber als untere Verwaltungsbehörde auch in die unmittelbare Staatsverwaltung eingegliedert (siehe hierzu bereits Rz. 1.61).

1.69

Neben Gemeinden und Landkreisen gibt es noch weitere kommunale Untergliederungen. Hier sind die Zweckverbände als Zusammenschlüsse verschiedener Kommunalkörperschaften zu nennen. Zum anderen gibt es auch innerhalb von Kommunalkörperschaften noch Untergliederungen wie Stadtbezirke oder Ortschaften. In den Stadtstaaten kommen diesen Untergliederungen besondere Rechte zu.3

1.70

4. Sonstige mittelbare Staatsverwaltung Die sonstige mittelbare Staatsverwaltung wird durch Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts geprägt.4 Während die Körperschaften vor allem der Umsetzung von Selbstverwaltung dienen, werden Anstalten und Stiftungen vor allem eingerichtet, um eine sachgerechte und effektive Aufgabenerfüllung zu ermöglichen.

1.71

a) Körperschaften des öffentlichen Rechts Neben den bereits beschriebenen kommunalen Gebietskörperschaften sind die sogenannten Personalkörperschaften für die mittelbare Staatsverwaltung von elementarer Bedeutung. Sie werden auch als Träger funktionaler Selbstverwaltung bezeichnet.5 Die Erscheinungsformen funktionaler Selbstverwaltung sind hierbei vielfältig.6 Zu nennen sind zunächst die Industrie1 Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht20, § 23 Rz. 18. 2 Siehe den Überblick bei Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht20, § 23 Rz. 26 ff. 3 Zur Rechtsstellung der Berliner Bezirke siehe ausführlich Musil/Kirchner, Das Recht der Berliner Verwaltung4, Rz. 34 ff. 4 Hidien in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 1 Rz. 176 ff. 5 Grundlegend Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, passim; zu deren demokratischer Legitimation Musil, DÖV 2004, 116 ff. 6 Siehe Burgi in Ehlers/Pünder (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht15, § 8 Rz. 21.; Hidien in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 1 Rz. 176 ff.; ausführlich auch Maurer/ Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht20, § 23 Rz. 31 ff.

Musil | 25

1.72

Kap. 1 Rz. 1.72 | Organisationsformen u. Strukturen der Aufgabenerfüllung

und Handelskammern, Handwerkskammern, die Kammern im Bereich der freien Berufe, etwa die Rechtsanwalts- und Ärztekammern. Auch die Träger der Sozialversicherung gehören zu den Körperschaften des öffentlichen Rechts und zur funktionalen Selbstverwaltung. Im Einzelnen sind dies die Allgemeinen Ortskrankenkassen und die ihnen gleichgestellten Ersatzkassen, aber auch die unter dem Dach der Deutschen Rentenversicherung zusammengefassten Institutionen. Einen weiteren wichtigen Bereich bilden die Universitäten und Hochschulen, soweit sie körperschaftlich organisiert sind.

1.73

Eine Sonderstellung nehmen die Kirchen ein (hierzu noch ausführlich Kapitel 12). Diese besitzen zwar kraft verfassungsrechtlicher Gewährung durch Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 WRV den Status von Körperschaften des öffentlichen Rechts. Sie sind aber nicht dem Staat organisatorisch und funktionell eingeordnet. Vielmehr besitzen sie eine vom Staat unabhängige Stellung. Der Körperschaftsstatus soll den Kirchen bestimmte Rechte vermitteln, die nur öffentlich-rechtlichen Institutionen zukommen kann, etwa die Eigenschaft als Steuergläubiger.1

1.74

Trotz der Heterogenität der Erscheinungsformen funktionaler Selbstverwaltung liegt ihnen eine Reihe gemeinsamer Organisationsprinzipien zugrunde.2 So sind Körperschaften des öffentlichen Rechts – mit Ausnahme der Kirchen – durch staatlichen Hoheitsakt errichtet. Sie besitzen Rechtsfähigkeit und sind mitgliedschaftlich verfasst. Ihr Aufgabenbereich ist sehr unterschiedlich und richtet sich mach dem jeweiligen Lebensbereich, in dem sie tätig sind. Die Aufgaben werden nach den Grundsätzen der Selbstverwaltung ausgeübt. So ist die Ausgestaltung der Universitäten als Körperschaften des öffentlichen Rechts ein Ausfluss der Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG) der sie tragenden Wissenschaftler.3 Für die Mitglieder der Körperschaften besteht in der Regel eine Zwangsmitgliedschaft, die aber nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts grundgesetzkonform ist.4 Körperschaften des öffentlichen Rechts kommt ein Satzungsrecht in ihren Angelegenheiten zu. Sie unterstehen im Hinblick auf ihre Selbstverwaltungsaufgaben allein der Rechtsaufsicht, soweit auch staatliche Aufgaben übertragen wurden, auch einer Fachaufsicht. b) Anstalten des öffentlichen Rechts

1.75

Nach der klassischen Definition der öffentlicher Anstalt ist diese ein Bestand von Mitteln, sächlichen wie persönlichen, welche in der Hand eines Trägers öffentlicher Verwaltung einem besonderen öffentlichen Zweck dauernd zu dienen bestimmt sind.5 Man kann zwischen rechtsfähigen und nichtrechtsfähigen Anstalten unterscheiden.6 Als Beispiel für nichtrechtsfähige Anstalten seien nur die Schulen in kommunaler Trägerschaft genannt. Rechtsfähige Anstalten sind selbst Verwaltungsträger und nehmen ihre Aufgaben in gewisser Eigenständigkeit wahr. Wichtige Beispiele sind hier etwa die Sparkassen und die öffentlich-recht1 Zu den Implikationen des Körperschaftsstatus siehe Unruh in vM/K/S, GG, Art. 137 WRV, Rz. 193 ff. 2 Siehe im Einzelnen Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht20, § 23 Rz. 38 ff.; grundlegend Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, passim. 3 Zu organisationsrechtlichen Implikationen der Wissenschaftsfreiheit siehe statt Vieler Starck/Paulus in vM/K/S, GG7, Art. 5, Rz. 498 ff. 4 BVerfG v. 12.7.2017 – 1 BvR 2222/12, BVerfGE 146, 164; siehe auch die Nachweise bei Maurer/ Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht20, § 23 Rz. 45. 5 Otto Mayer, Verwaltungsrecht II, S. 268, 331. 6 Ausführlich Hidien in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 1 Rz. 189 ff.; Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht20, § 23 Rz. 48 ff.

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C. Organisatorische Rahmenbedingungen der Aufgabenerfüllung | Rz. 1.78 Kap. 1

lichen Rundfunkanstalten. Anstalten haben keine Mitglieder, sondern Nutzer. Ihnen kommt aufgrund der Dezentralität der Aufgabenerfüllung eine Eigenständigkeit bei der Aufgabenwahrnehmung zu, die allerdings nicht zu einem vollen Selbstverwaltungsrecht führt. c) Stiftungen des öffentlichen Rechts Stiftungen des öffentlichen Rechts sind rechtsfähige Organisationen zur Verwaltung eines von einem Stifter zweckgebunden übergebenen Bestands an Vermögenswerten.1 Die Errichtung erfolgt durch oder aufgrund eines Gesetzes. Zu finden sind dort Regelungen über Stiftungszweck, Stiftungsvermögen und Stiftungsorganisation. Stiftungen werden weniger durch Kommunen als vielmehr durch Bund und Länder, beispielsweise im kulturellen Bereich, errichtet. Von Bedeutung sind in heutiger Zeit vor allem die großen Kulturstiftungen wie die Stiftung Preußischer Kulturbesitz2 oder die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten3.

1.76

III. Organisationsformen wirtschaftlicher Betätigung: Öffentliche Unternehmen 1. Grundsätzliche Formenwahlfreiheit Nachdem allgemein auf Grundlagen des Staatsorganisationsrechts eingegangen wurde, kann nun spezifischer gefragt werden, in welchen Organisationsformen sich die öffentliche Hand wirtschaftlich betätigen kann. Es geht also um die Organisationsformen öffentlicher Unternehmen. Hier herrscht eine weitreichende Formenwahlfreiheit.4 Der Staat darf sich grundsätzlich aller denkbaren Organisationsformen bedienen, um seine Aufgaben zu erfüllen. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die wirtschaftliche Betätigung. Allerdings sind bei der Wahl der Form rechtliche Vorgaben, etwa aus dem Verfassungsrecht oder dem öffentlichen Wirtschaftsrecht, zu beachten (siehe hierzu bereits Rz. 1.25 ff.). Zudem muss im Vorfeld der Organisationsentscheidung überlegt werden, welche wirtschaftlichen, unter anderem auch steuerlichen Folgen die Formenwahl hat. In dieser Hinsicht unterscheiden sich öffentliche Unternehmen nicht von Privatunternehmen. Generell determiniert das Steuerrecht häufig die Formenwahl und schränkt damit die Formenwahlfreiheit auch ein.

1.77

In der jüngeren Vergangenheit hat die Verwaltung durch Privatrechtssubjekte stark an Bedeutung gewonnen. Diese ist von der Verwaltung durch Private zu unterscheiden. Hinter diesen Begriffen verbergen sich verschieden weitreichende Formen der Privatisierung staatlicher Aufgaben (hierzu sogleich Rz. 1.111 ff.). Die Verwaltung durch Privatrechtssubjekte ist dadurch gekennzeichnet, dass privatrechtliche Rechtsformen genutzt werden, die Verantwortung für die Aufgabenerfüllung aber in vollem Umfang beim Staat oder einer kommunalen Gebietskörperschaft verbleibt. Man spricht hier auch von Organisationsprivatisierung oder formaler Privatisierung.5 Die Gründung einer kommunalen Eigengesellschaft in Form einer GmbH fällt in diese Kategorie. Mit „Verwaltung durch Private“ ist hingegen im Kern die echte Aufgabenprivatisierung umschrieben. Hier überträgt der Staat eine Aufgabe zur eigenverantwortlichen Erledi-

1.78

Burgi in Ehlers/Pünder (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht15, § 8 Rz. 16. Siehe näher Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht20, § 23 Rz. 57. Siehe die Satzung unter https://www.spsg.de/stiftung/satzung/. Dazu Hidien in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 1 Rz. 39; siehe auch Ronellenfitsch in HStR Bd. IV3, § 98 Rz. 20 ff. 5 Zu den verschiedenen Privatisierungsbegriffen siehe Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht20, § 23 Rz. 63 ff.

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Kap. 1 Rz. 1.78 | Organisationsformen u. Strukturen der Aufgabenerfüllung

gung auf „echte“ Private und behält sich nur bestimmte Regulierungsrechte vor. Zwischen den beiden genannten Privatisierungsformen gibt es hybride Formen, die unterschiedliche Grade der Verantwortungswahrnehmung widerspiegeln. Hierauf ist später einzugehen. Im Rahmen eines Handbuchs über die Besteuerung der öffentlichen Hand ist vor allem die Organisationsprivatisierung von Interesse, weil die Besteuerung auch die öffentliche Hand selbst trifft. Daneben können auch solche Kooperationsformen steuerlich von Interesse sein, bei denen die öffentliche Hand zumindest teilweise organisatorisch und/oder wirtschaftlich eingebunden ist. Hier sind organisatorische Mischformen wie gemischt-wirtschaftliche Unternehmen, aber auch vertragliche Kooperationen wie Öffentlich-Private Partnerschaften (ÖPP) angesprochen.

1.79

Im Folgenden sollen alle denkbaren Formen aufgeführt werden, in denen öffentliche Unternehmen organisiert werden können. Grundlegend wird hier zwischen öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Rechtsformen unterschieden. Weiter kann noch zwischen rechtsfähigen und nicht rechtsfähigen Organisationsformen bzw. solchen mit Rechtspersönlichkeit und ohne Rechtspersönlichkeit unterschieden werden. Zunächst ist der öffentlich-rechtliche Bereich zu betrachten (2.). Hier können Bund, Länder und Kommunen selbst durch unselbständige Organisationseinheiten tätig werden. Man spricht insbesondere von Regie- und Eigenbetrieben. Sie können aber auch selbständige Rechtsträger gründen. Im Bereich des öffentlichen Rechts sind dies die bereits skizzierten Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts, wobei sich die Gründung von Körperschaften wegen ihrer mitgliedschaftlichen Verfasstheit nicht eigens für eine wirtschaftliche Betätigung eignet. Öffentlich-rechtliche Stiftungen können Träger öffentlicher Unternehmen sein, allerdings steht hier weniger die wirtschaftliche Betätigung als vielmehr die Erfüllung von Gemeinwohlzwecken im Vordergrund. Weiterhin kann die ganze Bandbreite privatrechtlicher Organisationsformen genutzt werden, um öffentliche Unternehmen zu gründen und zu betreiben (3.). Schließlich sind die schon angesprochenen Kooperationen wie Verwaltungskooperationen (4.) und öffentlich-Private Partnerschaften (5.) gesondert darzustellen.

2. Öffentlich-rechtliche Organisationsformen a) Regiebetriebe

1.80

Regiebetriebe besitzen keine eigene Rechtspersönlichkeit und werden vor allem im kommunalen Bereich als Teil der Verwaltung geführt. Sie sind rechtlich, organisatorisch, personell und wirtschaftlich unselbstständig und unmittelbar in den kommunalen Haushalt eingegliedert.1 Eine gesetzliche Grundlage in den Gemeindeordnungen fehlt meist. Gleichwohl ist die Einrichtung von Regiebetrieben von der kommunalen Organisationshoheit gedeckt und auch historisch überkommen. Aufgrund ihrer Unselbstständigkeit bieten sich Regiebetriebe nicht für eine wirtschaftliche Betätigung im größeren Umfang an.2 Vielmehr fungieren sie häufig als Mittel der Eigenbedarfsdeckung oder Selbstversorgung.3 Regiebetriebe können insoweit auch als Hilfsbetriebe bezeichnet werden. Regiebetriebe können häufig auch in Bereichen nichtwirtschaftlicher Aufgabenerfüllung genutzt werden. Im Rechtsverkehr wird durch ihre Tätigkeit unmittelbar die kommunale Trägerkörperschaft berechtigt und verpflichtet. Regiebetriebe können auch als nichtrechtsfähige Anstalten bezeichnet werden.

1.81

Beispiele für Regiebetriebe als Hilfsbetriebe sind etwa der Bauhof oder der örtliche Fuhrpark. Aber auch gebührenfinanzierte öffentliche Einrichtungen können als Regiebetriebe geführt 1 Ronellenfitsch in HStR Bd. IV3, § 98 Rz. 21. 2 Ausführlich Hidien in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 1 Rz. 319 ff. 3 Schmidt, Kommunalrecht2, Rz. 957.

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C. Organisatorische Rahmenbedingungen der Aufgabenerfüllung | Rz. 1.84 Kap. 1

werden, wie etwa Schwimmbäder, Friedhöfe, Schlachthöfe.1 Schließlich kann ein Regiebetrieb dort als Organisationsform genutzt werden, wo kein wirtschaftlicher Zweck im Vordergrund steht, etwa bei Schulen, Museen, Theatern, Archiven usw. b) Eigenbetriebe Eigenbetriebe sind ebenfalls juristisch unselbstständig, erfahren aber zumindest organisatorisch und haushaltsrechtlich eine gewisse Verselbstständigung.2 Ihre Errichtung wird üblicherweise durch die Gemeindeordnungen bzw. Kommunalverfassungen geregelt.3 Während Regiebetrieb vor allem als Hilfsbetriebe und für nichtwirtschaftliche Zwecke genutzt werden, stellen Eigenbetriebe die klassische Organisationsform wirtschaftlicher Betätigung durch die Kommunen selbst dar. Man kann Eigenbetriebe als solche Einheiten der Gemeinden definieren, die organisatorisch und haushaltsmäßig in gewissem Maße verselbstständigt sind und über eine eigene Betriebssatzung und ein eigenes Rechnungswesen verfügen.4 Auf Bundesund Landesebene (mit Ausnahme der Stadtstaaten5) gibt es keine Eigenbetriebe. Eigenbetriebe sind trotz ihrer teilweisen organisatorischen Verselbständigung im Rechtsverkehr unselbstständig. Allein die Trägerkörperschaft wird im Außenrechtsverhältnis berechtigt und verpflichtet. Regiebetriebe sind wie Eigenbetriebe nichtrechtsfähige Anstalten.

1.82

Als Beispiele für Eigenbetriebe können Verkehrsbetriebe, Parkhäuser, Hafenbetriebe, Flughäfen, Betriebe der Energieversorgung genannt werden. Aber auch landwirtschaftliche Betriebe wie Weingüter, Landgüter und Forstbetriebe sowie Beherbergungsbetriebe können als Eigenbetriebe geführt werden.6

1.83

c) Landesbetriebe und Sondervermögen Auf Landesebene sind in steigendem Maße sogenannte Landesbetriebe anzutreffen. Diese stellen sondergesetzlich eingerichtete, rechtlich unselbstständige Teile der Landesverwaltung dar.7 Sie werden meist eingerichtet, um eine wirtschaftliche Betätigung des Landes organisatorisch zu tragen, können aber bis zu einem gewissen Grad auch nichtwirtschaftlich oder hoheitlich tätig werden. Sie sind als nichtrechtsfähige oder teilrechtsfähige Anstalten zu qualifizieren. Ihr Handeln wird dem sie tragenden Land zugerechnet. In vergleichbarer Weise gibt es auch Bundesbetriebe nach Haushaltsrecht. Beispiele für Landesbetriebe sind etwa der Landesbetrieb Straßenwesen Brandenburg, der Landesbetrieb Forst Brandenburg und der Brandenburgische Landesbetrieb für Liegenschaften und Bauen.8 1 2 3 4 5 6 7 8

Hidien in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 1 Rz. 323. Ronellenfitsch in HStR Bd. IV3, § 98 Rz. 21. Siehe etwa § 93 BbgKVerf. Hidien in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 1 Rz. 328. Zur Rechtslage in Berlin siehe Musil/Kirchner, Das Recht der Berliner Verwaltung4, Rz. 508 ff. Hidien in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 1 Rz. 332. Vgl. Hidien in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 1 Rz. 336 ff. Landesbetriebe werden etwa in § 9 LOG Brandenburg (Landesorganisationsgesetz v. 24.5.2004, GVBl. I S. 186, zul. geänd. d. G. v. 10.7.2014, GVBl. I Nr. 28) folgendermaßen geregelt: „(2) Landesbetriebe sind rechtlich unselbstständige, organisatorisch abgesonderte Teile der Landesverwaltung, die überwiegend öffentlichen Zwecken dienende wirtschaftliche Tätigkeiten erfüllen. Absatz 1 Satz 3 gilt entsprechend. (3) Einrichtungen des Landes und Landesbetriebe werden durch die Landesregierung oder die von ihr ermächtigte oberste Landesbehörde durch Erlass errichtet, der im Amtsblatt für Brandenburg bekannt zu geben ist. Die einzelnen Einrichtungen und Landesbetriebe

Musil | 29

1.84

Kap. 1 Rz. 1.85 | Organisationsformen u. Strukturen der Aufgabenerfüllung

1.85

Von den Landesbetrieben sind die sogenannten Sondervermögen zu unterscheiden. Sie unterliegen haushaltsrechtlich anderen Regeln als die Landesbetriebe und sind materiell eher mit den Regiebetrieben vergleichbar. d) Organisationsformen mit Rechtsfähigkeit, insbesondere Anstalten

1.86

Bereits oben wurden kurz die grundlegenden Bauprinzipien öffentlich-rechtlicher Anstalten und Stiftungen skizziert (dazu Rz. 1.75 f.). Im Folgenden soll ihre Rolle als Träger öffentlicher Unternehmen näher beleuchtet werden.

1.87

Die Anstalt des öffentlichen Rechts wird häufig genutzt, um öffentliche Unternehmen in öffentlich-rechtlicher Form zu organisieren. Die rechtliche Verselbstständigung erlaubt eine wirtschaftliche Betätigung in größerem Umfang. Für kommunale Anstalten finden sich umfangreiche Regelungen in den Gemeindeordnungen und Kommunalverfassungen. So regeln die §§ 94 und 95 BbgKVerf zunächst Voraussetzungen und Anforderungen für die Gründung solcher Anstalten; sodann werden innere Verfassung und Verwaltung geregelt. Im Berliner Betriebe-Gesetz findet sich eine umfangreiche Normierung für öffentliche Anstalten in einem Stadtstaat.1 Rechtsfähige Anstalten des öffentlichen Rechts bieten für die sie tragenden Kommunen viele Vorteile. So besitzen sie eine eigene Rechtspersönlichkeit, gleichwohl sind aber die rechtlichen Kontrollmöglichkeiten ungleich größer als bei einem Privatrechtssubjekt.2 Umgekehrt tragen die Kommunen die sogenannte Anstaltslast und die Gewährträgerhaftung nach außen.3

1.88

Beispiele sind etwa die Sparkassen, aber auch Verkehrsbetriebe und solche der Energieversorgung und der Entsorgung.4 Auch Kliniken können als Anstalten des öffentlichen Rechts geführt werden (dazu noch ausführlich Kapitel 10).

1.89

Mehrere Anstalten können zu Holdings zusammengeschlossen werden. In diesem Zusammenhang ist auch die Konzernbildung mit privaten Unternehmen möglich. So wurden vor einigen Jahren die Berliner Wasserbetriebe, eine AöR, in den privatrechtlichen Konzern Berlinwasser Holding GmbH eingebracht. Ursprünglich besaß dort ein privates Unternehmen die Beteiligungsmehrheit, was zu grundlegenden rechtlichen Auseinandersetzungen führte.5 Mittlerweile hat das Land Berlin den Konzern wieder vollständig in die eigenen Hände überführt, die rechtliche Konstruktion ist aber erhalten geblieben.

3. Privatrechtliche Organisationsformen a) Organisationsformen ohne Rechtspersönlichkeit

1.90

Grundsätzlich können öffentliche Unternehmen in privatrechtlichen Organisationsformen ohne eigene Rechtspersönlichkeit organisiert werden. Zu nennen sind hier die Gesellschaft

1 2 3 4 5

müssen im Haushaltsplan enthalten sein. (4) Die Landesbetriebe sollen nach einheitlichen Grundsätzen errichtet und geführt werden.“ Berliner Betriebe-Gesetz (BerlBG) v. 14.7.2006, GVBl. S. 827, zul. geänd. d. G. v. 11.6.2020, GVBl. S. 535; siehe hierzu Musil/Kirchner, Das Recht der Berliner Verwaltung4, Rz. 509. Vgl. Hidien in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 1 Rz. 340 ff.; Ronellenfitsch in HStR Bd. IV3, § 98 Rz. 24. Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht20, § 23 Rz. 53. Beispiele bei Hidien in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 1 Rz. 343. BerlVerfGH v. 21.10.1999 – VerfGH 42/99, NVwZ 2000, 794 ff.; dazu Wolfers, NVwZ 2000, 765 ff.; siehe auch Musil/Kirchner, Das Recht der Berliner Verwaltung4, Rz. 510.

30 | Musil

C. Organisatorische Rahmenbedingungen der Aufgabenerfüllung | Rz. 1.96 Kap. 1

bürgerlichen Rechts (GbR), die Offene Handelsgesellschaft (OHG) und die Kommanditgesellschaft (KG).1 Im Rahmen einer GbR schließen sich mehrere Personen zur Erreichung eines gemeinsamen Zwecks zusammen (§ 705 BGB). Mittlerweile ist anerkannt, dass die GbR unter bestimmten Voraussetzungen rechtsfähig sein kann. Insbesondere im Rahmen von Kooperationen kommt die GbR als Trägerin eines öffentlichen Unternehmens vor. Allerdings ist im kommunalen Bereich die Notwendigkeit einer Haftungsbegrenzung zu beachten.2

1.91

Die offene Handelsgesellschaft ist eine Personengesellschaft, deren Zweck auf den Betrieb eines Handelsgewerbes unter gemeinschaftlicher Firma gerichtet ist. Sie besteht aus mindestens zwei Gesellschaftern, eine Begrenzung der Zahl der Gesellschafter nach oben kennt das Gesetz nicht. Gesellschafter können natürliche und juristische Personen sein. Sind nur Gesellschaften mit beschränkter Haftung persönlich haftende Gesellschafter, so entsteht die GmbH & Co. OHG. Haftungsrechtlich ist die OHG als Trägerin kommunaler Unternehmen nicht geeignet.3

1.92

Die Kommanditgesellschaft ist ein Zusammenschluss von mindestens zwei Gesellschaftern, die unter einer gemeinschaftlichen Firma (Name) einen gemeinsamen Zweck verfolgen und ein Handelsgewerbe betreiben. In der KG haftet mindestens ein Gesellschafter persönlich und unbeschränkt (Komplementär) und mindestens ein Gesellschafter (Kommanditist) mit seiner im Gesellschaftsvertrag bestimmten Einlage. Als Komplementäre und als Kommanditisten kommen natürliche und juristische Personen sowie Personengesellschaften in Betracht. Die Beteiligung einer Kommune an einer KG ist als Kommanditistin grundsätzlich zulässig. Hingegen ist eine Beteiligung als Komplementärin grundsätzlich ausgeschlossen.

1.93

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass öffentliche Unternehmen durchaus in privatrechtlichen Formen ohne Rechtspersönlichkeit organisiert werden können. Allerdings ist die Nutzung dieser Formen im kommunalen Bereich aufgrund der bestehenden haftungsrechtlichen Restriktionen stark eingeschränkt.

1.94

b) Organisationsformen mit Rechtspersönlichkeit In der Praxis ist die Nutzung von Organisationsformen mit eigener Rechtspersönlichkeit, insbesondere juristischen Personen des Privatrechts, am weitesten verbreitet, um öffentliche Unternehmen in Privatrechtsform zu führen.4 Theoretisch denkbar sind unter anderem der Verein, die Genossenschaft, die Stiftung, Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA), die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) und die Aktiengesellschaft (AG). Im Folgenden soll sich die Darstellung auf GmbH und AG konzentrieren, weil die anderen Organisationsformen für die Gründung eines öffentlichen, insbesondere kommunalen Unternehmens kaum eine praktische Rolle spielen.5

1.95

Die GmbH ist die in der Praxis am häufigsten vorkommende Organisationsform für öffentliche Unternehmen in Privatrechtsform.6 Die GmbH ist eine juristische Person des Privat-

1.96

1 Siehe zur Einführung Kindler, Grundkurs Handels- und Gesellschaftsrecht9, § 9 ff. 2 Siehe zum Ganzen Hidien in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 1 Rz. 357 ff. 3 Hidien in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 1 Rz. 363. 4 Ronellenfitsch in HStR Bd. IV3, § 98 Rz. 25 f. 5 Siehe Hidien in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 1 Rz. 369 ff. 6 Siehe Schmidt, Kommunalrecht2, Rz. 962.

Musil | 31

Kap. 1 Rz. 1.96 | Organisationsformen u. Strukturen der Aufgabenerfüllung

rechts. Die wesentlichen Regelungen über Gründung und Betrieb und die damit verbundenen Rechtsverhältnisse finden sich im GmbHG. Insbesondere die Haftungsbeschränkung macht die GmbH als Rechtsform im kommunalen Bereich attraktiv. In den Gemeindeordnungen bzw. Kommunalverfassungen finden sich umfangreiche Vorschriften für Unternehmen in privater Rechtsform, die auch auf GmbHs anwendbar sind. Insbesondere geht es um die Sicherstellung der Ausrichtung auf einen öffentlichen Zweck, die Gewährleistung eines hinreichenden Einflusses der Kommune auf das Unternehmen, die Beschränkung der Haftung sowie um die Wahrung haushaltsrechtlicher Vorgaben (vgl. § 96 BgbKVerf). In der Praxis wird die Rechtsform der GmbH für eine Vielzahl öffentlicher Unternehmen genutzt. So können Stadtwerke und Versorgungs- bzw. Entsorgungsunternehmen, aber auch kleinere Dienstleister in GmbH-Form geführt werden. Die Variationsbreite praktischer Anwendungsfälle ist groß. Auch die Errichtung von GmbH & Co KGs ist denkbar.

1.97

Kommunale Unternehmen können auch in der Form der Aktiengesellschaft gegründet werden.1 Diese juristische Person des Privatrechts findet ihre grundlegende Regelung im Aktiengesetz. Aber auch für sie gelten alle Restriktionen des öffentlichen, insbesondere des kommunalen Wirtschaftsrechts sowie des Haushaltsrechts. Aufgrund der komplexeren gesetzlichen Vorgaben wird die Organisationsform der AG nur für größere öffentliche Unternehmen genutzt. Beispiele sind größere Stadtwerke und Dienstleister der Daseinsvorsorge.

1.98

Hält der Staat alle Anteile an einer juristischen Person, so spricht man von einer Eigengesellschaft. Sind hingegen noch andere Anteilseigner beteiligt, liegt eine Beteiligungsgesellschaft vor. Teilweise wird auch von einem gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen gesprochen.2 Der Begriff der gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen ist allerdings schillernd und hat keinen organisationsrechtlichen Gehalt. Vielmehr wurde der Begriff im Zuge der Privatisierungsdebatten eingeführt, um sich der Mischbeteiligung von Staat einerseits und Privaten andererseits verfassungsrechtlich zu nähern. Vor allem Fragen der Grundrechtsberechtigung bzw. -verpflichtung und der Bindung an das Demokratieprinzip stehen im Raum. Ob und inwieweit die verfassungsrechtlichen Bindungen im Zusammenhang mit gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen tatsächlich reichen, ist noch immer nicht abschließend geklärt.3 Im vorliegenden Zusammenhang der Besteuerung der öffentlichen Hand müssen diese Fragen allerdings auch nicht weiter vertieft werden.

1.99

Seit jeher können Verwaltungsaufgaben der öffentlichen Hand auch im Wege von Verwaltungskooperationen erledigt werden. Im kommunalen Bereich spricht man von interkommunaler Zusammenarbeit.4 Vor allem angesichts leerer Haushaltskassen kann es sich anbieten, Aufgaben im Verbund mit anderen Körperschaften zu erledigen. Die Bandbreite möglicher Kooperationsformen ist dabei weit.5 Sie reicht von relativ losen Absprachen

4. Kooperationen zwischen öffentlich-rechtlichen Trägern

1 Schmidt, Kommunalrecht2, Rz. 963. 2 Zum Begriff siehe BVerfG v. 22.2.2011 – 1 BvR 699/06, BVerfGE 128, 226, 245 f.; zur verwaltungsrechtlichen Einordnung siehe Ehlers in Ehlers/Pünder, Allgemeines Verwaltungsrecht15, § 1 Rz. 16. 3 Siehe grundlegend Heintzen, VVDStRL 62 (2003), S. 220 ff.; Berger, Staatseigenschaft gemischtwirtschaftlicher Unternehmen. Eine Untersuchung der staatlichen Qualität unternehmerischer Entscheidungen, 2006, passim; Gersdorf, Öffentliche Unternehmen im Spannungsfeld zwischen Demokratie- und Wirtschaftlichkeitsprinzip, passim. 4 Zu verschiedenen Formen der Kooperation siehe Schmidt, Kommunalrecht2, Rz. 764 ff. 5 Siehe den Überblick bei Hidien in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 1 Rz. 393 ff.

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C. Organisatorische Rahmenbedingungen der Aufgabenerfüllung | Rz. 1.104 Kap. 1

bis hin zur Schaffung rechtsfähiger Strukturen, etwa der Gründung kommunaler Zweckverbände. Die Verwaltungskooperation in öffentlich-rechtlichen Formen wird durch verfassungsrechtliche Grenzen der Zuständigkeitsordnung limitiert. So darf keine Mischverwaltung zwischen Bund und Ländern entstehen.1 Grundsätzlich dürfen aber Kooperationen auf der Basis der Formenwahlfreiheit in verschiedensten Organisationsformen durchgeführt werden. Im kommunalen Bereich ist die Kooperation mit anderen Kommunen vom Schutzbereich der Selbstverwaltungsgarantie erfasst.

1.100

Verwaltungskooperationen in öffentlich-rechtlichen Formen sind etwa im kommunalen Bereich durch Gesetze über die kommunale Gemeinschaftsarbeit geregelt. Im Gesetz über die kommunale Gemeinschaftsarbeit im Land Brandenburg2 sind beispielsweise vier Formen der Kooperation aufgeführt. § 2 Abs. 1 des Gesetzes nennt Arbeitsgemeinschaften, mandatierende oder delegierende öffentlich-rechtliche Vereinbarungen, Zweckverbände und gemeinsame kommunale Anstalten des öffentlichen Rechts. Die Gesetze enthalten entsprechende Regelungen über Gründung und Beteiligung an solchen Kooperationen. Von besonderer praktischer Bedeutung sind die Zweckverbände, die vor allem im Bereich der Abfallwirtschaft, der Wasserversorgung und der Abwasserentsorgung existieren.3

1.101

Verwaltungskooperationen können auch in privatrechtlichen Formen geführt werden. Hier steht die ganze Bandbreite an Organisationsformen zur Verfügung. Häufig werden GmbH oder Aktiengesellschaft gewählt. So können beispielsweise interkommunale Krankenhausgesellschaften als GmbH organisiert werden. Derartige Kooperationen bedürfen keiner gesetzlicher Grundlage, beinhalten dann aber auch keine Übertragung staatlicher oder kommunaler Aufgaben auf den privatrechtlichen Träger. Dieser wird lediglich bei der Durchführung der entsprechenden Aufgaben eingeschaltet.4

1.102

5. Verwaltungskooperationen mit Privaten und Öffentlich-Private Partnerschaften In die Erfüllung von Verwaltungsaufgaben können auch „echte“ Private eingeschaltet werden. Im Unterschied zur Organisationsprivatisierung oder formellen Privatisierung kann bei der Aufgabenprivatisierung auch die Aufgabenwahrnehmung selbst vom Staat auf Private verlagert werden. Dazwischen liegen Fälle, in denen Private bei der Aufgabenerfüllung mitwirken. Dies kann wiederum in vielfältigen Formen geschehen.

1.103

Die Beleihung stellt eine hergebrachte Form der Aufgabenwahrnehmung durch Private dar.5 Hier wird die Zuständigkeit und Befugnis zur Wahrnehmung staatlicher Aufgaben durch Gesetz auf ein privates Rechtssubjekt übertragen. Davon zu unterscheiden sind bloße Verwaltungshelfer, die lediglich in die Durchführung der Aufgabenerfüllung eingeschaltet werden,

1.104

1 Zum Verbot der Mischverwaltung siehe grundlegend BVerfG v. 7.10.2014 – 2 BvR 1641/11, BVerfGE 137, 108. 2 Gesetz über kommunale Gemeinschaftsarbeit im Land Brandenburg (GKGBbg) vom 10.7.2014, GVBl. I, Nr. 32. 3 Hidien in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 1 Rz. 397 ff.; Schmidt, Kommunalrecht2, Rz. 767 ff. 4 Hidien in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 1 Rz. 404 ff. 5 Dazu Peine/Siegel, Allgemeines Vefwaltungsrecht13, Rz. 151 ff.

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Kap. 1 Rz. 1.104 | Organisationsformen u. Strukturen der Aufgabenerfüllung

nicht aber die Aufgabe selbst verantworten. Beide Formen werden im Folgenden nicht weiter vertieft, da die Besteuerung der kooperierenden Privaten thematisch aus dem Gegenstand des vorliegenden Handbuchs hinausführt.

1.105

Besonders schillernd ist die Kooperation mit Privaten im Rahmen sogenannter ÖffentlichPrivater Partnerschaften (ÖPP), auch Public Private Partnerships (PPP) genannt.1 Der verwaltungswissenschaftliche Begriff hat keine rechtliche Bedeutung. Insbesondere kennzeichnet ÖPP keine genau umrissene Organisationsform der Verwaltungszusammenarbeit. Vielmehr gibt es viele Organisationsmodelle, die jeweils im Einzelnen betrachtet werden müssen. ÖPP sind vor allem im Bereich der Infrastrukturverwaltung anzutreffen. So bedient sich der Bund solcher Modelle unter anderem im Bereich des Fernstraßenbaus und des Fernstraßenbetriebs. Bau und Betrieb des LKW-Mautsystems etwa erfolgten im Rahmen einer ÖPP. Zwar gibt es keine einheitliche Organisationsform für ÖPP, es haben sich allerdings bestimmte Vertragsmodelle herauskristallisiert. Hier sind etwa das Betriebsführungsmodell, das Betreibermodell, das Konzessionsmodell, Leasingmodelle und beteiligungs- bzw. Gesellschaftsmodelle zu nennen.2 Jedes dieser Modelle ist gesondert auf seine steuerlichen Folgen hin zu untersuchen.

D. Strukturen staatlicher Aufgabenerfüllung I. Organisationsformen versus Strukturen 1.106

Im vorangegangenen Abschnitt wurden die Organisationsformen für die Aufgabenerfüllung durch die öffentliche Hand erörtert. Hierbei ging es vor allem um die Organisation der Träger öffentlicher Aufgabenerfüllung. Noch nicht ausführlich behandelt wurden die Strukturen der Aufgabenerfüllung selbst. Zunächst muss geklärt werden, wessen Aufgaben erfüllt werden. Hier kann zwischen solchen Aufgaben unterschieden werden, die staatliche Aufgaben sind, und solchen, die es nicht sind. Nur solche Aufgaben, die als Staatsaufgaben oder auch öffentliche Aufgaben gelten können, werden im Rahmen einer Untersuchung über die Besteuerung der öffentlichen Hand relevant.3 Im Rahmen der Privatisierung, vor allem der echten Aufgabenprivatisierung, können staatliche Aufgaben konstitutiv in private Regie übergeben werden mit der Folge, dass sie den staatlichen Nexus verlassen. Innerhalb der Kategorie staatlicher oder öffentlicher Aufgaben kann zwischen der Erfüllung hoheitlicher und nicht-hoheitlicher Aufgaben unterschieden werden. Diese Unterscheidung ist für die Besteuerung zentral. Schließlich geraten auch die Rechtsformen der Aufgabenerfüllung in den Blick. So kann die Besteuerung, etwa im Umsatzsteuerrecht, unabhängig von der materiellen Einordnung der Aufgabenerfüllung, allein aufgrund der privatrechtlichen Rechtsform ihrer Erledigung ausgelöst werden.

II. Aufgabenwahrnehmung durch die öffentliche Hand 1. Öffentliche Aufgabe und Staatsaufgabe 1.107

Zunächst soll der Begriff der Staatsaufgabe näher erörtert werden. Herkömmlich wird zwischen öffentlichen Aufgaben und Staatsaufgaben unterschieden. Über das Verhältnis der bei1 Siehe Bauer/Meier, DÖV 2020, 41 ff., m.w.N.; siehe auch Budäus (Hrsg.), Kooperationsformen zwischen Staat und Markt – Theoretische Grundlagen und praktische Ausprägungen von Public Private Partnership, 2005, passim; Uechtritz/Otting, NVwZ 2005, 1105 ff.; Ronellenfitsch in HStR Bd. IV3, § 98 Rz. 27. 2 Hidien in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 1 Rz. 429 ff. 3 Grundlegend zum Staatsaufgabenbegriff Isensee in HStR Bd. IV3, § 73 Rz. 1 ff.

34 | Musil

D. Strukturen staatlicher Aufgabenerfüllung | Rz. 1.110 Kap. 1

den Begriffe zueinander besteht indes keine Einigkeit. So werden beide Begriffe teilweise bewusst gleichgesetzt, teilweise aber auch als einander ausschließend betrachtet. Der Begriff der öffentlichen Aufgabe kann auch als Oberbegriff für den der Staatsaufgabe angesehen werden.1 Letzterer Lösung gebührt der Vorzug. Sie trägt der Tatsache Rechnung, dass es öffentliche Aufgaben gibt, derer sich der Staat nicht selbst annehmen muss, die vielmehr besser durch Private erfüllt werden können. Unter Staatsaufgabe ist dementsprechend eine öffentliche Aufgabe zu verstehen, mit der sich der Staat in rechtlicher Form befasst und von Verfassungs wegen befassen darf oder muss.2

2. Formen der Aufgabenerfüllung und -wahrnehmung, Verantwortungsmodell Hat sich der Staat dafür entschieden, eine Aufgabe als Staatsaufgabe wahrzunehmen, so muss weiter gefragt werden, durch wen konkret und in welchen Formen die Aufgabenwahrnehmung erfolgen soll. Der Staat kann eine Aufgabe selbst und durch eigene Behörden wahrnehmen. Er kann aber auch Rechtsträger gründen, die für ihn die Aufgabe erfüllen, oder bereits bestehenden Rechtsträgern die Aufgabe zur Erfüllung übertragen. In diesem Rahmen muss entschieden werden, welche Rechtsform für den entsprechenden Rechtsträger zu wählen ist. Zudem ist zu entscheiden, welchen Einfluss der Staat auf den ausführenden Rechtsträger ausüben will. Oft soll ein beherrschender Einfluss auf den Rechtsträger bestehen bleiben, so dass die Aufgabenübertragung häufig vor allem aus Gründen der Effizienzsteigerung und Kostenersparnis erfolgt. Eine Verlagerung der Aufgabe auf Private erfolgt in diesem Zusammenhang nicht, auch wenn privatrechtliche Formen neben öffentlich-rechtlichen genutzt werden können.

1.108

Es kann aber auch entschieden werden, die Aufgabenwahrnehmung partiell oder ganz in die Hände echter Privater zu geben. Hier sind die vielfältigen Privatisierungsprozesse der letzten Jahre angesprochen.3 Der Variationsbreite möglicher Privatisierungsformen sind kaum Grenzen gesetzt. Neben der vollständigen Übertragung einer Aufgabe auf Private sind auch Formen der kooperativen Aufgabenerfüllung möglich. Diese hybriden Formen der Aufgabenerfüllung sind rechtlich besonders schwer zu bewältigen. So stellen sich Fragen des Verfassungsrechts, des Europarechts, des öffentlichen Wirtschaftsrechts, aber auch des Steuerrechts.

1.109

In der Verwaltungswissenschaft ist versucht worden, die unterschiedlichen Formen der Aufgabenwahrnehmung durch ein Verantwortungsmodell für die öffentliche Hand einzuhegen.4 So kann zwischen Erfüllungsverantwortung, Gewährleistungsverantwortung und Auffangverantwortung unterschieden werden.5 Trägt die öffentliche Hand die Erfüllungsverantwortung, so ist sie für das Ergebnis des Verwaltungshandelns unmittelbar verantwortlich. Jeder einzelne Schritt, der im Rahmen der Aufgabenerfüllung erfolgt, wird von der Verwaltung

1.110

1 Ebenso Isensee in HStR Bd. IV3, § 73 Rz. 13; Di Fabio, JZ 1999, 585 (587 f.); Heintzen, VVDStRL 62 (2003), S. 220 (228); Lecheler, Verwaltungslehre, S. 56 f. 2 Ebenso Heintzen, VVDStRL 62 (2003), S. 220 (228); Isensee in HStR Bd. IV3, § 73 Rz. 13; siehe auch die umfangreichen Nachweise bei Remmert, Private Dienstleistungen in staatlichen Verwaltungsverfahren, S. 7, Fn. 36. 3 Grundlegend Kämmerer, Privatisierung, 2001, passim. 4 Siehe den Überblick bei Musil, Wettbewerb in der staatlichen Verwaltung, 2005, S. 420 ff., m.w.N.; siehe auch Hoffmann-Riem, DÖV 1997, 433 ff. 5 Schulze-Fielitz in Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I2, § 12 Rz. 148 ff.

Musil | 35

Kap. 1 Rz. 1.110 | Organisationsformen u. Strukturen der Aufgabenerfüllung

selbst verantwortet. Demgegenüber ist bei der Gewährleistungsverantwortung der Verantwortungszusammenhang gelockert. Hier kann zwischen Überwachungsverantwortung, Regulierungsverantwortung und Förderungs- bzw. Finanzierungsverantwortung unterschieden werden. Die mitwirkenden Privaten werden in diesem Kontext mehr oder weniger eigenständig tätig und werden seitens der zuständigen Verwaltungseinheit mit unterschiedlichen Instrumenten der Überwachung und Regulierung eingehegt. Schließlich trifft den Staat eine Auffangverantwortung, wenn und soweit sich die Erfüllung einer Aufgabe unter Mitwirkung Privater als unzureichend erweist oder scheitert. Hier tritt der Staat in eine Reservefunktion ein und muss die Aufgabenerfüllung wieder selbst gewährleisten.

III. Privatisierungsformen und ihr rechtlicher Rahmen 1. Begriffsfragen 1.111

Der Begriff der Privatisierung ist ein sehr schillernder. Es handelt sich nicht um einen Rechtsbegriff. Zudem nimmt er sehr unterschiedliche Erscheinungsformen des Verhältnisses zwischen öffentlichem und privatem Sektor mit auf.1 Allgemein kann Privatisierung als die Verlagerung staatlicher Aufgaben auf den privatrechtlichen Bereich definiert werden.2 Allerdings ist damit noch nicht gesagt, wer letztlich in welchem Umfang die Verantwortung für die Aufgabenerfüllung übernimmt und wem sie zuzurechnen ist. Um dies ermessen zu können, müssen die verschiedenen Erscheinungsformen der Privatisierung näher betrachtet werden.

1.112

Erst dann kann beurteilt werden, in welchem rechtlichen Rahmen sich die Privatisierung bewegt. So können aus verschiedenen Normen Privatisierungsgebote folgen, wenn eine private Aufgabenerfüllung der staatlichen vorzuziehen ist. Es kann aber auch nach Privatisierungsschranken gefragt werden. So entziehen sich manche Aufgaben aufgrund vor allem verfassungsrechtlicher Vorgaben einer vollständigen Übertragung auf Private (hierzu sogleich Rz. 1.117 ff.).

2. Organisationsprivatisierung 1.113

Im Rahmen der Organisationsprivatisierung oder auch formellen Privatisierung werden weiterhin echte Verwaltungsaufgaben wahrgenommen. Der Staat bedient sich lediglich privatrechtlicher Organisationsformen, um diese zu erfüllen.3 Vor allem im Bereich der Leistungsverwaltung und der Daseinsvorsorge nutzt die öffentliche Hand die Möglichkeiten formeller Privatisierung.4 Dies soll vor allem dazu dienen, die betroffenen Leistungsbereiche zu flexibilisieren und ihre Arbeit effizienter zu gestalten. So gelten für private Rechtsträger bestimmte Vorschriften des Haushaltsrechts und des öffentlichen Dienstrechts nur eingeschränkt. Zudem können Kooperationen mit Privaten besser organisiert und die Haftung der öffentlichen Hand minimiert werden. Es bleibt aber bei der grundsätzlichen Zuordnung der Aufgabe zum Staat, so dass auch die verfassungsrechtlichen Bindungen fortbestehen (keine Flucht ins Privatrecht). Mittlerweile hat sich der seit den 1990er-Jahren zu beobachtende Trend zur Organisationsprivatisierung beruhigt. Das Pendel ist zum Teil wieder in Richtung Publizisierung oder Rekommunalisierung zurückgeschwungen.5 1 2 3 4 5

Ronellenfitsch in HStR Bd. IV3, § 98 Rz. 44. Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht20, § 23 Vor Rz. 63. Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht20, § 23 Rz. 63. Hidien in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 1 Rz. 242. Siehe grundlegend Bauer, JZ 2014, 1017 ff.; Schmidt, DÖV 2014, 357 ff.

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D. Strukturen staatlicher Aufgabenerfüllung | Rz. 1.118 Kap. 1

Die Bereiche der Organisationsprivatisierung sind diejenigen, die im Zusammenhang mit dem vorliegenden Handbuch von besonderer Bedeutung sind. Vor allem dort, wo der Staat weiterhin selbst hinter einer bestimmten Aufgabe steht, ist in besonderem Maße nach Besteuerungsfolgen für die öffentliche Hand zu fragen.

1.114

3. Erfüllungsprivatisierung Mit Erfüllungsprivatisierung oder funktionaler Privatisierung sind solche Vorgänge gemeint, in deren Rahmen der Staat zwar für die Erfüllung einer bestimmten Aufgabe verantwortlich bleibt, sich aber der Mithilfe Privater bedient.1 So können private Unternehmer im Bereich der Infrastrukturerstellung in die Prozesse der Planung, des Baus und der Unterhaltung einbezogen werden. Zwischen Staat und Privaten können private Kooperationsverträge, aber auch gesellschaftsrechtliche Verknüpfungen bestehen. Der Begriff der Öffentlich-Privaten Partnerschaft wurde bereits erläutert (siehe Rz. 1.105). Bei der Erfüllungsprivatisierung bleibt die öffentliche Hand für eine Aufgabe voll verantwortlich. Sie muss sicherstellen, dass hinreichende Einflussmöglichkeiten auf den privaten Kooperationspartner bestehen und die rechtlichen Rahmenbedingungen für eine volle Verantwortungsübernahme schaffen.

1.115

Steuerrechtlich können Kooperationen im Rahmen der Erfüllungsprivatisierung erhebliche Bedeutung erlangen. Sowohl ertragsteuerlich als auch umsatzsteuerlich ist zu prüfen, ob und inwieweit die Betätigung der öffentlichen Hand eine Steuerpflicht auslöst.

1.116

4. Aufgabenprivatisierung Eine Aufgabenprivatisierung liegt immer dann vor, wenn der Staat eine vormals als Staatsaufgabe geführte Tätigkeit nicht mehr als solche wahrnimmt.2 So wurde der Telekommunikationssektor früher durch die Deutsche Bundespost beherrscht, die dort anfallenden Aufgaben als staatliche Aufgaben wahrgenommen. Mittlerweile erfüllen die Aufgabe vom Staat unabhängige Private. Der Staat wird vor allem regulierend tätig, indem er gesetzliche Vorgaben für die Ausgestaltung der privaten Aufgabenerfüllung macht und deren Einhaltung überwacht. In diesem Zusammenhang wird von Regulierungsverantwortung (bzw. Gewährleistungsverantwortung) im Gegensatz zur Erfüllungsverantwortung gesprochen.3

1.117

Ob und inwieweit der Staat sich einer Aufgabe annimmt, ist nicht nur eine politische Frage. Im Folgenden sollen kurz die Schranken der Privatisierung angesprochen werden.4 Hergebracht kann zwischen sogenannten ausschließlichen und konkurrierenden Staatsaufgaben unterschieden werden.5 Von ausschließlichen Staatsaufgaben spricht man, wenn die Aufgabenerfüllung wesentlich und notwendig durch Einsatz von physischem Zwang geprägt und somit Ausdruck des Gewaltmonopols des Staates ist.6 Genannt werden hier Justiz und Zwangsvollstreckung, Polizei und Militär.7 Allerdings ist die Differenzierung zunächst nur verfassungstheoretischer Natur. Privatisierungsschranken können sich nur aus dem Grundgesetz selbst ergeben.8

1.118

Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht20, § 23 Rz. 64. Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht20, § 23 Rz. 65. Masing, VerwArch 95 (2004), 151 ff. Ausführlich Gramm, Privatisierung und notwendige Staatsaufgaben, passim. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 255; Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 766 ff. Zu obligatorischen Staatsaufgaben siehe Burgi, Funktionale Privatisierung und Verwaltungshilfe, S. 194 ff. 7 Isensee in HStR Bd. IV3, § 73 Rz. 27. 8 Siehe Di Fabio, JZ 1999, 585 (590).

1 2 3 4 5 6

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Kap. 1 Rz. 1.119 | Organisationsformen u. Strukturen der Aufgabenerfüllung

1.119

Partielle Privatisierungsschranken ergeben sich möglicherweise aus dem VIII. Abschnitt des Grundgesetzes, in dem Vorgaben für die Verteilung der Verwaltungszuständigkeiten zwischen Bund und Ländern enthalten sind. Insbesondere bewirkt die Nennung bestimmter Aufgabenbereiche in Art. 87 GG und den nachfolgenden Normen, dass diese dem Staat vorbehalten sein müssen. So sind beispielsweise die Auswärtige Gewalt oder die Finanzverwaltung als staatliche Aufgaben in Art. 87 Abs. 1 GG genannt. Die Aufstellung von Streitkräften findet sich in Art. 87a Abs. 1 GG. Allerdings sagen diese Vorschriften nichts darüber aus, in welcher Form und in welchem Umfang der Staat selbst tätig werden muss, und ob daneben auch Private an der Aufgabenerfüllung beteiligt werden dürfen. Die Nennung in Art. 87 ff. GG bedeutet nur, dass die Aufgabe überhaupt in irgendeiner Form durch den Bund wahrgenommen werden muss.1 Die Zuständigkeitsnormen des Grundgesetzes haben somit eine eingeschränkte Bedeutung als Schranke für die Aufgabenprivatisierung.

1.120

Weiterhin lassen sich den Grundrechten Aussagen über die Zulässigkeit von Aufgabenprivatisierungen entnehmen. So schließt die Pflicht des Staates zum Schutz des Lebens und der Gesundheit von Menschen aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG eine vollständige Abschaffung der staatlichen Polizei aus.2 Auch lässt sich den Grundrechten ein Justizgewährleistungsanspruch entnehmen, der den Staat zur Unterhaltung einer leistungsfähigen Justiz zwingt.3 Die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG garantiert die staatliche Wahrnehmung von Rechtsschutzaufgaben im Zusammenhang mit Verwaltungsentscheidungen. Nicht jede Aufgabenverlagerung in diesem Bereich stellt indes eine Grundrechtsverletzung dar.4 Vielmehr besteht ein weitreichender politischer Handlungsspielraum, der nur in Extremfällen grundrechtliche Grenzen findet.5

1.121

Schließlich können sich aus der Garantie der kommunalen Selbstverwaltung aus Art. 28 Abs. 2 GG im Einzelfall Privatisierungsschranken ergeben. Insbesondere der Kernbereich kommunaler Aufgabenwahrnehmung ist vor gesetzgeberischen Übergriffen, auch zum Zwecke der Privatisierung, geschützt.6

1.122

Nach erfolgter Aufgabenprivatisierung fällt die entsprechende Aufgabe nicht mehr in den Bereich der öffentlichen Hand. Es bleibt nur noch eine Gewährleistungs- und Auffangverantwortung. Steuerlich ist die entsprechende Tätigkeit damit den entsprechenden Privaten zuzuordnen. Im Rahmen dieses Buches wird somit auf die Bereiche voller Aufgabenprivatisierung nur am Rande eingegangen.

5. Vermögensprivatisierung 1.123

Abschließend sei noch auf die Vermögensprivatisierung hingewiesen. Hiervon spricht man, wenn die öffentliche Hand ihr Vermögen, etwa Grundvermögen oder Beteiligungen an Unternehmen, auf dem Markt veräußert.7

1 Ebenso Kämmerer, Privatisierung, S. 207 ff. 2 Ebenso Kämmerer, Privatisierung, S. 221; dort auch zu den Grundrechten als Privatisierungsgeboten. 3 Vgl. BVerfG v. 27.1.1998 – 1 BvL 15/87, BVerfGE 97, 169, 185; BVerfG v. 12.2.1992 – 1 BvL 1/89, BVerfGE 85, 337, 345 m.w.N. 4 Ebenso Di Fabio, JZ 1999, 585 (591). 5 Ebenso die Einschätzung bei Kämmerer, Privatisierung, S. 221. 6 Ausführlich Kämmerer, Privatisierung, S. 181 ff. 7 Siehe Ronellenfitsch in HStR Bd. IV3, § 98 Rz. 45.

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D. Strukturen staatlicher Aufgabenerfüllung | Rz. 1.128 Kap. 1

IV. Hoheitliche und nichthoheitliche Funktionen Der Staat kann sich im Rahmen seiner Aufgabenerfüllung auf zwei grundlegend voneinander zu trennenden Funktionsebenen bewegen. Die Aufgabenerfüllung kann zum einen hoheitlichen Funktionen dienen, zum anderen können nichthoheitliche Funktionen ausgeübt werden. Diese Dichotomie korreliert mit der Unterscheidung zwischen öffentlichem und privatem Recht. Insbesondere die Verwaltung (Legislative und Judikative bleiben hier außen vor) kann öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Funktionen erfüllen. Das öffentliche Recht hat den Staat als Hoheitsträger zum Gegenstand und dient der Begründung und Begrenzung staatlicher Befugnisse. Das Privatrecht hingegen geht von der Privatautonomie des Einzelnen aus und stellt für die Rechtsbeziehungen zwischen grundsätzlich gleichgeordneten Privatrechtssubjekten einen Rechtsrahmen zur Verfügung, um beispielsweise Streitigkeiten zu entscheiden.1

1.124

Die Abgrenzung zwischen öffentlichem und privatem Recht wird traditionell durch verschiedene Theorien geleistet. Nach der Interessentheorie gehören zum öffentlichen Recht alle Rechtssätze, die dem öffentlichen Interesse dienen, zum Privatrecht die dem Privatinteresse dienenden Normen. Die Subordinationstheorie stellt darauf ab, ob zwischen den Beteiligten ein Über-Unterordnungsverhältnis besteht. Die Sonderrechtstheorie geht von öffentlichem Recht aus, wenn zumindest eines der Zuordnungssubjekte einer Norm ein staatlicher Akteur ist und für diesen besondere Rechte und Pflichten begründet werden. Letztlich hat sich keine der Theorien durchsetzen können. Sie werden häufig nebeneinander angewandt. Häufig führt die Sonderrechtstheorie zu den praktikabelsten Ergebnissen. Die Kontroverse soll hier nicht weiter vertieft werden.2

1.125

Jedenfalls besitzt die Differenzierung erhebliche praktische Bedeutung, etwa im Hinblick auf den Rechtsweg, Fragen der Haftung oder die Vollstreckung. In der Praxis ergeben sich mitunter schwierige Abgrenzungsfragen. Diese rühren nicht so sehr daher, dass die Zuordnung bestimmter Normen zum öffentlichen oder privaten Recht unklar sei. Vielmehr geht es meist um die Frage, welchem Rechtsregime ein bestimmter Fall zuzuordnen ist. Unproblematisch ist die Zuordnung im Zusammenhang mit der sogenannten Eingriffsverwaltung. Bei den anderen Verwaltungsfunktionen, etwa der Leistungsverwaltung, können demgegenüber Probleme entstehen. Im Hinblick auf die nichthoheitlichen Funktionen kann weiter zwischen Verwaltungsprivatrecht, fiskalischen Hilfsgeschäften, Vermögensverwaltung und eigenwirtschaftlicher Betätigung unterschieden werden.3

1.126

Die Abgrenzung zwischen dem hoheitlichen und nichthoheitlichen Bereich strahlt auch in das Steuerrecht ein. Hoheitliche Funktionen werden beispielsweise als sogenannte Hoheitsbetriebe aus dem ertragsteuerlichen Nexus ausgeklammert. Auch umsatzsteuerlich besitzt die Hoheitlichkeit Bedeutung für die Begrenzung steuerbarer Umsätze.

1.127

V. Öffentlich-rechtliches und privatrechtliches Handeln Der Differenzierung zwischen öffentlicher und privatrechtlicher Funktion der öffentlichen Hand ist von der Unterscheidung öffentlich-rechtlicher und privatrechtlicher Organisationsformen einerseits und der Differenzierung zwischen öffentlich-rechtlichem Handeln und privatrechtlichem Handeln andererseits zu unterscheiden.4 Es wurde bereits ausgeführt, dass 1 2 3 4

Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht20, § 3 Rz. 8. Siehe den Überblick bei Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht20, § 3 Rz. 10 ff. Hidien in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 1 Rz. 228. Ronellenfitsch in HStR Bd. IV3, § 98 Rz. 28.

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1.128

Kap. 1 Rz. 1.128 | Organisationsformen u. Strukturen der Aufgabenerfüllung

dem Staat bei der Erfüllung seiner Aufgaben eine weitgehende Formenwahlfreiheit zukommt. Dabei ist klar, dass der Staat zur Erfüllung hoheitlicher Funktionen üblicherweise auf öffentlich-rechtliche Organisations- und handlungsformen zurückgreifen muss. Jenseits dessen sind aber viele Konstellationen denkbar.

1.129

Im Hinblick auf die zur Verfügung stehenden Organisationsformen wurden bereits die wesentlichen Optionen dargestellt. Der Staat kann eine Aufgabe entweder selbst durch eigene Behörden oder andere öffentlich-rechtliche Rechtssubjekte erfüllen. Er kann sich aber auch privatrechtlicher Rechtssubjekte bedienen. Insbesondere im Rahmen der wirtschaftlichen Betätigung wird häufig die Privatrechtsform gewählt.

1.130

Ausgehend von der gewählten Organisationsform stehen den handelnden Einheiten unterschiedliche Handlungsformen zur Verfügung. Wird eine Aufgabe in öffentlich-rechtlichen Organisationsformen erfüllt, etwa durch eine Anstalt des öffentlichen Rechts, stehen sowohl öffentlich-rechtliche als auch privatrechtliche Handlungsformen zur Verfügung. Bei Privatrechtssubjekten besteht eine solche Wahlfreiheit nicht. Vielmehr stehen hier übelicherweise nur Handlungsformen des Privatrechts, insbesondere also der Vertrag, zur Verfügung. Eine Ausnahme bilden beliehene Rechtsträger, die auch öffentlich-rechtlich handeln dürfen.

1.131

Öffentlich-rechtliche Handlungsformen in diesem Sinne sind (abgesehen von Parlamentsgesetzen und Entscheidungen der Gerichte) vor allem der Verwaltungsakt, der öffentliche Vertrag, aber auch Realakte und Pläne, Rechtsverordnungen, Satzungen und Verwaltungsvorschriften. Die dominierende Handlungsform des Privatrechts ist, wie bereits angedeutet, der Vertrag.

E. Steuerliche Implikationen struktureller und organisatorischer Vorgaben 1.132

Nachdem in den vorangegangenen Abschnitten die Grundbegriffe und Grundfunktionen der Aufgabenerfüllung durch den Staat bzw. die öffentliche Hand dargestellt wurden, kann kurz auf die steuerlichen Implikationen dieser Differenzierungen eingegangen werden. Grundsätzlich folgt das Steuerrecht seinen eigenen Gesetzmäßigkeiten und Begrifflichkeiten. Allerdings kann man feststellen, dass das Steuerrecht im Hinblick auf die Besteuerung der öffentlichen Hand an vorgefundene verwaltungsrechtliche Kategorien anknüpft. So ist die Differenzierung zwischen hoheitlicher und nichthoheitlicher Sphäre auch für das Steuerrecht prägend. Die praktischen Auswirkungen hängen indes stark von der Ausgestaltung der einzelsteuerlichen Tatbestände ab. Während das Körperschaftsteuerrecht einen starken Bezug zur Organisationsform aufweist, in der eine wirtschaftliche Tätigkeit erfolgt, ist die Organisationsform für das Umsatzsteuerrecht grundsätzlich irrelevant. Hier geht es um die konkrete Form, in der ein Umsatz getätigt wird. Im Hinblick auf die Besteuerung der öffentlichen Hand sind hier viele Konstellationen denkbar.

1.133

Im Folgenden wird es also darum gehen, die Wechselwirkungen zwischen den Vorgaben des Staats- und Verwaltungsrechts bzw. des öffentlichen Wirtschaftsrechts einerseits und dem Steuerrecht andererseits zu ermitteln. Dabei wird sich zeigen, dass zwar in vielfacher Hinsicht ein Gleichlauf der Kategorien und Begrifflichkeiten besteht. Teilweise fallen die Beurteilungen aber auch auseinander. Dies hat zum einen mit den unterschiedlichen Funktionen von Steuerrecht und allgemeinem öffentlichen Recht zu tun. Zum anderen wird das Steuerrecht aber auch zunehmend durch europarechtliche Vorgaben überlagert, so dass von dieser Seite her abweichende Wertungszusammenhänge in das Steuerrecht Eingang finden. 40 | Musil

Kapitel 2 Grundlagen der Besteuerung der öffentlichen Hand A. Überblick über die Besteuerung der öffentlichen Hand I. Bedeutungszuwachs des Themenbereichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ertragsteuerrecht, Umsatzsteuerrecht, Gemeinnützigkeit . . . . . . . . . . . B. Historischer Abriss I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Deutsches Kaiserreich . . . . . . . . . . . . III. Weimarer Republik . . . . . . . . . . . . . . . IV. Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . V. Bundesrepublik Deutschland . . . . . . C. Verfassungsrechtlicher Rahmen I. Zweck der Besteuerung der öffentlichen Hand 1. Fiskalzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wettbewerbspolitische Lenkung als Hauptzweck . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Hoheitsfunktion als „Gegenzweck“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Das Effizienzprinzip als Besteuerungszweck? . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Finanzausgleichsfunktion als Besteuerungszweck? . . . . . . . . . . . 6. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Übersicht der relevanten Verfassungsnormen . . . . . . . . . . . . . . III. Grundrechtlicher Rahmen 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Absolutes Besteuerungsgebot als Forderung der Wettbewerbsneutralität? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gleichheitsrechtliche Anforderungen an die Besteuerung der öffentlichen Hand a) Grundsatz: Gleichbehandlung von öffentlicher Hand und Privaten . . . . . . . . . . . . . b) Rechtfertigung von Abweichungen . . . . . . . . . . . .

2.1 2.2 2.3 2.4 2.6 2.12 2.17

IV. V.

2.23 2.26

D.

2.31

I.

2.32

II.

2.33 2.35 2.36 2.37 2.40

III. E. I. II.

2.44 2.46

III. IV.

4. Freiheitsrechtliche Anforderungen an die Besteuerung der öffentlichen Hand a) Relevante Normen . . . . . . . . . b) Berufsfreiheit, Art. 12 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Eigentumsfreiheit, Art. 14 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die steuerliche Bedeutung spezieller Autonomiegewährleistungen . . . . . . . Finanzverfassung 1. Besteuerungsgebot für wirtschaftliche Tätigkeiten . . . . . . . . . . . . . . 2. Besteuerungsverbot für hoheitliche Tätigkeiten . . . . . . . . . . . . . . 3. Bedeutung des Wirtschaftlichkeitsgebots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Europarechtliche Vorgaben für die Besteuerung der öffentlichen Hand Das Wettbewerbsparadigma als Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorgaben des Primärrechts 1. Grundlegendes . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . 3. Beihilfenverbot a) Steuern als Beihilfen . . . . . . . b) Das Kriterium der Selektivität c) Verfahrensfragen . . . . . . . . . . d) Bedeutung für die Besteuerung der öffentlichen Hand . Vorgaben des Sekundärrechts . . . . . . Öffentliche Hand und Gemeinnützigkeit Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Gemeinnützigkeitsfähigkeit der öffentlichen Hand . . . . . . . . . . . . . . . . Selbstlosigkeit staatlicher Aufgabenerfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Formale Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2.50 2.51 2.54 2.55 2.56 2.62 2.63 2.67

2.68 2.70 2.72 2.74 2.75 2.78 2.79 2.82

2.84 2.85 2.88 2.92

Literatur: Achatz, Die Besteuerung der Körperschaften öffentlichen Rechts im Wandel der Zeit, in Umsatzsteuerforum e.V., Bundesministerium der Finanzen (Hrsg.), 100 Jahre Umsatzsteuer in Deutschland 1918–2018, Festschrift, S. 129 ff.; Badura, Die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen

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Kap. 2 | Grundlagen der Besteuerung der öffentlichen Hand Hand mit besonderer Berücksichtigung der öffentlich-rechtlichen Wettbewerbs-Versicherungsunternehmen, ZHR 146, 448; Birk, Das Leistungsfähigkeitsprinzip als Maßstab der Steuernormen: ein Beitrag zu den Grundfragen des Verhältnisses Steuerrecht und Verfassungsrecht, Köln 1983; Blümich, Heuermann/Bradis (Hrsg.), EStG/KStG, Kommentar, Loseblatt, München; Blumenberg/Kring, Europäisches Beihilferecht und Besteuerung. IFSt-Schrift Nr. 473, Berlin 2011; Burgi, Kommunalrecht, 6. Aufl., München 2019; Busse, Verfahrenswege zu einem „schlankeren Staat“, DÖV 1996, 389; Droege, Gemeinnützigkeit im offenen Steuerstaat, Habil., Tübingen 2010; Droege, Die Besteuerung interkommunaler Zusammenarbeit – Zwischen Wettbewerbsneutralität und Gemeinwohlbindung, VBlBW 2011, 41; Droege, Zur Besteuerung der öffentlichen Hand, Tübingen 2018; Englisch, Wettbewerbsgleichheit im grenzüberschreitenden Handel, Habil., Tübingen 2008; Evers, Kommentar zum KStG vom 10. August 1925, 2. Aufl., Berlin 1927; Gosch, Körperschaftsteuergesetz: KStG, 4. Aufl., München 2020; Gräf, Die wirtschaftliche Betätigung von Universitäten, Diss., Berlin 2013; Heger, Die Besteuerung der öffentlichen Hand – Ein Überblick über die Rechtsprechung des BFH, FR 2009, 301; Herdegen, Europarecht, 22. Aufl., München 2020; Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, Kommentar, Loseblatt, Köln; Hey, Die Steuerbegünstigung der gemeinnützigen Tätigkeit der öffentlichen Hand – Gedanken zur Anwendung des Gemeinnützigkeitsrechts auf die öffentliche Hand, StuW 2000, 467; Hidien, Besteuerungsprobleme der Wirtschaftsunternehmen der Kommunen, NVwZ 1985, 237; Hidien/ Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, 1. Aufl., München 2017; Huber, Konkurrenzschutz im Verwaltungsrecht, Habil., Tübingen 1991; Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Kommentar, Loseblatt, Köln; Hüttemann, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, Köln 2002; Hüttemann, Grundfragen der partiellen Steuerpflicht, in Kohl (Hrsg.), Zwischen Markt und Staat, Gedächtnisschrift für W. Rainer Walz, Köln 2008, S. 267; Hüttemann, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, FR 2009, 308; Hüttemann, Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht, 4. Aufl., Köln 2018; Isensee, Gemeinwohl und Bürgersinn im Steuerstaat des Grundgesetzes – Gemeinnützigkeit als Bewährungsprobe des Steuerrechts vor der Verfassung, in: Maurer (Hrsg.), Das akzeptierte Grundgesetz, Festschrift für Dürig, 1990, 57; Isensee, Staatsaufgaben, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV: Aufgaben des Staates, 3. Aufl., Heidelberg 2006, § 73; Ismer/Karch, Das Referenzsystem bei der beihilferechtlichen Überprüfung nationaler Steuervergünstigungen, IStR 2014, 130; Kennerknecht, Kommentar zum Körperschaftsteuergesetz 1925, Köln 1926; Kingreen/Poscher, Grundrechte. Staatsrecht II, 36. Aufl., Heidelberg 2020; Kirchhartz, Zur Gemeinnützigkeit von Abfall- und Abwasserbeseitigungsgesellschaften, ZKF 1985, 266; F. Kirchhof, Wettbewerbsschutz durch Besteuerung der Betriebe gewerblicher Art?, in: P. Kirchhof u.a. (Hrsg.), Steuerrechtsprechung, Steuergesetz, Steuerreform, Festschrift für Offerhaus, Köln 1999, 333; P. Kirchhof, Die Steuern, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band V: Rechtsquellen: Organisation: Finanzen, 3. Aufl., Heidelberg 2007, § 118; Koewius, Das Wettbewerbskriterium der Mehrwertsteuersystemrichtlinie und dessen Einfluss auf die Umsatzbesteuerung der öffentlichen Hand, Diss. Berlin 2020; Koewius, Das Wettbewerbskriterium der Mehrwertsteuersystemrichtlinie und dessen Einfluss auf die Umsatzbesteuerung der öffentlichen Hand, Diss. Berlin 2020; König, Subjektive Steuerpflicht der Betriebe gewerblicher Art von juristischen Personen des öffentlichen Rechts im deutschen Körperschaftsteuerrecht, Diss., Münster 1958; Lang/Seer, Die Besteuerung der Drittmittelforschung, StuW 1993, 47; v. Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz: GG, 7. Aufl., München 2018; Maunz/Dürig, Grundgesetz, Kommentar, Loseblatt, München; Meyer-Teschendorf/ Hofmann, Zwischenergebnisse des Sachverständigenrats „Schlanker Staat“ –Qualifizierte Aufgabenkritik – Testkatalog für den Gesetzgeber – Flexibilisierung des Haushaltswesens –, DÖV 1997, 268; Mössner/Seeger/Oellerich, Körperschaftsteuergesetz Kommentar, 4. Aufl., Herne 2019; Müller-Gatermann, Die Besteuerung der Kommunen – eine Bestandsaufnahme, FR 2009, 314; Musil, Wettbewerb in der staatlichen Verwaltung, Habil., Tübingen 2005; Musil, Die Gemeinnützigkeit von kommunalen Eigengesellschaften – ein wegweisendes Urteil des BFH, FR 2014, 825; Musil, Umsatzsteuerprobleme der öffentlichen Hand im Bereich der Daseinsvorsorge, UR 2015, 533; Musil, Verfassungsrecht und Steuerrecht, in Baer/Lepsius/Schönberger/Waldhoff/Walter (Hrsg.), Jahrbuch des öffentlichen Rechts, N.F., Bd. 63, Tübingen 2016, 443; Musil/Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, 1. Aufl., München 2019; Popitz, Kommentar zum Umsatzsteuergesetz vom 24. Dezember 1919, 2. Aufl., Berlin 1921; Rau/Dürrwächter, Kommentar zum Umsatzsteuergesetz, Loseblatt, Köln; Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, 2. Aufl., Köln 2020; Schmidt, Kommunalrecht, 2. Aufl., Tübingen 2014; Seer/Wendt, Strukturprobleme der Besteuerung der öffentlichen Hand, DStR 2001, 825; Seer/Wolsztynski, Steuer-

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A. Überblick über die Besteuerung der öffentlichen Hand | Rz. 2.1 Kap. 2 liche Gemeinnützigkeit der öffentlichen Hand, Berlin 2002; Stalleiken, Drittmittelforschung im Ertragsteuerrecht: Teil 1: Drittmittelgeber und Hochschulforscher als Drittmittelempfänger, FR 2010, 781, – Teil 2: Hochschulen als Drittmittelempfänger, FR 2010, 929; Streinz, Europarecht, 11. Aufl., Heidelberg 2019; Theobald, Umsatzsteuer und Gemeinnützigkeit kommunaler Abfallbeseitigungsgesellschaften, BB 1985, 1911; Thieme/Dorenkamp, Auswirkungen des Gemeinnützigkeitsrechts auf die öffentliche Hand im Hinblick auf das Subjekt der Gemeinnützigkeit und die Zulässigkeit eines Ergebnisausgleichs, FR 2003, 693; Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band I: Wissenschaftsorganisatorische, systematische und grundrechtlich-rechtsstaatliche Grundlagen, 2. Aufl., Berlin 2000; Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band III: Steuerrechtswissenschaft, Steuergesetzgebung, Steuervollzug, Steuerrechtsschutz, Steuerreformbestrebungen, 2. Aufl., Köln 2012; Tipke/Kruse, AO/FGO, Kommentar, Loseblatt, Köln; Tipke/Lang, Steuerrecht, 24. Aufl., Köln 2021; Thiemann, Rechtmäßigkeit der Besteuerung von Erstattungszinsen nach § 233a AO, FR 2012, 673; Wallenhorst/Halaczinsky, Die Besteuerung gemeinnütziger und öffentlich-rechtlicher Körperschaften, 7. Aufl., München-Schwabing 2017; Weitermeyer, Verdeckte Gewinnausschüttungen bei der öffentlichen Hand nach dem JStG 2009 und die Schranken des europäischen Beihilfenrechts, FR 2009, 1; Wernsmann, Klagearten und Klagebefugnis im Konkurrentenrechtsstreit, Verw 36, 67 (2003); Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem, Habil., Tübingen 2005; Wernsmann, Konstitutionalisierung des Steuerrechts und Gegenbewegungen, DVBl. 2015, 1085; Westendorf, Der Betrieb gewerblicher Art, Diss., Berlin 2019.

A. Überblick über die Besteuerung der öffentlichen Hand I. Bedeutungszuwachs des Themenbereichs Die Besteuerung der öffentlichen Hand war lange Zeit nur ein Thema für Spezialisten. Die relevanten Normen des Steuerrechts blieben viele Jahrzehnte nahezu unverändert, die wissenschaftliche Diskussion stagnierte. Dabei besitzt das Thema eine hohe Brisanz.1 So ist zum einen klar, dass eine Selbstbesteuerung der öffentlichen Hand nicht recht zum Ideal des Steuerstaates passen will.2 Warum soll der Staat von seinen eigenen Untergliederungen Geld eintreiben und es dann wieder verteilen? Es fragt sich, ob und inwieweit eine Besteuerung der öffentlichen Hand überhaupt zulässig ist. Vor allem Fragen der Finanzverfassung stehen hier im Raum. Umgekehrt ist es nicht von der Hand zu weisen, dass die öffentliche Hand insbesondere dann, wenn sie sich wirtschaftlich betätigt, zu privaten Mitbewerbern in einen Wettbewerb tritt. Ein wichtiger Wettbewerbsfaktor ist hierbei auch die Belastung durch Steuern. Es scheint geboten, etwaige Wettbewerbsverzerrungen durch unterschiedliche Steuerlasten zu vermeiden. Mit diesen wenigen Sätzen ist der Rahmen aufgespannt, in dem sich die Besteuerung der öffentlichen Hand bewegt. Einerseits müssen hoheitliche Tätigkeiten von einer Besteuerung freigehalten werden, andererseits müssen private Mitbewerber vor Wettbewerbsverzerrungen geschützt werden. Verfassungs- und Europarecht halten entsprechende rahmensetzende Normen bereit (siehe hierzu noch ausführlich Rz. 2.23 ff.). Die Debatte um die Besteuerung der öffentlichen Hand hatte einen ersten Höhepunkt zu Zeiten der Weimarer Republik.3 Seinerzeit versuchten viele Kommunen, ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit durch die aktive Betätigung am Markt zu steigern. Die Wirtschaftskrise und ihre Folgen wirkten sich auch stark auf die kommunalen Haushalte aus. Das wachsende kommunale Engagement rief Kritiker auf den Plan, die private Mitbewerber gefährdet sahen. 1 Siehe auch Droege, Zur Besteuerung der öffentlichen Hand, S. 1 ff. 2 Grundlegend zum Steuerstaat Kirchhof in HStR Bd. V3, § 118 Rz. 1 ff. 3 Dazu ausführlich Droege, Zur Besteuerung der öffentlichen Hand, S. 55 ff.

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2.1

Kap. 2 Rz. 2.1 | Grundlagen der Besteuerung der öffentlichen Hand

Die damalige Debatte war noch stark von gegensätzlichen Vorstellungen über die Rolle des Staates im wirtschaftlichen Kontext geprägt. Während manche die kommunale wirtschaftliche Betätigung als Ausdruck zulässiger Gemeinwirtschaft sahen, war sie anderen als Gefährdung der freien Marktwirtschaft ein Dorn im Auge. Entsprechend heftig wurde auch die Auseinandersetzung um die Besteuerung der öffentlichen Hand geführt. Letztlich wurde ein Kompromiss gefunden, der eine partielle Besteuerung der öffentlichen Hand beinhaltete. In der Folgezeit wurde in Rechtsprechung und Literatur weniger intensiv über die Besteuerung der öffentlichen Hand diskutiert. Dies änderte sich erst ab den 1980er Jahren. Die Rolle des Staates und sein Verhältnis zur Privatwirtschaft wurde wieder stärker in den Blick genommen. Das Ideal vom schlanken Staat wurde propagiert.1 Dieser sollte seine Leistungen auf ein Mindestmaß beschränken und wesentliche Aufgaben privaten Akteuren überlassen. Als Folge wurden viele öffentliche Unternehmen privatisiert. Viele Akteure der öffentlichen Hand nutzten die strukturelle Neujustierung der Aufgabenerfüllung zur internen Umstrukturierung unter Einschaltung von Privatrechtssubjekten. So entstand eine vielschichtige Gemengelage, in der einerseits neue Wettbewerbsverhältnisse zwischen privatisierten Akteuren und öffentlichen Akteuren entstanden, andererseits aber auch die öffentliche Hand selbst in verstärktem Maße als Akteur am Markt auftrat. Die hoheitliche Funktion des Staates wurde dabei in gewissen Bereichen zurückgedrängt und durch eine Marktteilnahme der öffentlichen Hand ersetzt.2 Neue Rechts- und Wettbewerbsverhältnisse warfen zunehmend Fragen der Marktregulierung durch das öffentliche Wirtschaftsrecht auf. Aber auch das Steuerrecht geriet wieder in den Blick. Die Frage der Wettbewerbsneutralität der Besteuerung stellte sich mit neuer Brisanz. Eine besondere Rolle kommt in diesem Zusammenhang dem Europäischen Unionsrecht zu. Nicht nur für das öffentliche Wirtschaftsrecht, sondern auch für das Steuerrecht aktualisierte und aktualisiert sich seine dirigierende Kraft in immer stärkerem Maße.3 Die Einführung des § 2b UStG ist nur ein Beispiel für diese Entwicklung (dazu noch ausführlich Kapitel 3). Im Ergebnis besteht ein starkes Bedürfnis an einer Neujustierung des Verständnisses von der Besteuerung der öffentlichen Hand vor dem Hintergrund gewandelter ökonomischer Ausgangsbedingungen. Im Folgenden soll nach einem historischen Abriss zunächst der verfassungsrechtliche und europarechtliche Rahmen abgesteckt werden, bevor in den weiteren Kapiteln eine vertiefte Behandlung der Einzelprobleme erfolgen kann.

II. Ertragsteuerrecht, Umsatzsteuerrecht, Gemeinnützigkeit 2.2

Im Rahmen der nachfolgenden Kapitel soll die Besteuerung der öffentlichen Hand umfassend behandelt werden. Drei Regelungskomplexe stehen allerdings im Mittelpunkt der Betrachtung. Zum einen geht es um das Ertragsteuerrecht. Vor allem Fragen der Körperschaftsteuer und der Gewerbesteuer sind hier von Belang. Im Mittelpunkt steht der Begriff des Betriebs gewerblicher Art in Abgrenzung zu den Hoheitsbetrieben. Besonders bedeutsam sind auch die Probleme von Dauerverlustbetrieben und Fragen der Zusammenfassung verschiedener Betriebe zu steuerlichen Querverbünden (dazu noch ausführlich Kapitel 4, 7). Das Umsatzsteuerrecht war in den vergangenen Jahren Gegenstand tiefgreifender Umwälzungen. Nachdem klar wurde, dass die in § 2 Abs. 3 UStG a.F. verankerte Verweisung auf das 1 Dazu Busse, DÖV 1996, 389 ff.; Meyer-Teschendorf/Hofmann, DÖV 1997, 268 ff.; siehe auch zusammenfassend Musil, Wettbewerb in der staatlichen Verwaltung, S. 29 ff. 2 Zur Entwicklung Musil, Wettbewerb in der staatlichen Verwaltung, S. 27 ff. 3 Zur Entstehung eines Europäischen Steuerrechts siehe Musil in Musil/Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, Einführung Rz. 23 ff.

44 | Musil

B. Historischer Abriss | Rz. 2.4 Kap. 2

Körperschaftsteuerrecht europarechtlich nicht mehr tragfähig war, sah sich der Gesetzgeber zu einer grundlegenden Neuregelung gezwungen. Der neue § 2b UStG stellt die gesamte öffentliche Hand vor erhebliche Herausforderungen (ausführlich Kapitel 3, 5, 6). Schließlich ist auch immer die Frage zu stellen, welche Bedeutung das Gemeinnützigkeitsrecht für die Besteuerung der öffentlichen Hand hat. Die Auffassung, dass die öffentliche Hand gemeinnützigkeitsunfähig sei, dürfte mittlerweile überholt sein. Gleichwohl stellt sich im Einzelnen die Frage nach Grund und Grenzen einer Anwendung gemeinnützigkeitsrechtlicher Normen auf den Staat und seine Einrichtungen (dazu noch Rz. 2.84 ff.).

B. Historischer Abriss I. Einleitung Die Besteuerung der öffentlichen Hand ist ein historisch eher junges Thema. So begann eine echte Auseinandersetzung mit der Thematik erst nach dem Ersten Weltkrieg. Zuvor waren entsprechende Aspekte zwar diskutiert worden, fanden aber keinen systematischen Eingang in die Gesetzgebung.

2.3

Im Folgenden wird die historische Entwicklung seit dem Deutschen Kaiserreich nachgezeichnet. Die Darstellung konzentriert sich auf die Körperschaftsteuer einerseits und die Umsatzsteuer andererseits. Bei den anderen Steuerarten vollzog sich eine in den Grundzügen vergleichbare Rechts- und Begriffsentwicklung. Insbesondere die Herausbildung und Entwicklung des Begriffs des Betriebs gewerblicher Art war lange Zeit beherrschend für die hier interessierende Besteuerungsmaterie. Es wird sich zeigen, dass die Gesetzgebung seit der Weimarer Republik von weitgehender Kontinuität geprägt war. Erst der Einfluss des Unionsrechts und die Privatisierungsbewegung seit den 1990-er Jahren haben neue Impulse in die Gesetzgebungsentwicklung gebracht. Vor allem die Umsatzbesteuerung der öffentlichen Hand befindet sich seit einigen Jahren in einem radikalen Umbruch.

II. Deutsches Kaiserreich Zu Zeiten des Kaiserreichs fand keine systematische Auseinandersetzung mit der Besteuerung der öffentlichen Hand statt. Die Ertragsbesteuerung war noch Ländersache.1 In den verschiedenen Ländern herrschten unterschiedliche Systeme der Besteuerung insbesondere von Körperschaften vor. Grundsätzlich kann man sagen, dass in den Ländern keine nennenswerte Besteuerung der öffentlichen Hand stattfand, ohne dass dies ausdrücklich thematisiert worden wäre2. Das galt auch für das sogenannte Reichseinkommen.3 Nachdem es bei den Ländern Bestrebungen gegeben hatte, dieses zu besteuern, wurde im parlamentarischen Raum über eine entsprechende Besteuerungsmöglichkeit debattiert. Gesetzgeberische Aktivitäten folgten daraus zunächst nicht. Eine Besteuerung des Reiches erfolgte gleichwohl nicht. Erst im Jahr 1911 wurde die Steuerfreiheit des Kaiserreichs durch das Reichsbesteuerungsgesetz ausdrücklich ausgeschlossen.4 1 2 3 4

Siehe Art. 36 der Verfassung des Deutschen Reichs v. 16.4.1871, RGBl. 1871, S. 63. Dazu ausführlich Westendorf, Der Betrieb gewerblicher Art, S. 35 ff. Westendorf, Der Betrieb gewerblicher Art, S. 34 f. Reichsbesteuerungsgesetz v. 15.11.1911, RGBl. 2011 Nr. 21, S. 187; zur Nichtbesteuerung der juristischen Personen des öffentlichen Rechts siehe die Begründung zum Gesetzentwurf des Reichsbesteuerungsgesetzes v. 4.3.1911, Finanz-Archiv 1912, 322.

Musil | 45

2.4

Kap. 2 Rz. 2.5 | Grundlagen der Besteuerung der öffentlichen Hand

2.5

Eine Umsatzbesteuerung im heutigen Sinne fand zu Zeiten des Kaiserreiches noch nicht statt.1 Im Jahre 1913 wurde das Reichsstempelgesetz2 erlassen, das bestimmte gewerbliche Umsätze der Besteuerung unterwarf. Dieses ging 1916 im Gesetz über einen Warenumsatzstempel3 auf. Darin war auch eine Umsatzbesteuerung der öffentlichen Hand dem Grunde nach vorgesehen. Steuerbefreiungen für die öffentliche Hand waren – nach kontroversen parlamentarischen Diskussionen – nur für Ausnahmetatbestände vorgesehen, so etwa im Hinblick auf die Lieferung von Gas, Wasser und elektrischem Strom.4 Erst am 26.7.1918 wurde das erste Reichsumsatzsteuergesetz verabschiedet.5 Dieses sah eine Besteuerung sämtlicher Lieferungen und sonstiger Leistungen gegen Entgelt im Inland vor. Steuerbefreiungen für die öffentliche Hand gab es nicht, da sie mehrheitlich als mit der Gleichmäßigkeit der Besteuerung unvereinbar angesehen wurden.6

III. Weimarer Republik 2.6

Eine erste systematische Erfassung der Einkünfte und Umsätze der öffentlichen Hand erfolgte im Rahmen der Steuergesetzgebung der Weimarer Republik. Durch die Weimarer Reichsverfassung war die Gesetzgebungshoheit für das Steuerrecht im Wege der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz auf das Reich übergegangen.7 Das erste Körperschaftsteuergesetz wurde 1920 erlassen.8 Dieses erfasste erstmals das Einkommen der Körperschaften in Deutschland in einem Steuergesetz. Nach § 1 Satz 1 Nr. 1 KStG 1920 wurden alle juristischen Personen des öffentlichen und bürgerlichen Rechts sowie die Berggewerkschaften von der subjektiven Körperschaftsteuerpflicht erfasst. § 1 Satz 1 Nr. 2 KStG 1920 erweiterte den steuerpflichtigen Personenkreis um die nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen, Anstalten, Stiftungen und andere Zweckvermögen. Auch die öffentliche Hand war damit in vollem Umfang von der subjektiven Körperschaftsteuerpflicht erfasst. Die juristischen Personen des öffentlichen Rechts waren bewusst mit aufgenommen worden, da sie im Geschäftsverkehr ebenso wie Privatpersonen agierten.9

2.7

Allerdings waren auch umfangreiche Steuerbefreiungen vorgesehen. So regelte § 2 Satz 1 Nr. 1 KStG, dass das Reich, die Länder, die Gemeinden (Gemeindeverbände), die Unternehmungen, deren Erträge ausschließlich dem Reiche, den Ländern, den Gemeinden (Gemeindeverbände) zufließen, die Reichsbank und die Staatsbanken subjektiv steuerbefreit waren. In den weiteren Normen des § 2 Nr. 2 bis 7 KStG 1920 wurden noch andere Teile der öffentlichen Hand, etwa Universitäten, Berufs- und Wirtschaftsvertretungen, von der Körperschaftsteuer befreit. Aus den weitreichenden Steuerbefreiungen, die sich auch auf öffentliche Unternehmen erstreckten, erwuchsen erhebliche Steuervorteile der öffentlichen Hand gegenüber privaten Mitbewerbern. Insbesondere die Regelung, wonach auch sämtliche Einkünfte von juristischen Personen des bürgerlichen Rechts, soweit ausschließlich Gewinnausschüttungen an Reich, Länder und

1 2 3 4 5 6

Westendorf, Der Betrieb gewerblicher Art, S. 39. Reichsstempelgesetz v. 3.7.1913, RGBl. 1913, S. 639. Deutsches Reichsgesetz über einen Warenumsatzstempel v. 26.6.1916, RGBl. 1916, S. 639. Westendorf, Der Betrieb gewerblicher Art, S. 40. Reichsumsatzsteuergesetz v. 26.7.1918, RGBl. 1918, S. 779. Zu den Beratungen im Einzelnen siehe die Nachweise bei Westendorf, Der Betrieb gewerblicher Art, S. 41. 7 Zur Übergangszeit siehe Westendorf, Der Betrieb gewerblicher Art, 2019, S. 43 f. 8 Körperschaftsteuergesetz v. 30.3.1920, RGBl. 1920 Nr. 60, S. 393 ff. 9 Siehe Westendorf, Der Betrieb gewerblicher Art, 2019, S. 47.

46 | Musil

B. Historischer Abriss | Rz. 2.10 Kap. 2

Kommunen erfolgten, steuerfrei zu stellen waren, führte zu einer erheblichen Bevorzugung der öffentlichen Hand.1 Das Körperschaftsteuergesetz von 1925 wählte einen anderen Ansatz.2 Hier wurde die öffentliche Hand nicht mehr in vollem Umfang von der subjektiven Steuerpflicht erfasst. Vielmehr wurden sämtliche Erwerbsgesellschaften und alle übrigen Körperschaften und Vermögensmassen des bürgerlichen Rechts subjektiv von der Körperschaftsteuer erfasst. Juristische Personen waren zunächst nicht erfasst. Vielmehr sollten nur noch bestimmte Betriebe und Verwaltungen von Körperschaften des öffentlichen Rechts mit Ausnahme von Hoheitsbetrieben steuerpflichtig sein. Im Einzelnen war in § 2 Nr. 3 KStG 1925 formuliert:

2.8

„Mit dem gesamten Einkommen sind steuerpflichtig ....: 3. Betriebe und Verwaltungen von Körperschaften des öffentlichen Rechtes und öffentliche Betriebe und Verwaltungen mit eigener Rechtspersönlichkeit, es sei denn, dass die Betriebe und Verwaltungen nach Maßgabe des § 7 dienen: a) der Ausübung der öffentlichen Gewalt, b) lebenswichtigen Bedürfnissen der Bevölkerung, zu deren Befriedigung die Bevölkerung auf die Betriebe und Verwaltungen angewiesen ist (Versorgungsbetriebe), c) gemeinnützigen oder mildtätigen Zwecken, d) kirchlichen Zwecken. Den Betrieben und Verwaltungen des Satz 1 stehen gleich Unternehmungen, deren Erträge ausschließlich Körperschaften des öffentlichen Rechtes zufließen.“

Die neu eingeführte Systematik ähnelte schon der heute gebräuchlichen, indem auf bestimme Teile von juristischen Personen des öffentlichen Rechts abgestellt wurde. Die Besteuerung sollte nicht mehr nur in Abhängigkeit zur gewählten Rechtsform erfolgen.3 Der Betriebsbegriff rückte erstmals in den Mittelpunkt der Betrachtung. Allerdings bestanden hinsichtlich der Anwendung der Vorschrift im Einzelnen noch erhebliche Rechtsunsicherheiten.4 Entsprechend der nur noch partiellen Einbeziehung juristischer Personen des öffentlichen Rechts in die subjektive Steuerpflicht wurden die Steuerbefreiungen aus dem KStG 1920 in weiten Teilen obsolet. Der neu gefasste § 9 KStG 1925 enthielt dementsprechend nur noch partielle Steuerbefreiungen für einzelne Unternehmen und Betriebe der öffentlichen Hand, insbesondere die Eisenbahn und öffentliche Banken.

2.9

Das Umsatzsteuergesetz von 1918 galt in der Weimarer Zeit zunächst weiter. Dort war keine generelle Regelung der Besteuerung juristischer Personen des öffentlichen Rechts enthalten. Grundsätzlich war damit die öffentliche Hand umsatzsteuerpflichtig, soweit die Tatbestandsmerkmale des UStG erfüllt waren. Eine partielle Befreiungsnorm wurde 1919 mit § 3 Nr. 2 UStG geschaffen.5 Danach wurden das Reich, die Länder, die Gemeinden und Gemeindeverbände mit ihren Schlachthöfen, Gas-, Elektrizitäts- und Wasserwerken von der Umsatzsteuer freigestellt. Darüber hinausgehende Befreiungstatbestände wurden bewusst nicht eingefügt.6

2.10

1 2 3 4

Kritisch hierzu Westendorf, Der Betrieb gewerblicher Art, 2019, S. 51. Körperschaftsteuergesetz v. 10.8.1925, RGBl. I 1925, S. 208 ff. Westendorf, Der Betrieb gewerblicher Art, S. 59. Im einzelnen Westendorf, Der Betrieb gewerblicher Art, 2019, S. 60 ff.; zu seinerzeitigen Interpretationsversuchen in der Literatur siehe Kennerknecht, KStG 1925, Kommentar, I. § 2 C. II. d. 5. und 6. S. 12 f.; Evers, KStG 1925, Kommentar, § 2 IV. d. Anm. 20 S. 231. 5 Reichsumsatzsteuergesetz v. 24.12.1919, RGBl. 1919 Nr. 250, S. 2157. 6 Vgl. Westendorf, Der Betrieb gewerblicher Art, S. 41 f.

Musil | 47

Kap. 2 Rz. 2.10 | Grundlagen der Besteuerung der öffentlichen Hand

Allerdings bestand Einigkeit, dass im Rahmen der Ausübung öffentlicher Gewalt keine Umsatzsteuerpflicht bestehen sollte. Wann öffentliche Gewalt anzunehmen war, musste im Einzelfall entschieden werden, so dass eine verzweigte Kasuistik entstand.1

2.11

In § 24 UStDB 1926 zum UStG wurde die Ausübung öffentlicher Gewalt erstmals ausdrücklich von der Umsatzsteuer ausgenommen.2 Nach Satz 1 dienten der Ausübung der öffentlichen Gewalt die Hoheitsverwaltungen des Reichs und der Länder sowie die Verwaltungen der Gemeinden (Gemeindeverbände), die öffentlich-rechtliche Aufgaben erfüllten. Nach Satz 2 waren sie insoweit von der Umsatzsteuer, unbeschadet der Bestimmungen der §§ 25 bis 28, ausgenommen. Nach § 24 Satz 3 UStDB war eine Erfüllung öffentlich-rechtlicher Aufgaben, die zu einer Steuerbefreiung führte, insbesondere anzunehmen, wenn die Aufgaben eines Betriebs oder einer Verwaltung auf Leistungen gerichtet waren, zu deren Annahme der Leistungsempfänger auf Grund gesetzlicher oder behördlicher Anordnung verpflichtet war. Die Umsatzsteuerbefreiungen der öffentlichen Hand wurden sodann im Einzelnen in den §§ 25 bis 28 UStDB erheblich ausgeweitet.3

1 Ausführlich Achatz, Die Besteuerung der Körperschaften öffentlichen Rechts im Wandel der Zeit, in Umsatzsteuerforum e.V., BMF (Hrsg.), 100 Jahre Umsatzsteuer in Deutschland 1918 – 2018, Festschrift, S. 129 ff.; siehe auch Popitz, Umsatzsteuergesetz2, S. 142 ff. 2 Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, § 2 (St. 10/2017), Rz. 1107. 3 Siehe Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz v. 25.6.1926, RGBl. I 1926, S. 323 ff. Die entsprechenden Bestimmungen lauteten: § 25: Post-, Telegraphen- und Fernsprechverkehr sowie Beförderungsunternehmen für diesen Verkehr (1) Die Befreiung des Reichs wegen des öffentlichen Post-, telegraphen- und Fernsprechverkehrs bezieht sich auf diejenigen Leistungen der betreffenden Verwaltungen, die innerhalb des bezeichneten Aufgabenkreises gelegen sind. Hierzu gehören auch die Kraftwagenlinien der deutschen Reichspost. (2) Beförderungsunternehmen sind von der Umsatzsteuer nur wegen derjenigen Leistungen ausgenommen, die sie zugunsten der Post auf Grund gesetzlicher Vorschriften auszuführen haben. Dasselbe gilt von der Gestellung und Überlassung von Eisenbahnwagen, Eisenbahnabteilen und Eisenbahnplätzen sowie von Räumlichkeiten innerhalb der Bahnhofsgebäude für die Post. (3) Die Befreiung des Reichs wegen des öffentlichen Post-, Telegraphen- und Fernsprechverkehrs tritt nicht ein, soweit die genannten Verwaltungen Aufgaben übernommen haben, die außerhalb der Ausübung der öffentlichen Gewalt liegen, das gilt z.B. von der Anlage von Privatfernsprechleitungen (Haustelephon), der Übernahme von Installationsarbeiten und dem Verkaufe von Fernsprechapparaten für solche Leitungen, ferner für den Betrieb der Reichsdruckerei. Posthalter, die Fuhrwerke für die Post zu stellen haben, sind umsatzsteuerpflichtig. § 26: Schlacht- und Viehhöfe und ähnliche Anstalten (1) Zu den Betrieben und Verwaltungen, die der Ausübung der öffentlichen Gewalt dienen, gehören auch Schlacht- und Viehhöfe, Anstalten zur Nahrungsmitteluntersuchung, Desinfektionsanstalten, Kadaververnichtungsanstalten, Anstalten zur Müllbeseitigung, zur Straßenreinigung und zur Abführung von Spülwasser und Fäkalien.(2) Die Befreiung des Reichs, der Länder und Gemeinden (Gemeindeverbände) wegen der in Abs. 1 genannten Anstalten erstreckt sich nur auf diejenigen Leistungen, die regelmäßig mit diesen Betrieben verbunden sind. Umsatzsteuerpflichtig sind daher z.B. bei Schlachthöfen Vieh- und Eisverkäufe. § 27: Gas-, Elektrizitäts- und Wasserwerke Die Befreiung des Reichs, der Länder und Gemeinden (Gemeindeverbände) wegen der Gas-, Elektrizitäts- und Wasserwerke bezieht sich ebenfalls nur auf diejenigen Leistungen, die regelmäßig mit diesen Betrieben verbunden sind. Umsatzsteuerpflichtig sind daher bei Gas- und Elektrizitätswerken Verkäufe von Beleuchtungs- und Heizkörpern sowie Installationsarbeiten, die sich nicht auf die Leitungen, sondern auf die Beleuchtungs- und Heizkörper beziehen. Umsatzsteuerfrei sind

48 | Musil

B. Historischer Abriss | Rz. 2.13 Kap. 2

IV. Nationalsozialismus Mit dem Körperschaftsteuergesetz 1934 wurde in § 1 Abs. 1 Nr. 6 KStG erstmals der Begriff des Betriebes gewerblicher Art verwendet.1 Der Gesetzgeber wollte durch die Besteuerung dieser Betriebe bestehende Wettbewerbsverzerrungen abbauen und zu einer Rechtsvereinfachung beitragen. Dies sollte durch eine Ablösung des bisherigen Terminus „Betriebe und Verwaltung“ geschehen, der sich in der praktischen Anwendung nicht bewährt hatte.2 Nunmehr wurde der bis heute beibehaltene Ansatz gewählt, nur noch Betriebe gewerblicher Art von juristischen Personen des öffentlichen Rechts der Besteuerung zu unterwerfen.3

2.12

Von entscheidender Bedeutung war fortan die begriffliche Reichweite des Betriebs gewerblicher Art. Den entsprechenden Auslegungsunsicherheiten wollte man mit dem Erlass von Durchführungsbestimmungen begegnen. Diese waren in der ersten Durchführungsverordnung zum KStG 1935 enthalten.4 So waren nach § 1 KStDVO 1935 alle Einrichtungen, die

2.13

1 2 3 4

insbesondere auch der Verkauf von Koks und Teer, die Vermietung der Meßapparate und die auf die Leitungen bezüglichen Installationsarbeiten. Öffentlich-rechtliche Zweckverbände werden wie Gemeindeverbände behandelt. § 28: Reichsgesetzblatt, Gesetzsammlungen und Amtsblätter Von der Umsatzsteuer ausgenommen sind die Behörden des Reichs und der Länder, soweit sie das Reichsgesetzblatt, die Gesetzsammlungen oder Amtsblätter verwalten. Körperschaftsteuergesetz v. 16.10.1934, RGBl. I 1934, S. 1031 ff. Vgl. Westendorf, Der Betrieb gewerblicher Art, S. 80. Siehe grundlegend König, Subjektive Steuerpflicht der Betriebe gewerblicher Art von juristischen Personen des öffentlichen Rechts im deutschen Körperschaftsteuerrecht, III. Kapitel, II. S. 56 f. Erste Verordnung zur Durchführung des Körperschaftsteuergesetzes v. 6.2.1935, RGBl. I 1935, S. 163 ff. Die entsprechenden Bestimmungen lauteten auszugsweise: Zu § 1 Absatz 1 Ziffer 6 des Gesetzes § 1: Betriebe gewerblicher Art von Körperschaften des öffentlichen Rechts (1) Zu den Betrieben gewerblicher Art von Körperschaften des öffentlichen Rechts gehören alle Einrichtungen, die einer nachhaltigen wirtschaftlichen Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen oder anderen wirtschaftlichen Vorteilen dienen. Die Absicht, Gewinn zu erzielen, ist nicht erforderlich. (2) Die Einrichtung ist als Betrieb gewerblicher Art nur dann steuerpflichtig, wenn sie sich innerhalb der Gesamtbetätigung der Körperschaft wirtschaftlich heraushebt. Diese wirtschaftliche Selbständigkeit kann in einer besonderen Leitung, in einem geschlossenen Geschäftskreis, in der Buchführung oder in einem ähnlichen auf eine Einheit hindeutenden Merkmal beruhen. Dass die Bücher bei einer anderen Verwaltung geführt werden, ist unerheblich. (3) Die Verpachtung eines Betriebs, der nach Absätzen 1 und 2 steuerpflichtig wäre, wenn er vom Verpächter unmittelbar betrieben würde, steht einem Betrieb gewerblicher Art gleich. Das gleiche gilt für jede andere entgeltliche Überlassung von Einrichtungen, Anlagen oder Rechten zu Betriebszwecken jeder Art. § 2: Versorgungsbetriebe (1) Zu den Betrieben gewerblicher Art gehören auch die Betriebe, die der Versorgung der Bevölkerung mit Wasser, Gas, Elektrizität oder Wärme, dem öffentlichen Verkehr oder dem Hafenbetrieb dienen. (2) Die Körperschaftsteuer der öffentlichen Versorgungsbetriebe wird nach Maßgabe des §30 des Steueranpassungsgesetzes vom 16.10.1934 und der §§ 38 bis 40 dieser Verordnung den Körperschaften überwiesen, denen die Erträge dieser Betriebe zufließen. § 3: Land- und forstwirtschaftliche Betriebe Land- und Forstwirtschaftliche Betriebe von Körperschaften des öffentlichen Rechts sind steuerfrei. § 4: Hoheitsbetriebe (1) Betriebe von Körperschaften des öffentlichen Rechts, die überwiegend der Ausübung der öffentlichen Gewalt dienen (Hoheitsbetriebe), gehören nicht zu den Betrieben gewerblicher Art. Eine Aus-

Musil | 49

Kap. 2 Rz. 2.13 | Grundlagen der Besteuerung der öffentlichen Hand

einer nachhaltigen wirtschaftlichen Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen oder anderen wirtschaftlichen Vorteilen dienten, als Betriebe gewerblicher Art zu qualifizieren, sobald sich diese in der Gesamtbetätigung der Körperschaft des öffentlichen Rechts wirtschaftlich heraushoben. § 2 bezog Versorgungsbetriebe in den Begriff der Betriebe gewerblicher Art mit ein. § 3 stellte land- und forstwirtschaftliche Betriebe steuerfrei. Hoheitsbetreibe waren im Körperschaftsteuergesetz von 1934 nicht ausdrücklich geregelt. Es bestand aber Einigkeit, dass diese nicht körperschaftsteuerpflichtig sein sollten. Deshalb wurden Hoheitsbetriebe in § 4 Abs. 1 Satz 1 der KStDVO von der Steuerpflicht ausgenommen. Dort wurde klargestellt, dass Hoheitsbetriebe keine Betriebe gewerblicher Art seien.

2.14

Die Abgrenzung des Hoheitsbetriebs blieb aber weiter schwierig. Dem versuchte der Gesetzgeber durch die Aufzählung bestimmter Hoheitsbetriebe in der KStDVO zu begegnen. Diese Aufzählung führte zu einer gewissen Vereinfachung in der Gesetzesanwendung.1 Es wurde aber bald deutlich, dass die Durchführungsbestimmungen allein bei weitem nicht ausreichten, um in allen Fällen eine Abgrenzung zwischen betrieben gewerblicher Art und Hoheitsbetrieben zu ermöglichen. Vielmehr war jenseits der ausdrücklichen Aufzählung eine wertende Einzelfallentscheidung nötig.2

2.15

Im Ergebnis kann festgehalten werden, dass mit dem Körperschaftsteuergesetz 1934 und den dazu ergangenen Durchführungsbestimmungen ein Rechtszustand erreicht wurde, dessen Begrifflichkeit bis heute gebräuchlich ist. Allerdings waren die Begriffe – allemal unter den damaligen politischen Gegebenheiten – mit Unsicherheiten behaftet und wurden noch nicht in der heute bekannten Konturschärfe verwandt. Die vordergründig vergleichbare Begrifflichkeit darf also nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Rechtsentwicklung der Körperschaftsbesteuerung der öffentlichen Hand noch in den Kinderschuhen steckte.

2.16

Umsatzsteuerlich brachte die Zeit des Nationalsozialismus keine materiellen Neuerungen. Allerdings wurde 1934 erstmals in § 2 Abs. 3 UStG normiert, dass die Ausübung öffentlicher Gewalt keine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit sei.3 Die dazu ergangenen Ausführungsbestimmungen waren weitgehend mit denen in den §§ 24 ff. UStDB 1926 identisch.4

V. Bundesrepublik Deutschland 2.17

In der Anfangszeit der Bundesrepublik Deutschland änderte sich die Rechtslage mit Blick auf die Besteuerung der öffentlichen Hand zunächst nicht. Allerdings führte die Schaffung von Querverbünden zwischen kommunalen Eigenbetrieben in der Nachkriegszeit zu steuerpolitischen Problemen. Viele Kommunen sahen in der Zusammenfassung verschiedener Betriebe eine Möglichkeit zur Nutzung von Einsparpotential. Gleichzeitig konnten im Zuge der Ergebnisverrechnung Steuerersparnisse erzielt werden. Teilweise geschah die Zusammenfas-

1 2 3 4

übung der öffentlichen Gewalt ist insbesondere anzunehmen, wenn es sich um Leistungen handelt, zu deren Annahme der Leistungsempfänger auf Grund gesetzlicher oder behördlicher Anordnung verpflichtet ist. Hierher gehören z.B. Forschungsanstalten, Wetterwarten, Schlachthöfe, Friedhöfe, Anstalten zur Nahrungsmitteluntersuchung, zur Desinfektion, zur Leichenverbrennung, zur Müllbeseitigung, zur Straßenreinigung und zur Abführung von Spülwasser und Abfällen. (2) Die Steuerpflicht der Versorgungsbetriebe (§ 2 Absatz 1) und der öffentlich-rechtlichen Versicherungsanstalten (§§23 ff.) bleibt unberührt. Dazu Westendorf, Der Betrieb gewerblicher Art, S. 100. Westendorf, Der Betrieb gewerblicher Art, S. 99. Siehe dazu Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, § 2 (St. 10/2017), Rz. 1108. Vgl. § 3 UStDB 1934, § 18 UStDB 1938.

50 | Musil

B. Historischer Abriss | Rz. 2.20 Kap. 2

sung auch allein aus Gründen der Steuerersparnis.1 Zunächst hielt der BFH entsprechende Zusammenfassungen im weiten Umfang für möglich.2 Um entsprechende Missbräuche seitens der Kommunen zu unterbinden, entwickelte der BFH die Rechtsprechung zur Zulässigkeit der Zusammenfassung verschiedener BgA weiter.3 So führte er aus, eine öffentlich-rechtliche Körperschaft könne nur solche Betätigungen gewerblicher Art zu einem Betrieb i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 6 KStG zusammenfassen, die in einem engen inneren wirtschaftlichen Zusammenhang zueinander stünden. Sinn und Zweck der Besteuerung gewerblicher Betriebe der öffentlichen Hand verböten eine weite Auslegung des Begriffs des inneren wirtschaftlichen Zusammenhangs.4 Auch wurde die Zusammenfassung von Betrieben gewerblicher Art mit Hoheitsbetrieben untersagt.5 Das Körperschaftsteuergesetz von 1955 brachte kaum materielle Neuerungen für die Besteuerung der öffentlichen Hand. Allerdings wurde nun die Verpachtung eines Betriebes gewerblicher Art einem BgA ausdrücklich gleichgestellt.6 Dies war schon vorher so praktiziert worden.7

2.18

Eine größere Änderung erfuhren die Regelungen zur Besteuerung der öffentlichen Hand durch das Körperschaftsteuergesetz 1977.8 § 1 Abs. 1 Nr. 6 KStG wurde sprachlich modifiziert, indem der Begriff der Körperschaft durch den der juristischen Person des öffentlichen Rechts ersetzt wurde.9 § 4 KStG in seiner bis heute geltenden Fassung wurde in das Körperschaftsteuergesetz eingefügt.10 Mit dieser Einfügung waren einige materielle Rechtsänderungen verbunden, so mit Blick auf die Abgrenzung zur Land- und Forstwirtschaft, die Einkünfteerzielungsabsicht, die Negativabgrenzung zur Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr und weiteren Merkmalen.11 Ungebrochen aktuell blieb auch immer die Zulässigkeit der steuerlichen Zusammenfassung mehrere Betriebe gewerblicher Art. Eine gesetzliche Regelung gab es auch nach 1977 zunächst nicht. Die BFH-Rechtsprechung arbeitete einige Tatbestände heraus, die eine Zusammenfassung erlaubten, insbesondere die Gleichartigkeit der Betriebe und deren objektiv engen wechselseitig technisch-wirtschaftlichen Verflechtung.12 Zudem konnten Versorgungsbetriebe zusammengefasst werden.13

2.19

Eine wesentliche Änderung erfuhr die Besteuerung der öffentlichen Hand durch das Steuersenkungsgesetz 2001.14 Um eine Bevorzugung von Betrieben gewerblicher Art gegenüber pri-

2.20

1 Zur Entwicklung siehe Westendorf, Der Betrieb gewerblicher Art, S. 106 ff. 2 BFH v. 10.5.1955 – I 131/53 U, BStBl. III 1955, 210. 3 BFH v. 28.2.1956 – I 5/54 U, BStBl. III 1956, 133; BFH v. 20.3.1956 – I 317/55 U, BStBl. III 1956, 166; BFH v. 10.7.1962 – I 164/59, BStBl. III 1962, 448. 4 BFH v. 20.3.1956 – I 317/55 U, BStBl. III 1956, 166. 5 BFH v. 10.7.1962 – I 164/59, BStBl. III 1962, 448. 6 § 1 Abs. 1 Nr. 6 HS. 2 Körperschaftsteuergesetz v. 21.12.1954, BGBl. I 1954, 467; vgl. Steuerneuordnungsgesetz v. 16.12.1954, BGBl. I 1954, 373. 7 Westendorf, Der Betrieb gewerblicher Art, S. 111. 8 Körperschaftsteuerreformgesetz v. 31.8.1976, BGBl. I 1976, 2597 ff. 9 Vgl. Westendorf, Der Betrieb gewerblicher Art, S. 147. 10 Absatz 6 wurde allerdings erst später angefügt. 11 Westendorf, Der Betrieb gewerblicher Art, S. 122 ff. 12 Vgl. BFH v. 16.1.1967 – GrS 4/66, BStBl. III 1967, 240; ausführlich auch Westendorf, Der Betrieb gewerblicher Art, S. 132 ff. 13 Westendorf, Der Betrieb gewerblicher Art, S. 139 ff. 14 Gesetz zur Senkung der Steuersätze und zur Reform der Unternehmensbesteuerung v. 23.10.2000, BStBl. I 2000, 1433.

Musil | 51

Kap. 2 Rz. 2.20 | Grundlagen der Besteuerung der öffentlichen Hand

vaten Mitbewerbern auszuschließen, wurden die Tatbestände des § 20 Abs. 1 Nr. 10 a und b EStG neue in das Einkommensteuergesetz eingefügt.

2.21

Schließlich wurden mit dem Jahressteuergesetz 20091 die noch heute – mit Modifikationen – geltenden Regelungen zum steuerlichen Querverbund in die §§ 4 Abs. 6, 8 Abs. 7 und 9 KStG eingefügt. Eine Darstellung im Rahmen eines historischen Abrisses erübrigt sich.

2.22

Umsatzsteuerlich ergaben sich in der Anfangszeit der Bundesrepublik keine materiellen Änderungen zur vorher geltenden Rechtslage. Erst im Jahre 1967 erfolgte eine grundlegende Neuregelung der Umsatzbesteuerung der öffentlichen Hand. § 2 Abs. 3 UStG wurde in seiner noch heute – für eine Übergangszeit – fortgeltenden Fassung in das Umsatzsteuergesetz eingefügt.2 Die Vorschrift enthält eine Verweisung auf die Vorschriften des Körperschaftsteuergesetzes, insbesondere die Normen über den Betrieb gewerblicher Art.3 Dieser Gleichlauf von UStG und KStG sollte einige Jahrzehnte bestand haben, bevor vor allem europarechtliche Einflüsse eine sukzessive Trennung beider Steuerarten erforderlich machten. Mittlerweile hat § 2b UStG die seit den 1960er-Jahren geltende Rechtslage abgelöst und setzt weitgehend die Vorgaben aus Art. 13 MwStSystRL um (ausführlich Kapitel 3, 5 und 6).

C. Verfassungsrechtlicher Rahmen I. Zweck der Besteuerung der öffentlichen Hand 1. Fiskalzweck 2.23

Um die verfassungsrechtliche Rahmensetzung für die Besteuerung der öffentlichen Hand beurteilen zu können, gilt es zunächst, den Zweck dieser Besteuerung näher herauszuarbeiten. Anhand der Zwecksetzung können verfassungsrechtliche Beurteilungsparameter gewonnen werden, die insbesondere für notwendige Abwägung von Bedeutung sein können.

2.24

Der Fiskalzweck ist regelmäßig der Hauptzweck jeder Besteuerung.4 Er ist dem Steuerbegriff immanent und rechtfertigt die Besteuerung dem Grunde nach. Steuern, die nicht der Staatsfinanzierung dienen oder hierfür ungeeignet sind, fallen aus dem Steuerbegriff heraus, dürfen nicht erhoben werden.5 Gleichwohl kann die Erzielung von Einnahmen nach § 3 Abs. 1, 2. Hs. AO auch Nebenzweck sein und steht bei der Besteuerung der öffentlichen Hand auch nicht im Vordergrund. Insbesondere die Ertragsbesteuerung der wirtschaftlichen Betätigung der öffentlichen Hand erscheint als Wirtschaften von der einen in die andere Tasche, lässt man die Existenz verschiedener Fisci einmal außer Betracht.6 Gleichwohl ist das nur eine globale und überschlägige Betrachtungsweise. Die von dem jeweiligen öffentlichen Unternehmen erhobene Steuer bringt dem Fiskus durchaus Einnahmen, so dass dem Steuerbegriff Rechnung getragen ist. Nur eignet sich die Selbstbesteuerung der öffentlichen Hand insgesamt nicht zur 1 2 3 4

Jahressteuergesetz 2009 v. 19.12.2008, BGBl. I 2008, 2794. Umsatzsteuergesetz v. 29.6.1967, BGBl. I 1967, 545. Vgl. Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, § 2 (St. 10/2017), Rz. 1109. Zum Begriff der Fiskalzwecknorm grundlegend Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. I2, S. 77; zur Steuer im Staat des Grundgesetzes grundlegend Kirchhof in HStR Bd. V3, § 118 Rz. 1 ff. 5 Zum Steuerbegriff siehe nur Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. III2, S. 1311 ff.; ein Beispiel einer wegen ihrer Erdrosselungswirkung nicht der Finanzierung dienenden „Steuer“ bei BVerwG v. 15.10.2014 – 9 C 8/13, BVerwGE 150, 225. 6 Siehe Hey, StuW 2000, 467 (468).

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C. Verfassungsrechtlicher Rahmen | Rz. 2.27 Kap. 2

Staatsfinanzierung.1 Bei der Umsatzsteuer nimmt die öffentliche Hand, soweit die Besteuerung reicht, keine Sonderstellung gegenüber Privaten ein. Steuerpflichtige Umsätze führen auch zu staatlichen Steuereinnahmen. Hier gilt allerdings, dass öffentliche Unternehmen aufgrund ihrer Unternehmereigenschaft grundsätzlich keine Steuerlast zu tragen haben, so dass die Umsatzsteuer für sie wie bei anderen Unternehmern im Regelfall nur ein durchlaufender Posten ist.2 Im Ergebnis gilt also, dass der Fiskalzweck bei der Besteuerung der öffentlichen Hand nicht im Vordergrund steht. Allerdings macht die geringe Relevanz für die Staatsfinanzierung die Besteuerung auch nicht unzulässig.

2.25

2. Wettbewerbspolitische Lenkung als Hauptzweck Es ist weithin anerkannt, dass mit Steuern auch Lenkungszwecke verfolgt werden dürfen.3 Dies gilt auch dann, wenn der Lenkungszweck gegenüber dem Fiskalzweck in den Vordergrund tritt. Vor diesem Hintergrund werden die Steuerrechtsnormen, die eine Besteuerung der öffentlichen Hand vorsehen, ganz überwiegend als wettbewerbspolitische Lenkungsnormen begriffen.4 Soweit der Staat nicht hoheitlich handelt, sondern mit privaten Mitbewerbern in einen Wettbewerb tritt, soll ihm durch eine potentielle Nichtbesteuerung kein Wettbewerbsvorteil zugute kommen. Die wirtschaftliche Tätigkeit der öffentlichen Hand soll steuerlich ebenso belastet werden wie die Wirtschaftstätigkeit Privater. Diese Teleologie gilt grundsätzlich für alle Steuerarten, also vor allem das Ertrag- und das Umsatzsteuerrecht.5 Der Gedanke der Wettbewerbsneutralität prägt so die Besteuerung der öffentlichen Hand.6 Dieser Gedanke wird sowohl verfassungsrechtlich als auch europarechtlich aufgeladen. So finden sich die Erwägung des Wettbewerberschutzes sowohl im Rahmen der maßgeblichen Diskussionen um das Körperschaftsteuerrecht als auch das Umsatzsteuerrecht.

2.26

Der Grundsatz der Wettbewerbsneutralität der Besteuerung der öffentlichen Hand ist vom Ansatz her nahezu unbestritten. Er durchzieht die Rechtsprechung schon seit den Anfängen. So hat bereits der RFH herausgestellt, dass öffentliche Betriebe steuerlich mit Privaten gleichzustellen seien.7 Diese Rechtsprechung hat der BFH fortgeführt und weiterentwickelt.8 Neuere Impulse sind insbesondere durch die Rechtsprechung des EuGH zu den jeweiligen Mehrwertsteuerrichtlinien hinzugetreten.9

2.27

1 Hidien in Hidien/Jürgens (Hrsg.), Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 2 Rz. 176; Hey, StuW 2000, 467 (468). 2 Hidien in Hidien/Jürgens (Hrsg.), Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 2 Rz. 177. 3 Dazu grundlegend Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem, passim; zum Begriff der Lenkungsnorm siehe auch Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht24, § 3 Rz. 21. 4 BFH v. 14.3.1984 – I R 223/80, BStBl. II 1984, 496; BFH v. 4.12.1991 – I R 74/89, BStBl. II 1992, 432; BFH v. 12.7.2012 – I R 106/10, BStBl. II 2012, 837; Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht24, § 11 Rz. 28; Hüttemann, Grundfragen der partiellen Steuerpflicht, in GS Walz, S. 269 (270); Lang/Seer, StuW 1993, 47 (53); kritisch Droege, VBlBW 2011, 41 (45 f.); siehe auch Hidien in Hidien/Jürgens (Hrsg.), Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 2 Rz. 182, m.w.N., Rz. 209 ff. 5 Siehe grundlegend BFH v. 15.4.2010 – V R 10/09, BStBl. II 2017, 863. 6 Kritisch hierzu Droege, Zur Besteuerung der öffentlichen Hand, S. 81 ff. 7 RFH v. 14.12.1937 – I 70/37, RStBl. 1938, 334. 8 BFH v. 14.3.1984 – I R 223/80, BStBl. II 1984, 496; BFH v. 4.12.1991 – I R 74/89, BStBl. II 1992, 432; BFH v. 15.4.2010 – V R 10/09, BStBl. II 2017, 863; BFH v. 12.7.2012 – I R 106/10, BStBl. II 2012, 837. 9 Siehe hierzu grundlegend Koewius, Das Wettbewerbskriterium der Mehrwertsteuersystemrichtlinie und dessen Einfluss auf die Umsatzbesteuerung der öffentlichen Hand, passim.

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Kap. 2 Rz. 2.28 | Grundlagen der Besteuerung der öffentlichen Hand

2.28

Jenseits dieser grundsätzlichen Einigkeit bestehen aber Unsicherheiten. Es fragt sich, ob es sich bei dem Gebot der Wettbewerbsneutralität um eine absolute Vorgabe oder um ein abwägungsfähiges Prinzip handelt. Wäre ersteres richtig, führte jeder Verstoß zur Rechtswidrigkeit der Besteuerung.1 Ein derart absoluter Schutz lässt sich indes vor dem Hintergrund der wirtschaftspolitischen und verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen kaum rechtfertigen.2 Gleichwohl ist dann zu fragen, in welchen Bahnen eine erforderliche Abwägung mit anderen relevanten Gemeinwohlbelangen zu erfolgen habe. Damit im Zusammenhang muss gefragt werden, ob der Grundsatz der Neutralität nur relativ gilt, also vor allem gleichheitsrechtlich unterlegt ist, oder ob es auch einen freiheitsrechtlichen Schutz vor Wettbewerb durch die öffentliche Hand und damit auch vor einer zu geringen Besteuerung derselben gibt. Diese Frage ist für den grundrechtlichen Rahmen essentiell und wird an entsprechender Stelle näher betrachtet (siehe Rz. 2.37 ff.).

2.29

Weiterhin erfährt die Wettbewerbsfunktion der Besteuerung der öffentlichen Hand auch Kritik. Insbesondere wird gefragt, ob die Besteuerung überhaupt geeignet ist, um gleiche Wettbewerbsbedingungen für die privaten Mitbewerber der öffentlichen Hand herzustellen.3 Die öffentliche Hand profitiere im Vergleich mit Privaten noch von anderen Vorteilen, die das Steuerrecht nicht ausgleichen könne. So unterstehe sie keinem existenziellen Wettbewerbsdruck, die Ressourcensituation sei häufig besser abgesichert, die Personalsituation stabiler.4 Auch wenn derartige Befunde zutreffen mögen, ändern sie nichts an der Eignung des Steuerrechts zur Herstellung von Wettbewerbsneutralität. Jede Teilrechtsordnung kann nur auf ihrem Anwendungsgebiet nach Wirkung streben. So bedeutet Wettbewerbsneutralität für das Steuerrecht nur, dass das Steuerrecht selbst keine Wettbewerbshindernisse schafft. Demgegenüber kann nicht verlangt werden, dass das Steuerrecht aus anderer Quelle stammende Nachteile ausgleicht. Eine derartige Überkompensation würde ihrerseits wieder zu Verwerfungen führen.

2.30

Im Ergebnis ist festzuhalten, dass die Verhinderung von Wettbewerbsverzerrungen den wesentlichen Grund für die Besteuerung der öffentlichen Hand bildet. Diese Zwecksetzung ist allerdings keine absolute. Derartiges könnte man nur annehmen, wenn man die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand grundsätzlich als Fremdkörper in der Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland qualifizieren wollte und könnte. Dass dem nicht so ist, wurde bereits dargestellt (siehe bereits Rz. 1.17 ff.). Die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand kann sich unter Umständen ihrerseits auf legitime Gemeinwohlziele stützen. Staatliches Wirtschaften ist nicht etwa auf bloße Randbereiche verwiesen. Die Wettbewerbsneutralität der Besteuerung erscheint vor diesem Hintergrund als eine wesentliche, aber nicht die einzige Zwecksetzung, die im Hinblick auf die Besteuerung der öffentlichen Hand und ihre verfassungsrechtliche Einhegung zu berücksichtigen ist. Vielmehr ist sie in einen grundsätzlich ergebnisoffenen Abwägungsprozess einzustellen. Dem Gesetzgeber kommt vor diesem Hintergrund eine wesentliche Verantwortung bei der Wahrung von steuerlicher Neutralität, aber auch anderer Gemeinwohlziele zu.5 Der Wettbewerbsneutralität wird hierbei häufig, aber bei weitem nicht immer der Vorzug gebühren. 1 In diese Richtung wohl Hüttemann, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, S. 9. 2 Ausführlich hierzu Droege, Zur Besteuerung der öffentlichen Hand, S. 81 ff. 3 Ausführlich Ferdinand Kirchhof, Wettbewerbsschutz durch Besteuerung der Betriebe gewerblicher Art?, in FS Offerhaus, S. 333 (337). 4 Vgl. auch Hidien in Hidien/Jürgens (Hrsg.), Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 2 Rz. 201 ff. 5 Ebenso Droege, Zur Besteuerung der öffentlichen Hand, S. 81 ff.

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C. Verfassungsrechtlicher Rahmen | Rz. 2.33 Kap. 2

3. Die Hoheitsfunktion als „Gegenzweck“ Es wurde gezeigt, dass die Wettbewerbsfunktion eine tragende Säule zur Begründung der Besteuerung der öffentlichen Hand darstellt. Allerdings wäre die Darstellung unvollständig, würde nicht auch diejenige Funktion näher beschrieben, die auf der gegenüberliegenden Seite der Medaille steht. Ebenso, wie der Wettbewerberschutz im Zusammenhang mit wirtschaftlicher Betätigung der öffentlichen Hand anerkannt ist, ist auch die Herausnahme hoheitlicher Funktionen aus der Besteuerung unbestritten.1 Niemand würde auf die Idee kommen, die hoheitliche Tätigkeit der Polizei oder der Gerichte Besteuerung zu wollen. Dieses Hoheitsprinzip fungiert gleichsam als „Gegenzweck“ im Zusammenhang mit der Besteuerung der öffentlichen Hand.2 Allerdings darf man sich das Zusammenspiel der beiden Elemente nicht so vorstellen, dass sie gegeneinander abgewogen werden könnten. Vielmehr besteht – zumindest theoretisch – eine klare Grenzziehung zwischen dem zu besteuernden Bereich der wirtschaftlichen Betätigung der öffentlichen Hand und dem nicht zu besteuernden Hoheitsbereich.3 Die Grenzziehung im Einzelnen ist mit erheblichen Unsicherheiten behaftet und unterliegt im zeitlichen Verlauf auch einem Beurteilungswandel.4 An dieser Stelle reicht es festzuhalten, dass das Hoheitsprinzip einen Bereich staatlicher Tätigkeit umschreibt, in dem keine Wettbewerbsneutralität anzustreben ist, weil es keinen Wettbewerb mit Privaten gibt. Wie weit dieser Bereich indes zu ziehen ist, gehört zu den schwierigsten und umstrittensten Fragen der Besteuerung der öffentlichen Hand.

2.31

4. Das Effizienzprinzip als Besteuerungszweck? Insbesondere in den Diskussionen der Weimarer Republik um die Besteuerung der öffentlichen Hand war hervorgehoben worden, dass die Besteuerung auch der Steigerung der Effizienz von Verwaltungseinheiten und öffentlichen Unternehmen dienen könne.5 Der Besteuerungsdruck könne zu effizienterem Wirtschaften zwingen. Diese Sichtweise dürfte mittlerweile weitgehend widerlegt sein.6 Es lässt sich kein hinreichender Zusammenhang zwischen Besteuerungsdruck und Effizienzanreizen für die Verwaltung oder öffentliche Unternehmen herstellen. Vielmehr verlaufen entsprechende Anreizstrukturen in anderen Bahnen.7

2.32

5. Die Finanzausgleichsfunktion als Besteuerungszweck? Teilweise wird vertreten, die Besteuerung der öffentlichen Hand diene auch dazu, Vorgaben und Anforderungen der föderalen Finanzverfassung zu erfüllen. So wird angenommen, es bestehe eine Pflicht zur Besteuerung öffentlicher Betriebe, um ein Unterlaufen der finanzverfassungsrechtlichen Finanzverteilung zu verhindern.8 Sehe man den Grundsatz der Wettbewerbsneutralität als wesentlichen Besteuerungszweck an, stehe es insbesondere den Kom-

1 2 3 4 5 6 7 8

Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht24, § 11 Rz. 28. Hidien in Hidien/Jürgens (Hrsg.), Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 2 Rz. 233 ff. Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht24, § 11 Rz. 28. Zu Einzelfällen siehe nur Bürstinghaus in HHR, EStG/KStG, § 4 KStG (St. 6/2020), Anm. 78; Musil in Mössner/Seeger/Oellerich, KStG4, § 4 Rz. 331. Droege, Zur Besteuerung der öffentlichen Hand, S. 55 ff. Ausführlich Droege, Zur Besteuerung der öffentlichen Hand, S. 99 ff.; Hidien in Hidien/Jürgens (Hrsg.), Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 2 Rz. 216 ff. Zu den wirksamen Anreizstrukturen im Bereich der öffentlichen Verwaltung siehe ausführlich Musil, Wettbewerb in der staatlichen Verwaltung, passim. Hüttemann, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, S. 13, 17.

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2.33

Kap. 2 Rz. 2.33 | Grundlagen der Besteuerung der öffentlichen Hand

munen frei, durch die Gründung von Monopolbetrieben die Finanzverteilung zu den eigenen Gunsten zu verändern. Im Ergebnis kann diese Argumentation nicht überzeugen.1 Es ist sicher richtig, dass die Besteuerung der öffentlichen Hand auch das Finanzvolumen des bundesstaatlichen Finanzausgleichs beeinflusst. Das hat sie mit allen Einnahmen- und Ausgabetatbeständen gemein. Daraus folgt aber noch kein unmittelbarer rechtlicher Zusammenhang zwischen der Architektur des Finanzausgleichs und dem Besteuerungsregime für die öffentliche Hand. Vielmehr handelt es sich um eher reflexhafte, faktische Zusammenhänge, die keine direkte normative Wertung zulassen. Die Finanzverfassung würde überdehnt, wollte man ihr die genannten Vorgaben entnehmen (siehe noch ausführlich Rz. 2.62 ff.).

2.34

Umgekehrt werden der Finanzausgleichsfunktion aber auch Besteuerungsgrenzen entnommen. So führe eine zu weitreichende Gegenseitigkeitsbesteuerung zu einer Umgehung geschriebener Finanzausgleichstatbestände.2 Dieser Überlegung ist mit Einschränkungen zuzustimmen. In der Tat würde die dem Konnexitätsprinzip (Art. 104a GG)3 einerseits und der föderalen Finanzverteilung (Art. 106 f. GG)4 andererseits zugrundeliegende Architektur durch eine sie konterkarierende Gegenseitigkeitsbesteuerung in sachwidriger Weise unterlaufen (siehe dazu sogleich Rz. 2.63 ff.).5

6. Ergebnis 2.35

Im Ergebnis ist es die Dichotomie aus Wettbewerbsfunktion einerseits und Hoheitsfunktion andererseits, die die Besteuerung der öffentlichen Hand teleologisch prägt. Der Fiskalzweck tritt demgegenüber in den Hintergrund. Weitere Zwecke beeinflussen das Besteuerungsregime demgegenüber allenfalls am Rande.

II. Übersicht der relevanten Verfassungsnormen 2.36

Die skizzierte Zwecksetzung der Besteuerung der öffentlichen Hand steckt den Rahmen ab, innerhalb dessen die verfassungsrechtlichen Vorgaben für eine entsprechende Besteuerung entfaltet und zueinander in Beziehung gesetzt werden können. Im Folgenden werden die in Betracht kommenden Normen des Grundgesetzes identifiziert und auf ihren konkreten Aussagegehalt für die Besteuerung der öffentlichen Hand hin überprüft. Die entsprechenden Ergebnisse können dann in den folgenden Kapiteln für die Entscheidung von Konfliktfällen fruchtbar gemacht werden. Zunächst wird ein kurzer Überblick über die in Betracht kommenden Grundgesetznormen gegeben. Die größte praktische Bedeutung als Rahmen für die Besteuerung der öffentlichen Hand kommt den Grundrechten zu. Wie sonst auch im Steuerrecht steht der Gleichheitssatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG im Mittelpunkt der Betrachtung. Es herrscht weitgehend Einigkeit, dass das Gebot der Wettbewerbsneutralität seine Wurzel auch in Art. 3 Abs. 1 GG hat. Keine Einigkeit besteht indes hinsichtlich der Reichweite entsprechender normativer Ableitungen

1 Droege, Zur Besteuerung der öffentlichen Hand, S. 106 ff. 2 In diesem Sinne Paul Kirchhof in HStR Bd. V3, § 118 Rz. 227, vgl. auch Droege, Zur Besteuerung der öffentlichen Hand, S. 103; Hidien in Hidien/Jürgens (Hrsg.), Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 2 Rz. 258 ff. 3 Hierzu grundlegend Heintzen in vM/K, GG7, Art. 104a, Rz. 11 ff. 4 Heintzen in vM/K, GG7, Art. 106, Rz. 15 ff. 5 Ebenso Hidien in Hidien/Jürgens (Hrsg.), Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 2 Rz. 273 ff.; zurückhaltender Droege, Zur Besteuerung der öffentlichen Hand, 2018, S. 103 ff.

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C. Verfassungsrechtlicher Rahmen | Rz. 2.38 Kap. 2

aus dem Gebot der Wettbewerbsneutralität. So wird teilweise vertreten, der Wettbewerberschutz fordere bereits verfassungsrechtlich eine möglichst umfassende Besteuerung der Marktteilnahme der öffentlichen Hand. Dagegen wird eingewandt, dass aus dem Gleichheitssatz kein absoluter Schutz folge. Vielmehr sei die Besteuerung der Abwägung fähig (siehe Rz. 2.44 ff.). In diesem Zusammenhang werden auch die Freiheitsrechte argumentativ fruchtbar gemacht. Insbesondere wird teilweise Art. 12 GG eine Bedeutung auch für die Besteuerung der öffentlichen Hand beigemessen. Wettbewerberschutz werde nicht nur relativ durch den Gleichheitssatz, sondern auch absolut durch wirtschaftliche Freiheitsrechte gesichert.1 Der Besteuerung der öffentlichen Hand wird in diesem Zusammenhang eine auch wirtschaftsrechtliche Bedeutung beigemessen (siehe Rz. 2.50 ff.). Weiterhin wird gefragt, ob die grundgesetzlich verbürgten Autonomiegebote für einige Träger der öffentlichen Gewalt, insbesondere Selbstverwaltungsträger, auch besteuerungsrelevante Aussagen treffen. Es wird indes zu zeigen sein, dass dies jenseits konkreter Verbürgungen – etwa in Art. 28 GG – nicht der Fall ist (siehe Rz. 2.56 ff.). Von Bedeutung sind schließlich die Normen der Finanzverfassung, insbesondere die Art. 104a ff. GG. Es wurde bereits ausgeführt, dass Teile des Schrifttums der Besteuerung der öffentlichen Hand auch Bedeutung für die Umsetzung des Finanzausgleichs im föderalen Staat beimessen. Dies kann sowohl im positiven wie im negativen Sinn verstanden werden. Dem folgend wird vertreten, dass die Finanzverfassung im Zusammenspiel mit den Grundrechten insoweit eine Besteuerungspflicht auslöse, als andernfalls Vorgaben der Finanzverteilung unterlaufen werden könnten. Umgekehrt wird von einer maßgeblichen Meinungsgruppe im Schrifttum vertreten, zumindest im Bereich hoheitlicher Funktionen dürfe es keine gegenseitige Besteuerung innerhalb der öffentlichen Hand geben. Nach der Gegenauffassung enthält die Finanzverfassung keine derart konkreten Vorgaben (siehe Rz. 2.62 ff.). Im Folgenden wird im Einzelnen untersucht, welche Ableitungen aus den einzelnen grundgesetzlichen Normen möglich sind. Daraus können dann auch Folgerungen für die Anwendung des einfachen Gesetzesrechts gezogen werden.

III. Grundrechtlicher Rahmen 1. Allgemeines Die weitreichendsten verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Besteuerung der öffentlichen Hand wird man den Grundrechten des Grundgesetzes entnehmen können. Insbesondere stehen hier die Grundrechte privater Mitbewerber von Akteuren der öffentlichen Hand im Fokus. Die Frage der Grundrechtsberechtigung von öffentlichen Unternehmen soll im Folgenden nicht weiter vertieft werden.2

2.37

Es wurde bereits dargestellt, dass die Wettbewerbsneutralität einen wesentlichen Telos der Besteuerung der öffentlichen Hand darstellt. Insoweit besteht in Rechtsprechung und Literatur im Wesentlichen Einigkeit.3 Fraglich ist aber, welchen verfassungsrechtlichen Gehalt dem

2.38

1 Siehe grundlegend Englisch, Wettbewerbsgleichheit im grenzüberschreitenden Handel, 2008, S. 520 ff. 2 Ausführlich Huber in vM/K/S, GG7, Art. 19, Rz. 275 ff. 3 BFH v. 14.3.1984 – I R 223/80, BStBl. II 1984, 496; BFH v. 4.12.1991 – I R 74/89, BStBl. II 1992, 432; BFH v. 12.7.2012 – I R 106/10, BStBl. II 2012, 837; Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht24, § 11

Musil | 57

Kap. 2 Rz. 2.38 | Grundlagen der Besteuerung der öffentlichen Hand

Grundsatz der Wettbewerbsneutralität zukommt und welche konkreten Folgerungen sich daraus für das Wettbewerbsverhältnis zwischen öffentlicher Hand und Privaten ergeben.

2.39

Als grundrechtliche Anknüpfungspunkte der Forderung nach Wettbewerbsneutralität kommen sowohl gleichheitsrechtliche Gewährleistungen, insbesondere Art. 3 Abs. 1 GG, als auch Freiheitsrechte, insbesondere Art. 12 Abs. 1 und 14 Abs. 1 GG, in Betracht.1 Im Folgenden soll zunächst untersucht werden, ob sich dem Grundgesetz ein allgemeines Gebot der Wettbewerbsneutralität der Besteuerung entnehmen lässt, das zwingend eine Besteuerungspflicht der öffentlichen Hand auslöst. Dies wird von einigen Stimmen in der Literatur vertreten. Im Anschluss werden die grundrechtlichen Einzelgewährleistungen auf ihren konkreten Aussagegehalt im Hinblick auf die Besteuerung der öffentlichen Hand untersucht.

2.40

Teilweise wird vertreten, den Grundrechten sei ein zwingendes Gebot der Besteuerung der öffentlichen Hand zu entnehmen.2 Dieses wird einerseits auf den Gleichheitssatz, andererseits in der Berufsfreiheit verortet. Vor allem wirtschaftswissenschaftliche Erkenntnisse werden für die Annahme eines solchen Gebots herangezogen. Es sei nicht gerechtfertigt, unmittelbar zueinander im Wettbewerb stehende Unternehmen steuerlich unterschiedlich zu behandeln, da es zwingend erforderlich sei, ihnen gleiche Wettbewerbsbedingungen zu bieten. Teilweise wird zur Begründung des Besteuerungsgebots auch der Systemgedanke herangezogen.3 Art. 3 Abs. 1 GG fordere eine systemkonforme Besteuerung dahingehend, dass eine absolute Wettbewerbsneutralität zu gewährleisten sei.4 Zudem sei es dem Staat ohnehin grundsätzlich verwehrt, sich selbst in größerem Umfang wirtschaftlich zu betätigen.5 Tue er dies doch, dürfe dies nicht unter erleichterten Bedingungen geschehen. Aus der Berufsfreiheit lasse sich die Forderung ableiten, dass private Wirtschaftsteilnehmer möglichst nicht durch Konkurrenz staatlicher Akteure belastet werden.6

2.41

Die Ableitung eines solchen absoluten Besteuerungsgebots für wirtschaftliche Tätigkeiten der öffentlichen Hand aus dem Gleichheitssatz einerseits und den Freiheitsrechten, insbesondere der Berufsfreiheit, andererseits ist abzulehnen.7 Sie verlässt den Rahmen der anerkannten Dogmatik der in Bezug genommenen Grundrechtsgewährleistungen. So verbietet Art. 3 Abs. 1 GG, wesentlich Gleiches ohne sachlichen Grund ungleich zu behandeln. Im Steuerrecht wird der Gleichheitssatz durch das Leistungsfähigkeitsprinzip konkretisiert.8 Aber auch dieses verlangt nach einer relativen Vergleichsprüfung verschiedener Steuerpflichtiger. Ein festes Be-

2. Absolutes Besteuerungsgebot als Forderung der Wettbewerbsneutralität?

1 2 3 4 5 6 7 8

Rz. 28; Hüttemann, Grundfragen der partiellen Steuerpflicht, in GS Walz, S. 269 (270); Lang/Seer, StuW 1993, 47 (53); kritisch Droege, VBlBW 2011, 41 (45 f.); siehe auch Hidien in Hidien/Jürgens (Hrsg.), Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 2 Rz. 182, m.w.N., Rz. 209 ff. Grundlegend Englisch, Wettbewerbsgleichheit im grenzüberschreitenden Handel, S. 520 ff. Siehe namentlich Hüttemann, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, S. 9. Dazu Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. I2, S. 61 ff., speziell mit Blick auf die Wettbewerbsneutralität siehe S. 325. Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. I2, S. 325. Siehe statt vieler Isensee in HStR Bd. IV3, § 73 Rz. 73, m.w.N. Hüttemann, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, S. 9; siehe auch Wernsmann, Die Verwaltung 36 (2003), 67 (92); Seer/Wolsztynski, Steuerliche Gemeinnützigkeit der öffentlichen Hand, S. 87. Ebenso Droege, Zur Besteuerung der öffentlichen Hand, S. 81 ff.; Hidien in Hidien/Jürgens (Hrsg.), Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 2 Rz. 338. BVerfG v. 13.6.2007 – 1 BvR 1550/03, BVerfGE 118, 168, 196, Belastungsgleichheit als Allgemeingut von herausgehobener Bedeutung.

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C. Verfassungsrechtlicher Rahmen | Rz. 2.44 Kap. 2

steuerungssystem als Grundlage für Steuergerechtigkeit lässt sich dem Leistungsfähigkeitsprinzip nicht entnehmen.1 Allenfalls kann man verlangen, dass sich der Gesetzgeber folgerichtig im Rahmen seiner eigenen Grundentscheidungen hält.2 Dieses Folgerichtigkeitsgebot trägt aber ein striktes Besteuerungsgebot für die öffentliche Hand nicht. Vielmehr muss immer gefragt werden, ob ein sachlicher Grund möglicherweise die Abweichung der Besteuerung der öffentlichen Hand von der Regelbesteuerung rechtfertigt.3 Diese Abweichung wäre also zwar rechtfertigungsbedürftig, aber auch möglicherweise rechtfertigungsfähig. Auch die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG trägt kein zwingendes Besteuerungsgebot. So ist zunächst festzustellen, dass die Berufsfreiheit nicht vor Konkurrenz als solcher, auch nicht durch die öffentliche Hand, schützt.4 Vielmehr darf die öffentliche Hand lediglich keine solchen Rahmenbedingungen schaffen, durch die bestimmte Grundrechtsträger ungerechtfertigt und unfair in ihrer Wettbewerbsposition beeinträchtigt werden.5 Dies ist aber eine Frage des jeweiligen Einzelfalls. Zudem ist es der öffentlichen Hand nach hier vertretener Auffassung grundsätzlich nicht verwehrt, in einen wirtschaftlichen Wettbewerb zu Privaten zu treten. Die öffentliche Hand darf lediglich keine ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteile genießen.

2.42

Vor diesem Hintergrund ist ein absolutes Besteuerungsgebot weder aus Art. 3 Abs. 1 GG noch aus Art. 12 Abs. 1 GG ableitbar.6 Vielmehr ist zu prüfen, ob konkrete Steuernormen zu Grundrechtsverletzungen führen. Dem ist im Folgenden nachzugehen.

2.43

3. Gleichheitsrechtliche Anforderungen an die Besteuerung der öffentlichen Hand a) Grundsatz: Gleichbehandlung von öffentlicher Hand und Privaten Nach Art. 3 Abs. 1 GG sind alle Menschen vor dem Gesetz gleich. Der Gleichheitssatz richtet sich also zunächst an den Gesetzgeber, gewinnt in zweiter Linie aber auch für den Gesetzesvollzug und weitere Akte der öffentlichen Gewalt Bedeutung. Wesentlich Gleiches darf ohne sachlichen Grund nicht ungleich, wesentlich Ungleiches nicht gleich behandelt werden.7 In manchen Sachbereichen wird der Gleichheitssatz vor allem als Willkürverbot angewandt, bei stärkerer persönlicher Betroffenheit muss nach der sogenannten „Neuen Formel“ auch das Verhältnismäßigkeitsprinzip gewahrt sein, damit eine Abweichung vom Gleichheitssatz gerechtfertigt sein kann. Diese allgemeinen Vorgaben gelten für die gesamte deutsche öffentliche Gewalt in allen Sachbereichen. Für weite Bereiche des Steuerrechts wird der Gleichheitssatz durch das Leistungsfähigkeitsprinzip konkretisiert, ohne dass die skizzierte dogmatische 1 So aber Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. I2, S. 111, 312 ff.; anders Musil, Verfassungsrecht und Steuerrecht, in Baer, Lepsius u.a. (Hrsg.), Jahrbuch des öffentlichen Rechts, N.F., Bd. 64 (2016), S. 443 (446); siehe auch Birk, Das Leistungsfähigkeitsprinzip als Maßstab der Steuernormen: ein Beitrag zu den Grundfragen des Verhältnisses Steuerrecht und Verfassungsrecht, passim. 2 Siehe etwa Wernsmann, DVBl. 2015, 1085 (1089); Thiemann, FR 2012, 673 (677 ff.). 3 Siehe ausführlich und m.w.N. BVerfG, Urt. v. 17.12.2014 – 1 BvL 21/12, BGBl. I 2015, 4; BStBl. II 2015, 50, Rz. 121 ff. 4 BVerwG v. 22.2.1972 – I C 24.69, BVerwGE 39, 329, 336; Badura, ZHR 146 (1982), 448 (459), Huber, Konkurrenzschutz im Verwaltungsrecht, S. 317; Manssen in vM/K/S, GG7, Art. 12, Rz. 83. 5 Manssen in vM/K/S, GG7, Art. 12, Rz. 84. 6 Ebenso Droege, Zur Besteuerung der öffentlichen Hand, S. 81 ff.; Hidien in Hidien/Jürgens (Hrsg.), Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 2 Rz. 338. 7 Siehe statt vieler Wollenschläger in vM/K/S, GG7, Art. 3, Rz. 59 ff.; Kingreen/Poscher, Staatsrecht II36, Rz. 514 ff.

Musil | 59

2.44

Kap. 2 Rz. 2.44 | Grundlagen der Besteuerung der öffentlichen Hand

Struktur verändert würde.1 Gleich Leistungsfähige sind grundsätzlich steuerlich gleich zu behandeln, während die Besteuerung unterschiedlich Leistungsfähiger dem Gerechtigkeitsgebot genügen muss. Das Bundesverfassungsgericht gesteht dem Gesetzgeber hinsichtlich der grundsätzlichen Frage, ob eine Steuerquelle ausgenutzt wird, einen weiten Gestaltungsspielraum zu.2 Hier kommt vor allem das Willkürverbot zur Anwendung. Bei der Ausgestaltung des Steuertatbestandes hat der Gesetzgeber sodann nach herrschender Meinung allerdings das Folgerichtigkeitsgebot zu beachten. Was damit genau gemeint ist, ist im Einzelnen umstritten. Folgerichtigkeit bedeutet nach hier vertretener Auffassung nicht Systemgerechtigkeit – denn eine solche kann im Steuerrecht verfassungsrechtlich nicht verlangt werden –, sondern lediglich eine Bindung des Gesetzgebers an selbst getroffene Strukturentscheidungen.3 Hier kann dann auch nach der Verhältnismäßigkeit gefragt werden.

2.45

Wendet man diese Maßstäbe auf die Besteuerung der öffentlichen Hand an, so muss davon ausgegangen werden, dass auf dem Markt tätige Akteure der öffentlichen Hand aus steuerlicher Sicht grundsätzlich in derselben Lage sind wie private Mitbewerber. Wer auf dem Markt Waren und Dienstleistungen anbietet, unterfällt grundsätzlich denselben Steuertatbeständen unabhängig davon, ob hinter der Tätigkeit oder Leistung ein öffentlicher oder privater Träger steht. Deshalb kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass das Steuerrecht strukturell nicht auf eine Sonderbehandlung der öffentlichen Hand ausgerichtet ist. Dies entspricht insoweit dem Gleichheitssatz, als dieser die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit im Blick hat und nicht nach dahinterstehenden Trägern oder den Motiven für die Betätigung fragt. b) Rechtfertigung von Abweichungen

2.46

Nun ist aber anerkannt, dass Ungleichbehandlungen durchaus rechtfertigbar sind. Hier liegt der Kern der vorliegend interessierenden Fragestellung. Es mag durchaus Gründe geben, Akteure der öffentlichen Hand mit Blick auf das Steuerrecht anders zu behandeln als Private.4 Es reicht allerdings nicht aus festzustellen, dass die öffentliche Hand dem Gemeinwohl verpflichtet sei und deshalb auch im wirtschaftlichen Bereich eine Sonderbehandlung verdiene. Der Gemeinwohlbezug ist im wirtschaftlichen Tätigkeitsbereich häufig nur ein sehr mittelbarer. Allerdings ist der Gemeinwohlbezug nicht irrelevant. Dies kann etwa im Bereich der Daseinsvorsorge gelten. Es besteht ein hohes Interesse daran, dass bestimmte notwenige Leistungen durch die öffentliche Hand in gesicherter Form zur Verfügung gestellt werden. Das kann auch steuerlich als Argument dienen.5

2.47

Weiterhin gibt es verfassungsrechtliche Verbürgungen, die für die steuerverfassungsrechtliche Beurteilung fruchtbar gemacht werden können. So gewährleistet Art. 28 Abs. 2 GG den Kommunen auch das Recht, sich wirtschaftlich betätigen zu dürfen, um ihre Aufgaben besser erfüllen, insbesondere finanzieren zu können.6 Die Garantie kommunaler Selbstverwaltung taugt hierbei zwar nicht als Grundrechtsschranke, die man Privaten entgegenhalten 1 Siehe ausführlich und m.w.N. BVerfG, Urt. v. 17.12.2014 – 1 BvL 21/12, BGBl. I 2015, 4; BStBl. II 2015, 50, Rz. 121 ff.; siehe grundlegend auch Birk, Das Leistungsfähigkeitsprinzip als Maßstab der Steuernormen: ein Beitrag zu den Grundfragen des Verhältnisses Steuerrecht und Verfassungsrecht, passim. 2 BVerfG, Urt. v. 17.12.2014 – 1 BvL 21/12, BGBl. I 2015, 4; BStBl. II 2015, 50, Rz. 123. 3 Vgl. Wernsmann, DVBl. 2015, 1085 (1089); Thiemann, FR 2012, 673 (677 ff.). 4 Ausführlich Droege, Zur Besteuerung der öffentlichen Hand, S. 86 ff. 5 Ebenso Droege, Zur Besteuerung der öffentlichen Hand, S. 92. 6 So auch Mehde in M/D, GG (St. 11/2012), Art. 28 Abs. 2, Rz. 92.

60 | Musil

C. Verfassungsrechtlicher Rahmen | Rz. 2.51 Kap. 2

könnte, sie kann aber abwägungswirksam im Rahmen der Steuergesetzgebung fruchtbar gemacht werden. In diesem Sinne ist jedes Steuergesetz, das eine steuerliche Besserstellung der öffentlichen Hand vorsieht, daraufhin zu untersuchen, ob im konkreten Fall Gemeinwohlgründe für die Besserstellung streiten und diese verhältnismäßig ist. Als Beispiel mögen die Vorschriften über den steuerlichen Querverbund bei Unternehmen der öffentlichen Hand im Sinne der §§ 4 Abs. 6, 8 Abs. 7 und 9 KStG dienen.1 Diese Vorschriften erleichtern öffentlichen Unternehmen die Verlustverrechnung und führen zu einer Besserstellung gegenüber privaten Mitbewerbern. Sie sollen der Tatsache Rechnung tragen, dass insbesondere Kommunen häufig aus Gemeinwohlgründen dauerhaft verlustträchtige Unternehmen unterhalten müssen. Diese müssen durch gewinnträchtige Sparten quersubventioniert werden. Das soll steuerlich erleichtert werden.

2.48

Grundsätzlich kann man der Auffassung sein, dass die Sonderregelungen der Verwirklichung des Gemeinwohls dienen und damit der Rechtfertigung fähig sind.2 An dieser Stelle darf die Prüfung aber nicht stehen bleiben. Vielmehr ist weiter zu prüfen, ob und inwieweit jede einzelne Vorschrift geeignet, erforderlich und angemessen ist, um den Gemeinwohlbezug zu wahren. Hier sind in mehrerlei Hinsicht Zweifel vorgebracht worden.3 Diese sollen an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden(dazu noch ausführlich Rz. 3.116 ff.). Jedenfalls ist aber festzuhalten, dass die Verfassungskonformität nur dann bejaht werden kann, wenn die Vorschriften entsprechend den von der Rechtsprechung entwickelten Maßgaben restriktiv angewandt werden.

2.49

4. Freiheitsrechtliche Anforderungen an die Besteuerung der öffentlichen Hand a) Relevante Normen Auch im Hinblick auf freiheitsrechtliche Vorgaben ist eine einzelfallbezogene Prüfung angezeigt. Im vorliegenden Zusammenhang kommen als einschlägige Gewährleistungen vor allem Art. 12 Abs. 1 und 14 Abs. 1 GG in Betracht. Ergänzend kann die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG herangezogen werden.

2.50

b) Berufsfreiheit, Art. 12 Abs. 1 GG Nach Art. 12 Abs. 1 GG haben alle Deutschen das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsfreiheit erfasst sowohl die Berufswahl als auch die Berufsausübung.4 Das Steuerrecht kann mit seinen Regelungen grundsätzlich das Recht der Berufsausübung beschränken. Allerdings sind mittelbare Eingriffe in die Berufsausübungsfreiheit nur grundrechtlich relevant, soweit sie berufsregelnde Tendenz besitzen.5 Regelungen, 1 Dazu ausführlich Westendorf, Der Betrieb gewerblicher Art, S. 185 ff.; siehe auch Meier/Semelka in H/H/R, EStG/KStG, § 8 KStG (St. 3/2017), Anm. 542. 2 Meier/Semelka in H/H/R, EStG/KStG, § 8 KStG (St. 3/2017), Anm. 542; Rengers in Blümich, EStG/KStG, § 8 KStG (St. 1/2018), Rz. 1106. 3 Zusammenfassend Meier/Semelka in H/H/R, EStG/KStG, § 8 KStG (St. 3/2017), Anm. 542; kritisch etwa Heger, FR 2009, 301 (304); Hüttemann, FR 2009, 308 (311); Müller-Gatermann, FR 2009, 314 (320). 4 Siehe statt vieler Manssen in vM/K/S, GG7, Art. 12, Rz. 37 ff.; Kingreen/Poscher, Staatsrecht II36, Rz. 932 ff. 5 Manssen in vM/K/S, GG7, Art. 12, Rz. 74.

Musil | 61

2.51

Kap. 2 Rz. 2.51 | Grundlagen der Besteuerung der öffentlichen Hand

die sich lediglich reflexhaft auf den Beruf auswirken, sind nicht am Maßstab der Berufsfreiheit zu messen.

2.52

Vor diesem Hintergrund kann zwar grundsätzlich jede Steuervorschrift die berufliche Tätigkeit von Wirtschaftsteilnehmern beeinflussen. Häufig geschieht diese Beeinflussung allerdings nur reflexhaft, da keine direkte Beeinträchtigung intendiert und keine berufsregelnde Tendenz nachweisbar ist.1 Anders kann es liegen, wenn das Steuerrecht bewusst in den Markt eingreift, um im Sinne einer Lenkungswirkung bestimmte Marktteilnehmer zu entlasten oder zu belasten. In einem solchen Fall liegt ein zu rechtfertigender Eingriff in die Berufsfreiheit vor. Dieser ist nach den Anforderungen der Berufsfreiheit zu rechtfertigen.

2.53

Zieht man wiederum das Beispiel des kommunalen Querverbundes heran, so kommt den entsprechenden Regelungen durchaus Eingriffsqualität zu, da sie bezwecken, bestimmte Akteure am Markt besserzustellen. Hier ist dann wieder nach dem Durchgreifen von Rechtfertigungsgründen und der Verhältnismäßigkeit zu fragen. Im Ergebnis werden die Ergebnisse mit den bei Art. 3 Abs. 1 GG deckungsgleich sein (siehe noch ausführlich Rz. 3.116 ff.). c) Eigentumsfreiheit, Art. 14 Abs. 1 GG

2.54

Auch bei der Eigentumsfreiheit ist eine entsprechende Einzelfallprüfung vorzunehmen. Nach Art. 14 Abs. 1 GG wird das Eigentum gewährleistet. Geschützt ist ganz allgemein das Erworbene, so dass bestimmte Vermögensteile vor dem Steuerzugriff sicher sein sollen.2 Wiederum ist im Einzelnen zu fragen, ob eine Steuernorm auf das Erworbene zugreift und ob dies gerechtfertigt werden kann. In der Praxis kommt der Eigentumsfreiheit als Schranke der Besteuerung der öffentlichen Hand indes eine nur untergeordnete Bedeutung zu. Deshalb soll die Vorschrift im Folgenden nicht weiter vertieft werden.

5. Ergebnis 2.55

Im Ergebnis lassen sich den Grundrechten im Einzelfall wirkmächtige Maßstäbe für die Besteuerung der öffentlichen Hand entnehmen. Diese sind jedoch nicht genereller und allgemeiner Natur im Sinne eines allgemeinen Besteuerungsgebots für wirtschaftliche Tätigkeiten der öffentlichen Hand. Vielmehr sind steuerrechtliche Normen im Einzelfall daraufhin zu überprüfen, ob sie allgemeinen grundrechtlichen Vorgaben genügen. Hier ist zu differenzieren, wie im Hinblick auf die Normen des kommunalen Querverbunds angedeutet wurde.

IV. Die steuerliche Bedeutung spezieller Autonomiegewährleistungen 2.56

Weiterhin erscheint es denkbar, dass sich den besonderen verfassungsrechtlichen Autonomiegeboten, die das Grundgesetz für einige Institutionen bereithält, auch Vorgaben für deren Besteuerung entnehmen lassen. Im Einzelnen soll kurz auf die Kommunen, die Hochschulen, die Rundfunkanstalten und die Religionsgemeinschaften eingegangen werden.

2.57

Die Kommunen in Deutschland erfahren durch Art. 28 Abs. 2 GG einen weitreichenden Schutz in Gestalt der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie.3 Dieser Schutz erstreckt sich 1 Zu Abgrenzungsproblemen siehe Manssen in vM/K/S, GG7, Art. 12, Rz. 76. 2 Siehe statt vieler Depenheuer/Froese in vM/K/S, GG7, Art. 14, Rz. 1 ff.; Kingreen/Poscher, Staatsrecht II36, Rz. 1029 ff. 3 Ausführlich Mehde in M/D, GG (St. 11/2012), Art. 28 Abs. 2, Rz. 1 ff.; siehe auch Burgi, Kommunalrecht6, § 6 Rz. 1 ff.; Schmidt, Kommunalrecht2, Rz. 60 ff.

62 | Musil

C. Verfassungsrechtlicher Rahmen | Rz. 2.59 Kap. 2

grundsätzlich auch auf die Sicherung der finanziellen Eigenverantwortung. Allerdings geht es hierbei vor allem um die Absicherung der Einnahmenseite, um eine selbstverwaltete Aufgabenerfüllung sicherzustellen. Art. 28 Abs. 2 Satz 3 GG enthält hierzu klare Vorgaben.1 Vergleichbare Regelungen für die Besteuerung der Kommunen lassen sich Art. 28 Abs. 2 GG nicht entnehmen. Allenfalls kann man annehmen, dass eine übermäßige Besteuerung der Kommunen, die ihre Aufgabenerfüllung zu beeinträchtigen geeignet wäre, einen Verstoß gegen die Selbstverwaltungsgarantie darstellte.2 Abgesehen von solchen Extremkonstellationen kann man auf die allgemeinen Regelungen, etwa der Finanzverfassung, zurückgreifen. Da die Kommunen in die Regelungen der bundesstaatlichen Finanzverfassung einbezogen sind, gilt auch für sie, dass eine Besteuerung ihres hoheitlichen Bereichs durch andere Steuergläubiger verboten ist (siehe dazu noch Rz. 2.63 ff.). Umgekehrt lassen sich keine absoluten Besteuerungsgebote für ihre wirtschaftlichen Tätigkeiten postulieren. Mit Blick auf die Hochschulen enthält Art. 5 Abs. 3 GG die besondere verfassungsrechtliche Verbürgung der Wissenschaftsfreiheit.3 Dieses Grundrecht, das zunächst die Freiheit der Wissenschaftler schützt, erstreckt sich in Form der sogenannten Hochschulautonomie auch auf die Organisationseinheiten, die die möglichst freie wissenschaftliche Tätigkeit der einzelnen Forscher und Hochschullehrer absichern.4 Lange Zeit war unbestritten, dass die Aufgabenerfüllung der Hochschulen in ihrem Kernbereich, Forschung und Lehre, als hoheitlich einzustufen sei und damit keiner Besteuerung unterliege. Aufgrund des Wandels der Verhältnisse ist diese Gewissheit brüchig geworden. Hochschulen bewegen sich mit ihren Tätigkeiten immer mehr auch in wirtschaftlichen Kontexten und treten verstärkt in einen Wettbewerb zu privaten Mitbewerbern.5 Dies gilt etwa bei der Forschung in Kooperation mit Unternehmen6, aber auch für die Lehre7, wenn – wie etwa auf dem Weiterbildungsmarkt – von den Studierenden direkte Entgelte verlangt werden. In solchen Bereichen ist eine Besteuerung der Hochschulen angezeigt. Es verbleibt aber weiterhin ein Kernbereich von Forschung und Lehre, der als hoheitlich zu qualifizieren ist. Die Grenzziehung ist indes schwierig und im Einzelfall vorzunehmen. Jedenfalls erwächst aus der Hochschulautonomie kein über die allgemeinen Regeln hinausgehender Schutz vor Besteuerung.8

2.58

Ein ähnliches Bild bietet sich bei den Rundfunkanstalten. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten erfahren durch die Rundfunkfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts einen besonderen Schutz.9 Im Rahmen ihres Grundversorgungsauftrags kommt den Rundfunkanstalten eine besondere Bestands- und Entwicklungsgarantie zu.10 Bis heute wird für den hoheitlichen und beitragsfinanzierten Handlungsbereich ein weitreichendes Besteuerungsverbot angenommen.11 Das Bundesverfassungsgericht hatte 1971 ein entsprechendes Verbot für die Umsatzsteuer formuliert.12 Vor dem

2.59

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

Mehde in M/D, GG (St. 11/2012), Art. 28 Abs. 2, Rz. 145 ff. Hidien in Hidien/Jürgens (Hrsg.), Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 2 Rz. 303. Kingreen/Poscher, Staatsrecht II36, Rz. 729 ff. Zu organisationsrechtlichen Implikationen der Wissenschaftsfreiheit siehe statt vieler Starck/Paulus in vM/K/S, GG7, Art. 5, Rz. 498 ff. Grundlegend Gräf, Die wirtschaftliche Betätigung von Universitäten, 2013, passim. Dazu Lang/Seer, StuW 1993, 47 ff.; Stalleiken, FR 2010, 781 ff., 929 ff. Dazu Musil, UR 2015, 533 (536). Hidien in Hidien/Jürgens (Hrsg.), Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 2 Rz. 310. Siehe statt vieler Starck/Paulus in vM/K/S, GG7, Art. 5, Rz. 170 ff. Starck/Paulus in vM/K/S, GG7, Art. 5, Rz. 200 ff. Vgl. Hidien in Hidien/Jürgens (Hrsg.), Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 2 Rz. 313. BVerfG v. 27.7.1971 – 2 BvF 1/68, BVerfGE 31, 314.

Musil | 63

Kap. 2 Rz. 2.59 | Grundlagen der Besteuerung der öffentlichen Hand

Hintergrund der Verschiebungen zwischen hoheitlichem und wirtschaftlichem Bereich, die auch auf dem Medienmarkt zu beobachten sind, ist ein derart weitreichendes Besteuerungsverbot nur noch schwer vertretbar. Vielmehr wird man auch hier auf die allgemeinen verfassungsrechtlichen Aussagen über Besteuerungsverbote und -gebote zurückgreifen können.

2.60

Den Kirchen steht, soweit sie durch die Vorschriften des Grundgesetzes in Verbindung mit der Weimarer Reichsverfassung erfasst werden, ein besonderes kirchliches Selbstbestimmungsrecht zu.1 Dieses erstreckt sich auch auf ihre finanzielle Eigenständigkeit. Der „hoheitliche“ Bereich der Kirchen wird vom Grundgesetz in besonderer Weise gewährleistet. Allerdings erwächst hieraus kein absoluter Schutz vor verhältnismäßiger Besteuerung.2 Auch hier gilt, dass insbesondere wirtschaftliche Betätigungen der Kirchen der Besteuerung unterliegen dürfen. Wiederum uneinheitlich beurteilt wird, wie der hoheitliche vom wirtschaftlichen Bereich abzugrenzen ist (dazu noch ausführlich Kapitel 12). Vor allem kirchennahe Vertreter in der Literatur sehen hier ein größeres Schutzbedürfnis, als es anderen Körperschaften des öffentlichen Rechts zugebilligt wird. Dem wird man in dieser Allgemeinheit nicht zustimmen können.

2.61

Im Ergebnis können den speziellen Autonomiegewährleistungen für bestimmte Bereich der öffentlichen Hand keine besonderen Aussagen über deren Besteuerung entnommen werden. Lediglich in Extremfällen, wenn ihre Aufgabenerfüllung durch eine Besteuerung existenziell gefährdet würde, können die Gewährleistungen als solche greifen. Sie wären aber auch dann vermutlich nicht weiterreichend als die allgemeinen verfassungsrechtlichen Regeln zur Besteuerung der öffentlichen Hand.

V. Finanzverfassung 1. Besteuerungsgebot für wirtschaftliche Tätigkeiten 2.62

Wie bereits ausgeführt wurde, möchte ein Teil des Schrifttums aus der Funktion des bundesstaatlichen Finanzausgleichs konkrete Aussagen über die Besteuerung der öffentlichen Hand ableiten. Damit der bundesstaatliche Finanzausgleich nicht gestört oder unterlaufen werden könne, sei eine Besteuerung wirtschaftlicher Tätigkeiten der öffentlichen Hand nicht nur wünschenswert, sondern verfassungsrechtlich geboten.3 Diese Schlussfolgerung erscheint als zu weitgehend. Man mag annehmen, ein entsprechendes Besteuerungsgebot sei im Dienste des Wettbewerberschutzes verfassungsrechtlich verankert. Die Normen der Finanzverfassung tragen ein solches Gebot indes nicht, auch nicht in zweiter Linie. Richtig ist, dass durch die Besteuerung oder Nichtbesteuerung wirtschaftliche Tätigkeiten der öffentlichen Hand die Finanzausstattung der verschiedenen staatlichen Einheiten beeinflusst wird. Dieser Einfluss kollidiert aber nicht in verfassungswidriger Weise mit Normen der Finanzverfassung, insbesondere mit den Normen des Finanzausgleichs. Vielmehr liegen die entsprechenden Finanzströme auf verschiedenen Ebenen. Die Normen der Finanzverfassung haben nicht die Funktion, etwaige Fehlanreize zur (Nicht-)besteuerung der öffentlichen Hand zu unterbinden. Auch ginge es zu weit anzunehmen, die Finanzverfassung dränge auf eine Besteuerung der wirtschaftlichen Betätigung, um den Ausfall von Steuereinnahmen als Folge des entstehenden Verdrängungswettbewerbs zuungunsten Privater zu vermeiden. Im Ergebnis gibt es kein finanzverfassungsrechtliches Besteuerungsgebot für wirtschaftliche Tätigkeiten der öffentlichen Hand.4 1 2 3 4

Siehe hierzu Unruh in vM/K/S, GG7, Art. 137 WRV, Rz. 22 ff. Hidien in Hidien/Jürgens (Hrsg.), Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 2 Rz. 321 ff. Hüttemann, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, S. 13, 17. Ebenso Droege, Zur Besteuerung der öffentlichen Hand, S. 106 ff.; Hidien in Hidien/Jürgens (Hrsg.), Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 2 Rz. 287.

64 | Musil

C. Verfassungsrechtlicher Rahmen | Rz. 2.66 Kap. 2

2. Besteuerungsverbot für hoheitliche Tätigkeiten Nach Art. 104a Abs. 1 GG tragen der Bund und die Länder grundsätzlich gesondert die Ausgaben, die sich aus der Wahrnehmung ihrer Aufgaben ergeben.1 Diesem sogenannten Konnexitätsprinzip zwischen Aufgaben und Ausgaben wird teilweise Bedeutung für die Besteuerung der öffentlichen Hand beigemessen. Das Konnexitätsprinzip untersage eine Mitfinanzierung von Aufgaben durch einen anderen Hoheitsträger und statuiere insoweit ein klares Trennungsprinzip. Daraus wird weitergehend gefolgert, dass eine gegenseitige Besteuerung insbesondere der hoheitlichen Funktionen eines anderen Hoheitsträgers unzulässig sei. Dadurch komme es zu einer Durchbrechung der geforderten Konnexität.2

2.63

Teilweise wird ein entsprechendes Besteuerungsverbot für hoheitliche Tätigkeiten auch aus den Normen über den Finanzausgleich (Art. 106 ff. GG) abgeleitet. Durch eine gegenseitige Besteuerung hoheitlicher Funktionen komme es gewissermaßen zu einem grauen Ausgleichssystem, das sich neben den fein austarierten grundgesetzlichen Finanzausgleich dränge. Diese Störung sei verfassungsrechtlich zwingend zu unterbinden.3

2.64

Der Ableitung eines Besteuerungsverbots für hoheitliche Funktionen aus den genannten Normen der Finanzverfassung kann im Ergebnis zugestimmt werden. Es sei aber zugestanden, dass eine solche Ableitung eines gewissen Begründungsaufwandes bedarf, weil die Finanzverfassung zu Fragen der Gegenseitigkeitsbesteuerung von Hoheitsträgern keine direkten Aussagen enthält.4 Sieht man Art. 104a GG jenseits der unmittelbaren Ausprägungen des Konnexitätsprinzips auch als Ausdruck eines generellen Fremdfinanzierungsverbots, so kann das Verbot einer Gegenseitigkeitsbesteuerung hier verortet werden. Es ist im Ergebnis nicht einzusehen, warum ein Hoheitsträger einen anderen hinsichtlich dessen hoheitlicher Aufgaben besteuern dürfen soll. Dadurch käme die von Art. 104a GG geforderte Konnexität in eine Schieflage. Insbesondere gilt dies für Pflichtaufgaben, derer sich der jeweilige Hoheitsträger nicht entziehen kann. Verstärkt wird diese Argumentation durch Aspekte des Finanzausgleichssystems. Im Unterschied zu wirtschaftlichen Tätigkeiten sind die hoheitlichen Tätigkeiten unmittelbar im Fokus des Finanzausgleichssystems, so dass die Besteuerung der öffentlichen Hand insoweit durch die Finanzverfassung determiniert wird. Den grundgesetzlichen Normen über den Finanzausgleich lässt sich dementsprechend ein Verbot der gegenseitigen Besteuerung von hoheitlichen Tätigkeiten entnehmen.

2.65

Von entscheidender Bedeutung ist danach, was unter hoheitlichen Tätigkeiten zu verstehen ist. Die vorzunehmende Abgrenzung zu wirtschaftlicher Betätigung gehört zu den schwierigsten Grundsatzfragen der Besteuerung der öffentlichen Hand.5 Insoweit wird auf die ausführlichen Ausführungen an anderer Stelle verwiesen (siehe noch Rz. 3.98 ff.).

2.66

1 Siehe statt vieler Heintzen in vM/K, GG7, Art. 104a, Rz. 11 ff. 2 So etwa Jachmann in vM/K/S, GG7, Art. 105, Rz. 35; siehe auch Hidien in Hidien/Jürgens (Hrsg.), Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 2 Rz. 273 ff.; Droege, Zur Besteuerung der öffentlichen Hand, S. 104. 3 Hidien in Hidien/Jürgens (Hrsg.), Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 2 Rz. 281 ff. 4 So Droege, Zur Besteuerung der öffentlichen Hand, S. 104. 5 Dazu Bürstinghaus in H/H/R, EStG/KStG, § 4 KStG (St. 6/2020), Anm. 78; Musil in Mössner/Seeger/Oellerich, KStG4, § 4 Rz. 331.

Musil | 65

Kap. 2 Rz. 2.67 | Grundlagen der Besteuerung der öffentlichen Hand

3. Bedeutung des Wirtschaftlichkeitsgebots 2.67

Dem Grundgesetz lässt sich ein allgemeines Wirtschaftlichkeitsgebot für die Tätigkeit der öffentlichen Hand entnehmen.1 In Art. 114 Abs. 2 GG findet es Erwähnung im Zusammenhang mit der Finanzkontrolle der öffentlichen Verwaltung.2 Darüber hinaus ist aber anerkannt, dass das Wirtschaftlichkeitsgebot als allgemeines Prinzip alle Staatsgewalt bindet. Die Bindungswirkung ist allerdings inhaltlich begrenzt. Wirtschaftlichkeit bedeutet nichts anderes als Effizienz in dem Sinne, dass ein verfolgter Zweck mit einem möglichst geringen Ressourcenaufwand erreicht werden soll.3 Da allerdings die Zwecksetzung variabel ist, können dem Wirtschaftlichkeitsgebot keine festen Rechtsregeln entnommen werden. Dies gilt auch im Zusammenhang mit der Besteuerung der öffentlichen Hand. So mag man meinen, eine Selbstbesteuerung oder Gegenseitigkeitsbesteuerung der öffentlichen Hand sei per se ineffizient, da kein finanzieller Gewinn zu erzielen sei. Eine solche Betrachtung übersieht jedoch, dass insbesondere die Besteuerung wirtschaftlicher Tätigkeit vom Zweck des Wettbewerbsschutzes geprägt ist, was bei der Effizienzbetrachtung zu berücksichtigen ist. Anders liegt es bei der Besteuerung hoheitlicher Funktionen. Hier lässt sich kaum ein Zweck finden, der diese als sinnvoll erscheinen ließe. Teilweise wird deshalb nicht nur die Gegenseitigkeitsbesteuerung als Verfassungsverstoß angesehen, sondern auch eine Selbstbesteuerung innerhalb eines Hoheitsträgers, da diese unter keinem Aspekt wirtschaftlich sein könne.4 Im Ergebnis ist das Wirtschaftlichkeitsgebot als Maßstab für die Besteuerung der öffentlichen Hand weitgehend unergiebig. Allenfalls mag man es als Grundlage für ein Verbot der Selbstbesteuerung hoheitlicher Funktionen heranziehen.

D. Europarechtliche Vorgaben für die Besteuerung der öffentlichen Hand I. Das Wettbewerbsparadigma als Ausgangspunkt 2.68

Das Europarecht hat als Maßstab der Besteuerung in den vergangenen Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen.5 Dies gilt auch und in besonderem Maße für die Besteuerung der öffentlichen Hand. Dass Fragen der Besteuerung der öffentlichen Hand stärker als früher im Fokus von Wissenschaft und Praxis stehen, ist vor allem dem steigenden Einfluss des Unionsrechts geschuldet. Genannt seien nur die intensiven Diskussionen um die Einführung von § 2b UStG. Ausgangspunkt der Überlegungen ist dabei immer das starke Wettbewerbsparadigma des Europäischen Unionsrechts. Während sich das Grundgesetz wirtschaftspolitisch weitgehend gemäßigt zeigt, ist die europäische Wirtschaftsverfassung auf die Ermöglichung und Sicherung von grenzüberschreitendem Wettbewerb ausgerichtet.6 Der Europäische Gerichtshof setzt das Wettbewerbsparadigma seit vielen Jahren auch in seiner Rechtsprechung zum Steuerrecht um. Im Bereich des Umsatzsteuerrechts bilden die Vorgaben der Mehrwertsteuersytemrichtlinie7 den Ausgangspunkt für die Forderung nach Wettbewerbsneutralität der 1 2 3 4 5

Vgl. Musil, Wettbewerb in der staatlichen Verwaltung, S. 72 ff. Dazu Heintzen in vM/K, GG7, Art. 114, Rz. 25 ff. Heintzen in vM/K, GG7, Art. 114, Rz. 25. Hidien in Hidien/Jürgens (Hrsg.), Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 2 Rz. 290 ff. Ausführlich Musil/Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, passim; Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, passim. 6 Dazu Herdegen, Europarecht22, § 13; Streinz, Europarecht11, Rz. 1062 ff. 7 Richtlinie 2006/112/EG des Rates v. 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem, ABl. L 347 v. 11.12.2006, S. 1-118, zul. geänd. d. RL (EU) 2019/475, ABl. L 83 v. 25.3.2019, S. 42.

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D. Europarechtliche Vorgaben für die Besteuerung der öffentlichen Hand | Rz. 2.71 Kap. 2

Besteuerung. In Gestalt des Grundsatzes steuerlicher Neutralität bildet die Wettbewerbsneutralität eine wesentliche Leitplanke für die Besteuerung der öffentlichen Hand. Der Bundesfinanzhof übernimmt die vom EuGH statuierten Vorgaben in der Regel, so dass das Unionsrecht im Bereich der Umsatzsteuer mittlerweile nahezu unmittelbar auf die Ausgestaltung und Auslegung des nationalen Rechts durchschlägt. Aber auch im Bereich der Ertragsteuern hat die Rechtsprechung des EuGH dazu geführt, dass die Besteuerung der öffentlichen Hand stärker als früher unter dem Einfluss des europäischen Wettbewerbsparadigmas steht. Das hat zum einen mit einem Überspringen umsatzsteuerlicher Grundsätze auch in den Bereich der Ertragsteuern zu tun. Zum anderen wird der primärrechtliche Maßstab, an dem sich das mitgliedstaatliche Recht der direkten Steuern messen lassen muss, durch die Rechtsprechung immer konkreter ausgeformt. Dies gilt zum einen für die Grundfreiheiten, im Zusammenhang mit der Besteuerung der öffentlichen Hand mehr noch allerdings für das Beihilfenrecht. Man mag diese Entwicklung mit guten Gründen kritisieren.1 In der Tat war der starke Einfluss des Europarechts auf das nationale Steuerrecht der Mitgliedstaaten vor allem im Bereich der Ertragsteuern von den Vertragsparteien in dieser Form nicht intendiert. Mittlerweile lässt sich die Wirkungsmacht des Europäischen Steuerrechts aber nicht mehr ignorieren oder zurückdrehen, so dass die entsprechenden Vorgaben in Folgenden als gegeben hingenommen werden. In den folgenden Kapiteln wird also immer wieder auf das Unionsrecht zurückzukommen sein. Vorliegend sollen zunächst in allgemeiner Form diejenigen Normen des Unionsrechts identifiziert werden, die als Maßstab für die Besteuerung der öffentlichen Hand in Betracht kommen. Hier kann grundsätzlich zwischen dem Primärrecht und dem Sekundärrecht unterschieden werden.

2.69

II. Vorgaben des Primärrechts 1. Grundlegendes Europarechtliche Vorgaben für die Besteuerung der öffentlichen Hand können zunächst aus dem Primärrecht, also insbesondere dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), erwachsen. Die das Steuerrecht betreffenden Vorgaben differieren sehr stark danach, ob es sich um direkte oder indirekte Steuern handelt. Im Bereich der indirekten Steuern besitzt die Union gemäß Art. 113 AEUV eine weitreichende Harmonisierungskompetenz, von der sie auch durch den Erlass umfangreicher Richtlinienvorschriften Gebrauch gemacht hat.2 Das bedeutendste Beispiel bildet die bereits erwähnte Mehrwertsteuersystemrichtlinie. Im Bereich der indirekten Steuern spielt wegen der lückenlosen Harmonisierung durch Sekundärrecht, das Primärrecht nur noch eine ergänzende Rolle.

2.70

Ganz anders ist die Situation im Bereich der direkten Steuern. Hier gibt es nur schwach ausgeprägte Harmonisierungskompetenzen und dementsprechend auch wenig Sekundärrecht.3 Die Vorgaben für die Besteuerung erwachsen hier direkt aus den Normen des Primärrechts. Von besonderem Interesse sind hier die Vorschriften, die die Implementierung und Sicherung des Binnenmarktes zum Gegenstand haben. An erster Stelle sind die Grundfreiheiten zu nennen. Diese prägen seit Jahrzehnten generell das mitgliedstaatliche Ertragsteuerrecht und damit auch die Besteuerung der öffentlichen Hand. Als zweite wesentliche Normgruppe ist das Beihilfenrecht zu nennen.

2.71

1 Droege, Zur Besteuerung der öffentlichen Hand, S. 111 ff. 2 Weber-Grellet in Musil/Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, Art. 113 AEUV, Rz. 1 ff. 3 Siehe den Überblick bei Musil in Musil/Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, Einführung, Rz. 148 f.

Musil | 67

Kap. 2 Rz. 2.72 | Grundlagen der Besteuerung der öffentlichen Hand

2. Grundfreiheiten 2.72

Mit Blick auf die Ertragsbesteuerung der öffentlichen Hand sind vor allem die Niederlassungsfreiheit (Art. 49 ff. AEUV) und die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 ff. AEUV) von Bedeutung. Die freie Niederlassung und der freie Verkehr von Kapital innerhalb der Union und teilweise auch gegenüber Drittstaaten dürfen durch nationale Maßnahmen, also auch durch das Steuerrecht, nicht ohne Rechtfertigung behindert oder weniger attraktiv gemacht werden. Soweit die öffentliche Hand im Anwendungsbereich der Grundfreiheiten agiert und von entsprechenden Normen des nationalen Steuerrechts betroffen ist, gelten für sie die entsprechenden grundfreiheitlichen Vorgaben. Diese allgemeinen Vorgaben sollen im Folgenden aber nicht vertieft werden. Hierzu sei auf grundlegendere Werke verwiesen.1

2.73

Für die spezifisch auf Rechtsträger der öffentlichen Hand zugeschnittene Normen des deutschen Ertragsteuerrechts haben die Grundfreiheiten in der Praxis bisher noch kaum Wirkung entfaltet. Das mag daran liegen, dass diese Normen primär keine grenzüberschreitend tätigen Mitbewerber adressieren, sondern ein Sonderregime für Teile der deutschen öffentlichen Hand schaffen. Dieses wird in der Regel eher am Maßstab des Beihilfenrechts und weniger der Grundfreiheiten gemessen. Allenfalls soweit die öffentliche Hand die Normen des Gemeinnützigkeitsrechts nutzt, können die hier geltenden grundfreiheitlichen Vorgaben auch für sie ihre Wirkung entfalten.2

3. Beihilfenverbot a) Steuern als Beihilfen

2.74

Im Mittelpunkt der primärrechtlichen Determinierung der Besteuerung der öffentlichen Hand stehen dementsprechend die Vorschriften über mitgliedstaatliche Beihilfen (Art. 107 ff. AEUV). Nach Art. 107 Abs. 1 AEUV sind staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Binnenmarkt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen. Mitgliedstaatliche Steuervergünstigungen sind grundsätzlich geeignet, den Beihilfebegriff zu erfüllen.3 Insbesondere werden den Begünstigten im Verhältnis zu anderen Steuerpflichtigen Vorteile im Sinne des Beihilfebegriffs gewährt. Weiterhin geschieht dies auch aus staatlichen Mitteln, weil die Vorteile unmittelbar mit staatlichen Mindereinnahmen einhergehen. Wettbewerbsverfälschungen und Handelsbeeinträchtigungen in tatbestandsrelevantem Umfang sind zumindest bei gesamtstaatlich geltenden Steuernormen ebenfalls zu bejahen.4 b) Das Kriterium der Selektivität

2.75

Jedoch sind nicht alle Steuervorschriften, die Steuervergünstigungen gewähren, als staatliche Beihilfe zu qualifizieren. Für die Bejahung der Tatbestandsmäßigkeit ist von entscheidender Bedeutung, ob bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige begünstigt werden und damit aus dem Kreis aller Steuerpflichtigen herausgehoben werden. Diese sogenannte Selekti1 Musil/Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, Art. 49 AEUV, Rz. 1 ff.; Art. 63 AEUV, Rz. 1 ff.; Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 7.1. ff. 2 Dazu Musil in Musil/Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, Art. 49 AEUV, Rz. 245 f. 3 Blumenberg/Kring, IFSt-Schrift Nr. 473, S. 5; Droege, Gemeinnützigkeit im offenen Steuerstaat, S. 513; siehe auch Mitteilung der Kommission v. 11.11.1998, ABl. 1998 C 384, 3, 4. 4 Zu den einzelnen Merkmalen siehe zusammenfassend Streinz, Europarecht11, Rz. 1115 ff.

68 | Musil

D. Europarechtliche Vorgaben für die Besteuerung der öffentlichen Hand | Rz. 2.78 Kap. 2

vität stellt die entscheidende Voraussetzung der für die Einordnung einer Steuernorm als Beihilfe dar. Der EuGH und die Kommission prüfen in diesem Zusammenhang, ob eine nationale Maßnahme geeignet ist, bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige gegenüber anderen Unternehmen oder Produktionszweigen, die sich im Hinblick auf das mit der betreffenden Regelung verfolgte Ziel in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden, zu begünstigen.1 Ob eine Selektivität vorliegt, wird in drei Stufen geprüft.2 Zunächst wird das relevante Referenzsystem bestimmt, nach dem die entsprechende Frage normalerweise geregelt wird. Im zweiten Schritt wird gefragt, ob die fragliche Regelung eine Ausnahme zu diesem Normalsystem bildet. Schließlich kann ermittelt werden, ob die Ausnahme durch die Natur oder den inneren Aufbau des Systems bedingt und dadurch gerechtfertigt ist. Problematisch ist die Wahl des zutreffenden Referenzsystems. Die Kommission zieht den Rahmen zur Bestimmung des Referenzsystems grundsätzlich inhaltlich eng und betrachtet insbesondere den unmittelbaren Regelungszusammenhang der fraglichen Ausnahmevorschrift. Diese Vorgehensweise wird teilweise als kleinräumig-induktiv bezeichnet.3 Zieht man den Rahmen des Referenzsystems indes weiter, auch als global-deduktiv bezeichnet, gelangt man zu anderen Ergebnissen. Die Globalbetrachtung hat den Vorteil, dass übergeordnete Systemüberlegungen, die einem nationalen Steuerrecht zugrunde liegen, Berücksichtigung finden können. Genau hierin liegt aber auch die Schwäche dieser Herangehensweise. Sie macht nämlich die Selektivitätsprüfung weitgehend direktionsarm. Im Ergebnis muss im Einzelfall entschieden werden, welche Maßstabsbildung vorzugswürdig ist.4 Die entstehenden Wertungsunsicherheiten müssen bis zu einem gewissen Grad hingenommen werden.

2.76

Hat man eine Norm als Ausnahme zu einem Referenzsystem bestimmt, liegt die Einstufung als Beihilfe zunächst nahe. Allerdings muss dann in einem dritten Schritt gefragt werden, ob sie durch die Natur oder den inneren Aufbau des Systems bedingt ist.5 Hier geht es dementsprechend um eine korrigierende Betrachtung auf der Grundlage der steuerlichen Binnenrationalität.

2.77

c) Verfahrensfragen Bei jeder Vorschrift, die als Beihilfe zu qualifizieren ist oder die zumindest einen Beihilfeverdacht begründet, ist nach den Verfahrensfolgen zu fragen. Hier gerät dann Art. 108 AEUV in den Blick. Insbesondere die dort getroffene Unterscheidung zwischen neuen Beihilfen und Altbeihilfen ist von entscheidender Bedeutung für das Besteuerungsregime der Mitgliedstaaten.6 Liegt eine Altbeihilfe im Sinne von Art. 108 Abs. 1 AEUV vor, so kann der Mitgliedstaat die Regelung anwenden, solange die Kommission diese nicht beanstandet. Anders liegt es bei 1 EuGH v. 28.6.2018 – Rs. C-203/16 P, ECLI:EU:C:2018:505, juris; EuGH v. 8.11.2001 – C-143/99 – Adria-Wien Pipeline, Slg. 2001, I-8384, 8396; EuGH v. 17.6.1999 – C-75/97 – Belgien/Kommission, Slg. 1999, I-3687, 3696 f.; Mitteilung der Kommission v. 11.11.1998, ABl. 1998 C 384, 3. 2 EuGH v. 28.6.2018 – Rs. C-203/16 – P, ECLI:EU:C:2018:505, juris; EuGH v. 18.7.2013 – C-6/12 – P Oy, EuZW 2013, 867; vgl. auch die Vorgehensweise der Prüfung im Beschluss der Kommission v. 26.1.2011 – C-7/2010, K(2011) 275, S. 12 ff.; siehe auch Blumenberg/Kring, IFSt-Schrift Nr. 473, S. 13 ff. 3 So insbesondere Ismer/Karch, IStR 2014, 130 (132). 4 Siehe etwa EuGH v. 28.6.2018 – Rs. C-203/16 – P, ECLI:EU:C:2018:505, juris. 5 EuGH, Urt. v. 8.11.2001 – C-143/99 – Adria-Wien Pipeline, Slg. 2001, I-8384, 8396; Urt. v. 2.7.1974 – C-173/73 – Italien/Kommission, Slg. 1974, 710, 719 (st. Rspr.); Mitteilung der Kommission v. 11.11.1998, ABl. 1998 C 384, 3, 4 f. 6 Siehe Streinz, Europarecht11, Rz. 1126 ff.

Musil | 69

2.78

Kap. 2 Rz. 2.78 | Grundlagen der Besteuerung der öffentlichen Hand

neu einzuführenden oder eingeführten Beihilfen. Diese müssen nach Art. 108 Abs. 3 AEUV vor ihrer Einführung der Kommission notifiziert werden und dürfen erst nach erfolgter Prüfung angewandt werden. d) Bedeutung für die Besteuerung der öffentlichen Hand

2.79

Der Beihilfentatbestand kann für die Besteuerung der öffentlichen Hand in mehrfacher Hinsicht Bedeutung erlangen. Zum einen können die körperschaftsteuerlichen Regelungen über den steuerlichen Querverbund an ihm gemessen werden, zum anderen stehen die Gemeinnützigkeitsvorschriften im Fokus der Betrachtung.

2.80

Mit Blick auf die Vorschriften über Dauerverlustbetriebe der öffentlichen Hand und die Zulässigkeit eines steuerlichen Querverbundes (§§ 4 Abs. 6, 8 Abs. 7 und 9 KStG) wurde verschiedentlich vertreten, diese stellten Beihilfen im Sinne der obigen Erwägungen dar.1 Die herrschende Meinung sieht die Vorschriften allerdings noch als zulässig an.2 Teilweise werden sie auch als nicht notifizierungspflichtige Altbeihilfen eingestuft.3 Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch die Reichweite und Bedeutung der in Art. 106 Abs. 2 AEUV enthaltenen Vorschrift über Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (DAWI). Hinsichtlich der Einzelheiten sei auf das Kapitel über die Körperschaftsteuer verwiesen (siehe Kapitel 4).

2.81

Ähnliche Diskussionen werden auch zu den Gemeinnützigkeitsvorschriften geführt. Teilweise werden auch sie als Verstoß gegen europäisches Beihilfenrecht angesehen. Allerdings werden sie von der höchstrichterlichen Rechtsprechung als nicht notifizierungspflichtige Altbeihilfen qualifiziert.4

III. Vorgaben des Sekundärrechts 2.82

Im Bereich der direkten Steuern gibt es nur wenige Sekundärrechtsakte, insbesondere Richtlinien, die für die Besteuerung der öffentlichen Hand Bedeutung erlangen können.5 Spezifisch mit Blick auf diese Spezialmaterie erlassene Sekundärrechtsnormen gibt es im Bereich der Ertragsteuern nicht.

2.83

Anders ist die Situation bei den indirekten Steuern. Hier entfaltet das Sekundärrecht eine erhebliche Direktionskraft für die Besteuerung der öffentlichen Hand. Dies gilt vor allem für die Mehrwertsteuersystemrichtlinie6 und hier insbesondere deren Art. 13. Aus Art. 13 MwStSystRL werden grundlegende Vorgaben für die Umsatzbesteuerung der öffentlichen Hand abgeleitet, die unlängst zur Schaffung des neuen § 2b UStG geführt haben. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die speziellen Kapitel dieses Buches verwiesen (siehe insbesondere Kapitel 3, 5 und 6). 1 FG Köln v. 9.3.2010 – 13 K 3181/05, EFG 2010, 1345; Weitermeyer, FR 2009, 1, 13 f. 2 Vgl. Meier/Semelka in H/H/R, EStG/KStG, § 8 KStG (St. 3/2017), Anm. 542; Rengers in Blümich, EStG/KStG, § 8 KStG (St. 1/2018), Rz. 1106; jew. m.w.N.; differenzierend insoweit Gosch/Roser in Gosch, KStG3, § 8, Rz. 1043a; siehe auch FG Düsseldorf v. 30.6.2017 – 6 K 1900/15 K, juris, nrk., Az. BFH I R 55/17. 3 Vgl. Meier/Semelka in H/H/R, EStG/KStG, § 8 KStG (St. 3/2017), Anm. 542. 4 Vgl. BFH v. 27.11.2013 – I R 17/12, BFH/NV 2014, 984. 5 Siehe Musil in Musil/Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, Einführung Rz. 148 f., sowie die einzelnen Kommentierungen der Richtlinien. 6 Richtlinie 2006/112/EG des Rates v. 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem, ABl. L 347 v. 11.12.2006, S. 1-118, zul. geänd. d. RL (EU) 2019/475, ABl. L 83 v. 25.3.2019, S. 42.

70 | Musil

E. Öffentliche Hand und Gemeinnützigkeit | Rz. 2.86 Kap. 2

E. Öffentliche Hand und Gemeinnützigkeit I. Einleitung In der Praxis besitzt das Gemeinnützigkeitsrecht für die Besteuerung der öffentlichen Hand eine erhebliche Bedeutung. Das mag zunächst verwundern, sind doch der öffentliche Sektor einerseits und der sogenannte dritte Sektor andererseits grundlegend voneinander zu unterscheiden (dazu bereits Rz. 1.13). Dem Gemeinnützigkeitsrecht kommt unter anderem die Funktion zu, die Erfüllung gemeinwohlrelevanter Aufgaben durch Mitglieder der Zivilgesellschaft, also echter Privater, steuerlich zu fördern. In diesem Kontext scheint die öffentliche Hand zunächst nicht angesprochen zu sein. Allerdings können öffentlicher und dritter Sektor nicht so trennscharf abgegrenzt werden, wie es die Begrifflichkeit vermuten lässt. Vielmehr gibt es vielfältige Abhängigkeiten und Verflechtungen. Gleichwohl fragt sich, ob der öffentlichen Hand die Normen des Gemeinnützigkeitsrechts zum Zwecke der Steuerentlastung zur Verfügung stehen sollen, oder ob diese privaten Körperschaften vorbehalten bleiben sollen (dazu II.). Ausgehend von dieser Grundsatzfrage muss weiter gefragt werden, unter welchen Voraussetzungen eine materielle Gemeinnützigkeit von Akteuren der öffentlichen Hand vorliegen kann (dazu III.). Schließlich müssen formale Besteuerungsfragen, etwa die subjektive Anknüpfung, geklärt werden (dazu IV.).

2.84

II. Die Gemeinnützigkeitsfähigkeit der öffentlichen Hand Zunächst ist zu klären, ob der Staat generell fähig ist, gemeinnützige Zwecke zu erfüllen und in diesem Rahmen die Normen des gemeinnützigkeitsrechts in Anspruch zu nehmen. Diese allgemeine Frage nach einer Gemeinnützigkeitsfähigkeit des Staates wurde lange Zeit unterschiedlich beurteilt.1 Teilweise wurde vertreten, die Aufgabenerfüllung durch den Staat sei gegenüber gemeinnütziger Tätigkeit wesensverschieden, so dass der Staat und seine Untergliederungen gemeinnützigkeitsunfähig seien. Die Gegenauffassung betonte schon seit jeher die Gemeinwohlorientierung und Verwandtschaft beider Sektoren. Mittlerweile hat sich der BFH deutlich zur Gemeinnützigkeitsfähigkeit der öffentlichen Hand bekannt. Er hat ausgeführt, dass dem Staat die selbstlose und ausschließliche Erfüllung seiner Aufgaben zum Wohle der Allgemeinheit durch die Verfassung vorgegeben und seinem Wesen nach zu eigen sei.2 Deshalb könnten die Normen des Gemeinnützigkeitsrechts grundsätzlich auch auf juristische Personen des öffentlichen Rechts Anwendung finden. Die Finanzverwaltung hat sich dem angeschlossen.3 Auch in der Literatur ist diese Rechtsprechung weitgehend auf Zustimmung gestoßen.4

2.85

Allerdings bedarf es der Gemeinnützigkeitsfähigkeit nicht für jegliche staatliche Tätigkeit. Mit Blick auf Hoheitsbetriebe juristischer Personen des öffentlichen Rechts ist eine Anerkennung als gemeinnützig nicht notwendig, da insoweit ohnehin keine Steuerbarkeit gegeben ist.5 Es wäre steuersystematisch nicht sinnvoll, die Steuervergünstigung der Gemeinnützigkeit für Körperschaften vorzusehen, soweit sie bereits an sich keiner subjektiven Steuerpflicht unterlie-

2.86

1 Vgl. etwa Isensee in FS Dürig, S. 33 (57 f.) und Seer/Wolsztynski, Steuerrechtliche Gemeinnützigkeit der öffentlichen Hand, S. 86. 2 BFH v. 27.11.2013 – I R 17/12, BStBl. II 2016, 68. 3 Vgl. der veränderte AEAO, Nr. 2 zu § 55 Abs. 1 Nr. 1. 4 Siehe nur Hüttemann, Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht4, Rz. 4.84; Seer in T/K, AO/FGO, § 55 AO (St. 5/2021), Rz. 7; Musil, FR 2014, 825. 5 Musil in H/H/Sp, AO/FGO, § 51 AO (St. 7/2017), Rz. 23.

Musil | 71

Kap. 2 Rz. 2.86 | Grundlagen der Besteuerung der öffentlichen Hand

gen. Deshalb kann Hoheitstätigkeit als solche nicht gemeinnützig sein, unabhängig davon, ob man sie als selbstlos oder als eigenwirtschaftlich ansieht.1

2.87

Gewerbliche Tätigkeit dagegen, die zu einem Betrieb gewerblicher Art im Sinne von § 4 Abs. 1 KStG führt, kann gemeinnützig sein (§ 55 Abs. 3 AO), wenn sie die Voraussetzungen der §§ 51 ff. AO erfüllt. Dies gilt auch für einen Betrieb, der in der Rechtsform einer juristischen Person des öffentlichen Rechts geführt wird (§ 4 Abs. 2 KStG). Die Tätigkeit unterliegt dann dem Gebot der Selbstlosigkeit, insb. dem der Mittelverwendung für seine satzungsgemäßen Ziele. Diese können durch Staatsorganisationsrecht bestimmt werden. Der Staat kann sich aufgrund dessen auch selbst fördern.2

III. Selbstlosigkeit staatlicher Aufgabenerfüllung 2.88

Fraglich ist weiterhin, unter welchen Voraussetzungen die staatliche Aufgabenerfüllung als gemeinnützig anerkannt werden kann. Im Bereich staatlicher Pflichtaufgabenerfüllung wurde lange Zeit angenommen, es fehle an dem für die Gemeinnützigkeit charakteristischen Element der Freiwilligkeit, so dass insoweit eine Selbstlosigkeit zu verneinen sei.3 Vor allem die Finanzverwaltung hatte die Auffassung vertreten, dass es insbesondere bei der Einschaltung privater Rechtsträger in die Aufgabenerfüllung auf die Unterscheidung zwischen Pflichtaufgaben und freiwilligen Aufgaben einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft ankomme. Bei der Erfüllung von Pflichtaufgaben – etwa der Müll- und Abwasserbeseitigung – komme eine Selbstlosigkeit der Aufgabenerfüllung nicht in Betracht, da diese immer eigennützig erfolge.4 Bei der Erfüllung freiwilliger Aufgaben (Betrieb von Krankenhäusern, Kindergärten) könne hingegen eine selbstlose Aufgabenerfüllung und mithin auch die Anerkennung der Tätigkeit als gemeinnützig in Betracht kommen.5 Die finanzgerichtliche Rechtsprechung war dem zum Teil beigetreten. Durch die Einschaltung der Eigengesellschaft verfolge die öffentliche Trägerkörperschaft den Zweck, ihre eigenen hoheitlichen Aufgaben zu erfüllen. Dadurch erspare sie selbst Aufwendungen, so dass die Aufgabenerfüllung der Eigengesellschaft ausschließlich im wirtschaftlichen Interesse ihres Gesellschafters erfolge.6

2.89

In der Literatur war die von der Finanzverwaltung vorgenommene Differenzierung weitgehend auf Kritik gestoßen. Es sei nicht einzusehen, warum eine öffentlich-rechtliche Körperschaft gerade in solchen Fällen die Gemeinnützigkeit verliere, in denen sie gemeinwohlori-

1 Wallenhorst in Wallenhorst/Halaczinsky, Die Besteuerung gemeinnütziger und öffentlich-rechtlicher Körperschaften7, Kap. C Rz. 71a ff.; siehe auch Musil in H/H/Sp, AO/FGO, § 55 AO (St. 3/ 2021), Rz. 67. 2 Ebenso Seer/Wolsztynski, Steuerrechtliche Gemeinnützigkeit der öffentlichen Hand, S. 138; Seer in T/K, AO/FGO, § 55 AO (St. 5/2021), Rz. 7. 3 Hey, StuW 2000, 467 (472); Thiel, DStJG 20 (1997), 103 (113); a.A. Seer/Wolsztynski, Steuerrechtliche Gemeinnützigkeit der öffentlichen Hand, S. 86, vgl. auch Wallenhorst in Wallenhorst/Halaczinsky, Die Besteuerung gemeinnütziger und öffentlich-rechtlicher Körperschaften7, Kap. C Rz. 71a ff. 4 Vgl. etwa BMF v. 22.8.1985, BStBl. I 1985, 583; v. 27.12.1990, BStBl. I 1991, 81; FinMin. NW v. 14.5.1985, FR 1985, 355; FG München v. 21.6.1990 – 14 K 14279/85, UR 1991, 174 (175); a.A. Theobald, BB 1985, 1911; Kirchhartz, ZKF 1985, 266; FG Hamburg v. 5.3.1986 – II 144/83, EFG 1986, 516; FG Düsseldorf v. 9.5.1989 – 16 K 28/82 u.a., EFG 1990, 2. 5 Vgl. FG München v. 21.6.1990 – 14 K 14279/85, UR 1991, 174 (175); FG Bremen v. 12.3.1991 – II 246/87 K, EFG 1992, 26. 6 Vgl. dazu FG München v. 21.6.1990 – 14 K 14279/85, UR 1991, 174.

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E. Öffentliche Hand und Gemeinnützigkeit | Rz. 2.92 Kap. 2

entierte Pflichtaufgaben erfülle. Eine solche Annahme widerspreche der grundlegenden Gemeinwohlorientierung der öffentlichen Hand.1 Der BFH hat sich lange nicht zu der Frage geäußert, ob das Gemeinnützigkeitsrecht für öffentlich-rechtliche Körperschaften bei der Erfüllung von Pflichtaufgaben verschlossen bleibt.2 In wünschenswerter Deutlichkeit hat der BFH vor einigen Jahren der Auffassung der Finanzverwaltung eine Absage erteilt. Wörtlich wird ausgeführt3:

2.90

„Die zur Erfüllung von Pflichtaufgaben einer juristischen Person des öffentlichen Rechts eingesetzte Eigengesellschaft verfolgt keine in diesem Sinne vordergründig eigennützigen Interessen ihres Gesellschafters. Der Senat hat bereits in dem Aufforderungsbeschluss in BFHE 209, 489, BStBl. II 2006, 198 darauf verwiesen, dass dem Staat die selbstlose und ausschließliche Erfüllung seiner Aufgaben zum Wohle der Allgemeinheit durch die Verfassung vorgegeben und seinem Wesen nach zu eigen ist. Auch wenn die Träger öffentlicher Verwaltung von ihrem – jedenfalls im Bereich der Leistungsverwaltung bestehenden – Wahlrecht Gebrauch machen, ihre Aufgaben anstatt in hoheitlicher in privatrechtlicher Form zu erledigen, ändert sich der Charakter der Tätigkeit nicht. Diese bleibt „öffentliche Verwaltung“ und unterliegt den gleichen Bindungen, wie wenn sie unmittelbar in öffentlich-rechtlicher Form ausgeübt werden würde. Die damit verfolgten Ziele sind mithin am Wohl der Allgemeinheit orientiert und deshalb nicht als eigenwirtschaftlich i.S. von § 55 Abs. 1 AO anzusehen.“

Dieser Argumentation ist zu folgen.4 Erfüllt die öffentliche Hand Pflichtaufgaben und bezieht sie Eigengesellschaften in die Aufgabenerfüllung ein, so bleibt der Zweck der Leistung gleichwohl ein uneigennütziger. Zwar werden im Innenverhältnis durch die Tätigkeit des eingeschalteten Akteurs wirtschaftlich messbare Vorteile erzielt, diese sind jedoch lediglich ein unselbständiger Nebenaspekt der insgesamt auf einen uneigennützigen Zweck gerichteten Tätigkeit. Die Gemeinnützigkeit der Aufgabenerfüllung durch die öffentliche Hand und ihre Untergliederungen ist an allgemeinen Kriterien zu messen.

2.91

IV. Formale Fragen Die Form, in welcher die Erfüllung der öffentlichen Aufgaben von einer juristischen Person sichergestellt wird, ist nicht entscheidend für die Gemeinnützigkeitsfähigkeit der entfalteten Aktivität, mithin auch nicht für das Gebot der Selbstlosigkeit. Seit langem werden öffentliche Aufgaben von juristischen Personen des öffentlichen Rechts sowohl in Rechtsformen des öffentlichen als auch des privaten Rechts (Verwaltungsprivatrecht) wahrgenommen. Die Wahl zwischen diesen Rechtsformen ist der jeweiligen juristischen Person des öffentlichen Rechts freigestellt.5 Dies gilt vor allem für die Daseinsvorsorge. Häufig wird keine Auslagerung staatlicher Aufgaben auf echte Private vorgenommen, sondern es werden Eigengesellschaften des privaten Rechts gegründet, deren Aufgabenerfüllung durch die öffentliche Trägerkörperschaft kontrolliert werden kann (siehe hierzu bereits Rz. 1.113).6

1 In diesem Sinne Seer/Wolsztynski, Steuerrechtliche Gemeinnützigkeit der öffentlichen Hand, 86; Regierer/Becker, DStZ 2007, 597 (600 f.); Droege, Gemeinnützigkeit im offenen Steuerstaat, S. 275 ff., 280. 2 BFH v. 15.12.1993 – X R 115/91, BStBl. II 1994, 314; BFH v. 27.4.2005 – I R 90/04, BStBl. II 2006, 198 = BFHE 209, 489; BFH v. 7.3.2007 – I R 90/04, BStBl. II 2007, 628 = BFHE 217, 413. 3 BFH v. 27.11.2013 – I R 17/12, BFH/NV 2014, 984. 4 Ebenso Hüttemann, Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht4, Rz. 4.84; Seer in T/K, AO/FGO, § 55 AO (St. 5/2021), Rz. 7; siehe auch bereits Musil, FR 2014, 825. 5 Hidien, NVwZ 1985, 237 (239). 6 Siehe im Einzelnen Musil, FR 2014, 825.

Musil | 73

2.92

Kap. 2 Rz. 2.93 | Grundlagen der Besteuerung der öffentlichen Hand

2.93

Betriebe gewerblicher Art können als Körperschaften gemeinnützig sein (§ 1 Abs. 1 Nr. 6, § 4 KStG). Fraglich ist insoweit, ob der Betrieb gewerblicher Art als solcher steuerpflichtig und damit als Körperschaft Rechtssubjekt des Gemeinnützigkeitsrechts ist1 oder die Trägerkörperschaft – aber nur hinsichtlich ihres Betriebs gewerblicher Art2. Folgt man der ersteren Auffassung, so sind Betriebe gewerblicher Art als steuerpflichtige Einheiten anzusehen und als solche gesondert steuerlich danach zu beurteilen, ob sie die Voraussetzungen der Gemeinnützigkeit erfüllen, ob sie als steuerpflichtige wirtschaftliche Geschäftsbetriebe zu behandeln sind (§ 64) oder als Zweckbetriebe (§§ 65 ff.).3 Eine derartige Abschichtung ist zulässig, da sie ja im Fall jener beiden Kategorien ohnehin stets zu leisten ist. Diese Lösung entspricht auch dem Wortlaut des § 1 KStG, welcher die Betriebe gewerblicher Art als solche den Kapitalgesellschaften gleichstellt, sie also ersichtlich wie diese als Subjekt der Steuerpflicht behandelt sehen will. Nach Auffassung des BFH4 fehlt es nichtrechtsfähigen Betrieben gewerblicher Art an der Handlungsfähigkeit, hieraus wird auf mangelnde Steuerrechtsfähigkeit geschlossen, sodass in Folge die Trägerkörperschaft als Steuerrechtsubjekt i.S. des § 1 KStG betrachtet wird. Da jedoch nach Auffassung der Rspr. jeder Betrieb gewerblicher Art weiterhin gesondert zu beurteilen ist5, bleibt offen, ob dieser oder die Trägerkörperschaft Anknüpfungspunkt der Gemeinnützigkeit ist6.

1 Früher st. Rspr. bis zur Rspr.-Änderung durch BFH v. 13.3.1974 – I R 7/71, BStBl. II 1974, 391 = BFHE 112, 61, zur früheren Auff. vgl. BFH v. 24.10.1961 – I 105/60 U, BStBl. III 1961, 552 = BFHE 73, 785; v. 12.7.1967 – I 267/63, BStBl. III 1967, 679 = BFHE 89, 416, so bereits RFH v. 7.4.1936 – I A 198/35, RStBl. 1936, 769, 770. 2 Heute h.M.: BFH v. 13.3.1974 – I R 7/71, BStBl. II 1974, 391 = BFHE 112, 61; v. 31.10.1984 – I R 21/81, BStBl. II 1985, 162 = BFHE 142, 386; v. 11.2.1997 – I R 161/94, BFH/NV 1997, 625; v. 4.9.2002 – I R 42/01, BFH/NV 2003, 511; Hüttemann, Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht4, Rz. 2.80; differenzierend Hey, StuW 2000, 467; Thieme/Dorenkamp, FR 2003, 693 (697 f.). 3 Näher dazu insb. BFH v. 31.10.1984 – I R 21/81, BStBl. II 1985, 162 = BFHE 142, 386. 4 St. Rspr. seit BFH v. 13.3.1974 – I R 7/71, BStBl. II 1974, 391 = BFHE 112, 61. 5 St. Rspr. seit BFH v. 13.3.1974 – I R 7/71, BStBl. II 1974, 391 = BFHE 112, 61; vgl. u.a. BFH v. 31.10.1984 – I R 21/81, BStBl. II 1985, 162 = BFHE 142, 386; v. 8.11.1989 – I R 187/85, BStBl. II 1990, 242 = BFHE 159, 52; v. 4.12.1991 – I R 74/89, BStBl. II 1992, 432 = BFHE 166, 342; v. 3.2.1993 – I R 61/91, BStBl. II 1993, 459 = BFHE 170, 257 (jPöR ist Steuersubjekt wegen jedes einzelnen Betriebs), krit. hierzu Seer/Wendt, DStR 2001, 825 (834 f., m.w.N.). 6 Vgl. hierzu BFH v. 13.3.1974 – I R 7/71, BStBl. II 1974, 391 = BFHE 112, 61; insoweit nicht eindeutig BFH v. 31.10.1984 – I R 21/81, BStBl. II 1985, 162 = BFHE 142, 386; s. auch BFH v. 11.2.1997 – I R 161/94, BFH/NV 1997, 625 (Trägerkörperschaft als Steuersubjekt i.S. der §§ 51 ff.).

74 | Musil

Kapitel 3 Umsatzsteuerrecht als Schlüsselmaterie A. Die juristische Person des öffentlichen Rechts im Fokus der Umsatzbesteuerung I. Rechtfertigung der Umsatzbesteuerung der öffentlichen Hand . . . . . . . II. Paradigmenwechsel bei der Umsatzbesteuerung der öffentlichen Hand 1. Intention des Gesetzgebers . . . . . 2. Abkehr von der Anbindung an das Körperschaftsteuerrecht . . . . 3. Überblick über die Neuregelung III. Die Funktionsweise der Umsatzsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Das Umsatzsteuergesetz – Herausforderungen für juristische Personen des öffentlichen Rechts aus rechtlicher Sicht I. Die besonderen Herausforderungen für jur. Personen des öffentlichen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. § 1 UStG – Leistungsaustausch 1. Besondere Streitfragen bei jPdöR 2. Bipolarität der Leistungsbeziehung a) Synallgmatischer Zusammenhang zwischen Leistung und Entgelt . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Nichtsteuerbare Innenumsätze . . . . . . . . . . . . . . . . c) Umsatzsteuerrechtliche Organschaft . . . . . . . . . . . . . d) Aufwandspool . . . . . . . . . . . 3. Entgeltlichkeit der Leistung a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . b) Entgeltbegriff im Umsatzsteuerrecht . . . . . . . . . . . . . . c) Tauschähnliche Umsätze . . . d) Zuschüsse . . . . . . . . . . . . . . . e) Besteuerung unentgeltlicher Wertabgaben . . . . . . . . . . . . III. § 2 und § 2b sowie § 19 UStG – juristische Personen des öffentlichen Rechts als Unternehmer 1. Allgemeiner Unternehmerbegriff 2. Tätigkeiten im Rahmen öffentlicher Gewalt a) Rechtsnatur der Handlungsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3.1 3.5 3.6 3.10 3.14

3.19 3.21

3.22 3.23 3.24 3.29 3.41 3.42 3.45 3.46 3.51

3.60

3.61

b) Abgrenzung zwischen privatrechtlicher und öffentlichrechtlicher Tätigkeitsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.62 c) Freifahrtschein für juristische Personen des öffentlichen Rechts ... . . . . . . . . . . . . . . . . 3.67 d) ... oder das Ende des Formenwahlrechts der Verwaltung? 3.74 e) Die Figur des hoheitlichen Hilfsgeschäfts . . . . . . . . . . . 3.78 f) Privatrechtliche Nebenleistungen zu hoheitlichen Hauptleistungen . . . . . . . . . 3.85 3. Keine größeren Wettbewerbsverzerrungen a) Unionsrechtliches Korrektiv 3.90 b) § 2b Abs. 2 Nr. 1 UStG . . . . 3.94 c) § 2b Abs. 2 Nr. 2 UStG . . . . 3.100 d) § 2b Abs. 3 Nr. 1 UStG . . . . 3.104 e) § 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG . . . . 3.108 4. Die juristische Person des öffentlichen Rechts als Kleinunternehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.117 IV. § 3 UStG – Art und Ort der Leistung 1. Fallstrick: Leistungsbezüge aus dem Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . 3.123 2. Die Unterscheidung zwischen Lieferungen und sonstigen Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.124 3. Ort der Leistung . . . . . . . . . . . . . 3.128 4. Innergemeinschaftlicher Erwerb von Waren . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.129 5. Bezug von Dienstleistungen aus dem Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . 3.134 V. § 4 UStG – Steuerbefreiungen 1. Ausweg „Steuerbefreiung“ . . . . . 3.138 2. Überlassung von Grundstücken . 3.141 3. Heilberufliche und soziale Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.145 4. Kultur- und Bildungssektor . . . . 3.150 5. Steuerbefreiungen von Kooperationen . . . . . . . . . . . . . . 3.155 VI. § 15 UStG – Vorsteuerabzug 1. Steuerrechtliche Neutralität durch Vorsteuerabzug . . . . . . . . 3.160

Küffner | 75

Kap. 3 Rz. 3.1 | Umsatzsteuerrecht als Schlüsselmaterie 2. Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs und Besonderheiten bei der öffentlichen Hand a) Bezug zu unternehmerischem Bereich . . . . . . . . . . . b) Direkter und unmittelbarer Zusammenhang mit einer unternehmerischen oder nicht-unternehmerischen Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . c) Verwendung sowohl für unternehmerische als auch nichtunternehmerische Tätigkeiten . . . . . . . . . . . . . 3. Die Vorsteuerkorrektur nach § 15a UStG a) Änderung der Nutzungsverhältnisse . . . . . . . . . . . . . b) Änderung der unternehmerischen Nutzung während des Berichtigungszeitraums . . . . . . . . . . . . . . . c) Folgen der erstmaligen unternehmerischen Nutzung während des Berichtigungszeitraums . . . . . . . . . . . . . . . d) Folgen der Umstellung auf § 2b UStG während des Berichtigungszeitraums . . . 4. Problematik bei Vorsteuerüberhängen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. § 18 UStG – Umsatzsteuervoranmeldungen und -erklärungen 1. Die Umsatzsteuer als Selbstveranlagungssteuer . . . . . . . . . . . . .

3.161

3.164

3.165

3.166

3.167

3.168 3.171 3.172

2. Dezentrale Besteuerung . . . . . . . C. Herausforderungen faktischer Natur I. Notwendigkeit klarer Verwaltungsstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Konzeptionelle Herangehensweise an § 2b UStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Internes Zuständigkeitsmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Anforderungen an die IT . . . . . . . . V. Analyse der Eingangsleistungen 1. Einnahmenanalyse . . . . . . . . . . . 2. Vertragsscreening . . . . . . . . . . . VI. Analyse der Ausgangsleistungen . . VII. Tax Compliance 1. Notwendigkeit eines Tax-Compliance-Systems . . . . . . . . . . . . . 2. Grundelemente eines Tax-Compliance-Systems . . . . . . . . . . . . . 3. Notwendigkeit eines Tax-Compliance-Systems auch für die öffentliche Hand . . . . . . . . . . . . 4. Schaffung eines innerbetrieblichen Kontrollsystems a) Ziel eines IKS . . . . . . . . . . . b) Festlegung der Zuständigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Sensibilisierung und Schulung der Mitarbeiter . . d) Kontrollmaßnahmen . . . . .

3.184

3.190 3.191 3.198 3.202 3.205 3.212 3.218 3.223 3.224 3.233 3.237 3.238 3.240 3.242

3.180

A. Die juristische Person des öffentlichen Rechts im Fokus der Umsatzbesteuerung I. Rechtfertigung der Umsatzbesteuerung der öffentlichen Hand 3.1

Lange1 Zeit bewegten sich juristische Personen des öffentlichen Rechts sozusagen unter dem Radar der Umsatzbesteuerung. Allenfalls die steuerrechtliche Literatur interessierte sich bisweilen für diese Nischen-Thematik.2 Mit der Reform der Umsatzbesteuerung der öffentlichen 1 Ein besonderer Dank gilt Fr. Dr. Johanna Wernthaler, die maßgeblich an diesem Kapitel mitgewirkt hat. 2 Exemplarisch Weich, Öffentliche Hand im System der Umsatzsteuer, Köln 1996; Küffner, Umsatzsteuerliche Behandlung von juristischen Personen des öffentlichen Rechts im Lichte der 6. EGRichtlinie, insbesondere Abgrenzung des Betriebs gewerblicher Art vom Hoheitsbetrieb, München

76 | Küffner

A. Die jPdöR im Fokus der Umsatzbesteuerung | Rz. 3.4 Kap. 3

Hand zum 1.1.2016 wandelte sich das Umsatzsteuerrecht für juristische Personen des öffentlichen Rechts in eine Schlüsselmaterie. Dieser Abschnitt soll zunächst einen Überblick über das Umsatzsteuerrecht vermitteln. Um einerseits das grundlegende Systemverständnis zu fördern und andererseits ein Bewusstsein für die besonderen rechtlichen Herausforderungen auf Seiten der öffentlichen Hand zu schaffen, wird der Bogen von einer allgemeinen Einführung hin zur tiefgehenden umsatzsteuerrechtlichen Dogmatik gespannt (s. Teil B., Rz. 3.19 ff. ). Schlussendlich wird sich zeigen, dass die Reform der Umsatzbesteuerung die öffentliche Hand nicht nur vor Herausforderungen rechtlicher, sondern auch praktischer Art (s. Teil C., Rz. 3.190 ff.) stellt. Warum unterliegt die öffentliche Hand überhaupt der Umsatzsteuer? Im Rahmen der Umsatzbesteuerung staatlicher Tätigkeit belastet der Staat sich selbst. Im Sinne „rechte Tasche – linke Tasche“ vereint er die Rolle von Steuergläubiger, Steuerschuldner und Steuerträger in sich.1 Bei genauerer Betrachtung handelt es sich bei der Umsatzbesteuerung der öffentlichen Hand aber keineswegs um eine lediglich „umständliche Art des innerstaatlichen Finanzausgleichs“.2 Hinter der Besteuerung der öffentlichen Hand steckt eine doppelte Ratio, die sich aus dem unionsrechtlichen Unterbau erschließt. Die elementare Rechtsquelle im harmonisierten Umsatzsteuerrecht ist die Mehrwertsteuersystemrichtlinie (MwStSystRL).3 Im Umkehrschluss aus Art. 13 MwStSystRL ergibt sich die grundlegende Entscheidung des Unionsgesetzgebers für eine Besteuerung auch der öffentlichen Hand:

3.2

Artikel 13 MwStSystRL (1) Staaten, Länder, Gemeinden und sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts gelten nicht als Steuerpflichtige, soweit sie die Tätigkeiten ausüben oder Umsätze bewirken, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen, auch wenn sie im Zusammenhang mit diesen Tätigkeiten oder Umsätzen Zölle, Gebühren, Beiträge oder sonstige Abgaben erheben. Falls sie solche Tätigkeiten ausüben oder Umsätze bewirken, gelten sie für diese Tätigkeiten oder Umsätze jedoch als Steuerpflichtige, sofern eine Behandlung als Nichtsteuerpflichtige zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde.

Für diese Entscheidung sprechen zwei gute Gründe.4 Zum einen lässt sich der Sinn und Zweck der Verbrauchsteuer nur dann verwirklichen, wenn alle Leistungen der Besteuerung unterliegen – unabhängig von der Rechtsform des Leistenden. Zum anderen verhindert die Besteuerung Wettbewerbsverzerrungen, die eintreten würden, wenn staatliche Stellen Leistungen in Konkurrenz zu privaten Wirtschaftsteilnehmern erbringen.

3.3

Die Besteuerung der öffentlichen Hand endet deshalb nach Art. 13 Abs. 1 S. 1 MwStSystRL verkürzt gesprochen dort, wo ein Wettbewerb mit privaten Wirtschaftsteilnehmern nicht bestehen kann: im hoheitlichen Bereich. Diese unionsrechtlich determinierte Privilegierung ist der Hintergrund für den gegenwärtigen Umbruch in der Umsatzbesteuerung der öffentlichen Hand.

3.4

1 2 3 4

2001; zur zwischenzeitlich eingeführten Regelung des § 2b UStG ganz grundlegend Wiesch, Die umsatzsteuerliche Behandlung der öffentlichen Hand, Köln 2016. Reimer in Seer, Umsatzsteuer im europäischen Binnenmarkt, S. 325 (326). Siehe Schlussantrag der Generalanwältin Kokott v. 23.12.2015 – Rs. C-520/14 – Gemeente Borsele. Richtlinie 2006/112/EG des Rates über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem v. 28.11.2006, ABl. EU Nr. L 347, S. 1, ber. 2007 Nr. L 335, S. 60, 2017 Nr. L 336, S. 60. Ausführlich Hummel in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 9 Rn. 2 ff.

Küffner | 77

Kap. 3 Rz. 3.5 | Umsatzsteuerrecht als Schlüsselmaterie

II. Paradigmenwechsel bei der Umsatzbesteuerung der öffentlichen Hand 1. Intention des Gesetzgebers 3.5

Mit den Neuregelungen im nationalen Umsatzsteuergesetz (UStG) trägt der nationale Gesetzgeber den obig dargestellten unionsrechtlichen Grundlagen Rechnung. Damit wird die Anbindung an das Körperschaftsteuerrecht, die sich bisher als Fremdkörper im ansonsten harmonisierten UStG darstellte, gekappt (s. nachfolgend 2.). An ihre Stelle tritt die Besteuerung nach § 2b UStG, deren Systematik im Folgenden nur grob umrissen werden soll (s. unten 3.).

2. Abkehr von der Anbindung an das Körperschaftsteuerrecht 3.6

Mit dem Steueränderungsgesetz 20151 hat der Gesetzgeber die Umsatzbesteuerung der öffentlichen Hand vollständig neu geregelt. § 2 Abs. 3 UStG wurde aufgehoben und stattdessen die neue Norm § 2b UStG eingeführt: § 2b Juristische Personen des öffentlichen Rechts (1) Vorbehaltlich des Absatzes 4 gelten juristische Personen des öffentlichen Rechts nicht als Unternehmer im Sinne des § 2, soweit sie Tätigkeiten ausüben, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen, auch wenn sie im Zusammenhang mit diesen Tätigkeiten Zölle, Gebühren, Beiträge oder sonstige Abgaben erheben. Satz 1 gilt nicht, sofern eine Behandlung als Nichtunternehmer zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde. (2) Größere Wettbewerbsverzerrungen liegen insbesondere nicht vor, wenn 1. der von einer juristischen Person des öffentlichen Rechts im Kalenderjahr aus gleichartigen Tätigkeiten erzielte Umsatz voraussichtlich 17 500 Euro jeweils nicht übersteigen wird oder 2. vergleichbare, auf privatrechtlicher Grundlage erbrachte Leistungen ohne Recht auf Verzicht (§ 9) einer Steuerbefreiung unterliegen. (3) Sofern eine Leistung an eine andere juristische Person des öffentlichen Rechts ausgeführt wird, liegen größere Wettbewerbsverzerrungen insbesondere nicht vor, wenn 1. die Leistungen aufgrund gesetzlicher Bestimmungen nur von juristischen Personen des öffentlichen Rechts erbracht werden dürfen oder 2. die Zusammenarbeit durch gemeinsame spezifische öffentliche Interessen bestimmt wird. Dies ist regelmäßig der Fall, wenn a) die Leistungen auf langfristigen öffentlich-rechtlichen Vereinbarungen beruhen, b) die Leistungen dem Erhalt der öffentlichen Infrastruktur und der Wahrnehmung einer allen Beteiligten obliegenden öffentlichen Aufgabe dienen, c) die Leistungen ausschließlich gegen Kostenerstattung erbracht werden und d) der Leistende gleichartige Leistungen im Wesentlichen an andere juristische Personen des öffentlichen Rechts erbringt. (4) Auch wenn die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 gegeben sind, gelten juristische Personen des öffentlichen Rechts bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen des § 2 Absatz 1 mit der Ausübung folgender Tätigkeiten stets als Unternehmer: 1. (weggefallen) 2. (weggefallen) 1 Steueränderungsgesetz 2015 v. 2.11.2015, BGBl. I 2015, 1834; vgl. dazu Küffner/Rust, DStR 2016, 1633; speziell zu Kirchen Küffner/Rust, DStR 2014, 2533.

78 | Küffner

A. Die jPdöR im Fokus der Umsatzbesteuerung | Rz. 3.8 Kap. 3 3. die Leistungen der Vermessungs- und Katasterbehörden bei der Wahrnehmung von Aufgaben der Landesvermessung und des Liegenschaftskatasters mit Ausnahme der Amtshilfe; 4. die Tätigkeit der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung, soweit Aufgaben der Marktordnung, der Vorratshaltung und der Nahrungsmittelhilfe wahrgenommen werden; 5. Tätigkeiten, die in Anhang I der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347 vom 11.12.2006, S. 1) in der jeweils gültigen Fassung genannt sind, sofern der Umfang dieser Tätigkeiten nicht unbedeutend ist.

Damit vollzog das Umsatzsteuerrecht eine Verselbständigung in Abkehr vom Körperschaftsteuerrecht. Nach § 2 Abs. 3 UStG a.F. i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 6, § 4 KStG sind juristische Personen des öffentlichen Rechts nur im Rahmen ihrer Betriebe gewerblicher Art und ihrer landund forstwirtschaftlichen Betriebe gewerblich oder beruflich, mithin umsatzsteuerrechtlich relevant, tätig. Die Finanzverwaltung ging bisher davon aus, dass ein Betrieb gewerblicher Art erst entsteht, wenn die juristische Person aus gleichartigen Tätigkeiten im Kalenderjahr einen höheren Umsatz als 35.000 € erzielt.1 Leistungen im Rahmen der Vermögensverwaltung (z.B. bei Vermietung) und Beistandsleistungen (Leistungen aus dem Hoheitsbereich einer juristischen Person des öffentlichen Rechts in den Hoheitsbereich einer anderen juristischen Person des öffentlichen Rechts) erbringt eine juristische Person des öffentlichen Rechts nach Auffassung der Finanzverwaltung nicht im Rahmen eines Betriebs gewerblicher Art.2 Da nach Abschn. 2.11. Abs. 4 UStAE die für das Gebiet der Körperschaftsteuer entwickelten Grundsätze auch umsatzsteuerrechtlich gelten, war in all diesen Fällen die juristische Person des öffentlichen Rechts nicht als Unternehmer tätig und die entsprechenden Umsätze daher nicht steuerbar.

3.7

Das Inkrafttreten der 6. EG-Richtlinie3, der Vorgängerrichtlinie zur heutigen MwStSystRL, führte zu einem dogmatischen Bruch. Die Vorgängerrichtlinie sah bereits das obig beschriebene unionsrechtliche Prinzip vor, dass Einrichtungen des öffentlichen Rechts grundsätzlich als Steuerpflichtige behandelt werden, wenn sie eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben (Art. 4 Abs. 2 6. EG-Richtlinie). Tätigkeiten im Rahmen der öffentlichen Gewalt sind von der Umsatzbesteuerung ausgenommen, es sei denn, die Nichtbesteuerung führt zu größeren Wettbewerbsverzerrungen (Art. 4 Abs. 5 Uabs 2 6. EG-Richtlinie). Damit rückte der Unionsgesetzgeber das Wettbewerbskriterium in den Vordergrund.4 Unter Berücksichtigung des Fundamentalprinzips der Wettbewerbsgleichheit führte § 2 Abs. 3 UStG a.F. zu Problemen. Die auf Grundlage von § 2 Abs. 3 UStG a.F. entstandene weitgehende Nichtbesteuerung der öffentlichen Hand förderte Wettbewerbsverzerrungen zwischen öffentlich-rechtlichen Einrichtungen und privaten Unternehmern. Der BFH sah sich vor diesem Hintergrund und mangels Tätigwerden des Gesetzgebers genötigt, § 2 Abs. 3 UStG a.F. richtlinienkonform auszulegen.5

3.8

1 Abschn. 2.11 Abs. 4 S. 3 UStAE, R 4.1 Abs. 5 S. 1 KStR 2015. 2 OFD Niedersachsen, Vfg. v. 27.7.2012 – S 7106 - 283 – St 171; OFD Frankfurt/M., Vfg. v. 15.8.2011 – S 7106 A - 119 – St 110. 3 Sechste Richtlinie des Rates zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern v. 17.5.1977, 77/388, ABI. EG Nr. L145/1. 4 EuGH, Urt. v. 16.9.2008 – Rs. C-288/07 – Isle of Wight, UR 2008, 816 m. Anm. Küffner, Rn. 60 ff. 5 BFH, Urt. v. 20.8.2009 – V R 30/06, BStBl. II 2010, 863, Rn. 36; BFH, Urt. v. 2.3.2011 – XI R 65/ 07, BStBl. II 2017, 831, Rn. 17; BFH, Urt. v. 3.3.2011 – V R 23/10, BStBl. II 2012, 74, Rn. 21; BFH, Urt. v. 10.11.2011 – V R 41/10, BStBl. II 2017, 869 = UR 2012, 272 m. Anm. Küffner, Rn. 26; BFH, Urt. v. 14.3.2012 – XI R 8/10, BFH/NV 2012, 1667, Rn. 27; BFH, Urt. v. 13.2.2014 – V R 5/13, BStBl. II 2017, 846, Rn. 15; BFH, Urt. v. 10.2.2016 – XI R 26/13, BStBl. II 2017, 857, Rn. 34; BFH, Urt. v. 15.12.2016 – V R 44/15, UR 2017, 302, Rn. 10 m. Anm. Küffner.

Küffner | 79

Kap. 3 Rz. 3.9 | Umsatzsteuerrecht als Schlüsselmaterie

3.9

Dies führte in der Praxis zu Auslegungsschwierigkeiten und Rechtsunsicherheit und in der Wissenschaft zur lauter werdenden Forderung nach einer Gesetzesänderung.1 Der Gesetzgeber sah sich aufgrund der anhaltenden Kritik an der bisherigen Umsatzbesteuerung der öffentlichen Hand zur Neuregelung veranlasst. § 2b UStG darf als Besinnung auf die unionsrechtliche Grundlage des UStG, die MwStSystRL, verstanden werden. Dabei entspricht § 2b Abs. 1 UStG weitestgehend Art. 13 Abs. 1 MwStSystRL.

3.10

Die gesetzliche Neuregelung des § 2b UStG entspricht im Wesentlichen der bisherigen Rechtsprechung des BFH zur richtlinienkonformen Auslegung des § 2 Abs. 3 UStG a.F.2 Die Neuregelung des § 2b UStG dreht das bisherige Regel-Ausnahme-Verhältnis schlichtweg um: Leistungen von juristischen Personen des öffentlichen Rechts sind nach den allgemeinen Regeln grundsätzlich steuerbar, sofern keine Privilegierung nach § 2b UStG greift.3 Wenn die Voraussetzungen des § 2b UStG vorliegen, handeln juristische Personen des öffentlichen Rechts nicht als Unternehmer, obwohl sie eigentlich die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 UStG erfüllen. Die Leistungen der juristischen Person des öffentlichen Rechts sind insoweit nicht steuerbar.

3.11

Für die Privilegierung des § 2b UStG müssen zwei Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sein:

3. Überblick über die Neuregelung

– Die juristische Person des öffentlichen Rechts muss eine Tätigkeit ausüben, die ihr im Rahmen der „öffentlichen Gewalt“ obliegt, und – die Behandlung der juristischen Person des öffentlichen Rechts als Nichtunternehmer darf nicht zu „größeren Wettbewerbsverzerrungen“ führen.

3.12

§ 2b Abs. 2, 3 UStG nennt beispielhaft Fälle („insbesondere“), in denen der deutsche Gesetzgeber davon ausgeht, dass größere Wettbewerbsverzerrungen nicht vorliegen. Da es sich lediglich um Regelbeispiele handelt, können größere Wettbewerbsverzerrungen auch aus anderen Gründen abzulehnen sein. Hervorzuheben ist, dass die Voraussetzungen der Absätze 2 und 3 überhaupt erst relevant werden, wenn die Tätigkeit in der Ausübung öffentlicher Gewalt besteht. Anders formuliert: Auch wenn die Voraussetzungen von § 2b Abs. 2 oder Abs. 3 UStG vorliegen, die juristische Person des öffentlichen Rechts aber keine öffentliche Gewalt ausübt, ist sie als Unternehmer tätig. § 2b Abs. 4 UStG nennt schließlich Tätigkeiten, die die juristische Person des öffentlichen Rechts immer als Unternehmer ausübt, obwohl die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 UStG gegeben sind. Theoretisch müsste dieser Absatz daher als Erstes geprüft werden. Die aufgezählten Fälle weisen aber kaum praktische Relevanz auf.

3.13

§ 2b UStG trat zwar mit Wirkung zum 1.1.2017 in Kraft. Eine entsprechende Anpassung der Prozesse wäre für juristische Personen des öffentlichen Rechts innerhalb der kurzen Zeitdauer allerdings nicht zu bewerkstelligen gewesen. Um juristischen Personen des öffentlichen Rechts Raum für einen geordneten Übergang zu geben, gewährt der Gesetzgeber ihnen in § 27 Abs. 22 S. 3 UStG eine zeitlich befristete Optionsmöglichkeit zur weiteren Anwendung des alten Rechts: Juristische Personen des öffentlichen Rechts konnten bis zum 31.12.2016 dem Finanzamt gegenüber einmalig erklären, dass sie für sämtliche nach dem 31.12.2016 und vor dem 1.1.2021 ausgeführten Leistungen § 2 Abs. 3 UStG weiterhin anwenden. Diese Über1 Vgl. z.B. Widmann, UR 2006, 462 (463); Seer/Klemke, BB 2010, 2015; siehe auch Unterrichtung durch den Präsidenten des Bundesrechnungshofes in BT-Drucks. 15/4081, S. 16. 2 Instruktiv Küffner/Rust, DStR 2016, 1633 (1634). 3 Küffner/Rust, DStR 2016, 1633 (1634).

80 | Küffner

A. Die jPdöR im Fokus der Umsatzbesteuerung | Rz. 3.18 Kap. 3

gangsfrist erfuhr nun im Zuge des sogenannten Corona-Steuerhilfegesetzes1 eine Verlängerung. Nach § 27 Abs. 22a UStG können juristische Personen des öffentlichen Rechts, die wirksam von der Optionsmöglichkeit Gebrauch gemacht haben, § 2 Abs. 3 UStG nun auch noch für Leistungen anwenden, die bis zum 31.12.2022 ausgeführt werden. Macht die juristische Person des öffentlichen Rechts nicht von ihrem Widerrufsrecht Gebrauch (§ 27 Abs. 22 S. 6 UStG), wirkt die Optionserklärung automatisch fort.

III. Die Funktionsweise der Umsatzsteuer Die Neuregelung führt dazu, dass sich Einrichtungen des öffentlichen Rechts nun häufiger mit umsatzsteuerrechtlichen Fragestellungen konfrontiert sehen werden. Dabei gilt es, das System der Umsatzbesteuerung zu verstehen – und gegebenenfalls auch gestalterisch für sich zu nutzen. Dies gibt Anlass, sich die grundlegende Funktionsweise der Umsatzsteuer zu vergegenwärtigen.

3.14

Im Zuge des Regimewechsels wird die Möglichkeit des Vorsteuerabzugs an Bedeutung gewinnen. Die Systematik des Vorsteuerabzugs ergibt sich aus dem Charakter der Umsatzsteuer als Allphasen-Netto-Umsatzsteuer.

3.15

Noch bis Ende der 1960er Jahre bemaß sich die Umsatzsteuer – als Allphasen-Brutto-Umsatzsteuer auf jeder einzelnen Produktions- oder Handelsstufe nach dem jeweils eingenommenen Bruttoentgelt ohne jegliche Abzugsmöglichkeit. Mit zunehmender Länge der Lieferantenoder Händlerkette wuchs damit die Gesamtbelastung der Ware mit Umsatzsteuer.

3.16

Die Antwort des Gesetzgebers auf diese ungewünschte Kumulationswirkung war die Schaffung einer Allphasen-Netto-Umsatzsteuer2 mit Vorsteuerabzug: Die Umsatzsteuer ist nach wie vor eine Allphasen-Steuer. Jede einzelne Produktions- oder Handelsphase ist der Umsatzsteuer unterworfen. Zur Ermittlung der Bemessungsgrundlage ist aber die geschuldete Steuer zunächst vom Endpreis abzuziehen. Anders als beim Vorgängergesetz bemisst sich die Umsatzsteuer also nicht nach dem Brutto-, sondern nach dem Netto-Endpreis. Der sogenannte Vorsteuerabzug verhindert die Aufsummierung der Umsatzsteuerbelastung in der Lieferkette. Der Unternehmer bekommt die von ihm für Leistungen an sein Unternehmen gezahlte Umsatzsteuer vom Finanzamt zurückerstattet. Im Ergebnis wird so auf jeder Stufe nur der dort geschaffene „Mehrwert“ besteuert.

3.17

Die Umsatzsteuer zielt als indirekte Verbrauchsteuer auf die Besteuerung des Konsums beim Endverbraucher ab. Bezieht der Unternehmer mit Umsatzsteuer belastete Eingangsleistungen, bekommt er die von ihm gezahlte Umsatzsteuer als Vorsteuer vom Finanzamt erstattet. Die Umsatzsteuer ist damit für ihn neutral. Vereinnahmt der Unternehmer bei von ihm ausgeführten Umsätzen Umsatzsteuer, führt er diese an das Finanzamt ab. Wirtschaftlich belastet ist allein der Endverbraucher. Der Unternehmer fungiert allein als „Steuereinnehmer für Rechnung des Staates und im Interesse der Staatskasse“3.

3.18

1 Art. 1 des Gesetzes zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der CoronaKrise v. 19.6.2020, BGBl. I 2020, S. 1385. 2 Ausführlich Heidner in Bunjes, UStG20, § 15 Rn. 4 ff.; zugleich erforderten Harmonisierungsbestrebungen auf europäischer Ebene eine Umstellung des Umsatzsteuersystems, vgl. etwa die Erste und Zweite Richtlinie des Rates vom 11.4.1967 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuer, ABl. Nr. L 71 vom 14.4.1967, S. 1301 und S. 1303. 3 EuGH v. 21.2.2008 – Rs. C-271/06 – Netto Supermarkt, Slg. 2008, I-771 = UR 2008, 508, Rn. 21.

Küffner | 81

Kap. 3 Rz. 3.18 | Umsatzsteuerrecht als Schlüsselmaterie

B. Das Umsatzsteuergesetz – Herausforderungen für juristische Personen des öffentlichen Rechts aus rechtlicher Sicht I. Die besonderen Herausforderungen für jur. Personen des öffentlichen Rechts 3.19

Die Neuregelung des § 2b UStG wirft viele Fragen auf. Deren erschöpfende Darstellung würde den Rahmen der vorliegenden Abhandlung bei Weitem sprengen. Im Folgenden sollen nur Schlaglichter auf die besonderen Herausforderungen für juristische Personen des öffentlichen Rechts aus rechtlicher Sicht geworfen werden. Das Umsatzsteuerrecht befindet sich im stetigen Fluss. Dies ist nicht zuletzt der Verzahnung mit dem Unionsrecht geschuldet. Die rege Vorlagetätigkeit deutscher Gerichte und die damit einhergehende Rechtsprechungstätigkeit des EuGH haben einen dynamisierenden Effekt auf das Umsatzsteuerrecht. Ziel der nachfolgenden Ausführungen ist, dem Leser die Schnelllebigkeit des Umsatzsteuerrechts und dessen Bedeutung auch und gerade für juristische Personen des öffentlichen Rechts vor Augen zu führen. Nur wer über ein entsprechendes rechtliches Problembewusstsein verfügt, kann die Fallstricke der Umsatzsteuer erkennen und meiden.

3.20

Unter Geltung des alten Rechts (§ 2 Abs. 3 UStG a.F.) stand die Unternehmereigenschaft von juristischen Personen des öffentlichen Rechts meist im Mittelpunkt der rechtlichen Auseinan82 | Küffner

B. Das Umsatzsteuergesetz – Herausforderungen für jPdöR | Rz. 3.21 Kap. 3

dersetzung. Ob juristische Personen des öffentlichen Rechts Unternehmer sind, richtet sich nun zunächst nach den allgemeinen Regeln. Juristische Personen des öffentlichen Rechts werden in Zukunft unter dem Regelungsregime des § 2b UStG häufiger als umsatzsteuerrechtliche Unternehmer einzustufen sein als bisher. Sofern es juristischen Personen des öffentlichen Rechts nicht primär um die Erlangung des Vorsteuerabzugs geht, werden sie andere Wege suchen, um der Steuerpflicht zu entgehen. Mit der Umstellung auf § 2b UStG verschiebt sich daher der Fokus: Die Frage, ob im Einzelfall überhaupt ein umsatzsteuerrechtlicher Leistungsaustausch im Sinne des § 1 UStG vorliegt, rückt in den Vordergrund (s. unten II. Rz. 3.21 ff.). Fehlt es bereits an einem Leistungsaustausch, unterliegt der Vorgang nicht der Umsatzsteuer – unabhängig von § 2b UStG. Liegt ein Leistungsaustausch hingegen vor, ist im nächsten Schritt zu prüfen, ob die juristische Person des öffentlichen Rechts gemäß § 2 Abs. 1 UStG unternehmerisch agiert (s. unten III. Rz. 3.60 ff.). Bei Leistungen mit Auslandsbezug können aber auch rein nichtunternehmerisch handelnde juristische Personen des öffentlichen Rechts in den Fokus der Umsatzsteuer geraten (s. unten IV. Rz. 3.123 ff.). Ist ein Vorgang hiernach umsatzsteuerbar, fragt sich, ob eine Steuerbefreiung nach § 4 UStG in Betracht kommt (s. unten V. Rz. 3.138 ff. ). Ansonsten kommt es zur Entstehung von Umsatzsteuer. Andererseits geht mit der Ausweitung der Umsatzbesteuerung der öffentlichen Hand auch eine Chance einher: Diese wird in Zukunft öfter vom Vorsteuerabzug gemäß § 15 UStG profitieren (s. unten VI. Rz. 3.160 ff.). Von besonderer Relevanz ist bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts darüber hinaus eine verfahrensrechtliche Frage: Wer ist eigentlich zuständig für die Abgabe der Umsatzsteuererklärungen und -voranmeldungen (s. unten VII. Rz. 3.180 ff.)?

II. § 1 UStG – Leistungsaustausch 1. Besondere Streitfragen bei jPdöR Auf Ebene des Leistungsaustauschs ergeben sich bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts besondere Streitfragen, die sich so mitunter bei privaten Teilnehmern des Wirtschaftslebens nicht stellen. Hier gilt es besonders die Bipolarität der Leistungsbeziehungen (s. unten 2., Rz. 3.22) als auch das Entgeltlichkeitserfordernis (s. unten 3., Rz. 3.41). zu untersuchen.

Küffner | 83

3.21

Kap. 3 Rz. 3.22 | Umsatzsteuerrecht als Schlüsselmaterie

2. Bipolarität der Leistungsbeziehung a) Synallgmatischer Zusammenhang zwischen Leistung und Entgelt

3.22

Ein umsatzsteuerrechtlicher Leistungsaustausch erfordert eine bipolare Leistungsbeziehung: Es bedarf eines Leistenden und eines Leistungsempfängers. An dieser Voraussetzung fehlt es bei reinen nicht steuerbaren Innenumsätzen einer juristischen Person des öffentlichen Rechts (s. unten b. Rz. 3.23 ff.) bei Vorliegen einer umsatzsteuerrechtlichen Organschaft (s. unten c. Rz. 3.24 ff.) oder eines Aufwandspools (s. unten d. Rz. 3.29 ff.). b) Nichtsteuerbare Innenumsätze

3.23

Steuerobjekt der Umsatzsteuer ist der steuerbare Umsatz. Der Umsatzsteuer unterliegen nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG Lieferungen und sonstige Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt. Die Umsatzbesteuerung erfordert also einen Leistungsaustausch. Leistung im Sinne des Umsatzsteuerrechts definiert sich als willentliche Zuwendung eines wirtschaftlichen Vorteils an einen individualisierten Empfänger.1 Hieraus ergibt sich die Bipolarität des Leistungsverhältnisses: Für eine Leistung braucht es mindestens zwei Beteiligte – einen Leistenden und einen Leistungsempfänger.2 Im rechtsformneutralen Umsatzsteuerrecht formt eine Körperschaft genau ein Unternehmen im Sinne des Umsatzsteuerrechts. Ein Leistungsaustausch innerhalb ein und derselben Körperschaft ist umsatzsteuerrechtlich also irrelevant. Steuerbar sind nur solche Leistungen, die zwischen Subjekten mit eigener Rechtspersönlichkeit ausgetauscht werden. Gehören also Leistender und Leistungsempfänger derselben Trägerkörperschaft an, ohne dass ihnen eine eigene Rechtspersönlichkeit zukommt, handelt es sich um einen sogenannten nicht steuerbaren Innenumsatz.3 Dies gilt selbst dann, wenn aus Gründen der Kosten- und Leistungsrechnung oder zur Berechnung etwaiger Gebühren Verrechnungspreise vereinbart werden.4 Bei entsprechenden Abrechnungen handelt es sich lediglich um unternehmensinterne Buchungsbelege und nicht um Rechnungen gemäß § 14 UStG.5 An einer eigenen Rechtspersönlichkeit fehlt es etwa kommunalen Regie- oder Eigenbetrieben.6 Seit der Entscheidung des EuGH in der Rs. Gmina Wrocław7 ist hinreichend geklärt, dass haushaltsgebundenen Einrichtungen die Selbständigkeit fehlt. Unternehmer ist dann nur die juristische Person des öffentlichen Rechts. Bei der umsatzsteuerrechtlichen Bewertung von Leistungen ist daher bei der öffentlichen Hand stets im ersten Schritt zu prüfen, ob es sich bei dem Leistenden um eine eigene Rechtspersönlichkeit handelt. Dies ist nicht immer eindeutig. Diese Frage führt oft auf rechtlich betrachtet steuerfremdes Terrain wie den jeweiligen Landesgesetzen oder Spezialgebiete wie etwa das Kirchenrecht.

c) Umsatzsteuerrechtliche Organschaft

3.24

Doch auch wenn die juristische Person des öffentlichen Rechts „Tochterunternehmen“ mit eigener Rechtspersönlichkeit – etwa in Form einer GmbH oder eines selbständigen Kommunalunternehmens8 – unterhält, kann es ausnahmsweise an steuerbaren Außenumsätzen fehlen. 1 2 3 4 5 6 7 8

Sterzinger in Küffner/Zugmaier, USt, § 1 UStG Rn. 121. Sterzinger in Küffner/Zugmaier, USt, § 1 UStG Rn. 175. Sterzinger in Küffner/Zugmaier, USt, § 2b UStG Rn. 167. Vgl. Baldauf, UR 2014, 549 (557). Abschn. 14.1. Abs. 4 S. 2 UStAE. Sterzinger in Küffner/Zugmaier, USt, § 2b UStG Rn. 167. EuGH, Urt. v. 29.9.2015 – Rs. C-276/14 – Gmina Wrocław, UR 2015, 829. Z.B. nach Art. 89 BayGO.

84 | Küffner

B. Das Umsatzsteuergesetz – Herausforderungen für jPdöR | Rz. 3.26 Kap. 3

Hintergrund ist die umsatzsteuerrechtliche Organschaft nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG. Ist das Tochterunternehmen als sogenannte Organgesellschaft in die übergeordnete Körperschaft finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch eingegliedert, so bildet die Körperschaft den sogenannten Organträger. Für Zwecke der Umsatzbesteuerung verschmelzen dann Organgesellschaft und Organträger quasi zu einer Person – die Umsätze der Organgesellschaft sind dem Organträger zuzurechnen. Organgesellschaft und Organträger bilden einen Organkreis. Bei Leistungen innerhalb des Organkreises liegen lediglich nicht steuerbare Innenumsätze vor. Hintergrund der umsatzsteuerrechtlichen Organschaft ist, dass Unternehmen die Organisationsformen offenstehen sollen, die sich für sie am besten eignen.1 Unternehmer sollen sich nicht aus Gründen des Umsatzsteuerrechts gezwungen sehen, möglichst alle Unternehmensbereiche unter einem Dach zu vereinen. Die finanzielle Eingliederung erfordert, dass der Organträger die entscheidende Anteilsmehrheit an der Organgesellschaft besitzt.2 Die Anteilsmehrheit muss es dem Organträger ermöglichen, durch Mehrheitsbeschlüsse seinen Willen in der Organgesellschaft durchzusetzen. Die organisatorische Eingliederung setzt voraus, dass die mit der finanziellen Eingliederung verbundene Möglichkeit der Beherrschung der Tochtergesellschaft durch den Organträger in der laufenden Geschäftsführung wirklich wahrgenommen wird.3 Es kommt darauf an, dass der Organträger die Organgesellschaft durch die Art und Weise der Geschäftsführung beherrscht4 oder aber zumindest durch die Gestaltung der Beziehungen zwischen dem Organträger und der Organgesellschaft sichergestellt ist, dass eine vom Willen des Organträgers abweichende Willensbildung bei der Organtochter nicht möglich ist.5 Eine wirtschaftliche Eingliederung liegt vor, wenn die Organgesellschaft nach dem Willen des Organträgers im Rahmen des Gesamtunternehmens tätig ist. Voraussetzung ist, dass die Betätigung in engem wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem Gesamtunternehmen steht.6 Bei entsprechend deutlicher Ausprägung der finanziellen und organisatorischen Eingliederung genügt bereits eine schwache wirtschaftliche Eingliederung. Dann genügt es bereits, wenn zwischen dem Organträger und der Organgesellschaft aufgrund gegenseitiger Förderung und Ergänzung mehr als nur unerhebliche wirtschaftliche Beziehungen bestehen.7

3.25

Eine Qualifikation als Organgesellschaft schließt sich bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts zwar aus, weil eine Kapitalbeteiligung eines Unternehmers an einer juristischen Person des öffentlichen Rechts und damit eine finanzielle Eingliederung der juristischen Person des öffentlichen Rechts nicht möglich ist.8 Juristische Personen des öffentlichen Rechts können aber als Organträger fungieren, wenn und soweit sie unternehmerisch tätig sind.9 Voraussetzung ist, dass die juristische Person des öffentlichen Rechts als Organträger durch eigene Umsätze und nicht erst durch solche der Organgesellschaft als Unternehmerin handelt. Unschädlich ist aber, wenn die die Unternehmereigenschaft begründenden entgeltlichen Leis-

3.26

1 Vgl. Schlussantrag des Generalanwalts Jääskinen v. 27.11.2012 – Rs. C-85/11 – Kommission/Irland, Rn. 49. 2 Abschn. 2.8 Abs. 5 S. 1 UStAE. 3 Abschn. 2.8 Abs. 7 S. 1 UStAE; BFH, Urt. v. 28.1.1999 – V R 32/98, BStBl. II 1999, 258, Rn. 17. 4 Abschn. 2.8 Abs. 7 S. 2 UStAE. 5 BFH, Urt. v. 1.4.2004 – V R 24/03, BStBl. II 2004, 905, Rn. 36. 6 Abschn. 2.8 Abs. 6 UStAE; BFH, Urt. v. 22.6.1967 – V R 89/66, BStBl. III 1967, 715. 7 BFH, Urt. v. 3.4.2003 – V R 63/01, BStBl. II 2004, 434; Abschn. 2.8 Abs. 6 S. 3 UStAE. 8 S. Sterzinger in Küffner/Zugmaier, USt, § 2 UStG Rn. 423. 9 Abschn. 2.11. Abs. 20, 2.8. Abs. 2 Satz 2 UStAE; BFH, Urt. v. 15.12.2016 – V R 44/15, BFH/NV 2017 S. 707, m. Anm. Küffner.

Küffner | 85

Kap. 3 Rz. 3.26 | Umsatzsteuerrecht als Schlüsselmaterie

tungen ausschließlich gegenüber der Organgesellschaft erbracht werden.1 Überdies muss die Organgesellschaft für eine wirtschaftliche Eingliederung durch ihre Tätigkeit wiederum die unternehmerische Tätigkeit des Organträgers entscheidend fördern.2 Liegen diese Voraussetzungen vor, steht der finanziellen Eingliederung nicht entgegen, wenn die Beteiligung an der Organgesellschaft im nichtunternehmerischen Bereich der juristischen Person des öffentlichen Rechts verwaltet wird.3 Die Rechtsfolgen der Organschaft treten unabhängig vom Willen der Parteien ein.4 Es lohnt sich daher, die Beziehungen zwischen der juristischen Person des öffentlichen Rechts und deren Beteiligungsgesellschaften fortlaufend zu überprüfen. Denn auch im Falle einer „ungewollten“ Organschaft ist allein der Organträger Schuldner der Umsatzsteuer für den gesamten Organkreis und nur er zur Abgabe von Steuererklärungen und -voranmeldungen verpflichtet.

3.27

Die Spaltung vieler juristischer Personen des öffentlichen Rechts in einen unternehmerischen und einen hoheitlichen Teil wirft hinsichtlich der umsatzsteuerrechtlichen Organschaft einige Fragen auf. Nach Auffassung der Finanzverwaltung hingegen beschränkt sich die umsatzsteuerrechtliche Organschaft auf den unternehmerischen Bereich der Organgesellschaft.5 Juristische Personen des öffentlichen Rechts können daher nur dann Organträger sein, wenn und soweit sie unternehmerisch tätig sind.6 Die Finanzverwaltung ordnet den nichtunternehmerischen Bereich des Organträgers außerhalb des Organkreises ein. Leistungen der Organgesellschaft in den Hoheitsbereich des Organträgers stuft die Finanzverwaltung konsequenterweise als Außenumsätze im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG ein.

3.28

Überzeugender aber ist die Auffassung der Rechtsprechung dahingehend, dass die umsatzsteuerrechtliche Organschaft auch den Hoheitsbereich einer juristischen Person des öffentlichen Rechts umfasst. Die Rechtsprechung sieht von der Organschaft sowohl den unternehmerischen als auch den nichtunternehmerischen Bereich erfasst.7 Nach dieser Auffassung verliert die Organgesellschaft durch ihre Eingliederung gänzlich ihre Selbständigkeit. Bei Leistungen an den nichtunternehmerischen Bereich des Organträgers handelt sie daher nicht als selbständiger Unternehmer. Eine nur partiell bestehende Unternehmereigenschaft gibt es nach dieser Ansicht nicht.8 Die umsatzsteuerrechtliche Organschaft soll gerade eine Verwaltungsvereinfachung ermöglichen.9 Dem liefe eine nur „partielle Organschaft“ bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts zuwider. Eine solche „partielle Organschaft“ lässt sich auch mit dem Wortlaut von § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG nicht vereinbaren. Vielmehr zielt die Regelung darauf ab, alle Eingangs- und Ausgangsumsätze der Organgesellschaften zu erfassen.10 Schließ1 2 3 4 5 6 7

8 9 10

Abschn. 2.8 Abs. 2 S. 3 UStAE. Sterzinger in Küffner/Zugmaier, USt, § 2 UStG Rn. 402; vgl. auch Abschn. 2.8 Abs. 6 S. 2 UStAE. Abschn. 2.11. Abs. 20 S. 5 UStAE. BFH, Urt. v. 22.4.2010 – V R 9/09, BStBl. 2011 II S. 597; v. 29.10.2008 – XI R 74/07, BStBl. 2009 II S. 256. Abschn. 2.8 Abs. 1 S. 5; ebenso Stadie in Stadie, UStG3, § 2 Rn. 304. Abschn. 2.8 Abs. 2 S. 2 UStAE. FG Niedersachsen, Urt. v. 16.10.2019 – 5 K 309/17, DStRE 2020, 1052, Rn. 30; BFH, Urt. v. 20.8.2009 – V R 30/06, BStBl. II 2010, 863, Rn. 51; Korn in Bunjes, UStG20, § 2 Rn. 142; in diese Richtung auch BFH, Urt. v. 22.2.2017 – XI R 13/15, DStRE 2017, 866, Rn. 44, in dem sich der BFH gegen eine partielle Organschaft ausspricht; inzident ebenso BFH, Beschl. v. 7.5.2020 – V R 40/19, UR 2020, 541. BFH, Urt. v. 20.8.2009 – V R 30/06, BStBl. II 2010, 863, Rn. 51; FG Niedersachsen, Urt. v. 16.10.2019 – 5 K 309/17, DStRE 2020, 1052, Rn. 30; Wäger in FS für Schaumburg, 1189 (1211). Vgl. EuGH, Urt. v. 9.4.2013 – Rs. C-85/11 – Kommission/Irland, DStR 2013, 806, Rn. 48. In diese Richtung auch BFH, Urt. v. 22.2.2017 – XI R 13/15, DStRE 2017, 866, Rn. 46.

86 | Küffner

B. Das Umsatzsteuergesetz – Herausforderungen für jPdöR | Rz. 3.30 Kap. 3

lich ist eine Gesellschaft entweder selbständig oder nicht. Eine teilweise Selbständigkeit ist denklogisch nicht möglich.

d) Aufwandspool An einer bipolaren Leistungsbeziehung fehlt es auch, wenn Leistungen in einen sogenannten Aufwandspool erbracht werden. In diesem Fall fehlt es zwangsläufig an einem Austausch von Leistungen.1 In einem Aufwandspool bündeln mindestens zwei Personen zum Zwecke der gemeinsamen Beschaffung, Entwicklung oder Herstellung von Wirtschaftsgütern, Dienstleistungen oder Rechten Ressourcen, um hieraus einen wechselseitigen Nutzen zu ziehen2. Teilnehmer eines Aufwandspools kann damit nur sein, wer durch die Leistungen an die Gemeinschaft selbst Vorteile zieht.3

3.29

Hintergrund ist, dass durch den Zusammenschluss kein neuer Steuerpflichtiger entsteht, sondern eine reine Innengesellschaft. Ob eine Innengesellschaft in Abgrenzung zur teilrechtsfähigen Außen-GbR vorliegt, bestimmt sich maßgeblich nach zivilrechtlichen Grundsätzen. Ist eine Gesellschaft nur nach innen durch einen gemeinsamen Zweck verbunden, tritt aber nicht nach außen als Gesellschaft auf, liegt eine Innengesellschaft vor.4 Bei der Innengesellschaft existiert kein Gesamthandsvermögen.5 Die Gesellschafter treten vielmehr in eigenem Namen nach außen auf.6 Eine interne Organisation steht der Annahme einer Innengesellschaft nicht entgegen.7 Liegt zivilrechtlich nur eine Innengesellschaft vor, so ist nach der Rechtsprechung ein Leistungsaustausch i.S.d. Umsatzsteuerrechts nur unter den Gesellschaftern selbst und

3.30

1 In diese Richtung bereits Strahl, UR 2012, 381 (384 ff.), „Leistungsvereinigung statt Leistungsaustausch“. Die Annahme eines tauschähnlichen Umsatzes schließt sich damit von vornherein aus. 2 Vgl. Plikat, UStB 2009, 41 ff. (42), Sterzinger, DStR 2009, 1340 ff. (1343); Wäger, UR 2008, 69 ff. (76); Schuck/Baumunk, BB 2005, 2105 ff. 3 Vgl. auch zur Ertragsteuer: BMF v. 30.12.1999 – VV DEU BMF 1999-12-30 IV B 4 - S 1341-14/ 99, BStBl. I 1999, 1122. 4 Statt vieler Sprau in Palandt, BGB80, § 705 Rn. 33. 5 St. Rspr. seit RG, Urt. v. 20.2.1941 – II 99/40, RGZ 166, 160; Schäfer in Münchener Kommentar zum BGB9, § 705, Rn. 277. 6 Vgl. BFH, Urt. v. 27.5.1982 – V R 110 und 111/81, BStBl. II 1982, 678. 7 Vgl. Schöne in Beck’scher Online-Kommentar BGB, § 705 BGB Rn. 158 ff.

Küffner | 87

Kap. 3 Rz. 3.30 | Umsatzsteuerrecht als Schlüsselmaterie

zwischen den Gesellschaftern und Dritten denkbar.1 In seinem Urteil vom 11.11.1965 führt der BFH aus: „Es gehört zu den Grundregeln des Umsatzsteuerrechts, daß Unternehmer nur solche Personen oder Personenzusammenschlüsse sein können, die durch Lieferungen oder sonstige Leistungen aktiv am Wirtschaftsleben teilnehmen. Personenzusammenschlüsse, die nicht nach außen auftreten, sondern nur im Innenverhältnis zwischen den Beteiligten bestehen, begründen keine Rechtsverhältnisse zu dritten Personen, sind daher keine Unternehmer im Sinne des Umsatzsteuerrechts und bewirken keine steuerbaren Umsätze. Als Unternehmer treten – wie dies auch im Streitfalle geschehen ist – die Mitglieder der Innengesellschaft in eigenem Namen auf.2

3.31

Aufgrund des fehlenden Gesamthandsvermögens kann die Innengesellschaft als solche nicht an Umsätzen beteiligt sein.3 Der BFH sieht bei der Innengesellschaft auch keine Leistungen zwischen Gesellschaft und Gesellschaftern.4 Ein Leistungsaustausch ist nur zwischen den Poolmitgliedern selbst und zwischen den Poolmitgliedern und Dritten denkbar.5

3.32

Maßgebliches Wesensmerkmal eines Aufwandspools ist daher, dass im Prinzip jedes PoolMitglied seinen Aufwand selbst bezieht. Denn der Aufwandspool selbst ist keine nach außen auftretende Personenvereinigung. Der Aufwand wird später nach einem im Vorhinein festgelegten Schlüssel, der sich häufig nach dem jeweiligen Nutzen der Poolmitglieder bestimmt, auf diese verteilt. Bei einem Aufwandspool übernimmt jeder Unternehmer im Rahmen seiner Unternehmenstätigkeit Aufgaben, die im Interesse des Pools liegen.6 Jedes Poolmitglied hat dabei einen im Vorfeld vereinbarten Beitrag zu leisten. Ein finanzieller Ausgleich (Spitzenausgleich) erfolgt nur, soweit ein Poolmitglied einen über seine Beitragspflicht hinausgehenden Beitrag erbringt. In einem Aufwandspool stellt sich stets die Frage, ob das einzelne Poolmitglied eine Leistung gegen Entgelt an den „Pool“ oder an die anderen Poolmitglieder erbringt.

3.33

Ausgangspunkt der Dogmatik ist die Rechtsprechung des EuGH zu Konsortien. In seiner Entscheidung vom 29.4.2004 in der Rechtssache EDM7 urteilte der EuGH wie folgt: „Arbeiten [...], die die Mitglieder eines Konsortiums gemäß den Klauseln des Konsortialvertrags entsprechend ihrem jeweiligen in diesem Vertrag festgelegten Arbeitsanteil durchführen, [stellen] keine Lieferungen von Gegenständen oder Dienstleistungen „gegen Entgelt“ [...] und damit auch keinen [...] steuerbaren Umsatz dar.“8 „Wenn dagegen die Arbeiten über den im Vertrag festgelegten Arbeitsanteil eines Mitglieds des Konsortiums hinaus gehen und dies dazu führt, dass die anderen Mitglieder des Konsortiums eine Gegenleistung

1 BFH, Urt. v. 27.5.1982 – V R 110/81 u. 111/81, BStBl. II 1982, 678, Rn. 19; FG München, Urt. v. 24.5.2007 – 14 K 891/04, n.v., Rn. 21, juris; FG Baden-Württemberg, Urt. v. 29.8.2013 – 1 V 1086/13, n.v., Rn. 27, juris. 2 BFH, Urt. v. 11.11.1965 – V 146/63 S, BStBl. III 1966, 28, Rn. 7. 3 So BFH, Urt. v. 27.05.1982 – V R 110/81 u. 111/81, BStBl. II 1982, 678, Rn. 19. 4 BFH, Urt. v. 11.11.1965 – V 146/63 S, BStBl. III 1966, 28. 5 BFH, Urt. v. 27.5.1982 – V R 110/81 u. 111/81, BStBl. II 1982, 678, Rn. 19; FG München, Urt. v. 24.5.2007 – 14 K 891/04, n.v., Rn. 21, juris; FG Baden-Württemberg, Urt. v. 29.8.2013 – 1 V 1086/13, n.v., Rn. 27, juris; Reiß in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 2 UStG Rn. 86; Abschn. 1.1 Abs. 17 S. 2 UStAE. 6 Theler in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 1 UStG, Rz. 413.4; BMF v. 30.12.1999 – IV B 4-S 134114/99, BStBl. I 1999, 1122. 7 EuGH, Urt. v. 29.4.2004 – Rs. C-77/04 – EDM, UR 2004, 292, Rn. 90. 8 EuGH, Urt. v. 29.4.2004 – Rs. C-77/04 – EDM, UR 2004, 292, Rn. 88.

88 | Küffner

B. Das Umsatzsteuergesetz – Herausforderungen für jPdöR | Rz. 3.37 Kap. 3 für die über diesen Arbeitsanteil hinaus gehenden Arbeiten zahlen, so stellen diese eine Lieferung von Gegenständen oder eine Dienstleistung „gegen Entgelt“ [...] dar.“1

Der EuGH sieht die Grundlage für die Nichtsteuerpflicht im Fehlen einer Gegenleistung. Der Mehrwertsteuer können nur Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen unterliegen, die gegen Entgelt ausgeführt werden. Somit können Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die nicht gegen Entgelt ausgeführt werden, grundsätzlich keine steuerbaren Umsätze darstellen.2 Vor dem Hintergrund, dass die Mitglieder Arbeiten, die sie entsprechend ihrem jeweiligen Arbeitsanteil durchführen, nicht vergütet bekommen, liegen keine gegen Entgelt ausgeführten Lieferungen von Gegenständen oder Dienstleistungen vor.3 Der EuGH gelangt daher zu dem Ergebnis, dass die Mitglieder des Konsortiums in Höhe ihres Arbeitsanteils keine steuerbaren Leistungen gegenüber dem Konsortium und auch keine steuerbaren Leistungen gegenüber den anderen Mitgliedern des Konsortiums erbringen. Etwas anderes gilt nur für darüber hinausgehende entgeltliche Leistungen, den sog. Spitzenausgleich.

3.34

Leistungen an den Pool im Rahmen der Beitragspflicht führen also nicht zu einem umsatzsteuerbaren Leistungsaustausch.Voraussetzung für die fehlende Steuerbarkeit ist, dass die Mitglieder entsprechend ihrem im Konsortialvertrag festgelegten Arbeitsanteil Arbeiten durchführen.4 Arbeiten der Mitglieder, die im Rahmen eines Konsortiums für dessen Rechnung erbracht werden, unterscheiden sich nicht von Arbeiten, die ein Unternehmen für eigene Rechnung durchführt.5 Anders ist es dagegen, wenn ein Mitglied des Konsortiums Arbeiten erbringt, die über den im Vertrag festgelegten Anteil hinausgehen. Leisten die übrigen Mitglieder hierfür einen kompensatorischen Ausgleich, ist eine steuerbare entgeltliche Leistung gegeben.6 Besteuerungsgrundlage ist der Betrag, den das Mitglied des Konsortiums für die über die vertraglichen Verpflichtungen hinausgehenden Arbeiten erhält.7

3.35

Der Ansatz, ausschließlich auf die Frage des „Entgelts“ abzustellen, fügt sich in die bisherige Rechtsprechung zu den Leistungsbeziehungen zwischen einer Gesellschaft und ihrem Gesellschafter ein.

3.36

Im Verhältnis zwischen Gesellschafter und Gesellschaft kommt es auch stets auf das Vorliegen eines Entgelts an.8 Ein Leistungsaustausch ist nur dann zu bejahen, wenn zwischen dem Steuerpflichtigen und dem Leistungsempfänger ein Rechtsverhältnis besteht, das einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Leistung und Entgelt begründet, so dass das Entgelt als Gegenwert für die Leistung anzusehen ist.9 Unerheblich ist, ob sich das der Leistung zugrunde liegende Rechtsverhältnis aus den gesellschaftsrechtlichen Vereinbarungen ergibt10. Einschränkend weist der EuGH aber darauf hin, dass sich der unmittelbare Zusammenhang zwischen der Leistung und der Gegenleistung nicht aus der allgemeinen Beteiligung des Gesell-

3.37

1 2 3 4 5 6 7 8

EuGH, Urt. v. 29.4.2004 – Rs. C-77/04 – EDM, UR 2004, 292, Rn. 89. EuGH, Urt. v. 29.4.2004 – Rs. C-77/01 – EDM, UR 2004, 292, Rn. 86. EuGH, Urt. v. 29.4.2004 – Rs. C-77/01 – EDM, UR 2004, 292, Rn. 88. EuGH, Urt. v. 29.4.2004 – Rs. C-77/04 – EDM, UR 2004, 292, Rn. 88. EuGH, Urt. v. 29.4.2004 – Rs. C-77/04 – EDM, UR 2004, 292, Rn. 86. EuGH, Urt. v. 29.4.2004 – Rs. C-77/04 – EDM, UR 2004, 292, Rn. 89. EuGH, Urt. v. 29.4.2004 – Rs. C-77/04 – EDM, UR 2004, 292, Rn. 90. Vgl. EuGH v. 12.7.2001 – Rs. C-102/00 – Welthgrove BV, UR 2001, 533, UVR 2002, 21; v. 27.9.2001 – Rs. C-16/00 – Cibo Participations SA, UR 2001, 500. 9 Vgl. dazu auch BFH v. 15.4.2010 – V R 10/08, BStBl. II 2010, 879, UR 2010, 657; v. 5.10.2007 – V R 60/05, BStBl. II 2009, 486. 10 BFH v. 5.10.2007 – V R 60/05, BStBl. II 2009, 486.

Küffner | 89

Kap. 3 Rz. 3.37 | Umsatzsteuerrecht als Schlüsselmaterie

schafters am allgemeinen Gewinn und Verlust ergeben kann. Ist eine Leistung des Gesellschafters mit der allgemeinen Gewinnbeteiligung abgegolten, reicht dies nicht für die Annahme eines Entgelts aus.1

3.38

Die Grundsätze des EuGH-Urteils EDM gelten für alle Formen von Innengesellschaften, insbesondere für sog. Aufwandspools.2 Auch die deutsche Finanzverwaltung wendet die Grundsätze des EuGH-Urteils EDM an.3 Allenfalls der Spitzenausgleich unterliegt der Umsatzbesteuerung.4 Arbeitsanteile in Höhe der Beitragspflicht unterliegen in diesen Fällen nicht der Umsatzsteuer5. Lediglich der Begriff des „Aufwandspools“ ist der Finanzverwaltung fremd – der Umsatzsteueranwendungserlass spricht vielmehr von „Innengesellschaften“.6 In einer Stellungnahme gegenüber der Kultusministerkonferenz v. 26.11.2020 weist das BMF ausdrücklich darauf hin, dass es sich bei Forschungskooperationen um (nicht steuerbare) echte Gesellschafterbeiträge handeln kann.7

3.39

Zu den Mitgliedern eines steuerrechtlich anzuerkennenden Pools können nur solche Unternehmen gehören, die gleichgerichtete Interessen verfolgen.8 Das ist der Fall, wenn juristische Personen des öffentlichen Rechts in Erfüllung einer gleichgerichteten Aufgabe bzw. aus einem identischen Interesse ihre Ressourcen bündeln. Stellen Kooperationspartner sich im Rahmen eines Aufwandspools gegenseitig Personal und Sachmittel zur Verfügung oder teilen sie entsprechend einer vertraglichen Vereinbarung Personalkosten und Sachmittelaufwand anteilig aufeinander auf, so spricht vieles dafür, dass eine solche Weiterberechnung der Aufwendungen nicht der Umsatzsteuer unterliegt, wenn – die Kooperationspartner festgeschriebene Tätigkeiten entsprechend einer vertraglichen Grundlage im Rahmen eines Aufwandspools erbringen; – diese Tätigkeiten sich als der „festgelegte Arbeitsanteil“ i.S.d. EuGH-Urteils qualifizieren lassen; – und die Mitglieder keine Mehrleistungen erbringen, die der Vertrag nicht vorsieht und die die übrigen Mitglieder finanziell kompensieren.9

3.40

Die Umsetzung eines echten Aufwandspools begegnet in der Praxis allerdings Schwierigkeiten. Voraussetzung für einen echten Aufwandspool ist zunächst eine gemeinsame Zweckverfolgung, die es im Einzelfall zu definieren gilt.10 Vorsicht ist weiter geboten, wenn eine juristische Person des öffentlichen Rechts als federführender Haushälter agiert – also die Kosten unterjährig sammelt und am Ende des Jahres auf die anderen Pool-Mitglieder umlegt. Dies kann zu einem Leistungsaustausch und damit zu einem sogenannten unechten Aufwandspool führen. 1 EuGH, Urt. v. 27.1.2000 – Rs. C-23/98, UR 2000, 121, Rz. 13; v. 27.9.2001 – Rs. C-16/00 – Cibo, BFH/NV Beilage 2002, 6 Rz. 43. 2 Vgl. Wäger, UR 2008, 69 (76); Reiß, IStR 2004, 450. 3 Abschn. 1.6 Abs. 8 Satz 7 UStAE, 4 Abschn. 1.6 Abs. 8 Sätze 5 bis 7 UStAE. 5 Vgl. Abschn. 1.6 Abs. 8 Sätze 6 und 7 UStAE. 6 S. etwa Abschn. 1.1 Abs. 17 UStAE. 7 Vgl. Schreiben des BMF an die Kultusministerkonferenz v. 26.11.2020, Gz. III C 2 - S 7107/19/ 10005 :015 (n.v.). 8 Vgl. BMF, Schr. v. 30.12.1999, IV B 4 - S 1341 – 14/99, BStBl. I 1999, 1122; Wäger, UR 2008, 69 ff. (77), der die auf die Ausgleichzahlungen beschränkte Besteuerung bei Konsortien nur gerechtfertigt sieht, wenn die Tätigkeit der Poolmitglieder in einem gemeinsamen Interesse besteht. 9 Vgl. zum Ganzen auch Plikat, UStB 2009, 41. 10 So bereits Wäger, UR 2008, 69 (71).

90 | Küffner

B. Das Umsatzsteuergesetz – Herausforderungen für jPdöR | Rz. 3.43 Kap. 3

3. Entgeltlichkeit der Leistung a) Überblick Ein Leistungsaustausch im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG setzt eine Leistung gegen Entgelt voraus. Die Steuerbarkeit erfordert damit grundsätzlich einen entgeltlichen Vorgang. Denn ein steuerbarer Leistungsaustausch setzt die Vereinbarung zwischen den Parteien über einen Preis oder einen Gegenwert voraus.1 Dabei ist der Begriff des Entgelts im Umsatzsteuerrecht weit zu verstehen (s. unten b. Rz. 3.42 ff.). Nicht notwendigerweise muss eine Geldzahlung erfolgen (s. unten zu tauschähnlichen Umsätzen c. Rz. 3.45). Bei sogenannten echten Zuschüssen hingegen fehlt es trotz einer Geldzahlung an einem umsatzsteuerrechtlich relevanten Entgelt (s. unten d. Rz. 3.46 ff.). Im Rahmen der Besteuerung unentgeltlicher Wertabgaben hingegen können bestimmte Vorgänge trotz Unentgeltlichkeit der Umsatzsteuer unterfallen (s. unten e. Rz. 3.51 ff.).

3.41

b) Entgeltbegriff im Umsatzsteuerrecht Die Voraussetzungen für einen umsatzsteuerrechtlichen Leistungsaustausch im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG sind als niedrigschwellig zu beurteilen: Für einen Leistungsaustausch reicht aus, wenn einer Leistung eine Gegenleistung in einem wechselseitigen, nicht unbedingt synallagmatischen Zusammenhang gegenübersteht.2 Eine umsatzsteuerrechtlich relevante Gegenleistung kann auch in bloßem Aufwendungsersatz bestehen.3 Denn für die Frage, ob eine Zahlung als umsatzsteuerrechtlich relevantes Entgelt einzustufen ist, ist weder die Höhe noch die Bezeichnung maßgeblich.4 Aus dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Leistung folgt, dass es im Umsatzsteuerrecht teilentgeltliche Rechtsgeschäfte nicht geben kann.5 Eine Zahlung führt deshalb auch dann zu einem steuerbaren Umsatz, wenn es sich nur um ein unterpreisiges, symbolisches Entgelt handelt.6 Die Frage, ob die Gegenleistung die dem Leistenden entstandenen Kosten deckt, dem Marktüblichen oder dem objektiven Wert der Leistung entspricht, ist für die Steuerbarkeit eines Umsatzes ohne Belang.7 Hintergrund dessen ist der Verbrauchsteuercharakter der Umsatzsteuer: Anders als im Ertragsteuerrecht kommt es nicht auf die Perspektive des Leistenden, sondern vielmehr auf die des Leistungsempfängers an. Das Umsatzsteuerrecht knüpft gerade nicht an das Erzielen von Gewinnen an (§ 2 Abs. 1 S. 2 UStG). Entscheidend ist, dass der Leistungsempfänger einen verbrauchbaren Vorteil erhalten hat, der zu einem Verbrauch im Sinne des gemeinsamen Mehrwertsteuerrechts führt.8

3.42

Hier gilt es nun allerdings, die vom EuGH in der Rs. Gemeente Borsele aufgezeigte Grenze zu beachten: Die Rechtsprechung hält es aber für möglich, dass es bei dauerdefizitären Tätigkeiten von juristischen Personen des öffentlichen Rechts im Einzelfall an einem umsatzsteuerrechtlich relevanten Leistungsentgelt fehlt. Deckt eine Gemeinde über die von ihr vereinnahmten Beiträge nur einen kleinen Teil ihrer Kosten, deutet diese Asymmetrie zwischen Betriebskosten und den

3.43

1 St. Rspr. EuGH, Urt. v. 22.6.2016 – Rs. C-11/15 – Cesky rozhlas, UR 2016, 632, Rn. 20 m.w.N. 2 Abschn. 1.1 Abs. 1 S. 2, 3 UStAE. 3 St. Rspr. BFH, Urt. v. 13.2.2019 – XI R 1/17, BFH/NV 2019, 793; v. 18.3.2004 – V R 101/01, BStBl. II 2004, 342; v. 11.4.2002 – V R 65/00, BStBl. II 2002, 782; vgl. auch Abschn. 1.1 Abs. 12 S. 3; Abschn. 1.1 Abs. 16 UStAE. 4 Robisch in Bunjes, UStG20, § 1 Rn. 7; Abschn. 10.12 Abs. 1 S. 1 UStAE. 5 Heuermann in Sölch/Ringleb, UStG, § 3 Rn. 376. 6 EuGH, Urt. v. 20.1.2005 – Rs. C-412/03 – Hotel Scandic Gåsabäck, BFH/NV 2005, Beil. 2, 90; BFH, Urt. v. 15.11.2007 – V R 15/06, BStBl. II 2009 S. 423. 7 BFH, Urt. v. 16.3.1993 – XI R 52/90, BStBl. II 1193, 562; Abschn. 10.1 Abs. 2 S. 1 UStAE. 8 Grundlegend EuGH, Urt. v. 29.2.1996 – Rs. C-215/94 – Mohr, DStR 1996, 421.

Küffner | 91

Kap. 3 Rz. 3.43 | Umsatzsteuerrecht als Schlüsselmaterie

als Gegenleistung erhaltenen Beträgen möglicherweise darauf hin, dass kein Leistungsentgelt vorliegt.1 Diese Rechtsprechung hat der BFH übernommen.2 Die Problematik des sogenannten asymmetrischen Entgelts kommt vor allem im Rahmen des Vorsteuerabzugs zum Tragen.3

3.44

Eine Korrektur sieht das Umsatzsteuergesetz lediglich auf Ebene der Bemessungsgrundlage vor: Bemessungsgrundlage der Umsatzsteuer ist grundsätzlich das Entgelt gemäß § 10 Abs. 1 S. 1 UStG. Entgelt ist alles, was der Leistungsempfänger tatsächlich für die an ihn bewirkte Leistung aufwendet – abzüglich der Umsatzsteuer.4 Nur wenn Leistungen verbilligt an den in § 10 Abs. 5 UStG aufgezählten Personenkreis erfolgen, sieht das Umsatzsteuergesetz eine Korrektur im Sinne einer Mindestbemessungsgrundlage vor. Denkbar wäre die Anwendung der Mindestbemessungsgrundlage, soweit eine unternehmerisch tätige juristische Person des öffentlichen Rechts verbilligte Leistungen an ihr Personal oder dessen Angehörige erbringt (§ 10 Abs. 5 Nr. 2 UStG). Die Anwendung von § 10 Abs. 5 Nr. 1 UStG kommt demgegenüber nicht in Betracht, weil die Norm nur auf Körperschaften im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 KStG anwendbar ist, juristische Personen des öffentlichen Rechts aber erst in § 1 Abs. 1 Nr. 6 KStG genannt sind. Für den Fall einer verbilligten Überlassung einer Sporthalle schloss der BFH auch eine entsprechende Anwendung von § 10 Abs. 5 Nr. 1 UStG aus. Zum einen seien Nutzer kommunaler Einrichtungen keine der Körperschaft nahestehenden Personen.5 Zum anderen sei die Vorschrift als nationale Sondermaßnahme zur Verhütung von Steuerhinterziehungen und -umgehungen eng auszulegen und nur anwendbar, wenn dies unbedingt erforderlich ist.6 c) Tauschähnliche Umsätze

3.45

Für eine Leistung gegen Entgelt braucht es nicht unbedingt eine Geldzahlung. Nach § 3 Abs. 12 UStG ist die Entgeltlichkeit auch bei einem Tausch bzw. einem tauschähnlichen Umsatz zu bejahen. Von besonderer Bedeutung ist dies im Zusammenhang mit Sponsoring. In zunehmendem Maße wenden Privatunternehmen juristischen Personen des öffentlichen Rechts Geld oder geldwerte Vorteile zu, um davon im Rahmen ihrer Öffentlichkeitsarbeit zu profitieren.7 Dies kann im Einzelfall zu einem umsatzsteuerbaren Leistungsaustausch führen. Der BFH bejahte dies etwa in einem Fall, in dem der Sponsor im Gegenzug zur Förderung des Gesponserten in dessen Publikationsorgan Werbeanzeigen schalten, einschlägige sponsorbezogene Themen darstellen und bei Veranstaltungen des Gesponserten über diese Themen informieren und werben durfte.8 Nicht ausreichen soll es nach Auffassung der Finanzverwaltung hingegen, wenn der Gesponserte lediglich auf Plakaten, auf seiner Homepage oder in anderer Weise auf die Unterstützung durch den Sponsor hinweist.9 Der Hintergrund mag sein, dass die Finanzverwaltung in der bloßen Nennung des Namens noch keine werbetaugliche Maßnahme und damit keinen verbrauchbaren Vorteil erblickt.10 Gleichwohl wirft die 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

EuGH, Urt. v. 12.5.2016 – Rs. C-520/14 – Gemeente Borsele, UR 2016, 520 m. Anm. Küffner. BFH, Urt. v. 15.12.2016 – V R 44/15, UR 2017, 302; v. 28.6.2017 – XI R 12/15, UR 2017, 758. Ausführlich siehe daher unter Teil B. V. 3. Vgl. Abschn. 10.1. Abs. 3 S. 1. BFH, Urt. v. 28.6.2017 – XI R 12/15, UR 2017, 758, Rn. 69. Ebenso Lippross, UR 2010, 214 (216 f.). Kritisch Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, § 15 Rn. 502.1. BFH, Urt. v. 5.6.2014 – XI R 44/12, BStBl. II 2016, 187, Rn. 28; v. 28.6.2017 – XI R 12/15, UR 2017, 758, Rn. 71. Ausführlich zur Thematik des Verwaltungssponsorings s. Sterzinger, MwStR 2020, 999. BGH, Urt. v. 7.11.2007 – I R 42/06, BFHE 219, 558. Abschn. 1.1 Abs. 23 S. 1 UStAE. Sterzinger, MwStR 2020, 999 (1002); Fries, USt direkt digital 2004, 8.

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B. Das Umsatzsteuergesetz – Herausforderungen für jPdöR | Rz. 3.48 Kap. 3

Frage, ab wann eine Nennung des Sponsors zu einem umsatzsteuerrelevanten Leistungsaustausch führt, in der Praxis erhebliche Abgrenzungsprobleme auf. d) Zuschüsse Gleiches gilt bei der Zahlung von Zuschüssen. Die Zahlung von Beihilfen oder Prämien ist vor allem im Bereich der Daseinsvorsorge keine Seltenheit. Die Problematik der umsatzsteuerrechtlichen Behandlung von Zuschüssen wird daher vor allen Dingen bei der öffentlichen Hand virulent1. Auch „Zuwendungen“, „Beihilfen“ oder „Ausgleichszahlungen“ können als umsatzsteuerrechtlich beachtliches Leistungsentgelt zu qualifzieren sein. Bei Zahlungen in Form von Beihilfen oder Prämien ist daher stets zu hinterfragen, ob es sich dabei um umsatzsteuerrechtlich relevantes Entgelt von dritter Seite oder um einen nicht steuerbaren sogenannten echten Zuschuss handelt.

3.46

Kennzeichen eines steuerbaren Leistungsaustauschs im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG ist ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Leistung und Gegenleistung im Sinne einer inneren Verknüpfung.2 Als Voraussetzung muss die Leistung erkennbar auf die Erlangung einer Gegenleistung gerichtet sein. Eine Zahlung ist dann Entgelt, wenn der Leistende diese vom Leistungsempfänger „für“ eine Lieferung oder sonstige Leistung erhält. Problematisch ist, dass das Umsatzsteuerrecht hier keine zielgerichtete Handlung in dem Sinne erfordert, dass die Tätigkeit um des Aufwendungsersatzes willen erfolgt.3 Es reicht, wenn zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempfänger ein Rechtsverhältnis besteht, das einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Leistung und Entgelt begründet.4 Dieses Rechtsverhältnis bildet den inneren Zusammenhang zwischen Leistung und Gegenleistung. Auch hier erweist sich das Umsatzsteuerrecht als niedrigschwellig. Einer Gegenleistungsvereinbarung bedarf es nicht. So kann ein Rechtsverhältnis auch durch schlüssiges Verhalten zur Entstehung kommen, wenn der Leistungsempfänger freiwillige Zahlungen erbringt.5 Hat der Leistungsempfänger einen Rechtsanspruch auf die Zahlung oder wird die Zahlung in Erfüllung einer öffentlich-rechtlichen Verpflichtung gegenüber dem Leistungsempfänger oder zumindest im Interesse des Leistungsempfängers gewährt, stuft die Finanzverwaltung eine Zahlung als umsatzsteuerrechtliches Entgelt ein.6 Die Bezeichnung als bloßer Zuschuss ist insofern unbeachtlich.

3.47

An einem umsatzsteuerrechtlich relevanten Leistungsaustausch fehlt es hingegen bei sogenannten echten Zuschüssen. Formal stehen sich in diesem Fall zwar Leistung und Gegenleistung gegenüber – die Gegenleistung wird aber nur anlässlich der Leistung, nicht wegen der Leistung hingegeben.7 Ob Zuschüsse eine Gegenleistung im Rahmen einer Leistungsbeziehung darstellen, hängt von den Vereinbarungen des Leistenden mit dem Zahlenden oder dem Bewilligungsbescheid ab.8 Entscheidend ist, ob eine Verknüpfung von einer Leistung mit der Zahlung seitens der öffentlichen Hand gegeben ist.9 An einem Leistungsaustausch fehlt es,

3.48

1 2 3 4 5 6 7 8 9

Vgl. zum Ganzen Huschens, UVR 2021, 204 ff. Sterzinger in Küffner/Zugmaier, USt, § 1 UStG Rz. 310. BFH, Urt. v. 16.1.2003 – V R 92/01, BStBl. II 2003, 732. St. Rspr. BFH, Urt. v. 27.11.2008 – V R 8/07, BStBl. II 2009, 397 m.w.N. Nieskens in Rau/Dürrwächter, UStG, § 1 Rz. 824. Abschn. 10.2. Abs. 3 S. 4 UStAE. Sterzinger in Küffner/Zugmaier, USt, § 1 UStG Rz. 326. BFH, Urt. v. 10.8.2016 – XI R 41/14, BStBl. II 2017, 590. BFH, Urt. v. 8.11.2007 – V R 20/05, BStBl. II 2009, 438; Schauhoff, Hdb. der Gemeinnützigkeit3, § 12 UStG, Rn. 28.

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Kap. 3 Rz. 3.48 | Umsatzsteuerrecht als Schlüsselmaterie

wenn der Zuschuss lediglich der Förderung des Zahlungsempfängers im allgemeinen Interesse dient.1 Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Zahlungen den Empfänger ganz allgemein in die Lage versetzen sollen, tätig werden zu können und seine Zwecke zu erfüllen.2 Zu bejahen ist dies, wenn die Zahlungen nicht für die Erbringung einer bestimmten Leistung, sondern unabhängig von einer solchen erfolgen.3

3.49

Der dogmatische Hintergrund erklärt sich anhand der obig dargestellten Bipolarität des Leistungsverhältnisses: Bei echten Zuschüssen fehlt es an einem individualisierten Leistungsempfänger. Die Zahlung soll lediglich die allgemein-politisch erwünschte Tätigkeit des Zahlungsempfängers fördern, ohne einen Gegenwert zu dessen Leistung zu bilden.4 Umgekehrt bedeutet das: Mag eine Zahlung auch im öffentlichen Interesse liegen, ist diese umsatzsteuerrechtlich relevantes Entgelt, solange ein individueller Leistungsempfänger vorhanden ist, der aus der Leistung einen verbrauchbaren Vorteil zieht.5

3.50

Es bedarf damit im Einzelfall einer differenzierenden Betrachtung. Echte Zuschüsse können vorliegen bei Zahlungen für Verkehrsangebote des öffentlichen Personennahverkehrs.6 Durch die Zahlung soll das Angebot des ÖPNV zugunsten der Bevölkerung im Allgemeinen ermöglicht oder verbessert werden. Die Zahlungen erfolgen nicht für eine konkrete Bestellung einzelner Nahverkehrsleistungen. Sie dienen vielmehr der Allgemeinheit, indem dieser ein breites Netz an Verkehrslinien zur Verfügung gestellt wird.7 Zahlungen für Leistungen, die keine unmittelbaren Nahverkehrsleistungen sind, stellen hingegen keine echten Zuschüsse dar. Dies betrifft z.B. Verwaltungstätigkeiten, die Erstellung von Nahverkehrsplänen, Marketing, Vertrieb, Kundenbetreuung, Infrastrukturplanung usw.8 Diese Tätigkeiten kommen der allgemeinen Bevölkerung nur mittelbar zugute. e) Besteuerung unentgeltlicher Wertabgaben

3.51

Im Einzelfall unterliegen auch unentgeltliche Vorgänge der Umsatzsteuer. Den Grundtatbestand des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG ergänzt die Besteuerung unentgeltlicher Wertabgaben nach § 3 Abs. 1b und Abs. 9a UStG. Unentgeltliche Wertabgaben sind auch bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts möglich.

3.52

Für die Zuordnung von Gegenständen gelten bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts die gleichen Grundsätze wie für natürliche Personen.9 Umsatzsteuerrechtlich sind juristische Personen des öffentlichen Rechts in einen unternehmerischen und einen nichtunternehmeri1 BFH, Urt. v. 18.12.2008 – V R 38/06, BStBl. II 2009, 749. 2 BFH, Urt. v. 8.11.2007 – V R 20/05, BStBl. II 2009, 483; v. 11.4.2002 – V R 65/00, BStBl. II 2002, 782. 3 BFH, Urt. v. 9.10.2003 – V R 51/02, BStBl. II 2004, 322. 4 St. Rspr. BFH, Urt. v. 24.8.2006 – V R 19/05, BStBl. II 2007, 187 m.w.N.; Abschn. 10.2 Abs. 2 S. 7 UStAE. 5 Grundlegend BFH, Urt. v. 13.11.1997 – V R 11/97, BStBl. II 1998, 169. 6 OFD Frankfurt/Main, Verf. v. 24.2.2016, S 7104 A – 08 – St 110, Ziff. 2.1, 2.3, 2.4; OFD Niedersachsen, Verf. v. 31.3.2015, S 7200 - 283 – St 171, UR 2015, 487, Ziff. II, III; OFD Karlsruhe, Verf. v. 29.2.2008 – S 7200, UR 2008, 567, Ziff. 2. 7 Vgl. Art. 2 Abs. 1 S. 2 BAyÖPNVG; a. A. FG Baden-Württemberg, Urt. v. 25.9.1996 – 12 K 244/ 94, EFG 1996, 1244. 8 OFD Frankfurt/Main, Verf. v. 24.2.2016, Ziff. 2.2; OFD Niedersachsen, Verf. v. 31.3.2015, Ziff. III; FG Schleswig-Holstein, Urt. v. 29.8.2011 – 4 K 51/10, DStRE 2012, 698. 9 BFH, Urt. v. 18.8.1988 – V R 18/83, BStBl. II 1988, 971.

94 | Küffner

B. Das Umsatzsteuergesetz – Herausforderungen für jPdöR | Rz. 3.57 Kap. 3

schen Bereich gespalten. Bezieht die juristische Person des öffentlichen Rechts Leistungen, die zu mehr als 10 % dem unternehmerischen Bereich dienen, obliegt ihr die Zuordnungsentscheidung (vgl. § 15 Abs. 1 S. 2 UStG).1 Zu einer unentgeltlichen Wertabgabe kann es zum Beispiel kommen, wenn Gegenstände dem unternehmerischen Bereich zugeordnet worden sind und die juristische Person des öffentlichen Rechts hierdurch zum vollen oder teilweisen Vorsteuerabzug berechtigt war. Werden solche Gegenstände anschließend für Zwecke hoheitlicher Tätigkeit entnommen, ist dieser Vorgang nach § 3 Abs. 1b S. 1 Nr. 1 UStG steuerbar. Die Verwendung von Gegenständen, die dem unternehmerischen Bereich einer juristischen Person des öffentlichen Rechts zugeordnet sind, führt zu einer steuerbaren Wertabgabe im Sinne von § 3 Abs. 9a Nr. 1 UStG.2

3.53

Bei der Klärung der Frage, ob eine unentgeltliche Wertabgabe nach § 3 Abs. 9a Nr. 2 UStG vorliegt, ist zwischen Leistungen aus dem nicht wirtschaftlichen Bereich und solchen aus dem wirtschaftlichen Bereich zu unterscheiden. Die von § 3 Abs. 9a Nr. 2 UStG erfassten Leistungen müssen aus dem Unternehmen kommen, d.h., sie sind nur dann steuerbar, wenn sie vorher dem Unternehmen zugeordnet waren. Nach Auffassung des BFH können daher unentgeltlich erbrachte Leistungen, die dem hoheitlichen Bereich „entnommen“ werden, keine unentgeltliche Wertabgabe darstellen.3

3.54

Hinsichtlich Leistungen aus dem unternehmerischen Bereich von juristischen Personen des öffentlichen Rechts fehlt es bislang an einer höchstrichterlichen Entscheidung. Der BFH hat dem EuGH in diesem Zusammenhang verkürzt gesprochen folgende Frage vorgelegt: Erfüllen unentgeltliche Leistungen aus dem unternehmerischen Bereich in den Hoheitsbereich den Tatbestand einer unentgeltlichen Wertabgabe?4

3.55

Diese Frage stellt sich vor allen Dingen im Zusammenhang mit der umsatzsteuerrechtlichen Organschaft. Zwar erstreckt sich die Organschaft nach Auffassung der Rechtsprechung auch auf den nichtunternehmerischen Teil des Organträgers.5 Umstritten ist aber, ob die Leistungen in den nichtunternehmerischen Bereich innerhalb des Organkreises zu einer unentgeltlichen Wertabgabe führen.6 Wäre dies zu bejahen, unterlägen die Leistungen in den Hoheitsbereich letztendlich der Umsatzsteuer. Der durch die Organschaft bezweckte Vereinfachungseffekt wäre passé.

3.56

Zu dieser Frage ist derzeit ein Vorlageverfahren beim EuGH anhängig (BFH, Beschl. v. 7.5.2020 – V R 40/19, DStR 2020, 1367, Rn. 33 ff.). In seinem Vorlagebeschluss zieht der BFH vor allem das EuGH-Urteil in der Rs. VNLTO7 heran: Während das nationale Umsatzsteuerrecht zwischen der unternehmerischen und der nichtunternehmerischen Sphäre unterscheidet, fächert der EuGH den nichtunternehmerischen Tätigkeitsbereich weiter auf. Er differenziert zwischen völlig unternehmensfremden Tätigkeiten und nichtwirtschaftlichen Tätigkeiten im engeren Sinne, mithin Tätigkeiten von juristischen Personen des öffentlichen Rechts im

3.57

1 2 3 4 5 6

Sterzinger in Küffner/Zugmaier, USt, § 3 UStG Rn. 398. Sterzinger in Küffner/Zugmaier, USt, § 3 UStG Rn. 1326. BFH, Urt. v. 7.5.1975 – V R 144/72, BStBl. II 1975, 751. BFH, Beschl. v. 7.5.2020 – V R 40/19, UR 2020 541, m. Anm. Küffner/Kirchinger. Siehe oben Teil B. II. 2. c. BFH, Beschl. v. 7.5.2020 – V R 40/19, DStR 2020, 1367, Rn. 33 ff.; offenlassend noch BFH, Urt. v. 20.8.2009 – V R 30/06, BStBl. II 2010, 863, Rn. 51; ablehnend FG Niedersachsen, Urt. v. 16.10.2019 – 5 K 309/17, DStRE 2020, 1052, Rn. 31. 7 EuGH, Urt. v. 12.2.2009 – Rs. C-515/07 – VNLTO, UR 2009, 199.

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Kap. 3 Rz. 3.57 | Umsatzsteuerrecht als Schlüsselmaterie

Hoheitsbereich.1 In der zum Vorsteuerabzug ergangenen Rechtssache VNLTO hat der EuGH entschieden, dass die Regelungen zur umsatzsteuerrechtlichen Entnahmebesteuerung nicht zur Anwendung gelangen, wenn der Steuerpflichtige Lieferungen oder sonstige Leistungen für den nichtwirtschaftlichen Bereich bezogen hat. Eine Verwendung für nichtwirtschaftliche Zwecke ist nach Auffassung des EuGH nicht mit einer Verwendung für unternehmensfremde Zwecke, wie sie die Entnahmebesteuerung voraussetzt, gleichzusetzen. Die Gretchenfrage lautet nun, ob dieses Urteil nur den Umfang des Vorsteuerabzugs betrifft oder auch bei eigenständiger Anwendung der Vorschriften über die unentgeltliche Wertabgabe zu berücksichtigen ist.

3.58

Es erschließt sich nicht, warum bei isolierter Anwendung der Regelung zur unentgeltlichen Wertabgabe etwas anderes gelten sollte als im Rahmen des Vorsteuerabzugs. Schon in der Rs. Landkreis Potsdam-Mittelmark kam der EuGH zu folgendem Ergebnis: „Daraus folgt, dass mit Art. 6 Abs. 2 Buchst. a der Sechsten Richtlinie keine Regel eingeführt werden sollte, nach der Tätigkeiten, die nicht in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer fallen, als Tätigkeiten betrachtet werden können, die für „unternehmensfremde Zwecke“ im Sinne dieser Vorschrift ausgeführt werden. Eine solche Auslegung würde nämlich Art. 2 Nr. 1 der Sechsten Richtlinie jeden Sinn nehmen (Urteil v. 12.2.2009, Vereniging Noordelijke Land- en Tuinbouw Organisatie, C-515/07, EU: C:2009:88 = DStR 2009, 369 mAnm Korn Rn. 38).“2

3.59

Die Nichtbesteuerung führt auch nicht zu etwaigen Steuerausfällen. Denn bezieht eine Organgesellschaft vorsteuerbelastete Wirtschaftsgüter, die sie entgeltlich an den nichtwirtschaftlichen Bereich des Organträgers weiterbelastet, so ist der Vorsteuerabzug bereits bei Bezug der Leistung zu kürzen. Bei nicht vorsteuerbelasteten Personalkosten oder anderen Dienstleistungen besteht aber gerade keine Notwendigkeit der Korrektur. Sie entsprechen vielmehr dem Wesen einer Organschaft. Denn der Sinn und Zweck einer solchen besteht gerade darin, Unternehmen diejenige Organisationsform zu ermöglichen, die sich für sie am besten eignet3. Die Umsatzsteuer soll und darf keine konzentrationsfördernde Wirkung haben. Die Einbeziehung des nichtunternehmerischen Bereichs in die Organschaft trägt damit zur steuerrechtlichen Neutralität bei. Denn die Organschaft lässt einen Leistungsaustausch innerhalb einer Unternehmensstruktur zu, ohne eine Umsatzsteuerpflicht auszulösen. Dennoch bleibt freilich abzuwarten, wie der EuGH am Ende entscheidet. Unabhängig vom Ausgang des Verfahrens zeigt sich, es kommt Bewegung in die Umsatzbesteuerung der öffentlichen Hand.

III. § 2 und § 2b sowie § 19 UStG – juristische Personen des öffentlichen Rechts als Unternehmer 1. Allgemeiner Unternehmerbegriff 3.60

Wer Unternehmer ist, regelt § 2 Abs. 1 UStG. § 2b UStG benennt zu dieser Grundregel eine Ausnahme für juristische Personen des öffentlichen Rechts. Wenn die Voraussetzungen des § 2b UStG vorliegen, handeln juristische Personen des öffentlichen Rechts nicht als Unternehmer, obwohl sie die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 UStG erfüllen. Die Leistungen der juristischen Person des öffentlichen Rechts sind insoweit nicht steuerbar. Damit juristische Personen des öffentlichen Rechts nicht als Unternehmer tätig sind, müssen die beiden Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sein, die § 2b UStG nennt: Die juristische Person des öffentlichen Rechts muss eine Tätigkeit ausüben, die ihr im Rahmen der „öffentlichen Gewalt“ obliegt (sie1 Ausführlich Hidien/Menebröcker, DStZ 2020, 973 (979). 2 EuGH, Urt. v. 15.9.2016 – Rs. C-400/15 – Landkreis Potsdam-Mittelmark, UR 2016, 840, Rn. 31. 3 Vgl. dazu Schlussantrag des Generalanwalts Jääskinen vom 27.11.2012 – Rs. C-85/11 – Kommission/Irland – Rn. 49.

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B. Das Umsatzsteuergesetz – Herausforderungen für jPdöR | Rz. 3.62 Kap. 3

he unten 2. a.), und die Behandlung der juristischen Person des öffentlichen Rechts als Nichtunternehmer darf nicht zu „größeren Wettbewerbsverzerrungen“ führen (siehe unten 3.a.).

2. Tätigkeiten im Rahmen öffentlicher Gewalt a) Rechtsnatur der Handlungsform Für die Beantwortung der Frage, ob eine juristische Person im Rahmen öffentlicher Gewalt tätig wird, kommt es ausweislich der Gesetzesbegründung ausschließlich auf die Rechtsnatur der Tätigkeitsgrundlage an. Entspringt diese dem öffentlichen Recht, handelt die juristische Person des öffentlichen Rechts im Rahmen der öffentlichen Gewalt (s. unten b.). Auf welche Handlungsgrundlage juristische Personen des öffentlichen Rechts ihre Tätigkeit stellen, haben sie häufig selbst in der Hand. Das Abgrenzungskriterium mag daher als Freifahrtschein für juristische Personen des öffentlichen Rechts erscheinen (s. unten c.). Zugleich besiegelt es aus umsatzsteuerrechtlicher Sicht das Ende des Formenwahlrechts der Verwaltung (s. unten d.). Der Grundsatz, dass Tätigkeiten auf privatrechtlicher Grundlage zur Umsatzsteuerbarkeit führen, gilt aber nicht unbedingt. Bei der Erschließung des juristischen Neulands rund um § 2b UStG kann es sich lohnen, sich auf die allgemeinen Grundsätze des Umsatzsteuerrechts zurückzubesinnen. Juristische Personen des öffentlichen Rechts verfügen über einen steuerbaren, unternehmerischen und einen nicht steuerbaren, hoheitlichen Tätigkeitsbereich. Hilfsgeschäfte (s. unten e.) und unselbständige Nebenleistungen (s. unten f.) sind sowohl auf dem einen als auch auf dem anderen Tätigkeitsfeld denkbar. Sind diese dem Hoheitsbereich der Körperschaft zuzuordnen, ist irrelevant, wenn sie im Rahmen zivilrechtlicher Vertragsverhältnisse erbracht werden.

3.61

b) Abgrenzung zwischen privatrechtlicher und öffentlich-rechtlicher Tätigkeitsgrundlage Auf der ersten Stufe des § 2b Abs. 1 S. 1 UStGist damit nur die Handlungsform entscheidend. Damit eine juristische Person des öffentlichen Rechts nicht als Unternehmer handelt, muss sie eine Tätigkeit ausüben, die ihr im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegt. Der Gesetzgeber hat durch dieses Merkmal das deutsche Gesetz an Art. 13 MwStSystRL angepasst. Ebenfalls in Anlehnung an Art. 13 MwStSystRL und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des EuGH nennt der BFH dieses Tatbestandsmerkmal bereits in seiner bisherigen Rechtsprechung zu § 2 Küffner | 97

3.62

Kap. 3 Rz. 3.62 | Umsatzsteuerrecht als Schlüsselmaterie

Abs. 3 UStG.1 Es ist daher davon auszugehen, dass der BFH zur Auslegung dieses Tatbestandsmerkmals an seiner diesbezüglichen Rechtsprechung festhalten wird.

3.63

Nach der Rechtsprechung des BFH übt eine juristische Person des öffentlichen Rechts öffentliche Gewalt aus, wenn sie im Rahmen einer öffentlich-rechtlichen Sonderregelung tätig wird und nicht unter den gleichen rechtlichen Bedingungen wie ein privater Wirtschaftsteilnehmer handelt.2 Eine juristische Person des öffentlichen Rechts übt hingegen keine öffentliche Gewalt aus, wenn sie auf privatrechtlicher Grundlage (zumeist durch privatrechtlichen Vertrag) tätig ist. Dieser Auslegung hat sich das BMF angeschlossen.3 Maßgeblich ist damit allein, ob die juristische Person des öffentlichen Rechts auf Grundlage einer öffentlich-rechtlichen Sonderregelung tätig wird.4 Es genügt allerdings nicht, dass ein Vertrag der Erfüllung öffentlich-rechtlicher Aufgaben dient. Ausschlaggebend ist, ob die öffentlichen Aufgaben selbst öffentlich-rechtlich geregelt sind.5

3.64

Derartige öffentlich-rechtliche Sonderregelungen können dabei Gesetze, Rechtsverordnungen, Satzungen, Verwaltungsabkommen, Verwaltungsvereinbarungen oder öffentlich-rechtliche Verträge sein. Letztere benennt das BMF ausdrücklich als öffentlich-rechtliche Handlungsgrundlage.6

3.65

Soweit ein Gesetz ausdrücklich bestimmt, dass der zugrunde liegende Vertrag öffentlich-rechtlicher Natur ist, lässt sich die Ausübung öffentlicher Gewalt relativ leicht feststellen. Soweit kein Gesetz vorschreibt, dass es sich um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag handelt, ist bei der Beurteilung eines Vertrags die Feststellung seiner öffentlich-rechtlichen Natur zumeist sehr problematisch. Der Vertrag ist nach Auffassung von BFH und BMF öffentlich-rechtlicher Natur, wenn der Vertragsgegenstand dem öffentlichen Recht zuzuordnen ist.7 Zur Bestimmung des Vertragszwecks benennen die Finanzverwaltung und der BFH Abgrenzungskriterien. Es geht dabei im Wesentlichen darum, – ob dem Vertrag öffentlich-rechtliche Normen zugrunde liegen (z.B. solche des Baurechts oder des Sozialrechts), – ob in dem Vertrag übernommene Verpflichtungen im öffentlichen Recht geregelt sind (z.B. Tätigkeit einer Landesärztekammer im Rahmen der Qualitätssicherung), – ob der Vertrag dem Vollzug öffentlich-rechtlicher Normen dient (z.B. Vertrag über die Zahlung einer Stellplatzablöse), oder – ob sich eine der Parteien zum Erlass eines Verwaltungsakts verpflichtet (z.B. Übernahme der Pflicht zur Festsetzung der Beamtenbesoldung oder Verpflichtung zum Erlass einer Baugenehmigung). 1 Vgl. z.B. BFH, Urt. v. 10.2.2016 – XI R 26/13, BStBl. II 2017, 857, Rn. 36. 2 BFH, Urt. v. 20.8.2009 – V R 30/06, BStBl. II 2010, 863; v. 15.4.2010 – V R 10/09, UR 2010, 646; v. 2.3.2011 – XI R 65/07, DStRE 2011, 959; v. 3.3.2011 – V R 23/10, BStBl. II 2012, 74; v. 14.3.2012 – XI R 8/10, BFH/NV 2012, 1667. 3 BMF, Schr. v. 16.12.2016 – III C 2 - S 7107/16/10001, DOK 2016/1126266, BStBl. I 2016, 1451, Rn. 6. 4 BMF, Schr. v. 16.12.2016 – III C 2 - S 7107/16/10001, DOK 2016/1126266, BStBl. I 2016, 1451, Rn. 6. 5 Tegethoff in Kopp/Ramsauer, VwVfG22, § 54 Rn. 30. 6 Vgl. BMF, Schr. v. 16.12.2016 – III C 2 - S 7107/16/10001, DOK 2016/1126266, BStBl. I 2016, 1451, Rn. 12 f. 7 BMF, Schr. v. 16.12.2016 – III C 2 - S 7107/16/10001, DOK 2016/1126266, BStBl. I 2016, 1451, Rn. 12 ff.

98 | Küffner

B. Das Umsatzsteuergesetz – Herausforderungen für jPdöR | Rz. 3.70 Kap. 3

Auch die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs für Streitigkeiten aus dem Vertrag ist nach Auffassung der Finanzverwaltung ein Anhaltspunkt dafür, dass es sich um einen öffentlichrechtlichen Vertrag handelt.1

3.66

c) Freifahrtschein für juristische Personen des öffentlichen Rechts ... Die Frage, ob eine juristische Person öffentliche Gewalt ausübt, verkürzt sich damit auf die bloße Feststellung, ob die konkrete Leistung auf einer zivilrechtlichen oder einer öffentlichrechtlichen Rechtsgrundlage fußt. Bereits in der Gesetzesbegründung ist der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass eine juristische Person des öffentlichen Rechts nur dann öffentliche Gewalt ausübt, wenn sie im Rahmen einer öffentlich-rechtlichen Sonderregelung tätig ist.2 Diese wichtige Unterscheidung hat der Gesetzgeber jedoch nicht im Gesetz, sondern nur in der Gesetzesbegründung getroffen.

3.67

Ausdrücklich spricht sich die Gesetzesbegründung dafür aus, dass eine öffentlich-rechtliche Tätigkeit i.S.v. § 2b UStG nur dann gegeben ist, wenn Handlungsgrundlage eine öffentlichrechtliche Norm ist.3 Diskutiert und angezweifelt wurde diese Sichtweise bereits im Gesetzgebungsverfahren.4 Es wird nun zwar nicht mehr an das KStG angeknüpft. Allerdings werden die im allgemeinen Verwaltungsrecht existierenden Abgrenzungstheorien5 letztlich in das UStG hineinkatapultiert. Folge ist, dass eine Tätigkeit privatrechtlicher Grundlage nicht unter § 2b Abs. 1 UStG fällt.6 Da den juristischen Personen des öffentlichen Rechts zum Teil ein Wahlrecht zusteht, ob sie auf öffentlich-rechtlicher oder auf privatrechtlicher Grundlage tätig werden, ermöglicht ihnen das Abstellen auf eine öffentlich-rechtliche Sonderregelung, sich „zum Richter in eigener Sache aufzuschwingen“.7

3.68

Dies gilt umso mehr, als nach Auffassung des BMF bei der Auslegung von Verträgen der „Grundsatz der Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns“ zu berücksichtigen ist:

3.69

„Nach dem Grundsatz der Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass die von der jPöR gewählte Handlungsform auch die rechtlich zulässige ist.“8

Damit beschränkt das BMF die Notwendigkeit einer Prüfung seitens der Finanzverwaltung, ob eine gewählte öffentlich-rechtliche Handlungsform auch rechtmäßigerweise gewählt wurde, auf Sonderfälle. Die Finanzverwaltung geht also davon aus, dass die öffentliche Hand grundsätzlich von sich aus die richtige Handlungsform wählt. Juristische Personen des öffentlichen Rechts können danach zunächst selbst bewerten, ob es sich um einen öffentlich-rechtlichen oder einen privatrechtlichen Vertrag handelt. Die Finanzverwaltung geht davon aus, 1 BMF, Schr. v. 16.12.2016 – III C 2 - S 7107/16/10001, DOK 2016/1126266, BStBl. I 2016, 1451, Rn. 12. 2 Diese Sichtweise übernimmt auch das BMF, vgl. BMF, Schr. v. 16.12.2016 – III C 2 - S 7107/16/ 10001, DOK 2016/1126266, BStBl. I 2016, 1451, Rn. 6. 3 BT-Drucks. 18/6094, S. 91. 4 Vgl. die Äußerungen des Verbands der Universitätsklinika Deutschland e.V. im Wortprotokoll der 46. Sitzung des Finanzausschusses des Dt. Bundestags, Protokoll-Nr. 18/46, S. 26 f.; Heber, UR 2014, 957 (967). 5 Vgl. dazu Ruthing in Kopp/Schenke, VwGO27, § 40 Rn. 11. 6 Siehe dazu etwa FinMin Schleswig-Holstein, Vfg. v. 23.3.2018 – VI 3510-S 7107-001; Musil, GewArch Beilage WiVerw Nr. 01/2018, 45. 7 Kritik hieran äußern vor allem Hidien/Schwarz, UR 2017, 338 (345). 8 BMF, Schr. v. 16.12.2016 – III C 2 - S 7107/16/10001, DOK 2016/1126266, BStBl. I 2016, 1451, Rn. 17.

Küffner | 99

3.70

Kap. 3 Rz. 3.70 | Umsatzsteuerrecht als Schlüsselmaterie

dass diese Einordnung richtig vorgenommen wurde. Soweit genügend Indizien für die Einordnung als öffentlich-rechtlicher Vertrag sprechen, wird das Finanzamt der Einordnung der juristischen Person des öffentlichen Rechts folgen. Die Zuordnung durch die juristische Person des öffentlichen Rechts gilt nur dann nicht, wenn eine solche unter keinen Umständen rechtlich zulässig ist.

3.71

An dieser Stelle wird die gesamte Problematik dieses Abgrenzungskriteriums offenkundig. Denn in der Praxis werden die Rechtsanwender (Kämmerer oder andere Verantwortliche der juristischen Personen des öffentlichen Rechts ebenso wie Finanzbeamte) mitunter mit der Differenzierung zwischen privatrechtlichem und öffentlich-rechtlichem Handeln überfordert sein. Überdies liegt auf der Hand, dass juristische Personen des öffentlichen Rechts (und deren Berater) bestrebt sein werden, etwa durch Wortwahl (z.B. Bezeichnung als öffentlich-rechtlicher Vertrag) und Gesetzesbezüge den öffentlich-rechtlichen Charakter des Vertrags in den Vordergrund zu rücken. So ist denkbar: – den Vertrag als „Öffentlich-rechtlicher Vertrag“ zu benennen, – auf zugrunde liegende öffentlich-rechtliche Normen z.B. in der Präambel hinzuweisen, – in einer Vertragsnorm davon auszugehen, dass der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist, usw.

3.72

Der von der Finanzverwaltung ins Feld geführte Grundsatz der Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns ist Ausfluss von Art. 20 Abs. 3 GG.1 Er bezieht sich zunächst einmal auf die Bindung der Verwaltung an Recht und Gesetz. Wie sich aus der Bindung an Recht und Gesetz die Vermutung der Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns ableiten lässt, ist fraglich. Möglicherweise hat sich die Finanzverwaltung hier von der Rechtsprechung zum Verwaltungsprozessrecht leiten lassen.

3.73

Eine Parallele drängt sich hier gewissermaßen auf. Denn die Verwaltungsgerichtsbarkeit geht partiell – ohne dies so zu bezeichnen – von einem ähnlichen Verständnis des Grundsatzes der Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns aus. So entspricht es beispielsweise ständiger Rechtsprechung, dass der Subsidiaritätsgrundsatz der verwaltungsgerichtlichen Feststellungsklage gegenüber einer Leistungsklage dann nicht greift, wenn es sich beim Beklagten um eine öffentlich-rechtliche Körperschaft handelt.2 In ständiger Rechtsprechung gehen die Gerichte in einer solchen Konstellation davon aus, die öffentlich-rechtliche Körperschaft werde dem Urteil des Gerichts auch ohne drohende Vollstreckung nachkommen. Gegenstand dieser Rechtsprechung ist allein die Vollstreckung gegen die öffentliche Hand.3 Die Anknüpfung an diese – höchst umstrittene – Rechtsprechung ist dogmatisch fragwürdig.4 Von der dogmatischen Herleitung abgesehen: Jedenfalls auf Seiten der öffentlichen Hand ist die von der Finanzverwaltung aufgestellte Vermutung der Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns günstig.

3.74

Faktisch beschneidet die Reform aber das tradierte Formenwahlrecht der Verwaltung. Tätigkeiten von juristischen Personen des öffentlichen Rechts auf privatrechtlicher Grundlage sind in Zukunft grundsätzlich ab dem ersten Euro steuerbar und, vorbehaltlich einer Steuerbefrei-

d) ... oder das Ende des Formenwahlrechts der Verwaltung?

1 Vgl. z.B. VGH München, Beschl. v. 24.7.2017 – 20 B 15.313, juris, Rn. 31. 2 BVerwG v. 27.10.1970 – VI C 8/69, NJW 1971, 1284; VGH Mannheim v. 28.10.1999 – 5 S 2149/ 97, NVwZ 2000, 1304. Kritisch Schenke in Kopp/Schenke, VwGO27, § 43 Rn. 28 m.w.N. 3 Vgl. § 170 VwGO. 4 Statt vieler Schenke in Kopp/Schenke, VwGO27, § 43 Rn. 28 m.w.N.

100 | Küffner

B. Das Umsatzsteuergesetz – Herausforderungen für jPdöR | Rz. 3.76 Kap. 3

ung, auch steuerpflichtig. Bedient sich eine juristische Person des öffentlichen Rechts bei ihrer Aufgabenerfüllung privatrechtlicher Handlungsformen, schließt dies aber nicht aus, dass sie erkennbar im hoheitlichen Aufgabenbereich tätig wird. Die apodiktische Trennung zwischen privatrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Handlungsgrundlagen wird der Vielgestaltigkeit der Lebenssachverhalte im Rahmen der Tätigkeiten von juristischen Personen des öffentlichen Rechts nicht gerecht. Nicht umsonst genießen juristische Personen des öffentlichen Rechts ein Formenwahlrecht.1 Handelt die Verwaltung auf privatrechtlicher Grundlage, so folgt dies mitunter schlichtweg aus der Formenarmut des öffentlichen Rechts.2 Das stark durchnormierte Zivilrecht bietet teils zweckmäßigere Lösungsmöglichkeiten zur Ausgestaltung der Rechtsbeziehung zum Bürger als Forderungen auf Grundlage öffentlichen Rechts.3 Von der fortbestehenden verfassungsrechtlichen Grundrechtsbindung abgesehen, bedeutet zivilrechtliches Handeln ein Mehr an Handlungsfreiheit.4 Für das Abgabenrecht etwa ist in Art. 8 Abs. 1 S. 2 BayKAG die Wahlfreiheit zwischen der Erhebung von Gebühren und der Vereinbarung eines privatrechtlichen Entgelts ausdrücklich geregelt. Die Nutzungsverhältnisse ihrer öffentlichen Einrichtungen können die Kommunen im Rahmen einer Satzung oder privatrechtlich regeln.5 Ob der Anlass der Betätigung in hoheitlicher Aufgabenwahrnehmung liegt, lässt sich daher aus der Rechtsgrundlage allein nicht erschließen.

3.75

Diese Verschiedenheit nationaler Rechtsordnungen mag auch der EuGH in der Entscheidung zur Rs. Fazenda Publica vor Augen gehabt haben. Die Trennung zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht ist den Rechtsordnungen mancher Mitgliedstaaten fremd.6 Aus diesem Grund sind nach Auffassung des EuGH für die Frage, ob eine Tätigkeit im Rahmen einer öffentlich-rechtlichen Sonderregelung stattfindet, alle im nationalen Recht vorgesehenen Modalitäten der Ausübung der fraglichen Tätigkeit zu berücksichtigen.7 Wann eine Handlungsgrundlage als öffentlich-rechtlich zu qualifizieren ist, vermochte der EuGH daher nicht zu entscheiden. Die strikte Abgrenzung nach zivilrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Rechtsgrundlagen stammt insofern nicht aus der Feder des EuGH. Vielmehr räumte er den Mitgliedstaaten einen weiten Handlungsspielraum ein.8 Nach Auffassung des EuGH fallen unter Art. 13 MwStSystRL Tätigkeiten, die „eng mit der Ausübung hoheitlicher Befugnisse im Zusammenhang stehen“, und welche die staatlichen Stellen nicht „unter den gleichen rechtlichen Bedingungen ausüben wie private Wirtschaftsteilnehmer“9. Er stellt lediglich fest, dass sich die Abgrenzung nicht ausschließlich an Gegenstand oder Zielsetzung der Tätigkeit zu orientieren hat.10 Ansonsten überlässt er es den Mitgliedstaaten, mittels geeigneter Rechtstechnik Art. 13 Abs. 1 Uabs. 1 MwStSystRL in nationales Recht umzusetzen.11 Der nationale Gesetzgeber ließ seinen Entscheidungsspielraum ungenutzt und überlässt es nun faktisch den nationalen Gerichten, wie ein Tätigwerden im Rahmen der öffentlichen Gewalt zu definieren ist.12

3.76

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

Kirchhof in Maunz/Dürig, GG, Art. 83 Rn. 103. So bereits Bethge, Die Verwaltung (10) 1977, 322. Schmitz in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG9, § 1 Rn. 88, 104. Kirchhof in Maunz/Dürig, GG, Art. 83 Rn. 103. Ehlers/Schneider in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 40 Rn. 302. Hidien/Schwarz, UR 2017, 338 (345). EuGH, Urt. v. 14.12.2000 – Rs. C-446/98 – Fazenda Publica, UR 2001, 108, Rn. 21. Küffner/Rust in Hidien/Jürgens, Besteuerung der öffentlichen Hand, S. 1477. EuGH, Urt. v. 29.10.2015 – Rs. C-174/14 – Saudacor, UR 2015, 901, Rn. 70, 71. EuGH, Urt. v. 14.12.2000 – Rs. C-446/98 – Fazenda Publica, UR 2001, 108, Rn. 19. Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, § 2b Rz. 170. Küffner/Rust in Hidien/Jürgens, Besteuerung der öffentlichen Hand, S. 1477.

Küffner | 101

Kap. 3 Rz. 3.77 | Umsatzsteuerrecht als Schlüsselmaterie

3.77

Zweifel meldete bisher einzig das Finanzgericht Rheinland-Pfalz an. Es verneinte die Unternehmereigenschaft einer juristischen Person des öffentlichen Rechts trotz privatrechtlicher Verträge, da die streitgegenständlichen Leistungen aus Sicherheits- und Geheimhaltungsgründen von Privaten nicht ausgeführt werden konnten.1 Mitunter drängt sich die Frage auf, ob die vom Gesetzgeber gebildete Gleichung „Privatrechtliches Handeln = Betätigung wie ein privater Wirtschaftsteilnehmer“ tatsächlich aufgeht. So kann es auch bei Handeln auf zivilrechtlicher Grundlage bei Vorliegen eines Anschluss- und Benutzungzwanges an einer Wettbewerbsrelevanz fehlen.2 Die Finanzverwaltung duldet aber weiter keine Aufweichung des Grundsatzes.3 Das Vorliegen eines Anschluss- und Benutzungszwangs kommt daher auch weiterhin erst auf der Ebene des § 2b Abs. 3 Nr. 1 UStG zum Tragen. e) Die Figur des hoheitlichen Hilfsgeschäfts

3.78

Der Grundsatz, dass Umsätze auf privatrechtlicher Grundlage zur Umsatzsteuerbarkeit führen, gilt nicht unbedingt. Bei sogenannten Hilfsgeschäften ist nach Auffassung der Finanzverwaltung unschädlich, wenn diese auf privatrechtlicher Grundlage erbracht werden.4 Hilfsgeschäfte, welche die nichtunternehmerische Tätigkeit der öffentlichen Hand mit sich bringt, unterfallen demnach nicht der Umsatzsteuer, auch wenn sie auf privatrechtlicher Grundlage ausgeführt werden.5 Solche Hilfsgeschäfte zeichnen sich allerdings gerade durch ihren Ausnahmecharakter aus.

3.79

Dogmatisch sind Hilfsgeschäfte auf Ebene des Unternehmerbegriffs in § 2 Abs. 1 S. 2 UStG und bei der Frage, ob eine Tätigkeit dem Unternehmen an sich zugehörig ist, anzusiedeln. Zum Unternehmen gehören alle gewerblichen und beruflichen Tätigkeiten eines Unternehmers.6 Hilfsgeschäfte sind solche Geschäfte, die im Gegensatz zum sogenannten Grundgeschäft nicht den eigentlichen Gegenstand des Unternehmens ausmachen.7 Bei Hilfsgeschäften fehlt es deshalb in der Regel an einer nachhaltigen Betätigung im Sinne von § 2 Abs. 1 S. 3 UStG.8 Bei isolierter Betrachtung unterfallen Hilfsgeschäfte dem nichtunternehmerischen und folglich dem nicht steuerbaren Bereich. Hilfsgeschäfte stehen allerdings mit dem Grundgeschäft in einem wirtschaftlichen Zusammenhang, da das Hilfsgeschäft eine Folge der Grundbetätigung ist. Das reicht aus, um das Hilfsgeschäft dem Tätigkeitsbereich des Grundgeschäfts und damit dem Unternehmen im Sinne von § 2 UStG zuzuordnen.

3.80

Zumeist handelt es sich bei Hilfsgeschäften um Verwertungshandlungen. Der klassische Fall eines Hilfsgeschäftes besteht darin, dass ein Unternehmer Gegenstände seinem unternehmerischen Bereich zuordnet und diese gelegentlich veräußert. Die Verkaufstätigkeit an sich wäre

1 FG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 22.8.2018 – 6 U 1961/09, MwStR 2015, 471. 2 Vgl. Senatsverwaltung für Finanzen Berlin, Presseerklärung Nr. 17-011 v. 22.6.2017 zu privatrechtlichen Abwasser- und Abfallentgelten. 3 Abschn. 2b.1 Abs. 7 UStAE, kürzlich gefasst durch BMF v. 9.7.2020 – III C 2 - S 7107/19/ 10005:014. 4 BMF, Schr. v. 16.12.2016 – III C 2 - S 7107/16/10001, DOK 2016/1126266, BStBl. I 2016, 1451, Rn. 19 ff. 5 BMF, Schr. v. 16.12.2016 – III C 2 - S 7107/16/10001, DOK 2016/1126266, BStBl. I 2016, 1451, Rn. 19. 6 Abschn. 2.7. Abs. 1 S. 1 UStAE. 7 BFH, Urt. v. 24.2.1988 – X R 67/82, BStBl. II 1988, 622. Rn. 17; vgl. auch Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 11/19873, S. 21. 8 Zum Ganzen Küffner/Rust in Hidien/Jürgens, Besteuerung der öffentlichen Hand, S. 1483 f.

102 | Küffner

B. Das Umsatzsteuergesetz – Herausforderungen für jPdöR | Rz. 3.84 Kap. 3

mangels Nachhaltigkeit gemäß § 2 Abs. 1 S. 3 UStG für sich allein nicht steuerbar. Rechtsprechung und Finanzverwaltung lassen aber die kausale Verknüpfung mit der unternehmerischen Sphäre ausreichen und stellen für die Steuerbarkeit auf die Nachhaltigkeit des Grundgeschäfts ab.1 Das Institut des Hilfsgeschäfts dient bisher dazu, eine an sich nicht steuerbare Tätigkeit in den Kreis der steuerbaren Unternehmertätigkeit zu ziehen.2 Im Zusammenhang mit hoheitlichen Hilfsgeschäften von juristischen Personen des öffentlichen Rechts verhält es sich nun andersherum. Hilfsgeschäfte zu hoheitlichen Grundgeschäften sollen nach Auffassung des BMF dem nicht steuerbaren Bereich zugehören. Dies ist dogmatisch konsequent. Die Nichtsteuerbarkeit von Hilfsgeschäften im nichtunternehmerischen Bereich folgt schon daraus, dass es an der Steuerbarkeit des Hilfsgeschäfts an sich fehlt und es keine unternehmerische Sphäre gibt, der das Hilfsgeschäft zugerechnet werden kann. Das BMF3 nennt hier folgende Beispiele:

3.81

– Veräußerungen von Gegenständen, die im nichtunternehmerischen Bereich eingesetzt waren, z.B. der Verkauf von gebrauchten Kraftfahrzeugen, Einrichtungsgegenständen und Altpapier; – Überlassung des Telefons an im nichtunternehmerischen Bereich tätige Arbeitnehmer zur privaten Nutzung; – Überlassung von im nichtunternehmerischen Bereich eingesetzten Kraftfahrzeugen an Arbeitnehmer zur privaten Nutzung. Voraussetzung ist, dass die Gegenstände vor ihrer Verwertung der hoheitlichen Aufgabenerfüllung dienten. Nicht unter den Begriff des hoheitlichen Hilfsgeschäfts fallen daher die Versteigerung von beschlagnahmten Gegenständen oder Fundsachen4, die Veräußerung von Altpapier, das zur Abfallentsorgung bei privaten Haushalten eingesammelt wurde, oder die Veräußerung von Strom und Wärme aus einer kommunalen Müllverbrennungsanlage.5

3.82

Unschädlich ist dabei nach Auffassung der Finanzverwaltung, wenn Hilfsgeschäfte wiederholt und mit einer gewissen Regelmäßigkeit vorgenommen werden:

3.83

„Hoheitliche Hilfsgeschäfte, die der nichtunternehmerische Bereich einer juristischen Person des öffentlichen Rechts mit sich bringt, sind grundsätzlich nicht steuerbar. Da große Hoheitsbereiche oftmals entsprechend viele Hilfsgeschäfte tätigen, führt auch deren große Anzahl grundsätzlich nicht zu einer nachhaltigen wirtschaftlichen Betätigung und damit zur Steuerbarkeit. Dies kann jedoch ausnahmsweise der Fall sein, wenn das Auftreten der juristischen Person des öffentlichen Rechts am Markt wegen der Vielzahl ihrer Umsätze und des daraus resultierenden Handelns dem eines professionellen Händlers derart gleicht, dass eine Nichtsteuerbarkeit zu einer Wettbewerbsverzerrung führen würde.“6

Die Finanzverwaltung zeigt sich hier großzügig7. Dass es bei größeren Körperschaften notwendigerweise zu einer größeren Anzahl an Verwertungshandlungen kommt, stuft die Fi1 Erstmals BFH, Urt. v. 11.4.1975 – V 46/56 U, BStBl. III 1957, 222, Rn. 3; Abschn. 2.7 Abs. 2 S. 3 UStAE; zum Ganzen Bauer, UR 1991, 246. 2 A.A. EuGH, Urt. v. 13.6.2013 – Rs. C-62/12 – Kostov, UR 2013, 626, Rn. 31, wonach zur Tätigkeit eines Unternehmers alle gelegentlichen wirtschaftlichen Tätigkeiten auch durch Verwertung von Gegenständen aus dem Privatbereich zählen. 3 BMF, Schr. v. 16.12.2016 – III C 2 - S 7107/16/10001, DOK 2016/1126266, BStBl. I 2016, 1451, Rn. 20. 4 S. BayLfSt, Schr. v. 10.11.2020 – S 7107.1.1-14/8 St33, Rn. 2 und Rn. 3 Bsp. 4. 5 Sterzinger in Küffner/Zugmaier, UStG, § 2b Rn. 120. 6 Abschn. 2b.1. Abs. 9 UStAE. 7 Kritisch Treiber in Sölch/Ringleb, § 2b Rz. 25

Küffner | 103

3.84

Kap. 3 Rz. 3.84 | Umsatzsteuerrecht als Schlüsselmaterie

nanzverwaltung als unbedenklich ein. Richtigerweise können aber bloße Hilfsgeschäfte mit zunehmender Häufung in eine unternehmerische Verkaufstätigkeit umschlagen. Veräußerungstätigkeiten mit händlertypischem Umfang sind schon definitionsgemäß keine bloßen Hilfsgeschäfte mehr.1 Andererseits liegt auf der Hand, dass der Umfang der Verwertungstätigkeit von der Größe der Körperschaft abhängt. Dies kann für die umsatzsteuerrechtliche Bewertung nicht maßgeblich sein. Richtigerweise ist für die Verkaufstätigkeit der öffentlichen Hand daher folgende Differenzierung vorzunehmen: Veräußert eine juristische Person des öffentlichen Rechts hoheitlich verwendete Gegenstände, um diese wirtschaftlich angemessen zu verwerten, ist eine Häufung unbedenklich. Handelt die Körperschaft aber planmäßig, um im Rahmen einer händlertypischen Betriebsorganisation Güter umzuschlagen, ist die Verkaufstätigkeit unternehmerisch und damit steuerbar.2 f) Privatrechtliche Nebenleistungen zu hoheitlichen Hauptleistungen

3.85

Den Grundsatz, dass Tätigkeiten auf privatrechtlicher Grundlage zur Umsatzsteuerbarkeit führen, durchbricht noch eine weitere Ausnahme. Neben hoheitlichen Hilfsgeschäften sind auch privatrechtliche Nebenleistungen zu hoheitlichen Hauptleistungen denkbar.

3.86

Sowohl die Qualifikation eines Umsatzes als Hilfsgeschäft wie auch als unselbständige Nebenleistung ist der Prüfung des § 2b UStG systematisch vorgelagert.3 Damit kommt es für beide Institute auf die Rechtsnatur der Tätigkeitsgrundlage nicht an. Diese wird erst auf Ebene des § 2b UStG relevant. Dogmatisch sind die beiden Institute aber grundverschieden. Im Unterschied zu Hilfsgeschäften spielt es bei unselbständigen Nebenleistungen keine Rolle, ob diese auf einer nachhaltigen Tätigkeit beruhen. Die obig dargestellte Problematik bei der Häufung von Hilfsgeschäften kann bei unselbständigen Nebenleistungen nicht zum Tragen kommen. Dass auch Umsätze, die auf einer dauerhaften Tätigkeit beruhen, von der umsatzsteuerrechtlichen Qualifikation der Haupttätigkeit überlagert werden können, ist dem System der Umsatzsteuer nicht fremd.4 Während sich die Frage nach Hilfsgeschäften erst auf Ebene der Unternehmereigenschaft im Sinne von § 2 UStG stellt, wird die Frage nach unselbständigen Nebenleistungen schon im Rahmen des Leistungsbegriffs nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG entschieden. Hintergrund ist, dass dem Grundsatz der Selbständigkeit mehrerer Einzelleistungen der Grundsatz der Einheitlichkeit der Leistung gegenübersteht.

3.87

In der Regel ist jede Lieferung und jede sonstige Leistung für sich als selbständige Leistung zu betrachten und einer eigenständigen umsatzsteuerrechtlichen Würdigung zu unterziehen.5 Werden Leistungen in einem Zusammenhang erbracht und dienen sie einem einheitlichen wirtschaftlichen Ziel, führt das noch nicht zur Annahme einer einheitlichen Leistung.6 Eine einheitlich zu beurteilende Leistung liegt erst vor, wenn die einzelnen Leistungskomponenten so ineinandergreifen, dass die Einzelleistungen hinter dem Ganzen zurücktreten.7 Denn nach der Rechtsprechung des EuGH darf ein einheitlicher wirtschaftlicher Vorgang nicht künstlich Korn in Bunjes, UStG20, § 2b Rn. 28. Sterzinger in Küffner/Zugmaier, UStG, § 2b Rn. 119. Küffner/Wernthaler, DStR 2018, 2453 (2455 ff.); vgl. auch Korn in Bunjes, UStG, § 2b Rn. 28. Zur unmittelbaren, dauerhaften und notwendigen Erweiterung einer Tätigkeit Heber, UR 2014, 957 ff. 5 EuGH, Urt. v. 2.7.2020 – Rs. C-231/19 – Blackrock Investment Management, Rn. 23; Abschn. 3.10. Abs. 2 S. 1 UStAE. 6 Abschn. 3.10. Abs. 2 S. 2 UStAE. 7 Abschn. 3.10. Abs. 2 S. 3 UStAE.

1 2 3 4

104 | Küffner

B. Das Umsatzsteuergesetz – Herausforderungen für jPdöR | Rz. 3.89 Kap. 3

aufgespalten werden.1 Der Grundsatz der Selbständigkeit einer jeden Leistung gilt also nicht absolut – vielmehr bewegt sich die umsatzsteuerliche Behandlung von Leistungsbündeln im Spannungsfeld zwischen dem Prinzip der Selbständigkeit einer jeden Leistung und dem Verbot der Aufspaltung von einheitlichen Umsätzen.2 Die Rechtsprechung hat daher Ausnahmen vom Grundsatz der Selbständigkeit einer jeden Leistung entwickelt: Einzelne Leistungen können eine nur unselbständige Nebenleistung zu einer Hauptleistung bilden. Ist ein Leistungselement als bloße Nebenleistung zu qualifizieren, teilt dieses das rechtliche Schicksal der Hauptleistung.3 Das bedeutet: Für die noch so verschiedenen Leistungsbestandteile gilt eine einheitliche umsatzsteuerrechtliche Rechtsfolge – nämlich die der Hauptleistung.4 Nebenleistungen sind aus der Perspektive des Durchschnittsbetrachters im Vergleich zur Hauptleistung nebensächlich. Sie erfüllen keinen eigenen Zweck. Sie stellen vielmehr das Mittel dar, um die Hauptleistung unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen.5

3.88

Mit der Umstellung der Umsatzbesteuerung von juristischen Personen des öffentlichen Rechts nach § 2b UStG gewinnt dieser Grundsatz nun an Tragweite. Hauptleistung und Nebenleistung verschmelzen für die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung schon auf Ebene des Leistungsbegriffs gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG vor der Prüfungsebene des § 2b UStG. Aus diesem Grund teilen sie insbesondere im Hinblick auf die Steuerbarkeit der Leistung das gleiche Schicksal. Ist eine hoheitliche Hauptleistung aufgrund der Sonderregelung des § 2b UStG nicht steuerbar, erstreckt sich das Umsatzsteuerprivileg auch auf zugehörige unselbständige Nebenleistungen. Auf die Prüfung der zivilrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen Rechtsgrundlage für die Nebenleistung kann es nicht mehr ankommen. Das ergibt sich nicht nur aus der Systematik des UStG, sondern auch aus einer teleologischen Betrachtung der Umsatzbesteuerung der öffentlichen Hand. Erbringt eine juristische Person des öffentlichen Rechts eine unselbständige Nebenleistung zu einer hoheitlichen Hauptleistung, erfolgt dies außerhalb eines potentiellen Wettbewerbsverhältnisses. Für private Dritte besteht insofern eine Marktzugangsschranke. Sie können – von einer Beauftragung abgesehen – nicht in den Hoheitsbereich hinein leisten. Private Unternehmer sind schon rechtlich nicht im Stande, hoheitliche Hauptleistungen auf öffentlich-rechtlicher Handlungsgrundlage zu erbringen. Ebenso wenig können sie die den Hauptleistungen zugehörige Nebenleistung erbringen. Eine Nebenleistung kann nie von einem anderen Unternehmer als dem Unternehmer der Hauptleistung ausgeführt werden. Bei der Untersuchung der bestehenden Leistungsverhältnisse kann es sich also lohnen, den hoheitlichen Tätigkeitsbereich nach bloßen unselbständigen – wenn auch privatentgeltlichen – Nebenleistungen abzuklopfen. Grafisch lassen sich die Tätigkeitsbereiche von juristischen Personen des öffentlichen Rechts daher wie folgt darstellen:

3.89

1 EuGH, Urt. v. 2.7.2020 – Rs. C-231/19 – Blackrock Investment Management, Rn. 23, v. 18.1.2018 – Rs. C-463/16 – Stadion Amsterdam, Rn. 22, v. 10.3.2011 – Rs. C-497/09, C-499/09, C-501/09 und C-502/09 – Bog u.a., Rn. 53. 2 Zuletzt Schlussanträge der Generalanwältin Kokott v. 22.10.2020 – Rs. C-581/19 – Frenetikexito. 3 EuGH v. 18.1.2018 – Rs. C-463/16 – Stadion Amsterdam, Rn. 23; Abschn. 3.10 Abs. 5 S. 1 UStAE. 4 Radeisen in Schwarz/Widmann/Radeisen, § 1 Rn. 164. 5 EuGH, Urt. v. 18.1.2018 – Rs. C-463/16 – Stadion Amsterdam, Rn. 23, v. 21.2.2008 – Rs. C-425/06 – Part Service, Rn. 52, v. 25.2.1999 – Rs. C-349/96 – CPP, Rn. 30; Abschn. 3.10. Abs. 5 S. 4 UStAE.

Küffner | 105

Kap. 3 Rz. 3.89 | Umsatzsteuerrecht als Schlüsselmaterie

3. Keine größeren Wettbewerbsverzerrungen a) Unionsrechtliches Korrektiv

3.90

Obwohl eine juristische Person des öffentlichen Rechts öffentliche Gewalt ausübt, kann sie Unternehmer sein. Dies ist gemäß § 2b Abs. 1 S. 2 UStG der Fall, wenn ihre Behandlung als Nichtunternehmer zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde.

3.91

Dieses Korrektiv gibt die MwStSystRL in Art. 13 Abs. 1 Uabs. 2 vor. Wettbewerbsverzerrungen drohen, wenn öffentlich und privatwirtschaftlich organisierte Unternehmer marktrelevant aufeinandertreffen, weil beide in gleicher Weise entsprechende Leistungen offerieren können. Dann kann eine unterschiedliche Besteuerung der Leistungen die Wettbewerbssituation zugunsten oder zulasten eines Marktteilnehmers verfälschen.1 Ob Leistungen einer juristischen Person des öffentlichen Rechts im Einzelfall marktrelevant sind, bestimmt sich nach der Art der erbrachten Leistung einerseits und der Definition des räumlich relevanten Marktes andererseits. Entscheidend ist, ob mit einer realen und nicht nur hypothetischen Wettbewerbssituation zu rechnen ist.2 Hier stellen sich mannigfaltige Abgrenzungsprobleme.

3.92

Aus Praktikabilitätsgründen nennt § 2b UStG daher in seinen Absätzen 2 und 3 verschiedene Fallgestaltungen, in denen kein Wettbewerb vorliegt. Beide Absätze führen allerdings nur Bei1 Sterzinger in Küffner/Zugmaier, UStG, § 2b Rn. 126 m.w.N. 2 Grundlegend EuGH, Urt. v. 16.9.2008 – Rs. C-288/07 – Isle of Wight, UR 2008, 68, Rn. 64 f.

106 | Küffner

B. Das Umsatzsteuergesetz – Herausforderungen für jPdöR | Rz. 3.97 Kap. 3

spiele an, wie durch das Adverb „insbesondere“ in beiden Absätzen zum Ausdruck gebracht wird. Wenn die Voraussetzungen von Abs. 2 und Abs. 3 nicht vorliegen, ist auf Grundlage der bisherigen Rechtsprechung weiter zu untersuchen, ob aus anderen Gründen Wettbewerbsverzerrungen ausgeschlossen sind. Wichtig ist: auch wenn die Voraussetzungen der Absätze 2 oder 3 vorliegen, ist § 2b UStG nur anwendbar, wenn die juristische Person des öffentlichen Rechts öffentliche Gewalt ausübt. Die Absätze 2 und 3 beziehen sich nämlich nur auf das zweite Tatbestandsmerkmal von § 2b Abs. 1 S. 2 UStG (kein Wettbewerb), nicht aber auf das erste (öffentliche Gewalt). So sieht § 2b Abs. 2 Nr. 1 UStG für die Bestimmung der Wettbewerbsrelevanz eine quantitative Umsatzgrenze vor (s. unten b.), während sich § 2b Abs. 2 Nr. 2 UStG auf ohnehin einer Steuerbefreiung unterliegende Leistungen bezieht (s. unten c.). Hier fehlt es genauso an einer Wettbewerbsrelevanz wie bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts vorbehaltenen Leistungen (s. unten d.). Gleiches muss gelten, wenn juristische Personen des öffentlichen Rechts im Rahmen ihrer hoheitlichen Aufgabenerfüllung außerhalb des freien Marktes miteinander kooperieren (s. unten e.).

3.93

b) § 2b Abs. 2 Nr. 1 UStG Nach § 2b Abs. 2 Nr. 1 UStG ist die juristische Person des öffentlichen Rechts nicht im Wettbewerb zu privaten Dritten tätig, wenn

3.94

„der von einer juristischen Person des öffentlichen Rechts im Kalenderjahr aus gleichartigen Tätigkeiten erzielte Umsatz voraussichtlich 17.500 € jeweils nicht übersteigen wird ...“.

Die Annahme des Gesetzgebers, dass in derartigen Fällen kein Wettbewerb vorliegt, ist europarechtlich zulässig. Der nationale Gesetzgeber füllt hier den vom EuGH zugestandenen Handlungsspielraum aus.1 Soweit die Umsätze eines Unternehmers 17.500 € nicht überschreiten, kann er durch die Anwendung der Kleinunternehmerregelung die Umsatzbesteuerung vermeiden. Insoweit werden juristische Personen des öffentlichen Rechts und private Dritte gleichbehandelt. Im Unterschied zu § 19 UStG, der sämtliche Umsätze des Unternehmers einbezieht, ist § 2b Abs. 2 Nr. 1 UStG allerdings tätigkeitsbezogen formuliert. Das bedeutet, eine juristische Person des öffentlichen Rechts kann aus mehreren verschiedenen Tätigkeiten jeweils Umsätze von bis zu 17.500 € erzielen, die nicht im Wettbewerb mit privaten Dritten stehen. Insoweit durfte der Gesetzgeber aber pauschalierend davon ausgehen, dass bei derart geringen Umsätzen einer juristischen Person des öffentlichen Rechts in einem Bereich zumindest keine „größeren“ Wettbewerbsverzerrungen zu anderen Unternehmern eintreten, die im gleichen Bereich tätig sind.

3.95

Wie bei der Kleinunternehmerregelung2 kommt es auf eine Prognose zu Jahresbeginn an. Hierdurch ist wie bei Kleinunternehmern sichergestellt, dass bei der Ausführung eines Umsatzes feststeht, ob dieser zu besteuern ist. Es ist unschädlich, wenn die Prognose sich im Nachhinein als falsch herausstellt.

3.96

Ein quantitatives Abgrenzungskriterium verspricht zwar auf den ersten Blick eine einfache Handhabung. Bei genauerer Betrachtung löst aber auch diese Norm Abgrenzungsschwierigkeiten und zweifelhafte Rechtsfolgen aus.

3.97

1 EuGH v. 14.12.2000 – Rs. C-446/98 – Fazenda Publica, UR 2001, 108, Rn. 21. 2 BFH v. 7.3.1995 – XI R 51/94, BStBl. II 1995, 562 = DStR 1995, 1110; Abschn. 19.1 Abs. 3 S. 3 UStAE.

Küffner | 107

Kap. 3 Rz. 3.98 | Umsatzsteuerrecht als Schlüsselmaterie

3.98

Problematisch an dieser Regelung ist einerseits die Bestimmung „gleichartig[er]“ Tätigkeiten. In seiner Gesetzesbegründung äußert sich der Finanzausschuss1 hierzu nicht. Nach Auffassung der Finanzverwaltung sind Tätigkeiten dann gleichartig, wenn sie aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers dieselben Bedürfnisse befriedigen.2 Denkbar ist, insoweit auf die Merkmale abzustellen, nach denen bisher ein Betrieb gewerblicher Art einer juristischen Person des öffentlichen Rechts von einem anderen Betrieb gewerblicher Art zu unterscheiden war.3 Andererseits darf, um tatsächlich höchstens „kleinere“ Wettbewerbsverzerrungen zuzulassen, keine zu starke „Atomisierung“ der Tätigkeiten der juristischen Person des öffentlichen Rechts zulässig sein. In jedem Fall, in dem eine Tätigkeit einer juristischen Person des öffentlichen Rechts als nicht gleichartig angesehen wird, darf die juristische Person des öffentlichen Rechts nämlich 17.500 € aus derartigen Tätigkeiten erzielen, ohne dass sie in Wettbewerb zu privaten Dritten tritt.

3.99

Andererseits stellt sich die Frage, wie mit an sich wettbewerbsrelevanten Tätigkeiten in der Anfangsphase umzugehen ist. Für die Bestimmung des maßgeblichen Umsatzes ist allein auf den voraussichtlichen Umsatz des laufenden Kalenderjahres abzustellen, keineswegs auf den in der Zukunft zu erwartenden Jahresumsatz.4 Fraglich ist, ob nur geringe Umsätze während der Investitionsphase zum Verlust des Vorsteuerabzugs einer juristischen Person des öffentlichen Rechts führen können.5 Ob derartige Zufallsergebnisse den Telos des Art. 13 Abs. 1 Uabs. 2 MwStSystRL treffen, darf bezweifelt werden. Letztlich würde juristischen Personen des öffentlichen Rechts in diesem Zusammenhang ihre Privilegierung zum Nachteil gereichen. In § 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG sieht die Finanzverwaltung lediglich eine widerlegbare Vermutung.6 Die Vermutung des § 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG greift nicht, wenn es trotz Vorliegen der Voraussetzungen zu möglichen schädlichen Wettbewerbsverzerrungen nach § 2b Abs. 1 S. 2 UStG kommt.7 Systematisch betrachtet müsste die Finanzverwaltung Selbiges bei § 2b Abs. 2 Nr. 1 UStG gelten lassen müssen.8 Denn zumindest am Wortlaut lässt sich eine Differenzierung in widerlegbare und unwiderlegbare Vermutungsregelungen nicht festmachen. Konsequenterweise sollten juristische Personen des öffentlichen Rechts daher auch bei wettbewerbsrelevanten unternehmerischen Tätigkeiten unterhalb der Schwelle des § 2b Abs. 2 Nr. 1 UStG dessen Vermutungswirkung widerlegen und in der Anfangsphase einer unternehmerischen Tätigkeit den Vorsteuerabzug vornehmen können. c) § 2b Abs. 2 Nr. 2 UStG

3.100

Nach § 2b Abs. 2 Nr. 2 UStG liegen keine größeren Wettbewerbsverzerrungen vor, wenn „vergleichbare, auf privatrechtlicher Grundlage erbrachte Leistungen ohne Recht auf Verzicht (§ 9) einer Steuerbefreiung unterliegen.“ 1 Beschlussempfehlung Finanzausschuss, BT-Drucks. 18/6094, 95. 2 BMF, Schr. v. 16.12.2016 – III C 2 - S 7107/16/10001, DOK 2016/1126266, BStBl. I 2016, Rn. 36. 3 Vgl. R 4.1 KStR 2015 Abs. 3 S. 3. 4 BMF, Schr. v. 16.12.2016 – III C 2 - S 7107/16/10001, DOK 2016/1126266, BStBl. I 2016, Rn. 34. 5 So Sterzinger in Küffner/Zugmaier, UStG, § 2b Rn. 144. 6 BMF, Schr. v. 14.11.2019 – III C 2 - S 7107/19/10005:011, DOK 2019/0974402, BStBl. I 1140. 7 BMF, Schr. v. 14.11.2019 – III C 2 - S 7107/19/10005:011, DOK 2019/0974402, BStBl. I 1140. 8 A.A. BMF, Schr. v. 16.12.2016 – III C 2 - S 7107/16/10001, DOK 2016/1126266, BStBl. I 1451, Rn. 33; BT-Drucks. 18/6094, S. 92.

108 | Küffner

1451, 1451, 2019, 2019, 2016,

B. Das Umsatzsteuergesetz – Herausforderungen für jPdöR | Rz. 3.105 Kap. 3

Mögliche Anwendungsbereiche dieser Norm ergeben sich für die öffentliche Hand etwa auf dem Gebiet der Bildung oder der heilberuflichen Leistungen.1

3.101

Nach der Begründung des Finanzausschusses2 soll durch den Verweis auf § 9 UStG verhindert werden, dass der juristischen Person des öffentlichen Rechts durch die Nichtbesteuerung Nachteile entstehen. Nach § 2b Abs. 2 Nr. 2 UStG sind juristische Personen des öffentlichen Rechts grundsätzlich nicht unternehmerisch tätig, wenn sie steuerbefreite Leistungen erbringen. Denn in diesem Fall fehlt es auch bei Leistungen privater Wirtschaftsteilnehmer aufgrund der Steuerbefreiung an einer Belastung mit Umsatzsteuer. Dies schließt eine durch eine unterschiedliche Umsatzsteuerbelastung hervorgerufene Wettbewerbsverzerrung von vornherein aus. Nach dem Wortlaut der Norm gilt dies nicht für die in § 9 Abs. 1 UStG genannten Leistungen einer juristischen Person des öffentlichen Rechts, wenn ein Verzicht auf die Steuerbefreiung möglich ist. Hierdurch soll ein Wettbewerbsnachteil zu Lasten der öffentlichen Hand vermieden werden.3 Derartige Nachteile entstünden, wenn die juristische Person des öffentlichen Rechts optieren und steuerpflichtige Ausgangsleistungen erbringen würde, um den Vorsteuerabzug aus darauf bezogenen Eingangsleistungen vornehmen zu können.

3.102

Auch hier wirft der Wortlaut der Norm Fragen auf. Führt die Nennung einer Leistung im Katalog des § 9 Abs. 1 UStG in jedem Fall zum Wegfall der Privilegierung? Denn für die in § 9 Abs. 2 UStG genannten Leistungen erfordert die Option, dass der Leistungsempfänger Unternehmer ist, der die Leistung nicht für den Vorsteuerabzug ausschließende Umsätze verwendet. Im Hinblick auf diese Voraussetzung schließt sich bei vielen für die öffentliche Hand typischen Leistungen ein Verzicht auf die Steuerbefreiung von vornherein aus. Vom Fehlen größerer Wettbewerbsverzerrungen im Sinne von § 2b Abs. 1 S. 2 UStG ist daher über den Wortlaut des § 2b Abs. 2 Nr. 2 UStG hinaus auch dann auszugehen, wenn der Verzicht auf die Steuerbefreiung nach § 9 UStG faktisch ausgeschlossen ist.4

3.103

d) § 2b Abs. 3 Nr. 1 UStG

3.104

Nach § 2b Abs. 3 Nr. 1 UStG fehlt der Wettbewerb insbesondere dann, wenn „die Leistungen aufgrund gesetzlicher Bestimmungen nur von juristischen Personen des öffentlichen Rechts erbracht werden dürfen ...“.

Das sind Leistungen, die entweder originär juristischen Personen des öffentlichen Rechts vorbehalten sind oder die eine juristische Person des öffentlichen Rechts qua rechtlicher Vorgabe nur bei einer anderen juristischen Person des öffentlichen Rechts beziehen darf.5 Der Begriff der „gesetzlichen Bestimmung“ ist enger als der „im Rahmen der öffentlichen Gewalt“. Rechtsvorschriften, die eine juristische Person aufgrund ihrer Satzungsautonomie selbst erlässt, reichen hier nicht aus. Der Weg, sich der Umsatzbesteuerung durch ein selbst geschaffenes Monopol zu entziehen, ist einer juristischen Person des öffentlichen Rechts daher versperrt.6 1 Belcke/Westermann, BB 2016, 87 (88). 2 Beschlussempfehlung Finanzausschuss, BT-Drucks. 18/6094, 95. 3 BMF, Schr. v. 16.12.2016 – III C 2 - S 7107/16/10001, DOK 2016/1126266, BStBl. I 2016, 1451, Rn. 38. 4 Sterzinger in Küffner/Zugmaier, USt, § 2b UStG Rn. 156 mit dem beispielhaften Hinweis auf die nach § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG steuerbefreite Überlassung von Friedhofsparzellen zur Erdbestattung; vgl. BMF, Schr. v. 23.11.2020 – III C 2 - S 7107/19/10004 :008, Rn. 1. 5 Ausführlich Sterzinger in Küffner/Zugmaier, USt, § 2b UStG Rn. 182, BMF, Schr. v. 16.12.2016 – III C 2 - S 7107/16/10001, DOK 2016/1126266, BStBl. I 2016, 1451, Rn. 41. 6 Statt vieler Hüttemann, UR 2017, 129 (135).

Küffner | 109

3.105

Kap. 3 Rz. 3.106 | Umsatzsteuerrecht als Schlüsselmaterie

3.106

Durch eine Gesetzesnorm, die eine Beteiligung privater Dritter ausschließt, ist nur die Zusammenarbeit mit anderen juristischen Person des öffentlichen Rechts möglich. In diesem Fall kann kein Wettbewerb zu privaten Dritten bestehen. Da private Dritte die Leistung an den Leistungsempfänger nicht erbringen können,1 spricht die Norm damit nur einen logischen Schluss aus. Kommt der öffentlichen Hand aufgrund höherrangiger gesetzlicher Bestimmungen ohnehin eine Monopolstellung zu, ist die Marktrelevanz nur hypothetischer Natur.2

3.107

Schwierige Abgrenzungsfragen ergeben sich, wenn das Gesetz die Zusammenarbeit zweier juristischen Personen des öffentlichen Rechts vorsieht, aber keine ausdrückliche Aussage dazu trifft, ob entsprechende Leistungen auch von Privaten erbracht werden dürften. Es gibt eine Reihe von Kooperationsnormen, die auf verschiedenen Wegen (Pflicht zur Zusammenarbeit, Pflicht einer juristischen Person des öffentlichen Rechts, für eine andere tätig zu werden) einen faktischen Kooperationszwang anordnen. Hierdurch sind die juristischen Personen des öffentlichen Rechts verpflichtet, mit anderen juristischen Personen des öffentlichen Rechts zusammenzuarbeiten. Sie können entsprechende Leistungen nicht von privaten Dritten erwerben. Hierdurch besteht entsprechend dem Sinn und Zweck des § 2b Abs. 3 Nr. 1 UStG kein Wettbewerb. Im Falle eines faktischen Kooperationszwangs ist daher über den Wortlaut des § 2b Abs. 3 Nr. 1 UStG hinaus ebenfalls von einer fehlenden Wettbewerbsrelevanz im Sinne von § 2b Abs. 1 S. 2 UStG auszugehen. e) § 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG

3.108

Unabhängig von den in § 2b Abs. 3 Nr. 1 UStG geregelten Vorbehaltsaufgaben können Kooperationen von juristischen Personen des öffentlichen Rechts nach § 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG privilegiert sein. Voraussetzung ist, dass ein gemeinsames spezifisches öffentliches Interesse die Zusammenarbeit determiniert.3

3.109

Nach bisheriger Verwaltungsauffassung handelt eine juristische Person des öffentlichen Rechts nicht als Unternehmer, wenn sie sog. Beistandsleistungen – in Form von Personalgestellung oder auch Sachmittelbereitstellung – erbringt. Gemäß § 2 Abs. 3 UStG a.F. unterliegen juristische Personen ausschließlich mit ihren Betrieben gewerblicher Art im Sinne des KStG der Umsatzbesteuerung. Nach Auffassung der Finanzverwaltung begründen sog. Beistandsleistungen keinen Betrieb gewerblicher Art.4 Beistandsleistungen erfassen die Übernahme der Aufgabe einer juristischen Person des öffentlichen Rechts durch eine andere juristische Person des öffentlichen Rechts im Rahmen einer öffentlich-rechtlichen Verpflichtung. Entscheidend für die steuerliche Beurteilung ist der Charakter der jeweiligen Tätigkeit. Es ist darauf abzustellen, ob die Tätigkeit, würde sie von der juristischen Person des öffentlichen Rechts selbst ausgeübt, als hoheitliche Tätigkeit oder zumindest als hoheitliche Teilaufgabe bzw. hoheitliches Hilfsgeschäft zu behandeln wäre.5 1 Zur bisherigen Rechtslage ohne Rückgriff auf § 2b Abs. 3 Nr. 1 UStG: BFH, Urt. v. 10.2.2016 – XI R 26/13, UR 2016, 428. 2 Zu Recht Hüttemann, UR 2017, 129 (135) mit Hinweis auf EuGH, Urt. v. 16.9.2008 – Rs. C-288/ 07 – Isle of Wight, UR 2008, 68, Rn. 64 f. 3 Sterzinger in Küffner/Zugmaier, USt, § 2b UStG Rn. 185. 4 Vgl. FinMin. Hessen v. 20.7.2011, Merkblatt über die Grundsätze der Umsatzbesteuerung des Landes Hessen als juristische Person des öffentlichen Rechts; Arbeitshilfe der OFD Nordrhein-Westfalen v. 15.3.2019 zur Besteuerung der juristischen Personen des öffentlichen Rechts, S. 45. 5 Vgl. FinMin. Hessen v. 20.7.2011, Merkblatt über die Grundsätze der Umsatzbesteuerung des Landes Hessen als juristische Person des öffentlichen Rechts; Arbeitshilfe der OFD Nordrhein-Westfalen v. 15.3.2019 zur Besteuerung der juristischen Personen des öffentlichen Rechts, S. 45.

110 | Küffner

B. Das Umsatzsteuergesetz – Herausforderungen für jPdöR | Rz. 3.112 Kap. 3

Der Übergang auf das Regime des § 2b UStG bedeutet das Ende des Betriebs gewerblicher Art und damit auch der nicht steuerbaren Beistandsleistungen.1 Gleichwohl besteht bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts weiterhin das Bedürfnis, mit anderen juristischen Personen des öffentlichen Rechts zusammenzuarbeiten. Auch juristische Personen des öffentlichen Rechts stehen unter dem Druck, Kosten einsparen zu müssen. Sie sind daher im Besonderen auf verschiedene Formen der Kooperation angewiesen, um teure Doppelstrukturen zu vermeiden.2 Unproblematisch sind Kooperationen, wenn sie unter dem Dach ein und derselben Trägerkörperschaft stattfinden. Dann handelt es sich um nicht steuerbare Innenumsätze.3 Bei Kooperationen zwischen verschiedenen juristischen Personen des öffentlichen Rechts kann sich die Umsatzsteuer indes als Hemmschuh erweisen. Sind diese nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt, wird die Umsatzsteuer zum Kostenfaktor. Das wirtschaftlich vernünftige Ziel, durch Bündelung der Ressourcen mehrerer Körperschaften Synergieeffekte zu schaffen und die ohnehin vorhandenen personellen und sachlichen Ressourcen auszulasten, rechnet sich dann schlichtweg nicht mehr. Dessen war sich auch der Gesetzgeber bewusst. Die Zusammenarbeit von juristischen Personen des öffentlichen Rechts ist nicht marktorientiert, sondern erfolgt im öffentlichen Interesse. Juristische Personen stehen damit nicht im Wettbewerb mit Leistungen, die auf dem freien Markt angeboten werden. Werden solche Kooperationsleistungen der Umsatzbesteuerung unterworfen, kann dies zu einer Verteuerung öffentlicher Leistungen und damit zu unerwünschten Belastungen für den Bürger führen. Vor diesem Hintergrund zielt die Regelung des § 2b Abs. 3 UStG auf die Privilegierung solcher Kooperationen ab.4

3.110

Bei der Zusammenarbeit im „gemeinsamen spezifischen öffentlichen Interesse“ handelt es sich um einen unbestimmten Begriff.5 § 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG sollte Fälle erfassen, die bisher als Beistandsleistungen aufgefasst worden wären. Nach der Norm liegen insbesondere keine größeren Wettbewerbsverzerrungen vor, wenn

3.111

„die Zusammenarbeit durch gemeinsame spezifische öffentliche Interessen bestimmt wird. Dies ist regelmäßig der Fall, wenn a) die Leistungen auf langfristigen öffentlich-rechtlichen Vereinbarungen beruhen, b) die Leistungen dem Erhalt der öffentlichen Infrastruktur und der Wahrnehmung einer allen Beteiligten obliegenden öffentlichen Aufgabe dienen, c) die Leistungen ausschließlich gegen Kostenerstattung erbracht werden und d) der Leistende gleichartige Leistungen im Wesentlichen an andere juristische Personen des öffentlichen Rechts erbringt.“

Nach der Begründung des Finanzausschusses übernimmt die Norm die Kriterien des Wettbewerbsbegriffs im Vergaberecht, wie der EuGH6 sie herausgearbeitet hat.7 Die Anwendung 1 S. zum Thema Personalgestellung LfSt Bayern, Vfg. v. 8.1.2021 – S 7107.2.1-37/11 St33, MwStR 2021, 138. 2 Ausführlich Sterzinger in Küffner/Zugmaier, USt, § 2b UStG Rn. 166. 3 S. auch Sterzinger in Küffner/Zugmaier, USt, § 2b UStG Rn. 167; siehe oben Teil B. II. 2.b. 4 Zum Ganzen BT-Drucks. 18/6094, S. 75. 5 Kritisch Müller, UR 2017, 8 (13). 6 EuGH, Urt. v. 9.6.2009 – Rs. C-480/06 – Kommission/Deutschland (Stadtreinigung Hamburg), NVwZ 2009, 898 Rn. 45 ff.; v. 19.12.2012 – Rs. C-159/11 – Ordine degli Ingegneri della Provincia di Lecce, NVwZ 2013, 710, Rn. 34, 35; v. 13.6.2013 – Rs. C-386/11 – Piepenbrock, NVwZ 2013, 931, Rn. 36, 37. 7 Beschlussempfehlung Finanzausschuss, BT-Drucks. 18/6094, 96. Gegen eine derartige Übernahme von Grundsätzen aus dem Vergaberecht spricht nicht die Entscheidung des EuGH in der Rechts-

Küffner | 111

3.112

Kap. 3 Rz. 3.112 | Umsatzsteuerrecht als Schlüsselmaterie

der Begriffe des § 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG orientiert sich daher nach der Begründung des Finanzausschusses an vergaberechtlichen Vorschriften. Art. 12 Abs. 4 EG-RL 24/2014 (Vergaberichtlinie) regelt: „Ein ausschließlich zwischen zwei oder mehr öffentlichen Auftraggebern geschlossener Vertrag fällt nicht in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie, wenn alle nachfolgend genannten Bedingungen erfüllt sind: a) Der Vertrag begründet oder erfüllt eine Zusammenarbeit zwischen den beteiligten öffentlichen Auftraggebern mit dem Ziel, sicherzustellen, dass von ihnen zu erbringende öffentliche Dienstleistungen im Hinblick auf die Erreichung gemeinsamer Ziele ausgeführt werden; b) die Durchführung dieser Zusammenarbeit wird ausschließlich durch Überlegungen im Zusammenhang mit dem öffentlichen Interesse bestimmt und c) die beteiligten öffentlichen Auftraggeber erbringen auf dem offenen Markt weniger als 20 % der durch die Zusammenarbeit erfassten Tätigkeiten.“

3.113

§ 108 Abs. 6 GWB1 regelt dies entsprechend.2

3.114

Wenn der Gesetzgeber wie in § 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG definiert, wann keine größeren Wettbewerbsverzerrungen vorliegen, ist dies aus unionsrechtlicher Sicht nicht unproblematisch. Das Europarecht nennt einen derartigen Wettbewerbsausschluss in der MwStSystRL nicht explizit. Der in Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 2 genannte Begriff der „größeren Wettbewerbsverzerrungen“ bedarf einer unionsrechtskonformen Auslegung und ist daher einer Definition durch den nationalen Gesetzgeber nicht zugänglich.3 Die Europäische Kommission bewertete die Norm daher als kritisch. Zur Abwendung eines möglichen Vertragsverletzungsverfahrens verständigte sich die Finanzverwaltung mit der Europäischen Kommission daher zu einer einschränkenden Auslegung als bloße widerlegbare Vermutung statt wie bisher als unwiderlegbare Vermutung.4

3.115

Sind die Voraussetzungen von § 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG zu bejahen, ist in einem nächsten Schritt noch einmal gesondert zu prüfen, ob mögliche schädliche Wettbewerbsverzerrungen nach § 2b Abs. 1 S. 2 UStG vorliegen. Ergibt sich hiernach, dass private Unternehmer potentiell in der Lage sind, den Leistungen der öffentlichen Hand vergleichbare Leistungen zu erbringen und die Nichtbesteuerung von Leistungen der öffentlichen Hand zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde, gilt die Vermutung nach § 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG als widerlegt.5

3.116

Die Frage, ob es aus Gründen der Normenklarheit und -wahrheit nicht besser gewesen wäre, die Vorschrift des § 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG zu streichen, muss sich zwangsläufig aufdrängen. Die Literatur betrachtet die neue Lesart des § 2b Abs. 3 Nr. 3 UStG überwiegend kritisch.6

1 2 3 4 5 6

sache Saudacor (EuGH, Urt. v. 29.10.2015 – Rs. C-174/14 – Saudacor, MwStR 2016, 24). Darin schließt der EuGH lediglich zur Definition der juristischen Person des öffentlichen Rechts einen Rückgriff auf die Vergaberichtlinie aus. Im Zusammenhang mit dem Wettbewerbskriterium äußert der EuGH sich insoweit nicht. Eingeführt durch das Gewerberechtsmodernisierungsgesetz v. 17.2.2016 (BGBl. I 2016, 203) mit Wirkung zum 18.4.2016. Kritisch zu Anknüpfung an das Vergaberecht bereits Widmann, UR 2015, 5 (10). Vgl. zur Kritik in der Literatur z.B. Heidner, UR 2016, 45 (49). Rust, MwStR 2019, 986 (987). Zum Ganzen BMF, Schr. v. 14.11.2019 – III C 2 - S 7107/19/10005:011, BStBl. I 2019, 1140. Rust, MwStR 2019, 986 (987). Siehe auch Englisch, Nichterhebung von Umsatzsteuer für kommunale Tätigkeiten – § 2b USt und Alternativen, erscheint demnächst.

112 | Küffner

B. Das Umsatzsteuergesetz – Herausforderungen für jPdöR | Rz. 3.117 Kap. 3

Zwar sieht Art. 13 MwStSystRL eine Einschränkung wie in § 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG normiert nicht vor. Art. 13 Abs. 1 Uabs. 2 MwStSystRL stellt einzig auf das Vorliegen größerer Wettbewerbsverzerrungen ab. Statt § 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG daraufhin überprüfen zu lassen, ob der gesetzgeberische Typisierungsspielraum unionsrechtskonform ausgefüllt wurde, hat sich die Finanzverwaltung zum „Reparaturgesetzgeber“ aufgeschwungen.1 Damit wurde die Chance vertan, den unionsrechtlichen Wettbewerbsbegriff in Art. 13 MwStSystRL einer Konturierung zuzuführen. Bislang ist der Wettbewerbsbegriff zu diffus, um die umsatzsteuerrechtlichen Folgen von Kooperationen im Vorhinein rechtssicher beurteilen zu können. Der Weg über § 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG ist damit in der Praxis wohl nur im Rahmen einer verbindlichen Auskunft der Finanzverwaltung beschreitbar.2

4. Die juristische Person des öffentlichen Rechts als Kleinunternehmer Mit der Neuregelung des § 2b UStG erlangt für juristische Personen des öffentlichen Rechts die Kleinunternehmerregelung des § 19 UStG an Bedeutung. Kleinunternehmer im Sinne des Umsatzsteuerrechts sind Unternehmer und schulden damit grundsätzlich auch Umsatzsteuer. Aus verwaltungsökonomischen Gründen wird die Umsatzsteuer aber bei Kleinunternehmern nicht erhoben. Ist eine juristische Person des öffentlichen Rechts Kleinunternehmer, kommt es auf das Vorliegen der Privilegierung nach § 2b UStG nicht mehr an. Für die Frage, ob eine juristische Person als Kleinunternehmer qualifiziert werden kann, ist die Gesamtheit ihrer Tätigkeitsbereiche maßgeblich (vgl. § 2 Abs. 1 S. 2 UStG). Eine juristische Person des öffentlichen Rechts ist entweder Kleinunternehmer oder nicht – eine Aufspaltung in einzelne Tätigkeits- oder Organisatonsbereiche ist nicht zulässig. Auf kommunaler Ebene erscheint die Kleinunternehmerregelung allen voran interessant für Zweckverbände oder Verwaltungsgemeinschaften. 1 Englisch, Nichterhebung von Umsatzsteuer für kommunale Tätigkeiten – § 2b und Alternativen, erscheint demnächst; zum Umsetzungsspielraum bereits Hüttemann, UR 2017, 129 (131 f.). 2 Rust, MwStR 2019, 986 (987).

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3.117

Kap. 3 Rz. 3.118 | Umsatzsteuerrecht als Schlüsselmaterie

3.118

Wann kann die Kleinunternehmerregelung in Anspruch genommen werden? Voraussetzung ist nach § 19 Abs. 1 S. 1 UStG, dass der Bruttogesamtumsatz im vorangegangenen Kalenderjahr 22.000 € nicht überstiegen hat und im laufenden Kalenderjahr 50.000 € voraussichtlich nicht übersteigen wird. Beide Bedingungen müssen zwingend erfüllt sein. Hinsichtlich der 50.000 €-Grenze kommt es auf eine zu Beginn des Jahres vorzunehmende Beurteilung der Verhältnisse für das laufende Kalenderjahr an. Ist danach ein voraussichtlicher Umsatz zuzüglich der Steuer von nicht mehr als 50.000 € zu erwarten und wird die juristische Person des öffentlichen Rechts daher als Kleinunternehmer eingestuft, ändert sich diese Beurteilung auch dann nicht, wenn der Gesamtumsatz im laufenden Kalenderjahr tatsächlich 50.000 € übersteigt.1

3.119

Der für die Grenzen von 22.000 € und 50.000 € maßgebliche Gesamtumsatz ist aus der Summe der steuerbaren Umsätze nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG zu ermitteln, von der bestimmte steuerbefreite Umsätze abzuziehen sind (s. § 19 Abs. 3 UStG). Im Rahmen der Umsatzermittlung ist nicht auf die Bemessungsgrundlage nach § 10 UStG abzustellen, sondern auf das vom Unternehmer vereinnahmte Bruttoentgelt.2 Liegt ein Fall vor, in dem der Leistungsempfänger nach § 13 Abs. 5 UStG die Steuer schuldet,3 ist die Umsatzsteuer dem in der Rechnung ausgewiesenen Betrag hinzuzurechnen.4

3.120

Die Kleinunternehmerregelung befreit den Kleinunternehmer allerdings nicht von allen umsatzsteuerrechtlichen Pflichten: Die Steuer für bestimmte Umsätze hat er gleichwohl abzuführen – wie beispielsweise die Steuer für die Einfuhr von Gegenständen nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 UStG oder für den innergemeinschaftlichen Erwerb nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 UStG.5 Gleiches gilt, wenn der Kleinunternehmer die Steuer als Leistungsempfänger nach § 13b Abs. 5 UStG schuldet (§ 19 Abs. 1 S. 3 UStG). Gemäß § 18 Abs. 4a UStG haben Kleinunternehmer auch Umsatzsteuererklärungen und -voranmeldungen abzugeben. Letzteres gilt aber nur für solche Voranmeldungszeiträume, in welchen sie ausnahmsweise tatsächlich Umsatzsteuer schulden.

3.121

Kleinunternehmer sind nicht berechtigt, in einer Rechnung (§ 14 Abs. 4 UStG) Umsatzsteuer gesondert auszuweisen. Umsatzsteuer, die vom Kleinunternehmer nicht erhoben wird, kann der Leistungsempfänger spiegelbildlich nicht als Vorsteuer abziehen. Weist der Kleinunternehmer dennoch Umsatzsteuer aus, schuldet er diese nach § 14c Abs. 2 UStG.6

3.122

Liegen die Voraussetzungen des § 19 Abs. 1 UStG vor, treten die Rechtsfolgen der Kleinunternehmerregelung kraft Gesetzes ein. Eines Antrags bedarf es nicht. Anders ist es, wenn der Unternehmer auf die Kleinunternehmerregelung verzichten möchte. Dies ermöglicht § 19 Abs. 2 UStG. Hintergrund ist, dass Kleinunternehmer zum Vorsteuerabzug aus Eingangsrechnungen nach § 15 UStG nicht berechtigt sind. Der Verzicht auf die Kleinunternehmerregelung kann somit bei hohen Vorsteuerbeträgen von Vorteil sein, wenn die Vorsteuerbeträge die Umsatzsteuer auf die Umsätze überwiegen. Nach § 19 Abs. 2 S. 2 UStG ist der Unternehmer an seinen Verzicht allerdings für mindestens fünf Jahre gebunden. Es gilt daher, die voraussicht-

1 2 3 4 5 6

Abschn. 19.1. Abs. 3 S. 3, 5 UStAE. Abschn. 19.1. Abs. 2 S. 3 UStAE. Siehe hierzu Teil B III. 4. Abschn. 19.1. Abs. 2 S. 5 UStAE. Abschn. 19.1. Abs. 1 S. 4 UStAE. S. zum Ganzen Walkenhorst in Küffner/Zugmaier, USt, § 19 UStG Rn. 86, 87.

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B. Das Umsatzsteuergesetz – Herausforderungen für jPdöR | Rz. 3.125 Kap. 3

liche Unternehmensentwicklung sorgsam abzuschätzen und die umsatzsteuerrechtlichen Folgen abzuwägen.1

IV. § 3 UStG – Art und Ort der Leistung 1. Fallstrick: Leistungsbezüge aus dem Ausland Besondere Fallstricke für juristische Personen des öffentlichen Rechts ergeben sich im Zusammenhang mit Leistungsbezügen aus dem Ausland. Grundsätzlich gilt im deutschen Umsatzsteuerrecht, dass bei einem Leistungsaustausch der leistende Unternehmer Schuldner der Umsatzsteuer ist (§ 13a Abs. 1 Nr. 1 UStG). Dies bedeutet, dass üblicherweise der leistende Unternehmer an den Leistungsempfänger eine Rechnung unter Ausweis von Umsatzsteuer stellen muss. Der leistende Unternehmer vereinnahmt die Umsatzsteuer vom Leistungsempfänger und ist verpflichtet, diese an das Finanzamt abzuführen. Von dieser Grundregel gibt es allerdings Ausnahmen. Diese Ausnahmen kommen insbesondere beim Bezug von Waren oder Dienstleistungen aus dem Ausland zum Tragen. Daher ist bei Eingangsleistungen mit Auslandsbezug erhöhte Aufmerksamkeit geboten. Diese umsatzsteuerrechtlichen Implikationen erfordern auf Seiten der öffentlichen Hand ein besonderes Problembewusstsein. Im Folgenden sollen daher auf die allgemeinen Grundsätze zu Art (s. unten 2. Rz. 3.123) und Ort (s. unten 3. Rz. 3.128) der Leistung vertiefend Ausführungen zum sogenannten innergemeinschaftlichen Erwerb (s. unten 4. Rz. 3.129) und zum Bezug von Dienstleistungen aus dem Ausland (s. unten 5. Rz. 3.134) folgen. Leistungen mit Auslandsbezug erweisen sich in der Praxis als – die – umsatzsteuerrechtlichen Fallstricke auf Seiten der öffentlichen Hand schlechthin. Leistungsbezüge aus dem Ausland können dazu führen, dass die juristische Person des öffentlichen Rechts als Leistungsempfänger steuerliche Erklärungspflichten zu erfüllen und Umsatzsteuer zu entrichten hat. Dies gilt selbst dann, wenn der Leistungsbezug für den hoheitlichen Bereich der juristischen Person des öffentlichen Rechts erfolgt. Damit kann im Einzelfall auch eine nichtunternehmerische Tätigkeit der Körperschaft eine Steuerpflicht auslösen, der dann auch kein Recht zum Vorsteuerabzug gegenübersteht. Juristische Personen des öffentlichen Rechts müssen daher stets die Leistungsbezüge aller – auch nichtunternehmerischen – Bereiche im Blick haben, um solche Umsätze herausfiltern und der richtigen umsatzsteuerlichen Würdigung unterwerfen zu können.

3.123

2. Die Unterscheidung zwischen Lieferungen und sonstigen Leistungen Die Umsatzbesteuerung knüpft an einen Leistungsaustausch an. Der Leistende wendet dem Leistungsempfänger einen verbrauchbaren Vorteil zu.2 § 3 UStG konkretisiert diese Leistung: Zu unterscheiden ist zwischen Lieferungen (§ 3 Abs. 1 UStG) und sonstigen Leistungen (§ 3 Abs. 9 UStG).

3.124

Eine Lieferung gemäß § 3 Abs. 1 UStG liegt vor, wenn die Verfügungsmacht an einem Gegenstand verschafft wird. Gegenstände sind körperliche Gegenstände oder solche Wirtschaftsgüter, die im Wirtschaftsverkehr wie körperliche Sachen gehandelt werden – z.B. Strom oder Wärme.3 Der Leistungsempfänger hat die Verfügungsmacht inne, wenn er faktisch in der Lage ist, mit dem Gegenstand nach seinem Belieben zu verfahren.4 Dies ist in der Regel der

3.125

1 2 3 4

Ausführlich Walkenhorst in Küffner/Zugmaier, USt, § 19 UStG Rn. 104. Beispielhaft BFH, Urt. v. 10.4.2019 – XI R 4/17, BStBl. II 2019, 635, Rn. 16. Abschn. 3.1. Abs. 1 S. 2 UStAE. Abschn. 3.1. Abs. 2 S. 2 UStAE.

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Kap. 3 Rz. 3.125 | Umsatzsteuerrecht als Schlüsselmaterie

Fall, wenn ihm das Eigentum an dem Gegenstand übertragen wird. Erforderlich ist dies aus umsatzsteuerrechtlicher Sicht aber nicht – es reicht, wenn der Leistungsempfänger den Gegenstand „wie“ ein Eigentümer nutzen und veräußern kann. Es müssen also lediglich die wirtschaftliche Substanz, Wert und Ertrag des Gegenstands übergehen.1

3.126

Sonstige Leistungen definiert das Umsatzsteuergesetz in § 3 Abs. 9 UStG negativ als solche Leistungen, die keine Lieferungen sind. Damit fallen hierunter Dienstleistungen, Gebrauchs- und Nutzungsüberlassungen wie Vermietung und Verpachtung oder die Darlehensgewährung.2

3.127

Bei der Unterscheidung zwischen Lieferung und sonstiger Leistung handelt es sich keineswegs nur um eine juristische Spitzfindigkeit. Die Abgrenzung ist von hoher praktischer Relevanz. Je nachdem, ob es sich bei einer Leistung um eine Lieferung oder um eine sonstige Leistung handelt, können andere Regelungen hinsichtlich des Leistungsorts, der Steuerbefreiungen und des Steuersatzes einschlägig sein. Von besonderer Bedeutung ist die Differenzierung auch bei Leistungsbezügen aus dem Ausland.

3. Ort der Leistung 3.128

Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG steuerbar sind nur Lieferungen und sonstige Leistungen, die „im Inland“ ausgeführt werden. Das Umsatzsteuergesetz sieht ein ausdifferenziertes System für die Bestimmung des Leistungsorts vor (§§ 3 Abs. 5a–Abs. 7, 3a-3g UStG). Vorbehaltlich etlicher Sonderregelungen gilt folgende Grundsystematik: Bei Lieferungen ist zwischen sogenannten warenbewegten Lieferungen und ruhenden Lieferungen zu unterscheiden. Wird der Gegenstand durch den Lieferer, den Abnehmer oder einen durch diese beauftragten Dritten befördert oder versendet, gilt die Lieferung als dort ausgeführt, wo der Transport beginnt (warenbewegte Lieferung, § 3 Abs. 6 S. 1 UStG). Wird der Gegenstand nicht befördert oder versendet, liegt der Ort dort, wo sich der Gegenstand im Zeitpunkt der Verschaffung der Verfügungsmacht befindet (ruhende Lieferung, § 3 Abs. 7 S. 1 UStG). Bei sonstigen Leistungen richtet sich der Ort – wenn keine Spezialregelung nach §§ 3a Abs. III-VIII, 3b-3g UStG einschlägig ist – danach, ob der Leistungsempfänger selbst Unternehmer oder Verbraucher ist. Ist er Unternehmer, befindet sich der Leistungsort dort, wo er sein Unternehmen betreibt (§ 3a Abs. 2 S. 1 UStG). Es gilt das Empfängerortprinzip. Ist er nicht Unternehmer, ist der Ort entscheidend, an dem der Leistende sein Unternehmen betreibt (§ 3a Abs. 1 S. 1 UStG).

4. Innergemeinschaftlicher Erwerb von Waren 3.129

Eine Ausnahme von der obig dargestellten Grundsystematik bildet der sogenannte innergemeinschaftliche Erwerb (§ 1 Abs. 1 Nr. 5 UStG; § 1a UStG). Das Institut des innergemeinschaftlichen Erwerbs verwirklicht innerhalb der europäischen Union die Besteuerung nach dem Bestimmungslandprinzip. Die Umsatzststeuerpflicht fällt in dem Land an, in das der Gegenstand bei seiner Lieferung gelangt. Dabei spielen gleichlautende Regelungen in den verschiedenen Mitgliedstaaten der Europäischen Union folgendermaßen zusammen:3 – Die Lieferung eines Gegenstandes vom Ausgangsmitgliedstaat in den Empfängermitgliedstaat ist steuerfrei (in Deutschland nach § 4 Nr. 1 Buchst. b i.V.m. § 6a UStG, sog. „innergemeinschaftliche Lieferung“). 1 Abschn. 3.1. Abs. 2 S. 1 UStAE. 2 Abschn. 3.1. Abs. 4 S. 2 UStAE. 3 Instruktiv Möller, Umsatzsteuerrecht, Rn. 917 f.

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B. Das Umsatzsteuergesetz – Herausforderungen für jPdöR | Rz. 3.131 Kap. 3

– Dafür greift auf Seiten des Empfängermitgliedstaats ein spezieller Besteuerungstatbestand, wonach nicht der Lieferer, sondern der Erwerber die Umsatzsteuer schuldet (in Deutschland § 1 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 1a i.V.m. § 3d, § 13 Abs. 1 Nr. 2 UStG). Der Lieferer rechnet gegenüber dem Erwerber mit dem Netto-Entgelt ohne Umsatzsteuer ab. Der Erwerber hat den auf den Nettobetrag entfallenden Steuerbetrag zu berechnen und an das Finanzamt abzuführen. Dies dient der Vereinfachung. Dem Erwerber fällt die Abwicklung der umsatzsteuerrechtlichen Pflichten im Bestimmungsland des Gegenstandes schon allein aufgrund der vorhandenen Sprachbarrieren meist leichter als dem Veräußerer. – Zugleich steht dem Erwerber der Vorsteuerabzug zu (in Deutschland nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 UStG), sodass sich der innergemeinschaftliche Erwerber für ihn als Nullsummenspiel darstellt.

Grundsätzlich zielt der innergemeinschaftliche Erwerb auf die Lieferung von Gegenständen an Unternehmer ab (§ 1a Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a UStG). Für den Warenbezug durch Nichtunternehmer verbleibt es grundsätzlich beim Ursprungslandprinzip. In Bezug auf juristische Personen des öffentlichen Rechts gibt es aber die Besonderheit, dass diese innergemeinschaftliche Erwerbe verwirklichen können, auch wenn sie nichtunternehmerisch tätig sind. Für juristische Personen des öffentlichen Rechts gilt grundsätzlich die sogenannte Schwellenregelung nach § 1a Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b i.V.m. § 1a Abs. 3 Nr. 1 Buchst. d und Nr. 2 UStG.

3.130

Erwirbt eine juristische Person einen Gegenstand aus dem europäischen Ausland für ihre unternehmerische Tätigkeit, begründet dies in jedem Fall einen innergemeinschaftlichen Erwerb gemäß § 1a Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a UStG. Aber auch dann, wenn sie den Gegenstand für den hoheitlichen Bereich bezieht, kann es zu einem innergemeinschaftlichen Erwerb kommen, wenn sie die sogenannte Erwerbsschwelle (§ 1a Abs. 3 Nr. 2 UStG) überschreitet. Die Erwerbsschwelle beträgt 12.500 €. Dieser Betrag darf sowohl im vorangegangenen Kalenderjahr nicht überschritten sein als auch voraussichtlich im laufenden Kalenderjahr nicht überschritten werden. Wie bei der Kleinunternehmerregelung kommt es auch hier auf eine Prognose der zu erwartenden innergemeinschaftlichen Erwerbe an. Unerheblich ist, wenn entgegen der Erwartung der Betrag im Nachgang 12.500 € übersteigt.1 In Bezug auf die Erwerbsschwelle haben juristische Personen des öffentlichen Rechts alle in ihrem Bereich vorgenommenen innergemeinschaftlichen Erwerbe zusammenzufassen.2

3.131

1 Ausführlich Becker in Küffner/Zugmaier, USt, § 1a UStG Rn. 54 ff. 2 Abschn. 1a.1 Abs. 3 S. 1 UStAE.

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Kap. 3 Rz. 3.132 | Umsatzsteuerrecht als Schlüsselmaterie

3.132

Der Warenbezug aus dem Ausland kann daher dazu führen, dass juristische Personen des öffentlichen Rechts Umsatzsteuervoranmeldungen und -Jahreserklärungen abgeben und Umsatzsteuer entrichten müssen – auch wenn sie ansonsten nicht unternehmerisch tätig sind. Bei regelmäßigem Warenbezug aus dem Ausland ist daher darauf zu achten, ob und wann die Erwerbsschwelle überschritten wird. In der Praxis kann dies von juristischen Personen des öffentlichen Rechts aus strukturellen Gründen oft nicht geleistet werden. Aus Vereinfachungsgründen lässt es die Finanzverwaltung daher zu, Gebietskörperschaften für Zwecke des innergemeinschaftlichen Erwerbes auf einzelne Organisationseinheiten herunterzubrechen. In der Folge können einzelne Behörden oder Ämter selbst als Steuerpflichtige auftreten. Für sie gilt dann die Erwerbsschwelle als überschritten.1 Alternativ kann nach den Vorgaben von § 1a Abs. 4 UStG generell auf die Anwendung der Erwerbsschwelle verzichtet werden. In der Folge unterliegen sämtliche Wareneinkäufe aus dem EU-Ausland auf Seiten der juristischen Person des öffentlichen Rechts der Besteuerung nach § 1a Abs. 1 UStG.

3.133

Bei der öffentlichen Hand führen Auslandseinkäufe in der Praxis zu vielfältigen Problemen. Wer ist Leistungempfänger, wenn Bedienstete für die juristische Person des öffentlichen Rechts handeln? Verfügt die Körperschaft überhaupt über eine Umsatzsteueridentifikationsnummer? Wie ist zu verfahren, wenn die Rechnung mit ausländischer Steuer ausgestellt wurde, obwohl die Voraussetzungen des innergemeinschaftlichen Erwerbs erfüllt sind? Um sich all diesen rechtlichen Herausforderungen stellen zu können, bedarf es auf Seiten der öffentlichen Hand vor allem eines: Das Vorliegen umsatzsteuerrechtlicher Risiken beim Warenbezug aus dem Ausland muss überhaupt erst erkannt werden. Dem soll mit diesem groben Umriss der Thematik gedient sein. Die Kleinunternehmerregelung nach § 19 Abs. 1 S. 1 UStG bezieht sich ausdrücklich nur auf Umsätze gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG. Damit ist der innergemeinschaftliche Erwerb nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 UStG nicht erfasst. Die Steuer auf innergemeinschaftliche Erwerbe haben juristische Personen des öffentlichen Rechts daher auch dann abzuführen, wenn sie ansonsten von der Kleinunternehmerregelung profitieren.2 Hingewiesen sei im Übrigen auf eine weitere Problematik: Die Vorschriften des innergemeinschaftlichen Erwerbs gelten nur für den Einkauf aus dem EU-Ausland. Beim Bezug von Waren aus dem sog. Drittland (Nicht-EU-Ausland) sind darüber hinaus zoll- und einfuhrumsatzsteuerrechtliche Aspekte zu berücksichtigen.

5. Bezug von Dienstleistungen aus dem Ausland 3.134

Auch der Bezug von Dienstleistungen aus dem Ausland kann dazu führen, dass der Leistungsort im Inland liegt und juristische Personen des öffentlichen Rechts als Leistungsempfänger die Umsatzbesteuerung im Inland vorzunehmen haben. Auch hier hat der Gesetzgeber für juristische Personen des öffentlichen Rechts spezielle Wertungen vorgenommen: § 3a Ort der sonstigen Leistungen (1) 1Eine sonstige Leistung wird ... an dem Ort ausgeführt, von dem aus der Unternehmer sein Unternehmen betreibt ... (2) 1Eine sonstige Leistung, die an einen Unternehmer für dessen Unternehmen ausgeführt wird, wird ... an dem Ort ausgeführt, von dem aus der Empfänger sein Unternehmen betreibt. 2Wird die sonstige Leistung an die Betriebsstätte eines Unternehmers ausgeführt, ist stattdessen der Ort der Betriebsstätte maßgebend. 3Die Sätze 1 und 2 gelten entsprechend bei einer sonstigen Leistung an eine ausschließlich nicht unternehmerisch tätige juristische Person, der eine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer erteilt wor1 Zum Ganzen Abschn. 1a.1 Abs. 3 S. 2 bis 4 UStAE. 2 Korn in Bunjes, UStG20, § 19 Rn. 16.

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B. Das Umsatzsteuergesetz – Herausforderungen für jPdöR | Rz. 3.137 Kap. 3 den ist, und bei einer sonstigen Leistung an eine juristische Person, die sowohl unternehmerisch als auch nicht unternehmerisch tätig ist; dies gilt nicht für sonstige Leistungen, die ausschließlich für den privaten Bedarf des Personals oder eines Gesellschafters bestimmt sind.

Im Rahmen der sonstigen Leistungen hängt der Leistungsort – Sonderregelungen außen vor gelassen – grundsätzlich davon ab, ob der Leistungsempfänger unternehmerisch handelt oder nicht. Beim nichtunternehmerischen Leistungsempfänger gilt nach § 3a Abs. 1 UStG das Ursprungslandprinzip, wohingegen beim unternehmerischen Leistungsempfänger gemäß § 3a Abs. 2 UStG das Bestimmungslandprinzip einschlägig ist. Für juristische Personen des öffentlichen Rechts ist neben der Abgrenzung zwischen unternehmerischem und nichtunternehmerischem Handeln weiter danach zu fragen, ob ihnen eine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer erteilt worden ist. Denn ist einer juristischen Person des öffentlichen Rechts eine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer erteilt worden, hat sie diese in jedem Fall zu verwenden – egal ob der Leistungsbezug für den unternehmerischen oder hoheitlichen Bereich erfolgt.1

3.135

Erbringt ein im EU-Ausland oder in einem Drittland ansässiger Unternehmer eine sonstige Leistung an eine juristische Person, hat diese nur dann keine steuerlichen Pflichten zu erfüllen, wenn sie – ausschließlich – nichtunternehmerisch tätig ist und über keine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer verfügt. Verfügt die Körperschaft hingegen über eine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer, muss sie diese verwenden. Dies führt nach § 3a Abs. 2 S. 1 und 3 UStG zu einer Verlagerung des Leistungsorts ins Inland. Gleiches gilt, wenn die juristische Person nicht ausschließlich nichtunternehmerisch tätig ist. Eine Ausnahme besteht nur für den Bezug von Leistungen für den privaten Bedarf des Personals.

3.136

Liegt der Leistungsort nach § 3a Abs. 2 S. 1 und 3 UStG in Deutschland, kommt es beim Leistungsbezug aus dem Ausland nach § 13b Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. Abs. 5 UStG zur Anwendung des sogenannten Reverse-Charge-Verfahrens. Das bedeutet, dass die juristische Person des öffentlichen Rechts die Umsatzsteuer gegenüber dem Finanzamt erklären und auch an das Finanzamt abführen muss, und das, obwohl die juristische Person des öffentlichen Rechts Leistungsempfänger und nicht leistender Unternehmer ist. Diese Umkehr der steuerlichen Pflichtentragung birgt besondere Risiken, die es zu identifizieren und zu vermeiden gilt.

3.137

1 Abschn. 3a.2 Abs. 14 S. 4 ff.

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Kap. 3 Rz. 3.137 | Umsatzsteuerrecht als Schlüsselmaterie

Dies betrifft im Übrigen auch umsatzsteuerrechtliche Kleinunternehmer. § 19 Abs. 1 S. 3 UStG stellt klar, dass die Kleinunternehmerregelung nicht für im Reverse-Charge-Verfahren geschuldete Steuer gilt.1

V. § 4 UStG – Steuerbefreiungen 1. Ausweg „Steuerbefreiung“ 3.138

Das „neue Recht“ führt zu einer Ausweitung des steuerbaren Tätigkeitsbereichs bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts: Tätigkeiten auf privatrechtlicher Grundlage sind ab dem ersten Euro steuerbar – die faktische „35.000 €-Grenze“ gibt es nicht mehr. Auch nur vermögensverwaltende Tätigkeiten unterfallen der Umsatzsteuer. Wie bereits aufgezeigt, werden Kooperationen juristischer Personen des öffentlichen Rechts häufig umsatzsteuerrechtliche Folgen nach sich ziehen. In diesem Zusammenhang gewinnen die Steuerbefreiungstatbestände an Bedeutung.

3.139

Auf Ebene der Steuerbefreiungen muss man sich zunächst den Unterschied zwischen der Steuerbarkeit und der Steuerpflichtigkeit vergegenwärtigen. Erbringt eine juristische Person des öffentlichen Rechts Umsätze im Sinne des § 1 UStG als Unternehmerin gemäß § 2 UStG, ohne dass die Privilegierung nach § 2b UStG greift, ist die Tätigkeit zunächst einmal steuerbar. Nicht steuerbare Tätigkeiten sind umsatzsteuerrechtlich irrelevant. Ist die Tätigkeit hingegen steuerbar, stellt sich auf der nächsten Stufe die Frage, ob die Umsätze auch steuerpflichtig sind. Nur wenn dies zu bejahen ist, kommt die Umsatzsteuer zur Entstehung. Die Steuerpflicht eines Umsatzes setzt voraus, dass es an einer Steuerbefreiung fehlt. Wenn eine Steuerbefreiung greift, schuldet der Unternehmer keine Umsatzsteuer. Ihm steht dann aber grundsätzlich auch kein Vorsteuerabzug aus der Eingangsleistung zu (vgl. § 15 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 UStG). Nur in den Fällen des § 15 Abs. 3 Nr. 1 UStG bleibt das Recht zum Vorsteuerabzug erhalten. Im Unterschied zu nicht steuerbaren Umsätzen zieht ein steuerbarer, aber nicht steuerpflichtiger Umsatz auch verfahrensrechtliche Konsequenzen nach sich: Es ist eine Rechnung mit einem Hinweis auf die Steuerbefreiung der Leistung zu erteilen (§ 14 Abs. 4 S. 1 Nr. 8 UStG) und die steuerbefreiten Umsätze in die Steuererklärung aufzunehmen.

3.140

Für juristische Personen des öffentlichen Rechts können Steuerbefreiungstatbestände in unterschiedlichen Zusammenhängen von Relevanz sein. Zum einen sind die Tätigkeitsbereiche der öffentlichen Hand vielgestaltig. Zum anderen sind die Steuerbefreiungen Gegenstand einer kaum überschaubaren Kasuistik. Verwaltungsanweisungen im Zusammenhang mit Steuerbefreiungen füllen Dutzende Seiten des Umsatzsteueranwendungserlasses. Im Folgenden sollen daher nur wenige, für die öffentliche Hand besonders praxisrelevante Steuerbefreiungstatbestände herausgegriffen werden – etwa für die Überlassung von Grundstücken (s. unten 1.), für heilberufliche und soziale Leistungen (s. unten 2.) und für den Kultur- und Bildungsbereich (s. unten 3.). Zuletzt sei auf die neue Steuerbefreiung für Kostenteilungsgemeinschaften und deren Bedeutung für Kooperationen juristischer Personen des öffentlichen Rechts hingewiesen (s. unten 4.).

2. Überlassung von Grundstücken 3.141

Nach „altem Recht“ führten Einnahmen aus langfristiger Vermietung und Verpachtung nicht zu einem Betrieb gewerblicher Art, sondern lediglich zu nicht steuerbarer Vermögensverwal1 Korn in Bunjes, UStG20, § 19 Rn. 16.

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B. Das Umsatzsteuergesetz – Herausforderungen für jPdöR | Rz. 3.143 Kap. 3

tung. Umsatzsteuerrechtlich waren diese Einnahmen daher ohne Belang. Mit Umstellung auf das System des § 2b UStG wird sich dies ändern: Diesen Einnahmen liegen in der Regel privatrechtliche Verträge zugrunde. Die juristische Person des öffentlichen Rechts handelt daher als Unternehmerin. Die Umsätze können aber nach § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG von der Steuer befreit sein. Der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG unterfällt die Vermietung und Verpachtung von Grundstücken. Hierunter fällt nicht nur die Verpachtung ganzer Grundstücke, sondern auch die Vermietung von Gebäuden oder Gebäudeteilen, wie einzelne Wohnungen oder Räume.1 Auch die Überlassung räumlich abgrenzbarer und individualisierter Grundstücksteile, beispielsweise Friedhofsparzellen, wird erfasst.2 Ebenso unterliegen mitvermietete bewegliche Einrichtungsgegenstände der Steuerbefreiung,3 solange es sich nicht um sogenannte Betriebsvorrichtungen handelt.4 Ausdrücklich ausgenommen von der Steuerbefreiung ist die Vermietung von Plätzen für das Abstellen von Fahrzeugen oder die kurzfristige Vermietung auf Campingplätzen. Erwirtschaften juristische Personen des öffentlichen Rechts daher Einnahmen aus der Parkraumbewirtschaftung, können diese Umsatzsteuer auslösen. Erhebt eine Kommune Gebühren für die Überlassung von Parkraum auf öffentlichen Plätzen oder in Parkhäusern auf zivilrechtlicher Grundlage, handelt sie als Unternehmerin und damit im steuerbaren Bereich. Wählt die Kommune hingegen eine öffentlich-rechtliche Grundlage, gilt sie erst dann als Unternehmerin, wenn der jährliche Umsatz 17.500 € übersteigt (§ 2b Abs. 2 Nr. 1 UStG). Hiervon auszunehmen sind Umsätze, die eine Gemeinde durch die Überlassung unselbständiger Parkbuchten auf öffentlich-rechtlich gewidmeten Straßen erzielt: Die Umsätze dienen der Ordnung des ruhenden Verkehrs und stehen daher nicht im Wettbewerb mit privater Parkraumbewirtschaftung.5

3.142

Ebenfalls nicht steuerbefreit sind Leistungen, bei denen es zwar zu einer Grundstücksüberlassung kommt, diese aber die Leistung in ihrer Gesamtheit nicht prägt.6 Mit einer Grundstücksüberlassung können weitere Leistungselemente einhergehen, die mit dieser eine einheitlich zu beurteilende Leistung formen. So können von der Steuerbefreiung bei der Vermietung von Standflächen auf Märkten und Festen auch Reinigungsleistungen oder die Lieferung von Strom umfasst sein, wenn es sich dabei um eine bloße Nebenleistung handelt.7 Tritt hingegen die Gebrauchsüberlassung des Grundstücks gegenüber anderen, wesentlicheren Leistungen in den Hintergrund, kommt eine Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG weder für die Leistung insgesamt noch für Teile davon in Betracht.8 Davon ist zum Beispiel auszugehen, wenn eine Kommune einem Unternehmer gestattet, auf öffentlichen Plätzen oder Wegen Werbetafeln zu errichten.9 Auch bei der Vermietung von Sportanlagen ist zu prüfen, ob die Ver-

3.143

1 BFH, Urt. v. 8.10.1991 – V R 89/86, BStBl. II 1992, 108; Abschn. 4.12.1 Abs. 3 S. 2 UStAE. 2 BFH, Urt. v. 21.6.2017 – V R 3/17, BStBl. II 2018, 372; Abschn. 4.12.1 Abs. 3 S. 3 UStAE. 3 Z.B. das bewegliche Inventar eines Seniorenheims, BFH, Urt. v. 11.11.2015 – V R 37/14, BStBl. II 2017, 1259. 4 Betriebsvorrichtungen sind Anlagen, durch die ein Gewerbe unmittelbar betrieben wird, vgl. Abschn. 4.12.10 UStAE. 5 BMF, Schr. v. 16.12.2016 – III C 2-S 7107/16/10001, 2016/1126266, BStBl. I 2016, 1451, Rn. 37. 6 BFH, Urt. v. 31.5.2001 – V R 97/98, BStBl. II 2001, 658; v. 24.1.2008 – V R 12/05, BStBl. II 2009, 60; Abschn. 4.12.5 Abs. 2 S. 1 UStAE. 7 Abschn. 4.12.5 Abs. 2 S. 4 UStAE. 8 BFH, Urt. v. 19.12.1952 – V 4/51 U, BStBl. III 1953, 98; v. 31.5.2001 – V R 97/08, BStBl. II 2001, 658; Abschn. 4.12.6 Abs. 1 S. 1 UStAE. 9 BFH, Urt. v. 31.7.1962 – I 283/61 U, BStBl. III 1962, 476; Abschn. 4.12.6 Abs. 2 Nr. 7 UStAE.

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Kap. 3 Rz. 3.143 | Umsatzsteuerrecht als Schlüsselmaterie

mietung der Räumlichkeiten das klar prägende Element ist. Denn das Betreiben einer Sporthalle erschöpft sich nach Auffassung des BFH in der Regel nicht im passiven Zurverfügungstellen des Grundstücks und geht daher über die bloße Raumüberlassung hinaus.1 Ob im Einzelfall besondere Umstände vorliegen, die die Annahme einer bloßen Raumüberlassung rechtfertigen, bedarf demnach besonderer Überprüfung. Der BFH geht davon aus, dass es dem Benutzer einer Sportanlage in der Regel in erster Linie darauf ankommt, die beabsichtigte sportliche Betätigung mit Hilfe der dafür erforderlichen Vorrichtungen ausüben zu können, und sich der Leistungsgegenstand daher von dem in § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG unterscheidet.2 Andererseits soll nach Auffassung der Finanzverwaltung eine Aufteilung in eine steuerfreie Grundstücksüberlassung und eine steuerpflichtige Vermietung von Betriebsvorrichtungen möglich sein, wenn die Sportanlage einem Betreiber zur Überlassung an Dritte im Rahmen einer Zwischenvermietung überlassen wird.3 Dabei wird deutlich: Sowohl die Rechtsprechung als auch die Finanzverwaltung begeben sich hier auf kaum nachvollziehbare Gratwanderungen.

3.144

Grundsätzlich ist bei steuerfreien Vermietungsumsätzen der Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 UStG ausgeschlossen. § 9 Abs. 1 und Abs. 2 UStG eröffnen unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit, auf die Steuerbefreiung bei einer Vermietung an Unternehmer zu verzichten. Die Ausübung dieser Option kann im Hinblick auf den Vorsteuerabzug vorteilhaft sein: Die Körperschaft selbst ist dann nicht mehr nach § 15 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 UStG vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen. Für den unternehmerisch tätigen Mieter wiederum ist die Umsatzsteuer aufgrund des Vorsteuerabzugs neutral.

3. Heilberufliche und soziale Leistungen 3.145

Im sozialen Tätigkeitsfeld sind für die öffentliche Hand allen voran folgende Steuerbefreiungstatbestände von Interesse:

3.146

§ 4 Nr. 14 UStG befreit zum Beispiel Krankenhausbehandlungen und ärztliche Heilbehandlungen (einschließlich Diagnostik, Befunderhebung, Vorsorge usw.) und eng damit verbundene Umsätze unter anderem dann von der Umsatzsteuer, wenn sie von Einrichtungen des öffentlichen Rechts erbracht werden. Die Steuerbefreiung zielt auf eine Entlastung der Kostenträger im Gesundheitssektor ab.4

3.147

Gleiches gilt für die Steuerbefreiung in § 4 Nr. 15 UStG für Versicherungs- und Fürsorgeträger. Auch hierdurch soll sich die Umsatzsteuerbelastung im Sozialwesen, insbesondere für die Sozialversicherungsträger, mindern.5 Begünstigte Einrichtungen sind neben den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung beispielsweise auch Träger der Sozialhilfe wie kreisfreie Städte, Landkreise und Landeswohlfahrtsverbände.6 Die Umsatzsteuerbefreiung umfasst nicht nur die Umsätze der privilegierten Einrichtungen untereinander (§ 4 Nr. 15 Buchst. a UStG), sondern auch die Leistungen an die Bezieher von Sozialleistungen (§ 4 Nr. 15 Buchst. b UStG).

3.148

Nach § 4 Nr. 16 Buchst. a UStG sind jene mit dem Betrieb von Einrichtungen zur Betreuung oder Pflege körperlich, geistig oder seelisch hilfsbedürftiger Personen eng verbundenen Leis-

1 2 3 4 5 6

BFH, Urt. v. 21.6.2018 – V R 63/17, BFH/NV 2019, 52. BFH, Urt. v. 31.5.2001 – V R 97/98, BStBl. II 2001, 658. BFH, Urt. v. 11.3.2009 – XI R 71/07, BStBl. II 2010, 209; Abschn. 4.12.11 Abs. 2 S. 1 UStAE. Huschens in Küffner/Zugmaier, UStG, § 4 Nr. 14 Rn. 1. Hundt-Eßwein in Küffner/Zugmaier, UStG, § 4 Nr. 15 Rn. 1. S. hierzu Heidner in Bunjes, UStG20, § 4 Nr. 15 Rn. 2.

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B. Das Umsatzsteuergesetz – Herausforderungen für jPdöR | Rz. 3.152 Kap. 3

tungen steuerbefreit, wenn sie von juristischen Personen des öffentlichen Rechts erbracht werden. Damit werden Pflege- und Betreuungsleistungen durch Einrichtungen mit sozialem Charakter – wie zum Beispiel Alten- oder Pflegeheime – privilegiert. Die ohnehin hohen Aufwendungen im Bereich des Gesundheitswesens und Altenfürsorge sollen sich nicht durch eine Umsatzsteuerbelastung weiter erhöhen.1 Im Gegensatz zu verschiedenen privaten Einrichtungen, die weitere Voraussetzungen zu erfüllen haben (s. § 4 Nr. 16 S. 2 UStG), sind Leistungen von juristischen Personen des öffentlichen Rechts ohne Weiteres steuerbefreit. Die Steuerbefreiung für Wohlfahrtspflege in § 4 Nr. 18 UStG wurde mit Wirkung zum 1.1. 2020 neu gefasst. Ausdrücklich in den begünstigten Personenkreis fallen auch hier Einrichtungen des öffentlichen Rechts. Die Steuerbefreiung umfasst eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Leistungen wie Beratungsleistungen für Angehörige drogenoder alkoholabhängiger Menschen, Beratungs- und Hilfeleistungen im Zusammenhang mit Migration oder Beratung und Hilfe für Obdachlose.2 Anders als Leistungen anderer Einrichtungen, die keine systematische Gewinnerzielung anstreben dürfen, sind Leistungen von Einrichtungen des öffentlichen Rechts schlechthin privilegiert.3 Dies entspricht auch der unionsrechtlichen Grundlage.4

3.149

4. Kultur- und Bildungssektor Auch die Tätigkeit der öffentlichen Hand im Kultur- und Bildungssektor ist in weiten Teilen von der Umsatzsteuer befreit.

3.150

§ 4 Nr. 20 UStG ist einschlägig, wenn Gebietskörperschaften wie der Bund, Länder oder Gemeinden beispielsweise als Träger von folgenden Einrichtungen auftreten: Theater, Orchester, Museen, zoologische oder botanische Gärten, Tierparks oder Büchereien. Unschädlich ist, wenn die Einrichtung in der Form einer Kapitalgesellschaft betrieben wird, die Gebietskörperschaft aber alle Anteile an dieser hält.5 Nach einer Verfügung des LfSt Niedersachsen sind sogar Kopiergelder an Schulen umsatzsteuerfrei nach § 4 Nr. 20 UStG, wenn die Kopiervorlagen dem Bestand der Schulbücherei der jeweiligen Schule zuzuordnen sind.6 So mancher Steuerbefreiungstatbestand lässt sich daher in vielerlei Zusammenhängen nutzbar machen.

3.151

Ebenso gehören in § 4 Nr. 22 UStG juristische Personen des öffentlichen Rechts zu den ausdrücklich genannten privilegierten Einrichtungen. Hintergrund der Vorschrift ist die Förderung der allgemeinen Bildungsarbeit einerseits und des Sports andererseits.7 Umsatzsteuerbefreit sind nach Buchst. a Veranstaltungen wissenschaftlicher oder belehrender Art. Bei richtlinienkonfor-

3.152

1 Ausführlich Teufel in Küffner/Zugmaier, UStG, § 4 Nr. 16 Rn. 1. 2 BT-Drucks. 19/13436, S. 147. 3 Dies wird teilweise in der Literatur als „ungeklärt“ gesehen: Hüttemann/Schauhoff, DStR 2019, 1601 (1605); Gehm in Küffner/Zugmaier, UStG, § 4 Nr. 18 Rn. 54. 4 Art. 133 MwStSystRL: „Die Mitgliedstaaten können die Gewährung der Befreiungen nach Artikel 132 Absatz 1 Buchstaben b, g, h, i, l, m und n für Einrichtungen, die keine Einrichtungen des öffentlichen Rechts sind, im Einzelfall von der Erfüllung einer oder mehrerer der folgenden Bedingungen abhängig machen: Die betreffenden Einrichtungen dürfen keine systematische Gewinnerzielung anstreben; etwaige Gewinne, die trotzdem anfallen, dürfen nicht verteilt, sondern müssen zur Erhaltung oder Verbesserung der erbrachten Leistungen verwendet werden. [...]“ 5 BFH, Urt. v. 18.5.1988 – X R 11/82, BStBl. II 1988, 799; Gehm in Küffner/Zugmaier, UStG, § 4 Nr. 20 Rn. 16. 6 LfSt Niedersachsen, Schr. v. 14.3.2018 – S 7107 – 3 St 171. 7 Gehm in Küffner/Zugmaier, UStG, § 4 Nr. 22 Rn. 1.

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Kap. 3 Rz. 3.152 | Umsatzsteuerrecht als Schlüsselmaterie

mer Auslegung (Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL) sind dies solche, die als Erziehung von Kindern und Jugendlichen, als Schul- oder Hochschulunterricht, als Ausbildung, Fortbildung oder berufliche Umschulung zu qualifzieren sind.1 Kurse, die lediglich der Freizeitgestaltung dienen, fallen daher nicht in den Anwendungsbereich.2 Nach Auffassung der Finanzverwaltung zählt zu den Veranstaltungen belehrender Art auch die Erteilung von Sportunterricht.3 § 4 Nr. 22 Buchst. b UStG privilegiert andere kulturelle und sportliche Veranstaltungen. Hierunter fallen Musikwettbewerbe, Trachtenfeste oder Sportwettkämpfe.4 Nicht erforderlich ist die Teilnahme von Publikum, so dass auch das bloße Training, Sportkurse oder Sportlehrgänge erfasst sind.5

3.153

Unter Berufung auf die unionsrechtlichen Grundlagen der nationalen Steuerbefreiung (z.B. Art. 132 Abs. 1 Buchst. i sowie m bis o MwStSystRL) kann sich eine Steuerbefreiung auch für mit den oben genannten Leistungen eng verbundene Umsätze ergeben. Eng verbundene Umsätze sind nach der Rechtsprechung des EuGH solche, die keinen eigenen Zweck erfüllen, sondern als Nebenleistung das Mittel darstellen, die steuerbefreite Hauptleistung unter den bestmöglichen Bedingungen zu erhalten.6 Auch hier befindet sich die Rechtsprechung stetig im Fluss. In diesem Zusammenhang wird deutlich, wie sehr das nationale Umsatzsteuerrecht durch die europarechtlichen Vorgaben und damit durch die Rechtsprechung des EuGH determiniert wird.

3.154

Auch § 4 Nr. 23 UStG begünstigt öffentliche Einrichtungen im Vergleich zu privaten Einrichtungen. Steuerbefreit sind die Erziehung und Betreuung von Kindern und Jugendlichen sowie deren Beherbergung und Verpflegung. Diese Norm erfuhr mit dem Jahressteuergesetz 2019 mit Wirkung zum 1.1.2020 ebenfalls eine grundlegende Umgestaltung. Damit wird klar: Allem voran lohnt es sich auf dem Gebiet der Steuerbefreiungen, stets „am Ball“ zu bleiben.

5. Steuerbefreiungen von Kooperationen 3.155

Zum 1.1.20207 fand ein neuer Steuerbefreiungstatbestand Eingang in den Katalog, der vor dem Hintergrund der einschränkenden Auslegung von § 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG Hoffnung für Kooperationen juristischer Personen des öffentlichen Rechts weckt: § 4 Steuerbefreiungen bei Lieferungen und sonstigen Leistungen Von den unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 fallenden Umsätzen sind steuerfrei:... 29. sonstige Leistungen von selbständigen, im Inland ansässigen Zusammenschlüssen von Personen, deren Mitglieder eine dem Gemeinwohl dienende nichtunternehmerische Tätigkeit oder eine dem Gemeinwohl dienende Tätigkeit ausüben, die nach den Nummern 11b, 14 bis 18, 20 bis 25 oder 27 von der Steuer befreit ist, gegenüber ihren im Inland ansässigen Mitgliedern, soweit diese Leistungen für unmittelbare Zwecke der Ausübung dieser Tätigkeiten verwendet werden und der Zusammenschluss von seinen Mitgliedern lediglich die genaue Erstattung des jeweiligen Anteils an den gemeinsamen Kosten fordert, vorausgesetzt, dass diese Befreiung nicht zu einer Wettbewerbsverzerrung führt. (Hervorhebungen durch Verf.) 1 BFH, Urt. v. 27.4.2006 – V R 53/04, BStBl. II 2007, 16; Abschn. 4.22.1 Abs. 2 UStAE. 2 Heidner in Bunjes, UStG20, § 4 Nr. 22 Rn. 5. 3 Abschn. 4.22.2 Abs. 4 S. 1 UStAE. Dies stimmt im Ergebnis zumindest mit Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL überein, vgl. FG Baden-Württemberg, Urt. v. 14.6.2018 – 1 K 3226/15, Rn. 37. 4 Abschn. 4.22.2. Abs. 1, 2 UStAE. 5 Abschn. 4.22.2. Abs. 2 S. 3 f. UStAE. 6 EuGH, Urt. v. 14.6.2007 – Rs. C-434/05 – Horizon College, Rn. 29, BFH/NV Beilage 2007, 389. 7 Art. 12 Nr. 5 Buchst. g und h sowie Art. 39 Abs. 2 des Gesetzes zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften v. 12.12.2019, BGBl. I 2019, 2451.

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B. Das Umsatzsteuergesetz – Herausforderungen für jPdöR | Rz. 3.159 Kap. 3

Diese Regelung fußt auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. f der MwStSystRL. Mit der Einführung der Vorschrift reagierte der Gesetzgeber auf ein Vertragsverletzungsverfahren des EuGH, der die bisherige Umsetzung der Norm allein im humanmedizinischen Bereich (§ 4 Nr. 14 Buchst. d a.F. UStG) als unionsrechtswidrig einstufte.1

3.156

Die Norm soll den Zusammenschluss von Personen für das Outsourcen von Tätigkeiten erleichtern, die aufgrund ihrer nicht steuerbaren oder steuerbefreiten Tätigkeit nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind. Denn bei diesen Personen kann die Umsatzsteuer oft von einem an sich wirtschaftlich vernünftigen Zusammenschluss abschrecken. Ist die Umsatzsteuerbelastung mangels Vorsteuerabzug definitiv, zahlt sich ein Zusammenschluss erst aus, wenn die hierdurch erzielten Einsparungen die entstehende Umsatzsteuerbelastung übersteigen.2 Diese Problematik stellt sich nun mit der Umstellung auf § 2b UStG auch bei der öffentlichen Hand.

3.157

Im Rahmen der branchenunabhängigen Ausweitung der Kostenteilungsgemeinschaft hatte der Gesetzgeber daher auch im Speziellen juristische Personen des öffentlichen Rechts im Blick: „Für sonstige nicht steuerpflichtige Umsätze, die von juristischen Personen des öffentlichen Rechts (jPöR) erbracht werden, sind die Voraussetzungen entsprechend anzuwenden. Werden z.B. im Bereich der interkommunalen Zusammenarbeit hoheitliche Tätigkeiten beispielsweise für Infrastruktureinrichtungen, für Sozial-, Jugend- und Gesundheitsverwaltung oder für den Tourismus auf privatrechtlicher Grundlage auf einen Personenzusammenschluss übertragen, für die die kooperierenden jPöR als Nichtsteuerpflichtige gelten, so sind diese Tätigkeiten unter die Befreiung zu fassen, wenn die Aufgabenübertragung und -ausführung eine Wettbewerbsverzerrung ausschließt. Dies gilt im Grundsatz auch für Personenzusammenschlüsse, die von Hochschulen oder (angeschlossenen) Universitätskliniken gegründet werden.“3

Damit weist die Gesetzesbegründung zugleich auf den eigentlichen Knackpunkt der Norm hin: Die Steuerbefreiung scheidet aus, wenn die reale Gefahr einer Wettbewerbsverzerrung besteht. Hierfür sind die Art der erbrachten Leistung einerseits und die objektiven Marktumstände andererseits zu ermitteln.4 Anders als bei § 2b UStG wirken sich nicht erst „größere Wettbewerbsverzerrungen“ negativ aus – das Vorliegen einer Wettbewerbsverzerrung an sich genügt. Vor dem Hintergrund der restriktiven Auslegung des Wettbewerbskriteriums bei Kostenteilungsgemeinschaften in der bisherigen Rechtsprechung des BFH5 ist daher ein nur eingeschränkter Anwendungsbereich zu befürchten. Die Gesetzesbegründung deutet hingegen auf eine weite Auslegung hin.6 Hiernach soll die Wettbewerbsklausel zur Vermeidung von Missbrauch dienen.7 Wie auch bei § 2b UStG bleibt der Wettbewerbsbegriff hier ein Mysterium.

3.158

Die Definition des Wettbewerbsbegriffs ist aber nur eine der Fragen, die § 4 Nr. 29 UStG aufwirft. Fraglich ist zum einen, wann es sich bei einer Zahlung um eine „genaue Erstattung des jeweiligen Anteils“ handelt8 und/oder wann das Unmittelbarkeitskriterium erfüllt ist. Überdies wirkt die Steuerbefreiung nur in eine Richtung, nämlich nur hinsichtlich der Leistung der

3.159

1 EuGH, Urt. v. 21.9.2017 – Rs. C-616/15 – Kommission/Deutschland, UR 2017, 792; s. hierzu auch Kirchinger, UStB 2020, 17 (18). 2 Ausführlich Kirchinger in Küffner/Zugmaier, UStG, § 4 Nr. 29 Rn. 17. 3 BT-Drucks. 19/13436, S. 152. 4 BT-Drucks. 19/13436, S. 152. 5 BFH, Urt. v. 23.4.2009 – V R 5/07, UR 2009, 762; BFH, Urt. v. 6.9.2018 – V R 30/17, UR 2018, 950. 6 Zum Ganzen Kirchinger in Küffner/Zugmaier, UStG, § 4 Nr. 29 Rn. 98 ff. 7 BT-Drucks. 19/13436, S. 152. 8 Zur Problematik der Kostenzurechnungsmethode bereits Widmann, MwStR 2019, 976 (981); Brill, UR 2019, 81 (89).

Küffner | 125

Kap. 3 Rz. 3.159 | Umsatzsteuerrecht als Schlüsselmaterie

Kostenteilungsgemeinschaft an das Mitglied. Dies gilt auch nur bei Erbringung einer sonstigen Leistung. Klar ist damit: Die Steuerbefreiung von § 4 Nr. 29 UStG wird für die öffentliche Hand nur in Ausnahmefällen relevant werden. Die erhoffte Erleichterung für Kooperationen von juristischen Personen des öffentlichen Rechts bleibt vorerst aus – für diese finden sich kaum Auswege aus der Besteuerung. Überdies enthält § 4 Nr. 29 UStG etliche Einschränkungen, die Art. 132 Abs. 1 Buchst. f MwStSystRL so nicht vorsieht.1 In der Literatur mehren sich vor diesem Hintergrund die Stimmen, die die Umsetzung von Art. 132 Abs. 1 Buchst. f MwStSystRL in § 4 Nr. 29 UStG für unionsrechtswidrig halten.2 Die Frage, ob sich Zusammenschlüsse unmittelbar auf die Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. f MwStSystRL berufen können, wird daher nicht an Aktualität verlieren.3

VI. § 15 UStG – Vorsteuerabzug 1. Steuerrechtliche Neutralität durch Vorsteuerabzug 3.160

Kern der Umsatzsteuer als Allphasen-Netto-Umsatzsteuer ist der Vorsteuerabzug nach § 15 UStG. Er gewährleistet die Neutralität der Umsatzsteuer für die Unternehmer. Liegen die Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug vor, kann der Unternehmer die von ihm bei Eingangsleistungen gezahlte Umsatzsteuer von der aufgrund von Ausgangsleistungen geschuldeten Umsatzsteuer abziehen. Wirtschaftlicher Träger der Steuer ist allein der Endverbraucher, dem ein solcher Vorsteuerabzug verwehrt ist. Im Folgenden sollen nun die Grundsätze des Vorsteuerabzugs (s. unten 2.a.) und die der Vorsteuerberichtigung (s. unten 3.a.) mit den für die öffentliche Hand bedeutsamen Implikationen umrissen werden. Besondere Problemfelder ergeben sich bei der öffentlichen Hand bei dauerdefizitären Tätigkeiten aufgrund von reduzierten Entgelten (s. unten 4.) oder Zuschüssen4 (s. oben Rz. 3.46).

2. Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs und Besonderheiten bei der öffentlichen Hand a) Bezug zu unternehmerischem Bereich

3.161

Nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG steht dem Unternehmer der Vorsteuerabzug zu, wenn in einer Eingangsrechnung im Sinne von § 14 UStG Umsatzsteuer ausgewiesen ist. Voraussetzung ist weiter, dass der Unternehmer die Eingangsleistung für sein Unternehmen zu verwenden beabsichtigt. Aus § 15 Abs. 2 UStG folgt, dass der Vorsteuerabzug unterbleibt, wenn der Unternehmer steuerfreie Umsätze – sogenannte Ausschlussumsätze – tätigt. Ausnahmen, wann trotz steuerfreier Ausgangsleistungen der Vorsteuerabzug offensteht, nennt § 15 Abs. 3 UStG. Verwendet der Unternehmer die Eingangsleistung sowohl für Ausgangsumsätze, die den Vorsteuerabzug ermöglichen, als auch für Ausschlussumsätze, sind die Vorsteuerbeträge nach § 15 Abs. 4 UStG in einen abziehbaren und in einen nicht abziehbaren Teil aufzuteilen.

3.162

Der Vorsteuerabzug steht auch juristischen Personen des öffentlichen Rechts zu, wenn sie unternehmerisch tätig sind. Dies ist im Rahmen der Umstellung auf § 2b UStG weit häufiger als bisher der Fall. Damit gewinnt auch das Instrument des Vorsteuerabzugs an Bedeutung. 1 Z.B. Brill, UR 2019, 81 (87, 90). 2 Brill, UR 2019, 81 (86); Kirchinger, UStB 2020, 228 (235); Widmann, MwStR 2019, 976 (981). 3 Ausführlich hierzu siehe Küffner in Weitemeyer/Schauhoff/Achatz, Umsatzsteuerrecht für den Nonprofitsektor, S. 445. 4 Vgl. u.a. BFH, Urt. v. 24.9.2014, BFH/NV 2015, 364; BFH, Urt. v. 22.4.2015 – XI R 10/14, BStBl. II 2015, 862; BFH, Urt. v. 16.9.2015 – XI R 27/13, BFH/NV 2016, 252.

126 | Küffner

B. Das Umsatzsteuergesetz – Herausforderungen für jPdöR | Rz. 3.166 Kap. 3

Die Tätigkeitsbereiche von juristischen Personen unterteilen sich in einen unternehmerischen und einen nichtunternehmerischen, mithin hoheitlichen Bereich. Das Recht zum Vorsteuerabzug besteht nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG nur, soweit die juristische Person des öffentlichen Rechts eine Eingangsleistung für das Unternehmen bezieht. Das umsatzsteuerliche Unternehmen einer juristischen Person des öffentlichen Rechts umfasst die Gesamtheit aller unternehmerischen Tätigkeiten. Wird eine Eingangsleistung bezogen, ist für den Vorsteuerabzug daher zu prüfen, mit welchen Ausgangsleistungen diese in einem direkten und unmittelbaren Zusammenhang steht. Zu unterscheiden ist danach, ob gemessen am Zeitpunkt des Leistungsbezugs die Eingangsleistung ausschließlich für den unternehmerischen oder den nichtunternehmerischen Bereich bezogen wird (s. unten b.) oder eine gemischte Nutzung beabsichtigt ist (s. unten c.).

3.163

b) Direkter und unmittelbarer Zusammenhang mit einer unternehmerischen oder nicht-unternehmerischen Tätigkeit Lässt sich ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang zwischen einer bezogenen Eingangsleistung und einer beabsichtigten Ausgangsleistung ermitteln, entscheidet allein die umsatzsteuerliche Behandlung des Ausgangsumsatzes. Im ersten Schritt ist zu fragen, ob die Körperschaft die Eingangsleistung für ihre unternehmerische Tätigkeit zur Erbringung entgeltlicher Leistungen zu verwenden beabsichtigt (§ 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UStG). Beabsichtigt sie bereits im Zeitpunkt des Leistungsbezugs, die bezogene Eingangsleistung ausschließlich für den hoheitlichen und damit nichtunternehmerischen Tätigkeitsbereich zu verwenden, ist der Vorsteuerabzug schon auf dieser Stufe ausgeschlossen. Andernfalls ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob die Ausgangsleistungen Ausschlussumsätze bilden, die den Vorsteuerabzug ausschließen (§ 15 Abs. 2, 3 UStG).

3.164

c) Verwendung sowohl für unternehmerische als auch nichtunternehmerische Tätigkeiten Beabsichtigt die Körperschaft eine Verwendung der Eingangsleistung sowohl für unternehmerische als auch für nichtunternehmerische Zwecke (wie die hoheitliche Tätigkeit), so steht ihr der Vorsteuerabzug nur anteilig zu, soweit sich die Eingangsleistung dem unternehmerischen Tätigkeitsbereich zuordnen lässt. Voraussetzung dafür ist, dass die unternehmerische Nutzung der Eingangsleistung einen Anteil von 10 % nicht unterschreitet (§ 15 Abs. 1 S. 2 UStG). Die Vorsteuerbeträge sind dann entsprechend den in § 15 Abs. 4 UStG dargestellten Aufteilungsschlüsseln zuzuordnen. Juristischen Personen des öffentlichen Rechts steht insofern kein Zuordnungswahlrecht zu.1

3.165

3. Die Vorsteuerkorrektur nach § 15a UStG a) Änderung der Nutzungsverhältnisse Nachträglichen Änderungen der Nutzungsverhältnisse ist im Rahmen einer Vorsteuerkorrektur nach § 15a UStG Rechnung zu tragen (s. unten b. Rz. 3.167). Dabei ermöglichte § 15a UStG bisher keinen nachträglichen erstmaligen Vorsteuerabzug, wenn der Gegenstand anfangs ausschließlich der nichtunternehmerischen Sphäre zugeordnet war. Vor dem Hintergrund aktueller EuGH-Rechtsprechung erfährt dieser Grundsatz nun eine Aufweichung (s. unten c. Rz. 3.168). Selbiges gilt im Zusammenhang mit der Umstellung auf § 2b UStG (s. unten d. Rz. 3.171). 1 Abschn. 15.19 Abs. 3 UStAE.

Küffner | 127

3.166

Kap. 3 Rz. 3.167 | Umsatzsteuerrecht als Schlüsselmaterie

b) Änderung der unternehmerischen Nutzung während des Berichtigungszeitraums

3.167

Für die Frage, ob ein Gegenstand für den unternehmerischen oder nichtunternehmerischen Bereich bezogen wurde, kommt es grundsätzlich auf den Zeitpunkt des Leistungsbezugs an.1 Die Zuordnung des Gegenstandes hängt davon ab, welche Verwendung anfänglich beabsichtigt ist.2 Ändert sich der Umfang der unternehmerischen Nutzung während des in § 15a UStG genannten Berichtigungszeitraums3, ist eine Vorsteuerkorrektur vorzunehmen. § 44 UStDV sieht hier Vereinfachungsregeln vor, sodass eine Vorsteuerkorrektur zum Beispiel unterbleibt, wenn die auf das Wirtschaftsgut entfallende Vorsteuer 1.000 € nicht übersteigt (§ 44 Abs. 1 UStDV) oder wenn sich der Umfang der unternehmerischen Nutzung nur um 10 % verändert hat (§ 44 Abs. 2 UStDV, sofern der zu berichtigende Betrag 1.000 € nicht übersteigt). c) Folgen der erstmaligen unternehmerischen Nutzung während des Berichtigungszeitraums

3.168

Zu beachten gilt es in diesem Zusammenhang, dass § 15a UStG grundsätzlich keine Einlagenentsteuerung ermöglicht. Daher ist es grundsätzlich nicht möglich, bei Überführung eines Gegenstands aus dem nichtunternehmerischen Bereich in den unternehmerischen Bereich die Vorsteuer nachträglich anteilig geltend zu machen. § 15a Abs. 1 UStG ermöglicht zwar die Berichtigung des Vorsteuerabzugs, wenn sich die tatsächliche Verwendung eines Wirtschaftsguts, mit dem mehrfach Umsätze ausgeführt werden, ändert. Maßstab für die Feststellung einer solchen Änderung sind die Verhältnisse, die für den ursprünglichen Vorsteuerabzug entscheidend waren. Die Vorschrift setzt also dem Wortlaut nach voraus, dass bereits zuvor ein Abzugsrecht bestand. Bei anfänglicher Zuordnung des gesamten Wirtschaftsguts zur nichtunternehmerischen Sphäre wird danach eine Vorsteuerberichtigung ausgeschlossen.

3.169

Nun hat aber der EuGH möglicherweise den Grundstein für eine solche nachträgliche Einlagenentsteuerung gelegt.4 Mit Urteil vom 25.7.2018 in der Rs. C-140/17 entschied er, dass eine Gemeinde auch durch eine nachträgliche Zuordnungsentscheidung vorsteuerabzugsberechtigt werden kann. Nach dem EuGH scheidet eine Vorsteuerberichtigung nicht bereits deshalb aus, weil die öffentliche Hand ein Wirtschaftsgut zu Beginn seiner Anschaffung ausschließlich hoheitlich verwendete. Demnach könnten juristische Personen des öffentlichen Rechts auch durch eine dem Leistungsbezug nachgelagerte Zuordnungsentscheidung in den Genuss eines anteiligen Vorsteuerabzugs gelangen. Von Bedeutung war für den EuGH, dass die juristische Person des öffentlichen Rechts bereits im Zeitpunkt des Leistungsbezugs Unternehmerin war und zu diesem Zeitpunkt keine ausdrückliche Zuordnungsentscheidung getroffen hat.5 Nach Auffassung des EuGH ist für die Zuordnung eines Gegenstands zwar weiterhin der Zeitpunkt des Leistungsbezugs entscheidend.6 Hat eine juristische Person des öffentlichen Rechts zu diesem Zeitpunkt aber keine ausdrückliche Zuordnungsentscheidung getroffen, ist eine nachträgliche Zuordnungsentscheidung möglich. Im Detail kam es dem EuGH darauf an, dass – die Art des Gegenstands im Allgemeinen eine gemischte Nutzung erlaubt.7 1 2 3 4

Abschn. 15.2b. Abs. 3 S. 3 UStAE. Abschn. 15.2c Abs. 12 S. 1 UStAE. Für Grundstücke 10 Jahre, für sonstige Wirtschaftsgüter 5 Jahre. EuGH, Urt. v. 25.7.2018 – Rs. C-140/17 – Gmina Ryjewo, UR 2018, 687; ausführlich Küffner/Kirchinger, UR 2018, 687 (692 ff.). 5 Grune in Küffner/Zugmaier, UStG, § 15 Rn. 139/1; Küffner/Kirchinger, UR 2018, 687 (692). 6 EuGH, Urt. v. 25.7.2018 – Rs. C-140/17 – Gmina Ryjewo, UR 2018, 687, Rn. 47. 7 EuGH, Urt. v. 25.7.2018 – Rs. C-140/17 – Gmina Ryjewo, UR 2018, 687, Rn. 38.

128 | Küffner

B. Das Umsatzsteuergesetz – Herausforderungen für jPdöR | Rz. 3.171 Kap. 3

– der Zeitraum zwischen dem Erwerb und dem Beginn der Nutzung für unternehmerische Zwecke kurz war.1 – die juristische Person des öffentlichen Rechts bereits im Zeitpunkt des Leistungsbezugs als Unternehmerin registriert war.2 – die juristische Person des öffentlichen Rechts bei Leistungsbezug wie eine Privatperson agierte, ohne Vorrechte der öffentlichen Hand in Anspruch zu nehmen.3 Die weitere Entwicklung bleibt nun erst abzuwarten. Fest steht aber: Wird bei der Anschaffung von Gegenständen, die anfangs einer rein nichtunternehmerischen Nutzung zugeführt werden sollen und bei denen daher zunächst kein Vorsteuerabzug vorgenommen wird, eine ausdrückliche Zuordnungentscheidung getroffen, ist die Tür zum nachträglichen Vorsteuerabzug definitiv zu. Dies sollte juristischen Personen des öffentlichen Rechts zu denken geben.

3.170

d) Folgen der Umstellung auf § 2b UStG während des Berichtigungszeitraums In Bezug auf § 15a UStG wirft die Umstellung auf § 2b UStG neue Fragen auf: Bezieht eine juristische Person des öffentlichen Rechts während des Optionszeitraums bis zum 31.12.2022 Leistungen, die zunächst nichtunternehmerisch und erst mit der Anwendung von § 2b UStG unternehmerisch verwendet werden, ist im Zeitpunkt des Leistungsbezugs der Vorsteuerabzug ausgeschlossen. Ist die Nutzung schließlich infolge von § 2b UStG als unternehmerisch zu qualifizieren, steht nach Auffassung der Finanzverwaltung ausnahmsweise eine Vorsteuer-

1 EuGH, Urt. v. 25.7.2018 – Rs. C-140/17 – Gmina Ryjewo, UR 2018, 687, Rn. 38. 2 EuGH, Urt. v. 25.7.2018 – Rs. C-140/17 – Gmina Ryjewo, UR 2018, 687, Rn. 43. 3 EuGH, Urt. v. 25.7.2018 – Rs. C-140/17 – Gmina Ryjewo, UR 2018, 687, Rn. 41.

Küffner | 129

3.171

Kap. 3 Rz. 3.171 | Umsatzsteuerrecht als Schlüsselmaterie

berichtigung nach § 15a UStG offen.1 Erfolgt hingegen schon die erste Verwendung während des noch andauernden Optionszeitraums im unternehmerischen Bereich, ist der Vorsteuerabzug nach § 15 UStG schon im Zeitpunkt des Leistungsbezugs geltend zu machen.

4. Problematik bei Vorsteuerüberhängen 3.172

Für die öffentliche Hand, die im Rahmen der Daseinsvorsorge mitunter dauerdefizitäre Einrichtungen unterhält, kann sich der Vorsteuerabzug als besonders günstig erweisen. Verlangt die juristische Person des öffentlichen Rechts für die Leistung ein Entgelt, das unterhalb des Selbstkostenpreises liegt, stehen niedrigen Erlösen auf der Ausgangsseite einem hohen Vorsteuerabzug auf der Eingangsseite gegenüber. Die Anwendung der Mindestbemessungsgrundlage nach § 10 Abs. 5 UStG scheidet in der Regel aus, weil es sich nicht um Leistungen an nahestehende Personen oder aber an das eigene Personal handelt. Es kommt zu einem sogenannten Vorsteuerüberhang – die juristische Person des öffentlichen Rechts bekommt mehr Vorsteuern aus den Eingangsleistungen erstattet als sie aus den Ausgangsleistungen schuldet.

3.173

Versuchen, den Entgeltbegriff bei lediglich „symbolischen Entgelten“ zu verneinen, hat der EuGH mit der Entscheidung in der Rechtssache Skandic2 eine Absage erteilt. Wenn es darum geht, ob ein Umsatz als „entgeltlicher Umsatz“ zu qualifizieren ist, kommt es nach Auffassung des EuGH nicht darauf an, ob die Tätigkeit zu einem Preis unter oder über dem Selbstkostenpreis ausgeführt wird.3 Dieser Begriff setzt nämlich lediglich das Bestehen eines unmittelbaren Zusammenhangs zwischen der Lieferung von Gegenständen oder der Erbringung von Dienstleistungen und der Gegenleistung voraus, die der Steuerpflichtige tatsächlich erhalten hat.4 Eine bestimmte Preisgestaltung kann nicht zur Befreiung von der Mehrwertsteuer führen.5 Entsprechend diesem Maßstab reicht es für einen entgeltlichen Umsatz – und damit für die Erlangung des Vorsteuerabzugs – grundsätzlich aus, wenn lediglich „der symbolische Euro“ zu zahlen ist. Ein Umsatz ist entweder entgeltlich oder unentgeltlich. Entgelt ist Entgelt. Umsatzsteuerrechtlich betrachtet kann es ein bloß symbolisches Entgelt nicht geben.6 Die Hürden für die Annahme eines Gestaltungsmissbrauchs im Sinne von § 42 AO sind im Umsatzsteuerrecht deshalb sehr hoch. Der EuGH7 setzte in einem Fall von extrem niedrigem Kostendeckungsgrad deshalb einen Schritt vorher an: bei der Unternehmereigenschaft.

3.174

In dem vom EuGH zu entscheidenden Fall in der Rechtssache Gemeente Borsele hatte eine Gemeinde im Rahmen der Schülerbeförderung nur einen Kostendeckungsgrad von 3 % er1 BMF, Schr. v. 16.12.2016 – III C 2 - S 7107/16/10001, DOK 2016/1126266, BStBl. I 2016, 1451, Rn. 63. 2 EuGH, Urt. v. 20.1.2005 – Rs. C-412/03 – Hotel Scandic Gåsabäck, UR 2005, 98, Rn. 22. 3 EuGH, Urt. v. 20.1.2005 – Rs. C-412/03 – Hotel Scandic Gåsabäck, UR 2005, 98, Rn. 22. 4 EuGH, Urt. v. 20.1.2005 – Rs. C-412/03 – Hotel Scandic Gåsabäck, UR 2005, 98, Rn. 22. 5 Schlussanträge der Generalanwältin Kokott v. 23.12.2015 – Rs. C-520/14 – Gemeente Borsele – Rn. 45. 6 Die Rechtsprechung hat sich mit dem Thema „symbolisches Entgelt“ noch nicht ausdrücklich auseinandergesetzt. In der Rs. Scandic schnitt der EuGH zwar die Frage an, ob es sich bei dem Entgelt um einen symbolischen Betrag handle. Was unter einem symbolischen Betrag zu verstehen ist und welche rechtlichen Konsequenzen daraus zu ziehen sind, ließ er aber offen. EuGH, Urt. v. 20.1.2005 – Rs. C-412/03 – Hotel Scandic Gåsabäck, UR 2005, 98, Rn. 25. S. hierzu auch Hidien/Menebröcker, DStR 2020, 2824 (2828). Auch der BFH ist in seiner Entscheidung vom 28.6.2017 – XI R 12/15 trotz ausdrücklichem Vortrag durch das Finanzamt zum „symbolischen Entgelt“ nicht darauf eingegangen. Dies deutet darauf hin, dass die Rechtsprechung eine solche Kategorie ablehnt. 7 EuGH, Urt. v. 12.5.2016 – Rs. C-520/14 – Gemeente Borsele, UR 2016, 520.

130 | Küffner

B. Das Umsatzsteuergesetz – Herausforderungen für jPdöR | Rz. 3.176 Kap. 3

reicht. Der EuGH fragte sich in diesem Verfahren, ob die Gemeinde überhaupt als Steuerpflichtiger nach Art. 9 Abs. 1 MwStSystRL gehandelt hat. Dazu musste er klären, ob sie mit der Schülerbeförderung eine „wirtschaftliche Tätigkeit“ ausgeübt hat.1 Nach Art. 9 Abs. 1 UAbs. 2 MwStSystRL gelten als wirtschaftliche Tätigkeiten alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden. Nach Auffassung des EuGH muss die Gemeinde, damit es sich um eine wirtschaftliche Tätigkeit handeln kann, zunächst eine Dienstleistung gegen Entgelt im Sinne von Art. 2 MwStSystRL erbringen. Dass die Gemeinde die Schülerbeförderung unter dem Selbstkostenpreis angeboten hat, steht einer Entgeltlichkeit des Umsatzes nicht entgegen.2 Die Höhe des Entgelts ist unbeachtlich – was sich im nationalen Recht auch aus § 2 Abs. 1 S. 3 UStG ergibt: Eine nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen ist auch dann zu bejahen, wenn es an einer Gewinnerzielungsabsicht fehlt. Nach Auffassung des EuGH reicht aber die Erbringung einer Dienstleistung gegen Entgelt für die Annahme einer wirtschaftlichen Tätigkeit nicht aus. Für die Frage, ob eine wirtschaftliche Tätigkeit vorliegt, müssten zusätzlich alle Umstände geprüft werden, unter denen die Tätigkeit erfolgt ist. Der EuGH verweist insoweit auf seine Rechtsprechung in der Rechtssache Enkler3, wonach bei der Prüfung des Vorliegens einer wirtschaftlichen Tätigkeit neben einem Fremdvergleich auch die Zahl der Kunden und die Höhe der Einnahmen berücksichtigt werden können. In Bezug auf die geringe Kostendeckung der Schülerbeförderung stellte der EuGH eine „Asymmetrie“ fest, die dazu führt, dass es an einem tatsächlichen Zusammenhang zwischen dem gezahlten Betrag und der Erbringung der Dienstleistung fehlt. Der EuGH verneinte damit das Vorliegen einer wirtschaftlichen Tätigkeit, mit der Folge, dass die Gemeinde nicht als Steuerpflichtiger4 tätig wurde und damit keinen Vorsteuerabzug geltend machen konnte. Der BFH griff die Entscheidung des EuGH erstmals in seinem Urteil vom 15.12.2016 auf. Eine Gemeinde in Sachsen hatte ein Sportzentrum für ca. 10 Mio. € errichtet und vermietete dieses zu einem monatlichen Mietzins von lediglich 900 € (später 6 000 €) an ihre eigene Enkelgesellschaft. Fraglich war, ob die Gemeinde die Vorsteuer aus der Errichtung des Sportzentrums geltend machen durfte. Vor dem Hintergrund der zwischenzeitlich ergangenen EuGHRechtsprechung in der Rechtssache Borsele zweifelte der BFH die Unternehmereigenschaft der Gemeinde an.

3.175

„Werden Kosten nur zu 3 % aus Einnahmen und im Übrigen mit öffentlichen Mitteln finanziert, deutet diese Asymmetrie zwischen den Betriebskosten und den als Gegenleistung erhaltenen Beträgen darauf hin, dass kein Leistungsentgelt und auch keine wirtschaftliche Tätigkeit vorliegen.5

Er verwies die Sache aber an das FG zurück. Das FG sollte nun prüfen, ob diese Asymmetrie zwischen Betriebskosten und Einnahmen gegeben ist. Gleichwohl: Was der BFH unter Asymmetrie versteht, wurde leider nicht ganz klar.

1 Bereits in dem Verfahren Saudacor hatte der EuGH diese Prüfungsreihenfolge in Erinnerung gerufen, vgl. EuGH, Urt. v. 29.10.2015 – Rs. C-174/14 – Saudacor, UR 2015, 901. 2 Vgl. Rn. 26 des Urt. v. 12.5.2016 – Rs. C-520/14 – Gemeente Borsele, UR 2016, 520 mit Hinweis (u.a.) auf EuGH, Urt. v. 20.1.2005 – Rs. C-412/03 – Hotel Scandic. 3 EuGH, Urt. v. 26.9.1996 – Rs. C-230/94, UR 1996, 418 ff. In diesem Verfahren ging es um die Frage, ob die gelegentliche Vermietung eines Wohnmobils zur Unternehmereigenschaft führt. Der EuGH hatte festgestellt, dass bei Gegenständen, die sowohl zu wirtschaftlichen als auch zu privaten Zwecken verwendet werden können, die Umstände ihrer Nutzung zu prüfen sind, um festzustellen, ob sie tatsächlich zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen verwendet werden. 4 Im deutschen Sprachgebrauch „Unternehmer“. 5 BFH, Urt. v. 15.12.2016 – V R 44/15, UR 2017, 302, Rn. 11.

Küffner | 131

3.176

Kap. 3 Rz. 3.177 | Umsatzsteuerrecht als Schlüsselmaterie

3.177

In einer weiteren Entscheidung vom 28.6.20171 ordnete der BFH das Kriterium der „Asymmetrie“ neu in einen größeren Zusammenhang ein. Eine Stadt überließ eine von ihr errichtete Sporthalle u.a. durch privatrechtliche Vereinbarungen an Vereine. Sie erzielte einen Kostendeckungsgrad von 12,03 %. Soweit die Baukosten anteilig auf die Hallenüberlassung an die Vereine entfielen, machte sie den Vorsteuerabzug geltend. Nach Auffassung des BFH handelte die Stadt bei der Hallenüberlassung ausgangsseitig als Unternehmer, sodass ihr der Vorsteuerabzug zustand. Nach Auffassung des BFH reicht eine Asymmetrie zwischen den Betriebskosten und den als Gegenleistung erhaltenen Beträgen für eine Versagung der Unternehmereigenschaft nicht aus.2 Ausschlaggebend sei vielmehr, ob die Leistung wie am allgemeinen Markt angeboten wird,3 sich das Entgelt im Rahmen des Üblichen bewegt4 und darüber hinaus von der tatsächlichen Nutzungsinanspruchnahme abhängt.5

3.178

Eine „Asymmetrie“ zwischen Entgelthöhe und Ausgaben führt damit nicht zwingend zur Verneinung der Unternehmereigenschaft. Das ist wichtig für alle Fälle, in denen Unternehmer Leistungen unter dem Marktpreis anbieten, vor allem aber für die öffentliche Hand. Das Kriterium der Asymmetrie weist also keinen „dogmatischen Selbststand“ auf.6 Umso wichtiger ist es daher, sich die vom EuGH herausgearbeiteten Kriterien für die Beurteilung einer Tätigkeit als wirtschaftlich in Erinnerung zu rufen. Hier sind die für diese Tätigkeit maßgebenden Umstände einzubeziehen.7 Folgende Aspekte hatte der EuGH in der Entscheidung Borsele herausgearbeitet: – Vergleich zwischen den Umständen, unter denen die fragliche Dienstleistung erbracht wird, und den Umständen, unter denen eine derartige Dienstleistung für gewöhnlich erbracht wird;8 – Berücksichtigung der Zahl der Kunden und der Höhe der Einnahmen;9 – Unterschied zwischen Betriebskosten und Einnahmen, der eher auf eine Gebühr als auf ein Entgelt hindeutet;10 – Auftreten des leistenden Unternehmers vorrangig als Endverbraucher, der Eingangsleistungen bezieht, um diese im Rahmen der Daseinsvorsorge der Bevölkerung zur Verfügung zu stellen.11

3.179

Planen juristische Personen des öffentlichen Rechts nicht kostendeckende Tätigkeiten, sind diese Aspekte in die Einzelfallabwägung einzustellen. Dabei lässt sich die hier dargestellte Rechtsprechung auch im umgekehrten Sinne verstehen: Vor dem Hintergrund von § 2b UStG könnte es gerade für die öffentliche Hand interessant sein, keine wirtschaftliche Tätigkeit auszuüben, um nicht steuerbare Ausgangsleistungen erbringen zu können. Andererseits kann es bei hohen Vorsteuervolumina wichtig sein, dass die Tätigkeit als wirtschaftlich qualifiziert wird. Hinsichtlich der Frage, welcher Kostendeckungsgrad hier mindestens anzusetzen ist, besteht nach wie vor Rechtunsicherheit.

1 BFH, Urt. v. 28.06.2017 – XI R 12/15, UR 2017, 758. 2 BFH, Urt. v. 28.6.2017 – XI R 12/15, – UR 2017, 758, Rn. 43. 3 BFH, Urt. v. 28.6.2017 – XI R 12/15, UR 2017, 758, Rn. 54. Kritisch zum Kriterium der Marktteilnahme von Streit/Streit, UStB 2020, 180 (188); a.A. Hidien/Menebröcker, DStR 2020, 2824 (2832 f.). 4 BFH, Urt. v. 28.6.2017 – XI R 12/15, UR 2017, 758, Rn. 55. 5 BFH, Urt. v. 28.6.2017 – XI R 12/15, UR 2017, 758, Rn. 58. 6 Hidien/Menebröcker, DStR 2020, 2824 (2831). 7 EuGH, Urt. v. 12.5.2016 – Rs. C-520/14 – Gemeente Borsele, UR 2016, 520, Rn. 29. 8 EuGH, Urt. v. 12.5.2016 – Rs. C-520/14 – Gemeente Borsele, UR 2016, 520, Rn. 28. 9 EuGH, Urt. v. 12.5.2016 – Rs. C-520/14 – Gemeente Borsele, UR 2016, 520, Rn. 29. 10 EuGH, Urt. v. 29.10.2009 – Rs. C-246/08 – Kommission/Finnland, UR 2010, 224, Rn. 50. 11 Schlussanträge der Generalanwältin Juliane Kokott v. 23.12.2015 – Rs. C-520/14 – Gemeente Borsele, Rn. 50.

132 | Küffner

B. Das Umsatzsteuergesetz – Herausforderungen für jPdöR | Rz. 3.182 Kap. 3

VII. § 18 UStG – Umsatzsteuervoranmeldungen und -erklärungen 1. Die Umsatzsteuer als Selbstveranlagungssteuer Die Abgabe einer ordnungsgemäßen Umsatzsteuererklärung bzw. -voranmeldung stellt die öffentliche Hand vor eine schwierige Aufgabe. Erleichterungen verspricht die Einführung eines dezentralen Besteuerungsverfahrens (s. unten 2.) § 18 UStG regelt das Besteuerungsverfahren. Die Umsatzsteuer ist gemäß § 16 Abs. 1 S. 2 UStG eine Jahressteuer. Unternehmer haben daher gemäß § 18 Abs. 3 UStG jährlich eine Umsatzsteuer-Jahreserklärung abzugeben sowie unterjährig gemäß § 18 Abs. 1 bis Abs. 2a UStG Umsatzsteuervoranmeldungen. Die Umsatzsteuer ist eine Selbstveranlagungssteuer. Denn der Unternehmer hat die Umsatzsteuer in seinen Umsatzsteuererklärungen und -voranmeldungen selbst zu berechnen – sowohl die von ihm auf seine Ausgangsumsätze geschuldete Steuer als auch die aus den Eingangsleistungen resultierende anzurechnende Vorsteuer. Aus dem Saldo ergibt sich entweder eine Zahlungsschuld oder ein vom Finanzamt zu erstattender Überschuss. Grundsätzlich steht die Steueranmeldung des Unternehmers einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 168 S. 1 AO) gleich. Ergibt sich eine Zahlungslast auf Seiten des Finanzamts, gilt dies erst nach Zustimmung durch das Finanzamt (§ 168 S. 2 AO).

3.180

Für juristische Personen des öffentlichen Rechts gelten grundsätzlich die allgemeinen Regeln des Besteuerungsverfahrens. Aus § 2 Abs. 1 S. 2 UStG folgt der Grundsatz der Unternehmenseinheit. Jeder Unternehmer kann nur ein Unternehmen im umsatzsteuerrechtlichen Sinne haben. Unternehmerisch tätige Eigenbetriebe, Regiebetriebe, Ressorts, Landesbetriebe oder Behörden einer juristischen Person des öffentlichen Rechts gehören damit einem einzigen Unternehmen an.1 Verfügt eine Körperschaft nach altem Recht über mehrere Betriebe gewerblicher Art, so bilden auch diese grundsätzlich nur ein Unternehmen.2 Gemäß § 2 Abs. 3 UStG a.F. hat die juristische Person des öffentlichen Rechts als Unternehmensträger daher die gesamten Umsätze ihrer – möglicherweise zahlreichen – Betriebe gewerblicher Art in einer Erklärung anzugeben. Zentral zuständig hierfür ist das vertretungsberechtigte Organ der juristischen Person des öffentlichen Rechts. Die Abgabe einer einheitlichen Erkärung für das gesamte Handeln einer juristischen Person des öffentlichen Rechts stellt eine erhebliche rechtliche und praktische Herausforderung dar. Dies wird am Beispiel des Bunds wird deutlich: Hinsichtlich der unteren Bundesbehörden verfügt der Bund allein über 157 bundesbehördliche Einrichtungen. All diese hätte der Bund in seiner Umsatzsteuerjahreserklärung zu berücksichtigen. Inwieweit die unselbständigen Behörden überhaupt einer unternehmerischen Tätigkeit nachgehen, wäre dann im Einzelnen zu eruieren.

3.181

Die Finanzverwaltung schlug aus Vereinfachungs- und Billigkeitsgründen bislang einen anderen Weg ein: Bei den Gebietskörperschaften Bund und Länder praktizierte die Finanzverwaltung bisher ohne eine gesetzliche Grundlage eine dezentrale Besteuerung (vgl. u.a. Abschn. 1a.1 Abs. 3 UStAE für innergemeinschaftliche Erwerbe). Sie ist der Auffassung, dass auch einzelne unselbständige Organisationseinheiten als Steuerpflichtige behandelt werden können.3 Daher war bislang für Betriebe gewerblicher Art des Bundes und der Länder ein jeweils gesondertes Umsatzsteuerfestsetzungsverfahren beim jeweils zuständigen Finanzamt zugelassen. Eine solche Verwaltungspraxis stand jedoch im diametralen Widerspruch zur Recht-

3.182

1 Jäschke, MwStR 2020, 296 (297). 2 BFH, Urt. v. 18.8.1988 – V R 194/83, BStBl. II 1988, 932. 3 Z.B. FinMin Bayern, Schr. v. 4.4.1990 – 36-S 7106-32/25-22937, UR 1991, 150; siehe auch FinMin Bayern zur Umsatzbesteuerung der bayerischen Forstämter, Schr. v. 25.11.1998 – 36-S 7106-33/2349527, UR 1999, 465; vgl. hierzu auch Jäschke, MwStR 2020, 296 (297); Widmann, UR 2016, 13 (14).

Küffner | 133

Kap. 3 Rz. 3.182 | Umsatzsteuerrecht als Schlüsselmaterie

sprechung des EuGH. Denn seit der Rechtssache Gmina Wrocław1 ist hinreichend geklärt, dass haushaltsgebundenen Einrichtungen die Selbständigkeit fehlt. Die juristische Person des öffentlichen Rechts ist der (einzige) „Unternehmer“.

3.183

Die Umstellung der Besteuerung auf § 2b UStG bedeutet nun das Ende des Betriebs gewerblicher Art im Umsatzsteuerrecht und damit auch das Ende jener Verwaltungspraxis. Diese verfahrensrechtlichen Anforderungen, wie sie für privatwirtschaftliche Unternehmen gelten, sind von juristischen Personen des öffentlichen Rechts aber ob deren Struktur schlichtweg praktisch nicht umsetzbar. Dies erklärt den Trend in Richtung dezentrale Besteuerung.

2. Dezentrale Besteuerung 3.184

Bisher sah das deutsche Umsatzsteuergesetz kein dezentrales Besteuerungsverfahren für die öffentliche Hand vor. Der Gesetzgeber hat nun aber mit einer Änderung des § 18 UStG reagiert, um die dezentrale Besteuerung von unselbständigen Teilen juristischer Personen des öffentlichen Rechts weiter zu gewährleisten. Nach § 18 Abs. 4f UStG können die umsatzsteuerlichen Rechte und Pflichten von Bund und Ländern zukünftig durch einzelne Organisationseinheiten wahrgenommen werden. Soweit solche Organisationseinheiten durch ihr Handeln eine Erklärungspflicht begründen, treten sie an die Stelle der Gebietskörperschaft. Dies gilt insbesondere für die in § 30 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a und b AO geregelten Verfahren wie das Verwaltungsverfahren, das Rechnungsprüfungsverfahren, gerichtliche Verfahren in Steuersachen, Strafverfahren wegen einer Steuerstraftat oder Bußgeldverfahren (§ 18 Abs. 4f S. 1 und 2 UStG). Die jeweilige Organisationseinheit ist damit Träger der verfahrensrechtlichen und steuerstrafrechtlichen Verantwortung. Damit lassen sich einerseits die Verantwortungsbereiche rechtssicher abgrenzen.2 Andererseits ist die Handhabung der umsatzsteuerrechtlichen Erklärungsfristen in kleineren Einheiten leichter zu handhaben.

3.185

Organisationseinheiten kraft Gesetzes sind: – in den Gebietskörperschaften Bund und Länder jeweils einzeln die Verwaltungen der Verfassungsorgane des Bundes und der Länder (z.B. die Verwaltung des Deutschen Bundestages sowie die Verwaltung des Bundesverfassungsgerichts), – die obersten Bundesbehörden (z.B. das Auswärtige Amt, das Bundesministerium der Finanzen oder die Deutsche Bundesbank); – die Behörden der nachgeordneten Bereiche, also die Bundesoberbehörden (wie das Bundesamt der Justiz oder das Bundeskriminalamt) oder die Bundesmittel- und Bundesunterbehörden (Hauptzollämter und Zollämter), – die Bundes- und Landesbeauftragten, die mit eigener Selbstständigkeit außerhalb eines Ressorts ausgestattet sind (wie der Bundesbeauftragte für Datenschutz), sowie – vergleichbare Einrichtungen des Bundes oder der Länder.3

3.186

Der Gesetzgeber billigt juristischen Personen des öffentlichen Rechts nun ein Mindestmaß an Gestaltungsfreiheit zu. Denn daneben können (untergeordnete) Organisationseinheiten durch eine entsprechende Organisationsentscheidung der übergeordneten Organisationseinheit zur Entstehung kommen (§ 18 Abs. 4g S. 4 UStG). Umgekehrt können auch übergeordnete Organisationseinheiten die Rechte und Pflichten der untergeordneten Organisationseinheit durch 1 EuGH, Urt. v. 29.9.2015 – Rs. C-276/14 – Gmina Wroclaw, UR 2015, 829. 2 Referentenentwurf des Jahressteuergesetzes 2020 v. 17.7.2020, S. 154. 3 Referentenentwurf des Jahressteuergesetzes 2020 v. 17.7.2020, S. 154.

134 | Küffner

C. Herausforderungen faktischer Natur | Rz. 3.190 Kap. 3

Organisationsentscheidung wahrnehmen (§ 18 Abs. 4g S. 5 UStG). Auch der Zusammenschluss mehrerer Organisationseinheiten ist möglich (§ 18 Abs. 4g S. 5 UStG). Die Neuregelung lässt den materiell-rechtlichen Grundsatz der Unternehmenseinheit unberührt. Dies hat insbesondere Auswirkungen auf bestimmte umsatzsteuerrechtliche Betragsgrenzen. Hier werden aufgrund der fehlenden Willensbildung innerhalb der jeweiligen Gebietskörperschaft diese Grenzen als überschritten fingiert (§ 18 Abs. 4f S. 6 UStG). Zu nennen sind hier z.B. die Umsatzgrenzen für den monatlichen Voranmeldungszeitraum (7.500 €) oder für die Kleinunternehmerregelung (22.000 € und 50.000 €). Auch dies soll der Vereinfachung dienen.

3.187

Die Regelung des § 18 Abs. 4f UStG-E ist nach § 27 Abs. 22 S. 7 UStG-E erstmals auf Besteuerungszeiträume anzuwenden, die nicht der Optionserklärung unterliegen. Bund und Länder haben jedoch die Möglichkeit, auf die Anwendung dieser Regelung mit Wirkung für die Zukunft (einheitlich für alle ihre Organisationseinheiten) zu verzichten.

3.188

Verfahrensrechtlich deutet die Neuorganisation in Organisationseinheiten auf eine klare Vereinfachung hin. Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Verfahrensrecht den materiell-rechtlichen Grundsatz der Unternehmenseinheit nicht überwinden kann. Diese „Zweigleisigkeit“ wird in materiell-rechtlicher Hinsicht in Zukunft noch viele Fragen aufwerfen. Die Unternehmenseinheit ist weiter als die Organisationseinheit. Wie ist also mit „hybriden Organisationseinheiten“ wie Verwaltungsgemeinschaften umzugehen? Besonders interessant wird es dann beim Vorsteuerabzug im Rahmen eines zentralen Einkaufs: Wer macht diesen geltend? Wie stimmen sich die Organisationseinheiten untereinander ab? Wer übernimmt die Verantwortung? Hier gilt es die weitere Entwicklung abzuwarten – dahingehend, ob sich die vermeintliche Vereinfachung nicht doch als Verkomplizierung entpuppt.

3.189

C. Herausforderungen faktischer Natur I. Notwendigkeit klarer Verwaltungsstrukturen Dem Paradigmenwechsel auf rechtlicher Ebene müssen bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts nun Umstrukturierungen im Verwaltungsablauf folgen. Damit wird die Umstellung der Besteuerung der öffentlichen Hand auf § 2b UStG auch zu einer faktischen Herausforderung. Die wirklichen Hürden werden sich weit vor der ersten umsatzsteuerrechtlichen Bearbeitung eines bestimmten Sachverhalts stellen. Juristische Personen des öffentlichen Rechts müssen sich nun mit dem „Umstellungsprojekt § 2b UStG“ in seiner Gesamtheit auseinandersetzen. Dabei genügt es nicht, sich allein mit der Rechtsebene (Teil B.) zu befassen. Ziel ist, juristische Personen des öffentlichen Rechts – die sich in ihrer Struktur denknotwendig fundamental von privaten Wirtschaftsunternehmen unterscheiden – so zu organisieren, dass in Zukunft ordnungsgemäße Umsatzsteuererklärungen und -voranmeldungen mit möglichst überschaubarem Verwaltungsaufwand generiert werden können. Dies erfordert eine sorgfältige Planung. Im Folgenden soll daher überblicksartig umrissen werden, in welchen Bereichen Handlungsbedarf besteht, um mögliche Fallstricke faktischer Natur zu identifizieren und zu vermeiden. Juristische Personen des öffentlichen Rechts sollten die Neuorganisation ihres Steuerbereichs als Projekt auffassen (s. unten II.). Dies sollte zum Anlass genommen werden, das interne Zuständigkeitsmanagement zu überdenken und zu ordnen (s. unten III.) und die eigene IT-Ausstattung kritisch zu überprüfen (s. unten IV.). Für die Vorbereitung auf das neue Umsatzsteuerrecht-Regime bedarf es zunächst einer Aufarbeitung des Status quo – auf Grundlage einer Einnahmenanalyse und eines Vertragsscreenings (s. unten V.). Auf dieser Basis lassen sich für die Zukunft die erforderlichen umsatzsteuerrechtlichen Bewertungen vorKüffner | 135

3.190

Kap. 3 Rz. 3.190 | Umsatzsteuerrecht als Schlüsselmaterie

nehmen und mögliche Gestaltungsspielräume erschließen (s. unten VI.). Zugleich ist – soweit noch nicht geschehen – zur Absicherung aller Beteiligten der Aufbau eines Tax-ComplianceSystems (s. unten VII.). vorzunehmen.

II. Konzeptionelle Herangehensweise an § 2b UStG 3.191

Das Denken in Projekten gehört bei Wirtschaftsunternehmen zum Alltag. Die strukturellen Bedingungen für die Umsetzung der neuen umsatzsteuerlichen Anforderungen zu schaffen, ist eine komplexe Aufgabe. Hier kann es sich auszahlen, sich auch bei der öffentlichen Hand an den Grundschritten des Projektmanagements zu orientieren. Ein bekanntes Wirtschaftslexikon definiert den Begriff „Projekt“ wie folgt: „Ein Projekt ist eine zeitlich befristete, relativ innovative und risikobehaftete Aufgabe von erheblicher Komplexität, die aufgrund ihrer Schwierigkeit und Bedeutung meist ein gesondertes Projektmanagement erfordert.“1

3.192

Dies umschreibt die Herausforderung, vor der juristische Personen des öffentlichen Rechts bei der Neuordnung ihres Steuerbereichs stehen. Wie könnte das Projekt „Umstellung auf § 2b UStG“ aussehen?

3.193

Ausgangspunkt des Projektmanagements ist der konkrete Projektauftrag und damit die Definition des zu erreichenden Ziels. Dieses könnte etwa die „Abgabe korrekter Umsatzsteuererklärungen ab dem Jahr 2023 und die Implementierung der hierfür notwendigen Prozesse“ sein.

3.194

Der erste Schritt ist die Erstellung eines Projektplans, in dem der zeitliche Rahmen des gesamten Projekts, aber auch einzelne Zwischenschritte (sogenannte Meilensteine) festgelegt werden. Dies erfordert eine sorgfältige Planung, deren zeitliche Dimension nicht unterschätzt werden darf. Es empfiehlt sich, den Projektplan schriftlich festzuhalten. Das Gesamtprojekt ist in möglichst konkrete Teilprojekte aufzugliedern und das zur Verfügung stehende Zeitfenster möglichst genau auf diese Teilprojekte aufzuteilen. Dringend anzuraten ist, ausreichende Pufferzeiten für unvorhergesehene Schwierigkeiten einzukalkulieren.

3.195

In der Regel werden sich zwei verschiedene Teilprojekte herauskristallisieren: „Umstellung auf § 2b UStG“ einerseits und „Organisation des Steuerbereichs“ andererseits. Bei der Planung und Umsetzung von Projekten handelt es sich um einen dynamischen Vorgang, so dass sich 1 https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/projekt-42861 (letzter Abruf am 29.12.2020).

136 | Küffner

C. Herausforderungen faktischer Natur | Rz. 3.198 Kap. 3

der Projektplan mit Fortschreiten des Projekts denknotwendigerweise weiter ausdifferenzieren wird. Ein grobes Raster könnte aber folgendermaßen aussehen: Projektplan: Teilprojekt 1: Umstellung auf § 2b UStG Schritt 1: Sammlung allgemeiner Unterlagen Schritt 2: Einnahmenanalyse und Neubeurteilung nach § 2b UStG Schritt 3: Vertragsscreening Schritt 4: Zusammenfassung der Ergebnisse Schritt 5: Vorsteuerabzug und Vorsteuerpotential Teilprojekt 2: Organisation des Steuerbereichs Schritt 1: Bestandsaufnahme Organisation (Struktur, Zuständigkeiten) Schritt 2: Bestandsaufnahme Verfahren/Prozesse Schritt 3: Zusammenfassung der Ergebnisse Schritt 4: Anpassung IT Schritt 5: Anpassung der Organisation in steuerlicher Hinsicht Schritt 6: Dienstanweisung zur Besteuerung der Gemeinde Schritt 7: Verfassen des Steuerhandbuchs Umsetzungsphase Schritt 1: Schulungskonzept + Schulung der „steuerverantwortlichen Mitarbeiter“ Schritt 2: Praktische Umsetzung Schritt 3: Überwachung und Optimierung Schritt 4: Abschlussbericht

Bereits bei Erstellung eines solchen Projektplans ist zu eruieren, welche Instrumente der Selbstüberwachung zur Verfügung stehen könnten. Denkbar wäre etwa, im Rahmen von fest eingeplanten Jour-fixe-Terminen, den Projektfortschritt fortlaufend zu überwachen. So können mögliche Verzögerungen im Ablauf frühzeitig erkannt und behoben werden. Schließlich steht fest, dass das Projekt „Umstellung auf § 2b UStG“ jedenfalls am 31.12.2022 erfolgreich fertiggestellt sein muss.

3.196

Vor allem die oft vorhandene Ressourcenknappheit zwingt die öffentliche Hand hier zu akkurater Planung. Dies gilt nicht nur für die beschränkt zur Verfügung stehenden Sachmittel. Vielmehr wird es juristischen Personen des öffentlichen Rechts mitunter an umsatzsteuerrechtlich ausgebildetem Personal fehlen. Die Verfahrensumstellung wird in den meisten Fällen zu einer neuen Personalstruktur führen müssen. Es gilt zu überdenken, wie langfristig ausreichend qualifizierte Mitarbeiter für die Bewältigung der umsatzsteuerlichen Verpflichtungen abgestellt werden können. Diese Überlegungen führen zur nächsten Herausforderung – dem internen Zuständigkeitsmanagement.

3.197

III. Internes Zuständigkeitsmanagement Vor allem vor dem Hintergrund steuerstrafrechtlicher Verantwortung bedürfen die Zuständigkeiten im Steuerbereich einer klaren Regelung. Es muss einen Steuerverantwortlichen (und möglichst auch einen Stellvertreter) geben, der die korrekte Erfüllung der umsatzsteuerrechtKüffner | 137

3.198

Kap. 3 Rz. 3.198 | Umsatzsteuerrecht als Schlüsselmaterie

lichen Verpflichtungen gewährleistet und die entsprechenden Wissens- und Arbeitsressourcen delegiert und überwacht. Zu den Kernpflichten gehören: – Zutreffende steuerrechtliche Würdigung der Ausgangsumsätze und gegebenenfalls deren Aufnahme in die Steuererklärung – Vornahme des Vorsteuerabzugs aus Eingangsrechnungen im Rahmen des gesetzlich Möglichen – Überprüfung von Auslandssachverhalten – Ermittlung von Vorsteuerquoten – Erstellung der Umsatzsteuervoranmeldung und Jahreserklärung – Übernahme sonstiger Kommunikation mit der Finanzverwaltung – Kontrollen innerhalb der Steuerstelle durch Verprobung der ermittelten Besteuerungsgrundlagen durch Stichproben und Plausibilitätsprüfungen – Sicherung des Informationsmanagements – von den Mitarbeitern zur Steuerstelle und von der Steuerstelle zur Leitung

3.199

Die Zuständigkeitsverteilung im Organigramm der juristischen Person des öffentlichen Rechts bzw. im Geschäftsverteilungsplan ist zu überprüfen und notfalls anzupassen. Im Rahmen des Umsatzsteuerrechts als schnelllebiger Rechtsmaterie ist auch das erforderliche Wissensmanagement in den Fokus zu nehmen. Die neue steuerrechtliche Verantwortung wird in Zukunft eine laufende Fortbildung und Schulung der entsprechenden Mitarbeiter erfordern.

3.200

Ob der Vielgestaltigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts unterscheiden sich die Handlungserfordernisse hier nach Größe der Körperschaft. Während es bei kleinen Gebietskörperschaften überwiegend ausreicht, einzelnen Mitarbeitern die Aufgabe der Umsatzsteuer zu übertragen und einen Hauptverantwortlichen zu bestimmen, ist andernorts der Aufbau eines ganzen Steuerreferats vonnöten. Auch die Zusammenarbeit mit anderen Körperschaften oder mit Steuerberatern kann im Einzelfall dienlich sein. Zu bedenken gilt dabei, dass die Umstellungsphase für sich temporär einen höheren Personalaufwand erfordert als die laufende Verwaltung im Nachgang.

3.201

Eine Thematik stellt sich aber gleichermaßen bei jeder juristischen Person des öffentlichen Rechts: Einzelne Mitarbeiter allein können die korrekte Erfüllung der umsatzsteuerlichen Verpflichtungen nicht gewährleisten. Denn die umsatzsteuerrechtlich zu beurteilenden Sachverhalte werden außerhalb der Steuerabteilung geschaffen. Mit der Umstellung auf § 2b UStG können sämtliche Tätigkeitsbereiche der öffentlichen Hand umsatzsteuerliche Konsequenzen nach sich ziehen. Von enormer Bedeutung ist daher ein ausreichender Informationsfluss zwischen den Steuerverantwortlichen und allen anderen Mitarbeitern der Körperschaft. Bei jedem einzelnen Mitarbeiter muss ein Bewusstsein für steuerrechtliche Sachverhalte geschaffen werden. Entsprechende Dienstanweisungen können helfen, das Personal für steuerrechtliche Fragen zu sensibilisieren und die arbeits- bzw. dienstrechtlichen Verpflichtungen zu konkretisieren.

IV. Anforderungen an die IT 3.202

Ein wichtiger Schritt ist die Schaffung der erforderlichen IT-Struktur. Eine auf die Anforderungen der öffentlichen Hand abgestimmte Finanzbuchführungssoftware trägt nicht nur zur Verwaltungsvereinfachung bei – sie minimiert auch das Haftungsrisiko. Nach § 18 Abs. 1 bzw. Abs. 3 UStG sind die Umsatzsteuervoranmeldungen und -erklärungen elektronisch nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz zu übermitteln. Eine möglichst medienbruchfreie Gestaltung des Steuerbereichs bietet sich daher an. Das manuelle Führen und Übertragen von Tabellen birgt ein hohes Fehlerrisiko und ist weniger effizient. 138 | Küffner

C. Herausforderungen faktischer Natur | Rz. 3.207 Kap. 3

Es gilt somit, zeitnah die vorhandene IT-Ausstattung zu überprüfen. Genügt sie den neuen Anforderungen? Kann dies gegebenenfalls durch Zusatzmodule sichergestellt werden? Ist ein Wechsel der Software erforderlich? All diesen Fragen ist möglichst frühzeitig zu begegnen, zumal davon auszugehen ist, dass die Auslastung der einschlägigen Softwareanbieter mit dem Heranrücken des Stichtermins 31.12.2022 ansteigen wird. Bis dahin muss nicht nur das entsprechende Equipment vorhanden sein. Die verantwortlichen Mitarbeiter müssen auch im Stande sein, mit neuen Programmbestandteilen umzugehen. Ob der Komplexität des Umsatzsteuerrechts lässt sich entsprechende Software meist nicht intuitiv bedienen, sondern begründet entsprechenden Schulungsbedarf. Zudem ist zu bedenken, dass kaum eine IT-Umstellung ohne entsprechende Geburtswehen auskommt. Ein straffer Zeitplan kann sich daher am Ende auszahlen.

3.203

Die Umstellung auf § 2b UStG wird bei vielen Körperschaften ein neues Rechnungsmanagement verlangen. Falsche Ausgangsrechnungen bergen ein immenses umsatzsteuerliches Risiko. Bei der Umsatzsteuer handelt es sich um ein Massengeschäft. Ein und derselbe Fehler kann durch seine Vervielfältigung zu enormen Auswirkungen führen. Hier gewinnt die ITmäßige Unterstützung durch ein entsprechendes Faktura-Programm an Bedeutung. Eine solche Software kann sicherstellen, dass eine Rechnung die nach § 14 Abs. 4 UStG erforderlichen Pflichtangaben enthält und inbesondere der richtige Steuersatz ausgewiesen ist (vgl. § 14c Abs. 1 UStG). Über ein dementsprechendes Faktura-Programm lässt sich überdies das interne Zuständigkeitsmanagement technisch absichern. So kann gewährleistet werden, dass Rechnungen nur von solchen Mitarbeitern erstellt werden, die hierzu auch befugt sind.

3.204

V. Analyse der Eingangsleistungen 1. Einnahmenanalyse Die Analyse der Leistungen auf der Eingangsseite basiert auf einer Einnahmenanalyse und einem Vertragsscreening (s. unten 2.).

3.205

Elementarer Baustein einer erfolgreichen Umstellung auf § 2b UStG ist eine gründliche Einnahmenanalyse. Sie eröffnet den vollumfänglichen Blick auf alle umsatzsteuerrechtlich beachtlichen Sachverhalte. Im Zuge eines solchen Analyseprozesses zeigt sich, an welchen Stellen noch Unsicherheit bei der materiell-rechtlichen Einordnung von bestimmten Sachverhalten und damit Klärungsbedarf besteht. Auch umsatzsteuerliche Risiken können identifiziert werden. Zweck einer Einnahmenanalyse ist aber zunächst ausschließlich, entsprechenden Handlungsbedarf aufzudecken. Die Klärung umsatzsteuerrechtlicher Fragen bezogen auf den Einzelsachverhalt kann dann in einem weiteren Schritt erfolgen.

3.206

Bewährt hat sich die Einnahmenanalyse in Tabellenform, wie sie die folgende Grafik zeigt:

3.207

Konto/ Gruppe

Sphäre (KSt)

Kontenplan/ Kontenbezeichnung

Information

Rechtsgrundlage (Privatrecht/öffentliches Recht)

Normative Grundlage (wenn vorhanden)

Anlage (Verträge)

Betrag

Altes Recht § 2 (3) UStG

neues Recht § 2b UStG

KMLZ Risikobewertung/ rechliche Bewertung

Konto Umsatzsteuer Kein Leistungsaustausch

§ 2b UStG und keine Wettbewerbsverzerrung, weil

§ 2 UStG Unternehmer

Umsatzsteuerbefreiung

Körperschaftsteuer Steuersatz

vorher

Rechnungsformular

Anmerkung

OptimieBgA rung/ < 35 T€ Gestaltung

BgA

KSt-Befreiung

Küffner | 139

Kap. 3 Rz. 3.208 | Umsatzsteuerrecht als Schlüsselmaterie

3.208

Der Umgang mit einer derartigen Einnahmenanalysen-Tabelle erklärt sich wie folgt: Zunächst müssen alle Einnahmehaushaltsstellen, auf welchen Ausgangsleistungen registriert sind, erfasst werden. Hierfür wird zunächst die Haushaltsstelle umschrieben und die ihr zugeordneten Ausgangsleistungen dargestellt. Die Ausgangsleistungen sind daraufhin zu untersuchen, ob sie der Haushaltsstellenbeschreibung nach auf der richtigen Haushaltsstelle gebucht sind. Weiter ist zu überprüfen, ob es sich um wesentlich gleiche Ausgangsleistungen handelt oder solche, die einer unterschiedlichen steuerrechtlichen Bewertung bedürfen. Ist Letzeres der Fall, finden sich also bei einer Haushaltsstelle verschiedenartige Sachverhalte, die umsatzsteuerlich unterschiedlich zu werten sind, ist auch dies grafisch darzustellen. Sind auf einer Haushaltsstelle beispielsweise diverse Sachverhalte gebucht, die jeweils einen anderen Steuersatz (7 % oder 19 %) nach sich ziehen, so sind diese Sachverhalte in einzelnen Zeilen in der Tabelle darzustellen. Eine solche Vorgehensweise zahlt sich am Ende aus, da entschieden werden muss, ob in Zukunft eigene (Unter-)Konten mit unterschiedlichen Steuerschlüsseln angelegt werden.

3.209

Lohnenswert ist, den Sachverhalt so präzise wie möglich zu skizzieren. Nur auf Grundlage eines zutreffenden Sachverhalts kann eine korrekte umsatzsteuerliche Würdigung folgen. Der Sachverhalt ist damit das Herzstück der Tabelle. Zu hinterfragen gilt es folgende Eckpunkte: – Besteht ein direkter Zusammenhang zwischen einer konkreten Ausgangstätigkeit und bestimmten Einnahmen? – Wie lässt sich der konkrete Leistungsgegenstand bezeichnen? – Wer ist Leistungsempfänger? – Auf welcher Rechtsgrundlage wird die Leistung erbracht – privatrechtlich oder öffentlich-rechtlich?

3.210

Im Rahmen der Einnahmenanalyse lassen sich so Tätigkeitsbereiche herausfiltern, die bisher noch nicht in einem Betrieb gewerblicher Art erfasst worden sind, mit der Umstellung auf § 2b UStG in Zukunft aber ab dem ersten Euro umsatzsteuerbar sein werden. Gleiches gilt für die Bereiche der Vermögensverwaltung. Solche Leistungen werden überwiegend auf privatrechtlicher Grundlage erbracht. Auch diese Einnahmen müssen unter dem Regime des § 2b UStG umsatzsteuerlich neu bewertet werden.

3.211

Der besondere Nutzen der eingehenden Einnahmenanalyse zeigt sich schließlich in der Möglichkeit zur überblicksartigen Risikobewertung. Lassen sich Leistungen eindeutig dem Hoheitsbereich zuordnen, weil sie auf öffentlich-rechtlicher Grundlage erbracht werden und keine Anhaltspunkte für eine Wettbewerbsverzerrung bestehen, so können diese als unproblematisch markiert werden. Ist die richtige umsatzsteuerliche Bewertung hingegen nicht so eindeutig zu treffen, ist auch hierauf im Rahmen der Tabelle hinzuweisen. Damit verfügen Körperschaften über eine optimale Ausgangslage, um bestimmte Tätigkeitsbereiche mit einer neuen umsatzsteuerlichen Beurteilung anhand von § 2b UStG zu überziehen. Umsatzsteuer Kein Leistungsaustausch

§ 2b UStG und keine Wettbewerbsverzerrung, weil

§ 2 UStG Unternehmer

Umsatzsteuerbefreiung

Steuersatz

Vorsteuer

Rechnungsart

Optimierung/ Gestaltung

Die Tabelle ist wie folgt auszufüllen: Spalte: „Kein Leistungsaustausch“ In dieser Spalte wird eingetragen, wenn kein Leistungsaustausch vorliegt. Folgende Eintragungsmöglichkeiten können sich ergeben: 140 | Küffner

C. Herausforderungen faktischer Natur | Rz. 3.211 Kap. 3

– (–) Leistungsaustausch liegt vor – (+) Echter Zuschuss – (+) Passives Sponsoring – (+) Durchlaufender Posten nach Abschn. 10.4. UStAE – (+) Kein Entgelt – (+) Keine Gegenleistung – (+) Sonstiges Spalte „§ 2b UStG und keine Wettbewerbsverzerrung, weil“ In dieser Spalte wird eine rechtliche Bewertung abgegeben. Folgende Eintragungsmöglichkeiten können sich ergeben: – (–) Wettbewerbsverzerrung liegt vor. – (+) § 2b Abs. 1 S. 2 UStG – (+) § 2b Abs. 2 Nr. 1 UStG – (+) § 2b Abs. 2 Nr. 2 UStG – (+) § 2b Abs. 3 Nr. 1 UStG – (+) § 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG Spalte „§ 2 UStG Unternehmer“ In diese Spalte ist ein Eintrag vorzunehmen, wenn der Unternehmerbegriff nach § 2 UStG vorliegt. Folgende Eintragungsmöglichkeiten sind möglich: – (–) Fall des § 2b UStG liegt vor (öffentlich-rechtliches Handeln und kein Wettbewerb) – (+) steuerbar nach § 2 UStG Spalten „Umsatzsteuerbefreiung“/„Steuersatz“/„Vorsteuer“ Die Spalten sind entsprechend auszufüllen, wenn ein Umsatz steuerfrei ist, welcher Steuersatz in Frage kommt und ob ein Vorsteuerabzug grundsätzlich möglich ist. Spalte „Rechnungsart“ Folgende Eintragungsmöglichkeiten sind in dieser Spalte denkbar: – Faktura-Programm – Manuelle Rechnungserstellung – Rechnungsvorlagen – Sonstiges Über diese Spalte wird nach Abschluss der Einnahmenanalyse versucht, effektive Prozesse in der Körperschaft aufzusetzen. Spalte „Optimierung/Gestaltung“ In dieser Spalte könnten Eintragungen vorgenommen werden, wenn durch etwaige Gestaltungen unnötige Umsatzsteuer gespart werden kann (z.B. keine Weiterbelastung von Kosten an einen Dritten, sondern direkte Vertragsbeziehung zwischen Lieferant und Dritten). Küffner | 141

Kap. 3 Rz. 3.211 | Umsatzsteuerrecht als Schlüsselmaterie Umsatzsteuer Kein Leistungsaustausch

§ 2b UStG und keine Wettbewerbsverzerrung, weil

Erklärung

§ 2b UStG UmsatzUntersteuernehmer befreiung

Sphäre

Körperschaftsteuer Steuersatz

Vorsteuer

Rechnungsformular

Anmerkung

OptimieBgA rung/ < 35 T€ Gestattung

BgA

KSt-Befreiung

H = Hoheitliche Tätigkeit U = Wirtschaftliche/Unternehmerische Tätigkeit Rot = Rechtsänderung durch § 2b UStG bzw. sehr risikobehaftet Gelb = Sachverhalte generell prüfen: umsatzsteuerrechtlich im Einzelfall bewerten Grün= keine Rechtsänderung durch § 2b UStG/sehr geringes Risiko

2. Vertragsscreening 3.212

Hand in Hand mit der Einnahmenanalyse muss zwangsläufig ein Vertragsscreening erfolgen. Es sind alle bereits bestehenden Verträge und solche, die regelmäßig abgeschlossen werden, zusammenzutragen und thematisch zu ordnen. Hier werden sich hinsichtlich der Einnahmenanalyse Synergieeffekte ergeben, da viele Einnahmepositionen auf einer vertraglichen Grundlage beruhen. Bei einer solchen „Vertragsinventur“ dürfen mündliche Verträge oder Tauschverträge nicht vergessen werden. Ist sichergestellt, dass der Bestand an Verträgen vollständig erfasst ist, kann zur umsatzsteuerlichen Bewertung übergegangen werden.

3.213

Jeder einzelne Vertrag ist daraufhin zu untersuchen, ob es sich um einen öffentlich-rechtlichen oder privatrechtlichen Vertrag handelt. Entsprechend sind diese in drei Kategorien zu unterteilen: – Eindeutig privatrechtlicher Vertrag – Eindeutig öffentlich-rechtlicher Vertrag – Verträge, die keiner eindeutigen Zuordnung zugänglich sind.

3.214

Bei öffentlich-rechtlichen Verträgen sind vertragsgegenständliche Normen solche des öffentlichen Rechts – wie es etwa bei koordinationsrechtlichen Verträgen mit Körperschaften der Fall ist. Um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag handelt es sich auch immer dann, wenn die juristische Person des öffentlichen Rechts auch durch Verwaltungsakt hätte handeln können. Kaufverträge (§ 433 BGB) oder Mietverträge (§ 535 BGB) hingegen lassen sich eindeutig dem Zivilrecht zuordnen. Auch mündliche Verträge sind grundsätzlich privatrechtlicher Art, da öffentlich-rechtliche Verträge grundsätzlich der Schriftform bedürfen (siehe § 57 VwVfG).

3.215

An die rechtliche Analyse des Vertragsbestands kann sich in einem weiteren Schritt eine Phase vertraglicher Neugestaltung anschließen. Oft haben juristische Personen des öffentlichen Rechts ein Wahlrecht hinsichtlich der jeweiligen – privatrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen – Handlungsform. In diesem Fall sollte sorgfältig unter Zugrundelegung aller rechtlichen – nicht nur steuerrechtlichen – Gesichtspunkte abgewogen werden, ob sich ein Wechsel des Vertragstyps „auszahlt“. Bei Verträgen, die der dritten Kategorie (eindeutige Zuordnung nicht möglich) angehören, besteht dringender Handlungsbedarf. Hier sollte mithilfe einer eindeutigen Bezeichnung (zivilrechtlich oder öffentlich-rechtlich) und gegebenenfalls auch mit einem deutlichen Hinweis auf den entsprechenden Rechtsweg (Zivilrechtsweg oder Verwal142 | Küffner

C. Herausforderungen faktischer Natur | Rz. 3.219 Kap. 3

tungsrechtsweg) eine Klarstellung erfolgen, um welche Vertragsart es sich handelt. Gestalterischer Handlungsbedarf ergibt sich aber nicht nur im Hinblick auf die Frage, auf welche „Füße“ der Vertrag in Zukunft zu stellen ist. Sind Leistungen bislang nach § 2 Abs. 3 a.F. UStG nicht steuerbar und werden sie dies erst mit Inkrafttreten von § 2b UStG, kann dies zu Unklarheiten dahingehend führen, wer in Zukunft die Umsatzsteuer zu tragen hat. Der Vertrag in seiner bisherigen Fassung wird zur Umsatzsteuer keine Aussage treffen. Wird die Leistung steuerpflichtig, stellt sich die Frage, ob es sich bei dem im Vertrag ausgewiesenen Entgelt um einen Netto- oder Bruttobetrag handelt. Dem ist im Rahmen einer Vertragsänderung durch einen Zusatz („zuzüglich der gesetzlichen Umsatzsteuer“ oder „inklusive der gesetzlichen Umsatzsteuer“) entgegenzutreten. Selbst wenn die umsatzsteuerliche Würdigung noch nicht mit abschließender Sicherheit beurteilt werden kann, kann eine entsprechende Vertragsklausel Streitigkeiten vorbeugen. Diese könnte wie folgt formuliert werden:

3.216

„Sollte sich später herausstellen, dass zwischen den beiden Vertragsparteien ein umsatzsteuerlich relevanter Leistungsaustausch seitens der Finanzbehörde angenommen wird, so ist die [juristische Person des öffentlichen Rechts] berechtigt, die gesetzliche Umsatzsteuer nachträglich vom Vertragspartner zu fordern. Zugleich ist die [juristische Person des öffentlichen Rechts] verpflichtet, dem Vertragspartner eine entsprechende Rechnung im Sinne von § 14 UStG zu stellen. Der Vertragspartner verpflichtet sich, den sich hieraus ergebenden Rechnungsmehrbetrag innerhalb einer Frist von ... Tagen zu begleichen.“

Im Einzelfall wird der Vertragspartner auch auf eine Preisanpassung drängen. Ist eine Leistung in Zukunft als unternehmerisch einzuordnen und ist die Körperschaft daher zum Vorsteuerabzug berechtigt, kann sich die Aufrechterhaltung des bisherigen Preisgefüges als unbillig erweisen.

3.217

VI. Analyse der Ausgangsleistungen Auf die Analyse des tatsächlichen IST-Zustands durch Einnahmenanalyse und Vertragsscreening folgt die entsprechende umsatzsteuerliche Aufarbeitung der kritischen Sachverhalte. Mitunter lässt sich die Rechtslage hinsichtlich bestimmter Leistungen im Vorfeld nicht eindeutig klären. In diesen Fällen ist einem möglichen steuerstraf- oder ordnungswidrigkeitsrechtlichen Risiko durch offene Zusammenarbeit mit dem jeweiligen Finanzamt entgegenzutreten. Ist ein bestimmter Sachverhalt noch nicht verwirklicht, kann sich die Einholung einer verbindlichen Auskunft im Sinne von § 89 AO lohnen. Dies gilt vor allem bei wirtschaftlich nicht unbedeutenden Dauersachverhalten. Sind verbindliche Auskünfte grundsätzlich nur bei noch nicht verwirklichten Sachverhalten zu erhalten, verfährt die Finanzverwaltung im Zusammenhang mit der Umstellung auf § 2b UStG großzügig. Nach Erörterungen auf Bund-Länder-Ebene wurde beschlossen, dass verbindliche Auskünfte im Rahmen der Umstellung auf § 2b UStG auch ohne Änderung des Sachverhalts möglich sind.1 Andernfalls sollte der betreffende Sachverhalt unter Darlegung der entsprechenden steuerlichen Würdigung in einem Begleitschreiben der ersten Umsatzsteuervoranmeldung des Jahres 2023 beigelegt werden.

3.218

Je mehr juristische Personen des öffentlichen Rechts in den Fokus der Umsatzsteuer geraten, desto interessanter wird die steuerliche Gestaltung werden. Dies ist nicht gleichzustellen mit „Steuervermeidung“. Denn im Einzelfall kann es für juristische Personen des öffentlichen Rechts sogar vorteilhaft sein, als Unternehmer steuerbare und steuerpflichtige Leistungen zu erbringen. Dies eröffnet nämlich das Tor zum Vorsteuerabzug. Spiegelbildlich zur Einnahme-

3.219

1 S. BayLfSt, Schr. v. 8.4.2020 – S 7107.1.1-16/3 St33, FMNR04b130020.

Küffner | 143

Kap. 3 Rz. 3.219 | Umsatzsteuerrecht als Schlüsselmaterie

nanalyse bei ausgangsseitigen Leistungen stellt sich auf der Eingangsseite die Frage nach einem möglichen Vorsteuerabzug. Auch hier lohnt es sich, sich zunächst einen Überblick zu verschaffen. In welchen Tätigkeitsbereichen stand der juristischen Person des öffentlichen Rechts schon bisher der Vorsteuerabzug offen? Welches neue Vorsteuerabzugspotential ergibt sich in Zukunft aus der Umstellung auf § 2b UStG? Ist ein Gestaltungsspielraum gegeben, sind die Vor- und Nachteile der Unternehmereigenschaft gegeneinander abzuwägen. Bezieht die Körperschaft hohe Eingangsleistungen von dritter Seite, kann sich hieraus ein großes Vorsteuerpotential ergeben. In diesem Fall kann es wirtschaftlich sinnvoll sein, als Unternehmer zu agieren. Unproblematisch ist dies, wenn die Leistung gegenüber einem Unternehmer erbracht wird, dem selbst der Vorsteuerabzug offensteht. Für den Leistungsempfänger stellt die Umsatzsteuer dann keinen Kostenfaktor dar, während die leistende Körperschaft in den Genuss des Vorsteuerabzugs kommt. Hier drängt sich dann eine Ausgestaltung des Vertragsverhältnisses auf privatrechtlicher Grundlage auf.

3.220

Der Steuerbereich der Körperschaft sollte so organisiert sein, dass das sich neu ergebende Vorsteuerpotential auch Berücksichtigung findet. Hier sind geeignete organisatorische Maßnahmen dahingehend zu treffen, dass Eingangsumsätze auch den nunmehr steuerbaren und steuerpflichtigen Ausgangsumsätzen korrekt zugeordnet und die Vorsteuern entsprechend gezogen werden. Ist die Bildung einer Vorsteuerquote aufgrund nur teilunternehmerischer Nutzung erforderlich (§ 15 Abs. 4 UStG), kann der entsprechende Vorsteuerschlüssel etwa schon in der Buchführung hinterlegt werden.

3.221

Bei bislang im nichtunternehmerischen Bereich genutzten Gegenständen, die mit der Umstellung fortan dem unternehmerischen Bereich zuzuordnen sind, gewährt die Finanzverwaltung einen zeitanteiligen Vorsteuerabzug.1

3.222

Kommt es hingegen mangels Vorsteuerabzugs zu einer Definitivbelastung mit Umsatzsteuer, sind rechtliche Überlegungen in die andere Richtung angebracht. Zu erwägen ist dann eine öffentlich-rechtliche Vertragsgestaltung. Möglicherweise besteht aber schon auf Ebene des Leistungsaustauschs ein Ausweg aus der Umsatzbesteuerung – etwa durch Umorganisation der Aufgabenerledigung durch Bildung eines Aufwandspools, oder indem Gegenstände und Mitarbeiter derjenigen Körperschaft zugeordnet werden, die die Leistungen tatsächlich in Anspruch nimmt.

VII. Tax Compliance 1. Notwendigkeit eines Tax-Compliance-Systems 3.223

Juristische Personen des öffentlichen Rechts sollten die ohnehin anstehenden Umstrukturierungen zum Aufbau eines Tax-Compliance-Systems nutzen (s. unten 2.). Die Notwendigkeit eines funktionierenden Tax-Compliance-Systems ergibt sich sowohl aus den gestiegenen Anforderungen der Finanzverwaltung als auch aus den zunehmenden steuerstrafrechtlichen Risiken (s. unten 3.). Hierbei stellt ein innerbetriebliches Kontrollsystem (IKS) ein wesentliches Kernelement zur Absicherung dar (s. unten 4.).

2. Grundelemente eines Tax-Compliance-Systems 3.224

Sinn und Zweck eines Tax-Compliance-Systems ist es, die Erfüllung steuerrechtlicher Pflichten sicherzustellen und die abgabenrechtlichen Risiken für die Beteiligten zu minimieren. Eine ge1 Siehe oben Teil B. VI. 3. d.

144 | Küffner

C. Herausforderungen faktischer Natur | Rz. 3.230 Kap. 3

setzliche Definition existiert insofern nicht. Das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) versteht unter einem Tax-Compliance-System die Gesamtheit aller eingeführten Grundsätze und Maßnahmen, die auf die Sicherstellung regelkonformen Verhaltens hinsichtlich der steuerlichen Pflichten abzielen.1 Ein angemessenes Tax-Compliance-System setzt sich demnach aus folgenden Bausteinen zusammen, die miteinander in einer Wechselbeziehung stehen: Tax-Compliance-Kultur: Die Tax-Compliance-Kultur bildet das Fundament eines funktionierenden Tax-Compliance-Systems. Sie besagt, dass die Leitungsorgane die unbedingte Bereitschaft zum regelkonformen Verhalten zu ihrem Leitbild erklären und dies entsprechend in die unteren Ebenen weitertragen. Jedem Mitarbeiter muss klar sein, dass die steuerlichen Pflichten erfüllt werden müssen und er dazu beitragen muss. Diese Grundeinstellung kann in Form einer Steuerrichtlinie, eines Leitbilds oder eines Verhaltenskodexes definiert und kommuniziert werden.2

3.225

Tax-Compliance-Ziele: Ausgehend von dieser Grundhaltung legt das Leitungsorgan einen praktikablen Zielkatalog fest. Anhand dessen kann das Erreichen der selbst gesteckten Ziele überprüft werden.3

3.226

Tax-Compliance-Risiken: Unter Zugrundelegung der Tax-Compliance-Ziele sind die Risiken für Verstöße der einzuhaltenden Regeln zu identifizieren und nach Eintrittswahrscheinlichkeit zu bewerten.4

3.227

Tax-Compliance-Programm: Zur Vermeidung der erkannten Tax-Compliance-Risiken führt die Körperschaft geeignete Maßnahmen ein. Auch für den Fall festgestellter Compliance-Verstöße wird ein zu ergreifender Maßnahmenkatalog festgelegt. Das Tax-Compliance-Programm setzt sich aus präventiven Maßnahmen zusammen – zum Beispiel der Erstellung von Richtlinien, der Schulung von Mitarbeitern oder Dokumentationsanweisungen. Zugleich sind auch detektive Maßnahmen mit aufzunehmen wie prozessintegrierte oder stichprobenartige Kontrollen. Die konkret ergriffenen Maßnahmen werden schriftlich dokumentiert. Im besten Fall erfolgt dies anhand einer Gegenüberstellung von Risiken und Maßnahmen (sog. RisikoKontroll-Matrix).5

3.228

Tax-Compliance-Organisation: Besondere Bedeutung kommt der Abgrenzung von Verantwortlichkeiten und der Ablauforganisation zu. Die Leitorgane haben eindeutige Organisations- und Strukturentscheidungen zu treffen – hinsichtlich der Delegation von Steuerverantwortlichkeiten in vertikaler und horizontaler Ebene. Diese sind durch klare Weisungsstrukturen abzusichern.6

3.229

Tax-Compliance-Kommunikation: Im Rahmen der Tax-Compliance-Kommunikation ist der erforderliche Informationsfluss innerhalb des Unternehmens und zu Dritten, die in die Erfüllung der steuerlichen Pflichten eingebunden sind, sicherzustellen. Damit soll einerseits auf Seiten der Mitarbeiter das notwendige Verständnis für die Erfüllung ihrer Pflichten wachsen. Andererseits sollen sich im Rahmen von Berichtspflichten auch Tax-Compliance-Verstöße von den Leitungsorganen feststellen lassen.7

3.230

1 2 3 4 5 6 7

IDW Praxishinweis 1/2016, Rn. 6 und 8. IDW Praxishinweis 1/2016, Rn. 26 bis 30. IDW Praxishinweis 1/2016, Rn. 31 bis 34. IDW Praxishinweis 1/2016, Rn. 41 bis 42. IDW Praxishinweis 1/2016, Rn. 43 bis 47. IDW Praxishinweis 1/2016, Rn. 35 bis 40. IDW Praxishinweis 1/2016, Rn. 48 bis 51.

Küffner | 145

Kap. 3 Rz. 3.231 | Umsatzsteuerrecht als Schlüsselmaterie

3.231

Tax-Compliance-Überwachung: Der Vollzug des Tax-Compliance-Systems ist fortlaufend zu überwachen und zu dokumentieren. Hierfür sind die Zuständigkeiten zu regeln, ein Überwachungsplan zu erstellen und im Falle eines Regelverstoßes entsprechende Sanktionen zu entwickeln.1

3.232

Der Aufbau eines solchen Tax-Compliance-Systems stellt die öffentliche Hand vor große Herausforderungen faktischer Art. Es gilt, ein Tax-Compliance-System zu schaffen, dass von juristischen Personen des öffentlichen Rechts aus gelebt werden kann. Insbesondere bei der öffentlichen Hand nützt es nichts, ein Standard-System überzustülpen, das aber mit der Struktur der Körperschaft konfligiert. Dann kann das System die mit seiner Einrichtung verbundenen Ziele von vornherein nicht erreichen. Vielmehr ist in Zusammenarbeit der Leitungsorgane mit den Mitarbeitern ein individuelles, auf die Bedürfnisse der jeweiligen Körperschaft angepasstes Tax-Management-System zu erarbeiten. Dies liegt im Eigeninteresse aller Beteiligten.

3. Notwendigkeit eines Tax-Compliance-Systems auch für die öffentliche Hand 3.233

In den letzten Jahren sind die Anforderungen der Finanzverwaltung gegenüber allen Teilnehmern am Wirtschaftsverkehr, ihre steuer- und zollrechtlichen Pflichten korrekt zu erfüllen, erheblich gestiegen. Diese Pflichten treffen auch die öffentliche Hand. Juristische Personen des öffentlichen Rechts sind verpflichtet, ihre Geschäftsvorfälle steuer- und zollrechtlich richtig zu bewerten und ihren Steuererklärungspflichten nachzukommen. Die steuerstrafrechtliche Verfolgungspraxis hat sich dabei in den vergangenen Jahren deutlich verschärft. Bloße Berichtigungen von Steuererklärungen werden von Seiten der Finanzverwaltung mitunter als Selbstanzeige gewertet, mithin mit dem Vorwurf von Steuerhinterziehung oder grob fahrlässiger Steuerverkürzung belegt. Die verspätete, fehlerhafte oder unvollständige Einreichung einer Steuererklärung kann für juristische Personen des öffentlichen Rechts somit neben erheblichen finanziellen und politischen Risiken auch strafrechtliche Konsequenzen für die Verwaltungsleitung und Mitarbeiter nach sich ziehen.

3.234

Dennoch können objektiv unrichtige Steuererklärungen nicht ausgeschlossen werden. Die vorrangigen Ursachen hierfür liegen im komplexen Verwaltungsaufbau sowie in der Schwierigkeit der Abgrenzung zwischen steuerpflichtigen und steuerfreien Tätigkeiten wie auch der Abgrenzung zwischen dem unternehmerischen und dem hoheitlichen Bereich der öffentlichen Hand. Die Neuregelung des § 2b UStG zur Besteuerung von juristischen Personen des öffentlichen Rechts wird diese Problematik verstärken. Mit Ausweitung der umsatzsteuerrechtlich relevanten Tätigkeitsgebiete von juristischen Personen des öffentlichen Rechts wächst auch das Risiko möglicher unrichtiger Steuererklärungen.

3.235

Als Reaktion auf die gestiegenen Anforderungen hat die deutsche Finanzverwaltung klargestellt, dass jede steuerpflichtige Einrichtung Arbeitsabläufe zur Fehlervermeidung vorsehen muss. Wenn es dennoch zu einem Fehler gekommen ist, müssen diese Arbeitsabläufe möglichst sicherstellen, dass der Fehler entdeckt und behoben wird. Derartige Arbeitsabläufe setzen sich aus sämtlichen von der Leitung der Einrichtung eingeführten Grundsätzen, Verfahren und Regelungen zusammen, die auf die organisatorische Umsetzung derartiger Arbeitsabläufe gerichtet sind. Zusammengefasst lässt sich dies als „internes Kontrollsystem“ (IKS) bezeichnen. Ein auf steuerrechtliche Aspekte abzielendes IKS fordern die am 14.11.2014 vom Bundesfinanzministerium herausgegebenen Grundsätze zur ordnungsgemäßen Buchführung2 ebenso 1 IDW Praxishinweis 1/2016, Rn. 52 bis 57. 2 BMF, Schr. v. 14.11.2014 – IV A 4 - S 0316/13/10003, BStBl. I 2014, 1450; s. zuletzt BMF, Schr. v. 28.11.2019 – IV A 4 - S 0316/19/10003 :001, BStBl. I 2019, 1269.

146 | Küffner

C. Herausforderungen faktischer Natur | Rz. 3.237 Kap. 3

wie der Anwendungserlass des BMF zur Abgabenordnung zu § 153 AO vom 23.5.2016.1 In Letzterem hat das BMF zur Abgrenzung zwischen Berichtigung und Selbstanzeige folgendermaßen Stellung genommen: „Für eine Steuerhinterziehung reicht von den verschiedenen Vorsatzformen bereits bedingter Vorsatz aus. Dieser kommt in Betracht, wenn der Täter die Tatbestandsverwirklichung für möglich hält. Es ist nicht erforderlich, dass der Täter die Tatbestandsverwirklichung anstrebt oder für sicher hält. Nach der BGH-Rechtsprechung ist für die Annahme des bedingten Vorsatzes neben dem Für-möglich-Halten der Tatbestandsverwirklichung zusätzlich erforderlich, dass der Eintritt des Taterfolges billigend in Kauf genommen wird. Für die billigende Inkaufnahme reicht es, dass dem Täter der als möglich erscheinende Handlungserfolg gleichgültig ist. Hat der Steuerpflichtige ein innerbetriebliches Kontrollsystem eingerichtet, das der Erfüllung der steuerlichen Pflichten dient, kann dies ggf. ein Indiz darstellen, das gegen das Vorliegen eines Vorsatzes oder der Leichtfertigkeit sprechen kann, jedoch befreit dies nicht von einer Prüfung des jeweiligen Einzelfalls.“ (Hervorhebungen durch Verf.)2

Ein ordnungsgemäßes IKS für Steuern kann im Fall einer notwendigen nachträglichen Berichtigung einer Umsatzsteuererklärung den Vorwurf der Steuerhinterziehung oder der leichtfertigen Steuerverkürzung aus dem Weg räumen.

3.236

4. Schaffung eines innerbetrieblichen Kontrollsystems a) Ziel eines IKS Ziel eines funktionierenden IKS für Steuern ist die Sicherstellung der ordnungsgemäßen Erfüllung sämtlicher steuerrechtlichen Aufgaben und Anforderungen. In Bezug auf die öffentliche Hand ist der Fokus auf folgende Maßnahmen zu legen: die Festlegung klarer Zuständigkeiten (s. unten b.), die Einbeziehung sämtlicher Mitarbeiter (s. unten c.) und die Einführung geeigneter Kontrollmaßnahmen (s. unten d.). Der nachfolgend dargestellte Aufbau des IKS orientiert sich am IDW Praxishinweis 1/2016 zu PS 980:

1 BMF, Schr. v. 23.5.2016 – IV A 3 - S 0324/15/10001 IV A 4 - S 0324/14/10001, BStBl. I 2016, 490, Rn. 2.6. 2 AEAO Ziff. 2.6 zu § 153 AO; BMF, Schr. v. 23.5.2016 – IV A 3 - S 0324/15/10001 IV A 4 - S 0324/ 14/10001, BStBl. I 2016, 490, Rn. 2.6.

Küffner | 147

3.237

Kap. 3 Rz. 3.238 | Umsatzsteuerrecht als Schlüsselmaterie

b) Festlegung der Zuständigkeiten

3.238

Kernstück des IKS ist es, die Verantwortlichkeiten im Steuerbereich klar zu regeln. Gem. § 34 Abs. 1 S. 1 AO haben die gesetzlichen Vertreter juristischer Personen deren steuerrechtliche Pflichten zu erfüllen. Hierzu zählen die umsatzsteuerrechtlichen Pflichten. Sie treten damit kraft Gesetzes in ein unmittelbares Pflichtverhältnis zur Finanzbehörde. § 34 Abs. 1 S. 1 AO verpflichtet alle gesetzlichen Vertreter gemeinsam und gleichermaßen, die steuerrechtlichen Pflichten juristischer Personen und nicht rechtsfähiger Personenvereinigungen und Vermögensmassen zu erfüllen. Dies erfolgt, um die Erfüllung der steuerrechtlichen Pflichten zu sichern. Alle Mitglieder des gesetzlichen Vertretungsorgans tragen zur Erfüllung der steuerrechtlichen Pflichten demnach grundsätzlich eine solidarische Verantwortung. Soweit umsatzsteuerrechtliche Pflichten nicht ordnungsgemäß erfüllt werden, trifft die gesetzlichen Vertreter die persönliche Verantwortung hierfür. Die gesetzlichen Vertreter haben z.B. dafür Sorge zu tragen, dass Steuererklärungen fristgemäß abgegeben, Zahlungen rechtzeitig geleistet, fehlervermeidende Arbeitsabläufe geschaffen und Aufgaben ordnungsgemäß delegiert werden.

3.239

Angesichts der gestiegenen Anforderungen der Finanzverwaltung hinsichtlich der korrekten Erfüllung der steuerrechtlichen Pflichten und insbesondere im Hinblick auf die Neuerungen durch § 2b UStG ist die Delegation von steuerrechtlichen Pflichten eine Notwendigkeit. Unter Delegation versteht man die Übertragung von Aufgaben innerhalb einer Organisation. Werden Aufgaben übertragen, so bleibt der Delegierende für die Auswahl, Einweisung und Überwachung der mit steuerrechtlichen Pflichten betrauten Mitarbeiter verantwortlich. Der Empfänger der Delegation nimmt die Aufgabe tatsächlich wahr oder delegiert sie weiter. Soweit keine Delegation erfolgt, bleiben die gesetzlichen Vertreter juristischer Personen für die Erfüllung der steuerrechtlichen Pflichten dieser verantwortlich. Eine wirksame Verantwortungsdelegation setzt die Festlegung konkreter Aufsichtspflichten, Berichtspflichten und Weisungsbefugnisse voraus. Die Organisationsstruktur sollte im Rahmen klarer Funktionsabgrenzung schriftlich dokumentiert und die Zuständigkeiten inklusive bestehender Rechte und Pflichten festgelegt werden. Nur bei eindeutiger Verantwortungsdelegation kann es Leitungsorganen gelingen, sich bei Verstößen zu exkulpieren. c) Sensibilisierung und Schulung der Mitarbeiter

3.240

Unabhängig von der Zuständigkeitsverteilung muss am Ende der erfolgreichen Einführung eines IKS jedem einzelnen Mitarbeiter bewusst sein, dass er für die Erfüllung der steuerlichen Pflichten verantwortlich ist. Für viele Mitarbeiter stellt die Auseinandersetzung mit steuerrechtlichen Themen Neuland dar. Im Speziellen auf die Struktur juristischer Personen des öffentlichen Rechts bezogen benötigen alle mit Steuern in Berührung kommenden Mitarbeiter grundsätzlich klare Handlungsanweisungen. Verständliche Leitfäden wie ein Steuerhandbuch können helfen, klare Handlungsanweisungen zu installieren und das Bewusstsein für steuerechtliche Problemfelder zu schärfen. Darüber hinaus ist die Sicherstellung eines laufenden Informationsflusses von den für Steuerfragen Verantwortlichen hin zu den einzelnen Mitarbeitern eine Daueraufgabe. Zusätzlich zum Steuerleitfaden bieten sich zur Informationsweitergabe von aktuellen Themen Newsletter oder entsprechende Schulungen an.

3.241

Die Hauptverantwortlichen sollten über eine steuerrechtliche Vorbildung verfügen. Die theoretischen, in der entsprechenden Ausbildung vermittelten Kenntnisse ermöglichen es den Bearbeitern, die geforderte Beurteilung umsatzsteuerrechtlich korrekt vorzunehmen. Überdies sollten die betroffenen Mitarbeiter in den Genuss externer wie interner Schulungen kommen. Denn die Umsatzsteuer als besonders schnelllebige Materie erfordert eine ständige Fortbildung. 148 | Küffner

C. Herausforderungen faktischer Natur | Rz. 3.244 Kap. 3

d) Kontrollmaßnahmen Die Körperschaft kann nur dann die ordnungsgemäße Erfüllung steuerrechtlicher Pflichten sicherstellen, wenn regelmäßig überprüft wird, ob die definierten Prozesse und Vorgaben eingehalten und die zu erfüllenden Aufgaben korrekt durchgeführt werden. Hierzu sind prozessintegrierte und prozessunabhängige Kontrollen einzurichten.

3.242

Prozessintegrierte Überwachungsmaßnahmen können im Rahmen des IKS grundsätzlich durch Kontrollen, Plausibilitätsprüfungen oder regelmäßige Stichproben erfolgen. Beispiele für prozessintegrierte Überwachungsmaßnahmen sind ein Vier-Augen-Prinzip, Stichproben hinsichtlich bestimmter Geschäftsvorfälle, Verprobungen der Steuererklärungen sowie eine anlassbezogene oder stichprobenartige Untersuchung, ob das IKS den Mitarbeitern bekannt ist. Zusätzlich sollten prozessunabhängige Prüfungen durchgeführt werden. Diese können durch Nachschauen, durch die interne Revision oder auch durch Externe bezüglich bereits abgeschlossener Veranlagungszeiträume erfolgen.

3.243

Die Kontrollen sollen die Eintrittswahrscheinlichkeit und die Auswirkungen der Risiken minimieren und Schaden abwenden. Entsprechend den gesetzlichen Anforderungen liegt der Fokus insbesondere, aber nicht ausschließlich, auf rechnungslegungsrelevanten Prozessen. Die durchgeführten Kontrollen sind zudem zu dokumentieren. Nur so lässt sich der Nachweis erbringen, dass das IKS auch tatsächlich gelebt wird, funktional und angemessen ist und dadurch das gewünschte Ergebnis – die Sicherstellung normgemäßen Verhaltens – erreicht wird.

3.244

Küffner | 149

150 | Küffner

2. Teil Die Besteuerung der öffentlichen Hand nach den Einzelsteuergesetzen Kapitel 4 Körperschaftsteuer A. Die Besteuerung der Betriebe gewerblicher Art nach § 4 KStG I. Allgemeines 1. Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wettbewerbsgleichheit als Grundgedanke der Besteuerung 3. Steuersubjektqualität der öffentlichen Hand . . . . . . . . . . . . . . . . II. Begriff im Sinne des § 4 Abs. 1 KStG 1. Gesetzliche Definition des BgA 2. Betrieb durch juristische Person des öffentlichen Rechts . . . . . . . 3. Einrichtungen, die einer nachhaltigen wirtschaftlichen Tätigkeit nachgehen a) Einrichtung aa) Definition . . . . . . . . . . . bb) Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Einrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Wertgrenze als maßgebliches Kriterium der Finanzverwaltung . . . . . dd) Beispiele aus der Rechtsprechung des BFH . . . . b) Nachhaltige wirtschaftliche Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Einnahmeerzielungsabsicht . . . 5. Wirtschaftliche Herausgehobenheit a) Gesetzliche Ausgangslage . . b) Kriterien in Rechtsprechung und Finanzverwaltung aa) Grundsatz . . . . . . . . . . . bb) Umsatzgrenze der Finanzverwaltung . . . . . cc) Gegenauffassung der Rechtsprechung . . . . . . . c) Die Umsatzgrenze als Aufgriffsgrenze . . . . . . . . . .

4.1

6.

4.3 4.7 4.14 4.15

7. 8.

4.18 4.21 4.23 4.24 4.27 4.30 4.33 4.34 4.35 4.36 4.38

9.

d) Wirtschaftliche Herausgehobenheit bei der Betriebsverpachtung . . . . . . . . . . . . . Keine zwingende Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr und Gewinnerzielungsabsicht a) Gesetzliche Ausgangslage . . b) Keine zwingende Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr . . . . . . . . . . . c) Keine Gewinnerzielungsabsicht erforderlich . . . . . . . Juristische Person des öffentlichen Rechts als Betrieb gewerblicher Art, § 4 Abs. 2 KStG . . . . Einzelfälle, insbesondere Beteiligung an Kapital- oder Personengesellschaften a) Problemstellung . . . . . . . . . b) Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . c) Beteiligung an einer Personengesellschaft aa) Einführung . . . . . . . . . . bb) Der Zusammenschluss mehrerer juristischer Personen des öffentlichen Rechts zu einer Personengesellschaft . . . . . cc) Die Beteiligung an einer Personengesellschaft als Betrieb gewerblicher Art dd) Speziell: Die Beteiligung an einer gewerblich geprägten Personengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . ee) Folgen . . . . . . . . . . . . . . Versorgungsbetriebe im Sinne des § 4 Abs. 3 KStG a) Gesetzliche Ausgangslage . .

4.41

4.42 4.43 4.45 4.47

4.49 4.50 4.55

4.56 4.57

4.62 4.64 4.66

Hinder | 151

Kap. 4 | Körperschaftsteuer b) Wettbewerbsgleichheit als maßgebliches Kriterium . . . 4.68 c) Die Versorgungsbetriebe im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . 4.71 d) Der Ausbau des Breitbandnetzes als Versorgungsbetrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.80 10. Verpachtungsbetriebe im Sinne des § 4 Abs. 4 KStG a) Gesetzliche Ausgangslage . . 4.81 b) Die einzelfallbezogene Betrachtung der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.83 c) Bezuschussung von Verpachtungsbetrieben . . . . . . . . . . 4.89 d) Abgrenzung zur Vermögensverwaltung . . . . . . . . . . . . . 4.91 e) Gewerbliche Betriebsaufspaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.92 f) Die Beendigung des Verpachtungsbetriebes . . . . . . . . . . . 4.96 III. Abgrenzung zu Hoheitsbetrieben im Sinne des § 4 Abs. 5 KStG 1. Gesetzliche Ausgangslage . . . . . 4.98 2. Die „Ausübung öffentlicher Gewalt“ als wesentliches Abgrenzungsmerkmal . . . . . . . . . . 4.100 3. Mischfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.105 4. Die Aufgabenübertragung auf Dritte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.109 5. Sonderregelung in § 4 Abs. 5 S. 2 KStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.111 6. Die Kriterien der Finanzverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . 4.112 IV. Steuerlicher Querverbund im Sinne des § 4 Abs. 6 KStG 1. Gesetzliche Ausgangslage . . . . . 4.116 2. Bäderrechtsprechung des BFH . 4.118 3. Die einzelnen Zusammenfassungsvoraussetzungen a) Einführung . . . . . . . . . . . . . 4.119 b) Die Zusammenfassung von mehreren Betrieben gewerblicher Art . . . . . . . . . . . 4.123 c) Wechselseitige technischwirtschaftliche Verflechtung 4.126 d) Speziell: Die Zusammenfassung mittels eines Blockheizkraftwerkes . . . . . . . . . . 4.130 e) Zusammenfassung von Telekommunikationsbetrieben . 4.132 f) Zusammenfassung von Versorgungsbetrieben . . . . . . . . 4.133

152 | Hinder

B. I.

II. III.

IV. V.

VI. VII.

4. Ausgleichszahlungen im steuerlichen Querverbund . . . . . . . . . Einkommensermittlung im Sinne des § 8 KStG Allgemeines 1. Betriebe gewerblicher Art . . . . 2. Exkurs: Kommunale Eigengesellschaften . . . . . . . . . . . . . . Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gewinnermittlung 1. Arten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vermögenssphären . . . . . . . . . . 3. Zurechnung zu den Vermögenssphären . . . . . . . . . . . . . . . 4. Vermögensänderungen a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . b) vGA und Betriebsausgaben aa) Angemessene Aufwendungen ohne besondere Regelung, gemischte Kosten . . . . . . . bb) Miet- und Pachtzinsen . cc) Konzessionszahlungen . dd) Darlehenszinsen . . . . . . ee) Spenden und Sponsoring . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Dauerverluste . . . . . . . . c) Überführung von Wirtschaftsgütern in den Hoheitsbereich oder einen anderen Betrieb gewerblicher Art der Trägerkörperschaft . . . . . . . d) Einlagen und Betriebseinnahmen . . . . . . . . . . . . . § 8b KStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verlustverrechnung 1. Innerhalb einer BgA . . . . . . . . . 2. Zusammenfassung in einer Kapitalgesellschaft . . . . . . . . . . 3. Einlage von Beteiligungen an einer Eigengesellschaft in einen Betrieb gewerblicher Art . . . . . 4. Einlage von Beteiligungen an einer Eigengesellschaft in eine Eigengesellschaft . . . . . . . . . . . . 5. Organschaft . . . . . . . . . . . . . . . 6. Verlustabzug gem. § 10d EStG . Beendigung/Umwandlung eines Betriebes gewerblicher Art . . . . . . Dauerverlustbetriebe 1. vGA-Grundsätze . . . . . . . . . . .

4.137

4.140 4.143 4.149 4.150 4.153 4.154 4.169

4.174 4.176 4.182 4.185 4.191 4.194

4.195 4.198 4.205 4.209 4.210 4.214 4.218 4.222 4.229 4.232 4.236

A. Die Besteuerung der Betriebe gewerblicher Art nach § 4 KStG | Rz. 4.1 Kap. 4

VIII. C. I. II.

III.

2. Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht a) Art. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . b) Beihilferecht, Art. 107 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Begünstigte Betriebe . . . . . . . . . 4. Begünstigte Dauerverlustgeschäfte a) Verkehrs-, Umwelt-, Sozial-. Kultur-, Bildungs- oder Gesundheitspolitische Gründe b) Wirtschaftliche Betätigung . c) Ohne kostendeckendes Entgelt . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Dauerverluste . . . . . . . . . . . . e) Ausübung unmittelbar durch den Betrieb gewerblicher Art/die Eigengesellschaft selbst . . . . . . . . . . . . . Freibetrag, Steuersatz . . . . . . . . . . . Einkünfte aus Kapitalvermögen gem. § 20 Abs. 1 Nr. 10 EStG Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Betriebe gewerblicher Art mit eigener Rechtspersönlichkeit 1. Persönlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sachlicher Anwendungsbereich 3. Kapitalertragsteuer . . . . . . . . . . 4. Anwendung des § 8b KStG bei Bezügen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. a EStG . . Betriebe gewerblicher Art ohne eigene Rechtspersönlichkeit 1. Persönlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sachlicher Anwendungsbereich a) Kapitalerträge der Betriebe gewerblicher Art in Gruppe 1

4.246 4.247 4.257

4.258 4.261 4.263 4.268

4.270 4.278

D. I. II.

4.279

4.285 4.289 4.292 4.294

4.298 III.

aa) Ausgangslage . . . . . . . . bb) Gewinn im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG . . . . . . . cc) Rücklagen . . . . . . . . . . . dd) Verdeckte Gewinnausschüttungen . . . . . . . ee) Einlagenrückgewähr . . . ff) Beteiligung an einer Mitunternehmerschaft . b) Kapitalerträge der Betriebe gewerblicher Art in Gruppe 2 . . . . . . . . . . . . . c) Kapitalerträge der Betriebe gewerblicher Art in Gruppe 3 . . . . . . . . . . . . . 3. Kapitalertragsteuer . . . . . . . . . . Besonderheiten bei gemeinnützigen Betrieben gewerblicher Art Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ertragsteuerliche Freistellung von Zweckbetrieben 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Medizinische Versorgungszentren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kulturelle Einrichtungen und Veranstaltungen . . . . . . . . . . . . 4. Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung . . . . . . . . . . . . . 5. Tierparks, Zoos und Erholungsparkanlagen . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Steuerlich unschädliche Betätigungen, § 58 AO a) Gesetzliche Ausgangslage . . b) § 58 Nr. 1 AO . . . . . . . . . . . c) Grundsatz der zeitnahen Verwendung . . . . . . . . . . . . Kapitalertragsteuerliche Freistellung von gemeinnützigen Betrieben gewerblicher Art . . . . . .

4.304 4.305 4.311 4.316 4.317 4.318 4.324 4.330 4.331

4.334 4.337 4.349 4.350 4.353 4.354 4.358 4.359 4.361 4.363

A. Die Besteuerung der Betriebe gewerblicher Art nach § 4 KStG I. Allgemeines 1. Definition Nach § 1 Abs. 1 Nr. 6 KStG sind juristische Personen des öffentlichen Rechts, die im Inland ihren Sitz oder Geschäftsleitung haben, mit ihren Betrieben gewerblicher Art (BgA) unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig. Der BgA gem. § 4 KStG ist das Zurechnungssubjekt Hinder | 153

4.1

Kap. 4 Rz. 4.1 | Körperschaftsteuer

für die Entstehung der juristischen Person des öffentlichen Rechts als Körperschaftsteuersubjekt.1

4.2

Neben der Körperschaftsteuer ist der BgA aber auch Anknüpfungspunkt für weitere Steuerarten (§ 2 GewStDV, § 20 Abs. 1 Nr. 10 EStG, § 22 Abs. 4 Nr. 1 UmwStG). Fehlt ein solcher Anknüpfungspunkt, ist die Betätigung der öffentlichen Hand steuerfrei. In anderen Vorschriften kommt dem BgA eine negative Abgrenzungsfunktion zu, so z.B. in § 3 Abs. 3 GrStG oder § 4 Nr. 1, 4 GrEStG als Anknüpfung für eine Steuerbefreiung.

2. Wettbewerbsgleichheit als Grundgedanke der Besteuerung 4.3

Maßgebliches Ziel der Besteuerung der öffentlichen Hand ist die Wettbewerbsgleichheit und die Gleichmäßigkeit der Besteuerung öffentlicher und privater Unternehmen im Sinne des grundgesetzlich gesicherten Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG.2 Die öffentliche Hand wird insoweit zur Körperschaftsteuer herangezogen, als sie Aufgaben ausführt, die auch durch Private ausgeführt werden könnten. Die Wettbewerbsneutralität steht im Einklang mit der Besteuerung der öffentlichen Hand nach der MwStSystRL, die in Art. 13 Abs. 1 UAbs. 2 eine dem § 4 Abs. 1 und 5 KStG ähnliche Regelung enthält.

4.4

Zur Wettbewerbsneutralität tritt als weiteres gesetzgeberisches Motiv die Steuerverteilung im föderalen System im Rahmen des Finanzausgleichs hinzu, indem entsprechend der Art. 104a bis 108 GG an der wirtschaftlichen Betätigung der juristischen Personen des öffentlichen Rechts partizipiert wird.3

4.5

Während das KStG 1920 die öffentliche Hand noch durch sachliche und persönliche Befreiungen weitgehend von der Steuer freistellte, wurden wirtschaftliche Betätigungen durch das KStG 1925 in die Besteuerung einbezogen.4 Der Gedanke der Wettbewerbsneutralität findet sich schon in der Fassung 1925. Durch das KStG 1934 wurde der Begriff des „Betriebes gewerblicher Art“ in das Gesetz eingeführt, um die wirtschaftliche Betätigung von der hoheitlichen abzugrenzen.5

4.6

Die Tätigkeit der öffentlichen Hand erfolgt in verschiedenen Organisationsformen. Insoweit gilt der Grundsatz der Formenwahlfreiheit. Als öffentlich-rechtliche Organisationsformen stehen solche ohne eigene Rechtspersönlichkeit wie der Regiebetrieb, der Eigenbetrieb oder eine eigenbetriebsähnliche Einrichtung und als solche mit eigener Rechtspersönlichkeit die Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts sowie der Zweckverband zur Verfügung. In privatrechtlicher Form stehen Personen- und Kapitalgesellschaften sowie die Stiftung des bürgerlichen Rechts zur Auswahl. Dann besteht Körperschaftsteuerpflicht nach § 1 Abs. 1-5 KStG, nicht nach § 1 Abs. 6 KStG.

1 BFH v. 12.1.2011 – I R 112/09, BFH/NV 2011, 1194 m.w.N.; Hidien in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand § 4 Rz. 1. 2 Hidien in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand § 4 Rz. 3, 27 ff.; Bürstinghaus in H/H/R, § 4 KStG Rz. 3; Musil, Ubg 2019, 224 (225). 3 Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 4.1; Hüttemann, FR 2009, 308 (309); Märtens in Gosch4, § 4 KStG Rz. 3. 4 Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 13. 5 Bürstinghaus in H/H/R, § 4 KStG Rz. 2.

154 | Hinder

A. Die Besteuerung der Betriebe gewerblicher Art nach § 4 KStG | Rz. 4.10 Kap. 4

3. Steuersubjektqualität der öffentlichen Hand Nach h.M. ist die juristische Person des öffentlichen Rechts das Steuersubjekt und der BgA der Steuergegenstand.1 Zur Begründung führt der BFH aus, dass bei einem BgA die unterschiedlichen Tätigkeiten der juristischen Person getrennt zu erfassen sind; die juristische Person des öffentlichen Rechts ist für jeden ihrer BgA Steuersubjekt2 und selbst Steuerschuldnerin3. Aus der Trennung folgt weiterhin, dass für jeden Betrieb eine eigene Körperschaftsteuererklärung abgegeben wird4, die Steuerbescheide aber der Trägerkörperschaft bekanntgegeben werden müssen5.

4.7

Die fehlende Steuersubjektqualität des Betriebes gewerblicher Art wird im Schrifttum insbesondere unter Hinweis auf den Wortlaut des § 4 KStG angegriffen.6 Die Auffassung der Rechtsprechung und Verwaltung ist jedoch so verfestigt, dass nicht mit einem Wandel zu rechnen ist. Obwohl der BgA nicht selbst Steuersubjekt ist, wird er – abgesehen von der Steuerfestsetzung – in allen Bereichen so behandelt (sog. „virtuelle Kapitalgesellschaft“).7 Der BgA ist ausnahmsweise selbst Steuersubjekt, wenn er rechtlich selbständig ist, so z.B. bei einer öffentlich-rechtlichen Stiftung oder einer Anstalt des öffentlichen Rechts. Weiterhin kann es Fälle geben, in denen der BgA selbst eine juristische Person des öffentlichen Rechts ist und selbst Steuersubjekt der Körperschaftsteuer gem. § 1 Abs. 1 Nr. 6 KStG ist. Regiebetriebe sind organisatorisch und rechtlich Teil des gemeindlichen Vermögens. Dagegen werden Betriebe in der Strom-, Gas-, Wärme-, Wasserversorgung, Abwasserentsorgung in der Regel als Eigenbetrieb geführt; sie werden als gemeindliches Unternehmen, außerhalb der allgemeinen Verwaltung als Sondervermögen ohne eigene Rechtspersönlichkeit geführt.8

4.8

Die Vorschriften zum BgA gelten nur für inländische juristische Personen des öffentlichen Rechts, für ausländische juristische Personen des öffentlichen Rechts gilt § 2 Nr. 1 KStG i.V.m. § 49 EStG.

4.9

§ 4 Abs. 2 KStG ordnet die unbeschränkte Körperschaftsteuerpflicht auch für den Fall an, dass der BgA selbst eine juristische Person des öffentlichen Rechts ist. Abs. 3 und 4 erweitern die Körperschaftsteuerpflicht auf Versorgungs- bzw. Verpachtungsbetriebe. Abs. 5 dagegen bestimmt, dass Betriebe, die überwiegend der Ausübung öffentlicher Gewalt dienen (Hoheitsbetriebe), nicht solche gewerblicher Art und damit nicht körperschaftsteuerpflichtig sind. Relevant ist dies für Tätigkeiten, die der öffentlichen Hand eigentümlich und vorbehalten sind (näher s. Rz. 4.98). Abs. 6 wurde im Rahmen des Jahressteuergesetzes 2009 eingefügt und regelt die Zusammenfassung mehrerer BgA.

4.10

1 BFH v. 13.3.1974 – I R 7/71, BStBl. II 1974, 391; BFH v. 31.10.1984 – I R 21/81, BFHE 259, 488 Os. 1; BFH v. 27.11.2012 – IV B 64/12, BFH/NV 2013, 514; Hidien in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand § 4 Rz. 15, 45; Kahsnitz, DStR 2019, 1017 (1019); kritisch Märtens in Gosch4, § 4 KStG Rz. 28; einschränkend Seer, DStR 1992, 1751 (1790); Musil in Mössner/ Seeger/Oellerrich4, § 4 KStG Rz. 42, der nur eine partielle Körperschaftsteuerpflicht sieht. 2 Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 2; Heger, FR 2009, 301 (301 f.). 3 BFH v. 18.8.1988 – V R 194/83, BStBl. II 1988, 932. 4 BFH v. 4.9.2002 – I R 42/01, BFH/NV 2003, 511; Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 25. 5 BFH v. 3.12.2010 – V B 35/10, BFH/NV 2011, 462. 6 Siehe z.B. Seer/Wendt, DStR 2001, 825 (834 ff.). 7 Heger, FR 2009, 301 (301 f.); Hüttemann, FR 2009, 308 (312); Märtens in Gosch4, § 4 KStG Rz. 22. 8 Kronawitter, Die Körperschaftsteuer der Gemeinden und ihrer Betriebe gewerblicher Art S. 134.

Hinder | 155

Kap. 4 Rz. 4.11 | Körperschaftsteuer

4.11

Neben der unbeschränkten Steuerpflicht unterliegt die juristische Person des öffentlichen Rechts nach § 2 Nr. 2 KStG der beschränkten Körperschaftsteuerpflicht mit Einkünften, die sie außerhalb des Betriebes gewerblicher Art bezieht. Betroffen sind Leistungen rechtlich selbständiger BgA, nicht in Rücklagen überführte Gewinne und verdeckte Gewinnausschüttungen des rechtlich unselbständigen Betriebes gewerblicher Art. Diese werden nach § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. a und b EStG als abzugspflichtige Kapitalerträge der Trägerkörperschaft behandelt (s. Rz. 4.279).1

4.12

Die Steuerbefreiung nach § 5 Abs. 1 KStG kann von einer juristischen Person des öffentlichen Rechts mit einem BgA in Anspruch genommen werden, wenn dieser die Voraussetzungen erfüllt. Relevant ist dies vor allem in Fällen des § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG für gemeinnützige BgA (hierzu s. Rz. 4.334 f.).

4.13

Die Gewinnermittlung richtet sich nach den allgemeinen Vorschriften. § 8 KStG enthält die auf den BgA angepassten besonderen Vorschriften zur Ermittlung des Einkommens. Von Bedeutung sind hierbei insbesondere § 8 Abs. 1 S. 2 KStG, § 8 Abs. 7 bis 9 KStG (hierzu s. Rz. 4.236).

II. Begriff im Sinne des § 4 Abs. 1 KStG 1. Gesetzliche Definition des BgA 4.14

Nach § 4 Abs. 1 KStG ist der BgA eine Einrichtung, die einer nachhaltigen wirtschaftlichen Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen außerhalb der Land- und Forstwirtschaft dient und sich innerhalb der Gesamtbetätigung der juristischen Person wirtschaftlich heraushebt. Anders als beim Begriff des Gewerbebetriebes im Sinne des § 15 Abs. 2 EStG wird weder auf Gewinnerzielungsabsicht noch auf die Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr abgestellt (§ 4 Abs. 1 S. 2 KStG). Es darf sich nicht um einen Hoheitsbetrieb im Sinne des § 4 Abs. 5 KStG handeln.

2. Betrieb durch juristische Person des öffentlichen Rechts 4.15

Der BgA kann nur von einer juristischen Person des öffentlichen Rechts mit Sitz oder Geschäftsleitung im Inland betrieben werden. Dies können Körperschaften, Anstalten oder Stiftungen des öffentlichen Rechts sein. Juristische Personen des öffentlichen Rechts erlangen ihre Rechtsfähigkeit durch Gesetz, Verleihung, Verwaltungsübung oder Gewohnheitsrecht.2 § 4 KStG ist aber weit zu verstehen und erfasst alle Rechtsgebilde, die aufgrund des öffentlichen Rechts mit eigener Rechtspersönlichkeit ausgestattet sind.3

4.16

Beispielhaft aufgeführt seien die Gebietskörperschaften Bund, Länder und Kommunen, die mittelbare Staatsverwaltung sowie staatsferne Personen wie die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten4, die öffentlich-rechtlichen Sparkassen5 und Giroverbände6, die öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften7, kirchliche Orden8, Industrie- und Handelskammern, Hand1 Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 10. 2 BFH v. 8.7.1971 – V R 1/68, BStBl. II 1970, 70; BFH v. 13.3.1974 – I R 7/71, BStBl. II 1974, 391; Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 14. 3 Bürstinghaus in H/H/R, § 4 KStG Rz. 21. 4 BFH v 13.3.1974 – I R 7/71, BStBl. II 1974, 391. 5 BFH v. 20.1.1993 – I R 115/91, BStBl. II 1993, 373. 6 BFH v. 27.2.1976 – VI R 97/72, BStBl. II 1976, 418. 7 BFH v. 16.5.1975 – III R 54/74, BStBl. 1975, 746. 8 BFH v. 8.7.1971 – V R 1/68, BStBl. II 1972, 70.

156 | Hinder

A. Die Besteuerung der Betriebe gewerblicher Art nach § 4 KStG | Rz. 4.20 Kap. 4

werkskammern, Bundesbank und Landeszentralbanken, Ärztekammern, Rechtsanwalts- und Notarkammern, Universitäten sowie die Studentenwerke.1 Praktische Probleme können auftreten, wenn zweifelhaft ist, ob eine juristische Person ihre Rechtsfähigkeit aus dem öffentlichen Recht herleitet.2 Dies haben die Finanzbehörden im Einzelfall nachzuprüfen. Der Bescheinigung einer staatlichen Aufsichtsbehörde kommt indizielle Bedeutung zu.3 Ausländische juristische Personen sind auch dann nicht vom Anwendungsbereich des § 4 KStG erfasst, wenn sie einen inländischen BgA führen. Sie werden lediglich im Rahmen des § 2 Nr. 1 KStG mit ihren inländischen Einkünften nach § 49 EStG zur Körperschaftsteuer herangezogen.4 Unionsrecht schadet nicht, da die Besteuerung im Rahmen der beschränkten Körperschaftsteuerpflicht günstiger ausfällt und insofern keine Beschränkung der ausländischen gegenüber der inländischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts besteht.

4.17

3. Einrichtungen, die einer nachhaltigen wirtschaftlichen Tätigkeit nachgehen a) Einrichtung aa) Definition Erforderlich ist zunächst das Vorliegen einer „Einrichtung“. Der BFH definiert die Einrichtung als jede funktionelle Einheit, die sich von dem sie organisatorisch tragenden Hoheitsbetrieb abgrenzen lässt, im Rahmen einer nachhaltigen wirtschaftlichen Tätigkeit der Erzielung von Einnahmen dient und geeignet ist, den Wettbewerb zu beeinträchtigen.5

4.18

Die Einrichtung erfordert weder eine vermögensmäßige Trennung noch gesonderte Buchführung oder das Vorhandensein eigenen Betriebsvermögens.6 Die Rechtsprechung begründet dies richtigerweise damit, dass anderenfalls die Annahme eines Betriebes gewerblicher Art in der Disposition der juristischen Person des öffentlichen Rechts stünde.7 Dies widerspräche dem Grundsatz der Wettbewerbsneutralität als Hintergrund der Besteuerung der öffentlichen Hand.8 Für das Vorliegen einer Einrichtung ist es nicht erforderlich, dass die Trägerkörperschaft den BgA organisatorisch abgrenzt; entsprechende organisatorische Vorkehrungen begünstigen aber die funktionelle Abgrenzbarkeit.9

4.19

Nicht erforderlich ist, dass die Einrichtung zugleich die Voraussetzungen eines Teilbetriebes erfüllt. Unter einem Teilbetrieb wird für gewöhnlich ein organisch geschlossener, mit einer gewissen Selbständigkeit ausgestatteter Teil eines Gesamtbetriebes verstanden, der für sich betrachtet alle Merkmale eines Betriebes im Sinne des EStG aufweist und als solcher funktionsund lebensfähig ist.10 Ohne auf die zahlreichen Einzelheiten des Begriffs einzugehen, wird be-

4.20

1 Siehe auch die Aufzählung in R 4.1 Abs. 1 KStR 2015. 2 Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 15. 3 BFH v. 8.7.1971 – V R 1/68, BStBl. II 1972, 70 für eine klosteraufsichtliche Genehmigung; Märtens in Gosch4, § 4 KStG Rz. 29. 4 Dies war bereits in R 2 Abs. 3 KStR 2004 erwähnt, findet sich in den R 2015 jedoch nicht wieder. 5 BFH v. 22.9.1976 – I R 102/74, BStBl. II 1976, 793; BFH v. 27.6.1990 – I R 166/85, BFH/NV 1991, 628; BFH v. 3.2.2010 – I R 8/09, BStBl. 2010, 502; hierzu Seer, DStR 1992, 1751 (1753 f.). 6 BFH v. 13.3.1974 – I R 7/71, BStBl. II 1974, 391; Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 38. 7 BFH v. 3.2.2019 – I R 8/09, BStBl. II 2010, 502. 8 Märtens in Gosch4, § 4 KStG Rz. 38. 9 Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 36. 10 Ständige Rechtsprechung, bspw. BFH v. 22.10.2015 – IV R 17/12, BF/NV 2016, 209; Ehmcke in Blümich155, § 6 EStG Rz. 1236.

Hinder | 157

Kap. 4 Rz. 4.20 | Körperschaftsteuer

reits aus der Definition deutlich, dass der Teilbetrieb mehr voraussetzt, als die Einrichtung nach § 4 KStG. Für die Annahme einer Einrichtung ist nicht erforderlich, dass diese sämtliche Merkmale eines Betriebes erfüllt. Weiterhin muss auch die Eigenständigkeit weniger ausgeprägt sein.1 bb) Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Einrichtung

4.21

Indizien für die Annahme einer Einrichtung sind beispielsweise eine besondere Leitung, ein geschlossener Geschäftskreis oder eine eindeutige zeitliche Abgrenzbarkeit von Personal und Betriebsmitteln im hoheitlichen und wirtschaftlichen Bereich.2 Die gesonderte Buchführung kann ebenfalls ein Indiz sein, begründet für sich alleine aber keine Einrichtung.3 Eigenes Personal oder Betriebsmittel sind nicht erforderlich, stellen aber ein Indiz für die funktionelle Einheit dar.4 Ebenfalls genannt werden die gesonderte Abrechnung verschiedener Leistungen5 oder sonstige organisatorische Vorkehrungen wie laufende Übermittlung von Veränderungen im Datenbestand von Versicherten6. Ein Indiz kann die Zusammenfassung der Einnahmen und Ausgaben der zu beurteilenden Tätigkeit im Haushaltsplan sein.7 Entscheidend bleibt aber, ob die Körperschaft sich erwerbswirtschaftlich betätigt, nicht in welcher organisatorischen Form diese sich vollzieht.8

4.22

Die Tätigkeit der Einrichtung erfordert daher auch hinsichtlich der sachlichen Mittel keine eindeutige Trennung. Sie kann auch mit den Mitteln verwirklicht werden, die eigentlich zum hoheitlichen Betrieb gehören, aber für einen bestimmten Zeitraum „entliehen“ werden.9 Innerhalb eines Hoheitsbetriebes kann so auch ein BgA entstehen. Die wirtschaftliche Tätigkeit ist gesondert zu betrachten und kann im Rahmen des allgemeinen Betriebs miterledigt werden.10 cc) Wertgrenze als maßgebliches Kriterium der Finanzverwaltung

4.23

Die Finanzverwaltung verlangt eine gewisse wirtschaftliche Selbständigkeit (R 4.1 Abs. 4 KStR 2015). Sie nimmt eine Einrichtung bei Überschreiten einer Wertgrenze von 130.000,– Euro an, R 4.1 Abs. 4 KStR 2015 bzw. Abschn. 2.11 Abs. 4 S. 3 UStAE. Bei Ermittlung der Umsatzschwelle werden alle Umsätze berücksichtigt, die aus derselben wirtschaftlichen Tätigkeit stammen und die nach der Verkehrsauffassung zu einer Einheit zusammenzufassen sind, R 4.1 Abs. 3 S. 3 KStR 2015. Die Rechtsprechung lehnt eine solche qualitative Betrachtung bisher ab und nimmt lediglich eine Indizfunktion an.11 Die Umsatzgrenze der Finanzverwal-

1 2 3 4 5 6 7 8

Hidien in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand § 4 Rz. 107. Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 40. Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 40. Märtens in Gosch4, § 4 KStG Rz. 37. BFH v. 2.3.1983 – I R 100/79, BStBl. II 1983, 386. BFH v. 27.6.1990 – I R 166/85, BFH/NV 1991, 628. Bürstinghaus in H/H/R, § 4 KStG Rz. 22. Märtens in Gosch4, § 4 KStG Rz. 38; Musil in Mössner/Seeger/Oellerrich4, § 4 KStG Rz. 86; Seer, DStR 1992, 1751 (1753 f.). 9 BFH v. 11.1.1979 – V R 26/74, BStBl. II 1979, 746. 10 R 4.1 Abs. 2 S. 1 KStR 2015; BFH v. 3.4.2012 – I R 22/11, BFH/NV 2012, 1334. 11 BFH v. 11.1.1971, BStBl. II 1979, 746; BFH v. 3.2.2010 – I R 8/09, BStBl. II 2010, 502; FG BerlinBdb. v. 13.7.2017 – 9 K 11318/15, EFG 2018, 56; in der Literatur wird die Wertgrenze differenziert beurteilt, ablehnend Hidien in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand § 4 Rz. 112;

158 | Hinder

A. Die Besteuerung der Betriebe gewerblicher Art nach § 4 KStG | Rz. 4.27 Kap. 4

tung führt dazu, dass sich das Merkmal der Einrichtung mit dem Merkmal der wirtschaftlichen Herausgehobenheit überschneidet und nur schwer abgrenzen lässt (siehe dazu unten d.). dd) Beispiele aus der Rechtsprechung des BFH Einzelbeispiele aus der Rechtsprechung des BFH für das Vorliegen einer Einrichtung sind z.B. die Verpachtung einer Aufzugsanlage eines Fernsehturmes durch eine Rundfunkanstalt1, die Verpachtung einer Gaststätte mit Inventar2, gebührenpflichtige Parkplätze einer Gemeinde3, der Betrieb eines allgemein zugänglichen gemeindlichen Schwimmbades4, Zusatzleistungen eines Friedhofs5, Blutalkoholuntersuchungen6, Vermietung einer Mehrzweckhalle durch eine Gemeinde7 oder die Beratung des dualen Systems8.

4.24

Die Beispiele aus der Rechtsprechung verdeutlichen die Notwendigkeit einer einzelfallbezogenen Betrachtung, die sich am Grundsatz der Wettbewerbsneutralität orientiert. In der Literatur wird daher als Umschreibung des Begriffs der Einrichtung vorgeschlagen, dass sie jede wirtschaftliche Tätigkeit der juristischen Person des öffentlichen Rechts umfasst, die sich innerhalb der Gesamtbetätigung der juristischen Person als selbständige Betätigung abgrenzen und entsprechend der Zielsetzung des § 4 KStG als wettbewerbsrelevante Tätigkeit steuerlich gesondert beurteilen lässt.9 Praktisch dürften beide Ansätze nicht mehr zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Wettbewerbsrelevanz nach beiden Ansätzen das maßgebliche Merkmal ist und auch die Rechtsprechung maßgeblich auf dieses abstellt.

4.25

Geht eine organisatorische Einheit verschiedenen wirtschaftlichen Tätigkeiten nach, sind diese grundsätzlich – trotz der organisatorischen Verbundenheit – getrennt zu betrachten, soweit sie nicht nach der Verkehrsauffassung als Einheit zu behandeln sind, R 4.1 Abs. 3 S. 3 KStR 2015. Ein Beispiel aus der Finanzverwaltung findet sich im Bereich von Werbetätigkeiten. Werbeleistungen und die damit verbundenen Sponsoringeinnahmen können einem BgA für kulturelle oder sportliche Veranstaltungen zugeordnet werden.10 Ein weiteres Beispiel ist die Auftragsforschung der Hochschulen hinsichtlich der Kapitalerträge aus der Anlage von Drittmitteln.11

4.26

b) Nachhaltige wirtschaftliche Tätigkeit Die Einrichtung muss einer nachhaltigen wirtschaftlichen Tätigkeit nachgehen. Auch dieses Kriterium dient der Durchsetzung der Wettbewerbsneutralität: Nur bei Tätigkeiten mit Wettbewerbsrelevanz tritt die öffentliche Hand in Konkurrenz mit Privaten.

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

Seer, DStR 1992, 1751 (1754); befürwortend Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 45, der allerdings auf die Überschneidungen zum Merkmal des wirtschaftlichen Heraushebens hinweist. BFH v. 13.3.1974 – U R 7/71, BStBl. II 1974, 391. BFH v. 25.10.1989 – V R 111/85, BStBl. II 1990, 868. BFH v. 22.9.1976 – I R 102/74, BStBl. II 1976. 793. BFH v. 11.1.1979 – V R 26/74, BStBl. II 1979, 746. BFH v. 14.4.1983 – V R 3/79, BStBl. II 1983, 491. BFH v. 21.9.1989 – V R 89/65, BStBl. II 1990, 95 (durch ein chemisches Untersuchungsamt); BFH v. 14.3.1990 – I R 156/87, BStBl. II 1990, 866 (durch eine Universität). BFH v. 28.11.1991 – V R 95/86, BStBl. II 1992, 569. BFH v. 3.4.2012 – I R 22/11, BFH/NV 2012, 1334. Weitere Beispiele mit Nachweisen bei Hidien in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand § 4 Rz. 117. Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 41; Seer/Wendt, DStR 2001, 825 (830). So OFD Münster v. 2.1.2012 – S 2706 – 54 – St 13 – 33. OFD Münster v. 18.8.2010 – S 2706 – 73 – St 13 – 33.

Hinder | 159

4.27

Kap. 4 Rz. 4.28 | Körperschaftsteuer

4.28

Die Zulässigkeit kommunaler wirtschaftlicher Betätigung ist im Landesrecht geregelt und häufig an die Voraussetzung geknüpft, dass der öffentliche Zweck die Betätigung rechtfertigt und diese nach Art und Umgang in einem angemessenen Verhältnis zur kommunalen Leistungsfähigkeit und Bedarf steht und nicht ebenso gut durch einen privaten Dritten erfüllt wird oder erfüllt werden kann.1 Eine Bestimmung des Landesrechts, dass eine Tätigkeit nicht wirtschaftlich ist, ist für die Betrachtung nach § 4 KStG unbeachtlich. Der Betrieb muss nicht das „äußere Bild eines Gewerbebetriebes“ bieten, um das Merkmal zu erfüllen; liegt ein solches vor, ist die Annahme eines Betriebes gewerblicher Art aber eher anzunehmen.2 Die Rechtsprechung nimmt eine wirtschaftliche Betätigung in folgenden Fällen an: Versicherungsvermittlung3, öffentlich zugänglicher Bäderbetrieb4, Betrieb einer Steuerberatungskanzlei5, Vermietungsleistungen eines Studentenwerks an Nichtstudierende6.

4.29

Nachhaltigkeit wird wie bei § 15 Abs. 2 EStG, § 14 S. 1 AO und § 2 GewStG als eine auf Dauer und Wiederholung angelegte Tätigkeit verstanden.7 Die Dauer der Einnahmeerzielung ist unerheblich. Auch eine einzige Handlung genügt, wenn bereits Wiederholungsabsicht erkennbar wird.8 Einmalige Betätigungen, durch die lediglich ein Dauerzustand geschaffen wird, führen demgegenüber nicht zur Nachhaltigkeit.9

4. Einnahmeerzielungsabsicht 4.30

§ 4 Abs. 1 S. 1 KStG fordert weiter, dass die Tätigkeit „zur Erzielung von Einnahmen“ ausgeübt wird. Von Gesetzes wegen ausdrücklich außer Betracht bleiben Einnahmen aus Landund Forstwirtschaft sowie Einnahmen aus reiner Vermögensverwaltung. Allerdings sind Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, die im Rahmen eines Betriebes gewerblicher Art anfallen, steuerpflichtig, weshalb es sich anbieten kann, diese in einen eigenen Betrieb auszulagern.10 Der Verzicht auf die Einbeziehung vermögensverwaltender Tätigkeiten folgt einer analogen Anwendung von § 14 AO. Dieser statuiert den allgemeinen Gedanken des Steuerrechts, dass eine vermögensverwaltende Tätigkeit nicht steuerbar ist. Dies überträgt sich auch auf den BgA nach § 4 KStG. Einnahmen sind im Sinne von § 7 KStG i.V.m. § 8 EStG zu verstehen und erfassen alle Güter in Geld oder Geldeswert, die der steuerpflichtigen Person zufließen. Hierzu gehören auch Gebühren, die im Rahmen einer privatunternehmerischen Tätigkeit erhoben werden, und zwar selbst dann, wenn diese aufgrund eines Gesetzes, einer Verordnung oder öffentlichen Satzung erhoben werden.11

4.31

Gerade im Bereich des Immobilienhandels ist es ratsam, den gewerblichen Handel auf eine Kapitalgesellschaft auszulagern, um Abgrenzungsproblemen mit der hoheitlichen Tätigkeit zuvorzukommen, wenn die Tätigkeit unstreitig die Grenze der Vermögensverwaltung über1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 48.1. BFH v. 27.6.1990 – I R 166/85, BFH/NV 1991, 628; Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 50. BFH v. 3.2.2010 – I R 8/09, BStBl. II 2010, 502. BFH v. 11.1.1979 – V R 26/74, BStBl. II 1979, 746. BFH v. 30.11.1989 – I R 19/87, BStBl. II 1990, 246. BFH v. 19.5.2005 – V R 32/03, BStBl. II 2005, 900. Vgl. Hidien in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand § 4 Rz. 130; BFH v. 15.12.1971 – I R 49/70, BStBl. II 1972, 291. BFH v. 26.4.1979 – V R 46/72, BStBl. 1979, 530. BFH v. 14.11.1963 – IV 6/60, BStBl. III 1964, 139; Bürstinghaus in H/H/R, § 4 KStG Rz. 23. Märtens in Gosch4, § 4 KStG Rz. 49. BFH v. 26.5.1977 – V R 15/74, BStBl. II 1977, 813; BFH v. 18.8.1988 – V R 18/83, BStBl. II 1988, 971; Bürstinghaus in H/H/R, § 4 KStG Rz. 25.

160 | Hinder

A. Die Besteuerung der Betriebe gewerblicher Art nach § 4 KStG | Rz. 4.35 Kap. 4

schreitet.1 Die Gewerblichkeit des Immobilienhandels richtet sich nach allgemeinen Grundsätzen. Die Einnahmeerzielungsabsicht kann Haupt- oder Nebenzweck der Tätigkeit sein, insofern besteht Ähnlichkeit mit § 15 Abs. 3 S. 2 EStG.2 Der praktische Abgrenzungswert dieses Merkmals ist bei § 4 KStG gering.3 Tätigkeiten, die auf Dauer verlustträchtig sind, bleiben aus Wettbewerbsgründen von vornherein außer Betracht, dies gilt auch nach der Neuregelung in § 8 Abs. 1 S. 2 KStG mit dem JStG 2009.4

4.32

5. Wirtschaftliche Herausgehobenheit a) Gesetzliche Ausgangslage Nach § 4 Abs. 1 KStG muss sich die wirtschaftliche Tätigkeit innerhalb der Gesamtbetätigung der juristischen Person „wirtschaftlich herausheben“. Das Tatbestandsmerkmal weist große Überschneidungen zu dem Begriff der Einrichtung auf.

4.33

b) Kriterien in Rechtsprechung und Finanzverwaltung aa) Grundsatz Rechtsprechung und Finanzverwaltung verlangen übereinstimmend eine Betätigung von einigem wirtschaftlichen Gewicht.5 Weitergehend hatte bereits der RFH für die Annahme des Merkmals insbesondere auf die Wettbewerbssituation der öffentlichen Hand abgestellt. Die Tätigkeit solle sich herausheben, wenn sie auch Gegenstand des Unternehmens einer natürlichen Person sein könnte und diese nach dem Umfang des Unternehmens unter Berücksichtigung der in der Privatwirtschaft üblichen Gewinnaufschläge eine bescheidene Existenzgrundlage biete.6

4.34

bb) Umsatzgrenze der Finanzverwaltung Die Finanzverwaltung bestimmt das wirtschaftliche Gewicht wiederum nach dem Umsatz und legt bestimmte Grenzen fest. Erforderlich soll ein Umsatz von 30.678,– Euro (Umsätze im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG) bzw. ab (VZ 2015) 35.000,– Euro sein (R 4.1 Abs. 5 S. 1 KStR 2015). Wird die Umsatzgrenze nicht erreicht, sind besondere Gründe vorzutragen, um im Einzelfall doch einen BgA anzunehmen (R 4.1 Abs. 5 S. 4 KStR 2015). Ferner stellt auch die Finanzverwaltung darauf ab, ob die öffentliche Hand mit ihrer Betätigung in unmittelbaren Wettbewerb zu anderen Unternehmen tritt.7 In den KSt-Richtlinien wird nur der Fall des Vorliegens eines Betriebes gewerblicher Art trotz Unterschreitens der Umsatzgrenze gere1 Märtens in Gosch4, § 4 KStG Rz. 53; Bürstinghaus in H/H/R, § 4 KStG Rz. 28, 73. 2 BFH v. 23.10.1996 – I R 1-2/94, BStBl. II 1997, 139; BFH v. 3.2.2010 – I R 8/09, BStBl. II 2010, 502. 3 BFH v. 30.11.1989 – I R 19/87, BStBl. II 1990, 246; Hidien in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand § 4 Rz. 254. 4 Bürstinghaus in H/H/R, § 4 KStG Rz. 25; Hidien in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand § 4 Rz. 255. 5 BFH v. 26.2.1957 – I 327/56 U, BStBl. III 1957, 146; R 4.1 Abs. 5 KStR 2015; H 4.1 KStH 2015. 6 RFH v. 22.10.1929 – I A a 644/29, RStBl. 1929, 666, 667; RFH v. 9.12.1932 – I A 294/32, RStBl. 1933, 53 zu einem Offiziersheim; zitiert nach Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 67; ferner BFH v. 26.2.1957 – I 327/56 U, BStBl. III 1957, 146. 7 R 4.1 Abs. 5 S. 5 KStR 2015; Pfirrmann in Blümich155, § 4 KStG Rz. 43.

Hinder | 161

4.35

Kap. 4 Rz. 4.35 | Körperschaftsteuer

gelt. Bedeutung kann dies für die Erlangung eines Vorsteuerabzuges bei der Umsatzsteuer haben.1 Zu der Frage, ob im umgekehrten Fall eines Überschreitens der Umsatzgrenze das Vorliegen eines Betriebes gewerblicher Art widerlegt werden kann, äußert sich die Richtlinie nicht. cc) Gegenauffassung der Rechtsprechung

4.36

Beispiele aus der Rechtsprechung, in denen auch unterhalb der Umsatzgrenzen die Herausgehobenheit angenommen wurde, sind eine Gaststättenverpachtung mit Erlösen von ca. 6.000,– DM2 oder der Betrieb einer Schwimmhalle bei Umsatzerlösen von ca. 20.000,– DM3. Bereits hieran zeigt sich, dass der BFH einer Umsatzgrenze kritisch gegenübersteht. Die angewandten Maßstäbe bei Beurteilung der wirtschaftlichen Herausgehobenheit sind uneinheitlich. In einem weiteren Urteil stellte der BFH auf die Höhe des Gewinns zur Bestimmung der Gewichtigkeit der Verpachtung von Anschlagssäulen ab.4 In einer weiteren Entscheidung war das Verhältnis der Einnahmen aus der gewerblichen Tätigkeit zum betroffenen Bereich der gemeindlichen Verwaltung entscheidend.5

4.37

Die Finanzverwaltung hat auf die Rechtsprechung des BFH, in der eine Umsatzgrenze als mit dem Begriff des Betriebes gewerblicher Art unvereinbar angesehen wurde6, reagiert und sieht die Umsatzgrenze nunmehr nach R 4.1 Abs. 5 S. 1 KStR nur noch als wichtigen Anhaltspunkt (so auch schon BMF v. 20.11.1979, BStBl. I 1979, 684) für die Annahme der wirtschaftlichen Herausgehobenheit. c) Die Umsatzgrenze als Aufgriffsgrenze

4.38

In der Literatur wird die Umsatzgrenze als Aufgriffsgrenze verstanden, nach deren Überschreiten die Finanzverwaltung die Voraussetzungen für das Vorliegen eines Betriebes gewerblicher Art zu prüfen hat.7 Der Auffassung, die das Merkmal insgesamt streichen will, ist zu folgen, da es funktionslos und entbehrlich ist.8 Vorzugswürdig ist eine insgesamt tätigkeitsbezogene Betrachtung.9 Dabei steht das Merkmal der wirtschaftlichen Herausgehobenheit in einer engen Beziehung zu dem weiteren Merkmal des Bestehens einer Einrichtung, welches die Finanzverwaltung ab dem Überschreiten einer Umsatzgrenze von 130.000,– Euro annimmt (R 4.4 Abs. 2 KStG, siehe dazu oben b. (2)). Die beiden seitens der Finanzverwaltung nebeneinander für die Annahme eines Betriebes gewerblicher Art aufgestellten Umsatzgrenzen zur Einrichtung einerseits und wirtschaftlicher Herausgehobenheit andererseits lassen 1 2 3 4 5 6 7 8 9

Bürstinghaus in H/H/R, § 4 KStG Rz. 27. BFH v. 25.10.1989 – V R 111/85, BStBl. II 1990, 868. BFH v. 11.1.1979 – V R 26/74, BStBl. II 1979, 746. BFH v. 2.3.1983 – I R 100/79, BStBl. II 1983, 389 (der Gewinn des Unternehmens wurde in dem Urteil nicht veröffentlicht, lediglich festgestellt, dass dieser weit über der maßgeblichen Grenze liege); ablehnend Märtens in Gosch4, § 4 KStG Rz. 45. BFH v. 14.4.1984 – V R 3/79, BStBl. II 1983, 491; ähnlich BFH v. 30.11.1989 – I R 19/87, BStBl. II 1990, 246; diese Grundsätze wurden von der Finanzverwaltung mit einem Nichtanwendungserlass belegt und werden weiterhin nicht angewandt. BFH v. 11.1.1979 – V R 26/74, BStBl. II 1979, 746; BFH v. 1.12.2011 – V R 1/11, BFH/NV 2012, 534; kritisch auch Bürstinghaus in H/H/R, § 4 KStG Rz. 27. Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 42; Strahl, Ubg 2019, 272 (276); vgl. auch Baldauf, DStZ 2020, 82 (83). Musil in Mössner/Seeger/Oellerrich4, § 4 KStG Rz. 87. So ebenfalls Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 76 m.w.N.; kritisch gegenüber der Streichung jedoch Stalleiken, FR 2010, 929 (930).

162 | Hinder

A. Die Besteuerung der Betriebe gewerblicher Art nach § 4 KStG | Rz. 4.43 Kap. 4

sich nur schwer miteinander vereinbaren. Einzig die Annahme, dass es sich bei der Umsatzgrenze von 35.000,– Euro um eine bloße Aufgriffsgrenze handelt, ab deren Überschreiten das Vorliegen eines Betriebes gewerblicher Art überhaupt erst geprüft wird, erscheint sinnvoll.1 Dementsprechend ist es folgerichtig, dass die Beurteilung der Herausgehobenheit einer Einrichtung vor dem Hintergrund der Frage erfolgt, ob Wettbewerbsverzerrungen im Verhältnis zu privaten Unternehmen ausgeschlossen werden können2 und damit auf die Abgrenzung der Steuerbarkeitssphären der juristischen Person des öffentlichen Rechts zielt3. Zwar lehnt die Finanzverwaltung die Konkretisierungsversuche des Begriffs der wirtschaftlichen Herausgehobenheit durch die seitens des BFH entwickelten vorgenannten Kriterien weiterhin ab (R 4.1 Abs. 5 S. 3 KStR). Sie erkennt aber an, dass die früher starren Umsatzgrenzen nunmehr nur noch als wichtiges Merkmal (R 4.1 Abs. 4 S. 2 KStR) bzw. wichtiger Anhaltspunkt (R 4.1 Abs. 5 S. 1 KStR) für das Vorliegen eines Betriebes gewerblicher Art dienen sollen.

4.39

Demzufolge kann auch bei Überschreiten der Umsatzgrenze von 35.000,– Euro – regelmäßig unterhalb des Betrags von 130.000,– Euro – das Vorliegen eines Betriebes gewerblicher Art im Einzelfall verneint werden, wenn eine wettbewerbsrelevante Tätigkeit ausgeschlossen werden kann. Hierzu kann insbesondere herangezogen werden, ob es sich bei der Tätigkeit um eine unselbständige Hilfstätigkeit zu einer hoheitlichen Tätigkeit handelt.4

4.40

d) Wirtschaftliche Herausgehobenheit bei der Betriebsverpachtung Besonderheiten gelten bei der Betriebsverpachtung. Entscheidend ist nach R 4.1 Abs. 5 S. 6 KStR 2015, ob die juristische Person des öffentlichen Rechts als Verpächter ein BgA wäre. Die Herausgehobenheit bestimmt sich nicht nach der Verpachtungstätigkeit und den daraus zufließenden Pachtzinsen, sondern nach Umfang und Gegenstand des verpachteten Betriebes, R 4.1 Abs. 5 S. 7 KStR 2015. Der BFH stellt maßgeblich darauf ab, ob der Pächter durch die Verpachtung in einer üblicherweise von Privaten besetzten Branche wirtschaftlich tätig wird.5

4.41

6. Keine zwingende Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr und Gewinnerzielungsabsicht a) Gesetzliche Ausgangslage Nach § 4 Abs. 1 S. 2 KStG ist weder Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr noch Gewinnerzielungsabsicht erforderlich. Die Norm wurde im Rahmen des JStG 2009 in das Gesetz eingefügt.

4.42

b) Keine zwingende Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr Der BgA muss – anders als der Gewerbebetrieb nach § 15 Abs. 2 EStG – nicht am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnehmen. Diese Einschränkung gegenüber dem Gewerbebetrieb wird insbesondere relevant bei Eigen- und Selbstversorgungsbetrieben einer juristischen Per-

Seer, DStR 1992, 1751; Märtens in Gosch4, § 4 KStG Rz. 43. BFH v. 11.1.1979 – V R 26/74, BFHE 127, 83. Vgl. Hidien in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand § 4 Rz. 172. Vgl. zu Hilfstätigkeiten R 4.4 Abs. 2 KStG und Hidien in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand § 4 Rz. 172. 5 BFH v. 11.7.1990 – II R 33/86, BStBl. II 1990, 1100.

1 2 3 4

Hinder | 163

4.43

Kap. 4 Rz. 4.43 | Körperschaftsteuer

son des öffentlichen Rechts, z.B. hauseigenen Tankstellen oder Druckereien sowie einer Kantine für Werksangehörige.1

4.44

Die gesetzliche Festschreibung solcher Betriebe als BgA hat wettbewerbliche Hintergründe. Die Trägerkörperschaft könnte ihren Bedarf ebenso von privater Seite decken. Insoweit treten Versorgungsbetriebe zur Privatwirtschaft in Konkurrenz, was die Besteuerung rechtfertigt. Reine Selbstversorgungsbetriebe, die i.d.R. nur auf Selbstkostenbasis tätig werden und keine Überschüsse erzielen, werden dagegen nicht erfasst.2 Die Norm hat für diese daher keine Bedeutung. c) Keine Gewinnerzielungsabsicht erforderlich

4.45

Durch die Aufgabe des Kriteriums der Gewinnerzielungsabsicht wurde die Einbeziehung von Dauerverlustbetrieben endgültig legitimiert.3 Nach der Rechtsprechung des BFH erfolgt deren Einbeziehung ohne Verstoß gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip, da die Ertragsbesteuerung nur dann erfolge, wenn Überschüsse erwirtschaftet werden.4

4.46

Umstritten war, wie weit der Verzicht auf das Kriterium der Gewinnerzielungsabsicht reicht. Diskutiert wurde insbesondere, inwieweit die Regelungen in § 4 Abs. 1 S. 2 KStG i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 6 KStG lex specialis zu den allgemeinen Regeln in § 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 2 EStG auf Ebene der sachlichen Steuerpflicht sind und somit zu einer Erweiterung der sachlichen Steuerpflicht führen.5 In der Literatur wurde § 4 Abs. 1 S. 2 KStG teilweise nur als Sonderregelung des § 1 Abs. 1 Nr. 6 KStG gesehen, was zur Folge hat, dass die Prüfung einer Einkünfteerzielungsabsicht nach allgemeinen Grundsätzen erforderlich bleibt, da § 8 Abs. 1 KStG auf § 15 Abs. 2 EStG verweise und daher für das Steuerobjekt die Voraussetzungen gegeben sein müssten.6 Der BFH tritt dem entgegen. § 4 Abs. 1 S. 2 KStG habe gegenüber den allgemeinen Grundsätzen im Bereich der sachlichen Steuerpflicht vorrangige Bedeutung.7 Die Problematik wurde durch den Gesetzgeber entschärft, der in § 8 Abs. 1 S. 2 KStG klarstellend Stellung bezogen hat. Danach ist die Gewinnerzielungsabsicht ausdrücklich nicht erforderlich. Zugleich bedeutet dies die Nichtanwendbarkeit der Liebhabereigrundsätze auf BgA und deren fiktive Verselbständigung.8

7. Juristische Person des öffentlichen Rechts als Betrieb gewerblicher Art, § 4 Abs. 2 KStG 4.47

Nach § 4 Abs. 2 KStG ist ein BgA auch dann steuerpflichtig, wenn er selbst eine juristische Person des öffentlichen Rechts ist. Die Vorschrift hat lediglich deklaratorische Bedeutung.9 Steuersubjekt ist wie im Fall des Absatzes 1 die juristische Person des öffentlichen Rechts, die 1 2 3 4 5 6 7 8 9

Bürstinghaus in H/H/R, § 4 KStG Rz. 42. Siehe bereits BMF v. 7.10.1974 – IV A 2-S 7106-19/74. So Hidien in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand § 4 Rz. 259. BFH v. 27.6.1990 – I R 166/85, BFH/NV 1991, 628; kritisch insoweit Seer, DStR 1992, 1751 (1790 f.). Vgl. Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 54.1. Vgl. Bracksiek, FR 2009, 15 (16 f.); Seer/Wend, DStR 2001, 825 (836). BFH v. 27.6.1990 – I R 166/85, BFH/NV 1991, 628; siehe auch Musil in Mössner/Seeger/Oellerrich4, § 4 KStG Rz. 114, wonach die Differenzierung „gekünstelt“ wirke. Kritisch Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 54.3; Hüttemann, FR 2009, 308 (311). BT-Drucks. 7/1470, 336.

164 | Hinder

A. Die Besteuerung der Betriebe gewerblicher Art nach § 4 KStG | Rz. 4.51 Kap. 4

identisch mit dem BgA als Steuerobjekt ist. Die wirtschaftliche Herausgehobenheit ist ohne Bedeutung, da sich die Teilbereiche decken. Kennzeichen der unter die Norm fallenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts ist ein abgegrenztes Tätigkeitsfeld, das auf privatwirtschaftliche Betätigung gerichtet ist und die Voraussetzungen des Abs. 1 erfüllt.1 Hauptanwendungsfall der Norm sind öffentlich-rechtliche Anstalten (beispielsweise öffentlich-rechtliche Kreditanstalten, Sparkassen, Landesbanken und Versicherungsanstalten) und Stiftungen oder Zweckverbände.2

4.48

8. Einzelfälle, insbesondere Beteiligung an Kapital- oder Personengesellschaften a) Problemstellung Besonders problemträchtig ist die Beteiligung der öffentlichen Hand an einer Kapital- oder Personengesellschaft. Die reine Beteiligung ist zwar grundsätzlich dem Bereich der Vermögensverwaltung i.S.v. § 14 S. 3 AO zuzurechnen. In bestimmten Fällen kann aber ein BgA begründet werden.

4.49

b) Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft Ein BgA entsteht durch eine „aktive wirtschaftliche Beteiligung“ an einer Kapitalgesellschaft. Eine solche besteht, wenn die juristische Person des öffentlichen Rechts über die Beteiligung unmittelbar am Marktgeschehen teilnimmt3, z.B. durch das aktive Eingreifen des staatlichen Anteilseigners in die Unternehmenspolitik.4 In der grundlegenden Entscheidung des BFH vom 30.6.1971 ging es um einen Berufsverband mit dem satzungsmäßigen Zweck, die Interessen seiner Mitglieder in zwei Bundesländern zu sichern und zu fördern, der neben anderen Landesverbänden zu 10 % am Stammkapital einer GmbH beteiligt war.

4.50

Eine aktive wirtschaftliche Beteiligung besteht ferner im Fall der Personalunion, d.h. der Geschäftsführer oder ein Vorstandsmitglied der Kapitalgesellschaft ist zugleich leitender Mitarbeiter der an der Kapitalgesellschaft beteiligten juristischen Person des öffentlichen Rechts.5 Es genügt, wenn mehrere juristische Personen Anteile an einer Kapitalgesellschaft halten und zusammen einen entscheidenden Einfluss auf die Geschäftsführung ausüben (R 4.1 Abs. 2 S. 4 KStR 2015). Die „Einflusstheorie“ wird im Schrifttum kritisch gesehen.6 Vor allem der Gedanke der Wettbewerbsneutralität spreche gegen eine Erfassung der Beteiligung als BgA.7 Stellt

4.51

1 Bürstinghaus in H/H/R, § 4 KStG Rz. 46. 2 Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 82; Bürstinghaus in H/H/R, § 4 KStG Rz. 46; siehe BFH v. 27.11.1995 – I B 134/84, BFH/NV 1996, 366 zu einer öffentlich-rechtlichen Versicherungsanstalt. 3 BFH v. 30.6.1971 – I R 57/70, BStBl. II 1971, 753; BFH v. 25.8.2010 – I R 97/09, BFH/NV 2011, 312; vgl. auch EuGH v. 10.1.2006 – C-224/04, Cassa di Risparmio di Firenze SpA, Slg. 2006 I-289; Strahl, Ubg 2019, 272 (275). 4 R 4.1 S. 3 und 4 KStR 2015; BFH v. 30.6.1971 – I R 57/70, BStBl. 1971, 753; BFH v. 25.8.2010 – I R 97/09, BFH/NV 2011, 312; BFH v. 29.11.2017 – I R 83/15, BStBl. II 2018, 495; ausführlich Hidien in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand § 4 Rz. 499. 5 Strahl, Ubg 2019, 272 (275). 6 Augsten in Fabry/Augsten, Unternehmen der öffentlichen Hand2 S. 349; Hidien in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand § 4 Rz. 503 ff.; Schiffers, DStZ 2016, 371 (375). 7 Hidien in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand § 4 Rz. 503; Schiffers, DStZ 2016, 371 (375).

Hinder | 165

Kap. 4 Rz. 4.51 | Körperschaftsteuer

man auf das Merkmal „aktiv“ ab, könnte nur dann ein BgA vorliegen, wenn entweder ein Fall der Betriebsaufspaltung vorliegt oder zwischen der ausgliedernden juristischen Person des öffentlichen Rechts und der Tochterkapitalgesellschaft eine körperschaftsteuerliche Organschaft besteht.1

4.52

Entscheidender Einfluss darf nicht mit einer Mehrheitsbeteiligung gleichgesetzt werden, auch eine 100-%ige Beteiligung eines Berufsverbandes an einer Kapitalgesellschaft genügt nur dann, wenn tatsächlich Einfluss auf die Geschäftsführung genommen wird.2 Dasselbe gilt, wenn die Kapitalgesellschaft selbst rein vermögensverwaltend tätig wird (R 4.1 Abs. 2 S. 5 KStR 2015). Ebenfalls nicht genügend ist die Beteiligung an einer steuerbegünstigten Körperschaft im Sinne des § 51 ff. AO.

4.53

Liegt kein entscheidender Einfluss vor, kann ein BgA dadurch begründet werden, dass die juristische Person des öffentlichen Rechts der Tochterkapitalgesellschaft wesentliche Wirtschaftsgüter zur Nutzung überlässt. Die Beteiligung ist nach den Grundsätzen der Betriebsaufspaltung einem BgA zuzurechnen.3 Für die Anwendung der Grundsätze genügt auch die Überlassung eines immateriellen Wirtschaftsgutes.4 Die Besitzgesellschaft gilt dann als Gewerbebetrieb. Feste Umsatzgrenzen für die Wesentlichkeit eines Wirtschaftsgutes gibt es nicht, nach dem BFH können auch 25 % Umsatzanteil für die Annahme einer wesentlichen Betriebsgrundlage ausreichen.5 Beispiele aus der Rechtsprechung für eine wesentliche Betriebsgrundlage sind die Verpachtung von Grundstücken mit Brunnen zur Wasserentnahme an ein Wasserwerk6, die Überlassung eines Betriebshofes zur Lagerung für Betriebsmittel und zum Abstellen der Betriebsfahrzeuge7 oder Büro- oder Verwaltungsgebäude, wenn diese die räumliche und funktionale Grundlage für die Geschäftstätigkeit der Betriebsgesellschaft bilden8. Die Betriebsaufspaltung ist nicht anzuwenden, wenn die Überlassung der wesentlichen Betriebsgrundlagen unentgeltlich erfolgt.9

4.54

Die Folgen der Qualifizierung des Haltens der Beteiligung als BgA sind10: Die Dividenden sind im Rahmen der unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht nach § 1 Abs. 1 Nr. 6 i.V.m. § 4 KStG zu berechnen, Gewinnausschüttungen und Veräußerungsergebnisse werden im Rahmen der Ermittlung des Einkommens für den BgA nach § 8b Abs. 1 und 2 KStG freigestellt, das pauschale Abzugsverbot nach § 8b Abs. 3 und 5 KStG greift ein, Dividenden aus Streubesitz unterliegen nach § 8b Abs. 4 KStG der Steuerpflicht, die Steuerbefreiung nach § 8b Abs. 1 KStG greift nicht, Belastung mit Kapitalertragsteuer in Höhe von 25 % auf die Beteiligungserträge mit Erstattungsmöglichkeit im Rahmen des Veranlagungsverfahrens nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 S. 1 EStG, der Gewinn des Beteiligungs-BgA stellt einen Kapitalertrag der juristischen Person des öffentlichen Rechts dar, der nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG mit einer ergänzenden Kapitalertragsteuer in Höhe von 15 % belastet wird.

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Hidien in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand § 4 Rz. 504. BFH v. 25.8.2010 – I R 97/09, BFH/NV 2011, 312. BFH v. 21.5.1997 – I R 164/94, BFH/NV 1997, 825; Strahl, Ubg 2019, 272 (276). BFH v. 20.7.2005 – X R 22/02, BStBl. II 2006, 457. BFH v. 20.9.1973 – IV R 41/69, BStBl. II 1973, 869. BFH v. 6.11.1985 – I R 272/81, BFH/NV 1987, 123. BFH v. 24.4.2002 – I R 20/01, BStBl. II 2003, 412. BFH v. 23.5.2000 – VIII R 11/99, BStBl. II 2000, 621. OFD Nds. v. 13.1.2011. Hierzu Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 57.6.

166 | Hinder

A. Die Besteuerung der Betriebe gewerblicher Art nach § 4 KStG | Rz. 4.58 Kap. 4

c) Beteiligung an einer Personengesellschaft aa) Einführung Ein BgA kann weiterhin durch eine Beteiligung der öffentlichen Hand an einer gewerblichen Personengesellschaft gem. § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG begründet werden.1 Durch die Beteiligung werden gewerbliche Einkünfte einschließlich Sondervergütungen nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG erzielt. Auf einen beherrschenden Einfluss kommt es, anders als bei Beteiligungen an Kapitalgesellschaften, nicht an.

4.55

bb) Der Zusammenschluss mehrerer juristischer Personen des öffentlichen Rechts zu einer Personengesellschaft Bisher bestand Einigkeit, dass der Zusammenschluss mehrerer juristischer Personen des öffentlichen Rechts zu einer gemeinsamen Tätigkeitsausübung in einer Personengesellschaft keinen BgA begründet.2 Mit dem BMF-Schreiben vom 21.6.20173 hat sich dieses Verständnis gewandelt. In den Vordergrund tritt eine tätigkeitsbezogene Betrachtung, die nur dann noch einen BgA ausschließt, wenn die Personengesellschaft vermögensverwaltend oder land- und forstwirtschaftlich tätig wird.4

4.56

cc) Die Beteiligung an einer Personengesellschaft als Betrieb gewerblicher Art Sind mehrere juristische Personen des öffentlichen Rechts an einer Personengesellschaft beteiligt, sind die Einkünfte einzeln nach den allgemeinen Grundsätzen des § 4 KStG festzustellen.5 Ebenso sind verschiedene Tätigkeiten der Personengesellschaft gesondert zu würdigen.6 Die einzelnen Tätigkeitsbereiche begründen eigenständige BgA, das BMF geht entgegen § 4 Abs. 6 S. 1 KStG („kann“) von einer Verpflichtung zur Zusammenfassung aus.7

4.57

Die Umsatzgrenzen der R 4.1 Abs. 4 und 5 KStR 2015 sind nach der Finanzverwaltung bei der Beteiligung irrelevant. Nicht zu prüfen ist daher, ob die Mitunternehmerschaft die Umsatzgrenze von 35.000,– Euro erreicht.8 Hintergrund ist wohl, dass die Finanzverwaltung bei der Beteiligung an einer Personengesellschaft das Merkmal des wirtschaftlichen Gewichts für verzichtbar hält. Irrelevant ist auch, ob die Personengesellschaft eine Tätigkeit ausübt, die, würde sie von der juristischen Person des öffentlichen Rechts selbst ausgeführt, einen Hoheitsbetrieb nach § 4 Abs. 5 KStG begründen würde. Anders als in der Vergangenheit wird ein BgA begründet.9 Dies gilt auch für dauerdefizitäre Tätigkeiten der Personengesellschaft, die hoheitlicher Natur sind. In diesem Fall liegt ebenfalls ein BgA vor, wenn die Tätigkeit der Personengesellschaft mit Gewinnerzielungsabsicht ausgeführt wird und weder reine Vermögensverwal-

4.58

1 BMF v. 12.11.2009 Rz. 59; BFH v. 6.4.1973 – III R 78/72, BStBl. II 1973, 616; BFH v. 25.3.2015 – I R 52/13, BStBl. II 20165, 172; Bürstinghaus in H/H/R, § 4 KStG Rz. 29. 2 Ebenso Strahl, Ubg 2019, 272 (272). 3 BStBl. I 2017, 880. 4 Strahl, Ubg 2019, 272 (272) mit Verweis auf BMF v. 21.6.2017 Rz. 1. 5 BMF v. 21.6.2017, BStBl. I 2017, 880 Rz. 9. 6 BMF v. 21.6.2017, BStBl. I 2017, 880 Rz. 3. 7 BMF v. 21.6.2017, BStBl. I 2017, 880 Rz. 3; Strahl, Ubg 2019, 272 (274); Beispiele bei OFD Karlsruhe v. 14.6.2018 – S 270.6/242 – St 213, Abschn. 2.3.1, abrufbar unter https://datenbank.nwb.de/ Dokument/Anzeigen/769707/. Die OFD Karlsruhe spricht im genannten Schreiben in Abschnitt 2.3.4 entgegen dem BMF-Schreiben von einem Wahlrecht zur Zusammenfassung. 8 Vgl. BMF v. 21.6.2017, BStBl. I 2017, 880 Rz. 1. 9 Siehe BMF v. 21.6.2017, BStBl. I 2017, 880 Rz. 2; anders noch R 6.1 Abs. 2 S. 5 KStR 2005.

Hinder | 167

Kap. 4 Rz. 4.58 | Körperschaftsteuer

tung noch land- und forstwirtschaftliche Betätigung ist. Die Abgrenzung zwischen Vermögensverwaltung und Gewerbebetrieb hat nach den hergebrachten Grundsätzen zu erfolgen. Vermögensverwaltung liegt danach vor, wenn sich die Betätigung noch als Nutzung von Vermögen im Sinne einer Fruchtziehung aus zu erhaltender Substanz darstellt und die Ausnutzung substanzieller Vermögenswerte durch Umschichtung nicht entscheidend in den Vordergrund tritt.

4.59

Nicht eindeutig beurteilt wird die Frage, ob die Beteiligung an einer Mitunternehmerschaft stets einen eigenständigen BgA begründet oder dem Betriebsvermögen eines bereits bestehenden Betriebes zugerechnet werden kann.1 Wegen sich anschließender Folgeprobleme, insbesondere bei der Zusammenfassung der Betriebe und im Hinblick auf § 20 Abs. 1 Nr. 10b EStG bei Umwandlungsfällen, ist es vorzugswürdig, die Beteiligung einem bestehenden Betrieb zuzurechnen.2

4.60

Eine vermögensverwaltende Tätigkeit führt nach dem BMF ausnahmsweise zu einem BgA, wenn sie als Hilfs- oder Nebengeschäft einer wirtschaftlichen Tätigkeit der Mitunternehmerschaft einzuordnen ist.3 Hierfür hat die OFD Karlsruhe in einer Verfügung vom 14.6.2018 einige hilfreiche Beispiele zur Abgrenzung veröffentlicht.4 Die eigenständigen BgA, die durch die Beteiligung an einer Personengesellschaft entstehen, gelten als Regiebetrieb, auch wenn die Personengesellschaft keinen Gewerbebetrieb unterhält.5

4.61

Die dargestellten Grundsätze aus dem BMF-Schreiben vom 21.6.2017 sind ab dem Veranlagungszeitraum 2018 anzuwenden, soweit nicht eine frühere Anwendung durch die juristische Person beantragt wurde.6 dd) Speziell: Die Beteiligung an einer gewerblich geprägten Personengesellschaft

4.62

Lange offengelassen hatte der BFH die Frage, ob auch die Beteiligung an einer gewerblich geprägten Personengesellschaft gem. § 15 Abs. 3 Nr. 2 S. 1 EStG einen BgA begründet. Im Schrifttum wurde die Frage uneinheitlich bewertet.7 Weder der Wettbewerbsgedanke, der eher für die Erfassung spricht, noch systematische Argumente überzeugen vollends, so dass de lege ferenda eine Klarstellung durch den Gesetzgeber erfolgen sollte.8 Mittlerweile hat der BFH entschieden, dass die Fiktion des § 15 Abs. 3 Nr. 2 S. 1 EStG auf § 4 KStG nicht anwendbar ist, da die Norm eine eigenständige und ausschließlich tätigkeitsbezogene Definition des Betriebes gewerblicher Art enthalte und die Personengesellschaft in dieser Konstellation vermögensverwaltend tätig werde.9 Die Entscheidung ändert jedoch nichts an der Reformbedürftigkeit, da eine Klarstellung durch den Gesetzgeber die über den vom BFH entschiedenen Einzelfall hinausgehenden Unsicherheiten beseitigen würde. 1 Der BFH bewertet die Frage nicht einheitlich, siehe BFH v. 9.5.1984 – I R 25/81, BStBl. II 1984, 726; BFH v. 27.11.2012 – IV B 64/12, BFH/NV 2013, 514; Bürstinghaus in H/H/R, § 4 KStG Rz. 29. 2 So Bürstinghaus in H/H/R, § 4 KStG Rz. 29. 3 BMF v. 21.6.2017, BStBl. I 2017, 880 Rz. 4. 4 OFD Karlsruhe v. 14.6.2018 – S 270.6/242 – St 213, Abschn. 2.5. 5 BMF v. 21.6.2017, BStBl. I 2017, 880 Rz. 30. 6 BMF v. 21.6.2017, BStBl. I 2017, 880 Rz. 13. 7 Einen BgA nehmen Bürstinghaus in H/H/R, § 4 KStG Rz. 29, 35 an; dagegen Schiffers, DStZ 2016, 535 (539). 8 Ebenso Hidien in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand § 4 Rz. 530. 9 BFH v. 29.11.2017 – I R 83/15, BStBl. II 2018, 495; zustimmend Musil, Ubg 2019, 224 (228).

168 | Hinder

A. Die Besteuerung der Betriebe gewerblicher Art nach § 4 KStG | Rz. 4.67 Kap. 4

Weiterhin offen ist die Frage, ob die Abfärberegelung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG greift und dann auch den BgA erfasst. Die Finanzverwaltung lehnt dies ab und behandelt einzelne Tätigkeiten getrennt.1 Dies hat zur Folge, dass die Beteiligung an einer Personengesellschaft als Vermögensverwaltung und die Erbringung von Dienstleistungen als BgA qualifiziert wird.2 Erschließungs- oder Baumaßnahmen, die zusätzlich zur Grundstücksverwaltung vorgenommen werden, begründen immer einen BgA.3

4.63

ee) Folgen Für die öffentliche Hand bedeutet die Beteiligung an einer gewerblichen Personengesellschaft eine Doppelbesteuerung. Zunächst durch die unbeschränkte Körperschaftsteuerpflicht gem. §§ 1 Abs. 1 Nr. 6, 4 i.V.m. §§ 8, 23, 24 KStG in Höhe von 15 % Körperschaftsteuer, dann im Falle einer Gewinnausschüttung Kapitalertragsteuer in Höhe von weiteren 15 % gem. § 2 Nr. 2 KStG i.V.m. §§ 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b, 43 Abs. 1 Nr. 7c, 43a Abs. 1 Nr. 2 EStG.4 Verfahrensrechtlich tritt die Steuersubjektqualität der juristischen Person des öffentlichen Rechts in den Vordergrund. Sie ist als Trägerkörperschaft Beteiligte des Verfahrens zur gesonderten und einheitlichen Feststellung der Besteuerungsgrundlagen der Personengesellschaft.5

4.64

Der Verzicht auf Gewinnerzielungsabsicht gem. § 4 Abs. 1 S. 2 KStG schlägt auch auf die Beteiligung an einer Personengesellschaft durch. Ist eine juristische Person des öffentlichen Rechts an einer nicht gewerblichen Personengesellschaft beteiligt, die keine Gewinnerzielungsabsicht aufweist, wurde nach dem BMF-Schreiben vom 12.11.2009 trotzdem ein steuerbarer BgA begründet.6 Diese Auffassung hat das BMF mittlerweile modifiziert. Nach dem Schreiben vom 21.6.2017 ist für jede Beteiligung der juristischen Person des öffentlichen Rechts eigenständig zu ermitteln und zu klären, ob und gegebenenfalls welche BgA aus der Beteiligung an einer solchen Gesellschaft entstehen.7

4.65

9. Versorgungsbetriebe im Sinne des § 4 Abs. 3 KStG a) Gesetzliche Ausgangslage § 4 Abs. 3 KStG regelt die Versorgungsbetriebe. Betriebe, die der Versorgung der Bevölkerung mit Wasser, Gas, Elektrizität oder Wärme, dem öffentlichen Verkehr oder dem Hafenbetrieb dienen, gehören auch zu den BgA. Nach der herrschenden Auffassung hat die Norm lediglich klarstellenden Charakter.8

4.66

Die Gleichstellung von Versorgungsbetrieben mit BgA ist historisch gewachsen. Sie fand sich bereits im KStG 1934 und wurde nach zwischenzeitlicher Aufhebung 1938/39 wieder in das KStG eingeführt. Die Regelung erfasst in der Regel rechtlich unselbständige Eigen- oder Regiebetriebe einer Gebietskörperschaft oder eines Zweckverbandes und zwar auch, wenn sie nicht

4.67

1 BMF v. 21.6.2017, BStBl. I 2017, 880 Rz. 3. 2 Schiffers, DStZ 2019, 78 (86); ebenso OFD Karlsruhe v. 14.6.2018 – S 270.6/242 – St 213, Abschn. 2.3.2. 3 BFH v. 3.8.2005 – I R 37/04, BStBl. II 2006, 141; Pfirrmann in Blümich155, § 4 KStG Rz. 33. 4 Hidien in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand § 4 Rz. 522. 5 BFH v. 27.11.2012 – IV B 64/12, BFH/NV 2013, 514. 6 BMF v. 12.11.2009, BStBl. I 2009, 1303 Rz. 60 f. 7 So auch Goehlke/Lindt, DB 2017, 1927. 8 BFH v. 8.11.1989 – I R 187/85, BStBl. II 1990, 242; Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 83; Bürstinghaus in H/H/R, § 4 KStG Rz. 50.

Hinder | 169

Kap. 4 Rz. 4.67 | Körperschaftsteuer

nur der Versorgung der eigenen Bevölkerung dienen.1 Dagegen darf es sich nicht um Betriebe einer ausländischen oder kirchlichen Körperschaft handeln.2 b) Wettbewerbsgleichheit als maßgebliches Kriterium

4.68

Hintergrund der Besteuerung von Versorgungsbetrieben ist der Grundsatz der Wettbewerbsgleichheit. Die Betriebe erfüllen Aufgaben, die in gleicher oder ähnlicher Weise von privaten Unternehmen erfüllt werden (könnten). Trotz der Erfüllung öffentlicher Aufgaben der Daseinsvorsorge gehören sie nicht zur hoheitlichen, sondern zur fiskalischen Verwaltung und unterliegen daher den Grundsätzen des Verwaltungsprivatrechts.3 Die Bindung an öffentliche Aufgaben führt auf das Feld der Staatsaufgabenlehre, was bei der Abgrenzung zur nichthoheitlichen Tätigkeit relevant wird.

4.69

Die in § 4 Abs. 3 KStG aufgeführten Tätigkeitsfelder stellen typische Tätigkeitsfelder der kommunalen Daseinsvorsorge dar, die durch Kommunen auf unterschiedliche Art erfüllt wird. Handelt sie hierbei in privatrechtlich organisierter Form, besteht dennoch eine Bindung an die Grundrechte und das Verwaltungsrecht.

4.70

Die Aufzählung der möglichen Versorgungsbetriebe ist abschließend. Der BFH bezeichnet es als kennzeichnend für einen Versorgungsbetrieb, dass dieser die Grundbedürfnisse der Bevölkerung zu tragbaren Bedingungen erfüllen solle.4 c) Die Versorgungsbetriebe im Einzelnen

4.71

Erfasst werden alle Wertschöpfungsstufen; Erzeugung, Transport und Vertrieb. Sich an die Versorgung anschließende Dienstleistungen sind nicht erfasst.5 Gemeint sind Tätigkeiten wie die Wartung von Kundenanlagen, der Betrieb einer Anlage beim Kunden oder die Energieberatung.6 In diesen Fällen kann ein BgA nach § 4 Abs. 1 KStG begründet werden.

4.72

Wasserversorgung im Sinne der Norm meint Betriebe, die Wasser tatsächlich und unmittelbar dem Endverbraucher übermitteln.7 Die Rechtsprechung knüpft an einen technischen und auf tatsächlichem Gebiet liegenden Vorgang an, nicht auf die rechtlichen Beziehungen zwischen den Beteiligten und dem Endverbraucher. Unter den Begriff fallen auch der Betrieb der Wasserleitungen, während Wasserkraftwerke unter die Energieversorgung fallen.8 Die Wasserbeschaffung wird grundsätzlich dem Bereich der Hoheitsbetriebe nach § 4 Abs. 5 KStG zugeordnet9, während ein Versorgungsbetrieb begründet wird, wenn Wasserversorgung und -beschaffung zusammen durchgeführt werden, da die Versorgung durch den Beschaffungsvorgang vorbereitet und von diesem untrennbar ist und somit absorbiert werde.10 1 2 3 4 5 6 7 8 9

Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 84. RFH v. 11.7.1933, RStBl. 1933, 1038; Bürstinghaus in H/H/R, § 4 KStG Rz. 50. BFH v. 17.4.1969 – V B 53/68, BStBl. II 1969, 415; Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 85. BFH v. 8.11.1989 – I R 187/75, BStBl. II 1990, 242. BMF v. 12.11.2009, BStBl. I 2009, 1303 Rz. 10; kritisch Leippe, DStZ 2010, 105 (107). BMF v. 12.11.2009, BStBl. I 2009, 1303 Rz. 10. BFH v. 30.11.1989 – I R 79-80/86, BStBl. II 1990, 452. BFH v. 23.4.1975 – I R 70/73, BStBl. II 1975, 618; Bürstinghaus in H/H/R, § 4 KStG Rz. 50. BFH v. 15.3.1972 – I R 232/71, BStBl. II 1972, 500; BFH v. 30.11.1989 – I R 79-80/86, BStBl. II 1990, 452. 10 BFH v. 20.1.1972 – I R 92/70; H 10 KStH 2004, in der aktuellen Fassung der KStH findet sich dieser Hinweis jedoch nicht wieder.

170 | Hinder

A. Die Besteuerung der Betriebe gewerblicher Art nach § 4 KStG | Rz. 4.76 Kap. 4

Versorgungsbetriebe sind zudem die Energiebetriebe. Hierzu gehören die typischen Stadtwerke, Wasserwerke und Elektrizitätswerke.1 Praktisch relevante Fälle sind Fernheizwerke2 sowie Blockheizkraftwerke3. Problematisch sind weiter Müllheizkraftwerke. Während Wärmelieferung grundsätzlich dem Versorgungsbereich zuzurechnen ist, wird Abfallentsorgung dagegen dem hoheitlichen Bereich zugeordnet. Die Finanzverwaltung vertritt die Auffassung, dass die Energieversorgung aus dem Abfall ein hoheitliches Hilfsgeschäft der Abfallentsorgung sei.4 Zu einem Fall, in dem durch die Verwendung der beim Klärprozess gewonnenen Faulgase die für das Klärwerk benötigte Energie gewonnen wurde, entschied der BFH, dass die hoheitliche Tätigkeit der Abfallentsorgung beiseitetrete und nahm einen BgA gem. § 4 Abs. 3 KStG an.5

4.73

Die Norm erfasst weiterhin die Netzwirtschaft in den Fällen, in denen die Kommunen die Netze eigenständig bewirtschaften.6 Wird das vollständige Leitungsnetz an einen Versorger verpachtet, liegt ein Verpachtungsbetrieb im Sinne von § 4 Abs. 4 KStG vor. Etwas anderes gilt wohl dann, wenn nur Teile des Leitungsnetzes pachtweise überlassen werden. In diesem Fall liegt eine rein vermögensverwaltende Tätigkeit vor, die keinen BgA begründen kann.7

4.74

Telekommunikation wird in § 4 Abs. 3 KStG nicht erwähnt. Nach dem Anwendungsschreiben des BMF zum Jahressteuergesetz 2009 sollten Telekommunikationsbetriebe keinen Versorgungsbetrieb nach § 4 Abs. 3 KStG begründen (s.o).8 Diese Auffassung wird zunehmend in Frage gestellt. Die Telekommunikation bedient ein Allgemeininteresse von überragender Bedeutung. Vor dem Hintergrund des angestrebten Netzausbaus ist es schwer begründbar, den Kommunen die Möglichkeit der Begründung eines diesbezüglichen Versorgungsbetriebes zu verbauen.9 Die Finanzverwaltung nimmt bei Unterhalten eines öffentlichen Telekommunikationsbetriebes einen BgA an.10 Fraglich ist aber, ob Telekommunikationsdienstleistungen einen eigenständigen BgA begründen oder ein Hilfsgeschäft darstellen. Der BFH definiert Hilfsgeschäfte als solche, die der Betrieb üblicherweise mit sich bringt und die Aufnahme, Fortführung und Abwicklung der Haupttätigkeit erst ermöglichen.11 Belcke/Westermann bejahen den Charakter eines Hilfsgeschäfts beispielsweise für Energieversorgungsunternehmen, die ihrem Kundenkreis auf Wunsch eine Energieberatung anbieten, da sie zu einer solchen gesetzlich verpflichtet seien; die Beratung sei damit auch Teil des Versorgungsbetriebes.12 Für die Finanzverwaltung wird dagegen ein eigenständiger BgA begründet.13

4.75

§ 4 Abs. 3 erwähnt weiterhin die Verkehrsbetriebe. „Der dem öffentlichen Verkehr dienenden Betriebe“ erfasst alle Bestrebungen der öffentlichen Hand zur Anpassung des Gesamtverkehrs

4.76

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13

Hidien in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand § 4 Rz. 375. BFH v. 4.9.2002 – I R 42/01, BFH/NV 2003, 511. BFH v. 27.6.2001 – I R 82-85/00, BStBl. 2001, 773. BMF v. 13.3.1987 – IV B 7 - S 2706-13/87 und noch R 9 Abs. 1 KStR 2004. BFH v. 21.6.2001 – I R 82-85/00, BStBl. II 2001, 773; vgl. auch BFH v. 27.10.1993 – I R 60/91, BStBl. II 1994, 573; ferner BFH v. 23.10.1996 – I R 1-2/94, BStBl. II 1997, 139 zu dem Verkauf von Müllsäcken im Rahmen der Hausmüllentsorgung. Siehe BMF v. 12.11.2009, BStBl. I 2009, 1305. Hidien in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand § 4 Rz. 379. BMF v. 12.11.2009, BStBl. I 2009, 1303 Rz. 13; Leippe, DStZ 2010, 105 (108). Vgl. schon Belcke/Westermann, BB 2012, 2473 (2476); ähnlich auch Bürstinghaus in H/H/R, § 4 KStG Rz. 46; a.A. Märtens in Gosch4, § 4 KStG Rz. 85. BMF v. 12.11.2009, BStBl. I 2009, 1303 Rz. 13. BFH v. 24.11.1983 – IV R 74/80, BStBl. II 1984, 155. Belcke/Westermann, BB 2012, 2473 (2474). Bürstinghaus in H/H/R, § 4 KStG Rz. 50 f.

Hinder | 171

Kap. 4 Rz. 4.76 | Körperschaftsteuer

an die sich entwickelnden Verhältnisse.1 Erfasst wird nicht nur die Beförderung von Personen und Gütern, sondern auch der Individualverkehr auf öffentlichen Straßen und die Bereitstellung von Flächen, die dem ruhenden Verkehr zum Parken zur Verfügung stehen.2 Unter den ruhenden Verkehr fällt die Bereitstellung von Parkräumen, die mit Parkuhren versehen sind oder nur mit Parkscheiben benutzt werden dürfen und der Betrieb von Parkhäusern, wenn sie einem unbestimmten Personenkreis offenstehen und damit von jedermann benutzt werden können.3

4.77

Die von Verkehrsbetrieben gezahlte Konzessionsabgabe für die Nutzung der Verkehrsinfrastruktur stellt steuerlich eine Betriebsausgabe nach § 4 Abs. 4 EStG dar.4

4.78

Die in § 4 Abs. 3 KStG genannten Betriebe, die dem Hafenbetrieb dienen, sind ebenfalls Verkehrsbetriebe. Nach der Definition in § 3 Abs. 1 Nr. 3 KStDV 1925 waren Hafenbetriebe solche Betriebe, die dem Güterumschlag oder der Unterhaltung von solchen Anlagen dienen, die zur sicheren und zweckmäßigen Aufnahme von Schiffen bestimmt sind. Es muss sich um einen öffentlichen Hafen handeln. Mittlerweile sind auch Flughafenbetriebe erfasst.5 Zum Betrieb eines Hafens gehört insbesondere die Unterhaltung von Hafenbauten, Kai- und Schleusenanlagen, Stromregulierung, die Kennzeichnung und Offenhaltung des Fährwassers und das Lotsenwesen.6 Nicht erfasst sind Schiffsbau und -reparatur, Schleppen, Bugsieren und Tanken.7

4.79

Betriebe der Daseinsvorsorge können Überschneidungen zu reinen Hoheitsbetrieben im Sinne des Abs. 5 aufweisen. Der BFH geht von einem Vorrang des Abs. 3 aus und stellt fest, dass der Begriff des Hoheitsbetriebs als Ausübung öffentlicher Gewalt in einem gegenüber dem allgemeinen Verwaltungsrecht eingeschränktem Sinne zu verstehen ist und nicht die Daseinsvorsorgebetriebe erfasst.8 d) Der Ausbau des Breitbandnetzes als Versorgungsbetrieb

4.80

Eine neue Problematik stellt sich beim Breitbandausbau. Wird dieser durch die öffentliche Hand vorangetrieben, kann sich die Frage stellen, ob ein Versorgungsbetrieb nach § 4 Abs. 3 KStG entsteht. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund der Anwendbarkeit des § 4 Abs. 6 S. 1 Nr. 3 KStG zur Begründung eines steuerlichen Querverbundes mit der damit verbundenen Möglichkeit zur Verlustverrechnung relevant. Die Anwendbarkeit von § 4 Abs. 3 KStG ließe sich mit einem Verweis auf das BMF-Schreiben vom 12.11.20099 ablehnen, da danach das „Unterhalten eines öffentlichen Telekommunikationsbetriebes“ keinen Versorgungsbetrieb im Sinne des § 4 Abs. 3 KStG darstellt. Schiffers lehnt jedoch zurecht eine Übertragbarkeit dieser Grundsätze auf den aktuell im Fokus stehenden Breitbandnetzbetrieb ab, da die Nutzungsmöglichkeiten der heutigen Breitbandtechnik weit über die des Telekommunikationsnet1 BFH v. 8.11.1989 – I R 187/85, BStBl. II 1990, 242; Kronawitter, Die KSt der Gemeinden und ihrer BgA, S. 160. 2 BFH v. 8.11.1989 – I R 187/85, BStBl. II 1990, 242. 3 BFH v. 10.12.1992 – V R 3/88, BStBl. II 1993, 380. 4 Hierzu das immer noch gültige BMF-Schreiben v. 9.2.1998, BStBl. I 1998, 209; ergänzt durch BMF v. 27.9.2002, BStBl. I 2002, 940; ausführlich Belcke/Westermann, BB 2012, 2473 (2476 f.). 5 H 7 KStH 2008. 6 Bürstinghaus in H/H/R, § 4 KStG Rz. 53; Märtens in Gosch4, § 4 KStG Rz. 87. 7 Pfirrmann in Blümich155, § 4 KStG Rz. 75; Bürstinghaus in H/H/R, § 4 KStG Rz. 53. 8 BFH v. 17.4.1969 – V B 53/68, BStBl. II 1969, 414; BFH v. 15.3.1972 – I R 232/71, BStBl. 1992, 500. 9 BStBl. I 2009, 1303 Rz. 13.

172 | Hinder

A. Die Besteuerung der Betriebe gewerblicher Art nach § 4 KStG | Rz. 4.83 Kap. 4

zes aus dem Jahr 2009 hinausgingen.1 Dies gilt gerade vor dem Hintergrund der Bedeutung des Internets.2

10. Verpachtungsbetriebe im Sinne des § 4 Abs. 4 KStG a) Gesetzliche Ausgangslage § 4 Abs. 4 KStG bestimmt, dass auch die Verpachtung eines Betriebes gewerblicher Art als ebensolcher gilt. Gesetzgeberisches Ziel ist, die Flucht der juristischen Person des öffentlichen Rechts aus der Steuerpflicht durch die Verpachtung des Betriebes (Umgehungsthese3) zu verhindern. Die Verpachtung unterliegt damit dann der Besteuerung, wenn sie eine an sich als BgA steuerpflichtige Betätigung im Rahmen eines Pachtverhältnisses an Dritte überträgt. Die Steuerpflicht greift auch dann ein, wenn die Verpachtung tatsächlich nur reine Vermögensverwaltung darstellt.4

4.81

Verpachtungsobjekt ist ein BgA. Erforderlich ist die Verpachtung eines Inbegriffs von Sachen und Rechten, die, wenn sie dem Pächter eine wirtschaftliche Betätigung gestattet, bei unmittelbarer Ausübung durch die juristische Person des öffentlichen Rechts die Voraussetzungen eines Betriebes gewerblicher Art erfüllen würde.5 Dass die Verpachtungstätigkeit selbst die Voraussetzungen einer Einrichtung erfüllt, ist nicht notwendig.6

4.82

b) Die einzelfallbezogene Betrachtung der Rechtsprechung Die Rechtsprechung ist zu der Frage, was unter einem Verpachtungsbetrieb im Sinne des Abs. 4 zu verstehen ist – mangels Anhaltspunkten in der Norm selbst – kasuistisch ausgefallen. Der BFH stützt sich weitgehend auf die Rechtsprechung des RFH zu den Vorgängernormen im KStG 1925 und 1935.7 Verpachtung i.S.v. § 4 Abs. 4 KStG ist jede entgeltliche Gebrauchs- oder Nutzungsüberlassung von Einrichtungen, Anlagen, Rechten, die in einem BgA organisatorisch zusammengefasst sind.8 Die Verpachtung einzelner Gegenstände oder Rechte genügt nicht.9 Die unentgeltliche Gebrauchsüberlassung begründet ebenfalls keinen Verpachtungsbetrieb, da es an dem Erfordernis der Einnahmeerzielungsabsicht fehlt. Voraussetzung ist auf Seiten des Pächters, dass die verpachteten Wirtschaftsgüter die wesentlichen Grundlagen des Betriebs ausmachen, mit denen der Pächter ohne größere Vorkehrungen einen Gewerbebetrieb ausüben kann.10 Erfordert die Betriebsführung besonderes Inventar, ist die Ver1 Schiffers, DStZ 2019, 79 (84). 2 Schiffers, DStZ 2019, 79 (85). 3 Die Umgehungsthese geht auf die Rechtsprechung des RFH zurück, siehe RFH v. 23.8.1939 – I 143/36, RStBl. 1939, 560; der BFH hat sich dem angeschlossen, siehe BFH v. 13.3.1974 – I R 7/71, BStBl. II 1974, 391; BFH v. 25.10.1989 – V R 111/85, BStBl. II 1990, 868; Bürstinghaus in H/H/R, § 4 KStG Rz. 57. 4 BFH v. 1.8.1979 – I R 106/76, BStBl. II 1979, 716; BFH v. 6.11.1985 – I R 272/81, BFH/NV 1987, 123. 5 BFH v. 13.3.1974 – I R 7/71, BStBl. II 1974, 391, 394. 6 Märtens in Gosch4, § 4 KStG Rz. 91; Bürstinghaus in H/H/R, § 4 KStG Rz. 58. 7 Hidien in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand § 4 Rz. 439. 8 BFH v. 13.3.1974 – I R 7/71, BStBl. II 1974, 391; FG Berlin-Bdb. v. 13.7.2017 – 9 K 11318/15, EFG 2018, 56. 9 RFH v. 28.10.1939 – I 414/38, RStBl. 1940, 60; BFH v. 2.3.1983 – I R 100/79, BStBl. II 1983, 386. 10 BFH v. 25.10.1989 – V R 111/85, BStBl. II 1990, 868; Hidien in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand § 4 Rz. 444.

Hinder | 173

4.83

Kap. 4 Rz. 4.83 | Körperschaftsteuer

pachtung desselben erforderlich.1 Es genügt nicht, wenn der Pächter das Inventar selbst besorgt.

4.84

Die Körperschaftsteuerpflicht tritt neben der Verpachtung eines Betriebes gewerblicher Art gem. § 4 Abs. 1 KStG in drei weiteren Fallgruppen ein: (1) die Verpachtung wesentlicher Betriebsgrundlagen an einen eigenen BgA oder eine Eigengesellschaft im Rahmen einer Betriebsaufspaltung, (2) die gewerbliche Verpachtung gem. § 4 Abs. 1 KStG oder ergänzende gewerbliche Dienstleistungen, (3) die Vermietung oder Verpachtung von Räumlichkeiten, die in einem engen Zusammenhang mit dem ebenfalls verpachteten BgA stehen.2

4.85

Beispiele aus der Rechtsprechung für Verpachtungsbetriebe im Sinne des § 4 Abs. 4 KStG sind: die Verpachtung einer Apotheke mit hauptsächlichem Inventar3, die Verpachtung eines Campingplatzes nebst wesentlicher Einrichtung4, die Verpachtung der Aufzugsanlage eines Fernsehturms5, die Verpachtung einer Gastwirtschaft mit Inventar6, die Verpachtung von Anschlagstafeln, wenn die Körperschaft des öffentlichen Rechts die zusätzlichen Pflichten übernimmt7.

4.86

Ein BgA wurde verneint bei der Verpachtung einzelner Anschlagstafeln8 und eines Grundstücks nach Veräußerung des dort befindlichen Betriebes9.

4.87

Wie bei § 4 Abs. 1 KStG ist auch für den Verpachtungsbetrieb notwendig, dass sich die Betätigung – also die Verpachtung – wirtschaftlich aus der Gesamttätigkeit der juristischen Person heraushebt. Die Beurteilung der Gewichtigkeit erfolgte zunächst nach dem Umfang der Verpachtungstätigkeit und den durch die Verpachtung erzielten Erlösen.10 Diese Betrachtungsweise hat der BFH mittlerweile modifiziert und stellt im Einklang mit dem Zweck der Besteuerung der öffentlichen Hand auf die Wettbewerbsrelevanz des Betriebs des Pächters ab11, woraufhin auch die Finanzverwaltung die qualitative Betrachtung aufgab12.

4.88

Die Verpachtung eines Hoheitsbetriebes begründet keinen Verpachtungs-BgA, da bei unmittelbarem Betrieb durch die juristische Person des öffentlichen Rechts auch kein BgA begründet würde. Selbiges gilt, wenn Gegenstand der Verpachtung ein land- und forstwirtschaftlicher Betrieb ist, die Einkünfte unterliegen der normalen Ertragsbesteuerung. c) Bezuschussung von Verpachtungsbetrieben

4.89

Ein Sonderproblem entsteht bei der Zahlung von Zuschüssen an Verpachtungsbetriebe, insbesondere wenn sie das für die Verpachtung gezahlte Entgelt übersteigen. Nach R 4.3 KStR 1 BFH v. 2.3.1983 – I R 100/79, BStBl. II, 386; Hidien in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand § 4 Rz. 446. 2 Hidien in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand § 4 Rz. 451. 3 BFH v. 14.2.1956 – I 40/55 U, BStBl. III 1956, 105. 4 BFH v. 5.4.1969 – I R 106/66, BStBl. II 1969, 443. 5 BFH v. 13.3.1974 – I R 7/71, BStBl. II 1974, 391. 6 BFH v. 25.10.1989 – V R 111/85, BStBl. II 1990, 868. 7 BFH v. 2.3.1983 – I R 100/79, BStBl. II 1983, 386. 8 BFH v. 6.10.1976 – I R 115/75, BStBl. II 1977, 94. 9 BFH v. 22.7.1964 – I 136/62 U, BStBl. III 1964, 559. 10 BFH v. 24.10.1961 – I 105/60 U, BStBl. III 1961, 552; BFH v. 2.3.1983 – I R 100/79, BStBl. II 1983, 386. 11 Vgl. BFH v. 25.10.1989 – V R 111/85, BStBl. II 1990, 868; BFH v. 1.12.2011 – V R 1/11, BStBl. II 2017, 834. 12 BMF v. 5.10.1990 – IV B 7-S 2706-33/90.

174 | Hinder

A. Die Besteuerung der Betriebe gewerblicher Art nach § 4 KStG | Rz. 4.92 Kap. 4

2015 liegt sowohl umsatz- als auch körperschaftsteuerlich kein Verpachtungs-BgA mehr vor, wenn der Pächter einen Zuschuss mindestens in Höhe der Pacht erhält und zwischen Pacht und Zuschuss eine rechtliche und tatsächliche Verknüpfung besteht. Nach der Finanzverwaltung soll dies auch bei der Überlassung wesentlicher Betriebsgrundlagen an den BgA durch die juristische Person des öffentlichen Rechts gelten.1 Das erhaltene Entgelt und der Zuschuss werden saldiert und somit aufgrund fehlender Einnahmen eine fehlende Steuerbarkeit attestiert. Der BFH hat sich dem angeschlossen. Er lässt aufgrund der Beurteilung anhand wirtschaftlicher Gegebenheiten eine Saldierung zwischen dem erhaltenen Entgelt und dem Zuschuss zu.2 Die Saldierung führe auch nicht zu einer vor Art. 3 Abs. 1 GG nicht zu rechtfertigenden Ungleichbehandlung von Verpachtungsbetrieben und selbstgeführten Betrieben.3 Gewinnerzielungsabsicht sei gerade kein Tatbestandsmerkmal des Betriebes gewerblicher Art, so dass dieser für dessen Fehlen nicht steuerlich schlechter gestellt werden darf.4

4.90

d) Abgrenzung zur Vermögensverwaltung Der Verpachtungsbetrieb muss zur steuerfreien vermögensverwaltenden Tätigkeit einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abgegrenzt werden. Grundsätzlich stellt die reine Beteiligung einer steuerfreien juristischen Person des öffentlichen Rechts an einer Kapitalgesellschaft Vermögensverwaltung im Sinne von § 14 S. 3 AO dar. Ebenso zu bewerten ist es, wenn einzelne Wirtschaftsgüter an einen Dritten überlassen werden, auch wenn es entgeltlich erfolgt und solange keine Betriebsaufspaltung gegeben ist.5 Die Rechtsprechung versucht, die Abgrenzung unter Wahrung des allgemeinen Gleichheitssatzes an die Grundsätze, die bei privater Betätigung gelten, anzupassen. So begründet die Verpachtung eines Hoheitsbetriebes oder unwesentlicher Wirtschaftsgüter keinen BgA. Praktisch relevant wird die Frage z.B. bei Verpachtung einer Mülldeponie im Rahmen der hoheitlichen Abfallentsorgung, der Verpachtung einer Kläranlage im Rahmen der hoheitlichen Abwasserversorgung, der Überlassung von Standplätzen auf städtischen Wochenmärkten gegen Standgelder oder öffentlichen Straßen im Rahmen der Müllentsorgung gegen Sondernutzungsgebühren; sämtliche Fälle behandelt die Finanzverwaltung als steuerfreies hoheitliches Hilfsgeschäft.6

4.91

e) Gewerbliche Betriebsaufspaltung Ebenfalls anwendbar sind die ungeschriebenen Grundsätze der gewerblichen Betriebsaufspaltung.7 Hintergrund dieser Rechtsfigur ist, die Gewerbesteuerpflicht für Einkünfte zu begründen, die isoliert betrachtet Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung darstellen würden.8 Verpachtet eine juristische Person des öffentlichen Rechts wesentliche Wirtschaftsgüter an eine von ihr beherrschte, weitere juristische Person oder an einen eigenen BgA, kann ein Ver1 OFD Nds. v. 13.1.2011, S2706 290 – St 241. 2 BFH v. 10.12.2019 – I R 58/17, BFHE 271, 514. 3 Im Schrifttum ist dies sehr umstritten, siehe Baldauf, DStZ 2010, 526; Vochsen, DStZ 2011, 364; Döring in Schnitger/Fehrenbacher2, § 4 KStG Rz. 144; Noack, UR 2016, 217; Belcke/Westermann, BB 2016, 1689. 4 Hidien in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand § 4 Rz. 443. 5 BFH v. 13.3.1974 – I R 7/71, BStBl. II 1974, 391; Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 114.1. 6 Aufzählung bei Hidien in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand § 4 Rz. 454 m.w.N. 7 BFH v. 14.3.1984 – I R 223/80, BStBl. II 1984, 496. 8 Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 115.

Hinder | 175

4.92

Kap. 4 Rz. 4.92 | Körperschaftsteuer

pachtungsbetrieb im Sinne des § 4 Abs. 4 KStG begründet werden. Wesentliche Betriebsgrundlagen eines Betriebes sind vor allem Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens, die zur Erreichung des Betriebszweckes erforderlich sind und ein besonderes wirtschaftliches Gewicht für die Betriebsführung bei der Betriebsgesellschaft haben.1 Probleme entstehen nach einer Betriebsaufspaltung bei der Einkommensermittlung, wenn man mit der Rechtsprechung die juristische Person als Steuersubjekt behandelt. Hier wird daher eine Ausnahme gemacht und der BgA zum Zweck der Einkommensermittlung verselbständigt.2

4.93

Beispiele aus der Rechtsprechung für einen BgA aufgrund einer Betriebsaufspaltung sind Lagerräume und Werkstätten, die eine Stadt ihrem Wasserwerk vermietete.3 Weitere Beispiele sind ein Brunnen für die Wasserentnahme durch das gemeindliche Wasserwerk4, Forschungsergebnisse einer Universität, die der von ihr gegründeten Verwertungs-GmbH überlassen wurden5 oder Standflächen für Müllcontainer auf öffentlichen Straßen6.

4.94

Auf Rechtsfolgenseite nimmt die Rechtsprechung eine Modifikation der bekannten Folgen der Betriebsaufspaltung vor. Die verpachteten Wirtschaftsgüter sind steuerlich dem Betriebsvermögen des Betriebes gewerblicher Art zuzurechnen, nicht der juristischen Person. Dies führt dazu, dass Mietverträge über diese Wirtschaftsgüter zwischen den beteiligten Parteien nicht anerkannt werden, sondern eine vGA des Betriebes gewerblicher Art an seine Trägerkörperschaft darstellen.7

4.95

Nicht anwendbar sind die Grundsätze der Betriebsaufspaltung, wenn sowohl der BgA als auch die Betriebsgesellschaft nach §§ 51 ff. AO als gemeinnützig anerkannt sind, AEAO zu § 64 Rz. 3. f) Die Beendigung des Verpachtungsbetriebes

4.96

Der Verpachtungs-BgA wird nach allgemeinen Grundsätzen beendet. Wichtige Fälle sind die Veräußerung des Betriebes oder die Aufgabe und Einstellung der betrieblichen Tätigkeit. Die Aufgabe des Verpachtungsbetriebes setzt die tatsächliche Einstellung der Verpachtungstätigkeit als solcher oder die Veräußerung des Verpachtungsbetriebes voraus.8

4.97

Die Thematik des Breitbandausbaus betrifft auch die Verpachtungsbetriebe. Werden durch eine Gebietskörperschaft im Rahmen des sog. Betreibermodells Leerrohre sowie Glasfaserkabel und die erforderlichen technischen Anlagen übernommen und dann verpachtet, begründet dies nach § 4 Abs. 4 KStG einen Verpachtungs-BgA.9

III. Abgrenzung zu Hoheitsbetrieben im Sinne des § 4 Abs. 5 KStG 1. Gesetzliche Ausgangslage 4.98

Nach § 4 Abs. 5 KStG sind Betriebe, die überwiegend der Ausübung öffentlicher Gewalt dienen (Hoheitsbetriebe), keine BgA. BgA und Hoheitsbetrieb schließen sich gegenseitig 1 2 3 4 5 6 7 8 9

BFH v. 18.8.2009 – X R 20/06, BStBl. II 2010, 222. BFH v. 12.10.1978 – I R 149/75, BStBl. II 1979, 193. BFH v. 13.3.1984 – I R 223/80, BStBl. II 1984, 496. BFH v. 24.4.2002 – I R 20/01, BStBl. II 2003, 412. BFH v. 6.11.1991 – XI R 12/87, BStBl. II 1992, 415. BFH v. 6.11.2007 – I R 72/06, BStBl. II 2009, 246. Hidien in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand § 4 Rz. 462. BFH v. 1.8.1979 – I R 106/67, BStBl. II 1079, 716; Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 347. Schiffers, DStZ 2019, 79 (83).

176 | Hinder

A. Die Besteuerung der Betriebe gewerblicher Art nach § 4 KStG | Rz. 4.101 Kap. 4

aus.1 Die Norm hat klarstellende Funktion, da sich die Nichteinbeziehung von Hoheitsbetrieben schon daraus ergibt, dass diese keiner wirtschaftlichen Betätigung nachgehen.2 Eine dem Hintergrund der Besteuerung zugrunde liegende Wettbewerbssituation zu Privaten besteht daher nicht und damit auch kein Interesse an einer Besteuerung dieser hoheitlichen Tätigkeiten. Die Rechtsprechung prüft das Vorliegen eines Hoheitsbetriebes als Negativmerkmal beim Vorliegen eines Betriebes gewerblicher Art.3 Eine hoheitliche Tätigkeit liegt vor, wenn die juristische Person des öffentlichen Rechts öffentliche-rechtliche Aufgaben erfüllt, die aus der Staatsgewalt abgeleitet sind und staatlichen Zwecken dienen.4 Die Abgrenzung zwischen Hoheitsbetrieb und BgA ist eine der umstrittensten Fragen im Recht der Besteuerung der öffentlichen Hand. Sie erfolgt nach dem Inhalt der Tätigkeit und danach, ob sich die öffentliche Hand in wettbewerbsrelevanter Weise betätigt. Aufhänger ist die „Ausübung öffentlicher Gewalt“ in § 4 Abs. 5 S. 1 KStG.

4.99

2. Die „Ausübung öffentlicher Gewalt“ als wesentliches Abgrenzungsmerkmal „Ausübung öffentlicher Gewalt“ ist ein unbestimmter Rechtsbegriff. Sinn und Zweck der Norm ist die Steuerfreistellung der genuin staatlichen Tätigkeit. Die Abgrenzung hat nach dem Gesamtbild der konkreten Betätigung und der tatsächlichen Verhältnisse zu erfolgen.5 Der RFH entwickelte zur Abgrenzung die auch heute noch verwendete sog. Vorbehaltsformel. Danach erfolgt ein Akt in Ausübung öffentlicher Gewalt, wenn ein Gegenstandsbereich zu den dem Staat eigentümlichen und ihm wegen der Art der ausgeübten Tätigkeit ausschließlich vorbehaltenen Aufgaben gehört.6 Der BFH übernahm die ständige Rechtsprechung des RFH.7

4.100

Kennzeichnend für die Ausübung öffentlicher Gewalt ist die Erfüllung originär öffentlichrechtlicher Aufgaben. Diese dienen lediglich hoheitlich-staatlichen Zwecken und haben daher keine Wettbewerbsrelevanz. Neben der Vorbehaltsformel bezieht die Rechtsprechung weiterhin in die Beurteilung ein, ob die juristische Person des öffentlichen Rechts Aufgaben übernimmt, die auch von Dritten im Bereich der privatunternehmerischen Berufs- und Gewerbeausübung ausgeübt werden können und die öffentliche Hand damit in einen potenziellen Wettbewerb mit diesen tritt. Ist dies der Fall, ist die Ausübung öffentlicher Gewalt ausgeschlossen. Zu beobachten ist eine neuere Rechtsprechungstendenz, nach der eine Differenzierung danach erfolgt, ob die Tätigkeit der juristischen Person des öffentlichen Rechts auf Grundlagen basiert, die öffentlich-rechtlichen Charakter haben.8 Da in die Beurteilung auch

4.101

1 Alvermann in Streck10, § 4 KStG Rz. 40; Bürstinghaus in H/H/R, § 4 KStG Rz. 72. 2 Vgl. Hidien in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand § 4 Rz. 144 m.w.N. 3 BFH v. 21.9.1989 – V R 89/85, BStBl. II 1990, 95; BFH v. 25.1.2005 – I R 63/03, BStBl. II 2005, 501; nach Bürstinghaus in H/H/R, § 4 KStG Rz. 70 stellt die Norm dagegen nach ihrem Sinn und Zweck lediglich eine Regelung der Überwiegensfälle dar, nicht aber ein eigenes negatives Tatbestandsmerkmal. 4 BFH v. 21.11.1967 – I 274/64, BStBl. II 1968; BFH v. 25.1.2005 – I R 63/03, BStBl. II 2005, 501; Heger, FR 2009, 301 (305). 5 BFH v. 22.9.1976 – I R 102/74, BStBl. II 1976, 793; Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 124. 6 RFH v. 10.9.1926 – V A 94/26, RFHE 19, 294 (296). 7 BFH v. 12.12.1951 – I 95/51, BStBl. II 1952, 41; BFH v. 25.1.2005 – I R 63/03, BStBl. II 2005, 501 und BFH v. 3.2.2010 I R 8/09, BStBl. II 2010, 502 m.w.N. 8 BFH v. 27.2.2003 – V R 78/01, BStBl. II 2004, 431; BFH v. 15.4.2010 – V R 10/09, BStBl. II 2017, 863; BFH v. 10.2.2016 – XI R 26/13, BStBl. II 2017, 857; BFH v. 3.8.2017 – V R 62/16, BFHE 259, 380.

Hinder | 177

Kap. 4 Rz. 4.101 | Körperschaftsteuer

landesrechtliche Normen einfließen, kann die Entscheidung je nach Bundesland verschiedentlich ausfallen.1

4.102

Beispielhaft hierfür ist das Abschleppen von auf der Busspur abgestellten Fahrzeugen durch die öffentlich-rechtliche Körperschaft. Wird der Nahverkehr in einem Bundesland jedoch durch ein privatrechtlich organisiertes Unternehmen ausgeführt, könnte in dem Abschleppen zunächst ein rein privatrechtlicher Vorgang gesehen werden, der auch den Regelungen des Privatrechts unterliegt. In Berlin ist durch § 23 Abs. 1 des Berliner Mobilitätsgesetz die Überwachung des ruhenden Verkehrs zur Abwehr von Gefahren, die von einer den Verkehrsregeln oder Verkehrszeichen widersprechenden Nutzung der Verkehrsflächen des ÖPNV ausgehen, den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) übertragen. Nach § 23 Abs. 2 ist die BVG darüber hinaus berechtigt, Fahrzeuge zur Räumung von Bussonderfahrstreifen, Haltestellenbereiche und Straßenbahngleisen umzusetzen. Durch das Landesgesetz wird daher die Ausübung der Überwachung der Verkehrsflächen zu einer Aufgabe mit öffentlich-rechtlichem Charakter.

4.103

Entsprechend der Wettbewerbsgleichheit darf der Begriff der Ausübung öffentlicher Gewalt nicht zu weit verstanden werden. Hierdurch würde der steuerfreie Bereich bedenklich weit ausgedehnt und es drohten Wettbewerbsverzerrungen. Auf der anderen Seite darf das Verständnis vor dem Hintergrund der notwendigen staatlichen Aufgabenerfüllung nicht zu eng sein. Der Begriff ist durch die Rechtsprechung des BFH in einen Gegensatz zum allgemeinen Verwaltungsrecht gestellt worden und nicht jede Ausübung der öffentlichen Gewalt im Allgemeinen als Hoheitsbetrieb behandelt worden.2

4.104

Praktisch hilfreich zur Abgrenzung ist es, sich zunächst beide klar abgrenzbaren Außenbereiche zu vergegenwärtigen. Auf der einen Seite ist unbestritten, dass die rein erwerbswirtschaftliche Fiskaltätigkeit der öffentlichen Hand keinen Hoheitsbetrieb, sondern nur einen BgA begründen kann.3 Dagegen ist die klassische Hoheitsverwaltung nicht geeignet, einen BgA zu begründen, da in diesen Fällen aufgrund der hoheitlichen Handlungsformen, die durch Befehl und Zwang gekennzeichnet sind, schon keine Wettbewerbssituation besteht, welche die Besteuerung rechtfertigen würde. Pflichtaufgaben, die ausschließlich der juristischen Person des öffentlichen Rechts zugewiesen sind und daher nicht durch private Unternehmer ausgeübt werden dürfen, sind immer hoheitlich.4

3. Mischfälle 4.105

Probleme wirft die Mischzone zwischen hoheitlicher und wirtschaftlicher Tätigkeit vor allem im Bereich der Leistungsverwaltung auf. Während noch das KStG 1925 und die darauf bezogene KStDV 1926 von der vollständigen Steuerfreiheit der Mischbetriebe ausgingen, wurde bereits im KStG 1934 die Steuerfreiheit für Versorgungsbetriebe aus dem Gesetz gestrichen. Heute bereitet vor allem die Abgrenzung innerhalb der gemischten Tätigkeiten Probleme.

4.106

Auch diese Fälle sind unter Beachtung des Wettbewerbstelos einzelfallbezogen zu betrachten.5 Folgerichtig stellt der BFH mittlerweile die Vorbehaltsformel unter einen sog. Wettbewerbs1 Bürstinghaus in H/H/R, § 4 KStG Rz. 72; zur Auslegung nach Landesrecht BFH v. 25.1.2005 – I R 63/03, BStBl. II 2005, 501; BFH v. 12.7.2012 – I R 106/10, BStBl. II 2012, 837. 2 BFH v. 15.3.1972 – I R 232/71, BStBl. II 1973, 500; BFH v. 28.1.1988 – V R 112/86, BStBl. II 1988, 473. 3 Hidien in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand § 4 Rz. 633. 4 Heger, FR 2009, 301 (305). 5 BFH v. 23.10.1996 – I R 1-2/94, BStBl. II 1997, 139; Hidien in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand § 4 Rz. 636.

178 | Hinder

A. Die Besteuerung der Betriebe gewerblicher Art nach § 4 KStG | Rz. 4.107 Kap. 4

vorbehalt und fragt, ob sich die Tätigkeit der juristischen Person des öffentlichen Rechts in ihrem Inhalt von der Tätigkeit privater Unternehmen wesentlich unterscheidet.1 Ist eine Tätigkeit geeignet, den Wettbewerb im Einzelfall zu beeinträchtigen, ist ein BgA anzunehmen. Annäherungsweise wird zunächst darauf abgestellt, ob die Aufgabe auch von Personen des Privatrechts ausgeübt werden könnte und die öffentliche Hand dadurch in einen tatsächlichen oder potentiellen Wettbewerb zu privatwirtschaftlichen Unternehmen tritt. Dies hat den Hintergrund, dass die Tätigkeit der öffentlichen Hand bereits dann Wettbewerbsrelevanz erlangt, wenn für Private der Marktzugang erschwert wird.2 Entscheidend sei, dass sich die Tätigkeit nach ihrem Inhalt nicht wesentlich von der Tätigkeit eines privaten gewerblichen Unternehmens unterscheidet3, dann sei die Tätigkeit der öffentlichen Hand nicht mehr vorbehalten. Es bleibt also die Feststellung, dass der BFH mit einer wettbewerbspolitisch modifizierten Vorbehaltsformel arbeitet4, die aber dennoch Raum für den Einzelfall lässt. Kernpunkt der Abgrenzung ist nach der Vorbehaltsformel der Begriff der öffentlichen Aufgabe. Öffentliche Aufgaben sind alle Aufgaben, die im öffentlichen Interesse liegen. Diese für Besteuerungszwecke zu weit gehende Definition ist durch den BFH konkretisiert worden, der mehrere Merkmale entwickelt hat, bei deren Vorliegen die Annahme einer nicht steuerpflichtigen Betätigung nach § 4 Abs. 5 KStG zumindest indiziert ist.5 So setzt die Annahme einer aus der Staatsgewalt abgeleiteten öffentlich-rechtlichen Aufgabe eine öffentlich-rechtliche Grundlage der Tätigkeit voraus, d.h. diese muss durch Gesetz, Verordnung oder Gewohnheitsrecht zugewiesen sein.6 Nicht genügen soll, dass die Zuweisung der Tätigkeit der öffentlichen Hand im Interesse des Gemeinwohls erfolgt.7 Ein Anhaltspunkt für die Ausübung öffentlicher Gewalt ist es, wenn die juristische Person des öffentlichen Rechts innerhalb der eigens für sie geltenden öffentlich-rechtlichen Regelungen hoheitlich tätig wird und die Modalitäten durch eigene Sonderregelungen bestimmt sind.8 Die Sonderregelungen müssen sich insbesondere auf die Modalitäten der Tätigkeitsausübung beziehen. Relevant sind insbesondere Regelungen wie das Genehmigungsrecht, das mit Überwachungs-, Prüfungs- und Sanktionsbefugnissen verbunden ist, die privaten Wirtschaftsteilnehmern nicht zustehen.9 Im Umkehrschluss kann keine Ausübung öffentlicher Gewalt mehr vorliegen, wenn die öffentliche Hand unter den gleichen rechtlichen Bedingungen wie private Wirtschaftsteilnehmer handelt, in diesem Fall liegt keine Betätigung mehr vor, die nur von der öffentlichen Hand ausgeführt werden kann. Umstritten ist die Frage, ob für die Wettbewerbsbeurteilung auf den konkreten lokalen Markt10 oder auf einen abstrakt-generellen, länderübergreifenden Markt11 abzustellen ist. Ein 1 BFH v. 14.3.1990 – I R 156/87, BStBl. II 1990, 866; BFH v. 3.2.2010 – I R 8/09, BStBl. II 2010, 502; BFH v. 12.7.2012 – I R 106/10, BStBl. II 2012, 837. 2 BFH v. 27.2.2003 – V R 78/01, BStBl. II 2004, 431; Märtens in Gosch4, § 4 KStG Rz. 109. 3 BFH v. 3.2.2010 – I R 8/09, BStBl. II 2010, 502. 4 So Hidien in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand § 4 Rz. 659. 5 Hierzu Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 123. 6 BFH v. 15.3.1972 – I R 232/71, BStBl. II 1972, 500; BFH v. 8.1.1998 – V R 32/97; BStBl. II 1998, 410. 7 BFH v. 21.9.1989 – V R 89/85, BStBl. II 1990, 95. 8 BFH v. 9.10.2002 – V R 64/99, BStBl. II 2003, 375; BFH v. 15.4.2010 – V R 10/09, BFH/NV 2010, 1574; BFH v. 10.2.2016 – XI R 26/13, BStBl. II 2017, 857. 9 Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 123. 10 So BFH v. 27.2.2003 – V R 78/01, BStBl. II 2004, 431; BFH v. 29.10.2008 – I R 51/07, BStBl. II 2009, 1022. 11 So EuGH v. 16.9.2008 – C-288/07, Isle of Wight Council u.a., Slg. 2008, I-7203; BMF v. 27.11.2000 – IV C 6-S 0183-22/00, DStR 2000, 2132; zur Umsatzsteuer ebenso BFH v. 1.12.2011 – V R 1/11, BFH/NV 2012, 534; BFH v. 10.11.2011 – V R 41/10, BFH/NV 2012, 670.

Hinder | 179

4.107

Kap. 4 Rz. 4.107 | Körperschaftsteuer

differenzierter Ansatz aus der Literatur spricht sich grundsätzlich für eine länderübergreifende Betrachtung aus, verneint aber einen BgA, wenn der lokale Markt eine potenzielle Wettbewerbssituation mit in- und ausländischen Unternehmen insgesamt ausschließt.1

4.108

Für die Annahme eines Hoheitsbetriebes genügt es nicht, dass sich die Tätigkeit dem öffentlichen Recht zuordnen lässt.2 Die Wahl einer öffentlich-rechtlichen Handlungsform ist lediglich ein Indiz für die Ausübung öffentlicher Gewalt, während die Tätigkeit in privatrechtlicher Form ein Indiz für einen BgA darstellt.3 Einschränkend ist aber festzuhalten, dass die Verwendung privatrechtlicher Handlungsformen nicht ohne weitere Anhaltspunkte zur Verneinung eines Hoheitsbetriebes führen darf.

4. Die Aufgabenübertragung auf Dritte 4.109

Die juristische Person des öffentlichen Rechts darf sich zu ihrer Aufgabenerfüllung privater Dritter bedienen, wenn die Aufgabe nicht mit pflichtbefreiender Wirkung übertragen wird, z.B. im Wege der Beleihung.4 Ebenso steht der Annahme eines Hoheitsbetriebes nicht entgegen, dass die öffentliche Aufgabe mithilfe Beliehener oder Erfüllungsgehilfen erfüllt wird, insbesondere wenn ein öffentlich-rechtlicher Benutzungszwang besteht und die Aufgabe nur von der juristischen Person oder von Beliehenen erbracht werden kann.5 Zwischen dem Beliehenen und der juristischen Person des öffentlichen Rechts darf aber kein Wettbewerb bestehen und der Benutzungszwang den Leistungsempfänger zur Abnahme verpflichten.6 Beispielsfälle sind § 3 Abs. 2 AbfG und § 16 Abs. 1 KrW-/AbfG.7 Offen sind Fälle, in denen die Aufgabe mit befreiender Wirkung auf Dritte delegiert werden kann. Das BMF nimmt in diesen Fällen einen BgA an.8

4.110

Besonderheiten gibt es bei der „Amtshilfe“ oder auch „Beistandsleistung“. Bei der Amtshilfe im engeren Sinne nach Art. 35 GG und § 4 VwVfG kann die Behörde die Handlung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht selbst oder nur mit wesentlich größerem Aufwand ausführen. Diese rechnet zur hoheitlichen Tätigkeit und begründet keinen BgA, wenn die Förderung öffentlich-rechtliche Ziele verfolgt und sich nicht als Ausfluss eines organisatorischen Unterordnungsverhältnisses darstellt sowie die hilfeleistende Behörde ohne Beeinträchtigung ihres Aufgabenteils tätig werden kann.9

5. Sonderregelung in § 4 Abs. 5 S. 2 KStG 4.111

Mit § 4 Abs. 5 S. 2 KStG, nach dem für die Annahme eines Hoheitsbetriebs Zwangs- oder Monopolrechte nicht ausreichen, stellt der Gesetzgeber klar, dass der Annahmezwang ledig1 2 3 4 5 6 7 8 9

Heger, FR 2009, 301; Märtens in Gosch4, § 4 KStG Rz. 110. BFH v. 2.3.1983 – I R 100/79, BStBl. II 1983, 386. Hidien in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand § 4 Rz. 650. BMF v. 11.12.2009, DStR 2009, 2680; Bürstinghaus in H/H/R, § 4 KStG Rz. 73. BFH v. 25.1.2005 – I R 63/03, BStBl. II 2005, 501; Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 124.1; Bürstinghaus in H/H/R, § 4 KStG Rz. 73. BFH v. 29.10.2008 – I R 51/07, BStBl. II 2009, 1022; Märtens in Gosch4, § 4 KStG Rz. 110; anders BMF v. 11.12.2009, DStR 2009, 2680; Krämer in D/P/M, § 4 KStG Rz. 88, 93. Siehe BFH v. 23.10.1996 – I R 1-2/94, BStBl. II 1997, 139; Bürstinghaus in H/H/R, § 4 KStG Rz. 73. BMF v. 11.12.2009, DStR 2009, 2680 Rz. 47; zustimmend Krämer in D/P/M, § 4 KStG Rz. 90; Bürstinghaus in H/H/R, § 4 KStG Rz. 73. BFH v. 12.12.1968 – V 213/65, BStBl. II 1969, 280; Pfirrmann in Blümich155, § 4 KStG Rz. 93.

180 | Hinder

A. Die Besteuerung der Betriebe gewerblicher Art nach § 4 KStG | Rz. 4.115 Kap. 4

lich ein bedeutsames Indiz für einen Hoheitsbetrieb darstellt.1 Entscheidend ist daher, ob die juristische Person des öffentlichen Rechts mit Monopolstellung in Ausübung öffentlicher Gewalt tätig wird, also der Erfüllung öffentlicher Aufgaben dient.2

6. Die Kriterien der Finanzverwaltung Die Finanzverwaltung hat ihre Kriterien zur Abgrenzung im Schreiben vom 11.12.2009 in Reaktion auf die BFH-Entscheidung vom 29.10.20083 veröffentlicht.4 Im Grundsatz wendet danach auch die Finanzverwaltung die Vorbehaltsformel an. Kennzeichnend für einen Hoheitsbetrieb sei weiterhin die Erfüllung spezifisch öffentlich-rechtlicher Aufgaben, die aus der Staatsgewalt abgeleitet sind, staatlichen Zwecken dienen und zu deren Annahme der Leistungsempfänger auf Grund gesetzlicher oder behördlicher Anordnung verpflichtet ist.5 Diese Grundsätze haben auch die KStR 2015 übernommen. Die Ausübung öffentlicher Gewalt kann nach R 4.4 Abs. 1 S. 1 KStR 2015 insbesondere anzunehmen sein, wenn es sich um Leistungen handelt, zu deren Annahme der Leistungsempfänger aufgrund gesetzlicher oder behördlicher Anordnungen verpflichtet ist. Die Wettbewerbskomponente ist in R 4.1 Abs. 5 S. 5 KStR 2015 festgeschrieben, wonach eine juristische Person nur dann steuerpflichtig sei, wenn sie „mit ihrer Tätigkeit zu anderen Unternehmen unmittelbar in Wettbewerb tritt“. Die Finanzverwaltung arbeitet anhand der von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien, ohne einen eigenen Ansatz zu verfolgen.

4.112

Das BMF differenziert zwischen zwei Ausgangskonstellationen. Im ersten Fall ist die Aufgabe der juristischen Person des öffentlichen Rechts ausschließlich zugewiesen und wird durch diese erfüllt. Dann liege eine eigentümliche und vorbehaltene Tätigkeit der öffentlichen Hand vor, wenn zugleich ein öffentlich-rechtlicher Benutzungszwang besteht. Der zweite Fall betrifft die Aufgabenübertragung und -erfüllung durch Dritte. Hier liegt grundsätzlich ein BgA vor, wenn die Aufgabe an den privaten Dritten übertragen werden darf. Ein Hoheitsbetrieb ist dagegen in diesen Fällen gegeben, wenn die Aufgabe an einen anderen Hoheitsträger übertragen wurde, der private Dritte lediglich als Erfüllungsgehilfe tätig wird oder die Übertragung nur im Wege der Beleihung möglich ist.6

4.113

Die Grundsätze der Finanzverwaltung wurden von der Finanzverwaltung NW in einer online abrufbaren Arbeitshilfe7 zusammengefasst, die auch ein ABC der steuerbaren Tätigkeiten sowie ein Prüfungsschema enthält. Beispielsfälle für Betriebe nach § 4 Abs. 5 KStG sind die Finanzverwaltung, Zoll, Bundeswehr, Polizei, Friedhöfe, Schlachthöfe in Gemeinden mit Schlachtzwang, Anstalten zur Lebensmitteluntersuchung oder zur Straßenreinigung sowie zur Abwasserabfuhr und Müllentsorgung.8

4.114

Dem hoheitlichen Bereich zuzuordnen sind auch Hilfsgeschäfte nach R 4.4 Abs. 2 S. 1 KStR 2015, wenn diese in Art und Ausmaß keinem gewerblich tätigen Unternehmen entsprechen.

4.115

1 2 3 4 5

Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 120. BFH v. 23.10.1996 – I R 1-2/94, BStBl. II 1997, 139. BFH v. 29.10.2008 – I R 51/07, BStBl. II 2009, 1022. BStBl. I 2009, 1597. In Anlehnung an die ständige Rechtsprechung, siehe BFH v. 29.10.2008 – I R 51/07, BStBl. II 2009, 1022; BFH v. 3.4.2012 – I R 22/11, BFH/NV 2012, 1334; BFH v. 12.7.2012 – I R 106/10, BStBl. II 2012, 837. 6 So Hidien in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand § 4 Rz. 756. 7 https://www.finanzverwaltung.nrw.de/sites/default/files/asset/document/besteuerung_der_juristi schen_personen_des_oeffentlichen_rechts_arbeitshilfe.pdf. 8 Bürstinghaus in H/H/R, § 4 KStG Rz. 74.

Hinder | 181

Kap. 4 Rz. 4.115 | Körperschaftsteuer

Beispiel ist nach R 4.4 Abs. 2 S. 1 KStR die Verwertung bzw. Veräußerung von Material oder Gegenständen aus dem hoheitlichen Bereich der juristischen Person des öffentlichen Rechts.

IV. Steuerlicher Querverbund im Sinne des § 4 Abs. 6 KStG 1. Gesetzliche Ausgangslage 4.116

Die Vorschrift des § 4 Abs. 6 KStG regelt die Zusammenfassung mehrerer BgA. Außerhalb der Voraussetzungen des Abs. 6 ist keine Zusammenfassung möglich. Die Norm wurde durch das JStG 2009 auf Grundlage der Rechtsprechung des BFH in das Gesetz eingefügt. Das Einkommen jedes Betriebes ist dabei gesondert zu ermitteln und für jeden unterhaltenen Betrieb gesondert festzulegen. Durch die Zusammenfassung mehrerer Betriebe im steuerlichen Querverbund wird diese Trennung aufgehoben und eine Verrechnung der Gewinne und Verluste der einzelnen Betriebe möglich gemacht. Die getrennte Erfassung dient dem Wettbewerbsgedanken und dem Gedanken der Wettbewerbsneutralität. Die Zusammenfassung mehrerer Betriebe erfordert, dass der Besteuerungszweck nicht unterlaufen wird.

4.117

Jeder einzelne Betrieb muss eine eigene Einrichtung darstellen, die dann durch den Zusammenschluss organisatorisch vereinigt werden.1 Die Möglichkeit der Zusammenfassung steht der juristischen Person des öffentlichen Rechts kraft ihrer Befugnis zu, im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben die organisatorischen Maßnahmen hinsichtlich ihrer BgA so zu treffen, wie sie es für zweckmäßig hält.2 Um die Wettbewerbsneutralität zu schützen, kann ein Zusammenschluss versagt werden, wenn er vorwiegend steuerliche Motive verfolgt.3 Die praktische Bedeutung des steuerlichen Querverbunds ist enorm. Gerade die Verrechnung der Verluste von dauerdefizitären Betrieben im Querverbund hat auf kommunaler Ebene eine hohe wirtschaftliche Bedeutung.4

2. Bäderrechtsprechung des BFH 4.118

Die Voraussetzungen des Zusammenschlusses wurden vom BFH in der sog. Bäderrechtsprechung5 konkretisiert, auf der auch die gesetzliche Regelung in § 4 Abs. 6 KStG fußt. Die Regelung wurde durch das JStG 2009 mit Wirkung ab VZ 2009 in das Gesetz eingefügt und dient der Absicherung des sog Querverbundes, der durch einige BFH-Entscheidungen in Frage gestellt wurde.6

3. Die einzelnen Zusammenfassungsvoraussetzungen a) Einführung

4.119

Die Zusammenfassung setzt nach der gesetzlichen Regelung nunmehr voraus, dass die BgA gleichartig sind (Nr. 1), BgA im Sinne des § 4 Abs. 3 KStG vorliegen (Nr. 2) oder zwischen den Betrieben nach dem Grundsatz der tatsächlichen Verhältnisse objektiv eine enge wechselseitige technisch-wirtschaftliche Verflechtung von einigem Gewicht besteht (Nr. 3). 1 Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 140.1. 2 BFH v. 10.5.1955 – I 131/53 U, BStBl. III 1955, 210; BFH v. 14.7.2004 – I R 9/03, BFH/NV 2004, 1689. 3 Vgl. schon RFH v. 23.2.1937 – I A 62/37, RStBl. 1937, 966. 4 Hüttemann, DB 2009, 2629 (2630), schätzt das Entlastungsvolumen auf 1,5 Mrd. Euro pro Jahr. 5 Grundlegend BFH v. 20.3.1956 – I 317/5 U, BStBl. III 1956, 166. 6 Hierzu Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 141.2.

182 | Hinder

A. Die Besteuerung der Betriebe gewerblicher Art nach § 4 KStG | Rz. 4.123 Kap. 4

Nach neuerer Verwaltungsauffassung1 setzt die Zusammenfassung nicht mehr voraus, dass die BgA durch die juristische Person des öffentlichen Rechts organisatorisch zusammengefasst werden. Dies entspricht jedoch nicht der bisherigen Rechtsprechungslinie2, weshalb abzuwarten sein wird, wie sich dieses Kriterium weiter entwickelt. Nach Bott spricht die organisationsrechtliche Zusammenfassung zumindest für die Ausübung des für steuerliche Zwecke beachtlichen Wahlrechts.3 Die Verwaltung lässt dagegen eine eigenständige steuerliche Gewinnermittlung für den zusammengefassten BgA genügen.4

4.120

§ 4 Abs. 6 S. 2 KStG stellt noch einmal fest, dass die Zusammenfassung und der Verlustausgleich nicht möglich sind, wenn ein Hoheitsbetrieb involviert ist. Eine Zusammenfassung außerhalb der in § 4 Abs. 6 KStG normierten Voraussetzungen ist nicht möglich.

4.121

§ 4 Abs. 6 S. 1 Nr. 1 KStG regelt die Zusammenfassung mehrerer gleichartiger Betriebe, die jeweils für sich die Voraussetzungen einer wirtschaftlich selbständigen Einrichtung im Sinne des § 4 Abs. 1 KStG erfüllen. Gleichartig sind die Betätigungen, wenn sich die Betriebszwecke gleichen oder sie im gleichen Gewerbezweig ausgeübt werden.5 Unerheblich ist es, ob die Betriebe eine räumliche Nähe aufweisen.6 Die Zusammenfassung nach § 4 Abs. 6 S. 1 Nr. 1 KStG ist zu unterscheiden von der bloßen Bündelung von Tätigkeiten (R 4.1 Abs. 3 S. 3 KStR 2015). Diese kann, wenn durch die Bündelung eine organisatorische Einheit entsteht, zur Begründung eines einheitlichen Betriebes gewerblicher Art nach § 4 Abs. 1 KStG führen.7

4.122

b) Die Zusammenfassung von mehreren Betrieben gewerblicher Art Es ist auch möglich, bereits zusammengefasste Betriebe mit einem weiteren BgA nach § 4 Abs. 6 S. 1 Nr. 1 KStG zusammenzufassen. Dies setzt wiederum voraus, dass die Tätigkeiten gleichartig sind.8 Eine weitere Zusammenfassung nach Nr. 1 kann auch bei bereits nach Nr. 2 oder Nr. 3 verbundenen Betrieben erfolgen. Maßgeblich ist, welche Tätigkeit dem zusammengefassten BgA das Gepräge gibt.9 Diese Tätigkeit und die Tätigkeit des neuen zusammengeschlossenen Betriebes gewerblicher Art müssen gleichartig sein.10 Möglich ist auch die Zusammenfassung mehrerer Versorgungsbetriebe im weiteren Sinne. Versorgungsbetriebe (Strom, Elektrizität, Wasser) sind gleichartige Betriebe. Die Finanzverwaltung vertritt eine andere Auffassung. Versorgungs- und Verkehrsbetriebe seien nicht bereits deshalb gleichartig, weil sie in § 4 Abs. 3 KStG genannt würden.11 Eine Zusammenfassung dieser sei daher nur nach § 4 Abs. 6 S. 1 Nr. 3 KStG möglich.

1 BMF v. 12.11.2009 – IV C 7-S 2706/08/10004 Rz. 1. 2 BFH v. 11.2.1997 – I R 161/94, BFH/NV 1997, 625; BFH v. 17.5.2000 – I R 50/98, BStBl. II 2001, 558. 3 Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 142. 4 BMF v. 12.11.2009 – IV C 7-S 2706/08/10004 Rz. 3; entgegen BFH v. 4.9.2002 – I R 42/01, BFH/ NV 2003, 511. 5 BFH v. 4.9.2002 – I R 42/01, BFH/NV 2003, 511; Bürstinghaus in H/H/R, § 4 KStG Rz. 82. 6 Pfirrmann in Blümich155, § 4 KStG Rz. 102; Bürstinghaus in H/H/R, § 4 KStG Rz. 82. 7 Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 147; Eversberg/Baldauf, DStZ 2010, 359 (361). 8 BMF v. 12.11.2009 – IV C 7-S 2706/08/10004 Rz. 6. 9 Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 147.2.2. 10 BMF v. 12.11.2009 – IV C 7-S 2706/08/10004 Rz. 6; einen solchen Fall hatte das FG Nürnberg v. 16.6.2015 – 1 K 1305/13, EFG 2016, 592 zu entscheiden; Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 147.2.2. 11 BMF v. 12.11.2009 – IV C 7-S 2706/08/10004 Rz. 4; zustimmend Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 147.4; a.A. Leippe, DStZ 2010, 106 (107).

Hinder | 183

4.123

Kap. 4 Rz. 4.124 | Körperschaftsteuer

4.124

Bei Verpachtungsbetrieben ist die Gleichartigkeit der jeweiligen Tätigkeit des Pächters entscheidend, R 4.2 S. 3 Halbs. 2 KStR 2015. Nach einer älteren Entscheidung des BFH ist die Zusammenfassung auch möglich, wenn einzelne Betriebe an verschiedene Pächter verpachtet sind.1 Die Finanzverwaltung sieht die Zusammenfassung von Verpachtungsbetrieben nur nach § 4 Abs. 6 S. 1 Nr. 1 KStG als zulässig an, R 4.2 S. 3 KStR 2015.2 Dies wird in der Literatur teilweise als zu restriktiv bewertet und daher auch eine Zusammenfassung nach § 4 Abs. 6 S. 1 Nr. 2 oder 3 KStG für möglich gehalten.3

4.125

Nach R 4.2 S. 2 KStR 2015 ist es auch möglich, einen zusammengefassten BgA zu begründen, wenn die gleichartigen Einrichtungen für sich betrachtet mangels Gewicht keinen einzelnen BgA darstellen könnten. c) Wechselseitige technisch-wirtschaftliche Verflechtung

4.126

§ 4 Abs. 6 S. 1 Nr. 2 KStG sieht vor, dass BgA zusammengefasst werden können, wenn zwischen ihnen nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse objektiv eine enge wechselseitige technisch-wirtschaftliche Verflechtung von einigem Gewicht besteht, so dass nach der Verkehrsanschauung die Verschmelzung zu einer wirtschaftlichen Einheit als gerechtfertigt angesehen werden kann.4 Die Verflechtung muss im Zeitpunkt der Zusammenfassung tatsächlich bestehen, eine bloß geplante Verflechtung genügt nicht.5 Das Erfordernis des inneren funktionalen Zusammenhangs, das bedeutete, dass die zusammenzufassenden Betriebe aufeinander angewiesen sind, wurde von der Rechtsprechung aufgegeben.6 Wann eine enge wechselseitige technisch-wirtschaftliche Verflechtung vorliegt, unterliegt keiner allgemeingültigen Definition. Sie setzt aber eine sachliche Beziehung der jeweiligen Betätigung im Sinne eines inneren wirtschaftlichen Zusammenhangs voraus, der nach den Anschauungen des Geschäftsverkehrs die Zusammenfassung zu einer wirtschaftlichen Einheit rechtfertigt.7 Ist die technische Verflechtung schwächer ausgeprägt, kann also die Verbindung ohne größeren Aufwand wieder getrennt und dann wiederhergestellt werden, sind außersteuerliche Gründe wie die Erzielung von Kostenvorteilen oder andere Synergieeffekte für die Zusammenfassung vorzutragen.8 Eine organisatorische Verflechtung der zusammenzufassenden Betriebe ist nicht mehr erforderlich.9

4.127

Beispiele aus der Rechtsprechung für zusammenfassbare Betriebe sind (dass diese aufgrund der noch nicht kodifizierten Rechtslage ergangen sind, ist ohne Belang, da sich die materielle Rechtslage nicht geändert hat): 1 BFH v. 24.6.1959 – I 213/58 U, BStBl. III 1959, 339. 2 Dies vertritt auch OFD NW, Arbeitshilfe abrufbar unter: https://www.finanzverwaltung.nrw.de/sites/ default/files/asset/document/besteuerung_der_juristischen_personen_des_oeffentlichen_rechts_ar beitshilfe.pdf Rz. 14.5. 3 Frotscher in Frotscher/Drüen, § 4 KStG Rz. 31; Märtens in Gosch4, § 4 KStG Rz. 120. 4 Die Formulierung geht zurück auf BFH v. 16.1.1967 – GrS 4/66, BStBl. III 1967, 240; siehe ferner BFH v. 19.5.1967 – III 50/61, BStBl. III 1967, 510. 5 BFH v. 4.12.1991 – I R 74/89, BStBl. II 1992, 442; Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 155. 6 BFH v. 16.1.1967 – GrS 4/66, BStBl. III 1967, 249; BFH v. 4.9.2002 – I R 42/01, BFH/NV 2003, 511. 7 BFH v. 19.5.1967 – III 50/61, BStBl. III 1967, 510; Musil in Mössner/Seeger/Oellerrich4, § 4 KStG Rz. 286. 8 Bürstinghaus in H/H/R, § 4 KStG Rz. 83, 85; Strahl, DStR 2010, 193 (194). 9 BMF v. 12.11.2009 Rz. 1; Hidien in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand § 4 Rz. 260; Pfirrmann in Blümich155, § 4 KStG Rz. 102; zweifelnd Märtens in Gosch4, § 4 KStG Rz. 118a.

184 | Hinder

A. Die Besteuerung der Betriebe gewerblicher Art nach § 4 KStG | Rz. 4.130 Kap. 4

– Wassererwärmung in einem Badebetrieb zum Ausgleich des Überdrucks in einem Heizkraftwerk1; – Gewährleistung des für den Betrieb eines Hallenbads erforderlichen Mindestdrucks und Lieferung des für die Wärmelieferung der Stadtwerke benötigten Wassers mit einem erforderlichen gleichmäßigen Niederdruck durch einen Wasserturm der Bäderbetriebe2; – Austausch von Personal zwischen Verkehrs- und Badebetrieben je nach saisonaler Auslastung3; – Zwischenschaltung eines Blockheizkraftwerkes zwischen Hallenbad und Versorgungsbetrieb, durch das das Bad mit Wärme versorgt wird und in Spitzenlastzeiten elektrische Energie für die Stadtwerke erzeugt4; – Gas- und Wasserversorgung mit Tiefgarage5. Beispiele, in denen der BFH den Zusammenhang als nicht ausreichend für eine Zusammenfassung erachtet hat, sind die Verpachtung eines Ratskellers mit Betrieben der Kur- und Verkehrsverwaltung6, die Lieferung der wichtigsten Betriebsstoffe (Wasser/Strom/Wärme) durch einen Versorgungsbetrieb an einen Badebetrieb7 oder Fernheizwerke, Theatertiefgarage und Industriegleisanlagen mit dem Eigenbetrieb „Verpackungsverordnung“8. Eine enge technischwirtschaftliche Verflechtung wurde ebenfalls verneint zwischen dem städtischen Betrieb der Wasser- und Elektrizitätsversorgung und den Verlusten aus einer Solequelle, einem MineralFreibad und einem Gradierwerk.9

4.128

Aus der Rechtsprechung10 lässt sich schließen, dass von einer engen wechselseitig technischwirtschaftlichen Verflechtung ausgegangen werden kann, wenn sich aus der Lieferung eines Hauptstoffes für den Betrieb gleichzeitig Vorteile für den anderen Betrieb ergeben, die sich nicht allein auf eine Verknüpfung auf Grund einer subjektiven Willensentscheidung begründen, sondern sich zwangsläufig auf Grund physikalischer oder chemischer Vorgänge ergeben und technische Einrichtungen eine Doppelfunktion erhalten.11

4.129

d) Speziell: Die Zusammenfassung mittels eines Blockheizkraftwerkes Die Zusammenfassung mittels eines Blockheizkraftwerkes sorgte in der Finanzverwaltung und Literatur für Meinungsverschiedenheiten. Im BMF-Schreiben vom 11.5.201612 hat das Ministerium erstmals die Grundsätze für die Zusammenfassung mehrerer BgA mittels eines Blockheizkraftwerkes nach § 4 Abs. 6 S. 1 Nr. 2 KStG niedergelegt. Das BMF bezieht sich darüber hinaus auf Fallgestaltungen mit Bädern oder Sporthallen sowie Energieversorgungs-

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

BFH v. 16.1.1967 – GrS 4/66, BStBl. III 1967, 240. BFH v. 19.5.1967 – III R 50/61, BStBl. III 1967, 510. BFH v. 19.5.1967 – III R 50/61, BStBl. III 1967, 510. BFH v. 4.12.1991 – I R 74/89, BStBl. II 1998, 432. BFH v. 8.11.1989 – I R 187/85, BStBl. II 1990, 242. BFH v. 12.7.1967 – I 267/63, BStBl. III 1967, 679. BFH v. 16.1.1967 – GrS 4/66, BStBl. III 1967, 240. BFH v. 4.9.2002 – I R 42/01, BFH/NV 2003, 511. FG Hess. v. 6.11.2000 – 4 K 1984/00, EFG 2001, 591. BFH v. 4.9.2002 – I R 42/01, BFH/NV 2003, 511. So zutreffend ebenfalls Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 163. BMF v. 11.5.2016 – IV C 2 - S 2706/08/10004 :004, BStBl. I 2016, 479.

Hinder | 185

4.130

Kap. 4 Rz. 4.130 | Körperschaftsteuer

betrieben gewerblicher Art.1 Die OFD Karlsruhe hat zu einzelnen Passagen des BMF-Schreibens weitere Hinweise in einer Verfügung zusammengefasst.2 Kernpunkt ist eine 50 %-Grenze, wonach mehr als die Hälfte des gesamten Stroms an einen Letztverbraucher geliefert werden muss. Zusätzlich genannt wird die Verflechtungsmöglichkeit von Sporthallen, was Gestaltungsmöglichkeiten für Kommunen eröffnet. Die gegenseitige Gewichtigkeit sei nach beiden zusammenzufassenden Einrichtungen zu prüfen und erfordere aus Sicht des Bäderbetriebes, dass mindestens 25 % des Gesamtwärmebedarfes mit der gelieferten Wärme gedeckt würden und aus Sicht des Energieversorgungsbetriebes, dass das Blockheizkraftwerk über eine elektrisch installierte Leistung von min. 50 kW verfügt. Die Wirtschaftlichkeit des Blockheizkraftwerkes muss durch ein VDI-Gutachten oder auf Anforderung der Finanzverwaltung stattdessen anhand einer an den tatsächlichen Gegebenheiten orientierten Einnahmen-Überschussrechnung erfolgen. Die Zusammenfassung kann ab der tatsächlichen Inbetriebnahme des Blockheizkraftwerkes steuerlich anerkannt werden.

4.131

Das BMF bietet im Schreiben vom 12.11.20093 ein anschauliches Beispiel: Die Stadt unterhält die Bäder Ost, West und Nord als jeweils eigenständige BgA. Das Bad Ost weist mit einem Blockheizkraftwerk eine enge wechselseitige technisch-wirtschaftliche Verflechtung von einigem Gewicht mit den Stadtwerken auf. Für die Zusammenfassung der vier eigenständigen BgA eröffnen sich der Stadt verschiedene Möglichkeiten: – Die Bäder bilden jeweils eigenständige BgA, die, weil gleichartig, nach § 4 Abs. 6 S. 1 Nr. 1 KStG zu einem Gesamtbad-BgA zusammengefasst werden können. – Die enge wechselseitige technisch-wirtschaftliche Verflechtung von einigem Gewicht zwischen den Stadtwerken und dem Bad Ost lässt auch eine Zusammenfassung des Versorgungs-BgA mit dem Gesamtbad-BgA nach § 4 Abs. 6 S. 1 Nr. 2 KStG zu, sofern die technisch-wirtschaftliche Verflechtung auch zum zusammengefassten Gesamtbad-BgA nach der Gesamtschau von einigem Gewicht ist. – Wegen Gleichartigkeit könnten aber auch nur die BgA Bad West und Nord zu einem Doppelbad-BgA zusammengefasst und daneben könnten die Stadtwerke mit dem BgA Ost nach § 4 Abs. 6 S. 1 Nr. 2 KStG zu einem gesonderten Versorgungsbad-BgA zusammengefasst werden. e) Zusammenfassung von Telekommunikationsbetrieben

4.132

Eine weitere praktische Problematik stellt sich bei der Zusammenfassung von Versorgungsbetrieben der Telekommunikation. Die Literatur nimmt die Möglichkeit der Zusammenfassung entweder nach Nr. 1 oder nach Nr. 2 an.4 Gerade in ländlichen Regionen, in denen die Netzabdeckung für Telekommunikationsunternehmen nicht profitabel ist und die deshalb nicht flächendeckend erfolgt, steht der Versorgungsaspekt im Vordergrund.5 Für eine Zusammenfassung nach Nr. 1 sprechen die technischen Abhängigkeiten zwischen der Telekommunikation und einem Strom- oder Gasnetzbetrieb und die Synergieeffekte bei Gesamtbetrachtung der Sparten.6 1 2 3 4 5 6

BMF v. 11.5.2016 – IV C 2 - S 2706/08/10004: 004, BStBl. 2016 I, 479. OFD Karlsruhe v. 27.3.2017, S 270.6265 – St 213. BMF v. 12.11.2009 – IV C 7 - S 2706/08/10004, BStBl. 2009 I, 1303 Rz. 7. Belcke/Westermann, BB 2012, 2473 (2476); Bürstinghaus in H/H/R, § 4 KStG Rz. 84. Märtens in Gosch4, § 4 KStG Rz. 85. Belcke/Westermann, BB 2012, 2473 (2476); Maul/Reinke in NWB Nr. 24 2020, 1770 (1776).

186 | Hinder

A. Die Besteuerung der Betriebe gewerblicher Art nach § 4 KStG | Rz. 4.136 Kap. 4

f) Zusammenfassung von Versorgungsbetrieben Nach § 4 Abs. 6 S. 1 Nr. 3 KStG lassen sich Versorgungsbetriebe im Sinne des § 4 Abs. 3 KStG zusammenfassen. Die vereinfachte Zusammenfassung hat historische Gründe und den Hintergrund, dass die in § 4 Abs. 3 KStG genannten Betätigungen den gleichen Gedanken der Versorgung der Bevölkerung in sich tragen.1 Sie können damit bereits auf Grund ihrer Wesensähnlichkeit als gleichartig und zweckverwandt angesehen werden.2 Nach Auffassung der Finanzverwaltung sind lediglich Versorgungsbetriebe im engeren Sinne (also Strom, Wasser) als gleichartig im Sinne des § 4 Abs. 6 S. 1 Nr. 1 KStG anzusehen, dies wirkt sich im Rahmen des Verlustabzuges nach § 8 Abs. 5 S. 5 KStG und der Spartenrechnung der Eigengesellschaft nach § 8 Abs. 9 KStG aus.3 Die Regelung wirft die Frage auf, ob die Zusammenfassung von Versorgungs- und Verkehrsbetrieben nach Nr. 1 wegen Gleichartigkeit oder nach Nr. 3 herzuleiten ist.4 Die Frage wird relevant, wenn eine Zusammenfassung mit Betrieben angestrebt wird, die nicht unter den Katalog des § 4 Abs. 3 KStG fallen. Der Regelung in Nr. 3 ist als speziellerer Alternative der Vorrang zu geben.5

4.133

Die oben bereits erwähnte Problematik des Breitbandausbaus) betrifft auch den steuerlichen Querverbund. Praktisch bedeutsam ist dies für die Verlustverrechnung im Querverbund. Erforderlich für eine Zusammenfassung nach § 4 Abs. 6 Nr. 3 KStG ist, dass der Betrieb des Breitbandnetzes als Versorgungsbetrieb im Sinne des § 4 Abs. 3 KStG zu qualifizieren ist.

4.134

Wenn zu einem zusammengefassten BgA ein weiterer in den Verbund aufgenommen werden soll (sog. Kettenzusammenfassung), ist fraglich, ob die Voraussetzungen des § 4 Abs. 6 KStG gelten oder die zeitliche Abfolge der Zusammenfassungen von Bedeutung ist. Die Finanzverwaltung schließt sich der letztgenannten Auffassung an und lässt es genügen, wenn die Voraussetzungen der Zusammenfassung zwischen dem BgA und einem der zusammengefassten Betriebe oder einem der Betriebe der Einrichtung vorliegen.6 Die Prüfung der Voraussetzungen einer Kettenzusammenfassung macht eine aufwändige Einzelfallbetrachtung erforderlich, was in der Literatur kritisch gesehen wird, da vor allem das Gesetz eine solche zeitlich-organisatorische Komponente nicht vorsehe.7

4.135

Die Zusammenfassung mehrerer BgA in Kapitalgesellschaften ist grundsätzlich zulässig und kein Gestaltungsmissbrauch nach § 42 AO.8 Zur Problematik einer vGA in diesem Fall siehe Rz. 4.210.

4.136

1 BFH v. 10.7.1962 – I 164/59 S, BStBl. III 1962; BFH v. 8.11.1989 – I R 187/85, BStBl. II 1990, 242; Musil in Mössner/Seeger/Oellerrich4, § 4 KStG Rz. 282. 2 Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 152. 3 BMF v. 12.11.2009 – IV C 7 - S 2706/08/10004, BStBl. 2009 I, 1303 Rz. 9; hierzu kritisch Leippe in DStZ 2010, 105 (107). 4 Für Ersteres noch BFH v. 16.1.1967 – GrS 4/66, BStBl. III 1967, 240; BFH v. 8.11.1989 – I R 187/ 85, BStBl. II 1990, 242. 5 So BMF v. 12.11.2009 – IV C 7-S 2706/08/10004 Rz. 4; Bürstinghaus in H/H/R, § 4 KStG Rz. 84; Hüttemann, DB 2009, 2629; für eine Zusammenfassung unter Nr. 1 Weitemeyer, FR 2009, 1 (9). 6 BMF v. 12.11.2009 – IV C 7-S 2706/08/10004 Rz. 4; Leippe, DStZ 2010, 105 (107); a.A. Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 164.1 m.w.N., der fordert, dass die Zusammenfassungsvoraussetzungen insgesamt vorliegen. 7 Bracksiek, FR 2009, 15 (16); Bürstinghaus in H/H/R, § 4 KStG Rz. 82; Schiffers, GmbH-StB 2009, 67 (68 f.). 8 BFH v. 14.7.2004 – I R 9/03, BFH/NV 2004, 1689; BFH v. 22.8.2007 – I R 32/06, BStBl. II 2007, 961; Eversberg/Baldauf, DStZ 2010, 358 (367).

Hinder | 187

Kap. 4 Rz. 4.137 | Körperschaftsteuer

4. Ausgleichszahlungen im steuerlichen Querverbund 4.137

Im steuerlichen Querverbund wurden bei Vorhandensein privater Minderheitsgesellschafter vielfach im Rahmen einer Organschaft variable Ausgleichszahlungen vereinbart, um die Versorgungsgewinne im Querverbund zu verrechnen.1 Variablen Ausgleichszahlungen im Rahmen einer körperschaftsteuerlichen Organschaft hat der BFH mittlerweile erneut eine Absage erteilt, da sie der tatsächlichen Durchführung des Gewinnabführungsvertrages widersprechen.2 Mit einem Nichtanwendungserlass ist nach dem erneuten Urteil des BFH nicht zu rechnen.3 Rechtssicher wäre wohl die Vereinbarung eines Fixausgleichs, der nach regelmäßigen Abständen anzupassen wäre.4 Weitere Möglichkeiten eröffnet § 304 Abs. 2 AktG, darunter die Vereinbarung eines geschätzten festen Ausgleichs nach (S. 1) oder eines am Ergebnis des Organträgers orientierten variablen Ausgleichs (S. 2).

4.138

Offen bleibt die Frage, ob die Vorschriften über den steuerlichen Querverbund als europarechtswidrige Beihilfen im Sinne der Art. 107 ff. AEUV zu qualifizieren sind. Nach h.M. stellt die Verlustverrechnungsmöglichkeit sowohl für BgA als auch für Eigengesellschaften eine Vergünstigung im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV dar.5 Allerdings sei die Normierung des Gesetzgebers nur eine Klarstellung althergebrachter Grundsätze, weshalb eine sog. Altbeihilfe nach Art. 108 Abs. 3 AEUV vorliege. Dies betrifft zumindest die Vorschriften über den steuerlichen Querverbund.6 Hierfür lässt sich vorbringen, dass die Grundsätze bereits im BFH-Urteil vom 20.3.1956 aufgestellt wurden und nunmehr fast wortgleich in das Gesetz übernommen wurden.

4.139

Gegen eine Beihilfe wird weiterhin vorgebracht, dass die Art. 107 ff. AEUV auf Kommunalbetriebe wegen des fehlenden Wettbewerbs schon nicht anwendbar seien.7 In diesem Sinne hat das FG Düsseldorf für § 8 Abs. 7 KStG keinen Verstoß gegen Europarecht wegen der lediglich regionalpolitischen Bedeutung angenommen.8 Dagegen bringt Musil vor, dass zwischen der Beihilfeneigenschaft der gesetzlichen Vorschriften einerseits und der konkreten Maßnahme andererseits zu differenzieren sei und die Vorschrift als solche durchaus geeignet sei, den Wettbewerb im Sinne des Art. 107 AEUV zu beeinträchtigen, wobei auch hier von einer nicht zu notifizierenden Altbeihilfe auszugehen und daher ein Verstoß gegen europäisches Beihilferecht zu verneinen sei.9

1 Belcke/Westermann, BB 2017, 1819 (1821). 2 BFH v. 10.5.2017 – I R 93/15, BStBl. II 2019, 278; siehe bereits BFH v. 3.4.2009 – I R 1/08, BStBl. II 2010, 407, das jedoch durch BMF-Schreiben v. 20.4.2010 mit einem Nichtanwendungserlass belegt wurde. 3 Belcke/Westermann, BB 2017, 1819 (1821). 4 Belcke/Westermann, BB 2017, 1819 (1821 f.). 5 Weitemeyer, FR 2009 1 (9 ff.); Heger, FR. 2009, 310 (307). 6 Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 141.3; Hüttemann, DB 2009, 2629, 2633; Bürstinghaus in H/H/R, § 4 KStG Rz. 82; a.A. Alpha, NVwZ 2021, 598. 7 Meier/Semelka in H/H/R, § 8 KStG Rz. 542. 8 FG Düsseldorf v. 30.6.2017 – 6 K 1900/16 K, EFG 2017, 1370. 9 Musil, Ubg 2019, 224 (225).

188 | Hinder

B. Einkommensermittlung im Sinne des § 8 KStG | Rz. 4.144 Kap. 4

B. Einkommensermittlung im Sinne des § 8 KStG I. Allgemeines 1. Betriebe gewerblicher Art Für die Einkommensermittlung wird der BgA verselbständigt.1 Er wird fiktiv als selbständige Kapitalgesellschaft („virtuelle Kapitalgesellschaft“2) und die Trägerkörperschaft als deren Alleingesellschafter behandelt.3 Das Einkommen ist demnach für jeden BgA gesondert und unabhängig von der Trägerkörperschaft zu ermitteln4 und gesondert gegen die Trägerkörperschaft als Steuersubjekt festzusetzen.5

4.140

Die Einkommensermittlung richtet sich nach der allgemeinen Vorschrift des § 8 KStG. Die Einkünfte des BgA werden immer als Einkünfte aus Gewerbebetrieb behandelt.6 Dies gilt nach der Fiktion des § 4 Abs. 4 KStG auch für Einkünfte aus der Verpachtung eines BgA.7 Zur Einkommensermittlung ist gem. § 8 Abs. 1 S. 1 KStG i.V.m. § 2 Abs. 2 Nr. 2 EStG der steuerliche Gewinn des BgA im Sinne der § 4 ff. EStG zu ermitteln. Dieser ist zur Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte um abzugsfähige Zuwendungen nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 KStG und im Falle der Organschaft um weitere Hinzurechnungen und Kürzungen zu korrigieren (R 29 Abs. 1 S. 2 KStR). In einem weiteren Schritt ist zur Ermittlung des zu versteuernden Einkommens des BgA ggf. ein Verlustabzug nach § 10d EStG sowie ein Abzug der Freibeträge gem. §§ 24 und 25 KStG vorzunehmen, sodass sich im Ergebnis das zu versteuernde Einkommen des BgA ergibt.

4.141

Für inländische öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten besteht gem. § 8 Abs. 1 S. 3 KStG eine Sonderregelung, nach der das Einkommen aus der Veranstaltung von Werbesendungen pauschal 16 % der Umsätze beträgt.

4.142

2. Exkurs: Kommunale Eigengesellschaften Juristische Personen des öffentlichen Rechts üben ihre wirtschaftlichen Betätigungen nicht nur unmittelbar selbst durch einen BgA aus. Vielmehr kann eine juristische Person des öffentlichen Rechts auch dadurch wirtschaftlich handeln, dass sie in privatrechtlicher Rechtsform tätig wird. Diese Gesellschaften in der Trägerschaft einer juristischen Person des öffentlichen Rechts werden als sog. „Eigengesellschaften“ bezeichnet.8 Die Eigengesellschaften sind rechtlich verselbständigt und kein Teil der öffentlichen Verwaltung. Die Betätigung der kommunalen Unternehmen darf nicht lediglich in der Erzielung von Gewinn liegen, sondern muss gleichsam dem Gemeinwohl entsprechend der kommunalen Aufgabenerfüllung dienen. Hierdurch soll eine „Flucht der öffentlichen Hand ins Privatrecht“ verhindert werden.

4.143

Die juristische Person des öffentlichen Rechts ist zumeist alleiniger Anteilseigner und zugleich in den Organen der Gesellschaft vertreten. Ihr obliegt die Verpflichtung, über den Aufsichtsrat

4.144

1 2 3 4 5 6 7 8

BFH v. 12.10.1978 – I R 149/75, BStBl. II 1979, 192. Heger, FR 2009, 301 (301 f.); Hüttemann, FR 2009, 308 (314). BFH v. 13.3.1974 – I R 7/71, BStBl. II 1974 391. BFH v. 13.3.1974 – I R 7/71, BStBl. II 1974 391. BFH v. 13.3.1974 – I R 7/71, BStBl. II 1974 391; Pfirrmann in Blümich155, § 4 EStG Rz. 111. BFH v. 1.8.1979 – I R 106/76, BStBl. II 1979, 716. BFH v. 13.3.1974 – I R 7/71, BStBl. II 1974, 391. Klingebiel in D/P/M, KStG Eigengesellschaft Rz. 1; Baumgart, NWB 18/2011, 1563.

Hinder | 189

Kap. 4 Rz. 4.144 | Körperschaftsteuer

einen maßgeblichen Einfluss auf die Eigengesellschaft zu sichern und die Einhaltung der Gemeinwohlverpflichtung zu überwachen.1

4.145

Der Vorteil einer privatrechtlichen Betätigung der öffentlichen Hand liegt in der flexibleren Führung des Betriebs und einer höheren Wirtschaftlichkeit bei der Erfüllung der ihr obliegenden Aufgaben.2 Daneben ermöglicht die privatrechtliche Ausgestaltung in gesellschaftsrechtlicher Form die Beteiligung privater Dritter an dem jeweiligen Unternehmen. Dadurch können die Kosten für die hinter der Eigengesellschaft stehende juristische Person des öffentlichen Rechts gesenkt werden.

4.146

Das Kommunalrecht verlangt eine Begrenzung der Haftung für gemeindeeigene Unternehmen auf einen angemessenen Betrag, der der Leistungsfähigkeit der Gemeinde entspricht3, vgl. beispielsweise § 108 Abs. 1 Nr. 3 GemO NW. Die gesamte Betätigung öffentlicher Unternehmen steht dabei unter dem ökonomischen Prinzip, muss also dem Gebot der Wirtschaftlichkeit entsprechen.

4.147

In der Praxis wird die kommunale Eigengesellschaft zumeist in der Rechtsform einer GmbH oder AG gegründet. Die Wahl der Rechtsform und die konkrete Ausgestaltung des Unternehmens sind als Ausfluss der kommunalen Selbstverwaltung gem. Art. 28 Abs. 2 GG eine originäre Aufgabe der Gemeinden.4

4.148

Die Eigengesellschaften werden der jeweiligen Rechtsform entsprechend besteuert und begründen als Kapitalgesellschaften stets und in vollem Umfang einen Gewerbebetrieb und zwar unabhängig von der Art der Tätigkeit.

II. Verfahren 4.149

Die auf den BgA bezogene Körperschaftsteuer wird jährlich gegenüber der Trägerkörperschaft festgesetzt. Die Grundlagen für ihre Festsetzung sind jeweils für ein Kalenderjahr zu ermitteln. Besteht die unbeschränkte oder beschränkte Steuerpflicht nicht während eines ganzen Kalenderjahrs, so tritt an die Stelle des Kalenderjahrs der Zeitraum der jeweiligen Steuerpflicht (§ 7 Abs. 3 KStG). Bei Steuerpflichtigen, die verpflichtet sind, Bücher nach den Vorschriften des Handelsgesetzbuchs zu führen, ist der Gewinn nach dem Wirtschaftsjahr zu ermitteln, für das sie regelmäßig Abschlüsse machen. Das Wirtschaftsjahr kann vom Kalenderjahr abweichen. Der Gewinn gilt als in dem Kalenderjahr bezogen, in dem das Wirtschaftsjahr endet. Die Umstellung des Wirtschaftsjahrs auf einen vom Kalenderjahr abweichenden Zeitraum ist steuerlich nur wirksam, wenn sie im Einvernehmen mit dem Finanzamt vorgenommen wird (§ 7 Abs. 4 KStG). Als Ausgangspunkt der Gewinnermittlung kann eine Steuerbilanz erstellt werden oder die Handelsbilanz in eine Steuerbilanz überführt werden (§ 60 Abs. 2 EStDV).

III. Gewinnermittlung 1. Arten 4.150

Die Gewinnermittlung kann beim BgA durch Betriebsvermögensvergleich (§ 4 Abs. 1 EStG) oder durch Einnahmen-Überschussrechnung (§ 4 Abs. 3 EStG) erfolgen. Die Gewinnermitt1 2 3 4

Beckmann, NWB 30/2003, 2342. Gundlach, LKV 2000, 58. A.A. Kuhl/Wagner, ZIP 1995, 435 f. Gundlach, LKV 2000, 58.

190 | Hinder

B. Einkommensermittlung im Sinne des § 8 KStG | Rz. 4.155 Kap. 4

lung erfolgt durch Betriebsvermögensvergleich, wenn eine Buchführungspflicht besteht bzw. freiwillig Bücher geführt werden.1 Der BgA kann nach § 140 AO in Verbindung mit außersteuerlichen Gesetzen (insb. landesrechtlichen Eigenbetriebsgesetzen2 und den Rechnungslegungsvorschriften in §§ 238 ff. HGB) zur Buchführung verpflichtet sein.3

4.151

Eine Buchführungspflicht kann sich außerdem aus der allgemeinen Vorschrift des § 141 AO ergeben.4 Ein BgA ist gem. § 141 Abs. 1 Nr. 1 AO bei Überschreiten der Umsatzgrenze von 600.000,– Euro oder gem. § 141 Abs. 1 Nr. 4 AO der Gewinngrenze von 60.000,– Euro buchführungspflichtig. Eine Buchführungspflicht wegen Überschreitung der Umsatzgrenze nach § 141 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO entsteht jedoch nur bei Gewinnerzielungsabsicht.5 Besteht keine Verpflichtung zur Buchführung, kann der BgA den Gewinn nach § 4 Abs. 3 EStG ermitteln.6

4.152

2. Vermögenssphären Zur Ermittlung des Gewinns des BgA ist es zunächst erforderlich, dessen Vermögen zu erfassen. Dies gilt sowohl für die Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich als auch für die Einnahmen-Überschussrechnung.7 Der BgA ist nicht rechtsfähig und stellt somit zivilrechtlich kein eigenes Zurechnungssubjekt für Vermögen dar. Das dem BgA dienende Vermögen ist Teil des Vermögens der Trägerkörperschaft.8 Um einen der Leistungsfähigkeit eines BgA entsprechenden Gewinn zu ermitteln, ist es jedoch erforderlich, dass dem BgA zugehörige Vermögen von dem hoheitlichen Vermögen der juristischen Person des öffentlichen Rechts abzugrenzen9. Das Vermögen der Trägerkörperschaft ist demnach in Hoheitsvermögen und Betriebsvermögen (des BgA) einzuteilen.

4.153

3. Zurechnung zu den Vermögenssphären Entsprechend der fiktiven Verselbständigung des BgA ist dieser zum Zwecke der Einkommensermittlung so zu behandeln, als ob er ein selbständiges Steuerrechtssubjekt in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft und die Trägerkörperschaft deren Alleingesellschafter sei.10

4.154

Bei der Abgrenzung des Vermögens einer Kapitalgesellschaft vom Vermögen ihrer Gesellschafter handelt es sich jedoch nicht um die Abgrenzung zwischen Vermögenssphären eines Rechtsträgers. Es bestehen vielmehr die Vermögen zweier selbständiger Vermögensträger, denen gem. § 39 Abs. 1 AO die jeweils in ihrem Eigentum stehenden Wirtschaftsgüter zuzurech-

4.155

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 294. In Berlin: § 21 EigG. R 8.2 Abs. 5 KStR (2015). BMF v. 3.1.2013 – IV C 2 - S 2706/09/10005 – DOK 2012/1188606, BStBl. I 2013, 59; Bott in Bott/ Walter, § 4 KStG Rz. 294. BMF v. 3.1.2013 – IV C 2 - S 2706/09/10005 – DOK 2012/1188606, BStBl. I 2013, 59. BMF v. 3.1.2013 – IV C 2 - S 2706/09/10005 – DOK 2012/1188606, BStBl. I 2013, 59. Vgl. Drüen in Blümich155, § 4 EStG Rz. 256–259. Jürgens in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand § 5 Rz. 478. Jürgens in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand § 5 Rz. 469. BFH v. 17.5.2000 – I R 50/98, BStBl. II 2001, 558; BFH v. 3.2.1993 – I R 61/91, BStBl. II 1993, 459; BFH v. 10.7.1996 – I R 108-109/95, BStBl. II 1997, 230, Märtens in Gosch4, § 4 KStG Rz. 126; Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 305; a.A. zusammengefasst in Weitemeyer, FR 2009, 1 (5).

Hinder | 191

Kap. 4 Rz. 4.155 | Körperschaftsteuer

nen sind. Eine Zuordnung zum Vermögen der Kapitalgesellschaft ist demnach nur möglich, wenn ihr das Eigentum übertragen wurde.

4.156

Bei dem BgA handelt es sich trotz der fiktiven Verselbständigung zum Zwecke der Einkommensermittlung nicht um ein selbständiges Rechtssubjekt.1 Eine nach den zivilrechtlichen Eigentumsverhältnissen gerichtete Zuordnung der Wirtschaftsgüter zu seinem Betriebsvermögen ist demnach nicht möglich.

4.157

Bei konsequenter Anwendung der fiktiven Verselbständigung des BgA müsste dieser – von der zivilrechtlichen Lage abweichend – als fiktiver Rechtsträger anerkannt werden. In Folge dessen wären dem Vermögen des BgA entsprechend § 39 Abs. 1 AO nur die Wirtschaftsgüter zuzurechnen, welche ihm, in einem der Eigentumsübertragung entsprechenden Vorgang, übertragen oder durch den BgA selbst hergestellt wurden.2

4.158

Eine solche Fiktion würde sich jedoch weiter als notwendig von den tatsächlichen Verhältnissen entfernen und das Konstrukt des BgA weiter verkomplizieren.3 Die Fiktion der Selbständigkeit dient hauptsächlich dem Zweck Leistungen zwischen dem BgA und der Trägerkörperschaft zu bewerten und reicht richtigerweise nur soweit, wie es für diesen Zweck erforderlich ist.

4.159

Als Ausgangspunkt für die Vermögenszuordnung zwischen BgA und Hoheitsbereich ist damit von einem einheitlichen Vermögensträger auszugehen. Sie entspricht damit im Grundsatz der Trennung von Privatvermögen und Betriebsvermögen zum Zwecke der Gewinnermittlung nach dem EStG.4 Bei dieser ist es mangels eigener Rechtssubjektivität des Betriebs ebenfalls erforderlich, das Vermögen eines einheitlichen Vermögensträgers in eine private und eine betriebliche Sphäre aufzuteilen.5 Die Zuordnung der Wirtschaftsgüter erfolgt grundsätzlich nach objektiven Kriterien. Das Betriebsvermögen muss objektiv erkennbar zum Einsatz im Betrieb bestimmt oder zumindest geeignet sein.6

4.160

Auch die Vermögenszuordnung beim BgA folgt grundsätzlich diesen objektiven Kriterien. Abweichungen von diesem Grundsatz erfolgen dort, wo es notwendig ist, um dem BgA die gleichen Gestaltungsmöglichkeiten wie einer Kapitalgesellschaft zu ermöglichen.

4.161

So ist zwar grundsätzlich eine Zuordnung anhand objektiver Kriterien vorzunehmen. Abreden zwischen der Trägerkörperschaft und dem BgA werden jedoch steuerlich anerkannt, wenn sie, unterstellt sie wären zwischen einer Kapitalgesellschaft und ihrem beherrschenden Gesellschafter geschlossen worden, anzuerkennen wären.7 Dem BgA kann zwar mangels Rechtsträgereigenschaft kein Eigentum übertragen werden. Es ist jedoch möglich, durch eine interne Vereinbarung über die Nutzungsüberlassung zwischen BgA und Hoheitsbereich, ein Wirtschaftsgut dem jeweils überlassenden Vermögen zuzuordnen. Durch solche Vereinbarung 1 2 3 4 5 6 7

Vgl. Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 307. Jürgens in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand § 5 Rz. 483. Jürgens in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand § 5 Rz. 487. Jürgens in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand § 5 Rz. 479. Vgl. Märtens in Gosch4, § 4 KStG Rz. 153–156. Drüen in Blümich155, § 4 EStG Rz. 340 ff.. Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 296; BFH v. 12.10.1978 – I R 149/75, BStBl. II 1979, 192; BFH v. 1.9.1982 – I R 44/78, BStBl. II 1982, 783; BFH v. 14.3.1984 – I R 223/80, BStBl. II 1984, 496; BFH v. 3.2.1993 – I R 61/91, BStBl. II 1993, 459; BFH v. 24.4.2002 – I R 20/01, BStBl. II 2003, 412; BFH v. 9.7.2003 – I R 48/02, BStBl. II 2004, 425; BFH v. 6.11.2007 – I R 72/06, BStBl. II 2009, 246.

192 | Hinder

B. Einkommensermittlung im Sinne des § 8 KStG | Rz. 4.167 Kap. 4

kann auch die nach den Grundsätzen des Einkommensteuerrechts notwendige Zuordnung zu einem Vermögensbereich überlagert werden.1 Damit ist es grundsätzlich möglich, durch eine aktive Zuordnungsentscheidung von der objektiven Zuordnung abzuweichen. Diese Zuordnungsentscheidung geht über eine bloße Widmung von gewillkürtem Betriebsvermögen hinaus. Durch die Anerkennung solcher interner Vereinbarungen unterliegt die Zuordnung von Wirtschaftsgütern zum Betriebsvermögen des BgA anders als bei der Einkommensermittlung nach dem EStG weitgehend der Disposition der Trägerkörperschaft.2

4.162

Diese Dispositionsbefugnis wird nur im Einzelfall, soweit es zur sachgerechten Abgrenzung des Betriebsvermögens von dem Hoheitsvermögens erforderlich ist, eingeschränkt.3 So ist trotz fremdüblicher Nutzungsvereinbarung mit dem BgA die Zuordnung eines Wirtschaftsguts zum Hoheitsvermögen nicht möglich, wenn diese wesentliche Betriebsgrundlage des BgA ist.4 Gleiches gilt bei der Überlassung von Kapital an den BgA, wenn dieses eine angemessene Eigenkapitalausstattung ersetzt.5

4.163

Dagegen können Wirtschaftsgüter, die ausschließlich hoheitlichen Zwecken gewidmet sind, nicht dem Betriebsvermögen des BgA zugerechnet werden. Sie sind immer Hoheitsvermögen.6 Dies gilt auch, wenn das Wirtschaftsgut wesentliche Betriebsgrundlage eines BgA ist.7

4.164

Besteht weder eine solche vorrangige zwingende Zuordnung zu einer Vermögenssphäre, noch eine Zuordnung durch interne Vereinbarung sind die EStG-Grundsätze anwendbar.

4.165

Zum Betriebsvermögen des BgA gehört damit das notwendige Betriebsvermögen im Sinne des §§ 4, 5 EStG (vgl. R 4.2 Abs. 1 EStR). Die Trägerkörperschaft kann außerdem Wirtschaftsgüter dem willkürlichen Betriebsvermögen zuordnen.8 Unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang BgA im Einzelnen über gewillkürtes Betriebsvermögen verfügen können, ist noch nicht abschließend geklärt.9

4.166

Nach FG-Rechtsprechung10 und überwiegender Ansicht in der Literatur11 richtet sich die Zuordnung von Wirtschaftsgütern zum Betriebsvermögen nach den allgemeinen bilanzsteuer-

4.167

1 Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 310; BFH v. 14.3.1984 – I R 223/80, BStBl. II 1984, 496. 2 Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 307. 3 Vgl. Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 307; vgl. Jürgens in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand § 5 Rz. 486. 4 BFH v. 6.11.2007 – I R 72/06 BStBl. II 2009, 246; BFH v. 14.3.1984 – I R 223/80 BStBl. II 1984, 496. 5 BFH v. 9.7.2003 – I R 48/02, BStBl. II 2004, 425; BFH v. 1.9.1982 – I R 52/78, BStBl. II 1983, 147; BFH v. 6.8.1962 – I 65/60 U, BStBl. III 1962, 450. 6 BFH v. 7.11.2007 – I R 52/06, BStBl. II 2009, 248; BFH v. 17.5.2000 – I R 50/98 BStBl. II 2001, 558; Heger, FR 2009, 301 (303). 7 BFH v. 7.11.2007 – I R 52/06, BStBl. II 2009, 248; BFH v. 6.11.2007 – I R 72/06, BStBl. II 2009, 246; BFH v. 17.5.2000 – I R 50/98 BStBl. II 2001, 558. 8 BFH v. 7.11.2007 – I R 52/06, BStBl. II 2009, 248; BFH v. 25.7.2002 – I B 52/02, BFH/NV 2002, 1341. 9 Vgl. BFH v. 7.11.2007 – I R 52/06, BStBl. II 2009, 248; BFH v. 27.6.2001 – I R 82-85/00, BStBl. II 2001, 773. 10 FG Düsseldorf v. 29.6.2010 – 6 K 2990/07 K, EFG 2010, 1732; FG Nürnberg v. 4.4.2006 – I 365/ 2004, EFG 2007, 432; FG Schl.-Holst. v. 5.7.2000 – II 1058/97, EFG 2000, 1144. 11 Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 312; Staats in Lippross/Seibel, § 4 KStG Rz. 231; Paetsch in Rödder/Herlinghaus/Neumann, § 4 KStG Rz. 54.

Hinder | 193

Kap. 4 Rz. 4.167 | Körperschaftsteuer

rechtlichen Grundsätzen. Danach können nur Wirtschaftsgüter, die objektiv geeignet und erkennbar dazu bestimmt sind, den Betrieb zu fördern, gewillkürtes Betriebsvermögen sein. Die Widmung des Wirtschaftsgutes muss dokumentiert sein.1

4.168

Hieraus ergibt sich folgende Vermögenszuordnung: Betriebsvermögen (Vermögen des BgA) 1. Wesentliche Betriebsgrundlagen und angemessene Eigenkapitalausstattung

Außerbetriebliches Vermögen (Hoheitsvermögen + Vermögensverwaltung) Ausschließlich hoheitlichen Zwecken gewidmete WG

2. Vorrangige Zuordnungsentscheidung durch Nutzungsvereinbarung 3. Zuordnung nach EStG – notwendiges BV – gewillkürtes BV

Zuordnung nach EStG – sonstiges Vermögen (neutrale WG, die nicht dem BV gewidmet sind)

4. Vermögensänderungen a) Allgemeines

4.169

Bei einer das Betriebsvermögen des BgA betreffenden Vermögensveränderung ist zwischen der Einkommenserzielung und der Einkommensverteilung zu differenzieren. Die Abgrenzung erfolgt entsprechend der Behandlung als virtuelle Kapitalgesellschaft gem. § 8 Abs. 3 KStG.2

4.170

Die Trägerkörperschaft kann Einlagen in den BgA tätigen. Ergebnisverwendungen zugunsten der Trägerkörperschaft werden entsprechend der fingierten Selbständigkeit des Betriebsvermögens als Ausschüttung des BgA behandelt. Entnahmen nach dem EStG sind nicht möglich.3 Einlagen und Ausschüttungen ändern das Einkommen nicht.

4.171

Verdeckte Gewinnausschüttungen werden dem steuerlichen Gewinn hinzugerechnet, verdeckte Einlagen erhöhen das Einkommen nicht (§ 8 Abs. 3 KStG). Entsprechend der fiktiven Verselbständigung kann der BgA der Trägerkörperschaft als Geschäftspartner gegenüberstehen, so dass eine Leistung in diesem Verhältnis sowohl Betriebsausgabe als auch verdeckte Ausschüttung sein kann. Zur Abgrenzung werden die zum Verhältnis zwischen Kapitalgesellschaft und beherrschendem Gesellschafter entwickelten Grundsätze der vGA entsprechend angewendet.4 Die der Leistung zugrunde liegende Vereinbarung – und damit eine Betriebsausgabe – wird anerkannt, sofern sie, unterstellt sie wäre zwischen einer Kapitalgesellschaft und ihrem beherrschenden Gesellschafter abgeschlossen worden, auch bei der Besteuerung der Kapitalgesellschaft zu beachten wäre.5

1 Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 312; Märtens in Gosch4, § 4 KStG Rz. 156; Paetsch in Rödder/ Herlinghaus/Neumann, § 4 KStG Rz. 54. 2 Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 314. 3 Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 304 f.; BFH v. 24.4.2002 – I R 20/01, BStBl. II 2003, 412. 4 BFH v. 1.9.1982 – I R 44/78, BStBl. II 1982, 783; BFH v. 10.7.1996 – I R 108-109/95, BStBl. II 1997, 230; Märtens in Gosch4, § 4 KStG Rz. 126; Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 315. 5 BFH v. 1.9.1982 – I R 44/78, BStBl. II 1982, 783; BFH v. 3.2.1993 – I R 61/91, BStBl. II 1993, 459; BFH v. 24.4.2002 – I R 20/01, BStBl. II 2003, 412; BFH v. 9.7.2003 – I R 48/02, BStBl. II 2004, 425; BFH v. 6.11.2007 – I R 72/06, BStBl. II 2009, 246.

194 | Hinder

B. Einkommensermittlung im Sinne des § 8 KStG | Rz. 4.176 Kap. 4

Dieser Abgrenzung liegt das Veranlassungsprinzip zugrunde. Eine vGA liegt vor, wenn die Leistung durch das Trägerschaftsverhältnis veranlasst ist. Entscheidend ist, ob es sich bei der Leistung um einen Vermögensvorteil handelt, den eine Kapitalgesellschaft bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters einem Nichtgesellschafter nicht gewährt hätte.1 Außerdem muss der Leistung eine klare und eindeutige im Vorhinein getroffene Vereinbarung zugrunde liegen.2 Eine zivilrechtliche Wirksamkeit der internen Vereinbarungen zwischen der Trägerkörperschaft und dem BgA ist mangels Rechtssubjektivität des BgA nicht möglich, und damit auch nicht erforderlich.3

4.172

Hinweis: Ungeachtet der mangelnden zivilrechtlichen Bedeutung ist zu empfehlen, die Vereinbarung schriftlich zu fixieren, um die steuerrechtliche Wirksamkeit gegenüber der Finanzverwaltung belegen zu können.

Sind die Voraussetzungen zur Anerkennung der Vereinbarung nicht gegeben, ist die Leistung wie eine vGA zu behandeln.4

4.173

b) vGA und Betriebsausgaben aa) Angemessene Aufwendungen ohne besondere Regelung, gemischte Kosten Aufwendungen der juristischen Person des öffentlichen Rechts, die dieser aus der Unterhaltung des BgA erwachsen, sind in angemessenem Umfang ausnahmsweise auch ohne besondere Regelung als Betriebsausgaben des BgA abziehbar. Die Aufwendungen müssen betrieblich veranlasst sein. Maßstab hierfür ist das Verhalten eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters.5 Die Erstattung der Kosten für gesetzlich vorgesehene Rechnungs- und Kassenprüfungen durch das Rechnungsprüfungsamt der Trägerkörperschaft ist demnach keine vGA sondern eine Betriebsausgabe.6

4.174

Gemischt veranlasste Kosten müssen nach objektiven, leicht nachprüfbaren Kriterien entsprechend der Veranlassungsbeiträge aufteilbar sein.7

4.175

bb) Miet- und Pachtzinsen Unter der Voraussetzung der Fremdüblichkeit sind grundsätzlich auch Miet- und Pachtverträgen entsprechende Vereinbarungen zwischen der Trägerkörperschaft und dem BgA anzuerkennen. Da eine solche interne Vereinbarung die Vermögenszuordnung nach objektiven Kriterien überlagert, steht der Trägerkörperschaft die Möglichkeit offen, zwischen einer Einlage des Wirtschaftsgutes in das Betriebsvermögen des BgA oder einer bloßen Nutzungsüberlassung des den Hoheitsvermögen zugeordneten Wirtschaftsgutes zu wählen. Bei bloßer Nut1 BFH v. 10.7.1996 – I R 108-109/95, BStBl. II 1997, 230; BFH v. 1.9.1982 – I R 52/78, BStBl. II 1983, 147. 2 BFH v. 12.7.1967 – I 267/63, BStBl. III 1967, 679; BFH v. 29.11.1960 – I 145/60 U, BStBl. III 1961, 67; R 8.2 Abs. 2 KStR 2015. 3 Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 299. 4 BFH v. 6.11.2007 – I R 72/06, BStBl. II 2009, 246; Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 306. 5 R 8.2 Abs. 3 KStR 2015; BFH v. 28.2.1990 – I R 137/86, BStBl. II 1990, 647; Märtens in Gosch4, § 4 KStG Rz. 126. 6 BFH v. 28.2.1990 – I R 137/86, BStBl. II 1990, 647. 7 Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 301; Jürgens in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand § 5 Rz. 591 verweisen jeweils auf die Rechtsprechung zu gemischt beruflich und privat veranlassten Reisen, BFH v. 21.9.2009 – GrS 1/06, BStBl. II 2010, 672.

Hinder | 195

4.176

Kap. 4 Rz. 4.176 | Körperschaftsteuer

zungsüberlassung aus dem Hoheitsvermögen auf Grundlage einer einem Miet- oder Pachtvertrag entsprechenden Vereinbarung können die als Nutzungsentgelt an die Trägerkörperschaft geleisteten Zahlungen grundsätzlich als Betriebsausgaben des BgA abgezogen werden.

4.177

Eine Ausnahme gilt jedoch für die Überlassung von Wirtschaftsgütern, die der Trägerkörperschaft gehören und wesentliche Betriebsgrundlagen des BgA sind.1 Diese sind ungeachtet einer ggf. bestehenden Nutzungsvereinbarung dem Betriebsvermögen des BgA zuzuordnen.2 Durch die Zuordnung der wesentlichen Betriebsgrundlage zum Betriebsvermögen erkennt der BFH die einer Vermietung/Verpachtung entsprechende Überlassung aus dem Hoheitsvermögen nicht an. Er nimmt unter Nichtbeachtung der Abrede zwischen der Trägerkörperschaft und dem BgA eine Zurechnung zum Betriebsvermögen nach objektiven Kriterien vor.

4.178

Die Nichtanerkennung der Abrede führt dazu, dass es an einer für den Abzug von Betriebsausgaben erforderlichen Rechtsgrundlage für die Leistung an die Trägerkörperschaft mangelt.3 Das durch den BgA geleistete Entgelt wird als vGA behandelt und gem. § 8 Abs. 3 S. 2 KStG dem Einkommen des BgA hinzugerechnet.

4.179

Im Ergebnis wird hierdurch der BgA den privatrechtlichen Mitbewerbern hinsichtlich des steuerrechtlichen Konstrukts der Betriebsaufspaltung gleichgestellt, ohne einen weiteren eigenständigen BgA für die Vermietung/Verpachtung der Betriebsgrundlage zu erfassen.4

4.180

Bei Alleingesellschaftern einer Kapitalgesellschaft, welche der Gesellschaft wesentliche Betriebsgrundlagen vermieten oder verpachten, wären nach den Grundsätzen der Betriebsaufspaltung die Einkünfte aus der Vermietung/Verpachtung als Einkünfte aus Gewerbebetrieb und das überlassene Wirtschaftsgut als Betriebsvermögen zu erfassen. Die entrichteten Nutzungsentgelte würden bei der Kapitalgesellschaft und dem Alleingesellschafter zusammen nicht die Einkünfte aus Gewerbebetrieb mindern, der das Einkommen der Kapitalgesellschaft zuzurechnen ist. Die stillen Reserven in den überlassenen Wirtschaftsgütern blieben steuerverhaftet.5

4.181

Bei entsprechender Anwendung dieser Grundsätze auf den BgA müsste die Vermietung/Verpachtung der wesentlichen Betriebsgrundlage als eigener Vermietungs-BgA erfasst werden. Aus Gründen der Vereinfachung wird die Gleichstellung jedoch nicht durch die Begründung eines neuen Verpachtungs-BgA, sondern durch die Zurechnung des die wesentliche Betriebsgrundlage darstellenden Wirtschaftsgutes zum Betriebsvermögen des BgA bewirkt.6 Steuerlich hat die Zuordnung zum Betriebsvermögen des BgA im Ergebnis die gleiche Wirkung wie die Betriebsaufspaltung. Das Wirtschaftsgut wird dem steuerverhafteten Vermögen zugerechnet, wodurch eine Besteuerung der stillen Reserven gesichert ist. Die ansonsten im (nicht steuerbaren) vermögensverwaltenden Bereich der Trägerkörperschaft entstehenden Einkünfte aus

1 BFH v. 14.3.1984 – I R 223/80, BStBl. II 1984, 496; BFH v. 6.11.1985 – I R 272/81, BFH/NV 1987, 123; BFH v. 17.5.2000 – I R 50/98, BStBl. II 2001, 558; BFH v. 24.4.2002 – I R 20/01, BStBl. II 2003, 412. 2 BFH v. 14.3.1984 – I R 223/80, BStBl. II 1984, 496. 3 BFH v. 14.3.1984 – I R 223/80, BStBl. II 1984, 496; BFH v. 6.11.1985 – I R 272/81, BFH/NV 1987, 123; BFH v. 17.5.2000 – I R 50/98, BStBl. II 2001, 558; BFH v. 24.4.2002 – I R 20/01, BStBl. II 2003, 412. 4 BFH v. 6.11.2007 – I R 72/06, BStBl. II 2009, 246. 5 BFH v. 14.3.1984 – I R 223/80, BStBl. II 1984, 496. 6 BFH v. 14.3.1984 – I R 223/80, BStBl. II 1984, 496.

196 | Hinder

B. Einkommensermittlung im Sinne des § 8 KStG | Rz. 4.188 Kap. 4

der Überlassung wesentlicher Betriebsgrundlagen werden den gewerblichen Einkünften des BgA hinzugerechnet. cc) Konzessionszahlungen Ausgenommen von der Zuordnung zum notwendigen Betriebsvermögen sind solche wesentlichen Betriebsgrundlagen, die zwingend zum Hoheitsbereich der juristischen Person des öffentlichen Rechts gehören (siehe Rz. 4.153).1

4.182

Bei der Überlassung solcher Wirtschaftsgüter ist demnach ausnahmsweise auch das entrichtete Entgelt für die Überlassung wesentlicher Betriebsgrundlagen als Betriebsausgabe zu behandeln.

4.183

Die hierdurch erzielten Einnahmen sind dem hoheitlichen und nicht dem vermögensverwaltenden Bereich der Trägerkörperschaft zuzurechnen (z.B. die Einnahme einer Gebühr für eine Sondernutzung). Da in diesem Fall bei Anwendung der Grundsätze der Betriebsaufspaltung auch kein (Vermietungs-)BgA der Trägerkörperschaft zu erfassen wäre, ist der Ausschluss des Betriebsausgabenabzugs aus Gründen der Wettbewerbsgleichheit nicht erforderlich. Es besteht bereits keine Wettbewerbssituation zu Betrieben der Privatwirtschaft, da diesen durch ihre Gesellschafter ohnehin keine Sondernutzungsrechte eingeräumt werden können.2

4.184

dd) Darlehenszinsen Darlehensverträge zwischen der Trägerkörperschaft und dem BgA werden ebenfalls grundsätzlich anerkannt.3 Die Überlassung von Kapital der Trägerkörperschaft an den BgA kann folglich in Form einer Einlage (Eigenkapital) oder als Darlehen (Fremdkapital) erfolgen. Zur Abgrenzung eines Darlehen von einer Einlage ist eine ausdrückliche, im Vorhinein getroffene Vereinbarung über die darlehensweise Überlassung erforderlich.4

4.185

Zinsen für eine Kapitalüberlassung der Trägerkörperschaft an einen BgA können grundsätzlich in angemessener Höhe als Betriebsausgaben abgezogen werden.5 Durch Zinsaufwendungen, die als Betriebsausgaben das Einkommen des BgA mindern, kann die juristische Person des öffentlichen Rechts ihre Körperschaftsteuer- und Kapitalertragsteuerbelastung reduzieren.

4.186

Die Zinsen führen jedoch insoweit zu vGA, als die Darlehensmittel eine unzureichende Eigenkapitalausstattung des Betriebs ausgleichen.6

4.187

Ohne diese Einschränkung bestünde hinsichtlich der Kapitalausstattung ein Vorteil des BgA gegenüber privatwirtschaftlichen Wettbewerbern. Das Vermögen des BgA ist zivilrechtlich kein von der Trägerkörperschaft getrenntes eigenständiges Vermögen. Es besteht weder rechtlich (kein Nennkapital erforderlich) noch nach wirtschaftlichem Ermessen (z.B. kein Kriteri-

4.188

1 BFH v. 17.5.2000 – I R 50/98, BStBl. II 2001, 558; BFH v. 6.11.2007 – I R 72/06, BStBl. II 2009, 246. 2 BFH v. 6.11.2007 – I R 72/06, BStBl. II 2009, 246. 3 BFH v. 6.8.1962 – I 65/60, BStBl. III 1962, 450; BFH v. 1.9.1982 – I R 52/78, BStBl. II 1983, 147; BFH v. 24.4.2002 – I R 20/01, BStBl. II 2003, 412; BFH v. 9.7.2003 – I R 48/02, BStBl. II 2004, 425. 4 BFH v. 24.4.2002 – I R 20/01, BStBl. II 2003, 412; Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 299. 5 BFH v. 9.7.2003 – I R 48/02, BStBl. II 2004, 425. 6 BFH v. 9.7.2003 – I R 48/02, BStBl. II 2004, 425; BFH v. 1.9.1982 – I R 52/78, BStBl. II 1983, 147; BFH v. 6.8.1962 – I 65/60 U, BStBl. III 1962, 450.

Hinder | 197

Kap. 4 Rz. 4.188 | Körperschaftsteuer

um der Kreditwürdigkeit, da keine auf Eigenkapital beschränkte Haftung des BgA) die Notwendigkeit einer mit dem Nennkapital einer Kapitalgesellschaft vergleichbaren Eigenkapitalausstattung.1 Durch eine hierdurch ermöglichte weitgehende Fremdfinanzierung könnte die juristische Person des öffentlichen Rechts Gewinne aus dem steuerbaren Bereich des BgA in den Hoheitsbereich verlagern.

4.189

Um eine Vermögenszuordnung zu erreichen, welche vergleichbar der Ermessensentscheidung eines Gesellschafters über die Einlage von Eigenkapital in das Gesellschaftsvermögen ist, wird eine Kapitalüberlassung durch die Trägerkörperschaft unabhängig von einer bestehenden Darlehensvereinbarung als Einlage in das Betriebsvermögen des BgA betrachtet, soweit dieser nicht angemessen mit Eigenkapital ausgestattet ist. Die Gewährung von Fremdkapital in Form eines Darlehens (und damit der Abzug von Betriebsausgaben) kann nur erfolgen, wenn der BgA mit Eigenkapital in angemessener Höhe ausgestattet ist.2

4.190

Ob eine angemessene Ausstattung mit Eigenkapital besteht, bemisst sich nach dem Verhältnis des Eigenkapitals zum Aktivvermögen des BgA (Eigenkapitalquote). Die angemessene Höhe der Eigenkapitalquote richtet sich im Einzelfall nach der Kapitalstruktur gleichartiger Unternehmen der Privatwirtschaft. Ein der Bewertung zugrunde zu legender Prozentsatz kann nicht festgeschrieben werden. Er ist vielmehr an die des maßgeblichen Zeitraums anzupassen. Die Finanzverwaltung geht in R 8.2 Abs. 2 KStR 2015 davon aus, dass ein BgA „grundsätzlich mit einem angemessenen Eigenkapital ausgestattet ist, wenn das Eigenkapital mindestens 30 % des Aktivvermögens beträgt“. Die Rechtsprechung ist an diese normeninterpretierende Verwaltungsvorschrift nicht gebunden.3 ee) Spenden und Sponsoring

4.191

Auch Spenden im Sinne des § 9 KStG des BgA an die Trägerkörperschaft können gewinnmindernd anerkannt werden (R 9 Abs. 7 KStR). Entscheidend für die Anerkennung ist, ob der Betrieb bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters die Spende einer Körperschaft, die nicht ihr Träger ist oder ihr nahesteht, nicht gegeben hätte.4 Im Zweifel ist auf das Spendenverhalten des BgA während eines längeren Zeitraums abzustellen. Zu würdigen ist dabei, in welchem Verhältnis die Spenden an die Trägerkörperschaft zu Spenden an fremde, gemeinnützige Körperschaften oder Einrichtungen stehen.5 Übersteigen die im Wirtschaftsjahr an die Trägerkörperschaft insgesamt geleisteten Spenden den Betrag, der im gleichen Wirtschaftsjahr und in den beiden vorangegangenen Wirtschaftsjahren durchschnittlich an Dritte geleistet wurde, liegt grundsätzlich eine vGA vor. Spenden, die als offene Gewinnausschüttung zu beurteilen sind oder Durchlaufspenden über die Trägerkörperschaft an Dritte, sind dabei nicht als Spenden an die Trägerkörperschaft zu berücksichtigen. Durchlaufspenden sind ausnahmsweise zu berücksichtigen, wenn der Trägerkörperschaft hierdurch eigene Aufwendungen erspart werden.6 Bei mehreren Trägern ist als Durchschnittswert für den Vergleich der Spendenrahmen für die Gesamtheit der Träger maßgeblich.7 Ein abweichendes Spendenverhalten kann ausnahmsweise durch besondere Umstände gerechtfertigt 1 2 3 4 5 6 7

BFH v. 6.8.1962 – I 65/60 U, BStBl. III 1962, 450. BFH v. 6.8.1962 – I 65/60 U, BStBl. III 1962, 450. BFH v. 9.7.2003 – I R 48/02, BStBl. II 2004, 425. BFH v. 12.10.1978 – I R 149/75, BStBl. II 1979, 192. BFH v. 12.10.1978 – I R 149/75, BStBl. II 1979, 192. BFH v. 8.4.1992 – I R 126/90, BStBl. II 1992, 849. BFH v. 1.12.1982 – I R 101/79, BStBl. II 1983, 150.

198 | Hinder

B. Einkommensermittlung im Sinne des § 8 KStG | Rz. 4.197 Kap. 4

sein. Ein besonderer Umstand wurde vom BFH allerdings nicht bei dem Umstand bejaht, dass auch von der örtlichen gewerblichen Wirtschaft erhebliche Spendenbeträge an den Träger des BgA geleistet wurden.1 Bei Leistungen im Rahmen eines Sponsorings sind Spenden von (sonstigen) Betriebsausgaben abzugrenzen. Maßgebend ist dabei die Motivation des Ausgebenden, wie sie durch die äußeren Umstände erkennbar wird. Aufwendungen für einen gemeinnützigen Zweck führen nicht alleine deswegen zu Betriebsausgaben, wenn durch die Aufwendung die Öffentlichkeit auf die Person des Spenders aufmerksam gemacht wird.2 Liegt keine konkrete Gegenleistung vor, ist eine Spende anzunehmen.3

4.192

Durch die Zuwendung kann auch der nach § 10d EStG berücksichtigungsfähige Verlust erhöht werden.

4.193

ff) Dauerverluste Bei dauerhaften Verlusten zugunsten des Trägers ist grundsätzlich von einer vGA auszugehen. Eine Ausnahme besteht bei privilegierten Dauerverlustbetrieben im Sinne des § 8 Abs. 7 KStG (hierzu s. Rz. 4.236).

4.194

c) Überführung von Wirtschaftsgütern in den Hoheitsbereich oder einen anderen Betrieb gewerblicher Art der Trägerkörperschaft Werden Wirtschaftsgüter ohne entsprechende Gegenleistung aus dem Betriebsvermögen des BgA in den Hoheitsbereich der Trägerkörperschaft überführt, ist dies als Gewinnausschüttung zu beurteilen.4 Keine Gewinnausschüttung liegt dagegen vor, wenn das Wirtschaftsgut im Rahmen einer klaren und im Voraus abgeschlossenen Vereinbarung erfolgt, welche einem Fremdvergleich standhält.5

4.195

Wird ein Wirtschaftsgut von einem BgA in einen anderen überführt, ist hierin zunächst eine vGA des übertragenden BgA an die Trägerkörperschaft zu sehen. Anschließend erfolgt durch die Trägerkörperschaft eine Einlage des Wirtschaftsguts in den anderen BgA.6 Eine steuerneutrale Übertragung nach § 6 Abs. 5 EStG ist aufgrund der vorrangigen Behandlung nach § 8 Abs. 2 KStG nicht möglich.7

4.196

Dies kann jedoch nur gelten, soweit der Übertragung keine dem Fremdvergleich standhaltende Vereinbarung zugrunde liegt. Unter der Voraussetzung einer solchen muss aus Gründen der Gleichstellung zu den Kapitalgesellschaften eine unmittelbare Übertragung zwischen den BgA (insb. unter Wahrung der stillen Reserven) möglich sein.

4.197

1 2 3 4 5

BFH v. 12.10.1978 – I R 149/75, BStBl. II 1979, 192. BFH v. 9.8.1989 – I R 4/84, BStBl. II 1990, 237. Vgl. BFH v. 25.11.1987 – I R 126/85, BStBl. II 1988, 220. BFH v. 24.4.2002 – I R 20/01, BStBl. II 2003. OFD Koblenz v. 19.5.2004 – S 2706 A – St 33 1, FR 2004, 856; OFD Magdeburg v. 28.12.2004 – S 2706 – 52 – St 216, DB 2005, 367. 6 OFD Koblenz v. 19.5.2004 – S 2706 A – St 33 1, FR 2004, 856; OFD Magdeburg v. 28.12.2004 – S 2706 – 52 – St 216, DB 2005, 367; vgl. BMF v. 11.9.2002, IV A 2 - S 1910 - 194/02 Rz. 27; Märtens in Gosch4, § 4 KStG Rz. 147. 7 Märtens in Gosch4, § 4 KStG Rz. 147.

Hinder | 199

Kap. 4 Rz. 4.198 | Körperschaftsteuer

d) Einlagen und Betriebseinnahmen

4.198

Die Trägerkörperschaft führt gem. § 27 Abs. 7 KStG ein Einlagekonto für den BgA (§ 27 Abs. 2). Der Bestand des Einlagekontos wird am Ende des Wirtschaftsjahres gesondert festgestellt (§ 27 Abs. 2 KStG).1

4.199

Die Abgrenzung von Einlagen zu Betriebseinnahmen erfolgt entsprechend der Abgrenzung von vGA zu Betriebsausgaben mittels Fremdvergleichs (vgl. Rz. 4.169). Wesentliche Betriebsgrundlagen und Kapital bis zur Höhe einer angemessenen Eigenkapitalausstattung sind jedoch stets Einlagen (siehe Rz. 4.176 und Rz. 4.182).

4.200

Ein Ausgleich von Verlusten des BgA durch die Trägerkörperschaft führt grundsätzlich zu einer Einlage. Bei Regiebetrieben gilt ein Verlust im Entstehungsjahr als durch Einlagen der Gemeinde ausgeglichen. Dies führt zu einem entsprechenden Zugang im Einlagekonto.2

4.201

Gegenstand von Einlagen können abnutzbare und nicht abnutzbare, materielle und immaterielle Wirtschaftsgüter aller Art sein.3

4.202

Aus der entsprechend anzuwendenden Vorschrift des § 6 Abs.1 Nr. 5 1. HS EStG ergibt sich, dass Wirtschaftsgüter, die eine juristische Person des öffentlichen Rechts in den von ihr getragenen BgA einbringt, mit dem Teilwert anzusetzen sind.4 Eine Beschränkung des anzusetzenden Wertes höchstens auf die Anschaffungskosten ergibt sich, entgegen dem Wortlaut, nicht aus § 6 Abs. 1 Nr. 5 S. 1 Halbs. 2 Buchst. a und b EStG. Die Ausnahme von § 6 Abs.1 Nr. 5 S. 1 Halbs. 1 EStG ist aufgrund teleologischer Reduktion nicht anzuwenden, wenn die betreffenden Wirtschaftsgüter aus einem nicht steuerpflichtigen Bereich in ein Betriebsvermögen überführt werden und dadurch erstmals steuerverhaftet werden. Durch Ansatz der (ggf. unter dem Teilwert zur Zeit der Einlage liegenden) Anschaffungskosten würden sonst, in systemwidriger Weise, auch die stillen Reserven steuerverhaftet, welche noch im nichtsteuerbaren Bereich gebildet wurden.5

4.203

Durch eine betriebliche Tätigkeit des BgA veranlasste Zuschüsse stellen Betriebseinnahmen dar.6 Werden mit Zuschüssen Anlagegüter angeschafft (Investitionszuschüsse) besteht aus Billigkeitsgründen (§ 163 AO)7 ein Wahlrecht, die Zuschüsse erfolgsneutral zu behandeln. In diesem Fall dürfen die Anlagegüter, für die die Zuschüsse gewährt worden sind, nur mit den Anschaffungs- oder Herstellungskosten bewertet werden, die der Steuerpflichtige selbst, also ohne Berücksichtigung der Zuschüsse aufgewendet hat.8 Es ist dabei nicht maßgeblich, ob es sich um eigene Zuschüsse der Trägerkörperschaft, zweckgebundene weitergeleitete Zuschüsse oder Zuschüsse unmittelbar an den BgA handelt.9 1 BFH v. 9.4.2008 – I R 68-70/06, GmbHR 2008, 1111; BFH v. 21.8.2007 – I R 78/06, BStBl. II 2008, 317. 2 BFH v. 11.9.2013 – I R 77/11, BStBl. II 2015, 161. 3 R 4.3 Abs. 1 EStR 2012. 4 BFH v. 1.7.1987 – I R 197/83, BStBl. II 1987, 865. 5 BFH v. 14.3.2011 – I R 40/10, BStBl. II 2012, 281. 6 BFH v. 3.8.2005 – I B 242/04, BFH/NV 2005, 2210; BFH v. 27.4.2000 – I R 12/98, BFH/NV 2000, 1365; BFH v. 22.1.1992 – X R 23/89, BStBl. II 1992, 488; Bürstinghaus in H/H/R, § 4 KStG Rz. 119; Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 321; Märtens in Gosch4, § 4 KStG Rz. 164. 7 BFH v. 19.7.1995 – I R 56/94, BStBl. II 1996, 28. 8 R 6.5 EStR 2012. 9 Vgl. Müller-Gatermann, FR 2009, 314 (319); Märtens in Gosch4, § 4 KStG Rz. 164; anders BayLfSt v. 21.8.2006 – S 2706 – 27 St 31N; OFD Cottbus v. 13.1.2004 – S 2706 – 28 – St 224.

200 | Hinder

B. Einkommensermittlung im Sinne des § 8 KStG | Rz. 4.210 Kap. 4

Auch Ausgleichszahlungen von Trägern öffentlicher Verkehrsunternehmen an diese Unternehmen nach Verordnung (EG) Nummer 1370/2007 können im Ergebnis ertragsteuerlich als Einlagen zu behandeln sein. Einer Unterscheidung nach eigen- und gemeinwirtschaftlichen Verkehren bedarf es nicht. Die Vereinbarungen können im Einzelfall schuldrechtlich oder gesellschaftsrechtlich ausgestaltet sein. Bei gesellschaftsrechtlicher Ausgestaltung führen die Ausgleichszahlungen zu Einlagen.1

4.204

IV. § 8b KStG Bezüge und Veräußerungsgewinne aus Beteiligungen an Körperschaften und Personenvereinigungen im Sinne des § 8b KStG bleiben bei der Einkommensermittlung des BgA außer Ansatz. 5 % des gem. § 8b Abs. 2 KStG freigestellten Veräußerungsgewinns gelten als nicht abziehbare Betriebsausgaben im Sinne des § 8b Abs. 3 KStG. Gleiches nach § 8b Abs. 5 für 5 % der freigestellten Bezüge im Sinne des § 8b Abs. 1 KStG. Die Bezüge sind gem. § 8b Abs. 4 KStG ausnahmsweise bei der Einkommensermittlung zu berücksichtigen, wenn die Beteiligung, aus der die Bezüge stammen, zu Beginn des Kalenderjahres unmittelbar weniger als 10 % des Grund- oder Stammkapitals betragen hat (Streubesitzdividende).

4.205

Nach § 8b Abs. 6 KStG gelten § 8b Abs. 1-5 KStG auch für Bezüge und Gewinne aus einer mittelbar über eine andere juristische Person des öffentlichen Rechts gehaltenen Beteiligung. Bei der die Beteiligung vermittelnden juristischen Person des öffentlichen Rechts dürfen die Bezüge und Gewinne nicht selbst in einem BgA erfasst werden (sonst ist § 8b Abs. 1 und 2 direkt auf beiden Beteiligungsstufen anwendbar). Die Bezüge (Abs. 1) und Gewinne (Abs. 2) aus der mittelbar über die juristische Person des öffentlichen Rechts gehaltenen Beteiligung bleiben danach bei der Einkommensermittlung außer Ansatz. Die Regelungen zur Fiktion nicht abziehbarer Betriebsausgaben (Abs. 3 und 5) und zu Streubesitzdividenden (Abs. 4) sind ebenfalls entsprechend anzuwenden.

4.206

Die für die Bezüge und Gewinne erhobene Kapitalertragsteuer kann gem. § 36 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b EStG i.V.m. § 31 KStG auf die Körperschaftsteuer angerechnet werden.

4.207

Zur Anwendung des § 8 b KStG bei Bezügen aus einem BgA mit eigener Rechtspersönlichkeit im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a EStG (s. Rz. 4.294).

4.208

V. Verlustverrechnung 1. Innerhalb einer BgA Die Verrechnung von Verlusten ist im Rahmen eines BgA möglich. Eine Verlustverrechnung zwischen unterschiedlichen BgA oder mit der juristischen Person des öffentlichen Rechts ist aufgrund der isolierten Betrachtung grundsätzlich nicht möglich. Eine Verrechnung zwischen BgA der juristischen Person des öffentlichen Rechts kann nur ausnahmsweise im Rahmen einer Zusammenfassung unter den Voraussetzungen des § 4 Abs. 6 KStG erfolgen.

4.209

2. Zusammenfassung in einer Kapitalgesellschaft Bei Zusammenfassung mehrerer wirtschaftlicher Tätigkeiten in einer Eigengesellschaft ist eine Ergebnisverrechnung grundsätzlich möglich.

1 BMF v. 12.2.2010 IV C 2 - S 2706/07/10002, BStBl. I 2019, 97.

Hinder | 201

4.210

Kap. 4 Rz. 4.211 | Körperschaftsteuer

4.211

Für die Zusammenfassung in einer Kapitalgesellschaft sind die für BgA geltenden Zusammenfassungsgrundsätze des § 4 Abs. 6 KStG nicht unmittelbar anwendbar. In einer Zusammenfassung entgegen dieser Grundsätze ist grundsätzlich kein Gestaltungsmissbrauch im Sinne des § 42 AO zu sehen (s. Rz. 4.133).1

4.212

Die Verlustverrechnung wird jedoch durch die konsequente Anwendung der vGA-Grundsätze auf Eigengesellschaften beschränkt.2 Für den praktisch relevanten Fall der Dauerverluste, die wegen § 8 Abs. 7 S. 1 Nr. 2 KStG keine vGA zur Folge haben, wird die Verrechnung durch § 8 Abs. 9 KStG eingeschränkt. Hierdurch wird ein weitgehend den Zusammenfassungsgrundsätzen für BgA in § 4 Abs. 6 KStG entsprechendes Ergebnis erreicht.

4.213

Einer durch die Finanzverwaltung in der Vergangenheit erwogenen unmittelbaren Anwendung der Zusammenfassungsgrundsätze3 oder einer an diesen Grundsätzen orientieren Annahme eines Gestaltungsmissbrauchs4 ist damit die Grundlage entzogen.

3. Einlage von Beteiligungen an einer Eigengesellschaft in einen Betrieb gewerblicher Art 4.214

Beteiligungen an Kapitalgesellschaften können in das Betriebsvermögen des BgA eingelegt werden.5

4.215

Entsprechend der Voraussetzungen zur Bildung von gewillkürtem Betriebsvermögen (s. Rz. 4.153), wird bei der Einlage von Gesellschaftsanteilen verlangt, dass diese in einem objektiven Zusammenhang zum BgA stehen und geeignet und bestimmt sind, diesen zu fördern.6

4.216

Danach ist die Einbringung von gewinnbringenden Beteiligungen an Kapitalgesellschaften aus dem Hoheitsvermögen in das Betriebsvermögen eines verlustbringenden BgA möglich. Eine Verminderung der Körperschaftsteuerbelastung bei der eingebrachten Kapitalgesellschaft ist hierdurch aufgrund der eigenständigen Einkommensermittlung nicht möglich. Jedoch kann durch die Einlage die Kapitalertragsteuerbelastung im Ergebnis verringert werden. Die Einbringung der Anteile in den BgA kann einen eigenständigen BgA der Trägerkörperschaft begründen (s. Rz. 4.50)7.

4.217

Bei Ausschüttung des Gewinns der Kapitalgesellschaft an den BgA ist zwar zunächst Kapitalertragsteuer in Höhe von 25 % einzubehalten. Die Belastung ist jedoch nicht definitiv und kann auf die KSt des BgA angerechnet werden. Der Ausschüttungsgewinn kann beim BgA mit dessen Verlusten verrechnet werden. Eine Gewinnausschüttung an die Trägerkörperschaft erfolgt soweit der Ausschüttungsbetrag den Verlust übersteigt. Im Ergebnis kann so die Bemessungsgrundlage für die Kapitalertragsteuer in Höhe des Verlusts des BgA gemindert werden. Die körperschaftsteuerliche Bemessungsgrundlage wird auf Ebene des BgA gem. § 8b Abs. 1 u. 3 KStG um 5 % des Ausschüttungswertes erhöht. Zu einer KSt-Belastung führt dies nur, soweit dieser Betrag den Verlust des BgA übersteigt.8 1 2 3 4 5 6 7 8

BFH v. 22.8.2007 – I R 32/06, BStBl. II 2007, 961; BFH v. 14.7.2004 – I R 9/03, BFHE 207, 142. BFH v. 22.8.2007 – I R 32/06, BStBl. II 2007, 961; BFH v. 14.7.2004 – I R 9/03, BFHE 207, 142. R 7 Abs. 2 S. 2 KStR 2004. Abschn. 5 Abs. 11a S. 2 u. 3 KStR 1995. Jürgens in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand § 5 Rz. 513. Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 182. Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 182. Z.T. wird vertreten, dass eine Verrechnung mit den Verlusten des BgA ausgeschlossen ist.

202 | Hinder

B. Einkommensermittlung im Sinne des § 8 KStG | Rz. 4.225 Kap. 4 Hinweis: Wenn absehbar ist, dass die Erträge der Beteiligung auf Dauer die Defizite des BgA übersteigen werden, ist dieser gewerbesteuerpflichtig.1 Der gewerbesteuerliche Gewinn ist jedoch gem. § 9 Nr. 2a GewStG um die Beteiligungserträge zu kürzen, wenn die Beteiligung mindestens 15 Prozent des Grund- oder Stammkapitals beträgt.

4. Einlage von Beteiligungen an einer Eigengesellschaft in eine Eigengesellschaft Durch die Einlage von Beteiligungen an einer Eigengesellschaft in eine andere Eigengesellschaft ist bei dieser eine Verrechnung der Ausschüttungsgewinne mit Verlusten aus der unmittelbaren Tätigkeit möglich. Verluste aus Dauerverlustgeschäften führen insbesondere gem. § 8 Abs. 7 KStG nicht zu einer vGA.

4.218

Wie bei der Einlage von Kapitalbeteiligungen in einen BgA wird die Körperschaftsteuerbelastung hierdurch nicht verringert. Die Kapitalertragsteuer kann jedoch gemindert werden.

4.219

Anders als bei der Einlage von Kapitalbeteiligungen in einen BgA sind für die Einlage in eine Eigengesellschaft die Voraussetzungen des gewillkürten Betriebsvermögens nicht erforderlich.2

4.220

Die Verlustverrechnung ist bei der Eigengesellschaft im praktisch relevanten Fall der Dauerverluste (§ 8 Abs. 7 KStG) jedoch gem. § 8 Abs. 9 KStG nur mit Gewinnen aus der gleichen Sparte möglich. Es ist demnach erforderlich, die gewinnbringende Beteiligung bei der Eigengesellschaft einer Sparte zuzurechnen.3

4.221

5. Organschaft Die ertragsteuerliche Organschaft führt zu einer Durchbrechung der eigenständigen Gewinnermittlung. Hierdurch ist eine Verlustverrechnung zum Zwecke der Körperschaftsteuer grundsätzlich möglich.

4.222

Organträger kann sowohl eine Eigengesellschaft als auch ein BgA sein. Der Organträger muss jedoch gem. § 14 Abs. 1 S. 1 KStG ein gewerbliches Unternehmen sein. Ein dauerdefizitärer BgA ist aufgrund fehlender Gewinnerzielungsabsicht kein gewerbliches Unternehmen und kann somit kein Organträger sein.4 Ein BgA, der auch Dauerverlustgeschäfte im Sinne des § 8 Abs. 7 KStG ausübt, kann Organträger sein, wenn er insgesamt ein gewerbliches Unternehmen ist.5

4.223

Die Verlustverrechnung wird jedoch durch die vGA-Grundsätze beschränkt. Liegt auf Ebene der Organgesellschaft eine vGA vor, ist bereits das dem Organträger zuzurechnende Organeinkommen nach § 8 Abs. 3 S. 2 KStG zu erhöhen.

4.224

Eine Ausnahme besteht für Dauerverlustgeschäfte im Sinne des § 8 Abs. 7 S. 2 KStG. Für diese ist gem. § 15 S. 1 Nr. 4 S. 1 KStG auf Ebene der Organgesellschaft § 8 Abs. 3 S. 2 KStG mit der Rechtsfolge einer vGA ausgeschlossen. Ob die ebenfalls in § 15 S. 1 Nr. 4 S. 1 KStG geregelte Nichtanwendung des § 8 Abs. 7 KStG erforderlich gewesen wäre, ist umstritten aber im Ergebnis unerheblich.

4.225

1 2 3 4

BFH v. 25.7.2002 – I B 52/02, BFH/NV 2002, 1341. Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 193. BMF v. 12.11.2009, IV C 7-S 2706/08/10004 Rz. 80. BMF v. 12.11.2009, IV C 7-S 2706/08/10004 Rz. 94; BMF v. 26.8.2003 – IV A 2 - S 2770 – 18/03 BStBl. I 2003, 437 Rz. 5. 5 R 4.2 S. 4 KStR 2015.

Hinder | 203

Kap. 4 Rz. 4.226 | Körperschaftsteuer

4.226

Gemäß § 15 S. 1 Nr. 4 S. 2 KStG ist § 8 Abs. 3 S. 2 und Abs. 7 KStG jedoch bei der Ermittlung des Einkommens des Organträgers anzuwenden, wenn das diesem zugerechnete Einkommen Verluste aus Dauerverlustgeschäften enthält.

4.227

Im Ergebnis ist damit für Dauerverlustgeschäfte die gesamte Frage der vGA und der Privilegierung durch Ausschluss der Rechtsfolge der vGA auf die Ebene des Organträgers verlagert. § 15 S. 1 Nr. 5 S. 1 KStG regelt, dass auch die Spartenrechnung des § 8 Abs. 9 KStG auf Ebene der Organgesellschaft nicht vorzunehmen ist. Nach § 15 S.1 Nr. 5 S. 2 KStG ist § 8 Abs. 9 KStG dafür bei der Ermittlung des Einkommens des Organträgers anzuwenden, wenn in dem ihm zugerechneten Organeinkommen Einkommen einer Kapitalgesellschaft enthalten ist, auf die § 8 Abs. 7 S. 1 Nr. 2 KStG anzuwenden ist. Die Anwendung der Spartenrechnung erfolgt auch, wenn es sich bei dem Organträger um einen BgA handelt.1

4.228

Die Spartenrechnung unter Einbeziehung des Organeinkommens erfolgt über den Wortlaut des § 15 S. 1 Nr. 5 S. 2 KStG hinaus auch, wenn der Organträger selbst ein Dauerverlustgeschäft tätigt. Die gesamte Tätigkeit des Organkreises ist so zu behandeln als sei sie durch einen BgA bzw. eine Eigengesellschaft ausgeübt worden.2 Es sind demnach auf Ebene des Organträgers Sparten im Sinne des § 8 Abs. 9 KStG zu bilden, denen das gesamte Einkommen des Organkreises zuzuordnen ist. Im Ergebnis ist damit eine Verrechnung von Verlusten aus den privilegierten Dauerverlustgeschäften innerhalb des Organkreises nur mit Gewinnen der gleichen Sparte möglich.3

6. Verlustabzug gem. § 10d EStG 4.229

Innerhalb eines BgA können Gewinne gem. § 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 10d EStG mit nicht ausgeglichenen Verlusten aus den vorangegangenen oder folgenden Veranlagungszeiträumen verrechnet werden.4

4.230

Bei der Zusammenfassung von BgA ist § 10d EStG auf den sich durch die Zusammenfassung ergebenden BgA anzuwenden. Für den Verlustabzug gelten jedoch besondere Einschränkungen, sofern es sich bei den zusammengefassten BgA nicht um gleichartige BgA im Sinne des § 4 Abs. 6 S. 1 Nr. 1 KStG handelt (§ 8 Abs. 8 S. 5 KStG).

4.231

Verluste aus der Zeit vor der Zusammenfassung können nicht beim zusammengefassten BgA abgezogen werden (§ 8 Abs. 8 S. 2 KStG). Ein vor der Zusammenfassung festgestellter Verlustvortrag kann jedoch nach Beendigung der Zusammenfassung wieder beim einzelnen BgA genutzt werden (§ 8 Abs. 8 S. 4 KStG). Verluste des zusammengefassten BgA können nicht auf die einzelnen vor der Zusammenfassung bestehenden BgA zurückgetragen werden (§ 8 Abs. 8 S. 3 KStG).

VI. Beendigung/Umwandlung eines Betriebes gewerblicher Art 4.232

Bei Aufgabe oder Veräußerung eines BgA richtet sich die Besteuerung nach den allgemeinen Grundsätzen. Im Falle der Aufgabe eines BgA sind stille Reserven aufzulösen und der Aufgabegewinn zu versteuern.5 1 2 3 4 5

BMF v. 12.11.2009, IV C 7-S 2706/08/10004 Rz. 92. Dötsch in D/P/M, § 15 KStG Rz. 99b. Walter in Bott/Walter, § 15 KStG Rz. 75. BMF v. 12.11.2009, BStBl. I 2009, 1303 Rz. 64. FG München v. 17.2.2004 – 6 K 2914/01, NV.

204 | Hinder

B. Einkommensermittlung im Sinne des § 8 KStG | Rz. 4.238 Kap. 4

Wird ein BgA veräußert, ist der Veräußerungsgewinn zu ermitteln. Fallen die Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens, die bei der Veräußerung nicht auf den Erwerber übergehen, in das allgemeine Vermögen der Trägerkörperschaft zurück, sind die stillen Reserven aufzulösen und zu versteuern.1

4.233

Ein Verpachtungs-BgA kann nur durch tatsächliche Aufgabe der Verpachtungstätigkeit oder Veräußerung beendet werden.2

4.234

Bei der Umwandlung einer Eigengesellschaft in eine AöR nach landesrechtlichen Vorschriften dürften die Regelungen des UmwStG regelmäßig nicht anwendbar sein. Es fehlt hierzu an der gem. § 1 Abs. 1 Nr. 3 UmwStG geforderten Entsprechung zu einer Umwandlung nach § 1 Abs. 1 UmwG.3 Damit kann insbesondere eine Einbringung zu Buchwerten nicht nach § 20 Abs. 2 S. 2 UmwStG erfolgen. Die Übertragung zu Buchwerten dürfte jedoch nach § 6 Abs. 3 EStG möglich sein.4 Ein Übergang von Verlustvorträgen erfolgt jedoch nicht.5

4.235

VII. Dauerverlustbetriebe 1. vGA-Grundsätze Eine vGA liegt nach allgemeinen Grundsätzen auch dann vor, wenn eine Kapitalgesellschaft ohne angemessenes Entgelt verlustträchtige Geschäfte vornimmt, die im privaten Interesse der Gesellschafter liegen.6 Ob diese Grundsätze auch auf BgA und Eigengesellschaften anwendbar sind, war lange unklar. Als Reaktion auf die Rechtsprechung des BFH wonach die die Grundsätze zur vGA konsequent auf BgA7 und Eigengesellschaften8 anzuwenden sind, hat der Gesetzgeber mit dem JStG 2009 zur Sicherung des steuerlichen Querverbunds eine Ausnahmeregelung in § 8 Abs. 7 KStG eingefügt. Danach sind die Rechtsfolgen einer vGA nicht bereits deshalb zu ziehen, weil der BgA oder die Eigengesellschaft ein Dauerverlustgeschäft im Sinne des § 8 Abs. 7 S. 2 KStG ausübt. Mit Einführung des Ausnahmetatbestands ist aber im Umkehrschluss geklärt, dass bei dauerdefizitären Tätigkeiten von BgA grds. eine vGA vorliegen kann. Nach dem Wortlaut der Norm beschränkt sich ihr Regelungsgehalt auf den Ausschluss der Rechtsfolge der vGA für den Fall, dass nach allgemeinen Grundsätzen eine solche anzunehmen ist.9

4.236

Für die Annahme einer vGA ist es erforderlich, dass sich aus der Übernahme der Tätigkeit beim Gesellschafter ein objektiv zurechenbarer (materieller) Vorteil i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 EStG ergeben kann.10

4.237

In einem Beschluss vom 25.1.200511 hatte der BFH die Frage aufgeworfen, ob die Übernahme einer verlustbringenden Tätigkeit durch BgA immer geeignet ist, der Trägerkörperschaft einen solchen korrespondierenden Vermögensvorteil zuzuwenden. Möglicherweise sei zwischen all-

4.238

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

FG München v. 17.2.2004 – 6 K 2914/01, NV. BFH v. 1.8.1979 – I R 106/76, BStBl. II 1979, 716. BFH v. 12.1.2011 – I R 112/09, BFH/NV 2011, 1194. Storg in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand § 15 Rz. 96 f. BFH v. 12.1.2011 – I R 112/09, BFH/NV 2011, 1194. BFH v. 15.5.2002 – I R 92/00, BFHE 199, 217. BFH v. 25.1.2005 – I R 8/04, BStBl. II 2006, 190. BFH v. 22.8.2007 – I R 32/06, BStBl. II 2007, 961. Geißelmeier/Bargenda, DStR 2009, 1333 (1338). BFH v. 7.8.2002 – I R 2/02, BStBl. II 2004, 131. BFH v. 25.1.2005 – I R 8/04, BStBl. II 2006, 190.

Hinder | 205

Kap. 4 Rz. 4.238 | Körperschaftsteuer

gemeinen öffentlichen Leistungen an die Bürger und (kommunalen Pflicht-) Aufgaben der Trägerkörperschaft im engeren Sinne zu unterscheiden und nur bei letzteren eine mögliche Vorteilszuwendung anzunehmen.1

4.239

In Bezug auf Eigengesellschaften hat der BFH entschieden, dass auch die nicht kostendeckende Erbringung allgemeiner öffentlicher Leistungen an die Bürger zu einer vGA bei der Trägerkörperschaft führen kann.2 Auch bei freiwilliger Übernahme einer Aufgabe der Daseinsvorsorge vermeidet die Trägerkörperschaft infolge der Auslagerung in die Eigengesellschaft andernfalls unmittelbar bei ihr auflaufende eigene Verluste. Dass die Trägerkörperschaft insoweit einen altruistischen, ideellen Zweck verfolgt, steht dem nicht entgegen.3

4.240

Da die allgemeinen vGA-Grundsätze wie bei den Eigengesellschaften auch bei BgA anzuwenden sind, kann hier hinsichtlich einer möglichen Vorteilszuwendung an die Trägerkörperschaft nichts anderes gelten.4

4.241

Nach den allgemeinen Grundsätzen liegt eine vGA jedoch nicht nur bei Verlusten, sondern in Form einer verhinderten Vermögensmehrung auch bei Verzicht auf einen angemessenen Gewinnaufschlag vor. Ob dies auch für BgA gilt, hat der BFH ebenfalls in dem Beschluss vom 25.1.20055 in Frage gestellt. In dem Verzicht auf eine Gewinnerzielungsabsicht als Merkmal des BgA gem. § 4 Abs. 1 S. 2 KStG könnte eine gesetzliche Akzeptanz dauerdefizitärer BgA zu sehen sein. Die Annahme einer vGA wäre in diesen Fällen wertungswidersprüchlich.

4.242

In der Literatur wird deswegen eine vGA durch den Betrieb eines Verlustunternehmens durch den BgA insgesamt abgelehnt. Aufgrund der fehlenden Gewinnerzielungsabsicht seien die Verluste nicht durch das Trägerschaftsverhältnis, sondern betrieblich veranlasst.6 Lediglich bei Vorliegen direkter Leistungsbeziehungen zwischen dem BgA und der Trägerkörperschaft könne von einer vGA ausgegangen werden.7

4.243

Eine solche Beschränkung der vGA auf direkte Leistungsbeziehungen hätte praktisch einen Ausschluss der vGA für Dauerverlustgeschäfte im Sinne des § 8 Abs. 7 S. 2 KStG zur Folge. Dies ließe sich schwerlich mit dem Rechtsfolgenausschluss des § 8 Abs. 7 KStG vereinbaren. Trotz der geäußerten Bedenken ist daher anzunehmen, dass der Gesetzgeber mit § 8 Abs. 7 KStG die Anwendbarkeit der vGA-Grundsätze sowohl für Eigengesellschaften als auch BgA festgeschrieben hat.8 Zur Abmilderung der wirtschaftlichen Folgen hat er sich für einen Rechtsfolgenausschluss entschieden.

4.244

§ 4 Abs. 1 KStG umschreibt richtigerweise lediglich den Gegenstand der sachlichen Steuerpflicht. Hinsichtlich der Einkommensermittlung bleibt es bei den allgemeinen Grundsätzen des § 8 KStG.9 Damit hat grundsätzlich auch ein angemessener Gewinnaufschlag zu erfolgen. Der Verzicht auf einen angemessenen Gewinnaufschlag führt nur ausnahmsweise nicht zu ei1 2 3 4 5 6 7 8

Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 171. BFH v. 22.8.2007 – I R 32/06, BFHE 218, 523, BStBl. II 2007, 961. BFH v. 22.8.2007 – I R 32/06, BFHE 218, 523, BStBl. II 2007, 961. Vgl. Gosch in Gosch4, § 8 KStG Rz. 1042. BFH v. 25.1.2005 – I R 8/04, BStBl. II 2006, 190. Storg, BB 2005, 1993 (1993); Schiffers, GmbH-StB 2006, 325 (325). Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 317. Paetsch in Rödder/Herlinghaus/Neumann, § 8 KStG Rz. 1834, i.E. auch Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 317. 9 Gosch in Gosch4, § 8 KStG Rz. 1042.

206 | Hinder

B. Einkommensermittlung im Sinne des § 8 KStG | Rz. 4.247 Kap. 4

ner vGA, wenn es dem BgA nach dem Kostendeckungsprinzip gesetzlich versagt ist, einen angemessenen Gewinnaufschlag zu verlangen. Der Verzicht ist in diesen Fällen nicht durch das Trägerschaftsverhältnis veranlasst.1 Danach ist bei dauerdefizitär tätigen BgA und Eigengesellschaften regelmäßig von einer Vorteilszuwendung an die Trägerkörperschaft und damit einer vGA auszugehen. Die Rechtsfolge der vGA ist jedoch gem. § 8 Abs. 7 KStG für bestimmte Dauerverlustgeschäfte von BgA oder Kapitalgesellschaften der öffentlichen Hand ausgeschlossen.

4.245

2. Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht a) Art. 3 GG Die Regelung des § 8 Abs. 7 KStG verstößt nach Auffassung des BFH nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG, da diese aufgrund der Förderung der Allgemeinheit im Rahmen der kommunalen Daseinsvorsorge gerechtfertigt sei.2 Der BFH hat für diese Rechtsprechung teilweise Kritik erfahren, da die Schaffung einer solchen Sonderregelung einen Wettbewerbsvorteil für die öffentliche Hand bedeutet.3 Somit wird seitens Teilen der Literatur eine den Gleichheitsanforderungen des Art. 3 GG und der Neutralität des Steuerrechts widersprechende Vorschrift angenommen.4 Diese Ansicht wird von der h.M.5 abgelehnt und überzeugt aufgrund der vom Gesetzgeber intendierten Förderung der Allgemeinheit durch BgA und kommunale Gesellschaften nicht, die explizit in Satz 2 des § 8 Abs. 7 KStG normiert ist. Ferner besteht eine faktische Erwartungshaltung seitens der Bürger, dass solche Leistungen kommunal angeboten werden.6 Somit verbleiben nur wenige Bedenken, dem BFH zu folgen, die in § 8 Abs. 7 KStG normierte Ungleichbehandlung im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG im Ergebnis als gerechtfertigt anzusehen.

4.246

b) Beihilferecht, Art. 107 AEUV Die Vereinbarkeit des § 8 Abs. 7 KStG mit dem europäischen Beihilferecht ist umstritten. Eine Vorlage des BFH an den EuGH zur Klärung dieser Frage hinsichtlich des § 8 Abs. 7 S. 1 Nr. 2 i.V.m. S. 2 KStG7 ist durch Revisionsrücknahme gegenstandslos geworden8. Die Vorlage an den EuGH betraf zwar lediglich den Ausschluss der vGA bei Dauerverlustgeschäften von Kapitalgesellschaften in öffentlicher Hand. Die Vereinbarkeit mit dem europäischen Beihilferecht ist jedoch auch für die entsprechende Regelung bei BgA umstritten. Die Beantwortung der Frage ist angesichts eines drohenden Anwendungsverbots nach Art. 108 Abs. 3 AEUV von hoher praktischer Relevanz. Auch wenn eine abschließende Klärung bisher durch die Revisionsrücknahme verhindert wurde, ist damit zu rechnen, dass weitere Verfahren der Klärung dieser Frage bedürfen. Es besteht außerdem die Möglichkeit, dass die Kommission von sich aus ein Prüfungsverfahren einleitet. 1 Vgl. BFH v. 29.3.2000 – I R 32/99, BStBl. II 2000, 496. 2 Meier/Semelka in H/H/R, § 8 KStG Rz. 542; Rengers in Blümich155, § 8 KStG Rz. 1106; vgl. BFH v. 11.12.2018 – VIII R 44/15, BFHE 263, 407. 3 Heger in FR 2009, 301 (307); Jürgens in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand § 5 Rz. 773; Gosch in Gosch4, § 8 KStG Rz. 1043h. 4 Meier/Semelka in H/H/R, § 8 KStG Rz. 542. 5 Frotscher in Frotscher/Drüen § 8 KStG Rz. 582; Meier/Semelka in H/H/R, § 8 KStG Rz. 542; Oellerich in EFG 2017, 1375; Krämer in D/P/M, § 8 Abs. 7 KStG Rz. 40 f. 6 BT-Drucks. 16/10189, S. 69. 7 BFH, EuGH-Vorlage v. 13.3.2019 – I R 18/19, BFHE 265, 23. 8 BFH v. 29.1.2020 – I R 4/20, NV.

Hinder | 207

4.247

Kap. 4 Rz. 4.248 | Körperschaftsteuer

4.248

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs verlangt die Einstufung einer nationalen Maßnahme als „staatliche Beihilfe“ im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV, dass alle folgenden Voraussetzungen erfüllt sind: Erstens muss es sich um eine staatliche Maßnahme oder eine Maßnahme unter Inanspruchnahme staatlicher Mittel handeln. Zweitens muss die Maßnahme geeignet sein, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Drittens muss dem Begünstigten durch sie ein selektiver Vorteil gewährt werden. Viertens muss sie den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen.1

4.249

Im Ausschluss der nachteiligen Rechtsfolgen der vGA liegt eine staatliche Maßnahme durch die dem BgA bzw. der Eigengesellschaft ein Vorteil gewährt wird.2 Es ist jedoch zweifelhaft, ob es durch § 8 Abs. 7 KStG zu einer mit dem Binnenmarkt nicht vereinbaren Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten kommt. Die Daseinsvorsorge spielt sich in der Regel in einem rein lokalen Bereich ab. Eine Förderung in diesem Bereich beeinträchtigt den Binnenmarkt nicht.3 Die Argumentation des BFH4, die Möglichkeit der steuerlichen Verrechnung der Verluste mit Gewinnen aus anderen Tätigkeitsbereichen führe zu einer Beeinträchtigung des Handels im Bereich dieser Gewinntätigkeiten verkennt, dass die hierdurch erlangten steuerlichen Vorteile höchstens zu einem Ausgleich der Verluste aus der defizitären Tätigkeit führen. Für den gewinnbringenden Bereich verbleibt damit kein Vorteil, der den Wettbewerb in diesem Bereich verfälschen könnte.5 Dort wo ausnahmsweise die Möglichkeit einer überregionalen Relevanz besteht, greifen rechtfertigende Ausnahmeregeln.6

4.250

Es ist richtig, dass es für die Frage, ob die Regelung des § 8 Abs. 7 KStG als solche beihilferechtswidrig ist, nicht alleine darauf ankommt, ob die hierdurch begründeten Steuererleichterungen im Einzelfall mit dem Beihilferecht vereinbar sind.7 Vielmehr genügt die bloße Möglichkeit, dass es aufgrund der Regelung zu einer Beeinträchtigung des Handels kommt.8 Dies kann jedoch nur gelten, wenn die potenzielle Beeinträchtigung nicht außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit liegt.9 Im Falle des § 8 Abs. 7 KStG ist die Erfüllung der beihilferechtlichen Voraussetzungen durch die einzelnen Maßnahmen kein Zufall. Durch die Beschränkung auf den Bereich der Daseinsvorsorge ist die Beihilferechtskonformität der Steuervorteile vielmehr bereits in der Norm angelegt. Damit entspricht § 8 Abs. 7 KStG insgesamt noch den Anforderungen des Art. 107 AEUV. Es liegt demnach kein Verstoß gegen materielles EU-Recht vor.

4.251

Die Vereinbarkeit mit dem Beihilferecht ergibt sich jedoch teilweise erst auf Rechtfertigungsebene, so dass es sich bei § 8 Abs. 7 KStG wohl um eine (wenn auch mit dem Binnenmarkt vereinbare) Beihilfe handelt, deren Kontrolle der Kommission unterliegt (Art. 108 AEUV). Damit kommt es für die Frage der weiteren Anwendbarkeit der Norm entscheidend darauf an, ob es sich um eine Bestands- oder Neubeihilfe handelt. Sollte es sich bei der Regelung um 1 EuGH v. 21.12.2016 – C-20/15 P und C-21/15 P, EU:C:2016:981, Rz. 53, IStR 2017, 77 – World Duty Free Group. 2 BFH, EuGH-Vorlage v. 13.3.2019 – I R 18/19 –, BFHE 265, 23; a.A. Weitemeyer, FR 2009, 1 (7,9), wonach § 8 Abs. 7 KStG lediglich einer Besteuerung nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip dient. 3 FG Düsseldorf v. 30.6.2017 – 6 K 1900/15 K, EFG 2017, 1370, Weitemeyer, FR 2009, 1 (11); Gosch in Gosch4, § 8 KStG Rz. 1043a, Meier/Semelka in H/H/R, § 8 KStG Rz. 542. 4 BFH v. 13.3.2019 – I R 18/19, BFHE 265, 23. 5 Weber/Jürschik, EuZW 2020, 233 (236). 6 Vgl. zu den einzelnen Ausnahmeregelungen Weitemeyer, FR 2009, 1 (12), Hölzer, FR 2019, 749 (750); Gosch in Gosch4, § 8 KStG Rz. 1043a. 7 Märtens in FS Gosch, S. 279 (288), Weber/Jürschik, EuZW 2020, 233 (236). 8 EuGH v. 10.1.2006 – C-222/04, EU:C:2006:8, Rz. 140 – Cassa di Risparmio di Firenze. 9 Gosch in Gosch4, § 8 KStG Rz. 1043a.

208 | Hinder

B. Einkommensermittlung im Sinne des § 8 KStG | Rz. 4.257 Kap. 4

eine Neubeihilfe handeln, stellt das nicht erfolgte Notifizierungsverfahren gem. Art 108 Abs. 3 AEUV einen Verstoß gegen formelles EU-Recht dar. Dies hätte gem. Art. 108 Abs. 3 S. 2 AEUV ein Anwendungsverbot zur Folge bis die Kommission einen abschließenden Beschluss über die Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt gefasst hat. Bestehende Beihilfen unterliegen hingegen nur der fortlaufenden Überprüfung gem. Art. 108 Abs. 1 AEUV. Bestehende Beihilfen sind solche, die bereits vor Inkrafttreten des Vertrags (1.1.1958) eingeführt worden sind und auch nach dessen Inkrafttreten noch anwendbar sind (Art. 1 Buchst. b Verordnung (EG)Nr. 659/1999). Änderungen bestehender Beihilfen sind „neue“ Beihilfen (Art. 1 Buchst. c Verordnung (EG)Nr. 659/1999). Mit § 8 Abs. 7 KStG i.d.F. des JStG 2009 hat der Gesetzgeber die steuerliche Behandlung von Dauerverlustbetrieben zwar erstmals gesetzlich geregelt. Für das Vorliegen einer bestehenden Beihilfe spricht jedoch, dass er hiermit lediglich die bestehende Verwaltungspraxis festschreiben wollte.1 Bereits in R 8 Abs. 1 KStR 1955 bestand eine Regelung der steuerlichen Zusammenfassung von BgA. Diese Zusammenfassung ermöglichte die Verrechnung von Verlusten aus der Erfüllung öffentlicher Aufgaben mit Gewinnen aus wirtschaftlicher Tätigkeit.2 Dies entspricht in materieller Hinsicht der durch den Gesetzgeber mit dem JStG 2009 festgeschriebenen Rechtslage.

4.252

Eine vergleichbare Rechtslage kann im Ergebnis wohl auch für Eigengesellschaften angenommen werden.3

4.253

Der Gesetzgeber sah die bis dahin bestehende Verwaltungsauffassung durch das BFH-Urteil vom 22.8.20074 zur Anwendung der vGA-Grundsätze bei Eigengesellschaften zwar in Frage gestellt.5 Dieses Urteil entfaltet jedoch über den entschiedenen Sachverhalt hinaus keine Bindungswirkung. Insbesondere betrifft das Urteil nicht die Rechtslage hinsichtlich der BgA. Durch einen Nichtanwendungserlass hat die Finanzverwaltung vielmehr sowohl hinsichtlich der Eigengesellschaften als auch der BgA an ihrer bisherigen Auffassung festgehalten.6 Materiell-rechtlich führt § 8 Abs. 7 KStG damit lediglich die bestehende Rechtslage fort. Es handelt es sich folglich um eine bestehende Beihilfe.

4.254

Der Gesetzgeber hat die bereits bestehenden Rechtsfolgen vollumfänglich im Gesetz verankert7, so dass in der gesetzlichen Festschreibung auch keine materielle Änderung einer bestehenden Beihilfe liegt.8

4.255

Hinsichtlich der kapitalertragsteuerlichen Folgen des § 8 Abs. 7 KStG bestehen keine verfassungs- oder beihilferechtlichen Bedenken.9

4.256

3. Begünstigte Betriebe Die Regelung ist sowohl auf durch die öffentliche Hand unterhaltene BgA als auch auf Kapitalgesellschaften, bei denen die Stimmenmehrheit auf die öffentliche Hand entfällt, anwend1 BT-Drucks. 16/11108, S. 26. 2 BFH v. 20.3.1956 – I 317/55 U, BStBl. III 1956, 166. 3 FG Köln v. 9.3.2010 – 13 K 3181/05, EFG 2010, 1345; FG Sachs. v. 9.12.2010 – 1 K 184/07; a.A. BFH v. 13.3.2019 – I R 18/19, BFHE 265, 23. 4 BFH v. 22.8.2007 – I R 32/06, BStBl. II 2007, 961. 5 BT-Drucks. 16/10189 S. 69. 6 BMF v. 7.12.2007 – IV B 7 -S 2706/07/0011 BStBl. I 2007, 905. 7 BT-Drucks. 16/11108, S. 26. 8 FG Köln v. 9.3.2010 – 13 K 3181/05, EFG 2010, 1345. 9 BFH v. 11.12.2018 – VIII R 44/15, BFHE 263, 407.

Hinder | 209

4.257

Kap. 4 Rz. 4.257 | Körperschaftsteuer

bar. Die Stimmenmehrheit kann auch durch mehrere juristische Personen des öffentlichen Rechts gemeinsam gehalten werden.1 Eine Stimmenmehrheit kann sich auch aus mittelbarer Beteiligung ergeben. Entscheidend ist dabei nicht, ob auf die juristische Person des öffentlichen Rechts eine rechnerische Mehrheit der Anteile entfällt, sondern ob sie unmittelbar maßgeblichen Einfluss auf das Dauerverlustgeschäft nehmen kann. Dies ist nur dann gewährleistet, wenn jede Stufe der Beteiligungskette eine Stimmenmehrheit vermittelt.2 Die öffentliche Hand muss wirtschaftlich den gesamten aus der betreffenden Tätigkeit stammenden Verlust tragen. Eine interne Verrechnung mit Gewinnen aus anderen Tätigkeiten schadet grds. nicht. Sind neben der juristischen Person des öffentlichen Rechts auch Private an einer ein Dauerverlustgeschäft tätigenden Kapitalgesellschaft beteiligt, muss die juristische Person des öffentlichen Rechts jedoch den auf diese entfallenden Verlustanteil aus dem Dauerverlustgeschäft tragen (z.B. durch Einlage).3

4. Begünstigte Dauerverlustgeschäfte a) Verkehrs-, Umwelt-, Sozial-. Kultur-, Bildungs- oder Gesundheitspolitische Gründe

4.258

Von der Rechtsfolge einer vGA ausgeschlossen sind Dauerverlustgeschäfte im Sinne des § 8 Abs. 7 S. 2 KStG. Ein solches liegt vor, soweit aus verkehrs-, umwelt-, sozial-, kultur-, bildungsoder gesundheitspolitischen Gründen eine wirtschaftliche Betätigung ohne kostendeckendes Entgelt unterhalten wird.

4.259

Die Aufzählung der Gründe, aus denen ein Dauerverlustgeschäft getätigt werden kann, ist abschließend.4 Bei den Kapitalgesellschaften in öffentlicher Hand liegt ein Dauerverlustgeschäft außerdem vor, wenn das Geschäft Ausfluss einer Tätigkeit ist, die bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts einem Hoheitsbetrieb zuzurechnen wäre (s. Rz. 4.98).

4.260

Beispielhafte Zuordnung von Tätigkeiten zu den privilegierten Gründen5: – Verkehr: ÖPNV, Flughafenbetriebe, Parkraumbewirtschaftung, Hafen- und Fährbetriebe – Umwelt: Gewerbemüllentsorgung (soweit nicht dem hoheitlichen Bereich zuzuordnen) – Sozialpolitik: Kindergärten, Tageseinrichtungen für Kinder, Einrichtungen der Jugend- und Erwachsenenhilfe, Senioreneinrichtungen; Wirtschaftsförderung ist keine sozialpolitische Tätigkeit – Kultur: Bibliotheken, Zoologische Gärten, Museen, kulturelle Ausstellungen, Kinos, Opern, Theater, Bühnen, Orchester – Bildung: Schulen und Kurstätigkeit von Kammern (soweit nicht hoheitlich) oder Volkshochschulen – Gesundheit: Krankenhäuser, Bäder, Kuranlagen, Sportanlagen; Beherbergungsbetriebe zählen nicht zum Gesundheitsbereich

1 2 3 4 5

Lang/Bott in Bott/Walter, § 8 KStG Rz. 1445. Lang/Bott in Bott/Walter, § 8 KStG Rz. 1445; Meier/Semelka in H/H/R, § 8 KStG Rz. 554. BMF v. 12.11.2009, IV C 7-S 2706/08/10004 Rz. 30. BMF v. 12.11.2009, IV C 7-S 2706/08/10004 Rz. 40. BMF v. 12.11.2009, IV C 7-S 2706/08/10004 Rz. 40–46.

210 | Hinder

B. Einkommensermittlung im Sinne des § 8 KStG | Rz. 4.267 Kap. 4

b) Wirtschaftliche Betätigung Der BgA oder die Kapitalgesellschaft müssen sich aus den in § 8 Abs. 7 S. 2 KStG genannten Gründen wirtschaftlich ohne kostendeckendes Entgelt betätigen. Eine Betätigung ist wirtschaftlich, wenn durch sie Einnahmen getätigt werden.1 Zuschüsse oder Einlagen durch den Träger sind keine Einnahmen.2 Aufgrund schuldrechtlicher Vereinbarung durch die Trägerkörperschaft gezahlte Entgelte sind hingegen Einnahmen.3

4.261

Unentgeltlich erbrachte Leistungen sind nicht von § 8 Abs. 7 S. 2 KStG erfasst. Unentgeltliche Tätigkeiten begründen gem. § 4 Abs. 1 S. 1 KStG bereits keinen BgA. Das Erfordernis der wirtschaftlichen Betätigung stellt klar, dass auch durch Kapitalgesellschaften unentgeltlich erbrachte Leistungen kein Dauerverlustgeschäft im Sinne des § 8 Abs. 7 S. 2 KStG begründen können.4

4.262

c) Ohne kostendeckendes Entgelt Ein erhobenes Entgelt ist nicht kostendeckend, wenn es nicht den steuerlichen Aufwand übersteigt.5 Kosten im Sinne des § 8 Abs. 7 S. 2 KStG sind also die auf die Tätigkeit entfallenden Betriebsausgaben, welche auch Abschreibungen umfassen. Gemeinkosten sind anteilig zu berücksichtigen.6

4.263

Eine vGA kann nach allgemeinen Grundsätzen auch bei kostendeckendem Entgelt vorliegen, wenn kein angemessenerer Gewinnaufschlag enthalten ist. Nach dem Sinn der Vorschrift muss § 8 Abs. 7 KStG auch bei einem (gerade so) kostendeckenden Entgelt die Rechtsfolge der vGA ausschließen.7

4.264

Die Erhebung des nicht kostendeckenden Entgelts muss quantitativ und qualitativ kausal auf die Verfolgung eines der o.g. privilegierten Gründe zurückzuführen sein.8

4.265

Aus dem Wortlaut des § 8 Abs. 7 S. 2 KStG („soweit“) ergibt sich weder das Erfordernis einer ausschließlichen Motivation durch die dort genannten Gründe, noch eine Aufteilung der Kostenunterdeckung bei weiteren danebenstehenden Beweggründen. Soweit die Kostenunterdeckung in gesamter Höhe auf einen der privilegierten Gründe zurückzuführen ist, kann es auf weitere daneben bestehende Motive nicht ankommen.9

4.266

Ist die Kostenunterdeckung teilweise nicht auf die in § 8 Abs. 7 S. 2 KStG genannten Gründe zurückzuführen, kann eine Aufteilung im Wege der Schätzung erfolgen. Bei überwiegender Veranlassung durch einen privilegierten Grund ist jedoch insgesamt von einem privilegierten Dauerverlustgeschäft auszugehen.10

4.267

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Meier/Semelka in H/H/R, § 8 KStG Rz. 567. Kohlhepp in Schnitger/Fehrenbacher2, § 8 KStG Rz. 883; Gosch in Gosch4, § 8 KStG Rz. 1043l. Rengers in Blümich155, § 8 KStG Rz. 1122. Lang/Bott in Bott/Walter, § 8 KStG Rz. 1493. Kohlhepp in Schnitger/Fehrenbacher2, § 8 KStG Rz. 889. Geißelmeier/Bargenda, DStR 2009, 1333 (1338); Kohlhepp in Schnitger/Fehrenbacher2, § 8 KStG Rz. 889. BMF v. 12.11.2009, IV C 7-S 2706/08/10004 Rz. 36; Rengers in Blümich155, § 8 KStG Rz. 1122; a.A. Kohlhepp in Schnitger/Fehrenbacher2, § 8 KStG Rz. 885: Es liege bei Kostendeckung bereits keine Vorteilszuwendung an die Trägerkörperschaft vor; es bestehe damit bereits keine vGA. Meier/Semelka in H/H/R, § 8 KStG Rz. 568. A.A. Gosch in Gosch4, § 8 KStG Rz. 1043l. Meier/Semelka in H/H/R, § 8 KStG Rz. 559; Lang/Bott in Bott/Walter, § 8 KStG Rz. 1494.

Hinder | 211

Kap. 4 Rz. 4.268 | Körperschaftsteuer

d) Dauerverluste

4.268

Die nicht kostendeckende Tätigkeit muss zu dauerhaften Verlusten führen. Es ist also eine Prognose darüber anzustellen, ob mit der einzelnen Tätigkeit bei isolierter Betrachtung ein Totalgewinn erzielt wird.1 Dauerverluste liegen vor, wenn für die einzelne Tätigkeit nicht mit einem Totalgewinn zu rechnen ist. Es kann damit auch bei ausgeglichenem Ergebnis ein Dauerverlustbetrieb vorliegen. Maßgeblich für die Prognose ist ausschließlich das Ergebnis aus der Geschäftstätigkeit selbst. Dabei ist nicht der körperschaftsteuerliche Gewinn zugrunde zu legen. Die Gewinnprognose berücksichtigt vielmehr auch Betriebsvermögensmehrungen, die von der Besteuerung ausgenommen sind (z.B. Investitionszulagen oder unter § 8b KStG fallende Dividenden). Aufwendungen, die den steuerlichen Gewinn nicht mindern dürfen, sind im Rahmen der Prognose hingegen gewinnmindernd zu berücksichtigen.2 Mögliche Aufgabe- und Veräußerungsgewinne sind nicht zu berücksichtigen.3 Gewinne in einzelnen Veranlagungszeiträumen stehen der Annahme eines Dauerverlustgeschäfts nicht entgegen.4

4.269

Zur Sonderrolle von „Breitband-BgA“: BMF-Schreiben vom 9.9.2019, Az. IV C 2 - S 2706/16/ 10002. e) Ausübung unmittelbar durch den Betrieb gewerblicher Art/die Eigengesellschaft selbst

4.270

Der BgA oder die Eigengesellschaft müssen die Dauerverlustgeschäfte selbst ausüben. Der BFH sieht den Wortlaut des § 8 Abs. 7 KStG als dahingehend eindeutig. Aus den verwendeten Verben „ausüben“ (§ 8 Abs. 7 S. 1 Nrn. 1 und 2 KStG) und „unterhalten“ (§ 8 Abs. 7 S. 2 KStG) ergebe sich, dass die Norm nur solche Dauerverlustgeschäfte tatbestandlich erfasst, die von der Kapitalgesellschaft bzw. dem BgA in eigener Person unternommen werden.5

4.271

Vermietet ein BgA Wirtschaftsgüter an Dritte und überlässt diesen die privilegierte Tätigkeit, ist § 8 Abs. 7 KStG demnach grds. nicht anwendbar. Nach Ansicht der Finanzverwaltung kann jedoch ein Dauerverlustgeschäft vorliegen, wenn die nicht kostendeckende Vermietung einen eigenen Verpachtungs-BgA im Sinne des § 4 Abs. 4 KStG darstellt und der Pächter selbst ausschließlich privilegierte Tätigkeiten ausübt6 (zu den Voraussetzungen eines Verpachtungs-BgA s. Rz. 4.81).

4.272

Danach wäre eine gewerbliche Nutzungsüberlassung von Wirtschaftsgütern, welche zwar zu einem BgA führt (und damit ertragsteuerlich relevant ist), jedoch selbst keinen VermietungsBgA darstellt (z.B. Vermietung einer Mehrzweckhalle), nicht vom Anwendungsbereich des § 8 Abs. 7 KStG erfasst.7

4.273

Auch die Verpachtung von Wirtschaftsgütern oder eines Betriebs durch eine Eigengesellschaft fällt danach nicht in den Anwendungsbereich des § 8 Abs. 7 KStG.8 Verpachtet eine Eigenge1 2 3 4 5

Lang/Bott in Bott/Walter, § 8 KStG Rz. 1498. BMF v. 12.11.2009 – IV C 7 - S 2706/08/10004 BStBl. I 2009, 1303 Rz. 36. BMF v. 12.11.2009 – IV C 7 - S 2706/08/10004 BStBl. I 2009, 1303 Rz. 37. BMF v. 12.11.2009 – IV C 7 - S 2706/08/10004 BStBl. I 2009, 1303 Rz. 38. BFH v. 9.11.2016 – I R 56/15, BStBl. II 2017, 498; BFH v. 13.3.2019 – I R 66/16, BFH/NV 2019, 1360. 6 BMF v. 12.11.2009 – IV C 7 - S 2706/08/10004 BStBl. I 2009, 1303 Rz. 47. 7 BMF v. 12.11.2009 – IV C 7 - S 2706/08/10004 BStBl. I 2009, 1303 Rz. 47. 8 BFH v. 9.11.2016 – I R 56/15, BStBl. II 2017, 498; BFH v. 13.3.2019 – I R 66/16, BFH/NV 2019, 1360.

212 | Hinder

B. Einkommensermittlung im Sinne des § 8 KStG | Rz. 4.278 Kap. 4

sellschaft einen Betrieb an einen Dritten liegt somit kein Dauerverlustgeschäft vor, auch wenn der Pächter eine privilegierte Tätigkeit im Sinne des § 8 Abs. 7 S. 2 KStG unterhält. Erfolgt die Verpachtung nicht kostendeckend, hat dies zur Folge, dass die Kostenunterdeckung zu einer vGA der Eigengesellschaft an die Trägerkörperschaft führt.1 Auch wenn die Verpachtung zwar kostendeckend erfolgt, die Eigengesellschaft jedoch Zuschüsse an den Betreiber leistet, ist hierin eine vGA zu sehen.2 Dieses Verständnis ergibt sich nicht aus dem Wortlaut des § 8 Abs. 7 KStG und ist im Ergebnis abzulehnen.3 Richtig ist, dass die Formulierung „ausübt“ auf eine Ausführung in eigener Person hinweist. § 8 Abs. 7 S. 1 Nr. 1 und 2 KStG, wo diese Formulierung verwendet wird, bezieht sich jedoch auf die Definition des Dauerverlustgeschäfts in § 8 Abs. 7 S. 2 KStG. Darauf wann und in welcher Form ein solches Dauerverlustgeschäft vorliegt, kann aus dieser Formulierung demnach kein Rückschluss gezogen werden.

4.274

Ein Dauerverlustgeschäft liegt vor, soweit eine wirtschaftliche Betätigung ohne kostendeckendes Entgelt unterhalten wird. Maßgebliches Kriterium dafür, ob in der Vermietung/Verpachtung die „Ausübung“ eines Dauerverlustgeschäfts zu sehen ist, ist danach, ob hierdurch eine wirtschaftliche Tätigkeit „unterhalten“ wird. Selbst wenn „unterhalten“ im Sinne eines Unterhaltens auf eigene Rechnung verstanden wird, sollte dies bei einer Kostentragung durch den BgA bzw. die Eigengesellschaft (durch verminderte Pacht oder einen Zuschuss) gegeben sein.4

4.275

Richtigerweise übt also der BgA bzw. die Eigengesellschaft ein Dauerverlustgeschäft selbst aus, indem er die wirtschaftliche Tätigkeit des Mieters/Pächters unterhält. D.h., wenn bereits das Unterhalten der Tätigkeit als Dauerverlustgeschäft anzusehen ist, wird ein solches hierdurch auch ausgeübt.

4.276

Dieses Verständnis entspricht – wie auch vom BFH erkannt – dem Zweck der Vorschrift. Maßgeblich ist nicht, ob der BgA die Tätigkeit unmittelbar selbst ausübt, sondern ob er aufgrund der privilegierten Gründe Dauerverluste erleidet. Nach dem gesetzgeberischen Ziel Daseinsvorsorgebetriebe zu privilegieren, ist eine Anwendung des § 8 Abs. 7 KStG unabhängig von der konkreten Aufgabenverteilung geboten.5 Eine Anwendung des § 8 Abs. 7 KStG nur bei eigenständigen Verpachtungs-BgA, wie sie die Finanzverwaltung vornimmt, ist außerdem mit einer angestrebten Gleichbehandlung von BgA und Eigengesellschaften nicht vereinbar.6

4.277

VIII. Freibetrag, Steuersatz Gemäß § 24 S. 1 KStG ist vom Einkommen des BgA ein Freibetrag von 5.000,– Euro, höchstens jedoch in Höhe des Einkommens, abzuziehen. Die Körperschaftsteuer beträgt gem. § 23 Abs. 1 KStG 15 % des zu versteuernden Einkommens. Zusätzlich sind Körperschaften, die nach dem KStG körperschaftsteuerpflichtig sind, gem. § 2 Nr. 3 SolZG abgabepflichtig für den 1 BFH v. 9.11.2016 – I R 56/15, BStBl. II 2017, 498; BFH v. 13.3.2019 – I R 66/16, BFH/NV 2019, 1360. 2 BFH v. 9.11.2016 – I R 56/15, BStBl. II 2017, 498; BFH v. 13.3.2019 – I R 66/16, BFH/NV 2019, 1360. 3 So auch Hüttemann, DB 2009, 2629 (2632); Leippe, DStZ 2010, 105 (111); Schiffers, DStZ 2017, 275 (277); Musil, Ubg 2019, 224 (226); Meier/Semelka in H/H/R, § 8 KStG Rz. 559; a.A. Gosch in Gosch4, § 8 KStG Rz. 1043q. 4 Schiffers, DStZ 2017, 275 (277); Krämer in D/P/M, § 8 Abs. 7 KStG Rz. 47. 5 Lang/Bott in Bott/Walter, § 8 KStG Rz. 1501; Meier/Semelka in H/H/R, § 8 KStG Rz. 559. 6 Lang/Bott in Bott/Walter, § 8 KStG Rz. 1501.

Hinder | 213

4.278

Kap. 4 Rz. 4.278 | Körperschaftsteuer

Solidaritätszuschlag als Ergänzungsabgabe. Der Solidaritätszuschlag beträgt gem. § 4 i.V.m. § 3 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 SolZG 5,5 % der festgesetzten positiven Körperschaftsteuer.

C. Einkünfte aus Kapitalvermögen gem. § 20 Abs. 1 Nr. 10 EStG I. Allgemeines 4.279

Aus Gründen der steuerlichen Gleichbelastung regelt § 20 Abs. 1 Nr. 10 EStG eine Nachbelastung des erzielten Gewinns eines BgA auf der Ebene der Trägerkörperschaft und beinhaltet hierzu zwei Einnahmetatbestände.1

4.280

§ 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. a EStG qualifiziert Leistungen eines nicht von der Körperschaftsteuerpflicht befreiten BgA mit eigener Rechtspersönlichkeit, die mit Gewinnausschüttungen vergleichbar sind, beim Empfänger als Einkünfte aus Kapitalvermögen.2 BgA mit eigener Rechtspersönlichkeit werden im Grundsatz Kapitalgesellschaften gleichgestellt.3

4.281

§ 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG fingiert eine Ausschüttung der nicht den Rücklagen zugeführten Gewinne von BgA ohne eigene Rechtspersönlichkeit an die Trägerkörperschaft und ordnet diese bei der Trägerkörperschaft ebenfalls den Einkünften aus Kapitalvermögen zu.4

4.282

Die Einkünfte unterliegen gem. § 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 7b und 7c EStG der Kapitalertragsteuer. Die Kapitalertragsteuerbelastung beträgt für die Einkünfte aus § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. a und b EStG gem. § 43a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG 15 %.5

4.283

Bei der Trägerkörperschaft führen Einkünfte zu einer beschränkten Steuerpflicht nach § 2 Nr. 2 KStG. In diesem Fall hat der Steuerabzug gem. § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG abgeltende Wirkung. Eine Anrechnung auf die Körperschaftsteuer ist damit hingegen nicht möglich.6 Ist der Empfänger unbeschränkt steuerpflichtig, ist die Kapitalertragsteuer gem. § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG i.V.m. § 31 KStG auf die Körperschaftsteuer anrechenbar.7

4.284

Bei Stiftungen des öffentlichen Rechts, die ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen oder mildtätigen Zwecken dienen, oder juristischen Personen des öffentlichen Rechts, die ausschließlich und unmittelbar kirchlichen Zwecken dienen, ist der Kapitalertragsteuerabzug nicht vorzunehmen. Bei steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben von steuerbegünstigten BgA richtet sich die Abstandnahme vom Kapitalertragsteuerabzug nach § 44a Abs. 7 S. 1 Nr. 1 EStG.8

II. Betriebe gewerblicher Art mit eigener Rechtspersönlichkeit 1. Persönlicher Anwendungsbereich 4.285

§ 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. a EStG ist dem Wortlaut nach auf BgA mit eigener Rechtspersönlichkeit anwendbar. BgA mit eigener Rechtspersönlichkeit sind solche, die selbst juristische 1 2 3 4 5 6 7 8

Buge in H/H/R, § 20 EStG Rz. 350. BMF v. 28.1.2019 IV C 2 - S 2706/a/15/10001, BStBl. I 2019, 97 Rz. 1. Ratschow in Blümich155, § 20 EStG Rz. 340. BMF v. 28.1.2019 IV C 2 - S 2706/a/15/10001, BStBl. I 2019, 97 Rz. 1. BMF v. 28.1.2019 IV C 2 - S 2706/a/15/10001, BStBl. I 2019, 97 Rz. 3. BMF v. 28.1.2019 IV C 2 - S 2706/a/15/10001, BStBl. I 2019, 97 Rz. 4. BMF v. 28.1.2019 IV C 2 - S 2706/a/15/10001, BStBl. I 2019, 97 Rz. 11. BMF v. 28.1.2019 IV C 2 - S 2706/a/15/10001, BStBl. I 2019, 97 Rz. 4.

214 | Hinder

C. Einkünfte aus Kapitalvermögen gem. § 20 Abs. 1 Nr. 10 EStG | Rz. 4.291 Kap. 4

Personen des öffentlichen Rechts sind, so z.B. die Zweckverbände, Anstalten des öffentlichen Rechts und die in § 4 Abs. 3 KStG aufgeführten sonstigen Betriebe (s. Rz. 4.47). Aus Billigkeitsgründen wendet die Finanzverwaltung § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst a EStG darüber hinaus auch bei (nicht fremdüblichen) Leistungen einer juristischen Person des öffentlichen Rechts aus ihrem BgA ohne eigene Rechtspersönlichkeit an eine andere juristische Person des öffentlichen Rechts an. Hierdurch wird insbesondere in Fällen, in denen die Leistung bei der empfangenden juristischen Person des öffentlichen Rechts ebenfalls einem BgA zuzurechnen ist, eine doppelte Steuerbelastung vermieden.1

4.286

Als Beispiel für einen solchen Fall führt das BMF2 den BgA eines Zweckverbandes an, der einen Teil seines Gewinns direkt an die Mitgliedsgemeinden des Zweckverbands leistet. Ist der geleistete Betrag bei der Mitgliedsgemeinde einem BgA zuzurechnen, erkennt die Finanzverwaltung dies als unmittelbare Ausschüttung des BgA des Zweckverbands an den BgA der Mitgliedsgemeinde an, welche nach § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst b EStG zu behandeln ist. Es erfolgt demnach zu keiner Zeit eine Ausschüttung an den Zweckverband als Trägerkörperschaft des leistenden BgA, so dass § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG nicht zur Anwendung kommt. Bei der nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a EStG zu behandelnden, direkten Ausschüttung an den BgA der Mitgliedsgemeinde ist § 8b Abs. 1 KStG anwendbar. Bei der Einkommensermittlung des empfangenden BgA bleibt die Ausschüttung also außer Betracht. Die Kapitalertragsteuer kann gem. § 36 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b EStG i.V.m. § 31 KStG auf die Körperschaftsteuer angerechnet werden. Damit findet i.E. eine einmalige Besteuerung der fingierten Ausschüttung des empfangenden BgA an dessen Trägerkörperschaft gem. § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG statt.3

4.287

Die Billigkeitsregel findet nur Anwendung, wenn die Leistung nicht bereits gem. § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG der Besteuerung unterlegen hat.4 Der Gewinn kann jedoch beim BgA des Zweckverbands in eine Rücklage gem. § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst b. EStG eingelegt werden. Hierdurch wird die fiktive Ausschüttungsbesteuerung gem. § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG vermieden. In den folgenden Jahren kann die Rücklage aufgelöst werden und der Betrag unter Anwendung der Billigkeitsregel an die Mitgliedsgemeinden (insb. in deren BgA) ausgeschüttet werden.5

4.288

2. Sachlicher Anwendungsbereich § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. a EStG erfasst Leistungen, die zu mit Gewinnausschüttungen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 EStG wirtschaftlich vergleichbaren Einnahmen führen.

4.289

§ 20 Abs. 1 Nr.1 S. 2, 3 und Nr. 2 EStG gelten gem. § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. a 2. Halbs. EStG entsprechend. Demnach führen vGA und Bezüge, die nach der Auflösung einer Körperschaft anfallen, zu mit Gewinnausschüttungen vergleichbaren Leistungen.

4.290

Der BgA hat gem. § 27 Abs. 7 KStG ein Einlagekonto im Sinne des § 27 Abs. 1 zu führen. Soweit für Leistungen Beträge aus dem steuerlichen Einlagekonto als verwendet gelten, führen diese nicht zu Einkünften im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. a EStG.6

4.291

1 2 3 4 5 6

BMF v. 28.1.2019 IV C 2 - S 2706/a/15/10001, BStBl. I 2019, 97 Rz. 7. BMF v. 28.1.2019 IV C 2 - S 2706/a/15/10001, BStBl. I 2019, 97 Rz. 7. Krämer in D/P/M, § 4 KStG Rz. 274. BMF v. 28.1.2019 IV C 2 - S 2706/a/15/10001, BStBl. I 2019, 97 Rz. 7. Vgl. Krämer in D/P/M, § 4 KStG Rz. 283. BMF v. 28.1.2019 IV C 2 - S 2706/a/15/10001, BStBl. I 2019, 97 Rz. 13.

Hinder | 215

Kap. 4 Rz. 4.292 | Körperschaftsteuer

3. Kapitalertragsteuer 4.292

Die Kapitalertragsteuer entsteht in dem Zeitpunkt, in dem die Kapitalerträge dem Gläubiger zufließen (§ 44 Abs. 1 S. 2 EStG). In diesem Zeitpunkt hat der Schuldner der Kapitalerträge den Steuerabzug für Rechnung des Gläubigers vorzunehmen (§ 44 Abs. 1 S. 3 EStG). Wird die Ausschüttung von einer Körperschaft beschlossen, fließen die Kapitalerträge an dem Tag zu, der im Beschluss als Tag der Auszahlung bestimmt worden ist. Ist die Ausschüttung nur festgesetzt, ohne dass über den Zeitpunkt der Auszahlung ein Beschluss gefasst worden ist, so gilt als Zeitpunkt des Zuflusses der Tag nach der Beschlussfassung (vgl. § 44 Abs. 2 EStG).1 Schuldner der Kapitalertragsteuer ist der Gläubiger der Kapitalerträge (§ 44 Abs. 1 S. 1 EStG).

4.293

Von den Kapitalerträgen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. a EStG ist gem. § 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 7b EStG die Kapitalertragsteuer abzuziehen. Die Kapitalertragsteuer beträgt gem. § 43a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG für Einkünfte gem. § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. a EStG 15 %.2 Im Fall einer beschränkten Steuerpflicht gem. § 2 Nr. 2 KStG hat der Steuerabzug nach § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG abgeltende Wirkung. Eine Anrechnung auf die Körperschaftsteuer ist damit nicht möglich.

4. Anwendung des § 8b KStG bei Bezügen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. a EStG 4.294

Ist der Empfänger der Leistung unbeschränkt steuerpflichtig (z.B. BgA im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 6 KStG), bleiben Bezüge im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. a EStG bei der Einkommensermittlung des Empfängers gem. § 8b Abs. 1 KStG grundsätzlich außer Ansatz. Es ist demnach auch die Ausnahmeregelung des § 8b Abs. 4 KStG anzuwenden, nach der die Bezüge abweichend von Abs. 1 bei der Einkommensermittlung zu berücksichtigen sind, wenn die Beteiligung an der ausschüttenden Körperschaft zu Beginn des Kalenderjahres unmittelbar weniger als 10 Prozent betragen hat.3

4.295

Obwohl an BgA mit eigener Rechtspersönlichkeit, wie z.B. AöR und Zweckverbänden, keine Kapitalbeteiligungen bestehen, verwendet die Finanzverwaltung in diesem Zusammenhang den Begriff „Beteiligung“.4 Zur Ermittlung der Beteiligungsquote kommt es gem. § 8b Abs. 4 S. 1 KStG auf die Beteiligung am Grund- oder Stammkapital bzw. Vermögen an. Auch wenn bei BgA mit eigener Rechtspersönlichkeit eine Kapitalbeteiligung nicht besteht, ist zumindest eine dem Nennkapital vergleichbare Größe zu ermitteln.5 Anhand dieser kann entsprechend der Regelung in § 8b Abs. 4 S.1 KStG eine Beteiligungsquote ermittelt werden.6

4.296

Gemäß § 8b Abs. 6 S. 2 KStG sind § 8b Abs. 1–5 KStG auch bei Bezügen und Gewinnen anzuwenden, die einem BgA einer juristischen Person des öffentlichen Rechts über andere juristische Personen des öffentlichen Rechts zufließen, über die sie mittelbar an der leistenden Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse beteiligt ist und bei denen die Leistungen nicht im Rahmen eines BgA erfasst werden (s. Rz. 4.205).

1 BMF v. 28.1.2019 IV C 2 - S 2706/a/15/10001, BStBl. I 2019, 97 Rz. 9. 2 BMF v. 28.1.2019 IV C 2 - S 2706/a/15/10001, BStBl. I 2019, 97 Rz. 3. 3 Krämer in D/P/M, § 4 KStG Rz. 283; Gastl in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand § 6 Rz. 45. 4 Vgl. Beispiel in BMF v. 28.1.2019 IV C 2 - S 2706/a/15/10001, BStBl. I 2019, 97 Rz. 11. 5 BMF v. 28.1.2019 IV C 2 - S 2706/a/15/10001, BStBl. I 2019, 97 Rz. 9. 6 Vgl. Krämer in D/P/M, § 4 KStG Rz. 283.

216 | Hinder

C. Einkünfte aus Kapitalvermögen gem. § 20 Abs. 1 Nr. 10 EStG | Rz. 4.303 Kap. 4

Die für die Bezüge und Gewinne einbehaltene Kapitalertragsteuer ist gem. § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG i.V.m. § 31 KStG auf die Körperschaftsteuer anzurechnen. Zur Anrechnung ist die Vorlage einer Kapitalertragsteuerbescheinigung gem. § 45a Abs. 2 bzw. 3 EStG erforderlich. In den Fällen des § 8b Abs. 6 S. 2 KStG genügt der Finanzverwaltung die Vorlage einer Kopie der Körperschaftsteuerbescheinigung der vermittelnden Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse, auf der diese die auf den mittelbar beteiligten BgA entfallenden Bezüge und Gewinne und die darauf anteilig entfallende Kapitalertragsteuer mitteilt.1

4.297

III. Betriebe gewerblicher Art ohne eigene Rechtspersönlichkeit 1. Persönlicher Anwendungsbereich Die Finanzverwaltung unterteilt die von § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG erfassten BgA in drei Gruppen.

4.298

Gruppe 1 umfasst BgA ohne eigene Rechtspersönlichkeit (Eigen- oder Regiebetriebe), die den Gewinn (aufgrund einer gesetzlichen Verpflichtung oder freiwillig) durch Betriebsvermögensvergleich ermitteln. Ebenfalls erfasst sind BgA, die einer bestehenden Verpflichtung zum Betriebsvermögensvergleich nicht nachkommen.2

4.299

Bei einem durch die Beteiligung an einer Mitunternehmerschaft begründeten BgA, der als Regiebetrieb gilt, ist nicht entscheidend, ob die Gesellschaft, an der die Beteiligung besteht, ihren Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich ermittelt.3

4.300

Außerdem werden in Gruppe 1 BgA ohne eigene Rechtspersönlichkeit erfasst, die unabhängig von der Gewinnermittlungsart Umsätze von mehr als 350.000,– Euro im Kalenderjahr (einschließlich der steuerfreien Umsätze, ausgenommen die Umsätze nach § 4 Nrn. 8 bis 10 UStG) oder einen Gewinn von mehr als 30.000,– Euro im Wirtschaftsjahr haben.4

4.301

Zu Gruppe 2 gehören BgA mit Gewinnen im Sinne des § 22 Abs. 4 UmwStG. Hierbei handelt es sich um fiktive BgA5, denen der Gewinn einer juristischen Person des öffentlichen Rechts aus der Veräußerung von sperrfristbehafteten Anteilen im Sinne des § 22 Abs. 1 UmwStG zugerechnet wird. Gleiches gilt für einen Gewinn aus der Veräußerung von einbringungsgeborenen Anteilen, soweit auf diese § 21 UmwStG in der am 21.5.2003 geltenden Fassung weiter anzuwenden ist (vgl. § 27 Abs. 3 Nr. 3 UmwStG).6 Die Zugehörigkeit dieser fiktiven BgA zur Gruppe 2 ist unabhängig von den Voraussetzungen der Gruppe 1.7

4.302

In Gruppe 3 sind, ebenfalls unabhängig von den Voraussetzungen der Gruppe 1, BgA der inländischen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten durch das Geschäft der Veranstaltung von Werbesendungen erfasst.8

4.303

1 2 3 4 5 6 7 8

BMF v. 28.1.2019 IV C 2 - S 2706/a/15/10001, BStBl. I 2019, 97 Rz. 12. BMF v. 28.1.2019 IV C 2 - S 2706/a/15/10001, BStBl. I 2019, 97 Rz. 17, 19. BMF v. 28.1.2019 IV C 2 - S 2706/a/15/10001, BStBl. I 2019, 97 Rz. 17, 30. BMF v. 28.1.2019 IV C 2 - S 2706/a/15/10001, BStBl. I 2019, 97 Rz. 18. Krämer in D/P/M, § 4 KStG Rz. 345. BMF v. 28.1.2019 IV C 2 - S 2706/a/15/10001, BStBl. I 2019, 97 Rz. 22. BMF v. 28.1.2019 IV C 2 - S 2706/a/15/10001, BStBl. I 2019, 97 Rz. 21. BMF v. 28.1.2019 IV C 2 - S 2706/a/15/10001, BStBl. I 2019, 97 Rz. 23.

Hinder | 217

Kap. 4 Rz. 4.304 | Körperschaftsteuer

2. Sachlicher Anwendungsbereich a) Kapitalerträge der Betriebe gewerblicher Art in Gruppe 1 aa) Ausgangslage

4.304

Zu den Einkünften aus Kapitalvermögen gehören die nicht den Rücklagen zugeführten Gewinne und verdeckten Gewinnausschüttungen der BgA in Gruppe 1 (§ 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b S. 1 EStG). Die Auflösung von Rücklagen zu Zwecken außerhalb des BgA führt ebenfalls zu Einnahmen aus Kapitalvermögen (§ 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b S. 2 EStG). Die (fiktiven) Bezüge führen nicht zu Einnahmen aus Kapitalvermögen, soweit sie aus (fiktiven) Ausschüttungen stammen, für die Beträge aus dem steuerlichen Einlagekonto im Sinne des § 27 des Körperschaftsteuergesetzes als verwendet gelten (§ 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b S. 5 i.V.m. § 20 Abs. 1 S. 3 EStG). bb) Gewinn im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG

4.305

Für die Besteuerung der fiktiven Gewinnabführung gem. § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG ist der tatsächlich zur Verfügung stehende handelsrechtliche Gewinn zugrunde zu legen.1 Insbesondere die Erfassung von vGA erfolgt gesondert i.R. des § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG.2 Maßgeblich für die Ermittlung des Gewinns ist damit das handelsrechtliche Jahresergebnis im Sinne des § 275 HGB. Dabei ist nicht auf den festgestellten Jahresabschluss, sondern auf das nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung zutreffende Jahresergebnis abzustellen. Die Korrektur von fehlerhaften Bilanzansätzen wirkt sich daher rückwirkend auf das Jahr der Fehlbuchung aus.3

4.306

Wird nur eine Steuerbilanz aufgestellt, beanstandet die Finanzverwaltung aus Vereinfachungsgründen nicht, wenn auf den Gewinn im Sinne des § 4 Abs. 1 EStG abgestellt wird. Steuerliche Korrekturen (z.B. nichtabziehbare Aufwendungen gem. § 4 Abs. 5 EStG bzw. § 10 KStG; außer Ansatz bleibende Beträge nach § 8b KStG) sind nicht durchzuführen.4 Wird der Gewinn durch Einnahmen-Überschussrechnung gem. § 4 Abs. 3 EStG ermittelt, fordert die Finanzverwaltung eine Schätzung des Gewinns auf Grundlage des Betriebsvermögensvergleichs.5

4.307

Die Auswirkung von Verlusten im Rahmen des § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG unterscheidet sich in Abhängigkeit davon, ob es sich bei dem BgA um einen Eigen- oder Regiebetrieb handelt.

4.308

Bei Eigenbetrieben können Verluste handelsrechtlich vorgetragen werden. Hierdurch wird in den folgenden Wirtschaftsjahren der gem. § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG maßgebliche handelsrechtliche Gewinn verringert, sodass bis zum Ausgleich des Verlustes keine Einkünfte aus Kapitalvermögen entstehen.6

4.309

Bei Regiebetrieben kann, aufgrund der organisatorisch und rechtlichen Eingliederung in das gemeindliche Vermögen, ein handelsrechtlicher Verlustvortrag hingegen nicht erfolgen. Verluste gelten als im Jahr der Entstehung durch Einlagen der Trägerkörperschaft ausgeglichen. 1 BFH v. 11.9.2013 – I R 77/11, BStBl. II 2015, 161. 2 Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 449.1. 3 BFH v. 11.9.2013 – I R 77/11, BStBl. II 2015, 161; BMF v. 28.1.2019 IV C 2 - S 2706/a/15/10001, BStBl. I 2019, 97 Rz. 25; Krämer in D/P/M, § 4 KStG Rz. 299. 4 BMF v. 28.1.2019 IV C 2 - S 2706/a/15/10001, BStBl. I 2019, 97 Rz. 26. 5 BMF v. 28.1.2019 IV C 2 - S 2706/a/15/10001, BStBl. I 2019, 97 Rz. 27. 6 BFH v. 23.1.2008 – I R 18/07, BStBl. II 2008, 573.

218 | Hinder

C. Einkünfte aus Kapitalvermögen gem. § 20 Abs. 1 Nr. 10 EStG | Rz. 4.314 Kap. 4

Die Einlage ist dem Einlagekonto gutzuschreiben und wirkt sich in der Folge i.R. einer Einlagenrückgewähr gem. § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b S. 5 EStG i.V.m. § 20 Abs. 1 S. 3 EStG auf die Einkünfte aus Kapitalvermögen aus.1 Das zu versteuernde Einkommen des BgA wird durch die Einlage nicht erhöht (s. Rz. 4.169). Auf den steuerlichen Verlustvortrag des BgA im Sinne des § 10d Abs. 4 EStG (s. Rz. 4.229) hat der Ausgleich somit keine Auswirkung.2

4.310

cc) Rücklagen Nach § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG gehört nur der nicht den Rücklagen zugeführte Gewinn zu den Einkünften aus Kapitalvermögen. Danach wird es den BgA ohne Rechtspersönlichkeit, entsprechend ihrer Behandlung als virtuelle Kapitalgesellschaften, ermöglicht, für Zwecke des § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG Rücklagen zu bilden.3

4.311

Bei Eigenbetrieben gelten Gewinne, deren Überführung in den allgemeinen Haushalt der Trägerkörperschaft noch nicht beschlossen oder tatsächlich durchgeführt (vGA) wurde, als den Rücklagen zugeführt.4 Danach „gilt jedes Stehenlassen von Gewinnen als Eigenkapital für Zwecke des BgA, unabhängig davon, ob dies in der Form der Zuführung zu den Gewinnrücklagen, als Gewinnvortrag oder unter einer anderen Position des Eigenkapitals vorgenommen wird“5. Auf die Notwendigkeit der Rücklagenbildung zur nachhaltigen Erfüllung der Zwecke des BgA kommt es nicht an.6

4.312

Entsprechendes gilt grundsätzlich auch für die Rücklagenbildung bei Regiebetrieben.7 Aufgrund der fehlenden organisatorischen Selbständigkeit kann die Trägerkörperschaft jedoch unmittelbar ohne Ausschüttungsbeschluss über die Gewinne verfügen. Das „Stehenlassen“ als Eigenkapital des BgA muss deshalb anhand objektiver Umstände nachvollziehbar und überprüfbar sein, wobei hieran keine strengen Anforderungen zu stellen sind.8

4.313

Die Finanzverwaltung erkennt als objektiven Umstand insbesondere einen spätestens acht Monate nach Ablauf des Wirtschaftsjahres gefassten, förmlichen Beschluss des zuständigen Gremiums an.9 Darüber hinaus dürfte bei (freiwillig) bilanzierenden BgA eine Reservierung der Mittel durch Abbildung in der Bilanz als Position des Eigenkapitals ausreichend sein.10 Es ist weder ein formaler Ausweis als handelsbilanzielle Rücklage im Sinne des § 272 HGB noch eine haushaltsrechtlich bindende Mittelreservierung auf Ebene der Trägerkörperschaft erforderlich.11 Des Weiteren liegt nach Auffassung der Finanzverwaltung eine zulässige Rücklagen-

4.314

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

BFH v. 23.1.2008 – I R 18/07, BStBl. II 2008, 573. BMF v. 28.1.2019 IV C 2 - S 2706/a/15/10001, BStBl. I 2019, 97 Rz. 29. BFH v. 30.1.2018 – VIII R 15/16, BStBl. II 2019, 101 Rz. 25. BFH v. 16.11.2011 – I R 108/09, BStBl. II 2013, 328 Rz. 15; BFH v. 30.1.2018 – VIII R 15/16, BStBl. II 2019, 101 Rz. 31. BMF v. 28.1.2019 IV C 2 - S 2706/a/15/10001, BStBl. I 2019, 97 Rz. 34; bestätigt durch BFH v. 30.1.2018 – VIII R 15/16; BStBl. II 2019, 101 Rz. 31. BMF v. 28.1.2019 IV C 2 - S 2706/a/15/10001, BStBl. I 2019, 97 Rz. 34. BFH v. 30.1.2018 – VIII R 15/16, BStBl. II 2019, 101 Rz. 31. BFH v. 30.1.2018 – VIII R 15/16, BStBl. II 2019, 101 Rz. 32. BMF v. 28.1.2019 IV C 2 - S 2706/a/15/10001, BStBl. I 2019, 97 Rz. 35; kritisch hinsichtlich der zeitlichen Beschränkung. Schiffers in DStZ 2019, 705 (708); Krämer in D/P/M, § 4 KStG Rz. 309. BFH v. 30.1.2018 – VIII R 15/16, BStBl. II 2019, 101 Rz. 29.

Hinder | 219

Kap. 4 Rz. 4.314 | Körperschaftsteuer

bildung vor, soweit verwendbare Mittel, „die auf Grund eines gewinnrealisierenden Vorgangs dem BgA zugeführt worden sind, bereits im laufenden Wirtschaftsjahr z.B. reinvestiert oder zur Tilgung von betrieblichen Verbindlichkeiten verwendet worden sind“1. Ein förmlicher Beschluss ist hierzu ebenfalls nicht erforderlich.2

4.315

Die Auflösung von Rücklagen zu Zwecken außerhalb des BgA führt zu einem Gewinn im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst b S. 1 EStG (§ 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b S. 2 EStG). Bereits der Beschluss der zuständigen Gremien, Rücklagen für Zwecke außerhalb des BgA zu überführen, löst den Besteuerungstatbestand aus.3 Eine Verwendung von Rücklagen für Zwecke außerhalb des BgA ist gegeben, wenn sie im hoheitlichen Bereich der Trägerkörperschaft eingesetzt oder einem anderen BgA der Trägerkörperschaft zugeführt werden.4 Eine Verwendung der Rücklagen für Investitionen, Aufwendungen oder auch zur Abdeckung von Verlusten des BgA führt nicht zu einer Auflösung.5 dd) Verdeckte Gewinnausschüttungen

4.316

Verdeckte Gewinnausschüttungen führen gem. § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b S. 1 EStG zu Einkünften aus Kapitalvermögen bei der Trägerkörperschaft. Dies gilt auch für vGA durch Leistung an andere BgA der Trägerkörperschaft (s. Rz. 4.195).6 ee) Einlagenrückgewähr

4.317

Auch BgA ohne eigene Rechtspersönlichkeit haben nach § 27 Abs. 7 KStG ein Einlagekonto zu führen.7 Die (fiktiven) Bezüge im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG führen nicht zu Einnahmen aus Kapitalvermögen, soweit sie aus (fiktiven) Ausschüttungen, für die Beträge aus dem steuerlichen Einlagekonto im Sinne des § 27 des Körperschaftsteuergesetzes als verwendet gelten (§ 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b S. 5 i.V.m. § 20 Abs. 1 S. 3 EStG). Die Pflicht zum Führen eines Einlagekontos hängt weder von der Gewinnermittlungsart noch vom Überschreiten der jeweiligen Betragsgrenzen ab.8 ff) Beteiligung an einer Mitunternehmerschaft

4.318

Die Beteiligung einer juristischen Person des öffentlichen Rechts an einer Mitunternehmerschaft begründet einen bzw. (bei mehreren Tätigkeitsbereichen s. Rz. 4.57) mehrere eigenständige BgA. Diese Beteiligungs-BgA gelten als Regiebetriebe.9 Beteiligungs-BgA sind ausnahmsweise als Eigenbetriebe anzusehen, wenn sie zulässigerweise mit einem solchen zusammengefasst sind.10

4.319

Für die Ermittlung des Gewinns im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG beim Beteiligungs-BgA ist grundsätzlich der handelsbilanzielle Jahresüberschuss des Beteiligungs-BgA 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

BMF v. 28.1.2019 IV C 2 - S 2706/a/15/10001, BStBl. I 2019, 97 Rz. 35. BMF v. 28.1.2019 IV C 2 - S 2706/a/15/10001, BStBl. I 2019, 97 Rz. 35. BMF v. 28.1.2019 IV C 2 - S 2706/a/15/10001, BStBl. I 2019, 97 Rz. 39. BMF v. 28.1.2019 IV C 2 - S 2706/a/15/10001, BStBl. I 2019, 97 Rz. 40. Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 454.1. BMF v. 28.1.2019 IV C 2 - S 2706/a/15/10001, BStBl. I 2019, 97 Rz. 41. BMF v. 28.1.2019 IV C 2 - S 2706/a/15/10001, BStBl. I 2019, 97 Rz. 42. BFH v. 30.9.2020 – I R 12/17, BFHE 270, 450. BMF v. 28.1.2019 IV C 2 - S 2706/a/15/10001, BStBl. I 2019, 97 Rz. 30. BMF v. 28.1.2019 IV C 2 - S 2706/a/15/10001, BStBl. I 2019, 97 Rz. 32.

220 | Hinder

C. Einkünfte aus Kapitalvermögen gem. § 20 Abs. 1 Nr. 10 EStG | Rz. 4.324 Kap. 4

maßgeblich. Diesem sind der entnahmefähige Gewinnanteil aus dem Gesamthandvermögen der Mitunternehmerschaft sowie Sondervergütungen zuzuordnen.1 Der Gewinnbegriff ist jedoch dahingehend zu modifizieren, dass in den Gewinn des BgA im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG auch solche Beträge einzubeziehen sind, die bereits bei der Ermittlung des handelsrechtlichen Jahresüberschusses auf Ebene der Personengesellschaft Verluste ausgleichen, die aus einem Tätigkeitsbereich der Personengesellschaft stammen, der bei der juristischen Person des öffentlichen Rechts zu einem ertragsteuerrechtlich eigenständigen BgA führt.2 Ohne diese Modifikation würde die handelsrechtliche Zusammenfassung der verschiedenen Tätigkeitsbereiche auf Ebene der Personengesellschaft im Ergebnis zu einem (ggf. nach § 4 Abs. 6 KStG unzulässigen) Querverbund zwischen den jeweils eigenständigen Beteiligungs-BgA der juristischen Person des öffentlichen Rechts führen.3 Nach Ansicht der Finanzverwaltung ist (neben den Sondervergütungen) der Gewinnanteil aus der Mitunternehmerschaft/Personengesellschaft nur anzusetzen, soweit er tatsächlich entnommen wurde.4 Der BFH bewertet dies als Vereinfachungsregelung, die nur bei fehlender eigener Handelsbilanz des Beteiligungs-BgA Anwendung findet.5 In dem BFH v. 26.6.2019 zugrundeliegenden Sachverhalt konnte sich der Steuerpflichtige trotz Fehlens einer eigenen Handelsbilanz des BgA nicht auf die Vereinfachungsregelung berufen. Der BFH hat nicht beanstandet, dass das FA die Regelung aufgrund der Besonderheiten des Streitfalls nicht angewandt und stattdessen auf den modifizierten Gewinnbegriff abgestellt hat.6

4.320

Erzielt die Mitunternehmerschaft Verluste, entsteht ein Gewinn im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG erst, wenn diese durch künftige Gewinne ausgeglichen sind.7

4.321

Der Gewinn im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG mindert sich um die beim BgA anfallenden Ertragsteuern.8

4.322

Rücklagen können sowohl auf Ebene des Beteiligungs-BgA, als auch auf Ebene der Personengesellschaft gebildet werden. Rücklagen auf Ebene der Personengesellschaft sind nicht als Gewinn des Beteiligungs-BgA im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG zu qualifizieren.9 Die Rücklagevoraussetzungen für Regiebetriebe müssen nur auf Ebene des Beteiligungs-BgA eingehalten werden. Gilt der Beteiligungs-BgA ausnahmsweise wegen einer Zusammenfassung mit einem solchen als Eigenbetrieb, sind die Rücklagevoraussetzungen für Eigenbetriebe zu beachten.10

4.323

b) Kapitalerträge der Betriebe gewerblicher Art in Gruppe 2 Gem. § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b S. 1 aE EStG führen Gewinne im Sinne des § 22 Abs. 4 UmwSG zu Einkünften aus Kapitalvermögen. § 22 Abs. 4 Nr. 1 UmwStG erfasst den Gewinn aus der Veräußerung von sperrfristbehafteten Anteilen im Sinne des § 22 Abs. 1 UmwStG. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

BFH v. 26.6.2019 – VIII R 43/15, BFHE 265, 230 Rz. 22 f. BFH v. 26.6.2019 – VIII R 43/15, BFHE 265, 230 Rz. 27. BFH v. 26.6.2019 – VIII R 43/15, BFHE 265, 230 Rz. 30. BMF v. 28.1.2019 IV C 2 - S 2706/a/15/10001, BStBl. I 2019, 97 Rz. 31. BFH v. 26.6.2019 – VIII R 43/15, BFHE 265, 230 Rz. 32. BFH v. 26.6.2019 – VIII R 43/15, BFHE 265, 230 Rz. 33. BMF v. 28.1.2019 IV C 2 - S 2706/a/15/10001, BStBl. I 2019, 97 Rz. 31. BMF v. 28.1.2019 IV C 2 - S 2706/a/15/10001, BStBl. I 2019, 97 Rz. 31. BFH v. 26.6.2019 – VIII R 43/15, BFHE 265, 230 Rz. 24. BMF v. 28.1.2019 IV C 2 - S 2706/a/15/10001, BStBl. I 2019, 97 Rz. 37.

Hinder | 221

4.324

Kap. 4 Rz. 4.324 | Körperschaftsteuer

Der siebenjährigen Sperrfrist unterliegen Anteile, die im Rahmen einer Einbringung unter dem gemeinen Wert gem. § 20 Abs. 2 S. 2 UmwStG erlangt wurden. Werden die Anteile innerhalb der Sperrfrist veräußert und ist der Veräußerer der sperrfristbehafteten Anteile eine jPdöR gilt gem. § 22 Abs. 4 Nr. 1 UmwStG der Gewinn aus der Veräußerung der Anteile bei dieser als in einem BgA entstanden. Bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns ist der rückwirkend im Wirtschaftsjahr der Einbringung zu versteuernde sog. Einbringungsgewinn I als nachträgliche Anschaffungskosten zu berücksichtigen (§ 22 Abs. 1 S. 4 UmwStG). Durch den Verweis auf § 22 Abs. 4 UmwStG in § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b S. 1 EStG wird der so ermittelte Gewinn den Einkünften aus Kapitalvermögen zugewiesen. Auslöser der Besteuerung können neben der Veräußerung der Anteile auch die Vorgänge nach § 22 Abs. 1 S. 6 UmwStG sein.1 Sind die veräußerten Anteile dem Betriebsvermögen eines bestehenden BgA der juristischen Person des öffentlichen Rechts zuzurechnen, liegt kein Fall des § 22 Abs. 4 Nr. 1 UmwStG vor. Der Veräußerungsgewinn ist in diesem Fall jedoch regelmäßig als Kapitalertrag aus dem bestehenden BgA zu erfassen.2

4.325

Die Erfassung des Veräußerungsgewinns im Sinne des § 22 Abs. 4 Nr. 1 UmwStG im Rahmen des § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG ist unter systematischen Gesichtspunkten kritikwürdig. Der Veräußerungsgewinn umfasst nur die Realisierung derjenigen stillen Reserven, die nach der Einbringung gebildet wurden und wären damit systemgerecht dem steuerbefreiten vermögensverwaltenden Bereich zuzuordnen.3

4.326

Nach Ansicht der Finanzverwaltung ist darüber hinaus der Einbringungsgewinn I den Kapitaleinkünften gem. § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG zuzuordnen.4 Diese Auffassung ist wohl darin begründet, dass der Einbringungsgewinn I als solcher des einbringenden BgA unter den generellen Gewinnbegriff des § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b S. 1 EStG gefasst wird.5

4.327

Dieser Zuordnung ist m.E. nicht zu folgen. Der Einbringungsgewinn I gilt als rückwirkend zum Zeitpunkt der Einbringung entstanden. Er ist demnach als Gewinn des eingebrachten BgA zu behandeln. Durch eine nachträgliche Korrektur der Steuerfestsetzung für das Wirtschaftsjahr der Einbringung kann der Einbringungsgewinn I zwar mit Körperschaftsteuer belastet werden. Hierbei handelt es sich jedoch um eine steuerliche Korrektur, die keinen Einfluss auf den für den Gewinn im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG maßgeblichen, handelsrechtlichen Jahresüberschuss hat.6 Hierdurch ergibt sich hinsichtlich der Kapitalertragsteuer eine Besteuerungslücke.7

4.328

Eine Modifikation des Gewinnbegriffs dahingehend, dass auch eine nachträgliche Korrektur des Einbringungsgewinns erfasst ist, widerspricht jedoch der Systematik des § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG. Bei der Besteuerung des Kapitalertrags aus BgA ohne eigene Rechtspersönlichkeit geht es um die Erfassung von Vorgängen, die bei anderen Körperschaften als (tatsächliche) Gewinnausschüttungen anzusehen wären.8 Die Höhe dieses tatsächlich zur Verfügung stehen-

1 2 3 4 5 6

BMF v. 28.1.2019 IV C 2 - S 2706/a/15/10001, BStBl. I 2019, 97 Rz. 56. BMF v. 28.1.2019 IV C 2 - S 2706/a/15/10001, BStBl. I 2019, 97 Rz. 56. Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 463.7. BMF v. 28.1.2019 IV C 2 - S 2706/a/15/10001, BStBl. I 2019, 97 Rz. 56. Gastl in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand § 6 Rz. 169. Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 463.6; Gastl in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand § 6 Rz. 168. 7 So auch Orth in DB 2007, 419 (425); Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 463.6. 8 BFH v. 11.9.2013 – I R 77/11, BStBl. II 2015, 161 Rz. 21.

222 | Hinder

C. Einkünfte aus Kapitalvermögen gem. § 20 Abs. 1 Nr. 10 EStG | Rz. 4.331 Kap. 4

den Betrags richtet sich nach dem handelsrechtlichen Jahresüberschuss.1 Eine Ausschüttung des Einbringungsgewinns I an die Gesellschafter zum Zeitpunkt der Einbringung ist nicht möglich, da dieser erst im Zeitpunkt der Veräußerung tatsächlich zur Verfügung steht. Erst zu diesem Zeitpunkt wirkt sich der Gewinn handelsrechtlich aus und kann ggf. für eine Ausschüttung genutzt werden. Entsprechend verhält es sich bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts. Zwar wird zum Zwecke der Einkommensermittlung eine Rückwirkung auf den Veranlagungszeitraum fingiert. Ebenso wenig wie bei einer Kapitalgesellschaft steht dieser Gewinn jedoch rückwirkend für eine (fiktive) Ausschüttung zur Verfügung. Damit besteht keine gesetzliche Grundlage, den Einbringungsgewinn I unter § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst b EStG zu fassen. Für einbringungsgeborene Anteile, auf die § 21 UmwStG in der am 12.12.2006 geltenden Fassung weiter anzuwenden ist (vgl. § 27 Abs. 3 Nr. 3 UmwStG), ist Satz 1 des § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG ebenfalls in der am 12.12.2006 geltenden Fassung anzuwenden (§ 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b S. 6 EStG). Danach gehört der Gewinn im Sinne des § 21 Abs. 3 UmwStG a.F. zu den Einkünften aus Kapitalvermögen. Gewinn im Sinne des § 21 Abs. 3 aF ist der Gewinn aus der Veräußerung einbringungsgeborener Anteile gem. § 21 Abs. 1 UmwStG aF, sofern Veräußerer eine juristische Person des öffentlichen Rechts ist. Erfasst sind auch Gewinne aus den Vorgängen nach § 21 Abs. 2 UmwStG a.F.2 Sind die veräußerten Anteile dem Betriebsvermögen eines bestehenden BgA der juristischen Person des öffentlichen Rechts zuzurechnen, liegt kein Fall des § 21 Abs. 3 UmwStG aF vor. Der Veräußerungsgewinn ist in diesem Fall jedoch regelmäßig als Kapitalertrag aus dem bestehenden BgA zu erfassen.3

4.329

c) Kapitalerträge der Betriebe gewerblicher Art in Gruppe 3 Bei dem Geschäft der Veranstaltung von Werbesendungen der inländischen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten gelten pauschal drei Viertel des Einkommens im Sinne des § 8 Abs. 1 S. 3 KStG als Gewinn im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b S. 3 EStG (§ 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b S. 1 EStG). Die Bildung von Rücklagen ist nicht möglich.4 Andere BgA der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sind der Gruppe 1 zuzuordnen.5

4.330

3. Kapitalertragsteuer Die Kapitalertragsteuer entsteht nach der Spezialvorschrift des § 44 Abs. 6 S. 2 EStG grundsätzlich im Zeitpunkt der Bilanzerstellung, spätestens jedoch acht Monate nach Ablauf des Wirtschaftsjahres. Dies gilt auch für vGA, die im abgelaufenen Wirtschaftsjahr vorgenommen worden sind (§ 44 Abs. 6 S. 2 Halbs. 2 EStG). Als Zeitpunkt der Bilanzerstellung ist der Zeitpunkt der Bilanzfeststellung zu verstehen.6 Bei Eigenbetrieben gilt dies nur soweit die Überführung des Gewinns in den allgemeinen Haushalt der Trägerkörperschaft beschlossen wird.7 Bei der Auflösung von Rücklagen entsteht die Kapitalertragsteuer am Tag nach der Beschluss1 BFH v. 11.9.2013 – I R 77/11, BStBl. II 2015, 161 Rz. 21. 2 BMF v. 28.1.2019 IV C 2 - S 2706/a/15/10001, BStBl. I 2019, 97 Rz. 22 i.V.m. BMF v. 11.9.2002 IV A 2 - S 1910 – 194/02, BStBl. 2002 I, 935 Rz. 28. 3 BMF v. 28.1.2019 IV C 2 - S 2706/a/15/10001, BStBl. I 2019, 97 Rz. 22 i.V.m. BMF v. 11.9.2002 IV A 2 - S 1910 – 194/02, BStBl. 2002 I, 935 Rz. 28. 4 BMF v. 28.1.2019 IV C 2 - S 2706/a/15/10001, BStBl. I 2019, 97 Rz. 57. 5 BMF v. 28.1.2019 IV C 2 - S 2706/a/15/10001, BStBl. I 2019, 97 Rz. 58. 6 BMF v. 28.1.2019 IV C 2 - S 2706/a/15/10001, BStBl. I 2019, 97 Rz. 59. 7 BFH v. 16.11.2011 – I R 108/09, BStBl. II 2013, 328 Rz. 15; BMF v. 28.1.2019 IV C 2 - S 2706/a/15/ 10001, BStBl. I 2019, 97 Rz. 59.

Hinder | 223

4.331

Kap. 4 Rz. 4.331 | Körperschaftsteuer

fassung über die Verwendung (§ 44 Abs. 6 S. 2 Halbs. 3 EStG); für Gewinne im Sinne des § 22 Abs. 4 des UmwStG am Tag nach der Veräußerung (§ 44 Abs. 6 S. 2 Halbs. 4 EStG) bzw. dem Vorgang nach § 22 Abs. 1 S. 6 UmwStG1; für Gewinne aus dem Geschäft der Veranstaltung von Werbesendungen der inländischen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zum Ende des Wirtschaftsjahres (§ 44 Abs. 6 S. 3 EStG). Gem. § 44 Abs. 6 S. 1 EStG gilt die juristische Person des öffentlichen Rechts als Gläubiger und der BgA als Schuldner der Kapitalerträge.

4.332

Von den Kapitalerträgen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG ist gem. § 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 7c EStG die Kapitalertragsteuer abzuziehen. Die Kapitalertragsteuer beträgt gem. § 43a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG für Einkünfte gem. § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG 15 %2. Die rechtliche Identität von Gläubiger (juristische Person des öffentlichen Rechts) und Schuldner (BgA) der Kapitalerträge steht dem Steuerabzug nicht entgegen (vgl. § 43 Abs. 2 EStG).

4.333

Die Kapitaleinkünfte führen bei der Trägerkörperschaft zu einer beschränkten Steuerpflicht gem. § 2 Nr. 2 KStG. Der Steuerabzug hat damit gem. § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG abgeltende Wirkung. Eine Anrechnung auf die Körperschaftsteuer ist nicht möglich.

D. Besonderheiten bei gemeinnützigen Betrieben gewerblicher Art I. Allgemeines 4.334

Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen, die nach der Satzung, dem Stiftungsgeschäft oder der sonstigen Verfassung und nach der tatsächlichen Geschäftsführung ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen, mildtätigen oder kirchlichen Zwecken dienen, sind gem. § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG von der Körperschaftsteuer befreit.3

4.335

Die öffentliche Hand unterliegt grundsätzlich nicht der Steuerpflicht, so dass auch eine Anwendung der Steuerbefreiung nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG auf juristische Personen des öffentlichen Rechts als solche ausscheidet. Wird die juristische Person des öffentlichen Rechts jedoch wirtschaftlich tätig und begründet hierdurch einen BgA, unterliegt sie insoweit gem. § 1 Abs. 1 Nr. 6 KStG der unbeschränkten Steuerpflicht. Hier stellt sich die Frage nach der Gemeinnützigkeitsfähigkeit der öffentlichen Hand.

4.336

Zwar sind Adressat der Steuerbefreiung nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG vorrangig Private, die durch die Verfolgung gemeinnütziger Zwecke die öffentliche Hand entlasten.4 Soweit die öffentliche Hand zum Zweck der Wettbewerbsgleichheit der Steuer unterworfen wird, muss sie jedoch auch im gleichen Maße wie Private an Steuerbefreiungen teilhaben können.5 Die Steuerbefreiung ist demnach auf die juristische Person des öffentlichen Rechts insoweit anwendbar, als sie einen BgA unterhält.6 1 BMF v. 28.1.2019 IV C 2 - S 2706/a/15/10001, BStBl. I 2019, 97 Rz. 60. 2 BMF v. 28.1.2019 IV C 2 - S 2706/a/15/10001, BStBl. I 2019, 97 Rz. 3. 3 Die Änderungen durch das JStG 2020 sind nicht berücksichtigt, da dieses bei Redaktionsschluss noch nicht beschlossen war. 4 Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 506. 5 Vgl. BFH v. 27.11.2013 – I R 17/12, BStBl. II 2016, 68 Rz. 26; Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 506. 6 BFH v. 13.3.1974 – I R 7/71, BStBl. II 1974, 391; BFH v. 31.10.1984 – I R 21/81, BStBl. II 1985, 162; BFH v. 12.7.2012 – I R 106/10, BStBl. II 2012, 837; BFH v. 27.11.2013 – I R 17/12, BStBl. II 2016, 68; BFH v. 18.10.2017 – V R 46/16, BStBl. II 2018, 672; AEAO zu § 52 Rz. 1; Hüttemann in

224 | Hinder

D. Besonderheiten bei gemeinnützigen Betrieben gewerblicher Art | Rz. 4.340 Kap. 4

II. Ertragsteuerliche Freistellung von Zweckbetrieben 1. Allgemeines Die Körperschaftsteuer ist für jeden BgA einzeln zu ermitteln und gegen die Trägerkörperschaft festzusetzen. „Zuordnungssubjekt“ ist damit die juristische Person des öffentlichen Rechts nicht in ihrer Gesamtheit, sondern nur im Hinblick auf den BgA (s. Rz. 4.7).1 Dementsprechend ist auch für eine Steuerbefreiung gem. § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG erforderlich, dass der BgA und nicht die juristische Person des öffentlichen Rechts als solche die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür erfüllt.2

4.337

Eine Steuerbefreiung ist gem. § 64 Abs. 1 AO insoweit ausgeschlossen, als die Besteuerungsgrundlagen einem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb zuzuordnen sind.3 Da die Tatbestandsvoraussetzungen des BgA gem. § 4 KStG weitgehend mit denjenigen eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs im Sinne des § 64 AO i.V.m. § 14 AO übereinstimmen, ist die Steuerbefreiung eines BgA regelmäßig nur bei Vorliegen der Voraussetzungen eines Zweckbetriebs im Sinne der §§ 65–68 AO gegeben.4 Die Begünstigung der eigentlich als wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb im Sinne des § 14 S. 1 und 2 AO zu qualifizierenden Körperschaft folgt aus der engen Anbindung an die Verfolgung der steuerbegünstigten Zwecke.5 Der steuerpflichtige wirtschaftliche Geschäftsbetrieb darf einer gemeinnützigen Körperschaft nicht das Gepräge geben, da sie ansonsten insgesamt ihre Gemeinnützigkeit verliert.6

4.338

Durch die Zusammenfassung von Tätigkeiten in einem einheitlichen BgA (§ 4 Abs. 6 KStG; s. Rz. 4.116) oder die einheitliche Behandlung entsprechend der Verkehrsauffassung (R. 4.1 Abs. 3 S. 3 KStR 2015; s. Rz. 4.24) kann es dazu kommen, dass innerhalb eines BgA lediglich einzelne Tätigkeiten die Voraussetzungen eines Zweckbetriebs erfüllen. In diesem Fall besteht ein teilweise steuerbefreiter BgA, der nur soweit steuerbefreit ist, wie seine Tätigkeit einen Zweckbetrieb darstellt.7 Daneben können innerhalb des BgA ein oder mehrere gem. § 64 Abs. 1 AO steuerpflichtige wirtschaftliche Geschäftsbetriebe bestehen.8

4.339

Unklar ist, ob eine (analoge) Anwendung des § 64 Abs. 2 AO auf BgA nach der Rechtsprechung des BFH9 generell ausscheidet, oder nur in den Fällen, in denen die wirtschaftlichen Geschäftsbetriebe nicht funktionell und organisatorisch eng mit der gemeinnützigen Tätigkeit verbunden sind.10 Es ist davon auszugehen, dass steuerbefreite Tätigkeiten, die innerhalb eines BgA – anders als in dem durch den BFH entschiedenen Sachverhalt – mit einer steuerpflichtigen Tätigkeit zulässigerweise verbunden sind, nach § 64 Abs. 2 AO als ein wirtschaft-

4.340

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Hüttemann, Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht4, Steuerbegünstigte Körperschaften Rz. 2.77; Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 521. BFH v. 13.3.1974 – I R 7/71, BStBl. II 1974, 391; Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 506. BFH v. 13.3.1974 – I R 7/71, BStBl. II 1974, 391; Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 521. Vgl. BFH v. 7.8.2002 – I R 84/01, BFHE 200, 191. Hüttemann in Hüttemann, Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht4, Steuerbegünstigte Körperschaften, Rz. 2.79; Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 511. Eversberg/Baldauf, DStZ 2011 Rz. 600. BFH v. 4.4.2007 – I R 76/05, BStBl. 2007 II, 631, OFD Frankfurt a. M. v. 6.8.2003 – S 0174 A – 20 – St II 1.03. Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 521.2. Eversberg/Baldauf, DStZ 2011, 597 (604). BFH v. 11.2.1997 – I R 161/94, BFH/NV 1997, 625. Jachmann/Unger in Gosch4, § 64 AO Rz. 97.

Hinder | 225

Kap. 4 Rz. 4.340 | Körperschaftsteuer

licher Geschäftsbetrieb zu behandeln sind.1 Die Anwendung betrifft auch nicht die Zusammenfassungsgrundsätze, da § 64 Abs. 2 AO keine über § 4 Abs. 6 KStG hinausgehende Zusammenfassung ermöglicht. Die Behandlung als einheitlicher wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb ermöglicht die Verrechnung von Verlusten zwischen den steuerpflichtigen Tätigkeitsbereichen innerhalb des teilweise steuerbefreiten BgA unter Erhaltung der für den Zweckbetrieb bestehenden Steuervergünstigung.2

4.341

Zur Erfüllung der formellen Voraussetzungen der Steuervergünstigung ist es erforderlich, dass der BgA eine eigene Satzung im Sinne des § 59 AO hat, aus der sich ergibt, dass dieser ausschließlich und unmittelbar einen konkret bezeichneten gemeinnützigen Zweck verfolgt. Die Satzung muss durch die Trägerkörperschaft für jeden einzelnen BgA konkret festgelegt werden.3 Die tatsächliche Geschäftsführung muss den Satzungsbestimmungen entsprechen gem. § 59 Halbs. 2 AO, wobei die konkreten Anforderungen an eine solche Geschäftsführung in § 63 AO geregelt sind. Der satzungsmäßige Zweck muss durch den BgA selbstlos (§ 55 AO), ausschließlich (§ 56 AO) und unmittelbar (§ 57 AO) verfolgt werden.

4.342

Insbesondere die sich aus dem Erfordernis der Selbstlosigkeit gem. § 55 AO ergebenden Einschränkungen für die Mittelverwendung beschränken sich auf die Mittel des jeweiligen BgA. Durch eine Übertragung von Gewinnen auf die Trägerkörperschaft wird die Steuervergünstigung nicht ausgeschlossen, wenn eine Verwendung der Mittel zu steuerbegünstigten Zwecken gewährleistet ist.4 Problematisch im Hinblick auf die Selbstlosigkeit können jedoch vGA des BgA an die Trägerkörperschaft (s. Rz. 4.174) sein.5 Bei Auflösung des BgA oder bei Wegfall des bisherigen Zwecks ist eine Verwendung des Vermögens für steuerbegünstigte Zwecke sicherzustellen. Diese Voraussetzung ist auch erfüllt, wenn das Vermögen einer anderen steuerbegünstigten Körperschaft oder einer juristischen Person des öffentlichen Rechts für steuerbegünstigte Zwecke übertragen werden soll (§ 55 Abs. 1 Nr. 4 AO).

4.343

Auch das Gebot der ausschließlichen Verfolgung steuerbegünstigter Zwecke (§ 56 AO) betrifft nur den Bereich des einzelnen BgA. Danach müssen insbesondere Gewinne aus nicht steuerbegünstigten wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben innerhalb eines lediglich teilweise steuerbefreiten BgA für die steuerbegünstigten Zwecke verwendet werden. Die nicht begünstigten wirtschaftlichen Geschäftsbetriebe dürfen dabei in der Gesamtschau nicht zum Selbstzweck werden.6 Weitere Tätigkeiten der Trägerkörperschaft außerhalb des einzelnen BgA sind hingegen nicht beachtlich.7

4.344

Die Bestimmung des § 65 AO enthält eine generalklauselartige Definition eines Zweckbetriebes, der eine Rückausnahme für die Steuerpflicht des wirtschaftlichen Geschäftsbetriebes im 1 Eversberg/Baldauf, DStZ 2011, 597 (604) mit Beispielen. 2 So auch Eversberg/Baldauf in DStZ 2011, 597 (604); Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 521.2; Hüttemann in Hüttemann, Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht4, Steuerbegünstigte Körperschaften Rz. 2.81; BT-Drucks. 11/4176, 10 f. 3 BFH v. 31.10.1984 – I R 21/81, BStBl. II 1985, 162 Rz. 10; Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 522; Schauhoff in Schauhoff, Handbuch der Gemeinnützigkeit3, § 5 Juristische Person des öffentlichen Rechts Rz. 16. 4 Schauhoff in Schauhoff, Handbuch der Gemeinnützigkeit3, § 5 Juristische Person des öffentlichen Rechts Rz. 18. 5 Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 522; vgl. für Eigengesellschaften: BFH v. 27.11.2013 – I R 17/12, BStBl. II 2016, 68; AEAO zu § 55 Rz. 2. 6 AEAO zu § 56 Rz. 1. 7 Bott in Bott/Walter, § 4 KStG Rz. 522.

226 | Hinder

D. Besonderheiten bei gemeinnützigen Betrieben gewerblicher Art | Rz. 4.349 Kap. 4

Sinne des § 64 Abs. 1 AO darstellt.1 §§ 66–68 AO ergänzen § 65 AO durch eine Auflistung einzelner Zweckbetriebe und sind leges speciales zu § 65 AO.2 Der Zweckbetrieb gehört dabei zur ideellen Sphäre der Körperschaft.3 Die juristische Person des öffentlichen Rechts muss den Geschäftsbetrieb in seiner Gesamtheit auf die Verwirklichung der steuerbegünstigten Satzungszwecke ausrichten gem. § 65 Nr. 1 AO. Somit muss der Geschäftsbetrieb als „unentbehrlicher Hilfsbetrieb“ für die steuerbegünstigten Satzungszwecke ausgestaltet sein.4

4.345

Gemäß § 65 Nr. 2 AO ist außerdem erforderlich, dass die verfolgten Zwecke nur durch die wirtschaftliche Betätigung erreicht werden können. Hierzu wird in ständiger Rechtsprechung das Erfordernis aufgestellt, dass die steuerbegünstigten Zwecke ohne die wirtschaftliche Betätigung nicht erreichbar wären, d.h. der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb muss unerlässlich sein.5 Außerdem muss die wirtschaftliche Betätigung selbst der Zweckerreichung dienen und darf nicht lediglich die Beschaffung weiterer Mittel als Ziel haben.6

4.346

§ 65 Nr. 3 AO soll eine übermäßige Beeinträchtigung des Wettbewerbs durch die steuerfreie Tätigkeit des Zweckvertriebes auf nicht begünstigte Mitbewerber verhindern und ist deswegen im Vergleich zu Nummer 1 und 2 restriktiv gefasst. Deswegen wird ein potenzieller Wettbewerb als Vergleichsgröße angenommen, der für einen Verstoß gegen das Wettbewerbsverbot ausreichend ist. Es ist nicht notwendig, dass ein tatsächlicher Wettbewerb besteht.7 Durch die steuerliche Begünstigung eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebes sollen weder Wettbewerber verdrängt noch zu Lasten potentieller Konkurrenten Marktzutrittsschranken errichtet werden.8 Diese Beschränkung zugunsten des Wettbewerbs gilt bei §§ 66–68 AO hingegen nicht, da in den dort genannten Betrieben den steuerbegünstigten Zwecken ein Vorrang eingeräumt wurde.9

4.347

Einzelne, besonders relevante Zweckbetriebe werden im Folgenden dargestellt:

4.348

2. Medizinische Versorgungszentren Medizinische Versorgungszentren können der Wohlfahrtspflege gem. § 66 Abs. 1 AO unterfallen und gemeinnützige BgA bilden, soweit die erbrachten Leistungen Personen zugutekommen, die als hilfsbedürftig im Sinne des § 53 Abs. 1 AO gelten. Gemäß § 66 Abs. 3 AO ist dies gegeben, soweit zwei Drittel der Leistungsempfänger zum o.g. Personenkreis zählen. Hierbei kommt es nicht auf das Zahlenverhältnis zwischen bedürftigen und sonstigen Personen an. Der entsprechende Nachweis kann anhand der Leistungen, die von den Krankenkassen über1 2 3 4 5 6 7 8 9

Fischer in H/H/Sp, § 65 AO Rz. 43. BFH v. 31.7.2013 – I R 82/12, BFHE 243, 180, BStBl. II 2015, 123. Fischer in H/H/Sp, § 65 AO Rz. 97. BFH v. 22.4.2009 – I R 15/07, BFHE 224, 405, BStBl. II 2011, 475; BFH v. 5.8.2010 – V R 54/09, BFHE 231, 289, BStBl. II 2011, 191; BFH v. 18.3.2004 – V R 101/01, BFHE 205, 342, BStBl. II 2004, 798. BFH v. 13.8.1986 – II R 246/81, BFHE 147, 299, BStBl. II 1986, 831; BFH v. 11.4.1990 – I R 122/ 87, BFHE 160, 510, BStBl. II 1990, 724; BFH v. 26.2.1992 – I R 149/90, BFHE 167, 147, BStBl. II 1992, 693. BFH v. 18.3.2004 – V R 101/01, BStBl. 2004 II, 798. Gersch in Klein15, § 65 AO Rz. 6; BFH v. 29.1.2009 – V R 46/06, DStR 2009, 690. BFH v. 30.3.2000 – V R 30/99, BStBl. 2000 II, 705. Musil in H/H/Sp, § 66 AO Rz. 3.

Hinder | 227

4.349

Kap. 4 Rz. 4.349 | Körperschaftsteuer

nommen werden, im Vergleich zu den nicht übernommenen Leistungen erbracht werden.1 Die Wohlfahrtspflege darf dabei nicht des Erwerbs wegen ausgeführt werden, die allgemeinen Regelungen des § 55 AO gelten weiterhin.2

3. Kulturelle Einrichtungen und Veranstaltungen 4.350

§ 68 Nr. 7 AO stellt aufgrund der Wichtigkeit kultureller Angebote diese, unabhängig von den allgemeinen Regelungen zu Zweckbetrieben, frei von der Steuerpflicht. Die Befreiung ist auf Körperschaften beschränkt, die sich in ihrer Satzung der Förderung von Kunst und Kultur im Sinne des § 52 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 AO verschrieben haben.

4.351

Unter die steuerlich begünstigten Einnahmen des BgA fallen insbesondere Eintrittsgelder, Benutzungsgebühren, Teilnehmergebühren. Nach § 68 Nr. 7 Halbs. 2 AO werden Einnahmen aus dem Verkauf von Speisen und Getränken von der Steuerbegünstigung ausgenommen. Ein einheitliches Entgelt für die Veranstaltung ist im Wege der Schätzung aufzuteilen.3 Diese Einnahmen begründen einen eigenen BgA, der nicht zum Bereich der Gemeinnützigkeit zählt und nicht in der Satzung im Sinne des Gemeinnützigkeitsrechts genannt werden darf. Dies gilt ebenfalls für Einnahmen aus dem Verkauf von Andenken und entgeltlicher Werbung bei kulturellen Veranstaltungen.4

4.352

§ 68 Nr. 7 AO führt Museen und Theater als Regelbeispiele für kulturelle Einrichtungen auf. Die Definition ist einrichtungsbezogen und aufgrund der Vielzahl an Möglichkeiten nicht abschließend formuliert, so werden u.a. Bibliotheken ebenfalls erfasst. Die kulturellen Veranstaltungen – Konzerte und Kunstausstellungen – sind tätigkeitsbezogen und ebenfalls nicht abschließend formuliert.5

4. Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung 4.353

Wirtschafts- und Beschäftigungsförderungsgesellschaften, die durch ihre Tätigkeit und den Einsatz von Mitarbeitern Arbeitslosigkeit verringern und einen BgA begründen, sind nicht schon durch ihre wirtschaftliche Tätigkeit gemeinnützig und können grundsätzlich auch nicht als gemeinnützig anerkannt werden. Diese sind jedoch nach § 5 Abs. 1 Nr. 18 KStG von der Steuer befreit. Eine Ausnahme gilt für Beschäftigungsförderungsgesellschaften, die sich weit überwiegend auf die berufliche Weiterbildung und Qualifizierung, Umschulung und soziale Arbeit konzentrieren, diese können als gemeinnützig anerkannt werden, soweit dieser Zweck in der Satzung festgehalten ist.6

5. Tierparks, Zoos und Erholungsparkanlagen 4.354

Für Tierparks, Zoos und Erholungsanlagen besteht keine Zweckbetriebsfiktion nach § 68 AO. Eine juristische Person des öffentlichen Rechts, die Tierparks und Zoos als BgA unterhält, kann als gemeinnütziger BgA anerkannt werden, wenn die Förderung dem Natur- und Tier1 2 3 4 5

Bartmuß, DB 2007, 706. AEAO zu § 66 Rz. 2. Seer in Tipke/Kruse, § 68 AO Rz. 14. AEAO zu § 68 Rz. 14. Hüttemann in Hüttemann, Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht4, Steuerbegünstigte Körperschaften Rz. 6.268. 6 BMF v. 11.3.1992 – IV B 4 - S 0170 – 32/92.

228 | Hinder

D. Besonderheiten bei gemeinnützigen Betrieben gewerblicher Art | Rz. 4.359 Kap. 4

schutz im Sinne des § 53 Abs. 2 S. 1 Nr. 8 und 14 AO dient.1 Mit dem Tierpark oder Zoo wird dann ein Zweckbetrieb nach § 65 AO begründet. Als steuerbegünstigt gelten in diesem Zusammenhang die Einnahmen aus dem Eintritt, dem Verkauf von Zoo- und Tierparkführern, die Erteilung einer Fotografiererlaubnis.2

4.355

Zu dem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb und damit als nichtbegünstigte Einnahmen im Sinne des § 14 AO zählen Einkünfte aus dem Verkauf von Ansichtskarten, Fotografien, Dias und Postern mit Zoo- und Tiermotiven, von Kalendern, Tierbüchern, Medaillen, Aufklebern, Stofftieren und dergleichen sowie von Tierfutter.3

4.356

Der Betrieb von Erholungsanlagen kann im Hinblick auf gesundheitsfördernde, kulturelle Aspekte begünstigt sein als gemeinnütziger Zweckbetrieb gem. § 65 AO.4 Soweit innerhalb der Erholungsparks Sportanlagen vermietet oder Gaststätten betrieben werden, fallen die daraus resultierenden Einnahmen in einen steuerpflichtigen BgA.5

4.357

6. Steuerlich unschädliche Betätigungen, § 58 AO a) Gesetzliche Ausgangslage Von den Grundsätzen der Selbstlosigkeit (§ 55 AO), Ausschließlichkeit (§ 56 AO) und Unmittelbarkeit (§ 57 AO) listet das Gesetz in § 58 AO einen Ausnahmekatalog für die Art und Weise der Betätigung einer Körperschaft im Bereich der Gemeinnützigkeit auf.

4.358

b) § 58 Nr. 1 AO § 58 Nr. 1 AO enthält nach überwiegender Ansicht6 eine Ausnahme vom Erfordernis der Unmittelbarkeit gem. § 57 AO. So erlaubt diese Vorschrift u.a., dass eine Körperschaft einer juristischen Person des öffentlichen Rechts Mittel beschaffen darf für die Verfolgung der gemeinnützigen Zwecke und dabei selbst steuerbegünstigt ist. Nicht erforderlich ist hingegen, dass die beschaffende Körperschaft selbst eine gemeinnützige Tätigkeit erbringt.7 Die Körperschaft darf dabei sämtliche Mittel für die fremden steuerbegünstigten Zwecke der empfangenden Körperschaft überlassen.8 Unter der Mittelbeschaffung wird die Weitergabe von Geld- und Sachwerten verstanden; eine weite Auslegung des Begriffs verbietet sich hingegen.9 Unerheblich ist, ob die Überlassung von Mitteln vollständig oder teilweise erfolgt.10 Eine Überlassung als Darlehen ist nicht ausreichend.11 Die Förderkörperschaft muss die Körperschaft, für die sie die Mittel beschafft, nicht explizit in der Satzung benennen. Hingegen muss die Förderkör-

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

FinMin Bdb. v. 17.8.1994 – 35 – S 2729 – 28/94. FinMin Bdb. v. 17.8.1994 – 35 – S 2729 – 28/94. FinMin Bdb. v. 17.8.1994 – 35 – S 2729 – 28/94. Meier, KStZ 1994, 161. Strahl, NWB 2008, 1952. BFH v. 13.9.1989 – I R 19/85, BFHE 158, 333, BStBl. II 1990, 28; Musil in H/H/Sp, § 58 AO Rz. 22. Eversberg/Baldauf, DStZ 2011, 597 (605). Gersch in Klein15, § 58 AO Rz. 2. Brandl in AO-eKommentar, § 58 AO Rz. 4 i.V.m. Kommentierung des § 58 in der Fassung vom 1.1.2015 Rz. 4.1. Koenig in Koenig4, § 58 AO Rz. 4. Koenig in Koenig4, § 58 AO Rz. 4 f.

Hinder | 229

4.359

Kap. 4 Rz. 4.359 | Körperschaftsteuer

perschaft in ihrer Satzung den verfolgten steuerbegünstigten Zweck festhalten, für dessen Realisierung sie die Mittel einer anderen Körperschaft überlässt. Der verfolgte steuerbegünstigte Zweck der überlassenden Körperschaft muss nicht mit dem verfolgten steuerbegünstigten Zweck der Empfängerkörperschaft übereinstimmen.1

4.360

Aus § 58 Nr. 1 AO folgt ferner, dass die Weiterleitung der gesammelten Mittel an BgA unschädlich ist für die Gemeinnützigkeit, soweit diese für steuerbegünstigte Zwecke verwendet werden. Die Überlassung der Mittel muss jedoch mit einer konkreten Zweckbestimmung zur steuerbegünstigten Verwendung übermittelt werden.2 Dies gilt für BgA, die z.B. einen Kindergarten, Museum oder Schwimmbad betreiben, für die steuerbegünstigte Verwendung muss ein Nachweis erbracht werden können.3 Weitergehende Anforderungen sind in diesem Zusammenhang an den BgA nicht zu stellen. Der BgA muss als Empfängerkörperschaft die steuerbegünstigte Tätigkeit nicht entsprechend der Gemeinnützigkeit in der Satzung festhalten. c) Grundsatz der zeitnahen Verwendung

4.361

Die dem BgA zufließenden Mittel müssen gem. § 55 Abs. 1 Nr. 5 S. 1 AO entsprechend dem Grundsatz der zeitnahen Verwendung zügig für die steuerbegünstigten satzungsgemäßen Zwecke verwendet werden.4 Dies ist der Fall, wenn die Zuwendungen spätestens im auf die Überlassung folgenden Kalender- oder Wirtschaftsjahr für die steuerbegünstigten Zwecke verwendet wurden. Eine Nachweisverwendungsrechnung ist bezüglich der zeitigen Verwendung zu führen.5 Ausgenommen von dieser Pflicht sind gem. § 45 Abs. 1 Nr. 5 S. 4 AO Körperschaften mit jährlichen Einnahmen von bis zu 45.000,– Euro.

4.362

Schädlich für die Gemeinnützigkeit ist daneben die Verwendung von Spenden für den steuerpflichtigen Teil des BgA. Eine solche Verwendung würde zur Haftung gem. § 9 Abs. 3 KStG i.H.v. 30 % führen.6

III. Kapitalertragsteuerliche Freistellung von gemeinnützigen Betrieben gewerblicher Art 4.363

Leistungen bzw. Gewinne eines gem. § 9 Abs. 1 Nr. 9 KStG von der Körperschaftsteuer befreiten BgA führen bei der Trägerkörperschaft nicht zu Einkünften aus Kapitalvermögen (§ 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst a bzw. b EStG; vgl. III) und unterliegen damit nicht dem Kapitalertragsteuerabzug nach § 43 Abs. 1 Nr. 7b bzw. 7c EStG. Gewinne aus wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben führen gem. § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b S. 4 EStG grundsätzlich zu Einkünften aus Kapitalvermögen. Diese Regelung findet lediglich auf den nicht steuerbefreiten Teil des BgA Anwendung. Bei lediglich teilweise steuerbefreiten BgA entfällt die Anwendung des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG auch hinsichtlich des nicht steuerbefreiten Teils, wenn der steuerbegünstigte Teil die Voraussetzungen des § 44a Abs. 7 EStG erfüllt.7

1 2 3 4 5

Seer in Tipke/Kruse, § 58 AO Rz. 2, FG Hess. v. 26.4.2012 – 4 K 2239/09, DStRE 2013, 434 f. Herbert, BB 1991, 178. OFD Frankfurt a.M. v. 27.5.2014 – S 0177 A – 6 – St 53, StEd 2014, 459. Gersch in Klein15, § 55 AO Rz. 26; Brandl in AO-eKommentar, § 55 AO Rz. 35. Schauhoff in Schauhoff, Handbuch der Gemeinnützigkeit3, § 9 Gemeinnützige Mittelverwendung Rz. 107. 6 Strahl, NWB 2008, 1956. 7 BMF v. 28.1.2019 IV C 2 - S 2706/a/15/10001, BStBl. I 2019, 97 Rz. 38.

230 | Hinder

Kapitel 5 Die juristische Person/Einrichtung des öffentlichen Rechts im Umsatzsteuerrecht A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Rechtsgeschichtliche Entwicklung I. Die Rechtslage vor Inkrafttreten von § 2b UStG 1. Rechtsnormen a) Deutsches Recht aa) § 2 Abs. 3 UStG . . . . . . bb) § 4 KStG . . . . . . . . . . . . b) Unionsrecht aa) Artikel 13 Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) . . . . . . . . bb) Anhang I . . . . . . . . . . . . 2. Die Besteuerung der juristischen Person des öffentlichen Rechts . . 3. Die überkommene nationale Rechtsauffassung . . . . . . . . . . . . . a) Juristische Personen/Einrichtungen des öffentlichen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Juristische Personen des öffentlichen Rechts . . . . bb) Einrichtungen des öffentlichen Rechts . . . . b) Öffentliche Gewalt . . . . . . . . c) Gewerbliche oder berufliche (wirtschaftliche) Tätigkeit . . d) Betriebe gewerblicher Art (BgA) . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Einrichtung . . . . . . . . . . bb) Wirtschaftliches Herausheben . . . . . . . . . . . . . . . e) Vermögensverwaltung . . . . . II. Konflikt der überkommenen Rechtslage mit dem Unionsrecht 1. Unionsrechtliche Regelungen . . . 2. Die Rechtsprechung des EuGH als Ausgangspunkt der Neuausrichtung der BFH-Rechtsprechung und der Neuregelung in § 2b UStG a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . .

5.1

III. 5.6 5.7

5.8 5.9 5.10 5.11 5.15 5.16 5.24 5.29 5.30 5.35 5.36 5.37 5.38 5.42

5.46

C. I. II. III.

b) Das EuGH-Urteil Isle of wight council . . . . . . . . . . . . c) Das EuGH-Urteil Salix . . . . d) Weitere wichtige EuGHUrteile . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Rechtsprechung des BFH zum alten Recht 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Rechtsprechung des BFH im Detail . . . . . . . . . . . aa) Faktisches Außerkraftsetzen des § 2 Abs. 3 UStG . . . . . . . . . . . . . . . (1) Einrichtung . . . . . . . . . . (2) Wirtschaftliche Heraushebung . . . . . . . . . . . . . bb) Rechtsgrundlage des Handelns der jPöR . . . . cc) Größere Wettbewerbsverzerrungen . . . . . . . . . dd) Vermögensverwaltung . ee) Leistungen i.S.v. Anhang I MwStSystRL . . . ff) Schaubild der Prüfungsreihenfolge . . . . . . . . . . 2. Die durch das BMF-Schreiben vom 27.7.2017 veröffentlichten BFH-Entscheidungen . . . . . . . . . 3. Weitere BFH-Entscheidungen . . Die Regelung in § 2b UStG . . . . . . . Entwicklung der Vorschrift . . . . . . . Gesetzesbegründung . . . . . . . . . . . . § 2b Abs. 1 UStG . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unternehmereigenschaft a) Einrichtungen/Juristische Personen des öffentlichen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Grundsatz der Unternehmenseinheit . . . . . . . . . . c) Neuregelung durch § 18f, § 18g UStG . . . . . . . . . . . . . d) Haushaltsgebundene Einrichtungen . . . . . . . . . . . . . . e) Eingliederung der Einrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

5.47 5.54 5.56 5.61 5.63 5.64 5.65 5.66 5.67 5.69 5.71 5.73 5.75 5.76 5.85 5.93 5.94 5.100 5.101

5.103 5.104 5.107 5.113 5.116

Heidner | 231

Kap. 5 Rz. 5.1 | Die juristische Person/Einrichtung des öffentlichen Rechts im UStR 2. Wirtschaftliche Tätigkeit . . . . . . 3. Öffentlich-rechtliche Grundlage 4. Größere Wettbewerbsverzerrungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. § 2b Abs. 2 und 3 UStG . . . . . . . . . . 1. § 2b Abs. 2 UStG . . . . . . . . . . . . a) § 2b Abs. 2 Nr. 1 UStG . . . . b) § 2b Abs. 2 Nr. 2 UStG . . . . 2. § 2b Abs. 3 UStG . . . . . . . . . . . . a) § 2b Abs. 3 Nr. 1 UStG . . . . b) § 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG . . . .

5.119 5.121 5.127 5.130 5.132 5.134 5.139 5.146 5.148 5.150

aa) Die einzelnen Merkmale in § 2b Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a–d UStG . . . . . . . . . . . . . . . bb) Gesetzesbegründung . . cc) Entstehungsgeschichte der Vorschrift . . . . . . . . 3. § 2b Abs. 4 UStG . . . . . . . . . . . . D. A bis Z . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

5.152 5.157 5.159 5.166 5.176 5.253

A. Einführung 5.1

Die Frage, wie juristische Personen des öffentlichen Rechts (jPöR) umsatzsteuerrechtlich zu beurteilen sind, ist so alt wie das Umsatzsteuerrecht selbst. Ebenso alt ist die Sonderstellung, die juristischen Personen des öffentlichen Rechts eingeräumt wird. Bereits in § 3 Nr. 2 UStG 1919 wurden Gebietskörperschaften „wegen der Schlachthöfe, Gas-, Elektrizitäts- und Wasserwerke“ befreit. Ab 1934 bestimmte § 2 Abs. 3 UStG 1934/51, dass die Ausübung öffentlicher Gewalt keine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit sei1.

5.2

Von 1967 bis zu seiner Aufhebung verwies § 2 Abs. 3 UStG a.F. auf das Ertragsteuerrecht und behandelte juristische Personen des öffentlichen Rechts nur im Rahmen ihrer Betriebe gewerblicher Art (§§ 1 Abs. 1 Nr. 6, 4 KStG) und ihrer land- oder forstwirtschaftlichen Betriebe als Unternehmer. Fasst man die Regelungen im UStG und im KStG zusammen und lässt die Land- und Forstwirtschaft einmal außer Acht, so lautete die Regelung inhaltlich wie folgt:

5.3

Juristische Personen des öffentlichen Rechts sind grundsätzlich Nichtunternehmer. Unternehmer sind sie nur im Rahmen ihrer Einrichtungen, die einer nachhaltigen wirtschaftlichen Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen dienen und die sich innerhalb der Gesamtbetätigung der juristischen Person wirtschaftlich herausheben. Die Absicht, Gewinn zu erzielen, und eine Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr sind nicht erforderlich (§ 4 Abs. 1 KStG). Betriebe, die überwiegend der Ausübung der öffentlichen Gewalt dienen (Hoheitsbetriebe), gehören nach § 4 Abs. 5 KStG nicht hierzu.

5.4

Diese nationale Rechtslage stand nicht im Einklang mit dem Unionsrecht. Deshalb hat die Rechtsprechung das nationale Recht ab etwa 2008 im Grunde ignoriert und mittels einer „freischwebenden richtlinienkonformen Auslegung“2 unmittelbar Unionsrecht zur Anwendung gebracht. Diese Ausgangssituation und die Erkenntnis, dass § 2 Abs. 3 UStG a.F. mit dem Unionsrecht nicht zu vereinbaren war, haben letztlich zur Ablösung von § 2 Abs. 3 UStG a.F. durch die zum 1.1.2016 in Kraft getretene Neuregelung der Besteuerung von juristischen Personen des öffentlichen Rechts in § 2b UStG3 geführt. Dabei hat der Gesetzgeber in § 27 Abs. 22 UStG im Interesse der juristischen Personen des öffentlichen Rechts eine mehrstufige Übergangsregelung kreiert, die dazu geführt hat, dass die alte Rechtslage noch bis zum 1 Vgl. zum Ganzen Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, § 2b, Rz. 7 ff. 2 Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, § 2b Rz. 28. 3 Steueränderungsgesetz 2015 v. 2.11.2015, BGBl. I 2015, 1834, BStBl. I 2015, 846.

232 | Heidner

B. Rechtsgeschichtliche Entwicklung | Rz. 5.6 Kap. 5

31.12.2020 fortwirken konnte. Formell ist § 2b UStG zwar am 1.1.2016 in Kraft getreten, er ist aber gemäß § 27 Abs. 22 S. 2 UStG erst für Umsätze anzuwenden, für die die Steuer nach dem 31.12.2016 entsteht. Überdies können jPöR per Antrag § 2 Abs. 3 UStG a.F. weiterhin bis zum 31.12.2020 anwenden (§ 27 Abs. 22 S. 3 UStG). Diese Verlängerung wiederum konnte innerhalb des Übergangszeitraums widerrufen werden. Die Übergangsregelung geht sogar noch weiter. Denn hat eine jPöR gegenüber dem Finanzamt gemäß Abs. 22 Satz 3 erklärt, dass sie § 2 Abs. 3 in der am 31.12.2015 geltenden Fassung für sämtliche nach dem 31.12.2016 und vor dem 1.1.2021 ausgeführte Leistungen weiterhin anwendet und die Erklärung für vor dem 1.1.2021 endende Zeiträume nicht widerrufen, so gilt gemäß des durch das Corona-Steuerhilfegesetz vom 19.6.20201 eingefügten § 27 Abs. 22a UStG die Erklärung auch für sämtliche Leistungen, die nach dem 31.12.2020 und vor dem 1.1.2023 ausgeführt werden. Die Frage der Unternehmereigenschaft ist aus zweierlei Gründen von Bedeutung. Zum einen unterliegen Lieferungen und sonstige Leistungen gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG nur dann der Umsatzsteuer, wenn sie ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt. Üblicherweise wird die Bestrebung einer juristischen Person des öffentlichen Rechts dahin gehen, die Unternehmereigenschaft und damit die Verpflichtung zur Zahlung von Umsatzsteuer zu vermeiden2. Die Interessenlage kann aber eine ganz andere sein, wenn z.B. bei der Errichtung von Sport- oder Schwimmhallen, Kongresszentren oder sonstigen größeren Investitionen die Berechtigung zum Vorsteuerabzug in den Fokus gerät. Denn gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 UStG kann nur ein Unternehmer unter weiteren Voraussetzungen die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuerbeträge abziehen. Fallen erhebliche Investitionskosten an, kann es für eine juristische Person des öffentlichen Rechts daher von Interesse sein, umsatzsteuerrechtlich Unternehmer zu sein3.

5.5

B. Rechtsgeschichtliche Entwicklung I. Die Rechtslage vor Inkrafttreten von § 2b UStG 1. Rechtsnormen a) Deutsches Recht aa) § 2 Abs. 3 UStG Die juristischen Personen des öffentlichen Rechts sind nur im Rahmen ihrer Betriebe gewerblicher Art (§§ 1 Abs. 1 Nr. 6, 4 KStG) und ihrer land- oder forstwirtschaftlichen Betriebe gewerblich oder beruflich tätig. Auch wenn die Voraussetzungen des Satzes 1 nicht gegeben sind, gelten als gewerbliche oder berufliche Tätigkeit im Sinne dieses Gesetzes 1. (weggefallen) 2. die Tätigkeit der Notare im Landesdienst und der Ratschreiber im Land Baden-Württemberg, soweit Leistungen ausgeführt werden, für die nach der Bundesnotarordnung die No1 BGBl. I 2020, 1385. 2 Vgl. z.B. BFH v. 10.2.2016 – XI R 26/13, BFHE 252, 538, BStBl. II 2017, 857 zur externen Qualitätssicherung von Krankenhäusern durch eine Landesärztekammer. 3 Vgl. z.B. BFH v. 3.8.2017, V R 62/16, BFHE 259, 380, BStBl. II 2021, 109 zu den anteiligen Vorsteuern aus der Errichtung eines Marktplatzes; v. 28.6.2017, XI R 12/15, BFHE 258, 532 zum Vorsteuerabzug einer Gemeinde aus der Errichtung einer Sporthalle.

Heidner | 233

5.6

Kap. 5 Rz. 5.6 | Die juristische Person/Einrichtung des öffentlichen Rechts im UStR

tare zuständig sind; 3. die Abgabe von Brillen und Brillenteilen einschließlich der Reparaturarbeiten durch Selbstabgabestellen der gesetzlichen Träger der Sozialversicherung; 4. die Leistungen der Vermessungs- und Katasterbehörden bei der Wahrnehmung von Aufgaben der Landesvermessung und des Liegenschaftskatasters mit Ausnahme der Amtshilfe; 5. die Tätigkeit der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung, soweit Aufgaben der Marktordnung, der Vorratshaltung und der Nahrungsmittelhilfe wahrgenommen werden. bb) § 4 KStG Betriebe gewerblicher Art von juristischen Personen des öffentlichen Rechts

5.7

(1) 1Betriebe gewerblicher Art von juristischen Personen des öffentlichen Rechts im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 6 sind vorbehaltlich des Absatzes 5 alle Einrichtungen, die einer nachhaltigen wirtschaftlichen Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen außerhalb der Land- und Forstwirtschaft dienen und die sich innerhalb der Gesamtbetätigung der juristischen Person wirtschaftlich herausheben.2Die Absicht, Gewinn zu erzielen, und die Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr sind nicht erforderlich. (2) Ein Betrieb gewerblicher Art ist auch unbeschränkt steuerpflichtig, wenn er selbst eine juristische Person des öffentlichen Rechts ist. (3) Zu den Betrieben gewerblicher Art gehören auch Betriebe, die der Versorgung der Bevölkerung mit Wasser, Gas, Elektrizität oder Wärme, dem öffentlichen Verkehr oder dem Hafenbetrieb dienen. (4) Als Betrieb gewerblicher Art gilt die Verpachtung eines solchen Betriebs. (5) 1Zu den Betrieben gewerblicher Art gehören nicht Betriebe, die überwiegend der Ausübung der öffentlichen Gewalt dienen (Hoheitsbetriebe).2Für die Annahme eines Hoheitsbetriebs reichen Zwangs- oder Monopolrechte nicht aus. (6) 1Ein Betrieb gewerblicher Art kann mit einem oder mehreren anderen Betrieben gewerblicher Art zusammengefasst werden, wenn 1. sie gleichartig sind, 2. zwischen ihnen nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse objektiv eine enge wechselseitige technisch-wirtschaftliche Verflechtung von einigem Gewicht besteht oder 3. Betriebe gewerblicher Art im Sinne des Absatzes 3 vorliegen. 2

Ein Betrieb gewerblicher Art kann nicht mit einem Hoheitsbetrieb zusammengefasst werden.

b) Unionsrecht aa) Artikel 13 Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL)

5.8

(1) Staaten, Länder, Gemeinden und sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts gelten nicht als Steuerpflichtige, soweit sie die Tätigkeiten ausüben oder Umsätze bewirken, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen, auch wenn sie im Zusammenhang mit diesen Tätigkeiten oder Umsätzen Zölle, Gebühren, Beiträge oder sonstige Abgaben erheben. Falls sie solche Tätigkeiten ausüben oder Umsätze bewirken, gelten sie für diese Tätigkeiten oder Umsätze jedoch als Steuerpflichtige, sofern eine Behandlung als Nichtsteuerpflichtige zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde. 234 | Heidner

B. Rechtsgeschichtliche Entwicklung | Rz. 5.10 Kap. 5

Die Einrichtungen des öffentlichen Rechts gelten in Bezug auf die in Anhang I genannten Tätigkeiten in jedem Fall als Steuerpflichtige, sofern der Umfang dieser Tätigkeiten nicht unbedeutend ist. (2) Mitgliedstaaten können die Tätigkeiten von Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die nach den Artikeln 132, 135, 136, 371, 374 bis 377, dem Artikel 378 Absatz 2, dem Artikel 379 Absatz 2 sowie den Artikeln 380 bis 390 von der Mehrwertsteuer befreit sind, als Tätigkeiten behandeln, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen. bb) Anhang I

5.9

Verzeichnis der Tätigkeiten im Sinne des Artikels 13 Absatz 1 Unterabsatz 3 1. Telekommunikationswesen; 2. Lieferung von Wasser, Gas, Elektrizität und thermischer Energie; 3. Güterbeförderung; 4. Hafen- und Flughafendienstleistungen; 5. Personenbeförderung; 6. Lieferung von neuen Gegenständen zum Zwecke ihres Verkaufs; 7. Umsätze der landwirtschaftlichen Interventionsstellen aus landwirtschaftlichen Erzeugnissen, die in Anwendung der Verordnungen über eine gemeinsame Marktorganisation für diese Erzeugnisse bewirkt werden; 8. Veranstaltung von Messen und Ausstellungen mit gewerblichem Charakter; 9. Lagerhaltung; 10. Tätigkeiten gewerblicher Werbebüros; 11. Tätigkeiten der Reisebüros; 12. Umsätze von betriebseigenen Kantinen, Verkaufsstellen und Genossenschaften und ähnlichen Einrichtungen; 13. Tätigkeiten der Rundfunk- und Fernsehanstalten sofern sie nicht nach Artikel 132 Absatz 1 Buchstabe q steuerbefreit sind.

2. Die Besteuerung der juristischen Person des öffentlichen Rechts Nach dem in § 2 Abs. 1 Satz 2 UStG niedergelegten Grundsatz der Unternehmenseinheit1 umfasst das Unternehmen die gesamte gewerbliche oder berufliche Tätigkeit des Unternehmers. Deshalb erhält der Unternehmer für Umsatzsteuerzwecke unabhängig von der Anzahl seiner Betriebe und Tätigkeitsbereiche eine einzige Steuernummer, unter der er sämtliche in seinem Unternehmen erzielten Umsätze und entstandenen Vorsteuern zu erklären hat. Das gilt grundsätzlich auch für juristische Personen des öffentlichen Rechts, was insbesondere für die großen Gebietskörperschaften Bund und Länder zu nahezu unlösbaren Problemen führt. Die Verwaltungspraxis ist deshalb hier einen anderen Weg gegangen2. 1 Z.B. BFH v. 1.3.2016, XI R 9/15, BFH/NV 2016, 1310. 2 Vgl. hierzu im Einzelnen Rz. 5.106 ff.

Heidner | 235

5.10

Kap. 5 Rz. 5.11 | Die juristische Person/Einrichtung des öffentlichen Rechts im UStR

3. Die überkommene nationale Rechtsauffassung 5.11

Es ist schwierig, eine allgemeingültige Rechtslage für die Zeit vor Inkrafttreten des § 2b UStG darzulegen. Denn Finanzverwaltung und Rechtsprechung haben die Rechtsgrundlagen unterschiedlich angewandt. Während die Finanzverwaltung sich eng am Wortlaut des nationalen Rechts und damit am Ertragsteuerrecht orientiert hat, hat die Rechtsprechung das nationale Recht im Ergebnis gar nicht mehr zur Anwendung gebracht und durch das Unionsrecht ersetzt. Die Antwort auf die Frage nach der Rechtslage fällt deshalb, je nachdem, ob man das BMF oder den BFH fragt, unterschiedlich aus.

5.12

Gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG a.F. sind jPöR nur im Rahmen ihrer Betriebe gewerblicher Art (§§ 1 Abs. 1 Nr. 6, 4 KStG) und ihrer land- oder forstwirtschaftlichen Betriebe gewerblich oder beruflich tätig. Die Altregelung knüpft für die umsatzsteuerliche Unternehmereigenschaft der jPöR und damit für die Umsatzsteuerbarkeit ihrer Umsätze an die Regelungen im Ertragsteuerrecht an.

5.13

Denn Betriebe gewerblicher Art sind gemäß § 4 Abs. 1 KStG alle Einrichtungen, die einer nachhaltigen wirtschaftlichen Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen außerhalb der Landund Forstwirtschaft dienen und sich innerhalb der Gesamtbetätigung der jPöR wirtschaftlich herausheben. Als Folge des Verweises auf das KStG sind nach Verwaltungsauffassung sämtliche Tätigkeiten unterhalb der Bagatellgrenze von zuletzt 35.000 €1 je Einrichtung, die sogenannten Beistandsleistungen zwischen zwei oder mehreren jPöR, sowie die Vermögensverwaltung der jPöR nicht umsatzsteuerbar.

5.14

Fasst man die Regelungen des § 2 Abs. 3 UStG a.F. und des § 4 KStG zusammen und lässt die Aussagen zur Land- und Forstwirtschaft außer Acht, so lautete die deutsche Regelung im Kern wie folgt: Juristische Personen des öffentlichen Rechts sind grundsätzlich Nichtunternehmer. Unternehmer sind sie nur im Rahmen ihrer Einrichtungen, die einer nachhaltigen wirtschaftlichen Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen dienen und die sich innerhalb der Gesamtbetätigung der juristischen Person wirtschaftlich herausheben. Vermögensverwaltung gehört nicht hierzu. a) Juristische Personen/Einrichtungen des öffentlichen Rechts

5.15

Das nationale Recht verwendet in § 2 Abs. 3 UStG ebenso wie in der Neuregelung des § 2b UStG den Begriff der jPöR, während der Unionsgesetzgeber auf den der Einrichtung des öffentlichen Rechts abstellt. Das ist kein nur unbedeutender Unterschied, sondern hieraus ergeben sich grundlegende unterschiedliche Beurteilungen. aa) Juristische Personen des öffentlichen Rechts

5.16

Der Begriff der jPöR ist gesetzlich nicht definiert. Zu den jPöR gehören die rechtsfähigen Körperschaften, Stiftungen und Anstalten des öffentlichen Rechts. Es handelt sich also um Gebilde, die auf Grund öffentlichen Rechts eigene Rechtspersönlichkeit besitzen2.

5.17

Körperschaften des öffentlichen Rechts sind rechtsfähige mitgliedschaftlich organisierte Verwaltungseinheiten, die die Eigenschaft als Körperschaft nach Bundes- oder Landesrecht erhal1 R 4.1 Abs. 5 KStR 2015. 2 BMF-Schr. v. 16.12.2016, BStBl. I 2016, 1451, Rz. 3.

236 | Heidner

B. Rechtsgeschichtliche Entwicklung | Rz. 5.22 Kap. 5

ten haben, sei es unmittelbar kraft Gesetzes oder im Wege der Verleihung durch staatlichen Hoheitsakt oder nach Landesverwaltungsübung1. Hierzu zählen die Gebietskörperschaften (Bundesrepublik Deutschland, Bundesländer, Gemeinden, Gemeindeverbände, Landkreise, Gesamtgemeinden, Zweckverbände, Landkreise). Darüber hinaus fallen hierunter Hochschulen, Ärztekammern, Rechtsanwaltskammern, Handwerkerinnungen, Kreishandwerkerschaften, Handwerkskammern, Industrie- und Handelskammern, Landwirtschaftskammern, Ortskrankenkassen und Landkrankenkassen. Auch die öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften i.S.d. Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 WRV gehören hierzu; insbesondere die evangelische und die katholische Kirche sowie die israelitischen Kultusgemeinden. Die Kirchen sind zwar Körperschaften des öffentlichen Rechts, sie sind jedoch nicht solche im herkömmlichen Sinn der Rechtslehre, sondern Körperschaften des öffentlichen Rechts besonderer Art. Das ergibt sich daraus, dass ihre öffentlichen Aufgaben nicht in der Wahrnehmung staatlicher Aufgaben bestehen, und dass sie deshalb nicht in den Staatsorganismus eingegliedert sind. Die öffentliche Tätigkeit besteht vielmehr darin, ihren besonderen Auftrag wahrzunehmen2. Die Eigenschaft der öffentlich-rechtlichen Körperschaft bedeutet für die Kirchen damit die Anerkennung der besonderen Bedeutung der öffentlichen Wirksamkeit einer Religionsgesellschaft3. Ob die Einrichtungen dieser Gemeinschaften (z.B. geistliche Orden) ebenfalls jPöR sind, hängt regelmäßig von der jeweiligen landesrechtlichen Regelung ab4.

5.18

Anstalten des öffentlichen Rechts sind ein zur Rechtsperson erhobener Bestand von sächlichen und persönlichen Verwaltungsmitteln, die einem besonderen öffentlichen Zweck auf Dauer zu dienen bestimmt sind5. Hierunter fallen z.B. die Deutsche Bundesbank, Landeszentralbanken, Landesversicherungsanstalten, kommunale Sparkassen, öffentliche Bausparkassen, Feuerversicherungsanstalten und Rundfunk- und Fernsehanstalten.

5.19

Stiftungen des öffentlichen Rechts sind die auf einem Stiftungsakt eines Trägers der öffentlichen Gewalt oder auf einem Gesetz beruhenden oder nach öffentlichem Recht anerkannten Verwaltungseinheiten, die mit einem Kapital- oder Sachbestand für einen öffentlich-rechtlichen Stiftungszweck tätig werden6.

5.20

Auch ausländische Einrichtungen können jPöR sein. Ob das der Fall ist, ist grundsätzlich nach deutschem Recht zu beurteilen. Das schließt jedoch nicht aus, dass für die Bestimmung öffentlich-rechtlicher Begriffe die ausländischen Rechtssätze mit herangezogen werden7.

5.21

Politische Parteien sind keine jPöR, sondern Vereine nach §§ 21 ff. BGB8. Soweit sie unternehmerisch tätig sind, sind sie Unternehmer i.S.d. § 2 Abs. 19. Entsprechendes gilt für Ge-

5.22

1 BFH v. 8.7.1971, V R 1/68, BFHE 103, 247, BStBl. II 1972, 70; Sterzinger in Küffner/Stöcker/Zugmaier, § 2 Rz. 702. 2 Vgl. BVerfG v. 17.2.1965, 1 BvR 732/64, BVerfGE 18, 385 (387); BFH v. 16.5.1975, III R 54/74, BFHE 116, 176, BStBl. II 1975, 746, Rz 23; Friesenhahn, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Erster Band – HdbStKirchR I – S. 549. 3 BVerfG v. 4.10.1965, 1 BvR 498/62, BVerfGE 19, 129 (133)); BFH v. 16.5.1975, III R 54/74, BFHE 116, 176, BStBl. II 1975, 746, Rz 23; vgl. zum Ganzen auch Schön, DStZ 199, 701. 4 BFH v. 8.7.1971, V R 1/68, BFHE 103, 247, BStBl. II 1972, 70. 5 Sterzinger in Küffner/Stöcker/Zugmaier, § 2 Rz. 704. 6 Sterzinger in Küffner/Stöcker/Zugmaier, § 2 Rz. 706. 7 UStAE 2.11 Abs. 1 S. 4; BMF-Schr. v. 16.12.2016, BStBl. I 2016, 1451. 8 Felix, UR 1976, 85. 9 Vgl. EuGH v. 6.10.2009, C-267/08, SPÖ Landesorganisation Kärnten, UR 2009, 760.

Heidner | 237

Kap. 5 Rz. 5.22 | Die juristische Person/Einrichtung des öffentlichen Rechts im UStR

werkschaften und Arbeitgeberverbände, bei denen es sich um nichtrechtsfähige Vereine (§ 54 BGB) handelt.

5.23

Privatpersonen, juristische Personen des Privatrechts und sonstige Personenvereinigungen sind nach überkommener nationaler Rechtsauffassung auch dann keine jPöR, wenn sie als Beliehene in den Formen des öffentlichen Rechts tätig werden. Sie sind, sofern sie unternehmerisch tätig werden, Unternehmer i.S.d. § 2 Abs. 1 UStG1. bb) Einrichtungen des öffentlichen Rechts

5.24

Diese Auffassung ist durch die EuGH-Urteile Saudacor2 zum portugiesischen Recht und Nagyszénás3 zum ungarischen Recht zweifelhaft geworden. In beiden Entscheidungen hat es der EuGH für möglich erachtet, dass eine portugiesische Aktiengesellschaft bzw. eine ungarische GmbH als juristische Personen des Privatrechts ausnahmsweise eine „sonstige Einrichtung des öffentlichen Rechts“ i.S.d Art. 13 MwStSystRL sein können. Auf die Rechtsform einer Einrichtung kommt es folglich nicht an. Der Begriff der Einrichtung ist weit genug, um auch private Einheiten zu umfassen4. Entscheidend für das Merkmal der öffentlichen Einrichtung ist, dass eine Person in die Organisation der öffentlichen Verwaltung eingegliedert ist5. Wann von einer solchen Eingliederung im Einzelnen auszugehen ist, ist nicht abschließend geklärt, erforderlich ist aber ein bestimmender Einfluss auf die Geschäftstätigkeit. Geklärt ist hingegen, dass auch eine juristische Person des Privatrechts in diesem Sinne eingegliedert sein kann. Hoheitliche Befugnisse sind für die Einstufung als „Einrichtung des öffentlichen Rechts“ zwar nicht ausschlaggebend, sie sind aber ein Indiz, weil sie ein wesentliches Merkmal jedes Trägers öffentlicher Gewalt sind6.

5.25

Dass für das Merkmal der öffentlichen Einrichtung die Rechtsform ohne Bedeutung ist, bleibt nicht ohne Folgen für die Betrachtung nach nationalem Recht. Bisher geht die deutsche Rechtspraxis davon aus, dass z.B. beliehene Unternehmer, d.h. privatrechtliche Gesellschaften, denen vertraglich Pflichtaufgaben der öffentlichen Gewalt übertragen werden, keine juristischen Personen des öffentlichen Rechts sind und daher auch nicht unter § 2b Abs. 1 UStG fallen können7. Das wird sich in dieser Allgemeinheit nach dem Urteil „Saudacor“ kaum halten lassen. Ist der Beliehene in die Organisation der öffentlichen Verwaltung eingegliedert, 1 Vgl. für den Notar BFH v. 28.1.1971, V R 38/66, BStBl. II 71, 281 und dazu BVerfG v. 4.7.1978, 1 BvR 135/71, DB 79, 283; BFH v. 10.11.1977, V R 115/74, BStBl. II 1978, 80; EuGH v. 26.3.1987 235/85, Kommission/Niederlande, Slg. 87, 1471 = UR 1988, 164; für den privatrechtlichen Konzessionär einer gebührenpflichtigen Straße oder Brücke v. 12.9.2000, C-276/97, Kommission/Frankreich, Slg. 00, I-6251 = IStR 2000, 620; v. 12.6.2008, C-462/05, Kommission/Portugal, Slg. 08, I-4183 = HFR 2008, 988 mit Anm. Klenk; für den Steuereinnehmer in Spanien EuGH v. 25.7.1991, C-202/90, Ayuntamiento de Sevilla, Slg. 91, I-4247 = UR 1993, 122 mit Anm. Weiss; UStAE 2.11 Abs. 20; UStAE 2.11 Abs. 3. 2 EuGH v. 29.10.2015, C-174/14, Saudaçor, ECLI:EU:C:2015:733, UR 2015, 901 mit Anm. Küffner für eine Aktiengesellschaft. 3 Z.B. EuGH v. 21.1.2016, C-335/14, Les Jardins de Jouvence, ECLI:EU:C:2016:36; EuGH v. 22.2.2018, a.a.O., Rz. 46; EuGH v. 22.2.2018, C-182/17, Nagyszénás, ECLI:EU:C:2018:91, UR 2018, 276. 4 Z.B. EuGH v. 21.1.2016, C-335/14, Les Jardins de Jouvence, ECLI:EU:C:2016:36. 5 EuGH v. 22.2.2018, C-182/17, Nagyszénás, ECLI:EU:C:2018:91, UR 2018, 276. 6 EuGH v. 29.10.2015, C-174/14, Saudaçor, ECLI:EU:C:2015:733, UR 2015, 901 mit Anm. Küffner. 7 BFH v. 11.2.2010, V R 30/08, BFH/NV 2010, 2125; v. 28.2.2002, V R 19/01, BStBl. II 2003 S. 950; UStAE 2.11 Abs. 3.

238 | Heidner

B. Rechtsgeschichtliche Entwicklung | Rz. 5.30 Kap. 5

fällt auch er unter die Regelung des § 2b UStG. Allerdings wird es in der Praxis meist gerade an dieser Eingliederung fehlen. Nach der Rechtsprechung des EuGH steht die Behandlung als Nichtsteuerpflichtiger unter zwei Voraussetzungen1:

5.26

– Es muss sich um eine öffentliche Einrichtung handeln, und – diese muss im Rahmen der öffentlichen Gewalt tätig sein. Damit besteht ein Konflikt zwischen Unionsrecht und nationalem Recht, das auch in der Neuregelung des § 2b Abs. 1 UStG am Begriff der „juristischen Personen des öffentlichen Rechts“ festhält und nicht den gemeinschaftsrechtlichen Terminus „Einrichtungen des öffentlichen Rechts“ übernimmt.

5.27

Nach der Rechtsprechung des EuGH ist jede Tätigkeit wirtschaftlicher Natur grundsätzlich steuerpflichtig. Der Mehrwertsteuer unterliegen „... Dienstleistungen, die gegen Entgelt erbracht werden, einschließlich derjenigen, die von Einrichtungen des öffentlichen Rechts erbracht werden“. Die Annahme einer Leistung gegen Entgelt – und damit inzidenter auch der Begriff des Steuerpflichtigen – setzt nur das Bestehen eines unmittelbaren Zusammenhangs zwischen einer Leistung und einer tatsächlich vom Steuerpflichtigen empfangenen Gegenleistung voraus2. Dabei steht der Annahme eines unmittelbaren Zusammenhangs zwischen einer Leistung und einer Gegenleistung nicht entgegen, dass die Leistung in der Wahrnehmung von gesetzlich übertragenen und geregelten Aufgaben im Allgemeininteresse oder in der Erfüllung einer verfassungsrechtlichen Pflicht besteht3.

5.28

b) Öffentliche Gewalt Tätigkeiten werden im Rahmen der öffentlichen Gewalt erbracht, wenn sie von der öffentlichen Einrichtung im Rahmen der ihr eigenen rechtlichen Regelung ausgeübt werden. Nicht dazu gehören Tätigkeiten, die die betreffenden Einrichtungen unter den gleichen rechtlichen Bedingungen ausüben wie private Wirtschaftsteilnehmer4. Ebenso scheidet eine Annahme von öffentlicher Gewalt aus, wenn größere Wettbewerbsverzerrungen drohen5.

5.29

c) Gewerbliche oder berufliche (wirtschaftliche) Tätigkeit Als Grundlage einer unternehmerischen Tätigkeit nach § 2 Abs. 3 UStG kommt eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit in Betracht. Gewerblich oder beruflich ist gemäß § 2 Abs. 1 Satz 3 UStG jede nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen, auch wenn die Absicht, Gewinn zu erzielen fehlt oder eine Personenvereinigung nur gegenüber ihren Mitgliedern tätig wird. 1 EuGH v. 22.2.2018, C-182/17, Nagyszénás, ECLI:EU:C:2018:91, UR 2018, 276. 2 EuGH-Urteil Saudaçor v. 29.10.2015, C-174/14, ECLI:EU:C:2015:733 Rz 32; EuGH-Urteil Gemeente Borsele v. 12.5.2016 C-520/14, ECLI:EU:C:2016:334, Rz. 34 mit Anm. Küffner, UR 2016, 520; Ntp. Nagyszénás v. 22.2.2018 C-182/17, ECLI:EU:C:2018:91; Lajvér v. 2.6.2016, C-263/15, ECLI:EU:C:2016:392. 3 EuGH-Urteile Ntp. Nagyszénás v. 22.2.2018, C-182/17, ECLI:EU:C:2018:91, Rz. 40; Lajvér v. 2.6.2016, C-263/15, ECLI:EU:C:2016:392, Rz. 42). 4 BMF v. 18.9.2919, BStBl. I 2019, 921. 5 Vgl. zum Ganzen Rz. 5.130 ff.

Heidner | 239

5.30

Kap. 5 Rz. 5.31 | Die juristische Person/Einrichtung des öffentlichen Rechts im UStR

5.31

Nach Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 der MwStSystRL gilt als Steuerpflichtiger, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbständig ausübt, wobei nach Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL als wirtschaftliche Tätigkeiten alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe gelten. Das gilt auch für Einrichtungen des öffentlichen Rechts.

5.32

Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt insbesondere die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen. Dabei setzt eine wirtschaftliche Tätigkeit die Erfüllung eines der in Art. 2 MwStSystRL genannten Steuertatbestände voraus1, was ein Handeln gegen Entgelt erfordert. Denn die Steuertatbestände des Art. 2 MwStSystRL umfassen insbesondere Lieferungen von Gegenständen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt tätigt (Art. 2 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL), den innergemeinschaftlichen Erwerb von Gegenständen im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt (Art. 2 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL), Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt erbringt (Art. 2 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL) und die Einfuhr von Gegenständen (Art. 2 Abs. 1 Buchst. d MwStSystRL).

5.33

Eine Leistung wird dann „gegen Entgelt“ erbracht, wenn zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempfänger ein Rechtsverhältnis besteht, in dessen Rahmen gegenseitige Leistungen ausgetauscht werden, wobei die vom Leistenden empfangene Vergütung den tatsächlichen Gegenwert für die dem Leistungsempfänger erbrachte Dienstleistung bildet2. Die Höhe des Entgelts spielt für die Frage, ob ein entgeltlicher Umsatz vorliegt keine Rolle3. Deshalb ist auch eine Vergütung unter dem Selbstkostenpreis grundsätzlich Entgelt4.

5.34

Eine „Asymmetrie“ zwischen der Höhe des Entgelts und den für die Tätigkeit entstehenden Selbstkosten kann bei der Beantwortung der Frage, ob eine wirtschaftliche Tätigkeit vorliegt, Berücksichtigung finden5. Eine derartige Asymmetrie allein führt aber nicht zwingend zur Verneinung der Unternehmereigenschaft. Denn für die Beurteilung, ob eine wirtschaftliche Tätigkeit vorliegt, sind alle Umstände zu prüfen, unter denen die Tätigkeit erfolgt. Dabei können die Zahl der Kunden und die Höhe der Einnahmen eine Rolle spielen. Auch der Vergleich zwischen den Umständen, unter denen die Dienstleistung erbracht wird, und den Umständen, unter denen eine derartige Dienstleistung gewöhnlich erbracht wird, kann ein Indiz dafür sein, ob die betreffende Tätigkeit eine wirtschaftliche Tätigkeit darstellt6.

1 EuGH-Urteil Gemeente Borsele v. 12.5.2016, C-520/14, ECLI:EU:C:2016:334, UR 2016, 520 mit Anm. Küffner. 2 EuGH-Urteile Gemeente Borsele v. 12.5.2016, C-520/14, ECLI:EU:C:2016:334, UR 2016, 520 mit Anm. Küffner; Tolsma v. 3.3.1994, C-16/93, ECLI:EU:C:1994:80, UR 1994, 399; SDC v. 5.6.1997, C-2/95, ECLI:EU:C:1997:278, UR 1998, 64; MKG-Kraftfahrzeuge-Factoring v. 26.6.2003, C-305/ 01, ECLI:EU:C:2003:377, BStBl. II 2004, 688, UR 2003, 399 2. 3 EuGH-Urteile Gemeente Borsele v. 12.5.2016, C-520/14, ECLI:EU:C:2016:334, UR 2016, 520 mit Anm. Küffner; Hotel Scandic Gåsabäck v. 20.1.2005, C-412/03, ECLI:EU:C:2005:47, UR 2005, 98; BFH v. 28.6.2017, XI R 12/15, BFHE 258, 532. 4 BFH v. 19.6.2011, XI R 8/09, BStBl. II 2016, 185. 5 BFH v. 15.12.2016, V R 44/15 in BFHE 256, 557, UR 2017, 302. 6 EuGH v. 26.9.1996, C-230/94, Enkler, ECLI:EU:C:1996:352, UR 1996, 418; Gemeente Borsele v. 12.5.2016 C-520/14, ECLI:EU:C:2016:334, UR 2016, 520 mit Anm. Küffner.

240 | Heidner

B. Rechtsgeschichtliche Entwicklung | Rz. 5.38 Kap. 5

d) Betriebe gewerblicher Art (BgA) Nach überkommenem deutschen Umsatzsteuerrecht waren die jPöR aber nicht mit jeder wirtschaftlichen Tätigkeit gewerblich oder beruflich tätig, sondern gemäß § 2 Abs. 3 UStG nur im Rahmen ihrer BgA (§§ 1 Abs. 1 Nr. 6, 4 KStG) und ihrer land- und forstwirtschaftlichen Betriebe. BgA sind alle Einrichtungen, die einer nachhaltigen wirtschaftlichen Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen außerhalb der Land- und Forstwirtschaft dienen und die sich innerhalb der Gesamtbetätigung der juristischen Person wirtschaftlich herausheben. Der BgA wird folglich durch die Begriffe der Einrichtung und der wirtschaftlichen Heraushebung geprägt.

5.35

aa) Einrichtung Für die Frage, ob ein BgA vorliegt, ist nach Auffassung der Finanzverwaltung auf § 1 Abs. 1 Nr. 6 und § 4 KStG in der jeweils geltenden Fassung abzustellen, wobei die zu diesen Vorschriften von Rechtsprechung und Verwaltung für das Gebiet der Körperschaftsteuer entwickelten Grundsätze anzuwenden sein sollen.

5.36

bb) Wirtschaftliches Herausheben Das bedeutet vor allem, dass über die Anwendung der Umsatzgrenzen von 130.000 €1 und 35.000 €2 bei der Umsatzsteuer und bei der Körperschaftsteuer einheitlich zu entscheiden sein soll3. Nach Auffassung der Verwaltung ist ein Jahresumsatz von mehr als 130.000 € ein wichtiges Merkmal für die wirtschaftliche Selbständigkeit4. Liegen keine Besonderheiten vor, ist in diesem Fall stets von einem BgA auszugehen. Ein Jahresumsatz von mehr als 35.000 € ist ein wichtiges Indiz für das Vorliegen eines BgA5. Weitere Anhaltspunkte können sich aus einer gesonderten Geschäftsleitung, einer getrennten Buchführung oder einem gesondert geführten Haushalt ergeben6. Bestimmten Gewinn- oder Umsatzgrenzen, wie sie in Abschn. 6 der Körperschaftsteuer-Richtlinien vorgesehen sind, kommt demgegenüber keine eigenständige Bedeutung zu, da sie weder mit dem Erfordernis der Gleichmäßigkeit der Besteuerung noch mit dem notwendigen Ausschluss von Wettbewerbsverzerrungen im Verhältnis zu privaten Unternehmen vereinbar sind7. Die Rechtsprechung ist schon früh davon ausgegangen, dass die für das Körperschaft entwickelten Umsatzgrenzen, ungeachtet der Verweisung in § 2 Abs. 3 UStG auf das Körperschaftsteuerrecht, für das Umsatzsteuerrecht ohne Bedeutung sind8.

5.37

e) Vermögensverwaltung Nach überkommener Auslegung von § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG a.F. fiel die Vermögensverwaltung (z.B. durch Vermietung und Verpachtung) nicht unter die unternehmerische Tätigkeit 1 2 3 4 5 6 7

R 4.1 Abs. 4 KStR. R 4.1 Abs. 5 KStR. UStAE 2.11. Abs. 4. R 4.1 Abs. 4 Satz 2 KStR 2015. R 4.1 Abs. 5 KStR 2015. Sterzinger in Küffner/Stöcker/Zugmaier, UStG, § 2 Rz 768. BFH v.15.4.2010, V R 10/09, BStBl. II 2017, 863, BFHE 229, 416, BFH/NV 2010, 1574, unter II. B.2.e, m.w.N.; BFH v. 10.11.2011, V R 41/10, BFHE 235, 554, BStBl. II 2017, 869, Rz. 18. 8 BFH v. 10.11.2011, V R 41/10, BFH/NV 2012, 670; BFH v. 25.10.1989 V R 111/85, BStBl. II 1990, 868.

Heidner | 241

5.38

Kap. 5 Rz. 5.38 | Die juristische Person/Einrichtung des öffentlichen Rechts im UStR

der juristischen Person des öffentlichen Rechts1. Das lag an der Verweisung auf das Ertragsteuerrecht, das den Betrieb gewerblicher Art von der Vermögensverwaltung abgrenzt. Die bloße Vermietung oder Verpachtung von Räumen oder Grundstücken war danach Vermögensverwaltung und kein Betrieb gewerblicher Art2.

5.39

Nun kennt weder § 2 Abs. 3 UStG noch § 4 KStG den Begriff der Vermögensverwaltung. Nach h.M. zum Körperschaftsteuerrecht fällt aber die langfristige Vermietung unbeweglichen Vermögens als (bloße) „Vermögensverwaltung“ nicht unter § 4 Abs. 1 KStG3. Dieses Ergebnis wird teilweise aus § 14 AO gewonnen, der ausdrücklich die Vermögensverwaltung von einem „wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb“ ausnimmt und u.a. bestimmt, dass eine Vermögensverwaltung „in der Regel“ vorliegt, wenn unbewegliches Vermögen vermietet oder verpachtet wird4. Teilweise wird aus der Fiktion in § 4 Abs. 4 KStG hergeleitet, dass die Vermögensverwaltung grundsätzlich nicht unter § 4 Abs. 1 KStG fällt5.

5.40

Nach der Rechtsprechung kommt dem Begriff der „Vermögensverwaltung“ umsatzsteuerrechtlich für die Unternehmerstellung einer juristischen Person des öffentlichen Rechts durch einen Betrieb gewerblicher Art keine Bedeutung zu6. Maßgeblich ist allein, ob eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne des Umsatzsteuerrechts vorliegt. Aufgrund der Verweisung in § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG gilt nach der Rechtsprechung der Grundsatz umsatzsteuerrechtlicher und damit richtlinienkonformer Auslegung auch für § 4 KStG7. Daher wird § 4 KStG im Rahmen der durch § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG angeordneten Verweisung, die aus Vereinfachungsgründen nur dazu dient, den Wortlaut dieser Vorschrift nicht im Rahmen des UStG zu wiederholen, zum Bestandteil des Umsatzsteuerrechts, so dass die von § 4 KStG verwendeten Begriffe für die Bestimmung der Unternehmereigenschaft juristischer Personen des öffentlichen Rechts umsatzsteuerrechtlich und damit ggf. anders als bei einer ausschließlich körperschaftsteuerrechtlichen Anwendung dieser Vorschrift auszulegen sind8. Die umsatzsteuerrechtliche Auslegung des Begriffs der wirtschaftlichen Tätigkeit i.S.d. § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 KStG kann deshalb dazu führen, dass Tätigkeiten, die im Bereich der Körperschaftsteuer als sog. Vermögensverwaltung juristischer Personen des öffentlichen Rechts nicht besteuert werden, gleichwohl umsatzsteuerbar sind.

5.41

Die Finanzverwaltung hat lange mit sich gerungen, bis sie die Grundsätze des BFH-Urteils V R 10/09 aus dem Jahr 2010 schließlich 2017 mit der Veröffentlichung im Bundessteuerblatt anerkannt hat. Das ändert allerdings nichts daran, dass die Finanzverwaltung UStAE 2.11. nicht angepasst hat und es jPöR bis zum Inkrafttreten von § 2b UStG weiterhin gestattet hat, Umsätze aus Vermögensverwaltung außerhalb ihres Unternehmens zu erzielen.

1 RFH v. 23.8.1939, I 143/36, RFHE 47, 220; RFH v. 28.10.1939 I 414/38, RFHE 47, 329, RStBl. 1940, 60; v. 20.1.1942, I 77/41, RFHE 51, 166, RStBl. 1942, 405; BFH v. 13.3.1974, I R 7/71, BFHE 112, 61, BStBl. II 1974, 391. 2 BFH v. 13.3.1974, I R 7/71, BFHE 112, 61, BStBl. II 1974, 391. 3 Vgl. z.B. Heger in Gosch, Körperschaftsteuergesetz, § 4 Rz 50, m.w.N.; Sauter/Bollweg in Erle/Sauter, KStG, § 4 Rz. 13 m.w.N. 4 Vgl. Sauter/Bollweg in Erle/Sauter, KStG, § 4 Rz. 13. 5 Stadie in Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 2 Rz. 861; vgl. zum Ganzen BFH v. 20.12.2007, V R 70/05, BFHE 221, 80, BStBl. II 2008, 454, Rz. 31–32. 6 BFH v. 15.4.2010, V R 10/09, BFHE 229, 416, BStBl. II 2017, 863, UR 2010, 646. 7 BFH v. 20.8.2009, V R 30/06, BFHE 226, 465, BFH/NV 2009, 2080. 8 BFH v. 15.4.2010, V R 10/09, BFHE 229, 416, BStBl. II 2017, 863, Rz. 17.

242 | Heidner

B. Rechtsgeschichtliche Entwicklung | Rz. 5.46 Kap. 5

II. Konflikt der überkommenen Rechtslage mit dem Unionsrecht 1. Unionsrechtliche Regelungen Der Konflikt zwischen der Regelung in § 2 Abs. 3 UStG und dem Unionsrecht ist unübersehbar. Das beginnt bereits im Grundsätzlichen, denn das nationale Recht geht davon aus, dass jPöR grundsätzlich Nichtunternehmer sind. Sie sind damit nur im Rahmen ihrer Einrichtungen, die einer nachhaltigen wirtschaftlichen Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen dienen und die sich innerhalb der Gesamtbetätigung der jPöR wirtschaftlich herausheben, unternehmerisch tätig. Das Unionsrecht hingegen geht vom gegenteiligen gedanklichen Ansatz aus. Unionsrechtlich wird die Unternehmereigenschaft nicht – wie in § 2 Abs. 3 UStG a.F., und i.Ü. auch noch in § 2b UStG – über die Rechtsform, sondern über die Tätigkeit definiert und ist sehr weit gefasst. Das gilt auch für jPöR. Üben sie eine wirtschaftliche Tätigkeit aus, sind sie grundsätzlich Unternehmer. Das gilt nach Art. 13 MwStSystRL nur dann nicht, soweit ihnen die ausgeübten Tätigkeiten im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen und auch das nur, sofern eine Behandlung als Nichtsteuerpflichtige nicht zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde.

5.42

Nach Art. 9 MwStSystRL ist grundsätzlich jeder Steuerpflichtiger (= Unternehmer), wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbstständig ausübt. Als „wirtschaftliche Tätigkeit“ gelten alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellte Berufe. Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt insbesondere die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen. Das gilt auch für jPöR.

5.43

Dies wird durch Art. 13 MwStSystRL bestätigt und konkretisiert. Danach gelten Staaten, Länder, Gemeinden und sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts nur dann nicht als Steuerpflichtige, soweit sie Tätigkeiten ausüben, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen. Falls sie solche Tätigkeiten ausüben oder Umsätze bewirken, gelten sie für diese Tätigkeiten oder Umsätze jedoch als Steuerpflichtige, sofern eine Behandlung als Nichtsteuerpflichtige zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde.

5.44

Gemäß Art. 13 Abs. 2 MwStSystRL können die Mitgliedstaaten die Tätigkeiten von Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die nach den Artikeln 132, 135, 136 und 371, den Artikeln 374 bis 377, dem Artikel 378 Absatz 2, dem Artikel 379 Absatz 2 oder den Artikeln 380 bis 390c von der Mehrwertsteuer befreit sind, als Tätigkeiten behandeln, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen.

5.45

2. Die Rechtsprechung des EuGH als Ausgangspunkt der Neuausrichtung der BFH-Rechtsprechung und der Neuregelung in § 2b UStG a) Allgemeines Wenn man sich der Rechtsprechung des EuGH zur Umsatzbesteuerung der öffentlichen Hand nähern will, muss man berücksichtigen, dass für den EuGH das aus dem Neutralitätsgrundsatz abgeleitete Gebot des Wettbewerbsschutzes von fundamentaler Bedeutung ist. Das hat zur Folge, dass der EuGH die Unternehmereigenschaft unabhängig von der Rechtsform des Handelnden bereits bei einer nennenswerten Wettbewerbssituation zu anderen Wirtschaftsteilnehmern bejaht. An der Entwicklung der Rechtsprechung des EuGH hat der BFH maß-

Heidner | 243

5.46

Kap. 5 Rz. 5.46 | Die juristische Person/Einrichtung des öffentlichen Rechts im UStR

geblichen Anteil, weil er mit seinen Vorlageschlüssen Marktgemeinde Welden1 und Salix2 die zu entscheidenden Fragen vorgelegt hat. b) Das EuGH-Urteil Isle of wight council

5.47

Auf die fundamentale Bedeutung des Wettbewerbsschutzes hat der EuGH in seinem ersten zur Neuorientierung führenden Urteil zur umsatzsteuerrechtlichen Beurteilung jPöR Isle of wight council3 hingewiesen. Dabei ging es um die Nichtbesteuerung der Bewirtschaftung gebührenpflichtiger Parkeinrichtungen seitens einer Einrichtung öffentlichen Rechts.

5.48

Noch im Urteil Fazenda Pública4 hatte der EuGH entschieden, dass der Finanzminister eines Mitgliedstaats durch ein nationales Gesetz ermächtigt werden kann, festzulegen, was unter dem Begriff „größerer Wettbewerbsverzerrungen“ zu verstehen ist. Eine nähere Definition des Begriffs der „größeren Wettbewerbsverzerrungen“ hatte der EuGH dabei vermieden und auf sein Urteil Comune di Carpaneto Piacentino u.a.5 verwiesen. Danach waren die Mitgliedstaaten zwar verpflichtet, Einrichtungen des öffentlichen Rechts der Steuerpflicht zu unterwerfen, wenn ihre Behandlung als Nichtsteuerpflichtige zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen kann. Der EuGH hatte aber die Umsetzung dieser Richtlinie den Mitgliedstaaten überlassen. Dem folgend hatte der BFH in den Verfahren Marktgemeinde Welden6 und XI R 78/017 das Vorliegen einer schädlichen Wettbewerbsverzerrung jeweils in Bezug auf den lokalen Markt geprüft. Auch das Schrifttum forderte für das Vorliegen „größerer Wettbewerbsverzerrungen“ ein substantiiertes Wettbewerbsverhältnis8 und lehnte eine schädliche Wettbewerbsrelevanz ab, wenn jPöR eine Tätigkeit aufgrund öffentlich-rechtlicher Sonderregelungen mit Anschluss- und Benutzungszwang ausübten9.

5.49

Mit dem Urteil Isle of wight council erfolgt eine grundlegende Neubewertung des Wettbewerbsschutzes. Danach verbietet es „... der Grundsatz der steuerlichen Neutralität, der ein fundamentaler Grundsatz des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems ist ..., dass Wirtschaftsteilnehmer, die gleichartige Umsätze tätigen, bei der Erhebung der Mehrwertsteuer unterschiedlich behandelt werden“10.

1 BFH v. 21.3.1995, XI R 33/94, BFHE 177, 534. 2 BFH v. 20.12.2007, V R 70/05, BFHE 221, 80, BStBl. II 2008, 454. 3 EuGH v. 16.9.2008, C-288/07, Isle of wight council, ECLI:EU:C:2008:505, UR 2008, 816 mit Anm. Küffner. 4 EuGH v. 14.12.2000, C-446/98, Fazenda Pública, UR 2001, 108 m. Anm. Widmann. 5 EuGH v. 17.10.1989, Rs. 231/87 und 129/88, Comune di Carpaneto Piacentino u.a., UR 1991, 77 m. Anm. Ramme. 6 BFH v. 11.6.1997, XI R 33/94, BStBl. II 1999, 418, UR 1997, 346 m. Anm. Weiß; im Anschluss an EuGH v. 6.2.1997, C-247/95, Marktgemeinde Welden, UR 1997, 261 m. Anm. Stadie; vgl. auch Nachfolgeentscheidung des FG München v. 16.7.1998 – 14 K 3310/97, UVR 1998, 358. 7 BFH v. 27.2.2003, V R 78/01, BStBl. II 2003, 431, UR 2003, 396. 8 Strahl in Carlé/Stahl/Strahl (Hrsg.), Gestaltung und Abwehr im Steuerrecht, Festschrift für Klaus Korn, Bonn 2005, S. 489 (505). 9 Kraeusel in Carlé/Stahl/Strahl (Hrsg.), Gestaltung und Abwehr im Steuerrecht, Festschrift für Klaus Korn, Bonn 2005, S. 455 (484). 10 EuGH v. 16.9.2008, C-288/07, Isle of wight council, ECLI:EU:C:2008:505,816, UR 2008, 816 m. Anm. Küffner, Rz. 42.

244 | Heidner

B. Rechtsgeschichtliche Entwicklung | Rz. 5.53 Kap. 5

5.50

Die Kernsätze des Urteils Isle of wight council lauten: – Der Grundsatz der steuerlichen Neutralität verbietet, dass Wirtschaftsteilnehmer, die gleichartige Umsätze tätigen, bei der Erhebung der MwSt unterschiedlich behandelt werden. – Die Frage, ob die Behandlung von Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die im Rahmen der öffentlichen Gewalt tätig werden, als Nichtsteuerpflichtige zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde, ist in Bezug auf die fragliche Tätigkeit als solche zu beurteilen, ohne dass es auf den jeweiligen lokalen Markt ankommt. – Geschützt wird nicht nur der gegenwärtige, sondern auch der potenzielle Wettbewerb, sofern die Möglichkeit für einen privaten Wirtschaftsteilnehmer, in den relevanten Markt einzutreten, real und nicht rein hypothetisch ist. – Für den Begriff des „größeren“ Wettbewerbs ist ausschlaggebend, ob die gegenwärtigen oder potenziellen Wettbewerbsverzerrungen mehr als unbedeutend sind. – Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 2 der 6. EG-Richtlinie (Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL) darf nicht eng ausgelegt werden. Jede wirtschaftliche Tätigkeit der öffentlichen Hand unterliegt grundsätzlich der Umsatzsteuer. Selbst wenn sich Mitgliedstaaten für die Einstufung als hoheitliche Tätigkeit aussprechen, können drohende größere Wettbewerbsverzerrungen zur Steuerpflicht führen. Der EuGH stellt fest, dass das Vorliegen von größeren Wettbewerbsverzerrungen in Bezug auf die fragliche Tätigkeit als solche zu beurteilen ist, ohne dass sich diese Beurteilung auf einen lokalen Markt im Besonderen bezieht. Das impliziert, dass es auf das geographische Gebiet, in dem die jPöR tätig wird, nicht ankommen kann. Aus diesem Grund kann auch nicht entscheidend sein, ob die fragliche Tätigkeit per Gesetz oder Verordnung der jPöR in diesem Gebiet vorbehalten ist. Vielmehr ist ausschlaggebend, ob die fragliche Tätigkeit als solche zu einer Wettbewerbsverzerrung führt. Dabei ist nach Auffassung des EuGH nicht nur auf die konkrete Tätigkeit abzustellen, sondern auch auf solche Dienstleistungen, die „im Wesentlichen gleich sind“. Für dieses weite Wettbewerbsverständnis spricht auch die Feststellung des EuGH, dass nach der Regelung in Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 2 der 6. EG-Richtlinie (Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL) grundsätzlich aus jeder (nichtunternehmerischen) hoheitlichen eine unternehmerische Tätigkeit werden kann:

5.51

„Selbst wenn die lokalen Behörden eine solche Tätigkeit im Rahmen der öffentlichen Gewalt ausüben, sind sie gem. Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 2 der 6. EG-Richtlinie als steuerpflichtig anzusehen, sofern eine Behandlung als Nichtsteuerpflichtige zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde“1.

5.52

Damit steht aber fest, dass größere Wettbewerbsverzerrungen aus jeder hoheitlichen Tätigkeit eine wirtschaftliche und damit umsatzsteuerbare Tätigkeit der öffentlichen Hand machen können. Entscheidend ist, ob die fragliche Tätigkeit der öffentlichen Hand mit einer Tätigkeit von privaten Wirtschaftsteilnehmern vergleichbar bzw. – wie es der EuGH formuliert – im Wesentlichen die Gleiche ist.

5.53

1 EuGH v. 16.9.2008, C-288/07, Isle of wight council, ECLI:EU:C:2008:505,816, UR 2008, 816 mit Anm. Küffner, Rz. 37.

Heidner | 245

Kap. 5 Rz. 5.54 | Die juristische Person/Einrichtung des öffentlichen Rechts im UStR

c) Das EuGH-Urteil Salix

5.54

Wie weit der Wettbewerbsschutz zu fassen ist, hat der EuGH neun Monate nach dem Urteil Isle of wight council in seinem zweiten wegweisenden Urteil Salix1 weiter konkretisiert. Das Urteil hat in Deutschland noch mehr Beachtung gefunden als das Urteil Isle of wight council, weil es zum deutschen Recht ergangen ist. Im Kern behandelt es die Frage, ob die Vermögensverwaltung (in Form der langfristigen Vermietung unbeweglichen Vermögens) eine Tätigkeit darstellt, die Einrichtungen des öffentlichen Rechts im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegt, also zum nicht steuerbaren Hoheitsbereich der öffentlichen Hand zählt.

5.55

Die Kernaussagen des EuGH-Urteils Salix lauten: – Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 2 der 6. EG-Richtlinie (Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL) darf nicht eng ausgelegt werden. Jede wirtschaftliche Tätigkeit der öffentlichen Hand unterliegt grundsätzlich der Umsatzsteuer. Selbst wenn sich Mitgliedstaaten für die Einstufung als hoheitliche Tätigkeit aussprechen, können drohende größere Wettbewerbsverzerrungen zur Steuerpflicht führen (Bestätigung des Urteils Isle of wight council). – Die Vermietung von Grundstücken stellt grundsätzlich eine wirtschaftliche und damit unternehmerische Tätigkeit der Einrichtungen des öffentlichen Rechts dar. – Mitgliedstaaten können diese Art der Vermietungstätigkeit nach Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 4 der 6. EG-Richtlinie (Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL) als solche Tätigkeiten behandeln, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen. – Das erfordert eine ausdrückliche Entscheidung, die durch eine direkte gesetzliche Regelung oder aber durch eine gesetzliche Ermächtigungsregelung getroffen werden kann. – Selbst wenn Mitgliedstaaten die Vermietungstätigkeit als Ausübung öffentlicher Gewalt behandeln, tritt die Steuerpflicht ein, wenn andernfalls größere Wettbewerbsverzerrungen drohen. – Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 2 der 6. EG-Richtlinie (Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL) wirkt nicht nur zu Lasten der Einrichtungen des öffentlichen Rechts, sondern auch zu deren Gunsten. d) Weitere wichtige EuGH-Urteile

5.56

Im EuGH-Urteil Gemeente Borsele2 ging es um die Frage, ob eine Gemeinde bei der Schülerbeförderung unternehmerisch tätig wird, wenn nicht jeder Nutzer für die Beförderung zahlen muss und lediglich ein Kostendeckungsgrad von 3 % erreicht wird, wobei der verbleibende Teil mit öffentlichen Mitteln finanziert wird. Der EuGH hat in diesem Fall keine wirtschaftliche Tätigkeit angenommen, weil zwar – ungeachtet des geringen Kostendeckungsrades – eine entgeltliche Tätigkeit vorlag, diese aber nicht in dem Angebot von Leistungen auf dem allgemeinen Markt für Beförderungsleistungen bestand. Das lasse die Zahlungen der Eltern eher als eine Gebühr als ein Entgelt erscheinen.

1 EuGH v. 4.6.2009, C-102/08, Salix, ECLI:EU:C:2009:345, BStBl. II 2017, 873, UR 2009, 484 mit Anm. Küffner und Anm. Widmann. 2 EuGH v. 12.5.2016, C-520/14, Gemeente Borsele, ECLI:EU:C:2016:334, UR 2016, 520 mit Anm. Küffner.

246 | Heidner

B. Rechtsgeschichtliche Entwicklung | Rz. 5.60 Kap. 5

Durch die Urteile Saudacor1 und Nagyszénás2 ist deutlich geworden, dass auch juristische Personen des Privatrechts unter bestimmten Voraussetzungen eine Einrichtung des öffentlichen Rechts sein können. Das folgt daraus, dass jede Tätigkeit wirtschaftlicher Natur grundsätzlich steuerpflichtig ist. Der Mehrwertsteuer unterliegen Dienstleistungen, die gegen Entgelt erbracht werden, einschließlich derjenigen, die von Einrichtungen des öffentlichen Rechts erbracht werden. Die Annahme eines Umsatzes gegen Entgelt setzt dabei nur das Bestehen eines unmittelbaren Zusammenhangs zwischen dieser Leistung und einer tatsächlich vom Steuerpflichtigen empfangenen Gegenleistung voraus3. Zudem sind die Merkmale des Art. 13 MwStSystRL in der gesamten EU unabhängig vom Recht der Mitgliedstaaten autonom und einheitlich auszulegen4. Diese Entscheidungen verdeutlichen, dass an dem an der Rechtsform orientierten Begriff der jPöR kaum festzuhalten sein wird.

5.57

Im Urteil Gmina Wroclaw5 hat der EuGH entschieden, dass haushaltsgebundene kommunale Einrichtungen, die die ihnen übertragenen wirtschaftlichen Tätigkeiten im Namen und für Rechnung einer Gemeinde durchführen, nicht selbstständig sind und damit nicht Unternehmer im Sinne der MwStSystRL sein können6. In dem Streitfall der Gemeinde Wroclaw, der zum polnischen Recht erging, stellte sich die Frage, ob die Gemeinde oder eine „haushaltsgebundene Einrichtung“ der Gemeinde als „Steuerpflichtiger“ anzusehen ist7.

5.58

Im Urteil National Roads Authority8 hatte der EuGH einen Fall zu beurteilen, in dem eine Einrichtung des öffentlichen Rechts den Zugang zu einer Straße gegen Zahlung einer Maut gewährte. Der EuGH hat die schon bisher geltenden Grundsätze wiederholt, nämlich:

5.59

– Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL darf nicht eng ausgelegt werden. Das darf aber nicht dazu führen, das Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 1 MwStSystRL keine praktische Wirksamkeit hat mehr hat. Nach Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie gelten diese Einrichtungen, soweit sie Tätigkeiten ausüben oder Umsätze bewirken, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen, als Steuerpflichtige, sofern eine Behandlung als Nichtsteuerpflichtige zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde.

5.60

– Die Frage, ob eine Behandlung als Nichtsteuerpflichtige zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde, ist in Bezug auf die fragliche Tätigkeit als solche zu beurteilen, ohne dass sich diese Beurteilung auf einen Markt im Besonderen bezieht. – Art. 1 MwStSystRL schützt nicht den gegenwärtigen, sondern auch den potenziellen Wettbewerb, sofern die Möglichkeit für einen privaten Wirtschaftsteilnehmer, in den relevanten Markt einzutreten, real und nicht rein theoretisch ist. – Allein das bloße Vorhandensein privater Wirtschaftsteilnehmer auf einem Markt ohne Berücksichtigung von Tatsachen, objektiven Indizien und einer Analyse dieses Marktes belegen weder das Bestehen eines gegenwärtigen oder potenziellen Wettbewerbs noch das Vorliegen einer größeren Wettbewerbsverzerrung. 1 EuGH v. 29.10.2015, C-174/14, Saudaçor, ECLI:EU:C:2015:733, UR 2015, 901 mit Anm. Küffner für eine AG. 2 EuGH v. 22.2.2018, C-182/17, Nagyszénás, ECLI:EU:C:2018:91, UR 2018, 276 für eine GmbH. 3 EuGH v. 29.10.2015, C-174/14, Saudaçor, ECLI:EU:C:2015:733, UR 2015, 901 mit Anm. Küffner. 4 EuGH v. 29.10.2015, C-174/14, Saudaçor, ECLI:EU:C:2015:733, UR 2015, 901 mit Anm. Küffner. 5 EuGH v. 29.9.2015, C-276/14, Gmina Wroclaw, ECLI:EU:C:2015:635, UR 2015, 829 mit Anm. Küffner. 6 EuGH v. 29.9.2015, C-276/14, Gmina Wroclaw, ECLI:EU:C:2015:635, UR 2015, 829. 7 Vgl. hierzu im Einzelnen Rz. 5.100. 8 EuGH v. 19.1.2017, C-344/15, National Roads Authority, ECLI:EU:C:2017:28, UR 2017, 181.

Heidner | 247

Kap. 5 Rz. 5.61 | Die juristische Person/Einrichtung des öffentlichen Rechts im UStR

III. Die Rechtsprechung des BFH zum alten Recht 1. Allgemeines 5.61

§ 2 Abs. 3 Satz 1 UStG ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH unter Berücksichtigung von Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 77/388/EWG richtlinienkonform auszulegen1. Der BFH hat sich in den Jahren 2009 bis 2011 in der Folge der EuGH-Urteile Isle of wight council2 und Salix3 in einer Vielzahl von Urteilen zur umsatzsteuerrechtlichen Behandlung jPöR dieser Sichtweise angeschlossen, § 2 Abs. 3 UStG a.F. de facto außer Kraft gesetzt und stattdessen unmittelbar Unionsrecht zur Anwendung gebracht4. Diese Rechtsprechung ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass der EuGH die nationalen Gerichte in der Pflicht sieht, alle rechtssystematischen Möglichkeiten zu nutzen, um dem Unionsrecht zur Geltung zu verhelfen, d.h. z.B. auch die richtlinienkonforme Auslegung und die richterliche Rechtsfortbildung5.

5.62

Das BMF hat die BFH-Urteile überwiegend zunächst nicht ins BStBl. II aufgenommen und damit quasi mit einem stillen Nichtanwendungserlass belegt. Lediglich die Urteile vom 20.8.20096 und vom 3.3.20117 hat die Verwaltung zeitnah im BStBl. II veröffentlicht. Erst im Jahr 2017, also nach Inkrafttreten des § 2b UStG, haben die weiteren Urteile Eingang in das BStBl. II gefunden. a) Die Rechtsprechung des BFH im Detail

5.63

Den sich schon aus dem Wortlaut ergebenden offenkundigen Konflikt zwischen dem Unionsrecht und dem deutschen Umsatzsteuerrecht hat der BFH durch eine sehr weite richtlinienkonforme Auslegung des § 2 Abs. 3 UStG gelöst8. De facto wendet der BFH dabei die Merkmale der § 2 Abs. 3 UStG, § 4 KStG nicht mehr an, sondern beurteilt die Unternehmereigenschaft juristischer Personen des öffentlichen Rechts auf der Grundlage des Unionsrechts in Gestalt der Auslegung durch den EuGH. Dabei geht der BFH davon aus, dass der Wortlaut der deutschen Regelung nicht so eindeutig ist, dass er einer richtlinienkonformen Auslegung entgegenstünde9. Diese weite richtlinienkonforme Auslegung war vor dem Hintergrund verständlich, „dass die nationalen Gerichte gehalten sind, das nationale Recht so weit wie möglich im Licht des Wortlauts und der Zielsetzung der betreffenden Richtlinie auszulegen, um das mit dieser verfolgte Ziel zu erreichen, was erfordert, dass die nationalen Gerichte unter

1 Vgl. z.B. BFH v. 15.4.2010, V R 10/09, BFHE 229, 416, BStBl. II 2017, 863; v. 27.2.2003, V R 78/01, BFHE 201, 554, BStBl. II 2004, 431; v. 5.2.2004, V R 90/01, BFHE 205, 323, BStBl. II 2004, 795. 2 EuGH v. 16.9.2008, C-288/07, Isle of wight council, ECLI:EU:C:2008:505,816, UR 2008, 816. 3 EuGH v. 4.6.2009, C-102/08, Salix, ECLI:EU:C:2009:345, UR 2009, 484. 4 BFH-Urt. v. 10.11.2011, V R 41/10, BFHE 235, 554, UR 2012, 272 m. Anm. Küffner; v. 2.3.2011, XI R 65/07, BFHE 233, 264, UR 2011, 657; v. 1.12.2011, V R 1/11, BFHE 236, 235, UR 2012, 363; v. 17.3.2010, XI R 17/08, BFHE 230, 466, BStBl. II 2017, 828, UR 2010, 943; v. 15.4.2010, V R 10/ 09, BFHE 229, 416, BStBl. II 2017, 863, UR 2010, 646; BFH v. 3.3.2011, V R 23/10, BFHE 233, 274, BStBl. II 2012, 74, UR 2011, 617. 5 EuGH-Urteil Italmoda v. 18.12.2014, C-131/13, C-163/13, C-164/13, ECLI:EU:C:2014:2455. 6 BFH v. 20.8.2009, V R 30/06, BFHE 233, 274, BStBl. II 2010, 863, UR 2009, 800. 7 BFH v. 3.3.2011, V R 23/10, BFHE 233, 274, BStBl. II 2012, 74, UR 2011, 617; s. dazu Anm. Küffner, UR 2011, 621 – zustimmend; Anm. Widmann, BB 2011, 2022 – ablehnend. 8 Z.B. BFH v. 10.11.2011, V R 41/10, BFHE 235, 554, UR 2012, 272 m. Anm. Küffner; vom 2.3.2011, XI R 65/07, BFHE 233, 264, UR 2011, 657 zu Art. 4 Abs. 5 der 6. EG-Richtlinie. 9 BFH v. 10.11.2011, V R 41/10, BFHE 235, 554, BStBl. II 2017, 869, UR 2012, 272.

248 | Heidner

B. Rechtsgeschichtliche Entwicklung | Rz. 5.66 Kap. 5

Berücksichtigung des gesamten nationalen Rechts und unter Anwendung der in diesem anerkannten Auslegungsmethoden alles tun, was in ihrer Zuständigkeit liegt“1. aa) Faktisches Außerkraftsetzen des § 2 Abs. 3 UStG Dass der BFH § 2 Abs. 3 UStG nicht mehr berücksichtigt, lässt sich an den einzelnen Merkmalen der Norm veranschaulichen. Nach § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG a.F. i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 KStG kommt es auf eine Einrichtung an, die einer nachhaltigen wirtschaftlichen Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen dient und die sich innerhalb der Gesamtbetätigung der juristischen Person wirtschaftlich heraushebt.

5.64

(1) Einrichtung Die Anforderungen, die der BFH im Rahmen der richtlinienkonformen Auslegung an das Merkmal „Einrichtung“ stellt, sind so gering, dass diesem Merkmal keine eigenständige Bedeutung mehr zukommt. Denn es reicht aus, wenn sich die wirtschaftliche Tätigkeit von der übrigen Betätigung der juristischen Person des öffentlichen Rechts deutlich abgrenzt2 bzw. funktionell abgrenzen lässt. Da das aber bei jeder nachhaltigen und zur Erzielung von Einnahmen ausgeübten Tätigkeit bejaht wird3, entfällt das Merkmal der Einrichtung, denn die nachhaltige zur Erzielung von Einnahmen ausgeübte Tätigkeit ist die allgemeine Voraussetzung einer unternehmerischen Tätigkeit, wie sie sich bereits aus § 2 Abs. 1 UStG ergibt. Das wird noch einmal deutlich in der Entscheidung vom 17.3.20104. Der BFH hat darin entschieden, dass es nach Art. 13 MwStSystRL (bis 2006 Art. 4 Abs. 5 der 6. EG-Richtlinie) im Gegensatz zu § 4 Abs. 1 Satz 1 KStG nicht darauf ankommt, ob die ausgeübte Tätigkeit von einer eigenständigen Einrichtung ausgeführt wird, weil das Unionsrecht ausschließlich auf die jeweils ausgeübte Tätigkeit oder erbrachte Leistung als solche abstellt.

5.65

(2) Wirtschaftliche Heraushebung Es kommt nach der Rechtsprechung auch nicht mehr darauf an, ob sich die wirtschaftliche Tätigkeit der juristischen Person des öffentlichen Rechts innerhalb ihrer Gesamtbetätigung wirtschaftlich heraushebt und bestimmte Umsatzgrenzen überschreitet, weil der Wortlaut des Art. 13 MwStSystRL keinen Hinweis auf derartige Grenzen gibt. Die Umsätze von juristischen Personen des öffentlichen Rechts unterliegen den gleichen umsatzsteuerrechtlichen Bestimmungen wie die Umsätze anderer Unternehmen auch5. Der BFH hat deshalb die in Abschn. 23 Abs. 4 UStR aufgeführten und aus den KStR übernommenen Umsatzgrenzen für insoweit unbeachtlich beurteilt. Diese Außerachtlassung der UStR/KStR und des UStAE durch die Rechtsprechung ist möglich, weil es sich hierbei um norminterpretierende Verwaltungsvorschriften handelt, die die Rechtsprechung nicht binden6.

1 EuGH v. 18.12.2014, C-131/13, C-163/13, C-164/13, Italmoda, ECLI:EU:C:2014:2455, UR 2015, 106, Rz 52. 2 BFH v. 1.12.2011, V R 1/11, BFHE 236, 235, BStBl. II 2017, 834, UR 2012, 363. 3 BFH v. 15.4.2010, V R 10/09, BFHE 229, 416, BStBl. II 2017, 863, UR 2010, 646. 4 BFH v. 17.3.2010, XI R 17/08, BFHE 230, 466, BStBl. II 2017, 828, UR 2010, 943. 5 BFH v. 1.12.2011, V R 1/11, BFHE 236, 235, BStBl. II 2017, 834, UR 2012, 363; v. 17.3.2010, XI R 17/08, BFHE 230, 466, BStBl. II 2017, 828, UR 2010, 943. 6 BFH v. 16.12.2014, X R 29/13, BFH/NV 2015, 790; vom 5.9.2013 XI R 4/10, BFHE 243, 60, BStBl. II 2014, 95, UR 2013, 917; v. 10.11.2011, V R 34/10, BFH/NV 2012, 803.

Heidner | 249

5.66

Kap. 5 Rz. 5.67 | Die juristische Person/Einrichtung des öffentlichen Rechts im UStR

bb) Rechtsgrundlage des Handelns der jPöR

5.67

Bei der Neuausrichtung der bei der Beurteilung der Unternehmereigenschaft juristischer Personen des öffentlichen Rechts zu beachtenden Grundsätze stellt der BFH1 in Anlehnung an die Rechtsprechung des EuGH2 auf die Rechtsgrundlagen des Handelns der jPöR ab. Handelt sie auf privatrechtlicher Grundlage, z.B. durch Vertrag, kommt es auf weitere Voraussetzungen nicht an; die jPöR ist in diesem Fall Unternehmer. Das erkennt mittlerweile auch die Finanzverwaltung an3. Das gilt selbst dann, wenn das Handeln im Zusammenhang mit hoheitlichen Aufgaben steht4. Auf den Umfang der Tätigkeit kommt es – abgesehen von den Bestimmungen zum Kleinunternehmer – nicht an, wenn die Tätigkeit auf privatrechtlicher Grundlage erfolgt. Die Bagatellgrenze des § 2b Abs. 2 Nr. 1 UStG ist kein Anwendungsfall privatrechtlicher Tätigkeit, sondern kommt erst zum Tragen, wenn feststeht, dass die jPöR im Rahmen der öffentlichen Gewalt tätig wird und nunmehr die Frage, ob größere Wettbewerbsverzerrungen vorliegen, zu beantworten ist.

5.68

Die Nichtunternehmereigenschaft der juristischen Person des öffentlichen Rechts kommt nur dann überhaupt in Betracht, wenn sie ihre Tätigkeit auf öffentlich-rechtlicher Grundlage im Rahmen der öffentlichen Gewalt ausübt. Eine Tätigkeit im Rahmen öffentlicher Gewalt setzt voraus, dass die juristische Person (Einrichtung) des öffentlichen Rechts im Rahmen einer öffentlich-rechtlichen Sonderregelung (z.B. durch Verwaltungsakt) und nicht unter den gleichen rechtlichen Bedingungen wie private Wirtschaftsteilnehmer tätig ist. Maßgeblich sind hierfür die im nationalen Recht vorgesehenen Ausübungsmodalitäten. Dabei kann das Gebrauchmachen hoheitlicher Befugnisse für eine einer öffentlich-rechtlichen Sonderregelung unterliegende Tätigkeit sprechen. Unerheblich sind demgegenüber Gegenstand oder Zielsetzung der Tätigkeit5. cc) Größere Wettbewerbsverzerrungen

5.69

Aber selbst wenn die jPöR ihre Tätigkeit auf öffentlich-rechtlicher Grundlage ausübt, ist sie gemäß Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL Unternehmer, wenn eine Behandlung als Nichtunternehmer zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde. Nach der Rechtsprechung liegt allerdings eine größere Wettbewerbsverzerrung nur dann nicht vor, wenn „die Behandlung öffentlicher Einrichtungen als Nichtsteuerpflichtige ... lediglich zu unbedeutenden Wettbewerbsverzerrungen führen würde“6. Es ist daher für die Behandlung einer auf öffentlich-rechtlicher Grundlage tätigen juristischen Person des öffentlichen Rechts nicht erforderlich, dass erhebliche oder außergewöhnliche Wettbewerbsverzerrungen vorliegen. Größere Wettbewerbsverzerrungen sind für den EuGH gleichbedeutend mit „nicht nur unbedeutenden Wettbewerbsverzerrungen“. 1 BFH v. 13.2.2014, V R 5/13, BFHE 245, 92, BStBl. II 2017, 846, UR 2014, 566; v. 10.11.2011, V R 41/10, BFHE 235, 554, BStBl. II 2017, 869, UR 2012, 272. 2 EuGH v. 16.9.2008, C-288/07, Isle of wight council, ECLI:EU:C:2008:505,816, UR 2008, 816, Rz. 21; v. 14.12.2000, C-446/98, Fazenda Pública, ECLI:EU:C:2000:691, UR 2001, 108, Rz. 17. 3 BMF v. 5.8.2020, BStBl. I 2020, 669. 4 BFH v. 17.3.2010, XI R 17/08, BFHE 230, 466, BStBl. II 2017, 828, UR 2010, 943. 5 Z.B. EuGH v. 14.12.2000, C-446/98, Fazenda Pública, ECLI:EU:C:2000:691, UR 2001, 108; BFH v. 2.9.2010, V R 23/09, BFH/NV 2011, 458; v. 15.4.2010, V R 10/09, BFHE 229, 416, BStBl. II 2017, 863, UR 2010, 646. 6 EuGH v. 16.9.2008, C-288/07, Isle of wight council, ECLI:EU:C:2008:505,816, UR 2008, 816, Rz. 76; BFH v. 1.12.2011, V R 1/11, BFHE 236, 235, BStBl. II 2017, 834, UR 2012, 363; v. 10.11.2011, V R 41/10, BFHE 235, 554, BStBl. II 2017, 869, UR 2012, 272; v. 15.4.2010, V R 10/09, BFHE 229, 416, BStBl. II 2017, 863, UR 2010, 646.

250 | Heidner

B. Rechtsgeschichtliche Entwicklung | Rz. 5.73 Kap. 5

Für die Beantwortung der Frage, ob Wettbewerbsverzerrungen vorliegen, kommt es dabei nicht auf die Verhältnisse auf dem jeweiligen lokalen Markt an1. Die Handhabung dieses Merkmals scheint auf den ersten Blick problematisch zu sein, denn die Frage, auf welchen Markt es ankommt, ist nicht klar beantwortet. Kommt es auf das gesamte Staatsgebiet des Mitgliedslandes an? Kann also eine Wettbewerbsverzerrung auch vorliegen, wenn der nächste private Mitbewerber mehrere hundert Kilometer entfernt sein Unternehmen betreibt? Hängt die Antwort auch von der Art des vertriebenen Produktes ab? Diese scheinbar nur schwer zu beantwortenden Fragen relativieren sich aber, weil der „lokale Markt“ nur ein Scheinmerkmal ist. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist für die Wettbewerbsbeurteilung nämlich nicht nur der gegenwärtige, sondern auch der potenzielle Wettbewerb zu berücksichtigen2. Das heißt nichts anderes, als dass es ausreicht, dass die von der juristischen Person des öffentlichen Rechts ausgeübte Tätigkeit auch von einem privaten Unternehmer ausgeübt und dieser in seinem Marktzugang behindert werden könnte. Der lokale Markt kann danach eigentlich nur dann von Bedeutung sein, wenn aus den Besonderheiten des lokalen Marktes ein Marktzugang eines privaten Unternehmers nicht möglich, der potentielle Wettbewerb also nicht gefährdet ist, das aber für einen größeren Markt nicht zutrifft. Das erscheint zwar nicht völlig ausgeschlossen, dürfte sich aber nur auf spezielle Einzelfälle beschränken.

5.70

dd) Vermögensverwaltung Nach überkommener Auslegung von § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG a.F. fiel die Vermögensverwaltung (z.B. durch Vermietung und Verpachtung) nicht unter die unternehmerische Tätigkeit der juristischen Person des öffentlichen Rechts. Das lag an der Verweisung auf das Ertragsteuerrecht, das den Betrieb gewerblicher Art von der Vermögensverwaltung abgrenzt. Die bloße Vermietung oder Verpachtung von Räumen oder Grundstücken ist danach Vermögensverwaltung und kein Betrieb gewerblicher Art3.

5.71

Die vermögensverwaltende Tätigkeit der öffentlichen Hand wird nun generell als umsatzsteuerbare Leistung behandelt. Nach der Änderung der Rechtsprechung kommt dem Begriff der „Vermögensverwaltung“ umsatzsteuerrechtlich für die Unternehmerstellung einer juristischen Person des öffentlichen Rechts durch einen „Betrieb gewerblicher Art“ keine Bedeutung zu4. Die Finanzverwaltung hat offenbar lange mit sich gerungen, bis sie dem BFH-Urteil V R 10/09 aus dem Jahr 2010 schließlich 2017 mit der Veröffentlichung im Bundessteuerblatt gefolgt ist. Das ändert allerdings nichts daran, dass die Finanzverwaltung UStAE 2.11. nicht angepasst hat und es jPöR bis zum Inkrafttreten von § 2b UStG weiterhin gestattet hat, Umsätze aus Vermögensverwaltung außerhalb ihres Unternehmens zu erzielen.

5.72

ee) Leistungen i.S.v. Anhang I MwStSystRL Gemäß Art. 13 Abs. 1 Unterabs 3 MwStSystRL gelten Einrichtungen des öffentlichen Rechts in Bezug auf die in Anhang I genannten Tätigkeiten in jedem Fall als Steuerpflichtige, sofern der Umfang dieser Tätigkeiten nicht unbedeutend ist. Bei den in Anhang I genannten Tätigkeiten handelt es sich um: 1 EuGH v. 16.9.2008, C-288/07, Isle of wight council, ECLI:EU:C:2008:505,816, UR 2008, 816, Rz. 74, 76; BFH v. 1.12.2011, V R 1/11, BFHE 236, 235, BStBl. II 2017, 834, UR 2012, 363, Rz. 19; v. 10.11.2011, V R 41/10, BFHE 235, 554, BStBl. II 2017, 869, UR 2012, 272. 2 EuGH v. 16.9.2008, C-288/07, Isle of wight council, ECLI:EU:C:2008:505,816, UR 2008, 816. 3 BFH v. 13.3.1974, I R 7/71, BFHE 112, 61, BStBl. II 1974, 391. 4 BFH v. 15.4.2010 V R 10/09, BFHE 229, 416, BStBl. II 2017, 863, UR 2010, 646.

Heidner | 251

5.73

Kap. 5 Rz. 5.74 | Die juristische Person/Einrichtung des öffentlichen Rechts im UStR

5.74

1. Telekommunikationswesen; 2. Lieferung von Wasser, Gas, Elektrizität und thermischer Energie; 3. Güterbeförderung; 4. Hafen- und Flughafendienstleistungen; 5. Personenbeförderung; 6. Lieferung von neuen Gegenständen zum Zwecke ihres Verkaufs; 7. Umsätze der landwirtschaftlichen Interventionsstellen aus landwirtschaftlichen Erzeugnissen, die in Anwendung der Verordnungen über eine gemeinsame Marktorganisation für diese Erzeugnisse bewirkt werden; 8. Veranstaltung von Messen und Ausstellungen mit gewerblichem Charakter; 9. Lagerhaltung; 10. Tätigkeiten gewerblicher Werbebüros; 11. Tätigkeiten der Reisebüros; 12. Umsätze von betriebseigenen Kantinen, Verkaufsstellen und Genossenschaften und ähnlichen Einrichtungen; 13. Tätigkeiten der Rundfunk- und Fernsehanstalten sofern sie nicht nach Artikel 132 Absatz 1 Buchstabe q steuerbefreit sind.

252 | Heidner

B. Rechtsgeschichtliche Entwicklung | Rz. 5.76 Kap. 5

ff) Schaubild der Prüfungsreihenfolge Die bei der umsatzsteuerrechtlichen Beurteilung der Tätigkeit einer jPöR zu beantwortenden Fragen kann man schaubildhaft nach folgender Prüfungsreihenfolge beantworten:

5.75

Liegen Tätigkeiten i.S.v. Anhang I MwStSystRL vor?

Ja

Nein

Sind diese unbedeutend?

Nein

Ja

Liegen größere Wettbewerbsverzerrungen vor?

Unternehmer (Steuerpflichtiger)

Ja

Nein

Handeln auf privatrechtlicher Grundlage

Handeln auf öffentlich-rechtlicher Grundlage

Nichtunternehmer (Nichtsteuerpflichtiger)

2. Die durch das BMF-Schreiben vom 27.7.2017 veröffentlichten BFH-Entscheidungen Mit BMF-Schreiben vom 27.7.20171 hat die Verwaltung eine Reihe von BFH-Entscheidungen veröffentlicht und damit deren über den jeweiligen Einzelfall hinausgehende Bedeutung akzeptiert. Hierbei ist insbesondere das Urteil vom 20.8.2009, V R 70/05, BStBl II 2017, 825 zu nennen, das sich mit der Unternehmereigenschaft einer Industrie- und Handelskammer bei der Vermietung und Verpachtung von Grundstücken auf privatrechtlicher Grundlage befasste und aufgrund dessen Vorlagefragen das EuGH-Urteil Salix erging. Der BFH stellte nach beantworteten Vorlagefragen fest, dass es an einer nach dem EuGH erforderlichen ausdrücklichen ge1 BStBl. I 2017, 1239.

Heidner | 253

5.76

Kap. 5 Rz. 5.76 | Die juristische Person/Einrichtung des öffentlichen Rechts im UStR

setzlichen Regelung fehlte und mithin in der vorliegenden Vermietung und Verpachtung keine steuerbefreite Tätigkeit anzusehen ist1.

5.77

Mit Urteil vom 17.3.2010, XI R 17/08, BStBl II 2017, 828 bejahte der BFH die Unternehmereigenschaft einer Gemeinde durch den Einsatz eines mit Werbeaufdrucken versehenen Fahrzeugs. Die Gemeinde verpflichtete sich im Gegenzug zur Übereignung des Fahrzeugs, dieses für die Dauer von fünf Jahren in der Öffentlichkeit zu bewegen. Der BFH entschied, dass die Gemeinde die „Werbeleistungen auf der Grundlage des mit der Klägerin abgeschlossenen zivilrechtlichen Vertrages und nicht im Rahmen der eigens für sie geltenden öffentlich-rechtlichen Regelungen“2 erbrachte. Insofern hatte die Werbeleistung in keiner Verbindung zu der öffentlichen Aufgabenstellung der Gemeinde gestanden, sodass auch unerheblich war, ob die Gemeinde mit dem Fahrzeug zusätzliche und nicht durch den eigentlichen Gemeindebetrieb veranlasste Fahrten unternommen hatte.3 Hieraus folgt auch, dass die Einnahmen den gleichen umsatzsteuerrechtlichen Bestimmungen unterliegen wie die Umsätze anderer Unternehmen, sodass irrelevant ist, ob sich die wirtschaftliche Tätigkeit innerhalb der Gesamtbetätigung heraushebt oder die in Abschn. 23 Abs. 4 UStR i.V.m. R 6 Abs. 5 KStR genannten Umsatzgrenze von 30.678 € überschritten wird4.

5.78

Das Urteil vom 15.4.2010, V R 10/09, BStBl II 2017, 863 betrifft die Unternehmereigenschaft einer Universität durch die Gestattung des Aufstellens von Automaten gegen Entgelt durch privatrechtlichen Vertrag und durch die Überlassung von Personal und Sachmitteln auf öffentlich-rechtlicher Rechtsgrundlage mit der Folge von Wettbewerbsverzerrungen.

5.79

Das BFH-Urteil vom 2.3.2011, XI R 65/07, BStBl II 2017, 831 betrifft einen kommunalen Zweckverband, der eine Wasserversorgungsanlage zur Förderung und Abgabe von Trink- und Gebrauchswasser betreibt. Dieser ist bei richtlinienkonformer Auslegung des § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG i.V.m. § 4 Abs. 3 und 5 KStG Unternehmer.

5.80

Mit Urteil vom 10.11.2011, V R 41/10, BStBl II 2017, 869 hat der BFH entschieden, dass eine Gemeinde, die die Nutzung einer Sporthalle und Freizeithalle gegen Entgelt gestattet, gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG i.V.m. § 4 KStG als Unternehmer tätig ist, wenn sie ihre Leistung entweder auf zivilrechtlicher Grundlage oder zwar auf öffentlich-rechtlicher Grundlage, aber im Wettbewerb zu Privaten erbringt. Darüber hinaus hat der BFH auch die entgeltliche Nutzungsüberlassung der Halle an eine Nachbargemeinde für Zwecke des Schulsports als steuerbar und bei Fehlen besonderer Befreiungstatbestände als steuerpflichtig beurteilt und damit die überkommene Beurteilung von sog. Beistandsleistungen aufgegeben.

5.81

Mit Urteil vom 1.12.2011, V R 1/11, BStBl II 2017, 834 bekräftigte der BFH die Grundsätze der Isle of Wight Entscheidung des EuGH. Gegenstand war die Unternehmereigenschaft einer Gemeinde bei der Überlassung von PKW-Tiefgaragenstellplätzen. Zwar hatte die Gemeinde bei der Parkraumüberlassung auf hoheitlicher Grundlage gehandelt, allerdings würde die Behandlung der Gemeinde als Nichtunternehmer zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen. Denn an die Voraussetzungen an die Wettbewerbsverzerrungen sind nach dem EuGH so geringe Anforderungen zu stellen, dass auch ein potenzieller und nicht nur lokaler Wettbewerb zu berücksichtigen ist.5 1 2 3 4 5

BFH v. 20.8.2009, V R 70/05, BStBl. II 2017, 825. BFH v. 17.3.2010, XI R 17/08, BStBl. II 2017, 828, Rz. 28. BFH v. 17.3.2010, XI R 17/08, BStBl. II 2017, 828, Rz. 29. BFH v. 17.3.2010, XI R 17/08, BStBl. II 2017, 828, Rz. 33. BFH v. 1.12.2011, V R 1/11, BStBl. II 2017, 834, Rz. 18 ff.

254 | Heidner

B. Rechtsgeschichtliche Entwicklung | Rz. 5.91 Kap. 5

Der Sachverhalt des BFH-Urteils vom 13.2.2014, V R 5/13, BStBl II 2017, 846 betraf die Vermietung von Standflächen bei einer Kirmesveranstaltung auf zivilrechtlicher Grundlage durch eine Gemeinde. Die Gemeinde handelt zwar als Unternehmerin, die Standplatzvermietung ist aber gemäß § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG steuerfrei.

5.82

Das BFH-Urteil vom 5.11.2014, XI R 42/12, BStBl. II 2017, 849 betraf die unternehmerische Tätigkeit einer Gemeinde durch die Organisation und Durchführung eines Dorffestes und die Erhebung von Eintrittsgeldern auf privatrechtlicher Grundlage.

5.83

Das BFH-Urteil vom 10.2.2016, XI R 26/13, BStBl. II 2017, 857 betraf die nichtunternehmerische Tätigkeit einer Landesärztekammer bei der sog. „externen Qualitätssicherung Krankenhaus“.

5.84

3. Weitere BFH-Entscheidungen Daneben gibt es noch weitere Entscheidungen des BFH zu diesem Themenkreis, die durch das BMF-Schreiben vom 27.7.2017 nicht im BStBl. Teil II veröffentlicht worden sind, weil dies entweder zuvor bereits geschehen war, sie von der Finanzverwaltung übersehen oder erst später verkündet worden sind. Es handelt sich dabei um folgende Entscheidungen:

5.85

Das BFH-Urteil vom 2.9.2010, V R 23/09, BFH/NV 2011, 458 behandelt die unternehmerische Tätigkeit eines beliehenen Unternehmers durch die Tierkörperbeseitigung für einen Zweckverband.

5.86

Das BFH-Urteil vom 3.3.2011, V R 23/10, BStBl. II 2012, 74 ist zur Vorsteuerabzugsberechtigung einer Gemeinde ergangen, die die Leistungsbezüge für die Sanierung eines Marktplatzes sowohl für eine steuerpflichtige wirtschaftliche Tätigkeit als auch als Straßenbaulastträger für hoheitliche Zwecke verwandte. Diese Entscheidung war erstaunlicherweise im BStBl. II veröffentlicht worden, obwohl auch darin die richtlinienkonforme Auslegung von § 2 Abs. 3 UStG a.F. ausgeurteilt worden ist.

5.87

Das BFH-Urteil vom 16.12.2015, XI R 52/13, BFHE 252, 479 betrifft die unternehmerische Tätigkeit einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, die Rehabilitationskliniken betreibt und auf privatrechtlicher Grundlage Begleitpersonen der Patienten und Mitarbeiter entgeltlich Unterbringung und Verpflegung gewährte.

5.88

Dem BFH-Urteil vom 15.12.2016, V R 44/15, BFHE 256, 557 zufolge liegt keine unternehmerische Tätigkeit einer Gemeinde vor bei Errichtung und Vermietung eines Sportzentrums, wenn die Mieteinnahmen nur ca. 3 % der Kosten decken und diese im Übrigen mit öffentlichen Mitteln finanziert werden.

5.89

In einem gewissen Spannungsverhältnis hierzu steht das BFH-Urteil vom 28.6.2017, XI R 12/ 15, BFHE 258, 5321, wonach der Unternehmereigenschaft einer Gemeinde die Vermietung einer Sporthalle nicht entgegensteht.

5.90

Im Urteil V R 62/162 ging es um den anteiligen Vorsteuerabzug aus der Errichtung eines sowohl für wirtschaftliche als auch für hoheitliche Zwecke genutzten Marktplatzes. Mit dem Urteil V R 16/183 hat der BFH ausdrücklich an seiner Rechtsprechung zur Qualifizierung einer

5.91

1 Anm. Sterzinger/Rust, UR 2017, 758. 2 BFH v. 3.8.2017, V R 62/16, BFHE 259, 380, BStBl. II 2021, 109. 3 BFH v. 26.9.2019, V R 16/18, BFHE 266, 22.

Heidner | 255

Kap. 5 Rz. 5.91 | Die juristische Person/Einrichtung des öffentlichen Rechts im UStR

juristischen Person des öffentlichen Rechts als Unternehmer für Besteuerungszeiträume vor Inkrafttreten von § 2b UStG festgehalten. Die Entscheidungen XI R 39/141 und XI R 40/142 betrafen den Vorsteuerabzug aus von einer Lotsenbrüderschaft bezogene Eingangsleistungen, die sie zur Erfüllung ihrer hoheitlichen Selbstverwaltungsaufgaben verwendet.

5.92

Die Haltung der Verwaltung kann man daher durchaus als undurchsichtig bezeichnen. In Abschn. 2.11 UStAE hält die Finanzverwaltung nach wie vor an der überkommenen Auffassung fest3. Für vor dem 1.1.2017 ausgeführten Leistungen ist deshalb die bisher zu § 2 Abs. 3 UStG vertretene Verwaltungsauffassung weiterhin maßgeblich. Die Verwaltung will es aber andererseits nicht beanstanden, wenn juristische Personen des öffentlichen Rechts die hiervon abweichende Rechtsprechung des BFH der Besteuerung zu Grunde legen, sofern dies einheitlich für das gesamte Unternehmen erfolgt4. Bestätigt wird diese Haltung durch den Befund, dass nach der Rechtsprechungsänderung kaum noch Streitfälle vor die Finanzgerichte gekommen sind. Das legt die Vermutung nahe, dass die Verwaltung auftretende Probleme im Vorfeld gerichtlicher Auseinandersetzungen zugunsten der jPöR geregelt hat.

C. Die Regelung in § 2b UStG 5.93

Die aktuelle Regelung in § 2b UStG hat folgenden Wortlaut: (1) Vorbehaltlich des Absatzes 4 gelten juristische Personen des öffentlichen Rechts nicht als Unternehmer im Sinne des § 2, soweit sie Tätigkeiten ausüben, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen, auch wenn sie im Zusammenhang mit diesen Tätigkeiten Zölle, Gebühren, Beiträge oder sonstige Abgaben erheben. Satz 1 gilt nicht, sofern eine Behandlung als Nichtunternehmer zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde. (2) Größere Wettbewerbsverzerrungen liegen insbesondere nicht vor, wenn 1. der von einer juristischen Person des öffentlichen Rechts im Kalenderjahr aus gleichartigen Tätigkeiten erzielte Umsatz voraussichtlich 17 500 Euro jeweils nicht übersteigen wird oder 2. vergleichbare, auf privatrechtlicher Grundlage erbrachte Leistungen ohne Recht auf Verzicht (§ 9) einer Steuerbefreiung unterliegen. (3) Sofern eine Leistung an eine andere juristische Person des öffentlichen Rechts ausgeführt wird, liegen größere Wettbewerbsverzerrungen insbesondere nicht vor, wenn 1. die Leistungen aufgrund gesetzlicher Bestimmungen nur von juristischen Personen des öffentlichen Rechts erbracht werden dürfen oder 2. die Zusammenarbeit durch gemeinsame spezifische öffentliche Interessen bestimmt wird. Dies ist regelmäßig der Fall, wenn a) die Leistungen auf langfristigen öffentlich-rechtlichen Vereinbarungen beruhen, b) die Leistungen dem Erhalt der öffentlichen Infrastruktur und der Wahrnehmung einer allen Beteiligten obliegenden öffentlichen Aufgabe dienen, 1 2 3 4

BFH v. 31.5.2017, XI R 39/14, BFH/NV 2017, 1330. BFH v. 31.5.2017, XI R 40/14, BFHE 258, 495. Zur Kritik hieran vgl. Widmann, UR 2016, 13; ders., DStZ 2014, 147. Vgl. auch Kraeusel, UVR 2017, 296.

256 | Heidner

C. Die Regelung in § 2b UStG | Rz. 5.97 Kap. 5

c) die Leistungen ausschließlich gegen Kostenerstattung erbracht werden und d) der Leistende gleichartige Leistungen im Wesentlichen an andere juristische Personen des öffentlichen Rechts erbringt. (4) Auch wenn die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 gegeben sind, gelten juristische Personen des öffentlichen Rechts bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen des § 2 Absatz 1 mit der Ausübung folgender Tätigkeiten stets als Unternehmer: 1. (weggefallen) 2. (weggefallen) 3. die Leistungen der Vermessungs- und Katasterbehörden bei der Wahrnehmung von Aufgaben der Landesvermessung und des Liegenschaftskatasters mit Ausnahme der Amtshilfe; 4. die Tätigkeit der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung, soweit Aufgaben der Marktordnung, der Vorratshaltung und der Nahrungsmittelhilfe wahrgenommen werden; 5. Tätigkeiten, die in Anhang I der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347 vom 11.12.2006, S. 1) in der jeweils gültigen Fassung genannt sind, sofern der Umfang dieser Tätigkeiten nicht unbedeutend ist.

I. Entwicklung der Vorschrift Die Notwendigkeit eines gesetzgeberischen Handelns auf dem „juristischen Minenfeld“1 der umsatzsteuerrechtlichen Behandlung jPöR war schon seit langem diskutiert und selbst von Vertretern der Finanzverwaltung2 befürwortet worden. Nach langer Vorlaufzeit ist § 2b UStG schließlich durch Art. 12 des Steueränderungsgesetzes 20153 formal mit Wirkung zum 1.1.2016 in das UStG eingefügt worden und ersetzt § 2 Abs. 3 UStG a.F.

5.94

Die Frage, bis wann § 2 Abs. 3 UStG a.F. gilt, mit welchem Inhalt diese Regelung gilt und ab wann § 2b UStG anzuwenden ist, ist eine Wissenschaft für sich, die höchste Abstraktionsfähigkeit voraussetzt. In Einzelfällen gilt § 2 Abs. 3 UStG a.F. noch bis 31.12.2022 und ob das nun das letzte Wort ist, weiß auch niemand so genau.

5.95

Die Sonderbarkeiten beginnen damit, dass die am 1.1.2016 in Kraft getretene Regelung gemäß § 27 Abs. 22 Satz 1 UStG frühestens auf Umsätze anzuwenden ist, die nach dem 31.12.2016 ausgeführt werden. Das heißt nichts anderes, als dass § 2 Abs. 3 UStG zwar ab dem 1.1.2016 formell aufgehoben, aber zumindest bis zum 31.12.2016 weiterhin angewendet wird.

5.96

Gemäß § 27 Abs. 22 Satz 2 UStG scheint es ab 1.1.2017 dann wirklich ernst zu werden, denn danach ist § 2b UStG in der am 1.1.2016 geltenden Fassung auf Umsätze anzuwenden, die nach dem 31.12.2016 ausgeführt werden. Ganz so ernst wird es dann aber doch noch nicht, denn gemäß § 27 Abs. 22 Satz 3 UStG kann die jPöR dem Finanzamt gegenüber einmalig erklären, dass sie § 2 Abs. 3 UStG in der am 31.12.2015 geltenden Fassung für sämtliche nach dem 31.12.2016 und vor dem 1.1.2021 ausgeführte Leistungen weiterhin anwendet. Eine Beschränkung der Erklärung auf einzelne Tätigkeitsbereiche oder Leistungen ist gemäß Satz 4 nicht zulässig. Diese Regelung ist überflüssig, weil die Erklärung ohnehin nur für sämtliche

5.97

1 Küffner in Anm. zum EuGH-Urteil v. 4.6.2009, C-102/08, Salix, ECLI:EU:C:2009:345, UR 2009, 484 (491). 2 Widmann, DStR 2009, 1061 (1068). 3 BGBl. I 15, 1834, 1843.

Heidner | 257

Kap. 5 Rz. 5.97 | Die juristische Person/Einrichtung des öffentlichen Rechts im UStR

Umsätze abgegeben werden kann. Die Erklärung ist bis zum 31.12.2016 abzugeben. Sie kann nur mit Wirkung vom Beginn eines auf die Abgabe folgenden Kalenderjahres widerrufen werden. Bemerkenswert ist, dass die Erklärung von der jPöR abzugeben ist. Das kann aufgrund des Gebots des einheitlichen Unternehmens (§ 2 Abs. 1 Satz 2 UStG)1 nur für alle Betriebe gewerblicher Art einer jPöR gelten.

5.98

Nun könnte man denken, dass § 2b UStG ab dem 1.1.2021 aber wirklich gilt. Doch nein, so kann man das auch wieder nicht sagen. Denn hat eine jPöR gegenüber dem Finanzamt gemäß Abs. 22 Satz 3 erklärt, dass sie § 2 Abs. 3 in der am 31.12.2015 geltenden Fassung für sämtliche nach dem 31.12.2016 und vor dem 1.1.2021 ausgeführte Leistungen weiterhin anwendet, und die Erklärung für vor dem 1.1.2021 endende Zeiträume nicht widerrufen, so gilt gemäß des durch das Corona-Steuerhilfegesetz vom 19.6.20202 eingefügten § 27 Abs. 22a UStG die Erklärung auch für sämtliche Leistungen, die nach dem 31.12.2020 und vor dem 1.1.2023 ausgeführt werden. Das ist der vorläufig letzte Stand der Dinge. Ob es auch wirklich das allerletzte Wort in Sachen Fortwirkung von § 2 Abs. 3 UStG a.F. ist, wird man sehen.

5.99

Apropos Fortgeltung von § 2 Abs. 3 UStG in der am 31.12.2015 geltenden Fassung: In Gestalt welcher Auslegung soll die Regelung eigentlich fortgelten? Die Rechtsprechung hat § 2 Abs. 3 UStG mittels einer „freischwebenden richtlinienkonformen Auslegung“3 bereits seit geraumer Zeit de facto nicht mehr angewendet. Ist also die Auslegung durch die Rechtsprechung oder die überkommene Auffassung der Verwaltung maßgeblich, wenn sich eine jPöR für die Inanspruchnahme von § 2 Abs. 3 UStG a.F. über den 31.12.2016 hinaus entscheidet? Hierauf hat die Verwaltung eine bestechende Antwort: beides gilt. Denn nach dem BMF-Schreiben vom 27.7.20174 ist für vor dem 1.1.2017 ausgeführte Leistungen die bisher zu § 2 Abs. 3 UStG vertretene Verwaltungsauffassung (insbesondere Abschnitt 2.11 UStAE) weiterhin maßgeblich. Es sollte aber nicht beanstandet werden, wenn die jPöR die hiervon abweichende Rechtsprechung des BFH der Besteuerung zu Grunde legt, sofern dies einheitlich für das gesamte Unternehmen erfolgt. Eine belastbare Aussage zu der für eine jPöR zwischen dem 1.1.2016 und dem 31.12.2022 maßgeblichen Rechtslage ist also gar nicht so ganz einfach. Wobei man, wie gesagt, gespannt sein darf, ob der 31.12.2022 wirklich die endgültige Zäsur darstellt.

II. Gesetzesbegründung 5.100

Der Gesetzgeber hat die Einfügung von § 2b UStG und die Ersetzung von § 2 Abs. 3 UStG a.F. damit begründet, dass sich der BFH in mehreren Urteilen zur Umsatzbesteuerung von Leistungen der öffentlichen Hand geäußert hat und diese Rechtsprechung es notwendig gemacht habe, die bestehende gesetzliche Regelung zu überarbeiten und an die Vorgaben in Art. 13 MwStSystRL anzupassen (BT-Drucks. 18/6094, S. 91). Erstaunlich ist dabei allerdings, dass der Gesetzgeber diese Änderung durch § 2b UStG erst im Rahmen der Beratungen des Finanzausschusses zum StÄndG 2015 in das Gesetz eingebracht hat, obwohl die in der Begründung angesprochene Rechtsprechung bereits seit vielen Jahren bekannt war5.

1 2 3 4 5

Vgl. hierzu auch Rz. 5.105. BGBl. I 2020, 1385. Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, § 2b Rz. 28. BStBl. I 2017, 1239; vgl. auch UStAE Abschn. 2.11. Vgl. hierzu Belcke/Westermann, BB 16, 87; Widmann, UR 2016, 13; ders., MwStR 2015, 883.

258 | Heidner

C. Die Regelung in § 2b UStG | Rz. 5.103 Kap. 5

III. § 2b Abs. 1 UStG Mit der Neuregelung in § 2b UStG hat der Gesetzgeber den Versuch eines Spagates zwischen einer unionsrechtskonformen Regelung der Umsatzbesteuerung jPöR im nationalen Recht und einer Berücksichtigung der kommunalen Interessen unternommen. Da der Gesetzgeber aber den Willen zur Umsetzung des Art. 13 MwStSystRL bekundet hat1, ist § 2b UStG so weit wie möglich richtlinienkonform auszulegen2. Folgerichtig übernimmt § 2b Abs. 1 UStG im Wesentlichen die Regelung in Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 1 und 2 MwStSystRL in das deutsche Umsatzsteuerrecht.

5.101

Die deutsche Fassung von Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 1 MwStSystRL ist sprachlich etwas missglückt. So vermischt die Formulierung „soweit sie die Tätigkeiten ausüben oder Umsätze bewirken, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen“ unions- und nationalrechtliche Diktion. Während es unionsrechtlich auf das Ausüben einer in Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL näher definierten „wirtschaftlichen Tätigkeit“ ankommt, stellt das deutsche Umsatzsteuerrecht in § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG auf den Begriff des „Umsatzes“ ab, der bei entgeltlichen Lieferungen und Leistungen eines Unternehmers im Rahmen seines Unternehmens vorliegt. Eine Tätigkeit, die diese Voraussetzungen nicht erfüllt, dürfte auch keine „wirtschaftliche“ Tätigkeit sein3. Daher macht die Unterscheidung keinen Sinn und der deutsche Gesetzgeber hat sich in § 2b Abs. 1 UStG zu Recht auf den Begriff der Tätigkeit beschränkt. Zu unterschiedlichen Ergebnissen sollte diese sprachliche Abweichung aber nicht führen.

5.102

1. Unternehmereigenschaft a) Einrichtungen/Juristische Personen des öffentlichen Rechts Bei einem Vergleich des Wortlautes fällt allerdings auf, dass das Unionsrecht von „Einrichtungen des öffentlichen Rechts“, das nationale Recht hingegen von „juristische(n) Personen des öffentlichen Rechts“ spricht. Dabei handelt es sich keineswegs nur um eine unbedeutende sprachliche Nuance. Denn in den EuGH-Urteilen Saudacor4 zum portugiesischen Recht und Nagyszénás5 zum ungarischen Recht hat es der EuGH für möglich erachtet, dass eine portugiesische Aktiengesellschaft bzw. eine ungarische GmbH als juristische Personen des Privatrechts ausnahmsweise eine „sonstige Einrichtung des öffentlichen Rechts“ i.S.d. Art. 13 MwStSystRL sein können. Auf die Rechtsform einer Einrichtung kommt es folglich nicht an. Der Begriff der Einrichtung ist weit genug, um auch private Einheiten zu umfassen6. Das aber lässt sich mit dem Begriff der jPöR, der die rechtsfähigen Körperschaften, Stiftungen und Anstalten des öffentlichen Rechts umfasst, nicht vereinbaren7.

1 BT-Drucks. 18/6094, S. 91. 2 Ebenso Treiber in Sölch/Ringleb, UStG, § 2b Rz. 4. 3 Zu weiteren sprachlichen Ungenauigkeiten vgl. auch Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG § 2b Rz. 42 ff. 4 EuGH v. 29.10.2015, C-174/14, Saudaçor, ECLI:EU:C:2015:733, UR 2015, 901 mit Anm. Küffner für eine Aktiengesellschaft. 5 Z.B. EuGH v. 21.1.2016, C-335/14, Les Jardins de Jouvence, ECLI:EU:C:2016:36; EuGH v. 22.2.2018, a.a.O., Rz. 46; EuGH v. 22.2.2018, C-182/17, Nagyszénás, ECLI:EU:C:2018:91, UR 2018, 276. 6 Z.B. EuGH v. 21.1.2016, C-335/14, Les Jardins de Jouvence, ECLI:EU:C:2016:36; BFH v. 21.3.2018, XI B 113/17, BFH/NV 2018, 739. 7 Vgl. hierzu im Einzelnen Rz. 5.15 ff.

Heidner | 259

5.103

Kap. 5 Rz. 5.104 | Die juristische Person/Einrichtung des öffentlichen Rechts im UStR

b) Der Grundsatz der Unternehmenseinheit

5.104

Nach dem in § 2 Abs. 1 Satz 2 UStG niedergelegten Grundsatz der Unternehmenseinheit1 umfasst das Unternehmen die gesamte gewerbliche oder berufliche Tätigkeit des Unternehmers. Deshalb erhält der Unternehmer für Umsatzsteuerzwecke unabhängig von der Anzahl seiner Betriebe und Tätigkeitsbereiche eine einzige Steuernummer, unter der er sämtliche in seinem Unternehmen erzielten Umsätze und entstandenen Vorsteuern zu erklären hat.

5.105

Überwiegend wird in Deutschland davon ausgegangen, dass auch eine jPöR mit ihren sämtlichen Betrieben und Einrichtungen nur ein einheitliches Unternehmen betreibt2, welches sämtliche Umsätze der Betriebe gewerblicher Art sowie ihre landwirtschaftlichen und fortwirtschaftlichen Betriebe umfasst; Umsätze zwischen verschiedenen Betrieben der jPöR sind Innenumsätze3. Unternehmer kann nur die juristische Person des öffentlichen Rechts selbst sein und nicht einzelne, ggf. auch organisatorisch abgegrenzte Bereiche4 oder haushaltsgebundene Einrichtungen einer juristischen Person des öffentlichen Rechts5. Rechtlich unselbstständige Bereiche können nicht selbstständig tätig und schon deshalb nicht Unternehmer werden6. Der USt-Bescheid kann daher nur an die juristische Person des öffentlichen Rechts für ihre gesamte unternehmerische Tätigkeit ergehen7.

5.106

Mag das auf kommunaler Ebene noch kein großes Problem sein, so führt zumindest beim Bund und bei den Ländern das Gebot, die Vielzahl völlig unterschiedlicher unternehmerischer Tätigkeiten unter einem „Unternehmerdach“ zusammenzufassen, zu rein tatsächlich kaum handhabbaren Schwierigkeiten8. Deshalb werden seit 1968 die Umsätze des Bundes und der Länder nicht bei dem nach § 21 AO für den Bund bzw. das Land zuständigen FA besteuert. Stattdessen versteuern die einzelnen Organisationseinheiten, also insbesondere die einzelnen BgA und land- und forstwirtschaftlichen Betriebe, ihre Umsätze bei dem FA, von dessen Bezirk aus sie tätig werden (sog. dezentrale Umsatzbesteuerung). Auch können einzelne Organisationseinheiten (z.B. Ressorts, Behörden, Ämter) von Bund und Ländern für ihre innergemeinschaftlichen Erwerbe als Stpfl. behandelt werden9. Bund und Länder können deshalb für diese Organisationseinheiten eine USt-IdNr. erhalten10. An der dezentralen Umsatzbesteuerung für die von Bund und Ländern ausgeführten Umsätze sollte sich auch durch die Einführung von § 2b UStG nichts ändern11.

1 Z.B. BFH v. 1.3.2016, XI R 9/15, BFH/NV 2016, 1310. 2 Widmann, MwStR 2015, 883; Küffner, Anm. zu EuGH v. 29.9.2015, C-276/14, UR 2015, 929, HFR 2015, 1087; Grube, Anm. zu EuGH v. 29.9.2015, C-276/14, MwStR 2015, 929; wohl auch Krogoll/ Slotty-Harms, UVR 2016, 180, UStAE 2.11. Abs. 2; BFH, Urt. v. 18.8.1988 – V R 194/83, BStBl. II 1988, 932 = UR 1988, 382; kritisch Klenk, UR 2016, 180. 3 BFH v. 17.3.2010 XI R 17/08, BFHE 230, 466; BFH v. 3.12.2010, V B 35/10, BFH/NV 2011, 462; BFH, V R 103/88, BStBl. II 1994, 278; BFH, V R 194/83, BStBl. II 1988, 932; UStAE 2.11 Abs. 2 – noch zu § 2 Abs. 3; kritisch Klenk UR 2016, 180. 4 BFH, V R 26/74, BStBl. II 1979, 746 – zu § 2 Abs. 3. 5 EuGH, C-276/14, MwStR 2015, 926 – Gmina Wrocław m. Anm. Grube. 6 EuGH, C-276/14, MwStR 2015, 926 – Gmina Wrocław m. Anm. Grube Rz. 35. 7 BFH, V B 35/10, BFH/NV 2011, 462 – noch zu § 2 Abs. 3. 8 Vgl. Beispiele bei Krogoll/Slotty-Harms, UVR 2016, 180. 9 Abschn. 1a.1 Abs. 3 Satz 2 UStAE. 10 Abschn. 27a.1 Abs. 3 UStAE. 11 Ministerium der Finanzen des Landes Sachsen-Anhalt v. 8.11.2016 – 42-S 7106-30.

260 | Heidner

C. Die Regelung in § 2b UStG | Rz. 5.110 Kap. 5

c) Neuregelung durch § 18f, § 18g UStG Die durch das JStG 2020 (BGBl. I 2020, 3096) mit Wirkung ab 1.1.2021 in das Gesetz aufgenommene Bestimmung in § 18 Abs. 4f UStG nimmt diese bislang lediglich durch Verwaltungsanweisung geregelte Vereinfachungsregelung nunmehr in das Gesetz auf. Danach sieht § 18 Abs. 4f S. 1 UStG zur Verwaltungsvereinfachung und im Interesse der Rechtssicherheit für die Umsatzbesteuerung von Bund und Ländern als Regelfall die Wahrnehmung aller steuerlichen Rechte und Pflichten durch deren einzelne Organisationseinheiten vor, soweit diese durch ihr Handeln eine Erklärungspflicht begründen. In den in § 30 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a und b AO genannten Verfahren tritt die Organisationseinheit insoweit an die Stelle der Gebietskörperschaft. Der Bezug auf § 30 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a und b AO benennt die Verfahren, in denen den Organisationseinheiten alle umsatzsteuerlichen Rechte und Pflichten obliegen. Dabei handelt es sich um Verwaltungsverfahren, Rechnungsprüfungsverfahren, gerichtliche Verfahren in Steuersachen, Strafverfahren wegen einer Steuerstraftat und Bußgeldverfahren wegen einer Steuerordnungswidrigkeit. § 18 Abs. 4f UStG soll gewährleisten, dass Verantwortlichkeiten rechtssicher zugeordnet werden können und eine Kontrolle durch die zuständigen Finanzbehörden stattfinden kann.

5.107

Daran, dass juristische Personen des öffentlichen Rechts (im Anwendungsbereich von § 18 Abs. 4f UStG also Bund und Länder) auch nach unionsrechtlichen Grundsätzen umsatzsteuerlich ein einheitliches Unternehmen bilden, ändert auch § 18 Abs. 4f nichts. § 18 Abs. 4f Satz 3 UStG, wonach § 2 Abs. 1 Satz 2 UStG unberührt bleibt, bringt das ganz explizit zum Ausdruck.

5.108

Durch die dezentrale Erfassung ihrer Organisationseinheiten dürfen Bund und Länder umsatzsteuerlich nicht besser gestellt werden als andere Unternehmer. Daher können innerhalb eines Unternehmens die in einzelnen Regelungen des UStG enthaltenen Betragsgrenzen nur einmal geltend gemacht werden. Aufgrund der fehlenden Willensbildung innerhalb der jeweiligen Gebietskörperschaft gelten diese Grenzen gemäß § 18 Abs. 4f S. 5 UStG stets als überschritten. Das betrifft die Erwerbsschwelle in § 1a Abs. 3 Nr. 2 UStG, den Umsatzbetrag in § 2b Abs. 2 Nr. 1 UStG, den Gesamtbetrag der Entgelte in § 3a Abs. 5 S. 3 UStG, die Steuerbeträge in § 18 Abs. 2 S. 2 UStG, die Summe der Bemessungsgrundlagen in § 18a Abs. 1 S. 2 UStG und die Umsatzgrenzen in § 19 Abs. 1 UStG und § 20 S. 1 Nr. 1 UStG. Dieser Regelung begegnet im Schrifttum vereinzelt Kritik. Bund und Länder dürften umsatzsteuerlich zwar nicht besser, aber auch nicht schlechter gestellt werden als andere Unternehmer. Deshalb sei kein Grund ersichtlich, warum der Bund und die Länder von den Vereinfachungen in den genannten Vorschriften auch dann ausgeschlossen bleiben sollen, wenn sie das Unterschreiten der jeweiligen Betragsgrenze für ihr gesamtes Unternehmen zweifelsfrei belegen können. Für die Betragsgrenze des § 2b Abs. 2 Nr. 1 UStG sei § 18 Abs. 4f S. 5 UStG auch deshalb nicht nachzuvollziehen, weil diese mehrfach, bezogen auf jeweils gleichartige Tätigkeiten des Unternehmens, Anwendung finden könne1. Wahlrechte, die die gesamte Gebietskörperschaft erfassen, können gemäß § 18 Abs. 4f S. 6 UStG von den dezentral erfassten Organisationseinheiten nur einheitlich ausgeübt werden, weil diese Wahlrechte für das gesamte umsatzsteuerliche Unternehmen gelten.

5.109

Die Vorschrift ist zwar gemäß Art. 50 Abs. 4 des JStG 2020 (BGBl. I 2020, 3096) am 1.1.2021 in Kraft getreten. Gemäß § 27 Abs. 22 ist § 18 Abs. 4f UStG erstmals auf Umsätze anzuwenden, die nicht der Erklärung nach § 27 Abs. 22 S. 3 UStG unterliegen. Danach kann die juristische

5.110

1 Sterzinger, UR 2020, 941, 946.

Heidner | 261

Kap. 5 Rz. 5.110 | Die juristische Person/Einrichtung des öffentlichen Rechts im UStR

Person des öffentlichen Rechts dem FA gegenüber einmalig erklären, dass sie § 2 Abs. 3 UStG in der am 31.12.2015 geltenden Fassung für sämtliche nach dem 31.12.2016 und vor dem 1.1.2021 ausgeführte Leistungen weiterhin anwendet. Hat aber eine juristische Person des öffentlichen Rechts gegenüber dem FA gemäß § 27 Abs. 22 S. 3 erklärt, dass sie § 2 Abs. 3 UStG in der am 31.12.2015 geltenden Fassung für sämtliche nach dem 31.12.2016 und vor dem 1.1.2021 ausgeführte Leistungen weiterhin anwendet, und die Erklärung für vor dem 1.1.2021 endende Zeiträume nicht widerrufen, gilt die Erklärung auch für sämtliche Leistungen, die nach dem 31.12.2020 und vor dem 1.1.2023 ausgeführt werden. Der Gesetzgeber geht deshalb davon aus, dass § 18 Abs. 4f UStG für vor dem 1.1.2023 ausgeführte Leistungen nicht gilt, wenn die Gebietskörperschaft eine wirksame Erklärung nach § 27 Abs. 22 S. 3 abgegeben hat. Denn erst mit der Anwendung des § 2b UStG entfielen die Anknüpfungspunkte im Körperschaftsteuergesetz1.

5.111

Diese Begründung beruht auf einer sehr speziellen Sicht der Verwaltung auf die Dinge. Mit der gefestigten Rechtsprechung des EuGH und des BFH lässt sich das nicht vereinbaren. Denn der BFH hat im Anschluss an die EuGH Urteile Isle of wight council2 und Salix3 diese Rechtsprechung in einer Vielzahl von Urteilen umgesetzt und § 2 Abs. 3 UStG de facto nicht mehr angewandt4. Dass diese Entscheidungen erst 2017 im BStBl. II veröffentlicht worden sind, lässt erkennen, dass die Verwaltung diese Rechtsprechung bis dahin ignoriert hat, was im Ergebnis aber auch nicht funktioniert und schließlich zur Einführung von § 2b UStG geführt hat.

5.112

Ebenfalls durch das JStG 2020 ist § 18 Abs. 4g UStG in das Gesetz eingefügt worden, der die örtliche Zuständigkeit des FA, das für die Besteuerung von Bund und Ländern zuständig ist, regelt. Danach kann die oberste Landesfinanzbehörde oder die von ihr beauftragte Landesfinanzbehörde anordnen, dass eine andere als die nach § 21 Abs. 1 AO örtlich zuständige Finanzbehörde die Besteuerung einer Organisationseinheit des jeweiligen Landes übernimmt. Die Regelung ist eine Spezialvorschrift zu § 27 AO, wonach unter bestimmten Voraussetzungen im Einvernehmen mit der Finanzbehörde, die nach den Vorschriften der Steuergesetze örtlich zuständig ist, eine andere Finanzbehörde die Besteuerung übernehmen kann. Gemäß § 21 Abs. 1 AO ist für die Umsatzsteuer mit Ausnahme der Einfuhrumsatzsteuer das FA örtlich zuständig, von dessen Bezirk aus der Unternehmer sein Unternehmen im Geltungsbereich des Gesetzes ganz oder vorwiegend betreibt. Nach § 18 Abs. 4f S. 2 UStG tritt die Organisationseinheit zwar an die Stelle der Gebietskörperschaft, da aber der Unternehmerbegriff unberührt bleibt, betreiben der Bund und die Länder ihr umsatzsteuerliches Unternehmen an jenem Ort, an dem die wichtigsten Entscheidungen getroffen werden. Dies ist für den Bund Berlin als Hauptstadt sowie für die Flächenländer die jeweilige Landeshauptstadt. d) Haushaltsgebundene Einrichtungen

5.113

Der EuGH hat entschieden, dass haushaltsgebundene Einrichtungen einer Gemeinde nicht selbstständig im Sinne von Art. 9 Abs. 1 MwStSystRL sind und damit nicht Steuerpflichtiger 1 2 3 4

BR-Drs. 503/20, S. 134. EuGH, Urteil C-288/07, IStR 2008, 734 – Isle of wight council. EuGH, Urteil C-102/08, DStR 2009, 1196 – Salix. BFH, V R 70/05, BStBl. II 2017, 825, DStR 2009, 2308; BFH, XI R 17/08, BStBl. II 2017, 828, DStR 2010, 2234; BFH, V R 10/09, BStBl. II 2017, 863, DStR 2010, 1280; BFH, XI R 65/07, BStBl. II 2017, 831, DStRE 2011, 959; BFH, V R 41/10, BStBl. II 2017, 869, DStR 2012, 348; BFH, V R 1/11, BStBl. II 2017, 834, DStR 2012, 352; BFH, V R 5/13, BStBl. II 2017, 846, DStRE 2014, 806; BFH, XI R 42/12, BStBl. II 2017, 849, DStRE 2015, 215; BFH, XI R 26/13, BStBl. II 2017, 857, DStR 2016, 805.

262 | Heidner

C. Die Regelung in § 2b UStG | Rz. 5.116 Kap. 5

im Sinne der MwStSystRL sein können1. Das erklärt sich daraus, dass haushaltsgebundene kommunale Einrichtungen das mit der Ausübung ihrer wirtschaftlichen Tätigkeiten verbundene wirtschaftliche Risiko nicht tragen. Denn sie verfügen über keine eigenen Vermögenswerte, erzielen keine eigenen Einnahmen und tragen die mit diesen Tätigkeiten in Zusammenhang stehenden Aufwendungen nicht, weil die erzielten Einnahmen an den Haushalt dieser Gemeinde gezahlt werden und die Aufwendungen unmittelbar zulasten des Haushalts dieser Gemeinde gehen. In dem Streitfall der Gemeinde Wroclaw, der zum polnischen Recht erging, stellte sich die Frage, ob die Gemeinde oder eine „haushaltsgebundene Einrichtung“ der Gemeinde als „Steuerpflichtiger“ anzusehen ist. Bei der „haushaltsgebundenen Einrichtung“ handelte es sich um eine Organisationseinheit der Gemeinde ohne eigene Rechtspersönlichkeit. Auf das deutsche Recht übertragen wäre entscheidend, ob eine rechtlich unselbständige Einrichtung einer Kommune (z.B. ein Eigenbetrieb oder eine sonstige Organisationseinheit) Unternehmer (Steuerpflichtiger) sein kann oder ob die Tätigkeiten der jeweiligen Kommune zuzurechnen sind. Der EuGH ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die haushaltsgebundene Einrichtung einer Gemeinde nicht als Steuerpflichtige angesehen werden kann, weil sie das Kriterium der Selbständigkeit nicht erfüllt. Entscheidend für diese Beurteilung war, dass sich die Einrichtung in einem Unterordnungsverhältnis zu der Gemeinde befand. Damit hat der EuGH zugleich entschieden, dass es zwischen den beiden Einheiten zu keinem Leistungsaustausch kommen kann. Das gilt selbst dann, wenn Leistungen gegen Entgelt abgerechnet werden. Nach deutschem Verständnis würde es sich in diesem Fall lediglich um nicht steuerbare Innenumsätze handeln.

5.114

Für das deutsche Recht ändert sich durch das Urteil wenig. Zwar ist es grundsätzlich möglich, Organisationseinheiten einer juristischen Person des öffentlichen Rechts als „selbständig“ anzusehen. Dies würde aber voraussetzen, dass die Organisationseinheit in keinem Unterordnungsverhältnis steht und im eigenen Namen und für eigene Rechnung handelt. Das wird in der Rechtspraxis kaum vorkommen. Vorstellbar ist diese Konstellation möglicherweise bei Gerichten, die zumindest hinsichtlich der Rechtsprechung unabhängig und nicht im Rahmen eines Unterordnungsverhältnisses eingegliedert sind. Problematisch ist nach dem Urteil Gmina Wroclaw allerdings die bisherige deutsche Verwaltungspraxis, wonach bei Gebietskörperschaften von Bund und Ländern auch einzelne Organisationseinheiten (z.B. Ressorts, Behörden, Ämter) für ihre innergemeinschaftlichen Erwerbe als „Steuerpflichtige“ behandelt werden können.

5.115

e) Eingliederung der Einrichtung Entscheidend für das Merkmal der öffentlichen Einrichtung ist, dass eine Person in die Organisation der öffentlichen Verwaltung eingegliedert ist2. Wann von einer solchen Eingliederung im Einzelnen auszugehen ist, ist nicht abschließend geklärt, erforderlich ist aber ein bestimmender Einfluss auf die Geschäftstätigkeit. Geklärt ist hingegen, dass auch eine juristische Person des Privatrechts in diesem Sinn eingegliedert sein kann. Die Eingliederung ergibt sich aber nicht allein aus der Vornahme von der öffentlichen Gewalt vorbehaltenen Handlungen3. Hoheitliche Befugnisse sind für die Einstufung als „Einrichtung des öffentlichen Rechts“ zwar nicht ausschlaggebend, sie sind aber ein Indiz, weil sie ein wesentliches Merkmal 1 EuGH v. 29.9.2015, C-276/14, Gmina Wroclaw, ECLI:EU:C:2015:635, UR 2015, 829. 2 EuGH v. 22.2.2018, C-182/17, Nagyszénás, ECLI:EU:C:2018:91, UR 2018, 276. 3 BMF v. 18.9.2019, BStBl. I 2019, 921.

Heidner | 263

5.116

Kap. 5 Rz. 5.116 | Die juristische Person/Einrichtung des öffentlichen Rechts im UStR

jedes Trägers öffentlicher Gewalt sind1. Dabei steht das Merkmal der Eingliederung in einem gewissen Spannungsverhältnis zur Selbständigkeit eines Unternehmers.

5.117

Juristische Personen des öffentlichen Rechts gelten auch nach nationalem Recht also nunmehr nur dann nicht als Unternehmer im Sinne des § 2 UStG, soweit sie Tätigkeiten ausüben, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen, auch wenn sie im Zusammenhang mit diesen Tätigkeiten Zölle, Gebühren, Beiträge oder sonstige Abgaben erheben. Die bisherige Rechtsprechung des BFH zu § 2 Abs. 3 UStG a.F., die im Wege richtlinienkonformer Auslegung die Grundsätze des Unionsrechts in das nationale Recht hineingelesen hat, kann daher auf § 2b Abs. 1 UStG übertragen werden2.

5.118

Nach Auffassung der Verwaltung3 müssen für das Merkmal der Eingliederung in die öffentliche Verwaltung folgende Voraussetzungen erfüllt sein, die sich mit den EuGH-Urteilen Saudacor und Nagyszénás zum Teil nicht in Einklang bringen lassen: – Die juristische Person müsse durch Bundes- oder Landesgesetz oder Rechtsverordnung errichtet worden sein. Darin müsse die Eingliederung in die öffentliche Verwaltung sowie die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben durch Ausübung öffentlicher Gewalt geregelt sein. Diese Anforderung kann eine juristische Person des Privatrechts nicht erfüllen. Zum einen wird die juristische Person des Privatrechts nicht durch Gesetz oder Rechtsverordnung errichtet, sondern z.B. im Fall der AG durch Übernahme aller Aktien durch die Gründer (§ 29 AktG) und im Fall der GmbH durch einen den Anforderungen des GmbHG genügenden Gesellschaftsvertrag (§§ 1 ff. GmbHG). – Die juristische Person müsse mit Aufgaben der öffentlichen Verwaltung beliehen sein und zur Ausübung dieser Aufgaben hoheitliche Befugnisse innehaben sowie der Aufsicht einer juristischen Person des öffentlichen Rechts unterstehen. – Die juristische Person müsse zeitlich unbegrenzt im Eigentum einer einzelnen juristischen Person des öffentlichen Rechts stehen, die durch verbindliche Leitlinien und ähnliche Maßnahmen einen bestimmenden Einfluss auf die juristische Person ausübt. Eine nur mittelbare Beteiligung reiche nicht aus. Hier ist nicht klar, was die Verwaltung mit „Eigentum“ meint. Ist dafür ein 100-iger Anteils-/Aktienbesitz erforderlich oder genügt eine Mehrheitsbeteiligung? – Verträge zwischen der juristischen Person des privaten Rechts und der juristischen Person des öffentlichen Rechts müssten bezüglich der wesentlichen Rahmenbedingungen des Zusammenwirkens ausschließlich dem öffentlichen Recht zuzuordnen sein (öffentlich-rechtlicher Vertrag). – Die juristische Person müsse sich im Vergleich zu sonstigen Privaten hinsichtlich ihrer Organisation und Arbeitsweise stärker an den gesetzlichen Vorgaben des öffentlichen Rechts orientieren. In diesem Rahmen müsse das Privatrecht gegenüber den Regeln, die die rechtliche Verfassung der juristischen Person als öffentliches Unternehmen bestimmen, zweitrangig sein. – Die juristische Person müsse ganz überwiegend aus Haushaltsmitteln der beteiligten juristischen Person des öffentlichen Rechts finanziert werden. Sie dürfe Leistungen im Wesentlichen (d.h. in der Regel zu mehr als 95 %) nur an die juristische Person des öffentlichen 1 EuGH v. 29.10.2015, C-174/14, Saudaçor, ECLI:EU:C:2015:733, UR 2015, 901 mit Anm. Küffner. 2 Treiber in Sölch/Ringleb, UStG, § 2b Rz. 31. 3 BMF v. 18.9.2019, BStBl. I 2019, 921.

264 | Heidner

C. Die Regelung in § 2b UStG | Rz. 5.122 Kap. 5

Rechts erbringen, die den bestimmenden Einfluss ausübe. Eine Finanzierung aus Haushaltsmitteln sei auch gegeben, wenn die juristische Person des privaten Rechts ihre Leistungen an die beherrschende juristische Person des öffentlichen Rechts, die annähernd ausschließlicher Leistungsempfänger sei, kostendeckend oder gar mit Gewinn erbringt und daher nicht auf Gesellschafterbeiträge oder Zuschüsse angewiesen ist.

2. Wirtschaftliche Tätigkeit Voraussetzung für die Anwendung des § 2b UStG ist, dass die jPöR eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt1, d.h. dass die Tätigkeit unternehmerisch i.S.d. § 2 Abs. 1 UStG ist. Schon aus dem Eingangssatz des § 2b Abs. 1 UStG „nicht als Unternehmer im Sinne des § 2 gelten“ folgt, dass § 2b UStG eine im Grundsatz unternehmerischen Tätigkeit voraussetzt2. Unternehmer ist aber nur der, der eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne einer nachhaltigen Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen gemäß § 2 Abs. 1 UStG ausübt, die sich innerhalb ihrer Gesamtbetätigung heraushebt3. Daran kann es z.B. fehlen, wenn kein Leistungsentgelt vereinnahmt wird4.

5.119

An der für die Unternehmereigenschaft einer juristischen Person des öffentlichen Rechts erforderlichen Grundvoraussetzung der wirtschaftlichen (unternehmerischen) Tätigkeit fehlt es nach dem EuGH-Urteil Gemeente Borsele5, wenn eine Gemeinde über die von ihr vereinnahmten Beiträge nur einen kleinen Teil ihrer Kosten deckt. Werden die Kosten nur zu 3 % aus Einnahmen und im Übrigen mit öffentlichen Mitteln finanziert, deutet diese Asymmetrie zwischen den Betriebskosten und den als Gegenleistung erhaltenen Beträgen darauf hin, dass kein Leistungsentgelt und auch keine wirtschaftliche Tätigkeit vorliegen6.

5.120

3. Öffentlich-rechtliche Grundlage Liegt eine wirtschaftliche (unternehmerische) Tätigkeit vor, ist in einem nächsten Schritt zu prüfen, ob die Tätigkeit auf öffentlich-rechtlicher Grundlage im Rahmen der öffentlichen Gewalt ausgeübt wird. Das setzt voraus, dass die jPöR die Tätigkeit im Rahmen der eigens für sie geltenden rechtlichen Regelung ausübt; ausgenommen sind die Tätigkeiten, die sie unter den gleichen rechtlichen Bedingungen ausüben wie private Wirtschaftsteilnehmer. Es ist Sache jedes Mitgliedstaats, die geeignete Rechtsetzungstechnik zu wählen7.

5.121

Nach dem BMF-Schreiben vom 16.12.20168 kann es sich bei der öffentlich-rechtlichen Grundlage um ein Gesetz, eine Rechtsverordnung, eine Satzung, Staatsverträge, verfassungsrechtliche

5.122

1 EuGH v. 29.9.2015, C-276/14, Gmina Wroclaw, ECLI:EU:C:2015:635, UR 2015, 829, Rz. 30; v. 29.10.2015 C-174/14, Saudaçor, ECLI:EU:C:2015:733, UR 2015, 901, Rz. 52; s. auch BMF-Schr. v. 16.12.2016, BStBl. I 2016, 1451, UR 2017, 78, Rz. 3. 2 Müller, UR 2017, 8. 3 Ständige BFH-Rechtsprechung, vgl. BFH v. 13.2.2014, V R 5/13, BFHE 245, 92, unter II.1.a unter Bezugnahme auf BFH v. 10.11.2011, V R 41/10, BFHE 235, 554, und v. 1.12.2011, V R 1/11, BFHE 236, 235. 4 Vgl. BFH v. 15.12.2016, V R 44/15, BFHE 256, 557, UR 2012, 302 mit Anm. Küffner; EuGH v. 12.5.2016 C-520/14, Gemeente Borsele, ECLI:EU:C:2016:334, UR 2016, 520 m. Anm. Küffner. 5 EuGH v. 12.5.2016, C-520/14 (ECLI:EU:C:2016:334). 6 EuGH-Urteil Gemeente Borsele, ECLI:EU:C:2016:334, Rz, 33 f.; BFH v. 15.12.2016, V R 44/15, BFHE 256, 557. 7 EuGH v. 15.5.1990, C-4/89, Comune di Carpaneto Piacentino u.a., ECLI:EU:C:1990:204, Slg. 1990, I-1869-1888. 8 BMF-Schr. v. 16.12.2016, BStBl. I 2016, 1451, UR 2017, 78.

Heidner | 265

Kap. 5 Rz. 5.122 | Die juristische Person/Einrichtung des öffentlichen Rechts im UStR

Verträge, Verwaltungsabkommen, Verwaltungsvereinbarungen, öffentlich-rechtliche Verträge sowie um kirchenrechtliche Vorschriften handeln. Das klingt eindeutig, doch die Abgrenzung kann im Einzelfall, insbesondere bei Mischverträgen1, schwierig sein.

5.123

Öffentlich-rechtliche Satzungen werden von jPöR zur Regelung ihrer eigenen Angelegenheiten erlassen (z.B. Gemeindesatzungen, Satzungen von berufsständischen Organisationen, Sozialversicherungsträgern, Hochschulen, Zweckverbänden, Anstalten des öffentlichen Rechts oder Stiftungen des öffentlichen Rechts). Übt eine jPöR eine wirtschaftliche Tätigkeit auf der Grundlage einer öffentlich-rechtlichen Satzung in öffentlich-rechtlicher Handlungsform aus, wird sie im Rahmen der öffentlichen Gewalt tätig.

5.124

Ein öffentlich-rechtlicher Vertrag liegt vor, wenn ein Rechtsverhältnis auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts durch Vertrag begründet wird (§ 54 VwVfG, § 53 Abs. 1 SGB X, § 48 VVZG-EKD). Dabei kann die jPöR einen öffentlich-rechtlichen Vertrag insbesondere mit demjenigen schließen, an den sie sonst einen Verwaltungsakt richten würde. Ein Vertrag ist als öffentlich-rechtlich zu beurteilen, wenn Gegenstand und Zweck des Vertrags dem öffentlichen Recht zuzuordnen sind. Ein Indiz für das Vorliegen eines öffentlich-rechtlichen Vertrags ist die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs.

5.125

Öffentlich-rechtliche Verträge liegen z.B. vor, wenn – eine besondere öffentlich-rechtliche Norm die Beteiligten zum Abschluss eines öffentlichrechtlichen Vertrags berechtigt, – die in dem Vertrag übernommenen Verpflichtungen in einer öffentlich-rechtlichen Norm geregelt (z.B. öffentlich-rechtliche Tätigkeit einer Landesärztekammer im Rahmen der Qualitätssicherung) werden, – der Vertrag dem Vollzug einer öffentlich-rechtlichen Sonderregelung (z.B. Einigung im Enteignungsverfahren nach § 110 BauGB) dient oder – sich einer der beiden Vertragspartner in dem Vertrag zum Erlass einer hoheitlichen Maßnahme (z.B. Erlass einer Baugenehmigung) verpflichtet2.

5.126

Erbringt eine jPöR Leistungen in privatrechtlicher Handlungsform und damit unter den gleichen rechtlichen Bedingungen wie private Wirtschaftsteilnehmer, werden diese Tätigkeiten nicht von § 2b UStG umfasst.

4. Größere Wettbewerbsverzerrungen 5.127

In § 2b Abs. 1 Satz 2 UStG übernimmt der Gesetzgeber die bereits aus der Rechtsprechung bekannte Rückausnahme. D.h. juristische Personen unterliegen mit ihren wirtschaftlichen Tätigkeiten grundsätzlich der Umsatzsteuer, es sei denn die ausgeübten Tätigkeiten obliegen ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt. Aber selbst wenn letzteres der Fall ist, sind sie gleichwohl Unternehmer, wenn eine Behandlung als Nichtunternehmer zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde. Zu der Frage, was unter dem unbestimmten Rechtsbegriff der „größeren Wettbewerbsverzerrungen“ zu verstehen ist, kann die bisherige Rechtsprechung herangezogen werden. Unerheblich ist für die Beurteilung als Wettbewerbsverzerrung, ob die 1 Vgl. hierzu Sterzinger, UR 2015, 655; Pithan, DStZ 2014, 205; Küffner/Rust, DStR 2014, 2533; Küffner/Rust, DStR 2016, 1633; Müller, UR 2017, 8. 2 BMF-Schr. v. 16.12.2016, BStBl. I 2016, 1451, UR 2017, 78 Rz. 13.

266 | Heidner

C. Die Regelung in § 2b UStG | Rz. 5.131 Kap. 5

Leistungen der jPöR zum gleichen Preis angeboten werden wie die Leistungen privater Wettbewerber1. Die Frage, ob größere Wettbewerbsverzerrungen vorliegen, ist „mit Bezug auf die fragliche Tätigkeit als solche zu beurteilen, ohne dass sich diese Beurteilung auf einen lokalen Markt im Besonderen bezieht“; dabei kommt es nicht nur auf den gegenwärtigen, sondern auch den potenziellen Wettbewerb an, sofern die Möglichkeit für einen privaten Wirtschaftsteilnehmer, in den relevanten Markt einzutreten, real und nicht rein hypothetisch ist2. Dabei nimmt der EuGH eine sprachliche Umkehrung vor, indem er eine größere Wettbewerbsverzerrung nur dann als nicht vorliegend betrachtet, wenn „die Behandlung öffentlicher Einrichtungen als Nichtsteuerpflichtige ... lediglich zu unbedeutenden Wettbewerbsverzerrungen führen würde“3. Das ist eine etwas überraschende Auslegung, aber man wird auch im nationalen Recht kaum an ihr vorbeikommen.

5.128

Größere Wettbewerbsverzerrungen scheiden aus, wenn die jPöR in Konkurrenz zu Steuerpflichtigen mit steuerfreien Umsätzen tritt4.

5.129

IV. § 2b Abs. 2 und 3 UStG Der Gesetzgeber regelt in § 2b Abs. 2 und 3 UStG, in welchen Fällen aus seiner Sicht größere Wettbewerbsverzerrungen insbesondere nicht vorliegen. Die darin genannten Fallgruppen sind nicht abschließend5. Die Regelung wirft die Frage auf, ob es unionsrechtlich überhaupt zulässig ist, den in Art. 13 MwStSystRL verwendeten Begriff der größeren Wettbewerbsverzerrung durch nationale Vorschriften zu definieren und durch negative Abgrenzungen zu verengen6.

5.130

Die Frage ist zu verneinen, denn der Begriff der größeren Wettbewerbsverzerrungen ist dadurch, dass er in der MwStSystRL Verwendung findet, ein autonomer Begriff des Unionsrechts7. Der EuGH hat bereits wiederholt entschieden, dass autonome Begriffe des Unionsrechts nicht durch gesetzliche Regelungen der Mitgliedstaaten definiert werden können8. Es ist daher schwer vorstellbar, dass der EuGH eine Regelung des autonomen unionsrechtlichen Begriffs der „größeren Wettbewerbsverzerrung“ durch eine nationale Regelung eines Mitgliedstaates akzeptieren wird. Anders als bei § 2 Abs. 3 UStG a.F. wird der BFH gegen den Wortlaut der Anordnungen in § 2b Abs. 2 und 3 UStG – soweit dieser eindeutig ist – keine anderslautende richtlinienkonforme Auslegung vornehmen können. Die Rechtsprechung wird aber gezwungen sein, die Bestimmungen in § 2b Abs. 2 und 3 UStG dem EuGH vorzulegen. Darauf, was auf diesem Prüfstand im Einzelnen herauskommen wird, kann man nur spekulieren.

5.131

1 BFH v. 1.12.2011, V R 1/11, BStBl. II 2017, 834. 2 EuGH v. 16.9.2008, C-288/07, Isle of Wight Council u.a., Slg. 08, I-7203 = UR 08, 816, Rz 40, 53, 63 ff., 76 f., m. Anm. Küffner = HFR 08, 1192 mit Anm. Klenk = IStR 08, 734 mit Anm. Korf; EuGH v. 29.10.2015 C-174/14, Saudaçor, UR 15, 901, Rn 74 mit Anm. Küffner, UR 2015, 901. 3 EuGH v. 16.9.2008, C-288/07, Isle of wight council, ECLI:EU:C:2008:505,816, UR 2008, 816, Rz. 76; BFH v. 1.12.2011, V R 1/11, BFHE 236, 235, BStBl. II 2017, 834, UR 2012, 363; v. 10.11.2011, V R 41/10, BFHE 235, 554, BStBl. II 2017, 869, UR 2012, 272; v. 15.4.2010, V R 10/09, BFHE 229, 416, BStBl. II 2017, 863, UR 2010, 646. 4 BFH v. 15.4.2010, V R 10/09, UR 10, 646 mit Anm. Bollweg und Küffner = DStR 10, 1280. 5 BT-Drs. 18/6094, S. 91; BMF v. 16.12.2016, BStBl. I 2016, 1451, Rz. 32. 6 Korn in Bunjes, UStG 19. Aufl., § 2b Rz 36; Widmann, MwStR 2015, 883, 887. 7 EuGH v. 29.9.2015, C-276/14, Gmina Wroclaw, UR 15, 829, Rz. 25, 26. 8 Z.B. EuGH v. 15.11.2012, C-532/11, Leichenich, ECLI:EU:C:2012:720, UR 2013, 30, Rz. 17; v. 26.1.2003, C-315/00, Maierhofer, ECLI:EU:C:2003:23, UR 2003, 86, Rz. 25, 26.

Heidner | 267

Kap. 5 Rz. 5.132 | Die juristische Person/Einrichtung des öffentlichen Rechts im UStR

1. § 2b Abs. 2 UStG 5.132

Gemäß § 2b Abs. 2 UStG liegen größere Wettbewerbsverzerrungen insbesondere nicht vor, wenn 1. der von einer juristischen Person des öffentlichen Rechts im Kalenderjahr aus gleichartigen Tätigkeiten erzielte Umsatz voraussichtlich 17 500 Euro jeweils nicht übersteigen wird oder 2. vergleichbare, auf privatrechtlicher Grundlage erbrachte Leistungen ohne Recht auf Verzicht (§ 9) einer Steuerbefreiung unterliegen.

5.133

Wie sich schon aus der Vokabel „insbesondere“ ergibt, enthält § 2b Abs. 2 UStG keine abschließende Aufzählung von Fällen, in denen keine größeren Wettbewerbsverzerrungen vorliegen1. a) § 2b Abs. 2 Nr. 1 UStG

5.134

Als Negativabgrenzung werden in § 2b Abs. 2 Nr. 1 UStG alle Fälle erfasst, bei denen die Umsätze der juristischen Person des öffentlichen Rechts aus gleichartigen Tätigkeiten voraussichtlich 17 500 € im Kalenderjahr nicht überschreiten. Die Reglung orientiert sich offenbar an der Kleinunternehmerregelung in § 19 Abs. 1 UStG und könnte deshalb möglicherweise auf deren unionsrechtliche Grundlage in Art. 281 ff. MwStSystRL gestützt werden2.

5.135

Allerdings bestehen einige beachtlichen Unterschieden zwischen der § 19 UStG und § 2b Abs. 2 Nr. 1 UStG. So geht der Gesetzgeber bei Unterschreiten der Bagatellgrenze des § 2b Abs. 2 Nr. 1 UStG unwiderlegbar davon aus, dass keine Wettbewerbsverzerrung zu Lasten privatrechtlicher Konkurrenten vorliegt3. D.h. anders als in § 19 Abs. 2 UStG gibt es für die jPöR bei Unterschreiten der Bagatellgrenze keine Möglichkeit, im Wege der Option die Unternehmereigenschaft zu begründen.

5.136

Die Regelung wirft darüber hinaus bereits bei oberflächlicher Lektüre eine Reihe unbeantworteter Fragen auf. So geben weder das Gesetz oder die Gesetzesmaterialien noch das BMFSchreiben vom 16.12.2016 einen Hinweis darauf, ob es sich bei der Bagatellgrenze des § 2b Abs. 2 Nr. 1 UStG um den Netto- oder den Bruttoumsatz handelt4.

5.137

Ungeklärt ist auch, was gleichartige Tätigkeiten sind. Anders als § 19 Abs. 1 UStG stellt § 2b Abs. 2 Nr. 1 UStG nicht auf den Gesamtumsatz des Unternehmens, sondern auf gleichartige Tätigkeiten ab. Unter dem Dach des einheitlichen Unternehmens der jPöR können also mehrere „Bündel“ gleichartiger Tätigkeiten ausgeübt werden. Aus Sicht der Finanzverwaltung sind Leistungen gleichartig, die aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers dieselben Bedürfnisse befriedigen5. Das klingt einleuchtend. Dennoch sind auch andere Auslegungsansätze denkbar. So könnte man darauf abstellen, ob sich die Betriebszwecke der Tätigkeiten entsprechen, ob sie im gleichen Gewerbezweig ausgeübt werden oder ob sie sich zwar unterscheiden, gleichwohl aber einander ergänzen6. Auch die eher allgemeine Frage, ob der Begriff der gleich-

1 2 3 4 5 6

BMF v. 23.11.2020, BStBl. I 2020, 1335. Treiber in Sölch/Ringleb, § 2b UStG, Rz. 61. BMF-Schr. v. 16.12.2016, BStBl. I 2016, 1451, UR 2017, 78, Rz. 33. Für Bruttoumsatz plädiert Müller, UR 2017, 8 mit erwägenswerten Gründen. BMF v. 16.12.2016, BStBl. I 2016, 1451, UR 2017, 78, Rz. 36. Beispiele bei Müller, UR 2017, 8.

268 | Heidner

C. Die Regelung in § 2b UStG | Rz. 5.139 Kap. 5

artigen Tätigkeiten weit1 oder eng2 auszulegen ist, bleibt noch ungeklärt. Da der EuGH Art. 13 Abs. 1 MwStSystRL als Steuerbefreiung versteht3, könnte dies ein Indiz für eine enge Auslegung sein, weil jedenfalls die Steuerbefreiungen in Art. 131 ff. MwStSystRL eng auszulegen sind. Denn diese stellen Ausnahmen von dem allgemeinen Grundsatz dar, dass jede Dienstleistung, die ein Steuerpflichtiger gegen Entgelt erbringt, der USt unterliegt4. Auch die in der Gründungsphase eines Unternehmens auftretenden Probleme sind noch ungelöst. Nehmen wir das Beispiel einer Gemeinde, die einen Gewerbepark baut, mit dessen Vermietung sie in der Zukunft die Bagatellgrenze voraussichtlich überschreitende steuerpflichtige Umsätze erzielen wird. In den Jahren der Bauphase erzielt die Gemeinde naturgemäß noch keine Umsätze. Ist sie dann noch kein Unternehmer mit der Folge, dass der Vorsteuerabzug aus § 15 Abs. 1 UStG ausgeschlossen ist? Oder ist in Anlehnung an die Rechtsprechung zum sog. erfolglosen Unternehmer auf die beabsichtigten Umsätze abzustellen? Kommt ggf. eine Anwendung von § 15a UStG in Betracht? Es besteht also in mehrfacher Hinsicht durchaus noch Klärungsbedarf.

5.138

b) § 2b Abs. 2 Nr. 2 UStG Des Weiteren scheidet eine größere Wettbewerbsverzerrung in den Fällen aus, in denen die Leistung ohnehin zwingend – also ohne Optionsmöglichkeit gemäß § 9 UStG – von der Umsatzsteuer befreit ist. Umsätze mit Optionsmöglichkeit, bei denen § 2b Abs. 2 Nr. 2 UStG nicht zur Anwendung kommt, sind gemäß § 9 Abs. 1 UStG – die in § 4 Nr. 8 Buchstabe a bis g UStG genannten Finanzdienstleistungen, – Umsätze, die unter das Grunderwerbsteuergesetz fallen (§ 4 Nr. 9 Buchst. a UStG), – die Vermietung und die Verpachtung von Grundstücken, von Berechtigungen, für die die Vorschriften des bürgerlichen Rechts über Grundstücke gelten, und von staatlichen Hoheitsrechten, die Nutzungen von Grund und Boden betreffen (§ 4 Nr. 12 Buchst. a UStG), – die Überlassung von Grundstücken und Grundstücksteilen zur Nutzung auf Grund eines auf Übertragung des Eigentums gerichteten Vertrags oder Vorvertrags (§ 4 Nr. 12 Buchst. b UStG), – die Bestellung, die Übertragung und die Überlassung der Ausübung von dinglichen Nutzungsrechten an Grundstücken (§ 4 Nr. 12 Buchst. c UStG), – die im Einzelnen in § 4 Nr. 13 UStG genannten Leistungen, die die Gemeinschaften der Wohnungseigentümer im Sinne des Wohnungseigentumsgesetzes an die Wohnungseigentümer und Teileigentümer erbringen und – die im Einzelnen in § 4 Nr. 19 UStG genannten Umsätze von Blinden und Blindenwerkstätten.

1 So Treiber in Sölch/Ringleb, § 2b UStG, Rz. 63. 2 So Sterzinger, UR 2015, 655, 662. 3 EuGH v. 13.12.2007, C-408/06, Götz, HFR 2008, 193; EuGH v. 12.9.2000, C-359/97, Kommission/ Vereinigtes Königreich, ECLI:EU:C:2000:426 jeweils zur Vorgängervorschrift des Art. 4 Abs. 5 der 6. EG-Richtlinie. 4 EuGH v. 12.6.2014, C-461/12, Granton Advertising, DStR 2014, 1282; EuGH v. 5.7.2012, C-259/ 11, DTZ Zadelhoff, DStR 2012, 1440.

Heidner | 269

5.139

Kap. 5 Rz. 5.140 | Die juristische Person/Einrichtung des öffentlichen Rechts im UStR

5.140

Da § 2b Abs. 2 UStG das Fehlen größerer Wettbewerbsverzerrungen nicht abschließend regelt, sind diese auch in den Fällen zu verneinen, in denen zwar die Voraussetzungen des § 2b Abs. 2 Nr. 2 UStG nicht erfüllt sind, aber ein Verzicht auf die Steuerbefreiung bei vergleichbaren Leistungen Privater aufgrund der tatsächlichen Umstände ausgeschlossen ist1.

5.141

§ 2b Abs. 2 Nr. 2 UStG beruht auf Art. 13 Abs. 2 MwStSystRL. Danach können die Mitgliedstaaten bestimmte steuerbefreite Tätigkeiten von Einrichtungen des öffentlichen Rechts als Tätigkeiten behandeln, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen. Hintergrund dieser Bestimmung ist, dass der private Konkurrent umsatzsteuerlich keinen Nachteil erleidet, weil auch seine Umsätze steuerfrei sind.

5.142

Diese Behandlung i.S.d. Art. 13 Abs. 2 MwStSystRL muss aber ausdrücklich geschehen. Erforderlich ist eine Regelung im Gesetz selbst oder in einer auf gesetzlicher Ermächtigung erlassenen Rechtsverordnung2. Das war bisher nicht der Fall und wird nunmehr durch § 2b Abs. 2 Nr. 2 UStG geändert, in dem geregelt wird, dass größere Wettbewerbsverzerrungen insbesondere dann nicht vorliegen, wenn vergleichbare, auf privatrechtlicher Grundlage erbrachte Leistungen ohne Recht auf Verzicht (§ 9 UStG) einer Steuerbefreiung unterliegen. Diese Einschränkung beruht auf den BFH-Urteilen vom 3.3.2011, V R 23/103 und vom 24.1.2008, V R 12/054. Denn danach steht der Annahme eines Wettbewerbsverhältnisses nicht entgegen, dass die Leistungen privater Wettbewerber nach § 4 Nr. 12 UStG steuerfrei sind, so dass sich eine Steuerpflicht der durch private Wettbewerber erbrachten Leistungen erst aufgrund eines Verzichts gemäß § 9 UStG ergibt. Dass sich die Steuerpflicht der Leistung des Privaten erst aus einem Verzicht nach § 9 UStG ergibt, ist für die Annahme eines Wettbewerbsverhältnisses unerheblich. Auch das ist durch den BFH bereits entschieden worden5.

5.143

Die Rechtsfolgen von § 2b Abs. 2 Nr. 2 UStG lassen sich anschaulich an den Liegerechten im Bestattungswesen verdeutlichen. Die Einräumung von Grabnutzungsberechtigungen, Liegerechten und Rechten zur Beisetzung eines Sarges oder einer Urne, die darin bestehen, eine räumlich abgrenzbare, individualisierte Parzelle unter Ausschluss Dritter nutzen zu können, ist bei Leistungserbringung durch private Anbieter als Vermietung von Grundstücken nach § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG umsatzsteuerfrei6. Deshalb wäre an sich davon auszugehen, dass § 2b Abs. 2 Nr. 2 UStG wegen des Optionsrechts in § 9 Abs. 1 UStG für Vermietungsleistungen i.S.v. § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG nicht zur Anwendung kommen kann. Allerdings erfolgt die Einräumung von Liegerechten u.Ä. stets für nichtunternehmerische Zwecke des Leistungsempfängers mit der Folge, dass in diesen Fällen tatsächlich niemals auf die Steuerbefreiung nach § 9 UStG verzichtet werden kann. Werden derartige Leistungen durch jPöR erbracht, geht deshalb das BMF davon aus, dass die jPöR insoweit gemäß § 2b Abs. 1 Satz 2 UStG nicht unternehmerisch tätig wird7.

5.144

Wird demgegenüber keine konkret vermessene Baumgrabstätte i.S. einer individualisierten Parzelle überlassen, sondern lediglich das Recht eingeräumt, im Wurzelbereich von als Ruhehainbäumen registrierten Bäumen eine Urne beizusetzen und die Ruhestätte als Gedenkstätte

1 2 3 4 5 6 7

BMF v. 23.11.2020, BStBl. I 2020, 1335. BFH v. 20.8.2009, V R 70/05, BFHE 226, 458, BStBl. II 2017, 825, UR 2009, 884. BFH v. 3.3.2011, V R 23/10, BFHE 233, 274, BStBl. II 2012, 74, UR 2011, 617. BFH v. 24.1.2008, V R 12/05, BFHE 221, 310, BStBl. II 2009, 60, UR 2008, 308. BFH v. 2.3.2011, XI R 65/07, BFHE 233, 264, BStBl. II 2017, 831, UR 2011, 657. BFH v. 21.6.2017, V R 3/17, BStBl. II 2018, 372. BMF v. 23.11.2020, BStBl. I 2020, 1335.

270 | Heidner

C. Die Regelung in § 2b UStG | Rz. 5.147 Kap. 5

im Rahmen der Friedhofssatzung zu nutzen, kommt eine Steuerfreiheit dieser Leistung nach § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchstabe a UStG bei privaten Anbietern nicht in Betracht1. Derartige Leistungen von jPöR werden nicht von § 2b Abs. 2 Nr. 2 UStG umfasst und unterliegen der Umsatzbesteuerung, wenn sie auch von Privaten erbracht werden können und die Wettbewerbsgrenze nach § 2b Abs. 2 Nr. 1 UStG überschritten wird2. Mit der Neuregelung überschreitet der Gesetzgeber die ihm in Art. 13 Abs. 2 MwStSystRL eingeräumte Befugnis, die darauf beschränkt ist, die steuerfreien Tätigkeiten bei jPöR als im Rahmen der öffentlichen Gewalt ausgeführt zu behandeln. Der Gesetzgeber regelt den nächsten Prüfungspunkt, nämlich das Vorliegen größerer Wettbewerbsverzerrungen, gleich mit. Das ist von der Ermächtigung in Art. 13 Abs. 2 MwStSystRL nicht umfasst. In der Praxis sollte dieser technische Fehler gleichwohl zu keinen größeren Problemen führen, weil bei steuerfreien Tätigkeiten in der Regel keine Wettbewerbsverzerrung vorliegen dürfte, da die Umsätze des privaten Konkurrenten steuerfrei sind.

5.145

2. § 2b Abs. 3 UStG Gemäß § 2b Abs. 3 UStG liegen größere Wettbewerbsverzerrungen insbesondere auch dann nicht vor, sofern eine Leistung an eine andere jPöR ausgeführt wird, wenn

5.146

1. die Leistungen aufgrund gesetzlicher Bestimmungen nur von juristischen Personen des öffentlichen Rechts erbracht werden dürfen oder 2. die Zusammenarbeit durch gemeinsame spezifische öffentliche Interessen bestimmt wird. Dies ist regelmäßig der Fall, wenn a) die Leistungen auf langfristigen öffentlich-rechtlichen Vereinbarungen beruhen, b) die Leistungen dem Erhalt der öffentlichen Infrastruktur und der Wahrnehmung einer allen Beteiligten obliegenden öffentlichen Aufgabe dienen, c) die Leistungen ausschließlich gegen Kostenerstattung erbracht werden und d) der Leistende gleichartige Leistungen im Wesentlichen an andere juristische Personen des öffentlichen Rechts erbringt. In einer nicht abschließenden Aufzählung3 definiert der Gesetzgeber bestimmte interkommunale Umsätze als nicht wettbewerbsverzerrend. Bei der Regelung handelt es sich um eine Fiktion. Denn liegen bereits nach allgemeinen Maßstäben keine größeren Wettbewerbsverzerrungen vor, so kommt § 2b Abs. 1 Satz 1 UStG zum Tragen; der Regelungen in § 2b Abs. 3 UStG bedarf es in diesem Falle nicht. § 2b Abs. 3 UStG betrifft folglich Fälle, in denen größere Wettbewerbsverzerrungen vorliegen, diese aber als nicht gegeben anzusehen sein sollen. Mit anderen Worten soll trotz des Vorliegens größerer Wettbewerbsverzerrungen die Wirkung von § 2b Abs. 1 Satz 1 UStG wiederhergestellt werden. D.h. es müssen auch im Rahmen von § 2b Abs. 3 UStG Tätigkeiten vorliegen, die der jPöR im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegt4. Für Leistungen, die auf privatrechtlicher Grundlage ausgeführt werden, findet § 2b Abs. 3 UStG keine Anwendung.

1 2 3 4

BFH v. 21.6.2017, V R 4/17, BStBl. II 2018, 370. BMF v. 23.11.2020, BStBl. I 2020, 1335. Küffner/Rust, DStR 2016, 1633. Vgl. Schaubild in Rz. 75.

Heidner | 271

5.147

Kap. 5 Rz. 5.148 | Die juristische Person/Einrichtung des öffentlichen Rechts im UStR

a) § 2b Abs. 3 Nr. 1 UStG

5.148

§ 2b Abs. 3 Nr. 1 UStG hat nur deklaratorische Bedeutung1. Bei Leistungen, die den juristischen Personen des öffentlichen Rechts gesetzlich vorbehalten sind, handelt es sich um klassische hoheitliche Aufgaben bzw. Leistungen der Daseinsvorsorge, die privaten Marktteilnehmern – eben wegen des gesetzlichen Vorbehalts – nicht zugänglich und bei denen deshalb von vornherein größere Wettbewerbsverzerrungen ausgeschlossen sind. Es ist deshalb auch ohne Bedeutung, ob diese Leistungen an eine andere jPöR oder an einen privaten Wirtschaftsteilnehmer erbracht werden2.

5.149

Verwirrung stiftet in diesem Zusammenhang die Auffassung der Finanzverwaltung, wonach der Begriff der „gesetzlichen Bestimmungen“ nicht deckungsgleich mit dem Begriff der öffentlich-rechtlichen Sonderregelungen „im Rahmen der öffentlichen Gewalt“ i.S.d. § 2b Abs. 1 S. 1 UStG ist. Gesetzliche Bestimmungen i.S.d. § 2b Abs. 3 Nr. 1 UStG sind alle Gesetze und Rechtsverordnungen des Bundes- oder Landesrechts sowie die besondere Rechtsetzung der Kirchen, nicht jedoch Bestimmungen, die von einer mit Satzungsautonomie ausgestatteten jPöR für ihren Bereich erlassen wurde (z.B. Sparkassensatzungen)3. Das ändert aber nichts daran, dass § 2b Abs. 3 Nr. 1 UStG in einer Wirkung nicht über die – nennen wir es mit dem EuGH „Befreiung“ – in § 2b Abs. 1 Satz 1 UStG hinausgehen kann. Nur wenn die jPöR Tätigkeiten ausübt, die ihr „im Rahmen der öffentlichen Gewalt“ obliegen, kommt eine Anwendung von § 2b Abs. 1 Satz 1 UStG in Betracht. Die Finanzverwaltung kann folglich nur so zu verstehen sein, dass bei einer im Rahmen der öffentlichen Gewalt ausgeübten Tätigkeit das Merkmal der „gesetzlichen Bestimmungen“ in § 2b Abs. 3 Nr. 1 UStG für die Anwendung dieser Regelung darüber hinaus weiter auszulegen ist. b) § 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG

5.150

§ 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG legt fest, dass keine größeren Wettbewerbsverzerrungen vorliegen, wenn die Zusammenarbeit öffentlicher Einrichtungen durch gemeinsame spezifische öffentliche Interessen bestimmt wird. Dies wiederum ist regelmäßig (also nicht abschließend) der Fall, wenn die in § 2b Abs. 3 Nr. 2 S. 2 Buchst. a-d UStG genannten Kriterien kumulativ erfüllt sind, also: a) die Leistungen auf langfristigen öffentlich-rechtlichen Vereinbarungen beruhen, b) die Leistungen dem Erhalt der öffentlichen Infrastruktur und der Wahrnehmung einer allen Beteiligten obliegenden öffentlichen Aufgabe dienen, c) die Leistungen ausschließlich gegen Kostenerstattung erbracht werden und d) der Leistende gleichartige Leistungen im Wesentlichen an andere juristische Personen des öffentlichen Rechts erbringt.

5.151

Was gemeinsame spezifische öffentliche Interessen sind, ist unklar. Die Finanzverwaltung gibt im Grunde nur den Gesetzestext wieder, wonach das bei Vorliegen der in § 2b Abs. 3 Nr. 2 S. 2 Buchst. a-d UStG genannten Merkmale der Fall ist. Auch die Feststellung, dass ausschließlich haushalterische Zielsetzungen, wie z.B. die Kostenersparnis, zwar im öffentlichen Interes-

1 Müller, UR 2017, 8. 2 Hüttemann, UR 2017, 129, 132; Stadie in Rau/Dürrwächter, § 2b Rz. 340. 3 BMF-Schr. v. 16.12.2016, BStBl. I 2016, 1451, UR 2017, 78, Rz. 42.

272 | Heidner

C. Die Regelung in § 2b UStG | Rz. 5.155 Kap. 5

se liegen, jedoch kein spezifisches Kennzeichen öffentlich-rechtlichen Handelns sind, bringt keinen großen Erkenntnisgewinn1. aa) Die einzelnen Merkmale in § 2b Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a–d UStG Die Voraussetzung des § 2b Abs. 3 Nr. 2 S. 2 Buchst. a UStG, wonach Grundlage eine langfristige öffentlich-rechtliche Vereinbarung sein muss, gibt im Wesentlichen eine allgemeine Voraussetzung des § 2b UStG wieder, der ohnehin nur im Rahmen öffentlicher Gewalt erbrachte Leistungen, nicht aber solche auf privatrechtlicher Grundlage umfasst2. Dass es sich bei der Langfristigkeit um „eine eher ... qualitative als eine quantitative Frage, die ex ante zu beantworten ist“ handeln soll3, führt zu keinem unmittelbaren Erkenntnisgewinn. Etwas konkreter ist dann schon die Aussage, dass Langfristigkeit stets erfüllt ist, wenn die Vereinbarung auf unbestimmte Zeit geschlossen wird. Bei befristeten Vereinbarungen geht die Verwaltung von einer langfristigen Vereinbarung aus, wenn diese für einen Zeitraum von mindestens fünf Jahren geschlossen wird. Aber auch kürzere Zeiträume können als langfristig beurteilt werden, wenn dies nach der Art der Tätigkeit üblich ist4.

5.152

Die öffentliche Infrastruktur i.S.d. § 2b Abs. 3 Nr. 2 S. 2 Buchst. b UStG umfasst alle Einrichtungen materieller und institutioneller Art, die für die Ausübung öffentlicher Gewalt notwendig sind. Hierzu gehören die materielle bzw. technische und digitale Infrastruktur (z.B. Verkehrswegenetz, Entsorgung von Wasser), die immaterielle bzw. soziale Infrastruktur (z.B. Bildungswesen, innere Sicherheit, öffentlich-rechtlicher Rundfunk) und die institutionelle Infrastruktur (z.B. Rechtsordnung, Wirtschaftsordnung, Sozialordnung). Bei kirchlichen jPöR sollen insbesondere die Verkündigung und Seelsorge sowie die dafür genutzten öffentlichen Sachen, insbesondere die kirchlichen Gebäude, als öffentliche Infrastruktur anzusehen sein5.

5.153

Die Wahrnehmung einer allen Beteiligten obliegenden öffentlichen Aufgabe beschreibt die Zusammenarbeit mehrerer jPöR, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen, nämlich eine oder mehrere gemeinsame Aufgaben im Interesse der Allgemeinheit zu erfüllen. Es kommt nicht darauf an, ob der Zusammenarbeit eine delegierende oder eine mandatierende Vereinbarung zugrunde liegt oder ob es sich um eine vertikale6 oder horizontale Kooperation handelt. Leistungsvereinbarungen über lediglich verwaltungsunterstützende Hilfstätigkeiten (z.B. Gebäudereinigung) dienen regelmäßig nicht der Wahrnehmung einer allen Beteiligten obliegenden öffentlichen Aufgabe7.

5.154

Das Merkmal der Kostenerstattung in § 2b Abs. 3 Nr. 2 S. 2 Buchst. c UStG verbietet einen über eine (ggf. anteilige) Kostenerstattung hinausgehenden Finanztransfers zwischen den beteiligten jPöR. Die leistende jPöR darf nur kostendeckend und gerade nicht gewinnorientiert kalkulieren, weil sie bei einer gewinnorientierten Kalkulation ihre Leistungen unter vergleichbaren Bedingungen erbringt wie ein privater Unternehmer8.

5.155

1 2 3 4 5 6 7 8

BMF-Schr. v. 16.12.2016, BStBl. I 2016, 1451, UR 2017, 78, Rz. 45. Korn in Bunjes, UStG, 19. Aufl., Rz. 47. BMF-Schr. v. 16.12.2016, BStBl. I 2016, 1451, UR 2017, 78, Rz. 47. BMF-Schr. v. 16.12.2016, BStBl. I 2016, 1451, UR 2017, 78, Rz. 47. BMF-Schr. v. 16.12.2016, BStBl. I 2016, 1451, UR 2017, 78, Rz. 48. Vgl. hierzu BT-Drs. 18/6094, 92. BMF-Schr. v. 16.12.2016, BStBl. I 2016, 1451, UR 2017, 78, Rz. 49. Zu den von der Finanzverwaltung anerkannten Kostenermittlungen vgl. BMF-Schr. v. 16.12.2016, BStBl. I 2016, 1451, UR 2017, 78, Rz. 51.

Heidner | 273

Kap. 5 Rz. 5.156 | Die juristische Person/Einrichtung des öffentlichen Rechts im UStR

5.156

Schließlich soll für die Verneinung größerer Wettbewerbsverzerrungen gemäß § 2b Abs. 3 Nr. 2 S. 2 Buchst. d UStG erforderlich sein, dass die leistende jPöR gleichartige Leistungen im Wesentlichen an andere jPöR erbringt. bb) Gesetzesbegründung

5.157

Nach der Gesetzesbegründung gehen die Regelungen in Absatz 3 Satz 2 auf die Rechtsprechung des EuGH zum Wettbewerbsbegriff im Bereich des Vergaberechts zurück. Die Grundsätze dieser Rechtsprechung sollten für den Bereich der Umsatzsteuer übernommen werden. Sofern mit den verbindlichen Vorgaben der MwStSystRL vereinbar, soll sich die Anwendung von Absatz 3 Nummer 2 an vergaberechtlichen Regelungen orientieren1. Die Frage, ob vergaberechtliche Grundsätze für das Umsatzsteuerrecht übernommen werden können, ist im Schrifttum umstritten2.

5.158

Nur einen Monat nach der Gesetzesbegründung in der BT-Drs. 18/6094 hat der EuGH diese dem deutschen Gesetzgeber durch das Urteil Saudaçor3 aus der Hand geschlagen. Der EuGH hat sich darin zwar nicht zu Fragen des Wettbewerbs geäußert, aber entschieden, dass der Kontext, in den sich der Begriff der Einrichtungen des öffentlichen Rechts in Art. 13 Abs. 1 MwStSystRL einfügt, ein grundlegend anderer ist als der der Einrichtung des öffentlichen Rechts und des öffentlichen Auftraggebers in Art. 1 Abs. 9 der (Vergabe-) Richtlinie 2004/18/ EG. Das Vergaberecht lässt sich deshalb kaum zur Begründung einer umsatzsteuerrechtlichen Regelung heranziehen. cc) Entstehungsgeschichte der Vorschrift

5.159

Die Regelung ist durch die geänderte Rechtsprechung zu Beistandsleistungen inspiriert. Nach der früheren Rechtsprechung vor Inkrafttreten der 6. EG-Richtlinie waren sog. Beistandsleistungen, die zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts auf öffentlich-rechtlicher oder privatrechtlicher Grundlage gegen Aufwendungsersatz und damit gegen Entgelt erbracht werden, nicht steuerbar. Denn es liegt im Rahmen des für alle Behörden verbindlichen Grundsatzes der gegenseitigen Hilfeleistung, dass eine Behörde die Aufgaben einer anderen Behörde übernimmt, wenn sie ohne Beeinträchtigung ihres eigenen Aufgabenkreises dazu in der Lage ist und damit die Aufgaben der anderen Behörde auf deren Ersuchen zu erleichtern trachtet4.

5.160

Derartige Beistandsleistungen treten in unterschiedlichster Form auf und kommen häufig vor. Zwischen Bund und den Kommunen ist an die Kostenerstattungen für Beistandsleistungen im Rahmen der Verwaltung der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Sozialgesetzbuch II zu denken. Im Verhältnis zwischen den Ländern und den Kommunen sind überlassene Personal- und Sachkostenausstattungen der Länder an die Kommunen für die Wahrnehmung von Aufgaben der anderen Ebene ein Beispiel für Beistandsleistungen. Der vielfältigste Bereich an Beistandsleistungen liegt auf kommunaler Ebene. Hier sind zum Beispiel gegen Aufwendungsersatz erfolgende Personal- und Beihilfeabrechnungen, die gemeinsame Ausbildung 1 BT-Drs. 18/6094, S. 92 zu Art. 12 zu Nr. 3 zu Abs. 3. 2 Zweifelnd Widmann, UR 2015, 5 (10); Hüttemann, UR 2017, 129 (136 f.); bejahend Gohlke/ Schmitz, MwStR 2016, 780. 3 EuGH v. 29.10.2015, C-174/14, Saudaçor, MwStR 2016, 24 Rz. 44 ff. mit Anm. Sterzinger. 4 BFH v. 12.12.1968, V 213/65, BFHE 94, 558, BStBl. II 1969, 280, UR 1969, 134; v. 1.4.1965, V 131/ 62 U, BFHE 82, 263, BStBl. III 1965, 339; v. 6.7.1967, V 76/64, BFHE 89, 164, BStBl. III 1967, 582, UR 1967, 230; v. 8.7.1971, V R 1/68, BFHE 103, 247, BStBl. II 1972, 70, UR 1972, 151.

274 | Heidner

C. Die Regelung in § 2b UStG | Rz. 5.166 Kap. 5

kommunaler Nachwuchskräfte, der gemeinsame Betrieb von Rechen- und Callcentern oder Personalgestellungen zu nennen1. Dieser Sonderbehandlung von Beistandsleistungen, die zwar auf öffentlich-rechtlicher Grundlage, jedoch im Wettbewerb zu den Leistungen Privater erbracht werden, hat der BFH mit Urteil vom 10.11.2011 V R 41/102 ein Ende bereitet und entschieden, dass die entgeltliche Überlassung von Räumlichkeiten in einer Sport- und Freizeithalle durch eine Gemeinde an eine andere Gemeinde für deren Schulunterricht ebenso steuerbar ist wie eine Leistungserbringung an private Rechtsträger.

5.161

Das Urteil hat zu Irritationen insbesondere bei den Kommunen geführt, die eine Klarstellung im UStG forderten, Beistandsleistungen auch künftig nicht der Umsatzsteuer zu unterwerfen3. Auch die Innenministerkonferenz hat auf ihrer Sitzung am 30.5./1.6.2012 die Rechtsprechung des BFH kritisch zur Kenntnis genommen und die Finanzministerkonferenz aufgefordert, das BFH-Urteil nicht über den entschiedenen Einzelfall hinaus anzuwenden4. Die vielfältigen politischen Bestrebungen5, die Umsatzbesteuerung juristischer Personen des öffentlichen Rechts im Bereich der Beistandsleistungen auch weiterhin dem Zugriff der Umsatzsteuer zu entziehen, hat schlussendlich zur Einführung von § 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG geführt.

5.162

Dem BFH ist durch die detaillierte Regelung in § 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG zwar die Möglichkeit genommen, eine richtlinienkonforme Auslegung gegen den eindeutigen Wortlaut der nationalen Rechtsvorschrift vorzunehmen. Die Halbwertszeit von § 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG dürfte dennoch gering sein, weil der Versuch, den Begriff der „größeren Wettbewerbsverzerrungen“ in Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL durch eine nationale Vorschrift zu regeln, auf dem Prüfstand des EuGH kaum Bestand haben wird.

5.163

Denn im Urteil Isle of Wight Council hat der EuGH entschieden, dass die Behandlung der öffentlichen Hand als Nichtsteuerpflichtiger in Art. 13 MwStSystRL eng auszulegen ist, weil es sich um eine Ausnahme vom allgemeinen Prinzip der Steuerpflicht jedweder wirtschaftlichen Tätigkeit handelt und ein Ausschluss von der Umsatzsteuerpflicht nur in Betracht kommt, wenn für den privaten Wirtschaftsteilnehmer eine reale Möglichkeit zum Markteintritt gar nicht gegeben ist oder der Ausschluss eines privaten Wirtschaftsteilnehmers eine bloß unbedeutende Wettbewerbsverzerrung zur Folge hätte6.

5.164

Angesichts dieser Ausgangslage wird dem BFH gar nichts anders übrig bleiben, als die Beurteilung einer Beistandsleistung dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen. Dazu müsste natürlich erst einmal ein Revisionsverfahren zu dieser Frage anstehen.

5.165

3. § 2b Abs. 4 UStG Einige Sondertätigkeiten sind nach § 2b Abs. 4 UStG ausdrücklich steuerbar. Im Grunde handelt es sich nur um Klarstellungen, weil sich die unternehmerische Tätigkeit der jPöR in diesen Fällen schon daraus ergibt, dass sie nicht im Rahmen der öffentlichen Gewalt ausgeübt werden, oder aber aus dem Vorliegen größerer Wettbewerbsverzerrungen. 1 Beispiele bei Suck, UR 2013, 205. 2 BFH v. 10.11.2011, V R 41/10, BFHE 235, 554, BStBl. II 2017, 869, UR 2012, 272. 3 DLT-Positionen, Der Landkreis 2012, 302; Wohltmann, Der Landkreis 2012, 646; Landsberg, Stadt und Gemeinde 2012, 152; DLT-Positionen, Der Landkreis 2012, 302. 4 Nachweise bei Suck, UR 2013, 205, Fn. 24. 5 Vgl. hierzu im Einzelnen Suck, UR 2013, 205. 6 EuGH v. 16.9.2008, C-288/07, Isle of wight council, ECLI:EU:C:2008:505,816, UR 2008, 816.

Heidner | 275

5.166

Kap. 5 Rz. 5.167 | Die juristische Person/Einrichtung des öffentlichen Rechts im UStR

5.167

§ 2b Abs. 4 UStG hat ursprünglich in Nr. 1–4 den Wortlaut des früheren § 2 Abs. 3 Nr. 2–5 UStG übernommen. Daher bleibt UStAE 2.11 Abs. 7–11 anwendbar1. Neu in § 2b UStG hinzugekommen ist lediglich § 2b Abs. 4 Nr. 5 UStG. Mit Wirkung vom 18.12.2019 wurden § 2b Abs. 4 Nr. 1 und 2 UStG aufgehoben2.

5.168

Damit verbleiben folgende Regelungen: 1. (weggefallen) 2. (weggefallen) 3. die Leistungen der Vermessungs- und Katasterbehörden bei der Wahrnehmung von Aufgaben der Landesvermessung und des Liegenschaftskatasters mit Ausnahme der Amtshilfe; 4. die Tätigkeit der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung, soweit Aufgaben der Marktordnung, der Vorratshaltung und der Nahrungsmittelhilfe wahrgenommen werden; 5. Tätigkeiten, die in Anhang I der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347 vom 11.12.2006, S. 1) in der jeweils gültigen Fassung genannt sind, sofern der Umfang dieser Tätigkeiten nicht unbedeutend ist.

5.169

Weggefallen ist § 2b Abs. 4 Nr. 1 UStG, der die Tätigkeit der Notare im Landesdienst und der Ratsschreiber im Land Baden-Württemberg der Umsatzsteuerbarkeit unterwarf, soweit Leistungen ausgeführt werden, für die nach der Bundesnotarordnung die Notare zuständig sind. Da die Aufgaben der Notare und Ratsschreiber in Baden-Württemberg nach der Änderung der Bundesnotarordnung zum 1.1.2018 auf die Amtsgerichte übergegangen sind, bestand kein Bedarf mehr für die Regelung in § 2b Abs. 4 Nr. 1 UStG.

5.170

Weggefallen ist auch § 2b Abs. 4 Nr. 2 UStG, welcher die Abgabe von Brillen und Brillenteilen einschließlich der Reparaturarbeiten durch Selbstabgabestellen der gesetzlichen Träger der Sozialversicherung betraf. Dieser Bestimmung war durch die Schließung der Selbstabgabestellen für Brillen und Brillenteile von gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung die Grundlage entzogen.

5.171

§ 2b Abs. 4 Nr. 3 UStG betrifft Leistungen der Vermessungs- und Katasterbehörden. Bei den steuerbaren Leistungen der Vermessungs- und Katasterbehörden geht es in erster Linie um hoheitliche Tätigkeiten, die ihrer Art nach auch von öffentlich bestellten Vermessungsingenieuren durchgeführt werden. Die Vorschrift beschränkt sich auf hoheitliche Vermessungen, deren Ergebnisse zur Fortführung des Liegenschaftskatasters bestimmt sind (Teilungsvermessungen, Grenzfeststellungen und Gebäudeeinmessungen). Nicht dazu gehören hoheitliche Leistungen, wie z.B. die Führung und Neueinrichtung des Liegenschaftskatasters3.

5.172

§ 2b Abs. 4 Nr. 4 UStG: Ebenso nicht ausgenommen von der Steuerpflicht ist die unternehmerische Tätigkeit der Bundesanstalt für landwirtschaftliche Marktordnung (BALM), soweit Aufgaben der Marktordnung, der Vorratshaltung und der Nahrungsmittelhilfe wahrgenommen werden. Die letztgenannte Einschränkung berücksichtigt die Übertragung der Aufgaben der BALM auf die neu gegründete Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (zur Entsorgung von Schweinen im Rahmen der Schweinepest vgl. BFH, V R 51/06, BStBl. II 2009, 213).

1 UStAE 2b.1 Abs. 1 i.V.m BMF v.16.12.2016, BStBl. I 2016, 1451 Rz. 56. 2 BGBl. 2019 I, 2451. 3 Vgl. UStAE 2.11 Abs. 7.

276 | Heidner

D. A bis Z | Rz. 5.178 Kap. 5

Steuerbar und in § 2b Abs. 4 Nr. 5 UStG erstmals genannt sind ungeachtet der Einschränkungen des § 2b Abs. 1 S. 1 UStG wirtschaftliche Tätigkeiten, die in Anhang I der MwStSystRL in der jeweils gültigen Fassung aufgeführt sind, sofern der Umfang dieser Tätigkeiten nicht unbedeutend ist. Die Vorschrift entspricht den Vorgaben des Art. 13 Abs. 1 UAbs. 3 MwStSystRL.

5.173

Dabei handelt es sich um das Telekommunikationswesen, die Lieferung von Wasser, Gas, Elektrizität und thermischer Energie, die Güterbeförderung, Hafen- und Flughafendienstleistungen; Personenbeförderung, die Lieferung von neuen Gegenständen zum Zwecke ihres Verkaufs, Umsätze der landwirtschaftlichen Interventionsstellen aus landwirtschaftlichen Erzeugnissen, die in Anwendung der Verordnungen über eine gemeinsame Marktorganisation für diese Erzeugnisse bewirkt werden, die Veranstaltung von Messen und Ausstellungen mit gewerblichem Charakter; die Lagerhaltung; Tätigkeiten gewerblicher Werbebüros, Tätigkeiten der Reisebüros, Umsätze von betriebseigenen Kantinen, Verkaufsstellen und Genossenschaften und ähnlichen Einrichtungen, Tätigkeiten der Rundfunk- und Fernsehanstalten, sofern sie nicht nach Artikel 132 Absatz 1 Buchstabe q UStG steuerbefreit sind.

5.174

Die Aufzählung lässt erkennen, dass diese Tätigkeiten in aller Regel ohnehin der Steuerpflicht unterliegen, weil sie nicht im Rahmen öffentlicher Gewalt erbracht werden oder aber – sofern doch – in Wettbewerb zu privaten Marktteilnehmern treten und daher der Steuerpflicht unterliegen müssen. Eine materiell-rechtliche Änderung ist mit der Aufnahme von § 2b Abs. 4 Nr. 5 UStG daher nicht verbunden1.

5.175

D. A bis Z 5.176

– Abwasserentsorgung Die Abwasserbeseitigung ist unter den allgemeinen Voraussetzungen des Art. 13 MwStSystRL hoheitlich. Das gilt auch dann, wenn sich die jPöR eines privaten Verwaltungshelfers bedient2. Das Legen von Hauswasseranschlüssen ist unternehmerisch (vgl. Rz. 472). Dasselbe gilt für den Bau der Entwässerungsanlagen, soweit die Abwasserentsorgung in den Formen des öffentlichen Rechts erfolgt und die Nichtbesteuerung der jPöR zu keinen größeren Wettbewerbsverzerrungen führt3.

5.177

– Aktiengesellschaft S. Juristische Personen des Privatrechts.

5.178

– Amtsblatt Das Amtsblatt einer Gemeinde ist ein Mittel hoheitlicher Tätigkeit, soweit keine Werbeleistungen an Inserenten erbracht werden4.

1 Vgl. BT-Drs. 18/6094, 92; Widmann MwStR 2015, 883, 888. 2 BFH v. 1.12.2010, XI R 28/08, DStR 2011, 1126 = HFR 2011, 897 mit Anm. Grube; v. 8.1.1998, V R 32/97 BStBl. II 1998, 410; v. 10.1.2002, V B 127/01, UR 2002, 372; v. 7.12.1999, I B 136/98, BFH/NV 2000, 894; Forster, UR 1999, 42; Küffner, BB 1999, 406; Frenz, ZHR 2002, 307; vgl. auch BT-Drucks. 16/12073, 12. 3 BFH v. 1.7.2004, V R 64/02, BFH/NV 2005, 252. 4 Treiber in Sölch/Ringleb, UStG, § 2 Rz. 400 „Amtsblatt“.

Heidner | 277

Kap. 5 Rz. 5.179 | Die juristische Person/Einrichtung des öffentlichen Rechts im UStR

5.179

– Amtshilfe gegen Kostenersatz erfordert die Unterscheidung, ob sie auf privatrechtlicher oder öffentlichrechtlicher Grundlage erfolgt. Demgegenüber wurde früher die Amtshilfe als Ausübung öffentlicher Gewalt angesehen, wenn mit ihr öffentlich-rechtliche Ziele verfolgt werden und der Leistungsempfänger kein Privatrechtssubjekt ist. Dementsprechend hat der BFH die Unterbringung von Bedürftigen in einem Waisenhaus und Altersheim einer Stadt im Auftrag und auf Kosten des Bezirksfürsorgeverbands als hoheitlich angesehen1. Hoheitlich ist jedenfalls die Amtshilfe der Vermessungs- und Katasterbehörden (§ 2 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 Halbsatz 2 UStG). Dient die Amtshilfe wirtschaftlichen Zielen, sollte eine wirtschaftliche Tätigkeit vorliegen. Ein anderer Gesichtspunkt, der eine wirtschaftliche Tätigkeit begründen soll, ist die Frage, ob die Dienstleistung auch von privaten Unternehmern ausgeführt wird (vgl. für Blutalkoholuntersuchungen des Rechtsmedizinischen Instituts einer Universität im Auftrag von Strafverfolgungsbehörden2); dies gilt jedenfalls dann, wenn die Nichtbesteuerung der jPöR zu größeren Wettbewerbsverzerrungen i.S.d. Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL führen würde. Mit dem Urteil V R 41/103 hat der BFH die entgeltliche Nutzungsüberlassung einer Halle durch eine Gemeinde an eine Nachbargemeinde für Zwecke des Schulsports als steuerbar und bei Fehlen besonderer Befreiungstatbestände als steuerpflichtig beurteilt und damit die überkommene Beurteilung von sog. Aufgegeben (vgl. Rz. 81).

5.180

– Anstalten Die rechtsfähigen Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts können selbständige Unternehmer sein. Nichtrechtsfähige Anstalten (Regiebetriebe) können die Unternehmereigenschaft des Rechtsträgers begründen.

5.181

– AOK S. Sozialversicherungen.

5.182

– Archive der jPöR sind Unternehmen mit i.d.R. nach § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG steuerfreien Umsätzen.

5.183

– Ärztekammer Tätigkeiten, die den Ärztekammern nicht als Träger öffentlicher Gewalt eigentümlich sind, erfolgen unternehmerisch. Hierzu gehört u.a. die Versicherungsvermittlung4. Nichtunternehmerisch ist die Tätigkeit einer Landesärztekammer bei der externen Qualitätssicherung eines Krankenhauses, wenn sie insoweit auf öffentlich-rechtlicher Grundlage handelt und ihre Behandlung als Nichtunternehmerin nicht zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde5.

5.184

– Auftragsforschung S. Hochschulen.

5.185

– Ausstellungen Die Veranstaltung von Messen und Ausstellungen mit gewerblichem Charakter durch jPöR ist unternehmerisch (Anhang I Nr. 8 zur MwStSystRL, Anhang D Nr. 8 zur 6. RL). 1 2 3 4 5

BFH v. 28.10.1954, V 86/53 S, BStBl. III 1954, 378. BFH v. 14.3.1990, I R 156/87, BStBl. II 1990, 866; v. 21.9.1989, V R 89/85, BStBl. II 1990, 95. BFH v. 10.11.2011, V R 41/10, BStBl. II 2017, 869. BFH v. 27.6.1990, I R 166/85, BFH/NV 1991, 628. BFH v. 10.2.2016, XI R 26/13, BStBl. II 2017, 857.

278 | Heidner

D. A bis Z | Rz. 5.192 Kap. 5

5.186

– Automatenaufstellung Gestattet eine Universität durch privatrechtlichen Vertrag das Aufstellen von Automaten gegen Entgelt, erbringt sie als Unternehmerin steuerbare und steuerpflichtige Leistungen1.

5.187

– Bäder S. Schwimmbad.

5.188

– Bahn Seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuordnung des Eisenbahnwesens am 1.1.19942 ist die Deutsche Bahn AG keine jPöR mehr, so dass sich das Problem schon deshalb nicht stellt. Im Übrigen ist die Personen- und Güterbeförderung grundsätzlich unternehmerisch (s. Versorgungsbetriebe und Anhang I Nr. 3 und 5 zur MwStSystRL). Die Deutsche Bundesbahn/Deutsche Reichsbahn hat deshalb auch früher bereits eine unternehmerische Tätigkeit ausgeübt (vgl. § 4 Nr. 6a UStG 1980–1993).

5.189

– Beistandsleistungen angesehen3.

zwischen jPöR hatte der BFH vor Inkrafttreten der 6. RL als nicht steuerbar Diese Beurteilung hat sich durch das BFH-Urteil vom v. 10.11.2011, V R 41/104 geändert. Danach liegen unternehmerische Leistungen selbst dann vor, wenn Beistandsleistungen zwar auf öffentlich-rechtlicher Grundlage, aber im Wettbewerb zu Leistungen Privater erbracht werden5. Der Gesetzgeber hat versucht, diesen Wettbewerb zu Leistungen Privater ab dem 1.1.2017 durch § 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG gesetzlich „wegzudefinieren“ (vgl. dazu § 2b UStG Rz. 83 ff.).

5.190

– Beliehener ist grundsätzlich

Unternehmer6.

5.191

– Berufsgenossenschaft S. Sozialversicherung.

5.192

– Berufskammern üben i.d.R. eine hoheitliche Tätigkeit aus (vgl. zu den Landwirtschaftskammern Stichwort: Landwirtschaftsverwaltung). Dies gilt auch bei einem Handeln aufgrund eines öffentlichrechtlichen Vertrags. Wirtschaftlich sind hingegen bereits nach KSt-Recht Tätigkeiten, die ihnen nicht als Träger öffentlicher Gewalt eigentümlich sind (so z.B. die Versicherungsvermittlung durch eine Ärztekammer BFH v. 27.6.1990, I R 166/85, BFH/NV 1991, 628, insoweit das Urt. des FG Münster v. 23.5.1985, IX 1078/84 KG, EFG 1986, 37 bestätigend; die Tätigkeit der Buchstelle einer Handwerkerinnung BFH v. 13.3.1991, I R 83/89, BStBl II 1991, 595; v. 18.8.1966 V 21/64, BStBl III 1967, 100). Insoweit kann ein Betrieb gewerblicher Art vorliegen. Auch die Überlassung von Urheberrechten durch eine Ärztekammer an einen Verlag, der für sie die Kammerzeitschrift herausgibt, ist eine wirtschaftliche Tätigkeit7. Wirtschaftlich 1 2 3 4 5 6 7

BFH v. 15.4.2010, V R 10/09, UR 2010, 646 mit Anm. Bollweg und Küffner. BGBl. I 1993, 2378. BFH v. 12.12.1968, V 213/65, BStBl. II 1969, 280; v. 8.7.1971, V R 1/68, BStBl. II 1972, 70. BFHE 235, 554, BStBl. II 2017, 869. BFH v. 10.11.2011, V R 41/10, DStR 2012, 348, zu Sport- und Freizeithalle. BFH v. 2.9.2010, V R 23/09, BFH/NV 2011, 458. Vgl. BFH v. 11.7.2012, XI R 11/11, DStR 2013, 33, zur Leistung des Verlags an die Ärztekammer.

Heidner | 279

Kap. 5 Rz. 5.192 | Die juristische Person/Einrichtung des öffentlichen Rechts im UStR

ist zwar auch die Tätigkeit der in § 5 Abs. 1 Nr. 8 KStG genannten Versicherungs- und Versorgungseinrichtungen, sie ist jedoch i.d.R. nach § 4 Nr. 10 UStG steuerfrei. Zur Industrie- und Handelskammer, s. dort.

5.193

– Bestattungswesen Vgl. Friedhofs- und Bestattungswesen.

5.194

– Blutalkoholuntersuchungen S. Untersuchungstätigkeit.

5.195

– Botanische Gärten der jPöR sind mit ihren entgeltlichen Leistungen Unternehmen mit i.d.R. steuerfreien Umsätzen (§ 4 Nr. 20 Buchst. a UStG).

5.196

– Büchereien der jPöR sind mit ihren entgeltlichen Leistungen Unternehmen mit i.d.R. steuerfreien Umsätzen (§ 4 Nr. 20 Buchst. a UStG).

5.197

– Chöre der jPöR sind Unternehmen mit i.d.R. steuerfreien Umsätzen (§ 4 Nr. 20 Buchst. a UStG).

5.198

– Denkmäler Denkmäler, für deren Besuch eine jPöR Eintrittsgelder erhebt, sind Unternehmen mit i.d.R. steuerfreien Umsätzen (§ 4 Nr. 20 Buchst. a UStG).

5.199

– Deutsche Bundesbahn S. Bahn.

5.200

– Deutsche Bundespost S. Post.

5.201

– Dorffest Die Veranstaltung eines Dorffestes ist unternehmerisch1.

5.202

– Drittmittelforschung S. Hochschulen.

5.203

– Eichbehörden Die messtechnische Kontrolle von (medizinischen) Messgeräten erfolgt unternehmerisch, weil sie auch von privaten Unternehmern durchgeführt werden kann und es andernfalls zu Wettbewerbsverzerrungen käme.

5.204

– Erschließung von Bauland Die öffentlich-rechtliche Erschließung von Bauland durch Kommunen erfolgt nach Ansicht des BMF im Rahmen eines Hoheitsbetriebs2. Das ist zweifelhaft, weil die Erschließung auch einem privaten Erschließungsträger übertragen werden kann3. 1 BFH v. 5.11.2014, XI R 42/12, DStRE 2015, 215, Rz. 17. 2 BMF v. 7.6.2012, BStBl. I 2012, 621. 3 Vgl. Treiber in Sölch/Ringleb; UStG, § 2 Rz. 400 „Erschließung“.

280 | Heidner

D. A bis Z | Rz. 5.211 Kap. 5

5.205

– Friedhofs- und Bestattungswesen Das BMF hat seine Auffassung zur Behandlung einzelner Probleme im Friedhofs- und Bestattungswesen in einem umfassenden Schreiben dargelegt1. Der Friedhofsbetrieb ist regelmäßig öffentlich-rechtlich mit einer Gebührenordnung geregelt und deshalb grundsätzlich nicht unternehmerisch2. Wegen des Wettbewerbs mit Privaten kommt jedoch für einzelne Leistungen auch eine unternehmerische Tätigkeit in Betracht3. Blumenverkäufe und Grabpflegeleistung wurden schon früher als wirtschaftliche, vom Hoheitsbetrieb abgrenzbare Tätigkeiten angesehen. Es gelten die allgemeinen Grundsätze. D.h. wird eine Leistung auf eröffnet, so dass zu prüfen ist, ob die Behandlung der jPöR privatrechtlicher Grundlage gegen Entgelt ausgeführt, liegt eine unternehmerische Tätigkeit nach § 2 Abs. 1 UStG vor. Werden Leistungen auf der Grundlage einer öffentlich-rechtlichen Satzung in öffentlichrechtlicher Handlungsform erbracht, ist grds. der Anwendungsbereich des § 2b Abs. 1 Satz 1 UStG als Nichtunternehmer zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde. Zur Überlassung von Feierhallen, Friedhofskapellen und Abschiedsräumen vgl. BMFSchreiben vom 23.11.20204.

5.206

– Genossenschaft Eine von Krankenkassen gebildete Genossenschaft (Arbeitsgemeinschaft i.S.v. § 219 SGB V) ist keine jPöR5.

5.207

– Glücksspiel Das von der öffentlichen Hand betriebene Glücksspiel (Toto, Lotto, Spielbanken) erfolgt unternehmerisch. Die Umsätze können unter den Voraussetzungen des § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG steuerfrei sein.

5.208

– GmbH S. juristische Person des Privatrechts und Rz. 5.23.

5.209

– Grundstücksverkäufe Nachhaltige Grundstücksverkäufe durch eine jPöR in den Formen des Privatrechts sind unternehmerisch6.

5.210

– Güterbeförderung S. Versorgungsbetriebe.

5.211

– Hafen S. Versorgungsbetriebe. 1 BMF v. 23.11.2020, BStBl. I 2020, 1335. 2 Vgl. BFH v. 8.5.1969, V R 7/66, BStBl. II 1969, 511; EuGH v. 17.10.1989, C-231/87 u. 129/88, Comune di Carpaneto Piacentino u.a., Slg. 1989, 3233; v. 15.5.1990, C-4/89, Comune di Carpaneto Piacentino u.a., Slg. 1990, I-1869. 3 Vgl. für Leichenverbrennung EuGH v. 8.6.2006, C-430/04, Feuerbestattungsverein Halle e.V., UR 2006, 459 mit Anm. Widmann; vgl. auch BFH v. 14.4.1983, V R 3/79, BStBl. II 1983, 491; dieselbe Klägerin betreffend wie BFH v. 2.7.1986, I R 38/80, BFH/NV 1987, 810; zu Grabpflegeleistungen von Kirchengemeinden gegen Einmalzahlungen BFH v. 21.6.2001, V R 80/99, DStR 2001, 1563. 4 BMF v. 23.11.2020, BStBl. I 2020, 1335. 5 BFH v. 23.4.2009, V R 5/07, DStRE 2009, 1324. 6 BFH v. 16.12.1992, V B 74/92, BFH/NV 1993, 696; BFH v. 1.7.2004, V R 64/02, BFH/NV 2005, 252; vgl. dazu auch Jäschke, DStR 2006, 1349.

Heidner | 281

Kap. 5 Rz. 5.212 | Die juristische Person/Einrichtung des öffentlichen Rechts im UStR

5.212

– Hochschulen Bei der Auftrags- und Drittmittelforschung von Hochschulen oder sonstigen Einrichtungen von jPöR ist zu prüfen, ob entgeltliche Umsätze (§ 1 UStG) vorliegen oder die Drittmittel echte Zuschüsse sind. Soweit Forschungsleistungen gegen Entgelt durchgeführt werden, dürfte die Forschungseinrichtung regelmäßig auf der Ebene des Privatrechts liegen und damit unternehmerisch tätig werden1. Bis zum 31.12.2003 bzw. 31.12.2004 (vgl. § 27 Abs. 10 UStG) kam Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 21a UStG in Betracht. Die Übernahme von Projektträgerschaften (Beaufsichtigung von Forschungsprojekten) durch Hochschulen im Auftrag des Bundes ist unternehmerisch (vgl. § 4 Nr. 21a UStG 1999). Zu den unterschiedlichen wirtschaftlichen Betätigungsformen von Hochschulen vgl. Strahl, FR 98, 761 und hier unter Auftrags- und Drittmittelforschung sowie unter Universität2.

5.213

– Industrie- und Handelskammer Die Herausgabe von Mitteilungsblättern, die Verleihung von Ehrenurkunden und die Abgabe von im Handel nicht erhältlichen Formularen ist nicht unternehmerische Tätigkeit der jPöR. Die Übertragung von Urheberrechten ist unternehmerisch3, ebenso die Vermietung von Parkplätzen durch eine IHK4.

5.214

– Jagdverpachtung ist unternehmerisch5. Zum Entgelt gehört auch eine neben der Pacht zu zahlende Wildverhütungspauschale6.

5.215

– Juristische Personen des Privatrechts

5.216

– Juristische Personen des Privatrechts sind grundsätzlich auch dann Unternehmer, wenn sie hoheitlich tätig sind. Ob dieser Grundsatz Allgemeingültigkeit beanspruchen kann, ist durch das EuGH-Urteil Saudacor fragwürdig geworden (vgl. hierzu Rz. 5.23 f., Rz. 5.57, Rz. 5.103).

5.217

– Kammermusikensembles der jPöR sind Unternehmen mit i.d.R. steuerfreien Umsätzen (§ 4 Nr. 20 Buchst. a UStG).

5.218

– Kindergärten Kindergärten sind jedenfalls Betriebe gewerblicher Art, wenn die Kinder aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags betreut werden7. Im Falle einer öffentlich-rechtlichen Rechtsgrundlage stellt sich die Frage, ob nicht eine Wettbewerbssituation zu privatrechtlich organisierten Kindergärten gegeben ist.

1 Vgl. FG Münster v. 7.12.2010, 15 K 3110/06 U, EFG 2011, 842, auch zur Anwendung des Regelsteuersatzes. 2 Zum Hochschulsport vgl. ausführlich Strahl, UR 2001, 277. 3 BFH v. 11.7.2012, XI R 11/11, DStR 2013, 33, betreffend Ärztekammer. 4 BFH v. 20.8.2009, V R 70/05, DStR 2009, 2308 = HFR 10, 48 mit Anm. Lange. 5 BFH v. 22.9.2005, V R 28/03, BStBl. II 2006, 280. 6 BGH v. 2.3.2006, III ZR 383/03, HFR 2006, 1157. 7 BFH v. 18.12.2003, V R 66/01, DStRE 2004, 985.

282 | Heidner

D. A bis Z | Rz. 5.223 Kap. 5

5.219

– Kläranlage Eine Kläranlage kann unter den Voraussetzungen des Art. 13 MwStSystRL (Art. 4 Abs. 5 der 6. RL) ein Hoheitsbetrieb sein1.

5.220

– Konzessionsabgaben Konzessionsabgaben, die Versorgungsbetriebe an Gemeinden für die Verlegung ihrer Leitungen in die öffentlichen Wege und die Gewährung des ausschließlichen Versorgungsrechts im Gebiet der jPöR bezahlen, begründen nach überkommener Rechtsprechung eine unternehmerische Tätigkeit der Gemeinden2. Das ist durch das EuGH-Urteil Lisboagas3, demzufolge eine Gemeinde bei der Vergabe von Konzessionen nicht als Steuerpflichtige handele, zweifelhaft geworden. Eine Konzessionsverpachtung ist nach BFH unternehmerisch, aber steuerfrei4. Vgl. auch BMF v. 5.8.2020, BStBl I 2020, 669.

5.221

– Kreishandwerkerschaften Die Kreishandwerkerschaften gelten mit der Ausübung der Geschäftsführung der Innungen hinsichtlich der Anwendung des § 2b UStG nicht als Unternehmer im Sinne des § 2 UStG5.

5.222

– Kurverwaltungen Kurverwaltungen von Gemeinden, die Kurtaxen und Kurförderungsabgaben erheben, sind nach herkömmlicher Meinung i.d.R. unternehmerisch tätig (BFH v. 1.10.1981 V R 34/ 76, UR 82, 32; anders aber möglicherweise nach Unionsrecht). Die Kurförderungsbeiträge (Fremdenverkehrsbeiträge A) sollen jedoch keine Leistungsentgelte sein (UStAE 2.11 Abs. 13 Satz 3). Die Bereitstellung von dem öffentlichen Verkehr gewidmeten Einrichtungen kann eine unternehmerische Tätigkeit sein, die zum Vorsteuerabzug berechtigt, wenn sie gegen Entgelt erfolgt (vgl. EuGH v. 22.10.2015 C-126/14, Sveda, DStR 15, 2442; FG München v. 23.6.2015 2 K 3104/12, EFG 15, 1998, zu Leistungen an einen Zweckverband). Dem öffentlichen Verkehr gewidmete Kurparks, Spazier- und Wanderwege sollen hingegen nicht dem Unternehmen zugeordnet werden können (BFH v. 26.4.1990 V R 166/84, BStBl II 90, 799; anders für nicht dem öffentlichen Verkehr gewidmete Parkanlagen und Parkbänke BFH v. 18.8.1988 V R 18/83, BStBl II 88, 971). Dies soll auch für die Strandpromenade gelten (BFH v. 11.6.1997 XI R 65/95, BStBl II 99, 420). Ob all dies noch heute zutrifft, ist in BFH v. 12.3.2014 XI B 97/13, BFH/NV 14, 1062, Rn 23, aus verfahrensrechtlichen Gründen (Doppelbegründung des FG) offen geblieben.

5.223

– Landwirtschaftskammern Landwirtschaftskammern sind jPöR. Die Forstaufsicht ist hoheitlich, auch wenn sie entgeltlich erfolgt. Ebenso ist die Vermittlung von Holzverkäufen unternehmerische Tätigkeit. Auch andere Stellen der Verwaltung können entgeltliche Leistungen als Hoheitsbetriebe erbringen (vgl. hier Stichwort: Viehmärkte; Streck/Alvermann, UStG, § 4 Anm. 75 Stich1 EuGH v. 2.6.2005, C-378/02, Waterschap Zeeuws Vlaanderen, IStR 2005, 528 mit Anm. Heinrichshofen. 2 RFHE 38, 301, 304; RFHE 51, 139; RFHE 51, 143; RFHE 52, 186; BFH v. 14.3.1957 V 206/56 U, BStBl. III 1957, 456; v. 22.2.1968, V R 165/66, BStBl. II 1968, 447. 3 EuGH v. 11.6.2015, C-256/14, Lisboagas, UR 2015, 510, 983 m. Anm. Klenk; kritisch Wäger, UR 2016, 125, 150 und Treiber in Sölch/Ringleb, UStG, § 2 Rn. 400 „Konzessionsabgaben“. 4 BFH v. 14.3.2012, XI R 8/10, BFH/NV 2012, 1667. 5 Abschn 2b.1 UStAE Abs. 4 in der Fassung v. 23.11.2020.

Heidner | 283

Kap. 5 Rz. 5.223 | Die juristische Person/Einrichtung des öffentlichen Rechts im UStR

wort: Bullenhaltung). Die Tätigkeit der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung ist unternehmerisch (§ 2b Abs. 4 Nr. 4 UStG; zuvor § 2 Abs. 3 Nr. 4 UStG).

5.224

– Leichen Zur Aufbewahrung von Leichen in Kühlräumen oder Kühlzellen vgl. BMF-Schreiben v. 23.11.20201.

5.225

– Lotsenbrüderschaft Die Lotsenbrüderschaft ist keine Unternehmerin2.

5.226

– Marktstandplätze Die Überlassung von Standplätzen durch eine Kommune an die Beschicker der Wochenund Kramplätze kann zivilrechtlich oder öffentlich-rechtlich erfolgen. Handelt sie auf privatrechtlicher Grundlage, ist sie Unternehmerin. Übt sie ihre Tätigkeit auf öffentlich-rechtlicher Grundlage, z.B. durch Verwaltungsakt aus, ist sie Unternehmerin, wenn eine Behandlung als Nichtunternehmer zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde3. Allerdings kann diese Vermietung unter den Voraussetzungen des § 4 Nr. 12 S. 1 UStG steuerfrei sein4. Die Gemeinde, die einen Marktplatz sowohl für eine steuerpflichtige wirtschaftliche Tätigkeit als auch als Straßenbaulastträger für hoheitliche Zwecke verwendet, ist aus den von ihr bezogenen Leistungen für die Sanierung des Marktplatzes zum anteiligen Vorsteuerabzug berechtigt5.

5.227

– Milchquotenverkaufsstellen Die in den einzelnen Ländern eingerichteten Milchquotenverkaufsstellen (Milchquotenbörse, Landesanstalt für Landwirtschaft) sind überwiegend Personen des öffentlichen Rechts. In Baden-Württemberg ist die Verkaufsstelle privatrechtlich organisiert. Nach der Rechtsprechung liegt bei Milchquotenverkaufsstellen, die als jPöR organisiert sind, keine unternehmerische Tätigkeit vor6.

5.228

– Museen Museen der jPöR sind i.d.R. Unternehmen mit steuerfreien Umsätzen (§ 4 Nr. 20 Buchst. a UStG).

5.229

– Notare Die Tätigkeit der Notare im Landesdienst Baden-Württemberg und der dortigen Ratsschreiber war nach altem Recht ausdrücklich unternehmerisch, soweit Leistungen ausgeführt wurden, für die nach der Bundesnotarordnung die Notare zuständig sind (§ 2 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 UStG a.F). Diese Regelung hat in § 2b Abs. 4 UStG keinen Eingang mehr gefunden; es gelten insoweit die allgemeinen Grundsätze. 1 BMF v. 23.11.2020, BStBl. I 2020, 1335. 2 Vgl. BFH v. 31.5.2017, XI R 39/14, BFH/NV 2017, 1330; v. 31.5.2017, XI R 40/14, BFHE 258, 495. 3 BFH v. 22.10.2009, V R 33/08, UR 2010, 368; v. 3.3.2011, V R 23/10, UR 2011, 617 mit Anm. Küffner = SteuK 2011, 328 mit Anm. Sterzinger = BB 2011, 2019 mit Anm. Widmann; vorgehend FG Sachsen v. 2.6.2010, 6 K 519/06, DStRE 2011, 448. 4 BFH v. 13.2.2014, V R 5/13, DStRE 2014, 806; vgl. auch EuGH v. 16.4.2015, C-42/14, Wojskowa Agencja Mieszkaniowa w Warszawie, ECLI:EU:C:2015:229, UR 2015, 427. 5 BFH v. 3.3.2011, V R 23/10, BFHE 233, 274, BStBl. II 2012, 74. 6 BFH v. 3.7.2008, V R 40/04, UR 2008, 775 = HFR 2008, 1158 mit Anm. Lange; EuGH v. 13.12.2007, C-408/06, Götz, Slg. 2007, I-11 295.

284 | Heidner

D. A bis Z | Rz. 5.233 Kap. 5

5.230

– Orchester Orchester der jPöR sind i.d.R. Unternehmen mit steuerfreien Umsätzen (§ 4 Nr. 20 Buchst. a).

5.231

– Parkplätze Bei der „Vermietung“ von Parkplätzen für das Abstellen von Fahrzeugen handelt es sich um eine Tätigkeit einer Einrichtung des öffentlichen Rechts i.S.v. Art. 13 MwStSystRL (Art. 4 Abs. 5 der 6. RL), wenn sie im Rahmen einer öffentlich-rechtlichen Sonderregelung erfolgt. Dies ist dann der Fall, wenn die Ausübung dieser Tätigkeit das Gebrauchmachen von hoheitlichen Befugnissen umfasst, insbesondere dann, wenn die Überschreitung der erlaubten Abstellzeit mit einer Geldbuße belegt werden kann1. Aber auch bei Vorliegen einer öffentlich-rechtlichen Sonderregelung ist zur Vermeidung größerer Wettbewerbsverzerrungen die Vermietung steuerpflichtig2. Dies gilt auch für Parkhäuser und Tiefgaragen3, sowie für bewachte Parkplätze4.

5.232

– Parkscheinautomaten Die Überlassung unselbständiger Parkbuchten auf öffentlich-rechtlich gewidmeten Straßen gegen Gebühren (Parkscheinautomaten) ist als hoheitliche Tätigkeit zur Ordnung des ruhenden Verkehrs nach § 2b UStG nicht umsatzsteuerbar5.

5.233

– Personalgestellung Die entgeltliche Personalgestellung einer jPöR (z.B. die Abordnung eines Beamten) durch eine jPöR an eine andere jPöR oder eine ähnliche Einrichtung, die hoheitliche Befugnisse hat (z.B. eine Euregio), kann Ausübung öffentlicher Gewalt i.S.d. Art. 13 MwStSystRL sein6. Ebenso kann auch eine Universität mit der Überlassung von Personal und Sachmitteln an ihre Bediensteten öffentlich-rechtlich und damit nichtunternehmerisch tätig werden. Sie ist jedoch Unternehmerin, wenn eine Behandlung als Nichtunternehmer zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde7. Andererseits ist die Gestellung von Lehrern durch eine Schule einer jPöR an eine Schule einer anderen jPöR oder sonstigen gemeinnützigen Einrichtung – soweit nicht hoheitlich – nach Maßgabe von Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL (Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der 6. RL) steuerfrei und damit unternehmerisch8. Keine entgeltliche Personalgestellung liegt jedoch vor, wenn die jPöR ein Werk bestellt und dabei dem Auftragnehmer eigenes Personal überlässt, um die Leistung des Auftragnehmers zu ermöglichen (sog. Personalbeistellung)9. 1 EuGH v. 14.12.2000, C-446/98, Facenda Pública, UVR 2001, 71 mit Anm. Wagner = UR 2001, 108 mit Anm. Widmann. 2 BFH v. 1.12.2011, V R 1/11, DStR 2012, 352, Änderung der Rechtsprechung; EuGH v. 16.9.2008, C-288/07, Isle of Wight Council u.a., UR 2008, 816 mit Anm. Küffner = HFR 2008, 1192 mit Anm. Klenk = IStR 2008, 734 mit Anm. Korf; EuGH v. 16.7.2009, C-554/07, Kommission/Irland, HFR 2009, 1149. 3 BFH v. 10.12.1992, V R 3/88, BStBl. II 93, 380; v. 1.12.2011, V R 1/11, DStR 2012, 352 mit Anm. Küffner/von Streit. 4 BFH v. 22.9.1976, I R 102/74, BStBl. II 1976, 793; v. 9.4.2003, X R 21/00, BStBl. II 2003, 520. 5 Abschn 2b.1 UStAE in der Fassung vom 23.11.2020. 6 EuGH v. 25.3.2010, C-79/09, Kommission/Niederlande, HFR 2009, 1149. 7 BFH v. 15.4.2010, V R 10/09, DStR 2010, 1280. 8 EuGH v. 14.6.2007, C-434/05, Horizon College, HFR 2007, 808; ähnlich für Personalgestellung an eine Person des privaten Rechts UStAE 2.11 Abs. 15 Beispiel 4. 9 BFH v. 6.12.2007, V R 42/06, BStBl. II 2009, 493.

Heidner | 285

Kap. 5 Rz. 5.233 | Die juristische Person/Einrichtung des öffentlichen Rechts im UStR

Die Stromerzeugung durch eine Photovoltaikanlage einer Kirchengemeinde ist – bei Überschreiten der Umsatzgrenzen des § 19 UStG- unternehmerisch (FG Nds v. 22.3.2010, 16 K 11 189/08, EFG 10, 1263; zur wirtschaftlichen Tätigkeit s. EuGH v. 20.6.2013, C-219/ 12, Finanzamt Freistadt Rohrbach Urfahr, DStRE 13, 1378).

5.234

– Post Seit dem 1.1.1995 sind die unmittelbar dem Postwesen dienenden Umsätze der Deutschen Post AG steuerfrei (§ 4 Nr. 11b UStG).

5.235

– Rechenzentrum Beistandsleistungen, die zwischen jPöR gegen Entgelt erbracht werden, sind regelmäßig steuerbar und bei Fehlen besonderer Befreiungstatbestände steuerpflichtig1.

5.236

– Rundfunkanstalten Nichtsteuerbar sind die Tätigkeiten der öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten, ausgenommen die Tätigkeiten mit gewerblichem Charakter (Anhang I Nr. 13, Art. 132 Abs. 1 Buchst. q MwStSystRL; Anhang D Nr. 13, Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. q der 6. RL). D.h. die Rundfunkbeiträge sind kein Entgelt, sondern als Einnahmen im Hoheitsbereich nichtsteuerbar2. Soweit inländische und ausländische Rundfunkanstalten untereinander entgeltliche sonstige Leistungen ausführen, sind diese Leistungen dem unternehmerischen Bereich der leistenden Rundfunkanstalt zuzuordnen3.

5.237

– Schwimmbad Bei öffentlichen Schwimmbädern können die jPöR das Benutzungsrecht öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich regeln. Unabhängig davon nimmt die h.M. einen Betrieb gewerblicher Art an. Errichtet die jPöR ein Schwimmbad, das von vorneherein sowohl dem Schulschwimmen als auch dem öffentlichen Badeverkehr dienen soll, können die gemischtgenutzten Gegenstände dem Unternehmen mit partiellem Vorsteuerabzug zugeordnet werden; ihre Verwendung für das Schulschwimmen begründet keinen steuerpflichtigen Eigenverbrauch. Zur Nutzungsüberlassung eines Schwimmbades durch eine Gemeinde an einen Dritten zwecks Fortführung des Betriebes durch diesen, vgl. BFH-Urteil vom 18.6.20094.

5.238

– Selbstversorgungsbetriebe Selbstversorgungsbetriebe (z.B. Bäckereien, Ziegeleien, Druckereien, Tankstellen, Kraftfahrzeugwerkstätten, zentrale Beschaffungsstellen), die überwiegend der Versorgung des Hoheitsbereichs der jPöR dienen, sind mit ihren Umsätzen an Dritte steuerpflichtig5.

5.239

– Sozialversicherungen Sozialversicherungen sind grundsätzlich hoheitlich tätig6. 1 BFH v. 10.11.2011, V R 41/10, UR 2012, 272 mit Anm. Küffner. 2 VG Freiburg im Breisgau v. 24.6.2015, 2 K 588/14, BeckRS 15, 48 726. 3 BFH v. 10.12.2009, XI R 62/06, BFHE 228, 447 = DStRE 2010, 441; UStAE 3 a.11 Abs. 3, 3 a.2 Abs. 15. 4 BFH v. 18.6.2009, V R 4/08, BStBl. II 2010, 310. 5 UStAE 2.11. Abs. 16. 6 So bereits für Berufsgenossenschaft BFH v. 20.10.1959, V 281/57 U, BStBl. III 1959, 490; für Krankenkasse BFH v. 31.7.2007, V B 44/06, UR 07, 936; FG Münster v. 14.12.2004, 15 K 5575/01 U, EFG 05, 815.

286 | Heidner

D. A bis Z | Rz. 5.247 Kap. 5

5.240

– Sporthalle Gestattet eine Gemeinde gegen Entgelt die Nutzung einer Sport- und Freizeithalle, ist sie als Unternehmer tätig, wenn sie ihre Leistung entweder auf zivilrechtlicher Grundlage oder – im Wettbewerb zu Privaten – auf öffentlich-rechtlicher Grundlage erbringt. Die entgeltliche Überlassung ist grundsätzlich steuerpflichtig und keine steuerfreie Vermietung1.

5.241

– Stiftungen des öffentlichen Rechts S. Anstalten des öffentlichen Rechts.

5.242

– Strafvollzugsanstalt Arbeitsbetriebe einer Strafvollzugsanstalt werden mit ihren entgeltlichen Leistungen an Private unternehmerisch tätig. Das folgt zum einen daraus, dass sie privatrechtlich tätig werden, und zum anderen daraus, dass sie in Wettbewerb mit anderen Anbietern treten.

5.243

– Straßenbenutzungsgebühren Straßenbenutzungsgebühren, die von einer jPöR erhoben werden, sind kein Entgelt für eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit. Dagegen ist die von Gesellschaften des Privatrechts erhobene Straßenmaut oder Brückenmaut Entgelt für eine steuerpflichtige Leistung2. Die Einräumung von Sondernutzungsrechten an öffentlichen Straßen ist regelmäßig hoheitlich3, kann aber zur Vermeidung von größeren Wettbewerbsverzerrungen gleichwohl unternehmerisch sein.

5.244

– Theater Theater sind Unternehmen mit steuerfreien Umsätzen (§ 4 Nr. 20 Buchst. a UStG).

5.245

– Tierparks Tierparks der jPöR sind i.d.R. Unternehmen mit steuerfreien Umsätzen (§ 4 Nr. 20 Buchst. a. UStG).

5.246

– UMTS-Lizenzen Keine wirtschaftliche Tätigkeit (Nutzung eines Gegenstands) ist die Versteigerung von UMTS-Lizenzen und ähnlichen Frequenznutzungsrechten4.

5.247

– Universität Die Aus- und Fortbildung gegen (öffentlich-rechtliche) Studiengebühren ist hoheitlich. Die Herausgabe und der (privatrechtliche) Verkauf von Fachbüchern und Zeitschriften ist unternehmerisch, ebenso die privatrechtliche Gestattung der Aufstellung von Automaten ge-

1 BFH v. 10.11.2011, V R 41/10, UR 2012, 272 mit Anm. Küffner; anders noch für Überlassung einer Mehrzweckhalle an Sportvereine zu Übungszwecken BFH v. 28.11.1991, V R 95/86, BStBl. II 1992, 569. 2 Vgl. EuGH v. 12.9.2000, C-260/98, Kommission/Griechenland, DB 2000, 2150; v. 12.9.2000, C408/97, Kommission/Niederlande, UR 2000, 527; v. 12.9.2000, C-276/97, Kommission/Frankreich, IStR 2000, 620; v. 12.9.2000 C-358/97, Kommission/Irland, Slg. 2000, I-6301; v. 12.9.2000, C-359/ 97, Kommission/Vereinigtes Königreich, UR 2000, 518; v. 12.6.2008, C-462/05, Kommission/Portugal, HFR 2008, 988 mit Anm. Klenk. 3 Vgl. für Strandpromenade BFH v. 110.6.1997, XI R 65/95, BStBl. II 1999, 420. 4 EuGH v. 26.6.2007, C-369/04, Hutchison 3G u.a., UR 2007, 613; EuGH v. 26.6.2007, C-284/04, TMobile Austria u.a., UR 2007, 607 mit Anm. Burgmaier.

Heidner | 287

Kap. 5 Rz. 5.247 | Die juristische Person/Einrichtung des öffentlichen Rechts im UStR

gen Entgelt1. Überlässt die Universität auf öffentlich-rechtlicher Grundlage Personal und Sachmittel gegen Entgelt, ist sie Unternehmer, wenn eine Behandlung als Nichtunternehmer zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde2.

5.248

– Vermögensverwaltung Ob Vermögenverwaltung i.S.d. § 14 AO vorliegt, spielt für die Frage der Unternehmereigenschaft (wirtschaftliche Tätigkeit) keine Rolle3.

5.249

– Versicherungs- und Versorgungseinrichtungen Öffentlich-rechtliche Versicherungs- und Versorgungseinrichtungen von Berufsgruppen (z.B. Ärzte, Apotheker und Notare) sind Betriebe gewerblicher Art (§ 5 Abs. 1 Nr. 8 KStG) mit i.d.R. nach § 4 Nr. 10 UStG steuerfreien Umsätzen.

5.250

– Versorgungsbetriebe Zu den Betrieben gewerblicher Art gehören auch Betriebe, die der Versorgung der Bevölkerung mit Wasser, Gas, Elektrizität oder Wärme, dem öffentlichen Verkehr oder dem Hafenbetrieb dienen4. Ein Versorgungsbetrieb liegt aber nur vor, soweit die allgemeinen Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 UStG, Art. 9 MwStSystRL vorliegen. Das BFH-Urteil vom 2.3.2011, XI R 65/07, BStBl. II 2017, 831 betrifft einen kommunalen Zweckverband, der eine Wasserversorgungsanlage zur Förderung und Abgabe von Trinkund Gebrauchswasser betreibt. Dieser ist bei richtlinienkonformer Auslegung des § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG i.V.m. § 4 Abs. 3 und 5 KStG Unternehmer. Die Wasserversorgung (EuGH C-442/05) der Bevölkerung durch die jPöR gehört zu den Versorgungsbetrieben (s. dort); es liegt eine steuerpflichtige Lieferung von Wasser vor (vgl. Art. 13 MwStSystRL, Anhang I Nr. 2 MwStSystRL und hier Rz 466). Dies gilt unbeschadet der körperschaftssteuerlichen Behandlung auch für die Wasserbesorgung durch die jPöR (BFH v. 2.3.2011, XI R 65/07, DStRE 11, 959 = HFR 11, 880 mit Anm. Rauch; vgl. auch für Lieferung von „Rohwasser“ durch Wasser- und Bodenverband an Wasserversorgungsverband FG Düsseldorf v. 14.2.1996, 5 K 595/90 U, EFG 96, 678 rkr.; UStAE 1.4 Abs. 4). Das Legen von Wasserleitungen (Lieferleitungen) und Hauswasseranschlüssen gegen Wasseranschlussbeiträge oder ähnliche Zahlungen ist ebenfalls umsatzsteuerpflichtig (vgl. Rz. 466). Das BFH-Urteil vom 2.3.2011, XI R 65/07, BStBl. II 2017, 831 betrifft die Unternehmereigenschaft eines kommunalen Zweckverbandes, der eine Wasserversorgungsanlage zur Förderung und Abgabe von Trink- und Gebrauchswasser betreibt.

5.251

– Wegenutzungsverträge Zu Wegenutzungsverträgen gemäß § 46 EnWG vgl. BMF v. 5.8.2020, BStBl. I 2020, 669.

5.252

– Zoologische Gärten S. Tierparks. 1 2 3 4

BFH v. 15.4.2010, V R 10/09, DStR 2010, 1280. BFH v. 15.4.2010, V R 10/09, DStR 2010, 1280. BFH v. 15.4.2010, V R 10/09, DStR 2010, 1280. BFH v. 14.3.2012, XI R 8/10, BFH/NV 2012, 1667, auch zur steuerfreien Vermietung des Stromnetzes gegen Konzessionsabgabe, zur Konzessionsabgabe s. auch dort; Anhang I Nr. 2 und 4 MwStSystRL; s. auch § 4 Abs. 3 KStG.

288 | Heidner

E. Fazit | Rz. 5.254 Kap. 5

E. Fazit Obwohl die Frage nach der Unternehmereigenschaft der öffentlichen Hand das Umsatzsteuerrecht bereits seit seinem Bestehen beschäftigt, ist sie auch heute noch nicht in allen Punkten befriedigend beantwortet. Daran ändert auch die Neuregelung über die juristischen Personen des öffentlichen Rechts in § 2b UStG nichts. Der Gesetzgeber ist zwar bestrebt gewesen, das Unionsrecht in dieser Frage im nationalen Recht umzusetzen. Es haben aber einzelne Regelungen Eingang in die Bestimmung gefunden, deren Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht zweifelhaft ist. Dieser Befund führt zu der Erkenntnis, dass auch im Hinblick auf Teile des § 2b UStG unklar ist, wie die Rechtsprechung, insbesondere die des EuGH, mit der Regelung umgehen wird.

5.253

Insbesondere § 2b Abs. 2 Nr. 1 und § 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG werden sich unionsrechtlich kaum halten lassen. Denn die dahinterstehende Idee, die Tatbestandsmerkmale des Art. 13 MwStSystRL durch nationale gesetzliche Regelungen ausfüllen zu wollen, steht im Widerspruch zur Rechtsprechung des EuGH. Der EuGH hat bereits ausdrücklich entschieden, dass es sich bei den Merkmalen des Art. 13 MwStSystRL um autonome Rechtsbegriffe des Unionsrechts handelt, die in der gesamten Europäischen Union unabhängig vom Recht der Mitgliedstaaten autonom und einheitlich auszulegen sind1. Für wie auch immer geartete nationale Definitionen dürfte daneben kein Raum sein. Zwar wird der BFH diese Regelungen angesichts ihres klaren Wortlautes nicht im Wege der richtlinienkonformen Auslegung kippen können, weil die Grenzen der Auslegung durch den Wortlaut der auszulegenden Norm bestimmt werden. Die Bestimmungen werden aber über kurz oder lang auf dem Prüfstand des EuGH landen. Da der EuGH über die autonomen Rechtsbegriffe des Unionsrechts eifersüchtig wacht, kann man eine ziemlich sichere Prognose wagen, wie eine entsprechende Vorlagefrage beantwortet werden wird.

5.254

1 EuGH-Urteil Saudaçor v. 29.10.2015, C-174/14, ECLI:EU:C:2015:733, Rz. 52–54.

Heidner | 289

290 | Heidner

Kapitel 6 Umsetzungsstrategien des § 2b UStG in der Verwaltung A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Wechselwirkungen zwischen § 2 Abs. 3 UStG und § 2b UStG . . . . C. Die allgemeine Interpretation des § 2b UStG durch die Verwaltung I. BMF v. 19.4.2016 – Änderung im Bereich der Unternehmereigenschaft von jPöR durch Art. 12 des Steueränderungsgesetzes 2015, Anwendung der Übergangsregelung des § 27 Abs. 22 UStG, Optionserklärungen . . . . . . . . . . II. BMF v. 16.12.2016 – Umsatzbesteuerung der Leistungen der öffentlichen Hand, Anwendungsfragen des § 2b UStG . . . . . . . . . . III. BMF v. 18.9.2019 – Einstufung einer juristischen Person des privaten Rechts als sonstige Einrichtung des öffentlichen Rechts im Sinne des Art. 13 MwStSystRL, EuGH Rs. C-174/14, Saudaçor . . 1. Einrichtung des öffentlichen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Im Rahmen der öffentlichen Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . 4. Allgemeine Hinweise . . . . . . . 5. Anwendungsregelung . . . . . . . 6. Auswirkungen für die Praxis . IV. BMF v. 14.11.2019 – Gesonderte Prüfung möglicher größerer Wettbewerbsverzerrungen bei § 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG . . . . . . . . D. Bestimmung der Wesentlichkeitsgrenze des § 2b Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. d UStG . . . . . . . . . . . . . . . E. Gesonderte Prüfung möglicher größerer Wettbewerbsverzerrungen bei § 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG . . F. Anstalt des öffentlichen Rechts im Anwendungsbereich des § 2b UStG – Leistungsbeziehungen zwischen einer AöR und ihrer Trägerkommune . . . . . . . . . . . . . .

6.1 6.4

6.13

6.16

6.26 6.29 6.30 6.31 6.32 6.33 6.34

6.36 6.39 6.43

6.45

G. Privatrechtliche Entgelte bei Leistungen der öffentlichen Hand unter Anschluss- und Benutzungszwang . . . . . . . . . . . . H. Konzessionsabgaben . . . . . . . . . . I. Wahrnehmung wesentlicher Teilaufgaben für eine andere jPöR in den Bereichen der Durchführung von hoheitlichen Aufgaben, z.B. Abwasserbeseitigung und Abfallentsorgung . . . . . . . . . J. Hoheitliche Hilfsgeschäfte – Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . K. Hilfsgeschäfte im Entsorgungssektor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . L. Steuerbefreiung für Kostenteilungsgemeinschaften (§ 4 Nr. 29 UStG) . . . . . . . . . . . . . M. Vor- und Nachteile einer (temporären) umsatzsteuerlichen Anrufungsauskunft für jPöR für Abgrenzungsfragen zum § 2b UStG N. Umsatzsteuerliche Organschaft/ Gruppenbesteuerung und Anstalten öffentlichen Rechts . . . O. Einzelsachverhalte, Einzelfragen I. Steuerliche Erfassung der jPöR hinsichtlich ihrer Betriebe gewerblicher Art sowie ihrer land- und forstwirtschaftlichen Betriebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Umsätze im Rahmen der Selbstnutzung und der Verpachtung von Jagdbezirken . . . . . . . . . . . . . III. Jagdgenossenschaften . . . . . . . . . IV. Kooperationen zwischen Universitätskliniken und Medizinischen Fakultäten . . . . . . . . . . . . 1. Überlassung von Personal einer Medizinischen Fakultät an eine Universitätsklinik (und umgekehrt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verwaltungsleistungen im Bereich der Personal- und Wirtschaftsverwaltung . . . . . . . . . .

6.48 6.56

6.61 6.62 6.65 6.70

6.76 6.78

6.79 6.89 6.92 6.93

6.94 6.95

Huschens | 291

Kap. 6 | Umsetzungsstrategien des § 2b UStG in der Verwaltung

V.

VI. VII.

VIII.

IX.

X.

XI. XII. XIII. XIV. XV. XVI. XVII.

3. Sachmittel- und Raumüberlassung . . . . . . . . . . . . . . Umsatzbesteuerung von Hochschulkooperationen und anderen Leistungen der öffentlichen Hand im Bereich der Wissenschaft . . . 1. Hochschulkooperationen . . . 2. Studiengebühren . . . . . . . . . . 3. Gemeinsame Berufungen . . . 4. Studierendenwerke . . . . . . . . Geschäftsführungsleistungen der Kreishandwerkerschaften für Innungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Steuerliche Beurteilung der Entsorgung von Abfall aus anderen Herkunftsbereichen als privaten Haushalten sowie der Tätigkeiten im Zusammenhang mit dem Dualen System durch jPöR Entgeltliche Personalüberlassung durch jPöR, Überleitungsregelung in Umstrukturierungsfällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Behandlung der Personalüberlassung an einen Gemeindeverwaltungsverband unter Anwendung des § 2b UStG . . . . . . . Wettbewerb bei Leistungen der Gerichte bzw. Notare/Gerichtsvollzieher unter Anwendung des § 2b UStG . . . . . . . . . . . . . . . Umsatzbesteuerung von Gutachterausschüssen für Grundstückswerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anwendungsfragen zu § 2b UStG im Zusammenhang mit Freikirchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Parlamentarische Fraktionen als jPöR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wettbewerb von jPöR mit Notaren und anderen beliehenen Unternehmern . . . . . . . . . . . Anwendung des § 2b UStG bei der Vollstreckung und beim Verkauf eingezogener Gegenstände . Interkommunale Rechenzentren/ Callcenter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kommunale gemeinsame Einrichtungen zur Beihilfe-, Besoldungs- und Gehaltsabrechnung .

292 | Huschens

6.96

6.97 6.98 6.100 6.101 6.106 6.107

6.108

6.109

6.114

6.115 6.116 6.119 6.120 6.121 6.125 6.128 6.129

XVIII. Leistungen einer Kommune an deren Rats- oder Kreistagsfraktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIX. Tierkörperbeseitigung durch Beliehene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XX. Steuerbarkeit der Landesprämierungen für Wein und Sekt durch Landwirtschaftskammern . . . . . XXI. Kooperationsvereinbarungen zwischen Sparkassen und öffentlich-rechtlichen Versorgungskassen . . . . . . . . . . . . . . . . . XXII. Park- und Sondernutzungsgebühren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXIII. Sonstige Gebühren 1. Friedhofsgebühren . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . b) Grabnutzungsberechtigungen/Liegerecht/Recht zur Beisetzung . . . . . . . . . . . . . . c) Aufbewahrung von Leichen in Kühlräumen oder Kühlzellen sowie Benutzung von Feierhallen, Friedhofskapellen und Abschiedsräumen . aa) Feierhallen, Friedhofskapellen und Abschiedsräume . . . . . . . . . . . . . . bb) Aufbewahrung von Leichen in Kühlräumen oder Kühlzellen . . . . . . d) Bestattungsleistungen im Zusammenhang mit bereits bestehenden Grabstätten (z.B. Umbettungen, Abräumen von Gräbern, Nachbestattungen ohne Verlängerung des Nutzungsrechts) . e) Vertragliche Überlassung der Trägerschaft von Friedhof, Leichenhalle und Feierhalle durch kirchliche jPöR (Kirchengemeinden/ Kirchenstiftungen) an eine Kommune . . . . . . . . . . . . . . f) Nichtbeanstandungsregelung . . . . . . . . . . . . . . . 2. Feuerwehr-Gebühren . . . . . . 3. Gebühren der Betreuungsstelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Gerichtsgebühren . . . . . . . . .

6.135 6.136 6.137

6.138 6.139 6.141 6.143 6.144

6.147 6.148 6.149

6.150

6.151 6.153 6.154 6.155 6.156

A. Einführung | Rz. 6.1 Kap. 6

XXIV.

XXV.

XXVI.

XXVII. XXVIII.

XXIX. XXX.

5. Entgelte der Rettungsleitstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.157 6. Feldgeschworenengebühren . . 6.158 Tätigkeiten für kreisangehörige Gemeinden als Ausfluss der gesetzlich zugewiesenen Ausgleichs- und Ergänzungsaufgabe der Landkreise . . . . . . . . . . . . . . . 6.159 Ausgleichszahlungen für einen Kreis- oder Gemeindegrenzen überschreitenden öffentlichen Personennahverkehr . . . . . . . . . . 6.160 Ausgleichsbeträge nach BauGB von Grundstückseigentümern an die Kommune im Zusammenhang mit Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . 6.161 Verkauf von Feinstaubplaketten in den Zulassungsstellen . . . . . . . 6.162 Umsatzsteuerliche Behandlung kommunaler Wohnheime bei kurz- und auch längerfristiger Vermietung an Berufsschüler . . . 6.163 Umsatzsteuerliche Behandlung von amtsärztlichen Gutachten für Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.164 Gebühren für Erst- und Folgebelehrungen nach dem Infektionsschutzgesetz . . . . . . . . . . . . . 6.165

XXXI. Von öffentlichen Schulen vereinnahmte Kopiergelder . . . . 6.166 XXXII. Überlassung von Werbemobilen an soziale Institutionen, Sportvereine und Kommunen 6.167 XXXIII. Leistungsbeziehungen aufgrund § 22 Verpackungsgesetz 6.170 XXXIV. Veräußerung von Fundsachen und anderen unanbringbaren Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.175 XXXV. Verwertung von Vermögen, das einem Land durch Aneignung nach § 928 BGB oder durch Fiskalerbschaft nach § 1936 BGB zugefallen ist . . . 6.176 XXXVI. Verwertung von Sicherungsgut durch die Finanzämter bei Eintritt des Sicherungsfalls . . . . . 6.177 XXXVII. Errichtung und Unterhalt gemeinsamer Verkehrseinrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.178 XXXVIII. Übertragung eines Bauhofs mit befreiender Wirkung auf eine andere jPöR . . . . . . . . . . . 6.179 P. Vorsteuerabzug einer Kurortgemeinde aus den Kosten für die Errichtung und Unterhaltung von öffentlichen Kureinrichtungen . . 6.180 Q. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.181

A. Einführung Unionsrechtswidrigkeit § 2 Abs. 3 UStG. Die Umsatzbesteuerung der Leistungen der öffentlichen Hand nach dem alten nationalen Recht (§ 2 Abs. 3 UStG i.d.F. v. 31.12.2015) entsprach nicht vollständig den unionsrechtlichen Vorgaben. Wegen der Bindung an die Regelungen des Körperschaftsteuerrechts wurden z.B. sämtliche vermögensverwaltenden Tätigkeiten nicht umsatzbesteuert. Nach Art. 13 Abs. 2 MwStSystRL haben die Mitgliedstaaten zwar die Möglichkeit, bestimmte steuerfreie Tätigkeiten (z.B. Vermietung und Verpachtung von Grundstücken) als hoheitlich zu behandeln und damit nicht zu besteuern. Nach dem EuGH-Urteil vom 4.6.20091 bedarf es hierfür jedoch einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung, welche das deutsche Umsatzsteuerrecht nach der Feststellung des BFH2 nicht enthielt. Die Besteuerung der öffentlichen Hand musste daher, nicht zuletzt auch aufgrund der BFH-Rechtsprechung der vergangenen Jahre, neu geregelt werden und hierfür lag bei der öffentlichen Anhörung im Finanzausschuss am 29.6.2015 mit der Stellungnahme des Deutschen Städtetages und anderer

1 EuGH v. 4.6.2009 – C-102/08 – Salix, BFH/NV 2009, 1222. 2 BFH v. 20.8.2009 – V R 70/05, BFH/NV 2009, 2077.

Huschens | 293

6.1

Kap. 6 Rz. 6.1 | Umsetzungsstrategien des § 2b UStG in der Verwaltung

Verbände zu dieser Anhörung1 ein von der Staatssekretärs-Arbeitsgruppe der Finanzministerkonferenz im Jahr 2014 erarbeiteter Entwurf eines neuen § 2 b UStG zugrunde. Nach der Begründung dieses Entwurfs machte die BFH-Rechtsprechung es notwendig, die bestehende gesetzliche Regelung zu überarbeiten und an die Vorgaben in Art. 13 MwStSystRL anzupassen.

6.2

Durch Art. 12 Nr. 2 und 3 des Steueränderungsgesetz 20152 wurde – unter Aufhebung des bisherigen § 2 Abs. 3 UStG – ein neuer § 2b in das UStG eingefügt, der die Unternehmereigenschaft von jPöR und damit die Steuerbarkeit von deren Leistungen neu definiert bzw. festlegt, welche Leistungen von jPöR (und in welchem Umfang) als wirtschaftliche und damit der USt unterfallende Tätigkeiten anzusehen sind. Der neue § 2b UStG an sich gilt für Umsätze, die nach dem 31.12.2015 erbracht werden. Gleichzeitig wurde mit dem neuen § 27 Abs. 22 UStG eine Übergangsregelung zur weiteren Anwendbarkeit von § 2 Abs. 3 UStG (alt) bis 31.12.2016 bzw. bis 31.12.2020 und für eine Anwendung von § 2b UStG ab 1.1.2017 geschaffen. Die Übergangsregelung wurde schließlich in der Form von § 27 Abs. 22a UStG bis 31.12.2022 verlängert.3

6.3

Vgl. zur Rechtslage vor Inkrafttreten des § 2b UStG, zum Konflikt der alten Rechtslage mit dem Unionsrecht und zur Neueinführung des § 2b UStG im Einzelnen Heidner, Kapitel 5.

B. Wechselwirkungen zwischen § 2 Abs. 3 UStG und § 2b UStG 6.4

Übergangsregelung. Nach § 27 Abs. 22 Satz 1 UStG ist § 2 Abs. 3 UStG in der am 31.12.2015 geltenden Fassung auf Umsätze, die nach dem 31.12.2015 und vor dem 1.1.2017 ausgeführt werden, weiterhin anzuwenden. § 2b in der am 1.1.2016 geltenden Fassung ist nach § 27 Abs. 22 Satz 2 UStG auf Umsätze anzuwenden, die nach dem 31.12.2016 ausgeführt werden. Im Kalenderjahr 2016 galten die vorher bestehenden Regelungen somit weiter. Die Neuregelung des § 2b UStG war frühestens ab dem 1.1.2017 anzuwenden.

6.5

Optionserklärung. Nach § 27 Abs. 22 Satz 3 UStG konnte die jPöR dem Finanzamt gegenüber jedoch einmalig erklären, dass sie § 2 Abs. 3 UStG in der am 31.12.2015 geltenden Fassung für sämtliche nach dem 31.12.2016 und vor dem 1.1.2021 (verlängert bis vor dem 1.1.20234) ausgeführte Leistungen weiterhin anwendet. Die Erklärung nach § 27 Abs. 22 Satz 3 UStG (im Folgenden „Optionserklärung“) war durch die jPöR für sämtliche von ihr ausgeübte Tätigkeiten einheitlich abzugeben.5 Eine Beschränkung auf einzelne Tätigkeitsbereiche oder Leistungen war nicht zulässig. So konnte das Wahlrecht z.B. nicht nur für einzelne BgAs und auch nicht z.B. getrennt für die Bereiche der gewerblichen Tätigkeiten (BgA) und der Vermögensverwaltung ausgeübt werden. Hätte man solche sektoral eigenständigen Erklärungen zur Fortgeltung des § 2 Abs. 3 UStG zugelassen, wäre daraus eine nicht vom Gesetzeszweck gedeckte Begünstigung der öffentlichen Hand gefolgt, weil sie sich für einzelne unter1 Vgl. https://www.bundestag.de/blob/380188/2f0b48b1a8699879f24a72e3d592b3c6/06–dt-staedtetagdata.pdf. 2 StÄndG 2015 v. 2.11.2015, BGBl. I 2015, 1834. 3 Gesetz v. 19.6.2020, BGBl I 2020, 1385; vgl. auch FM Schl.-Holst. v. 3.7.2020 – VI 3510-S 7107001. 4 Einfügung Abs. 22a in § 27 UStG durch Art. 1 Nr. 2 des Gesetzes zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise (Corona-Steuerhilfegesetz) v. 19.6.2020, BGBl. I 2020, 1385. 5 BMF v. 19.4.2016, BStBl. I 2016, 481.

294 | Huschens

B. Wechselwirkungen zwischen § 2 Abs. 3 UStG und § 2b UStG | Rz. 6.7 Kap. 6

nehmerische Betätigungen gezielt Vorsteuerüberhänge hätte sichern können. Zudem hätte sich eine Besserstellung gegenüber der vorherigen Rechtslage ergeben, bei der eine Berufung auf die Besteuerung nach § 2 Abs. 3 UStG in dessen Auslegung durch die BFH-Rechtsprechung ebenfalls nur einheitlich für das gesamte Unternehmen erfolgen konnte. Die Abgabe einer Optionserklärung durch eine einzelne Organisationseinheit oder Einrichtung der juristischen Person des öffentlichen Rechts (z.B. Behörde, Dienststelle, Betrieb gewerblicher Art oder land- und forstwirtschaftlicher Betrieb) nur für ihren Bereich war nicht zulässig. Die Optionserklärung war spätestens bis zum 31.12.2016 abzugeben. Es handelte sich um eine nicht verlängerbare Ausschlussfrist. Notwendigkeit eines Übergangszeitraums. Nach der Gesetzesbegründung soll die Übergangsregelung gem. § 27 Abs. 22 UStG den Betroffenen einen geordneten Wechsel in das neue Besteuerungssystem ermöglichen. Sie enthält daher eine Übergangsregelung, die es den Betroffenen ermöglicht, die vorherige Rechtslage während eines (vorher) Fünfjahreszeitraums (jetzt Siebenjahreszeitraums) ab Inkrafttreten fortzuführen. Die Schaffung neuer, mehrjährig weiterbestehender Altfälle steht also im Gegensatz zum Willen des Gesetzgebers. Die Optionsmöglichkeit gab den betroffenen juristischen Personen des öffentlichen Rechts die Möglichkeit, zur Fortführung des bis 31.12.2016 anwendbaren Rechts für vor dem 1.1.2021 (jetzt vor dem 1.1.2023) ausgeführte Leistungen im Laufe des Jahres 2016 zu optieren. Das Gebrauchmachen von dieser Übergangsregelung verschaffte den juristischen Personen des öffentlichen Rechts zunächst einen Übergangszeitraum von bis zu 5 Jahren. Dieser war zwar grundsätzlich ausreichend bemessen, allerdings konnten durch die Finanzverwaltung einige wichtige Rechtsfragen zu § 2b UStG in dieser Zeit noch nicht endgültig geklärt werden. Dies war unter anderem dem Umstand geschuldet, dass die Europäische Kommission Zweifel an der Unionsrechtskonformität des § 2b UStG geäußert hatte. Gleichwohl sollte den Betroffenen ein geordneter Wechsel in das neue Besteuerungssystem ermöglicht werden. Deshalb hat der Gesetzgeber den Übergangszeitraum um zwei weitere Jahre verlängert. Diese gilt für alle juristischen Personen des öffentlichen Rechts, die eine Optionserklärung für den vollen Optionszeitraum von 5 Jahren abgegeben haben. Von der Verlängerung sind auch jene Steuerpflichtigen erfasst, die ihre Optionserklärung in Anlehnung an den Wortlaut des § 27 Abs. 22 Satz 3 UStG ausdrücklich für „vor dem 1.1.2021 ausgeführte Leistungen“ abgegeben haben. Soweit eine jPöR mit ihrer Erklärung ausnahmsweise keine länger mögliche Optionsdauer anstrebte, kann sie die Optionserklärung nach § 27 Abs. 22 Satz 6 UStG widerrufen. Nach § 27 Abs. 22a Satz 2 kann die Optionserklärung kann auch für Zeiträume nach dem 31.12.2020 nur mit Wirkung vom Beginn eines auf die Abgabe folgenden Kalenderjahres an widerrufen werden. Nach § 27 Abs. 22a Satz 3 UStG ist es (weiterhin) nicht zulässig, den Widerruf auf einzelne Tätigkeitsbereiche oder Leistungen zu beschränken.

6.6

Rückwirkende Berufbarkeit auf § 2 Abs. 3 UStG in der Auslegung durch die Finanzverwaltung. Kann eine jPöR, die sich auf die Auslegung des § 2 Abs. 3 UStG nach den Grundsätzen der BFH-Rechtsprechung berufen hat, wieder (rückwirkend) zur Anwendung dieser Vorschrift in der Auslegung durch die Finanzverwaltung zurückkehren?

6.7

Beispiel: Eine jPöR hat sich für Jahre vor 2017 auf die Anwendung des § 2 Abs. 3 UStG in der Auslegung durch die BFH-Rechtsprechung berufen. Der erste (älteste) Veranlagungszeitraum, für den die Berufung auf die BFH-Rechtsprechung erfolgt ist, ist verfahrensrechtlich nicht mehr änderbar. Die nachfolgenden, bereits veranlagten Jahre können noch geändert werden. Nunmehr hat die jPöR erkannt, dass in der Gesamtbetrachtung eine Umsatzbesteuerung nach § 2 Abs. 3 UStG in der Auslegung durch die Verwaltung doch günstiger gewesen wäre und möchte zu dieser Rechtslage zurückkehren.

Huschens | 295

Kap. 6 Rz. 6.7 | Umsetzungsstrategien des § 2b UStG in der Verwaltung

In diesem Zusammenhang werden folgende Fragen aufgeworfen: 1. Besteht nach einmal erfolgter Berufung auf die Besteuerung nach § 2 Abs. 3 UStG in der Auslegung durch die BFH-Rechtsprechung eine Bindung hieran für alle nachfolgenden Veranlagungszeiträume bis zum Übergang zur Besteuerung nach § 2b UStG? 2. Ist – falls Frage 1 zu verneinen ist – eine Rückkehr zur Auslegung des § 2 Abs. 3 UStG in Form der geltenden Verwaltungsauffassung möglich a) nur für künftige Veranlagungszeiträume oder b) auch (rückwirkend) für alle verfahrensrechtlich noch änderbaren Veranlagungszeiträume oder c) nur für Zeiträume ab 2017 unter der Voraussetzung, dass eine Optionserklärung nach § 27 Abs. 22 UStG abgegeben wird (quasi „neues Wahlrecht“ zur Anwendung des § 2 Abs. 3 UStG in Auslegung durch BFH oder Verwaltung im Zusammenhang mit der Optionsausübung)? 3. Ist innerhalb des Optionszeitraums von 2017 bis 2022 nur eine einheitliche Anwendung des § 2 Abs. 3 UStG zulässig (d.h. entweder Verwaltungsauffassung oder BFH-Rechtsprechung) oder auch eine – veranlagungszeitraumbezogene – unterschiedliche Anwendung des § 2 Abs. 3 UStG möglich (z.B. in 2017 bis 2018 Berufung auf BFH-Rechtsprechung und ab 2019 auf die Verwaltungsauffassung)? 4. Wird bei bisheriger Berufung auf die BFH-Rechtsprechung mit der Ausübung der Option nach § 27 Abs. 22 UStG die Anwendung des § 2 Abs. 3 UStG in der Auslegung durch die Verwaltung konkludent miterklärt (also quasi automatische Beendigung der Berufung)?

6.8

Hierzu können folgende Erwägungen angestellt werden: Nach der BFH-Rechtsprechung1 können selbst gesetzliche Wahlrechte – soweit im Gesetz keine kürzere Frist bestimmt ist – ausgeübt werden, solange die Steuerfestsetzung für das Jahr der Leistungserbringung anfechtbar oder aufgrund eines Vorbehalts der Nachprüfung gemäß § 164 AO noch änderbar ist. Für die Berufung des Steuerpflichtigen auf eine für ihn günstigere BFH-Rechtsprechung bzw. auf eine nach wie vor geltende Verwaltungsanweisung im Umsatzsteuer-Anwendungserlass gibt es keine solchen einschränkenden Regelungen. Dem Steuerpflichtigen kann nach einmal erfolgter Berufung auf die BFH-Rechtsprechung nicht entgegengehalten werden, er habe den Vertrauensschutz in die Auslegung des § 2 Abs. 3 UStG lt. Verwaltungsauffassung verloren, denn die Berufung auf eine nach wie vor aktuelle Verwaltungsanweisung ist keine Frage des Vertrauensschutzes; die Verwaltung muss diese so lange gegen sich geltend lassen, bis sie aufgehoben wird.

6.9

Maßgebend ist damit alleine der Grundsatz der Abschnittsbesteuerung. Nach diesem kann sich die jPöR theoretisch für jeden Veranlagungszeitraum – auch rückwirkend bis zum Eintritt der materiellen Bestandskraft – für die Anwendung des § 2 Abs. 3 UStG entweder auf dessen Auslegung durch die Verwaltung oder durch die BFH-Rechtsprechung berufen (Die hieraus zu ziehenden Folgen für den erstmaligen Vorsteuerabzug in dem jeweiligen Veranlagungszeitraum bzw. nachfolgende Vorsteuerberichtigungen nach § 15a UStG sollen hier nicht betrachtet werden).

6.10

Damit ist wäre die obige Frage 1 zu verneinen und Frage 2 Buchst. b) zu bejahen; die Alternativen lt. den Buchst. a) und c) wären zu verneinen. 1 Vgl. BFH v. 19.12.2013 – V R 6/12 und 7/12, BStBl. II 2017, 837 und BStBl. II 2017, 841.

296 | Huschens

B. Wechselwirkungen zwischen § 2 Abs. 3 UStG und § 2b UStG | Rz. 6.12 Kap. 6

Bei Ausübung der Optionserklärung nach § 27 Abs. 22 UStG kann sich die jPöR nach der Verwaltungsauffassung1 auch noch innerhalb des Optionszeitraums für die Anwendung des § 2 Abs. 3 UStG auf dessen Auslegung lt. BFH-Rechtsprechung berufen. Die Optionserklärung wirkt sich insofern weder einschränkend noch erweiternd auf die Möglichkeit der Berufung auf die BFH-Rechtsprechung bzw. die spätere Rückkehr zur Auslegung des § 2 Abs. 3 UStG in Form der Verwaltungsauffassung aus. Damit wäre die obige Frage 3 dahingehend zu beantworten, dass auch innerhalb des Optionszeitraums eine abschnittsweise Berufung in Betracht kommt. Frage 4 wäre zu verneinen.

6.11

Bis zur Neuregelung der Besteuerung von jPöR durch § 2b UStG gewährte die Finanzverwaltung diesen das Recht, sich – entgegen dem Wortlaut des § 2 Abs. 3 UStG – einheitlich für das gesamte Unternehmen auf die Rechtsprechung des BFH2 zu berufen und ihre Umsätze der Besteuerung zu unterwerfen. Hat die jPöR von diesem Wahlrecht Gebrauch gemacht, konnte sie dennoch eine Optionserklärung gem. § 27 Abs. 22 UStG mit der Wirkung abgeben, dass für sie ab dem 1.1.2017 § 2 Abs. 3 UStG bis längstens 31.12.2022 anzuwenden ist. Nach einem Beschluss der Vertreter der obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder kann eine jPöR, die ihre Umsätze bis zum Übergang der Besteuerung nach § 2b UStG unter Berufung auf die o.g. BFH-Rechtsprechung der Umsatzsteuer unterwirft, wieder (und zwar auch rückwirkend für alle verfahrensrechtlich noch änderbaren Veranlagungszeiträume) zur Nichtbesteuerung aufgrund der Verwaltungsauffassung zurückkehren. Daraus ergibt sich folgende tabellarische Darstellung:3

6.12

Zeitraum

Bis 31.12.2016

1.1.2017 bis 31.12.2022

Grundsatz

Bisherige Besteuerungs- Gesetzliche Neuregelung (§ 2b UStG) systematik (§ 2 Abs. 3 UStG in der am 31.12. 2015 geltenden Fassung)

Gesetzliche Neuregelung (§ 2b UStG)

Optional

Eine Berufung auf die unionsrechtskonforme Auslegung des BFH zu § 2 Abs. 3 UStG ist bei einheitlicher Anwendung für das gesamte Unternehmen möglich.



Weiterführung der bisherigen Besteuerungssystematik des § 2 Abs. 3 UStG in der am 31.12.2015 geltenden Fassung (§ 27 Abs. 22, Abs. 22a UStG). Die Besteuerung erfolgt grundsätzlich nach der Verwaltungsauffassung. Eine Berufung auf die unionsrechtskonforme Auslegung des BFH zu § 2 Abs. 3 UStG ist bei einheitlicher Anwendung für das gesamte Unternehmen jedoch möglich.

Ab 1.1.2023

Sofern die jPöR unter Berufung auf die o.g. BFH-Rechtsprechung ihre Umsätze versteuert, steht ihr unter den weiteren Voraussetzungen des § 15 UStG der Vorsteuerabzug aus damit in Zusammenhang stehenden Eingangsleistungen zu. Begehrt die jPöR rückwirkend die Anwen1 Vgl. BMF v. 19.4.2016, BStBl. I 2016, 481. 2 § 2 Abs. 3 UStG unter Berücksichtigung von Art. 9 und 13 MwStSystRL ist richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass jede nachhaltige gegen Entgelt ausgeübte Tätigkeit auf privatrechtlicher Grundlage die Unternehmereigenschaft der jPöR begründet (BFH v. 20.8.2009 – V R 70/05, UR 2009, 884; DStR 2009, 2308). Gleiches gilt bei Tätigkeiten auf öffentlich-rechtlicher Grundlage, sofern eine Nichtbesteuerung zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde (BFH v. 10.11.2011 – V R 41/10, UR 2012, 272). 3 Vgl. OFD Karlsruhe v. 15.8.2018 – S 7107.

Huschens | 297

Kap. 6 Rz. 6.12 | Umsetzungsstrategien des § 2b UStG in der Verwaltung

dung des § 2 Abs. 3 UStG in der Auslegung durch die Finanzverwaltung, führt dies nicht nur zum Wegfall der Umsatzbesteuerung, sondern auch zu einer Versagung des Vorsteuerabzugs im Jahr des Leistungsbezugs.

C. Die allgemeine Interpretation des § 2b UStG durch die Verwaltung I. BMF v. 19.4.2016 – Änderung im Bereich der Unternehmereigenschaft von jPöR durch Art. 12 des Steueränderungsgesetzes 2015, Anwendung der Übergangsregelung des § 27 Abs. 22 UStG, Optionserklärungen 6.13

Optionserklärung. Die Finanzverwaltung hatte mit diesem Schreiben vorerst noch nicht grundsätzlich zur Anwendung der Neuregelung des § 2b UStG Stellung genommen, aber schon Hinweise zur Anwendung der Übergangsregelung des § 27 Abs. 22 UStG gegeben. Die Neuregelung des § 2b UStG ist frühestens auf Umsätze anzuwenden, die nach dem 31.12.2016 ausgeführt werden. Bis dahin ist in allen Fällen die Unternehmereigenschaft der jPöR nach § 2 Abs. 3 UStG zu beurteilen. Für Umsätze, die nach dem 31.12.2016, aber vor dem 1.1.2023 ausgeführt werden, kann durch Erklärung gegenüber dem zuständigen Finanzamt weiterhin die Regelung des § 2 Abs. 3 UStG angewendet werden. Mit dem BMF-Schreiben wurden die Rahmenbedingungen für die Erklärung zur Weiteranwendung des § 2 Abs. 3 UStG (sog. „Optionserklärung“) zusammengefasst: – Die Erklärung ist einheitlich für sämtliche von der jPöR ausgeübten Tätigkeiten abzugeben. – Die Erklärung ist bis spätestens zum 31.12.2016 abzugeben, dies ist eine nicht verlängerbare Ausschlussfrist. – Eine Beschränkung auf einzelne Leistungen oder einzelne Tätigkeitsbereiche ist nicht zulässig. – Eine Beschränkung auf einzelne Betriebe oder Organisationseinheiten der jPöR ist ebenfalls nicht zulässig. – Die Erklärung ist durch den gesetzlichen Vertreter oder einen Bevollmächtigten gegenüber dem nach § 21 AO zuständigen Finanzamt abzugeben. – Die Optionserklärung ist an keine bestimmte Form gebunden. Zum besseren Nachweis soll sie aber schriftlich abgegeben werden. Die Erklärung soll hinreichend deutlich machen, dass die jPöR die Altregelung des § 2 Abs. 3 UStG weiterhin anwenden möchte. – JPöR, die erst nach dem 31.12.2016 neu errichtet werden, können keine Optionserklärung abgeben, für diese jPöR kommt ausschließlich § 2b UStG zur Anwendung. – Im Falle der Gesamtrechtsnachfolge gilt die Optionserklärung auch für den Rechtsnachfolger. Bei einem Zusammenschluss mehrerer jPöR, die bis 31.12.2016 nicht einheitlich zur Anwendung der Altregelung optiert hatten, muss einheitlich erklärt werden, ob die Rechtsfolgen der Option gelten sollen oder nicht.

6.14

Widerruf der Optionserklärung. Die Abgabe der Optionserklärung ist unabhängig davon, ob sich die jPöR in der Vergangenheit auf die Rechtsprechung des BFH zur Unternehmereigenschaft berufen hatte oder nicht. Hat die jPöR die Optionserklärung abgegeben, ist sie nicht bis Ende 2022 daran gebunden. Sie kann jederzeit – allerdings immer nur mit Wirkung zum Beginn eines auf die Abgabe der Erklärung folgenden Kalenderjahrs – die Erklärung widerrufen. Der Widerruf muss hinreichend deutlich sein und sich auf die abgegebene Optionserklärung beziehen. Hat die jPöR die Optionserklärung für die Zukunft widerrufen, ist eine 298 | Huschens

C. Die allgemeine Interpretation des § 2b UStG durch die Verwaltung | Rz. 6.18 Kap. 6

erneute Option ausgeschlossen. Mit BMF-Schreiben v. 16.12.2016 (s. dazu unter II.) hat die Verwaltung das BMF-Schreiben v. 19.4.2016 konkretisiert. Wenn eine jPöR die Optionserklärung nach § 27 Abs. 22 UStG abgegeben hat, kann sie später die Erklärung nicht nur mit Wirkung für die folgenden Kalenderjahre widerrufen, sondern es soll auch ein rückwirkender Widerruf zum Beginn eines auf 2016 folgenden Kalenderjahrs grundsätzlich möglich sein, soweit noch keine materielle Bestandskraft eingetreten ist. Optionserklärung als Einzelfallabwägung. Die Neuregelung des § 2b UStG kann für die jPöR günstiger sein, soweit durch diese Regelung die Besteuerung der Beistandsleistungen unter den in § 2b Abs. 3 UStG genannten Voraussetzungen ausgeschlossen werden kann. Da aber die Vermögensverwaltung von jPöR unter der alten Anwendung des § 2 Abs. 3 UStG – entgegen der Rechtsprechung des BFH – in der Praxis nicht als eine unternehmerische Betätigung angesehen wurde, dies aber – soweit die Voraussetzungen des § 2b Abs. 2 UStG nicht erfüllt sind – aufgrund § 2b UStG zu einer unternehmerischen Betätigung führen kann, kann auch die Anwendung der alten Regelung des § 2 Abs. 3 UStG für die jPöR in der Übergangszeit vorteilhafter sein. Deshalb musste jeweils individuell geprüft werden, ob die Abgabe der Optionserklärung sinnvoll ist oder nicht. Grundsätzlich ist es für die jPöR positiv, dass sie sich für weitere 6 Jahre quasi die „Rosinen aus dem Kuchen picken“ können.

6.15

II. BMF v. 16.12.2016 – Umsatzbesteuerung der Leistungen der öffentlichen Hand, Anwendungsfragen des § 2b UStG Anwendungsgrundsätze des § 2b UStG. Mit diesem Schreiben hat die Verwaltung umfassend zu den Anwendungsgrundsätzen des § 2b UStG ab dem 1.1.2017 Stellung genommen. JPöR sind insbesondere Gebietskörperschaften, öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften, Innungen, Handwerkskammern, Industrie- und Handelskammern, staatliche Hochschulen und sonstige Gebilde, die aufgrund öffentlichen Rechts eigene Rechtspersönlichkeiten besitzen, z.B. Rundfunkanstalten des öffentlichen Rechts oder Universitätsklinika in der Rechtsform von Anstalten des öffentlichen Rechts. Dies gilt für ausländische jPöR analog. Besonderheiten bestehen für die jPöR dann, wenn sie im Rahmen der öffentlichen Gewalt tätig werden. Dies sind insbesondere Leistungen, bei denen die jPöR auf Grundlage einer öffentlich-rechtlichen Sonderregelung tätig wird (Gesetz, Rechtsverordnung, Satzung, Staatsvertrag, verfassungsrechtlichen Verträgen, Verwaltungsabkommen o.ä.). In diesen Fällen liegt regelmäßig keine unternehmerische Betätigung vor. Erbringt eine jPöR Leistungen in privatrechtlicher Handlungsform – unter gleichartigen rechtlichen Bedingungen wie private Wirtschaftsteilnehmer – unterliegen diese Leistungen den allgemeinen Regelungen der Umsatzsteuer (z.B. Betrieb eines Freibads durch eine Gemeinde).

6.16

Öffentlich-rechtliche Verträge. Beim Abschluss öffentlich-rechtlicher Verträge handelt die jPöR im Rahmen öffentlicher Gewalt. Ein Indiz für das Vorliegen eines öffentlich-rechtlichen Vertrags ist die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs. Ob eine Leistung dabei unter § 2b Abs. 1 UStG fällt, hängt von der zulässigerweise gewählten Handlungsform der entsprechenden Tätigkeit ab. Soweit ein Anschluss- oder Benutzungszwang besteht, ist regelmäßig davon auszugehen, dass die jPöR auf öffentlich-rechtlicher Grundlage tätig wird.

6.17

Hilfsgeschäfte. Hilfsgeschäfte (z.B. Verkauf von Anlagegegenständen, Überlassung von Fahrzeugen zur privaten Nutzung an das Personal) werden zwar auf privatrechtlicher Grundlage ausgeführt, führen aber isoliert betrachtet nicht zu einer unternehmerischen Betätigung der jPöR, wenn sie aus dem nichtunternehmerischen Bereich heraus ausgeführt werden.

6.18

Huschens | 299

Kap. 6 Rz. 6.19 | Umsetzungsstrategien des § 2b UStG in der Verwaltung

6.19

Begriff der größeren Wettbewerbsverzerrung. Breiten Raum nehmen die Ausführungen der Finanzverwaltung zur Frage ein, wann eine größere Wettbewerbsverzerrung vorliegt – größere Wettbewerbsverzerrungen führen regelmäßig zu einer unternehmerischen Betätigung auch der jPöR. Dabei ist zu unterscheiden, ob die jPöR Leistungen allgemein am Markt ausführt oder Leistungen gegenüber anderen jPöR zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben erbringt. Eine Wettbewerbsverzerrung kann nur dann vorliegen, wenn ein Wettbewerb besteht. Deshalb müssen vergleichbare Leistungen auch von privaten Unternehmern erbracht werden können. Vergleichbare Leistungen liegen dann vor, wenn sie aus der Sicht eines Durchschnittsverbrauchers dieselben Bedürfnisse befriedigen. Für die Beurteilung einer Wettbewerbssituation ist nicht nur der gegenwärtige, sondern auch der potenzielle Wettbewerb zu berücksichtigen. Der potenzielle Wettbewerb muss aber real sein und darf sich nicht nur rein hypothetisch sein.

6.20

Umsatzgrenze. § 2b Abs. 2 UStG definiert typisierend, wann eine größere Wettbewerbsverzerrung nicht vorliegt. Im Rahmen einer unwiderlegbaren Vermutung wird in § 2b Abs. 2 Nr. 1 UStG unterstellt, dass eine Nichtbesteuerung von gleichartigen Tätigkeiten bis zu einem Jahresumsatz von 17.500 EUR nicht zu einer größeren Wettbewerbsverzerrung führt. Zur Berechnung der Umsatzgrenze ist auf die gesamte jPöR abzustellen, allerdings jeweils auf die gleichartigen Tätigkeiten zu bezogen. Zur Beurteilung, ob „gleichartige Tätigkeiten“ vorliegen, ist aus der Sicht des Durchschnittsverbrauchers zu beurteilen, ob sie dieselben Bedürfnisse befriedigen. Die Umsatzgrenze von 17.500 EUR ist kein Wahlrecht für die jPöR. Ob die Grenze überschritten wird oder nicht, ist anhand einer sachgerechten Prognose zu Beginn des Kalenderjahrs zu ermitteln. Wird entgegen der Prognose die Umsatzgrenze überschritten, führt dies rückwirkend nicht zu einer anderen Beurteilung. Bei Neuaufnahme einer Tätigkeit ist der voraussichtliche Umsatz des laufenden Kalenderjahrs nicht in einen fiktiven Gesamtjahresumsatz hochzurechnen. Beispiel: Eine Gemeinde in den bayerischen Alpen hat einen Weg zu den örtlichen Almen ausgebaut. Von den Nutzern, soweit diese nicht Anlieger sind, verlangt sie eine Maut, die in einer entsprechenden Gemeindesatzung festgelegt wird. Die Mauteinnahmen betragen jährlich durchschnittlich 8.000 €. Weitere Mautstraßen hat die Gemeinde nicht. Die Gemeinde wird auf der Grundlage der gemeindlichen Satzung, d.h. im Rahmen der öffentlichen Gewalt tätig. Weitere gleichartige Tätigkeiten (= Erhebung einer Maut für eine Straßenbenutzung) liegen in der Gemeinde nicht vor. Da der voraussichtliche Umsatz den Betrag von 17.500 € nicht übersteigt ist davon auszugehen, dass keine größeren Wettbewerbsverzerrungen vorliegen. Die Einnahmen unterliegen daher nicht der Umsatzsteuer.

6.21

Steuerbefreiung einer Leistung. Eine weitere Situation, in der per Gesetz keine größere Wettbewerbsverzerrung vorliegt, ist nach § 2b Abs. 2 Nr. 2 UStG dann gegeben, wenn vergleichbare Leistungen privater Unternehmer aufgrund einer Steuerbefreiung ebenfalls nicht mit Umsatzsteuer belastet sind. Dies gilt aber nicht bei Leistungen, für die nach § 9 Abs. 1 UStG grundsätzlich ein Verzicht auf die Steuerbefreiung möglich ist. Nach Auffassung der Finanzverwaltung gilt dies aber unabhängig davon, ob die jPöR tatsächlich auf die Steuerbefreiung verzichtet oder ein Verzicht aufgrund der weiteren in § 9 Abs. 1–3 UStG genannten Voraussetzungen im konkreten Einzelfall ausgeschlossen ist.

6.22

Beistandsleistungen. Zur Abmilderung der sich aus der Rechtsprechung des BFH ergebenden Rechtsfolgen bei den sog. Beistandsleistungen ist nach § 2b Abs. 3 UStG unter bestimmten Voraussetzungen keine größere Wettbewerbsverzerrung bei vertikaler wie horizontaler Zusammenarbeit von jPöR bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben anzunehmen. Dies ist insbesondere dann gegeben, wenn die jPöR ihr vorbehaltene Aufgaben übernimmt, die nur von jPöR ausgeführt werden können bzw. deren Erbringung privaten Wirtschaftsteilnehmern gesetzlich verwehrt ist. Darunter fallen aber auch Leistungen, die jPöR aufgrund gesetzlicher Be300 | Huschens

C. Die allgemeine Interpretation des § 2b UStG durch die Verwaltung | Rz. 6.24 Kap. 6

stimmungen nur bei einer anderen jPöR nachfragen darf.1 Für die Anwendung der Regelung ist es dabei nicht entscheidend, in welchem Bereich die empfangende jPöR die bezogenen Leistungen verwendet. Für eine Anwendung des § 2b Abs. 3 Nr. 1 UStG müssen die gesetzlichen Grundlagen so gefasst sein, dass die von einer jPöR benötigte Leistung ausschließlich von einer anderen jPöR erbracht werden darf. Nicht ausreichend ist z.B. die gesetzliche Regelung eines allgemein gehaltenen Kooperationsgebots, das im Nachgang durch untergesetzliche Vereinbarungen oder die tatsächliche Verwaltungspraxis ausgefüllt wird. Von der Besteuerung ausgenommen sind Leistungen, die in dem jeweiligen Bundesland oder in der Bundesrepublik Deutschland auf jPöR beschränkt sind. Gesetzliche Bestimmungen sind dabei alle Gesetze und Rechtsverordnungen des Bundes- oder Landesrechts sowie die besondere Rechtssetzung der Kirchen2, nicht jedoch Bestimmungen, die von einer mit Satzungsautonomie ausgestatteten jPöR für ihren Bereich erlassen wurden (z.B. Sparkassensatzungen). Eine Zusammenarbeit von jPöR führt auch dann nicht zu größeren Wettbewerbsverzerrungen, wenn die Durchführung dieser Zusammenarbeit durch spezifische öffentliche Interessen bestimmt wird. Damit diese Voraussetzung erfüllt sein kann, müssen vier Bedingungen kumulativ erfüllt sein:

6.23

– Es muss eine langfristige öffentlich-rechtliche Vereinbarung vorliegen. Ob eine Vereinbarung langfristig ist, muss qualitativ geprüft werden und soll regelmäßig bei unbefristeten Vereinbarungen vorliegen. Bei befristeten Verträgen kann von Langfristigkeit ausgegangen werden, wenn sie für einen Zeitraum von mindestens 5 Jahren abgeschlossen werden. – Die Leistung muss dem Erhalt der öffentlichen Infrastruktur und der Wahrnehmung einer allen Beteiligten obliegenden öffentlichen Aufgabe dienen. Die öffentliche Infrastruktur umfasst dabei alle Einrichtungen materieller und institutioneller Art, die für die Ausübung öffentlicher Gewalt notwendig sind. Eine gemeinsame Aufgabenerfüllung liegt auch dann vor, wenn eine Aufgabe in Gänze auf die leistende jPöR übertragen wird. Leistungsvereinbarungen über lediglich verwaltungsunterstützende Hilfstätigkeiten (z.B. Gebäudereinigung) führen regelmäßig nicht zu einer Wahrnehmung einer allen Beteiligten obliegenden öffentlichen Aufgabe. – Die Leistung wird ausschließlich gegen Kostenerstattung ausgeführt: Die Zahlung der leistungsempfangenden jPöR darf nicht zu einem Finanztransfer führen, es dürfen nur die Kosten der leistungserbringenden jPöR erstattet werden. Für die Ermittlung der Kosten sind sowohl die fixen als auch die variablen Kosten heranzuziehen. Bei einer sachgerechten Ermittlung der Kosten können auch Pauschalkostensätze (z.B. für die Personalkosten) anerkannt werden. – Gleichartige Leistungen werden im Wesentlichen nur an jPöR ausgeführt: Nach Auffassung der Finanzverwaltung werden die Leistungen im Wesentlichen an jPöR ausgeführt, wenn in dem fraglichen Tätigkeitsbereich mehr als 80 % der Leistungen an andere jPöR ausgeführt werden. Dabei ist der durchschnittliche Gesamtumsatz der gleichartigen Tätigkeiten der letzten 3 Jahre heranzuziehen. Folgen für den Vorsteuerabzug. Das BMF-Schreiben macht auch Ausführungen zu dem Problem, das sich als Folge der Umstellung von § 2 Abs. 3 UStG auf § 2b UStG für den Vorsteuer1 Im Bereich der Kirchen müsste eine gesetzliche Regelung i.S. des § 2b Abs. 3 Nr. 1 UStG wohl in Form eines Kirchengesetzes auf Ebene einer Landeskirche bzw. (Erz-)Diözese ergehen. 2 So müsste ein Kirchengesetz z.B. regeln, dass eine bestimmte Leistung ausschließlich bei einer jPöR nachgefragt werden darf.

Huschens | 301

6.24

Kap. 6 Rz. 6.24 | Umsetzungsstrategien des § 2b UStG in der Verwaltung

abzug ergibt. Werden Leistungen bezogen, die nach den alten Regelungen dem nichtunternehmerischen Bereich zuzuordnen sind und werden sie später (auch) für unternehmerische, den Vorsteuerabzug nicht ausschließende Zwecke verwendet, kann unter den weiteren Bedingungen der Vorschrift eine Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG vorgenommen werden. Die Möglichkeit der Vorsteuerberichtigung gilt sowohl in den Fällen, in denen Leistungen vor dem 1.1.2017 bezogen wurden und dem nichtunternehmerischen Bereich zuzuordnen waren, wie auch in den Fällen, in denen die jPöR die Optionserklärung abgegeben hat und ab 2017 bezogene Leistungen dem nichtunternehmerischen Bereich zuordnet und dann bei Widerruf der Optionserklärung oder spätestens ab 2023 die bezogenen Leistungen für unternehmerische, nicht den Vorsteuerabzug ausschließende Zwecke verwenden sollte. Werden Leistungen noch unter der Altregelung des § 2 Abs. 3 UStG bezogen, die aber erst später unter Anwendung der Neuregelung des § 2b UStG für unternehmerische Zwecke, die den Vorsteuerabzug nicht ausschließen, verwendet werden sollen, ist schon sofort bei Leistungsbezug der Vorsteuerabzug möglich.

6.25

Es bleiben Fragen offen. Das BMF-Schreiben beantwortet sicher nicht alle Fragen in der Praxis. So kann z.B. streitig sein, ob die in § 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG enthaltene Aussage, dass Leistungen im Wesentlichen an andere jPöR ausgeführt werden müssen, um unter den weiteren Voraussetzungen zu nicht steuerbaren Leistungen zu führen, tatsächlich an einer „Unwesentlichkeitsgrenze“ von 20 % zu messen ist. Kernaussage des § 2b UStG ist, dass jPöR dann der Umsatzbesteuerung unterliegen, wenn die Nichtbesteuerung zu einer größeren Wettbewerbsverzerrung führen würde. Im Rahmen der typisierenden Festlegung ist u.a. in § 2b Abs. 2 Nr. 2 UStG geregelt, dass eine größere Wettbewerbsverzerrung nicht vorliegt, wenn vergleichbare, auf privatrechtlicher Grundlage erbrachte Leistungen ohne Recht auf Verzicht einer Steuerbefreiung unterliegen. Das BMF-Schreiben versteht dies so, dass alle Leistungen, die im Ausnahmekatalog des § 9 Abs. 1 UStG erfasst sind, von der Anwendung der Ausnahmeregelung ausgeschlossen sind. Dies soll auch dann gelten, wenn der Verzicht auf die Steuerbefreiung an den weiteren Voraussetzungen des § 9 Abs. 1–3 UStG scheitern würde. Insoweit könnte fraglich sein, ob dies der gesetzlichen Vorgabe und dem Sinn der Regelung entspricht. So würden auch Grundstücksvermietungsleistungen an Nichtunternehmer, die zwar im Optionskatalog des § 9 Abs. 1 UStG aufgenommen sind, aber wegen der weiteren Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 UStG (Leistung muss an einen Unternehmer für dessen Unternehmen ausgeführt werden) nicht zur Steuerpflicht führen können, in den unternehmerischen Bereich einzubeziehen sein. In der Folge könnten dann durch umfangreiche (steuerfreie) Vermietungsleistungen auch geringfügige, durch Option tatsächlich steuerpflichtig ausführbare Umsätze in die unternehmerische Betätigung einbezogen werden.1

III. BMF v. 18.9.2019 – Einstufung einer juristischen Person des privaten Rechts als sonstige Einrichtung des öffentlichen Rechts im Sinne des Art. 13 MwStSystRL, EuGH Rs. C-174/14, Saudaçor 6.26

Privatrechtliche Einrichtung mit öffentlichen Aufgaben. Der BFH hatte in seinem Beschluss v. 21.3.20182 entschieden, dass eine juristische Person des Privatrechts zwar unter weiteren Voraussetzungen eine Einrichtung des öffentlichen Rechts sein kann, aber eine Tätigkeit, die darin besteht, dass eine GmbH als juristische Person des Privatrechts aufgrund eines Vertrags zwischen ihr und einer Gemeinde bestimmte öffentliche Aufgaben wahrnimmt, nicht von der 1 Vgl. dazu Radeisen, Haufe USt, Kommentar zu dem BMF-Schreiben v. 16.12.2016. 2 XI B 113/17, BFH/NV 2018, 739.

302 | Huschens

C. Die allgemeine Interpretation des § 2b UStG durch die Verwaltung | Rz. 6.29 Kap. 6

in dieser Bestimmung vorgesehenen Regel der Behandlung als nicht mehrwertsteuerpflichtig erfasst wird.1 Eine Person, die [...] der öffentlichen Gewalt vorbehaltene Handlungen vornimmt, dies aber in Unabhängigkeit tut, ohne in die Organisation der öffentlichen Verwaltung eingegliedert zu sein, ist nicht als Einrichtung des öffentlichen Rechts anzusehen, so dass ihr die Bestimmung des Art. 13 MwStSystRL nicht zugutekommen kann. Aufgabenübertragung. Durch diese Entscheidungen ist nach Auffassung des BFH auch geklärt, dass alleine die Übertragung einer Aufgabe [...] nicht eine Eingliederung in die öffentliche Verwaltung bewirkt; denn die Eigenschaft als „Einrichtung des öffentlichen Rechts“ könne nicht allein dadurch begründet werden, dass die in Rede stehende Tätigkeit in der Vornahme von der öffentlichen Gewalt vorbehaltenen Handlungen besteht (vgl. EuGH-Urteil Saudaçor). Vielmehr müsse eine Eingliederung in die öffentliche Verwaltung ebenso bestehen. In seiner Entscheidung vom 2.12.20152 führt der BFH aus, dass der EuGH es im Urteil Saudaçor (C-174/14) für möglich gehalten habe, dass eine Aktiengesellschaft als Einrichtung des öffentlichen Rechts angesehen werden könne, für die Art. 13 Abs. 1 MwStSystRL gelte. Dies erfordere aber auch nach der Auffassung des EuGH, dass die Aktiengesellschaft „im Rahmen der öffentlichen Gewalt handelt“ (EuGH-Urteil Saudaçor, C-174/14, Rz. 69). Hierfür müssten Tätigkeiten vorliegen, die von den Einrichtungen des öffentlichen Rechts „im Rahmen der ihnen eigenen rechtlichen Regelung“ ausgeübt werden. Nicht dazu gehörten Tätigkeiten, die sie unter den gleichen rechtlichen Bedingungen ausüben wie private Wirtschaftsteilnehmer. Der EuGH habe auch klargestellt, dass der Gegenstand oder der Zweck der Tätigkeit insoweit unerheblich seien und dass die Tatsache, dass die Ausübung der in Rede stehenden Tätigkeit das Gebrauchmachen von hoheitlichen Befugnissen umfasse, die Feststellung erlaube, dass diese Tätigkeit einer öffentlich-rechtlichen Regelung unterliege (EuGH-Urteil Saudaçor, C-174/14, Rz. 70). Diese Voraussetzung sei nicht erfüllt, wenn die hoheitlichen Befugnisse, über die eine Aktiengesellschaft ggf. verfüge, kein Instrument seien, um die wirtschaftliche Tätigkeit auszuüben (EuGH-Urteil Saudaçor, C-174/14, Rz. 72).

6.27

Grundsätze. Die Verwaltung folgt mit dem BMF-Schreiben v. 18.9.20193 der EuGH- und BFH-Rechtsprechung und geht von folgenden Grundsätzen aus:

6.28

1. Einrichtung des öffentlichen Rechts Die juristische Person des privaten Rechts gilt als eine sonstige Einrichtung des öffentlichen Rechts i.S.d. Art. 13 MwStSystRL, wenn sie in die öffentliche Verwaltung eingegliedert ist. Die Eingliederung ergibt sich nicht allein aus der Vornahme von der öffentlichen Gewalt vorbehaltenen Handlungen. Für das Merkmal der Eingliederung in die öffentliche Verwaltung müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein: – Die juristische Person muss durch Bundes- oder Landesgesetz oder Rechtsverordnung errichtet worden sein. Darin muss die Eingliederung in die öffentliche Verwaltung sowie die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben durch Ausübung öffentlicher Gewalt geregelt sein. Soweit Einzelheiten in ergänzenden anderen öffentlich-rechtlichen Regelungen geregelt sind, ist dies unschädlich. Die juristische Person muss mit Aufgaben der öffentlichen Ver1 Vgl. EuGH-Urt. v. 29.10.2015 – C-174/14 – Saudaçor, HFR 2016, 85; v. 22.2.2018 – C-182/17 – Ntp. Nagyszénás, HFR 2018, 335. 2 V R 67/14, BStBl. II 2017, 560. 3 BStBl. I 2019, 921; die Grundsätze dieses Schreibens dürften auch auf kirchliche Einrichtungen entsprechend anwendbar sein.

Huschens | 303

6.29

Kap. 6 Rz. 6.29 | Umsetzungsstrategien des § 2b UStG in der Verwaltung

waltung beliehen sein und zur Ausübung dieser Aufgaben hoheitliche Befugnisse innehaben sowie der Aufsicht einer juristischen Person des öffentlichen Rechts unterstehen. – Die juristische Person steht zeitlich unbegrenzt im Eigentum einer einzelnen juristischen Person des öffentlichen Rechts, die durch verbindliche Leitlinien und ähnliche Maßnahmen einen bestimmenden Einfluss auf die juristische Person ausübt. Eine nur mittelbare Beteiligung reicht nicht aus. – Verträge zwischen der juristischen Person des privaten Rechts und der juristischen Person des öffentlichen Rechts müssen bezüglich der wesentlichen Rahmenbedingungen des Zusammenwirkens ausschließlich dem öffentlichen Recht zuzuordnen sein (öffentlich-rechtlicher Vertrag). – Die juristische Person muss sich im Vergleich zu sonstigen Privaten hinsichtlich ihrer Organisation und Arbeitsweise stärker an den gesetzlichen Vorgaben des öffentlichen Rechts orientieren. In diesem Rahmen muss das Privatrecht gegenüber den Regeln, die die rechtliche Verfassung der juristischen Person als öffentliches Unternehmen bestimmen, zweitrangig sein. – Die juristische Person muss ganz überwiegend aus Haushaltsmitteln der beteiligten juristischen Person des öffentlichen Rechts finanziert werden. Sie darf Leistungen im Wesentlichen (d.h. in der Regel zu mehr als 95 %) nur an die jPöR erbringen, die den bestimmenden Einfluss ausübt. Eine Finanzierung aus Haushaltsmitteln ist auch gegeben, wenn die juristische Person des privaten Rechts ihre Leistungen an die beherrschende jPöR, die annähernd ausschließlicher Leistungsempfänger ist, kostendeckend oder gar mit Gewinn erbringt und daher nicht auf Gesellschafterbeiträge oder Zuschüsse angewiesen ist.

2. Im Rahmen der öffentlichen Gewalt 6.30

Tätigkeiten im Rahmen der öffentlichen Gewalt liegen vor, wenn sie im Rahmen der ihnen eigenen rechtlichen Regelungen ausgeübt werden. Nicht dazu gehören Tätigkeiten, die unter den gleichen rechtlichen Bedingungen ausgeübt werden wie von privaten Wirtschaftsteilnehmern, d.h. durch privat-rechtliche Ausgestaltung der Leistungsbeziehungen.1 Die Tätigkeit muss das Gebrauchmachen von hoheitlichen Befugnissen mitumfassen. Alle wirtschaftlichen, d.h. unternehmerischen Tätigkeiten müssen eng mit der Ausübung hoheitlicher Befugnisse im Zusammenhang stehen. Die Einrichtung muss sich der hoheitlichen Befugnisse gerade für die für die Umsatzsteuer relevante Tätigkeit bedienen.

6.31

Kommt die zuständige Finanzbehörde zum Ergebnis, dass eine Berufung auf Art. 13 Abs. 1 Erster Unterabsatz MwStSystRL möglich ist, ist anschließend die Wettbewerbsprüfung nach § 2b Abs. 1 Satz 2 UStG vorzunehmen. Soweit § 2b UStG anwendbar ist, besteht kein Anspruch auf Abzug der Vorsteuerbeträge.

3. Rechtsfolgen

4. Allgemeine Hinweise 6.32

Bei der Prüfung ist zu beachten, dass § 2b UStG als Ausnahmevorschrift eng auszulegen ist. Entscheidend ist eine Gesamtbetrachtung im Einzelfall durch die zuständige Finanzbehörde. 1 Vgl. BMF-Schreiben v. 16.12.2016, BStBl. I 2016, 1451.

304 | Huschens

C. Die allgemeine Interpretation des § 2b UStG durch die Verwaltung | Rz. 6.36 Kap. 6

5. Anwendungsregelung Beruft sich eine jPöR für Zeiträume vor dem 1.1.2017 auf Art. 13 Abs. 1 Erster Unterabsatz MwStSystRL und erfüllt sie die Voraussetzungen einer Einrichtung des öffentlichen Rechts, sind die weiteren Voraussetzungen des Art. 13 MwStSystRL nach den Grundsätzen der Rechtsprechung des BFH zur Unternehmereigenschaft von jPöR in richtlinienkonformer Auslegung des § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG zu prüfen.1

6.33

6. Auswirkungen für die Praxis Abweichung von EuGH-Rechtsprechung. Für die Annahme einer Einrichtung des öffentlichen Rechts trotz privatrechtlicher Rechtsform ist erforderlich, dass sich die Anteile im Eigentum einer einzigen jPöR befinden. Denn bei mehreren Anteilseignern wird häufig keinem der Beteiligten ein bestimmender Einfluss auf die juristische Person möglich sein, wie er vom EuGH gefordert wird. Eine juristische Person soll nur dann in die öffentliche Verwaltung eingegliedert sein und als Einrichtung des öffentlichen Rechts anerkannt werden können, wenn die Leistungsbeziehungen zwischen der juristischen Person und ihrem Anteilseigner auf öffentlich-rechtlicher Grundlage erfolgen. Eine solche Anforderung hat der EuGH indes nicht gestellt. Er hält im Gegenteil eine Eingliederung der Saudaçor für möglich, obwohl diese aufgrund privatrechtlicher Programm-Verträge für die ARA tätig ist (vgl. Rz. 65 des EuGHUrteils). Dem Handeln auf öffentlich-rechtlicher oder privatrechtlicher Grundlage kommt jedoch Bedeutung für die Frage zu, ob eine Einrichtung des öffentlichen Rechts im Rahmen der öffentlichen Gewalt tätig ist.

6.34

Errichtung durch Bundes- oder Landesgesetz. Die in dem BMF-Schreiben geforderte Errichtung durch Bundes- oder Landesgesetz oder Rechtsverordnung dürfte nicht erforderlich sein. Der EuGH führt aus, dass eine organschaftliche Verbindung vorliegen muss, „sei es nur deshalb“, weil die privatrechtliche Gesellschaft durch Rechtsakt errichtet wurde. Die organschaftliche Verbindung kann hierdurch also geschaffen werden, ist aber nicht für die Begründung der Verbindung zwingend erforderlich. Eine organschaftliche Verbindung dürfte vielmehr auch dann gegeben sein, wenn die Entscheidungsträger in der Gesellschaft von der öffentlichen Hand entsandt werden, z.B. in Form beurlaubter Beamter. Nach dem BMF-Schreiben muss die juristische Person zeitlich unbegrenzt im Eigentum einer einzelnen jPöR stehen, die durch verbindliche Leitlinien und ähnliche Maßnahmen einen bestimmenden Einfluss auf die juristische Person ausübt. Eine nur mittelbare Beteiligung soll nicht ausreichend sein. Dies dürfte aber doch der Fall sein, wenn die privatrechtliche Zwischengesellschaft nach den Grundsätzen des EuGH-Urteils umsatzsteuerrechtlich als Einrichtung des öffentlichen Rechts zu behandeln ist.

6.35

IV. BMF v. 14.11.2019 – Gesonderte Prüfung möglicher größerer Wettbewerbsverzerrungen bei § 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG Problematik des § 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG. Mit BMF-Schreiben vom 16.12.20162 hatte die Verwaltung zu Anwendungsfragen des § 2b UStG Stellung genommen. In § 2b Abs. 3 UStG wird exemplarisch für Leistungen gegenüber anderen jPöRs aufgeführt, wann eine solche „größere Wettbewerbsverzerrung“ nicht vorliegt. Soweit Leistungen ausgeführt werden, die durch die Zusammenarbeit durch gemeinsame spezifische öffentliche Interessen bestimmt sind, führen 1 Vgl. BMF-Schreiben v. 27.7.2017, BStBl. I 2017, 1239. 2 BStBl. I 2016, 1451.

Huschens | 305

6.36

Kap. 6 Rz. 6.36 | Umsetzungsstrategien des § 2b UStG in der Verwaltung

diese unter in § 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG aufgeführten Bedingungen nicht zu einer größeren Wettbewerbsverzerrung. Nach Ergehen des BMF-Schreibens v. 16.12.2016 war die Frage der europarechtlichen Anforderungen an die Auslegung der Regelung des § 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG mit der EU-Kommission diskutiert worden. Im Lichte dieser Erörterungen führt das BMFSchreiben v. 14.11.20191 aus:

6.37

Regelbeispiel. Bei § 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG handelt es sich um ein Regelbeispiel. Sind dessen Voraussetzungen gegeben, besteht eine Vermutung, dass keine größeren Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten privater Dritter vorliegen. Um eine unionsrechtskonforme Anwendung des § 2b UStG sicherzustellen, ist es jedoch erforderlich, auch dann, wenn die Voraussetzungen des Regelbeispiels gegeben sind, in eine gesonderte Prüfung auf mögliche schädliche Wettbewerbsverzerrungen nach § 2b Abs. 1 Satz 2 UStG einzutreten.

6.38

Widerlegbarkeit der Regelvermutung. Maßstab hierfür sind die Ausführungen im BMFSchreiben vom 16.12.2016, Rz. 22 ff. Insbesondere ist zu prüfen, ob private Unternehmer potentiell in der Lage sind, vergleichbare Leistungen wie die öffentliche Hand zu erbringen. Ergibt sich unter Anwendung dieser Maßstäbe, dass die Nichtbesteuerung von Leistungen im Rahmen der Zusammenarbeit von juristischen Personen des öffentlichen Rechts zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde, ist die Regelvermutung des § 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG als widerlegt anzusehen. Bei Leistungsvereinbarungen über verwaltungsunterstützende Hilfstätigkeiten sind regelmäßig bereits die Voraussetzungen des § 2b Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchstabe b UStG nicht gegeben (s. Rz. 49 f. des BMF-Schreibens v. 16.12.2016). Sie erfüllen keine spezifisch öffentlichen Interessen, da sie ohne weiteres auch von privaten Unternehmern erbracht werden können. Im Rahmen der gesonderten Wettbewerbsprüfung nach § 2b Abs. 1 Satz 2 UStG scheiden diese Leistungen auf jeden Fall aus der Nichtsteuerbarkeit aus. Hierzu zählen Verträge, die auf die Gebäudereinigung, Grünpflegearbeiten, Neubau- und Sanierungsmaßnahmen an Straßen und Gebäuden sowie auf unterstützende IT-Dienstleistungen beschränkt sind. Kernaussage des BMF-Schreibens v. 14.11.2019 ist, dass es sich bei § 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG um ein Regelbeispiel handelt. Wenn die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind, besteht die Vermutung, dass keine größere Wettbewerbsverzerrung zulasten privater Dritter vorliegt. Zur unionsrechtskonformen Anwendung ist es aber erforderlich, eine gesonderte Prüfung auf mögliche Wettbewerbsverzerrungen nach § 2b Abs. 1 UStG vorzunehmen (vgl. dazu Abschnitt E Rz. 6.43). Können Leistungen, die jPöR ausführen – auch nur gegenüber anderen jPöR – zu einer größeren Wettbewerbsverzerrung führen, müssen sie sich denselben umsatzsteuerrechtlichen Regelungen stellen wie auch private Unternehmen. Die Klarstellung durch die Finanzverwaltung, dass insbesondere die Ausführung von den verwaltungstechnischen Hilfstätigkeiten nicht ohne Umsatzsteuer erfolgen kann, war hilfreich.

D. Bestimmung der Wesentlichkeitsgrenze des § 2b Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. d UStG 6.39

Wesentlichkeitsgrenze. Zur gesonderten Prüfung möglicher größerer Wettbewerbsverzerrungen bei § 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG allgemein vgl. Abschnitt C.IV Rz. 6.36. Nach Rz. 54 des BMFSchreibens v. 16.12.20162 ist § 2b Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. d UStG dahingehend auszulegen, dass die leistende jPöR in dem von der Zusammenarbeit erfassten Tätigkeitsbereich im We1 BStBl. I 2019, 1140. 2 BStBl. I 2016, 1451.

306 | Huschens

D. Wesentlichkeitsgrenze des § 2b Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. d UStG | Rz. 6.41 Kap. 6

sentlichen Leistungen für andere jPöR erbringen muss. Davon ist auszugehen, wenn die leistende jPöR in dem fraglichen Tätigkeitsbereich mehr als 80 % der Leistungen an andere jPöR erbringt. Beteiligt sich die leistende jPöR dagegen in einem Umfang von mehr als 20 % am freien Markt, besteht die reale und nicht nur hypothetische Möglichkeit des Auftretens größerer Wettbewerbsverzerrungen. Maßgeblich ist die Höhe der Umsätze. Zur Bestimmung des prozentualen Anteils ist der durchschnittliche Gesamtumsatz der gleichartigen Tätigkeiten der letzten drei Jahre heranzuziehen. Im eigenen Hoheitsbereich erbrachte (Innen-)Leistungen sind dabei nicht einzubeziehen. Schädliche Umsätze. Sofern Leistungen einer jPöR an eine andere jPöR aufgrund des Vorliegens von Wettbewerbsverzerrungen i.S.d. § 2b Abs. 1 Satz 2 UStG unternehmerisch sind, könnten diese bei der Prüfung der Wesentlichkeitsgrenze des § 2b Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. d UStG gleichartiger Tätigkeiten an andere jPöR als schädliche Umsätze anzusehen sein. Diese Situation kann bei Leistungen, die der Art nach grundsätzlich unter § 2b Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. b UStG subsumiert werden können, z.B. in folgenden Fällen auftreten:

6.40

– Gegenüber einem Leistungsempfänger wird die Tätigkeit auf öffentlich-rechtlicher Grundlage erbracht, weshalb eine Unternehmereigenschaft nach § 2b Abs. 1 Satz 1 UStG mangels Wettbewerbsverzerrungen nicht begründet wird, gegenüber einem anderen hingegen auf privat-rechtlicher Grundlage, weshalb der Anwendungsbereich des § 2b Abs. 1 Satz 1 UStG nicht eröffnet ist und eine Unternehmereigenschaft nach § 2 Abs. 1 UStG begründet wird. – Gegenüber einem Leistungsempfänger wird lediglich gegen Kostenerstattung abgerechnet, gegenüber einem anderen hingegen mit Gewinnaufschlag, so dass hier die Voraussetzung des § 2b Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. c UStG nicht erfüllt ist. – Die Leistung dient bei einem Leistungsempfänger einer Tätigkeit im Sinne des § 2b Abs. 4 UStG. Die der Umsatzsteuer unterliegenden Leistungen sind als wie am freien Markt erbracht anzusehen. Daher dürften diese Leistungen bei der Prüfung der Wesentlichkeitsgrenze des § 2b Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. d UStG – obwohl sie an jPöR erbracht werden – als schädliche Umsätze anzusehen sein. Müllverbrennung. Das Verbrennen von Hausmüll und hausmüllähnlichem Gewerbemüll zur Verwertung durch eine jPöR für eine jPöR einerseits und das Verbrennen von Gewerbemüll zur Verwertung durch die gleiche jPöR an Leistungsempfänger des privaten Rechts andererseits könnten ebenfalls gleichartige Tätigkeiten im Sinne des § 2b Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. d UStG i.V.m. Rz. 531 des BMF-Schreibens v. 16.12.20162 darstellen. Die Entsorgung von Müll aus privaten Haushaltungen und von Gewerbemüll im Rahmen einer Verwertung durch Verbrennen lässt sich in den meisten Fällen schematisch wie folgt darstellen, wenn der öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger keine eigene Müllverbrennungsanlage betreibt:

1 Danach ist der Begriff der Gleichartigkeit wie bei § 2b Abs. 2 Nr. 1 UStG aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers zu prüfen. 2 BStBl. I 2016, 1451.

Huschens | 307

6.41

Kap. 6 Rz. 6.41 | Umsetzungsstrategien des § 2b UStG in der Verwaltung

Mülleigentümer

Hausmüll/hausmüllähnlicher Gewerbemüll

Gewerbemüll

Übernahme des Mülls durch Entsorgungsträger gegen Gebühr öffentlich-rechtlicher Entsorgungsträger

Entsorgung des Mülls durch das Entsorgungsunternehmen gegen Gebühr

Übernahme der Entsorgung des Mülls durch das Entsorgungsunternehmen gegen Gebühr öffentlich-rechtliche Müllverbrennungsanlage (z.B. in Form eines Zweckverbandes)

6.42

Die Entsorgung des Mülls erfolgt dabei aufgrund der Abfallhierarchie des KrWG im Rahmen einer Verwertung durch Verbrennen. Somit besteht – anders als bei Hausmüll/hausmüllähnlichen Gewerbemüll – keine Überlassensverpflichtung an den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger. Die Leistung des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers an den Mülleigentümer von Hausmüll/hausmüllähnlichen Gewerbemüll gegen Gebühr stellt sich zwar als originäres hoheitliches Handeln, welches nicht auf private Wirtschaftsteilnehmer übertragen werden kann, ist aber dennoch nach § 2b Abs. 1 Satz 1 UStG unternehmerische Tätigkeit, wenn das Entgelt privatrechtlich vereinbart wird (vgl. Abschnitt C Rz. 6.16). Die Leistung der öffentlich-rechtlichen Müllverbrennungsanlage an den Mülleigentümer von Gewerbemüll stellt eine unternehmerische Tätigkeit im Sinne des § 2 Abs. 1 UStG dar und unterliegt daher der Umsatzsteuer. § 2b Abs. 1 Satz 1 UStG ist aufgrund von Wettbewerbsverzerrungen zu privaten Wirtschaftsteilnehmern im Sinne des § 2b Abs. 1 Satz 2 UStG nicht einschlägig. Die Leistung der öffentlich-rechtlichen Müllverbrennungsanlage an den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger kann dem Grunde nach unter § 2b Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. b UStG subsumiert werden. Die Voraussetzungen des § 2b Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a und c UStG sind gestaltbar. Fraglich ist nun bei der Prüfung des § 2b Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. d UStG, ob diese Leistung gleichartig ist mit der Leistung an den Eigentümer von Gewerbemüll. Dies könnte zu bejahen sein, so dass der durchschnittliche Gesamtumsatz der letzten drei Jahre des öffentlich-rechtliche Entsorgungsunternehmens zu maximal 20 % aus Entsorgungsleistungen an Eigentümer von Gewerbemüll erbracht werden dürfen, damit diese die Leistungen an die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger nicht mit der Unternehmereigenschaft infizieren. Hinzuweisen ist, dass diese Fragestellung nur bei der Verwertung von Gewerbemüll besteht. Bei einer Beseitigung von Gewerbemüll besteht auch – wie beim Hausmüll/gewerbeähnlichem Hausmüll – eine Überlassensverpflichtung an den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger.

308 | Huschens

E. Gesonderte Prüfung Wettbewerbsverzerrungen bei § 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG | Rz. 6.43 Kap. 6

E. Gesonderte Prüfung möglicher größerer Wettbewerbsverzerrungen bei § 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG Prüfung des § 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG. Die EU-Kommission hatte in einem sog. Pilotverfahren (Vorstufe zum Vertragsverletzungsverfahren) Bedenken gegen die Vorschrift des § 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG geäußert. Der BMF hat gegenüber der EU-Kommission klargestellt, dass es sich bei § 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG um ein widerlegbares Regelbeispiel handelt. Zur Umsetzung dieses Verständnisses war das BMF-Schreiben v. 14.11.20191 ergangen. Danach kann § 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG für sich eine Wettbewerbsverzerrung nicht ausschließen. Es ist stets eine zusätzliche Wettbewerbsprüfung i.S.d. § 2b Abs. 1 Satz 2 UStG vorzunehmen. In der Prüfungssystematik führt dies dazu, dass unabhängig vom Ergebnis der Prüfung des § 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG eine weitere Wettbewerbsprüfung i.S.d. § 2b Abs. 1 Satz 2 UStG notwendig ist. Die Prüfung des § 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG kann daher nach Auffassung der Verwaltung unterbleiben.2 Dies ergibt sich auch aus dem nachfolgenden Prüfungsschema:3

1 BStBl. I 2019, 1140. 2 Vgl. LfSt Nds. v. 20.12.2019 – S 7107-25-St 171. 3 Nach LfSt Nds. v. 20.12.2019 – S 7107-25-St 171.

Huschens | 309

6.43

Kap. 6 Rz. 6.44 | Umsetzungsstrategien des § 2b UStG in der Verwaltung

6.44

Unternehmereigenschaft einer jPöR – Prüfungsschema (jede Tätigkeit ist gesondert zu prüfen) 1. Erfüllt die Tätigkeit der jPöR alle Merkmale des Unternehmerbegriffs nach § 2 Abs. 1 UStG? (Übt die jPöR ihre Tätigkeit nachhaltig (d.h. wiederholt und planmäßig wie ein typischer Unternehmer in der gleichen Branche) und zur Erzielung von Einnahmen (im Wege des Leistungsaustauschs) aus?)

JPöR ist kein Unternehmer i.S.v. §§ 2 und 2b UStG

nein

ja 2. Übt die jPöR ihre Tätigkeit auf privatrechtlicher Grundlage aus? (Übt die jPöR ihre Tätigkeit im Rahmen eines privatrechtlichen Vertrags und damit unter den gleichen Bedingungen wie andere Wirtschaftsteilnehmer aus?)

nein

JPöR ist mit ihrer Tätigkeit im Rahmen öffentlicher Gewalt, d.h. auf öffentlich-rechtlicher Grundlage (z.B. aufgrund eines Gesetzes oder einer Satzung durch Verwaltungsakt) tätig, sodass die Einschränkung des § 2b UStG zu prüfen ist.

3. Ist die Tätigkeit im Katalog des § 2b Abs. 4 UStG aufgelistet?

ja

nein

(Tätigkeit unterliegt nicht der USt)

4. Beträgt der voraussichtliche Jahresumsatz der jPöR aus gleichartigen Tätigkeiten nicht mehr als 17.500 €? (§ 2b Abs. 2 Nr. 1 UStG)

ja

nein

nein

6. Wird die Tätigkeit gegenüber einer anderen jPöR ausgeführt? (§ 2b Abs. 3 UStG)

ja

5. Wäre die Tätigkeit bei einem privaten Unternehmer steuerfrei ohne Optionsmöglichkeit nach § 9 UStG? (§ 2b Abs. 2 Nr. 2 UStG)

ja

7. Darf die Tätigkeit aufgrund gesetzlicher Bestimmungen nur von einer anderen jPöR ausgeführt werden? (§ 2b Abs. 3 Nr. 1 UStG)

ja

nein 8. Ist die Zusammenarbeit durch gemeinsame spezifische öffentliche Interessen bestimmt, so dass nach der EU-Vergabe-Richtlinie und der EuGH-Rechtsprechung zum Vergaberecht keine größeren Wettbewerbsverzerrungern entstehen? (§ 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG) nein

ja

9. Würde die Behandlung der jPöR als Nichtunternehmer aus steuerlicher Sicht zu größeren (d.h. mehr als unbedeutenden) Wettbewerbsverzerrungen führen? ja JPöR ist Unternehmer i.S.v. §§ 2 und 2b UStG

310 | Huschens

nein

(JPöR hat keinen Vorsteuerabzug)

F. Anstalt des öffentlichen Rechts im Anwendungsbereich des § 2b UStG | Rz. 6.46 Kap. 6

F. Anstalt des öffentlichen Rechts im Anwendungsbereich des § 2b UStG – Leistungsbeziehungen zwischen einer AöR und ihrer Trägerkommune Leistung zwischen AöR und ihrer Trägerkommune. In diesem Bereich könnte sich die Frage stellen, ob für Leistungsbeziehungen zwischen einer Anstalt des öffentlichen Rechts (AöR) und ihrer Trägerkommune regelmäßig die Wettbewerbsrelevanz i.S.d. § 2b Abs. 1 Satz 2 UStG ausgeschlossen ist, wenn die Voraussetzungen des § 2b Abs. 1 Satz 1 UStG gegeben sind. Der Leistungsaustausch könnte allein deshalb entstehen, weil sich eine Kommune im Rahmen ihrer Organisationsfreiheit entschieden hat, bestimmte Aufgaben bzw. Aufgabenbündel, die bei ihr selbst haushaltsfinanziert sind und damit grundsätzlich unentgeltlich erbracht werden, durch eine AöR erledigen zu lassen. Bei der Frage nach den wettbewerblichen Auswirkungen dieser Tätigkeiten könnte es aber keinen Unterschied machen, ob eine Kommune sie selbst ausübt oder ob sie sich dafür einer AöR bedient, deren Trägerkommune und in den meisten Bundesländern demnach auch deren Gewährsträgerin sie ist.

6.45

Keine weite Auslegung. Für eine so weite Auslegung des § 2b UStG sieht die Verwaltung angesichts des Ausnahmecharakters dieser Vorschrift keinen Raum.1 Der Besteuerung sind die tatsächlich verwirklichten Sachverhalte zu Grunde zu legen. Auf die steuerliche Behandlung alternativer, aber nicht umgesetzter Gestaltungen kommt es dabei nicht an. Die maßgebende umsatzsteuerliche Leistung dürfte im Regelfall – aufgrund der Zahlungen durch die übertragende öffentliche Hand – nicht die Übertragung der Aufgabe, sondern vielmehr die Übernahme der Aufgabe durch die übernehmende jPöR sein. Ein Leistungsaustausch wird nur begründet, wenn die Übertragung/Übernahme gegen Entgelt erfolgt. Insbesondere bei der Übertragung/Übernahme von Aufgaben auf/von einen(m) Zweckverband kann es gleichwohl Fälle geben, in denen Zahlungen von jPöR (z.B. im Rahmen eines Defizitausgleichs, wenn die AöR ihre Kosten nicht durch andere Einnahmen decken kann oder in Fällen, in denen die AöR überhaupt keine eigenen Einnahmen generiert und vollständig von der Trägerkommune finanziert wird.) nicht als umsatzsteuerliche Gegenleistung anzusehen sind (z.B. entsprechend eines nichtsteuerbaren Gesellschafterbeitrags oder im Rahmen eines echten Zuschusses). Die Übernahme oder die Übertragung einer Aufgabe oder eines Aufgabenbündels von/an eine andere jPöR gegen Entgelt stellt jedoch einen Leistungsaustausch dar, der nicht entgegen dem Willen des Gesetzgebers pauschal der Umsatzbesteuerung entzogen werden kann. Das Vergaberecht kann für die Behandlung umsatzsteuerlicher Sachverhalte nach der Rechtsprechung nicht unmittelbar herangezogen werden. Sofern die gleiche Leistung auch von einem privaten Wirtschaftsteilnehmer erbracht werden kann – unabhängig des von der Kommune verfolgten Zwecks der Aufgabenübertragung – und die Verzerrungen des Wettbewerbs infolge der Ungleichbehandlung der Besteuerung nicht unbedeutend gering sind, liegen größere Wettbewerbsverzerrungen vor, die zu einer zwingenden Besteuerung der Leistungen der AöR an ihre Trägerkommune führen. Die Anwendung des § 2b UStG mag zu einer steuerlichen Belastung der Rechtsform der AöR führen, doch lässt sich daraus aus Sicht der Verwaltung kein unverhältnismäßiger Eingriff in die Organisationsfreiheit von Städten, Kreisen und Gemeinden herleiten. Die Tatsache, dass eine Ausnahme von einer allgemein gültigen Regel auf eine bestimmte Konstellation keine ständige Anwendung findet, sondern eine Einzelfallprüfung vorgenommen wird, ob im konkreten Fall die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 2b UStG für eine Nichtsteuerbarkeit vorliegen, kann nicht zu einer unverhältnismäßigen Beeinträchtigung führen. Die aus einer steuerlichen Regelung resultierenden steuerlichen Folgen

6.46

1 Vgl. BMF v. 15.1.2020 – III C 2 - S 7107/19/10004:006 (2020/0013970) an versch. Kommunalverbände.

Huschens | 311

Kap. 6 Rz. 6.46 | Umsetzungsstrategien des § 2b UStG in der Verwaltung

sind vom Steuerpflichtigen zu tragen und beschränken per se nicht die Organisationsfreiheit der Kommunen als solches.

6.47

Beispiel, in dem ein steuerbarer Leistungsaustausch angenommen werden könnte. Eine Kommune gründet eine AöR gegründet und in der Errichtungssatzung wird die eigentlich der Kommune obliegende Aufgabe der AöR zugewiesen, indem diese Aufgabe als Anstaltszweck definiert wird. Konkret handelt es sich um die Übernahme des Beteiligungsmanagements für die Kommune. Zu einem solchen kann eine die Kommune nach kommunalem Abgabenrecht verpflichtet sein, wenn sie z.B. mehr als 5 % an Unternehmen beteiligt ist. Die AöR kann das Beteiligungsmanagement selbst übernehmen, kann sich aber auch eines fremden Dritten bedienen. In der Errichtungssatzung ist festgelegt, welche Tätigkeiten mit der Aufgabe verbunden sind (Beteiligungsverwaltung sowie Wirtschaftlichkeits- und Zielcontrolling, wozu u.a. Beratung des Verwaltungsrats, Führung der Gesellschafterakten über alle kommunalen Unternehmen, Erstellung eines jährlichen Beteiligungsberichts usw. gehören). Die Finanzierung der AöR ist in der Satzung nicht geregelt. Die Zahlungen an die AöR sind im Haushalt der Kommune als Transferleistungen (jährlich X Mio. €) bezeichnet. Über die Übertragung der Aufgabe und die Zahlungen liegen außer der Errichtungssatzung keine zusätzlichen Vereinbarungen zwischen Kommune und AöR vor. Wirtschaftlich betrachtet könnte in diesem Fall ein Leistungsaustausch vorliegen, weil die AöR eine der Kommune obliegende Aufgabe übernimmt und in dem für die Erfüllung der Aufgabe erforderlichen Umfang finanziert wird.

G. Privatrechtliche Entgelte bei Leistungen der öffentlichen Hand unter Anschluss- und Benutzungszwang 6.48

Anschluss- und Benutzungszwang. Bei einer Reihe besonders wichtiger öffentlicher Einrichtungen beruht die Benutzung nicht auf einer freiwillig beantragten Zulassung, sondern auf dem Anschluss- und Benutzungszwang. Nach den Gemeindeordnungen der Länder können die Gemeinden bei Vorhandensein einer öffentlichen Einrichtung und dem Vorliegen eines (näher qualifizierten) öffentlichen Bedürfnisses einen Anschluss- und Benutzungszwang vorschreiben. Er muss jedenfalls durch Satzung geregelt sein. Die Satzungen können bestimmte Ausnahmen zulassen. Beispiele für einen solchen Anschluss- und Benutzungszwang sind die Abwasserentsorgungseinrichtungen, Schlachthöfe, die Wasserversorgung, Energieversorgungseinrichtungen (z.B. Fernwärme, Gasversorgung), die Straßenreinigung und Bestattungseinrichtungen. In manchen Fällen bedarf es der Anordnung eines Anschluss- und Benutzungszwangs durch die Gemeinde nicht (bzw. sie dient nur der Detailregelung), weil eine spezialgesetzliche Grundlage existiert, die entsprechende Pflichten bereits unmittelbar statuiert, so z.B. im Bereich der Hausmüllentsorgung im KrWG.

6.49

Anschlusszwang. Anschlusszwang bedeutet, dass die betroffenen Grundstückseigentümer die technische Verbindung ihrer Grundstücke zur betreffenden öffentlichen Einrichtung (typischerweise die Verlegung von Leitungen) dulden müssen, und zwar auf eigene Kosten. Der Benutzungszwang, der mit einem Anschlusszwang nicht zwingend einhergehen muss, knüpft hieran an und beinhaltet die Verpflichtung zur Benutzung der gemeindlichen Einrichtung bei gleichzeitigem Verbot der Benutzung anderer Einrichtungen. Bei Einrichtungen mit Anschluss- und Benutzungszwang können aus kommunalrechtlicher Sicht privatrechtliche Entgelte erhoben werden, die in den Kommunalabgaben- oder Gebührengesetzen der Länder vorgesehen sind.1 1 Vgl. Burgi, Kommunalrecht, § 16 Rz. 59–70., 4. Aufl., München 2012; Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rz. 598–629, 3. Aufl., Baden-Baden 2003.

312 | Huschens

G. Privatrechtliche Entgelte unter Anschluss- und Benutzungszwang | Rz. 6.51 Kap. 6

Benutzungsverhältnis. Bei der Benutzung öffentlicher Einrichtungen ist verwaltungsrechtlich zwischen dem Anspruch auf Zugang zu der öffentlichen Einrichtung, das „Ob“ der Benutzung und der Ausgestaltung des Benutzungsverhältnisses, dem „Wie“ der Benutzung, zu unterscheiden. Während der Anspruch auf Zulassung oder Zugang zu der öffentlich-rechtlichen Einrichtung einer Kommune grundsätzlich nach den öffentlich-rechtlichen Vorschriften der Gemeindeordnung zu bestimmen ist, kann das Benutzungsverhältnis sowohl öffentlichrechtlich als auch privatrechtlich ausgestaltet sein. Auch bei Einrichtungen mit Anschlussund Benutzungszwang sind Regelungen betreffend das „Wie“ der Benutzung einschließlich des Entgelts von denen der „ersten Stufe“ des „Ob“ zu unterscheiden. Beruht das Benutzungsverhältnis auf einem hoheitlichen Zwangseingriff, kann es gleichwohl privatrechtlich ausgestaltet sein. Wählt die jPöR die Erhebung eines privatrechtlichen Entgelts, entscheidet sie sich für eine privatrechtliche Handlungsform.

6.50

Privatrechtliches Nutzungsverhältnis. Nach ständiger Rechtsprechung der Zivilgerichte und allgemeiner Meinung im Schrifttum nimmt derjenige, der aus einem Verteilungsnetz eines Versorgungsunternehmens Elektrizität, Gas, Wasser oder Fernwärme entnimmt, das Angebot zum Abschluss eines entsprechenden Versorgungsvertrages konkludent an.1 Auch bei einem durch Landesgesetz angeordneten Anschluss- und Benutzungszwang hinsichtlich Abfallentsorgung und Straßenreinigung kommt ein privatrechtliches Nutzungsverhältnis durch Angebot, das regelmäßig als Realofferte in der tatsächlichen Leistungsgewährung liegt, und Annahme durch die Entgegennahme der Leistungen zustande.2 Regelmäßig liegt also zum Beispiel auch ein Abwasserentsorgungsvertrag vor. Dies bedeutet, dass in diesen Fällen das konkrete Benutzungsverhältnis privatrechtlich ausgestaltet ist. Die Handlungsform ist damit privatrechtlich. Bei Streitigkeiten über dieses konkrete Rechtsverhältnis ist der Zivilrechtsweg zu beschreiten. Die Verwaltung geht offensichtlich davon aus, dass das Umsatzsteuerrecht sich dieser Würdigung der anderen Rechtsgebiete angeschlossen hat. Auf den Inhalt oder Zweck der Tätigkeit kommt es auch bei einem angeordneten Anschluss- und Benutzungszwang nicht an. Auch in den Fällen des Anschluss- und Benutzungszwangs, d.h. bei einem gegebenen öffentlichrechtlichen Handlungsrahmen, führt die privatrechtliche Ausgestaltung der Leistung nach der Verwaltungsauffassung dazu, dass kein Handeln im Rahmen der öffentlichen Gewalt im Sinne des § 2b Absatz 1 Satz 1 UStG vorliegt.3 Nach Rz. 16 des BMF-Schreibens v. 16.12.20164 ist regelmäßig davon auszugehen, dass eine Leistung der jPöR auf öffentlich-rechtlicher Grundlage erbracht wird, wenn für die Leistung ein Anschluss- und Benutzungszwang besteht (z.B. Hausmüllentsorgung nach dem Kreislaufwirtschaftsgesetz). Dies gilt nach Rz. 6 des BMFSchreibens jedoch nicht, wenn die jPöR zur Umsetzung des Anschluss- und Benutzungszwangs privatrechtliche Handlungsformen anwendet (z.B. Verträge mit den Benutzern abschließt). Da hier die jPöR gegenüber dem Bürger unter den gleichen rechtlichen Bedingungen wie ein privater Wirtschaftsteilnehmer handelt, kommt eine Anwendung des § 2b UStG in diesen Fällen nicht in Betracht. Diese Regelung hat bundesweit erhebliche Auswirkungen auf die öffentlichen Abwasser- und Abfallentsorgungsbetriebe. Denn für deren Entsorgungsleistungen gilt regelmäßig ein Anschluss- und Benutzungszwang. Die rechtliche Ausgestaltung gegenüber den Bürgern nehmen Entsorgungsbetriebe häufig jedoch auf privatrechtlicher Grundlage vor. Dies ist zwar abwasser- und abfallrechtlich zulässig und wird (z.B. in Niedersachsen) insbesondere von den Abwasserverbänden praktiziert. Unter der Rechtslage des § 2b UStG haben die privat-

6.51

1 2 3 4

Vgl. BGH v. 30.4.2003 – VIII ZR 279/02. BGH v. 22.3.2012 – VII ZR 102/11. Vgl. Abschnitt 2b.1 Abs. 7 UStAE. BStBl. I 2016, 1451.

Huschens | 313

Kap. 6 Rz. 6.51 | Umsetzungsstrategien des § 2b UStG in der Verwaltung

rechtlichen Handlungsformen aber zur Folge, dass die erhobenen Entsorgungsentgelte entsprechend den o.g. Grundsätzen erstmals der Umsatzsteuer unterliegen werden.1

6.52

Zweifel. Hieran könnten auch Zweifel angebracht sein. Tätigkeiten, die einer jPöR aufgrund eines Anschluss- und Benutzungszwanges vorbehalten sind wie z.B. die Hausmüll- oder Abwasserentsorgung, könnten auch dann im Rahmen der öffentlichen Gewalt ausgeübt werden, wenn das entsprechende Entgelt privatrechtlich vereinbart wird. Grund dafür mag sein, dass diese Tätigkeiten innerhalb eines öffentlich-rechtlichen Regelungssystems ausgeübt werden (§ 56 Wasserhaushaltsgesetz, § 20 Kreislaufwirtschaftsgesetz, entsprechende Regelungen der Landesgesetze). Im Rahmen dieses Systems können die Leistungsempfänger (z.B. Grundstückseigentümer) aus Gründen des öffentlichen Wohls nicht frei entscheiden, ob und von wem sie die entsprechende Leistung beziehen. Korrespondierend dazu ist die verantwortliche jPöR zur Leistungserbringung verpflichtet. Folge dieses spezifischen Regelungssystems ist, dass eine jPöR solche Tätigkeiten gerade nicht unter den gleichen rechtlichen Bedingungen wie ein privater Wirtschaftsteilnehmer ausübt, sondern ausschließlich im Rahmen der öffentlichen Gewalt tätig wird. In solchen Fällen könnte es angesichts des die Tätigkeit prägenden öffentlich-rechtlichen Regelungssystems, welches bereits grundsätzlich eine Wettbewerbssituation ausschließt, ausnahmsweise unbeachtlich sein, wenn die jPöR privatrechtliche Entgelte vereinbart, um im Hinblick auf die Überlastung der Verwaltungsgerichte Zahlungsansprüche effektiver vor Zivilgerichten durchsetzen zu können. Diese Beurteilung könnte auch im Einklang mit der Gesetzesbegründung im Rahmen der Einführung des § 2b UStG stehen. Darin heißt es, dass eine Tätigkeit nicht von der Neuregelung des § 2b UStG erfasst wird, wenn eine juristische Person eine Leistung auf privatrechtlicher Grundlage und damit unter den gleichen rechtlichen Bedingungen wie private Wirtschaftsteilnehmer erbringt (vgl. Rz. 6 des BMF-Schreibens vom 16.12.2016). Da jedoch die rechtlichen Bedingungen der Tätigkeiten, die einer jPöR aufgrund eines Anschluss- und Benutzungszwanges vorbehalten sind, wohl nicht mit den rechtlichen Bedingungen privater Wirtschaftsteilnehmer vergleichbar sind dürften, sollten die hier in Rede stehenden Tätigkeiten im Umkehrschluss selbst bei Vorliegen privatrechtlicher Entgeltvereinbarungen vom Anwendungsbereich des § 2b UStG erfass sein. Beachtlich ist in diesem Zusammenhang die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN v. 7.8.20132 hin. In dieser vertrat die Bundesregierung hinsichtlich der Frage nach den Auswirkungen der neueren BFH-Rechtsprechung zur Umsatzbesteuerung von Leistungen der öffentlichen Hand die Auffassung, dass der Kernbereich des öffentlichen Handelns – der originär hoheitliche Bereich, in dem es keinen Wettbewerb gibt – nicht davon betroffen sei. Als Beispiele für diesen Kernbereich wurden u.a. die gegenüber den Bürgern und Bürgerinnen erbrachten Leistungen im Rahmen der Hausmüll- und Abwasserentsorgung genannt. Deshalb ist es nur schwer nachvollziehbar, weshalb die Neuregelung des § 2b UStG nun dahingehend ausgelegt werden soll, dass gerade die vorgenannten Tätigkeiten (zumindest teilweise) der Besteuerung zu unterwerfen seien.

6.53

BFH vs. EuGH. Es ist schwer erkennbar, warum angesichts der bisherigen Rechtsprechung des BFH zur Frage, wann eine Tätigkeit einer jPöR im Rahmen der öffentlichen Gewalt ausgeübt wird, ein Ausschluss der hier in Reden stehenden Leistungen aus dem Anwendungsbereich des § 2b UStG zwingend geboten ist. Zum einen zeichnet sich diese Rechtsprechung durch eine verkürzte Anwendung der vom EuGH zu dieser Problematik entwickelten Grundsätze aus. Während der BFH in seiner bisherigen Rechtsprechung bei einer privatrechtlichen Entgeltvereinbarung – zumindest in den entschiedenen Einzelfällen – prinzipiell davon aus1 Vgl. LfSt Nds. v. 21.12.2020 – S 7107-24-St 171. 2 BT-Drs. 17/14516.

314 | Huschens

G. Privatrechtliche Entgelte unter Anschluss- und Benutzungszwang | Rz. 6.54 Kap. 6

geht, dass die entsprechende Tätigkeit nicht im Rahmen der hoheitlichen Gewalt ausgeübt wird, betrachtet der EuGH die Frage als maßgeblich, ob die jPöR ihre Tätigkeit im Rahmen einer öffentlich-rechtlichen Sonderreglung oder unter gleichen rechtlichen Bedingungen wie private Wirtschaftsteilnehmer ausübt.1 In den meisten Fällen dürften diese unterschiedlichen Sichtweisen nicht entscheidungserheblich sein, weil eine privatrechtliche Entgeltvereinbarung in der Regel die Vergleichbarkeit der rechtlichen Bedingungen zur Folge hat. Anders verhält sich bei den hier in Rede stehenden Tätigkeiten, da aufgrund des beschriebenen öffentlich-rechtlichen Regelungssystems eine solche Vergleichbarkeit auch bei Vorliegen einer privatrechtlichen Entgeltvereinbarung in nur schwer erkennbar ist. Zum anderen hat sich der BFH in seiner bisherigen Rechtsprechung zu dieser Thematik nur mit Tätigkeiten befasst, die auch von privaten Wirtschaftsteilnehmern hätten erbracht werden können, so dass in allen entschiedenen Einzelfällen eine Wettbewerbssituation gegeben war. Soweit ersichtlich hat sich bisher nur das FG Rh.-Pf. (Urteil v. 22.8.2013 – 6 K 1961/09)2 mit einem Sachverhalt befasst, der sich durch einen Wettbewerbsausschluss auszeichnete. Das FG vertrat hierbei die Auffassung, dass die Leistungserbringung im Rahmen eines privatrechtlichen Vertrages unbeachtlich ist, soweit es sich bei den Leistungen der jPöR um Leistungen handelt, die in dieser Form aus sicherheitspolitischen Gründen von privaten Wirtschaftsteilnehmern nicht erbracht werden können. Wenn dies schon für derartige Leistungen gilt, so könnte dies erst Recht für Leistungen gelten, bei denen eine Leistungserbringung durch private Wirtschaftsteilnehmer bereits durch eine öffentlich-rechtliche gesetzliche Regelung ausgeschlossen ist. BGH-Rechtsprechung. Die Handlungsform der öffentlichen Hand bei öffentlich-rechtlichen Leistungen mit Anschluss- und Benutzungszwang könnte sich auch mit Blick auf die BGHRechtsprechung von der Handlungsform privater Unternehmer unterscheiden. Der BGH3 hatte über die Fälligkeit des privatrechtlichen Leistungsentgelts für unter Anschluss- und Benutzungszwang erbrachte Straßenreinigungs-, Abfallentsorgungs- und Biomüllentsorgungsleistungen zu entscheiden. Dabei hat er festgestellt, dass sich die privatrechtliche Entgelterhebung der öffentlichen Hand auch an öffentlich- rechtlichen Maßstäben messen lassen muss, da die privatrechtliche Handlungsform den Vertragspartner nicht benachteiligen darf. Deshalb zieht er zur Bestimmung des Fälligkeitszeitpunkts des privatrechtlichen Entgelts auch die in vergleichbaren Konstellationen im Abgabenrecht geltenden Grundsätze heran. Dies kann nach dem BGH-Urteil dazu führen, dass auch bei kalendermäßig festgelegten Leistungszeitpunkten die Übersendung einer Rechnung an den Entgeltschuldner Voraussetzung der Fälligkeit ist. Da die Form der Entgelterhebung keinen Einfluss auf die Art der erbrachten Leistung hat, entspricht dies auch dem Grundsatz, dass gleiche Leistungen gleich zu besteuern sind. Ferner dürfte beachtlich sein, dass der Gesetzgeber mit der Neuregelung der Umsatzbesteuerung der öffentlichen Hand die unionsrechtlichen Vorgaben umgesetzt hat und damit ein Fortdauern der „Rosinenpickerei“ zu Gunsten der öffentlichen Hand unterbinden wollte. Wird aber die gleiche Leistung lediglich aufgrund unterschiedlicher Formen der Entgelterhebungen unterschiedlich besteuert, könnte dies insoweit wiederum ein Wahlrecht für jPöR eröffnen, das im Ergebnis eine neue „Rosinenpickerei“ darstellt. 1 Vgl. z.B. EuGH v. 14.12.2000 – C-446/98 – Fazenda Pública, UVR 2001, 71. 2 Das beim BFH anhängige Revisionsverfahren unter V R 48/14 zu der Frage „ Kann die Unternehmereigenschaft i.S.v. § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStDV einer wirtschaftlich auf privatrechtlicher Grundlage handelnden jPöR hinsichtlich einer Leistung deshalb verneint werden, weil diese Leistung aus außersteuerlichen Gründen nicht durch private Dritte erbracht werden kann?“ ist erledigt durch BFH-Beschluss v. 10.9.2015 (Erledigung der Hauptsache); das FG-Urteil ist also im Laufe des finanzgerichtlichen Verfahrens gegenstandslos geworden. 3 BGH v. 15.2.2005 – X ZR 87/04.

Huschens | 315

6.54

Kap. 6 Rz. 6.55 | Umsetzungsstrategien des § 2b UStG in der Verwaltung

6.55

Für Verwaltungsauffassung spricht. Für die Verwaltungsauffassung könnten folgende Argumente sprechen: Wenn z.B. ein Stadtreinigungsbetrieb als öffentlich-rechtlicher Entsorgungsbetrieb seine Entsorgungsleistungen auf privatrechtlicher Grundlage abrechnet, um sich und seinen Kunden im Streitfall den Zivilrechtsweg zu eröffnen und ein einheitliches Leistungsaustauschverhältnis nicht künstlich in einen öffentlich-rechtlichen Leistungsteil und einen privatrechtlichen Entgeltteil aufgeteilt werden kann, könnte bei einer solchen Fallgestaltung einen Vertrag mit dem Kunden abgeschlossen worden sein und die öffentlich-rechtliche Einrichtung dem Kunden gegenüber somit in privatrechtlicher Handlungsform auftreten. Das Auftreten in privatrechtlicher Handlungsform hat nach der insoweit eindeutigen Rechtsprechung des BFH zur Folge, dass die öffentlich-rechtliche Einrichtung mit ihren Entsorgungsleistungen nicht in den Anwendungsbereich des § 2b UStG fällt, sondern mit den hier erzielten Umsätzen unternehmerisch tätig ist. Dem könnte nicht entgegenstehen, dass für die Entsorgungsleistungen ein Anschluss- und Benutzungszwang, also ein öffentlich-rechtlicher Handlungsrahmen besteht. Denn die Frage, ob eine jPöR Tätigkeiten ausübt, „die ihr im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen“ (§ 2b UStG), richtet sich allein danach, ob die jPöR im Rahmen einer öffentlichen-rechtlichen Sonderregelung oder unter den gleichen rechtlichen Bedingungen wie private Wirtschaftsteilnehmer handelt. Maßgeblich dafür ist nicht der Handlungsrahmen, sondern die im nationalen Recht vorgesehenen Ausübungsmodalitäten, also die konkrete Handlungsform.1 „Unerheblich sind demgegenüber Gegenstand oder Zielsetzung der Tätigkeit. Es ist daher ohne Belang, ob die jPöR durch ihre Tätigkeit öffentliche Aufgaben wahrnimmt, die ihr aus Gründen des Gemeinwohls und unabhängig von jedem unternehmerischen oder geschäftlichen Ziel durch Gesetz zugewiesen sind“.2 Da es bei der Neuregelung des § 2b UStG um die Umsetzung eben dieser BFH-Rechtsprechung ging, könnte es an einem rechtlichen Handlungsspielraum, wonach es im Fall eines Anschluss- und Benutzungszwangs auf den Handlungsrahmen ankommen soll, mangeln. Zudem dürften es die Entsorgungsbetriebe regelmäßig selbst in der Hand haben, durch die Wahl einer öffentlich-rechtlichen Handlungsform eine ungewollte Unternehmereigenschaft zu vermeiden. Die Anweisungen in Rz. 6 und 16 des BMF-Einführungsschreibens vom 16.12.20163 könnten daher für die hier in Rede stehenden Fälle wie folgt zu verstehen, sein, was die o.g. Verwaltungsauffassung nachvollziehbar erscheinen lässt: Nach Rz. 16 ist zwar regelmäßig davon auszugehen, dass eine Leistung der jPöR auf öffentlich-rechtlicher Grundlage erbracht wird, wenn für die Leistung ein Anschluss- und Benutzungszwang besteht (z.B. Hausmüllentsorgung nach dem KrWG). Dies gilt nach Rz. 6 des BMF-Schreibens jedoch nicht, wenn die jPöR zur Umsetzung des Anschluss- und Benutzungszwanges privatrechtliche Handlungsformen anwendet (z.B. Verträge mit den Benutzern abschließt). Da die jPöR hier unter den gleichen rechtlichen Bedingungen wie ein privater Wirtschaftsteilnehmer handelt, kommt danach eine Anwendung des § 2b UStG in diesen Fällen nicht in Betracht. Für Zwecke der Umsatzsteuer werden somit durch die Wahl der privatrechtlichen Handlungsform die öffentlich-rechtlichen Wirkungen des Anschluss- und Benutzungszwangs als überlagert angesehen.

H. Konzessionsabgaben 6.56

Zahlung einer Konzessionsabgabe. Fraglich hierbei ist, ob bei Anwendung des § 2b UStG die Zahlung einer Konzessionsabgabe an Gemeinden zur Einräumung eines Wegenutzungs1 Vgl. für viele BFH v. 15.4.2010 – V R 10/09, BStBl. II 2017, 863, Rz. 36, m.w.N. 2 BFH v. 15.4.2010 – V R 10/09, BStBl. II 2017, 863, Rz. 37, m.w.N. 3 BStBl. I 2016, 1451.

316 | Huschens

H. Konzessionsabgaben | Rz. 6.58 Kap. 6

rechts zu einem steuerbaren und steuerpflichtigen Leistungsaustausch führt. Die Versorgung der Bevölkerung mit leitungsgebundener Energie oder mit Trinkwasser setzt die Verlegung von Leitungen in öffentlichen Straßen und Wegen voraus. Zu diesem Zweck schließen Energie- und Wasserversorger mit den jeweiligen Gemeinden Konzessionsverträge ab. Hierbei handelt es sich (ggf. teilweise) um Wegenutzungsverträge, mit denen eine Gemeinde dem Versorgungsunternehmen das Recht einräumt, ihre öffentlichen Verkehrswege für die Verlegung und den Betrieb eines Energienetzes zur allgemeinen Versorgung zu nutzen. Für die Einräumung dieses Wegenutzungsrechts kann die jeweilige Kommune die Zahlung einer Konzessionsabgabe (KA) verlangen. Nach alter Verwaltungspraxis wurde die Konzessionsabgabe von der Kommune nicht in einem Betrieb gewerblicher Art (BgA) vereinnahmt. Gem. § 2 Abs. 3 UStG lag insoweit also auch kein unternehmerisches Handeln der Kommune vor, mit der Folge, dass auf die Konzessionsabgabe keine Umsatzsteuer anfiel. Strom- und Gasnetze. Die Kommune ist aufgrund öffentlich-rechtlicher Regelungen zur diskriminierungsfreien Vergabe der Konzession verpflichtet ist. Diese Verpflichtung ergibt sich für die Vergabe der Konzession für Strom- und Gasnetze aus § 46 EnWG. Die Regelung gibt vor, dass Gemeinden ihre öffentlichen Verkehrswege für die Verlegung und den Betrieb von Leitungen, einschließlich Fernwirkleitungen zur Netzsteuerung und Zubehör, zur unmittelbaren Versorgung von Letztverbrauchern im Gemeindegebiet diskriminierungsfrei durch Vertrag zur Verfügung stellen müssen. Es handelt sich eindeutig um eine Pflicht, die nur Gemeinden obliegt. Zudem ist gesetzlich vorgegeben, dass hierzu ein Vertrag abzuschließen ist.

6.57

Wegenutzungsrecht. Zu Behandlung der Konzessionsabgabe führt das BMF-Schreiben v. 5.8.20201 Folgendes aus: Erbringt eine jPöR nachhaltig Leistungen gegen Entgelt aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages, ist nach der Rechtsprechung des BFH stets von einer unternehmerischen Tätigkeit der jPöR nach § 2 Abs. 1 UStG auszugehen. Die Unternehmereigenschaft ist in diesen Fällen nicht durch § 2b UStG eingeschränkt, weil die öffentliche Hand in zivilrechtlicher Handlungsform am Markt teilnimmt und nicht im Rahmen der öffentlichen Gewalt handelt. Die Einräumung eines Wegenutzungsrechts durch die Gemeinden gegen Zahlung einer Konzessionsabgabe im Rahmen eines privatrechtlichen Vertrags ist also immer umsatzsteuerbar. Die Betrachtung von § 46 EnWG führt zu keinen anderen steuerlichen Ergebnissen. Öffentlich-rechtliche Rahmenbedingungen im Zusammenhang mit privatrechtlichen Verträgen verhindern nicht, dass die Gemeinden „wie ein Privater“ im Sinne der Rechtsprechung handeln. Denn gegenüber ihren Vertragspartnern tritt die Gemeinde unter den gleichen rechtlichen Bedingungen wie ein privater Wirtschaftsteilnehmer auf. Umsatzsteuerrechtlich ist nicht nur das „Ob“, sondern auch das „Wie“ der vertraglichen Beziehungen entscheidend, um zu erkennen, ob eine Tätigkeit im Rahmen der öffentlichen Gewalt erfolgt. Im Hinblick auf die Anwendung des § 2b Abs. 1 UStG ist es zudem ohne Belang, ob die jPöR mit ihrer Tätigkeit öffentliche Aufgaben wahrnimmt.2 Damit ist unbeachtlich, dass eine Pflicht der Gemeinden zum Abschluss derartiger Verträge besteht. Ein Vertrag, durch den eine Gebietskörperschaft einem Versorgungsunternehmen das ausschließliche Recht einräumt, die Einwohner mit Strom, Gas oder Wasser zu versorgen und dabei erlaubt, öffentliche Straßen, Plätze etc. für die Verlegung der Versorgungsleitungen zu benutzen bzw. im Zuge der Deregulierung bzw. Liberalisierung der Strom- und Gasversorgung das durch den Vertrag (Konzessionsvertrag) bisher gewährte Exklusivrecht der Versorgung aufhebt und durch ein einfaches Wegerecht ersetzt, kann unter die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a oder c UStG fallen.

6.58

1 BStBl. I 2020, 669. 2 BMF-Schreiben v. 16.12.2016, BStBl. I 2016, 1451.

Huschens | 317

Kap. 6 Rz. 6.59 | Umsetzungsstrategien des § 2b UStG in der Verwaltung

6.59

Vermietung und Verpachtung. Die in § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. c UStG geregelten dinglichen Nutzungsrechte unterliegen der Befreiung, wenn die Bestellung des Nutzungsrechts vom Begriff der Vermietung und Verpachtung erfasst wird. Die Frage, ob mit dem Abschluss eines Konzessionsvertrags oder der Vereinbarung eines einfachen Wegerechts umsatzsteuerrechtlich eine Vermietung oder Verpachtung eines Grundstücks vorliegt, richtet sich allerdings nicht nach den Vorschriften des nationalen Zivilrechts, sondern nach Unionsrecht. Danach setzt die Vermietung eines Grundstücks voraus, dass dem Mieter vom Vermieter auf bestimmte Zeit gegen eine Vergütung das Recht eingeräumt wird, das Grundstück so in Besitz zu nehmen, als ob er dessen Eigentümer wäre, und jede andere Person von diesem Recht auszuschließen. Zu berücksichtigen sind dabei alle Umstände des Einzelfalls, vor allem der tatsächlich verwirklichte Sachverhalt. Diese Voraussetzungen gelten auch für die Vermietung und Verpachtung eines Grundstücks und die hierdurch typischerweise eingeräumten Berechtigungen an dem Grundstück zur Ausübung einer sachgerechten und nachhaltigen Bewirtschaftung. Bei der Bestellung eines dinglichen Nutzungsrechts ist es allerdings nicht erforderlich, dass der Nutzungsberechtigte das Nutzungsrecht alleine ausüben kann; es genügt, wenn er – vergleichbar einem Eigentümer – Unbefugte von der Nutzung ausschließen kann.1 Soweit es sich bei der Überlassung von Grundstücken zum Verlegen von Erdleitungen (z.B. Erdgas- oder Elektrizitätsleitungen) nach der jeweiligen Vertragslage um eine einheitliche, nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG umsatzsteuerbare Leistung handelt, kommt der Bewilligung der Grunddienstbarkeit neben der Vermietung und Verpachtung der Grundstücke in diesen Fällen kein eigenständiger umsatzsteuerlicher Gehalt zu, da die Bewilligung nur der Absicherung der Rechte aus dem Miet- bzw. Pachtvertrag dient. Für die Entscheidung der Frage, ob die in den bisherigen Konzessionsverträgen vereinbarten Konzessionsabgaben als Netto-Beträge (ohne Umsatzsteuer) anzusehen sind, ist allein das Zivilrecht maßgeblich.

6.60

Das BMF-Schreiben v.5.8.20202 knüpft die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 12 UStG u.a. an den Umstand an, dass der Konzessionsinhaber das ihm eingeräumte Nutzungsrecht an einem Grundstück in der Weise ausüben kann, dass er – vergleichbar einem Eigentümer – Unbefugte von der Nutzung ausschließen kann. Diese Aussage könnte so interpretiert werden, dass die mit den Konzessionsabgaben in Zusammenhang stehenden Leistungen (zukünftig) generell umsatzsteuerpflichtig sind. Eine solche Festlegung soll mit den entsprechenden Passagen des BMF-Schreibens allerdings nicht verbunden sein. Hinsichtlich einer möglichen Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 12 UStG kommt es auf die Ausgestaltung des jeweiligen Konzessionsvertrages an. Inwieweit eine umsatzsteuerfreie Grundstücksüberlassung vorliegt, hängt maßgeblich von den Gesamtumständen der jeweiligen Leistungsbeziehungen im Einzelfall ab. Eine allgemeingültige Festlegung, wonach die Leistungen der Kommunen aus einem Konzessionsvertrag, z.B. unter Verweis auf Regelungen des Energiewirtschaftsgesetzes, stets umsatzsteuerfrei sind, ist verwaltungsseitig hingegen nicht möglich.3

I. Wahrnehmung wesentlicher Teilaufgaben für eine andere jPöR in den Bereichen der Durchführung von hoheitlichen Aufgaben, z.B. Abwasserbeseitigung und Abfallentsorgung 6.61

Wenn die Voraussetzungen des § 2b Abs. 1 Satz 1 UStG vorliegen, führt die Wahrnehmung von (Teil-)Aufgaben einer jPöR für eine andere jPöR zur Steuerbarkeit, wenn größere Wett1 Vgl. BFH v. 24.2.2005 – V R 45/02, BStBl. I 2007, 61. 2 BStBl. I 2020, 669. 3 Vgl. FM Rheinl.-Pfalz v. 9.3.2021 – S 7107-2019/0022-0401 445.

318 | Huschens

J. Hoheitliche Hilfsgeschäfte – Allgemein | Rz. 6.62 Kap. 6

bewerbsverzerrungen zu Lasten privater Dritter vorliegen. Eine entgeltliche befreiende Aufgabenübertragung auf Grundlage einer öffentlich-rechtlichen Sonderregelung in öffentlichrechtlicher Handlungsform und im Rahmen öffentlicher Gewalt an eine andere jPöR führt zum Ausschluss der Unternehmereigenschaft, wenn die Übertragung auf Private gesetzlich ausgeschlossen ist (z.B. die Entsorgung von Abfällen aus privaten Haushaltungen nach § 20 KrWG). Davon zu unterscheiden ist hier die auch privaten Unternehmern gestattete Erbringung von Vorleistungen an die zur Entsorgung verpflichtete jPöR zum Zweck der Durchführung der Abfallentsorgung (§ 22 KrWG).1

J. Hoheitliche Hilfsgeschäfte – Allgemein Hilfsgeschäfte, hoheitlich. Hoheitliche Hilfsgeschäfte, die der nichtunternehmerische Bereich einer jPöR mit sich bringt, sind nach Abschnitt 2b.1 Abs. 9 UStAE2 grundsätzlich nicht steuerbar. Da große Hoheitsbereiche oftmals entsprechend viele Hilfsgeschäfte tätigten, führe auch deren große Anzahl grundsätzlich nicht zu einer nachhaltigen wirtschaftlichen Betätigung und damit zur Steuerbarkeit. Dies könne jedoch ausnahmsweise der Fall sein, wenn das Auftreten der jPöR am Markt wegen der Vielzahl ihrer Umsätze und des daraus resultierenden Handelns dem eines professionellen Händlers derart gleicht, dass eine Nichtsteuerbarkeit zu einer Wettbewerbsverzerrung führen würde. Diese Verwaltungsauffassung dürfte in der Praxis oftmals zu Streitigkeiten führen, ob der jeweilige Hilfsumsatz steuerbar ist oder nicht. Es soll in diesen Fällen nicht auf die quantitative, sondern ausschließlich auf die qualitative Ausgestaltung abzustellen sein. Mit der Regelung werde klargestellt, dass eine jPöR, die sehr viele Hilfsgeschäfte ausführt, hiermit nichtunternehmerisch tätig ist, wenn sie die Geschäfte nach Art einer Privatperson abwickelt. Gleicht hingegen ihr Handeln dem eines professionellen Händlers, unterliegen die Hilfsgeschäfte der Umsatzsteuer. Hiervon ist z.B. regelmäßig auszugehen, wenn die jPöR zur Förderung ihrer vielen Hilfsgeschäfte händlertypische, aktive Verkaufsmaßnahmen ergreift oder die Anzahl der Verkäufe eine Betriebsorganisation wie bei einem professionellen Händler erforderlich macht.3 Von daher liegt ein hoheitliches Hilfsgeschäft in diesem Sinne vor, wenn und soweit im nichtwirtschaftlichen Bereich i.e.S. verwendete Gegenstände veräußert werden. Sonstige Leistungen können, sofern der Leistungsempfänger kein Arbeitnehmer der jPöR ist, nicht unter diesen Begriff subsumiert werden. Nur für Umsätze auf privatrechtlicher Grundlage, die keine hoheitlichen Hilfsgeschäfte darstellen, wäre anschließend die Tatbestandsvoraussetzung der Nachhaltigkeit nach § 2 Abs. 1 UStG zu prüfen. Der Begriff des hoheitlichen Hilfsgeschäfts könnte insgesamt mit der Einführung des § 2b UStG überholt sein. Eine unmittelbare rechtliche Grundlage ist weder in der MwStSystRL noch im UStG zu finden. Anknüpfungspunkt für die Besteuerung der öffentlichen Hand waren vormals die von der Rechtsprechung und der Verwaltung auf dem Gebiet der Körperschaftsteuer entwickelten Grundsätze. Das Schicksal einer hoheitlichen Tätigkeit, die nicht unter § 2 Abs. 3 UStG (i.d.F. v. 31.12.2015) fiel, teilten die hoheitlichen Hilfsgeschäfte. Die Spezialvorschrift des § 2 Abs. 3 UStG ist entfallen. Seither sind jPöR Unternehmer, wenn sie die allgemeinen Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 UStG erfüllen. Ob eine Tätigkeit wirtschaftlicher Art ist, hängt damit nicht mehr davon ab, ob sie als eigenständiger BgA gesehen werden könnte. Ein Sonderbereich für die öffentliche Hand existiert insoweit nicht.

1 Vgl. FM Schl.-Holst. v. 26.2.2020 – VI 3510-S 7107-001. 2 I.d.F. des BMF-Schreibens v. 9.7.2020, BStBl. I 2020, 643. 3 Vgl. LfSt Nds. v. 22.12.2020 – S 7107-39-St 171.

Huschens | 319

6.62

Kap. 6 Rz. 6.63 | Umsetzungsstrategien des § 2b UStG in der Verwaltung

6.63

Hilfsgeschäfte, allgemein. Hilfsgeschäfte allgemein betreffen den Umfang des Unternehmens nach § 2 UStG bzw. die Frage, ob eine Tätigkeit aufgrund des wirtschaftlichen Zusammenhangs dem Unternehmen zugehörig ist. Sie sind im unternehmerischen und nichtunternehmerischen Bereich denkbar und stellen eine besondere Ausnahme dar. Ihre Prüfung müsste daher der des § 2b UStG vorgelagert sein. Unter einem Hilfsgeschäft versteht die Rechtsprechung jede Tätigkeit, die die Haupttätigkeit mit sich bringt. Für sich genommen begründen Hilfsgeschäfte keine Haupttätigkeit. Auf die Nachhaltigkeit des Hilfsgeschäfts kommt es nicht an. Auch eine einmalige, ohne Wiederholungsabsicht ausgeführte Tätigkeit kann der Umsatzsteuer unterliegen.1 Über das Institut der Hilfsgeschäfte fallen nach der Rechtsprechung Tätigkeiten in die Steuerbarkeit, die es für sich allein betrachtet nicht täten. Hilfsgeschäfte machen im Gegensatz zum Grundgeschäft nicht den eigentlichen Gegenstand des Unternehmens aus, weshalb es normalerweise an der Nachhaltigkeit nach § 2 Abs. 1 Satz 3 UStG mangelt. Eine der wenigen weiteren Entscheidungen des BFH, die sich mit dem Begriff des Hilfsgeschäfts befassen, ist das Urteil in der Sache V R 25/65.2 Hierauf gehen die Aussagen des BMF-Schreibens v. 16.12.2016 zu § 2b UStG zurück, das sich an Abschnitt 2.10 Abs. 1 Satz 9 UStAE orientiert hatte. Das BFH-Urteil befasst sich mit der Besteuerung eines Vereins. Für jPöR war damals zwischen der umsatzsteuerrechtlichen Betätigung in Betrieben gewerblicher Art und der umsatzsteuerrechtlich irrelevanten Tätigkeit im Übrigen (vorzugsweise hoheitlichen Tätigkeit) zu unterscheiden.3 Der BFH ging davon aus, dass bei allen Unternehmern gleich welcher Rechts- oder Organisationsform ein Nebeneinander umsatzsteuerrechtlich relevanter und irrelevanter Bereich möglich und gegeben sei.4 Bei Unternehmensformen, bei denen weder die Vorgegebenheit privater Existenz, noch die (damalige) Besonderheit der jPöR anzutreffen sei, sei der Bereich der Betätigung durch Gesetz oder Satzung abgesteckt. Ein Nebeneinander von umsatzsteuerrechtlich relevanter und irrelevanter Betätigung sei nur innerhalb dieses vorgegebenen Rahmens möglich.5 Nach Rz. 37 des BFH-Urteils kann die von Zeit zu Zeit erforderliche Auswechslung von Gegenständen, die zur Aufrechterhaltung des Betriebs in der nichtunternehmerischen Sphäre erforderlich sind (und Hilfsgeschäfte von der Art des Altmaterialverkaufs) die Unternehmereigenschaft nicht begründen. Verhält sich ein Verein wie ein Privatmann, der mit der Auswechselung seines Hausrats in gewissen Zeitabständen keinen auf gewisse Dauer angelegten Geschäftsbetrieb begründet, gilt für den Verein nichts Anderes. Es gelten also dieselben Grundsätze wie für die Veräußerung von Gegenständen durch eine natürliche Person.

6.64

Festhalten der Verwaltung am Begriff des hoheitlichen Hilfsgeschäfts. In seiner Entscheidung v. 12.8.20156 ließ der BFH offen, ob vor dem Hintergrund des EuGH-Urteils vom 13.6.20137 fraglich geworden ist, inwieweit an der bisherigen Rechtsprechung des BFH, wonach Leistungen, die sich als Nebenfolge einer nichtunternehmerischen Betätigung ergeben – wie z.B. der Verkauf gebrauchter Gegenstände aus dem Privatbereich – grundsätzlich zum nichtunternehmerischen Bereich gehören und nur dann zu unternehmerischen Umsätzen werden, wenn sie einen „geschäftlichen“ Rahmen i.S. des § 2 Abs. 1 UStG erreichen, in vollem Umfang unverändert festgehalten werden kann. Der BFH zitiert zudem Abschnitt 2.7 UStAE, in dem die Verwaltung allgemeine Aussagen zu Hilfsgeschäften trifft. Jedenfalls urteilt der 1 2 3 4 5 6 7

Vgl. BFH v. 28.10.1964 – V 227/62 U, BStBl. III 1965, 34. BFH v. 20.12.1984 (Streitjahr 1968) – V R 25/76, BStBl. II 1985, 176. BFH v. 20.12.1984 – V R 25/76, BStBl. II 1985, 176, Rz. 22. BFH v. 20.12.1984 – V R 25/76, BStBl. II 1985, 176, Rz. 27. BFH v. 20.12.1984 – V R 25/76, BStBl. II 1985, 176, Rz. 31. BFH v. 12.8.2015 – XI R 43/13, BStBl. II 2015, 919. EuGH v. 13.6.2013 – C-62/12 – Kostov, HFR 2013, 757.

320 | Huschens

J. Hoheitliche Hilfsgeschäfte – Allgemein | Rz. 6.64 Kap. 6

BFH, dass für eine fehlende Steuerbarkeit eines Umsatzes neben der Zuordnung zum Privatvermögen auch erforderlich ist, dass der Steuerpflichtige einen solchen Verkauf nicht im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit vornimmt, sondern im Rahmen der Verwaltung seines Privatvermögens. Ein maßgebliches Kriterium, dass eine wirtschaftliche Tätigkeit vorliege, bestehe darin, dass der Eigentümer aktive Schritte zur Vermarktung unternimmt, indem er sich ähnlicher Mittel bedient wie ein Erzeuger, Händler oder Dienstleistender, z.B. bewährte Vermarktungsmaßnahmen durchführt.1 Der Begriff der hoheitlichen Hilfsgeschäfte könnte also überholt sein, da insoweit keine Sonderregelungen für die öffentliche Hand existieren, nachdem bei der Umsatzsteuer die Anknüpfung an die Körperschaftsteuer aufgegeben wurde. Für jPöR existiert keine besondere Definition der Nachhaltigkeit. Es gelten die allgemeinen Grundsätze. Nachhaltige Umsätze können keine Hilfsgeschäfte sein, denn nachhaltig ausgeführte Umsätze begründen die Unternehmereigenschaft. Der Verkauf von nicht dem Unternehmen zugeordneten Gegenständen unterliegt der Umsatzsteuer, wenn der Veräußerer händlertypisch auftritt. Hilfsgeschäfte könnten auch dann nicht vorliegen, wenn die jPöR bereits aufgrund einer anderen Tätigkeit als Unternehmer im Sinne des § 2 Abs. 1 UStG anzusehen ist. Andererseits betrachtet, der Begriff der hoheitlichen Hilfsgeschäfte ist im BMFSchreiben vom 16.12.2016 offensichtlich mit dem Ziel aufgenommen worden, eine Doppelbelastung der öffentlichen Hand mit Umsatzsteuer zu verhindern, die beim Einkauf von Gegenständen für den hoheitlichen Bereich nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt ist. Dementsprechend sollte z.B. der Verkauf eines ausrangierten Polizeiautos nicht mit Umsatzsteuer belastet werden. Dies entspricht auch der Regelung des § 4 Nr. 28 UStG, mit der – entsprechend den unionsrechtlichen Vorgaben des Art. 136 MwStSystRL – eine Doppelbelastung mit Umsatzsteuer verhindert werden soll, die einträte, wenn ein Gegenstand, bei dessen Erwerb der Vorsteuerabzug versagt wurde, bei der anschließenden Weiterlieferung erneut mit Umsatzsteuer belastet würde. So gesehen, könnte z.B. beim Verkauf von Abfallprodukten der wissenschaftlichen Forschung durch eine jPöR auf privatrechtlicher Grundlage ein nicht steuerbares Hilfsgeschäft vorliegen, sofern die Gegenstände, aus denen die Abfallprodukte (z.B. Gemüse) resultieren, zur Verwendung im nichtwirtschaftlichen Bereich angeschafft wurden. Beispiele: – Eine staatliche Lehr- und Versuchsanstalt für den Gartenbau veräußert im Rahmen des Versuchswesens anfallendes Gemüse und Zierpflanzen. – Veräußerung von Tieren durch die Landesanstalt für Schweinezucht. – Eine Lehr- und Versuchsmolkerei eines Bundeslandes veräußert Produkte des Betriebs z.B. Milch, Tiere, Bodenerzeugnisse. – Ein Landkreis ist Sachaufwandsträger eines Gymnasiums. Das Gymnasium führt eine Sammelbestellung von Taschenrechnern, Hausaufgabenheften, Formelsammlungen etc. durch. Die Materialien werden zum Einkaufspreis an die Schüler weitergegeben. Die Einnahmen und Ausgaben werden auf den Sachkonten des Landkreises gebucht. Vorliegend nimmt der Landkreis lediglich eine Verteilerfunktion wahr. Eine Unternehmereigenschaft ist nicht anzunehmen, da die Voraussetzungen von § 2 Abs. 1 UStG (Abschn. 2.3 Abs. 5 UStAE) nicht erfüllt sind. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Gegenstände gegen Einkaufspreis abgegeben werden, der Landkreis nur gegenüber den Schülern tätig wird und hoheitliche Gründe und Belange ein solches Tätigwerden erfordern oder zumindest förderlich sind. – Das beim Schnitt von Straßenbegleitflächen angefallene Holz wird von der Gemeinde einmal im Frühjahr und einmal im Herbst an das örtliche Sägewerk verkauft. Aktive Vermarktungsschritte unternimmt die Gemeinde nur auf der eigenen Internetseite, durch einen Aushang im Amtsgebäude oder in ihrem „Gemeindeblatt“. Variante: Die beim Schnitt von Straßenbegleitflächen anfallenden Äste werden von der Gemeinde gehäckselt und als „Brennmaterial“ weiterverkauft. Straßen1 BFH v. 12.8.2015 – XI R 43/13, BStBl. II 2015, 919, Rz. 42 und 43.

Huschens | 321

Kap. 6 Rz. 6.64 | Umsetzungsstrategien des § 2b UStG in der Verwaltung begleitflächen unterliegen im Gegensatz zu land- und forstwirtschaftlich genutzten Flächen keiner produktionsorientierten Nutzung. Sie sind daher dem hoheitlichen Bereich der Gemeinde zuzurechnen. Die Verkäufe des auf Straßenbegleitflächen gewachsenen bzw. gefällten Holzes stellen ein hoheitliches Hilfsgeschäft dar und unterliegen grundsätzlich nicht der Umsatzsteuer. Selbiges gilt auch für den Verkauf der gehäckselten Äste. – Eine Gemeinde, ein Landkreis und der Freistaat Bayern errichten zur Verbindung ihrer Straßen einen Kreisverkehr. Hierzu schließen sie einen öffentlich-rechtlichen Vertrag. Die Beauftragung der Baufirmen, die Koordination und die Bauüberwachung übernimmt vereinbarungsgemäß die Gemeinde, Landkreis und Freistaat Bayern beteiligen sich anteilig an den Kosten (zzgl. einer Verwaltungskostenpauschale i.H.v. 10 %). Die Zahlungen des Landkreises und des Freistaats Bayern unterliegen bei der Gemeinde nicht der Umsatzsteuer, da ein Wettbewerb mit privaten Dritten auf dieser Ebene nicht gegeben ist. – Eine Stadt veräußert/versteigert Fundsachen über die Plattform www.zoll-auktion.de bzw. im Rahmen einer Präsenzversteigerung, die durch einen Beamten/Angestellten der Stadt vorgenommen wird. Die Bevölkerung wird über die Präsenzversteigerung nur durch einen Aushang im Amtsgebäude, einen Hinweis auf der eigenen Internetseite oder in der „Stadt-Zeitung“ informiert. Die Veräußerung erfolgt im Rahmen eines nicht steuerbaren hoheitlichen Hilfsgeschäfts und unterliegt nicht der Umsatzsteuer.1

K. Hilfsgeschäfte im Entsorgungssektor 6.65

Rechtslage nach § 2 Abs. 3 UStG. Gemäß R 4.5 Abs. 6 Satz 1 KStR 2015 stellt die Verwertung und Beseitigung von Abfällen aus privaten Haushaltungen durch öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger eine hoheitliche Tätigkeit dar. Werden diese Abfälle oder die aus ihnen gewonnenen Stoffe und Energie im Rahmen der Verwertung entgeltlich abgegeben, liegt körperschaftsteuerlich ein sog. hoheitliches Hilfsgeschäft vor (vgl. R 4.5. Abs. 6 Sätze 1 bis 5 KStR 2015). Unter der Rechtslage des alten § 2 Abs. 3 UStG werden deshalb die Umsätze der öffentlichrechtlichen Entsorgungsträger aus – dem Verkauf von Papierabfällen der privaten Haushaltungen und – der Einspeisung von Strom, welcher im Rahmen einer KWK-Anlage aus dem Verbrennen von Deponie- oder Klärgas gewonnen wurde, mangels eines Betriebes gewerblicher Art nicht der Umsatzsteuer unterworfen (vgl. Abschnitt 2.11 Abs. 4 UStAE).

6.66

Rechtslage nach § 2b UStG. Diese umsatzsteuerliche Behandlung kann nach der Verwaltungsauffassung unter der Rechtslage des § 2b UStG nicht fortgeführt werden. Für beide Fälle ist von einer umsatzsteuerbaren und umsatzsteuerpflichtigen Tätigkeit auszugehen. Insbesondere ist die Annahme eines hoheitlichen Hilfsgeschäftes i.S.v. Rz. 19 f. des BMF-Schreibens v. 16.12.20162, abzulehnen. Auf die Regelungen des § 2b UStG musste nicht eingegangen werden, weil die hier in Rede stehenden Verwertungstätigkeiten auf privatrechtlicher Grundlage abgewickelt werden und damit von vornherein nicht in den Anwendungsbereich des § 2b UStG fallen.3

6.67

Veräußerung von Strom. In der kommunalen Abfall- und in der kommunalen Abwasserwirtschaft existieren häufig Anlagen, die im Rahmen der jeweiligen hoheitlichen Aufgabenerfül1 Vgl. dazu auch Bayerisches LfSt v. 10.11.2020 – S 7107.1.1-14/8 St33. 2 BStBl. I 2016, 1451. 3 Vgl. LfSt Nds. v. 8.5.2020 – S 7107-28-St 171.

322 | Huschens

L. Steuerbefreiung für Kostenteilungsgemeinschaften (§ 4 Nr. 29 UStG) | Rz. 6.70 Kap. 6

lung Strom erzeugen, der an Dritte (regelmäßig ein Netzbetreiber) veräußert wird. Unter Anwendung des § 2b UStG gilt dabei folgendes: Da selbst die Veräußerung von Strom auf öffentlich-rechtlicher Grundlage aufgrund § 2b Abs. 4 Nr. 5 UStG i.V.m. Anhang I Nr. 2 MwStSystRL stets eine unternehmerische Tätigkeit darstellt und somit der Umsatzsteuer unterliegt, ist bei der Veräußerung von Strom auf privatrechtlicher Grundlage kein Raum für eine Nichtsteuerbarkeit im Rahmen eines hoheitlichen Hilfsgeschäfts.1 Veräußerung von Papierabfällen. Die Entsorgung von Abfällen aus privaten Haushaltungen ist eine hoheitliche Aufgabe. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich um Abfälle zur Beseitigung oder um Verwertungsabfälle handelt. Bei Papierabfällen handelt es sich um Abfälle zur Verwertung. Die eigentliche Verwertung wird meist jedoch nicht durch den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger geleistet. Im Rahmen der Aufgabenerfüllung werden Papierabfälle vielmehr an entsprechend spezialisierte Unternehmen auf Grundlage eines privatrechtlichen Vertrags veräußert. Unter Anwendung des § 2b UStG gilt dabei folgendes: Der Verkauf von Altpapier aus privaten Haushaltungen durch öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger stellt eine umsatzsteuerbare Leistung dar.2

6.68

Vorsteuerabzug. Die Umsatzsteuerpflicht der genannten Verwertungsgeschäfte führt dazu, dass den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern – anders als früher – der uneingeschränkte Vorsteuerabzug nach § 15 UStG aus den Veräußerungskosten des Stroms und des Altpapiers zusteht, weil diese direkt den steuerpflichtigen Ausgangsumsätzen zugerechnet werden können. Daneben steht den Entsorgungsträgern ein weiterer (anteiliger) Vorsteuerabzug aus den Kosten der Deponie- und Klärgasgewinnung sowie der Errichtung und dem Betrieb der KWK-Anlage zu, ggf. auch für Altanlagen über § 15a UStG. Je nach Nutzung der erzeugten Wärme und des erzeugten Stroms ist der Vorsteuerabzug analog § 15 Abs. 4 UStG auf den unternehmerisch verwendeten Teil zu begrenzen.3 Es ist das Zuordnungsverbot nach § 15 Abs. 1 Satz 2 UStG zu beachten, das greift, wenn der Umfang der unternehmerischen Verwendung eines einheitlichen Gegenstands nicht mindestens 10 % erreicht. Darüber hinaus berechtigt auch das Einsammeln und ggf. Sortieren der Abwässer, Bioabfälle usw. sowie des Altpapiers zumindest anteilig zum Vorsteuerabzug, weil die betreffenden Leistungsbezüge nicht nur der Erfüllung der hoheitlichen Entsorgungspflichten dienen, sondern anteilig auch in die Kosten für die unternehmerischen Verwertungsumsätze einfließen. Sofern keine hinreichenden Aufzeichnungen für die erforderliche Vorsteueraufteilung (vgl. dazu Abschnitt 15.19 Abs. 3 UStAE) vorliegen, bestehen seitens der Verwaltung keine Bedenken, wenn nach Abschnitt 2.10 Abs. 6 UStAE verfahren und der Vorsteueraufteilung z.B. das Verhältnis der Verwertungserlöse zu den Gebühreneinnahmen des öffentlichen Entsorgungsbetriebes zugrunde gelegt wird. Auch insofern ist § 15 Abs. 1 Satz 2 UStG zu beachten.4

6.69

L. Steuerbefreiung für Kostenteilungsgemeinschaften (§ 4 Nr. 29 UStG) Umfang der Steuerbefreiung. Nach § 4 Nr. 29 UStG sind steuerfrei „sonstige Leistungen von selbständigen, im Inland ansässigen Zusammenschlüssen von Personen, deren Mitglieder eine 1 FM Schl.-Holst. v. 18.12.2019 – VI 3510-S 7107-001. 2 Vgl. FM Schl.-Holst. v. 18.12.2019 – VI 3510-S 7107-001. 3 Das BFH-Urteil v. 16.11.2016 – V R 1/15, das in der Frage der Vorsteueraufteilung für eine KWKAnlage von Abschnitt 2.5 UStAE abweicht, ist bislang nicht amtlich im BStBl. II veröffentlicht und somit bisher durch die Verwaltung nicht allgemein anzuwenden. 4 Vgl. LfSt Nds. v. 8.5.2020 – S 7107-28-St 171.

Huschens | 323

6.70

Kap. 6 Rz. 6.70 | Umsetzungsstrategien des § 2b UStG in der Verwaltung

dem Gemeinwohl dienende nichtunternehmerische Tätigkeit oder eine dem Gemeinwohl dienende Tätigkeit ausüben, die nach den Nummern 11b, 14 bis 18, 20 bis 25 oder 27 von der Steuer befreit ist, gegenüber ihren im Inland ansässigen Mitgliedern, soweit diese Leistungen für unmittelbare Zwecke der Ausübung dieser Tätigkeiten verwendet werden und der Zusammenschluss von seinen Mitgliedern lediglich die genaue Erstattung des jeweiligen Anteils an den gemeinsamen Kosten fordert, vorausgesetzt, dass diese Befreiung nicht zu einer Wettbewerbsverzerrung führt.“ Damit wurde zum 1.1.2020 eine neue Steuerbefreiung eingeführt für sonstige Leistungen von selbstständigen Personenzusammenschlüssen an ihre Mitglieder für unmittelbare Zwecke der nicht steuerbaren oder ihrer nach § 4 Nr. 11b, 14–18, 20–25 oder Nr. 27 UStG steuerfreien Umsätze der Mitglieder. Die Steuerbefreiung beruht auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. f MwStSystRL. Vorher war diese Vorschrift in Form von § 4 Nr. 14 Buchst. d UStG (Steuerbefreiung für Leistungen sog. Apparategemeinschaften im Heilbehandlungssektor) nur partiell in nationales Recht umgesetzt. Die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 29 UStG wurde aufgrund der EuGH-Rechtsprechung1 erforderlich, wonach Deutschland die Steuerbefreiung vorher unionsrechtswidrig auf Personenzusammenschlüsse beschränkt hatte, deren Mitglieder eine begrenzte Anzahl von Berufen ausüben. Gleichzeitig hatte der EuGH entschieden, dass sich die Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. f MwStSystRL nicht auf Personenzusammenschlüsse im Bereich der Versicherungen und Finanzdienstleistungen, sondern nur im Bereich der dem Gemeinwohl dienenden Tätigkeiten anwendbar ist. Die Steuerbefreiung setzt voraus, dass es sich bei dem Personenzusammenschluss um einen eigenständigen, d.h. von den jeweiligen Mitgliedern verschiedenen Steuerpflichtigen handelt, der Unternehmer im Sinne des § 2 Abs. 1 UStG ist und der seine Leistungen als solcher an ein oder mehrere seiner Mitglieder bewirkt. Dies setzt nicht voraus, dass die Leistungen stets allen Mitgliedern gegenüber erbracht werden. Die Leistungen sind jedoch in den Fällen nicht befreit, in denen der Personenzusammenschluss sie zum Teil oder ausschließlich an Dritte oder für steuerpflichtige Leistungen der Mitglieder erbringt. Bei dem die Leistung empfangenden Mitglied muss es sich um eine Person handeln, die nicht steuerbare oder steuerfreie, dem Gemeinwohl dienende Leistungen der in § 4 Nr. 11b, 14–18, 20–25 oder Nr. 27 UStG bezeichneten Art erbringt. Dieser Katalog der hier zu berücksichtigenden steuerfreien, dem Gemeinwohl dienenden Leistungen ist abschließend. Die Anwendung von § 4 Nr. 29 UStG ist auf Personenzusammenschlüsse im Inland beschränkt, deren Mitglieder ebenfalls im Inland ansässig sein müssen. Durch die Beschränkung auf das eigene Gebiet wird erreicht, dass nicht ein Mitgliedstaat die territoriale Besteuerungshoheit des anderen Mitgliedstaats beschneidet und es nicht zu widersprechenden Entscheidungen der unterschiedlichen Finanzverwaltungen kommt.

6.71

Verwendung für steuerfreie/nicht steuerbare Leistungen. Die vom Personenzusammenschluss an das jeweilige Mitglied erbrachte sonstige Leistung muss zur Ausführung der o.g. nicht steuerbaren oder steuerfreien Leistungen unmittelbar verwendet werden. Dies ist z.B. der Fall, wenn die bisher nach § 4 Nr. 14 Buchst. d UStG steuerfreien ärztlichen Praxis- und Apparategemeinschaften medizinische Einrichtungen, Apparate und Geräte zentral beschaffen und ihren Mitgliedern zur Verfügung stellen sowie Laboruntersuchungen, Röntgenuntersuchungen und andere medizinisch-technische Leistungen für ihre Mitglieder ausführen. Tätigkeiten, die lediglich mittelbar der Ausführung von nicht steuerbaren oder steuerfreien Umsätzen der Mitglieder dienen oder von den Mitgliedern für solche bezogen werden (z.B. allgemeine Verwaltungsleistungen), fallen hingegen nicht unter die Befreiung, weil sie diese allenfalls fördern. 1 Insbesondere EuGH v. 21.9.2017 – C-616/15 – Kommission/Deutschland, HFR 2017, 1076.

324 | Huschens

L. Steuerbefreiung für Kostenteilungsgemeinschaften (§ 4 Nr. 29 UStG) | Rz. 6.74 Kap. 6

Wettbewerbsverzerrung. Die Steuerbefreiung scheidet aus, wenn eine reale Gefahr besteht, dass die Befreiung für sich genommen unmittelbar oder in der Zukunft zu Wettbewerbsverzerrungen führen kann. Ob dies der Fall ist, ist sowohl auf Grundlage der Art der erbrachten Leistung als auch auf Grund der objektiven (Markt-)Umstände der jeweiligen Leistungserbringung zu ermitteln. Indizien für eine zweckwidrige Anwendung der Steuerbefreiung können z.B. sein, dass der Personenzusammenschluss unter Ausnutzung von Synergieeffekten die gleichen Dienstleistungen entgeltlich an Nicht-Mitglieder am Markt erbringt, dass die Verlagerung von externen beliebigen, insbesondere nicht auf die Bedürfnisse seiner Mitglieder zugeschnittenen Dienstleistungen auf den Personenzusammenschluss erfolgt, obwohl derartige Leistungen ohne Weiteres auch von anderen Marktteilnehmern angeboten werden könnten und dass bei dem Personenzusammenschluss im Ergebnis allein die Optimierung der umsatzsteuerlichen Vorbelastungen im Vordergrund steht. Für sonstige nicht steuerpflichtige Umsätze, die von jPöR erbracht werden, sind die Voraussetzungen entsprechend anzuwenden. Werden z.B. im Bereich der interkommunalen Zusammenarbeit hoheitliche Tätigkeiten z.B. für Infrastruktureinrichtungen, für Sozial-, Jugend- und Gesundheitsverwaltung oder für den Tourismus auf privatrechtlicher Grundlage auf einen Personenzusammenschluss übertragen, für die die kooperierenden jPöR als Nichtsteuerpflichtige gelten, so sind diese Tätigkeiten unter die Befreiung zu fassen, wenn die Aufgabenübertragung und -ausführung eine Wettbewerbsverzerrung ausschließt. Dies gilt im Grundsatz auch für Personenzusammenschlüsse, die von Hochschulen oder (angeschlossene) Universitätskliniken gegründet werden. Eine Verzerrung des Wettbewerbs scheidet aus, wenn eine ausdrückliche gesetzliche Regelung besteht, auf deren Grundlage ein Tätigwerden Dritter und damit eine Wettbewerbssituation ausgeschlossen ist.

6.72

Kostenersatz. Weiterhin setzt die Steuerbefreiung voraus, dass das für die Leistung vereinbarte oder entrichtete Entgelt lediglich in einem genauen Kostenersatz besteht. Eine genaue Erstattung der anfallenden Kosten liegt vor, wenn der Personenzusammenschluss seinen Mitgliedern die Leistungen zu Selbstkosten anbietet bzw. ihm nur die tatsächlich anfallenden Kosten erstattet werden und das jeweilige Mitglied den (seinen) entsprechenden Anteil an den Gesamtkosten trägt. Der Anteil des vom Mitglied zu tragenden Anteils an den Gesamtkosten kann insbesondere am Umfang oder der Häufigkeit der Inanspruchnahme der sonstigen Leistung bemessen werden. Ein pauschaler Kostenaufschlag ist schädlich. Steht die vereinbarte Kostenverteilung bzw. Kostenerstattung in einem krassen Missverhältnis zur jeweiligen Inanspruchnahme der sonstigen Leistungen, gilt das Kriterium der genauen Kostenerstattung als nicht erfüllt. Die Anforderung einer genauen Kostenerstattung impliziert, dass der Personenzusammenschluss weder einen Gewinn erzielen noch die Absicht hierzu haben darf. Sofern gleichwohl tatsächlich erzielte Überschüsse jedoch ausschließlich dazu bestimmt sind, der Finanzierung künftiger Investitionen zu dienen, wird dies nicht beanstandet. Das Prinzip der Kostenerstattung und -verteilung sowie die Anforderungen an die Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen dürfen hiervon im Grundsatz nicht berührt werden.

6.73

Zusammenhang zwischen § 4 Nr. 29 UStG und § 2b UStG. § 4 Nr. 29 UStG steht in einem sachlichen Zusammenhang mit § 2b Abs. 3 UStG und konkurriert z.T. mit dieser Vorschrift, soweit es um Kooperationsleistungen im Bereich der öffentlichen Hand geht. Wenn eine Leistung von einer jPöR an eine andere jPöR ausgeführt wird, liegen nach § 2b Abs. 3 UStG per Legaldefinition größere Wettbewerbsverzerrungen nicht vor, wenn

6.74

„1. die Leistungen aufgrund gesetzlicher Bestimmungen nur von juristischen Personen des öffentlichen Rechts erbracht werden dürfen oder 2. die Zusammenarbeit durch gemeinsame spezifische öffentliche Interessen bestimmt wird. Dies ist regelmäßig der Fall, wenn Huschens | 325

Kap. 6 Rz. 6.74 | Umsetzungsstrategien des § 2b UStG in der Verwaltung

a) die Leistungen auf langfristigen öffentlich-rechtlichen Vereinbarungen beruhen, b) die Leistungen dem Erhalt der öffentlichen Infrastruktur und der Wahrnehmung einer allen Beteiligten obliegenden öffentlichen Aufgabe dienen, c) die Leistungen ausschließlich gegen Kostenerstattung erbracht werden und d) der Leistende gleichartige Leistungen im Wesentlichen an andere jPöR erbringt.“

6.75

Konkurrenzverhältnis. Rechtsfolge von § 2b Abs. 3 UStG ist die Nichtsteuerbarkeit der Leistung, weil diese per Legaldefinition, dass keine größere Wettbewerbsverzerrung vorliegt, nichtunternehmerisch bewirkt wird. Nach § 4 Nr. 29 UStG setzt die Leistung eines Personenzusammenschlusses in der Rechtsform einer jPöR voraus, dass der Personenzusammenschluss mit seinen Leistungen an die angeschlossenen Mitglieder unternehmerisch handelt. Die Steuerbefreiung steht weiter unter der Voraussetzung, dass die Leistung des Personenzusammenschlusses nicht zu Wettbewerbsverzerrungen führt (ungeachtet, ob es sich um größere Wettbewerbsverzerrungen handelt oder nicht). In bestimmten Fällen von Kooperationsleistungen im Bereich der öffentlichen Hand kann dies dazu führen, dass über die Fiktion des § 2b Abs. 3 UStG die Unternehmereigenschaft eines Personenzusammenschlusses mit der Rechtsform einer jPöR negiert wird, mit der Folge, dass bei gleicher Leistung § 4 Nr. 29 UStG nicht anwendbar wäre. Fraglich ist, welche Vorschrift in einem solchen Fall vorgeht, denn die Rechtsfolgen von § 2b Abs. 3 und § 4 Nr. 29 UStG sind unterschiedlich, hier Nichtsteuerbarkeit des Umsatzes, dort Steuerbefreiung. Umgekehrt könnte, wenn eine der Voraussetzungen von § 2b Abs. 3 UStG (mit Ausnahme der Kostenerstattungsklausel nach § 2b Abs. 3 Nr. 2 Buchst. c UStG, die der in § 4 Nr. 29 UStG ähnelt) nicht vorliegt (z.B. wenn nicht i.S.v. § 2b Abs. 3 Nr. 2 Buchst. d UStG gleichartige Leistungen im Wesentlichen an andere jPöR erbracht werden), dennoch die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 29 UStG greifen. H.E. bestehen beide Vorschriften gleichrangig nebeneinander, keine ist lex specialis zu der jeweils anderen Vorschrift. Da aber die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 29 UStG Unternehmereigenschaft des Personenzusammenschlusses voraussetzt, bedeutet dies h.E., dass bei Annahme der Nichtsteuerbarkeit einer Leistung nach § 2b Abs. 3 UStG wegen Nichtunternehmereigenschaft der leistenden jPöR die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 29 UStG nicht mehr greifen kann. Beispiel: Eine jPöR in der Form eines Zweckverbands organisiert für mehrere ihm angeschlossene Kommunen IT-Dienstleistungen (Softwarelösungen, IT-Support) an die angeschlossenen Kommunen. In diesem Fall könnte § 2b Abs. 3 Nr. 1 UStG (die Leistungen dürfen aufgrund gesetzlicher Bestimmungen nur von jPöR erbracht werden) nicht erfüllt sein. Käme man unter den Voraussetzungen des § 2b UStG zu dem Ergebnis, der Zweckverband handelt als Unternehmer, könnte unter den Voraussetzungen von § 4 Nr. 29 UStG gleichwohl noch eine Steuerbefreiung der Leistung des Zweckverbands in Betracht kommen. Auch wenn das Ergebnis nach § 2b Abs. 3 UStG wäre, dass die gesetzliche Fiktion, dass größere Wettbewerbsverzerrungen nicht vorliegen, nicht zum Tragen käme, wäre bei Anwendung des § 4 Nr. 29 UStG gleichwohl die Wettbewerbsklausel (gesondert) zu prüfen. Anders als in § 2b UStG, wo die Wettbewerbsklausel mit Blick auf die etwaige Behandlung einer jPöR als Nichtunternehmer ausgestaltet ist, hebt die Wettbewerbsklausel in § 4 Nr. 29 UStG auf eine etwaige Steuerbefreiung ab. Die Grundlagen der Prüfung möglicher Wettbewerbsverzerrungen für Zwecke des § 2b UStG einerseits und des § 4 Nr. 29 UStG andererseits dürften somit unterschiedlich sein.1

1 Vgl. zu dem Zusammenhang zwischen § 2b UStG und Art. 132 Abs. 1 Buchst. f MwStSystRL auch Möser, MwStR 2019, 258.

326 | Huschens

M. Vor- und Nachteile einer Anrufungsauskunft für jPöR | Rz. 6.77 Kap. 6

M. Vor- und Nachteile einer (temporären) umsatzsteuerlichen Anrufungsauskunft für jPöR für Abgrenzungsfragen zum § 2b UStG Vor- und Nachteile. Von Seiten kommunaler Spitzenverbände war der Vorschlag gemacht worden, eine zeitlich beschränkte umsatzsteuerliche Anrufungsauskunft für jPöR zu schaffen. Dieses Vorhaben, für das sich einige Proargumente aber auch Negativargumente finden lassen, ist bisher vom Gesetzgeber nicht realisiert worden. Im Hinblick auf Sachverhalte, in denen strittig ist, ob Leistungen jPöR aufgrund der Regelungen des § 2b UStG der Umsatzsteuer unterliegen, dürfte in vielen Fällen ein Antrag auf verbindliche Auskunft nach § 89 Abs. 2 AO gestellt werden. Die Erteilung verbindlicher Auskünfte zur Anwendung und Auslegung des § 2b UStG durch die Finanzämter ist unter den in § 89 Abs. 2 AO, der Steuer-Auskunftsverordnung (StAuskV) und dem AEAO zu § 89 genannten Voraussetzungen möglich. „Verbindliche“ Auskünfte bzw. Auskünfte „mit Bindungswirkung nach Treu und Glauben“ außerhalb des § 89 Abs. 2 AO sind dagegen zu vermeiden (vgl. Nr. 2 des AEAO zu § 89). Ein „ernsthaft geplanter und noch nicht verwirklichter Sachverhalt“ im Sinne des § 89 Abs. 2 Satz 1 AO liegt auch dann vor, wenn ein Dauersachverhalt aufgrund einer grundlegenden Gesetzesänderung nur dann unverändert fortgeführt werden soll, wenn keine wesentlichen negativen Steuerfolgen eintreten, und schlüssig dargelegt wird, dass eine Sachverhaltsveränderung für die Zukunft möglich wäre. Die Finanzämter sollen grundsätzlich keine verbindlichen Auskünfte erteilen, wenn zu einer grundlegend geänderten Rechtslage in absehbarer Zeit eine Verwaltungsanweisung zu erwarten ist (vgl. Nr. 3.5.4 Satz 2 des AEAO zu § 89). Anderenfalls müssten sie zugunsten der Antragsteller von der später ergangenen Verwaltungsanweisung abweichend erteilte verbindliche Auskünfte nach § 2 Abs. 4 StAuskV mit Wirkung für die Zukunft aufheben oder ändern (vgl. Nr. 3.6.6 des AEAO zu § 89). Voraussetzung für einen rechtssicheren Umgang mit § 2b UStG ist, dass die vielschichtigen Sachverhalte durch die Kommunen selbst zunächst so aufgeklärt und ausreichend beschrieben werden, um sie danach einer Klärung zuführen zu können. Weder das Instrument einer verbindlichen Auskunft noch eine wirkungsgleiche Anrufungsauskunft könnten geeignete Instrumentarien sein, ungeklärte Rechtsfragen abschließend zu beantworten. Vorrangiges Ziel müsste es sein, dass die Kommunen zeitnah abstrakt-generelle Sachverhalte klar definieren. Die Länder könnten danach in ihren Zuständigkeitsbereichen in eine entsprechende Kommunikation mit den Kommunen eintreten. Eine darauf aufbauende Arbeitshilfe – etwa nach dem Vorbild der Handreichung zu Umsatzsteuerpflichten kirchlicher juristischer Personen – könnte ein wirksamer Beitrag zur Klärung einer Vielzahl offenen Zweifelsfragen bei den Kommunen sein. In einem solchen Rahmen dürften aber nur Rechtsfragen geklärt werden. Der Prozess dürfte nicht zur Rechtsund Steuerberatung missbraucht werden.1

6.76

Verbindliche Auskünfte. Verbindliche Auskünfte sind nach § 89 Abs. 2 Satz 1 AO grundsätzlich nur zu genau bestimmten, noch nicht verwirklichten Sachverhalten zu erteilen. Nach Erörterung auf Bund-Länder-Ebene wurde beschlossen, dass verbindliche Auskünfte zu § 2b UStG auch dann zu erteilen sind, wenn ein Dauersachverhalt aufgrund einer grundlegenden Gesetzesänderung nur dann unverändert fortgeführt werden soll, wenn keine wesentlichen negativen Steuerfolgen eintreten. Darüber hinaus ist schlüssig darzulegen, dass eine Sachverhaltsveränderung für die Zukunft möglich wäre.

6.77

1 Vgl. zu der Thematik auch BMF v. 3.4.2020 – III C 2 - S 7107/19/10009 :003, DStR 2020, 1258.

Huschens | 327

Kap. 6 Rz. 6.77 | Umsetzungsstrategien des § 2b UStG in der Verwaltung Beispiel: Eine Kommune hat vor einigen Jahren die Verkehrsüberwachung gegen Kostenerstattung auf einen Zweckverband übertragen. In Anknüpfung an das Körperschaftsteuerrecht wurde bislang umsatzsteuerrechtlich eine nicht steuerbare Beistandsleistung angenommen. Im Rahmen eines Antrags auf verbindliche Auskunft fragt die Kommune an, ob nach Einführung des § 2b UStG aufgrund fehlenden Wettbewerbs weiterhin von einer Nichtsteuerbarkeit auszugehen ist. Auch ohne Änderung des Sachverhalts ist die Erteilung einer verbindlichen Auskunft möglich, da die Einführung von § 2b UStG eine grundlegende Gesetzesänderung darstellt, die zu wesentlichen negativen Steuerfolgen führen kann. Eine Sachverhaltsänderung für die Zukunft wäre grundsätzlich möglich, da die Kommune die Verkehrsüberwachung auch selbst durchführen könnte.

Aufgrund der besonderen Aufgaben der öffentlichen Hand kann der Eintritt wesentlicher negativer Steuerfolgen bzw. die Möglichkeit der Sachverhaltsänderung bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts regelmäßig unterstellt werden.1

N. Umsatzsteuerliche Organschaft/Gruppenbesteuerung und Anstalten öffentlichen Rechts 6.78

JPöR als Organträger und privatrechtliche Organgesellschaft. Tauscht eine Organgesellschaft in der Rechtsform einer juristischen Person des privaten Rechts, z.B. GmbH (B), Leistungen mit einer jPöR (C) aus und ist der Organträger eine jPöR (A), ist fraglich, ob die Leistungsbeziehungen umsatzsteuerrechtlich dem Organträger A in der Weise zuzurechnen, dass alle Ausgangsumsätze von B an C als von dem Organträger A, mithin der jPöR, erbracht gelten und umgekehrt alle Eingangsleistungen von C an die Organgesellschaft B als vom Organträger A bezogen gelten. Wäre dies zu bejahen, könnten die Leistungsbeziehungen in beide Richtungen in den Anwendungsbereich des § 2b UStG fallen. Bei der umsatzsteuerrechtlichen Beurteilung kommt es auf die ausgeübte Tätigkeit an, nicht auf die Organisationsform. Eine jPöR kann überhaupt nur insoweit Organträger sein, wie sie ein Unternehmen betreibt, also grundsätzlich steuerbare Umsätze ausführt. Allein deshalb käme § 2b UStG nicht zum Zuge. Anders herum müsste die GmbH als Organgesellschaft hoheitlich tätig werden, um § 2b UStG anwenden zu können. Das wäre bei der GmbH wohl nur bei einer Beleihung möglich. Ein privatrechtliches Handeln der GmbH wird nur durch bloße Zurechnung zu einer jPöR nicht zu hoheitlichem Handeln. Der BFH hat mit seinen Urteilen v. 9.10.20022 und v. 2.12.20153 entschieden, dass eine jPöR Organträger sein kann, wenn und soweit sie unternehmerisch tätig ist. Im Abschnitt 2.8 Abs. 2 Satz 2 UStAE wird das letztgenannte BFH-Urteil zitiert. Das erstgenannte BFH-Urteil führt weiter aus, dass, wenn eine jPöR nach den erwähnten Gründen wirtschaftlich tätig ist, der Rahmen des Unternehmens festgelegt ist. Das BFH-Urteil v. 2.12.2015 legt weiter fest, dass eine juristische Person des privaten Rechts (im Streitfall eine GmbH) nur unter bestimmten Voraussetzungen im Rahmen der öffentlichen Gewalt handelt bzw. als Einrichtung des öffentlichen Rechts tätig wird. Solange die juristische Person des privaten Rechts auf privatrechtlicher Grundlage tätig wird, ist die Unternehmereigenschaft zu bejahen. Die Ausnahme von der Umsatzbesteuerung für jPöR greifen nicht. So könnte die o.g. potentielle Organgesellschaft „B“ mit ihren steuerbaren Umsätzen nur in den unternehmerischen Bereich der jPöR „A“ organschaftlich eingegliedert sein. Denn die Wirkungen der Organschaft beschränken sich immer nur auf den Bereich steuerbarer Aus1 Vgl. Bayerisches LfSt v. 8.4.2020 – S 7107.1.1-16/3 St33. 2 V R 64/99, BStBl. II 2003, 375. 3 V R 67/14, BStBl. II 2017, 560.

328 | Huschens

N. Organschaft/Gruppenbesteuerung und Anstalten öffentlichen Rechts | Rz. 6.78 Kap. 6

gangsumsätze, d.h. die „Unternehmensteile“ des Organträgers und seiner Organgesellschaften. Nichtunternehmerische Bereiche juristischer Personen gehören nicht zum Unternehmen gehören und werden somit nicht von der Organschaft erfasst.1 Dies bedeutet, dass die o.g. Prämisse einen Zirkelschluss beinhaltet. Sie ordnet Ausgangsumsätze, die zivilrechtlich der Gesellschaft „B“ zuzurechnen sind, über die Grundsätze der Organschaft der jPöR „A“ zu, käme dann allerdings unter den Voraussetzungen des § 2b UStG insoweit zu nichtsteuerbaren Ausgangsumsätzen, die außerhalb des Unternehmensbereichs lägen, der jedoch nicht von den Rechtsfolgen der Organschaft umfasst wird. Eine Anwendbarkeit des § 2b UStG bei der Gesellschaft „B“ wäre daher allenfalls unter den Voraussetzungen des BMF-Schreibens v. 18.9.20192 zur Einstufung einer juristischen Person des privaten Rechts als sonstige Einrichtung des öffentlichen Rechts im Sinne des Art. 13 MwStSystRL denkbar. Ob die von der Gesellschaft „B“ bezogenen Leistungen beim Leistungserbringer dem § 2b UStG unterliegen können, wäre wohl nur im Einzelfall zu entscheiden. Dies erscheint ausgeschlossen, da Leistungen, die unter Anwendung des § 2b UStG erbracht werden, beim Leistungsempfänger grundsätzlich auch für das Unternehmen bezogen werden können. Andererseits erscheint nicht gänzlich ausgeschlossen, dass eine in eine jPöR als Organträger eingegliederte Organgesellschaft auch Bereiche haben kann, in denen sie (etwa als Beliehene) auf öffentlich-rechtlicher Grundlage tätig ist und als Einrichtung des öffentlichen Rechts angesehen werden kann. Die o.a. BFH-Urteile schließen das nicht vollständig aus. So hat der BFH in Rz. 16 seines Urteils vom 2.12.2015, V R 67/14, diese Frage ausdrücklich offengelassen, zumal im Urteilsfall eine Organschaft schon an der Unternehmereigenschaft des „Organträgers“ scheiterte. Dennoch gilt, erbringt die Organgesellschaft B Ausgangsleistungen an Dritte, so sind diese zwar im Innenverhältnis dem Organträger A zuzurechnen. Das Organschaftsverhältnis kann jedoch h.E. keinen Einfluss auf die Beurteilung der maßgeblichen Leistung hinsichtlich Anwendung des § 2b UStG haben. Entscheidend ist vielmehr, ob die Eingangsvoraussetzung des § 2b Abs. 1 S. 1 UStG „Tätigwerden einer jPöR“ erfüllt ist. Trotz Zurechnung der Ausgangsumsätze zur jPöR A, wird im Rahmen des Unternehmens die juristische Person des Privatrechts B im Außenverhältnis tätig, so dass der Anwendungsbereich des § 2b Abs. 1 S. 1 UStG nicht eröffnet ist. Diese Auffassung dürfte auch nicht der Rechtsprechung des BFH zur Einheitsbetrachtung von Leistungen und der damit verbundenen möglichen Wirkung einer Organschaft im Außenverhältnis3 widersprechen, da nach der o.a. Prämisse ausschließlich B (ohne A) tätig wird. Wenn ein Organschaftsverhältnis Auswirkungen auf die umsatzsteuerliche Qualifikation einer Leistung entfalten würde, hätte dies h.E. kaum vertretbare Konsequenzen hinsichtlich der Beurteilung von Steuerbarkeit, Steuerbefreiung oder Steuerermäßigung zur Folge. Dies sei unabhängig von Anwendungsfragen des § 2b UStG am Beispiel einer Organschaft zwischen einem nach § 108 SGB V zugelassenen Krankenhaus (Organträger K) und einer Privatklinik (Organgesellschaft P) erläutert. Die Leistungen von K (Krankenhausbehandlungen und ärztliche Heilbehandlungen) wären nach § 4 Nr. 14 Buchst. b) Doppelbuchst. aa) 1. Halbsatz UStG steuerfrei. Die Leistungen der Privatklinik P sollen hier nicht unter die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 14 Buchst. b) Doppelbuchst. aa) 2. Halbsatz UStG (andere Krankenhäuser, die ihre Leistungen in sozialer Hinsicht unter vergleichbaren Bedingungen erbringen) fallen. Da die nicht unter die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 14 Buchst. b) UStG fallende Privatklinik P als Organgesellschaft in das Unternehmen von K eingegliedert ist, käme nach der Logik der o.a. Prämisse h.E. auch für die Leistungen der Organgesellschaft die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 14 Buchst. b) UStG infrage. 1 Vgl. Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, § 2 UStG, Rz. 934. 2 BStBl. I 2019, 921. 3 BFH v. 29.10.2008 – XI R 74/07, BStBl. II 2009, 256.

Huschens | 329

Kap. 6 Rz. 6.79 | Umsetzungsstrategien des § 2b UStG in der Verwaltung

O. Einzelsachverhalte, Einzelfragen I. Steuerliche Erfassung der jPöR hinsichtlich ihrer Betriebe gewerblicher Art sowie ihrer land- und forstwirtschaftlichen Betriebe 6.79

Dezentrale Erfassung. Die Gebietskörperschaften Bund und Länder können steuerbare Umsätze nach § 1 Abs. 1 UStG bewirken. Für vor dem 1.1.2023 ausgeführte Leistungen sind die Gebietskörperschaften Bund und Länder nur im Rahmen ihrer Betriebe gewerblicher Art (§ 1 Abs. 1 Nr. 6, § 4 KStG) und ihrer land- oder forstwirtschaftlichen Betriebe unternehmerisch tätig (§ 2 Abs. 3 UStG i.d.F. v. 31.12.2015, § 27 Abs. 22 und 22a UStG), wenn sie eine wirksame Erklärung nach § 27 Abs. 22 Satz 3 UStG abgegeben haben. Mit Anwendung des § 2b UStG entfallen diese Anknüpfungspunkte im KStG. Die materiell-rechtliche Regelung des § 2b UStG gab Anlass, sie durch eine verfahrensrechtliche Regelung zu ergänzen. Die Neuregelung hinsichtlich der umsatzsteuerlichen Erfassung der Organisationseinheiten der Gebietskörperschaften Bund und Länder (sog. Dezentrale Erfassung) soll der Verwaltungsvereinfachung dienen und Rechtssicherheit beim Verfahren zur Veranlagung der umsatzsteuerlichen Tätigkeit von Bund und Ländern schaffen. Die ertragsteuerliche Veranlagung ist von den Neuregelungen nicht betroffen. Innerhalb der gesamten Gebietskörperschaft Bund bzw. innerhalb der jeweiligen Länder ist aus (verfassungs-) rechtlichen Gründen, insbesondere der Gewaltenteilung, keine einheitliche Willensbildung möglich. Deswegen können im Besteuerungsverfahren keine einheitlichen Erklärungen für die gesamte Gebietskörperschaft abgegeben werden. Diese Besonderheit berücksichtigend sollte einzelnen Organisationseinheiten, innerhalb derer eine Willensbildung rechtlich und tatsächlich möglich ist, eine Möglichkeit gegeben werden, Sachverhalte umsatzsteuerlich zu erklären. Die gesondert veranlagten Organisationseinheiten von Bund und Ländern sollten dabei umsatzsteuerlich nicht bessergestellt werden, als andere umsatzsteuerliche Unternehmer.

6.80

Gesetzliche Regelung § 18 Abs. 4f UStG. Nach dem durch Art. 12 Nr. 5 JStG 20201 m.W.v. 1.1.2020 eingefügten § 18 Abs. 4f UStG gilt: Soweit Organisationseinheiten der Gebietskörperschaften Bund und Länder durch ihr Handeln eine Erklärungspflicht begründen, obliegen der jeweiligen Organisationseinheit für die Umsatzbesteuerung alle steuerlichen Rechte und Pflichten. In den in § 30 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a und b AO genannten Verfahren tritt die Organisationseinheit insoweit an die Stelle der Gebietskörperschaft. § 2 Abs. 1 Satz 2 UStG bleibt unberührt. Die Organisationseinheiten können jeweils für ihren Geschäftsbereich durch Organisationsentscheidungen weitere untergeordnete Organisationseinheiten mit Wirkung für die Zukunft bilden. Einer Organisationseinheit übergeordnete Organisationseinheiten können durch Organisationsentscheidungen mit Wirkung für die Zukunft die in Satz 1 genannten Rechte und Pflichten der untergeordneten Organisationseinheit wahrnehmen oder mehrere Organisationseinheiten zu einer Organisationseinheit zusammenschließen. Die in § 1a Abs. 3 Nr. 2 UStG, § 2b Abs. 2 Nr. 1 UStG, § 3a Abs. 5 Satz 3 UStG, § 18 Abs. 2 Satz 2 UStG, § 18a Abs. 1 Satz 2 UStG, § 19 Abs. 1 UStG und § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG genannten Betragsgrenzen gelten für Organisationseinheiten stets als überschritten. Wahlrechte, deren Rechtsfolgen das gesamte Unternehmen der Gebietskörperschaft erfassen, können nur einheitlich ausgeübt werden.2 Die Gebietskörperschaft kann gegenüber dem für sie zuständigen Finanzamt

1 JStG 2020 v. 21.12.2020, BGBl. I 2020, 3096. 2 Die Beantragung der Dauerfristverlängerung ist kein Wahlrecht i.S.v. § 18 Abs. 4f Satz 7 UStG. Eine einheitliche Ausübung der Beantragung durch den Bund oder das jeweilige Land ist nicht erforderlich, vgl. FM Schl.-Holst. v. 5.8.2021 – VI 3510-S 7107-001.

330 | Huschens

O. Einzelsachverhalte, Einzelfragen | Rz. 6.83 Kap. 6

mit Wirkung für die Zukunft erklären, dass die Sätze 1 bis 5 nicht zur Anwendung kommen sollen; ein Widerruf ist nur mit Wirkung für die Zukunft möglich. Begründung zu § 18 Abs. 4f UStG. Die Begründung zu dieser Regelung enthält der Regierungsentwurf eines JStG 2020.1 Dem ist u.a. Folgendes zu entnehmen: Unter den Körperschaften des öffentlichen Rechts nehmen die Gebietskörperschaften Bund und Länder mit Blick auf die staatsrechtlich vorgegebene Wahrnehmung staatlicher Aufgaben durch verschiedene selbstständige Verfassungsorgane und ihre Untergliederungen eine Sonderrolle ein. Die Abgabe einer einheitlichen Erklärung für durch das gesamte Handeln ihrer Organe bewirkte steuerbare Umsätze wäre für diese Gebietskörperschaften mit erheblichen praktischen und rechtlichen Schwierigkeiten verbunden. Daher wird zur Verwaltungsvereinfachung und im Interesse der Rechtssicherheit für die Umsatzbesteuerung von Bund und Ländern als Regelfall die Wahrnehmung aller Rechte und Pflichten durch deren einzelnen Organisationseinheiten vorgesehen. Bund und Länder werden durch die gesonderte Veranlagung ihrer Organisationseinheiten umsatzsteuerlich nicht bessergestellt als andere umsatzsteuerliche Unternehmer. Organisationseinheiten im Sinne des Satz 1 sind in den Gebietskörperschaften Bund und Länder jeweils einzeln die Verwaltungen der Verfassungsorgane des Bundes und der Länder, die oberste Behörde und die Behörden der nachgeordneten Bereiche bzw. die Bundes- und Landesbeauftragten, die mit eigener Selbstständigkeit außerhalb eines Ressorts aus-gestattet sind, zum Beispiel der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, sowie vergleichbare Einrichtungen des Bundes oder der Länder. (Untergeordnete) Organisationseinheiten im Sinne des Satzes 4 sind innerhalb einer Behörde gebildete Einheiten. Organisationseinheiten im Sinne des Satzes 5 können mehrere zusammengeschlossene Behörden oder Organisationseinheiten sein. Über den Zusammenschluss entscheidet die jeweils übergeordnete Organisationseinheit, das heißt in der Regel die übergeordnete Behörde. Über die jeweils definierten Organisationseinheiten hinaus bestünden sonst erhebliche praktische und rechtliche Schwierigkeiten, eine hinreichende Willensbildung zur Sicherstellung des laufenden Besteuerungsverfahrens zu gewährleisten.

6.81

Die Regelung gewährleistet, dass Verantwortlichkeiten rechtssicher zugeordnet werden können und eine Kontrolle durch die zuständigen Finanzbehörden stattfinden kann. Der Bezug auf § 30 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a und b AO benennt die Verfahren, in denen den Organisationseinheiten alle umsatzsteuerlichen Rechte und Pflichten obliegen. Soweit innerhalb der Organisationseinheiten ein Bedürfnis besteht, weitere Organisationseinheiten im Sinne dieses Gesetzes zu bilden, können sie entsprechende Organisationsentscheidungen mit Wirkung für die Zukunft treffen. Die Organisationsentscheidung soll die Mitteilung enthalten, ob für Umsatzsteuerzwecke weitere untergeordnete Organisationseinheiten gegründet werden dürfen. Die übergeordneten Organisationseinheiten können durch Organisationsentscheidungen untergeordnete Organisationseinheiten zu neuen Organisationseinheiten zusammenschließen oder deren Rechte und Pflichten als Organisationseinheit für Zwecke der Umsatzsteuer übernehmen.

6.82

Als überschritten geltende Schwellen und Umsatzgrenzen. Eine Körperschaft des öffentlichen Rechts ist umsatzsteuerlich ein einheitliches Unternehmen. Innerhalb eines Unternehmens können die in einzelnen Regelungen des UStG enthaltenen Betragsgrenzen nur einmal geltend gemacht werden. Auf Grund der fehlenden Willensbildung innerhalb der jeweiligen Gebietskörperschaft gelten diese Grenzen stets als überschritten. Dies betrifft die Erwerbsschwelle in § 1a Abs. 3 Nr. 2 UStG, den Umsatzbetrag in § 2b Abs. 2 Nr. 1 UStG, den Gesamtbetrag der Entgelte in § 3a Abs. 5 Satz 3 UStG, die Steuerbeträge in § 18 Abs. 2 Satz 2 UStG,

6.83

1 BR-Drucks. 503/20, 134.

Huschens | 331

Kap. 6 Rz. 6.83 | Umsetzungsstrategien des § 2b UStG in der Verwaltung

die Summe der Bemessungsgrundlagen in § 18a Abs. 1 Satz 2 UStG, die Umsatzgrenzen in § 19 Abs. 1 UStG und die Umsatzgrenze in § 20 Satz 1 Nr. 1 UStG. Wahlrechte, die die gesamte Gebietskörperschaft erfassen, können von den dezentral erfassten Organisationseinheiten nur einheitlich ausgeübt werden, da diese Wahlrechte nach den allgemeinen Regeln für das gesamte umsatzsteuerliche Unternehmen gelten. Im Unterschied zu den vorgenannten Betragsgrenzen ist hier nur einmalig eine Willensbildung vor Abgabe einer einmaligen Erklärung erforderlich und deshalb praktisch nicht besonders problematisch. Die Gesetzesänderung lässt den Unternehmerbegriff des § 2 UStG unberührt. Der Grundsatz der Einheit des Unternehmens bleibt auch bei gesonderter Veranlagung gewahrt. Innerhalb des einheitlichen Unternehmens, das heißt zwischen Organisationseinheiten der gleichen Trägerkörperschaft, sind steuerbare Umsätze nicht möglich. Satz 8 gibt den Gebietskörperschaften Bund und Länder die Option, § 18 Abs. 4f Satz 1 bis 5 UStG nicht anzuwenden.

6.84

Bund und Länder weiterhin einheitliches Unternehmen. Durch die gesonderte Veranlagung ihrer Organisationseinheiten sollen der Bund und die Länder umsatzsteuerlich nicht besser (aber auch nicht schlechter) gestellt werden als andere umsatzsteuerliche Unternehmer. Dementsprechend wird in § 18 Abs. 4f Satz 3 UStG bestimmt, dass der Bund und die Länder trotz ihrer teilrechtsfähigen Organisationseinheiten jeweils weiterhin als ein einheitliches Unternehmen i.S. von § 2 Abs. 1 Satz 2 UStG anzusehen sind. Daraus ergibt sich u.a., dass bei der Prüfung der Betragsgrenzen in § 1a Abs. 3 Nr. 2, § 2b Abs. 2 Nr. 1, § 18 Abs. 2 Satz 2, § 18a Abs. 1 Satz 2, § 19 Abs. 1 und § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG nicht auf die Verhältnisse bei der jeweiligen Organisationseinheit abzustellen ist, sondern der Bund bzw. das Land insgesamt zu betrachten sind.

6.85

Problematisch für quantitative Wettbewerbsgrenze in § 2b Abs. 2 Nr. 1 UStG. § 18 Abs. 4f Satz 6 UStG könnte allerdings über diese Wirkung hinausgehen, indem er bestimmt, dass die genannten Betragsgrenzen für Organisationseinheiten stets als überschritten gelten. Dies könnte zumindest für die quantitative Wettbewerbsgrenze in § 2b Abs. 2 Nr. 1 UStG problematisch sein, bis zu deren Erreichen größere Wettbewerbsverzerrungen generell abzulehnen sind. Es ist nicht ohne weiteres nachvollziehbar, warum der Bund und die Länder in diesen Fällen von der Vereinfachung des § 2b Abs. 2 Nr. 1 UStG ausgeschlossen bleiben sollen. Dies gilt vor allem mit Blick auf den Hinweis in der Gesetzesbegründung, wonach die Betragsgrenzen „aufgrund der fehlenden Willensbildung innerhalb der Gebietskörperschaft stets als überschritten“ gelten sollen. Denn die Einhaltung der quantitativen Wettbewerbsgrenze des § 2b Abs. 2 Nr. 1 UStG ist primär nicht von einer Willensentscheidung abhängig, sondern folgt aus der praktischen Möglichkeit, die Höhe der erzielten Umsätze aus einer bestimmten Tätigkeit landes- oder bundesweit ermitteln zu können.

6.86

Gesetzliche Regelung § 18 Abs. 4g UStG. Nach dem durch Art. 12 Nr. 5 JStG 20201 m.W.v. 1.1.2020 eingefügten § 18 Abs. 4g UStG gilt: Die oberste Landesfinanzbehörde oder die von ihr beauftragte Landesfinanzbehörde kann anordnen, dass eine andere als die nach § 21 Abs. 1 AO örtlich zuständige Finanzbehörde die Besteuerung einer Organisationseinheit des jeweiligen Landes übernimmt. Die oberste Landesfinanzbehörde oder die von ihr beauftragte Landesfinanzbehörde kann mit der obersten Finanzbehörde eines anderen Landes oder einer von dieser beauftragten Landesfinanzbehörde vereinbaren, dass eine andere als die nach § 21 Abs. 1 AO zuständige Finanzbehörde die Besteuerung einer Organisationseinheit des Landes der zuständigen Finanzbehörde übernimmt. Die Senatsverwaltung für Finanzen von Berlin oder eine von ihr beauftragte Landesfinanzbehörde kann mit der obersten Finanzbehörde 1 JStG 2020 v. 21.12.2020, BGBl. I 2020, 3096.

332 | Huschens

O. Einzelsachverhalte, Einzelfragen | Rz. 6.89 Kap. 6

eines anderen Landes oder mit einer von dieser beauftragten Landesfinanzbehörde vereinbaren, dass eine andere als die nach § 21 Abs. 1 AO zuständige Finanzbehörde die Besteuerung für eine Organisationseinheit der Gebietskörperschaft Bund übernimmt. Begründung zu § 18 Abs. 4g UStG. Die Begründung zu dieser Regelung enthält der Regierungsentwurf eines JStG 2020.1 Dem ist u.a. Folgendes zu entnehmen: Nach § 21 Abs. 1 AO ist für die USt mit Ausnahme der EUSt das Finanzamt örtlich zuständig, von dessen Bezirk aus der Unternehmer sein Unternehmen im Geltungsbereich des Gesetzes ganz oder vorwiegend betreibt. Nach § 18 Abs. 4f Satz 2 UStG tritt die Organisationseinheit zwar an die Stelle der Gebietskörperschaft, da aber der Unternehmensbegriff unberührt bleibt, betreiben der Bund und die Länder ihr umsatzsteuerliches Unternehmen an jenem Ort, an dem die wichtigsten Entscheidungen getroffen werden. Dies ist für den Bund Berlin als Hauptstadt sowie für die Flächenländer die jeweilige Landeshauptstadt. Die oberste Landesfinanzbehörde oder die von ihr beauftragte Landesfinanzbehörde kann anordnen, dass eine andere Finanzbehörde die Besteuerung einer Organisationseinheit der Gebietskörperschaft des Landes übernimmt. Die oberste Landesfinanzbehörde oder die von ihr beauftragte Landesfinanzbehörde kann mit einer anderen obersten Finanzbehörde eines anderen Landes oder einer von dem anderen Land beauftragten Landesfinanzbehörde vereinbaren, dass eine andere Finanzbehörde die Besteuerung einer Organisationseinheit der Gebietskörperschaft von einem der beteiligten Länder übernimmt. Die Senatsverwaltung für Finanzen von Berlin oder eine von ihr beauftragte Landesfinanzbehörde kann mit einer obersten Finanzbehörde eines anderen Landes oder mit einer von dem anderen Land beauftragten Landesfinanzbehörde vereinbaren, dass eine andere Finanzbehörde die Besteuerung für eine Organisationseinheit der Gebietskörperschaft Bund übernimmt. Die Regelung ist eine Spezialvorschrift zu § 27 AO.

6.87

Begriff der Organisationseinheit. Von zentraler Bedeutung bei neu geregelten dezentralen Erfassung ist der Begriff der Organisationseinheit. Organisationseinheiten sind die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder nebst den Rechnungshöfen; im Fall der Bundesregierung bzw. den Landesregierungen ist die Organisationseinheit aufgrund des Ressortprinzips die oberste Behörde mit ihrem nachgeordneten Bereich bzw. die Bundes- und Landesbeauftragten, die mit eigener Selbstständigkeit außerhalb eines Ressorts ausgestattet sind sowie vergleichbare Einrichtungen des Bundes oder der Länder. Unselbstständige Einrichtungen, wie z.B. Bundes- und Landesbetriebe sind keine Organisationseinheiten. Der Begriff der Organisationseinheit dürfte originär als größtmögliche Einheit anzusehen sein, die ihrerseits Organisationsentscheidungen treffen kann, um ihre Pflichten auf ihren nachgeordneten Bereich abzugeben, z.B. durch einen Organisationserlass.

6.88

II. Umsätze im Rahmen der Selbstnutzung und der Verpachtung von Jagdbezirken Eigenjagdbezirke und gemeinschaftliche Jagdbezirke. Voraussetzung für die Jagdausübung ist unter anderem das Innehaben eines Jagdbezirkes. Das Jagdrecht ist mit dem Eigentum am Grund und Boden untrennbar verbunden.2 Es darf nur in Jagdbezirken ausgeübt werden. In Bayern wird häufig der Begriff „Revier“ anstelle von „Bezirk“ verwendet. Eigenjagdbezirke sind gegeben, wenn sie zusammenhängende Grundflächen mit einer land-, forst- oder fischereiwirtschaftlich nutzbaren Fläche von mindestens 81,755 ha umfassen und diese im Eigen-

1 BR-Drucks. 503/20, 135. 2 Vgl. z.B. § 3 BJagdG.

Huschens | 333

6.89

Kap. 6 Rz. 6.89 | Umsetzungsstrategien des § 2b UStG in der Verwaltung

tum einer Person oder Personengemeinschaft stehen.1 Gemeinschaftliche Jagdbezirke bilden alle Grundflächen einer Gemeinde, die nicht zu einem Eigenjagdbezirk gehören. Die Mindestgröße beträgt in Bayern 250 Hektar (im Hochgebirge mit seinen Vorbergen 500 ha). Die Eigentümer der Flächen, sogenannte Jagdgenossen, bilden kraft Gesetz Jagdgenossenschaften (in Deutschland Körperschaften des öffentlichen Rechts, § 9 BJagdG, Art. 10 und 11 BayJG). Es sind zwei Arten von Jagdbezirken zu unterscheiden: Eigenjagdbezirke (zusammenhängende land-, forst- oder fischereiwirtschaftlich nutzbare Grundstücke einer Person oder Personenvereinigung) und gemeinschaftliche Jagdbezirke (alle Grundflächen einer/oder mehrerer Gemeinde/n, die nicht zu einem Eigenjagdbezirk gehören, wenn diese zusammengefasst mindestens einen bestimmten ha-Wert umfassen). Jagdbezirke entstehen kraft Gesetzes, sobald die eigentums- und flächenmäßigen Voraussetzungen vorliegen. Das Jagdausübungsrecht ist an den Jagdbezirk gebunden, es steht daher immer dem Jagdbezirksinhaber zu. Jagdbezirksinhaber ist bei einem gemeinschaftlichen Jagdbezirk die sich aus den Grundstückseigentümern zusammensetzende Jagdgenossenschaft, bei einem Eigenjagdbezirk der Grundstückseigentümer. Im Falle der Jagdverpachtung geht das Jagdausübungsrecht auf den Jagdpächter über.2

6.90

Selbstnutzung. Die Selbstnutzung des Jagdausübungsrechts durch den Jagdbezirksinhaber ist Ausfluss der Bewirtschaftung des land- und forstwirtschaftlichen Betriebs, wenn dieser den im Jagdbezirk belegenen Grundbesitz auch ansonsten land- und forstwirtschaftlich nutzt. Dies gilt grundsätzlich auch für Umsätze, die im Rahmen der Selbstnutzung erzielt werden, wie z.B. der Verkauf von Wildbret. Bei einem nach § 24 UStG pauschalierenden Land- und Forstwirt fallen diese Umsätze unter den Durchschnittsatz des § 24 Abs. 1 Nr. 3 UStG. Kein Ausfluss der Bewirtschaftung des land- und forstwirtschaftlichen Betriebs sind hingegen die im Rahmen der Selbstnutzung entgeltlich vergebenen Jagderlaubnisscheine und die entgeltliche Erteilung von Erlaubnissen für Einzelabschüsse. Diese Umsätze unterliegen dem Regelsteuersatz.

6.91

Verpachtung. Nach dem BFH-Urteil v. 11.2.19993 erfolgt die Verpachtung eines Jagdbezirks durch einen Land- und Forstwirt nicht im Rahmen eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebes. Die daraus erzielten Umsätze unterliegen der Regelbesteuerung. Nach der BFH-Entscheidung ist die Jagdverpachtung keine Verwertung von Walderzeugnissen, sondern Rechtspacht. Das Jagdrecht steht dem Jagdbezirksinhaber unabhängig von der land- und forstwirtschaftlichen Nutzung seines Grundbesitzes zu; es ist somit dem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb nicht zuzurechnen. Die einkommensteuerliche Qualifikation der Verpachtung ist nicht maßgeblich. Ferner kann es nicht darauf ankommen, ob der gesamte Jagdbezirk oder nur einzelne Flächen verpachtet werden. Unerheblich ist auch, dass die Einnahmen aus der Jagdverpachtung einen Teil der Kosten der Wildbewirtschaftung des Forstbetriebs abdecken. Die dem Regelsteuersatz unterliegende Einräumung des Rechts auf Jagdausübung umfasst neben der Verpachtung von Jagdbezirken auch die entgeltliche Vergabe von Jagderlaubnisscheinen sowie die entgeltliche Erlaubnis für Einzelabschüsse.4 Die Jagdgenossenschaft stellt eine Körperschaft des öffentlichen Rechts dar und ist nach den für jPöR geltenden Grundsätzen zu besteuern. Die Verpachtung der Jagd wird im Rahmen der Anwendung des § 2 Abs. 3 UStG (i.d.F. v. 31.12.2015) als nichtunternehmerische Vermögensverwaltung beurteilt. Seit 1.1.2017 sind grundsätzlich die Besteuerungsgrundsätze des § 2b UStG anzuwenden, wonach die Umsätze aus der Vermögensverwaltung dann der unternehmerischen Tätigkeit der jPöR zuzurechnen sind. Zwischen dem 1.1.2017 und dem 31.12.2022 kann eine jPöR aber auch weiterhin 1 2 3 4

§ 7 Abs. 1 BJagdG, Art. 8 BayJG. Vgl. Bayerisches LfSt v. 13.4.2021 – S 7416.1.1-2/7 St33. V R 27/97, BStBl. II. Vgl. Abschn. 24.3 Abs. 12 UStAE und BFH v. 13.8.2008, BStBl. II 2009, 216.

334 | Huschens

O. Einzelsachverhalte, Einzelfragen | Rz. 6.94 Kap. 6

die alte Besteuerungssystematik fortführen, wenn sie die Übergangsregelung des § 27 Abs. 22 UStG nutzt und bis 31.12.2016 eine entsprechende Optionserklärung bei ihrem Finanzamt abgab. Wenn Jagdgenossenschaften mit der Pacht (und den sonstigen Umsätzen) die Kleinunternehmergrenze des § 19 UStG nicht überschreiten, ist auch unter Anwendung der Besteuerungsgrundsätze des § 2b UStG von der Erhebung von USt auf die Jagdpacht abzusehen.1

III. Jagdgenossenschaften Verpachtung des Jagdrechts. Grundsätzlich gilt, dass die Verpachtung der Ausübung des Jagdrechts2 umsatzsteuerbar und umsatzsteuerpflichtig ist. Die Verpachtung des Jagdrechts durch Jagdgenossenschaften (jPöR) auf privatrechtlicher Grundlage an Dritte war unter der Rechtslage des § 2 Abs. 3 UStG nicht mit Umsatzsteuer belastet, weil es sich körperschaftsteuerrechtlich um eine bloße Vermögensverwaltung handelt, bei der kein steuerpflichtiger Betrieb gewerblicher Art im Sinne von § 2 Abs. 3 UStG entsteht. Sofern eine Jagdgenossenschaft eine Optionserklärung nach § 27 Abs. 22 UStG abgegeben hat, ist § 2 Abs. 3 UStG (i.d.F. v. 31.12.2015) weiterhin anzuwenden, längstens bis zum 31.12.2022. Unter Berücksichtigung der Rechtslage des § 2b UStG ändert sich die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung: Die Verpachtung des Jagdrechts stellt eine nachhaltige und entgeltliche und damit unternehmerische Tätigkeit gemäß § 2 Abs. 1 UStG dar. Die Besteuerung ist dabei nicht nach § 2b UStG ausgenommen, da Jagdgenossenschaften die Verpachtung auf privatrechtlicher Grundlage und damit außerhalb der öffentlichen Gewalt vornehmen. Die somit steuerbaren Verpachtungsumsätze sind auch steuerpflichtig. Nach § 4 Nr. 12 UStG, der auf Art. 135 Abs. 1 Buchst. l MwStSystRL beruht, ist zwar die Vermietung und Verpachtung von Grundstücken steuerfrei. Die Verpachtung eines Jagdrechts fällt jedoch – vergleichbar der Verpachtung von sog. Fischereirechten – nicht unter diese Befreiung. Dabei kann es dahingestellt bleiben, ob das Jagdrecht ein dingliches Recht am Grundstück darstellt. Denn die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. c UStG ist nach Abschnitt 4.12.8 UStAE dahin auszulegen, dass dafür auch das Recht zur Inbesitznahme des Grundstücks eingeräumt werden muss. Daran fehlt es aber bei der Verpachtung des Jagdrechts.3

6.92

IV. Kooperationen zwischen Universitätskliniken und Medizinischen Fakultäten Zur umsatzsteuerrechtlichen Behandlung der Kooperationen zwischen Universitätskliniken in der Rechtsform des öffentlichen Rechts und Medizinischen Fakultäten vertritt die Verwaltung folgende Auffassung:4

6.93

1. Überlassung von Personal einer Medizinischen Fakultät an eine Universitätsklinik (und umgekehrt) Entgeltliche Personalüberlassung. Erfolgt die Überlassung des Personals gegen Entgelt, z.B. in Form einer Kostenerstattung, liegt ein Leistungsaustausch im umsatzsteuerrechtlichen Sinn und damit eine unternehmerische Betätigung i.S.v. § 2 Abs. 1 UStG vor. Bei entsprechen1 Vgl. OFD Frankfurt v. 28.11.2016 – S 7410 A-004-St 16; vgl. auch Bayerisches LfSt v. 13.4.2021 – S 7416.1.1-2/7 St33. 2 § 11 Bundesjagdgesetz. 3 Vgl. z.B. EuGH v. 6.12.2007 – C-451/06 – Walderdorff, HFR 2008, 197, zur vergleichbaren Verpachtung von Fischereirechten; vgl. FM Schl.-Holst. v. 23.3.2018 – VI 3510-S 7107-001. 4 Vgl. BMF v. 28.1.2020 – III C 2 - S 7107/19/10004 :003 (2019/1098885).

Huschens | 335

6.94

Kap. 6 Rz. 6.94 | Umsetzungsstrategien des § 2b UStG in der Verwaltung

der Sachverhaltsgestaltung können jedoch die Voraussetzungen des § 2b Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. b UStG gegeben und die Unternehmereigenschaft ausgeschlossen sein. Entscheidend ist, dass die Behandlung als Nichtunternehmer nicht zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führt. Dies ist regelmäßig der Fall, wenn die jeweiligen Landesgesetze Forschung und Lehre sowie Krankenversorgung als gemeinsame Aufgabe von Universitätsklinika und Medizinischen Fakultäten regeln und über die Personalüberlassung gegen Entgelt öffentlichrechtliche Verträge abgeschlossen werden. Bei entsprechender Sachverhaltsgestaltung können im Übrigen auch die zudem zu prüfenden Buchstaben a, c und d des § 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG erfüllbar sein. Kommt es trotz Vorliegens der Voraussetzungen zu größeren Wettbewerbsverzerrungen, wird die Unternehmereigenschaft nicht ausgeschlossen. Ergibt sich nämlich, dass die Nichtbesteuerung von Leistungen im Rahmen der Zusammenarbeit von jPöR zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde, ist die Regelvermutung des § 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG als widerlegt anzusehen. Dies ist im Einzelfall stets zu prüfen.1

2. Verwaltungsleistungen im Bereich der Personal- und Wirtschaftsverwaltung 6.95

Geschäftsbesorgung und Kooperation. Die landesrechtlichen Vorschriften sehen regelmäßig den Abschluss von Geschäftsbesorgungs- oder Kooperationsverträgen zwischen Universitätskliniken und Medizinischen Fakultäten vor. In diesen Verträgen überträgt die Medizinische Fakultät dem jeweiligen Universitätsklinikum zumeist u.a. die Aufgabe der Personal- und Wirtschaftsverwaltung. Werden die Verwaltungsleistungen entgeltlich erbracht, liegt ein Leistungsaustausch im umsatzsteuerrechtlichen Sinn und damit eine unternehmerische Betätigung i.S.v. § 2 Abs. 1 UStG vor. Soweit gesetzlich vorgesehen ist, dass diese Aufgabe nur auf ein kooperierendes Universitätsklinikum übertragen werden darf und nicht auf Dritte,2 ist § 2b Abs. 3 Nr. 1 UStG zu bejahen. Unter den vor in Tz. 1 genannten Bedingungen kann die Tätigkeit auch nach § 2b Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 Nr. 2 UStG beschriebenen Voraussetzungen von der Unternehmereigenschaft ausgenommen sein.3 Allerdings ist bei der Anwendung des § 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG stets zu prüfen, ob größere Wettbewerbsverzerrungen vorliegen (s. vor Tz. 1). Staatliche Hochschulen arbeiten bei ihren Forschungsvorhaben und Lehrangeboten oftmals mit anderen Hochschulen, öffentlichen Einrichtungen, privatrechtlichen Forschungseinrichtungen oder Unternehmen der Privatwirtschaft zusammen. Kommt es hierbei zu einem Austausch von Leistungen, so ist die Unternehmereigenschaft der staatlichen Hochschule somit nur dann ausnahmsweise nach § 2b UStG eingeschränkt, wenn die Zusammenarbeit auf öffentlich-rechtlicher Grundlage erfolgt und die Nichtbesteuerung der erbrachten Leistungen keine größeren Wettbewerbsverzerrungen auslösen würde.

3. Sachmittel- und Raumüberlassung 6.96

Entgeltliche Überlassung. Erfolgt die Sachmittel- und Raumüberlassung gegen Entgelt, liegt ein Leistungsaustausch im umsatzsteuerrechtlichen Sinn und damit eine unternehmerische Betätigung i.S.v. § 2 Abs. 1 UStG vor. § 2b Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. b UStG ist erfüllt, wenn die jeweiligen Landesgesetze Forschung und Lehre sowie Krankenversorgung als gemeinsame Aufgabe von Universitätsklinikum und Medizinischer Fakultät regeln und über die Überlassung von Räumen und Sachmitteln zwischen Medizinischer Fakultät und Universitätsklinikum öffentlich-rechtliche Verträge abgeschlossen wurden. Bei entsprechender Sachverhaltsgestaltung können im Übrigen auch die zudem zu prüfenden Buchstaben a, c und d 1 Auf das BMF-Schreiben v. 14.11.2019, BStBl. I 2019, 1140, wird hingewiesen. 2 S. z.B. § 4 Abs. 3 UKGBaWü. 3 Rz. 49 des BMF-Schreibens v. 16.12.2016, BStBl. I 2016, 1451.

336 | Huschens

O. Einzelsachverhalte, Einzelfragen | Rz. 6.99 Kap. 6

des § 2b Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 UStG erfüllbar sein. Entscheidend ist auch in diesen Fällen, dass die Behandlung als Nichtunternehmer nicht zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führt. Kommt es trotz Vorliegens der Voraussetzungen zu größeren Wettbewerbsverzerrungen, wird die Unternehmereigenschaft nicht ausgeschlossen. Dies ist im Einzelfall stets zu prüfen.

V. Umsatzbesteuerung von Hochschulkooperationen und anderen Leistungen der öffentlichen Hand im Bereich der Wissenschaft Zur Umsatzbesteuerung der Hochschulen unter der Rechtslage des § 2b UStG hat das BMF mit (nicht im BStBl. Teil I) veröffentlichten Schreiben v. 26.11.20201 geantwortet. Danach gilt u.a.:

6.97

1. Hochschulkooperationen Allgemeines. Forschungsvorhaben öffentlich-rechtlicher Universitäten werden oftmals in Zusammenarbeit mit anderen öffentlichen Einrichtungen, privatrechtlich organisierten Forschungseinrichtungen oder Unternehmen der Privatwirtschaft durchgeführt. Kommt es dabei zur Begründung von Gesellschaftsverhältnissen, sind die allgemeinen Grundsätze von Abschn. 1.6 UStAE zu beachten. Soweit danach sog. echte Gesellschafterbeiträge vorliegen, fällt keine Umsatzsteuer an.2 Im Übrigen kann die Steuerbarkeit der Leistungen der Beteiligten der Kooperation über § 2b UStG eingeschränkt sein. Diese Ausnahmeregelung gilt allerdings nur für die Leistungen der öffentlich-rechtlichen Universitäten und der öffentlich-rechtlich organisierten Forschungseinrichtungen und setzt voraus, dass die Nichtbesteuerung dieser Leistungen zu keinen größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde. Ob die Nichtbesteuerung von Leistungen im Rahmen einer Forschungskooperation zu größeren Wettbewerbsverzerrungen im Sinne des § 2b Abs. 1 Satz 2 führt, ist im Einzelfall zu prüfen.

6.98

Leistungsaustausch. Staatliche Hochschulen arbeiten bei ihren Forschungsvorhaben und Lehrangeboten oftmals mit anderen Hochschulen, öffentlichen Einrichtungen, privatrechtlichen Forschungseinrichtungen oder Unternehmen der Privatwirtschaft zusammen. Kommt es hierbei zu einem Austausch von Leistungen, so ist die Unternehmereigenschaft der staatlichen Hochschule nur dann ausnahmsweise nach § 2b UStG eingeschränkt, wenn die Zusammenarbeit auf öffentlich-rechtlicher Grundlage erfolgt und die Nichtbesteuerung der erbrachten Leistungen keine größeren Wettbewerbsverzerrungen auslösen würde. Größere Wettbewerbsverzerrungen können dabei nicht alleine deshalb ausgeschlossen werden, weil Aufgaben faktisch ausschließlich durch die öffentliche Hand oder von der öffentlichen Hand finanzierten Einrichtungen übernommen werden. Bereits potentielle Leistungserbringer aus der privaten Wirtschaft sind – im Gegensatz zu hypothetischen – schädlich. Dabei ist auf die jeweils konkrete Leistung abzustellen, z.B. „Überlassung eines Forschungsgeräts“. Aus der Zuordnung einer Tätigkeit zur Grundlagenforschung lassen sich keine umsatzsteuerlichen Rechtsfolgen ableiten. Kommt es bei der Forschungsarbeit öffentlich-rechtlicher Universitäten in Kooperation mit privatrechtlich organisierten Forschungseinrichtungen oder Unternehmen der Privatwirtschaft zur Begründung von Gesellschaftsverhältnissen, sind die allgemeinen Grundsätze des Abschnitts 1.6 UStAE zu beachten. Soweit danach sog. echte Gesellschafterbeiträge vorliegen, fällt keine USt an.3

6.99

1 S. aber Anlage zu LfSt Nds. v. 27.1.2021 – S 7106-341-St 171; zur Unternehmereigenschaft der niedersächsischen Hochschulen s. LfSt Nds. v. 18.7.2018 – S 7106-313-St 172. 2 Auf Abschn. 2.10 Abs. 1 i.V.m. Abschn. 10.2 Abs. 8 bis 10 UStAE ist ergänzend hinzuweisen. 3 Vgl. auch Abschnitt 2.10 UStAE i.V.m. Abschnitt 10.2 Abs. 8 bis 10 UStAE.

Huschens | 337

Kap. 6 Rz. 6.100 | Umsetzungsstrategien des § 2b UStG in der Verwaltung

2. Studiengebühren 6.100

Weiterbildungsleistungen. Erbringen staatliche Hochschulen entgeltliche Weiterbildungsleistungen auf privatrechtlicher Grundlage, können sie nach § 4 Nr. 22 Buchst. a UStG von der Umsatzsteuer befreit sein. Diese Befreiung erhalten auch private Anbieter von Weiterbildungsleistungen, wenn sie zu dem in der Vorschrift genannten Personenkreis gehören, z.B. gemeinnützig sind. Entsprechende Weiterbildungsleistungen der Hochschulen auf öffentlich-rechtlicher Grundlage sind nach den Grundsätzen in Rz. 38 f. des BMF-Schreibens v. 16.12.20161, bereits nicht steuerbar. Dem steht nicht entgegen, dass Weiterbildungsleistungen bestimmter anderer Anbieter (z.B. der nicht gemeinnützigen Einrichtungen) steuerpflichtig sind. Denn der Gesetzgeber hat die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 22 Buchst. a UStG auf die Weiterbildungsleistungen bestimmter Unternehmer beschränkt und damit zum Ausdruck gebracht, dass deren Bildungsangebote mit denen der nicht begünstigten Unternehmer nicht vergleichbar sind. Diese Unterscheidung gilt insoweit auch im Bereich des § 2b Abs. 2 Nr. 2 UStG.

3. Gemeinsame Berufungen 6.101

Modelle. Um Spitzenforschung zu ermöglichen, arbeiten Hochschulen und andere außeruniversitäre Forschungseinrichtungen wie die Max-Planck-Gesellschaften, die Helmholtz-Forschungsgemeinschaft oder die Leibniz-Forschungseinrichtungen häufig zusammen und berufen dazu gemeinsam einen Professor, der an der Hochschule eine Professur übernimmt und zugleich in einer Leitungs- und Forschungsposition an der außeruniversitären Forschungseinrichtung tätig ist. In der Praxis haben sich folgende Modelle zur gemeinsamen Berufung von Professoren etabliert: – Jülicher Modell (Beurlaubung), – Karlsruher Modell (Nebentätigkeit), – Thüringer Modell (Professor durch bloße Mitgliedschaft in der Hochschule) und – Berliner Modell (Erstattung).

6.102

Verwaltungsauffassung. Die Verwaltung ist der Auffassung, dass das Berliner Modell regelmäßig zu einem steuerbaren Leistungsaustausch in Form der Überlassung des Berufenen gegen Erstattung der angefallenen Personalkosten führt. Die Voraussetzungen des unternehmerischen Handelns nach § 2 Abs. 1 UStG sind im Fall der Überlassung eines Hochschullehrers an eine außeruniversitäre Forschungseinrichtung gegen Erstattung der Personalkosten regelmäßig erfüllt; insbesondere liegt ein Leistungsaustausch vor (Gestellung eines Hochschullehrers gegen Personalkostenerstattung). Auf die Motive bzw. die vom Unternehmer verfolgten Zwecke kommt es dabei ebenso wenig an wie auf die berufliche Stellung (Beamtenstatus) oder die fachliche Qualifikation der Hochschullehrer. Eine Rückausnahme von der Unternehmereigenschaft nach § 2b UStG würde voraussetzen, dass die Überlassung des Hochschullehrers an die außeruniversitäre Forschungseinrichtung auf öffentlich-rechtlicher Grundlage erfolgt und dass eine Behandlung als Nichtunternehmer nicht zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führt. Regelmäßig dürfte jedoch zumindest ein potentieller Wettbewerb insbesondere zu privaten Hochschulen bestehen, die ebenfalls Professorinnen und Professoren an andere Einrichtungen überlassen dürfen. Auch wenn man beachtet, dass die im Berliner Modell erfolgende „Zuweisung“2 des Hochschullehrers an die außeruniversitäre Forschungseinrichtung beam1 BStBl. I 2016, 1451. 2 § 29 BBG.

338 | Huschens

O. Einzelsachverhalte, Einzelfragen | Rz. 6.105 Kap. 6

tenrechtlich von „Versetzung“1 und „Abordnung“2 zu unterscheiden ist, dürfte dies nicht dazu führen, dass umsatzsteuerlich ein Leistungsaustausch zu verneinen wäre. Selbst wenn die außeruniversitäre Forschungseinrichtung als Leistungsempfänger aufgrund der beamtenrechtlichen Vorgaben und der durch das GG garantierten Wissenschaftsfreiheit in ihrer Disposition eingeschränkt wäre, dem Berufenen detaillierte Weisungen für die Ausübung seiner Tätigkeiten zu erteilen, bleibt es dabei, dass ein der außeruniversitären Forschungseinrichtung zugewiesener Hochschullehrer seine Arbeitskraft im Wesentlichen für diese Einrichtung einsetzt und dadurch ein umsatzsteuerlich relevanter verbrauchsfähiger Vorteil verschafft wird. Dass sich auch die leistende Hochschule von der Kooperation Vorteile (Reputationsgewinn u.a.) verspricht, die über eine reine Personalkostenerstattung hinausgehen, ist hierfür nicht ausschlaggebend. Beim Jülicher Modell wird der Professor dagegen für die Zeit seiner Tätigkeit bei der außeruniversitären Forschungseinrichtung beurlaubt und wird während dieser Zeit von der Forschungseinrichtung bezahlt. Eine steuerbare entgeltliche Personalgestellung liegt in diesen Fällen deshalb regelmäßig nicht vor. Diese Beurteilung gilt entsprechend für das Karlsruher und das Thüringer Modell, bei denen es ebenfalls in aller Regel zu keiner Personalgestellung kommt.

6.103

Abweichende Modelle. Hiervon abweichende Modelle der gemeinsamen Berufung sind nach den allgemeinen Grundsätzen zu beurteilen. Rechtsgrundlage für eine Personalgestellung des Berufenen von der Hochschule an die Forschungseinrichtung ist die im Einzelfall geschlossene Kooperationsvereinbarung. Die Einstufung ob die Kooperationsvereinbarung als öffentlich-rechtlicher oder als privatrechtlicher Vertrag zu qualifizieren ist, entscheidet, ob der Anwendungsbereich des § 2b UStG eröffnet sein kann. Sofern dies der Fall ist, werden regelmäßig größere Wettbewerbsverzerrungen nicht auszuschließen sein. Es besteht ein potentieller Wettbewerb insbesondere zu privaten Hochschulen, die ebenfalls Professorinnen und Professoren an andere Einrichtungen überlassen dürfen. Gewisse Unterschiede in den rechtlichen Rahmenbedingungen stehen einer Marktrelevanz nicht entgegen, da diese weder zu Marktzugangsbeschränkungen der privaten Hochschulen führen, noch die Entscheidung der Forschungseinrichtung, mit welcher Hochschule sie kooperiert, entscheidend beeinflusst. Die Forschungseinrichtungen sind auch nicht verpflichtet, gemeinsame Berufungen nur mit öffentlich-rechtlich organisierten Hochschulen zu verwirklichen.

6.104

Tätigkeit eines Hochschullehrers als Richter des Bundesverfassungsgerichts. Insbesondere aufgrund § 3 Abs. 3 und 4, § 101 BVerfGG behalten Hochschullehrer an einer deutschen Hochschule, die zum Richter des Bundesverfassungsgerichts gewählt werden, anders als alle anderen Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts, ihr Amt oder Beschäftigungsverhältnis als Lehrer an einer deutschen Hochschule bei. Für die Dauer ihres Amtes als Richter am Bundesverfassungsgericht ruhen grundsätzlich die Pflichten aus dem Dienstverhältnis als Hochschullehrer bzw. die Tätigkeit als Richter geht der Tätigkeit als Hochschullehrer vor. Dies gilt nach dem Wortlaut von § 3 Abs. 4 BVerfGG unabhängig davon, ob die Hochschullehrer an einer öffentlichen oder an einer privaten Hochschule beschäftigt sind. Beamtete Hochschullehrer werden weiter (auch) von der Hochschule besoldet. Von den Dienstbezügen aus dem Dienstverhältnis als Hochschullehrer werden zwei Drittel auf die ihnen als Richter des Bundesverfassungsgerichts zustehenden Bezüge angerechnet. Der Bund erstattet den Dienstherrn der Hochschullehrer die durch ihre Vertretung erwachsenden tatsächlichen Ausgaben bis zur Höhe der angerechneten Beträge. Die Kostenerstattungen des Bundes nach § 101 Abs. 3 Satz 4

6.105

1 § 28 BBG. 2 § 27 BBG.

Huschens | 339

Kap. 6 Rz. 6.105 | Umsetzungsstrategien des § 2b UStG in der Verwaltung

BVerfGG für die Vertretung von Hochschullehrern bei öffentlich-rechtlichen Hochschulen unterliegen nicht der Umsatzsteuer. Insoweit liegen keine entgeltliche Personalgestellung und somit keine umsatzsteuerbare Leistung der Hochschule im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG vor.1

4. Studierendenwerke 6.106

Tätigkeiten für die Landesverwaltung. Hinsichtlich der Übernahme staatlicher Aufgaben und die Darlehensgewährung an Studierende nach dem BaföG durch Studierendenwerke bei Finanzierungsregelungen über Landeszuschüsse führt das BMF-Schreiben v. 26.11.20202 u.a. Folgendes aus: Wenn die Studierendenwerke Tätigkeiten für die Landesverwaltung durchführen und dafür ein Entgelt z.B. in Form eines pauschalen Ersatzes der Personal- und Sachkosten erhalten, liegt regelmäßig ein relevanter Leistungsaustausch vor, der zur Unternehmereigenschaft nach § 2 Abs. 1 UStG führt. Die Unternehmereigenschaft ist über § 2b UStG nur eingeschränkt, wenn die Leistungsbeziehungen öffentlich-rechtlich ausgestaltet sind und die Nichtbesteuerung der Leistungen keine größeren Wettbewerbsverzerrungen auslösen würde. Die bloße Existenz einer Aufgabenzuweisung an eine bestimmte Stelle schließt dabei für sich allein die Gefahr von Wettbewerbsverzerrungen nicht aus. Kann die Aufgabe aufgrund von landesgesetzlichen Regelungen jedoch ausschließlich durch das jeweilige Studierendenwerk erbracht werden, liegt keine Wettbewerbssituation vor § 2b Abs. 3 Nr. 1 UStG). Bei Darlehensvergaben kann es sich – unabhängig vom Kontext des Vollzugs des BAföG um steuerfreie Leistungen nach § 4 Nr. 8 Buchst. a UStG handeln.

VI. Geschäftsführungsleistungen der Kreishandwerkerschaften für Innungen 6.107

Ausübung der Geschäftsführung. Die Kreishandwerkerschaften gelten mit der Ausübung der Geschäftsführung der Innungen hinsichtlich der Anwendung des § 2b UStG nicht als Unternehmer im Sinne des § 2 UStG.3 Dem liegen folgende Erwägungen zugrunde: Die Voraussetzungen des § 2b Abs. 1 Satz 1 UStG sind gegeben, da die Geschäftsführungsleistungen auf Grundlage öffentlich-rechtlicher Vereinbarungen und insbesondere einer öffentlich-rechtlichen Beitragssatzung abgerechnet werden.4 Erörterungsbedürftig ist, ob keine Wettbewerbssituation gegeben ist. Dabei ist § 2b Abs. 3 UStG als Ausnahmevorschrift gesetzessystematisch restriktiv auszulegen. Die Voraussetzungen des § 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG sind erfüllt. Die Geschäftsführungsvereinbarungen werden auf unbestimmte Zeit geschlossen werden, so dass von langfristigen Verträgen im Sinne des § 2b Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a UStG auszugehen ist. Die Voraussetzungen des § 2b Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. b UStG liegen ebenfalls vor, da aufgrund des Prinzips der Selbstverwaltung die Innungen und Kreishandwerkerschaften durch Gesetz mit der Wahrnehmung bestimmter öffentlicher Aufgaben betraut werden. Bei den Kreishandwerkerschaften kann im Rahmen der Geschäftsführungsleistungen bestimmter Sachverstand zur Aufgabenerfüllung gebündelt werden. So können sie damit ihre Angelegenheiten selbstständig und eigenverantwortlich regeln. Das Kammerwesen gehört in der Bundesrepublik Deutschland zur öffentlichen Infrastruktur. Aufgrund der gesetzlich zugewiesenen Aufgabenwahrnehmung wird die Staatsverwaltung entlastet, die im Übrigen für den Erhalt der Infrastruktur maßgeblich verantwortlich ist. Die Voraussetzungen des § 2b Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. c und d UStG sind ebenfalls gegeben. 1 Vgl. FM Schl.-Holst. v. 29.7.2021 – VI 3510-S 7107-001. 2 S. Anlage zu LfSt Nds. v. 27.1.2021 – S 7106-341-St 171. 3 Vgl. Abschnitt 2b.1 Abs. 4 UStAE i.d.F. des BMF-Schreibens v. 9.7.2020, BStBl. I 2020, 643; vgl. auch FM Schl.-Holst. v. 19.12.2020 – VI 3510-S 7107-001. 4 § 89 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 73 Handwerksordnung (HwO).

340 | Huschens

O. Einzelsachverhalte, Einzelfragen | Rz. 6.109 Kap. 6

VII. Steuerliche Beurteilung der Entsorgung von Abfall aus anderen Herkunftsbereichen als privaten Haushalten sowie der Tätigkeiten im Zusammenhang mit dem Dualen System durch jPöR 6.108

S. dazu Abschnitt D. Rz. 6.39 ff.

VIII. Entgeltliche Personalüberlassung durch jPöR, Überleitungsregelung in Umstrukturierungsfällen Umstrukturierung. Beim Outsourcen von Aufgaben durch die öffentliche Hand auf eine GmbH, eine Anstalt oder Ähnliches ist es aus rechtlichen Gründen oftmals nicht möglich, dass der neue Aufgabenträger das vorhandene Personal übernimmt. Das Personal wird deshalb dem neuen Aufgabenträger gegen Erstattung der Kosten überlassen. Hierin liegt umsatzsteuerlich ein nachhaltiger Leistungsaustausch, der zur Unternehmereigenschaft der leistenden jPöR nach § 2 Abs. 1 UStG führt. Gemäß Tz. I. der KSt-Kartei ND § 4 KStG Karte B 9 wird in diesen Fällen unter folgenden Bedingungen körperschaftsteuerlich kein steuerschädlicher Betrieb gewerblicher Art (BgA) angenommen:1 – Die entgeltliche Personalgestellung ist eine Folge organisatorisch bedingter äußerer Zwänge (z.B. Wechsel der Rechtsform – ohne Rücksicht auf Wechsel der Inhaberschaft –, Unkündbarkeit der Bediensteten). – Die Beschäftigung gegen Kostenerstattung erfolgt im Interesse der betroffenen Bediensteten zur Sicherstellung der erworbenen Rechte aus dem Dienstverhältnis mit einer jPöR. – Die Personalgestellung ist begrenzt auf den zum Zeitpunkt der Umwandlung vorhandenen Personalbestand, so dass sich der Umfang mit Ausscheiden der betreffenden Mitarbeiter von Jahr zu Jahr verringert. – Die Gestellung des Personals darf nicht das äußere Bild eines Gewerbebetriebes annehmen. – Diese Regelung führte in der Vergangenheit über § 2 Abs. 3 UStG dazu, dass für die Personalgestellung keine Umsatzsteuer anfiel. Für Zeiträume ab dem 1.1.2016 bis spätestens 31.12.2022 gilt diese Regelung fort, sofern die leistende jPöR nach § 27 Abs. 22 S. 3 UStG zur weiteren Anwendung des § 2 Abs. 3 UStG optiert hat und der Optionszeitraum noch nicht abgelaufen ist. Durch die Streichung des § 2 Abs. 3 UStG i.d.F.v.31.12.2015 sind frühere Anknüpfungspunkte der KSt nicht mehr maßgeblich für die umsatzsteuerliche Beurteilung. Ob eine Unternehmereigenschaft vorliegt, bestimmt sich nach § 2 Abs. 1 UStG. Infolgedessen hat die Rechtsfigur der Beistandsleistungen umsatzsteuerlich keine Bedeutung mehr. Insbesondere ist irrelevant, ob der Leistungsaustausch zwischen Hoheitsbereichen im Sinne der KSt stattfindet. Darüber hinaus werden regelmäßig Personalgestellungen bzw. Personalüberlassungen umsatzsteuerbar, die vorher mangels Vorliegen eines BgA nicht als unternehmerisch gegolten hatten. Bei sogenannten „Umstrukturierungsfällen“ gelten ebenfalls die allgemeinen Regelungen. Die in der Vergangenheit beschlossenen besonderen Verwaltungsregelungen zur Personalüberlassung in Umstrukturierungsfällen finden bei Anwendbarkeit des § 2b UStG für die USt keine Anwendung mehr. Damit unterliegen sämtliche Personalüberlassungen bei Umstrukturierungen, unabhängig davon, wann sie begründet wurden, mit Anwendung des § 2b UStG bei der jeweiligen jPöR, der USt. Aus dem Begriff der Amtshilfe allgemein können keine umsatzsteuerlichen Folgen abgeleitet werden, sondern der Einzelfall ist zu betrachten. Grundsätzlich gilt: Die entgeltliche 1 Vgl. LfSt Nds. v. 27.1.2021 – S 7107-8-St 171.

Huschens | 341

6.109

Kap. 6 Rz. 6.109 | Umsetzungsstrategien des § 2b UStG in der Verwaltung

Überlassung von Personal stellt einen nachhaltigen Leistungsaustausch dar, der zur Unternehmereigenschaft führt. Wenn Personal gegen Entgelt überlassen wird, liegt grundsätzlich ein steuerbarer und steuerpflichtiger Vorgang vor. Die Unternehmereigenschaft kann im Einzelfall entfallen, wenn keine größeren Wettbewerbsverzerrungen im Sinne des § 2b Abs. 1 Satz 2 UStG vorliegen.1 Hiervon ist insbesondere auszugehen, wenn die Personalüberlassung Beamte betrifft, welche beim neuen Aufgabenträger Aufgaben erfüllen, die an den Beamtenstatus geknüpft sind.2

6.110

Outsourcing. Beim Outsourcen von Aufgaben durch die öffentliche Hand auf eine GmbH, eine Anstalt oder Ähnliches ist es aus rechtlichen Gründen oftmals nicht möglich, dass der neue Aufgabenträger das vorhandene Personal übernimmt. Das Personal wird deshalb dem neuen Aufgabenträger gegen Erstattung der Kosten überlassen. Hierin liegt umsatzsteuerlich ein nachhaltiger Leistungsaustausch, der zur Unternehmereigenschaft der leistenden jPöR nach § 2 Abs. 1 UStG führt. In diesen Fällen wird unter folgenden Bedingungen körperschaftsteuerlich kein steuerschädlicher BgA angenommen:3 – Die entgeltliche Personalgestellung ist eine Folge organisatorisch bedingter äußerer Zwänge (z.B. Wechsel der Rechtsform – ohne Rücksicht auf Wechsel der Inhaberschaft –, Unkündbarkeit der Bediensteten). – Die Beschäftigung gegen Kostenerstattung erfolgt im Interesse der betroffenen Bediensteten zur Sicherstellung der erworbenen Rechte aus dem Dienstverhältnis mit einer jPöR. – Die Personalgestellung ist begrenzt auf den zum Zeitpunkt der Umwandlung vorhandenen Personalbestand, sodass sich der Umfang mit Ausscheiden der betreffenden Mitarbeiter von Jahr zu Jahr verringert. – Die Gestellung des Personals darf nicht das äußere Bild eines Gewerbebetriebes annehmen.

6.111

Diese Regelung führte in der Vergangenheit über § 2 Abs. 3 UStG dazu, dass für die Personalgestellung keine USt anfiel. Für Zeiträume ab dem 1.1.2016 bis spätestens 31.12.2022 gilt diese Regelung fort, sofern die leistende jPöR nach § 27 Abs. 22 Satz 3, Abs. 22a UStG zur weiteren Anwendung des § 2 Abs. 3 UStG optiert hat und der Optionszeitraum noch nicht abgelaufen ist. Zur Behandlung von Personalgestellungsleistungen der öffentlichen Hand unter der Rechtslage des § 2b UStG gilt:4 die auf Dauer angelegte oder wiederholte Überlassung von Personal durch die öffentliche Hand gegen Kostenerstattung oder anderes Entgelt erfüllt als nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen gewöhnlich alle Merkmale des allgemeinen Unternehmerbegriffs i.S.d. § 2 Abs. 1 UStG, unabhängig davon, ob die Personalüberlassung im Wege der Amtshilfe, Zuweisung, Abordnung oder in sonstiger Weise erfolgt. Eine Ausnahme gilt lediglich für die Personalbeistellungen i.S.d. Abschnitts 1.1 Abs. 6 und 7 UStAE, die keinen Leistungscharakter haben. Unter der Rechtslage des neuen § 2b UStG entfällt die Bindung der Unternehmereigenschaft der öffentlichen Hand an den körperschaftsteuerlichen BgA mit der Folge, dass die Regelung nach Maßgabe des § 2 Abs. 3 UStG (i.d.F. v. 31.12.2015) umsatzsteuerlich jede Bedeutung verliert. Erfolgt die Personalüberlassung auf privatrechtlicher Grundlage, sind die Ausnahmeregelungen des § 2b UStG nicht anwendbar und die Unternehmereigenschaft der jPöR bleibt bestehen. Die unternehmerische Personalüberlassung auf privatrechtlicher Grundlage unterliegt daher der USt, ohne dass es dafür wei1 2 3 4

Vgl. FM Schl.-Holst. v. 26.2.2020 – VI 3510-S 7107-001. Vgl. LfSt Nds. v. 15.7.2019 – S 7107-8-St 171. Vgl. LfSt Nds. v. 27.1.2021 – S 7107-8-St 171. Vgl. LfSt Nds. v. 27.1.2021 – S 7107-8-St 171.

342 | Huschens

O. Einzelsachverhalte, Einzelfragen | Rz. 6.113 Kap. 6

terer Voraussetzungen bedarf. Eine Steuerbefreiung kommt nur in seltenen Ausnahmefällen in Betracht, z.B. unter bestimmten Voraussetzungen bei der Überlassung von – Ärzten und medizinischem Hilfspersonal (Abschnitt 4.14.6 Abs. 2 Nr. 7 UStAE, Abschnitt 4.16.6 Abs. 2 Nr. 4 UStAE) als eng verbundener Umsatz, – Personal durch religiöse und weltanschauliche Einrichtungen (§ 4 Nr. 27 Buchstabe a UStG) oder – land- und forstwirtschaftlichen Arbeitskräften und Betriebshelfern (§ 4 Nr. 27 Buchstabe b UStG). Erfolgt die Personalüberlassung auf öffentlich-rechtlicher Grundlage, kann sich in der Praxis eine Ausnahme von der Unternehmereigenschaft grundsätzlich nur unter den Bedingungen des § 2b Abs. 1 UStG ergeben, wenn keine steuerschädliche Wettbewerbssituation besteht. Wird die Personalüberlassung im Rahmen einer öffentlich-rechtlichen Sonderregelung durchgeführt (häufig in Fällen der Amtshilfe oder Abordnung von Beamten), kann die Unternehmereigenschaft daher über § 2b UStG eingeschränkt sein. Eine Anwendung des § 2b Abs. 2 Nr. 1 oder 2 UStG wird dabei in der Regel ausscheiden. Ein gesetzlicher Wettbewerbsausschluss i.S.v. § 2b Abs. 3 Nr. 1 UStG wird ebenfalls nur in Ausnahmefällen vorliegen. Die gesetzlichen Grundlagen müssen dabei so gefasst sein, dass die konkret von der anderen jPöR benötigte Personalgestellung ausschließlich von einer jPöR erbracht werden darf. Ein allgemein gehaltenes Kooperationsgebot reicht nicht aus (Abschnitt 2b.1 Abs. 8 UStAE).1

6.112

Mögliche Wettbewerbsverzerrung. Da darüber hinaus in den Anwendungsfällen des § 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG stets eine Kontrollprüfung auf mögliche Wettbewerbsverzerrungen vorzunehmen ist (Abschnitt 2b.1 Abs. 3 UStAE), wird die Unternehmereigenschaft in der Masse der Fälle – wenn überhaupt – nur über die Generalklausel in § 2b Abs. 1 UStG eingeschränkt sein können. Voraussetzung dafür ist, dass keine Wettbewerbssituation zu privaten Anbietern besteht. Da es allein auf den objektiven Inhalt der Überlassungsleistung und damit ggf. auf die Art der vom überlassenen Personal auszuübenden Tätigkeit ankommt, kann allenfalls bei Personen, die – z.B. wegen des Bestehens eines öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnisses – zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben oder Ausübung hoheitlicher Befugnisse nicht von privaten Dritten überlassen werden können, eine Wettbewerbssituation ausgeschlossen werden. Nach Rz. 24 des BMF-Schreibens v. 16.12.20162, besteht ein Wettbewerbsverhältnis, wenn zwei Leistungen aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers dieselben Bedürfnisse befriedigen. Bei einer Personalüberlassung kann demnach der Beamten- oder Richterstatus oder Ähnliches nur dann eine Rolle spielen, wenn durch ihn ein anderes Bedürfnis befriedigt wird, wenn also der entsprechende Status aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers einen wesentlichen Unterschied zu den Leistungen privater Anbieter ausmacht. Diese Bedingung ist nur erfüllt, wenn die überlassene Person bei der Einsatzstelle Aufgaben erfüllt, die an diesen Status geknüpft sind. Das gilt z.B. für Bereitschaftspolizisten, die an einem Großeinsatz in einem anderen Bundesland gegen Kostenerstattung teilnehmen. Kann eine Tätigkeit ohne Unterschied auch von am Markt verfügbaren Verwaltungsexperten ausgeübt werden, wie sie auch Zeitarbeitsfirmen anbieten, wird häufig eine steuerschädliche Wettbewerbssituation bestehen.3

6.113

1 Vgl. Bayerisches LfSt v. 8.2.2021 – S 7107.2.1-39/5 St33 und LfSt Niedersachsen v. 27.1.2021 – S 7107-8-St 171. 2 BStBl. I 2016, 1451. 3 Vgl. Bayerisches LfSt v. 8.2.2021 – S 7107.2.1-39/5 St33 und LfSt Niedersachsen v. 27.1.2021 – S 7107-8-St 171.

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Kap. 6 Rz. 6.114 | Umsetzungsstrategien des § 2b UStG in der Verwaltung

IX. Behandlung der Personalüberlassung an einen Gemeindeverwaltungsverband unter Anwendung des § 2b UStG 6.114

Personalüberlassung. Zur Behandlung der Personalüberlassung von Mitgliedsgemeinden an Gemeindeverwaltungsverbände1 insbesondere in der Gründungsphase gilt ab diesem Zeitpunkt, unter der Voraussetzung, dass die übrigen Bedingungen des § 2b UStG erfüllt sind, Folgendes:2 Ergibt sich aus einer landesgesetzlichen Regelung, dass ein Gemeindeverwaltungsverband ausschließlich mit eigenem oder von den Mitgliedsgemeinden überlassenen Personal tätig werden darf, führt die fehlende Umsatzsteuerbelastung dieser Personalüberlassung bei der überlassenden Mitgliedsgemeinde zu keiner größeren Wettbewerbsverzerrung i.S.d. § 2b Abs. 3 Nr. 1 UStG. Nimmt ein Gemeindeverwaltungsverband ausnahmsweise (z.B. ausschließlich aus urlaubs- oder krankheitsbedingten Gründen) Dienstleistungen von Personaldienstleistern in Anspruch, ist dies unschädlich. Besteht keine „Ausschließlichkeitsregelung“ im vorbezeichneten Sinne, kann § 2b Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b UStG einschlägig sein. Die Personalüberlassung durch eine Mitgliedsgemeinde an den Gemeindeverwaltungsverband ist in diesem Fall nicht als Hilfstätigkeit zu behandeln, sondern dient der gemeinsamen Aufgabenerledigung. Auch wenn die Voraussetzungen des § 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG im Einzelfall erfüllt sind, ist dennoch gesondert zu prüfen, ob eine größere Wettbewerbsverzerrung im Sinne des § 2b Abs. 1 Satz 2 UStG vorliegt.

X. Wettbewerb bei Leistungen der Gerichte bzw. Notare/Gerichtsvollzieher unter Anwendung des § 2b UStG 6.115

Tätigkeiten der Gerichte/Gerichtsvollzieher. Es stellt sich unter der Ägide des § 2b UStG die Frage, ob bestimmte Tätigkeiten der Gerichte und auch der Gerichtsvollzieher der Umsatzsteuerpflicht unterliegen, die unter die Vorbemerkung 1 Abs. 2 KV GNotKG fallen. Dies könnte insbesondere dann zu bejahen sein, wenn die Tätigkeiten sowohl vom Gericht bzw. von Gerichtsvollziehern als auch von einem Notar vorgenommen werden können. Hierzu gehören insbesondere die Abnahme der eidesstattlichen Versicherung im Rahmen eines Erbscheinverfahrens sowie die Aufnahme von Erbausschlagungserklärungen durch das Amtsgericht. Bei diesen Tätigkeiten stehen die Amtsgerichte in Konkurrenz zu den ebenfalls zuständigen Notaren, die grds. der Umsatzsteuerpflicht unterliegen. Die Behandlung der jPöR als Nichtunternehmer könne hier gegebenenfalls zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen. Sofern eine Umsatzsteuerpflicht für bestimmte Tätigkeiten der Gerichte und der Gerichtsvollzieher in Betracht kommt, wären entsprechende Auslagentatbestände in den Justizkostengesetzen vorzusehen, damit die abgeführten Beträge als Gerichts- bzw. Gerichtsvollzieherkosten in Ansatz gebracht werden können. Mit Blick auf die notarielle Tätigkeit dürfte eine derartige Konkurrenz auch im Bereich der Gerichtsvollziehertätigkeit bestehen. Nach § 12 GvKostG richten sich die Gebühren der Gerichtsvollzieher für die Aufnahme von Wechsel- und Scheckprotesten, die Siegelungen und Entsieglungen, die Aufnahme von Vermögensverzeichnissen und die Mitwirkung als Urkundsperson bei der Aufnahme von Vermögensverzeichnissen nach den für Notare geltenden Regelungen des Gerichts- und Notarkostengesetzes. Es handelt sich hierbei um Geschäfte, die den Gerichtsvollziehern durch Landesrecht übertragen sind und auch von Notaren wahrgenommen werden können. Demzufolge könnten auch diese Tätigkeiten der Gerichtsvollzieher der Umsatzsteuerpflicht unterliegen, wobei hier möglicherweise von unbedeutenden Umsätzen ausgegangen werden könnte. Eine offizielle Verlautbarung der Finanz1 Vgl. z.B. § 30 Hess. Gesetz über die kommunale Gemeinschaftsarbeit v. 16.12.1969 (GVBl. I, S. 307), zuletzt geändert durch G. v. 20.12.2015 (GVBl. I, S. 618)). 2 Vgl. OFD Frankfurt v. 30.1.2020 – S 7107 A-001-St 1a.

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O. Einzelsachverhalte, Einzelfragen | Rz. 6.117 Kap. 6

verwaltung zu dieser Thematik existiert, soweit ersichtlich, nicht. Jedenfalls dürfte bei jenen Tätigkeiten, bei denen sowohl Notare als auch Gerichte bzw. Gerichtsvollzieher tätig sein können, schädlicher Wettbewerb im Sinne des § 2b Abs. 1 Satz 2 UStG gegeben sein. Jene Leistungen wären also als umsatzsteuerbar zu bewerten. Hinsichtlich der Umsatzgrenze in § 2b Abs. 2 Nr. 1 UStG (Leistungen der Gerichte, die auch durch Notare erbracht werden können und mit denen im Kalenderjahr voraussichtlich mindestens 17.500 € Einnahmen erzielt werden) ist darauf zu verweisen, dass diese nach § 18 Abs. 4f UStG m.W.v. 1.1.2020 für Organisationseinheiten stets als überschritten gilt.

XI. Umsatzbesteuerung von Gutachterausschüssen für Grundstückswerte Gutachterausschüsse. Zur Ermittlung von Grundstückswerten und für sonstige Wertermittlungen wurden in jedem Landkreis bzw. kreisfreien Stadt der Bundesrepublik Deutschland selbständige, unabhängige Gutachterausschüsse gebildet. Die Gutachterausschüsse bestehen jeweils aus einem Vorsitzenden und ehrenamtlichen weiteren Gutachtern. Der Vorsitzende und die weiteren Gutachter sollen in der Ermittlung von Grundstückswerten oder sonstigen Wertermittlungen sachkundig und erfahren sein und dürfen nicht hauptamtlich mit der Verwaltung der Grundstücke der Gebietskörperschaft, für deren Bereich der Gutachterausschuss gebildet ist, befasst sein. Da die Gutachterausschüsse in der Regel nur zu Objektbesichtigungen und Beratungen zusammenkommen, bedienen sich die Gutachterausschüsse jeweils einer Geschäftsstelle. Die Geschäftsstellen bereiten die Besichtigungen und Beratungen des Gutachterausschusses vor, veröffentlichen seine Beratungsergebnisse und sind die Anlaufstelle der Bürger für Anfragen, Anträge etc. Die Gutachterausschüsse sollen zur Transparenz des Immobilienmarktes beitragen. Hierzu gehören die gesetzlich definierten Aufgaben nach Baugesetzbuch (BauGB):1

6.116

– Führung der Kaufpreissammlung – Erstattung von Gutachten über den Verkehrswert von bebauten und unbebauten Grundstücken sowie Rechten an Grundstücken – Erstattung von Gutachten über die Höhe der Entschädigung von Rechtsverlusten und anderer Vermögensnachteile (z.B. bei Enteignung) – Ermittlung von Bodenrichtwerten – Ermittlung von für die Wertermittlung erforderliche Daten (z.B. Liegenschaftszinssätze, Sachwertanpassungsfaktoren, Umrechnungskoeffizienten, Vergleichsfaktoren) Weitere Aufgaben können in den Verordnungen der einzelnen Bundesländer definiert sein. Die Einrichtung, Aufgaben und Befugnisse der Gutachterausschüsse sind in den §§ 192, 193 und 197 BauGB und in den jeweiligen Landesverordnungen geregelt. Nach § 192 Abs. 1 BauGB erstattet der Gutachterausschuss Gutachten über den Verkehrswert von bebauten und unbebauten Grundstücken sowie Rechten an Grundstücken, wenn 1. die für den Vollzug dieses Gesetzbuchs zuständigen Behörden bei der Erfüllung der Aufgaben nach diesem Gesetzbuch, 2. die für die Feststellung des Werts eines Grundstücks oder der Entschädigung für ein Grundstück oder ein Recht an einem Grundstück auf Grund anderer gesetzlicher Vorschriften zuständigen Behörden, 1 Vgl. https://www.berlin.de/gutachterausschuss/service/Glossar/artikel.158282.php.

Huschens | 345

6.117

Kap. 6 Rz. 6.117 | Umsetzungsstrategien des § 2b UStG in der Verwaltung

3. die Eigentümer, ihnen gleichstehende Berechtigte, Inhaber anderer Rechte am Grundstück und Pflichtteilsberechtigte, für deren Pflichtteil der Wert des Grundstücks von Bedeutung ist, oder 4. Gerichte und Justizbehörden es beantragen. Unberührt bleiben Antragsberechtigungen nach anderen Rechtsvorschriften.

6.118

Gutachtergebühren. Für die Gutachten werden Gebühren erhoben.1 Eine offizielle Verlautbarung der Verwaltung zur umsatzsteuerlichen Behandlung der Gutachtengebühren existiert soweit ersichtlich nicht. Mit den gebührenpflichtigen Gutachten für private und öffentlichrechtliche Grundstückseigentümer dürften die Gutachterausschüsse, selbst wenn sie aufgrund gesetzlicher Regelungen handeln und die Gutachten nicht privatrechtlich vereinbart sind, angesichts des Gebots einer engen Auslegung von § 2b Abs. 1 UStG regelmäßig im Wettbewerb mit privatrechtlichen Grundstücksgutachtern stehen, sodass § 2b Abs. 1 Satz 2 UStG erfüllt sein dürfte. Demnach wäre insbesondere die gebührenpflichtige Erstellung von Grundstückswertgutachten regelmäßig steuerbar. Dies gilt auch für Erstattungen von Obergutachten auf Antrag eines Gerichts in einem gerichtlichen Verfahren oder einer Behörde in einem gesetzlichen Verfahren durch einen Oberen Gutachterausschuss,2 wenn die Gerichte oder Behörden auch privatrechtlich organisierte Grundstückssachverständige beauftragen können.

XII. Anwendungsfragen zu § 2b UStG im Zusammenhang mit Freikirchen 6.119

Gemeinden der evangelischen Freikirchen. Nach Abschnitt 2.1 UStAE ist Unternehmer jedes selbstständig tätige Wirtschaftsgebilde, das nachhaltig Leistungen gegen Entgelt ausführt oder die durch objektive Anhaltspunkte belegte Absicht hat, eine unternehmerische Tätigkeit gegen Entgelt selbstständig auszuüben und erste Investitionsmaßnahmen für diesen Zweck tätigt. Dabei kommt es weder auf die Rechtsform noch auf die Rechtsfähigkeit des Leistenden an. Lt. dem Erlass des FM Schl.-Holst. v. 20.12.20193 wurde berichtet, dass die Gemeinden der evangelischen Freikirchen in Deutschland zwar rechtlich unselbstständig, organisatorisch und wirtschaftlich aber eigenständig und in weiten Teilen unabhängig seien. Die innere Organisation nebst der Verwaltung stehe den Kirchen frei. Die innerkirchliche Verfassung stelle die Selbstständigkeit der Ortsgemeinden sicher, wobei keine Weisungsbefugnis bestehe. Über die Finanzen der selbstständigen Ortsgemeinden bestünden zentral nach ihren Angaben oftmals keine Kenntnisse und es bestehe auch intern kein Recht, diese zu erfahren. Die Ortsgemeinden würden sich auf Grund der kirchenrechtlichen Vorschriften und Vorgaben selbst organisieren. Es bestünden z.B. eigenständige Dienstverhältnisse für Pastoren und andere Mitarbeiter. Die Mitgliedsgemeinden würden im Rahmen ihrer Organisationshoheit jeweils ggf. Entscheidungen über einen eigenen Haushalt sowie Mitgliedschaftsrechte etc. treffen. Daher können nach dem Erlass des FM Schl.-Holst. vorbehaltlich einer Prüfung im Einzelfall auch Ortsgemeinden ohne eigene Rechtspersönlichkeit, die aber nach der innerkirchlichen Verfassung 1 Vgl. z.B. Brandenburgische Gutachterausschuss-Gebührenordnung v. 30.7.2010, zuletzt geändert durch Art. 1 der Verordnung zur Änderung Brandenburgischen Gutachterausschuss-Gebührenordnung v. 20.3.3.2017 (GVBl. II Nr. 18); Gebührenbeispiele für Gutachten: Erstattung von Gutachten über unbebaute Grundstücke: Mindestgebühr (bei einem Wert von 0 Euro): 750 Euro; bei einem Wert von 25.000 Euro: 800 Euro; bei einem Wert von 50.000 Euro: 850 Euro; Erstattung von Gutachten über bebaute Grundstücke: Mindestgebühr (bei einem Wert von 0 Euro): 850 Euro; bei einem Wert von 50.000 Euro: 1.000 Euro; bei einem Wert von 100.000 Euro: 1.150 Euro. 2 Vgl. § 198 BauGB. 3 VI 3510-S 7107-001.

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O. Einzelsachverhalte, Einzelfragen | Rz. 6.121 Kap. 6

selbständig sind, als umsatzsteuerlich eigenständige Unternehmer anerkannt werden. In diesem Fall haben sie auch alle daraus resultierenden umsatzsteuerlichen Pflichten zu erfüllen. Es ist jedoch zu beachten, dass entgeltliche Leistungen zwischen Ortsgemeinden dann keine nicht steuerbaren Innenumsätze, sondern Leistungsaustausche darstellen. Zudem ist sicherzustellen, dass überregionale kirchliche Einrichtungen auch ihren umsatzsteuerrechtlichen Pflichten nachkommen.

XIII. Parlamentarische Fraktionen als jPöR Fraktionen. Fraglich ist, ob Bundestags-, Landtags- oder Fraktionen auf kommunaler Ebene umsatzsteuerlich wie jPöR zu behandeln sind bzw. ob die umsatzsteuerliche Würdigung der Überlassung von Räumen sowie die Erbringung von Sach- und Dienstleistungen z.B. durch einen Landtag an die Fraktionen im jeweiligen Einzelfall zu entscheiden ist. Hierzu gibt es soweit ersichtlich keine Verlautbarung der Finanzverwaltung. Fraktionen könnten, unabhängig von der jeweils geltenden landesgesetzlichen Regelung, auch als unselbständige Bestandteile des Parlaments und damit Teil der jeweiligen Gebietskörperschaft zu behandeln sein. Sind die Fraktionen umsatzsteuerrechtlich als unselbständiger Teil des Bundes oder eines Landes anzusehen, liegen im Verhältnis zum Parlament nichtsteuerbare Innenumsätze im Sinne des Abschnitt 2.7 Abs. 1 Satz 3 UStAE vor. Sollten Fraktionen eigenständige Unternehmer sein, muss für jeden einzelnen Leistungsaustausch zum Parlament die Anwendbarkeit des § 2b UStG geprüft werden. Die Diskussion zur umsatzsteuerlichen Rechtsnatur von Fraktionen müsste h.E. die Abgrenzung zwischen juristischer Person, Organ und Organteil/Unterorgan in Betracht ziehen. Hier gelten folgende allgemeine Rechtssätze: Juristische Personen sind eigenständige Träger von Rechten und Pflichten. Sie sind als solche nicht handlungsfähig, sondern benötigen hierfür Organe. So hat z.B. ein Land als jPöR (Gebietskörperschaft) als oberste Verfassungsorgane den Landtag, die Landesregierung sowie ein Landesverfassungsgericht. Diese dividieren sich wiederum in untergeordnete Organe wie im Bereich der Exekutive Behörden und Ämter. Die Organe selbst haben keine juristische Persönlichkeit. Sie sind keine Rechtsperson, sondern Teil einer Rechtsperson, für die sie handeln. Sie sind damit rechtlich geschaffene Einrichtungen eines Verwaltungsträgers, die dessen Zuständigkeiten für ihn wahrnehmen.1Organe handeln im Rahmen ihrer Berechtigung zur Außenvertretung auch im eigenen Namen für die juristische Person. Zur Außenvertretung können mehrere Organe berechtigt sein. Neben den Organen der Außenvertretung existieren Organe der internen Willensbildung. Haben juristische Personen mehrere Organe, haben diese – auch zur Abgrenzung ihrer Zuständigkeiten untereinander – eine gewisse Teilrechtsfähigkeit. Die innenrechtlichen Rechtsbeziehungen eröffnen u.a. die Möglichkeit von Organ-streitigkeiten.2 Welche konkreten Zuständigkeiten (Befugnisse) von den Organen wahrgenommen werden, ergibt sich aus Spezialregelungen (z.B. Fraktionsgesetze von Bund und Ländern).

6.120

XIV. Wettbewerb von jPöR mit Notaren und anderen beliehenen Unternehmern Beliehene Unternehmer. Es könnte h.E. ein im Sinne des § 2b UStG relevanter Wettbewerb bestehen, wenn ausschließlich Beliehene in Konkurrenz zur öffentlichen Hand treten. Aufgrund der verliehenen Befugnisse können die Beliehenen Leistungen gleicher Art wie die öffentliche Hand erbringen. Würde man Wettbewerb und damit mögliche Wettbewerbsverzer1 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 21, Rz. 19. 2 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 21, Rz. 25 ff.

Huschens | 347

6.121

Kap. 6 Rz. 6.121 | Umsetzungsstrategien des § 2b UStG in der Verwaltung

rungen verneinen, würde dies dazu führen, dass die Leistung der öffentlichen Hand unbesteuert bliebe, während die gleiche Leistung des Beliehenen der Umsatzsteuer unterläge, da Beliehene mangels Eingliederung in die öffentliche Verwaltung keine Einrichtungen des öffentlichen Rechts sein können. Dies würde unstreitig zu Wettbewerbsnachteilen der Beliehenen führen, wenn sich ihre Leistung – bei festgelegten Gebührensätzen – um die Umsatzsteuer verteuern würde. Der Umstand, dass neben der öffentlichen Hand nur Beliehene vergleichbare Leistungen erbringen, könnte ohne Relevanz ist für die Frage sein, ob größere Wettbewerbsverzerrungen bestehen. Die Ausführungen im BMF-Schreiben v. 16.12.20161 dürften keinen anderen Schluss zu lassen. Wettbewerb setzt voraus, dass die von einer jPöR auf öffentlichrechtlicher Grundlage erbrachte Leistung gleicher Art auch von einem privaten Unternehmer erbracht werden könnte. Erbringen private Unternehmer Leistungen, die aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers dieselben Bedürfnisse befriedigen wie die der öffentlichen Hand, stehen sie mit der jPöR in einem Wettbewerbsverhältnis. Verzerrungen des Wettbewerbs im Sinne des § 2b UStG entstehen, wenn öffentliche und private Anbieter marktrelevant aufeinandertreffen können und aufgrund der unterschiedlichen Besteuerung die Wettbewerbssituation zugunsten oder zulasten eines Marktteilnehmers verfälscht wird. Beliehene Unternehmer sind nach der Rechtsprechung2 keine Hoheitsträger, sondern Unternehmer, auch wenn ihre Tätigkeit in der Vornahme von an sich der öffentlichen Gewalt vorbehaltenen Handlungen besteht. Gegenstand oder Zielsetzung der Tätigkeit eines Beliehenen sind dabei unerheblich. Die Überlegung, dass Beliehene bestimmte Leistungen nur erbringen dürfen, wenn sie hierzu eine besondere Erlaubnis haben (beliehen sind), könnte irrelevant sein, da dieser Umstand keinerlei Einfluss auf das Bestehen eines Wettbewerbsverhältnisses hat. Er ist vielmehr Voraussetzung dafür, dass Leistungen von privaten Unternehmern mit gleichartigen Leistungen der öffentlichen Hand auf einem Markt zusammentreffen.

6.122

Keine Wettbewerbssituation. Eine Wettbewerbssituation könnte aber dann nicht der Fall sein, wenn der Leistungsempfänger aufgrund der Regelung in der betreffenden Gebührenordnung die gleiche Gebühr zahlt, unabhängig davon, ob die Leistung von einer nicht der USt unterliegenden Behörde oder von einem mit seinen Umsätzen der Umsatzsteuer unterliegenden Beliehenen erbracht wird. In diesem Fall würde es keinen Unterschied machen, ob eine Behörde oder ein Beliehener mit der Leistung beauftragt wird. Eine Wettbewerbsverzerrung zu Ungunsten des Beliehenen könnte sich nicht ergeben. Es gibt Bereiche der Verwaltung, in denen sich die Bürgerinnen und Bürger frei entscheiden können, eine Leistung von einer beliehenen Berufsgruppe (privater Wirtschaftsteilnehmer) oder von der öffentlichen Hand zu beziehen, wobei in den entsprechenden Gebührenverordnungen die zu erhebende Gebühr bzw. das zu erhebende Honorar eine evtl. anfallende Umsatzsteuer beinhaltet. Bei diesen Sachverhalten erbringen die öffentliche Hand und die beliehene Berufsgruppe im selben relevanten Markt die gleiche Leistung zu – für den Kunden – gleichen Endpreis. In solchen Fällen kann es bei vorsteuerabzugsberechtigten Leistungsempfänger aber auch zu einem Wettbewerbsnachteil zu Lasten der öffentlichen Hand kommen.

6.123

Beurkundungsleistungen der Gerichte. Bereits ihrem Wortlaut nach verlangt die Vorschrift des § 2b Abs. 1 Satz 2 UStG eine Einzelfallprüfung. Diese dürfte bei den Beurkundungsleistungen der Gerichte entbehrlich sein, weil der Bürger zur Inanspruchnahme der Gerichte nicht verpflichtet ist, sondern die Beurkundung auch bei einem Notar als beliehenem Unternehmer in Auftrag geben kann. Da der Bürger somit zwischen beliehenem Unternehmer und der jPöR frei wählen kann, ist eine Wettbewerbssituation aber wohl offensichtlich. Soweit be1 BStBl. I 2016, 1451. 2 Vgl. z.B. BFH v. 2.9.2010 – V R 23/09, BFH/NV 2011, 458.

348 | Huschens

O. Einzelsachverhalte, Einzelfragen | Rz. 6.125 Kap. 6

liehene Unternehmer und öffentlich-rechtliche Anbieter direkt aufeinandertreffen und Leistungen gleicher Art erbringen, wie z.B. bei Notaren, ist von einer Wettbewerbssituation auszugehen. Voraussetzung ist für das Vorliegen größerer Wettbewerbsverzerrungen nur, dass der Marktzugang privaten Wirtschaftsteilnehmern möglich ist. Voraussetzung ist hingegen nicht, dass jeder private Unternehmer die Tätigkeit ohne Anforderungen an Qualifikationen oder Einhaltung von Zugangsvoraussetzungen ausüben können muss. Etwas anderes dürfte sich auch nicht durch das EuGH-Urteil v. 19.1.20171 ergeben. In diesem Urteil treffen private und öffentlich-rechtliche Anbieter gerade nicht direkt aufeinander. Vielmehr führt der EuGH aus, dass ein Wettbewerber keine tatsächliche Möglichkeit habe, eine Straße zu bauen, die mit bereits bestehenden Nationalstraßen in Wettbewerb tritt (Rz. 49). Straßen, die aufgrund ihrer Entfernung zueinander aus der Sicht des Verbrauchers unterschiedlichen Bedürfnissen dienen, stehen nicht miteinander im Wettbewerb. Entscheidend ist daher, ob dem Leistungsempfänger (aus seiner Sicht) ein Wahlrecht dergestalt zusteht, dass er dieselbe konkrete Leistung (z.B. Fahrt auf einer Straße von A nach B oder die Beurkundung eines Erbscheinantrages) von einem beliehenen Unternehmer oder von einem öffentlich-rechtlichen Anbieter in Anspruch nehmen kann. Nur in diesem Fall kann eine Wettbewerbssituation überhaupt bestehen. Wettbewerbsverzerrungen zwischen der öffentlichen Hand und beliehenen Unternehmern könnten somit zumindest dann zu verneinen sein, wenn beide in voneinander getrennten Bereichen mit Anschluss- und Benutzungszwang tätig sind und somit im Rahmen ihrer Tätigkeit nicht aufeinandertreffen können. Notare. Notare sind laut § 1 BNotO Träger eines öffentlichen Amtes, nicht jedoch Träger öffentlicher Gewalt. Im Zuge der förmlichen Bestellung wird ihnen in bestimmten Bereichen die Berechtigung zur Vornahme von ansonsten den jPöR vorbehaltenen Aufgaben eingeräumt. Sie erbringen damit Leistungen gleicher Art wie die Gerichte und Gerichtsvollzieher, allerdings als private Unternehmer i.S.d. § 2 Abs. 1 UStG. Schädlicher Wettbewerb kann nicht allein wegen der geringen Anzahl an privaten Wirtschaftsteilnehmern (bestimmte Berufsgruppe) oder anhand der vom Gesetzgeber geforderten Qualifikation, die unmittelbar die Markteintrittsmöglichkeit beeinflusst, verneint werden. Notare sind kraft Gesetz berechtigt, in bestimmten eingegrenzten Bereichen der Rechtspflege Aufgaben wahrzunehmen. Die Tätigkeit der Gerichte und Gerichtsvollzieher kann in bestimmten Bereichen in gleicher Art von Notaren erbracht werden, wodurch Wettbewerb besteht, welcher sich durch Nichtbeachtung des Grundsatzes steuerlicher Neutralität nicht zuungunsten der Notare auswirken darf und folglich die Umsatzbesteuerung der Tätigkeit der Gerichte und Gerichtsvollzieher in diesen Bereichen auslösen muss.

6.124

XV. Anwendung des § 2b UStG bei der Vollstreckung und beim Verkauf eingezogener Gegenstände Verwertung von Sicherungsgut durch die Finanzämter bei Eintritt des Sicherungsfalls. Bei der Verwertung von Gegenständen nach den Vorschriften des 2. Abschnitts des 6. Teils der AO werden die Finanzbehörden im Wege der Zwangsvollstreckung tätig und sind nach Abschnitt 1.2 Abs. 2 UStAE nicht als Leistender in eine Lieferkette eingeschaltet. Hiervon abzugrenzen ist die Verwertung von Sicherheiten, die die Finanzbehörden durch rechtsgeschäftliche Verpflichtung erlangt haben, z.B. im Rahmen einer Stundung oder einer Aussetzung der Vollziehung. Sind die Verwertungsumsätze nach den allgemeinen Grundsätzen (siehe z.B. für die Verwertung von Sicherungsgut und von verpfändeten Sachen Abschnitt 1.2 Abs. 1 und 1a 1 EuGH v. 19.1.2017 – C-344/15 – National Roads Authority, HFR 2017, 261.

Huschens | 349

6.125

Kap. 6 Rz. 6.125 | Umsetzungsstrategien des § 2b UStG in der Verwaltung

UStAE) dem Bund bzw. dem Land zuzurechnen, handelt es sich um hoheitliche Hilfsgeschäfte, die nur unter den Bedingungen des Abschnitts 2b.1 Abs. 9 Satz 3 UStAE nachhaltig und damit unternehmerisch i.S.v. § 2 Abs. 1 UStG ausgeübt werden.1

6.126

Veräußerung beschlagnahmter Gegenstände (sog. Notveräußerung). Bei der Notveräußerung von beschlagnahmten Gegenständen erfolgt – wie bei der Zwangsvollstreckung (vgl. Abschn. 1.2 Abs. 2 UStAE) – keine Lieferung durch das Bundesland. Vielmehr liegt eine unmittelbare Leistungsbeziehung zwischen dem bisherigen Eigentümer und dem Erwerber vor.2

6.127

Vermögensabschöpfung. Ziehen die Justizbehörden auf Anordnung des Gerichts Gegenstände des Täters zur Vermögensabschöpfung ein, gehen die eingezogenen Sachen und Rechte nach § 75 Abs. 1 StGB grundsätzlich in das Eigentum des Staates über, ohne dass eine gesetzliche Verpflichtung zur Veräußerung besteht. Entscheiden sich die Justizbehörden zur Versteigerung oder Veräußerung der eingezogenen Gegenstände, handeln sie hierbei regelmäßig in privatrechtlicher Handlungsform. Eine Anwendung des § 2b UStG ist dann ausgeschlossen. Dass in diesen Fällen mit dem StGB ein öffentlich-rechtlicher Handlungsrahmen besteht, ist nach Rz. 6 des BMF-Schreibens vom 16.12.20163 unerheblich.

XVI. Interkommunale Rechenzentren/Callcenter 6.128

Erbringen interkommunale Rechenzentren Leistungen, die gleichartig im Wettbewerb auch von privaten Dritten erbracht werden können, würde die Nichtbesteuerung dieser Leistungen zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen. Daher ist regelmäßig von einer Unternehmereigenschaft auszugehen. Die Aufbereitung und Bereitstellung von Informationen für den Bürger durch ein Callcenter ist auch privaten Anbietern möglich. Daher ist regelmäßig von einer Unternehmereigenschaft auszugehen.4

XVII. Kommunale gemeinsame Einrichtungen zur Beihilfe-, Besoldungs- und Gehaltsabrechnung 6.129

Zur Umsatzbesteuerung der öffentlich-rechtlichen Versorgungskassen sowie der gemeinsamen Einrichtungen zur Beihilfe-, Besoldungs- und Gehaltsabrechnung gilt:5

6.130

Zusatzversorgungskassen. Bei der Tätigkeit der Zusatzversorgungskassen handelt es sich um eine nach § 4 Nr. 10 Buchst. a UStG, § 1 Abs. 1 VersStG umsatzsteuerfreie Leistung der Zusatzversorgungskasse gegenüber ihrem jeweiligen Mitglied. Es ist davon auszugehen, dass die Umlage- bzw. Beitragszahlungen gemäß § 4 Nr. 5 VersStG auch von der VersSt befreit sind.

6.131

Versorgung/Beihilfe durch Beamtenversorgungskassen unter Teilnahme an der Umlage-/ Beitragsgemeinschaft. Soweit die Beteiligten bei der Versorgung/Beihilfe durch Beamtenversorgungskassen (Versorgungskassen) unter Teilnahme an einer Umlage-/Beitragsgemeinschaft auf öffentlich-rechtlicher Grundlage tätig werden, ist der Anwendungsbereich des § 2b Abs. 1 Satz 1 UStG eröffnet. Größere Wettbewerbsverzerrungen im Sinne des § 2b Abs. 1 Satz 2 UStG liegen dann nicht vor, da § 2b Abs. 2 Nr. 2 UStG i.V.m. § 4 Nr. 10 Buchst. a UStG ein-

1 2 3 4 5

Vgl. LfSt Nds. v. 22.12.2020 – S 7107-39-St 171. Vgl. Bayerisches LfSt v. 10.11.2020 – S 7107.1.1-14/8 St33. BStBl. I 2016, 1451. Vgl. FM Schl.-Holst. v. 26.2.2020 – VI 3510-S 7107-001. Vgl. FM Schl.-Holst. v. 11.8.2020 – VI 3510-S 7107-001.

350 | Huschens

O. Einzelsachverhalte, Einzelfragen | Rz. 6.136 Kap. 6

schlägig ist. Unabhängig davon dürften die Umlage- bzw. Beitragszahlungen gemäß § 4 Nr. 2 VersStG von der VersSt befreit sein, soweit die Versorgungskassen Aufwendungen ihrer Mitglieder für die Hinterbliebenenversorgung und Ruhegehalt ihrer Beamten ausgleichen. In den anderen Fällen (z.B. Zahlungen wegen Dienstunfähigkeit der Beamten) dürfte § 4 Nr. 5 VersStG Anwendung finden. Versorgung/Beihilfe ohne Teilnahme an der Umlage-/Beitragsgemeinschaft. Zur Gewährung von Versorgungsleistungen und Beihilfezahlungen ohne Teilnahme an einer Umlage-/ Beitragsgemeinschaft ist festzuhalten, dass für die Anwendbarkeit des § 2b Abs. 3 Nr. 1 UStG die betreffenden Leistungen aufgrund gesetzlicher Bestimmungen nur von jPöR erbracht werden dürfen. Maßnahmen durch Verwaltungsakt müssen zwingend durch Behörden getroffen werden. Dies ergibt sich indes nicht unmittelbar aus einem Gesetz oder einer Rechtsverordnung, sondern aus allgemeinen verwaltungsrechtlichen Grundsätzen. Die Voraussetzungen des § 2b Abs. 3 Nr. 1 UStG sind deswegen nicht erfüllt. Da nach diesen Grundsätzen kein privater Unternehmer Leistungen gleicher Art erbringen könnte, führt die Behandlung der Versorgungskasse als Nichtunternehmer nicht zu Wettbewerbsverzerrungen und die Versorgungskasse gilt, sofern die Leistungen auf öffentlich-rechtlicher Grundlage ausgeführt werden, nicht als Unternehmer.

6.132

Tätigkeit als Familienkasse. Bei einer vollständigen Übertragung der Aufgabe der Familienkasse zwischen zwei jPöR liegen keine Leistungen gegen Entgelt nach § 1 Abs. 1 UStG vor.

6.133

Bezüge- und Entgeltabrechnung. Maßgeblich für die umsatzsteuerliche Beurteilung nach § 2b UStG ist die Betrachtung der gesamten Aufgabe und wirtschaftlich untrennbaren Leistung „Vergütungsabwicklung des Personalkörpers“, deren Aufspaltung realitätsfern wäre. Da diese Aufgabe u.a. den Erlass von Verwaltungsakten durch jPöR enthält, kann kein privater Unternehmer eine Leistung gleicher Art erbringen, so dass die Behandlung der Versorgungskasse als Nichtunternehmer nicht zu Wettbewerbsverzerrungen führt. Die Versorgungskasse gilt, sofern die Leistung auf öffentlich-rechtlicher Grundlage ausgeführt wird, nicht als Unternehmer. Auf die Voraussetzungen des § 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG kommt es nicht an.

6.134

XVIII. Leistungen einer Kommune an deren Rats- oder Kreistagsfraktionen Bei Leistungen einer Kommune an deren Rats- oder Kreistagsfraktionen handelt es sich um nichtsteuerbare Innenumsätze.1

6.135

XIX. Tierkörperbeseitigung durch Beliehene Unechte Zuschüsse. Der BFH2 hat entschieden, dass ein nicht unternehmerisch tätiger öffentlich-rechtlicher Zweckverband zur Tierkörperbeseitigung unberechtigt im Sinne des § 14c Abs. 2 Sätze 1 und 2 UStG USt gesondert ausweist, wenn er in seinen Gebührenbescheiden über die Tierkörperbeseitigung als Teil der Entsorgungsgebühr ein Nettoentsorgungsentgelt nebst darauf entfallenden Steuerbetrag angibt. Zahlungen der öffentlichen Hand an einen mit der Tierkörperbeseitigung beliehenen Unternehmer unterliegen als unechte Zuschüsse der USt, wenn die Beteiligten in einem Beseitigungs- oder anderen gegenseitigen Vertrag eine deutliche rechtliche Verknüpfung zwischen der Übernahme der Tierkörperbeseitigung und den Zahlungen der öffentlichen Hand hergestellt haben. Es wird von der Verwaltung 1 Vgl. LfSt Nds. v. 19.5.2020 – S 7107-31-St 171. 2 BFH v. 21.9.2016 – XI R 4/15, BStBl. II 2021, 106.

Huschens | 351

6.136

Kap. 6 Rz. 6.136 | Umsetzungsstrategien des § 2b UStG in der Verwaltung

hinsichtlich aller bis zum 1.7.2020 entstandener gesetzlicher USt – auch für Zwecke des Vorsteuerabzugs – nicht beanstandet, wenn die Beteiligten die Zahlungen der öffentlichen Hand an die mit der Tierkörperbeseitigung beliehenen Unternehmen als Entgelt von dritter Seite behandelt haben.1

XX. Steuerbarkeit der Landesprämierungen für Wein und Sekt durch Landwirtschaftskammern 6.137

Weinprämierungen. Die durch die Landwirtschaftskammern und andere jPöR auf öffentlichrechtlicher Grundlage durchgeführten nachhaltigen und entgeltlichen Tätigkeiten in Zusammenhang mit (Landes-)Weinprämierungen führen zu größeren Wettbewerbsverzerrungen i.S.v. § 2b Abs. 1 Satz 2 UStG. Sie werden damit unternehmerisch ausgeübt.2 Die von privaten Unternehmern erbrachten Leistungen sind für die teilnehmenden Winzer gleichwertig zu den Prämierungsleistungen der öffentlichen Hand. Maßgeblich ist, dass für die Winzer die ausgelobten Prämierungen im Vordergrund stehen, mit denen sie sich beim Verkauf ihrer Weine einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Winzern verschaffen können. Ferner haben auch für die Veranstalter der Prämierungswettbewerbe die Werbeeffekte einen bedeutenden Stellenwert für ihr Tun: Sowohl öffentliche Anbieter als auch private Anbieter beabsichtigen die Förderung des Absatzes der teilnehmenden Weine. Die Verknüpfung mit der amtlichen Weinkontrolle stellt keinen hinreichenden besonderen rechtlichen Rahmen dar, der eine Vergleichbarkeit mit Leistungen Privater ausschlösse. Der damit verbundene Verbraucherschutz durch die Prämierungen von Seiten der öffentlichen Hand schließt keinen Wettbewerb zu Privaten aus. Zudem bestehen keine räumlich bzw. regional abgegrenzten Märkte. Jedenfalls einige Winzer haben eine Auswahl zwischen mehreren öffentlichen Weinprämierungen. Die Prüfung der Marktrelevanz ist zudem nicht auf den örtlichen Markt beschränkt, es sei denn, dass aufgrund besonderer Abnahme- bzw. Annahmeverpflichtungen der lokale Markt privaten Unternehmern nicht zugänglich ist. Schließlich können Weine z.B. aus Rheinland-Pfalz weltweit konsumiert werden.

XXI. Kooperationsvereinbarungen zwischen Sparkassen und öffentlichrechtlichen Versorgungskassen 6.138

Möglicher Leistungsaustausch. Im Rahmen solcher Kooperationsvereinbarungen erbrachten Leistungen könnten als steuerbar zu beurteilen sein. Auch wenn die Kooperationspartner durch die vereinbarte Bündelung z.B. der Beratungskapazitäten das gemeinsame Ziel der Kostenersparnis und besseren Strukturierung verfolgen, wird die Zusammenarbeit jedoch an keiner Stelle nach außen getragen. Es handelt sich daher einen Zusammenschluss, der nur im Verhältnis zwischen seinen Mitgliedern – also den kooperierenden Einrichtungen – besteht, ohne auf der Eingangs- oder Ausgangsseite Dritten gegenüber aufzutreten. Infolgedessen kommen als Unternehmer nur die an der Gemeinschaft beteiligten Personen selbst in Betracht.3 Die von der Innengemeinschaft ausgehenden Umsätze sind jeweils dem Beteiligten zuzurechnen, der nach außen hin als Leistender auftritt.4 Stellen sich die Kooperationspartner gegenseitig z.B. Personal- und Sachmittel (Räumlichkeiten, Büroausstattung) zur Verfügung, begründen sie hiermit eine Personal- und Sachmittelgestellung. Die Beteiligten erbringen da1 2 3 4

Vgl. FM Schl.-Holst. v. 28.4.2020 – VI 3510-S 7100-509. Vgl. Abschnitt 2b.1 Abs. 6 UStAE i.d.F. des BMF-Schreibens v. 9.7.2020, BStBl. I 2020, 643. Vgl. BFH v. 11.11.1965 – V 146/63 S, BStBl. III 1966, 28. Vgl. BFH v. 25.7.1968 – V 150/65, BStBl. II 1968, 731.

352 | Huschens

O. Einzelsachverhalte, Einzelfragen | Rz. 6.141 Kap. 6

mit Leistungen im umsatzsteuerlichen Sinn an die jeweils andere Partei und erhalten einen verbrauchsfähigen Vorteil. Dieser besteht zwar nicht in einem förmlichen Entgelt, wenn ein Kostenausgleich grundsätzlich ausgeschlossen ist. Das Entgelt für die erbrachten Leistungen besteht aber in den jeweils empfangenen Leistungen. Vermietungsumsätze sind ggf. steuerfrei nach § 4 Nr. 12 UStG.

XXII. Park- und Sondernutzungsgebühren Parkscheinautomaten. Die Überlassung unselbständiger Teile des Straßenkörpers (z.B. Parkbuchten) auf öffentlich-rechtlich gewidmeten Straßen gegen Gebühr (Parkscheinautomaten/ Parkuhren) fällt unter den Anwendungsbereich des § 2b Abs. 1 Satz 1 UStG. Es handelt sich um eine Maßnahme zur Regelung des ruhenden Verkehrs im Rahmen der StVO. Die Erbringung gleichartiger Leistungen ist durch einen privaten Anbieter nicht möglich. Da die öffentliche Hand insoweit nicht in Wettbewerb zu einem privaten Anbieter treten kann, handelt sie insoweit nicht als Unternehmer. Gleiches gilt auch für die Ausgabe von Bewohnerparkausweisen gegen Gebühr. Bei Vereinbarung privatrechtlicher Entgelte ist die Anwendung von § 2b UStG jedoch ausgeschlossen, sodass folglich eine Umsatzbesteuerung vorzunehmen wäre.1 Die Überlassung unselbständiger Parkbuchten auf öffentlich-rechtlich gewidmeten Straßen gegen Gebühren (Parkscheinautomaten) ist als hoheitliche Tätigkeit zur Ordnung des ruhenden Verkehrs nach § 2b UStG somit nicht umsatzsteuerbar.2

6.139

Andere Parkraumüberlassung. Die Überlassung selbstständiger Parkplätze (einschließlich deren Abgrenzung) auf nicht dem Straßenverkehr gewidmeten Grund sowie von Parkplätzen für Behördenbesucher und Mitarbeiter gegen Entgelt stellt einen steuerbaren und steuerpflichtigen Umsatz dar. Sondernutzungsgebühren stellen ein Entgelt für die Einräumung des Rechts dar, eine bestimmte öffentliche Fläche für eigene unternehmerische Zwecke nutzen zu dürfen. Erfolgt dies auf Basis einer Gebührenordnung, handelt es sich um eine öffentlichrechtliche Handlungsform. Ein solches Recht kann nur durch die öffentliche Hand eingeräumt werden. Ein Wettbewerb zu steuerpflichtigen Anbietern besteht daher nicht. Nach § 2b Abs. 1 UStG ist der Leistungsaustausch mangels Unternehmereigenschaft der öffentlichen Hand nicht steuerbar. Hiervon abzugrenzen sind die Fälle, in denen die Gemeinde die Sondernutzung nicht lediglich erlaubt, sondern selbst vornimmt, indem sie z.B. Standflächen auf einem Marktplatz gegen Entgelt überlässt. Hier wird eine begrenzte Fläche mit zusätzlichen Leistungen wie Stromanschluss und Reinigung zur Nutzung überlassen. Dies stellt eine unternehmerische Grundstücksüberlassung dar.3 Die Berechtigung zum Vorsteuerabzug ist jeweils im Einzelfall zu prüfen.4

6.140

XXIII. Sonstige Gebühren 1. Friedhofsgebühren Mögliche Leistungen. Kommunale, kirchliche und andere öffentlich-rechtliche Friedhofsträger erbringen auf ihren Friedhöfen eine Vielzahl von Leistungen, z.B. – die Einräumung von Grabnutzungs- und Liegerechten, 1 Vgl. FM Schl.-Holst. v. 23.12.2019 – VI 3510-S 7107-001. 2 Abschnitt 2b.1 Abs. 5 UStAE i.d.F. des BMF-Schreibens v. 9.7.2020, BStBl. I 2020, 643; zur Rechtslage nach § 2 Abs. 3 UStG vgl. Abschnitt 2.11 Abs. 12 Satz 2 UStAE. 3 Vgl. BFH v. 3.3.2011 – V R 23/10. 4 Vgl. FM Schl.-Holst. v. 26.2.2020 – VI 3510-S 7107-001.

Huschens | 353

6.141

Kap. 6 Rz. 6.141 | Umsetzungsstrategien des § 2b UStG in der Verwaltung

– die eigentliche Bestattung (Ausheben und Verfüllen des Grabes sowie das Auskleiden des Grabes mit Matten), – das Umbetten und Abräumen von Gräbern, – die Aufbewahrung von Leichen in Kühlräumen/Kühlzellen, – die Benutzung von Feierhallen, Friedhofskapellen und Abschiedsräumen sowie – die Grabpflege. Diese Leistungen werden durchweg gegen Entgelt (i.d.R. Gebühren) im Leistungsaustausch erbracht und erfüllen damit seit jeher den allgemeinen Unternehmerbegriff des § 2 Abs. 1 UStG. Unter der Rechtslage des § 2 Abs. 3 UStG (i.d.F. v. 31.12.2015) fällt jedoch regelmäßig keine USt an, weil das Bestattungswesen als Hoheitsaufgabe der öffentlichen Hand vorbehalten ist und deshalb keinen BgA begründet. Hiervon ausgenommen sind lediglich die Blumenverkäufe und Grabpflegeleistungen durch die Friedhofsträger. Diese Leistungen stellen wirtschaftliche Tätigkeiten dar und unterliegen der USt.1

6.142

Rechtslage nach § 2b UStG. Zur umsatzsteuerlichen Behandlung der Friedhofsleistungen unter der Rechtslage des neuen § 2b UStG gilt nach dem BMF-Schreiben v.23.11.20202 u.a. Folgendes: a) Allgemeines

6.143

Erbringen jPöR im Bereich des Friedhofs- und Bestattungswesens Leistungen gegen Entgelt, liegt ein Leistungsaustausch im umsatzsteuerlichen Sinn und damit eine unternehmerische Tätigkeit nach § 2 Abs. 1 UStG vor. Werden Leistungen auf der Grundlage einer öffentlichrechtlichen Satzung in öffentlich-rechtlicher Handlungsform erbracht, ist der Anwendungsbereich des § 2b Abs. 1 Satz 1 UStG eröffnet, so dass zu prüfen ist, ob die Behandlung der jPöR als Nichtunternehmer zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde. Verzerrungen des Wettbewerbs können nur stattfinden, wenn Wettbewerb besteht. Dies setzt voraus, dass die von einer jPöR auf öffentlich-rechtlicher Grundlage erbrachte Leistung gleicher Art auch von einem privaten Unternehmer erbracht werden könnte. Zwei Leistungen sind gleichartig und stehen deshalb in einem Wettbewerbsverhältnis, wenn sie aus der Sicht des Durchschnittsverbrauchers dieselben Bedürfnisse befriedigen. Als Durchschnittsverbraucher der in Friedhofssatzungen geregelten Leistungen kommen die Personen in Betracht, die nach den Bestattungsgesetzen der Länder verpflichtet sind, für die Bestattung zu sorgen. Diese Personen entscheiden über Bestattungsort und -art und sind dabei nicht verpflichtet, einen bestimmten Friedhof zu nutzen.

6.144

Vermietungsumsatz. Die Einräumung von Grabnutzungsberechtigungen, Liegerechten und Rechten zur Beisetzung eines Sarges oder einer Urne sowie zur Leichentuchbestattung, die darin bestehen, eine räumlich abgrenzbare, individualisierte Parzelle unter Ausschluss Dritter nutzen zu können (regelmäßig z.B. bei Urnennischen oder Kolumbarien, Reihen- und Wahlgrabstätten), ist bei Leistungserbringung durch private Anbieter als Vermietung von Grundstücken nach § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG umsatzsteuerfrei, unabhängig davon, ob es sich

b) Grabnutzungsberechtigungen/Liegerecht/Recht zur Beisetzung

1 Vgl. H 4.5 „Friedhofsverwaltung, Grabpflegeleistungen u.Ä.“ KStH 2015. 2 BMF v. 23.11.2020, BStBl. I 2020, 1335.

354 | Huschens

O. Einzelsachverhalte, Einzelfragen | Rz. 6.146 Kap. 6

um Erd- oder Feuerbestattungen handelt.1 Dem BMF-Schreiben v. 16.12.20162 folgend sind bei jPöR die Voraussetzungen des § 2b Abs. 2 Nr. 2 UStG dann nicht erfüllt, wenn es sich um eine in § 9 Abs. 1 UStG genannte Leistung handelt (Leistungen im Sinne des § 4 Nr. 8 Buchst. a bis g, Nr. 9 Buchst. a, Nr. 12 oder 13 UStG). Allerdings enthält § 2b Abs. 2 UStG keine abschließende Aufzählung von Fällen, in denen keine größeren Wettbewerbsverzerrungen vorliegen. Diese sind auch in den Fällen zu verneinen, in denen zwar die Voraussetzungen des § 2b Abs. 2 Nr. 2 UStG nicht erfüllt sind, aber ein Verzicht auf die Steuerbefreiung bei vergleichbaren Leistungen Privater aufgrund der tatsächlichen Umstände ausgeschlossen ist. So erfolgt die Einräumung von Grabnutzungsberechtigungen, Liegerechten und Rechten zur Beisetzung stets für nichtunternehmerische Zwecke des Leistungsempfängers, weshalb in diesen Fällen tatsächlich niemals auf die Steuerbefreiung nach § 9 UStG verzichtet werden kann. Werden derartige Leistungen durch jPöR erbracht, werden sie insoweit unter Beachtung des § 2b Abs. 1 Satz 2 UStG nicht unternehmerisch tätig. Steuerpflichtige Leistungen. Wird hingegen keine räumlich abgrenzbare, individualisierte Parzelle zur Nutzung unter Ausschluss Dritter überlassen, kommt eine Steuerfreiheit dieser Leistung nach § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG bei privaten Anbietern nicht in Betracht.3 Derartige Leistungen werden von jPöR unternehmerisch ausgeführt und unterliegen der Umsatzbesteuerung, wenn sie auch von Privaten erbracht werden können und die Wettbewerbsgrenze nach § 2b Abs. 2 Nr. 1 UStG überschritten wird. Insbesondere folgende mit der Einräumung von Grabnutzungsberechtigungen, von Liegerechten bzw. dem Recht zur Beisetzung einhergehende Leistungen sind nach der Verwaltungsauffassung unselbstständige Nebenleistungen im Sinne des Abschnitts 3.10 Abs. 5 UStAE, die das Schicksal der Hauptleistung teilen:

6.145

– Bestattungsleistungen, z.B. das Ausheben und Verfüllen der Grabstelle, das Auskleiden des Grabes mit Matten, das Absenken des Sargs oder der Leiche bei Leichentuchbestattung, die Entsorgung von Kränzen und Blumen, – die Pflege und Instandhaltung von Friedhofsanlagen (z.B. Wege, Hecken, Grünanlagen), die dem Friedhofsträger vorbehalten sind und für die häufig eine Friedhofsunterhaltungsgebühr erhoben wird, – die Grabpflegeleistungen, die sich der Friedhofsträger vorbehält, um ein einheitliches Gestaltungsbild der Grabanlage (bei Gemeinschaftsgrabanlagen/Gräberfeldern) sicherzustellen, – Gebühren für die Genehmigung zum Aufstellen von Grabmalen und Einfassungen, – die Erstellung der Graburkunde, – der Leichentransport innerhalb des Friedhofs, – Gebühren für die Befreiung von bestimmten Verpflichtungen in Ausnahmefällen. Eigenständige Leistungen. Ob in der jeweiligen Friedhofssatzung hierfür gesonderte Gebühren vorgesehen sind, ist nicht erheblich. Dies gilt auch für solche Leistungen in Zusammenhang mit einer Verlängerung der Grabnutzungsberechtigung bei einer weiteren Beisetzung in eine bestehende Grabparzelle. Sollte dabei keine Verlängerung der Grabnutzungsberechtigung vereinbart werden, ist nicht von unselbstständigen Nebenleistungen auszugehen, sondern sind die Leistungen nach den allgemeinen Regeln zu beurteilen. Insbesondere folgende Leistungen sind als eigenständige Leistungen zu beurteilen: 1 Vgl. BFH v. 21.6.2017 – V R 3/17, BStBl. II 2018, 372. 2 BStBl. I 2016, 1451, Rz. 38. 3 Vgl. BFH v. 21.6.2017 – V R 4/17, BStBl. II 2018, 370.

Huschens | 355

6.146

Kap. 6 Rz. 6.146 | Umsetzungsstrategien des § 2b UStG in der Verwaltung

– die Grabpflegeleistungen an individuellen, räumlich abgegrenzten Grabstätten, – das Aufstellen von Grabsteinen und das Setzen der Grabeinfassung. c) Aufbewahrung von Leichen in Kühlräumen oder Kühlzellen sowie Benutzung von Feierhallen, Friedhofskapellen und Abschiedsräumen

6.147

Werden Leichen in Kühlräumen oder Kühlzellen aufbewahrt und werden Räumlichkeiten insbesondere zur Abhaltung von Trauerfeiern zur Nutzung überlassen, handelt es sich hierbei jeweils grundsätzlich um eigenständige Leistungen. Insbesondere folgende mit der Überlassung der o.g. Räumlichkeiten sowie von Kühlräumen und gekühlten Leichenzellen zur Aufbewahrung von Leichen einhergehende Leistungen sind, sofern sie als Gebühr erhoben werden, unselbstständige Nebenleistungen im Sinne des Abschnitts 3.10 Abs. 5 UStAE, die das Schicksal der Hauptleistung teilen: – die Reinigung der Räumlichkeiten, – die Beleuchtung sowie Heizung, – die Bereitstellung von Tonanlagen bzw. Orgel, – die Mitüberlassung von Einrichtungsgegenständen zur würdevollen Aufbahrung des Leichnams wie Kerzenständer samt Kerzen, Kreuze, Kruzifixe und Weihwasserbehälter, – die hygienische Totenversorgung durch die dafür zuständige Person sowie – die Entsorgung von Kränzen und Blumen. Ob in der jeweiligen Friedhofssatzung hierfür gesonderte Gebühren vorgesehen sind, ist nicht erheblich. aa) Feierhallen, Friedhofskapellen und Abschiedsräume

6.148

Die Überlassung von Räumlichkeiten wie Feierhallen, Friedhofskapellen und Abschiedsräumen nebst Einrichtungsgegenständen insbesondere zur Abhaltung von Trauerfeiern stellt bei privaten Wirtschaftsteilnehmern in der Regel eine umsatzsteuerfreie Leistung nach § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG dar, bei der eine Option zur Steuerpflicht wegen der nichtunternehmerischen Zweckbestimmung faktisch ausgeschlossen ist (§ 9 UStG). Werden vergleichbare Leistungen durch jPöR erbracht, werden die jPöR insoweit unter Beachtung des § 2b Abs. 1 Satz 2 UStG nicht unternehmerisch tätig. Werden über die Nutzungsüberlassung hinausgehende Leistungen erbracht, die für eine dann einheitliche Leistung prägend sind, ist die Überlassung der Räumlichkeiten umsatzsteuerpflichtig. bb) Aufbewahrung von Leichen in Kühlräumen oder Kühlzellen

6.149

Die Überlassung von Kühlräumen und gekühlten Leichenzellen zur Aufbewahrung von Leichen kann auch eine nach § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG umsatzsteuerfreie Leistung sein, für die wegen der nichtunternehmerischen Zweckbestimmung keine Option möglich ist (§ 9 UStG). JPöR werden insoweit mit der Erbringung dieser Leistungen unter Beachtung des § 2b Abs. 1 Satz 2 UStG nicht unternehmerisch tätig. Werden über die Nutzungsüberlassung hinausgehende Leistungen erbracht, die für eine dann einheitliche Leistung prägend sind, ist die Überlassung umsatzsteuerpflichtig.

356 | Huschens

O. Einzelsachverhalte, Einzelfragen | Rz. 6.153 Kap. 6

d) Bestattungsleistungen im Zusammenhang mit bereits bestehenden Grabstätten (z.B. Umbettungen, Abräumen von Gräbern, Nachbestattungen ohne Verlängerung des Nutzungsrechts) Bei (Bestattungs-)Leistungen im Zusammenhang mit bereits bestehenden Grabstätten (z.B. Umbettungen, Abräumen) handelt es sich regelmäßig um selbständige Leistungen. Mit derartigen Leistungen treten jPöR nicht in Wettbewerb zu privaten Wirtschaftsteilnehmern, wenn diese Leistungen durch die für den Friedhof, auf dem sich die Grabstätte befindet, geltende Friedhofssatzung der den Friedhof betreibenden jPöR vorbehalten ist. Können die Leistungen nach der Friedhofssatzung auch durch private Wirtschaftsteilnehmer erbracht werden, wird die jPöR mit der Erbringung dieser Leistungen unternehmerisch tätig, wenn die Wettbewerbsgrenze nach § 2b Abs. 2 Nr. 1 UStG überschritten wird.

6.150

e) Vertragliche Überlassung der Trägerschaft von Friedhof, Leichenhalle und Feierhalle durch kirchliche jPöR (Kirchengemeinden/Kirchenstiftungen) an eine Kommune Vereinbaren eine kirchliche jPöR und eine Kommune auf Basis eines öffentlich-rechtlichen Vertrages, dass die Trägerschaft für den Friedhof von der kirchlichen jPöR auf die Kommune übergeht und in dem Zusammenhang der Friedhof samt Einrichtungen und das Leichenhaus überlassen werden, erfolgt die Vereinbarung im Rahmen der öffentlichen Gewalt im Sinne des § 2b Abs. 1 Satz 1 UStG. Soweit der Betrieb eines Friedhofs aufgrund landesgesetzlicher Regelungen nur durch jPöR erfolgen kann, ist Wettbewerb mit privaten Anbietern bei der Überlassung des Friedhofs ausgeschlossen.

6.151

Betrieb eines Leichenhauses. Der Betrieb eines Leichenhauses ist in der Regel jedoch auch durch private Anbieter möglich. Bei der Überlassung eines Leichenhauses sind Wettbewerbsverzerrungen allerdings zu verneinen, da hier nach dem Gedanken des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG vergleichbare auf privatrechtlicher Grundlage erbrachte Leistungen privater Anbieter ohne Recht auf Verzicht nach § 9 UStG (Option) der Befreiung gemäß § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchstabe a UStG unterliegen würden. Eine Option nach § 9 UStG ist auch hier nicht möglich, weil der Betreiber des Leichenhauses aufgrund der Verwendung für umsatzsteuerfreie Leistungen nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt ist. Die Leistungen der Kommune an insbesondere die Personen, die nach den Bestattungsgesetzen der Länder verpflichtet sind, erfolgen stets für den nichtunternehmerischen Bereich. Daher ist auch hier faktisch kein Verzicht auf die Steuerbefreiung möglich. Soweit der Betrieb eines Friedhofs privaten Anbietern nach landesrechtlichen Vorschriften möglich ist, gelten für die Wettbewerbsprüfung die vorgenannten Aussagen entsprechend.

6.152

f) Nichtbeanstandungsregelung Die Verwaltung beanstandet es nicht, wenn bei bereits unter dem Regelungsregime des § 2 Abs. 3 UStG (i.d.F. v. 31.12.2015) laufenden Rechtsverhältnissen über Grabnutzungsberechtigungen, Liegerechte bzw. das Recht zur Beisetzung, die vor der Wirkung eines Widerrufs der Optionsregelung nach § 27 Abs. 22, 22a UStG oder ohne Widerruf dieser Optionsregelung vor dem 1.1.2023 geschlossen wurden und unter Anwendung des § 2b UStG erstmals als umsatzsteuerbar und umsatzsteuerpflichtig zu beurteilen sind, keine Nachversteuerung nach § 27 Abs. 1 UStG erfolgt. Für vor dem 1.1.2021 abgeschlossene Verträge und erlassene Verwaltungsakte über Grabnutzungsberechtigungen, Liegerechte bzw. das Recht zur Beisetzung wird – auch wenn sie bereits unter dem Regelungsregime des § 2b UStG geschlossen bzw. erlassen wurden – es ebenfalls nicht beanstandet, wenn keine Besteuerung erfolgt. Die öffentlich-rechtlichen Friedhofsträger räumen Grabnutzungsrechte, Liegerechte und das Recht zur Beisetzung Huschens | 357

6.153

Kap. 6 Rz. 6.153 | Umsetzungsstrategien des § 2b UStG in der Verwaltung

im Allgemeinen gegen Einmalzahlung für einen mehrjährigen Zeitraum ein. Endet der Nutzungszeitraum unter der Rechtslage des § 2b UStG, ist die Einmalzahlung vollständig nachzuversteuern (§ 27 Abs. 1 UStG). Da die öffentlich-rechtlichen Friedhofsträger die nun anfallende USt häufig nicht einkalkuliert haben und auch nicht weitergeben können, gilt die v.g. Nichtbeanstandungsregelung.1

2. Feuerwehr-Gebühren 6.154

Sofern Tätigkeiten der Feuerwehr gegen Entgelt erbracht werden, erfüllen diese Tätigkeiten grundsätzlich die Voraussetzungen der Unternehmereigenschaft nach § 2 Abs. 1 UStG. In vielen Fällen erhebt die Feuerwehr über ihre Leistungen Gebühren mittels Gebührenbescheid, weshalb sie auf öffentlich-rechtlicher Grundlage nach § 2b Abs. 1 Satz 1 UStG handelt. Erfüllt die Feuerwehr ihre Pflichtaufgaben, können diese Leistungen von keiner privaten Einrichtung in gleicher Form erbracht werden. Sollten daher für derartige Leistungen Gebühren erhoben werden (z.B. bei vorsätzlicher Brandstiftung oder mutwilliger Alarmierung), sind diese mangels Wettbewerb nicht steuerbar. Bei Leistungen außerhalb der Gefahrenabwehr tritt die Feuerwehr in Wettbewerb zu Privaten. Insofern sind entsprechende Leistungen steuerbar. Wenn eine Gemeinde für eine andere Gemeinde vollständig die Tätigkeit der Feuerwehr einschließlich der Atemschutzmasken- und Schlauchwerkstatt übernimmt, liegt kein Wettbewerb zu Privaten vor. Wird demgegenüber nur die Leistungen der Atemschutzmasken- und Schlauchwerkstatt gegen Entgelt in Anspruch genommen, besteht eine Wettbewerbssituation.2

3. Gebühren der Betreuungsstelle 6.155

Betreuungsstellen erheben Gebühren für die Beglaubigungen der Patientenvollmachten etc. nach § 6 Absatz 5 BtBG. Die Leistung kann auch von Notaren erbracht werden. Es liegt eine unternehmerische Betätigung auf öffentlich-rechtlicher Grundlage vor. Soweit die Umsätze aus gleichartigen Tätigkeiten 17.500 € im Kalenderjahr übersteigen (§ 2b Abs. 2 Nr. 1 UStG), ist die Unternehmereigenschaft nicht nach § 2b UStG ausgenommen, weil eine steuerschädliche Wettbewerbssituation nach § 2b Abs. 1 Satz 2 UStG besteht.3

4. Gerichtsgebühren 6.156

Kommunen erzielen Einnahmen aus Gerichtsverfahren wie Telekommunikationspauschalen, Fahrkosten, Tagegelder. Sofern es sich bei den bezeichneten Gerichtsgebühren um eine Entschädigung handelt, die die Kommune nach dem JVEG erhält, weil einer ihrer Mitarbeiter als Zeuge vernommen wird, liegt nicht steuerbarer Schadensersatz vor. Entschädigungen für das Auftreten eines Mitarbeiters als „auswechselbarer“ Sachverständiger sind dagegen Leistungsentgelt und im Falle der Nachhaltigkeit selbst dann steuerbar, wenn der Tätigkeit eine öffentlich-rechtliche Sonderregelung zugrunde liegen sollte. Denn es besteht eine steuerschädliche Wettbewerbssituation zu gewerblichen Sachverständigen.4

1 2 3 4

Vgl. dazu auch LfSt Nds. v. 5.1.2021 – S 7107-43-St 171. Vgl. FM Schl.-Holst. v. 26.2.2020 – VI 3510-S 7107-001; LfSt Nds. v. 19.5.2020 – S 7107-31-St 171. Vgl. FM Schl.-Holst. v. 26.2.2020 – VI 3510-S 7107-001; LfSt Nds. v. 19.5.2020 – S 7107-31-St 171. Vgl. LfSt Nds. v. 19.5.2020 – S 7107-31-St 171.

358 | Huschens

O. Einzelsachverhalte, Einzelfragen | Rz. 6.159 Kap. 6

5. Entgelte der Rettungsleitstellen Die von den Kommunen bei den freien Trägern privatrechtlich zu erhebenden Entgelte für den Betrieb einer Leitstelle und für die damit zusammenhängenden Verwaltungstätigkeiten bei Rettungsdienstleistungen sind steuerbar und steuerpflichtig.

6.157

6. Feldgeschworenengebühren Nach Art. 19 Abs. 3 des Bayerischen Abmarkungsgesetzes1 erbringen sog. Feldgeschworene2 ihre Aufgaben direkt an die Antragsteller, lediglich die Abrechnung erfolgt in der Regel über die Kommune. Sofern ein kommunaler Mitarbeiter jedoch gleichzeitig der Feldgeschworene ist und die Tätigkeit im Rahmen seines Dienstes verrichtet, kann er auch in dieser Funktion die Tätigkeit wahrnehmen mit der Folge, dass die Kommune die Leistung an den Antragsteller erbringt. Gleiches gilt, wenn ein Gemeindearbeiter als Hilfskraft tätig wird. Nach Art. 13 Abs. 1 Satz 1 AbmG ist das Amt des Feldgeschworenen ein kommunales Ehrenamt. Daher unterliegt diese Tätigkeit beim Feldgeschworenen der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 26 Buchst. b UStG. Für die Kommune ist der Anwendungsbereich des § 2b Abs. 1 Satz 1 UStG eröffnet, da sie im Bereich der öffentlichen Gewalt und mittels Gebühr tätig wird.3 Unabhängig davon, ob man eine Wettbewerbssituation zwischen Kommunen und Feldgeschworenen sieht, sollen zumindest keine größeren Wettbewerbsverzerrungen i.S.d. § 2b Abs. 1 Satz 2 UStG nach § 2b Abs. 2 Nr. 2 UStG i.V.m. der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 26 Buchst. b UStG vorliegen, mit der Folge dass diese Leistung der Kommune auch unter Geltung des § 2b UStG nicht der Umsatzsteuer unterliegt.4

6.158

XXIV. Tätigkeiten für kreisangehörige Gemeinden als Ausfluss der gesetzlich zugewiesenen Ausgleichs- und Ergänzungsaufgabe der Landkreise Kreise helfen im Rahmen ihrer Ausgleichs- und Ergänzungsfunktion und ihrer in der Mehrzahl der Länder generalklauselartig gesetzlich zugewiesenen Ausgleichs- und Ergänzungsaufgaben kreisangehörigen Gemeinden bei der Wahrnehmung deren Aufgaben (ohne dass die betreffende Aufgabe in die Zuständigkeit des Kreises übergeht), soweit diese die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit oder Verwaltungskraft übersteigen. Die Übernahme dieser Aufgaben durch die Kreise für die kreisangehörigen Gemeinden ist nur dann umsatzsteuerrechtlich relevant, wenn die Kreise hierfür Kostenerstattungen oder ähnliche Entgelte erhalten und damit von einem Leistungsaustausch auszugehen ist. In diesem Fall entfaltet der Kreis regelmäßig eine unternehmerische Tätigkeit im Sinne von § 2 Abs. 1 UStG, wobei die Tätigkeit nur dann über § 2b UStG von der Unternehmereigenschaft ausgenommen ist, wenn sie auf öffentlich-rechtlicher Grundlage in öffentlich-rechtlicher Handlungsform ausgeübt wird 1 AbmG, neugefasst zum 1.1.1983, BayRS III, 690. 2 Aufgabe von Feldgeschworenen ist nach Art. 12 Abs. 1 AbmG, bei der Abmarkung der Grundstücke mitzuwirken. Darüber hinaus sollen die Feldgeschworenen auf die Erhaltung der Grenzzeichen hinwirken und ihren Zustand, insbesondere an den Gemeindegrenzen überwachen. Zweck der Abmarkung ist nach Art. 1 AbmG, die Grenzen der Grundstücke durch Marken (Grenzzeichen) örtlich erkennbar zu bezeichnen. Zur Abmarkung nach dem im AbmG geregelten Verfahren zählen insbesondere das Anbringen von Grenzzeichen, das Verbringen von Grenzzeichen in die richtige Lage, das Erneuern sowie das Entfernen von Grenzzeichen. 3 Art. 19 Abs. 1 AbmG. 4 Vgl. Bayerisches StMFuH v. 14.1.2020 – 74/36-VM 4042-1/41; vgl. zur umsatzsteuerlichen Behandlung der Verrechnung von Abmarkungsmaterial auch Bayerisches StMFuH v. 22.7.2020 – 74/ 36-VM 4042-1/42.

Huschens | 359

6.159

Kap. 6 Rz. 6.159 | Umsetzungsstrategien des § 2b UStG in der Verwaltung

und zudem keine Wettbewerbssituation besteht (z.B. bei einem gesetzlichen Wettbewerbsausschluss im Sinne von § 2b Abs. 3 Nr. 1 UStG). Dies ist im Einzelfall zu prüfen.1

XXV. Ausgleichszahlungen für einen Kreis- oder Gemeindegrenzen überschreitenden öffentlichen Personennahverkehr 6.160

Insoweit liegen regelmäßig nichtsteuerbare echte Zuschüsse vor.2

XXVI. Ausgleichsbeträge nach BauGB von Grundstückseigentümern an die Kommune im Zusammenhang mit Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen 6.161

Maßnahmen nach § 154 BauGB werden auf öffentlich-rechtlicher Grundlage abgerechnet. Vergleichbare Leistungen können in diesem rechtlichen Kontext nicht durch Private erbracht werden. Entsprechende Gebühren sind demnach nicht umsatzsteuerbar.3

XXVII. Verkauf von Feinstaubplaketten in den Zulassungsstellen 6.162

Der Anwendungsbereich des § 2b UStG ist bei privatrechtlichen Verkäufen nicht eröffnet.4

XXVIII. Umsatzsteuerliche Behandlung kommunaler Wohnheime bei kurzund auch längerfristiger Vermietung an Berufsschüler 6.163

Die privatrechtliche Vermietung von Wohnraum unterliegt nicht dem Anwendungsbereich des § 2b UStG. Es gelten die allgemeinen Regeln.5

XXIX. Umsatzsteuerliche Behandlung von amtsärztlichen Gutachten für Gerichte 6.164

Grundsätzlich steuerpflichtig. Zur Einbringung von Fachwissen beauftragen Gerichte Sachverständige (z.B. Amtsärzte) mit der Erstellung von Gutachten. Die Sachverständigen erhalten für ihre Leistungen Zahlungen nach dem JVEG und werden damit im Rahmen eines privatrechtlichen, steuerpflichtigen Leistungsaustausches tätig. Eine Ausnahme liegt nur vor, wenn die Erstellung eines ärztlichen Gutachtens unter die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 UStG fällt. Dies ist der Fall, wenn ein therapeutisches Ziel im Vordergrund steht. Bei Gerichtsgutachten wird dies jedoch in der Regel nicht der Fall sein. Da eine Gutachtertätigkeit der öffentlichen Hand nicht vorbehalten ist, sondern durch jeden fachlich geeigneten Arzt erbracht werden kann, besteht ein Wettbewerb im Sinne von § 2b Abs. 1 Satz 2 UStG. Eine Ausnahme von der Unternehmereigenschaft – sofern kein nichtsteuerbarer Innenumsatz innerhalb derselben Gebietskörperschaft gegeben ist – liegt daher nicht vor.6

1 2 3 4 5 6

Vgl. FM Schl.-Holst. v. 26.2.2020 – VI 3510-S 7107-001; LfSt Nds. v. 19.5.2020 – S 7107-31-St 171. Vgl. FM Schl.-Holst. v. 26.2.2020 – VI 3510-S 7107-001; LfSt Nds. v. 19.5.2020 – S 7107-31-St 171. Vgl. FM Schl.-Holst. v. 26.2.2020 – VI 3510-S 7107-001; LfSt Nds. v. 19.5.2020 – S 7107-31-St 171. Vgl. FM Schl.-Holst. v. 26.2.2020 – VI 3510-S 7107-001; LfSt Nds. v. 19.5.2020 – S 7107-31-St 171. Vgl. FM Schl.-Holst. v. 26.2.2020 – VI 3510-S 7107-001; LfSt Nds. v. 19.5.2020 – S 7107-31-St 171. Vgl. FM Schl.-Holst. v. 26.2.2020 – VI 3510-S 7107-001; LfSt Nds. v. 19.5.2020 – S 7107-31-St 171.

360 | Huschens

O. Einzelsachverhalte, Einzelfragen | Rz. 6.167 Kap. 6

XXX. Gebühren für Erst- und Folgebelehrungen nach dem Infektionsschutzgesetz Soweit Erstbelehrungen nach dem Infektionsschutzgesetz zwingend nur durch das Gesundheitsamt vorgenommen werden können, besteht kein Wettbewerb. Für Folgebelehrungen, die auch von Privaten gegen Entgelt vorgenommen werden können, liegt eine Wettbewerbssituation vor.1

6.165

XXXI. Von öffentlichen Schulen vereinnahmte Kopiergelder Nach § 71 Abs. 1 Satz 1 des Niedersächsischen Schulgesetzes (NSchG) haben die Erziehungsberechtigten u.a. die Schüler für die Teilnahme am Unterricht zweckentsprechend auszustatten, nämlich insbesondere die Lernmittel zu beschaffen. Zu den Lernmitteln gehört neben Schulbüchern und Lernmaterialien (z.B. Taschenrechner und Zeichengeräte) auch der Beitrag für Kopien für Lernmittel, das sog. Kopiergeld. Hierbei handelt es sich um Fotokopien, die Schulbücher ergänzen sollen, die in mehreren Unterrichtsstunden eingesetzt werden und/oder die auch zu häuslicher Vor- und Nachbereitung benutzt werden und die somit „für die Hand“ der Schüler bestimmt sind. Ein öffentlicher Schulträger, der das Kopiergeld nach § 71 Abs. 1 Satz 1 NSchG und somit auf öffentlich-rechtlicher Grundlage erhebt, ist insoweit zwar im Rahmen der öffentlichen Gewalt i.S.d. § 2b Abs. 1 Satz 1 UStG und damit grds. als Nichtunternehmer tätig; es ist aber die Einschränkung nach § 2b Abs. 1 Satz 2 UStG im Fall größerer Wettbewerbsverzerrungen zu beachten. Betragen die Kopiergelder aus allen Schulen in der Trägerschaft eines Schulträgers mehr als 17.500 EUR pro Kalenderjahr (vgl. § 2b Abs. 2 Nr. 1 UStG), liegen jedoch nach § 2b Abs. 2 Nr. 2 UStG keine größeren Wettbewerbsverzerrungen vor, wenn die Tätigkeit bei einem privaten Unternehmer steuerfrei ohne Optionsmöglichkeit nach § 9 UStG wäre. Kopiergelder an öffentlichen Schulen sind daher nach der Rechtslage des § 2b UStG grds. steuerbar, sofern ihr Gesamtbetrag 17.500 EUR im Kalenderjahr übersteigt. Sie unterliegen aber nach § 2b Abs. 2 Nr. 2 UStG nicht der Umsatzsteuer, sofern entsprechende Umsätze privater Bildungseinrichtungen unter den in Abschnitt 4.21.4 Abs. 2 UStAE genannten Voraussetzungen als Nebenleistung zur Bildungsleistung nach § 4 Nr. 21 UStG steuerfrei wären. Im Übrigen sind die Kopiergelder steuerfrei nach § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG, sofern die Kopiervorlagen dem Bestand der Schulbücherei der jeweiligen Schule zuzuordnen sind.2

6.166

XXXII. Überlassung von Werbemobilen an soziale Institutionen, Sportvereine und Kommunen Oftmals erfüllen Werbeunternehmer ihre Aufträge gegenüber ihren Kunden durch das Anbringen von Werbeflächen auf Kraftfahrzeugen, die dann im Stadtbild bewegt werden. Hierfür wird verschiedenen Institutionen (soziale Einrichtungen, Vereine, Verbände, Kommunen, Interessenverbänden, etc.) ein entsprechend mit Werbeflächen versehenes Fahrzeug überlassen (sog. Werbemobil). Der Werbeunternehmer übergibt das Fahrzeug der Institution zur Nutzung, behält jedoch den Kfz-Brief bis zum Ende der Vertragslaufzeit, die der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer entspricht, zurück. Die Institution verpflichtet sich im Gegenzug, das Kfz bis zum Vertragsende möglichst werbewirksam und häufig zu nutzen, sowie die Werbung zu dulden. Für die Gebrauchsüberlassung sind keine Zahlungen an den Werbeunternehmer zu leisten. Die Zulassung sowie die Versicherung des Fahrzeugs erfolgt durch die Institution im eigenen Namen; sie hat auch die laufenden Kfz-Kosten zu tragen. Nach Vertragsende wird das Eigentum an dem Werbemobil ohne Zuzahlung – mit Ausnahme der durch den Werbeunter1 Vgl. FM Schl.-Holst. v. 26.2.2020 – VI 3510-S 7107-001; LfSt Nds. v. 19.5.2020 – S 7107-31-St 171. 2 Vgl. LfSt Nds. v. 12.2.2018 – S 7107-3-St 171.

Huschens | 361

6.167

Kap. 6 Rz. 6.167 | Umsetzungsstrategien des § 2b UStG in der Verwaltung

nehmer zu zahlenden Umsatzsteuer – an die Institution übertragen, die sodann die Werbeflächen zu beseitigen hat. Bei der Überlassung eines Werbemobils an eine jPöR gilt Folgendes:1

6.168

JPöR hat von Optionsmöglichkeit zur Anwendung des § 2 Abs. 3 UStG (a.F.) Gebrauch gemacht. JPöR üben mit der Werbeleistung zwar eine nachhaltige, wirtschaftliche Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen aus. Sie sind indes nach § 2 Abs. 3 S. 1 UStG (a.F.) grundsätzlich nur im Rahmen ihrer Betriebe gewerblicher Art (BgA) i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 6 und § 4 KStG sowie ihrer land- oder forstwirtschaftlichen Betriebe gewerblich oder beruflich tätig. Der Betrieb des Werbemobils führt nur dann zu einem BgA, wenn sich diese Tätigkeit innerhalb der Gesamtbetätigung der JPdöR wirtschaftlich heraushebt und von einigem Gewicht ist.2 Für die Beurteilung der Umsatzgrenzen nach R 6 Abs. 4 und 5 KStR ist das einmalig empfangene Entgelt (Wert des Fahrzeugs) auf die Laufzeit der Werbeleistung zu verteilen, da die wirtschaftliche Tätigkeit „Werbeleistung“ über die gesamte Laufzeit erbracht wird. Liegt kein BgA vor, kann die JPdöR unter Berufung auf die Rechtsprechung des BFH dennoch von einer unternehmerischen (wirtschaftlichen) Tätigkeit ausgehen.3

6.169

Beurteilung bei Anwendung des § 2b UStG. Die jPöR übt mit der Werbeleistung eine nachhaltige, wirtschaftliche Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen selbständig aus und ist damit Unternehmer im Sinne des § 2 Abs. 1 UStG. Da die Werbeleistung durch den Betrieb des Werbemobils auf Grundlage privatrechtlicher Vereinbarungen erfolgt, liegen die Voraussetzungen für eine Anwendung der Vorschrift des § 2b UStG nicht vor. Ebenso wenig ist die Werbeleistung als hoheitliches Hilfsgeschäft zu beurteilen. Die JPdöR führt folglich mit der Werbeleistung gegenüber dem Werbeunternehmen eine umsatzsteuerbare Leistung aus.

XXXIII. Leistungsbeziehungen aufgrund § 22 Verpackungsgesetz 6.170

Das ab 1.1.2019 geltende Verpackungsgesetz4 legt Anforderungen an die Produktverantwortung nach § 23 des Kreislaufwirtschaftsgesetzes5 für Verpackungen fest.6 Ein „System“ i.S.d. VerpackG ist nach § 3 Abs. 16 VerpackG eine privatrechtlich organisierte juristische Person oder Personengesellschaft, die mit Genehmigung nach § 18 VerpackG in Wahrnehmung der Produktverantwortung der beteiligten Hersteller die in ihrem Einzugsgebiet beim privaten Endverbraucher als Abfall anfallenden restentleerten Verpackungen flächendeckend erfasst und einer Verwertung zuführt. Die Systeme sind nach § 14 Abs. 1 Satz 1 VerpackG verpflichtet, im Einzugsgebiet der beteiligten Hersteller eine vom gemischten Siedlungsabfall getrennte, flächendeckende Sammlung aller restentleerten Verpackungen bei den privaten Endverbrauchern (Holsystem) oder in deren Nähe (Bringsystem) oder durch eine Kombination beider Varianten in ausreichender Weise und für den privaten Endverbraucher unentgeltlich sicherzustellen. Nach § 22 VerpackG gilt in diesem Zusammenhang Folgendes: Die Sammlung nach § 14 Abs. 1 VerpackG ist auf die vorhandenen Sammelstrukturen der öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger, in deren Gebiet sie eingerichtet wird, abzustimmen. Die Abstimmung hat durch schriftliche Vereinbarung der Systeme mit dem jeweils zuständigen öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger zu erfolgen (Abstimmungsvereinbarung).7 Sofern die Sammlung der 1 2 3 4 5 6 7

Vgl. Bayerisches LfSt v. 11.8.2020 – S 7119.1.1-3/4 St33. R 6 Abs. 5 KStR. Vgl. BFH v. 17.3.2010 – XI R 17/08, UR, 943. Verpackungsgesetz (VerpackG) v. 5.7.2017, BGBl. I 2017, 2234. Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG) v. 24.2.2012, BGBl. I 2012, 212. § 1 Abs. 1 Satz 1 VerpackG. § 22 Abs. 1 Satz 1 und 2 VerpackG.

362 | Huschens

O. Einzelsachverhalte, Einzelfragen | Rz. 6.172 Kap. 6

restentleerten Kunststoff-, Metall- und Verbundverpackungen an vom öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger eingerichteten Wertstoffhöfen durchgeführt werden soll, kann der öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger im Rahmen der Abstimmung von den Systemen ein angemessenes Entgelt für die Mitbenutzung verlangen1. Ein öffentlich-rechtlicher Entsorgungsträger kann im Rahmen der Abstimmung von den Systemen die Mitbenutzung seiner Sammelstruktur, die für die getrennte Erfassung von Papier, Pappe und Karton eingerichtet ist, gegen ein angemessenes Entgelt verlangen. Die Systeme können im Rahmen der Abstimmung von einem öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger verlangen, ihnen die Mitbenutzung dieser Sammelstruktur gegen ein angemessenes Entgelt zu gestatten. Ein öffentlich-rechtlicher Entsorgungsträger kann im Rahmen der Abstimmung von den Systemen verlangen, dass sie Nichtverpackungsabfälle aus Papier, Pappe und Karton gegen ein angemessenes Entgelt mit sammeln.2 Nach § 22 Abs. 9 Satz 1 VerpackG ist ein System verpflichtet, sich entsprechend seinem Marktanteil an den Kosten zu beteiligen, die den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern durch Abfallberatung in Bezug auf die von den Systemen durchgeführte Sammlung nach § 14 Abs. 1 VerpackG sowie durch die Errichtung, Bereitstellung, Unterhaltung und Sauberhaltung von Flächen, auf denen von den Systemen genutzte Sammelgroßbehältnisse aufgestellt werden, entstehen. Zur umsatzsteuerlichen Behandlung der Mitbenutzungsentgelte gilt Folgendes:3

6.171

Rechtslage nach § 27 Abs. 22, 22a UStG, § 2 Abs. 3 UStG a.F. Bis einschließlich 2022 gelten für diejenigen jPöR, die eine sogenannte Optionserklärung abgegeben und diese nicht widerrufen haben, weiterhin die Regelungen der §§ 1 Abs. 1 Nr. 6, 4 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 KStG, § 2 Abs. 3 UStG a.F. Die gemeinsame Einsammlung und Verwertung (Entsorgung) von Altpapier aus privaten Haushalten und Verpackungsabfällen nach der Verordnung zur Vermeidung und Verwertung von Verpackungsabfällen (VerpackV) durch eine jPöR auf Grundlage einer mit dem Systembetreiber geschlossenen Vereinbarung hinsichtlich des Verpackungsabfalls stellt eine wirtschaftliche Tätigkeit dar.4 Vom Systembetreiber vereinnahmte Entgelte für die Leistung der jPöR sind in einem Betrieb gewerblicher Art (BgA) zu erfassen. Dies gilt gemäß R 4.5 Absatz 6 Satz 8 KStR 2015 auch für etwaige Nebenentgelte, die eine jPöR für Leistungen an Systembetreiber erzielt. Diese Einordnung ist letztlich auf den Umstand zurückzuführen, dass bei Verpackungsabfällen nach der VerpackV die Entsorgungspflicht nicht bei der jPöR, sondern vielmehr bei einem Systembetreiber im Sinne des § 6 Abs. 3 VerpackV i.V.m. § 23 Abs. 1 KrWG liegt. An dieser Situation ändert sich auch mit Inkrafttreten des VerpackG zum 1.1.2019 nichts, sodass die bisherige ertragsteuerliche Beurteilung unverändert fortbesteht. Die umsatzsteuerliche Würdigung folgt aus der körperschaftsteuerlichen Würdigung. Rechtslage nach § 2b UStG. Eine Anwendung des § 2b UStG scheidet bei den Mitbenutzungsentgelten im Sinne des § 22 VerpackG aus, weil die Nichtbesteuerung der Leistung der Mitbenutzung der vorhandenen Sammelstrukturen und der kommunalen Entsorgungseinrichtungen gegen Zahlung von Mitbenutzungsentgelten zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde.5 Maßstab ist, dass wirtschaftliche Leistungen erbracht werden, die in gleicher Weise auch von privaten Anbietern erbracht werden oder erbracht werden könnten. Ursache und Ausfluss der Abstimmungsvereinbarung ist gerade die Tatsache, dass sowohl die 1 2 3 4 5

§ 22 Abs. 3 Satz 1 VerpackG. § 22 Abs. 4 Sätze 1 bis 3 VerpackG. Vgl. BMF-Schreiben v. 17.11.2020 – III C 2 - S 7107/19/10004 :012 (2020/1120023). R 4.5 Abs. 6 Satz 7 KStR 2015. § 2b Abs. 1 Satz 2 UStG.

Huschens | 363

6.172

Kap. 6 Rz. 6.172 | Umsetzungsstrategien des § 2b UStG in der Verwaltung

öffentlich-rechtliche Einrichtung (örE) als auch private Dritte Leistungen im Bereich der Entsorgung gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern erbringen. Die Privaten treten dabei als Systembetreiber auf. Die Verpflichtung der örE nach § 20 KrWG, privaten Hausmüll zu verwerten oder zu beseitigen, ist nicht entscheidend. Die wechselseitigen Verpflichtungen der öffentlichen Hand und der Privaten1 deuten auf eine Wettbewerbssituation hin. Das eventuelle Vorhandensein einer hoheitlichen Aufgabe ist nach neuer Rechtslage nicht maßgeblich. Gleiches gilt für Interessen, Motive oder Ziele der beteiligten Vertragsparteien. Zudem bestehen schon jetzt mehrere duale Systeme nach § 6 Abs. 3 VerpackV und nicht mehr nur die „Der Grüne Punkt – Duales System Deutschland GmbH“. Schließlich gibt es privatwirtschaftliche Sammelstrukturen. Damit ist zumindest potentieller Wettbewerb nicht ausgeschlossen. Insofern führt die ab dem 1.1.2019 anzuwendende Regelung des § 22 VerpackG weder bei Anwendung der alten Rechtslage (§ 2 Abs. 3 UStG a.F.) noch bei Anwendung des § 2b UStG zu einer Nichtsteuerbarkeit der Leistung der Mitbenutzung der vorhandenen Sammelstrukturen und kommunaler Entsorgungseinrichtungen.

6.173

Mitbenutzung der Wertstoffhöfe nach § 22 Abs. 3 VerpackG. Sowohl bei der Rechtslage nach § 27 Abs. 22 und 22a UStG, § 2 Abs. 3 UStG a.F. als auch nach § 2b UStG führt die entgeltliche Benutzung von Wertstoffhöfen nach § 22 Abs. 3 VerpackG zu einer unternehmerischen Tätigkeit der örE.

6.174

Nebenentgelte nach § 22 Abs. 9 VerpackG. Sowohl bei der Rechtslage nach § 27 Abs. 22 und 22a UStG, § 2 Abs. 3 UStG a.F. als auch nach § 2b UStG sind sogenannte Nebenentgelte nach § 22 Abs. 9 VerpackG wirtschaftlich eigenständige Leistungen, die zu einer unternehmerischen Tätigkeit der örE führen.

XXXIV. Veräußerung von Fundsachen und anderen unanbringbaren Sachen 6.175

Für die Frage, ob eine jPöR bei der Veräußerung von Fundsachen oder anderen unanbringbaren Sachen einen eigenen Umsatz in Form einer Lieferung bewirkt oder aber die Veräußerung für den ursprünglichen Eigentümer oder Finder lediglich vermittelt, gelten keine Besonderheiten, sondern die allgemeinen Regeln. Tritt eine jPöR bei der Veräußerung von Fundsachen oder anderen unanbringbaren Sachen als Eigenhändler im eigenen Namen auf,2 sind ihr die erzielten Erlöse als eigener Umsatz zuzurechnen, ohne dass es auf die Eigentumsverhältnisse ankommt. Die Umsätze der jPöR stellen ein hoheitliches Hilfsgeschäft dar, das nur unter den Bedingungen des Abschnitts 2b.1 Abs. 9 Satz 3 UStAE nachhaltig und damit unternehmerisch i.S.v. § 2 Abs. 1 UStG ausgeübt wird.3

XXXV. Verwertung von Vermögen, das einem Land durch Aneignung nach § 928 BGB oder durch Fiskalerbschaft nach § 1936 BGB zugefallen ist 6.176

Die Verwertung von Vermögen, das einem Land durch Aneignung nach § 928 BGB oder durch Fiskalerbschaft nach § 1936 BGB zugefallen ist, stellt ein hoheitliches Hilfsgeschäft dar, welches nur unter den Bedingungen des Abschnitts 2b.1 Abs. 9 Satz 3 UStAE nachhaltig und damit unternehmerisch i.S.v. § 2 Abs. 1 UStG ausgeübt wird. Etwas anderes gilt lediglich für die Fälle, in denen das Land oder der Bund im Rahmen einer Fiskalerbschaft Unternehmensvermögen des Erblassers verwertet. Da das ererbte Vermögen durch den Erbfall seinen Status 1 § 22 Abs. 4 Satz 2 bzw. Satz 3 VerpackG. 2 Vgl. Abschn. 2.1 Abs. 3 UStAE und Abschn. 3.7 UStAE. 3 Vgl. LfSt Nds. v. 22.12.2020 – S 7107-39-St 171.

364 | Huschens

O. Einzelsachverhalte, Einzelfragen | Rz. 6.178 Kap. 6

als Unternehmensvermögen nicht verloren hat, stellen die Verwertungsumsätze, die das Land oder der Bund als Gesamtrechtsnachfolger des Erblassers durchführt, stets einen steuerbaren Vorgang dar,1 ohne dass es auf die Nachhaltigkeit ankommt.2

XXXVI. Verwertung von Sicherungsgut durch die Finanzämter bei Eintritt des Sicherungsfalls Bei der Verwertung von Gegenständen nach den Vorschriften des Zweiten Abschnitts des Sechsten Teils der AO werden die Finanzbehörden im Wege der Zwangsvollstreckung tätig und sind nach Abschnitt 1.2 Abs. 2 UStAE nicht als Leistender in eine Lieferkette eingeschaltet. Hiervon abzugrenzen ist die Verwertung von Sicherheiten, die die Finanzbehörden durch rechtsgeschäftliche Verpflichtung erlangt haben, z.B. im Rahmen einer Stundung oder einer Aussetzung der Vollziehung. Sind die Verwertungsumsätze nach den allgemeinen Grundsätzen3 dem Bund bzw. dem Land zuzurechnen, handelt es sich um hoheitliche Hilfsgeschäfte, die nur unter den Bedingungen des Abschnitts 2b.1 Abs. 9 Satz 3 UStAE nachhaltig und damit unternehmerisch i.S.v. § 2 Abs. 1 UStG ausgeübt werden.4

6.177

XXXVII. Errichtung und Unterhalt gemeinsamer Verkehrseinrichtungen Nimmt ein Landesbetrieb oder eine vergleichbare jPöR des Landes aufgrund der Regelung des Art. 90 Abs. 3 GG die Aufgaben des Bundes als Träger der Straßenbaulast für Bundesstraßen wahr, erbringt er im Rahmen der Wahrnehmung dieser Aufgaben nach § 2b Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 2b Abs. 1 UStG nicht steuerbare Leistungen an den Bund. Entsprechendes gilt für Leistungen einer jPöR an den Träger der jeweiligen Straßenbaulast, wenn dieser der anderen jPöR durch gesetzliche Regelung oder öffentlich-rechtliche Vereinbarung die Verwaltung und Unterhaltung der seiner Straßenbaulast unterliegenden Straßen einschließlich des Aus- und Umbaus gegen Ersatz der entstehenden Kosten übertragen hat, vorausgesetzt, die jeweilige gesetzliche Ermächtigungsgrundlage sieht vor, dass eine Aufgabenübertragung nur an eine andere jPöR erfolgen darf. Sind im Rahmen der Errichtung bzw. des Unterhalts von Verkehrseinrichtungen in Kreuzungsbereichen von Straßen verschiedener Straßenklassen (Bundesfernstraßen, Landesstraßen, Kreisstraßen, Gemeindestraßen) mehrere Gebietskörperschaften anteilig Träger der Straßenbaulast und übernimmt der Landesbetrieb oder eine vergleichbare juristische Person des öffentlichen Rechts des Landes die Errichtung bzw. den Unterhalt und werden die Kosten anteilig von sämtlichen betroffenen Trägern der Straßenbaulast getragen, liegt insoweit ein Leistungsaustausch gegen Entgelt von dem Landesbetrieb oder der vergleichbaren juristischen Person des öffentlichen Rechts des Landes an die übrigen Träger der Straßenbaulast vor. Wird der Landesbetrieb oder die vergleichbare jPöR des Landes im Rahmen der öffentlichen Gewalt tätig, wird der Wettbewerb nach § 2b Abs. 1 S. 2 i.V.m. Abs. 3 Nr. 1 UStG insoweit ausgeschlossen als die betreffenden Tätigkeiten aufgrund gesetzlicher Vorschriften einer jPöR vorbehalten sind und von dieser auf öffentlich-rechtlicher Grundlage erbracht werden (z.B. Art. 90 Abs. 3 GG). Das soll z.B. der Fall, sein wenn und soweit die betreffenden (Planungs-) Tätigkeiten aufgrund gesetzlicher Vorgaben (z.B. § 12 Abs. 4 Bundesfernstraßengesetz – FStrG) im Rahmen eines Planfeststellungsverfahrens erfolgen müssen. Die

1 Vgl. BFH v. 13.1.2020 – V R 24/07, BStBl. II 2011, 241. 2 Vgl. LfSt Nds. v. 22.12.2020 – S 7107-39-St 171. 3 S. z.B. für die Verwertung von Sicherungsgut und von verpfändeten Sachen Abschn. 1.2 Abs. 1 und 1a UStAE. 4 Vgl. LfSt Nds. v. 22.12.2020 – S 7107-39-St 171.

Huschens | 365

6.178

Kap. 6 Rz. 6.178 | Umsetzungsstrategien des § 2b UStG in der Verwaltung

Leistung des Landesbetriebs oder der vergleichbaren juristischen Person des öffentlichen Rechts gegenüber der fremden Gebietskörperschaft ist insoweit nicht steuerbar nach § 2b UStG.1

XXXVIII. Übertragung eines Bauhofs mit befreiender Wirkung auf eine andere jPöR 6.179

Einige Kommunen (z.B. in Bayern) verfügen über keinen eigenen Bauhof, weil sie die Aufgaben des Bauhofs auf eine andere jPöR (im Folgenden als „neuer Aufgabenträger“ bezeichnet) übertragen haben. Dies ist zum einen in verschiedenen Konstellationen der interkommunalen Zusammenarbeit der Fall, insbesondere bei zu diesem Zweck gegründeten Zweckverbänden oder bei einer Übertragung der Aufgaben auf eine andere Kommune oder eine Verwaltungsgemeinschaft durch Zweckvereinbarung. Zum anderen können Aufgaben des Bauhofs auch auf ein zu diesem Zweck errichtetes oder bestehendes Kommunalunternehmen übertragen werden.2 Der neue Aufgabenträger bekommt regelmäßig die anfallenden Kosten erstattet. Mit der Übertragung der Aufgaben ändert sich die kommunalverfassungsrechtliche Zuständigkeitsordnung mit Wirkung gegenüber jedermann. Berechtigt und verpflichtet, in dem übergegangenen Aufgabengebiet tätig zu werden, ist allein der neue Aufgabenträger. Da kommunalrechtlich in Bayern eine vergleichbare Übertragung der Aufgaben des gesamten Bauhofs auf einen privaten Rechtsträger mit befreiender Wirkung jedoch nicht möglich ist, soll die Leistung nicht marktrelevant sein.3 Die Kommunen könnten eine vergleichbare Leistung nicht bei privatwirtschaftlichen Marktteilnehmern beziehen, weil diese zwar einzelne Hilfstätigkeiten erbringen dürften, nicht aber die Aufgaben insgesamt mit befreiender Wirkung übernehmen könnten. Die Übertragung der gesamten Aufgaben kann damit nicht zu Wettbewerbsverzerrungen führen, sodass keine Umsatzsteuer anfällt. Leistungen des neuen Aufgabenträgers an andere Kommunen, Religionsgemeinschaften oder andere Rechtsträger, die die Aufgaben des Bauhofs nicht mit befreiender Wirkung übertragen haben, sind i.d.R. steuerbar, da sie marktrelevant sind. Sie unterliegen daher der Umsatzsteuer. Ohne Belang ist, in welche Sphäre die Leistungen bei dem Leistungsempfänger eingehen.4

P. Vorsteuerabzug einer Kurortgemeinde aus den Kosten für die Errichtung und Unterhaltung von öffentlichen Kureinrichtungen 6.180

Der BFH5 hat entschieden, dass eine Stadt, die ihren Marktplatz sowohl für wirtschaftliche als auch für hoheitliche Zwecke verwendet, diesen nicht in vollem Umfang ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit zuordnen kann und deshalb nur anteilig zum Vorsteuerabzug berechtigt ist. Die Verwaltung folgt dieser Auffassung. Danach kann eine Gemeinde keine Vorsteuern aus Herstellung und Unterhalt von Einrichtungen geltend machen, die zwar durch die Gemeinde als Teil der öffentlichen Kureinrichtungen/des Fremdenverkehrs vorgehalten werden, jedoch nach den landesrechtlichen Regelungen (z.B. Straßen- und Wegerecht) durch öffentlich-rechtliche Widmung als dem Gemeingebrauch zugänglich anzusehen bzw. einer solchen Widmung 1 Vgl. FM Schl.-Holst. v. 23.3.2021 – VI 3510-S 7107-001. 2 Art. 89 Abs. 2 Satz 1 Gemeindeordnung für den Freistaat Bayern (Gemeindeordnung – GO) in der Fassung der Bekanntmachung v. 22.8.1998. 3 § 2b Abs. 1 Satz 2 UStG. 4 Vgl. Bayerisches LfSt v. 18.6.2021 – S 7107.2.1-36/8 St33. 5 BFH v. 3.8.2017 – V R 62/16, BStBl. II 2021, 109.

366 | Huschens

Q. Ausblick | Rz. 6.181 Kap. 6

zuzuführen sind, selbst wenn die Gemeinde vom Kurgast auf der Grundlage einer Satzung einen allgemeinen Kurabgabebeitrag erhebt. Die Nutzung der Einrichtungen durch den Kurgast erfolgt hier nicht im Rahmen einer über den Gemeingebrauch hinausgehenden Sondernutzung. Bei Fehlen einer öffentlich-rechtlichen Widmung entfällt der Vorsteuerabzug, wenn die Einrichtung ausdrücklich (z.B. durch Gemeindeordnung) oder konkludent (z.B. durch Gewohnheitsrecht oder Ausschilderung als Spazier- oder Wanderweg) der Öffentlichkeit zur Nutzung überlassen wird und dadurch insoweit eine Sondernutzung in Zusammenhang mit einer wirtschaftlichen Tätigkeit ausgeschlossen ist.1

Q. Ausblick Es bleibt abzuwarten, ob die Verwaltung insbesondere weitere Kriterien zur Nichtsteuerbarkeit von Kooperationsleistungen zwischen einzelnen jPöR entwickeln wird. Auch ist bisher der Begriff „größerer Wettbewerbsverzerrungen“ sowohl i.S.d. Art. 13 Abs. 2 MwStSystRL als auch i.S.d. § 2b Abs. 1 Satz 2 UStG wenig ausgeleuchtet. Die Frage, ob die Behandlung von Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die im Rahmen der öffentlichen Gewalt tätig werden, als Nichtsteuerpflichtige zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde (Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL), ist mit Bezug auf die fragliche Tätigkeit als solche zu beurteilen, ohne dass sich diese Beurteilung auf einen lokalen Markt im Besonderen bezieht. Der Begriff „führen würde“ i.S. dieser Vorschrift ist dahin auszulegen, dass er nicht nur den gegenwärtigen, sondern auch den potenziellen Wettbewerb umfasst, sofern die Möglichkeit für einen privaten Wirtschaftsteilnehmer, in den relevanten Markt einzutreten, real und nicht rein hypothetisch ist. Der Begriff „größere Wettbewerbsverzerrungen“ ist dahin zu verstehen, dass die gegenwärtigen oder potenziellen Wettbewerbsverzerrungen mehr als unbedeutend sein müssen.2 Dies ist eine wenig zufriedenstellende Antwort des EuGH; der Begriff „größere“ wird durch den Begriff „mehr als unbedeutend“ kaum klarer. Noch viel zu tun für den EuGH und die nationalen Gerichte!

1 Vgl. Abschn. 15.19 Abs. 2 Sätze 3 bis 6 UStAE, zurückgehend auf BMF-Schreiben v. 18.1.2021, BStBl. I 2021, 121. 2 EuGH v. 16.9.2008 – C-288/07 – Isle of Wight Council u.a., BFH/NV 2009, 108.

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6.181

368 | Huschens

Kapitel 7 Sonstige Einzelsteuergesetze A. I. II. III.

Gewerbesteuer Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wesen der Gewerbesteuer . . . . . . . Gewerbesteuerliche Teleologie der Besteuerung der öffentlichen Hand IV. Steuertatbestand 1. Persönliche Steuerpflicht . . . . . . 2. Sachliche Steuerpflicht und Steuergegenstand a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsformunabhängige Gewerbebetriebe . . . . . . . . . . . c) Rechtsformabhängige Gewerbebetriebe . . . . . . . . . . . . . . d) Wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Betriebe der öffentlichen Hand aa) Steuerliche Einordnung bb) Juristische Personen des öffentlichen Rechts . . . . cc) Gewerbebetrieb kraft Tätigkeit . . . . . . . . . . . . dd) Betriebe gewerblicher Art ee) Strukturelle und tatbestandsmäßige gewerbesteuerliche Verknüpfung (1) Tatbestandsmäßige Verknüpfung . . . . . . . . . . . . (2) Einrichtungen der öffentlichen Hand . . . . . . . . . . (3) Wirtschaftliches Herausheben . . . . . . . . . . . . . . . (4) Gewinnerzielungsabsicht (5) Strukturell dauerdefizitäre Betriebe (a) Dauerverlustbetriebe . . (b) Verdeckte Gewinnausschüttung . . . . . . . . . . . (c) Begünstigte Dauerverluste . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Nicht begünstigte Dauerverluste . . . . . . . . . . . . . (6) Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr . . . . . . . . . . . . . (7) Betriebe der Daseinsvorsorge und andere Betriebe

(a) (b) (c) (d) (e) (f)

7.1 7.7 7.11 7.15 7.17 7.20 7.25 7.31 7.36 7.39 7.41 7.43

7.46 7.53 7.58 7.63 7.69 7.74 7.76 7.78 7.80

V. VI. VII. VIII. IX. B. I. II. III. IV.

Allgemeines . . . . . . . . . 7.83 Versorgungsbetriebe . . . 7.87 Verkehrsbetriebe . . . . . . 7.91 Bäderbetriebe . . . . . . . . 7.95 Rundfunkanstalten . . . . 7.97 Entsorgungsunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . 7.102 (8) Hoheitsbetriebe (a) Hoheitliche Betätigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.106 (b) Tatsächlicher oder potentieller Wettbewerb . . . . . 7.109 (c) Überwiegend hoheitliche Betätigung . . . . . . 7.112 (d) Zwangs- und Monopolrechte . . . . . . . . . . . . . . 7.116 (9) Keine Betätigung im Rahmen der Land- und Forstwirtschaft . . . . . . . 7.120 (10) Keine vermögensverwaltende Betätigung . . . . . . 7.122 (11) Betriebe in Form von Personengesellschaften . 7.126 3. Umfang des Gewerbebetriebes . 7.133 4. Zusammenfassung gewerblicher Betätigungen i.S.d. § 4 Abs. 6 KStG a) Horizontaler Querverbund . 7.135 b) Gleichartigkeit . . . . . . . . . . . 7.140 c) Objektiv enge wechselseitige technisch-wirtschaftliche Verflechtung . . . . . . . . . . . . 7.141 d) Katalogbetriebe . . . . . . . . . . 7.142 Beginn, Erlöschen/Aufgabe der Steuerpflicht oder Insolvenz des Gewerbebetriebes . . . . . . . . . . . . . . 7.143 Gewerbeertrag und Freibetrag . . . 7.150 Steuersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.156 Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.158 Kleines ABC der Beispielsfälle . . . 7.160 Grundsteuer Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.163 Wesen der Grundsteuer . . . . . . . . . 7.166 Reform der GrSt wegen Verstoßes gg. Art. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.170 Gesetz zur Reform der Grundsteuer (GrStRefG) . . . . . . . . . . . . . . 7.172

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Kap. 7 | Sonstige Einzelsteuergesetze V. Hebeberechtigung . . . . . . . . . . . . . VI. Steuergegenstand oder -objekt . . . VII. Steuerbefreiungen best. Rechtsträger i.S.d. § 3 GrStG 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsträger in Form inländischer juristischer Personen des öffentlichen Rechts a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . b) Juristische Person des öffentlichen Rechts (jPdöR) . . . . . c) Inländische jPdöR . . . . . . . . 3. Sonst. Rechtsträger . . . . . . . . . . 4. Subjektiver und objektiver Zusammenhang zum Grundbesitz a) Zusammenspiel des subj. und objekt. Tatbestandes . . b) Subjektive Zurechnungen der 1. und 2. Alternative . . . c) Objektive Nutzung . . . . . . . d) Öffentlich Private Partnerschaft (ÖPP) . . . . . . . . . . . . 5. Einzelne Steuerbefreiungen i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 GrStG und deren Ausnahmen a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . b) Juristische Personen des öffentlichen Rechts . . . . . . . c) Ausnahme der Vertretungen/Verbände und Vereinigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Bundeseisenbahnvermögen . . . . . . . . . . . . . . e) Gemeinnützige Einrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Öffentliche Religionsgesellschaften und jüdische Kultusgemeinden . . . . . . . . g) Dienstwohnungen von Religionsgesellschaften . . . . h) Grundbesitz der Religionsgesellschaften . . . . . . . . . . . 6. Anwendungsbeispiele . . . . . . . . 7. Hoheitliche Betätigungen i.S.d. § 3 Abs. 2 GrStG a) Gleichstellung der Termini . b) Hoheitliche Betätigung als öffentlicher Dienst . . . . . . . c) Bestimmungsgemäßer öffentlicher Gebrauch . . . . . 8. Keine Betriebe gewerblicher Art . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

370 | Westendorf

7.175 7.177 7.180

7.185 7.187 7.192 7.197

7.201 7.203 7.206 7.209

7.215 7.216 7.217 7.220 7.223 7.230 7.236 7.240 7.242 7.245 7.248 7.255 7.263

VIII. Sonst. Steuerbefreiungen i.S.d. § 4 GrStG 1. Allgemeiner Subsidiaritätsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Befreiungen für Gottesdienste . 3. Befreiungen für Bestattungsplätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Befreiungen des öffentl. Versorgungsnetzes – Infrastrukturbefreiung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Wasser- und Bodenverbände . . 6. Befreiungen für Wissenschaftsund Bildungszwecke . . . . . . . . . 7. Krankenhäuser . . . . . . . . . . . . . IX. Verschiedene Nutzungen des Grundbesitzes 1. Grenzen der Steuerfreiheit . . . . 2. Nutzung zu Wohnzwecken – § 5 GrStG a) Abgrenzung der Termini Wohnung und Wohnraum . b) Der Wohnungsbegriff i.S.d. § 5 Abs. 2 GrStG . . . . . . . . . c) Gemeinschaftsunterkünfte . d) In Heimen genutzte Wohnräume . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Für steuerbegünstigte Zwecke überlassene Wohnräume . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Bereitschaftsräume . . . . . . . 3. Land- und Forstwirtschaft – § 6 GrStG a) Steuerpflicht als Grundsatz b) Lehr- und Versuchszwecke . c) Übungs- oder Flugplatz . . . d) Steuerbefreite Zwecke i.S.d. § 4 Nr. 1 bis 4 GrStG . . . . . 4. Benutzung für steuerbegünstigten Zweck a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . b) Unmittelbare Nutzung – § 7 GrStG . . . . . . . . . . . . . . c) Teilweise Nutzung – § 8 GrStG . . . . . . . . . . . . . . X. Stichtag, Festsetzung und Steuerschuldner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI. Steuerbemessung und Festsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XII. Erlass i.S.d. §§ 32 bis 34 GrStG . . C. Grunderwerbsteuer I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7.269 7.271 7.274 7.277 7.282 7.285 7.289 7.292

7.294 7.295 7.299 7.300 7.301 7.304 7.306 7.310 7.313 7.315 7.317 7.318 7.322 7.326 7.329 7.333 7.338

Sonstige Einzelsteuergesetze | Kap. 7 II. Steuergegenstand 1. Rechtsträgerwechsel . . . . . . . . . 2. Erwerbsvorgänge . . . . . . . . . . . . 3. Grundstücke . . . . . . . . . . . . . . . III. Ausnahmen von der Besteuerung 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Allgemeine Steuerbefreiungen nach § 3 GrEStG a) Systematische Einordnung . b) Erwerb von Todes wegen nach § 3 Nr. 2 GrEStG . . . . c) Schenkung unter Lebenden nach § 3 Nr. 2 GrEStG . . . . 3. Besondere Steuerbefreiungen nach § 4 GrEStG a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . b) Juristische Personen des öffentlichen Rechts i.S.d. § 4 Nr. 1 GrEStG aa) Systematische Einordnung und rechtl. Zusammenhang der Termini . . . . . . . . . . . . . bb) Übertragung aufgrund öffentl.-rechtl. Aufgaben . . . . . . . . . . . . cc) Übertragung aufgrund von Grenzänderungen . . . . . . . . . . c) Betriebe gewerblicher Art . . 4. Weitere Konstellationen a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . b) Erwerb durch ausl. Staaten für konsularische oder diplomatische Zwecke . . . . . . . . . c) Erwerb durch ausl. Staaten oder ausl. Einrichtungen für kulturelle Zwecke . . . . . . . . . d) Kommunale Zusammenschlüsse – Gebietsreformen .

7.340 7.341 7.346 7.349 IV. 7.353 7.355 7.357

V. D. I. II.

7.361 III.

7.363 7.367 7.373 7.376 7.381 7.382 7.384 7.386

IV. V. VI. E. I. II. F. G. H. I.

e) Öffentlich Private Partnerschaft (ÖPP) i.S.d. § 4 Nr. 5 GrEStG . . . . . . . . . . . . . . . . f) Erwerbe im Zusammenhang mit dem Austritt aus der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Konzernklausel des § 6a GrEStG Bemessungsgrundlage und Steuersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Steuerschuldner . . . . . . . . . . . . . . . Erbschaft- und Schenkungsteuer Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Steuerpflichtige Vorgänge 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erbschaften . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schenkungen . . . . . . . . . . . . . . . Steuerbefreiungen 1. Grundsatz der Steuerpflicht und deren Ausnahmen . . . . . . . 2. Zuwendungen an KöR i.S.d. § 13 Abs. 1 Nr. 15 Alt. 1 und 2 ErbStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zuwendungen an gemeinnützige und kirchliche Einrichtungen i.S.d. § 13 Abs. 1 Nr. 16 und 17 ErbStG . . . . . . . . . . . . . Steuerklassen und Steuersatz . . . . . Freibeträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Steuerschuldner . . . . . . . . . . . . . . . Kraftfahrzeugsteuer Allgemeines sowie steuerbare Vorgänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Befreiungen von der Kraftfahrzeugsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Luftverkehrsteuer . . . . . . . . . . . . . . Versicherungsteuer . . . . . . . . . . . . . Stromsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Energiesteuer . . . . . . . . . . . . . . . . .

7.390 7.395 7.396 7.402 7.405 7.406 7.410 7.411 7.413 7.416 7.417

7.423 7.430 7.432 7.433

7.435 7.438 7.448 7.452 7.455 7.457

Literatur: Behrens/Wachter, GrEStG, Kommentar, 1. Auflage, Köln 2018; Belcke/Westermann, Die Besteuerung öffentlicher Unternehmen – Die Umsatzsteuerreform und weitere aktuelle Praxishinweise zum Jahresbeginn 2016, BB 2016, 87; Belcke/Westermann, Die Besteuerung öffentlicher Unternehmen – BMF-Schreiben zur Verflechtung von Versorgungsbetrieben mittels eines Blockheizkraftwerks sowie weitere aktuelle Praxishinweise, BB 2016, 1687; Belcke/Westermann, Die Besteuerung öffentlicher Unternehmen: Praxisrelevante Hinweise zu Organschaftsgestaltungen, Breitbandausbau, Konzessionsabgaben sowie zu § 2b UStG und Kapitalertragsteuer BB 2019, 1885; Blümich, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, Kommentar, Loseblatt, München, 152. ErgLief. 05/2020; Boruttau, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 19. Auflage, München 2019; Fischer, D., Ökopunkte in der Gemeinnützigkeit, jurisPraxisReport – Steuerrecht 33/2019, Anm. 1; Fischer, P., Auslegung des Begriffs „selbstständig“ am Beispiel der wirtschaftlichen Tätigkeit einer Organisations-

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Kap. 7 Rz. 7.1 | Sonstige Einzelsteuergesetze einheit der Gemeinde, die ihr nicht im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegt, jurisPraxisReport – Steuerrecht 49/2015, Anm. 4; Glanegger/Güroff, Gewerbesteuergesetz, Kommentar, 9. Auflage, München 2017; Grashoff, Grundzüge des Steuerrechts, 14. Aufl., München 2018; Halaczinsky, Grundsteuerreform verabschiedet – 1. Stufe tritt 2020 in Kraft, jurisPraxisReport – Steuerrecht 1/2020, Anm. 1; Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand: Verwaltungs- und Steuerrecht der öffentlichen Unternehmen und der juristischen Personen des öffentlichen Rechts, München 2017; Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, Kommentar, Köln, 259. ErgLief. 08/ 2020; Hüttemann, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, Köln 2002; Hüttemann, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, FR 2009, 308; Kirchhof, Der Belastungsgrund von Steuern – zum verfassungsrechtlichen Auftrag, die Grundsteuer zu reformieren, Deutsches Steuerrecht 2020 S. 1073; Leippe, Gemeindliche Krematorien – Hoheitsbetrieb oder BgA? ZKF 2007, 221; Lenski/Steinberg, Gewerbesteuergesetz, Kommentar, Loseblatt, Köln, 131. ErgLief. 05/2020; Lippross/Seibel, Basiskommentar Steuerrecht, Köln, 121. ErgLief. 08/2020; Loose, Grunderwerbsteuerbefreiung für kirchlichen Schulträgerwechsel, jurisPraxisReport – Steuerrecht 23/2020, Anm. 4; Mössner/Seeger, Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, 4. Aufl., Herne 2017; Musil, Die Gemeinnützigkeit von kommunalen Eigengesellschaften – ein wegweisendes Urteil des BFH, FR 2014, 825; Pahlke, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 6. Aufl., München 2018; Schiffers, Geschützte Dauerverlusttätigkeit i.S.d. § 8 Abs. 7 KStG – zugleich Anmerkung zum BFH-Urteil vom 9.11.2016 – I R 56/15, Deutsche Steuer-Zeitung 2017, 275; Schiffers, Besteuerung von Beteiligungen einer juristischen Person des öffentlichen Rechts an einer Personengesellschaft – Positionspapier der Finanzverwaltung, Deutsche Steuer-Zeitung 2017, 305; Stenger/Loose, Bewertungsrecht, Kommentar zum BewG, ErbStG und GrStG, Köln, 150. ErgLief. 06/2020; Tipke/ Kruse, AO/FGO, Kommentar, Köln, 162. ErgLief. 09/2020; Tipke/Lang, Steuerrecht, 23. Aufl., Köln 2018; Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar, München, 58. ErgLief. 12/2019; Wallenhorst/Halaczinsky, Die Besteuerung gemeinnütziger und öffentlichrechtlicher Körperschaft, 7. Aufl., München 2017; Westendorf, Der Betrieb gewerblicher Art – eine vergleichende Betrachtung der Querverbundsysteme, Diss., Berlin 2019.

A. Gewerbesteuer I. Allgemeines 7.1

Die Gewerbesteuer stellt unter Wirtschaftlichkeitsaspekten die bedeutendste Einnahmequelle am Steueraufkommen einer Gemeinde dar. Diese erheben die Gewerbesteuer als Gemeindesteuer.1 In 2019 betrug das Gewerbesteueraufkommen bundesweit ca. 55,42 Milliarden Euro.2

7.2

Diesen Grundsatz gewährleistet Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG mit der darin verfassten Eigenverantwortlichkeitsgarantie der Gemeinden. Bestimmungsgemäß werden hierunter die örtliche und gemeindliche Selbstverwaltung und die finanzielle Selbstbestimmung, Garantie der Finanzhoheit, gefasst. Art. 28 Abs. 2 S. 3 HS. 2 GG sichert zudem das vorgenannte Prinzip einer eigens der Gemeinde zugeordneten und wirtschaftskraftbezogenen Steuerquelle zu, welche mit Hebesatzberechtigung agiert.3

7.3

Die Finanzverfassung mit Art. 106 Abs. 6 S. 1 und 2 GG führt diesen normativen Richtsatz fort und überträgt das Aufkommen der Gewerbesteuer als Steuerquelle den Gemeinden. Ferner garantiert Art. 106 Abs. 6 S. 2 GG den Gemeinden das Hebesatzrecht der Gewerbesteuer. 1 § 1 GewStG. 2 Siehe hierzu https://www.destatis.de/DE/Themen/Staat/Steuern/Steuereinnahmen/Tabellen/steuer haushalt-kassenmaessige-steuereinnahmen-nach-steuerverteilung.html;jsessionid=3BC85951EECF B682B3D3761D45BC1961.internet8712: Informationsstand 17.8.2020. 3 Vgl. Sarrazin in Lenski/Steinberg, GewStG, § 1 Tz. 1; Güroff in Glanegger/Güroff10, GewStG, § 1 Tz. 6.

372 | Westendorf

A. Gewerbesteuer | Rz. 7.6 Kap. 7

Die Hebesatzberechtigung erlaubt den Gemeinden ihr Gewerbesteueraufkommen eigenständig zu regulieren und wirtschaftliche Standortvor- und -nachteile entstehen zu lassen. Diese sind bilateral, so dass sich Hebesatzerhöhungen für Abwanderungen von Gewerbebetrieben ursächlich zeigen können. Dahingegen weisen gegenläufige Maßnahmen häufig auf eine beginnende wirtschaftliche Standortvorteilhaftigkeit hin.1 Um keine Ungleichbehandlungen entstehen zu lassen, ist seit dem Kalenderjahr 2004 der Hebesatz einheitlich mit mindestens 200 % zu bemessen. Ein verfassungsrechtlicher Verstoß gegen Art. 28 Abs. 2 GG i.V.m. Art. 106 Abs. 6 GG, hier die kommunale Finanzhoheit und Selbstbestimmungsgarantie, liegt bei der Bestimmung eines Mindesthebesatzes ausdrücklich nicht vor.2

7.4

Im Rahmen der Gewerbesteuerumlage werden die Länder und der Bund am bundeseinheitlichen Gewerbesteueraufkommen beteiligt.3 Im Gegenzug erhalten die Gemeinden einen Teil der Einkommensteuer zurück.4 Das umgekehrt wirkende Strukturprogramm resultiert grundlegend aus einem ebenmäßigen Verteilungsausgleich. Das Gewerbesteueraufkommen ist bundesweit ungleichmäßig verteilt, so dass die Gewerbesteuerumlage einen finanziellen Strukturausgleich herbeiführt. Stark gewerblich geprägte Gemeinden unterstützen somit mittelbar Schwächere.5 Das Umlageverfahren in Form eines Finanz- und Strukturausgleichs entzieht der Gewerbesteuer ihren allgemeinen und ausschließlichen Gemeindesteuercharakter.

7.5

Gemäß Art. 108 Abs. 2 GG liegt die Verwaltung der Gewerbesteuer grundlegend in Länderzuständigkeit. Ausnahmen resultieren aus Aufgabenübertragungen an Gemeinden, soweit ihnen die Steuern allein zufließen.6 Das Gewerbesteuerverfahren ist zweistufig gegliedert, einerseits in das Messbetrags- und Zerlegungsverfahren und andererseits in das Festsetzungs- und Erhebungsverfahren. Für das Messbetrags- und Zerlegungsverfahren ist das örtliche Betriebsfinanzamt i.S.d. §§ 22 Abs. 1 S. 1 und 18 Abs. 1 Nr. 2 AO oder das für die hebeberechtigte Gemeinde zuständige Finanzamt nach § 22 Abs. 2 AO zuständig. Das Festsetzungs- und Erhebungsverfahren wird in der überwiegenden Mehrheit von den Gemeinden, Ansässigkeit in Flächenstaaten, wahrgenommen, um eine verwaltungsökonomische Vereinfachung im Rahmen der Erhebung herbeizuführen. Ein Auskunftsanspruch der Gemeinden besteht nur bei einem realsteuerlich erheblichen Vorgang i.S.d. § 21 Abs. 3 FVG. In den Ländern Berlin, Hamburg und Bremen findet eine Aufgabenübertragung aus Gründen der Identitätsgleichheit nicht statt.7 Das zweistufige Verfahren endet auf jeder Stufe mit einem Bescheid, welcher separat anfechtbar ist.8 Der Inhalt des Messbescheides wird den Gemeinden nach § 184 Abs. 3 AO mitgeteilt und entfaltet Bindungswirkung9 – hier Grundlagenbescheid i.S.d. § 182 Abs. 1 AO.

7.6

1 2 3 4 5 6

Sinngemäß auch Drüen in Blümich, Kommentar zur GewSt, § 1 Tz. 3. BVerfG v. 27.1.2010 – 2 BvR 2185/04, 2 BvR 2189/04, BVerfGE 125 S. 141. Art. 106 Abs. 6 S. 4 GG. §§ 1 bis 6 Gemeindefinanzreformgesetz vom 20.3.2009, BGBl. I 2009 Nr. 14 S. 503. So ähnlich auch Güroff in Glanegger/Güroff10, GewStG, § 1 Tz. 10. Art. 108 Abs. 4 S. 2 GG; sinngemäß BVerfG v. 27.1.2010 – 2 BvR 2185/04, 2 BvR 2189/04, BVerfGE 125 S. 141; BVerfG v. 8.11.1983 – 1 BvR 479/83, BStBl. II 1984 S. 249; BVerwG v. 21.10.1983 – 8 C 162.81, BStBl. II 1984 S. 244; BVerwG v. 29.9.1982 – 8 C 48.82, BStBl. II 1984 S. 236. 7 Art. 108 Abs. 4 S. 2 GG; vgl. auch Sarrazin in Lenski/Steinberg, GewStG, § 1 Tz. 58 f.; die einzelnen landesrechtlichen Regelungen der Aufgabenübertragung – siehe Sarrazin in Lenski/Steinberg, GewStG, § 1 Tz. 58. 8 §§ 184 Abs. 1 S. 1, 347 Abs. 1, 351 Abs. 2 AO sowie die §§ 40 Abs. 1 VwGO und 33 Abs. 1 Nr. 1, 4 FGO. 9 § 184 Abs. 1 S. 4 AO; BVerwG v. 12.8.2014 – 9 B 23.12, BFH/NV 2014 S. 1871; BVerwG v. 15.6.2011 – 9 C 4.10, BVerwGE 140 S. 34; BVerwG v. 2.9.1999 – 11 B 23.99, juris.

Westendorf | 373

Kap. 7 Rz. 7.6 | Sonstige Einzelsteuergesetze

Das Gleiche gilt auch für Verlustfeststellungs- und Zerlegungsbescheide.1 Unter Bezugnahme des Gewerbesteuermessbetrages und des Hebesatzes setzt die Gemeinde die Gewerbesteuer mit Bescheid fest und erhebt diese.2

II. Wesen der Gewerbesteuer 7.7

Gemäß § 1 GewStG ist die Gewerbesteuer eine Gemeindesteuer, obwohl Teilbeträge im Rahmen eines Umlageverfahrens der Abführung an den Bund unterliegen. Darüber hinaus gehört sie, so auch die Grundsteuer, zu den Realsteuern.3 Der Begriff ist definitionslos. Neben dem Begriff der Realsteuer sind weitere Termini, wie Sach- oder Objektsteuer, in der Literatur und Praxis gebräuchlich.4

7.8

Die einzelnen Termini veranschaulichen insbesondere, dass der Besteuerungsgegenstand allein auf den Gewerbebetrieb und den objektiven Gewerbeertrag i.S.d. § 7 GewStG ausgerichtet ist. Der Steuergegenstand und sachliche Steuerpflichtige ist allein der stehende Gewerbebetrieb – Objektsteuercharakter. Die Gewerbesteuer bemisst dabei nicht die Leistungsfähigkeit einer dahinterstehenden Rechtsperson, wie die Personensteuern in Form von Einkommen- und Körperschaftsteuern, sondern vielmehr die des Gewerbebetriebes als Sachinbegriff.5 Den Objektsteuercharakter heben zusehens die Hinzurechnungs- und Kürzungsvorschriften der §§ 8 und 9 GewStG hervor. Auf die dahinterstehenden natürlichen oder juristischen Personen, deren Existenz, Leistungsfähigkeit und persönlicher Verstrickung kommt es folglich nicht an.6

7.9

Jedoch verschwimmen die o.g. Grundsätze teilweise im Rahmen der Verlustberücksichtigung i.S.d. § 10a GewStG. Hierbei ist insbesondere auf die Voraussetzung der vorherrschenden Unternehmeridentität und die damit einhergehende persönliche Verflechtung des Gewerbetreibenden hinzuweisen.7

7.10

Allein der Unternehmer, für dessen Rechnung das Gewerbe betrieben wird, gilt als Steuerschuldner.8

III. Gewerbesteuerliche Teleologie der Besteuerung der öffentlichen Hand 7.11

Die Besteuerung der öffentlichen Hand sieht die Causa in der steuerlichen Wettbewerbsneutralität genauso normativ bindend, wie sie es in anderen steuerlichen Rechtsgebieten gewährleistet. Demzufolge sieht die gewerbesteuerliche Teleologie als auch das Gewerbesteuergesetz jeden stehenden inländischen Gewerbebetrieb als gewerbesteuerpflichtig an.9 Darunter zählen 1 Vgl. auch §§ 10 S. 6 und 35b Abs. 1 und 2 GewStG; BFH v. 17.1.2006 – VIII R 96/04, BFHE 213 S. 12; BFH v. 9.6.1999 – I R 92/98, BStBl. II 1999 S. 733; BFH v. 13.5.1993 – IV R 1/91, BStBl. II 1993 S. 828. 2 § 16 Abs. 1 GewStG. 3 §§ 3 Abs. 2 und 1 Abs. 2 AO. 4 Sinngemäß zu den div. Termini: BVerfG v. 15.1.2008 – 1 BvL 2/04, BVerfGE 120 S. 1. 5 Vgl. Sarrazin in Lenski/Steinberg, GewStG, § 1 Tz. 9. 6 Sinngemäß in Bezug auf den Objektsteuercharakter BFH v. 16.4.2002 – VIII R 16/01 (NV), BFH/ NV 2003 S. 81; BFH v. 5.9.1990 – X R 20/89, BStBl. II 1991 S. 25; BFH v. 31.10.1974 – IV R 98/71, BStBl. II 1975 S. 115; BVerfG v. 25.10.1977 – 1 BvR 15/75, BVerfGE 46 S. 224; BVerfG v. 13.5.1969 – 1 BvR 25/65, BStBl. II 1969 S. 424. 7 R 10a.3 Abs. 1 GewStR 2009. 8 § 5 Abs. 1 GewStG. 9 § 2 Abs. 1 S. 2 GewStG; § 2 Abs. 1 S. 1 GewStDV.

374 | Westendorf

A. Gewerbesteuer | Rz. 7.16 Kap. 7

auch juristische Personen des öffentlichen Rechts, hier insbesondere sämtliche gewerblichen Betätigungen einzelner Gemeinden. Die hieraus eintretende Gegenseitigkeitsbesteuerung, Identität von Steuergläubiger und -schuldner1, steht dem grundlegenden Gedanken der Wettbewerbsneutralität und Gleichmäßigkeit der Besteuerung nicht entgegen. Die Gründe für eine Besteuerung sind vielschichtig und nicht nur auf die alleinige Wettbewerbsneutralität ausgerichtet.2 Vielmehr zeigen sich vereinzelt Effizienzgedanken als auch fiskalische Beweggründe im Rahmen der geltenden föderalen Finanzverfassung in der einen oder anderen Ausprägung ursächlich.3

7.12

Die Einbeziehung der gewerblichen Betätigungen der juristischen Personen des öffentlichen Rechts stellt diese gegenüber gewerblich tätigen privatrechtlichen Organisationsformen gleich. Im Falle einer steuerlichen Nichterfassung respektive rechtswidrigen Besteuerung der öffentlichen Hand obliegt es dem Wettbewerber im Rahmen einer sog. Konkurrentenklage, hier Verpflichtungsklage, die Gewerbesteuer gegenüber der Gemeinde festsetzen zu lassen.4

7.13

Keine unter die teleologischen Denkansätze fallenden Tätigkeiten der öffentlichen Hand sind die ihr eigentümlich und vorbehaltenen hoheitlichen Betätigungen. Diese unterliegen grundsätzlich nicht der Besteuerung.

7.14

IV. Steuertatbestand 1. Persönliche Steuerpflicht Die persönliche Gewerbesteuerpflicht verbindet die Eigenschaft des Steuerschuldners mit dem gewerblichen Unternehmer i.S.d. § 5 Abs. 1 S. 1 GewStG. In diesem Fall gilt als Unternehmer, für dessen Rechnung das Unternehmen betrieben wird. Im Rahmen der Besteuerung der öffentlichen Hand ist das die juristische Person des öffentlichen Rechts mit ihren stehenden Gewerbebetrieben.

7.15

Die unmittelbaren Betriebe gewerblicher Art sind im Rahmen der Gewerbe- und Körperschaftsteuer weder Steuersubjekt noch entfalten sie Rechtsfähigkeit. Sie stellen allenfalls das Gewinnermittlungssubjekt dar. Allein die juristische Person des öffentlichen Rechts entfaltet wegen jedes einzelnen Betriebs gewerblicher Art ihre Steuersubjekteigenschaft.5 Gleiches gilt auch für die Beteiligung an sog. Mitunternehmerschaften, selbst für die Gewinnfeststellung und Zurechnung, da diese auch für Rechnung der juristischen Person des öffentlichen Rechts unterhalten werden.6 Für Zwecke der Gewinnermittlung ist dieser jedoch wie ein eigenständiges Rechtssubjekt zu behandeln.7

7.16

1 §§ 1 und 5 GewStG; sowie auch Art. 28 Abs. 2 S. 3 Hs. 2 GG. 2 U.a. BFH v. 25.1.2005 – I R 8/04, BStBl. II 2006 S. 190. 3 Vgl. Musil in Mössner/Seeger/Oellerich4, KStG Kommentar, § 4 Tz. 7; ähnlich und differenzierend Hüttemann, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 1 II. S. 6 f. 4 BFH v. 26.1.2012 – VII R 4/11, BStBl. II 2012 S. 541; BFH v. 18.9.2007 – I R 30/06, BStBl. II 2009 S. 126; BFH v. 5.10.2006 – VII R 24/03, BStBl. II 2007 S. 243; EuGH v. 8.6.2006 – C-430/04 – Feuerbestattungsverein Halle, Slg. 2006, I-4999; vgl. dazu auch Nöcker, in Hidien/Jürgens, Besteuerung der öffentlichen Hand § 7 Tz. 2; Hüttemann, FR 2009 S. 308 (309); Leippe, ZKF 2007 4.1 S. 221 (223). 5 BFH v. 27.11.2012 – IV B 64/12 (NV), BFH/NV 2013 S. 514; BFH v. 11.2.1997 – I R 161/94 (NV), BFH/NV 1997 S. 625; BFH v. 31.10.1984 – I R 21/81, BStBl. II 1985 S. 162; BFH v. 13.3.1974 – I R 7/71, BStBl. II 1974 S. 391. 6 BFH v. 29.11.2017 – I R 83/15, BStBl. II 2018 S. 495; BFH v. 27.11.2012 – IV B (NV), BFH/NV 2013 S. 514. 7 Vgl. Güroff in Glanegger/Güroff10, GewStG, § 2 Tz. 390 f. m.w.N.

Westendorf | 375

Kap. 7 Rz. 7.17 | Sonstige Einzelsteuergesetze

2. Sachliche Steuerpflicht und Steuergegenstand a) Allgemeines

7.17

Im Rahmen der Gewerbesteuer unterliegt jeder inländische stehende Gewerbebetrieb der Gewerbesteuer. Als sachlicher Steuergegenstand fungiert allein der stehende Gewerbebetrieb und nicht die durch ihn betriebene Person.1 Dabei ist der Steuergegenstand immer auf seine tätigkeitsbasierende sachliche Selbstständigkeit hin zu untersuchen. Eine natürliche Person kann folglich mehrere Gewerbebetriebe betreiben. Das führt zu einer mehrfachen Anwendung des Freibetrages i.S.d. § 11 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 GewStG. Das Gegenteil tritt bei einem einheitlichen Gewerbebetrieb zu Tage. Hierbei besteht die ausschließliche Möglichkeit einer Ergebnisverrechnung, so dass eine Konsolidierung auf Ebene des Verlustausgleichs respektive Verlustabzuges i.S.d. § 10a GewStG eintritt.2 Diese Konsolidierung entsteht, sobald mehrere Betätigungen eine finanzielle, organisatorische und wirtschaftliche Verbindung eingehen.3

7.18

Die Absätze eins bis drei des § 2 GewStG sowie der § 2 Abs. 2 GewStDV differenzieren hierbei den sachlichen Steuergegenstand in die nachfolgenden vier Kategorien: 1. rechtsformunabhängige Gewerbebetriebe kraft gewerblicher Betätigung i.S.d. § 15 Abs. 2 EStG4, 2. rechtsformabhängige Gewerbebetriebe i.S.d. § 2 Abs. 2 GewStG, 3. wirtschaftliche Geschäftsbetriebe i.S.d. § 2 Abs. 3 GewStG – ausgenommen der Land- und Forstwirtschaft und 4. stehende Gewerbebetriebe von juristischen Personen des öffentlichen Rechts i.S.d. § 2 Abs. 1 S. 1 GewStDV.

7.19

Das Ziel der sachlichen Steuerpflicht ist allein auf die objektive Ertragskraft des stehenden Gewerbebetriebes ausgerichtet. Jeder stehende Gewerbebetrieb ist in einer stand-alone Betrachtung zu beurteilen, hier unter Verweis auf dessen Objektsteuercharakter.5 b) Rechtsformunabhängige Gewerbebetriebe

7.20

Die erste Kategorie definiert die rechtsformunabhängigen Gewerbebetriebe. Hierfür verweist dieser auf die einkommensteuerlichen Regelungen und bedient sich der Legaldefinition des § 15 Abs. 2 EStG.

7.21

Ein Gewerbebetrieb liegt danach vor, sobald eine selbständige nachhaltige Betätigung, die mit der Absicht, Gewinn zu erzielen, unternommen wird und sich als Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr darstellt. Dabei darf es sich weder um eine Betätigung i.S.d. Land- und Forstwirtschaft, einer selbständigen Tätigkeit noch um vermögensverwaltende Tätigkeiten handeln.6 1 BFH v. 20.3.2013 – X R 38/11 (NV), BFH/NV 2013 S. 1125; BFH v. 24.10.2012 – X R 36/10 (NV), BFH/NV 2013 S. 252. 2 R 2.4 Abs. 1 und 2 GewStR 2009; vgl. Drüen in Blümich, GewStG, § 2 Tz. 36 und 37 m.w.N. 3 BFH v. 20.3.2013 – X R 38/11 (NV), BFH/NV 2013 S. 1125; BFH 27.5.2010 – X B 182/09 (NV), BFH/NV 2010 S. 1658. 4 § 2 Abs. 1 S. 2 GewStG. 5 Vgl. dazu Drüen in Blümich, GewStG, § 2 Tz. 30 m.w.N.; so auch BFH 5.4.2017 – IV R 2/14, BStBl. II 2017 S. 1138. 6 Siehe u.a. § 14 S. 3 AO; BFH v. 25.9.2018 – IX R 35/17, DStR 2019 S. 94; BFH v. 29.11.2017 – I R 83/15, BStBl. II 2018 S. 495; BFH v. 14.7.2016 – IV R 34/13, BStBl. II 2017 S. 175;

376 | Westendorf

A. Gewerbesteuer | Rz. 7.28 Kap. 7

In Einzelfällen kann eine Vermischung von vermögensverwaltender und gewerblicher Betätigung eintreten. Die grundlegenden vermögensverwaltenden Tätigkeiten sind wiederum klar von der gewerblichen Betriebsaufspaltung abzugrenzen. Hierbei werden im Wege der Vermietung und Verpachtung wesentliche Betriebsgrundlagen an eine gewerbliche Betriebsgesellschaft, häufig als juristische Person des Privatrechts geführt, überlassen. In einer Vielzahl der Fälle herrscht eine personelle und sachliche Verflechtung vor, so dass die Betätigungen der Besitzgesellschaft vollumfänglich als gewerblich zu qualifizieren sind und folglich ebenso der Gewerbesteuer unterliegen.1 Mit dieser rechtlichen Würdigung erreicht die Rechtsprechung einen Gleichklang zu rein gewerblich tätigen Einzelunternehmern, die keine Vermietung an sich selbst realisieren können.

7.22

Der rechtsformunabhängige Gewerbebetriebszweck umfasst sämtliche gewerblich tätigen natürlichen Personen und Personengesellschaften.2 Unberührt bleiben die juristischen Personen des Privatrechts, bestimmte Personengesellschaften als auch die wirtschaftlichen Geschäftsbetriebe von gemeinnützigen Einrichtungen.

7.23

Die einzelnen und zur Anwendung gelangenden Tatbestandsmerkmale und die weiterführende Literatur werden demzufolge bei den Betrieben der öffentlichen Hand näher dargelegt.

7.24

c) Rechtsformabhängige Gewerbebetriebe Im Gegensatz zu rechtsformunabhängigen Betrieben, welche allein nach ihrer gewerblichen Qualifikation i.S.d. § 15 Abs. 2 GewStG zu beurteilen sind, unterliegen sämtliche juristischen Personen des Privatrechts kraft Rechtsform und in vollem Umfang der Gewerbesteuer.3 Für die tatbestandsmäßige Anwendung ist die tatsächliche gewerbliche Betätigung irrelevant – nicht widerlegbare gesetzliche Fiktion.4

7.25

§ 2 Abs. 2 S. 1 GewStG enthält dazu eine nicht abschließende Enumeration, welche die folgenden Gesellschaften auflistet: Europäischen Gesellschaften, Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien, Gesellschaften mit beschränkter Haftung, Genossenschaften einschließlich Europäischer Genossenschaften und Versicherungs- und Pensionsfondsvereine auf Gegenseitigkeit. Eine mehrheitliche oder gar vollumfängliche Beteiligung der öffentlichen Hand an den o.g. Gesellschaftsformen ist ebenfalls unbeachtlich, soweit kein Betrieb gewerblicher Art i.S.d. § 4 KStG entsteht.

7.26

Die Regelungsbandbreite umfasst ebenso andere ausländische Gesellschaften oder Rechtsgebilde, welche ihren Sitz und ihre Geschäftsleitung im Ausland führen.5

7.27

Neben der oben aufgeführten Enumeration fallen auch Gewerbebetriebe von Personengesellschaften i.S.d. § 15 Abs. 3 Nr. 1 und 2 EStG unter den Regelungsgegenstand des § 2 Abs. 2 GewStG. Hierbei gelten vor allem die in vollem Umfang als Gewerbebetrieb betriebenen und mit Einkünfteerzielungsabsicht unternommenen Tätigkeiten einer offenen Handelsgesellschaft, einer Kommanditgesellschaft oder anderen Personengesellschaften mit Tätigkeiten oder gewerblichen Einkünften im Sinne des § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 2 EStG.6 Ferner gilt

7.28

1 2 3 4

BFH v. 29.11.2017 – X R 8/16, BStBl. II 2018 S. 426. § 2 Abs. 1 S. 2 GewStG. § 2 Abs. 2 S. 1 GewStG. Vgl. Drüen in Blümich, GewStG, § 2 Tz. 115; auch Güroff in Glanegger/Güroff10, GewStG, § 2 Tz. 456. 5 Siehe hierzu R 2.1 Abs. 4 S. 2 ff. GewStR 2009; BFH v. 28.7.1982 – I R 196/79, BStBl. II 1983 S. 77. 6 § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG.

Westendorf | 377

Kap. 7 Rz. 7.28 | Sonstige Einzelsteuergesetze

eine Fiktion für gewerblich geprägte Personengesellschaften, welche explizit keine Tätigkeiten i.S.d. § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG ausüben. Bei diesen müssen eine oder mehrere Kapitalgesellschaften als persönlich haftende Gesellschafter agieren und ausschließlich diese oder Personen, die nicht Gesellschafter sind, die Geschäftsführung ausüben.1

7.29

Die Rechtsformabhängigkeit bewirkt in jedem Fall eine Umqualifizierung der originären Einkünfte zu Einkünften aus Gewerbebetrieb.2

7.30

Die o.g. Ausführungen gelten ebenso für die Betriebsstättenfiktion im Organkreis i.S.d. § 2 Abs. 2 S. 2 GewStG. Lediglich die persönliche und nicht die sachliche Steuerpflicht gehen für die Dauer des Bestehens der Organschaft unter. Die Selbständigkeit des Gewerbesteuergegenstandes bleibt im Organkreis erhalten, so dass der Organträger und die Organgesellschaft nicht als einheitliches Unternehmen gelten.3 Das Gewerbesteuerrecht enthält zudem keine eigenen organschaftlichen Regelungen. Diese sind seit dem Kalenderjahr 20024 zwangsweise mit dem körperschaftsteuerlichen Regelungskreis und -umfang verknüpft.5 Der Gesetzesteleologie – Betriebsstättenfiktion – folgend geht mit der Anwendung der organschaftlichen Regelungen die Steuerschuldnerschaft i.S.d. § 5 GewStG auf den Organträger über.6 d) Wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb

7.31

Das Gewerbesteuerrecht weitet den Steuergegenstand auf wirtschaftliche Geschäftsbetriebe i.S.d. § 14 AO aus, welche von sonstigen juristischen Personen des privaten Rechts als auch nichtrechtsfähigen Vereinen unterhalten werden.7 Diese unterliegen ausdrücklich nicht der rechtlichen Einordnung der §§ 2 Abs. 1 S. 2 GewStG und 15 EStG und sind rechtsformunabhängig. Der Tatbestand erzeugt eine partielle Gewerbesteuerpflicht, welche die juristische Person nicht in Gänze umfasst.8 Allein die sachlichen Merkmale eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebes sind für seine Zuordnung bedeutsam.

7.32

Hintergrund dieser Regelung ist allein die Wettbewerbsneutralität des Steuerrechts und dessen Leistungsfähigkeitsprinzip. Wirtschaftliche Geschäftsbetriebe streben wirtschaftliche Vorteile an, so dass ein aktives Konkurrenzverhältnis unter Wettbewerbsmerkmalen existiert. Die Implementierung dieses Tatbestandes erzeugt eine zwingende Gleichstellung mit gewerblich tätigen Betrieben – auch kraft Rechtsform.

7.33

Die Regelungen über den wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb sind grundlegend weiter als die Definition des Gewerbebetriebs i.S.d. § 15 Abs. 2 EStG gefasst, hier als Oberbegriff zum Gewerbebetrieb definiert.9 Hierbei liegt eine selbständige nachhaltige Tätigkeit vor, bei der 1 § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG; BFH v. 4.5.2017 – IV R 2/14, BStBl. II 2017 S. 1138; BFH v. 17.3.2010 – IV R 41/07, BStBl. II 2010 S. 977; Korrektur der damaligen Aufgabe der Geprägerechtsprechung durch BFH v. 25.6.1984 – GrS 4/82, BStBl. II 1984 S. 751. 2 BFH v. 6.12.2016 – I R 50/16, BStBl. II 2017 S. 324; so ähnlich auch BFH v. 30.11.2016 – VIII R 41/14 (NV), BFH/NV 2017 S. 1180. 3 R 2.3 Abs. 1 S. 3 ff. GewStR 2009. 4 Art. 2 UntStFG v. 20.12.2001, BGBl. I 2001 Nr. 73 S. 3858. 5 Vgl. auch BFH v. 17.12.2014 – I R 39/14, BStBl. II 2015 S. 1052. 6 BFH v. 17.12.2014 – I R 39/14, BStBl. II 2015 S. 1052; BFH v. 30.10.2014 – IV R 9/11 (NV), BFH/ NV 2015 S. 227; so auch Güroff in Glanegger/Güroff10, GewStG, § 2 Tz. 488. 7 § 2 Abs. 3 GewStG. 8 H 2.1 Abs. 5 GewStH 2015; so auch Drüen in Blümich, GewStG, § 2 Tz. 200 ff. 9 BFH v. 27.3.2001 – I R 78/99, BStBl. II 2001 S. 449; BFH v. 8.11.1971 – GrS 2/71, BStBl. II 1972 S. 63.

378 | Westendorf

A. Gewerbesteuer | Rz. 7.39 Kap. 7

Einnahmen und andere wirtschaftliche Vorteile erzielt werden, die über die normative Beurteilung der Vermögensverwaltung hinausgehen. Die Gewinnerzielungsabsicht ist nicht erforderlich.1 Auch land- und forstwirtschaftliche Tätigkeiten unterliegen diesem Tatbestand ausdrücklich nicht. Mehrere wirtschaftliche Geschäftsbetriebe einer sonstigen juristischen Person des privaten Rechts oder eines Vereins gelten als einheitlicher Gewerbebetrieb i.S.d. § 8 GewStDV.2

7.34

Der o.a. Regelungsbereich ist ebenso auf gemeinnützige Betriebe gewerblicher Art mit ihren wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben übertragbar.3

7.35

e) Betriebe der öffentlichen Hand aa) Steuerliche Einordnung Die gewerbesteuerliche Einordnung unterscheidet sich grundlegend und tatbestandsbasierend von der körperschaftsteuerrechtlichen Einordnung. Alleinstehende Gewerbebetriebe der öffentlichen Hand, welche die Merkmale des § 15 Abs. 2 EStG erfüllen, sind gewerbesteuerpflichtig. Für diese gilt grundlegend die rechtsformunabhängige Gewerbebetriebsterminologie.4 Hinzu tritt die körperschaftsteuerliche Terminologie eines Betriebs gewerblicher Art i.S.d. § 4 Abs.1 KStG. Für gewerbesteuerliche Zwecke unterliegen beide Merkmale einer zwingenden kumulativen jedoch erweiternden Anwendung.5

7.36

Für die Bestimmung des sachlichen Umfangs knüpft das Gewerbesteuerrecht an die körperschaftsteuerlichen Regelungen des Betriebs gewerblicher Art an und erweitert die Tatbestände, entgegen den §§ 4 Abs. 1 S. 2 und 8 Abs. 1 S. 2 KStG, um die Gewinnerzielungsabsicht und die Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr. Hoheitsbetriebe, sog. Verwaltungsvermögen, sind ausdrücklich keine Betriebe gewerblicher Art, aus rein teleologischen Gründen und ihren eigentümlichen und vorbehaltenen Tätigkeiten, und unterliegen folglich nicht der Besteuerung.6

7.37

Soweit die öffentliche Hand eine wirtschaftliche Betätigung im Rahmen einer privatrechtlich organisierten Gesellschaftsform wahrnimmt, bleibt die rechtliche Einordnung als rechtsformabhängiger Gewerbebetrieb i.S.d. § 2 Abs. 2 GewStG erhalten.7 Etwaige Änderungen in Bezug auf das Gewerbesteuerrecht ergeben sich für die öffentliche Hand nicht.

7.38

bb) Juristische Personen des öffentlichen Rechts Der Gewerbesteuer unterliegen ausschließlich juristische Personen des öffentlichen Rechts mit ihren gewerblichen Betrieben. Diese stellen das Rechtssubjekt der Besteuerung als Unternehmer i.S.d. § 5 Abs. 1 GewStG, für dessen Rechnung das Unternehmen betrieben wird, dar.

1 § 14 AO. 2 Ebenso § 64 Abs. 2 AO und H 2.1 Abs. 5 GewStH 2016. 3 Vgl. Fischer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 64 AO Tz. 24 ff.; so ähnlich Seer in Tipke/ Kruse, AO/FGO, § 64 AO Tz. 1. 4 § 2 Abs. 1 S. 1 GewStDV 2015; auch Güroff in Glanegger/Güroff10, GewStG, § 2 Tz. 380. 5 R 2.1 Abs. 6 GewStR 2009. 6 § 2 Abs. 2 S. 1 GewStDV; so auch § 4 Abs. 5 KStG und § 2b Abs. 1 S. 1 UStG. 7 BFH v. 28.10.1987 – I R 126/83, BStBl. II 1988 S. 70.

Westendorf | 379

7.39

Kap. 7 Rz. 7.40 | Sonstige Einzelsteuergesetze

7.40

Juristische Personen des öffentlichen Rechts sind insbesondere Gebietskörperschaften (Bund, Länder und Gemeinden), die Zweckverbände, öffentlich-rechtliche Selbstverwaltungskörperschaften, hier Innungen und Kammern (Industrie- und Handelskammer, Handwerkskammer), öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften und sonstige Gebilde mit eigener Rechtspersönlichkeit. Hierzu zählen u.a. auch Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts.1 Die o.g. Körperschaften vereint, mit Ausnahme der Anstalten und Stiftungen, dass sie überwiegend im öffentlichen Auftrag tätig sind, so dass die wirtschaftliche Betätigung als reiner Nebenzweck dient. Das gewerbliche Unternehmen unterliegt hierbei als ausschließlich wirtschaftlicher und gewerblicher Nebenzweck der Gewerbesteuer.2 cc) Gewerbebetrieb kraft Tätigkeit

7.41

Der Gewerbesteuer unterliegt jeder stehende inländische Gewerbebetrieb i.S.d. § 15 Abs. 2 EStG.3 Der Verweis gilt ebenso für juristische Personen des öffentlichen Rechts.4 Hiernach weisen diese zwingend die normativen gewerblichen Tatbestände einer selbständigen nachhaltigen Tätigkeit auf, welche mit Gewinnerzielungsabsicht unternommen werden und eine Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr offenbaren. Hingegen darf weder eine land- und forstwirtschaftliche noch eine selbständige Tätigkeit vorliegen.5

7.42

Die vorgenannten Voraussetzungen gelten ebenso für sogenannte öffentliche Betriebe der Daseinsvorsorge.6 Beispielhaft zählen hierzu Betriebe, die die Bevölkerung mit öffentlichem Verkehr, Wasser, Gas und Elektrizität versorgen. Die gleiche unternehmerische Tätigkeit fasst das Körperschaftsteuerrecht als Katalogbetriebe i.S.d. § 4 Abs. 3 KStG zusammen. Betriebe gewerblicher Art sind ipso iure ebenso an die Voraussetzungen eines Gewerbebetriebs kraft Tätigkeit gebunden. dd) Betriebe gewerblicher Art

7.43

Juristische Personen des öffentlichen Rechts sind ausschließlich mit ihren Betrieben gewerblicher Art i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 6 i.V.m. § 4 Abs. 1 KStG körperschaftsteuerpflichtig. Das Gewerbesteuerrecht greift die Terminologie nicht auf, verweist jedoch indirekt auf die Regelungen und Tatbestände eines Betriebs gewerblicher Art.7 Der Verweis löst eine Annäherung des Gewerbesteuerrechts an das Körperschaftsteuerrecht aus, begründet jedoch keine unmittelbare Gewerbesteuerpflicht. Die Tatbestände eines Betriebs gewerblicher Art sind im Wesentlichen mit denen eines stehenden Gewerbebetriebs vergleichbar.

7.44

Betriebe gewerblicher Art entstehen jedoch auch ohne die Teilnahme am wirtschaftlichen Verkehr und einer Gewinnerzielungsabsicht, vgl. § 4 Abs. 1 S. 2 KStG. Erst die gewerbesteuerlichen Tatbestände eines stehenden Gewerbebetriebes, zwingende Anwendung der vorgenann1 R 4.1 Abs. 1 KStR 2015. 2 OLG Hamm v. 23.9.1997 – 4 U 99/97, NJW 1998 S. 3504; u.a. auch Sarrazin in Lenski/Steinberg, GewStG, § 2 Tz. 1500. 3 § 2 Abs. 1 S. 1 GewStDV. 4 Vgl. Nöcker in Lenski/Steinberg, GewStG, § 2 Tz. 1526. 5 BMF v. 21.6.2017 – IV C 2 - S 2706/14/10001, BStBl. I 2017 S. 880; BMF v. 8.2.2016 – IV C 2 - S 2706/14/10001, BStBl. I 2016 S. 327. 6 § 2 Abs. 1 S. 2 GewStDV. 7 R 2.1 Abs. 6 GewStR 2009; vgl. auch Nöcker in Hidien/Jürgens, Besteuerung der öffentlichen Hand § 7 Tz. 5 m.w.N.

380 | Westendorf

A. Gewerbesteuer | Rz. 7.49 Kap. 7

ten Voraussetzungen, erweitern den körperschaftsteuerlichen Tatbestand eines Betriebs gewerblicher Art. Folglich ist der Betrieb gewerblicher Art als eine Art rechtliches und realwirtschaftliches Grundkonstrukt zu verstehen, welcher die Definition eines Gewerbebetriebes i.S.d. § 15 Abs. 2 EStG erfüllt. Erst die eben genannte tatbestandsmäßige Erweiterung lässt eine tatsächliche Gewerbesteuerpflicht aufleben.1 Die Bestimmungen eines Betriebs gewerblicher Art unterliegen einer grundlegenden jedoch erweiternden gewerbesteuerlichen Anwendung. Es kommt daher vor, dass Betriebe gewerblicher Art, mangels Gewinnerzielungsabsicht, nicht als stehende Gewerbebetriebe zu qualifizieren sind und demzufolge nicht der Gewerbesteuer unterliegen. Wirtschaftlich betrachtet sind diese in Gänze von der Gewerbesteuer befreit.2 Seitens der Finanzverwaltung wird kein Gewerbesteuersignal geführt. Allein bei sog. Hoheitsbetrieben ist eine gleichlaufende Betrachtungsweise des körperschaftsteuerlichen mit dem gewerbesteuerlichen Regelungsbereich existent, vgl. §§ 4 Abs. 5 KStG und 2 Abs. 2 S. 1 GewStDV. Deren Betätigungstelos sowie ein mangelndes Wettbewerbs- und Konkurrenzverhältnis3 lässt eine Steuerpflicht richtigerweise nicht entstehen.

7.45

ee) Strukturelle und tatbestandsmäßige gewerbesteuerliche Verknüpfung (1) Tatbestandsmäßige Verknüpfung Wie bereits vorgenannt erörtert, greift das Gewerbesteuerrecht den Grundtatbestand eines Betriebs gewerblicher Art auf und erweitert diesen um die Voraussetzungen der Gewinnerzielungsabsicht und die Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr.4 Die Erweiterung folgt allein der gewerblichen Grunddefinition der §§ 15 Abs. 2 EStG und 2 Abs. 1 S. 2 GewStG, knüpft an die Formulierung des § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG an und ist einheitlich auszulegen.5

7.46

Auch die gesetzlich vorgegebenen Definitionen lassen einen solchen Rückschluss zu. Die Norm des § 4 Abs. 1 S. 1 KStG definiert einen Betrieb gewerblicher Art als eine Einrichtung, die einer nachhaltigen Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen außerhalb der Land- und Forstwirtschaft dient und sich innerhalb der Gesamtbetätigung der juristischen Person wirtschaftlich heraushebt. Die Erfordernisse der Gewinnerzielungsabsicht als auch die Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr sind tatbestandsbasierend irrelevant.6 Sogleich sind diese Tätigkeiten klar von der reinen Vermögensverwaltung, hier der originären Vermietung und Verpachtung als auch der Kapitalanlage – vgl. § 14 S. 3 AO, abzugrenzen.

7.47

Entgegen der Definition eines Betriebs gewerblicher Art erfordert die gewerbliche Betätigung i.S.d. § 15 Abs. 2 S. 1 EStG und § 2 Abs. 1 S. 1 HS. 1 GewStDV eine selbständige und nachhaltige Tätigkeit, die mit Gewinnerzielungsabsicht und der Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr unternommen wird. Auch bei dieser Regelung sind land- und forstwirtschaftliche, selbständige als auch rein vermögensverwaltende Betätigungen klar ausgenommen.

7.48

Die o.a. Definitionen weisen einen gemeinsamen gewerblichen Grundcharakter auf. Die gesetzgeberische Regelungsbandbreite unterliegt jedoch einer differenzierten Betrachtungsweise und Anwendung, so dass Unterschiede offenkundig zu Tage treten. Solche Differenzierungen

7.49

1 2 3 4 5 6

§ 2 Abs. 1 S. 1 GewStDV und R 2.1 Abs. 6 GewStR 2009. So auch Nöcker in Lenski/Steinberg, GewStG, § 2 Tz. 1526. Ähnlich auch § 2b Abs. 2 und 3 UStG. R 2.1 Abs. 6 GewStR 2009. BFH v. 2.9.2009 – I R 20/09 (NV), BFH/NV 2010 S. 391. § 4 Abs. 1 S. 2 KStG.

Westendorf | 381

Kap. 7 Rz. 7.49 | Sonstige Einzelsteuergesetze

bringen einerseits die Tatbestände der Gewinnerzielungsabsicht und die Teilnahme am wirtschaftlichen Verkehr zum Ausdruck. Andererseits schränken die materiell-rechtlichen Tatbestände des wirtschaftlichen Heraushebens als auch der Einrichtungsterminus die gewerbliche Betätigung ein.

7.50

Der Einrichtungsbegriff umfasst hierbei überwiegend die tatbestandsmäßige Selbstständigkeit der Betätigung, so dass ein materieller Gleichklang der körperschaft- mit der gewerbesteuerlichen Norm eintritt.1

7.51

Aus der rechtlichen Verknüpfung folgt, dass ein Betrieb gewerblicher Art die grundlegende tatbestandsmäßige Definition aufweisen muss, mit Gewinnerzielungsabsicht tätig wird und am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt.2 Ohne das materiell-rechtliche Zusammenspiel der o.g. Tatbestände mangelt es an der gewerbesteuerliche Einordnung als stehender Gewerbebetrieb.

7.52

Folglich sind insbesondere Betriebe der öffentlichen Hand, Betriebe gewerblicher Art, welche sich ausschließlich im Kostendeckungswege betätigen oder sich als strukturell dauerdefizitär darstellen, nicht als stehende Gewerbebetriebe i.S.d. § 2 Abs. 1 GewStDV zu qualifizieren. Auch sogenannte Selbstversorgungsbetriebe, die nicht am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnehmen, sind nicht als stehender Gewerbebetrieb anzusehen.3 (2) Einrichtungen der öffentlichen Hand

7.53

Der Einrichtungsbegriff existiert im Rahmen der Betrachtung von Betrieben gewerblicher Art erst seit den 1930er Jahren. Der Terminus strebt eine einrichtungsbezogene und auf Selbständigkeit ausgerichtete Bewertung als Einkommensermittlungssubjekt, insbesondere bei sog. Regiebetrieben, an. Der Einrichtungsterminus setzt nicht zwingend eine abgrenzbare Abteilung einer juristischen Person des öffentlichen Rechts für eine qualifizierende Tätigkeit voraus. Vielmehr sind einfache Miterledigungen oder zeitlich abgrenzbare Betriebsmittelnutzungen, temporäre Abgrenzung, ausreichend.4 Der Begriff soll eine abgrenzbare Einordnung des Betriebes gewährleisten, was jedoch in der Praxis nicht immer gelingt. Erschwerend kommt hinzu, dass selbst die kaufmännische Buchführung häufig in der Haushaltsabteilung einer Miterledigung unterliegt, so dass die originäre gewerbliche Wirkungsstätte und die zu führenden Bücher und Aufzeichnungen separiert sind. Für das Vorhandensein einer gewichtigen Einrichtung kann sich als hilfreiches Indiz der quantifizierbare Umsatz herausstellen.5

7.54

In der Praxis differenzieren sich im Wesentlichen drei zu betrachtende Formen von Betrieben der öffentlichen Hand. Grundlegende rechtliche als auch gewerbesteuerliche Differenzierungen sind jedoch nicht geboten und für die Qualifizierung eines stehenden Gewerbebetriebes unbedeutend. Die folgenden kurzen Ausführungen dienen allein der Vollständigkeit der einzelnen Termini.

7.55

Zum einen ist der Betrieb gewerblicher Art zu nennen, welcher die juristische Person des öffentlichen Rechts in Gänze umfasst.6 Hierbei stellt die juristische Person des öffentlichen 1 2 3 4 5 6

Vgl. Fischer, jurisPR-SteuerR 49/2015, Anm. 4 Tz. C. IV. Hessisches FG vom 16.5.2007 – 4 K 1060/13, EFG 2017 S. 1544. R 2.1 Abs. 6 S. 1 und 2 GewStR 2009. R 4.1 Abs. 2 und 4 KStR 2015. R 4.1 Abs. 5 S. 1 KStR 2015. Vgl. auch § 4 Abs. 2 KStG.

382 | Westendorf

A. Gewerbesteuer | Rz. 7.59 Kap. 7

Rechts den stehenden Gewerbebetrieb dar, umfasst diesen in seiner Gesamtheit und ist mit Rechtsfähigkeit, alleiniger Träger von Rechten und Pflichten, ausgestattet. In der Praxis ist diese Betätigungsform nicht allzu häufig anzutreffen. Zum anderen bedienen sich juristische Personen des öffentlichen Rechts häufiger nicht mit Rechtsfähigkeit ausgestatteter Eigen- und Regiebetriebe.1 Diese unterscheiden sich im Wesentlichen durch ihre haushaltsrechtliche Einordnung. Eigenbetriebe sind organisatorisch und wirtschaftlich selbständige Einheiten ohne Rechtspersönlichkeit.2 Sie sind überwiegend mit einer Betriebssatzung und einer unabhängig agierenden Werksleitung ausgestattet. Eigenbetriebe stellen finanzwirtschaftliches Sondervermögen dar, so dass der Haushalt des Eigenbetriebes vom originären Haushalt der juristischen Person des öffentlichen Rechts zu separieren und in einer Anlage aufzuführen ist. Im Gegensatz dazu sind Regiebetriebe rechtlich unselbständige Wirtschaftseinheiten einer juristischen Person des öffentlichen Rechts. Hierbei wird die o.a. Miterledigung realisiert, so dass solche Betriebe vollständig im Haushalt der Trägerkörperschaft aufgehen und keiner haushaltsrechtlichen Separierung unterliegen.3 Die fehlende Organisationsstruktur und quantifizierbare Trennung lässt eine Qualifizierung als Betrieb gewerblicher Art und stehender Gewerbebetrieb in der praktischen Arbeit schwierig erscheinen. Als weiteres hilfreiches Indiz einer wirtschaftlich selbständigen Betätigung im Einrichtungskontext ist der wirtschaftliche Umsatz heranzuziehen. Die Verwaltungsauffassung setzt dabei einen wirtschaftlichen Umsatz von mindestens 130.000€ p.a. i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG voraus. Diese Größenordnung lässt eine personelle und organisatorische Einrichtung hinreichend wahrscheinlich werden.4 Der wirtschaftliche Umsatz besitzt immerhin eine grundlegend indizielle Wirkung.

7.56

Ferner ist auch von einer Einrichtung auszugehen, soweit eine juristische Person des öffentlichen Rechts in realwirtschaftlichen Wettbewerb zu weiteren gewerblichen Unternehmern tritt. Im Rahmen dieser Betrachtung liegt immer ein Gewerbebetrieb ipso iure vor.5 Deren Existenz bleibt jedoch einer Prüfung sämtlicher Merkmale eines Gewerbebetriebes vorbehalten.

7.57

(3) Wirtschaftliches Herausheben Der Einrichtungsbegriff wirft bereits differenzierte Fragestellungen bezüglich der Selbständigkeit als auch der Gewichtung auf. Für die Annahme eines Betriebs gewerblicher Art bedarf es neben der tatbestandsbasierenden Selbständigkeit der Einrichtung auch einer Tätigkeit, die sich wirtschaftlich von der originären hoheitlichen Tätigkeit der juristischen Person des öffentlichen Rechts heraushebt. Die wirtschaftliche Gewichtung ist normverknüpfend und verpflichtend für das Gewerbesteuerrecht anzuwenden, obwohl § 2 Abs. 1 S. 1 GewStDV keine ausdrückliche Verknüpfung der Regelungen enthält. Allein der normverknüpfende Richtlinienverweis auf den Terminus Betrieb gewerblicher Art bestimmt dessen einheitliche Rechtsanwendung.

7.58

Aufgrund der rechtlichen Komplexität und Bewertung dieses Tatbestandes führte die Finanzverwaltung die betragsmäßige Grenze i.H.v. 35.000€ ein, um eine Normvereinfachung als auch

7.59

1 Erstmalige Regelungen zum Eigenbetrieb durch die Eigenbetriebsverordnung vom 21.11.1938, RGBl. I 1938 S. 1650 ff. 2 BFH v. 11.9.2013 – I R 77/11, BFH/NV 2014 S. 105; BFH v. 16.11.2011 – I R 108/09, BStBl. II 2013 S. 328. 3 Vgl. Westendorf, Der BgA, B. IV. 3. b) (2) S. 123 ff. 4 R 4.1 Abs. 4 S. 2 KStR 2015. 5 R 4.1 Abs. 5 S. 5 KStR 2015.

Westendorf | 383

Kap. 7 Rz. 7.59 | Sonstige Einzelsteuergesetze

gleichheitsgerechtere Besteuerung herbeizuführen.1 Sobald eine Einrichtung mehr als 35.000 € Umsatz vereinnahmt, ist von einer wirtschaftlich herausgehobenen Betätigung auszugehen.

7.60

Der Tatbestand entstammt einer historischen Unternehmerbetrachtung, bei der ein existentieller Unternehmergewinn von 2.000 DM anzunehmen war. Auch eine Einzelperson war als Eigentümer anzunehmen. Die Regelung wich bereits mit der Einführung der KStR 1977 dem Tatbestand des jährlichen und nachhaltigen Umsatzes, welcher bis heute existiert.2

7.61

Ausnahmen stellen sich dagegen bei aktiven wettbewerbsverzerrenden Betätigungen zu anderen Unternehmen ein, wobei der Gewichtungstatbestand insoweit in den Hintergrund rückt.3

7.62

Anders verhält sich auch der Tatbestand bei der Beteiligung an einer Personengesellschaft im Rahmen einer steuerlichen Mitunternehmerschaft, welche ausdrücklich nicht vermögensverwaltend und auch nicht land- und forstwirtschaftlich tätig ist.4 Für die Beurteilung einer Beteiligung an einer Personengesellschaft sind die Merkmale der wirtschaftlichen Selbständigkeit und Gewichtung i.S.d. R 4.1. Abs. 4 und 5 KStR 2015 ausdrücklich nicht anzuwenden.5 (4) Gewinnerzielungsabsicht

7.63

Der gesetzliche Tatbestand eines Betriebs gewerblicher Art schließt die Gewinnerzielungsabsicht grundlegend aus, vgl. §§ 4 Abs.1 S. 2 und 8 Abs. 1 S. 2 KStG. Ein gewerbesteuerlicher Durchgriff auf den körperschaftsteuerlichen Anwendungsbereich findet folgerichtig nur teilweise statt. Das hat zur Folge, dass ein mit Einnahmeerzielung handelnder Betrieb gewerblicher Art für körperschaftsteuerliche Zwecke genügt, jedoch für gewerbesteuerliche Zwecke unbeachtlich ist.

7.64

In Bezug auf die Gewinnerzielungsabsicht positioniert sich das Gewerbesteuerrecht anders mit seinem gesetzlichen Verweis auf einkommensteuerliche Regelungen i.S.d. § 2 Abs. 1 S. 2 GewStG. Für die Besteuerung der öffentlichen Hand im gewerbesteuerlichen Raum sind ausschließlich stehende Gewerbebetriebe anzusehen, welche den Tatbestand der Gewinnerzielungsabsicht, als grundlegender und elementarer Tatbestand i.S.d. § 15 Abs. 2 EStG, ausfüllen. Hierbei steht der rechtsformunabhängige Gewerbebetriebsbegriff im Vordergrund.6 Das Gewerbesteuerrecht erweitert diesen Tatbestand mit § 2 Abs. 1 S. 2 GewStDV auch auf Betriebe der Daseinsvorsorge. Die Betriebe, die die Bevölkerung mit Gas, Wasser und Elektrizität versorgen, müssen daher zwingend mit Gewinnerzielungsabsicht tätig sein, um als stehender Gewerbebetrieb zu gelten. Dieser Tatbestand agiert hierbei als wesentliches Abgrenzungskriterium der beiden Regelungsbereiche.

7.65

Der Tatbestand der Gewinnerzielungsabsicht definiert sich hierbei als das Streben nach einer Betriebsvermögensmehrung in Form eines Totalgewinns über den Lebenszyklus einer am Wirtschaftsleben teilnehmenden Rechtsperson.7 Der Totalgewinn bezieht hierbei die in der 1 R 4.1 Abs. 5 KStR 2015 mit weiteren Ergänzungen. 2 Vgl. Westendorf, Der BgA, B. IV. 3. b) (2) S. 123 ff. m.w.N; weitere Details auch Nöcker in Lenski/ Steinberg, GewStG, § 2 Tz. 1530 ff. m.w.N. 3 BFH v. 29.10.2008 – I R 51/07, BStBl. II 2009 S. 1022. 4 BMF v. 21.6.2017 – IV C 2 – 2706/14/10001, BStBl. I 2017 S. 880 Tz. 4. 5 OFD Karlsruhe v. 14.6.2008 – S 270.6/242 – St 213, SiS 181531 Pkt. 2.1.3; so schon BMF v. 21.6.2017 – IV C 2 – 2706/14/10001, BStBl. I 2017 S. 880 Tz. 1 S. 5. 6 BFH v. 22.8.1984 – I R 102/81, BStBl. II 1985 S. 61. 7 BFH v. 25.6.1984 – GrS 4/82, BStBl. II 1984 S. 751.

384 | Westendorf

A. Gewerbesteuer | Rz. 7.68 Kap. 7

Vergangenheit realisierten als auch in der Zukunft zu erwartenden Gewinne und Verluste ein, welche ebenso die bei der Betriebsbeendigung umfassenden Aufgabe- oder Veräußerungsgewinne/-verluste abbilden.1 Steht weder eine Aufgabe noch eine Veräußerung im Raume, so ist dem Totalgewinn ein fiktiver Aufgabegewinn oder -verlust hinzu zu schätzen.2 Allein der steuerliche Gewinn und nicht ein nach betriebswirtschaftlichen Maßstäben ermitteltes Periodenergebnis ist für die Beurteilung eines Totalgewinns maßgeblich.3 Gegen eine Aberkennung der vorherrschenden Gewinnerzielungsabsicht bei verlustträchtigen Betrieben gewerblicher Art sprechen auch aktive Einlagehandlungen.4 Insbesondere Einlagen ins gewillkürte Betriebsvermögen, hier Aktienkapital o.Ä. sowie deren künftiges Ausschüttungspotential, zeigen sich für eine Verrechnung der Ausschüttungen mit den bereits realisierten Verlusten ursächlich. Hierdurch kann eine positive Totalgewinnprognose entstehen, so dass der Tatbestand der Gewinnerzielungsabsicht einschlägig ist.5 Diese entsteht jedoch unabhängig von der Einlagehandlung von notwendigen oder gewillkürten Betriebsvermögen.6 Allein der Unterschiedsbetrag nach § 4 Abs. 1 EStG ist für die Beurteilung der Totalgewinnprognose maßgebend, denn beide Betriebsvermögensarten wirken sich quantitativ auf den Unterschiedsbetrag aus.7

7.66

Einem Betrieb der öffentlichen Hand mangelt es an dem o.g. Tatbestand, soweit dieser lediglich im Kostendeckungswege agiert. Eine rein auf Kostenneutralität ausgelegte wirtschaftliche Betätigung erfüllt daher nicht den Tatbestand der Gewinnerzielungsabsicht, da hierbei kein Totalgewinn angestrebt wird. Auch rein formale und abstrakte Satzungserfordernisse reichen hierfür nicht aus, da auf das tatsächliche realwirtschaftliche Ergebnis abzustellen ist.8 Auch die Bestimmungen über die verdeckten Gewinnausschüttungen i.S.d. § 8 Abs. 3 S. 2 KStG sind überwiegend nicht anwendbar, da keine gesellschaftsrechtliche Vermögensminderung aufgrund der antizipierenden Kostendeckung bewirkt wird. Hierbei ist insbesondere auf die Betriebe der Daseinsvorsorge abzustellen, da diese häufig entweder im Kostendeckungswege oder als strukturell dauerdefizitäre Betriebe tätig sind.

7.67

Beispielhaft ist bei Betrieben der öffentlichen Hand keine Gewinnerzielungsabsicht offenkundig, soweit sie ausschließlich Gewinne erzielen, um einerseits vergangene Verluste zu antizipieren9, die ausschließlich für die Erhaltung oder Reinvestition vergangenen Vermögens notwendig sind10, Rücklagen für zukünftig avisierte Vermögensverluste aufzubauen11 und ande-

7.68

1 BFH v. 23.10.2018 – VI R 5/17, SiS 18 20 64. 2 BFH v. 11.10.2007 – IV R 15/05, BStBl. II 2008 S. 465. 3 BFH v. 9.3.2017 – VI R 86/14, BStBl. II 2017 S. 981; BFH v. 17.3.2010 – IV R 60/07, BFH/NV 2010 S. 1446. 4 BFH v. 16.11.2011 – I R 108/09, BStBl. II 2013 S. 328; BFH v. 7.11.2007 – I R 52/06, BStBl. II 2009 S. 248; BFH v. 27.6.2001 – I R 82-85/00, BStBl. II 2001 S. 773; FG Nürnberg v. 4.4.2006 – I 365/ 2004, EFG 2007 S. 432; BMF v. 5.12.1988 – IV B 7 - S 2706 – 67/88, DB 1988 S. 2602. 5 Hessische FG v. 16.5.2017 – 4 K 1060/13, EFG 2017 S. 1544; BFH v. 25.7.2002 – I B 52/02 (NV), BFH/NV 2002 S. 1341. 6 FG Köln v. 19.12.2013 – 10 K 2933/11, EFG 14 S. 662; a.A. FG Düsseldorf v. 18.3.2014 – 6 K 3493/11 K, EFG 2014 S. 1032; FG Düsseldorf v. 10.7.2003 – 10 K 2561/00, EFG 03 S. 1408 rkr. 7 OFD Karlsruhe v. 19.7.2018 – S 270.6/57 – St 213, DB 2018 S. 1953. 8 BFH v. 8.8.2012 – I B 9/12(NV), BFH/NV 2013 S. 83. 9 BFH v. 8.8.2012 – I B 9/12(NV), BFH/NV 2013 S. 83; BFH v. 15.12.1976 – I R 58/75, BStBl. II 1977 S. 250. 10 FG Nürnberg v. 16.5.2013 – 6 K 889/12, EFG 2013 S. 1587. 11 BFH v. 22.8.1984 – I R 102/81, BStBl. II 1985 S. 61.

Westendorf | 385

Kap. 7 Rz. 7.68 | Sonstige Einzelsteuergesetze

rerseits um daraus Erneuerungsrücklagen zu speisen1, die eine reine Anlagenbestandsicherung realisieren.2 Eine darüber hinaus gehende und zukunftsbezogene Gewinnabsicht der öffentlichen Hand ist grundlegend als Gewinnerzielungsabsicht anzuerkennen, auch wenn es vorher etwaige Verluste auszugleichen gilt.3 (5) Strukturell dauerdefizitäre Betriebe (a) Dauerverlustbetriebe

7.69

Für das Gewerbesteuerrecht und den stehenden Gewerbebetrieb gilt grundlegend eine auf Gewinnerzielung angelegte wirtschaftliche Betätigung. Hierbei vollzieht das Gewerbesteuerrecht eine generelle Abkehr von den körperschaftsteuerlichen Regelungen. Der gesetzliche Tatbestand schließt eine nicht auf Gewinnerzielung und auf Dauer angelegte strukturell defizitäre Betätigung prinzipiell aus, so dass dadurch nicht von der Gewerbesteuer erfasste Betriebe entstehen. Hierbei führt das zuständige Finanzamt für solche Betriebe kein Gewerbesteuersignal. Etwaige Verluste werden im Rahmen der Verlustfeststellung i.S.d. § 10a GewStG nicht festgestellt und stehen zukünftig für eine Verlustantizipation nicht zur Verfügung.

7.70

Strukturell dauerdefizitäre Betätigungen sind seit dem Jahre 2009 im § 8 Abs. 7 S. 2 KStG gesetzlich legal definiert.4 Der Gesetzgeber versteht darunter eine wirtschaftliche Betätigung ohne kostendeckendes Entgelt, welche mangels Gewinnerzielungsabsicht und positiver Totalgewinnprognose nicht der Gewerbesteuer unterliegen.5

7.71

Für die Beurteilung einer dauerdefizitären Betätigung zeigt sich die Gewinnerzielungsabsicht als Haupt- oder gar Nebenzweck unbeachtlich. Eine rein wirtschaftliche Betrachtung ist opportun. Diese umfasst den ganzen Betrieb und nicht nur einzelne Betriebszweige, obgleich vereinzelt positiv wirtschaftende Betriebsteile verlustträchtige antizipieren.6 Selbst in der Vergangenheit verlustträchtig wirtschaftende Betriebe der öffentlichen Hand können durch grundlegende Umstrukturierungen und Änderungen ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse zur Gewinnerzielungsabsicht zurückkehren.7 Häufig ist hierfür ein auf Dauer angelegter und auf Gewinn abzielender Strukturwandel notwendig. Eine in die Zukunft gerichtete Gewerbesteuerpflicht wäre demnach anzunehmen.

7.72

Dagegen reichen bloße Kapitalmaßnahmen der Trägerkörper, sei es in Form von Zuschüssen, Kapitalerhöhungen oder regelmäßigen Verlustübernahmen, für die Annahme einer Abkehr von der strukturellen dauerdefizitären Tätigkeit nicht aus.8 Einerseits dienen solche Finanzierungsmaßnahmen ausschließlich der Eigenkapitalzuführung, um den Betrieb wirtschaftlich leistungsfähig zu erhalten. Andererseits sind etwaige Kapitalmaßnahmen, wie beispielsweise die Verlustübernahmen bei Regiebetrieben, haushalterisch nicht anderweitig zu realisieren. 1 BFH v. 27.5.1964 – I 226/62 U, BStBl. III 1964 S. 485; so auch Niedersächsisches FG v. 1.12.2011 – 6 K 509/09, SiS 12 12 36. 2 Vgl. Nöcker in Lenski/Steinberg, GewStG, § 2 Tz. 1536 f. m.w.N. 3 BFH v. 22.8.1984 – I R 102/81, BStBl. II 1985 S. 61. 4 Näher dazu Westendorf, Der BgA, C. VI. 1. S. 304 m.w.N. 5 BMF v. 12.11.2009 – IV C 7 - S 2706/08/10004, BStBl. I 2009 S. 1303 Tz. 36; BFH v. 9.11.2016 – I R 56/15, BStBl. II 2017 S. 498. 6 Siehe dazu auch Nöcker in Lenski/Steinberg, GewStG, § 2 Tz. 1538. 7 So ähnlich auch BFH v. 28.10.1970 – I R 72/69, BStBl. II 1971 S. 247; BFH v. 31.7.1985 – VIII R 261/81, BStBl. II 1986 S. 304. 8 So auch Nöcker in Lenski/Steinberg, GewStG, § 2 Tz. 1538.

386 | Westendorf

A. Gewerbesteuer | Rz. 7.76 Kap. 7

Ein Regiebetrieb ist vollständig in den Haushalt seiner Trägerkörperschaft integriert, so dass dieser über kein eigenes Kassen- oder Bankvermögen verfügt. Sämtliche Zahlungen gehen direkt im Haushalt der jeweiligen Trägerkörperschaft unter, so dass ein sofortiger Ausgleich von Gewinnen und Verlusten eintritt.1 Anders verhält sich der Umstand bei kapitalfördernden aktiven Einlagen von notwendigen oder gewillkürten Betriebsvermögen in Form von Beteiligungen oder wahlweisen Zusammenfassungen i.S.d. § 4 Abs. 6 KStG. Kapitalfördernde und ausschüttende Einlagen stärken die wirtschaftliche Ertragslage und folglich das Kapital.2 Hierbei ist der Betrieb in seiner Gesamtheit zu betrachten, so dass einerseits Gewinnausschüttungen der Töchter und andererseits Gewinnabführungen der Organgesellschaften zu berücksichtigen wären. Diese verhelfen dem Betrieb gewerblicher Art zu einer aktiven wirtschaftlichen Betätigung ohne dauerverlustig zu sein.

7.73

(b) Verdeckte Gewinnausschüttung Ist fortwährend von einem strukturellen Dauerverlustbetrieb auszugehen, führt diese Annahme unweigerlich zu einer verdeckten Gewinnausschüttung i.S.d. § 8 Abs. 3 S. 2 KStG.3 Hierbei ist davon auszugehen, dass das wirtschaftliche Dauerverlustgeschäft auf ausschließlich gesellschaftsrechtlicher Veranlassung beruht, hier dem Willen der Trägerkörperschaft.4 Diese Annahme zeigt sich für sämtliche wirtschaftlichen Betätigungen der öffentlichen Hand gleichermaßen. Der Gesetzgeber differenziert weder zwischen einer Eigengesellschaft, einem Eigenbetrieb noch einem Regiebetrieb der öffentlichen Hand.5 Bei sämtlichen Betrieben führt die Annahme einer verdeckten Gewinnausschüttung zur vollständigen außerbilanziellen Einkommenskorrektur auf null Euro.

7.74

Ein struktureller Dauerverlustbetrieb ohne Gewinnerzielungsabsicht ist nicht als stehender Gewerbebetrieb zu qualifizieren. Ohne den oben erwähnten strukturellen Wandel kann auch kein nur temporär vorhandener Dauerverlustbetrieb im gewerbesteuerlichen Sinne existieren. Seitens des Finanzamts wäre das Gewerbesteuersignal zu löschen. Führt dieses ein Gewerbesteuersignal weiter fort, greift die körperschaftsteuerliche Hinzurechnung jedoch auf das Gewerbesteuerrecht durch. Auch hierbei ist der Gewinn aus Gewerbebetrieb mit null Euro festzusetzen, so dass keine Verlustvorträge i.S.d § 10a GewStG entstehen oder sich erhöhen. Die Rechtsfolgen der Hinzurechnung entstehen jedoch nur bei nicht begünstigten strukturellen Dauerverlusten – Umkehrschluss zu § 8 Abs. 7 S. 1 KStG.6

7.75

(c) Begünstigte Dauerverluste Begünstigte Dauerverluste sind selbst ausgeübte und politisch motivierte Betätigungen ohne kostendeckendes Entgelt. Die Regelungsbandbreite der Nichtanwendung der Rechtsfolgen der 1 BFH v. 11.9.2013 – I R 77/11, BStBl. II 2015 S. 161. 2 OFD Karlsruhe v. 19.7.2018 – S 270.6/57 – St 213, DB 2018 S. 1953; Hessisches FG v. 16.5.2017 – 4 K 1060/13, EFG 2017 S. 1544; BFH v. 14.7.2004 – I R 9/03, BFHE 207 S. 142; BFH v. 25.7.2002 – I B 52/02 (NV), BFH/NV 2002 S. 1341. 3 BFH v. 9.12.2010 – I R 28/09 (NV), BFH/NV 2011 S. 850; BFH v. 24.4.2002 – I R 20/01, BStBl. II 2003 S. 412. 4 BFH v. 9.11.2016 – I R 56/15, BStBl. II 2017 S. 498; BFH v. 22.8.2007 – I R 32/06, BStBl. II 2007 S. 961. 5 § 8 Abs. 7 S. 1 Nr. 1 KStG. 6 Vgl. Schiffers, DStZ 2017, 275 (277).

Westendorf | 387

7.76

Kap. 7 Rz. 7.76 | Sonstige Einzelsteuergesetze

verdeckten Gewinnausschüttung weist einen wirtschaftlichen Beihilfecharakter auf, welcher jedoch einer zulässigen rechtlichen Altbeihilfe entspricht.1 Den differenzierenden Tatbestand, hinsichtlich eines begünstigenden und nicht begünstigenden Dauerverlustes i.S.d. § 8 Abs. 7 KStG, schuf der Gesetzgeber erst mit seiner Legaldefinition im JStG 2009. Seitdem sind die Rechtsfolgen einer verdeckten Gewinnausschüttung bei begünstigten Dauerverlusten nicht zu ziehen und der bisherige steuerliche Status quo wiederhergestellt.

7.77

Den Begünstigungstatbestand füllen dabei wirtschaftliche Dauerverluste aus, welche aus verkehrs-, umwelt-, sozial-, kultur-, bildungs- oder gesundheitspolitischen Gründen ohne kostendeckendes Entgelt unterhalten werden.2 Die einzeln aufgeführten Tatbestände sind terminologisch weit auszulegen, welches einen großen Ermessensspielraum bei der praktischen Umsetzung offenbart. (d) Nicht begünstigte Dauerverluste

7.78

Für einen strukturell dauerdefizitären Betrieb gewerblicher Art, welcher seine wirtschaftliche Betätigung nicht in einem der o.g. Tätigkeitsbereiche ausübt, gilt der Rechtsfolgenausschluss nicht. Es handelt sich dabei um steuerlich nicht zu begünstigende Dauerverluste, für welche der Rechtsfolgenausschluss einer verdeckten Gewinnausschüttung nach § 8 Abs. 3 S. 2 KStG, hier auf der ersten und zweiten Besteuerungsebene, nicht eintritt.3 Diese unterliegen nicht dem abschließenden und weit auszulegenden Regelungsbereich des § 8 Abs. 7 KStG.

7.79

Für die gewerbesteuerliche Einordnung eines stehenden Gewerbebetriebes ist die qualifizierende wirtschaftliche begünstigend oder nicht begünstigend wirkende Betätigung nicht von Relevanz. Sobald ein strukturelles Dauerverlustgeschäft ohne Gewinnerzielungsabsicht unterhalten wird, liegt ein stehender Gewerbebetrieb ausdrücklich nicht vor.4 (6) Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr

7.80

Als stehender Gewerbebetrieb i.S.d. § 2 GewStDV werden nur Betriebe gewerblicher Art klassifiziert, die neben der originären Gewinnerzielungsabsicht am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnehmen. Die Teilnahme ist für Betriebe der öffentlichen Hand von besonderer Bedeutung, da sie eine Betätigung beschreibt, die am Markt und für Dritte äußerlich erkennbar angeboten werden muss.5 Die nach außen gerichteten Betätigungen äußern sich nicht zwingend in dem Angebot gegenüber einer Mehrzahl an potentiellen Kunden. Vielmehr zeigt sich die Eigenschaft hinsichtlich der Abgrenzung von mit Gewinnerzielungsabsicht ausgeübten gewerblichen Betätigungen, welche nicht auf einen Leistungs- und Güteraustausch gerichtet sind, dafür ursächlich. Vielmehr ist entscheidend, ob die Tätigkeit in ihrer Art und Umfang dem Bild einer unternehmerischen Marktteilnahme entspricht.6 Folglich nehmen sogenannte Selbstversorgungsbetriebe der öffentlichen Hand nicht am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teil. Sie führen ausschließlich nach innen gerichtete Umsätze aus und decken generell 1 2 3 4 5 6

Vgl. auch Westendorf, Der BgA, C. III. S. 204 ff. m.w.N. § 8 Abs. 7 S. 2 Alt. 1 KStG. Näher dazu Westendorf, Der BgA, C. VI. 1. S. 302 ff. Vgl. Schiffers, DStZ 2017, 275 (277). BFH v. 20.12.2017 – I R 98/15, BFHE 260 S. 169. BFH v. 16.9.2015 – X R 43/12, BStBl. II 2016 S. 48; BFH v. 22.1.2003 – X R 37/00, BStBl. II 2003 S. 464; BFH v. 29.10.1998 – XI R 80/97, BStBl. II 1999 S. 448; BFH v. 7.12.1995 – IV R 112/92, BStBl. II 1996 S. 367.

388 | Westendorf

A. Gewerbesteuer | Rz. 7.83 Kap. 7

nur den Bedarf ihrer Trägerkörperschaft selbst. Neben dem fehlenden Tatbestand der Gewinnerzielungsabsicht entstehen auch körperschaftsteuerliche Betriebe ohne die Teilnahme am wirtschaftlichen Verkehr. Jedoch erfüllen solche Betriebe nicht die Merkmale eines stehenden Gewerbebetriebes, so dass eine Gewerbesteuerpflicht daraus nicht resultiert.1

7.81

Selbstversorgungsbetriebe sind u.a. die Folgenden: – gemeindeeigene Steinbrüche oder Sand- resp. Kiesgruben zur Instandhaltung der Gemeindestraßen,2 – gemeindeeigene Bauhöfe, – hauseigene und intern betriebene Druckereien, Reparatur- und Tankstellen, – zentrale Beschaffungsstellen der Trägerkörperschaften,3 – Kantinen und Erholungsheime, die nur für den Kreis der Betriebsangehörigen eingerichtet und zugänglich sind, hier insbesondere Kameradschaftsheime bei der Bundeswehr4 sowie – betriebseigene Fitnessclubs und Kitas – unter den gleichen Rahmenbedingungen wie Kantinen. Wie bereits vorgehend erläutert, müssen sämtliche wirtschaftlichen Betätigungen nach innen gerichtet sein und einen Selbstversorgungszweck erfüllen. Sobald nach außen gerichtete Tätigkeiten hinzutreten, liegt eine Teilnahme am wirtschaftlichen Verkehr und eine Gewerbesteuerpflicht unweigerlich vor.

7.82

(7) Betriebe der Daseinsvorsorge und andere Betriebe (a) Allgemeines Als Betriebe der Daseinsvorsorge werden überwiegend Versorgungs- und Verkehrsbetriebe im ertragsteuerlichen und wirtschaftlichen Sinne verstanden. Im weiteren Sinne beschreibt der unbestimmte Rechtsbegriff eine von Bedürfnissen und Interessen geleitete Versorgungsleistung an die Bevölkerung.5 Sie dienen vor allem der Versorgung der Bevölkerung und dem verfassungsrechtlichen Gebot der Grundbedürfnisbefriedigung. Hierunter sind insbesondere Betriebe der Wasser-, Gas-, Elektrizitäts- oder Wärmeversorgung und Betriebe des öffentlichen Verkehrs, Flug- und Hafenbetriebe i.S.d. § 4 Abs. 3 KStG zu verstehen. Jedoch unterliegen nicht nur die o.g. Betätigungen der Daseinsvorsorge, sondern auch weitere, die nicht der Norm des § 2 Abs. 1 S. 2 GewStDV und der Terminologie eines Versorgungsbetriebes unterfallen. Insbesondere ist im Rahmen der Daseinsvorsorge auf die Badebetriebe6, die Rundfunkanstalten, die Telekommunikationsnetze als auch die Entsorgungsunternehmen hinzuweisen.7 Sämtliche Betätigungsformen, die sich in ihrer überwiegenden Zweckbestimmung für eine Versorgung der Bevölkerung verantwortlich zeigen, sind als Betriebe der Daseinsvorsorge, auch im weiteren Sinne, einzustufen. Der Entsorgungsbegriff und deren Umfang bleibt hiervon terminologisch unberührt. 1 2 3 4 5 6 7

R 2.1. Abs. 6 S. 1 GewStR 2009 und § 15 Abs. 2 EStG. RFH v. 6.5.1930 – I A 24/30 S, RStBl. 1930 S. 637. Vgl. Nöcker in Lenski/Steinberg, GewStG, § 2 Tz. 1548 f. m.w.N. R 2.1 Abs. 6 S. 2 GewStR 2009. So auch BVerfG v. 23.11.1988 – 2 BvR 1619/83, 2 BvR 1628/83, BVerfGE 79 S. 127-161. R 4.5. Abs. 5 KStR 2015. So auch Belcke/Westermann, BB 2019 S. 1885, BB 2016 S. 1687 und BB 2016 S. 87; BFH v. 17.4.1969 – V B 53/68, BStBl. II 1969 S. 415; BFH v. 16.1.1967 – GrS 4/66, BStBl. III 1967 S. 240.

Westendorf | 389

7.83

Kap. 7 Rz. 7.84 | Sonstige Einzelsteuergesetze

7.84

Je nach Art der Betätigung sind derartige Leistungen von einer hoheitlichen Betätigung im originären Sinne abzugrenzen und als Gewerbebetrieb einzustufen, sobald diese im direkten Wettbewerb zu anderen privatwirtschaftlich agierenden Unternehmen stehen, wirtschaftlich konkurrieren und der wettbewerbsneutralen Besteuerungsfunktion nicht zu entziehen sind.1 In den allermeisten Fällen stellt sich nicht die Frage einer hoheitlichen Betätigung, da weder eine eigentümliche noch eine vorbehaltene Betätigung ausgeführt wird. Die damit einhergehende wirtschaftliche Betätigung ist Ausfluss dessen und daher nicht als wettbewerbsneutral einzustufen.2 Die gleiche rechtliche Einordnung gilt bei Betrieben der Daseinsvorsorge selbst dann, soweit sie mit Zwangs- und Monopolrechten ausgestattet sind.3 Darüber hinaus unterliegen selbst im Inland tätige ausländische Gebietskörperschaften von juristischen Personen des öffentlichen Rechts § 4 Abs. 3 KStG und sind folglich gewerbesteuerpflichtig.4

7.85

Führt der Betrieb neben der originären Daseinsvorsorge noch weitere Betätigungen aus, ist seine überwiegende wirtschaftliche Zweckbestimmung i.S.d. § 2 Abs. S. 1 GewStDV zu erörtern. Hierbei kann die überwiegende Zweckbestimmung auch in einer hoheitlichen Betätigung liegen, wobei die Daseinsvorsorge eine wirtschaftlich untergeordnete Nebenrolle einnehmen muss.5

7.86

Steuerliche Differenzierungen und praktischen Veranschaulichungen sind u.a. der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu entnehmen. Einerseits unterschied der BFH zwischen der Tätigkeit der hoheitlichen Wasserbeschaffung6 als auch der gewerblichen Wasserversorgung.7 Dieser ordnete den hoheitlichen Akt der Wasserbeschaffung dem gewerblichen Hauptzweck der Wasserversorgung unter. In diesem Fall war in der originären hoheitlichen Wasserbeschaffung nur eine Vorbereitungshandlung zu sehen, welche die Wasserversorgung erst ermöglichte und durchgängig wirtschaftlich überwog.8 Andererseits realisieren hoheitliche Betriebe auch wirtschaftliche Hilfsgeschäfte, die nach Art und Umfang allein dem hoheitlichen Bereich zuzuordnen sind.9 Solche Hilfsmaßnahmen sind Geschäfte, für die der hoheitliche Betrieb ursächlich ist.10 (b) Versorgungsbetriebe

7.87

Versorgungsunternehmen im Rahmen ihrer Daseinsvorsorge sind Betriebe, die die notwendige Infrastruktur als auch Dienstleistungen in den Bereichen Wasser-, Elektrizitäts-, Wärmeund Gasversorgung abdecken.11 Die Struktur der Anteilseigner ist grundverschieden und kann in kommunaler als auch in privater Trägerschaft liegen. Die Grundintention eines Versorgungsbetriebes ist dabei überwiegend auf die Bedürfnisbefriedigung der Bevölkerung ausgerichtet. Dabei umfasst die wirtschaftliche Tätigkeit sämtliche Wertschöpfungsketten bis hin zur Übergabe an den Endkunden, von der Erzeugung über den Transport und Handel bis hin 1 So ähnlich auch BFH v. 22.10.2009 – V R 33/08 (NV), BFH/NV 2010 S. 957. 2 Vgl. dazu die Rechtsprechung aus der Zeit der Bäderrechtsprechung: BFH v. 16.1.1967 – GrS 4/66, BStBl. III 1967 S. 240. 3 § 2 Abs. 2 S. 2 GewStG. 4 Vgl. Nöcker in Lenski/Steinberg, GewStG, § 2 Tz. 1591. 5 BFH v. 12.3.1975 – I R 255/72, BStBl. II 1975 S. 549. 6 BFH v. 15.3.1972 – I R 232/71, BStBl. II 1972 S. 500. 7 BFH v. 7.2.2018 XI R 17/17 (NV), BFH/NV 2018 S. 701; EuGH v. 3.4.2008 – C-442/05 (ECLI:EU: C:2008:184), BStBl. II 2009 S. 328; BFH v. 28.1.1988 – V R 112/86, BStBl. II 1988 S. 473. 8 BFH v. 30.11.1989 – I R 79-80/86, BStBl. II 1990 S. 452. 9 R 4.4 Abs. 2 S. 1 KStR 2015; BFH v. 23.10.1996 – I R 1-2/94, BStBl. II 1997 S. 139; so ähnlich auch Fischer, D., jurisPR-SteuerR 33/2019, Anm. 1. 10 BMF v. 16.12.2016 – III C 2 - S 7107/16/10001, BStBl. I 2016 S. 1451. 11 BFH v. 12.3.1975 – I R 255/72, BStBl. II 1975 S. 549.

390 | Westendorf

A. Gewerbesteuer | Rz. 7.90 Kap. 7

zum Vertrieb des jeweiligen Produktes. Die Wahrnehmung einer Betätigung im Rahmen der jeweiligen wirtschaftlichen Wertschöpfungskette ist für die Qualifizierung eines Versorgungsbetriebes ausreichend und führt zur Gewerbesteuerpflicht i.S.d. § 2 Abs. 1 S. 2 GewStDV. Die weiterführende Verwendung einer entsprechenden wirtschaftlichen Wertschöpfungskette ist nicht als grundlegender Versorgungsbetrieb i.S.d. § 4 Abs. 3 KStG einzustufen. Darunter werden insbesondere Wartungen von Kundenanlagen, weitergehende Dienstleistungen, der Betrieb einer Anlage beim Kunden (Contracting) oder Energieberatungen zusammengefasst. Solche Betätigungen können beim Vorliegen weiterer Merkmale zu einer gesonderten Annahme eines Betriebs gewerblicher Art führen. Die rechtliche Einordnung hat jedoch nach den grundlegenden Merkmalen des § 4 Abs. 1 KStG zu erfolgen und ist daher nicht grundlegend als Versorgungsbetrieb einzustufen.1

7.88

Versorgungsbetriebe liegen insbesondere vor:

7.89

– beim Betrieb eines Stadtwerks (Belieferung der Endkunden mit Wasser, Gas, Elektrizität und Fernwärme), – bei reinen Netzbetrieben, Netzverpachtungs-BgA oder Netzbesitz-BgA, – das Betreiben von Photovoltaikanlagen und Blockheizkraftwerken,2 – Erschließungstätigkeiten einer Gemeinde, hier der Wasserversorgungsanschluss – dies beinhaltet u.a. auch die Zuordnung öffentlicher Investitionszuschüsse zu den gewerbesteuerlichen Einnahmen des Versorgungs-BgA3 sowie – einem Wasserbeschaffungsverband mit eigenem Rohrleitungsnetz.4

7.90

Hingegen liegen Versorgungsbetriebe nicht vor: – beim Betreiben einer öffentlichen Toilettenanlage und eines Klärwerks,5 – Überlassung des gesamten Leitungsnetzes (Wasser, Gas, Elektrizität, Fernwärme und weiterer) an einen rechtlich selbstständigen Versorger (reine Vermögensverwaltung) – hier wären die Voraussetzungen eines Verpachtungs-BgA i.S.d. § 4 Abs. 4 KStG oder der Betriebsaufspaltung zu prüfen, – das Unterhalten eines öffentlichen Telekommunikationsbetriebes,6 – Abfallentsorgung, Entsorgung von Hausmüll7, und die damit einhergehenden Hilfsgeschäfte8 und – der originären Wasserbeschaffung.9 1 BMF v. 12.11.2009 – IV C 7 - S 2706/08/10004, BStBl. I 2009 S. 1303. 2 BMF v. 12.11.2009 – IV C 7 - S 2706/08/10004, BStBl. I 2009 S. 1303 – Tz. 12 und 14. 3 BFH v. 11.6.2010 – IV S 1/10 (NV), BFH/NV 2010 S. 1851; BFH v. 3.8.2005 – I B 242/04 (NV), BFH/NV 2005 S. 2210; BFH v. 27.4.2000 – I R 12/98 (NV), BFH/NV 2000 S. 1365; LfSt Bayern v. 21.8.2006 – S 2706 – 27 St 31 N, DB 2006 S. 1982. 4 BFH v. 30.11.1989 – I R 79-80/86, BStBl. II 1990 S. 452; Niedersächsisches FG v. 1.12.2011 – 6 K 509/09; BFH v. 8.8.2002 – I B 9/12 (NV), BFH/NV 2013 S. 83. 5 BFH v. 7.11.2007 – I R 52/06, BStBl. II 2009 S. 248; BFH v. 27.6.2001 – I R 82-85/00, BStBl. II 2001 S. 773. 6 BMF v. 12.11.2009 – IV C 7 - S 2706/08/10004, BStBl. I 2009 S. 1303 – Tz. 11 und 13. 7 R 4.5 Abs. 6 S. 1 KStR 2015. 8 BFH v. 23.10.1996 – I R 1-2/94, BStBl. II 1997 S. 139. 9 BFH v. 2.3.2011 – XI R 65/07, BStBl. II 2017 S. 831.

Westendorf | 391

Kap. 7 Rz. 7.91 | Sonstige Einzelsteuergesetze

(c) Verkehrsbetriebe

7.91

Verkehrsbetriebe unterliegen ebenso wie Versorgungsbetriebe der Gewerbesteuerpflicht. Anders als die o.a. Versorgungsbetriebe finden Verkehrsbetriebe jedoch ihren Nutzen in der gewerbsmäßigen Beförderung von Personen oder Gütern zu Land, zu Wasser und zu Luft sowie im weiteren Sinne in der Verkehrssteuerung, u.a. öffentliche Parkraumbewirtschaftung.1 Hierunter sind insbesondere Bahn-, Bus-, Luftfahrt-, Flughafen- und Hafenbetriebe sowie Betriebe des Straßenbaus und der Parkraumbewirtschaftung zu verstehen.2 Die gewerbsmäßige Beförderung beinhaltet nicht zwingend den ausschließlich öffentlichen Verkehr.3

7.92

Verkehrsbetriebe liegen insbesondere vor: – bei Flughafenbetrieben,4 – dem Betrieb von Parkflächen und Parkhäusern außerhalb öffentlicher Straßen5 und – öffentlichen Tiefgaragen außerhalb öffentlicher Straßen.6

7.93

Gewerbesteuerliche Verkehrsbetriebe liegen hingegen nicht vor: – bei öffentlichen Parkflächen mit Parkscheinautomaten im Rahmen der StVO (beachte: umsatzsteuerlicher Unternehmer)7 und – reinen Hilfstätigkeiten oder bloßen Vermögensverwaltungen, zur Nutzung überlassene Bahngleise oder Überlassung von Parkplätzen an Bedienstete und Studenten.8

7.94

Die Terminologie des Verkehrsbetriebes ist weit auszulegen. Die Begriffsbestimmung soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch weiterhin in der gewerbesteuerlichen Systematik des § 2 GewStDV zwischen Gewerbe- und Hoheitsbetrieben zu differenzieren ist. (d) Bäderbetriebe

7.95

Die öffentlichen Bäderbetriebe stellen zum ganz überwiegenden Teil gewerbliche Einrichtungen dar und werden in eine Vielzahl der Fälle als Freibäder, Bädergesellschaften mit Saunen oder auch ganz allgemein als Schwimmbäder betrieben. Eine Differenzierung erfolgt hierbei einerseits in den öffentlichen und der Allgemeinheit zugängliche gewerbliche Badebetrieb und andererseits in den hoheitlichen Schulbetrieb.9 Allein der der Öffentlichkeit dienende Teil des Badebetriebes erfüllt die Voraussetzungen einer wirtschaftlichen und gewerblichen Einrichtung i.S.d. § 2 Abs. 1 S. 1 GewStDV. Dahingegen unterliegt der unentgeltliche Schulbetrieb nicht der Gewerblichkeit und ist in Gänze dem hoheitlichen Bereich i.S.d. § 2 Abs. 2 S. 1 GewStG zuzuordnen. 1 2 3 4 5 6 7 8 9

Vgl. Nöcker in Lenski/Steinberg, GewStG, § 2 Tz. 1594 m.w.N. U.a. R 4.5 Abs. 4 S. 2 KStR 2015. BFH v. 26.6.1996 – II R 68/93, BStBl. II 1996 S. 495. BFH v. 15.10.1975 – II R 127/69, BStBl. II 1976 S. 25. BFH v. 10.12.1992 – V R 3/88, BStBl. II 1993 S. 380; BFH v. 15.10.1975 – II R 144/72, BStBl. II 1976 S. 219; R 4.5 Abs. 4 S. 2 KStR 2015. BFH v. 8.11.1989 – I R 187/85, BStBl. II 1990 S. 242. BMF v. 27.7.2017 – III C 2 - S 7106/0:002, BStBl. I 2017 S. 1239; BFH v. 27.2.2003 – V R 78/01, BStBl. II 2004 S. 431; R 4.5 Abs. 4 S. 1 KStR 2015. R 4.5 Abs. 4 S. 3 KStR 2015. R 4.5 Abs. 5 KStR 2015; FG Münster v. 26.4.2017 – 9 K 3847/15 K, F, EFG 2017 S. 1372; so ähnlich auch BFH v. 14.7.2004 – I R 9/03, BFHE 207 S. 142.

392 | Westendorf

A. Gewerbesteuer | Rz. 7.100 Kap. 7

Auch die Verpachtung eines solchen Betriebes vermag eine gewerbliche Betätigung darstellen.1

7.96

(e) Rundfunkanstalten Der Betrieb von öffentlichen Rundfunkanstalten vollzieht sich im Wesentlichen im öffentlichrechtlichen Bereich, so dass sie weder gewerblich noch beruflich tätig sind.2 Ihre grundlegende Betätigung verbindet sie mit der Wahrnehmung ihrer öffentlichen Verantwortung, der öffentlichen Verwaltung und der Erfüllung einer integrierenden Funktion für das Staatsganze.3 Dies äußert sich u.a. in der flächendeckenden Versorgung mit öffentlichen Hörfunk und Fernsehen, einem vielfältigen Programmangebot sowie in der verfassungsrechtlich gebotenen Pressefreiheit.4 Die Rundfunkbeiträge sind auf Grund ihrer hoheitlichen Einordnung nicht der Besteuerung zu unterwerfen und rechtlich allein dem hoheitlichen Rundfunk zuzuordnen. Eine partielle Zuordnung zum steuerpflichtigen Bereich ist nicht vorgesehen.

7.97

Die grundlegend allgemeine und pauschalisierte hoheitliche Zuordnung steht jedoch nicht unbedingt mit der wettbewerbsneutralen Besteuerungsfunktion des Steuerrechts im Einklang. Allein aus Wettbewerbersicht könnte eine erhöhte tatsächliche Wettbewerbslage vorliegen, welche grundlegende ertragsteuerliche Änderungen auslöst. Selbst ein grundsätzlich normiertes Pauschalierungsrecht lässt eine wirtschaftliche Bevorteilung erkennen.5

7.98

Jedoch gilt die öffentlich-rechtliche Betätigung ausschließlich für die Ausstrahlung von öffentlichem Hörfunk und Fernsehen, nicht jedoch für die angebotene Veranstaltung von entgeltlichen Werbesendungen sowie der Programmverwertung. Mit dieser Art der Betätigung, Betriebe gewerblicher Art, sind die Rundfunkanstalten grundsätzlich gewerblich tätig und unterliegen der partiellen Gewerbesteuerpflicht. Allein der tatsächliche und potentielle Wettbewerb auf dem Werbesendungs- und Verwertungsmarkt ist für eine bestehende Steuerpflicht ursächlich.

7.99

Aus Vereinfachungsgründen und für quantitative Ermittlungszwecke knüpft das Gewerbesteuerrecht an das Körperschaftsteuerrecht an und pauschaliert deren ertragsteuerliches Einkommen allein für Werbesendungen.6 Der Gewerbeertrag wird hierbei mit 16 % der Entgelte i.S.d. § 10 Abs. 1 UStG aus sämtlichen Geschäften der Veranstaltungen von Werbesendungen bemessen. Das gesetzliche Instrumentarium der Einkommenspauschalierung existiert insoweit nur für Werbesendungen, da vielfach weder abgrenzbare noch zuordenbare Betriebsausgaben und Aufzeichnungen zu den einzelnen hoheitlichen oder wirtschaftlichen Aufgabengebieten existieren.

7.100

1 FG Berlin-Brandenburg v. 13.7.2017 – 9 K 11318/15, EFG 2018 S. 56 – rechtsanhängig beim BFH – I R 58/17, so auch BFH – I R 9/17; zu Dauerverlusten bei Bäderbetrieben – BFH v. 9.11.2016 – I R 56/15, BStBl. II 2017 S. 498. 2 BVerfG v. 18.7.2018 – 1 BvR 745/17, 1 BvR 836/17, 1 BvR 981/17, http://www.bverfg.de/e/ rs20180718_1bvr167516.html; BVerfG v. 27.7.1971 – 2 BvF 1/68, 2 BvR 702/68, BVerfGE 31 S. 314. 3 BVerwG v. 21.12.2017 – 6 B 35.17. 4 Vgl. dazu u.a. auch § 11 Abs. 1 Rundfunkstaatsvertrag vom 31.8.1991, 22. Rundfunkänderungsvertrag in Kraft seit 1.5.2019 und Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG. 5 So ähnlich auch der Bundesrechnungshof im Ergänzungsband Nr. 7 „Ungerechtfertigte Steuervorteile für öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten“ vom 10.4.2019 – https://www.bundesrechnungs hof.de/de/veroeffentlichungen/produkte/bemerkungen-jahresberichte/jahresberichte/2018-ergaen zungsband/weitere-einzelplanbezogene-pruefungsergebnisse/allgemeine-finanzverwaltung/2018-be merkungen-ergaenzungsband-nr-07-ungerechtfertigte-steuervorteile-fuer-oeffentlich-rechtliche-rund funkanstalten. 6 § 7 S. 3 GewStG i.V.m. § 8 Abs. 1 S. 3 KStG.

Westendorf | 393

Kap. 7 Rz. 7.101 | Sonstige Einzelsteuergesetze

7.101

Für die Einkommensermittlung bei Programmverwertungen, mangels Vereinfachungstatbestand, gelten die allgemeinen und grundlegenden gewerbesteuerlichen Regelungen des § 7 S. 1 GewStG.1 (f) Entsorgungsunternehmen

7.102

Neben den o.a. Betrieben zählen auch Abfall- und Abwasserentsorgungsbetriebe zu den Betrieben der Daseinsvorsorge. Hierbei treten erhebliche steuerrechtliche Differenzierungen zu Tage, so dass es Abgrenzungen zwischen einem Hoheitsbetrieb und einem gewerblichen Betrieb, insbesondere in den Bereichen Abfall- und Wasserver- und -entsorgung, zu beachten gilt. Insbesondere die Terminologie der Ent- oder Versorgung kommt besondere Bedeutung zu, denn die Versorgung ist grundsätzlich steuerpflichtig, wohingegen die Entsorgung als hoheitlich gilt.2

7.103

Grundlegend sind Betriebe, welche die Verwertung und Beseitigung von anfallenden oder überlassenen Abfällen aus Privathaushalten, auch die Beseitigung von Gewerbeabfall, durch öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger nach § 20 Abs. 1 Kreislaufwirtschaftsgesetz übernehmen, als hoheitlich einzustufen.3 Dies gilt ferner auch für die Weiterveräußerung dieser Abfälle und die Weiterverarbeitung und Energiegewinnung daraus. Solche Tätigkeiten sind als hoheitliche Hilfsgeschäfte zu verstehen, so dass keiner dieser Betätigungen dem gewerbesteuerlichen Versorgungsterminus des § 2 Abs. 1 S. 2 GewStDV entspricht.4

7.104

Hingegen liegen keine hoheitlichen Betätigungen im Rahmen des Dualen Systems und in der ausdrücklichen Verwertung von Gewerbemüll, nicht zu verwechseln mit der Beseitigung, vor.5 Diese Tätigkeiten begründen einen wirtschaftlichen Versorgungsbetrieb i.S.d. § 2 Abs. 1 S. 2 GewStDV.

7.105

Ähnlich differenzierend zu betrachten ist die Wasserver- und -entsorgung. Die Wasserentsorgung ist mangels Wettbewerb als hoheitlich i.S.d. § 2 Abs. 2 S. 1 GewStDV einzustufen.6 Hingegen stellt die Wasserversorgung und die damit im Zusammenhang stehenden Betätigungen einen gewerbesteuerlichen Versorgungsbetrieb dar.7 Übernimmt die juristische Person des öffentlichen Rechts die Betätigungen der Wasserver- und -entsorgung und ist eine klare Abgrenzung nicht denkbar, kann die hoheitliche – vorbereitende – hinter die gewerbliche Betätigung zurücktreten, so dass die Betätigung vollumfänglich als Versorgungsbetrieb gilt.8 Diese Abgrenzungsproblematiken bestehen zusehends auch bei Abfallentsorgungsbetrieben mit gleichzeitiger Produktion von Elektrizität, um betriebswirtschaftliche Synergieeffekte zu nutzen.9

1 2 3 4 5 6 7 8 9

So auch Nöcker in Lenski/Steinberg, GewStG, § 2 Tz. 1610 m.w.N. Vgl. Nöcker in Lenski/Steinberg, GewStG, § 2 Tz. 1602. Grundlegend dazu BFH v. 23.10.1996 – I R 1-2/94, BStBl. II 1997 S. 139. R 4.5 Abs. 6 KStR 2015. BFH v. 3.4.2012 – I R 22/11 (NV), BFH/NV 2012 S. 1334; näheres dazu auch OFD Karlsruhe vom 7.4.2015 – S 270.6/256 – St 213. BFH v. 27.6.2001 – I R 82-85/00, BStBl. II 2001 S. 773; BFH v. 7.12.1999 – I B 136/98 (NV), BFH/ NV 2000 S. 894; BFH v. 15.3.1972 – I R 232/71, BStBl. II 1972 S. 500. BFH v. 28.1.1988 – V R 112/86, BStBl. II 1988 S. 473. BFH v. 30.11.1989 – I R 79-80/86, BStBl. II 1990 S. 452. Vgl. Nöcker in Lenski/Steinberg, GewStG, § 2 Tz. 1606.

394 | Westendorf

A. Gewerbesteuer | Rz. 7.108 Kap. 7

(8) Hoheitsbetriebe (a) Hoheitliche Betätigungen Neben den oben beschriebenen Betriebsformationen werden generelle Hoheitsbetriebe, aber auch rein hoheitliche Betätigungen, nicht von der Gewerbesteuer erfasst – vgl. § 2 Abs. 2 GewStDV. Sie unterliegen grundlegend nicht der Besteuerung, da sie weder Wettbewerbsrelevanz entfalten noch einen durchgreifenden Einfluss auf wirtschaftliche Prozesse ausüben.1 Auch sind für eine Qualifikation als nicht steuerpflichtige Hoheitsbetriebe Zwangs- und Monopolrechte nicht ausreichend.2 Das Gewerbesteuerrecht beinhaltet keine explizite Regelung hinsichtlich der Qualifikation eines Hoheitsbetriebes. Die Norm des § 2 Abs. 2 GewStDV verweist hierzu lediglich auf dessen Nichtanwendung, so dass für ausführlichere Erläuterungen auf die Rechtsprechung und Verwaltungsanweisungen zurückzugreifen ist. Hierbei bieten insbesondere die Rechtsprechung zum Körperschaft- und Umsatzsteuerrecht besondere Fundstellen, da die Termini und deren wirtschaftliche und rechtliche Auslegung im Wesentlichen gleichbedeutend zu verstehen und anzuwenden sind.3

7.106

Als Hoheitsbetriebe sind überwiegend juristische Personen des öffentlichen Rechts im Rahmen ihrer Ausübung der öffentlichen Gewalt zu verstehen. Hierzu zählen insbesondere öffentlich-rechtliche Aufgaben, die sich aus der originären Staatsgewalt ableiten lassen. Diese Aufgaben sind ihr eigentümlich und vorbehalten4, so dass sie dem Grunde nach weder übertragbar noch durch privatrechtliche Unternehmen als ausführbar gelten. Mangels Übertragbarkeit entstehen keine tatsächlichen oder potentiellen Wettbewerbsrelevanzen am Markt.5 Kennzeichnend hierfür sind wiederum öffentlich-rechtliche Aufgaben, die aus der Staatsgewalt abgeleitet sind und staatlichen Zwecken dienen.6 Eine hoheitliche Betätigung drückt sich in den meisten Fällen in einem Über- und Unterordnungsverhältnis aus.

7.107

Die öffentlich-rechtliche Betätigung unterliegt einem gesetzlichen Vorbehalt, soweit juristische Personen des öffentlichen Rechts diese in Erfüllung einer gesetzlich zugewiesenen Aufgabe ausüben und die Gesetzesgrundlage sich auf Bundes- oder Landesrecht erstreckt. Dieser Vorbehalt ist grundsätzlich nicht übertragbar und unterliegt einem Benutzungszwang. Ausnahmen bilden ausschließlich Erfüllungsgehilfen respektive öffentliche Beleihungen7, die mit einem öffentlich-rechtlichen Benutzungszwang einhergehen.8 Ohne örtlich entstehende Wettbewerbseinschränkungen oder -verzerrungen im In- und Ausland ist die entsprechende Rückausnahme ausdrücklich nicht anzuwenden.9

7.108

1 Ähnlich auch BFH v. 22.10.2009 – V R 33/08 (NV), BFH/NV 2010 S. 957. 2 § 2 Abs. 2 S. 2 GewStDV. 3 BFH v. 7.12.1999 – I B 136/98 (NV), BFH/NV 2000 S. 894; vgl. hierzu §§ 4 Abs. 5 S. 1 KStG und 2b Abs. 1 S. 1 UStG und Umkehrschluss zu § 2 Abs. 3. S. 1 UStG a.F.; so auch Nöcker in Lenski/ Steinberg, GewStG, § 2 Tz. 1569 f. m.w.N. 4 BFH v. 12.7.2012 – I R 106/10, BStBl. II 2012 S. 837; BFH v. 29.10.2008 – I R 51/07, BStBl. II 2009S. 1022; BFH v. 17.3.2005 – I B 245/04 (NV), BFH/NV 2005 S. 1135. 5 BMF v. 11.12.2009 – IV C 7 - S 2706/07/10006, BStBl. I 2009 S. 1597; BFH v. 29.10.2008 – I R 51/ 07, BStBl. II 2009 S. 1022. 6 BFH v. 12.7.2012 – I R 106/10, BStBl. II 2012 S. 837. 7 BFH v. 25.1.2005 – I R 63/03, BStBl. II 2005 S. 501. 8 BMF v. 11.12.2009 – IV C 7 - S 2706/07/10006, BStBl. I 2009 S. 1597. 9 BFH v. 29.10.2008 – I R 51/07, BStBl. II 2009 S. 1022.

Westendorf | 395

Kap. 7 Rz. 7.109 | Sonstige Einzelsteuergesetze

(b) Tatsächlicher oder potentieller Wettbewerb

7.109

Für die Beurteilung einer hoheitlichen Betätigung ist die steuerliche Wettbewerbsneutralität als auch die potentielle Wettbewerbsverzerrung von enormer praktischer Relevanz. Soweit sich juristische Personen des öffentlichen Rechts in den wirtschaftlichen Verkehr einschalten und vergleichbare wirtschaftliche Leistungen wie privatwirtschaftliche Unternehmen anbieten, liegt keine eigentümliche und vorbehaltene Betätigung vor.1 Hierbei entfaltet sich zwischen der Körperschaft und den gewerblich tätigen Institutionen ein aktiver und tatsächlicher Wettbewerb, welcher nicht auf Grund einer mangelnden Besteuerung der öffentlichen Hand zu Nachteilen der Privatwirtschaft führen darf. Auch ein nur potentiell existierender Wettbewerb ist für die Entstehung von Wettbewerbsverzerrungen ausreichend, soweit kein Annahmezwang der entsprechenden Leistung andauert.2

7.110

Eine andere rechtliche Beurteilung nimmt der Bundesfinanzhof bezüglich der Fragestellung eines tatsächlichen Wettbewerbs zwischen einer Körperschaft und ihrem beliehenen Unternehmer vor. Ein tatsächlicher Wettbewerb existiert solange nicht, soweit ein Annahmezwang, enge gesetzliche Voraussetzungen und keinerlei Wettbewerbsverzerrungen vorliegen.3

7.111

Die o.g. Differenzierung entfaltet nur praktische Relevanz, soweit juristische Personen des öffentlichen Rechts sich nicht in privatrechtlicher Form wirtschaftlich betätigen. Anderenfalls sind sie überwiegend gewerblich tätig, wobei hierin eine Annäherung an die europarechtskonforme Auslegung des Art. 13 Abs. 1 MwStSystRL richtigerweise zu sehen ist.4 (c) Überwiegend hoheitliche Betätigung

7.112

Der ertragsteuerlichen Systematik folgend, stellen Hoheitsbetriebe keine stehenden Gewerbebetriebe i.S.d. § 2 Abs. 2 S. 1 GewStDV dar. Sie grenzen sich wirtschaftlich als auch rechtlich voneinander ab, denn schon deren wirtschaftliche Betätigungen, Ziele und Wettbewerbsrelevanzen sind grundverschieden.5 Rechtsdogmatisch betätigen sich juristische Personen des öffentlichen Rechts überwiegend in der Ausübung öffentlicher Gewalt. Hierzu gehören ebenso reine Hilfsgeschäfte, die ausdrücklich keine wirtschaftlichen Betätigungen darstellen und sich überwiegend als unabdingbar für die öffentliche Hand erweisen. Mithin sind auch horizontale Zusammenfassungen i.S.d. § 4 Abs. 6 S. 2 KStG, rein deklaratorische Bedeutung, eines Hoheits- und eines Gewerbebetriebes unzulässig.6 Hierbei fänden reine Ergebnisverrechnungen zugunsten der öffentlichen Hand statt, die privatwirtschaftlich agierende Unternehmen benachteiligen und gegebenenfalls Beihilfeproblematiken offenbaren. Auch die Teleologie der Besteuerung der öffentlichen Hand steht der o.a. Zusammenfassung grundlegend entgegen.

7.113

Sind verschiedene Betätigungen von juristischen Personen der öffentlichen Hand weder eindeutig dem hoheitlichen noch dem wirtschaftlichen Bereich zuzuordnen, ist die überwiegende Zweckbestimmung heranzuziehen, vgl. auch hoheitliche Hilfsgeschäfte.7 Derartige und hilfs1 BFH v. 17.3.2005 – I B 245/04 (NV), BFH/NV 2005 S. 1135; BFH v. 25.1.2005 – I R 63/03, BStBl. II 2005 S. 501; BFH v. 12.7.2012 – I R 106/10, BStBl. II 2012 S. 837 m.w.N. 2 BFH v. 12.7.2012 – I R 106/10, BStBl. II 2012 S. 837 m.w.N.; BFH v. 29.10.2008 – I R 51/07, BStBl. II 2009 S. 1022. 3 BFH v. 25.1.2005 – I R 63/03, BStBl. II 2005 S. 501. 4 So auch Nöcker in Hidien/Jürgens, Besteuerung der öffentlichen Hand § 7 Tz. 32. 5 Vgl. auch Westendorf, Der BgA, C. III. 6. a) S. 232. 6 Vgl. Nöcker in Hidien/Jürgens, Besteuerung der öffentlichen Hand § 7 Tz. 33. 7 R 4.1 Abs. 3 S. 2 KStR 2015.

396 | Westendorf

A. Gewerbesteuer | Rz. 7.118 Kap. 7

weise Betätigungen dienen ausschließlich der Aufrechterhaltung des Hoheitsbetriebes, so dass von einer gewissen Nachhaltigkeit auszugehen ist. Eine weite Auslegung der grundlegenden Zweckbestimmung, in ihrer wirtschaftlichen Ausrichtung und Gewichtung, unterbleibt, damit keine ungewollten Ergebnisverrechnungen oder Wettbewerbsverzerrungen auftreten. Soweit wirtschaftlich vergleichbare Sachverhalte als auch Wettbewerbskonstellationen auf einem abgrenzbaren Markt tatsächlicher oder potentieller Art bestehen, liegen keine überwiegend hoheitlichen Betätigungen im originären Sinne vor. Wirtschaftlich vergleichbare Betätigungen bringt die originäre hoheitliche Betätigung nicht hervor.1 Liegen jedoch enge Verzahnungen vor, so dass eine Abgrenzung nicht praktikabel respektive aus verwaltungsökonomischen Erwägungen unmöglich erscheint, ist der Tatbestand nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten eng auszulegen, um keine Ungleichbehandlungen entstehen zu lassen.

7.114

Anderenfalls lösen sich vereinzelt gewerbliche und wirtschaftliche Betätigungen, häufig als sog. Regiebetriebe – körperschaftsteuerliche Einrichtungen oder Einrichtungselemente2, aus dem Hoheitsbetrieb heraus. Der realwirtschaftliche Wettbewerb zeigt sich demnach für eine realisierende Gewerbesteuerpflicht ursächlich. Um ungewollte Ergebnisverrechnungen und Gewerbebetriebskonstellationen zu vermeiden, sind klare und zwingende Abgrenzungen zwischen der hoheitlichen und wirtschaftlichen Betätigung erforderlich. Diese zeigen sich einerseits im Rahmen von klaren Aufzeichnungserfordernissen3 und andererseits in der originären Betätigung selbst. Als Aufteilungsmaßstab dient hier ein flächenmäßig, wirtschaftlich oder zeitlich zu bemessender Maßstab. Die Entscheidung hierüber ist jedoch fortwährend einer Einzelfallbetrachtung zu unterziehen, um weder wirtschaftliche noch rechtliche Bevor- oder Benachteiligungen auszulösen. Fehlende Aufzeichnungen gehen zwangsläufig zu Lasten der Trägerkörperschaft.

7.115

(d) Zwangs- und Monopolrechte Hoheitliche Betätigungen von juristischen Personen des öffentlichen Rechts entstehen ausdrücklich nicht dadurch, soweit allein aus Zwangs- oder Monopolrechten eine entgeltliche Betätigung der entsprechenden Einrichtung resultiert – § 2 Abs. 2 S. 2 GewStDV. Diese Regelung gilt gleichermaßen für das Körperschaft- als auch für das Umsatzsteuerrecht, so dass auch bei diesem Tatbestand auf steuerartübergreifende Begründungen zu verweisen ist.4 Der überwiegend ab dem 1.1.2021 anzuwendende § 2b UStG verweist in diesem Zusammenhang lediglich auf eintretende wirtschaftliche Wettbewerbsverzerrungen und führt den o.g. Tatbestand nicht weitreichender aus.5

7.116

Ein Monopolrecht lässt sich als eine Art staatlich garantierter und rechtlich abgesicherter Konkurrentenschutz verstehen. Auf diese Weise tritt für juristische Personen des öffentlichen Rechts eine gesicherte marktbeherrschende Stellung ein.

7.117

Hingegen besteht mit einem Zwangsrecht die Eventualität von einer privaten als auch juristischen Person ein aktives Tun oder Dulden einzufordern und die Nichteinhaltung mit Zwangs-

7.118

1 2 3 4 5

BFH v. 12.7.2012 – I R 106/10, BStBl. II 2012 S. 837. R 4.1 Abs. 4 S. 1 KStR 2015. Vgl. hierzu u.a. §§ 140, 141 und 143 ff. AO. §§ 4 Abs. 5 S. 2 KStG, 2 Abs. 3 UStG a.F. Die Erklärung zur Anwendung des alten § 2 Abs. 3 UStG gilt bis 31.12.2023 weiterhin fort – BRDrucks. 290/20 vom 29.5.2020, Art. 1 Nr. 2 Corona-Steuerhilfegesetz.

Westendorf | 397

Kap. 7 Rz. 7.118 | Sonstige Einzelsteuergesetze

mitteln zu belegen respektive durchzusetzen. Schlussfolgernd resultiert damit ein Annahmeoder auch ein Anschluss- und Benutzungszwang.1

7.119

Für hoheitliche Betätigungen sind Zwangs- und Monopolrechte nicht entscheidungserheblich. Sie können gleichwohl wirtschaftlich und demzufolge unternehmerisch tätig sein und einen Gewerbebetrieb begründen. Relevant wird diese differenzierte Betrachtungsweise insbesondere bei Betrieben der Daseinsvorsorge i.S.d. § 2 Abs. 1 S. 2 GewStDV, bspw. Versorgungsbetrieben. Auch Rechte in der Ausgestaltung von Anschluss- und Benutzungszwängen können demzufolge keine Monopolbetriebe und deren zwingende Einordnung als hoheitliche Betätigung verfügen. Selbst aus der Ausübung von verwaltungsrechtlichen Zwangsmitteln im Rahmen der Vollziehung der o.g. Rechte lassen sich keine hoheitlichen Betätigungen herleiten.2 Vielmehr ist die rechtliche Ausgestaltung als eine originär hoheitliche Aufgabe zu beurteilen, so dass diese weder wettbewerbsverzerrende Wirkung noch einen Konkurrentenschutz entfaltet.3 Die hoheitliche Betätigung von juristischen Personen des öffentlichen Rechts sind ihr zwingend eigentümlich und vorbehalten, so dass sich eine daraus ableitende wirtschaftlich untergeordnete Einnahmeerzielung allein als Neben- oder Hilfszweck darstellt.4 (9) Keine Betätigung im Rahmen der Land- und Forstwirtschaft

7.120

Land- und fortwirtschaftliche Betätigungen schließt § 4 Abs. 1 S. 1 KStG definitionsgemäß aus. Diese Regelung greift aufgrund des Wortlauts und der Definition eines Gewerbebetriebes auf das Gewerbesteuerrecht durch, vgl. § 2 Abs. 1 S. 1 GewStDV. Die o.g. Betätigungen sind demzufolge nicht als gewerbesteuerliche Betriebe der öffentlichen Hand zu qualifizieren, weder als Neben- noch als Hauptbetriebe. Eine land- und fortwirtschaftliche Betätigung ist immer im Rahmen einer objektiven Verkehrsanschauung zu beurteilen. Die Haupttätigkeit und nicht etwaige Nebenbetätigungen verleihen dem ganzen Betrieb sein Gepräge, so dass getrennt voneinander zu beurteilende Betriebe existieren können.5

7.121

Als land- und fortwirtschaftliche Betätigungen zählen insbesondere die planmäßige Nutzung der natürlichen Kräfte des Bodens zur Erzeugung von Pflanzen und Tieren sowie deren Verwertung.6 Demzufolge sind auch die Jagdverpachtung und die Jagdgenossenschaft nicht als Betriebe gewerblicher Art zu qualifizieren.7 Anders verhält sich die rechtliche Einordnung bei typisch gewerblichen Nutzungen, welche jedoch nicht ursprünglich mit der planmäßigen Bodennutzung im Zusammenhang zu bringen sind. Hierfür lassen sich u.a. folgende Beispiele anführen: – Kutschfahrten, Reitunterricht und Pensionstierhaltung,8 – Ausbildung und Verkauf von Blindenführhunden,9 1 Vgl. auch Nöcker in Lenski/Steinberg, GewStG, § 2 Tz. 1586 f. m.w.N. 2 BFH v. 4.2.1976 – I R 200/73, BStBl. II 1976 S. 355. 3 BFH v. 29.10.2008 – I R 51/07, BStBl. II 2009 S. 1022; BFH v. 23.10.1996 – I R 1-2/94, BStBl. II 1997 S. 139. 4 BFH v. 23.10.1996 – I R 1-2/94, BStBl. II 1997 S. 139. 5 BFH v. 25.3.2009 – IV R 21/06, BStBl. II 2010 S. 113; BFH v. 17.12.2008 – IV R 34/06, BStBl. II 2009 S. 453; BFH v. 12.1.1989 – V R 129/84, BStBl. II 1989 S. 432. 6 Näheres dazu gleich lautender Erlass der obersten Finanzbehörden der alten Länder v. 15.12.2011 – o. Az., BStBl. I 2011 S. 1213; BMF v. 19.12.2011 – IV D 4 - S 2230/11/10001, BStBl. I 2011 S. 1249. 7 Vgl. auch Nöcker in Hidien/Jürgens, Besteuerung der öffentlichen Hand § 7 Tz. 26. 8 BFH v. 16.7.1987 – V R 22/78, BStBl. II 1988 S. 83; a.A. BFH v. 23.9.1988 – III R 182/84, BStBl. II 1989 S. 111. 9 BFH v. 9.5.2017 – VIII R 11/15, BStBl. II 2017 S. 911.

398 | Westendorf

A. Gewerbesteuer | Rz. 7.124 Kap. 7

– Unterhalten von Wildparks und Zoos, – Hofläden mit überwiegendem Verkauf von zugekauften und nicht selbst produzierten Waren1 und – der reine Viehhandel.2 (10) Keine vermögensverwaltende Betätigung Anders als bei einer land- und forstwirtschaftlichen Betätigung ist die reine Vermögensverwaltung nicht auf die Nutzung und Fruchtziehung der natürlichen Kräfte des Bodens angewiesen. Aus der reinen Vermögensverwaltung lässt sich weder ein Betrieb gewerblicher Art i.S.d. § 4 KStG noch ein Betrieb der öffentlichen Hand i.S.d. § 2 Abs. 1 S. 1 GewStDV konstruieren. In der Regel ist davon auszugehen, dass es sich bei der reinen Vermögensverwaltung um eine hoheitliche und damit nicht steuerbare Betätigung handelt. Diese ist überwiegend dann vorzufinden, sobald unbewegliches Vermögen für die Vermietung und Verpachtung genutzt wird oder um Kapitalvermögen verzinslich anzulegen.3 Hierunter werden auch sämtliche, im Hoheitsvermögen anfallende, Hilfsgeschäfte verstanden.4

7.122

Beispielhaft können folgende Betätigungen Hilfsgeschäfte i.S.d. Vermögensverwaltung/Hoheitsbereichs sein:

7.123

– Veräußerungen von Gegenständen, die im hoheitlichen Bereich eingesetzt waren, – Telefonnutzung durch Arbeitnehmer im hoheitlichen Bereich oder auch – die PKW-Überlassung an Arbeitnehmer im hoheitlichen Bereich. Überwiegend der reinen hoheitlichen Vermögensverwaltung werden folgende Betätigungen zugerechnet: – Halten von Anteilen an Kapitalgesellschaften,5 – Halten von Anteilen an rein vermögensverwaltenden Personengesellschaften,6 – passives Sponsoring,7 – Vermietung und Verpachtung von unbeweglichem Vermögen,8 – Betriebsverpachtung im Ganzen9 und

1 BFH v. 25.3.2009 – IV R 21/06, BStBl. II 2010 S. 113. 2 BFH v. 21.9.1995 – IV R 96/94, BStBl. II 1996 S. 85; BFH v. 16.12.1976 – V R 107/73, BStBl. II 1977 S. 273. 3 § 14 S. 3 AO. 4 So gleichlautend zu § 2b UStG ergangen – BMF v. 16.12.2016 – III C 2 - S 7107/16/10001, BStBl. I 2016 S. 1451. 5 Ohne die aktive Einflussnahme auf die Geschäftsführung der Gesellschaft. 6 Siehe auch Rz. 7.126 Betriebe in Form von Personengesellschaften. 7 Beachte: Abgrenzungskriterien zum aktiven Sponsoring – OFD Frankfurt vom 6.9.2016 – S 2144 A 112 – St 210, StEd 2016 S. 665 Pkt. III.; BMF v. 18.2.1998 – IV B 2 - S 2144 – 40/98/IV B 7 - S 0183 – 62/98, BStBl. I1998 S. 212; BMF v. 9.7.1997 – IV B 2 - S 2144 - 118/97, BStBl. I 1997 S. 726. 8 Hierbei dürfen keine weiteren Leistungen hinzutreten, ansonsten kann es zu einer gewerblichen Vermietung kommen. 9 Eine vergleichende Regelung wie im § 4 Abs. 4 KStG fehlt. Der Verpächter ist kein werbender Betrieb und somit nicht Gewerbesteuerpflichtig.

Westendorf | 399

7.124

Kap. 7 Rz. 7.124 | Sonstige Einzelsteuergesetze

– der An- und Verkauf von Grundstücken.1

7.125

Den o.a. Beispielen ist zu entnehmen, dass vermögensverwaltende Tätigkeiten der öffentlichen Hand immer auf ihr wirtschaftliches Gehalt, ihren Zweck und die Beteiligten hin zu untersuchen sind. Insbesondere die Betriebsaufspaltung, hier die Aufspaltung der Betätigung in Besitz- und Betriebsunternehmen durch die Vermietung wesentlicher Betriebsgrundlagen, unterliegt als Vermietungstatbestand der Gewerbesteuer.2 (11) Betriebe in Form von Personengesellschaften

7.126

Neben vielfältigster Betätigungsformen kann sich die öffentliche Hand auch an Personengesellschaften, hier Gesellschaften bürgerlichen Rechts3, offenen Handelsgesellschaften4 oder Kommanditgesellschaften5 beteiligen. Ein Betrieb gewerblicher Art entsteht jedoch nur, soweit die Personengesellschaft keine vermögensverwaltenden oder land- und forstwirtschaftlichen Einkünfte generiert. Gleiches gilt auch für vermögensverwaltend tätigen gewerblich geprägten Personengesellschaften. Der Grunddefinition eines Betriebs gewerblicher Art und die Geprägefiktion des § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG schließen sich grundlegend aus.6

7.127

Die gewerbesteuerlich verhaftete Gesellschafterstellung ergibt sich einerseits aus der Mitunternehmerstellung i.S.d. § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG, hierbei ist zwingend von einer Gewinnerzielungsabsicht auszugehen, oder der zu separierenden und einzelfallbezogenen Betrachtung der Beteiligung im Falle der fehlenden Gewinnerzielungsabsicht der Personengesellschaft.7 Soweit eine Mitunternehmerstellung erkennbar nach Außen tritt, liegt ein Gewerbetrieb i.S.d. § 2 Abs. 1 S. 2 GewStG vor, da die Personengesellschaft das alleinige Besteuerungsobjekt im Gewerbesteuerrecht darstellt. Insoweit ist § 2 Abs. 1 GewStDV nicht anzuwenden.8 Die vorhergehende Sichtweise beruht allein auf der Annahme, dass die Gewinnanteile Einkünfte des Gesellschafters aus Gewerbebetrieb begründen und die transparente Beteiligung selbst den Gewerbetreibenden und das Steuersubjekt darstellt. Unterbliebe eine solche Qualifizierung, entstünden mangels Besteuerung Wettbewerbsvorteile der öffentlichen Hand.9 Um dieser Annahme gerecht zu werden, ist bei einer Personengesellschaft jede Betätigung einer juristischen Person des öffentlichen Rechts segmentiert und somit gesondert unter dem Tatbestand des § 4 KStG zu untersuchen.10 Die segmentierte Betrachtung und Untersuchung hat jedoch unter steuersystematischen und bilanzsteuerlichen Maßstäben zu erfolgen und ist eng mit der Mitunternehmerschaft zu verknüpfen.

7.128

Für die Beurteilung einer rechtlich existenten Mitunternehmerschaft i.S.d. § 15 EStG ist es unbeachtlich, ob die Personengesellschaft aus einem Beteiligungsmix, hier Personen des Pri1 Hinweis: grds. reines Hilfsgeschäft im Rahmen der hoheitlichen Betätigung, jedoch sind die Kriterien des gewerblichen Grundstückshandels zu beachten. 2 Vgl. hierzu BFH v. 12.4.2018 – IV R 5/15 (NV), BFH/NV 2018 S. 881; BFH v. 8.11.1971 – GrS 2/ 71, BStBl. II 1972 S. 63. 3 § 705 ff. BGB. 4 § 105 ff. HGB. 5 § 161 ff. HGB. 6 BFH v. 29.11.2017 – I R 83/15, BStBl. II 2018 S. 495. 7 BMF v. 21.6.2017 – IV C 2 - S 2706/14/10001, BStBl. 2017 I S. 880 Tz. 2,3 und 10. 8 A.A. Nöcker in Hidien/Jürgens, Besteuerung der öffentlichen Hand § 7 Tz. 24. 9 BFH v. 29.11.2017 – I R 83/15, BStBl. II 2018 S. 495; BFH v. 25.3.2015 – I R 52/13 (NV), BFH/NV 2015 S. 1509. 10 So auch Schiffers, DStZ 2017 S. 305 (306).

400 | Westendorf

A. Gewerbesteuer | Rz. 7.134 Kap. 7

vat- und öffentlichen Rechts, rein aus einem Beteiligungs-BgA oder einem dem Gegenstand zugeordneten BgA hervorgeht.1 Ferner begründen auch hoheitliche Betätigungen oder auch Tätigkeiten, die für sich allein betrachtet keinen Betrieb gewerblicher Art entstehen lassen würden, einen gewerblichen Betrieb gewerblicher Art, soweit sie im Rahmen einer gewerblich tätigen Mitunternehmerschaft ausgeübt werden.2

7.129

Soweit ein Betrieb gewerblicher Art die Beteiligung an einer Personengesellschaft als notwendiges oder gewillkürtes Betriebsvermögen im Rahmen seiner Mitunternehmerstellung ausweist, ist die gewerbesteuerliche Kürzung des Gewinn- oder Verlustanteils i.S.d. § 9 Nr. 2 GewStG zu beachten.

7.130

Mitunternehmerschaften oder auch Betriebe gewerblicher Art entstehen ausdrücklich nicht, bei einem ausschließlich hoheitlich tätigen und kostendeckenden Zusammenschluss mehrerer juristischer Personen des öffentlichen Rechts zu einer Personengesellschaft.3

7.131

Für die Ermittlung des Gewerbeertrags sind neben der Gesamthand sämtliche Ergänzungsund Sonderbilanzen einzubeziehen.4 Demzufolge beinhaltet der Gewerbeertrag sämtliche Sonderbetriebseinnahmen und -ausgaben i.S.d. § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 HS. 2 EStG.

7.132

3. Umfang des Gewerbebetriebes Das Gewerbesteuerrecht weist allein dem stehenden Gewerbetrieb den Umfang seiner sachlichen Steuerpflicht zu. Werden gewerbliche Tätigkeiten ausgeübt, gelten Personengesellschaften, hier GbR, OHG und KG, als auch Kapitalgesellschaften, GmbH, AktG und weiterer, in vollem Umfang als stehender Gewerbebetrieb.5 Dies entspricht im Wesentlichen auch ihrem Objektsteuercharakter.6 Einschränkungen lässt das Gewerbesteuerrecht lediglich bei sonstigen juristischen Personen des Privatrechts und bei nichtrechtsfähigen Vereinen und ihren wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben i.S.d. § 14 AO zu. Gleichlaufend mit dem Körperschaftsteuerrecht sind diese als einheitlicher Gewerbebetrieb i.S.d. § 8 GewStDV zusammenzufassen.7 Weitere direkte Zusammenfassungsformen kennt das Gewerbesteuerrecht ausdrücklich nicht. Der Umfang bestimmt sich allein anhand der Kriterien des einheitlichen Gewerbebetriebes, hier die organisatorische, finanzielle und wirtschaftliche Verflechtung.8

7.133

Für Betriebe der öffentlichen Hand bestimmt sich der Umfang eines Gewerbebetriebes jedoch nach körperschaftsteuerlichen Grundsätzen. § 2 Abs. 1 S. 1 HS. 2 GewStDV weist auf die entsprechende Anwendung der Querverbundregelungen des § 4 Abs. 6 KStG hin. Der Umfang eines Gewerbebetriebes bei Betrieben gewerblicher Art bestimmt sich demzufolge nach der

7.134

1 Vgl. Musil in Mössner/Seeger/Oellerich4, KStG-Kommentar, § 4 Tz. 135 m.w.N. 2 R 6 Abs. 2 S. 4 KStR 2004 a.F.; R 4.1. Abs. 2 KStR 2015 enthält keine entsprechende Anweisung mehr; OFD Karlsruhe v. 14.6.2018 – S 270.6/242 – St 213, SiS 18 15 31 Tz. 2.2.2, a.A. Schiffers, DStZ 2017 S. 305 (307). 3 OFD Karlsruhe v. 14.6.2018 – S 270.6/242 – St 213, SiS 18 15 31 Tz. 2.1.2; so ähnlich auch BMF v. 21.6.2017 – IV C 2 - S 2706/14/10001, BStBl. 2017 I S. 880 Tz. 12. 4 BFH v. 25.3.2015 – I R 52/13 (NV), BFH/NV 2015 S. 1509. 5 § 2 Abs. 2 S. 1 GewStG. 6 BFH v. 8.12.2016 – IV R 8/14, BStBl. II 2017 S. 538. 7 § 2 Abs. 3 GewStG und § 64 Abs. 2 AO. 8 BFH v. 31.1.2006 – III B 29/05 (NV), BFH/NV 2006 S. 1152.

Westendorf | 401

Kap. 7 Rz. 7.134 | Sonstige Einzelsteuergesetze

wahlweisen Ausübung der Querverbundgrundsätze. Das Wahlrecht der Zusammenfassung oder Trennung vormals zusammengefasster Betriebe gewerblicher Art liegt hierbei allein im Ermessen der Trägerkörperschaft.1

4. Zusammenfassung gewerblicher Betätigungen i.S.d. § 4 Abs. 6 KStG a) Horizontaler Querverbund

7.135

Liegen mehrere Betriebe der öffentlichen Hand, auch Betriebe gewerblicher Art, vor, obliegt es dem Ermessen der Trägerkörperschaft, ob eine Zusammenfassung zu einem Gewerbebetrieb i.S.d. § 4 Abs. 6 KStG herbeiführt wird. Hierfür sind entweder gleichartige Betätigungen, eine objektiv enge technisch-wirtschaftliche Verflechtung oder Katalogbetriebe erforderlich.

7.136

Nach einer Zusammenfassung liegt nur noch ein Gewerbesteuerobjekt vor, welches sämtliche Tatbestände eines Gewerbebetriebes i.S.d. § 15 Abs. 2 EStG vereint. Das zusammengefasste Gewerbesteuerobjekt, gewerbesteuerlicher Umfang des Unternehmens, muss zwingend in seiner Gesamtheit mit Gewinnerzielungsabsicht handeln und am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnehmen. Fehlt eines dieser Merkmale liegt kein stehender Gewerbebetrieb i.S.d. gewerbesteuerlichen Dogmatik vor, vgl. auch dauerverlustträchtige Betriebe der öffentlichen Hand.

7.137

Vereinzelte Integrationen verlustträchtiger Betriebe gewerblicher Art im Querverbund sind möglich, ohne dass der Tatbestand der Gewinnerzielungsabsicht2, als Rechtsfolgewirkung des § 15 Abs. 2 EStG, für das gewerbesteuerliche Gesamtobjekt untergeht.3 Etwaige steuerliche Korrekturen, wie verdeckte Gewinnausschüttungen i.S.d. § 8 Abs. 3 S. 2 KStG, und politisch förderungswürdige Rückausnahmen, begünstigte Dauerverluste i.S.d. § 8 Abs. 7 KStG, gilt es in diesem Zusammenhang zu beachten und genauestens zu untersuchen.4 Eine Einkommensneutralisation der steuerlichen Einsparpotentiale wäre bei der Anwendung steuerwirksamer Korrekturen vollumfänglich die Folge. Ohne die o.a. Korrekturen erzeugt der horizontale Querverbund mit seinen Ergebnisverrechnungen erhebliche haushalterische und steuerliche Einsparpotentiale.

7.138

Die Zusammenfassung zu einem Gewerbesteuerobjekt ist jedoch ausschließlich unter den Voraussetzungen des § 4 Abs. 6 S. 1 KStG zulässig. Mit der damaligen Einführung der Querverbundregelungen hielt der Gesetzgeber den bisherigen Status quo aufrecht.5 Betriebe der öffentlichen Hand müssen entweder gleichartig sein6, zwischen ihnen muss eine objektive enge wechselseitige technisch-wirtschaftliche Verflechtung7 vorliegen oder es handelt sich um Versorgungs- oder Verkehrsbetriebe, sog. Katalogbetriebe.8 Andere als die eben aufgeführten Zusammenfassungsgrundsätze existieren nicht, wobei weiterführende Unterkategorien, Kettenmodelle oder Geprägetheorien, anzutreffen sind.9

1 2 3 4 5 6 7 8 9

BMF v. 12.11.2009 – IV C 7 - S 2706/08/10004, BStBl. I 2009 S. 2520 Tz. 1 und 98. Vgl. auch Rz. 7.63 Tatbestand der Gewinnerzielungsabsicht. Vgl. auch Rz. 7.69 strukturell dauerverlustige Betriebe. BFH v. 9.11.2016 – I R 56/15, BStBl. II 2017 S. 498; BFH v. 27.11.2013 – I R 17/12, BStBl. II 2016 S. 68; BFH v. 22.8.2007 – I R 32/06, BStBl. II 2007 S. 961. § 36 Abs. 2 GewStDV. § 4 Abs. 6 S. 1 Nr. 1 KStG. § 4 Abs. 6 S. 1 Nr. 2 KStG. § 4 Abs. 6 S. 1 Nr. 3 KStG. Näher dazu Westendorf, Der BgA, C. III. 5. S. 226 ff.

402 | Westendorf

A. Gewerbesteuer | Rz. 7.143 Kap. 7

Anderweitige Zusammenfassungen sind weder mit land- und forstwirtschaftlichen noch mit vermögensverwaltenden Betätigungen zulässig. Jedoch lässt das Gewerbesteuerrecht mit seinem ausdrücklichen Verweis auf § 4 Abs. 6 S. 1 KStG1 auch eine Zusammenfassung mit Hoheitsbetrieben zu.2 Meines Erachtens gilt hierbei das Folgende zu beachten. Hoheitsbetriebe sind ausdrücklich keine Gewerbebetriebe i.S.d. § 2 Abs. 2 S. 1 GewStDV. Aufgrund der steuerlichen Rückbeziehung auf die gewerbesteuerliche Terminologie und Systematik ist eine Zusammenfassung unzulässig.3 Daraus resultieren unzulässige Ergebnisverrechnungen, die zu Bevorteilungen der öffentlichen Hand und Wettbewerbsnachteile der Privatwirtschaft führen.

7.139

b) Gleichartigkeit Die Zusammenfassung unter Gleichartigkeitsgrundsätzen folgt der Prämisse der gleichen wirtschaftlichen Betätigung im engeren oder der Betätigung im gleichen Gewerbezweig im weiteren Sinne.4 Auch verschiedenartige Betätigungen können zu einer Ergänzung im Sinne einer Gleichartigkeit beitragen. Der Tatbestand ist weit auszulegen und daher nicht auf den gleichen Gewerbezweig begrenzt. Die wirtschaftliche Betrachtung und Einschätzung ist immer einer Einzelfallbetrachtung zu unterziehen.5

7.140

c) Objektiv enge wechselseitige technisch-wirtschaftliche Verflechtung Der Verflechtungstatbestand des Querverbundes ist wesentlich komplexer als die des § 4 Abs. 6 S. 1 Nr. 1 und 3 KStG. Die Beurteilung der einzelnen Merkmale folgt hierbei dem Maßstab der objektiven Verkehrsanschauung und hängt im Zweifel immer vom Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse des Einzelfalls ab. Die Verflechtung ist dabei als eine Art sachliche Beziehung der jeweiligen Betätigung im Sinne eines inneren wirtschaftlichen Zusammenhangs zu sehen, so dass sich deren Ergänzung in Form einer wirtschaftlichen Einheit darstellt.6

7.141

d) Katalogbetriebe Unter Katalogbetrieben sind die Verkehrs- und Versorgungsbetriebe i.S.d. § 4 Abs. 3 KStG zu verstehen, die jederzeit und ohne weitere Prüfung einer Zusammenfassung i.S.d. § 4 Abs. 6 KStG zugänglich sind.7 § 4 Abs. 6 S. 1 Nr. 3 KStG ist dabei als reine Verweisungsnorm konzipiert.

7.142

V. Beginn, Erlöschen/Aufgabe der Steuerpflicht oder Insolvenz des Gewerbebetriebes Grundlegend beginnt die Steuerpflicht eines Gewerbebetriebes erst mit der Existenz sämtlicher materieller Voraussetzungen eines Solchen. Das bedeutet, dass ausschließlich aktiv werbende Betriebe i.S.d. § 2 Abs. 1 GewStG der Steuerpflicht unterliegen. Vorbereitungshandlun1 § 2 Abs. 1 S. 1 HS. 2 GewStDV. 2 Vgl. Schiffers, DStZ 2017 S. 305 (311). 3 So § 4 Abs. 6 S. 2 KStG für die Zusammenfassung im körperschaftsteuerlichen Kontext und Rechtsprechungsmeinung. 4 BFH v. 4.9.2002 – I R 42/01 BFH/NV 2003 S. 511; BFH v. 11.2.1997 – I R 161/94, BFH/NV 1997 S. 625. 5 Siehe auch Westendorf, Der BgA, C. III. 2. S. 210 ff. 6 BFH v. 4.9.2002 – I R 42/01 BFH/NV 2003 S. 511 m.w.N. 7 § 2 Abs. 1 S. 1 HS. 2 und S. 2 GewStDV.

Westendorf | 403

7.143

Kap. 7 Rz. 7.143 | Sonstige Einzelsteuergesetze

gen sind demnach ausgeschlossen.1 Selbst bei der Steuerpflicht kraft Rechtsform tritt die Gewerbesteuerpflicht spätestens im Zeitpunkt einer nach außen gerichteter Geschäftstätigkeit, bereits werbender Betrieb, ein.2 Dieser Zeitpunkt liegt in der Regel vor der Handelsregistereintragung.

7.144

Für Betriebe der öffentlichen Hand, hier Eigengesellschaften oder Regie- und Eigenbetriebe, gelten dieselben Regelungen wie für Einzelunternehmen, Personen- als auch Kapitalgesellschaften. Ein abweichender Regelungsbereich ist nicht vorhanden.3

7.145

Soweit eine hoheitliche Betätigung ohne Gewinnerzielungsabsicht, auch Betriebe gewerblicher Art, in eine Kapitalgesellschaft eingebracht wird – auch Formwechsel, beginnt die Gewerbesteuerpflicht erst im Zeitpunkt der Entstehung eines Gewerbebetriebes i.S.d. § 2 Abs. 1 GewStG.4

7.146

Der tatsächliche Beginn der Gewerbesteuerpflicht ist insbesondere bei gewerbesteuerlichen Verlustvorträgen von Relevanz und daher oft streitbefangen. Aus diesem Grund ist eine klare und eindeutige Dokumentation erforderlich.

7.147

Dagegen endet die Steuerpflicht mit der vollumfänglichen Einstellung des werbenden Betriebes. Eine kurzweilige Unterbrechung stellt in diesem Zusammenhang keine Einstellung dar.5 Bei Kapitalgesellschaften erlischt die Steuerpflicht erst im Zeitpunkt der Vermögensverteilung6, also mit Abschluss der Liquidation.7

7.148

Selbst in den Fällen einer Insolvenz ändert sich nichts an den o.g. Grundsätzen.8

7.149

Einzig und allein in den Fällen der steuerlichen Mitunternehmerschaft im Rahmen der Beteiligung an einer Personengesellschaft sind Besonderheiten zu beachten. Solange die Trägerkörperschaft als Mitunternehmer einer Personengesellschaft zu qualifizieren ist, zählt auch der Erlös aus der Veräußerung oder Aufgabe des Betriebs oder Teilbetriebs zum aktiven Gewerbeertrag i.S.d. § 7 S. 2 GewStG und unterliegt folglich der Gewerbesteuer.

VI. Gewerbeertrag und Freibetrag 7.150

Die Besteuerungsgrundlage im Rahmen der Gewerbesteuer ist der Gewerbeertrag.9 Gemäß § 7 S. 1 GewStG ist dieser auch bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts mit ihren stehenden Gewerbebetrieben i.S.d. § 2 Abs. 1 S. 1 GewStDV nach den Vorschriften des Einkommen- und Körperschaftsteuergesetzes für den Veranlagungszeitraum zu ermitteln. Ergänzend dazu sind Hinzurechnungen i.S.d. § 8 GewStG und Kürzungen i.S.d. § 9 GewStG in die Einkommensermittlung einzubeziehen.

1 R 2.5 Abs. 1 S. 1 und 2 GewStR 2009. 2 R 2.5 Abs. 2 S. 3 GewStR 2009. 3 BFH v. 12.5.2016 – IV R 1/13, BStBl. II 2017 S. 489; BFH v. 30.8.2012 – IV R 54/10, BStBl. II 2012 S. 927. 4 BFH v. 8.10.2008 – I R 3/06, BStBl. II 2010 S. 186. 5 R 2.6 Abs. 1 S. 3 und 5 GewStR 2009. 6 Gewerbeertrag bei Abwicklung und Insolvenz – beachte R 7.1. Abs. 8 GewStR 2009 und § 16 Abs. 1 und 2 GewStDV. 7 R 2.6 Abs. 2 S. 2 GewStR 2009. 8 R 2.6 Abs. 4 S. 1 und 2 GewStR 2009. 9 § 6 GewStG.

404 | Westendorf

A. Gewerbesteuer | Rz. 7.159 Kap. 7

Der Gewerbeertrag ist für jeden stehenden Gewerbebetrieb, nach Anwendung der Querverbundregelungen1, gesondert zu ermitteln. Eigengesellschaften unterliegen hierbei einer gesonderten Beurteilung, da jede Kapitalgesellschaft kraft Rechtsform einen stehenden Gewerbebetrieb unterhält.

7.151

Gemäß § 11 Abs. 1 S. 3 GewStG ist der Gewerbeertrag auf volle Hundert Euro nach unten abzurunden. Stehende Gewerbebetriebe der öffentlichen Hand, hier ausschließlich Eigen- und Regiebetriebe2, erhalten darüber hinaus einen Freibetrag i.H.v. 5.000€, max. in Höhe des gerundeten Gewerbeertrags. Die Erhöhung eines gewerbesteuerlichen Verlustvortrages ist durch die Nutzung des Freibetrages nicht möglich. Die Regelungen über die Anwendung des Freibetrages gelten ausdrücklich nicht für juristische Personen des Privatrechts i.S.d. § 2 Abs. 2 GewStG.

7.152

Im Rahmen der Spartenermittlung i.S.d. § 8 Abs. 9 KStG ist der Gewerbeertrag für jede Sparte gesondert zu ermitteln.3 Eine Ergebnisverrechnung, Verlustausgleich, findet spartenübergreifend nicht statt. Zudem ist der Freibetrag i.S.d. § 8 Nr. 1 GewStG nur einmalig für die gesamte Eigengesellschaft zu gewähren und entsprechend der im Verhältnis der einzelnen Sparten aufzuteilen. Die gleichen Grundsätze gelten auch für die Anwendung der Mindestbesteuerung i.S.d. § 10a S. 2 GewStG.4

7.153

Bei öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten gilt das nach § 8 Abs. 1 S. 3 KStG ermittelte Einkommen als Gewerbeertrag i.S.d. § 7 S. 1 GewStG, ohne die Bezugnahme von etwaigen Hinzu- und Abrechnungen i.S.d. §§ 8 und 9 GewStG.

7.154

§ 8 Abs. 1 S. 2 KStG weist diesbezüglich auf keine abweichende Ermittlung des Gewerbeertrages bei Betrieben der öffentlichen Hand hin.5

7.155

VII. Steuersatz Aufgrund des zweistufigen Verfahrens ist in einem ersten Schritt der Steuermessbetrag i.S.d. § 11 Abs. 1 S. 2 GewStG zu ermitteln. Dieser ergibt sich aus dem Gewerbeertrag i.S.d. § 7 GewStG und der darauf anzuwendenden Steuermesszahl von 3,5 % i.S.d. § 11 Abs. 2 GewStG.

7.156

Der Steuermessbetrag ist anschließend mit dem jeweiligen Hebesatz der Gemeinde zu multiplizieren. Der Hebesatz darf dabei den Mindestsatz von 200 % nicht unterschreiten.6

7.157

VIII. Verfahren Für die Festsetzung und Erhebung der Gewerbesteuern sind die Gemeinden zuständig, denen auch das Aufkommen als Gemeindesteuer i.S.d. § 1 GewStG zusteht.

7.158

In einem ersten Schritt ermittelt das örtliche Finanzamt den notwendigen Steuermessbetrag für den Erhebungszeitraum – in den meisten Fällen das Kalenderjahr.7 Erst im Anschluss ist

7.159

1 2 3 4 5 6 7

§ 2 Abs. 1 S. 1 HS. 2 GewStDV. Vgl. Westendorf, Der BgA, C. I. 1. Und 2. S. 190. § 7 S. 5 GewStG. BMF v. 12.11.2009 – IV C 7 - S 2706/08/10004, BStBl. I 2009 S. 1303 Tz. 96. BMF v. 12.11.2009 – IV C 7 - S 2706/08/10004, BStBl. I 2009 S. 1303 Tz. 95. § 16 Abs. 1 und 4 S. 1 GewStG. § 14 S. 1 GewStG.

Westendorf | 405

Kap. 7 Rz. 7.159 | Sonstige Einzelsteuergesetze

auf Grundlage des Steuermessbescheids i.S.d. § 16 Abs. 1 GewStG die Gewerbesteuer, unter Anwendung des Hebesatzes, durch die zuständige Gemeinde festzusetzen und zu erheben.

IX. Kleines ABC der Beispielsfälle 7.160

Die nachfolgende tabellarische Übersicht gibt Beispiele für Gewerbebetriebe der öffentlichen Hand wieder und stellt auch negative Abgrenzungen dar. Es gilt fortwährend die geltenden Tatbestände des § 15 Abs. 2 EStG zu beachten.

7.161

Stehende Gewerbebetriebe der öffentlichen Hand sind u.a.: – Auftragsforschung,1 – Bäderbetriebe,2 – Besichtigungstouren gegen Entgelt, – Beteiligung an Personengesellschaften – Mitunternehmerschaften,3 – Blockheizkraftwerke – Kraftwärmekopplungsanlagen, – Blutalkoholuntersuchungen,4 – Campingplatz,5 – Elektrizitätswerk,6 – Flughafenbetrieb,7 – Gaswerk,8 – Grabpflege und Blumenverkauf,9 – Gutachterausschüsse für Tätigkeiten bei Privatpersonen,10 – Hafenbetriebe,11 – kommunale Kindergärten,12 – Krematorien,13

1 H 4.5 KStH 2015 „Auftragsforschung“. 2 R 4.5 Abs. 5 KStR 2015; BFH v. 16.1.1967 – GrS 4/66, BStBl. III 1967 S. 240. 3 BFH v. 25.3.2015 – I R 52/13, BStBl. II 2016 S. 172, BMF v. 8.2.2016 – IV C 2 - S 2706/14/10001, BStBl. I 2016 S. 237. 4 BFH v. 14.3.1990 – I R 156/87, BStBl. II 1990 S. 866. 5 H 4.5 KStH 2015 „Campingplatz“; BFH v. 20.5.1960 – III 440/58 S, BStBl. III S. 368. 6 § 2 Abs. 1 S. 2 GewStDV. 7 § 7 S. 5 GewStG. 8 § 7 S. 5 GewStG. 9 H 4.5 KStH 2015 „Friedhofsverwaltung“; BFH v. 20.5.1960 – III 440/58 S, BStBl. III S. 368. 10 R 4.5 Abs. 9 KStR 2015. 11 § 7 S. 5 GewStG. 12 OFD Niedersachsen v. 15.1.2013 – S 2706 - 182 – St 241, DB 2013 S. 318; BFH v. 12.7.2012 – I R 106/10, BStBl. II 2012 S. 837. 13 BFH v. 29.10.2008 – I R 51/07, BStBl. II 2009 S. 1022; BFH v. 17.3.2005 I B 245/04 (NV), BFH/ NV 2005 S. 1135.

406 | Westendorf

A. Gewerbesteuer | Rz. 7.162 Kap. 7

– Kurbetriebe/-verwaltungen,1 – Marktbetriebe,2 – Museen, – Öffentliche Kantinen,3 – Parkhäuser, Parkraumbewirtschaftung nicht auf öffentlichen Straßen,4 – Stadthallenbetrieb, – Standplatzüberlassung,5 – Viehmärkte6 und – Wasserwerke.7

7.162

Keine stehenden Gewerbebetriebe der öffentlichen Hand sind dagegen: –

Abfallentsorgung,8

– Abwasserbeseitigung,9 – Anstalten zur Lebensmittelüberwachung und -untersuchung,10 – Arbeitsbetriebe von Straf- und Untersuchungshaftanstalten,11 – Bestattungswesen12 und Bestattungswälder,13 – Krematorien ohne Wettbewerbsbeeinträchtigungen,14 – Schlachthof der Gemeinde mit Schlachtzwang,15 – Verkauf von Dienstkraftfahrzeugen,16 – Vermessung- und Katasteramt,

1 R 4.5 Abs. 7 KStR 2015; so ähnlich auch BFH v. 3.8.2017 – V R 62/16, BFHE 259 S. 380; BFH v. 26.4.1990 – V R 166/84, BStBl. II S. 799; BFH v. 18.8.1988 – V R 18/83, BStBl. II 1988 S. 971. 2 BFH v. 7.11.2007 – I R 52/06, BStBl. II 2009 S. 248; BFH v. 17.5.2000 – I R 50/98, BStBl. II 2001 S. 558. 3 R 2.1 Abs. 6 S. 2 GewStR 2009 im Umkehrschluss. 4 R 4.5 Abs. 4 S. 2 KStR 2015; H 4.5 KStH 2015 „Parkraumbewirtschaftung“ m.w.N; BFH v. 9.4.2003 X R 21/00, BStBl. II 2003 S. 520. 5 BFH v. 17.5.2000 – I R 50/98, BStBl. II 2001 S. 558. 6 H 4.5 KStH 2015 „Viehmärkte“ m.w.N. 7 BFH v. 30.11.1989 – I R 79-80/86, BStBl. II 1990 S. 452; BFH v. 28.1.1988 – V R 112/86, BStBl. II S. 473. 8 R 4.5 Abs. 6 S. 1 KStR 2015. 9 BFH v. 7.11.2007 – I R 52/06, BStBl. II 2009 S. 248; BFH v. 27.6.2001 – I R 82-85/00, BStBl. II 2001 S. 773; BFH v. 8.1.1998 – V R 32/97, BStBl. II 1998 S. 410. 10 R 4.4 Abs. 1 S. 2 KStR 2015. 11 BFH v. 14.10.1964 – I 80/62 U, BStBl. III 1965 S. 95. 12 BFH v. 14.4.1983 – V R 3/79, BStBl. II 1983 S. 491. 13 OFD Niedersachsen v. 30.7.2012 – S 7168 - 113 – St 173, StEd 2012 S. 604. 14 BFH v. 29.10.2008 – I R 51/07, BStBl. II 2009 S. 1022. 15 R 4.5 Abs. 6 S. 1 KStR 2015. 16 R 4.4 Abs. 2 S. 2 KStR 2015.

Westendorf | 407

Kap. 7 Rz. 7.162 | Sonstige Einzelsteuergesetze

– Vermietung und Verpachtung von Flächen und unbeweglichen Wirtschaftsgütern, – Wasserbeschaffung1 im Gegensatz zur Wasserversorgung und – Wetterwarten.2

B. Grundsteuer I. Allgemeines 7.163

Die Grundsteuer ist neben der Gewerbesteuer einer der wesentlichsten Einnahmequellen einer Gemeinde. Sie fungiert ebenso als Gemeindesteuer.3 Im Kalenderjahr 2018 vereinnahmten die Gemeinden bundesweit ca. 14 Milliarden Euro.4

7.164

Den Grundsatz der Gemeindesteuern und Eigenverantwortlichkeitsgarantie gewährleistet auch hier der Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG.5

7.165

Das Hebesatzrecht erlaubt den Gemeinden ihr Grundsteueraufkommen eigenständig zu regulieren. Die Spanne im innerdeutschen Raum variiert dabei zwischen 0 % bis knapp über 1000 %, so dass Gemeinden mit einem hohen respektive gar keinem Grundsteueraufkommen zu verzeichnen sind.

II. Wesen der Grundsteuer 7.166

Der Wortlaut indiziert bereits die Vorstellung der wirtschaftlichen und haushalterischen Stellung der Grundsteuer mit ihrer Besteuerung inländischen Grundbesitzes und knüpft an diese als weitere Gemeindesteuer an. Sie stellt eine Realsteuer i.S.d. § 3 Abs. 2 AO dar. Sie besteuert den real zu erzielenden Ertrag aus dem Grundbesitz, ohne Rücksicht auf persönliche, sachliche oder wirtschaftliche Verhältnisse des Eigentümers. Sie wird auch als Sollertragsteuer oder Objektsteuer bezeichnet, da sie auf den lokalen Vermögensbestand abzielt und keinerlei persönliche Freibeträge kennt.6

7.167

Aufgrund des Objektsteuercharakters ist die Grundsteuer nicht konjunkturabhängig, so dass Einnahmen planbar und zukunftssicher zu kalkulieren sind.7

7.168

Den Gemeinden steht nach Art. 106 Abs. 6 GG das Aufkommen an der Grundsteuer als Gemeindesteuer zu, die mit zulässiger Hebesatzberechtigung i.S.d. § 1 Abs. 1 GrStG diese durch Grundsteuerbescheid festsetzen.8

7.169

Der Grundbesitz der öffentlichen Hand ist von einer Besteuerung nicht gänzlich auszunehmen. Der Objektsteuercharakter der Grundsteuer lässt eine grundlegende Selbstbesteuerung 1 2 3 4 5 6 7 8

BFH v. 2.3.2011 – XI R 65/07, BStBl. II 2017 S. 831. R 4.5 Abs. 6 S. 1 KStR 2015. § 1 GrStG. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/830404/umfrage/einnahmen-aus-der-grundsteuer: Informationsstand 30.8.2020. Vgl. hierzu übereinstimmende Erläuterungen zur Gewerbesteuer – Allgemeines S. 3. Vgl. Seer in Tipke/Lang24, Steuerrecht, § 16. Grund- Vermögensteuer Tz. 1. Vgl. Seer in Tipke/Lang24, Steuerrecht, § 16. Grund- Vermögensteuer Tz. 4. Art. 106 Abs. 6 S. 2 GG.

408 | Westendorf

B. Grundsteuer | Rz. 7.172 Kap. 7

zu, so dass einzelne Kommunen Grundsteuern an sich selbst entrichten. Der steuerpflichtige Tatbestand des Grundsteuergesetzes ist eindeutig auf die Nutzung und Verwendung des Grundbesitzes ausgerichtet und dogmatisch nicht prinzipiell als hoheitlich, nicht steuerpflichtig resp. steuerbefreit, einzustufen.1 Normbasierend sind nur Grundstücke der öffentlichen Hand von der Grundsteuer zu befreien, die bei der juristischen Person des öffentlichen Rechts einer tatsächlich hoheitlichen oder gemeinnützigen Nutzung unterliegen. Verfolgt die öffentliche Hand mit ihrem Grundbesitz jedoch wirtschaftliche Interessen, tritt insoweit eine Steuerbefreiung ausdrücklich hinter die Selbstbesteuerung zurück.2

III. Reform der GrSt wegen Verstoßes gg. Art. 3 GG Die bescheidmäßige Festsetzung der Grundsteuer, ebenso wie die Gewerbesteuer, vollzieht sich in einem mehrstufigen Besteuerungsverfahren. Die Finanzbehörden ermitteln den Grundbesitzwert des Grundvermögens und stellen diesen gesondert fest.3 Die auf den festgestellten Grundbesitzwert4 anzuwendende Steuermesszahl ergibt den Steuermessbetrag, auf den die Gemeinde den jeweiligen Hebesatz anwendet.5

7.170

Das Bundesverfassungsgericht hat mit seiner Entscheidung vom 10.4.2018 die Ermittlung des Einheitswertes für Grundvermögen auf den Hauptfeststellungszeitpunkt 1.1.1964 seit Beginn des Jahres 2002 für verfassungswidrig erklärt.6 Art. 3 GG verankert das Gebot der Gleichbehandlung, welches gleiches Grundvermögen einer gleichen Besteuerung unterwerfen soll und den Grundsatz des Lastenausgleichs voranstellt. Gegen dieses Gebot verstößt die gängige Praxis der Einheitswertbemessung aufgrund der Aussetzung neuer Hauptfeststellungen, da gleichartiges Grundvermögen einer unterschiedlichen Bewertung zugänglich war und nicht zu rechtfertigende Wertverzerrungen in Form von unterschiedlichen Grundsteuerlasten auslöste. In seinem Urteil hat das Bundesverfassungsgericht die folgenden weiterführenden Entscheidungen getroffen. Spätestens zum 31.12.2019 ist eine gesetzliche Neuregelung, u.a. bezüglich der Bemessung der Einheitswerte, zu implementieren. Ausschließlich die gesetzliche Neuregelung erlaubt die übergangsweise Fortgeltung der bisherigen Rechtslage bis 31.12.2024. Danach tritt die Neuregelung ab 1.1.2025 in Kraft.7

7.171

IV. Gesetz zur Reform der Grundsteuer (GrStRefG) Gem. Art. 105 Abs. 2 GG ist für die Grundsteuer die konkurrierende Gesetzgebung verfassungsrechtlich geboten.8 Mit dem Gesetz zur Reform der Grundsteuer9, verkündet am 2.12.2019, hat der Bund von seiner Gesetzgebungskompetenz Gebrauch gemacht. Die rechtzeitige Verabschiedung des GrStRefG hat zur Folge, dass Grundsteuern nach altem Recht bis einschließlich 2024 und nach neuem Recht ab 2025 zu bemessen und zu erheben 1 2 3 4 5 6 7 8 9

Vgl. Hidien in Hidien/Jürgens, Besteuerung der öffentlichen Hand § 10 B. Tz. 6 f. §§ 3 und 7 GrStG; vgl. auch R 4.5 Abs. 6 S. 1 KStR 2015. §§ 19 Abs. 1 und 3 BewG, 179 und 180 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO. In den alten Bundesländern werden die Einheitswerte auf den 1.1.1964 und in den neuen auf den 1.1.1935 ermittelt. §§ 13 Abs. 1 und 25 Abs. 1 GrStG. BVerfG v. 10.0.2018 – 1 BvL 11/14, 1 BvL 12/14, 1 BvL 1/15, 1 BvR 639/11 und 1 BvR 889/12, BVerfGE 148 S. 147-217. BVerfG v. 10.4.2018 – 1 BvL 11/14, 1 BvL 12/14, 1 BvL 1/15, 1 BvR 639/11 und 1 BvR 889/12, BVerfGE 148 S. 147-217 – Rz. 172 bis 179. BR-Drucks. 499/19B. Gesetz zur Reform des Grundsteuer- und Bewertungsrechts vom 26.11.2019, BGBl. I 2019 S. 1794.

Westendorf | 409

7.172

Kap. 7 Rz. 7.172 | Sonstige Einzelsteuergesetze

sind.1 Neben der allgemeinen Neuregelung zur Grundsteuer nahm der Gesetzgeber auch verfassungsrechtliche Änderungen vor, welche den einzelnen Bundesländern nunmehr eine Befugnis zu abweichenden Regelungen gem. Art. 125a Abs. 2 S. 2 und 72 Abs. 3 S. 1 Nr. 7 GG einräumt – Öffnungsklausel gilt ab 2025.2 Einige Länder, wie Bayern, Hamburg, Hessen, Sachsen und BadenWürttemberg, werden diese Regelung für sich umsetzen. Die Öffnungsklausel führt verwaltungsseitig zu mehr Verwaltungsaufwand als bei einer einheitlichen Anwendung des Bundesmodells.3

7.173

Durch das Gesetz zur Reform der Grundsteuer wurde das Grundsteuergesetz nicht grundlegend neu gefasst. Das ursprüngliche Verfahren4, Grundbesitzwert × Steuermesszahl × Hebesatz, ist unverändert geblieben.5 Lediglich die Steuermesszahl ist von 3,5 Promille auf 0,34 Promille abgeschmolzen worden.6 Nach den bisherigen politischen Aussagen soll eine Erhöhung der Grundsteuer vermieden werden, so dass rechnerisch eine quantitative Verzehnfachung der Grundbesitzwerte eintreten könnte und die Kommunen daraus resultierende Differenzen mit ihren Hebesätzen ausgleichen. Die dabei zur Anwendung gelangenden Steuerbefreiungs- und Erlassregelungen sind im Wesentlich identisch mit dem alten Grundsteuerrecht.

7.174

Neben den Anpassungen im GrStG führen die wesentlichen Änderungen zu einer Erweiterung des bewertungsrechtlichen Normenbereichs im siebten Abschnitt des Bewertungsrechts, welche es ab 1.1.2022 anzuwenden gilt.7 Die neuen Verfahrensregelungen sind ähnlich der vormals geltenden Normen konzipiert. Die Grundbesitzwerte sind weiterhin gesondert festzustellen, hier i.R.d. Hauptfeststellung8, Wert-, Art- oder Zurechnungsfortschreibungen9 oder Nachfeststellungen.10 Die Bewertungsverfahren differenzieren sich hierbei im Wesentlichen in das Verkehrswertverfahren für unbebaute Grundstücke i.S.d. § 247 Abs. 1 BewG und die Ertrags- und Sachwertverfahren für bebaute Grundstücke i.S.d. § 250 Abs. 1 BewG.11 Die eben genannten Bewertungsmethoden orientieren sich allesamt an den aktuellen Bodenrichtwerten, Nettokaltmieten oder an den Herstellungskosten des Gebäudes (abzgl. Alterswertminderung) zum jeweiligen Feststellungszeitpunkt.12 Die Grundsteuerwerte werden alle sieben Jahre neu festgestellt – vgl. dazu § 221 Abs.1 BewG. Auf diese Weise versucht der Gesetzgeber eine Neubewertung und verfassungsrechtliche Wertfeststellung im grundsteuerlichen Sinne herbeizuführen.

V. Hebeberechtigung 7.175

Die Erhebung der Grundsteuer i.S.d. § 1 GrStG steht allein den Gemeinden zu.13 Die alleinige Hebesatzberechtigung obliegt dabei den Gemeinden, die damit den Umfang ihrer Grundsteu1 BVerfG v. 10.4.2018 – 1 BvL 11/14, 1 BvL 12/14, 1 BvL 1/15, 1 BvR 639/11 und 1 BvR 889/12, BVerfGE 148 S. 147-217. 2 Vgl. Halaczinsky, jurisPR-SteuerR 1/2020 Anm. 1 C. I; so ähnlich auch Kirchhof, DStR 2020 S. 1073. 3 Vgl. Halaczinsky, jurisPR-SteuerR 1/2020 Anm. 1 E. I. 3. 4 Das alte Verfahren sah hier statt eines Grundbesitzwertes den Einheitswert vor. 5 § 13 S. 1 GrStG. 6 § 15 Abs. 1 Nr. 1 und 2 GrStG. 7 §§ 218 ff. BewG. 8 § 221 BewG. 9 § 222 BewG. 10 § 223 BewG. 11 Vgl. dazu BT-Drucks. 19/11085 v. 25.6.2019, Teil C. Nr. 2 S. 107. 12 Vgl. die Ausführungen zu den unterschiedlichen Bewertungsverfahren in der BT-Drucks. 19/ 11085 v. 25.6.2019, Teil C. Nr. 2 II. und III. ab S. 109 ff. 13 Vgl. auch Art. 106 Abs. 6 GG.

410 | Westendorf

B. Grundsteuer | Rz. 7.179 Kap. 7

ereinnahmen bestimmen. Über die Stadtstaatenregelung üben die Länder Berlin und Hamburg diese Befugnisse in Länderzuständigkeit aus.1 Allein mit der Feststellung der Hebesatzhöhe i.S.d. § 25 GrStG regeln die Gemeinden, ob Grundsteuern generell zu erheben sind.2 Ein Mindest- respektive Höchstsatz existiert ausdrücklich nicht. Die Grenzen liegen allein im Ermessen der Gemeinde und treten erst bei einer erdrosselnden Wirkung oder im Willkürverbot zu Tage.3 Dabei spielt es keine Rolle, ob der Steuergegenstand im Eigentum fremder oder im gemeindlichen Eigentum steht. Bei in öffentlichem Eigentum stehendem Grundbesitz tritt zwangsläufig eine Selbstbesteuerung ein.4 Bei gemeindefreiem Grundbesitz i.S.d. § 1 Abs. 3 GrStG, hier sind u.a. Wälder- und Wasserflächen und Truppenübungsplätze zu nennen, werden die Befugnisse durch die einzelnen Landesregierungen vorgegeben.5

7.176

VI. Steuergegenstand oder -objekt Die Steuerbarkeit der Grundsteuer ist allein auf das Steuerobjekt ausgerichtet, hier den inländischen Grundbesitz im Belegenheitsgebiet i.S.d. § 2 GrStG.6 Die Terminologie des Grundvermögens umfasst u.a. den Grund- und Boden, die Gebäude, die sonst. Bestandteile und das Zubehör.7 Die Eigentümerstellung als auch etwaige Sphärenzuordnungen zum Betriebsvermögen, bei gemeinnützigen Einrichtungen oder den einzelnen Sphären der öffentlichen Hand, hoheitlich, vermögensverwaltend oder wirtschaftlich, sind für die tatbestandsbasierende Einordnung nicht bedeutsam.8 Folglich unterliegt auch der im wirtschaftlichen oder rechtlichen Eigentum stehende Grundbesitz der öffentlichen Hand dem Steuerobjekttatbestand der Grundsteuer.9

7.177

Neben dem o.a. Grundbesitz des § 2 Nr. 2 GrStG unterliegen auch Betriebe der Land- und Forstwirtschaft, Betriebsgrundstücke sowie deren Gebäude und Gebäudebestandteile der Steuerbarkeit.10

7.178

Ausdrücklich nicht dazu zählen Maschinen und sonst. Vorrichtungen aller Art, die zu einer Betriebsanlage zählen.11 Die Betriebsvorrichtungen dienen dem unmittelbaren Betrieb des Unternehmens und sind nicht als fester Grundstücksbestandteil im grundsteuerlichen Sinne zu verstehen.12 Eine andere Beurteilung ergibt sich selbst dann nicht, wenn die Betriebsvorrichtung zivilrechtlich einen wesentlichen Bestandteil des Grund und Bodens oder des Gebäudes darstellt. Ferner muss zwischen der Anlage und dem Betriebsablauf ein besonders enger

7.179

1 § 1 Abs. 2 GrStG; A 1 S. 2 GrStR. 2 A 1 S. 3 GrStR. 3 FG Berlin Brandenburg v. 16.2.2011 – 3 K 3096/07, rkr. EFG 2011 S. 1277; auch VG Gelsenkirchen v. 25.10.2012 – 5 K 1137/12, https://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/vg_gelsenkirchen/j2012/5_K_ 1137_12urteil20121025.html. 4 BFH v. 18.11.2004 – V R 66/03 (NV), BFH/NV 2005 S. 710; BFH v. 15.3.2001 – II R 38/99 (NV), BFH/NV 2001 S. 1449. 5 Vgl. Kühnold in Lippross/Seibel, Basiskommentar Steuerrecht, GrStG, § 1 Tz. 7. 6 § 2 Nr. 1 und 2 GrStG; § 2 GrStG wurde das Gesetz zur Reform des Grundsteuer- und Bewertungsrechts geändert und ist ab dem 3.12.2019 anzuwenden – Grundsteuer-Reformgesetz v. 26.11.2019, BGBl. I 2019 S. 1794. 7 § 243 Abs. 1 Nr. 1 BewG. 8 So ähnlich zu den pers. Verhältnissen BFH v. 20.12.2002 – II B 44/02 (NV), BFH/NV 2003 S. 508. 9 Vgl. Hidien in Hidien/Jürgens, Besteuerung der öffentlichen Hand § 10 B. Tz. 9. 10 § 2 Nr. 1 GrStG. 11 § 243 Abs. 2 Nr. 2 BewG. 12 Gleichlautender Ländererlass vom 5.6.2013 – o. Az., BStBl. I 2013 S. 734.

Westendorf | 411

Kap. 7 Rz. 7.179 | Sonstige Einzelsteuergesetze

Zusammenhang herzustellen sein.1 Die Einordnung als Betriebsvorrichtung oder Grundstücksbestandteil sind elementare Bestandteile der Grundsteuer sowie deren Wertbemessung, sodass eine Orientierung am Gebäudebegriff zu erfolgen hat.2 Insbesondere die Herausforderungen der vorherigen Abgrenzung bei Betrieben der öffentlichen Hand sind angezeigt, da Betriebsvorrichtungen schon dem Grunde nach nicht der Grundsteuer unterliegen und vorher bewertungsrechtlich auszusondern sind.3

VII. Steuerbefreiungen best. Rechtsträger i.S.d. § 3 GrStG 1. Allgemeines 7.180

Auf die Grundsteuerbarkeit folgt die Grundsteuerpflicht, soweit keine Steuerbefreiungen auf der folgenden Stufe zur Anwendung gelangen. Juristische Personen des öffentlichen Rechts unterliegen mit ihrem Grundbesitz generell der Grundsteuer. Einzelne Grundbesitznutzungen sind jedoch von der Grundsteuer auszunehmen, da unterschiedliche Nutzungen verschiedene Grundsteuerbefreiungen herbeiführen. Die partielle Befreiung ist aufgrund des Objektsteuercharakters der Grundsteuer systemkonform und folgerichtig.4 Die Enumeration der Steuerbefreiungen in den §§ 3 bis 8 GrStG ist abschließend und objektbezogen zu bewerten.

7.181

§ 3 GrStG befreit u.a. den Grundbesitz der öffentlichen Hand5, der Kirchen und Religionsgemeinschaften, -gesellschaften und Dienstwohnungen der Geistlichen und Kirchendiener der vorgenannten Religionsgesellschaften, die allesamt Körperschaften des öffentlichen Rechts sind6, für Verwaltungsvermögen genutztes Bundeseisenbahnvermögen7 oder gemeinnützige Einrichtungen.8 Diese Voraussetzungen weisen den subjektiven Regelungscharakter aus, da im ersten Schritt die Eigentümerstellung des Rechtsträgers und die Grundbesitzwertzurechnung zu beurteilen sind.

7.182

Ferner treten im Rahmen des § 3 GrStG objektive Tatbestände hinzu. Darunter sind insbesondere die diversen unmittelbaren Grundbesitznutzungen für den öffentlichen Dienst oder Gebrauch sowie für steuerbegünstigte Zwecke zu verstehen.9 Diese unterliegen jedoch den Einschränkungen der Unmittelbarkeit des § 7 GrStG.

7.183

Unterschiedlichste Nutzungen sind insofern grundsteuerfrei, als dass sie anderen begünstigten juristischen Personen des öffentlichen Rechts zur Nutzung überlassen werden und einer zweckentsprechenden Nutzung unterliegen.10

7.184

Der Grundbesitz ist allein dem zivilrechtlichen Eigentümer zuzuordnen, jedoch schließt das wirtschaftliche Eigentum am Grundbesitz i.S.d. § 39 AO die Anwendung der vorgenannten Befreiungsvorschriften nicht aus.11 Anderweitige Zuordnungen und Miteigentümerstellungen 1 BFH v. 10.10.1990 – II R 171/87, BStBl. II 1991 S. 59; einige Abgrenzungsbeispiele LfSt Bayern vom 22.6.2006 – S 3190 – 2, SiS 064097; LfSt Bayern vom 21.6.2006 – o. Az., SiS 064098. 2 BFH v. 24.5.2007 – II R 68/05, BStBl. II 2008 S. 12. 3 Vgl. Hidien in Hidien/Jürgens, Besteuerung der öffentlichen Hand § 10 B. Tz. 10. 4 So auch Hidien in Hidien/Jürgens, Besteuerung der öffentlichen Hand § 10 B. Tz. 11. 5 Vgl. Seer in Tipke/Lang24, Steuerrecht zu §§ 3–8 GrStG Tz. 19 m.w.N.; § 3 Abs. 1 Nr. 1 GrStG. 6 § 3 Abs. 1 Nr. 4 bis 6 GrStG. 7 § 3 Abs. 1 Nr. 2 GrStG. 8 § 3 Abs. 1 Nr. 3 GrStG. 9 Vgl. Kühnold in Lippross/Seibel, Basiskommentar Steuerrecht, GrStG, § 3 Tz. 1; A 6 Abs. 1 GrStR. 10 A 6 Abs. 2 GrStR. 11 A 6 Abs. 3 GrStR.

412 | Westendorf

B. Grundsteuer | Rz. 7.189 Kap. 7

der öffentlichen Hand stellen sich dagegen befreiungsschädlich dar. Selbst die gewerbliche und kommerzielle Nutzung durch die öffentliche Hand ist hierbei als befreiungsschädlich anzusehen.1

2. Rechtsträger in Form inländischer juristischer Personen des öffentlichen Rechts a) Grundsatz Der grundlegend subjektiv ausgestaltete Tatbestand der Rechtsträgerschaft ist im Rahmen der Grundsteuerbefreiungen, mit wenigen Ausnahmen, auf inländische juristische Personen des öffentlichen Rechts beschränkt. Ausschließlich Rechtsträger der öffentlichen Hand sind für das Befreiungsprivileg des § 3 GrStG vorgesehen. Die normativen Ausnahmen beziehen sich im Wesentlichen auf steuerbegünstigte Körperschaften und Personenvereinigungen sowie auf Religionsgesellschaften, welche den jüdischen Kultusgemeinden gleichstehen.

7.185

Dagegen unterliegen bestimmte juristische Personen des öffentlichen Rechts mit ihrem Grundbesitz, hier die Kassenärztliche Vereinigung und deren Bundesvereinigung, ebenfalls der Grundsteuer.2

7.186

b) Juristische Person des öffentlichen Rechts (jPdöR) Die Terminologie des § 3 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 GrStG befreit ausschließlich Grundbesitz von juristischen Personen des öffentlichen Rechts. Die Begriffsbestimmung ist gleichbedeutend mit den körperschaftsteuerlichen Regelungen auszulegen, so dass für weitere erläuternde Differenzierungen ein Rückgriff auf § 4 KStG erfolgt. Die herrschende Meinung sieht hier einen Gleichklang der Termini, da sowohl die Finanzverwaltung, der Gesetzgeber und die Rechtsprechung diese Definition in gleicher Weise vertreten.3

7.187

Als juristische Personen des öffentlichen Rechts sind dabei Organisations- und Struktureinheiten der öffentlichen Hand zu verstehen, die Träger von Rechten und Pflichten staatlichen Handelns sein können. Hierunter fallen sämtliche staatlichen Aufgaben, öffentliche Befugnisse und sonstigen Verwaltungszuständigkeiten. Die Eigenschaft wird ihnen durch gesetzlichen Hoheitsakt (Bundes- oder Landesrecht) verliehen, welcher auf Gesetz, Verordnung oder einem Verwaltungsakt beruht.4 Ferner ist die Begründung einer juristischen Person des öffentlichen Rechts auch nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen, der Verwaltungsübung oder der geschichtlichen Entwicklung zu beurteilen.5

7.188

Ist der gesetzliche Hoheitsakt fragwürdig oder die Eigenschaft einer juristischen Person des öffentlichen Rechts zweifelhaft respektive nicht eindeutig feststellbar, sind die Finanzbehörden ermittlungspflichtig. Im Zweifelsfall ist ein Auskunftsersuchen an die zuständige aufsichtsführende Landes- oder Bundesbehörde erforderlich und sachdienlich.6

7.189

1 Vgl. Kühnold in Lippross/Seibel, Basiskommentar Steuerrecht, GrStG, § 3 Tz. 1 und 2 m.w. Fallbeispielen. 2 § 3 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 GrStG. 3 A 7 Abs. 1 und 2 GrStR; R 4.1. Abs. 1 KStR 2015. 4 Näheres und ausführlicher dazu Musil in Mössner/Seeger/Oellerich4, KStG Kommentar, § 4 Tz. 26; so ähnlich auch Westendorf, BgA S. 119 f. 5 BFH v. 5.9.1958 – III 179/57 U, BStBl. III 1958 S. 478. 6 BFH v. 1.3.1951 – I 52/50 U, BStBl. III 1951 S. 120.

Westendorf | 413

Kap. 7 Rz. 7.190 | Sonstige Einzelsteuergesetze

7.190

Der Terminus umfasst sämtliche Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts. Dieser beinhaltet insbesondere auch Gebietskörperschaften (Bund, Länder, Städte, Gemeinden, Gemeindeverbände), Zweckverbände, die öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften und Sparkassen (Personalkörperschaften), die Innungen, Handwerkskammern, Industrie- und Handwerkskammern und sonstige Gebilde, denen auf öffentlich-rechtlicher Grundlage eigene Rechtspersönlichkeit zusteht.1

7.191

Ausdrücklich nicht dazu zählen teilrechtsfähige Gebilde.2 c) Inländische jPdöR

7.192

Ferner stellen die grundsteuerliche Dogmatik und der Tatbestand des § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 GrStG ausdrücklich auf inländische juristische Personen des öffentlichen Rechts ab. Folgerichtig unterliegen ausländische juristische Personen des öffentlichen Rechts nicht der subjektiven Steuerbefreiung im Rahmen ihrer öffentlich-rechtlichen Rechtsträgereigenschaft.3 Dagegen bleiben die objektiven Merkmale der Grundsteuerbefreiung unberührt.

7.193

Neben dem Grundsatz der grundsteuerlichen Inlandsbezogenheit gelten für ausländische juristische Personen des öffentlichen Rechts eine ganze Reihe weiterer Ausnahmen. Einerseits wird hoheitlich genutzter inländischer Grundbesitz von ausländischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts von der Besteuerung ausgenommen. Diesbezüglich gelangen multinationale und völkerrechtliche Verträge zur Anwendung, die vor- und höherrangiges Recht darstellen und direkt anzuwenden sind.4 Insbesondere das Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen (WÜD)5 oder das Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen (WÜK)6 stellen hoheitlich genutzten inländischen Grundbesitz von konsularischen und diplomatischen Einrichtungen grundsteuerfrei. Dies gilt auch für Staaten die nicht dem o.g. Abkommen beigetreten sind, jedoch Gegenseitigkeit gewähren.7 Dahingegen ist privater Grundbesitz ausländischer Diplomaten, mangels hoheitlicher Nutzung, steuerpflichtig.8

7.194

Ausnahmen gelten ferner auch für zu Wohnzwecken genutzten Grundbesitz von ausländischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts, sobald ein hoheitlicher Nutzungszusammenhang herzustellen ist. Dies gilt insbesondere für zu Wohnzwecken genutzten Grundbesitz des Entsendestaates oder einer für diesen handelnden Personen. Die auf Gegenseitigkeit angelegte Befreiung ist tatbestandsmäßige Grundvoraussetzung und gilt nicht nur für die Grundsteuer, sondern ebenso für die Einkommensteuer.9

7.195

Andererseits werden anderen amtlich anerkannten zwischenstaatlichen Organisationen sowie Einrichtungen ausländischer Staaten und ausländischen Wohlfahrtsorganisationen aufgrund von zwischenstaatlichen Vereinbarungen und besonderer gesetzlicher Regelungen Grundsteu1 2 3 4 5 6 7 8 9

A 7 Abs. 1 GrStR; so auch R 4.1. Abs. 1 KStR 2015. Vgl. Musil in Mössner/Seeger/Oellerich4, KStG Kommentar, § 4 Tz. 28. A 7 Abs. 3 S. 1 GrStR. Art. 25 GG. Art. 1 Abs. 1 lit. i, 23 Abs. 1 und 34 WÜD vom 18.4.1961, BGBl. II 1964 S. 959. Art. 1 Abs. 1 lit. j, 31 Abs. 1 und 60 Abs. 1 WÜK v. 24.4.1963, BGBl. II 1969 S. 1587. A 29 Abs. 1 und 2 GrStR. A 29 Abs. 2 S. 5 GrStR. § 1 Abs. 1 Verordnung über die Gewährung von Steuerbefreiungen für Grundbesitz ausländischer Staaten, der für Wohnzwecke des Personals diplomatischer Missionen und konsularischer Vertretungen benutzt wird vom 11.11.1981, BGBl. II 1981 S. 1002.

414 | Westendorf

B. Grundsteuer | Rz. 7.200 Kap. 7

erbefreiungen eingeräumt.1 Neben den eben genannten Grundsteuerbefreiungen existieren weitere Ertragsteuerbefreiungen aufgrund internationaler und völkerrechtlicher Verträge für eine Vielzahl international tätiger Organisationen.2 Die Befreiung von der Grundsteuer ist nur unter den o.g. Voraussetzungen zulässig. Originäre Nutzungsüberlassungen3 inländischen Grundbesitzes an ausländische oder international tätige Organisationen sind bei einer nicht hoheitlichen Betätigung seitens der inländischen juristischen Person des öffentlichen Rechts, Überlassung auf privatrechtlicher und nicht auf zwischenstaatlicher Grundlage, befreiungsschädlich.4 In dieser Konstellation ist eine tatbestandsmäßige Gleichstellung des Nutzenden mit einer inländischen juristischen Person des öffentlichen Rechts unzulässig.5

7.196

3. Sonst. Rechtsträger Neben den juristischen Personen des öffentlichen Rechts befreit § 3 GrStG u.a. auch private Rechtsträger – vgl. § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 lit. b. GrStG. Grundvoraussetzung ist eine ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Betätigung i.S.d. §§ 51 ff. AO, mit Ausnahme des § 54 AO, und eine zweckentsprechende und tatsächliche Grundbesitznutzung.

7.197

Die allgemein geltenden subjektiven Regelungen des Gemeinnützigkeitsrechts sind für die Grundsteuer zu übernehmen. Die begünstigenden Voraussetzungen werden seitens der Finanzverwaltung ohne weitere Prüfung anerkannt, sobald die Gesellschaft die Berechtigung zur Ausgabe von Spendenbescheinigungen i.S.d. § 10b EStG in Verbindung mit § 48 Abs. 2 und 3 EStDV aufweist.6

7.198

Neben den juristischen Personen des Privatrechts mit privater Inhaberschaft erfüllen auch Eigengesellschaften den normativen Tatbestand, soweit sie sich hoheitlich oder gemeinnützig und somit steuerbegünstigend betätigen.7 Bei diesen Gesellschaften liegt die Anteilsinhaberschaft bei der öffentlichen Hand.8 Im Wesentlichen grenzen sich diese durch ihre vollumfängliche Rechtsfähigkeit und Eigenständigkeit gegenüber den integrierten Eigen- oder Regiebetrieben der öffentlichen Hand ab und unterliegen einem gesellschaftsrechtlich formellen Gründungsprozedere.

7.199

§ 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 lit. b. GrStG verlangt ausdrücklich die tatbestandsbasierende und kumulative Existenz der gemeinnützigen Gesellschaft und deren gemeinnütziger Grundbesitznutzung. Soweit bei der juristischen Person des Privatrechts eines der o.g. Merkmale nicht vorliegt, gelangt die Grundsteuerbefreiung mangels begünstigter Trägereigenschaft nicht zur Anwendung. Ausnahmen sind nur im Rahmen von sogenannten Öffentlich Privaten Partnerschaften (ÖPP) i.S.d. § 3 Abs. 1 S. 3 GrStG oder subsidiär-rechtlich in den §§ 4 ff. GrStG vor-

7.200

1 A 7 Abs. 5 GrStR. 2 BMF v. 18.3.2013 – IV B 4 - S 1311/07/10039, BStBl. I 2013 S. 404. 3 §§ 535 und 581 BGB – ganz gleich, ob eine entgeltliche oder unentgeltliche Überlassung stattfindet. 4 BFH v. 4.10.1989 – II R 49/87, BStBl. II 1990 S. 189; so ähnlich BFH v. 14.1.1972 – III R 50/69, BStBl. II 1972 S. 318. 5 Nähere Ausführungen beim subj. und obj. Zusammenhang unter Nr. 3. ab S. 47; § 3 Abs. 1 S. 2 GrStG; auch Hidien in Hidien/Jürgens, Besteuerung der öffentlichen Hand § 10 B. Tz. 54 und 55. 6 A 12 Abs. 1 und 2 GrStR. 7 BFH v. 27.11.2013 – I R 17/12, BStBl. II 2016 S. 68; so auch Musil, FR 2014 S. 825 m.w.N. 8 Überwiegend kommunalrechtlicher Begriff – näheres hierzu vgl. Westendorf, BgA S. 195 ff.

Westendorf | 415

Kap. 7 Rz. 7.200 | Sonstige Einzelsteuergesetze

gesehen.1 Die Ausnahmen der ÖPP gelten jedoch nur insoweit, als dass ein nicht begünstigter Rechtsträger den ihm zuzurechnenden Grundbesitz einer juristischen Person des öffentlichen Rechts für seine hoheitliche Betätigung überlässt.2 Die umgekehrte Konstellation erfüllt hingegen nicht die Merkmale der Ausnahmeregelung.3

4. Subjektiver und objektiver Zusammenhang zum Grundbesitz a) Zusammenspiel des subj. und objekt. Tatbestandes

7.201

Die Befreiungsregelungen der Grundsteuer sind von subjektiven und objektiven Zusammenhängen geprägt. Weder der allein zu betrachtende subjektive noch der objektive Tatbestand vermögen die Befreiungen im grundsteuerlichen Sinne herbeizuführen. Allein das Zusammenspiel beider Merkmale i.S.d. § 3 Abs. 1 S. 2 GrStG ist für eine Grundsteuerbefreiung entscheidend. Im weiteren Sinne unterbindet die kumulative Anwendung beider Tatbestände das Auseinanderfallen zwischen zivilrechtlichen oder wirtschaftlichen Eigentümer als Zurechnungssubjekt mit dem tatsächlichen Träger der objektiven Nutzung.4 Im engeren Sinne beinhaltet die Ausgestaltung des § 3 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 GrStG vereinzelte Nutzungsüberlassungen an die in § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 GrStG aufgeführten und begünstigten Rechtsträger.

7.202

Der grundsteuerlichen Systematik folgend stellt § 3 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 GrStG das Bindeglied zwischen den begünstigten Rechtsträgern dar. Nicht nur innerhalb einzelner Ziffern, sondern auch ziffernübergreifende Freistellungen sind deshalb möglich. Mithin stellt der subjektive Tatbestand des § 3 Abs. 1 GrStG nur juristische Personen des öffentlichen Rechts und gemeinnützige Körperschaften des Privatrechts steuerfrei. Zusätzlich schränkt er objektive Grundbesitznutzungen auf hoheitliche, kirchliche und gemeinnützige Zwecke ein.5 Anderweitige Nutzungen schließt § 3 GrStG aus. b) Subjektive Zurechnungen der 1. und 2. Alternative

7.203

Die Grundsteuerbefreiung hängt im Wesentlichen mit der subjektiven Zurechnung und objektiven Nutzung des Grundbesitzes i.S.d. § 3 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 GrStG zusammen.

7.204

Der grundlegende Tatbestand der ersten Alternative bedarf der Eigentümerstellung des begünstigten Rechtsträgers. Soweit der begünstigte Rechtsträger auch Eigentümer des begünstigten Grundbesitzes ist und diesen zweckentsprechend i.S.d. § 3 Abs. 2 S. 1 GrStG nutzt, geht die Rechtsprechung von einer Rechtsträgeridentität aus.6 Dieselben Voraussetzungen gelten auch beim wirtschaftlichen Eigentümer.7 Die erste Alternative des § 3 Abs. 1 S. 2 GrStG wäre folgerichtig anwendbar. 1 Vgl. Hidien in Hidien/Jürgens, Besteuerung der öffentlichen Hand § 10 B. Tz. 56. 2 A 6 Abs. 2 S. 1 GrStR. 3 BFH v. 6.12.2017 – II R 26/15 (NV), BFH/NV 2018 S. 453; BFH v. 27.9.2017 – II R 13/15, BStBl. II 2018 S. 768; BFH v. 27.9.2017 – II R 14/15 (NV), BFH/NV 2018 S. 56; BFH v. 16.12.2009 – II R 29/08, BStBl. II 2010 S. 829; auch Hidien in Hidien/Jürgens, Besteuerung der öffentlichen Hand § 10 B. Tz. 57 f.; vgl. hierzu auch die Ausführungen zu den ÖPP Nr. 3. c. auf S. 49. 4 § 3 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 GrStG; so ähnlich auch Kühnold in Lippross/Seibel, Basiskommentar Steuerrecht, GrStG, § 3 Tz. 33. 5 Vgl. Hidien in Hidien/Jürgens, Besteuerung der öffentlichen Hand § 10 B. Tz. 63. 6 BFH v. 6.12.2017 – II R 26/15 (NV), BFH/NV 2018 S. 453; BFH v. 27.9.2017 – II R 13/15, BStBl. II 2018 S. 768; BFH v. 16.12.2009 – II R 29/08, BStBl. II 2010 S. 829; so auch § 4 Nr. 6 S. 2 GrStG. 7 A 6 Abs. 3 GrStR.

416 | Westendorf

B. Grundsteuer | Rz. 7.209 Kap. 7

Die alleinige Anwendung der ersten Alternative wäre für Nutzungsüberlassungen als Befreiungshemmnis zu werten. Demzufolge umfasst § 3 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 GrStG insoweit nicht die Rechtsträgeridentität der ersten Alternative, sondern gewährt die Steuerbefreiung auch auf reine Nutzungsüberlassungen an andere begünstigte Rechtsträger des § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bis 6 GrStG. Die Entgeltlichkeit des Rechtsgeschäfts ist insoweit nicht zu beurteilen.1 Für die Anwendung der zweiten Alternative sowie beim Auseinanderfallen der Rechtsträgeridentität müssen sämtliche Rechtsträger subjektiv begünstigt sein und eine tatsächlich objektive begünstigungswürdige Grundbesitznutzung aufweisen. Ausschließlich Rechtsträger in Form von juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder gemeinnützige inländischen Körperschaften partizipieren von dieser Regelung.2 Weitere Rechtsträger umfasst die Norm ausdrücklich nicht.

7.205

c) Objektive Nutzung Neben der subjektiven Zurechnung ist der Grundbesitz einer objektiv begünstigenden Zwecknutzung zuzuführen.3 Darunter ist die unmittelbare und tatsächliche Zuführung des Steuergegenstandes an den Nutzungszweck zu verstehen.4

7.206

Reine Nutzungsüberlassungen der öffentlichen Hand, im Rahmen der Vermietung und Verpachtung oder der Einräumung eines Erbbaurechts, stellen keine begünstigungsfähigen hoheitlichen Nutzungen dar. Ausnahmen bilden hier ausschließlich die Überlassungen an die o.a. Rechtsträger i.S.d. § 3 Abs. 1 GrStG.5 Nutzungsüberlassungen stellen keine unmittelbaren und grundsteuerspezifischen Nutzungen dar, sondern verwirklichen in erster Linie eine weitere und tatsächliche Nutzung des Besteuerungsgegenstandes. Hingegen sind reine Hilfsgeschäfte von der generellen Überlassung auszunehmen.6 Etwaige Steuervereinbarungen wären unzulässig.

7.207

Die Rechtsträgeridentität verbunden mit einer objektiv begünstigten Zwecknutzung gewährleistet die alleinige Grundsteuerbefreiung der öffentlichen Hand. Weiterführende Zuordnungen und Befreiungen auf Ebene der ihr untergeordneten Eigengesellschaften sieht das Gesetz nicht vor, soweit diese Gesellschaften nicht selbst begünstigungsfähige Rechtsträger i.S.d. § 3 Abs.1 GrStG darstellen respektive ihre Nutzung nicht unmittelbar der öffentlichen Hand zuzuordnen ist. Die hierbei entstehende Begünstigung der öffentlichen Hand i.S.d. § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und § 3 Abs. 1 S. 2 GrStG ist verfassungskonform und verstößt damit nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG.7

7.208

d) Öffentlich Private Partnerschaft (ÖPP) § 3 Abs. 1 S. 3 GrStG regelt, entgegen dem Grundsatz der Rechtsträgeridentität, eine steuerbefreiende Ausnahme für öffentlich private Partnerschaften.8 Die Regelung befreit eben1 2 3 4 5 6 7

A 6 Abs. 2 S. 2 GrStR. Vgl. Hidien in Hidien/Jürgens, Besteuerung der öffentlichen Hand § 10 B. Tz. 60. A 6 Abs. 1 Nr. 2 GrStR. BFH v. 29.3.1968 – III 213/64, BStBl. II 1968 S. 499. A 12 Abs. 6 Nr. 5 S. 2 GrStR. BFH v. 16.12.2009 – II R 29/08, BStBl. II 2010 S. 829 m.w.N. Weiterführende Begründung zur Verfassungsmäßigkeit und rechtlichen Auslegung – vgl. BFH v. 16.12.2009 – II R 29/08, BStBl. II 2010 S. 829 m.w.N. 8 Eingefügt durch das Gesetz zur Beschleunigung der Umsetzung von Öffentlich Privaten Partnerschaften und zur Verbesserung gesetzlicher Rahmenbedingungen für Öffentlich Private Partnerschaften vom 1.9.2005, BGBl. I 2005 S. 2676.

Westendorf | 417

7.209

Kap. 7 Rz. 7.209 | Sonstige Einzelsteuergesetze

so Grundbesitz, welcher von einem nicht begünstigten Rechtsträger im Rahmen einer öffentlich privaten Partnerschaft einer juristischen Person des öffentlichen Rechts für einen öffentlichen Dienst oder Gebrauch überlassen wird. Ein Übergang des zivilrechtlichen Eigentums zum Vertragsende ist dafür zwingend erforderlich.1 Ohne tatsächliche Übertragungen respektive vertraglich vereinbarte Optionsrechte zum Vertragsende wären ÖPP grundsteuerpflichtig.2

7.210

Von der grundlegenden Ausnahme sind insbesondere vertragliche Konstellationen zu differenzieren, die der öffentlichen Hand bereits das wirtschaftliche Eigentum i.S.d. § 39 Abs. 2 S. 1 AO zusichern. In solchen Fällen besitzt die Ausnahmeregelung des § 3 Abs. 1 S. 3 GrStG lediglich deklaratorische Bedeutung.3

7.211

Öffentlich private Partnerschaften dienen insbesondere der Zusammenarbeit zwischen der öffentlichen Hand und privaten Wirtschaftsunternehmen. Diese Art des Wirtschaftens soll im Wesentlichen die Effizienz und die Ressourcen der beiden Partner aufgreifen, einen gegenseitigen Nutzen erzielen und die beiderseitigen Betätigungen in einen Organisationszusammenhang stellen. Das Ziel solcher Partnerschaften liegt insbesondere in der Senkung von Finanzierungskosten für die Erhaltung und Erneuerung sowie effizienteren Ausgestaltung im Rahmen der Infrastrukturabgabe begründet.4

7.212

Typische Anwendungsbeispiele für ÖPP sind dabei der Bau, die Erhaltung und Sanierung von Schulen, Hochschulen, Verwaltungsgebäuden, Krankenhäusern und Justizvollzugsanstalten sowie Bundesstraßen und Autobahnen und die damit einhergehende Refinanzierung über private Entgelte oder öffentlich-rechtliche Gebühren.5 Diese Beispiele sichern neben der öffentlichen Hand auch privaten Wirtschaftsunternehmen eine geltende und belastungsausgleichende Grundsteuerbefreiung zu.

7.213

Mangels begünstigungsfähiger Rechtsträger unterliegen reine Privatisierungen nicht der Ausnahmeregelung des § 3 Abs. 1 S. 3 GrStG.6

7.214

Selbst objektiv fehlerhafte und befreiungsschädliche Grundbesitznutzungen im Rahmen eines ÖPP sind anzeige- und veranlagungspflichtig.7

5. Einzelne Steuerbefreiungen i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 GrStG und deren Ausnahmen a) Allgemeines

7.215

Der Aufbau der Norm des § 3 Abs. 1 GrStG ist vielschichtig und unterscheidet im Wesentlichen die juristischen Personen des öffentlichen Rechts von den gemeinnützigen Körperschaften. Allesamt unterliegen einer subjektiven und objektiven Zurechnung des Grundbesit1 2 3 4

§ 3 Abs. 1 S. 2 GrStG. BFH v. 6.12.2017 – II R 26/15 (NV), BFH/NV 2018 S. 453. BT-Drucks. 15/5668 v. 14.6.2005 – zu Artikel 6 S. 17. BT-Drucks. 15/5668 v. 14.6.2005 – A S. 1; vgl. Kühnold in Lippross/Seibel, Basiskommentar Steuerrecht, GrStG, § 3 Tz. 34; Hidien in Hidien/Jürgens, Besteuerung der öffentlichen Hand § 10 B. Tz. 69 und 72. 5 BT-Drucks. 15/5668 v. 14.6.2005 – B S. 2. 6 BFH v. 16.12.2009 – II R 29/08, BStBl. II 2010 S. 829 m.w.N. 7 §§ 18 Abs. 1 und 3 S. 2 Nr. 2 sowie 19 GrStG; ähnlich BFH v. 22.5.2019 – II R 24/16, BStBl. II 2020 S. 157.

418 | Westendorf

B. Grundsteuer | Rz. 7.219 Kap. 7

zes, um eine Grundsteuerbefreiung tatbestandsmäßig zu gewährleisten. Mit Ausnahme der ÖPP unterliegen keine weiteren Rechtsträger dieser Begünstigungsnorm. b) Juristische Personen des öffentlichen Rechts Der Vollständigkeit halber vergleichen Sie hierzu bitte die Ausführungen zum Punkt B. VII. 1. ab Rz. 7.185 und die ergänzenden Einschränkungen zur hoheitlichen Betätigung unter Punkt B. VII. 6. ab Rz. 7.245 und B. VII. 7. ab Rz. 7.263.

7.216

c) Ausnahme der Vertretungen/Verbände und Vereinigungen Die Grundsteuerbefreiung des § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 GrStG umfasst ausdrücklich nicht den Grundbesitz von Berufsvertretungen, Berufsverbänden und den kassenärztlichen Vereinigungen sowie deren Bundesvereinigung.1 Die gesetzmäßige Ausnahme ist rechtsystematisch korrekt gewählt, da in einer Vielzahl der Fälle die o.a. Personenzusammenschlüsse Körperschaften des öffentlichen Rechts darstellen und teilweise mit hoheitlichen Aufgaben betraut sind. Der Ausschluss der Grundsteuerbefreiung steht hier für eine steuerliche Gleichstellung respektive Schlechterstellung gegenüber anderen privatrechtlichen Berufsvertretungen2 oder dem fehlenden Wahrnehmungszweck der Allgemeinheit ein.3

7.217

Die aufgeführten Gruppen unterteilen sich einerseits in die Vertretungen und Verbände sowie in die kassenärztlichen Vereinigungen andererseits. Die erste Gruppe zählt überwiegend zu den juristischen Personen des öffentlichen Rechts und nimmt im erforderlichen Maße hoheitliche Aufgaben wahr. Verbände und Vertretungen sind überwiegend Zusammenschlüsse von natürlichen oder juristischen Personen, die allgemeine, berufliche sowie unternehmerische oder ideelle Interessen wahrnehmen und nach außen hin vertreten.4 Dazu zählen u.a. Kammern5, hier insbesondere die Rechtsanwalts-, Ärzte-, Steuerberater-, Wirtschaftsprüfer-, die Handwerks- und Industrie- und Handelskammer, aber auch die Handwerksinnungen oder Kreishandwerkerschaften.6 Ebenso fällt darunter die Landwirtschaftskammer des Landes Nordrhein-Westfalen.7 Weitere Landwirtschaftskammern anderen Bundesländer werden hingegen nicht als Berufsvertretung im rechtliche Sinne angesehen.

7.218

Die zweite Gruppe umfasst insoweit die kassenärztlichen und kassenzahnärztlichen Vereinigungen und die übergeordnet tätigen Bundesvereinigungen. Sie sind Körperschaften des öffentlichen Rechts.8 Sie nehmen keine grundlegenden Interessen der Allgemeinheit, sondern vordergründig die der Kassenärzte gegenüber den Krankenkassen, wahr.9 Demzufolge unterliegt der subjektiv und objektiv zurechenbare Grundbesitz solcher Einrichtungen ebenfalls nicht der Grundsteuerbefreiung.10

7.219

1 § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 2 GrStG. 2 Hierunter zählen private Berufsverbände der Arbeitgeber und Arbeitnehmer, insbesondere Gewerkschaften, sowie Wirtschaftsverbände und weiterer – R 5.7 Abs. 2 KStR 2014. 3 BT-Drucks. VI 3418 S. 78 – zu § 3 Abs. 1 Nr. 1. 4 Erläuternd dazu R 5.7 Abs. 1 KStR 2014. 5 FG München v. 3.3.2004 – 4 K 676/03, EFG 2004 S. 1859. 6 BFH v. 18.11.1955 – III 92/54 U, BStBl. III 1955 S. 398. 7 BFH v. 31.7.1985 – II R 242/82, BStBl. II 1985 S. 681. 8 § 77 Abs. 5 SGV V. 9 BT-Drucks. VI 3418 S. 78 – zu § 3 Abs. 1 Nr. 1; § 77 SGB V und BFH v. 15.7.1960 – III 383/58 S, BStBl. III 1960 S. 499; 10 BFH v. 31.7.1985 – II R 242/82, BStBl. II 1985 S. 681; FG München v. 3.3.2004 – 4 K 676/03, EFG 2004 S. 1859.

Westendorf | 419

Kap. 7 Rz. 7.220 | Sonstige Einzelsteuergesetze

d) Bundeseisenbahnvermögen

7.220

Die Befreiung des Bundeseisenbahnvermögens i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 2 GrStG gilt nur eingeschränkt und nicht allumfassend für den Grundbesitz der Deutschen Bundesbahn. Ausschließlich der für Verwaltungszwecke genutzte Grundbesitz und ihrer Behörden unterliegt der Steuerbefreiung.1 Auch nach der Privatisierung und Übertragung auf die Deutsche Bahn AG ist die Eisenbahnverwaltung weiterhin eine Einrichtung des Bundes i.S.d Art. 143a Abs. 2 GG. Ihre Aufgabe besteht in der Verwaltung der nicht betriebsnotwendigen Grundstücke der Deutschen Bundesbahn. Neben dem grundlegenden Verwaltungszweck umfasst die Steuerbefreiung der §§ 7 und 8 GrStG auch die zugehörigen Kantinen und Bereitschaftsräume.2 Hierbei ist von einer rein hoheitlichen Betätigung im weiteren Sinne auszugehen, so dass eine Befreiung dem systematischen Normkontext nicht entgegensteht.

7.221

Dagegen umfasst die Grundsteuerbefreiung nicht die Deutsche Bahn AG und anderweitige private Eisenbahngesellschaften mit deren Grundbesitz. Auch der nicht verwaltungsseitig genutzte Grundbesitz für Wohnungen, Hotels und ähnlichen Einrichtungen sowie zur Nutzung überlassener Grundbesitz ist demzufolge steuerpflichtig.3

7.222

Die dem öffentlichen Verkehr dienenden Schienenwege, Straßen und Plätze sowie die Grundflächen der unmittelbar zuzurechnenden Einrichtungen werden ebenso nicht nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 GrStG von der Steuer befreit. Dagegen stellt § 4 Nr. 3 lit. a GrStG eine vollumfängliche Steuerbefreiung in Aussicht.4 e) Gemeinnützige Einrichtungen

7.223

Weitere Befreiungen sieht das Grundsteuergesetz bei gemeinnützigen oder mildtätigen Nutzungen des Grundbesitzes vor. Gemäß § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 lit. a und b GrStG ist der Grundbesitz entweder einer inländischen juristischen Person des öffentlichen Rechts oder einer anerkannten gemeinnützigen inländischen Körperschaft sowie Vereinigung subjektiv zuzurechnen.5

7.224

Die Auslegung der geltenden Terminologie erfolgt insbesondere in Anlehnung an die §§ 51 ff. AO.6 Seit der Einführung des § 60a AO7 sind die formellen satzungsmäßigen Voraussetzungen durch die Finanzverwaltung rechtlich bindend festzustellen.8 Folgerichtig muss der Grundbesitz einer zwingend objektiv gemeinnützigen oder mildtätigen Zwecknutzung i.S.d. §§ 52 und 53 AO unterliegen. Ohne die begünstigende Anerkennung gelangt § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 lit. a und b GrStG nicht zur Anwendung.9 Die Finanzverwaltung ist aus verwaltungsökonomischen Gründen angehalten, die Entscheidung des für die begünstigte Körperschaft zuständi-

1 2 3 4 5 6 7 8 9

A 11 Abs. 1 S. 1 GrStR. Vgl. Hidien in Hidien/Jürgens, Besteuerung der öffentlichen Hand § 10 B. Tz. 109 f. m.w.N. A 11 Abs. 3 GrStR. BFH v. 25.4.2001 – II R 19/98, BStBl. II 2002 S. 54; BFH v. 11.11.1970 – III R 55/69, BStBl. II 1971 S. 32; gleich lautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder v. 15.1.2002 – o. Az., BStBl. I 2002 S. 152. § 51 Abs. 1 AO. BT-Drucks. VI 3418 S. 79 – zu § 3 Abs. 1 Nr. 3; A 12 Abs. 1 GrStR. Einführung durch das Ehrenamtsstärkungsgesetz vom 21.3.2013, BGBl. I 2013 S. 556. § 60a Abs. 1 S. 1 und 2 AO. A 12 Abs. 3 S. 1 GrStR.

420 | Westendorf

B. Grundsteuer | Rz. 7.228 Kap. 7

gen Finanzamts zu übernehmen.1 Allein die Beurteilung der objektiven Grundbesitznutzung obliegt dem Lagefinanzamt.2 Nach früherer Auffassung galt die o.g. Regelung ausdrücklich nur für inländische Einrichtungen. Ein Verstoß gegen den geltenden Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 GG oder das abkommensrechtliche Diskriminierungsverbot lag nicht vor.3 Nach der nun mehr gefestigten Rechtsprechung und angepassten Norm des § 51 AO können auch in EU-/EWR-Staaten ansässige Körperschaften gemeinnützig und damit begünstigte Rechtsträger i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 3 lit. b GrStG sein.4

7.225

Darüber hinaus sind auch bei der subjektiven Zurechnung des Grundbesitzes gemeinnützigkeitsrechtliche Regelungen zu beachten, da nur insoweit eine Befreiung i.S.d. § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 lit. a und b GrStG normativ zur Anwendung gelangt. Die Gemeinnützigkeit ist insbesondere für juristische Personen des öffentlichen Rechts von Vorteil, da sich hoheitliche und allgemeinwohlfördernde von gemeinnützigen Zwecken abgrenzen. Die steuerliche Terminologie der Gemeinnützigkeit ist hierbei enger als die des Allgemeinwohls gefasst.5 Insbesondere die Abgrenzung zwischen einer hoheitlichen Einrichtung i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 GrStG, einem nicht begünstigten Betrieb gewerblicher Art, ohne Steuerbefreiungsprivileg i.S.d. § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 lit. a GrStG6, und einem als gemeinnützig anerkannten Betrieb gewerblicher Art i.S.d. § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG sind für grundsteuerliche Differenzierungen von Bedeutung.

7.226

§ 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 lit. a GrStG gilt ausschließlich für juristische Personen des öffentlichen Rechts und schließt deren Tochtergesellschaften nicht ein. Eigengesellschaften mit vollumfänglicher Trägerschaft der öffentlichen Hand können allenfalls bei Vorliegen der gemeinnützigkeitsrechtlichen Voraussetzungen von der Grundsteuer i.S.d. § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 lit. b GrStG zu befreien sein.7 Die begünstigend wirkende Regelung gelangt neben den Befreiungstatbeständen des § 3 Abs. 1 Nr. 4 bis 6 GrStG auch bei Kirchen- oder anderen Religionsgesellschaften zur Anwendung.

7.227

Die Einbeziehung der subjektiven Zurechnung des Rechtsträgers als auch weiterer Nutzer i.S.d. § 3 Abs. 1 S. 2 GrStG lässt die folgenden vier steuerbefreienden Zurechnungsalternativen entstehen:

7.228

1. Der Grundbesitz steht im Eigentum der juristischen Person des öffentlichen Rechts und wird von ihr für gemeinnützige Zwecke genutzt. 2. Wie Fall 1, jedoch nutzt den Grundbesitz eine andere steuerbegünstige privatrechtliche Körperschaft. 3. Der Grundbesitz steht im Eigentum einer steuerbegünstige privatrechtliche Körperschaft und wird von ihr für gemeinnützige Zwecke genutzt. 1 A 12 Abs. 2 S. 3 GrStR. 2 Vgl. Kühnold in Lippross/Seibel, Basiskommentar Steuerrecht, GrStG, § 3 Tz. 21 ff. und m.w.N. 3 Zur Erbschaftsteuer – BFH v. 3.8.1983 – II R 20/80, BStBl. II 1984 S. 9; zur Diskriminierung – BFH v. 20.10.1976 – I R 224/74, BStBl. II 1977 S. 175. 4 EuGH v. 14.9.2006 – C-386/04, DStR 2006 S. 1736; Vorlage BFH v. 14.7.2004 – I R 94/02, BStBl. II 2005 S. 721. 5 BFH v. 31.1.1973 – II R 51, 58, 62/69, BStBl. II 1973 S. 690; BFH v. 15.7.1960 – III 383/58 S, BStBl. III 1960 S. 449; BFH v. 28.8.1954 – III 157/53 S, BStBl. III 1954 S. 333. 6 § 3 Abs. 3 GrStG. 7 Vgl. Hidien in Hidien/Jürgens, Besteuerung der öffentlichen Hand § 10 B. Tz. 116.

Westendorf | 421

Kap. 7 Rz. 7.228 | Sonstige Einzelsteuergesetze

4. Wie Fall 3, jedoch nutzt den Grundbesitz eine juristische Person des öffentlichen Rechts für steuerbegünstige Zwecke.1

7.229

Dahingegen unterliegen die nachfolgenden Grundbesitznutzungen gemeinnütziger Körperschaften2 stets der Grundsteuer: 1. Grundbesitz der zu allgemeinen Wohnzwecken genutzt wird, wobei keine Steuerbefreiung i.S.d. § 5 Abs. 1 GrStG vorliegt, 2. Grundbesitz auf dem ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb i.S.d. § 14 AO betrieben wird und dieser keine Zweckbetriebseigenschaft i.S.d. §§ 65 bis 68 AO (bspw. Krankenhäuser und Betriebe der Wohlfahrtspflege – vgl. dazu §§ 66 und 67 AO und die nicht abschließende Aufzählung des § 68 AO) aufweist, 3. außerhalb des § 6 GrStG liegende land- und forstwirtschaftliche Grundbesitznutzungen, 4. die Bewertung des Grundbesitzes als unbebautes Grundstück außerhalb der Norm des § 7 GrStG und 5. die entgeltliche oder unentgeltliche Nutzungsüberlassung an Dritte, soweit § 3 Abs. 1 S. 2 GrStG die Anwendung eines Dritten nicht ausschließt. f) Öffentliche Religionsgesellschaften und jüdische Kultusgemeinden

7.230

Weitere Befreiungen sieht das Grundsteuergesetz für Grundbesitz von Religionsgesellschaften, die Körperschaften des öffentlichen Rechts darstellen, und deren Einrichtungen vor. Die jüdischen Kultusgemeinden werden den o.g. Körperschaften gleichgestellt, obwohl sie ausdrücklich keine Körperschaften des öffentlichen Rechts repräsentieren.3

7.231

Religionsgesellschaften, in Form von Körperschaften des öffentlichen Rechts, sind überwiegend kirchliche Einrichtungen und werden hierzulande zumeist durch die katholische und evangelische Kirche vertreten. Die Eigenschaft als Körperschaft des öffentlichen Rechts zu agieren, obliegt den einzelnen landesrechtlichen Regelungen und einer entsprechenden und tatsächlichen Statusverleihung.4 Die alleinige Option einer Statusverleihung reicht hingegen nicht aus.5 Zudem verlangt das Bundesverfassungsgericht die Rechtstreue der Religionsgesellschaft i.S.d. Art. 140 GG i.V.m. § 137 Abs. 5 WRV.6 Neben den Religionsgesellschaften unterliegen auch deren Orden, religiöse Genossenschaften sowie deren Verbände für Zwecke der religiösen Unterweisung, der Wissenschaft, des Unterrichts, der Erziehung oder für Zwecke der eigenen Verwaltung der Befreiungsnorm. Dem Wortlaut des § 3 Abs. 1 Nr. 4 GrStG folgend, ist ein öffentlich-rechtlicher Status der zugeordneten Einrichtung nicht erforderlich.7

7.232

Weitere juristische Personen des privaten Rechts, bspw. islamische Vereine ohne öffentlichrechtlichen Körperschaftsstatus, erkennt die Norm ausdrücklich nicht als begünstigte subjektive Rechtsträger an. Die ausschließliche Anerkennung jüdischer Kultusgemeinden und der

1 2 3 4 5 6 7

Vgl. Hidien in Hidien/Jürgens, Besteuerung der öffentlichen Hand § 10 B. Tz. 113. A 12 Abs. 6 Nr. 1 bis 5 GrStG. § 3 Abs. 1 Nr. 4 GrStG. A 14 Abs. 1 S. 1 und 2 GrStR. BFH v. 30.6.2010 – II R 12/09, BStBl. II 2011 S. 48. BVerfG v. 19.12.2000 – 2 BvR 1500/97, BVerfGE 102 S. 370. A 14 Abs. 1 S. 1 und 2 GrStR.

422 | Westendorf

B. Grundsteuer | Rz. 7.237 Kap. 7

o.a. Religionsgesellschaften im Rahmen der Grundsteuerbefreiung nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 GrStG stellt nach Ansicht des Bundesfinanzhofs weder eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung i.S.d. Art. 3 GG noch einen Verstoß gegen den Grundsatz der Religionsfreiheit und Neutralität des Staates dar.1 Ausländische Religionsgesellschaften können eine Grundsteuerbefreiung i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 4 GrStG, mangels öffentlich-rechtlichen Status, ebenso nicht geltend machen. Eine entsprechende Verleihung ist aus staatsrechtlichen Gründen nicht vorgesehen. Dahingegen könnte ihnen die Befreiung nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 lit. b GrStG zustehen.2

7.233

Das Grundsteuergesetz befreit jedoch nur die tatsächliche objektive Zwecknutzung. Das bedeutet, dass der Grundbesitz durch die begünstigten Rechtsträger ausschließlich für unterweisende (kirchlicher Art), unterrichtende, erzieherische und wissenschaftliche sowie für eigene Verwaltungszwecke zu nutzen ist. Hierzu zählen insbesondere die Unterhaltung von Kirchen oder deren gleichgestellter Einrichtungen und den kirchlichen Gemeindehäusern, die Durchführung von Gottesdiensten und Ausbildung von Geistlichen, der Religionsunterricht, die Beerdigung und Pflege des Andenkens der Verstorbenen, die Verwaltung der o.g. Betätigungen3 und des Vermögens sowie die Besoldung der Geistlichen, Kirchenbeamten, Dienern und deren Angehöriger im Rahmen der Witwen- und Waisenversorgung.4 Die Befreiungsvorschrift nimmt ferner auch die zugehörigen Bildungseinrichtungen der Kirche von einer Besteuerung aus.5

7.234

Weitere objektive Nutzungen des Grundbesitzes zu Wohnzwecken6, für einen Betrieb gewerblicher Art i.S.d. § 4 KStG, für land- und forstwirtschaftliche Tätigkeiten, die grundlegende Bewertung als unbebautes Grundstück oder die mit Einschränkungen versehene Nutzungsüberlassung an Dritte sind, vorbehaltlich der Befreiung des § 3 Abs. 1 Nr. 5 GrStG, nicht steuerbefreit.7

7.235

g) Dienstwohnungen von Religionsgesellschaften § 3 Abs. 1 Nr. 5 GrStG erweitert den Grundsteuerbefreiungskatalog auf objektiv durch Geistliche und Kirchendiener genutzte Dienstwohnungen. Der Normbereich ist fast genauso weit gefasst, wie der der Religionsgesellschaften selbst. Er umfasst sämtliche Körperschaften des öffentlichen Rechts und stellt diesen den jüdischen Kultusgemeinden gleich.8 Die detailgetreue Differenzierung der einzelnen Orden und Verbände greift die Norm ausdrücklich nicht auf, so dass eine Steuerbefreiung hierfür nicht gilt.

7.236

Bei den vorgenannten Dienstwohnungen handelt es sich insbesondere um Wohnungen in Pfarrhäusern oder Ähnlichem, soweit sie zur Wahrnehmung kirchenrechtlicher und seelsorgerischer Aufgaben tatsächlich und objektiv dienen9, dem Inhaber unter Anrechnung seiner Vergütung zugewiesen ist und zu deren Benutzung der Amtsinhaber verpflichtet ist. Die Fi-

7.237

1 2 3 4 5 6 7 8 9

BFH v. 30.6.2010 – II R 12/09, BStBl. II 2011 S. 48. Vgl. dazu Hidien in Hidien/Jürgens, Besteuerung der öffentlichen Hand § 10 B. Tz. 121. A 14 Abs. 5 GrStG. So auch Kühnold in Lippross/Seibel, Basiskommentar Steuerrecht, GrStG, § 3 Tz. 29. A 14 Abs. 4 GrStG. BFH v. 22.7.1987 – II R 204/84, BStBl. II 1987 S. 725. Vgl. hierzu auch die inhaltlichen Ausführungen zu den Rz. 7.263 und 7.292 ff.; A 14 Abs. 3 GrStG. § 3 Abs. 1 Nr. 5 GrStG. Hessisches FG v. 28.1.2009 – 3 K 2219/07, EFG 2009 S. 1144.

Westendorf | 423

Kap. 7 Rz. 7.237 | Sonstige Einzelsteuergesetze

nanzverwaltung stellt insoweit auch Pastoral- oder Gemeindereferenten den Geistlichen und Kirchendienern gleich.1 Terminologisch ist der Dienstwohnungsbegriff eng auszulegen.2

7.238

Eine Vermietung an Dritte scheidet insoweit aus.3

7.239

Die Befreiung wäre aus gesetzessystematischer Beurteilung eher dem § 5 GrStG zuzuordnen. Die Gesetzesbegründung weist diesbezüglich auf historisch zu erklärende Privilegien sowie auf kirchliche Grundsteuerbefreiungen als negative Staatsleistungen im Sinne des Art. 140 GG i.V.m. Art. 138 und 173 WVG hin.4 h) Grundbesitz der Religionsgesellschaften

7.240

§ 3 Abs. 1 Nr. 6 GrStG befreit zugleich den Grundbesitz der Religionsgesellschaften sowie der jüdischen Kultusgemeinden. Der Grundbesitz muss dafür zu einem am 1.1.1987 und am Veranlagungszeitpunkt gesonderten Kirchenvermögen, insbesondere einem Stellenfond, gehören, dessen Erträge ausschließlich für die Besoldung und Versorgung der Geistlichen und Kirchendiener5 sowie ihrer Hinterbliebenen bestimmt sind.6 Die Norm umfasst insbesondere Dienstgrundstücke der Kirchen, hier einheitlich verwandter Terminus im gesamten Rechts- und Bundesgebiet.7

7.241

Die Sonderregelung für Kirchenvermögen durchbricht den Grundsatz der Steuerpflicht landund forstwirtschaftlicher Nutzungen i.S.d. § 6 GrStG und der Unmittelbarkeit des § 7 GrStG.8

6. Anwendungsbeispiele 7.242

Die nachfolgenden Anwendungsbeispiele verdeutlichen die weite Anwendungspraxis der grundsteuerlichen Befreiungsregelungen des § 3 Abs. 1 GrStG, insbesondere des für einen öffentlichen Dienst oder Gebrauch genutzten Grundbesitzes. 1. Abfallentsorgungs- und Abwasserbeseitigungsanlagen9, Wasser- und Bodenverbände, 2. Straßen, Wege und Plätze sowie Anlagen10, Schulen, Spiel- und Sportplätze, Krankenhäuser, Anstalten und Einrichtungen des öffentlichen Rechts, hier insbes. Feuerwehren, Polizei,

1 FinMin Niedersachsen v. 20.11.2001 – G 1105 a – 3 – 34 1, DB 2002 S. 16; BFH v. 12.1.1973 – III R 85/72, BStBl. II 1973 S. 377; A 15 Abs. 2 bis 4 GrStR. 2 BFH v. 18.10.1989 – II R 209/83, BStBl. II 1990 S. 190. 3 BFH v. 10.7.1959 – III 283/58 U, BStBl. III 1959 S. 368. 4 Im Einzelnen hierzu BT-Drucks. VI 3418 S. 79 – zu § 3 Abs. 1 Nr. 5 und BT-Drucks. IV 3631. 5 A 15 Abs. 3 und 4 GrStR. 6 BFH v. 10.7.2002 – II R 22/00 (NV), BFH/NV 2003 S. 202; BFH v. 9.7.1971 – III R 19/69, BStBl. II 1971 S. 781; BFH v. 9.7.1971 – III R 30/70, BStBl. II 1971 S. 785; BFH v. 30.7.1965 – III 1/63 U, BStBl. III 1965 S. 566; BFH v. 23.7.1954 – III 177/53 U, BStBl. III 1954 S. 283. 7 Detailliert dazu A 15 Abs. 1 GrStR; Rechtsprechung zur Anwendung im ehemaligen Grenzstreifen des Beitrittgebiets – FG Berlin-Brandenburg vom 24.2.2010 – 3 K 2099/05 B, EFG 2010 S. 1157. 8 So sinngemäß Kühnold in Lippross/Seibel, Basiskommentar Steuerrecht, GrStG, § 3 Tz. 32. 9 OFD Koblenz v. 27.7.1999 – G 1102 A-St 44 2 m.w.N.; BFH v. 8.1.1998 – V R 32/97, BStBl. II 1998 S. 410. 10 Gleich lautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder v. 15.1.2002 – o. Az., BStBl. I 2002 S. 152.

424 | Westendorf

B. Grundsteuer | Rz. 7.244 Kap. 7

Bundeswehr, Strafvollzugsanstalten, Wetterdienst und Wetterwarten, Schwimmbäder1, botanische Gärten sowie Grün- und Parkanlagen2, Flugplätze,3 3. Waisenhäuser und Kinderdörfer (SOS), dem Naturschutz dienender Grundbesitz,4 4. Stadthallen oder ähnliche Einrichtungen, Tierbeseitigungskörperschaften5 5. public private partnerships6 und durch jPdöR genutzte Erbbaurechte7 6. deutsche Bundesbank, Flurbereinigungsverbände, nicht die deutsche Beamten Versicherung,8 7. Botschaften und diplomatische Einrichtungen,9 8. Hilfsgeschäfte sowie Hilfsbetriebe10 und 9. Wasserstraßen.11

7.243

Keine Steuerbefreiungen entfallen hingegen auf folgenden Grundbesitz: 1. Kreditinstitute sowie Versorgungs- und Verkehrsbetriebe i.S.d. § 4 Abs. 3 KStG (Gas- und Elektrizitätswerke),12 2. generell Betriebe gewerblicher Art i.S.d. § 4 Abs. 1 KStG,13 3. hoheitliche Betätigungen durch private Unternehmer,14 4. Campinglätze15 und Gärtnereien, 5. entgeltliche Parkplätze, Parkhäuser und Tiefgaragen16 und 6. Wohnzwecken sowie der Land- und Forstwirtschaft dienender Grundbesitz.17 Die o.a. Enumerationen der zu befreienden Grundbesitznutzungen sind mittlerweile ertragsteuerlich überholt, da in einer Vielzahl der Fälle ein Betrieb gewerblicher Art anzunehmen wäre, welcher Wettbewerbscharakter entfaltet. Insbesondere der Grundbesitz von Kantinen, Kindergärten, zoologische Gärten und Tiergärten, Museen, soweit sie nicht gemeinnützig sind, und Schwimmbädern wäre daraufhin kritisch zu untersuchen.18 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18

A 10 Abs. 2 GrStR. BFH v. 24.1.1969 – III 109/65, BStBl. II 1969 S. 324. Bay, Landesamt für Steuern v. 15.11.2013 – G1108. Bay, Landesamt für Steuern v. 15.11.2013 – G1105. Bay, Landesamt für Steuern v. 15.11.2013 – G1102, G1103. BFH v. 10.4.2019 – II R 16/17, BStBl. II 2019 S. 624; BFH v. 6.12.2017 – II R 26/15 (NV), BFH/ NV 2018 S. 453. BFH v. 27.9.2017 – II R 14/15 (NV), BFH/NV 2018 S. 56. Bay, Landesamt für Steuern v. 15.11.2013 – G1130. BFH v. 4.10.1989 – II R 49/87, BStBl. II 1990 S. 189. A 9 Abs. 3 GrStR; BFH v. 11.10.1963 – III 379/6 U, BStBl. III 1963 S. 571. A 18 Abs. 4 GrStR. A 9 Abs. 1 GrStR. § 3 Abs. 3 GrStG; BFH v. 3.4.2012 – I R 22/11 (NV), BFH/NV 2012 S. 1334. BFH v. 16.12.2009 – II R 29/08, BStBl. II 2010 S. 829. BFH v. 20.5.1960 – III 440/58 S, BStBl. III 1960 S. 368. A 18 Abs. 1 S. 5 GrStR. A 12 Abs. 6 GrStR. Zur ertragsteuerlichen Einordnung von Kitas – BFH v. 12.7.2002 – I R 160/10, BStBl. II 2012 S. 837; vgl. dazu auch Kühnold in Lippross/Seibel, Basiskommentar Steuerrecht, GrStG, § 3 Tz. 10 ff. m.w.N.

Westendorf | 425

7.244

Kap. 7 Rz. 7.245 | Sonstige Einzelsteuergesetze

7. Hoheitliche Betätigungen i.S.d. § 3 Abs. 2 GrStG a) Gleichstellung der Termini

7.245

Grundbesitz der öffentlichen Hand ist generell grundsteuerfrei, soweit dieser einer tatsächlichen Nutzung für den öffentlichen Dienst oder öffentlichen Gebrauch unterliegt. Als öffentlicher Dienst oder Gebrauch sind eher hoheitliche Betätigungen und deren Gebrauch durch die Allgemeinheit zu unterstellen. Die Literatur, Rechtsprechung und Finanzverwaltung sprechen diesbezüglich von einem einheitlichen Begriff resp. Sammelbegriff.1 Die beiden Termini unterliegen einer schwierigen praktischen Abgrenzung und gehen eher fließend ineinander über, dementsprechend ist von einer Gleichstellung der Terminologien auszugehen. Aus Vereinfachungsgründen normiert § 3 Abs. 1 Nr. 1 GrStG beide Termini. Folglich ist der eine oder andere Zweck tatbestandsorientierend zu unterstellen.

7.246

Die tatsächliche und unmittelbare Nutzung knüpft eng an das staatliche Verwaltungsvermögen der öffentlichen Hand an und endet mit der tatsächlichen hoheitlichen Nutzung. Sich anschließende Nutzungen sind erneut auf ihre Begünstigung hin zu untersuchen.2

7.247

Rechtssystematisch liegen dagegen keine hoheitlichen Betätigungen im Rahmen der Grundbesitznutzung von Betrieben gewerblicher Art vor.3 b) Hoheitliche Betätigung als öffentlicher Dienst

7.248

§ 3 Abs. 1 Nr. 1 GrStG befreit den tatsächlich für öffentliche Dienste genutzten Grundbesitz. Der Tatbestand ist mit der hoheitlichen Betätigung gleichzusetzen und dient der grundlegenden Erfüllung sog. Hoheitsaufgaben. Das sind insbesondere Aufgaben, die allein der juristischen Person des öffentlichen Rechts eigentümlich und vorbehalten sind.4

7.249

Das Grundsteuergesetz beinhaltet explizit keine Regelung bezüglich der Nutzung im Rahmen des öffentlichen Dienstes oder Hoheitsbetriebes. Jedoch verwendet das Steuerrecht die vorgenannte Terminologie einheitlich.5 Darüber hinaus verweist der Gesetzgeber ausdrücklich auf dessen Nichtanwendung bei Betrieben gewerblicher Art i.S.d. § 3 Abs. 3 GrStG i.V.m. § 4 Abs. 5 KStG. Folglich ist davon auszugehen, dass deren wirtschaftliche und rechtliche Grundlage im Wesentlichen gleichbedeutend sind.6 Der einheitlichen Rechtsanwendung folgt ebenso die Übernahme der bereits getroffenen ertragsteuerlichen Entscheidung. Die rechtlichen Schlussfolgerungen der §§ 4 Abs. 5 KStG und 2 Abs. 2 GewStDV sind demzufolge für die grundsteuerliche Beurteilung zu übernehmen.7

7.250

Als Hoheitsbetriebe sind überwiegend juristische Personen des öffentlichen Rechts im Rahmen ihrer Ausübung der öffentlichen Gewalt zu verstehen. Hierzu zählen insbesondere öffentlich-rechtliche Aufgaben, die sich aus der originären Staatsgewalt ableiten lassen. Diese Auf-

1 A 8 Abs. 1 S. 2 GrStR; BFH v. 20.5.1960 – III 440/58 S, BStBl. III 1960 S. 368. 2 Schleswig-Holsteinisches FG v. 29.1.2014 – 2 K 236/12, EFG 2014 S. 664; auch Hidien in Hidien/ Jürgens, Besteuerung der öffentlichen Hand § 10 B. Tz. 73. 3 Negative Abgrenzung durch § 3 Abs. 3 GrStG. 4 A 9 Abs. 1 S. 2 GrStR. 5 A 9 Abs. 1 S. 3 GrStR; BFH v. 20.5.1960 – III 440/58 S, BStBl. III 1960 S. 368 m.w.N. 6 BFH v. 7.12.1999 – I B 136/98 (NV), BFH/NV 2000 S. 894; vgl. hierzu §§ 4 Abs. 5 S. 1 KStG und 2b Abs. 1 S. 1 UStG und Umkehrschluss zu § 2 Abs. 3. S. 1 UStG a.F. 7 A 9 Abs. 4 GrStR.

426 | Westendorf

B. Grundsteuer | Rz. 7.253 Kap. 7

gaben sind ihr eigentümlich und vorbehalten1, so dass sie dem Grunde nach weder übertragbar noch durch privatrechtliche Unternehmen als ausführbar gelten. Auf Grund der fehlenden Übertragbarkeit entsteht keine tatsächliche oder potentielle Wettbewerbsrelevanz am Markt.2 Kennzeichnend hierfür sind wiederum öffentlich-rechtliche Aufgaben, die aus der Staatsgewalt abgeleitet sind und staatlichen Zwecken dienen.3 Eine hoheitliche Betätigung drückt sich in den meisten Fällen in einem Über- und Unterordnungsverhältnis im Rahmen einer direkten Grundbesitznutzung aus. Die öffentlich-rechtliche Betätigung unterliegt einem gesetzlichen Vorbehalt, soweit juristische Personen des öffentlichen Rechts diese in Erfüllung einer gesetzlich zugewiesenen Aufgabe ausüben und die Gesetzesgrundlage sich auf Bundes- oder Landesrecht erstreckt. Dieser Vorbehalt ist grundsätzlich nicht übertragbar und unterliegt einem Benutzungszwang. Ausnahmen bilden ausschließlich Erfüllungsgehilfen respektive öffentliche Beleihungen4, die mit einem öffentlich-rechtlichen Benutzungszwang einhergehen.5 Auch wenn Ausnahme anzuwenden sein sollten, ist eine mangelnde Rechtsträgeridentität immer negativ zu bescheiden.6

7.251

Die Annahme einer hoheitlichen Betätigung erstreckt sich nicht immer auf die gesamte juristische Person des öffentlichen Rechts i.S.d. § 4 Abs. 2 KStG. Es können auch Teilbereiche der Körperschaft wirtschaftlich tätig sein. Insbesondere der Wettbewerbscharakter als auch die umsatzabhängige Einnahmeerzielungsabsicht7, mangels Gewinnerzielungsabsicht, sind tragende Argumente für eine wirtschaftlich vergleichbare Betätigung. Die Annahme einer wirtschaftlichen Betätigung schließt rechtssystematisch eine hoheitliche Tätigkeit aus.8 Insbesondere die Differenzierung in Eigen- und Regiebetriebe ist hier von Vorteil, welches eine Präzisierung der Zuordnung des tatsächlich genutzten Grundbesitzes ermöglicht.9

7.252

Für eine Einordnung als grundsteuerbefreite hoheitliche Betätigung ist einerseits eine reale Zuordnung erforderlich. Ist der Grundbesitz dem wirtschaftlichen Eigen- oder Regiebetrieb in Form eines ertragsteuerlichen Betriebs gewerblicher Art zugeordnet, mangelt es an einer tatsächlichen Nutzung im Rahmen des öffentlichen Dienstes.10 Dies gilt auch für Katalogbetriebe i.S.d. § 4 Abs. 3 KStG. Beispielhaft unterliegen ferner auch Kindergärten11, öffentliche Schwimmhallen oder die Abfallentsorgung im Rahmen des dualen Systems als Betriebe gewerblicher Art der Grundsteuer, soweit sie nicht als gemeinnützige Einrichtungen gelten.12

7.253

1 A 9 Abs. 1 S. 2 GrStR; BFH v. 12.7.2012 – I R 106/10, BStBl. II 2012 S. 837; BFH v. 29.10.2008 – I R 51/07, BStBl. II 2009S. 1022; BFH v. 17.3.2005 – I B 245/04 (NV), BFH/NV 2005 S. 1135. 2 BMF v. 11.12.2009 – IV C 7 - S 2706/07/10006, BStBl. I 2009 S. 1597; BFH v. 29.10.2008 – I R 51/ 07, BStBl. II 2009 S. 1022. 3 BFH v. 12.7.2012 – I R 106/10, BStBl. II 2012 S. 837. 4 BFH v. 25.1.2005 – I R 63/03, BStBl. II 2005 S. 501. 5 BMF v. 11.12.2009 – IV C 7 - S 2706/07/10006, BStBl. I 2009 S. 1597; a.A. Hidien in Hidien/Jürgens, Besteuerung der öffentlichen Hand § 10 B. Tz. 77. 6 BFH v. 16.12.2009 – II R 29/08, BStBl. II 2010 S. 829. 7 R 4.1 Abs. 4 S. 2 und Abs. 5 S. 1 KStR 2015. 8 § 4 Abs. 1 und 5 KStG. 9 Näheres dazu in den Ausführungen zur Gewerbesteuer – hier ab Rz. 7.17 und Einrichtungen der öffentlichen Hand Rz. 7.53; auch Westendorf, Der BgA, C. I. S. 189 ff. 10 A 9 Abs. 4 GrStR. 11 BFH v. 12.7.2012 – I R 106/10, BStBl. II 2012 S. 837. 12 OFD Nordrhein-Westfahlen v. 17.9.2013 – Kurzinfo Einheitsbewertung Nr. 02/2013, DB 2013 S. 2244; OFD Magdeburg v. 27.9.2012 – G 1102 – 10 – St 272, DStR 2013 S. 1239.

Westendorf | 427

Kap. 7 Rz. 7.254 | Sonstige Einzelsteuergesetze

7.254

Andererseits besitzt die originäre Zuordnung zum Hoheitsbetrieb indizielle Wirkung. Folglich dient der Grundbesitz für Zwecke der Gebiets- und Personalkörperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts, der Bundeswehr und ausländischer Streitkräfte, der Polizei, Universitäten, Straßenreinigung, Abfallentsorgung, Friedhöfe, Sozialversicherungen und anderweitiger Hoheitsbetriebe stets der Erfüllung öffentlicher Aufgaben. Gleiches gilt für nachgeordnete Behörden und deren Kantinen.1 c) Bestimmungsgemäßer öffentlicher Gebrauch

7.255

Neben der hoheitlichen Nutzung des Grundbesitzes wird auch der bestimmungsgemäße Gebrauch durch die Öffentlichkeit nach § 3 Abs. 2 S. 1 GrStG von der Grundsteuer ausgenommen. Dieser liegt vor, soweit ein Personenkreis, dem die Eigennutzung vorbehalten ist, als Öffentlichkeit anzusehen ist. Der Grundbesitz darf weder fest umgrenzt noch dauernd klein sein und muss grundsätzlich durch Satzung, Widmung oder anderer Akte festgelegt sein – beispielsweise Straßen, öffentliche Plätze oder Grün- und Parkanlagen.2 Eine Duldung seitens der juristischen Person des öffentlichen Rechts und eine damit einhergehende tatsächliche Grundbesitznutzung gilt hierfür als ausreichend.3 Eine besondere Zulassung seitens der öffentlichen Hand ist für eine zweckentsprechende Nutzung nicht vorgesehen. Folglich unterliegen einerseits sowohl Grundstücke ohne besondere Zulassung, wie die o.a. Straßen und Anlagen, sowie anderseits auch besonders zugelassene, wie Schulen, Sportplätze und weiterer, dem öffentlichen Gebrauch. Besondere Zulassungen drücken sich insbesondere in zeitlichen Beschränkungen aus, wie bei Sportplätzen oder den Besuchszeiten in Museen, welche ausdrücklich nur im Interesse der Allgemeinheit erfolgen.4 Die Zugänglichkeit des Grundbesitzes muss klar auf die Öffentlichkeit abzielen und ist im weiteren grundsteuerlichen Sinne der hoheitlichen Nutzung gleichzustellen.5

7.256

Die begrifflichen Feinheiten sind in verschiedenen Rechtsgebieten unterschiedlich stark ausgeprägt. Jedoch lehnen sich die Terminologien des Verwaltungs- oder Gemeingebrauchs bei Grundstücken als öffentliche Sachen denen des Verwaltungsrechts an.6 Das Verwaltungsrecht differenziert öffentliche Sachen hinsichtlich ihrer Nutzung im Zivil- und Gemeingebrauch, welche auch die Sondernutzungen umfassen, sowie im Verwaltungsgebrauch. Die einzelnen Eigenschaften ergeben sich dem Grunde nach aus deren Terminologie.

7.257

Dem Zivil- und Gemeingebrauch eines Grundstücks unterliegen die Nutzungen durch Zivilpersonen oder der breiten Öffentlichkeit. Hierfür sind insbesondere die Schulen, Krankenhäuser, Universitäten, Museen, öffentliche Badeanstalten sowie Straßen, Wege, Plätze und Gewässer zu nennen. Sondernutzungen umfassen im Wesentlichen temporär beschränkte und erlaubnispflichtige Privatnutzungen von öffentlichen Sachen im Gemeingebrauch. Beispielhaft sind hierfür die Aufstellung von Containern oder Werbefläche auf öffentlichem Straßenland zu nennen. Die einzelnen erlaubnispflichtigen Nutzungen dürfen dem Gemeingebrauch weder entgegenstehen noch überwiegen.

1 2 3 4 5 6

A 9 Abs. 2 und 3 GrStR. BFH v. 20.5.1960 – III 440/58 S, BStBl. III 1960 S. 368 m.w.N. A 10 Abs. 1 GrStR. A 10 Abs. 2 S. 3 GrStR. Vgl. Hidien in Hidien/Jürgens, Besteuerung der öffentlichen Hand § 10 B. Tz. 81. A 8 Abs. 1 S. 3 GrStR; vgl. auch A 10 Abs. 2 GrStR.

428 | Westendorf

B. Grundsteuer | Rz. 7.263 Kap. 7

Dagegen ist unter einer Nutzung im Rahmen des Verwaltungsgebrauchs die interne und unmittelbare Nutzung durch Verwaltungsträger zu verstehen. Das sind staatliche Aufgaben, welche mit einer hoheitlichen Betätigung der Hoheits- und Leistungsverwaltung1 einhergehen.2 Dem steuerlichen Begriff der Hoheits- und Leistungsverwaltung unterfallen keine Betriebe der Daseinsvorsorge, anders im Verwaltungsrecht. Diese werden überwiegend durch ihren wettbewerbsähnlichen Charakter geprägt und stehen teilweise den Katalogbetrieben des § 4 Abs. 3 KStG oder den originären Betrieben gewerblicher Art i.S.d. § 4 Abs. 1 KStG nahe.3

7.258

Den Ausführungen ist zu entnehmen, dass eine Differenzierung nicht immer einfach erscheint und nicht sämtliche verwaltungsrechtlichen Regelungen fürs Steuerrecht zu übernehmen sind. Für eine Beurteilung i.S.d. § 3 Abs. 2 GrStG zählen dem Grunde nach nur das Verwaltungsvermögen im Zivil- und Gemeingebrauch sowie im Verwaltungsgebrauch.

7.259

Dem steht die steuerliche Qualifizierung eines wirtschaftlichen Betriebs gewerblicher Art entgegen. Auch hier ist ein öffentlicher Gebrauch anzunehmen, jedoch überwiegen die wirtschaftlichen Interessen der Zwecknutzung.4

7.260

Neben den originären Betrieben gewerblicher Art unterliegt auch die reine auf den Grundbesitz abzielende Vermögensverwaltung der Grundsteuer und ist privatem Grundbesitz gleichzustellen. Vermögensverwaltende Betätigungen sind klar auf ihren öffentlichen Charakter, im Zuge der Beurteilung des § 3 Abs.2 GrStG, zu untersuchen, vgl. o.a. Sondernutzungen.

7.261

Soweit Entgelte, auf öffentlich-rechtlicher oder privater Grundlage, für die Nutzung des Grundbesitzes erhoben werden, ist stets ein bestimmungsgemäßer Gebrauch durch die Allgemeinheit zu prüfen. Eine Entgeltlichkeit steht demnach dem grundlegenden Zweck des § 3 Abs. 2 GrStG nicht entgegen.5 Bei besonders hohen Entgelten kann es an einer entsprechenden Zwecknutzung mangeln.6 Dies ist insbesondere bei mit Gewinnerzielungsabsicht erhobenen Entgelten die Bedingung.7

7.262

8. Keine Betriebe gewerblicher Art Die steuerbefreiende Norm des § 3 GrStG schließt folgerichtig den Grundbesitz von Betrieben gewerblicher Art aus.8 Ein öffentlicher Dienst oder Gebrauch im o.g. Sinne ist bei wirtschaftlich tätigen Betrieben nicht anzunehmen. Das Steuerrecht legt den gesetzlichen Tatbestand eines Betriebs gewerblicher Art einheitlich aus.9 Für den normativen Tatbestand eines Betriebs gewerblicher Art verweist der § 3 Abs. 3 GrStG auf die körperschaftsteuerlichen Regelungen des § 4 KStG. Darüber hinaus ist der Gesetzgeber bestrebt, auftretende Wettbewerbsverzerrungen auf allen steuerlichen Ebenen zu vermeiden.

1 2 3 4 5 6 7 8 9

Hoheitliche Institutionen i.S.d. § 4 Abs. 5 KStG. Vgl. Hidien in Hidien/Jürgens, Besteuerung der öffentlichen Hand § 10 B. Tz. 82 f. § 3 Abs. 3 GrStG. BFH v. 20.5.1960 – III 440/58 S, BStBl. III 1960 S. 368 – zur Nutzung eines Ratskellers und eines Campingplatzes. BFH v. 20.5.1960 – III 440/58 S, BStBl. III 1960 S. 368. A 10 Abs. 2 S. 4 und 5 GrStR. § 3 Abs. 2 S. 2 GrStG. § 3 Abs. 3 GrStG. A 9 Abs. 4 S. 2 und Abs. 1 S. 6 GrStR.

Westendorf | 429

7.263

Kap. 7 Rz. 7.264 | Sonstige Einzelsteuergesetze

7.264

Betriebe gewerblicher Art sind demnach Einrichtungen, die einer nachhaltigen wirtschaftlichen Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen außerhalb der Land- und Forstwirtschaft nachgehen und sich innerhalb der Gesamtbetätigung der juristischen Person wirtschaftlich herausheben. Eine Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr und die Gewinnerzielungsabsicht sind nicht erforderlich.1 Hoheitsbetriebe i.S.d. § 4 Abs. 5 KStG zählen ausdrücklich nicht zu den Betrieben gewerblicher Art, da sie sich im Kontext des öffentlichen Dienstes ausschließlich hoheitlich betätigen.2

7.265

Aus Vereinfachungsgründen unterstellt die Finanzverwaltung für den selbständigen Einrichtungsbegriff sowie die tatbestandsorientierte Gewichtung der wirtschaftlichen Betätigung der juristischen Person des öffentlichen Rechts quantifizierbare Umsatzgrenzen. Erst ab einem Jahresumsatz von 130.000€ ist eine selbständige Einrichtung anzunehmen. Selbst die wirtschaftliche Tätigkeit der Einrichtung hebt sich erst ab einem nachhaltigen Jahresumsatz von 35.000€ aus der Gesamtbetätigung der juristischen Person des öffentlichen Rechts heraus.3 Diese vereinzelten Quantifizierungsmerkmale weisen jedoch nur indiziellen Charakter auf. Mangelt es dem Tatbestand an den Gewichtungsgrenzen oder ist eine Körperschaftsteuerveranlagung aufgrund des Freibetrages i.S.d. § 24 KStG nicht durchzuführen, liegt ferner kein öffentlicher Dienst oder Gebrauch i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 GrStG vor.4 Auch unterhalb der o.a. Grenzen kann ein wirtschaftlich tätiger Betrieb gewerblicher Art anzunehmen sein.

7.266

Neben einzelnen Einrichtungen einer juristischen Person des öffentlichen Rechts, Eigen- oder Regiebetriebe, kann der Betrieb gewerblicher Art ebenso die juristische Person des öffentlichen Rechts in Gänze umfassen, bspw. auch öffentlich-rechtliche Anstalten oder Stiftungen.5

7.267

Soweit der Grundbesitz steuerliches Betriebsvermögen eines Betriebs gewerblicher Art darstellt, liegt kein steuerbefreiter Grundbesitz gemäß § 3 GrStG vor. Mithin unterliegt der Grundbesitz einer tatsächlichen und überwiegenden wirtschaftlichen Nutzung und entfaltet wettbewerbsbeeinflussende Wirkung. Einzig und allein der steuerbegünstigt genutzte Grundbesitz von gemeinnützigen Betrieben gewerblicher Art i.S.d. §§ 51 ff. AO stellt eine Rückausnahme dar.6

7.268

Gemischte Nutzungen, Grundbesitz der für hoheitliche als auch wirtschaftliche Betätigungen tatsächlich zur Verfügung steht, sind grundlegend aufteilungspflichtig. Nach § 8 Abs. 1 GrStG ist der Steuergegenstand anhand einer räumlichen Aufteilung nach seiner realen Nutzung in steuerbegünstigte und nicht steuerbegünstigte Zwecke aufzuteilen. Eine entsprechende Abgrenzung geschieht häufig bereits während der Einheitswertbemessung.7 Stellt sich eine räumliche Aufteilung als unmöglich heraus, ist der Grundbesitz nach seiner überwiegenden und realen Nutzung aufteilungspflichtig.8 Die vorstehenden Regelungen gelten für einzelne Grundstücksteile entsprechend und sind dagegen nicht zu Wohnzwecken oder steuerbegünstigten Zwecken dienenden Grundbesitz anzuwenden.9

1 2 3 4 5 6 7 8 9

§ 4 Abs. 1 KStG. Näheres dazu Westendorf, Der BgA, B. IV. 3. b) (7) (b) S. 154 f. A 9 Abs. 4 GrStR und R 4.1 Abs. 4 und 5 KStR 2015. A 9 Abs. 4 S. 5 GrStR. § 4 Abs. 2 KStG. § 3 Abs. 1 Nr. 3 lit. a GrStG. § 8 Abs. 2 GrStG und A 32 Abs. 1 GrStR. A 32 Abs. 2 GrStR. A 32 Abs. 3 GrStR.

430 | Westendorf

B. Grundsteuer | Rz. 7.273 Kap. 7

VIII. Sonst. Steuerbefreiungen i.S.d. § 4 GrStG 1. Allgemeiner Subsidiaritätsgrundsatz Die Steuerbefreiungsnorm des § 4 GrStG enthält neben dem § 3 GrStG weiterführende Steuerbefreiungstatbestände, die unabhängig von der Rechtsträgeridentität allein auf die tatsächliche Grundbesitznutzung abstellen.1 Folglich können hier auch Privatpersonen, juristische Personen des Privatrechts als auch ausländische Rechtsträger eine Grundsteuerbefreiung in Anspruch nehmen.2

7.269

Die Vorschrift ist als nachrangig gegenüber dem § 3 GrStG anzusehen. Aus steuersystematischer Beurteilung ist die subsidiäre Einordnung folgerichtig. Es gilt vorrangig die Rechtsträgeridentität mit der tatsächlichen Nutzung und erst im Anschluss das alleinige Merkmal der Grundbesitznutzung des § 4 GrStG zu untersuchen. Daraus ergeben sich diverse rechtliche Überschneidungen bei gemeinnützigen3 oder kirchlichen Einrichtungen4 sowie Erweiterungen auf rechtsträgerunabhängige Grundbesitznutzungen. Selbst den Grundbesitz von Betrieben gewerblicher Art sowie der Eigengesellschaften von juristischen Personen des öffentlichen Rechts schließt § 4 GrStG nicht kategorisch aus. Neben dem o.a. Subsidiaritätserfordernis gilt es stets die §§ 5 bis 8 GrStG und deren Ein- oder Ausschlüsse in die rechtliche Beurteilung einzubinden.5

7.270

2. Befreiungen für Gottesdienste Neben den grundsteuerbefreienden Normen des § 3 Abs. 1 Nr. 3 lit. b bis 6 GrStG ergänzt § 4 Nr. 1 GrStG den Umfang der Steuerbefreiungen auf Grundbesitz von Religionsgesellschaften, Körperschaft des öffentlichen Rechts, oder jüdischen Kultusgemeinden, die ihren Grundbesitz dem Gottesdienst widmen. Dafür gilt die Herrichtung, die dauernde Bereithaltung als auch die nur gelegentliche Nutzung als ausreichend.6

7.271

Eine Rechtsträgeridentität ist im § 4 GrStG nicht vorgesehen. Allein die Grundbesitzwidmung ist relevant. Folglich können neben den originären Religionsgesellschaften und jüdischen Kultusgemeinden auch andere Privatpersonen oder juristische Personen des Privatrechts den Grundbesitz entgeltlich oder unentgeltlich zur tatbestandsmäßigen Nutzung überlassen. In tatsächlicher Hinsicht meint dies die Grundbesitznutzung als Gottesdienst, hier Kirchen, Kapellen, Synagogen o.ä., durch eine jüdische Kultusgemeinde oder Religionsgesellschaft als Körperschaft des öffentlichen Rechts.7 Die Nutzung erstreckt sich auch auf die zugehörigen Wege und Plätze der entsprechenden gottesdienstlichen Einrichtung.8 Anderweitige Nutzungen oder gar andere Nutzer umfasst der Tatbestand des § 4 Nr. 1 GrStG ausdrücklich nicht.

7.272

Die vorgenannte Regelung dient im Wesentlichen der steuerlichen Gleichbehandlung von privaten und öffentlichen Rechtsträgern.

7.273

1 2 3 4 5 6 7 8

A 16 GrStR. Vgl. auch Kühnold in Lippross/Seibel, Basiskommentar Steuerrecht, GrStG, § 4 Tz. 1. § 3 Abs. 1 Nr. 3 lit. a und b GrStG. § 3 Abs.1 Nr. 4 bis 6 GrStG. Sinngemäß auch Kühnold in Lippross/Seibel, Basiskommentar Steuerrecht, GrStG, § 4 Tz. 1 f. A 17 Abs. 1 S. 3 bis 5 GrStR. A 17 Abs. 2 GrStR. Vgl. Hidien in Hidien/Jürgens, Besteuerung der öffentlichen Hand § 10 B. Tz. 129.

Westendorf | 431

Kap. 7 Rz. 7.274 | Sonstige Einzelsteuergesetze

3. Befreiungen für Bestattungsplätze 7.274

Neben gottesdienstlichen Nutzungen i.S.d. § 4 Nr. 1 GrStG führt § 4 Nr. 2 GrStG Grundsteuerbefreiungen für private Bestattungsplätze und Friedhöfe auf. Diese Norm knüpft ebenso nicht an eine subjektive Rechtsträgeridentität an.

7.275

In einer Vielzahl der Fälle werden die bestehenden Friedhöfe durch die Gemeinden betrieben und verwaltet. Grundlegend ist hierin eine hoheitliche Betätigung im Rahmen eines Hoheitsbetriebes i.S.d. § 4 Abs. 5 KStG zu sehen, so dass subsidiär-rechtlich § 3 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 GrStG zur Anwendung gelangt. Etwas anderes gilt jedoch für Friedhöfe privatrechtlicher Organisationen. Für diese gilt § 4 Nr. 2 GrStG als einschlägige und befreiende Rechtsnorm. Der gleichen rechtlichen Würdigung unterliegen auch private Grabstätten und Mausoleen als auch nicht hoheitlich tätige Krematorien.1

7.276

Im Rahmen der grundsteuerlichen Befreiungsnorm ist die Terminologie des Bestattungsplatzes weit gefasst. Neben dem originären Friedhof umfasst der Begriff auch Kirchen, Kapellen, Leichenhallen und Krematorien sowie andere Einrichtungen. Ferner zählen hierzu insbesondere die Nebengebäude und Bereitschaftsräume des Personals als auch der Verwaltung und weiterer, die das Gedenken an die Verstorbenen im weiteren Sinne fördern.2 Nicht dazu zählen die Wohnung des Friedhofsverwalters als auch betrieblich genutzten Räume des Bestatters.3

4. Befreiungen des öffentl. Versorgungsnetzes – Infrastrukturbefreiung 7.277

Ein weiterer Befreiungstatbestand erfasst den rechtsträgerunabhängigen Grundbesitz, der für infrastrukturelle Nutzungen gemäß § 4 Nr. 3 GrStG zur Verfügung steht. Dieser muss der Öffentlichkeit zugänglich sein und darf weder nur einem engen Personenkreis noch einer mangelnden tatsächlichen Nutzung offenstehen.4 Eine lediglich öffentlich-rechtliche Widmung ist nicht ausreichend.5 Allein die tatsächliche Nutzung des Grundbesitzes i.S.d. § 7 S. 1 GrStG ist entscheidend.

7.278

Wie auch den anderen Regelungen des § 4 GrStG zu entnehmen ist, sind eine Vielzahl von rechtlichen Überschneidungen und Befreiungen denkbar. Den Subsidiaritätsgrundsatz gilt es auch hier anzuwenden. Soweit eine infrastrukturelle Nutzung im Rahmen eines öffentlichen Dienstes oder öffentlichen Gebrauchs bei einer inländischen juristischen Person des öffentlichen Rechts vorliegt, ist der Grundbesitz i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 GrStG steuerfrei. Dazu zählen insbesondere öffentliche Straßen, Wege und Parkplätze.6

7.279

§ 4 Nr. 3 GrStG differenziert eine Vielzahl an öffentlichen Grundbesitznutzungen. Unter anderem entsprechen der Norm die nachfolgenden Enumerationen:

1 BFH v. 29.10.2008 – I R 51/07, BStBl. II 2009 S. 1022; so auch Kühnold in Lippross/Seibel, Basiskommentar Steuerrecht, GrStG, § 4 Tz. 4. 2 Vgl. auch Kühnold in Lippross/Seibel, Basiskommentar Steuerrecht, GrStG, § 4 Tz. 4; Hidien in Hidien/Jürgens, Besteuerung der öffentlichen Hand § 10 B. Tz. 131. 3 Hessisches FG v. 10.6.2015 – 3 K 3027/10, EFG 2015 S. 2205. 4 A 18 Abs. 1 GrStR. 5 BFH v. 25.4.2001 – II R 19/98, BStBl. II 2002 S. 54; BFH v. 11.11.1970 – III R 55/69, BStBl. II 1971 S. 32; a.A. BFH v. BFH v. 6.3.1991 – II R 97/89, BStBl. II 1994 S. 123. 6 Gleich lautender Erlasse der obersten Landesfinanzbehörden v. 15.1.2002 – o. Az., BStBl. I 2002 S. 152.

432 | Westendorf

B. Grundsteuer | Rz. 7.282 Kap. 7

1. § 4 Nr. 3 lit. a GrStG befreit die dem öffentlichen Verkehr dienenden Straßen, Wege, Plätze, Wasserstraßen, Häfen1 und Schienenwege sowie die unmittelbar dienenden Gebäude und Einrichtungen – Brücken, Schleusen, Signalstationen, Stellwerke und Blockstellen.2 Wie es der Wortlaut des § 4 Nr. 3 lit. a GrStG offenbart, unterliegen dem öffentlichen Verkehr nicht nur Straßen und Plätze, sondern auch Wasserstraßen und Schienenwege. Auf diesen müssen auf freiem Wege Verkehrsleistungen zu erbringen und für jedermann zugänglich sein. Allein der tatsächliche und unmittelbare Gebrauch ist für den Nutzungszusammenhang bedeutend.3 In EU-rechtskonformer Auslegung der Wettbewerbsverzerrung geht das Umsatzsteuerrecht mittlerweile bei Leistungen auf öffentlich-rechtlicher Grundlage andere Wege als die Straßenverkehrsordnung.4 2. § 4 Nr. 3 lit. b GrStG befreit Flächen auf Verkehrsflughäfen, Verkehrslandeplätzen und Freihalteflächen, die für einen ordnungsgemäßen Flugbetrieb erforderlich sind sowie die unmittelbar dienenden Gebäude und Einrichtungen und deren Flugsicherungsanlagen. Die Regelung befreit keine Flugplätze, die nicht dem öffentlichen Verkehr dienen.5 3. § 4 Nr. 3 lit. c GrStG stellt fließende Gewässer und die den Abfluss regulierenden Sammelbecken steuerfrei.6 Den Regelungszweck erfüllt hingegen nicht der öffentlich gewidmete, jedoch nicht seines tatsächlichen Widmungszwecks genutzter, Grundbesitz. Hierunter zählen insbesondere Betriebshöfe der unzähligen Verkehrs- oder Versorgungsunternehmen sowie Schienenwege, die nicht mehr für den öffentlichen Personennahverkehr bestimmt sind.7

7.280

Auch gewerblichen Zwecken dienender Grundbesitz unterliegt keinem Befreiungstatbestand, soweit er sich nicht durch öffentliche Widmung und Indienststellung zu einer öffentlichen Sache umqualifiziert.8 Darunter fallen auch gebührenpflichtige Parkplätze, Parkhäuser, Tiefgaragen und Park and Ride Parkplätze, die eine Gemeinde regelmäßig als wirtschaftliche Betriebe gewerblicher Art unterhält.9 Davon sind rein unentgeltliche Hilfsleistungen im Rahmen der Parkplatz- und Parkhausüberlassungen an Besucher und Bedienstete für steuerbegünstigte Zwecke i.S.d. § 7 GrStG auszunehmen.

7.281

5. Wasser- und Bodenverbände Der § 4 Nr. 4 GrStG befreit Grundflächen sog. Wasser- und Bodenverbände. Diese Verbände sind überwiegend als Körperschaften öffentlichen Rechts ausgestaltet. Anderweitige subjektive Zurechnungen, außer Privatdeiche, befreit das Gesetz ausdrücklich nicht. Da die grundlegende Gewässer- und Bodenunterhaltung dem hoheitlichen Tätigkeitsbereich einer öffentlichen Körperschaft zuzuordnen ist, wäre § 3 Abs. 1 Nr. 1 GrStG als Grundsatznorm zu 1 BFH v. 6.3.1991 – II R 97/89, BStBl. II 1994 S. 123; BFH v. 14.11.1980 – III R 23/78, BStBl. II 1981 S. 355. 2 A 18 GrStR mit weiteren Anwendungsbeispielen und Negativabgrenzungen. 3 Vgl. auch Hidien in Hidien/Jürgens, Besteuerung der öffentlichen Hand § 10 B. Tz. 134 m.w.N. 4 BFH v. 1.12.2011 – V R 1/11, BStBl. II 2017 S. 352. 5 A 19 S. 2 GrStR. 6 A 20 Abs. 1 und 2 GrStR. 7 So auch Kühnold in Lippross/Seibel, Basiskommentar Steuerrecht, GrStG, § 4 Tz. 16 m.w.N. 8 BFH v. 25.4.2001 – II R 19/98, BStBl. II 2002 S. 54; BFH v. 7.12.1988 – II R 115/88, BStBl. II 1989 S. 302. 9 BFH v. 9.4.2003 – X R 21/00, BStBl. II 2003 S. 520.

Westendorf | 433

7.282

Kap. 7 Rz. 7.282 | Sonstige Einzelsteuergesetze

prüfen.1 Subsidiär-rechtlich folgt § 4 Nr. 4 GrStG, da wirtschaftliche Betätigungen neben den hoheitlichen hinzutreten. Die Betriebe gewerblicher Art entsprechen jedoch nicht dem Ausschließlichkeitskriterium einer hoheitlichen Betätigung i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 3 GrStG, so dass § 4 Nr. 4 GrStG den Anwendungsbereich auch auf wirtschaftliche jedoch gemeinwohlfördernde Betätigungen ausweitet. Der gleiche Regelungsinhalt gilt weiterhin auch für staatlich unter Schau gestellte Privatdeiche.2 Eine Begünstigung anderweitiger Rechtsformen sieht das Gesetz ebenso wenig wie anderweitige Interessen vor. Soweit Verbände keine Gemeinwohlinteressen verfolgen, Ordnung und Verbesserung der Wasser- und Bodenverhältnisse, ist eine Anwendung der Begünstigungsnorm unzulässig.3 Ebenso wenig genügt die alleinige Verbesserung eines der beiden Bereiche, entweder Wasser- oder Bodenverhältnisse.4

7.283

Die Terminologie des § 4 Nr. 4 GrStG weist neben der Befreiung der Grundflächen auch Einrichtungen als Steuergegenstand aus. Darunter sind einerseits durch Menschenhand geschaffen Flächen, wie z.B. Dämme, Deiche, Uferböschungen, Ent- und Bewässerungsanlagen, Kläranlagen oder Talsperren, zu verstehen.5 Andererseits umfasst der Wortlaut auch die naturseitig geschaffenen und entstanden Sachen, z.B. das Deichvorland.6 Zufahrten und anderer unentbehrlicher Grundbesitz stehen diesbezüglich in einem kausalen Zusammenhang mit dem Begünstigungsgegenstand. Unbebaute oder ungenutzte Flächen oder gar Waldgrundstücke erfasst die Norm jedoch nicht.7

7.284

Eine Rechtsträgerzuordnung und -zurechnung ist im Rahmen des § 4 Nr. 4 GrStG als subjektive Grundvoraussetzung vorzunehmen.8 Objektiv muss der Grundbesitz i.S.d. Norm unterhalten werden.9

6. Befreiungen für Wissenschafts- und Bildungszwecke 7.285

Weitere Befreiungen gelten für Zwecke der Wissenschaft, des Unterrichts oder der Erziehung. Die Steuerbefreiung hängt unmittelbar mit einer landesspezifischen öffentlichen Anerkennung10 zusammen, so dass der Benutzungszweck der öffentlichen Aufgabenwahrnehmung beigeordnet ist.11 Das Anerkennungsverfahren ist durch landespezifische Verordnungen und Erlasse12 geregelt, antragsbedingt und gilt normübergreifend auch für die §§ 5 Abs. 1 Nr. 2 S. 2 und 32 Abs. 2 S. 2 GrStG.

7.286

§ 4 Nr. 5 GrStG befreit ausschließlich privaten Grundbesitz anderer – auch privater – Eigentümer, insbesondere den der privaten Bildungseinrichtungen. Anderweitige Befreiungsregelungen sieht das Gesetz nur in den vorstehend aufgeführten Normen des § 3 Abs. 1 Nr. 1, 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

FG Düsseldorf v. 1.9.2005 – 11 K 5169/02 Gr, BG, EFG 2006 S. 528. Vgl. dazu BT-Drucks. VI 3418 S. 80 – zu § 4 Nr. 4. A 21 Abs. 1 GrStR. BFH v. 23.11.1973 – III R 141/72, BStBl. II 1974 S. 177; BFH v. 5.12.1967 – III 84/65, BStBl. II 1968 S. 387. Urteil zu § 4 Nr. 3 lit. c GrStG – BFH v. 23.6.1993 – II R 36/90, BStBl. II 1993 S. 768. BFH v. 21.7.1967 – III 312/63, BStBl. II 1968 S. 16. BFH v. 5.12.1967 – III 84/65, BStBl. II 1968 S. 387. Nicht bei Deichvorland – A 21 Abs. 2 S. 2 GrStR. BFH v. 5.12.1967 – III 84/65, BStBl. II 1968 S. 387. A 22 Abs. 5 GrStR. § 4 Nr. 5 GrStG. Vgl. dazu die Aufzählung der Regelungen durch Kühnold in Lippross/Seibel, Basiskommentar Steuerrecht, GrStG, § 4 Tz. 32.

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B. Grundsteuer | Rz. 7.290 Kap. 7

3 und 4 GrStG vor.1 Die Anwendungsbereiche beider Vorschriften schließen sich folgerichtig gegenseitig aus. Auch hier gilt die sog. Rechtsträgeridentität als subjektive Grundvoraussetzung. Ausnahmen hiervon gelten insoweit nur für den Grundbesitz von juristischen Personen des öffentlichen Rechts, soweit diese den Grundbesitz an anerkannte Trägereinrichtungen zur zweckentsprechenden und tatsächlichen Nutzung überlassen.2

7.287

Inhaltlich befreit § 4 Nr. 5 GrStG vielfältige Zwecknutzungen im Rahmen der öffentlichen Aufgabenwahrnehmung, u.a. die Wissenschaft, den Unterricht und die Erziehung. Neben der Wissenschaft zählt auch die Forschung und Lehre zu den förderfähigen Zwecken – hier private Forschungs- und Lehreinrichtungen. Bei den forschenden Industrieunternehmen rückt jedoch die grundlegende öffentliche Aufgabenwahrnehmung häufig in den Hintergrund, so dass eine Grundsteuerbefreiung entfällt.3 Die Lehre im Rahmen eines Unterrichtungszweck ist ebenso befreit. Hierzu zählen insbesondere allgemein- und berufsbildenden Schulen und Werkstätten und die zur Erziehung erforderlichen privaten Kindergärten und Horteinrichtungen sowie weitere zuordenbare Zwecke.4

7.288

7. Krankenhäuser Die subjektive Rechtsträgeridentität gilt neben dem Wissenschafts- und Forschungszweck auch für den Grundbesitz eines Krankenhausbetriebes i.S.d. § 4 Nr. 6 S. 2 GrStG. Der persönliche Anwendungsbereich des § 4 Nr. 6 GrStG befreit ausschließlich privaten Grundbesitz, nicht jedoch Grundbesitz von juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder gemeinnützigen Einrichtungen. Für diese ist § 3 Nr. 1 und 3 GrStG vorrangig anzuwenden.5 Ferner verlangt die Rechtsträgeridentität, dass das Krankenhaus zwingend vom Grundstückeigentümer zu betreiben ist. Dem steht der Betrieb durch eine Personengesellschaft nicht entgegen, soweit eine 100%ige Personenidentität zwischen Eigentümer des Grundstücks als auch den Betreibern vorherrscht. Keine Personenidentität liegt bei Ehegatten oder dem Auseinanderfallen von Eigentümer und Klinikbetreiber vor, so dass der Grundbesitz als steuerpflichtig zu behandeln wäre. Die Auslegung des § 4 Nr. 6 S. 2 GrStG erfolgt sehr restriktiv, so dass mittelbare Verknüpfungen nicht ausreichen, bspw. Betriebsaufspaltungen.6 Diese restriktive Auslegung ist verfassungskonform und stellt keinen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG dar.7 Ausnahmen gelten nur in der Recht- und Eigentümerstellung von juristischen Person des öffentlichen Rechts.

7.289

Als weitere sachliche Voraussetzung einer Grundsteuerbefreiung sieht § 4 Nr. 6 S. 1 GrStG die Zweckbetriebseigenschaft eines Krankenhauses i.S.d. § 67 Abs. 1 und 2 AO vor.8 Der Tat-

7.290

1 A 22 Abs. 1 S. 1 und 2 GrStR; BT-Drucks. VI 3418 S. 80 f. – zu § 4 Nr. 5. 2 § 4 Nr. 5 S. 2 GrStG; A 22 Abs. 6 GrStR; auch Hidien in Hidien/Jürgens, Besteuerung der öffentlichen Hand § 10 B. Tz. 137. 3 A 22 Abs. 2 GrStR. 4 A 22 Abs. 3 und 4 GrStR mit einigen weiterführenden Aufzählungen; auch Kühnold in Lippross/ Seibel, Basiskommentar Steuerrecht, GrStG, § 4 Tz. 27 bis 30. 5 BT-Drucks. VI 3418 S. 81 – zu § 4 Nr. 6; so auch A 23 Abs. 1 GrStR. 6 BFH v. 25.4.2007 – II R 14/06 (NV), BFH/NV 2007 S. 1924; BFH v. 26.2.2003 – II R 64/00, BStBl. II 2003 S. 485; BFH v. 9.10.1970 – III R 2/69, BStBl. II 1971 S. 63. 7 BFH v. 25.4.2007 – II R 14/06 (NV), BFH/NV 2007 S. 1924. 8 Weitere grundlegende Voraussetzungen bezüglich eines Krankenhauses oder deren Anwendung ergeben sich u.a. aus § 2 Nr. 1 Krankenhausgesetz und § 2 Abs. 1 Krankenhausentgeltgesetz.

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Kap. 7 Rz. 7.290 | Sonstige Einzelsteuergesetze

bestand muss für den vorangegangenen Veranlagungszeitraum gemäß § 13 Abs. 1 GrStG gelten. Die generelle Einordnung als Zweckbetrieb gilt übergreifend und einheitlich für das gesamte Steuerrecht. Einmal getroffene Entscheidungen im Rahmen des § 4 Nr. 16 lit. b UStG, § 7f EStG oder § 3 Nr. 20 lit. b GewStG sind für die Grundsteuer bindend.1

7.291

Die Intention des Gesetzgebers liegt allein in der Anbindung der Befreiungsregelung an den förderungswürdigen Nutzungszweck eines Krankenhauses. Infolgedessen umfasst die besagte Regelung auch Verwaltungsräume und weitere der Erholung der Genesenden dienenden Räumlichkeiten2 sowie gebührenfreie, nicht hingegen gebührenpflichtige, Parkplätze für Besucher und das Personal.3 Weitere rechtliche Differenzierungen ergeben sich auch bei grundsteuerpflichtigen Altenheimen und grundsteuerbefreiten Altenpflegeheimen (im Grundsatz ein Krankenhaus).4

IX. Verschiedene Nutzungen des Grundbesitzes 1. Grenzen der Steuerfreiheit 7.292

Der vorhandene Grundbesitz kann in vielfältigster Weise steuerbegünstigten Zwecken dienen. Unterschiedlichste Grundbesitznutzungen und deren begünstigend wirkenden Befreiungsnormen5 sind jedoch durch die §§ 5 und 6 GrStG Grenzen gesetzt. Der Gesetzgeber schließt die Nutzung zu Wohnzwecken oder land- und forstwirtschaftliche Nutzungen generell von der Befreiung aus. Entsprechende Nutzungsarten sind steuerpflichtig, selbst wenn sie gemeinnützigen oder mildtätigen Zwecken unterliegen. Besondere Rückausnahmen gelten ausschließlich für Kirchendienstwohnungen i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 5 GrStG und für ausländische Botschaften.6 Die grundsteuerliche Regelungsintention ist verfassungskonform i.S.d. Art. 3 und 14 GG.7

7.293

Eine Aufteilung sowohl nach steuerbegünstigten oder zu Wohnzwecken dienenden Nutzungen ist nicht angezeigt. Die Regelung des § 5 GrStG geht § 8 GrStG als lex specialis vor.8

2. Nutzung zu Wohnzwecken – § 5 GrStG a) Abgrenzung der Termini Wohnung und Wohnraum

7.294

Die Abgrenzung zwischen dem steuerpflichtigen Wohnungsbegriff und denen der Wohnräume spiegeln die tragenden Elemente der vorgenannten Befreiungsvorschrift wieder. Wohnungen i.S.d. § 5 Abs. 2 GrStG sind generell steuerpflichtig. Hingegen gelten verschiedenartige Wohnräume unter den Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 GrStG als steuerfrei, soweit sie auch die Vorschriften der §§ 3 und 4 GrStG erfüllen. Daraus folgt, dass eine tatbestandsmäßige Differenzierung zwischen den Termini Wohnung und Wohnraum vorzunehmen ist. 1 A 23 Abs. 1 S. 3 und 4 GrStG. 2 A 23 Abs. 3 GrStR. 3 OFD Koblenz v. 18.8.2005 – G 1107 A, StEK GrStG § 4/90, SiS 062040; gleich lautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder v. 15.1.2002, o. Az., BStBl. I 2002 S. 152 – Rz. 3.1 und insbesondere 3.2. 4 BFH v. 20.6.1975 – III R 126/73, BStBl. II 1975 S. 838; vgl. hierzu auch Hidien in Hidien/Jürgens, Besteuerung der öffentlichen Hand § 10 B. Tz. 141 m.w.N. 5 §§ 3 und 4 GrStG. 6 So auch Kühnold in Lippross/Seibel, Basiskommentar Steuerrecht, GrStG, § 5 Tz. 1. 7 BFH v. 4.12.2014 – II R 20/14, BStBl. II 2015 S. 610 m.w.N.; BVerfG v. 4.4.1984 – 1 BvR 1139/82, HFR 1984 S. 436. 8 A 32 Abs. 3 GrStR.

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B. Grundsteuer | Rz. 7.297 Kap. 7

Die Beurteilung erfolgt allein nach objektiven und baulichen Kriterien, hingegen nicht anhand der tatsächlichen Nutzung.1 Mithin privilegiert der § 5 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 GrStG ausschließlich Wohnräume, welche keine Wohnungen darstellen und auf begünstigt genutzten Grundbesitz i.S.d. §§ 3 und 4 GrStG stehen.2 b) Der Wohnungsbegriff i.S.d. § 5 Abs. 2 GrStG Der Wohnungsbegriff des § 5 Abs. 2 GrStG schließt Steuerbefreiungen terminologisch aus. Auch eine nur teilweise Nutzung zu Wohnzwecken scheidet aus, da Aufteilungen im Rahmen des § 5 GrStG nicht angezeigt sind – lex specialis zu § 8 GrStG.3 Der Gesetzesbegründung folgend, stellt der objektive Wohnzweck ausdrücklich keinen begünstigungsfähigen Zweck im grundsteuerlichen Sinne dar.4 Diese Einschränkung ist verfassungskonform.5

7.295

Der originäre Wohnungsbegriff ist gesetzlich nicht näher definiert. Die höchstrichterliche Rechtsprechung entwickelte den Terminus für die Einheitsbewertung im Bewertungsrecht6 typologisch umschreibend. Diese Umschreibung gilt darüber hinaus auch für den Wohnungsbegriff im Rahmen der grundsteuerlichen Betrachtung.7 Er definiert sich als Zusammenfassung einer Mehrheit von Räumen als baulich getrennte und abgeschlossene Wohneinheit. Diese muss die Führung eines selbständigen Haushalts auf Dauer gewährleisten und darf eine Mindestfläche von 20m² nicht unterschreiten.8 Sie muss einen eigenen Zugang und die notwendigen Räume oder Einrichtungen, wie Küche, Bad, Dusche und Toilette, vorhalten. Die alleinige Existenz einer Waschmöglichkeit in Form eines Waschbeckens ist dagegen nicht ausreichend.9

7.296

Steuerpflichtige Wohnungen i.S.d. § 5 Abs. 2 GrStG sind bei den folgenden Einrichtungen anzunehmen:

7.297

– bei Einfamilienhäusern10 und Ferienhäusern,11 – Einzel-, Zwei- und Mehrzimmerappartements mit einem eigenen abschließbaren Flur,12 – Appartements in Studentenwohnheimen13, nicht hingegen Kleinstappartements mit weniger als 20qm Gesamtfläche,14 1 BFH v. 4.12.2014 – II R 20/14, BStBl. II 2015 S. 610; BFH v. 21.4.1999 – II R 5/97, BStBl. II 1999 S. 496. 2 A 24 Abs. 1 S. 1 bis 4 GrStR. 3 A 32 Abs. 3 GrStR. 4 BT-Drucks. VI 3418 S. 81 – zu § 5; auch BFH v. 6.10.1961 – III 405/59 S, BStBl. III 1961 S. 571. 5 BVerfG v. 4.4.1984 – 1 BvR 1139/82, HFR 1984 S. 436; BFH v. 11.4.2006 – II R 77/04 (NV), BFH/ NV 2006 S. 1707; BFH v. 15.3.2001 – II R 38/99 (NV), BFH/NV 2001 S. 1449 und BFH v. 21.4.1999 – II R 5/97, BStBl. II 1999 S. 496. 6 Hier für die Bestimmung des Einheitswertes i.S.d. §§ 68 ff. BewG und nicht die der Bedarfsbewertung. 7 BFH v. 11.4.2006 – II R 77/04 (NV), BFH/NV 2006 S. 1707; BFH v. 21.4.1999 – II R 5/97, BStBl. II 1999 S. 496. 8 BFH v. 17.5.1990 – II R 182/87, BStBl. II 1990 S. 705. 9 BFH v. 4.12.2014 – II R 20/14, BStBl. II 2015 S. 610; FG Münster v. 26.7.2018 – 3 K 233/18 EW, EFG 2018 S. 1873; so auch Kühnold in Lippross/Seibel, Basiskommentar Steuerrecht, GrStG, § 5 Tz. 9. 10 BFH v. 19.7.2006 – II R 81/05, BStBl. II 2006 S. 767. 11 BFH v. 22.9.1993 – II R 63/91, BStBl. II 1994 S. 415. 12 BFH v. 21.7.1993 – II R 75/92, BFH/NV 1994 S. 410. 13 BFH v. 4.12.2014 – II R 20/14, BStBl. II 2015 S. 610. 14 BFH v. 2.4.1997 – X R 141/94, BStBl. II 1997 S. 611; BFH v. 11.2.1987 – II R 210/83, BStBl. II 1987 S. 306.

Westendorf | 437

Kap. 7 Rz. 7.297 | Sonstige Einzelsteuergesetze

– städtisches Wohnheim für seelisch Behinderte1 sowie – Heime für schwerbehinderte Kinder2 oder auch Asylunterkünfte.3

7.298

Ganz gleich welcher steuerbegünstigenden Nutzungsart eine Wohnung unterliegt, sie ist immer von einer Grundsteuerbefreiung auszunehmen. Ausdrücklich nicht von einer Grundsteuerbefreiung ausgeschlossen sind die in § 5 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 GrStG aufgeführten und abschließend geregelten Einrichtungen, die zwingend für eine steuerbegünstigte Nutzung i.S.d. §§ 3 und 4 GrStG vorzuhalten sind. c) Gemeinschaftsunterkünfte

7.299

Dem Regelungsgrundsatz folgend, normiert § 5 Abs. 1 Nr. 1 GrStG die Grundsteuerbefreiung für Einzel- und Gemeinschaftsunterkünfte der Bundeswehr, ausländischer Streitkräfte, der internationalen militärischen Hauptquartiere, der Bundespolizei und Polizei sowie die des sonstigen Schutzdienstes des Bundes und der Länder.4 Insoweit unterliegen nur inländische juristische Personen des öffentlichen Rechts sowie internationale und ausländische Streitkräfte der Regelungsbandbreite. Die Regelung umfasst neben den o.a. Unterkünften auch Aufenthaltsräume, Speiseräume, Küchen, Wirtschaftsräume, verpachtete Kantinen und Offizierskasinos. Keiner Befreiung unterliegen dagegen Friseursalons, Ladengeschäfte und Bankinstitute, da diese Einrichtungen weder unmittelbar der militärischen Tätigkeit dienen noch für einen geordneten Dienstbetrieb erforderlich sind.5 d) In Heimen genutzte Wohnräume

7.300

Soweit Wohnräume in Heimen, wie Schüler-, Ausbildungs- oder Erziehungsheimen, sowie Prediger- und Priesterseminaren, zur Verfügung gestellt werden, sind diese von der Grundsteuer auszunehmen, soweit die Unterbringung für Zwecke des Unterrichts, der Ausbildung oder Erziehung i.S.d. § 5 Abs. 1 Nr. 2 GrStG erforderlich ist.6 Die o.a. Enumeration ist abschließend.7 Neben den begünstigten Rechtsträgern i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1, 3 und 4 GrStG erweitert § 5 Abs. 1 Nr. 2 S. 2 GrStG den Anwendungsbereich auch auf sonstige Rechtsträger. Diese müssen jedoch im jeweiligen Bundesland ein öffentliches Anerkennungsverfahren durchlaufen, welches die Anerkennung der Unterhaltung der Einrichtung als öffentliche Aufgabe zur Folge hat.8 Hierfür zeichnen sich die öffentlichen Stellen der jeweiligen Bundesländer, Schul- und Jugendämter, verantwortlich. Die jeweilige Entscheidung entfaltet Bindungswirkung für die gesamte Finanzverwaltung.9

1 BFH v. 21.4.1999 – II R 5/97, BStBl. II 1999 S. 496. 2 BFH v. 11.4.2006 – II R 77/04 (NV), BFH/NV 2006 S. 1707. 3 BFH v. 15.3.2001 – II R 38/99 (NV), BFH/NV 2001 S. 1449; zu Billigkeitsmaßnahmen aus öffentlichen Kassen gezahlte Entgelte für die Unterbringung von Bürgerkriegsflüchtlingen und Asylbewerbern in den Kalenderjahren 2014 bis 2018 – BMF v. 20.11.2014 – IV 2 – S 2730/0-01, BStBl. I 2014 S. 1613. 4 FG Rheinland-Pfalz v. 1.10.2009 – 4 K 2049/07, EFG 2009 S. 2047; BFH v. 24.11.1978 – III R 55/ 76, BStBl. II 1979 S. 117; A 25 Abs. 1 S. 1 und 2 GrStR. 5 BFH v. 14.1.1972 – III R 50/69, BStBl. II 1972 S. 318. 6 Vgl. auch diverse Definitionen und Auslegungen im A 26 GrStR. 7 A 26 Abs. 1 S. 2 GrStR. 8 A 26 Abs. 5 S. 2 GrStR. 9 Vgl. Hidien in Hidien/Jürgens, Besteuerung der öffentlichen Hand § 10 B. Tz. 38.

438 | Westendorf

B. Grundsteuer | Rz. 7.305 Kap. 7

e) Für steuerbegünstigte Zwecke überlassene Wohnräume Entgegen des Wohnungsterminus sind Wohnräume, die für steuerbegünstigte Zwecke i.S.d. § 3 Abs.1 Nr. 1, 3 und 4 GrStG überlassen werden, von der Grundsteuer auszunehmen, soweit der steuerbegünstigte Zweck nur durch deren unmittelbare Überlassung zu erzielen ist. Die geeigneten Wohnräume sind lediglich für einen öffentlichen Dienst oder Gebrauch, für gemeinnützige oder mildtätige Zwecke zu verwenden. Hierzu zählen u.a. die Unterbringung von Patienten in Krankenhäusern, Gefangenen in Justizvollzugsanstalten sowie Personen in Altenoder Altenpflegeheimen.1

7.301

Nicht dazu zählen Wohnungen i.S.d. § 5 Abs. 2 GrStG und die Unterbringung von Erwachsenen in Ausbildungsstätten und dergleichen. Eine begünstigend wirkende Zweckerreichung ist damit nicht gewährleistet.2

7.302

Der Regelungsbereich erfasst neben den juristischen Personen des öffentlichen Rechts auch Träger in privater Rechtsform, die den Gemeinnützigkeitsstatus führen.3

7.303

f) Bereitschaftsräume Gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 4 GrStG sind auch Bereitschaftsräume von der Grundsteuer zu befreien, soweit sie für steuerbegünstigte Zwecke i.S.d. §§ 3 und 4 GrStG zur Verfügung stehen. Die Befreiungsregelung gilt nicht ausschließlich für juristische Personen des öffentlichen Rechts, sie gelangt ebenso für privatrechtliche jedoch steuerbegünstigte Rechtsträger zur Anwendung. In den begünstigten Räumlichkeiten hält sich vorübergehend das Bereitschaftspersonal während ihrer beruflich erforderlichen Anwesenheit auf.4 Dies ist insbesondere in Einrichtungen wie Krankenhäusern, Alten-, Pflege- und Schulheimen der Fall, wo sich Ärzte, Krankenschwestern, Pflege- und Betreuungspersonal ständig bereithalten.5 Die Räumlichkeiten weisen einerseits eine objektiv enge räumliche Bindung zum steuerbegünstigten Zweck auf.6 Andererseits erfordert die Nutzung und Befreiung des Steuergegenstandes ein zweckadäquates Nutzungsverhältnis, so dass nur die für den Bereitschaftsdienst tatsächlich notwendigen Räumlichkeiten ihrem Umfang nach von der Grundsteuer zu befreien sind.7

7.304

Die Finanzverwaltungen der Länder wenden für die Ermittlung der Anzahl an Bereitschaftsräumen eine geltende Pauschalregelung an. Bei Krankenhäusern ist höchstens diejenige Anzahl an Bereitschaftsräumen anzuerkennen, welches max. 20 % des Sollbestands an Bereitschaftspersonals entspricht. Bei anderen gemeinnützigen und mildtätigen Einrichtungen reduziert sich der Sollbestand auf 10 %.8 Ausnahmen von der o.g. Regelung sind ausdrücklich zugelassen, jedoch nachweispflichtig.

7.305

1 A 27 Abs. 2 GrStR mit weiteren Aufzählungen. 2 BFH v. 7.10.1966 – III 283/63, BStBl. III 1967 S. 30; BFH v. 14.11.1958 – III 303/56 S, BStBl. III 1959 S. 81. 3 BFH v. 20.6.1975 – III R 126/73, BStBl. II 1975 S. 838; BFH v. 7.6.1973 – III R 77/72, BStBl. II 1973 S. 712. 4 A 28 Abs. 2 S. 1 und 2 GrStR. 5 Die o.a. Aufzählung ist nicht abschließend. Ähnlich auch Hidien in Hidien/Jürgens, Besteuerung der öffentlichen Hand § 10 B. Tz. 40. 6 A 28 Abs. 3 S. 3 GrStR. 7 A 28 Abs. 2 S. 3 GrStR. 8 Bayerisches Landesamt für Steuern v. 15.11.2013 – G 1102, FMNR659130013.

Westendorf | 439

Kap. 7 Rz. 7.306 | Sonstige Einzelsteuergesetze

3. Land- und Forstwirtschaft – § 6 GrStG a) Steuerpflicht als Grundsatz

7.306

Der Grundbesitz, der neben steuerbegünstigten1 auch zu land- und forstwirtschaftlichen Zwecken einer Mitbenutzung unterliegt oder auch der unmittelbaren Zweckverwirklichung dient, ist grundsätzlich nicht steuerbefreit.2 Jede tatsächliche land- und forstwirtschaftliche Nutzung, auch teilweise Nutzungen i.S.d. §§ 3 und 4 GrStG, schließen demzufolge eine Steuerbefreiung aus.

7.307

Neben dem o.a. Grundsatz führt § 6 Nr. 1 bis 3 GrStG die mit Nachhaltigkeit durchzuführenden und abschließend geregelten Grundsatzausnahmen auf. Hierin wird der vorbezeichnete Grundbesitz, der eine Nutzung zu Lehr- und Versuchszwecken, als Übungs- oder Flugplätze der Bundeswehr, der ausländischen Streitkräften und internationalen militärischen Hauptquartiere und den Schutzdiensten i.S.d. § 5 Abs. 1 Nr. 1 GrStG als auch für steuerbefreite Zwecke i.S.d. § 4 Nr. 1 bis 4 GrStG vorsieht, ebenso von Grundsteuer ausgenommen.

7.308

Unter einer land- und forstwirtschaftlichen Nutzung ist die planmäßige und nachhaltige Ausnutzung der natürlichen Kräfte des Bodens zur Gewinnung pflanzlicher oder tierischer Erzeugnisse sowie deren unmittelbare Verwertung durch Verkauf oder Eigenverbrauch zu verstehen.3

7.309

§ 6 GrStG ist ebenso wie § 5 GrStG die speziellere Regelungsnorm, so dass § 8 GrStG nicht zur Anwendung gelangt – lex specialis. Die überwiegende Nutzung und eine daraus resultierende Aufteilung in steuerfreie und steuerpflichtige Nutzungen sind nicht vorzunehmen.4 b) Lehr- und Versuchszwecke

7.310

Die Terminologie der ersten Regelausnahme befreit ausschließlich Lehr- und Versuchszwecke und ausdrücklich keine Erziehungszwecke.5 Deshalb sind gerade Gärtnereien von Sozialversicherungsträgern oder Erziehungsheimen generell steuerpflichtig, selbst wenn sie streng genommen nur die steuerbefreite Einrichtung mit Erzeugnissen versorgen.6

7.311

Unter Lehrzwecken sind insbesondere Freiwildgehege, Gärtnereien, Botanische Gärten der Universitäten und Kreislehrgärten zu verstehen. Als Versuchszwecke lassen sich u.a. Lehr- und Bildungsstätten der Universitäten und anderer Einrichtungen des Bundes und der Länder, hier auf den Gebieten der Ernährung, Pflanzenzucht und Lebensmittel, zusammenfassen. Die zweckbestimmende Nutzung muss sich als nachhaltig darstellen und darf nicht nur mit einer vorübergehenden Zweckbestimmung einhergehen.7

7.312

Darüber hinaus umfasst der Steuerbefreiungstatbestand neben den unmittelbar zusammenhängenden Laboren und Versuchs- und Lehrflächen auch die hierfür vorgesehenen, erforderlichen und zweckdienlichen Gebäude und Räumlichkeiten.8 Die Regelungen des § 5 GrStG bleiben hiervon unberührt. 1 §§ 3 und 4 GrStG. 2 BFH v. 16.10.1996 – II R 17/96, BStBl. II 1997 S. 228; A 30 Abs. 1 GrStR. 3 BFH v. 18.11.2009 – II R 30/08 (NV), BFH/NV 2010 S. 466; BFH v. 16.10.1996 – II R 17/96, BStBl. II 1997 S. 228 m.w.N. 4 So auch Hidien in Hidien/Jürgens, Besteuerung der öffentlichen Hand § 10 B. Tz. 42. 5 Vgl. Kühnold in Lippross/Seibel, Basiskommentar Steuerrecht, GrStG, § 6 Tz. 2. 6 A 30 Abs. 1 S. 2 GrStR; BFH v. 7.2.1958 – III 290/57 U, BStBl. III 1958 S. 185. 7 A 30 Abs. 2 S. 3 GrStR. 8 Finanzministerium Sachsen-Anhalt v. 23.4.1992 – 42 – G 1106 – 2, StEd 1992 S. 297.

440 | Westendorf

B. Grundsteuer | Rz. 7.317 Kap. 7

c) Übungs- oder Flugplatz Übungs- und Flugplätze von in- und ausländischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts sind generell nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 GrStG von der Grundsteuer befreit. Hierunter fallen insbesondere Truppenübungs- und Flugplätze der Bundeswehr und ausländischer Streitkräfte sowie der allgemeinen Sicherungs- und Schutzdienste. Neben den Hauptplätzen umfasst der Tatbestand auch die entsprechenden Sicherheits- und Schutzzonen.1 Soweit eine anderweitige begünstigend wirkende Nutzung nicht absehbar erscheint, endet die Steuerbefreiung mit Einstellung der begünstigten Nutzung.2

7.313

§ 6 Nr. 2 GrStG erweitert den Steuerbefreiungstatbestand um eine land- und forstwirtschaftliche Mitbenutzung. Insbesondere befreit A 30 Abs. 2 S. 4 und 5 GrStR die teilweise Verpachtung innerhalb eines militärisch genutzten Grundbesitzes, auch wenn dieser für land- und forstwirtschaftliche Zwecke überlassen wird.3

7.314

d) Steuerbefreite Zwecke i.S.d. § 4 Nr. 1 bis 4 GrStG Soweit der Grundbesitz für Gottesdienste, Bestattungsplätze, dem öffentlichen Verkehr als auch im überwiegenden öffentlichen Interesse i.S.d. § 4 Nr. 1 bis 4 GrStG und daneben einer land- und forstwirtschaftlichen Nutzung unterliegt, ist auch dieser von der Grundsteuerbefreiung i.S.d. § 6 Nr. 3 GrStG einbegriffen. Die teilweise land- und forstwirtschaftliche Nutzung von Grundbesitz ist bei eher untergeordneter Bedeutung unbeachtlich. Eine weit größere Bedeutung kommt der Regelung bei öffentlichen Straßen, Böschungen, Dämmen, Deichen, Kanälen und Schutzstreifen zu. Diese können sehr wohl land- und forstwirtschaftlich zu nutzen sein, so dass auch hier eine Steuerbefreiung angezeigt wäre.4

7.315

Eine zu extensive land- und forstwirtschaftliche Nutzung kann jedoch eine steuerbefreiungsschädliche Wirkung nahelegen.5

7.316

4. Benutzung für steuerbegünstigten Zweck a) Allgemeines Die nachfolgenden Normen der §§ 7 und 8 GrStG dienen der ergänzenden Objektivierung des Nutzungszwecks. Unterschiedliche Einordnungen in steuerfreien und steuerpflichtigen Grundbesitz sind anhand der unmittelbaren und begünstigten Zwecknutzung vorzunehmen, so dass generell nur unmittelbare Nutzungen, mit Ausnahme des § 8 GrStG, dem Begünstigungstatbestand unterliegen. Aus den unterschiedlichen Nutzungen und Eingruppierungen der §§ 7 und 8 GrStG resultieren differenzierte Rechtsfolgen. Einschränkend wirkt sich nur die Anwendung der §§ 5 und 6 GrStG aus, denn im steuersystematischen Kontext sind die §§ 7 und 8 GrStG als nachrangig anzusehen.6

1 2 3 4 5 6

BFH v. 27.8.2008 – II R 27/06 (NV), BFH/NV 2008 S. 2056. Schleswig-Holsteinisches FG v. 29.1.2014 – 2 K 236/12, EFG 2014 S. 664. BFH v. 15.3.1957 – III 17/57 S, BStBl. III 1957 S. 183. Vgl. u.a. Kühnold in Lippross/Seibel, Basiskommentar Steuerrecht, GrStG, § 6 Tz. 4. OFD Magdeburg v. 20.6.2012 – G 1105 – 1 – St 272/G 1163 – 1 – St 272, SiS 130259. Vgl. u.a. A 32 Abs. 3 GrStR; im weitesten Sinne auch FG Rheinland-Pfalz v. 28.9.1978 – IV 51a, 52a/78, IV 51a/78, IV 52a/78, EFG 1979 S. 250.

Westendorf | 441

7.317

Kap. 7 Rz. 7.318 | Sonstige Einzelsteuergesetze

b) Unmittelbare Nutzung – § 7 GrStG

7.318

Das Unmittelbarkeitserfordernis des § 7 GrStG gibt den Grund sowie den Zeitpunkt der Steuerbegünstigung i.S.d. §§ 3 und 4 GrStG vor. Hiernach lassen sich Beginn und Ende der jeweiligen Steuerbefreiung bestimmen.

7.319

Eine unmittelbare Zwecknutzung ist anzunehmen, sobald der zivilrechtliche Rechtsträger1 den Gegenstand unmittelbar für steuerbegünstige Zwecke nutzt. Hierin ist eine tatsächliche Zuführung des Steuergegenstandes an den Benutzungszweck zu verstehen, so dass die Betätigung auf dem konkreten Grundstück zu vollziehen ist.2 Die bloße Überlassung ist mangels tatsächlicher Nutzung, auch nicht bei Einräumung eines Erbbaurechts, nicht ausreichend.3

7.320

Die Verwaltung und Rechtsprechung legen das Unmittelbarkeitserfordernis weit aus. Verwaltungsseitig werden daher auch unentbehrliche Hilfstätigkeiten, Hilfseinrichtungen und Hilfsmittel anerkannt, soweit diese zwingend zur Verwirklichung des begünstigten Zwecks anzusehen sind.4 Folglich sind auch Verwaltungsräume, Garagen, Behördenparkplätze und Kantinen von der Grundsteuer zu befreien.5

7.321

Zudem bestimmt § 7 GrStG den zeitlichen Anwendungsbereich der Norm. Hiernach beginnt die Steuerbegünstigung, sobald das Grundstück für eine steuerbegünstigte Nutzung hergerichtet wird.6 Eine Herrichtung bedeutet unterdessen nicht, dass der Beginn bereits im Rahmen der Bauplanung vorliegt. Hierfür ist die Überlassung des Grundstücks als auch der tatsächliche Beginn erforderlich.7 Der Befreiungsumfang ergibt sich aus der beabsichtigten Nutzung nach Fertigstellung.8 Eine unmittelbare Nutzung und die damit einhergehende Steuerbefreiung endet, sobald der Rechtsträger das Grundstück keiner unmittelbaren und anderweitig begünstigten Nutzung zuführt.9 c) Teilweise Nutzung – § 8 GrStG

7.322

Neben einer vollumfänglich begünstigten Nutzung eines Steuergegenstandes ist auch eine partielle Nutzung und insoweit eine partielle Steuerbefreiung zulässig.

7.323

Einerseits ist ein räumlich klar abgrenzbarer Teil eines Grundstücks gemäß § 8 Abs. 1 GrStG für grundsteuerliche Zwecke aufzuteilen, soweit dieser einer partiellen und tatsächlichen Nutzung für steuerbegünstigte Zwecke unterliegt. Entsprechende Feststellungen sind bereits im Einheitswertverfahren über den Grundbesitz zu treffen und entfalten Bindungswirkung.10 Hierdurch unterliegen steuerpflichtige Grundstücksteile, aber auch steuerbefreite Teile, einer klaren Abgrenzung und steuerbaren Zuordnung. Entsprechende Zuordnungen sind auf physi1 U.a. Rechtsträgeridentität i.S.d. § 3 Abs. 1 S. 2 und § 4 GrStG. 2 A 31 Abs. 1 S. 1 GrStR. 3 BFH v. 6.12.2017 – II R 26/15 (NV), BFH/NV 2018 S. 453; BFH v. 27.9.2017 – II R 13/15, BStBl. II 2018 S. 768; BFH v. 16.12.2009 – II R 29/08, BStBl. II 2010 S. 829. 4 A 31 Abs. 1 S. 2 und 3 m.w.N. 5 Hessische FG v. 10.6.2015 – 3 K 3027/10, EFG 2015 S. 2205; BFH v. 16.7.1965 – III 125/63 U, BStBl. III 1965 S. 568; BFH v. 11.10.1963 – III 379/60 U, BStBl. III 1963 S. 571. 6 § 7 S. 2 GrStG; auch BR-Drucks. VI/3418 – zu §§ 7 und 8 siehe S. 81. 7 A 31 Abs. 2 S. 3 GrStR; BFH v. 13.11.1985 – II R 237/82, BStBl. II 1986 S. 191; BFH v. 17.1.1969 – III 74/65, BStBl. II 1969 S. 346. 8 Vgl. Kühnold in Lippross/Seibel, Basiskommentar Steuerrecht, GrStG, § 7 Tz. 4 und 5 m.w.N. 9 Schleswig-Holsteinisches FG v. 29.1.2014 – 2 K 236/12, EFG 2014 S. 664. 10 A 32 Abs. 1 GrStR.

442 | Westendorf

B. Grundsteuer | Rz. 7.329 Kap. 7

scher Basis der Grundstücks- und Gebäudedaten zu ermitteln, so dass häufig einzelne Grundstücks- und Gebäudeflächen als Grundlage herangezogen werden.1 Andererseits fasst § 8 Abs. 2 GrStG die überwiegend steuerbegünstigten Zwecknutzungen zusammen. Hierfür unterliegt der Steuergegenstand einer überwiegend steuerbegünstigten Zwecknutzung, soweit eine Abgrenzung i.S.d. § 8 Abs. 1 GrStG unmöglich erscheint und die begünstigenden Zwecke überwiegen.2 Um eine Abgrenzung rechtlich tragbar zu ermitteln, sind neben der räumlichen auch die zeitlichen Nutzungen des Steuergegenstandes in die Ermittlungsgrundlagen einzubeziehen. Leerstandszeiten und Verwendungspausen bleiben daher außer Ansatz.3

7.324

Die anteiligen Grundsteuerbefreiungen sind insbesondere bei der öffentlichen Hand anzutreffen, da hier in einer Vielzahl öffentliche Gebäude und Grundstücke4 unterschiedliche Nutzungen aufweisen und diversen Sphärenabgrenzungen unterliegen, hier wirtschaftliche (u.a. Betriebe gewerblicher Art), gemeinnützige als auch hoheitliche Zwecknutzungen.

7.325

X. Stichtag, Festsetzung und Steuerschuldner Bei der Grundsteuer handelt es sich um eine Stichtagssteuer i.S.d. § 9 Abs. 1 GrStG, die auf die Verhältnisse zum 01.01. des jeweiligen Jahres abstellt. Folglich werden nachhaltig wirkenden Begünstigungen i.S.d. §§ 3 bis 8 GrStG und Belastungen auf den 01.01. des jeweiligen Kalenderjahres festgestellt. Sich daran anschließende Änderungen werden erst im Folgejahr umgesetzt.5 Der Steuerpflichtige hat sämtliche Änderungen seiner Verhältnisse gem. § 19 S. 1 GrStG anzuzeigen.

7.326

Die Grundsteuer entsteht mit Beginn des Kalenderjahres, für das die Steuer festzusetzen ist.6

7.327

Die Grundsteuer wird grundlegend von demjenigen geschuldet, dem der Steuergegenstand im Einheitswertbescheid zugerechnet wird, vgl. § 10 Abs. 1 GrStG. Bei mehreren Eigentümern schulden diese die Grundsteuer gesamtschuldnerisch.7 Steuerschuldner sind demzufolge u.a. die Länder, der Bund, Städte und Gemeinden sowie deren Stiftungen und Anstalten. Im Rahmen der Grundbesitzzuordnung zu einem Betrieb gewerblicher Art, ganz gleich ob Eigenoder Regiebetrieb, ist das Zurechnungssubjekt die entsprechende Trägerkörperschaft. Dies betrifft hingegen nicht die selbstständigen juristischen Personen des Privatrechts, mit der Eigentümerstellung der öffentlichen Hand. Juristische Person des Privatrechts sind grundsätzlich eigenständige Steuerschuldner.

7.328

XI. Steuerbemessung und Festsetzung Für die Grundsteuerbemessung und Festsetzung ist von einem Steuermessbetrag auszugehen. Dieser ermittelt sich durch Anwendung eines Promillesatzes, 0,34 Promille8 – vormals jedoch 1 2 3 4 5 6

Vgl. Hidien in Hidien/Jürgens, Besteuerung der öffentlichen Hand § 10 B. Tz. 30 m.w.N. A 32 Abs. 2 GrStR und deren Bsp. BFH v. 27.11.1991 – II R 100/87, BStBl. II 1992 S. 563. A 32 Abs. 2 S. 3 GrStR – hier bspw. Stadt- oder Sporthallen. A 33 S. 2 und 3 GrStR. § 9 S. 2 GrStG; näheres dazu auch Kühnold in Lippross/Seibel, Basiskommentar Steuerrecht, GrStG, § 9 Tz. 4. 7 § 10 Abs. 3 GrStG. 8 § 15 Abs. 1 GrStG – anzuwenden ab 3.12.2019.

Westendorf | 443

7.329

Kap. 7 Rz. 7.329 | Sonstige Einzelsteuergesetze

3,5 von Tausend1, auf den jeweils gültigen und steuerpflichtigen Teil des Grundsteuerwerts2 – § 13 Abs. 1 GrStG.

7.330

Die Ermittlung des Einheitswertes fußte in der Vergangenheit auf den Wertfeststellungen auf den 1.1.1935 in den neuen und 1.1.1964 in den alten Bundesländern. Hierzu nehmen Sie bitte die o.a. Ausführungen zur Reform der Grundsteuer zu Kenntnis.3

7.331

Das Lagefinanzamt ermittelt den Steuermessbetrag durch Multiplikation des steuerpflichtigen Teils des Grundbesitzwertes mit der Steuermesszahl.4 Der Steuermessbetrag wird im Anschluss von der zuständigen Gemeinde mit dem jeweiligen Hebesatz belegt, welcher schlussendlich die Grundsteuer im Belegenheitsgebiet gegenüber der öffentlichen Hand für das Kalenderjahr quantifiziert und festsetzt.5 Die Grundsteuer ist gemäß § 28 Abs. 1 GrStG vierteljährlich zu entrichten.

7.332

Sämtliche Bescheide in diesem dreistufigen Verfahren, Einheitswert-/Grundbesitzwertbescheid, Grundsteuermess- und Grundsteuerbescheid, sind jeweils für sich selbstständig anfechtbare Bescheide.

XII. Erlass i.S.d. §§ 32 bis 34 GrStG 7.333

Das Gesetz sieht neben den einzelnen Bestimmungen der §§ 3 bis 8 GrStG auch einen Erlass der Grundsteuer vor. Die Erlassregelung geht in ihrer Anwendung den verfahrensrechtlichen Regelungen der §§ 163 und 227 AO vor – lex specialis. Die Normen beziehen sich nicht originär auf die öffentliche Hand und sind trotz eines öffentlichen Interesses auf alle Grundbesitzarten anzuwenden.

7.334

Die Tatbestände der §§ 32 und 33 GrStG sehen dem Grunde nach den teilweisen oder vollständigen Erlass der Grundsteuer vor, jedoch nur bei Grundbesitz der zur Erhaltung im öffentlichen Interesse liegt oder eine wesentliche Ertragsminderung eingetreten ist.

7.335

§ 32 GrStG umfasst den für Kulturgüter im öffentlichen Interesse, Grünanlagen als auch Grundbesitz, in dessen Gebäude Gegenstände wissenschaftlich, künstlerisch oder geschichtlich nutzbar gemacht werden, zu nutzenden Grundbesitz. Hierfür muss eine aus der obigen Nutzung resultierende und zwingende Unrentabilität kausal ursächlich sein, so dass der Rohertrag in der Regel unter den jährlichen Kosten liegt.6 Dies gilt einschränkend nur für Gebäude, da hier eine prozentuale Minderung der Grundsteuer im Verhältnis zur Minderung des Rohertrags in Betracht zu ziehen ist.7 Kulturgüter sind insbesondere öffentlich zugängliche Garten- und Parkanlagen.8 Grünanlagen umfassen dabei öffentlich gewidmete Spiel- und Sportplätze sowie Grünanlagen selbst. Eine alleinige Nutzung ist nicht ausreichend.9 Darüber hinaus erfasst die letzte Alternative Bibliotheken, Museen oder anderweitige Inneneinrichtungen und Sammlungen eines Gebäudes. Hierfür ist eine öffentliche Anerkennung zwingend erforderlich.10 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

§ 15 Abs. 1 GrStG – anzuwenden bis 2.12.2019. § 221 Abs. 2 BewG. Vgl. hierzu Ausführungen zur Reform und Gesetz der Grundsteuer ab Rz. 7.170. § 10 Abs. 1 S. 3 GrStG. §§ 25 Abs. 1 und 27 Abs. 1 GrStG. § 32 Abs. 1 Nr. 1 und 2 GrStG. § 32 Abs. 2 GrStG. A 35 GrStR. A 36 GrStR. A 37 GrStR.

444 | Westendorf

C. Grunderwerbsteuer | Rz. 7.339 Kap. 7

Ein Erlass wegen nicht zu vertretener Ertragsminderungen gelangt nur bei Grundbesitz von Betrieben der Land- und Forstwirtschaft sowie bei bebauten Grundstücken, hingegen nicht bei unbebauten, zur Anwendung.1 Die Ertragsminderung muss so wesentlich sein, dass eine Minderung von mind. 20 % des normalen Rohertrags auftritt.2 Weiterhin darf der Steuerschuldner die eingetretene, strukturelle3, Ertragsminderung nicht zu vertreten haben.4 Dies gilt auch für einzelne Wohneinheiten einer wirtschaftlichen Einheit.5 Etwaige Billigkeitsgründe sind ausschließlich bei Betrieben der Land- und Forstwirtschaft und bei eigengewerblich genutzten Grundstücken zu prüfen.6

7.336

Formal mangelt es an einem Erlassgrund, sobald eine vorherige quantifizierbare Minderung des Einheitswertes zu erreichen war.7

7.337

C. Grunderwerbsteuer I. Allgemeines Die Grunderwerbsteuer ist eine Verkehrsteuer, die an zivil- und öffentlich-rechtliche Erwerbsvorgänge von Grundstücken anknüpft und die Besteuerung der Einkommensverwendung des Erwerbers sicherstellt.8 Die Steuerpflicht umfasst folglich auch die öffentliche Hand mit all ihren Erwerbsvorgängen. Sie ist eine Landessteuer i.S.d. Art. 108 Abs. 2 S. 1 und 106 Abs. 2 Nr. 3 GG, die die jeweiligen Länder verwalten und denen das Steueraufkommen daraus zusteht. Denen obliegt die betragsmäßige Bestimmung des jeweiligen Steuersatzes.9

7.338

Der grundsteuerliche Erwerbsvorgang differenziert weder nach dem Erwerbssubjekt noch nach dessen Rechtsstatus, so dass beim Erwerb durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts eine Selbst- und Gegenseitigkeitsbesteuerung eintritt. Eine daraus resultierende Besteuerung könnte verfassungsrechtlich bedenklich sein. Jedoch begründen der Grundstückserwerb als auch dessen korrespondierende Besteuerung durch die öffentliche Hand keine originären Hoheitsfunktionen. Die öffentliche Hand ist frei in ihrer Verwaltungskonzeption und Organisation, so dass Grundstücke entweder Verwaltungs-, Ertrags- oder Finanzfunktionen inne führen. Insbesondere die grundstücksbasierenden Ertragsfunktionen, eventuell auch wirtschaftliche Funktionen im Rahmen eines Betriebes gewerblicher Art10, führen zunehmend zu Wettbewerbsproblemen, so dass auf eine Besteuerung rechtlich nicht verzichtet werden kann.11 Das Grunderwerbsteuergesetz sieht einige Ausnahmen für konkrete Nutzungen und Verwendungen der öffentlichen Hand im § 4 GrEStG vor.12 Generelle Steuerbefreiungen origi-

7.339

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

A 38 Abs. 1 S. 1 GrStR. Vgl. hierzu die detaillierten Ausführungen der A 39 und 40 GrStR. BVerwG v. 3.12.2014 – 9 B 73.14, BFH/NV 2015 S. 655. BVerwG v. 13.2.2017 – 9 B 37.16, BFH/NV 2018 S. 175. BFH v. 27.9.2012 – II R 8/12, BStBl. II 2014 S. 117. § 33 Abs. 1 S. 3 GrStG. § 33 Abs. 5 GrStG. BVerfG v. 24.3.2015 – 1 BvR 2880/11, BVerfGE 139 S. 1; BFH v. 29.9.2004 – II R 14/02, BStBl. II 2005 S. 146; BFH v. 29.7.1998 – II R 71/96 (NV), BStBl. II 1999 S. 796. Art. 105 Abs. 2a S. 2 GrEStG. Arg. § 4 Nr. 1 GrEStG. Vgl. Hidien in Hidien/Jürgens, Besteuerung der öffentlichen Hand § 10 B. Tz. 149. Näheres zu den Befreiungen unter §§ 3 und 4 GrEStG; BFH v. 10.4.2019 – II R 16/17, BStBl. II 2019 S. 624; BFH v. 27.9.2017 – II R 13/15, BStBl. II 2018 S. 768.

Westendorf | 445

Kap. 7 Rz. 7.339 | Sonstige Einzelsteuergesetze

närer Staatsfunktionen für juristische Personen des öffentlichen Rechts sieht das GrEStG nicht vor. Allein deren Grundstücksnutzungen sind unter Wettbewerbsgesichtspunkten besteuerungsrelevant.1

II. Steuergegenstand 1. Rechtsträgerwechsel 7.340

Das Grunderwerbsteuergesetz erfasst sämtliche Rechtsvorgänge am inländischen Grundbesitz i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 7 GrEStG, bei dem das Verfügungs- und Verwertungsrecht auf den Erwerber übergeht.2 Beim inländischen Grundbesitz als Steuergegenstand – Steuerobjekt – des Grunderwerbsteuergesetzes ist weder nach dem Rechtsträger noch nach deren Trägereigenschaft zu differenzieren. Für die Rechtsträgereigenschaft i.S.d. GrEStG ist es rechtlich unbeachtlich, ob es sich um natürliche oder juristische Personen des privaten oder öffentlichen Rechts handelt. Dafür kommt der Bund, die Länder und Kommunen, anderer Gebietskörperschaften sowie Stiftungen und Anstalten des öffentlichen Rechts in Frage. Allein der Rechtsträgerwechsel ist für das Besteuerungsverfahren maßgebend.3 Der Rechtsträgerwechsel kann sich dabei durch zivilrechtliche als auch öffentlich-rechtliche Rechtsakte vollziehen.4

2. Erwerbsvorgänge 7.341

Der alleinige Erwerbsvorgang ist für die Entstehung der Grunderwerbsteuer kausal ursächlich, so dass es auf einen wirtschaftlichen Umsatz im Rahmen des Rechtsträgerwechsels auch für die öffentliche Hand nicht ankommt.5 Das vorgenannte gilt grundsätzlich auch für wirtschaftliche Zurechnungen i.S.d. § 39 AO, jedoch obliegt die Anwendung einer grundlegenden Einzelfallbetrachtung – Hinweis zur mittelbaren Änderung im Gesellschafterbestand i.S.d. § 1 Abs. 2a GrEStG.6 Aufgrund der Rechtsverkehrssteuereigenschaft der Grunderwerbsteuer ist jeder tatsächliche Erwerbsvorgang für sich zu beurteilen. Folglich lösen mehrere Erwerbsvorgänge an einem Grundstück aufeinanderfolgende Besteuerungsverfahren und Steuerlasten zugunsten der öffentlichen Hand als Steuergläubiger aus, soweit diesem keine eigenständigen Befreiungsnormen der §§ 3 und 4 GrEStG entgegenstehen.7

7.342

Ein Erwerbsvorgang im grunderwerbsteuerlichen Sinne ist in zwei Rechtsakte strukturiert, einerseits das Verpflichtungsgeschäft und andererseits das Verfügungsgeschäft. Jedes für sich allein oder in Kombination begründen einen selbstständigen grunderwerbsteuerlichen Vorgang. Eine Verdopplung der Steuerlast geht damit jedoch nicht einher.

7.343

Die Grunderwerbsteuer entsteht bereits durch das Verpflichtungsgeschäft, ohne an den Erfolg des Verfügungsgeschäfts anzuknüpfen. Darunter zählen die folgenden Fallkonstellationen:

1 Vgl. Hidien in Hidien/Jürgens, Besteuerung der öffentlichen Hand § 10 B. Tz. 149. 2 Vgl. auch die Ausführungen zu den inländischen „Grundstücken“ Rz. 7.346. 3 Sinngemäß Drees in Behrens/Wachter2, Kommentar zum GrEStG § 1 Tz. 1 und 9; ähnlich auch Hidien in Hidien/Jürgens, Besteuerung der öffentlichen Hand § 10 B. Tz. 150. 4 BFH v. 29.7.1998 – II R 71/96, BStBl. II 1999 S. 796. 5 BFH v. 9.4.2008 – II R 32/06 (NV), BFH/NV 2008 S. 1526; BFH v. 13.2.1968 – II R 134/66, BFHE 91 S. 447; BVerfG v. 27.12.1991 – 2 BvR 72/90, BStBl. II 1992 S. 212. 6 BFH v. 25.11.2015 – II R 18/14, BStBl. II 2018 S. 783; BFH v. 9.7.2014 – II R 49/12, BStBl. II 2016 S. 57. 7 Vgl. dazu die Zwischenerwerbsvorgänge der §§ 1 Abs. 1 Nr. 5 bis 7 GrEStG.

446 | Westendorf

C. Grunderwerbsteuer | Rz. 7.346 Kap. 7

– § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG – Verpflichtungsgeschäfte mit alleiniger Einzelrechtsnachfolge,1 – § 1 Abs. 2 GrEStG – div. Verwertungsbefugnisse,2 – § 1 Abs. 3 Nr. 1 u. 3 GrEStG – Rechtsgeschäfte zur Übertragung von Gesellschaftsanteilen – beachte 95 % Schwelle, – § 1 Abs. 3a GrEStG – Ergänzungstatbestand zu den Absätze 2a und 3 – sog. RETT-Blocker3 und – § 1 Abs. 5 GrEStG – der Tauschvertrag. Daneben enthält das Grunderwerbsteuergesetz auch Tatbestände die allein auf das Verfügungsgeschäft, den Erfolg, abstellen:

7.344

– § 1 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG – Auflassungen ohne vorheriges Verpflichtungsgeschäft, – § 1 Abs. 1 Nr. 3 GrEStG – Eigentumsübergang ohne vorheriges Verpflichtungsgeschäft und Auflassung im Wege der Gesamtrechtsnachfolge,4 – § 1 Abs. 1 Nr. 4 GrEStG – Meistgebot im Zwangsversteigerungsverfahren, – § 1 Abs. 1 Nr. 5 bis 7 GrEStG – Zwischenhandelsgeschäfte,5 – § 1 Abs. 2a GrEStG – Übertragung von Gesellschafteranteilen an Personengesellschaften6 sowie – § 1 Abs. 3 Nr. 2 u. 4 GrEStG – erstmalige Vereinigung (oder bereits vereinigte) von 95 % der Anteile ohne schuldrechtliches Rechtsgeschäft, hier dingliche Anteilsübertragungen.7 Die §§ 1 Abs. 2a ff. GrEStG sind als Ergänzungstatbestände konzipiert, so dass sie auf alle Personen und Personengruppen Anwendung finden.8 Dies gilt ebenso für juristische Personen des öffentlichen Rechts mit all ihren Verwaltungs- und Finanzfunktionen.

7.345

3. Grundstücke Sämtliche Rechtsvorgänge knüpfen ausschließlich an inländischen Grundbesitz an. Folglich liegt ausländischer Grundbesitz keinem nationalen Besteuerungstatbestand im Geltungsbereich des GrEStG zugrunde. Der Grundstückbegriff ist gemäß § 2 Abs. 1 S. 1 GrEStG im 1 BFH v. 11.12.2014 – II R 26/12, BStBl. II 2015 S. 402. 2 BFH v. 20.4.2016 – II R 54/14, BStBl. II 2016 S. 715. 3 Real Estate Transfer Tax Blocker-Strukturen, vgl. dazu gleich lautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder v. 19.9.2018, BStBl. I 2018 S. 1078. 4 Hier sind diverse Verfahren denkbar – vgl. zum Umlegungsverfahren BFH v. 7.9.2011 – II R 68/09 (NV), BFH/NV 2012 S. 62; Differenzierung und Verfassungsmäßigkeit bei der unterschiedlichen grunderwerbsteuerlichen Behandlung von amtlicher und freiwilliger Baulandumlegung, vgl. BFH v. 7.9.2011 – II R 68/09 (NV), BFH/NV 2012 S. 62 und BVerfG v. 24.3.2015 – 1 BvR 2880/11, BStBl. II 2015 S. 622. 5 BFH v. 19.11.2008 – II R 24/07 (NV), BFH/NV 2009 S. 788; BFH v. 3.9.2008 – XI R 54/07, BStBl. II 2009 S. 499; BFH v. 22.1.1997 – II R 97/94, BStBl. II 1997 S. 411. 6 BT-Drucks. 13/6151, Begr. zu § 1 Abs. 2a GrEStG S. 16; BFH v. 17.5.2017 – II R 35/15, BStBl. II 2017 S. 966. 7 Die Nr. 2 ist gegenüber der Nr. 1 und die Nr. 4 ist gegenüber der Nr. 3 subsidiär-rechtlich zu behandeln – vgl. dazu Behrens in Behrens/Wachter2, Kommentar zum GrEStG § 1 Tz. 473. 8 Vgl. Hidien in Hidien/Jürgens, Besteuerung der öffentlichen Hand § 10 B. Tz. 153.

Westendorf | 447

7.346

Kap. 7 Rz. 7.346 | Sonstige Einzelsteuergesetze

bürgerlich-rechtlichen und nicht im bewertungsrechtlichen Sinne zu verstehen. Dieser umfasst auch den Grundbesitz sämtlicher Einrichtungen juristischer Personen öffentlichen Rechts, ganz gleich welcher Sphärenzuordnung, Vermögensverwaltung oder Betriebe gewerblicher Art, diese unterliegen.

7.347

Neben den originären Grundstücken selbst erfasst der Objektbegriff auch die darauf befindlichen Scheinbestandteile i.S.d. § 95 Abs. 1 S. 1 BGB auf fremden Grund und Boden, nicht nur vorübergehender Zweck, sowie Erbbaurechte.1 Nicht dazu zählen das Zubehör gemäß § 97 BGB und die Betriebsvorrichtungen i.S.d. § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 GrEStG. Als Betriebsvorrichtungen gelten unter anderem auch Photovoltaik- und Solaranlagen im Rahmen der Nutzung eines Gewerbebetriebes.2

7.348

Werden im Rahmen eines Rechtsvorgangs mehrere Grundstücke als wirtschaftliche Einheit zusammengefasst, so sind diese als ein Grundstück im grunderwerbsteuerlichen Sinne zu behandeln.3 Demzufolge dient der Wert der wirtschaftlichen Einheit als Bemessungsgrundlage i.S.d. §§ 8 Abs. 1 und 9 GrEStG. Neben den wirtschaftlichen Einheiten sind auch einzelne Grundstücksteile veräußerbar und einer Bewertung zugänglich. Die Bemessungsgrundlage beschränkt sich demnach nur auf einzelne Teile i.S.d. § 2 Abs. 3 S. 2 GrEStG.

III. Ausnahmen von der Besteuerung 1. Überblick 7.349

Das GrEStG zählt eine Reihe von Befreiungsvorschriften in den §§ 3 bis 7 GrEStG mit unterschiedlichsten Anwendungsbereichen auf. Für juristische Personen des öffentlichen Rechts sind nur vereinzelte Normen, u.a. § 4 GrEStG, denkbar. Ausweislich der Gesetzesbegründung ist nämlich grundlegend jeder Erwerbsvorgang, auch bei einer Gegenseitigkeitsbesteuerung der öffentlichen Hand, der Besteuerung zu unterwerfen. Die Bandbreite der einzelnen Befreiungstatbestände weisen folglich einen abschließenden und eng auszulegenden Regelungscharakter auf.4

7.350

Die §§ 3 und 4 GrEStG sind als echte Steuerbefreiungen zu qualifizieren und antragsungebunden. Um keine wirtschaftlichen Nachteile zu erleiden, sind generell Anträge auf Steuerbefreiung zu stellen, da ohne entsprechende Kenntnis seitens des Finanzamtes eine Freistellung von Amts wegen nicht zu gewähren ist.5

7.351

§ 3 GrEStG führt die allgemeinen und der § 4 GrEStG die besonderen Ausnahmen von der Besteuerung auf. Die Verkehrsteuereigenschaft der Grunderwerbsteuer weist überwiegend sachorientierte Steuerbefreiungen aus, die sich allein am Erwerb eines Grundstücks ausrichten und nicht an persönliche Voraussetzungen des Erwerbers anknüpfen. Insbesondere § 4 GrEStG hebt dafür die juristischen Personen des öffentlichen Rechts mit ihren weiterführenden öffentlich-rechtlichen Aufgaben hervor. Ein vordergründig wirtschaftliches Interesse ist 1 §§ 93 bis 96 BGB; § 2 Abs. 2 Nr. 1 und 2 GrEStG; so auch BFH v. 9.9.2010 – II B 53/10 (NV), BFH/NV 2010 S. 2305. 2 Zu einzelnen Abgrenzungsfragen vgl. Anlage Nr. 1 des gleich lautenden Erlasses der obersten Finanzbehörden der Länder vom 5.6.2013, BStBl. I 2013 S. 734. 3 § 2 Abs. 3 S. 1 GrEStG. 4 Vgl. dazu auch BT-Drucks. 14/443 zu Nr. 2 S. 42 f.; BFH v. 9.11.2016 – II R 12/15, BStBl. II 2017 S. 211; auch Hidien in Hidien/Jürgens, Besteuerung der öffentlichen Hand § 10 B. Tz. 158 und 163. 5 So u.a. BFH v. 27.6.1968 – II B 17/66, BStBl. II 1968 S. 753.

448 | Westendorf

C. Grunderwerbsteuer | Rz. 7.356 Kap. 7

demzufolge auszuschließen.1 Vereinzelte personenbezogene Steuerbefreiungen sieht das Gesetz u.a. im § 3 GrEStG vor, der auch gemeinnützige Einrichtungen dogmatisch einbindet.2 Im Gegensatz zu den §§ 3 und 4 GrEStG regeln die §§ 5 bis 7 GrEStG strukturelle Befreiungen im Rahmen von Umstrukturierungen im Konzern, beim Übergang von oder auf eine Gesamthand sowie die Umwandlungen in Flächeneigentum. Sollten vereinzelte Tatbestände des § 4 GrEStG für juristische Personen des öffentlichen Rechts nicht einschlägig sein, so gelten die nachfolgenden Steuerbefreiungsnormen weiterhin.

7.352

2. Allgemeine Steuerbefreiungen nach § 3 GrEStG a) Systematische Einordnung Der § 3 GrEStG zählt eine Vielzahl an Enumerationen auf. Die überwiegende Anzahl weist hierin persönliche Voraussetzungen für eine Befreiung von der Grunderwerbsteuerbarkeit aus. Hierfür wären insbesondere die Voraussetzungen der Ehegatten, Verwandte in gerader Linie oder auch etwaige Geringfügigkeitsgrenzen zu prüfen. Die vorgenannten Tatbestände sind für juristische Personen des öffentlichen Rechts nicht einschlägig.

7.353

Einzig und allein der Tatbestand des § 3 Nr. 2 GrEStG, hier der Grundstückserwerb von Todes wegen sowie Grundstücksschenkungen unter Lebenden i.S.d. §§ 3 und 7 ErbStG, ist für die öffentliche Hand von materiell-rechtlicher Bedeutung. Dieser befreit die o.a. Lebenssachverhalte, soweit eine Steuerbarkeit im erbschaftsteuerlichen Sinne eintritt. Diese Rechtsfolge bezweckt der dynamische Gesetzesverweis.3 Eine Doppelbesteuerung mit Grunderwerb- und Erbschaftsteuern gilt es prinzipiell zu vermeiden.4 Eine Bindungswirkung im Sinne eines Grundlagenbescheides entfaltet der Erbschaftsteuerbescheid jedoch nicht.5

7.354

b) Erwerb von Todes wegen nach § 3 Nr. 2 GrEStG Juristische Personen des öffentlichen Rechts können gesetzlicher Erbe i.S.d. § 1936 BGB6 als auch letztwilliger Verfügter und Vermächtnisempfänger sein. Der Erbanfall ist nach § 13 Abs. 1 Nr. 15 Alt. 1 ErbStG von der Erbschaftsteuer zu befreien, soweit es sich bei dem Anfallenden um den Bund, die Länder oder inländische Gemeinden und Gemeindeverbände handelt. Der eintretende steuerbare Erbschaftsteuertatbestand des § 3 ErbStG ist für die Befreiung von der Grunderwerbsteuer7 ursächlich.

7.355

Jedoch gilt § 13 Abs. 1 Nr. 15 Alt. 1 ErbStG nicht in Gänze für sämtliche Körperschaften des öffentlichen Rechts, sondern nur für die o.A. Analogien kommen mangels einer gesetzlichen Regelungslücke nicht in Betracht.8

7.356

1 Vgl. Meßbacher-Hönsch in Boruttau20, GrEStG § 3 Tz. 13f. 2 So ähnlich auch gleich lautender Ländererlass v. 19.9.2018 – S 4505, BStBl. I 2018 S. 1069; BFH v. 31.3.1982 – II R 92/81, BStBl. II 1982 S. 424. 3 Sinngemäß Meßbacher-Hönsch in Boruttau20, GrEStG § 3 Tz. 98; Berke in Behrens/Wachter2, Kommentar zum GrEStG § 3 Tz. 37. 4 BVerfG v. 15.5.1984 – 1 BvR 464/81, BStBl. II 1984 S. 608. 5 BFH v. 20.11.2013 – II R 38/12, BStBl. II 2014 S. 479. 6 OFD Hannover v. 20.7.2005 – S 3802 – 25 – StO 261, ZEV 2005 S. 387; es gelten auch die Regelungen der §§ 1944 bis 1966 BGB. 7 § 3 Nr. 2 GrEStG. 8 Vgl. Hartmann in Stenger/Loose, Bewertungsrecht, § 13 ErbStG Tz. 140.

Westendorf | 449

Kap. 7 Rz. 7.357 | Sonstige Einzelsteuergesetze

c) Schenkung unter Lebenden nach § 3 Nr. 2 GrEStG

7.357

Die Regelung zur Schenkung unter Lebenden (§ 7 ErbStG) normiert den gleichen Sinn und Zweck wie der Erbanfall, hier die Vermeidung einer Doppelbesteuerung. Normbasierend ist es ebenso ausreichend, dass die Schenkung unter Lebenden einen steuerbaren Erbschaftsteuervorgang auslöst, um eine Befreiung von der Grunderwerbsteuer zu bewirken.

7.358

Eine Freigebigkeit öffentlicher Grundstücksübertragungen durch juristische Personen des öffentlichen Rechts ist nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung abzulehnen. Eine Schenkung1 unter Lebenden i.S.d. §§ 1 Abs. 1 Nr. 2 und 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG gilt als freigebige Zuwendung, bei dem der Beschenkte auf Kosten des Schenkers eine Bereicherung widerfährt. Die Vermögensverschiebung muss objektiv unentgeltlich und subjektiv vom Willen der Freigebigkeit getragen sein.2 Unentgeltliche Vermögenstransfers zwischen einzelnen juristischen Personen des öffentlichen Rechts erfolgen regelmäßig nicht freigebig, da die Träger der öffentlichen Verwaltung an Recht und Gesetz i.S.d. Art. 20 Abs. 3 GG gebunden sind. Hierunter versteht man ebenso die geltenden haushaltsrechtlichen Bestimmungen. Die einzelnen juristischen Personen des öffentlichen Rechts handeln regelmäßig in Wahrnehmung ihrer öffentlichen Aufgaben. Seitens der öffentlichen Hand sind Vermögensübertragungen in Folge ihrer öffentlichen Aufgabenwahrnehmung regelmäßig nicht freigebig. Allein bei einer Überschreitung der ihnen obliegenden öffentlichen Aufgabe kann von einer Freigebigkeit und folgerichtig von einer unentgeltlichen Zuwendung auszugehen sein. Nur daraus könne man eine tatbestandsmäßige Steuerbarkeit im erbschaftsteuerlichen Sinne und folglich eine Befreiung von der Grunderwerbsteuer ableiten.3 In den allermeisten Fällen ist § 3 Nr. 2 GrEStG, für den Fall einer Schenkung durch die öffentliche Hand, folgerichtig nicht einschlägig.

7.359

In den folgenden Konstellationen liegt mangels einer freigebigen Zuwendung i.S.d. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG eine Grunderwerbsteuerpflicht vor: 1. unentgeltliche Übertragung eines Grundstücks der Handwerkskammer auf die Kreishandwerkerschaft,4 2. unentgeltliche Übertragung eines mit einem Krankenhaus bebauten Grundstück zwischen Verwaltung und eigener GmbH,5 3. unentgeltliche Bestellung eines Erbbaurechts durch Kommune zugunsten eines Trägers der Wohlfahrtspflege,6 4. unentgeltliche Übertragung eines Gemeindegrundstücks auf einen gemeinnützigen KitaVerein mit kommunaler Pflichtaufgabe7 und

1 § 516 BGB. 2 BFH v. 29.6.2016 – II R 41/14, BStBl. II 2016 S. 865; BFH v. 27.8.2014 – II R 43/12, BStBl. II 2015 S. 241. 3 BFH v. 29.3.2006 – II R 15/04, BStBl. II 2006 S. 557; BFH v. 1.12.2004 – II R 46/02, BStBl. II 2005 S. 311; BFH v. 26.8.2004 – II B 104/03 (NV), BFH/NV 2005 S. 57; zur Mittelbarkeit von Zuwendungsgegenständen FG Münster vom 7.6.2017 – 8 K 2338/14 GrE, EFG 2017 S. 1360. 4 BFH v. 1.12.2004 – II R 46/02, BStBl. II 2005 S. 311. 5 BFH v. 29.3.2006 – II R 15/04, BStBl. II 2006 S. 557. 6 BFH v. 29.3.2006 – II R 68/04, BStBl. II 2006 S. 632; Beachte: dies soll nicht für Kirchen geltenBFH v. 17.5.2006 – II R 46/04, BStBl. II S. 720. 7 FG Nürnberg vom 16.10.2014 – 4 K 1315/12, EFG 2015 S. 148.

450 | Westendorf

C. Grunderwerbsteuer | Rz. 7.363 Kap. 7

5. die unentgeltlichen Grundstücksübertragungen durch die öffentliche Hand auf Stiftungen.1 Keine Grunderwerbsteuerpflicht liegt hingegen bei unentgeltlichen Zuwendungen unter Beteiligung der öffentlichen Hand vor, soweit Schenkungen durch privatrechtliche Organisationen, natürliche Personen oder auch nicht staatliche juristische Personen des öffentlichen Rechts in Richtung öffentliche Hand fließen. Soweit die öffentliche Hand eine unentgeltliche und freigebige Zuwendung nicht von einer anderen juristischen Person des öffentlichen Rechts mit Aufgabenvorbehalt erhält, könnte eine Steuerbefreiung i.S.d. § 3 Nr. 2 GrEStG zulässig sein.2

7.360

3. Besondere Steuerbefreiungen nach § 4 GrEStG a) Grundsatz Der § 4 GrEStG fasst die umfassendsten Regelungen zur Steuerbefreiung im Grunderwerbsteuergesetz zusammen. Der Anwendungsbereich ist jedoch ausschließlich auf juristische Personen des öffentlichen Rechts und auf ausländische Staaten und deren konsularische Einrichtungen beschränkt. Eine grundlegende und allgemein umfassende Steuerbefreiung der öffentliche Hand ist hiermit jedoch nicht gleichzusetzen, da die enumerativen Rechtsvorgänge des § 4 GrEStG u.a. allein Übertragungen für öffentlich-rechtliche Aufgaben und Zwecke begünstigen.3 Anders als im GrStG unterliegen gemeinnützige Einrichtungen oder hoheitliche Betätigungen juristischer Personen des öffentlichen Rechts keiner generellen Ausnahme.

7.361

Die Regelungen der §§ 4 Nr. 1 bis 5 GrEStG befreien neben dem Grundstückserwerb der öffentlichen Hand mit Aufgabenvorbehalt oder Grenzänderungen auch völkerrechtliche Erwerbe durch ausländische Staaten, Organisationsänderungen kommunaler Gebietskörperschaften sowie auch Grundstücksübertragungen im Rahmen einer öffentlich-privaten Partnerschaft. Einzig und allein § 4 Nr. 1 GrEStG hält einen Wettbewerbsvorbehalt vor, soweit Übertragungen einem Betrieb gewerblicher Art überwiegend dienen.4

7.362

b) Juristische Personen des öffentlichen Rechts i.S.d. § 4 Nr. 1 GrEStG aa) Systematische Einordnung und rechtl. Zusammenhang der Termini Die Norm gilt ausschließlich für juristische Personen des öffentlichen Rechts.5 Der Terminus ist gesetzlich jedoch nicht näher definiert, so dass auf die allgemeine verwaltungsrechtliche Begriffsdefinition zurückzugreifen ist.6 Die Rechtsfähigkeit als auch die organisatorische Ausgestaltung juristischer Personen des öffentlichen Rechts ist dem öffentlichen Recht des Bundes oder des jeweiligen Landes zu entnehmen, so dass insbesondere der Bund und die Länder, Landkreise, die Gemeinden (alles Gebietskörperschaften) sowie Anstalten und Stiftungen des

1 Koordinierender Ländererlass der FinBeh Hamburg v. 24.4.2014 – S 3806 A - 041 – II 6a/S 4505 A – 015 – II 53; OFD Magdeburg v. 20.11.2013 – S 3806 – 32 – St 271, DStR 2014 S. 703; auch Grundsätze einer freigebigen Zuwendung – BFH v. 9.12.2009 – II R 22/08, BStBl. II 2010 S. 363. 2 So ähnlich auch Hidien in Hidien/Jürgens, Besteuerung der öffentlichen Hand § 10 B. Tz. 153 m.w.N. 3 Vgl. dazu Nienhaus in Behrens/Wachter2, Kommentar zum GrEStG § 4 Tz. 2; BT-Drucks. 15/5668 zu Art. 5 S.16. 4 Näheres dazu unter Betriebe gewerblicher Art Rz. 7.376. 5 BT-Drucks. 14/443 zu Art. 15 Nr. 2 S. 42 f. 6 Vgl. Westendorf, Der BgA, B. IV. 3. a) S. 119 f.

Westendorf | 451

7.363

Kap. 7 Rz. 7.363 | Sonstige Einzelsteuergesetze

öffentlichen Rechts und weiterer als Solche gelten.1 Ihre Rechtsfähigkeit erlangen sie entweder durch staatlichen Hoheitsakt, aus sonstiger Verwaltungsübung oder aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen.2

7.364

Die Regelausnahme gilt ausdrücklich nur für anerkannte juristische Personen des öffentlichen Rechts. Andernfalls wäre die Befreiung von der Grunderwerbsteuer unzulässig. Eine normative Anwendung der Ausnahme scheidet aus, soweit keine zwei juristischen Personen des öffentlichen Rechts beim Rechtsträgerwechsel involviert sind und der Grundstücksübergang weder mit einer Aufgabenübertragung noch einer Grenzänderung einhergeht.3 Das GrEStG ist hinsichtlich eines fehlenden Befreiungstatbestandes für juristische Personen des Privatrechts selbst nicht lückenhaft. Ein neuer Begünstigungstatbestand ist selbst durch eine Gesetzesauslegung kein neuer und belegter Begünstigungstatbestand zu realisieren.4

7.365

Keine zwei am Erwerb beteiligten jPdöR liegen in folgenden Konstellationen vor: 1. Verkauf eines Grundstücks einer juristischen Person des privaten Rechts an einen Landkreis mit echter Aufgabenübertragung,5 2. Erwerb eines Grundstücks einer gemeinnützigen Kapitalgesellschaft durch eine jPdöR,6 3. freigebige Zuwendung eines Grundstücks durch die öffentliche Hand an einen gemeinnützigen Verein,7 4. Erwerb eines Grundstücks einer juristischen Person des privaten Rechts, die vormals umwandlungsbedingt eine jPdöR darstellte,8 5. gesetzlicher Übergang eines Grundstücks einer betr. Unterstützungskasse, hier Körperschaft des privaten Rechts, auf den Träger der Insolvenzsicherung nach § 14 BetrAVG9 und 6. der Erwerb eines Grundstücks durch eine jPdöR von einer natürlichen Person für spätere öffentlich-rechtliche Aufgaben.10

7.366

Der Teleologie folgend unterliegen ausschließlich identische Aufgaben- und Eigentumsübertragungen einer tatbestandsmäßigen Steuerbefreiung. Das bedeutet, dass eine Eigentumsübertragung mit einer identischen öffentlich-rechtlichen Aufgabenübertragung einhergehen muss, sog. Personen- und Aufgabenbezug.11 Ist jedoch zwischen der aufgaben- und eigentumsüber1 BFH v. 13.3.1974 – I R 7/71, BStBl. II 1974 S. 391; vgl. dazu auch Nienhaus in Behrens/Wachter2, Kommentar zum GrEStG § 4 Tz. 5 m.w.N. 2 Vgl. Viskorf in Boruttau20, GrEStG § 4 Tz. 11. 3 BFH v. 9.11.2016 – II R 12/15, BStBl. II 2017 S. 211; ausweislich BT-Drucks. 14/443 zu Art. 15 Nr. 2 S. 42 f. 4 So bereits BFH v. 21.1.2004 – II R 1/02 (NV), BFH/NV 2004 S. 1120; BFH v. 14.10.1998 – X R 56/ 96, BStBl. II 1999 S. 89. 5 BFH v. 9.11.2016 – II R 12/15, BStBl. II 2017 S. 211. 6 BFH v. 9.11.2016 – II R 12/15, BStBl. II 2017 S. 211; vorherige Instanz Hessisches FG vom 21.1.2015 -5 K 908/10, EFG 2015 S. 835. 7 FG Nürnberg v. 16.10.2014 – 4 K 1315/12, EFG 2015 S. 148. 8 Vgl. dazu Rz. 7.364. 9 BFH v. 21.1.2004 – II R 1/02 (NV), BFH/NV 2004 S. 1120; so auch Hessisches FG v. 21.1.2015 – 5 K 908/10, EFG 2015 S. 835. 10 BFH v. 22.6.2006 – II B 122/05 (NV), BFH/NV 2006 S. 1882; FG Hamburg v. 5.11.2009 – 3 K 71/ 09, EFG 2010 S. 1154. 11 BFH v. 27.11.2019 – II R 40/16, BStBl. II 2020 S. 233.; FG München v. 10.3.2004 – 4 K 2439/03, EFG 2005 S. 63; FG München vom 27.10.1999 – 4 K 1558/95, juris.

452 | Westendorf

C. Grunderwerbsteuer | Rz. 7.370 Kap. 7

tragenden jPdöR zu differenzieren, liegt keine Personen- und Aufgabenidentität und eine Grunderwerbsteuerpflicht vor.1 Es müssen zwingend zwei verschiedenen jPdöR beteiligt sein. Veräußerungen oder Übertragungen innerhalb der eigenen Organisationsstrukturen sind nicht begünstigt. bb) Übertragung aufgrund öffentl.-rechtl. Aufgaben Der Erwerb oder die gesetzliche Übertragung eines Grundstücks muss anlässlich einer öffentlich-rechtlichen Aufgabenübertragung gemäß § 4 Nr. 1 Alt. 1 GrEStG stattfinden, so dass solche Übertragungen nach der gesetzlichen Teleologie von der Grunderwerbsteuer zu befreien sind.2

7.367

Die Übertragung einer öffentlich-rechtlichen Aufgabe liegt nur insoweit vor, als das die übernehmende juristische Person Funktionen wahrnimmt, die vorher die übergebende jPdöR wahrgenommen hat.3 Eine rein aufeinander abgestimmte Betätigung, wobei die jPdöR weiterhin dieselben Aufgaben wahrnehmen, ist nicht als Aufgabenübertragung i.S.d. Norm zu verstehen.4 Auch eine Aufgabendelegation ist keine Übertragung im eigentlichen Sinne, da die originäre Aufgabe weiterhin bei der beauftragenden Körperschaft verbleibt.5

7.368

Als öffentlich-rechtliche Aufgabe wird mehrheitlich eine hoheitliche Betätigung verstanden. Dazu zählen auch kirchen-rechtliche Aufgaben.6 Eine gesetzliche Legaldefinition fehlt jedoch. Die Terminologie wird mehrheitlich aus § 4 Abs. 5 KStG abgeleitet. Hoheitliche Tätigkeiten sind jPdöR eigentümlich und vorbehalten, leiten sich aus der Staatsgewalt ab und dienen staatlichen Zwecken.7 Nicht dazu zählen insbesondere wirtschaftliche Betätigungen, bei denen sich die jPdöR in den allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr einschaltet und die keine wesentliche Differenzierung zwischen gewerblichen Betätigungen erlaubt.8 Darüber hinaus darf weder eine Wettbewerbsbeeinträchtigung steuerpflichtiger Unternehmen noch eine steuerliche Ungleichbehandlung hervortreten.9

7.369

Als öffentlich-rechtliche Aufgaben können u.a. die Verwaltung von Steuern10, Straßenbaulasten, die Abwasser- und Müllentsorgung, die Schulen und Universitäten und viele weitere verstanden werden. Für sämtliche öffentlich-rechtlichen Aufgabenübertragungen die mit einem

7.370

1 FG Baden-Württemberg v. 28.2.2007 – 2 K 285/05, EFG 2007 S. 951. 2 BFH v. 17.5.1989 – II R 98/86, juris. 3 Vgl. Loose, jurisPR-SteuerR 23/2020, Anm. 4; BFH v. 27.11.2019 – II R 40/16, BStBl. II 2020 S. 233. 4 BFH v. 1.9.20201 – II R 16/10, BStBl. II 2012 S. 148; BFH v. 17.5.1989 – II R 98/86 (NV), BFH/ NV 1990 S. 263. 5 FG Nürnberg v. 16.10.2014 – 4 K 1315/12, EFG 2015 S. 148, vgl. dazu auch Viskorf in Boruttau20, GrEStG § 4 Tz. 15 m.w.N. 6 BFH v. 27.11.2019 – II R 40/16, BStBl. II 2020 S. 233. 7 H 4.4 KStH 2015 „Hoheitsbetrieb“; BMF v. 11.12.2009 – IV C 7 - S 2706/07/10006, BStBl. I 2009 S. 1597; BFH v. 21.11.1967 – I 274/64, BStBl. II 1968 S. 218; so auch Westendorf, Der BgA, C. III. 6. a) S. 232 und C. VI. 3. c) S. 316. 8 BFH v. 12.7.2012 – I R 106/10, BStBl. II 2012 S. 837. 9 BFH v. 29.10.2008 – I R 51/07, BStBl. II 2009 S. 1022; so ähnlich FG München vom 19.6.2019 – 4 K 2515/16, EFG 2019 S. 1617 – Nichtzulassungsbeschwerde wurde als unbegründet zurückgewiesen, vgl. BFH v. 23.4.2020 – II B 63/19. 10 Vollständiger Übergang der Kfz-Steuerverwaltung auf den Bund seit dem 1.7.2014, aktuelle Zuständigkeit obliegt den Hauptzollämtern.

Westendorf | 453

Kap. 7 Rz. 7.370 | Sonstige Einzelsteuergesetze

Rechtsträgerwechsel an einem Grundstück einhergehen, dazu zählen auch Nebengebäude und staatliche Nebenstraßen, öffentliche Wege und Plätze, findet § 4 Nr. 1 GrEStG Anwendung. Die Einbindung von Nebengebäuden und Nebenstraßen in den öffentlich-rechtlichen Aufgabenbegriff erfordert eine weite Auslegung der entsprechenden Terminologie. § 4 Nr. 1 GrEStG engt den Begriff und deren Befreiung lediglich für vorliegende Betriebe gewerblicher Art ein, so dass weitergehende, gar restriktive, Eingrenzungen nicht zutreffen. Die Regelung dient ausschließlich einer wettbewerbsneutralen und gleichheitsrechtlichen Anwendung der Ausnahme von der Besteuerung.1

7.371

Ein Rechtsträgerwechsel an einem Grundstück anlässlich eine öffentlich-rechtlichen Aufgabenübertragung ist zum einen kausal bedingt und zum anderen zwingend sachdienlich.2

7.372

Die folgenden Fallbeispiele zeigen eine öffentlich-rechtliche Aufgabenübertragung auf: 1. Wechsel des Straßenbaulastträgers i.S.d. § 6 BFStrG oder Straßenrecht der Länder, zugleich Übertragung anliegender Straßengrundstücke,3 2. Übergang der Aufgaben einer Landesversicherungsanstalt auf den medizinischen Dienst – hier vertrauensärztlicher Dienst,4 3. Umwandlung der Bauverwaltung in Anstalten des öffentlichen Rechts,5 4. Übertragung eines kirchlichen Kindergartens auf einen anderen Kirchenkreis,6 5. Übertragung der Grundversorgung von Asylbewerbern nach der Verordnung zur Durchführung des Asylbewerberleistungsgesetzes7 und 6. die Übertragung der Abwasserentsorgung einer Gebietskörperschaft auf eine Anstalt des öffentlichen Rechts oder Zweckverband.8 cc) Übertragung aufgrund von Grenzänderungen

7.373

Neben der Übertragung von öffentlich-rechtlichen Aufgaben befreit § 4 Nr. 1 Alt. 2 GrEStG auch die mit der Grundstücksübertragung zusammenhängenden Grenzänderungen. Solche Übertragungen finden insbesondere bei Zusammenlegungen von Gemeinden, sog. Eingemeindungen, oder bei Kirchengemeinden statt. Diesbezüglich umfasst die Steuerbefreiung sämtliche gesetzlichen als auch rechtsgeschäftlichen Eigentumsübertragungen, die einen

1 Sinngemäß Viskorf in Boruttau20, GrEStG § 4 Tz. 15 m.w.N.; auch Hidien in Hidien/Jürgens, Besteuerung der öffentlichen Hand § 10 B. Tz. 190 bis 194 mit weiteren Anwendungsbeispielen und Nachweisen. 2 Hierzu vgl. die Ausführung zur Kausalität beim Tatbestand der Grenzänderung; BFH v. 27.11.2019 – II R 40/16, BStBl. II 2020 S. 233. 3 Viskorf in Boruttau20, GrEStG § 4 Tz. 18 m.w.N. 4 FM Niedersachsen v. 20.8.1991 – S 4506-142-36. 5 Viskorf in Boruttau20, GrEStG § 4 Tz. 15. 6 FG Hamburg vom 5.2.2013 – 3 K 74/12, EFG 2013 S. 956; es gilt zu beachten, dass es zwar zu einer Übertragung einer öffentlich-rechtlichen Aufgabe kommt, ein Kindergarten jedoch ein BgA darstellt. 7 BFH v. 9.11.2016 – II R 12/15, BStBl. II 2017 S. 211; Hessische FG vom 21.1.2015 – 5 K 908/10, EFG 2015 S. 835. 8 Hidien in Hidien/Jürgens, Besteuerung der öffentlichen Hand § 10 B. Tz. 200 auch mit weiteren Bsp. zur fehlenden Aufgabenübertragung.

454 | Westendorf

C. Grunderwerbsteuer | Rz. 7.377 Kap. 7

Wechsel des Rechtsträgers zur Folge haben.1 Entgegen des in der ersten Alternative aufgeführten Nutzungszwecks verfolgen sog. Grenzänderungen keinen derartigen Tatbestand einer öffentlich-rechtlichen Aufgabe. Einschränkend wirkt hierbei nur der normbasierende Verweis der überwiegenden und tatsächlichen Zwecknutzung durch einen Betrieb gewerblicher Art.2 Auch gemischte Grundbesitznutzungen sind nicht befreiungsschädlich, solange eine betriebliche Nutzung von untergeordneter Bedeutung vorherrscht. Die Literatur geht hierbei von einer gewerblichen Nutzung von weniger als 50 % aus.3 Unter Umständen wäre eine Einzelfallbetrachtung oder eine Gesamtschau unerlässlich, um die gebotene Sachverhaltsaufklärung im Einzelfall zu gewährleisten. Die Grenzänderung ist kausal durch den Rechtsträgerwechsel bedingt. Daraus folgt, dass zwischen einer Grenzänderung und dem Rechtsträgerwechsel ein zwingend ursächlicher Veranlassungszusammenhang bestehen muss. Hierfür treten zum Zeitpunkt des Rechtsträgerwechsels eine Grenzänderung oder auch ein Übergang von öffentlich-rechtlichen Aufgaben ein. Der Teleologie der Norm ist ein Auseinanderfallen der einzelnen Tatbestände nicht zu entnehmen.4 Eine mangelnde Kausalität ist folglich steuerbefreiungsschädlich.5

7.374

Darüber hinaus enthält die Norm keinen Nachversteuerungsvorbehalt. Soweit zum Zeitpunkt des Rechtsträgerwechsels sämtliche Voraussetzungen erfüllt sind, ist die Steuerbefreiung zu gewähren. Im Nachhinein eintretende tatsächliche Veränderungen der öffentlich-rechtlichen Aufgaben oder Grenzänderungen haben auf die vormals gewährte Befreiung keine aberkennende oder gar nachteilige Wirkung.6

7.375

c) Betriebe gewerblicher Art Ein Rechtsträgerwechsel im Rahmen einer öffentlich-rechtlichen Aufgabenübertragung oder einer Grenzänderung ist nur insoweit von der Besteuerung zu befreien, als dass das Grundstück nicht überwiegend einem Betrieb gewerblicher Art dient.7 Demzufolge sind Grundstücksübertragungen, die die öffentliche Hand insbesondere für wirtschaftliche Tätigkeiten nutzt, steuerpflichtig und unterliegen keiner mit der Grunderwerbsteuer verknüpften Ausnahme.

7.376

Die Terminologie des Betriebs gewerblicher Art ist ebenso wenig wie der Begriff der jPdöR im Grunderwerbsteuergesetz gesetzlich näher definiert. Hierfür ist allein auf die in § 4 Abs. 1 KStG aufgeführte Legaldefinition zu verweisen. Betriebe gewerblicher Art sind alle Einrichtungen, die einer nachhaltigen wirtschaftlichen Betätigung zur Erzielung von Einnahmen dienen und sich innerhalb der Gesamtbetätigung der jPdöR wirtschaftlich herausheben. Dabei bedarf es weder einer Gewinnerzielungsabsicht noch einer Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr.8

7.377

1 Vgl. Viskorf in Boruttau, GrEStG § 4 Tz. 21; als auch Nienhaus in Behrens/Wachter2, Kommentar zum GrEStG § 4 Tz. 11 ff. 2 Hierzu vgl. Betriebe gewerblicher Art Rz. 7.376. 3 Vgl. dazu u.a. Nienhaus in Behrens/Wachter2, Kommentar zum GrEStG § 4 Tz. 27; so ähnlich auch Hidien in Hidien/Jürgens, Besteuerung der öffentlichen Hand § 10 B. Tz. 204. 4 Richtigerweise Hidien in Hidien/Jürgens, Besteuerung der öffentlichen Hand § 10 B. Tz. 205; a.A. Viskorf in Boruttau20, GrEStG § 4 Tz. 19 f. 5 FG Hamburg v. 5.11.2009 – 3 K 71/09, EFG 2010 S. 1154; sinngemäß BFH v. 1.9.2011 – II R 16/ 10, BStBl. II 2012 S. 148; BFH v. 27.11.2019 – II R 40/16, BStBl. II 2020 S. 233. 6 Vgl. Nienhaus in Behrens/Wachter2, Kommentar zum GrEStG § 4 Tz. 28. 7 § 4 Nr. 1 GrEStG. 8 § 4 Abs. 1 KStG; so auch Westendorf, Der BgA, B. IV. 3. b) (2) S. 123 ff.

Westendorf | 455

Kap. 7 Rz. 7.377 | Sonstige Einzelsteuergesetze

Betriebe gewerblicher Art vereinen auf sich vorwiegend das äußere Bild eines Gewerbebetriebes, so dass die gesetzliche Qualifikation eine Begünstigung als auch einen Wettbewerbsvorteil der öffentlichen Hand vermeidet.1 Mit der durch das StEntlG 1999/2000/20022 eingeführten Regelung glich der Gesetzgeber auch die grunderwerbsteuerliche Norm, unter dem Blickwinkel einer realwirtschaftlichen Betätigung der öffentlichen Hand, der Wettbewerbsneutralität und seiner verzerrenden Wirkung gesetzübergeifend an.3 Auf diese Weise trat bei Umstrukturierungen und Übertragungen durch die öffentliche Hand eine weiterführende steuerliche Gleichstellung mit privatwirtschaftlich agierenden Unternehmen und natürlichen Personen ein.4

7.378

Der Terminologieverweis des § 4 Abs.1 KStG vereinfacht die Anwendung der Ausnahme nicht tatsächlich, da selbst der Begriff als auch der Umfang eines Betriebs gewerblicher Art keiner einfachen Abgrenzung zugänglich sind. Die Finanzverwaltung hat gewisse Vereinfachungen eingeführt, betragsmäßige Grenzen 130.000€ oder 35.000€, welche rein indizielle Wirkungen des Einrichtungsbegriffs und eines Selbstständigkeitserfordernisses offenbaren.5 Neben diesen Grenzen sind tätigkeitsbezogene und funktionelle Betrachtungen zulässig und in einer Vielzahl der Fälle wesentlich sachdienlicher und angezeigt.6 Insbesondere bei gewerblichen Betätigungen mit sehr geringen Umsätzen, hier Umsätzen unter 35.000€, ist eine solche Betrachtung nicht umgänglich. Allein aus körperschaftsteuerlicher Sicht entstünde kein Betrieb gewerblicher Art. Jedoch sind für grunderwerbsteuerliche Zwecke und im Sinne einer einheitlichen Rechtsanwendung des § 4 Nr. 5 GrEStG sämtliche gewerblichen Betätigungen der öffentlichen Hand, Betriebe gewerblicher Art mit Umsätzen geringer als 35.000€, steuerbefreiungsschädlich.7

7.379

Als Betriebe gewerblicher Art sind insbesondere Verkehrs- und Versorgungsbetriebe i.S.d. Katalogbetriebe des § 4 Abs. 3 KStG anzusehen. Ferner fallen sämtliche Grundstücke unter die befreiungsschädliche Einordnung, die notwendiges Betriebsvermögen eines Betriebs gewerblicher Art darstellen, bspw. Eigen- oder Regiebetriebe. Die Einordnung in notwendiges oder gewillkürtes Betriebsvermögen ist allein für den überwiegenden Nutzungszusammenhang zwingend geboten, so dass lediglich Grundstücke, die zu mehr als 50 % öffentlich-rechtlich Aufgaben dienen, begünstigungsfähig sind. Eine Aufteilung ist aus praktikabilitätsgründen nach den Verhältnissen der Grundstücks- und Gebäudeflächen vorzunehmen.8 Temporäre Nutzungen sind für die Ermittlung eines Verhältnissatzes in die Berechnung einzubeziehen, wobei Leerstandszeiten der originären Nutzung der Einrichtung zuzuordnen sind. Die Literatur vertritt hierbei richtigerweise die mehrheitliche Meinung, dass eine überwiegende Zuordnung zur hoheitlichen Betätigung erforderlich ist.9

7.380

Allein aus der öffentlich-rechtlichen Aufgabe, überwiegend als hoheitliche Aufgabe i.S.d. § 4 Abs. 5 KStG zu verstehen, folgt eine eindeutige Abgrenzung zu rein realwirtschaftlichen und gewerblichen Betätigungen. Die tatbestandsmäßige Einbindung der Terminologie des Betriebs gewerblicher Art erweitert den Anwendungskreis der Steuerbefreiungen auch auf vermögens1 2 3 4 5 6 7

BFH v. 9.4.2003 – X R 21/00, BStBl. II 2003 S. 520. BT-Drucks. 14/442 S. 97 und BT-Drucks. 14/443 S. 43. So sinngemäß Viskorf in Boruttau20, GrEStG § 4 Tz. 22. FG Hamburg v. 5.2.2013 – 3 K 74/12, EFG 2013 S. 956 rkr. R 4.1. Abs. 4 und 5 KStR. BFH v. 3.2.2010 – I R 8/09, BStBl. II 2010 S. 502 m.w.N. Näher dazu Nienhaus in Behrens/Wachter2, Kommentar zum GrEStG § 4 Tz. 23; auch Pahlke, GrEStG, § 4 Tz. 14 ff. 8 So ähnlich bereits FG Hamburg v. 5.2.2013 – 3 K 74/12, EFG 2013 S. 956 rkr.; auch Viskorf in Boruttau20, GrEStG § 4 Tz. 29. 9 Vgl. Rz. 7.379.

456 | Westendorf

C. Grunderwerbsteuer | Rz. 7.385 Kap. 7

verwaltende und land- und forstwirtschaftliche Betätigungen der öffentlichen Hand. Allein dieser Umstand lässt eine weite Auslegung der Steuerbefreiungsnorm erkennen. Der alleinige Verweis auf die Terminologie eines Betriebs gewerblicher Art stellt insoweit zahlreiche Sphären der öffentlichen Hand grunderwerbsteuerfrei.1

4. Weitere Konstellationen a) Überblick Das Grunderwerbsteuergesetz führt weitere Begünstigungsmaßnahmen für die öffentliche Hand auf. Neben dem Rechtsträgerwechsel aus Anlass von öffentlich-rechtlichen Aufgaben oder Grenzänderungen sind auch der Erwerb eines ausl. Staates für Zwecke der Botschaften und kulturellen Einrichtungen, die Übertragungen aufgrund von kommunalen Zusammenschlüssen, die öffentlich privaten Partnerschaften als auch die Erwerbe aufgrund des Austritts aus der Europäischen Union unter gewissen Voraussetzungen begünstigt.

7.381

b) Erwerb durch ausl. Staaten für konsularische oder diplomatische Zwecke § 4 Nr. 2 GrEStG befreit Grundstückserwerbe ausländischer Staaten, soweit sie das Grundstück für Zwecke der Botschaften, Gesandtschaften oder Konsulaten erwerben und dieses Recht auf Gegenseitigkeit angelegt ist. Die Befreiung umfasst neben den Botschaftsgebäuden auch die Wohngebäude des Personals sowie Nebengelasse.2 Allein die beim Erwerb bestehende Nutzungsabsicht ist für den Befreiungstatbestand ursächlich.3 Spätere Nutzungsänderungen sind unbeachtlich, da § 4 GrEStG kein Nachversteuerungsvorbehalt enthält.4

7.382

Das Merkmal auf Gegenseitigkeit ist Ausdruck der Staatengleichheit. Nur demjenigen Staat wird die Begünstigung gewährt, der der Bundesrepublik Deutschland dieses Recht auch wechselseitig im jeweiligen Staat einräumt. Der Tatbestand ist bei jedem Erwerb erneut zu prüfen. Die Zuständigkeit über die Erteilung einer entsprechenden Bescheinigung obliegt hierzulande dem Auswärtigen Amt. Dieses klärt ggf. mit der zuständigen Auslandsvertretung das Gegenseitigkeitserfordernis ab. Erst im Anschluss ist eine entsprechende Unbedenklichkeitsbescheinigung seitens der Finanzverwaltung zu erteilen.5

7.383

c) Erwerb durch ausl. Staaten oder ausl. Einrichtungen für kulturelle Zwecke Das Grunderwerbsteuergesetz befreit auch den Erwerb von Grundbesitz durch ausl. Staaten und ausl. kulturelle Einrichtungen i.S.d. § 4 Nr. 3 GrEStG. Der Grundbesitzerwerb darf ausschließlich kulturellen Zwecken dienen und muss ebenso das Gegenseitigkeitserfordernis als auch die Nutzungsabsicht verwirklichen.6 Inländische juristische Personen des öffentlichen und privaten Rechts begünstigt diese Norm ausdrücklich nicht.7

7.384

Die Terminologie des kulturellen Zwecks ist gesetzlich nicht näher bestimmt. Der Zweck hebt die Vermittlung ausländischer Kulturen und Werte hervor, ebenso der Lebensformen und tra-

7.385

1 2 3 4 5 6 7

So ähnlich auch Hidien in Hidien/Jürgens, Besteuerung der öffentlichen Hand § 10 B. Tz. 209. Erlass des FinMin. Niedersachsen v. 10.12.1997 – S 4506 - 122 – 342, DStR 1998 S. 608. BFH v. 31.3.1982 – II R 155/79, BStBl. II 1982 S. 421. Vgl. Viskorf in Boruttau20, GrEStG § 4 Tz. 31. Vgl. Viskorf in Boruttau20, GrEStG § 4 Tz. 32 m.w.N. Vgl. dazu die Ausführungen zu § 4 Nr. 2 GrEStG Rz. 7.382. BFH v. 1.9.2011 – II R 16/10, BStBl. II 2012 S. 148.

Westendorf | 457

Kap. 7 Rz. 7.385 | Sonstige Einzelsteuergesetze

genden Geistesverfassung. Hierfür bedienen sie sich unterschiedlichster kultureller oder überstaatlicher Einrichtungen, wie bspw. Bibliotheken, Museen und Ausstellungsgebäuden, Kommunikationszentren und Sprachinstituten, Forschungseinrichtungen, Wissenschaftsorganisationen sowie Ausbildungseinrichtungen.1 d) Kommunale Zusammenschlüsse – Gebietsreformen

7.386

Der grunderwerbsteuerliche Befreiungstatbestand des § 4 Nr. 4 GrEStG zielt auf leistungsfähige Verwaltungen ab, die sich den Bedürfnissen der Bevölkerung als auch dem demographischen Wandel anpasst und diesen fortentwickelt. Der Tatbestand ergänzt systematisch § 4 Nr. 1 GrEStG und erweitert den Befreiungsumfang im kommunalen Bereich auch auf Gebietsreformen.2 § 4 Nr. 1 GrEStG ist vorrangig anzuwenden. § 4 Nr. 4 GrEStG enthält zwei Fallvarianten. Der Tatbestand befreit einerseits die Übertragung von Grundstücken und Gesellschaftsanteilen als unmittelbare Rechtsfolge eines Zusammenschlusses kommunaler Gebietskörperschaften und andererseits Rechtsvorgänge aus Anlass der Aufhebung der Kreisfreiheit von Gemeinden.

7.387

§ 4 Nr. 4 GrEStG ist im Zusammenhang mit § 4 Nr. 1 GrEStG zu erörtern. Der Anwendungsumfang ist hierbei weiter als in § 4 Nr. 1 GrEStG gefasst, da weder auf eine Wettbewerbsneutralität noch auf eine Aufgabenübertragung zu achten ist und daneben Gesellschafterwechsel umfasst. Dennoch weist § 4 Nr. 4 GrEStG auch Einschränkungen hinsichtlich der einzelnen Erwerbsvorgänge und der begünstigten Gebietskörperschaften auf.3

7.388

Die erste Alternative regelt den Zusammenschluss kommunaler Gebietskörperschaften, wie Gemeinden, Landkreise, Bezirke oder Landschaftsverbände. Die Gebietsreform entspringt einer gesetzlichen Regelung oder einem Hoheitsakt. Insbesondere Grundstückübertragungen i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 3 GrEStG oder der Übergang von Gesellschaftsanteilen gem. § 1 Abs. 3 Nr. 2 und 4 GrEStG ohne vorhergehendes Verpflichtungsgeschäft und Auflassung unterliegen dem Tatbestand.4 Folglich erfasst der Tatbestand keine rechtsgeschäftlichen Umwandlungsvorgänge, da diese keine unmittelbare Folge eines Zusammenschlusses von Gebietskörperschaften darstellen. Die Regelung beinhaltet auch keine Übertragungen kommunaler Beteiligungen an Personengesellschaften i.S.d. § 1 Abs. 2a oder 3a GrEStG.5

7.389

Die zweite Alternative des § 4 Nr. 4 GrEStG erfasst grundlegend nur rechtsgeschäftliche Übertragungen aus Anlass der Aufhebung der Kreisfreiheit einer Gemeinde. Hierbei greift die Norm allein die Grundstückübertragungen i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG und den Übergang von Gesellschaftsanteilen i.S.d. § 1 Abs. 3 Nr. 1 und 3 GrEStG auf und befreit nur solche Sachverhalte, die unmittelbar im Zusammenhang mit der Aufhebung der Kreisfreiheit einer Gemeinde stehen. Die Aufhebung der Kreisfreiheit muss objektiv in einem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen. Der Steuerpflichtige trägt die Feststellungslast und kann im Zweifel einen Freistellungsbescheid bei der Finanzverwaltung beantragen. Anderweitig steuerbare Vorgänge sind nicht unter den o.a. Tatbestand zu subsumieren.6 1 Gleich lautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder v. 21.12.1982 – o. Az., BStBl. I 1982 S. 968; so auch Viskorf in Boruttau2, GrEStG § 4 Tz. 36. 2 BT-Drucks. 17/13033, zu Nummer 2 S. 111. 3 Vgl. Viskorf in Boruttau20, GrEStG § 4 Tz. 37; Nienhaus in Behrens/Wachter2, Kommentar zum GrEStG § 4 Tz. 46 f. 4 BT-Drucks. 17/13033, zu Nummer 2 S. 111. 5 So auch Viskorf in Boruttau20, GrEStG § 4 Tz. 38. 6 Vgl. Viskorf in Boruttau20, GrEStG § 4 Tz. 39/40; Nienhaus in Behrens/Wachter2, Kommentar zum GrEStG § 4 Tz. 49 bis 52.

458 | Westendorf

C. Grunderwerbsteuer | Rz. 7.394 Kap. 7

e) Öffentlich Private Partnerschaft (ÖPP) i.S.d. § 4 Nr. 5 GrEStG Die Terminologie der ÖPP ist auch im grunderwerbsteuerlichen Sinne nicht gesetzlich definiert. Hierunter ist eine Kooperation von öffentlicher und privater Hand beim Entwerfen, Planen und der Erstellung, Finanzierung und dem Management sowie dem Betreiben und Verwerten von in staatlicher Verantwortung erbrachten öffentlichen Leistungen zu verstehen.1 Neben der originären Übertragung auf private Rechtsträger müssen die vertraglichen Gestaltungen zwingend die Rückübertragung am Ende des Vertragszeitraums klar und eindeutig erklären und tatsächlich durchführen. Optionslösungen erfüllen grundsätzlich nicht den gesetzlichen Tatbestand.2

7.390

Die Teleologie der Begünstigung einer ÖPP liegt nicht in der vollumfänglichen und grundlegenden Befreiung von der Grunderwerbsteuer. § 4 Nr. 5 GrEStG fördert die Realisierung gemeinwohldienender Projekte.3 Die Ausnahme von der Besteuerung ist nur unter engen Voraussetzungen zulässig und strebt die Vermeidung einer Doppelbelastung an. Im Rahmen der wirtschaftlichen Betrachtung der ÖPP verbleibt das Grundstückseigentum, hier durch Verkauf, öffentliche Nutzung und Rückübertragung, über die gesamte Vertragslaufzeit bei der öffentlichen Hand.4 Allein eine solche Beurteilung und tatsächliche Durchführung bewerkstelligt die Begünstigung im grunderwerbsteuerlichen Sinne. Die vorliegenden Voraussetzungen sind mit denen des § 3 Abs. 1 S. 3 GrStG steuersystematisch vergleichbar.5

7.391

§ 4 Nr. 5 GrEStG befreit Grundstücksübertragungen von juristischen Personen des öffentlichen Rechts auf private Rechtsträger. Im Rahmen der ÖPP unterliegt das Grundstück dem öffentlichen Dienst oder Gebrauch i.S.d. § 3 Abs. 2 GrStG und ist zwingend, nach Beendigung des Vertragsverhältnisses, an die jPdöR rückübertragungspflichtig.6 Der öffentliche Dienst oder Gebrauch bestimmt hierbei den hoheitlichen und bestimmungsgemäßen Gebrauch des Grundstücks durch die Allgemeinheit. Die Aufgaben sind den juristischen Personen des öffentlichen Rechts eigentümlich und vorbehalten. Folglich stellen wirtschaftliche Betätigungen durch einen Betrieb gewerblicher Art keine hoheitlichen Betätigungen dar. Auch die körperschaftsteuerlichen Vereinfachungen, Umsätze größer als 35.000€ oder Freibeträge i.S.d. § 24 KStG, sind nicht anzuwenden.7 Diesbezüglich bieten die A 9 und 10 der GrStR eine praktikable Orientierung und rechtfertigen eine einheitliche Rechtsanwendung der Finanzverwaltung.8

7.392

Da § 4 Nr. 5 GrEStG keine Einschränkungen hinsichtlich des Grundstücksbegriffs enthält, ist die Grundstücksterminologie übereinstimmend mit § 2 GrEStG auszulegen. Somit umfasst der Begriff neben den Grundstücken auch Erbbaurechte, Gebäude auf fremden Grund und Boden sowie grundstücksgleichen Rechte i.S.d. § 2 Abs. 2 GrEStG.9

7.393

Entfallen die gesetzlichen Anforderungen im Nachhinein, führt § 4 Nr. 5 S. 2 GrEStG ein Nachversteuerungsvorbehalt auf. Der Wegfall ist gemäß § 19 Abs. 2 Nr. 5 GrEStG anzeige-

7.394

1 2 3 4 5 6 7 8 9

BT-Drucks. 15-5668 – zu Art. 5 S. 10; BFH v. 10.4.2019 – II R 16/17, DStRE 2019 S. 1090. So zur Grundsteuer – BFH v. 27.9.2017 – II R 13/15, BStBl. II 2018 S. 768. FG Berlin-Brandenburg v. 2.3.2017 – 12 K 15068/15, EFG 2017 S. 1528. BT-Drucks. 15-5668 – zu Art. 5 S. 16 f. Vgl. dazu die Ausführungen zur ÖPP im GrStG Rz. 7.209. BFH v. 10.4.2019 – II R 16/17, DStRE 2019 S. 1090. Vgl. dazu die Ausführungen zur hoheitlichen Betätigung im GrStG Rz. 7.245 und m.w.N. OFD Koblenz v. 22.12.2010 – S 4506 A – St 35 3, StEK GrEStG 1983 § 4 Nr. 32. BFH v. 10.4.2019 – II R 16/17, DStRE 2019 S. 1090; zur Grundsteuer BFH v. 6.12.2017 – II R 26/ 15 (NV), BFH/NV 2018 S. 453.

Westendorf | 459

Kap. 7 Rz. 7.394 | Sonstige Einzelsteuergesetze

pflichtig.1 Eine Korrektur erfolgt durch Änderungen im Rahmen eines rückwirkenden Ereignisses i.S.d. § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO.2 f) Erwerbe im Zusammenhang mit dem Austritt aus der EU

7.395

Die o.a. Begünstigungen enthalten u.a. eine Reihe von Begünstigungen für die öffentliche Hand. Der nunmehr neu eingefügte § 4 Nr. 6 GrEStG befreit Erwerbe, die allein mit dem Austritt des Vereinigten Königsreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union im Zusammenhang steht.3 Für juristische Personen des öffentlichen Rechts ist diese Vorschrift von geringer Bedeutung. Die Norm stellt lediglich sicher, dass nicht allein der Austritt des Vereinigten Königsreichs Großbritanniens und Nordirland aus der Europäischen Union Erwerbe und folglich steuerbare Sachverhalte generiert. Insbesondere bei der englischen Limited, mit inländischer Geschäftsführung und einem Gesellschafter, sind Fallkonstellationen denkbar, in denen allein der Austritt einen Erwerbstatbestand realisiert.4

5. Konzernklausel des § 6a GrEStG 7.396

Der § 6a GrEStG erweitert den formalen Anwenderkreis für Begünstigungen und schränkt diesen gleichzeitig auf sachliche Befreiungen im Rahmen von Umstrukturierungen im Konzern ein. Die vorgenannte Norm verweist nicht explizit auf eine grundstückbezogene Steuervergünstigung. Vielmehr begünstigt § 6a GrEStG konzerninterne Umstrukturierungsmaßnahmen, wobei der Kreis der am begünstigungsfähigen Erwerbsvorgang Beteiligten begrenzt ist, auf das eine herrschende Unternehmen und deren abhängige Gesellschaften.5 Die o.a. Norm ist folglich auch für juristische Personen des öffentlichen Rechts mit ihren Betrieben gewerblicher Art, den Eigengesellschaften und ihren Konzernbeteiligungen von besonderer Bedeutung.

7.397

Ein Verstoß gegen Unionsrecht liegt hingegen nicht vor. Die Begünstigung stellt keine Beihilfe i.S.d. Art. 107 Abs. 1 AEUV dar.6

7.398

Der sachliche Befreiungstatbestand des § 6a S. 1 GrEStG begünstigt überwiegend Erwerbsvorgänge i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 3 S. 1, Abs. 2, 2a, 3 und 3a GrEStG, die sich aus Umstrukturierungsmaßnahmen unter Anwendung des Umwandlungsgesetzes, hier durch Verschmelzungen, Spaltungen, Ausgliederungen und Vermögensübertragungen7, ergeben.8 Allein die o.g. Vorgänge eröffnen den Anwendungsbereich des § 6a S. 1 Alt. 1 GrEStG. Reine Formwechsel führen mangels Rechtsträgerwechsel respektive Erwerbsvorgang nicht zu einer Begünstigung.9 Neben den o.a. Umwandlungsvarianten bezieht die Norm auch Einbringungsvorgänge i.S.d. 1 BFH v. 22.5.2019 – II R 24/16, BStBl. II 2020 S. 157. 2 Finanzministerium Brandenburg v. 16.3.2006 – 31 – S 4500 – 9/05, SiS 064910; Finanzministerium Nordrhein-Westfalen v. 4.4.2006 – S 4506 - 112 – V A 2, DB 2006 S. 870. 3 BR-Drucks. 84/19 zu Art. 6 S. 4. 4 BT-Drucks. 19-7959 – zu Art. 6 Nr. 1 lit. b S. 36. 5 Gleich lautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder v. 19.6.2012, o. Az., BStBl. I 2012 S. 662. 6 BFH v. 21.8.2019 – II R 19/19 (II R 63/14), DStR 2020 S. 341; EuGH v. 19.12.2018 – C-374/17, ABrauerei, DStR 2019 S. 49. 7 § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 UmwG. 8 Näheres dazu regelt auch der gleich lautende Erlass der obersten Finanzbehörden der Länder vom 19.6.2012, o. Az., BStBl. I 2012 S. 662. 9 BFH v. 22.11.2018 – II B 8/18, BStBl. II 2020 S. 153; vgl. Viskorf in Boruttau20, GrEStG § 6a Tz. 29.

460 | Westendorf

C. Grunderwerbsteuer | Rz. 7.403 Kap. 7

§§ 20 und 24 UmwStG sowie andere Erwerbsvorgänge1 auf gesellschaftsvertraglicher Grundlage ein und stellt die Besagten von der Steuererhebung frei.2 Neben den einzelnen Maßnahmen gilt es mittelbare oder unmittelbare Beteiligungsquoten von 95 % und Vor- und Nachbehaltefristen von 5 Jahren einzuhalten. Bei den beteiligten Rechtsträgern handelt es sich entweder um ein herrschendes Unternehmen und ein oder mehrere abhängige Gesellschaften oder um abhängige Gesellschaften von einem oder mehreren herrschenden Unternehmen.3 Abhängige Unternehmen können nur Personen- und Kapitalgesellschaften sein. Weitere Personen, wie bspw. juristische Personen des öffentlichen Rechts mit ihren Betrieben gewerblicher Art, können auf Grund ihrer Rechtsträgereigenschaft und -fähigkeit weder originäre Abhängigkeiten erlangen noch eingehen.

7.399

Als herrschendes Unternehmen kommen wirtschaftlich tätige Einzelunternehmen, Personenund Kapitalgesellschaften, hier Eigengesellschaften der öffentlichen Hand, als auch juristische Personen des öffentlichen Rechts mit ihren Betrieben gewerblicher Art in Betracht. Einschränkungen auf den umsatzsteuerlichen Unternehmerbegriff sind hierbei nicht zulässig, da vielmehr allein die wirtschaftliche Tätigkeit entscheidet.4 Selbst Rückschlüsse aus ertragsteuerlichen Einordnungen, hier Betriebs- oder Privatvermögen, sind für § 6a GrEStG als reine Verkehrsteuer unzulässig.5

7.400

Das herrschende Unternehmen erfordert keine umsatz- oder ertragsteuerliche Einordnung. Mittlerweile ist davon auszugehen, dass neben Betrieben gewerblicher Art als gewerblich tätige Führungsholding auch rein vermögensverwaltende juristische Personen des öffentlichen Rechts, hier sog. Finanzholding, den Tatbestand ausfüllen, sofern eine wirtschaftliche Betätigung vorliegt. Eine entsprechende Betätigung kann sich sogar mittelbar über deren Beteiligungen äußern6, so dass auch reine Finanzholdings juristischer Personen des öffentlichen Rechts dem Begünstigungstatbestand des § 6a GrEStG im Umwandlungsfalle unterliegen.

7.401

IV. Bemessungsgrundlage und Steuersatz Als Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer gilt der Wert der Gegenleistung i.S.d. §§ 8 Abs. 1 und 9 GrEStG.7

7.402

Ist eine Gegenleistung nicht festzustellen resp. ein entsprechender Wert nicht zu ermitteln oder liegt ein Umwandlungsvorgang vor, ist die Ermittlung anhand von Grundbesitzwerten gemäß § 8 Abs. 2 GrEStG vorzunehmen. Die Ersatzbemessungsgrundlage führte der Gesetzgeber mit dem Steueränderungsgesetz 20158 rückwirkend mit Wirkung ab 31.12.2008 ein,

7.403

1 Damit sind ausschließlich Erwerbsvorgänge i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2, 2a, 3 und 3a GrEStG gemeint. 2 Näheres dazu Viskorf in Boruttau20, GrEStG § 6a Tz. 27 ff. und 32 ff.; auch Lieber in Behrens/ Wachter2, Kommentar zum GrEStG § 6a Tz. 14 bis 16. 3 § 6a S. 4 GrEStG. 4 So bereits FG Niedersachsen v. 9.7.2014 – 7 K 135/12, EFG 2015 S. 1739. 5 BFH v. 21.8.2019 – II R 19/19 (II R 63/14), DStR 2020 S. 341; BFH v. 30.5.2017 – II R 62/14, DStR 2017 S. 1324. 6 So ähnlich auch Viskorf in Boruttau20, GrEStG § 6a Tz. 83 bis 85. 7 BFH v. 5.12.2019 – II R 37/18, BStBl. II 2020 S. 236; BFH v. 22.5.2019 – II R 20/17, BStBl. II 2020 S. 159. 8 Steueränderungsgesetz 2015 v. 2.11.2015, BStBl. I 2015 S. 1423.

Westendorf | 461

Kap. 7 Rz. 7.403 | Sonstige Einzelsteuergesetze

nachdem das Bundesverfassungsgericht die vorherigen Bewertungsvorschriften als realitätsfern und folglich als verfassungswidrig einstufte.1

7.404

Der Steuersatz beträgt bundeseinheitlich 3,5 %.2 Bis auf Sachsen und Bayern haben sämtliche Bundesländer von ihrer Befugnis zur Festlegung eines höheren Steuersatzes nach Art. 105 Abs. 2a S. 2 GG Gebrauch gemacht. Ausnahmen für die am Erwerb beteiligte öffentliche Hand bestehen keine.

V. Steuerschuldner 7.405

Die Steuerschuldner sind regelmäßig die am Erwerbsvorgang beteiligten Personen i.S.d. § 13 Nr. 1 GrEStG. Die öffentliche Hand ist dabei ebenso als beteiligte Person einzustufen. Folglich können der Bund, die Länder und die Gemeinden mit ihren jeweiligen Einrichtungen und Betrieben Steuerschuldner i.S.d GrEStG sein. Dadurch tritt eine Selbst- und Gegenseitigkeitsbesteuerung auf Ebene der beteiligten Gemeinden ein.3

D. Erbschaft- und Schenkungsteuer I. Allgemeines 7.406

Die Erbschaft- und Schenkungsteuer ist eine Landessteuer i.S.d. Art. 106 Abs. 2 Nr. 2 GG, deren Aufkommen allein den Ländern zusteht. Die Rechtsgrundlagen bilden das ErbStG und die ErbSt-Durchführungsverordnung sowie ergänzende Richtlinien und Hinweise der Finanzverwaltung. Hierfür besitzt der Bund die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz gem. Art. 105 Abs. 2 i.V.m. 72 Abs. 2 GG. Soweit nichts anderes bestimmt ist, erfolgt die Wertermittlung nach den Regelungen des Bewertungsgesetzes.4

7.407

Die Teleologie der Erbschaft- und Schenkungsteuer besteht in der zusätzlichen Bemessung und Besteuerung des unentgeltlichen Vermögenszuwachses im Rahmen der steuerlichen Leistungsfähigkeit. Die Grundlage der Besteuerung bildet allein der Vermögenszuwachs beim Erben oder Beschenkten i.S.d. § 10 Abs. 1 S. 1 ErbStG ab und nicht die Vermögensverhältnisse des Erblassers oder Schenkers.5

7.408

Für das Erbschaftsteuerrecht gilt generell das Prinzip der Maßgeblichkeit des Zivilrechts.6

7.409

Dem Grundsatz folgend kann auch die öffentliche Hand persönlich unbeschränkt erbschaftund schenkungsteuerpflichtig i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 lit. d ErbStG sein.7 Soweit die juristische Person des öffentlichen Rechts ihren Sitz und ihre Geschäftsleitung im Inland belegt, entsteht eine Personenidentität zwischen Steuerschuldner und Steuergläubiger sowie eine Selbst- und Gegenseitigkeitsbesteuerung.8

1 2 3 4 5 6 7 8

BVerfG v. 23.6.2015 – 1 BvL 13/11, 1 BvL 14/11, BVerfGE 139 S. 285. § 11 Abs. 1 GrEStG. So auch Hidien in Hidien/Jürgens, Besteuerung der öffentlichen Hand § 10 B. Tz. 156. § 12 Abs. 1 ErbStG. Vgl. Grashoff, Grundzüge des Steuerrechts15, 8. Erbschaft- und Schenkungssteuer Tz. 467. FG Sachsen-Anhalt v. 27.5.1999 – II 12/97, EFG 2000 S. 24. FG Sachsen-Anhalt v. 27.5.1999 – II 12/97, EFG 2000 S. 24. Vgl. Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk61, ErbStG zu § 2 Tz. 37.

462 | Westendorf

D. Erbschaft- und Schenkungsteuer | Rz. 7.415 Kap. 7

II. Steuerpflichtige Vorgänge 1. Überblick Das Erbschaft- und Schenkungssteuerrecht führt im § 1 Abs. 1 ErbStG eine abschließende Aufzählung der steuerbaren Erwerbsvorgänge auf. Hierunter fallen u.a. der Erwerb von Todes wegen i.S.d. § 3 ErbStG, die Schenkung unter Lebenden i.S.d. § 7 ErbStG und sog. Zweckzuwendungen i.S.d. § 8 ErbStG. Für die Steuerbarkeit der öffentlichen Hand sind im Wesentlichen die ersten beiden Enumerationen maßgeblich.

7.410

2. Erbschaften Gem. § 3 Nr. 1 ErbStG können juristische Personen des öffentlichen Rechts im Rahmen von Erbschaften steuerbare Erwerbe empfangen. Die öffentliche Hand fungiert hierbei als gewillkürter oder gesetzlicher Erbe i.S.d. § 1936 S. 1 BGB.1 Die gesetzliche Erbfolge i.S.v. § 1936 BGB tritt ein, soweit kein Verwandter, Ehegatte oder Lebenspartner erbt. Soweit kein gesetzlicher Erbe zu ermitteln ist, steht am Ende immer die öffentliche Hand, die Erbschaften de lege lata nicht ausschlagen kann.2 § 1936 BGB bewahrt schlussendlich die Rechtsträgerschaft des Erbanfalls ohne Erben. Das gesetzliche Erbe steht immer erst dem Bundesland zu, indem der Verstorbene seinen letzten Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Ist ein solcher nicht ermittelbar oder verstarb derjenige im Ausland erbt der Bund gem. § 1936 S. 2 ErbStG – Subsidiaritätsklausel. Ähnliche Regelungen enthält das Zivilrecht für Vermögensübertragungen im Rahmen der Auflösung von Vereinen und Stiftungen.3

7.411

Keine steuerbaren Erwerbe sind Sachverhalte die nicht in § 3 ErbStG aufgeführt werden. Analoge Anwendungen und Ausweitungen des Regelungskataloges scheiden ebenso aus.4

7.412

3. Schenkungen Juristische Personen des öffentlichen Rechts können ebenso freigebige und unentgeltliche Zuwendungen erhalten. Dabei tritt eine Bereicherung der öffentlichen Hand auf Kosten des Zuwendenden i.S.d. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG ein. Eine Zuwendung stellt einen steuerbaren Vorgang i.S.d. Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes dar.

7.413

Die Terminologie der freigebigen Zuwendung umfasst dabei Schenkungen i.S.d. § 516 BGB und sonstige freigebige Zuwendungen. Für beide Tatbestände gilt grundsätzlich die Freigebigkeit als auch die Bereicherung auf Kosten des Zuwendenden.5

7.414

Umgekehrt erscheinen unentgeltliche Zuwendungen der öffentlichen Hand, Entreicherung der jPdöR, möglich. Als Schenkung unter Lebenden gilt ausschließlich jede freigebige Zuwendung.6 Nach herrschender Meinung fallen unentgeltliche Vermögensübertragungen zwischen Körperschaften der öffentlichen Hand nicht unter den o.a. Tatbestand, da es ihnen in der Regel an der materiellen Freigebigkeit mangelt – der Staat verschenkt kein Eigentum.7 Die öf-

7.415

1 2 3 4

BFH v. 15.6.2016 – II R 23/15 (NV), BFH/NV 2016 S. 1568. § 1942 Abs. 2 BGB. §§ 45 Abs. 3, 46 S. 1 und 88 S. 2 BGB. BFH v. 4.7.2012 – II R 38/10, BStBl. II 2012 S. 782; BFH v. 6.3.1991 – II R 69/87, BStBl. II 1991 S. 412. 5 Vgl. Gebel in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk61, ErbStG zu § 7 Tz. 14. 6 So auch Gebel in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk61, ErbStG zu § 7 Tz. 3. 7 BGH v. 30.1.1967 – III ZR 35/65, BGHZ 47 S. 30.

Westendorf | 463

Kap. 7 Rz. 7.415 | Sonstige Einzelsteuergesetze

fentliche Hand ist generell an ihre haushaltsrechtlichen Vorschriften gebunden, Bindung der vollziehenden Gewalt an Recht und Gesetz i.S.d. Art. 20 Abs. 3 GG, so dass sie ausschließlich die ihnen obliegenden Aufgaben wahrnehmen und folglich keiner Freigebigkeit unterliegen.1 Solche unfreigebigen Transaktionen sind im erbschaft- und schenkungsteuerlichen Sinne nicht steuerbar. Vermögensübertragungen werden überwiegend im Rahmen der ihnen obliegenden Aufgaben durchgeführt, so dass lediglich Aufgabenüberschreitungen zu einer Freigebigkeit i.S.v. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG führen können.2 Generell ist eine staatliche, auf Verwaltungshandeln beruhende, Freigebigkeit im Schenkung- und Grunderwerbsteuerrecht abzulehnen. Die gleiche Auffassung prägt die geltende Rechtsprechungs- und Literaturmeinung.3 Dieselbe rechtliche Einschätzung trifft jedoch nicht auf Kirchen oder ähnliche Rechtsträger zu, die kein staatliches Haushaltsrecht bindet.4

III. Steuerbefreiungen 1. Grundsatz der Steuerpflicht und deren Ausnahmen 7.416

§ 13 ErbStG führt eine Reihe an sachlichen Steuerbefreiungen auf. Eine Generalfreistellung für juristische Personen des öffentlichen Rechts sowie für gemeinnützige oder kirchliche Einrichtungen hält die Norm jedoch nicht vor. Nur unter den einschränkenden Voraussetzungen des § 13 Nr. 15 bis 17 ErbStG sind steuerbare Erwerbe der §§ 3 und 7 ErbStG von der Erbschaft- und Schenkungsteuer auszunehmen. Mithin gelten die sachlichen neben den persönlichen Befreiungen weiter fort und müssen zwingend im Zeitpunkt der Steuerentstehung vorliegen. Treten die steuerbefreienden Voraussetzungen erst nach der Steuerentstehung ein, ist eine daraufhin wirkende Befreiung unzulässig.5 Dabei ist jede einzelne Befreiungsnorm eigenständig zu prüfen, da einzelne Befreiungen weiterführende nicht ausschließen.6

2. Zuwendungen an KöR i.S.d. § 13 Abs. 1 Nr. 15 Alt. 1 und 2 ErbStG 7.417

Der § 13 Abs. 1 Nr. 15 ErbStG regelt zwei Alternativen zur Befreiung von der Erbschaftsteuer. Der Tatbestand befreit einerseits Anfälle an Gebietskörperschaften und diesen ausschließlich dienenden Zweckzuwendungen andererseits.7

7.418

§ 13 Abs. 1 Nr. 15 Alt. 1 ErbStG stellt sämtliche Anfälle an Gebietskörperschaften, hier Bund, Länder, inländischen Gemeinden oder Gemeindeverbänden, steuerfrei. Eine Differenzierung zwischen Erbschaften oder Schenkungen nimmt das Gesetz nicht weiter vor.

7.419

Hiervon sind ausdrücklich wirtschaftlich tätige Gemeindezweckverbände auszunehmen.8 Die Ausnahmen gelten ferner auch für sämtliche nicht explizit aufgeführten anderen juristischen 1 BFH v. 1.12.2014 – II R 46/02, BStBl. II 2005 S. 311; vgl. hierzu auch die Ausführungen zur Grunderwerbsteuer „Schenkung unter Lebenden“ Rz. 7.357. 2 BFH v. 1.12.2014 – II R 46/02, BStBl. II 2005 S. 311. 3 Vgl. Viskorf in Boruttau20, GrEStG § 4 Tz. 32 m.w.N., vgl. dazu die Ausführungen zu § 4 Nr. 2 GrEStG Rz. 7.382 und gleich lautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder v. 21.12.1982 – o. Az., BStBl. I 1982 S. 968; so auch Viskorf in Boruttau2, GrEStG § 4 Tz. 36. 4 BFH v. 17.5.2006 – II R 46/04, BStBl. II 2006 S. 720; vgl. dazu Hidien in Hidien/Jürgens, Besteuerung der öffentlichen Hand § 10 B. Tz. 256 bis 258 m.w.N. 5 R E 13.1 Abs. 1 ErbStR 2011. 6 R E 13.1 Abs. 2 ErbStR 2011. 7 Vgl. auch § 8 ErbStG. 8 Vgl. Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk61, ErbStG zu § 13 Tz. 175.

464 | Westendorf

D. Erbschaft- und Schenkungsteuer | Rz. 7.425 Kap. 7

Personen des öffentlichen Rechts, bspw. Stiftungen und Anstalten, aber auch Kammern und Verbände.1 Wirtschaftliche Vorteile gegenüber der privaten Hand sollen damit vermieden werden, so dass daraus keine Wettbewerbsvor- oder -nachteile entstehen. Auch sind Erweiterungen oder analoge Anwendungen der Norm nicht vorgesehen.2 Ebenso wenig ist im Rahmen des § 13 Abs. 1 Nr. 15 Alt. 1 ErbStG der Verwendungszweck maßgeblich, solange der Erwerb im öffentlichen Aufgabenbereich der Gebietskörperschaft verbleibt.

7.420

Der Verwendungszweck zeichnet sich eher für die originäre Steuerbefreiung des § 13 Abs. 1 Nr. 15 ErbStG der zweiten Alternative ursächlich. Maßgebliches Kriterium ist allein die Zweckdienlichkeit des Erwerbes. Soweit Anfälle ausschließlich Zwecken des Bundes, der Länder oder inländischen Gemeinden oder Gemeindeverbänden dienen, unterliegen diese ebenso der Erbschaftsteuerbefreiung. Folglich zeigt sich nicht allein der Erwerberkreis der Gebietskörperschaft als maßgebendes Kriterium, sondern vielmehr der Verwendungszweck des Erwerbes. Der Erwerberkreis erfährt somit eine Erweiterung, so dass auch Privatpersonen Erbschaften oder Schenkungen erhalten können, wobei die Erwerbe zwingend mit einer Verwendungsauflage kausal im Zusammenhang stehen. Die Verwendungsauflage sollte generell öffentliche Zwecke umfassen.

7.421

Die Terminologie der Zweckverbundenheit ist dabei weit auszulegen. Neben den hoheitlichen umfassen der Sinn und Zweck der Norm auch gemeinnützige Verwendungen. Beispielhaft können Amtsträger, Bürgermeister oder Schulleiter genannt werden, die entsprechende Zuwendungen für ihren Verantwortungsbereich erhalten und bestimmte Renovierungen oder Neuanschaffungen zu verantworten haben.

7.422

3. Zuwendungen an gemeinnützige und kirchliche Einrichtungen i.S.d. § 13 Abs. 1 Nr. 16 und 17 ErbStG Das Erbschaftsteuerrecht begünstigt auch freigebige Zuwendungen an inländische Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts, jüdische Kultusgemeinden, ohne Status einer öffentlich-rechtlichen Einrichtung zu sein, gemeinnützige Körperschaften sowie ausländische Körperschaften der o.a. Art, soweit Befreiungen für ausländische Körperschaften auf Gegenseitigkeit beruhen.3

7.423

Zuwendungen an inländische Religionsgemeinschaften des öffentlichen Rechts sowie an inländische jüdische Kultusgemeinden unterliegen auch ohne erforderlichen Verwendungszweck der Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 16 lit. a ErbStG. Hierzu zählen u.a. die evangelische und katholische Kirche sowie die Zeugen Jehovas.4 Andere Religionsgemeinschaften müssen deren Eigenschaft als Körperschaft des öffentlichen Rechts durch eine Verleihungsurkunde bescheinigen.5 Religionsgemeinschaften des privaten Rechts bezieht die Norm ausdrücklich nicht ein.

7.424

Die persönliche Befreiung von der Erbschaft- und Schenkungsteuer umfasst neben den zuständigen Organen auch zugehörige selbständige Einrichtungen, die der Religionsgesellschaft unmittelbar dienen.

7.425

1 So auch FG Sachsen-Anhalt v. 5.6.2002 – 2 K 627/00, EFG 2002 S. 1539; aufgehoben durch BFH v. 1.12.2004 – II R 46/02, BStBl. II 2005 S. 311 aufgrund fehlender Freigebigkeit der Zuwendung. 2 So auch Hidien in Hidien/Jürgens, Besteuerung der öffentlichen Hand § 10 B. Tz. 261. 3 § 13 Abs. 1 Nr. 16 lit. a bis c ErbStG; R E 13.9 S. 2 ErbStR 2011. 4 LfSt Bayern v. 27.2.2007 S 2221 – 27 St 32/St 3, DB 2007 S. 603. 5 Vgl. Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk61, ErbStG zu § 13 Tz. 185.

Westendorf | 465

Kap. 7 Rz. 7.426 | Sonstige Einzelsteuergesetze

7.426

Nicht dazu zählen jedoch Orden, Klöster, Kirchenchorvereine und Bruderschaften, da sie keine unmittelbaren Einrichtungen der Kirchen darstellen.1 Auch stellen Zuwendungen an einzelne Mitglieder, mit zwingender Weiterleitungsverpflichtung, keine begünstigten Anfälle i.S.d. Befreiungsnorm dar.2

7.427

§ 13 Abs. 1 Nr. 16 lit. b ErbStG verweist ausschließlich auf Zuwendungen an inländische Personenvereinigungen, Körperschaften und Vermögensmassen. Ausländische Gesellschaften erfasst der Tatbestand folgerichtig nicht.3 Die Körperschaften müssen mithin die formellen und materiellen Anforderungen, hier die Satzung und tatsächliche Geschäftsführung, der Gemeinnützigkeit i.S.d. §§ 51 ff. AO erfüllen. Danach dienen sie gemeinnützigen, mildtätigen oder kirchlichen Zwecken. Entscheidungen des Sitzfinanzamts sind für die Erbschaftsteuer bindend.4 Die formellen und materiellen Anforderungen an die Gemeinnützigkeit finden ebenso auf einzelne Betriebe gewerblich Art Anwendung. Damit gelangt auch die öffentliche Hand in den Genuss dieser Befreiungsregelung und kann Spenden und weitere freigebige Zuwendungen steuerfrei vereinnahmen.5 Ausnahmen bilden hier lediglich die direkten und unmittelbaren Zuwendungen in die Sphäre eines steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetriebes einer begünstigten Körperschaft.6 Ausdrücklich keine freigebigen Zuwendungen i.S.d. § 13 Abs. 1 Nr. 16 ErbStG sind Sponsoringeinnahmen, da solche Einnahmen einen Leistungsaustausch und keine freigebigen Zuwendung voraussetzen.7

7.428

Der § 13 Abs. 1 Nr. 16 lit. c ErbStG stellt lediglich eine ergänzende Befreiungsnorm dar. Die Regelung befreit ausländische Körperschaften, so dass Zuwendungen an die vorgenannten Körperschaften zu befreien sind, soweit sie nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 i.V.m. § 5 Abs. 2 Nr. 2 Hs. 2 KStG steuerbefreit wären, würden Sie inländische Einkünfte erzielen. Darüber hinaus hat der Sitzstaat des Zuwendungsempfängers Amtshilfe und Unterstützung bei der Beitreibung zu leisten. Die Voraussetzungen haben kumulativen Charakter und erfordern eine förmliche Gegenseitigkeitserklärung. Das Bundesfinanzministerium kann im Rahmen eines förmlichen Austausches entsprechende Erklärungen ausstellen.8

7.429

Neben den Befreiungen des § 13 Abs. 1 Nr. 16 lit. a bis c ErbStG führt § 13 Abs. 1 Nr. 17 ErbStG eine zusätzliche Befreiung von der Erbschaft- und Schenkungssteuer an, die nicht vom jeweiligen Zuwendungsempfänger abhängig ist. Allein der Zuwendungszweck9 für kirchliche, gemeinnützige oder mildtätige Zwecke ist entscheidend, soweit die tatsächliche Verwendung einen bestimmten Zweck sicherstellt.10 Dies gilt ebenso für ausländische Zweckzuwendungen, soweit keine Gegenseitigkeitserklärung mit dem ausländischen Staat existiert.11 1 Vgl. Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk61, ErbStG zu § 13 Tz. 185 m.w.N. 2 Urteile überwiegend zum Spendenabzug nach § 10b EStG: BFH v. 20.6.2014 – I R 15/14, Zurücknahme der Revision; BFH v. 11.7.2019 – II R 4/17, DStR 2019 S. 2692; FG Köln v. 15.1.2014 – 13 K 3735/10, EFG 2014 S. 667. 3 § 13 Abs. 1 Nr. 16 lit. c ErbStG. 4 R E 13.8 Abs. 1 S. 3 ErbStR 2011. 5 Vgl. dazu u.a. auch § 55 Abs. 3 AO mit dem ausdrücklichen Verweis auf Betriebe gewerblicher Art. 6 R E 13.8 Abs. 1 S. 4 ErbStR 2011. 7 BMF v. 18.2.1998 – IV B 2 - S 2144 – 40/98/IV B 7 – S 0183 – 62/98, BStBl. I 1998 S. 212. 8 R E 13.9 S. 1 und 3 ErbStR 2011; früher a.A. BFH v. 29.11.1995 – II B 103/95, BStBl. II 1996 S. 102. 9 Siehe dazu auch § 8 ErbStG. 10 Zur Sicherung und einzelnen Verwendung siehe R E 13.10 Abs. 2 ErbStR 2011; BFH v. 16.1.2002 – II R 82/99, BStBl. II 2002 S. 303; FG München vom 13.3.2002 – 4 K 2570/99, EFG 2002 S. 852. 11 R E 13.10 Abs. 3 ErbStR 2011.

466 | Westendorf

E. Kraftfahrzeugsteuer | Rz. 7.435 Kap. 7

IV. Steuerklassen und Steuersatz Das Erbschaftsteuergesetz besteuert grundlegend nur den Vermögensanfall resp. die Bereicherung des Erwerbers i.S.d. § 10 Abs. 1 S. 1 ErbStG. Hierfür differenziert das ErbStG durch die Anwendung von unterschiedlichen Steuerklassen und -sätzen, sowie anhand der Zuwendungshöhe. Die jeweiligen Steuerklassen i.S.d. § 15 Abs. 1 ErbStG bestimmen sich je nach verwandtschaftlichem Verhältnis zum Erblasser oder Zuwendenden. Für juristische Personen des öffentlichen Rechts dürfte eine Anwendung auszuschließen sein, so dass die Steuerklasse III bei steuerpflichtigen Erwerben die erste Wahl darstellt.1

7.430

Die Steuerklasse hat wiederum Einfluss auf den anzuwendenden Steuersatz i.S.d. § 19 Abs. 1 ErbStG, der je nach Höhe des steuerpflichtigen Erwerbes entweder 30 %, bei Erwerben bis 6 Mio. €, oder 50 % des Erwerbes, ab Erwerben von 13 Mio. €, beträgt. Hierfür ist der gesamte Erwerb zu beziffern, abzgl. anzuwendender Befreiungen i.S.d. § 10 Abs. 1 S. 1 ErbStG. Eine Aufteilung in einzelne Erwerbe ist nicht zulässig. Die hierbei auftretenden Progressionssprünge werden durch den sog. Härteausgleich des § 19 Abs. 3 ErbStG kompensiert.2

7.431

V. Freibeträge Gemäß § 16 ErbStG gewährt das Erbschaftsteuerrecht in Abhängigkeit zur maßgeblichen Steuerklasse unterschiedliche Freibeträge. Bei steuerpflichtigen Zuwendungen oder Erbanfällen der öffentlichen Hand ist bei Anwendung der Steuerklasse III ein Freibetrag i.H.v. 20.000€ gem. § 16 Abs. 1 Nr. 7 ErbStG zu gewähren. Der übersteigende Betrag unterliegt der Besteuerung mit dem jeweiligen Steuersatz des § 19 Abs. 1 ErbStG.

7.432

VI. Steuerschuldner Gemäß § 20 Abs. 1 S. 1 ErbStG ist Steuerschuldner der Erwerber, hier die juristische Person des öffentlichen Rechts. Bei Schenkungen erweitert der Tatbestand den Steuerschuldnerkreis auch auf den Zuwendenden, so dass hierfür eine Gesamtschuldnerschaft i.S.d. § 44 Abs. 1 S. 1 AO besteht.

7.433

Sobald die öffentliche Hand einen steuerpflichtigen Erwerb erhält, löst dieser Sachverhalt eine Selbst- und Gegenseitigkeitsbesteuerung aus, aus der eine Identität zwischen Steuerschuldner und Steuergläubiger im erbschaftsteuerlichen Sinne resultiert.

7.434

E. Kraftfahrzeugsteuer I. Allgemeines sowie steuerbare Vorgänge Die Kraftfahrzeugsteuer ist eine Verkehrsteuer3 mit Lenkungszweck, die dem Bund zusteht und mittlerweile seiner Eigenverwaltung untersteht.4 Der Bund besitzt die Gesetzgebungskompetenz gem. Art. 105 Abs. 2 GG. Soweit bundes- oder landeseigene Fahrzeuge der Kraftfahrzeugsteuer unterliegen, existiert eine Selbst- und Gegenseitigkeitsbesteuerung, da eine

1 2 3 4

Vgl. Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk61, ErbStG zu § 15 Tz. 76. BFH v. 20.2.2019 – II B 83/18 (NV), ZEV 2019 S. 298. BFH v. 27.6.1973 – II R 179/71, BStBl. II 1973 S. 807. Art. 106 Abs. 1 Nr. 3 und 108 Abs.1 GG.

Westendorf | 467

7.435

Kap. 7 Rz. 7.435 | Sonstige Einzelsteuergesetze

Identität zwischen Steuerschuldner und Steuergläubiger eintritt. Mithin partizipieren auch die einzelnen Bundesländer anteilig von der Kraftfahrzeugsteuer i.S.d. Art. 106b GG.1

7.436

Die folgenden Sachverhalte erfüllen den steuerbaren Kraftfahrzeugsteuertatbestand: 1. Das Halten eines inländischen Fahrzeuges zum Verkehr auf öffentlichen Straßen i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG, 2. das Halten eines ausländischen Fahrzeuges zum Verkehr auf öffentlichen Straßen i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 2 KraftStG, 3. die widerrechtliche Nutzung von Fahrzeugen i.S.d. § 1 Abs.1 Nr. 3 KraftStG und 4. die Zuteilung von Oldtimer- und roten Kennzeichen i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 4 KraftStG.

7.437

Sobald Kraftfahrzeuge nach den verkehrsrechtlichen Vorschriften als zum Verkehr zugelassen gelten, ist der gesetzliche Tatbestand, an den das Gesetz die Leistungsfähigkeit knüpft, erfüllt. Eine tatsächliche Nutzung auf öffentlichen Straßen geht damit nicht zwingend einher.2 Steuerschuldner ist grundsätzlich das Steuersubjekt, auf den das inländische Fahrzeug zugelassen wird – § 7 Nr. 1 KraftStG. Die Kraftfahrzeugsteuer ist jeweils für ein Jahr im Voraus zu entrichten.3 Die Kraftfahrzeugsteuerpflicht erlischt erst mit Abmeldung, außer Betriebsetzung oder Diebstahlmeldung bei der zuständigen Kfz-Zulassungsstelle.4

II. Befreiungen von der Kraftfahrzeugsteuer 7.438

Neben der steuerpflichtigen Kfz-Nutzung hält das Kraftfahrzeugsteuergesetz weiterführende Steuerbefreiungen bereit, die nicht allein der öffentlichen Hand vorbehalten sind und folglich auch für andere Personen- und Fahrzeuggruppen gelten. Darüber hinaus befreit das KraftStG nicht generell hoheitliche Nutzungen. § 3 KraftStG formuliert die gängigen Steuerbefreiungen des Kraftfahrzeugsteuergesetzes. Die nachfolgenden Normen der §§ 3a bis 3d KraftStG beinhalten weitere und spezialisierende Befreiungen für schwerbehinderte Menschen oder klimaschonende Fahrzeuge, die auch teilweise für die öffentliche Hand Geltung besitzen. Wie bereits den anderen Steuerarten vornehmlich zu entnehmen ist, müssten allein wettbewerbsbeeinträchtigende oder gewerbliche Nutzungen der Kraftfahrzeugsteuer unterliegen.

7.439

Für juristische Personen des öffentlichen Rechts führt § 3 KraftStG die folgenden Ausnahmen, hier die Nr. 2 bis 5a, Nr. 7 lit. e, Nr. 10 und Nr. 16, auf, um eine Selbst- und Gegenseitigkeitsbesteuerung auszuschließen. Zweckfremde oder anderweitige nicht steuerbefreite Nutzungen führen zu einem temporären Ausschluss von der Befreiung, welcher mind. 1 Monat andauert.5 Um unbillige Härten infolge der SARS-CoV-2-Pandemie zu vermeiden, sind gewisse zweckfremde Nutzungen der Fahrzeuge i.S.d. § 5 Abs. 2 S. 4 KraftStG zu anderen als den o.a. steuerbegünstigten Zwecken nicht befreiungsschädlich. Diese gilt ausdrücklich nicht für gewerbliche Nutzungen.6 1 Vgl. Hidien in Hidien/Jürgens, Besteuerung der öffentlichen Hand § 10 B. Tz. 267 f. 2 BFH v. 14.6.2018 – III R 26/16 (NV), BFH/NV 2018 S. 1203; BFH v. 18.4.2012 – II R 32/10, BFH/ NV 2013 S. 1200; BFH v. 7.3.1984 – II R 40/80, BStBl. II 1984 S. 459. 3 § 11 Abs. 1 KraftStG. 4 Vgl. hierzu Halaczinsky in Wallenhorst/Halaczinsky, Die Besteuerung gemein. und öffentlichrechtlicher Körperschaften7, KraftStG I Tz. 1. 5 § 5 Abs. 2 S. 4 KraftStG. 6 § 1 und 2 Verordnung zur Abgrenzung der Steuerpflicht nach dem Kraftfahrzeugsteuergesetz infolge der SARS-CoV-2-Pandemie (SARSCoV1-Kraftfahrzeugsteuer-Verordnung) v. 24.4.2020, BGBl. I S. 845.

468 | Westendorf

E. Kraftfahrzeugsteuer | Rz. 7.445 Kap. 7

Gemäß § 3 Nr. 2 KraftStG ist das Halten von Fahrzeugen, die ausschließlich im Dienst der Bundeswehr, der Polizei, der Bundespolizei und der Zollverwaltung stehen, von der Kraftfahrzeugsteuer befreit. Hierbei spielen insbesondere die ausschließlich hoheitlichen Aufgaben und Sicherheitsinteressen des Bundes als auch der einzelnen Länder die maßgebenden gesetzlichen Beweggründe. Die o.a. Terminologie der einzelnen Dienste ist nicht mit den kommunalen Ordnungsdiensten gleichzusetzen, so dass für entsprechende Fahrzeuge eine Freistellung nach § 3 Nr. 2 KraftStG nicht zur Anwendung gelangt.1

7.440

§ 3 Nr. 3 KraftStG befreit Fahrzeuge des Bundes, der Länder und Gemeinden sowie von Gemeinde- und Zweckverbänden, soweit eine ausschließliche Verwendung zum Wegebau stattfindet und die Fahrzeuge äußerlich als Solche zu erkennen sind. Zulassungen auf andere juristische Personen des öffentlichen Rechts oder Betätigungen im Auftrage umfasst die Norm ausdrücklich nicht.2

7.441

Neben dem Wegebau befreit das Kraftfahrzeugsteuergesetz mit § 3 Nr. 4 KraftStG die Fahrzeuge zur ausschließlichen Reinigung von Straßen, die nur diesem begünstigten Zweck und keiner anderweitigen Mitbenutzung unterliegen.3 Die Fahrzeuge müssen äußerlich als solche zu identifizieren sein. Die Straßenreinigung beinhaltet auch den Abtransport von Abfall, soweit dieser von der Straße aufgenommen wird, sog. Straßenentwässerung, oder sich im Straßenbereich in aufgestellten Containern befindet.4 Eine eindeutige Zuordnung zu einer juristischen Person des öffentlichen oder privaten Rechts ist nicht maßgebend, da es auf eine Halterzulassung ausdrücklich nicht ankommt.

7.442

Ferner sind nach § 3 Nr. 5 KraftStG auch Fahrzeuge für die Verwendung des Katastrophenund zivilen Luftschutzes, der Feuerwehr, des Rettungsdienstes und der Krankenbeförderung von der Kraftfahrzeugsteuer zu befreien. Sobald die Fahrzeuge nach ihrer Bauart und Einrichtung dem entsprechenden Zweck angepasst sind, ist eine Zuordnung des Halters zu einer juristischen Person des öffentlichen Rechts nicht erforderlich, so dass auch private Halter die Steuerbefreiung in Anspruch nehmen können.5 Fahrzeuge des kassenärztlichen Not- und Bereitschaftsdienstes werden nicht ausschließlich im Rettungsdienst eingesetzt, so dass für diese als auch für Krankenfahrten, ungleich Krankenbeförderung, eine gesetzliche Steuerpflicht besteht.6

7.443

§ 3 Nr. 5a KraftStG befreit temporär auch Fahrzeuge von gemeinnützigen und mildtätigen Organisationen, solange sie ausschließlich für humanitäre Hilfsgütertransporte ins Ausland, auch die damit zusammenhängenden Vor- und Nachbereitungsfahrten, eingesetzt werden. Eine Befreiung gilt unabhängig von der Rechtsträgereigenschaft.

7.444

Weiterhin befreit das KraftStG mit § 3 Nr. 7 lit. e KraftStG Zugmaschinen, Sonderfahrzeuge, Kraftfahrzeuganhänger hinter Zugmaschinen oder Sonderfahrzeugen und einachsigen Kraftfahrzeuganhängern, soweit eine Nutzung ausschließlich von Land- und Forstwirten zur Pflege der öffentlichen Grünflächen oder zur Straßenreinigung im ausdrücklichen Auftrag der Gemeinden oder Gemeindeverbänden stattfindet. Diese beinhalten auch die landeseigenen oder

7.445

1 2 3 4 5 6

FG Mecklenburg-Vorpommern v. 18.3.2010 – 1 K 157/07. BFH v. 18.1.2012 – II R 31/10, BStBl. II 2012 S. 519 m.w.N. BFH v. 12.6.2012 – II R 39/11 (NV), BFH/NV 2012 S. 1664. BFH v. 12.6.2012 – II R 40/11, BStBl. II 2012 S. 797. BFH v. 11.3.2004 – VII R 65/02, BStBl. II 2004 S. 528. BFH v. 10.6.2019 – III R 47/18 (NV), BFH/NV 2019 S. 1448; BFH v. 13.9.2018 – III R 10/18 (NV), BFH/NV 2019 S. 352; FG Münster v. 12.7.2018 – 6 K 3668/16 Kfz, juris; FG Münster v. 25.1.2018 – 6 K 159/17 Kfz, juris.

Westendorf | 469

Kap. 7 Rz. 7.445 | Sonstige Einzelsteuergesetze

kommunalen Fahrzeuge der land- und forstwirtschaftlichen Betriebe. Eine Steuerbefreiung ist jedoch ausgeschlossen, soweit keine auftragsgebundenen Fahrzeugnutzungen oder gewerblich tätige Fahrzeuge von Betrieben gewerblicher Art vorliegen.1

7.446

Fahrzeuge ausländischer Staaten sind nur unter den engen Voraussetzungen der Gegenseitigkeit i.S.d. § 3 Nr. 10 S. 2 KraftStG steuerbefreit. Hierunter fallen insbesondere diplomatische Vertretungen eines anderen Staates, deren Mitglieder oder Geschäftspersonal i.S.d. § 3 Nr. 10 lit. a und b KraftStG, soweit sie nicht der inländischen Gerichtsbarkeit unterliegen. Darüber hinaus befreit das Gesetz gem. § 3 Nr. 10 lit. c und d KraftStG Fahrzeuge für eine in Deutschland zugelassene konsularische Vertretung, des offiziellen Konsularvertreters und dessen Geschäftspersonal, soweit innerhalb der Bundesrepublik Deutschland keine außerhalb des o.g. Amtes ausgeübte Erwerbstätigkeit vorliegt.

7.447

Neben den Befreiungen für Diplomaten und ausländische Vertretungen führt das Gesetz im § 3 Nr. 16 KraftStG auch Befreiungen für Dienstfahrzeuge von Behörden anderer Staaten auf, die auf Dienstfahrten zum vorübergehenden Aufenthalt in das Grenzgebiet gelangen. Das Gegenseitigkeitserfordernis ist auch hier zwingende Voraussetzung.

F. Luftverkehrsteuer 7.448

Die Luftverkehrsteuer ist ebenso wie die vorgenannten Steuerarten eine auf sonstige motorisierte Verkehrsmittel bezogene Verkehrsteuer i.S.d. Art. 106 Abs. 1 Nr. 3 GG, dessen Aufkommen allein dem Bund zusteht.2 Auch hieraus lässt sich eine Selbst- und Gegenseitigkeitsbesteuerung ableiten, soweit eine steuerliche Belastung für die öffentliche Hand eintritt und keine sachlichen Steuerbefreiungen normativ entgegenstehen. Die Steuer verfolgt klimapolitische Ziele in Kombination mit einer Staatsfinanzierung und ist verfassungskonform i.S.d. Art. 3 GG ausgestaltet.3

7.449

Mit der Luftverkehrsteuer sind die Passagiere direkt belastet, jedoch ist Steuerschuldner das jeweilige Luftverkehrsunternehmen gemäß § 6 Abs. 1 S. 1 LuftVStG. Luftverkehrsunternehmen i.S.d. Gesetzes sind alle Unternehmen mit einer gültigen Betriebsgenehmigung oder gleichwertigen Genehmigung für Flüge zur gewerblichen Personenbeförderung. Das Gesetz umfasst dagegen keine privaten Kleinflugzeuge sowie hoheitliche Flüge der Bundeswehr, Polizei und Bundespolizei und weiterer. Das Luftverkehrsunternehmen leitet die steuerliche Belastung direkt an den Ticketinhaber weiter. Hierbei entsteht die Steuer mit Abflug des Fluggastes von einem inländischen Startort.4

7.450

Der Luftfrachtverkehr ist hingegen nicht von der Luftverkehrsteuer betroffen, da eine Besteuerung erhebliche nationale und internationale Wettbewerbsnachteile verursacht.5

7.451

Hoheitliche Nutzungen gewerblicher Luftverkehrsunternehmen, bspw. durch Personal der Ministerien, sind steuerbar und steuerpflichtig. Daraus resultiert eine Selbstbesteuerung der jeweili1 So auch Hidien in Hidien/Jürgens, Besteuerung der öffentlichen Hand § 10 B. Tz. 276 m.w.N. 2 BVerfG v. 5.11.2014 – 1 BvF 3/11, BVerfGE 137 S. 350; BFH v. 1.12.2015 – VII R 55/13, BFHE 252 S. 560. 3 BVerfG v. 5.11.2014 – 1 BvF 3/11, BVerfGE 137 S. 350; BT-Drucks. 17/3030 S. 36; so ähnlich auch BVerfG v. 7.5.1998 – 2 BvR 1991/95, 2 BvR 2004/95, BVerfGE 98 S. 106. 4 § 4 LuftVStG. 5 BT-Drucks. 17/3030 S. 36.

470 | Westendorf

G. Versicherungsteuer | Rz. 7.454 Kap. 7

gen Körperschaft, es sei denn, die geltenden Steuerbefreiungstatbestände der §§ 5 Nr. 2 oder Nr. 4 lit. c. LuftVStG gelangen normativ zur Anwendung. Steuerbefreiungen für Flüge, insbesondere Auftragscharterflüge der öffentlichen Hand oder zu militärischen Zwecken, sind allein aufgrund ihres Besteuerungsgegenstandes gerechtfertigt, da sie insbesondere nicht zu den originären gewerblichen Passagierflügen zählen.1 Letztlich würde auch die Besteuerung von militärischen oder hoheitlichen Zwecknutzungen den Einnahmezweck der Verkehrsteuer verfehlen, denn eine quantitative und wettbewerbsbeeinflussend wirkende Belastung ist nicht festzustellen.2

G. Versicherungsteuer Die Versicherungsteuer ist eine Verkehrsteuer, die Prämien- und Beitragszahlungen der Versicherten besteuert. Im Jahre 2019 generierte der öffentliche Fiskus mit der Versicherungsteuer ungefähr 14 Milliarden.3 Die Steuereinnahmen spiegeln ca. 2 % der Gesamteinnahmen des Bundeshaushalts wieder. Dem Bund stehen neben der o.a. Ertragskompetenz auch die Verwaltungs- und Gesetzgebungskompetenz i.S.d. Art. 105 Abs. 2, 106 Abs. 1 Nr. 4, 108 Abs. 4 GG und § 5 Abs. 1 Nr. 25 FVG zu.

7.452

Das Versicherungsteuergesetz knüpft an das zu zahlende Entgelt des Versicherungsvertrages gemäß § 1 Abs. 1 VersStG die Steuerpflicht. Hierunter fallen insbesondere Prämien und Beiträge der Versicherer gemäß § 3 Abs. 1 S. 2 VersStG. Steuerschuldner ist grundsätzlich der Versicherungsnehmer, jedoch hat die Versicherung die Versicherungssteuer als Entrichtungsschuldner einzubehalten und abzuführen.4 Der Steuersatz beträgt 19 % i.S.d. § 6 Abs. 1 VersStG und ist offen in der Beitragsrechnung auszuweisen. Versicherungsnehmer ist hierbei jede natürliche oder juristische Person, so dass auch die öffentliche Hand, hier die juristische Person des öffentlichen Rechts, Versicherungsnehmer und folglich Steuerschuldner ist. Diese Konstellation löst ebenfalls eine Selbst- oder Gegenseitigkeitsbesteuerung aus, soweit keine expliziten steuerbefreienden Regelungen diesem entgegenstehen.

7.453

Das vorgenannte Gesetz führt im § 4 VersStG eine Reihe an sachlichen Steuerbefreiungen auf, persönliche hingegen nicht. Diese gelten überwiegend für Existenzschutzversicherungen im Sinne des dritten, vierten und siebenten Sozialgesetzbuches. Juristische Personen sind hingegen mit all ihren Sachversicherungen steuerpflichtig, so dass eine einheitliche und steuerliche Gleichstellung existiert. Einzig und allein befreit § 4 Nr. 8 VersStG Personen von diplomatischen und konsularischen Vertretungen ausländischer Staaten. Hierzu zählen u.a. beglaubigte diplomatische Vertretungen i.S.d. § 4 Nr. 8 lit. a VersStG, Mitglieder der unter lit. a fallenden Vertretungen und Personen, die zum Geschäftspersonal dieser Vertretungen gehören und nicht der deutschen Gerichtsbarkeit unterliegen. Neben den vorgenannten Ausnahmen sind auch zugelassene konsularische Vertretungen i.S.d. § 4 Nr. 8 lit. c VersStG als auch zugelassene Konsularvertreter gemäß § 4 Nr. 8 lit. d VersStG von der Besteuerung auszunehmen. Die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 8 VersStG tritt jedoch nur ein, soweit Gegenseitigkeit5 gewährt wird.

7.454

1 Vgl. Englisch in Tipke/Lang24, Steuerrecht, F. Luftverkehrsteuer Tz. 101. 2 BVerfG v. 5.11.2014 – 1 BvF 3/11, BVerfGE 137 S. 350; BT-Drucks. 17/3030 S. 36 ff. 3 https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Steuern/Steuerschaet zungen_und_Steuereinnahmen/2020-01-31-steuereinnahmen-kalenderjahr-2019.pdf?__blob=publica tionFile&v=5, Stand: 6.2.2020. 4 § 7 Abs. 1 und 2 VersStG. 5 Zur Terminologie und Wirkung vgl. auch die gleichlautenden grund-, grunderwerb- und erbschaftsteuerlichen Regelungen - Rz. 7.383.

Westendorf | 471

Kap. 7 Rz. 7.454 | Sonstige Einzelsteuergesetze

Neben den hier aufgeführten Regelungen gelten die Ausführungen des Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen vom 18.4.1961 sowie des Völkergewohnheitsrechts.1

H. Stromsteuer 7.455

Die Stromsteuer lastet jedem Stromverbraucher an. Sie ist eine Verbrauchsteuer i.S.d. § 1 Abs. 1 S. 3 StromStG, deren Ertragshoheit dem Bund zusteht.2 Steuerschuldner ist der Energieversorger i.S.d. § 2 Nr. 1 StromStG, der den Anspruch auf den jeweiligen Verbraucher überwälzt, hier natürliche sowie juristische Personen des privaten und öffentlichen Rechts.3 Typische Befreiungen für hoheitliche Betätigungen der öffentlichen Hand sieht das Stromsteuergesetz ausdrücklich nicht vor, so dass eine grundlegende steuerliche Gleichstellung eintritt. Soweit eine juristische Person des öffentlichen Rechts als steuerpflichtiger Verbraucher, hier durch hoheitliche Betätigungen oder wirtschaftliche Eigen- oder Regiebetriebe, auftritt, resultiert daraus eine Selbst- und Gegenseitigkeitsbesteuerung auf Bundesebene.

7.456

Die §§ 9 und 10 StromStG sehen keine generellen Steuerbefreiungen für juristische Personen des öffentlichen Rechts vor, wie bspw. Befreiungen, Erstattungen, Vergütungen oder Erlasse. Eine solche erhalten überwiegend kleinere Anlagenbetreiber, einerseits die Stromgewinnung aus erneuerbaren Energien oder andererseits das produzierende Gewerbe. Mithin befreit § 9 StromStG gewisse Stromerzeugungsarten oder deren Verwendung. Die §§ 9a bis 10 StromStG unterstützen hingegen die Verwendung des Stroms durch gewisse Unternehmen.

I. Energiesteuer 7.457

Neben der Stromsteuer belastet auch die Energiesteuer als indirekte Verbrauchsteuer4 den Endverbraucher. Die steuerliche Belastung entsteht durch die betriebswirtschaftliche Abwälzung der steuerlichen Belastung des Unternehmers auf den Endverbraucher, welcher die jeweilige Energieart erwirbt resp. verbraucht. Folglich sind sowohl Privatpersonen als auch juristische Personen des öffentlichen und privaten Rechts indirekte Steuerschuldner i.S.d. Energiesteuergesetzes.

7.458

Das Energiesteuergesetz regelt die Besteuerung einer Vielzahl von Energiearten. Hierzu zählen sowohl fossile Brennstoffe (Mineralöle, Gase und Kohle), nachwachsende Energieträger (Pflanzenöle, Biodiesel und -ethanol) und weitere synthetische Kohlenwasserstoffe (Biogasanlagen).5 Die Besteuerung der jeweiligen Energieart ist weniger ein Mittel zur Steuerung des Konsumverhaltens, als dass es sich vielmehr für die Zuordnung und Verteilung knapper Ressourcen verantwortlich zeigt.6 Die Energiesteuerrichtlinie 2003/96/EG7 harmonisiert den europäischen Binnenmarkt, sichert deren Funktionsfähigkeit und vermeidet Wettbewerbsverzerrungen. 1 2 3 4 5 6 7

WÜD v. 6.4.1964, BGBl. II 1964 S. 957, 1006 und 1018 sowie BGBl. II 1965 S. 147. Art. 106 Abs. 1 Nr. 2 GG. § 5 Abs. 2 StromStG. § 1 Abs. 1 S. 3 EnergieStG. § 1 Abs. 2 EnergieStG. Vgl. Hidien in Hidien/Jürgens, Besteuerung der öffentlichen Hand § 10 B. Tz. 289 m.w.N. Richtlinie 2003/96/EG.

472 | Westendorf

I. Energiesteuer | Rz. 7.459 Kap. 7

Die Ertragshoheit des Bundes i.S.d. Art. 106 Abs. 1 Nr. 2 GG lässt auch bei der Energiesteuer eine Selbst- und Gegenseitigkeitsbesteuerung durch die Steuerpflicht der öffentlichen Hand eintreten. Ausnahmen, wie Vergütungs- oder Ausgleichsansprüche, für originär hoheitliche Betätigungen des Verwaltungsvermögens existieren nicht. Lediglich vereinzelte Erzeugnisse oder Verwendungszwecke unterliegen Steuerentlastungen i.S.d. §§ 45 ff. EnergieStG1 oder -befreiungen i.S.d. §§ 24 ff. EnergieStG. Die eben benannten Ermäßigungen zielen nicht unmittelbar auf die Entlastung der öffentlichen Hand mit deren originär hoheitlichen Betätigungen ab, sie werden vielmehr mit aufgenommen, so dass hierbei von einer wettbewerbsmäßigen und gleichheitsrechtlichen Ausgestaltung des Energiesteuergesetzes auszugehen ist. Eine steuerliche Gleichstellung erscheint jedoch vor dem Hintergrund einer rein hoheitlichen Betätigung der öffentlichen Hand mehr als fragwürdig.

1 Bsp. für Entlastungsanspruch BFH v. 8.11.2016 – VII R 6/16, BFH/NV 2017 S. 304; gegen Entlastungsanspruch im Rahmen des StromStG – BFH v. 25.4.2018 – VII R 15/17, BFH/NV 2018 S. 1161 und BFH v. 24.9.2014 – VII R 39/13, BFH/NV 2014 S. 2009.

Westendorf | 473

7.459

474 | Westendorf

Kapitel 8 Verfahrensrecht A. Allgemeines I. Verwaltung durch Bundesrecht oder Unionsrecht geregelter Steuern 1. Sachlicher Anwendungsbereich der AO a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . b) Verwaltungs- und Ertragshoheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Bundesfinanzbehörden . bb) Landesfinanzbehörden . cc) Ertragskompetenz . . . . . c) Steuern und Steuervergütungen aa) Steuerbegriff . . . . . . . . . bb) Steuervergütungen . . . . 2. Räumlicher Anwendungsbereich der AO . . . . . . . . . . . . . 3. Vorrang des Unionsrechts a) Klarstellung in § 1 Abs. 1 Satz 2 AO . . . . . . . . . . . . . . . b) Datenschutzrecht . . . . . . . . . 4. Verwaltung der Realsteuern a) Begriff der Realsteuern . . . . b) Verwaltung der Realsteuern durch Landesfinanzbehörden . . . . . . . . . . c) Verwaltung der Realsteuern durch Gemeinden . . . . . . . . 5. Steuerliche Nebenleistungen . . . II. Verwaltung landesrechtlich geregelter Steuern . . . . . . . . . . . . . . B. Stellung der öffentlichen Hand im Besteuerungsverfahren nach der AO I. Steuerpflichtiger . . . . . . . . . . . . . . . II. Steuerschuldner . . . . . . . . . . . . . . . . III. Haftung für eine Steuer . . . . . . . . . IV. Steuerentrichtungspflicht . . . . . . . V. Sonstige steuerliche Mitwirkungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Verbindliche Auskunft . . . . . . . . . . C. Steuerliche Beteiligungs- und Handlungsfähigkeit der öffentlichen Hand I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

8.1 8.2 8.3 8.5 8.6 8.7 8.16 8.18 8.21 8.23 8.27 8.28 8.29 8.30 8.31

8.32 8.37 8.44 8.49 8.55 8.57

8.59

II. Verfahrensbeteiligte 1. Beteiligtenstellung kraft Gesetzes 2. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . 3. Abgrenzung zur Stellung als Steuerpflichtiger . . . . . . . . . . . . 4. Mitwirkung in fremden Steuerverwaltungsverfahren . . . . . . . . III. Steuerverfahrensrechtliche Handlungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Handlungsfähigkeit kraft Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Natürliche Personen . . . . . . . . . 3. Juristische Personen des privaten Rechts . . . . . . . . . . . . . 4. Personenvereinigungen und Vermögensmassen . . . . . . . . . . 5. Juristische Personen des öffentlichen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . 6. Behörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Zuständigkeit der Finanzbehörden I. Abgrenzung der örtlichen Zuständigkeit von der sachlichen Zuständigkeit 1. Örtliche Zuständigkeit . . . . . . . 2. Sachliche Zuständigkeit . . . . . . a) Instanzielle Zuständigkeit . . b) Funktionelle Zuständigkeit . c) Verbandsmäßige Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen die sachliche Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . II. Örtliche Zuständigkeit für gesonderte Feststellungen . . . . . . . . . . . . III. Örtliche Zuständigkeit für die Besteuerung natürlicher Personen nach dem Einkommen oder Vermögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Örtliche Zuständigkeit für die Besteuerung der Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen nach dem Einkommen oder Vermögen . . . . . . . . . . . . V. Örtliche Zuständigkeit für die Umsatzbesteuerung 1. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . .

8.60 8.65 8.66 8.67 8.69 8.70 8.72 8.77 8.80 8.82 8.84

8.92 8.94 8.96 8.97 8.98 8.99 8.101

8.104

8.105 8.109

Baum | 475

Kap. 8 | Verfahrensrecht

VI. VII. VIII. IX. E. F. G. I. II. III. IV. V. VI. VII. VIII. H. I. II.

2. Öffentliche Hand . . . . . . . . . . . 3. Sonderregelungen für Bund und Länder a) Weiträumig tätige Gebietskörperschaften . . . . . . . . . . b) Dezentrale Umsatzbesteuerung des Bundes und der Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Besondere Zuständigkeitsregelungen . . . . . . . . . . . . . . Örtliche Zuständigkeit für die Realsteuern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ersatzzuständigkeit und mehrfache örtliche Zuständigkeit . . . . . Zuständigkeitswechsel, Zuständigkeitsvereinbarung und Zuständigkeitsstreit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gefahr im Verzug . . . . . . . . . . . . . . Steuererklärungspflicht der öffentlichen Hand . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weitere Mitwirkungspflichten im Steuerfestsetzungsverfahren . . Amtsermittlungsgrundsatz und Beweislast/Feststellungslast Ermittlung des Sachverhalts im Besteuerungsverfahren . . . . . . . . . Amtsermittlungsgrundsatz und Beibringungsgrundsatz . . . . . . . . . Ermittlung aller bedeutsamen Umstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Art und Umfang der Ermittlungen Allgemeine Weisungen . . . . . . . . . Risikomanagementsysteme . . . . . . Beweislast/Feststellungslast . . . . . . Verletzung der Ermittlungs- oder Mitwirkungspflicht . . . . . . . . . . . . Bekanntgabe von Steuerbescheiden Wirksamwerden eines Steuerverwaltungsakts . . . . . . . . . . . . . . . Bekanntgabe eines Steuerverwaltungsakts . . . . . . . . . . . . . . . 1. Inhaltsadressat, Bekanntgabeadressat und Empfänger . . . . . . 2. Inhaltliche Bestimmtheit eines Steuerverwaltungsakts . . . . . . . a) Natürliche Personen . . . . . . b) Juristische Personen . . . . . . 3. Zeitpunkt der Bekanntgabe eines Steuerverwaltungsakts . . . a) Übermittlung im Inland durch die Post . . . . . . . . . . .

476 | Baum

8.110

8.111 8.112 8.117

I. I.

8.121

II.

8.125 8.127 8.132

III.

8.134 8.139

8.140 8.141 8.144 8.145 8.146 8.147 8.148

IV.

V.

8.150

8.153 8.154 8.155 8.158 8.159 8.160 8.163 8.164

VI.

b) Übermittlung ins Ausland durch die Post . . . . . . . . . . . c) Elektronische Übermittlung eines Steuerbescheids . . . . . d) Bekanntgabe durch Bereitstellung zum Abruf . . . . . . . e) Förmliche Zustellung . . . . . f) Öffentliche Bekanntgabe . . Festsetzungsverjährung Rechtssicherheit und Rechtsfrieden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundregeln der Festsetzungsverjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Dauer der Festsetzungsfrist . . . 2. Anlaufhemmung und Ablaufhemmung der Festsetzungsfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . Anwendungsbereich der Festsetzungsverjährung 1. Steuerbescheide, Freistellungsbescheide und Steuervergütungsbescheide . . . . . . . . 2. Feststellungsbescheide . . . . . . . 3. Haftungsbescheide . . . . . . . . . . 4. Festsetzung, Zerlegung und Zuteilung von Realsteuermessbeträgen . . . . . . . . . . . . . . 5. Steuerliche Nebenleistungen . . 6. Andere Ansprüche . . . . . . . . . . Bedeutung der Festsetzungsverjährung 1. Erlöschen des Steueranspruchs 2. Festsetzungsverjährung nicht disponibel . . . . . . . . . . . . . . . . . Beginn der Festsetzungsfrist 1. Grundregel . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anlaufhemmung bei Erklärungspflicht . . . . . . . . . . . . . 3. Anlaufhemmung bei antragsgebundenen Steuerfestsetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Anlaufhemmung bei rückwirkenden Ereignissen . . . . . . . Ende der Festsetzungsfrist 1. Allgemeine Grundsätze . . . . . . 2. Höhere Gewalt . . . . . . . . . . . . . 3. Offenbare Unrichtigkeiten . . . . 4. Antrag auf Steuerfestsetzung oder Korrektur der Steuerfestsetzung außerhalb des Einspruchs- oder Klageverfahrens

8.165 8.167 8.168 8.173 8.175

8.177 8.178 8.180 8.185

8.187 8.189 8.190 8.191 8.192 8.193 8.194 8.195 8.198 8.199 8.201 8.202 8.203 8.205 8.206

8.209

Verfahrensrecht | Kap. 8

J. I. II. III.

5. Anfechtung einer Steuerfestsetzung im Einspruchs- oder Klageverfahren . . . . . . . . . . . . . 6. Durchführung einer Außenprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Ermittlungen der Fahndungsstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens . . . . . . . . . . . 9. Verfolgung von Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Vorläufige Steuerfestsetzung; ausgesetzte Steuerfestsetzung . . 11. Berichtigung der Steuererklärung oder Selbstanzeige . . 12. Erlass oder Korrektur von Grundlagenbescheiden . . . . . . . 13. Sonstige Ablaufhemmungen a) Anknüpfung an Zahlungsverjährung . . . . . . . . . . . . . . b) Anknüpfung an Verjährung der Entrichtungsschuld . . . . c) Weitere Fälle . . . . . . . . . . . . Bestandskraft von Steuerbescheiden Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Steuerbescheide unter Vorbehalt der Nachprüfung sowie vorläufige Steuerbescheide . . . . . . . Durchbrechung der (materiellen) Bestandskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden nach § 172 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden nach § 173 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Tatsache . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beweismittel . . . . . . . . . . . . . c) Nachträgliches Bekanntwerden . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Rechtserheblichkeit der Tatsache oder des Beweismittels . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Aufhebung oder Änderung zuungunsten oder zugunsten des Steuerpflichtigen . . . . . . 3. Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden nach § 173a AO . . . . . . . . . . . . . . . . .

8.213 8.218 8.230 8.231 8.232 8.233 8.236 8.238

K. I.

8.244

II.

8.246 8.247

III. IV.

8.248 8.252 8.255 8.256

V. VI. VII. VIII.

8.259 8.260 8.262 8.263

IX.

8.266

X. XI.

8.267 8.273

4. Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden nach § 174 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden nach § 175 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden nach § 175a AO . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden nach § 175b AO . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Vertrauensschutz nach § 176 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Korrektur von Rechtsfehlern nach § 177 AO . . . . . . . . . . . . . Einspruchsverfahren Außergerichtliches Rechtsbehelfsverfahren in Abgabenangelegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . Statthaftigkeit und Ausschluss des Einspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . Beschwer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bindungswirkung anderer Verwaltungsakte 1. Anfechtungsbeschränkung bei Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsakts . . . . . . . 2. Anfechtungsbeschränkung bei Folgebescheiden . . . . . . . . . Einspruchsbefugnis in Ausnahmefällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einspruchsverzicht . . . . . . . . . . . . . Einspruchsfrist und Rechtsbehelfsbelehrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einlegung des Einspruchs, Rücknahme des Einspruchs . . . . . . . . . . 1. Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Inhalt und Bezeichnung . . . . . . 3. Adressat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prüfung der Zulässigkeit des Einspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beteiligte und Hinzugezogene . . . . Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung im Einspruchsverfahren 1. Grundsatz: angefochtener Verwaltungsakt bleibt vollziehbar . 2. Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung von Amts wegen . .

8.275 8.278 8.281 8.282 8.285 8.288

8.291 8.295 8.299

8.308 8.310 8.313 8.314 8.318 8.322 8.323 8.325 8.330 8.335 8.337

8.342 8.343

Baum | 477

Kap. 8 | Verfahrensrecht

XII.

XIII.

XIV.

L. I.

3. Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung auf Antrag . . . . . . 4. Beschränkung der Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung bei Steuerbescheiden . 5. Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung nach Sicherheitsleistung . . . . . . . . . . . . . . . 6. Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung eines Folgebescheids . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Rechtsbehelf bei Ablehnung der Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung . . . . . . Aussetzung und Ruhen des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verfahrensaussetzung . . . . . . . . 2. Ruhen des Einspruchsverfahrens a) Einvernehmliche Verfahrensruhe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zwangsruhe . . . . . . . . . . . . . c) Verfahrensruhe nach Allgemeinverfügung . . . . . . . . d) Fortsetzung des Einspruchsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsbehelf bei Ablehnung oder Widerruf . . . . . . . . . . . . . . Weitere Verfahrensvorschriften im Einspruchsverfahren 1. Offenlegung der Besteuerungsunterlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erörterung des Sach- und Rechtsstands . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fristsetzung und Präklusion . . 4. Weitere Verfahrensvorschriften Einspruchsentscheidung, Abhilfe 1. Zuständigkeit für die Einspruchsentscheidung . . . . . . . . 2. Erneute Prüfung . . . . . . . . . . . . 3. Verböserung . . . . . . . . . . . . . . . 4. Abhilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Einspruchsentscheidung a) Förmliche Einspruchsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . b) Teil-Einspruchsentscheidung c) Einspruchsentscheidung durch Allgemeinverfügung . 6. Antrag auf schlichte Änderung nach Ergehen der Einspruchsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . Steuererhebungsverfahren Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . .

478 | Baum

8.349

II. III. IV. V. VI. VII. VIII. M. I. II.

8.351

III. IV.

8.344 8.347 8.348

8.352 8.353 8.354 8.357 8.362 8.363 8.366 N. 8.367

I.

8.368 8.373 8.377 8.381 8.385 8.386 8.387 8.391 8.396 8.397 8.398 8.401

II.

Abrechnungsbescheid . . . . . . . . . . Fälligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stundung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tilgungsreihenfolge . . . . . . . . . . . . Aufrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erlass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zahlungsverjährung Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gegenstand der Zahlungsverjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verjährungsfrist . . . . . . . . . . . . . . . Beginn der Zahlungsverjährung 1. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verjährungsbeginn bei Fälligkeitssteuern und geänderten Steuerfestsetzungen . . . . . . . . . 3. Verjährungsbeginn bei Haftungsbescheiden ohne Zahlungsaufforderung . . . . . . . 4. Hemmung der Zahlungsverjährung . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Unterbrechung der Verjährung a) Unterbrechungstatbestände b) Unterbrechungsdauer . . . . . 6. Wirkung der Zahlungsverjährung . . . . . . . . . . . . . . . . Zinsen und Säumniszuschläge nach der AO Zinsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vollverzinsung . . . . . . . . . . . . . 2. Stundungszinsen . . . . . . . . . . . 3. Hinterziehungszinsen . . . . . . . 4. Prozesszinsen auf Erstattungsbeträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Aussetzungszinsen . . . . . . . . . . 6. Höhe und Berechnung der Zinsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Zinsfestsetzungsverfahren . . . . Säumniszuschläge 1. Grundregel . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zahlungssäumnis . . . . . . . . . . . 3. Änderung oder Berichtigung einer Steuerfestsetzung . . . . . . . 4. Aufrechnung . . . . . . . . . . . . . . . 5. Keine Säumniszuschläge auf rückständige steuerliche Nebenleistungen . . . . . . . . . . . . 6. Zahlungsschonfrist . . . . . . . . . . 7. Schuldner und Gesamtschuldner

8.402 8.403 8.407 8.416 8.421 8.422 8.425 8.430 8.431 8.433 8.434 8.435 8.437 8.438 8.439 8.440 8.441 8.444

8.447 8.448 8.451 8.452 8.454 8.458 8.463 8.469 8.474 8.478 8.480 8.482 8.483 8.484 8.485

A. Allgemeines | Rz. 8.3 Kap. 8

O. I. II. III.

8. Erlass eines Säumniszuschlags . 9. Einwendungen gegen Säumniszuschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vollstreckung Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vollstreckung gegen juristische Personen des öffentlichen Rechts 1. Vollstreckung im öffentlichen Bereich – Grundsatz . . . . . . . . . 2. Vollstreckung gegen den Bund oder ein (Bundes-)Land . . . . . . 3. Vollstreckung gegen andere juristische Personen öffentlichen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . 4. Sonderfragen im Vollstreckungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Vollstreckung gegen juristische Personen privaten Rechts . . . . . 6. Vollstreckung gegen ausländische Staaten . . . . . . . . . . . . . .

8.487 8.488 8.489 8.490

P. I.

8.491

II.

8.492

III. IV.

8.493 8.495 8.497

V. VI.

7. Vollstreckung gegen öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . 8. Vollstreckung gegen öffentlich-rechtliche Kreditinstitute . . Gerichtliches Rechtsbehelfsverfahren Gerichtlicher Rechtsschutz im Besteuerungsverfahren . . . . . . . . . . Gerichtliche Rechtsbehelfe nach der FGO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klagebefugnis/Individuelle Beschwer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Innenrechtsstreit der öffentlichen Hand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konkurrentenklage . . . . . . . . . . . . . Verfassungsunmittelbarer Auskunftsanspruch hinsichtlich der Besteuerung eines Konkurrenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

8.499 8.500

8.501 8.502 8.511 8.517 8.519

8.525

8.498

Literatur: Tipke/Kruse, AO/FGO, Verlag Dr. Otto Schmidt Köln; Gosch, AO/FGO, Stollfuß-Verlag Bonn; Klein, AO, Verlag C.H. Beck München, 15. Auflage; Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Verlag Dr. Otto Schmidt Köln; Baum/Szymczak u.a., eKommentar AO, Stollfuß-Verlag Bonn

A. Allgemeines I. Verwaltung durch Bundesrecht oder Unionsrecht geregelter Steuern 1. Sachlicher Anwendungsbereich der AO a) Allgemeines Soweit Bundes- und Landesfinanzbehörden Steuern und Steuervergütungen verwalten, die durch Bundesrecht oder Unionsrecht geregelt sind, richtet sich das hierbei anzuwendende Verfahrensrecht grundsätzlich nach der Abgabenordnung (§ 1 Abs. 1 Satz 1 AO). Darüber hinaus können die Einzelsteuergesetze bereichsspezifische Verfahrensregelungen enthalten, die dann als lex specialis den allgemeinen Regelungen der AO vorgehen.

8.1

b) Verwaltungs- und Ertragshoheit Art. 108 des Grundgesetzes legt fest, welche Gebietskörperschaften (Bundesfinanzbehörden, Landesfinanzbehörden und Gemeinden) die einzelnen Steuern verwalten.

8.2

aa) Bundesfinanzbehörden Die Hauptzollämter als örtliche Bundesfinanzbehörden i.S.d. § 6 Abs. 2 AO i.V.m. § 1 Nr. 3 FVG verwalten u.a. die unionsrechtlich geregelten Einfuhr- und Ausfuhrabgaben (Zölle) sowie Baum | 479

8.3

Kap. 8 Rz. 8.3 | Verfahrensrecht

die bundesgesetzlich geregelten Verbrauchsteuern einschließlich der Einfuhrumsatzsteuer und der (den Ländern zufließenden) Biersteuer, die Versicherungsteuer, die (den Ländern zufließende) Feuerschutzsteuer, die Luftverkehrsteuer und die Kraftfahrzeugsteuer sowie weitere Abgaben im Rahmen der Europäischen Union.

8.4

Weitere Bundesfinanzbehörden sind nach § 6 Abs. 2 AO das Bundesministerium der Finanzen (BMF), das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt), das Informationstechnikzentrum Bund (ITZBund) und die Generalzollrektion (GZD). § 5 FVG enthält eine (nicht abschließende) Aufzählung von Aufgaben des BZSt. bb) Landesfinanzbehörden

8.5

Die Finanzämter als örtliche Landesfinanzbehörden i.S.d. § 6 Abs. 2 AO i.V.m. § 2 Nr. 4 FVG verwalten grundsätzlich im Auftrag des Bundes die Besitz- und Verkehrsteuern, die ganz oder zum Teil dem Bund zufließen (Einkommensteuer, Körperschaftsteuer, Umsatzsteuer, Solidaritätszuschlag), sowie die Ländersteuern (insbes. Grunderwerbsteuer, Spielbankabgabe, Rennwett- und Lotteriesteuer) und bestimmte Gemeindesteuern, soweit die Länder die Verwaltung nicht den Gemeinden übertragen haben (insbes. Gewerbesteuer und Grundsteuer). cc) Ertragskompetenz

8.6

Die Verteilung der Steuererträge zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, wird in Art. 106 des Grundgesetzes geregelt. Für die Frage der Geltung der AO bei der Verwaltung durch Bundesrecht oder Unionsrecht geregelter Steuern durch Bundes- oder Landesfinanzbehörden ist es unerheblich, wem verfassungsrechtlich das Steueraufkommen zusteht. Entscheidend ist allein, wer die Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenz hat. c) Steuern und Steuervergütungen aa) Steuerbegriff

8.7

Steuern sind nach § 3 Abs. 1 AO Geldleistungen ohne unmittelbare Gegenleistung, die vom Bund, einem Land, einer Gemeinde bzw. einem Gemeindeverband oder einer öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaft zur Erzielung von Einnahmen allen auferlegt werden, die den Tatbestand erfüllen bzw. erfüllt haben, an den das Gesetz die Steuerpflicht knüpft. Auf die Bezeichnung als „Steuer“ kommt es hierbei ebenso wenig an wie darauf, ob die Abgabe einmalig oder fortlaufend erhoben wird.

8.8

Solche Geldleistungen können mit gesetzlichen Zahlungsmitteln oder als unbare Zahlungen durch Überweisung, Lastschrifteinzug oder Schecks, Steuerzeichen oder Steuerstemplern erbracht werden. Die Hingabe von Kunstgegenständen nach § 224a AO erfolgt an Zahlungs statt. Abgaben, die in Sach- oder Dienstleistungen erbracht werden, sind – abgesehen vom Ausnahmefall des § 224a AO – keine Steuern.

8.9

Die Erhebung einer als Steuer zu qualifizierenden Abgabe muss darauf gerichtet sein, Einnahmen zur Deckung des allgemeinen Finanzbedarfs zu erzielen. Sie darf also keine Gegenleistung für eine Ausgaben verursachende, individuell zuzuordnende („besondere“) Leistung der öffentlichen Hand darstellen. Eine nicht individualisierbare Leistung durch die öffentliche Hand (z.B. Schaffung und Instandhaltung der öffentlichen Infrastruktur, Schulen, Krankenhäuser, Straßen etc.) steht dem Steuerbegriff nicht entgegen. Auch eine mögliche Zweckbindung von Steuern stellt keine konkrete Gegenleistung dar. 480 | Baum

A. Allgemeines | Rz. 8.17 Kap. 8

Steuern sind öffentliche Abgaben, die als Gemeinlast voraussetzungslos, d.h. ohne individuelle Gegenleistung an die Steuerpflichtigen, zur Deckung des allgemeinen Finanzbedarfs eines öffentlichen Gemeinwesens erhoben werden. Der die Steuerpflicht begründende Tatbestand steht in keinem Zusammenhang mit der Entscheidung über die Verwendung des Steueraufkommens; Einnahmen- und Ausgabenseite sind voneinander abgekoppelt. Dies gilt auch für Zwecksteuern, deren Aufkommen ganz oder teilweise für einen bestimmten Zweck verwendet wird. Der Haushaltsgesetzgeber ist nicht gehindert, jederzeit eine abweichende Verwendungsentscheidung zu treffen; insbesondere kann er bestimmen, dass Überschüsse aus der Zwecksteuer für einen anderen Zweck verwendet werden.1

8.10

Geldleistungen, denen eine konkrete Gegenleistung gegenübersteht, sind Gebühren oder Beiträge (sog. Vorzugslasten). In diesem Fall steht der Abgabe ein Aufwand für eine individuell zurechenbare Leistung gegenüber.

8.11

Unter „Auferlegung“ einer Geldleistungsverpflichtung i.S.d. § 3 Abs. 1 AO ist zu verstehen, dass der Rechtsgrund der Verpflichtung einseitig und ohne Rücksicht auf den Willen der Verpflichteten durch hoheitlichen Akt bestimmt sein muss.2 Unter Rechtsgrund ist die die Steuer begründende Rechtsnorm zu verstehen.

8.12

Der Steuerbegriff des Art. 105 ff. GG umfasst nur Abgaben, die dem Staat endgültig zufließen. Abgaben, deren Rückzahlung von vornherein vorgesehen ist (sogenannte Zwangsanleihen), sind keine Steuern im Sinne der Verfassung und des § 3 AO.3

8.13

Die Erzielung von Einnahmen darf Nebenzweck der Besteuerung sein (§ 3 Abs. 1 zweiter Halbsatz AO). Daher können auch Abgaben mit Lenkungszweck Steuern im Sinne der AO sein. Das BVerfG hat wiederholt die Zulässigkeit wirtschaftslenkender Maßnahmen im Wege der Steuergesetzgebung betont.4

8.14

Die Frage, ob eine Abgabe, die nach den Merkmalen des § 3 Abs. 1 AO als Steuer zu qualifizieren ist, auch rechtmäßig (insbes. verfassungskonform) ist, wird dabei nicht von § 3 Abs. 1 AO beantwortet, sondern bestimmt sich nach den verfassungsrechtlichen Regeln zur Gesetzgebungskompetenz.5

8.15

bb) Steuervergütungen Steuervergütungsansprüche i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 1 AO (die die AO allerdings selbst nicht definiert), sind wie die Steuern Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 Abs. 1 AO). Eine Steuervergütung liegt z.B. vor, wenn sich bei der Umsatzsteuer ein Überschuss der abziehbaren Vorsteuer über die zu entrichtende Umsatzsteuer ergibt. Vgl. auch die Steuervergütung nach § 4a UStG.

8.16

Keine Steuervergütungen i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 1 AO sind Prämien und Zulagen, die von (Bundes- oder Landes-)Finanzbehörden verwaltet und aus dem Steueraufkommen geleistet werden (z.B. die Forschungszulage). Daher ordnet der Gesetzgeber in den jeweiligen Gesetzen

8.17

1 BVerwG v. 18.3.2016 – 6 C 8.15, BFH/NV 2016, 1247. 2 Neumann in Gosch, § 3 AO Rz. 12, November 2016. 3 Vgl. BVerfG v. 6.11.1984 – 2 BvL 19/83, 2 BvL 20/83, 2 BvR 363/83, 2 BvR 491/83, BStBl II 1984, 858. 4 Vgl. BVerfG v. 2.10.1973 – 1 BvR 345/73, BVerfGE 36, 66. 5 Neumann in Gosch, § 3 AO Rz. 11, November 2016.

Baum | 481

Kap. 8 Rz. 8.17 | Verfahrensrecht

vielfach ausdrücklich an, dass auf die jeweilige Prämie oder Zulage die (meisten) Vorschriften der AO über Steuervergütungen entsprechend anzuwenden sind.

2. Räumlicher Anwendungsbereich der AO 8.18

Die AO enthält keine Regelungen über ihren räumlichen Geltungsbereich. Es liegt aber auf der Hand, dass ihre Vorschriften im Inland, das heißt im Geltungsbereich des Grundgesetzes, unmittelbar anzuwenden sind. Die Regelung des § 22a AO bringt zudem zum Ausdruck, dass die AO auch auf dem der Bundesrepublik Deutschland zustehenden Anteil am Festlandsockel und an der ausschließlichen Wirtschaftszone anzuwenden ist.

8.19

Da nationale Steuern allerdings auch im Ausland durchgesetzt werden müssen oder steuerlich erhebliche Sachverhalte mit Auslandsbezug verifiziert werden müssen, wird allgemein die Auffassung vertreten, es komme auf das völkerrechtliche Territorialitätsprinzip an.1 Die Befugnis hoheitlichen Handelns wird danach durch die Staatsgrenzen eingeschränkt, weil kein Staat in das Gebiet eines anderen hinein hoheitlich tätig werden darf (Prinzip der äußeren Souveränität).

8.20

Dem nationalen Gesetzgeber ist dadurch allerdings nicht die Befugnis genommen, Sachverhalte mit Auslandsbezug zu regeln, soweit sie sich steuerlich im Inland auswirken. Dies gilt insbesondere dann, wenn der zuständige ausländische Hoheitsträger eingewilligt hat. Im Übrigen gelten vielfach zwischenstaatliche Vereinbarungen zur grenzüberscheitenden Zusammenarbeit der nationalen Finanzbehörden bei der Festsetzung und Beitreibung von Steuern.

3. Vorrang des Unionsrechts a) Klarstellung in § 1 Abs. 1 Satz 2 AO

8.21

§ 1 Abs. 1 Satz 2 AO bestimmt „klarstellend“, dass unmittelbar anzuwendende Regelungen des primären und sekundären Unionsrechts den nationalen Regelungen in der AO vorgehen. Dies gilt allerdings nur, soweit die kollidierenden Normen denselben Regelungsgegenstand haben. Relevant sind dabei auch nur unmittelbar geltende Rechtsakte der Union (insbes. EU-Verordnungen wie z.B. der Unionszollkodex), nicht EU-Richtlinien. Diese sind aber bei der Auslegung solcher nationalen Rechtsvorschriften von Bedeutung, durch die eine Richtlinie umgesetzt wurde.

8.22

Da das Unionsrecht außerhalb der Umsatzsteuer und des Unionszollkodexes nur ausnahmsweise verfahrensrechtliche Regelungen enthält, bestimmt sich das Verfahrensrecht bei der Verwaltung der durch Bundes- oder Unionsrecht geregelten Steuern weitestgehend nach der nationalen AO. Das nationale Verfahrensrecht ist dabei aber im Zweifel unionsrechtskonform auszulegen. b) Datenschutzrecht

8.23

Besondere Bedeutung hat in diesem Kontext das europäische Datenschutzrecht. Die Datenschutz-Grundverordnung (Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.4.2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG2 gilt selbst nur für die Verarbeitung solcher Daten, die sich auf lebende natürliche Personen beziehen.3 1 Oellerich in Gosch, § 1 AO Rz. 2, Stand Juni 2018, m.w.N. 2 ABl. L 119 v. 4.5.2016, S. 1; L 314 v. 22.11.2016, S. 72, L 127 v. 23.5.2018, S. 2. 3 Baum, eKommentar AO § 2a AO Rz. 64, November 2019.

482 | Baum

A. Allgemeines | Rz. 8.29 Kap. 8

Nach § 2a Abs. 5 AO gelten die Vorschriften der Datenschutz-Grundverordnung, der AO und der Steuergesetze über die Verarbeitung personenbezogener Daten natürlicher Personen (zur Definition vgl. Art. 4 Nr. 1 und 2 der Datenschutz-Grundverordnung) allerdings entsprechend für solche Informationen, die sich beziehen auf identifizierte oder identifizierbare

8.24

– verstorbene natürliche Personen oder – Körperschaften, rechtsfähige oder nicht rechtsfähige Personenvereinigungen oder Vermögensmassen. Der Begriff „Körperschaften“ umfasst dabei auch juristische Personen des öffentlichen Rechts, soweit sie im Besteuerungsverfahren nach der AO nicht selbst als Verwaltungsträger auftreten. Insoweit kann daher im Anwendungsbereich der AO dahin gestellt bleiben, inwieweit sich die öffentliche Hand selbst auf Grundrechte, insbesondere das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, berufen kann.

8.25

Im Übrigen ist zu beachten, dass die unionsrechtlichen Datenschutzbestimmungen in den Fällen des § 2a Abs. 5 AO nur als nationales Recht gelten und der EuGH für die Auslegung des (insoweit nationalen) steuerlichen Datenschutzrechts nicht zuständig ist.1

8.26

4. Verwaltung der Realsteuern a) Begriff der Realsteuern Realsteuern sind die Grundsteuer und die Gewerbesteuer (§ 3 Abs. 2 AO). Voraussetzung für die Erhebung einer Realsteuer ist, dass nicht Personen nach ihrer individuellen Leistungsfähigkeit, sondern Sachen, Rechte oder Gesamtheiten besteuert werden.

8.27

b) Verwaltung der Realsteuern durch Landesfinanzbehörden Soweit eine bundesgesetzlich geregelte Realsteuer durch Finanzämter als Landesfinanzbehörden verwaltet wird, gilt die AO unmittelbar und uneingeschränkt. Bundesweit umfasst dies die Festsetzung der Steuermessbeträge und ggf. deren Zerlegung. Nur in Stadtstaaten obliegt den Finanzämtern aber auch die Festsetzung und Erhebung der Realsteuern. Dabei gelten dann auch die Bestimmungen der AO unmittelbar.

8.28

c) Verwaltung der Realsteuern durch Gemeinden Soweit Gemeinden die Realsteuern selbst verwalten (d.h. Gewerbesteuer und Grundsteuer auf Grundlage der Mess- und Zerlegungsbescheide der Finanzämter festsetzen und erheben), gelten nach § 1 Abs. 2 AO folgende Vorschriften der AO entsprechend: – §§ 1 bis 15, §§ 29b bis 31c, §§ 32a bis 32j AO (Anwendungsbereich, steuerliche Begriffsbestimmungen, Verarbeitung geschützter Daten und Steuergeheimnis, Betroffenenrechte; Datenschutzaufsicht, gerichtlicher Rechtsschutz in datenschutzrechtlichen Angelegenheiten), – §§ 33 bis 77 AO (Steuerschuldrecht), – §§ 78 bis 81, 85 bis 133 AO (Allgemeine Verfahrensvorschriften),

1 Vgl. EuGH v. 10.12.2020 – Rs. C-620/19, Celex-Nr. 62019CJ0620; juris; auszugsweise wiedergegeben in HFR 2021, 331.

Baum | 483

8.29

Kap. 8 Rz. 8.29 | Verfahrensrecht

– §§ 134 bis 217 AO (Durchführung der Besteuerung), – §§ 218 bis 248 AO (Erhebungsverfahren), – § 249 Abs. 2 Satz 2 AO (seit 29.12.2020 erweiterte Verwendungsbefugnis für im steuerlichen Vollstreckungsverfahren erlangte und dem Steuergeheimnis unterliegende Daten), – § 351 und § 361 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 AO (Einspruchsverfahren: Bindungswirkung anderer Verwaltungsakte, Aussetzung der Vollziehung) und – §§ 369 bis 412 AO (Straf- und Bußgeldvorschriften, Straf- und Bußgeldverfahren).

5. Steuerliche Nebenleistungen 8.30

Auf steuerliche Nebenleistungen sind die Vorschriften der AO nach § 1 Abs. 3 AO entsprechend anzuwenden. Steuerliche Nebenleistungen sind nach § 3 Abs. 4 AO1: – Verzögerungsgelder (§ 146 Abs. 2b AO), – Verspätungszuschläge (§ 152 AO), – Zuschläge gem. § 162 Abs. 4 und 4a AO, – Zinsen (§§ 233 bis 237 AO), Zinsen nach dem Zollkodex sowie Zinsen, die über die §§ 233 bis 237 AO und die Steuergesetze hinaus nach dem Recht der Europäischen Union auf zu erstattende Steuern zu leisten sind, – Säumniszuschläge (§ 240 AO), – Zwangsgelder (§ 329 AO), Kosten nach den §§ 89, 89a Abs. 7 sowie den §§ 178 und 337 bis 345 AO und – Verspätungsgelder nach § 22a Abs. 5 EStG.

II. Verwaltung landesrechtlich geregelter Steuern 8.31

Soweit Landesfinanzbehörden oder Kommunen Steuern verwalten, die nicht durch Bundesrecht oder Unionsrecht, sondern durch Landesrecht oder kommunale Satzungen geregelt sind, bestimmt sich das dabei anzuwendende Verwaltungsverfahrensrecht nach Landesrecht. Die Landesgesetzgeber haben allerdings vielfach bestimmt, dass in diesem Fall viele Regelungen der AO entsprechend (d.h. aber als Landesrecht) anzuwenden sind. Die Ausgestaltung ist dabei allerdings von Land zu Land unterschiedlich.

B. Stellung der öffentlichen Hand im Besteuerungsverfahren nach der AO I. Steuerpflichtiger 8.32

Nach § 33 Abs. 1 AO ist Steuerpflichtiger, – wer eine Steuer schuldet (Steuerschuldner), – wer für eine Steuer haftet (Haftungsschuldner), 1 I.d.F. des AbzStEntModG v. 8.6.2021, BGBl. I 2021, 1259, und des Gesetzes zur Abwehr von Steuervermeidung und unfairem Steuerwettbewerb und zur Änderung anderer Gesetze v. 25.6.2021, BGBl. I 2021, 2056.

484 | Baum

B. Stellung der öffentlichen Hand im Besteuerungsverfahren nach der AO | Rz. 8.41 Kap. 8

– wer eine Steuer für Rechnung eines Dritten einzubehalten und abzuführen hat (Steuerentrichtungspflichtiger), – wer eine Steuererklärung abzugeben, Sicherheit zu leisten, Bücher und Aufzeichnungen zu führen oder andere ihm durch die Steuergesetze auferlegte Verpflichtungen zu erfüllen hat (Mitwirkungspflichtiger). Alle Steuerpflichtigen im vorgenannten Sinn sind Beteiligte des Besteuerungsverfahrens i.S.d. § 78 AO.

8.33

Steuerpflichtiger i.S.d. § 33 Abs. 1 AO kann jede natürliche oder juristische Person, jede (rechtsfähige oder nicht rechtsfähige) Personenvereinigung oder jedes Zweckvermögen sein. Steuerpflichtiger können daher auch Gebietskörperschaften (Bund, Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände), Träger der gesetzlichen Kranken-, Pflege-, Unfall-, Arbeitslosen- und Rentenversicherung, öffentlich-rechtliche Sondervermögen, rechtsfähige Anstalten und Körperschaften des öffentlichen Rechts und öffentliche Unternehmen sein.

8.34

Die Definition in § 33 Abs. 1 AO ist bei allen durch Bundesrecht oder Unionsrecht geregelten Steuern maßgeblich, sofern das Einzelsteuergesetz keine bereichspezifische Erweiterung oder Einschränkung enthält.

8.35

Steuerpflichtiger ist dagegen nicht, wer in einer fremden Steuersache Auskunft zu erteilen, Urkunden vorzulegen, ein Sachverständigengutachten zu erstatten oder das Betreten von Grundstücken, Geschäfts- und Betriebsräumen zu gestatten hat (§ 33 Abs. 2 AO).

8.36

II. Steuerschuldner Wer Schuldner einer Steuer oder Gläubiger einer Steuervergütung ist, bestimmen nach § 43 Satz 1 AO die Einzelsteuergesetze. Die Steuerschuldnerschaft wird in manchen Einzelsteuergesetzen ausdrücklich geregelt. Sofern ein Einzelsteuergesetz aber keine ausdrückliche Definition enthält, ist die (natürliche oder juristische) Person, Personenvereinigung oder Vermögensmasse Steuerschuldner, die die subjektiven und objektiven Merkmale des Tatbestandes verwirklicht hat, an den das jeweilige Steuergesetz die Leistungspflicht anknüpft (vgl. § 38 AO).

8.37

Die Steuerschuldnerschaft entsteht kraft (Steuer-)Gesetzes. Sie ist deshalb auch unabhängig davon, ob der Steuerschuldner der Finanzbehörde bekannt oder die Steuer durch Bescheid festgesetzt worden ist.1

8.38

Der Steuerschuldner ist Inhaltsadressat der jeweiligen Steuerverwaltungsakte, insbesondere der Steuerbescheide. Er muss für die von ihm persönlich geschuldete Steuer mit seinem Vermögen einstehen. Die Finanzbehörde hat daher die Möglichkeit, in das Vermögen des Steuerschuldners zu vollstrecken (§§ 249 ff. AO).

8.39

Eine Steuerschuldnerschaft der öffentlichen Hand kann sich insbesondere auf dem Gebiet der Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer und der Umsatzsteuer ergeben.

8.40

Der Steuerschuldner muss dabei nicht immer auch selbst zur Entrichtung der Steuer verpflichtet sein. Dies ist etwa bei den Abzugssteuern der Fall (z.B. Lohnsteuer und Kapitalertragsteuer). Hier hat ein Dritter – der Steuerentrichtungspflichtige – die Steuer für Rechnung

8.41

1 Schindler in Gosch, § 33 AO Rz.9, Juni 2021.

Baum | 485

Kap. 8 Rz. 8.41 | Verfahrensrecht

des Steuerschuldners einzubehalten und bei der zuständigen Finanzbehörde anzumelden und die angemeldete Steuer dorthin abzuführen.

8.42

Die Steuerentrichtungspflicht des Dritten lässt die zugrundeliegende Steuerschuldnerschaft unberührt. Der Steuerschuldner und der Steuerentrichtungspflichtige sind allerdings Gesamtschuldner (vgl. § 44 Abs. 1 AO). Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, können beide Gesamtschuldner nebeneinander, gleichzeitig und in vollem Umfang für die Gesamtschuld in Anspruch genommen werden. Allerdings wirkt die Erfüllung der Gesamtschuld durch einen der Gesamtschuldner auch für alle anderen Gesamtschuldner (§ 44 Abs. 2 AO).

8.43

Eine vertragliche Verpflichtung, für die Steuerschuld eines Dritten einzustehen, kann kein Steuerschuldverhältnis begründen (§ 192 AO).

III. Haftung für eine Steuer 8.44

Nach der AO oder den Einzelsteuergesetzen, aber auch nach außersteuerlichen Vorschriften, kann ein Dritter für eine fremde Steuerschuld haften müssen. Die hierbei in Betracht kommenden Haftungstatbestände sind sehr vielfältig. Sie ergeben sich entweder aus der AO (vgl. §§ 69 bis 76 AO), aus den Einzelsteuergesetzen (z.B. § 42d Abs. 1 Nr. 1 bis 3 EStG) oder aus zivilrechtlichen Vorschriften (vgl. z.B. §§ 25, 128 HGB). In vielen Fällen setzt die Haftung auch eine vorsätzliche oder grob fahrlässige Pflichtverletzung voraus. Die gesetzliche Haftung kann sich je nach Haftungstatbestand auch auf steuerliche Nebenleistungen (inbes. Zinsen) erstrecken.

8.45

Der (gesetzliche) Haftungsschuldner wird – nach entsprechender Ermessensausübung durch die Finanzbehörde – durch einen Haftungsbescheid in Anspruch genommen (vgl. § 191 Abs. 1 AO). Voraussetzung für den Erlass eines Haftungsbescheides ist es dabei nicht, dass die zugrundeliegende Steuer bereits gegen den Steuerschuldner festgesetzt und er zu ihrer Zahlung aufgefordert wurde.

8.46

Die Haftungsschuld eines Dritten lässt die zugrundeliegende Steuerschuldnerschaft unberührt. Der Steuerschuldner und der Haftungsschuldner sind allerdings Gesamtschuldner (vgl. § 44 Abs. 1 AO). Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, können beide Gesamtschuldner nebeneinander, gleichzeitig und in vollem Umfang für die Gesamtschuld in Anspruch genommen werden. Allerdings wirkt die Erfüllung der Gesamtschuld durch einen der Gesamtschuldner auch für alle anderen Gesamtschuldner (§ 44 Abs. 2 AO).

8.47

Wer sich als Dritter vertraglich verpflichtet, fremde Steuerschulden zu begleichen (vgl. § 48 Abs. 2 AO), ist nicht Haftungsschuldner. Ein derart vertraglich Haftender kann nicht durch (öffentlich-rechtlichen) Haftungsbescheid, sondern nur nach zivilrechtlichen und zivilprozessualen Vorschriften in Anspruch genommen (§ 192 AO).

8.48

Eine Haftungsschuld der öffentlichen Hand kann sich insbesondere bei Pflichtverletzungen auf dem Gebiet der Lohnsteuer ergeben.

IV. Steuerentrichtungspflicht 8.49

Die Einzelsteuergesetze bestimmen, wer Steuerentrichtungspflichtiger ist (§ 43 Satz 2 AO). Sie bestimmen die Voraussetzungen und die Reichweite der Entrichtungspflicht.

8.50

Steuerentrichtungspflichtiger ist danach immer, wer verpflichtet ist, die Steuer für Rechnung des Steuerschuldners zu entrichten. In vielen Fällen ist der Steuerentrichtungspflichtige zu486 | Baum

B. Stellung der öffentlichen Hand im Besteuerungsverfahren nach der AO | Rz. 8.57 Kap. 8

gleich verpflichtet, die Steuer einzubehalten, d.h. die dem Gläubiger einer Vergütung geschuldete Leistung entsprechend zu kürzen (z.B. bei der Lohnsteuer und der Kapitalertragsteuer). Bei der Versicherungsteuer erhebt der Steuerentrichtungspflichtige die vom Versicherungsnehmer geschuldete Steuer zusätzlich zur Versicherungsprämie. Eine Steuerentrichtungspflicht der öffentlichen Hand kann sich insbesondere auf dem Gebiet der Lohnsteuer ergeben.

8.51

Der Steuerentrichtungspflichtige schuldet nicht die Steuer, sondern die Entrichtung der Steuerschuld eines anderen. Der Steuerentrichtungspflichtige ist darum nicht zugleich Steuerschuldner.1 Der Entrichtungsanspruch ist demzufolge auch kein Steueranspruch i.S.d. § 37 Abs. 1 AO. Die AO enthält aber verschiedene Regelungen, nach denen die Entrichtungsschuld der Steuerschuld angenähert wird.

8.52

Die Steuerentrichtungspflicht eines Dritten lässt die zugrundeliegende Steuerschuld unberührt. Der Steuerschuldner und der Steuerentrichtungspflichtige sind Gesamtschuldner (vgl. § 44 Abs. 1 AO). Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, können beide Gesamtschuldner nebeneinander, gleichzeitig und in vollem Umfang für die Gesamtschuld in Anspruch genommen werden. Allerdings wirkt die Erfüllung der Gesamtschuld durch einen der Gesamtschuldner auch für alle anderen Gesamtschuldner (§ 44 Abs. 2 AO).

8.53

Eine vertragliche Verpflichtung, für die Steuerschuld eines Dritten einzustehen, kann kein Steuerschuldverhältnis und auch keine Steuerentrichtungsschuld begründen (§ 192 AO).

8.54

V. Sonstige steuerliche Mitwirkungspflichten Nach § 33 Abs. 1 AO ist auch Steuerpflichtiger, wer eine Steuererklärung abzugeben, eine Sicherheit zu leisten, Bücher und Aufzeichnungen zu führen oder andere ihm durch die Steuergesetze auferlegte Verpflichtungen zu erfüllen hat. Steuergesetze in diesem Sinne sind alle unmittelbar anzuwendenden Rechtsnormen der Union (insbes. Verordnungen, nicht aber Richtlinien) oder des Bundes (Gesetze und Rechtsverordnungen), die steuerrechtliche Vorschriften enthalten, auch wenn diese nur einen Teil der Rechtsnorm umfassen. Entsprechende Verpflichtungen sind z.B. Pflichten aus §§ 34, 35 AO (gesetzliche Vertreter, Vermögensverwalter und Verfügungsberechtigte) sowie Duldungspflichten nach § 77 AO, aber auch Anzeige- oder Mitteilungspflichten nach §§ 137 ff. AO.

8.55

Diese steuerlichen Mitwirkungspflichten können unabhängig davon bestehen, ob die betroffene Person zugleich Steuerschuldner, Haftungsschuldner oder Steuerentrichtungspflichtiger ist.

8.56

VI. Verbindliche Auskunft Die Finanzämter und das BZSt können nach § 89 Abs. 2 Satz 1 AO auf Antrag verbindliche Auskünfte über die steuerliche Beurteilung von genau bestimmten, noch nicht verwirklichten Sachverhalten erteilen, wenn daran im Hinblick auf die erheblichen steuerlichen Auswirkungen ein besonderes Interesse besteht. Die Bearbeitung eines solchen Auskunftsantrags ist grds. gebührenpflichtig (§ 89 Abs. 3–7 AO). Die Steuer-Auskunftsverordnung (StAuskV) enthält Regelungen zu Form und Inhalt des Antrags und zur Bindungswirkung einer verbindlichen Auskunft.

1 Drüen in T/K, § 33 AO Rz. 8, Februar 2019, m.w.N.

Baum | 487

8.57

Kap. 8 Rz. 8.58 | Verfahrensrecht

8.58

Das Recht, eine verbindliche Auskunft zu beantragen, steht auch Stellen der öffentlichen Hand zu, wenn sie daran im Hinblick auf die erheblichen steuerlichen Auswirkungen ein besonderes Interesse darlegen können.

C. Steuerliche Beteiligungs- und Handlungsfähigkeit der öffentlichen Hand I. Allgemeines 8.59

Natürliche Personen, juristische Personen des privaten als auch des öffentlichen Rechts, nicht rechtsfähige und rechtsfähige (Personen-)Vereinigungen und (nicht rechtsfähige) Vermögensmassen können steuerrechts- und beteiligtenfähig sein, soweit sie Träger von steuerlichen Rechten und Pflichten sein können.

II. Verfahrensbeteiligte 1. Beteiligtenstellung kraft Gesetzes 8.60

Nach § 78 AO sind Beteiligte des Steuerverwaltungsverfahrens: – Antragsteller und Antragsgegner, – diejenigen, an die die Finanzbehörde den Verwaltungsakt richten will oder gerichtet hat, – diejenigen, mit denen die Finanzbehörde einen öffentlich-rechtlichen Vertrag schließen will oder geschlossen hat.

8.61

Die steuerverfahrensrechtliche Beteiligtenstellung entsteht immer kraft Gesetzes dadurch, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 78 AO vorliegen („geborene“ Beteiligte). Der in § 78 AO definierte Begriff gilt für alle Verfahrensarten der AO, soweit er nicht ausnahmsweise von einem spezielleren (vgl. §§ 186, 359 AO) verdrängt wird (z.B. „gekorene“ Beteiligte im Einspruchsverfahren).

8.62

Die Beteiligtenstellung kann nach § 78 Nr. 2 AO bereits entstehen, bevor ein Verwaltungsakt an den Steuerpflichtigen (als Inhaltsadressat) ergangen ist, so dass die Finanzbehörde auch schon im Vorfeld die mit der Beteiligtenstellung verbundenen Rechte (z.B. Anhörungsrechte) beachten muss.

8.63

Die Aufzählung des § 78 AO ist abschließend. Um Beteiligter i.S.d. § 78 AO zu sein, bedarf es auch keiner Hinzuziehung. Der Finanzbehörde steht auch kein Ermessen darüber zu, ob sie jemanden als Beteiligten gem. § 78 AO am Verfahren beteiligen will oder nicht.1 Sobald die Finanzbehörde aber beabsichtigt, einen Steuerverwaltungsakt zu erlassen, entsteht die Stellung als Verfahrensbeteiligter desjenigen, an den sie den Verwaltungsakt richten will, automatisch kraft Gesetzes.

8.64

Die das Steuerverwaltungsverfahren betreibende Finanzbehörde ist als Verfahrensträgerin grds. kein Beteiligter i.S.d. § 78 AO, auch nicht als Antragsgegnerin (zur Ausnahme im Zerlegungsverfahren siehe § 186 Nr. 2 Satz 2 AO). Wird eine Finanzbehörde im Wege der Amtshilfe (§§ 111 ff. AO) für die sachlich und örtlich zuständige Finanzbehörde (= Verfahrensträgerin) tätig, ist die ersuchte Finanzbehörde in dem von der ersuchenden Finanzbehörde 1 Drüen in T/K, § 78 AO Rz. 11, Februar 2021.

488 | Baum

C. Steuerliche Beteiligungs- und Handlungsfähigkeit der öffentlichen Hand | Rz. 8.70 Kap. 8

durchgeführten Verfahren nicht Beteiligte i.S.d. § 78 AO, sondern wirkt in diesem Verfahren lediglich „unterstützend“ mit.

2. Rechtsfolgen Aus dieser Beteiligtenstellung folgt, dass die (natürliche oder juristische) Person, Personenvereinigung oder Vermögensmasse am (i.d.R. eigenen) Steuerverwaltungsverfahren teilnimmt und ihr die Befugnis zusteht, insbesondere durch das Stellen von Anträgen zur Sache und zum Verfahren, ihre Rechte selbstständig zu vertreten oder sich dabei durch Bevollmächtigte oder Beistände vertreten zu lassen.1 Die Stellung als Beteiligter des Steuerverwaltungsverfahrens spiegelt das Vorhandensein subjektiver Rechte und Pflichten des Beteiligten wider.

8.65

3. Abgrenzung zur Stellung als Steuerpflichtiger Die verfahrensrechtliche Stellung als Beteiligter i.S.d. § 78 ist nicht deckungsgleich mit der Rechtsstellung als Steuerpflichtiger i.S.d. § 33 AO. Beteiligter ist nicht nur der Steuerpflichtige, sondern auch ein potenziell Steuerpflichtiger.2 Hat eine Finanzbehörde einen Steuerverwaltungsakt an jemanden gerichtet, wird der Inhaltsadressat des Verwaltungsakts auch dann zum Verfahrensbeteiligten, wenn er objektiv materiell-rechtlich nicht betroffen ist.

8.66

4. Mitwirkung in fremden Steuerverwaltungsverfahren Das Steuerverfahrensrecht nach der AO kennt neben dem Beteiligungsverhältnis nach § 78 AO auch die Situation, in der jemand an einem fremden Verwaltungsverfahren mitwirkt, ohne die Rechtsstellung eines Verfahrensbeteiligten innezuhaben, z.B. als gesetzlicher Vertreter (§ 34 AO), als Bevollmächtigter (§ 80 Abs. 1 AO), als Beistand (§ 80 Abs. 6 AO), als von Amts wegen bestellter Vertreter (§ 81 AO), als Sachverständiger (§ 96 AO), als Gutachter oder als auskunfts- und/oder vorlagepflichtiger Dritter.3

8.67

Beteiligter i.S.d. § 78 AO ist ebenfalls nicht, wer lediglich Bekanntgabeadressat eines Steuerverwaltungsakts ist, der sich an eine andere Person als Inhaltsadressat richtet.

8.68

III. Steuerverfahrensrechtliche Handlungsfähigkeit 8.69

Von der Beteiligtenfähigkeit ist die Handlungsfähigkeit zu unterscheiden.

1. Handlungsfähigkeit kraft Gesetzes Nach § 79 Abs. 1 AO sind zur Vornahme von Verfahrenshandlungen im Besteuerungsverfahren fähig: – natürliche Personen, die nach bürgerlichem Recht geschäftsfähig sind, – natürliche Personen, die nach bürgerlichem Recht in der Geschäftsfähigkeit beschränkt sind, soweit sie für den Gegenstand des Verfahrens durch Vorschriften des bürgerlichen

1 Mues in Gosch, § 78 AO Rz. 2, Mai 2018. 2 Drüen in T/K, § 78 AO Rz. 8, Februar 2021; vgl. auch FG Köln v. 11.7.2000, 2 K 785/90, EFG 2002, 438. 3 Mues in Gosch, § 78 AO Rz. 5, Mai 2018.

Baum | 489

8.70

Kap. 8 Rz. 8.70 | Verfahrensrecht

Rechts als geschäftsfähig oder durch Vorschriften des öffentlichen Rechts als handlungsfähig anerkannt sind, – juristische Personen, Vereinigungen oder Vermögensmassen durch ihre gesetzlichen Vertreter oder durch besonders Beauftragte, – Behörden durch ihre Leiter, deren Vertreter oder Beauftragte.

8.71

§ 79 Abs. 2 und 3 AO enthält ergänzende Bestimmungen für Betreute.

2. Natürliche Personen 8.72

Das steuerliche Verfahrensrecht nach der AO knüpft grds. an die Vorschriften des bürgerlichen Rechts an, ohne diesen jedoch voll zu entsprechen.

8.73

Die AO kennt nur die Kategorien – unbeschränkte Verfahrenshandlungsfähigkeit, – Verfahrenshandlungsunfähigkeit sowie – partielle Verfahrenshandlungsfähigkeit.

8.74

Geschäftsfähigkeit einer natürlichen Person nach bürgerlichem Recht – und damit unbeschränkte steuerverfahrensrechtliche Verfahrenshandlungsfähigkeit – liegt vor, wenn – positiv – Volljährigkeit im Sinne des § 2 BGB und – negativ – keine Geschäftsunfähigkeit (§ 104 BGB) oder nur eine beschränkte Geschäftsfähigkeit (§ 106 BGB) vorliegt.1

8.75

Geschäftsunfähigkeit einer natürlichen Person liegt zum einen bei Kindern unter 7 Jahren vor (§ 104 Nr. 1 BGB). Darüber hinaus liegt nach § 104 Nr. 2 BGB Geschäftsunfähigkeit bei Personen vor, die sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befinden, sofern der Zustand seiner Natur nach nicht ein vorübergehender ist.

8.76

Eine natürliche Person, die das 7. Lebensjahr, aber noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet hat, ist nach bürgerlichem Recht nur beschränkt geschäftsfähig.

8.77

Juristische Personen des privaten Rechts sind steuerrechts- und beteiligtenfähig, soweit sie Träger steuerlicher Rechte und Pflichten sind. Ihnen fehlt aber die „natürliche“ Handlungsfähigkeit und demzufolge auch die steuerverfahrensrechtliche Handlungsfähigkeit. Für sie müssen deshalb natürliche Personen als Organe, Parteien kraft Amtes oder besonders Beauftragte handeln (vgl. §§ 34, 35 AO).

8.78

Wer gesetzlicher Vertreter ist, bestimmt sich dabei nach materiellem Recht. Daher sind z.B. bei den folgenden juristischen Personen des privaten Rechts die nachfolgenden Organe vertretungsbefugt:

3. Juristische Personen des privaten Rechts

– Aktiengesellschaft: der Vorstand (§ 78 AktG) – Gesellschaft mit beschränkter Haftung: der Geschäftsführer (§ 35 Abs. 1 GmbHG) 1 Vgl. Mues in Gosch, § 79 AO Rz. 15, Mai 2018.

490 | Baum

C. Steuerliche Beteiligungs- und Handlungsfähigkeit der öffentlichen Hand | Rz. 8.86 Kap. 8

– Eingetragene Genossenschaft: der Vorstand (§§ 24, 26 Abs. 2 GenG) – Rechtsfähiger Verein: der Vorstand (§ 26 Abs. 2 BGB). Ob einzelne Personen oder (nur) mehrere Personen zusammen vertretungsberechtigt sind, ergibt sich aus dem maßgebenden Organisationsrecht.1

8.79

4. Personenvereinigungen und Vermögensmassen Nichtrechtsfähige Personenvereinigungen und Vermögensmassen haben keine gesetzlichen Vertreter und handeln regelmäßig durch besonders Beauftragte i.S.d. § 79 Abs. 1 Nr. 3 AO. Besonders Beauftragte lassen sich als natürliche Personen definieren, die weder gewillkürte Vertreter i.S.d. § 80 AO noch gesetzliche Vertreter natürlicher oder juristischer Personen i.S.d. § 34 Abs. 1 AO sind, aber aufgrund Satzung, Gesellschaftsvertrag oder sonstiger Verfassung die steuergesetzlichen Pflichten einer Personenvereinigung oder einer Vermögensmasse erfüllen müssen und deren Rechte wahrnehmen. In Betracht kommen hierbei insbesondere die Geschäftsführer.

8.80

Mitglieder oder Gesellschafter nicht rechtsfähiger Personenvereinigungen haben die Pflichten dieser Personenvereinigung zu erfüllen, wenn keine besonderen Geschäftsführer vorhanden sind oder vorhandene Geschäftsführer bestimmte Handlungen nicht vornehmen können.

8.81

5. Juristische Personen des öffentlichen Rechts Auch juristische Personen des öffentlichen Rechts sind steuerrechts- und beteiligtenfähig, soweit sie Träger steuerlicher Rechte und Pflichten sind. Mangels „natürlicher“ Handlungsfähigkeit fehlt ihnen die steuerverfahrensrechtliche Handlungsfähigkeit. Sie handeln durch ihre gesetzlichen Vertreter.

8.82

Gesetzliche Vertreter von juristischen Personen des öffentlichen Rechts sind deren verfassungsmäßig berufene Vertreter. Ihre Stellung und damit ihre Vertretungsmacht beruht auf Gesetz, Verordnung, Satzung oder organisatorischer Verwaltungsvorschrift. Gesetzliche Vertreter sind z.B. Minister, Regierungspräsident, Landrat, Bürgermeister, Sparkassenvorstand, Pfarrer, Kirchenvorstand2, d.h. in jedem Fall handlungsfähige natürliche Personen.

8.83

6. Behörden Organisationsrechtlich ist zwischen dem Verwaltungsträger als juristischer Person des öffentlichen Rechts (z.B. Bund, Land oder Gemeinde) und seinen Organen zu unterscheiden. Die Verwaltungsträger werden erst durch ihre Organe handlungs- und willensfähig.

8.84

Behörden sind nach § 6 Abs. 1 AO alle Stellen, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnehmen. Maßgebend ist dabei nicht die Bezeichnung oder die Organisationsform der jeweiligen Stelle, sondern ob bzw. inwieweit sie Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt.

8.85

„Stelle“ i.S.d. § 6 Abs. 1 AO ist dabei jede durch Rechtssätze geschaffene, vom Wechsel der in ihr tätigen Personen unabhängige organisatorische Einheit, die die Kompetenz besitzt, nach

8.86

1 Vgl. Mues in Gosch, § 79 AO Rz. 41, Mai 2018. 2 Vgl. Loose in T/K, § 34 AO Rz. 7, Februar 2019, m.w.N.

Baum | 491

Kap. 8 Rz. 8.86 | Verfahrensrecht

außen hin im eigenen Namen aufzutreten und dabei Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrzunehmen.1 Auf die Rechtsfähigkeit der Stelle oder ihre Handlungsform (öffentlichrechtlich oder privatrechtlich) kommt es nicht an.

8.87

Deshalb können auch Untergliederungen eines Rechtsträgers eigenständige Behörden sein (Beispiele: Finanz- und Hauptzollämter, Landesämter, Bezirksämter, Oberfinanzdirektionen, Ministerien). Einzelne Referate, Dezernate oder Abteilungen von Behörden sind i.d.R. aber nicht eigenständig Behörden i.S.d. § 6 AO.2

8.88

„Behörde“ ist auch nicht der jeweils persönlich handelnde Amtsträger, auch wenn er beispielsweise als „Minister“, „Präsident“, „Vorsteher“ oder „Beauftragter für ...“ handelt. Behörde kann vielmehr immer nur die durch ihn repräsentierte Organisation sein.

8.89

Die Behörde kann zwar steuerrechts- und beteiligtenfähig sein, sie ist aber nicht handlungsfähig. Sie handelt nach § 79 Abs. 1 Nr. 4 AO durch ihre Leiter oder Leiterin, deren Vertreter bzw. Vertreterin („geborene“ Vertreter) oder Beauftragte („gekorene“ Vertreter).

8.90

Die Befugnisse der geborenen Vertreter der Behörde ergeben sich aus den jeweils maßgebenden organisationsrechtlichen Bestimmungen.

8.91

Beauftragte i.S.d. § 79 Abs. 1 Nr. 4 AO sind andere mit der Erledigung der Amtsgeschäfte der Behörde beauftragte Bedienstete. Sie müssen dabei auch nicht der beauftragenden Behörde angehören. Die beauftragten Bediensteten handeln im Rahmen ihres dienstlichen Auftrags, der sich entweder aus dem Geschäftsverteilungsplan der Behörde ergibt oder auf der Organisationsvorgabe einer Verwaltungsanweisung bzw. einer organisatorischen Einzelmaßnahme beruht.3

D. Zuständigkeit der Finanzbehörden I. Abgrenzung der örtlichen Zuständigkeit von der sachlichen Zuständigkeit 1. Örtliche Zuständigkeit 8.92

Die örtliche Zuständigkeit für die Durchführung des Besteuerungsverfahrens richtet sich grds. steuerartenspezifisch nach den §§ 18–29a AO. Die §§ 18 bis 23 AO sowie ergänzende Regelungen in den Steuergesetzen (z.B. § 41a EStG) regeln, welche Finanzbehörde für die Besteuerung jeweils örtlich zuständig ist. Diese Regelungen richten sich grundsätzlich nach dem Örtlichkeitsprinzip.

8.93

Ein Verstoß gegen die Regelungen zur örtlichen Zuständigkeit führt zur Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts. Nach § 127 AO kann allerdings die Aufhebung eines Verwaltungsakts, der nicht nach § 125 AO nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können. Diese Vorschrift dient der Verwaltungs- und der Prozessökonomie und soll verhindern, dass ein Verwaltungsakt allein wegen formaler Mängel aufzuheben ist, obwohl anschließend ein Verwaltungsakt gleichen In1 Vgl. Krumm in T/K, § 6 AO Rz. 2, August 2018. 2 Schober in Gosch, § 6 AO Rz. 14, Februar 2019. 3 Vgl. Drüen in T/K, § 79 AO Rz. 28, Februar 2021.

492 | Baum

D. Zuständigkeit der Finanzbehörden | Rz. 8.99 Kap. 8

halts erneut erlassen werden müsste.1 § 127 AO gilt aber grds. nur für gebundene Verwaltungsakte und somit nicht für Ermessens-Verwaltungsakte. Dies folgt aus der Einschränkung, dass keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können.2

2. Sachliche Zuständigkeit Die örtliche Zuständigkeit ist zu unterscheiden von der sachlichen Zuständigkeit (vgl. § 16 AO i.V.m. dem FVG). Die sachliche Zuständigkeit betrifft Aufgaben der Finanzbehörden, die in der AO oder den Einzelsteuergesetzen geregelt sind und durch die dafür eingerichteten Behörden erledigt werden. Sie geht der örtlichen Zuständigkeit vor und muss im Zeitpunkt der jeweiligen Amtshandlung gegeben sein. Die sachliche Zuständigkeit muss gesetzlich bestimmt sein und kann nicht im Wege einer Zuständigkeitsvereinbarung auf eine andere Finanzbehörde übertragen werden.

8.94

Dabei ist zwischen instanzieller, funktioneller und verbandsmäßiger Zuständigkeit zu unterscheiden.

8.95

a) Instanzielle Zuständigkeit Die instanzielle Zuständigkeit betrifft die vertikale Zuordnung der sachlichen Zuständigkeit innerhalb eines hierarchischen Verwaltungsaufbaus an eine bestimmte Verwaltungsebene.3 Die verschiedenen Finanzbehörden üben verschiedene Arten behördlicher Tätigkeit innerhalb des Verfahrens aus, wobei die verschiedenen Funktionsbereiche hierarchisch gegliedert sind. Soweit die AO oder die Einzelsteuergesetze keine Ausnahmeregelungen enthalten, dürfen Steuerverwaltungsakte nur durch die örtlichen Finanzbehörden erlassen werden.

8.96

b) Funktionelle Zuständigkeit Funktionelle Zuständigkeit ist die Zuständigkeit für einen bestimmten Aufgabenkreis im Besteuerungsverfahren. Sofern die funktionelle Zuständigkeitsverteilung allein auf internen Verwaltungsanweisungen beruht, begründet ihre Nichtbeachtung keine Rechtsverletzung.4

8.97

c) Verbandsmäßige Zuständigkeit Verbandsmäßige Zuständigkeit ist die Zuständigkeit einer steuerberechtigten Gebietskörperschaft (Bund, Länder oder Gemeinden); sie hat aber nur Bedeutung bei gebietsgebundenen Steuern, bei denen der Ort der Tatbestandsverwirklichung für die Steuerentstehung maßgebend ist (wie z.B. bei den Realsteuern).

8.98

d) Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen die sachliche Zuständigkeit Der von einer sachlich unzuständigen Finanzbehörde erlassene Verwaltungsakt ist rechtswidrig. Dieser Fehler ist auch beachtlich, die (Ausnahme-)Regelung in § 127 AO ist nicht anwendbar.5

1 2 3 4 5

BFH v. 13.12.2001 – III R 13/00, BStBl II 2002, 406. BFH v. 25.1.1989 – X R 158/87, BStBl II 1989, 483. Drüen in T/K, § 16 AO Rz. 10, Oktober 2014. Drüen in T/K, § 16 AO Rz. 10a, Oktober 2014. Vgl. BFH v. 23.4.1986 – I R 178/82, BStBl II 1986, 880.

Baum | 493

8.99

Kap. 8 Rz. 8.99 | Verfahrensrecht

Der unter Verstoß gegen die sachliche Zuständigkeit erlassene Verwaltungsakt ist grds. (nur) aufhebbar, aber nicht nichtig.

8.100

Lediglich solche Verwaltungsakte, die unter einem besonders schwerwiegenden und offensichtlichen Verstoß gegen die Regelungen zur sachlichen Zuständigkeit zustande gekommen sind, sind gem. § 125 Abs. 1 AO nichtig und damit nach § 124 Abs. 3 AO unwirksam. Verwaltungsakte einer ressort- oder verbandsmäßig unzuständigen Behörde sind allerdings grds. nichtig.1

8.101

Die Feststellung der Besteuerungsgrundlagen bildet grds. einen unselbständigen Teil des Steuerbescheids. Etwas anderes gilt nur, soweit die Besteuerungsgrundlagen gesondert bzw. gesondert und einheitlich festgestellt werden (§ 157 Abs. 2 AO). Letzteres geschieht nach Maßgabe des § 180 AO und der Einzelsteuergesetze (vgl. § 179 Abs. 1 AO).

8.102

§ 18 AO gilt nur für gesonderte Feststellungen nach § 180 AO. Soweit die Einzelsteuergesetze die gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen vorschreiben, enthalten sie entweder eigene Zuständigkeitsvorschriften oder sie verweisen auf §§ 18, 19 oder 20 AO oder auf § 180 AO.

8.103

Die Zuständigkeitsregelung in § 18 AO hat bei der Besteuerung der öffentlichen Hand nur mittelbar (über § 22 Abs. 1 AO) praktische Bedeutung.

II. Örtliche Zuständigkeit für gesonderte Feststellungen

III. Örtliche Zuständigkeit für die Besteuerung natürlicher Personen nach dem Einkommen oder Vermögen 8.104

§ 19 AO enthält eine Regelung zur Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit für die Besteuerung natürlicher Personen nach dem Einkommen und Vermögen. Hauptanknüpfungspunkt sind der Wohnsitz oder der gewöhnliche Aufenthalt im (räumlichen) Geltungsbereich der AO. § 19 AO hat bei der Besteuerung der öffentlichen Hand naturgemäß keine praktische Bedeutung.

IV. Örtliche Zuständigkeit für die Besteuerung der Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen nach dem Einkommen oder Vermögen 8.105

Nach § 20 Abs. 1 AO ist das Finanzamt für die Besteuerung einer Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse nach dem Einkommen oder Vermögen örtlich zuständig, in dessen Bezirk sich die Geschäftsleitung befindet. Diese Zuständigkeitsregel erfasst alle Körperschaftsteuersubjekte, das heißt auch juristische Personen des öffentlichen Rechts (im Rahmen ihrer Betriebe gewerblicher Art).

8.106

Befindet sich die Geschäftsleitung einer Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse allerdings nicht im (räumlichen) Geltungsbereich der AO oder lässt sich der Ort der Geschäftsleitung nicht feststellen, ist nach § 20 Abs. 2 AO das Finanzamt örtlich zuständig, in dessen Bezirk die steuerpflichtige Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse ihren Sitz hat. Dieser Fall dürfte bei inländischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts nicht auftreten.

8.107

§ 20 Abs. 3 und 4 AO enthält eine Auffangregelung für Fälle der beschränkten Steuerpflicht. 1 Vgl. BFH v. 12.9.2014 – VII B 99/13, BFH/NV 2015, 161.

494 | Baum

D. Zuständigkeit der Finanzbehörden | Rz. 8.111 Kap. 8

Die Zuständigkeitsregelung des § 20 Abs. 1 AO hat bei der Besteuerung der öffentlichen Hand erhebliche praktische Bedeutung. Soweit juristische Personen des öffentlichen Rechts mit ihren Betrieben gewerblicher Art (§ 1 Abs. 1 Nr. 6 i.V.m. § 4 KStG) körperschaftsteuerpflichtig sind, ist die Trägerkörperschaft gleichwohl selbst das Steuersubjekt, allerdings jeweils beschränkt auf den einzelnen Betrieb gewerblicher Art. Für jeden Betrieb gewerblicher Art ist dabei ein eigenständiges Besteuerungsverfahren durchzuführen, die örtliche Zuständigkeit bestimmt sich dabei aber nach dem Ort der Geschäftsleitung der juristischen Person des öffentlichen Rechts, nicht nach dem Ort der Geschäftsleitung des Betriebs gewerblicher Art.1 Im Einzelfall kann aber nach § 27 AO eine Zuständigkeitsvereinbarung getroffen werden.

8.108

V. Örtliche Zuständigkeit für die Umsatzbesteuerung 1. Grundsatz § 21 AO enthält Regelungen zur Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit für die Umsatzsteuer (mit Ausnahme der Einfuhrumsatzsteuer):

8.109

– Nach § 21 Abs. 1 Satz 1 AO ist das Finanzamt örtlich zuständig, von dessen Bezirk aus der Unternehmer sein Unternehmen im (räumlichen) Geltungsbereich der AO ganz oder vorwiegend betreibt. – Nach § 21 Abs. 1 Satz 2 AO kann das Bundesministerium der Finanzen zur Sicherstellung der Besteuerung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates für Unternehmer, die Wohnsitz, Sitz oder Geschäftsleitung außerhalb des (räumlichen) Geltungsbereichs der AO haben, die örtliche Zuständigkeit einer Finanzbehörde für den (räumlichen) Geltungsbereich der AO übertragen. Auf Grundlage dieser Verordnungsermächtigung ist die Umsatzsteuer-Zuständigkeitsverordnung ergangen. – Für die Umsatzsteuer von Personen, die keine Unternehmer sind, ist nach § 21 Abs. 2 AO das Finanzamt örtlich zuständig, das nach den § 19 oder § 20 AO auch für deren Besteuerung nach dem Einkommen zuständig ist. In den Fällen des § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO (gesonderte und einheitliche Feststellung bei Personenmehrheiten, insbesondere Mitunternehmerschaften) ist das Finanzamt für die Umsatzsteuer örtlich zuständig, das nach § 18 AO auch für die gesonderte und einheitliche Feststellung zuständig ist.

2. Öffentliche Hand Die Zuständigkeitsregelung des § 21 Abs. 1 Satz 1 AO hat bei der Besteuerung der öffentlichen Hand erhebliche praktische Bedeutung. Soweit juristische Personen des öffentlichen Rechts nach § 2b UStG umsatzsteuerpflichtig sind, sind sie selbst das Steuersubjekt. Das Unternehmen einer juristischen Person des öffentlichen Rechts umfasst nun – anders als früher nach § 2 Abs. 3 UStG a.F. beschränkt auf ihre Betriebe gewerblicher Art – alle umsatzsteuerbaren Tätigkeiten der jeweiligen Körperschaft.

8.110

3. Sonderregelungen für Bund und Länder a) Weiträumig tätige Gebietskörperschaften Unter den Körperschaften des öffentlichen Rechts nehmen die Gebietskörperschaften Bund und Länder mit Blick auf die staatsrechtlich vorgegebene Wahrnehmung staatlicher Aufgaben 1 FG Baden-Württemberg v. 25.2.1999 – 6 K 276/98, EFG 1999, 798.

Baum | 495

8.111

Kap. 8 Rz. 8.111 | Verfahrensrecht

durch verschiedene selbstständige Verfassungsorgane und ihre, zum Teil örtlich weit verstreute Untergliederungen allerdings eine Sonderrolle ein. Die Abgabe (nur) einer Umsatzsteuererklärung für alle durch das Handeln des Bundes oder eines Landes einschließlich aller Organe bewirkte steuerbare Umsätze wäre mit erheblichen praktischen, aber auch rechtlichen Schwierigkeiten verbunden. b) Dezentrale Umsatzbesteuerung des Bundes und der Länder

8.112

Zur Verwaltungsvereinfachung und im Interesse der Rechtssicherheit für die Umsatzbesteuerung von Bund und Ländern sieht § 22 Abs. 4f UStG als Regelfall die Wahrnehmung aller Rechte und Pflichten durch die einzelnen Organisationseinheiten des Bundes bzw. der Länder vor.

8.113

Organisationseinheiten i.S.d. § 18 Abs. 4f Satz 1 UStG sind jeweils einzeln – die Verwaltungen der Verfassungsorgane des Bundes und der Länder, – die oberste Behörde, – die Behörden der nachgeordneten Bereiche sowie – die Landesbeauftragten, die mit eigener Selbstständigkeit außerhalb eines Ressorts ausgestattet sind.

8.114

Untergeordnete Organisationseinheiten gem. § 18 Abs. 4f Satz 3 UStG sind innerhalb der Behörde gebildete Einheiten und Organisationseinheiten gem. § 18 Abs. 4f Satz 4 UStG und können wiederum zusammengeschlossen Behörden oder o.a. weitere Organisationseinheiten sein. Als untergeordnete Organisationseinheiten können hier alle Teileinheiten der vorgenannten Organisationseinheiten des Bundes oder eines Landes in Betracht kommen, die eine gewisse organisatorische und/oder haushalterische Selbständigkeit aufweisen und nach außen auch unter Angabe der jeweiligen Aufgabenstellung auftreten (z.B. Grünflächenamt, Sozialamt, Bürgeramt, Krankenhaus, Bibliothek, Hochschule, Volkshochschule).

8.115

Die Regelung gilt nicht für Gemeinden und andere juristische Personen des öffentlichen Rechts.

8.116

Soweit der Bund oder ein Land mit seinen Organen und Organisationseinheiten steuerbare Umsätze nach § 1 Abs. 1 i.V.m. § 2b UStG bewirkt, bestimmt § 18 Abs. 4f UStG ab dem ersten Zeitraum, für den keine Option zur Anwendung der früheren Rechtslage nach § 27 Abs. 22 und 22a UStG (mehr) gilt, folgende Verfahrenserleichterungen: – Soweit Organisationseinheiten des Bundes oder eines Landes durch ihr Handeln eine Steuererklärungspflicht begründen, obliegen der jeweiligen Organisationseinheit für die Umsatzbesteuerung alle steuerlichen Rechte und Pflichten. – Folgerichtig tritt die Organisationseinheit in den in § 30 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a und b AO genannten Verfahren (das sind insbesondere Verwaltungsverfahren und gerichtliche Verfahren in Umsatzsteuersachen) jeweils „partiell“ an die Stelle der Gebietskörperschaft. – Die Organisationseinheiten können jeweils für ihren Geschäftsbereich durch Organisationsentscheidungen weitere untergeordnete Organisationseinheiten mit Wirkung für die Zukunft bilden. – Einer Organisationseinheit übergeordnete Organisationseinheiten können durch Organisationsentscheidungen mit Wirkung für die Zukunft die in § 18 Abs. 4f Satz 1 UStG genannten Rechte und Pflichten der untergeordneten Organisationseinheit wahrnehmen oder mehrere Organisationseinheiten zu einer Organisationseinheit zusammenschließen. 496 | Baum

D. Zuständigkeit der Finanzbehörden | Rz. 8.121 Kap. 8

– Der Bund oder ein Land kann gegenüber dem jeweils örtlich zuständigen Finanzamt mit Wirkung für die Zukunft erklären, dass die Regelungen in § 18 Abs. 4f Satz 1 bis 5 UStG nicht zur Anwendung kommen sollen. Ein Widerruf dieser Erklärung ist nur mit Wirkung für die Zukunft möglich. – Innenumsätze (d.h. Leistungen einer Organisationseinheit an eine andere Organisationseinheit derselben Gebietskörperschaft) dürfen ungeachtet dieser Verfahrenserleichterungen nicht als steuerbare und ggf. steuerpflichtige Umsätze behandelt werden; eine in internen Rechnungen ausgewiesene Umsatzsteuer darf nicht als Vorsteuer abgezogen werden. Bislang fehlen hierzu aber rechtsklare Verwaltungsanweisungen. c) Besondere Zuständigkeitsregelungen Die örtliche Zuständigkeit für die Umsatzbesteuerung aller juristischen Personen des öffentlichen Rechts einschließlich aller ihrer Organe und Organisationseinheiten bestimmt sich in diesen Fällen weiterhin grds. nach § 21 Abs. 1 AO.

8.117

Auch wenn nach § 18 Abs. 4f Satz 2 UStG die Organisationseinheit an die Stelle der jeweiligen Gebietskörperschaft tritt, betreiben der Bund und die Länder – wie alle anderen juristischen Personen des öffentlichen Rechts – ihr umsatzsteuerliches Unternehmen an jenem Ort, an dem die wichtigsten Entscheidungen getroffen werden. Dies ist für den Bund Berlin als Hauptstadt sowie für die Länder die jeweilige Landeshauptstadt.

8.118

§ 18 Abs. 4g UStG gestattet dazu (nur) für den Bund und die Länder folgende Verfahrenserleichterungen:

8.119

– Die oberste Landesfinanzbehörde (oder die von ihr beauftragte Landesfinanzbehörde) kann anordnen, dass eine andere als die nach § 21 Abs. 1 AO „regulär“ örtlich zuständige Finanzbehörde die Besteuerung einer Organisationseinheit des jeweiligen Landes übernimmt. – Die oberste Landesfinanzbehörde (oder die von ihr beauftragte Landesfinanzbehörde) kann mit der obersten Finanzbehörde eines anderen Landes (oder einer von dieser beauftragten Landesfinanzbehörde) vereinbaren, dass eine andere als die nach § 21 Abs. 1 AO zuständige Finanzbehörde die Besteuerung einer Organisationseinheit des Landes der zuständigen Finanzbehörde übernimmt. – Die Senatsverwaltung für Finanzen von Berlin (oder eine von ihr beauftragte Landesfinanzbehörde) kann mit der obersten Finanzbehörde eines anderen Landes (oder mit einer von dieser beauftragten Landesfinanzbehörde) vereinbaren, dass eine andere als die nach § 21 Abs. 1 AO zuständige Finanzbehörde die Besteuerung für eine Organisationseinheit des Bundes übernimmt. Für die Umsatzbesteuerung der Gebietskörperschaften Bund und Länder wird vor Anwendung des § 2b UStG (d.h. Besteuerung nach § 2 Abs. 3 UStG a.F.) noch nach einer verwaltungsinternen Anweisung grds. die sogen. dezentrale Besteuerung vollzogen. Dies bedeutet, dass jeder Betrieb gewerblicher Art einer Gebietskörperschaft weitgehend eigenständig besteuert wird, und zwar am Ort seiner Geschäftsleitung.

8.120

VI. Örtliche Zuständigkeit für die Realsteuern § 22 AO regelt die örtliche Zuständigkeit der Finanzämter bei den Realsteuern (Grundsteuer und Gewerbesteuer). Baum | 497

8.121

Kap. 8 Rz. 8.122 | Verfahrensrecht

8.122

Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 AO ist für die Festsetzung und Zerlegung der Steuermessbeträge (§§ 184, 185 AO) bei der Grundsteuer grds. das Lagefinanzamt (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 AO) und bei der Gewerbesteuer grds. das Betriebsfinanzamt (§ 18 Abs. 1 Nr. 2 AO) örtlich zuständig.

8.123

§ 22 Abs. 2 AO regelt den (Ausnahme-)Fall, dass ein Land von der Ermächtigung des Art. 108 Abs. 2 Satz 2 GG, die Zuständigkeit für die Festsetzung, Erhebung und Beitreibung den Gemeinden zu übertragen, keinen Gebrauch gemacht hat. In diesem Fall ist das für den Messbescheid zuständige Finanzamt auch für die Verwaltung der Realsteuern im Übrigen zuständig. Notwendig für die Übertragung auf die Gemeinden ist allerdings ein Landesgesetz.

8.124

§ 22 AO hat für die Besteuerung der öffentlichen Hand praktische Bedeutung, soweit die juristischen Personen des öffentlichen Rechts Schuldner von Grundsteuer oder Gewerbesteuer sind.

VII. Ersatzzuständigkeit und mehrfache örtliche Zuständigkeit 8.125

Ergibt sich die örtliche Zuständigkeit nicht aus anderen Vorschriften, ist nach § 24 AO die Finanzbehörde zuständig, in deren Bezirk der Anlass für die Amtshandlung hervortritt. Durch diese Auffangvorschrift ergibt sich praktisch für jeden Fall eine (ggf. subsidiäre) örtliche Zuständigkeit. Die Regelung hat insbesondere Bedeutung für sogen. Vorfeldermittlungen der Steuer- oder Zollfahndung, aber auch für Haftungsbescheide, Duldungsbescheide und steuerliche Nebenleistungen.

8.126

Sind nach den gesetzlichen Bestimmungen über die örtliche Zuständigkeit gleichzeitig mehrere Finanzbehörden zuständig, entscheidet nach § 25 Satz 1 AO die Finanzbehörde, die zuerst mit der Sache befasst worden ist, es sei denn, die zuständigen Finanzbehörden einigen sich auf eine andere zuständige Finanzbehörde oder die gemeinsame fachlich zuständige Aufsichtsbehörde bestimmt, dass eine andere örtlich zuständige Finanzbehörde zu entscheiden hat. Fehlt eine gemeinsame Aufsichtsbehörde, treffen die fachlich zuständigen Aufsichtsbehörden die Entscheidung gemeinsam (§ 25 Satz 2 AO). Mit diesen Regelungen sollen Kompetenzkonflikte aufgelöst werden.

VIII. Zuständigkeitswechsel, Zuständigkeitsvereinbarung und Zuständigkeitsstreit 8.127

Nach § 26 AO bewirkt eine Veränderung der die Zuständigkeit begründenden Umstände grds. auch eine Veränderung der örtlichen Zuständigkeit der Finanzbehörden. Der Zuständigkeitswechsel tritt dabei nach § 26 Satz 1 AO (erst) in dem Zeitpunkt ein, an dem die bislang zuständige Finanzbehörde oder die zuständig werdende Finanzbehörde von den relevanten Umständen erfährt. § 26 Satz 3 AO schiebt diesen Zuständigkeitswechsel in bestimmten Insolvenz- und Liquidationsfällen ausnahmsweise weiter hinaus.

8.128

Die bisher zuständige Finanzbehörde kann ein Verwaltungsverfahren allerdings nach § 26 Satz 2 AO fortführen, wenn dies unter Wahrung der Interessen der Beteiligten der einfachen und zweckmäßigen Durchführung des Verwaltungsverfahrens dient und die neu zuständig gewordene Finanzbehörde dem zustimmt.

8.129

Nach § 27 AO kann eine an sich nach §§ 17 ff. AO oder Sonderregelungen örtlich unzuständige Finanzbehörde zur Verfahrensvereinfachung die Besteuerung übernehmen. Voraussetzung hierfür ist, dass die regulär zuständige Finanzbehörde und die betroffene Person dem zustimmen (§ 27 Satz 1 AO). Die Zustimmung der betroffenen Person gilt nach § 27 Satz 2 bis 4 AO 498 | Baum

E. Steuererklärungspflicht der öffentlichen Hand | Rz. 8.136 Kap. 8

als erteilt, wenn sie von einer der der beteiligten Finanzbehörden aufgefordert worden ist, der Vereinbarung zuzustimmen und sich innerhalb einer dabei behördlich gesetzten Frist nicht geäußert hat. Die Aufhebung einer Zuständigkeitsvereinbarung durch die Finanzbehörden bedarf hingegen keiner Zustimmung des Steuerpflichtigen.1 Wenn sich mehrere Finanzbehörden für zuständig oder für unzuständig halten oder wenn die Zuständigkeit aus anderen Gründen zweifelhaft ist, entscheidet nach § 28 Abs. 1 Satz 1 AO die gemeinsame fachlich zuständige Aufsichtsbehörde über die örtliche Zuständigkeit. Fehlt eine gemeinsame Aufsichtsbehörde, treffen die fachlich zuständigen Aufsichtsbehörden die Entscheidung gemeinsam (§ 28 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 25 Satz 2 AO).

8.130

§ 5 Abs. 1 Nr. 7 FVG, wonach bei Zuständigkeitszweifeln in Besteuerungsverfahren nicht im Inland ansässiger Personen das Bundeszentralamt für Steuern das zuständige Finanzamt bestimmt, bleibt unberührt (§ 28 Abs. 2 AO).

8.131

IX. Gefahr im Verzug Bei Gefahr im Verzug ist für unaufschiebbare Maßnahmen jede Finanzbehörde örtlich zuständig, in deren Bezirk der Anlass für die Amtshandlung hervortritt (§ 29 Satz 1 AO). Diese Regelung begründet eine Notzuständigkeit für unaufschiebbare Maßnahmen und ist auch hierauf beschränkt. Die Vorschrift greift ein, wenn die an sich zuständige Finanzbehörde am rechtzeitigen Tätigwerden gehindert ist oder wenn sich die örtliche Zuständigkeit nicht sofort eindeutig klären lässt.

8.132

Die regulär örtlich zuständige Behörde ist hiervon aber unverzüglich zu unterrichten (§ 29 Satz 2 AO); sie übernimmt dann das weitere Verwaltungsverfahren.

8.133

E. Steuererklärungspflicht der öffentlichen Hand Soweit eine juristische Person des öffentlichen Rechts eine Steuer schuldet, ist sie grds. auch erklärungspflichtig. Einzelheiten der Erklärungspflicht regeln dabei die Einzelsteuergesetze (§ 149 Abs. 1 Satz 1 AO). Da die juristische Person selbst nicht eigenständig handlungsfähig ist, ist ihre Erklärungspflicht nach § 79 Abs. 1 Nr. 3 AO durch ihre gesetzlichen Vertreter oder durch besonders beauftragte Personen (dies müssen in jedem Fall natürliche Personen sein, die ihrerseits uneingeschränkt handlungsfähig sind)2 zu erfüllen.

8.134

Die Steuererklärung ist eine formalisierte Auskunft des Steuerpflichtigen oder seines Vertreters oder Beauftragten, die der Finanzbehörde die Ermittlung (und ggf. Feststellung) von Besteuerungsgrundlagen und die Festsetzung der Steuer ermöglichen soll. Sie führt in der Regel zum Erlass eines Steuerbescheides (bzw. eines Feststellungs-, Mess- oder Zerlegungsbescheids).

8.135

Unter den Begriff der Steuererklärungen fallen auch Steueranmeldungen, in denen auf Grund gesetzlicher Anordnung die Steuer selbst zu errechnen ist (§ 150 Abs. 1 Satz 3 AO), etwa gem. § 41a Abs. 1 EStG (Lohnsteueranmeldung) oder § 18 Abs. 1 Satz 1 UStG (Umsatzsteuer-Voranmeldung). Als Steuererklärungen anzusehen sind auch solche Anzeigen, die wie § 19 Abs. 5 GrEStG für grunderwerbsteuerpflichtige Vorgänge oder § 13a Abs. 6 Satz 4

8.136

1 BFH v. 12.7.2021 – VI R 13/19, StE 2021, 552. 2 Vgl. Mues in Gosch, § 79 AO Rz. 38, Mai 2018.

Baum | 499

Kap. 8 Rz. 8.136 | Verfahrensrecht

ErbStG für den Erwerber erbschaftsteuerlich begünstigten Betriebsvermögens ausdrücklich als Steuererklärung bezeichnet werden.

8.137

Andere gesetzlich vorgesehene Anzeigen, Mitteilungen oder Anmeldungen sind hingegen keine Steuererklärungen und werden von § 149 AO nicht erfasst, so etwa Anzeigen nach §§ 137– 139 AO oder § 30 ErbStG. Das Gleiche gilt für Auskünfte des Steuerschuldners nach § 93 AO, die nur einzelne für seine Besteuerung wesentliche Punkte betreffen und anders als eine Steuererklärung nicht sämtliche für die Besteuerung erforderlichen Informationen vermitteln.

8.138

Juristische Personen des öffentlichen Rechts haben – bei Vorliegen einer entsprechenden Steuerpflicht – insbesondere folgende Steuererklärungen abzugeben: – Körperschaftsteuererklärungen (vgl. § 31 Abs. 1 und 1a KStG), – Gewerbesteuererklärungen (vgl. § 14a GewStG), – Umsatzsteuererklärungen (vgl. § 18 Abs. 3, Abs. 4a, Abs. 4b und (ggf.) Abs. 4f UStG), – Umsatzsteuer-Voranmeldungen (vgl. § 18 Abs. 1 bis 2a UStG), – Lohnsteueranmeldungen (vgl. § 41a EStG).

F. Weitere Mitwirkungspflichten im Steuerfestsetzungsverfahren 8.139

Juristische Personen des öffentlichen Rechts – können wie natürliche Personen oder juristische Personen des privaten Rechts – nach der AO und den Einzelsteuergesetzen über die Steuererklärungs- und -entrichtungspflicht hinaus vielfältige ergänzende steuerliche Mitwirkungspflichten treffen. Von besonderer praktischer Bedeutung sind hier: – Nach § 90 Abs. 1 AO sind die Beteiligten zur Mitwirkung bei der Ermittlung des Sachverhalts verpflichtet. Sie kommen der Mitwirkungspflicht insbesondere dadurch nach, dass sie die für die Besteuerung erheblichen Tatsachen vollständig und wahrheitsgemäß offenlegen (insbesondere in ihrer Steuererklärung) und die ihnen bekannten Beweismittel angeben. Der Umfang dieser Pflichten richtet sich aber immer nach den Umständen des Einzelfalls. – Ist ein Sachverhalt zu ermitteln und steuerrechtlich zu beurteilen, der sich auf Vorgänge außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs der AO bezieht, haben die Beteiligten diesen Sachverhalt nach § 90 Abs. 2 AO aufzuklären und die erforderlichen Beweismittel selbst zu beschaffen. Dabei haben sie alle für sie bestehenden rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten auszuschöpfen. – Eine juristische Person des öffentlichen Rechts kann z.B. nach § 93 Abs. 1 und 1a AO von einer Finanzbehörde aufgefordert werden, in eigener oder einer fremden Steuerangelegenheit Auskunft zu erteilen. – Nach § 93a AO in Verbindung mit der Mitteilungsverordnung kann eine Behörde oder eine andere öffentliche Stelle dazu verpflichtet sein, den Finanzbehörden bestimmte Sachverhalte (z.B. Zahlungen, Subventionen oder begünstigende Verwaltungsakte) mitzuteilen. – Nach § 97 AO kann eine juristische Person des öffentlichen Rechts von einer Finanzbehörde aufgefordert werden, in eigener oder einer fremden Steuerangelegenheit Unterlagen vorzulegen. – Nach § 98 AO kann eine juristische Person des öffentlichen Rechts verpflichtet sein, die Einnahme des Augenscheins durch die Finanzbehörde zu dulden. 500 | Baum

F. Weitere Mitwirkungspflichten im Steuerfestsetzungsverfahren | Rz. 8.139 Kap. 8

– Die von der Finanzbehörde mit der Einnahme des Augenscheins betrauten Amtsträger und nach den §§ 96 und 98 AO zugezogene Sachverständigen sind nach § 99 Abs. 1 Satz 1 AO berechtigt, Grundstücke, Räume, Schiffe, umschlossene Betriebsvorrichtungen und ähnliche Einrichtungen während der üblichen Geschäfts- und Arbeitszeit – auch bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts – zu betreten, soweit dies erforderlich ist, um im Besteuerungsinteresse Feststellungen zu treffen. – Nach § 100 AO haben der Beteiligte und andere Personen (in beiden Fällen kann es sich hier um eine juristische Person des öffentlichen Rechts handeln) der Finanzbehörde auf Verlangen Wertsachen (Geld, Wertpapiere, Kostbarkeiten) vorzulegen, soweit dies erforderlich ist, um im Besteuerungsinteresse Feststellungen über ihre Beschaffenheit und ihren Wert zu treffen. – Steuerpflichtige, die nicht natürliche Personen sind (also auch juristische Personen des öffentlichen Rechts), haben nach § 137 Abs. 1 AO die für ihre steuerliche Erfassung maßgebenden Umstände gegenüber dem Finanzamt und den betroffenen Gemeinden anzuzeigen. – Wer einen Betrieb der Land- und Forstwirtschaft, einen gewerblichen Betrieb oder eine Betriebstätte eröffnet, hat dies nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck der Gemeinde mitzuteilen, in der der Betrieb oder die Betriebstätte eröffnet wird; die Gemeinde unterrichtet unverzüglich das nach § 22 Abs. 1 AO zuständige Finanzamt von dem Inhalt der Mitteilung (§ 138 Abs. 1 Satz 1 AO). Ist die Festsetzung der Realsteuern nicht den Gemeinden übertragen worden, so tritt an die Stelle der Gemeinde das nach § 22 Abs. 2 AO zuständige Finanzamt. – Sofern Steuerpflichtige (das können auch juristische Personen des öffentlichen Rechts sein) gemäß § 138 Abs. 1 Satz 1 bis 3 AO verpflichtet sind, eine Betriebseröffnung oder Aufnahme einer freiberuflichen Tätigkeit mitzuteilen, haben sie dem zuständigen Finanzamt weitere Auskünfte über die für die Besteuerung erheblichen rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse zu erteilen (§ 138 Abs. 1b Satz 1 AO). Diese die ergänzenden Auskünfte sind grds. nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz über die amtlich bestimmte Schnittstelle zu übermitteln (§ 138 Abs. 1b Satz 2 und 3 AO). – § 138 Abs. 2 AO begründet eine Mitteilungspflicht über dort näher bestimmte Auslandsgeschäfte. Dies dürfte bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts wohl nur äußerst selten der Fall sein. – Sofern eine juristische Person des öffentlichen Rechts Nutzer einer grenzüberschreitenden Steuergestaltung i.S.d. § 138d Abs. 2 i.V.m. Abs. 5 AO ist, ist sie nach § 138g AO (subsidiär) zur Mitteilung dieser Gestaltung an das Bundeszentralamt für Steuern verpflichtet. Eine originäre Mitteilungspflicht als Intermediär einer grenzüberschreitenden Steuergestaltung dürfte bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts kaum vorkommen. – Unter den Voraussetzungen der §§ 141 ff. AO und ergänzender Bestimmungen in den Einzelsteuergesetzen obliegt der juristischen Person des öffentlichen Rechts der Pflicht zur Aufzeichnung ihrer Geschäftsvorfälle, Umsätze, Löhne usw. und der Aufbewahrung dieser Aufzeichnungen. Von besonderer Bedeutung können hierbei auch die Ordnungsvorschriften für die Buchführung für Aufzeichnungen mittels elektronischer Aufzeichnungssysteme sein (vgl. § 146a AO und die Kassensicherungsverordnung).1

1 Kassensicherungsverordnung v. 26.9.2017, BGBl. I, S. 3515, geändert durch Art. 2 der Verordnung zur Änderung der Kassensicherungsverordnung v. 30.7.2021, BGBl. I, S. 3295.

Baum | 501

Kap. 8 Rz. 8.139 | Verfahrensrecht

– Als Steuerschuldner kann eine juristische Person des öffentlichen Rechts verpflichtet sein, eine Außenprüfung nach §§ 193 ff. AO zu dulden. – Im Rahmen der Vollstreckung fremder Steuerschulden kann eine juristische Person des öffentlichen Rechts als Drittschuldner mitwirkungspflichtig sein (vgl. § 316 AO).

G. Amtsermittlungsgrundsatz und Beweislast/Feststellungslast I. Ermittlung des Sachverhalts im Besteuerungsverfahren 8.140

§ 88 AO enthält die allgemeinen Regelungen zur Ermittlung des Sachverhalts im Besteuerungsverfahren. Die Norm gilt in allen Phasen des Besteuerungsverfahrens, d.h. nicht nur bei Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen, sondern auch bei der Korrektur von Steuerverwaltungsakten, im außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren, im Erhebungs- und Vollstreckungsverfahren, bei Billigkeitsmaßnahmen nach den §§ 163, 222 oder 227 AO und im Haftungsverfahren. Im Rahmen einer Außenprüfung wird § 88 AO allerdings durch die besonderen Regelungen in §§ 199, 200 AO ergänzt.

II. Amtsermittlungsgrundsatz und Beibringungsgrundsatz 8.141

Nach § 88 Abs. 1 Satz 1 AO hat die Finanzbehörde den steuererheblichen Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln (sogen. Amtsermittlungsgrundsatz). Die Finanzbehörde hat die Verfahrensherrschaft und muss den steuererheblichen Sachverhalt mit allen dazu notwendigen und angemessenen Maßnahmen ermitteln.

8.142

Werden von einem Steuerpflichtigen allerdings Steuervergünstigungen begehrt, für deren Berücksichtigung im Rahmen der Steuerfestsetzung ein Antrag erforderlich ist, verkehrt sich der Amtsermittlungsgrundsatz in den sogen. Beibringungsgrundsatz. Die Finanzbehörde trifft insoweit ohne entsprechenden Tatsachenvortrag und ggf. -nachweis also keine Ermittlungspflicht. Gleiches gilt, wenn das Gesetz ausnahmsweise dem Beteiligten die subjektive Beweislast oder Beweisführungslast auferlegt hat.

8.143

Etwas anderes gilt allerdings, wenn die Finanzbehörde nach § 86 Satz 2 Nr. 2 AO auf Antrag tätig werden kann (und muss), z.B. im Fall einer Antragsveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG oder bei antragsgebundenen Prämien und Zulagen. Nachdem der Steuerpflichtige einen solchen Antrag auf Einleitung eines Besteuerungsverfahrens gestellt hat, gilt nicht der Beibringungsgrundsatz, sondern der Amtsermittlungsgrundsatz.1

III. Ermittlung aller bedeutsamen Umstände 8.144

Die Finanzbehörde hat im Anwendungsbereich des Amtsermittlungsgrundsatzes alle für den Einzelfall bedeutsamen, auch die für die Steuerpflichtigen günstigen Umstände zu berücksichtigen (§ 88 Abs. 1 Satz 2 AO).

IV. Art und Umfang der Ermittlungen 8.145

Nach § 88 Abs. 2 Satz 1 AO bestimmt die Finanzbehörde Art und Umfang der Ermittlungen nach den Umständen des Einzelfalls sowie nach den Grundsätzen der Gleichmäßigkeit, Ge1 Seer in T/K, § 88 AO Rz. 1, Januar 2017.

502 | Baum

G. Amtsermittlungsgrundsatz und Beweislast/Feststellungslast | Rz. 8.151 Kap. 8

setzmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit. An das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten ist sie dabei nicht gebunden. Bei der Entscheidung über Art und Umfang der Ermittlungen können aber auch allgemeine Erfahrungen der Finanzbehörden sowie Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit berücksichtigt werden (§ 88 Abs. 2 Satz 2 AO).

V. Allgemeine Weisungen Zur Gewährleistung eines zeitnahen und gleichmäßigen Vollzugs der Steuergesetze dürfen die obersten Finanzbehörden nach § 88 Abs. 3 Satz 1 AO für bestimmte oder bestimmbare Fallgruppen Weisungen über Art und Umfang der Ermittlungen und der Verarbeitung von erhobenen oder erfassten Daten erteilen, soweit gesetzlich nicht etwas anderes bestimmt ist. Bei diesen Weisungen dürfen allgemeine Erfahrungen der Finanzbehörden sowie Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit berücksichtigt werden (§ 88 Abs. 3 Satz 2 AO).

8.146

VI. Risikomanagementsysteme Zur Beurteilung der Notwendigkeit weiterer Ermittlungen und Prüfungen für eine gleichmäßige und gesetzmäßige Festsetzung von Steuern und Steuervergütungen sowie Anrechnung von Steuerabzugsbeträgen und Vorauszahlungen dürfen die Finanzbehörden nach § 88 Abs. 5 AO automationsgestützte Systeme einsetzen (Risikomanagementsysteme). Das Gesetz enthält dazu mehrere (Mindest-)Vorgaben, die ein derartiges Risikomanagementsystem erfüllen muss.

8.147

VII. Beweislast/Feststellungslast Das Besteuerungsverfahren kennt grds. keine gesetzliche Regelung über die Verteilung der Beweis- oder Feststellungslast. Nach der Rechtsprechung1 gilt aber im Regelfall, dass die Finanzbehörde die Feststellungslast für solche Tatsachen trägt, die vorliegen müssen, um einen Steueranspruch geltend machen zu können. Der Steuerpflichtige hingegen trägt die Feststellungslast für solche Tatsachen, die Steuerbefreiungen oder Steuerermäßigungen begründen oder einen Steueranspruch aufheben oder einschränken.

8.148

Diese Regeln gelten aber nicht ohne Ausnahme. So kommt es vor, dass der Gesetzgeber bestimmte Nachweispflichten ausdrücklich festgelegt hat (z.B. in § 42 Abs. 2 Satz 2 AO). Außerdem trägt der Steuerpflichtige bei atypischen Sachverhalten (z.B. Nachweis der Einkünfteerzielungsabsicht bei langjährigen Verlusten oder der steuerrelevanten Sachverhalte bei Auslandssachverhalten) erhöhte Mitwirkungspflichten.

8.149

VIII. Verletzung der Ermittlungs- oder Mitwirkungspflicht Die Finanzbehörde darf grds. nur einen ausreichend aufgeklärten Sachverhalt der Besteuerung zugrunde legen. Dies trägt dem öffentlichen Interesse an der Feststellung des wahren Sachverhalts und damit dem Verfassungsgebot der gleichmäßigen und gesetzmäßigen Besteuerung Rechnung.2

8.150

Bei fehlender oder unzureichender Sachverhaltsaufklärung kann ein Steuerverwaltungsakt rechtswidrig oder in Ausnahmefällen sogar nichtig sein; dieser Mangel kann ggf. aber auch nach § 127 AO unbeachtlich sein. Es kommt hier auf die Verhältnisse des Einzelfalls an.

8.151

1 Vgl. BFH v. 25.7.2000 – IX R 93/97, BStBl II 2001, S. 9. 2 Seer in T/K, § 88 AO Rz. 1, Januar 2017.

Baum | 503

Kap. 8 Rz. 8.152 | Verfahrensrecht

8.152

Eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht kann allerdings der Änderung einer (wirksamen, objektiv aber rechtswidrigen) Steuerfestsetzung wegen nachträglich bekannt gewordener Tatsachen oder Beweismittel entgegenstehen. Die Änderung eines Steuerbescheids nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ist nämlich nach Treu und Glauben ausgeschlossen, wenn der Finanzbehörde die nachträglich bekanntgewordene Tatsache bei ordnungsgemäßer Erfüllung ihrer Ermittlungspflicht nicht verborgen geblieben wäre. Der Steuerpflichtige muss aber in diesem Fall seinerseits seine steuerliche Mitwirkungspflicht im Wesentlichen erfüllt haben. Verletzt die Finanzbehörde ihre Aufklärungspflicht und der Steuerpflichtige zugleich die ihm obliegende Mitwirkungspflicht, steht der Änderung des Steuerbescheides nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO der Grundsatz von Treu und Glauben nur dann entgegen, wenn der Verstoß der Finanzbehörde die Pflichtverletzung des Steuerpflichtigen deutlich überwiegt.1

H. Bekanntgabe von Steuerbescheiden I. Wirksamwerden eines Steuerverwaltungsakts 8.153

Ein Steuerverwaltungsakt wird nach § 124 Abs. 1 Satz 1 AO gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekannt gegeben wird. Der Verwaltungsakt wird nach § 124 Abs. 1 Satz 2 AO mit dem Inhalt wirksam, mit dem er bekannt gegeben wird. Unter den Voraussetzungen des § 125 AO (Nichtigkeit) wird der bekanntgegebene Verwaltungsakt aber nicht wirksam, er entfaltet nur einen Rechtsschein.

II. Bekanntgabe eines Steuerverwaltungsakts 8.154

Die Wirksamkeit eines Steuerverwaltungsakts setzt seine zutreffende Bekanntgabe voraus. Diese richtet sich nach §§ 122 und 122a AO. Ein Steuerverwaltungsakt ist demjenigen Beteiligten bekannt zu geben, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird (§ 122 Abs. 1 Satz 1 AO).

1. Inhaltsadressat, Bekanntgabeadressat und Empfänger 8.155

Inhaltsadressat eines Steuerverwaltungsakts ist derjenige, gegen den der Verwaltungsakt sich richtet. Somit ist beispielsweise Inhaltsadressat eines Steuerbescheids der Steuerschuldner. Fehlt dem Inhaltsadressaten allerdings die Handlungsfähigkeit (§ 79 AO), ist der Verwaltungsakt dem gesetzlichen Vertreter (§ 34 Abs. 1 AO) als Bekanntgabeadressaten und in den Fällen des § 34 Abs. 2 AO einem Mitglied oder Gesellschafter der nicht rechtsfähigen Personenvereinigung oder einem (Mit-)Inhaber der Vermögensmasse bekannt zu geben. Sind mehrere gesetzliche Vertreter vorhanden, ist die Bekanntgabe an eine dieser Personen ausreichend.

8.156

Bekanntgabeadressat ist die Person, welcher der Steuerverwaltungsakt bekanntzugeben ist. Diese Person wird zwar häufig mit dem Inhaltsadressaten identisch sein. Allerdings können auch andere Personen Bekanntgabeadressat sein, wenn sie für handlungsunfähige (§ 79 AO) Personen deren steuerliche Pflichten zu erfüllen haben, wie z.B. Eltern als gesetzliche Vertreter ihrer minderjährigen Kinder.

1 Vgl. BFH v. 21.2.2017 – VIII R 46/13, BStBl II 2017, 745, m.w.N.

504 | Baum

H. Bekanntgabe von Steuerbescheiden | Rz. 8.162 Kap. 8

Empfänger ist diejenige Person, welcher der Steuerverwaltungsakt tatsächlich zugehen soll, damit er durch Bekanntgabe nach §§ 122, 122a und 124 AO wirksam wird. In aller Regel ist der Inhaltsadressat zugleich Bekanntgabeadressat, aber auch Empfänger. Eine andere Person ist aber Empfänger, wenn der Verwaltungsakt nach § 122 Abs. 1 Satz 3 und 4 AO einem Bevollmächtigten übermittelt werden soll.

8.157

2. Inhaltliche Bestimmtheit eines Steuerverwaltungsakts Aus dem Steuerverwaltungsakt muss eindeutig hervorgehen, wer Inhaltsadressat und wer ggf. Bekanntgabeadressat bzw. Empfänger ist. Ist dies nicht der Fall, kann der Steuerverwaltungsakt inhaltlich nicht hinreichend bestimmt und damit nach § 125 AO nichtig sein. Das Gleiche gilt, wenn diese Personen nicht zutreffend und zweifelsfrei bezeichnet sind.

8.158

a) Natürliche Personen Eine natürliche Person wird im Allgemeinen durch (ggf. mindestens einen) Vor- und Familiennamen eindeutig bezeichnet. Nur wenn Verwechslungsmöglichkeiten bestehen, insbesondere bei häufig vorkommenden Namen, dürften weitere Angaben erforderlich sein.

8.159

b) Juristische Personen Steuerbescheide, die juristische Personen des privaten Rechts als Steuerschuldner betreffen, sind an diese selbst zu richten und unter ihrer „Geschäftsanschrift“ bekannt zu geben. Die Benennung des gesetzlichen Vertreters als Bekanntgabeadressat ist in diesem Fall ausnahmsweise nicht erforderlich.1 Die Entgegennahme des Steuerverwaltungsakts ist dabei eine zur Erfüllung steuerlicher Pflichten der vertretenen juristischen Person gehörende Verfahrenshandlung ihres Vertreters.

8.160

Juristische Personen des öffentlichen Rechts sind wegen jedes einzelnen von ihnen unterhaltenen Betriebs gewerblicher Art oder mehrerer zusammengefasster Betriebe gewerblicher Art gleichwohl selbst Körperschaftsteuerschuldner. Gegenstand der Gewerbesteuer ist gem. § 2 Abs. 1 GewStG i.V.m. § 2 Abs. 1 GewStDV der einzelne Betrieb gewerblicher Art, sofern er einen Gewerbebetrieb i.S.d. § 15 EStG darstellt; Steuerschuldner ist dabei aber auch hier die juristische Person des öffentlichen Rechts selbst, nicht der einzelne Betrieb gewerblicher Art (§ 5 Abs. 1 Sätze 1 und 2 GewStG). Dabei sind allerdings für jeden Betrieb gewerblicher Art gesonderte Körperschaftsteuer- und Gewerbesteuer(mess)bescheide erforderlich. Bei der Umsatzsteuer ergeht grds. nur Steuerbescheid über alle Eingangs- und Ausgangsleistungen der juristischen Person insgesamt. In den Fällen des § 18 Abs. 4f UStG können aber für jede Organisationseinheit des Bundes oder eines Landes (Teil-)Steuerbescheide ergehen.

8.161

Steuerbescheide, die juristische Personen des öffentlichen Rechts als Steuerschuldner betreffen, sind an diese selbst zu richten und unter ihrer allgemein gebräuchlichen, zumeist auch durch Gesetz oder Satzung vorgeschriebenen Bezeichnung bekannt zu geben. Die Benennung des gesetzlichen Vertreters als Bekanntgabeadressat ist auch in diesem Fall nicht erforderlich.2 Sofern die Steuerfestsetzung sich dabei aber nur auf Betriebe gewerblicher Art oder Organisationseinheiten erstrecken, sind diese im jeweiligen Bescheid ausdrücklich anzugeben, um Verwechslungen oder falsche Zuordnungen zu verhindern.

8.162

1 Vgl. BFH v. 7.8.1970 – VI R 24/67, BStBl II 1970, 814. 2 Vgl. BFH v. 18.8.1988 – V R 194/83, BStBl II 1988, 932.

Baum | 505

Kap. 8 Rz. 8.163 | Verfahrensrecht

3. Zeitpunkt der Bekanntgabe eines Steuerverwaltungsakts 8.163

Der Zeitpunkt der Bekanntgabe bestimmt sich nach § 122 Abs. 2 – 5 oder § 122a Abs. 4 AO und ist nicht nur für die an ihn anknüpfende Zahlungsfrist, sondern insbesondere auch für die Einspruchsfrist (§ 355 AO) von grundlegender Bedeutung. a) Übermittlung im Inland durch die Post

8.164

Wird ein schriftlicher Steuerverwaltungsakt mittels einfachen Briefs durch die Post an einen Empfänger im Inland versandt, gilt er nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO am dritten Tage nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, außer wenn er nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. Im Zweifel hat die Finanzbehörde den Zugang des Steuerverwaltungsakts und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen. b) Übermittlung ins Ausland durch die Post

8.165

Wird ein schriftlicher Steuerverwaltungsakt mittels einfachen Briefs durch die Post an einen Empfänger im Ausland versandt, gilt er nach § 122 Abs. 2 Nr. 2 AO einen Monat nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, außer wenn er nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. Im Zweifel hat die Finanzbehörde auch hier den Zugang des Steuerverwaltungsakts und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen.

8.166

Ob die Übermittlung eines deutschen Steuerverwaltungsakts an einen Empfänger im Ausland überhaupt zulässig ist, bestimmt sich nach dem Völkerrecht und zwischenstaatlichen Vereinbarungen.1 c) Elektronische Übermittlung eines Steuerbescheids

8.167

Ein elektronisch übermittelter Steuerverwaltungsakt gilt nach § 122 Abs. 2a AO am dritten Tage nach seiner Absendung als bekannt gegeben, außer wenn er nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. Im Zweifel hat die Finanzbehörde den Zugang des Verwaltungsakts und den Zeitpunkt seines Zugangs beim Empfänger nachzuweisen. Hierbei ist auch § 87a Abs. 7 AO zu beachten. d) Bekanntgabe durch Bereitstellung zum Abruf

8.168

§ 122a AO ermöglicht die Bekanntgabe eines elektronischen Steuerverwaltungsakts durch dessen Bereitstellung zum Abruf. Diese Art der Bekanntgabe darf nur im Einvernehmen mit dem Beteiligten oder der von ihm bevollmächtigten Person erfolgen (§ 122a Abs. 1 AO), ein Rechtsanspruch auf die Bekanntgabe durch Abrufbereitstellung besteht allerdings nicht.

8.169

Die Einwilligung des Beteiligten oder der von ihm bevollmächtigten Person kann jederzeit mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden (§ 122a Abs. 2 Satz 1 AO). Dieser Widerruf wird der Finanzbehörde gegenüber allerdings erst wirksam, wenn er ihr auch tatsächlich zugeht (§ 122a Abs. 2 Satz 2 AO).

8.170

Für den Datenabruf hat sich die abrufberechtigte Person (d.h. der Beteiligte oder die von ihm bevollmächtigten Person) nach Maßgabe des § 87a Abs. 8 AO zu authentisieren. 1 Vgl. hierzu auch Nr. 1.8.4 des Anwendungserlasses zu § 122 AO.

506 | Baum

I. Festsetzungsverjährung | Rz. 8.177 Kap. 8

Ein zum Abruf bereitgestellter Verwaltungsakt gilt nach § 122a Abs. 4 Satz 1 AO am dritten Tag nach Absendung der (unverschlüsselten) elektronischen Benachrichtigung über die Bereitstellung der Daten an die abrufberechtigte Person als bekannt gegeben. Der Zeitpunkt des Datenabrufs ist dabei grds. unerheblich.

8.171

Bestreitet die abrufberechtigte Person allerdings den Erhalt der Benachrichtigung, muss die Finanzbehörde den Zugang der Benachrichtigung nachweisen (§ 122a Abs. 4 Satz 2 AO). Kann die Finanzbehörde den von der abrufberechtigten Person bestrittenen Zugang der Benachrichtigung nicht nachweisen (dies dürfte der Regelfall sein), gilt der Steuerverwaltungsakt abweichend von der Grundregel in § 122a Abs. 4 Satz 1 AO erst an dem Tag als bekannt gegeben, an dem die abrufberechtigte Person den Datenabruf tatsächlich durchgeführt hat (§ 122a Abs. 4 Satz 3 AO). Das Gleiche gilt nach § 122a Abs. 4 Satz 4 AO, wenn die abrufberechtigte Person für die Finanzbehörde unwiderlegbar vorträgt, die Benachrichtigung nicht innerhalb von drei Tagen nach ihrer Absendung erhalten zu haben.

8.172

e) Förmliche Zustellung Ein Steuerverwaltungsakt wird nach § 122 Abs. 5 AO (ausnahmsweise) förmlich zugestellt, wenn dies gesetzlich vorgeschrieben ist oder behördlich angeordnet wird. Die Zustellung richtet sich dann grds. nach den Vorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes.

8.173

Für die Zustellung eines Steuerverwaltungsakts an einen Bevollmächtigten gilt aber abweichend von § 7 Absatz 1 Satz 2 des Verwaltungszustellungsgesetzes die Ausnahmeregelung in § 122 Abs. 1 Satz 4 AO entsprechend.

8.174

f) Öffentliche Bekanntgabe Die öffentliche Bekanntgabe eines Steuerverwaltungsakts wird nach § 122 Abs. 4 Satz 1 AO dadurch bewirkt, dass sein verfügender Teil (d.h. der Tenor, nicht die Begründung) ortsüblich bekannt gemacht wird. In der ortsüblichen Bekanntmachung ist dabei auch anzugeben, wo der Steuerverwaltungsakt und seine Begründung eingesehen werden können (§ 122 Abs. 4 Satz 2 AO).

8.175

Der öffentlich bekanntgegebene Steuerverwaltungsakt gilt nach § 122 Abs. 4 Satz 3 AO zwei Wochen nach dem Tage der ortsüblichen Bekanntmachung als bekannt gegeben. In einer Allgemeinverfügung kann ein hiervon abweichender Tag, jedoch frühestens der auf die öffentliche Bekanntmachung folgende Tag bestimmt werden (§ 122 Abs. 4 Satz 4 AO).

8.176

I. Festsetzungsverjährung I. Rechtssicherheit und Rechtsfrieden Rechtssicherheit und Rechtsfrieden sind wesentliche Teilaspekte des verfassungsrechtlichen Rechtsstaatsgebots nach Art. 20 Abs. 1 und Art. 28 Abs. 1 GG. Die steuerverfahrensrechtliche Verjährung trägt diesen Rechtsgrundsätzen Rechnung. Denn die Erweisbarkeit von Ansprüchen bzw. ihre Abweisung wird umso schwieriger, je älter die Ansprüche werden.1 Die Abgabenordnung unterscheidet dabei zwischen der Verjährung im Steuerfestsetzungsverfahren 1 Vgl. BFH v. 9.9.1994 – III B 78/94, BStBl II 1995, 385 m.w.N.

Baum | 507

8.177

Kap. 8 Rz. 8.177 | Verfahrensrecht

(Festsetzungs- bzw. Feststellungsverjährung) und der Verjährung im Erhebungs- und Vollstreckungsverfahren (Zahlungsverjährung).

II. Grundregeln der Festsetzungsverjährung 8.178

Die Festsetzungsverjährung ist im Wesentlichen in den §§ 169–171 AO geregelt.

8.179

Nach § 169 Abs. 1 Satz 1 AO ist eine Steuerfestsetzung sowie ihre Aufhebung oder Änderung nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist. Dies gilt auch für die Berichtigung wegen offenbarer Unrichtigkeit nach § 129 AO (§ 169 Abs. 1 Satz 2 AO).

8.180

Die (allgemeine) Festsetzungsfrist beträgt nach § 169 Abs. 2 Satz 1 AO:

1. Dauer der Festsetzungsfrist 1. ein Jahr für Verbrauchsteuern und Verbrauchsteuervergütungen, 2. vier Jahre für Steuern und Steuervergütungen, die keine Steuern oder Steuervergütungen im Sinne der Nummer 1 oder Einfuhr- und Ausfuhrabgaben nach Artikel 5 Nummer 20 und 21 des Zollkodex der Union sind.

8.181

Die Festsetzungsfrist beträgt nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO dagegen – zehn Jahre, soweit eine Steuer hinterzogen worden ist (vgl. § 370 AO), und – fünf Jahre, soweit sie leichtfertig verkürzt worden ist (vgl. § 378 AO).

8.182

Diese verlängerte Festsetzungsfrist gilt nach § 169 Abs. 2 Satz 3 AO auch dann, wenn die Steuerhinterziehung oder leichtfertige Steuerverkürzung nicht durch den Steuerschuldner oder eine Person begangen worden ist, deren er sich zur Erfüllung seiner steuerlichen Pflichten bedient, es sei denn, der Steuerschuldner weist nach, dass er durch die Tat keinen Vermögensvorteil erlangt hat und dass sie auch nicht darauf beruht, dass er die im Verkehr erforderlichen Vorkehrungen zur Verhinderung von Steuerverkürzungen unterlassen hat.

8.183

Für die Feststellung einer Steuerhinterziehung gelten die Vorschriften der AO und der FGO, nicht die strafrechtlichen Bestimmungen. Für die Feststellung der Steuerhinterziehung ist dabei kein höherer Grad an Gewissheit als für die Feststellung anderer Tatsachen erforderlich.1 Die subjektiven und objektiven Voraussetzungen einer Steuerhinterziehung gem. § 169 Abs. 2 Satz 2AO sind daher dem Grunde nach immer mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festzustellen.2

8.184

Die zehnjährige Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 Satz 2 AO ist allerdings nicht anwendbar, wenn hinsichtlich der Steuerhinterziehung ein Schuldausschließungsgrund vorliegt.3

2. Anlaufhemmung und Ablaufhemmung der Festsetzungsfrist 8.185

§ 170 AO enthält Regelungen über sogen. Anlaufhemmungen der Festsetzungsfrist, § 171 AO Regelungen über sogen. Ablaufhemmungen. Darüber hinaus können auch andere Vorschrif-

1 Vgl. BFH v. 19.1.2006 – VIII B 114/05, BFH/NV 2006, 709. 2 Vgl. BFH v. 7.11.2006 – VIII R 81/04, BStBl II 2007, 364. 3 BFH v. 2.4.1998 – V R 60/97, BStBl II 1998, 530.

508 | Baum

I. Festsetzungsverjährung | Rz. 8.192 Kap. 8

ten der AO (z.B. §§ 174 und 175 AO) oder der Einzelsteuergesetze Sonderregelungen zur Festsetzungsverjährung enthalten. Wird eine Steuervergütung oder Steuerermäßigung zurückgefordert, weil sie eine nach Unionsrecht unzulässige Beihilfe war, muss die Entscheidung der EU-Kommission ungeachtet einer nach deutschem Recht eingetretenen Festsetzungsverjährung umgesetzt werden. Denn der Vorrang des Unionsrechts gebietet es, bei der Rückforderung gemeinschaftsrechtswidrig gewährter steuerrechtlicher Beihilfen § 169 AO unangewendet zu lassen.1

8.186

III. Anwendungsbereich der Festsetzungsverjährung 1. Steuerbescheide, Freistellungsbescheide und Steuervergütungsbescheide Die Festsetzungsfrist betrifft primär Steuerbescheide. Darüber hinaus gilt die Festsetzungsfrist auch für Freistellungsbescheide und Steuervergütungsbescheide (§ 155 Abs. 1 und 5 AO) sowie für Bescheide über Ansprüche, für die die Vorschriften der AO über Steuervergütungen entsprechend anwendbar sind (z.B. Investitionszulage, Sparzulage, Wohnungsbauprämie, Altersvorsorgezulage).

8.187

Landessteuern, Kirchensteuern und Kommunalabgaben unterliegen nur dann der Festsetzungsfrist „entsprechend“ der AO, wenn dies durch Landes- oder Satzungsrecht bestimmt ist.

8.188

2. Feststellungsbescheide Bei Erlass und Korrektur von Feststellungsbescheiden ist die – im Wesentlichen der Festsetzungsfrist entsprechende – Feststellungsfrist zu beachten (vgl. § 181 AO).

8.189

3. Haftungsbescheide Für Haftungsbescheide gelten die Vorschriften über die Festsetzungsfrist gemäß § 191 Abs. 3 AO entsprechend, dabei sind allerdings die Festsetzungsfristen für den Steuerschuldner und den Haftungsschuldner getrennt zu berechnen; ggf. ist aber die Akzessorietät nach § 191 Abs. 5 AO zu beachten. Besonderheiten gelten dabei allerdings für solche Steuern, für die ein Dritter zur Einbehaltung und Anmeldung der Steuer verpflichtet ist, d.h. insbesondere bei der Lohnsteuer (vgl. § 171 Abs. 15 AO).

8.190

4. Festsetzung, Zerlegung und Zuteilung von Realsteuermessbeträgen Die Regelungen über die Festsetzungsfrist gelten für die Festsetzung von Realsteuermessbeträgen (Grundsteuer und Gewerbesteuer) einschließlich der Zerlegung und Zuteilung entsprechend (§§ 184, 185 und 190 AO).

8.191

5. Steuerliche Nebenleistungen Für steuerliche Nebenleistungen gilt die Festsetzungsfrist nur, wenn dies gesetzlich auch ausdrücklich angeordnet ist: – Für Zinsen nach §§ 233–237 AO und andere steuerliche Zinsen enthält § 239 Abs. 1 AO besondere Verjährungsbestimmungen; die Festsetzungsfrist beträgt hier nur ein Jahr. Dabei 1 Vgl. BFH v. 30.1.2009 – VII B 180/08, HFR 2009, 587.

Baum | 509

8.192

Kap. 8 Rz. 8.192 | Verfahrensrecht

sind aber auch spezifische Regelungen über den Fristbeginn und den Fristablauf zu beachten (§ 239 Abs. 1 Satz 2 und 3 AO). – Verspätungszuschläge unterliegen nicht unmittelbar der Festsetzungsverjährung. Von der erstmaligen Festsetzung eines Verspätungszuschlags ist jedoch grundsätzlich abzusehen, wenn die Festsetzungsfrist für die zu Grunde liegende Steuer abgelaufen ist (vgl. Nr. 5 Satz 2 des Anwendungserlasses zu § 169 AO). Wird aber ein bereits vor Ablauf der für die Steuer geltenden Festsetzungsfrist festgesetzter Verspätungszuschlag nur aus formellen Gründen oder auf Grund einer fehlerhaften Ermessensausübung bezüglich seiner Höhe aufgehoben, ist die Festsetzung eines Verspätungszuschlags auch nach Ablauf der für die Steuer geltenden Festsetzungsfrist zulässig (vgl. Nr. 5 Satz 3 des Anwendungserlasses zu § 169 AO). – bei Kosten der Vollstreckung beträgt die Festsetzungsfrist nur ein Jahr (§ 346 Abs. 2 Satz 1 AO). Sie beginnt mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Kosten entstanden sind (§ 346 Abs. 2 Satz 2 AO). Einem vor Ablauf dieser Frist gestellten Antrag auf Aufhebung oder Änderung einer Kostenfestsetzung (Kostenansatz) kann auch nach Ablauf der Frist entsprochen werden (§ 346 Abs. 2 Satz 3 AO). – Säumniszuschläge unterliegen nicht der Festsetzungsverjährung, sondern nur der Zahlungsverjährung, da sie kraft Gesetzes entstehen und keiner Festsetzung durch Verwaltungsakt bedürfen (vgl. § 218 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AO).

6. Andere Ansprüche 8.193

Auf andere Ansprüche, z.B. Duldungsansprüche oder Erstattungsansprüche nach § 37 Abs. 2 AO, oder steuerliche Grundlagenbescheide (§ 171 Abs. 10 AO), die keine Feststellungsbescheide i.S.d. § 181 AO sind, sind die Regelungen über die Festsetzungs- oder Feststellungsfrist nicht anzuwenden.

IV. Bedeutung der Festsetzungsverjährung 1. Erlöschen des Steueranspruchs 8.194

Der Eintritt der Festsetzungs- oder Zahlungsverjährung führt zum Erlöschen des Steueranspruchs (§ 47 AO). Daher ist nach Ablauf der Festsetzungsfrist eine Festsetzung der Steuer bzw. die Aufhebung, Änderung oder Berichtigung der Steuerfestsetzung nicht mehr zulässig. Ein Verstoß gegen diesen Grundsatz macht den Bescheid allerdings allein nicht nichtig, sondern lediglich rechtswidrig; der Bescheid ist daher – nur – auf Anfechtung hin aufzuheben.1 Selbst wenn die Voraussetzungen für eine Durchbrechung der Bestandskraft eines Steuerbescheids vorliegen, scheidet eine Aufhebung oder Änderung aus, wenn die Festsetzungsfrist bereits abgelaufen ist.2 Nach Ablauf der Festsetzungsfrist ist eine Korrektur nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO auch dann ausgeschlossen, wenn der Steuerpflichtige der Änderung zustimmt.3

2. Festsetzungsverjährung nicht disponibel 8.195

Die steuerliche Festsetzungsverjährung ist bei der Geltendmachung des nach § 38 AO durch Tatbestandsverwirklichung entstandenen Steueranspruchs (durch Erlass oder Korrektur eines 1 BFH v. 6.5.1994 – V B 28/94, BFH/NV 1995, 275. 2 Vgl. BFH v. 19.1.2005 – V B 5/04, BFH/NV 2005, 910. 3 Vgl. BFH v. 3.3.2011 – III R 45/08, BStBl II 2011, 673.

510 | Baum

I. Festsetzungsverjährung | Rz. 8.201 Kap. 8

Steuerbescheids bzw. durch Abgabe einer Steueranmeldung) von Amts wegen zu beachten. Die Geltendmachung der Festsetzungsverjährung steht nicht zur Disposition der Behörde.1 Ist Festsetzungsverjährung eingetreten, kann die Geltung von Treu und Glauben einerseits nicht dazu führen, dass zu Lasten des Steuerpflichtigen ein erloschener Anspruch des Finanzamts aus dem Steuerschuldverhältnis wieder auflebt. Andererseits kann nach diesem Grundsatz ein Verschulden des Finanzamts i.d.R. nicht zur Folge haben, dass nach Eintritt der Festsetzungsverjährung ein Steuerbescheid zu Gunsten des Steuerpflichtigen zu ändern ist.2

8.196

Die Festsetzungsfrist ist auch nicht wiedereinsetzungsfähig. § 110 AO gilt nämlich nicht für die Festsetzungsfrist. Ist innerhalb der Festsetzungsfrist kein fristwahrender Antrag des Steuerpflichtigen auf Erlass oder Korrektur einer Steuerfestsetzung eingegangen, kann deshalb auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 110 Abs. 1 AO mit dem Ziel einer rückwirkenden Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3 AO gewährt werden.3

8.197

V. Beginn der Festsetzungsfrist 1. Grundregel Die Festsetzungsfrist beginnt grundsätzlich mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuer entstanden ist oder eine bedingt entstandene Steuer unbedingt geworden ist (§ 170 Abs. 1 AO). § 170 Abs. 2–6 AO enthält allerdings einige Ausnahmen von diesem Grundsatz (sogen. Anlaufhemmungen).

8.198

2. Anlaufhemmung bei Erklärungspflicht Die Festsetzungsfrist beginnt nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO abweichend von § 170 Abs. 1 AO erst mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuererklärung, Steueranmeldung oder Anzeige eingereicht wird, spätestens aber mit Ablauf des dritten Kalenderjahrs nach dem Kalenderjahr, in dem die Steuer entstanden ist. Hierdurch wird verhindert, dass ein Steuerpflichtiger durch unterlassene oder verspätete Erfüllung seiner Mitwirkungspflicht die Finanzbehörde an der rechtzeitigen Steuerfestsetzung hindert oder deren Ermittlungsmöglichkeiten erheblich einschränkt.

8.199

Die Anlaufhemmung endet auch dann, wenn die abgegebene Steuererklärung teilweise unvollständig oder unrichtig ist, solange die der Finanzbehörde zur Verfügung stehende Bearbeitungszeit durch die unrichtigen oder fehlenden Angaben nicht verkürzt wird.4 Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Erklärung derart lückenhaft ist, dass dies praktisch auf das Nichteinreichen der Erklärung hinausläuft.5

8.200

3. Anlaufhemmung bei antragsgebundenen Steuerfestsetzungen Werden Steuern oder Steuervergütungen nur auf Antrag festgesetzt, ist die Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO nicht einschlägig. Für die erstmalige Festsetzung gilt dann allein der Fristbeginn nach § 170 Abs. 1 AO. In diesen Fällen wird aber der Beginn der Fest1 2 3 4 5

BFH v. 7.2.2002 – VII R 33/01, BStBl II 2002, 447. BFH v. 19.8.1999, III R 57/98, BStBl II 2000, 330. BFH v. 24.1.2008, VII R 3/07, BStBl II 2008, 462. Vgl. BFH v. 23.5.2012 – II R 56/10, HFR 2012, 1579. BFH v. 7.4.2005 – IV R 39/04, BFH/NV 2005, 1229.

Baum | 511

8.201

Kap. 8 Rz. 8.201 | Verfahrensrecht

setzungsfrist für die Aufhebung oder Änderung der antragsgebundenen Festsetzung nach §§ 172 ff. AO oder ihre Berichtigung nach § 129 AO nach § 170 Abs. 3 AO hinausgeschoben.1

4. Anlaufhemmung bei rückwirkenden Ereignissen 8.202

Soweit eine Steuerfestsetzung nach Eintritt eines rückwirkenden Ereignisses nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 oder Abs. 2 Satz 1 AO zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern ist, beginnt die Festsetzungsfrist insoweit erst mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem dieses Ereignis eingetreten ist (§ 175 Abs. 1 Satz 2 AO). Diese Anlaufhemmung gilt allerdings nicht für den gesamten Steueranspruch, sondern nur für den Teil der Steuer, der auf der Berücksichtigung des rückwirkenden Ereignisses beruht.

VI. Ende der Festsetzungsfrist 1. Allgemeine Grundsätze 8.203

Unter bestimmten Voraussetzungen endet die Festsetzungsfrist nicht mit Ablauf von vier Jahren (bzw. bei Steuerverkürzung mit Ablauf von fünf oder zehn Jahren) nach ihrem – ggf. anlaufgehemmten – Beginn, sondern erst mit dem Ende einer besonderen Ablaufhemmung. Diese Ablaufhemmungen sind in erster Linie in § 171 AO geregelt. Solche Ablaufhemmungen gelten im Einzelfall nicht für den gesamten Steueranspruch, sondern im Sinne einer Teilverjährung nur insoweit, wie die Voraussetzungen der Ablaufhemmung jeweils konkret erfüllt sind. Die Ablaufhemmung kann nur zu einer Verlängerung, nicht aber zu einer Verkürzung der Festsetzungsfrist führen.

8.204

Wird der Ablauf der Festsetzungsfrist für denselben Teil des Steueranspruchs im konkreten Einzelfall nach mehreren Bestimmungen gleichzeitig gehemmt, sind die Voraussetzungen, der Umfang und die Dauer der Ablaufhemmung für jede Bestimmung gesondert zu prüfen. Maßgeblich ist dann aber die weitergehende Ablaufhemmung.2

2. Höhere Gewalt 8.205

Die Festsetzungsfrist läuft nach § 171 Abs. 1 AO nicht ab, solange die Steuerfestsetzung wegen höherer Gewalt innerhalb der letzten sechs Monate des Fristlaufs nicht erfolgen kann. Höhere Gewalt ist ein außergewöhnliches Ereignis, das unter den gegebenen Umständen auch durch die äußerste, nach Lage der Sache von dem Betroffenen zu erwartende und zumutbare Sorgfalt nicht abgewendet werden konnte.

3. Offenbare Unrichtigkeiten 8.206

Die Festsetzungsfrist gilt auch für die Berichtigung offenbarer Unrichtigkeiten nach § 129 AO. Nach § 171 Abs. 2 Satz 1 AO endet die Festsetzungsfrist für eine derartige Berichtigung nicht vor Ablauf eines Jahrs nach Bekanntgabe des Bescheids, soweit bei dessen Erlass eine offenbare Unrichtigkeit unterlaufen ist.

8.207

Diese Ablaufhemmung gilt nach § 171 Abs. 2 Satz 2 AO aber auch in den Fällen des § 173a AO (Änderung wegen Schreib- oder Rechenfehlern bei Erstellung einer Steuererklärung).

1 BFH v. 29.3.2001 – III R 1/99, BStBl II 2001, 432. 2 BFH v. 17.2.1982 – II R 176/80, BStBl II 1982, 524.

512 | Baum

I. Festsetzungsverjährung | Rz. 8.215 Kap. 8

Bei offenbaren Unrichtigkeiten, die sich zu Ungunsten des Steuerpflichtigen ausgewirkt haben, kann dieser einen Antrag auf Berichtigung der Steuerfestsetzung stellen. Dieser Antrag löst dann seinerseits ggf. eine Ablaufhemmung nach § 170 Abs. 3 AO aus. Entsprechendes gilt bei Änderungsanträgen nach § 173a AO.

8.208

4. Antrag auf Steuerfestsetzung oder Korrektur der Steuerfestsetzung außerhalb des Einspruchs- oder Klageverfahrens § 171 Abs. 3 AO enthält eine Ablaufhemmung für die Fälle, in denen ein Antrag auf Festsetzung der Steuer oder ein Antrag auf Aufhebung, Änderung oder Berichtigung einer bereits erfolgten Steuerfestsetzung außerhalb des Einspruchs- oder Klageverfahrens gestellt wird. Antrag i.S.d. § 171 Abs. 3 AO ist ein Antrag auf schlichte Änderung nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO oder auch ein Berichtigungs- oder Änderungsantrag in den Fällen der §§ 129, 164, 165 und 173–175 AO. Die Abgabe einer gesetzlich vorgeschriebenen Steuererklärung kann für sich allein eine Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3 AO dagegen grds. nicht herbeiführen.1

8.209

Die Festsetzungsfrist läuft insoweit nicht ab, bevor über diesen Antrag unanfechtbar entschieden worden ist. Der Antrag muss zulässig und bei der zuständigen Finanzbehörde vor Fristablauf wirksam gestellt sein. Der Umfang der Ablaufhemmung richtet sich dabei nach dem Inhalt des Antrags. Die Festsetzungsfrist läuft insoweit nicht ab, wie die Steuer nach dem Antrag festgesetzt werden soll bzw. wie die Steuerfestsetzung korrigiert werden soll.

8.210

Ist innerhalb der (nicht nach § 171 Abs. 3 AO gehemmten) Festsetzungsfrist kein entsprechender Antrag des Steuerpflichtigen eingegangen, kann auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 110 Abs. 1 AO mit dem Ziel einer rückwirkenden Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3 AO gewährt werden. Unbeachtlich ist dagegen, ob der (zulässigerweise und fristgerecht gestellte) Antrag auch begründet ist.

8.211

Bei einem Antrag auf abweichende Steuerfestsetzung nach § 163AO ist allein die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 10 AO einschlägig, da die Entscheidung über die Billigkeitsmaßnahme Grundlagenbescheid für die Steuerfestsetzung ist (vgl. § 171 Abs. 10 AO).

8.212

5. Anfechtung einer Steuerfestsetzung im Einspruchs- oder Klageverfahren Wird ein wirksam ergangener Steuerbescheid mit einem Einspruch oder einer Klage angefochten, läuft die Festsetzungsfrist nach § 171 Abs. 3a AO nicht ab, bevor über den außergerichtlichen oder gerichtlichen Rechtsbehelf unanfechtbar entschieden ist. Dies kann z.B. auch der Fall sein, wenn die Finanzbehörde den angefochtenen (rechtswidrigen) Verwaltungsakt – egal in welchem Verfahrensstadium – aufhebt oder antragsgemäß korrigiert.

8.213

Nach § 171 Abs. 3a Satz 2 Halbs. 1 AO ist der Ablauf der Festsetzungsfrist hinsichtlich des gesamten Steueranspruchs gehemmt, solange über den ihn betreffenden zulässigen Einspruch oder die ihn betreffende zulässige Klage noch nicht unanfechtbar entschieden worden ist.

8.214

Die Ablaufhemmung endet, sobald der Rechtsbehelf zurückgenommen, die Finanzbehörde den Kläger durch Änderung des angefochtenen Steuerbescheids klaglos stellt oder die Einspruchsentscheidung bzw. die Entscheidung des FG bzw. des BFH nicht oder nicht mehr mit

8.215

1 Vgl. hierzu auch BFH v. 23.9.2020 – XI R 1/19, BStBl II 2021, 341, und das beim BFH unter Az. X R 35/20 anhängige Revisionsverfahren.

Baum | 513

Kap. 8 Rz. 8.215 | Verfahrensrecht

den Rechtsbehelfen nach der FGO angefochten werden kann. Die Ablaufhemmung greift allerdings nicht ein, wenn der angefochtene Verwaltungsakt nichtig war und deshalb selbst keine Rechtswirkung entfaltet.1

8.216

Die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3a AO tritt auch dann ein, wenn ein zulässiger Rechtsbehelf erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist eingelegt wird (§ 171 Abs. 3a Satz 1 2. Halbsatz AO). Dies gilt auch dann, wenn der Rechtsbehelf nach Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als fristgerecht und damit als zulässig zu behandeln ist (Anwendungserlass zu § 171 AO, Nr. 2a Abs. 1 Satz 2). Wird die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgelehnt und ist der Rechtsbehelf demzufolge unzulässig, tritt keine Ablaufhemmung ein.

8.217

Keine Ablaufhemmung tritt ein, soweit der Rechtsbehelf unzulässig ist und deshalb keine Sachentscheidung getroffen werden kann (§ 171 Abs. 3a Satz 2 Halbs. 2 AO). Daneben ist die Ablaufhemmung ausgeschlossen, soweit ein Änderungsbescheid oder ein Folgebescheid unzulässigerweise angefochten wird (vgl. § 351 AO).

8.218

Der Ablauf der Festsetzungsfrist kann dadurch gehemmt werden, dass die Finanzbehörde innerhalb der Festsetzungsfrist mit einer Außenprüfung beginnt (§ 171 Abs. 4 AO). Der Fristablauf wird aber auch dann gehemmt, wenn der rechtzeitige Beginn einer Ap auf Antrag des Steuerpflichtigen hinausgeschoben wird. Anträge auf Prüfungsaufschub können formlos gestellt werden.

8.219

Beantragt der Steuerpflichtige, den Beginn der Außenprüfung auf einen späteren Zeitpunkt zu verlegen, hemmt dies den Ablauf der Festsetzungsfristen gem. § 171 Abs. 4 Satz 1 AO nur dann, wenn der Antrag für das Hinausschieben des Prüfungsbeginns ursächlich gewesen ist.2 Wird der Beginn der Außenprüfung dagegen nicht maßgeblich auf Grund eines Antrags des Steuerpflichtigen, sondern auf Grund eigener Belange der Finanzbehörde bzw. aus innerhalb deren Sphäre liegenden Gründen hinausgeschoben, läuft die Festsetzungsfrist ungeachtet des Antrags ab.3

8.220

Bei einem Antrag auf befristetes Hinausschieben des Beginns der Außenprüfung, der für das Verschieben des Prüfungsbeginns ursächlich ist, entfällt allerdings die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 4 Satz 1 Alt. 2 AO rückwirkend, wenn die Finanzbehörde nicht vor Ablauf von zwei Jahren nach Eingang des Antrags mit der Prüfung beginnt.4

8.221

Die Festsetzungsfrist läuft für die Steuern, auf die sich die Außenprüfung erstreckt (oder im Fall der auf Antrag hinausgeschobenen Außenprüfung erstrecken sollte), nicht ab, bevor die auf Grund der Außenprüfung zu erlassenden Steuerbescheide unanfechtbar geworden sind.

8.222

Hat die Prüfung zu keinen Abweichungen von der bisher festgesetzten Steuer geführt, endet die Festsetzungsfrist erst, wenn drei Monate seit Bekanntgabe der Mitteilung i.S.d. § 202 Abs. 1 Satz 3 AO vergangen sind.

8.223

Die Ablaufhemmung tritt nur ein, wenn dem Stpfl. eine wirksame Prüfungsanordnung bekannt gegeben wurde. Ist die Prüfungsanordnung nach § 125 AO nichtig, weil sie z.B. den zu

6. Durchführung einer Außenprüfung

1 2 3 4

Vgl. BFH v. 11.10.1989 – X R 31/86, BFHE 158, 491. BFH v. 30.3.1999 – I B 139/98, HFR 1999, 616. Anwendungserlass zu § 171 AO, Nr. 3.3. BFH v. 17.3.2010 – IV R 54/07, BStBl II 2011, 7.

514 | Baum

I. Festsetzungsverjährung | Rz. 8.231 Kap. 8

prüfenden Steuerpflichtigen unzutreffend oder nur unzureichend als Adressaten ausweist, löst sie keine Ablaufhemmung aus.1 Ist die Prüfungsanordnung wirksam, aber rechtswidrig, tritt durch die hierauf gestützte Außenprüfung gleichwohl eine Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 4 AO ein. Nur durch eine erfolgreiche Anfechtung der rechtswidrigen Prüfungsanordnung kann der Eintritt der Ablaufhemmung verhindert werden.2

8.224

Eine Prüfungsanordnung ist nicht schon deshalb rechtswidrig, weil die Steueransprüche, die überprüft werden sollen, möglicherweise verjährt sind oder aus anderen Gründen nicht durchgesetzt werden können.3

8.225

Die Anfechtung einer Prüfungsanordnung hat keine aufschiebende Wirkung, die Finanzbehörde kann trotz der Anfechtung mit der Außenprüfung beginnen, um den Eintritt der Ablaufhemmung nicht zu gefährden.

8.226

Für den Eintritt der Ablaufhemmung reicht es nicht schon aus, dass dem Steuerpflichtigen vor Ablauf der Festsetzungsfrist lediglich eine wirksame Prüfungsanordnung i.S.d. § 196 AO oder eine Mitteilung über den voraussichtlichen Prüfungsbeginn bekannt gegeben wurden. Vielmehr muss die zuständige Finanzbehörde auch ernsthaft und nachhaltig mit der Prüfung begonnen haben. Maßnahmen eines Außenprüfers zur Ermittlung des konkreten Steuerfalls sind auch dann Prüfungshandlungen i.S.d. § 171 Abs. 4 AO, wenn sie nur auf die Vorlage von Aufzeichnungen, Büchern, Geschäftspapieren usw. gerichtet sind.

8.227

Die durch eine Außenprüfung begründete Ablaufhemmung entfällt allerdings rückwirkend, wenn diese Prüfung unmittelbar nach ihrem Beginn für die Dauer von mehr als sechs Monaten aus von der Finanzbehörde zu vertretenden Gründen unterbrochen wird (§ 171 Abs. 4 Satz 2 AO).

8.228

Die Ablaufhemmung gilt nur für die Steuern derjenigen Steuerpflichtigen, bei denen die Außenprüfung angeordnet wurde. Die Durchführung einer Außenprüfung bei einem Dritten kann für den an der Prüfung nicht beteiligten Steuerpflichtigen deshalb zu keiner Ablaufhemmung führen.

8.229

7. Ermittlungen der Fahndungsstellen Nach § 171 Abs. 5 Satz 1 AO werden die Ermittlungen der Steuer- oder Zollfahndung hinsichtlich der ablaufhemmenden Wirkung grundsätzlich der Durchführung einer Außenprüfung gleichgestellt. Die Ablaufhemmung tritt ein, wenn die Steuer- oder Zollfahndung vor Ablauf der Festsetzungsfrist mit Ermittlungen der Besteuerungsgrundlagen beim Steuerpflichtigen (erkennbar) begonnen hat. Die Ablaufhemmung endet, wenn die auf Grund der Ermittlungen zu erlassenden Steuerbescheide unanfechtbar geworden sind.

8.230

8. Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens Die Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens führt zu einer Ablaufhemmung der Festsetzungsfrist, wenn dem Steuerpflichtigen die Einleitung eines solchen Verfahrens vor Ab1 BFH v. 17.9.1992 – V R 17/86, BFH/NV 1993, 279. 2 BFH v. 25.6.1992 – IV R 87/90, BFH/NV 1993, 457. 3 BFH v. 3.7.1986 – IV R 258/84, BFH/NV 1987, 685.

Baum | 515

8.231

Kap. 8 Rz. 8.231 | Verfahrensrecht

lauf dieser Frist bekannt gegeben worden ist (§ 171 Abs. 5 Satz 2AO). Dabei reicht es aus, wenn die Mitteilung rechtzeitig vor Ablauf der Festsetzungsfrist abgesandt und – unabhängig vom Zeitpunkt ihrer Bekanntgabe – tatsächlich auch wirksam wurde. Wurde die Einleitung des Steuerstrafverfahrens wegen des Verdachts bestimmter, in der Einleitungsverfügung ausdrücklich genannter Steuerstraftaten dem Steuerpflichtigen bekannt gegeben, ist der Ablauf der Festsetzungsfrist nach § 171 Abs. 5 Satz 2 AO nur für diejenigen Steueransprüche gehemmt, wegen deren vermeintlicher Verletzung das Strafverfahren tatsächlich eingeleitet und die Einleitung dem Stpfl. bekannt gegeben wurde.

9. Verfolgung von Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten 8.232

Wurde eine Steuer hinterzogen oder leichtfertig verkürzt, läuft nach § 171 Abs. 7 AO die (nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO zehn- bzw. fünfjährige) Festsetzungsfrist nicht ab, bevor die Verfolgung der Steuerstraftat bzw. der Steuerordnungswidrigkeit (strafrechtlich) verjährt ist. In diesem Zusammenhang ist die eigenständige steuerstrafrechtliche Verjährungsregelung für bestimmte „besonders schwere“ Steuerstraftaten in § 376 Abs. 1 AO zu beachten.

10. Vorläufige Steuerfestsetzung; ausgesetzte Steuerfestsetzung 8.233

Soweit eine Steuer nach § 165 Abs. 1 AO vorläufig festgesetzt oder ihre Festsetzung „vorläufig“ ausgesetzt wurde, endet die Festsetzungsfrist grds. nicht vor Ablauf eines Jahres, nachdem die Finanzbehörde Kenntnis davon erlangt hat, dass die zu Grunde liegende Ungewissheit beseitigt ist (§ 171 Abs. 8 AO).

8.234

Bei vorläufigen Steuerfestsetzungen nach § 165 Abs. 1 Satz 2 AO (insbesondere bei Musterprozessen vor dem BVerfG oder dem BFH oder bei noch ausstehender Gesetzesänderung auf Grund einer BVerfG-Entscheidung) endet die Festsetzungsfrist erst zwei Jahre, nachdem die Finanzbehörde vom Wegfall der Ungewissheit Kenntnis erlangt hat. Gleiches gilt im Fall der Aussetzung der Steuerfestsetzung nach § 165 Abs. 1 Satz 4 i.V.m. Satz 2 AO.

8.235

Die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 8 AO bezieht sich nur auf den Teil des Steueranspruchs, der vorläufig festgesetzt wurde. Bei einer Aussetzung der Steuerfestsetzung umfasst die Ablaufhemmung den „vorläufig“ nicht festgesetzten Steueranspruch.

8.236

Erstattet ein Steuerpflichtiger eine strafbefreiende Selbstanzeige nach § 371 AO oder berichtigt er seine Steuererklärung oder andere Erklärungen nach §§ 153 oder 378 Abs. 3 AO, löst dies eine Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 9 AO aus. Die Festsetzungsfrist endet in diesen Fällen erst mit Ablauf von einem Jahr nach Eingang der Berichtigungserklärung bzw. der Selbstanzeige. Die einjährige Frist beginnt mit Ablauf des Tags, an dem die Anzeige/Berichtigungserklärung bei der zuständigen Finanzbehörde eingegangen ist.1

8.237

Die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 9 AO beginnt allerdings erst, wenn die angezeigte Steuerverkürzung dem Grunde nach individualisiert werden kann, der Steuerpflichtige also Steuerart und Veranlagungszeitraum benennt und den Sachverhalt so schildert, dass der Gegenstand der Selbstanzeige erkennbar wird.2

11. Berichtigung der Steuererklärung oder Selbstanzeige

1 BFH v. 28.2.2008 – VI R 62/06, BStBl II 2010, 595. 2 BFH v. 21.4.2010 – X R 1/08, BStBl II 2010, 771.

516 | Baum

I. Festsetzungsverjährung | Rz. 8.243 Kap. 8

12. Erlass oder Korrektur von Grundlagenbescheiden Folgebescheide sind nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO an die in einem Grundlagenbescheid getroffenen Feststellungen anzupassen; die Anpassung steht nicht im Ermessen der Finanzbehörde. Grundlagenbescheide sind nach der Legaldefinition in § 171 Abs. 10 AO alle Verwaltungsakte, die für einen Steuerbescheid bindend sind. In Betracht kommen dabei nicht nur Feststellungs- oder Steuermessbescheide, sondern auch andere (u.U. ressortfremde) Verwaltungsakte. Die Bindungswirkung muss (hinreichend klar) gesetzlich bestimmt sein. Sie darf nicht mit der sog. Tatbestandswirkung ressortfremder Verwaltungsakte verwechselt werden. Die Tatbestandswirkung eines Verwaltungsaktes ist Ausfluss von Art. 20 Abs. 3 des GG und bezweckt, dass die Entscheidung über Rechtmäßigkeit und Bestand eines behördlichen Bescheids den dazu berufenen Spezialgerichten vorbehalten bleibt.1 Diese Tatbestandswirkung löst allerdings die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 10 AO nicht aus.

8.238

Nach § 171 Abs. 10 Satz 1 AO wird der Ablauf der Festsetzungsfrist für den Folgebescheid für die Dauer von zwei Jahren nach Bekanntgabe des Grundlagenbescheids hinausgeschoben, damit die für den Folgebescheid zuständige Finanzbehörde ausreichend Zeit zur Auswertung des Grundlagenbescheids hat. Ist für den Erlass des Grundlagenbescheids aber eine Stelle zuständig, die keine Finanzbehörde im Sinne des § 6 Abs. 2 AO ist, endet die Festsetzungsfrist nach § 171 Abs. 10 Satz 2 AO nicht vor Ablauf von zwei Jahren nach dem Zeitpunkt, in dem die für den Folgebescheid zuständige Finanzbehörde Kenntnis von der Entscheidung über den Erlass des Grundlagenbescheids erlangt hat.

8.239

Die vorstehenden Regelungen gelten für einen Grundlagenbescheid, auf den § 181 AO (d.h. insbesondere die Regelung über die Feststellungsfrist) nicht anzuwenden ist, nur dann, wenn dieser (AO-fremde) Grundlagenbescheid vor Ablauf der für den Folgebescheid geltenden Festsetzungsfrist bei der zuständigen Behörde beantragt worden ist (§ 171 Abs. 10 Satz 3 AO).

8.240

Werden Feststellungen im Grundlagenbescheid in einem Feststellungs-, Einspruchs- oder Klageverfahren erstmals getroffen oder geändert, führt dies zu einer (weiteren) Anpassungspflicht nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO und damit wiederum zu einer Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 10 Satz 1 AO. Dagegen setzt ein Grundlagenbescheid, der einen gleichartigen, dem Inhaltsadressaten wirksam bekannt gegebenen Steuerverwaltungsakt in seinem verbindlichen Regelungsgehalt lediglich wiederholt, oder eine Einspruchs- oder Gerichtsentscheidung, die einen Grundlagenbescheid lediglich bestätigt, keine neue Zwei-Jahresfrist in Lauf.2

8.241

Die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung eines Grundlagenbescheids steht dem Erlass eines geänderten Grundlagenbescheids gleich. Sie setzt daher die Zwei-Jahres-Frist des § 171 Abs. 10 Satz 1 AO in Lauf. Dies gilt auch dann, wenn der Vorbehalt der Nachprüfung hinsichtlich des Grundlagenbescheids aufgehoben wird, ohne dass eine sachliche Änderung des Grundlagenbescheids erfolgt.3

8.242

Die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 10 AO umfasst nur den Teil des Steueranspruchs, der auf den im Grundlagenbescheid gesondert festgestellten Besteuerungsgrundlagen beruht (Teilverjährung). Die Verjährung des „übrigen“ Teils des Steueranspruchs wird nicht von der Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 10 AO erfasst. Ist der Ablauf der Festsetzungsfrist hinsicht-

8.243

1 Vgl. BFH v. 21.1.2010 – VI R 52/08, BStBl II 2010, 703. 2 Vgl. BFH v. 13.12.2000 – X R 42/96, BStBl II 2001, 471 und BFH v. 19.1.2005 – X R 14/04, BStBl II 2005, 242. 3 BFH v. 11.4.1995 – III B 74/92, BFH/NV 1995, 943.

Baum | 517

Kap. 8 Rz. 8.243 | Verfahrensrecht

lich des Teils der Steuer, für den der Grundlagenbescheid nicht bindend ist, allerdings nach § 171 Abs. 4 AO gehemmt, endet die Festsetzungsfrist für den Teil der Steuer, für den der Grundlagenbescheid bindend ist, allerdings nach § 171 Abs. 10 Satz 4 AO nicht vor Ablauf der nach § 171 Abs. 4 AO gehemmten Frist.

13. Sonstige Ablaufhemmungen a) Anknüpfung an Zahlungsverjährung

8.244

Der Steuerpflichtige kann bis zum Eintritt der Zahlungsverjährung die Erstattung einer Zahlung verlangen, die ohne rechtlichen Grund geleistet worden ist oder für deren Leistung der rechtliche Grund nachträglich weggefallen ist (vgl. § 37 Abs. 2 AO). In diesen Fällen wird der Ablauf der Festsetzungsfrist nach § 171 Abs. 14 AO bis zum Eintritt der Zahlungsverjährung gehemmt.

8.245

Die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 14 AO kann durch jeden mit dem Steueranspruch zusammenhängenden Erstattungsanspruch ausgelöst werden. Der Erstattungsanspruch muss dabei aber vor Ablauf der Festsetzungsfrist entstanden sein. Für die Frage, ob ein Erstattungsanspruch besteht, ist § 171 Abs. 14 AO im Sinne der formellen Rechtsgrundtheorie auszulegen.1 b) Anknüpfung an Verjährung der Entrichtungsschuld

8.246

Soweit ein Dritter Steuern für Rechnung des Steuerschuldners einzubehalten und abzuführen oder für Rechnung des Steuerschuldners zu entrichten hat (z.B. Lohnsteuer), endet die Festsetzungsfrist gegenüber dem Steuerschuldner (im Beispielsfall: Arbeitnehmer) nach § 171 Abs. 15 AO nicht vor Ablauf der gegenüber dem Steuerentrichtungspflichtigen (im Beispielsfall: Arbeitgeber) geltenden Festsetzungsfrist. c) Weitere Fälle

8.247

Weitere Ablaufhemmungen enthalten z.B. § 174 AO für bestimmte Fälle widerstreitender Steuerfestsetzungen, § 10d Abs. 1 EStG für den Fall des Verlustrücktrags sowie § 239 Abs. 1 Satz 3 AO für Zinsen nach § 233a AO.

J. Bestandskraft von Steuerbescheiden I. Allgemeines 8.248

Die AO enthält selbst keine ausdrückliche Regelung darüber, wann ein Steuerverwaltungsakt, insbesondere ein Steuerbescheid, bestandskräftig wird. Sie befasst sich nur mit der Frage, wann die Bestandskraft durchbrochen werden kann. „Bestandskraft“ ist nach allgemeiner Auffassung der Parallelbegriff zur Rechtskraft von Urteilen.2

8.249

Dabei ist zwischen der formellen und materiellen Bestandskraft zu unterscheiden: – Formelle Bestandskraft tritt mit Unanfechtbarkeit des Steuerbescheids ein. Unanfechtbar ist eine Steuerfestsetzung, wenn sie nicht mehr mit ordentlichen Rechtsbehelfen des außer1 BFH v. 25.11.2020 – II R 3/18, HFR 2021, 635. 2 Loose in T/K, vor §§ 172–177 AO Rz. 1, September 2020.

518 | Baum

J. Bestandskraft von Steuerbescheiden | Rz. 8.255 Kap. 8

gerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens (§§ 347 f. AO) oder mit gerichtlichen Rechtsbehelfen nach §§ 40 ff., §§ 115 ff. FGO angefochten werden kann. Sie tritt mit Ablauf der Rechtsbehelfsfrist auch in den Fällen der §§ 164 und 165 AO ein. – Materielle Bestandskraft bedeutet inhaltliche Verbindlichkeit des wirksamen Verwaltungsakts bei grundsätzlichem Aufhebungs- oder Änderungsverbot, also die Bindung der Beteiligten an den Regelungsinhalt des Verwaltungsakts mit der Folge, dass von ihm grundsätzlich nicht abgewichen werden kann.1 Die §§ 130 ff. AO und §§ 172 ff. AO sowie „Änderungsvorschriften“ in anderen Gesetzen ermöglichen die Durchbrechung der materiellen Bestandskraft eines Verwaltungsakts. Absolute Grenze der Durchbrechung der materiellen Bestandskraft ist der Eintritt der Festsetzungsverjährung.

8.250

Die Berichtigung offenbarer Unrichtigkeiten nach § 129 AO lässt die Bestandskraft des Verwaltungsakts unberührt. § 129 AO betrifft Fälle, in denen der bekanntgegebene Inhalt eines Verwaltungsakts aus Versehen von dem von der Finanzbehörde offensichtlich gewollten materiellen Regelungsinhalt abweicht.2 Die Vorschrift hat somit eine andere Zielrichtung als die weiteren Korrekturvorschriften (insbesondere §§ 130 und 131 AO sowie §§ 172 ff. AO), die es den Finanzbehörden ermöglichen, den Regelungsinhalt eines früheren, mit Willen der Finanzbehörde erlassenen Verwaltungsakts materiell zu verändern.3

8.251

II. Steuerbescheide unter Vorbehalt der Nachprüfung sowie vorläufige Steuerbescheide Steuerbescheide, die nach § 164 AO unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen sind, sind insgesamt nicht materiell bestandskräftig (solange dieser Vorbehalt nicht aufgehoben oder entfallen ist).

8.252

Nach § 165 Abs. 1 AO vorläufig ergangene Steuerbescheide sind im Ausmaß der Vorläufigkeit nicht materiell bestandskräftig.

8.253

In beiden Fällen können die Steuerbescheide nach § 164 Abs. 2 AO (in vollem Umfang) oder nach § 165 Abs. 2 AO (hier nur „soweit vorläufig“) aufgehoben oder geändert werden, ohne dass die Voraussetzungen der §§ 172 ff. AO vorliegen müssen.

8.254

III. Durchbrechung der (materiellen) Bestandskraft Die AO unterscheidet bei der Durchbrechung der (materiellen) Bestandskraft zwischen Steuerbescheiden und ihnen gleichgestellten Steuerbescheiden (z.B. Feststellungsbescheide i.S.d. § 181 Abs. 1 AO, Zinsbescheide i.S.d. § 239 Abs. 1 Satz 1 AO) und sonstigen Verwaltungsakten (z.B. Bescheide über die Stundung oder den Erlass von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis, abweichende Steuerfestsetzung nach § 163 AO, Prüfungsanordnungen, Fristverlängerungen, Aussetzung der Vollziehung). Während für die letztgenannten Verwaltungsakte die Regelungen der §§ 130 und 131 AO gelten, richtet sich die Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden und gleichgestellten Bescheiden nach den §§ 172 ff. AO (soweit im Einzelfall nicht §§ 164 oder 165 AO einschlägig sind). 1 Vgl. von Wedelstädt in Gosch, § 172 AO Rz. 7, Juni 2019. 2 BFH v. 6.11.2012 – VIII R 15/10, BStBl II 2013, 307. 3 Szymczak in eKommentar AO, § 129 AO Rz. 1, März 2019.

Baum | 519

8.255

Kap. 8 Rz. 8.256 | Verfahrensrecht

1. Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden nach § 172 AO 8.256

Nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO darf ein Steuerbescheid, der Verbrauchsteuern betrifft, bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist uneingeschränkt aufgehoben oder geändert werden. Ist der zu ändernde Bescheid Steuerbescheid unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 AO) oder hinsichtlich der beabsichtigten Änderung vorläufig (§ 165 Abs. 1 AO) ergangen, geht die Änderungsbefugnis nach § 164 Abs. 2 bzw. § 165 Abs. 2 AO der Regelung in § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO vor.

8.257

Nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO darf ein Steuerbescheid, der andere Steuern als Einfuhroder Ausfuhrabgaben nach Artikel 5 Nummer 20 und 21 des Zollkodex der Union oder Verbrauchsteuern betrifft (also insbesondere ESt-, KSt- und USt-Bescheide sowie GewSt-Messbescheide und GewSt-Bescheide), bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist aufgehoben oder geändert werden, – soweit der Steuerpflichtige zustimmt oder seinem Antrag der Sache nach entsprochen wird; dies gilt jedoch zugunsten des Steuerpflichtigen nur, soweit er vor Ablauf der Einspruchsfrist zugestimmt oder den Antrag gestellt hat oder soweit die Finanzbehörde einem Einspruch oder einer Klage abhilft (sogen. schlichte Änderung); – soweit er von einer sachlich unzuständigen Behörde erlassen worden ist; – soweit er durch unlautere Mittel, wie arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt worden ist; – soweit dies sonst (außer nach den §§ 130 und 131 AO) gesetzlich zugelassen ist.

8.258

Die Änderung des Steuerbescheids steht in diesen Fällen zwar grds. im Ermessen der Finanzbehörde. Die Ermessensausübung ist jedoch durch den Grundsatz der Gleichmäßigkeit und Gesetzmäßigkeit der Besteuerung (§ 85 AO), nach dem die FinBeh die Steuern nach Maßgabe der Gesetze gleichmäßig festzusetzen und zu erheben haben, vorbestimmt und auf „Null“ reduziert. Damit ist eine Aufhebung oder Änderung regelmäßig zwingend, wenn der Tatbestand der Korrekturvorschrift erfüllt ist.1

2. Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden nach § 173 AO 8.259

§ 173 AO eröffnet unter bestimmten Voraussetzungen die Berücksichtigung nachträglich bekannt gewordener Tatsachen oder Beweismittel durch Änderung materiell bestandskräftiger Steuerfestsetzungen. Die nachträglich bekannt gewordene Tatsache oder das nachträglich bekannt gewordene Beweismittel müssen gegenüber der zu ändernden Steuerfestsetzung zu einer höheren (§ 173 Abs. 1 Nr. 1 AO) oder zu einer niedrigeren (§ 173 Abs. 1 Nr. 2 AO) Steuer als der bisher festgesetzten Steuer führen. Die Unkenntnis der Finanzbehörde hinsichtlich der Tatsache oder des Beweismittels muss kausal für die zu ändernde, ursprüngliche Steuerfestsetzung sein. a) Tatsache

8.260

Tatsache i.S.d. § 173 Abs. 1 AO ist alles, was Merkmal oder Teilstück eines steuergesetzlichen Tatbestandes sein kann, also Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften materieller 1 von Wedelstädt in Gosch, § 172 AO Rz. 112, Juni 2019; a.A. wohl BFH v. 30.9.2020 – VI R 34/18, HFR 2021, 476.

520 | Baum

J. Bestandskraft von Steuerbescheiden | Rz. 8.264 Kap. 8

oder immaterieller Art.1 Zu den Tatsachen gehören auch innere Tatsachen (z.B. die Absicht, Einkünfte bzw. Gewinne zu erzielen), die nur anhand äußerer Merkmale (Hilfstatsachen) festgestellt werden können.2 Keine Tatsachen i.S.d. § 173 Abs. 1 AO sind Rechtsnormen und Schlussfolgerungen aller Art, insbesondere steuerrechtliche Bewertungen.3 Ebenso stellen Entscheidungen des BVerfG zur Verfassungswidrigkeit einer Rechtsnorm sowie nachträgliche Gesetzesänderungen keine neuen Tatsachen i.S.v. § 173 Abs. 1 AO dar.4 Gleiches gilt für die (ggf. anderweitige) Ausübung steuerlicher Wahlrechte oder die Nachholung eines Antrags (vgl. Anwendungserlass vor §§ 172 bis 177 AO, Nr. 8). Ein Antrag kann allerdings nachgeholt werden, soweit die für seine Ausübung relevanten Tatsachen als solche nachträglich bekannt werden (vgl. Anwendungserlass zu § 173 AO, Nr. 3.2).

8.261

b) Beweismittel Beweismittel ist jedes Erkenntnismittel, das zur Aufklärung eines steuerlich erheblichen Sachverhalts dient, d.h. geeignet ist, das Vorliegen oder Nichtvorliegen von Tatsachen zu beweisen.5 Dazu gehören Urkunden (Verträge, Geschäftspapiere u.a.) und Auskünfte von Auskunftspersonen (vgl. § 92 AO). Ein Sachverständigengutachten ist nur Beweismittel, soweit es die Erkenntnis neuer Tatsachen vermittelt und nicht lediglich Schlussfolgerungen enthält.6

8.262

c) Nachträgliches Bekanntwerden Die Tatsachen oder Beweismittel müssen beim Erlass des zu ändernden Steuerbescheids bereits existent, aber der Finanzbehörde noch nicht bekannt gewesen sein; sie dürfen also nicht nachträglich entstanden sein. Tatsachen oder Beweismittel werden (nur) dann nachträglich bekannt, wenn sie einem für die Steuerfestsetzung zuständigen Bediensteten7 bekannt werden, nachdem die Willensbildung über die Steuerfestsetzung abgeschlossen worden ist.8 Auf den Tag der Absendung des Steuerbescheids oder den Tag der Bekanntgabe kommt es nicht an. Etwas anderes gilt jedoch u.a., wenn es sich bei dem vorangegangenen Änderungsbescheid um eine auf § 165 Abs. 2 AO gestützte Änderung im vollmaschinellen Verfahren aufgrund einer automatisierten Überprüfung sämtlicher ergangener Steuerbescheide zur Umsetzung einer geänderten BFH-Rechtsprechung handelte.9

8.263

Einmal bekannt gewordene Tatsachen werden durch den Wechsel in der Zuständigkeit der Finanzbehörde oder durch Wechsel des Bearbeiters nicht wieder unbekannt, wenn der zunächst zuständige Bearbeiter die Tatsachen aktenkundig gemacht hat.10

8.264

1 Vgl. BFH v. 1.10.1993 – III R 58/92, BStBl II 1994, 346; v. 18.12.1996 – XI R 36/96, BStBl II 1997, 264 und v. 14.1.1998 – II R 9/97, BStBl II 1998, 371. 2 Vgl. BFH v. 6.12.1994 – IX R 11/91, BStBl II 1995, 192. 3 Vgl. BFH v. 27.10.1992 – VIII R 41/89, BStBl II 1993, 569. 4 Vgl. BFH v. 12.5.2009, IX R 45/08, BStBl II 2009, 891. 5 BFH v. 20.12.1988 – VIII R 121/83, BStBl II 1989, 585. 6 BFH v. 27.10.1992 – VIII R 41/89, BStBl II 1993, 569. 7 BFH v. 9.11.1984 – VI R 157/83, BStBl II 1985, 191 und v. 20.6.1985 – IV R 114/82, BStBl II 1985, 492. 8 Abzeichnung der Verfügung; vgl. BFH v. 18.3.1987 – II R 226/84, BStBl II 1987, 416. 9 Vgl. BFH v. 28.5.2020 – X B 19/20, BFH/NV 2020, 1044. 10 Vgl. BFH v. 15.10.1993 – III R 74/92, BFH/NV 1994, 315.

Baum | 521

Kap. 8 Rz. 8.265 | Verfahrensrecht

8.265

Die Finanzbehörde muss sich den gesamten Inhalt der bei ihr für den Steuerpflichtigen geführten Akte als bekannt zurechnen lassen.1 Der Finanzbehörde können sogar Tatsachen als bekannt zugerechnet werden, die sich aus älteren, bereits archivierten Akten ergeben. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass zur Hinzuziehung solcher Vorgänge nach den Umständen des Falles, insbesondere nach dem Inhalt der zu bearbeitenden Steuererklärungen oder der präsenten Akten, eine besondere Veranlassung bestand.2 Akten anderer Finanzbehörden gelten der für den Erlass des zu ändernden Steuerbescheids zuständigen Finanzbehörde hingegen nicht als bekannt.3 d) Rechtserheblichkeit der Tatsache oder des Beweismittels

8.266

Neue Tatsachen oder Beweismittel können die Änderung eines Steuerbescheids nach § 173 Abs. 1 AO allerdings nur rechtfertigen, wenn sie auch rechtserheblich sind. Die Rechtserheblichkeit ist zu bejahen, wenn das Finanzamt bei rechtzeitiger Kenntnis der Tatsachen oder Beweismittel schon bei der ursprünglichen Veranlagung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einer höheren oder niedrigeren Steuer gelangt wäre.4 Die Vorschrift des § 173 AO hat nämlich nicht den Sinn, dem Steuerpflichtigen das Risiko eines Rechtsbehelfsverfahrens dadurch abzunehmen, dass ihm gestattet wird, sich auf Tatsachen gegenüber der Finanzbehörde erst dann zu berufen, wenn etwa durch eine spätere Änderung der Rechtsprechung eine Situation eintritt, die eine bisher nicht vorgetragene Tatsache nunmehr als relevant erscheinen lässt. e) Aufhebung oder Änderung zuungunsten oder zugunsten des Steuerpflichtigen

8.267

Für die Frage, ob die beabsichtigte Aufhebung oder Änderung zu einer höheren oder niedrigeren Steuerfestsetzung führt, kommt es ausschließlich auf den Unterschied zwischen bisher festgesetzter und nunmehr festzusetzender Steuer an. Anzurechnende Abzugssteuern oder Vorauszahlungsbeträge sind hierbei grds. nicht zu berücksichtigen. Änderungen des Steuerbescheids, die keine unmittelbare Auswirkung auf die Höhe der Steuer haben, können über § 173 Abs. 1 AO nicht erreicht werden.5 Bei der Entscheidung, ob die nachträglich bekanntgewordene Tatsache der Erzielung von Einkünften aus Kapitalvermögen zu einer höheren (§ 173 Abs. 1 Nr. 1 AO) oder einer niedrigeren (§ 173 Abs. 1 Nr. 2 AO) Steuer führt, ist allerdings nicht nur die festgesetzte Einkommensteuer, sondern auch die durch den Abzug vom Kapitalertrag abgegoltene Einkommensteuer in den Vergleich einzubeziehen.6

8.268

Nach dem Grundsatz von Treu und Glauben kann die Finanzbehörde – auch wenn sie von einer rechtserheblichen Tatsache oder einem rechtserheblichen Beweismittel nachträglich Kenntnis erhält – daran gehindert sein, einen Steuerbescheid nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zuungunsten des Steuerpflichtigen zu ändern.7 Hat der Steuerpflichtige nämlich die ihm obliegenden Mitwirkungspflichten in zumutbarer Weise erfüllt, kommt eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO (d.h. Änderung des Steuerbescheids zu Ungunsten des Steuerpflichtigen) nicht in Betracht, wenn die spätere Kenntnis der Tatsache oder des Beweismittels auf einer Verletzung der der Finanzbehörde obliegenden Ermittlungspflicht beruht. 1 2 3 4 5 6 7

Vgl. BFH v. 12.3.2019 – IX R 29/17, HFR 2019, 837. BFH v. 11.2.1998 – I R 82/97, BStBl II 1998, 552. Vgl. BFH v. 26.5.2020 – IX R 30/19, HFR 2020, 1105. Vgl. BFH-Beschluss GrS v. 23.11.1987 – GrS 1/86, BStBl II 1988, 180. Von Wedelstädt in Gosch, § 173 AO Rz. 36, Juni 2019. BFH v. 21.8.2019 – X R 16/17, BStBl II 2020, 99. BFH v. 13.11.1985 – II R 208/82, BStBl II 1986, 241.

522 | Baum

J. Bestandskraft von Steuerbescheiden | Rz. 8.272 Kap. 8

Die Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids zugunsten des Steuerpflichtigen ist grds. ausgeschlossen, wenn den Steuerpflichtigen ein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel der Finanzbehörde erst nachträglich bekannt geworden sind. Als grobes Verschulden hat der Steuerpflichtige Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu vertreten. Grobe Fahrlässigkeit ist anzunehmen, wenn er die ihm nach seinen persönlichen Verhältnissen zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt.1

8.269

Ein grobes Verschulden kann im Allgemeinen angenommen werden, wenn der Steuerpflichtige trotz Aufforderung keine Steuererklärung abgegeben hat,2 allgemeine Grundsätze der Buchführung (§§ 145 bis 147 AO) verletzt oder ausdrückliche Hinweise in ihm zugegangenen Vordrucken, Merkblättern oder sonstigen Mitteilungen der Finanzbehörde nicht beachtet. Ein Steuerpflichtiger handelt regelmäßig grob schuldhaft, wenn er eine im Steuererklärungsformular ausdrücklich gestellte, auf einen ganz bestimmten Vorgang bezogene Frage nicht beachtet.3 Das grobe Verschulden des Steuerpflichtigen am nachträglichen Bekanntwerden steuermindernder Tatsachen oder Beweismittel wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Finanzbehörde ihrerseits ihren Fürsorge- oder Ermittlungspflichten nicht hinreichend nachgekommen ist.4

8.270

Das Verschulden des Steuerpflichtigen am nachträglichen Bekanntwerden steuermindernder Tatsachen oder Beweismittel ist (ausnahmsweise) unbeachtlich, wenn die Tatsachen oder Beweismittel, die zu einer niedrigeren Steuer führen, in einem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit neuen Tatsachen oder Beweismitteln stehen, die zu einer höheren Steuer führen (§ 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 AO). Stehen die steuermindernden Tatsachen mit steuererhöhenden Tatsachen im Zusammenhang, sind die steuermindernden Tatsachen nicht nur bis zur steuerlichen Auswirkung der steuererhöhenden Tatsachen, sondern uneingeschränkt zu berücksichtigen.5 Ein derartiger Zusammenhang ist gegeben, wenn eine zu einer höheren Besteuerung führende Tatsache die zur Steuerermäßigung führende Tatsache ursächlich bedingt, so dass der steuererhöhende Vorgang nicht ohne den steuermindernden Vorgang denkbar ist.6 Ein rein zeitliches Zusammentreffen von steuererhöhenden und steuermindernden Tatsachen reicht allerdings nicht aus.

8.271

Steuerbescheide, die aufgrund einer Außenprüfung ergangen sind, dürfen wegen neuer Tatsachen oder Beweismittel nach § 173 Abs. 1 AO nur dann geändert werden, wenn eine Steuerhinterziehung oder leichtfertige Steuerverkürzung vorliegt (sogen. Änderungssperre nach § 173 Abs. 2 AO). Hierdurch wird Steuerbescheiden eine erhöhte Bestandskraft zugemessen, weil durch die Außenprüfung die steuerlich erheblichen Sachverhalte ausgiebig hätten geprüft werden können. Die Änderungssperre wirkt allerdings auch dann, wenn nach einer Außenprüfung Tatsachen oder Beweismittel bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen würden.7 Diese Änderungssperre gilt nur für Änderungen nach § 173 Abs. 1 AO, nicht aber für Änderungen, die aufgrund anderer Vorschriften erfolgen.8

8.272

1 BFH v. 3.2.1983 – IV R 153/80, BStBl II 1983, 324 und v. 18.5.1988 – X R 57/82, BStBl II 1988, 713. 2 St. Rspr., vgl. z.B. BFH v. 16.9.2004 – IV R 62/02, BStBl II 2005, 75 m.w.N. 3 BFH v. 29.6.1984 – VI R 181/80, BStBl II 1984, 693 und v. 10.8.1988 – IX R 219/84, BStBl II 1989, 131. 4 BFH v. 9.8.1991 – III R 24/87, BStBl II 1992, 65. 5 BFH v. 2.8.1983 – VIII R 190/80, BStBl II 1984, 4. 6 Vgl. z.B. BFH v. 8.8.1991 – V R 106/88, BStBl II 1992, 12. 7 Vgl. BFH v. 11.12.1997 – V R 56/94, BStBl II 1998, 367. 8 Vgl. BFH v. 4.11.1992 – XI R 32/91, BStBl II 1993, 425.

Baum | 523

Kap. 8 Rz. 8.273 | Verfahrensrecht

3. Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden nach § 173a AO 8.273

Nach § 173a AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit dem Steuerpflichtigen (oder seinem Vertreter oder Bevollmächtigten) bei Erstellung seiner Steuererklärung Schreib- oder Rechenfehler unterlaufen sind und er deshalb der Finanzbehörde bestimmte, nach den Verhältnissen zum Zeitpunkt des Erlasses des Steuerbescheids rechtserhebliche Tatsachen unzutreffend mitgeteilt hat. § 171 Abs. 2 Satz 2 AO enthält ergänzend hierzu eine Ablaufhemmung der Festsetzungsfrist. Der Begriff „Tatsache“ entspricht dem in § 173 AO verwendeten Begriff. Gleiches gilt für die Frage der „Rechtserheblichkeit“. Der Erlass, die Aufhebung oder die Änderung eines Steuerbescheids steht bei Vorliegen dieser Voraussetzungen nicht im Ermessen der Finanzbehörde.

8.274

Diese Korrekturvorschrift lässt die Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden bei Schreib- oder Rechenfehlern des Steuerpflichtigen zu, die zur Unrichtigkeit der Steuerfestsetzung geführt haben. Steuerfestsetzungen konnten bei derartigen Fehlern früher nur sehr eingeschränkt nach § 129 AO berichtigt werden. Anders als § 129 AO erfasst die Vorschrift „ähnliche offenbare Unrichtigkeiten“ nicht. Das schlichte Vergessen eines Übertrags selbst ermittelter Besteuerungsgrundlagen in die Steuererklärung ist kein Schreib- oder Rechenfehler, sondern (lediglich) eine ähnliche offenbare Unrichtigkeit, die deshalb nicht nach § 173a AO korrigiert werden kann.1 Unerheblich ist, ob der Fehler für die Finanzbehörde erkennbar ist und ob den Steuerpflichtigen (oder seinem Vertreter oder Bevollmächtigten) ein Verschulden an dem Schreib- oder Rechenfehler trifft.2

4. Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden nach § 174 AO 8.275

Die verschiedenen Korrekturregeln in § 174 AO sollen widerstreitende Steuerfestsetzungen auflösen. Die Norm ermöglicht es, der materiellen Richtigkeit Vorrang einzuräumen und Vorteile und Nachteile auszugleichen, die sich durch Steuerfestsetzungen ergeben, die einander inhaltlich (d.h. materiell-rechtlich) widersprechen. Absatz 1 und 2 betreffen den sog. positiven Widerstreit. Absatz 3 bis 5 betreffen dagegen den sog. negativen Widerstreit.

8.276

Die Vorschrift ist tatbestands- und rechtsfolgemäßig wie folgt aufgebaut:3 – Abs. 1: Mehrfachberücksichtigung zu Ungunsten eines oder mehrerer Steuerpflichtiger mit der Folge der Aufhebung oder Änderung der rechtswidrigen Steuerfestsetzung zu Gunsten des Steuerpflichtigen auf seinen Antrag hin. – Abs. 2: Mehrfachberücksichtigung zu Gunsten eines oder mehrerer Steuerpflichtiger auf Grund Antrags oder Erklärung des Steuerpflichtigen mit der Folge der Aufhebung oder Änderung zu Ungunsten des Steuerpflichtigen. – Abs. 3: Erkennbare Nichtberücksichtigung eines Sachverhalts bei falscher Annahme der Finanzbehörde mit der Folge der Nachholung der Berücksichtigung durch Erlass, Aufhebung oder Änderung einer Steuerfestsetzung. – Abs. 4: Falsche rechtliche Behandlung eines Sachverhalts infolge der auf Grund Einspruchs oder Antrags erfolgten Änderung einer auf Grund irriger Beurteilung eines Sachverhalts ergangenen Steuerfestsetzung zu Gunsten des Steuerpflichtigen mit der Folge des Erlasses 1 Vgl. BFH v. 26.5.2020 – IX R 30/19, HFR 2020, 1105. 2 Vgl. von Wedelstädt in Gosch, § 173a AO Rz. 19, Juni 2019. 3 Vgl. von Wedelstädt in Gosch, § 174 AO Rz. 2, September 2017.

524 | Baum

J. Bestandskraft von Steuerbescheiden | Rz. 8.282 Kap. 8

oder der Änderung einer anderen Steuerfestsetzung, um die richtigen steuerlichen Folgerungen zu ziehen. – Abs. 5: Beteiligung dritter Personen in den Fällen des § 174 Abs. 4 AO. Die Korrektur eines Steuerbescheids steht bei Vorliegen eines dieser Tatbestände nicht im Ermessen der Finanzbehörde.

8.277

5. Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden nach § 175 AO Ein Steuerbescheid ist nach § 175 Abs. 1 Satz 1 AO zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit

8.278

– ein Grundlagenbescheid (vgl. § 171 Abs. 10 AO), dem Bindungswirkung für diesen Steuerbescheid zukommt, erlassen, aufgehoben oder geändert wird (§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO), oder – ein rückwirkendes Ereignis eintritt (§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO). Dieses Ereignis muss allerdings nach Erlass des zu ändernden Bescheids eingetreten sein; anderenfalls ist die Anwendung des § 173 Abs. 1 AO zu prüfen.1 – Als rückwirkendes Ereignis gilt nach § 175 Abs. 2 Satz 1 AO auch der Wegfall einer Voraussetzung für eine Steuervergünstigung, wenn gesetzlich bestimmt ist, dass diese Voraussetzung für eine bestimmte Zeit gegeben sein muss, oder wenn durch Verwaltungsakt festgestellt worden ist, dass sie die Grundlage für die Gewährung der Steuervergünstigung bildet. – Die nachträgliche Erteilung oder Vorlage einer Bescheinigung oder Bestätigung gilt nach § 175 Abs. 2 Satz 2 AO hingegen nicht als rückwirkendes Ereignis. Der Erlass, die Aufhebung oder die Änderung eines Steuerbescheids steht bei Vorliegen eines dieser Tatbestände nicht im Ermessen der Finanzbehörde.

8.279

§ 175 Abs. 1 Satz 2 AO enthält für die Berücksichtigung rückwirkender Ereignisse eine Anlaufhemmung der Festsetzungsfrist.

8.280

6. Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden nach § 175a AO Ein Steuerbescheid ist nach § 175a Satz 1 AO2 zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit dies zur Umsetzung einer Vorabverständigungsvereinbarung nach § 89a AO, einer Verständigungsvereinbarung oder eines Schiedsspruchs nach einem Vertrag im Sinne des § 2 AO (z.B. einem sogen. Doppelbesteuerungsabkommen) geboten ist. Der Erlass oder die Korrektur des Steuerbescheids steht dabei nicht im Ermessen der Finanzbehörde. § 175a Satz 2 AO regelt eine damit korrespondierende Ablaufhemmung der Festsetzungsfrist.

8.281

7. Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden nach § 175b AO § 175b AO ist Rechtsgrundlage für die Änderung oder Aufhebung bestandskräftiger Steuerbescheide, soweit 1 Vgl. BFH v. 18.11.2020 – I R 25/18, BFHE 271, 421, m.w.N. 2 Zuletzt geändert durch das Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz v. 2.6.2021, BGBl. I, S. 1259.

Baum | 525

8.282

Kap. 8 Rz. 8.282 | Verfahrensrecht

– Daten, die von mitteilungspflichtigen Stellen i.S.d. § 93c AO an die Finanzbehörden übermittelt worden sind, bei der Steuerfestsetzung allerdings nicht oder nicht zutreffend berücksichtigt wurden (Abs. 1), – Daten, die von mitteilungspflichtigen Stellen i.S.d. § 93c AO an die Finanzbehörden übermittelt worden sind und die nach § 150 Abs. 7 Satz 2 AO (mangels abweichender Deklaration in der Steuererklärung) als Angaben des Steuerpflichtigen gelten, zu Ungunsten des Steuerpflichtigen unrichtig sind (Abs. 2) oder – Daten eines Steuerpflichtigen ohne Vorliegen seiner gesetzlich vorgeschriebenen Einwilligung an die Finanzbehörden übermittelt wurden, diese Einwilligung aber Voraussetzung für die Berücksichtigung dieser Daten ist (Abs. 3).

8.283

§ 175b Abs. 4 AO verhindert allerdings die Aufhebung oder Änderung nach § 175b Abs. 1 und 2 AO, wenn die Finanzbehörde bei der ursprünglichen Steuerfestsetzung auch bei Kenntnis der erst nachträglich übermittelten Daten nicht anders entschieden hätte (d.h. dass die Daten nicht zu einer höheren oder niedrigeren Steuer geführt hätten), also nicht rechtserheblich waren.

8.284

Die Korrektur eines Steuerbescheids steht bei Vorliegen eines dieser Tatbestände nicht im Ermessen der Finanzbehörde.

8. Vertrauensschutz nach § 176 AO 8.285

§ 176 AO enthält eine Vertrauensschutzregelung zugunsten der Steuerpflichtigen. Bei der Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids darf nach dessen Absatz 1 nicht zuungunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden, dass 1. das BVerfG die Nichtigkeit eines Gesetzes feststellt, auf dem die bisherige Steuerfestsetzung beruht, 2. ein oberster Gerichtshof des Bundes (insbesondere der BFH) eine Norm, auf der die bisherige Steuerfestsetzung beruht, nicht anwendet, weil er sie für verfassungswidrig hält, 3. sich die Rechtsprechung eines obersten Gerichtshofes des Bundes (insbesondere des BFH) geändert hat, die bei der bisherigen Steuerfestsetzung von der Finanzbehörde angewandt worden ist. Wurde die bisherige Rechtsprechung bereits in einer Steuererklärung oder einer Steueranmeldung berücksichtigt, ohne dass das für die Finanzbehörde erkennbar war, gilt dies aber nur, wenn anzunehmen ist, dass die Finanzbehörde bei Kenntnis der Umstände die bisherige Rechtsprechung angewandt hätte. § 176 Abs. 1 AO ist nicht einschlägig, wenn die vorgenannte (für den Steuerpflichtigen ungünstige) Entscheidung schon vor Erlass des Steuerbescheids veröffentlicht war und deshalb kein schützenswertes Vertrauen mehr entstehen konnte. Die Vorschrift ist auch nicht bei Änderungen im Einspruchsverfahren anzuwenden.

8.286

Bei der Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids darf nach § 176 Abs. 2 AO außerdem nicht zuungunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden, dass eine allgemeine Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung (z.B. eine Regelung in den EStR oder den KStR), einer obersten Bundes- oder Landesbehörde von einem obersten Gerichtshof des Bundes als nicht mit dem geltenden Recht in Einklang stehend bezeichnet worden ist. Dies umfasst auch BMF-Schreiben und gleichlautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder (insbes. bei der GewSt). 526 | Baum

K. Einspruchsverfahren | Rz. 8.294 Kap. 8

§ 176 AO stellt sich neben die durch die Rechtsprechung entwickelten, auf dem Grundsatz von Treu und Glauben beruhenden Vertrauensschutztatbestände wie Verwirkung, Auskunft mit Bindungswirkung nach Treu und Glauben u.a., sie verdrängt sie aber nicht.1

8.287

9. Korrektur von Rechtsfehlern nach § 177 AO § 177 AO lässt anlässlich der Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids im Interesse der „Rechtsrichtigkeit“ bestimmte gegenläufige Korrekturen zu, für die selbst eine Durchbrechung der Bestandskraft nicht zugelassen ist:

8.288

– Nach Abs. 1 sind im Rahmen der Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids zuungunsten des Steuerpflichtigen materielle Fehler, die selbst nicht Anlass dieser Aufhebung oder Änderung sind, zugunsten wie zuungunsten des Steuerpflichtigen zu berichtigen. – Nach Abs. 2 sind im Rahmen der Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids zugunsten des Steuerpflichtigen materielle Fehler, die selbst nicht Anlass dieser Aufhebung oder Änderung sind, zugunsten wie zuungunsten des Steuerpflichtigen zu berichtigen. Materielle Fehler in diesem Sinne sind nach § 177 Abs. 3 AO alle Fehler einschließlich offenbarer Unrichtigkeiten im Sinne des § 129 AO, die zur Festsetzung einer Steuer führen, die von der kraft Gesetzes entstandenen Steuer abweicht.

8.289

§ 174 AO ist keine Korrektur-, sondern eine Korrekturbegrenzungsvorschrift, die das Unterlassen der Änderung eines Steuerbescheids anordnet, wenn und soweit die Steuer im Ergebnis richtig festgesetzt ist.2

8.290

K. Einspruchsverfahren I. Außergerichtliches Rechtsbehelfsverfahren in Abgabenangelegenheiten Die §§ 347–367 AO enthalten Regelungen über das außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren in „Steuersachen“, d.h. das Einspruchsverfahren. Das Einspruchsverfahren dient dem individuellen und gebührenfreien Rechtsschutz der Steuerpflichtigen, der Selbstkontrolle der Verwaltung und der Entlastung der Finanzgerichte. Ein zulässiger Einspruch hemmt den Eintritt der formellen Bestandskraft (d.h. der Unanfechtbarkeit) und der materiellen Bestandskraft (d.h. der inhaltlichen Unabänderbarkeit). Er ermöglicht eine erneute umfassende Überprüfung des Falls und kann ggf. zu einer Änderung zum Nachteil des Einspruchsführers (Verböserung) führen

8.291

Die Klage gegen einen Steuerverwaltungsakt richtet sich nach der Finanzgerichtsordnung (FGO) und ist grds. nur zulässig, wenn ein Vorverfahren nach den §§ 347–367 AO durchgeführt worden ist.

8.292

Die Regelungen über das Einspruchsverfahren gelten nicht für Strafverfahren wegen einer Steuerstraftat und für Bußgeldverfahren wegen einer Steuerordnungswidrigkeit (§ 347 Abs. 3 AO).

8.293

Nicht in der AO geregelt sind die nichtförmlichen Rechtsbehelfe (Gegenvorstellung, Sachaufsichtsbeschwerde, Dienstaufsichtsbeschwerde). Diese Rechtsbehelfe haben nicht die Wirkungen eines Einspruchs nach §§ 347–367 AO.

8.294

1 Von Wedelstädt in Gosch, § 176 AO Rz. 19.1, Mai 2018. 2 BFH v. 7.2.2012 – VIII B 63/11, BFH/NV 2012, 914 und v. 22.4.2015 – X R 24/13, HFR 2016, 98.

Baum | 527

Kap. 8 Rz. 8.295 | Verfahrensrecht

II. Statthaftigkeit und Ausschluss des Einspruchs 8.295

Gegen Verwaltungsakte ist nach § 347 Abs. 1 AO als außergerichtlicher Rechtsbehelf der Einspruch statthaft: – in Abgabenangelegenheiten, auf die die AO Anwendung findet. Abgabenangelegenheiten sind alle mit der Verwaltung der Abgaben einschließlich der Abgabenvergütungen oder sonst mit der Anwendung der abgabenrechtlichen Vorschriften durch die Finanzbehörden zusammenhängenden Angelegenheiten einschließlich der Maßnahmen der Bundesfinanzbehörden zur Beachtung der Verbote und Beschränkungen für den Warenverkehr über die Grenze; den Abgabenangelegenheiten stehen die Angelegenheiten der Verwaltung der Finanzmonopole gleich (§ 347 Abs. 2 AO). – in Verfahren zur Vollstreckung von Verwaltungsakten in anderen als den vorgenannten Angelegenheiten, soweit die Verwaltungsakte durch Bundesfinanzbehörden oder Landesfinanzbehörden aufgrund bundesrechtlicher oder landesrechtlicher Anordnung nach der AO zu vollstrecken sind. – in öffentlich-rechtlichen und berufsrechtlichen Angelegenheiten, auf die die AO nach § 164a StBerG Anwendung findet. § 348 Nr. 4 AO schließt in vielen Fällen allerdings den Einspruch aus. – in anderen durch die Finanzbehörden verwalteten Angelegenheiten, soweit die Vorschriften über die außergerichtlichen Rechtsbehelfe durch Gesetz für anwendbar erklärt worden sind oder erklärt werden. – wenn geltend gemacht wird, dass in den vorgenannten Angelegenheiten über einen vom Einspruchsführer gestellten Antrag auf Erlass eines Verwaltungsakts ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes binnen angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden ist (Untätigkeitseinspruch).

8.296

Das Einspruchsverfahren ist auch eröffnet, wenn der Einspruchsführer sich gegen einen nichtigen Verwaltungsakt (§ 125 AO) oder gegen einen Scheinverwaltungsakt wendet.

8.297

Gegen sogen. Realakte (tatsächliche hoheitliche Maßnahmen, die nach § 118 AO keinen Verwaltungsakt darstellen) ist dagegen kein Einspruch möglich. Hier kann aber unmittelbar gerichtlicher Rechtsschutz gesucht werden. Die Ablehnung eines Realaktes, z.B. die Ablehnung eines Antrags, Akteneinsicht zu gewähren oder eine mündliche Erörterung nach § 364a AO durchzuführen, ist hingegen ein mit dem Einspruch anfechtbarer Verwaltungsakt.

8.298

Der Einspruch ist nach § 348 AO allerdings nicht statthaft – gegen Einspruchsentscheidungen einschließlich Teil-Einspruchsentscheidungen sowie Allgemeinverfügungen über die Zurückweisung von Einsprüchen (statthafter förmlicher Rechtsbehelf ist in diesem Fall die Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage, § 40 Abs. 1 FGO), – bei Nichtentscheidung über einen Einspruch (bleibt die Finanzbehörde im Einspruchsverfahren untätig, kann der Steuerpflichtige unter den Voraussetzungen des § 46 Abs. 1 FGO Klage erheben, ohne den Abschluss des Einspruchsverfahrens abwarten zu müssen), – gegen Verwaltungsakte der obersten Finanzbehörden des Bundes (= BMF) und der Länder (Landesfinanzministerien), außer wenn ein Gesetz das Einspruchsverfahren vorschreibt, – gegen Entscheidungen in Angelegenheiten des 2. und 6. Abschnitts des 2. Teils des StBerG sowie – gegen Allgemeinverfügungen nach § 172 Abs. 3 AO. 528 | Baum

K. Einspruchsverfahren | Rz. 8.305 Kap. 8

III. Beschwer Einspruch einlegen darf nur, wer geltend macht, durch einen erlassenen Verwaltungsakt oder dessen Unterlassung beschwert zu sein (§ 350 AO).

8.299

Das Geltendmachen einer Beschwer ist eine der Zulässigkeitsvoraussetzungen für einen Einspruch und darf nicht mit der Begründung des Einspruchs verwechselt werden. Ob allerdings tatsächlich eine Beschwer vorliegt, ist eine Frage der Begründetheit des Einspruchs und dort zu prüfen und somit keine Zulässigkeitsvoraussetzung.1

8.300

Die Beschwer muss sich aus dem regelnden Teil (Tenor) des Verwaltungsakts ergeben. Einzelne Besteuerungsgrundlagen beschweren daher grundsätzlich nicht.2 Ausnahme: sie werden gesondert festgestellt (§ 157 Abs. 2, §§ 179 ff. AO) oder sie sind ohne gesonderte Feststellung ausnahmsweise für andere Verwaltungsakte bindend.3

8.301

Die Beschwer wird i.d.R. in einer zu hohen Steuerfestsetzung, in der gesonderten (und ggf. einheitlichen) Feststellung eines zu hohen Gewinns oder eines zu niedrigen Verlusts, in einer zu niedrig festgesetzten Steuervergütung oder in der Ablehnung der Feststellung eines Verlusts oder in der Ablehnung der Festsetzung einer Steuervergütung bestehen. Eine zu niedrige Steuerfestsetzung beschwert grundsätzlich nicht. Eine Beschwer kann aber dann vorliegen, wenn die zu niedrige Steuerfestsetzung sich in anderen Besteuerungszeiträumen für den gleichen Steuerpflichtigen nachteilig auswirken kann.4 Bei einer „Nullfestsetzung“ einer Steuer besteht grds. keine Beschwer.

8.302

Eine Beschwer kann allerdings nur derjenige geltend machen, der durch den erlassenen Verwaltungsakt oder das Unterlassen eines Verwaltungsakts persönlich betroffen ist.5 Dies ist in erster Linie der Inhaltsadressat des Verwaltungsakts, bei Steuerbescheiden mithin der Steuerschuldner, nicht der Bekanntgabeadressat oder der Empfänger des Bescheids.

8.303

Unter bestimmten Umständen kann ausnahmsweise aber auch ein Dritter durch einen Verwaltungsakt beschwert sein. So kann z.B. ein Arbeitnehmer die im Zusammenhang mit dem Lohnsteuer-Anmeldungs- und -Abzugsverfahren gegen den Arbeitgeber ergehenden Verwaltungsakte (das umfasst auch einer Steuerfestsetzung gleichstehende Lohnsteuer-Anmeldungen des Arbeitgebers oder gegen diesen ergangene Steuer- oder Haftungsbescheide über Lohnsteuer) mit dem Einspruch anfechten, soweit den Arbeitnehmer betreffende Lohnsteuerbeträge strittig sind.6 Entsprechendes gilt für andere Fälle einer Verpflichtung zum Steuerabzug, z.B. zur Einbehaltung von Kapitalertragsteuer7 und zum Steuerabzug nach § 50a EStG.

8.304

Obwohl § 360 AO keine Regelung entsprechend § 40 Abs. 3 FGO enthält, ist ein Steuergläubiger (z.B. eine Gemeinde hinsichtlich der Gewerbesteuer und der Grundsteuer oder eine kirchensteuerberechtigte Körperschaft) grds. nicht befugt, von den Finanzbehörden erlassene Verwaltungsakte anzufechten. § 40 Abs. 3 FGO ist im Einspruchsverfahren entsprechend an-

8.305

1 2 3 4 5 6

Szymczak in eKommentar AO, § 350 Rz. 12, Juli 2020. BFH v. 7.11.2000 – III R 23/98, BStBl II 2001, 338. Szymczak in eKommentar AO, § 350 Rz. 4, Juli 2020. Vgl. BFH v. 15.3.2012 – III R 96/07, BStBl II 2012, 719. Vgl. BFH v. 6.12.1991 – III R 81/89, BStBl II 1992, 303. BFH v. 12.10.1995 – I R 39/95, BStBl II 1996, 87; BFH v. 3.7.2019 – VI R 37/16, BStBl II 2020, 241. 7 BFH v. 12.12.2012 – I R 27/12, BStBl II 2013, 682 und v. 20.11.2018 – VIII R 45/15, BStBl II 2019, 306.

Baum | 529

Kap. 8 Rz. 8.305 | Verfahrensrecht

zuwenden.1 Demzufolge ist eine Gemeinde nur dann befugt, einen Verwaltungsakt anzufechten, wenn der Bund oder das Land die Abgabe oder einen Teil der Abgabe unmittelbar oder mittelbar schulden würde, z.B. wenn ein Finanzamt einen Gewerbesteuermessbetrag für einen Gewerbebetrieb festsetzt, dessen Eigentümer die Gemeinde ist und das Land, dem das Finanzamt angehört, die Abgabe oder einen Teil der Abgabe mittelbar schulden würde. Diese Einschränkung der Anfechtungsbefugnis ist verfassungsgemäß.2

8.306

Im Zerlegungs- und im Zuteilungsverfahren sind die Gemeinden Beteiligte am Verfahren (§ 186 Nr. 2, § 190 Satz 2 AO) und daher insoweit anfechtungsbefugt.

8.307

Die Beschwer muss schon bei der Einlegung des Einspruchs geltend gemacht werden. Für die Zulässigkeit des Einspruchs ist es allerdings unschädlich, wenn die Beschwer während des Einspruchsverfahrens entfällt.

IV. Bindungswirkung anderer Verwaltungsakte 1. Anfechtungsbeschränkung bei Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsakts 8.308

Verwaltungsakte, die unanfechtbare Verwaltungsakte ändern, können nach § 351 Abs. 1 AO nur insoweit angegriffen werden, wie die Änderung reicht. Diese Anfechtungsbeschränkung gilt aber dann nicht, wenn sich aus den Vorschriften über die Aufhebung und Änderung von Verwaltungsakten (§ 129 sowie §§ 172 ff. AO) etwas anderes ergibt. Die Anfechtungsbeschränkung gilt außerdem nicht für Verwaltungsakte, die nach §§ 130 oder 131 AO zurückgenommen oder widerrufen werden (z.B. Haftungsbescheide).

8.309

Unanfechtbarkeit liegt vor, wenn der Verwaltungsakt nicht mehr mit den förmlichen Rechtsbehelfen der AO (Einspruch) oder der FGO (Klage, Nichtzulassungsbeschwerde, Revision) angegriffen werden kann, z.B., weil innerhalb der Einspruchsfrist nicht form- und fristgerecht Einspruch eingelegt wurde, weil nach Erlass einer Einspruchsentscheidung keine Klage erhoben wurde oder weil über den Verwaltungsakt durch ein rechtskräftiges Urteil eines Finanzgerichts oder durch ein Urteil des BFH entschieden wurde.

2. Anfechtungsbeschränkung bei Folgebescheiden 8.310

Entscheidungen in einem Grundlagenbescheid (vgl. § 171 Abs. 10 AO) können nach § 351 Abs. 2 AO nur durch Anfechtung dieses Grundlagebescheids, aber nicht (ggf. zusätzlich) durch Anfechtung des Folgebescheides angegriffen werden. Grundlagenbescheide sind nicht nur Feststellungsbescheide nach den §§ 179 ff. AO, sondern auch Messbescheide und Zerlegungsbescheide. Aber auch Verwaltungsakte, die von Behörden außerhalb der Finanzverwaltung erlassen werden, können nach den Einzelsteuergesetzen Grundlagenbescheide sein.

8.311

§ 351 Abs. 2 AO hindert einen Steuerpflichtigen allerdings nicht daran, in einem Einspruch gegen den Folgebescheid geltend zu machen, der Grundlagenbescheid sei, z.B. wegen eines Bekanntgabemangels, nicht wirksam geworden.3 1 Vgl. Bartone in Gosch, § 350 AO Rz. 28, Juni 2019. 2 BFH v. 17.10.2001 – I B 6/01, BStBl II 2002, 91, und v. 21.6.2017 – IV B 8/16, BFH/NV 2017, 1323. 3 BFH v. 20.12.2000 – I R 50/00, BStBl II 2001, 381 und v. 6.3.2013 – X B 14/13, BFH/NV 2013, 956.

530 | Baum

K. Einspruchsverfahren | Rz. 8.318 Kap. 8

Ein Einspruch gegen einen Folgebescheid, mit dem lediglich Einwendungen gegen einen wirksam ergangenen Grundlagenbescheid geltend gemacht werden, ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH1 und nach Ansicht der Finanzverwaltung (Anwendungserlass zu § 351 AO, Nr. 4) unbegründet, nicht unzulässig.2

8.312

V. Einspruchsbefugnis in Ausnahmefällen §§ 352 und 353 AO enthalten Sonderregelungen zur Einspruchsbefugnis bei einer gesonderten und einheitlichen Feststellung (§ 179 Abs. 2 Satz 2 AO) sowie bei Feststellungsbescheiden, Grundsteuermessbescheiden oder Zerlegungs- oder Zuteilungsbescheiden über einen Grundsteuermessbetrag, die gegenüber dem Rechtsnachfolger ohne Bekanntgabe wirken.

8.313

VI. Einspruchsverzicht Nach § 354 Abs. 1 Satz 1 AO kann auf die Einlegung eines Einspruchs nach Erlass des Verwaltungsakts verzichtet werden. Dieser Einspruchsverzicht kann auch im Fall der Abgabe einer Steueranmeldung für den Fall ausgesprochen werden, dass die Steuer nicht abweichend von der Steueranmeldung festgesetzt wird (§ 353 Abs. 1 Satz 2 AO).

8.314

Durch die Abgabe einer solchen, nur unter Einhaltung der strengen Voraussetzungen des § 354 Abs. 2 AO wirksamen Willenserklärung kann der Steuerpflichtige auf den grundgesetzlich garantierten Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) gegen einen bestimmten Verwaltungsakt, allerdings nur vor Einlegung eines Einspruchs, verzichten. Ein teilweiser Einspruchsverzicht ist nicht möglich. Nach Einlegung eines Einspruchs kann ein Rechtsbehelfsverzicht nur noch durch dessen Rücknahme nach § 362 AO erfolgen.

8.315

Ein wirksam gegen einen bestimmten Verwaltungsakt erklärter Einspruchsverzicht führt sofort zu dessen Unanfechtbarkeit und somit zu seiner formellen Bestandskraft gegenüber dem Verzichtenden. Ein nach Wirksamwerden der Verzichtserklärung eingelegter Einspruch gegen den nämlichen Verwaltungsakt ist daher auch unzulässig, nicht unbegründet (§ 354 Abs. 1 Satz 3 AO).

8.316

§ 354 Abs. 1a AO enthält eine Sonderregelung zum Einspruchsverzicht nach Erlass des Verwaltungsakts bei Verständigungs- oder Schiedsverfahren nach einem Vertrag im Sinne des § 2 AO (insbesondere einem Doppelbesteuerungsabkommen). Nach § 354 Abs. 1b Satz 1 AO3 kann bereits vor Erlass des Verwaltungsakts auf die Einlegung eines Einspruchs verzichtet werden, soweit durch den Verwaltungsakt eine Verständigungsvereinbarung oder ein Schiedsspruch nach einem Vertrag im Sinne des § 2 AO zutreffend umgesetzt wird. Für Vorabverständigungsverfahren enthält der zeitgleich eingeführte § 89a Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AO eine entsprechende Regelung.

8.317

VII. Einspruchsfrist und Rechtsbehelfsbelehrung 8.318

§§ 355 und 356 AO regeln Beginn und Dauer der Einspruchsfrist wie folgt: – Die Einspruchsfrist beginnt grds. mit Ablauf des Tages der Bekanntgabe des Verwaltungsakts. 1 Vgl. z.B.: BFH v. 27.6.2018 – I R 13/16, BStBl II 2019, 632. 2 A.A.: Bartone in Gosch, § 351 AO Rz. 22, August 2019; Seer in T/K, § 351 AO Rz. 54, Februar 2021. 3 Eingefügt durch das Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz v. 2.6.2021, BGBl. I, S. 1259.

Baum | 531

Kap. 8 Rz. 8.318 | Verfahrensrecht

– Ergeht ein Verwaltungsakt aber schriftlich oder elektronisch, beginnt die Einspruchsfrist nur dann, wenn der Beteiligte über den Einspruch und die Finanzbehörde, bei der er einzulegen ist, deren Sitz und die einzuhaltende Frist in der für den Verwaltungsakt verwendeten Form belehrt worden ist (§ 356 Abs. 1 AO). – Bei Steueranmeldungen beginnt die Einspruchsfrist grds. mit Ablauf des Tages des Eingangs der Steueranmeldung bei der Finanzbehörde; handelt es sich um eine zustimmungsbedürftige Steueranmeldung (vgl. § 168 Satz 2 AO), beginnt die Einspruchsfrist mit Ablauf des Tages des Bekanntwerdens der Zustimmung. – Die Einspruchsfrist beträgt grds. einen Monat. – Ist die Rechtsbehelfsbelehrung im Verwaltungsakt unterblieben oder wurde sie unrichtig erteilt, ist die Einlegung des Einspruchs grds. nur binnen eines Jahres seit Bekanntgabe des Verwaltungsakts zulässig. Diese Jahresfrist verlängert sich allerdings, wenn die Einlegung eines Einspruchs vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war oder schriftlich oder elektronisch darüber belehrt wurde, dass ein Einspruch nicht gegeben sei. – Ein Untätigkeitseinspruch nach § 347 Abs. 1 Satz 2 AO ist unbefristet.

8.319

Zur Wahrung der Einspruchsfrist ist es erforderlich, dass der Einspruch bis 24 Uhr des Tages, an dem die Einspruchsfrist abläuft, der zuständigen Finanzbehörde zugeht, d.h. in ihren Machtbereich gelangt. Der Einwurf in den Nachtbriefkasten der Finanzbehörde ist ausreichend, wenn er vor 24 Uhr erfolgt. Ist kein Nachbriefkasten vorhanden oder der Zeitmechanismus des Nachtbriefkastens defekt, darf dem Steuerpflichtigen hieraus kein Nachteil erwachsen; die bei Dienstbeginn vorgefundene Post ist mit dem Eingangsstempel des vorausgegangenen Werktags zu versehen.1

8.320

Für den rechtzeitigen Zugang trägt der Einspruchsführer die Feststellungslast; dabei kommt dem Einspruchsführer weder ein Anscheinsbeweis noch eine Zugangsfiktion zugute.2

8.321

Wird der Einspruch nicht innerhalb der Einspruchsfrist eingelegt, wird der angefochtene Verwaltungsakt mit Fristablauf unanfechtbar. Der verspätet eingelegte Einspruch ist, sofern nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist (vgl. § 110 AO), durch Einspruchsentscheidung als unzulässig zu verwerfen.

VIII. Einlegung des Einspruchs, Rücknahme des Einspruchs 8.322

§ 357 AO bestimmt, in welcher Form und bei welcher Behörde ein Einspruch einzulegen ist. Ferner regelt die Vorschrift, welchen Inhalt ein Einspruch haben soll. Werden die Vorschriften zur Form und zum Adressaten des Einspruchs nicht eingehalten, ist der Einspruch unzulässig. Werden dagegen lediglich die Sollvorschriften zum Inhalt des Einspruchs nicht beachtet, führt dies für sich allein nicht zur Unzulässigkeit des Einspruchs.3

1. Form 8.323

Der Einspruch muss schriftlich oder elektronisch eingereicht oder zur Niederschrift erklärt werden (§ 357 Abs. 1 Satz 1 AO). Elektronische Einlegung setzt nicht die Verwendung einer 1 Werth in Gosch, § 355 AO Rz. 24, Mai 2018. 2 BFH v. 24.7.2008 – VII B 41/08; v. 21.9.2007 – IX B 79/07, BFH/NV 2008, 22 und v. 15.10.1998 – IV B 5/98, BFH/NV 1999, 585. 3 Szymczak in eKommentar AO, § 357 AO Rz. 1, August 2020.

532 | Baum

K. Einspruchsverfahren | Rz. 8.332 Kap. 8

qualifizierten elektronischen Signatur voraus, eine einfache E-Mail reicht, sofern die Finanzbehörde hierfür einen Zugang eröffnet hat. Das Verfahren ELSTER ermöglicht ebenfalls die elektronische Einlegung eines Einspruchs.

8.324

Ein Einspruch, der nicht formgerecht erhoben wurde, ist unzulässig.

2. Inhalt und Bezeichnung Aus dem Einspruch muss hervorgehen, wer ihn eingelegt hat. Eine Unterschrift ist also nicht erforderlich.

8.325

Eine unrichtige Bezeichnung des Einspruchs (z.B. als Widerspruch) schadet nicht.

8.326

Ein Einspruch darf nicht unter einer Bedingung einlegt werden; vorsorglich eingelegte Einsprüche sind aber zulässig.

8.327

Bei Einlegung des Einspruchs soll (also nicht „muss“) der Verwaltungsakt bezeichnet werden, gegen den der Einspruch gerichtet ist. Außerdem soll angegeben werden, inwieweit der Verwaltungsakt angefochten und seine Aufhebung beantragt wird. Letztlich sollen auch die Tatsachen, die zur Begründung dienen, und die Beweismittel angeführt werden. Verstöße gegen diese Sollvorschriften führen nicht zur Unzulässigkeit des Einspruchs, schränken aber ggf. die Ermittlungspflicht der Finanzbehörde ein.

8.328

Der Einspruch ist – soweit erforderlich – auszulegen oder in einen Einspruch gegen den zutreffenden Verwaltungsakt umzudeuten. Hierbei ist davon auszugehen, dass der Einspruchsführer denjenigen Verwaltungsakt anfechten will, der angefochten werden muss, um den erkennbar angestrebten Erfolg zu erreichen.1 Ficht der Steuerpflichtige verbundene Bescheide unter bloßer Wiedergabe der „Bescheidbezeichnung“ an, ohne zunächst konkrete Einwendungen gegen einen bestimmten Verwaltungsakt zu erheben, können bei der Auslegung des Einspruchsbegehrens auch spätere Begründungen herangezogen werden.2

8.329

3. Adressat Der Einspruch ist grds. bei der Finanzbehörde anzubringen, deren Verwaltungsakt angefochten wird oder bei der ein (bislang erfolgloser) Antrag auf Erlass eines Verwaltungsakts gestellt worden ist.

8.330

Richtet sich der Einspruch aber gegen die Feststellung von Besteuerungsgrundlagen oder gegen die Festsetzung eines Steuermessbetrags, kann er auch bei der zur Erteilung des (Folge-) Steuerbescheids zuständigen Behörde angebracht werden. Unerheblich ist dann, wann der weiterzuleitende Einspruch bei der für den Grundlagenbescheid zuständigen Finanzbehörde eingeht.

8.331

Eine Regelung für den umgekehrten Fall besteht allerdings nicht. Ein Einspruch gegen einen Folgebescheid kann daher nicht bei der für den Grundlagenbescheid zuständigen Finanzbehörde eingelegt werden.3 In diesem Fall ist der Einspruch nur fristgerecht eingelegt, wenn er

8.332

1 BFH v. 8.5.2008 – VI R 12/05, BStBl II 2009, 116. 2 BFH v. 29.10.2019 – IX R 4/19, BStBl II 2020, 368. 3 Szymczak in eKommentar AO, § 357 AO Rz. 9, August 2020; Seer in T/K, § 357 AO Rz. 24, Februar 2021.

Baum | 533

Kap. 8 Rz. 8.332 | Verfahrensrecht

an die für den Folgebescheid zuständige Finanzbehörde weitergeleitet wird und dort vor Fristablauf eingeht.

8.333

Ein Einspruch, der sich gegen einen Verwaltungsakt richtet, den eine Behörde auf Grund gesetzlicher Vorschrift für die zuständige Finanzbehörde erlassen hat, kann auch bei der zuständigen Finanzbehörde angebracht werden.

8.334

Die schriftliche oder elektronische Anbringung eines Einspruchs bei einer anderen als der nach den vorstehenden Grundsätzen regulär zuständigen Finanzbehörde ist dann unschädlich, wenn der Einspruch vor Ablauf der Einspruchsfrist der regulär zuständigen Finanzbehörde übermittelt wird. Der BFH hat es in seinem Urteil1 offen gelassen, ob zur Fristwahrung die rechtzeitige Absendung durch die unzuständige Finanzbehörde ausreicht oder ob es auf den Zugangszeitpunkt bei der regulär zuständigen Finanzbehörde ankommt.

IX. Prüfung der Zulässigkeit des Einspruchs 8.335

Die zur Entscheidung über den Einspruch berufene Finanzbehörde hat nach § 358 Satz 1 AO zu prüfen, ob der Einspruch zulässig, insbesondere in der vorgeschriebenen Form und Frist (vgl. §§ 355–357 AO) eingelegt worden ist. Ist eines dieser Erfordernisse nicht erfüllt, ist der Einspruch als unzulässig zu verwerfen (§ 358 Satz 2 AO). Sollvorschriften enthalten keine Zulässigkeitsvoraussetzungen, ihre Verletzung führt folglich nicht zur Unzulässigkeit des Einspruchs.

8.336

Nur ein zulässiger Einspruch kann zu einer – ggf. anderen – Sachentscheidung über den angefochtenen Verwaltungsakt führen, ggf. sogar dazu, dem Einspruch ganz oder teilweise abzuhelfen. Insbesondere ist die Finanzbehörde nur bei einem zulässigen Einspruch verpflichtet, die Sache in vollem Umfang erneut zu prüfen (§ 367 AO). Nur bei einem zulässigen Einspruch ist die Finanzbehörde befugt, den Verwaltungsakt zum Nachteil des Einspruchsführers zu ändern (Verböserung nach § 367 AO). Außerdem ermöglicht grds. nur ein zulässiger Einspruch eine Aussetzung der Vollziehung (§ 361 AO).

X. Beteiligte und Hinzugezogene 8.337

Beteiligte am Verfahren sind nach § 359 AO, (immer) wer den Einspruch eingelegt hat (Einspruchsführer) und (ggf.) wer zum Verfahren hinzugezogen worden ist. Diese Beteiligten können sich im Einspruchsverfahren auch durch Bevollmächtigte vertreten lassen (§ 80 i.V.m. § 365 Abs. 1 AO). Diese sind dann gewillkürte Vertreter der Beteiligten, nicht aber selbst Beteiligte. Die zur Entscheidung über den Einspruch berufene Finanzbehörde ist ebenfalls nicht Beteiligte.

8.338

Wer nach § 360 Abs. 1 oder 3 AO zum Einspruchsverfahren hinzugezogen worden ist, kann dieselben Rechte geltend machen wie derjenige, der den Einspruch eingelegt hat (§ 360 Abs. 4 AO).

8.339

Die zuständige Finanzbehörde kann (nicht „muss“) nach § 360 Abs. 1 AO – von Amts wegen oder auf Antrag – Dritte zum Einspruchsverfahren hinzuziehen, deren rechtliche Interessen nach den Steuergesetzen durch die Einspruchsentscheidung berührt werden, insbesondere solche, die nach den Steuergesetzen neben dem Steuerpflichtigen haften. Vor einer solchen Hinzuziehung eines Dritten ist aber derjenige zu hören, der den Einspruch eingelegt hat. 1 BFH v. 28.4.2020 – VI R 41/17, BStBl II 2020, 531.

534 | Baum

K. Einspruchsverfahren | Rz. 8.344 Kap. 8

Wird eine Abgabe für einen anderen Abgabenberechtigten verwaltet, kann dieser nach § 360 Abs. 2 AO nicht deshalb hinzugezogen werden, weil seine Interessen als Abgabenberechtigter durch die Einspruchsentscheidung berührt werden. So ist z.B. die Hinzuziehung einer Kirche zu einem Einspruchsverfahren gegen einen vom Finanzamt erlassenen Kirchensteuerbescheid oder der Gemeinde zum Einspruchsverfahren gegen einen Gewerbesteuer- oder GrundsteuerMessbescheid ausgeschlossen. Eine Hinzuziehung der Gemeinde ist allerdings dann geboten, wenn in einem Gewerbesteuermessbetragsverfahren um einen Zerlegungsanteil einer Gemeinde oder um eine Zuteilung gestritten wird.1

8.340

Sind an dem im Einspruchsverfahren streitigen Rechtsverhältnis Dritte derart beteiligt, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann, so müssen (nicht „können“) sie nach § 360 Abs. 3 AO hinzugezogen werden. Dies ist der Fall, wenn die im Einspruchsverfahren zu treffende Entscheidung nach Maßgabe des materiellen Steuerrechts notwendigerweise und unmittelbar Rechte oder Rechtsbeziehungen des Dritten gestaltet, bestätigt, verändert oder zum Erlöschen bringt.2 Die Pflicht zur Hinzuziehung gilt aber nicht für Mitberechtigte, die nach § 352 AO nicht befugt sind, Einspruch einzulegen.

8.341

XI. Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung im Einspruchsverfahren 1. Grundsatz: angefochtener Verwaltungsakt bleibt vollziehbar Durch Einlegung eines Einspruchs wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts grds. nicht gehemmt, insbesondere die Erhebung einer Abgabe nicht aufgehalten (§ 361 Abs. 1 Satz 1 AO). Gleiches gilt bei der Anfechtung von Grundlagenbescheiden für die darauf beruhenden Folgebescheide (§ 361 Abs. 1 Satz 2 AO). Folglich muss die festgesetzte Steuer trotz Einlegung eines (zulässigen) Einspruchs grds. bei Fälligkeit geleistet sein, ansonsten tritt Zahlungssäumnis i.S.d. § 240 AO ein. Der Grundsatz, dass ein Einspruch den Vollzug eines Verwaltungsakts nicht hemmt, gilt allerdings nicht, wenn die Finanzbehörde, das Finanzgericht oder der BFH die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts ausgesetzt hat. Voraussetzung für eine Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts dabei, dass der Einspruch zulässig und nicht zurückgenommen worden und auch noch nicht über ihn entschieden ist. Ist der angefochtene Verwaltungsakt bereits vollzogen, kann unter den gleichen Voraussetzungen die Vollziehung aufgehoben werden.

8.342

2. Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung von Amts wegen Die Finanzbehörde, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat oder die nachträglich für das Besteuerungsverfahren zuständig geworden ist, kann (nicht „muss“ oder „soll“) im Einspruchsverfahren die Vollziehung aber nach § 361 Abs. 2 Satz 1 und 3 ganz oder teilweise aussetzen oder aufheben. Eine Aussetzung der Vollziehung gegen den erklärten Willen des Steuerpflichtigen dürfte aber i.d.R. ermessenswidrig sein.

8.343

3. Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung auf Antrag Auf formlosen Antrag soll (d.h. grds. „muss“) die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung erfolgen (§ 361 Abs. 2 Satz 2 AO), wenn

1 BFH v. 14.2.2012 – I B 50/11, BFH/NV 2012, 920. 2 BFH v. 19.12.2007 – I R 111/05, BStBl II 2008, 536.

Baum | 535

8.344

Kap. 8 Rz. 8.344 | Verfahrensrecht

– ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen und vollziehbaren Verwaltungsakts bestehen oder – die Vollziehung für die betroffene Person eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

8.345

Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts liegen vor, wenn eine summarische Prüfung ergibt, dass neben den für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Gründen gewichtige gegen seine Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken. Die für die Unrechtmäßigkeit des Verwaltungsakts sprechenden Gründe müssen nicht überwiegen, d.h. ein Erfolg des Stpfl. muss nicht wahrscheinlicher sein als ein Misserfolg.1 Auch Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit einer von der Finanzbehörde angewandten Rechtsnorm können zu einer Aussetzung der Vollziehung führen. Äußerungen im Schrifttum begründen aber für sich allein noch keine ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit einer Norm.2

8.346

Richtet sich ein Rechtsbehelf allerdings nicht gegen einen Verwaltungsakt (sondern z.B. gegen einen sogen. Realakt oder auf Erlass eines bisher abgelehnten Verwaltungsakts) oder gegen einen nicht vollziehbaren Verwaltungsakt, kommt als Maßnahme des vorläufigen Rechtsschutzes nur die einstweilige Anordnung durch das Finanzgericht in Betracht.

4. Beschränkung der Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung bei Steuerbescheiden 8.347

Bei Steuerbescheiden ist die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung nach § 361 Abs. 2 Satz 4 AO grds. auf die festgesetzte Steuer, vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge, um die anzurechnende Körperschaftsteuer und um die festgesetzten Vorauszahlungen (Unterschiedsbetrag), beschränkt. Diese Beschränkung gilt allerdings nicht, wenn die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

5. Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung nach Sicherheitsleistung 8.348

Die Aussetzung kann von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden (Ermessensentscheidung). Eine Sicherheitsleistung ist grundsätzlich geboten, wenn die wirtschaftliche Lage des Einspruchsführers die Steuerforderung als gefährdet erscheinen lässt.3 Wird der Einspruch aber mit Gewissheit oder großer Wahrscheinlichkeit erfolgreich sein, darf eine Sicherheitsleistung nicht gefordert werden.4 Eine Sicherheitsleistung darf auch nicht gefordert werden, wenn die wirtschaftlichen Verhältnisse des Stpfl. eine Sicherheitsleistung nicht zuzulassen und „ernstliche Zweifel“ vorliegen.5 Außerdem kann die Forderung nach einer Sicherheitsleistung ermessensfehlerhaft sein, wenn ein verhältnismäßig geringer Steuerbetrag strittig ist.6

1 2 3 4

Grundlegend: BFH v. 10.2.1967 – III B 9/66, BStBl III 1967, 182; st. BFH-Rspr. BFH v. 30.3.2011 – I B 136/10, HFR 2011, 630. Vgl. z.B. BFH v. 18.7.2012 – X S 19/12, BFH/NV 2012, 2008. BFH v. 10.2.2010 – V S 24/09, BFH/NV 2010, 930 und v. 19.2.2010 – II B 122/09, BFH/NV 2010, 1144. 5 Vgl. z.B. BFH v. 18.2.2015 – V S 19/14, BFH/NV 2015, 866. 6 Vgl. BFH v. 24.10.2017 – VII B 99/17, ZfZ 2018, 207.

536 | Baum

K. Einspruchsverfahren | Rz. 8.355 Kap. 8

6. Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung eines Folgebescheids Soweit die Vollziehung eines Grundlagenbescheides ausgesetzt wird, ist nach § 361 Abs. 3 Satz 1 AO auch die Vollziehung des Folgebescheides auszusetzen. Der Erlass eines Folgebescheides bleibt in diesem Fall – nicht zuletzt zur Wahrung der Festsetzungsfrist – gleichwohl zulässig und sogar geboten.

8.349

Über eine Sicherheitsleistung ist in diesem Fall erst bei der Aussetzung eines Folgebescheides zu entscheiden. Wurde allerdings bei der Aussetzung der Vollziehung des Grundlagenbescheides die Sicherheitsleistung ausdrücklich ausgeschlossen, darf die Aussetzung der Vollziehung des Folgebescheides nicht von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden.

8.350

7. Rechtsbehelf bei Ablehnung der Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung Gegen die (vollständige oder teilweise) Ablehnung der Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung kann das Finanzgericht nur durch einen Antrag nach § 69 Abs. 3 und 5 Satz 3 FGO angerufen werden. Eine Klage auf Gewährung der Aussetzung der Vollziehung durch die Finanzbehörde ist ausgeschlossen.

8.351

XII. Aussetzung und Ruhen des Verfahrens Unter Umständen kann es zweckmäßig sein, über einen eingelegten Einspruch vorerst nicht zu entscheiden, sondern zunächst den Ausgang eines anderen Verfahrens abzuwarten. § 363 AO enthält deshalb Regelungen für eine Aussetzung des Einspruchsverfahrens und für ein Ruhen des Einspruchsverfahrens. Außerdem sind auch im Einspruchsverfahren zivilrechtliche Regelungen zur Verfahrensunterbrechung sinngemäß anwendbar.

8.352

1. Verfahrensaussetzung Die zur Entscheidung über den Einspruch berufene Finanzbehörde kann die Entscheidung über den Einspruch nach § 363 Abs. 1 AO aussetzen, wenn diese ganz oder zum Teil vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einem Gericht oder einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist. Die abzuwartende Entscheidung eines Gerichts oder einer Behörde muss vorgreiflich für die Entscheidung über den Einspruch, nicht aber unbedingt auch bindend i.S. eines Grundlagenbescheids (§ 171 Abs. 10 AO) sein.

8.353

2. Ruhen des Einspruchsverfahrens a) Einvernehmliche Verfahrensruhe Die Finanzbehörde kann (nicht „muss“) das Einspruchsverfahren nach § 363 Abs. 2 Satz 1 AO ruhen lassen, wenn dies aus wichtigen Gründen zweckmäßig erscheint und der Einspruchsführer zustimmt. Ein solcher wichtiger Grund kann z.B. vorliegen, wenn die Entscheidung in einem erst bei einem Finanzgericht anhängigen Musterprozess abgewartet werden soll oder wenn der Einspruchsführer die Steuerfestsetzung für einen anderen Veranlagungszeitraum mit der Klage angefochten hat und im anhängigen Einspruchsverfahren dieselbe Rechtsfrage strittig ist.

8.354

Für die Zustimmung des Einspruchsführers ist keine besondere Form vorgeschrieben. Aus Gründen der Klarheit sollte sie aber schriftlich oder elektronisch erteilt werden (vgl. Anwen-

8.355

Baum | 537

Kap. 8 Rz. 8.355 | Verfahrensrecht

dungserlass zu § 363 AO, Nr. 1). Eine Zustimmung eines Hinzugezogenen ist allerdings nicht erforderlich.

8.356

Die (Ermessens-)Entscheidung über die Verfahrensruhe nach § 363 Abs. 2 Satz 1 AO ist durch Verwaltungsakt bekanntzugeben. b) Zwangsruhe

8.357

Ist wegen der Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsnorm oder wegen einer Rechtsfrage ein Verfahren bei dem Gerichtshof der Europäischen Union, dem BVerfG oder einem obersten Bundesgericht (insbes. dem BFH) anhängig und wird der Einspruch hierauf gestützt, ruht das Einspruchsverfahren nach § 363 Abs. 2 Satz 2 AO insoweit. Dieses Gerichtsverfahren muss von präjudizieller Bedeutung sein und somit auch eine in dem Verfahren des Einspruchsführers entscheidungserhebliche Rechtsfrage betreffen.1 Präjudiziell kann dieses Gerichtsverfahren aber nur sein, wenn der Einspruch auch zulässig ist.

8.358

Dies gilt allerdings nicht, soweit nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 oder Nr. 4 AO die Steuer vorläufig festgesetzt wurde. Denn dem Rechtsschutzinteresse des Steuerpflichtigen wird in diesem Fall bereits durch den Vorläufigkeitsvermerk hinreichend Rechnung getragen. Etwas anderes gilt nur, wenn der Steuerpflichtige gegen den vorläufigen Steuerbescheid Einspruch eingelegt hat, um Aussetzung der Vollziehung erlangen zu können.

8.359

Die gesetzliche Aufzählung der Gerichte ist abschließend. Eine Verfahrensruhe kraft Gesetzes tritt somit nicht ein, wenn der Einspruchsführer sich auf ein bei einem Finanzgericht, bei dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) oder bei dem Gericht der Europäischen Union (EuG; frühere Bezeichnung: Gericht Erster Instanz) anhängiges Verfahren beruft.

8.360

Die Verfahrensruhe nach § 363 Abs. 2 Satz 2 AO tritt kraft Gesetzes ein, wenn die gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind. Anders als in den Fällen einer Verfahrensaussetzung oder einer Verfahrensruhe nach § 363 Abs. 2 Satz 1 oder Satz 3 AO ist die Verfahrensruhe deshalb auch nicht durch einen Verwaltungsakt anzuordnen.

8.361

Die Verfahrensruhe endet, ohne dass es einer Fortsetzungsmitteilung nach § 363 Abs. 2 Satz 4 AO bedarf, sobald die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zwangsruhe nicht mehr vorliegen. Sie endet folglich, wenn das Gerichtsverfahren, auf das sich der Einspruchsführer berufen hat, abgeschlossen ist. c) Verfahrensruhe nach Allgemeinverfügung

8.362

Mit Zustimmung der obersten Finanzbehörde kann durch öffentlich bekannt zu gebende Allgemeinverfügung für bestimmte Gruppen gleichgelagerter Fälle angeordnet werden, dass Einspruchsverfahren insoweit auch in anderen als den vorgenannten Fällen ruhen (§ 363 Abs. 2 Satz 3 AO). d) Fortsetzung des Einspruchsverfahrens

8.363

Das Einspruchsverfahren ist nach § 363 Abs. 2 Satz 4 AO allerdings fortzusetzen, wenn der Einspruchsführer dies beantragt oder die Finanzbehörde dies dem Einspruchsführer mitteilt. 1 BFH v. 26.9.2006 – X R 39/05, BStBl II 2007, 222.

538 | Baum

K. Einspruchsverfahren | Rz. 8.370 Kap. 8

Dies gilt für sämtliche Fälle der Verfahrensruhe, somit auch für eine Zwangsruhe nach § 363 Abs. 2 Satz 2 AO.1 Eine solche Fortsetzungsmitteilung ist nur erforderlich, wenn die Voraussetzungen für eine Verfahrensruhe weiterhin erfüllt sind, die Finanzbehörde das Einspruchsverfahren gleichwohl fortführen möchte (Ermessensentscheidung), nicht aber wenn die Voraussetzungen für eine Verfahrensruhe entfallen sind.

8.364

Der Steuerpflichtige muss seinen Antrag auf Verfahrensfortsetzung nicht begründen, wohl aber die Finanzbehörde eine von ihr erlassene Fortsetzungsmitteilung.2

8.365

3. Rechtsbehelf bei Ablehnung oder Widerruf Lehnt die Finanzbehörde den Antrag auf Aussetzung oder Ruhen des Verfahrens ab oder hat sie die Aussetzung oder das Ruhen des Verfahrens widerrufen, kann der Einspruchsführer die Rechtswidrigkeit der Ablehnung oder des Widerrufs nur durch Klage gegen die Einspruchsentscheidung geltend machen (§ 363 Abs. 3 AO). Gleiches gilt, wenn die Finanzbehörde dem Einspruchsführer nach § 363 Abs. 2 Satz 4 AO die Fortsetzung eines bisher ruhenden Einspruchsverfahrens mitgeteilt hat, da die Fortsetzungsmitteilung in ihren Wirkungen einem Widerruf der Verfahrensruhe gleichsteht.3

8.366

XIII. Weitere Verfahrensvorschriften im Einspruchsverfahren 1. Offenlegung der Besteuerungsunterlagen Den Beteiligten des Einspruchsverfahrens (Einspruchsführer und Hinzugezogene) sind, soweit noch nicht geschehen, die Unterlagen der Besteuerung auf Antrag oder, wenn die Begründung des Einspruchs dazu Anlass gibt, von Amts wegen offenzulegen (§ 364 AO). Die Finanzbehörde kann dazu auch Akteneinsicht gewähren, wobei Verhältnisse Dritter zu schützen sind (vgl. Anwendungserlass zu § 364 AO, Satz 2).

8.367

2. Erörterung des Sach- und Rechtsstands Auf (formlosen) Antrag eines Einspruchsführers (nicht eines Hinzugezogenen) soll die Finanzbehörde vor Erlass einer Einspruchsentscheidung – zur Gewährung rechtlichen Gehörs – den Sach- und Rechtsstand mit ihm erörtern (§ 364a Abs. 1 Satz 1 AO). Weitere Beteiligte (andere Einspruchsführer oder Hinzugezogene) können hierzu geladen werden, wenn die Finanzbehörde dies für sachdienlich hält (§ 364a Abs. 1 Satz 2 AO).

8.368

Außerdem darf die Finanzbehörde auch ohne Antrag eines Einspruchsführers diesen und weitere Beteiligte zu einer Erörterung des Sach- und Rechtsstands laden (§ 364a Abs. 1 Satz 3 AO).

8.369

Die Finanzbehörde kann aber von einer beantragten mündlichen Erörterung absehen, wenn diese mit mehr als zehn Beteiligten geführt werden müsste und diese Beteiligten keinen gemeinsamen Vertreter bestellt haben (§ 364a Abs. 2 AO).

8.370

1 BFH v. 26.9.2006 – X R 39/05, BStBl II 2007, 222. 2 Szymczak in eKommentar AO, § 363 AO Rz. 10, April 2020. 3 Szymczak in eKommentar AO, § 363 AO Rz. 13, April 2020.

Baum | 539

Kap. 8 Rz. 8.371 | Verfahrensrecht

8.371

Die bereits nach § 80 Abs. 1 Satz 1 AO bestehende Befugnis, sich durch einen Bevollmächtigten vertreten zu lassen, gilt nach § 364a Abs. 3 Satz 1 AO auch für eine mündliche Erörterung im Einspruchsverfahren. Um Informationen (insbesondere über Sachverhaltsfragen) aus erster Hand zu erlangen, dürfen die Finanzbehörden nach § 364a Abs. 3 Satz 2 AO auch im Fall einer Bevollmächtigung den Beteiligten persönlich laden.

8.372

Die Ladung des Einspruchsführers und ggf. weiterer Personen zur mündlichen Erörterung des Sach- und Rechtsstands kann nach § 364a Abs. 4 AO allerdings nicht erzwungen werden. Das Nichterscheinen zu einer mündlichen Erörterung kann dann aber im Rahmen der Beweiswürdigung zuungunsten des Einspruchsführers ausgelegt werden.1

3. Fristsetzung und Präklusion 8.373

Die Finanzbehörde kann dem Einspruchsführer nach § 364 Abs. 1 AO eine Frist setzen 1. zur Angabe der Tatsachen, durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung er sich beschwert fühlt, 2. zur Erklärung über bestimmte klärungsbedürftige Punkte, 3. zur Bezeichnung von Beweismitteln oder zur Vorlage von Urkunden, soweit er dazu verpflichtet ist.

8.374

Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf der von der Finanzbehörde – unter Hinweis auf die Rechtsfolgen einer Fristverletzung – gesetzten Frist vorgebracht werden, sind nach § 364b Abs. 2 und 3 AO im Einspruchsverfahren nicht zu berücksichtigen (Präklusion nach § 364b Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 AO). Unter den Voraussetzungen des § 110 AO kann dem Einspruchsführer aber Wiedereinsetzung in die versäumte Frist gewährt werden (§ 364b Abs. 2 Satz 3 AO).

8.375

Die Regelung in § 364b AO soll einem Missbrauch des Einspruchsverfahrens zu rechtsbehelfsfremden Zwecken entgegenwirken. Insbesondere soll die Vorschrift die Möglichkeit eindämmen, das Einspruchsverfahren als zusätzliche Möglichkeit der Fristverlängerung für die Abgabe einer Steuererklärung zu nutzen.2 Die Finanzämter sind deshalb angewiesen, von der Möglichkeit einer Fristsetzung nach § 364b AO insbesondere in solchen Einspruchsverfahren Gebrauch zu machen, die einen Schätzungsbescheid wegen Nichtabgabe der Steuererklärung zum Gegenstand haben (Anwendungserlass zu § 364b AO, Nr. 1).

8.376

Unabhängig von einer Präklusion kann die Finanzbehörde den angefochtenen Verwaltungsakt aber auch nach § 367 Abs. 2 Satz 2 AO verbösern (§ 364b Abs. 2 Satz 2 AO).

4. Weitere Verfahrensvorschriften 8.377

Für das Einspruchsverfahren gelten außerdem die Vorschriften sinngemäß, die für den Erlass des angefochtenen oder des begehrten Verwaltungsakts gelten (§ 365 Abs. 1 AO). So sind im Einspruchsverfahren z.B. die folgenden Vorschriften sinngemäß anwendbar: – § 79 AO: Handlungsfähigkeit – § 80 AO: Vertretung durch Bevollmächtigte 1 Werth in Gosch, § 364a AO Rz. 18, November 2018; a.A. Seer in T/K, § 364a AO Rz. 12, Februar 2021. 2 BT-Drucks. 12/7426, 37.

540 | Baum

K. Einspruchsverfahren | Rz. 8.384 Kap. 8

– § 88 AO: Amtsermittlungspflicht der Behörde – § 90 AO: Mitwirkungspflichten der Beteiligten – § 93 AO: Auskunftspflichten der Beteiligten und anderer Personen – § 110 AO: Wiedereinsetzung in den vorigen Stand – § 162 AO: Schätzung von Besteuerungsgrundlagen Bei Einholung mündlicher Auskünfte (§ 93 Abs. 5 AO), bei der mündlichen Erstattung eines Gutachtens (§ 96 Abs. 7 Satz 2 AO), bei Einnahme des Augenscheins (§ 98 AO), beim Betreten von Grundstücken und Räumen (§ 99 AO) und bei der Vorlage von Wertsachen (§ 100 AO) ist den Beteiligten (Einspruchsführer und ggf. Hinzugezogene) und ihren Bevollmächtigten und Beiständen nach § 365 Abs. 2 AO Gelegenheit zu geben, an der Beweisaufnahme teilzunehmen.

8.378

Die Finanzbehörde darf auch nach Einlegung eines (zulässigen) Einspruchs den angefochtenen Verwaltungsakt berichtigen (§ 129 AO), zurücknehmen (§ 130 AO), widerrufen (§ 131 AO) bzw. aufheben oder ändern (§ 164 Abs. 2 und 3, § 165 Abs. 2, §§ 172 ff. AO), wenn die Voraussetzungen einer Korrekturvorschrift der AO oder eines Einzelsteuergesetzes erfüllt sind (vgl. § 132 AO). In diesem Fall wird der neue Verwaltungsakt nach § 365 Abs. 3 AO „automatisch“ Gegenstand des weiterhin anhängigen Einspruchsverfahrens. Ein (erneuter) Einspruch gegen den neuen Verwaltungsakt ist dann unzulässig, aber auch nicht erforderlich.

8.379

§ 365 Abs. 3 AO ist allerdings nicht anwendbar, wenn das Einspruchsverfahren mit dem Erlass des Änderungsbescheids objektiv beendet wird. Dies ist der Fall, wenn das Finanzamt dem Begehren des Steuerpflichtigen, so wie es sich im Zeitpunkt des Erlasses des Änderungsbescheids darstellt, mit diesem Bescheid in vollem Umfang Rechnung trägt.1

8.380

XIV. Einspruchsentscheidung, Abhilfe 1. Zuständigkeit für die Einspruchsentscheidung Über den Einspruch entscheidet nach § 367 Abs. 1 Satz 1 AO grds. die Finanzbehörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, durch Einspruchsentscheidung. Dies gilt sowohl für gebundene Verwaltungsakte (z.B. Steuerbescheide) als auch für Ermessensentscheidungen.

8.381

Ist für den Steuerfall nachträglich eine andere Finanzbehörde zuständig geworden, so entscheidet diese Finanzbehörde (§ 367 Abs. 1 Satz 2 AO). In den Fällen des § 26 Satz 2 AO kann dann aber auch die früher zuständige Finanzbehörde das Einspruchsverfahren abschließen.

8.382

Für die Entscheidung über einen Untätigkeitseinspruch ist in sinngemäßer Anwendung des § 367 Abs. 1 Satz 1 AO die Finanzbehörde zuständig, bei der ein Antrag auf Erlass des Verwaltungsakts gestellt wurde.2

8.383

Richtet sich ein Einspruch gegen einen Verwaltungsakt, den eine Behörde (als „Hilfsstelle“) aufgrund gesetzlicher Vorschrift für die zuständige Finanzbehörde erlassen hat, entscheidet die zuständige Finanzbehörde über den Einspruch (§ 367 Abs. 3 Satz 1 AO). Die „Hilfsstelle“ ist nach § 367 Abs. 3 Satz 2 AO aber berechtigt, dem Einspruch abzuhelfen.

8.384

1 BFH v. 16.10.2019 – X B 99/19, BStBl II 2020, 375. 2 Szymczak in eKommentar AO, § 367 AO Rz. 3, August 2020.

Baum | 541

Kap. 8 Rz. 8.385 | Verfahrensrecht

2. Erneute Prüfung 8.385

Die Finanzbehörde, die über den Einspruch entscheidet, hat die Sache (d.h. die Rechtmäßigkeit des angefochtenen oder erfolglos beantragten Verwaltungsakts) in vollem Umfang erneut zu prüfen (§ 367 Abs. 2 Satz 1 AO). Hierbei ist zunächst die Zulässigkeit und dann erst die Begründetheit des Einspruchs zu prüfen. Die Finanzbehörde ist bei ihrer Prüfung weder an die von ihr bisher vertretene Auffassung noch an Anträge des Einspruchsführers oder eines eventuell Hinzugezogenen gebunden, wohl aber an Weisungen der vorgesetzten Behörden (z.B. in Form von Richtlinien oder BMF-Schreiben).

3. Verböserung 8.386

Stellt die zuständige Finanzbehörde bei der erneuten Überprüfung des Steuerfalls fest, dass ihr im angefochtenen Verwaltungsakt ein Fehler zugunsten des Einspruchsführers unterlaufen ist, darf sie den Verwaltungsakt im Einspruchsverfahren auch zum Nachteil des Stpfl. ändern (sogen. Verböserung), sofern der Einspruch zulässig ist.1 Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass die Finanzbehörde den Einspruchsführer zuvor auf die Möglichkeit einer verbösernden Entscheidung unter Angabe von Gründen hingewiesen und ihm Gelegenheit gegeben hat, sich hierzu zu äußern (§ 367 Abs. 2 Satz 2 AO).

8.387

Gelangt die zuständige Finanzbehörde bei ihrer erneuten Überprüfung des Steuerfalls zum Ergebnis, dass der Einspruch zulässig und ganz oder teilweise begründet ist, hat sie dem Einspruch durch Korrektur des angefochtenen oder Erlass des begehrten Verwaltungsakts abzuhelfen (§ 367 Abs. 2 Satz 3 AO). Insoweit bedarf es keiner Einspruchsentscheidung i.S.d. § 366 AO.

8.388

In Betracht kommen dabei die Vollabhilfe (dann ist das Einspruchsverfahren beendet und eine Klage ausgeschlossen2 oder eine Teilabhilfe (dann ist das Einspruchsverfahren im nicht durch die Teilabhilfe erledigten Umfang noch anhängig)3.

8.389

Der Einspruchsführer kann allerdings nach Erlass eines Teilabhilfebescheids erklären, sein Einspruch habe sich damit erledigt.4 Dann ist das Einspruchsverfahren mit dem Eingang der Erledigungserklärung bei der zuständigen Finanzbehörde abgeschlossen und eine Klage ausgeschlossen.

8.390

Ergehen innerhalb des Revisionsverfahrens mehrere Änderungsbescheide, wird der jeweils letzte zum Gegenstand des Revisionsverfahrens. Eine durch den Erlass eines ersten Änderungsbescheides (Abhilfebescheides) zunächst eingetretene Erledigung der Hauptsache kann aber durch den Erlass eines weiteren Änderungsbescheides wieder entfallen.5

4. Abhilfe

1 BFH v. 9.8.2007 – VI R 7/04, BFH/NV 2008, 9; BFH v. 24.7.2014 – V R 45/13, BFH/NV 2015, 147. 2 Vgl. BFH v.18.4.2007 – XI R 47/05, BStBl II 2007, 736 und v. 29.5.2019 – VII B 10/19, BFH/NV 2019, 1121. 3 Vgl. BFH v. 10.1.2013 – V R 47/11, BFH/NV 2013, 1101. 4 BFH v. 4.11.1981 – II R 119/79, BStBl II 1982, 270 und v. 5.10.2011 – VI R 14/11, HFR 2012, 38. 5 Vgl. BFH v. 3.12.2019 – VIII R 23/17, BFH/NV 2020, 613.

542 | Baum

K. Einspruchsverfahren | Rz. 8.396 Kap. 8

5. Einspruchsentscheidung a) Förmliche Einspruchsentscheidung Ist der Einspruch unzulässig oder zwar zulässig, aber ganz oder teilweise unbegründet, und wird der Einspruch nicht zurückgenommen und das Einspruchsverfahren auch nicht durch eine Erledigungserklärung abgeschlossen, muss die Finanzbehörde eine förmliche Einspruchsentscheidung erlassen. Diese Einspruchsentscheidung ist ein Verwaltungsakt i.S.d. § 118 AO.

8.391

Die Einspruchsentscheidung ist nach § 366 Satz 1 AO zu begründen, mit einer Rechtsbehelfsbelehrung zu versehen und den Beteiligten schriftlich oder elektronisch zu erteilen. Ein Telefax (auch ein Computerfax) wahrt dabei die Schriftform; Voraussetzung ist dann aber, dass es vom Empfangsgerät ausgedruckt wird. Fraglich ist, ob für die Wirksamkeit der Bekanntgabe bereits die Speicherung im Telefaxgerät des Empfängers ausreicht, wenn der Ausdruck von ihm vorsätzlich verhindert wird.1

8.392

Um dem auch für Einspruchsentscheidungen geltenden Gebot der inhaltlichen Bestimmtheit2 Rechnung zu tragen, muss aus der Einspruchsentscheidung ersichtlich sein,

8.393

– gegen welche Person (Einspruchsführer und ggf. Hinzugezogene) sie sich richtet, – welchen Verwaltungsakt sie zum Gegenstand hat und – wie der Tenor der Entscheidung lautet. Die Begründung der Einspruchsentscheidung muss auf den konkreten Streitfall abstellen und aus sich heraus verständlich und nachvollziehbar sein, sodass der Betroffene die Erfolgsaussichten einer Klage abschätzen kann.

8.394

Welchen Inhalt die Rechtsbehelfsbelehrung der Einspruchsentscheidung haben muss, ergibt sich aus § 55 Abs. 1 FGO. Hiernach beginnt die Klagefrist nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf (d.h. die Klage), die Behörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, deren Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist. Ist die Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, ist die Einlegung des Rechtsbehelfs nur innerhalb eines Jahres seit Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung zulässig, es sei denn, dass die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war oder eine schriftliche oder elektronische Belehrung dahin erfolgt ist, dass ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei (§ 55 Abs. 2 Satz 1 FGO).

8.395

b) Teil-Einspruchsentscheidung § 367 Abs. 2a AO ermöglicht es den Finanzbehörden, über Teile des Einspruchs vorab zu entscheiden, wenn dies sachdienlich ist. „Sachdienlichkeit“ in diesem Sinne liegt vor, wenn ein Teil des Einspruchs entscheidungsreif ist, während über einen anderen Teil des Einspruchs zunächst nicht entschieden werden kann. Dies kann z.B. der Fall sein, soweit die Voraussetzungen für eine Verfahrensruhe nach § 363 Abs. 2 Satz 2 AO vorliegen oder wenn hinsichtlich des nicht entscheidungsreifen Teils des Einspruchs noch Ermittlungen zur Sach- oder Rechtslage erforderlich sind.

1 Bejahend wohl Brandis in Tipke/Kruse, § 87a AO, Rz. 17, April 2021. 2 § 119 Abs. 1 AO; BFH v. 15.1.2015 – X B 104/14, BFH/NV 2015, 466.

Baum | 543

8.396

Kap. 8 Rz. 8.397 | Verfahrensrecht

c) Einspruchsentscheidung durch Allgemeinverfügung

8.397

Betreffen Einsprüche eine Rechtsfrage, die vom Gerichtshof der Europäischen Union, vom BVerfG oder vom BFH in einem „Musterverfahren“ entschieden worden ist, und kann diesen Einsprüchen nach dem Ausgang des Verfahrens vor einem dieser Gerichte nicht abgeholfen werden, können diese Einsprüche insoweit durch eine Allgemeinverfügung zurückgewiesen werden (§ 367 Abs. 2b AO).

6. Antrag auf schlichte Änderung nach Ergehen der Einspruchsentscheidung 8.398

Anstatt gegen die Einspruchsentscheidung Klage zu erheben, kann der Steuerpflichtige nach Erlass einer Einspruchsentscheidung auch die schlichte Änderung des angefochtenen Steuerbescheids (oder eines gleich gestellten Verwaltungsakts, z.B. eines Feststellungs- oder Messbescheids) beantragen. Dieser Antrag muss bis zum Ablauf der Klagefrist gestellt worden sein (§ 172 Abs. 1 Satz 3 erster Halbsatz AO). Erklärungen und Beweismittel, die die Finanzbehörde aufgrund der Präklusion nach § 364b Abs. 2 AO in der Einspruchsentscheidung nicht berücksichtigt hat, dürfen allerdings auch im Rahmen einer schlichten Änderung nicht berücksichtigt werden (§ 172 Abs. 1 Satz 3 zweiter Halbsatz AO).

8.399

Ein nach Ergehen der (Teil-)Einspruchsentscheidung und innerhalb der Klagefrist gestellter Antrag auf schlichte Änderung gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a, Satz 2 und Satz 3 Halbsatz 1 AO ist nach dem BFH-Urteil1 auch dann zulässig, wenn mit ihm lediglich die erneute Überprüfung einer Rechtsfrage begehrt wird, über die in der Einspruchsentscheidung bereits entschieden worden ist.2

8.400

Der Antrag auf schlichte Änderung hindert nicht den Eintritt der Bestandskraft der Einspruchsentscheidung. Lehnt die Finanzbehörde den Antrag auf schlichte Änderung ab, ist hiergegen aber erneut der Einspruch gegeben und damit ein neues außergerichtliches Rechtsbehelfsverfahren eröffnet.

L. Steuererhebungsverfahren I. Allgemeines 8.401

§ 218 AO verdeutlicht die Trennung zwischen dem steuerlichen Festsetzungs- und Erhebungsverfahren. Zur Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis bedarf es nach § 218 Abs. 1 AO grds. einer entsprechenden formellen Festsetzung des Anspruchs durch einen Steuerverwaltungsakt.

II. Abrechnungsbescheid 8.402

Beim Streit über die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis ist nach § 218 Abs. 2 AO ein besonderer Verwaltungsakt – der Abrechnungsbescheid – zu erlassen.

III. Fälligkeit 8.403

Die Fälligkeit von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis richtet sich grds. nach den Vorschriften der (Einzel-)Steuergesetze (§ 220 Abs. 1 AO). Mit Fälligkeit wird der Zeitpunkt 1 BFH v. 27.10.2020 – VIII R 30/17, BFH/NV 2021, 816. 2 Abkehr vom BFH-Beschluss v. 5.2.2010 – VIII B 139/08, BFH/NV 2010, 831.

544 | Baum

L. Steuererhebungsverfahren | Rz. 8.404 Kap. 8

bezeichnet, von dem ab der Gläubiger einen Anspruch geltend machen kann und der Schuldner ihn erfüllen muss.

8.404

Beispiele für gesetzliche Fälligkeitsregelungen i.S.d. § 220 Abs. 1 AO sind: – ESt-Vorauszahlungen: 10.3., 10.6., 10.9., 10.12. des jeweiligen Jahres (§ 37 Abs. 1 Satz 1 EStG) – Erhöhung der ESt-Vorauszahlungen: 1 Monat nach Bekanntgabe des Änderungsbescheids (§ 37 Abs. 4 Satz 2 EStG) – ESt-Abschlusszahlung: 1 Monat nach Bekanntgabe des Steuerbescheids (§ 36 Abs. 4 Satz 1 EStG) – ESt-Erstattungsanspruch: Mit Bekanntgabe des Steuerbescheids (§ 36 Abs. 4 Satz 2 EStG) – GewSt-Vorauszahlungen: 15.2., 15.5., 15.8., 15.11. des jeweiligen Jahres (§ 19 Abs. 1 Satz 1 GewStG) – GewSt-Abschlusszahlung: 1 Monat nach Bekanntgabe des Steuerbescheids (§ 20 Abs. 2 GewStG) – GewSt-Erstattungsanspruch: Mit Bekanntgabe des Steuerbescheids (§ 20 Abs. 3 GewStG) – KSt-Vorauszahlungen: 10.3., 10.6., 10.9., 10.12. des jeweiligen Jahres (§ 31 Abs. 1 Satz 1 KStG i.V.m. § 37 Abs. 1 Satz 1 EStG) – KSt-Abschlusszahlung: 1 Monat nach Bekanntgabe des Steuerbescheids (§ 31 Abs. 1 Satz 1 KStG i.V.m. § 36 Abs. 4 Satz 1 EStG) – KSt-Erstattungsanspruch: Mit Bekanntgabe des Steuerbescheids (§ 31 Abs. 1 Satz 1 KStG i.V.m. § 36 Abs. 4 Satz 2 EStG) – Lohnsteuer: 10. Tag nach Ablauf des entsprechenden Anmeldungszeitraums (§ 41a Abs. 1 EStG) – USt-Vorauszahlung – bei nicht zustimmungsbedürftiger Steueranmeldung: 10. Tag nach Ablauf des entsprechenden Voranmeldungszeitraums (§ 18 Abs. 1 Satz 4 und Abs. 2 UStG) – bei Festsetzung durch Steuerbescheid: 10. Tag nach Ablauf des entsprechenden Voranmeldungszeitraums (§ 18 Abs. 1 Satz 4 UStG) – USt-Abschlusszahlung – bei nicht zustimmungsbedürftiger Steueranmeldung: 1 Monat nach Eingang der Anmeldung im Finanzamt (§ 18 Abs. 4 Satz 1 UStG) – bei Festsetzung durch Steuerbescheid: 1 Monat nach Bekanntgabe des Steuerbescheids (§ 18 Abs. 4 Satz 2 UStG) Baum | 545

Kap. 8 Rz. 8.405 | Verfahrensrecht

8.405

Fehlt es an einer besonderen gesetzlichen Regelung über die Fälligkeit i.S.d. § 220 Abs. 1 AO, wird der Anspruch nach § 220 Abs. 2 Satz 1 AO mit seiner Entstehung fällig, es sei denn, dass in einem nach § 254 AO erforderlichen Leistungsgebot eine Zahlungsfrist eingeräumt worden ist. Von Bedeutung ist dies insbesondere bei Erstattungsansprüchen nach § 37 Abs. 2 AO nach rechtsgrundloser (Doppel-)Zahlung.

8.406

Ergibt sich der Anspruch bei Fehlen einer besonderen gesetzlichen Regelung über die Fälligkeit i.S.d. § 220 Abs. 1 AO aber aus der Festsetzung oder Anmeldung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis, tritt die Fälligkeit nach § 220 Abs. 2 Satz 2 AO nicht vor Bekanntgabe der Festsetzung oder Wirksamwerden der Steueranmeldung ein. Unter einer Festsetzung i.S.d. § 220 Abs. 2 Satz 2 AO ist auch jede Änderungsfestsetzung und die Aufhebung einer Festsetzung zu verstehen, aus der sich ein Zahlbetrag oder ein Erstattungsbetrag ergibt.1 Folgt ein Zahlungsanspruch des Steuerpflichtigen aus einer im finanzgerichtlichen Verfahren erstrittenen Aufhebung oder Änderung einer vorherigen Festsetzung, so tritt Fälligkeit erst mit der Rechtskraft des Urteils ein.2

IV. Stundung 8.407

Die Finanzbehörden können Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nach § 222 Satz 1 AO ganz oder teilweise stunden, wenn – die Einziehung bei Fälligkeit eine erhebliche Härte für den Schuldner bedeuten würde und – der Anspruch durch die Stundung nicht gefährdet erscheint.

8.408

Diese beiden Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein.

8.409

Die Pflicht, Steuern bei Fälligkeit zahlen zu müssen, stellt eine allgemeine, jeden Steuerpflichtigen gleichermaßen treffende Härte dar. Eine erhebliche Härte i.S.d. § 222 Satz 1 AO setzt deshalb besondere Umstände voraus, die die Einziehung der Steuer zum Fälligkeitstermin als unbillig erscheinen lassen. Diese Umstände müssen eine momentane und vorübergehende besondere Härte begründen. Generelle und langfristige Zahlungsschwierigkeiten des Stpfl. sind hier unerheblich3, sie können allenfalls einen Erlass nach § 227 AO geboten erscheinen lassen.

8.410

Ein sachlicher Stundungsgrund liegt vor, auf Grund objektiver Umstände, die von der persönlichen (wirtschaftlichen) Situation des Steuerschuldners weitgehend unabhängig sind, die Zahlung der Steuer zum Fälligkeitszeitpunkt unzumutbar erscheint.4

8.411

Persönliche Stundungsgründe haben ihre Ursache in den individuellen Verhältnissen des Steuerpflichtigen. Um eine erhebliche Härte i.S.d. § 222 Satz 1 AO zu begründen, müssen sie zu einem vorübergehenden Liquiditätsengpass führen, der die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen derart mindert, dass ihm die Entrichtung der Steuer zum Fälligkeitstermin nicht zugemutet werden kann.5 Eine Stundung aus persönlichen Gründen kann nur gewährt werden, wenn Stundungsbedürftigkeit und -würdigkeit des Steuerpflichtigen gegeben ist.

1 2 3 4 5

BFH v. 11.12.2013 – XI R 42/11, BStBl II 2014, 840. BFH v. 13.1.1987 – VII B 74/86, BFH/NV 1987, 558. Vgl. BFH v. 27.4.2001 – XI S 8/01, BFH/NV 2001, 1362. Vgl. Schindler in Beermann/Gosch, § 222 AO Rz. 20, August 2019, m.w.N. Vgl. Schindler in Beermann/Gosch, § 222 AO Rz. 32, August 2019, m.w.N.

546 | Baum

L. Steuererhebungsverfahren | Rz. 8.421 Kap. 8

Durch das Hinausschieben der Fälligkeit des Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis bewirkt die Stundung, dass im Zeitpunkt der ursprünglichen Fälligkeit keine Säumnis eintritt und damit auch keine Säumniszuschläge (§ 240 Abs. 1 AO) entstehen. Eine Stundung kann auch nachträglich mit Wirkung vom Fälligkeitstag an gewährt werden. Mit einer Stundung ist grds. eine Verzinsung der gestundeten Forderung für die Dauer der Stundung verbunden (§ 234 Abs. 1 Satz 1 AO).

8.412

Eine Stundung soll nach § 222 Satz 2 AO grds. nur auf Antrag und gegen Sicherheitsleistung gewährt werden. Die möglichen Sicherheiten ergeben sich aus §§ 241, 245 AO, die Modalitäten der Stellung der Sicherheit folgen aus §§ 242–248 AO.

8.413

Steueransprüche gegen den Steuerschuldner können nach § 222 Satz 3 AO nicht gestundet werden, soweit ein Dritter (Entrichtungspflichtiger) die Steuer für Rechnung des Steuerschuldners zu entrichten, insbesondere einzubehalten und abzuführen hat. Dieses Stundungsverbot dient der Funktionsfähigkeit des Verfahrens der Erhebung von Abzugssteuern (insbes. Lohnsteuer und Kapitalertragsteuer).

8.414

Nach § 222 Satz 4 AO ist auch die Stundung des Haftungsanspruchs gegen den Entrichtungspflichtigen ausgeschlossen, soweit er die Steuerabzugsbeträge einbehalten oder die Beträge, die eine Steuer enthalten, eingenommen hat.

8.415

V. Zahlung Zahlungen an Finanzbehörden sind nach § 224 Abs. 1 Satz 1 AO grds. an die zuständige Kasse zu entrichten.

8.416

Eine Zahlung gilt nach § 224 Abs. 2 AO als entrichtet (gesetzliche Fiktion):

8.417

– bei Übergabe oder Übersendung von Zahlungsmitteln am Tag des Eingangs, bei Hingabe oder Übersendung von Schecks jedoch drei Tage nach dem Tag des Eingangs, – bei Überweisung oder Einzahlung auf ein Konto der Finanzbehörde und bei Einzahlung mit Zahlschein an dem Tag, an dem der Betrag der Finanzbehörde gutgeschrieben wird, – bei Vorliegen einer Einzugsermächtigung am Fälligkeitstag. Diese Regelungen gelten nur bei wirksam geleisteten Zahlungen, d.h. wenn der geleistete Betrag den Empfänger erreicht und er Verfügungsmacht über die Geldleistung erlangt hat (vgl. § 362 Abs. 1 BGB).

8.418

Zahlungen der Finanzbehörden sind nach § 224 Abs. 3 AO grds. unbar zu leisten. Als Tag der Zahlung gilt bei Überweisung oder Zahlungsanweisung der dritte Tag nach der Hingabe oder Absendung des Auftrags an das Kreditinstitut oder, wenn der Betrag nicht sofort abgebucht werden soll, der dritte Tag nach der Abbuchung (§ 224 Abs. 3 Satz 3 AO).

8.419

Nach § 224 Abs. 4 Satz 1 AO wurden die Kassen der Finanzverwaltung für die Übergabe von Zahlungsmitteln gegen Quittung grundsätzlich geschlossen. Dies dient der Rationalisierung des Kassenwesens.

8.420

VI. Tilgungsreihenfolge § 225 AO enthält Regelungen zur Tilgungsreihenfolge bei Zahlungen des Steuerpflichtigen an die Finanzbehörde, falls diese Zahlungen nicht ausreichen, um sämtliche gegen ihn bestehenBaum | 547

8.421

Kap. 8 Rz. 8.421 | Verfahrensrecht

den Ansprüche der Finanzbehörde vollständig zu erfüllen. Dabei wird zwischen freiwilligen Zahlungen (§ 225 Abs. 1 und 2 AO) und im Wege der Vollstreckung erzwungenen Zahlungen (§ 225 Abs. 3 AO) unterschieden.

VII. Aufrechnung 8.422

Eine Aufrechnung ist die wechselseitige Tilgung zweier sich gegenüberstehenden und gleichartigen Forderungen durch einseitige und empfangsbedürftige Erklärung eines der beiden Beteiligten (Finanzbehörde oder Steuerpflichtiger). Sie bewirkt die gleichzeitige Erfüllung beider Forderungen.

8.423

Die Aufrechnung führt – so wie die Zahlung (§ 224 AO), die Hingabe von Gegenständen an Zahlungs statt (§ 224a AO), der Erlass (§§ 163, 227 AO) und die Verjährung (§§ 169–171, §§ 228–232 AO) – zum Erlöschen der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 47 AO).

8.424

§ 226 Abs. 2–4 AO enthält vom Zivilrecht abweichende Sonderregelungen. Die Anwendung des § 226 AO setzt nicht voraus, dass die beiden gegenläufigen Forderungen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis sind.

VIII. Erlass 8.425

Die Finanzbehörden können Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nach § 227 AO ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre; unter den gleichen Voraussetzungen können bereits entrichtete Beträge auch erstattet oder angerechnet werden. Unbillig ist die Erhebung eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis dann, wenn vom Steuerpflichtigen eine Geldleistung verlangt wird, die in ihrem Leistungsgrund, ihrer Leistungsart und/oder in ihrer Leistungshöhe unangemessen ist. Die Unbilligkeit kann auf sachlichen und/oder persönlichen Gründen beruhen.

8.426

Die Erhebung eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis ist sachlich unbillig, wenn sie zwar äußerlich dem Gesetz entspricht, aber den Wertungen des Gesetzgebers im konkreten Fall derart zuwiderläuft, dass die Erhebung unbillig erscheint. So verhält es sich, wenn nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, dass er die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage – wenn er sie als regelungsbedürftig erkannt hätte – im Sinne der begehrten Billigkeitsmaßnahme entschieden hätte.1

8.427

Der Erlass eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis aus persönlichen Billigkeitsgründen setzt nach ständiger BFH-Rechtsprechung „Erlassbedürftigkeit“ und „Erlasswürdigkeit“ des Steuerpflichtigen voraus. Nur die Erfüllung beider Voraussetzungen lässt die Erhebung der Steuer als unbillig erscheinen. Deshalb reicht für die Ablehnung einer Billigkeitsmaßnahme bereits die Verneinung einer dieser Voraussetzung aus.2

8.428

Die Entscheidung über eine Billigkeitsmaßnahme nach § 227 AO wird von der für die jeweilige Steuererhebung zuständigen Finanzbehörde durch Verwaltungsakt getroffen.

8.429

Der Erlass führt – so wie die Zahlung (§ 224 AO), die Hingabe von Gegenständen an Zahlungs statt (§ 224a AO), die abweichende Festsetzung (§ 163 AO), die Aufrechnung (§ 226

1 Vgl. BFH v. 20.9.2012 – IV R 29/10, BStBl II 2013, 505, m.w.N. 2 Vgl. BFH v. 9.12.2009 – IX B 132/09, BFH/NV 2010, 646.

548 | Baum

M. Zahlungsverjährung | Rz. 8.434 Kap. 8

AO) und die Verjährung (§§ 169–171, §§ 228–232 AO) – zum Erlöschen der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 47 AO).

M. Zahlungsverjährung I. Allgemeines Die Ansprüche der steuerberechtigten Körperschaften (vertreten durch die jeweils zuständigen Finanzbehörden) und des Steuerpflichtigen auf Festsetzung einer Steuer oder Steuervergütung unterliegen der Festsetzungsverjährung (vgl. §§ 169–171 AO). Die sich aus diesen Festsetzungen ergebenden Zahlungsansprüche (vgl. § 218 Abs. 1 AO) und die sonstigen im Erhebungsverfahren durchzusetzenden Zahlungsansprüche (insbesondere auf Säumniszuschläge) unterliegen hingegen der Zahlungsverjährung, die in den §§ 228 bis 232 AO geregelt ist. Die Zahlungsverjährung soll dafür sorgen, dass nach Ablauf einer angemessenen Frist endgültig Rechtssicherheit darüber einkehrt, was der Steuerpflichtige aufgrund der Steuerfestsetzung unter Berücksichtigung anzurechnender Vorauszahlungen und Abzugssteuern noch zu zahlen hat bzw. was ihm zu erstatten ist.1

8.430

II. Gegenstand der Zahlungsverjährung Der Zahlungsverjährung nach §§ 228 ff. AO unterliegen alle Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (vgl. § 37 AO). Sie gilt auch für andere öffentlich-rechtliche Ansprüche (z.B. Prämien und Zulagen), soweit in den hierfür maßgebenden Rechtsvorschriften die für Steuervergütungen geltenden Vorschriften der AO oder die §§ 228 ff. AO ausdrücklich für entsprechend anwendbar bestimmt werden.

8.431

Der einheitliche Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis (z.B. für die Steuer eines Veranlagungszeitraums) kann bei – ggf. mehrfach – geänderter Festsetzung nicht in unterschiedliche Zahlungs- und Erstattungsansprüche aufgespalten werden, die bezogen auf die jeweils ergangenen Verwaltungsakte unterschiedlichen Verjährungsfristen unterliegen.2

8.432

III. Verjährungsfrist Die Verjährungsfrist bei der Zahlungsverjährung beträgt nach § 228 Satz 2 AO grds. fünf Jahre. In Fällen der §§ 370, 373 oder 374 AO beträgt sie aber zehn Jahre.

8.433

IV. Beginn der Zahlungsverjährung 1. Grundsatz Die Zahlungsverjährung beginnt nach § 229 Abs. 1 Satz 1 AO grds. mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Anspruch erstmals fällig geworden ist (vgl. § 220 AO bzw. Fälligkeitsregelungen in den Einzelsteuergesetzen). Ist ein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis einmal fällig geworden, berühren spätere Entscheidungen über seine Fälligkeit, z.B. eine Stundung gem. § 222 AO, ein Zahlungsaufschub gem. § 223 AO oder eine Aussetzung der Voll1 BFH v. 12.2.2008 – VII R 33/06, BStBl II 2008, 504. 2 BFH v. 6.2.1996 – VII R 50/95, BStBl II 1997, 112; a.A.: Loose in Tipke/Kruse, § 228 AO Rz. 5, Juni 2020, m.w.N.

Baum | 549

8.434

Kap. 8 Rz. 8.434 | Verfahrensrecht

ziehung gem. § 361 AO, § 69 FGO, nicht den Beginn der Frist für die Zahlungsverjährung. Sie unterbrechen aber nach § 231 AO die Verjährung.

2. Verjährungsbeginn bei Fälligkeitssteuern und geänderten Steuerfestsetzungen 8.435

Die Zahlungsverjährung beginnt nach § 229 Abs. 1 Satz 2 AO jedoch nicht vor Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Festsetzung eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis oder die Aufhebung, Änderung oder Berichtigung nach § 129 AO der Festsetzung wirksam geworden ist, aus der sich der Zahlungsanspruch ergibt. Eine Steueranmeldung steht auch hier einer Steuerfestsetzung gleich.

8.436

Wird eine Steuerfestsetzung aufgehoben, wird der sich hieraus ergebende Rückforderungsanspruch erst mit der Bekanntgabe des Änderungs- oder Aufhebungsbescheides fällig (§ 220 Abs. 2 Satz 2 AO), so dass die Zahlungsverjährung entsprechend der Regelung des § 229 Abs. 1 Satz 2 AO beginnt.1 Das Gleiche gilt aber auch für Steuernachforderungen aufgrund eines Änderungs- oder Berichtigungsbescheids. In beiden Fällen beginnt die Zahlungsverjährungsfrist dann für den einheitlichen Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis insgesamt von Neuem.2

3. Verjährungsbeginn bei Haftungsbescheiden ohne Zahlungsaufforderung 8.437

Ist ein Haftungsbescheid ohne Zahlungsaufforderung ergangen, beginnt die Zahlungsverjährung nach § 229 Abs. 2 AO mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Haftungsbescheid wirksam geworden ist. Ist der Haftungsbescheid dagegen mit einer Zahlungsaufforderung ergangen, beginnt die Verjährung nach § 229 Abs. 1 Satz 1 AO regulär mit Ablauf des Jahres, in dem der Haftungsanspruch erstmals fällig geworden ist.

4. Hemmung der Zahlungsverjährung 8.438

Die Zahlungsverjährung ist nach § 230 AO gehemmt, solange der Anspruch wegen höherer Gewalt innerhalb der letzten sechs Monate der Verjährungsfrist nicht verfolgt werden kann. Dies bedeutet, dass der Zeitraum, während dessen das Hindernis bestand, nicht in die Verjährungsfrist eingerechnet wird (vgl. § 205 BGB). Die Zahlungsverjährungsfrist verlängert sich in diesem Fall um den Zeitraum, während dessen die Steuer innerhalb der letzten sechs Monate der Frist wegen des als höhere Gewalt zu bewertenden Ereignisses nicht verfolgt werden konnte, also um höchstens sechs Monate.

5. Unterbrechung der Verjährung 8.439

§ 231 AO bestimmt, in welchen Fällen und wie lange die Zahlungsverjährung unterbrochen wird. Durch die Unterbrechung einer (Verjährungs-)Frist beginnt diese neu zu laufen. a) Unterbrechungstatbestände

8.440

§ 231 Abs. 1 AO enthält eine abschließende Aufzählung der Unterbrechungstatbestände. Von besonderer praktischer Bedeutung bei der Besteuerung der öffentlichen Hand sind Stundung

1 Vgl. BFH v. 11.12.2013 – XI R 42/11, BStBl II 2014. 2 A.A. Loose in Tipke/Kruse, § 229 AO Rz. 5, Juni 2020, m.w.N.

550 | Baum

N. Zinsen und Säumniszuschläge nach der AO | Rz. 8.447 Kap. 8

(§ 220 AO), Aussetzung der Vollziehung (§ 361 AO), eine Vollstreckungsmaßnahme und die schriftliche Geltendmachung des Anspruchs. b) Unterbrechungsdauer Das Ende der Unterbrechung der Zahlungsverjährungsfrist wird in § 231 Abs. 2 Satz 1 AO für solche Unterbrechungsmaßnahmen geregelt, die auf eine bestimmte Zeitdauer angelegt sind. Die Unterbrechung endet, wenn die einzelnen Maßnahmen ihre Wirkung verlieren. Dies ist z.B. bei Stundung, Aussetzung der Vollziehung und Vollstreckungsaufschub im Zeitpunkt des Ablaufs dieser Maßnahme. Bei Rücknahme einer solchen Maßnahme mit Wirkung für die Vergangenheit entfällt auch deren Unterbrechungswirkung rückwirkend.

8.441

Für Ansprüche des Steuerpflichtigen gegen die Finanzbehörde endet die durch seine schriftliche Geltendmachung des Anspruchs eingetretene Unterbrechung der Verjährung nicht, bevor über seinen Anspruch rechtskräftig entschieden worden ist (§ 231 Abs. 2 Satz 2 AO).

8.442

Mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Wirkung der Unterbrechung geendet hat, beginnt eine neue Zahlungsverjährungsfrist zu laufen (§ 231 Abs. 3 AO). Bezüglich eines Anspruchs können dabei mehrere Unterbrechungstatbestände unabhängig voneinander zu unterschiedlichen Zeitpunkten zum Tragen kommen. Bezieht sich eine Unterbrechungshandlung nur auf einen Teil des Betrages, wirkt die Unterbrechung nur für diesen Teilbetrag (§ 231 Abs. 4 AO).

8.443

6. Wirkung der Zahlungsverjährung Durch die Verjährung erlöschen nach § 232 AO der Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis und die von ihm abhängenden Zinsen. War die Zahlungsverjährungsfrist für einen Anspruch nur teilweise gehemmt oder unterbrochen, kommt es zu einer Teil-Verjährung und daran anknüpfend zu einem teilweisen Erlöschen.

8.444

§ 232 AO unterscheidet sich von der zivilrechtlichen Wirkung der Verjährung nach § 214 Abs. 1 BGB, die nur die Einrede der Verjährung (als Leistungsverweigerungsrecht) vorsieht. Der Eintritt der Zahlungsverjährung ist von Amts wegen zu beachten und nicht disponibel.

8.445

Tritt die Zahlungsverjährung während eines Einspruchs- oder Klageverfahrens über die Rechtmäßigkeit des zu Grunde liegenden Steuerbescheids ein, wird dieses durch Erlöschen des Steueranspruchs ebenso gegenstandslos wie der Steueranspruch selbst. Mit Eintritt der Verjährung ist der Rechtsstreit über die Steuerfestsetzung in der Hauptsache erledigt.1

8.446

N. Zinsen und Säumniszuschläge nach der AO I. Zinsen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (vgl. § 37 AO) werden nach § 233 Satz 1 AO nur verzinst, soweit dies gesetzlich vorgeschrieben ist. Ansprüche auf steuerliche Nebenleistungen (vgl. § 3 Abs. 4 AO) und die entsprechenden Erstattungsansprüche werden nach § 233 Satz 2 AO nicht verzinst (d.h. keine Zinseszinsen).

1 BFH v. 26.4.1990 – V R 90/87, BStBl II 1990, 802.

Baum | 551

8.447

Kap. 8 Rz. 8.448 | Verfahrensrecht

1. Vollverzinsung 8.448

Führt die Festsetzung der Einkommen-, Körperschaft-, Vermögen-, Umsatz- oder Gewerbesteuer zu einem Unterschiedsbetrag zugunsten oder zuungunsten des Steuerpflichtigen, ist dieser nach § 233a AO zu verzinsen. Die Vollverzinsung gilt ausdrücklich nicht für die Festsetzung von Vorauszahlungen und Steuerabzugsbeträgen. Zur Verfassungswidrigkeit des § 233a i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO für Verzinsungszeiträume ab 2019 siehe Rz. 8.465.

8.449

§ 233a Abs. 2 und 2a AO enthalten Regelungen zum Zinslaufbeginn und Zinslaufende. Für Unterschiedsbeträge zuungunsten des Steuerpflichtigen gilt das Prinzip der Soll-Verzinsung, während bei Unterschiedsbeträgen zugunsten des Steuerpflichtigen die Verzinsung erst mit Eingang der zu erstattenden Zahlung beginnt (Ist-Verzinsung).

8.450

Der Anwendungserlass zu § 233a AO enthält zahlreiche Berechnungsbeispiele für die Zinsberechnung.

2. Stundungszinsen 8.451

Für die Dauer einer gewährten Stundung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis (vgl. § 220 AO) werden nach § 234 Abs. 1 AO Zinsen erhoben. Auf die Zinsen kann aber nach § 234 Abs. 2 AO ganz oder teilweise verzichtet werden, wenn ihre Erhebung nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre. Der Anwendungserlass zu § 234 AO enthält Berechnungsbeispiele für die Zinsberechnung bei (Raten-)Stundungen.

3. Hinterziehungszinsen 8.452

Nach § 235 AO sind hinterzogene Steuern zu verzinsen. Zinsschuldner ist derjenige, zu dessen Vorteil die Steuern hinterzogen worden sind, auch wenn die Hinterziehung durch einen Dritten begangen wurde. Die Erhebung von Hinterziehungszinsen setzt voraus, dass objektiv und subjektiv die Tatbestandsmerkmale einer Steuerhinterziehung i.S. des § 370 AO vorliegen.1

8.453

Der Zinslauf der Hinterziehungszinsen beginnt grds. mit dem Eintritt der Verkürzung oder der Erlangung des Steuervorteils, d.h. sobald die Tat im strafrechtlichen Sinn vollendet ist. Der Zinslauf endet mit der Zahlung (tatsächliche Entrichtung) der hinterzogenen Steuern.2

4. Prozesszinsen auf Erstattungsbeträge 8.454

§ 236 AO regelt die Pflicht zur Zahlung von Prozesszinsen auf Steuererstattungen und Steuervergütungen. Diese Zinsen fallen allerdings nur im Falle eines Obsiegens in einem gerichtlichen Verfahren und nicht bei einem erfolgreichen Einspruchsverfahren an. Die Erledigung des Rechtsstreits muss durch rechtskräftige gerichtliche Entscheidung oder gleichgestellter Ereignisse erfolgt sein und der Erstattungsanspruch muss aufgrund des konkreten Prozesses entstanden sein.

8.455

Der Zinslauf beginnt grds. mit dem Tag der Rechtshängigkeit der Klage (§ 236 Abs. 1 Satz 1 AO). Rechtshängig wird die Klage gem. §§ 66, 64 FGO durch Erhebung bei Gericht. Der Zinslauf beginnt später, wenn der zu erstattende Betrag erst nach Eintritt der Rechtshängigkeit entrichtet worden ist (§ 236 Abs. 1 Satz 2 AO). 1 BFH v. 27.8.1991 – VIII R 84/89, BStBl II 1992, 9. 2 BFH v. 12.10.1993 – VII R 44/93, BStBl II 1994, 438.

552 | Baum

N. Zinsen und Säumniszuschläge nach der AO | Rz. 8.465 Kap. 8

Der Zinslauf endet mit dem Tag der Zahlung des Erstattungs- bzw. des Vergütungsbetrages. Der Zahlung steht das Erlöschen des Anspruchs durch Aufrechnung gleich.

8.456

Ein Anspruch auf Prozesszinsen entsteht nach § 236 Abs. 3 AO nicht, wenn der Beteiligte in dem gerichtlichen Verfahren zwar obsiegt hat, ihm aber gem. § 137 Satz 1 FGO die Kosten des Verfahrens auferlegt worden sind.

8.457

5. Aussetzungszinsen Nach § 237 Abs. 1 Satz 1 AO sind Aussetzungszinsen festzusetzen, wenn Aussetzung der Vollziehung gewährt worden ist und ein förmlicher außergerichtlicher Rechtsbehelf oder eine Anfechtungsklage endgültig keinen Erfolg gehabt haben. Die Zinsregelung erfasst auch die Fälle, in denen auf Grund der Anfechtung des Grundlagenbescheides der Folgebescheid ausgesetzt worden ist (§ 237 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 AO).

8.458

Der Zinslauf der Aussetzungszinsen beginnt mit dem Tag des Eingangs des außergerichtlichen Rechtsbehelfs bei der Finanzbehörde, deren Verwaltungsakt angefochten wird, bzw. bei Klagen mit dem Tag der Rechtshängigkeit (§ 237 Abs. 2 Satz 1 AO). Wurde die Vollziehung erst nach Eingang des außergerichtlichen Rechtsbehelfs oder erst nach Rechtshängigkeit ausgesetzt, beginnt die Verzinsung nach § 237 Abs. 2 Satz 2 AO auch erst mit dem Tag, an dem die Wirkung der Aussetzung beginnt. Wird Aussetzung der Vollziehung rückwirkend gewährt, ist dieser rückwirkende Zeitpunkt maßgeblich.

8.459

Der Zinslauf endet mit dem Ende der gewährten Aussetzung der Vollziehung. Wurde die Steuerschuld vorher beglichen oder ist sie vorher durch Aufrechnung erloschen, endet der Zinslauf mit dieser Erfüllung.

8.460

Auf die Aussetzungszinsen kann ganz oder teilweise verzichtet werden, wenn ihre Erhebung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre (§ 237 Abs. 4 i.V.m. § 234 Abs. 2 AO).

8.461

Aussetzungszinsen sind nach diesen Grundsätzen auch im Fall einer Aufhebung der Vollziehung zu entrichten.

8.462

6. Höhe und Berechnung der Zinsen § 238 AO regelt für alle Zinsen nach den §§ 233 ff. AO (aber auch für Zinsen nach Einzelsteuergesetzen) den Zinssatz und die Berechnung der Zinsen.

8.463

Zu verzinsen ist jeder einzelne Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis eigenständig. Die Zinsen sind somit gesondert für jede einzelne Steuerart (z.B. Einkommensteuer, Umsatzsteuer) und den jeweiligen Besteuerungszeitraum (z.B. Einkommensteuer 2012 und 2013) zu berechnen (Anwendungserlass zu § 238 AO, Nr. 2).

8.464

Nach § 238 Abs. 1 Satz 1 AO beträgt der Zinssatz (starr) für jeden vollen Zinsmonat 0,5%, und dies unterschiedslos für alle in der AO und den Einzelsteuergesetzen geregelten Zinstatbestände. Das BVerfG hat mit Beschluss vom 8.7.2021, 1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17,1 nun aber entschieden, dass § 233a i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes unvereinbar ist, soweit der Zinsberechnung für Verzinsungszeiträume ab dem 1.1.2014 ein Zinssatz von 0,5% für jeden Monat zugrunde gelegt wird. Das bisherige Recht ist

8.465

1 DStR 2021, 1934.

Baum | 553

Kap. 8 Rz. 8.465 | Verfahrensrecht

aber für bis einschließlich in das Jahr 2018 fallende Verzinsungszeiträume weiter anwendbar. Für Verzinsungszeiträume bis einschließlich 31.12.2018 hat es somit eine Fortgeltungsanordnung getroffen, Zinsen nach § 233a AO sind deshalb insoweit weiterhin (mit einem Zinssatz von 0,5%/Zinsmonat) endgültig festzusetzen. Für Verzinsungszeiträume ab 1.1.2019 hat das BVerfG ein Anwendungsverbot ausgesprochen. Behörden und Gerichte dürfen § 233a i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO insoweit nicht mehr anwenden, alle laufenden (und künftigen) Verwaltungs- und Gerichtsfahren sind auszusetzen (zur Aussetzung der Zinsfestsetzung vgl. § 165 Abs. 1 Satz 4 AO). Der Gesetzgeber wurde zugleich verpflichtet, bis zum 31.7.2022 eine verfassungsgemäße (rückwirkende) Neuregelung für Verzinsungszeiträume ab 1.1.2019 zu treffen.1 Für alle anderen Zinsarten nach der AO (insbes. Stundungszinsen, Hinterziehungszinsen und Aussetzungszinsen) ist § 238 Abs. 1 Satz 1 AO aber weiter uneingeschränkt anwendbar, da der Zinsschuldner die Verwirklichung des Zinstatbestands grds. selbst beeinflussen kann.

8.466

Zur Vereinfachung der Zinsberechnung werden nach § 238 Abs. 1 Satz 2 AO nur volle Monate (nicht angefangene Monate oder einzelne Tage) verzinst.

8.467

Erlischt der zu verzinsende Anspruch durch Aufrechnung nach § 226 AO, gilt nach § 238 Abs. 1 Satz 2 AO der Tag, an dem die Schuld des Aufrechnenden fällig wird, als der Tag der Zahlung.

8.468

Nach § 238 Abs. 2 AO ist der zu verzinsende Betrag jeder Steuerart auf den nächsten durch 50 Euro teilbaren Betrag abgerundet. Bei der Zinsberechnung sind die Ansprüche zu trennen, wenn Steuerart, Zeitraum (Teilzeitraum) oder der Tag des Beginns des Zinslaufs voneinander abweichen. Im Falle von Teilzahlungen wird nur der Gesamtbetrag gerundet.2

7. Zinsfestsetzungsverfahren 8.469

Auf die Zinsen nach den §§ 233 ff. AO (aber auch für Zinsen nach Einzelsteuergesetzen) sind nach § 239 Abs. 1 Satz 1 AO die für die Steuern geltenden Vorschriften grds. entsprechend anzuwenden. Dazu gehören insbes. die §§ 164, 165, 169–171 und 172 ff. AO.

8.470

Die Festsetzungsfrist für diese Zinsen beträgt allerdings abweichend von § 169 AO nur ein Jahr. § 239 Abs. 1 Satz 2 AO enthält Regelungen zum Beginn der Zinsfestsetzungsfrist. § 239 Abs. 1 Satz 3 AO enthält eine Ablaufhemmung der Zinsfestsetzungsfrist für Zinsen nach § 233a AO. Nach Ablauf der Festsetzungsfrist dürfen diese Zinsen nicht mehr festgesetzt werden.

8.471

Zinsen nach den §§ 233 ff. AO (aber auch für Zinsen nach Einzelsteuergesetzen) sind nach § 239 Abs. 2 Satz 1 AO aus Vereinfachungsgründen auf volle Euro zum Vorteil des Steuerpflichtigen gerundet festzusetzen. Nach § 239 Abs. 2 Satz 2 AO werden sie auch nur dann festgesetzt, wenn sie mindestens 10 Euro betragen. Diese Kleinbetragsregelung ist nach (in der Literatur bestrittener) Auffassung der Finanzverwaltung (vgl. Anwendungserlass zu § 239 AO, Nr. 3 Satz 2) auf die für eine Einzelforderung berechneten Zinsen anzuwenden. 1 Der Bundestag hat am 23.6.2022 das Zweite Gesetzt zur Änderung der AO und des EGAO mit einer Absenkung des Zinssatzes für Verzinsungszeiträume ab 1.1.2019 von 6 % auf 1,8 % pro Jahr beschlossen (vgl. BT-Drs. 20/1633 und BR-Drs. 286/22). Das Gesetz wurde im Juli 2022 im BGBI. verkündet, BGBl. I 2022, S. 1142. 2 Anwendungserlass zu § 238 AO, Nr. 2; a.A.: Kögel in Gosch, § 238 AO Rz. 12, Juli 2020; Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 238 AO Rz. 6, April 2019; Rüsken in Klein, 15. Aufl., § 238 AO Rz. 4.

554 | Baum

N. Zinsen und Säumniszuschläge nach der AO | Rz. 8.480 Kap. 8

In § 239 Abs. 3 AO wurde klargestellt, in welchen Fällen die Grundlagen für eine Zinsfestsetzung gesondert und einheitlich festzustellen sind.

8.472

Werden wegen einer Steueranmeldung, die nach § 168 Satz 1 AO einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht, Zinsen nach § 233a AO festgesetzt, steht diese Zinsfestsetzung nach § 239 Abs. 4 AO ebenfalls unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.

8.473

II. Säumniszuschläge 1. Grundregel Wird eine Steuer (vgl. § 3 AO) nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages (vgl. § 220 AO) entrichtet, ist nach § 240 Abs. 1 Satz 1 AO für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von 1 % des abgerundeten rückständigen Steuerbetrags zu entrichten; abzurunden ist auf den nächsten durch 50 Euro teilbaren Betrag.

8.474

Die Rückforderung von Steuererstattungen betrifft die Rückzahlung von rechtsgrundlos gezahlten Steuern und wird nicht ausdrücklich in § 240 Abs. 1 AO genannt; auf den Rückforderungsanspruch i.S.d. § 37 Abs. 2 AO finden die Regeln über die Säumniszuschläge aber ebenfalls Anwendung.1

8.475

Säumniszuschläge entstehen nach § 240 Abs. 1 Satz 2 AO auch für zurückzuzahlende Steuervergütungen und Haftungsschulden, soweit sich die Haftung auf Steuern und zurückzuzahlende Steuervergütungen erstreckt. Die Berechnung richtet sich dabei gleichermaßen nach dem Prinzip in § 240 Abs. 1 Satz 1 AO.

8.476

Säumniszuschläge entstehen kraft Gesetzes allein durch Zeitablauf ohne Rücksicht auf ein Verschulden des Steuerpflichtigen.2 Sie stellen in erster Linie ein Druckmittel zur Durchsetzung fälliger Steuerforderungen dar, sind aber auch eine Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung und ein Ausgleich für den angefallenen Verwaltungsaufwand.3

8.477

2. Zahlungssäumnis Soweit ein Einzelsteuergesetz bei den sogen. Fälligkeitssteuern den Fälligkeitszeitpunkt ausdrücklich benennt, bedarf es keines Leistungsgebotes; mit Ablauf des genannten Zeitpunktes tritt die Säumnis kraft Gesetzes ein. Eine Zahlungssäumnis tritt nach § 240 Abs. 1 Satz 3 AO allerdings gleichwohl nicht ein, bevor die Steuer festgesetzt oder angemeldet worden ist.

8.478

Nr. 6 des Anwendungserlasses zu § 240 AO erläutert, wie bzw. ab wann Säumniszuschläge in Stundungs- und Aussetzungsfällen sowie bei der Herabsetzung von Vorauszahlungen zu berechnen sind.

8.479

3. Änderung oder Berichtigung einer Steuerfestsetzung Wird die Festsetzung einer Steuer oder Steuervergütung aufgehoben, geändert oder nach § 129 AO berichtigt, bleiben die bis dahin verwirkten Säumniszuschläge nach § 240 Abs. 1 Satz 4 AO unberührt. Das Gleiche gilt, wenn ein Haftungsbescheid zurückgenommen, wider1 Kögel in Gosch, § 240 AO Rz. 34, August 2009. 2 BFH v. 17.7.1985 – I R 172/79, BStBl II 1986, 122. 3 BFH v 29.8.1991 – V R 78/86, BStBl II 1991, 906.

Baum | 555

8.480

Kap. 8 Rz. 8.480 | Verfahrensrecht

rufen oder nach § 129 AO berichtigt wird. Das gilt auch, wenn die ursprüngliche, für die Bemessung der Säumniszuschläge maßgebende Steuer in einem Rechtsbehelfsverfahren herabgesetzt wird. Säumniszuschläge sind demzufolge nicht akzessorisch zur Steuerschuld.

8.481

Keine Änderung i.S.d. § 240 Abs. 1 Satz 4 AO liegt hingegen vor, wenn sich der streitige Steuerbetrag durch eine Änderung der anzurechnenden Steuern gem. § 36 Abs. 2 EStG verändert, d.h. infolge einer Korrektur der Anrechnungsverfügung.

8.482

Erlischt der Anspruch durch Aufrechnung nach § 226 AO, bleiben Säumniszuschläge unberührt, die bis zur Fälligkeit der Schuld des Aufrechnenden entstanden sind (§ 240 Abs. 1 Satz 5 AO).

4. Aufrechnung

5. Keine Säumniszuschläge auf rückständige steuerliche Nebenleistungen 8.483

Bei Zahlungssäumnis hinsichtlich steuerlicher Nebenleistungen (§ 3 Abs. 4 AO) entstehen nach § 240 Abs. 2 AO keine Säumniszuschläge. Dies entspricht der Regelung in § 233 Satz 2 AO zur Verzinsung.

6. Zahlungsschonfrist 8.484

Bei einer Säumnis bis zu drei Tagen wird nach § 240 Abs. 3 Satz 1 AO kein Säumniszuschlag erhoben (sogen. Zahlungsschonfrist). Diese Zahlungsschonfrist gilt allerdings nicht bei Zahlung durch Übergabe oder Übersendung von Zahlungsmitteln oder Schecks (§ 240 Abs. 3 Satz 2 AO)

7. Schuldner und Gesamtschuldner 8.485

Schuldner der Säumniszuschläge ist nach § 240 Abs. 1 Satz 1 AO derjenige, der seiner Verpflichtung zur fristgerechten Zahlung der angemeldeten oder festgesetzten Steuern nicht nachkommt. Gleiches für einen säumigen Haftungsschuldner (§ 240 Abs. 1 Satz 2 AO).

8.486

Personen, die nebeneinander dieselbe Leistung aus dem Steuerschuldverhältnis schulden oder für sie haften oder die zusammen zu einer Steuer zu veranlagen sind, sind aber nach § 44 Abs. 1 Satz 1 AO Gesamtschuldner. Dann schuldet grds. jeder Gesamtschuldner die gesamte Leistung. In diesem Fall entstehen Säumniszuschläge zwar gegenüber jedem säumigen Gesamtschuldner (§ 240 Abs. 4 Satz 1 AO). Insgesamt ist von ihnen aber kein höherer Säumniszuschlag zu entrichten als entstanden wäre, wenn die Säumnis nur bei einem der Gesamtschuldner eingetreten wäre (§ 240 Abs. 4 Satz 2 AO).

8. Erlass eines Säumniszuschlags 8.487

Soweit die Zielsetzung des § 240 AO durch die entstandenen Säumniszuschläge nicht mehr erreicht werden kann, ist ihre Erhebung sachlich unbillig, so dass sie nach § 227 AO ganz oder teilweise erlassen werden können. Nr. 5 des Anwendungserlasses zu § 240 AO enthält dazu auf Grundlage der einschlägigen BFH-Rechtsprechung eine beispielhafte Aufzählung der Fälle, in denen Säumniszuschläge ganz oder teilweise zu erlassen sind.

556 | Baum

O. Vollstreckung | Rz. 8.492 Kap. 8

9. Einwendungen gegen Säumniszuschläge Macht der Steuerpflichtige geltend, die Säumniszuschläge seien nicht oder nicht in der angeforderten Höhe entstanden, so ist sein Vorbringen – auch wenn es bspw. als „Erlassantrag“ bezeichnet ist – als Antrag auf Erteilung eines Bescheids nach § 218 Abs. 2 AO anzusehen, da nur in diesem Verfahren entschieden werden kann, ob und inwieweit Säumniszuschläge entstanden sind.1 Bestreitet der Steuerpflichtige nicht die Entstehung der Säumniszuschläge dem Grunde und der Höhe nach, sondern wendet er sich gegen deren Anforderung im engeren Sinne (Leistungsgebot, § 254 AO), ist sein Vorbringen als Einspruch (§ 347 AO) anzusehen. Das Vorbringen des Steuerpflichtigen ist als Erlassantrag zu werten, wenn sachliche oder persönliche Billigkeitsgründe geltend gemacht werden.

8.488

O. Vollstreckung I. Grundsatz Im Besteuerungsverfahren nach der AO gilt der Grundsatz, dass die Finanzbehörden ihre Verwaltungsakte grds. selbst im Verwaltungszwangsverfahren in Ausübung hoheitlicher Staatsgewalt vollstrecken. Dabei entsprechen die Regelungen der AO denen der zivilrechtlichen Vollstreckung, allerdings mit Unterschied, dass die Finanzbehörden grds. den erforderlichen Titel selbst schaffen (ohne ein Gericht).

8.489

II. Regelungen Die §§ 249–258 AO enthalten die allgemeinen Vorschriften im steuerlichen Vollstreckungsverfahrens. §§ 259–327 AO enthalten die Regelungen zur Vollstreckung wegen Geldforderungen, was im Besteuerungsverfahren der Regelfall ist. Die Regelungen zur Vollstreckung wegen anderer Leistungen als Geldforderungen ergeben sich aus §§ 328–335 AO. Und die §§ 337–346 AO enthalten die Regelzungen über die Kosten der Vollstreckung.

8.490

III. Vollstreckung gegen juristische Personen des öffentlichen Rechts 1. Vollstreckung im öffentlichen Bereich – Grundsatz Der Regelung in § 255 AO liegt der Gedanke zu Grunde, dass Körperschaften des öffentlichen Rechts ihre Angelegenheiten entsprechend ihrem jeweiligen gesetzlichen Auftrag erfüllen und dabei berechtigten Ansprüchen der Finanzverwaltung gerecht werden, so dass eine Zwangsmaßnahme zur Durchsetzung von Abgabenforderungen regelmäßig überflüssig ist.2 Unbeschadet von den Sonderregelungen in § 255 Abs. 1 AO bleibt die Befugnis der Finanzbehörden, Steuerbescheide und Leistungsgebote zu erlassen.

8.491

2. Vollstreckung gegen den Bund oder ein (Bundes-)Land Gegen den Bund oder ein (deutsches) Land ist die Vollstreckung nach §§ 249 ff. AO generell nicht zulässig (§ 255 Abs. 1 Satz 1 AO). Gemeint ist damit die Unzulässigkeit von Vollstreckungsmaßnahmen schlechthin gegenüber allen Organen des Bundes oder eines Landes, die

1 St. Rspr., vgl. z.B. BFH v. 12.8.1999 – VII R 92/98, BStBl II, 751. 2 Neumann in Gosch, § 255 AO Rz. 1, Dezember 2011.

Baum | 557

8.492

Kap. 8 Rz. 8.492 | Verfahrensrecht

selbst keine juristische Person des öffentlichen Rechts sind1, und damit insbesondere unmittelbare Bundes- oder Landesbehörden (aller Verwaltungsebenen), durch die die jeweilige Gebietskörperschaft handelt.2

3. Vollstreckung gegen andere juristische Personen öffentlichen Rechts 8.493

Gegen andere juristische Personen des öffentlichen Rechts, die der Staatsaufsicht unterliegen, z.B. Gemeinden, Gemeindeverbände, Landkreise, Landschaftsverbände, Hochschulen, Handels- und Handwerkskammern, andere Berufskammern und gesetzliche Sozialversicherungsträger, ist die Vollstreckung durch Finanzbehörden nach §§ 249 ff. AO nur mit Zustimmung der Aufsichtsbehörde des Vollstreckungsschuldners zulässig. Staatsaufsicht bedeutet hier zumindest Rechtsaufsicht.

8.494

Die Aufsichtsbehörde bestimmt dann den Zeitpunkt der Vollstreckung und die Vermögensgegenstände, in die vollstreckt werden kann (§ 255 Abs. 1 Satz 2 und 3 AO).

4. Sonderfragen im Vollstreckungsverfahren 8.495

Wurde der Vollstreckungsstelle der Finanzbehörde ein Rückstand angezeigt, der vom Bund, einem Land oder einer juristischen Person des öffentlichen Rechts, die der Staatsaufsicht unterliegt, zu entrichten ist, muss sich die Vollstreckungsstelle nach Abschn. 18 Abs. 3 der Vollstreckungsanweisung allerdings zunächst an die Stelle wenden, der es obliegt, zur Zahlung des Rückstands Anweisung zu erteilen. Wird dabei kein Einvernehmen erreicht, berichtet die Vollstreckungsstelle hierüber der ihr vorgesetzten Finanzbehörde (Oberfinanzdirektion oder Landesamt für Steuern). Diese muss dann versuchen, ggf. durch Einschaltung der obersten Finanzbehörde (Ministerium), zu einer Regelung der Angelegenheit zu gelangen.

8.496

Vollstreckungsmaßnahmen, die gegen § 255 Abs. 1 AO verstoßen, sind nichtig (§ 125 AO).

5. Vollstreckung gegen juristische Personen privaten Rechts 8.497

§ 255 Abs. 1 AO gilt nicht für juristische Personen privaten Rechts, selbst wenn sie vollständig dem Bund oder einem Land bzw. mehreren Ländern (ggf. auch dem Bund) gehören.3

6. Vollstreckung gegen ausländische Staaten 8.498

Für ausländische Staaten und ihre Organe ergibt sich ein Vollstreckungsverbot nicht aus § 255 AO, sondern aus dem Völkerrecht (Grundsatz der Staatsimmunität).

7. Vollstreckung gegen öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften 8.499

Kirchen unterliegen, auch wenn sie Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, nicht der Staatsaufsicht. § 255 Abs. 1 Satz 2 AO greift daher nicht ein, die Vollstreckung gegen sie ist folglich uneingeschränkt zulässig.

1 Jatzke in H/H/S, § 255 AO Rz. 8, August 2016. 2 Neumann in Gosch, § 255 AO Rz. 3, Dezember 2011. 3 Vgl. Jatzke in H/H/S, § 255 AO Rz. 9, August 2016.

558 | Baum

P. Gerichtliches Rechtsbehelfsverfahren | Rz. 8.505 Kap. 8

8. Vollstreckung gegen öffentlich-rechtliche Kreditinstitute Gegenüber öffentlich-rechtlichen Kreditinstituten (Sparkassen, Landesbanken) gelten die Beschränkungen des § 255 Abs. 1 AO nicht (vgl. § 255 Abs. 2 AO), um ihnen gegenüber privatrechtlichen Kreditinstituten keine Wettbewerbsvorteile zu verschaffen.

8.500

P. Gerichtliches Rechtsbehelfsverfahren I. Gerichtlicher Rechtsschutz im Besteuerungsverfahren Die Finanzgerichtsordnung (FGO) konkretisiert für den Bereich des Steuerrechts den verfassungsrechtlichen Anspruch aus Art. 19 Abs. 4 GG auf umfassenden Rechtsschutz gegen Maßnahmen der Finanzbehörden (Maßnahmen durch Tun oder Unterlassen). Sie bestimmt in verfahrensrechtlicher Hinsicht Umfang und Grenzen für die Aufgabe der Finanzgerichtsbarkeit, im Bereich des Steuerrechts einen hinreichenden Schutz der individuellen Rechte zu gewährleisten und zugleich zur Fortbildung des Rechts sowie zur Wahrung der Rechtseinheit beizutragen.1

8.501

II. Gerichtliche Rechtsbehelfe nach der FGO Elementare gerichtliche Rechtsbehelfe im Besteuerungsverfahren sind nach § 40 Abs. 1 FGO:

8.502

– die Anfechtungsklage (das ist eine Aufhebung oder Änderung eines Verwaltungsakts gerichtete Klage), – die Verpflichtungsklage (das ist eine auf Verurteilung der Finanzbehörde zum Erlass eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts gerichtete Klage) und – die allgemeine Leistungsklage (das ist eine auf Verurteilung der Finanzbehörde zu einer anderen, nicht verwaltungsaktbezogenen Leistung gerichtete Klage). § 41 FGO lässt ergänzend zu § 40 FGO die Erhebung einer Feststellungsklage zu. Die Regelung fordert allerdings ein berechtigtes Interesse des Klägers an der Feststellung und ordnet in § 41 Abs. 2 FGO zudem die Subsidiarität dieser Klageart gegenüber Gestaltungs- und Leistungsklage an. Nach § 41 Abs. 1 FGO kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder der Nichtigkeit oder Unwirksamkeit eines Verwaltungsaktes begehrt werden.

8.503

Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist ein Unterfall der Anfechtungsklage2, der analog auf den Fall der Verpflichtungsklage ausgedehnt wird3. In beiden Fällen verlangt die Fortsetzungsfeststellungsklage das Vorliegen eines Verwaltungsakts.

8.504

Dagegen ist die Unterlassungsklage als Unterfall einer Leistungsklage nach ihrer Erledigung nicht in eine Fortsetzungsfeststellungsklage umstellbar. Nach ihrer Erledigung kann die Unterlassungsklage aber als Feststellungsklage zulässig bleiben.4

8.505

1 2 3 4

Vgl. Brandt in Gosch, Einführung zur FGO, Rz. 1, September 1995. BFH v. 2.6.1987 – VIII R 192/83, BFH/NV 1988, 104. BFH v. 12.6.1996 – II R 71/94, BFH/NV 1996, 873. Vgl. z.B. BFH v. 14.4.2021 – X R 25/19, StE 2021, 538.

Baum | 559

Kap. 8 Rz. 8.506 | Verfahrensrecht

8.506

Nach § 44 Abs. 1 FGO ist in den Fällen, in denen ein außergerichtlicher Rechtsbehelf (hier: Einspruch) gegeben ist, die Klage vorbehaltlich der §§ 45 und 46 FGO nur zulässig, wenn das (außergerichtliche) Vorverfahren erfolglos geblieben ist. Von einem abgeschlossenen Vorverfahren ist auch dann auszugehen, wenn die Einspruchsentscheidung während des Klageverfahrens gegenüber dem Rechtsbehelfsführer nachgeholt wird.1

8.507

Nach § 45 Abs. 1 FGO ist die Klage (ausnahmsweise) ohne Vorverfahren zulässig, wenn die Behörde, die über den außergerichtlichen Rechtsbehelf zu entscheiden hat, innerhalb eines Monats nach Zustellung der Klageschrift dem Gericht gegenüber zustimmt (Sprungklage). Das Finanzgericht kann eine Sprungklage nach § 45 Abs. 2 FGO allerdings innerhalb von drei Monaten nach Eingang der Akten der Behörde bei Gericht, spätestens innerhalb von sechs Monaten nach Klagezustellung, durch Beschluss an die zuständige Behörde zur Durchführung des Vorverfahrens abgeben, wenn eine weitere Sachaufklärung notwendig ist, die nach Art oder Umfang erhebliche Ermittlungen erfordert, und die Abgabe auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Stimmt die Behörde der Sprungklage nicht zu oder gibt das Gericht die Klage an die Behörde ab, ist die Klage als außergerichtlicher Rechtsbehelf zu behandeln (§ 45 Abs. 3 FGO). Die Sprungklage ist nach § 45 Abs. 4 FGO außerdem ohne Vorverfahren zulässig, wenn die Rechtswidrigkeit der Anordnung eines dinglichen Arrests geltend gemacht wird.

8.508

Neben der Sprungklage stellt die sogen. Untätigkeitsklage nach § 46 Abs. 1 Satz 1 FGO eine weitere Ausnahme von der Forderung des § 44 Abs. 1 FGO nach Durchführung eines außergerichtlichen Vorverfahrens vor Klageerhebung dar. Die Untätigkeitsklage ist bei behördlicher Untätigkeit ohne vorherigen Abschluss des Vorverfahrens zulässig. Die Untätigkeitsklage kann nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FGO nicht vor Ablauf von sechs Monaten seit Einlegung des außergerichtlichen Rechtsbehelfs erhoben werden, es sei denn, dass wegen besonderer Umstände des Falles eine kürzere Frist geboten ist. Das Finanzgericht kann das Klageverfahren bis zum Ablauf einer von ihm bestimmten und verlängerbaren Frist aussetzen (§ 46 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 FGO).

8.509

Wird dem außergerichtlichen Rechtsbehelf innerhalb dieser Frist stattgegeben oder der beantragte Verwaltungsakt innerhalb dieser Frist erlassen, ist der Rechtsstreit in der Hauptsache als erledigt anzusehen (§ 46 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 FGO). Wird nach erfolglosem Untätigkeitseinspruch eine Untätigkeitsklage erhoben und ergeht daraufhin ein Steuerbescheid, der dem Antrag des Steuerpflichtigen ganz oder teilweise nicht entspricht, kann die Untätigkeitsklage dagegen als Anfechtungsklage fortgeführt werden.2

8.510

§ 46 Abs. 2 FGO ordnet die sinngemäße Anwendung von § 46 Abs. 1 Satz 2 und 3 FGO für die Fälle an, in denen eine Verpflichtungsklage auf Erlass eines unterlassenen Verwaltungsakts ohne vorherigen außergerichtlichen Rechtsbehelf erhoben werden kann. Er knüpft nicht an die Untätigkeit im außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren, sondern an die Untätigkeit bei der Bescheidung eines Antrags im Veranlagungsverfahren an.

III. Klagebefugnis/Individuelle Beschwer 8.511

Die Finanzgerichte sollen nach der FGO (nur) Individualrechtsschutz gewähren. § 40 Abs. 2 FGO verlangt nämlich, dass der Kläger darlegt (d.h. substantiiert vorträgt), in „seinen“ Rech1 Vgl. BFH v. 3.2.2010 – IV R 26/07, BStBl II 2010, 751, m.w.N. 2 Vgl. BFH v. 19.4.2007 – V R 48/04, BStBl II 2009, 315.

560 | Baum

P. Gerichtliches Rechtsbehelfsverfahren | Rz. 8.517 Kap. 8

ten verletzt zu sein. Eine subjektive Rechtsverletzung ist in erster Linie gegeben, wenn der Kläger Inhaltsadressat eines ihn belastenden, rechtswidrigen Verwaltungsakts ist (sog. Adressatentheorie).1 Wie aus dem Wortlaut des § 40 Abs. 2 FGO unmittelbar hervorgeht, muss die dort geregelte sog. Klagebefugnis auch bei einer allgemeinen Leistungsklage vorliegen.2 Die Voraussetzungen des § 40 Abs. 2 FGO sind jedenfalls dann erfüllt, wenn das Klagevorbringen es als zumindest möglich erscheinen lässt, dass die angefochtene Entscheidung eigene subjektiv-öffentliche Rechte des Klägers verletzt (sog. Möglichkeitstheorie, bzw. die Klagebefugnis ist – umgekehrt gewendet – nur dann nicht gegeben, wenn offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise die vom Kläger geltend gemachten Rechte bestehen oder ihm zustehen können.3 In die Betrachtung, ob eigene Rechte verletzt sind, sind auch die Grundrechte einzubeziehen. Insoweit können faktische und mittelbare Beeinträchtigungen ausreichend sein.4

8.512

Kläger i.S.d. § 40 FGO kann auch eine juristische Person des öffentlichen Rechts sein, wenn sie sich von einem Steuerverwaltungsakt nicht als Steuergläubiger, sondern als Steuerpflichtiger i.S.d. § 33 AO (insbesondere als Steuer- oder Haftungsschuldner) in „ihren“ Rechten verletzt fühlt.

8.513

Von dieser Adressatentheorie werden allerdings solche Rechtsverletzungen nicht erfasst, die ein von dem Steuerverwaltungsakt oder seinem Unterlassen betroffener Dritter erleidet (siehe hierzu aber Rz. 8.519 – „Konkurrentenklage“).

8.514

Bestünde die Aufgabe der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit nach der FGO allein in der Aufrechterhaltung der objektiven Rechtsordnung, müsste jedermann eine Klage erheben können. Auftrag der allgemeinen Verwaltungs- und der Finanzgerichtsbarkeit ist es jedoch, nach Art. 19 Abs. 4 GG, dem Einzelnen Rechtsschutz gegen rechtswidrige Maßnahmen der Verwaltung zu gewähren.5 Abstrakte Rechtsfragen haben die Gerichte der Finanzgerichtsbarkeit hingegen nicht zu klären.

8.515

Popularklagen zur Wahrnehmung der Rechte Dritter (im eigenen Namen) oder von Allgemeininteressen sind unzulässig.6 Eine gleichheitswidrige Privilegierung einer Gruppe stellt sich zwar als Benachteiligung der übrigen Steuerpflichtigen dar. Dennoch kann durch den Gleichheitssatz kein allgemeines und generelles Abwehrrecht eines jeden Steuerpflichtigen gegenüber solchen Rechtsvorschriften begründet werden, die zu einer gleichheitswidrigen Steuerentlastung führen.7

8.516

IV. Innenrechtsstreit der öffentlichen Hand Der Aufgabe der Finanzgerichtsbarkeit, Individualrechtsschutz zu gewähren, entspricht es nicht, Konflikte, die im Innenbereich von (teil-)rechtsfähigen Organisationen der öffentlichen 1 2 3 4 5 6 7

Vgl. Krumm in Tipke/Kruse, § 40 FGO, Rz. 37, April 2021 = Adressatentheorie als „Faustformel“. BFH v. 25.11.2015 – I R 85/13, BStBl II 2016, 479. Vgl. BFH v. 25.11.2015 – I R 85/13, BStBl II 2016, 479. BFH v. 12.8.2020 – X R 22/18, HFR 2021, 359. von Beckerath in Gosch, § 40 FGO, Rz. 127, Mai 2018. Krumm in Tipke/Kruse, § 40 FGO, Rz. 31, April 2021. Vgl. BFH v. 11.9.2008 – VI R 13/06, BStBl II 2008, 928 m.w.N. und BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 26.7.2010 – 2 BvR 2227/08, HFR 2010, 1108.

Baum | 561

8.517

Kap. 8 Rz. 8.517 | Verfahrensrecht

Verwaltung entstehen („Innenrechtsstreit“) zu befrieden. Aufgabe der rechtsprechenden Gewalt ist es nicht, Streitigkeiten zwischen zwei Behörden zu entscheiden, wenn sie einer gemeinsamen höheren Spitze nachgeordnet sind, die den Streit zu entscheiden befugt und in der Lage ist.1 Allerdings hat der BFH einen unzulässigen In-sich-Prozess verneint, wenn der von einem Steuerverwaltungsakt betroffene Fiskus den Finanzrechtsweg beschreitet. Soweit ein Bundesland sich im Bereich der Fiskalverwaltung betätige und dadurch mit anderen Subjekten der Rechtsordnung in Konkurrenz trete, sei es – wie diese – mit den gleichen Rechten und Pflichten der Steuerrechtsordnung unterworfen. Es könne deshalb auch im Finanzrechtsweg klagen.2 So lässt § 40 Abs. 3 FGO einen sog. In-sich-Prozess in den Fällen zu, in denen bei einer Trennung von Ertragsberechtigung und Verwaltungszuständigkeit die Verwaltungstätigkeit mit der Steuerschuldnerschaft zusammentrifft (sog. Drittklagerecht).3

8.518

Danach kann eine Gemeinde einen Steuermessbescheid jedenfalls dann als Drittbetroffene anfechten, wenn es um die Besteuerung des Landes geht, wenn also das Land oder ein gewerblicher Betrieb des Landes als Steuerschuldner unmittelbar betroffen ist und das Finanzamt dieses Landes den Messbescheid erlässt. Das ist z.B. der Fall, wenn Steuerobjekt der Grundsteuer ein Grundstück des Landes oder Gewerbesteuer-Objekt ein gewerblicher Betrieb des Landes ist. Darüber erfasst § 40 III auch Fälle mittelbarer Steuerschuldnerschaft für die GewSt/GrSt.4 Umstritten ist aber, inwieweit der Gemeinde das Drittklagerecht auch bei mittelbarer Steuerschuldnerschaft des Landes zusteht.5 Die Klagebefugnis der Gemeinden ist in § 40 Abs. 3 FGO jedenfalls abschließend geregelt.

V. Konkurrentenklage 8.519

In der Regel werden durch einen rechtswidrig begünstigenden Steuerverwaltungsakt nur die Rechte der Steuergläubiger verletzt, die von den Finanzbehörden im Interesse der Allgemeinheit wahrzunehmen sind, wenn ein Steuerpflichtiger rechtswidrig nicht oder zu niedrig besteuert wird. Eine Verletzung der Rechte eines an dem betreffenden Steuerschuldverhältnis nicht beteiligten Dritten kommt allerdings dann, aber auch nur dann in Betracht, wenn die Nichtbesteuerung oder zu niedrige Besteuerung eines Anderen gegen eine Norm verstößt, die nicht ausschließlich im Interesse der Allgemeinheit, insbesondere im öffentlichen Interesse an der gesetzmäßigen Steuererhebung und Sicherung des Steueraufkommens erlassen wurde, sondern – zumindest auch – dem Schutz der Interessen einzelner an dem betreffenden Steuerschuldverhältnis nicht beteiligter Dritter dient.6

8.520

Die Zulässigkeit einer derartigen Konkurrentenklage setzt das Bestehen einer „drittschützenden Norm“ voraus. Nach der BFH-Rechtsprechung sind die §§ 51 bis 63 AO (steuerliche Gemeinnützigkeit) unmittelbar keine drittschützenden Normen. Drittschützende Normen sind aber § 5 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 KStG, § 3 Nr. 6 Satz 2 GewStG, § 3 Abs. 1 Nr. 12 Satz 2 VStG (jeweils i.V.m. §§ 64 bis 68 AO). Auch der in der MwSt-Systemrichtlinie verankerte Grundsatz der steuerlichen Neutralität kann von einem Steuerpflichtigen im Wege der Konkurrentenkla1 FG Rheinland-Pfalz v. 27.9.1982 – 5 K 113/82, EFG 1983, 295. 2 BFH v. 9.10.1985 – II R 204/83, BStBl II 1986, 148; von Beckerath in Gosch, § 40 FGO Rz. 131, Mai 2018. 3 Vgl. von Beckerath in Gosch, § 40 FGO, Rz. 244, Mai 2018. 4 Krumm in Tipke/Kruse, § 40 FGO, Rz. 95, April 2021. 5 Vgl. hierzu Krumm in Tipke/Kruse, § 40 FGO, Rz. 95, April 2021, m.w.N. 6 Vgl. BFH v. 18.9.1984 – VII R 50-51/82, BStBl II 1985, 12, und v. 15.10.1997 – I R 10/92, BStBl II 1998, 63.

562 | Baum

P. Gerichtliches Rechtsbehelfsverfahren | Rz. 8.525 Kap. 8

ge geltend gemacht werden, wenn Einrichtungen des öffentlichen Rechts für die Tätigkeiten oder Leistungen, die sie im Rahmen der öffentlichen Gewalt ausüben oder erbringen, als Nichtsteuerpflichtige behandelt werden und dies zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führt.1 § 2 Abs. 3 UStG weist ebenfalls drittschützende Wirkung auf. Gleiches dürfte für § 2b UStG gelten. Ein Verstoß der Finanzbehörden gegen § 5 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 KStG, § 3 Nr. 6 Satz 2 GewStG, § 3 Abs. 1 Nr. 12 Satz 2 VStG (jeweils i.V.m. §§ 64 bis 68 AO) oder § 2 Abs. 3 bzw. § 2b UStG kann – wenn er wettbewerbsrelevant ist – zu einer Verletzung von Rechten der Wettbewerber führen. Inhaltlich besteht das Recht des Wettbewerbers in einem Anspruch gegenüber der für die Besteuerung der Körperschaft zuständigen Finanzbehörde, die Körperschaft hinsichtlich des wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs zu besteuern, falls der Betrieb nicht die Voraussetzungen eines Zweckbetriebs gemäß §§ 65 bis 68 AO erfüllt und sich die Nichtbesteuerung zum Nachteil des Wettbewerbers auswirkt.

8.521

Potenzielle Schutznormen sind darüber hinaus aber auch alle Sozialzweck- oder Lenkungsnormen, deren korrekte Anwendung zur Wahrung der Wettbewerbsfreiheit eines Konkurrenten geboten ist.2

8.522

Voraussetzung der Zulässigkeit einer auf einen Verstoß gegen eine drittschützende Norm gestützten Klage eines Dritten ist allerdings, dass der Kläger substantiiert geltend macht, die rechtswidrige Nichtbesteuerung oder zu geringe Besteuerung des mit ihm in Wettbewerb stehenden Steuerpflichtigen beeinträchtige das Recht des Klägers auf Teilnahme an einem steuerrechtlich nicht zu seinem Nachteil verfälschten Wettbewerb.

8.523

Außerhalb des Bereichs von Wettbewerbsverhältnissen ist die Rspr. sehr restriktiv. Wird ein Steuerpflichtiger rechtswidrig nicht oder zu niedrig besteuert, werden hiernach Rechte eines an dem betreffenden Steuerschuldverhältnis nicht beteiligten Dritten i.d.R. nicht verletzt.3

8.524

VI. Verfassungsunmittelbarer Auskunftsanspruch hinsichtlich der Besteuerung eines Konkurrenten Der Dritte hat einen verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruch hinsichtlich der Besteuerung eines Konkurrenten unbeschadet des Steuergeheimnisses nach § 30 AO dann, wenn er substantiiert und glaubhaft darlegt, durch eine aufgrund von Tatsachen zu vermutende oder zumindest nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auszuschließende unzutreffende Besteuerung eines Konkurrenten konkret feststellbare, durch Tatsachen belegte Wettbewerbsnachteile zu erleiden und gegen die Steuerbehörde mit Aussicht auf Erfolg ein subjektives öffentliches Recht auf steuerlichen Drittschutz geltend machen zu können.4 Die Auskunft darf dem Dritten erteilt werden, wenn die Konkurrentenklage nicht offensichtlich unzulässig wäre; die Auskunftserteilung setzt nicht die Feststellung voraus, dass dem Auskunftsantragsteller die von ihm behaupteten Rechte, die er auf der Grundlage der ihm erteilten Auskunft

1 EuGH v. 8.6.2006 – C-430/04, HFR 2006, 830, und BFH v. 5.10.2006 – VII R 24/03, BStBl II 2007, 243. 2 Krumm in Tipke/Kruse, § 40 FGO, Rz. 40, April 2021. 3 Krumm in Tipke/Kruse, § 40 FGO, Rz. 41, April 2021. 4 BFH v. 5.10.2006 – VII R 24/03, BStBl II 2007, 243, und v. 26.1.2012 – VII R 4/11, BStBl II 2012, 541.

Baum | 563

8.525

Kap. 8 Rz. 8.525 | Verfahrensrecht

verfolgen möchte, tatsächlich zustehen.1 Eine auf eine Auskunftserteilung durch das Finanzamt über steuerliche Verhältnisse gerichtete Klage ist als allgemeine Leistungsklage i.S.d. § 40 Abs. 1, 3. Alt. FGO kombiniert mit einer Anfechtungsklage gegen den Ablehnungsbescheid statthaft.2

1 BFH v. 5.10.2006 – VII R 24/03, BStBl II 2007, 243. 2 FG Hamburg v. 29.4.2021 – 6 K 206/19, juris.

564 | Baum

Kapitel 9 Kommunalverwaltung A. Parkplätze I. Allgemeine Einordnung . . . . . . . . . . II. Ertragsteuerliche Einordnung 1. Gesetzliche Grundlagen . . . . . . . 2. Differenzierung nach der Art der Parkflächen . . . . . . . . . . . . . . a) Unselbständige Parkflächen b) Selbständige Parkflächen . . . 3. Einordnung von Einzelsachverhalten a) Unselbständige Parkflächen aa) Aufstellung von Parkuhren und Parkscheinautomaten . . . . . . . . . . . bb) Erstellung von Parkausweisen (bspw. Anwohnerparken) . . . . . . . . . . . . . b) Selbständige Parkflächen aa) Parkhäuser und Tiefgaragen (insbesondere Kurzzeitparker) . . . . . . . bb) Parkflächen insbesondere für Kurzzeitparker . cc) Langfristige Parkplatzüberlassung . . . . . . . . . . dd) Parkplatzüberlassung an Mitarbeiter der öffentlichen Hand . . . . . . . . . . III. Umsatzsteuerliche Einordnung 1. Gesetzliche Grundlagen . . . . . . . 2. Einordnung nach altem Recht . . 3. Einordnung nach neuem Recht (§ 2b UStG) a) Europarechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausübung öffentlicher Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Größere Wettbewerbsverzerrung . . . . . . . . . . . . . . d) Einordnung nach Art und Nutzung der Parkflächen aa) Allgemeine Einordnung bb) Unselbständige Parkflächen . . . . . . . . . . . . . . cc) Selbständige Parkflächen (insbes. Parkplätze und Tiefgaragen) . . . . . . . . .

9.1 9.4 9.12 9.13 9.16

B. I. II.

III. 9.18 9.21 C. 9.22 9.27 9.31 9.33 9.36 9.39

9.42 9.46 9.48 9.50 9.51 9.56

I. II.

4. Langfristige Überlassung von Parkflächen – Steuerfreiheit und Optionsmöglichkeit . . . . . . . 5. Vorsteuerabzug . . . . . . . . . . . . . . Marktbetriebe Allgemeine Einordnung . . . . . . . . . . Ertragsteuerliche Einordnung 1. Einordnung als Betrieb gewerblicher Art . . . . . . . . . . . . . . . 2. Betriebsvermögen des BgA „Marktbetriebe“ . . . . . . . . . . . . . Umsatzsteuerliche Einordnung 1. Gesetzliche Grundlagen . . . . . . . 2. Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 12 UStG und Optionsmöglichkeit nach § 9 UStG . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vorsteuerabzug . . . . . . . . . . . . . . Verpachtungs-Betriebe gewerblicher Art und Betriebsaufspaltungsfälle Allgemeine Einordnung . . . . . . . . . . Ertragsteuerliche Einordnung 1. Verpachtungs-BgA a) Voraussetzungen für die Annahme eines Verpachtungs-BgA . . . . . . . . . . . . . . b) Abgrenzung zur Vermögensverwaltung . . . . . . . c) Entgeltlichkeit der Überlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Dauerdefizitäre Verpachtungs-BgA und § 8 Abs. 7 KStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Zusammenfassung von Verpachtungs-BgA . . . . . . . 2. Betriebsaufspaltung a) Abgrenzungsfragen . . . . . . . b) Merkmale einer Betriebsaufspaltung aa) Betriebsaufspaltung als „Rechtsprechungsinstitut“ . . . . . . . . . . . . . bb) Personelle Verflechtung cc) Sachliche Verflechtung . c) Abgrenzung bei Überlassungen an Betriebe gewerblicher Art . . . . . . . . . . .

9.62 9.66 9.69 9.72 9.76 9.86 9.90 9.96

9.102

9.105 9.110 9.114 9.121 9.124 9.126

9.128 9.129 9.131 9.135

Gastl/Wiesch/Gries | 565

Kap. 9 | Kommunalverwaltung

III.

D. I. II.

III.

E. I. II.

d) Unentgeltliche Überlassung an Eigengesellschaften . . . . e) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . Umsatzsteuerliche Einordnung 1. Gesetzliche Grundlagen . . . . . . . 2. Verpachtung dauerdefizitärer Betriebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Museen, Theater und andere kulturelle Einrichtungen Allgemeine Einordnung . . . . . . . . . Ertragsteuerliche Einordnung 1. Vorliegen eines BgA i.S.d. § 4 KStG a) Grundsätzliche Einordnung b) Abgrenzung der einzelnen Tätigkeiten aa) Grundsätzliche Einordnung . . . . . . . . . . . . bb) Museen . . . . . . . . . . . . . cc) Theater . . . . . . . . . . . . . 2. Kulturelle Tätigkeiten als Dauerverlustbetriebe i.S.d. § 8 Abs. 7 KStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Steuerbefreiter kultureller BgA als Zweckbetrieb . . . . . . . . . . . . . Umsatzsteuerliche Einordnung 1. Steuerbarkeit nach § 2 Abs. 3 UStG a.F. bzw. § 2b UStG . . . . . . 2. Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG a) Allgemeiner Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Abgrenzung der betroffenen Einrichtungen und Umfang der Steuerbefreiung aa) Sachlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . bb) Museen . . . . . . . . . . . . . cc) Theater . . . . . . . . . . . . . c) Problematik der Einordnung von Leistungsbündeln . . . . . Kurbetriebe, Tourismuseinrichtungen Allgemeine Einordnung und Begrifflichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . Körperschaftsteuer 1. Kurbetriebe und Tourismuseinrichtungen als Betriebe gewerblicher Art . . . . . . . . . . . . . 2. Zusammenfassung von Betrieben gewerblicher Art (§ 4 Abs. 6 KStG) . . . . . . . . . . . .

566 | Gastl/Wiesch/Gries

9.138 9.142 9.149 9.152

9.159

9.162

9.165 9.167 9.171 9.174 9.178 9.184

9.188

9.189 9.191 9.196 9.199

9.206

9.211 9.222

3. Dauerverlust-Betriebe gewerblicher Art (§ 8 Abs. 7 KStG) . . . . III. Umsatzsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unternehmereigenschaft aufgrund eines Kurbetriebs oder Tourismuseinrichtungen . . . . . . a) Die Ausübung einer unternehmerischen (wirtschaftlichen) Tätigkeit (§ 2 Abs. 1 UStG) aa) Der Begriff der unternehmerischen (wirtschaftlichen) Tätigkeit . bb) Kurbetrieb als unternehmerische (wirtschaftliche) Tätigkeit . . cc) Überlassung von Kurund Tourismuseinrichtungen an die Allgemeinheit . . . . . . . . dd) Einzelfragen zum umsatzsteuerlichen Leistungsaustausch . . . b) Sonderregelungen für die Unternehmereigenschaft einer kommunalen Trägerkörperschaft (§ 2b UStG) aa) Systematische Einordnung und Aufbau der Sonderregelungen . . . . bb) Im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegende Tätigkeiten . . . cc) Wettbewerbsverzerrungen . . . . . . . . . . . . . dd) Bisherige Sonderregelung (§ 2 Abs. 3 UStG) . . . . . . . . . . . . . . 2. Ermäßigter Steuersatz für Kurbetriebe und Tourismuseinrichtungen a) Schwimmbäder . . . . . . . . . . b) Heilbäder . . . . . . . . . . . . . . c) Erbringung von teilweise begünstigten und teilweise nicht begünstigen Schwimmund Heilbadleistungen . . . . d) Kureinrichtungen . . . . . . . . 3. Vorsteuerabzug bei Kurbetrieben und Tourismuseinrichtungen a) Die Bedeutung des Vorsteuerabzugs . . . . . . . . . . . . b) Allgemeine Voraussetzungen

9.226 9.229 9.230

9.232 9.234

9.236 9.241

9.246 9.247 9.251 9.256

9.259 9.263

9.269 9.272

9.276 9.277

Kommunalverwaltung | Kap. 9

F.

I. II.

III.

c) Der Allgemeinheit gewidmete Kur- und Tourismuseinrichtungen . . . . . . . . d) Vorsteueraufteilung bei gemischt unternehmerischer und nichtunternehmerischer Verwendung . . . . . . . . . . . . . Umsatzbesteuerung von Sportstätten, Bürgerhäusern, Stadthallen, Wissenschafts- und Kongresszentren (Gemeinschaftseinrichtungen) im Rahmen der Kommunalverwaltung Bedeutung der Umsatzbesteuerung für kommunale Gemeinschaftseinrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundlagen für die Umsatzbesteuerung kommunaler Gemeinschaftseinrichtungen 1. Gemeinschaftseinrichtungen im Rahmen der Kommunalverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Umsatzbesteuerung kommunaler Trägerkörperschaften . . . . . . . . . Umsatzbesteuerung von kommunalen Gemeinschaftseinrichtungen 1. Unternehmereigenschaft infolge der Verwaltung kommunaler Gemeinschaftseinrichtungen . . . a) Grundsatz: Die Ausübung einer unternehmerischen Tätigkeit (§ 2 Abs. 1 UStG) aa) Voraussetzungen einer unternehmerischen Tätigkeit . . . . . . . . . . . . bb) Defizitäre Gemeinschaftseinrichtungen . . . cc) Zuschüsse als Entgelte für eine Leistung . . . . . . dd) Tauschähnliche Umsätze b) Ausnahme: Die Behandlung als Nichtunternehmer (§ 2b Abs. 1 Satz 1 UStG) . . c) Rückausnahme: Die Behandlung als Unternehmer wegen Wettbewerbsverzerrungen (§ 2b Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 und 3 UStG) aa) Regelungsinhalt . . . . . . . bb) Der Begriff der „größeren Wettbewerbsverzerrungen“ (§ 2b Abs. 1 Satz 2 UStG) . . .

9.280

9.287

9.292

9.297 9.303

9.309

9.311 9.315 9.322 9.325 9.326

9.333

9.334

cc) Ausschluss größerer Wettbewerbsverzerrungen (§ 2b Abs. 2 UStG) (1) Umsatzgrenze . . . . . . . . 9.338 (2) Erbringung steuerfreier Umsätze . . . . . . . . . . . . 9.344 dd) Ausschluss größerer Wettbewerbsverzerrungen bei Leistungen zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts (§ 2b Abs. 3 UStG) (1) Regelungsinhalt . . . . . . 9.347 (2) Tätigkeitsmonopol aufgrund gesetzlicher Bestimmungen . . . . . . . . . 9.348 (3) Bestimmung der Zusammenarbeit durch gemeinsame spezifische öffentliche Interessen . . 9.350 d) Verwaltung von Gemeinschaftseinrichtungen im Rahmen einer umsatzsteuerlichen Organschaft aa) Anwendungsfall . . . . . . 9.353 bb) Grundzüge der umsatzsteuerlichen Organschaft 9.354 cc) Kommunale Trägerkörperschaften als Organträger . . . . . . . . . 9.356 2. Ausgewählte Steuerbefreiungen für die Verwaltung von kommunalen Gemeinschaftseinrichtungen a) Wirkungsweise und Relevanz von Steuerbefreiungen . . . . . . . . . . . . . 9.364 b) Steuerfreie Vermietung und Verpachtung von Gemeinschaftseinrichtungen (§ 4 Nr. 12 Buchst. a UStG) 9.367 c) Steuerfreie Bildungs-, Kulturund Sportveranstaltungen (§ 4 Nr. 22 UStG) . . . . . . . . 9.377 aa) Bildungsleistungen . . . . 9.378 bb) Kultur- und Sportveranstaltungen . . . . . . 9.383 3. Ausgewählte Steuerermäßigungen im Bereich der Verwaltung von kommunalen Gemeinschaftseinrichtungen a) Eintrittsentgelte für Theater-, Konzert oder Museumsveranstaltungen (§ 12 Nr. 7 Buchst. a UStG) . . . . . . . . . . 9.387

Gastl/Wiesch/Gries | 567

Kap. 9 Rz. 9.1 | Kommunalverwaltung b) Leistungen gemeinnütziger Einrichtungen (§ 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG) . . . . . c) Betrieb und Vermietung von Schwimmbädern (§ 12 Abs. 2 Nr. 9 Satz 1 UStG) . . 4. Ermittlung der Bemessungsgrundlage für steuerpflichtige Leistungen im Rahmen der Verwaltung von kommunalen Gemeinschaftseinrichtungen . . . . . 5. Vorsteuerabzug im Rahmen der Verwaltung von kommunalen Gemeinschaftseinrichtungen a) Systematik und Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Entstehung des Vorsteuerabzugsrechts . . . . . . . . . . . . c) Höhe des Vorsteuerabzugsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Berichtigung/Korrektur des ursprünglichen Vorsteuerabzugs . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Umsatzbesteuerung von kommunalen Gemeinschaftseinrichtungen nach § 2 Abs. 3 UStG a.F. . . . . . . . . G. Entsorgungseinrichtungen – Abfallentsorgung, Abwasserbeseitigung und Straßenreinigung I. Allgemeine Einordnung . . . . . . . . .

9.388 9.393

9.397

9.404 9.407 9.413 9.422 9.430

9.441

II. Hoheitliche Betätigung – Abgrenzung 1. Möglichkeiten der Abgrenzung . 2. Abgrenzung nach sachlicher Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . 3. Abgrenzungen nach räumlicher Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . 4. Abgrenzung im föderalen Zusammenhang . . . . . . . . . . . . . III. Straßenreinigung . . . . . . . . . . . . . . . IV. Abwasserentsorgung 1. Maßgeblichkeit der Landeswasser- und Ortsgesetze . . . . . . . 2. Gebietserweiterung . . . . . . . . . . 3. Annahme von Abwässern außerhalb der örtlichen Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Annahme von Klärschlämmen und Co-Substraten . . . . . . . . . . . 5. Annahme von Fettabscheiderinhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Abfallrecht in der Entwässerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Entgeltliche Abgabe von Wärme oder Einspeisung von Strom . . . 8. Labordienstleistungen . . . . . . . . 9. Phosphorrückgewinnung . . . . . . V. Abfallentsorgung 1. Abfallentsorgung ist vielfältig . . 2. Umfang der Abfallentsorgung . .

9.443 9.444 9.451 9.454 9.458 9.464 9.467 9.477 9.481 9.484 9.485 9.486 9.489 9.490 9.492 9.493

Literatur: Baldauf, Besteuerung der kommunalen Parkraumbewirtschaftung, ZKF 2019, 49; Baldauf, Die steuerliche Behandlung der entgeltlichen Nutzungsüberlassung kommunaler Fahrzeugstellplätze, DStZ 2008, 717; Boos, Besteuerung der Nutzungsüberlassung kommunaler Fahrzeugstellplätze, DStZ 2015, 214; Seer/Klemke, Abgrenzung des Betriebs gewerblicher Art vom Hoheitsbetrieb, BB 2010, 2015; Herold, BFH stellt klar: Stellplatzvermietung an Wohnungsmieter weiterhin umsatzsteuerfrei, GStB 2021, 329.

A. Parkplätze I. Allgemeine Einordnung 9.1

Die Verkehrsinfrastruktur nimmt gerade im kommunalen Bereich immer weiter an Bedeutung zu. Durch gezieltes Verkehrsmanagement wird dabei versucht, den klimapolitischen Zielen einerseits und den wirtschaftspolitischen Notwendigkeiten andererseits gerecht zu werden. Dies beinhaltet neben der Optimierung der Verkehrsinfrastruktur im Allgemeinen auch eine gezielte Steuerung der Verkehrsströme im Hinblick auf eine optimierte Parkraumbewirtschaftung. Als ein Steuerungsmechanismus wird dabei die entgeltliche Überlassung von Parkflä568 | Gastl/Wiesch/Gries und Gastl

A. Parkplätze | Rz. 9.5 Kap. 9

chen eingesetzt.1 Dabei treten juristische Personen des öffentlichen Rechts vielfach auch in Konkurrenz zu privatwirtschaftlichen Anbietern. Zu differenzieren ist jedoch grundsätzlich auch im Hinblick auf die jeweils zugrunde zu legenden rechtlichen Grundlagen der Parkraumbewirtschaftung. Soweit juristische Personen des öffentlichen Rechts Parkflächen im öffentlichen Raum bewirtschaften, erfolgt dies im Regelfall auf Grundlage der Straßenverkehrsordnung, die primär eine ordnungsgemäße Regulierung des ruhenden Verkehrs zur Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung im öffentlichen Straßenverkehr zum Ziel hat.2 Im Gegensatz dazu stehen bei privatwirtschaftlichen Betreibern marktwirtschaftliche Gesichtspunkte im Vordergrund. Die Überlassung erfolgt auf privatwirtschaftlicher Grundlage.

9.2

Da der Grundgedanke der steuerlichen Erfassung wirtschaftlicher Tätigkeiten juristischer Personen des öffentlichen Rechts darauf ausgerichtet ist, Wettbewerbsverzerrungen zu verhindern, ist für eine zutreffende steuerliche Beurteilung nach den unterschiedlichen Zielsetzungen und den sich jeweils ergebenden unterschiedlichen gesetzlichen Grundlagen zu differenzieren. Dies gilt dabei sowohl für die ertragsteuerliche Einordnung, wie auch für die umsatzsteuerliche Beurteilung. Letztere orientiert sich im Hinblick auf die nunmehr von der ertragsteuerlich losgelösten Einordnung unmittelbar auch an den allgemeinen umsatzsteuerlichen Regelungen, wobei im Hinblick auf eine mögliche öffentlich-rechtliche Grundlage der Nutzungsüberlassung eine denkbare Anwendung des § 2b UStG zu prüfen ist.

9.3

II. Ertragsteuerliche Einordnung 1. Gesetzliche Grundlagen Im Rahmen des Prüfschemas des für die Einordnung als ertragsteuerlich relevanter Betrieb gewerblicher Art maßgeblichen § 4 KStG ist zunächst zu klären, inwieweit eine mit Einnahmenabsicht durchgeführte wirtschaftliche Tätigkeit vorliegt, die nachhaltig ausgeübt wird und sich innerhalb der Gesamtbetätigung der juristischen Person des öffentlichen Rechts hervorhebt.3

9.4

Eine Einnahmenerzielungsabsicht ist bei einer entgeltlichen Parkraumüberlassung grundsätzlich als gegeben anzusehen. Auch ist die Frage der Nachhaltigkeit bei der Zurverfügungstellung einer entsprechenden Infrastruktur für das Abstellen der Fahrzeuge im Regelfall zu bejahen. Hinsichtlich des Heraushebens aus der Gesamtbetätigung der juristischen Person des öffentlichen Rechts wird seitens der Finanzverwaltung auf eine nachhaltige Erzielung von Einnahmen von mehr als Euro 35.000 pro Jahr abgestellt.4 Soweit diese Grenze nicht überschritten wird, ist ein BgA nach Auffassung der Finanzverwaltung nur dann anzunehmen, wenn hierfür besondere Gründe seitens der juristischen Person des öffentlichen Rechts vorgetragen werden.5 So geht die Finanzverwaltung6 im Einklang mit der Rechtsprech-

9.5

1 Dies im Gegensatz zu einer unentgeltlichen Überlassung beispielsweise in Form einer Parkscheibenregelung; vgl. auch Baldauf, ZKF 2019, 49. 2 Vgl. Boos in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, 2017, § 16 Rz. 971 ff.; Baldauf, ZKF 2019, 49. 3 Vgl. zu den Abgrenzungskriterien eines BgA nach § 4 Abs. 1 KStG auch weiterführend Kap. 4, Rz. 4.14 ff. 4 Vgl. R 4.1 Abs. 5 S. 1 KStR 2015. 5 Vgl. R 4.1 Abs. 5 S. 4 KStR 2015. 6 Vgl. R 4.5. Abs. 4 S. 2 KStR 2015;

Gastl | 569

Kap. 9 Rz. 9.5 | Kommunalverwaltung

ung1 bei der entgeltlichen Unterhaltung von Parkflächen außerhalb öffentlicher Straßen im Regelfall vom Vorliegen eines BgA aus.

9.6

In Abgrenzung hierzu sieht § 4 Abs. 1 S. 1 KStG jedoch explizit eine Ausnahme von Tätigkeiten im Rahmen der öffentlichen Gewalt i.S.d. § 4 Abs. 5 KStG vor. Hiernach sind Betriebe, die überwiegend der Ausübung öffentlicher Gewalt dienen (sogenannte Hoheitsbetriebe) nicht als Betriebe gewerblicher Art einzuordnen und bleiben dementsprechend ertragsteuerlich irrelevant. Eine Ausübung öffentlich-rechtlicher Gewalt ist bei der Parkraumbewirtschaftung durch juristische Personen des öffentlichen Rechts insbesondere auf Grundlage der Straßenverkehrsordnung denkbar.2 Von einer hoheitlichen Überlassung von Parkflächen kann insbesondere dann ausgegangen werden, wenn die zuständige Straßenverkehrsbehörde das gebührenpflichtige Abstellen von Fahrzeugen durch eine straßenverkehrsrechtliche Anordnung verfügt und durch die in der StVO vorgesehenen Beschilderungen entsprechend kenntlich macht.3 Verstöße hiergegen werden nach § 49 Abs. 1 Nr. 13 StVO als Ordnungswidrigkeit sanktioniert. Eine öffentlich-rechtliche Widmung von für den Gemeingebrauch für Zwecke des öffentlichen Verkehrs nutzbaren Fläche alleine reicht dabei jedoch nicht aus.4

9.7

Des Weiteren ist für die ertragsteuerliche Einordnung zu beurteilen, ob durch die entgeltliche Überlassung von Stellplätzen gegebenenfalls ein Versorgungsbetrieb i.S.d. § 4 Abs. 3 KStG vorliegt. Die Definition der Versorgungsbetriebe i.S.d. § 4 Abs. 3 KStG dient insoweit der Klarstellung für besonders wichtige Anwendungsfälle der Annahme eines BgA.5 Die Vorschrift ist dabei als lex specialis zu § 4 Abs. 5 KStG einzuordnen, so dass die Tätigkeiten der genannten Versorgungsbetriebe grundsätzlich nicht dem hoheitlichen Bereich zuzuordnen sind.6 Dies vor dem Hintergrund, dass bei Versorgungsbetrieben regelmäßig ein Wettbewerbsverhältnis zu privatwirtschaftlichen Anbietern anzunehmen ist.7 Als Versorgungsbetriebe sind in § 4 Abs. 3 KStG beispielhaft auch die Betriebe genannt, die dem öffentlichen Verkehr dienen. Dabei gehört zum öffentlichen Verkehr in diesem Sinne nicht nur der Individualverkehr auf öffentlichen Straßen, sondern grundsätzlich auch die Parkraumbewirtschaftung, soweit diese nicht explizit als hoheitliche Tätigkeit einzuordnen ist.8 So dient die entgeltliche Zurverfügungstellung öffentlicher Parkflächen auch der Verkehrsgestaltung durch die öffentliche Hand, kann mithin also grundsätzlich als Verkehrsbetrieb i.S.d. § 4 Abs. 3 KStG eingeordnet werden. Allerdings ist die verkehrspolitische Zielsetzung der Tätigkeit alleine wohl nicht ausreichend, um die Annahme eines BgA zwingend zu begründen. So müssen darüber hinaus weiterhin die Merkmale des § 4 Abs. 1 KStG im Hinblick auf die „gewerbliche Einordnung“ einer wirtschaftlichen Aktivität vorliegen, um eine steuerlich relevante Tätigkeit annehmen zu können.9 Die Merkmale des § 4 Abs. 1 S. 1 KStG sind daher grundsätzlich zu prüfen.10 1 Vgl. auch BFH v. 22.9.1976 – I R 102/74, BStBl. II 1976, 793; BFH v. 8.11.1989 – I R 187/85, BStBl. II 1990, 242. 2 Vgl. Boos in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, 2017, § 16 Rz. 980. 3 Grundalge hierfür sind insbesondere § 45 und § 13 StVO; vgl. auch Baldauf, ZKF 2019, 49 (53). 4 Vgl. auch BFH v. 10.12.1992, V R 3/88, BStBl. II 1993, 380; BFH v. 1.12.2011, V R 1/11, BStBl. II 2017, 834; R 4.5 Abs. 4 S. 2 KStR 2015. 5 Vgl. BT-Drs. 7/1470, 33. 6 Vgl. auch Paetsch in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, § 4 Rz. 92; Pfirrmann in Blümich, KStG, § 4 Rz. 71 m.w.N. 7 Vgl. Paetsch in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, § 4 Rz. 92. 8 Vgl. BFH v. 8.11.1989, I R 187/85, BStBl. II 1990, 242; Krämer in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, KStG, § 4 Tz. 62. 9 So auch Boos in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 16 Rz. 995. 10 Vgl. Krämer in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, KStG, § 4 Tz. 59; a.A. wohl Baldauf, DStZ 2011, 374.

570 | Gastl

A. Parkplätze | Rz. 9.11 Kap. 9

Dies gilt insbesondere auch im Hinblick auf die vorzunehmende Abgrenzung zu vermögensverwaltenden Tätigkeiten. Auch wenn die Abgrenzung der vermögensverwaltenden Tätigkeiten nicht explizit in § 4 KStG verankert ist, sind solche Tätigkeiten gleichwohl nicht geeignet, einen BgA zu begründen.1 Dies ergibt sich unter anderem auch aus der analogen Anwendung des § 14 AO.2 So ist nach § 14 S. 3 AO eine vermögensverwaltende Tätigkeit in der Regel gegeben, wenn Vermögen genutzt, beispielsweise Kapital verzinslich angelegt oder unbewegliches Vermögen vermietet oder verpachtet wird. Für die Abgrenzung kann dabei auf die allgemeinen Grundsätze des Einkommensteuerrechts entsprechend R 15.7 EStR 2012 zurückgegriffen werden.3

9.8

Bei der entgeltlichen Überlassung von Parkplätzen ist die Einordnung daher insbesondere im Hinblick auf die Langfristigkeit des Vertragsverhältnisses und den Umfang der gegebenenfalls zusätzlich erbrachten Leistungen vorzunehmen. So stellt eine ohne weitere Nebenleistung erfolgende langfristige Überlassung von Parkflächen außerhalb der öffentlichen Verkehrsinfrastruktur an feste Mieter regelmäßig eine ertragsteuerlich irrelevante vermögensverwaltende Tätigkeit dar.4 Kommen weitere Nebenleistungen, wie beispielsweise die Reinigung hinzu, führt dies alleine noch nicht zwingend zu einer als BgA einzuordnenden wirtschaftlichen Tätigkeit, da solche Nebenleistungen typischer Weise im Zusammenhang mit Vermietungsleistungen erbracht werden. Insoweit ist darauf abzustellen, ob die Sonderleistungen im Verhältnis zur Vermietungstätigkeit ins Gewicht fallen.5 Dabei ist regelmäßig darauf abzustellen, ob durch die Art des Betriebs der Parkflächen das äußere Bild eines Gewerbebetriebs als gegeben anzusehen ist. Der Bundesfinanzhof hat diesbezüglich in einer Entscheidung vom 9.4.20036 verschiedene Kriterien entwickelt, die als Indizien für die Annahme einer gewerblichen Tätigkeit bei der entgeltlichen Überlassung von Parkplätzen herangezogen werden können. So ist von einer gewerblichen Tätigkeit auszugehen, wenn

9.9

– die Zu- und Ausfahrt (mit oder ohne Personal) reguliert wird – durch Zeitkontrollen ein nutzungszeitabhängiges Entgelt erhoben wird und – die Überlassung an ständig wechselnde Mieter erfolgt. Auf den für den Betrieb notwendigen Aufwand für Sachmittel und Personal soll es nach Ansicht des entscheidenden Senats nicht ankommen, so dass auch bei überwiegend automatisierten und damit wenig Personal erfordernden Betrieben gleichwohl ein BgA anzunehmen ist. Darüber hinaus wird insbesondere dann eine gewerbliche Tätigkeit angenommen, wenn bei der Überlassung der Parkflächen auch eine Bewachung der Fahrzeuge erfolgt.7

9.10

Schließlich ist auch die pachtweise Überlassung des Gesamtbetriebs „Parkplatz“ an einen Dritten denkbar. Hier ist unter den Voraussetzungen des § 4 Abs. 4 KStG gleichwohl dann ein Verpachtungs-BgA anzunehmen, wenn bei Führung des verpachteten Betriebs durch die juristische Person selbst ein BgA anzunehmen wäre.8

9.11

1 BFH v. 1.8.1979 – I R 106/76, BStBl. II 1979, 716; v. 15.4.2010 – V R 10/09, BFH/NV 2010, 1574. 2 Vgl. auch Krämer in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, KStG, § 4 Tz. 48; Paetsch in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, § 4 Rz. 26. 3 Vgl. Märtens in Gosch, KStG, § 4 Rz. 50; BFH v. 9.4.2006, X R 21/00, BStBl. II 2003, 502. 4 Vgl. Baldauf, ZKF 2019, 49 (54). 5 Vgl. Schallmoser in Blümich, EStG, § 21 Rz. 592. 6 BFH v. 9.4.2003, X R 2100, BStBl. II 2003, 520. 7 Vgl. H 4.5 „Parkraumbewirtschaftung“ KStH 2015. 8 Vgl. zur Einordnung der Verpachtungs-BgA auch die Ausführungen in Rz. 9.102 ff.

Gastl | 571

Kap. 9 Rz. 9.12 | Kommunalverwaltung

2. Differenzierung nach der Art der Parkflächen 9.12

Für die ertragsteuerliche Einordnung, insbesondere im Hinblick auf die Abgrenzung zur Ausübung hoheitlicher Gewalt wird im Allgemeinen zwischen unselbständigen und selbständigen Parkflächen unterschieden. Grundlage ist dabei das öffentlich-rechtliche Straßen- und Wegerecht.1 a) Unselbständige Parkflächen

9.13

Als unselbständige Parkflächen werden diejenigen Flächen bezeichnet, die eine Einheit mit dem Straßenkörper bilden. Es handelt sich also im Regelfall um Parkplätze, die sich unmittelbar an die dem öffentlich-rechtlichen Verkehr gewidmeten Straßen anschließen und damit Teil des Straßenkörpers sind (bspw. Parkbuchten oder Parkstreifen).2 Dabei erfolgt die visuelle Abgrenzung beispielsweise durch entsprechende Markierungen, die sich ansonsten unmittelbar an die Straße anschließen.

9.14

Die unselbständigen Parkflächen sind von ihrer Wesensart her regelmäßig dem hoheitlichen Bereich zuzurechnen. Dies folgt insbesondere daraus, dass aufgrund der Einheit mit dem Straßenkörper die Bewirtschaftung regelmäßig auf Grundlage der Straßenverkehrsordnung (StVO) erfolgt.

9.15

Bei der Abgrenzung von unselbständigen Parkflächen im vorstehenden Sinn und selbständigen Parkflächen kommt es neben der straßenrechtlichen Widmung auch auf die jeweiligen örtlichen Verhältnisse an. So kann eine größere zusammenhängende Fläche mit zusammenhängenden Parkbuchten nicht alleine dadurch als unselbständige Parkfläche eingeordnet werden, dass die zwischen den Parkbuchten gelegenen Fahrstreifen im Wege der kommunalen Satzungsgebung als öffentlich-rechtliche Straßen gewidmet werden.3 Insoweit ist das Gesamtbild der örtlichen Verhältnisse dahingehend zu würdigen, ob es sich bei den Fahrstreifen alleine um Zufahrten zu den Parkbuchten oder um dem allgemeinen Verkehrsfluss dienende Verkehrsköper handelt.4 b) Selbständige Parkflächen

9.16

Selbständige Parkflächen sind hingegen solche, die gegenüber der öffentlichen Straße eine selbständige Bedeutung haben, mit dieser nur über eine Zufahrt verbunden sind und damit den Charakter einer eigenen (öffentlichen) Wegeanlage haben.5 Hierunter fallen insbesondere in sich abgeschlossene Parkflächen in Form von nicht umbauten selbständigen Parkplätzen, Parkhäusern oder Tiefgaragen, die der Allgemeinheit oder zumindest bestimmten Nutzergruppen zur Nutzung überlassen werden.6

9.17

Dabei können auch selbständige Parkflächen nach den Straßengesetzen der Länder dem öffentlichen Verkehr gewidmet werden. Dies führt jedoch nach Auffassung der Finanzverwal-

1 2 3 4

Vgl. Boos, DStZ 2015, 214 (216). Vgl. Baldauf, ZKF 2019, 49 (50); BFH v. 1.12.2011, V R 1/11, BStBl. II 2017, 834. Vgl. BFH v. 1.12.2011, V R 1/11, BStBl. II 2017, 834. Vgl. OFD Nordrhein-Westfalen, Arbeitshilfe Besteuerung der juristischen Personen des öffentlichen Rechts, Stand: 15.3.2019, 88. 5 Vgl. BFH v. 1.12.2011, V R 1/11, BStBl. II 2017, 834, Tz. 22. 6 Vgl. Baldauf, ZKF 2019, 49 (51).

572 | Gastl

A. Parkplätze | Rz. 9.22 Kap. 9

tung nicht dazu, dass damit grundsätzlich die Annahme einer hoheitlichen Tätigkeit begründet werden kann.1

3. Einordnung von Einzelsachverhalten a) Unselbständige Parkflächen aa) Aufstellung von Parkuhren und Parkscheinautomaten Der Betrieb unselbständiger Parkflächen erfolgt aufgrund der dem Straßenverkehr erfolgenden öffentlich-rechtlichen Widmung regelmäßig in Ausübung des Straßenverkehrsrechts. Die Erhebung von Gebühren basiert dabei auf § 6a Abs. 6 und 7 StVG. Nach § 13 StVO können Parkuhren und Parkscheinautomaten zur Überwachung der Parkzeit und zur Erhebung der festzusetzenden Gebühren eingesetzt werden. Die Einhaltung der Parkbestimmungen wird durch den Verkehrsüberwachungsdienst umgesetzt, der Verstöße gegen die Parkbestimmungen nach § 24 StVG i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 13 StVO ahnden kann.

9.18

Die Intention des Betriebs unselbständiger Parkflächen auf Grundlage hoheitlicher Rechte liegt damit in der Regulierung des Straßenverkehrs und der Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung. Infolge der kraft Gesetzes erfolgenden Handlung auf Grundlage straßenverkehrsrechtlicher Regelungen ist bei dem Betrieb unselbständiger Parkflächen regelmäßig von einer Ausübung der öffentlichen Gewalt und damit einer ertragsteuerlich unbeachtlichen hoheitlichen Tätigkeit auszugehen.2 Ein Wettbewerb zu privatwirtschaftlichen Unternehmern ist aufgrund der diesen fehlenden Möglichkeit des Handelns auf öffentlich-rechtlicher Grundlage nicht denkbar.3

9.19

Die mittels Parkscheinautomaten und Parkuhren auf unselbständigen Parkflächen erhobenen Gebühren sind daher dem hoheitlichen Bereich zuzurechnen. Ein BgA wird nicht begründet.

9.20

bb) Erstellung von Parkausweisen (bspw. Anwohnerparken) Für städtische Quartiere mit erheblichem Parkraummangel können die Straßenverkehrsbehörden nach § 45 Abs. 1b S. 1 Nr. 2a StVO Parkflächen für Bewohner ausweisen. Die Berechtigung der Bewohner die so gekennzeichneten Parkflächen zu nutzen wird durch seitens der Straßenverkehrsbehörde auszugebende Anwohnerparkausweise nachgewiesen. Soweit für die Erlangung der Berechtigung Gebühren erhoben werden, sind diese ebenfalls als Ausfluss öffentlich-rechtlichen Handels dem hoheitlichen Bereich zuzurechnen.4 Eine Begründung eines BgA ist demzufolge auch hier nicht anzunehmen.

9.21

b) Selbständige Parkflächen aa) Parkhäuser und Tiefgaragen (insbesondere Kurzzeitparker) Parkhäuser und Tiefgaragen zeichnen sich regelmäßig dadurch aus, dass der Zugang durch entsprechende Schrankensystemen reguliert wird. Die Abrechnung für die Nutzung erfolgt zeitabhängig und wird durch das Schrankensystem sichergestellt. Nach der ständigen Auffas1 Vgl. R 4.5 Abs. 4 S. 2, 2. Hs. KStR 2015. 2 So auch die Auffassung der Finanzverwaltung nach R 4.5 Abs. 4 S. 1 KStR 2015; vgl. auch BFH v. 27.2.2003, V R 78/01, BStBl. II 2004, 431; FG Baden-Württemberg v. 8.4.2016, 10 K 1439/14, rkr., DStZ 2016, 641. 3 Vgl. Baldauf, ZKF 2019, 49 (51); Boos, DStZ 2015, 214 (221). 4 Vgl. auch Finanzministerium Schleswig-Holstein v. 23.12.2019, DStR 2020, 507.

Gastl | 573

9.22

Kap. 9 Rz. 9.22 | Kommunalverwaltung

sung der Rechtsprechung1 und der Finanzverwaltung2 sind entgeltlich betriebene Parkhäuser und Tiefgaragen grundsätzlich als BgA zu werten. Als Einrichtung des ruhenden Verkehrs ist der Betrieb eines Parkhauses oder einer Tiefgarage zudem als Verkehrsbetrieb i.S.d. § 4 Abs. 3 KStG zu werten, wenn das Parkhaus einem unbestimmten Personenkreis offensteht und damit grundsätzlich von jedermann benutzt werden kann.3

9.23

Nach Ansicht der Finanzverwaltung stellt der entgeltliche Betrieb eines Parkhauses auch dann eine als BgA zu wertende wirtschaftliche Tätigkeit dar, wenn sich die überlassende juristische Person des öffentlichen Rechts der Handlungsform des öffentlichen Rechts auf Grundlage einer entsprechenden Benutzungssatzung bedient.4 In diesem Sinne hatte zuletzt auch der Bundesfinanzhof im Fall einer Tiefgarage entschieden.5 Im zugrunde liegenden Sachverhalt hatte eine Kommune die kostenpflichtige Parkraumüberlassung als Maßnahme zur Regulierung des ruhenden Verkehrs im Rahmen der StVO umgesetzt. Hierzu hatte sie im Rahmen ihrer gesetzlichen Zuständigkeiten eine Gebührenpflicht nach den Vorgaben der StVO verfügt und durch eine entsprechende Beschilderung kenntlich gemacht. Nachdem die Vorinstanz6 eine hoheitliche Tätigkeit auf dieser Grundlage noch bejaht hatte, hob der V. Senat das Urteil auf und behandelte die entgeltliche Überlassung als steuerlich erhebliche wirtschaftliche Tätigkeit. Dies mit der Begründung, dass es ansonsten zu größeren Wettbewerbsverzerrungen gegenüber privatwirtschaftlichen Wettbewerbern kommen würde. Auch wenn dem vorstehenden Urteil eine umsatzsteuerliche Fragestellung zugrunde lag, ist die sich hieraus ergebende grundsätzliche Einordnung der entgeltlichen Überlassung von Parkhäusern und Tiefgaragen gleich wohl auch für die ertragsteuerliche Einordnung relevant. Eine Einordnung als hoheitliche Tätigkeit kann alleine durch eine entsprechende straßenverkehrsrechtliche Widmung und Ausgestaltung bei selbständigen Parkflächen im Regelfall folglich nicht erreicht werden.

9.24

Problematisch gestaltet sich in der Praxis oftmals die Fragestellung, ob eine Überlassung von Stellplätzen an Dauerparker im Rahmen eines ansonsten für Kurzzeitparker vorgehaltenen Parkhaus gegebenenfalls gesondert zu beurteilen sein kann. So werden vielfach Dauerparkplätze in ansonsten frei zugänglichen Parkhäusern vergeben, für die eine gleichbleibende monatliche Miete zu zahlen ist. Die betreffenden Mieter haben dann einen Anspruch auf einen Platz in dem betreffenden Parkhaus, wobei dies im Regelfall nicht einen eindeutig zugeordneten Parkplatz betrifft. Um die Zurverfügungstellung ausreichender Plätze für die Dauermieter sicherzustellen, wird nur ein entsprechend gemindertes Kontingent an Tickets für Kurzzeitparker ausgegeben. Denkbar wäre nunmehr, die Bewirtschaftung des Parkhauses nach dem Bereich der Kurzzeitparker und dem Bereich der Dauermieter zu differenzieren. Nach den vorstehend dargelegten Kriterien ist die Zurverfügungstellung der Parkflächen für Kurzzeitparker regelmäßig als BgA einzuordnen. Hinsichtlich der Dauermieter wäre zu prüfen, ob insoweit nach den Abgrenzungskriterien zur Vermögensverwaltung tatsächlich eine über die 1 Vgl. BFH v. 22.9.1976, I R 102/74, BStBl. II 1976, 793; BFH v. 8.11.1989, I R 187/85, BStBl. II 1990, 242; BFH v. 10.12.1992, V R 3/88, BStBl. II 1993, 380; vgl. auch Bott in Bott/Walter, KStG, § 4 Rz. 252. 2 Vgl. R 4.5 Abs. 4 S. 2 KStR 2015. 3 Vgl. FG Köln v. 9.3.2010, 13 K 3181/05, rkr., EFG 2010, 1345; BFH v. 10.12.1992, V R 3/88, BStBl. II 1993, 380; BFH v. 8.11.1989, I R 187/85, BStBl. II 1990, 242; H 4.5 „Parkraumbewirtschaftung – Öffentliche Tiefgarage“ EStH 2015; Krämer in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, KStG, § 4 Tz. 62; Bott in Bott/Walter, KStG, § 4 Rz. 252. 4 Vgl. R 4.5 Abs. 4 S. 2 KStR 2015; OFD Nordrhein-Westfalen, Arbeitshilfe Besteuerung der juristischen Personen des öffentlichen Rechts, Stand: 15.3.2019, 86 mit Verweis auf BFH v. 10.12.1992, V R 3/88, BStBl. II 1993, 380. 5 Vgl. BFH v. 1.12.2011, V R 1/11, BStBl. II 2017, 834. 6 Vgl. FG Köln v. 16.12.2010, 10 K 4108/09, EFG 2011, 676.

574 | Gastl

A. Parkplätze | Rz. 9.29 Kap. 9

reine Zurverfügungstellung des Parkplatzes hinausgehende Tätigkeit vorliegt, die die Annahme einer wirtschaftlichen Tätigkeit auch in diesem Fall rechtfertigen würde. Im vorliegenden Fall könnte durch die Regulierung der Zu- und Ausfahrt ein Merkmal für das Vorliegen einer über die bloße Verwaltung des Vermögens hinausgehende gewerbliche Tätigkeit vorliegen.1 Dem kann entgegengehalten werden, dass auch bei der langfristigen Überlassung von Parkflächen beispielsweise in nur Dauermietern zur Verfügung gestellten Garagen regelmäßig durch Tore eine Kontrolle der Zufahrt erfolgt. Dies alleine kann folglich nicht zu einer Umqualifizierung einer längerfristigen Überlassung in eine gewerbliche Tätigkeit führen. Gleichwohl wird im Regelfall eine enge wirtschaftliche Verflechtung zwischen der Überlassung an die Kurzzeitparker und die langfristige Überlassung an Dauerparker anzunehmen sein, deren Abgrenzung nur schwer möglich ist. Dies führt im Regelfall dazu, dass eine ertragsteuerliche Abgrenzung innerhalb eines Parkhausbetriebs nicht vorgenommen werden kann, so dass in diesen Fällen insgesamt von einem BgA auszugehen sein wird.2 Indizien für eine etwaige Abgrenzung könnten gegebenenfalls in einer eindeutigen Zuordnung eines bestimmten Bereichs des Parkhauses zur exklusiven Nutzung durch die Dauerparker oder eine entsprechende Zuordnung bestimmter Parkplätze durch entsprechende Kennzeichnung für Dauermieter gesehen werden.

9.25

Letztlich empfiehlt sich bei den vorstehend geschilderten Konstellationen eine Abstimmung mit den zuständigen Finanzbehörden vorzunehmen, da die abschließende Einordnung sowohl auf den Umfang der ertragsteuerlich zu berücksichtigenden Erlöse als auch auf den Umfang des dem BgA zuzurechnenden Betriebsvermögens Einfluss hat.

9.26

bb) Parkflächen insbesondere für Kurzzeitparker Die Überlassung von selbständigen, d.h. außerhalb des öffentlichen Straßenraums gelegenen Parkflächen führt grundsätzlich dann zur Annahme eines BgA, wenn durch die erbrachten Leistungen und das sich nach der allgemeinen Verkehrsanschauung ergebende Gesamtbild von einer gewerblichen Tätigkeit auszugehen ist. Dabei stellt insbesondere die bei ständig wechselnden Mietern regelmäßig notwendige organisatorische Ausgestaltung eine über eine normale Vermietungstätigkeit hinausgehende Tätigkeit dar.3

9.27

Wird der Parkplatz bewacht, so ist nach Auffassung der Rechtsprechung4 und dieser folgend der Finanzverwaltung5 ebenfalls grundsätzlich von einer gewerblichen Tätigkeit auszugehen. Dies soll gleichermaßen auch dann gelten, wenn die Fahrer aufgrund von Straßensperrungen und Parkverboten gezwungen werden, den betreffenden Parkplatz zu nutzen.6

9.28

Zudem soll eine bloße straßenrechtliche Widmung des Parkplatzes für den öffentlichen Verkehr alleine nicht ausreichen, um eine hoheitliche Tätigkeit durch die entgeltliche Parkraumüberlassung zu begründen.7 In einem zur umsatzsteuerlichen Einordnung ergangenen Urteil

9.29

1 In Anlehnung an BFH v. 9.4.2003, X R 2100, BStBl. II 2003, 520, der dies als eines der möglichen Indizien identifiziert hatte. 2 So auch Boos, DStZ 2015, 214 (221). 3 Vgl. BFH v. 22.9.1976, I R 102/74, BStBl. II 1976, 793; BFH v. 9.4.2003, X R 21/00, BStBl. II 2003, 520. 4 Vgl. BFH v. 22.9.1976, I R 102/74, BStBl. II 1976, 793. 5 Vgl. H 4.5 „Parkraumbewirtschaftung – Bewachte Parkplätze“ KStH 2015. 6 Vgl. OFD Nordrhein-Westfalen, Arbeitshilfe Besteuerung der juristischen Personen des öffentlichen Rechts, Stand: 15.3.2019, 87. 7 Vgl. BFH v. 10.12.1992, V R 3/88, BStBl. II 1993, 380; R 4.5 Abs. 4 S. 2 KStR 2015.

Gastl | 575

Kap. 9 Rz. 9.29 | Kommunalverwaltung

vom 27.2.20031 hatte der entscheidende Senat allerdings für den Fall eine hoheitliche Betätigung angenommen, in dem die Regulierung des Parkverkehrs durch behördlich angeordnete Parkverbote und Beschränkungen auf Grundlage der StVO erfolgt. In dem zugrundeliegenden Sachverhalt hatte eine Gemeinde öffentliche Parkflächen zur Verfügung gestellt, für die sie gemäß §§ 44 und 45 StVO „aus Gründen der Sicherheit und Ordnung“ die Aufstellung von Parkscheinautomaten (§ 13 StVO) und entsprechender Verkehrszeichen angeordnet hatte. Die Parkgebühren wurden auf Grundlage des § 6a Abs. 6 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) festgesetzt und Verstöße hiergegen bußgeldrechtlich verfolgt. Der V. Senat sah zwar unter Anerkennung der ständigen Rechtsprechung2 bei der entgeltlichen Überlassung von Gemeinden, die diese auf eigenem oder gepachteten Grund unterhalten, die Merkmale eines BgA als gegeben an. Gleichwohl ordnete er den zu beurteilenden Sachverhalt dahingehend anders ein, als dass das hoheitliche Handeln der Gemeinde als Straßenverkehrsbehörde i.S.d. § 44 StVO nach Ansicht des entscheidenden Senats Ausfluss der der Kommune vorbehaltenen und eigentümlichen Tätigkeit sei, die ein privatwirtschaftlicher Dritter so nicht ausüben könne. Daher sei auch eine schädliche Wettbewerbsverzerrung insoweit nicht anzunehmen. Flankiert wird diese Auffassung durch das Urteil des BFH vom 1.12.20113 wonach die Widmung als öffentlichrechtliche Fläche im Hinblick auf eine mögliche insoweit bestehende Wettbewerbsverzerrung nicht zwingend zur Annahme eines hoheitlichen Handels führt.4

9.30

Relevanz entfaltet diese Fragestellung auch bei Flächen, bei denen keine besonderen Abgrenzungen zum öffentlichen Straßenverlauf und keine Schrankenanlagen zu finden sind. Werden diese Parkflächen lediglich mittels Parkscheinautomaten bewirtschaftet, ohne dass weitere Zusatzleistungen (wie beispielsweise eine Bewachung o.ä.) hinzutreten, so ist der vorstehend dargelegten Rechtsprechung des BFH folgend insbesondere die Frage einer möglichen Wettbewerbsverzerrung bei der Beurteilung zu prüfen. cc) Langfristige Parkplatzüberlassung

9.31

Die langfristige Überlassung von Flächen stellt regelmäßig eine vermögensverwaltende und damit bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts ertragsteuerlich unbeachtliche Tätigkeit dar.5 Erst dann wenn weitere Nebenleistungen (wie bspw. Bewachung o.ä.) hinzutreten, die der Tätigkeit insgesamt des Gepräge eines Gewerbebetriebs geben, ist eine Umqualifizierung in eine als BgA zu wertende Aktivität vorzunehmen. Dies gilt auch dann, wenn die Überlassung im Zuge einer entgeltlichen Vermietung von Wohn- und/oder Gewerbeflächen erfolgt.

9.32

Erfolgt die langfristige Überlassung jedoch aus einem bereits bestehenden BgA heraus, so ist regelmäßig eine so enge wirtschaftliche Verknüpfung anzunehmen, dass in diesem Fall auch die langfristige Überlassung als Teil des BgAs anzusehen sein wird.6 1 Vgl. BFH v. 27.2.2003, V R 78/01, BStBl. II 2004, 431; Paetsch in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, § 4 Rz. 26. 2 Verweis auf BFH v. 22.9.1976, I R 102/74, BStBl. II 1976, 793; BFH v. 8.11.1989, I R 187/85, BStBl. II 1990, 242. 3 Vgl. BFH v. 1.12.2011, V R 1/11, BStBl. II 2017, 834. 4 Vgl. hierzu auch OFD Nordrhein-Westfalen, Arbeitshilfe Besteuerung der juristischen Personen des öffentlichen Rechts, Stand: 15.3.2019, 88. 5 Vgl. Baldauf, ZKF 2019, 49 (54); Boos in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 16 Rz. 1003. 6 So auch Boos in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 16 Rz. 1003; zu möglichen Abgrenzungskriterien siehe auch die Ausführungen vorstehend unter Rz. 9.27.

576 | Gastl

A. Parkplätze | Rz. 9.37 Kap. 9

dd) Parkplatzüberlassung an Mitarbeiter der öffentlichen Hand Hinsichtlich der entgeltlichen Überlassung von Parkflächen durch juristische Personen des öffentlichen Rechts an ihre Mitarbeiter ist die ertragsteuerliche Einordnung grundsätzlich nach den allgemeinen Kriterien vorzunehmen. Handelt es sich um eine langfristige Überlassung ohne zusätzliche Leistungen, so ist von einer ertragsteuerlich unbeachtlichen vermögensverwaltenden Tätigkeit auszugehen.1 Dies gilt im Grundsatz wohl auch dann, wenn keine feste Zuordnung der Parkplätze zu den einzelnen Mitarbeitern erfolgt und davon auszugehen ist, dass die Verwaltung der Parkplätze lediglich einen für die Annahme einer vermögensverwaltenden Tätigkeit üblichen Aufwand erfordert.2

9.33

Werden darüber hinaus weitere Leistungen erbracht, die eine unternehmerische Organisationsform erfordern und damit über den Charakter einer vermögensverwaltenden Tätigkeit hinausgehen, ist von einem ertragsteuerlich relevanten BgA auszugehen. Die Grenze der unschädlichen Zusatzleistungen ist dabei nicht klar umrissen. So werden beispielsweise allgemeine Reinigungsarbeiten und Hausmeisterdienste nicht zu einer Umqualifizierung der Parkraumüberlassung hinzu einer gewerblichen Tätigkeit führen, da diese Leistungen typischerweise im Zusammenhang mit reinen Vermietungen erbracht werden.3 Kommen dagegen Zugangskontrolle, Parkraumbewachung und ähnliches hinzu, spricht dies eher für eine gewerbliche Tätigkeit.

9.34

Im Übrigen kann auf die Ausführungen zur Abgrenzung bei der langfristigen Parkplatzüberlassung im Allgemeinen verwiesen werden.

9.35

III. Umsatzsteuerliche Einordnung 1. Gesetzliche Grundlagen Bei der umsatzsteuerlichen Beurteilung ist grundsätzlich zu klären, ob eine unternehmerische Tätigkeit vorliegt. Diese setzt sowohl eine Unternehmereigenschaft als auch eine wirtschaftliche Tätigkeit in Form eines Leistungsaustauschs voraus.

9.36

Die bislang in § 2 Abs. 3 UStG a.F. festgeschriebene Anknüpfung der Unternehmereigenschaft juristischer Personen des öffentlichen Rechts an das Vorliegen eines nach ertragsteuerlichen Maßstäben zu beurteilenden Betriebs gewerblicher Art i.S.d. § 4 Abs. 1 KStG wurde durch die europarechtliche Auslegung der Norm seitens des Bundesfinanzhofs aufgegeben.4 Der Gesetzgeber hat auf die ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs reagiert und mit dem StÄndG 20155 eine „Zäsur bei der Umsatzbesteuerung öffentlicher Leistungen“6 vorgenommen. So wurde die bisherige Regelung des § 2 Abs. 3 UStG zur Unternehmereigenschaft von jPöR aufgehoben und durch § 2b UStG ersetzt. Hierdurch wurde die bestehende gesetzliche Regelung an Art. 13 MwStSystRL sowie die Rechtsprechung des EuGH und BFH angepasst. Mit der Regelung des § 2b wird dabei die Beurteilung der Unternehmereigenschaft von jPöR negativ abgegrenzt.

9.37

1 Vgl. R 4.5 Abs. 4 S. 3 KStR 2015; OFD Hannover v. 26.1.1999, DB 1999, 506; Bott in Bott/Walter, KStG, § 4 Rz 253; Boos, DStZ 2015, 214 (221). 2 Vgl. Boos in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 16, Rz. 999. 3 Vgl. Bode in Blümich, EStG, § 15 Rz. 117; Baldauf, DStZ 2008, 717 (718). 4 Vgl. BFH v. 15.4.2010, V R 10/09, BStBl. II 2017, 863; BFH v. 3.3.2011, V R 23/10 BStBl. II 2012, 74; BFH v. 13.2.2014, V R 5/13, BStBl. II 2017, 846. 5 Steueränderungsgesetz 2015, BGBl I 15, 1834. 6 BT-Drucks. 18/6094, 93.

Gastl | 577

Kap. 9 Rz. 9.38 | Kommunalverwaltung

9.38

Die gesetzliche Neuregelung war grundsätzlich ab dem 1.1.2016 anzuwenden. § 2b war jedoch frühestens auf Umsätze anzuwenden, die nach dem 31.12.2016 ausgeführt werden.1 Als Übergangsregelung konnten juristische Personen des öffentlichen Rechts außerdem dem Finanzamt gegenüber bis zum 31.12.2016 einmalig erklären, dass sie auf alle ihre vor dem 1.1.2021 ausgeführten Leistungen weiterhin § 2 Abs. 3 UStG a.F. anwenden.2 Im Hinblick auf die sich durch den Systemwechsel ergebenden vielfachen Fragestellungen und Abgrenzungsprobleme haben von dieser Optionsmöglichkeit die meisten jPdöR Gebrauch gemacht. Mit dem Corona-SteuerhilfeG vom 19.6.20203 wurde die die Geltungsdauer der Erklärung auf den 1.1.2023 verlängert.4

2. Einordnung nach altem Recht 9.39

Nach § 2 Abs. 3 UStG a.F. liegt eine Unternehmereigenschaft jPdöR im umsatzsteuerlichen Sinn nur dann vor, wenn ein Betrieb gewerblicher Art i.S.d. § 4 KStG anzunehmen ist. Die ertragsteuerliche Einordnung ist somit maßgeblich für die nachfolgende umsatzsteuerliche Beurteilung. Auch wenn grundsätzlich eine richtlinienkonforme Auslegung des § 2 Abs. 3 UStG a.F. zu erfolgen hat, werden seitens der Finanzverwaltung wirtschaftliche Aktivitäten außerhalb von Betrieben gewerblicher Art umsatzsteuerlich nicht aufgegriffen. Dies gilt derzeit zumindest dann weiterhin, wenn von der Optionsmöglichkeit des § 27 Abs. 22 und 22a UStG Gebrauch gemacht wurde.

9.40

Gerade bei der Überlassung von Parkflächen führt diese ertragsteuerlich orientierte Abgrenzung zu einer insoweit einschränkenden Erfassung von wirtschaftlichen Tätigkeiten bei der Umsatzsteuer. Wie bereits vorstehend bei der ertragsteuerlichen Einordnung ausgeführt, ist insbesondere im Bereich der langfristigen Stellplatzüberlassung eine Abgrenzung im Hinblick zur vermögensverwaltenden Tätigkeit vorzunehmen, was nach Maßgabe des § 2 Abs. 3 UStG a.F. zu einer eingeschränkten umsatzsteuerlichen Erfassung führt.

9.41

Aufgrund der Verknüpfung der umsatzsteuerlichen Beurteilung an die zuvor vorzunehmende ertragsteuerliche Einordnung kann insoweit auf die vorstehenden Ausführungen zur ertragsteuerlichen Abgrenzung auch für umsatzsteuerliche Zwecke verwiesen werden.

3. Einordnung nach neuem Recht (§ 2b UStG) a) Europarechtliche Grundlagen

9.42

Im Rahmen der richtlinienkonformen Auslegung des § 2 Abs. 3 UStG orientiert sich die Unternehmereigenschaft jPdöR an den Vorgaben des Art. 9 Abs. 1 S. 1 MwStSystRL. Hiernach ist als Unternehmer im Sinne des UStG und damit als Steuerpflichtiger einzuordnen, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit selbständig ausübt. Dabei definiert Art. 9 Abs. 2 MwStSystRL den Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit wie folgt: „Als „wirtschaftliche Tätigkeit“ gelten alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellte Berufe. Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt insbesondere die 1 § 27 Abs. 22 Satz 1 UStG. 2 § 27 Abs. 22 Sätze 3 – 5 UStG. 3 Vgl. Art. 1 Corona-Steuerhilfegesetz (Gesetz zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise) v. 19.6.2020, BGBl. 2020, 1385. 4 § 27 Abs. 22a UStG.

578 | Gastl

A. Parkplätze | Rz. 9.47 Kap. 9

Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen.“1 Daraus folgt, dass – im Gegensatz zu der bisherigen Abgrenzung nach Maßgabe des § 2 Abs. 3 UStG a.F. – auch bloße vermögensverwaltende Tätigkeiten, wie beispielsweise Vermietungen und Verpachtungen unter den umsatzsteuerlichen Unternehmerbegriff zu subsumieren sind.2

9.43

Eine negative Abgrenzung erfährt der Unternehmerbegriff durch Art. 13 MwStSystRL. So gelten nach Art. 13 Abs. 1 S. 1 MwStSystRL Staaten, Länder, Gemeinden und sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts dann nicht als Steuerpflichtige, soweit sie Tätigkeiten ausüben oder Umsätze bewirken, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen. Dies gilt dabei auch, wenn im Zusammenhang mit den betreffenden Tätigkeiten Gebühren, Beiträge oder sonstige Abgaben erhoben werden. Eine Rückausnahme ist jedoch in den Fällen vorgesehen, bei denen eine Nichtbesteuerung zu einer Wettbewerbsverzerrung gegenüber privatwirtschaftlichen Unternehmern führen könnte. In diesem Fall ist bei jPdöR also auch dann von einer unternehmerischen Tätigkeit i.S.d. Umsatzsteuerrechts auszugehen, wenn sie auf Grundlage der ihnen obliegenden öffentlichen Gewalt tätig werden.

9.44

Die Vorgaben der MwStSystRL sind durch die Streichung des § 2 Abs. 3 UStG a.F. und damit der Anwendung der allgemeinen Einordnung der Unternehmereigenschaft nach Maßgabe des § 2 Abs. 1 UStG und die Einführung des § 2b UStG als die Vorgaben des Art. 13 MwStSystRL aufgreifendes Regulativ in nationales Recht umgesetzt worden.

9.45

b) Ausübung öffentlicher Gewalt Wann eine Tätigkeit im Rahmen der Ausübung öffentlicher Gewalt vorliegt, wird im Gesetzeswortlaut des neuen § 2b Abs. 1 UStG wie auch in Art. 13 Abs. 1 MwStSystRL nicht konkretisiert. Nach der Rechtsprechung des EuGH soll ein Tätigwerden im Rahmen der öffentlichen Gewalt dann vorliegen, wenn die Tätigkeiten auf Grundlage öffentlich-rechtlicher Sonderregelungen ausgeübt werden.3 Entsprechende Sonderregelungen können sich dabei aus einem Gesetz, einer Rechtsverordnung, einer Satzung, aus Staatsverträgen, verfassungsrechtlichen Verträgen, Verwaltungsabkommen, Verwaltungsvereinbarungen, öffentlich-rechtlichen Verträgen ergeben.4

9.46

Keine Ausübung der öffentlichen Gewalt liegt jedoch vor, wenn eine jPdöR unter den gleichen rechtlichen Bedingungen wie private Wirtschaftsteilnehmer in den Formen des Privatrechts tätig wird.5 Dabei kommt es für die Frage der Steuerbarkeit grundsätzlich auf die für die jeweilige Tätigkeit gewählte Handlungsform an.6 Ein Tätigwerden im Rahmen der öffentlichen Gewalt in diesem Sinne kommt folglich nur dann in Betracht, wenn die jPdöR von hoheitlichen

9.47

1 Art. 9 Abs. 2 MwStSystRL. 2 Vgl. Baldauf, DStZ 2016, 355 (358); Küffner, UR 2010, 654 (655); EuGH v. 4.6.2009 – C 102/08 – Salix, BStBl. II 2017, 873; BFH v. 15.4.2010, V R 10/09, BStBl. II 2017, 863. 3 Vgl. EuGH v. 6.2.1997 – C-247/95 – Marktgemeinde Welden, BStBl. II 1999, 426; so auch die Gesetzesbegründung zu § 2b UStG, Art. 12 zu Nr. 3, BT-Drs. 18/6094. 4 Vgl. BMF-Schr. v. 16.12.2016, BStBl. I, 1451, Rz. 7 ff. mit Beispielen; BFH v. 10.2.2016, XI 26/13, BStBl. II 2017, 57. 5 Vgl. EuGH v. 14.12.2000 – C-446/98 – Fazenda Pública, UR 2001, 108, Rz. 17; EuGH v. 16.9.2008 – C-288/07 – Isle of Wight, UR 2008, 816, Rz. 21; Abschn. 2b.1 Abs. 7 UStAE; Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, § 2 Anm. 1144. 6 Vgl. BMF-Schr. v. 16.12.2016, BStBl. I 1451, Rz. 16.

Gastl | 579

Kap. 9 Rz. 9.47 | Kommunalverwaltung

Befugnissen Gebrauch macht, die in dieser Form privaten Wirtschaftsteilnehmern nicht zur Verfügung stehen, so dass insoweit auch keine Wettbewerbsrelevanz entfaltet werden kann.1 Wird die wirtschaftliche Tätigkeit jedoch auf privatrechtlicher Grundlage erbracht, so führt dies auch in den Fällen eines Anschluss- und Benutzungszwangs dazu, dass kein Handeln im Rahmen der öffentlichen Gewalt in diesem Sinne anzunehmen ist.2 c) Größere Wettbewerbsverzerrung

9.48

Als Regulativ zur Ausnahme von Tätigkeiten, die im Rahmen der öffentlichen Gewalt durchgeführt werden, ist das Kriterium der möglichen Wettbewerbsverzerrung in die umsatzsteuerliche Beurteilung einzubeziehen. Hierdurch soll eine Benachteiligung privater Marktteilnehmer vermieden werden. Dies folgt dem den Regelungen der MwStSystRL zugrundeliegenden Neutralitätsprinzip. Die in Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL geregelte Vorgabe wurde durch § 2b Abs. 1 S. 2 i.V.m. Abs. 2 und 3 UStG in nationales Recht umgesetzt.

9.49

Die Auslegung, wann eine relevante Wettbewerbsverzerrung vorliegt, ist dabei nach der einschlägigen Rechtsprechung des EuGH „nicht eng“ vorzunehmen.3 Von einer Wettbewerbsrelevanz kann hiernach dann ausgegangen werden, wenn tatsächlich ein Wettbewerb dahingehend besteht, dass die betreffenden Leistungen auch von einem privaten Unternehmer erbracht werden können.4 Hierbei handelt es sich allerdings nur um ein erforderliches, nicht aber um ein hinreichendes Kriterium.5 So kommt es auch darauf an, dass die mögliche Wettbewerbssituation nicht nur rein hypothetisch, sondern zumindest potenziell vorhanden ist.6 Die Einordnung ist dabei bezogen auf die jeweilige Tätigkeit und nicht auf die ausführende Institution vorzunehmen.7 d) Einordnung nach Art und Nutzung der Parkflächen aa) Allgemeine Einordnung

9.50

Soweit Parkflächen Entgeltlich zur Verfügung gestellt werden, ist grundsätzlich vom Vorliegen einer wirtschaftlichen Tätigkeit i.S.d. Art. 9 Abs. 2 MwStSystRL und damit einer Unternehmereigenschaft im Sinne des § 2 Abs. 1 UStG auszugehen. Somit ist in einem zweiten Schritt grundsätzlich zunächst die Frage eines Handels im Rahmen der öffentlichen Gewalt zu klären, um dann nachfolgend zu prüfen, inwieweit eine schädliche Wettbewerbsrelevanz vorliegt. Dabei sind die vorstehend dargelegten allgemeinen Kriterien zugrunde zu legen.

1 Vgl. EuGH v. 14.12.2000 – C-446/98 – Fazenda Pública, UR 2001, 108. 2 Vgl. Abschn. 2b.1 Abs. 7 UStAE. 3 EuGH v. 16.9.2008 – C-288/07 – Isle of Wight Council u.a, UR 2008, 816, Rz. 60 letzter Satz sowie Rz. 72; EuGH v. 4.6.2009 – C-102/08 – Salix, BStBl. II 2017, 873, Rz. 68; EuGH v. 19.1.2017 – C344/15 – National Roads Authority, UR 2017, 181, Rz. 36. 4 Vgl. BMF-Schreiben v. 16.12.2016, BStBl. I, 1451, Rz. 23; BMF-Schreiben v. 14.11.2019, BStBl. I 2019, 1140. 5 Vgl. Treiber in Sölch/Ringleb, UStG § 2b Rz. 51 und § 2 Rz. 415. 6 Vgl. EuGH v. 16.9.2008 – C-288/07 – Isle of Wight Council u.a., UR 2008, 816 m. Anm. Küffner, Rz. 65; EuGH v. 29.10.2015 – C-174/14 – Saudacor, UR 2015, 901, Rz. 74; EuGH v. 19.1.2017 – C344/15 – National Roads Authority, UR 2017, 181, Rz. 40; BFH v. 10.2.2016, XI R 26/13, BStBl. II 2017, 587, Rz. 55; BMF-Schreiben v. 16.12.2016, BStBl. I 2016, 1451, Rz. 24; Küffner/Roth, UR 2016, 428 (435). 7 Vgl. BMF-Schreiben v. 16.12.2016, BStBl. I 2016, 1451, Rz. 24.

580 | Gastl

A. Parkplätze | Rz. 9.56 Kap. 9

bb) Unselbständige Parkflächen Unselbständige Parkflächen liegen dann vor, wenn sie eine Einheit mit dem Straßenkörper bilden. Es handelt sich also im Regelfall um Parkplätze, die sich unmittelbar an die dem öffentlich-rechtlichen Verkehr gewidmeten Straßen anschließen und damit Teil des Straßenkörpers sind (bspw. Parkbuchten oder Parkstreifen).1 Der Betrieb unselbständiger Parkflächen erfolgt im Regelfall aufgrund der dem Straßenverkehr erfolgenden öffentlich-rechtlichen Widmung regelmäßig in Ausübung des Straßenverkehrsrechts. Die Erhebung von Gebühren basiert dabei auf § 6a Abs. 6 und 7 StVG. So können nach § 13 StVO Parkuhren und Parkscheinautomaten zur Überwachung der Parkzeit und zur Erhebung der festzusetzenden Gebühren eingesetzt werden. Die Einhaltung der Parkbestimmungen wird durch den Verkehrsüberwachungsdienst umgesetzt, der Verstöße gegen die Parkbestimmungen nach § 24 StVG i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 13 StVO ahnden kann.

9.51

Die Erhebung der Parkgebühren nach den Regelungen der StVO erfolgt damit auf einer öffentlich-rechtlichen Grundlage. Sie dient der Ordnung des ruhenden Verkehrs. Insoweit ist also die Annahme einer Tätigkeit, die im Rahmen der Ausübung der öffentlichen Gewalt durchgeführt wird, zu bejahen. Dies wurde auch seitens des EuGH bezüglich der umsatzsteuerlichen Einordnung des Betriebs von Parkflächen durch die Stadt Porto so entschieden.2 Damit greift im Grundsatz die Regelung des § 2b Abs. 1 S. 1 UStG ein.

9.52

In einem zweiten Schritt ist zudem die Frage einer möglichen Wettbewerbsrelevanz zu klären. Der EuGH3 hat hierzu entschieden, dass im Fall einer auf öffentlich-rechtlichem Recht beruhenden Überlassung von Parkraum eine Marktrelevanz nicht anzunehmen ist. Dieser Einschätzung ist der BFH in seiner Entscheidung vom 27.2.20034 mit der Begründung gefolgt, dass bei der Zurverfügungstellung öffentlicher Kurzzeitparkplätze kein wettbewerbsrelevanter Markt besteht, da hierbei die Verbesserung der Sicherheit und Ordnung des Verkehrs im Vordergrund steht.

9.53

Dieser Einordnung ist die Finanzverwaltung grundsätzlich gefolgt.5 Die Erhebung der Gebühren erfolgt dabei regelmäßig über Parkuhren oder Parkscheinautomaten. Auch die Ausgabe von Anwohnerparkausweisen gegen Gebühr ist unter die nicht umsatzsteuerbare wirtschaftliche Tätigkeit zu subsumieren.6

9.54

Damit ist die Bewirtschaftung unselbständiger Parkflächen grundsätzlich umsatzsteuerlich irrelevant, es sei denn, die zuständige Kommune würde diese nicht auf Grundlage öffentlichrechtlicher Regelungen, sondern auf der Basis privatwirtschaftlicher Vereinbarungen vornehmen.7 Dies gilt grundsätzlich auch unter Anwendung des § 2 Abs. 3 UStG a.F.8

9.55

cc) Selbständige Parkflächen (insbes. Parkplätze und Tiefgaragen) Als selbständige Parkflächen werden solche eingeordnet, die gegenüber der öffentlichen Straße eine selbständige Bedeutung haben, mit dieser nur über eine Zufahrt verbunden sind und da1 2 3 4 5

Vgl. Baldauf, ZKF 2019, 49 (50); BFH v. 1.12.2011, V R 1/11, BStBl. II 2017, 834. Vgl. EuGH v. 14.12.2000 – C-446/98 – Fazenda Pública, UR 2001, 108. Vgl. EuGH v. 14.12.2000 – C-446/98 – Fazenda Pública, UR 2001, 108. Vgl. BFH v. 27.2.2003, V R 78/01, BStBl. II 2004, 431. Vgl. Abschnitt 2b.1 Abs. 5 UStAE (in der Fassung v. 9.7.2020); kritisch zu dieser Einordnung siehe Seer/Klemke, BB 2010, 2015 (2020). 6 Vgl. FinMin Schleswig-Holstein v. 23.12.2019, DStR 2020, 507. 7 Vgl. FinMin Schleswig-Holstein v. 23.12.2019, DStR 2020, 507. 8 Vgl. Abschn. 2.11 Abs. 12 S. 2 UStAE.

Gastl | 581

9.56

Kap. 9 Rz. 9.56 | Kommunalverwaltung

mit den Charakter einer eigenen (öffentlichen) Wegeanlage haben.1 Hierunter fallen insbesondere in sich abgeschlossene Parkflächen in Form von nicht umbauten selbständigen Parkplätzen, Parkhäusern oder Tiefgaragen, die der Allgemeinheit oder zumindest bestimmten Nutzergruppen zur Nutzung überlassen werden.2

9.57

Auch hier ist eine Bewirtschaftung auf öffentlich-rechtlicher Grundlage denkbar. Dies setzt eine entsprechend Widmung und die Anordnung der Anwendung der StVO voraus. Die Gebührenerhebung erfolgt dann zwar auf öffentlich-rechtlicher Grundlage, die im zweiten Schritt vorzunehmende Beurteilung, ob eine schädliche Wettbewerbsverzerrung vorliegt ist gleichwohl weiterhin vorzunehmen. Die Frage der Wettbewerbsrelevanz wird bei selbständigen Parkflächen dabei anders beurteilt als bei unselbständigen Parkflächen. So hat der BFH in einem Urteil vom 1.12.20113 klargestellt, dass alleine die Anwendung der StVO nicht zum Ausschluss eines wettbewerbsrelevanten Marktes führen kann. In dem zu beurteilenden Sachverhalt ging es um eine durch eine Gemeinde errichtete und dem öffentlich-rechtlichen Bereich gewidmete Tiefgarage. Auf Grundlage der öffentlich-rechtlichen Widmung verhängte die Gemeinde zunächst ein Parkverbot. Dieses hob sie unter Erhebung von Parkgebühren nach Maßgabe der §§ 45, 13 StVO zeitweilig auf. Fraglich war hierbei, ob allein aufgrund des Handelns auf hoheitlicher Grundlage eine umsatzsteuerlich relevante Tätigkeit zu verneinen sei. Dies lehnte der entscheidende Senat mit der Begründung ab, dass auch bei Handlungen auf hoheitlicher Grundlage weiterhin das Kriterium der Wettbewerbsverzerrung zu prüfen sei. Eine solche Verzerrung sei im vorliegenden Fall anzunehmen, so dass letztlich eine umsatzsteuerlich relevante wirtschaftliche Tätigkeit anzunehmen war.

9.58

Hinsichtlich der Einordnung als wettbewerbsrelevante Tätigkeit ist in diesem Zusammenhang auf nationaler Ebene aber zudem die Regelung des § 2b Abs. 2 Nr. 1 UStG zu berücksichtigen. Hiernach wird unwiderlegbar unterstellt, dass eine Nichtbesteuerung von gleichartigen Tätigkeiten bis zu einem Jahresumsatz in Höhe von 17.500 Euro nicht zu einer größeren Wettbewerbsverzerrung führt.4 Der Begriff der gleichartigen Tätigkeit ist dabei gesetzlich nicht normiert. Die Finanzverwaltung legt diesen dahingehend aus, dass von gleichartigen Tätigkeiten dann auszugehen ist, „wenn sie aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers dieselben Bedürfnisse befriedigen“5. Soweit also durch die Bewirtschaftung selbständiger Parkflächen auf öffentlich-rechtlicher Grundlage einen Jahresumsatz von weniger als 17.500 erzielt, ist nicht von einer maßgeblichen Wettbewerbsrelevanz und damit einer umsatzsteuerlich unbeachtlichen Tätigkeit auszugehen.6

9.59

Die unterschiedliche Einordnung der Überlassung von unselbständigen und selbständigen Parkflächen auf öffentlich-rechtlicher Grundlage erscheint dabei zunächst irritierend.7 Folgt man dem seitens der Finanzverwaltung zugrunde gelegten Maßstab eines Durchschnittsverbrauchers, so stellt sich die Frage, inwieweit dieser eine unterschiedliche Beurteilung nach der Art der Parkfläche vornehmen sollte. Für den Durchschnittsverbraucher zählt insoweit zunächst nur das Ergebnis eines ordnungsgemäßen Stellplatzes für sein Fahrzeug. Insoweit stehen bei dieser Betrachtungsweise unselbständige Parkflächen durchaus im Wettbewerb zu 1 2 3 4 5 6 7

Vgl. BFH v. 1.12.2011, V R 1/11, BStBl. II 2017, 834, Tz. 22. Vgl. Baldauf, ZKF 2019, 49 (51). Vgl. BFH v. 1.12.2011, V R 1/11. Vgl. BMF-Schreiben v. 19.4.2016, BStBl. I 2016, 481, Rz. 33. BMF-Schreiben v. 19.4.2016, BStBl. I 2016, 481, Rz. 36 f. Vgl. Beispiel in BMF-Schreiben v. 19.4.2016, BStBl. I 2016, 481, Rz. 35. Kritisch auch Seer/Klemke, BB 2010, 2015 (2020).

582 | Gastl

A. Parkplätze | Rz. 9.62 Kap. 9

Parkhäusern, Tiefgaragen oder sonstigen selbständigen Parkflächen.1 Begründet werden kann die Differenzierung dabei im Hinblick auf die unterschiedliche Intention, die mit der Parkraumbewirtschaftung jeweils verbunden ist. So steht bei unselbständigen Parkflächen regelmäßig die Ordnung und die Sicherheit des Verkehrs im Vordergrund. Der Betrieb selbständiger Parkflächen erfolgt hingegen regelmäßig zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen. Die Möglichkeit einer straßenverkehrsrechtlich motivierten Tätigkeit steht privatwirtschaftlichen Unternehmern aber gerade nicht offen, so dass insoweit eine etwaige Konkurrenzsituation nicht bestehen kann.2 Inwieweit sich diese differierende Betrachtung in der weiteren Rechtsentwicklung hält, bleibt abzuwarten. Schließlich führt die unterschiedliche Einordnung der Überlassung von Parkflächen auf öffentlich-rechtlicher Grundlage dazu, dass bei der Prüfung der Bagatellgrenze des § 2b Abs. 2 Nr. 1 UStG entsprechend zu differenzieren ist. Hierzu ein Beispiel der Finanzverwaltung3:

9.60

Aus der auf öffentlich-rechtlicher Grundlage vorgenommenen Stellplatzüberlassung auf einem Parkplatz wird eine Gemeinde voraussichtlich einen Umsatz von 8.000 Euro erzielen. Daneben überlässt die Gemeinde unselbständige Parkbuchten auf öffentlich-rechtlich gewidmeten Straßen, die dem allgemeinen Verkehr dienen. Mit dieser Tätigkeit wird sie voraussichtlich 20.000 Euro pro Jahr erzielen. Die Umsätze aus der Überlassung der unselbständigen Parkbuchten dienen der Ordnung des ruhenden Verkehrs und sind deshalb – auch aus Sicht eines Durchschnittsverbrauchers – nicht als gleichartig anzusehen. Diese Umsätze bleiben bei der Betrachtung der Wertgrenze außen vor. Da der mit der Stellplatzüberlassung auf dem Parkplatz erzielte Umsatz voraussichtlich 17.500 Euro nicht übersteigen wird, liegt insoweit keine größere Wettbewerbsverzerrung vor. Im Ergebnis ist folglich festzuhalten, dass bei der entgeltlichen Überlassung von selbständigen Parkflächen im Regelfall von einer unternehmerischen und damit regelmäßig steuerbaren Tätigkeit auszugehen ist. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn die Bewirtschaftung auf öffentlich-rechtlicher Grundlage erfolgt. Gegebenenfalls kann die Bagatellgrenze nach § 2b Abs. 2 Nr. 1 UStG zur Anwendung kommen. Eine Nichtbesteuerung im Hinblick auf § 2b Abs. 2 Nr. 2 UStG, wonach eine Wettbewerbsverzerrung auch dann auszuschließen ist, wenn vergleichbare private Unternehmer aufgrund einer Steuerbefreiung ebenfalls nicht mit Umsatzsteuer belastet werden, ist im Hinblick auf § 4 Nr. 12 S. 2 UStG ausgeschlossen. Insbesondere bei der Überlassung an Kurzzeitparker wird es daher regelmäßig zur Annahme von umsatzsteuerbaren und mangels einschlägiger Befreiungsnorm auch umsatzsteuerpflichtigen Tätigkeiten kommen.

9.61

4. Langfristige Überlassung von Parkflächen – Steuerfreiheit und Optionsmöglichkeit Soweit bei der Vermietung von Plätzen für das Abstellen von Fahrzeugen eine unternehmerische Tätigkeit der jPdöR anzunehmen ist, stellt diese im Regelfall eine umsatzsteuerpflichtige Leistung dar.4 Hinsichtlich der Frage der Einordnung als unternehmerische Tätigkeit kann auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen werden. Die Einordnung als umsatzsteuerbare und 1 Vgl. auch Boos, DStZ 2015, 214 (226). 2 So auch Boos in Hidien/Jürgens, Besteuerung der öffentlichen Hand, § 16 Rz. 1038; FG BadenWürttemberg v. 8.4.2016, 10 K 1439/14, DStZ 2016, 641. 3 BMF-Schreiben v. 19.4.2016, BStBl. I 2016, 481, Rz. 37. 4 Vgl. Abschnitt 4.12.2 Abs. 1 UStAE.

Gastl | 583

9.62

Kap. 9 Rz. 9.62 | Kommunalverwaltung

regelmäßig auch umsatzsteuerpflichtige Leistung gilt dabei im Grundsatz unabhängig davon, ob die Überlassung kurz- oder langfristig erfolgt.1 Auch die örtlichen Begebenheiten an sich (Tiefgarage, Einzelgarage, Parkplatz, Parkbuchten, etc.) haben keinen Einfluss auf die entsprechende Würdigung.2 Ob der Mieter den Parkplatz tatsächlich selbst nutzt oder diesen gegebenenfalls wiederum einem Dritten überlässt, ist ebenfalls unbeachtlich.3

9.63

Eine Steuerfreiheit der Überlassung von Plätzen für das Abstellen von Fahrzeugen ist daher allenfalls dann denkbar, wenn es sich bei der Stellplatzüberlassung um eine unselbständige Nebenleistung zu eine ansonsten nach § 4 Nr. 12 S. 1 Buchst. a UStG umsatzsteuerfreien Vermietungsleistung handelt. Dies ist grundsätzlich dann als gegeben anzusehen, wenn die Überlassung mit einer steuerfreien Vermietung von Grundstücken eng verbunden ist, so dass beide Vermietungen einen einheitlichen wirtschaftlichen Vorgang darstellen.4 Als Indizien für das Vorliegen eines solchen engen wirtschaftlichen Zusammenhangs stellt die Finanzverwaltung darauf ab, dass die Vertragsparteien des Mietvertrags der Hauptsache, wie auch der Stellplatzüberlassung identisch sein müssen5 und dass ein räumlicher Zusammenhang zwischen der steuerfrei überlassenen Hauptsache und dem überlassenen Stellplatz vorliegt.6 Eine räumliche Nähe soll dabei dann als gegeben anzusehen sein, wenn der Platz für das Abstellen des Fahrzeugs Teil eines einheitlichen Gebäudekomplexes ist, zu dem auch die steuerfrei überlassene Hauptsache gehört oder der Stellplatz sich zumindest in unmittelbarer Nähe des Grundstücks befindet.7

9.64

Kann nach den vorstehenden Kriterien von einer insgesamt umsatzsteuerfreien Überlassung ausgegangen werden, so besteht grundsätzlich nach § 9 UStG die Möglichkeit zur Umsatzsteuerpflicht zu optieren, soweit die dort vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt werden. Allerdings ist eine solche Option dann nur für das Gesamtobjekt, d.h. auch für die zunächst steuerfrei vermietete Hauptsache möglich.

9.65

Soweit eine langfristige Überlassung von Stellplätzen an Mitarbeiter von jPdöR erfolgt, ist diese nach den vorstehenden Grundsätzen zu beurteilen, Hier ist eine umsatzsteuerfreie Überlassung nicht möglich. Vielmehr liegt in diesem Fall regelmäßig eine umsatzsteuerbare und im Hinblick auf § 4 Nr. 12 S. 2 UStG auch umsatzsteuerpflichtige Leistung vor.8

5. Vorsteuerabzug 9.66

Soweit eine unternehmerische Tätigkeit vorliegt, die zu umsatzsteuerpflichtigen Umsätzen führt, kann nach den allgemeinen Vorgaben des § 15 UStG ein Vorsteuerabzug bezüglich mit dieser Tätigkeit in Zusammenhang stehenden Eingangsumsätzen vorgenommen werden.

1 Vgl. Abschnitt 4.12.2 Abs. 1 S. 4 UStAE. Dies ergibt sich bereits aus dem Gesetzeswortlaut, der keine Differenzierung nach der Dauer der Überlassung vorsieht. 2 Vgl. Abschnitt 4.12.2 Abs. 1 S. 5, 6 UStAE. 3 Abschnitt 4.12.2 Abs. 3 S. 2, 3 UStAE; BFH v. 30.3.2006, V R 52/05, BStBl. II, 2006, 731. 4 Vgl. EuGH v. 13.7.1989, Rs. C-173/88, Henriksen, DB 1990, 514; BFH v. 10.12.2020, V R 41/19, BFH/NV 2021, 949. 5 Vgl. Abschn. 4.12.2 Abs. 3 S. 5, 6 UStAE. 6 Vgl. Abschn. 4.12.2 Abs. 3 S. 8 UStAE; vgl. auch Lange/Renz, NWB 2020, 762. 7 Vgl. Abschn. 4.12.2 Abs. 3 S. 9 UStAE; BFH v. 10.12.2020, V R 41/19, BFH/NV 2021, 949; Herold, GStB 2021, 329. 8 Vgl. auch Landesamt für Steuern Niedersachsen, Verf. v. 19.5.2020, S 7107-31-St 171, BeckVerw 470182.

584 | Gastl

B. Marktbetriebe | Rz. 9.68 Kap. 9

Fraglich ist in diesem Zusammenhang, ob auch dann ein – zumindest anteiliger – Vorsteuerabzug möglich ist, wenn die Errichtung eines ansonsten unentgeltlich überlassenen Parkplatzes in unmittelbarem Zusammenhang mit einem im Übrigen umsatzsteuerpflichtig betriebenen Objekt erfolgt. Hierzu hat das FG Baden-Württemberg mit Urteil vom 7.12.20201 entschieden, dass ein Vorsteuerabzug zumindest anteilig auch für einen ansonsten der allgemeinen Nutzung zur Verfügung stehenden Parkplatz zulässig ist. In dem zugrunde liegenden Sachverhalt unterhielt eine Gemeinde zwei Mehrzweckhallen. Nachdem bei einer der Hallen Baumängel festgestellt worden waren, ließ die Klägerin eine neue Halle errichten. Nach dem Abriss der alten Halle wurde auf deren Gelände ein öffentlicher Parkplatz errichtet. Die Nutzung der neuen Halle erfolgte jeweils stundenweise, teilweise auch tageweise durch verschiedene Nutzergruppen (z.B. Gymnastikgruppe, Fußballverein, Kirchenchor sowie Privatpersonen und Gewerbetreibende). Für die Benutzung der Halle setzte die Klägerin Gebühren durch Bescheid unter Ausweis von Umsatzsteuer fest. Dabei war jedoch nur eine teilweise umsatzsteuerpflichtige Nutzung der Halle zu verzeichnen. Hinsichtlich des im Zuge des Abrisses der alten und dem Bau der neuen Halle errichteten Parkplatzes hatte das Finanzamt zunächst unter Hinweis auf die Widmung zum Allgemeingebrauch ohne Erhebung gesonderter Entgelte eine Zuordnung zur unternehmerischen Sphäre der jPdöR ausgeschlossen und auf dieser Grundlage den Vorsteuerabzug für die Errichtung des Parkplatzes versagt. Das Finanzgericht sah durch die Widmung des Parkplatzes zum öffentlichen Gebrauch diesen im Grundsatz als einer unternehmerischen Nutzung entzogen an. Allerdings stellte es fest, dass dann anders zu entscheiden sei, wenn eine über den Gemeingebrauch erfolgende Sondernutzung vorliegt.2 Diese Sondernutzung sah der entscheidende Senat im vorliegenden Fall als gegeben an, da nach seiner Auffassung ein unmittelbarer Zusammenhang mit dem Bau der Halle und damit umsatzsteuerpflichtigen Ausgangsumsätzen vorlagen. Diesen Zusammenhang sah er im Hinblick auf die Tatsache, dass die Baugenehmigung für die neu errichtete Halle ohne die Herstellung des Parkplatzes nicht erteilt worden wäre. Vor diesem Hintergrund erkannte er der Gemeinde zumindest einen anteiligen Vorsteuerabzug aus der Errichtung des Parkplatzes im Verhältnis zur umsatzsteuerpflichtigen Nutzung der neu errichteten Halle zu.

9.67

In der Praxis ist also bei im Zusammenhang mit nachfolgend für umsatzsteuerlichen Ausgangsumsätzen errichteten Parkflächen grundsätzlich zu prüfen, inwieweit hier auch bei ansonsten öffentlich-rechtlicher Widmung zumindest ein anteiliger Vorsteuerabzug denkbar ist. Wesentlich ist in diesem Fall die Dokumentation eines zwingenden unmittelbaren Zusammenhangs. Inwieweit die Auffassung des FG Baden-Württemberg einer revisionsrechtlichen Überprüfung durch den Bundesfinanzhof standhält, bleibt allerdings abzuwarten.

9.68

B. Marktbetriebe I. Allgemeine Einordnung Literatur: Baldauf, Die umsatzsteuerliche Behandlung der entgeltlichen Überlassung von Standflächen auf regelmäßig wiederkehrenden Marktveranstaltungen der Gemeinden, DStZ 2009, 396; Jäckel/ Schwarz, Aktuelle Entwicklungen zum Vorsteuerabzug der öffentlichen Hand – das „neue“ Markt1 Vgl. FG Baden-Württemberg v. 7.12.2020, 1 K 2427/19, rkr. durch Rücknahme Revision, EFG 2021, 691. 2 Vgl. FG Baden-Württemberg v. 7.12.2020, 1 K 2427/19, rkr. durch Rücknahme Revision, EFG 2021, 691 unter 1. D) mit Verweis auf BFH v. 3.3.2011, V R 23/10, BStBl. II 2012, 74 Rz. 23 und BFH v. 22.10.2009, V R 33/08, BFH/NV 2010, 957, Rz. 27 ff.

Gastl | 585

Kap. 9 Rz. 9.69 | Kommunalverwaltung platzurteil des BFH und seine Folgen, DStR 2019, 473; Jobst, Möglichkeiten und Grenzen der Privatisierung von kommunalen Volksfesten und Märkten, KommP BY 9/2012; Küffner, Kommentar zu BFH v. 3.3.2011, V R 23/10, UR 618; Leippe, Öffentlich gewidmete Grundstücke als notwendiges Betriebsvermögen eines Betriebs gewerblicher Art – Eine kritische Betrachtung am Beispiel von Marktflächen, ZKF 2001, 122; Leippe, Gewinnminderung bei einem kommunalen Betrieb gewerblicher Art durch Anerkennung von des Abzugs von Sondernutzungsentgelten als Betriebsausgaben, DStZ 2009, 729; Meiers, Das kommunale Marktwesen, Peter Lang Verlag 2015; Meurer, Vorsteuerabzug/-berichtigung sowie Vorsteueraufteilung aus der Sicht von juristischen Personen des öffentlichen Rechts auf dem neuesten Stand, DStZ 2014, 501; Nieskoven, Vorsteuerabzug einer Gemeinde bei Sanierung des teils unternehmerisch genutzten Marktplatzes, GStB 2011, 298; Widmann in Hidien/Jürgens, Besteuerung der öffentlichen Hand, 2237 ff.; Widmann, Der BFH hat die Schraube bzgl. der Unternehmereigenschaft der öffentlichen Hand überdreht – Komm. zu BFH v. 3.3.2011, BB 2011, 2022.

9.69

Soweit die öffentliche Hand sich am allgemeinen Wirtschaftsleben beteiligt, ist eine ertragsteuerliche Erfassung im Rahmen eines Betriebs gewerblicher Art nach § 4 KStG zu prüfen. Dieser Regelung liegt die Intention zugrunde, dass die öffentliche Hand im Rahmen der Wettbewerbsgleichheit gegenüber privatwirtschaftlichen Unternehmen nicht dadurch besser gestellt werden soll, dass die betreffenden Aktivitäten steuerlich unbeachtlich bleiben.1

9.70

In diesem Zusammenhang kann auf eine lange Tradition des Ausrichtens von Märkten durch die öffentliche Hand zurückgeschaut werden. Hierdurch sollten in der Vergangenheit auch notwendige Hygienevorgaben und damit die Volksgesundheit sichergestellt werden2. Im Zuge der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung wurden gerade im Bereich der Märkte die Aktivitäten der öffentlichen Hand vielfach durch private Anbieter übernommen, so dass der Grundgedanke der Wettbewerbsneutralität an Bedeutung gewonnen hat. Gleichzeitig sind etwaige Vorgaben hinsichtlich des Annahmezwangs zu berücksichtigen, die weiterhin eine explizit nach § 4 Abs. 5 KStG nicht ertragsteuerlich zu erfassende hoheitliche Tätigkeit begründen können3.

9.71

Darüber hinaus wird gerade im kommunalen Bereich oftmals eine entsprechende Infrastruktur zur Durchführung von Marktveranstaltungen vorgehalten. Dies im Hinblick darauf, dass die Zurverfügungstellung einer Marktinfrastruktur unter die allgemeine Daseinsvorsorge zu subsumieren ist4. Durch den wettbewerbsrechtlichen Bezug sind daher insbesondere Fragen der steuerlichen Berücksichtigung von Investitionen der öffentlichen Hand in die entsprechende Infrastruktur relevant.

II. Ertragsteuerliche Einordnung 1. Einordnung als Betrieb gewerblicher Art 9.72

Die Annahme eines Betriebs gewerblicher Art (BgA) setzt nach der Definition des § 4 Abs. 1 KStG voraus, dass seitens einer juristischen Person des öffentlichen Rechts eine nachhaltige wirtschaftliche Tätigkeit mit Einnahmenerzielungsabsicht betrieben wird, die sich aus dem Gesamtgefüge wirtschaftlich hervorhebt. Negativ davon abgegrenzt wird der Bereich des BgA von den sogenannten Hoheitsbetrieben i.S.d. § 4 Abs. 5 KStG.

1 Vgl. hierzu auch ausführlich Gastl, Betriebe gewerblicher Art im Körperschaftsteuerrecht, Peter Lang Verlag 2001, 14f. 2 So auch Widmann in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 16 Rz. 951. 3 Vgl. auch R 4.4 Abs. 1 KStR 2015 und R 4.5 Abs. 3 KStR 2015. 4 Vgl. hierzu auch Jobst, KommP BY, 9/2012; Meiers, Das kommunale Marktwesen, Peter Lang Verlag, 13.

586 | Gastl

B. Marktbetriebe | Rz. 9.75 Kap. 9

Da die Veranstaltung von Festen und Märkten als Bestandteil der Daseinsvorsorge einzuordnen ist, stellt sich insoweit die Frage, ob die Überlassung von Standplätzen auf öffentlichen Plätzen als Ausfluss einer hoheitlichen Tätigkeit anzusehen sein könnte. Diesem Ansatz hat die Rechtsprechung bereits frühzeitig widersprochen und eine hoheitliche Betätigung zumindest bei Wochen- und Krammärkten abgelehnt.1 Hierzu wird angeführt, dass es sich bei der Durchführung von Marktveranstaltungen um die Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr handelt, die in erster Linie dadurch gekennzeichnet ist, dass die juristische Person des öffentlichen Rechts (im Regelfall eine Kommune) den Marktbesuchern Gelegenheit zum Abschluss von Rechtsgeschäften mit den Marktbeschickern bietet2. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn die Marktveranstaltungen auf öffentlichen Straßenflächen stattfinden3. Denn die gegenüber den Standmietern erhobenen Entgelte stellen keine Sondernutzungsgebühren dar, die gegenüber den Standnutzern erhoben werden. Vielmehr nimmt der BgA „Marktbetrieb“ die Sondernutzung selbst in Anspruch, um sie nachfolgend gegen Entgelt weiterzugeben. Insoweit handelt es sich folglich nicht um öffentliche Sondernutzungsgebühren, sondern vielmehr um Abgaben i.S.d. § 71 Gewerbeordnung4.

9.73

Als hoheitliche Tätigkeit sind jedoch öffentlich-rechtliche Schlachtviehmärkte einzuordnen5. Abzugrenzen davon sind Nutz- und Zuchtviehmärkte, die durch Kommunen oder Gemeinden durchgeführt werden. Diese sind wiederum als Betriebe gewerblicher Art anzusehen6.

9.74

Soweit also eine Einordnung als hoheitliche Tätigkeit im Regelfall auszuschließen ist, könnte bei einer Überlassung von Flächen auch eine nicht als BgA einzuordnende vermögensverwaltende Tätigkeit angenommen werden7. Dies wäre dann der Fall, wenn sich die Flächenüberlassung als reine Fruchtziehung darstellen würde, ohne dass weitere zusätzliche Tätigkeitselemente hinzutreten. Durch die im Regelfall zu koordinierende Standplatzvergabe, die zu führende Aufsicht über die Märkte und die Zurverfügungstellung von weiteren Infrastrukturgrundlagen, wie beispielsweise Stromverteiler, Abwasserleitungen, etc., gehen die Rechtsprechung8 und dieser folgend die Finanzverwaltung9 bei Marktbetrieben grundsätzlich von ertragsteuerlich relevanten Betrieben gewerblicher Art aus. Eine Subsumierung unter den Bereich der Vermögensverwaltung ist somit höchstens dann denkbar, wenn gelegentlich ein Platz als Ganzes an einen Veranstalter zur weiteren Verwendung überlassen wird10.

9.75

1 Vgl. BFH v. 4.9.1956, I 56/56, BeckRS 1956, 21009018; BFH v. 26.2.1957, I 327/56 U, BStBl. III 1957, 146; BFH v. 17.5.2000, I R 50/98, BStBl. II 2001, 558; BFH v. 7.11.2007, I R 52/06, BStBl. II 2009, 248. 2 Vgl. BFH v. 26.2.1957, I 327/56 U, BStBl. III 1957, 146; Baldauf, DStZ 2009, 396. 3 Vgl. BFH v. 17.5.2000, I R 50/98, BStBl. II 2001, 558; H 4.5 „Marktveranstaltungen (Wochen- und Krammärkte“ KStH 2015. 4 Vgl. BFH v. 17.5.2000, I R 50/98, BStBl. II 2001, 558 unter II.1.b). 5 Vgl. BFH v. 14.11.1968, V 217/64, BStBl. II 1969, 274; R 4.5 Abs. 3 KStR 2015. 6 Vgl. Krämer in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, KStG, § 4 Tz. 109 „Marktveranstaltungen, Messen“. 7 Zur Abgrenzung vermögensverwaltender Tätigkeiten bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts vgl. Gastl, Betriebe gewerblicher Art im Körperschaftsteuerrecht, 2001, 34; Krämer in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, KStG, § 4 Tz. 48. 8 Vgl. BFH v. 4.9.1956, I 56/56, BeckRS 1956, 21009018; BFH v. 26.2.1957, I 327/56 U, BStBl. III 1957, 146; BFH v. 17.5.2000, I R 50/98, BStBl. II 2001, 558; BFH v. 7.11.2007, I R 52/06, BStBl. II 2009, 248. 9 Vgl. H 4.5 „Marktveranstaltungen (Wochen- und Krammärkte)“ KStH 2015. 10 Vgl. FG Niedersachsen v. 25.8.1980, VI Kö 33/76, EFG 1981, 259 unter Verweis auf Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs.

Gastl | 587

Kap. 9 Rz. 9.76 | Kommunalverwaltung

2. Betriebsvermögen des BgA „Marktbetriebe“ 9.76

Soweit bei der Ausrichtung von Märkten durch juristische Personen des öffentlichen Rechts im Regelfall vom Vorliegen eines BgA auszugehen ist, stellt sich nachfolgend die Frage des Umfangs des dem BgA zuzurechnenden Betriebsvermögens.

9.77

Für die Zuordnung von Wirtschaftsgütern zum Betriebsvermögen eines Betriebs gewerblicher Art sind gemäß § 8 Abs. 1 KStG die Vorschriften des EStG zugrunde zu legen. Um den verschiedenen Nutzungs- und Funktionsmöglichkeiten der dem Betriebsvermögen zuzuordnenden Wirtschaftsgüter gerecht zu werden, wird in Rechtsprechung und Literatur1 eine Dreiteilung des Vermögens angenommen: – Wirtschaftsgüter, denen im Betrieb gewerblicher Art eine Funktion zugeordnet wurde (notwendiges Betriebsvermögen), – ausschließlich im hoheitlichen Bereich genutzte Wirtschaftsgüter (hoheitliches Vermögen) und – Wirtschaftsgüter, die aufgrund ihrer Funktions- und Nutzungsmöglichkeiten sowohl dem hoheitlichen Bereich als auch dem Betrieb gewerblicher Art zugeordnet werden könnten und durch die Aufnahme in die Bilanz zu Betriebsvermögen werden (gewillkürtes Betriebsvermögen).

9.78

Unter notwendigem Betriebsvermögen eines Betriebes werden dabei Wirtschaftsgüter verstanden, die objektiv erkennbar und unmittelbar den betrieblichen Zwecken zu dienen bestimmt sind2. Für die Zuordnung von Wirtschaftsgütern zum notwendigen Betriebsvermögen eines Betriebs gewerblicher Art ist die Abgrenzung des steuerpflichtigen betrieblichen von dem nicht steuerbaren hoheitlichen Bereich entscheidend. Dieses Problem kann mittels des Veranlassungsprinzips gelöst werden. Dabei sind gemischt genutzte Wirtschaftsgüter nach Auffassung der Finanzverwaltung dann als notwendiges Betriebsvermögen anzusehen, wenn sie zu mehr als 50 % eigenbetrieblich genutzt werden3.

9.79

Grundlegender Gedanke bei der Abgrenzung von Betriebsvermögen und hoheitlichem Vermögen ist die Erfassung derjenigen Einkünfte, die eine Ermittlung des steuerpflichtigen Gewinns nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip ermöglichen. Es sollen daher alle Einkünfte erfasst werden, die mit dem „Betrieb“ in Zusammenhang stehen und seine Leistungsfähigkeit darzustellen vermögen.

9.80

Somit ergibt sich für die Zuordnung der betreffenden Wirtschaftsgüter, dass diese aufgrund betrieblicher Veranlassung angeschafft, hergestellt oder eingelegt sein müssen. Grundsätzlich ist also die Motivation, die hinter der Anschaffung, Herstellung oder Einlage eines Wirtschaftsgutes steht, ausschlaggebend. Dabei muss der Wille, der hinter der Anschaffung, Herstellung oder Einlage des Wirtschaftsgutes steht gegebenenfalls nachweisbar sein. Dieser Nachweispflicht nachzukommen, gestaltet sich je nach Art der Wirtschaftsgüter mehr oder weniger schwierig.

9.81

Handelt es sich um Wirtschaftsgüter, die den Betriebsablauf des Betriebs gewerblicher Art erst ermöglichen, so steht eine Zuordnung zum notwendigen Betriebsvermögen außer Frage. 1 Vgl. Krämer in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, KStG, § 4 Tz.183; Gastl, DStZ 2004, 323. 2 Vgl. R 4.2 Abs. 1 S. 1 EStR. 3 Vgl. R 4.2 Abs. 1 S. 4 EStR.

588 | Gastl

B. Marktbetriebe | Rz. 9.84 Kap. 9

Durch die tatsächliche Nutzung und den dauerhaften Einsatz der Wirtschaftsgüter im Betrieb ist die betriebliche Veranlassung klar erkennbar. Dies gilt insbesondere für Wirtschaftsgüter, die wesentliche Betriebsgrundlagen darstellen1. Insoweit kann im Regelfall auf die für Zwecke der Betriebsaufspaltung zur Frage der sachlichen Verflechtung entwickelten Kriterien der wesentlichen Betriebsgrundlage zurückgegriffen werden2. Nach der Rechtsprechung des BFH3 gelten die vorstehenden Grundsätze zur Zuordnung wesentlicher Betriebsgrundlagen als notwendiges Betriebsvermögen eines BgA jedoch nicht für Wirtschaftsgüter, die dem hoheitlichen Bereich der juristischen Person des öffentlichen Rechts zuzurechnen sind. Bei dem sog. „hoheitlichen Vermögen“ handelt es sich um Wirtschaftsgüter, die aus der ursprünglichen Intention heraus für den nicht steuerbaren hoheitlichen Bereich angeschafft oder hergestellt und dort genutzt wurden. Ihre tatsächliche Nutzung spricht in diesen Fällen derart gegen die Annahme einer betrieblichen Veranlassung, dass selbst eine buchmäßige Zuordnung zum Betrieb gewerblicher Art als Zuordnungskriterium nicht als ausreichend anzusehen wäre.

9.82

Bezogen auf Marktbetriebe bedeutet dies, dass öffentlich-rechtlich gewidmete Flächen, wie beispielswiese die Marktplätze in der Innenstadt, nach Auffassung der Rechtsprechung4 grundsätzlich dem hoheitlichen Bereich und damit nicht dem Betriebsvermögen des BgA „Marktplätze“ zugerechnet werden können.5 Dies gilt selbst dann, wenn sie für den Betrieb gewerblicher Art eine wesentliche Betriebsgrundlage darstellen. Daraus folgt, dass etwaige Aufwendung aus dem Bau und der Unterhaltung öffentlicher Marktplätze nicht als Betriebsausgaben des BgA „Marktbetrieb“ berücksichtigt werden können.6 Mit Urteil vom 6.11.20077 hat der I. Senat des BFH allerdings entschieden, dass die von einem Betrieb gewerblicher Art für die Nutzung öffentlicher Flächen an seine Trägerkörperschaft entrichteten Sondernutzungsentgelte den Gewinn des Betriebes gewerblicher Art mindern. Dies gilt aber nur insoweit, als dass auch für fremde Dritte eine solche Sondernutzungsgebühr erhoben worden wäre.8 Zwar ist das vorstehende Urteil zur Überlassung von Standflächen an Entsorgungsunternehmen für das Abstellen von Altglas- oder Papiercontainer ergangen. Die sich hieraus ergebenden Grundsätze sind jedoch auch auf den Bereich der Standplatzüberlassen im Rahmen eines Marktbetriebs übertragbar. Insoweit ist im Einzelfall zu prüfen, ob die Ausgestaltung der Sondernutzungsgebühren den vorgenannten Maßstäben der Rechtsprechung entsprechen, um einen entsprechenden Betriebsausgabenabzug beim BgA „Marktbetrieb“ zu erreichen. Eine (anteilige) Zuordnung der betreffenden Flächen zum Betriebsvermögen des BgA lässt sich hieraus allerdings weiterhin nicht ableiten.

9.83

In einem weiteren Urteil des BFH vom 7.11.20079 hatte der entscheidende Senat zu klären, ob eine öffentliche Toilettenanlage einem BgA „Marktbetrieb“ zumindest als gewillkürtes Be-

9.84

1 Vgl. BFH v. 14.3.20194, BStBl. II 1984, 496. 2 Vgl. hierzu auch R 15.7 Abs. 5 EStR m.w.N. 3 Vgl. BFH v. 17.5.2000, I R 50/98, BStBl. II 2001, 558; BFH v. 7.11.2007, I R 52/06, BStBl. II 2009, 248. 4 Vgl. BFH v. 17.5.2000, I R 50/98, BStBl II 2001, 558; FG Sachsen v. 5.12.2006, 4 K 81/03, rkr., BeckRS 2006, 26023410. 5 Vgl. hierzu auch Leippe, ZKF 2001, 122. 6 Vgl. FG Sachsen v. 5.12.2006, 4 K 81/03, rkr., BeckRS 2006, 26023410 unter Verweis auf BFH v. 17.5.2000, I R 50/98, BStBl. II 2001, 558. 7 BFH v. 6.11.2007, I R 72/06, BStBl II 2009, 246. 8 Vgl. auch Leippe, DStZ 2009, 729 (734). 9 Vgl. BFH v. 7.11.2007, I R 52/06, BStBl. II 2009, 248.

Gastl | 589

Kap. 9 Rz. 9.84 | Kommunalverwaltung

triebsvermögen zugerechnet werden kann. Dies hat der I. Senat verneint, so dass die mit der Toilettenanlage in Zusammenhang stehenden Aufwendungen nicht als Betriebsausgaben auf Ebene des BgA berücksichtigt werden konnten. Begründet wurde die ablehnende Haltung damit, dass das Unterhalten der Toilettenanlage letzten Endes eine hoheitliche Maßnahme der Daseinsvorsorge darstelle und die Marktbesucher und -beschicker insoweit eben nur ein Teil der Allgemeinheit der Nutzer abbilden.1

9.85

Festzuhalten bleibt somit, dass der Umfang des Betriebsvermögens eines BgA „Marktbetrieb“ im Hinblick auf die oftmals dem hoheitlichen Bereich zuzurechnenden Flächen und Gegenstände überschaubar bleiben dürfte. Daraus folgt gleichermaßen auch, dass etwaige Aufwendungen, die aus der Bewirtschaftung der Flächen resultieren nur in sehr begrenztem Umfang als Betriebsausgaben steuermindernd Berücksichtigung finden können.

III. Umsatzsteuerliche Einordnung 1. Gesetzliche Grundlagen 9.86

Soweit nach dem Körperschaftsteuergesetz ein BgA anzunehmen ist, war nach der Regelung des § 2 Abs. 3 UStG a.F. grundsätzlich auch die umsatzsteuerliche Unternehmereigenschaft als gegeben anzusehen. Das bedeutete für die umsatzsteuerliche Einordnung der Marktbetriebe, dass diese im Regelfall auch umsatzsteuerlich zu würdigen waren.

9.87

Durch die grundsätzlich ab dem 1.1.2017 geltende Neuregelung2 der umsatzsteuerlichen Behandlung von juristischen Personen des öffentlichen Rechts und die damit einhergehende Einfügung des § 2b UStG ist die umsatzsteuerliche Einordnung nunmehr unabhängig von der ertragsteuerlichen Beurteilung vorzunehmen.3 Dabei sind juristische Personen des öffentlichen Rechts nach den allgemein geltenden Grundsätzen als Unternehmer anzusehen. Eine Ausnahme besteht nur im Anwendungsbereich des § 2b UStG, der Tätigkeiten der öffentlichen Hand im Rahmen der öffentlichen Gewalt von der umsatzsteuerlichen Berücksichtigung ausnimmt.4 Begrenzt wird diese Ausnahme jedoch durch die Vorgabe, dass es bei einer umsatzsteuerlichen Nichterfassung nicht zu größeren Wettbewerbsverzerrungen kommen darf.5

9.88

Bezogen auf die hier zu beurteilenden Marktbetriebe ist zu konstatieren, dass die damit einhergehenden Tätigkeiten der Standüberlassung und sonstiger flankierender Leistungen im Regelfall nicht im Rahmen der Ausübung öffentlicher Gewalt durchgeführt werden. Auch liegt regelmäßig ein Leistungsaustauschverhältnis in Form der Überlassung gegen Entgelt vor, so dass eine Umsatzsteuerbarkeit dem Grunde nach als gegeben anzusehen sein wird.6 Dies korrespondiert grundsätzlich auch mit der ertragsteuerlichen Einordnung.

9.89

Soweit gegebenenfalls Schlachtviehmärkte aus ertragsteuerlicher Sicht als hoheitliche Tätigkeiten anzusehen sind, könnte eine Befreiung nach § 2b Abs. 1 UStG grundsätzlich in Betracht kommen, soweit die Durchführung auf Grundlage einer öffentlich-rechtlichen Sonderregelung erfolgt.7 1 Vgl. auch Gosch, BFH-PR 2008, 305. 2 Änderungen eingeführt durch das StÄndG v. 2.11.2015, BGBl. I 2015, 1834. 3 Vgl. zur Neuregelung allgemein auch Küffner/Rust, DStR 20016, 1633; Kronawitter, VW 2017, 43; Sauerland, UStB 2017, 108; Hüttemann, UR 2017, 129. 4 Vgl. auch BMF-Schreiben v. 16.12.2016, III C – S -7107/16/10001, BStBl. I 2016, 1451. 5 § 2b Abs. 1 S. 2 UStG. 6 So auch Widmann in Hidien/Jürgens, Besteuerung der öffentlichen Hand, § 16 Rz. 957f. 7 Vgl. BMF-Schreiben v. 16.12.2016, a.a.O., Rz. 6f.

590 | Gastl

B. Marktbetriebe | Rz. 9.92 Kap. 9

Soweit eine solche öffentlich-rechtliche Sonderregelung gegebenenfalls vorliegt, wird die Nichtsteuerbarkeit des § 2b UStG jedoch gleichwohl dann ausgeschlossen, wenn hierdurch eine größere Wettbewerbsverzerrung zu privaten Wirtschaftsteilnehmern anzunehmen ist. Da es grundsätzlich auch private Schlachtviehmärkte gibt und insoweit auch kein Annahmezwang des öffentlichen Angebots existiert, dürfte eine entsprechende Wettbewerbsverzerrung im Regelfall zu bejahen sein. Damit ist aus umsatzsteuerlicher Sicht dem Anwendungsbereich des § 2b UStG bei Marktbetrieben die Grundlage entzogen. Die umsatzsteuerliche Beurteilung hat somit nach den allgemeinen Grundsätzen zu erfolgen, wie sie für alle Marktteilnehmer anzuwenden sind.

2. Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 12 UStG und Optionsmöglichkeit nach § 9 UStG Soweit grundsätzlich von einer Steuerbarkeit aus umsatzsteuerlicher Sicht auszugehen ist, stellt sich nachfolgend die Frage, inwieweit gegebenenfalls eine Steuerbefreiungsnorm greifen kann. Diesbezüglich hat der Bundesfinanzhof mit Urteil vom 24.1.20081 unter Änderung seiner bisherigen Rechtsauffassung2 entschieden, dass die Überlassung von Standplätzen auf Wochenmärkten insgesamt als eine einheitlich zu beurteilende nach § 4 Nr. 12 S. 1 Buchst. a UStG steuerfreie Vermietungsleistung eingeordnet werden kann. Damit wurden die zuvor als umsatzsteuerlich eigenständig zu beurteilenden Nebenleistungen gegen Entgelt, wie bspw. die Überlassung von Strom, die Organisation der Veranstaltung und die Endreinigung nunmehr als unselbständige Nebenleistungen gewertet, die das Schicksal der Hauptleistung teilen. Dabei betont der entscheidende Senat, dass die Überlassung der Standplätze und damit das Vermietungselement in der Gesamtschau das Gepräge geben muss.

9.90

Die Finanzverwaltung ist mit Schreiben vom 15.1.20093 der geänderten Auffassung der Rechtsprechung gefolgt und hat diese nachfolgend auch in den Umsatzsteueranwendungserlass übernommen.4 Damit ist die zuvor zwingend vorzunehmende Aufteilung der Umsätze in einen steuerfreien und einen steuerpflichtigen Teil nicht mehr vorzunehmen, soweit die Vermietungsteilleistung prägend ist.5

9.91

Mit Urteil vom 13.2.20146 hat der Bundesfinanzhof die grundsätzliche Einordnung der Standplatzvermietung als einheitliche umsatzsteuerfreie Vermietungsleistung nach § 4 Nr. 12 S. 1 Buchst. a UStG nochmals bestätigt. Auch hier hat der entscheidende Senat dargelegt, dass die über die reine Überlassung der Standfläche hinaus erbrachten Leistungen wie die Festsetzung des Termins für die Veranstaltung, die Organisation und der Werbung für die Veranstaltung sowie die Be- und Entwässerung nur unselbständige Nebenleistungen darstellen, die insoweit das Schicksal der (steuerfreien) Hauptleistung teilen.7 Nachdem das Urteil des BFH vom 24.1.2008 zunächst nur zur Einordnung von Wochenmärkten ergangen war, bei denen der Charakter als Verkaufsveranstaltung im Vordergrund stand, geht der V. Senat in der Entscheidung vom 13.2.2014 auch bei Kirmesveranstaltungen, bei denen auch nicht unwesentliche

9.92

1 2 3 4 5

BFH v. 24.1.2008, V R 12/05, BStBl. II 2009, 60. Zur Rechtslage vor der Rechtsprechungsänderung siehe auch Baldauf, DStZ 2009, 396. BMF-Schreiben v. 9.1.2009, IV B 9 - S 7168/08/10001, BStBl. I 2009, 69. Vgl. Abschnitt 4.12.5 Abs. 2 S. 4 UStAE. Vgl. zur vorhergehenden Handhabung OFD Frankfurt/Main v. 21.9.2007, S-7168 A – 26 – St 112, UR 2008, 319. 6 BFH v. 13.2.2014, V R 5/13, BStBl. II 2017, 846. 7 Vgl. BFH v. 13.2.2014, V R 5/13, BStBl. II 2017, 846, Tz. 8.

Gastl | 591

Kap. 9 Rz. 9.92 | Kommunalverwaltung

Vergnügungselemente vorhanden sind, gleichermaßen von einer einheitlich zu beurteilenden Vermietungsleistung aus.1

9.93

Grundsätzlich ist jedoch im Einzelfall zu prüfen, inwieweit die Vermietungsleistung dem gesamten Leistungsbündel das Gepräge gibt.2 Die seitens der Rechtsprechung dargelegten Grundsätze zur Einordnung der verschiedenen Nebenleistungen können dabei als Indizien herangezogen werden. So ist insbesondere in den Fällen, in denen neben der Überlassung der Standfläche und den damit einhergehenden Nebenleistungen beispielsweise auch die Stände selbst zur einheitlichen Ausgestaltung des Markbildes überlassen werden, zu differenzieren. Die Überlassung der Standbuden dürfte in diesen Fällen nicht als unselbständige Nebenleistung anzusehen sein. Vielmehr ist insoweit von einer umsatzsteuerpflichtigen Überlassung auszugehen.3

9.94

Soweit nach den vorstehenden Grundsätzen von einer insgesamt nach § 4 Nr. 12 S. 1 Buchst. a UStG steuerfreien Vermietungsleistung auszugehen ist, besteht jedoch grundsätzlich die Möglichkeit, nach Maßgabe des § 9 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 UStG auf die Umsatzsteuerfreiheit zu verzichten. Voraussetzung für die Option zur Umsatzsteuerpflicht ist nach § 9 Abs. 2 UStG jedoch, dass die Vermietung nur an Leistungsempfänger erfolgt, die das Grundstück ausschließlich für Umsätze verwendet oder zu verwenden beabsichtigt, die den Vorsteuerabzug nicht ausschließen4. Ein solcher Verzicht auf die Umsatzsteuerbefreiung kann vor allem dann Sinn machen, wenn hohe – ansonsten nicht abziehbare – Vorsteuerbeträge vorhanden sind. Dies ist insbesondere in den Phasen denkbar, in denen größere Investitionen im Zusammenhang mit den betreffenden Tätigkeiten umgesetzt werden.

9.95

Im Hinblick auf die Marktbetriebe ist im Regelfall davon auszugehen, dass die Marktbeschicker regelmäßig nur den Vorsteuerabzug nicht ausschließende umsatzsteuerpflichtige Umsätze tätigen. Ein Ausnahmefall wäre höchstens dann denkbar, wenn eine entgeltliche Überlassung beispielsweise an gemeinnützige und kirchliche Einrichtungen erfolgt, die die Stände dann gegebenenfalls für umsatzsteuerbefreite Zwecke nutzen.5

3. Vorsteuerabzug 9.96

Soweit von einer gegebenenfalls durch die Ausübung der Option nach § 9 UStG umsatzsteuerpflichtigen Tätigkeit im Rahmen eines BgA „Marktbetrieb“ auszugehen ist, stellt sich in einem zweiten Schritt die Frage der im diesem Zusammenhang ansetzbaren Vorsteuerbeträge aus Eingangsleistungen.

9.97

Liegen direkt dem Marktbetrieb zurechenbare Eingangsleistungen vor, wie bspw. Aufwendungen für externe Dienstleister im Hinblick auf die Aufsicht oder Aufwendungen für den Bezug von Strom und Wasser für die Marktbeschicker, ist ein Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 UStG im Regelfall zulässig.6 Problematisch stellt sich die Vorsteuerabzugsberechtigung in den Fällen dar, in denen die Eingangsleistung nicht ausschließlich und unmittelbar den umsatzsteuer-

1 Vgl. zu möglichen Rechtsfolgen aus der differenzierten Betrachtung der verschiedenen Veranstaltungstypen auch Baldauf, DStZ 2009, 396 (401); Nieskoven, GStB 2009, 156. 2 Dies ergibt sich auch aus der Formulierung in Abschnitt 4.12.5 Abs. 2 S. 4. 3 Vgl. auch Abschnitt 4.12.1 Abs. 4 S. 2 UStAE. 4 Vgl. hierzu auch Schüler-Täsch in SölchRingleb, UStG, § 9 Rz. 108 ff. 5 So auch Widmann in Hidien/Jürgens, Besteuerung der öffentlichen Hand, § 16 Rz. 964. 6 Vgl. Widmann in Hidien/Jürgens, Besteuerung der öffentlichen Hand, § 16 Rz. 967.

592 | Gastl

B. Marktbetriebe | Rz. 9.99 Kap. 9

pflichtigen Ausgangsumsätzen zugeordnet werden kann1. Einen solchen Fall hatte der Bundesfinanzhof im Rahmen seines Urteils vom 3.3.20112 zu entscheiden. In dem zu beurteilenden Sachverhalt ging es um die Frage, ob eine Gemeinde aus den Kosten der Sanierung eines Marktplatzes, der sowohl für eine steuerpflichtige wirtschaftliche Tätigkeit im Rahmen eines Marktbetriebs, als auch als Straßenbaulastträger für hoheitliche Zwecke verwendet wird einen Vorsteuerabzug geltend machen kann. Neben der zum damaligen Zeitpunkt wegweisenden Entscheidung, dass es für die Annahme einer unternehmerischen Tätigkeit nur auf eine europarechtskonforme Auslegung des § 2 Abs. 3 UStG ankommen soll, hatte der entscheidende Senat darüber hinaus darüber zu befinden, ob bei einer gemischten Nutzung gleichwohl ein Vorsteuerabzug zulässig sein kann. Hier kam der BFH zu dem Ergebnis, dass ein anteiliger Vorsteuerabzug zu gewähren sei, soweit eine Nutzung für die wirtschaftliche (umsatzsteuerpflichtige) Tätigkeit erfolgt.3 Unter Bezugnahme auf die einschlägige Rechtsprechung des EuGH4 sah der BFH in der Verwendung des Marktplatzes für hoheitliche Zwecke eine nichtwirtschaftliche Tätigkeit, bei der eine vollständige unternehmerische Zuordnung mit nachfolgender Versteuerung einer Privatentnahme nicht möglich ist. Die Vorsteuer sei demzufolge nur anteilig zu gewähren. Mangels einschlägiger gesetzlicher Regelung zur Festlegung von Methoden und Kriterien zur Aufteilung der Vorsteuerbeträge sieht der BFH eine analoge Anwendung des § 15 Abs. 4 UStG vor. Hiernach ist eine sachgerechte und seitens der Finanzverwaltung zu überprüfenden Schätzung vorzunehmen, die bei dem fraglichen Sachverhalt in Bezug auf die Nutzung des Marktplatzes nach Auffassung des entscheidenden Senats beispielsweise nach der Anzahl der Nutzungstage des Platzes für den Marktbetrieb erfolgen könne. Die Finanzverwaltung folgt der durch den Bundefinanzhof getroffenen Beurteilung und lässt bei einer nachgewiesenen teilweisen unternehmerischen Nutzung den anteiligen Vorsteuerabzug zu5. Insoweit ist nach den Gegebenheiten des Einzelfalls ein Aufteilungsschlüssel zu bestimmen, der anhand objektiver Kriterien nachvollzogen werden kann. Die zeitlichen Nutzungsanteile können dabei eine mögliche Aufteilungsgrundlage darstellen6.

9.98

In einem weiteren Verfahren vom 3.8.20177 hat der Bundesfinanzhof nochmals zur Frage des Vorsteuerabzugs bei gemischter Nutzung eines Marktplatzes Stellung genommen. Im zu beurteilenden Sachverhalt ging es um einen „Marktplatz“, der nicht für Wochenmärkte oder ähnliches genutzt wurde, sondern im Rahmen eines Kurbetriebs. Das Finanzamt hatte einen eindeutigen wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem BgA „Kurverwaltung“ negiert. Das Finanzgericht folgte im Grundsatz der Auffassung der Finanzverwaltung und stützte seine Entscheidung unter anderem auch darauf, dass der Vorsteuerabzug schon deswegen nicht möglich sei, weil die Klägerin die Zuordnung der Eingangsumsätze zum unternehmerischen Bereich nicht rechtzeitig dokumentiert habe8. So sei versäumt worden, eine entsprechende Umsatzsteuererklärung bis zum 31.5. des Folgejahres abzugeben.

9.99

1 Vgl. Meurer, DStZ 2014, 501. 2 BFH v. 3.3.2011, V R 23/10, BStBl. II 2012, 74; dazu Küffner, UR 2011, 621. 3 Vgl. BFH v. 3.3.2011, V R 23/10, BStBl. II 2012, 74; kritisch hierzu Widmann, BB 2011, 2022, der die Primärveranlassung im hoheitlichen Bereich sieht und insoweit auch einen anteiligen Vorsteuerabzug als nicht gerechtfertigt ansieht. 4 EuGH v. 12.2.2009 – Rs. C 515/07 – VNLTO, UR 2009, 199. 5 Vgl. Abschnitt 15.2b Abs. 2 S. 6 UStAE. 6 So auch Meurer, DStZ 2014, 501. 7 BFH v. 3.8.2017, V R 62/16, BStBl. II 2021, 109. 8 Vgl. FG Rheinland-Pfalz v. 9.6.2016, 6 K 1797/13, EFG 2017, 1232.

Gastl | 593

Kap. 9 Rz. 9.100 | Kommunalverwaltung

9.100

Der Bundesfinanzhof hingegen vertrat die Ansicht, dass die Versagung des Vorsteuerabzugs im Hinblick auf die nicht rechtzeitige Dokumentation im vorliegenden Fall nicht zulässig ist. So sei eine Dokumentation der Zuordnungsentscheidung nur dann vorzunehmen, wenn ein entsprechendes Zuordnungswahlrecht bestehe. Dieses bestehe „jedoch nicht für jede gemischte Nutzung eines Gegenstands, sondern nur für die gemischte Nutzung im Rahmen des „Sonderfalls einer Privatentnahme i.S.v. Art. 16 und Art. 26 Abs. 1 MwStSystRL, bei der ein Unternehmer den gemischt wirtschaftlich und privat verwendeten Gegenstand voll dem Unternehmen zuordnen und dann aufgrund der Unternehmenszuordnung in vollem Umfang zum Vorsteuerabzug berechtigt sein kann“1. Im zu beurteilenden Streitfall sei aber neben einer möglichen wirtschaftlichen Verwendung nur eine hoheitliche Nutzung denkbar, so dass insoweit kein Zuordnungswahlrecht besteht und damit auch eine Zuordnungsentscheidung nicht zu treffen sei. Allerdings hat der Bundesfinanzhof den Fall wieder an die Vorinstanz zurück verwiesen um zu klären, inwieweit es sich bei dem Marktplatz um eine öffentliche Einrichtung i.S.d. § 14 Abs. 2 GemO handele, die ausdrücklich oder zumindest konkludent der Öffentlichkeit zur Nutzung überlassen worden ist. Nur wenn tatsächlich ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang mit einer wirtschaftlichen Tätigkeit vorliege, könne ein anteiliger Vorsteuerabzug in Frage kommen. Das FG Rheinland-Pfalz2 hat im zweiten Rechtszug nachfolgend entschieden, dass die Gemeinde auf öffentlich-rechtlicher Grundlage tätig geworden sei. Größere Wettbewerbsverzerrungen, die eine Umsatzsteuerbarkeit hätten bewirken können, sah der entscheidende Senat in diesem Fall nicht. Zudem hätten die Kurgäste den Marktplatz nicht im Rahmen einer Sondernutzung genutzt, sondern vielmehr – wie auch die anderen Nutzer – als Teil der Allgemeinheit. Im Ergebnis wurde der Vorsteuerabzug im Hinblick auf den nicht vorliegenden direkten und unmittelbaren Zusammenhang mit dem BgA „Kurverwaltung“ insgesamt versagt.

9.101

Relevant sind die vorstehenden Entscheidungen dahingehend, dass juristische Personen des öffentlichen Rechts bei gemischt genutzten Wirtschaftsgütern nicht den Vorgaben einer fristgerechten Dokumentation der Zuordnung zum unternehmerischen Bereich unterliegen. Allerdings ist grundsätzlich zu empfehlen, eine entsprechende Dokumentation des beabsichtigten Verwendungsumfangs vorzunehmen, um nachfolgend die Darlegung des Aufteilungsmaßstabs besser vornehmen zu können3. Zudem kommt der Frage einer möglichen öffentlichrechtlichen Widmung gerade bei Grundstücken eine besondere Bedeutung zu4. In diesem Zusammenhang ist grundsätzlich zu klären, ob die Nutzung im Rahmen des Allgemeingebrauchs oder in Form einer Sondernutzung erfolgt. Ist nur eine Nutzung im Rahmen des Allgemeingebrauchs anzunehmen, scheidet eine umsatzsteuerlich relevante Nutzung nach Ansicht der Rechtsprechung aus5.

1 2 3 4

BFH v. 3.8.2017, V R 62/16, BStBl. II 2021, 109, Tz. 18 m.w.N. Vgl. FG Rheinland-Pfalz v. 10.9.2019, 6 K 2360/17, BeckRS 2019, 53724. So auch Jäckel/Schwarz, DStR 2019, 473 (476). Vgl. auch BFH v. 26.4.1990, V R 166/84. BStBl. II 1990, 799 bzgl. Spazier- und Wanderwegen bei einem Kurbetrieb. 5 Vgl. BFH v. 26.4.1990, V R 166/84. BStBl. II 1990, 799; BFH v. 3.8.2017, V R 62/16, BStBl. II 2021, 109; FG Mecklenburg-Vorpommern v. 16.8.2018, 2 K 188/15, UStB 2018, 345; kritisch hierzu Jäckel/Schwarz, DStR 2019, 473 (477).

594 | Gastl

C. Verpachtungs-Betriebe gewerblicher Art und Betriebsaufspaltungsfälle | Rz. 9.105 Kap. 9

C. Verpachtungs-Betriebe gewerblicher Art und Betriebsaufspaltungsfälle I. Allgemeine Einordnung Literatur: Baldauf, Verpachtungsbetriebe von juristischen Personen des öffentlichen Rechts, DStZ 2010, 253; Baldauf, Grenzen der wirtschaftlichen (unternehmerischen) Tätigkeit bei der Umsatzbesteuerung der öffentlichen Hand, DStZ 2017, 607; Baldauf/Leippe, Entgeltliche Verpachtung dauerdefizitärer Einrichtungen durch öffentliche Trägerkörperschaften im Steuerfokus, DStZ 2015, 905; Hidien/Menebröcker, Umsatzbesteuerung dauerdefizitärer Leistungstätigkeit der öffentlichen Hand, DStR 2020, 2824; Kronawitter, Betriebsvermögen eines Betriebs gewerblicher Art – Abgrenzung vom Hoheitsvermögen einer Gemeinde, KStZ 2011, 81; Kronawitter, Betriebsaufspaltung – Gefahr bei der Überlassung wesentlicher Betriebsgrundlagen an Betriebe gewerblicher Art oder Eigengesellschaften, Versorgungswirtschaft 2015, 293; Küffner, Unternehmereigenschaft im kommunalen Bereich, Anm. zu BFH-Urteil v. 15.12. 2016, UR 2017, 302; Schiffers, Verpachtungs-Betriebe gewerblicher Art nach § 4 Abs. 4 KStG – aktuelle Rechtsprechung, Risiken und Handlungsempfehlungen, DStZ 2021, 330; Schiffers, Dauerdefizitärer Verpachtungs-BgA und § 8 Abs. 7 KStG – Kommentierung des Urteils des FG Hessen v. 14.9.2017 – 4 K 1822/15, DStZ 2018, 238; Stockem/Westermann, Money for Nothing: Die Kapitalertragsteuer-Falle für Verpachtungs-BgA, DStR 2018, 773; Vochsen, Ertragsteuerliche Beurteilung der Überlassung einzelner Wirtschaftsgüter durch Kommunen an Betriebe gewerblicher Art, DStZ 2011, 360.

Wirtschaftliche Aktivitäten, die durch juristische Personen des öffentlichen Rechts unmittelbar ausgeführt werden, sind nach Maßgabe der Kriterien des § 4 KStG als Betriebe gewerblicher Art ertragsteuerlich zu erfassen. Nach der bisherigen umsatzsteuerlichen Vorgabe des § 2 Abs. 3 UStG, der auf das Vorliegen eines Betriebs gewerblicher Art zur Annahme einer Unternehmereigenschaft der öffentlichen Hand im umsatzsteuerlichen Sinn verweist, ist diese Einordnung auch maßgeblich für die umsatzsteuerliche Würdigung. Durch die Neuordnung mit Einführung des § 2b UStG ist die umsatzsteuerliche Erfassung grundsätzlich weitergehender gestaltet.

9.102

Von der unmittelbaren Durchführung wirtschaftlicher Aktivitäten durch die juristische Person des öffentlichen Rechts selbst abzugrenzen ist die Überlassung von Sachgesamtheiten oder Betrieben durch die juristische Person des öffentlichen Rechts an – in der Regel privatwirtschaftlich tätige – Dritte. So gilt nach § 4 Abs. 4 KStG auch die Verpachtung eines solchen Betriebes als Betrieb gewerblicher Art. Hintergrund ist auch hierbei der dem § 4 KStG immanente Grundgedanke der Schaffung einer Wettbewerbsgleichheit zu privatwirtschaftlichen Marktakteuren.1 So soll sich die öffentliche Hand einer etwaigen steuerlichen Belastung nicht durch die entgeltliche Übertragung von Tätigkeiten auf Dritte entziehen können.

9.103

Aber auch in den Fällen, in denen gegebenenfalls nur einzelne Wirtschaftsgüter überlassen werden, ist unter Umständen eine steuerliche Relevanz zu berücksichtigen. Dies ist insbesondere in den Fällen gegeben, in denen die Voraussetzungen einer sogenannten Betriebsaufspaltung vorliegen. Dies ist Ausdruck der Gleichstellung des Verhältnisses eines Betriebs gewerblicher Art zu „seiner“ Trägerkörperschaft mit dem Verhältnis einer Kapitalgesellschaft zu ihrem (Allein-)Gesellschafter.

9.104

II. Ertragsteuerliche Einordnung 1. Verpachtungs-BgA a) Voraussetzungen für die Annahme eines Verpachtungs-BgA Als BgA gilt nach § 4 Abs. 4 KStG auch die Verpachtung eines solchen Betriebes durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts. Hierunter fällt im Grundsatz jedwede entgeltliche 1 Siehe hierzu grundlegend Gastl, Betriebe gewerblicher Art im Körperschaftsteuerrecht, 2002, 14 ff.

Gastl | 595

9.105

Kap. 9 Rz. 9.105 | Kommunalverwaltung

Überlassung von Einrichtungen, bestehend aus einer Ganzheit aus Anlagen oder Rechten, die den Pächter in die Lage versetzen, den Betrieb zu betreiben1 Grundlage ist folglich die Überlassung eines funktionierenden betrieblichen Organismus.2 Von einem solchen ist auszugehen, wenn durch die überlassene Sachgesamtheit dem Pächter ermöglicht, sich an Stelle der Verpächterin selbständig, nachhaltig und mit Gewinnerzielungsabsicht am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr zu beteiligen. Ist dies nicht gegeben, ist im Grundsatz von einer ertragsteuerlich nicht relevanten Vermögensverwaltung auszugehen.

9.106

Nach Auffassung der Finanzverwaltung ist ein Verpachtungs-BgA bei jeder entgeltlichen Überlassung von Einrichtungen, Anlagen oder Rechten, die beim Verpächter einen BgA darstellen gegeben.3 Daraus folgt im Umkehrschluss auch, dass bei einer unentgeltlichen Überlassung mangels Einnahmeerzielungsabsicht ein Verpachtungs-BgA nicht vorliegen kann.4

9.107

Nicht erforderlich ist allerdings nach allgemeiner Auffassung, dass der verpachtete Betrieb ursprünglich auch durch die verpachtende juristische Person des öffentlichen Rechts betrieben wurde.5 Insoweit ist auf den Telos der Regelung des § 4 Abs. 4 KStG abzustellen, wonach sich juristische Personen des öffentlichen Rechts etwaigen ertragsteuerlichen Belastungen nicht dadurch entziehen können sollen, indem sie betriebliche Sachgesamtheiten entgeltlich an Dritte überlassen, um damit in den ertragsteuerlich unbeachtlichen Bereich der Vermögensverwaltung zu gelangen.

9.108

Aufgrund des impliziten Verweises des § 4 Abs. 4 KStG auf die Kriterien des § 4 Abs. 1 KStG ist eine Abgrenzung auch im Hinblick auf etwaige hoheitliche Tätigkeiten vorzunehmen. Wird also ein „Betrieb“ verpachtet, der bei der juristischen Person des öffentlichen Rechts, würde sie diesen selbst betreiben, als Hoheitsbetrieb i.S.d. § 4 Abs. 5 KStG einzuordnen wäre, so kann dies demzufolge auch nicht zur Begründung eines Verpachtungs-BgA nach § 4 Abs. 4 KStG führen.6

9.109

Schließlich ist neben der Frage der entgeltlichen Überlassung eines Betriebs im Sinne eines funktionierenden betrieblichen Organismus für die Annahme einer Verpachtungs-BgA i.S.d. § 4 Abs. 4 KStG zudem erforderlich, dass die Tätigkeit von einigem Gewicht ist. Dabei ist die Beurteilung nicht anhand der Verhältnisse des Verpächters, sondern des Pächters vorzunehmen.7 So ist nach Auffassung der Finanzverwaltung von einer Tätigkeit mit einigem Gewicht auszugehen, wenn die Umsätze des Pächters nachhaltig Euro 35.000 p.a. übersteigen.8 Allerdings ist nach Auffassung des Hessischen Finanzgerichts9 ein Verpachtungs-BgA gegebenenfalls auch schon alleine aufgrund der hohen Investitionssumme und der Verpachtung eines

1 Vgl. auch BFH v. 22.7.1964 – I 136/62 U, BStBl. III 1964, 559 zur steuerlichen Abgrenzung einer gemeindlichen Grundstücksverpachtung von einem Verpachtungs-BgA. 2 So wohl auch BFH v. 11.7.1990 – II R 33/86, BStBl. II 1990, 1100. 3 Vgl. R 4.1 Abs. 5 S. 6 KStR 2015. 4 So auch Krämer in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, KStG, § 4 Tz. 63; Leippe/Baldauf in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, 2017, 16 Rz. 1318. 5 Leippe/Baldauf in Hidien/Jürgens, a.a.O., § 16 Rz. 1325. 6 Vgl. Krämer in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, KStG, § 5 Rz. 68; Leippe/Baldauf in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 16 Rz. 1345 ff. 7 Vgl. BFH v. 25.10.1989, BStBl. II 1990, 868; Krämer in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, KStG, § 4 Tz. 67. 8 Vgl. R 4.1 Abs. 5 S. 7 i.V.m. S. 4 KStR 2015. 9 Vgl. FG Hessen v. 14.9.2017 – 4 K 1822/15, EFG 2018, 473, unter 2. c) aa).

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C. Verpachtungs-Betriebe gewerblicher Art und Betriebsaufspaltungsfälle | Rz. 9.112 Kap. 9

vollständig funktionsfähigen Betriebs anzunehmen, ohne dass es insoweit auf die Höhe der Pachteinnahmen des Pächters ankommen soll. b) Abgrenzung zur Vermögensverwaltung Die zur Abgrenzung einer vermögensverwaltenden Tätigkeit von einer ertragsteuerlich relevanten Tätigkeit im Rahmen eines Verpachtungs-BgA notwendigen Kriterien lassen sich aus dem Gesetzeswortlaut selbst nicht unmittelbar ableiten. Hier wird im Regelfall auf die Kriterien für die Annahme eines BgA zurückgegriffen sofern die Verpächterin die Tätigkeit selbst ausüben würde. Diesem Ansatz liegt der Gedanke zugrunde, dass sich die öffentliche Hand nicht ihrer Steuerpflicht dadurch entziehen können soll, indem sie die Betriebe nicht selbst betreibt, sondern lediglich verpachtet.1

9.110

Ein wesentliches Abgrenzungskriterium stellt dabei die Frage der überlassenen Sachgesamtheit dar. Dies gilt insbesondere bei der Überlassung von Räumlichkeiten mit entsprechendem Inventar. Inwieweit die Überlassung von Inventar zur Annahme eines Verpachtungs-BgA führt, ist dabei im Wesentlichen von der denkbaren betrieblichen Tätigkeit abhängig. So muss durch die Überlassung des Inventars eine Betriebsführung seitens des Pächters möglich sein.2 Dies ist insbesondere dann gegeben, wenn alle wesentlichen Betriebsgrundlagen an den Pächter überlassen werden.3 Das gilt nach Auffassung der Finanzverwaltung aber auch dann, wenn das mitverpachtete Inventar zwar nicht vollständig ist, jedoch die Führung eines maßvollen bzw. bescheidenen Betriebs gestattet.4 Dies steht grundsätzlich im Einklang mit der Auffassung der Rechtsprechung, wonach die Voraussetzungen eines Verpachtungs-BgA auch dann erfüllt sind, wenn der Pächter einzelne Inventarstücke von untergeordneter Bedeutung selbst anschaffen muss, sofern die überlassenen Inventarstücke die Führung eines bescheidenen Betriebs ermöglicht.5 Dabei ist es nach Auffassung der Rechtsprechung auch nicht von Bedeutung, ob die verpachteten Inventargegenstände im Laufe eines langen Pachtverhältnisses mehrfach erneuert oder die Anzahl der Inventargegenstände vermehrt wird.6 Im Umkehrschluss gilt jedoch dann eine Überlassung nicht als Verpachtung, wenn die überlassenen Inventarstücke selbst den Betrieb nicht ermöglichen.

9.111

Fraglich ist somit insbesondere, ob mit den überlassenen Räumen und dem Inventar ein Betrieb tatsächlich möglich ist. Dies bedingt, dass alle wesentlichen Betriebsgrundlagen überlassen werden. Oftmals spielt diese Abgrenzungsfrage insbesondere bei der Überlassung gastronomischer Betriebe eine wesentliche Rolle. Zu denken ist hier beispielsweise an gastronomische Betriebe im Rahmen von Gemeinschaftshäusern, Sporthallen und ähnlichen Gebäuden, die durch Kommunen an Dritte zur Bewirtschaftung gegen Entgelt überlassen werden. In diesen Fällen stellt die Überlassung der Kücheneinrichtung sowie der Schanktheken mitsamt entsprechenden Geräten grundsätzlich eine Überlassung wesentlicher Betriebsgrundlagen dar. Fraglich ist aber, ob tatsächlich alle wesentlichen Betriebsgrundlagen überlassen werden. Muss der Pächter beispielsweise das Geschirr sowie die bewegliche Innen- und ggf. Außenbestuhlung beschaffen, stellt sich die Frage, ob ohne diese durch den Pächter selbst zu beschaffenden

9.112

1 2 3 4 5

Vgl. auch BFH v. 25.10.1989 – V R 111/85, BStBl. II 1990, 868. Vgl. BMF v. 12.11.2009, BStBl. I 2009, 1303, Rz. 15. Vgl. BMF v. 12.11.2009, BStBl. I 2009, 1303, Rz. 17. Vgl. hierzu grundsätzlich auch H 4.3 „Inventar“ KStH 2015. Vgl. BFH v. 14.2.1956 – I 40/55 U, BStBl. III 1956, 105; BFH v. 5.7.1972 – I R 83/70, BStBl. II 1972, 776; Märtens in Gosch, KStG § 4 Rz. 93. 6 Vgl. BFH v. 2.3.1983 – I R 100/79, BStBl. II 1983, 386.

Gastl | 597

Kap. 9 Rz. 9.112 | Kommunalverwaltung

Gegenstände ein Gastronomiebetrieb tatsächlich möglich ist. Hinsichtlich des Geschirrs kann man insoweit wohl noch von Gegenständen mit untergeordneter Bedeutung ausgehen, die alleine nicht zur Versagung der Annahme eines Verpachtungs-BgA führen. Ist aber auch das bewegliche Mobiliar durch den Pächter selbst zu beschaffen, so handelt es sich nach der hier vertretenen Auffassung nicht nur um unwesentliche Inventarstücke, da sie für den Betrieb unabdingbar sind. Zur Abgrenzung ist dabei insbesondere auf die vertraglich geregelten Grundlagen abzustellen.

9.113

Schließlich ist ein Verpachtungs-BgA im Sinne des § 4 Abs. 4 KStG aber auch dann anzunehmen, wenn die juristische Person des öffentlichen Rechts die notwendigen Wirtschaftsgüter an den Pächter veräußert, dies jedoch mit der Auflage versieht, die Gegenstände in einem gebrauchsfähigen Zustand zu halten und das Eigentum nach Beendigung des Pachtverhältnisses wieder an die juristische Person des öffentlichen Rechts zurück zu übertragen.1 Gleiches gilt nach Ansicht der Rechtsprechung auch, wenn zwar die Inventargegenstände an den Pächter verkauft werden, der Kaufpreis sich tatsächlich jedoch als vorgezogenes Pachtentgelt darstellt, weil der Pächter sich im Rahmen des Pachtvertrages verpflichtet, die Inventargegenstände nach Beendigung des Pachtverhältnisses unentgeltlich an die juristische Person des öffentlichen Rechts zurück zu übertragen.2 c) Entgeltlichkeit der Überlassung

9.114

In der jüngeren Vergangenheit haben Verpachtungs-BgAs oftmals Bedeutung in den Fällen erlangt, in denen hierdurch umsatzsteuerliche Vorteile in Form des Vorsteuerabzugs seitens der verpachtenden Trägerkörperschaft erzielt werden konnten. So war dies beispielsweise bei Schwimmbädern der Fall, die an einen Dritten verpachtet wurden. Damit konnten Vorsteuerbeträge auf Investitionen seitens der Trägerkörperschaft unter der Regelung des § 2 Abs. 3 UStG a.F. geltend gemacht werden. Gleichzeitig wurden jedoch oftmals Zuschüsse mindestens in gleicher Höhe wie die Pachtzahlung geleistet. In diesen Fällen hat die Finanzverwaltung jedoch das Vorliegen eines Verpachtungs-BgAs verneint.3 Damit folgt das Bundesfinanzministerium der Tendenz, die bereits zuletzt durch die Verfügung der OFD Niedersachsen v. 13.1.20114 zum Ausdruck kam.5 Grundgedanke seitens der Finanzverwaltung ist insoweit, dass durch die Zuschussgewährung eine Entgeltlichkeit und damit die Einnahmenerzielungsabsicht zu verneinen ist. Dies soll zumindest dann der Fall sein, wenn zwischen den vereinnahmten Pachtentgelten und dem gewährten Zuschuss eine rechtliche und tatsächliche Verknüpfung vorliegt.6 Die Einnahmenerzielungsabsicht stellt jedoch ein wesentliches Merkmal eines Betriebs gewerblicher Art dar. Dies folgt aus dem der Regelung des § 4 Abs. 4 KStG immanenten Verweis auf die allgemeinen Kriterien für die Annahme eines Betriebs gewerblicher Art nach § 4 Abs. 1 KStG.

1 Vgl. BFH v. 5.7.1972, I R 83/70, BStBl. II 1972, 776; Krämer in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, a.a.O., § 4 KStG Rz. 65. 2 Vgl. BFH v. 2.3.1983, I R 100/79, BStBl. II 1983, 386 zur Übertragung von Anschlagssäulen im Stadtgebiet zu Werbezwecken. 3 Vgl. R 4.3 KStR 2015; BMF-Schr. v. 15.12.2021, IV C 2 – S 2706/19/10008, DStR 2021, 2909. 4 S 2706-290-St 241, VersW 2011, 187. 5 Kritisch hierzu auch Gastl, dStG 3/2016, 45; Belcke/Westermann, BB 2016, 1687; Bollner, VersW 2016, 143. 6 Vgl. R 4.3 KStR 2015; OFD Niedersachsen v. 13.1.2011, ZKF 2011, 111.

598 | Gastl

C. Verpachtungs-Betriebe gewerblicher Art und Betriebsaufspaltungsfälle | Rz. 9.118 Kap. 9

Mit Urteil vom 21.12.2016 hat das Finanzgericht Baden-Württemberg der Auffassung der Finanzverwaltung jedoch eine Absage erteilt.1 Es folgte hierbei der bisherigen Rechtsprechung des BFH2, der im Hinblick auf die für die Unternehmereigenschaft bislang maßgebliche Einordnung als Verpachtungs-BgA ebenfalls die Zuschusszahlung als nicht schädlich eingestuft hatte. Die in diesem Zusammenhang zu klärende Frage ist insbesondere, inwieweit hier eine unmittelbare Verknüpfung zwischen dem Pachtentgelt einerseits und dem Zuschuss andererseits hergestellt werden kann. So hat das FG Niedersachsen mit Urteil vom 16.10.20193 festgehalten, dass eine entgeltliche Verpachtung nicht vorliegt, wenn zugleich ein das Verpachtungsentgelt übersteigender Betriebskostenzuschuss zwischen den Vertragsbeteiligten vereinbart wird. Diese zunächst im Hinblick auf umsatzsteuerliche Fragestellungen ergangene Entscheidung wurde nunmehr durch den BFH mit zwei Urteilen vom 10.12.20194 im Grundsatz bestätigt.

9.115

Den beiden Urteilen des BFH lagen dabei vergleichbare Sachverhalte zugrunde. Im Wesentlichen ging es um Konstellationen, bei denen ein Schwimmbad durch eine Stadt gegen Entgelt an eine Betreiber-GmbH verpachtet worden war. Die GmbH verpflichtete sich den Betrieb durchzuführen und damit auch alle im Zusammenhang mit dem Betrieb anfallenden Aufwendungen zu übernehmen. Im Gegenzug verpflichtete sich die Stadt der GmbH einen jährlichen Zuschuss zu zahlen. Die Zuschusszahlungen überstiegen dabei in beiden entschiedenen Fällen die zu leistenden Pachtzahlungen deutlich. Nachdem die Vorinstanzen5 das Vorliegen eines Verpachtungs-BgA jeweils bejaht hatten, folgte der I. Senat der Auffassung der Finanzverwaltung und sah eine Saldierung der Pachtzahlungen einerseits und der Betriebskostenzuschüsse andererseits als notwendig an, was im Ergebnis in beiden Fällen dazu führte, dass von einer unentgeltlichen Überlassung auszugehen und damit, mangels vorliegender Einnahmenerzielungsabsicht, kein Verpachtungs-BgA anzunehmen war.

9.116

Als Begründung führt der BFH aus, dass entgegen des seitens der FG vertretenen rein zivilrechtlichen Begriffsverständnisses bei der Beurteilung der Entgeltlichkeit, die steuerliche Beurteilung vielmehr an den wirtschaftlichen Gegebenheiten auszurichten sei. So sei der Betriebskostenzuschuss in beiden Fällen an dem Aufwand des Badbetriebs orientiert und damit im Ergebnis auch an den geleisteten Pachtzahlungen. Die Tatsache, dass die Pachtvereinbarung und die Vereinbarung über den Betriebskostenzuschuss jeweils in separaten Verträgen geregelt wurden und im Fall des Verfahrens I R 58/17 die Höhe des Betriebskostenzuschusses vorab in fixen Beträgen und damit zunächst unabhängig von den tatsächlich durch den Betrieb des Bades erzielten Verlusten bestimmt worden war, sah der entscheidende Senat dabei als unbeachtlich an.

9.117

Auch die Argumentation, dass insoweit eine Ungleichbehandlung gegenüber entsprechenden BgA, die durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts selbst betrieben wird, vorliegt wurde durch den BFH abgelehnt. Dies mit dem Hinweis, dass der Intention des Gesetzgebers

9.118

1 Vgl. FG Baden-Württemberg v. 21.12.2016, 14 K 2029/13, DStRE 2018, 800. Das Urteil ist nach Zurückweisung der Nichtzulässigkeitsbeschwerde durch BFH-Beschl. v. 18.7.2017, XI B 24/17, BFH/NV 2018, 60 rk. 2 Vgl. bspw. BFH v. 19.3.2014 – XI B 126/13, BeckRS 2014, 95592. 3 Vgl. FG Niedersachsen v. 16.10.2019, 5 K 286/18, EFG 2020, 687, Rev. beim BFH unter XI R 35/ 19. 4 Vgl. BFH v. 10.12.2019, I R 58/17, DStR 2021, 151; BFH v. 10.12.2019, I R 9/17, BeckRS 2019, 52228. 5 Vgl. zu I R 9/17 FG Sachsen v. 10.1.2017, 3 K 1652/14, EFG 2018, 1873; zu I R 58/17 FG Brandenburg v. 13.7.2017, 9 K 11318/15, EFG 2018, 56.

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Kap. 9 Rz. 9.118 | Kommunalverwaltung

hinsichtlich der Fiktion des § 4 Abs. 4 KStG nicht entnommen werden könne, dass eine Gleichstellung mit ansonsten durch die juristische Person des öffentlichen Rechts selbst betriebenen BgA erreicht werden soll.1

9.119

Die beiden Entscheidungen vermögen dabei nicht zu überzeugen. Die Intention der Regelung des § 4 Abs. 4 KStG ist darin zu sehen, dass verhindert werden soll, dass eine juristische Person des öffentlichen Rechts sich nicht dadurch der Steuerpflicht entziehen können soll, dass sie Einrichtungen nicht selbst betreibt, sondern verpachtet. Dies hat auch der entscheidende I. Senat so in seinen Urteilsbegründungen dargelegt.2 Damit stellt sich der entscheidende Senat selbst in Widerspruch zu seiner oben dargestellten Begründung, dass eine Ungleichbehandlung nicht relevant sein soll.3

9.120

Als weitere Folge aus der vorstehend dargelegten Rechtsprechung stellt sich aus ertragsteuerlicher Sicht die Frage, ob durch die Verpachtung eines zuvor durch die juristische Person selbst betriebenen BgA, bei dem nach Ansicht der Rechtsprechung und der Finanzverwaltung aufgrund hoher Zuschusszahlungen die Voraussetzungen des § 4 Abs. 4 KStG nicht gegeben sein sollen, der ursprünglich Betrieb als ruhend gestellt anzusehen ist oder ob nicht gegebenenfalls eine Aufgabe des BgA mit dieser Beurteilung einhergeht. Bei letzterer Auffassung würde sich dann die Frage einer etwaigen Aufdeckung und nachfolgenden Versteuerung der stillen Reserven stellen.4 d) Dauerdefizitäre Verpachtungs-BgA und § 8 Abs. 7 KStG

9.121

In der Praxis werden vielfach wirtschaftliche Aktivitäten seitens juristischer Personen der öffentlichen Hand auf privatwirtschaftliche Dritte übertragen, die zu Defiziten auf Seiten des Verpächters führen. Zu denken ist hier beispielsweise an die Überlassung von Schwimmbädern, Multifunktionshallen, Theater/Museumsbetriebe. Da der Betrieb durch den Pächter selbst oftmals ebenfalls nicht rentierlich erfolgen kann, werden oftmals entsprechende Zuschusszahlungen seitens der verpachtenden juristischen Person des öffentlichen Rechts vereinbart, wenn diese die Aufrechterhaltung des Betriebs für zwingend sinnvoll erachtet. Die sich aus einer möglichen Gegenüberstellung der Pachtzahlungen einerseits und der gegenläufigen Zuschussgewährung andererseits ergebenden ertragsteuerlichen Implikationen sind bereits im vorstehenden Abschnitt thematisiert worden.

9.122

Darüber hinaus kann jedoch auf Ebene des Verpachtungs-BgA selbst ein dauerhaftes Defizit auftreten, wenn Die vereinbarte Pacht die mit der seitens der Verpächterin zu gewährleistenden Aufrechterhaltung der betrieblichen Grundlagen notwendigen Aufwendungen nicht trägt. Ein solcher Dauerverlust führt dabei nach den durch die Rechtsprechung5 manifestierten Grundsätzen im Regelfall zur Annahme einer verdeckten Gewinnausschüttung. Durch die Einführung des § 8 Abs. 7 KStG im Rahmen des Jahressteuergesetzes 2009 sollte die bisherige Handhabung gesetzlich festgeschrieben werden.6 So ist nach dieser Regelung die Rechtsfolge 1 Vgl. BFH v. 10.12.2019, I R 58/17, DStR 2021, 151, Rz. 23; BFH v. 10.12.2019, I R 9/17, BeckRS 2019, 52228, Rz. 21. 2 Vgl. BFH v. 10.12.2019, I R 58/17, DStR 2021, 151, Rz. 19; BFH v. 10.12.2019, I R 9/17, BeckRS 2019, 52228, Rz. 17. 3 So auch Strahl, NWB 3/2021, 160; Schiffers, DStZ 2021, 330 (335). 4 So wohl auch Bott in Bott/Walter, KStG, § 4 Rz. 113. 5 Vgl. BFH v. 22.8.2007, I R 32/06, BStBl. II 2007, 961. 6 Vgl. BT-Drs. 16/10189, 69.

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C. Verpachtungs-Betriebe gewerblicher Art und Betriebsaufspaltungsfälle | Rz. 9.123 Kap. 9

einer verdeckten Gewinnausschüttung dann nicht zu ziehen, wenn die Dauerverluste aus einer wirtschaftlichen Betätigung ohne kostendeckendes Entgelt resultieren, die aus verkehrs-, umwelt-, sozial-, kultur-, bildungs- oder gesundheitspolitischen Gründen durchgeführt wird. Nach der bislang von der Finanzverwaltung vertretenen Auffassung soll dies auch dann gelten, wenn der Pächter selbst ausschließlich eine der begünstigten Tätigkeiten ausübt.1 Die Rechtsprechung2 hat zur Frage der Anwendung des § 8 Abs. 7 KStG bei einer Dauerverluste aus einer Betriebsverpachtung erzielenden Eigengesellschaft entschieden, dass in diesem Fall die Schutzwirkung des § 8 Abs. 7 KStG nicht greifen soll. Die dauerdefizitäre Verpachtung im Rahmen eines Verpachtungs-BgA war dabei nicht Gegenstand der Entscheidung, so dass insoweit weiterhin die seitens der Finanzverwaltung postulierte Auffassung zugrunde zu legen ist. Dieser Einordnung bei dauerdefizitären Verpachtungs-BgA i.S.d. § 4 Abs. 4 KStG ist jedoch das FG Hessen in seiner Entscheidung vom 14.9.20173 entgegengetreten. In dem zu entscheidenden Sachverhalt ging es um verschiedene im Rahmen eines Eigenbetriebs durchgeführte wirtschaftliche Betätigungen. Unter anderem erfolgte die entgeltliche Verpachtung einer Multifunktionshalle an einen Dritten, aus der dauerhaft Verluste erzielt wurden. Der entscheidende Senat des FG Hessen verneinte unter Bezugnahme auf die zur Betriebsverpachtung durch eine Eigengesellschaft ergangene Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs4 die Anwendbarkeit des § 8 Abs. 7 KStG bereits dem Grunde nach. Er verwies dabei darauf, dass in analoger Anwendung auch bei Verpachtungs-BgA i.S.d. § 4 Abs. 4 KStG zwingend eine unmittelbare eigene begünstigte Tätigkeit vorliegen müsse. Bereits die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zur Einordnung bei Eigengesellschaften ist auf Kritik gestoßen.5 Eine analoge Anwendung auf Verpachtungs-BgA i.S.d. § 4 Abs. 4 KStG ist allerdings gänzlich abzulehnen. Schließlich wird der Verpachtungs-BgA bereits nach dem Gesetzeswortlaut einem durch die juristische Person des öffentlichen Rechts selbst betriebenen BgA gleichgestellt.6 Die nunmehr seitens des FG Hessen vertretene Auffassung konterkariert diese Gleichstellung und führt damit nach dem hier vertretenen Verständnis zu einem nicht mit den gesetzlichen Grundlagen im Einklang zu bringenden Ergebnis.7 Das Urteil des FG Hessen ist indes rechtskräftig geworden. Ein Revisionsverfahren wurde nicht angestrengt. Bislang hat die Finanzverwaltung nur das auf den Fall der Eigengesellschaften bezogene Urteil durch Veröffentlichung in den Bundessteuerblättern für allgemein anwendbar erklärt. Mit Schreiben vom 15.12.2021 hat die Finanzverwaltung nunmehr bei originären Verpachtungs-BgA i.S.d. § 4 Abs. 4 KStG eine Anwendung des § 8 Abs. 7 KStG abgelehnt, da nach ihrer Auffassung der Verpachtungs-BgA die begünstigten Tätigkeiten nicht selbst ausführt.8 Vor diesem Hintergrund ist bei der Ausgestaltung von defizitären Pachtverhältnissen ein Augenmerk auch auf diesen Aspekt dringend anzuraten.

1 Vgl. BMF-Schreiben v. 12.11.2009, S 2706/08/10004, BStBl. I 2009, 1303, Rz. 47. 2 Vgl. BFH v. 9.11.2016, I R 56/15. BStBl. II 2017, 498; kritisch hierzu auch Schiffers, DStZ 2017, 275. 3 Vgl. FG Hessen v. 14.9.2017, 4 K 1822/15, rkr. EFG 2018, 473. 4 Vgl. BFH v. 9.11.2016, I R 56/15. BStBl. II 2017, 498. 5 Vgl. auch Schiffers, DStZ 2017, 275; Fiand, KStZ 2018, 84; Stockem/Westermann, DStR 2018, 773; Krämer in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, KStG, § 8 Abs. z, Tz. 47. 6 So auch Bott in Bott/Walter, KStG, § 4 Rz. 97. 7 Die Auffassung des FG Hessen ablehnend auch Bott in Bott/Walter, KStG, § 8 KStG Rz. 1504; Schiffers, DStZ 2018, 238 (244). 8 Vgl. BMF-Schreiben v. 15.12.2021, IV C 2 – S 2706/19/10008, DStR 2021, 2909.

Gastl | 601

9.123

Kap. 9 Rz. 9.124 | Kommunalverwaltung

e) Zusammenfassung von Verpachtungs-BgA

9.124

Die gesetzliche Grundlage der Erfassung von Verpachtungs-BgA nach § 4 Abs. 4 KStG basiert auf dem Grundgedanken, dass eine Erfassung auch derjenigen Tätigkeiten erfolgen soll, die bei originärer Durchführung durch die juristische Person selbst als BgA i.S.d. § 4 Abs. 1 KStG einzuordnen wäre. Hinsichtlich der Frage einer möglichen Zusammenfassung verschiedener Verpachtungs-BgA und/oder BgA i.S.d. § 4 Abs. 1 KStG ist diesem Grundsatz folgend nicht auf die Verpachtungstätigkeit selbst, sondern auf die Tätigkeit des Pächters abzustellen.1 Somit sind die allgemeinen Zusammenfassungsgrundsätze des § 4 Abs. 6 KStG zur Anwendung zu bringen.

9.125

So können beispielsweise seitens einer Kommune selbst betriebene Parkhäuser mit an Dritte verpachteten Parkhäusern zusammengefasst werden, da es sich insoweit jeweils originär um die Überlassung von Parkflächen handelt. Hingegen wäre eine Zusammenfassung eines BgA „Schwimmbad“ mit einem BgA „Schwimmbadgaststätte“ nach den allgemeinen Grundsätzen nicht zulässig, da es sich insoweit um nicht gleichartige Tätigkeiten handelt.

2. Betriebsaufspaltung a) Abgrenzungsfragen

9.126

Die entgeltliche Überlassung einzelner Wirtschaftsgüter durch juristische Personen des öffentlichen Rechts an Dritte ist grundsätzlich dem Bereich der ertragsteuerlich irrelevanten Vermögensverwaltung zuzurechnen und begründet damit keinen BgA.2 Abzugrenzen hiervon ist eine durch die Überlassung selbst begründete gewerbliche Tätigkeit, wie dies beispielsweise bei einer kurzfristigen Überlassung von Räumen mit ständigem Wechsel der Mieter der Fall ist.3

9.127

Darüber hinaus kann jedoch die entgeltliche Überlassung einzelner Wirtschaftsgüter, die durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts an eine Eigengesellschaft zur Annahme eines BgA i.S.d. § 4 Abs. 1 KStG führen, wenn die Voraussetzungen der Annahme einer Betriebsaufspaltung vorliegen.4 b) Merkmale einer Betriebsaufspaltung aa) Betriebsaufspaltung als „Rechtsprechungsinstitut“

9.128

Das Rechtsprechungsinstitut5 der Betriebsaufspaltung führt dazu, dass eine an sich vermögensverwaltende Tätigkeit in der Form der entgeltlichen Überlassung von Wirtschaftsgütern bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen als gewerbliche Tätigkeit einzuordnen ist, was wiederum zur Annahme eines BgA i.S.d. § 4 Abs. 1 KStG führt.6 1 Vgl. BMF-Schreiben v. 12.11.2009, S 2706/08/10004, BStBl. I 2009, 1303, Rz. 16; Leippe/Baldauf in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 16 Rz. 1367; 2 Vgl. hierzu auch Bott in Bott/Walter, KStG, § 4 Rz. 114.1; Leippe/Baldauf in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 16 Rz. 1339 ff. 3 Vgl. H 15.7 Abs. 12 EStH 2015 „Gewerblicher Charakter der Vermietungstätigkeit“; Bode in Blümich, EStG, § 15 Rz. 114 f. 4 Vgl. Krämer in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, KStG, § 4 Tz. 78; Bott in Bott/Walter, KStG, § 4 Rz. 115. 5 Vgl. zur Entwicklung der Betriebsaufspaltung durch die Rechtsprechung Bode in Blümich, EStG, § 15 Rz. 596–599 m.w.N.; zu den Kriterien H 15.7 Abs. 4 EStH 2015. 6 Vgl. hierzu auch Krämer in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, KStG, § 4 Tz. 78; Bott in Bott/Walter, KStG, § 4 Rz. 115; Leippe/Baldauf in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 16 Rz. 1358 ff.

602 | Gastl

C. Verpachtungs-Betriebe gewerblicher Art und Betriebsaufspaltungsfälle | Rz. 9.133 Kap. 9

bb) Personelle Verflechtung Als ein wesentliches Kriterium wird seitens der Rechtsprechung die personelle Verflechtung zwischen der Besitzgesellschaft (dem Besitz-BgA) und der Betriebsgesellschaft (bspw. der Eigengesellschaft) gesehen. Diese ist regelmäßig als gegeben anzusehen, wenn eine Person oder Personengruppe beide Unternehmen in der Weise beherrscht, dass die in der Lage ist, ihren Geschäfts- und Betätigungswillen einheitlich auszuüben.1 Dabei muss eine tatsächliche Beherrschung im Sinne einer Durchsetzung des Willens bei beiden Ebenen vorliegen.2 Dies ist beispielsweise als erfüllt anzusehen, wenn eine Person oder Personengruppe an beiden Gesellschaften (Besitzgesellschaft und Betriebsgesellschaft) eine Mehrheitsbeteiligung im Sinne einer Stimmrechtsmehrheit besitzt.3

9.129

Wird beispielsweise ein Grundstück, das sich im Eigentum einer Kommune befindet durch diese an eine Eigengesellschaft überlassen, an der die Kommune 100 % der Anteile hält, so ist die personelle Verflechtung in dem hier zugrunde zu legenden Sinne als gegeben anzusehen.

9.130

cc) Sachliche Verflechtung Neben der personellen Verflechtung muss zudem eine sachliche Verflechtung vorliegen. Hiervon ist auszugehen, wenn Gegenstand der entgeltlichen Überlassung wesentliche Betriebsgrundlagen der Betriebsgesellschaft sind.4 Als wesentliche Grundlagen sind dabei insbesondere die Wirtschaftsgüter anzusehen, die zur Erreichung des Betriebszwecks erforderlich sind und denen ein besonderes wirtschaftlichen Gewicht für die Betriebsführung zukommt.5

9.131

Insbesondere Grundstücke und Gebäude kommen als wesentliche Betriebsgrundlagen in Betracht.6 Dies gilt nach der aktuellen Rechtsprechung auch für Büro- und Verwaltungsgebäude.7 Zu beachten ist, dass bei Gebäuden auch im Hinblick auf Gebäudeteile bis hin zu einzelnen Räumen zu differenzieren ist. So kann beispielsweise auch bei der Überlassung nur eines Raumes in einem ansonsten hoheitlich genutzten Gebäude als Grundlage für die Annahme einer sachlichen Verflechtung dienen.

9.132

Auch immaterielle Wirtschaftsgüter können als wesentliche Betriebsgrundlage einzuordnen sein.8 Unter immateriellen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens versteht man alle unkörperlichen Werte, die weder dem Sachanlagevermögen oder dem Finanzanlagevermögen, noch dem Umlaufvermögen zuzurechnen sind. Hierzu gehören z.B. Konzessionen, gewerb-

9.133

1 Vgl. u.a. BFH v. 16.5.2013, IV R 54/11, BFH/NV 2013, 1557 m.w.N. 2 Vgl. BFH v. 8.11.1971, GrS 2/71 BStBl. II 2972, 63; aus jüngerer Zeit bspw. BFH v. 18.6.2009, BFH/NV 2010, 208; BFH v. 16.5.2013, IV R 54/11, BFH/NV 2013, 1557. 3 Vgl. bspw. BFH v. 28.11.1979, I R 141/75, BStBl. II 1980, 162; BFH v. 18.2.1986, VIII R 125/85, BStBl. II 1986, 611; BFH v. 14.10.2009 X R 37/07 v. 14.10.2009, BFH/NV 10, 406. 4 Vgl. hierzu im Detail Bode in Blümich, EStG, § 15 Rz. 621 ff. 5 Vgl. BFH v. 26.3.1992, IV R 50/91, BStBl. II 1992, 830; BFH v. 17.11.1992, VIII R 36/91, BStBl. II 1993, 233; BFH v. 10.4.1997, IV R 73/94, BStBl. II 97, 569. 6 Vgl. BFH v. 14.3.1984, I R 223/80, BStBl. II 1984, 496, zu Lagerräumen und Werkstätten eines Wasserwerkes; BFH v. 3.2.1993, I R 61/91, BStBl. II 1993, 459, zum Marktgelände eines BgA „Marktverwaltung“. 7 Vgl. BFH v. 23.5.2000, VIII R 11/99, BStBl. II 2000, 621; BFH v. 24.4.2002, I R 20/01, BStBl. II 2003, 412; BFH v. 13.7.2006, IV R 25/05, BStBl. II 2006, 804; BFH v. 29.11.2017, X R 34/15, BFH/ NV 2018, 623. 8 BFH v. 20.9.1973, IV R 41/69, BStBl II 1973, 869; BFH v.1.6.1978, IV R 152/73, BStBl. II 1978, 545; BFH v. 22.1.1988, III B 9/87, BStBl II 1988, 537; Bott in Bott/Walter, KStG, § 4 Rz. 115.

Gastl | 603

Kap. 9 Rz. 9.133 | Kommunalverwaltung

liche Schutzrechte (Patente) und ähnliche Rechte und Werte sowie Lizenzen an solchen Rechten und Werten. Auch hier ist für die Einordnung als wesentliche Betriebsgrundlage darauf abzustellen, ob die betreffenden Wirtschaftsgüter nach dem Gesamtbild der Verhältnisse zur Erreichung des Betriebszwecks erforderlich sind und ein besonderes Gewicht für die Betriebsführung besitzen. Denkbar wäre dies beispielsweise bei der entgeltlichen Überlassung von Forschungsergebnissen durch eine Hochschule an eine durch sie unterhaltene Verwertungsgesellschaft.1 Da die wirtschaftliche Bedeutung an sich nur schwer greifbar ist, hat die Rechtsprechung in der Vergangenheit teilweise an den durch die Überlassung seitens der nutzenden Gesellschaft erwirtschafteten Umsätzen festgemacht.2 In der Praxis wird es jedoch oftmals nur sehr schwer möglich sein, die durch ein überlassenes immaterielles Wirtschaftsgut des Anlagevermögens erwirtschafteten Umsätze von den sonstigen Umsätzen abzugrenzen, so dass ein solches an absoluten Zahlen ausgerichtetes Kriterium wohl nur indizielle Wirkung entfalten kann.

9.134

Eine Sonderstellung nehmen in diesem Zusammenhang jedoch Wirtschaftsgüter des Hoheitsbereichs, wie beispielsweise öffentliche Flächen ein. Diese können zwar wesentliche Betriebsgrundlagen darstellen, sind aber aufgrund ihrer untrennbaren Verbindung zum hoheitlichen Bereich gleichwohl nicht in einen möglichen BgA „Betriebsaufspaltung“ einzubeziehen.3 Wirtschaftsgüter des Hoheitsvermögens liegen dabei dann vor, wenn sie bei bestimmungsgemäßer Nutzung durch die juristische Personen des öffentlichen Rechts einer hoheitlichen Tätigkeit im engeren Sinne dienen würde.4 Dies ist beispielsweise bei der Überlassung von Abwasserentsorgungsanlagen an eine Eigengesellschaft oder bei der Überlassung von dem öffentlichen Verkehr gewidmeten Straßen anzunehmen.

9.135

Dem Grundgedanken der fiktiven Verselbständigung des Betriebs gewerblicher Art zum Zweck der Einkommensermittlung und dem darauf aufbauenden Gleichstellungsgedanken folgend, werden Miet- und Pachtvereinbarungen zwischen dem Betrieb gewerblicher Art und „seiner“ Trägerkörperschaft steuerlich anerkannt, soweit diese auch bei der Besteuerung einer Kapitalgesellschaft zu beachten wären.5

9.136

Eine Einschränkung erfährt der hinter dieser Vorgehensweise stehende Gleichstellungsgedanke jedoch in den Fällen, in denen Gegenstand des Miet- oder Pachtverhältnisses wesentliche Betriebsgrundlagen des Betriebs gewerblicher Art sind.

9.137

Überlässt ein Gesellschafter „seiner“ Kapitalgesellschaft Wirtschaftsgüter, die eine wesentliche Betriebsgrundlage darstellen, so greifen die vorstehend dargestellten Bestimmungen über die Betriebsaufspaltung. Dabei sind die angemessenen Miet- und Pachtzahlungen zwar bei der Kapitalgesellschaft abzugsfähig, sie stellen jedoch beim Gesellschafter Einkünfte aus Gewerbebetrieb dar. Im Ergebnis werden die gewerblichen Einkünfte durch die Miet- und Pachtzahlungen nicht gemindert. Das bedeutet, die betreffenden Wirtschaftsgüter werden steuerlich

c) Abgrenzung bei Überlassungen an Betriebe gewerblicher Art

1 Vgl. auch Krämer in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, KStG, § 4 Tz. 79. 2 Vgl. BFH v. 20.9.1973, IV R 41/69, BStBl. II 1973, 869 bezüglich eines Umsatzes von 25 %; BFH v. 26.1.1989, IV R 151/86, BStBl. II 1989, 455 bezüglich eines Umsatzes zwischen 61 % und 82 %; BFH v. 6.11.1991, XI R 12/87, BStBl. II 1992, 415 bezüglich eines Umsatzes von 75 %. 3 Vgl. Bott in Bott/Walter, KStG, § 4 Rz. 115; Krämer in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, KStG, § 4 Tz. 78; OFD Nordrhein-Westfalen, Arbeitshilfe zur Besteuerung juristischer Personen des öffentlichen Rechts, Stand 15.3.2019, Tz. 19.2.3.2. 4 Vgl. Krämer in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, KStG, § 4 Tz. 78. 5 Vgl. BFH v. 3.2.1993, I R 61/91, BStBl. II 1993, 459.

604 | Gastl

C. Verpachtungs-Betriebe gewerblicher Art und Betriebsaufspaltungsfälle | Rz. 9.140 Kap. 9

verstrickt, obwohl sie sich eigentlich im Privatvermögen des Gesellschafters befinden. Eine analoge Vorgehensweise bei der steuerlichen Erfassung von Betrieben gewerblicher Art würde – im Gegensatz zu dem eben beschriebenen Fall bei einer Kapitalgesellschaft – ohne Anwendung der Grundsätze der Betriebsaufspaltung zu einer effektiven Minderung der Steuerbelastung führen, da die Miet- und Pachtzinsen bei der juristischen Person des öffentlichen Rechts im Bereich der Vermögensverwaltung anfallen würden und somit der steuerlichen Erfassung entzogen wären. Um hier eine Vervielfachung steuerlich relevanter Betriebe gewerblicher Art zu vermeiden, werden wesentliche Betriebsgrundlagen grundsätzlich als notwendiges Betriebsvermögen des Betriebs gewerblicher Art qualifiziert und können nicht Gegenstand vertraglicher Vereinbarungen zwischen dem Betrieb gewerblicher Art und der Trägerkörperschaft sein.1 d) Unentgeltliche Überlassung an Eigengesellschaften Voraussetzung für die Annahme einer Betriebsaufspaltung ist dem Grundsatz nach die entgeltliche Überlassung der wesentlichen Betriebsgrundlagen. Soweit eine unentgeltliche Überlassung erfolgt, kann dementsprechend kein Betriebsaufspaltungs-BgA begründet werden, da es insoweit nicht des Rechtsinstituts der Betriebsaufspaltung bedarf, um eine sachgerechte Besteuerung sicherzustellen.2

9.138

Zur Begründung einer sachlichen Verflechtung reicht die Nutzungsüberlassung an das Betriebsunternehmen allerdings aus. Eine unmittelbare Entgeltlichkeit der Nutzungsüberlassung ist nicht Tatbestandsvoraussetzung.3 Vielmehr ist nach Auffassung der Finanzverwaltung für die Frage der Entgeltlichkeit auch auf die sonstigen aus der Beteiligung an der Betriebsgesellschaft erwachsenden Vorteile durch die Nutzungsüberlassung, bspw. in Form von Dividenden, stillen Reserven, thesaurierten Gewinnen, abzustellen.4 Auch die Rechtsprechung legt bei der Frage des Vorliegens eines Gewinnerzielungsabsicht im Hinblick auf das Vorliegen einer Betriebsaufspaltung entsprechende Erwägungen zugrunde.5

9.139

Bezogen auf die Annahme einer Betriebsaufspaltung bei der (vermeintlich) unentgeltlichen Überlassung einer wesentlichen Betriebsgrundlage durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts an eine durch sie beherrschte Eigengesellschaft ist folglich zu prüfen, inwieweit durch die Überlassung tatsächlich positive Ergebnisse auf Ebene der Betriebsgesellschaft zu erwarten sind. Dies wird insbesondere dann in Frage gestellt, wenn seitens der juristischen Person des öffentlichen Rechts neben der Zurverfügungstellung der wesentlichen Betriebsgrundlagen zudem noch Zuschüsse an die Betriebsgesellschaft gezahlt werden, so dass insgesamt eine Verlagerung von Einkünften von der Betriebsgesellschaft (Eigengesellschaft) auf die überlassende juristische Person des öffentlichen Rechts nicht anzunehmen ist.6

9.140

1 Vgl. BFH v. 14.3.1984, I R 223/80, BStBl. II 1984, 496; Gastl, DStZ 2004, 323; Vochsen, DStZ 2011, 360; Krämer in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, KStG, § 4 Rz. 208. 2 So auch OFD Niedersachsen v. 13.1.2011, S 2706-290-St 241, juris; Krämer in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, KStG, § 4 Rz. 78. 3 Vgl. BFH v. 24.4.1991, X R 84/88, BStBl. II 1991, 713; BFH v. 30.3.2006, IV R 31/03, BStBl. II 2006, 652; FG Düsseldorf 28.2.2007 – 7 K 6571/04, EFG 2007, 1503; Dehmer, Betriebsaufspaltung, 4. Aufl. 2018, § 3 Rz. 66. 4 Vgl. OFD Niedersachsen v. 13.1.2011, S 2706-290-St 241, juris; OFD NRW, Arbeitshilfe zur Besteuerung von juristischen Personen des öffentlichen Rechts, Stand 15.3.2019, Tz. 19.2.3.1. 5 Vgl. BFH v. 2.9.2009, I R 20/09, BFH/NV 2010, 391; BFH v. 24.4.1991, X IR 84/88, BStBl. II 1991, 713; Bott in Bott/Walter, KStG, § 4 Rz. 115.2. 6 Vgl. OFD Niedersachsen v. 13.1.2011, S 2706-290-St 241, juris; OFD NRW, Arbeitshilfe zur Besteuerung von juristischen Personen des öffentlichen Rechts, Stand 15.3.2019, Tz. 19.2.3.1; Krämer in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, KStG, § 4 Rz. 78.

Gastl | 605

Kap. 9 Rz. 9.141 | Kommunalverwaltung

9.141

Zumindest ist jedoch auch bei einer nur unentgeltlichen Überlassung die mögliche Annahme einer Betriebsaufspaltung zwischen der Eigengesellschaft und der überlassenden juristischen Person des öffentlichen Rechts kritisch zu hinterfragen, da dies insbesondere im Hinblick auf etwaige in dem überlassenen Wirtschaftsgut, wie auch in der Beteiligung an der Eigengesellschaft, möglicherweise innewohnenden stillen Reserven Relevanz entfalten kann. e) Rechtsfolgen

9.142

Das Vorliegen einer Betriebsaufspaltung bei einer Überlassung von wesentlichen Betriebsgrundlagen durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts an ihre Eigengesellschaft führt zu einer steuerlichen Umdeutung einer eigentlich vermögensverwaltenden Tätigkeit in eine gewerbliche Tätigkeit, was wiederum die Annahme eines BgA i.S.d. § 4 Abs. 1 KStG begründet.1 Damit wird zunächst unmittelbar das überlassene Wirtschaftsgut als notwendiges Betriebsvermögen des BgA „Betriebsaufspaltung“ steuerverstrickt, so dass etwaige stille Reserven künftig steuerlich zu berücksichtigen sind. Gleichzeitig wird aber auch die Beteiligung an der das überlassene Wirtschaftsgut nutzenden Eigengesellschaft (Betriebsgesellschaft) dem Betriebsvermögen des BgA „Betriebsaufspaltung“ zugerechnet.2 Hierdurch sind auch die der Beteiligung innewohnenden stillen Reserven zumindest ab Begründung der Betriebsaufspaltung steuerlich verstrickt. Soweit künftig Gewinnausschüttungen seitens der Eigengesellschaft an ihre Gesellschafter erfolgen, sind diese dementsprechend als im Rahmen des BgA „Betriebsaufspaltung“ anfallend und damit als Betriebseinnahme des BgA zu erfassen.

9.143

Problematisch erscheinen dabei insbesondere Konstellationen, bei denen aus einem bereits bestehenden BgA heraus eine Betriebsaufspaltung neu begründet wird. Folgendes Beispiel soll diese Thematik verdeutlichen:

9.144

Eine Kommune unterhält einen BgA „Parkplätze“. Es handelt sich hierbei um einen BgA in dem sowohl an Dritte verpachtete Parkflächen, als auch selbst durch die Kommune betriebene Parkflächen zusammengefasst wurden. Seitens der Kommune wird nachfolgend beschlossen, einen bislang durch die Kommune betriebenen Parkplatz nicht mehr als solchen zu nutzen, sondern entgeltlich an die als Eigengesellschaft geführten Verkehrsbetriebe zu überlassen. Die Fläche soll künftig der Erweiterung des Betriebshofs dienen. Die bislang als Parkplatz genutzte Fläche ist nicht bebaut, Betriebsvorrichtungen sind ebenfalls nicht vorhanden.

9.145

Zunächst wäre im vorstehenden Beispiel ohne Berücksichtigung der bisherigen Zuordnung der Fläche zu einem BgA und ohne die Anwendung der Regelungen zur Betriebsaufspaltung bei einer langfristigen Überlassung von einer ertragsteuerlich unerheblichen Vermögensverwaltenden Tätigkeit auszugehen. Fraglich ist nunmehr, ob durch die veränderte Nutzung in Form einer Überlassung im Rahmen einer Betriebsaufspaltung gegebenenfalls ein neuer BgA begründet oder die gewerbliche Tätigkeit im bisherigen BgA einfach fortgeführt wird.

9.146

Die Rechtsprechung hat sich mit dieser Fragestellung bislang nur in Teilbereichen beschäftigt. So hatte das FG Münster3 einen Fall zu entscheiden, bei dem ein BgA zunächst von der Kom1 Vgl. hierzu auch Krämer in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, KStG, § 4 Tz. 78; Bott in Bott/Walter, KStG, § 4 Rz. 115; Leippe/Baldauf in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 16 Rz. 1358 ff. 2 Vgl. BFH v. 7.3.1978, VIII R 38/74, BStBl. II 1978, 378; BFH v. 23.7.1981, IV R 103/78, BStBl. II 1982, 60; BFH v. 12.2.1992, XI R 18/90, BStBl. II 1992, 723; BFH v. 14.9.1999, III R 47/98, BStBl. II 2000, 255; Bode in Blümich, EStG, § 15 Rz. 629. 3 Vgl. FG Münster v. 30.6.2003, 9 K 5219/99, 9 K 5222/99, EFG 2003, 1648.

606 | Gastl

C. Verpachtungs-Betriebe gewerblicher Art und Betriebsaufspaltungsfälle | Rz. 9.149 Kap. 9

mune selbst betrieben BgA nachfolgend im Ganzen an eine Eigengesellschaft verpachtet wurde. Zur Beurteilung zog der entscheidende Senat dabei auch die Grundsätze der Betriebsaufspaltung heran, um letztlich zu dem Ergebnis zu kommen, dass der in diesem Fall anzuwendende § 4 Abs. 4 KStG insoweit „das Fortbestehen und das Fortführen des identischen BgA im Wege der Verpachtung“ fingiert.1 Diese Anwendung der Regelung über den VerpachtungsBgA wird demzufolge nach Ansicht des FG Münster nicht von den Grundsätzen des Rechtsinstituts der Betreibsaufspaltung überlagert, so dass es dementsprechend nur zu einer Fortführung, nicht aber zu einer Entstehung eines neuen BgA kommt. In einem anderen Fall hatte das FG Köln2 eigentlich die Frage zu klären, ob Verluste aus dem Unterhalten eines dauerdefizitären Parkhauses in einem gemieteten Gebäude im Rahmen einer Eigengesellschaft als Verkehrsbetrieb mit anderen positiven Ergebnissen aus Versorgungsbetrieben verrechnet werden können. Dabei wurde durch das FG am Rande auch thematisiert, dass bei Vorliegen einer Betriebsaufspaltung auf Ebene der Kommune die betriebliche Tätigkeit des Besitzunternehmens weiterhin als Verpachtungs-BgA angesehen werden könne. Der entscheidende Senat spricht insoweit von einer Fortsetzung der bisherigen Tätigkeit auch im Rahmen des Besitzunternehmens. Dies spricht im Grundsatz zunächst für die Annahme der Fortführung des bestehenden BgA, nachfolgend allerdings nicht mehr aus originärer, sondern aus mittelbarer Tätigkeit der Betriebsgesellschaft.

9.147

Fraglich ist allerdings die Einordnung, wenn wie im vorgenannten Beispielsfall, die ursprüngliche originäre Tätigkeit (im Beispiel die Unterhaltung eines Parkplatzes) im Rahmen der Betriebsgesellschaft (nunmehr Nutzung als Betriebshof) nicht mehr übereinstimmt. Hier könnte eine grundsätzliche Umwidmung der Tätigkeit in eine rein vermögensverwaltende Tätigkeit in Form der Überlassung der wesentlichen Betriebsgrundlagen angenommen werden. Danach wäre aber keine Fortführung des bisherigen BgA mehr anzunehmen, sondern vielmehr die Begründung eines neuen BgA „Betriebsaufspaltung“. Folge davon wäre dann aber auch der Übertrag der betreffenden Wirtschaftsgüter aus dem bisherigen selbst betriebenen BgA in einen neuen BgA „Betriebsaufspaltung“, was zur Aufdeckung der stillen Reserven führen würde.3 Dagegen könnte argumentiert werden, dass der bisherige Betrieb als Parkplatz zunächst ruhend gestellt wird, weiterhin aber eine betriebliche Nutzung der betreffenden Wirtschaftsgüter nunmehr in Form von gewillkürtem Betriebsvermögen erfolgt, so dass eine Zuordnung zu einem anderen BgA und damit eine Aufdeckung von stillen Reserven nicht angezeigt erscheint. In jedem Fall empfiehlt sich in solchen Konstellationen eine Abstimmung mit den zuständigen Finanzbehörden vorzunehmen.

9.148

III. Umsatzsteuerliche Einordnung 1. Gesetzliche Grundlagen Im Hinblick auf die ursprünglich geltende Rechtslage durch den Verweis des § 2 Abs. 3 UStG a.F. auf das Vorliegen eines BgA im Sinne des § 4 KStG zur Annahme einer Unternehmereigenschaft im umsatzsteuerlichen Sinne kam der Frage des Vorliegens eines Verpach-

1 Kritisch zur Frage, ob die Regelungen zur Betriebsaufspaltung hier überhaupt heranzuziehen waren auch Krämer in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, KStG, § 4 Rz. 79. 2 Vgl. FG Köln v. 9.3.2010, 13 K 3181/05, EFG 2010, 1345. 3 So zumindest Krämer in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, KStG, § 4 Tz. 79a.

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9.149

Kap. 9 Rz. 9.149 | Kommunalverwaltung

tungs-BgA eine nicht unerhebliche Bedeutung zu. Im Vordergrund stand dabei in den meisten Fällen die Frage des Vorsteuerabzugs aus Investitionen im Rahmen von Verpachtungs-BgAs.1

9.150

Durch die europarechtskonforme Neustrukturierung der umsatzsteuerlichen Behandlung der juristischen Personen des öffentlichen Rechts im Rahmen des Steueränderungsgesetzes (StÄndG) 20152 ist die umsatzsteuerliche Einordnung nunmehr unabhängig von der ertragsteuerlichen Beurteilung vorzunehmen. Erbringt eine juristische Person des öffentlichen Rechts Leistungen im Rahmen eines Leistungsaustauschverhältnisses, so sind diese nach den allgemeinen Regelungen des § 2 Abs. 1 UStG einzuordnen. Eine Ausnahme besteht insoweit nur bei Tätigkeiten, die im Rahmen der öffentlichen Gewalt durchgeführt werden. Diese sind nach § 2b UStG auszunehmen, sofern hierdurch keine größere Wettbewerbsverzerrung bewirkt wird. Soweit also Leistungen auf privatrechtlicher Grundlage erbracht werden, sind diese wie bei allen Wirtschaftsteilnehmern umsatzsteuerlich einzuordnen.

9.151

Da die Verpachtung oder Vermietung von Betrieben oder Wirtschaftsgütern durch juristische Personen des öffentlichen Rechts grundsätzlich auf privatrechtlicher Grundlage erfolgt, ist für die Anwendung des § 2b UStG im Regelfall kein Raum.3 Insoweit ist für die Frage der umsatzsteuerlichen Einordnung auf die allgemein gültigen Regelungen sowohl im Hinblick auf die Umsatzsteuerbarkeit als solche, als auch für die Frage der Anwendung möglicher Befreiungsnormen abzustellen.

9.152

Die bereits vor der europarechtskonformen Ausgestaltung des Umsatzsteuergesetzes thematisierte Frage der Entgeltlichkeit bei der Verpachtung von defizitären Betrieben ist gleichwohl auch bei der rein umsatzsteuerlichen Beurteilung von Relevanz.

9.153

In der Praxis stellen sich regelmäßig die Fälle kritisch dar, in denen eine juristische Person des öffentlichen Rechts einen dauerdefizitären Betrieb an einen Dritten gegen ein (niedriges) Entgelt überlässt und gleichzeitig an diesen Zuschusszahlungen leistet, um einen wirtschaftlichen Betrieb des Dritten zu ermöglichen. Bei der rein nach umsatzsteuerlichen Gesichtspunkten vorzunehmenden Beurteilung ist dabei zunächst das Vorliegen einer wirtschaftlichen Tätigkeit i.S.d. Art. 9 MwStSystRL zu klären. Dabei muss eine wirtschaftliche Tätigkeit vorliegen, bei der die juristische Person des öffentlichen Rechts als Dienstleister oder Erzeuger auftritt und bei der ein entsprechender Leistungswille anzunehmen ist.4 Der Zweck der zu beurteilen Aktivitäten spielt für die Einordnung als wirtschaftliche Tätigkeit insoweit keine Rolle.5 Weitere Voraussetzung für die Annahme einer wirtschaftlichen Tätigkeit im Sinne des Art. 9 MwStSystRL ist zudem, dass es sich um eine Tätigkeit gegen Entgelt handeln muss.6 Auf die Höhe des Entgelts oder eine etwaige Kostendeckung des Entgelts kommt es dabei nicht

2. Verpachtung dauerdefizitärer Betriebe

1 Vgl. FG Baden-Württemberg v. 21.12.2016, 14 K 2029/13, DStRE 2018, 800. Das Urteil ist nach Zurückweisung der Nichtzulässigkeitsbeschwerde durch BFH-Beschl. v. 18.7.2017, XI B 24/17, BFH/NV 2018, 60 rkr.; zuletzt FG Niedersachsen v. 16.10.2019, 5 K 286/18, EFG 2020, 687, Rev. beim BFH unter XI R 35/19. 2 StÄndG v. 2.11.2015, BGBl. I 2015, 1834. 3 So auch Leippe/Baldauf in Hidien/Jürgens, Besteuerung der öffentlichen Hand, § 16 Rz. 1378. 4 Vgl. Hidien/Menebröcker, DStR 2020, 2824 (2826) m.w.N. 5 Vgl. BFH v. 28.6.2017, XI R 12/15, UR 2017, 758; EuGH v. 26.9.1996 – C-230/94, HFR 1996, 836, Rz. 25. 6 Vgl. EuGH v. 12.5.2016 – C-520/14 – Gemeente Borsele, UR 2016, 520.

608 | Gastl

C. Verpachtungs-Betriebe gewerblicher Art und Betriebsaufspaltungsfälle | Rz. 9.156 Kap. 9

an.1 Es muss jedoch ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Lieferung oder der erbrachten Leistung einerseits und der tatsächlich durch den Leistenden empfangenen Gegenleistung bestehen.2 Dies soll nach der Rechtsprechung des EuGH3, der der BFH4 grundsätzlich folgt allerdings dann nicht mehr gegeben sein, wenn eine klare Asymmetrie zwischen den vereinbarten Entgelten und den tatsächlich anfallenden (Betriebs-)Kosten des Leistenden vorliegt. Vor dem Hintergrund der sich aus der Systematik der MwStSystRL und deren Einordnung durch den EuGH ergebenden Kriterien ist auch die Beurteilung einer etwaigen saldierenden Betrachtungsweise bei Pachtentgelten und gegenläufigen Zuschusszahlungen vorzunehmen.

9.154

So hatte das FG Niedersachsen in seiner Entscheidung vom 16.10.20195 einen entsprechend gelagerten Fall zu beurteilen. Im Grundsatz ging es um eine Gemeinde, die ihr Schwimmbad an einen eingetragenen Verein verpachtete. Dabei war zunächst ein Entgelt von jährlich Euro 1 vereinbart worden. Zugleich verpflichtete sich die Gemeinde zur Zahlung eines Zuschusses in Höhe von Euro 75.000. Nach etwa zehn Jahren wurde der Pachtvertrag dahingehend angepasst, dass der Pachtzins nunmehr Euro 10.000 zzgl. Umsatzsteuer betragen sollte. Gleichzeitig wurde der Zuschuss auf Euro 90.000 jährlich erhöht. Das Finanzamt hatte den im Zusammenhang mit einer Sanierung des Schwimmbads durch die Gemeinde geltend gemachten Vorsteuerabzug mit der Begründung versagt, dass im Hinblick auf die vorzunehmende Saldierung von Pacht und Zuschuss keine Einnahmenerzielungsabsicht und damit kein BgA vorliege. Dies sei insbesondere auch durch den engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang von Pachtvertrag und Zuschussvereinbarung begründet. Im Übrigen sei im Hinblick auf die deutliche Asymmetrie von Entgelt und Kosten keine wirtschaftliche Tätigkeit der Gemeinde anzunehmen.

9.155

Der entscheidende Senat des FG Niedersachsen folgte der Auffassung der Finanzverwaltung. Ein Vorsteuerabzug komme nicht in Betracht, da in dem ersten Vertragszeitraum mit Euro 1 nur ein symbolisches Entgelt gezahlt wurde, so dass keine wirtschaftliche Tätigkeit anzunehmen sei. Im Hinblick auf die nachfolgend deutlich erhöhte Pachtzahlung räumte der entscheidende Senat zwar ein, dass eine Jahrespacht von Euro 10.000 zweifelsfrei wohl nicht mehr als symbolisch einzuordnen sei. Gleichwohl bezieht das FG Niedersachsen hier die Gesamtumstände insoweit ein, als dass die vorgenommene Vertragsanpassung hinsichtlich der Pachthöhe mit einer zeitgleichend korrespondierenden Anpassung des Zuschusses darauf hinweise, dass sich objektiv an den Verhältnissen nichts ändern sollte. Dabei wurde seitens des entscheidenden Senats insbesondere darauf hingewiesen, dass die Änderungen im Pachtvertrag und im Zuschussvertrag am gleichen Tag vereinbart worden seien und hierdurch im Ergebnis beide Vertragswerke aufeinander bezogen seien. Dabei verweist das FG Niedersachsen auch auf eine Entscheidung des BFH vom 15.12.20166, in der der V. Senat die Frage des Vorliegens einer Unternehmerschaft einer Gemeinde an die Vorinstanz zurück verwies, nach dem diese die Unternehmereigenschaft in der ersten Instanz anerkannt hatte.

9.156

1 Vgl. BFH v. 28.6.2017, XI R 12/15, UR 2017, 758; EuGH v. 20.1.2005 – C-412/036 – Hotel Scandic Gasabäck, DStRE 2005, 409; Treiber in Sölch/Ringleb, UStG, § 2b Rz. 23. 2 Vgl. EuGH v. 18.1.2017 – C-37/16 – SWAP, DStR 2017, 449; EuGH v. 20.1.2005 – C-412/036 – Hotel Scandic Gasabäck, DStRE 2005, 409. 3 Vgl. EuGH v. 12.5.2016 – C-250/14 – Gemeente Borsele, UR 2016, 520. 4 Vgl. BFH v. 28.6.2017, XI R 12/15, UR 2017, 758 m.w.N. 5 FG Niedersachsen v. 16.10.2019, 5 K 286/18, EFG 2020, 687, Rev. eingelegt, Az. des BFH: XI R 35/ 19. 6 Vgl. BFH v. 15.12.2016, V R 44/15, UR 2017, 302; siehe hierzu auch Baldauf, DStZ 2017, 607.

Gastl | 609

Kap. 9 Rz. 9.157 | Kommunalverwaltung

9.157

Aus den Ausführungen des FG Niedersachsen1 und des BFH2 sind dabei einige Hinweise zu entnehmen, die bei der Einordnung der hier diskutierten Konstellationen und einer entsprechenden Ausgestaltung zu beachten sind. So hat der BFH in seiner Entscheidung vom 15.12.2016 auch die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass die pachtweise Zurverfügungstellung des Bades nur eine nicht steuerbare Bestandsleistung zu einer seitens des Betreibers des Bades erbrachten Betriebsführungsleistung anzusehen sein könnte.3 Gleichzeitig ist die Fragestellung zu beurteilen, inwieweit die separat abgeschlossenen Verträge tatsächlich in rechtlicher und wirtschaftlicher Sicht so miteinander verknüpft sind, dass sie tatsächlich als wirtschaftliche Einheit verstanden werden müssen.4 Das FG Niedersachsen hat in dem zu beurteilenden Fall diesbezüglich insbesondere auch auf den Zeitpunkt des Abschlusses der Verträge abgestellt. Fraglich ist insoweit, ob eine sowohl zeitliche als auch inhaltliche (betragsmäßige) Trennung der Vereinbarungen zu einer anderen Einordnung führen könnte. Allerdings wäre bei getrennter Betrachtung der Verträge dann zu klären, ob es sich bei der Zahlung des Betriebskostenzuschusses tatsächlich um einen (nicht umsatzsteuerbaren) echten Zuschuss oder vielmehr um ein Entgelt für die übernommene Betriebsführung handelt, die nachfolgend als umsatzsteuerbar zu würdigen wäre.

9.158

Es bleibt abzuwarten, wie sich die Rechtsprechung5 und die Finanzverwaltung insoweit abschließend positionieren werden. Allerdings gilt es auch unter der Ägide der aktuellen umsatzsteuerlichen Einordnung von wirtschaftlichen Tätigkeiten des öffentlichen Rechts bei der Verpachtung dauerdefizitärer Betriebe kritisch zu prüfen, inwieweit eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne des Art. 9 MwStSystRL begründet wird und ob die vertragliche Ausgestaltung etwaiger Zuschusszahlungen so ausgestaltet werden kann, dass eine zwingende rechtliche und wirtschaftliche Verknüpfung vermieden wird. In Zweifelsfällen sollte eine Abstimmung mit den zuständigen Finanzbehörden angestrebt werden.

D. Museen, Theater und andere kulturelle Einrichtungen I. Allgemeine Einordnung Literatur: Baldauf, Umsatzbesteuerung von Leistungsbündeln im öffentlich-rechtlichen Tätigkeitsbereich, DStZ 2018, 270; Lorenz/Pithan in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, 2017, § 16 Rz. 737 ff.; Koch, Umsatzsteuerbefreiung für kulturelle Leistungen, NWB 2014, 760; von Streit, Stadion, Museum und „Aufteilungsgebot“, UStB 2018, 106.

9.159

Die Landschaft der kulturellen Angebote in Deutschland ist sehr vielfältig. Dabei wird die von staatlicher Seite durchgeführte Förderung der kulturellen Landschaft oftmals als Bestandteil der Daseinsvorsorge begriffen, wobei die Kompetenz im kulturellen Umfeld im föderalen Sys-

1 Vgl. FG Niedersachsen v. 16.10.2019, 5 K 286/18, EFG 2020, 687, Rev. eingelegt, AZ des BFH: XI R 35/19. 2 Vgl. BFH v. 15.12.2016, V R 44/15, UR 2017, 302. 3 Kritisch hinsichtlich dieser Einordnung Leippe/Baldauf in Hidien/Jürgens, Besteuerung der öffentlichen Hand, § 16 Rz. 1405; Baumgart, ZKF 2015, 65. In einem ähnlichen Fall eine Beistellung ablehnend FG Baden-Württemberg v. 14 K 2029/13, DStRE 2018, 800 (rkr. durch Beschluss des BFH v. 18.7.2017, XI B 24/17, BFH/NV 2018, 60). 4 Siehe hierzu auch die (nicht bundesweit abgestimmte) Verfügung der OFD Niedersachsen v. 1.10.2014, S 7106-296 – ST 171, DStR 2014, 2572. 5 Hier insbesondere im Hinblick auf das anhängige Verfahren beim BFH, Az. XI R 35/19.

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D. Museen, Theater und andere kulturelle Einrichtungen | Rz. 9.163 Kap. 9

tem Deutschlands den Ländern zugeordnet wird.1 Die Felder kommunaler Tätigkeiten im Bereich der Kultur sind dabei sehr unterschiedlich: Sie umfassen im Regelfall Theater, Orchester, Museen und Bibliotheken aber oftmals auch Archive und Denkmalschutz und -pflege. Zudem werden private Initiativen bspw. in Form von Vereinen unterstützt. Soweit die öffentliche Hand selbst kulturelle Angebote unterbreitet und betreibt, nimmt sie insoweit am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teil. Die Ausgestaltung der Aktivitäten stellt sich in der Praxis sehr vielfältig dar und wird im Hinblick auf die Sicherstellung der Attraktivität der Angebote immer mehr durch Zusatzangebote ergänzt. So nimmt der Bereich des sog. Merchandising in Form von Museumsshops, wie auch gastronomische Angebote und Angebote mit Eventcharakter, wie beispielsweise Themenführungen in Museen in Kombination mit gastronomischen Angeboten immer weiter zu. Dabei steht die öffentliche Hand immer auch im Wettbewerb mit privaten Initiativen und kommerziellen Kulturbetrieben.

9.160

In diesem Spannungsfeld gewinnt die steuerliche Einordnung der kulturellen Aktivitäten deutlich mehr an Bedeutung. Vor dem Hintergrund umfangreicher steuerlicher Begünstigungsnormen für den kulturellen Bereich ist dabei insbesondere die Abgrenzung der tatsächlich entsprechend zu fördernden kulturellen Aktivitäten wesentlich.

9.161

II. Ertragsteuerliche Einordnung 1. Vorliegen eines BgA i.S.d. § 4 KStG a) Grundsätzliche Einordnung Nach § 4 Abs. 1 KStG liegt ein ertragsteuerlich relevanter BgA vor, wenn eine Einrichtung betrieben wird, die einer nachhaltigen wirtschaftlichen Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen dient und die sich innerhalb der Gesamtbetätigung der juristischen Person des öffentlichen Rechts heraushebt. Davon explizit ausgenommen sind die in § 4 Abs. 5 KStG genannten Betriebe, die überwiegend der Ausübung der öffentlichen Gewalt dienen (sog. Hoheitsbetriebe).

9.162

Eine eigenständige gesetzliche Anordnung zur ertragsteuerlichen Einordnung der kulturellen Aktivitäten im hier verstandenen Sinn existiert nicht, so dass eine Prüfung grundsätzlich nach den allgemeinen Kriterien des § 4 KStG vorzunehmen ist. Im Regelfall kommt man bei den kulturellen Angeboten wie Orchestern, Theatern und Museen hierbei zu einer Einordnung als BgA. Die Annahme einer aus ertragsteuerlicher Sicht nicht zu berücksichtigenden hoheitlichen Tätigkeit scheitert dabei regelmäßig an dem Kriterium der Ausübung im Rahmen der hoheitlichen Gewalt. Diese ist seitens der Finanzverwaltung2 und der Rechtsprechung3 als eine Tätigkeit definiert, die der öffentlich-rechtlichen Körperschaft eigentümlich und vorbehalten ist. Kennzeichnend für die Ausübung öffentlicher Gewalt ist dabei die Erfüllung öffentlich-rechtlicher Aufgaben, die aus der Staatsgewalt abgeleitet sind und staatlichen Zwecken dienen.4 Eine

9.163

1 Vgl. Bericht der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ des Deutschen Bundestages v. 11.12.2007, BT-Drs. 16/7000, S. 54. 2 Vgl. Abschnitt H 4.4 „Ausübung öffentlicher Gewalt“ KStR 2015; BMF v. 11.12.2009 – IV C 7 – S2706/07/10006, BStBl. 2009, 1597. 3 Vgl. BFH v. 30.6.1988 – V R 79/84, BStBl. II, 910; BFH v. 29.10.2008 – I R 51/07, BStBl. II 2009, 1022. 4 Vgl. BFH v. 21.11.1967 – I 274/64, BStBl. II 1968, 218.

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Kap. 9 Rz. 9.163 | Kommunalverwaltung

durch Bundes- oder Landesrecht gedeckte Aufgabenzuweisung, die eine Vorbehaltsaufgabe der öffentlichen Hand begründen könnte, ist jedoch nicht gegeben.1

9.164

Die grundsätzliche Einordnung kultureller Betriebe der öffentlichen Hand steht dabei auch im Einklang mit der gewachsenen Rechtsprechung. So hat bereits der Reichsfinanzhof in einem Urteil vom 23.4.19372 die Annahme einer hoheitlichen Tätigkeit im Rahmen der Einnahmenerzielung durch Eintrittsgelder bei Museen verneint. b) Abgrenzung der einzelnen Tätigkeiten aa) Grundsätzliche Einordnung

9.165

Im Hinblick auf die im Zusammenhang mit den kulturellen Aktivitäten einhergehenden zusätzlichen Angeboten, wie beispielsweise Shops und gastronomische Einrichtungen stellt sich in der Praxis vielfach die Frage der Abgrenzung bzw. Möglichkeit einer zusammengefassten steuerlichen Berücksichtigung.

9.166

Da eine unmittelbare ertragsteuerliche Definition der kulturellen Betriebe nicht existiert, wird vielfach auf die expliziteren Abgrenzungskriterien des Umsatzsteuergesetzes zurückgegriffen, die sich aus der Befreiungsnorm des § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG ergeben. bb) Museen

9.167

Nach § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG werden Museen als wissenschaftliche Sammlungen und Kunstsammlungen definiert. Ob eine Sammlung als wissenschaftlich in diesem Sinne anzusehen ist, richtet sich dabei nach dem Gesamtbild der Umstände. Hier kommt es insbesondere darauf an, ob die Sammlung nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten zusammengestellt oder geordnet ist und ob sie entsprechend durch Beschriftungen und/oder Kataloge erläutert wird.3 Die Art der Präsentation einer wissenschaftlichen Sammlung ist dabei unerheblich, so dass beispielsweise auch Freilichtmuseen begünstigt sind.4

9.168

Fraglich ist dabei, inwieweit dies auch für Sammlungen von Repliken gilt. So hat das FG Baden-Württemberg mit Urteil vom 29.1.20145 entschieden, dass bei der Zurschaustellung von Repliken von Gemälden eine Anerkennung als Museum im umsatzsteuerlichen Sinne nicht vorliegen könne, da im zu beurteilenden Sachverhalt die Originalgemälde – wenn auch weit verstreut und im Privatbesitz – noch vorhanden waren. Abzugrenzen hiervon sind im Umkehrschluss Repliken von Gegenständen, die im Original tatsächlich nicht mehr vorhanden sind, die aber für die Vermittlung der historischen bzw. kulturellen Hintergründe notwendig erscheinen. Zu denken ist hierbei beispielsweise an Rekonstruktionen alter Gebäude und Werkzeuge. Die Tatsache, dass keine Originalgegenstände ausgestellt werden, kann für die Beurteilung der Wissenschaftlichkeit der Sammlung nicht ausschlaggebend sein. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang auch, dass seitens der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte für die Wissenschaftlichkeit ein bestimmter Qualitätsmaßstab sichergestellt sein 1 Vgl. zu den rechtlichen Grundlagen auch die Übersicht im Rahmen des Berichts der Enquete Kommission „Kultur in Deutschland“ des Deutschen Bundestages v. 11.12.2007, BT-Drs. 16/7000, S. 51 ff.. 2 Vgl. RFH v. 23.4.1937 – V-A-409/36, RStBl. 1937, 1306. 3 Vgl. Abschnitt 4.20.3. S. 2 UStAE. 4 Vgl. Heidner in Bunjes, UStG, 17. Aufl. 2018, § 4 Nr. 20 Rz. 11. 5 Vgl. FG BaWü v. 29.1.2014 – 14-K-3485/12, BeckRS 2014, 96020.

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D. Museen, Theater und andere kulturelle Einrichtungen | Rz. 9.171 Kap. 9

muss.1 Dies kann beispielsweise durch die wissenschaftliche Begleitung der Sammlung mittels entsprechend geschultem Personal dargestellt werden.2 Darüber hinaus werden unter dem Begriff der musealen Tätigkeiten auch typische Nebenleistungen wie beispielsweise der Verkauf von Katalogen, Museumsführern und das Aufbewahren der Garderobe subsumiert.3 Abzugrenzen von diesen originären musealen Tätigkeiten sind hinzutretende wirtschaftliche Aktivitäten wie beispielsweise Museumsshops und Cafés bzw. Restaurants. Diese zusätzlichen Aktivitäten dienen dabei im Regelfall nicht nur der Hebung der Attraktivität, sondern auch der Erwirtschaftung positiver Deckungsbeiträge zur Finanzierung der in der Regel defizitären originären kulturellen Tätigkeiten. Daher wird oftmals eine zusammenfassende Beurteilung der Tätigkeiten angestrebt. Begründet wird dies in vielen Fällen mit der organisatorischen und verwaltungsrechtlichen Verbundenheit der einzelnen Aktivitäten. Hierauf kommt es aus steuerlicher Sicht im Regelfall jedoch nicht an. Der Begriff des BgA ist vielmehr tätigkeitsbezogen auszulegen4, so dass die Zusammenfassung verschiedener Tätigkeiten grundsätzlich nur nach Maßgabe des § 4 Abs. 6 KStG möglich ist.

9.169

Daraus folgt, dass die Tätigkeiten im Rahmen des Museums selbst und begleitende Tätigkeiten in Form von Museumsshops und gastronomischen Betrieben im Regelfall als eigenständige, separat zu beurteilende Tätigkeiten einzuordnen sind.5 In der Literatur6 wird teilweise die Auffassung vertreten, dass auch eine Einordnung als einheitliche Tätigkeit denkbar wäre. Begründet wird dies damit, dass die betreffenden zusätzlichen Tätigkeiten nach Maßgabe der Besucher wohl insgesamt zum Bild der kulturellen Tätigkeit zu zählen sind und damit nach allgemeiner Verkehrsauffassung als Einheit anzusehen sei. Unter Berufung auf Abschnitt 4.1 Abs. 3 S. 3 KStR 2015, wonach verschiedene wirtschaftliche Tätigkeiten dann als Einheit zu betrachten sind, wenn dies der Verkehrsauffassung entspricht, wird damit eine zusammenfassende Beurteilung für möglich erachtet. Dies ist aber schon alleine vor dem Telos der Regelung des § 4 KStG zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen gegenüber privatwirtschaftlichen Unternehmen kritisch zu sehen. Sowohl im Hinblick auf die im Regelfall gegebene inhaltliche Abgrenzbarkeit der verschiedenen Tätigkeiten, als auch auf die grundsätzlich vorhandene Konkurrenzsituation gegenüber dem allgemeinen Handel und den gastronomischen Betrieben erscheint eine zusammenfassende Beurteilung zumindest fraglich.7

9.170

cc) Theater Theater im Sinne des § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG sind nach der Rechtsprechung Einrichtungen, die sich an eine unbestimmte Zahl von Zuschauern richten und die Aufgabe haben, der Öffentlichkeit Theaterstücke in künstlerischer Form nahezubringen.8 Daraus folgt, dass ein

1 2 3 4 5 6 7 8

Vgl. OVG Lüneburg v. 3.12.2008 – 2 LC 267/07, NJOZ 2009, 4372, Rz. 5 Buchst. b. Vgl. OVG Lüneburg v. 3.12.2008 – 2 LC 267/07, NJOZ 2009, 4372, Rz. 5 Buchst. b. Vgl. UStAE 4.20.3 Abs. 3 S. 2. Vgl. Gastl, Betriebe gewerblicher Art im Körperschaftsteuerrecht, Frankfurt/Main 2002, 14; Krämer in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, § 4 KStG, Tz. 27, Stand: 1.6.2020. So wohl auch OFD NRW, Arbeitshilfe Besteuerung von juristischen Personen des öffentlichen Rechts, S. 62, Stand: 15.3.2019. Vgl. Pithan in Hidien/Jürgens, Besteuerung der öffentlichen Hand, Köln, 2017, § 16 Rz. 745f. Dies kann auch aus der Regelung des AEAO zu § 68 Nr. 7 Abs. 3 abgeleitet werden, wonach der Verkauf von Speisen und Getränken und die Werbung bei kulturellen Veranstaltungen nicht als Zweckbetrieb begünstigt, sondern als gesonderte wirtschaftliche Geschäftsbetriebe zu werten sind. Vgl. BVerwG, Beschl. v. 31.7.2008 – 9 B 80/07, NJW 2009, 793; Abschnitt 4.20.1 Abs. 1 S. 1 UStAE.

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9.171

Kap. 9 Rz. 9.171 | Kommunalverwaltung

Theater in diesem Sinne dann anzunehmen ist, wenn Personen in irgendeiner Weise auf einer Bühne vor einem Publikum ein Stück zur Aufführung bringen.1 Dabei müssen ausreichend künstlerische und technische Kräfte sowie die notwendigen technischen Voraussetzungen gegeben sein, um die Durchführung eines Spielplans aus eigenen Kräften abbilden zu können.2

9.172

Auch hier ist eine ertragsteuerliche Einordnung nach den allgemeinen Vorgaben des § 4 KStG vorzunehmen. Wie bereits bei den Museen ist daher im Regelfall vom Vorliegen eines ertragsteuerlich relevanten BgA auszugehen.

9.173

Von der originären Theaterleistung zu differenzieren sind jedoch die begleitenden Aktivitäten, wie beispielsweise die Abgabe von Speisen und Getränken. Im Hinblick auf die tätigkeitsbezogene Abgrenzung von einzelnen BgA sind hier regelmäßig separat zu beurteilende Tätigkeiten anzunehmen. Dies entspricht grundsätzlich auch der im Rahmen des Umsatzsteuerrechts vorzunehmenden Differenzierung.3 Inwieweit dies auch bei einer unmittelbaren Verknüpfung von künstlerischen und gastronomischen Angeboten, beispielsweise bei einer „Dinner-Show“ gilt, ist umstritten. Zumindest aus Sicht der Umsatzsteuer kann eine einheitliche Leistung anzunehmen sein.4 So rechtfertigt allein der Umstand, dass beide Bestandteile im Wirtschaftsleben auch getrennt erbracht werden dann keine Aufspaltung der Leistung, wenn es dem durchschnittlichen Besucher der „Dinner-Show“ gerade um die Verbindung beider Elemente geht, wenn also der Charakter der Leistung wesentlich durch die Mischung aus Unterhaltung und guten Essen verbunden mit dem entsprechenden Ambiente bestimmt wird.5

2. Kulturelle Tätigkeiten als Dauerverlustbetriebe i.S.d. § 8 Abs. 7 KStG 9.174

Im Regelfall werden von der öffentlichen Hand durchgeführte kulturelle Tätigkeiten nicht kostendeckend und somit defizitär betrieben. Dies entspricht dem grundsätzlichen Selbstverständnis, dass Kultur als ein gesellschaftliches Element der Daseinsvorsorge angesehen wird.

9.175

Nach dem Urteil des BFH vom v. 22.8.20076, bei dem der entscheidende Senat bei einer dauerdefizitären Tätigkeit das Vorliegen einer verdeckten Gewinnausschüttung angenommen hatte, reagierte der Gesetzgeber durch die Einführung des § 8 Abs. 7 KStG, der unter bestimmten Voraussetzungen bei abschließend aufgeführten Tätigkeiten die Annahme einer verdeckten Gewinnausschüttung explizit ausschließt.

9.176

So liegt nach § 8 Abs. 7 S. 2 KStG ein begünstigtes Dauerverlustgeschäft unter anderem dann vor, wenn eine wirtschaftliche Tätigkeit aus kulturpolitischen Gründen ohne kostendeckendes Entgelt unterhalten wird. Nach Auffassung der Finanzverwaltung7 fallen hierunter folgende kulturellen Einrichtungen: Bibliotheken, Zoologische Gärten, Museen, kulturelle Ausstellungen, Kinos, Opern, Theater, Bühnen, Orchester. Die seitens der Finanzverwaltung vorgenommene beispielhafte Aufzählung der für die Anwendung des § 8 Abs. 7 KStG in Frage kommenden Einrichtungen weicht dabei von den nach § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG begünstigten Einrichtungen insoweit ab, als dass diese weiter gefasst ist.8 So sind hier insbesondere auch Kinos als 1 2 3 4 5 6 7 8

Vgl. BFH v. 4.5.2011 – XI R 44/08, BStBl. II 14, 200. BFH v. 14.11.1968 – V 217/64, BStBl. II 1969, 274. Vgl. Oelmeier in Sölch/Ringleb, UStG, § 4 Nr. 20 Rz. 12, Stand Juni 2020 m.w.N. Vgl. Oelmeier in Sölch/Ringleb, UStG, § 4 Nr. 20 Rz. 12, Stand Juni 2020. Vgl. BFH v. 10.1.2013 – V R 31/10, BStBl. II 2013, 352; vgl. UStAE 4.20.1 Abs. 3 S. 6. Vgl. BFH v. 22.8.2007 – I R 32/06, BStBl. II 2007, 961. Vgl. BMF v. 12.11.2009 – IV C 7 – S-2706/08/10004, BStBl. I 2009, 1303 Rz. 44. Vgl. Pithan in Hidien/Jürgens, Besteuerung der öffentlichen Hand, Köln, 2017, § 16 Rz. 748.

614 | Gastl

D. Museen, Theater und andere kulturelle Einrichtungen | Rz. 9.182 Kap. 9

unter die Regelung des § 8 Abs. 7 KStG fallend anzusehen, während dies nach § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG nicht der Fall ist. Denkbar erscheint dabei auch eine Einbeziehung von Museumsshops, soweit diese im Wesentlichen ihr Angebot in Bezug auf die jeweiligen musealen Inhalte beziehen und insoweit der Verbreitung der kulturellen Grundlagen (bspw. in Form von Katalogen, Postkarten, Repliken, etc.) unmittelbar dienen. Soweit die kulturellen Tätigkeiten der öffentlichen Hand folglich dauerdefizitär betrieben werden, ergibt sich gleichwohl ertragsteuerlich keine Konsequenz, da weder im Bereich der Körperschaftsteuer bzw. der Gewerbesteuer noch im Bereich der Kapitalertragsteuer nach § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG eine relevante Bemessungsgrundlage zu verzeichnen sein wird. Vor diesem Hintergrund empfiehl es sich in der Praxis eine Abstimmung mit der Finanzverwaltung herbeizuführen, ob unter Verweis auf Abschnitt R 24 Abs. 2 KStR 2015 eine Nichtveranlagung aus verwaltungsökonomischen Gründen in Frage kommt.

9.177

3. Steuerbefreiter kultureller BgA als Zweckbetrieb Da kulturelle Tätigkeiten, die eine juristische Person des öffentlichen Rechts nachhaltig zur Erzielung von Einnahmen durchführt im Regelfall als BgA zu werten sind, ist in einem weiteren Schritt grundsätzlich die Anwendbarkeit der Steuerbefreiung als gemeinnützige Körperschaft nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG i.V.m. §§ 51 ff. AO zu prüfen.

9.178

Begünstigt wird im Rahmen des § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG grundsätzlich die Verfolgung gemeinnütziger (§ 52 AO), mildtätiger (§ 53 AO) und kirchlicher (§ 54 AO) Zwecke. Nach § 52 Abs. 1 AO verfolgt eine Körperschaft dann gemeinnützige Zwecke, wenn ihre Tätigkeit darauf gerichtet ist, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern. Welche Tätigkeiten dem Grundsatz der Förderung der Allgemeinheit insbesondere entsprechen, hat der Gesetzgeber mittels einer exemplarischen Aufzählung in § 52 Abs. 2 AO dargelegt. Hierunter fällt nach § 52 Abs. 2 Nr. 5 AO auch die Förderung von Kunst und Kultur.

9.179

Dabei sind die in den §§ 52–57 AO geregelten materiellen Voraussetzungen für die Gewährung der Steuerbefreiung zu beachten, die in einer Satzung manifestiert sein müssen (vgl. § 59 AO). Für Betriebe gewerblicher Art ist nach allgemein herrschender Auffassung das Satzungserfordernis beim einzelnen Betrieb gewerblicher Art zu erfüllen.1 Dies gilt dabei auch für die BgA`s, die in Form von sogenannten Regiebetrieben geführt werden.2

9.180

Da es sich bei im Rahmen von Betrieben gewerblicher Art erfassten Tätigkeiten grundsätzlich um wirtschaftliche Tätigkeiten handelt, die aus gemeinnützigkeitsrechtlicher Sicht als wirtschaftliche Geschäftsbetriebe nach § 64 Abs. 1 AO von der Steuerbegünstigung grundsätzlich auszuschließen sind, ist eine Begünstigung nur dann denkbar, wenn ein sogenannter Zweckbetrieb vorliegt. Neben der Allgemeindefinition des Zweckbetriebs in § 65 AO sind in den §§ 66–68 AO einzelne Tätigkeiten explizit als Zweckbetriebstätigkeiten definiert worden.

9.181

Für den Kulturbereich entfaltet dabei die Regelung des § 68 Nr. 7 AO besondere Bedeutung. Hiernach sind Zweckbetriebe auch kulturelle Einrichtungen, wie Museen, Theater und kulturelle Veranstaltungen, wie Konzerte, Kunstausstellungen. Die kulturellen Einrichtungen bzw. Veranstaltungen müssen grundsätzlich den unmittelbaren Zweck der Förderung von Kunst und Kultur verfolgen. Daher muss die Förderung von Kunst und Kultur zwingend in der Satzung vorgesehen sein.3

9.182

1 Vgl. AEAO Nr. 2 zu § 59, Schauhoff, Hdb. der Gemeinnützigkeit, 3. Aufl. § 5 Rz. 16. 2 Vgl. Pithan in Hidien/Jürgens, Besteuerung der öffentlichen Hand, Köln, 2017, § 16 Rz. 755. 3 AEAO Nr. 13 zu § 68 Nr. 7.

Gastl | 615

Kap. 9 Rz. 9.183 | Kommunalverwaltung

9.183

Die im Rahmen des begünstigten Zweckbetriebs zu erfassenden Einnahmen betreffen insbesondere Eintrittsgelder, Teilnehmergebühren, Erlöse aus Festschriften und Programmen.1 Explizit ausgenommen ist allerdings der Verkauf von Speisen und Getränken.2 Dabei handelt es sich jedoch nur um eine Klarstellung. Abzugrenzen sind zudem Werbeleistungen. Auch diese sind nicht dem steuerbegünstigten Zweckbetriebsbereich zuzurechnen, sondern gesondert im Rahmen eines ertragsteuerlich relevanten wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs zu erfassen.3 Auch hier ist dahingehend zu differenzieren, ob tatsächlich eine steuerlich relevante Werbeleistung oder eine aus Sicht der Finanzverwaltung ertragsteuerlich unbeachtliche Sponsoringleistung vorliegt. Von einer solchen ist insbesondere dann auszugehen, wenn der Sponsor hinsichtlich seiner Unterstützung nur ohne besondere Hervorhebung genannt wird und im Übrigen keine weiteren Leistungen zur Unterstützung der Werbebotschaft des Sponsors erbracht werden.4

III. Umsatzsteuerliche Einordnung 1. Steuerbarkeit nach § 2 Abs. 3 UStG a.F. bzw. § 2b UStG 9.184

Nach der ursprünglich bis zur Einführung der Regelung des § 2b UStG geltenden Rechtslage war gem. § 2 Abs. 3 UStG a.F. von einer Tätigkeit im Rahmen des umsatzsteuerlich relevanten Unternehmensbereichs dann auszugehen, wenn diese im Rahmen eines BgA i.S.d. § 4 KStG ausgeübt wird. Hiervon ist – wie bereits vorstehend beschrieben – im Regelfall auszugehen. Dabei kann allenfalls die aus Sicht der Finanzverwaltung zu beachtende Nichtaufgriffsgrenze nach R 4.1 Abs. 5 S. 4 KStR 2015 nach der bisherigen Rechtslage die Annahme eines BgA und damit eine umsatzsteuerliche Berücksichtigung verhindern.

9.185

Nach der Streichung des § 2 Abs. 3 UStG und der Einführung des § 2b UStG dürften sich insoweit keine wesentlichen Änderungen hinsichtlich der umsatzsteuerlichen Handhabung kultureller Einrichtungen von juristischen Personen des öffentlichen Rechts ergeben. Unabhängig davon, ob tatsächlich ein BgA im körperschaftsteuerlichen Sinn vorliegt, ist nunmehr grundsätzlich auf die allgemeinen Regelungen zur Annahme einer Unternehmereigenschaft nach § 2 Abs. 1 UStG abzustellen. Diese dürften durch die Aktivitäten im Bereich der Museen und Theater im Regelfall erfüllt sein, so dass grundsätzlich von Aktivitäten im umsatzsteuerlichen Unternehmensbereich auszugehen ist. Die Regelung des § 2b UStG dient dabei im Wesentlichen der Umsetzung europäischen Rechts, um bei tatsächlich hoheitlichen Tätigkeiten eine umsatzsteuerliche Erfassung zu vermeiden. Dabei dürfte grundsätzlich auch keine Rolle spielen, ob die Eintrittsgelder beispielsweise bei einem Museum durch eine Satzung festgelegt werden. Eine Tätigkeit, die eine juristische Person des öffentlichen Rechts in Ausübung der ihr obliegenden öffentlichen Gewalt durchführt, kann nach § 2b Abs. 1 UStG von der Umsatzbesteuerung ausgenommen werden, sofern hieraus nicht größere Wettbewerbsverzerrungen resultieren. Dabei setzt die Annahme einer entsprechenden Tätigkeit im Rahmen der öffentlichen Gewalt grundsätzlich das Vorliegen einer öffentlich-rechtlichen Sonderregelung wie sie sich beispielsweise aus einem Gesetz, einer Rechtsverordnung, einer Satzung, aus Staatsverträgen, verfassungsrechtlichen Verträgen, Verwaltungsabkommen, Verwaltungsvereinbarungen

1 2 3 4

Vgl. Buchna/Leichinger/Seeger/Brox, Gemeinnützigkeit im Steuerrecht11, 400. Vgl. hierzu auch BFH v. 21.8.1985 – R 3/82, BStBl. II 1986, 92; AEAO Nr. 14 zu § 68 Nr. 7. Vgl. Schauhoff, Hdb. der Gemeinnützigkeit, 3. Aufl. § 7 Rz. 102. Vgl. BMF v. 18.2.1998 – 40/98/IV B 7 – S-0183 – 62/98, BStBl. I 1998, 212. Zu den Abgrenzungskriterien im Detail vgl. Buchna/Leichinger/Seeger/Brox, Gemeinnützigkeit im Steuerrecht11, 291 ff.

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D. Museen, Theater und andere kulturelle Einrichtungen | Rz. 9.189 Kap. 9

oder öffentlich-rechtlichen Verträgen ergeben können voraus.1 Dies dürfte bei den kulturellen Aktivitäten juristischer Personen der öffentlichen Hand im Regelfall nicht der Fall sein. Die Ausgestaltung der Entgelterhebung in Form einer Satzung spielt nachfolgend für die Frage der umsatzsteuerlichen Einordnung aber keine Rolle, so dass auch in diesem Fall eine umsatzsteuerlich Relevante Tätigkeit anzunehmen ist. Vor diesem Hintergrund ist bei den kulturellen Aktivitäten der öffentlichen Hand sowohl nach der bisherigen, als auch nach der neuen Rechtslage von einer umsatzsteuerlichen Erheblichkeit auszugehen. Es ist daher zunächst nach den allgemeinen Grundsätzen zu prüfen, inwieweit durch die Erzielung von Entgelten ein Leistungsaustauschverhältnis begründet wird.

9.186

Dabei spielen gerade bei kulturellen Einrichtungen Zuschüsse und Spenden eine nicht unerhebliche Rolle. Spenden sind dabei, soweit sie nicht tatsächlich in unmittelbarem Zusammenhang mit einer Gegenleistung stehen sollten, umsatzsteuerlich unbeachtlich, da insoweit kein Leistungsaustauschverhältnis begründet wird.2 Hinsichtlich der Zuschüsse ist zu differenzieren, inwieweit es sich um echte oder unechte Zuschüsse handelt.3 Soweit ein echter Zuschuss vorliegt, ist dieser ebenfalls umsatzsteuerlich unerheblich.

9.187

2. Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG a) Allgemeiner Anwendungsbereich Soweit grundsätzlich von einem steuerbaren Leistungsaustausch im Zusammenhang mit den im Rahmen der kulturellen Einrichtungen erzielten Entgelte auszugehen ist, ist in einem nächsten Schritt zu prüfen, ob eine Befreiungsnorm greift. Bei kulturellen Aktivitäten kommt der Befreiungsnorm des § 4 Nr. 20 UStG eine wesentliche Bedeutung zu. Hiernach sind zunächst insbesondere die Umsätze folgender Einrichtungen des Bundes, der Länder, der Gemeinden oder der Gemeindeverbände umsatzsteuerfrei: Theater, Orchester, Kammermusikensembles, Chöre, Museen, botanische Gärten, zoologische Gärten, Tierparks, Archive, Büchereien sowie Denkmäler der Bau- und Gartenbaukunst.4 Daneben sind auch die Umsätze gleichartiger Einrichtungen anderer Unternehmer befreit, wenn die zuständige Landesbehörde bescheinigt, dass sie die gleichen kulturellen Aufgaben wie die in Satz 1 bezeichneten Einrichtungen erfüllen.5

9.188

b) Abgrenzung der betroffenen Einrichtungen und Umfang der Steuerbefreiung aa) Sachlicher Anwendungsbereich Die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG bezieht sich unmittelbar auf Tätigkeiten, die durch den Bund, die Länder oder Gemeinden bzw. Gemeindeverbände durchgeführt werden. Dies gilt jedoch grundsätzlich nur, soweit diese mit den betreffenden Tätigkeiten tatsächlich unternehmerisch im Sinne des Umsatzsteuergesetzes agieren. Hinsichtlich der inhaltlichen Abgrenzung der betroffenen Einrichtungen kann auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen werden. 1 Vgl. BMF v. 16.12.2016 – III C 2 - S 7107/16/10001, BStBl. I 2016, Tz. 7 ff.; BFH v. 10.2.2016 – XI R 26/13, BStBl. II 2017, 587. 2 Oelmaier in Sölch/Ringleb, UStG, § 1 Buchst. „S“, Stand: Juni 2020. 3 Vgl. hierzu auch Renz/Pfefferle, NWB 2016, 1961 ff. 4 § 4 Nr. 20 Buchst. a S. 1 UStG. 5 § 4 Nr. 20 Buchst. a S. 2 UStG.

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9.189

Kap. 9 Rz. 9.190 | Kommunalverwaltung

9.190

Eine Abgrenzung erfährt die Anwendbarkeit der Befreiungsnorm dahingehend, dass nur kulturelle Dienstleistungen und eng damit verbundene Lieferungen von Gegenständen befreit werden.1 So dürfen diese Umsätze nach Art. 134 Buchst. b MwStSystRL nicht dazu bestimmt sein, der Einrichtung zusätzliche Einnahmen durch Leistungen zu verschaffen, die in unmittelbarem Wettbewerb mit Tätigkeiten von der Mehrwertsteuer unterliegenden gewerblichen Unternehmern durchgeführt werden. Daher sind nur die typischen Leistungen der bezeichneten Einrichtungen einschließlich der üblicherweise damit verbundenen Nebenleistungen befreit.2 bb) Museen

9.191

Steuerfrei sind insbesondere die Leistungen der Museen, für die als Entgelte Eintrittsgelder erhoben werden, und zwar auch insoweit, als es sich um Sonderausstellungen, Führungen und Vorträge handelt.3 Hierunter fallen m.E. auch die Umsätze aus museumspädagogische Veranstaltungen, die sich auf das jeweilige Museum bzw. die Sehenswürdigkeit beziehen. Zu denken ist hierbei beispielsweise an Erfahrungsworkshops über das Leben im Mittelalter und sonstige Veranstaltungen zur Illustration der Lebensweise in bestimmten zeitlichen oder kulturellen Epochen. Weitere typische Museumsleistungen sind das Dulden der Anfertigung von Reproduktionen, Abgüssen und Nachbildungen sowie die Restaurierung und Pflege von Kunstwerken in Privatbesitz, die von den Museen im Interesse der Erhaltung dieser Werke für die Allgemeinheit vorgenommen werden.4

9.192

Gerade die vorstehend angeführten Restaurationsleistungen hinsichtlich Kunstwerken in Privatbesitz ist dabei vor dem Hintergrund der europarechtlichen Vorgaben des Art. 134 Buchst. b MwStSystRL und dem hierin verankerten Grundsatz der Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen im Verhältnis zu privatwirtschaftlichen Anbietern kritisch zu sehen.5 Hier wird seitens der Finanzverwaltung der Fokus auf die hoheitliche Aufgabe des Erhalts von Kulturgütern für die Allgemeinheit gelegt. Dies erscheint mit dem Telos der Befreiungsnorm grundsätzlich vereinbar. Allerdings ist in diesem Zusammenhang auch darauf zu achten, dass die Restaurationswerkstatt tatsächlich als Teil des Museums selbst einzuordnen ist.6 Dies wird insbesondere dann der Fall sein, wenn die Restaurationsleistungen im Wesentlichen im Rahmen des eigenen Bestands des Museums erbracht werden und sich höchstens in Ausnahmefällen auch an Dritte (unter den vorstehend genannten Vorgaben des Grundgedankens des Erhalts von Kunstwerken für die Allgemeinheit) richtet. Andernfalls könnte eine separat als eigenständiger BgA zu beurteilende Tätigkeit vorliegen, die einer Anwendung der Befreiungsnorm des § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG mangels originärer kultureller Tätigkeit nicht zugänglich wäre.

9.193

Darüber hinaus ist auch der Verkauf von Kunstpostkarten, Bildbänden, Abdrucken, Fotografien, Dias, Plakaten, Klischees, Reproduktionen, Abgüssen, Nachbildungen, Farbdrucken und Bildbänden als typische Museumsleistungen nach § 4 Nr. 20 Buchst. a) UStG von der Umsatzsteuer befreit, wenn es sich um Darstellungen des betreffenden Museums handelt, die Gegenstände durch das Museum selbst hergestellt werden bzw. die Herstellung von diesem beauftragt wurde und die Gegenstände nur in dem betreffenden Museum vertrieben wer1 Vgl. BFH v. 18.6.2009 – V R 4/08, BStBl. II 2010, 310. 2 Vgl. BFH v. 14.5.1998 – V R 85/97, BStBl. II 1999, 145; BFH v. 18.8.2005 – V R 20/03 – BStBl. II 2005, 910; Oelmeier in Sölch/Ringleb, UStG, § 4 Nr. 20 Rz. 10, Stand Juni 2020. 3 Abschnitt 4.20.3 Abs. 3 S. 1 UStAE. 4 Abschnitt 4.20.3 Abs. 3 S. 3 UStAE. 5 So auch Oelmeier in Sölch/Ringleb, UStG, § 4 Nr. 20 Rz. 18, Stand Juni 2020. 6 Vgl. Pithan in Hidien/Jürgens, Besteuerung der öffentlichen Hand, Köln, 2017, § 16 Rz. 784 f.

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D. Museen, Theater und andere kulturelle Einrichtungen | Rz. 9.196 Kap. 9

den.1 Dies trifft insbesondere auf den Verkauf von Museumsführern, Dokumentationen zu Ausstellungen und Sammlungen sowie Kataloge zu. Darunter fallen meines Ermessens jedoch auch Souvenirartikel, die einen Bezug zu dem betreffenden Museum bzw. der Sehenswürdigkeit haben und ebenfalls nur in dem betreffenden Museum veräußert werden. Zu achten ist hier insbesondere darauf, dass tatsächlich ein ausschließlich exklusiver Verkauf durch das Museum sichergestellt sein muss. Wird also beispielsweise zugleich einem Verlag der Vertrieb von Büchern oder Museumsführern zum Verkauf im allgemeinen Handel ermöglicht, so führt dies zur Versagung der Steuerbefreiung zumindest im Hinblick auf die betreffenden Artikel. Die Veräußerung von Museumsobjekten sowie von Altmaterial ist dagegen von der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 20 UStG ausgeschlossen.2 Es kann jedoch die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 28 UStG in Betracht kommen.3 Hiernach werden Umsätze aus der Veräußerung von Gegenständen umsatzsteuerfrei gestellt für die der Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1a UStG ausgeschlossen ist oder die ausschließlich für eine nach § 4 Nr. 8 bis 27 UStG steuerfreie Tätigkeit verwendet wurden. Entsprechend können hierunter Grundsätzlich auch Umsätze aus der Veräußerung von Museumsobjekten subsumiert werden, sofern diese ausschließlich und während des gesamten Verwendungszeitraums für nach § 4 Nr. 20 UStG steuerbefreite Zwecke verwendet wurden.

9.194

Problematisch ist die Einordnung gegebenenfalls jedoch bei Freilichtmuseen, die zur Illustration der typischen Lebensweise in der betreffenden Epoche entsprechende Tiere halten (beispielsweise besondere Rinder- und Schweinerassen) und diese teilweise auch verkaufen ohne dass dies einen nachhaltiger Aspekt der Tierhaltung darstellt.4 Die Tiere können grundsätzlich als Bestandteil des musealen Konzepts und damit der wissenschaftlichen Sammlung eingeordnet werden, wenn Sie im Hinblick auf ihre besonderen Eigenschaften zur Vervollständigung des zu vermittelnden Gesamteindrucks angeschafft und damit bilanziell gesehen als Anlagevermögen einzuordnen sind. Daneben könnte auch auf die Einordnung von Tierparks und Zoologischen Gärten als unter die Regelung des § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG fallende Einrichtungen zurückgegriffen werden. Subsumiert man den Teilbereich der Tierhaltung hierunter, so ist nach Abschnitt 4.20.4 Abs. 2 Nr. 6 UStAE ein Verkauf von Tieren ebenfalls nach § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG befreit, wenn der Verkauf den Aufgaben des zoologischen Gartens oder Tierparks dient oder mit dem Betrieb dieser Einrichtung zwangsläufig verbunden ist. Dies gilt beispielsweise für den Verkauf zum Zweck der Zurschaustellung in einem anderen zoologischen Garten oder Tierpark, den Verkauf zum Zweck der Zucht oder den Verkauf zum Zweck der Verjüngung des Tierbestandes.5 Vor diesem Hintergrund lässt sich auch in dem Sonderfall der Einbeziehung von Tieren im Regelfall eine Umsatzsteuerbefreiung der Veräußerung erreichen, sofern tatsächlich keine nachhaltige, alleine auf die Aufzucht und nachfolgende Veräußerung ausgerichtete Tätigkeit vorliegt und im Übrigen die vorstehend genannten Kriterien erfüllt werden.

9.195

cc) Theater Steuerfrei nach § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG sind auch die Leistungen von Theatern die sich dadurch charakterisieren, dass sie sich in der Regel an eine unbestimmte Zahl von Zuschauern 1 2 3 4

Vgl. Abschnitt 4.20.3 Abs. 3 S. 3 UStAE. Vgl. Abschnitt 4.20.3 Abs. 3 S. 6 UStAE. Vgl. Abschnitt 4.28.1 UStAE. Vgl. hierzu auch Pithan in Hidien/Jürgens, Besteuerung der öffentlichen Hand, Köln, 2017, § 16 Rz. 793. 5 Abschnitt 4.20.4 Abs. 2 S. 2 Nr. 6 UStAE.

Gastl | 619

9.196

Kap. 9 Rz. 9.196 | Kommunalverwaltung

richten und die Aufgabe haben, der Öffentlichkeit Theaterstücke in künstlerischer Form nahezubringen.1 Zur allgemeinen Abgrenzung siehe auch die vorstehenden Ausführungen im Rahmen der ertragsteuerlichen Einordnung. Die Befreiung umfasst dabei insbesondere die Eintrittsgelder, aber auch die damit üblicherweise verbundenen Nebenleistungen. Zu den begünstigten Nebenleistungen gehören dabei insbesondere die Aufbewahrung der Garderobe, der Verkauf von Programmen und die Vermietung von Operngläsern.2 Abzugrenzen davon ist jedoch die Abgabe von Speisen und Getränken, die nicht unter die Befreiungsnorm zu subsumieren ist.3

9.197

Eine besondere Beurteilung kann allerdings beispielsweise bei einer sog. „Dinner-Show“ vorzunehmen sein. Hier hat die Rechtsprechung4 ausgearbeitet, dass es sich im Hinblick auf die Theaterdarbietung einerseits und die gastronomische Leistung andererseits grundsätzlich um selbständig zu beurteilende Leistungen handelt. Allerdings ist in diesem speziellen Fall nach Ansicht des entscheidenden Senats von einer komplexen Leistung auszugehen, bei der der Unternehmer dem Leistungsempfänger mehrere Leistungen oder Lieferungen vornimmt, die so eng miteinander verbunden sind, dass sie objektiv eine einzige untrennbare wirtschaftliche Einheit bilden und deren wirtschaftliche Aufteilung wirklichkeitsfremd wäre.5 Wenn es dem durchschnittlichen Besucher der „Dinner-Show“ also gerade um die Verbindung beider Elemente, d.h. wenn der Charakter der Leistung wesentlich durch die Mischung aus Unterhaltung und guten Essen verbunden mit dem entsprechenden Ambiente bestimmt wird, dann kann insoweit von einer aus umsatzsteuerlicher Sicht einheitlich zu beurteilenden Leistung ausgegangen werden, die nachfolgend insgesamt mit dem Regelsteuersatz zu belegen ist.6

9.198

Daneben stellt sich auch bei Theatern die Frage der Einordnung des Verkaufs von Objekten aus dem Theaterfundus. Eine eindeutige Regelung hierzu, wie dies im Bereich der Museen7 der Fall ist, existiert diesbezüglich nicht. Eine Subsumption unter die Befreiungsnorm des § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG erscheint nicht möglich, da die Veräußerung von Gegenständen des Fundus wohl nicht zu den üblicherweise mit der Aufführung von Theaterstücken einhergehende Nebenleistung zu rechnen sein dürfte. Gleichwohl könnte auch hier die Regelung des § 4 Nr. 28 UStG zur Anwendung gelangen. Insoweit kann auf die vorstehenden Ausführungen im Bereich der Museen verwiesen werden. c) Problematik der Einordnung von Leistungsbündeln

9.199

In der Praxis werden insbesondere im Bereich der Museen und/oder Theatern oftmals Leistungsbündel angeboten. Dies können beispielsweise Führungen durch Museen im Zusammenhang mit gastronomischen Leistungen oder inkludierte Fahrausweise zur Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln bei Veranstaltungen sein. 1 BVerwG v. 31.7.2008 – 9 B 80/07, NJW 2009, 793; BFH v. 4.5.2011 – XI R 44/08, BStBl. II 2014, 200; BFH v. 19.10.2011 – XI R 40/09, BFH/NV 2012, 798, Abschnitt 4.20.1 Abs. 1 UStAE. 2 Vgl. Abschnitt 4.20.1 Abs. 3 S. 3 UStAE. 3 Vgl. BFH v. 14.5.1998 – V R 85/97, BStBl. II 1999, 145; BFH v. 21.4.2005 – V R 6/03, BStBl. II 2005, 899; BFH v. 18.8.2005 – V R 20/03, BStBl. II 2005, 910; Abschnitt 4.20.1 Abs. 3 S. 4 UStAE. 4 Vgl. BFH v. 10.1.2013 – V R 31/10, BStBl. II 2013, 352. 5 Vgl. BFH v. 10.1.2013 – V R 31/10, BStBl. II 2013, 352, Tz. 36; Baldauf, DStZ 2018, 271 (276) m.w.N. 6 Vgl. Oelmeier in Sölch/Ringleb, UStG, § 4 Nr. 20, Rz. 11, Stand Juni 2020; BFH v. 10.1.2013 – V R 31/10, BStBl. II 2013, 352; Abschnitt 4.20.1 Abs. 3 S. 6 UStAE. 7 Vgl. Abschnitt 4.20.3 Abs. 3 S. 6 UStAE.

620 | Gastl

D. Museen, Theater und andere kulturelle Einrichtungen | Rz. 9.201 Kap. 9

Dabei ist die vorzunehmende Abgrenzung nicht nur im Hinblick auf die Frage der Einordnung als steuerfreie Leistung, sondern gegebenenfalls auch im Hinblick auf die Anwendung unterschiedlicher Steuersätze relevant. In der Regel ist jede Lieferung und jede sonstige Leistung als eigene selbständige Leistung zu betrachten.1 Vor diesem Hintergrund ist alleine die Tatsache, dass verschiedene Lieferungen oder Leistungen einem einheitlichen Ziel dienen nicht zwingend als eine einheitliche Lieferung oder Leistung zu beurteilen. Für die weitere Beurteilung ist daher zu klären, wann noch von unbeachtlichen Nebenleistungen oder von selbständig zu beurteilenden Leistungselementen auszugehen ist, wenn bei kulturellen Veranstaltungen verschiedene Dienstleistungen kombiniert werden. Dabei ist darauf abzustellen, dass eine Nebenleistung regelmäßig dann vorliegt, wenn diese für den Leistungsempfänger keinen eigenen Zweck hat, sondern das Mittel darstellt, um die Hauptleistung unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen.2 Insoweit darf es aber nicht zu einer künstlichen Aufspaltung von Leistungen kommen.3 Daher kann sich eine einheitliche Leistung auch daraus ergeben, dass zwei oder mehrere Handlungen oder Einzelleistungen des Steuerpflichtigen für den Kunden so eng miteinander verbunden sind, dass sie objektiv einen einzigen untrennbaren wirtschaftlichen Vorgang bilden, dessen Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre.4

9.200

Wird beispielsweise eine Museumsführung mit anschließendem Brunch in den Ausstellungsräumen angeboten, so ist nach den vorstehenden Kriterien zu klären, inwieweit hier gegebenenfalls zwei Leistungen einerseits in Form der Führung und andererseits in Form des gastronomischen Angebots anzunehmen und nachfolgend umsatzsteuerlich zu würdigen sind. Aus Sicht eines Durchschnittsverbrauchers ist in diesem Fall wohl davon auszugehen, dass tatsächlich zwei separat zu beurteilende Leistungen vorliegen. Die gastronomische Leistung in Form des Brunchs dient nicht zwingend dazu, die gegebenenfalls als Hauptleistung einzuordnende Museumsführung unter optimalen Bedingungen nutzen zu können. Vielmehr wäre die Führung sicherlich auch ohne die gastronomische Leistung nutzbar. Umgekehrt verhält es sich genauso. Auch die gastronomische Leistung ist von der Führung an sich unabhängig und wird durch diese zwar gegebenenfalls bereichert im Kern jedoch nicht beeinflusst. Daher wäre bei diesem Beispiel eine jeweils gesonderte Beurteilung der beiden in einem Gesamtpaket angebotenen Leistungen vorzunehmen. Während die Museumsführung unter den Voraussetzungen des § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG als steuerfrei zu werten ist, unterliegt die gastronomische Leistung aufgrund des Verzehrs vor Ort dem Regelsteuersatz. Problematisch gestaltet sich in diesen Fällen oftmals die Ermittlung der jeweiligen Bemessungsgrundlage. Die Rechtsprechung hat hierzu entschieden, dass die Aufteilung möglichst nach der einfachsten Methode vorgenommen werden sollte.5 Sofern die beiden Leistungen auch als Einzelleistungen angeboten werden, kann insoweit auf die hierfür festgesetzten Einzelpreise Bezug genommen werden.6 Soweit die Einzelpreise in Summe höher sind als der kombinierte Preis, bietet sich eine prozentuale Aufteilung an. Daneben ist gegebenenfalls auch eine Aufteilung im Hinblick auf das Verhältnis des Wareneinsatzes denkbar, sofern dies zu einem sachgerechten Ergebnis führt.7

9.201

1 Vgl. Abschnitt 3.10 Abs. 2 S. 1 UStAE; EuGH v. 25.2.1999 – C-349/96 – CPP und BFH v. 14.2.2019 – V R 22/17, BStBl. II, 350. 2 Vgl. BFH v. 18.8.2005 – V R 20/03, BStBl. II 2005, 910 m.w.N. 3 Vgl. BFH v. 2.8.2018 – V R 6/16, BStBl. II 2019, 293. 4 Vgl. BFH v. 10.1.2013 – V R 31/10, BStBl. II 2013, 352, unter II.1.a; zur steuerlichen Einordnung von Leistungsbündeln vgl. auch Baldauf, DStZ 2018, 270; von Streit, UStB 2018, 106. 5 Vgl. BFH v. 3.4.2013 – V B 125/12, BStBl. II 2013, 973. 6 Vgl. Baldauf, DStZ 2018, 271 (279). 7 Vgl. Abschnitt 10.1 Abs. 11 S. 5 UStAE.

Gastl | 621

Kap. 9 Rz. 9.202 | Kommunalverwaltung

9.202

Gegebenenfalls anders zu beurteilen wäre aber wohl das Angebot einer Führung durch ein historisches Gebäude, die mit einem Glas Sekt auf der Aussichtsterrasse endet. Aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers liegt in diesem Fall der Fokus wohl im Wesentlichen auf der Führung. Das Glas Sekt wird insoweit von untergeordneter Bedeutung sein. Auch wenn das Glas Sekt wahrscheinlich nicht zwingend notwendig erscheint, um die Führung unter den bestmöglichen Bedingungen nutzen zu können, ist in diesem Fall wohl davon auszugehen, dass die Führung und das abschließende Glas Sekt so eng miteinander verbunden sind, dass sie objektiv einen einzigen untrennbaren wirtschaftlichen Vorgang bilden, dessen Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre. Somit kann hier eine einheitliche, durch die Führung geprägte sonstige Leistung angenommen werden, die nach Maßgabe des § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG insgesamt als umsatzsteuerfrei einzuordnen ist.

9.203

Wird hingegen bei einer Theaterveranstaltung mit dem Erwerb der Eintrittsberechtigung auch die Möglichkeit der Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs erlangt, so ist auch in diesem Fall aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers die Frage zu beurteilen, inwieweit hier gegebenenfalls zwei separat zu beurteilende Dienstleistungen vorliegen. Nach Auffassung der Finanzverwaltung ist diesbezüglich zumindest bei Großveranstaltungen und (mehrtätigen) Festivals von separat zu beurteilenden Dienstleistungen auszugehen.1 Dabei ist es grundsätzlich unerheblich, ob die Beförderungsleistung seitens der Teilnehmer auch tatsächlich in Anspruch genommen werden. Hinsichtlich des auf den Beförderungsanteil entfallenden Ticketpreises ist dahingehend zu differenzieren, ob die Beförderungsleistung durch den Veranstalter selbst an den Teilnehmer erbracht wird oder ob eine unmittelbare Leistungsbeziehung zwischen dem Beförderungsunternehmer und dem Teilnehmer entsteht. Maßgeblich hierbei sind die jeweils zugrundeliegenden vertraglichen Regelungen.

9.204

Der Fahrgast kann nur dann als Leistungsempfänger angesehen werden, wenn der Veranstalter einen anhand der verkauften Tickets ermittelten Betrag an das Verkehrsunternehmen zu zahlen hat und der anteilige Fahrpreis aus den Tickets oder anderen Unterlagen (z.B. aus Verträgen, AGB, Internetauftritt des Veranstalters oder des Verkehrsunternehmens) für den Fahrgast ersichtlich ist. In diesem Fall kann der Veranstalter den auf die Beförderungsleistungen entfallenden Preisanteil des Tickets als durchlaufenden Posten nach § 10 Abs. 1 Satz 6 UStG behandeln. Gilt der Veranstalter als Empfänger der Beförderungsleistung, die dieser nachfolgend an den jeweiligen Ticketerwerber weitergibt, so handelt es sich insoweit um eine eigenständig und damit unabhängig von der kulturellen Veranstaltung zu beurteilende selbständige Leistung.2 Auch hier ist gegebenenfalls eine Aufteilung des Gesamtpreises nach sachgerechten Maßstäben vorzunehmen.3

9.205

Die vorstehenden Beispiele zeigen, dass die jeweilige Abgrenzung immer vor dem Hintergrund der jeweiligen Verhältnisse im Einzelfall zu treffen sind. In Zweifelsfällen empfiehlt es sich diesbezüglich eine Abstimmung mit der zuständigen Finanzbehörde zu erwirken, um eine korrekte umsatzsteuerliche Abbildung sicherzustellen.

1 Vgl. FinSen Hamburg v. 14.3.2014 – 51 – S-7238 – 002/12, DStR 2014, 1834; LSF Sachsen v. 30.8.2013 – S 7238-16/5-213, BeckVerw 277768. 2 Vgl. FinSen Hamburg v. 14.3.2014 – 51 – S-7238 – 002/12, DStR 2014, 1834. 3 Vgl. BFH v. 30.6.2011 – V R 44/10, BStBl II 2011, 1003; BFH v. 3.4.2013 – V B 125/12, BStBl. II 2013, 973; BMF v. 28.11.2013 – IV D 2 – S-7200/13/10004, BStBl. I 2013, 1594.

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E. Kurbetriebe, Tourismuseinrichtungen | Rz. 9.210 Kap. 9

E. Kurbetriebe, Tourismuseinrichtungen I. Allgemeine Einordnung und Begrifflichkeiten Kommunale Trägerkörperschaften, insbesondere Gebietskörperschaften wie Gemeinden, sind allein oder im Zusammenschluss mit anderen kommunalen Trägerkörperschaften im Bereich des Tourismus und des Fremdenverkehrs tätig. Sie beschränken sich dabei nicht nur darauf, den Tourismus und Fremdenverkehr zugunsten der lokalen Wirtschaft bzw. der ortsansässigen Unternehmer zu fördern, sondern sie sind darüber hinaus in diesen Bereichen in vielfältiger Form selbst erwerbswirtschaftlich tätig.

9.206

Gemeinden haben die Möglichkeit, einen Kurbetrieb zu betreiben. Erfüllen sie die für die staatliche Anerkennung als Kurort bestehenden landesrechtlichen Voraussetzungen, erwerben sie das Recht, die ihnen im Wege der Anerkennung verliehene Bezeichnung als Kurort im Gemeindenamen zu führen.1 Verbunden mit der staatlichen Anerkennung als Kurort ist in der Regel das Recht, für die Herstellung, Anschaffung, Erweiterung und Unterhaltung der zu Heil- oder Kurzwecken in dem anerkannten Gebiet bereitgestellten Einrichtungen und Anlagen sowie für die zu diesem Zweck durchgeführten Veranstaltungen von Personen, die im Gemeindegebiet Unterkunft nehmen, einen Kurbeitrag zu erheben.2

9.207

Kurorte sind z.B. nach § 1 KOG NW Gemeinden oder Teile von Gemeinden, in denen natürliche Heilmittel des Bodens oder des Klimas oder wissenschaftlich anerkannte hydrotherapeutische Heilverfahren oder sonstige wissenschaftlich anerkannte Präventions- und Heilverfahren zur Vorbeugung gegen Krankheiten oder zu deren Heilung oder Linderung durch zweckentsprechende Einrichtungen angewendet werden und die einen entsprechenden Ortscharakter aufweisen. Zu den Einrichtungen, Anlagen und Veranstaltungen eines Kurbetriebs gehören z.B. die Veranstaltung von Kurkonzerten, das Gewähren von Trinkkuren sowie das Überlassen von Kurbädern, Kurstränden, Kurparks und anderen Kuranlagen oder Kureinrichtungen zur Benutzung, wie z.B. Spazier- und Wanderwege sowie Sportanlagen, für die neben einer Kurtaxe bzw. eines Kurbeitrags kein gesondertes Entgelt erhoben wird.3

9.208

Kommunale Trägerkörperschaften können zudem Tourismuseinrichtungen unabhängig von der staatlichen Anerkennung als Kurort betreiben. Typische Tourismuseinrichtungen sind z.B. Spazier- und Wanderwege, Sport-, Bäder- und Landschaftsanlagen, bauliche Sehenswürdigkeiten oder auch der Betrieb eines Campingplatzes.

9.209

Kurbetriebe und Tourismuseinrichtungen werden von den kommunalen Trägerkörperschaften regelmäßig im Rahmen von Regie- oder Eigenbetrieben betrieben. In diesem Fall unterliegt eine kommunale Trägerkörperschaft insbesondere mit ihren Betrieben gewerblicher Art der Körperschaftsteuer (§ 1 Abs. 1 Nr. 6 KStG) sowie als Unternehmerin der Umsatzsteuer (§ 2, 2b UStG). Eine weitere Möglichkeit besteht darin, eine kommunale Eigengesellschaft für den Betrieb der Einrichtungen, Anlagen und Veranstaltungen eines Kurbetriebs oder für den Betrieb einer Tourismuseinrichtung zu gründen. Eine kommunale Eigengesellschaft unterliegt als juristische Person des Privatrechts grundsätzlich der Körperschaft- und Umsatzsteuer nach den allgemeinen Grundsätzen (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG; § 2 UStG).

9.210

1 Vgl. z.B. § 19 KOG NW. 2 So z.B. § 11 Abs. 1 und 2 KAG NW. 3 Vgl. z.B. Abschn. 12.11. Abs. 5 Satz 1 UStAE.

Wiesch | 623

Kap. 9 Rz. 9.211 | Kommunalverwaltung

II. Körperschaftsteuer 1. Kurbetriebe und Tourismuseinrichtungen als Betriebe gewerblicher Art 9.211

Kommunale Trägerkörperschaften sind als juristische Personen des öffentlichen Rechts mit ihren Betrieben gewerblicher Art unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig (§ 1 Abs. 1 Nr. 6 KStG). Die Anwendung des Körperschaftsteuerrechts erfolgt aus Gründen der Wettbewerbsneutralität.1 Daher unterliegen juristische Person des öffentlichen Rechts mit ihren erwerbswirtschaftlichen Tätigkeiten der Körperschaftsteuer, soweit sie sich dabei in Bereichen der privatunternehmerischen Berufs- und Gewerbeausübung bewegen, in denen private Unternehmer durch den Wettbewerb mit (grundsätzlich nicht steuerpflichtigen) Körperschaften des öffentlichen Rechts ihrerseits nicht benachteiligt werden dürfen.2

9.212

Entgegen des Wortlauts des § 1 Abs. 1 Nr. 6 KStG unterliegt nicht der einzelne Betrieb gewerblicher Art, sondern die kommunale Trägerkörperschaft als juristische Person des öffentlichen Rechts der persönlichen Steuerpflicht.3 Gewinnermittlungssubjekt ist gleichwohl der Betrieb gewerblicher Art. Dieser wird zum Zweck der Gewinnermittlung wie ein selbständiges Steuerrechtssubjekt in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft und die Trägerkörperschaft als dessen Alleingesellschafterin behandelt.4

9.213

Betriebe gewerblicher Art sind nach der Legaldefinition in § 4 Abs. 1 KStG alle Einrichtungen, die einer nachhaltigen wirtschaftlichen Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen außerhalb der Land- und Forstwirtschaft dienen und die sich innerhalb der Gesamtbetätigung der juristischen Person wirtschaftlich herausheben. Die Absicht, Gewinn zu erzielen, und die Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr sind nicht erforderlich.

9.214

Keine Betriebe gewerblicher Art sind nach § 4 Abs. 5 Satz 1 KStG hingegen Betriebe, die überwiegend der Ausübung öffentlicher Gewalt dienen (Hoheitsbetriebe). Die Ausübung öffentlicher Gewalt meint Tätigkeiten, die einer juristischen Person des öffentlichen Rechts eigentümlich und vorbehalten sind.5 Kennzeichnend für solche Tätigkeiten ist die Erfüllung spezifisch öffentlich-rechtlicher Aufgaben, die aus der Staatsgewalt abgeleitet sind, staatlichen Zwecken dienen und zu deren Annahme der Leistungsempfänger aufgrund gesetzlicher oder behördlicher Anordnung verpflichtet ist. Eine Ausübung öffentlicher Gewalt liegt hingegen nicht vor, soweit sich eine juristische Person des öffentlichen Rechts durch ihre Einrichtungen in den allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr einschaltet und eine Tätigkeit ausübt, die sich ihrem Inhalt nach von der Tätigkeit eines privaten gewerblichen Unternehmens nicht wesentlich unterscheidet.

9.215

Handelt es sich bei der Tätigkeit einer juristischen Person des öffentlichen Rechts um eine bloße Vermögensverwaltung, insbesondere um die Vermietung und Verpachtung von Grundstücken bzw. Grundstücksteilen, so begründet diese Tätigkeit grundsätzlich nicht einen Be-

1 BFH v. 29.11.2017 – I R 83/15, BStBl II 2018, 495, Rz. 25; Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht24, § 11 Rz. 28. 2 BFH v. 25.1.2005 – I R 63/03, BStBl II 2005, 501. 3 BFH v. 13.4.2021 – I R 2/19, BStBl II 2021, 777, Rz. 12; v. 13.3.1974 – I R 7/71, BStBl II 1974, 391; vgl. zur Kritik Märtens in Gosch, § 4 KStG Rz. 25 ff. m.w.N. 4 BFH v. 13.4.2021 – I R 2/19, BStBl II 2021, 777, Rz. 12; Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht24, § 11 Rz. 29. 5 Hierzu und zum Folgenden jeweils m.w.N. BFH v. 12.7.2012 – I R 106/10, BStBl II 2012, 837, Rz. 8 f.; v. 25.1.2005 – I R 63/03, BStBl II 2005, 501; H 4.4 KStH.

624 | Wiesch

E. Kurbetriebe, Tourismuseinrichtungen | Rz. 9.217 Kap. 9

trieb gewerblicher Art.1 Etwas anderes gilt jedoch bei der Verpachtung eines Betriebs gewerblicher Art (§ 4 Abs. 4 KStG). In diesem Fall wird die vermögensverwaltende Verpachtungstätigkeit einer einen Betrieb gewerblicher Art begründenden Tätigkeit gleichgestellt. Die Verpachtung eines Betriebs gewerblicher Art liegt vor, wenn Einrichtungen, Anlagen oder Rechte entgeltlich überlassen werden, die bei der verpachtenden juristischen Person des öffentlichen Rechts einen Betrieb gewerblicher Art darstellen würden, wenn diese den Verpachtungsgegenstand unmittelbar selbst betreiben würde.2 An einer entgeltlichen Überlassung fehlt es jedoch, wenn bei wirtschaftlicher Betrachtung die wirtschaftliche Last der Pachtzahlungen nicht die Pächterin, sondern von der verpachtenden juristischen Person des öffentlichen Rechts getragen wird.3 Dies ist z.B. der Fall, wenn an den Pächter für die Durchführung eines Badebetriebes ein Zuschuss gezahlt wird, bei dessen Bemessung auch die Pachtzahlungen als durch den Bäderbetrieb verursachter Aufwand einfließen.4 Zur Bestimmung des Umfangs eines Betriebs gewerblicher Art ist auf das Merkmal der „Einrichtung“ abzustellen.5 Eine Einrichtung i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 1 KStG ist jede funktionelle Einheit, die einer nachhaltigen wirtschaftlichen Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen dient. Eine funktionelle Einheit kann sich dabei insbesondere aus einer besonderen Leitung, einem geschlossenen Geschäftskreis, der Buchhaltung oder aus einem ähnlichen, auf eine Einheit hindeutenden Merkmal ergeben.6 Diese Grundsätze gelten auch für die Bestimmung des Umfangs eines verpachteten Betriebs gewerblicher Art i.S. des § 4 Abs. 4 KStG.7 Nur wenn mehrere verschiedene funktionelle Einheiten verpachtet werden, liegen dementsprechend mehrere verpachtete Betriebe gewerblicher Art vor. Danach handelt es sich z.B. bei verpachteten Campingplätzen einer kommunalen Trägerkörperschaft um jeweils eigenständige funktionelle Einheiten, wenn keine Anhaltspunkte bestehen, die auf eine einheitliche Leitung, einheitliche Rechnungslegung oder sonstige zusammenfassende Organisationsmaßnahmen in Bezug auf die einzelnen Campingplatzbetriebe hindeuten.

9.216

Der Kurbetrieb einer Gemeinde begründet unter den vorgenannten allgemeinen Voraussetzungen des § 4 KStG einen Betrieb gewerblicher Art.8 Die bisherige BFH-Rechtsprechung sah im Regelfall bei Kurbetrieben die Voraussetzungen als erfüllt an.9 Die Gemeinde übt danach mit dem Kurbetrieb eine nachhaltige wirtschaftliche Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen mit einer gewissen wirtschaftlichen Selbständigkeit aus.10 Die Kurbetriebe nehmen wie ein privatwirtschaftliches Unternehmen am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teil und sind auf Einnahmeerzielung gerichtet, wobei es unerheblich ist, ob eine Kurtaxe z.B. als öffentlich-rechtliche Abgabe erhoben wird.11 Sowohl die Kurtaxe bzw. die Kurbeiträge12 als auch

9.217

1 BFH v. 29.11.2017 – I R 83/15, BStBl II 2018, 495, Rz. 25; v. 13.3.1974 – I R 7/71, BStBl II 1974, 391, unter III. 2. c); Märtens in Gosch, § 4 KStG Rz. 50. 2 BFH v. 13.4.2021 – I R 2/19, BStBl II 2021, 777, Rz. 17; Märtens in Gosch, § 4 KStG Rz. 91. 3 BFH v. 13.4.2021 – I R 2/19, BStBl II 2021, 777, Rz. 19 ff.; R 4.3 KStR. 4 BFH v. 13.4.2021 – I R 2/19, BStBl II 2021, 777, Rz. 20. 5 Vgl. hierzu und zum Folgenden BFH v. 13.4.2021 – I R 2/19, BStBl II 2021, 777, Rz. 14 ff. 6 Vgl. auch H 4.1 „Einrichtung“ KStH. 7 BFH v. 13.4.2021 – I R 2/19, BStBl II 2021, 777, Rz. 15. 8 BFH v. 18.8.1988 – V R 18/83, BStBl II 1988, 971; R 4.5 KStR. 9 BFH v. 15.10.1962 – I 53/61 U, BStBl III 1962, 542; v. 1.10.1981 – V R 34/76, UR 1982, 32; v. 18.8.1988 – V R 18/83, BStBl II 1988, 971; v. 26.4.1990 – V R 166/84, BStBl II 1990, 799; v. 9.7.2003 – I R 48/02, BStBl II 2004, 425; Märtens in Gosch, § 4 KStG Rz. 181 „Kurbetrieb“. 10 BFH v. 18.8.1988 – V R 18/83, BStBl II 1988, 971, unter II. 1. 11 BFH v. 15.10.1962 – I 53/61 U, BStBl III 1962, 542; v. 1.10.1981 – V R 34/76, UR 1982, 32. 12 BFH v. 15.10.1962 – I 53/61 U, BStBl III 1962, 542; v. 18.8.1988 – V R 18/83, BStBl II 1988, 971.

Wiesch | 625

Kap. 9 Rz. 9.217 | Kommunalverwaltung

Mitgliedsbeiträge1 sind als Einnahmen dem Kurbetrieb bzw. dem damit begründeten Betrieb gewerblicher Art zuzuordnen.2

9.218

Nicht zum Kurbetrieb einer Gemeinde und damit auch nicht zu einem Betrieb gewerblicher Art gehören grundsätzlich Einrichtungen, Anlagen und Rechte, die dem Allgemeingebrauch gewidmet oder überlassen werden.3 So kann z.B. eine als Luftkurort staatlich anerkannte Gemeinde Spazier- und Wanderwege, die durch Widmung die Eigenschaft einer öffentlichen Straße erhalten haben, nicht dem Kurbetrieb zugeordnet werden.4 Eine Strandpromenade gehört nicht zum Betrieb gewerblicher Art, sondern zum Hoheitsbetrieb, wenn sie dem öffentlichen Verkehr gewidmet ist.5 Wird der Kurbetrieb im Rahmen eines Eigenbetriebs der Gemeinde betrieben und übernimmt der Kurbetrieb (Eigenbetrieb) die Aufwendungen für die dem Allgemeingebrauch gewidmeten oder überlassenen Einrichtungen, kann es sich dabei um eine verdeckte Gewinnausschüttung an die (Kur-) Gemeinde handeln.6

9.219

Die dem Allgemeingebrauch gewidmeten Einrichtungen und Anlagen können m.E. jedoch einem Betrieb gewerblicher Art zugeordnet werden, wenn damit eine erwerbswirtschaftliche Tätigkeit, welche für sich einen Betrieb gewerblicher Art begründet, gefördert wird und danach die eigenbetriebliche Nutzung den Vorteil für die Allgemeinheit überwiegt (vgl. zum Vorsteuerabzug in diesen Fällen Rz. 9.280 ff.). Bei dem geförderten Betrieb gewerblicher Art kann es sich in diesen Fällen auch um einen Kurbetrieb handeln. Wird mit der Bereitstellung der dem Allgemeingebrauch gewidmeten Einrichtungen und Anlagen keine eigene im Rahmen eines Betriebs gewerblicher Art ausgeübte betriebliche Tätigkeit, insbesondere kein bestehender Betrieb gewerblicher Art „Kurbetrieb“, sondern allgemein der kommunale Fremdenverkehr gefördert, ist eine Zuordnung zu einem Betrieb gewerblicher Art ausgeschlossen.7

9.220

Welche Einrichtungen, Anlagen oder Rechte zum Betrieb gewerblicher Art „Kurbetrieb“ gehören bzw. diesem zuzuordnen sind, ist grundsätzlich anhand der Gesamtumstände des Einzelfalls der ausgeübten Tätigkeiten zu bestimmen. Dabei kann eine Zuordnung von Aufwendungen als Betriebsausgaben des Kurbetriebs im Hinblick auf die dem Kurbetrieb zuzuordnenden Einnahmen durch die Erhebung einer Kurtaxe/eines Kurbeitrags aus Sicht der kommunalen Trägerkörperschaft wünschenswert sein. Vor diesem Hintergrund gestaltet sich die Abgrenzungsfrage in der Praxis als sehr streitanfällig.

9.221

Der Betrieb kommunaler Tourismuseinrichtungen begründet ebenfalls einen Betrieb gewerblicher Art, wenn damit die Voraussetzungen des § 4 KStG erfüllt werden. Die Verpachtung eines Campingplatzes mit seinen wesentlichen Einrichtungen begründet nach § 4 Abs. 4 KStG (vgl. Rz. 9.215) ebenso einen Betrieb gewerblicher Art wie der eigene Betrieb eines Campingplatzes.8 Der Betrieb eines Erholungsparks oder -gebiets bildet einen Betrieb gewerblicher Art, wenn der Zutritt nur gegen Entgelt gestattet wird. In diesem Fall würde die 1 2 3 4 5 6 7 8

RFH v. 20.5.1941 – I 408/40, RStBl 1940, 506. Pfirmann in Brandis/Heuermann, § 4 KStG Rz. 131 „Kur- und Bäderverwaltung“ Schiffers, DStZ 2021, 28 (43); Treiber in Sölch/Ringleb, § 2 UStG Rz. 450 „Kurverwaltungen“. BFH v. 26.4.1990 – V R 166/84, BStBl II 1990, 799; H 4.5 KStH „Kurbetriebe“; vgl. auch FG Nds. v. 20.3.2020 – 6 K 18/17, EFG 2020, 1870 (Rev. BFH I R 19/20). BFH v. 11.6.1997 – XI R 65/95, BStBl II 1999, 420. BFH v. 22.10.2014 – I B 99/13, BFH/NV 2015, 350 (Unterhaltungskosten für öffentliche Spazierund Wanderwege); Schiffers, DStZ 2021, 28 (45). FG Nds. v. 20.3.2020 – 6 K 18/17, EFG 2020, 1870, Rz. 76 ff. (Rev. BFH I R 19/20). BFH v. 7.5.1969 – I R 106/66, BStBl II 1969, 443; Pfirmann in Brandis/Heuermann, § 4 KStG Rz. 83 „Campingplatz“.

626 | Wiesch

E. Kurbetriebe, Tourismuseinrichtungen | Rz. 9.225 Kap. 9

Verpachtung des Erholungsparks oder -gebiets einschließlich des zugehörigen Inventars als Verpachtung eines Betriebs gewerblicher Art wie ein Betrieb gewerblicher Art behandelt werden.1 Gaststätten, die von einer kommunalen Trägerkörperschaft entweder selbst betrieben oder verpachtet werden, sind Betriebe gewerblicher Art.2

2. Zusammenfassung von Betrieben gewerblicher Art (§ 4 Abs. 6 KStG) Besitzt eine kommunale Trägerkörperschaft mehrere Betriebe gewerblicher Art, wird sie mit dem jeweiligen zu versteuernden Einkommen eines jeden einzelnen Betriebs gewerblicher Art als Steuersubjekt behandelt und zur Besteuerung herangezogen (vgl. Rz. 9.212). Eine Saldierung der zu versteuernden Einkommen von zwei oder mehreren Betrieben gewerblicher Art ist dabei jedoch grundsätzlich nur in den Grenzen des sog. steuerlichen Querverbundes möglich (§ 8 Abs. 7 bis Abs. 10 KStG).3 So kann z.B. nicht ohne weiteres der Verlust aus dem Betrieb gewerblicher Art „Kurbetrieb“ mit einem Gewinn aus dem Betrieb gewerblicher Art „Parkraumbewirtschaftung“ verrechnet werden. Soweit die Tätigkeiten im Zusammenhang mit dem Kurbetrieb und mit der Parkraumbewirtschaftung jedoch zu einem gemeinsamen Betrieb gewerblicher Art bzw. zu einer Einrichtung im Sinne einer funktionalen Einheit (vgl. Rz. 9.216) zusammengefasst werden könnten, wäre eine Saldierung der daraus erzielten wirtschaftlichen Ergebnisse im Rahmen der einheitlichen Ermittlung des Gewinns für den Betrieb gewerblicher Art möglich.

9.222

Eine juristische Person des öffentlichen Rechts kann in den in § 4 Abs. 6 KStG genannten Fallgruppen mehrere Betriebe gewerblicher Art zusammenfassen. Danach ist eine Zusammenfassung und damit eine gemeinsame Ermittlung des zu versteuernden Einkommens nur dann möglich,4 wenn die Betriebe gewerblicher Art

9.223

– gleichartig sind, – zwischen ihnen nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse objektiv eine enge wechselseitige technisch-wirtschaftliche Verflechtung von einigem Gewicht besteht oder – Betriebe gewerblicher Art, die der Versorgung der Bevölkerung mit Wasser, Gas, Elektrizität oder Wärme, dem öffentlichen Verkehr oder dem Hafenbetrieb dienen (§ 4 Abs. 3 KStG), vorliegen. Die Zusammenfassung eines Betriebs gewerblicher Art mit einem Hoheitsbetrieb i.S. des § 4 Abs. 5 KStG ist nicht möglich (§ 4 Abs. 6 Satz 2 KStG).

9.224

Nach den vorgenannten Voraussetzungen kann z.B. der Betrieb gewerblicher Art „Verpachtung eines Ratskellers“ nicht mit dem Betrieb gewerblicher Art „Kurbetrieb“ zusammengefasst werden, da zwischen ihnen keine ausreichende Verflechtung besteht.5 Ein (gewinnbringender) Glühweinstand einer Gemeinde auf dem Weihnachtsmarkt kann hingegen mit einem (verlustbringenden) Kurbetrieb der Gemeinde dann zusammengefasst werden, wenn

9.225

1 Märtens in Gosch, § 4 KStG Rz. 181 „Erholungspark, -gebiet“. 2 BFH v. 11.7.1990 – II R 33/86, BStBl II 1990, 1100; v. 25.10.1989 – V R 111/85, BStBl II 1990, 868; Märtens in Gosch, § 4 KStG Rz. 181 „Gaststätten“. 3 Roser in Gosch, § 8 KStG Rz. 62. 4 Pfirmann in Brandis/Heuermann, § 4 KStG Rz. 102a. 5 BFH v. 12.7.1967 – I 267/63, BStBl III 1967, 679; Pfirmann in Brandis/Heuermann, § 4 KStG Rz. 104.

Wiesch | 627

Kap. 9 Rz. 9.225 | Kommunalverwaltung

der Betriebszweck des Glühweinstandes allein darin besteht, Touristen auf den Kurort aufmerksam zu machen.1

3. Dauerverlust-Betriebe gewerblicher Art (§ 8 Abs. 7 KStG) 9.226

Die kommunale Trägerkörperschaft unterliegt als Steuerpflichtige mit den zu versteuernden Einkommen ihrer Betriebe gewerblicher Art der Körperschafsteuer. Wegen dieser Trennung zwischen Steuer- und Gewinnermittlungssubjekt wird ein Betrieb gewerblicher Art wie ein selbständiges Steuerrechtssubjekt in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft und die Trägerkörperschaft als deren Alleingesellschafterin behandelt (Rz. 9.212). Daher dürfen z.B. verdeckte Gewinnausschüttungen an die kommunale Trägerkörperschaft das Einkommen eines Betriebs gewerblicher Art nicht mindern (§ 8 Abs. 3 Satz 2 KStG).

9.227

Der Kurbetrieb einer kommunalen Trägerkörperschaft ist regelmäßig verlustbringend. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass grundsätzlich eine verdeckte Gewinnausschüttung an den Anteilseigner vorliegt, wenn eine Kapitalgesellschaft eine dauerhaft verlustbringend Tätigkeit ausübt und die Erwirtschaftung des Verlustes auf gesellschaftlichen Gründen beruht, ohne dass eine Verpflichtung zum Ausgleich dieser Verluste besteht.2 Der Verzicht auf die Vereinbarung eines Aufwendungsersatzes begründet eine verdeckte Gewinnausschüttung.3 Dies gilt grundsätzlich auch für das Verhältnis zwischen einer kommunalen Trägerkörperschaft und ihren dauerverlustbringenden Betrieben gewerblicher Art.4 Es ist dabei ohne Bedeutung, ob die im Rahmen des Betriebs gewerblicher Art ausgeübte Tätigkeit Gegenstand der öffentlichen Daseinsvorsorge ist oder die kommunale Trägerkörperschaft mit der ausgeübten Tätigkeit altruistische oder ideelle Zwecke verfolgt und im Wesentlichen auf die Befriedigung der Bedürfnisse der Bürger abzielt.5

9.228

Liegen im Fall eines verlustbringenden Kurbetriebs die Voraussetzungen einer verdeckten Gewinnausschüttung vor, wirken sich die erwirtschaften Verluste körperschaftsteuerlich im Ergebnis nicht aus (§ 8 Abs. 3 Satz 2 KStG). Gleichzeitig handelt es sich bei der Trägerkörperschaft um Einnahmen aus Kapitalvermögen (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 oder Nr. 10 EStG).6 Diese beiden Rechtsfolgen gelten jedoch nicht, wenn es sich bei dem Kurbetrieb um ein privilegiertes Dauerverlustgeschäft handelt (§ 8 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 KStG). Ein solches liegt vor, wenn das Geschäft (der Kurbetrieb) aus verkehrs-, umwelt-, sozial-, kultur-, bildungs- oder gesundheitspolitischen Gründen7 ohne kostendeckendes Entgelt betrieben wird (§ 8 Abs. 7 Satz 2 KStG). Im Hinblick auf die typischen Tätigkeitsbereiche eines Kurbetriebs kommen zwar grundsätzlich insbesondere verkehrs-8, kultur-9 und auch gesundheitspolitische10 Grün1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

FG München v. 20.11.2020 – 6 K 2916/17, EFG 2021, 1748 (Rev. BFH I R 49/20). H 8.5 V KStH „Verlustgeschäfte“; Gosch in ders., § 8 KStG Rz. 1036. BFH v. 22.8.2007 – I R 32/06, BStBl II 2007, 961; v. 8.7.1998 – I R 123/97, BFH/NV 1999, 269. BFH v. 10.12.2019 – I R 9/17, BFH/NV 2021, 353, Rz. 22; v. 9.11.2016 – I R 56/15, BStBl II 2017, 498. BFH v. 22.8.2007 – I R 32/06, BStBl II 2007, 961, Rz. 22. Gosch in ders., § 8 KStG Rz. 1040. Beispiele zu den einzelnen Bereichen: BMF v. 12.11.2009 – IV C 7-S 2706/08/10004, DOK 2009/ 0742398, BStBl I 2009, 1303, Tz. 40 ff. ÖPNV, Flughafenbetriebe, Parkraumbewirtschaftung, Hafen- und Fährbetriebe. Bibliotheken, Zoologische Gärten, Museen, kulturelle Ausstellungen, Kinos, Opern, Theater, Bühnen, Orchester. Krankenhäuser, Bäder, Kuranlagen, Sportanlagen; zu Bädern s. auch BFH v. 16.12.2020 – I R 50/ 17, BStBl II 2021, 443, Rz. 18.

628 | Wiesch

E. Kurbetriebe, Tourismuseinrichtungen | Rz. 9.231 Kap. 9

de in Betracht. Über allem schwebt jedoch regelmäßig der nichtbegünstigte Betriebszweck, den gemeindlichen Fremdenverkehr fördern. Dieser Betriebszweck wird im Regelfall die vorgenannten begünstigen Gründe überwiegen.1

III. Umsatzsteuer Eine kommunale Trägerkörperschaft wird mit dem von ihr betriebenen Kurbetrieb und mit ihren Tourismuseinrichtungen unter den Voraussetzungen der §§ 2, 2b UStG als Unternehmer behandelt. Soweit die Voraussetzungen erfüllt sind, unterliegen auf der einen Seite die ausgeführten Umsätze bzw. das hierfür geleistete Entgelt, insbesondere in Gestalt einer Kurtaxe, grundsätzlich der Umsatzsteuer. Auf der anderen Seite ermöglicht die Behandlung als Unternehmer die Inanspruchnahme des Vorsteuerabzugs für (Eingangs-) Leistungen, die für die den Kurbetrieb und den Betrieb von Tourismuseinrichtungen als unternehmerische Tätigkeiten verwendet werden (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG).

9.229

1. Unternehmereigenschaft aufgrund eines Kurbetriebs oder Tourismuseinrichtungen Die Prüfung der Unternehmereigenschaft der einen Kurbetrieb oder Tourismuseinrichtungen betreibenden kommunale Trägerkörperschaft richtet sich nach der allgemeinen Prüfungstrias (vgl. Kapitel 5 Abschn. C.). Danach ist die öffentliche-rechtliche Trägerkörperschaft als Unternehmer zu behandeln, soweit es sich bei ihrem Kurbetrieb oder bei den von ihr betriebenen Tourismuseinrichtungen um umsatzsteuerliche (wirtschaftliche) Tätigkeiten i.S.d. § 2 Abs. 1 UStG handelt. Abweichend von dieser allgemeinen Regelung ist sie jedoch wegen ihrer Rechtsform einer juristischen Person des öffentlichen Rechts nach § 2b Abs. 1 Satz 1 UStG als Nichtunternehmer zu behandeln, soweit es sich bei diesen Tätigkeiten um ihr im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegende Tätigkeiten handelt. Als Rückausnahme von dieser speziellen Ausnahmeregelung für juristische Personen des öffentlichen Rechts ist eine kommunale Trägerkörperschaft gleichwohl nach § 2b Abs. 1 Satz 2 UStG als Unternehmer zu behandeln, sofern ihre Behandlung als Nichtunternehmer im Hinblick auf den Kurbetrieb oder den Tourismuseinrichtungen zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde.

9.230

Die Sonderregelung für juristische Personen des öffentlichen Rechts in § 2b UStG gilt erstmals für Umsätze, die ab dem 1.1.2017 ausgeführt worden sind (§ 27 Abs. 22 Satz 2 UStG). Es bestand jedoch nach § 27 Abs. 22 UStG die Möglichkeit, auf Antrag die erstmalige Anwendung des § 2b UStG auf einen späteren Besteuerungszeitraum zu verschieben. Bis zur erstmaligen Anwendung des § 2b UStG ist über die Frage der Unternehmereigenschaft einer juristischen Person des öffentlichen Rechts weiterhin nach der zum 1.1.2016 abgeschafften Sondervorschrift für juristische Person des öffentlichen Rechts in § 2 Abs. 3 UStG a.F. zu entscheiden. Die aufschiebende Wirkung des Antrags endet spätestens zum 31.12.2022, sodass ab dem Jahr 2023 die Neuregelung in § 2b UStG auf kommunale Trägerkörperschaften, die einen Kurbetrieb oder ohne Vorliegen eines Kurbetriebs einzelne Tourismuseinrichtungen betreiben, uneingeschränkt Anwendung findet (§ 27 Abs. 22, 22a UStG).

9.231

1 FG Nds. v. 20.3.2020 – 6 K 18/17, EFG 2020, 1870 (Rev. BFH I R 19/20).

Wiesch | 629

Kap. 9 Rz. 9.232 | Kommunalverwaltung

a) Die Ausübung einer unternehmerischen (wirtschaftlichen) Tätigkeit (§ 2 Abs. 1 UStG) aa) Der Begriff der unternehmerischen (wirtschaftlichen) Tätigkeit

9.232

Unternehmer ist derjenige, der eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt (§ 2 Abs. 1 Satz 1 UStG). Eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit und damit eine unternehmerische Tätigkeit i.S. des § 2 Abs. 1 Satz 1 UStG ist jede nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen, auch wenn die Absicht, Gewinn zu erzielen, fehlt (§ 2 Abs. 1 Satz 3 UStG). Demgegenüber gilt nach Art. 9 MwStSystRL als Steuerpflichtiger im Sinne des Mehrwertsteuerrechts, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbstständig ausübt. Als wirtschaftliche Tätigkeit gelten alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe. Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt zudem insbesondere die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen. Die Voraussetzungen für die Unternehmereigenschaft nach § 2 Abs. 1 UStG ist vor diesem Hintergrund dahingehend richtlinienkonform auszulegen, dass die Begriffe unternehmerische Tätigkeit und wirtschaftliche Tätigkeit synonym zu verstehen sind.1

9.233

Eine unternehmerische (wirtschaftliche) Tätigkeit setzt weiter voraus, dass sie auf die Erbringung steuerbarer Umsätze i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG (Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und c MwStSystRL), mithin auf die Erbringung einer Leistung gegen Entgelt (sog. Leistungsaustausch) abzielt.2 Eine Leistung im Sinne des Umsatzsteuerrechts liegt vor, wenn einem konkreten Verbraucher ein individueller Vorteil verschafft wird, der einen wirtschaftlichen Wert innehat und einem Verbrauch zugänglich ist.3 Die Erbringung einer solchen Leistung im Rahmen eines Leistungsaustausches gegen Entgelt liegt vor, wenn zwischen Leistenden und Leistungsempfänger ein Rechtsverhältnis besteht, das einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Leistung und einem erhaltenen Gegenwert begründet.4 bb) Kurbetrieb als unternehmerische (wirtschaftliche) Tätigkeit

9.234

Rechtsprechung5 und Finanzverwaltung6 gehen bisher übereinstimmend davon aus, dass es sich bei einem Kurbetrieb im Ganzen um eine einzelne unternehmerische (wirtschaftliche) Tätigkeit handelt. Es wird nicht weiter nach den einzelnen unterschiedlichen Tätigkeiten und Handlungen, die im Rahmen eines Kurbetriebs ausgeübt werden, unterschieden.7 Die Bereitstellung von Kureinrichtungen und -veranstaltungen bilden danach umsatzsteuerrechtlich eine einheitliche, nicht aufteilbare Leistung. Der Kurgast zahlt die Kurtaxe für die Eröffnung der Möglichkeit, sämtliche Kureinrichtungen und -veranstaltungen zu benutzen. Er erwirbt mit der Entrichtung der Kurtaxe das Recht, die Kureinrichtungen und -veranstaltungen in Anspruch zu nehmen. Diese einheitliche Beurteilung der mit einem Kurbetrieb ausgeübten 1 BFH v. 12.8.2015 – XI R 43/13, BStBl II 2015, 919, Rz. 33. 2 EuGH v. 12.5.2016 – C-520/14 – Gemeente Borsele, ECLI:EU:C:2016:334 Rz. 21 ff., UR 2016, 520; BFH v. 18.12.2019 – XI R 31/17, BFH/NV 2020, 565 m.w.N. 3 EuGH v. 18.12.1997 – C-384/95 – Landboden-Agrardienste, ECLI:EU:C:1997:627 Rz. 20, 23, UR 1998, 102; BFH v. 18.12.2006 – V R 38/06, BStBl II 2009, 749. 4 BFH v. 5.12.2007 – V R 60/05, BStBl II 2009, 486. 5 BFH v. 1.10.1981 – V R 34/76, UR 1982, 32; v. 18.10.1988 – V R 18/83, BStBl II 1988, 971; v. 26.4.1990 – V R 166/84, BStBl II 1990, 799. 6 Abschn. 12.11 Abs. 5 UStAE; vgl. auch Abschn. 2.11 Abs. 13 UStAE zu § 2 Abs. 3 UStG a.F. 7 Vgl. hierzu und zum Folgenden BFH v. 1.10.1981 – V R 34/76, UR 1982, 32.

630 | Wiesch

E. Kurbetriebe, Tourismuseinrichtungen | Rz. 9.238 Kap. 9

unternehmerischen Tätigkeit ist jedoch zumindest dahingehend einzuschränken, dass nichtunternehmerische Tätigkeiten, wie z.B. die die Überlassung von Kur- und Tourismuseinrichtungen an die Allgemeinheit, hiervon nicht (mehr) umfasst sind (vgl. Rz. 9.234 ff.).1 Als weitere Begründung dafür, dass es sich bei der Kurtaxe um ein Entgelt für eine mit dem Kurbetrieb an den Kurgast erbrachte einheitliche umsatzsteuerrechtliche Leistung handelt und damit der Kurbetrieb eine unternehmerische (wirtschaftliche) Tätigkeit begründet, wird regelmäßig auch auf § 12 Abs. 2 Nr. 9 Satz 2 UStG verwiesen.2 Danach unterliegen die mit der Bereitstellung von Kureinrichtungen ausgeführten Umsätze dem ermäßigten Steuersatz von 7 % (Rz. 9.272 ff.), soweit als Entgelt eine Kurtaxe zu entrichten ist. Dies setzt jedoch voraus, dass es sich bei der Bereitstellung von Kureinrichtungen bereits um eine die Unternehmereigenschaft begründende unternehmerische (wirtschaftliche) Tätigkeit handelt.

9.235

cc) Überlassung von Kur- und Tourismuseinrichtungen an die Allgemeinheit Bei der Bereitstellung von Kur- und Tourismuseinrichtungen, die dem Allgemeingebrauch gewidmet sind,3 ist es bereits zweifelhaft, ob es sich dabei jeweils um eine umsatzsteuerrechtliche Leistung handelt.4 Dies gilt auch in Ansehung der bisherigen Rechtsprechung (Rz. 9.234), die bei einem Kurbetrieb scheinbar generell von der Ausübung einer unternehmerischen (wirtschaftlichen) Tätigkeit ausgeht.5 Mit der Widmung für die Allgemeinheit wird zwar ein verbrauchsfähiger Vorteil verschafft. Jeder ist zum satzungsgemäßen Gebrauch der Einrichtung berechtigt. Es handelt sich jedoch nicht um einen individuell zurechenbaren Vorteil, der eine umsatzsteuerliche Belastung rechtfertigt.

9.236

Die individuelle Zurechnung eines wirtschaftlichen Vorteils erfolgt auch nicht aufgrund des vom Kurgast zu zahlenden Kurbeitrages. Vielmehr fehlt es bei Einrichtungen, die dem Allgemeingebrauch gewidmet sind, bereits an einem unmittelbaren Zusammenhang zwischen ihrer Bereitstellung als mögliche umsatzsteuerlich Leistung und der Zahlung des Kurbeitrags als mögliches Entgelt. Die Nutzung der allgemein zugänglichen Einrichtung ist nicht an die Zahlung des Kurbeitrages geknüpft. Auch wenn ein Kurgast rechtswidrig den Kurbeitrag nicht zahlt, ist er von der Benutzung der dem Allgemeingebrauch gewidmeten Kureinrichtung nicht ausgeschlossen. Er handelt nicht rechtswidrig, wenn er diese im Rahmen des Allgemeingebrauchs nutzt. Die Zahlung des Kurbeitrags verschafft in diesen Fällen weder dem Kurgast einen (gesonderten oder zusätzlichen) Anspruch auf Nutzung der Kureinrichtung, noch wird die kommunale Trägerkörperschaft als Kurbetriebsinhaber verpflichtet, die Nutzung dem Kurgast einzuräumen.

9.237

Die Behandlung der Bereitstellung von Kur- und Tourismuseinrichtungen, die dem Allgemeingebrauch gewidmet sind, als nichtunternehmerische (nichtwirtschaftliche) Tätigkeit, die nicht geeignet ist, die Unternehmereigenschaft zu begründen, steht auch im Einklang mit der bisherigen BFH-Rechtsprechung (Rz. 9.234), welche die Kurtaxe als Entgelt für die mit dem Kurbetrieb erbrachte einheitliche Leistung beurteilt. Der BFH führt als Begründung für die Behand-

9.238

1 Vgl. Boos/Baldauf, DStZ 2022, 114 (120). 2 Jäckl/Schwarz, DStR 2019, 473 (475); Stadie in Rau/Dürrwächter, § 2b UStG Rz. 271. 3 Z.B. Loipen, Wander- und sonstige Sportpfade und -anlagen, Hundestationen, Parkanlagen sowie Bereiche des Kurhauses, wie z.B. Lesesaal, Bibliothek und Toiletten, vgl. FG BW v. 18.10.2018 – 1 K 1458/18, juris (Rev. BFH XI R 30/19); das Revisionsverfahren zum Az. XI R 30/19 wurde ausgesetzt und dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt, vgl. Burret, UR 2022, 121. 4 A.A. Burret, UR 2022, 121 (122 ff.). 5 So interpretierend z.B. Hidien/Menebröcker, MwStR 2020, 1043 (1045).

Wiesch | 631

Kap. 9 Rz. 9.238 | Kommunalverwaltung

lung der Kurtaxe als Entgelt an, dass der Kurgast die Kurtaxe als Entgelt für die Eröffnung der Möglichkeit, sämtliche Kureinrichtungen und -veranstaltungen1 zu benutzen, zahle. Der Kurgast erwerbe mit der Entrichtung der Kurtaxe das Recht, die Kureinrichtungen und -veranstaltungen in Anspruch zu nehmen.2 Daran fehlt es aber, sofern ein Kurgast nicht wegen der Leistung seines Kurbeitrages, sondern unabhängig davon als Teil der Allgemeinheit das Recht auf Nutzung einer (der Allgemeinheit gewidmeten) Kur- oder Tourismuseinrichtung erwirbt bzw. besitzt. Dementsprechend handelt es sich aus Sicht des BFH bei Kur- und Tourismuseinrichtungen, die dem Allgemeingebrauch gewidmet sind, regelmäßig nicht als für die unternehmerische Tätigkeit bezogene Gegenstände. Zwar steht allein die Widmung für den Allgemeingebrauch wegen einer möglichen gleichzeitigen (mittelbaren) Verwendung für eine unternehmerische (wirtschaftliche) Tätigkeit dem Vorsteuerabzug nicht zwingend entgegen (Rz. 9.284 ff.). Allerdings lässt sich zumindest insoweit schlussfolgern, dass die Bereitstellung der Kur- und Tourismuseinrichtungen, die der Allgemeinheit zugänglich gemacht werden, selbst keine umsatzsteuerrechtliche Leistung an den Kurgast darstellt, für welche dieser die Kurtaxe zahlt, um diese zu nutzen. Andernfalls würden Eingangsleistungen für die dem Allgemeingebrauch gewidmete Kur- oder Tourismuseinrichtungen direkt und unmittelbar für eine unternehmerische (wirtschaftliche) Tätigkeit verwendet werden und allein aus dem Grund zum Vorsteuerabzug berechtigen.

9.239

Die Regelung des § 12 Abs. 2 Nr. 9 Satz 2 UStG steht der hier vertretenen Auffassung nicht entgegen. Dessen Anwendungsbereich ist (richtlinienkonform) auf solche Leistungen in Gestalt der Bereitstellung von Kureinrichtungen zu beschränken, die den Kurgästen individuell zurechenbare wirtschaftliche Vorteile verschafft, welche sie für die Zahlung des Kurbeitrages bzw. der Kurtaxe erhalten. Darunter fällt z.B. die Einräumung eines Nutzungsrechts an nicht dem Allgemeingebrauch gewidmeten öffentlichen Einrichtungen, also solche, die z.B. entweder Kurgästen vorbehalten sind, bei denen von Nutzern bzw. Besuchern, die nicht Kurgäste sind, ein gesondertes Entgelt verlangt wird oder bei denen von deren Nutzung Kurgäste im Fall der Nichtzahlung der Kurtaxe ausgeschlossen sind.

9.240

Die Frage, ob und inwieweit eine einen Kurbetrieb betreibende kommunale Trägerkörperschaft aus der Errichtung und den laufenden Betrieb von Kur- und Tourismuseinrichtungen, die der allgemeinen Nutzung gewidmet sind, den Vorsteuerabzug in Anspruch nehmen kann, ist differenziert zu betrachten. Der Vorsteueranspruch ist zumindest nicht von vornherein ausgeschlossen, auch wenn die Verwendung der Einrichtung, also die Widmung zum allgemeinen Gebrauch, selbst keine unternehmerische Tätigkeit begründet. Vielmehr kann insoweit auch die mittelbare Förderung von unternehmerischen (wirtschaftlichen) Tätigkeiten, die im Rahmen des Kurbetriebs parallel ausgeübt werden, zum Vorsteuerabzug berechtigen (Rz. 9.284 ff.). dd) Einzelfragen zum umsatzsteuerlichen Leistungsaustausch

9.241

Bei dauerdefizitären Kurbetrieben und Tourismuseinrichtungen ist zu beachten, dass nach der Rechtsprechung des EuGH3 und des BFH4 eine Asymmetrie zwischen den Betriebskosten und den als Gegenleistung für die erbrachte Leistung in Betracht kommende Zahlung dagegen spricht, dass es sich dabei um ein Entgelt handelt, welches in einem unmittelbaren Zusam1 Z.B. Staatsbäder, vgl. BFH v. 1.10.1981 – V R 34/76, UR 1982, 32. 2 BFH v. 1.10.1981 – V R 34/76, UR 1982, 32. 3 EuGH v. 12.5.2016 – C-520/14 – Gemeente Borsele, ECLI:EU:C:2016:334 Rz. 26 ff. m.w.N., UR 2016, 520. 4 BFH v. 28.6.2017 – XI R 12/15, BFH/NV 2017, 1400; v. 15.12.2016 – V R 44/15, BFH/NV 2017, 707.

632 | Wiesch

E. Kurbetriebe, Tourismuseinrichtungen | Rz. 9.243 Kap. 9

menhang mit der ausgeführten Tätigkeit steht. Zielt eine Tätigkeit jedoch nicht auf die Erbringung entgeltlicher Leistungen ab, erfüllt diese nicht die Voraussetzung für eine unternehmerische (wirtschaftliche) Tätigkeit. Ein asymmetrisches Verhältnis von Einnahmen und Ausgaben liegt z.B. vor, wenn die Summe der als Gegenleistung für die ausgeübte Tätigkeit erhaltenen Beträge nicht einmal 3 % der mit Ausübung der Tätigkeit verursachten Betriebskosten decken.1 Die Frage, ob eine unternehmerische (wirtschaftliche) Tätigkeit ausgeübt wird, ist jedoch im Rahmen einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls zu entscheiden. Liegt danach z.B. ein asymmetrisches Verhältnis von Betriebsausgaben und -einnahmen vor, sind gleichwohl darüber hinaus weitere für und gegen die Unternehmereigenschaft sprechende Umstände im Rahmen der Gesamtwürdigung zu berücksichtigen, so dass auch im Fall einer bestehenden Asymmetrie grundsätzlich die Voraussetzungen für eine unternehmerische (wirtschaftliche) Tätigkeit vorliegen können. Zu diesen Umständen gehört insbesondere, ob und inwieweit die Tätigkeit als marktüblich anzusehen ist.2 Eine kommunale Trägerkörperschaft, die für ihren Kurbetrieb oder für ihre Tourismuseinrichtung Werbemaßnahmen durchführt, erbringt damit auch dann an die ortsansässigen Unternehmer keine entgeltliche Werbeleistung, wenn sie von diesen eine Tourismusabgabe erhebt, welche sie wiederum anteilig an den Kurbetrieb bzw. die Tourismuseinrichtung als Eigenbetrieb zur Finanzierung der Werbemaßnahmen weiterleitet. Die mit der Werbetätigkeit für den Kurbetrieb oder für die Tourismuseinrichtung der kommunalen Trägerkörperschaft einhergehenden Werbevorteile für diese Unternehmen sind lediglich ein Reflex der selbständig und im eigenen unternehmerischen Interesse getroffenen Entscheidungen über an Kurgäste oder Besucher gerichtete Werbemaßnahmen.3

9.242

Soweit eine kommunale Trägerkörperschaft für eine oder mehrere Tätigkeiten im Rahmen ihres Kurbetriebs öffentliche Zuschüsse erhält, richtet sich die Frage nach deren umsatzsteuerlichen Behandlung nach den allgemeinen von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätzen: Bei einem Zuschuss handelt es sich um ein Entgelt für eine Leistung (sog. unechter Zuschuss), wenn der Zahlende vom Zahlungsempfänger einen eigenen verbrauchsfähigen Vorteil erlangt.4 Hiervon ist im Fall eines abgeschlossenen gegenseitigen Vertrages grundsätzlich auszugehen.5 Bei einem öffentlichen Zuschuss handelt es ebenfalls um ein Entgelt für eine Leistung, wenn die Zahlung ein zusätzliches Entgelt für die Leistung des Zahlungsempfängers an eine dritte Person als Leistungsempfänger darstellt (vgl. § 10 Abs. 1 Satz 3 UStG).6 Dies ist der Fall, wenn sich aus der abgeschlossenen Vereinbarung eine Begünstigung zugunsten des Leistungsempfängers ergibt.7 Kein Entgelt für eine Leistung liegt im Fall eines (sog. echten) Zuschusses vor, wenn dieser nicht zur Verschaffung eines verbrauchsfähigen Vorteils erfolgt, sondern z.B. zur Verbesserung der finanziellen Situation des Zahlungsempfängers beitragen soll. Darunter fallen vor allem Zuschüsse aus strukturpolitischen, volkswirtschaftlichen oder allgemeinpolitischen Gründen.8

9.243

1 EuGH v. 12.5.2016 – C-520/14 – Gemeente Borsele, ECLI:EU:C:2016:334 Rz. 26 ff. m.w.N., UR 2016, 520; so auch BFH v. 15.12.2016 – V R 44/15, BFH/NV 2017, 707. 2 EuGH v. 12.5.2016 – C-520/14 – Gemeente Borsele, ECLI:EU:C:2016:334 Rz. 35, UR 2016, 520; BFH v. 28.6.2017 – XI R 12/15, BFH/NV 2017, 1400. 3 FG Schl.-Holst. v. 29.9.2021 – 4 K 118/18, EFG 2021, 2088, Rz. 30 ff. (Rev. BFH XI R 33/21). 4 BFH v. 28.5.2013 – XI R 32/11, BStBl II 2014, 411; v. 27.11.2008 – V R 8/07, BStBl II 2009, 397. 5 BFH v. 28.5.2013 – XI R 32/11, BStBl II 2014, 411; v. 11.2.2010 – V R 30/08, BFH/NV 2010, 2125; Abschn. 10.2 Abs. 2 UStAE. 6 BFH v. 5.12.2007 – V R 63/05, BFH/NV 2008, 996. 7 Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht24, § 17 Rz. 144. 8 BFH v. 18.11.2021 – V R 17/20, Rz. 20, juris; v. 11.2.2010 – V R 30/08, BFH/NV 2010, 2125; Abschn. 10.2 Abs. 7 UStAE; Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht24, § 17 Rz. 146.

Wiesch | 633

Kap. 9 Rz. 9.244 | Kommunalverwaltung

9.244

Soweit eine Gemeinde für die Errichtung eines Fähranlegers auf der einen Seite einen öffentlichen Zuschuss von einer landesrechtlichen öffentlichen Einrichtung als allgemeine Förderung aus strukturpolitischen Gründen erhält, unterliegt dieser Zuschuss als echter Zuschuss auch dann nicht der Umsatzsteuer, wenn die Errichtung des Fähranlegers gemeindeeigenen unternehmerischen Zwecken diente. Auf der anderen Seite hat die Gemeinde den Zuschuss des Kreises, der gleichzeitig allgemeiner Träger des örtlichen öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) ist, als Entgelt zu versteuern, wenn sich die Gemeinde verpflichtet hat, dass der Fähranleger für Belange des ÖPNV zur Verfügung stehen wird.1

9.245

Werden Gegenstände, welche zunächst für unternehmerische Tätigkeiten des Kurbetriebs verwendet worden sind, später ganz oder teilweise für nichtunternehmerische (hoheitliche) Zwecke der kommunalen Trägerkörperschaft verwendet, handelt es sich dabei nicht um einen Vorgang, der einer Leistung gegen Entgelt nach § 3 Abs. 1b oder Abs. 9a UStG gleichzustellen ist.2 Insoweit fehlt es grundsätzlich an einer Verwendung für unternehmensfremde (private) Zwecke. Nur für den Fall, dass die Verwendung zu einem unversteuerten (privaten) Endverbrauch führen würde, wäre eine Umsatzbesteuerung dieses Vorgangs berechtigt.3 b) Sonderregelungen für die Unternehmereigenschaft einer kommunalen Trägerkörperschaft (§ 2b UStG) aa) Systematische Einordnung und Aufbau der Sonderregelungen

9.246

Soweit eine kommunale Trägerkörperschaft mit ihrem Kurbetrieb oder ihren Tourismuseinrichtungen wegen der Ausübung einer unternehmerischen (wirtschaftlichen) Tätigkeit i.S. des § 2 Abs. 1 UStG grundsätzlich als Unternehmer zu behandeln ist, gilt sie wegen ihrer Rechtsform einer juristischen Person des öffentlichen Rechts mit dieser Tätigkeit gleichwohl als Nichtunternehmer, soweit es sich dabei um eine Tätigkeit handelt, die ihr im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegt (§ 2b Abs. 1 Satz 1 UStG; vgl. auch Kapitel 5. Abschn. C.). Diese Ausnahmeregelung gilt jedoch nicht, sofern die Behandlung der kommunalen Trägerkörperschaft mit dieser Tätigkeit als Nichtunternehmer zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde (§ 2b Abs. 1 Satz 2 UStG). bb) Im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegende Tätigkeiten

9.247

Eine kommunale Trägerkörperschaft übt eine Tätigkeit im Rahmen der öffentlichen Gewalt aus, wenn sie dabei im Rahmen der eigens für sie geltenden rechtlichen Regelungen tätig wird. Nicht erfasst werden hingegen ihre Tätigkeiten, welche sie nicht unter „öffentlich-rechtlichen Sonderregeln“ ausübt, sondern „unter den gleichen rechtlichen Bedingungen wie private Wirtschaftsteilnehmer“ erbringt.4 Soweit die kommunale Trägerkörperschaft jedoch für ihre unternehmerische Tätigkeit auf privatrechtlicher Grundlage, z.B. auf Grund eines privat-

1 FG Schl.-Holst. v. 24.11.2020 – 4 K 32/18, EFG 2021, 1240 (Rev. BFH XI R 13/21). 2 BFH v. 10.11.2011 – V R 41/10, BStBl II 2017, 869; v. 18.8.1988 – V R 18/83, BStBl II 1988, 971; a.A. Abschn. 15.19 Abs. 1 Satz 3 UStAE. 3 EuGH v. 16.9.2020 – C-528/19 – Mitteldeutsche Hartstein-Industrie, ECLI:EU:C:2020:712, UR 2020, 840; BFH v. 16.12.2020 – XI R 26/20 (XI R 28/17), BFH/NV 2021, 896. 4 EuGH v. 16.9.2008 – C-288/07 – Isle of Wight Council u.a., ECLI:EU:C:2008:505 Rz. 21, UR 2008, 816; BFH 10.2.2016 – XI R 26/13, BStBl II 2017, 857, Rz. 36; v. 15.4.2010 – V R 10/09, BStBl II 2017, 863, Rz. 36.

634 | Wiesch

E. Kurbetriebe, Tourismuseinrichtungen | Rz. 9.251 Kap. 9

rechtlichen Vertrages, handelt, ist eine vom Grundsatz des § 2 Abs. 1 UStG abweichende Behandlung als Nichtunternehmer nach § 2b Abs. 1 UStG von vornherein ausgeschlossen.1 Im Hinblick auf die Tätigkeiten, welche eine kommunale Trägerkörperschaft im Rahmen ihres Kurbetriebs oder ihrer Tourismuseinrichtungen ausübt, kommt es danach darauf an, auf welcher rechtlichen Grundlage sie tätig wird. Dabei ist zu beachten, dass kommunale Trägerkörperschaften als juristische Personen des öffentlichen Rechts grundsätzlich im Rahmen der ihr zustehenden Organisationsfreiheit (s. Rz. 1.77 ff.) wählen können, ob sie auf öffentlich-rechtlicher Grundlage oder auf privatrechtlicher Grundlage tätig werden. Zu den öffentlich-rechtlichen Grundlagen gehören neben gesetzlichen Bestimmungen insbesondere auch öffentlichrechtliche Satzungen sowie öffentlich-rechtliche Verträge.2

9.248

Soweit danach eine Kurgemeinde z.B. die Bestimmungen über die Bereitstellung und Nutzung einer Kur- oder Tourismuseinrichtung für die Kurgäste bzw. Besucher im Rahmen einer Satzung regelt, übt sie diese Tätigkeit auf öffentlich-rechtlicher Grundlage und damit im Rahmen der öffentlichen Gewalt aus. Sie unterliegt mit dieser Tätigkeit nicht der Umsatzbesteuerung, sofern ihre Behandlung als Nichtunternehmer nicht zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde. Wird hingegen z.B. der Zugang zu Konzerten oder anderen Kurveranstaltungen auf der Grundlage eines, ggf. auch mündlich bzw. konkludent, mit dem jeweiligen Kurgast oder Besucher geschlossenen privatrechtlichen Vertrages gewährt, handelt eine kommunale Trägerkörperschaft auf privatrechtlicher Grundlage. Die Behandlung als Nichtunternehmer nach § 2b Abs. 1 Satz 1 UStG ist in diesem Fall von vornherein ausgeschlossen und es bleibt dabei, dass die kommunale Trägerkörperschaft mit dieser unternehmerischen (wirtschaftlichen) Tätigkeit als Unternehmer der Umsatzbesteuerung unterliegt.

9.249

Die einen Kurbetrieb oder eine Tourismuseinrichtung betreibende kommunale Trägerkörperschaft wird nicht bereits deswegen auf öffentlich-rechtlicher Grundlage tätig, weil die Erhebung des Kurbeitrags öffentlich-rechtlich in einer Satzung geregelt ist.3 Insoweit ist grundsätzlich zwischen der Regelung für die Erhebung des Kurbeitrags als ein mögliches Entgelt für eine umsatzsteuerliche Leistung auf der einen Seite und der Grundlage der ausgeübten Tätigkeit bzw. der konkreten Leistungen auf der anderen Seite zu unterscheiden. Es ist gleichwohl möglich, dass eine kommunale Trägerkörperschaft sowohl die Tätigkeit, mit der die Leistungen erbracht werden, als auch die Erhebung des Kurbeitrags gemeinsam in einer Satzung regelt.

9.250

cc) Wettbewerbsverzerrungen Wettbewerbsverzerrungen setzen voraus, dass eine konkrete Tätigkeit einer kommunalen Trägerkörperschaft ein Wettbewerbsverhältnis mit privaten Unternehmern begründet (vgl. ausführlich Rz. 5.127 ff., Kapitel 5 Abschnitt C).4 Dabei ist nicht nur ein gegenwärtiges, sondern auch ein potentielles Wettbewerbsverhältnis zwischen privaten und öffentlich-rechtlichen Wirtschaftsteilnehmen relevant. Ein nur rein hypothetisches Wettbewerbsverhältnis reicht hingegen nicht aus. Zur Feststellung eines relevanten Wettbewerbsverhältnisses ist nicht allein 1 BFH v. 26.9.2019 – V R 16/18, BFH/NV 2020, 38, Rz. 12 m.w.N. 2 BFH 10.2.2016 – XI R 26/13, BStBl II 2017, 857, Rz. 43; BMF v. 16.12.2016 – III C 2 - S 7107/16/ 10001, DOK 2016/1126266 Rz. 6 ff., BStBl 2016, 1451. 3 Jäckl/Schwarz, DStR 2019, 473 (475); a.A. FG Rh.-Pf. v. 10.1.2019 – 6 K 2360/17 (rkr.), juris. 4 Vgl. zum Vorliegen von Wettbewerbsverzerrungen EuGH v. 16.9.2008 – C 288/07 – Isle of Wight Council u.a., ECLI:EU:C:2008:505 Rz. 21, UR 2008, 816; BFH v. 10.11.2011 – V R 41/10, BStBl II 2017, 869, Rz. 14; BMF v. 16.12.2016 – III C 2 - S 7107/16/10001, DOK 2016/1126266, BStBl I 2016, 1451, Rz. 24 ff.

Wiesch | 635

9.251

Kap. 9 Rz. 9.251 | Kommunalverwaltung

auf die Umstände des lokalen Marktes abzustellen, sondern die Beurteilung hat grundsätzlich anhand der ausgeübten Tätigkeit zu erfolgen.

9.252

Ein Wettbewerbsverhältnis besteht dem Grunde nach, wenn sich vergleichbare Leistungen gegenüberstehen. Leistungen sind gleichartig, wenn sie ähnliche Eigenschaften aufweisen, beim Verbraucher dieselben Bedürfnisse befriedigen und die bestehenden Unterschiede die Entscheidung des Durchschnittsverbrauchers zwischen den zu vergleichenden Leistungen eines öffentlich-rechtlichen und eines privaten Anbieters nicht erheblich beeinflussen.1 Dabei sind auch Übereinstimmungen und Unterschiede des (rechtlichen und wirtschaftlichen) Kontexts zu berücksichtigen, in dem die Leistungen erbracht werden.2 Bei der Beurteilung ist in erster Linie auf die Sicht des Durchschnittsverbrauchers abzustellen.3 Ein Wettbewerbsverhältnis ist von vornherein ausgeschlossen, wenn Tätigkeiten juristischen Personen des öffentlichen Rechts bzw. kommunalen Trägerkörperschaften rechtlich vorbehalten sind und sie im Hinblick auf die Tätigkeit eine Monopolstellung innehaben.4 Gleiches gilt aber auch, wenn es aus tatsächlichen Gründen von vornherein nicht möglich ist, dass eine Person des Privatrechts eine bestimmte Tätigkeit ausübt.5

9.253

Die Verzerrung des Wettbewerbs meint, dass die abweichende Behandlung einer juristischen Person des öffentlichen Rechts, so z.B. einer kommunalen Trägerkörperschaft mit ihrem Kurbetrieb oder ihren Tourismuseinrichtungen, als Nichtunternehmer durch eine damit zusammenhängende unterschiedliche umsatzsteuerliche Behandlung der im Wettbewerb zueinander stehenden Leistungen von öffentlichen und privaten Anbietern die Wettbewerbssituation zugunsten oder zulasten eines Wettbewerbers, also z.B. auch zulasten des öffentlich-rechtlichen Anbieters, verfälscht wird.6 Größere Wettbewerbsverzerrungen liegen bereits dann vor, wenn sie mehr als unbedeutend sind.7

9.254

Ob und inwieweit die Nichtbesteuerung der kommunalen Trägerkörperschaften mit ihren Kurbetrieben oder mit ihren Tourismuseinrichtungen nach den vorgenannten Grundsätzen zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde, ist umstritten: – Der BFH hat bisher insoweit nur allgemein darauf hingewiesen, dass größere Wettbewerbsverzerrungen ausgeschlossen sind, wenn es aufgrund der rechtlichen Rahmenbedingungen im Zeitpunkt der Erbringung der Leistungen durch den Staat ausgeschlossen ist, dass private Anbieter Leistungen auf den Markt bringen, die mit den staatlichen Leistungen im Wettbewerb stehen.8 – In einzelnen finanzgerichtlichen Entscheidungen wird das Vorliegen von größeren Wettbewerbsverzerrungen verneint. Dabei wird teilweise darauf abgestellt, dass ein privater Be1 EuGH v. 9.9.2021 – C-406/20 – Phantasialand, ECLI:EU:C:2021:720 Rz. 38 m.w.N., UR 2021, 758. 2 EuGH v. 9.9.2021 – C-406/20 – Phantasialand, ECLI:EU:C:2021:720 Rz. 42 f. m.w.N., UR 2021, 758; BMF v. 16.12.2016 – III C 2 - S 7107/16/10001, DOK 2016/1126266, BStBl I 2016, 1451, Rz. 26. 3 EuGH v. 9.9.2021 – C-406/20 – Phantasialand, ECLI:EU:C:2021:720 Rz. 38 m.w.N., UR 2021, 758. 4 EuGH v. 16.9.2008 – C 288/07 – Isle of Wight Council u.a., ECLI:EU:C:2008:505 Rz. 31, UR 2008, 816. 5 Vgl. Englisch, UR 2013, 570 (573 f.). 6 BMF v. 16.12.2016 – III C 2 - S 7107/16/10001, DOK 2016/1126266, BStBl I 2016, 1451, Rz. 30. 7 EuGH v. 16.9.2008 – C 288/07 – Isle of Wight Council u.a., ECLI:EU:C:2008:505 Rz. 79, UR 2008, 816; BMF v. 16.12.2016 – III C 2 - S 7107/16/10001, DOK 2016/1126266, BStBl I 2016, 1451, Rz. 31. 8 BFH v. 3.8.2017 – V R 62/16, BFH/NV 2018, 301, Rz. 24.

636 | Wiesch

E. Kurbetriebe, Tourismuseinrichtungen | Rz. 9.255 Kap. 9

treiber keinen Kurbetrieb anbieten könne, da das entsprechende Kurortgesetz nur juristische Personen des öffentlichen Rechts dazu berichtige.1 Ferner seien private Anbieter nicht in der Lage, das gleiche Bedürfnis der Kurgäste zu befriedigen.2 Dabei sei nicht auf einzelne Bedürfnisse, sondern auf die Gesamtheit der im Rahmen des Kurbetriebs erbrachten Leistungen abzustellen. Diese umfasse z.B. saubere Luft und Wasser, Infrastruktur (Wanderwege), Einzelhandel und kulturelle Angebote (Veranstaltungen). Die Rahmenbedingungen für die mit einem Kurbetrieb erbrachten Leistungen seien mit den Tätigkeiten bzw. erbrachten Leistungen privater Anbieter nicht vergleichbar. Diese könnten z.B. die Nutzung von Einrichtungen nicht unter den gleichen Bedingungen anbieten. Private Anbieter könnten auch keine Kurbeiträge erheben.3 – In der Literatur wird das Vorliegen von Wettbewerbsverzerrungen teilweise mit dem Argument bejaht, dass Kur- und Tourismuseinrichtungen und -veranstaltungen grundsätzlich auch von privaten Anbietern betrieben werden könnten.4 Soweit z.B. im Rahmen des Kurbetriebs ein Marktplatz bereitgestellt werde, der im Rahmen des Kurbetriebes gleichzeitig zur Durchführung einzelner Veranstaltungen verwendet werde, würden solche Leistungen zumindest einen potentiellen Wettbewerb mit vergleichbaren Leistungen privater Anbieter begründen. Ob und inwieweit die Behandlung einer kommunalen Trägerkörperschaft, die einen Kurbetrieb oder eine Tourismuseinrichtung betreibt, als Nichtunternehmer zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde, ist im Hinblick auf die auf öffentlich-rechtlicher Grundlage ausgeübten Tätigkeiten zu differenzieren: – Nichtunternehmerische Tätigkeiten der kommunalen Trägerkörperschaft, die im Rahmen des Kurbetriebs oder mit einzelnen Tourismuseinrichtungen ausgeführt werden, sind für die Frage des Vorliegens eines Wettbewerbsverhältnisses nicht heranzuziehen. Dies gilt insbesondere für Tätigkeiten bzw. für Leistungen an die Allgemeinheit, welche durch die Widmung von Einrichtungen des Kurbetriebs für den Allgemeingebrauch erbracht werden. Insoweit fehlt es bereits an einer umsatzsteuerlichen Leistungserbringung (Rz. 9.236 ff.). Daher sind für die Gesamtheit der im Rahmen des Kurbetriebs ausgeübten Tätigkeiten Wettbewerbsverzerrungen nicht bereits deswegen ausgeschlossen, weil ein privater Anbieter bereits in finanzieller Hinsicht nicht in der Lage wäre, vergleichbare Leistungen durch die Bereitstellung für die Allgemeinheit gewidmeter Einrichtungen zu erbringen. Der private Anbieter eines Schwimmbades erbringt auch dann mit den öffentlich-rechtlichen Betreiber eines Kurbetriebs vergleichbare Leistungen, wenn Letzterer im Rahmen des Kurbetriebs nicht nur ein Erholungsbad betreibt, sondern auch für den Allgemeingebrauch gewidmete Wanderwege, Strandpromenaden oder Marktplätze unterhält. – Die Frage des (potentiellen) Wettbewerbsverhältnisses mit privaten Anbietern ist nicht (ausschließlich) anhand der Gesamtheit der die im Rahmen eines Kurbetriebs ausgeübten Tätigkeiten bzw. erbrachten Leistungen, sondern (zusätzlich) getrennt nach einzelnen Tätigkeiten bzw. Leistungen zu beurteilen. Dies gilt insbesondere, wenn die kommunale Trägerkörperschaft im Rahmen ihres Kurbetriebs eine Vielzahl unterschiedlicher Tätigkeiten und Handlungen ausübt. Nur so kann ein effizienter Schutz des (potentiellen) Wett1 FG Rh.-Pf. v. 10.1.2019 – 6 K 2360/17 (rkr.), juris. 2 Vgl. hierzu und zum Folgenden FG BW v. 18.10.2018 – 1 K 1458/18, juris (Rev. BFH XI R 30/19). 3 FG MV v. 16.8.2018 – 2 K 188/15, UStB 2018, 345; FG BW v. 18.10.2018 – 1 K 1458/18, juris (Rev. BFH XI R 30/19). 4 Boos/Baldauf, DStZ 2022, 114 (124 f); Hidien/Menebröcker, MwStR 2020, 1043 (1049); Jäckel/ Schwarz, DStR 2019, 473 (475).

Wiesch | 637

9.255

Kap. 9 Rz. 9.255 | Kommunalverwaltung

bewerbs mit privaten Akteuren gewährleistet werden. Die Frage nach der Gleichartigkeit möglicher Leistungen von öffentlich-rechtlichen und privaten Anbietern ist nicht nur aus Sicht des öffentlichen Anbieters, sondern auch aus Sicht von privaten Anbietern zu prüfen. So wird sich zwar aus Sicht eines öffentlich-rechtlichen Anbieters z.B. vermutlich kein privater Anbieter finden, der ebenfalls sowohl eine Vielzahl an Wanderwegen, ein Schwimmbad, verschiedene Konzertveranstaltungen sowie ein Theater gemeinsam für (Kur-)Gäste bereitstellt. Mit Blick auf private Schwimmbad- und Theaterbetreiber werden jedoch gleichwohl Leistungen am Markt erbracht, die mit diesen einzelnen im Rahmen des Kurbetriebs ausgeübten Tätigkeiten und erbrachten Leistungen vergleichbar sind. – Isoliert betrachtet schließt die den kommunalen Trägerkörperschaften rechtlich vorbehaltene Erhebung von Kurbeiträgen zur Finanzierung des Kurbetriebs ein (potentielles) Wettbewerbsverhältnis nicht aus. Die Prüfung richtet sich nach der Vergleichbarkeit der im Rahmen des Kurbetriebs oder mit der Tourismuseinrichtung ausgeübten Tätigkeiten und erbrachten Leistungen mit den (potentiellen) Tätigkeiten und Leistungen von privaten Anbietern. Allerdings ist bei der Prüfung der Vergleichbarkeit der Kontext der Leistungserbringung zu berücksichtigen, zu denen auch die rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen gehören.1 Danach kann die den öffentlich-rechtlichen Anbietern rechtlich vorbehaltene Erhebung von Kurbeiträgen im Rahmen der gebotenen Einzelfallprüfung als einer von möglicherweise mehreren Umständen gewertet werden, der gegen eine Vergleichbarkeit mit einer (potentiellen) Tätigkeit eines privaten Anbieters spricht. dd) Bisherige Sonderregelung (§ 2 Abs. 3 UStG)

9.256

Bis zur erstmaligen Anwendung des § 2b UStG spätestens ab dem 1.1.2023 gilt die bisherige Sonderregelung für die Unternehmereigenschaft juristischer Personen des öffentlichen Rechts in § 2 Abs. 3 UStG a.F. fort (§ 27 Abs. 22 Satz 3, Abs. 22a Satz 1 UStG). Danach sind juristische Personen des öffentlichen Rechts nur im Rahmen ihrer Betriebe gewerblicher Art i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 6, § 4 KStG und ihrer land- oder forstwirtschaftlichen Betriebe unternehmerisch tätig. Da diese Regelung nicht den insoweit maßgeblichen Vorgaben des Art. 13 MwStSystRL entspricht, legt der BFH die Vorschrift des § 2 Abs. 3 UStG a.F. richtlinienkonform aus.2 Danach ist eine juristische Person des öffentlichen Rechts Unternehmer, wenn sie eine wirtschaftliche und damit eine nachhaltige Tätigkeit zur Erbringung entgeltlicher Leistungen (wirtschaftliche Tätigkeit) ausübt, die sich innerhalb ihrer Gesamtbetätigung heraushebt. Handelt sie dabei nachhaltig auf privatrechtlicher Grundlage durch Vertrag, kommt es auf weitere Voraussetzungen nicht an. Erfolgt ihre Tätigkeit auf öffentlich-rechtlicher Grundlage, ist sie demgegenüber nur Unternehmer, wenn eine Behandlung als Nichtunternehmer zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde.

9.257

Die Voraussetzungen, unter denen nach der richtlinienkonformen Auslegung des § 2 Abs. 3 UStG a.F. eine kommunale Trägerkörperschaft mit ihren im Rahmen des Kurbetriebs ausgeführten Tätigkeiten oder mit ihren Tourismuseinrichtungen als Nichtunternehmer zu behandeln sind, stimmen mit den Voraussetzungen nach § 2b Abs. 1 UStG überein. In beiden Fällen kommt es darauf an, ob sie ihre Tätigkeit auf öffentlich-rechtlicher oder auf privatrechtlicher Grundlage ausübt. Soweit sie auf öffentlich-rechtlicher Grundlage tätig wird, ist sie mit dieser Tätigkeit als Unternehmer zu behandeln, wenn ihre Behandlung als Nichtunternehmer zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde. 1 EuGH v. 9.9.2021 – C-406/20 – Phantasialand, ECLI:EU:C:2021:720 Rz. 41 ff., UR 2021, 758. 2 BFH v. 26.9.2019 – V R 16/18, BFH/NV 2020, 38, Rz. 12 m.w.N.

638 | Wiesch

E. Kurbetriebe, Tourismuseinrichtungen | Rz. 9.261 Kap. 9

Abweichend von der richtlinienkonformen Auslegung des § 2 Abs. 3 UStG a.F. ist aus Sicht der Finanzverwaltung eine juristische Person des öffentlichen Rechts auch dann mit ihrer grundsätzlich unternehmerischen Tätigkeit als Nichtunternehmer zu behandeln, wenn es sich bei der Tätigkeit um eine bloße Vermögensverwaltung1 oder um Beistandsleistungen zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts handelt,2 sowie wenn die Tätigkeit einen nachhaltigen Jahresumsatz von 35.000 €3 nicht überschreitet.

9.258

2. Ermäßigter Steuersatz für Kurbetriebe und Tourismuseinrichtungen a) Schwimmbäder Der ermäßigte Steuersatz gilt nach § 12 Abs. 2 Nr. 9 Satz 1 UStG für unmittelbar mit dem Betrieb von Schwimmbädern verbundene Umsätze. Die Steuermäßigung knüpft allein an die erbrachte Leistung an. Sie gilt sowohl für Leistungen von kommunalen Trägerkörperschaften als auch von privaten Anbietern.

9.259

Der Begriff Schwimmbad ist richtlinienkonform im Sinne einer Sportanlage auszulegen.4 Daher muss ein Schwimmbad zur Ausübung einer sportlichen Betätigung geeignet und bestimmt sein. Kein Schwimmbad im Sinne einer Sportanlage ist demgegenüber eine Einrichtung, in der lediglich ein Erholungsbad genommen werden kann. Bei der Abgrenzung ist z.B. zu berücksichtigen, ob die Schwimmbecken sich für die Ausübung sportlichen Schwimmens anbieten, indem sie beispielsweise in Schwimmbahnen unterteilt sind, mit Startblöcken ausgestattet sind und eine angemessene Tiefe und angemessene Ausmaße haben, oder ob sie vielmehr so angelegt sind, dass sie sich im Wesentlichen für eine spielerische Nutzung eignen.5 Die sportliche Betätigung muss allerdings nicht auf einem bestimmten Niveau oder in einer bestimmten Art und Weise, etwa regelmäßig oder organisiert oder im Hinblick auf die Teilnahme an sportlichen Wettkämpfen, ausgeübt werden.6

9.260

Aus Sicht der Finanzverwaltung gehören zu den unmittelbar mit dem Betrieb der Schwimmbäder verbundenen begünstigten Umsätze insbesondere die Benutzung der Schwimmbäder (z.B. durch Einzelbesucher, Gruppen oder Vereine), ergänzende Nebenleistungen (z.B. Benutzung von Einzelkabinen), die Erteilung von Schwimmunterricht und notwendige Hilfsleistungen (z.B. Vermietung von Schwimmgürteln, Handtüchern und Badekleidung, Aufbewahrung der Garderobe, Benutzung von Haartrocknern).7 Nicht begünstigt sind u.a. die Abgabe von Reinigungsbädern, die Lieferungen von Seife und Haarwaschmitteln, die Vermietung von Liegestühlen und Strandkörben, die Zurverfügungstellung von Unterhaltungseinrichtungen (Minigolf, Tischtennis und dgl.) und die Vermietung oder Verpachtung einzelner Betriebsteile, wie z.B. die Vermietung eines Parkplatzes, einer Sauna oder von Reinigungsbädern. Ebenfalls nicht begünstigt sind die Parkplatzüberlassung, die Fahrradaufbewahrung sowie die Umsätze in Kiosken, Milchbars und sonstigen angegliederten Wirtschaftsbetrieben.8

9.261

1 Seer/Klemke, BB 2010, 2015 (2019). 2 Englisch, UR 2021, 338 (339). 3 Abschn. 2.11 Abs. 4 UStAE i.V.m. R 4.1 Abs. 5 Sätze 1 und 4 KStR (nach R 4.1 Abs. 5 Sätze 1 und 4 KStR 2022 voraussichtlich jeweils 45.000 €). 4 BFH v. 17.8.2021 – XI B 29/21, juris, Rz. 11; v. 28.8.2014 – V R 24/13, BStBl II 2015, 194, Rz. 32. 5 EuGH v. 21.2.2013 – C-18/12 – Mesto Zamberk, ECLI:EU:C:2013:95 Rz 34, UR 2013, 338. 6 Abschn. 12.11 Abs. 2 Satz 4 UStAE. 7 Abschn. 12.11 Abs. 1 Satz 1 UStAE. 8 Abschn. 12.11 Abs. 2 UStAE.

Wiesch | 639

Kap. 9 Rz. 9.262 | Kommunalverwaltung

9.262

Die Vermietung und Verpachtung eines Schwimmbades unterliegt als ein unmittelbar mit dem Betrieb von Schwimmbädern verbundener Umsatz dem ermäßigten Steuersatz.1 Dem ermäßigten Steuersatz unterliegt auch die Gewährung eines Betriebskostenzuschusses durch die kommunale Trägerkörperschaft an den das Schwimmbad pachtenden Unternehmer, soweit es sich bei dem Zuschuss um ein Entgelt für eine von dem Unternehmer an die Trägerkörperschaft erbrachte Betriebsführungsleistung handelt.2 Die Aufrechterhaltung des Betriebes eines Schwimmbades für die Öffentlichkeit und die der Durchführung des laufenden Betriebes des Schwimmbades selbst dienenden Betriebsführungsleistungen hängen ebenfalls unmittelbar mit dem Betrieb von Schwimmbädern zusammen.3 b) Heilbäder

9.263

Der ermäßigte Steuersatz gilt nach § 12 Abs. 2 Nr. 9 Satz 1 UStG neben den unmittelbar mit dem Betrieb von Schwimmbädern verbundenen Umsätzen auch für die Verabreichung von Heilbädern, soweit diese nicht bereits als Heilbehandlung nach § 4 Nr. 14 UStG steuerfrei sind. Die Steuermäßigung knüpft allein an die erbrachte Leistung an. Sie gilt sowohl für Leistungen von kommunalen Trägerkörperschaften als auch von privaten Anbietern.

9.264

Die unionsrechtliche Grundlage für die Begünstigung findet sich in Art. 98 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 i.V.m. Anhang III MwStSystRL. Die Mitgliedstaaten können danach ermäßigte Steuersätze nur auf Leistungen anwenden, die in den im Anhang III der MwStSystRL genannten Kategorien bezeichnet werden.4 Die Kategorie 17 des Anhang III der MwStSystRL umfasst medizinische Versorgungsleistungen und zahnärztliche Leistungen sowie Thermalbehandlungen, soweit sie nicht nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. b bis e MwStSystRL steuerbefreit sind. Die Voraussetzungen für die Anwendung der Steuerermäßigung sind eng auszulegen, da es sich dabei um eine Ausnahme vom Grundsatz der Besteuerung nach dem Regelsteuersatz handelt.5

9.265

Die steuerliche Begünstigung für die Verabreichung eines Heilbads im Sinne des § 12 Abs. 2 Nr. 9 Satz 1 UStG setzt voraus, dass sie der Behandlung einer Krankheit oder einer anderen Gesundheitsstörung und damit dem Schutz der menschlichen Gesundheit dient.6 Wird das Bad hingegen nicht zu Heilzwecken durchgeführt, sondern erfolgt aus anderen Gründen, insbesondere zum Zwecke der Erholung oder des Wohlbefindens, dann liegt keine Verabreichung eines Heilbades vor.7 Die Verabreichung von Heilbädern setzt ferner eine Abgabe des Heilbades unmittelbar an den Kurgast voraus.8

9.266

Die Finanzverwaltung geht davon aus, dass die Verabreichung eines Heilbades der Behandlung einer Krankheit oder einer anderen Gesundheitsstörung und damit dem Schutz der 1 FinMin Sachs-Anh v. 26.3.2015, MwStR 2015, 406; Heidner in Bunjes, § 12 UStG Rz. 173; SchülerTäsch in Sölch/Ringleb, § 12 UStG Rz. 759. 2 FG BW v. 21.12.2016 – 14 K 2029/13, DStRE 2018, 800 (Betriebskostenzuschusses als Entgelt für eine Betriebsführungsleistung); nachgehend BFH v. 18.7.2017 – XI B 24/17, BFH/NV 2018, 60. 3 BFH v. 19.11.2009 – V R 29/08, BFH/NV 2010, 701, Rz. 13 f. 4 EuGH v. 18.1.2001 – C-83/99 – Kommission/Spanien, ECLI:EU:C:2001:31 Rz. 19, UR 2001, 210. 5 EuGH v. 18.1.2001 – C-83/99 – Kommission/Spanien, ECLI:EU:C:2001:31 Rz. 19, UR 2001, 210; BFH v. 12.5.2005 – V R 54/02, BStBl II 2007, 283. 6 BFH v. 28.8.2014 – V R 24/13, BStBl II 2015, 194; BFH v. 12.5.2005 – V R 54/02, BStBl II 2007, 283; Abschn. 12.11 Abs. 3 Satz 1 UStAE. 7 BFH v. 28.8.2014 – V R 24/13, BStBl II 2015, 194. 8 Abschn. 12.11 Abs. 4 Satz 1 UStAE.

640 | Wiesch

E. Kurbetriebe, Tourismuseinrichtungen | Rz. 9.269 Kap. 9

menschlichen Gesundheit dient, wenn das Heilbad im Einzelfall nach § 4 der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von Heilmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Heilmittel-Richtlinie) in Verbindung mit dem sog. Heilmittelkatalog als Heilmittel verordnungsfähig ist.1 Das Heilbad muss jedoch nicht tatsächlich verordnet worden sein.2 Als verordnungsfähig anerkannt sind beispielsweise Peloidbäder und -packungen, Inhalationen, Elektrotherapie, Heilmassage, Heilgymnastik und Unterwasserdruckstrahl-Massagen.3 Keine steuerbegünstigten Heilbäder4 sind die nach § 5 Heilmittel-Richtlinie in Anlage 1 als nicht verordnungsfähig genannten Maßnahmen. Darunter fallen z.B. Höhlentherapie, nichtinvasive Magnetfeldtherapie, Fußreflexzonenmassage, Akupunktmassage und Atlas-Therapie nach Arlen. Ebenfalls keine steuerbegünstigten Heilbäder sind Maßnahmen, welche der persönlichen Lebensführung zuzuordnen sind. Darunter fallen z.B.

9.267

– Massage des ganzen Körpers (Ganz- bzw. Vollmassagen), Massage mittels Geräten sowie Unterwassermassage mittels automatischer Düsen, sofern es sich nicht um eine Heilmassage handelt; – Teil- und Wannenbäder, soweit sie nicht nach den Vorgaben des Heilmittelkataloges verordnungsfähig sind; – Sauna, römisch-irische und russisch-römische Bäder;5 – Schwimmen und Baden, auch in Thermal- und Warmwasserbädern; – Maßnahmen, die der Veränderung der Körperform (z.B. Bodybuilding) oder dem FitnessTraining dienen; – sog. Floating-Bäder,6 Heubäder, Schokobäder, Kleopatrabäder, Aromabäder, Meerwasserbäder, Lichtbehandlungen, Garshan und Reiki. Ursprünglich hatte die Finanzverwaltung den Begriff des Heilbades sehr weit ausgelegt. Danach waren insbesondere Saunabäder, Dampf- und Heißluftraumbäder steuerlich begünstigt.7 Seit dem 30.6.2015 findet diese weite Auslegung jedoch keine Anwendung mehr.8

9.268

c) Erbringung von teilweise begünstigten und teilweise nicht begünstigen Schwimmund Heilbadleistungen Die nach § 12 Abs. 2 Nr. 9 Satz 1 UStG auf die unmittelbar mit dem Betrieb von Schwimmbädern verbundenen Umsätze sowie auf die Verabreichung von Heilbädern beschränkte Anwendung des ermäßigten Steuersatzes kann dazu führen, dass auf Leistungen, die im Zusammenhang mit dem Betrieb von Bädern erbracht werden, grundsätzlich unterschiedliche Steuersätze Anwendung finden würden.

1 2 3 4 5 6 7 8

Jeweils abrufbar unter www.g-ba.de/richtlinien/12/. Abschn. 12.11 Abs. 3 Satz 2 UStAE. Abschn. 12.11 Abs. 3 Satz 4 UStAE. Abschn. 12.11 Abs. 3 Satz 6 UStAE. BFH v. 12.5.2005 – V R 54/02, BStBl II 2007, 283. BFH v. 28.8.2014 – V R 24/13, BStBl II 2015, 194. Vgl. Abschn. 12.11 Abs. 3 UStAE in seiner ursprünglichen Fassung, BStBl I 2010, 846. BMF v. 28.10.2014 – IV D 2 - S 7243/07/10002-02, DOK 2014/0935834, BStBl I 2014, 1439.

Wiesch | 641

9.269

Kap. 9 Rz. 9.270 | Kommunalverwaltung

9.270

Die Beurteilung, ob und inwieweit in diesen Fällen die Leistungen umsatzsteuerrechtlich eigenständige Leistungen darstellen, auf die unterschiedliche Steuersätze anzuwenden sind, oder ob sie umsatzsteuerrechtlich als eine einheitliche Leistung zu behandeln sind, auf die insgesamt entweder der Regelsteuersatz oder der ermäßigte Steuersatz anzuwenden ist, richtet sich nach folgenden Grundsätzen:1 – In der Regel ist jede Leistung als eigene, selbständige Leistung zu betrachten. Umfasst ein Umsatz jedoch ein Bündel von Einzelleistungen und Handlungen, ist im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zu bestimmen, ob zwei oder mehr getrennte Umsätze vorliegen oder ein einheitlicher Umsatz. Hierfür sind aus Sicht eines Durchschnittsverbrauchers die charakteristischen Merkmale des Umsatzes zu ermitteln. Einerseits darf eine wirtschaftlich einheitliche Leistung nicht künstlich aufgespalten werden. Andererseits sind mehrere formal getrennt erbrachte Einzelleistungen als eine einheitliche Leistung anzusehen, wenn sie nicht selbständig sind. – Eine einheitliche Leistung liegt zum einen vor, wenn eine oder mehrere Einzelleistungen eine Hauptleistung bilden und die andere(n) Einzelleistung(en) eine oder mehrere Nebenleistungen bilden, die das steuerliche Schicksal der Hauptleistung teilen. Eine Leistung ist insbesondere dann Neben- und nicht Hauptleistung, wenn sie für den Leistungsempfänger keinen eigenen Zweck hat, sondern nur das Mittel darstellt, um die Hauptleistung des Leistungserbringers unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen.2 Zum anderen kann sich eine einheitliche Leistung daraus ergeben, dass zwei oder mehrere Handlungen oder Einzelleistungen des Unternehmers für den Leistungsempfänger so eng miteinander verbunden sind, dass sie objektiv einen einzigen untrennbaren wirtschaftlichen Vorgang bilden, dessen Aufspaltung aus der Sicht eines Durchschnittsverbrauchers wirklichkeitsfremd wäre (sog. komplexe Leistung).3 Die umsatzsteuerliche Behandlung des Umsatzes richtet sich in diesem Fall nach ihren dominierenden oder wesentlichen Bestandteilen.4

9.271

Soweit für mehrere Leistungen, auf die unterschiedliche Steuersätze Anwendung finden, ein einheitlicher Gesamtpreis vereinbart worden ist, ist dieser zur Ermittlung der Bemessungsgrundlage eines jeden einzelnen damit bewirkten Umsatzes aufzuteilen. Die Aufteilung hat dabei nach der einfachst möglichen Berechnungs- oder Bewertungsmethode zu erfolgen.5 Bestehen mehrere sachgerechte, gleich einfache Aufteilungsmethoden, kann der Unternehmer aus Sicht der Finanzverwaltung zwischen diesen Methoden frei wählen.6 Bietet der Unternehmer die für einen Gesamtpreis erbrachten Leistungen auch einzeln an, ist der Gesamtpreis grundsätzlich nach dem Verhältnis der Einzelpreise aufzuteilen. Daneben sind nach der Finanzverwaltung auch andere Aufteilungsmethoden wie das Verhältnis des jeweiligen Wareneinsatzes für eine Leistung zueinander zulässig, sofern diese Methoden gleich einfach sind und zu sachgerechten Ergebnissen führen. Die Aufteilung nach den betrieblichen Kosten ist hingegen keine gleich einfache Aufteilungsmethode und danach nicht zulässig. 1 BFH v. 10.1.2013 – V R 31/10, BStBl II 2013, 352, Rz. 17; v. 28.10.2010 – V R 9/10, BStBl II 2011, 360, m.w.N. 2 Vgl. z.B. EuGH v. 10.3.2011 – C-497/09 – Bog u.a., ECLI:EU:C:2011:135 Rz. 54 m.w.N., UR 2011, 727. 3 Vgl. z.B. EuGH v. 10.3.2011 – C-497/09 – Bog u.a., ECLI:EU:C:2011:135 Rz. 53 m.w.N., UR 2011, 727; BFH v. 13.6.2018 – XI R 2/16, BStBl II 2018, 678, Rz. 14. 4 EuGH v. 21.2.2013 – C-18/12 – Mesto Zamberk, ECLI: EU:C:2013:95 Rz. 29, UR 2013, 407. 5 BFH v. 3.4.2013 – V B 125/12, BStBl II 2013, 973, Rz. 17; v. 30.6.2011 – V R 44/10, BStBl II 2011, 1003; Abschn. 10.1 Abs. 11 Satz 2 UStAE. 6 Vgl. insgesamt Abschn. 10.1 Abs. 11 Satz 3 ff. UStAE.

642 | Wiesch

E. Kurbetriebe, Tourismuseinrichtungen | Rz. 9.276 Kap. 9

d) Kureinrichtungen Der ermäßigte Steuersatz gilt nach § 12 Abs. 2 Nr. 9 Satz 2 UStG für die Bereitstellung von Kureinrichtungen, soweit als Entgelt eine Kurtaxe zu entrichten ist. Anlass für die Einführung dieser Regelung war die Ansicht,1 dass die Bereitstellung von Kureinrichtungen gegen Erhebung einer Kurtaxe eine einheitliche Leistung bildet,2 deren einzelne Bestandteile für sich teilweise steuerfrei wären (z.B. Kurkonzerte) oder dem ermäßigten Steuersatz unterlägen (z.B. Schwimmbäder, Trinkkuren). Daher seien für (kommunale) Bäderverwaltungen Wettbewerbsnachteile zu befürchten, wenn auf die einheitliche Leistung, also die Bereitstellung von Kureinrichtungen, der Regelsteuersatz angewendet werde. Um diese Wettbewerbsnachteile zu verhindern, sei auf die Kurtaxe als Entgelt für die einheitliche Leistung in Gestalt der Bereitstellung von Kureinrichtungen der ermäßigte Steuersatz anzuwenden.

9.272

Die Anwendung der Steuerermäßigung setzt voraus, dass eine Gemeinde als Kur-, Erholungs- oder Küstenbadeort (staatlich) anerkannt ist.3 Nicht anerkannte Gemeinden oder private Anbieter von mit Kurreinrichtungen vergleichbaren Einrichtungen sind danach mit ihren Leistungen, soweit es sich dabei nicht um nach § 12 Abs. 2 Nr. 9 Satz 1 UStG ermäßigte Leistungen im Zusammenhang mit Schwimm- oder Heilbädern handelt, von der Steuerermäßigung ausgeschlossen.

9.273

Wie die Regierungsbegründung4 geht auch die Finanzverwaltung davon aus, dass es sich bei der Bereitstellung von Kureinrichtungen um eine einheitliche (Gesamt-) Leistung handelt, die sich aus verschiedenartigen Einzelleistungen (z.B. die Veranstaltung von Kurkonzerten, das Gewähren von Trinkkuren sowie das Überlassen von Kurbädern, Kurstränden, Kurparks und anderen Kuranlagen oder -einrichtungen zur Benutzung) zusammensetzt. In diesen Fällen kann danach eine aufgrund der Kommunalabgabengesetze der Länder oder vergleichbarer Regelungen erhobene Kurtaxe aus Vereinfachungsgründen als Gegenleistung für eine in jedem Fall nach § 12 Abs. 2 Nr. 9 Satz 2 UStG ermäßigt zu besteuernde Leistung angesehen werden. Dabei kommt es nicht darauf an, ob das Entgelt als Kurtaxe bezeichnet wird oder eine andere Bezeichnung, z.B. Kurbeitrag oder -abgabe, verwendet wird. Eine getrennte umsatzsteuerliche Behandlung der mit der Bereitstellung von Kureinrichtungen erbrachten Einzelleistungen, z.B. als steuerfreie Einzelleistung, ist wegen der Einheitlichkeit der Gesamtleistung ausgeschlossen.5

9.274

Die Steuerermäßigung findet keine Anwendung auf Einzelleistungen, wie z.B. die Gebrauchsüberlassung einzelner Kureinrichtungen oder -anlagen und die Veranstaltung von Konzerten, Theatervorführungen oder Festen, für die neben der Kurtaxe ein besonderes Entgelt zu zahlen ist.6

9.275

3. Vorsteuerabzug bei Kurbetrieben und Tourismuseinrichtungen a) Die Bedeutung des Vorsteuerabzugs Die Anschaffung und Herstellung von sowie die laufenden Kosten für Kur- und Tourismuseinrichtungen sind regelmäßig mit größeren Investitionen bzw. höheren Aufwendungen ver1 So auch die Begründung der Bundesregierung, vgl. BT-Drucks. 8/1779, 40. 2 So aber auch schon die damalige Rechtsprechung, vgl. BFH v. 1.10.1981 – V R 34/76, UR 1982, 32 m.w.N. 3 Abschn. 12.11 Abs. 5 Satz 4 UStAE. 4 So auch die Begründung der Bundesregierung, vgl. BT-Drucks. 8/1779, 40. 5 BFH v. 1.10.1981 – V R 34/76, UR 1982, 32. 6 Abschn. 12.11 Abs. 5 Satz 5 UStAE; Heidner in Bunjes, § 12 UStG Rz. 180.

Wiesch | 643

9.276

Kap. 9 Rz. 9.276 | Kommunalverwaltung

bunden. Daher ist es für kommunale Trägerkörperschaften attraktiv und wünschenswert, im Hinblick auf den Kurbetrieb oder die Tourismuseinrichtungen zum Vorsteuerabzug berechtigt zu sein, um eine endgültige finanzielle Belastung durch die für die bezogenen Leistungen in Rechnung gestellten Umsatzsteuern zu vermeiden. b) Allgemeine Voraussetzungen

9.277

Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG kann ein Unternehmer die gesetzlich geschuldete Steuer für Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuer abziehen. Der Unternehmer ist danach zum Vorsteuerabzug berechtigt, soweit er Leistungen für sein Unternehmen (§ 2 Abs. 1 UStG) und damit für seine wirtschaftlichen Tätigkeiten (Art. 9 Abs. 1 MwStSystRL) zur Erbringung entgeltlicher Leistungen zu verwenden beabsichtigt.1 Nach Art. 168 Buchst. a MwStSystRL ist ein Steuerpflichtiger berechtigt, vom Betrag der von ihm geschuldeten Steuer die für Gegenstände und Dienstleistungen geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer abzuziehen, soweit er die Gegenstände oder Dienstleistungen auf der Ausgangsstufe für die Zwecke dieser Umsätze verwendet hat.2 Dies setzt voraus, dass ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang zwischen Eingangsund Ausgangsumsatz vorliegt.3 Ein solcher Zusammenhang ist anzunehmen, wenn die Aufwendungen des Eingangsumsatzes zu den Kostenelementen der zum Abzug berechtigenden Ausgangsumsätze gehören.4

9.278

Der Vorsteuerabzug für juristische Personen des öffentlichen Rechts und damit auch für kommunale Trägerkörperschaften im Hinblick auf ihre Kurbetriebe oder Tourismuseinrichtungen richtet sich nach den allgemeinen Vorschriften. Da der Vorsteuerabzug jedoch sowohl die Unternehmereigenschaft (Rz. 9.230 ff.) als auch die Verwendung der Eingangsleistung für eine unternehmerische (wirtschaftliche) Tätigkeit voraussetzt, kommt es für den Vorsteuerabzug bei Kurbetrieben oder Tourismuseinrichtungen darauf an, ob es sich dabei um eine unternehmerische (wirtschaftliche) Tätigkeit handelt sowie ob und inwieweit eine bezogene Leistung hierfür verwendet werden soll. Bei öffentlichen-rechtlichen Trägerkörperschaften ist also zwischen einer Verwendung von Eingangsleistungen für unternehmerische und für nichtunternehmerische Tätigkeiten zu unterscheiden.5

9.279

Der Vorsteuerabzug für kommunale Trägerkörperschaften ist von vornherein auf den Umfang der beabsichtigten Verwendung für den Kurbetrieb oder für die Tourismuseinrichtung, soweit es sich dabei um eine unter den Voraussetzungen der §§ 2, 2b UStG die Unternehmereigenschaft begründende Tätigkeit handelt, beschränkt.6 Eine über den Anteil der (beabsichtigten) unternehmerischen Verwendung hinausgehende Zuordnung zur unternehmerischen Tätigkeit, um den vollen Vorsteuerabzug in Anspruch zu nehmen, ist nicht möglich.7 Ein Zuordnungswahlrecht steht dem Unternehmer (ausnahmsweise) nur dann zu, wenn neben der 1 BFH v. 3.8.2017 – V R 62/16, BStBl II 2021, 109, Rz. 22. 2 EuGH v. 18.10.2018 – C-153/17 – Volkswagen Financial Services (UK, ECLI:EU:C:2018:845 Rz. 38, UR 2018, 883); BFH v. 23.10.2019 – XI R 18/17, BFH/NV 2020, 593, Rz. 15. 3 BFH v. 8.10.2014 – V R 56/13, BFH/NV 2015, 137, Rz. 11; v. 9.2.2012 – V R 40/10, BStBl II 2012, 844, Rz. 25. 4 BFH v. 13.11.2019 – V R 5/18, BStBl II 2020, 136, Rz. 25; v. 13.1.2011 – V R 12/08, BStBl II 2012, 61, Rz. 22. 5 Abschn. 15.19 Abs. 1 und 2 UStAE. 6 BFH v. 3.8.2017 – V R 62/16, BStBl II 2021, 109, Rz. 27. 7 BFH v. 3.8.2017 – V R 62/16, BStBl II 2021, 109, Rz. 20; v. 3.3.2011 – V R 23/10, BStBl II 2012, 74, Rz. 28.

644 | Wiesch

E. Kurbetriebe, Tourismuseinrichtungen | Rz. 9.282 Kap. 9

unternehmerischen Verwendung eine anteilige Verwendung für private Zwecke beabsichtigt ist.1 Eine anteilige Verwendung für andere nichtunternehmerische (nichtwirtschaftliche) Zwecke, z.B. für hoheitliche Zwecke, ermöglicht für eine kommunale Trägerkörperschaft nicht das Wahlrecht, die bezogene Leistung insgesamt der unternehmerischen (wirtschaftlichen) Tätigkeit zuzuordnen und den vollen Vorsteuerabzug in Anspruch zu nehmen. Aus diesem Grund bedarf es im Fall einer kommunalen Trägerkörperschaft regelmäßig auch keiner zeitnahen Zuordnungsentscheidung für die Inanspruchnahme des (anteiligen) Vorsteuerabzugs.2 c) Der Allgemeinheit gewidmete Kur- und Tourismuseinrichtungen Der Vorsteuerabzug ist nach der (bisherigen) BFH-Rechtsprechung grundsätzlich ausgeschlossen, soweit eine kommunale Trägerkörperschaft, die unternehmerisch einen Kurbetrieb oder eine Tourismuseinrichtung betreibt, eine Kur- bzw. die Tourismuseinrichtung dem Allgemeingebrauch widmet und daher die Kurgäste bzw. die Besucher die Einrichtung lediglich im Rahmen der Widmung und damit als Teil der Allgemeinheit nutzen.3 In diesem Fall stehen die Kosten für die Errichtung und die laufenden Kosten nicht mit der mit dem Kurbetrieb oder mit der Tourismuseinrichtung ausgeübten unternehmerischen (wirtschaftlichen) Tätigkeit in einem direkten und unmittelbaren Zusammenhang. Der Vorsteuerabzug ist in diesem Fall nur insoweit möglich, als dass den Kurgästen bzw. den Besuchern eine Nutzung der Einrichtung im Rahmen einer über den Allgemeingebrauch hinausgehenden Sondernutzung eingeräumt wird. Fehlt es an einer (öffentlich-rechtlichen) Widmung der Einrichtung, ist darauf abzustellen, ob und inwieweit diese ausdrücklich oder konkludent der Öffentlichkeit zur Nutzung überlassen wird und es sich danach um eine öffentliche Einrichtung handelt.4

9.280

Für den Vorsteuerabzug aus den Aufwendungen für die Anschaffung oder Herstellung einer Kureinrichtung ist aus Sicht des BFH für das Vorliegen eines direkten und unmittelbaren Zusammenhang zwischen den hierfür anfallenden Kosten und den Kurbetrieb als die eine Unternehmereigenschaft begründende unternehmerische (wirtschaftliche) Tätigkeit zu prüfen, ob und inwieweit die Anschaffungs- und Herstellungskosten Einfluss auf die Höhe der Kurtaxe hatten.5 Die vereinnahmte Kurtaxe dient grundsätzlich zur Deckung des Aufwands, der für die Herstellung und Unterhaltung der zu Kur- und Erholungszwecken bereitgestellten Einrichtungen entsteht. Daher kann es gegen das Vorliegen eines unmittelbaren und direkten Zusammenhangs mit dem Kurbetrieb als unternehmerische (wirtschaftliche) Tätigkeit sprechen, wenn der Aufwand keinerlei Einfluss auf die Höhe der Kurtaxe entfaltet hat.

9.281

Die vorgenannten Grundsätze wurden in mehreren finanzgerichtlichen Entscheidungen wie folgt angewendet:

9.282

– Zwischen den Kosten für die Errichtung und Gestaltung eines Marktplatzes und der (unterstellten) wirtschaftlichen Tätigkeit (Kurbetrieb) eine Gemeinde bestand kein direkter und unmittelbarer Zusammenhang,6 da der der Marktplatz von den Kurgästen nicht im 1 BFH v. 12.1.2011 – XI R 9/08, BStBl II 2012, 58, Rz. 15. 2 BFH v. 3.8.2017 – V R 62/16, BStBl II 2021, 109, Rz. 17 ff. 3 BFH v. 3.8.2017 – V R 62/16, BStBl II 2021, 109, Rz. 26; v. 11.6.1997 – XI R 65/95, BStBl II 1999, 420; v. 26.4.1990 – V R 166/84, BStBl II 1990, 799: a.A. Hidien/Menebröcker, UR 2021, 96 (100 ff.); kritisch Jäckl/Schwarz, DStR 2019, 473 (477). 4 Vgl. z.B. § 14 Abs. 2 GO Rh.-Pf.; § 8 Abs. 2 GO NW. 5 BFH v. 3.8.2017 – V R 62/16, BStBl II 2021, 109, Rz. 26. 6 FG Rh.-Pf. v. 10.1.2019, 6 K 2360/17 (rkr.), juris; dabei handelt es sich um das nachgehende Urteil zu BFH v. 3.8.2017 – V R 62/16, BStBl II 2021, 109.

Wiesch | 645

Kap. 9 Rz. 9.282 | Kommunalverwaltung

Rahmen einer Sondernutzung genutzt wurde, sondern als Teil der Allgemeinheit. Der Marktplatz wurde zwar nicht dem Allgemeingebrauch gewidmet, aber bei dem Marktplatz handelte es sich um eine öffentliche Einrichtung i.S. der Gemeindeordnung, da der Marktplatz der Öffentlichkeit zur Nutzung überlassen wurde. Es war auch kein wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen den Kosten für den Marktplatz und dem Kurbetrieb erkennbar. Insbesondere blieb die Höhe des Kurbeitrags (Kurtaxe) von den angefallenen Kosten für die Errichtung des Marktplatzes unbeeinflusst. – Aufwendungen für ein Kurhaus, einen Kurpark, einen außerhalb des Kurparks befindlichen Park samt Pavillon, der Durchführung von Eventtagen und verkaufsoffenen Sonntagen, der Errichtung von Waldbewegungs- und Sportpfaden sowie von Loipen standen nicht mit der (unterstellten) unternehmerischen (wirtschaftlichen) Tätigkeit (Kurbetrieb) in einem direkten und unmittelbaren Zusammenhang, da eine Zuordnung von dem Allgemeingebrauch gewidmeten oder sonstigen öffentlichen Einrichtungen und Anlagen zum unternehmerischen Bereich nicht möglich ist.1 Der Zugang zu den Einrichtungen und Anlagen war sowohl für Bürger als auch für Dritte möglich, unabhängig vom Umstand, ob eine Person auch die Kurtaxe gezahlt hat. – Die Aufwendungen für zwei Strandzugänge standen nicht mit der (unterstellten) wirtschaftlichen Tätigkeit (Kurbetrieb) in einem direkten und unmittelbaren Zusammenhang, da eine Widmung für den Gemeingebrauch zur Folge hat, dass es sich nicht um einen Unternehmensgegenstand handelt und folglich die Aufwendungen hierfür nicht „für das Unternehmen“ sind.2 Bei den Strandübergängen handelte es sich um eine öffentliche Straße i.S. des landesrechtlichen Straßen- und Wegegesetzes, d.h. sie dienten dem Allgemeingebrauch. Eine Zuordnung zum Unternehmen setzt jedoch eine über den Gemeingebrauch hinausgehende Sondernutzung voraus.

9.283

Die Finanzverwaltung hat die den Vorsteuerabzug einschränkenden Grundsätze der BFHRechtsprechung übernommen.3 Eine kommunale Trägerkörperschaft (Gemeinde) kann danach keine Vorsteuern aus Herstellung und Unterhalt von Einrichtungen geltend machen, die zwar durch die Gemeinde als Teil der öffentlichen Kureinrichtungen/des Fremdenverkehrs vorgehalten werden, jedoch nach den landesrechtlichen Regelungen (z.B. Straßen- und Wegerecht) durch öffentlich-rechtliche Widmung als dem Gemeingebrauch zugänglich anzusehen bzw. einer solchen Widmung zuzuführen sind, selbst wenn die kommunale Trägerkörperschaft (Gemeinde) vom Kurgast auf der Grundlage einer Satzung einen allgemeinen Kurabgabebeitrag erhebt. In diesen Fällen erfolgt die Nutzung der Einrichtungen durch den Kurgast nicht im Rahmen einer über den Gemeingebrauch hinausgehenden Sondernutzung. Fehlt eine öffentlich-rechtlichen Widmung, entfällt der Vorsteuerabzug auch dann, wenn die Einrichtung ausdrücklich (z.B. durch Gemeindeordnung) oder konkludent (z.B. durch Gewohnheitsrecht oder Ausschilderung als Spazier- oder Wanderweg) der Öffentlichkeit zur Nutzung überlassen wird und dadurch insoweit eine Sondernutzung in Zusammenhang mit einer wirtschaftlichen Tätigkeit ausgeschlossen ist.

9.284

Es ist fraglich, ob in Ansehung der jüngeren EuGH- und BFH-Rechtsprechung der Vorsteuerabzug hinsichtlich der Anschaffungs- und Herstellungskosten sowie der laufenden Kosten für Kur- und Tourismuseinrichtungen (weiterhin) bereits aus dem Grund ausgeschlossen ist, dass 1 FG BW v. 18.10.2018 – 1 K 1458/18, juris (Rev. BFH XI R 30/19). 2 FG MV v. 16.8.2018 – 2 K 188/15, UStB 2018, 345. 3 Abschn. 15.19 Abs. 2 Satz 4 ff., eingeführt mit BMF v. 18.1.2021, III C 2-S 7300/19/10002:002, DOK 2021/0025276, BStBl I 2021, 121.

646 | Wiesch

E. Kurbetriebe, Tourismuseinrichtungen | Rz. 9.285 Kap. 9

eine Einrichtung für den Allgemeingebrauch gewidmet ist bzw. der Allgemeinheit überlassen wird:1 – Nach der bisherigen Rechtsprechung des BFH war der Vorsteuerabzug ausgeschlossen, soweit Eingangsleistungen für einen unentgeltlichen Umsatz und damit für eine nichtwirtschaftliche Tätigkeit verwendet wird, die nicht in den Anwendungsbereich der Umsatzsteuer fällt.2 – Demgegenüber hat der EuGH auf Vorlage des BFH3 entschieden, dass ein Steuerpflichtiger ein Recht auf Abzug der Vorsteuer für die zugunsten einer Gemeinde durchgeführten Arbeiten zum Ausbau einer Gemeindestraße hat, wenn diese Straße sowohl von diesem Steuerpflichtigen im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit als auch von der Öffentlichkeit benutzt wird, soweit diese Ausbauarbeiten nicht über das hinausgingen, was erforderlich war, um diesem Steuerpflichtigen zu ermöglichen, seine wirtschaftliche Tätigkeit auszuüben, und ihre Kosten im Preis der von diesem Steuerpflichtigen getätigten Ausgangsumsätze enthalten sind.4 – Der BFH hat sich unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung der EuGH-Rechtsprechung angeschlossen und im Anschluss entschieden, dass einem Unternehmer, der eine Leistung bezieht, um diese an einen Dritten unentgeltlich weiterzuliefern und zugleich die eigene unternehmerische Tätigkeit zu ermöglichen, der Vorsteuerabzug zusteht, wenn die bezogene Eingangsleistung nicht über das hinausgeht, was erforderlich/unerlässlich war, um diesen Zweck zu erfüllen, und die Kosten der Eingangsleistung (kalkulatorisch) im Preis der getätigten Ausgangsumsätze enthalten sind und der Vorteil des Dritten (im Urteilsfall: der Allgemeinheit) allenfalls nebensächlich ist. Insoweit reicht eine „mittelbare“ Veranlassung für den Vorsteuerabzug aus.5 Auf der Grundlage der geänderten BFH-Rechtsprechung zum Vorsteuerabzug für Eingangsleistungen, die zwar unmittelbar für eine nichtwirtschaftliche, mittelbar aber für eine ausgeübte wirtschaftliche Tätigkeit verwendet werden, kommt für eine öffentliche-rechtliche Trägerkörperschaft, die mit ihrem Kurbetrieb oder mit ihrer Tourismuseinrichtung unter den Voraussetzungen der §§ 2, 2b UStG als Unternehmer zu behandeln ist (Rz. 9.230 ff.), der Vorsteuerabzug für die Anschaffung/Herstellung und Unterhaltung einer dem Allgemeingebrauch gewidmeten Einrichtung in Betracht. – Danach muss die angeschaffte oder hergestellte Einrichtung den Kurbetrieb oder eine andere unternehmerische Tätigkeit, z.B. Parkraumbewirtschaftung, ermöglichen. Der Begriff der Ermöglichung ist dabei m.E. mit Blick auf die Gewährung des Vorsteuerabzugs nicht eng auszulegen, so dass auch eine feststellbare (mittelbare) Förderung der unternehmerischen Tätigkeit ausreicht. Eine zu weitgehende, ggf. auch als missbräuchliche anzusehende Inanspruchnahme des Vorsteuerabzugs wird zudem durch die weiteren einschränkenden Voraussetzungen vermieden.

1 2 3 4

Kritisch auch Boos/Baldauf, DStZ 2022, 114 (125 ff). BFH v. 13.1.2011 – V R 12/08, BStBl II 2012, 61. BFH, Vorlagebeschl. v. 13.3.2019, XI R 28/17, UR 2019, 580. EuGH v. 16.9.2020 – C-528/19 – Mitteldeutsche Hartstein-Industrie, ECLI:EU:C:2020:712, UR 2020, 840; vgl. auch EuGH v. 1.10.2020 – C-405/19 – Vos Aannemingen, ECLI:EU:C:2020:785, UR 2020, 883; v. 14.9.2017 – C-132/16 – Iberdrola, ECLI:EU:C:2017:683, UR 2017, 928; v. 22.10.2015 – C-126/14 – Sveda, ECLI:EU:C:2015:712, UR 2015, 2442. 5 BFH v. 16.12.2020 – XI R 26/20 (XI R 28/17), BFH/NV 2021, 896.

Wiesch | 647

9.285

Kap. 9 Rz. 9.285 | Kommunalverwaltung

– Die Kosten für die Einrichtung dürfen nicht über das hinausgehen, was erforderlich bzw. unerlässlich war, um den Zweck der Ermöglichung (Förderung) der unternehmerischen Tätigkeit in Gestalt des Kurbetriebs oder einer anderen unternehmerischen (wirtschaftlichen) Tätigkeit zu erfüllen. Wegen des für kommunale Trägerkörperschaften grundsätzlich geltenden haushälterischen Grundsatzes der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit werden die aufgewendeten Kosten regelmäßig als insoweit erforderlich bzw. unerlässlich angesehen werden können. – Die Kosten für die Einrichtung müssen (kalkulatorisch) im Preis, also im erhobenen Kurbeitrag, der getätigten Ausgangsumsätze oder in den Preisen für die andere unternehmerische Tätigkeit enthalten sein. Diese Voraussetzung ist m.E. z.B. bereits dann als erfüllt anzusehen, wenn sich die Kosten zu Lasten der für den Kurbetrieb oder eine andere ausgeübte unternehmerische (wirtschaftliche) Tätigkeit zur Verfügung gestellten Mittel auswirken. Soweit der Kurbetrieb oder die Tourismuseinrichtung als kommunaler Eigenbetrieb geführt wird, sind die Kosten zu Lasten der dem Eigenbetrieb zugewiesenen Mittel zu erfassen. Eine Zuordnung der Kosten für die Einrichtung zu den steuerpflichtigen Ausgangsumsätzen ist auch darin zu sehen, wenn z.B. die Kosten ganz oder zumindest teilweise aus den erzielten Kurbeiträgen finanziert werden. – Schließlich darf der mit der Errichtung und Überlassung der Kur- oder Tourismuseinrichtung einhergehende Vorteil für die Allgemeinheit nur nebensächlich sein. Das heißt m.E., dass die Förderung der unternehmerischen (wirtschaftlichen) Tätigkeit, z.B. der Kurbetrieb, den Schwerpunkt der Maßnahme in Gestalt der Errichtung und Unterhaltung der Einrichtung darstellen muss. Ob und inwieweit diese Voraussetzung erfüllt ist, ist danach im Rahmen einer Gesamtbetrachtung nach den Umständen des Einzelfalls zu entscheiden.

9.286

Nach den Grundsätzen der o.g. EuGH-Rechtsprechung ist z.B. eine Ortsgemeinde hinsichtlich der Eingangsleistungen für den Bau einer Touristenattraktion (Hängeseilbrücke) zum Vorsteuerabzug berechtigt.1 Zwischen dem Bau der Touristenattraktion und der unternehmerischen (wirtschaftlichen) Tätigkeit in Gestalt des Betriebs eines gebührenpflichtigen Parkplatzes bestand ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang. Zwar wurde die Touristenattraktion öffentlich-rechtlich als Wanderweg gewidmet, allerdings diente diese Maßnahme der Einnahmeerzielung durch die Parkplatzbewirtschaftung. Die beabsichtigte Erzielung der Parkplatzgebühren wäre ohne die Touristenattraktion in der abgelegenen Gemeinde nicht möglich gewesen. Die Errichtung der Touristenattraktion erfolgte auch nicht, um den Bedarf der Gemeinde selbst oder der sie besuchenden Wanderer nach Straßen und Wegen zu befriedigen. d) Vorsteueraufteilung bei gemischt unternehmerischer und nichtunternehmerischer Verwendung

9.287

Ein Unternehmer ist vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen, wenn er Eingangsleistungen nicht für sein Unternehmen i.S. des § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG, also nicht für seine unternehmerische (wirtschaftliche) Tätigkeit bezieht. In diesem Fall sind die Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug bereits nicht erfüllt. Er ist ferner grundsätzlich mit seinen Eingangsleistungen vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen, die er zwar für sein Unternehmen, aber zur Ausführung steuerfreier Umsätze verwendet (§ 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG). Verwendet der Unternehmer eine Eingangsleistung teilweise für seine nichtunternehmerische (nichtwirtschaftliche) Tätigkeit oder zur Ausführung steuerfrei Umsätze, die den Vorsteuerabzug ausschließen, so 1 BFH v. 20.10.2021 – XI R 10/21, UR 2022, 300.

648 | Wiesch

E. Kurbetriebe, Tourismuseinrichtungen | Rz. 9.291 Kap. 9

ist lediglich der Teil der jeweiligen Vorsteuerbeträge nicht abziehbar, der den zum Ausschluss vom Vorsteuerabzug führenden Tätigkeiten oder Umsätzen wirtschaftlich zuzurechnen ist (§ 15 Abs. 4 Satz 1 UStG (analog)1).2 Verwendet eine kommunale Trägerkörperschaft einen Gegenstand teilweise für eine unter den Voraussetzungen der §§ 2, 2b UStG die Unternehmereigenschaft begründende unternehmerische (wirtschaftliche) Tätigkeit und teilweise für eine nichtunternehmerische (nichtwirtschaftliche bzw. hoheitliche) Tätigkeit, liegt eine gemischte Tätigkeit vor, die zum anteiligen Vorsteuerabzug berechtigen.3 Der abziehbare Teil des Vorsteuerbetrages ist im Wege einer sachgerechten Schätzung zu ermitteln.4 Diese Grundsätze gelten auch für die gemischte Verwendung einer Kur- bzw. Tourismuseinrichtung, die sowohl von Kurgästen bzw. Besuchern im Rahmen einer Sondernutzung genutzt wird und daher mit einer unternehmerischen (wirtschaftlichen) Tätigkeit in einem direkten und unmittelbaren Zusammenhang stehen als auch dem Allgemeingebrauch gewidmet ist.5

9.288

Die Finanzverwaltung hat die BFH-Rechtsprechung dahingehend übernommen,6 dass die Berechtigung zum Vorsteuerabzug nur im Umfang der beabsichtigten Verwendung für die unternehmerische Tätigkeit besteht, wenn eine Eingangsleistung sowohl für den unternehmerischen als auch für den nichtunternehmerischen Bereich der juristischen Person des öffentlichen Rechts bezogen wird (teilunternehmerische Verwendung). Die auf die Eingangsleistung entfallende Steuer ist nach den Verhältnissen bei Bezug der Leistung entsprechend dem Verwendungszweck in einen abziehbaren und einen nicht abziehbaren Anteil aufzuteilen.

9.289

Im Fall der gemischten unternehmerischen und nichtunternehmerischen Verwendung einer Eingangsleistung können sog. echte Zuschüsse, welche die kommunale Trägerkörperschaft nicht als steuerpflichtiges Entgelt für eine Leistung, sondern z.B. aus strukturpolitischen, volkswirtschaftlichen oder allgemeinpolitischen Gründen für die Anschaffung und Herstellung oder für die laufenden Kosten einer Kur- oder Tourismuseinrichtung erhält, den abziehbaren Teil des Vorsteuerbetrages mindern. Der nicht abziehbare Anteil des Vorsteuerbetrages kann im Wege einer sachgerechten Schätzung ermittelt werden (§ 15 Abs. 4 Satz 2 UStG). Wenn keine andere wirtschaftliche Zurechnung möglich ist, ist eine Aufteilung des Vorsteuerbetrages anhand des Verhältnisses der Umsätze, die den Vorsteuerabzug ausschließen, zu den Umsätzen, die zum Vorsteuerabzug berechtigen, vorzunehmen (sog. Umsatzschlüssel, § 15 Abs. 4 Satz 3 UStG). Bei der Anwendung des Umsatzschlüssels sind die erhaltenen nichtsteuerpflichtigen (echten) Zuschüsse dahingehend zu berücksichtigen, dass sie den Umfang der nichtunternehmerischen (nichtwirtschaftlichen) Tätigkeit widerspiegeln.7

9.290

Soweit die Eingangsleistung ausschließlich direkt und unmittelbar für die unternehmerische (wirtschaftliche) Tätigkeit verwendet wird, führen erhaltene echte Zuschüsse allerdings nicht zu einer Minderung des abziehbaren Vorsteuerbetrages. Es fehlt bereits an einer gemischten Verwendung der Eingangsleistung, so dass es keiner Ermittlung des nichtabziehbaren Anteils des Vorsteuerbetrages nach § 15 Abs. 4 UStG (analog) bedarf. Dementspre-

9.291

1 2 3 4 5 6 7

BFH v. 3.3.2011 – V R 23/10, BStBl II 2012, 74. BFH v. 3.8.2017 – V R 62/16, BStBl II 2021, 109, Rz. 16. BFH v. 3.3.2011 – V R 23/10, BStBl II 2012, 74. BFH v. 3.8.2017 – V R 62/16, BStBl II 2021, 109, Rz. 28. BFH v. 3.8.2017 – V R 62/16, BStBl II 2021, 109, Rz. 27. Abschn. 15.19 Abs. 3 Satz 2 f. UStAE. BFH v. 20.10.2021 – XI R 10/21, Rz. 52, UR 2022, 300; v. 24.9.2014 – V R 54/13, BFH/NV 2015, 364 Rz. 37; FG Nds. v. 30.1.2019 – 11 K 87/18 (rkr.), MwStR 2019, 635, Rz. 64.

Wiesch | 649

Kap. 9 Rz. 9.291 | Kommunalverwaltung

chend steht z.B. einer Gemeinde aus dem Bezug von Werbeleistungen der ungekürzte Vorsteuerabzug zu, wenn die Werbeleistung (Fremdenverkehrswerbung) ausschließlich für den unternehmerischen (wirtschaftlichen) Kurbetrieb und nicht auch anteilig für öffentliche Zwecke der Gemeinde (mit-) bezogen worden ist. In diesem Fall kommt es auch nicht darauf an, dass der Kurbetrieb einen Teil der Einnahmen der Gemeinde aus der Erhebung einer Fremdenverkehrsabgabe von den örtlichen Unternehmen für den Bezug der Werbeleistungen verwendet hat.1

F. Umsatzbesteuerung von Sportstätten, Bürgerhäusern, Stadthallen, Wissenschafts- und Kongresszentren (Gemeinschaftseinrichtungen) im Rahmen der Kommunalverwaltung I. Bedeutung der Umsatzbesteuerung für kommunale Gemeinschaftseinrichtungen 9.292

Das Betreiben bzw. Verwalten von kommunalen Gemeinschaftsreinrichtungen ist ein zentraler Bestandteil der kommunalen Daseinsvorsorge. Einrichtungen wie Sportstätten, Bürgerhäuser, Stadthallen sowie Wissenschafts- und Kongresszentren sind regelmäßig zentrale Orte des kommunalen Zusammenlebens und typische Begegnungsstätten. Nicht selten sind sie kommunalpolitische Aushängeschilder, die für die Bürger vor Ort, aber auch außerhalb der jeweiligen Gebietsgrenzen Attraktivität und Lebensqualität der Kommune wiederspiegeln und signalisieren sollen.

9.293

Die Verwaltung von Gemeinschaftseinrichtungen begründet für eine kommunale Trägerkörperschaft in der Regel eine kommunalwirtschaftliche Betätigung, mit der öffentliche Dienstleistungen erbracht werden. Sportstätten werden z.B. zur Durchführung von sportlichen Veranstaltungen verwendet oder mietweise an Sportvereine zur Nutzung überlassen. Einrichtungen wie Bürgerhäuser, Stadthallen oder Kongresszentren werden zur Durchführung von kulturellen Veranstaltungen verwendet oder zu diesem Zweck an private Unternehmer bzw. Bürger vermietet.

9.294

Die Umsatzsteuer zielt auf eine umfassende Belastung privater Konsumaufwendungen ab. Zu diesem Zweck knüpft sie die steuerliche Belastung an die Erbringung entgeltlicher Leistungen. Dabei ist zu beachten, dass die Umsatzsteuer nicht direkt vom privaten Endverbraucher als intendierten Steuerträger erhoben wird, sondern der Staat den leistungserbringenden Unternehmer als Steuerschuldner in Anspruch nimmt, der die steuerliche Belastung wiederum mit dem Preis an den Endverbraucher weitergeben kann. Mit der indirekten Erhebung der Umsatzsteuer fungiert der leistungserbringende Unternehmer als Steuereinsammler für den Staat. Dementsprechend kommt es im Bereich der kommunalwirtschaftlichen Betätigung und insbesondere im Zusammenhang mit der öffentlichen Daseinsvorsorge durch die Verwaltung von Gemeinschafseinrichtungen zu umsatzsteuerrelevanten Sachverhalten.

9.295

Die Errichtung und der laufende Betrieb kommunaler Gemeinschaftsreinrichtungen führen wegen der Ziele der öffentlichen Daseinsvorsorge und der damit verbundenen Einschränkungen für die wirtschaftlichen Gestaltungsmöglichkeiten, insbesondere im Hinblick auf die Preisgestaltung, regelmäßig zu finanziellen Defiziten und damit zu einer Belastung des Haushalts einer kommunalen Trägerkörperschaft. In diesem Zusammenhang ist es von besonderer 1 FG Schl.-Holst. v. 29.9.2021 – 4 K 118/18, EFG 2021, 2088 (Rev. BFH XI R 33/21).

650 | Wiesch

F. Umsatzbesteuerung von Sportstätten u.a. | Rz. 9.299 Kap. 9

Bedeutung, ob und inwieweit die Umsatzbesteuerung von Gemeinschaftseinrichtungen auf der einen Seite eine Kostenbelastung entfaltet, und ob auf der anderen Seite Möglichkeiten zur Kostenminderung, z.B. durch die Erstattung der für Leistungen im Zusammenhang mit der Errichtung und dem laufenden Betrieb in Rechnung gestellten Vorsteuern, bestehen. Vor diesem Hintergrund soll im Folgenden die Umsatzbesteuerung von kommunalen Gemeinschaftseinrichtungen wie z.B. Sportstätten, Bürgerhäuser, Stadthallen, Wissenschaftsund Kongresszentren behandelt werden. Hierzu werden in einem ersten Schritt die für das Verständnis erforderlichen umsatzsteuerlichen Grundlagen im Hinblick auf die kommunale Verwaltung von Gemeinschafseinrichtungen und des Umsatzsteuerrechts sowie die Anwendung des Umsatzsteuerrechts auf kommunale Trägerkörperschaften als juristische Personen des öffentlichen Rechts erläutert (Rz. 9.297 ff.). Im Anschluss werden dann in einem zweiten Schritt die im Zusammenhang mit der Umsatzbesteuerung von kommunalen Gemeinschaftseinrichtungen zu behandelnden Fragen erläutert. Dabei steht zum einen im Vordergrund, ob, inwieweit unter welchen Voraussetzungen eine kommunale Trägerkörperschaft, unter zusätzlicher Berücksichtigung der von ihr gewählten öffentlich-rechtlichen oder privaten Organisationsform, mit der Verwaltung ihrer Gemeinschaftseinrichtungen der Umsatzsteuerbesteuerung unterliegt (Rz. 9.309 ff.). Zum anderen wird auf die Frage eingegangen, ob, inwieweit und unter welchen Voraussetzungen für eine kommunale Trägerkörperschaft die Möglichkeit besteht, für die im Zusammenhang mit der Verwaltung von Gemeinschaftseinrichtungen entstandenen Aufwendungen eine Steuerminderung bzw. -erstattung hinsichtlich der ihnen in Rechnung gestellten Umsatzsteuern zu erlangen (Rz. 9.404 ff.). Abschließend wird wegen der weiterhin bestehenden praktischen Bedeutung auf die umsatzsteuerliche Behandlung der Verwaltung von Gemeinschaftseinrichtungen durch kommunale Trägerkörperschaften nach altem Recht (§ 2 Abs. 3 UStG a.F.) eingegangen (Rz. 9.430 ff.).

9.296

II. Grundlagen für die Umsatzbesteuerung kommunaler Gemeinschaftseinrichtungen 1. Gemeinschaftseinrichtungen im Rahmen der Kommunalverwaltung Die kommunale Verwaltung bezeichnet insbesondere die Tätigkeit von Gemeinden und Kreisen als kommunale Gebiets- bzw. Trägerkörperschaften. Es handelt sich bei ihnen um juristische Personen des öffentlichen Rechts, welchen auf der einen Seite die auf der Ebene der mittelbaren Staatsverwaltung angesiedelten Aufgaben obliegen, denen aber gleichzeitig auch das in Art. 28 Abs. 2 GG verankerte Recht auf Selbstverwaltung zusteht (vgl. ausführlich Rz. 1.65 ff.).

9.297

Mit Gemeinschaftseinrichtungen sind solche Einrichtungen gemeint, welche kommunale Trägerkörperschaften im Rahmen und zur Erfüllung ihrer Aufgaben für die (wirtschaftliche, soziale und kulturelle) Daseinsvorsorge errichten und entweder selbst betreiben oder, z.B. im Wege der Vermietung und Verpachtung, weiterüberlassen. Die mit dem Betrieb der Gemeinschaftseinrichtungen verbundenen Leistungen richten sich vorrangig an die Bürgerinnen und Bürger vor Ort (vgl. z.B. § 8 Abs. 1 GO NW). Zu den typischen kommunalen Gemeinschaftseinrichtungen gehören insbesondere Sportstätten wie z.B. Sportanlagen, Sporthallen und Schwimmbäder, aber auch Bürgerhäuser, Stadthallen bzw. Mehrzweckhallen oder z.B. Wissenschafts- und Kongresszentren. Ferner gehören dazu z.B. auch Museen und Theater (vgl. Rz. 9.159 ff.).

9.298

Die Verwaltung einer Gemeinschaftsreinrichtung kann durch eine kommunale Trägerkörperschaft unter Ausübung der ihr grundsätzlich zustehenden Formwahlfreiheit (vgl. hierzu und

9.299

Wiesch | 651

Kap. 9 Rz. 9.299 | Kommunalverwaltung

zum Folgenden Rz. 1.77 ff.) zum einen im Rahmen einer öffentlich-rechtlichen Organisationsform erfolgen. In diesem Fall erfolgt die Verwaltung regelmäßig durch einen Regie- oder Eigenbetrieb der kommunalen Trägerkörperschaft. Da es sich bei diesen um unselbständige Organisations(unter)einheiten handelt, tritt in diesen Fällen die kommunale Trägerkörperschaft selbst als handelnde Person auf. Etwas anderes gilt dann, wenn die Verwaltung einer Gemeinschaftseinrichtung auf eine (neu gegründete) juristische Person des öffentlichen Rechts übertragen wird, z.B. auf einen öffentlich-rechtlichen Zweckverband. In diesem Fall wird nach außen hin der Zweckverband und nicht dessen Mitglieder, z.B. kommunale Gebietskörperschaften, als handelnde Person tätig. Zum anderen kann die Verwaltung einer kommunalen Gemeinschaftseinrichtung im Rahmen einer privatrechtlichen Organisationsform erfolgen. In diesen Fällen gründet eine kommunale Trägerkörperschaft grundsätzlich eine Eigengesellschaft in Gestalt einer GmbH als juristische Person des Privatrechts und stattet diese mit den erforderlichen finanziellen Mitteln aus. Nach außen hin tritt als Verwalter bzw. Betreiber der kommunalen Gemeinschaftseinrichtung allein die Eigengesellschaft auf (zum Sonderfall der Organschaft s. Rz. 9.353).

9.300

Die Wahl der Organisationsform ist für die Verwaltung von kommunalen Gemeinschaftseinrichtungen mit Blick auf ihre umsatzsteuerliche Behandlung von maßgeblicher Bedeutung. Zum einen richtet sich die Beurteilung, wer leistender Unternehmer und damit im Regelfall Schuldner der Umsatzsteuer ist, danach, wer nach außen hin als leistender Unternehmer auftritt. So kann eine kommunale Trägerkörperschaft beeinflussen, ob sie selbst (Rz. 9.311) oder eine von ihr gegründete Eigengesellschaft hinsichtlich der im Rahmen der Gemeinschaftseinrichtung erbrachten Leistungen als Steuerschuldner herangezogen wird. Zum anderen knüpfen einzelne umsatzsteuerliche Regelungen an die Rechtsform des leistenden Unternehmers an. Eine kommunale Trägerkörperschaft kann insbesondere in ihrer Eigenschaft als juristische Person des öffentlichen Rechts im Hinblick auf eine grundsätzlich unternehmerische Tätigkeit unter den Voraussetzungen des § 2b Abs. 1 Satz 1 UStG als Nichtunternehmer behandelt werden, während diese Ausnahmeregelung auf eine Privatrechtsperson nicht angewendet wird (vgl. Kap. 5 Abschnitt C). Die Umsatzsteuerbefreiung für Leistungen im Bereich der Erwachsenenbildung nach § 4 Nr. 22 Buchst. a UStG setzt in persönlicher Hinsicht voraus, dass es sich beim leistenden Unternehmer um eine juristische Person des öffentlichen Rechts handelt. Ein privatrechtlicher Unternehmer muss hingegen weitere persönliche Voraussetzungen erfüllen, damit er mit seinen grundsätzlich begünstigten Bildungsleistungen unter die Steuerbefreiung fällt. Es muss sich bei ihm z.B. um eine Verwaltungsakademie oder um eine Einrichtung, die gemeinnützigen Zwecken dient, handeln.

9.301

Die möglichen Arten der Verwendung einer Gemeinschaftseinrichtung durch die kommunale Trägerkörperschaft beschränkt sich im Regelfall auf folgende drei Tätigkeitskategorien: Die Gemeinschaftseinrichtung kann zum einen für eigene (hoheitliche) Zwecke der jeweiligen kommunalen Trägerkörperschaft verwendet werden. Dies ist z.B. der Fall, wenn Sportanlagen für den Schulsport oder ein Bürgerhaus zur Durchführung von Bürgerinformationsveranstaltungen verwendet werden. Die Gemeinschaftseinrichtung kann zum anderen zur Durchführung eigener, insbesondere wirtschaftlicher, sozialer oder kultureller Veranstaltungen der kommunalen Trägerkörperschaft genutzt werden. Darunter fallen z.B. die Durchführung von Sportveranstaltungen, Kunstausstellungen oder Konzerten. Schließlich besteht die die Möglichkeit, dass die kommunale Trägerkörperschaft die Gemeinschaftseinrichtung an andere Personen kurzzeitig oder dauerhaft vermietet oder verpachtet, und zwar entweder an eine Eigengesellschaft, an fremde Dritte, z.B. an Bürgerinnen und Bürger bzw. private Unternehmer, oder auch an eine andere kommunale Trägerkörperschaft, z.B. als Amtshilfe bzw. Beistandsleistung. 652 | Wiesch

F. Umsatzbesteuerung von Sportstätten u.a. | Rz. 9.307 Kap. 9

Die mögliche Verwendung der kommunalen Gemeinschaftseinrichtung durch eine kommunale Eigengesellschaft oder durch einen fremden Dritten als Betreiber (Unternehmer) weicht nur hinsichtlich einer Tätigkeitskategorie ab. So ist eine Nutzung zu eigenen hoheitlichen Zwecken nicht möglich. Allerdings kommt in diesen Fällen zusätzlich die (Rück-) Überlassung der Gemeinschaftseinrichtung an die anteilshaltende kommunale Trägerkörperschaft in Betracht.

9.302

2. Umsatzbesteuerung kommunaler Trägerkörperschaften Bei der Umsatzsteuer handelt es sich um eine allgemeine Verbrauchsteuer1, welche an die durch private Vermögensverwendungen indizierte Leistungsfähigkeit anknüpft.2 Sie wird indirekt erhoben. Intendierter Träger der Umsatzsteuer ist zwar der private Endverbraucher, Steuerschuldner sind jedoch hiervon abweichend diejenigen, welche keine privaten, sondern unternehmerische (wirtschaftliche) Tätigkeiten ausüben (Unternehmer, vgl. § 2 Abs. 1, § 13a Abs. 1 Nr. 1 UStG). Letztere können jedoch die von ihnen geschuldete Umsatzsteuer über den Preis auf den privaten Endverbraucher abwälzen und werden daher vom Staat, bei dem es sich wiederum um den Steuergläubiger handelt, als Steuereinsammler in Anspruch genommen.3

9.303

Die Umsatzsteuer ist als Allphasen-Netto-Umsatzsteuer mit Vorsteuerabzug ausgestaltet.4 Sie fällt zwar auf jeder Produktions- oder Vertriebsstufe an und erfasst danach nicht nur den privaten Endverbrauch, sondern auch die der Ausübung einer unternehmerischen Tätigkeit dienenden Vermögensverwendungen. Der Bezug von Leistungen zur Ausführung einer unternehmerischen Tätigkeit berechtigt jedoch grundsätzlich dazu, dass die mit dem Preis in Rechnung gestellte und vom leistenden Unternehmer gegenüber dem Fiskus geschuldete Umsatzsteuer dem leistungsempfangenden Unternehmer erstattet wird (sog. Vorsteuerabzug, vgl. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG). Wegen des Anspruchs auf Erstattung bzw. Abzug der für Eingangsleistungen in Rechnung gestellten Umsatzsteuer von der eigenen Steuerschuld verbleibt grundsätzlich allein eine finale steuerliche Belastung beim privaten Endverbraucher, welcher nicht gegenüber dem Fiskus eine Erstattung der in Rechnung gestellten Umsatzsteuer verlangen kann.

9.304

Die Umsatzsteuer ist unionsrechtlich harmonisiert. Grundlage des gemeinsamen Umsatzsteuersystems ist die sog. Mehrwertsteuersystemrichtlinie (MwStSystRL). Die sich daraus ergebenden unionsrechtlichen Vorgaben in der Auslegung nach der hierzu ergangenen EuGHRechtsprechung prägen das nationale Umsatzsteuerrecht und seine Anwendung in der Rechtspraxis. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die umsatzsteuerliche Behandlung der öffentlichen Hand und damit auch für kommunale Trägerkörperschaften.5

9.305

Der Umsatzbesteuerung unterliegen grundsätzlich die von einem Unternehmer gegen Entgelt erbrachten Leistungen. Steuersubjekt ist danach der Unternehmer (§ 2 UStG), während es sich bei dem von diesem ausgeführten Umsatz (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG) um das Steuerobjekt handelt.

9.306

Wie die Mehrwertsteuersystemrichtlinie in Art. 13 sieht auch das nationale Recht in § 2b UStG für die umsatzsteuerliche Behandlung juristischer Personen des öffentlichen Rechts

9.307

1 2 3 4 5

Z.B. BFH v. 14.7.2015 – XI B 41/15, BFH/NV 2015, 1445, m.w.N. Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht24, § 17 Rz. 11. Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht24, § 17 Rz. 12. Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht24, § 17 Rz. 15. Wiesch, Die umsatzsteuerliche Behandlung der öffentlichen Hand, Diss., Köln 2016, S. 166 ff.

Wiesch | 653

Kap. 9 Rz. 9.307 | Kommunalverwaltung

spezielle Regelungen vor. Danach werden kommunale Trägerkörperschaften unter bestimmten Voraussetzungen abweichend von der allgemeinen Regelung für die Unternehmereigenschaft (§ 2 UStG) als Nichtunternehmer vom Anwendungsbereich des Umsatzsteuerrechts ausgeschlossen. Dies hat zur Folge, dass auf der einen Seite die von einer kommunalen Trägerkörperschaft mit der Verwaltung ihrer Gemeinschaftseinrichtungen ausgeführten Umsätze, d.h. die Erbringung von Leistungen gegen Entgelt, nicht der Umsatzsteuer unterliegen. Auf der anderen Seite wird die kommunale Trägerköprerschaft in diesem Fall wie ein privater Endverbraucher mit der ihr für bezogene Leistungen von einem Unternehmer in Rechnung gestellten Umsatzsteuer endgültig belastet, da sie als Nichtunternehmer vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen ist (vgl. § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG).

9.308

Aus der Systematik und dem Inhalt der für die Unternehmereigenschaft maßgeblichen Regelung in § 2 und 2b UStG (Art. 9 und 13 MwStSystRL) ergibt sich folgendes Prüfungsschema (Prüfungstrias) für die Frage, ob eine kommunale Trägerkörperschaft als Unternehmer und damit als Steuersubjekt mit einer von ihr ausgeübten Tätigkeit dem Anwendungsbereich der Umsatzsteuer unterliegt (vgl. ausführlich Kap. 5). 1. Grundsatz: Eine kommunale Trägerkörperschaft ist als Unternehmer zu behandeln, wenn sie eine unternehmerische Tätigkeit i.S.d. § 2 Abs. 1 UStG ausübt. 2. Ausnahme: Sie ist mit ihrer grundsätzlich unternehmerischen Tätigkeit nach § 2b Abs. 1 Satz 1 UStG nicht als Unternehmer bzw. als Nichtunternehmer zu behandeln, soweit sie eine Tätigkeit ausübt, die ihr im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegt. 3. Rückausnahme: Sie ist mit ihrer grundsätzlich unternehmerischen, ihr aber im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegenden Tätigkeit gleichwohl nach § 2b Abs. 1 Satz 2 UStG als Unternehmer zu behandeln, sofern eine Behandlung als Nichtunternehmer zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde.

III. Umsatzbesteuerung von kommunalen Gemeinschaftseinrichtungen 1. Unternehmereigenschaft infolge der Verwaltung kommunaler Gemeinschaftseinrichtungen 9.309

Die Umsatzbesteuerung von kommunalen Gemeinschaftsreinrichtungen setzt voraus, dass ihre Verwaltung eine Unternehmereigenschaft für die kommunale Trägerkörperschaft bzw. für ihre Eigengesellschaft begründet. Andernfalls finden die Regelungen des Umsatzsteuerrechts im Hinblick auf die Gemeinschaftseinrichtung keine Anwendung. Ihre Verwaltung begründet dann weder steuerliche Lasten und Pflichten noch berechtigt sie zur Erstattung der Vorsteuer für Leistungen, die für die Errichtung und Unterhaltung der Gemeinschaftseinrichtung entgeltlich von anderen Unternehmern bezogen werden.

9.310

Die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 UStG für die Ausübung einer die Unternehmereigenschaft begründenden unternehmerischen Tätigkeit sind rechtsformneutral, so dass es bei diesem ersten Prüfungsschritt auf die von einer kommunalen Trägerkörperschaft getroffene Wahl der Organisationsform grundsätzlich nicht ankommt (Rz. 9.311 ff.). Erst im Zusammenhang mit der Frage, ob die Voraussetzungen für eine Behandlung als Nichtunternehmer nach § 2b UStG vorliegen, kommt es auf die Organisations- bzw. Rechtsform an (Rz. 9.326 ff. und Rz. 9.333 ff.). Denn die abweichende Behandlung als Nichtunternehmer kommt nur für juristische Personen des öffentlichen Rechts in Betracht (§ 2b Abs. 1 Satz 1 UStG). Wird die im Zusammenhang mit einer kommunalen Gemeinschaftseinrichtung stehende unternehmerische Tätigkeit von einer privatrechtlich verfassten Eigengesellschaft, z.B. einer GmbH, aus654 | Wiesch

F. Umsatzbesteuerung von Sportstätten u.a. | Rz. 9.314 Kap. 9

geübt, so unterliegt diese mangels Anwendbarkeit der Ausnahmeregelung in § 2b Abs. 1 Satz 1 UStG grundsätzlich1 als Unternehmer und Steuersubjekt der Umsatzbesteuerung. a) Grundsatz: Die Ausübung einer unternehmerischen Tätigkeit (§ 2 Abs. 1 UStG) aa) Voraussetzungen einer unternehmerischen Tätigkeit Unternehmer ist gem. § 2 Abs. 1 Satz 1 UStG derjenige, der eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt. § 2 Abs. 1 Satz 3 UStG definiert die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit als jede nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen, auch wenn die Absicht, Gewinn zu erzielen, fehlt. Zur Erzielung richtlinienkonformer Ergebnisse muss dabei eine wirtschaftliche Tätigkeit i.S. des Art. 9 MwStSystRL ausgeübt werden.2 Darunter fallen alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden, insbesondere die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen.

9.311

Eine unternehmerische (wirtschaftliche) Tätigkeit setzt weiter voraus, dass sie auf die Erbringung steuerbare Umsätze (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG, Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und c MwStSystRL), mithin auf die Erbringung einer Leistung gegen Entgelt (sog. Leistungsaustausch) abzielt.3 Eine Leistung im Sinne des Umsatzsteuerrechts liegt vor, wenn einem konkreten Verbraucher ein individueller Vorteil verschafft wird, der einen wirtschaftlichen Wert innehat und einem Verbrauch zugänglich ist.4 Die Erbringung einer solchen Leistung im Rahmen eines Leistungsaustausches gegen Entgelt liegt vor, wenn zwischen Leistenden und Leistungsempfänger ein Rechtsverhältnis besteht, das einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Leistung und einem erhaltenen Gegenwert begründet.5 Steuerbar sind danach auch Leistungen, die gegen Gewährung von Aufwendungsersatz erfolgen.6

9.312

Die Verwaltung von kommunalen Gemeinschaftseinrichtungen begründet grundsätzlich dann eine unternehmerische (wirtschaftliche) Tätigkeit, wenn sie zur Ausführung von Leistungen gegen Entgelt verwendet werden. Darunter fällt zum einen die Verwendung der Gemeinschaftseinrichtung zur Durchführung von Veranstaltungen, für die Eintrittsgelder verlangt werden. Zum anderen begründet die entgeltliche Überlassung (Vermietung und Verpachtung) der Gemeinschaftseinrichtung grundsätzlich eine unternehmerische Tätigkeit.

9.313

Demgegenüber entfaltet eine im Zusammenhang mit der Verwaltung einer kommunalen Gemeinschaftseinrichtung stehende Tätigkeit von vornherein keine umsatzsteuerliche Relevanz, wenn es sich dabei entweder nicht um eine Leistung handelt oder diese nicht mit einer Gegenleistung im unmittelbaren Zusammenhang steht. An einer Leistung fehlt es bereits dann, soweit die Gemeinschaftseinrichtung für eigene (hoheitliche) Zwecke verwendet wird. Darunter

9.314

1 Vgl. aber zur möglichen Behandlung einer juristischen Person des privaten Rechts als sonstige Einrichtung des öffentlichen Rechts EuGH v. 29.10.2015 – C-174/14 – Saudacor, ECLI:EU: C:2015:733, UR 2015, 901; BMF v. 18.9.2019 – III C 2-S 7107/19/10006:003 – DOK 2019/0796519, BStBl I 2019, 921. 2 BFH v. 26.4.2012 – V R 2/11, BStBl II 2012, 634. 3 EuGH v. 12.5.2016 – C-520/14 – Gemeente Borsele, ECLI:EU:C:2016:334 Rz. 21 ff., UR 2016, 520; BFH v. 18.12.2019 – XI R 31/17, BFH/NV 2020, 565 m.w.N. 4 EuGH v. 18.12.1997 – C-384/95 – Landboden-Agrardienste, ECLI:EU:C:1997:627 Rz. 20, 23, UR 1998, 102; BFH v. 18.12.2006 – V R 38/06, BStBl II 2009, 749. 5 BFH v. 5.12.2007 – V R 60/05, BStBl II 2009, 486. 6 BFH v. 1.2.2007 – V R 69/05, BFH/NV 2007, 1205.

Wiesch | 655

Kap. 9 Rz. 9.314 | Kommunalverwaltung

fällt z.B. die Nutzung einer Sporthalle für den gemeindeeigenen Schulsport.1 Tätigkeiten, die sich an die Allgemeinheit richten und deswegen gerade keinen individuell zurechenbaren Vorteil verschaffen, stellen ebenfalls keine umsatzsteuerliche Leistungen dar. Soweit demnach z.B. eine kommunale Gemeinschaftseinrichtung ganz oder auch teilweise der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt und von dieser genutzt werden kann, fehlt es regelmäßig an einer umsatzsteuerlichen Leistung. In diesen Fällen ist der jeweilige Leistungsempfänger eines verbrauchsfähigen Vorteils nicht zu identifizieren.2 Soweit für die Teilnahme an einer Veranstaltung, die in einer Gemeinschaftseinrichtung durchgeführte wird, oder für die Überlassung der Gemeinschaftseinrichtung kein Eintrittsgeld bzw. keine Miete verlangt wird, handelt es sich mangels Entgelt nicht um eine unternehmerische Tätigkeit. bb) Defizitäre Gemeinschaftseinrichtungen

9.315

Der Betrieb sowie die Vermietung und Verpachtung von kommunalen Gemeinschaftseinrichtungen im Rahmen der öffentlichen Daseinsvorsorge ist aufgrund der damit verfolgten sozialpolitischen Ziele oder auch wegen gesetzlichen Vorgaben die kommunale Aufgabenerfüllung betreffend regelmäßig defizitär. Die erzielten Einnahmen, z.B. in Gestalt von Eintrittsgeldern oder Miet- bzw. Pachtzahlungen, decken nicht die mit dem Betrieb verbundenen Personal- und Sachkosten. Der mit dem Betrieb erwirtschaftete Verlust wird in diesen Fällen letztlich durch öffentliche Mittel, insbesondere solche des kommunalen Haushalts, ausgeglichen.

9.316

Die Ausübung einer defizitären bzw. nicht kostendeckenden Tätigkeit steht der Begründung einer unternehmerischen (wirtschaftlichen) Tätigkeit grundsätzlich nicht entgegen. Es ist bereits nach § 2 Abs. 1 Satz 3 UStG unerheblich, ob mit der ausgeübten Tätigkeit die Erzielung eines Gewinns beabsichtigt wird. Ferner kommt es auf die Höhe des einer Leistung gegenüberstehenden Entgelts für die Frage des Vorliegens eines Leistungsaustausches grundsätzlich nicht an. Es ist unerheblich, ob das Entgelt dem (objektiven) Wert der Leistung entspricht.3 Auch die Erbringung von Leistungen zu einem unterhalb der Selbstkosten liegenden Preis kann einen steuerbaren Umsatz bzw. eine unternehmerische (wirtschaftliche) Tätigkeit begründen.4

9.317

Auf die Bezeichnung des Entgelts kommt es nicht an. Im Hinblick auf die Verwaltung von kommunalen Gemeinschaftseinrichtungen ist vor diesem Hintergrund insbesondere zu beachten, dass auch die Erbringung einer Leistung gegen die bloße Gewährung von Aufwendungsersatz grundsätzlich der Umsatzsteuer unterliegt.5

9.318

Einschränkend ist im Hinblick auf die defizitäre Verwaltung von kommunalen Gemeinschaftseinrichtungen zu beachten, dass nach der Rechtsprechung des EuGH6 und des BFH7 eine Asymmetrie zwischen den Betriebskosten und den als Gegenleistung für die erbrachten Leistungen erhaltenen Beträgen darauf hindeutet, dass es sich dabei nicht um ein umsatzsteuerliches Entgelt handelt und die Tätigkeit daher nicht als eine unternehmerische (wirtschaft1 BFH v. 10.11.2011 – V R 41/10, BStBl II 2017, 869, Rz. 32. 2 BFH v. 18.12.2008 – V R 38/06, BStBl II 2009, 749, Rz. 31. 3 EuGH v. 20.1.2005 – C 412/03 – Hotel Scandic Gasabäck, ECLI:EU:C:2005:47 Rz. 26, UR 2005, 194; BFH v. 19.6.2011 – XI R 8/09, BStBl II 2016, 185, Rz. 11. 4 EuGH v. 12.5.2016 – C-520/14 – Gemeente Borsele, ECLI:EU:C:2016:334 Rz. 26 ff. m.w.N., UR 2016, 520; BFH v. 28.6.2017 – XI R 12/15, BFH/NV 2017, 1400. 5 BFH v. 1.2.2007 – V R 69/05, BFH/NV 2007, 1205. 6 EuGH v. 12.5.2016 – C-520/14 – Gemeente Borsele, ECLI:EU:C:2016:334 Rz. 26 ff. m.w.N., UR 2016, 520. 7 BFH v. 28.6.2017 – XI R 12/15, BFH/NV 2017, 1400; v. 15.12.2016 – V R 44/15, BFH/NV 2017, 707.

656 | Wiesch

F. Umsatzbesteuerung von Sportstätten u.a. | Rz. 9.321 Kap. 9

liche) Tätigkeit anzusehen ist. Eine Asymmetrie spricht dagegen, dass die vereinnahmten Beträge in einem für die Qualifizierung als umsatzsteuerliches Entgelt unmittelbaren Zusammenhang mit der ausgeübten Tätigkeit stehen. Ein asymmetrisches Verhältnis von Einnahmen und Ausgaben liegt z.B. vor, wenn die Summe der als Gegenleistung für die ausgeübte Tätigkeit erhaltenen Beträge nicht einmal 3 % der mit Ausübung der Tätigkeit verursachten Betriebskosten decken.1 Eine Asymmetrie zwischen den Betriebskosten einer kommunalen Gemeinschaftseinrichtung, wie z.B. einer Sporthalle, und der durch ihre Vermietung erzielten Einnahmen schließt das Vorliegen einer unternehmerischen (wirtschaftlichen) Tätigkeit jedoch nicht aus. Vielmehr ist dieser Umstand im Rahmen einer die Gesamtumstände des Einzelfalls Rechnung tragenden Gesamtbeurteilung zur berücksichtigen. Dabei ist insbesondere weiter festzustellen, ob und inwieweit die mit der Gemeinschaftseinrichtung erbrachte Tätigkeit am allgemeinen Markt ausgeübt wird.2 So kann z.B. eine Gemeinde mit der Vermietung ihrer Sporthalle an ortsansässige Vereine auch dann eine unternehmerische (wirtschaftliche) Tätigkeit ausüben, wenn die Gegenleistung in einer Nutzungspauschale in Höhe von 1,50 € je Stunde und Hallenteil besteht und die Einnahmen die Kosten nur zu einem Anteil von rund 12 % decken, jedoch die Leistung am allgemeinen Markt angeboten wird, das Entgelt marktüblich ist und von der tatsächlichen Nutzungsinanspruchnahme abhängt.3 Ebenso kann es sich bei einer dauerdefizitären Verpachtung einer Schulmensa und eines Freibades um eine unternehmerische Tätigkeit einer Gemeinde handeln, wenn der zur Qualifizierung als umsatzsteuerliches Entgelt erforderliche Zusammenhang zwischen Verpachtung und Nutzungsvergütung nach den tatsächlichen Umständen des Einzelfalls festgestellt werden kann.4

9.319

Entgegen dem Fall einer Asymmetrie soll bei einer rein symbolischen Gegenleistung für eine ausgeübte Tätigkeit nicht von einem Entgelt und dementsprechend auch nicht von einer unternehmerischen (wirtschaftlichen) Tätigkeit auszugehen sein.5 Die Frage einer symbolischen Gegenleistung stellt sich z.B. bei der Vereinbarung einer pauschalen Gegenleistung von einem einzigen Euro.6 Die Nichtanerkennung einer vereinbarten Gegenleistung sollte m.E. auf die Fälle beschränkt werden, in denen der Betrag sich offensichtlich nicht an dem Inhalt der ausgeübten Tätigkeit bemisst und es den Vertragsparteien auf den bloßen symbolischen Charakter erkennbar ankommt.7

9.320

Verpachtet eine kommunale Trägerkörperschaft eine dauerdefizitäre Gemeinschaftseinrichtung, z.B. an eine für den Betrieb der Einrichtung eigens gegründete Eigengesellschaft, erfordert die Aufrechterhaltung des laufenden Betriebs regelmäßig neben der Verpachtung die Zahlunge von Zuschüssen an den Pächter. In diesem Fall stehen den Pachtzahlungen des Pächters Zuschusszahlungen des Verpächters gegenüber. Übersteigt im Fall der Saldierung die Zuschusszahlungen die Pachtzahlungen, wäre die Verpachtung unentgeltlich und damit nichtunternehmerisch. Eine Saldierung kommt insbesondere dann in Betracht, wenn die Pachtzah-

9.321

1 EuGH v. 12.5.2016 – C-520/14 – Gemeente Borsele, ECLI:EU:C:2016:334 Rz. 26 ff. m.w.N., UR 2016, 520; so auch BFH v. 15.12.2016 – V R 44/15, BFH/NV 2017, 707. 2 BFH v. 28.6.2017 – XI R 12/15, BFH/NV 2017, 1400, Rz. 46 ff.; FG BW v. 7.12.2020 – 1 K 2427/ 19, EFG 2021, 691, Rz. 68. 3 BFH v. 28.6.2017 – XI R 12/15, BFH/NV 2017, 1400, Rz. 53. 4 BFH v. 18.7.2017 – XI B 24/17, BFH/NV 2018, 60, Rz. 27. 5 Nds. FG v. 16.10.2019 – 5 K 286/18, EFG, 2020, 687, Rn. 39 (Rev. BFH XI R 35/19). 6 BFH v. 16.11.2016 – V R 35/16, BFH/NV 2017, 768, Rz. 17; Nds. FG v. 16.10.2019 – 5 K 286/18, EFG, 2020, 687, Rz. 39 (Rev. BFH XI R 35/19). 7 Kritisch und einschränkend auch Hidien/Menebröcker, DStR 2020, 2824 (2827 f.).

Wiesch | 657

Kap. 9 Rz. 9.321 | Kommunalverwaltung

lungen und die Zuschusszahlungen auf einer einheitlichen vertraglichen Grundlage beruhen.1 In diesem Fall würde es sich dann bei der nichtunternehmerischen Überlassung der Gemeinschaftseinrichtung im Ergebnis um eine bloße Beistellung zu einer Betriebsführungsleistung handeln, welche der Pächter an die überlassende kommunale Trägerkörperschaft erbringt.2 cc) Zuschüsse als Entgelte für eine Leistung

9.322

Kommunale Trägerkörperschaften leisten regelmäßig an externe Betreiber einer verpachteten defizitären Gemeinschaftseinrichtung Zuschüsse (Verlustausgleich, Betriebskostenzuschüsse etc.), um das Leistungsangebot im Rahmen der öffentlichen Daseinsvorsorge zu gewährleisten. Bei dem Betreiber kann es sich auch um eine Eigengesellschaft der kommunalen Trägerkörperschaft handeln. Für die umsatzsteuerliche Behandlung ist entscheidend, ob es sich dabei um ein der Umsatzsteuer unterliegendes Entgelt oder um einen Zahlungsvorgang ohne jede umsatzsteuerliche Relevanz handelt. Die umsatzsteuerlichen Konsequenzen betreffen zwar grundsätzlich zunächst den Zahlungsempfänger als möglichen Unternehmer und Ausführenden eines steuerbaren und steuerpflichtigen Umsatzes. Soweit jedoch der Zuschuss als Entgelt der Umsatzsteuer unterliegt, steht dem Zahlungsempfänger im Ergebnis nur der um die von ihm geschuldete Umsatzsteuer geminderte Betrag für den Betrieb der Gemeinschafseinrichtung zur Verfügung.

9.323

Bei einem Zuschuss handelt es sich um ein Entgelt für eine Leistung (sog. unechter Zuschuss), wenn die kommunale Trägerkörperschaft vom Zahlungsempfänger einen eigenen verbrauchsfähigen Vorteil erlangt.3 Hiervon ist im Fall eines abgeschlossenen gegenseitigen Vertrages grundsätzlich auszugehen.4 Dies gilt auch für den Fall, dass ein Unternehmer aufgrund eines Vertrags zwischen ihm und einer kommunalen Trägerkörperschaft gegen Entgelt bestimmte öffentliche Aufgaben wahrnimmt.5 Bei dem Zuschuss handelt es ebenfalls dann um ein Entgelt für eine Leistung, wenn die Zahlung ein zusätzliches Entgelt für die Leistung des Zahlungsempfängers an eine dritte Person als Leistungsempfänger darstellt (vgl. § 10 Abs. 1 Satz 3 UStG).6 Dies ist der Fall, wenn sich aus der abgeschlossenen Vereinbarung eine Begünstigung zugunsten des Leistungsempfängers ergibt.7 In beiden Fällen kommt es hingegen nicht darauf an, ob eine kommunale Trägerkörperschaft mit den Zuschüssen gleichzeitig die Erfüllung eigener Aufgaben8 oder aber einen Nutzen für die Allgemeinheit verfolgt.9 1 BFH v. 15.12.2016 – V R 44/15, BFH/NV 2017, 707, Rz. 16 f.; Nds. FG v. 16.10.2019 – 5 K 286/18, EFG, 2020, 687, Rz. 43 (Rev. BFH XI R 35/19); vgl. auch OFD Nds. v. 1.10.2014, S 7106–296-St 171, DStR 2014, 2572; kritisch Hidien/Menebröcker, DStR 2020, 2824, 2828 f.; für die Frage der persönlichen Körperschaftsteuerpflicht nach § 1 Abs. 1 Nr. 6, § 4 KStG das Vorliegen eines BgA mangels einer entgeltlichen Verpachtung ebenfalls wegen einer gebotenen Saldierung der Pachtzahlungen auf der einen und des gewährten Zuschusses auf der anderen Seite ablehnend, da bei wirtschaftlicher Betrachtung nicht der Pächter, sondern der Verpächter die wirtschaftliche Last der Pacht zu tragen hatte: BFH v. 10.12.2021 – I R 9/17, BFH/NV 2021, 353, sowie Parallelentscheidung v. 10.12.2021 – I R 58/17, BFH/NV 2021, 420. 2 BFH v. 15.12.2016 – V R 44/15, BFH/NV 2017, 707, Rz. 17. 3 BFH v. 28.5.2013 – XI R 32/11, BStBl II 2014, 411; v. 27.11.2008 – V R 8/07, BStBl II 2009, 397. 4 BFH v. 28.5.2013 – XI R 32/11, BStBl II 2014, 411; v. 11.2.2010 – V R 30/08, BFH/NV 2010, 2125; Abschn. 10.2 Abs. 2 UStAE. 5 BFH v. 18.12.2019 – XI R 31/17, BFH/NV 2020, 565. 6 BFH v. 5.12.2007 – V R 63/05, BFH/NV 2008, 996. 7 Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht24, § 17 Rz. 144. 8 BFH v. 18.6.2009 – V R 4/08, BStBl II 2010, 310; v. 11.2.2010 – V R 30/08, BFH/NV 2010, 2125. 9 BFH v. 19.11.2009 – V R 29/08, BFH/NV 2010, 701.

658 | Wiesch

F. Umsatzbesteuerung von Sportstätten u.a. | Rz. 9.325 Kap. 9

Kein Entgelt für eine Leistung liegt im Fall eines (sog. echten) Zuschusses vor, wenn dieser losgelöst von der Verschaffung eines verbrauchsfähigen Vorteils erfolgt, sondern z.B. zur Verbesserung der finanziellen Situation des Zahlungsempfängers beitragen soll. Darunter fallen vor allem Zuschüsse aus strukturpolitischen, volkswirtschaftlichen oder allgemeinpolitischen Gründen.1 Übernimmt ein Zahlungsempfänger für eine Stadt den Betrieb verschiedener Einrichtungen (z.B. Tierpark, Schwimmbad und Sportplatz) gegen Übernahme der mit dem Betrieb dieser Einrichtungen verbundenen Verluste (sog. Ausgleichszahlungen), kann es sich dabei entweder um Entgelte von dritter Seite der Stadt für die gegenüber den Nutzern der Einrichtungen erbrachten Leistungen oder um Entgelte für eine gegenüber der Stadt ausgeführte Betriebsführungsleistung2 handeln.3 Übertragen kommunale Trägerkörperschaften Schwimmbäder an eine private Betreibergesellschaft und zahlen dieser auf Grund eines gegenseitigen Vertrages Betriebskostenzuschüsse für die Aufrechterhaltung des öffentlichen Badebetriebes, handelt es sich dabei um ein Entgelt und begründet einen steuerbaren Leistungsaustausch.4 Zuschüsse für den Betrieb einer Kantine in einer kommunalen Gemeinschaftseinrichtung können entweder Entgelte für eine vom Zahlungsempfänger erbrachte Kantinenleistung oder wegen eines „preisauffüllenden Charakters“5 auch Entgelt von dritter Seite für vom Zahlungsempfänger an die Nutzer der Kantine erbrachte Leistungen darstellen.6 Zahlungen einer Gemeinde an einen Sportverein im Zusammenhang mit der Bewirtschaftung einer zur langfristigen Eigennutzung überlassenen Sportanlage, die es dem Sportverein ermöglichen sollen, sein Sportangebot aufrechtzuerhalten, können hingegen nicht umsatzsteuerbare (echte) Zuschüsse für die Tätigkeit des Sportvereins darstellen.7 Wenn z.B. in einem solchen Fall der Sportverein sich nicht gegenüber der Gemeinde verpflichtet hat, bestimmte Sportangebote vorzuhalten, überwiegt der mit der Zahlung verbundene Zweck der Gemeinde, den Sportverein aus strukturpolitischen Gründen in die Lage zu versetzen, eigenverantwortlich seiner gemeinnützigen Tätigkeit im Sinne der örtlichen Gemeinschaft nachzugehen.

9.324

dd) Tauschähnliche Umsätze Überlässt eine kommunale Trägerkörperschaft eine Gemeinschaftseinrichtung an einen Dritten, z.B. eine Sportanlage an einen Verein, ohne dass hierfür eine Miet- oder Pachtzahlung vereinbart wird, kann es sich gleichwohl um einen steuerbaren Leistungsaustausch handeln, wenn sich der Dritte im Gegenzug zur Erbringung von Leistungen verpflichtet. Denn nach § 3 Abs. 12 UStG kann das Entgelt für eine Leistung auch in einer Leistung des Leistungsempfängers bestehen. So kann es z.B. im Zusammenhang mit sog. Beistandsleistungen zu tauschähnlichen Umsätzen kommen, indem zwei Gemeinden eine Vereinbarung über die gegenseitige Überlassung von Sportstätten oder anderen Gemeinschaftseinrichtungen treffen. Das Entgelt besteht dann jeweils in der eigenen Überlassungsleistung (§ 10 Abs. 2 Satz 2 UStG).

1 BFH v. 18.11.2021 – V R 17/20, Rz. 20, UR 2022, 329; v. 11.2.2010 – V R 30/08, BFH/NV 2010, 2125; Abschn. 10.2 Abs. 7 UStAE; Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht24, § 17 Rz. 146. 2 FG BW v. 21.12.2016 – 14 K 2029/13, DStRE 2018, 800 (Betriebskostenzuschusses als Entgelt für eine Betriebsführungsleistung); nachgehend BFH v. 18.7.2017 – XI B 24/17, BFH/NV 2018, 60. 3 BFH v. 18.6.2009 – V R 4/08, BStBl II 2010, 310. 4 BFH v. 19.11.2009 – V R 29/08, BFH/NV 2010, 701. 5 Abschn. 10.2 Abs. 5 Satz 1 UStAE. 6 BFH v. 29.1.2014 – XI R 4/12, BFH/NV 2014, 992. 7 BFH v. 18.11.2021 – V R 17/20, Rz. 21, UR 2022, 329.

Wiesch | 659

9.325

Kap. 9 Rz. 9.326 | Kommunalverwaltung

b) Ausnahme: Die Behandlung als Nichtunternehmer (§ 2b Abs. 1 Satz 1 UStG)

9.326

Kommunale Trägerkörperschaften werden mit ihren im Zusammenhang mit der Verwaltung von Gemeinschaftseinrichtungen unternehmerisch ausgeübten Tätigkeiten unter den Voraussetzungen des § 2b Abs. 1 Satz 1 UStG nicht als Unternehmer behandelt. Juristische Personen des öffentlichen Rechts gelten danach nicht als Unternehmer im Sinne des § 2 UStG, soweit sie Tätigkeiten ausüben, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen (vgl. ausführlich Kap. 5).1

9.327

Die Ausnahmeregelung des § 2b Abs. 1 Satz 1 UStG knüpft an die Rechtsform des Unternehmers an. Während auf der einen Seite kommunale Trägerkörperschaften, aber auch z.B. die von ihnen gegründeten öffentlich-rechtlichen Zweckverbände, als typische juristische Personen des öffentlichen Rechts in den Anwendungsbereich der Ausnahmeregelung fallen, kommt eine Behandlung ihrer privatrechtlichen Eigengesellschaften wie auch von anderen Personen des Privatrechts als Nichtunternehmer nach § 2b Abs. 1 Satz 1 UStG grundsätzlich nicht in Betracht.2 Zwar können aus Sicht des EuGH grundsätzlich Privatrechtspersonen als Einrichtungen des öffentlichen Rechts i.S. des Art. 13 MwStSystRL, dem unionsrechtlichen Pendant zu § 2b Abs. 1 UStG, behandelt werden.3 Doch zumindest nach den von der Finanzverwaltung aufgestellten Kriterien4 sind die Eigengesellschaften von kommunalen Trägerkörperschaften weiterhin vom Anwendungsbereich des § 2b Abs. 1 Satz 1 UStG ausgeschlossen, da insoweit u.a. vorausgesetzt wird, dass die juristische Person des Privatrechts mit Aufgaben der öffentlichen Verwaltung beliehen sein muss und zur Ausübung dieser Aufgaben hoheitliche Befugnisse innehat. Die Eigengesellschaften werden jedoch im Regelfall nicht als Beliehene tätig.5

9.328

Entscheidend ist, ob die kommunale Trägerkörperschaft ihre grundsätzlich nach § 2 Abs. 1 UStG unternehmerische Tätigkeit im Rahmen der öffentlichen Gewalt ausübt. Nach der insoweit einschlägigen EuGH-Rechtsprechung6 fallen grundsätzlich nur Tätigkeiten darunter, welche eine kommunale Trägerkörperschaft im Rahmen der eigens für sie geltenden rechtlichen Regelungen ausübt. Nicht erfasst werden hingegen ihre Tätigkeiten, welche sie nicht unter „öffentlich-rechtlichen Sonderregeln“ ausübt, sondern „unter den gleichen rechtlichen Bedingungen wie private Wirtschaftsteilnehmer“ erbringt. Der BFH hat sich dieser EuGHRechtsprechung dahingehend angeschlossen, dass juristische Personen des öffentlichen Rechts und damit auch kommunale Trägerkörperschaften allein mit ihren auf öffentlich-rechtlicher Grundlage ausgeübten Tätigkeiten als Nichtunternehmer behandelt werden können. Soweit die kommunale Trägerkörperschaft jedoch für ihre unternehmerische Tätigkeit auf privatrechtlicher Grundlage, z.B. aufgrund eines abgeschlossenen privatrechtlichen Vertrags, handelt, ist eine vom Grundsatz des § 2 Abs. 1 UStG abweichende Behandlung als Nichtunternehmer von vornherein ausgeschlossen.7 1 Insoweit wortgleich mit Art. 13 MwStSystRL („... soweit sie die Tätigkeiten ausüben oder Umsätze bewirken, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen, (...)“). 2 Abschn. 2b.1 Abs. 2 UStAE i.V.m. BMF v. 1.9.2019 – III C 2-S 7107/19/10006:003 – DOK 2019/ 0796519, BStBl I 19, 921, unter II. 3 EuGH v. 29.10.2015 – C-174/14 – Saudacor, ECLI:EU:C:2015:733, UR 2015, 901. 4 Abschn. 2b.1 Abs. 2 UStAE i.V.m. BMF v. 1.9.2019 – III C 2-S 7107/19/10006:003 – DOK 2019/ 0796519, BStBl I 19, 921, unter II. 5 Möser, MwStR 2019, 883 f. 6 EuGH v. 16.9.2008 – C-288/07 – Isle of Wight Council u.a, ECLI:EU:C:2008:505 Rz. 21; UR 2008, 816. 7 BFH v. 26.9.2019 – V R 16/18, BFH/NV 2020, 38, Rz. 12 m.w.N.

660 | Wiesch

F. Umsatzbesteuerung von Sportstätten u.a. | Rz. 9.332 Kap. 9

Die Finanzverwaltung konkretisiert die Rechtsprechungsvorgaben dahingehend,1 dass eine im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegende Tätigkeit nur vorliegt, wenn eine juristische Person des öffentlichen Rechts auf Grundlage einer öffentlich-rechtlichen Sonderregelung tätig wird. Die öffentlich-rechtliche Sonderregelung soll sich dabei aus einem Gesetz, einer Rechtsverordnung, einer Satzung, aus Staatsverträgen, verfassungsrechtlichen Verträgen, Verwaltungsabkommen, Verwaltungsvereinbarungen, öffentlich-rechtlichen Verträgen sowie aus der kirchenrechtlichen Rechtsetzung ergeben können. Eine Behandlung als Nichtunternehmer ist jedoch ausgeschlossen, wenn die Tätigkeit zwar zur Umsetzung einer öffentlich-rechtlichen Sonderregelung erfolgt, die Leistungen selbst jedoch in privatrechtlicher Handlungsform und damit unter den gleichen rechtlichen Bedingungen wie private Wirtschaftsteilnehmer erbracht werden.

9.329

Kommunale Trägerkörperschaften unterliegen danach mit ihren im Rahmen der öffentlichen Daseinsvorsorge ausgeübten unternehmerischen (wirtschaftlichen) Tätigkeiten immer dann der Umsatzsteuer, wenn die Leistungen gegen Entgelt auf privatrechtlicher Grundlage (insbesondere: privatrechtlicher Vertrag) erbracht werden. Maßgeblich ist die Handlungsform (öffentlichrechtlich oder privatrechtlich), nicht aber der/die mit den Handlungen verfolgte(n) Zweck(e).

9.330

Beispiele: – Eine Gemeinde überlässt zur Förderung des Breitensports die kommunale Sporthalle an den örtlichen Sportverein. Sie schließt hierzu mit jedem Verein einen Mietvertrag.2 – Ein Kreis führt zur Förderung des kulturellen Angebots eine Veranstaltungsreihe im kommunalen Bürgerhaus durch. Der Kreis verkauft für die einzelnen Veranstaltungen jeweils Eintrittskarten.

Kommunale Trägerkörperschaften werden auf öffentliche-rechtlicher Grundlage im Fall des Handelns auf Grundlage einer öffentlich-rechtlichen Satzung, insbesondere ihrer Gemeindesatzungen, tätig. Zu den öffentlich-rechtlichen Satzungen gehört u.a. auch die Satzung eines öffentlich-rechtlichen Zweckverbandes.3

9.331

Beispiele: – Eine Gemeinde überlässt zur Förderung des Breitensports die kommunale Sporthalle an örtliche Sportvereine. Sowohl die Nutzungsüberlassung als auch die hierfür von den Vereinen zu zahlende Betrag sind in einer Gemeindesatzung geregelt.4 – Ein Kreis führt zur Förderung des kulturellen Angebots eine Veranstaltungsreihe im kommunalen Bürgerhaus durch. Der Besuch und der hierfür von den Besuchern zu leistende Betrag sind in einer Gemeindesatzung geregelt.

Zu den öffentlich-rechtlichen Handlungsgrundlagen gehören u.a. auch Verwaltungsakte5 und öffentlich-rechtliche Verträge (vgl. z.B. § 54 VwVfG NW). Die Zuordnung eines Vertrags zum öffentlichen Recht und die Abgrenzung zum privatrechtlichen Vertrag richten sich dabei grundsätzlich nach dem Gegenstand und Zweck des Vertrags.6 Entscheidend ist, ob der Vertragsgegenstand dem öffentlichen oder dem bürgerlichen Recht zuzurechnen ist. Gehören z.B. die durch Vertrag begründeten, geänderten oder aufgehobenen Rechte und Pflichten dem öffentlichen Recht an, so spricht dies für eine öffentlich-rechtliche Natur des Vertrages.7 Gegen1 2 3 4 5 6

BMF v. 16.12.2016 – III C 2 - S 7107/16/10001, DOK 2016/1126266, BStBl I 2016, 1451, Rz. 6 ff. BFH v. 28.6.2017 – XI R 12/15, BFH/NV 2017, 1400. BMF v. 16.12.2016 – III C 2 - S 7107/16/10001, DOK 2016/1126266, BStBl I 2016, 1451, Rz. 8. FG BW v. 7.12.2020 – 1 K 2427/19, EFG 2021, 691 (rkr.). BFH v. 10.11.2011 – V R 41/10, BStBl II 2017, 869, Rz. 14. BFH 10.2.2016 – XI R 26/13, BStBl II 2017, 857, Rz. 43; allgemein BMF v. 16.12.2016 – III C 2 - S 7107/16/10001, DOK 2016/1126266, BStBl I 2016, 1451, Rz. 12 f. 7 Rozek in Schoch/Schneider, Loseblatt, § 54 VwVfG Rz. 38.

Wiesch | 661

9.332

Kap. 9 Rz. 9.332 | Kommunalverwaltung

stand eines öffentlichen-rechtlichen Vertrages kann z.B. auch die Vergabe bzw. Zuteilung von Hallenzeiten an örtliche Sportvereine sein.1 c) Rückausnahme: Die Behandlung als Unternehmer wegen Wettbewerbsverzerrungen (§ 2b Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 und 3 UStG) aa) Regelungsinhalt

9.333

Wenn eine kommunale Trägerkörperschaft ihre im Zusammenhang mit der Verwaltung ihrer Gemeinschaftseinrichtungen verbundenen unternehmerischen Tätigkeiten im Rahmen der öffentlichen Gewalt ausübt und daher grundsätzlich nach § 2b Abs. 1 Satz 1 UStG als Nichtunternehmer mit ihren Leistungen nicht Umsatzsteuer unterliegen würde, ist sie nach § 2b Abs. 1 Satz 2 UStG gleichwohl als Unternehmer zu behandeln, sofern ihre Behandlung als Nichtunternehmer zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde. Der Gesetzgeber hat in § 2b Abs. 2 und 3 UStG näher definiert, unter welchen Voraussetzungen aus seiner Sicht das unionsrechtlich in Art. 13 Abs. 1 MwStSystRL vorgegebene Merkmal der größeren Wettbewerbsverzerrungen „insbesondere“ nicht erfüllt sein soll. Die Definitionen sind also nicht abschließend gemeint.2 bb) Der Begriff der „größeren Wettbewerbsverzerrungen“ (§ 2b Abs. 1 Satz 2 UStG)

9.334

Für die Prüfung, ob die abweichende Behandlung einer juristischen Person des öffentlichen Rechts als Nichtunternehmer zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde (vgl. ausführlich Rz. 5.127 ff. Kap. 5 Abschnitt C),3 ist nicht nur ein gegenwärtiges, sondern auch ein potentielles Wettbewerbsverhältnis zwischen privaten und öffentlich-rechtlichen Wirtschaftsakteuren relevant. Ein nur rein hypothetisches Wettbewerbsverhältnis reicht hingegen nicht. Zur Prüfung eines relevanten Wettbewerbsverhältnisses ist nicht auf die Umstände des lokalen Marktes abzustellen, sondern die Beurteilung hat grundsätzlich nur anhand der ausgeübten Tätigkeit als solche zu erfolgen.

9.335

Ein Wettbewerbsverhältnis besteht dem Grunde nach, wenn sich vergleichbare Leistungen mehrerer Anbieter gegenüberstehen. Leistungen sind gleichartig, wenn sie ähnliche Eigenschaften haben und beim Verbraucher nach einem Kriterium der Vergleichbarkeit in der Verwendung denselben Bedürfnissen dienen und wenn die bestehenden Unterschiede die Entscheidung des Durchschnittsverbrauchers zwischen diesen Gegenständen oder Dienstleistungen nicht erheblich beeinflussen.4 Dabei sind auch Übereinstimmungen und Unterschiede des (rechtlichen und wirtschaftlichen) Kontexts zu berücksichtigen, in dem die Leistungen erbracht werden.5 Bei der Beurteilung ist in erster Linie auf die Sicht des Durchschnittsverbrauchers abzustellen.6 Ein Wettbewerbsverhältnis ist von vornherein ausgeschlossen, wenn Tätigkeiten juristischen Personen des öffentlichen Rechts bzw. den kommunalen Trägerkörper1 FG BW v. 7.12.2020 – 1 K 2427/19, EFG 2021, 691 (rkr.). 2 BMF v. 16.12.2016 – III C 2 - S 7107/16/10001, DOK 2016/1126266, BStBl I 2016, 1451, Rz. 32. 3 Vgl. exemplarisch EuGH v. 16.9.2008 – C 288/07 – Isle of Wight Council u.a., ECLI:EU: C:2008:505 Rz. 21; UR 2008, 816; BFH v. 10.11.2011 – V R 41/10, BStBl II 2017, 869, Rz. 14; BMF v. 16.12.2016 – III C 2 - S 7107/16/10001, DOK 2016/1126266, BStBl I 2016, 1451, Rz. 24 ff. 4 EuGH v. 9.9.2021 – C-406/20 – Phantasialand, ECLI:EU:C:2021:720 Rz. 38 m.w.N., UR 2021, 758. 5 EuGH v. 9.9.2021 – C-406/20 – Phantasialand, ECLI:EU:C:2021:720 Rz. 42 f. m.w.N., UR 2021, 758; BMF v. 16.12.2016 – III C 2 - S 7107/16/10001, DOK 2016/1126266, BStBl I 2016, 1451, Rz. 26. 6 EuGH v. 9.9.2021 – C-406/20 – Phantasialand, ECLI:EU:C:2021:720 Rz. 38 m.w.N., UR 2021, 758.

662 | Wiesch

F. Umsatzbesteuerung von Sportstätten u.a. | Rz. 9.339 Kap. 9

schaften rechtlich vorbehalten sind und sie im Hinblick auf die Tätigkeit eine Monopolstellung innehaben.1 Gleiches gilt aber auch, wenn es aus tatsächlichen Gründen von vornherein nicht möglich ist, dass eine Person des Privatrechts eine bestimmte Tätigkeit ausübt.2 Eine Verzerrung des Wettbewerbs meint, dass die abweichende Behandlung einer juristischen Person des öffentlichen Rechts als Nichtunternehmer durch eine damit zusammenhängende unterschiedliche umsatzsteuerliche Behandlung der im Wettbewerb zueinander stehenden Leistungen von öffentlichen und privaten Anbietern die Wettbewerbssituation zugunsten oder zulasten eines Wettbewerbers verfälscht wird.3 Größere Wettbewerbsverzerrungen liegen bereits dann vor, wenn sie mehr als unbedeutend ausfallen.4

9.336

Die Verwaltung, insbesondere der Betrieb und die Überlassung von kommunalen Gemeinschaftsreinrichtungen wie Sportanlagen, Bürgerhäusern oder Kongresszentren, begründet regelmäßig zumindest eine wettbewerbsrelevante Tätigkeit. Es handelt sich dabei um Leistungen, die in vergleichbarer Art und Weise auch von privaten Unternehmern erbracht werden können. Anders als z.B. in dem Bereich der Abfallwirtschaft5 findet für die Nutzung von Gemeinschaftseinrichtungen keine Benutzungs- oder Abnahmeverpflichtung6 Anwendung, die eine Wettbewerbssituation von vornherein ausschließt.

9.337

cc) Ausschluss größerer Wettbewerbsverzerrungen (§ 2b Abs. 2 UStG) (1) Umsatzgrenze Die Regelung in § 2b Abs. 2 Nr. 1 UStG sieht eine spezielle „Kleinunternehmerregelung“ bzw. Umsatzgrenze für juristische Personen des öffentlichen Rechts vor. Wenn der im Kalenderjahr aus gleichartigen Tätigkeiten erzielte Umsatz voraussichtlich 17.500 Euro jeweils nicht übersteigen wird, ist davon auszugehen, dass die Behandlung als Nichtunternehmer hinsichtlich dieser Tätigkeiten nicht zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen wird. Einzelne Tätigkeiten sind gleichartig, wenn sie aus der Sicht des Durchschnittsverbrauchers dieselben Bedürfnisse befriedigen. Für die Prüfung der Umsatzgrenze sind gleichartige Tätigkeiten der jPöR zusammenzufassen.7 Maßgeblich ist dabei allein die zu Beginn eines Jahres zu treffende Prognoseentscheidung.8

9.338

Im Bereich der Verwaltung von kommunalen Gemeinschaftseinrichtungen kann im Hinblick auf die Einteilung in vergleichbare Tätigkeiten auch in Ansehung der grundsätzlich weiten Auslegung des Begriffs der „Gleichartigkeit“9 zunächst zwischen dem eigenen Betrieb, insbesondere die Durchführung von eigenen Veranstaltungen, und der Überlassung von Ge-

9.339

1 EuGH v. 16.9.2008 – C 288/07 – Isle of Wight Council u.a., ECLI:EU:C:2008:505 Rz. 31, UR 2008, 816 2 Vgl. Englisch, UR 2013, 570 (573 f.). 3 BMF v. 16.12.2016 – III C 2 - S 7107/16/10001, DOK 2016/1126266, BStBl I 2016, 1451, Rz. 30. 4 EuGH v. 16.9.2008 – C 288/07 – Isle of Wight Council u.a., ECLI:EU:C:2008:505 Rz. 79, UR 2008, 816; BMF v. 16.12.2016 – III C 2 - S 7107/16/10001, DOK 2016/1126266, BStBl I 2016, 1451, Rz. 31. 5 Tomerius, UR 2021, 573 (578). 6 BMF v. 16.12.2016 – III C 2 - S 7107/16/10001, DOK 2016/1126266, BStBl I 2016, 1451, Rz. 25. 7 Abschn. 2b.1 Abs. 2 UStAE i.V.m. BMF v. 16.12.2016 – III C 2 - S 7107/16/10001, DOK 2016/ 1126266, BStBl I 2016, 1451, Rz. 36. 8 BMF v. 16.12.2016 – III C 2 - S 7107/16/10001, DOK 2016/1126266, BStBl I 2016, 1451, Rz. 34. 9 Wiesch, Die umsatzsteuerliche Behandlung der öffentlichen Hand, Diss., Köln 2016, S. 230.

Wiesch | 663

Kap. 9 Rz. 9.339 | Kommunalverwaltung

meinschaftseinrichtungen zur Nutzung durch Dritte unterschieden werden. Die durch den eigenen Betrieb befriedigten Bedürfnisse, z.B. der Teilnahme, insbesondere als (passiver) Besucher, an einer sportlichen, kulturellen oder wissenschaftlichen Veranstaltung unterscheidet sich in wesentlicher Art und Weise von den befriedigten Bedürfnissen eines Mieters oder Pächters, der die überlassene Gemeinschaftseinrichtung für seine unternehmerischen oder auch privaten Zwecke nutzt. Allein der Umstand, dass sowohl bei dem Eigenbetrieb als auch bei der Überlassung der Gemeinschaftseinrichtung dieselbe Gemeinschaftseinrichtung verwendet wird, führt nicht zu einer vergleichbaren Tätigkeit. Entscheidend ist insoweit die Vergleichbarkeit im Hinblick auf die erbrachten Ausgangsumsätze.1 Dabei ist wegen der zu Beginn des Jahres zu treffenden Prognoseentscheidung auf die typische Bedürfnisbefriedigung abzustellen.

9.340

Im Fall des eigenen Betriebs einer Gemeinschaftseinrichtung durch eine kommunale Trägerkörperschaft kommt es für die Frage der Zusammenfassung zu einer Gruppe von vergleichbaren Tätigkeiten auf die konkreten erbrachten Leistungen und auf die Umstände im Einzelfall an. Allerdings sind die unter Verwendung einer bestimmten Gattung von Gemeinschaftseinrichtung (z.B. Sportstätten, Bürgerhäuser und Wissenschafts- und Kongresszentren) erbrachten Leistungen regelmäßig als vergleichbar anzusehen, da insoweit mit der jeweiligen Gemeinschaftseinrichtung auf die Befriedigung eines bestimmten Bedürfnisses im Rahmen der öffentlichen Daseinsvorsorge abgezielt wird.

9.341

Im Fall der Überlassung von Gemeinschaftseinrichtungen an Dritte zur Nutzung ist m.E. nicht allein auf das allgemeine Bedürfnis der Nutzung von Räumlichkeiten abzustellen, sondern weiter zu differenzieren, für welche Zwecke und damit zur Befriedigung welcher Bedürfnisse die überlassende Gemeinschaftseinrichtung typischerweise verwendet wird. Diese variieren üblicherweise jeweils nach der Art der Gemeinschaftseinrichtung. Insbesondere die Überlassung von Sportstätten stellt danach eine eigene Tätigkeitsgruppe dar, welche z.B. mit den mit der Überlassung von Wissenschafts- und Kongresszentren befriedigten Bedürfnissen nicht vergleichbar ist. Die Differenzierung steht auch im Einklang mit dem Ziel des Wettbewerbsvorbehalts. Eine kommunale Trägerkörperschaft tritt mit der Überlassung von Sportstätten zwar in Konkurrenz zu privaten Sportstättenbetreibern, nicht jedoch mit privaten Anbietern von Veranstaltungsräumen, die nicht zu sportiven Zwecken verwendet werden können. Mit diesen steht die kommunale Gebietskörperschaft jedoch grundsätzlich mit der Überlassung von Bürgerhäusern an Dritte, welche dort eigene Veranstaltungen durchführen, in einem relevanten Wettbewerbsverhältnis.

9.342

Zu den einzelnen Tätigkeiten, die als gleichartige Tätigkeiten zusammenzufassen sind, gehören auch jeweils die damit verbundenen (unselbständigen) Nebenleistungen (z.B. Verköstigung von Veranstaltungsteilnehmern als Nebenleistung zur Veranstaltungstätigkeit). Die damit bewirkten Einnahmen sind bei der Prognose des Jahresumsatzes zu berücksichtigen und sie teilen im Ergebnis auch das umsatzsteuerliche Schicksal der Haupttätigkeit, also ihre Behandlung als Teil einer unternehmerischen oder als Teil einer nichtunternehmerischen Tätigkeit. Ob eine selbständige Leistung oder eine unselbständige Nebenleistung vorliegt, ist nach den allgemeinen Grundsätzen zu beurteilen (vgl. Rz. 9.369 ff.).

9.343

Für die (Beratungs-) Praxis der kommunalen Trägerkörperschaften ergeben sich Risiken und Möglichkeiten: Auf der einen Seite besteht eine rechtliche Unsicherheit wegen der vorgenannten schwierigen Abgrenzung bzw. Einteilung von als gleichartig anzusehenden Tätig1 Wiesch, a.a.O., S. 231

664 | Wiesch

F. Umsatzbesteuerung von Sportstätten u.a. | Rz. 9.345 Kap. 9

keiten. Zudem ist die Erstellung der Prognose des jeweiligen Jahresumsatzes aus gleichartigen Tätigkeiten mit der Unsicherheit verbunden, ob die Art der Ermittlung von der Finanzverwaltung, z.B. im Rahmen einer Außenprüfung, akzeptiert wird. Dies gilt insbesondere für den Fall, dass die (grundsätzlich unmaßgebliche) Höhe des tatsächlich erzielten Jahresumsatzes die (maßgebliche) Höhe des prognostizierten Umsatzes und gleichzeitig auch der Umsatzgrenze von 17.500 € überschreitet. Weder aus dem Gesetz noch den Verwaltungsrichtlinien ergeben sich Vorgaben zur Vorgehensweise bei der Erstellung der Prognose. Einen aussagekräftigen Anknüpfungspunkt stellt jedoch grundsätzlich der im Vorjahr erzielte Jahresumsatz dar. Auf der anderen Seite besteht, vorbehaltlich gesetzlicher und/oder sich aus der Haushaltslage ergebender Einschränkungen, zumindest die grundsätzliche Möglichkeit, durch die Preisgestaltung eine Unternehmereigenschaft in Einzelfällen herbeizuführen oder zu vermeiden. Soweit beabsichtigt ist, mit der Preisgestaltung die Behandlung als Nichtunternehmer zu vermeiden, ist es auch unerheblich, ob die Tätigkeit bereits wegen der (geringen) Höhe des Preises und einer damit einhergehenden asymmetrischen Verhältnisses der Einnahmen zu den mit der Leistungserbringung verbundenen Ausgaben nicht als unternehmerisch zu beurteilen ist. Denn auch in diesem Fall würde die Tätigkeit nicht der Umsatzbesteuerung unterliegen (Rz. 9.318 ff.). (2) Erbringung steuerfreier Umsätze Keine größeren Wettbewerbsverzerrungen liegen nach § 2b Abs. 2 Nr. 2 UStG vor, wenn vergleichbare, auf privatrechtlicher Grundlage erbrachte Leistungen einer Steuerbefreiung unterliegen, ohne das auf die Behandlung als steuerfreie Umsätze nach § 9 UStG verzichtet werden kann. Erbringt danach eine juristische Person des öffentlichen Rechts im Rahmen ihrer unternehmerischen, aber auf öffentlich-rechtlicher Grundlage ausgeübten Tätigkeit Leistungen, die steuerfrei wären, wenn sie stattdessen auf privatrechtlicher Grundlage ausgeübt worden wären, ist die Behandlung als Nichtunternehmer und die damit verbundene Nichtbesteuerung der erbrachten Ausgangsumsätze nicht geeignet, größere Wettbewerbsverzerrungen hervorzurufen. Hintergrund dieser Regelung ist der Gedanke, dass es in diesen Fällen nicht zu einer unterschiedlichen umsatzsteuerlichen Behandlung der Leistungen von öffentlichen und von privaten Anbietern kommen kann.1 Sowohl die nichtunternehmerisch tätige juristische Person des öffentlichen Rechts als auch ein unternehmerisch tätiger privater Unternehmer haben in diesen Fällen weder ihre Ausgangsumsätze zu besteuern noch steht ihnen der Vorsteuerabzug zu (vgl. § 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG).

9.344

Soweit eine kommunale Trägerkörperschaft, die mit ihrer im Rahmen der Verwaltung von Gemeinschaftseinrichtungen ausgeübten Tätigkeit die Voraussetzungen nach § 2b Abs. 1 Satz 1 UStG erfüllt, Leistungen erbringt, die wegen der Anwendung einer Steuerbefreiung auch im Fall der Behandlung der Trägerkörperschaft als Unternehmer nicht der Umsatzsteuer unterliegen würden, führt die Nichtbehandlung als Unternehmer nicht zu größeren Wettbewerbsverzerrungen. Mit Blick auf die Steuerbefreiungen, welche insbesondere auf die mit der Verwaltung von Gemeinschaftseinrichtungen verbundenen Leistungen Anwendung finden können (vgl. untern Rz. 9.364 ff.), ist diese Regelung des § 2b Abs. 2 Nr. 2 UStG im Zusammenhang mit der Umsatzbesteuerung von kommunalen Gemeinschaftseinrichtungen grundsätzlich zu beachten. Allerdings findet gerade für den praktisch sehr relevanten Bereich der Vermietung und Verpachtung von Gemeinschaftseinrichtungen die Regelung keine Anwendung, denn in diesen Fällen besteht grundsätzlich die Möglichkeit, die nach § 4 Nr. 12

9.345

1 Wiesch, Die umsatzsteuerliche Behandlung der öffentlichen Hand, Diss., Köln 2016, S. 226 ff.

Wiesch | 665

Kap. 9 Rz. 9.345 | Kommunalverwaltung

Buchst. a UStG steuerfreien Vermietungsumsätze nach § 9 Abs. 1 UStG als steuerpflichtige Umsätze zu behandeln. Ob im Einzelfall die Voraussetzungen für die Ausübung der Option vorliegen, ist nicht von Bedeutung.1 Damit können steuerfreie Vermietungs- und Verpachtungsumsätze, die an nicht zum Vorsteuerabzug berechtigte Privatpersonen ausgeübt werden, zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen. Die Regelung des § 2b Abs. 2 Nr. 2 UStG ist in diesen Fällen nicht einschlägig.

9.346

Für die umsatzsteuerliche Behandlung von kommunalen Gemeinschaftseinrichtungen hat die Regelung in § 2b Abs. 2 Nr. 2 UStG im Ergebnis nur eine geringe Relevanz. Zum einen gilt sie nicht für Vermietungsumsätze, zum anderen ist es für eine kommunale Trägerkörperschaft grundsätzlich auch unerheblich, ob wegen ihrer Behandlung als Nichtunternehmer nach § 2b UStG oder wegen der Anwendung einer Steuerbefreiung ihre Ausgangsleistungen nicht besteuert werden und sie vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen ist. dd) Ausschluss größerer Wettbewerbsverzerrungen bei Leistungen zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts (§ 2b Abs. 3 UStG) (1) Regelungsinhalt

9.347

Der Gesetzgeber hat in § 2b Abs. 3 UStG für den (praxisrelevanten) Sonderfall des Leistungsaustausches zwischen zwei juristischen Personen des öffentlichen Rechts zwei Regelungen getroffen, nach denen die abweichende Behandlung als Nichtunternehmer und die damit verbundene Nichtbesteuerung der Ausgangsumsätze einer juristischen Person des öffentlichen Rechts nicht zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde (s. Rz. 5.127 ff. Kap. 5 Abschn. C). (2) Tätigkeitsmonopol aufgrund gesetzlicher Bestimmungen

9.348

Keine Wettbewerbsverzerrungen liegen nach § 2b Abs. 3 Nr. 1 UStG vor, sofern eine Leistung an eine andere juristische Person des öffentlichen Rechts ausgeführt wird und diese Leistung aufgrund gesetzlicher Bestimmungen nur von juristischen Personen des öffentlichen Rechts erbracht werden dürfen. Ist die Erbringung einer Leistung einem öffentlichen Anbieter vorbehalten, fehlt es an einem potentiellen Wettbewerb mit einem privaten Anbieter einer vergleichbaren Leistung. Im Hinblick auf die Rechtsetzungsbefugnisse von kommunalen Trägerkörperschafften ist dabei zu beachten, dass Satzungen, z.B. Gemeindesatzungen, auch wenn es sich dabei jeweils um eine öffentlich-rechtliche Tätigkeitsgrundlage handelt, keine gesetzlichen Bestimmungen im vorgenannten Sinne darstellen.2

9.349

Für die Verwaltung von kommunalen Gemeinschaftseinrichtungen sind größerer Wettbewerbsverzerrungen grundsätzlich nicht deswegen ausgeschlossen, weil die damit verbundenen Leistungen nur von einer kommunalen Trägerkörperschaft an eine andere kommunale Trägerkörperschaft bzw. juristische Person des öffentlichen Rechts erbracht werden darf. Dies gilt insbesondere für die praktisch relevante Überlassung einer kommunalen Gemeinschaftseinrichtung, z.B. die Überlassung einer Sportstätte an eine Nachbargemeinde zur Ausübung des Schulsports gegen Kostenersatz. Im Regelfall bestehen keine gesetzlichen bzw. landesrechtlichen Vorgaben, dass Sportstätten nur von einer anderen juristischen Person des öffentlichen Rechts angemietet werden dürfen. 1 BMF v. 16.12.2016 – III C 2 - S 7107/16/10001, DOK 2016/1126266, BStBl I 2016, 1451, Rz. 38. 2 BMF v. 16.12.2016 – III C 2 - S 7107/16/10001, DOK 2016/1126266, BStBl I 2016, 1451, Rz. 41.

666 | Wiesch

F. Umsatzbesteuerung von Sportstätten u.a. | Rz. 9.352 Kap. 9

(3) Bestimmung der Zusammenarbeit durch gemeinsame spezifische öffentliche Interessen Keine Wettbewerbsverzerrungen liegen nach § 2b Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 UStG vor, sofern eine Leistung an eine andere juristische Person des öffentlichen Rechts ausgeführt wird und wenn die Zusammenarbeit durch gemeinsame spezifische öffentliche Interessen bestimmt wird. Dies soll nach § 2b Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 UStG regelmäßig der Fall sein, wenn die folgenden vier Voraussetzungen kumulativ1 erfüllt sind, und zwar

9.350

1. die Leistungen auf langfristigen öffentlich-rechtlichen Vereinbarungen beruhen, 2. die Leistungen dem Erhalt der öffentlichen Infrastruktur und der Wahrnehmung einer allen Beteiligten obliegenden öffentlichen Aufgabe dienen, 3. die Leistungen ausschließlich gegen Kostenerstattung erbracht werden und 4. der Leistende gleichartige Leistungen im Wesentlichen an andere juristische Personen des öffentlichen Rechts erbringt. Diese Regelung betrifft insbesondere (kommunale)2 Kooperations- bzw. Beistandsleistungen3, die im Rahmen der vertikalen oder horizontalen Zusammenarbeit4 eine juristische Person des öffentlichen Rechts an eine andere erbringt. Im Fall einer vertikalen Zusammenarbeit besteht zwischen den beteiligten juristischen Personen des öffentlichen Rechts ein öffentlichrechtliches Über-/Unterordnungsverhältnis. Bei einer horizontalen Zusammenarbeit stehen sich die beteiligten juristischen Personen des öffentlichen Rechts gleichrangig gegenüber. Während Beistandsleistungen nach der Rechtsprechung des BFH im Regelfall richtlinienkonform als der Umsatzsteuer unterliegende Tätigkeiten zu behandeln sind,5 handelt es sich bei dieser Regelung um den Versuch, die damit einhergehende steuerliche bzw. finanzielle Belastung insbesondere von interkommunalen Kooperationen6 zu mindern. Dieser Versuch ist jedoch zumindest gegenwärtig als gescheitert anzusehen, nachdem die Finanzverwaltung nach Intervention der Europäischen Kommission erklärt hat, dass auch bei Vorliegen der vier genannten Voraussetzungen zu prüfen sei, ob nicht gleichwohl eine Behandlung als Nichtunternehmer zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde.7 Damit läuft die Regelung faktisch ins Leere. Es ist jedoch möglich, dass die jeweilige Finanzbehörde in der Praxis der Erfüllung der vier Voraussetzungen des § 2b Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 UStG zumindest eine Indizwirkung beimisst.

9.351

Im Hinblick auf die Verwaltung von Gemeinschaftseinrichtungen kommen Kooperationsbzw. Beistandsleistungen insbesondere in Gestalt der Nutzungsüberlassung in Betracht, z.B. die Überlassung einer Sporthalle an eine Nachbargemeinde zur Nutzung für den Schulsport. Die in § 2b Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 UStG genannten Voraussetzungen wären zumindest nach der ursprünglichen Auffassung der Finanzverwaltung z.B. grundsätzlich erfüllt, wenn

9.352

1 2 3 4 5 6 7

BMF v. 16.12.2016 – III C 2 - S 7107/16/10001, DOK 2016/1126266, BStBl I 2016, 1451, Rz. 45. Englisch, UR 2021, 338 (340). Korn in Bunjes, § 2b UStG Rz. 43. BMF v. 16.12.2016 – III C 2 - S 7107/16/10001, DOK 2016/1126266, BStBl I 2016, 1451, Rz. 40. BFH v. 10.11.2011 – V R 41/10, BStBl II 2017, 869. Grundlegend Englisch, UR 2013, 570. BMF v. 14.11.2019 – III C 2 - S 7107/19/10005, DOK 2019/0974402, BStBl I 2019, 1140; kritisch Englisch, UR 2021, 338 (342 ff.).

Wiesch | 667

Kap. 9 Rz. 9.352 | Kommunalverwaltung

1. die Überlassung auf einer öffentlich-rechtlichen Vereinbarung beruht und dabei für mehrere, z.B. mehr als fünf Jahre,1 abgeschlossen wird, 2. beide juristische Personen des öffentlichen Rechts die Sporthalle zur Durchführung des Schulsports2 verwenden, 3. der überlassenden juristischen Person des öffentliches Recht nur die entstandenen Kosten erstattet werden und 4. daneben die Sporthalle nur gelegentlich, aber zumindest zu nicht mehr als 20 %3 an Privatrechtspersonen, z.B. örtliche Sportvereine, überlassen wird. d) Verwaltung von Gemeinschaftseinrichtungen im Rahmen einer umsatzsteuerlichen Organschaft aa) Anwendungsfall

9.353

Wenn eine Gemeinschaftseinrichtung im Eigentum einer kommunalen Trägerkörperschaft steht, die Verwaltung aber durch eine hierfür gegründete kommunale Eigengesellschaft erfolgt und dieser die Gemeinschaftseinrichtung mietweise überlassen wird, kann diese Wahl der Verwaltungsorganisation für die kommunale Trägerkörperschaft die Stellung eines Organträgers im Rahmen einer umsatzsteuerlichen Organschaft begründen. Hieraus folgt dann u.a., dass nicht die die Gemeinschaftseinrichtung verwaltende bzw. betreibende Eigengesellschaft, sondern die kommunale Trägerkörperschaft selbst die umsatzsteuerlichen Konsequenzen aus dem Handeln der Eigengesellschaft treffen. bb) Grundzüge der umsatzsteuerlichen Organschaft

9.354

Die Begründung der Unternehmereigenschaft setzt voraus, dass eine unternehmerische (wirtschaftliche) Tätigkeit selbständig ausgeübt wird (§ 2 Abs. 1 Satz 1 UStG). Wer hingegen diese Tätigkeit unselbständig ausübt, z.B. als weisungsabhängiger Arbeitnehmer (vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 1 UStG), unterliegt nicht als Unternehmer der Umsatzsteuer. Die ausgeführte Tätigkeit bzw. die damit erbrachten Leistungen werden umsatzsteuerlich dem weisungsberechtigten Arbeitgeber zugerechnet, welcher mit den von seinen Arbeitnehmern erbrachten Leistungen als Unternehmer behandelt wird. Vergleichbares gilt nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG zwingend4 in den Fällen einer umsatzsteuerlichen Organschaft für grundsätzlich selbständig tätige juristische Personen5, wenn sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert sind. Unter diesen Voraussetzungen sind Organträger und Organgesellschaft wie ein Unternehmen zu behandeln. Daher unterliegen Leistungen zwischen Organträger und Organgesellschaft als nicht steuerbare Innenumsätze nicht der Umsatzsteuer und die unternehmerischen Rechte und Pflichten gelten allein für und gegen den Organträger.6 1 BMF v. 16.12.2016 – III C 2 - S 7107/16/10001, DOK 2016/1126266, BStBl I 2016, 1451, Rz. 47. 2 BMF v. 16.12.2016 – III C 2 - S 7107/16/10001, DOK 2016/1126266, BStBl I 2016, 1451, Rz. 48: es handelt sich dabei m.E. um mehr als nur um eine bloße verwaltungsunterstützende Hilfstätigkeit im Bereich des Bildungswesens. 3 BMF v. 16.12.2016 – III C 2 - S 7107/16/10001, DOK 2016/1126266, BStBl I 2016, 1451, Rz. 54. 4 BFH v. 29.10.2008 – XI R 74/07, BStBl II 2009, 256, Rz. 21 ff. m.w.N.; Abschn. 2.8 Abs. 4 UStAE. 5 U.U. auch Personengesellschaften, vgl. BFH v. 1.6.2016 – XI R 17/11, BStBl II 2017, 581; v. 19.1.2016 – XI R 38/12, BStBl II 2017, 567; v. 2.12.2015 – V R 25/13, BStBl II 2017, 547. 6 BFH v. 22.2.2017 – XI R 13/15, BStBl II 2021, 782, Rz. 45; Korn in Bunjes, § 2 UStG Rz. 107.

668 | Wiesch

F. Umsatzbesteuerung von Sportstätten u.a. | Rz. 9.357 Kap. 9

Die finanzielle Eingliederung meint, dass der Organträger in der Weise an der Organgesellschaft beteiligt ist, dass er seinen Willen bei der Organgesellschaft durchsetzen kann. Dabei kommt es im Regelfall auf die einfache Stimmenmehrheit bei der Beschlussfassung der Gesellschafter an.1 Die wirtschaftliche Eingliederung verlangt, dass die Geschäftstätigkeiten von Organträger und Organgesellschaft derart zusammenhängen, dass sich daraus das Bild einer wirtschaftlichen Einheit, Kooperation oder Verflechtung ergibt.2 Davon ist auszugehen, wenn ihre unternehmerischen Tätigkeiten aufeinander abgestimmt sind, so dass sie sich gegenseitig fördern und ergänzen.3 Dabei muss allerdings das Maß der Entlastung der Organgesellschaft durch die unternehmerische Tätigkeit des Organträgers mehr als nur unbedeutend sein.4 Die organisatorische Eingliederung setzt schließlich voraus, dass der Organträger die mit der finanziellen Eingliederung verbundene Möglichkeit der Beherrschung der Tochtergesellschaft in der laufenden Geschäftsführung wahrnimmt, wobei er die Organgesellschaft durch die Art und Weise der Geschäftsführung beherrschen muss.5

9.355

cc) Kommunale Trägerkörperschaften als Organträger Die Behandlung einer kommunalen Trägerkörperschaft als Organträger kommt insbesondere dann in Betracht, wenn sie die Gemeinschaftseinrichtung an eine von ihr gegründete Eigengesellschaft vermietet. Die finanzielle Eingliederung folgt bereits aus der alleinigen oder zumindest mehrheitlichen Gesellschafterstellung der kommunalen Trägerkörperschaft bei der Eigengesellschaft.

9.356

Die wirtschaftliche Eingliederung folgt aus der Vermietung der Gemeinschaftseinrichtung an die Eigengesellschaft, welche diese zur Ausführung von steuerbaren Umsätzen verwendet. Soweit die Leistung von der Eigengesellschaft zu nichtunternehmerischen Zwecken verwendet wird, begründet die Leistung der kommunalen Trägerkörperschaft keine wirtschaftliche Eingliederung.6 Darüber hinaus ist zu beachten, dass die Förderung der Tätigkeit der Organgesellschaft durch eine eigene unternehmerische Tätigkeit des Organträgers erfolgen muss.7 Bei der Vermietung an die Eigengesellschaft oder bei einer anderen die Organgesellschaft entlastenden Tätigkeit muss es sich daher um eine unternehmerische (wirtschaftliche)Tätigkeit handeln. Soweit die kommunale Trägerkörperschaft entweder nicht unternehmerisch (wirtschaftlich) i.S.d. § 2 Abs. 1 UStG handelt (Rz. 9.311 ff.) oder nach § 2b UStG im Ergebnis nicht als Unternehmer zu behandeln ist (Rz. 9.326 ff.), ist die Eigengesellschaft nicht wirtschaftlich in das Unternehmen der kommunalen Trägerkörperschaft eingegliedert. Beschränkt sich z.B. die Tätigkeit der kommunalen Trägerkörperschaft auf die Erbringung einer bloßen Beistellung (unentgeltliche Überlassung eines Grundstücks) zur Betriebsführungsleistung der Eigengesellschaft, liegt keine entgeltliche Leistung i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG vor.8 Die Ausübung irgendeiner unternehmerischen Tätigkeit ohne Bezug zur Tätigkeit der Eigengesellschaft reicht ebenfalls nicht aus.9 Da eine dem Grunde nach unternehmerische (wirtschaftliche) Tätigkeit i.S. des § 2 Abs. 1 UStG genügt, kommt es nicht weiter darauf an, ob die Leistung der kommunalen

9.357

1 2 3 4 5 6 7 8 9

BFH v. 16.12.2010 – V B 46/10, BFH/NV 2011, 857. BFH v. 20.9.2006 – V B 138/05, BFH/NV 2007, 281. BFH v. 29.10.2008 – XI R 74/07, BStBl II 2009, 256. BFH v. 18.6.2009 – V R 4/08, BStBl II 2010, 310. BFH v. 7.7.2011 – V R 53/10, BStBl 2013, 218, Rz. 21. Treiber in Sölch/Ringleb, § 2 UStG Rz. 19. BFH v. 20.8.2006 – V R 30/06, BStBl II 2010, 863; Abschn. 2.8 Abs. 2 Satz 2 UStAE. BFH v. 18.6.2009 – V R 4/08, BStBl II 2010, 310. BFH v. 18.6.2009 – V R 4/08, BStBl II 2010, 310; v. 20.8.2009 – V R 30/06, BStBl II 2010, 863.

Wiesch | 669

Kap. 9 Rz. 9.357 | Kommunalverwaltung

Trägerkörperschaft an ihre Eigengesellschaft ohne Anwendung der Organschaftsregeln steuerpflichtig oder z.B. als Vermietungsleistung nach § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG steuerfrei wäre.

9.358

Die organisatorische Eingliederung wird grundsätzlich durch die personelle Verflechtung der Geschäftsführungen erfüllt.1 In den wenigsten Fällen wird jedoch der Bürgermeister einer Gemeinde oder der Landrat eines Kreises gleichzeitig Geschäftsführer der Eigengesellschaft sein. Im Fall von juristischen Personen des öffentlichen Rechts reicht es jedoch aus, wenn einer ihrer leitenden Mitarbeiter gleichzeitig Geschäftsführer der Organgesellschaft ist. In diesem Fall bestehen dieselben Einflussmöglichkeiten auf die Geschäftsführung der Organgesellschaft wie bei einer personellen Verflechtung über die Geschäftsführung von Organträger und Organgesellschaft.2 Aus Sicht der Finanzverwaltung muss es sich nicht einmal um einen Mitarbeiter aus der Leitungsebene handeln, da die Berücksichtigung von Mitarbeitern des Organträgers bei der organisatorischen Eingliederung auf der Annahme beruht, dass ein Mitarbeiter des Organträgers dessen Weisungen bei der Geschäftsführung der Organgesellschaft auf Grund eines zum Organträger bestehenden Anstellungsverhältnisses und einer sich hieraus ergebenden persönlichen Abhängigkeit befolgen wird und er bei weisungswidrigem Verhalten vom Organträger als Geschäftsführer der Organgesellschaft uneingeschränkt abberufen werden kann.3 Soweit jedoch ein Fremdgeschäftsführer bei der Organgesellschaft tätig ist, fehlt es regelmäßig an einer für die Organschaft erforderlichen organisatorischen Eingliederung. Dies ermöglicht einen gewissen Gestaltungsspielraum.4

9.359

Das Vorliegen der vorgenannten Voraussetzungen einer umsatzsteuerlichen Organschaft führt bei einer kommunalen Trägerkörperschaft als Organträger zu folgenden Rechtsfolgen:5 Die Umsätze der Eigengesellschaft sind dem Organträger zuzurechnen und dieser ist insoweit ebenfalls Steuerschuldner.6 Sowohl die Umsätze aus der entgeltlichen Überlassung (Vermietung und Verpachtung) der Gemeinschaftseinrichtung als auch weitere Umsätze aus Leistungen zwischen der kommunalen Trägerkörperschaft sowie ihrer Eigengesellschaft unterliegen als sog. Innenumsätze nicht der Besteuerung (vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 3 UStG: ein Unternehmen).7 Wenn, z.B. in Unkenntnis des Vorliegens der Voraussetzungen einer umsatzsteuerlichen Organschaft, Rechnungen über erbrachte Leistungen zwischen der kommunalen Trägerkörperschaft und der Eigengesellschaft ausgestellt werden, betreffen diese zwar nicht steuerbare Leistungen, die offen ausgewiesene Umsatzsteuer wird gleichwohl nicht nach § 14c UStG geschuldet.8

9.360

Soweit eine kommunale Trägerkörperschaft entgeltliche Leistungen der Eigengesellschaft für ihre nichtunternehmerischen (hoheitlichen) Tätigkeiten verwendet, handelt es sich ebenfalls um nicht steuerbare Innenumsätze.9 Die Wirkung der Organschaft umfasst nicht nur die unternehmerische Tätigkeit des Organträgers, sondern auch seine nichtunternehmerischen Tätigkeiten. Die Eigengesellschaft besitzt insoweit keine „partielle“ Unternehmereigenschaft.10 Nach der bisherigen BFH-Rechtsprechung würde die Verwendung der Leistung der Organge1 BFH v. 3.4.2008 – V R 76/05, BStBl II 2008, 905, Rz. 39. 2 BFH v. 20.8.2009 – V R 30/06, BStBl II 2010, 863. 3 BFH v. 7.7.2011, V R 53/10, BStBl 2013 II S. 218; Abschn. 2.8 Abs. 9 UStAE; a.A. FG Münster v. 3.11.2015 – 15 K 1252/14, MwStR 2016, 278 (rkr.). 4 Treiber in Sölch/Ringleb, § 2 UStG Rz. 144. 5 Treiber in Sölch/Ringleb, § 2 UStG Rz. 260 ff. 6 BFH v. 22.2.2017 – XI R 13/15, BStBl II 2021, 782, Rz. 45. 7 Korn in Bunjes, § 2 UStG Rz. 142. 8 BFH v. 28.10.2010 – V R 7/10, BStBl II 2011, 391; Abschn. 14c.2 Abs. 2a UStAE. 9 BFH v. 20.8.2009 – V R 30/06, BStBl II 2010, 863. 10 Korn in Bunjes, § 2 UStG Rz. 138b UStG.

670 | Wiesch

F. Umsatzbesteuerung von Sportstätten u.a. | Rz. 9.364 Kap. 9

sellschaft durch den Organträger für seine nichtunternehmerischen (hoheitlichen) Zwecke zu einer Entnahmebesteuerung nach § 3 Abs. 9a Nr. 2 UStG führen. Diese Vorgehensweise steht jedoch im Widerspruch zur bisherigen EuGH-Rechtsprechung.1 Die Anwendung der Entnahmebesteuerung im Fall der Erbringung einer unentgeltlichen Dienstleistung aus dem Bereich der unternehmerischen (wirtschaftlichen) Tätigkeit für den Bereich der nichtunternehmerischen, aber auch nichtprivaten, sondern hoheitlichen Tätigkeit, ist Gegenstand eines auf Vorlage des BFH beim EuGH anhängigen Verfahrens.2 Der Vorsteuerabzug steht allein der kommunalen Trägerkörperschaft als Organträger zu.3 Das Vorliegen der Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug (Rz. 9.404 ff.) richtet sich nicht nach der innerorganschaftlichen Verwendung, sondern danach, ob die bezogene Eingangsleistung von der kommunalen Trägerkörperschaft oder von ihrer Eigengesellschaft zur Erbringung steuerpflichtiger Ausgangsumsätze verwendet wird.4 Der Vorsteuerabzug ist danach z.B. für die kommunale Trägerkörperschaft nicht bereits deswegen ausgeschlossen, weil sie die Eingangsleistungen unmittelbar für ihre Vermietungsleistung an die Eigengesellschaft verwendet und diese Leistung grundsätzlich (z.B. nach § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG) steuerfrei wäre, wenn es sich dabei nicht bereits wegen der Behandlung als nicht steuerbarer Innenumsatz der Organschaft eine Umsatzbesteuerung ausgeschlossen wäre. Vielmehr bestimmt sich der Vorsteuerabzug danach, ob die Eigengesellschaft die überlassende Gemeinschaftseinrichtung für die Erbringung steuerpflichtiger oder steuerfreier Ausgangsleistungen verwendet.

9.361

Auf der einen Seite kommt es für die Frage des Vorsteuerabzugs allgemein darauf an, ob eine von einem Mitglied des Organkreises bezogene Leistung für eine von einem Mitglied des Organkreises zum Vorsteuerabzug berechtigende Ausgangsleistung verwendet wird. Auf der anderen Seite ist der Vorsteuerabzug zu versagen, soweit die Eingangsleistung für nicht steuerbare, z.B. hoheitliche Zwecke des Organträgers verwendet wird. Das gilt auch dann, wenn z.B. die Eigengesellschaft als Organgesellschaft vorsteuerbelastete Eingangsleistung zur Ausführung nichtsteuerbarer Leistungen an die kommunale Trägerkörperschaft als Organträger erbringt.

9.362

Bei der Prüfung der Kostendeckungsquote als ein mögliches Kriterium für die Frage einer unternehmerischen Tätigkeit der Eigengesellschaft (Rz. 9.315 ff.) sind m.E. die (zivilrechtlich vereinbarten Miet-) Aufwendungen für die Überlassung der Gemeinschaftseinrichtung als Kosten zu berücksichtigen. Spiegelbildlich kommt es für die Frage einer entgeltlichen Vermietungstätigkeit der kommunalen Trägerkörperschaft und damit für ihre Eigenschaft als tauglicher Organträger auf das Verhältnis zwischen der Mieteinnahmen zu den mit der Überlassung der Gemeinschaftseinrichtung verbundenen Kosten unter zusätzlicher Berücksichtigung möglicher Zuschüsse an die Eigengesellschaft an.

9.363

2. Ausgewählte Steuerbefreiungen für die Verwaltung von kommunalen Gemeinschaftseinrichtungen a) Wirkungsweise und Relevanz von Steuerbefreiungen Soweit eine Ausgangsleistung bzw. der damit erbrachte Umsatz die Voraussetzungen einer der in § 4 UStG normierten Steuerbefreiungen erfüllt, unterliegt der gesamte Umsatz nicht 1 BFH, Vorlagebeschl. v. 7.5.2020 – V R 40/19, BFH/NV 2020, 839, Rz. 53 ff. m.w.N. (EuGH C-269/20). 2 BFH a.a.O.; zuvor eine Entnahmebesteuerung abgelehnt Nds. FG v. 16.10.2019 – 5 K 309/17, EFG 2020, 881. 3 BFH v. 29.11.2014 – XI R 4/12, BFH/NV 2014, 992, Rz. 33. 4 Treiber in Sölch/Ringleb, § 2 UStG Rz. 260 m.w.N.

Wiesch | 671

9.364

Kap. 9 Rz. 9.364 | Kommunalverwaltung

der Umsatzbesteuerung. Der Unternehmer schuldet dementsprechend nicht die auf diesen Umsatz entfallende Umsatzsteuer und muss daher nicht wie bei der Erbringung steuerpflichtiger Umsätze Umsatzsteuer über den Preis auf den Leistungsempfänger abwälzen, um eine eigene finanzielle Belastung zu vermeiden.

9.365

Eine umsatzsteuerliche Belastung ergibt sich für den leistungserbringenden Unternehmer allerdings regelmäßig daraus, dass ihm bei Bezug von Eingangsleistungen die Umsatzsteuer in Rechnung gestellt wird, er diese jedoch entgegen der Systematik des Umsatzsteuersystems nicht als Vorsteuer von seiner eigenen Steuerschuld abziehen kann. Nach § 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG ist der Vorsteuerabzug für Leistungen, die der Unternehmer zur Ausführung steuerfreier Umsätze verwendet, ausgeschlossen. Etwas anderes gilt nach § 15 Abs. 3 UStG nur im Zusammenhang mit insbesondere grenzüberschreitenden Leistungen. Die ihm in Rechnung gestellte Umsatzsteuer berücksichtigt der Unternehmer beim Ausschluss des Vorsteuerabzugs grundsätzlich als Kostenbestandteil und gibt diesen nicht offen ausgewiesen, sondern verdeckt mit dem Preis an den Leistungsempfänger weiter. Wegen der verdeckten Weitergabe der umsatzsteuerlichen Belastung des Unternehmers infolge des Ausschlusses vom Vorsteuerabzug werden die entsprechenden Steuerbefreiungen auch als „unechte“ Steuerbefreiungen1 bzw. zutreffender als input taxed supplies2 bezeichnet.

9.366

Die Steuerbefreiungen haben für kommunale Leistungen im Bereich der Daseinsvorsorge eine besondere Relevanz, da die befreiten Umsätze insbesondere auch Leistungen betreffen, die aus sozial- und kulturpolitischen Gründen steuerlich begünstigt werden.3 Deren Grundlage findet sich im Katalog des Art. 132 MwStSystRL, welcher laut Überschrift bestimmte, dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten erfasst. Im Hinblick auf die kommunale Verwaltung von Gemeinschaftseinrichtung ist vor allem die Steuerbefreiung für die Vermietung von Grundstücken bzw. Gebäuden in § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG von hervorgehobener Bedeutung. Ebenfalls besonders relevant sind insoweit die Steuerbefreiung für kulturelle Einrichtungen (§ 4 Nr. 20 UStG, vgl. Kap. 9 D.) und die steuerfreie Erbringung von Leistungen im Zusammenhang mit Bildungs-, Kultur- und Sportveranstaltungen (§ 4 Nr. 22 UStG). b) Steuerfreie Vermietung und Verpachtung von Gemeinschaftseinrichtungen (§ 4 Nr. 12 Buchst. a UStG)

9.367

Nach § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG sind Umsätze aus der Vermietung und der Verpachtung von Grundstücken oder auch von einzelnen Räumlichkeiten eines Gebäudes steuerfrei.4 Eine Vermietung nach § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG liegt nach der gebotenen richtlinienkonformen Auslegung vor, wenn der Vermieter dem Mieter das Recht einräumt, einen Gegenstand auf bestimmte Zeit gegen Vergütung so in Besitz zu nehmen, als ob er dessen Eigentümer wäre, und jede andere Person von diesem Recht auszuschließen.5 Auf die Nutzungsdauer kommt es dabei nicht an.6 Allerdings muss die Dauer der Grundstücksüberlassung zumindest den Mietpreis mitbestimmen.7 1 2 3 4 5 6

Oelmaier in Sölch/Ringleb, § 15 UStG Rz. 692. Wiesch, Die umsatzsteuerliche Behandlung der öffentlichen Hand, Diss., Köln 2016, S. 560 f. Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht24, § 17 Rz. 200 ff. Heidner in Bunjes, § 4 Nr. 12 UStG Rz. 7. BFH v. 29.3.2017 – XI R 20/15, BFH/NV 2017, 1195, Rz. 24 m.w.N. BFH v. 24.2.2021 – XI R 4/19, BFH/NV 2021, 1374, Rz. 25; v. 24.9.2015 – V R 30/14, BStBl II 2017, 132, Rz. 14; FG BW v. 7.12.2020 – 1 K 2427/19 (rkr.), EFG 2021, 691. 7 EuGH v. 18.11.2004 – C-284/03 – Temco Europe, ECLI:EU:C:2004:730, UR 2005, 24; FG Rh.-Pf. v. 18.9.2019 – 3 K 1555/17, EFG 2020, 137 (Rev. BFH XI R 33/19 als unzulässig verworfen); Hidien/Menebröcker, ZKF 2020, 198 (201).

672 | Wiesch

F. Umsatzbesteuerung von Sportstätten u.a. | Rz. 9.372 Kap. 9

Die Vermietung von Wohn- und Schlafräumen, die zur kurzfristigen Beherbergung von Fremden bereitgehalten wird, die Vermietung von Plätzen für das Abstellen von Fahrzeugen, die kurzfristige Vermietung auf Campingplätzen und die Vermietung und die Verpachtung von Maschinen und sonstigen Vorrichtungen aller Art, die zu einer Betriebsanlage gehören (Betriebsvorrichtungen), auch wenn sie wesentliche Bestandteile eines Grundstücks sind, sind nach § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG hingegen nicht steuerfrei.

9.368

Die Frage, ob die mietweise Überlassung von kommunalen Gemeinschaftseinrichtungen steuerfrei ist, gestaltet sich insbesondere dann als schwierig, wenn sie Gegenstand eines sog. Leistungsbündels ist. Ein Leistungsbündel liegt vor, wenn die erbrachte Leistung sich aus mehreren einzelnen Leistungen bzw. Leistungskomponenten zusammensetzt, die bei isolierter Betrachtung zu unterschiedlichen umsatzsteuerlichen Rechtsfolgen, z.B. steuerfrei und steuerpflichtig, führen würden. Dies ist z.B. der Fall, wenn neben der Überlassung der Räumlichkeiten weitere und grundsätzlich steuerpflichtige Leistungen erbracht werden, insbesondere die Vermietung von Betriebsvorrichtungen (vgl. § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG), Reinigungsleistungen oder die Gestellung von Personal.

9.369

Bei der Bestimmung der umsatzsteuerlichen Behandlung eines Leistungsbündels bzw. der dazugehörigen einzelnen Leistungen ist auf der einen Seite zu berücksichtigen, dass jede Leistung grundsätzlich umsatzsteuerlich isoliert zu beurteilen ist, es dabei auf der anderen Seite jedoch nicht zu einer „künstlichen“ Aufspaltung kommen darf. Hierfür ist aus der Sicht eines Durchschnittsverbrauchers zu prüfen, ob das Leistungsbündel eine umsatzsteuerlich einheitliche Leistung bildet oder die einzelnen Leistungen umsatzsteuerlich getrennt zu beurteilen sind.

9.370

Eine einheitliche Leistung liegt zum einen vor, wenn es sich bei einer einzelnen Leistung um die Hauptleistung handelt und eine oder mehrere weitere Leistungen nur Nebenleistungen zu dieser Hauptleistung sind. Dies ist der Fall, wenn die jeweilige Nebenleistung für den Leistungsempfänger keinen eigenen Zweck erfüllt, sondern das Mittel darstellt, um die Hauptleistung des Leistenden unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen.1 Die Nebenleistung teilt dann das (umsatzsteuerrechtliche) Schicksal der Hauptleistung.2 So liegt z.B. eine insgesamt steuerfreie Überlassung von Räumlichkeiten in einem Dorfgemeinschaftshauses vor, wenn neben der Raumüberlassung auch Leistungen wie die Reinigung, die Beleuchtung sowie das Zurverfügungstellen von Stühlen, Tischen und Besteck erbracht werden.3 Die Überlassung von Beleuchtungstechnik, Tontechnik, Kücheneinrichtung, Bühne und Hebebühne sind ebenfalls eine Nebenleistung, wenn sie nur dazu dienen, die vertragsgemäße Nutzung einer Halle als Veranstaltungsort unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen.4

9.371

Eine einheitliche Leistung liegt zum anderen vor, wenn das Leistungsbündel eine sog. komplexe Leistung bildet, bei der die Leistungselemente wirtschaftlich so eng miteinander verbunden sind, dass sie objektiv eine einzige untrennbare wirtschaftliche Leistung bilden, deren Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre.5 Dies ist der Fall bei der begründeten Annahme, dass ein Abnehmer die Leistungen nur als Leistungsbündel nachfragen würde. Das umsatzsteuerliche Schicksal einer komplexen Leistung bestimmt sich nach den aus wirtschaftlicher Betrachtung aus Sicht

9.372

1 BFH v. 29.3.2017 – XI R 20/15, BFH/NV 2017, 1195. 2 BFH v. 24.4.2013 – XI R 3/11, BStBl II 2014, 86. 3 FG Rh.-Pf. v. 18.9.2019 – 3 K 1555/17, EFG 2020, 137, Rz. 29 (Rev. BFH XI R 33/19 als unzulässig verworfen); FG München v. 23.10.2012 – 2 K 3457/09 (rkr.), EFG 2013, 247. 4 FG BW v. 7.12.2020 – 1 K 2427/19 (rkr.), EFG 2021, 691. 5 BFH v. 28.6.2017 – XI R 12/15, BFH/NV 2017, 1400, Rz. 41; Heidner in Bunjes, § 4 Nr. 12 UStG Rz. 30.

Wiesch | 673

Kap. 9 Rz. 9.372 | Kommunalverwaltung

des Kunden dominierenden oder wesentlichen Bestandteilen der einheitlichen Leistung. Die danach geltende umsatzsteuerrechtliche Rechtsfolge ist für die gesamte komplexe Leistung maßgeblich. Wenn nicht die grundsätzlich steuerfreie Grundstücksüberlassung den eine komplexe Leistung dominierenden und wesentlichen Bestandteil darstellt, sondern die grundsätzlich steuerpflichtigen weiteren Leistungen, so liegt ein sog. Vertrag besonderer Art vor. In diesen Fällen unterliegt die gesamte (einheitliche) komplexe Leistung der Besteuerung.1

9.373

Die Grundsätze zur umsatzsteuerlichen Behandlung eines Leistungsbündels als einheitliche Leistung gelten grundsätzlich auch für die Mitüberlassung von Betriebsvorrichtungen. Es gilt kein Aufteilungsgebot, wonach die Überlassung von Betriebsvorrichtungen auch im Fall einer einheitlichen Leistung steuerpflichtig ist.2 Ist die Überlassung von Betriebsvorrichtungen Gegenstand eines als einheitliche Leistung zu behandelnden Leistungsbündels, so kann auf der einen Seite die Überlassung der Betriebsvorrichtung entweder als Nebenleistung zu einer grundsätzlich steuerfreien Grundstücksvermietung oder -verpachtung3 oder als eine untrennbar mit der Grundstücksverwaltung verbundene, diese komplexe Leistung aber nicht prägende Leistung ebenfalls steuerfrei sein.4 Auf der anderen Seite kann die Grundstücksüberlassung entweder (eher theoretisch) als Nebenleistung zu einer steuerpflichtigen Vermietung einer Betriebsvorrichtung als Hauptleistung oder aber (praktisch relevant) als eine mit der insgesamt prägenden Überlassung einer Betriebsvorrichtung untrennbar im Sinne einer komplexen Leistung verbundenen Leistung steuerpflichtig sein.5 Bildet das Leistungsbündel hingegen keine umsatzsteuerrechtlich einheitliche Leistung, sind Überlassung von Grundstück und Betriebsvorrichtung jeweils getrennt zu beurteilen. Soweit für beide Leistungen insgesamt ein einheitliches Entgelt vereinbart wurde, ist dieses zur Bestimmung der Bemessungsgrundlage für die steuerpflichtige Betriebsvorrichtungsüberlassung aufzuteilen (Rz. 9.398 ff.).6 Die Aufteilung kann dabei grundsätzlich nach dem Verhältnis der Herstellungs- bzw. Anschaffungskosten des Grundstücks zu den Herstellungs- bzw. Anschaffungskosten der Betriebsvorrichtungen erfolgen. Dabei sind die Nutzungsdauer und die kalkulatorischen Zinsen auf das eingesetzte Kapital zu berücksichtigen.7

9.374

Wird eine gesamte Sportanlage einem anderen Unternehmer als Betreiber zur Überlassung an Dritte (sog. Zwischenvermietung) überlassen, geht die Finanzverwaltung davon aus, dass die Nutzungsüberlassung an diesen Betreiber in eine steuerfreie Grundstücksüberlassung und eine steuerpflichtige Vermietung von Betriebsvorrichtungen aufzuteilen ist.8 Gleichwohl kann 1 BFH v. 17.12.2014 – XI R 16/11, BStBl II 2015, 427; v. 20.8.2009 – V R 21/08, BFH/NV 2010, 473; Abschn. 4.12.6 Abs. 1 UStAE. 2 So auch der BFH, welcher dem EuGH gleichwohl diese Frage vorgelegt hat, vgl. BFH-Vorlagebeschl. v. 26.5.2021 – V R 22/20, BFH/NV 2021, 1326 (EuGH C-516/21); anders im Fall von Sportanlagen die Finanzverwaltung, Abschn. 4.12.11 Abs. 2 UStAE. 3 BFH v. 4.3.2011 – V B 51/10, BFH/NV 2011, 1035, vorgehend FG Düsseldorf v. 21.4.2010 – 5 K 860/08 (Theatergebäude). 4 BFH v. 7.5.2014 – V B 94/13, BFH/NV 2014, 1242 (Sporthalle); v. 17.12.2008 – XI R 23/08, BStBl II 2010, 208 (Turnhallengebäude); v. 24.1.2008 – V R 12/05, BStBl II 2009, 60 (WochenmarktStandplätze); FG München v. 23.10.2012 – 2 K 3457/09 (rkr.), EFG 2013, 247 (Stadthalle). 5 Insbesondere bei Sportanlagen, st. Rspr. seit BFH v. 31.5.2001 – V R 97/98, BStBl II 2001, 658; vgl. z.B. BFH v. 28.6.2017 – XI R 12/15, BFH/NV 2017, 1400, Rz. 61. 6 Abschn. 4.12.11 Abs. 2-4 UStAE. 7 Abschn. 4.12.11 Abs. 3 UStAE; Meyer in Offerhaus/Söhn/Lange, § 4 Nr. 12 UStG Rz. 140. 8 Abschn. 4.12.11 Abs. 2 UStAE unter Hinweis auf BFH v. 11.3.2009 – XI R 71/07, BStBl 2010, 209, sowie mit Vorgaben zur danach erforderlichen Abgrenzung der Grundstücksteile von Betriebsvorrichtungen für z.B. Sportplätze und -stadien, Schwimmbäder und Mehrzweckhallen.

674 | Wiesch

F. Umsatzbesteuerung von Sportstätten u.a. | Rz. 9.377 Kap. 9

die Vermietung einer Sporthalle auch insgesamt eine nach § 4 Nr. 12 UStG steuerfreie Leistung sein, wenn die Vermietung langfristig und die Mitvermietung von Betriebsvorrichtungen nicht prägend ist sowie die Vermietung nur zeitweise (z.B. vormittags für den Schulsport) erfolgt. Dies ist z.B. der Fall, wenn eine Sporthalle für über 25 Jahre an eine Gemeinde für den Schulsport (montags bis samstags von 8-14 Uhr) vermietet wird. Dabei ist es unschädlich, wenn daneben zu anderen Zeiten die Sporthalle an andere Nutzer überlassen oder für eigene Zwecke genutzt wird.1 Der mietweisen kurzeitigen (z.B. stundenweisen) Überlassung von Sportanlagen oder Räumlichkeiten einer Sporthalle liegt grundsätzlich ein Vertrag besonderer Art zugrunde, so dass es sich um eine steuerpflichtige Leistung handelt, die nicht nach § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG steuerfrei ist.2 In diesen Fällen steht nicht im Vordergrund, dass dem Mieter (als Endverbraucher) das Recht eingeräumt wird, einen Gegenstand auf bestimmte Zeit gegen Vergütung so in Besitz zu nehmen, als ob er dessen Eigentümer wäre, und jede andere Person von diesem Recht auszuschließen. Prägend ist vielmehr die Möglichkeit der sportlichen Betätigung, insbesondere unter Nutzung der zu diesem Zweck mit der Sportanlage zur Verfügung gestellten Vorrichtungen.

9.375

Soweit nach den vorgenannten Grundsätzen die Vermietung oder Verpachtung einer kommunalen Gemeinschaftseinrichtung nach § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG steuerfrei ist, besteht nach § 9 Abs. 1 UStG grundsätzlich die Möglichkeit, die steuerfreien Vermietungsumsätze gleichwohl optional als steuerpflichtig zu behandeln. Dies setzt jedoch voraus, dass der Leistungsempfänger die Leistung ausschließlich (mind. zu 95 %)3 für Umsätze verwendet oder zu verwenden beabsichtigt, die den Vorsteuerabzug nicht ausschließen. Der Verzicht auf die Steuerbefreiung kann auf einzelne Grundstücksteile bzw. Räumlichkeiten beschränkt werden.4 Eine Behandlung der grundsätzlich steuerfreien Vermietungsumsätze als steuerpflichtig kommt z.B. in Betracht, wenn eine Gemeinde eine Sporthalle langfristig an ihre Eigengesellschaft vermietet, welche ihrerseits die Halle stundenweise im Rahmen von Verträgen besonderer Art an private Endverbraucher steuerpflichtig weitervermietet.5 Im Fall der Vermietung an Sportvereine ist zu beachten, dass diese (entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung)6 steuerbare und daher auch steuerpflichtige Leistungen an ihre Mitglieder erbringen können, insbesondere durch die Zurverfügungstellung von reinen Trainingsmöglichkeiten oder die bloße Nutzungsüberlassung von Sportanlagen.7 Diese Leistungen des Vereins fallen nicht unter die Steuerbefreiung für sportliche Veranstaltungen nach § 4 Nr. 22 Buchst. b UStG (hierzu unten Rz. 9.383 ff.).

9.376

c) Steuerfreie Bildungs-, Kultur- und Sportveranstaltungen (§ 4 Nr. 22 UStG) Wenn Gemeinschaftseinrichtungen von kommunalen Trägerkörperschaften nicht vermietet oder verpachtet werden, sondern selbst zur Durchführung von Bildungs-, Kultur- und Sport1 BFH v. 7.5.2014 – V B 94/13, BFH/NV 2014, 1242. 2 BFH v. 26.4.2018 – V R 23/16, BFH/NV 2018, 1205, Rz. 18; v. 31.5.2001 – V R 97/98, BStBl II 2001, 658; Abschn. 4.12.11 Abs. 1 Satz 1 UStAE. 3 Abschn. 9.2 Abs. 3 UStAE. 4 BFH v. 26.6.1996 – XI R 43/90, BStBl II 1997, 98; Schüler-Täsch in Sölch/Ringleb, UStG, § 9 UStG Rz. 64. 5 Meyer in Offerhaus/Söhn/Lange, § 4 Nr. 12 UStG Rz. 143 6 Abschn. 1.4 Abs. 1 UStAE: satzungsmäßige (echte) Mitgliedsbeiträge von Sportvereinen unterliegen nicht der Umsatzsteuer. 7 BFH, Vorlagebeschl. v. 21.6.2018 – V R 20/17, BStBl II 2018, 558, Rz. 31; v. 20.3.2014 – V R 4/13, BFH/NV 2014, 1470, Rz. 11.

Wiesch | 675

9.377

Kap. 9 Rz. 9.377 | Kommunalverwaltung

veranstaltungen verwendet werden, können diese Leistung insbesondere nach § 4 Nr. 22 UStG steuerfrei sein. Zum einen gehören juristische Personen des öffentlichen Rechts zu dem danach begünstigten Veranstalterkreis. Zum anderen werden Umsätze begünstigt, die typischerweise unter Verwendung von kommunalen Gemeinschaftseinrichtungen erbracht werden. aa) Bildungsleistungen

9.378

Zu den begünstigten Bildungsleistungen zählen Vorträge, Kurse und andere Veranstaltungen wissenschaftlicher oder belehrender Art. Nach richtlinienkonformer Auslegung werden jedoch nur solche Leistungen befreit, bei denen es sich um Erziehung von Kindern und Jugendlichen, um Schul- oder Hochschulunterricht, um Ausbildung, Fortbildung oder berufliche Umschulung im Sinne von Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL handelt, sowie mit diesen eng verbundene Leistungen. Nicht befreit sind hingegen Veranstaltungen zur Freizeitgestaltung.1 – Das Merkmal der Erziehung von Kindern und Jugendlichen ist unionsrechtlich nicht weiter definiert. Mit Blick auf den Sinn und Zweck der Steuerbefreiung empfiehlt sich eine insoweit nicht auf das nationale Recht beschränkte Auslegung in Anlehnung an den jeweiligen erziehungswissenschaftlichen Bedeutungsinhalt.2 Danach ist Erziehung Gegenstand eines umfassenden Sozialisierungsprozesses und umfasst insbesondere die soziale Interaktion zwischen Menschen, bei der ein Erwachsener planvoll und zielgerichtet versucht, bei einem Kind unter Berücksichtigung der Bedürfnisse und der persönlichen Eigenart des Kindes erwünschtes Verhalten zu entfalten und zu stärken.3 Nach diesem Begriffsverständnis ist die Begriffe des Kindes und des Jugendlichen jeweils in Bezug auf die konkrete Erziehungsleistung auszulegen.4 – Der Begriff der Schul- oder Hochschulunterricht5 ist nicht auf Unterricht beschränkt, der zu einer Abschlussprüfung zur Erlangung einer Qualifikation führt oder eine Ausbildung im Hinblick auf die Ausübung einer Berufstätigkeit vermittelt, sondern er schließt auch andere Tätigkeiten ein, bei denen die Unterweisung in Schulen und Hochschulen erteilt wird, um die Kenntnisse und Fähigkeiten der Schüler oder Studenten zu entwickeln, sofern diese Tätigkeiten nicht den Charakter bloßer Freizeitgestaltung haben. Er umfasst Tätigkeiten, die sowohl durch ihre spezifische Art als auch aufgrund des Rahmens, in dem sie ausgeübt werden, gekennzeichnet sind. Der Begriff des Schul- und Hochschulunterrichts verweist allgemein auf ein integriertes System der Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten in Bezug auf ein breites und vielfältiges Spektrum von Stoffen sowie auf die Vertiefung und Entwicklung dieser Kenntnisse und Fähigkeiten durch die Schüler und Studenten je nach ihrem Fortschritt und ihrer Spezialisierung auf den verschiedenen dieses System bildenden Stufen. Nicht zum Schul- oder Hochschulunterricht gehört hingegen ein spezialisierter, punktuell erteilter Unterricht, der für sich allein nicht der für den Schulund Hochschulunterricht kennzeichnenden Vermittlung, Vertiefung und Entwicklung von Kenntnissen und Fähigkeiten in Bezug auf ein breites und vielfältiges Spektrum von Stoffen

1 2 3 4 5

BFH v. 10.7.2012 – V B 33/12, Rz. 24 ff., BFH/NV 2012, 1676; Abschn. 4.22.1 Abs. 2 UStAE. Wiesch in Weitemeyer/Schauhoff/Achatz, Umsatzsteuerrecht für den Nonprofitsektor, Rz. 15.32 f. Hurrelmann, Mut zur demokratischen Erziehung, Pädagogik 7-8 (1994), 13. Wiesch in Weitemeyer/Schauhoff/Achatz, Umsatzsteuerrecht für den Nonprofitsektor, Rz. 15.34 f. EuGH v. 21.10.2021 – C-373/19 – Dubrovin & Tröger – Aquatics, ECLI:EU:C:2021:873 Rz. 23 ff. m.w.N., DStR 2021, 2524; BFH v. 23.5.2019 – V R 7/19 (V R 38/16), BFH/NV 2019, 1210.

676 | Wiesch

F. Umsatzbesteuerung von Sportstätten u.a. | Rz. 9.381 Kap. 9

gleichkommt.1 Das gilt auch dann, wenn an dem Unterricht ein ausgeprägtes Gemeininteresse besteht.2 – Ausbildung, Fortbildung oder berufliche Umschulung umfassen nach Art. 44 VO (EU) 282/20113 Schulungsmaßnahmen mit direktem Bezug zu einem Gewerbe oder einem Beruf sowie jegliche Schulungsmaßnahme, die dem Erwerb oder der Erhaltung beruflicher Kenntnisse dient. Die Dauer der Ausbildung, Fortbildung oder beruflichen Umschulung ist hierfür unerheblich. – Mit den vorgenannten begünstigten Leistungen eng verbundene Leistungen sind Nebenleistungen, die keinen eigenen Zweck erfüllen, sondern jeweils das Mittel darstellen, um die (steuerfreie) Hauptleistung unter den bestmöglichen Bedingungen zu erhalten (s. zu den Grundsätzen zu Haupt- und Nebenleistungen Rz. 9.371 ff.). Die Nebenleistung muss jedoch von einem nach § 4 Nr. 22 UStG begünstigten Unternehmer ausgeführt werden, sie muss für die Ausübung der steuerbefreiten Hauptleistung unerlässlich sein (Art. 134 Buchst. a MwStSystRL) und sie darf nicht im Wesentlichen dazu bestimmt sein, dem Steuerpflichtigen zusätzliche Einnahmen durch Umsätze zu verschaffen, die in unmittelbarem Wettbewerb mit steuerpflichtigen Umsätzen anderer gewerblicher Unternehmer stehen (Art. 134 lit. b MwStSystRL).4 Nach Maßgabe der unionsrechtlichen Auslegung sind nur solche Vorträge nach § 4 Nr. 22 lit. a UStG begünstigt, die i.S. des Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL eine Leistung zur Erziehung von Kindern und Jugendlichen, zum Schul- und Hochschulunterricht, zur Ausund Fortbildung sowie zur beruflichen Umschulung oder eine damit eng verbundene Leistung darstellen.5

9.379

Zu den steuerbefreiten Kursen gehören wegen Art. 44 VO (EU) 282/20116 auch solche, die der Berufsausbildung und -fortbildung dienen. Dementsprechend sind auch berufsbildende und fortbildende Kurse, in denen handwerkliche oder technische Fähigkeiten vermittelt werden, steuerbefreit.7

9.380

Zu den begünstigten anderen Veranstaltungen gehören zum Beispiel Seminare und Arbeitsgemeinschaften.8 Aus Sicht der Finanzverwaltung handelt es sich bei der Erteilung von Sportunterricht (z.B. Schwimm-, Tennis-, Reit-, Segel- und Skiunterricht) um Veranstaltungen belehrender Art auf dem Gebiet des Sports.9 Die bisherige weitgehende Befreiung von (außerschulischem) Sportunterricht nach § 4 Nr. 22 Buchst. a UStG steht jedoch im Widerspruch

9.381

1 EuGH v. 14.3.2019 – C-449/17 – A & G Fahrschul-Akademie (Fahrschulunterricht), ECLI:EU: C:2019:202, UR 2019, 924; v. 7.10.2019 – C-449/17 – Finanzamt Hamburg-Barmbek-Uhlenhorst (Surf- und Segeluntericht), ECLI:EU:C:2019:840, UR 2019, 892. 2 EuGH v. 21.10.2021 – C-373/19 – Dubrovin & Tröger – Aquatics (Schwimmunterricht), ECLI:EU: C:2021:873 Rz. 23 ff. m.w.N., DStR 2021, 2524; nachgehend zum Schwimmunterricht unter Änderung seiner bisherigen Rechtsprechung BFH v. 16.12.2021 – V R 31/21 (V R 32/18), DStR 2022, 491, Rz. 19 ff.; a.A. noch im Vorlagebeschl. v. 27.3.2019 – V R 32/18, BFH/NV 2019, 788. 3 ABl. EU 2011 Nr. L 77, 1. 4 EuGH v. 14.6.2007 – C-434/05 – Horizon College, ECLI:EU:C:2007:343 Rz. 29, 34 ff., UR 2007, 587. 5 BFH v. 10.7.2012 – V B 33/12, BFH/NV 2012, 1676; Abschn. 4.22.1 Abs. 2 UStAE. 6 ABl. EU 2011 Nr. L 77, 1. 7 Heidner in Bunjes, § 4 Nr. 22 UStG Rz. 4. 8 BFH v. 7.10.2010 – V R 12/10, BStBl II 2011, 303. 9 Abschn. 4.22.1 Abs. 4 UStAE.

Wiesch | 677

Kap. 9 Rz. 9.381 | Kommunalverwaltung

zur EuGH-Rechtsprechung.1 Beim Sportunterricht handelt es sich regelmäßig um einen spezialisierten, punktuell erteilten Unterricht, der für sich allein nicht der für den Schul- und Hochschulunterricht kennzeichnenden Vermittlung, Vertiefung und Entwicklung von Kenntnissen und Fähigkeiten in Bezug auf ein breites und vielfältiges Spektrum von Stoffen gleichkommt.

9.382

Die begünstigten Veranstalter können die Steuerbefreiung für ihre begünstigten Umsätze nur im Fall einer überwiegenden Verwendung der erzielten Einnahmen zur Kostendeckung in Anspruch nehmen. Daher müssen die Einnahmen jeder Veranstaltung bzw. Veranstaltungsreihe zu mehr als 50 % zur Deckung der anfallenden Kosten verwendet werden.2 bb) Kultur- und Sportveranstaltungen

9.383

Neben Bildungsleistungen sind auch andere kulturelle und sportliche Veranstaltungen, soweit das Entgelt in Teilnehmergebühren besteht, steuerfrei. Als Teilnehmergebühren sind nur solche Entgelte anzusehen, die gezahlt werden, um an den Veranstaltungen aktiv teilnehmen zu können (z.B. Startgelder und Meldegelder). Dies können auch Mitgliedsbeiträge an einen Sportverein sein.3 Nicht befreit sind hingegen die Eintrittsgelder der Zuschauer für solche Veranstaltung.4

9.384

Andere kulturelle Veranstaltungen sind z.B. Musikwettbewerbe und Trachtenfeste.5 Unter sportliche Veranstaltungen fallen organisatorische Maßnahmen, die es aktiven Sportlern ermöglichen, Sport zu treiben. Eine bestimmte Organisationsform oder -struktur wird durch die Steuerbefreiung nicht vorgegeben.6 Zu den begünstigten Sportveranstaltungen gehören das bloße Training, Sportkurse und Sportlehrgänge.7 Die untere Grenze der sportlichen Veranstaltung ist erst unterschritten, wenn die Maßnahme nur eine Nutzungsüberlassung von Sportgegenständen bzw. -anlagen oder bloß eine konkrete Dienstleistung, wie z.B. die Beförderung zum Ort der sportlichen Betätigung oder ein spezielles Training für einzelne Sportler, zum Gegenstand hat.8

9.385

Die entgeltliche Überlassung von Sportstätten ist nicht nach § 4 Nr. 22 Buchst. b UStG steuerfrei. Dabei handelt es sich nicht um eine sportliche Veranstaltung, sondern die Überlassung schafft lediglich die Voraussetzung für ihre Durchführung.9 Die untere Grenze der sportlichen Veranstaltung ist in diesen Fällen unterschritten.10 Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass mit § 4 Nr. 22 Buchst. b UStG der Inhalt der zugrundeliegenden Richtlinienre1 EuGH v. 21.10.2021 – C-373/19 – Dubrovin & Tröger – Aquatics (Schwimmunterricht), ECLI:EU: C:2021:873 Rn. 23 ff. m.w.N., DStR 2021, 2524; v. 7.10.2019 – C-449/17 – Finanzamt HamburgBarmbek-Uhlenhorst (Surf- und Segelunterricht), ECLI:EU:C:2019:840, UR 2019, 892. 2 BFH v. 7.10.2010 – V R 12/10, BStBl II 2011, 303; Wiesch in Weitemeyer/Schauhoff/Achatz, Umsatzsteuerrecht für den Nonprofitsektor, Rz. 15.116 f. 3 BFH v. 11.10.2007 – V R 69/06, BFH/NV 2008, 322; BMF v. 4.2.2019 – III C 3 - S 7180/17/10001, DOK 2019/0091394, BStBl I 2019, 115. 4 Abschn. 4.22.2 Abs. 5 UStAE. 5 Abschn. 4.22.2 Abs. 1 UStAE. 6 BFH v. 20.3.2014 – V R 4/13, BFH/NV 2014, 1470. 7 Abschn. 4.22.2 Abs. 2 Satz 4 UStAE. 8 BFH v. 2.3.2011 – XI R 21/09, BFH/NV 2011, 1456, Rz. 15 m.w.N.; Abschn. 4.22.2 Abs. 4 UStAE 9 BFH v. 11.10.2007 – V R 69/06, BFH/NV 2008, 322; Achatz/Tratlehner in Weitemeyer/Schauhoff/ Achatz, Umsatzsteuerrecht für den Nonprofitsektor, Rz. 18.63 f. 10 BFH v. 20.11.2008 – V B 264/07, BFH/NV 2009, 430.

678 | Wiesch

F. Umsatzbesteuerung von Sportstätten u.a. | Rz. 9.388 Kap. 9

gelung in Art. 132 Abs. 1 Buchst. m MwStSystRL nur unzureichend umgesetzt worden ist.1 Danach sind bestimmte, in engem Zusammenhang mit Sport und Körperertüchtigung stehende Dienstleistungen, die Einrichtungen ohne Gewinnstreben an Personen erbringen, die Sport oder Körperertüchtigung ausüben, steuerfrei. Bei der Überlassung von Sportstätten handelt es sich auch um eine in engem Zusammenhang mit Sport und Körperertüchtigung stehende Dienstleistung.2 Die Regelung des § 4 Nr. 22 Buchst. b UStG kann jedoch nicht richtlinienkonform dahingehend ausgelegt werden, dass auch die Nutzungsüberlassung von Sportstätten steuerfrei ist.3 Dem steht sowohl der Wortlaut der nationalen Regelung als auch der Wille des Gesetzgebers entgegen.4 Die kommunale Trägerkörperschaft kann sich auch nicht auf die unmittelbare Anwendung des Art. 132 Abs. 1 Buchst. m MwStSystRL berufen, um die Überlassung ihrer Sportstätte steuerfrei zu behandeln. Zwar ging der BFH in seiner bisherigen Rechtsprechung davon aus, dass wegen der nur unzureichenden Umsetzung des Inhalts des Art. 132 Abs. 1 Buchst. m MwStSystRL in nationales Recht und der fehlenden Möglichkeit, die unzureichende Umsetzung im Wege einer richtlinienkonformen Auslegung der nationalen Regelung zu heilen, eine unmittelbare Anwendung der Richtlinienregelung möglich ist.5 Der EuGH hat jedoch nunmehr klargestellt, dass sich ein Steuerpflichtiger nicht unmittelbar auf die Anwendung der Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. m MwStSystRL berufen kann.6 Die Vorschrift ist nicht hinreichend bestimmt, da sie sich nur auf die Umsetzung bestimmter, nicht aber aller Dienstleistungen bezieht.

9.386

3. Ausgewählte Steuerermäßigungen im Bereich der Verwaltung von kommunalen Gemeinschaftseinrichtungen a) Eintrittsentgelte für Theater-, Konzert oder Museumsveranstaltungen (§ 12 Nr. 7 Buchst. a UStG) Soweit kommunale Gemeinschaftseinrichtungen, z.B. Bürgerhäuser, von der Trägerkörperschaft selbst verwendet werden, um Theater-, Konzert oder Museumsleistungen zu erbringen oder den Theatervorführungen und Konzerten vergleichbaren Darbietungen ausübender Künstler zu veranstalten, können die von den Besuchern für die Eintrittsberechtigung geleisteten Zahlungen nach § 12 Nr. 7 Buchst. a UStG ermäßigt besteuert werden.

9.387

b) Leistungen gemeinnütziger Einrichtungen (§ 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG) Die im Zusammenhang mit einer kommunalen Gemeinschaftseinrichtung stehenden steuerbaren und steuerpflichtigen Leistungen unterliegen nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 Satz 1 UStG dem ermäßigten Steuersatz, wenn die Trägerkörperschaft insoweit ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige, mildtätige oder kirchliche Zwecke nach Maßgabe der §§ 51 bis 68 AO

1 BFH v. 2.3.2011 – XI R 21/09, BFH/NV 2011, 1456, Rz. 15 m.w.N.; v. 3.4.2008 – V R 74/07, BFH/ NV 2008, 1631. 2 BFH v. 2.3 2011 – XI R 21/09, BFH/NV 2011, 1456. 3 BFH v. 20.3.2014 – V R 4/13, BFH/NV 2014, 1470. 4 BFH v. 9.8.2007 – V R 27/04, BFH/NV 2007, 2213, Rz. 29. 5 BFH, Vorlagebeschl. v. 21.6.2018 – V R 20/17, BStBl II 2018, 558, Rz. 25; v. 20.3.2014 – V R 4/13, BFH/NV 2014, 1470; v. 3.4.2008 – V R 74/07, BFH/NV 2008, 1631. 6 EuGH v. 10.12.2020 – C-488/18 – Golfclub Schloss Igling, ECLI:EU:C:2020:1013 Rz. 42, UR 2021, 158.

Wiesch | 679

9.388

Kap. 9 Rz. 9.388 | Kommunalverwaltung

verfolgt. Die danach maßgeblichen abgabenrechtlichen Vorgaben gelten auch für juristische Personen des öffentlichen Rechts bzw. für ihre Betriebe gewerblicher Art.1

9.389

Die Leistungen, die im Rahmen eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs ausgeführt werden, unterliegen hingegen nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 UStG dem Regelsteuersatz. Für die umsatzsteuerliche Behandlung von kommunalen Gemeinschaftseinrichtungen entfaltet die Frage nach der Zugehörigkeit einer Tätigkeit zum wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb keine eigenständige Bedeutung. Denn alle unternehmerischen (wirtschaftlichen) Tätigkeiten i.S. des § 2 Abs. 1 UStG gehören zum wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb. Dies gilt auch für die entgeltliche Überlassung von Sportanlagen.2 Zwar gehört die bloße Vermögensverwaltung nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 2 UStG i.V.m. § 64 Abs. 1 AO und § 14 Sätze 1 und 3 AO grundsätzlich nicht zum wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb. Diese Bereichsausnahme betrifft wegen der gebotenen umsatzsteuerrechtlichen Betrachtungsweis allein nichtunternehmerische (nichtwirtschaftliche) Tätigkeiten, welche aber von vornherein nicht der Umsatzbesteuerung unterliegen Die entgeltliche und damit unternehmerische Überlassung von Sportanlagen3 oder von anderen kommunalen Gemeinschaftsreinrichtgen sind keine begünstigte Vermögensverwaltung. Sie gehören zum wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb und unterliegen damit grundsätzlich dem Regelsteuersatz.

9.390

Soweit eine kommunale Trägerkörperschaft eine kommunale Gemeinschaftseinrichtung für steuerbegünstigte (gemeinnützige, mildtätige oder kirchliche) Zwecke verwendet, unterliegen ihre damit ausgeführten Umsätze gleichwohl dem ermäßigten Steuersatz, wenn sie damit die Voraussetzungen eines Zweckbetriebs erfüllt (§ 64 Abs. 1 AO). Der Zweckbetrieb (§ 65 AO) setzt kumulativ voraus,4 dass 1. er in seiner Gesamtrichtung dazu dient, die steuerbegünstigten satzungsgemäßen Zwecke der Körperschaft zu verwirklichen (§ 65 Nr. 1 AO), 2. die Zwecke nur durch einen solchen Geschäftsbetrieb erreicht werden können (§ 65 Nr. 2 AO)5 und 3. der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb zu steuerpflichtigen Betrieben derselben oder ähnlicher Art nicht in größerem Umfang in Wettbewerb tritt, als es bei Erfüllung der steuerbegünstigten Zwecke unvermeidbar ist (§ 65 Nr. 3 AO).

9.391

Die Steuerermäßigung für Leistungen, die im Rahmen eines Zweckbetriebs ausgeführt werden, gilt nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 3 UStG nur, wenn der Zweckbetrieb nicht in erster Linie der Erzielung zusätzlicher Einnahmen durch die Ausführung von Umsätzen dient, die in unmittelbarem Wettbewerb mit dem allgemeinen Steuersatz unterliegenden Leistungen anderer Unternehmer ausgeführt werden, oder, wenn die Körperschaft mit diesen Leistungen ihres in den §§ 66 bis 68 AO bezeichneten Zweckbetriebs ihre steuerbegünstigten satzungsgemäßen Zwecke selbst verwirklicht.

1 2 3 4 5

Heuermann in Sölch/Ringleb, UStG, § 12 UStG Rz. 623. BFH v. 20.3.2014 – V R 4/13, BFH/NV 2014, 1470, Rz. 26. BFH v. 20.3.2014 – V R 4/13, BFH/NV 2014, 1470, Rz. 26. BFH v. 23.7.2009 – V R 93/07, BStBl II 2015, 735, Rz. 40. Nicht z.B. entgeltliche Leistungen eines Sportvereins an eine Gemeinde in Gestalt der Pflege von Sportanlagen, zum Betrieb und zur Reinigung von Gebäuden und Grundstücken sowie Handwerksleistungen an Grundstücken und Gebäuden erbracht werden, Nds. FG v. 11.10.2018 – 5 K 64/16, EFG 2021, 491.

680 | Wiesch

F. Umsatzbesteuerung von Sportstätten u.a. | Rz. 9.395 Kap. 9

Im Hinblick auf die umsatzsteuerliche Behandlung von kommunalen Gemeinschaftsreinrichtungen kommt es für die Frage der Steuerermäßigung insbesondere darauf an, ob die damit ausgeführten Leistungen in unmittelbarem Wettbewerb mit dem allgemeinen Steuersatz unterliegenden Leistungen anderer Unternehmer stehen. Insoweit ist es entscheidend, ob der Kläger mit diesen Leistungen in Wettbewerb zu anderen Unternehmern tritt, die vergleichbare Leistungen ohne Anspruch auf Ermäßigung am Markt anbieten (vgl. Rz. 9.334 ff.).1 Denn der ermäßigte Steuersatz ist nur insoweit anzuwenden ist, als dass dieser zu keiner oder zu einer nur geringen Gefahr einer Wettbewerbsverzerrung führt.2

9.392

c) Betrieb und Vermietung von Schwimmbädern (§ 12 Abs. 2 Nr. 9 Satz 1 UStG) Der ermäßigte Steuersatz gilt nach § 12 Abs. 2 Nr. 9 Satz 1 UStG für unmittelbar mit dem Betrieb von Schwimmbädern verbundene Umsätze sowie die Verabreichung von Heilbädern. Sie kommt jedoch nur in Betracht, wenn die Leistungen nicht, z.B. als Durchführung von Sportveranstaltungen nach § 4 Nr. 22 Buchst. b UStG (Rz. 9.383 ff.), bereits steuerbefreit sind. Die Steuermäßigung knüpft allein an die erbrachte Leistung an. Sie gilt für Leistungen sowohl von kommunalen Trägerkörperschaften als auch von privaten Anbietern.

9.393

Der Begriff „Schwimmbad“ ist richtlinienkonform im Sinne einer Sportanlage auszulegen.3 Daher muss ein Schwimmbad zur Ausübung einer sportlichen Betätigung geeignet und bestimmt sein. Kein Schwimmbad im Sinne einer Sportanlage ist demgegenüber eine Einrichtung, in der lediglich ein Erholungsbad genommen werden kann. Bei der Abgrenzung ist z.B. zu berücksichtigen, ob die Schwimmbecken sich für die Ausübung sportlichen Schwimmens anbieten, indem sie beispielsweise in Schwimmbahnen unterteilt sind, mit Startblöcken ausgestattet sind und eine angemessene Tiefe und angemessene Ausmaße haben, oder ob sie vielmehr so angelegt sind, dass sie sich im Wesentlichen für eine spielerische Nutzung eignen.4 Die sportliche Betätigung muss allerdings nicht auf einem bestimmten Niveau oder in einer bestimmten Art und Weise, etwa regelmäßig oder organisiert oder im Hinblick auf die Teilnahme an sportlichen Wettkämpfen, ausgeübt werden.5

9.394

Aus Sicht der Finanzverwaltung gehören zu den begünstigten unmittelbar mit dem Betrieb der Schwimmbäder verbundenen Umsätze insbesondere die Benutzung der Schwimmbäder (z.B. durch Einzelbesucher, Gruppen oder Vereine), ergänzende Nebenleistungen (z.B. Benutzung von Einzelkabinen), die Erteilung von Schwimmunterricht und notwendige Hilfsleistungen (z.B. Vermietung von Schwimmgürteln, Handtüchern und Badekleidung, Aufbewahrung der Garderobe, Benutzung von Haartrocknern).6 Nicht begünstigt sind u.a. die Abgabe von Reinigungsbädern, die Lieferungen von Seife und Haarwaschmitteln, die Vermietung von Liegestühlen und Strandkörben, die Zurverfügungstellung von Unterhaltungseinrichtungen (Minigolf, Tischtennis und dgl.) und die Vermietung oder Verpachtung einzelner Betriebsteile, wie z.B. die Vermietung eines Parkplatzes, einer Sauna oder von Reinigungsbädern. Ebenfalls nicht begünstigt sind die Parkplatzüberlassung, die Fahrradaufbewahrung sowie die Umsätze in Kiosken, Milchbars und sonstigen angegliederten Wirtschaftsbetrieben.7

9.395

1 2 3 4 5 6 7

BFH v. 21.6.2017 – V R 34/16, BStBl II 2018, 55, Rz. 33. Ebenda. BFH v. 17.8.2021 – XI B 29/21, juris, Rz. 11; v. 28.8.2014 – V R 24/13, BStBl II 2015, 194, Rz. 32. EuGH v. 21.2.2013 – C-18/12 – Mesto Zamberk, ECLI:EU:C:2013:95 Rz. 34, UR 2013, 338. Abschn. 12.11 Abs. 2 Satz 4 UStAE. Abschn. 12.11 Abs. 1 Satz 1 UStAE. Abschn. 12.11 Abs. 2 UStAE.

Wiesch | 681

Kap. 9 Rz. 9.396 | Kommunalverwaltung

9.396

Soweit die Vermietung und Verpachtung eines Schwimmbades durch eine kommunale Trägerkörperschaft wegen der Eigenschaft als Sportanlage nicht steuerfrei ist (Rz. 9.374 ff.), unterliegt sie jedoch als ein unmittelbar mit dem Betrieb von Schwimmbädern verbundener Umsatz dem ermäßigten Steuersatz.1 Dem ermäßigten Steuersatz unterliegt auch die Gewährung eines Betriebskostenzuschusses an den das Schwimmbad pachtenden privaten Unternehmer, z.B. auch eine kommunale Eigengesellschaft, soweit es sich bei dem Zuschuss um ein Entgelt für eine von dem privaten Unternehmer an die kommunale Trägerkörperschaft erbrachte Betriebsführungsleistung handelt (vgl. Rz. 9.322 ff.). Die Aufrechterhaltung des Betriebes eines Schwimmbades für die Öffentlichkeit und die der Durchführung des laufenden Betriebes des Schwimmbades selbst dienenden Betriebsführungsleistungen hängen unmittelbar mit dem Betrieb von Schwimmbädern zusammen.2 Soweit einem privaten Unternehmer jedoch Zuschüsse für das Eingehen einer Verpflichtung gegenüber der kommunalen Trägerkörperschaft, ein Schwimmbad zu errichten und anschließend zu betreiben, gezahlt werden, handelt es zwar ebenfalls um Entgelt für eine Leistung. Bei dem damit ausgeführten Umsatz handelt es sich jedoch nicht um einen als unmittelbar mit dem Betrieb von Schwimmbädern verbundenen und damit begünstigten Umsatz.3

4. Ermittlung der Bemessungsgrundlage für steuerpflichtige Leistungen im Rahmen der Verwaltung von kommunalen Gemeinschaftseinrichtungen 9.397

Die Umsätze aus der Verwaltung von kommunalen Gemeinschaftseinrichtungen bemessen sich gem. § 10 Abs. 1 UStG grundsätzlich nach dem Entgelt. Entgelt ist alles, was den Wert der Gegenleistung bildet, die z.B. eine kommunale Trägerkörperschaft als leistender Unternehmer vom Leistungsempfänger oder von einem anderen als dem Leistungsempfänger für die erbrachte Leistung erhält oder erhalten soll. Dazu gehören auch unmittelbar mit dem Preis dieser Umsätze zusammenhängende Subventionen. Nicht dazu gehört hingegen die mit dem Preis bezahlte und für die Leistung gesetzlich geschuldete Umsatzsteuer.

9.398

Werden im Zusammenhang mit kommunalen Gemeinschaftseinrichtungen mehrere selbständige Leistungen erbracht (Rz. 9.369 ff.), die umsatzsteuerlich unterschiedlich zu behandeln sind (z.B. steuerpflichtig/steuerfrei, Regelsteuersatz/ermäßigter Steuersatz), wird aber gleichwohl für diese Leistungen ein einheitlicher Gesamtpreis vereinbart, so ist dieser zur Ermittlung der Bemessungsgrundlage eines jeden einzelnen Umsatzes aufzuteilen. Die Aufteilung hat dabei nach der einfachst möglichen Berechnungs- oder Bewertungsmethode zu erfolgen.4

9.399

Weder das Umsatzsteuergesetz noch die Mehrwertsteuersystemrichtlinie enthalten Vorgaben für die Vorgehensweise bei der Aufteilung eines einheitlichen Gesamtpreises. Bestehen mehrere sachgerechte, gleich einfache Aufteilungsmethoden, kann der Unternehmer aus Sicht der Finanzverwaltung zwischen diesen Methoden frei wählen.5 Bietet der Unternehmer die im Rahmen des Gesamtverkaufspreises erbrachten Leistungen auch einzeln an, ist der Gesamtverkaufspreis grundsätzlich nach dem Verhältnis der Einzelverkaufspreise aufzuteilen. Daneben sind nach der Finanzverwaltung auch andere Aufteilungsmethoden wie das Verhältnis 1 FinMin SachsAnh v. 26.3.2015, MwStR 2015, 406; Heidner in Bunjes, § 12 UStG Rz. 173; SchülerTäsch in Sölch/Ringleb, UStG, § 12 UStG Rz. 759. 2 BFH v. 19.11.2009 – V R 29/08, BFH/NV 2010, 701, Rz. 13 f. 3 BFH v. 11.2.2010 – V R 30/08, BFH/NV 2010, 2125, Rz. 28. 4 BFH v. 3.4.2013 – V B 125/12, BStBl II 2013, 973, Rz. 17; v. 30.6.2011, V R 44/10, BStBl II 2011, 1003. 5 Vgl. insgesamt Abschn. 10.1 Abs. 11 Satz 3 ff. UStAE.

682 | Wiesch

F. Umsatzbesteuerung von Sportstätten u.a. | Rz. 9.402 Kap. 9

des Wareneinsatzes zulässig, sofern diese gleich einfach sind und zu sachgerechten Ergebnissen führen. Die Aufteilung nach den betrieblichen Kosten ist hingegen keine gleich einfache Aufteilungsmethode und danach nicht zulässig. Für den Fall einer notwendigen Aufteilung eines einheitlichen Gesamtpreises für die Überlassung einer Sportanlage auf die steuerfreie Nutzungsüberlassung der Sportanlage auf der einen Seite und die steuerpflichtige Nutzungsüberlassung der vorhandenen Betriebsvorrichtungen auf der anderen Seite (vgl. Rz. 9.374), hat die Finanzverwaltung zum einen für mehrere Sportanlagen1 im Hinblick auf ihre Einrichtungen eine Aufteilung zwischen Grundstücksteilen und Betriebsvorrichtungen vorgenommen. Zum anderen hat die Finanzverwaltung eine Vorgehensweise dahingehend skizziert,2 dass zwar grundsätzlich die jeweiligen Verhältnisse des Einzelfalles maßgebend sind. Bei der Aufteilung ist jedoch im Regelfall von dem Verhältnis der Herstellungs- bzw. Anschaffungskosten der Grundstücke zu denen der Betriebsvorrichtungen auszugehen, wobei die Nutzungsdauer und die kalkulatorischen Zinsen auf das eingesetzte Kapital zu berücksichtigen sind. Die Aufteilung ist erforderlichenfalls im Schätzungswege vorzunehmen und der Vermieter bzw. Verpächter kann das Aufteilungsverhältnis aus Vereinfachungsgründen für die gesamte Vermietungsdauer beibehalten.

9.400

Soweit eine kommunale Trägerkörperschaft Zuschüsse, z.B. an eine die Gemeinschaftseinrichtung betreibende oder (weiter-) vermietende Eigengesellschaft oder an einen anderen privaten Unternehmer, leistet, ist die Frage, ob es sich dabei um Entgelt für eine vom Zahlungsempfänger an die Trägerkörperschaft erbrachte Leistung handelt, nach den hierfür maßgeblichen Kriterien zu entscheiden (Rz. 9.323). Handelt es sich danach um ein steuerpflichtiges Entgelt, so bemisst sich die Bemessungsgrundlage aus dem Gesamtbetrag abzüglich der Umsatzsteuer. Im Ergebnis führt die umsatzsteuerliche Belastung eines öffentlichen Zuschusses dazu, dass der Zahlungsempfänger nur einen um die Umsatzsteuer geminderten Betrag für die bezuschussten Zwecke verwenden kann. Soweit die zahlende kommunale Trägerkörperschaft die Leistung des Zahlungsempfängers nicht für die Ausübung einer eigenen unternehmerischen Tätigkeit verwendet (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG, s. unter Rz. 9.404 ff.), bleibt ihr der Vorsteuerabzug versagt, so dass die Umsatzsteuer eine endgültige Belastung der Haushaltsmittel bedeutet.

9.401

Im Fall eines Leistungsaustausches zwischen der kommunalen Trägerkörperschaft und ihrer Eigengesellschaft kann es abweichend von der Bemessung der Umsatzsteuer nach dem Entgelt zur Anwendung der sog. Mindestbemessungsgrundlage nach § 10 Abs. 5 UStG kommen. Denn die kommunale Trägerkörperschaft ist als Anteilseigner bzw. Gesellschafter eine nahe stehende Person i.S. des § 10 Abs. 5 Satz 1 Buchst. a UStG. Soweit danach das zwischen ihr und ihrer Eigengesellschaft für eine Leistung vereinbarte Entgelt unterhalb der nach § 10 Abs. 4 UStG maßgeblichen Einkaufspreise, Selbstkosten oder entstandenen Ausgaben liegen, bilden Letztere3 die für die Bemessung der Umsatzsteuer maßgebliche Grundlage. Die Mindestbemessungsgrundlage findet jedoch abweichend dann keine Anwendung, wenn der Leistungsempfänger aus der Leistung zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt ist und der Vorsteuerabzug auch nicht nach § 15a UStG zu berichtigen ist.4 Ebenfalls keine (entsprechende) Anwendung findet die Mindestbemessungsgrundlage, wenn die unternehmerische Tätigkeit, z.B.

9.402

1 Vgl. Abschn. 4.12.11: Sportplätze und Sportstadien, Schwimmbäder (Frei- und Hallenbäder), Tennisplätze und Tennishallen, Schießstände, Kegelbahnen, Squashhallen, Reithallen, Turn-, Sportund Festhallen, Mehrzweckhallen, Eissportstadien, -hallen, -zentren, Golfplätze. 2 Vgl. insgesamt Abschn. 4.12.11 Abs. 3 UStAE. 3 Aber nur bis zur maximalen Höhe des marktüblichen Entgelts, § 10 Abs. 5 Satz 1 2. HS UStG. 4 BFH 5.6.2014 – XI R 44/12, BStBl II 2016, 187, Rz. 29 ff.; Korn in Bunjes, § 10 UStG Rz. 96a f.

Wiesch | 683

Kap. 9 Rz. 9.402 | Kommunalverwaltung

der Betrieb oder die Vermietung bzw. Verpachtung einer kommunalen Gemeinschaftseinrichtung, zu dauerhaften Verlusten führt (vgl. Rz. 9.315 ff.) und die dabei ausgeführten Leistungen nicht gegenüber nahstehenden Personen i.S.d. § 10 Abs. 5 UStG erbracht werden.1

9.403

Soweit im Rahmen der Verwaltung von kommunalen Gemeinschaftseinrichtungen Leistungsaustausche in Gestalt tauschähnlicher Umsätze erbracht werden (vgl. Rz. 9.325), ermittelt sich die Bemessungsgrundlage gem. § 10 Abs. 2 Satz 2 und 3 UStG danach, dass der Wert jedes Umsatzes als Entgelt für den anderen Umsatz gilt, wobei auch in diesem Fall die Umsatzsteuer aus dem Wert des Umsatzes herauszurechnen ist. Der Wert des anderen Umsatzes wird in richtlinienkonformer Auslegung des § 10 Abs. 2 Satz 2 UStG durch den subjektiven Wert für die tatsächlich erhaltene und in Geld ausdrückbare Gegenleistung bestimmt. Bei dem subjektiven Wert handelt es sich um den Wert, welchen der Leistungsempfänger der Leistung beimisst, die er sich verschaffen will und deren Wert dem Betrag entspricht, den er zu diesem Zweck aufzuwenden bereit ist.2 Soweit der subjektive Wert nicht ermittelt werden kann, ist er nach § 162 AO zu schätzen.3 Dies gilt auch für einen Tausch mit Baraufgabe.4

5. Vorsteuerabzug im Rahmen der Verwaltung von kommunalen Gemeinschaftseinrichtungen a) Systematik und Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs

9.404

Der Vorsteuerabzug ermöglicht es den Unternehmern, eine endgültige steuerliche Belastung beim Bezug von Fremdleistungen durch die auf ihn über den Preis abgewälzte Umsatzsteuer zu vermeiden und bewirkt damit eine steuerlich neutrale Behandlung der Unternehmer innerhalb des Umsatzsteuersystems.5 Demgegenüber bleibt derjenige, der nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, mit der in Rechnung gestellten Umsatzsteuer belastet und wird so zum Träger der Umsatzsteuer. Entsprechend des Ziels der Umsatzsteuer, als allgemeine Verbrauchsteuer nur die Vermögensverwendungen für den privaten Endkonsum endgültig zu belasten, sollte es sich dabei grundsätzlich um einen privaten Endverbraucher handeln.

9.405

Der Vorsteuerabzug ist im nationalen Recht in § 15 UStG geregelt. Nach dem Grundtatbestand in § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG kann der Unternehmer die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuerbeträge abziehen. Unionsrechtlich beruht diese Regelung auf Art. 168 Buchst. a MwStSystRL. Danach ist der Steuerpflichtige (Unternehmer) zum Vorsteuerabzug berechtigt, soweit er Leistungen für sein Unternehmen und damit für seine wirtschaftlichen Tätigkeiten zur Erbringung entgeltlicher Leistungen verwendet oder zu verwenden beabsichtigt.6 Dies setzt voraus, dass ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang zwischen Eingangs- und Ausgangsumsatz vorliegt.7 Ein solcher Zusammenhang ist 1 2 3 4 5

BFH v. 28.6.2017 – XI R 12/15, BFH/NV 2017, 1400, Rz. 67 ff.; Korn in Bunjes, § 10 UStG Rz. 98. BFH v. 16.4.2008 – XI R 56/06, BStBl II 2008, 909, Rz. 33; Abschn. 10.5 Abs. 1 Satz 3 UStAE. BFH v. 16.4.2008 – XI R 56/06, BStBl II 2008, 909, Rz. 33; Abschn. 10.5 Abs. 1 Satz 6 UStAE. BFH v. 25.4.2018 – XI R 21/16, BStBl II 2018, 505, Rz. 22. Der EuGH bezeichnet den Vorsteuerabzug als integralen Bestandteil des Mechanismus der Mehrbzw. Umsatzsteuer, vgl. z.B. EuGH v. 14.10.2021 – C-45/20 u.a., ECLI:EU:C:2021:852 Rz. 31, DStR 2021, 2404 – Finanzamt N; v. 8.3.2013 – C-271/12 – Petroma Transports u.a., EU:C:2013:297 Rz. 22, UR 2021, 792. 6 BFH v. 7.5.2020 – V R 1/18, BFH/NV 2020, 1211. 7 BFH v. 8.10.2014 – V R 56/13, BFH/NV 2015, 137, Rz. 11; v. 9.2.2012 – V R 40/10, BStBl II 2012, 844, Rz. 25.

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F. Umsatzbesteuerung von Sportstätten u.a. | Rz. 9.408 Kap. 9

anzunehmen, wenn die Aufwendungen des Eingangsumsatzes zu den Kostenelementen der zum Abzug berechtigenden Ausgangsumsätze gehören.1 Die Ausübung des Vorsteuerabzugs setzt nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 UStG voraus, dass der Unternehmer eine nach den §§ 14, 14a UStG ausgestellte Rechnung besitzt. Das Recht zum Vorsteuerabzug entsteht im Zeitpunkt des Bezugs der Eingangsleistung (Sofortabzug). Zur Bestimmung, ob und inwieweit die Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug vorliegen, kommt es daher auf die Umstände zum Zeitpunkt des Leistungsbezugs an.2 Bei Verwendung einer Eingangsleistung für die unternehmerische Tätigkeit ist der nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG grundsätzlich eingeräumte Vorsteuerabzug jedoch nach § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG wiederum ausgeschlossen, soweit die unternehmerische Tätigkeit umsatzsteuerfrei ist (vgl. Rz. 9.364 ff.). Im Fall einer gemischten Verwendung einer Eingangsleistung für steuerpflichtige und steuerfreie Umsätze ist der Vorsteuerabzug grundsätzlich aufzuteilen (§ 15 Abs. 4 UStG, vgl. Rz. 9.414 ff.).

9.406

b) Entstehung des Vorsteuerabzugsrechts Der Vorsteuerabzug hinsichtlich der Aufwendungen im Zusammenhang mit der Errichtung und Verwaltung kommunaler Gemeinschaftseinrichtungen richtet sich im Grundsatz danach, ob und inwieweit diese zur Ausübung einer unternehmerischen (wirtschaftlichen) Tätigkeit verwendet bzw. zu verwenden beabsichtigt werden. So steht einer kommunalen Trägerkörperschaft z.B. der Vorsteuerabzug aus der Errichtung einer Sporthalle (anteilig) zu, soweit sie diese an Sportvereine entgeltlich vermietet und sie mit dieser Tätigkeit auch nicht nach § 2b Abs. 1 Satz 1 UStG als Nichtsteuerpflichtiger zu behandeln ist.3 Soweit sie die Sporthalle hingegen für eigene hoheitliche Zwecke, z.B. dem Schulsport, verwendet, ist sie mangels Verwendung für eine unternehmerische Tätigkeit vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen.

9.407

Im Fall der (beabsichtigten) gemischten Verwendung einer bezogenen Leistung sowohl für eine unternehmerische als auch für eine nichtunternehmerische (hoheitliche) Tätigkeit ist im Fall einer kommunalen Trägerkörperschaft der Vorsteuerabzug zwingend aufzuteilen (Aufteilungsgebot, Rz. 9.414 ff.).4 Während bei einer gemischten Verwendung für unternehmerische und private (unternehmensfremde) Zwecke nach der EuGH-Rechtsprechung dem Unternehmer (Steuerpflichtigen) ein Zuordnungswahlrecht eingeräumt wird, nach welchem das Wirtschaftsgut im vollen Umfang dem Unternehmen zugeordnet werden kann, mit der Folge, dass trotz der gemischten Verwendung im Wege des Sofortabzugs der auf die gesamten Anschaffungs- und Herstellungskosten entfallende Vorsteuerabzug geltend gemacht werden kann,5 findet diese Wahlmöglichkeit für juristische Personen des öffentlichen Rechts bei einer gemischten Verwendung für unternehmerische Tätigkeiten und hoheitliche Tätigkeiten (nichtwirtschaftlich bzw. nichtunternehmerisch im engeren Sinne6) keine Anwen-

9.408

1 BFH v. 13.11.2019 – V R 5/18, BStBl II 2020, 136, Rz. 25; v. 13.1.2011 – V R 12/08, BStBl II 2012, 61, Rz. 22. 2 BFH v. 9.12.2010 – V R 17/10, BStBl II 2012, 53, Rz. 33. 3 BFH v. 10.11.2011 – V R 41/10, BStBl II 2017, 869, Rz. 34. 4 EuGH v. 12.2.2009 – C-515/07, EU:C:2009:88, UR 2009, 199 – VNLTO; BFH v. 3.8.2017 – V R 62/ 16, BStBl II 2021, 109, Rz. 19; v. 3.3.2011 – V R 23/10, BStBl II 2012, 74, Rz. 31. 5 BFH v. 13.1.2011 – V R 12/08, BStBl II 2012, 61, Rz. 35; v. 9.12.2010 – V R 17/10, BStBl II 2012, 53. 6 Abschn. 15.2b Abs. 2 Satz 8 UStAE; FG Berlin-Bdb. v. 17.1.2013 – 7 K 7132/10, EFG 2013, 987, Rz. 22; Meurer, DStZ 2017, 163 (164).

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Kap. 9 Rz. 9.408 | Kommunalverwaltung

dung.1 Zu den sich daraus ergebenden Folgen im Fall einer späteren Änderung der Verwendung s. Rz. 9.422 ff.

9.409

Soweit die unternehmerische (wirtschaftliche) Verwendung einen Anteil von 10 % unterschreitet, bleibt auch der anteilige Vorsteuerabzug versagt (§ 15 Abs. 1 Satz 2 UStG). Diese Grenze gilt nicht nur im Fall einer nichtunternehmerischen Verwendung für private Zwecke, sondern auch im Fall der Verwendung für hoheitliche Zwecke einer juristischen Person des öffentlichen Rechts.2

9.410

Zusammengefasst ist der Vorsteuerabzug aus der Anschaffung bzw. Errichtung einer kommunalen Gemeinschaftseinrichtung von vornherein auf die Höhe des Anteils der tatsächlichen bzw. beabsichtigen erstmaligen Verwendung für die unternehmerische (wirtschaftliche) Tätigkeit beschränkt, soweit dieser Verwendungsanteil mindestens 10 % der gesamten Nutzung beträgt.

9.411

Bei der Errichtung von kommunalen Gemeinschaftseinrichtungen fehlt es während der regelmäßig mehrjährigen Planungs- und Bauphase an einer tatsächlichen Verwendung, so dass es für den Vorsteuerabzug im Allgemeinen und für die Vorsteueraufteilung im Besonderen auf die Verwendungsabsicht zur Ausführung steuerpflichtiger Umsätze ankommt.3 Die Verwendungsabsicht muss durch objektive Anhaltspunkte belegt sein.4 Dabei sind alle Gegebenheiten des Sachverhalts zu berücksichtigen. Hierzu gehören z.B. die Art der betreffenden Gegenstände und der zwischen ihrem Erwerb und ihrer Verwendung für Zwecke der wirtschaftlichen Tätigkeiten des Steuerpflichtigen liegende Zeitraum.5 Daher kann insbesondere die spätere (gleichwohl zeitnahe) tatsächliche Verwendung ein wesentliches Indiz für die Verwendungsabsicht des Unternehmers sein. Wenn mangels tatsächlicher Verwendung auf die Verwendungsabsicht zur Ausübung steuerpflichtiger Umsätze abzustellen ist, so kommt es auch in diesem Fall nach dem Grundsatz des Sofortabzugs auf die Verwendungsabsicht im Zeitpunkt des Leistungsbezugs an. Spätere Änderungen wirken nicht zurück und können nicht nachträglich einen Vorsteuerabzug begründen.6

9.412

Sind die Voraussetzungen des Grundtatbestandes in § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG erfüllt, ist der Vorsteuerabzug gleichwohl zu versagen, wenn das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen durch einen Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten herbeigeführt wurde (§ 42 AO). Kommunale Trägerkörperschaften sehen sich dem Vorwurf einer Überschreitung der Grenzen der zulässigen steuerlichen Optimierung seitens der Finanzverwaltung insbesondere bei Geltendmachung eines strukturellen Vorsteuerüberhangs ausgesetzt. Dies gilt insbesondere bei der Vermietung und Verpachtung von Gemeinschaftseinrichtungen.7 Die Vorschrift des § 42 AO findet auch im Rahmen des Umsatzsteuerrechts Anwendung.8 Nach unionsrecht1 EuGH v. 10.9.2014 – C-92/13 – Gemeente’s-Hertogenbosch, ECLI:EU:C:2014:2188, UR 2014, 852; BFH v. 3.3.2011 – V R 23/10, BStBl II 2012, 74, Rz. 28; Abschn. 15.2b Abs. 2 Satz 8 UStAE. 2 BFH v. 16.11.2016 – XI R 15/13, BStBl II 2018, 237, Rz. 18, nachgehend zu EuGH v. 15.9.2016 – C-400/15 – Landkreis Potsdam-Mittelmark, UR 2016, 840. 3 BFH v. 26.4.2018 – V R 23/16, BFH/NV 2018, 1205, Rz. 27. 4 EuGH v. 28.2.2018 – C-672/16 – Imofloresmira – Investimentos Imobiliários, ECLI:EU: C:2018:134 Rz. 39, UR 2018, 440. 5 BFH v. 26.1.2006 – V R 74/03, BFH/NV 2006, 1164, Rz. 37. 6 BFH v.10.2.2021 – XI B 24/20, BFH/NV 2021, 549. 7 Vgl. z.B. jeweilige Auffassung des Finanzamtes in FG Münster v. 3.11.2015 – 15 K 1252/14 U, juris, Rz. 8; FG BW v. 13.3.2015 – 9 K 2732/13, juris, Rz. 60 ff. 8 BFH v. 16.6.2015 – XI R 17/13, BStBl II 2015, 1024, Rz. 35.

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F. Umsatzbesteuerung von Sportstätten u.a. | Rz. 9.414 Kap. 9

lichen Maßstäben sind nach dem Grundsatz des Verbots des Rechtsmissbrauchs rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Gestaltungen, die allein zu dem Zweck erfolgen, einen Steuervorteil zu erlangen, verboten. Davon kann ausgegangen werden, wenn zum einen die fraglichen Umsätze trotz formaler Anwendung der Voraussetzungen der einschlägigen Bestimmungen des Unionsrechts und des zu ihrer Umsetzung ergangenen nationalen Rechts zur Erlangung eines Steuervorteils führen, dessen Gewährung dem mit diesen Bestimmungen verfolgten Ziel zuwiderliefe, und zum anderen aufgrund einer Reihe objektiver Anhaltspunkte ersichtlich ist, dass mit den fraglichen Umsätzen im Wesentlichen ein Steuervorteil bezweckt wird.1 Es liegt danach z.B. keine missbräuchliche Gestaltung vor, wenn die von einer Stadt gegründete Eigengesellschaft eine Sporthalle errichtet, um diese an Sportvereine zu vermieten, und aus der Errichtung der Sporthalle den Vorsteuerabzug geltend macht.2 Die Vereinbarung eines geringen, nicht kostendeckenden Entgelts ist ebenfalls nicht missbräuchlich (s. aber Rz. 9.315 ff.).3 c) Höhe des Vorsteuerabzugsrechts Das Recht zum Vorsteuerabzug entsteht grundsätzlich in Höhe der für die bezogene Leistung gesetzlich geschuldeten Umsatzsteuer, wenn die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG vorliegen. Wird die Eingangsleistung hingegen ausschließlich für eine nichtunternehmerische (z.B. hoheitliche) Tätigkeit verwendet, ist ein Vorsteuerabzug in Gänze ausgeschlossen. Gleiches gilt, wenn der Eingangsumsatz ausschließlich zur Ausführung steuerfreier Umsätze (z.B. steuerfreie Vermietungsumsätze) verwendet wird, für die der Vorsteuerabzug ausgeschlossen ist (§ 15 Abs. 2 UStG).

9.413

Beispiele: – Eine Gemeinde vermietet ihre Sporthalle steuerpflichtig an Sportvereine. Die Eingangsleistungen für die Sporthalle berechtigen zum Vorsteuerabzug. – Eine Gemeinde vermietet ihre Sporthalle als Nichtunternehmer nach § 2b UStG oder als Unternehmer steuerfrei nach § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG. Die Eingangsleistungen für die Sporthalle berechtigen nicht zum Vorsteuerabzug. – Eine Gemeinde vermietet ihre Sporthalle steuerfrei, die ebenfalls vorhandenen Betriebsvorrichtungen hingegen als eigenständige Leistung steuerpflichtig. Die Eingangsleistungen für die Sporthalle berechtigen nicht zum Vorsteuerabzug, die Eingangsleistungen für die Betriebsvorrichtungen hingegen schon.

Wird eine Eingangsleistung im Fall ihrer gemischten Verwendung sowohl für vorsteuerschädliche als auch für vorsteuerunschädliche Tätigkeiten verwendet, hat eine Vorsteueraufteilung unter wirtschaftlichen Zurechnungsgesichtspunkten zu erfolgen.4 Diese erfolgt bei der gemischten Verwendung für steuerfreie und steuerpflichtige Ausgangsumsätze nach Maßgabe des § 15 Abs. 4 UStG bzw. bei einer gemischten Verwendung für eine unternehmerische (wirtschaftliche) und eine nichtunternehmerische (nichtwirtschaftliche) Tätigkeit nach entsprechender (analoger) Anwendung der Vorgaben des § 15 Abs. 4 UStG.5 1 BFH v. 16.6.2015 – XI R 17/13, BStBl II 2015, 1024, Rz. 36. 2 FG Münster v. 3.11.2015 – 15 K 1252/14 U (rkr.), EFG 2016, 152. 3 FG BW v. 13.3.2015 – 9 K 2732/13, MwStR 2016, 213, Rz. 60 ff.; die Würdigung ist im nachfolgenden Revisionsverfahren nicht beanstandet worden, BFH v. 28.6.2017 – XI R 12/15, BFH/NV 2017, 1400, Rz. 66. 4 BFH v. 5.2.1998 – V R 101/96, BStBl II 1998, 492; v. 16.9.1993 – V R 82/91, BStBl II 1994, 271. 5 BFH v. 3.8.2017 – V R 62/16, BStBl II 2021, 109, Rz. 27; v. 3.11.2011 – V R 23/10, BStBl II 2012, 74.

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9.414

Kap. 9 Rz. 9.415 | Kommunalverwaltung

9.415

Verwendet der Unternehmer einen für sein Unternehmen gelieferten Gegenstand oder eine von ihm in Anspruch genommene sonstige Leistung nur zum Teil zur Ausführung von Umsätzen, die den Vorsteuerabzug ausschließen, ist der Teil der jeweiligen Vorsteuerbeträge nicht abziehbar, der den zum Ausschluss vom Vorsteuerabzug führenden Umsätzen wirtschaftlich zuzurechnen ist (§ 15 Abs. 4 Satz 1 UStG). Die Aufteilung dieser Vorsteuern ist nach dem Prinzip der wirtschaftlichen Zurechnung durch die gegenständliche Zuordnung oder nach Kostenzurechnungsgesichtspunkten vorzunehmen.1 Der Unternehmer kann die nicht abziehbaren Teilbeträge im Wege einer sachgerechten Schätzung ermitteln (§ 15 Abs. 4 Satz 2 UStG). Eine Ermittlung des nicht abziehbaren Teils der Vorsteuerbeträge nach dem Verhältnis der Umsätze, die den Vorsteuerabzug ausschließen, zu den Umsätzen, die zum Vorsteuerabzug berechtigen (sog. Umsatzschlüssel), ist nur zulässig, wenn keine andere wirtschaftliche Zurechnung möglich ist (§ 15 Abs. 4 Satz 3 UStG).

9.416

Der unbestimmte Rechtsbegriff der wirtschaftlichen Zurechnung ist dabei nach den Vorgaben des Unionsrechts auszulegen.2 Dabei ist zu beachten, dass § 15 Abs. 4 Satz 3 UStG mit der generellen subsidiären Anwendung des Umsatzschlüssels im Widerspruch zum Richtlinienrecht steht, das den Umsatzschlüssel als Regelfall für die Ermittlung des abziehbaren Vorsteueranteils vorsieht.3 Vor diesem Hintergrund ist nach der BFH-Rechtsprechung eine Ermittlung des nicht abziehbaren Teils der Vorsteuerbeträge nach dem Verhältnis der Umsätze, die den Vorsteuerabzug ausschließen, zu den Umsätzen, die zum Vorsteuerabzug berechtigen, nur zulässig, wenn keine andere präzisere wirtschaftliche Zurechnung möglich ist.4 Dabei obliegt allerdings der Finanzbehörde die Feststellungslast dafür, dass eine vom Umsatzschlüssel abweichende wirtschaftliche Zurechnung, z.B. nach dem Flächenschlüssel bei Gebäuden, präziser ist.5

9.417

Kommen grundsätzlich mehrere Ermittlungsmethoden für die wirtschaftliche Zurechnung bzw. sachgerechte Aufteilung des Vorsteuerbetrages in Betracht, so ist zu beachten, dass die Wahl eines Aufteilungsmaßstabs den Steuerpflichtigen insoweit bindet. Wenn die Steuerfestsetzung unter Berücksichtigung bzw. Anwendung des vom Steuerpflichtigen erklärten Aufteilungsmaßstabs formell bestandskräftig wird, ist er sowohl für das Veranlagungsjahr als auch für die Folgejahre an den Maßstab gebunden.6

9.418

Bei der Ermittlung des abziehbaren Vorsteueranteils einer gemischt verwendeten kommunalen Gemeinschaftseinrichtung in Gestalt eines Gebäudes ist zwischen Eingangsleistungen für die Anschaffung bzw. Herstellung und Eingangsleistungen für den laufenden Unterhalt zu unterscheiden.7 Hinsichtlich der Eingangsleistungen für die Anschaffung bzw. Herstellung kommt es auf das Verwendungsverhältnis hinsichtlich des gesamten Gebäudes und nicht auf die Verwendung des einzelnen Gebäudeteils, auf welche die fragliche Eingangsleistung im Einzelnen entfällt, an.8 Die Aufteilung richtet sich dabei grundsätzlich nach dem objektbezoge1 BFH v. 5.2.1998 – V R 101/96, BStBl II 1998, 492; v. 16.9.1993 – V R 82/91, BStBl II 1994, 271; Abschn. 15.17 Abs. 2 Satz 6 UStAE. 2 BFH v. 5.9.2013 – XI R 4/10, BStBl II 2014, 95, v. 17.8.2001 – V R 1/01 BFH, BStBl II 2002, 833. 3 Art. 173 Abs. 2 MwStSystRL; EuGH v. 8.11.2012 – C-511/10 – BLC Baumarkt, ECLI:EU: C:2012:689, UR 2012, 968. 4 BFH v. 26.4.2018 – V R 23/16, BFH/NV 2018, 1205, Rz. 20 f.; v. 10.8.2016 – XI R 31/09, BFH/NV 2016, 1654. 5 BFH v. 11.11.2020 – XI R 7/20, BFH/NV 2021, 518, Rz. 29. 6 BFH v. 10.12.2009 – V R 13/08, BFH/NV 2010, 960; Abschn. 15.17 Abs. 4 UStAE. 7 Vgl. hierzu Abschn. 15.17 Abs. 5 UStAE. 8 BFH v. 10.8.2016 – XI R 31/09, BFH/NV 2016, 1654, Rz 32; Oelmaier in Sölch/Ringleb, § 15 UStG Rz. 896.

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F. Umsatzbesteuerung von Sportstätten u.a. | Rz. 9.420 Kap. 9

nen Flächenschlüssel, da es sich dabei um den präzisieren Aufteilungsschlüssel im Vergleich zum objektbezogenen Umsatzschlüssel handelt.1 Der Umsatzschlüssel ist nur dann anzuwenden, wenn erhebliche Unterschiede in der Ausstattung der verschiedenen Zwecken dienenden Räume bestehen.2 Zur Ermittlung des anteiligen Vorsteuerabzugs der für den laufenden Unterhalt verwendeten Eingangsleistungen ist hingegen nicht auf das Verwendungsverhältnis des Gesamtgebäudes abzustellen, sondern auf die Verwendung bzw. das Verwendungsverhältnis des konkreten Gebäudeteils,3 es sei denn, die Eingangsleistung betrifft das gesamte Gebäude (z.B. Dachreparaturen, Fassadenarbeiten).4 Im Fall einer Sportanlage, die in zeitlicher Abwechslung sowohl für eigene nichtsteuerbare (hoheitliche) oder steuerfreie Umsätze als auch für steuerpflichtige Ausgangsumsätze, zB. durch die stundenweise Vermietung an Sportvereine, gemischt verwendet wird, führt die Aufteilung der Vorsteuerbeträge nach den Nutzungszeiten zu einer präziseren wirtschaftlichen Zurechnung als der (unternehmensbezogene oder objektbezogene) Umsatzschlüssel.5 Eine Vorsteueraufteilung anhand des sonst üblichen objektbezogenen Flächenschlüssels ist in einem solchen Fall nicht möglich, weil dieser die getrennte Nutzung verschiedener feststehender Funktionsbereiche eines Gebäudes voraussetzt. Bei einer zeitlich abwechselnden gemischten Nutzung derselben Gebäudeteile fehlt es aber an einer für den objektbezogenen Flächenschlüssel erforderlichen gleichbleibenden Nutzung verschiedener Funktionsbereiche.

9.419

Bei der Ermittlung des Verwendungsverhältnisses einer Sportanlage nach Nutzungszeiten sind grundsätzlich nur die Zeiten zu berücksichtigen, in denen die Sportanlage auch tatsächlich (nichtsteuerbar/steuerfrei oder steuerpflichtig) genutzt wird. Leerzeiten sind bei der Ermittlung des Verwendungsverhältnisses grundsätzlich außen vor zu lassen. Eine davon abweichende Ermittlung anhand von Nutzungsblöcken, in die sowohl die Zeiten der tatsächlichen Nutzung als auch die Leerstandszeiten eingehen, ist nur dann als sachgerechter Maßstab anzuerkennen, wenn die sich unterschiedlich auswirkenden Nutzungen zeitlich strikt getrennt werden und dies anhand substantiierter Aufzeichnungen über einen repräsentativen Zeitraum nachvollziehbar ist.6 Eine solche Aufteilung kommt z.B. in Betracht, wenn die Nutzung einer Sporthalle an den Wochentagen Montag bis Freitag in der Zeit von 8 bis 16 Uhr dem Schulsport vorbehalten ist, während in den Zeiten von 16 bis 22 Uhr und an den Wochenenden ausschließlich eine Nutzung durch Sportvereine vorgesehen ist. In diesem Fall kommt es nicht darauf an, dass innerhalb dieser Blöcke die Sporthalle tatsächlich nicht genutzt wird, sei es im Fall von nicht verplanten Schulzeiten am Vormittag oder wenn die Sporthalle am Wochenende an einzelnen Stunden während der möglichen und üblichen Belegungszeiten (z.B. 8– 22 Uhr) nicht für den Vereinssport steuerpflichtig mietweise überlassen wird. Der Nachweis über die Nutzungszeiten wird sich im Regelfall mithilfe der Belegungspläne für die Sportanlagen führen lassen.

9.420

1 BFH v. 11.11.2020 – XI R 7/20, BFH/NV 2021, 518, Rz. 17; v. 10.8.2016 – XI R 31/09, BFH/NV 2016, 1654, Rz. 43 ff. 2 BFH v. 27.3.2019 – V R 43/17, BFH/NV 2019, 719, Rz. 9. 3 BFH v. 10.8.2016 – XI R 31/09, BFH/NV 2016, 1654, Rz 39 f.; Oelmaier in Sölch/Ringleb, § 15 UStG Rz. 905. 4 BFH v. 25.3.2009 – V R 9/08, BStBl II 2010, 651, Rz. 19. 5 Zur Aufteilung nach Nutzungszeiten insgesamt BFH v. 26.4.2018 – V R 23/16, BFH/NV 2018, 1205. 6 BFH v. 26.4.2018 – V R 23/16, BFH/NV 2018, 1205, Rz. 25.

Wiesch | 689

Kap. 9 Rz. 9.421 | Kommunalverwaltung

9.421

Für den Vorsteuerabzug während der Planungs- und Bauphase einer Sportanlage1 kommt es grundsätzlich auf die durch objektive Anhaltspunkte belegte Verwendungsabsicht zur Ausführung steuerpflichtiger Umsätze an. Wird eine gemischte Verwendung in zeitlicher Abwechslung beabsichtigt, so richtet sich die Prognose der zukünftigen Verwendung bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise nach den Nutzungszeiten, die nach dem gewöhnlichen Ablauf zu erwarten sind. Die später nach Fertigstellung und Beendigung einer Anlaufphase tatsächlich erzielten Umsätze sprechen dafür, dass es sich dabei um die bei wirtschaftlicher Betrachtung auch im Rahmen einer Prognose erwartbaren Umsätze handelt, und stellen damit ein wesentliches Indiz für eine entsprechende Verwendungsabsicht während der Planungs- und Bauphase dar. Dagegen sind bei der Prognose lediglich erwünschte, baurechtlich maximal erlaubte oder unter günstigen Umständen theoretisch erreichbare Vermietungszeiten nicht zu berücksichtigen. In diesen Fällen fehlt es an einer hinreichenden ernsthaften Vermietungsabsicht. Dies ist z.B. der Fall, wenn zu bestimmten Randzeiten nicht nur ein vorübergehender, z.B. durch Mieterwechsel bedingter üblicher Leerstand, sondern ein fehlendes Interesse am Markt und damit ein dauerhafter Leerstand zu erwarten ist.

9.422

Für den Vorsteuerabzug kommt es insbesondere darauf an, ob und inwieweit eine Eingangsleistung für steuerpflichtige Ausgangsumsätze verwendet wird oder eine entsprechende Verwendungsabsicht besteht. Nach dem Grundsatz des Sofortabzugs (s. Rz. 9.405) müssen die Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug im Zeitpunkt des Bezugs der Eingangsleistung erfüllt sein. Soweit die bezogene Leistung jedoch nicht einmalig, sondern wie z.B. eine kommunale Gemeinschaftseinrichtung mehrmals bzw. dauerhaft verwendet wird, kann es im Vergleich zu der ursprünglichen (teilweisen) Verwendung (für steuerpflichtige Ausgangsumsätze) zu einer Änderung der Verwendung kommen. Ebenso kann die spätere tatsächliche Verwendung von der ursprünglichen Verwendungsabsicht abweichen. Die geänderte tatsächliche Verwendung eines Wirtschaftsguts kann grundsätzlich entweder zu einer nachträglichen Kürzung oder Erweiterung (Berichtigung) des ursprünglichen Vorsteuerabzugs nach Maßgabe des § 15a UStG oder zu einer umsatzsteuerlichen Belastung im Wege der Entnahmebesteuerung nach § 3 Abs. 1b oder 9a UStG (Korrektur des ursprünglichen Vorsteuerabzugs2) führen.

9.423

Ändern sich bei einem Wirtschaftsgut, das nicht nur einmalig zur Ausführung von Umsätzen verwendet wird, innerhalb von fünf Jahren (bei Grundstücken: zehn Jahre) ab dem Zeitpunkt der erstmaligen Verwendung die für den ursprünglichen Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnisse, ist nach § 15a Abs. 1 UStG für jedes Kalenderjahr der Änderung ein Ausgleich zugunsten oder zuungunsten des Unternehmers durch eine Berichtigung des ursprünglichen Abzugs der auf die Anschaffungs- oder Herstellungskosten entfallenden Vorsteuerbeträge vorzunehmen. Der ursprüngliche Vorsteuerabzug ist gem. § 15a Abs. 2 UStG auch dann zu berichtigen, wenn sich bei einem Wirtschaftsgut, das nur einmalig zur Ausführung eines Umsatzes verwendet wird, die für den ursprünglichen Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnisse ändern. Dies betrifft die Fälle, bei denen die einmalige tatsächliche Verwendung von der ursprünglichen Verwendungsabsicht abweicht.3

d) Berichtigung/Korrektur des ursprünglichen Vorsteuerabzugs

1 Zur Verwendungsabsicht vgl. insgesamt BFH v. 26.4.2018 – V R 23/16, BFH/NV 2018, 1205, Rz. 27. 2 Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht24, § 17 Rz. 154 m.w.N. 3 Heidner in Bunjes, § 15a UStG Rz. 73.

690 | Wiesch

F. Umsatzbesteuerung von Sportstätten u.a. | Rz. 9.426 Kap. 9

Eine sich zugunsten des Unternehmers auswirkende Berichtigung, d.h. eine Erweiterung des Vorsteuerabzugs, setzt voraus, dass bereits bei Leistungsbezug die Voraussetzungen für einen Vorsteuerabzug (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG) vorlagen.1 § 15a UStG berichtigt den ursprünglichen Umfang eines bestehenden Vorsteuerabzugsrechts. Es handelt sich dabei jedoch nicht um eine Rechtsgrundlage für die erstmalige Begründung eines Vorsteuerabzugsrechts.2 Die sog. Einlagenentsteuerung, also die Möglichkeit einer späteren Nachholung des Vorsteuerabzugs, wenn bei Leistungsbezug die Eingangsleistung weder für die unternehmerische (wirtschaftliche) Tätigkeit verwendet wird noch die Absicht hierzu bestand, ist (zumindest derzeit)3 weiterhin ausgeschlossen.4 Der Umfang der ursprünglichen Verwendung bzw. Verwendungsabsicht für die unternehmerische (wirtschaftliche) Tätigkeit bestimmt also den Umfang einer möglichen Berichtigung des Vorsteuerabzugs. Der Hauptanwendungsfall einer Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG ist danach die gemischte Verwendung für steuerpflichtige und steuerfreie Umsätze. In beiden Fällen verwendet der Unternehmer die Eingangsleistung für eine unternehmerische (wirtschaftliche) Tätigkeit i.S.d. § 2 Abs. 1 UStG bzw. die Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG sind grundsätzlich erfüllt, denn der Ausschluss vom Vorsteuerabzug beruht in diesen Fällen auf § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG. Soweit sich das Verwendungsverhältnis zugunsten des Verwendungsanteils für steuerpflichtige Umsätze verschiebt, ist eine Berichtigung des ursprünglichen Umfangs des Vorsteuerabzugs zugunsten des Unternehmers nach §15a Abs. 1 UStG möglich.

9.424

Wegen der Beschränkung auf die Berichtigung eines bereits bei Leistungsbezug dem Grunde, wenn auch nicht der Höhe nach, bestandenen Vorsteuerabzugsrechts, ist die Ausübung des Zuordnungswahlrechts (s. Rz. 9.408) in diesem Zusammenhang von besonderer Bedeutung. Nur im Umfang der Zuordnung eines Wirtschaftsguts bei Leistungsbezug zum Unternehmen bzw. zur unternehmerischen (wirtschaftlichen) Tätigkeit liegt ein Handeln als Unternehmer (Steuerpflichtiger) vor und begründet ein Vorsteuerabzugsrecht.5 Übt ein Unternehmer sein Zuordnungswahlrecht z.B. dahingehend aus, dass er sein je zur Hälfte unternehmerisch und privat genutztes Grundstück nur hinsichtlich des unternehmerischen Anteils seinem Unternehmen zuordnet, und er nur insoweit den Vorsteuerabzug in Anspruch nimmt, so kann er im Fall der späteren Erhöhung des unternehmerischen Nutzungsanteils auf insgesamt 100 % keine den ursprünglich Vorsteueranspruch erhöhende Berichtigung, also über den bisher in Anspruch genommenen Anteil am Vorsteuerbetrag von 50 % hinaus, geltend machen.

9.425

Hinsichtlich einer möglichen Berichtigung des ursprünglichen Vorsteuerabzugs aus der Errichtung einer gemischt verwendeten kommunalen Gemeinschaftseinrichtung oder anderer damit verbundener Wirtschaftsgüter nach § 15a UStG gilt danach Folgendes:

9.426

– Der von vornherein dem Grunde nach abzugsfähige und damit einer Berichtigung zugängliche Vorsteuerbetrag ist auf den Anteil der ursprünglichen unternehmerischen Verwendung bzw. Verwendungsabsicht beschränkt. Ein Zuordnungswahlrecht steht dem Be1 EuGH v. 30.3.2006 – C-184/04, ECLI:EU:C:2006:214 Rz. 37, UR 2006, 530 – Uudenkaupungin kaupunki; Heidner in Bunjes, § 15a UStG Rz. 16. 2 EuGH v. 2.6.2005 – C-378/02 – Waterschap Zeeuws Vlaanderen, ECLI:C:2005:335 Rz. 38, UR 2005, 437; Heidner in Bunjes, § 15a UStG Rz. 4. 3 Als erster Schritt hin zu einer Einlagentsteuerung möglicherweise EuGH v. 25.7.2018 – C-140/17 – Gmina Ryjewo, ECLI:EU:C:2018:595, UR 2018, 687 (m. Anm. Küffner/Kirchinger sowie Sterzinger). 4 BFH v. 1.12.2010 – XI R 28/08, BStBl II 2011, 994; Abschn. 15a.1 Abs. 6 UStAE. 5 EuGH v. 16.2.2012 – C-118/11 – Eon Aset Menidjmunt, ECLI:EU:C:2012:97 Rz. 53 ff., UR 2012, 230.

Wiesch | 691

Kap. 9 Rz. 9.426 | Kommunalverwaltung

treiber einer kommunalen Einrichtung, sei es die kommunale Trägerkörperschaft selbst oder eine von ihr gegründete Eigengesellschaft, nicht zu, da das Zuordnungswahlrecht nur für den einer gemischten Verwendung für unternehmerische (wirtschaftliche) und private Zwecke ausgeübt werden kann. Eine teilweise Verwendung für andere nichtunternehmerische (nichtwirtschaftliche) Zwecke, z.B. für die hoheitliche Tätigkeit, begründet kein Zuordnungswahlrecht. – Ändern sich die Verhältnisse dahingehend, dass sich der Verwendungsanteil für die nichtunternehmerische (hoheitliche) Tätigkeit mindert und sich insoweit der Verwendungsanteil für steuerpflichtige Ausgangsumsätze erhöht, ist eine nachträgliche Berichtigung des ursprünglichen Vorsteuerabzugs grundsätzlich ausgeschlossen. Im Umfang des Anteils der ursprünglichen nichtunternehmerischen Verwendung erfolgte bei Leistungsbezug keine Leistung für das Unternehmen, sodass damit der Berichtigungsrahmen für die Vorsteuer nach § 15a UStG auf den ursprünglichen Anteil der Verwendung für die unternehmerische (wirtschaftliche) Tätigkeit beschränkt ist. Allerdings wendet die Finanzverwaltung in diesen Fällen § 15a UStG aus Billigkeitsgründen entsprechend an.1 Eine Berichtigung zugunsten kommunaler Trägerkörperschaften und ihrer Eigengesellschaften ist danach zumindest in der Praxis möglich. – Ändern sich die Verhältnisse dahingehend, dass sich der Verwendungsanteil für steuerpflichtige Ausgangsumsätze mindert und insoweit sich der Verwendungsanteil für die nichtunternehmerische (hoheitliche) Tätigkeit erhöht, ist bisher ungeklärt, ob in diesem Fall eine Berichtigung nach § 15a UStG oder eine Entnahmebesteuerung wegen der (unentgeltlichen) Verwendung für nichtunternehmerische Zwecke nach § 3 Abs. 9a Nr. 1 UStG zu erfolgen hat.2 Die Finanzverwaltung wendet die Regelung der Entnahmebesteuerung nach § 3 Abs. 9a Nr. 1 UStG an3 mit der Folge, dass die Verwendung für hoheitliche Zwecke auch außerhalb des fünf- bzw. zehnjährigen Berichtigungszeitraums zu einer steuerlichen bzw. finanziellen finalen Belastung führt.

9.427

Wie bei einer ursprünglich gemischten Verwendung für unternehmerische und nichtunternehmerische (hoheitliche) Tätigkeiten ist im Fall einer bei Leistungsbezug ausschließlich für nichtunternehmerische (hoheitliche) Tätigkeiten verwendeten kommunalen Gemeinschaftseinrichtung eine spätere Vorsteuerberichtigung grundsätzlich wegen des Verbots der Einlagenentsteuerung (s. Rz. 9.424) ausgeschlossen. Die Finanzverwaltung nimmt in diesem Fall auch nicht bei einer späteren vollständigen oder teilweisen Verwendung der Gemeinschaftseinrichtung für unternehmerische (wirtschaftliche) Zwecke zugunsten der kommunalen Trägerkörperschaft eine Vorsteuerberichtigung in entsprechender Anwendung des § 15a UStG vor. In Teilen der Literatur wird allerdings für einen solchen Fall die Möglichkeit der Vorsteuerberichtigung mit Hinweis auf das EuGH-Urteil in der Rs. Gmina Ryjewo4 befürwortet.5 Mit diesem Urteil hat der EuGH entschieden, dass einer Gemeinde das Vorsteuerberichtigungsrecht zusteht, wenn bei Erwerb das Wirtschaftsgut seiner Art nach sowohl für besteuerte als auch für nicht besteuerte Tätigkeiten verwendet werden konnte und die Gemeinde ihre Absicht, 1 Abschn. 15a.1 Abs. 7 Satz 1 UStAE. 2 Ablehnend Nds. FG v. 16.10.2019 – 5 K 309/17, EFG 2020, 881; im nachfolgenden Revisionsverfahren hat der BFH die Frage dem EuGH vorgelegt, Vorlagebeschl. v. 7.5.2020 – V R 40/19, BFH/ NV 2020, 839 (EuGH C-269/20). 3 Abschn. 3.4 Abs. 2 Satz 4 UStAE. 4 EuGH v. 25.7.2018 – C-140/17 – Gmina Ryjewo, ECLI:EU:C:2018:595, UR 2018, 687. 5 Küffner/Kirchinger, UR 2018, 692; Meurer, MwStR 2018, 859; zurückhaltend Heuermann, MwStR 2018, 1000 (1002 f.), Sterzinger, UR 2018, 693 f.

692 | Wiesch

F. Umsatzbesteuerung von Sportstätten u.a. | Rz. 9.429 Kap. 9

das Wirtschaftsgut einer besteuerten Tätigkeit zuzuordnen, nicht ausdrücklich bekundet, aber auch nicht ausgeschlossen hatte, dass sie das Wirtschaftsgut für eine besteuerte Tätigkeit verwenden werde, sofern die Gemeinde bei Erwerb in ihrer Eigenschaft als Steuerpflichtiger (Unternehmer) gehandelt hat. Schon allein aufgrund der damit verbundenen Einschränkung der nachteiligen Folgen Verbots der Einlagenentsteuerung, das wegen der nicht zu rechtfertigenden Beeinträchtigung des Neutralitätsprinzips abzulehnen ist,1 verdient die Forderung nach einer entsprechenden Anwendung des § 15a UStG Zustimmung. Die bereits bei Leistungsbezug bestehende Absicht der nur vorübergehenden erstmaligen nichtunternehmerischen und der späteren unternehmerischen Verwendung sollte in der Praxis ausreichend dokumentiert und im besten Fall der Finanzverwaltung bereits bei Leistungsbezug angezeigt werden, da die erstmalige nichtunternehmerische Verwendung grundsätzlich als Indiz für eine entsprechende und dauerhafte Verwendung gesehen werden kann.2 Wenn bereits bei Errichtung einer kommunalen Gemeinschaftseinrichtung eine spätere unternehmerische Nutzung durch den eigenen Betrieb oder durch eine Vermietung beabsichtigt ist, sollte dies der Finanzbehörde mitgeteilt werden.3 Die (erstmalige) Besteuerung von Tätigkeiten allein aufgrund der Anwendung des § 2b UStG ermöglicht aus Sicht der Finanzverwaltung grundsätzlich eine Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG.4 Soweit z.B. einer kommunalen Trägerkörperschaft für die Errichtung einer Gemeinschaftseinrichtung der Vorsteuerabzug versagt worden ist, da es sich bei der beabsichtigten Vermietung aus Sicht der Finanzverwaltung um eine Vermögensverwaltung gehandelt hat, die nach § 2 Abs. 3 UStG a.F. i.V.m. § 4 Abs. 1 KStG keine unternehmerische Tätigkeit begründet (vgl. Rz. 9.433), kann die Trägerkörperschaft zumindest anteilig ab dem Zeitpunkt, ab dem sie die Vermietungsumsätze unter Anwendung des § 2b UStG zu versteuern hat, also spätestens ab dem 1.1.2023 den ursprünglich versagten Vorsteuerabzug anteilig über § 15a UStG in Anspruch nehmen. Eine Änderung der tatsächlichen Verwendung der Gemeinschaftseinrichtung ist nicht erforderlich.

9.428

Bei der Anwendung des § 15a UStG wegen der (erstmaligen) Verwendung einer Gemeinschaftseinrichtung für eine nach Maßgabe des § 2b UStG unternehmerische Tätigkeit, die zuvor aus Sicht der Finanzverwaltung unter Anwendung des § 2 Abs. 3 UStG a.F. nicht als unternehmerische Tätigkeit zu behandeln gewesen sei, handelt es sich um eine Billigkeitsmaßnahme der Finanzverwaltung, da in diesen Fällen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 15a UStG grundsätzlich nicht erfüllt sind. Es liegt keine Änderung der Verhältnisse vor. Soweit die Tätigkeit einer juristischen Person des öffentlichen Rechts unter Anwendung des § 2b UStG erstmalig als steuerpflichtig behandelt wird, wird es sich dabei im Regelfall unter Anwendung des § 2 Abs. 3 UStG a.F. i.V.m. § 27 Abs. 22 UStG nach der für den nationalen Rechtsanwender insoweit allein maßgeblichen richtlinienkonformen Auslegung durch den BFH5 auch schon vor dem 1.1.2023 um eine steuerpflichtige Tätigkeit gehandelt haben. Dies gilt insbesondere für die Vermögensverwaltung.6 Die Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug lagen danach dem Grunde und der Höhe nach schon zum Zeitpunkt des Leistungsbezugs vor. Die (erstmalige) Besteuerung von Tätigkeiten nach § 2b UStG führt auch nicht zu einer Änderung der Verhältnisse infolge einer gesetzlichen Änderung, denn die vorhergehende Nicht-

9.429

1 2 3 4 5 6

Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht24, § 17 Rz. 331. BFH v. 26.1.2006 – V R 74/03, BFH/NV 2006, 1164. Korn, BeSt 2019, 10 ff. BMF v. 16.12.2016 – III C 2-S 7107/16/10001, DOK 2016/1126266, BStBl I 2016, 1451 Rz. 63 ff. BFH v. 26.9.2019 – V R 16/18, BFH/NV 2020, 38, Rz. 12 m.w.N. BFH v. 10.11.2011 – V R 41/10, BStBl II 2017, 869.

Wiesch | 693

Kap. 9 Rz. 9.429 | Kommunalverwaltung

besteuerung beruhte allein darauf, dass die Finanzverwaltung richtlinienwidrig (s. Rz. 9.434) eine unionsrechtskonforme umsatzsteuerliche Behandlung der Tätigkeiten unter Anwendung des § 2 Abs. 3 UStG a.F. auf Grundlage der richtlinienkonformen Auslegung des BFH unterlassen hat. Die erstmalige materiell-rechtlich zutreffende umsatzsteuerliche Behandlung der ausgeübten Tätigkeit begründet jedoch grundsätzlich keine Änderung der Verwendungsverhältnisse.1 Dass ursprünglich seitens einer juristischen Person des öffentlichen Rechts bzw. einer kommunalen Trägerkörperschaft auf die Inanspruchnahme des Vorsteuerabzugs unter Anwendung des nationalen Rechts2 verzichtet wurde, um die über den Vorsteuerabzug hinausgehende Privilegierung durch die weitgehende Behandlung als Nichtunternehmer auf Grundlage einer im Widerspruch zur einschlägigen Rechtsprechung zu § 2 Abs. 3 UStG a.F. stehenden Verwaltungsauffassung in Anspruch zu nehmen, rechtfertigt m.E. keine Behandlung der nunmehr (unions-) rechtskonformen Anwendung des § 2b UStG als eine Änderung der für den ursprünglichen Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnisse i.S.d. § 15a Abs. 1 UStG.

IV. Umsatzbesteuerung von kommunalen Gemeinschaftseinrichtungen nach § 2 Abs. 3 UStG a.F. 9.430

Die Neuregelung zur Unternehmereigenschaft juristischer Personen des öffentlichen Rechts in § 2b UStG ist zwar bereits zum 1.1.2016 eingeführt worden,3 findet jedoch zum einen erst auf nach dem 31.12.2016 ausgeführte Umsätze Anwendung (§ 27 Abs. 22 Satz 2 UStG), zum anderen besteht nach der Übergangsregelung des § 27 Abs. 22 und 22a UStG darüber hinaus auf Antrag die Möglichkeit, die Anwendung der Neuregelung bis zum 31.12.2022 hinauszuschieben. Hiervon wurde regelmäßig, insbesondere von den kommunalen Trägerkörperschaften, Gebrauch gemacht.4 Damit erfolgt die Umsatzbesteuerung von kommunalen Trägerkörperschaften erst ab dem 1.1.2023 zwingend unter Anwendung des § 2b UStG. Bis dahin richten sich ihre umsatzsteuerliche Behandlung und damit auch die umsatzsteuerliche Behandlung von kommunalen Gemeinschaftseinrichtungen nach der bisherigen Regelung in § 2 Abs. 3 UStG a.F.

9.431

Nach § 2 Abs. 3 UStG a.F. sind juristische Personen des öffentlichen Rechts nur im Rahmen ihrer Betriebe gewerblicher Art i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 6, § 4 KStG und ihrer land- oder forstwirtschaftlichen Betriebe gewerblich oder beruflich tätig. Danach begründet eine Tätigkeit die Unternehmereigenschaft nur dann, wenn damit auch gleichzeitig die körperschaftsteuerlichen Voraussetzungen eines Betriebs gewerblicher Art erfüllt sind. Nach dem Gesetzeswortlaut ergibt sich ein Gleichlauf der Steuerpflichtigeneigenschaft für juristische Personen des öffentlichen Rechts im Körperschaftsteuerrecht und im Umsatzsteuerrecht.5 Wegen der gesetzlichen Anknüpfung an das Körperschaftsteuerrecht wendet die Finanzverwaltung zudem auch die von ihr zu § 4 KStG erlassenen Körperschaftsteuerrichtlinien, die grundsätzlich die Behandlung juristischer Personen des öffentlichen Rechts als Steuerpflichtige i.S. des Körperschaftsteuergesetzes betreffen, für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen der umsatzsteuerlichen Unternehmereigenschaft vorliegen, an. Infolge der Anknüpfung an das Körperschaf1 BFH v. 23.10.2014 – V R 11/12, BStBl II 2015, 973, Rz. 30. 2 Im Fall der richtlinienkonformen Anwendung des nationalen Rechts kommt es nicht darauf an, dass sich der Steuerpflichtige darauf beruft, vgl. Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht24, § 4 Rz. 32. 3 Steueränderungsgesetz 2015, BGBl I 2015, 1834 (1843 f.). 4 Englisch, UR 2021, 338 (341). 5 BT-Drucks. 5/1581, 11; Lange, UR 2000, 5 f.; Wiesch, Die umsatzsteuerliche Behandlung der öffentlichen Hand, Diss., Köln 2016, S. 202 f.

694 | Wiesch

F. Umsatzbesteuerung von Sportstätten u.a. | Rz. 9.433 Kap. 9

steuerrecht sind danach juristische Personen des öffentlichen Rechts mit ihren folgenden Tätigkeiten sowohl hinsichtlich der Körperschaftsteuer als auch der Umsatzsteuer mangels Vorliegen eines Betriebs gewerblicher Art nicht als Steuerpflichtige bzw. Unternehmer zu behandeln: – Vermögensverwaltung1 – Beistandsleistungen zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts2 – Tätigkeiten mit einem nachhaltigem Jahresumsatz von max. 35.000 €3 Die an den körperschaftsteuerlichen Vorgaben und Kriterien orientierte umsatzsteuerliche Behandlung juristischer Personen des öffentlichen Rechts als Unternehmer auf der Grundlage des § 2 Abs. 3 UStG a.F. entsprach nicht den insoweit maßgeblichen Vorgaben des Art. 13 MwStSystRL. Aus diesem Grund legte der BFH in mehreren Entscheidungen die Regelung des § 2 Abs. 3 UStG a.F. richtlinienkonform dahingehend aus,4 dass eine juristische Person des öffentlichen Rechts Unternehmer ist, wenn sie eine wirtschaftliche und damit eine nachhaltige Tätigkeit zur Erbringung entgeltlicher Leistungen (wirtschaftliche Tätigkeit) ausübt, die sich innerhalb ihrer Gesamtbetätigung heraushebt. Handelt sie dabei nachhaltig auf privatrechtlicher Grundlage durch Vertrag, kommt es auf weitere Voraussetzungen nicht an. Erfolgt ihre Tätigkeit auf öffentlich-rechtlicher Grundlage, ist sie demgegenüber nur Unternehmer, wenn eine Behandlung als Nichtunternehmer zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde. Die Kriterien nach der richtlinienkonformen Auslegung entsprechen dem Grunde nach den sich aus der Neuregelung des § 2b Abs. 1 UStG ergebenen Vorgaben. Dies ist wenig überraschend, da sowohl der BFH als auch der nationale Gesetzgeber5 die sich aus der Mehrwertsteuersystemrichtlinie und der hierzu ergangenen EuGH-Rechtsprechung ergebenden detaillierten Vorgaben übernommen haben.

9.432

Die richtlinienkonforme Auslegung des § 2 Abs. 3 UStG a.F. durch den BFH führt dazu, dass körperschaftsteuerlichen Vorgaben, welche im Widerspruch zu den unionsrechtlichen Vorgaben der insoweit einschlägigen Art. 9 und 13 MwStSystRL stehen, für die Frage der Behandlung einer juristischen Person des öffentlichen Rechts als Unternehmer keine Anwendung finden. Danach unterliegt eine juristische Person des öffentlichen Rechts auch mit folgenden Tätigkeiten grundsätzlich als Unternehmer der Umsatzsteuer:

9.433

– Vermögensverwaltung6 – Beistandsleistungen zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts7 – Tätigkeiten mit einem nachhaltigem Jahresumsatz von max. 35.000 €8 1 2 3 4 5 6

Seer/Klemke, BB 2010, 2015 (2019). Englisch, UR 2021, 338 (339). Abschn. 2.11 Abs. 4 UStAE i.V.m. R 4.1 Abs. 5 Sätze 1 und 4 KStR. BFH v. 26.9.2019 – V R 16/18, BFH/NV 2020, 38, Rz. 12 m.w.N. BT-Drucks. 18/6094, 91 ff. BFH v. 20.8.2009 – V R 70/05, BStBl II 2017, 825; v. 15.4.2010 – V R 10/09, BStBl II 2017, 863; zur Standplatzüberlassung: v. 3.3.2011 – V R 23/10, BStBl II 2012, 74; v. 13.2.2014 – V R 5/13, BStBl II 2017, 846; zur Überlassung einer Sporthalle: v. 10.11.2011 – V R 41/10, BStBl II 2017, 869; zur Überlassung von PKW-Tiefgaragenstellplätzen: v. 1.12.2011 – V R 1/11, BStBl II 2017, 834. 7 BFH v. 10.11.2011 – V R 41/10, BStBl II 2017, 869. 8 BFH v. 25.10.1989 – V R 111/85, BStBl II 1990, 868; v. 17.3.2010 – XI R 17/08, BStBl II 2017, 828; v. 15.4.2010 – V R 10/09, BStBl II 2017, 863; v. 10.11.2011 – V R 41/10, BStBl II 2017, 869; v. 1.12.2011 – V R 1/11, BStBl II 2017, 834 m.w.N.

Wiesch | 695

Kap. 9 Rz. 9.434 | Kommunalverwaltung

9.434

Obwohl spätestens seit den Entscheidungen des BFH die nationale Rechtslage hinsichtlich der Anwendung des § 2 Abs. 3 UStG a.F. dahingehend als geklärt anzusehen ist, dass die umsatzsteuerliche Behandlung juristischer Personen des öffentlichen Rechts nach der uneingeschränkten Anwendung der ertrag- bzw. körperschaftsteuerlichen Kriterien rechtswidrig ist, soweit sie im Widerspruch zur richtlinienkonformen Auslegung durch den BFH steht, werden sie von der Finanzverwaltung unverändert angewendet, wenn sich die juristische Person des öffentlichen Rechts nicht auf die BFH-Rechtsprechung beruft.1 Dies gilt nicht nur für den Zeitraum bis zur Einführung bzw. Geltung des § 2b UStG, sondern darüber hinaus auch für den Zeitraum, für den nach § 27 Abs. 22 und 22a UStG die weitere Anwendung des § 2 Abs. 3 UStG a.F. beantragt werden kann.2 Die im Widerspruch zu BFH-Rechtsprechung stehende (unions-)rechtswidrige Behandlung juristischer Personen des öffentlichen Rechts als Nichtunternehmer wird nicht durch die Übergangsregelung des § 27 Abs. 22 bzw. 22a UStG gesetzlich legitimiert. Denn diese regelt nur die weitere Anwendung des § 2 Abs. 3 UStG a.F. Gleichwohl sieht die Finanzverwaltung für sich darin die Grundlage, auch weiterhin ihre von der BFH-Rechtsprechung abweichende Verwaltungsauffassung der umsatzsteuerlichen Behandlung juristischer Personen des öffentlichen Rechts zugrunde zu legen. Im Regelfall führt die Anwendung des § 2 Abs. 3 UStG a.F. entsprechend der Verwaltungsauffassung zu einer Privilegierung der juristischen Person des öffentlichen Rechts, denn andernfalls würde diese sich auf die Anwendung der „BFH-Rechtsprechung“, was nichts anderes als die Anwendung geltenden Rechts bedeutet, berufen. Soweit die Finanzverwaltung an die für die umsatzsteuerliche Behandlung von juristischen Personen des öffentlichen Rechts vom BFH verworfenen Inhalte der Erlasslage in den Körperschafsteuerrichtlinien festhält, manifestiert sie eine strukturelle (unions-)rechtswidrige Privilegierung der öffentlichen Hand, die darüber hinaus die Frage aufwirft, ob es bei der damit einhergehenden Behandlung als Nichtunternehmer um eine unionsrechtlich unzulässige Beihilfe handelt.3

9.435

Hinsichtlich der Umsatzbesteuerung von kommunalen Gemeinschaftsrichtung nach § 2 Abs. 3 UStG a.F. ist zu unterscheiden, ob diese auf der Grundlage der richtlinienkonformen Auslegung dieser Vorschrift nach der finanzgerichtlichen Rechtsprechung oder unter Anwendung der unverändert am Körperschaftsteuerrecht orientierten (unions-)rechtswidrigen Auslegung durch die Finanzverwaltung erfolgen soll. Den kommunalen Trägerkörperschaften steht insoweit ein Wahlrecht zu.4 Eine Besteuerung auf der Grundlage der BFH-Rechtsprechung bewirkt in der Tendenz, dass es zu einer Ausweitung der Umsatzbesteuerung von ausgeübten Tätigkeiten kommt. Demgegenüber werden im Fall der Besteuerung nach der Verwaltungsauffassung teilweise grundsätzlich unternehmerische Tätigkeiten als nichtunternehmerisch behandelt, die danach nicht der Besteuerung unterliegen. Das von der Finanzverwaltung eingeräumte Wahlrecht kann jedoch nur einheitlich für das gesamte Unternehmen bzw. für alle unternehmerischen Tätigkeiten ausgeübt werden.5 Aus Sicht der betroffenen kommunalen Trägerkörperschaft ist es daher sinnvoll, die jeweilige steuerliche Belastungen der beiden Wahlmöglichkeiten gegenüber zu stellen und danach zu entscheiden, welche Vor1 BMF v. 27.7.2017 – III C 2-S 7106/0:002, DOK 2017/0386556, BStBl I 2017, 1239 für vor dem 1.1.2017 ausgeführte Umsätze; ähnlich schon OFD Nds. v. 27.7.2012 – S 7106-283 – St 171, UR 2013, 42; vgl. auch Baldauf, UR 2014, 549. 2 BMF v. 16.12.2016 – III C 2-S 7107/16/10001, DOK 2016/1126266, BStBl I 2016, 1451, Rz. 60; Englisch, UR 2021, 338 (341). 3 Hierzu ausführlich Wiesch, Die umsatzsteuerliche Behandlung der öffentlichen Hand, Diss., Köln 2016, S. 265 ff. 4 Ebenso Hidien/Menebröcker, ZKF 2020, 198 (199). 5 BMF v. 16.12.2016 – III C 2-S 7107/16/10001, DOK 2016/1126266, BStBl I 2016, 1451 Rz. 60.

696 | Wiesch

F. Umsatzbesteuerung von Sportstätten u.a. | Rz. 9.437 Kap. 9

gehensweise für sie finanziell günstiger ist. Für eine Ausweitung der Umsatzbesteuerung durch die Anwendung des § 2 Abs. 3 UStG a.F. nach der Auslegung durch die finanzgerichtliche Rechtsprechung spricht auf der einen Seite die damit einhergehende Möglichkeit zum Vorsteuerabzug. Andernfalls ist jedoch zu beachten, dass bisher nicht besteuerte Ausgangsleistungen, insbesondere in den Bereichen Vermögensverwaltung und Beistandsleistungen, in diesen Fällen erstmals zu versteuern wären, ohne dass sich möglicherweise die steuerliche Belastung auf den Leistungsempfänger wegen bestehender Brutto-Preisvereinbarungen oder gesetzlicher Vorgaben für die Höhe der Preise überwälzen ließe. Bei der Vermietung und Verpachtung von kommunaler Gemeinschaftseinrichtungen handelt es sich nach BFH-Rechtsprechung zu § 2 Abs. 3 UStG a.F. grundsätzlich um eine unternehmerische Tätigkeit, die der Besteuerung unterliegt, wenn sie entweder auf privatrechtlicher Grundlage ausgeübt wird oder im Fall der Ausführung auf öffentlich-rechtlicher Grundlage ihre Nichtbesteuerung zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde.1 Gleiches gilt auch dann, wenn eine kommunale Gemeinschaftseinrichtung als sog. Beistandsleistung einer anderen juristischen Person des öffentlichen Rechts, z.B. eine Sporthalle an eine Nachbargemeinde gegen Kostenerstattung, überlassen wird, welche die überlassene Gemeinschaftseinrichtung ihrerseits für eigene hoheitliche Zwecke, z.B. für den eigenen Schulsport, verwendet.2 Auf den Gesamtumfang des mit der Vermietung und Verpachtung der kommunalen Gemeinschaftseinrichtung erzielten Jahresumsatzes kommt es nicht an.3

9.436

Demgegenüber unterliegt die Vermietung und Verpachtung von kommunalen Gemeinschaftseinrichtungen nach der Verwaltungsauffassung nicht der Umsatzsteuer, soweit es sich dabei noch um eine bloße Vermögensverwaltung handelt. Die Abgrenzung zur wirtschaftlichen Tätigkeit i.S.d. § 4 Abs. 1 KStG richtet sich nach den allgemeinen Grundsätze zur Abgrenzung des Gewerbebetriebs i.S.d. § 15 EStG von der Vermögensverwaltung.4 Aus Sicht der Finanzverwaltung5 liegt eine (bloße) Vermögensverwaltung vor, wenn sich die Betätigung noch als Nutzung von Vermögen im Sinne einer Fruchtziehung aus zu erhaltenden Substanzwerten darstellt und die Ausnutzung substantieller Vermögenswerte durch Umschichtung nicht entscheidend in den Vordergrund tritt. Ein Betrieb gewerblicher Art liegt dagegen vor, wenn die selbständige nachhaltige Betätigung über den Rahmen einer Vermögensverwaltung hinausgeht, da nach § 4 Abs. 1 Satz 2 KStG auf eine Gewinnerzielungsabsicht und die Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr nicht erforderlich sind. Dies ist z.B. der Fall bei wiederholten kurzfristigen Vermietungen von Sälen, z.B. für Konzerte, oder wenn zugleich Leistungen erbracht werden, die eine bloße Vermietungstätigkeit überschreiten. Ein Betrieb gewerblicher Art liegt auch dann vor, wenn der vermietete Grundbesitz sehr umfangreich ist und der Verkehr mit vielen Mietern erhebliche Verwaltungsarbeit erforderlich macht.6 Soweit es sich bei einer kommunalen Gemeinschaftseinrichtung um einen Betrieb gewerblicher Art handelt, der als Ganzes vermietet wird, so begründet diese Vermietung nach § 4 Abs. 4 KStG ebenfalls einen Betrieb gewerblicher Art. Wenn eine kommunale Gemeinschaftseinrichtung an eine andere juristische Person des öffentlichen Rechts vermietet, handelt es sich dabei um eine nach Verwaltungsauffassung nicht der Umsatzsteuer unterliegende Beistandsleistung. Sollte darüber hinaus mit der Vermietung die Umsatzgrenze von 35.000 € nicht nachhaltig

9.437

1 2 3 4 5 6

BFH v. 28.6.2017 – XI R 12/15, BFH/NV 2017, 1400. Vgl. z.B. zur Überlassung einer Sporthalle: BFH v. 10.11.2011 – V R 41/10, BStBl II 2017, 869. BFH v. 10.11.2011 – V R 41/10, BStBl II 2017, 869. Märtens in Gosch, § 4 KStG Rz. 50. R 15.7 Abs. 1 EStR. R 15.7 Abs. 2 EStR sowie H 15.7 Abs. 2 EStH.

Wiesch | 697

Kap. 9 Rz. 9.437 | Kommunalverwaltung

überschritten werden, würde aus Sicht der Finanzverwaltung eine Umsatzbesteuerung schon aus dem Grund unterbleiben.1

9.438

9.439

9.440

Kommunale Trägerkörperschaften können ihre Besteuerung nach der richtlinienkonformen Auslegung des § 2 Abs. 3 UStG a.F. grundsätzlich gerichtlich geltend machen. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass im finanzgerichtlichen Verfahren die umsatzsteuerliche Behandlung unter richtlinienkonformer Anwendung des § 2 Abs. 3 UStG a.F. nicht auf einzelne Tätigkeiten, deren Behandlung als unternehmerische Tätigkeiten wegen des damit grundsätzlich möglichen Vorsteuerabzugs finanzielle Vorteile bietet, beschränkt werden kann. Soweit das Finanzgericht gleichzeitig feststellt, dass im jeweiligen Streitjahr weitere unternehmerische Tätigkeiten ausgeübt worden sind, die von der Finanzbehörde nach Maßgabe der Erlasslage entgegen der gebotenen richtlinienkonformen Anwendung des § 2 Abs. 3 UStG a.F. nicht besteuert worden sind, wäre eine sich daraus ergebene Umsatzsteuerschuld mit dem aus der anderen Tätigkeit ergebenden Vorsteueranspruch zu saldieren.2 Beispiel: Eine Gemeinde errichtet eine Sportanlage, welche sie zu 50 % steuerpflichtig an private Sportvereine zu vermieten beabsichtigt. Sie begehrt entsprechend aus den Herstellungskosten den Vorsteuerabzug i.H.v. 50 %. Die Finanzbehörde verweigert den Vorsteuerabzug, da aus ihrer Sicht die Vermietung keinen Betrieb gewerblicher Art begründet. Die Gemeine erhebt Klage und begehrt den Vorsteuerabzug unter Hinweis auf die richtlinienkonforme Anwendung des § 2 Abs. 3 UStG a.F., wonach auch eine vermögensverwaltende Tätigkeit eine unternehmerische Tätigkeit begründen kann. Im Rahmen des Klageverfahrens stellt das Finanzgericht fest, dass von der Gemeinde erzielte Einnahmen aus erbrachten Beistandsleistungen bisher sowohl von der Gemeinde als auch von der Finanzbehörde nicht als steuerpflichtige Umsätze behandelt worden sind. Die danach geschuldete Umsatzsteuer übersteigt den geltend gemachten Vorsteuerbetrag.

Für Streitfragen im Hinblick auf die Anwendung der Verwaltungsauffassung besteht hingegen keine Möglichkeit auf Gewährung von Rechtsschutz. Die umsatzsteuerliche Behandlung von kommunalen Trägerkörperschaften ist im finanzgerichtlichen Verfahren ausschließlich auf Grundlage der richtlinienkonformen Anwendung des § 2 Abs. 3 UStG a.F. zu beurteilen.3 Soweit z.B. eine Gemeinde im Hinblick auf die privatrechtliche Vermietung einer Sporthalle auf der Grundlage der Verwaltungsauffassung die Behandlung als Nichtunternehmer begehrt, da aus ihrer Sicht diese Tätigkeit keinen Betrieb gewerblicher Art begründet, die Finanzbehörde hingegen unter Hinweis auf erbrachte Zusatzleistungen die Voraussetzungen eines Betriebs gewerblicher Art als erfüllt ansieht und damit die erzielten Umsätze besteuert, besteht für die Gemeinde keine Möglichkeit, im Rahmen der Anfechtung der Umsatzsteuerfestsetzung die Frage nach dem Vorliegen eines Betriebs gewerblicher Art überprüfen zu lassen. Denn nach der richtlinienkonformen Auslegung des § 2 Abs. 3 UStG a.F. handelt eine juristische Person des öffentlichen Rechts im Fall der Vermietung auf privatrechtlicher Grundlage stets als Unternehmer.4 Auf die streitige Frage, ob es sich bei der Vermietung noch um eine (bloße) Vermögensverwaltung oder schon um eine wirtschaftliche Tätigkeit i.S.d. § 4 Abs. 1 KStG handelt, kommt es danach nicht mehr an.

1 2 3 4

Abschn. 2.11 Abs. 4 UStAE i.V.m. R 4.1 Abs. 5 Sätze 1 und 4 KStR 2015. BFH v. 19.11.2013 – XI B 9/13, BFH/NV 2014, 373. Vgl. Burret, UR 2022, 121. BFH v. 26.9.2019 – V R 16/18, BFH/NV 2020, 38, Rz. 12 m.w.N.

698 | Wiesch

G. Entsorgungseinrichtungen | Rz. 9.443 Kap. 9

G. Entsorgungseinrichtungen – Abfallentsorgung, Abwasserbeseitigung und Straßenreinigung I. Allgemeine Einordnung Literatur: OFD Karlsruhe, Verf. betr. steuerliche Behandlung der Abfallentsorgung durch die öffentliche Hand, S 270.6/256-St 213, Stand 3.7.2020; OFD Münster, Besteuerung der juristischen Personen des öffentlichen Rechts, Arbeitshilfe, Stand: 15.3.2019; Baldauf, Umsatzbesteuerung von Leistungsbündeln im öffentlich-rechtlichen Tätigkeitsbereich, DStZ 2018, 270; BMF, Schr. v. 16.12.2016 – III C 2 - S 7107/16/1001, DStR, 2017, 40; Hammerl/Fietze, Darstellung und Anmerkungen zum BMFSchreiben v. 16.12.2016 zur Umsatzbesteuerung der öffentlichen Hand, MwStR, 2017, 56 ff.; Hidien/ Menebröker, Ist die kommunale Abwasserentsorgung mehrwertsteuerpflichtig?, MwStR 2021, 705; Küffner/Rust, Reform der Umsatzbesteuerung der öffentlichen Hand, DStR 2016, 1633; Lorenz/Pithan in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, 2017, § 16 Rz. 737 ff.; Musil, Umsatzsteuerliche Behandlung der Friedhofsverwaltung, WiVerw 2017/1, 47 ff.; 2018, 45 ff.; Sterzinger, Umsatzsteuerrechtliche Beurteilung der Abwasser- und Abfallentsorgung durch kommunale Entsorgungsträger, UR 2020, 372 ff.; FG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 12.11.2020 – 9 K 9167/17.

Zu den wesentlichen und nicht zuletzt wegen der Kapitalintensität bedeutsamen Einrichtungen der Daseinsvorsorge zählen in Deutschland die Abfallentsorgung, die Abwasserbeseitigung und die Straßenreinigung, auch Entsorgungseinrichtungen genannt. Ihre Finanzierung über Benutzungsgebühren gemäß den Kommunalabgabengesetzen der Länder ist außerordentlich vielfältig ausgestaltet. Als Einrichtung im Sinne der Gemeindeordnungen1 bzw. Kommunalverfassungen der Länder gewähren sie der Bürgerschaft generell Zugang zu diesen Einrichtungen bzw. statuieren im Gegenzug zu Nutzungsrechten regelmäßig einen Einrichtungs- und Benutzungszwang. Infolgedessen steht ihre Finanzierung durch Benutzungsgebühren unter stetiger verwaltungsrechtlicher wie politischer Beobachtung und Kontrolle. Der Abgleich bzw. das Zusammenwirken von Steuerrecht und kommunalem Abgabenrecht stellt für Entsorgungseinrichtungen daher eine besondere Herausforderung dar.

9.441

Der Begriff der Einrichtung stellt die Leistungen dieser Teile der Daseinsvorsorge präziser dar als der Begriff des Betriebes, da die gängigen kommunalen Organisationsformen wie Regiebetrieb, Eigenbetrieb etc. in aller Regel die operativen betrieblichen Leistungsanteile beinhalten, übergeordnete Teilleistungen wie z.B. die eines Rechtsamtes, eines Finanzbereichs oder die Gremienarbeit anteilig aber auch für die jeweilige Leistungserbringung erforderlich und Teil der jeweiligen Einrichtung sind. Ebenso ist festzuhalten, dass neben der eigentlichen „Entsorgung“ eine Vielzahl weiterer Leistungen im Zusammenhang zu erbringen und erforderlich sind. Dies hat naturgemäß Auswirkungen auf die steuerliche Behandlung der zu betrachtenden Betätigungen.

9.442

Nachfolgend sollen die typischen Verbindungen dieser Einrichtungen mit dem Steuerrecht in praktischer Hinsicht dargestellt werden.

II. Hoheitliche Betätigung – Abgrenzung 1. Möglichkeiten der Abgrenzung Die hoheitliche Betätigung wird derzeit nicht besteuert.2 Insofern sind die Abgrenzungen von einer solchen von wesentlicher Bedeutung. Diese lassen sich unterteilt nach räumlichen, sachlichen und insbesondere den föderalen Zuständigkeitsgrenzen darstellen. 1 Vgl. z.B. § 19 HGO. 2 Vgl. zuletzt FG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 16.12.2020 – 9 K 9167/17, Rz. 53, EFG 2021, 825: „Die Abwasserentsorgung ist einem Träger öffentlicher Gewalt grundsätzlich „eigentümlich“ und

Gries | 699

9.443

Kap. 9 Rz. 9.444 | Kommunalverwaltung

2. Abgrenzung nach sachlicher Zuständigkeit 9.444

Der Staat muss sich grundsätzlich nicht selbst besteuern. Die Leistungen von Abfallentsorgung, die Abwasserbeseitigung und die Straßenreinigung sind daher dann nicht zu besteuern, wenn sie nicht im Wettbewerb, sondern auf hoheitlicher Grundlage erbracht werden1.

9.445

Während althergebracht die Leistungen von Abfallentsorgung und Abwasserbeseitigung aus hygienischen und seuchenpolizeilichen Gründen nicht dem freien Markt überlassen werden konnten kommen aktuell klimapolitische und andere ökologische Erwägungen zur Verstärkung dieser Zielsetzung, nicht zuletzt auch bei der Wiederverwertung von Abfallstoffen, auch bzw. gerade dann hinzu, wenn hierbei keine rein ökonomischen Gewinne erzielbar sind. Der Schutz von Grundwasser und Böden als umweltpolitisches Erfordernis und der Minderung des Methangasausstoßes in die Ozonschicht wurde in den letzten Jahrzehnten in Deutschland vorrangig aus den Leistungen der kommunalen Entsorgungseinrichtungen erbracht2.

9.446

Insoweit unterscheiden sich auch steuerlich die Leistungen der öffentlich-rechtlichen Entsorgungseinrichtungen in erheblichem Umfang von der gewerblichen Entsorgungswirtschaft.

9.447

Die Leistungen der öffentlichen Hand im Bereich von Abfallentsorgung, Abwasserbeseitigung und Straßenreinigung werden typischerweise nicht freiwillig von den Gebietskörperschaften erbracht, sondern folgen einer Pflichtenzuweisung. Das Kreislaufwirtschaftsgesetz und die Kreislaufwirtschafts- bzw. Abfallgesetze der Länder, das Wasserhaushaltsgesetz und die Wassergesetze der Länder sowie die Straßen- bzw. Straßenreinigungsgesetze der Länder regeln, welche Leistungen von welcher Gebietskörperschaft pflichtig bereitzustellen und zu erbringen sind.

9.448

Im Rahmen dieser gesetzlichen Pflichtenzuweisungen sind die betreffenden Gebietskörperschaften befugt, Zuständigkeiten im Rahmen der Gesetze über die kommunale Gemeinschaftsarbeit – abweichend von den gesetzlich grundsätzlich geregelten Zuständigkeiten – selbst zu regeln. Sie können insoweit die Leistungen in dem Maß, in dem sie selbst verpflichtet sind, auf andere Gebietskörperschaften übertragen oder gemeinschaftlich neu zuständige Organisationseinheiten wie typischerweise einen Zweckverband errichten und diese mit der Aufgabe insgesamt oder praktisch abgrenzbaren Aufgabenteilen betrauen. Insoweit wird die Finanzverwaltung künftig ein verstärktes Augenmerk auf die Prüfung legen, ob eine Aufgabenübertragung unter Einhaltung der hoheitlichen Gestaltungsmöglichkeiten erfolgt oder z.B. durch Abschluss eines zivilrechtlichen Vertrages eine hoheitliche Betätigung der aufgabenerfüllenden Einheit gerade nicht mehr gegeben ist. Auch wenn kommunalrechtlich eine Aufgabenübertragung unzulässig war, kann diese im Einzelfall gleichwohl tatsächlich erfolgen. Auch wenn eine früher zulässige, aber befristete und heute neu nicht mehr mögliche Aufgabenübertragung nicht wiederholt werden kann, vgl. die Aufhebung des früheren § 16 Abs. 2 Krw-/AbfG durch die Errichtung des KrWG, sind steuerliche Schlussfolgerungen erforderlich, ob und welche Leistungen damit aus einer Steuerbarkeit auszunehmen sind. vorbehalten. Er wird also hoheitlich tätig, wenn diese Tätigkeit im Bereich des Gesundheitsschutzes und des Umweltschutzes Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge ist und eine Privatisierung der Abwasserbeseitigung durch Delegierung der Aufgabe mit befreiender Wirkung auf einen privaten Dritten grundsätzlich nicht möglich ist (BFH, Urteil vom 8.1.1998 – V R 32/97, a.a.O.; BFH, Urteil vom 27.6.2001 – I R 82-85/00, BStBl. II 2001, 773).“ 1 Vgl. zur Entwicklung Widmann in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 16, Rz. 453 ff. 2 Quelle: Umweltbundesamt, https://www.umweltbundesamt.de/daten/klima/treibhausgas-emissio nen-in-deutschland#treibhausgas-emissionen-nach-kategorien (zuletzt abgerufen am 10.4.2022, 17:30).

700 | Gries

G. Entsorgungseinrichtungen | Rz. 9.453 Kap. 9

Neben dem Kern der Entsorgungsaufgaben sind eine Vielzahl weiterer Betätigungen zu bedenken: Kläranlagen benötigen Wärme und Labore, die auch durch Verkauf von Energie oder Dienstleistungen an Dritte genutzt werden können. Zur Entsorgung an die Einrichtung angeschlossener Grundstücke von Abfällen gehört deren Verwertung, soweit möglich ihre Vorbereitung zur Wiederverwendung, im Übrigen möglichst durch stoffliche Wiederverwendung der als Abfall angedienten Stoffe oder deren energetische Ausbeutung, Streusplit des Winterdienstes kann teilweise recycelt werden und vieles mehr. Diese nicht nur im Annex, sondern auch als Kern der Betätigung anzusehenden Teilleistungen sind abzugrenzen von Leistungen, die freiwillig über die gestellten Aufgaben hinausgehen.

9.449

Hinzu kommt eine stetige Beschäftigung der Gesetzgeber mit den Entsorgungsbereichen. Zukünftig ist aus Abwasser Phosphor zurück zu gewinnen und zur Düngung von Pflanzen vorzubereiten. Erste Bundesländer definieren die Vermeidung von Abfällen als Aufgabe der Abfallentsorgung. Damit wird eine Kommune auch dann zuständig und betätigt sich im Rahmen ihrer hoheitlichen Pflichtaufgabe, auch wenn der Entledigungswille des Besitzers eines Gegenstandes im Sinne des § 3 KrWG nicht vorhanden ist, also die Abfalleigenschaft (noch) nicht vorliegt1. Auch der Übergang aus dem Recht der Abwasserbeseitigung in das Recht der Abfallentsorgung kann für die Beurteilung einer hoheitlichen Betätigung von steuerlicher Bedeutung sein: eine nur zur Abwasserentsorgung pflichtige Einrichtung wird sich schwerlich auf abfallrechtliche Aufgabenerfüllungskompetenzen berufen können.

9.450

3. Abgrenzungen nach räumlicher Zuständigkeit Sachliche Zuständigkeiten sind bei Gebietskörperschaften naturgemäß zunächst an die Gebietsgrenzen geknüpft. Eine hoheitliche Betätigung müsste demnach bei schlichter Übertretung einer Gebietsgrenze enden.

9.451

Praktische Bedürfnisse haben tatsächlich von der ausschließlichen Betätigung im eigenen räumlichen Aufgabengebiet Ausnahmen geschaffen. Es besteht kein Bedürfnis bei Reinigung einer städtischen Straße, die in eine Bundesautobahn übergeht, mit Übergang zur Autobahn den Kehrbesen zu heben oder die Salzstreuung zu beenden. Eine solche Vorgehensweise dürfte den Anforderungen an die mit der Reinigung und Räumung bezweckte Verkehrssicherheit vielmehr zuwiderlaufen. Wirtschaftlich macht es keinen Sinn, ein im Gemeindegebiet liegendes Außengehöft zur Abfallsammlung über mehrere Kilometer einzeln anzufahren, wenn es aus dem nachbarlichen Gemeindegebiet mit geringem Aufwand entsorgt werden kann. Ebenso gibt es eine Vielzahl von Fällen, in denen das Abwasser einzelner Grundstücke oder ganzer Ortsteile in die Kläranlage der räumlich zuständigen Gebietskörperschaft nur mit erheblichen Investitionen transportiert werden könnte, die Gefällelage jedoch eine kostengünstigere, der Schwerkraft folgenden Entwässerung in die Nachbarkommune ermöglicht. Gerade für diese Fälle existieren die Möglichkeiten einer auch teilweisen oder punktuellen Aufgabenübertragung, wobei diese in der Vergangenheit oftmals unter Außerachtlassung steuerlicher Gesichtspunkte ausgestaltet wurden.

9.452

Nimmt also eine Gebietskörperschaft entgeltlich oder im Tausch Aufgaben wahr, die über ihre gesetzliche räumliche Zuständigkeit hinausgehen, kann sie schon deswegen steuerpflichtig

9.453

1 Vgl. z.B. § 5 Abs. 2 Ziffer 4 LKrWG Rheinland-Pfalz: „Bei der Erhebung von Benutzungsgebühren und Beiträgen durch die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger ist das Kommunalabgabengesetz mit der Maßgabe anzuwenden, dass ... bei der Gebührenbemessung auch die Kosten von Förder- und Beratungsmaßnahmen zur Abfallvermeidung ... berücksichtigt werden können.“

Gries | 701

Kap. 9 Rz. 9.453 | Kommunalverwaltung

werden. Soweit sie bislang infolge der so genannten hoheitlichen Beistandsleistung von einer Besteuerung ausgenommen wurde, stellt sich die Frage, ob dies unter Geltung des § 2b UStG noch möglich sein wird, vgl. dazu Kap. 5.

4. Abgrenzung im föderalen Zusammenhang 9.454

Die Einstufung als hoheitliche Betätigung, sei es unter der Betrachtung einer eigentümlichen und vorbehaltenen Aufgabenstellung oder einer ihr im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegenden Betätigung ist auch daran zu messen, welche Stufe im föderalen Aufbau Deutschlands für zuständig bestimmt ist.

9.455

Soweit ersichtlich wird die Entwässerung von Bundesstraßen durch die Einrichtung einer Kommune derzeit nicht besteuert. Dabei zählt jedoch die Entwässerung bzw. die Reinigung von Niederschlagswasser z.B. einer Bundesstraße, aber auch einer kommunalen Straße, zunächst nicht zwingend zu den Aufgaben einer abwasserbeseitigungspflichtigen Gebietskörperschaft1. Jedoch kann sich eine Kommune dieser Aufgabe nicht entziehen. Denn außerhalb des Abwasserrechts bestehen weitere Aufgaben, zum einen aus der Aufgabenstellung für Ortsdurchfahrten klassifizierter Straßen, zum anderen aus der Unterhaltungspflicht für eigene – kommunale – Straßen, also aus dem Straßenrecht. Anderenfalls wäre die Straße nicht verkehrssicher.

9.456

Verpflichtungen müssen sich daher nicht zwingend aus sondergesetzlichen Aufgabenzuweisungen ergeben. Sie können schon im Annex durch allgemeine Aufgabenstellungen entstehen.

9.457

Sofern jedoch z.B. Bund oder Länder ein Entgelt für kommunale Entsorgungsleistungen entrichten und dies außerhalb der Gebührenbescheide für die an die Entsorgungseinrichtung angeschlossene Grundstücke erfolgt, ist im Einzelfall zu prüfen, ob noch eine hoheitliche Betätigung möglich ist.

III. Straßenreinigung 9.458

Kommunen haben die Pflicht, die nach dem jeweiligen Straßengesetz definierten öffentlichen Straßen2 und ihre Bestandteile in der im Zusammenhang bebauten Ortslage bzw. geschlossener Ortslage zu reinigen bzw. im Winter verkehrssicher zu halten – so genannte Sommerbzw. Winterwartung. In einigen Straßengesetzen ist vorgesehen, dass die Aufgabenträger diese Aufgabe durch eigenes Ortsgesetz (Satzung) auf Straßen außerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortslage erweitern können in Bezug auf die sogenannten Ortsverbindungsstraßen3. Regelmäßig findet sich in den Straßengesetzen zusätzlich noch die Verpflichtung der für die Reinigung der klassifizierten Straßen außerhalb der Ortsdurchfahrten zuständigen öffentlichen Aufgabenträger, also die Kreise, die Länder und den Bund, die Kommunen bei der Reinigung innerhalb der Ortsdurchfahrten möglichst zu unterstützen4.

9.459

Je nach Bundesland können zur Finanzierung kommunale Abgaben erhoben werden, die aufgrund der Einstufung als hoheitliche Betätigung nicht der Besteuerung unterliegen.

9.460

Aufgrund der außerordentlichen Arbeitsbelastung bei Schneefall wird der Winterdienst auf den Gehwegen typischerweise auf die Anlieger übertragen. Da diese Anlieger sich zunehmend 1 2 3 4

Vgl. z.B. § 37 Abs. 5 Ziffer 1 HessWG. Vgl. z.B. § 1 Abs. 3 LStrG RLP. Vgl. z.B. § 10 Abs. 2 HessStrG. Vgl. z.B. § 17 Abs. 3 Satz 2 LStrG RLP.

702 | Gries

G. Entsorgungseinrichtungen | Rz. 9.464 Kap. 9

von diesen Reinigungspflichten überfordert fühlen, gibt es heute vermehrt kommunale Angebote, Räum- und Streuleistungen des Winterdienstes auch auf Gehwegen entgeltlich für die Anlieger durchzuführen. Dabei sind diese Angebote teilweise in den Satzungen der Kommunen enthalten. Diese werden bereits heute als Betrieb gewerblicher Art besteuert, da solche Leistungen gerade freiwillig, in Umkehr zu der Aufgabenzuweisung durch die Ortssatzung und in Konkurrenz zu gewerblichen Anbietern von Reinigungsleistungen erbracht werden. Unter Geltung des § 2b UStG tritt somit keine Neuerung ein. Hinzu kommt die Praxis, je nach Zuschnitt der örtlichen Straßen, auch außerhalb der Ortsdurchfahrten Übergangsstrecken auf Kreis-, Landes-, und Bundesstraßen bis hin zu Bundesautobahnen durchzuführen. Eine in der Zuständigkeit einer Kommune liegende Ortsdurchfahrt kann ihr Ende am Übergang zu einer mehrspurigen Bundesstraße oder Autobahn haben, sodass ein einfaches Wenden des Fahrzeugs nicht möglich ist. Gleiches gilt für das Fahrzeug des Landesbetriebes. Somit bietet es sich auch zu Erreichung einer gleichmäßigen Reinigungsleistung an, bis zur nächsten Wende oder Abbiegemöglichkeit weiterhin zu reinigen, zu räumen oder zu streuen. Naturgemäß kommt dies aus Sicht der Kommune umso mehr in Betracht, wenn auch die Kehr- oder Streumaschinen der Landesbetriebe im Gegenzug Übergangsstrecken in den Ortsdurchfahrten reinigen. Soweit hierfür entgeltliche Vereinbarungen bestehen, ohne dass zugleich öffentlich-rechtliche Pflichtenübertragungen erfolgen, dürfte unter der Geltung des § 2 Abs. 3 UStG eine gegenseitige hoheitliche Beistandsleistung vorliegen. Ab der Wirkung des § 2b UStG kann auf diesen körperschaftsteuerrechtlichen Begriff jedoch nicht mehr Bezug genommen werden. Ein besonderer Vorbehalt für die gegenseitige Beauftragung öffentlich-rechtlicher Organisationseinheiten besteht nicht, vielmehr könnte im Wettbewerb jederzeit ein gewerblicher Straßenreiniger ausgewählt werden, soweit nicht nach den bestehenden öffentlich-rechtlichen Vorgaben genau dies ausgeschlossen ist.

9.461

Eine Besteuerung kommt jedoch auch dann in Betracht, wenn in dieser Fallgestaltung gegenseitig keine Entgelte gezahlt werden. Soweit der Landesbetrieb in den Ortsdurchfahrten reinigt, kann dies als Pflichtaufgabe angesehen werden, falls das jeweilige Landesstraßengesetze ihn nach seiner Leistungsfähigkeit zur Unterstützung der jeweiligen Kommune verpflichtet. Die Kommunen haben jedoch eine solche Verpflichtung für die außer der Ortsdurchfahrten belegenen Straßen gegenüber den Landesbetrieben nicht. Es müssen daher Fallkonstellationen betrachtet werden, in denen die Kommune außerhalb ihres Zuständigkeitsbereiches deshalb reinigt, weil sie sich davon eine Reinigung durch den Landesbetrieb innerhalb der Ortsdurchfahrten verspricht. Diese Fälle sind oftmals den politischen Gremien oder Verwaltungsspitzen gar nicht bekannt, da sie auf der Arbeitsebene abgesprochen sind.

9.462

Ein solches Austauschverhältnis muss jedoch als tauschähnlicher Umsatz angesehen werden, da die eine leistende Partei ihre Leistung mindestens auch deshalb erbringt, damit die andere leistende Partei ihrerseits auch außerhalb ihrer gesetzlichen Zuständigkeit leistet.

9.463

IV. Abwasserentsorgung 1. Maßgeblichkeit der Landeswasser- und Ortsgesetze Die Landeswassergesetze regeln, dass und welches auf Grundstücken anfallende Abwässer in einem Gemeindegebiet dieser Gemeinde zu überlassen ist. Je nach Bundesland bestehen hierbei Ausnahmen, zum Beispiel, wenn – mit der gesetzlichen Ermächtigung hierzu – die Kommune in ihrer Entwässerungssatzung vorgibt, dass Niederschlagswasser auf dem Grundstück zu versickern ist. Gries | 703

9.464

Kap. 9 Rz. 9.465 | Kommunalverwaltung

9.465

Anders als zum Beispiel bei der Wasserversorgung kann eine Kommune die ihr obliegende Entwässerungsverpflichtung nicht auf gewerbliche Dritte übertragen; sie kann allenfalls die Aufgabe auf eine andere Körperschaft des öffentlichen Rechts übertragen1. Erfolgt gleichwohl eine unmittelbare Finanzierung durch einen eingeschalteten gewerblich tätigen Dritten gegenüber den Abwassereinleitern (z.B. Kommunale Wasserwerke Leipzig GmbH), ist insbesondere umsatzsteuerlich diese tatsächliche Leistungsbeziehung zugrunde zu legen; eine hoheitliche Betätigung kommt insoweit nicht in Betracht.

9.466

Weiter regelt die zur Entwässerung verpflichtete Kommune, wie ihr das Abwasser zu überlassen ist. Insoweit bestimmt die Kommune auch den Umfang ihrer Betätigung sowie die Art und Weise der Überlassung der Abwässer an ihre Entwässerungseinrichtung. Somit gibt es Kommunen, bei den nahezu 100 % der Abwässer leitungsgebundenen angenommen wird und solche, bei denen dies mit nur ca. 30 % erfolgt. Die hoheitliche Pflichtaufgabe und der Anschluss- und Benutzungszwang bestehen jedoch auch für die nicht leitungsgebundene Entwässerung. Wenn also auf dem Grundstück kraft behördlicher Verpflichtung eine Klärgrube oder eine Kleinkläranlage unterhalten wird und von dort der Überschussschlamm oder Klärschlamm über Absaugfahrzeuge entnommen und zur Reinigung in eine Kläranlage verbracht wird, besteht auch insoweit grundsätzlich ein Anschluss- und Benutzungszwang zugunsten der öffentlichen Einrichtung der Abwasserbeseitigung. An einer solchen hoheitlichen Betätigung einer Kommune ändert sich auch dann nichts, wenn einzelnen Grundstücken von einer Wasseraufsichtsbehörde gestattet wird, ihr Niederschlagswasser unmittelbar in ein Gewässer einzuleiten.

2. Gebietserweiterung 9.467

Aufgrund der topographischen Lage finden sich eine Vielzahl von Grundstücken in Deutschland, die kostengünstiger in der Nachbargemeinde entwässert werden können. Betrifft dies ganze Ortsteile, werden typischerweise öffentlich-rechtliche Vereinbarungen bzw. Zweckvereinbarungen zwischen den beteiligten Aufgabenträgern geschlossen, die einen Aufgabenübergang konstituieren, somit die räumliche Zuständigkeit der einen Kommune erweitern und die der anderen verringern. Sodann kann die jeweilige Kommune auch diese nun in ihrem Zuständigkeitsgebiet liegenden Grundstücke als Pflichtaufgabe entwässern. Regelmäßig werden gesetzliche Aufgabenstellungen auch in dem Sinne geteilt, dass die Entwässerung Aufgabe der originär zuständigen Kommune bleibt, die Reinigung der Abwässer jedoch Aufgabe der anderen Gebietskörperschaft wird. Dies betrifft nicht zuletzt Gebiete, in denen mangels geeigneter Topographie (Insel- oder Gebirgslage) Kläranlagen nicht errichtet werden können.

9.468

Diese Aufteilung in zwei Teilaufgaben hat regelmäßig neben wirtschaftlichen Erwägungen auch wasserwirtschaftliche Gründe. Teilweise bestehen deshalb auch sondergesetzliche Zweckverbände, also vom jeweiligen Bundesland per Gesetz geteilte Zuständigkeiten. Hierzu kommt es dann, wenn kleinere Kommunen nicht über geeignete Vorfluter verfügen, also nur kleinere Bachläufe vorhanden sind, die auch bei Aufnahme bestmöglich gereinigter Abwässer ökologisch überfordert wären.

9.469

Praktisch sind dabei die Fälle anzuführen, in denen die Kommune ihre Gebührenkompetenz nicht mit übertragen möchte. Eine solche Einschränkung der Aufgabenübertragung ist nach einigen Gesetzen über die kommunale Zusammen- oder Gemeinschaftsarbeit zulässig. Insoweit muss die aufgabenerfüllende und -pflichtige Kommune mit der aufgabenabgebenden Kom1 Vgl. z.B. § 37 Abs. 6 HessWG, § 97 NWG, §§ 50, 52 LWG NRW, § 47 Abs. 14 Thür WG.

704 | Gries

G. Entsorgungseinrichtungen | Rz. 9.474 Kap. 9

mune ihre Leistung abrechnen, diese wiederum ist allein kompetent, mit den jeweiligen Grundstückseigentümern abzurechnen, typischerweise durch Erlass eines Gebührenbescheides. Es stellt sich somit die Frage, ob in diesem Fall eine steuerpflichtige Betätigung der aufgabenerfüllenden Kommune vorliegt.

9.470

Unter der Geltung des § 2 Abs. 3 UStG ist von einer hoheitlichen Beistandsleistung auszugehen. Unter § 2b UStG muss jedoch differenziert werden. Die Finanzverwaltung ist derzeit der Auffassung, dass auch in Erfüllung einer hoheitlichen Pflichtaufgabe dann eine steuerpflichtige Betätigung vorliegen soll, wenn eine Gewinnerzielungsabsicht, zum Beispiel durch den Ansatz kalkulatorischer Zinsen in der betreffenden Kalkulation gegeben ist1. Auf die Tatsache, dass die Entwässerung von niemand anders als der örtlich gelegenen Nachbarkommune durchgeführt werden kann, soll es insoweit nicht mehr ankommen.

9.471

Diese Überlegung zur Besteuerung im Fall einer kalkulatorischen Verzinsung des eingesetzten Kapitals der Finanzverwaltung steht in Konflikt mit in allen Gemeindeordnungen bzw. entsprechenden Gesetzen der Bundesländer vorhandenen Bestimmungen. Beispielsweise in Nordrhein-Westfalen bestimmt die sogenannte Subsidiaritätsklausel der Einnahmebeschaffungsvorschrift des § 77 Abs. 2 GO, dass vorrangig vor allen anderen Einkunftsquellen Leistungsentgelte zu erheben sind, also Gruppen der Nutzer einer öffentlichen Einrichtung diese auch zu finanzieren haben. Die Vorrangigkeit beinhaltet dabei auch die grundsätzliche Verpflichtung zur Ausschöpfung der Finanzierungsmöglichkeit. Zu diesen Entgelten rechnen auch die Benutzungsgebühren.

9.472

Für die Gebührenkalkulationen fast aller Bundesländer setzt der Gesetzgeber dabei voraus, dass nicht die tatsächliche Zinsbelastung einer Entwässerungseinrichtung einbezogen wird. Denn diese ist abhängig von der Verteilung des in einer Kommune in der Regel nur spärlich vorhandenen Eigenkapitals. Die Kommune muss dieses Eigenkapital auf eine Vielzahl von Pflichtaufgaben verteilen. Schon nach dem preußischen KAG, dem Vorläufer der heutigen Kommunalabgabengesetze der Länder, war es dessen Gesetzgeber jedoch bewusst, dass rentable Einrichtungen einer Kommune, d.h. solche, die sich pflichtgemäß vorrangig über die bezeichneten „spezielle Entgelte“ im Sinne des Gemeindewirtschaftsrechts in ihren Aufgaben selbst zu refinanzieren haben, keinerlei Eigenkapital zugewiesen werden würde, wenn (nur) die tatsächliche Zinsbelastung refinanzierbar wäre. In diesem Fall würde die Kommune ihr Eigenkapital lieber vollständig den nicht rentablen Einrichtungen zuweisen. In der Folge wären die über kommunale Abgaben refinanzierten Einrichtungen vollständig vom Kapitalmarkt abhängig; insbesondere die Gebührenhöhe vom Zinsmarkt bestimmt. Um dies zu vermeiden, dürfen und sollen die Kommunen für das gebundene Anlagevermögen diejenige Zinshöhe zugrunde legen, die sie fiktiv bei einer sehr langfristigen Anlage der gebundenen Mittel anderweitig erzielen könnte. Sie halten somit eine „Rendite“ auch für das eingesetzte Eigenkapital in den über spezielle Entgelte finanzierten Einrichtungen.

9.473

Anzumerken ist dabei, dass angesichts der wirtschaftlichen Lage der deutschen Kommunen eine Rendite nicht als realitätsnah angesehen werden kann. Vielmehr geht es heutzutage bei dem Einsatz von Eigenkapital um die Vermeidung einer Kreditaufnahme. Der Einsatz von Eigenkapital bei dem Gebäude eines – unrentablen – Sozialamtes ist damit abzustimmen mit dem Einsatz in einer – nach den Bestimmungen der jeweiligen Gemeindeordnung rentablen – Abwasserbeseitigung.

9.474

1 Vgl. BMF v. 16.12.2016, Rz. 51.

Gries | 705

Kap. 9 Rz. 9.475 | Kommunalverwaltung

9.475

Würde nun somit die Abrechnung der Leistung gegenüber der aufgabenabgebenden Kommune ohne kalkulatorische Verzinsung erfolgen müssen, wäre der Gebührensatz gegenüber den eigenen Gebührenschuldnern zur Vermeidung einer Besteuerung höher als derjenige, der gegenüber der aufgabenabgebenden Kommune zum Ansatz käme. Es käme somit zu einer Zweiklassengesellschaft von Gebührenzahlern. Dies erscheint politisch kaum umsetzbar, sodass die interkommunale Zusammenarbeit erheblich behindert werden würde.

9.476

Betreffende Kommunen könnten die Besteuerung insoweit verhindern, indem sie ihr Eigenkapital gezielt und vollständig nicht in die Aufgabenerfüllung außerhalb ihres eigenen Gemeindegebiets einsetzen würden. Sie müssten insofern bei der Prüfung einer Besteuerung jederzeit nachweisen können, dass die Investitionen für die betreffenden Leistungen vollständig fremdfinanziert sind und eine kalkulatorische Verzinsung nicht einbezogen ist. Auch dann dürfte es aber Unterschiede in der Abrechnungshöhe zwischen dem originär eigenen Gemeindegebiet und dem durch Aufgabenübertragung ohne Gebührenkompetenz hinzugetretenen Gebiet geben.

3. Annahme von Abwässern außerhalb der örtlichen Zuständigkeit 9.477

Kommunale Kläranlagen haben unterschiedliche Größen und Reinigungsmöglichkeiten. Es gibt Bundesländer, in denen nur eine einzige Kläranlage in der Lage ist, sämtliche Arten an in dem Bundesland anfallenden Abwässern zu reinigen; die übrigen Kläranlagen müssen bestimmte Abwässer abweisen. In der Regel liegt dies daran, an welchem Vorfluter eine Kläranlage errichtet bzw. genehmigt werden kann. Eine Kläranlage, die das gereinigte Abwasser in Rhein oder Elbe einleiten kann, muss andere Einleitungswerte einhalten, als diejenige Kläranlage, die ausschließlich in ein besonders schutzbedürftiges Gewässer dritter oder vierter Ordnung einleiten kann. Zudem sind Kläranlagen auf Spitzenlastkapazitäten der Schmutzfrachten und der Abwassermengen auszulegen, sodass größere Kläranlagen regelmäßig auch größere und naturgemäß nutzbare Reservekapazitäten vorhalten müssen.

9.478

Abwässer mit besonderen Schmutzfrachten, sei es aus der Milchprodukterzeugung, der Süßwaren-, Fleisch- und Wurstwarenproduktion, der Lebensmittelproduktion mit Süß- oder Salzlaken, der metallverarbeitenden Betriebe oder auch Sickerwässer von Deponien oder Biokompostanlagen sind regelmäßig auch nicht geeignet, leitungsgebunden an Kläranlagen angedient zu werden. Diese Abwässer würden im Kanal Fettablagerungen erzeugen Ungeziefer, insbesondere Ratten anziehen oder zum Beispiel durch Säuren oder Salze Kanäle und Schächte korrodieren. Sie müssen somit in Tankwagen angeliefert und ihre tatsächliche Einleitung in die Kläranlage gepuffert, also zeitlich gestreckt werden. Insofern sind kleinere Kläranlagen typischerweise nicht zur Annahme aller denkbaren Abwässer aus dem Entwässerungsgebiet konzipiert.

9.479

Infolgedessen werden diese Abwässer besonderen Kläranlagen zugewiesen. Dabei kann es zu einem zivilrechtlichen Vertragsschluss kommen. Bekannt sind jedoch auch Zuweisungen des zuständigen Entwässerungsträgers zu fremden kommunalen Kläranlagen, die die Annahme und Reinigung dieser Abwässer in hoheitlicher Beistandsleistung erbringen. Neben der örtlich zuständigen Kommune kann auch die zuständige (Ab-)Wasseraufsichtsbehörde solche Zuweisungen per Verwaltungsakt verfügen, um eine geordnete Abwasserentwässerung sicher zu stellen.

9.480

Diese Fälle sind der Finanzverwaltung nahezu unbekannt, eine steuerliche Verfügung zu der Thematik ist derzeit nicht ersichtlich. Auch insoweit gestalten Kommunen mit öffentlichrechtlichen Vereinbarungen einen Aufgabenübergang, typischerweise dann mit Übergang der Gebührenkompetenz. So dies nicht oder ohne Beachtung des schon bestehenden Steuerrechts erfolgt, müssen die betreffenden Kommunen wohl spätestens unter Geltung des § 2b UStG mit Steuerfolgen rechnen. Da sie nicht nachträglich Vorsteuern für die anteiligen Kosten zie706 | Gries

G. Entsorgungseinrichtungen | Rz. 9.486 Kap. 9

hen können, würde dies zu einer definitiven Besteuerungslast der Andienungspflichtigen führen, welche nicht zwingend vorsteuerabzugsberechtigt sind, z.B. Abfalldeponien oder Biokompostierungsanlagen der öffentlichen Hand.

4. Annahme von Klärschlämmen und Co-Substraten Die energetische Verwertung von Klärschlamm in Faultürmen zur Methan-Entgasung und nachfolgender Verstromung in Gasturbinen oder Verbrennung in Blockheizkraftwerken mit Nutzung von Wärme und Strom zählt zunächst nicht zur gesetzlichen Aufgabe der Abwasserbeseitigung. Diese Aufgabe endet vielmehr mit der Vorbereitung zur Verwertung des Klärschlamms, also mit der Entwässerung des Klärschlamms1 Die Verwertung des in der eigenen Kläranlage selbst entstandenen Klärschlamms ist daher Annextätigkeit aus Eigentum und Besitz an dem entwässerten Klärschlamm. Eine Pflichtaufgabe für die Verwertung bereits entwässerten Klärschlamms von außerhalb des eigenen Entsorgungsgebietes gibt es nicht aufgrund Gesetzes.

9.481

Gleichwohl ist die Annahme von Klärschlämmen für die einzelne Kläranlage wirtschaftlich attraktiv, soweit der eigene Wärme- und/oder Strombedarf nicht schon durch den Energiegehalt des eigenen Klärschlamms ausreichend abgedeckt werden kann.

9.482

Gleiches gilt für so genannte Co-Substrate, also Stoffe, die geeignet sind, mit in einem Faulturm hohe Energiegehalte in Form von Methangas abzugeben. Zwar regelt das Wasserhaushaltsgesetz auch die Mitbeseitigung flüssiger Abfälle, also von Stoffen, die kein Abwasser sind.2 Hier liegt jedoch eine Kannbestimmung vor, keine per Gesetz obliegende Verpflichtung. Auch hier können jedoch die zuständigen Aufsichtsbehörden Zuweisungen durch Verwaltungsakt vorgeben.

9.483

5. Annahme von Fettabscheiderinhalten Fettabscheiderinhalte sind kein Abwasser im Rechtssinn. Es handelt sich um Abfall zur Verwertung, da sie in privaten Haushaltungen nicht vorkommen.

9.484

6. Abfallrecht in der Entwässerung Abfälle zur Verwertung außerhalb von privaten Haushaltungen müssen zwar grundsätzlich durch den Abfallbesitzer oder -erzeuger verwertet werden.3 Jedoch erlaubt § 7 Abs. 4 KrWG diesen, anstelle einer eigenen Verwertung, die Entsorgung durch den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger in Anspruch zu nehmen. Nach § 17 Abs. 1 Satz 2 KrWG entsteht sodann andienungspflichtiger Abfall zur Beseitigung. Daher finden sich in vielen Satzungen Bestimmungen zu Annahmen von Klärschlamm, Fettabscheiderinhalten und Co-Substraten. Soweit eine solche öffentliche Einrichtung, z.B. ein Abwasserverband jedoch nur für die Abwasserbeseitigung zuständig sein sollte, ihm die Aufgabe seiner Mitglieder für die Entsorgung flüssiger Abfälle nicht mit übertragen ist, wird er sich auf die hoheitliche Aufgabenerfüllung einer Abfallentsorgung auch steuerlich nicht berufen können.

9.485

7. Entgeltliche Abgabe von Wärme oder Einspeisung von Strom In Kläranlagen wird neben den Einrichtungen der Straßenbeleuchtung der größte Anteil des von einer Kommune benötigten Stroms eingesetzt. Es wird regelmäßig in großem Maß Wär1 Vgl. § 54 Abs. 2 WHG. 2 Vgl. § 55 Abs. 3 WHG. 3 Vgl. § 7 Abs. 2 Satz 1 KrWG.

Gries | 707

9.486

Kap. 9 Rz. 9.486 | Kommunalverwaltung

meenergie benötigt. Soweit die Kommune selbst aus Faulgas Strom oder Wärme erzeugt, kann erwartet werden, dass die erzeugte und benötigte Menge nicht immer deckungsgleich sein werden und somit Überschüsse in das öffentliche Netz oder benachbarte Abnehmer entgeltlich abgegeben werden.

9.487

Unter Geltung der Verweisung des § 2 Abs. 3 UStG auf das Körperschaftsteuerrecht handelt es sich dabei um ein hoheitliches Hilfsgeschäft, auch insoweit, als der Strom bzw. die Wärme aus Stoffen erzeugt wird, für deren Annahme die Einrichtung nicht pflichtig ist. Denn nach den KStR greift die Qualifizierung eines hoheitlichen Hilfsgeschäftes erst dann nicht mehr, wenn die Energie überwiegend nicht mehr aus der hoheitlichen Betätigung stammt.

9.488

Nach § 2b Abs. 1 UStG sind jedoch angesichts der Wettbewerbssituation in der Veräußerung von Strom und Wärme keine Ausnahmen von der Besteuerung ersichtlich. Für die Ertragsteuern greift jedoch weiter die Begriffsbestimmungen des hoheitlichen Hilfsgeschäftes.

8. Labordienstleistungen 9.489

Zum ordnungsgemäßen Betrieb einer Entwässerungseinrichtung gehören ständig anfallende Laboruntersuchungen. Diese werden an allen Schritten innerhalb der Kläranlagen, aber auch schon auf den Grundstücken der Abwassererzeugenden durchgeführt. Diese Labore haben hohe Vorhaltekosten, sodass nicht jede Kommune ein eigenes Labor betreibt. Soweit eine kommunale Einrichtung insoweit ein Labor einer anderen Kommune in Anspruch nimmt, erfolgte dies unter dem seitherigen § 2 Abs. 3 UStG regelmäßig auch als hoheitliche Beistandsleistung. Unter Geltung des § 2b UStG kann dies jedoch nicht mehr greifen. Entsprechende Laborleistungen sind überall am Markt und damit im Wettbewerb erhältlich.

9. Phosphorrückgewinnung 9.490

Der Gesetzgeber hat erkannt, dass Deutschland im Bereich der Phosphorgewinnung abhängig von Importeuren ist. Um dies zu verändern, sind die gesetzlichen Grundlagen gelegt, nach denen ab 2029 aus dem Abwasser Phosphor zurückgewonnen werden muss. Dieser soll als Dünger einsetzbar gemacht werden. Neben Energie wird somit künftig im Bereich der Abwasserentsorgung ein weiteres vermarktungsfähiges Produkt erzeugt werden.

9.491

Aktuell ist noch kein Verfahren der Phosphorrückgewinnung so erprobt und ausgereift, dass die deutschen Kläranlagen klare Erkenntnisse über ihre Investitionen besitzen. Vielmehr muss damit gerechnet werden, dass auch erhebliche Investitionen noch scheitern werden, bis ein gesicherter Wissensstand zur großtechnischen Umsetzung erreicht wird. Ziel wird es jedoch in jedem Fall sein, ein marktgängiges Düngerprodukt zu erstellen. Somit besteht eine unternehmerische Zielsetzung mit der Erwartung, die gesetzliche Pflicht zur Rückgewinnung zu erfüllen, nicht aber unbedingt auch, dabei Gewinne zu erzielen. Angesichts der geringen Personalkostenintensität im großtechnischen Ablauf ist somit ein Vorsteuerüberhang zu erwarten. Kommunen sind daher gut beraten, frühzeitig ihre diesbezüglichen Aufwendungen steuerlich geltend zu machen.

V. Abfallentsorgung 1. Abfallentsorgung ist vielfältig 9.492

Die einzelnen Betätigungen in der kommunalen Abfallentsorgung werden lokal definiert, unterscheiden sich je nach den lokalen Bedürfnissen und werden auch unterschiedlich finanziert. 708 | Gries

G. Entsorgungseinrichtungen | Rz. 9.499 Kap. 9

2. Umfang der Abfallentsorgung Zu den Pflichtaufgaben der kommunalen Abfallentsorgung gehört nicht nur das Vorhalten von so genannten Hol- und Bringsystemen. Auch die Behandlung und Verwertung der angedienten Abfälle gehört in den hoheitlichen Pflichtenkreis der öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger (örE). Dabei hat die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte geklärt, dass im Zuge der Gebote von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit auch die erzielten Erlöse aus Verwertungsmaßnahmen in die gebührenrechtliche Finanzierung der Leistungen einzubeziehen sind.1

9.493

Die Hierarchie der Maßnahmen nach § 6 KrWG gilt dabei auch als Aufgabenstellung für die örE. Oberste Priorität haben daher Maßnahmen zur Vorbereitung einer Wiederverwendung ihnen als Abfall angedienter Gegenstände oder Stoffe. Hieraus erklärt sich der Betrieb z.B. von Gebrauchtwarenkaufhäusern durch die öffentliche Hand. Vorausgesetzt ist allerdings, dass ihnen Gegenstände oder Stoffe als Abfall angedient bzw. überlassen werden. Denn die Aufgabenstellung des § 20 Abs. 1 KrWG setzt die Abfalleigenschaft voraus, welche sich aus § 3 KrWG ergibt, also im Hauptfall von einem Entledigungswillen der Abfallbesitzer gemäß § 3 Abs. 1 KrWG bestimmt wird. Maßnahmen der Abfallvermeidung sind dagegen nach bundesgesetzlichen Regelungen keine Pflichtaufgabe.

9.494

Jedoch haben einzelne Bundesländer, z.B. Brandenburg, Rheinland-Pfalz und das Saarland in den dortigen Abfallgesetzen auch Maßnahmen der Abfallvermeidung zu den auch gebührenfähigen abfallwirtschaftlichen Aufgaben bestimmt. Das Land Nordrhein-Westfalen ist dem mit dem neuen Landesabfallgesetz gefolgt.2 Ob weitere Länder dem folgen, ist derzeit nicht ersichtlich. Damit ist z.B. in Brandenburg die entgeltliche Unterstützung eines sogenannten „Repair-Kaffees“ zu den hoheitlichen Aufgaben zu zählen, in Bayern jedoch nicht.

9.495

Maßnahmen der Abfallvermeidung, der Vorbereitung zur Wiederverwendung, aber auch der energetischen Verwertung lassen sich nur in den seltensten Fällen mit Gewinnerzielungsabsicht durchführen. In aller Regel sind Abfallgebühren erforderlich, um die nicht durch Verwertungserlöse zu deckenden Kosten zu finanzieren.

9.496

Abfallgebühren nach dem örtlichen Satzungsrecht richten sich regelmäßig an alle Grundstücke, es besteht ein Anschluss- und Benutzungszwang auch gegenüber Grundstücken, auf denen nicht nur private Haushaltungen unterhalten werden. Dies rechtfertigt sich abfallrechtlich aus § 20 Abs. 1 Satz 1 und 2 in Verbindung mit § 17 Abs. 1 Satz 2 KrWG. Hiernach besteht die dem örE zugewiesene Pflicht zur Abfallentsorgung auch solche Abfälle, die nach der gesetzlichen Grundkonzeption eigentlich von dem Abfallbesitzer oder -erzeuger zu verwerten sind. Hierauf zielt auch die Gewerbeabfallverordnung, welche in § 7 die so genannte PflichtRestmülltonne auch für Grundstücke anordnet, auf denen zunächst ausschließlich Abfall zur Verwertung anfallen könnte.

9.497

Wie die Verfügung der OFD Karlsruhe, zuletzt vom 3.7.2020, betr. steuerliche Behandlung der Abfallentsorgung durch die öffentliche Hand, herausgearbeitet hat, kommt es bei der Abgrenzung zwischen steuerpflichtiger und hoheitlicher Betätigung durch einen örE (nur) noch darauf an, ob er aus Rechtsgründen die Annahme von Abfällen verweigern kann.

9.498

Dazu ist abfallrechtlich geregelt, dass ein örE nur dann unter Zustimmung seiner Aufsichtsbehörde einen Ausschluss einer Abfallfraktion regeln kann, wenn eine Entsorgung anderwei-

9.499

1 Vgl. z.B. OVG Münster, Urt. v. 27.4.2015 – 9 A 2788/12, Rz. 49. 2 Vgl. § 5 Abs. 2, 2. Spiegelstrich LAbfG v. 18.2.2022.

Gries | 709

Kap. 9 Rz. 9.499 | Kommunalverwaltung

tig gewährleistet ist, also z.B. durch zumutbare gewerbliche Entsorgungsangebote, andere örE oder wenn nach Art, Menge oder Beschaffenheit eine Entsorgung durch den örE nicht möglich ist. Dies kann jedoch ausschließlich Abfall von außerhalb privater Haushaltungen betreffen. Regelmäßig finden sich dazu auch im örtlichen Satzungsrecht Bestimmungen, wonach die Annahme von gewerblichen Siedlungsabfällen, z.B. beim Sperrmüll, auf haushaltsübliche Mengen begrenzt ist. Es erscheint schon aus Erwägungen der gebührenrechtlichen Gleichbehandlung nachvollziehbar, dass die typischen Mengen von z.B. Bauschutt, Kunststoffabfällen – Pflichtaufgabe nach § 20 Abs. 2 Ziffer 2 KrWG – eines privaten Haushalts und eines Gewerbebetriebes stark differieren.

9.500

Die Darstellung bei Widmann1 erscheint daher nicht als ausreichend eindeutig. Es kann für die steuerliche Beurteilung der Betätigung des örE nicht ausschlaggebend sein, ob der Abfallerzeuger eigentlich zur Verwertung verpflichtet war oder nicht. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob der örE verwertet oder beseitigt. Nur wenn der örE berechtigt wäre, zum einen in der von ihm selbst festgelegten öffentlich-rechtlich betriebenen Einrichtung den konkreten Abfall zurückzuweisen und zum anderen diesen dann außerhalb seines Satzungsrechtes doch annimmt, kann ein BgA einer gewerblichen Abfallentsorgung erkannt werden.

9.501

Zwar sind grundsätzlich alle Abfälle aus den anderen Herkunftsbereichen als privaten Haushaltungen zunächst vorrangig zu verwerten. Der betreffende Abfallbesitzer oder -erzeuger unterliegt zunächst einer Verwertungspflicht, § 7 Abs. 2 Satz 1 KrWG, welche jedoch nach § 7 Abs. 4 KrWG eingeschränkt ist. Dient nun ein Abfallbesitzer oder -erzeuger Abfälle aus anderen Herkunftsbereichen als privaten Haushaltungen einem örE gemäß dessen Satzungsrecht an, bringt er mindestens konkludent zum Ausdruck, dass ihm selbst eine Verwertung im Sinne des § 7 Abs. 4 KrWG nicht zumutbar ist. Gemäß der abfallrechtlichen Rechtsprechung entsteht damit dann – spätestens – jedoch Abfall zur Beseitigung, der der Andienungspflicht an den örtlich zuständigen örE unterliegt.2

9.502

Dabei könnte zwar die Abfallbehörde prüfen, ob eine Verwertung zumutbar wäre; der hiervon zu unterscheidende örE darf dies jedoch nicht. Im System der Abfallwirtschaft in Deutschland sollen keine Abfallarten oder -fraktionen ohne eine geordnete, öffentlich-rechtliche, mindestens öffentlich-rechtlich überwachte Entsorgungsmöglichkeit bestehen.

9.503

Fälle einer gleichwohl steuerpflichtigen Entsorgung durch die öffentliche Hand sind jedoch nicht selten. Sie ergeben sich in der Regel dann, wenn angesichts stark und schnell veränderlicher Kosten der Abfallbehandlung oder -verwertung das Satzungsrecht des örE nicht schnell genug verändert werden kann. In diesen Fällen gibt sich der örE außerhalb seiner Satzung eine Entgeltordnung, die tagesaktuell von einer Betriebs- oder Werkleitung abgeändert werden kann und damit die formellen Anforderungen einer Satzung als öffentlich-rechtliche Betätigungsform nicht eingehalten werden können und sollen.

9.504

Spätestens angesichts der Änderung des KrWG von September 2021 ist die in § 20 Abs. 2 KrWG ausgeweitete Trennpflicht und damit die so genannte fraktionierte Erfassung nicht mehr ausschlaggebend für eine steuerliche Beurteilung der Betätigung in der kommunalen Abfallwirtschaft. Soweit der Gesetzgeber den örE ausdrücklich die Pflicht zum Angebot getrennter Erfassung verschiedener Fraktionen auferlegt, kann aus dieser ausdrücklichen Pflich-

1 Widmann in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, 2017, Rz. 481 zu § 16. 2 Vgl. OVG Koblenz, Beschl. v. 8.1.2014 – 8 B 11193/13.OVG; BVerwG, Urt. v. 1.12.2005 – 10 C 4/ 04, NVwZ 2006, 589.

710 | Gries

G. Entsorgungseinrichtungen | Rz. 9.510 Kap. 9

tenzuweisung nicht auf den Wettbewerb zu einzelnen, von Umfang und Zeitdauer eng begrenzten gewerblichen Entsorgungsaktionen geschlossen werden1. Allerdings zeigt sich, dass immer mehr dieser in abgetrennten Fraktionen erfassten Abfällen mehr und mehr zu wiederverwendbaren Handelsprodukten aufbereitet werden sollen, sodass am Ende einer hoheitlichen Abfallentsorgung zunehmende zivilrechtliche Übereignungsakte entstehen, sei es mit Einnahmeerzielungsabsicht oder ohne. Demgemäß darf ein örE die Andienung von Abfällen aus privaten Haushaltungen nur in den Fällen des § 20 Abs. 3 Satz 1 KrWG zurückweisen, wenn also eine gesetzliche Rücknahmepflicht eines Herstellers oder Inverkehrbringers geregelt ist und diese Möglichkeit auch tatsächlich besteht. Bei Abfällen zur Beseitigung aus anderen Herkunftsbereichen ist ebenfalls eine Verweigerung der Annahme von Abfällen durch einen örE nur dann zulässig, wenn neben anderen Voraussetzungen hierzu die Genehmigung der Aufsichtsbehörde vorliegt, § 20 Abs. 3 Satz 2 KrWG.

9.505

Mit diesen letztlich als Garantenstellung des Staates zu bezeichnenden Pflichten der örE rechtfertigt sich die Betrachtung als hoheitliche Betätigung.

9.506

Damit besteht seit der Errichtung des KrWG eine durchaus praktikable Abgrenzung zwischen hoheitlicher und wettbewerblicher Betätigung in der kommunalen Abfallwirtschaft. Solange sich die örtlich zuständige kommunale Abfallentsorgungseinrichtung im Rahmen ihrer Abfallsatzung verhält, ist sie hoheitlich tätig. Verlässt sie dagegen diesen Rahmen und schließt beispielsweise Vereinbarungen zur Abfallentsorgung außerhalb einer Pflichtenübertragung, kann sie sich auf eine hoheitliche Betätigung nicht berufen.

9.507

Der Umfang der hoheitlichen Betätigung in der Abfallentsorgung wird nicht allein aus den eigentlichen Abfallgesetzen bestimmt. Das Verpackungsgesetz legt den örE auch Nebenpflichten in Bezug auf Abfallfraktionen auf, für die selbst keine originäre Zuständigkeit besteht, nämlich die Abfallberatung auch in Bezug auf die Entsorgung von „restentleerten Kunststoff-, Metall- und Verbundverpackungen“ sowie Glasverpackungen, §§ 14 Abs. 3, 22 Abs. 9 VerpackG. Das ElektroG verpflichtet die örE, Sammelstellen für so genannte Elektroaltgeräte einzurichten und zu betreiben. Während für die Abfallberatung hinsichtlich von Verpackungsabfällen von den nach VerpackG genehmigten Systemen ein Entgelt hierfür verlangt werden darf, ist dies hinsichtlich der Annahme von Elektroaltgeräten nicht der Fall.

9.508

§ 14 Abs. 5 ElektroG räumt dem örE die Berechtigung ein, die bei ihm angedienten Elektroaltgeräte selbst zu verwerten. Hier liegt keine gesetzliche Verpflichtung des örE vor, es besteht ein Wahlrecht. Da auch insoweit der kommunalrechtliche Grundsatz von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit greift, wird ein örE diese Möglichkeit nur bei Einnahmeerzielungsabsicht nutzen.

9.509

Bei der Betätigung der örE gemäß dem Verpackungsgesetz ist im Rahmen der Mitbenutzung der kommunalen PPK-Sammlung (Papier, Pappe und Kartonagen) besonders auf die als Orientierungshilfe ausgestaltete musterhafte für den Zeitraum 2019 bis 2021 entwickelte Formulierung der Anlage 7 zur Abstimmungsvereinbarung hinzuweisen. Da hier erstmals ein recht konkreter Rechenweg für die Höhe der Entgeltansprüche der örE hinsichtlich der Mitbenutzung der „blauen Tonne“ gesetzlich geregelt wurde, haben die dualen Systeme mit dieser Formulierung einen tauschähnlichen Umsatz erzeugt. Denn neben einer Zahlung wurde das Recht auf Verwertung der mitgesammelten Verpackungspapiere gegenüber den örE einge-

9.510

1 A.A. Widmann in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 16, Rz. 470, für die Annahme von Abfällen auf Wertstoffhöfen.

Gries | 711

Kap. 9 Rz. 9.510 | Kommunalverwaltung

räumt. Dazu wurde jedoch die zunächst erstellte Orientierungshilfe mehrfach und unterschiedlich angepasst, sodass zur Beurteilung der Einzelfall heranzuziehen ist. Die im November 2021 neu veröffentliche Formulierung der Anlage 7 enthält einen solchen tauschähnlichen Umsatz nicht mehr.

9.511

Ein umsatzsteuerpflichtiger tauschähnlicher Umsatz ist auch im Einzelfall bei der so genannten gemeinsamen Wertstofftonne zu erkennen, nämlich bei der Umsetzung im „Gebietsteilungs-Modell“.

9.512

In einer gemeinsamen Wertstofftonne werden zunächst Leichtverpackungen (LVP) gesammelt wie auch sonst in den so genannten „gelben Säcken“ oder „gelben Tonnen“ der dualen Systeme. Zusätzlich ist jedoch dann vereinbart, dass die Bürger stoffgleiche Nichtverpackungen (SNVP) mit in die gemeinsame Wertstofftonne einlegen dürfen, um insbesondere diese Kunststoffe, Metalle etc. aus dem Restmüll auszuschleusen und einer stofflichen Verwertung zuzuführen. Somit handelt es sich um ein Sammelsystem, bei dem wie bei der gemeinsamen PPK-Sammlung sowohl hoheitlich andienungspflichtige wie bei den Systemen anzudienende Anteile enthalten sind. Im „Gebietsteilungs-Modell“ einigen sich sodann die Systeme einerseits und der örE andererseits, dass einander keine Zahlung für die Mitbenutzung zu erbringen sind, sondern dass in einem Teilgebiet des örE allein dieser sammelt und verwertet und in dem restlichen Gebiet dann die Systeme. Die Gebietsgrößen werden dann nach der Einschätzung der anteiligen Andienungsmengen festgelegt. Besteht dabei die Annahme, dass in den Behältern 10 % SNVP und 90 % LVP enthalten sein werden, sammelt der örE in einem Gebiet, dass 10 % der aufgestellten Behälter entspricht.

9.513

Dabei kommt es dann dazu, dass in dem von ihm geleerten Behältern 90 % LVP enthalten sind, für die er gesetzlich nicht zuständig ist. Umgekehrt ist dann in den Behältern, die von den Systemen aufgestellt und geleert werden, 10 % SNVP enthalten, für welche die Systeme keine gesetzliche Zuständigkeit haben. Jeder der Partei erbringt diese „Mehr“-Leistung, weil im Gegenzug die andere Partei auch eine solche Leistung erbringt. Darin liegt der tauschähnliche Umsatz.

9.514

Für den betreffenden örE bietet sich hieraus die Möglichkeit, entsprechend Vorsteuern geltend zu machen. Während bislang schon neue Sammelfahrzeuge vorzugsweise im Bereich der PPK-Sammlung eingesetzt wurden und entsprechend anteilig Vorsteuern geltend gemacht wurden, sind höhere steuerpflichtig genutzte Anteile bei der gemeinsamen Wertstofftonne zu erwarten.

712 | Gries

Kapitel 10 Gesundheitswesen und Sozialversicherung A. Die Bedeutung der öffentlichen Hand für das Gesundheitswesen . B. Krankenhäuser in öffentlicher Trägerschaft I. Öffentliche Krankenhäuser als Grundpfeiler der Gesundheitsversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Begriff des Krankenhauses . . III. Träger und Rechtsformen von Krankenhäusern der öffentlichen Hand 1. Formen im Überblick . . . . . . . 2. Insbesondere: Universitätskliniken a) Kooperationsmodell versus Integrationsmodell . . . . . . b) Rechtsformen der Kliniken im Einzelnen . . . . . . . . . . . c) Universitätskliniken in Deutschland . . . . . . . . . . . . IV. Fragen des Gemeinnützigkeitsrechts 1. Gemeinnützigkeit bei öffentlichen Krankenhäusern . . . . . . 2. Körperschaft . . . . . . . . . . . . . . 3. Gemeinnütziger Zweck . . . . . . 4. Selbstlosigkeit . . . . . . . . . . . . . 5. Ausschließlichkeit . . . . . . . . . . 6. Unmittelbarkeit . . . . . . . . . . . . 7. Zweckbetrieb nach § 67 AO . . 8. Wirtschaftliche Geschäftsbetriebe im Krankenhaus . . . . 9. Kooperative Aufgabenerfüllung und gesetzgeberische Reformen a) Neuregelung von § 57 AO . b) Neuregelung von § 58 AO . V. Körperschaftsteuer 1. Öffentliche Krankenhäuser als Subjekte der Körperschaftsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Betrieb gewerblicher Art versus Hoheitsbetrieb . . . . . . . 3. Gemeinnützigkeit für öffentlich-rechtliche Träger . . . . . . . 4. Fragen der Gewinnermittlung bei Krankenhäusern

10.1

10.2 10.4

10.10

10.14 10.17 10.21

10.22 10.25 10.26 10.29 10.33 10.36 10.39 10.41 10.46 10.53

10.57 10.58 10.62

a) Buchführungspflichten . . . b) Einkünftequalifikation . . . c) Subjekt der Gewinnermittlung . . . . . . . . . . . . . VI. Gewerbesteuer 1. Gewerbesteuerpflicht . . . . . . . 2. Steuerbefreiungen . . . . . . . . . . VII. Umsatzsteuer 1. Prüfungsschritte . . . . . . . . . . . 2. Umsatzsteuerpflicht a) Unternehmereigenschaft öffentlich-rechtlicher Träger . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Umsatzsteuerliche Organschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Insbesondere: Personalgestellungen und -überlassungen . . . . . . . . . . . . . . 3. Sonderfragen gemeinnütziger Krankenhäuser . . . . . . . . . . . . 4. Leistungsbeziehungen zwischen Universitätskliniken und Medizinischen Fakultäten a) Notwendige Differenzierungen . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bisherige Rechtslage . . . . . c) Rechtslage unter Geltung von § 2b UStG . . . . . . . . . . 5. Steuerbefreiungen a) Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 Buchst. b) UStG aa) Trägerbezogene Anforderungen . . . . . . . . bb) Eng verbundene Umsätze . . . . . . . . . . . . . . cc) Einzelfälle . . . . . . . . . . b) Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 17 a) UStG . . . . . . . 6. Steuersatz . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Vorsteuerabzug . . . . . . . . . . . . VIII. Sonstige Steuern 1. Grunderwerbsteuer . . . . . . . . . 2. Grundsteuer . . . . . . . . . . . . . . 3. Erbschaft- und Schenkungsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

10.65 10.68 10.69 10.70 10.71 10.73

10.74 10.78 10.79 10.82

10.84 10.85 10.88

10.92 10.94 10.97 10.107 10.108 10.110 10.112 10.116 10.120

Musil | 713

Kap. 10 | Gesundheitswesen und Sozialversicherung C. Sonstige Einrichtungen der Gesundheitsversorgung I. Punktuelle Darstellung . . . . . . . . II. Öffentlicher Gesundheitsdienst 1. Rechtsgrundlagen, Aufgaben, Strukturen . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ertragsteuerrecht . . . . . . . . . . 3. Umsatzsteuerrecht . . . . . . . . . III. Rettungsdienst und Krankentransport 1. Rechtsgrundlagen und Organisationsformen . . . . . . .

10.122 D. 10.123 10.126 10.128

I. II. III.

2. Ertragsteuerrecht . . . . . . . . . . 3. Umsatzsteuerrecht . . . . . . . . . 4. Kraftfahrzeugsteuer . . . . . . . . Die Besteuerung der gesetzlichen Krankenkassen Rechtsgrundlagen, Organisation, Leistungsverhältnisse . . . Ertragsteuerrecht . . . . . . . . . . . . . Umsatzsteuerrecht . . . . . . . . . . . .

10.132 10.138 10.144

10.145 10.147 10.152

10.129

Literatur: Bittrolff, Steuerliche Konsequenzen von Privatisierungen bei öffentlich-rechtlichen Krankenhäusern, Diss., Düsseldorf, 2007; Boetius, Der Begriff „Ausübung öffentlicher Gewalt (Hoheitsbetrieb)“ im Steuerrecht, DB 1996, Beil. Nr. 17 zu Heft 48, 1; Böhme, Zur Änderung der Umsatzbesteuerung bei Krankenhäusern ab 1.1.2005, DStZ 2005, 629; Damas, Grund und Grenzen der Selbständigkeitsfunktion bei Betrieben gewerblicher Art von juristischen Personen des öffentlichen Rechts, DStZ 2005, 866; Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, Loseblatt, Stuttgart; Geis, Hochschulrecht in Bund und Ländern, Loseblatt, München; Heintzen, Was ist eine Gliedkörperschaft? – Zu einem organisationsrechtlichen Experiment der Berliner Hochschulpolitik, LKV 2005, 438; Heintzen/Musil, Das Steuerrecht des Gesundheitswesens, 2. Aufl., Heidelberg 2012; Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, 1. Aufl., München 2017; Holland/Baum, Umsatzsteuerliche Behandlung der Leistungen im Rettungsdienst, DB 2006, 11; Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung – Finanzgerichtsordnung, Loseblatt, Köln; Hüttemann, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, Köln 2002; Hüttemann, Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht, 4. Aufl., Köln 2018; Hüttemann, Änderungen des Gemeinnützigkeits- und Spendenrechts durch das Jahressteuergesetz 2020, DB 2021, 72; Hüttemann/Schauhoff/Kirchhain, Fördertätigkeiten gemeinnütziger Körperschaften und Konzerne – Insbesondere zur Investition zeitnah zu verwendender Mittel in unentgeltlich oder verbilligt überlassenes Sachvermögen, DStR 2016, 633; Isensee, Gemeinwohl und Bürgersinn im Steuerstaat des Grundgesetzes – Gemeinnützigkeit als Bewährungsprobe des Steuerrechts vor der Verfassung, in Maurer (Hrsg.), Das akzeptierte Grundgesetz, FS für Dürig, 1990, 57; Kingreen/Banafsche/Szabados, Das Recht der Hochschulmedizin im hochschul-, gesundheits- und verfassungsrechtlichen Reformprozess Zum neuen Bayerischen Universitätsklinikagesetz, WissR 2007, 283; Schauhoff/Kirchhain, Gemeinnützigkeit im Umbruch durch Rechtsprechung – Anm. zu BFH v. 18.9.2007 – I R 30/06 und zu BFH v. 19.12.2007 – I R 15/07, sowie Replik zu Heger DStR 2008, 807, DStR 2008, 1713; Kirchhain, Im zweiten Anlauf durch die Hintertür – Umfassende Änderungen für gemeinnützige Organisationen und deren Förderer durch das JStG 2020, DStR 2021, 129; Klass/Möhrle, Umsatzsteuer bei Personalgestellungen im Rahmen von Krankenhausprivatisierungen, DStR 2006, 1162; Klaßmann/Notz/Schmidbauer, Die Besteuerung der Krankenhäuser und anderer humanmedizinischer Leistungserbringer, 5. Aufl., Düsseldorf 2017; Krieger, Grunderwerbsteuerliche Aspekte bei der Umstrukturierung und Privatisierung von Krankenhäusern, KH 2008, 924; Maurer/ Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 20. Aufl., München 2020; Möhlenbrock/Obermair, Die wirtschaftliche Tätigkeit gemeinnütziger Körperschaften – Ist das Gemeinnützigkeitsrecht noch zeitgemäß?, FR 2016, 975; Müller/Alten, Der Jahresabschluss im Krankenhaus, 6. Aufl., Stuttgart 2016; Musil, Reformbedarf bei der wirtschaftlichen Betätigung gemeinnütziger Kör714 | Musil

A. Die Bedeutung der öffentlichen Hand für das Gesundheitswesen | Rz. 10.1 Kap. 10

perschaften, DStR 2009, 2453; Musil, Steuerliche Fragen der Gesundheitsreform: Teil I – Strukturreformen im Krankenhausbereich, Tübingen 2010; Musil, Die Gemeinnützigkeit von kommunalen Eigengesellschaften – ein wegweisendes Urteil des BFH, FR 2014, 825; Musil, Die Entwicklung des Gemeinnützigkeitsrecht in der AO, StuW 2020, 117; Musil/Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, 1. Aufl., München 2019; Schauhoff, Verlust der Gemeinnützigkeit durch Verluste?, DStR 1998, 701; Schauhoff, Handbuch der Gemeinnützigkeit, 3. Aufl., München 2010; Schröder, Die steuerbegünstigte und steuerpflichtige GmbH bei Non-ProfitOrganisationen, DStR 2004, 1859; Schunk, Das Unmittelbarkeitsgebot nach § 57 AO, npoR 2016, 53; Seer/Wolsztynski, Steuerrechtliche Gemeinnützigkeit der öffentlichen Hand, Berlin 2002; Tipke/Kruse, Abgabenordnung – Finanzgerichtsordnung, Loseblatt, Köln; Tipke/Lang, Steuerrecht, 24. Aufl., Köln 2021; Vogelbusch, Ausgliederung von kommunalen Krankenhäusern und Pflegeheimen – Grunderwerbsteuerliche Gestaltungshinweise, DB 2004, 1391.

A. Die Bedeutung der öffentlichen Hand für das Gesundheitswesen Ein Handbuch über die Besteuerung der öffentlichen Hand wäre unvollständig ohne ein Kapitel über die Gesundheitsversorgung. Allerdings handelt es sich hierbei um einen äußerst heterogenen Lebensbereich mit einer Vielzahl unterschiedlicher Akteure. So muss zwischen den Adressaten von Gesundheitsleistungen, den Leistungserbringern und den Finanzierungsverantwortlichen unterschieden werden. Die öffentliche Hand repräsentiert hierbei nur einen Ausschnitt der vorzufindenden Akteure. Die nachfolgende Darstellung konzentriert sich dementsprechend auf denjenigen Ausschnitt der Gesundheitsversorgung, der von der öffentlichen Hand repräsentiert wird. Andere Akteure, insbesondere Patienten, private Leistungserbringer und private Versicherungen, bleiben außer Betracht. Auch die steuerlichen Verhältnisse der am Gesundheitswesen beteiligten natürlichen Personen, seien es Patienten oder Beschäftigte, werden generell nicht weiter betrachtet. Hier stellen sich keine im vorliegenden Kontext interessierenden Steuerfragen. Mit Blick auf die Leistungserbringung durch die öffentliche Hand sind vor allem Krankenhäuser in öffentlicher Trägerschaft zu nennen (hierzu sogleich B.). Das Spektrum reicht vom kleinen kommunalen Krankenhaus bis zum Großklinikum der Universitätsmedizin. Die Fragen der Besteuerung sind indes in vielen Punkten vergleichbar. Insbesondere im Hinblick auf Krankenhäuser kann auf eine Darstellung gemeinnützigkeitsrechtlicher Probleme nicht verzichtet werden, weil sich auch Träger der öffentlichen Hand der Normen des Gemeinnützigkeitsrechts bedienen können. Andere öffentliche Leistungserbringer sollen nur punktuell behandelt werden, und zwar dann, wenn sich spezifisch für sie stellende Besteuerungsprobleme ergeben (hierzu C.). Die Leistungserbringung durch Ärzte und ihre Kooperationsformen sollen im Folgenden somit außer Betracht bleiben. Behandelt werden der öffentliche Gesundheitsdienst und das Rettungswesen. Schließlich wird ein kurzer Blick auf die gesetzliche Krankenversicherung geworfen (hierzu D.). Sie gehört nach dem oben skizzierten weiten Verständnis (siehe Rz. 1.3 ff.) zum Bereich der öffentlichen Hand, weil sie in Form von Körperschaften des öffentlichen Rechts organisiert ist. Privatversicherungen werden indes nicht betrachtet.

Musil | 715

10.1

Kap. 10 Rz. 10.2 | Gesundheitswesen und Sozialversicherung

B. Krankenhäuser in öffentlicher Trägerschaft I. Öffentliche Krankenhäuser als Grundpfeiler der Gesundheitsversorgung 10.2

Einen sehr wichtigen Beitrag zur Gesundheitsversorgung in Deutschland leistet die öffentliche Hand durch den Betrieb von Krankenhäusern. Ihnen soll deshalb im Folgenden ein eigener Abschnitt gewidmet werden. Der Krankenhaussektor kann in drei Gruppen eingeteilt werden: öffentliche, frei-gemeinnützige und private Träger.1 Wie der gesamte Krankenhaussektor stehen auch öffentliche Krankenhäuser unter einem starken Reformdruck. Neue Entgeltsysteme, Veränderungen bei der Krankenhausfinanzierung und der ungebrochen hohe wirtschaftliche Druck stellen Krankenhausbetreiber vor bisher nicht gekannte Herausforderungen. Diese führen zur Herausbildung neuer Strukturen, die wiederum steuerliche Folgefragen auslösen. So war das Gemeinnützigkeitsrecht lange Zeit nicht hinreichend offen für wirtschaftlich notwendige Betriebsstrukturen bei gemeinnützigen Krankenhäusern.2 Bei Privatisierungen oder Ausgliederungen durch die öffentliche Hand stellt sich immer die Frage nach den steuerlichen Auswirkungen der organisatorischen Veränderungen. Die unlängst erfolgte Reform des Gemeinnützigkeitsrechts hat weitreichende Änderungen für das Gesundheitswesen mit sich gebracht, die es im Folgenden zu skizzieren gilt.3

10.3

Für die Systematisierung bietet es sich an, nach Steuerarten zu differenzieren. Behandelt werden die Einkommen- und Körperschaftsteuer, die Gewerbesteuer, die Umsatzsteuer sowie sonstige Steuerarten wie Grund-, Grunderwerb-, Erbschaft- und Schenkungsteuer. Das Gemeinnützigkeitsrecht wird also im notwendigen Umfang in die Darstellung integriert. Zuvor wird der Begriff des Krankenhauses näher bestimmt, und es erfolgt eine kurze Typologie der im öffentlichen Sektor anzutreffenden Krankenhäuser.

II. Der Begriff des Krankenhauses 10.4

Im Steuerrecht findet sich kein eigenständiger Begriff des Krankenhauses. Vielmehr wird er in einer Reihe von Steuerrechtsnormen vorausgesetzt. § 67 AO etwa weist Krankenhäusern die Zweckbetriebseigenschaft zu und führt so zu Steuerbefreiungen und -ermäßigungen für den Krankenhausbetrieb. Eine Definition des Krankenhauses ist also für die nachfolgende Darstellung essentiell.

10.5

Von maßgeblicher Bedeutung ist insoweit die Definition in § 2 Nr. 1 des Krankenhausfinanzierungsgesetzes (KHG).4 Danach sind Krankenhäuser Einrichtungen, in denen durch ärztliche und pflegerische Hilfeleistung Krankheiten, Leiden oder Körperschäden festgestellt, geheilt oder gelindert werden sollen oder Geburtshilfe geleistet wird und in denen die zu versorgenden Personen untergebracht oder verpflegt werden können. Ergänzend kann § 107 SGB V herangezogen werden.

10.6

Die Finanzverwaltung hat die in § 2 Nr. 1 KHG enthaltene Definition in Richtlinie 82 Abs. 1 S. 1 der ESt-Richtlinien 1999, deren Weiteranwendung durch R 7f der EStR 2012 angeordnet wird, für den Bereich des Einkommensteuergesetzes ausdrücklich übernommen. Sie ist nach

1 2 3 4

Lorenz in Hidien/Jürgens (Hrsg.), Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 16 Rz. 678. Musil, StuW 2020, 171 (177 ff.); siehe auch bereits ausführlich Musil, DStR 2009, 2453. Zusammenfassend Hüttemann, DB 2021, 72; Kirchhain, DStR 2021, 129. Gesetz zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze i.d.F. v. 10.4.1991, BGBl. I, 886, zul. geänd. d. G. v. 23.10.2020, BGBl. I, 2208.

716 | Musil

B. Krankenhäuser in öffentlicher Trägerschaft | Rz. 10.6 Kap. 10

allgemeiner Auffassung jedoch auch für die meisten anderen Steuerarten maßgebend.1 Für die Umsatzsteuer enthält Abschnitt 4.14.5 UStAE eine eigene Regelung, die sich aber inhaltlich weitgehend mit den Begrifflichkeiten der Ertragsteuern deckt.2 Da es derzeit keinen europarechtlich geprägten Krankenhausbegriff gibt, ist auf das nationale Verständnis zurückzugreifen. R 82 EStR 1999: Bewertungsfreiheit für abnutzbare Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens privater Krankenhäuser (1) Der Begriff des Krankenhauses bestimmt sich nach § 2 Nr. 1 KHG. Eine Einrichtung ist als Krankenhaus anzusehen, soweit sie als Krankenhaus in den Krankenhausbedarfsplan aufgenommen ist oder soweit in ihr auf Grund eines Vertrags mit einem Sozialleistungsträger oder einem sonstigen öffentlich-rechtlichen Kostenträger ausschließlich zum Zweck stationärer oder teilstationärer medizinischer Behandlung ärztliche Leistungen, Pflege, Verpflegung, Unterkunft, Nebenleistungen, z.B. die Versorgung mit Arzneimitteln, Heilmitteln oder Hilfsmitteln, und gegebenenfalls sonstige Leistungen, z.B. nichtärztliche psychotherapeutische oder sozialtherapeutische Leistungen, soziale Betreuung und Beratung der Patienten, erbracht werden. Ein Hochschulkrankenhaus ist stets als Krankenhaus anzusehen. (2) Soweit ein Fall nach Absatz 1 nicht vorliegt, sind die Voraussetzungen für das Vorliegen eines Krankenhauses im Einzelfall zu prüfen. Danach ist die Einrichtung ein Krankenhaus, wenn sie folgende Merkmale erfüllt: 1. Die ärztliche und die pflegerische Hilfeleistung nach Absatz 1 müssen in der Einrichtung gegenüber den zu versorgenden Personen planmäßig und regelmäßig erbracht werden, dem einzelnen Patienten gewidmet sein und die Versorgung in der Einrichtung wesentlich mitbestimmen. 2. Die Einrichtung darf nur Patienten und deren Begleitpersonen offenstehen. Begleitperson ist eine nicht in der Einrichtung beschäftigte Person, die im Einzelfall an der Versorgung des Patienten – in der Regel durch pflegerische Hilfeleistung – beteiligt ist und deren Unterbringung in der Einrichtung für die Erbringung von Leistungen im Sinne der Begriffsbestimmung des § 2 Nr. 1 KHG (Behandlung) oder für den Behandlungserfolg medizinisch notwendig oder medizinisch zweckmäßig ist; davon ist stets auszugehen bei Kindern bis zu 14 Jahren und bei Schwerbehinderten. 3. Mit der Aufnahme in die Einrichtung muß die Lebensweise der aufgenommenen Patienten und Begleitpersonen den medizinisch begründeten Verhaltensregeln unterworfen sein. 4. Ein wesentlicher Teil der Gesamtleistung der Einrichtung muß auf stationäre oder teilstationäre Leistungen im Sinne der Begriffsbestimmung des § 2 Nr. 1 KHG entfallen. Dabei ist auf das Verhältnis der Entgelte abzustellen. Teilstationäre Leistungen liegen vor, soweit die in die Einrichtung aufgenommenen Patienten dort zur Behandlung nicht ständig, sondern z.B. nur während des Tages für mehrere Stunden, während der Nacht oder an Wochenenden untergebracht und gegebenenfalls verpflegt werden. 5. Die Einrichtung muß zur stationären oder teilstationären Behandlung der Personen, die nach der Zweckbestimmung der Einrichtung in ihr versorgt werden sollen, geeignet sein. Sie muß auf die dazu notwendige Betreuung durch jederzeit rufbereite Ärzte und qualifiziertes Pflegepersonal eingerichtet sein und über die dazu notwendige medizinischtechnische Ausstattung verfügen. Treffen die genannten Voraussetzungen nur auf einen Teil der Einrichtung zu, ist die Einrichtung insoweit als Krankenhaus anzusehen, wenn dieser Teil räumlich oder nach seiner Versorgungsaufgabe als Einheit, z.B. als Abteilung oder besondere Einrichtung, abgrenzbar ist. (3) Zu den Krankenhäusern gehören unter den genannten Voraussetzungen z.B. auch: 1. Krankenhäuser, die nur Kranke bestimmter Krankheitsarten oder bestimmter Altersstufen aufnehmen (Fach- oder Sonderkrankenhäuser), 1 Vgl. nur BFH v. 18.10.1990, V R 35/85, BStBl. II 1991, 157 ff., Rz. 3. 2 Vgl. dazu Abschnitt 4.14.5 UStAE – Krankenhausbehandlungen und ärztliche Heilbehandlungen.

Musil | 717

Kap. 10 Rz. 10.6 | Gesundheitswesen und Sozialversicherung 2. Anstalten, in denen unheilbar Erkrankte untergebracht sind, die der ständigen ärztlichen Beaufsichtigung bedürfen, 3. Krankenhäuser, in denen ärztliche Hilfeleistung durch niedergelassene Ärzte erbracht wird (Belegkrankenhäuser), 4. Säuglingsheime, in denen nur kranke Kinder aufgenommen werden und die unter verantwortlicher ärztlicher Leitung stehen, 5. Entbindungsheime, die unter verantwortlicher ärztlicher Leitung stehen, 6. Diagnosekliniken, 7. Einrichtungen zur Erbringung teilstationärer Leistungen, z.B. Tages-, Nacht- und Wochenendkliniken, 8. Kurkrankenhäuser, 9. Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen. (4) Nicht zu den Krankenhäusern gehören z.B. Alten- und Pflegeheime sowie Einrichtungen, in denen nur ambulante Leistungen erbracht werden, z.B. Röntgeninstitute. (5) Die Sonderabschreibungen können nur für Wirtschaftsgüter in Anspruch genommen werden, die der Steuerpflichtige vor dem 1.1.1996 bestellt oder herzustellen begonnen hat. Als Beginn der Herstellung gilt bei Baumaßnahmen, für die eine Baugenehmigung erforderlich ist, der Zeitpunkt, in dem der Bauantrag (R 42a Abs. 4 und 5) gestellt worden ist. Tritt ein Steuerpflichtiger in den Vertrag über die Anschaffung eines Wirtschaftsguts ein, so ist als Zeitpunkt der Bestellung nicht der Zeitpunkt der Bestellung durch den Dritten, sondern der Zeitpunkt des Vertragseintritts durch den Steuerpflichtigen maßgebend. Stellt ein Steuerpflichtiger ein Wirtschaftsgut fertig, mit dessen Herstellung ein Dritter begonnen hat, so ist als Herstellungsbeginn nicht der Zeitpunkt des Herstellungsbeginns durch den Dritten, sondern der Zeitpunkt maßgebend, in dem der Steuerpflichtige mit der Fertigstellung des Wirtschaftsguts beginnt. Das gilt auch dann, wenn das Wirtschaftsgut auf Grund einer Baugenehmigung fertiggestellt wird, die der Dritte beantragt hat.“

10.7

Unproblematisch fallen solche Einrichtungen unter den Krankenhausbegriff, die in den Krankenhausbedarfsplan aufgenommen sind. Weiterhin sind solche Einrichtungen erfasst, in denen aufgrund eines Vertrages mit einem Sozialleistungsträger oder einem sonstigen öffentlich-rechtlichen Kostenträger ausschließlich zum Zwecke stationärer oder teilstationärer medizinischer Behandlung ärztliche Leistungen, Pflege, Verpflegung, Unterkunft, Nebenleistungen und sonstige Leistungen erbracht werden. Schließlich sind Hochschulkrankenhäuser zweifelsfrei vom Krankenhausbegriff erfasst. Die hier interessierenden Krankenhäuser der öffentlichen Hand werden vollständig von den jeweils anzuwendenden Krankenhausbegriffen erfasst.

10.8

Jenseits dieser Fallgruppen ist die Krankenhauseigenschaft nach allgemeinen Merkmalen zu bestimmen. Entsprechende Vorgaben können den genannten Anwendungsvorschriften entnommen werden.1 Sofern hiernach nur ein Teil einer Einrichtung als Krankenhaus anzusehen ist, so kommt es darauf an, ob sie organisatorisch von den übrigen Einheiten trennbar ist. In diesem Fall kann sie eigenständig als Krankenhaus angesehen werden.

10.9

Nicht unter die Krankenhausdefinition fallen Alten- und Pflegeheime. Auch andere Einrichtungen, die schwerpunktmäßig der stationären Patientenbetreuung dienen, wie Dialysezentren, sind nicht vom Krankenhausbegriff erfasst.

1 Siehe zu europarechtlichen Vorgaben bei der Umsatzbesteuerung privater Krankenhäuser EuGH v. 5.3.2020 – C-211/18 – Idealmed III, ECLI:EU:C:2020:168, juris.

718 | Musil

B. Krankenhäuser in öffentlicher Trägerschaft | Rz. 10.15 Kap. 10

III. Träger und Rechtsformen von Krankenhäusern der öffentlichen Hand 1. Formen im Überblick Für die Besteuerung eines Krankenhauses von entscheidender Bedeutung sind Fragen seines Trägers sowie der Rechtsform des Betriebes.1 Insbesondere gilt dies für die Ertragsbesteuerung. So knüpft das Körperschaftsteuergesetz in § 1 Abs. 1 unmittelbar an die Rechtsform an. Ist eine öffentlich-rechtliche Körperschaft als Krankenhausträger tätig und betreibt sie das Krankenhaus selbst, so kommt eine Körperschaftsteuerpflicht nach § 1 Abs. 1 Nr. 6 KStG nur in Betracht, wenn ein Betrieb gewerblicher Art (§ 4 KStG) vorliegt. Dieser wiederum kann von der Körperschaftsteuerpflicht zu befreien sein.

10.10

Als öffentlich-rechtliche Krankenhausträger können etwa Bund, Länder und Kommunen fungieren, aber auch Personalkörperschaften wie die Hochschulen und die öffentlich-rechtlich organisierten Religionsgemeinschaften (zur Struktur der öffentlichen Verwaltung siehe bereits Rz. 1.56 ff.). Diese Träger haben verschiedene Möglichkeiten, ihren Krankenhausbetrieb zu organisieren. Denkbar ist etwa die Unterhaltung eines Eigenbetriebs, vor allem bei kommunalen Krankenhäusern. Dieser ist rechtlich unselbständig und gehört organisatorisch unmittelbar zur Trägerkörperschaft (dazu bereits Rz. 1.82).

10.11

Universitätskliniken waren früher Teil der sie tragenden Universitäten, sind aber mittlerweile meist gegenüber den Universitäten organisatorisch verselbständigt worden (dazu sogleich Rz. 10.14 ff.). Als öffentlich-rechtliche Rechtsformen kommen hier die Anstalt des öffentlichen Rechts, aber auch die (Glied-)Körperschaft des öffentlichen Rechts in Betracht.2

10.12

Eine weitere Möglichkeit besteht in der rechtlichen Verselbständigung des Betriebs in einer privatrechtlichen Rechtsform. Das Krankenhaus wird zu einem eigenen Rechtsträger. Hier kommt insbesondere die Form der von einem öffentlichen Träger beherrschten GmbH in Betracht. Diese kann gemeinnützig, aber auch nicht gemeinnützig sein. Im Bereich der Kirchen kommen auch Vereine als eigenständige Krankenhausträger vor, wie beispielsweise die kirchlichen Wohlfahrtsverbände.

10.13

2. Insbesondere: Universitätskliniken a) Kooperationsmodell versus Integrationsmodell Eine Sonderrolle innerhalb der Krankenhäuser in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft kommt den Universitätskliniken zu. Herkömmlich waren Universitätskliniken als Teil der Medizinischen Fakultäten einer Hochschule diesen organisatorisch zugeordnet. Mittlerweile sind die Universitätskliniken allerdings weitgehend organisatorisch verselbständigt worden. Diese Umstrukturierungen haben vor allem wirtschaftliche Gründe, sollen aber auch eine bessere funktionale Trennung von Lehre und Forschung einerseits und Patientenversorgung andererseits ermöglichen.

10.14

Derzeit werden zwei Grundformen der Organisation von Hochschulmedizin zwischen Fakultät einerseits und Klinikum andererseits praktiziert: das Integrationsmodell einerseits und das Kooperationsmodell andererseits. Das Integrationsmodell führt im Wesentlichen die herkömmlichen Strukturen der Hochschulmedizin fort, indem Klinikum und Fakultät organisatorisch in einer Hand bleiben. Diese Organisationsform bringt steuerlich kaum Probleme mit

10.15

1 Siehe grundlegend Heintzen/Musil, Das Steuerrecht des Gesundheitswesens2, Rz. 88 ff. 2 Zum Fall der Berliner Charité siehe Heintzen, LKV 2005, 438 ff.

Musil | 719

Kap. 10 Rz. 10.15 | Gesundheitswesen und Sozialversicherung

sich, weil der Leistungsaustausch zwischen Fakultät und Klinikum als Internum steuerlich irrelevant ist. Lediglich buchführungstechnische Probleme der Abgrenzung zwischen den verschiedenen Sphären können auftreten.

10.16

Das Kooperationsmodell hingegen führt zu einer Reihe von steuerlichen Folgeproblemen. Hier gehören Fakultät und Klinikum zu unterschiedlichen Rechtsträgern. Die Rechtsbeziehungen zwischen ihnen sind grundsätzlich solche des Außenrechts und lösen somit auch steuerliche Folgen aus. Bedeutsam ist dies vor allem für die Umsatzsteuer. Die aktuellen Bestrebungen gehen dahin, durch eine entsprechende Gestaltung des Kooperationsverhältnisses unerwünschte Umsatzsteuerfolgen zu vermeiden.1 b) Rechtsformen der Kliniken im Einzelnen

10.17

Die Verwirklichung des Kooperationsmodells geht zumeist mit der rechtlichen Verselbstständigung der Universitätskliniken als Anstalten des öffentlichen Rechts einher, während beim Integrationsmodell in der Regel Körperschaftslösungen präferiert werden.2 Unter einer rechtsfähigen Anstalt des öffentlichen Rechts versteht man eine mit eigener Rechtspersönlichkeit ausgestattete Einrichtung aus Personal und Sachmitteln, die öffentlichen Zwecken, insbesondere im Bereich der Leistungsverwaltung, dient3 Die Anstalt des öffentlichen Rechts ist eine selbständige Einheit der mittelbaren Staatsverwaltung, wobei der Grad der Verselbständigung unterschiedlich ist.4 Durch Umwandlung in eine Anstalt des öffentlichen Rechts löst sich das Universitätsklinikum aus dem rechtlichen Verbund mit der Universität. Gewährträger des Klinikums bleibt aber das Land, welches meist nur die Rechtsaufsicht über das Universitätsklinikum ausübt. Die Fachaufsicht entfällt in den meisten Fällen. Die Möglichkeit zur Einflussnahme verbleibt dem Land über das Mitwirken im Aufsichtsrat. Vorstand und Aufsichtsrat bilden die Organe des Klinikums. Die operative Geschäftsführung wird vom Klinikumsvorstand übernommen. Der Aufsichtsrat überwacht die Tätigkeit des Vorstands und entscheidet in grundsätzlichen Angelegenheiten. Die Aufgaben in der Krankenversorgung sind dem Klinikum zugeordnet, Aufgaben in Forschung und Lehre der Fakultät. Universität und Fakultät bleiben somit Träger der Aufgaben von Forschung und Lehre.5

10.18

Wird im Rahmen des Integrationsmodells die Körperschaft des öffentlichen Rechts als Träger gewählt, so kommt Universitätsklinikum und Medizinischer Fakultät eine gemeinsame, mitgliedschaftlich strukturierte Rechtspersönlichkeit zu6 Krankenhausbetrieb sowie Forschung und Lehre sind als Teilbereiche einem einheitlichen Vorstand unterstellt. Das jeweilige Vorstandsmitglied für Forschung und Lehre nimmt dabei die Funktion des Dekans wahr. Körperschaftslösungen wurden in Berlin7, Hamburg8 und Thüringen verwirklicht.9

1 2 3 4 5 6 7 8

Grundlegend Musil, Steuerliche Fragen der Gesundheitsreform, Teil 1, S. 112 ff. Wissenschaftsrat 2007, Drs. 7984-07, S. 33. Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht20, § 23 Rz. 51 ff. Kingreen/Banafsche/Szabados, WissR 2007, 283 (294). Dazu ausführlich Wissenschaftsrat 2007, Drs. 7984-07, S. 36 f. Vgl. Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht20, § 23 Rz. 31 ff. Siehe Heintzen, LKV 2005, 438 ff. Zum Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, welches sich von Berlin und Thüringen insofern unterscheidet, als dass es kein die Krankenversorgungs- und Wissenschaftsseite integrierendes Leitungsorgan besitzt, siehe Becker in Hailbronner/Geis (Hrsg.), Hochschulrecht in Bund und Ländern, Bd. 2, S. 1 ff. 9 Wissenschaftsrat 2007, Drs. 7984-07, S. 37.

720 | Musil

B. Krankenhäuser in öffentlicher Trägerschaft | Rz. 10.21 Kap. 10

Mit der Umwandlung der Universität Göttingen in eine rechtsfähige Stiftung des öffentlichen Rechts1 wurde die Trägerschaft für die Universität und somit auch für die „Universitätsmedizin Göttingen“ auf eine Stiftung übertragen. Die humanmedizinischen Einrichtungen erhielten aber ein von der Stiftungsuniversität Göttingen gesondertes Stiftungsvermögen (einschließlich der Liegenschaften und Gebäude).2 Zugleich verfügt die Universitätsmedizin in Göttingen mit einem eigenen Vorstand und dem Stiftungsausschuss Universitätsmedizin als dessen Aufsichtsorgan über von der Universität weitestgehend getrennte Leitungsorgane.

10.19

Denkbar ist auch ein Rückgriff auf Rechtsformen des Privatrechts. Insbesondere die GmbH bietet sich als Organisationsform an. Eine Organisation in Privatrechtsform ist insbesondere dann sinnvoll, wenn Private in der ein oder anderen Form am Klinikbetrieb beteiligt sind. Die existierenden Modelle können vorliegend nicht vertieft werden3.

10.20

c) Universitätskliniken in Deutschland Rechtsform

10.21

Rechtsgrundlagen

1

Aachen – Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule

Anstalt des öffent- Art. 3 HochschulmedizinG, UKVO, lichen Rechts (öRs) GVBl. NRW 2007, S. 7444

2

Berlin – Charité (Freie Universität und Humboldt-Universität)

Gliedkörperschaft des öRs

3

Bochum – Ruhruniversität

GmbH (Gesellschafter vier Berufsgenossenschaften)

4

Bonn – Rheinische FriedrichWilhelms-Universität

Anstalt des öRs

Art. 3 HochschulmedizinG, UKVO, GVBl. NRW 2007, S. 744

5

Dresden – Universitätsklinikum Carl Gustav Carus

Anstalt des öRs

Sächs. SHMG, SächsGVBl. 1999, S. 207

6

Düsseldorf, Heinrich Heine Universität

Anstalt des öRs

Art. 3 HochschulmedizinG, UKVO, GVBl. NRW 2007, S. 744

7

Erlangen-Nürnberg – FriedrichAlexander Universität

Anstalt des öRs

BayUniKlinG, BayGVBl. 2006, S. 285

8

Essen – Universitätsklinikum

Anstalt des öRs

Art. 3 HochschulmedizinG, UKVO, GVBl. NRW 2007, S. 744

9

Frankfurt – Johann Wolfgang Goethe-Universität

Anstalt des öRs

Hess.UniKlinG, HessGVBl. I 2000, S. 344

10

Freiburg – Albert-Ludwigs-Univer- Anstalt des öRs sität

UKG BW, GBl. BaWü 2005, S. 625

11

Gießen – Justus-Liebig-Universität GmbH (gemeinsam mit der Uni. Marburg)

Hess.UniKlinG, HessGVBl. I 2000, S. 344; G. über die Errichtung des UniKlinikums Gießen/Marbug, HessGBl. I 2005, S. 432

1 2 3 4

Bln UniversitätsmedizinG, BlnGVBl. 2005, S. 739

Dazu Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht20, § 23 Rz. 57 ff. Wissenschaftsrat 2007, Drs. 7984-07, S. 38. Ausführlich Musil, Steuerliche Fragen der Gesundheitsreform, Teil 1, S. 112 ff. Hier und im Folgenden wird jeweils auf das Ursprungsgesetz erwiesen. Die jeweils aktuelle Änderungsfassung ist der Landesrechtssammlung im Internet zu entnehmen.

Musil | 721

Kap. 10 Rz. 10.21 | Gesundheitswesen und Sozialversicherung Rechtsform

Rechtsgrundlagen

12

Göttingen – Georg-AugustUniversität

Stiftung des öRs

§§ 55 ff. Nieders. NHG, NdsGVBl. 2007, S. 69

13

Greifswald – Ernst-Moritz-ArndtUniversität

Körperschaft des öRs

§ 96 LHG M-V, Gesetz zur Errichtung der Teilkörperschaft Universitätsmedizin Greifswald, GVOBl. M-V 2002, S. 398 (letzte Änderung GVOBl. M-V 2011, S. 18)

14

Halle-Wittenberg – Martin-Luther- Anstalt des öRs Universität

§ 7 HMG S-A, GVBl. LSA 2005, S. 508

15

Hamburg – Universität

Körperschaft des öRs

UKEG, HmbGVBl. 2001, S. 375

16

Hannover – Medizinische Hochschule

Körperschaft des öRs

§§ 15, 63 a NHG, NdsGVBl. 2007, S. 69

17

Heidelberg – Ruprecht-KarlsUniversitätsklinikum

Anstalt des öRs

UKG BW, GBl. BaWü 2005, S. 625

18

Jena – Friedrich-SchillerUniversität

Teilkörperschaft des öRs

§ 91 ThürHG, ThürGVBl. 2006, S. 601

19

Kiel – Universitätsklinikum Schleswig-Holstein – Campus Kiel

Anstalt des öRs

§ 82 HSG S-H, GVOBl. S-H 2007, S. 184

20

Köln – Universität

Anstalt des öRs

Art. 3 HochschulmedizinG, UKVO, GVBl. NRW 2007, S. 744

21

Leipzig – Universität

Anstalt des öRs

Sächs. SHMG, SächsGVBl. 1999, S. 207

22

Lübeck – Universitätsklinikum Schleswig-Holstein – Campus Lübeck

zusammengeführt (s.o.), GVOBl. S-H 2007, S. 184 mit Campus Kiel (s.o.)

23

Magdeburg – Otto-von-GuerickeUniversität

Anstalt des öRs

§ 7 HMG S-A, GVBl. LSA 2005, S. 508

24

Mainz – Johannes GutenbergUniversität

Körperschaft des öRs

UMG R.-Pf., GVBl. R.-Pf. 2008, S. 205 (letzte Änderung, GVBl. R.-Pf. 2010, S. 167)

25

Mannheim, Universitätsklinikum

GmbH (Alleingesellschafter: Stadt Mannheim)

26

Marburg – Philipps-Universität

GmbH (gemeinsam mit der Uni. Gießen)

s. bei Gießen

27

München – Ludwig-MaximiliansUniversität Innenstadt

Anstalt des öRs

BayUniKlinG, BayGVBl. 2006, S. 285

28

München – Klinikum rechts der Isar

Anstalt des öRs

BayUniKlinG, BayGVBl. 2006, S. 285

29

Münster – Westfälische-Wilhelms- Anstalt des öRs Universität

Art. 3 HochschulmedizinG, UKVO, GVBl. NRW 2007, S. 744

30

Regensburg – Universität

BayUniKlinG, BayGVBl. 2006, S. 285

722 | Musil

Anstalt des öRs

B. Krankenhäuser in öffentlicher Trägerschaft | Rz. 10.24 Kap. 10 Rechtsform

Rechtsgrundlagen

31

Rostock – Universitätsklinik

Anstalt des öRs

§ 104 LHG M-V, LandesVO über die Errichtung des Universitätsklinikums Rostock, GVOBl. M-V 2005, S. 562 (letzte Änderung GVOBl. M-V 2010, S. 36, 43)

32

Saarland – Universitätsklinikum

Anstalt des öRs

Saarl. UKSG, Satzung des Universitätsklinikums, Saarl. Amtsbl. 2003, S. 1540 (letzte Änderung Saarl. Abl. 2009, S. 1087)

33

Tübingen – Universität

Anstalt des öRs

UKG BW, GBl. BaWü 2005, S. 625

34

Ulm – Universität

Anstalt des öRs

UKG BW, GBl. BaWü 2005, S. 625

35

Würzburg – Bayerische JustusMaximilians-Universität

Anstalt des öRs

BayUniKlinG, Bay GVBl. 2006, S. 285

IV. Fragen des Gemeinnützigkeitsrechts 1. Gemeinnützigkeit bei öffentlichen Krankenhäusern Das Gemeinnützigkeitsrecht prägt den sogenannten dritten Sektor und will der Tatsache Rechnung tragen, dass Akteure der Zivilgesellschaft, die sich gemeinwohlorientierten Aufgaben widmen, eine steuerliche Entlastung verdienen. Allerdings ist mittlerweile anerkannt, dass das Gemeinnützigkeitsrecht auch auf öffentlich-rechtliche Träger Anwendung finden kann (siehe hierzu bereits Rz. 2.84 ff.).1 Erst recht kann das Gemeinnützigkeitsrecht für die öffentliche Hand bedeutsam werden, wenn sie einen Betrieb, etwa ein Krankenhaus, in eine eigenständige private Rechtsform ausgegliedert hat. Im Folgenden werden deshalb die Normen des Gemeinnützigkeitsrechts im Überblick dargestellt, soweit sie für den öffentlichen Krankenhaussektor von Bedeutung sein können.

10.22

Die Einzelsteuergesetze nehmen in vielen ihrer Vorschriften auf das Gemeinnützigkeitsrecht Bezug. Rechtsfolge der Inbezugnahme ist entweder die vollständige Steuerbefreiung der entsprechenden Einkünfte oder zumindest eine Steuerermäßigung. Für die Erlangung einer Steuerbefreiung aufgrund von Gemeinnützigkeit müssen folgende Bedingungen erfüllt sein:

10.23

– Der Krankenhausträger selbst muss die Voraussetzungen für die Anerkennung als gemeinnützig erfüllen, §§ 51 ff. AO. – Das Krankenhaus darf kein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb im Sinne von § 14 AO sein. Vielmehr muss ein Zweckbetrieb nach § 67 AO oder bloße Vermögensverwaltung vorliegen. Die Prüfung der Steuerbefreiung erfolgt also in zwei Schritten. Dem ersten Schritt, der Trägerkörperschaft, widmet sich die nachfolgende Darstellung vor allem insoweit, als ein spezifischer Bezug zum Gesundheitswesen vorliegt. Darüber hinaus wird nur ein kurzer Überblick gegeben. Im zweiten Schritt geht es um die Abgrenzung von wirtschaftlichem Geschäftsbetrieb und Zweckbetrieb bzw. Vermögensverwaltung.

1 Vgl. etwa Isensee in FS Dürig, S. 33 (57 f.) und Seer/Wolsztynski, Steuerrechtliche Gemeinnützigkeit der öffentlichen Hand, S. 86.

Musil | 723

10.24

Kap. 10 Rz. 10.25 | Gesundheitswesen und Sozialversicherung

2. Körperschaft 10.25

Als gemeinnützig kommen solche Krankenhausträger in Betracht, die als Körperschaft organisiert sind. Unter Körperschaften sind nach § 51 Abs. 1 Satz 2 AO die Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen im Sinne des Körperschaftsteuergesetzes zu verstehen1 Auch Körperschaften des öffentlichen Rechts können grundsätzlich in den Genuss der Gemeinnützigkeitsvorschriften gelangen. Allerdings kann ihnen dieser Status nicht selbst, sondern nur für ihre Betriebe gewerblicher Art zukommen. Ohne Weiteres können Krankenhäuser der öffentlichen Hand gemeinnützig sein, die als privatrechtliche Körperschaften geführt werden.

3. Gemeinnütziger Zweck 10.26

Weiterhin muss die Körperschaft gem. § 52 AO gemeinnützige Zwecke verfolgen. Absatz 1 enthält allgemeine Anforderungen, während in Absatz 2 besondere Zwecke ausdrücklich genannt sind. Nach der Legaldefinition in § 52 Abs. 1 S. 1 AO verfolgt eine Körperschaft gemeinnützige Zwecke, wenn ihre Tätigkeit darauf gerichtet ist, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern. Der Betrieb von Einrichtungen des Gesundheitswesens liegt im Interesse der Allgemeinheit, was sich auch in der ausdrücklichen Erwähnung in § 52 Abs. 2 Nr. 3 AO widerspiegelt. Man kann die Krankenhausversorgung unter den Begriff des öffentlichen Gesundheitswesens fassen.2 Der grundsätzlich ebenfalls in Betracht kommende Zweck des Wohlfahrtswesens gem. § 52 Abs. 2 Nr. 9 AO ist für die öffentliche Hand nicht einschlägig.3 Neben § 52 AO kann bei Krankenhäusern auch § 53 AO zur Anwendung kommen. Insbesondere werden im Sinne von § 53 Nr. 1 AO in Krankenhäusern auch solche Personen betreut, die infolge ihres körperlichen, geistigen oder seelischen Zustands auf die Hilfe anderer angewiesen sind. In besonderem Maße gilt dies für alte Menschen und für Kinder bis zu einem bestimmten Alter.

10.27

Bei einem Krankenhaus, dessen Träger eine Nähebeziehung zu einer Religionsgemeinschaft aufweist, fragt sich, ob dieser gemeinnützige Zwecke im Sinne von § 52 AO oder eher kirchliche Zwecke im Sinne von § 54 AO erfüllt. In der Regel ist nicht die Kirche selbst Trägerin eines Krankenhauses, sondern es existieren eigenständige Rechtsträger, die sich der Erfüllung entsprechender Aufgaben widmen. Zu nennen sind hier etwa der Deutsche Caritas-Verband oder das Diakonische Werk. Diese Trägervereine widmen sich nicht der Förderung kirchlicher Zwecke, sondern werden durch ihre Satzung als gemeinnützig gekennzeichnet. Unterhielte eine Religionsgemeinschaft selbst als Trägerkörperschaft ein Krankenhaus, so wäre im Ergebnis nicht anders zu entscheiden. Der Betrieb eines Krankenhauses ist keine Tätigkeit, die kirchliche Zwecke im Sinne von § 54 AO fördert.4 Es handelt sich um eine gemeinnützige Tätigkeit im Sinne von § 52 AO.

10.28

Ist die Kirche selbst Trägerin eines Krankenhauses, so kann sie sich für ihre eigene Tätigkeit auf § 54 AO berufen. Der Krankenhausbetrieb kann gem. § 67 AO als Zweckbetrieb an den Steuerbefreiungen und -ermäßigungen teilhaben, ohne dass es auf die allgemeinen Vorausset-

1 Dazu Musil in H/H/Sp, AO/FGO, § 51 AO (St. 7/2017), Rz. 20 ff. 2 BFH v. 18.10.2017 – V R 46/16, BFHE 259, 488, BStBl. II 2018, 672, siehe auch Seer in T/K, AO/ FGO, § 52 AO (St. 5/2021), Rz. 22. 3 Siehe Seer in T/K, AO/FGO, § 52 AO (St. 5/2021), Rz. 32. Eine Ausnahme bilden die Kirchen, soweit sie der öffentlichen Hand zugerechnet werden; siehe sogleich Rz. 4 Seer in T/K, AO/FGO, § 54 AO (St. 5/2021), Rz. 8.

724 | Musil

B. Krankenhäuser in öffentlicher Trägerschaft | Rz. 10.32 Kap. 10

zungen des § 65 AO ankäme. Allerdings kommen hier nur Tätigkeiten in Betracht, die einen spezifischen Bezug zu den verfolgten kirchlichen Zwecken aufweisen, also nicht die Gesundheitsleistungen selbst.

4. Selbstlosigkeit Der Betrieb muss nach § 55 AO selbstlos erfolgen.1 Zunächst dürfen nach § 55 Abs. 1 AO nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche Zwecke verfolgt werden. Als Beispiele nennt die Vorschrift gewerbliche oder sonstige Erwerbszwecke. Für die Beurteilung der Frage nach eigenwirtschaftlichen Zwecken kommt es nicht auf die Mittelbeschaffung, sondern auf die Mittelverwendung an. Die Mittelbeschaffung darf gewerblich erfolgen, wenn die Mittel nur zeitnah dem gemeinnützigen Zweck zugeführt werden.2 Das bedeutet auch, dass die Absicht, Gewinne zu erzielen, der Annahme von Selbstlosigkeit nicht entgegensteht. Vielmehr ist auch die gemeinnützige Körperschaft auf die Gewinnerzielung angewiesen. Diese darf nur nicht alleiniger Zweck der Tätigkeit sein.3

10.29

Eigenwirtschaftliche Zwecke liegen insbesondere vor, wenn die wirtschaftlichen Interessen der hinter der Körperschaft stehenden Personen, insbesondere der Mitglieder, gefördert werden.4 Das Merkmal der Selbstlosigkeit hat auch eine subjektive Komponente. Der Gemeinsinn muss Motiv für die Betätigung der Körperschaft sein.5

10.30

Zusätzlich nennt § 55 Abs. 1 AO in seinen Nummern 1–5 fünf spezielle Voraussetzungen. Diese betreffen vor allem die Mittelverwendung in besonderen Konstellationen. Nr. 1 gebietet die Verwendung ausschließlich für den satzungsmäßigen Zweck und verbietet Gewinnausschüttungen. Nr. 2 schreibt vor, dass beim Ausscheiden von Mitgliedern nur die geleistete Einlage zurückerstattet werden darf. Nr. 3 verbietet übermäßig hohe Vergütungen. Nr. 4 trifft Vorkehrungen für die Vermögensbindung an die Zwecksetzung im Auflösungsfalle. Nr. 5 ordnet schließlich die Zeitnähe der Mittelverwendung an.

10.31

Im Hinblick auf § 55 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 AO kann der Verlustausgleich zwischen einem Krankenhaus und einem seiner wirtschaftlichen Geschäftsbetriebe zu einer Gefährdung der Gemeinnützigkeit insgesamt führen.6 Wird etwa ein durch eine dem Krankenhaus angegliederte Besuchercafeteria erwirtschafteter Verlust mit Mitteln des Krankenhausbetriebes aufgefangen, so ist dies nur unter engen Voraussetzungen gemeinnützigkeitsrechtlich zulässig. Der BFH hat ausgeführt, dass nur dann kein Verstoß gegen das Erfordernis der Selbstlosigkeit vorliege, wenn der Verlust auf einer Fehlkalkulation beruhe und die Körperschaft bis zum Ende des dem Verlustentstehungsjahr folgenden Wirtschaftsjahrs dem ideellen Tätigkeitsbereich wieder Mittel in entsprechender Höhe zuführe.7

10.32

Schauhoff in Schauhoff, Handbuch der Gemeinnützigkeit3, § 9 Rz. 67. Siehe ausführlich Musil in H/H/Sp, AO/FGO, § 55 AO (St. 3/2021), Rz. 91 ff. Schauhoff in Schauhoff, Handbuch der Gemeinnützigkeit3, § 9 Rz. 67. Siehe Seer in T/K, AO/FGO, § 55 AO (St. 5/2021), Rz. 4. Musil in H/H/Sp, AO/FGO, § 55 AO (St. 3/2021), Rz. 19; Schauhoff in Schauhoff, Handbuch der Gemeinnützigkeit3, § 9 Rz. 67. 6 Siehe Seer in T/K, AO/FGO, § 55 AO (St. 5/2021), Rz. 12. 7 BFH v. 13.11.1996 – I R 152/93, BStBl. II 1998, 711 = HFR 1997, 210 ff.; dazu Schauhoff, DStR 1998, 701 ff.; kritisch Hüttemann, Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht4, Rz. 6.21 ff.

1 2 3 4 5

Musil | 725

Kap. 10 Rz. 10.33 | Gesundheitswesen und Sozialversicherung

5. Ausschließlichkeit 10.33

§ 56 AO bestimmt, dass eine gemeinnützige Körperschaft nur ihre satzungsmäßigen gemeinnützigen Zwecke verfolgen darf. Dies bedeutet nicht, dass jede einzelne Tätigkeit der Körperschaft gemeinnützig sein muss. Vielmehr verlangt § 56 AO, dass jede Tätigkeit dazu geeignet sein muss, dem gemeinnützigen Zweck zu dienen.1

10.34

Im Rahmen der Betätigung einer gemeinnützigen Körperschaft lassen sich vier Sphären unterscheiden, die die Gemeinnützigkeit als solche nicht in Frage stellen, aber steuerlich unterschiedlich behandelt werden, die ideelle Sphäre, die Vermögensverwaltung, der Zweckbetrieb und der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb.2 Während die drei erstgenannten Bereiche im steuerfreien Raum verbleiben, führt der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb zu steuerpflichtigen Einnahmen.

10.35

Im Krankenhaussektor wirft vor allem die Abgrenzung zwischen wirtschaftlichem Geschäftsbetrieb und Zweckbetrieb Probleme auf. Soweit Tätigkeiten im Bereich des Zweckbetriebs ausgeübt werden, können die Steuervergünstigungen des Gemeinnützigkeitsrechts greifen. Im Bereich des wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs erfolgt eine volle Besteuerung (zu Einzelfällen siehe sogleich Rz. 10.41 ff.). Auch die Abgrenzung zwischen Vermögensverwaltung und wirtschaftlichem Geschäftsbetrieb kann problematisch sein. Nach § 14 S. 3 AO liegt eine Vermögensverwaltung in der Regel vor, wenn Vermögen genutzt, zum Beispiel Kapitalvermögen verzinslich angelegt oder unbewegliches Vermögen vermietet oder verpachtet wird. Wesentlich für die Abgrenzung zum wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb ist der Wettbewerbsgedanke. Tritt eine gemeinnützige Körperschaft in einen Wettbewerb zu sonstigen Marktteilnehmern, so soll ihr diesen gegenüber kein ungerechtfertigter Steuervorteil zugute kommen. Konkret erfolgt die Abgrenzung nach denselben Kriterien, wie sie auch im Einkommensteuerrecht für die Abgrenzung zwischen gewerblichen Einkünften und solchen aus privater Vermögensverwaltung herangezogen werden.3

6. Unmittelbarkeit 10.36

§ 57 Abs. 1 S. 1 AO verlangt, dass die gemeinnützige Körperschaft ihre Zwecke unmittelbar erfüllt. Das bedeutet, dass sie grundsätzlich selbst bei der Zweckerfüllung tätig werden muss. Es reicht nicht, wenn sie andere Rechtsträger mit der Aufgabenerfüllung betraut. Vielmehr muss ihr das Handeln Dritter selbst zurechenbar sein. § 57 Abs. 1 S. 2 AO gestattet den Einsatz von Hilfspersonen.4 Problematisch war vor dem Hintergrund des Unmittelbarkeitserfordernisses die Schaffung von Konzern- und Holdingstrukturen im Krankenhausbereich. Der Gesetzgeber hat hier unlängst durch eine Neuregelung von § 57 AO weitgehend Abhilfe geschaffen (sogleich Rz. 10.46 ff.).

10.37

§ 57 Abs. 2 AO stellt Körperschaften, in denen gemeinnützige Körperschaften zusammengefasst sind, den gemeinnützigen Rechtsträgern gleich. Erfasst werden insbesondere die Dachund Spitzenverbände gemeinnütziger Organisationen.5 Ein Beispiel bildet etwa die Deutsche Krankenhausgesellschaft e.V. 1 Musil in H/H/Sp, AO/FGO, § 56 AO (St. 5/2017), Rz. 4. 2 Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht24, § 20 Rz. 7; Schauhoff in Schauhoff, Handbuch der Gemeinnützigkeit3, § 7 Rz. 3. 3 Vgl. Schauhoff in Schauhoff, Handbuch der Gemeinnützigkeit3, § 7 Rz. 62 ff. 4 Seer in T/K, AO/FGO, § 57 AO (St. 5/2021), Rz. 3. 5 Seer in T/K, AO/FGO, § 57 AO (St. 5/2021), Rz. 5.

726 | Musil

B. Krankenhäuser in öffentlicher Trägerschaft | Rz. 10.42 Kap. 10

Ausnahmen vom Unmittelbarkeitserfordernis normiert § 58 AO in einigen seiner Alternativen.1 So wird die Unmittelbarkeit beispielsweise nach Nr. 1 nicht durch die Mittelbeschaffung einer Körperschaft für die Verwirklichung der steuerbegünstigten Zwecke einer anderen Körperschaft ausgeschlossen (sog. Mittelbeschaffungskörperschaft). Auch diese Vorschrift ist grundlegend reformiert worden.

10.38

7. Zweckbetrieb nach § 67 AO Soweit ein Krankenhaus als Zweckbetrieb eingeordnet werden kann, können die entsprechenden Steuervergünstigungen der Einzelsteuergesetze genutzt werden. Die notwendige Abgrenzung zwischen Zweckbetrieb und wirtschaftlichem Geschäftsbetrieb leisten die §§ 64 ff. AO. Nach § 67 Abs. 1 AO ist ein Krankenhaus, das in den Anwendungsbereich des Krankenhausentgeltgesetzes oder der Bundespflegesatzverordnung fällt, ein Zweckbetrieb, wenn 40 % der jährlichen Belegungstage oder Berechnungstage auf Patienten entfallen, bei denen nur Entgelte für allgemeine Krankenhausleistungen berechnet werden. Abs. 2 enthält eine darauf bezogene Regelung für sonstige Krankenhäuser, die nicht unter die genannte Verordnung fallen.

10.39

Der Begriff des Krankenhauses wurde bereits oben ausführlich erläutert (siehe Rz. 10.4). Nach § 2 Nr. 1 des Krankenhausfinanzierungsgesetzes (KHG)2 sind Krankenhäuser Einrichtungen, in denen durch ärztliche und pflegerische Hilfeleistung Krankheiten, Leiden oder Körperschäden festgestellt, geheilt oder gelindert werden sollen oder Geburtshilfe geleistet wird und in denen die zu versorgenden Personen untergebracht werden und verpflegt werden können. Die Regelungen des KHG und damit auch die Definition des Krankenhauses können nach ständiger Rechtsprechung bei der Auslegung von § 67 herangezogen werden, weil die Abgabenordnung insoweit an das Sozialrecht anknüpft.3

10.40

8. Wirtschaftliche Geschäftsbetriebe im Krankenhaus Eine generelle Einordnung des Krankenhauses als Zweckbetrieb im Sinne von § 67 AO schließt es nicht aus, dass Teile des Krankenhausbetriebs gleichwohl als wirtschaftliche Geschäftsbetriebe zu qualifizieren sind. Nach der Rechtsprechung des BFH gehören zum Zweckbetrieb Krankenhaus alle Einnahmen und Ausgaben, die mit den ärztlichen oder pflegerischen Leistungen an die Patienten als Benutzer des Krankenhauses zusammenhängen.4 Wirtschaftliche Betätigungen mit anderem Gegenstand führen hingegen zu einem steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb. Die Abgrenzung zwischen Betätigungen, die noch dem Zweckbetrieb zugerechnet werden können, und solchen, die einen eigenständigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb begründen, kann im Einzelfall schwierig sein.5

10.41

So nahm der BFH beispielsweise an, dass die entgeltliche Überlassung eines Magnetresonanztomographen nebst des nichtärztlichen medizinisch-technischen Personals an eine Ge-

10.42

1 Ausführlich Musil in H/H/Sp, AO/FGO, § 58 AO (St. 6/2021), Rz. 29 ff. 2 Gesetz zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze i.d.F. v. 10.4.1991, BGBl. I, 886, zul. geänd. d. G. v. 28.4.2020, BGBl. I, 960, 1011. 3 BFH v. 6.4.2005 – I R 85/04, BStBl. II 2005, 545 = BB 2005, 2003 ff., 2004; BFH v. 22.10.2003 – I R 65/02, BFHE 204, 278; siehe auch Seer in T/K, AO/FGO, § 67 AO (St. 6/2020), Rz. 2, dort auch zu weiteren Sonderfällen und ihrer Zuordnung zum Krankenhausbegriff. 4 BFH v. 6.4.2005 – I R 85/04, BStBl. II 2005, 545 = BB 2005, 2003 ff., 2004. 5 Hierzu OFD Rheinland v. 1.12.2010 – S 0186-2010/0001, juris.

Musil | 727

Kap. 10 Rz. 10.42 | Gesundheitswesen und Sozialversicherung

meinschaftspraxis einen eigenständigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb begründe.1 Ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb ist auch im Falle einer Krankenhausapotheke anzunehmen, die nicht nur an das Krankenhaus liefert. Auch die Überlassung von Telekommunikationsund Fernsehgeräten an Patienten geschieht im Rahmen eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebes.2

10.43

Allerdings ist die Abgabe von Zytostatika durch die Krankenhausapotheke an ambulant behandelte Patienten des Krankenhauses zur unmittelbaren Verabreichung im Krankenhaus dem Zweckbetrieb Krankenhaus zuzurechnen.3 Noch weitergehend hat der BFH entschieden, dass die Abgabe von Medikamenten zur Blutgerinnung (sog. Faktorpräparate) an Hämophiliepatienten auch dann dem Zweckbetrieb Krankenhaus zuzuordnen sei, wenn sich der Patient selbst das Medikament im Rahmen einer ärztlich kontrollierten Heimselbstbehandlung verabreiche.4

10.44

Ein Sonderproblem stellt insoweit die Überlassung von Personal- und Sachmitteln des Krankenhauses an den Chefarzt dar. Hier wird man differenzieren müssen. Werden im Rahmen des normalen Krankenhausbetriebs wahlärztliche Leistungen mit Mitteln des Krankenhauses erbracht, so ist der Anwendungsbereich des § 67 noch nicht verlassen. Anders ist es, wenn der Chefarzt eine ambulante Praxis in den Räumen und mit dem Personal des Krankenhauses betreibt. Hier liegt ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb vor.5

10.45

Unterhält ein Krankenhausträger Betriebe, die der Selbstversorgung seiner Krankenhäuser dienen, so liegt ein Zweckbetrieb vor, wenn die Voraussetzungen des § 68 Nr. 2 b) erfüllt sind.6 Der Rahmen der Selbstversorgung wird allerdings verlassen, wenn eine zentrale Stelle Aufgaben für verschiedene gemeinnützige Körperschaften erfüllt.7 Diese nach außen gerichtete Leistungserbringung stellt eine Wettbewerbsteilnahme dar und begründet einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb.8

9. Kooperative Aufgabenerfüllung und gesetzgeberische Reformen a) Neuregelung von § 57 AO

10.46

Schließlich seien die kooperative Aufgabenerfüllung durch gemeinnützige Krankenhausträger und ihre gemeinnützigkeitsrechtlichen Probleme erörtert. Der Gesetzgeber hat nach jahrelanger Diskussion endlich den bestehenden Handlungsbedarf erkannt und die bestehenden Probleme mit dem JStG 20209 weitgehend beseitigt.

10.47

Die erste Problemkonstellation betrifft sogenannte Outsourcingfälle.10 Aus wirtschaftlichen Gründen kann es sich anbieten, bestimmte Serviceleistungen im Krankenhausbereich, die bisher innerhalb einer gemeinnützigen Körperschaft ausgeübt wurden, in eine andere Körper-

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

BFH v. 6.4.2005 – I R 85/04, BStBl. II 2005, 545 = BB 2005, 2003 ff. OFD Rheinland v. 1.12.2010 – S 0186-2010/0001, juris. BFH v. 31.7.2013 – I R 82/12, BStBl. II 2015, 123. BFH v. 18.10.2017 – V R 46/16, BFH/NV 2018, 293. Hierzu Oberfinanzdirektion Rheinland v. 1.12.2010, S 0186-2010/0001, juris. Hierzu Seer in T/K, AO/FGO, § 68 AO (St. 6/2020), Rz. 5. Vgl. hierzu Schröder, DStR 2004, 1859 (1860). Schauhoff in Schauhoff, Handbuch der Gemeinnützigkeit3, § 7 Rz. 92, 130, m.w.N. Jahressteuergesetz 2020 (JStG 2020) v. 21.1.22020, BGBl. I 2020, 3096. Dazu bereits grundlegend Musil, Steuerliche Fragen der Gesundheitsreform, Teil I, 2010, S. 167 ff.

728 | Musil

B. Krankenhäuser in öffentlicher Trägerschaft | Rz. 10.53 Kap. 10

schaft auszugliedern. Waren diese Leistungen bisher dem Zweckbetrieb zuzuordnen, ging diese Zuordnung mit der Ausgliederung verloren, da es an der nötigen Unmittelbarkeit fehlte. Problematisch waren weiterhin Holdingstrukturen zwischen gemeinnützigen Körperschaften.1 Häufig wird die Holding so strukturiert, dass eine gemeinsame Körperschaft gebildet wird, die die Geschäftsleitung ausübt, während andere Körperschaften das operative Geschäft übernehmen. Entsprechende Konzernstrukturen sind im Krankenhausbereich häufig anzutreffen. Solche Strukturwarfen bisher Fragen des Unmittelbarkeitsgrundsatzes auf.2 Dies galt vor allem dann, wenn alle von der Holding erfassten Körperschaft gemeinnützig sein sollten.3

10.48

Nach § 57 Abs. 1 Satz AO muss eine Körperschaft die gemeinnützigen Zwecke selbst verwirklichen. Dies bedeutet grundsätzlich, dass die Zwecke durch eigenes Tätigwerden erreicht werden. In Holdingstrukturen, in denen die Holding nur geschäftsführend, nicht aber operativ im Hinblick auf den gemeinnützigen Zweck tätig wird, kann es fraglich sein, ob die Holding selbst noch gemeinnützig ist.

10.49

Die bisher vorhandenen Ausnahmevorschriften konnten nur begrenzt helfen. Nunmehr hat der Gesetzgeber an § 57 AO zwei neue Absätze angefügt. Der neue Absatz 3 regelt nun, dass eine Körperschaft ihre steuerbegünstigten Zwecke auch dann unmittelbar im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 verfolgt, wenn sie satzungsgemäß durch planmäßiges Zusammenwirken mit mindestens einer weiteren Körperschaft, die im Übrigen die Voraussetzungen der §§ 51 bis 68 erfüllt, einen steuerbegünstigten Zweck verwirklicht. Die §§ 14 sowie 65 bis 68 sind mit der Maßgabe anzuwenden, dass für das Vorliegen der Eigenschaft als Zweckbetrieb bei der jeweiligen Körperschaft die Tätigkeiten der nach Satz 1 zusammenwirkenden Körperschaften zusammenzufassen sind. Nach Absatz 4 verfolgt eine Körperschaft ihre steuerbegünstigten Zwecke auch dann unmittelbar im Sinne des Absatzes 1 Satz 1, wenn sie ausschließlich Anteile an steuerbegünstigten Kapitalgesellschaften hält und verwaltet.

10.50

Die Neuregelungen wurden ausweislich der Gesetzesbegründung auch mit Blick auf den Krankenhaussektor vorgenommen. Im Hinblick auf Absatz 3 wird explizit der Fall in Bezug genommen, dass eine steuerbegünstigte Körperschaft, die ein Krankenhaus im Sinne des § 67 AO betreibt, einen zum Zweckbetrieb gehörenden Wäschereibetrieb auf eine Tochtergesellschaft (Wäscherei-GmbH) ausgliedert. Der Unmittelbarkeitsgrundsatz führe hier dazu, dass die Wäscherei-GmbH nicht steuerbegünstigt sei. Da dies nicht sachgerecht sei, müsse mit der Sonderregelung des Absatzes 3 geholfen werden.

10.51

Nach Absatz 4 soll das Halten und Verwalten von Anteilen an steuerbegünstigten Kapitalgesellschaften allein ein Fall der unmittelbaren Zweckverwirklichung sein.4

10.52

b) Neuregelung von § 58 AO Eine weitere Problemkonstellation betrifft die Fördertätigkeit innerhalb gemeinnütziger Konzernverbünde.5 In der Praxis kommt es häufig vor, dass eine gemeinnützige Mutterkör-

1 2 3 4 5

Dazu etwa Möhlenbrock/Obermair, FR 2016, 975 ff. Grundlegend Schunk, npoR 2016, 53 ff. Dazu Hüttemann, Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht4, Rz. 4.54. BT-Drs. 19/25160, 202. Dazu ausführlich Hüttemann/Schauhoff/Kirchhain, DStR 2016, 633; siehe auch Möhlenbrock/ Obermair, FR 2016, 975 (977).

Musil | 729

10.53

Kap. 10 Rz. 10.53 | Gesundheitswesen und Sozialversicherung

perschaft mit gebundenen Mitteln erworbenes Vermögen zu günstigen Konditionen an die gemeinnützige Tochter weitergibt.

10.54

Die Finanzverwaltung schien der Auffassung zu sein, dass eine solche Mittelweitergabe nicht uneingeschränkt zulässig sei.1 Es wurde die Frage aufgeworfen, ob im Holdingverbund Sachmittel nach § 58 Nr. 1 AO unentgeltlich oder verbilligt überlassen werden dürften, wenn diese aus zeitnah zu verwendenden Mitteln angeschafft wurden. Die Finanzverwaltung war der Auffassung, dass eine solche Mittelweitergabe an Grenzen stoße, weil die Weitergabe zum Bereich der Vermögensverwaltung zähle. Der Erwerb von Gegenständen zum Zwecke der Vermögensverwaltung sei aber keine zeitnahe Mittelverwendung. Dem widersprachen Teile der Literatur mit der Erwägung, dass § 58 Nr. 1 AO auch die Überlassung von Sachmitteln und Dienstleistungen erfasse.2

10.55

Die entstandenen Zweifelsfragen wurden durch eine Neufassung von § 58 AO beseitigt. § 58 Nr. 1 AO wurde völlig neu gefasst und bestimmt nun, dass die Steuervergünstigung nicht dadurch ausgeschlossen wird, dass eine Körperschaft einer anderen Körperschaft oder einer juristischen Person des öffentlichen Rechts Mittel für die Verwirklichung steuerbegünstigter Zwecke zuwendet. Mittel sind sämtliche Vermögenswerte der Körperschaft. Nr. 1 erfasst damit nicht mehr nur Mittelbeschaffungen durch Mittelbeschaffungskörperschaften, sondern regelt nunmehr alle Mittelzuwendungen, auch diejenigen im Sinne der bisherigen Nr. 2.3 Satz 2 stellt klar, dass ein weiter Mittelbegriff zugrundeliegt.

10.56

Die oben geschilderten Fördertätigkeiten sollen ausweislich der Gesetzesbegründung künftig explizit von Nr. 1 erfasst sein. „Mittel“ sind danach nicht nur Bar- oder Buchgeld, sondern auch alle anderen Vermögenswerte. Auch die unentgeltliche oder verbilligte Nutzungsüberlassung oder unentgeltliche oder verbilligte Erbringung einer Dienstleistung unterfallen beispielsweise dem Begriff der „Mittel“.4

V. Körperschaftsteuer 1. Öffentliche Krankenhäuser als Subjekte der Körperschaftsteuer 10.57

Mit Blick auf die Ertragsbesteuerung von Krankenhäusern ist zunächst das Körperschaftsteuergesetz in den Blick zu nehmen. Zunächst stellen sich Fragen der subjektiven Körperschaftsteuerpflicht. Wird ein Krankenhaus von einem öffentlich-rechtlichen Träger betrieben, so ist mit Blick auf die Körperschaftsteuer zunächst festzustellen, dass die öffentliche Hand als solche nicht unter die Körperschaftsteuerpflicht nach § 1 Abs. 1 KStG fällt. Lediglich Betriebe gewerblicher Art von juristischen Personen des öffentlichen Rechts werden gem. § 1 Abs. 1 Nr. 6 KStG von der subjektiven Körperschaftsteuerpflicht erfasst. Betreibt eine juristische Person des öffentlichen Rechts ein Krankenhaus in Form eines Eigenbetriebs, so ist zu fragen, ob Krankenhäuser Betriebe gewerblicher Art im Sinne dieser Vorschrift sind. Hat die öffentliche Hand den Krankenhausbetrieb hingegen im Wege der Organisationsprivatisierung (siehe dazu bereits Rz. 1.113) organisatorisch verselbständigt und eine privatrechtliche Körperschaft gegründet, so stellen sich hinsichtlich der Körperschaftsteuerpflicht keine anderen Fragen als bei privaten Krankenhausträgern.

1 2 3 4

Vgl. Möhlenbrock/Obermair, FR 2016, 975 (977). Hüttemann/Schauhoff/Kirchhain, DStR 2016, 633 (635 ff.). Ausführlich Musil in H/H/Sp, AO/FGO, § 58 AO (St. 6/2021), Rz. 29 ff. Vgl. BT-Drs. 19/25160, 203.

730 | Musil

B. Krankenhäuser in öffentlicher Trägerschaft | Rz. 10.62 Kap. 10

2. Betrieb gewerblicher Art versus Hoheitsbetrieb Nach § 4 Abs. 1 S. 1 KStG sind Betriebe gewerblicher Art von juristischen Personen des öffentlichen Rechts alle Einrichtungen, die einer nachhaltigen wirtschaftlichen Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen dienen und die sich innerhalb der Gesamtbetätigung der juristischen Person wirtschaftlich herausheben. Satz 2 stellt klar, dass weder eine Gewinnerzielungsabsicht noch eine Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr erforderlich sind. Krankenhäuser in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft fallen unter diese Definition. Krankenhäuser haben das äußere Bild eines Gewerbebetriebs, so dass sie nach der Ratio der entsprechenden Vorschriften des Körperschaftsteuergesetzes unter die entsprechende Steuerpflicht fallen sollen.1 Universitätskliniken oder andere Krankenhäuser in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft sind somit Betriebe gewerblicher Art im Sinne von § 4 Abs. 1 KStG.

10.58

Fraglich ist, inwieweit die Vorschrift des § 4 Abs. 5 KStG auf Krankenhäuser anwendbar ist. Danach werden sogenannte Hoheitsbetriebe aus der Steuerpflicht für Betriebe gewerblicher Art ausgenommen. Ein Hoheitsbetrieb liegt vor, wenn er überwiegend der Ausübung hoheitlicher Gewalt dient. Die Krankenversorgung als solche ist nicht mit der Ausübung von öffentlicher Gewalt verbunden.2 Deshalb hat es auch der BFH abgelehnt, ein Kreiskrankenhaus als Hoheitsbetrieb zu qualifizieren.3 Auch Universitätskliniken sind nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs Betriebe gewerblicher Art.4

10.59

Bei psychiatrischen Kliniken muss zwischen Behandlungs-, Verwahr- und Pflegefällen unterschieden werden. Während die Behandlungsfälle dem nicht-hoheitlichen Bereich zurechnen, dient die Betreuung von Verwahr- und Pflegefällen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Im Falle der Verwahrung ist dies unmittelbar einsichtig. Aber auch Pflegefälle, die nicht mehr behandelbar sind, werden nur zu dem Zweck im Krankenhaus betreut, um eine Selbst- oder Fremdgefährdung auszuschließen.5

10.60

Mit Blick auf Universitätskliniken ist von einem einheitlichen Betrieb gewerblicher Art auszugehen.6 Dies gilt auch, soweit in ihnen Forschung Lehre betrieben wird. Hoheitsgewalt wird auch insoweit allenfalls im Zusammenhang mit Prüfungen und sonstigen Leistungsnachweisen ausgeübt. Überdies lässt sich bei Hochschulkliniken schon aus praktischen Gründen nicht zwischen der Patientenversorgung einerseits und Forschungs- und Lehrtätigkeit andererseits differenzieren. Beide Funktionen greifen untrennbar ineinander.

10.61

3. Gemeinnützigkeit für öffentlich-rechtliche Träger Bei als Betriebe gewerblicher Art geführten Krankenhäusern fragt sich, ob sich eine Steuerbefreiung unter dem Aspekt der Gemeinnützigkeit ergeben kann. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG kommt eine solche Befreiung in Betracht, wenn die Voraussetzungen der §§ 51 ff. AO erfüllt 1 2 3 4 5

Vgl. BFH v. 22.9.1976 – I R 102/74, BStBl. II 1976, 793 ff. Siehe Lorenz in Hidien/Jürgens (Hrsg.), Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 16 Rz. 681. BFH v. 31.10.1984 – I R 21/81, BStBl. II 1985, 162 ff. BFH v. 18.10.2017 – V R 46/16, BFHE 259, 488, BStBl. II 2018, 672. Siehe ausführlich Klaßmann/Notz/Schmidbauer, Die Besteuerung der Krankenhäuser und anderer humanmedizinischer Leistungserbringer5, S. 183, auch Heintzen/Musil, Das Steuerrecht des Gesundheitswesens2, Rz. 186. 6 BFH v. 18.10.2017 – V R 46/16, BFHE 259, 488, BStBl. II 2018, 672; so auch Krämer in Dötsch/ Jost/Pung/Witt, KStG, § 4 Rz. 109; siehe auch Musil, Steuerliche Fragen der Gesundheitsreform, Teil I, 130.

Musil | 731

10.62

Kap. 10 Rz. 10.62 | Gesundheitswesen und Sozialversicherung

sind. Von ihrem Ausgangspunkt her sind die Gemeinnützigkeitsvorschriften der Abgabenordnung für private Träger konzipiert. Private, die gemeinwohlorientierte Aufgaben erfüllen, sollen steuerlich begünstigt werden. Diese Ratio steht einer Steuerbefreiung für staatliche Einrichtungen indes nicht entgegen. Vielmehr erfüllt gerade auch der Staat Gemeinwohlaufgaben, so dass es gerechtfertigt erscheint, das Gemeinnützigkeitsrecht auch auf öffentlich-rechtliche Träger anzuwenden.1

10.63

Zu beachten ist hierbei, dass sich die Beurteilung der Gemeinnützigkeit nicht auf die juristische Person des öffentlichen Rechts als solche, sondern auf den jeweiligen Krankenhausbetrieb beziehen muss. Nur dieser ist einer Beurteilung als gemeinnützig zugänglich. Dadurch kommt es zwar zu einer systematischen Ungereimtheit, weil bei privaten Trägern die Gemeinnützigkeit der Körperschaft selbst zu beurteilen ist. Diese ist aber mit Blick auf die Notwendigkeit einer Anwendung der §§ 51 ff. AO auf öffentlich-rechtliche Träger hinzunehmen.

10.64

Im Ergebnis stellen daher Krankenhäuser öffentlich-rechtlicher Träger, die in Form des Eigenbetriebs geführt sind, zwar Betriebe gewerblicher Art dar. Sie können aber wie Private eine Anerkennung als gemeinnützig erhalten. In diesem Falle unterliegt der Krankenhausbetrieb denselben Regeln, die für Krankenhäuser frei-gemeinnütziger Träger gelten.

4. Fragen der Gewinnermittlung bei Krankenhäusern a) Buchführungspflichten

10.65

§ 8 Abs. 1 KStG verweist für die Einkommensermittlung auf die Vorschriften des Einkommensteuergesetzes. Nach § 4 Abs. 1 S. 1 EStG ist der Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich zu ermitteln. Die Möglichkeit einer Überschussrechnung besteht gem. § 4 Abs. 3 EStG nur, wenn keine gesetzliche Buchführungspflicht besteht.

10.66

Für Kaufleute besteht eine Buchführungspflicht nach § 238 HGB. Zu den Kaufleuten kraft Rechtsform gehören gem. § 6 Abs. 1 HGB die Kapitalgesellschaften wie AG und GmbH. Soweit ein Krankenhausträger in dieser Form organisiert ist, unterliegt er auch der entsprechenden Buchführungspflicht. Besteht eine Buchführungspflicht nach HGB, so erstreckt sie sich auf alle Tätigkeiten des Krankenhausträgers, nicht nur den eigentlichen Krankenhausbetrieb. Auch wirtschaftliche Geschäftsbetriebe sind mit einzubeziehen.

10.67

Eine spezielle Buchführungspflicht für Krankenhäuser ist in der Krankenhaus-Buchführungsverordnung (KHBV) geregelt.2 Die Vorschriften der Verordnung sind unabhängig von der Rechtsform, in der das Krankenhaus betrieben wird, erstrecken sich aber nur auf den Krankenhausbetrieb im engeren Sinne. Für wirtschaftliche Geschäftsbetriebe gelten die allgemeinen Vorschriften. Nach § 1 Abs. 1 KHBV werden grundsätzlich alle Krankenhäuser vom Anwendungsbereich erfasst. Ausgeschlossen sind aber die in Abs. 2 genannten Krankenhäuser. Für den Inhalt des Jahresabschlusses verweist die KHBV in § 4 Abs. 3 auf wesentliche Vorschriften des HGB, enthält aber, insbesondere in § 5, auch abweichende Regelungen.3 § 1 1 In diesem Sinne auch BFH v. 27.11.2013 – I R 17/12, BStBl. II 2016, 68; Hüttemann, Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht4, Rz. 4.84; Seer in T/K, AO/FGO, § 55 AO (St. 5/2021), Rz. 7; Musil, FR 2014, 825. 2 Verordnung über die Rechnungs- und Buchführungspflichten von Krankenhäusern (Krankenhaus-Buchführungsverordnung) in der Fassung der Bekanntmachung vom 24.3.1987, BGBl. I, 1045, zul. geänd. d. V. v. 21.12.2016, BGBl. I, 3076. 3 Ausführlich Müller, Der Jahresabschluss im Krankenhaus, passim.

732 | Musil

B. Krankenhäuser in öffentlicher Trägerschaft | Rz. 10.70 Kap. 10

Abs. 1 S. 2 KHBV bestimmt im Übrigen, dass die steuerlichen Gewinnermittlungsvorschriften durch die Vorschriften der Verordnung nicht berührt werden. Die steuerliche Gewinnermittlung erfolgt also auch im Falle der Anwendbarkeit der KHBV grundsätzlich nach den allgemeinen Vorschriften, soweit sich aus § 1 Abs. 3 und 4 KHBV nichts anderes ergibt.1 b) Einkünftequalifikation Mit Blick auf die Zuordnung von Einkünften des Krankenhauses zu den einzelnen Einkunftsarten ist zu differenzieren. Betreibt eine Kapitalgesellschaft das Krankenhaus und die dazugehörenden wirtschaftlichen Geschäftsbetriebe, so handelt es sich gem. § 8 Abs. 2 KStG bei allen steuerpflichtigen Einkünften um solche aus Gewerbebetrieb. Jenseits von § 8 Abs. 2 KStG ist die Einkünftequalifikation nach den allgemeinen Vorschriften vorzunehmen. In der Regel werden aber auch im Rahmen eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs oder eines Betriebes gewerblicher Art Einkünfte aus Gewerbebetrieb vorliegen.

10.68

c) Subjekt der Gewinnermittlung Ist Träger eines Krankenhauses eine privatrechtliche Körperschaft, so ist diese auch das Subjekt der Gewinnermittlung. Etwas anderes gilt möglicherweise hinsichtlich der Betriebe gewerblicher Art von Trägern in öffentlich-rechtlicher Rechtsform. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist zwar die Trägerkörperschaft für ihre Betriebe gewerblicher Art Steuersubjekt, jedoch nur wegen jedes einzelnen Betriebs.2 Das Einkommen aus einem Betrieb gewerblicher Art ist also so zu ermitteln, als ob der Betrieb gewerblicher Art im Verhältnis zur Trägerkörperschaft ein eigenständiges Rechtssubjekt wäre.3 Mit guten Argumenten hat sich namentlich Hüttemann gegen die Lösung der Rechtsprechung gewandt.4 Er zeigt auf, dass die historisch gewachsene Zuordnung der Rechtsprechung nicht zwingend und auch nicht sachgerecht ist. Der Herbeiführung von Wettbewerbsneutralität diene die Selbständigkeitsfiktion jedenfalls nicht. Sie führe auch zu erheblichen Abgrenzungsschwierigkeiten bei der Gewinnermittlung. Vorzuziehen sei wie bei privaten Trägern eine zusammenfassende Betrachtung aller Betriebe gewerblicher Art, die zu einem öffentlich-rechtlichen Träger gehören. Diesen Erwägungen ist zuzustimmen. Die praktischen Auswirkungen der Meinungsdivergenz sind vor dem Hintergrund der Neuregelungen zum Querverbund indes nur noch gering.

10.69

VI. Gewerbesteuer 1. Gewerbesteuerpflicht Mit Blick auf die Gewerbesteuer ist zunächst nach der Gewerbesteuerpflicht öffentlicher Krankenhäuser zu fragen. Diese liegt vor, wenn ein Unternehmen vorliegt, das als stehender Gewerbebetrieb anzusehen ist (vgl. § 2 Abs. 1 S. 1 GewStDV). Der Begriff unterscheidet sich insoweit von dem des Betriebs gewerblicher Art, als für den Gewerbebetrieb sowohl Gewinn1 Vgl. Klaßmann/Notz/Schmidbauer, Die Besteuerung der Krankenhäuser und anderer humanmedizinischer Leistungserbringer5, S. 175. 2 BFH v. 13.3.1974 – I R 7/71, BStBl. II 1974, 391; vgl. Hüttemann, Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht4, Rz. 280. 3 Siehe nur BFH v. 12.10.1978 – I R 149/75, BStBl. II 1979, 192, 193; BFH v. 8.11.1989 – I R 187/85, BStBl. II 1990, 242. 4 Hüttemann, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, 2002, S. 130 ff.; Hüttemann, Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht4, Rz. 280; dagegen Damas, DStZ 2005, 866 (867).

Musil | 733

10.70

Kap. 10 Rz. 10.70 | Gesundheitswesen und Sozialversicherung

erzielungsabsicht als auch die Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr erforderlich ist. Krankenhäuser öffentlich-rechtlicher Träger fallen in der Regel unter die Steuerpflicht nach § 2 Abs. 1 S. 1 GewStG, weil sie sich am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr beteiligen und mit Gewinnerzielungsabsicht arbeiten. Etwas anderes kann gelten, wenn sie als gemeinnützig anerkannt sind. Dann kann wie bei privaten Trägern nicht von einer Gewerbesteuerpflicht nach § 2 Abs. 1 S. 1 GewStG ausgegangen werden. Für ausgegliederte Krankenhäuser in Privatrechtsform kommt eine Gewerbesteuerpflicht kraft Rechtsform nach § 2 Abs. 2 Satz 1 GewStG in Betracht. Nicht gewerbesteuerpflichtig sind gem. § 2 Abs. 2 GewStDV die Hoheitsbetriebe von juristischen Personen des öffentlichen Rechts, die allerdings im Krankenhausbereich nur eine beschränkte Rolle spielen (siehe Rz. 10.58 ff.).

2. Steuerbefreiungen 10.71

Liegt Gewerbesteuerpflicht vor, so ist nach dem Vorliegen einer Steuerbefreiung nach § 3 GewStG zu fragen. Nach § 3 Nr. 20 a) GewStG sind Krankenhäuser von der Gewerbesteuer befreit, wenn sie von juristischen Personen des öffentlichen Rechts betrieben werden. Die Befreiung gilt allerdings nur, soweit der öffentlich-rechtliche Träger das Krankenhaus selbst betreibt.1 Ist eine private Trägergesellschaft zwischengeschaltet, so gelten die allgemeinen Regeln. Außerdem erstreckt sich die Befreiung nur auf den Krankenhausbetrieb im engeren Sinne. Soweit Betriebe unterhalten werden, die nicht unmittelbar zum Krankenhausbetrieb gehören, bleibt es bei der Gewerbesteuerpflicht.

10.72

Weiterhin kommt für öffentliche Krankenhäuser eine Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 6 S. 1 GewStG in Betracht. Voraussetzung ist, dass die Anforderungen des Gemeinnützigkeitsrechts erfüllt werden und nicht ohnehin schon § 3 Nr. 20 a) GewStG greift.

VII. Umsatzsteuer 1. Prüfungsschritte 10.73

Im Hinblick auf die Umsatzbesteuerung von Krankenhäusern der öffentlichen Hand ist zunächst zu fragen, ob im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG Lieferungen oder sonstige Leistungen vorliegen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt. Dabei ist die Unternehmereigenschaft des entsprechenden Krankenhausträgers von besonderer Bedeutung (dazu 2.). Weiterhin ist auf Sonderfragen im Hinblick auf gemeinnützige Krankenhäuser (3.) und Universitätskliniken (4.) einzugehen. In einem weiteren Schritt ist das Vorliegen von Umsatzsteuerbefreiungen zu prüfen (dazu 5.). Kurz ist schließlich auch auf Probleme des Steuersatzes (6.) und des Vorsteuerabzugs (7.) einzugehen.

2. Umsatzsteuerpflicht a) Unternehmereigenschaft öffentlich-rechtlicher Träger

10.74

Krankenhausträger in öffentlich-rechtlicher Rechtsform unterliegen dann der grundsätzlichen Umsatzsteuerpflicht, wenn sie als Unternehmer Leistungen im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG erbringen. Unternehmer ist nach § 2 Abs. 1 Satz 1 UStG, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt.

1 Vgl. Klaßmann/Notz/Schmidbauer, Die Besteuerung der Krankenhäuser und anderer humanmedizinischer Leistungserbringer5, S. 218.

734 | Musil

B. Krankenhäuser in öffentlicher Trägerschaft | Rz. 10.78 Kap. 10

Früher galt, dass eine juristische Person des öffentlichen Rechts nur im Rahmen ihrer Betriebe gewerblicher Art als Unternehmer anzusehen war. Mittlerweile wurde der alte § 2 Abs. 3 UStG, der einen entsprechenden Verweis auf das Körperschaftsteuergesetz enthielt, gestrichen und durch § 2b UStG ersetzt. Dadurch wurde die Unternehmereigenschaft von juristischen Personen des öffentlichen Rechts an die europarechtlichen Vorgaben angepasst und vom Körperschaftsteuerrecht gelöst (dazu bereits ausführlich Kapitel 3). Allerdings ist die alte Rechtslage des § 2 Abs. 3 UStG nach der Übergangsregelung des § 27 Abs. 22 UStG für solche juristischen Personen des öffentlichen Rechts bis Ende 2020 weiter anzuwenden, die hierzu ausdrücklich optiert haben. Durch das erste Corona-Steuerhilfegesetz1 wurde ein neuer Absatz 22a eingefügt, der die entsprechende Frist bis zum Ende des Jahres 2022 verlängert hat.2 Deshalb wird im Folgenden soweit erforderlich die bisherige Rechtslage neben der neuen Rechtslage dargestellt.

10.75

Unter Geltung des alten § 2 Abs. 3 UStG ist nach den Vorgaben der Finanzverwaltung zu prüfen, ob ein Betrieb gewerblicher Art im Sinne des Körperschaftsteuergesetzes vorliegt. Die Rechtsprechung hat die umsatzsteuerlichen Vorgaben schon seit längerem von der körperschaftsteuerlichen Begrifflichkeit gelöst. Eine endgültige Klärung der Rechtslage erfolgte indes erst durch die erwähnte Gesetzesänderung. Krankenhausbetriebe erfüllen in der Regel die Merkmale eines Betriebs gewerblicher Art. Wird keine öffentliche Gewalt ausgeübt, was bei Krankenhäusern regelmäßig der Fall ist, kann eine Unternehmereigenschaft bejaht werden.

10.76

Nach der neuen Rechtslage kommt es auf das Vorhandensein eines Betriebs gewerblicher Art nicht mehr an. Vielmehr ist nach allgemeinen Regeln zu fragen, ob das Krankenhaus als Unternehmer anzusehen ist. Das ist nach § 2b Abs. 1 Satz 1 UStG nur insoweit nicht der Fall, als juristische Personen des öffentlichen Rechts Tätigkeiten ausüben, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen. Dies gilt nach Satz 2 allerdings nicht, sofern eine Behandlung als Nichtunternehmer zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde. Grundsätzlich gilt auch vor dem Hintergrund der neuen Rechtslage, dass ein Krankenhaus mit seinem Betrieb im Regelfall die Voraussetzungen der Unternehmereigenschaft erfüllt.

10.77

b) Umsatzsteuerliche Organschaft Ein Sonderproblem der Umsatzsteuerbarkeit stellt die umsatzsteuerliche Organschaft nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG dar. Danach wird die gewerbliche und berufliche Tätigkeit nicht selbständig ausgeübt, wenn eine juristische Person nach dem Gesamtbild der Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert ist.3 Liegt eine Organschaft vor, so sind die Leistungsbeziehungen zwischen Organgesellschaft und Organträger nicht steuerbar, weil es sich um Innenleistungen im Organkreis handelt. Im Krankenhausbereich ist die umsatzsteuerliche Organschaft vor allem in Ausgliederungsfällen von Bedeutung. Wären alle Leistungsbeziehungen zwischen einem Krankenhausträger und seinen verschiedenen Tochtergesellschaften umsatzsteuerlich relevant, so führte dies zu 1 Gesetz zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise v. 19.6. 2020, BGBl. I, 1385. 2 Absatz 22a lautet: „Hat eine juristische Person des öffentlichen Rechts gegenüber dem Finanzamt gemäß Absatz 22 Satz 3 erklärt, dass sie § 2 Absatz 3 in der am 31.12.2015 geltenden Fassung für sämtliche nach dem 31.12.2016 und vor dem 1.1.2021 ausgeführte Leistungen weiterhin anwendet und die Erklärung für vor dem 1.1.2021 endende Zeiträume nicht widerrufen, gilt die Erklärung auch für sämtliche Leistungen, die nach dem 31.12.2020 und vor dem 1.1.2023 ausgeführt werden.“ 3 Vgl. UStAE 2010 zu § 2 UStG, Abschn. 2.8, Abs. 1.

Musil | 735

10.78

Kap. 10 Rz. 10.78 | Gesundheitswesen und Sozialversicherung

erheblichen Mehrbelastungen für den Konzern. Deshalb stellt die Organschaft in diesem Bereich ein bedeutsames Gestaltungsinstrument dar. Dieses ist aber aufgrund der komplexen Rechtslage mit erheblichen Unsicherheiten behaftet.1 c) Insbesondere: Personalgestellungen und -überlassungen

10.79

Besonderheiten können sich bei der Überlassung von Personal- und Sachmitteln zwischen oder innerhalb juristischer Personen des öffentlichen Rechts ergeben. Insbesondere Personalgestellungen und -überlassungen haben sich im Rahmen von Umstrukturierungen der letzten Jahrzehnte immer wieder als problematisch erwiesen.

10.80

Vor dem Hintergrund von § 2 Abs. 3 UStG a.F. gilt: Überlässt eine juristische Person des öffentlichen Rechts Personal aus ihrem nichtunternehmerischen Bereich an den unternehmerischen Bereich, so liegt keine umsatzsteuerbare Leistung vor. Es handelt sich um eine Innenleistung.2 Anders liegt es, wenn Personal aus dem Hoheitsbereich an unternehmerische Bereiche anderer Träger oder an privatrechtlich organisierte Unternehmer überlassen wird. Hier liegen grundsätzlich steuerbare Umsätze vor.3 Dies kann etwa bei Privatisierungen vorkommen, wenn eine Personalgestellung des öffentlich-rechtlichen Trägers an eine private Eigengesellschaft intendiert ist. Ausnahmen hat die Finanzverwaltung aber dann anerkannt, wenn die unkündbar im öffentlichen Dienst beschäftigten Ärzte unter Kostenübernahme weiterhin im Krankenhaus tätig blieben. Hier hat die Finanzverwaltung keinen Betrieb gewerblicher Art angenommen, die Personalgestellung bleibt umsatzsteuerfrei.4 Generell hat die Finanzverwaltung die entgeltliche Personalgestellung nicht als umsatzsteuerbar angesehen, wenn sie die Folge organisatorisch bedingter äußerer Zwänge ist, die Kostenerstattung im Interesse der betroffenen Bediensteten erfolgt, die Gestellung auf Altfälle begrenzt ist und nicht das äußere Bild eines Gewerbebetriebs annimmt (zu Besonderheiten bei Universitätskliniken siehe noch ausführlich Rz. 10.84 ff.).5

10.81

Vor dem Hintergrund von § 2b UStG gilt: Die oben skizzierten Ausnahmen von der Unternehmereigenschaft lassen sich vor dem Hintergrund des neuen § 2b UStG nur noch eingeschränkt begründen.6 Nur in solchen Fällen, in denen nach allgemeinen Regeln des § 2 Abs. 1 UStG keine Unternehmereigenschaft vorliegt, ist von einem nicht steuerbaren Umsatz auszugehen. Hinzuweisen ist auf § 2b Abs. 3 UStG, der Ausnahmen für bestimmte Beistandsleistungen zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts vorsieht. Hierunter können im Einzelfall auch Krankenhäuser fallen. Die Beteiligten müssen aber jeweils als juristische Personen des öffentlichen Rechts zu qualifizieren sein, und die Rechtsbeziehungen müssen auf öffentlichem Recht beruhen. Leistungsaustausche mit Privatrechtsträgern oder auf privatrechtlicher Basis sind generell nicht erfasst.7 1 Ausführlich Klaßmann/Notz/Schmidbauer, Die Besteuerung der Krankenhäuser und anderer humanmedizinischer Leistungserbringer5, S. 266 ff. 2 Siehe UStAE 2010, Abschn. 2.11, Abs. 15, Bsp. 1. 3 Siehe UStAE 2010, Abschn. 2.11, Abs. 15, Bsp. 3 und 4. 4 OFD Münster v. 12.3.1987 – S 7106 – 19 – St 14 – 32, StEK UStG 1980, § 2 Abs. 2 Nr. 22. 5 OFD Hannover v. 22.8.2002 – S 2706 - 143 – StO 214/S 2706 – 178 – StH 231, UR 2003, 42 f., unter I.; OFD Nürnberg v. 25.1.2005 – S 2706-222/St 31. Siehe auch Klaßmann/Notz/Schmidbauer, Die Besteuerung der Krankenhäuser und anderer humanmedizinischer Leistungserbringer5, S. 249. 6 Siehe auch Klaßmann/Notz/Schmidbauer, Die Besteuerung der Krankenhäuser und anderer humanmedizinischer Leistungserbringer5, S. 242 ff. 7 Siehe Klaßmann/Notz/Schmidbauer, Die Besteuerung der Krankenhäuser und anderer humanmedizinischer Leistungserbringer5, S. 246.

736 | Musil

B. Krankenhäuser in öffentlicher Trägerschaft | Rz. 10.85 Kap. 10

3. Sonderfragen gemeinnütziger Krankenhäuser Wird ein Krankenhaus der öffentlichen Hand in gemeinnütziger Form geführt, können sich auch umsatzsteuerlich Sonderfragen ergeben. Diesen ist im Folgenden nachzugehen. Grundsätzlich können gemeinnützige Träger als Unternehmer anzusehen sein. Im Bereich der Umsatzsteuer begründet die Gemeinnützigkeit keine automatische Steuerfreistellung. Vielmehr ist zwischen den verschiedenen Sphären der Betätigung einer gemeinnützigen Körperschaft zu unterscheiden, nämlich der unternehmerischen Sphäre einerseits und der nichtunternehmerischen Sphäre andererseits. Der BFH formuliert, dass ausgehend vom Gesetzeswortlaut des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG bei allen Unternehmern gleich welcher Rechts- und Organisationsform ein Nebeneinander umsatzsteuerrechtlich relevanter und irrelevanter Bereiche möglich und gegeben sei.1 Die Umsatzsteuerbarkeit ist für jede einzelne Leistung gesondert zu bestimmen.

10.82

Mit Blick auf Krankenhäuser sind diejenigen Leistungen von besonderem Interesse, die im wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb oder im Zweckbetrieb anfallen. Umsatzsteuerlich sind all diese Leistungen grundsätzlich steuerbar, weil sie die Definition des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG erfüllen. Das gilt auch für in Zweckbetrieben erbrachte Leistungen. Für diese Leistungen kommen aber möglicherweise Steuerbefreiungen oder -ermäßigungen in Betracht, auf die an späterer Stelle eingegangen wird. Grundsätzlich gilt, dass alle Tätigkeiten im Krankenhausbetrieb grundsätzlich umsatzsteuerlich relevant sind. Bei sogenannten Hilfsgeschäften, die der eigentlichen Unternehmenstätigkeit nachgeordnet sind, hängt die Steuerbarkeit von der Zuordnung derjenigen Tätigkeit ab, der die Hilfsgeschäfte dienen. So ist etwa die Überlassung des Telefons an im nichtunternehmerischen Bereich tätige Mitarbeiter zur privaten Nutzung nicht steuerbar.2

10.83

4. Leistungsbeziehungen zwischen Universitätskliniken und Medizinischen Fakultäten a) Notwendige Differenzierungen Im Zusammenhang mit der Organisation der Hochschulmedizin in Gestalt des Kooperationsmodells ist eine zentrale Frage, inwiefern Leistungsaustausche zwischen den beteiligten Rechtsträgern, insbesondere Personalgestellungen von Angestellten zwischen Universitäten und Universitätskliniken umsatzsteuerpflichtig sind. Zu unterscheiden ist hierbei zwischen der Überlassung von wissenschaftlichem und nicht-wissenschaftlichem Personal. Weiterhin kann differenziert werden zwischen der Gestellung von Personal der Universität an das Klinikum und umgekehrt des Klinikums an die Universität. In der Regel wird es sich bei dem Personal der Hochschule um wissenschaftliches, bei dem Personal des Klinikums um nicht-wissenschaftliches Personal handeln. Die Gestellung von Personal durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts gegen Erstattung der Kosten stellt grundsätzlich einen Leistungsaustausch dar. Ob diese Personalgestellung allerdings der Umsatzsteuer unterliegt, hängt davon ab, ob sie im unternehmerischen Bereich erfolgt.

10.84

b) Bisherige Rechtslage Unter Geltung des alten § 2 Abs. 3 UStG war entscheidend, ob die Personalgestellung im Rahmen eines Betriebs gewerblicher Art der juristischen Person des öffentlichen Rechts vorgenommen wird (siehe bereits Rz. 10.76). Keinen Betrieb gewerblicher Art stellen typischer1 BFH v. 20.12.1984 – V R 25/76, BFHE 142, 526, 529 = BStBl. II 1985, 176 ff. 2 Klaßmann/Notz/Schmidbauer, Die Besteuerung der Krankenhäuser und anderer humanmedizinischer Leistungserbringer5, S. 228.

Musil | 737

10.85

Kap. 10 Rz. 10.85 | Gesundheitswesen und Sozialversicherung

weise Hoheitsbetriebe dar, die überwiegend der Ausübung öffentlicher Gewalt dienen. Soweit die Tätigkeiten der Universitäten und der Universitätskliniken der Forschung und Lehre dienen, sind sie dem nicht steuerbaren hoheitlichen Bereich zuzuordnen, soweit sie hingegen der Krankenversorgung dienen, gehören sie dem grundsätzlich steuerbaren wirtschaftlichen Bereich an.

10.86

Die Überlassung von wissenschaftlichem Personal einer Universität an ein Universitätsklinikum begründet bei der Universität nach Auffassung der Finanzverwaltung keinen Betrieb gewerblicher Art, soweit dies zu Zwecken der Forschung und Lehre erfolgt.1 Es handelt sich vielmehr um eine Personalgestellung zu hoheitlichen Zwecken. Mithin führt dies auch nicht zu einem Leistungsaustausch, der der Umsatzsteuer unterliegt, soweit das dem Klinikum überlassene Personal dort der Forschung und Lehre und nicht der Krankenversorgung dient. Überlässt die Universität hingegen wissenschaftliches Personal, das bei der Klinik im Bereich der Krankenversorgung (d.h. dem nicht hoheitlichen Bereich) tätig wird, begründet diese Personalgestellung grundsätzlich einen Betrieb gewerblicher Art bei der Universität, und der mit der Personalgestellung verbundene Leistungsaustausch unterliegt grundsätzlich der Umsatzsteuer. Häufig wird das von den Universitäten überlassene Personal jedoch sowohl im Bereich Forschung und Lehre als auch im Bereich Krankenversorgung tätig. Ist eine Abgrenzung zwischen den Tätigkeiten möglich, sind die Tätigkeiten getrennt zu beurteilen. Greifen die Tätigkeiten, die im Klinikum einerseits der Forschung und Lehre und andererseits der Krankenversorgung dienen, derart ineinander, dass eine Abgrenzung der Tätigkeiten nicht möglich ist, und liegt eine überwiegende Zweckbestimmung im Bereich Forschung und Lehre, ist nach Auffassung der Finanzverwaltung eine überwiegend hoheitliche Zweckbestimmung anzunehmen. In diesem Fall führt die Personalgestellung nicht zur Begründung eines Betriebes gewerblicher Art.2 Für die Fälle der Gestellung von wissenschaftlichem Personal zum Zwecke der Krankenversorgung hat die Finanzverwaltung Voraussetzungen aufgestellt, unter denen gleichwohl kein steuerpflichtiger BgA entstehe. Hintergrund sind die zahlreichen Umstrukturierungen im Bereich der Hochschulmedizin ab Ende der 90er Jahre, die nicht zu umsatzsteuerlichen Folgen führen sollten.3

10.87

Die entgeltliche Überlassung von nicht-wissenschaftlichem Personal führt grundsätzlich zur Begründung eines Betriebes gewerblicher Art. Lediglich in Ausnahmefällen kann auf der Grundlage besonderer gesetzlicher Vorschriften anders zu entscheiden sein.4 c) Rechtslage unter Geltung von § 2b UStG

10.88

Zur neuen Rechtslage unter Geltung des § 2b UStG hat das BMF auf eine Anfrage der Kultusministerkonferenz ein entsprechendes Schreiben verfasst.5 Dessen Inhalt wird im Folgenden auszugsweise wiedergegeben.

10.89

Erfolgt die Überlassung von Personal einer Medizinischen Fakultät an eine Universitätsklinik (und umgekehrt) gegen Entgelt, z.B. in Form einer Kostenerstattung, liegt ein Leistungsaustausch im umsatzsteuerrechtlichen Sinn und damit eine unternehmerische Betätigung i.S. 1 2 3 4

Vgl. OFD Nürnberg v. 25.1.2005 – S 2706-222/St 31, juris. Vgl. hierzu OFD Nürnberg v. 25.1.2005 – S 2706-222/St 31, juris. Vgl. hierzu OFD Nürnberg v. 25.1.2005 – S 2706-222/St 31, juris. Etwa in Baden-Württemberg auf der Grundlage von § 12 Abs. 1 Satz 4 UKG, vgl. hierzu Musil, Steuerliche Fragen der Gesundheitsreform, Teil I, S. 132 f. 5 BMF v. 28.1.2020 – III C 2 - S 7107/19/10004:003.

738 | Musil

B. Krankenhäuser in öffentlicher Trägerschaft | Rz. 10.92 Kap. 10

v. § 2 Abs. 1 UStG vor. Bei entsprechender Sachverhaltsgestaltung können jedoch die Voraussetzungen des § 2b Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchstabe b UStG gegeben und die Unternehmereigenschaft ausgeschlossen sein. Entscheidend ist, dass die Behandlung als Nichtunternehmer nicht zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führt. Dies ist regelmäßig der Fall, wenn die jeweiligen Landesgesetze Forschung und Lehre sowie Krankenversorgung als gemeinsame Aufgabe von Universitätskliniken und Medizinischen Fakultäten regeln und über die Personalüberlassung gegen Entgelt öffentlich-rechtliche Verträge abgeschlossen werden. Bei entsprechender Sachverhaltsgestaltung können im Übrigen auch die zudem zu prüfenden Buchstaben a, c und d des § 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG erfüllbar sein. Kommt es trotz Vorliegens der Voraussetzungen zu größeren Wettbewerbsverzerrungen, wird die Unternehmereigenschaft nicht ausgeschlossen. Ergibt sich nämlich, dass die Nichtbesteuerung von Leistungen im Rahmen der Zusammenarbeit von juristischen Personen des öffentlichen Rechts zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde, ist die Regelvermutung des § 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG als widerlegt anzusehen. Dies ist im Einzelfall stets zu prüfen. Im Hinblick auf Verwaltungsleistungen im Bereich der Personal- und Wirtschaftsverwaltung sehen die landesrechtlichen Vorschriften regelmäßig den Abschluss von Geschäftsbesorgungs- oder Kooperationsverträgen zwischen Universitätskliniken und Medizinischen Fakultäten vor. In diesen Verträgen überträgt die Medizinische Fakultät dem jeweiligen Universitätsklinikum zumeist u.a. die Aufgabe der Personal- und Wirtschaftsverwaltung. Werden die Verwaltungsleistungen entgeltlich erbracht, liegt ein Leistungsaustausch im umsatzsteuerrechtlichen Sinn und damit eine unternehmerische Betätigung i.S.v. § 2 Abs. 1 UStG vor. Soweit gesetzlich vorgesehen ist, dass diese Aufgabe nur auf ein kooperierendes Universitäts-klinikum übertragen werden darf und nicht auf Dritte (siehe z.B. § 4 Abs. 3 UKGBaWü), ist § 2b Abs. 3 Nr. 1 UStG zu bejahen. Unter bestimmten Bedingungen kann die Tätigkeit auch nach § 2b Abs. 1 in Verbindung mit den in Abs. 3 Nr. 2 UStG beschriebenen Voraussetzungen von der Unternehmereigenschaft ausgenommen sein. Allerdings ist bei der Anwendung des § 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG stets zu prüfen, ob größere Wettbewerbsverzerrungen vorliegen.

10.90

Erfolgt eine Sachmittel- und Raumüberlassung gegen Entgelt, liegt ein Leistungsaustausch im umsatzsteuerrechtlichen Sinn und damit eine unternehmerische Betätigung i.S.v. § 2 Abs. 1 UStG vor. § 2b Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchstabe b UStG ist erfüllt, wenn die jeweiligen Landesgesetze Forschung und Lehre sowie Krankenversorgung als gemeinsame Aufgabe von Universitätsklinikum und Medizinischer Fakultät regeln und über die Überlassung von Räumen und Sachmitteln zwischen Medizinischer Fakultät und Universitätsklinikum öffentlich-rechtliche Verträge abgeschlossen wurden. Bei entsprechender Sachverhaltsgestaltung können im Übrigen auch die zudem zu prüfenden Buchstaben a, c und d des § 2b Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 UStG erfüllbar sein. Entscheidend ist auch in diesen Fällen, dass die Behandlung als Nichtunternehmer nicht zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führt. Kommt es trotz Vorliegens der Voraussetzungen zu größeren Wettbewerbsverzerrungen, wird die Unternehmereigenschaft nicht ausgeschlossen. Dies ist im Einzelfall stets zu prüfen.

10.91

5. Steuerbefreiungen a) Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 Buchst. b) UStG aa) Trägerbezogene Anforderungen Liegt eine umsatzsteuerbare Leistung vor, weil die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG erfüllt sind, so ist weiter nach einer Befreiung nach § 4 UStG zu fragen. § 4 Nr. 14 Buchst. b) UStG stellt die für Krankenhäuser bedeutsamste Befreiungsvorschrift dar. Sie stellt die Krankenhausbehandlungen und andere dort genannte Behandlungsleistungen sowie damit eng Musil | 739

10.92

Kap. 10 Rz. 10.92 | Gesundheitswesen und Sozialversicherung

verbundenen Umsätze von der Umsatzsteuer frei, wenn die Leistungen entweder von Einrichtungen des öffentlichen Rechts (Satz 1 a.E.) oder solchen Einrichtungen erbracht werden, die in Satz 2, Buchst. aa) bis ii) genannt sind.

10.93

Um die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 Buchst. b) UStG geltend machen zu können, muss ein Krankenhaus bestimmte trägerbezogene Voraussetzungen erfüllen. § 4 Nr. 14 Buchst. b) Satz 1 UStG a.E. erfasst Einrichtungen von juristischen Personen des öffentlichen Rechts. Betreibt eine Kommune oder eine Hochschule ihr Krankenhaus als Eigenbetrieb, so kann die Körperschaft in den Genuss der Steuerbefreiung kommen. Wird die Klinik allerdings verselbständigt und von eigenständigen Trägern in privater Rechtsform betrieben, so fällt sie aus dem Anwendungsbereich des Satzes 1 heraus. In Betracht kommt dann eine Befreiung nach den weiteren Voraussetzungen des Satzes 2, insbesondere Buchst. aa). Hochschulkliniken, die als Gliedkörperschaften des öffentlichen Rechts partiell verselbständigt sind, wie es etwa bei der Berliner Charité der Fall ist, fallen ohne Weiteres unter die Regelung des Satzes 1. bb) Eng verbundene Umsätze

10.94

Der Begriff der „eng verbundenen Umsätze“ bedarf der Konkretisierung. Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat in einem Urteil aus dem Jahre 2001 ausgesprochen, dass der Begriff keine enge Auslegung verlange.1 Er solle gewährleisten, dass der Zugang zu den nach Art. 132 MwStSystRL begünstigten Umsätzen nicht durch höhere Kosten erschwert werde, die durch eine Umsatzsteuerbelastung entstünden.2 Die BFH-Rechtsprechung hat sich im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH entwickelt.3

10.95

Grundvoraussetzung für die Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL (und nach § 4 Nr. 14 Buchst. b) UStG) ist danach, dass die Umsätze im Zusammenhang mit Behandlungen stehen, die einem therapeutischen Zweck dienen. Dabei ist die Feststellung, welche Zwecke mit Leistungen verfolgt werden, in den Fällen unproblematisch, in denen sich die therapeutische Zielsetzung bereits aus der Leistung selbst ergibt.4 Dies gilt auch für einzelne Leistungen, die unerlässlicher, fester und untrennbarer Bestandteil der gesamten Heilbehandlung sind, deren einzelne Abschnitte sinnvoller Weise nicht isoliert voneinander durchgeführt werden können.5 Denn dann folgt die therapeutische Zweckbestimmung daraus, dass die Tätigkeit im Rahmen eines hinreichend „konkreten, individuellen, der Diagnose, Behandlung, Vorbeugung und Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen dienenden Leistungskonzeptes“ erfolgt.6 Hingegen kommt es bei Maßnahmen, die sowohl Heilbehandlungszwecken als auch bloß der Verbesserung des allgemeinen Gesundheitszustands dienen können 1 EuGH v. 11.1.2001 – C-76/99, ECLI:EU:C:2001:12, UR 2001, 62. 2 EuGH v. 11.1.2001 – C-76/99 – Kommission/Frankreich, ECLI:EU:C:2001:12, UR 2001, 62, Rz. 23; EuGH v. 20.11.2003 – C-212/01 – Unterpertinger, ECLI:EU:C:2003:625, UR 2004, 70, Rz. 40; EuGH v. 20.11.2003 – C-307/01 – D'Ambrumenil und Dispute Resolution Services, ECLI:EU: C:2003:627, UR 2004, 75, Rz. 58; EuGH v. 18.11.2010 – C-156/09 – Verigen Transplantation Service International, ECLI:EU:C:2010:695, UR 2011, 215, Rz. 24, 27. 3 BFH v. 19.3.2015 – V R 60/14, BFHE 249, 562, BStBl. II 2015, 946, Rz. 13; BFH v. 27.2.2018 – XI B 97/17, BFH/NV 2018, 738, Rz. 11; BFH v. 11.1.2019 – XI R 29/17, BFH/NV 2019, 440, Rz. 26. 4 BFH v. 4.12.2014 – V R 33/12, BFHE 248, 424, Rz. 16; BFH v. 4.12.2014 – V R 16/12, BFHE 248, 416, Rz. 14. 5 EuGH v. 18.11.2010 – C-156/09 – Verigen Transplantation Service International, ECLI:EU: C:2010:695, UR 2011, 215, Rz. 26. 6 BFH v. 10.3.2005 – V R 54/04, BFHE 210, 151; BStBl. II 2005, 669; BFH v. 7.7.2005 – V R 23/04, BFHE 211, 69, BStBl. II 2005, 904.

740 | Musil

B. Krankenhäuser in öffentlicher Trägerschaft | Rz. 10.99 Kap. 10

und insofern einem Grenzbereich zuzuordnen sind, auf eine Prüfung anhand der Umstände des Einzelfalls an; der Steuerpflichtige, der sich auf die Steuerbefreiung beruft, trägt insoweit die Feststellungslast.1 Dabei ist zu berücksichtigen, dass es bei der Frage, ob eine Leistung therapeutischen oder anderen Zwecken dient, um die Beurteilung einer medizinischen Frage geht, die auf medizinischen Feststellungen beruhen muss, die von dem entsprechenden Fachpersonal getroffen worden sind.2 Die Finanzverwaltung hat die notwendige Konkretisierung in Abschnitt 4.14.6 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses (UStAE)3 vorgenommen. In Abschnitt 4.14.6 Absatz 1 Satz 1 UStAE heißt es:

10.96

„Als eng mit Krankenhausbehandlungen und ärztlichen Heilbehandlungen nach § 4 Nr. 14 Buchstabe b UStG verbundene Umsätze sind Leistungen anzusehen, die für diese Einrichtungen nach der Verkehrsauffassung typisch und unerlässlich sind, regelmäßig und allgemein beim laufenden Betrieb vorkommen und damit unmittelbar oder mittelbar zusammenhängen.“

In Satz 2 werden die nicht eng verbundenen Umsätze umschrieben. Die Umsätze dürften nicht im Wesentlichen dazu bestimmt sein, den Einrichtungen zusätzliche Einnahmen durch Tätigkeiten zu verschaffen, die in unmittelbarem Wettbewerb zu steuerpflichtigen Umsätzen anderer Unternehmer stehen. cc) Einzelfälle Der EuGH hat mittlerweile eine weit verästelte Kasuistik zu Art. 132 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL entwickelt. Diese ist auch für das deutsche Recht maßgeblich. Gibt es Abweichungen zwischen Richtlinienrecht und deutschem Umsatzsteuerrecht, so ist das deutsche Recht richtlinienkonform auszulegen. Ist dies nicht möglich, kann sich der Steuerpflichtige unmittelbar auf die Richtlinie berufen.4 Beispielsweise hat sich der Gerichtshof grundlegend mit Fragen der Bereitstellung von Telefon und Fernsehen an Patienten5, mit ästhetischen Operationen6 und mit der Lieferung zytostatischer Medikamente zur ambulanten Krebsbehandlung7 befasst. Diese Entscheidungen sind von der deutschen Rechtsprechung und Finanzverwaltung umgesetzt worden.8

10.97

Die Finanzverwaltung hat in Umsetzung der Rechtsprechung in Abschnitt 4.14.6 Abs. 2 und 3 bestimmte Einzelfälle konkret geregelt. Die von § 4 Nr. 14 Buchst. b) UStG erfassten Umsätze konkretisiert im Einzelnen Abschnitt 4.14.6 Abs. 2 UStAE, die nicht erfassten Umsätze Abschnitt 4.14.6 Abs. 3 UStAE.

10.98

Abs. 2 Nr. 1 enthält den Grundfall stationärer Krankenhausleistungen. Danach sind steuerfrei die stationäre und teilstationäre Aufnahme von Patienten, deren ärztliche und pflegerische

10.99

1 Vgl. BFH v. 1.10.2014 – XI R 13/14, BFHE 248, 367, Rz. 29 f.; BFH v. 11.12.2014 – XI B 49/14, BFH/NV 2015, 363, Rz. 8; BFH v. 11.1.2019 – XI R 29/17, BFH/NV 2019, 440, Rz. 31. 2 BFH v. 19.6.2013 – V S 20/13, BFH/NV 2013, 1643, Rz. 17; BFH v. 11.1.2019 – XI R 29/17, BFH/ NV 2019, 440, Rz. 32. 3 UStAE v. 1.10.2010, BStBl. I 2010, 846. 4 Musil in Musil/Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, Einführung, Rz. 42. 5 EuGH v. 1.12.2005 – C-394 u. 395/04 – Ygeia, ECLI:EU:C:2005:734, UR 2006, 171. 6 EuGH v. 21.3.2013 – C-91/12 – PFC Clinic, ECLI:EU:C:2013:198, UR 2013, 335. 7 EuGH v. 13.3.2014 – C-366/12 – Klinikum Dortmund, ECLI:EU:C:2014:143, UR 2014, 271. 8 Ausführlich Klaßmann/Notz/Schmidbauer, Die Besteuerung der Krankenhäuser und anderer humanmedizinischer Leistungserbringer5, S. 280 ff.

Musil | 741

Kap. 10 Rz. 10.99 | Gesundheitswesen und Sozialversicherung

Betreuung einschließlich der Lieferungen der zur Behandlung erforderlichen Medikamente. Ob eine ärztliche Leistung vorliegt, bestimmt sich im Gleichlauf mit § 4 Nr. 14 Buchst. a) UStG. Es muss sich um eine Heilbehandlung handeln. Deshalb fallen schönheitschirurgische Leistungen eines Krankenhauses nicht unter § 4 Nr. 14 Buchst. b) UStG: Siehe hierzu nun ausdrücklich Abschnitt 4.14.6 Abs. 3 Nr. 6 UStAE. Nach Abs. 2 Nr. 2 ist weiterhin die Behandlung und Versorgung ambulanter Patienten steuerbefreit.

10.100

Für die Lieferung von Medikamenten gelten besondere Regelungen. Nach Abs. 2 Nr. 3 sind im Anschluss an die Rechtsprechung des EuGH1 und des BFH2 bestimmte Medikamentenlieferungen im Umfeld des Krankenhauses steuerbefreit. Für sonstige Medikamentenlieferungen sieht Abs. 3 Nr. 2 – 4 in weitem Umfang den Ausschluss der Steuerbefreiung vor. Diese Regelung, die bereits durch die UStR 2005 eingefügt wurde, steht im Zusammenhang mit der sich verschärfenden Konkurrenzsituation zu privatwirtschaftlichen Apotheken.3 Die Lieferung von Prothesen und orthopädischen Hilfsmitteln durch das Krankenhaus ist hingegen von der Umsatzsteuer befreit (Abs. 2 Nr. 4).

10.101

Wesentliche Änderungen haben sich bereits durch die UStR 2005 bei der Lieferung von Waren an Patienten ergeben. Bis zum Jahr 2004 war die Lieferung zusätzlicher Getränke an Patienten nach Abs. 2 Nr. 4 UStR 2000 steuerfrei. Diese Vorschrift wurde gestrichen. Allgemein wird angenommen, dass die Steuerpflicht nunmehr auch die Lieferung sonstiger Waren aller Art an Patienten erfasst.4 Schon bisher war die Abgabe von Speisen und Getränken an Besucher, etwa im Rahmen einer Besuchercafeteria, nach Abs. 3 Nr. 1 umsatzsteuerpflichtig.

10.102

Durch die Streichung von Abs. 2 Nr. 5 a.F. wurde die Beherbergung und Beköstigung des Personals umsatzsteuerpflichtig. Die Umsatzsteuerpflicht gilt nach richtiger Ansicht erst recht für die Unterbringung und Verpflegung von Begleitpersonen.5

10.103

Auch die Überlassung von Telekommunikationsgeräten an Patienten, Personal und Besucher ist nach der Streichung von Abs. 2 Nr. 6 a.F. nicht mehr von der Umsatzsteuer befreit (siehe nunmehr im Gegenteil Abschnitt 4.14.6 Abs. 3 Nr. 10 UStAE). Die Änderung geht zurück auf das schon erwähnte Urteil des EuGH, in dem dieser feststellte, dass die Zurverfügungstellung eines Telefons und die Vermietung eines Fernsehgerätes an Krankenhauspatienten regelmäßig nicht zu mit der Krankenhausbehandlung eng verbundenen Umsätzen führe. Nur im Ausnahmefall, wenn die Überlassung therapeutisch unumgänglich sei, könne anders entschieden werden.6

10.104

Von erheblicher praktischer Bedeutung ist auch die Personalgestellung durch ein Krankenhaus an Ärzte oder andere Einrichtungen. Oben wurde bereits ausgeführt, dass diese Leistungen grundsätzlich umsatzsteuerbar sind (dazu bereits Rz. 10.79 ff.). Nach Abschnitt 4.14.6 Abs. 2 Nr. 5 UStAE ist die Überlassung von Einrichtungen und die Gestellung von Hilfspersonal an angestellte Ärzte für deren selbständige Tätigkeit von der Umsatzsteuer befreit. Nr. 5 stellt auch die Überlassung von Großgeräten nebst Hilfspersonal durch Einrichtungen nach § 4 Nr. 14 Buchst. b) an Einrichtungen dieser Art steuerfrei. Abs. 2 Nr. 7 führt zur Umsatz1 EuGH v. 13.3.2014 – C-366/12 – Klinikum Dortmund, ECLI:EU:C:2014:143, UR 2014, 271; nachgehend BFH v. 24.9.2014 – V R 19/11, BFHE 247, 369, BStBl. II 2016, 781. 2 BFH v. 24.9.2014 – V R 19/11, BFHE 247, 369, BStBl. II 2016, 781. 3 Böhme, DStZ 2005, 629 (631). 4 Böhme, DStZ 2005, 629 (630). 5 Böhme, DStZ 2005, 629 (630). 6 EuGH v. 1.12.2005 – C-394 u. 395/04 – Ygeia, ECLI:EU:C:2005:734, UR 2006, 171.

742 | Musil

B. Krankenhäuser in öffentlicher Trägerschaft | Rz. 10.109 Kap. 10

steuerbefreiung für die Gestellung von Ärzten und Hilfspersonal an andere Krankenhäuser und vergleichbare Einrichtungen. Der BFH hat ausgeführt, dass über die in Abs. 2 geregelten Fälle hinaus auch weitere Fälle denkbar sind, in denen für Personalgestellungen die Umsatzsteuerbefreiung des § 4 Nr. 14 Buchst. b) UStG in Betracht kommt.1 Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Personalgestellung an eine Arztpraxis für die Krankenhauspatienten unerlässlich ist. Es kommt hierbei nicht darauf an, ob durch die Arztpraxis nur Krankenhauspatienten versorgt werden. Vielmehr reicht es aus, wenn sich unter Gesamtwürdigung der Umstände ergibt, dass die Personalgestellung für die Patientenversorgung erhebliche Vorteile bringt. Schließlich kann auch eine „Quergestellung“, also die Personalgestellung an ein Krankenhaus durch eine andere in § 4 Nr. 14 Buchst. b) UStG genannte Einrichtung, zu einem eng verbundenen Umsatz führen.2 Abs. 2 Nr. 8 regelt die Lieferungen von Gegenständen des Anlagevermögens und stellt sie umsatzsteuerfrei. Nr. 9 schließlich führt zur Steuerfreiheit ärztlicher Gutachten. Hier ist jedoch zu beachten, dass es sich um ärztliche Gutachten im Sinne von § 4 Nr. 14 Buchst. a) UStG handeln muss. Es muss also ein unmittelbarer Therapiebezug bestehen (siehe andernfalls Abschnitt 4.14.6 Abs. 3 Nr. 5).

10.105

Abschnitt 4.14.6 Abs. 3 UStAE regelt demgegenüber Fälle, in denen eine Umsatzsteuerbefreiung ausdrücklich ausgeschlossen sein soll. Über die bereits genannten Fälle hinaus gilt dies insbesondere für die die Leistungen der Zentralwäschereien (Abs. 3 Nr. 9). Schließlich ist nach Abs. 3 Nr. 11 die Veräußerung des gesamten Anlagevermögens von der Umsatzsteuerbefreiung ausgeschlossen.

10.106

b) Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 17 a) UStG Nach § 4 Nr. 17 a) UStG sind von der Umsatzsteuer befreit die Lieferungen von menschlichen Organen, menschlichem Blut und Frauenmilch. Der Begriff des menschlichen Organs ist weit auszulegen, so dass auch zur Transplantation geeignete Organ- und Gewebeteile erfasst werden. Zum menschlichen Blut gehören vor allem Frischblutkonserven und vergleichbare Produkte, nicht jedoch aus Mischungen von humanem Blutplasma hergestellte Plasmapräparate. Frauenmilch schließlich ist unabhängig davon umsatzsteuerbefreit, ob sie in irgendeiner Form bearbeitet ist.3

10.107

6. Steuersatz Ist die Leistung eines Krankenhauses umsatzsteuerbar und liegt auch kein Befreiungstatbestand nach § 4 UStG vor, so ist die Leistung der Umsatzsteuer mit dem entsprechenden Steuersatz zu unterwerfen. Der allgemeine Umsatzsteuersatz beträgt nach § 12 Abs. 1 UStG derzeit 19 %. Im Einzelfall kann eine Ermäßigung dieses Satzes auf 7 % gem. § 12 Abs. 2 UStG in Betracht kommen.

10.108

Für Krankenhäuser ist eine Steuersatzermäßigung insbesondere im Rahmen von § 12 Abs. 2 Nr. 8 a) UStG denkbar, wenn die Trägerkörperschaft die Voraussetzungen der Gemeinnützigkeit nach §§ 51 ff. AO erfüllt. Unerheblich ist hierbei, ob die Körperschaft öffentlich-rechtlich

10.109

1 BFH v. 18.1.2005 – V R 35/02, UR 2005, 254 ff.; BFH v. 25.1.2006 – V R 46/04, BStBl. II 2006, 481 = DStRE 2006, 548 ff. 2 Dazu Klass/Möhrle, DStR 2006, 1162 ff., 1166 f. 3 Zu Blut und Frauenmilch siehe Abschnitt 4.17.1 UStAE.

Musil | 743

Kap. 10 Rz. 10.109 | Gesundheitswesen und Sozialversicherung

oder privatrechtlich organisiert ist. Nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 a) S. 2 UStG gilt die Steuerermäßigung nicht im Rahmen eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs.

7. Vorsteuerabzug 10.110

Nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG können von der gegenüber dem Finanzamt geschuldeten Umsatzsteuer Vorsteuerbeträge abgezogen werden, also solche Steuerbeträge, die für Leistungen von anderen Unternehmern in Rechnung gestellt wurden. Unterliegt eine Leistung des Krankenhauses der Umsatzsteuer, so kann ein entsprechender Vorsteuerabzug geltend gemacht werden. Werden die von anderen Unternehmern bezogenen Leistungen allerdings für den nach § 4 UStG steuerbefreiten Bereich verwendet, so ist gem. § 15 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 15 Abs. 3 Nr. 1 UStG ein Vorsteuerabzug insoweit ausgeschlossen. Im Krankenhausbereich wird es also in vielen Fällen nicht zum Vorsteuerabzug kommen. Ein Verzicht auf die Umsatzsteuerbefreiung, um in den Genuss des Vorsteuerabzugs zu gelangen, kommt nur bei den in § 9 Abs. 1 UStG genannten Befreiungstatbeständen in Betracht. Zu diesen gehören die soeben skizzierten Tatbestände der Nr. 14 und Nr. 17 nicht.1 Diese Steuerbefreiungen sind zwingend.

10.111

Da im Krankenhausbetrieb in der Regel ein umsatzsteuerpflichtiger und ein nicht umsatzsteuerpflichtiger Bereich gegeben ist, muss in jedem Einzelfall ermittelt werden, welche Vorsteuerbeträge abziehbar sind und welche nicht. Es ist eine Abgrenzung zwischen Beträgen im unternehmerischen und im nichtunternehmerischen Bereich vorzunehmen.2 Die im unternehmerischen Bereich angefallenen Vorsteuern müssen dann noch daraufhin untersucht werden, ob sie mit steuerpflichtigen oder steuerbefreiten Umsätzen in Zusammenhang stehen. Hier können sich schwierige Abgrenzungsfragen stellen, auf die hier nicht umfassend eingegangen werden kann.3

VIII. Sonstige Steuern 1. Grunderwerbsteuer 10.112

Nach § 1 GrEStG unterliegen Rechtsvorgänge, soweit sie sich auf inländische Grundstücke beziehen und die weiteren Voraussetzungen der Vorschrift erfüllen, der Grunderwerbsteuer. Auch Grundstücksgeschäfte, die ein Krankenhausträger tätigt, fallen unter die Steuerpflicht. Eine Steuerbefreiung für gemeinnützige Körperschaften gibt es bereits seit dem 1.1.1983 nicht mehr. Grunderwerbsteuer kann weiterhin auch anfallen, wenn Gesellschaftsanteile übertragen werden und ein Grundstück hiervon erfasst wird. Dies kann etwa nach § 1 Abs. 2a S. 1 GrEStG der Fall sein, wenn 95 % der Anteile an einer Personengesellschaft innerhalb von fünf Jahren übergehen.

10.113

In den §§ 3 und 4 GrEStG sind allgemeine und besondere Ausnahmen von der Besteuerung aufgeführt. Im Zusammenhang mit einem Krankenhausbetrieb ist etwa die Vorschrift des § 3 Nr. 2 GrEStG zu denken, wenn ein Grundstück von Todes wegen oder im Schenkwege übertragen wird. Allerdings hat der BFH entschieden, dass eine Anwendung der Vorschrift des § 3 Nr. 2 GrEStG nicht in Betracht kommt, wenn ein Träger öffentlicher Verwaltung einer Krankenhaus-GmbH ein Grundstück „schenkt“. Eine unentgeltliche Vermögensübertragung zwi1 Zu möglichen Verzichtsfällen siehe Klaßmann/Notz/Schmidbauer, Die Besteuerung der Krankenhäuser und anderer humanmedizinischer Leistungserbringer5, S. 338 ff. 2 Hierzu Abschnitt 15.16 UStAE. 3 Ausführlich Klaßmann/Notz/Schmidbauer, Die Besteuerung der Krankenhäuser und anderer humanmedizinischer Leistungserbringer5, S. 348 ff.

744 | Musil

B. Krankenhäuser in öffentlicher Trägerschaft | Rz. 10.117 Kap. 10

schen Trägern öffentlicher Verwaltung sei niemals freigebig und könne deshalb nicht als Schenkung gelten. Vielmehr erfülle der übertragende Verwaltungsträger öffentliche Aufgaben, erwarte also eine Gegenleistung, die in der Aufgabenerfüllung durch den Empfänger liege.1 Dem ist zuzustimmen. Für Krankenhausträger könnte des Weiteren insbesondere § 4 Nr. 1 GrEStG von Bedeutung sein, da diese Norm den Erwerb eines Grundstücks durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts von der Besteuerung ausnimmt. Allerdings gilt die Ausnahme nicht, wenn das Grundstück überwiegend einem Betrieb gewerblicher Art dient. Es wurde bereits an anderer Stelle ausgeführt, dass ein Krankenhausbetrieb üblicherweise als Betrieb gewerblicher Art zu qualifizieren ist, so dass Nr. 1 nicht greift. Unter besonderen Voraussetzungen kommt eine Nutzung von § 4 Nr. 5 GrEStG in Betracht, wenn ein Grundstück im Rahmen einer Öffentlich Privaten Partnerschaft übertragen wird.2

10.114

Probleme bereitet die Grunderwerbsteuer im Rahmen von Privatisierungs- und Outsourcingvorgängen.3 Erfolgt die Privatisierung in Form der Einzelrechtsnachfolge, so liegt ein steuerbarer Tatbestand des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG vor. Im Falle der Privatisierung durch Gesamtrechtsnachfolge liegt ein gesetzlicher Eigentumswechsel vor, so dass § 1 Abs. 1 Nr. 3 GrEStG zur Anwendung kommt. Steuerbefreiungen, insbesondere nach § 4 Nr. 1 GrEStG, sind nicht einschlägig.4 Die Belastung mit Grunderwerbsteuer kann unter Umständen vermieden werden, wenn die ausgliedernde öffentlich-rechtliche Körperschaft die jeweiligen Grundstücke in ihrem Vermögen zurückbehält und nur die sonstigen Vermögenswerte auf den neuen Rechtsträger überträgt. Die Grundstücke können sodann im Wege der Verpachtung zur Verfügung gestellt werden. Um die Befreiung aus § 3 Nr. 2 GrEStG zu erhalten, wäre noch an eine Schenkung der Grundstücke zu denken. Dies scheitert jedoch, wenn gesellschaftsrechtliche Verflechtungen zwischen altem und neuem Krankenhausträger bestehen.5

10.115

2. Grundsteuer Der Grundsteuer unterliegt der Grundbesitz im Sinne von § 2 GrStG. Bei der Grundsteuer gibt es einige Befreiungsvorschriften, die auf Krankenhäuser Anwendung finden können.

10.116

Bei Krankenhäusern, die direkt von einem öffentlich-rechtlich organisierten Träger betrieben werden, etwa als Eigenbetrieb, kommt eine Grundsteuerbefreiung nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 GrStG in Betracht. Allerdings ist Voraussetzung für die Anwendung dieser Vorschrift, dass der Grundbesitz für einen öffentlichen Dienst oder Gebrauch genutzt wird. Dies ist nach § 3 Abs. 3 GrStG bei Betrieben gewerblicher Art ausdrücklich nicht der Fall. Deshalb scheidet die Anwendung dieser Befreiungsnorm auf Krankenhäuser in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft nach richtiger Ansicht in der Regel aus.6 Krankenhäuser sind – abgesehen von Ausnahmefällen – als Betriebe gewerblicher Art zu qualifizieren. Anders entscheidet hingegen die Finanzverwaltung.7

10.117

1 BFH v. 29.3.2006 – II R 15/04, BStBl. II 2006, 557 = DB 2006, 1193. 2 Dazu Klaßmann/Notz/Schmidbauer, Die Besteuerung der Krankenhäuser und anderer humanmedizinischer Leistungserbringer5, S. 385 ff. 3 Dazu Vogelbusch, DB 2004, 1391 ff. 4 Zu Bewertungsfragen siehe ausführlich Bittrolff, Steuerliche Konsequenzen von Privatisierungen bei öffentlich-rechtlichen Krankenhäusern, 125 ff. 5 Krieger, KH 2008, 924 f. 6 Klaßmann/Notz/Schmidbauer, Die Besteuerung der Krankenhäuser und anderer humanmedizinischer Leistungserbringer5, S. 393. 7 Vgl. Abschnitt 10 Abs. 2 S. 1 Grundsteuer-Richtlinien 1978.

Musil | 745

Kap. 10 Rz. 10.118 | Gesundheitswesen und Sozialversicherung

10.118

Für Krankenhäuser in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft kommt daher § 3 Abs. 1 Nr. 3 a) GrStG zur Anwendung; für gemeinnützige Krankenhäuser kommt eine Befreiung von der Grundsteuer nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 b) GrStG in Betracht. Voraussetzung ist, dass der Grundbesitz für gemeinnützige oder mildtätige Zwecke benutzt wird. Hier muss eine Abgrenzung zwischen den steuerbegünstigten und den nicht steuerbegünstigten Tätigkeiten der juristischen Person erfolgen. Dient der Grundbesitz Tätigkeiten im Rahmen des ideellen Bereichs, der Vermögensverwaltung oder eines Zweckbetriebs, so tritt insoweit eine Grundsteuerbefreiung ein. Tätigkeiten im wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb führen hingegen zur Grundsteuerpflicht für den hierfür verwendeten Grundbesitz. Dient der Grundbesitz steuerbegünstigten und nicht begünstigten Zwecken, ohne dass eine räumliche Abgrenzung möglich ist, so kommt es darauf an, welche Tätigkeit überwiegt (§ 8 Abs. 2 GrStG).

10.119

Verwaltungsgebäude, die der Verwaltung der gemeinnützigen Tätigkeiten dienen, sind von der Steuerbefreiung mit umfasst. Anders ist es, wenn ein Verwaltungsgebäude der Verwaltung steuerpflichtigen Grundvermögens dient. Ein Parkplatz eines Krankenhauses ist steuerbefreit, wenn er ausschließlich der Benutzung durch Personal und Besucher offen steht, nicht aber der Allgemeinheit.1 Etwas anderes gilt nach Auffassung der Finanzverwaltung, wenn das Krankenhaus den Parkplatz gebührenpflichtig macht.2

3. Erbschaft- und Schenkungsteuer 10.120

Unentgeltliche Zuwendungen an inländische Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen, die die Vorschriften der §§ 51 AO erfüllen, sind gem. § 13 Abs. 1 Nr. 16 b) S. 1 ErbStG von der Erbschaft- und Schenkungsteuer befreit. Dies gilt gleichermaßen für Zuwendungen, die gemeinnützigen Zwecken gewidmet sind, sofern die Verwendung entsprechend gesichert ist (§ 13 Abs. 1 Nr. 17 ErbStG). Krankenhäuser in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft können also in den Anwendungsbereich der genannten Vorschriften fallen, soweit sie die Voraussetzungen einer Anerkennung als gemeinnützig erfüllen.

10.121

Maßgeblich für die Erfüllung der Befreiungsvoraussetzungen ist der Zeitpunkt der Zuwendung. Die Steuerbefreiung ist ausgeschlossen, soweit die Zuwendung einem steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb zugute kommt. Nicht ausgeschlossen wird die Steuerbefreiung dadurch, dass überhaupt ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb unterhalten wird, solange die Körperschaft nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche Zwecke verfolgt.3 Die Voraussetzungen des § 13 Abs. 1 Nr. 16 b) müssen nicht nur im Zuwendungszeitpunkt, sondern auch innerhalb der darauf folgenden zehn Jahre gegeben sein. Entfallen die Voraussetzungen innerhalb der Frist und wird das Vermögen nicht begünstigten Zwecken zugeführt, so kommt es zu einer rückwirkenden Nachversteuerung.

C. Sonstige Einrichtungen der Gesundheitsversorgung I. Punktuelle Darstellung 10.122

Im Rahmen der vorliegenden Darstellung können auch sonstige Einrichtungen der Gesundheitsversorgung von Interesse sein, soweit sie von der öffentlichen Hand unterhalten werden. 1 Zu diesen Einzelfällen Klaßmann/Notz/Schmidbauer, Die Besteuerung der Krankenhäuser und anderer humanmedizinischer Leistungserbringer5, S. 397. 2 FinMin Schleswig-Holstein, Erl. v. 23.11.2005 – VI 353 – G 1107 – 005. 3 Vgl. R E 13.8 Abs. 2 Satz 3 ErbStR 2019.

746 | Musil

C. Sonstige Einrichtungen der Gesundheitsversorgung | Rz. 10.125 Kap. 10

Die Bandbreite denkbarer Konstellationen ist groß. So kann die öffentliche Hand an Medizinischen Versorgungszentren beteiligt oder in Verträge zur Integrierten Versorgung eingebunden sein. Auch andere Kooperationsformen sind denkbar. Indes würde eine Darstellung aller in Betracht kommender Formen der Leistungserbringung den Rahmen der vorliegenden Darstellung sprengen. Im Folgenden beschränken sich die Ausführungen daher punktuell auf den öffentlichen Gesundheitsdienst einerseits und das Rettungswesen andererseits, da hier spezifische Besteuerungsprobleme der öffentlichen Hand zu behandeln sind. Im Hinblick auf die sonstigen Formen der Leistungserbringung wird auf speziellere Werke verwiesen.

II. Öffentlicher Gesundheitsdienst 1. Rechtsgrundlagen, Aufgaben, Strukturen Gesundheitsdienstleistungen können auch im Rahmen des so Öffentlichen Gesundheitsdienstes erbracht werden. Der öffentliche Gesundheitsdienst ist eine Einrichtung der Daseinsvorsorge, der in allen Ländern eingerichtet wurde, um bestimmte Aufgaben im Bereich der Gesundheitsvorsorge und -förderung zu übernehmen. Die Gesundheitsämter, die im Rahmen des Öffentlichen Gesundheitsdienstes tätig werden, beschäftigen unter anderem Amtsärzte und Amtstierärzte sowie weitere in Gesundheitsberufen ausgebildete Personen.

10.123

Die Ziele und Aufgaben des Öffentlichen Gesundheitsdienstes sind vielfältig. Beispielhaft sei hier die Rechtslage im Land Brandenburg zugrunde gelegt.1 Nach § 1 Abs. 1 BbgGDG ist Ziel des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, insbesondere durch fachliche Beratung und Aufklärung auf gesunde und gesundheitsfördernde Lebensverhältnisse und gleiche Gesundheitschancen für alle hinzuwirken. Der Öffentliche Gesundheitsdienst stärkt die gesundheitliche Eigenverantwortung und wirkt auf die Vermeidung von Gesundheitsrisiken und gesundheitlichen Beeinträchtigungen hin. Der öffentliche Gesundheitsdienst stellt nach § 1 Abs. 2 BbgGDG insbesondere die Wahrnehmung folgender Aufgaben sicher:

10.124

– Infektionsschutz, Hygiene, Umweltbezogener Gesundheitsschutz, – Gesundheitsvorsorge, Gesundheitsförderung, Schutz der Gesundheit insbesondere von Kindern und Jugendlichen sowie – Gesundheitsberichterstattung und Koordinierung von gesundheitlichen Leistungen und Angeboten. Zur Erfüllung der genannten Aufgaben werden dem Öffentlichen Gesundheitsdienst konkrete Aufsichts- und Überwachungsbefugnisse übertragen, er wird aber auch planend und leistend tätig. Organisatorisch wird der öffentliche Gesundheitsdienst in der Regel durch die Gesundheitsämter der Kreise und kreisfreien Städte, aber auch durch übergeordnete Abteilungen in den Bezirksregierungen und Landesministerien sowie durch die Gesundheitsbehörden des Bundes wahrgenommen. § 2 BbgGDG bestimmt auszugsweise: „§ 2 Organisation (1) Träger des Öffentlichen Gesundheitsdienstes sind das Land sowie die Landkreise und kreisfreien Städte. 1 Vgl. das Gesetz über den Öffentlichen Gesundheitsdienst im Land Brandenburg (Brandenburgisches Gesundheitsdienstgesetz – BbgGDG) v. 23.4.2008, GVBl.I/08, [Nr. 05], S.95, zul. geänd. d. G. v. 25.1.2016, GVBl.I/16, [Nr. 5].

Musil | 747

10.125

Kap. 10 Rz. 10.125 | Gesundheitswesen und Sozialversicherung (2) Die Aufgaben des Öffentlichen Gesundheitsdienstes werden wahrgenommen von 1. dem für Gesundheit zuständigen Ministerium, 2. dem Landesamt für Arbeitsschutz, Verbraucherschutz und Gesundheit als Landesgesundheitsamt sowie 3. den Gesundheitsämtern der Landkreise und kreisfreien Städte. Abweichend von Satz 1 Nummer 1 werden die Aufgaben aus dem Bereich Trinkwasser, Schwimm- und Badebeckenwasser sowie Badegewässer von dem für Verbraucherschutz zuständigen Ministerium wahrgenommen. ...“

2. Ertragsteuerrecht 10.126

Ertragsteuerrechtlich ergeben sich im Zusammenhang mit dem Öffentlichen Gesundheitsdienst kaum Probleme. Grundsätzlich unterliegt die öffentliche Hand gem. § 1 Abs. 1 Nr. 6 KStG nur im Rahmen ihrer Betriebe gewerblicher Art der Körperschaftsteuer. Viele Aufgabenbereiche des Öffentlichen Gesundheitsdienstes erfüllen von vornherein nicht die Merkmale eines Betriebes gewerblicher Art. Insbesondere im Bereich der Aufsicht und der Überwachung Privater, aber auch in den Fällen der übergeordneten Planung und Koordination wird keine nachhaltige wirtschaftliche Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen im Sinne von § 4 KStG ausgeübt. Schließlich kann auch kein Betrieb gewerblicher Art vorliegen, soweit die im Gesetz genannten Leistungen unentgeltlich erbracht werden.

10.127

Anders kann es bei den Punkten Gesundheitsvorsorge, Gesundheitsförderung, Schutz der Gesundheit insbesondere von Kindern und Jugendlichen liegen. Werden in diesem Rahmen ärztliche Leistungen der Diagnostik und der Heilbehandlung erbracht, für die auch ein Entgelt verlangt wird, so ist zunächst von einem Betrieb gewerblicher Art auszugehen. Nach § 4 Abs. 5 KStG ist die Körperschaftsteuerpflicht aber dann ausgeschlossen, wenn ein Hoheitsbetrieb vorliegt. Hoheitsbetriebe sind solche, die überwiegend der Ausübung der öffentlichen Gewalt dienen. Der BFH hat dieses Merkmal dahingehend konkretisiert, dass eine Tätigkeit vorliegt, die einem Träger öffentlicher Gewalt eigentümlich und vorbehalten ist.1 Amtsärztliche Gutachten oder Untersuchungen, die von Gesetzes wegen Rechtsfolgen im hoheitlichen Bereich auslösen, können hierunter fallen. Soweit durch den öffentlichen Gesundheitsdienst allerdings Tätigkeiten ausgeübt werden, die ihm als Träger öffentlicher Gewalt nicht eigentümlich und vorbehalten sind, sondern typischerweise auch von Privaten ausgeübt werden könnten, so liegt kein Hoheitsbetrieb vor.

3. Umsatzsteuerrecht 10.128

Auch im Bereich des Umsatzsteuerrechts besteht weitgehende Steuerfreiheit für die Leistungen des Öffentlichen Gesundheitsdienstes. Dies gilt nach § 2b Abs. 1 UStG insbesondere für solche Tätigkeiten, die ihm im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen. Hierzu gehören wiederum die genannten Überwachungs- und Aufsichtsaufgaben. Aber auch die Durchführung amtlicher Untersuchung und die Erstellung entsprechender Erstellung amtlicher Begutachtungen fällt hierunter. Größere Wettbewerbsverzerrungen sind nicht zu besorgen, da die entsprechenden Leistungen nicht von Privaten erbracht werden dürfen. Umsatzsteuerbarkeit kann hingegen vorliegen, soweit der Öffentliche Gesundheitsdienst auf der Grundlage privatrechtlicher Vereinbarungen tätig wird. Hier ist dann nach dem Eingreifen von Befreiungsvorschriften, etwa § 4 Nr. 14 UStG, zu fragen. 1 BFH v. 23.10.1996 – I R 1-2/94, BStBl. II 1997, 139; BFH v. 7.12.1999 – I B 136/98, BFH/NV 2000, 894.

748 | Musil

C. Sonstige Einrichtungen der Gesundheitsversorgung | Rz. 10.131 Kap. 10

III. Rettungsdienst und Krankentransport 1. Rechtsgrundlagen und Organisationsformen Rettungsdienst und Krankentransport werden in den Rettungsdienstgesetzen der Bundesländer geregelt. Beispielhaft wird hier das Rettungsdienstgesetz des Landes Brandenburg (BbgRettG) zugrunde gelegt.1 Die Rettungsdienstgesetze der übrigen Länder sind im Wesentlichen mit ihm vergleichbar. Nach § 2 Abs. 1 BbgRettG dient der Rettungsdienst der Gesundheitsvorsorge und der Gefahrenabwehr. Er umfasst folgende Aufgaben:

10.129

1. die bedarfsgerechte und flächendeckende Notfallrettung von Personen, 2. den qualifizierten Krankentransport und 3. die Durchführung von Maßnahmen bei Schadensereignissen mit einem Massenanfall von verletzten oder erkrankten Personen (MANV). Die Beförderungen von kranken und behinderten Personen, die keiner fachgerechten Betreuung durch den Rettungsdienst bedürfen (Krankenfahrten und Behindertentransport), werden nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 BbgRettG nicht vom Anwendungsbereich des Gesetzes erfasst. Es wird also zwischen Notfallrettung, qualifiziertem Krankentransport und sonstigen Krankenfahrten bzw. Behindertentransport unterschieden. Notfallpatientinnen und Notfallpatienten sind nach § 3 Abs. 1 und 2 BbgRettG verletzte und erkrankte Personen, die sich in Lebensgefahr befinden, sowie Personen, bei denen schwere gesundheitliche Schäden zu befürchten sind, wenn sie nicht unverzüglich medizinische Hilfe erhalten. Die Notfallrettung soll unverzügliche lebenserhaltende Maßnahmen einleiten und weitere schwere gesundheitliche Schäden bei Notfallpatientinnen und Notfallpatienten verhindern. Sie soll ihre Transportfähigkeit herstellen und Notfallpatientinnen und Notfallpatienten mit einem Rettungsfahrzeug unter fachgerechter Betreuung in eine für die weitere Versorgung geeignete Gesundheitseinrichtung befördern. Nach § 3 Abs. 4 BbgRettG ist der qualifizierte Krankentransport die Beförderung von sonstigen kranken, verletzten oder hilfsbedürftigen Personen, die keine Notfallpatientinnen oder Notfallpatienten sind. Sie müssen nach ärztlicher Beurteilung der fachgerechten Betreuung oder eines besonders ausgestatteten Krankentransportfahrzeugs bedürfen.

10.130

Träger der Aufgabe des Rettungsdienstes sind in der Regel die Kreise und kreisfreien Städte, in Berlin die Berliner Feuerwehr als Sonderordnungsbehörde.

10.131

§ 6 BbgRettG bestimmt hierzu: „§ 6 Träger des Rettungsdienstes (1) Träger des bodengebundenen Rettungsdienstes sind die Landkreise und kreisfreien Städte, die diese Aufgabe als pflichtige Selbstverwaltungsaufgabe erfüllen. Die Rechtsaufsicht über die Träger des bodengebundenen Rettungsdienstes übt das für das Rettungswesen zuständige Ministerium aus. (2) Träger der Luftrettung ist das Land. Die Aufgabe wird von dem für das Rettungswesen zuständigen Ministerium wahrgenommen.“

1 Gesetz über den Rettungsdienst im Land Brandenburg (Brandenburgisches Rettungsdienstgesetz – BbgRettG) v. 14.7.2008, GVBl.I/08, [Nr. 10], S.186, zul. geänd. d. G. v. 19.6.2019, GVBl.I/19, [Nr. 42], S.11.

Musil | 749

Kap. 10 Rz. 10.131 | Gesundheitswesen und Sozialversicherung

In die Aufgabenerfüllung dürfen nach den Rettungsgesetzen auch Dritte, insbesondere auch Private eingebunden werden.1 Diese ist aber an enge gesetzliche Vorgaben gebunden.2

2. Ertragsteuerrecht 10.132

Mit Blick auf die Ertragsbesteuerung des Rettungsdienstes und des Krankentransports ist zwischen den verschiedenen beteiligten Trägern differenzieren. Es kommt vor, dass der öffentlich-rechtliche Träger des Rettungsdienstes die Aufgabe durch eigene Dienstkräfte und eigenes Material durchführt. So wird in Berlin die Notfallrettung regelmäßig durch die Berliner Feuerwehr, eine Sonderbehörde des Landes Berlin, wahrgenommen.3 Im Übrigen können private, insbesondere gemeinnützige Träger, in die Aufgabenerfüllung einbezogen sein.

10.133

Der Rettungsdienst dient der Gesundheitsvorsorge und der Gefahrenabwehr (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1 BbgRettG). Er umfasst Notfallrettung und qualifizierten Krankentransport. Insoweit kann von einer Ordnungsaufgabe, die der Staat sicherzustellen hat, ausgegangen werden. Die Rettungsleistungen fallen daher zwar begrifflich unter die Definition des Betriebs gewerblicher Art gem. § 1 Abs. 1 Nr. 6 KStG i.V.m. § 4 Abs. 1 KStG. Jedoch werden die Leistungen im Rahmen eines Hoheitsbetriebes wahrgenommen. Insoweit ist gem. § 4 Abs. 5 KStG die Körperschaftsteuerpflicht ausgeschlossen.

10.134

Für sonstige Krankenfahrten und den Behindertentransport könnte anders zu entscheiden sein, weil hier keine Gefahrenabwehr betrieben wird, sondern eine Leistung erbracht wird, die grundsätzlich auch Private erbringen könnten und erbringen. Der BFH hat hierzu in einem älteren Urteil ausgeführt, auch der Krankentransport sei eine hoheitliche Tätigkeit, weil Private regelmäßig keine speziellen Fahrzeuge für diesen Transport vorhielten. Der Krankentransport sei einem Hoheitsträger vorbehalten und eigentümlich.4 Diese Entscheidung kann als überholt angesehen werden. Die Qualifikation einer Tätigkeit als hoheitlich unterliegt dem gesellschaftlichen Wandel. Mag Mitte der fünfziger Jahre noch eine monopolartige Stellung des Staates beim sonstigen Krankentransport vorgelegen haben, so hat sich dies mittlerweile grundlegend geändert. Es sind oft Private, die den Krankentransport organisieren. Vor diesem Hintergrund kann beim sonstigen Krankentransport von einem Betrieb gewerblicher Art ausgegangen werden.

10.135

Leistungen des Rettungsdienstes werden in weitem Umfang auch durch frei-gemeinnützige private Träger durchgeführt. Dass diese in ihrer Eigenschaft als Träger die Voraussetzungen der Gemeinnützigkeit erfüllen, unterliegt zumindest bei den großen Trägern keinen Zweifeln. Insoweit kommt eine Befreiung von der Körperschaftsteuer gem. § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG in Betracht. 1 § 10 Abs. 1 BbgRettG bestimmt beispielsweise: „Die Träger des bodengebundenen Rettungsdienstes können die Vollzugsaufgaben der in den Rettungsdienstbereichsplan aufgenommenen Rettungswachen und die Absicherung der Notarztstandorte durch Fahrzeuge und Personal des Rettungsdienstes auf kommunale Gesellschaften, die im Zivil- und Katastrophenschutz mitwirkenden Hilfsorganisationen, öffentliche Feuerwehren sowie private Dritte übertragen. Die Aufgaben können den gemeinnützigen Organisationen, die gemäß § 18 Absatz 1 des Brandenburgischen Brand- und Katastrophenschutzgesetzes im Katastrophenschutz mitwirken, in einem transparenten, fairen und diskriminierungsfreien Auswahlverfahren übertragen werden. Bei der Auswahlentscheidung können gemeinnützige Organisationen nach Satz 2 vorrangig berücksichtigt werden. ...“ 2 Vgl. hierzu § 10 BbgRettG im Übrigen. Von einem Abdruck wird abgesehen. 3 Siehe § 5 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über den Rettungsdienst für das Land Berlin (Rettungsdienstgesetz – RDG) v. 8.7.1993, zul. geänd. d. G. v. 20.9.2016, GVBl. S. 762. 4 BFH v. 25.10.1956 – V 79/56 U, BFHE 63, 405.

750 | Musil

C. Sonstige Einrichtungen der Gesundheitsversorgung | Rz. 10.137 Kap. 10

Der Rettungsdienst müsste als Zweckbetrieb im Sinne von § 66 AO zu qualifizieren sein, damit eine Körperschaftsteuerbefreiung in Betracht kommt. Die Anforderungen für die Anerkennung der Zweckbetriebseigenschaft in Abgrenzung zum steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb sind dementsprechend von entscheidender Bedeutung. In den vergangenen Jahren hat es – insbesondere vor dem Hintergrund der schwankenden Rechtsprechung des BFH – intensive Diskussionen über die besonderen Zweckbetriebsvorschriften der §§ 66 ff. AO und ihr Verhältnis zur allgemeinen Norm des § 65 AO und der dort enthaltenen Wettbewerbsklausel gegeben. Besonders intensiv diskutiert wurde die sogenannte RettungsdiensteEntscheidung des BFH.1 Der erste Senat des BFH entschied, dass beim Betrieb eines Krankentransport- und Rettungsdienstes durch eine ansonsten gemeinnützige Körperschaft dann kein Zweckbetrieb vorliege, wenn die „gleichen Leistungen zu denselben Bedingungen“ wie von gewerblichen Unternehmen durchgeführt würden. Dann eigne sich die Tätigkeit objektiv dazu, Gewinne zu erzielen, und werde deshalb des Erwerbs wegen (§ 66 Abs. 2 Satz 1 AO) ausgeübt. Es müsse kein aktueller Wettbewerb zu privaten Anbietern bestehen, vielmehr reiche es aus, wenn die Tätigkeit potentiell zu den entsprechenden Konditionen von Privaten ausgeübt werden könne. In der Literatur ist diese Entscheidung überwiegend aber auf Ablehnung gestoßen.2 Das BMF reagierte mit einem Nichtanwendungserlass.3 Der BFH hat seine Rechtsprechung mittlerweile korrigiert. Er führt aus, dass nicht bereits die objektive Eignung zur Gewinnerzielung die Zweckbetriebseigenschaft ausschließe. Vielmehr könne die Gewinnerzielung unter bestimmten Voraussetzungen erforderlich sein, um den Betrieb aufrechterhalten zu können. Zudem entspreche es der Rechtsprechung des BFH, dass die in § 65 Nr. 3 AO enthaltene Wettbewerbsklausel nicht in die speziellen Zweckbetriebsvorschriften hineinzulesen sei. Der BFH geht nun davon aus, dass eine den Zweckbetrieb ausschließende Erwerbsorientierung dann gegeben sei, wenn damit Gewinne angestrebt werden, die den konkreten Finanzierungsbedarf des jeweiligen wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs übersteigen.4 Diese Ausführungen sind grundsätzlich zu begrüßen, lassen sie doch für die wirtschaftliche Betätigung gemeinnütziger Körperschaften wieder mehr Spielraum.

10.136

Zu Problemen führt aber die letztgenannte Formulierung, wonach keine Gewinne angestrebt werden dürften, die den konkreten Finanzierungsbedarf des jeweiligen wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs überstiegen. Was damit konkret gemeint ist, erschließt sich nicht unmittelbar.5 Insbesondere die Interpretation durch die Finanzverwaltung, die in ihrer Grundrichtung abzulehnen ist, zeigt die entstehenden Probleme. Das Bundesministerium der Finanzen hat in seinem entsprechend geänderten Anwendungserlass zur Abgabenordnung das Kriterium der Erwerbsorientierung näher konkretisiert.6 Diese Ausführungen sind problematisch. Sie kon-

10.137

1 BFH v. 18.9.2007 – I R 30/06, BStBl. II 2009, 126. 2 Hüttemann, Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht4, Rz. 6.228; Musil in H/H/Sp, § 66, Rz. 21; Schauhoff/Kirchhain, DStR 2008, 1713 (1714); Seer in Tipke/Kruse, § 66 AO (St. 6/2020), Rz. 1. 3 BMF v. 20.1.2009 – IV C 4-S 0185/08/10001, 2009/0012162, BStBl. I 2009, 339. 4 BFH v. 27.11.2013 – I R 17/12, BFH/NV 2014, 984. 5 Ebenso Hüttemann, Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht4, Rz. 6.229. 6 Vgl. AEAO Nr. 2 Satz 4 ff. zu § 66 AO: „Werden in drei aufeinanderfolgenden Veranlagungszeiträumen jeweils Gewinne erwirtschaftet, die den konkreten Finanzierungsbedarf der wohlfahrtspflegerischen Gesamtsphäre der Körperschaft übersteigen, ist widerlegbar (z.B. unbeabsichtigte Gewinne aufgrund von Marktschwankungen) von einer zweckbetriebsschädlichen Absicht der Körperschaft auszugehen, den Zweckbetrieb des Erwerbs wegen auszuüben. Gewinne aufgrund staatlich regulierter Preise (z.B. auf Grundlage einer Gebührenordnung nach Maßgabe des § 90 SGB XI) sind kein Indiz dafür, dass der Zweckbetrieb des Erwerbs wegen ausgeübt wird. Der konkrete Finanzierungsbedarf im Sinne des Satzes 4 umfasst die Erträge, die für den Betrieb und die Fortführung der Ein-

Musil | 751

Kap. 10 Rz. 10.137 | Gesundheitswesen und Sozialversicherung

terkarieren die Intention der Rechtsprechung, die Zweckbetriebsdefinition in § 66 AO eigenständig und unabhängig von § 65 AO zu gestalten. Zudem werden erhebliche inhaltliche Nachweiserfordernisse statuiert, die die betroffenen Unternehmen stark belasten.1 Am bedenklichsten ist allerdings, dass die sehr detaillierten und voraussetzungsreichen Festlegungen keine Stütze im Gesetz finden. Der Rahmen zulässiger Konkretisierung im Rahmen eines Anwendungserlasses wird überschritten. Es bleibt zu hoffen, dass die entsprechenden Sätze wieder aus dem AEAO gestrichen oder zumindest noch weiter entschärft werden.

3. Umsatzsteuerrecht 10.138

Mit Blick auf das Umsatzsteuerrecht ist in verschiedener Hinsicht zu differenzieren. Zunächst muss zwischen den verschiedenen Trägern der Rettungsleistung unterschieden werden, sodann zwischen dem Rettungsdienst und dem sonstigen Krankentransport (siehe oben Rz. 10.129). Während im Falle des ersteren eine ganze Reihe verschiedener Leistungen erbracht werden, beschränkt sich der Krankentransport im Wesentlichen auf die Beförderungsleistung.

10.139

Zunächst ist nach der Unternehmereigenschaft im Sinne von § 2 Abs. 1 UStG zu fragen. Diese wird im Regelfall zu bejahen sein. Das gilt insbesondere, soweit im Rahmen der Leistungserbringung privatrechtliche Rechtsverhältnisse eingegangen werden. Bestehen öffentlichrechtliche Rechtsbeziehungen, so kommt zwar grundsätzlich § 2b UStG zur Anwendung. Da aber im Rahmen des Rettungsdienstes im breiten Umfang auch Private in die Leistungserbringung eingeschaltet werden, kann das Merkmal größerer Wettbewerbsverzerrungen regelmäßig angenommen werden.

10.140

Bei Rettungsdienst und Krankentransport ist also nach Befreiungstatbeständen gem. § 4 UStG zu fragen.2 Erbringt ein Träger Leistungen der Notfallrettung, so ist in umsatzsteuerlicher Hinsicht zwischen verschiedenen Leistungsarten zu unterscheiden. Zunächst kann im Rahmen der Notfallrettung ein Notarzt unmittelbar lebensrettende Maßnahmen ergreifen. Lebensrettende Maßnahmen im weiteren Sinne und sonstige Leistungen, die der Herstellung der Transportfähigkeit dienen, führen auch die sonstigen Einsatzkräfte wie etwa die Rettungsassistenten durch. Weiterhin kommt es im Rahmen der Notfallrettung regelmäßig auch zu einer Beförderungsleistung. Schließlich werden so genannte Vorhalteleistungen erbracht, um im Notfall eine adäquate Rettung durchführen zu können. All diese Leistungen sind unter Umständen umsatzsteuerlich unterschiedlich zu behandeln.

10.141

Was die Maßnahmen des Notarztes angeht, die unmittelbar lebensrettend sind, ist die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 UStG einschlägig. Eine Umsatzsteuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 UStG tritt auch ein, wenn am Unfallort statt eines Arztes ein selbständiger Rettungsassistent unmittelbar lebensrettend tätig wird, weil es sich um eine ähnliche heilberufliche Tätigkeit handelt.3

richtung(en) der Wohlfahrtspflege notwendig sind, und beinhaltet auch die zulässige Rücklagenbildung nach § 62 Absatz 1 Nummern 1 und 2. Zur wohlfahrtspflegerischen Gesamtsphäre im Sinne des Satzes 4 gehören Wohlfahrtspflegeeinrichtungen im Sinne des § 66 AO, Zweckbetriebe im Sinne des 68 AO, soweit diese auch die Voraussetzungen des § 66 AO erfüllen, Zweckbetriebe im Sinne des § 67 AO sowie ideelle Tätigkeiten, für die die Voraussetzungen des § 66 AO vorlägen, wenn sie entgeltlich ausgeführt würden.“ 1 So auch Hüttemann, Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht4, Rz. 6.229. 2 Ausführlicher Überblick bei Holland/Baum, DB 2006, 11 ff. 3 Abschnitt 4.14.4 Abs. 11 UStAE.

752 | Musil

D. Die Besteuerung der gesetzlichen Krankenkassen | Rz. 10.145 Kap. 10

Die Beförderungsleistung als solche ist unter den Voraussetzungen des § 4 Nr. 17b UStG umsatzsteuerfrei. Hierunter fallen sowohl Beförderungen, die im Rahmen einer Notfallrettung durchgeführt werden, als auch solche, die allein dem Krankentransport dienen. Der Krankentransport kann seine Steuerfreiheit weitgehend auf die Norm des § 4 Nr. 17b UStG stützen, soweit er mit den dort genannten Fahrzeugen erfolgt. Problematisch kann die Steuerbefreiung von Vorhalteleistungen sein. Dies sind solche Leistungen, die nicht unmittelbar bei einem Einsatz erbracht werden, sondern im Vorfeld liegen und den Einsatz erst ermöglichen. Die Finanzverwaltung ist der Auffassung, dass diese Leistungen nur dann nach § 4 Nr. 17b UStG als Nebenleistungen umsatzsteuerbefreit sind, wenn sie von demselben Unternehmer wie die Hauptleistung erbracht werden.1 Dies ist mit Blick auf den Nebenleistungscharakter konsequent. Um hier dennoch eine Steuerbefreiung zu erreichen, kann möglicherweise auf § 4 Nr. 18 UStG zurückgegriffen werden. Liegen dessen Voraussetzungen nicht vor, so kommt zumindest eine Steuerermäßigung gem. § 12 Nr. 8a UStG in Betracht.2

10.142

Schließlich kann für frei-gemeinnützige Träger allgemein eine Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 18 UStG einschlägig sein. Die früher gegen die Europarechtskonformität der Vorschrift erhobenen Bedenken wurden durch die nun geltende Neufassung ausgeräumt.3

10.143

4. Kraftfahrzeugsteuer Eine Besonderheit für den Rettungsdienst besteht bei der Kraftfahrzeugsteuer. Nach § 3 Nr. 5 KraftStG ist von der Kraftfahrzeugsteuer befreit das Halten von Fahrzeugen, solange sie ausschließlich im Feuerwehrdienst, im Rettungsdienst oder zur Krankenbeförderung eingesetzt werden. Voraussetzung ist zunächst, dass der Zweck äußerlich am Fahrzeug erkennbar ist. Bei Fahrzeugen privater Träger muss zusätzlich die Bauart und die Einrichtung den bezeichneten Verwendungszwecken angepasst sein.

10.144

D. Die Besteuerung der gesetzlichen Krankenkassen I. Rechtsgrundlagen, Organisation, Leistungsverhältnisse Die gesetzliche Krankenversicherung wird durch die gesetzlichen Krankenkassen getragen. Die grundlegende rechtliche Regelung über ihre Organisation enthält § 4 SGB V. In § 4 Abs. 1 SGB V ist bestimmt, dass die gesetzlichen Krankenkassen rechtsfähige Körperschaften des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung sind. Absatz 2 unterscheidet verschiedene Formen von Krankenkassen. Zu nennen sind die Allgemeinen Ortskrankenkassen, die Betriebskrankenkassen, die Innungskrankenkassen, die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau als Träger der Krankenversicherung der Landwirte, die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See als Träger der Krankenversicherung (Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See), die Ersatzkassen. Organisatorische Einzelregelungen finden sich in den §§ 143 ff. SGB V. Das SGB V enthält auch die Regelung der Rechtsbeziehungen zu den Versicherten einerseits und den Leistungserbringern andererseits. Das Versicherungsverhältnis ist öffentlich-rechtlich ausgestaltet. Es handelt sich im Regelfall um eine Pflichtversicherung, die Freiwillige Ver1 Abschnitt 4.17.2 Abs. 6 Satz 2 UStAE. 2 Eingehend Holland/Baum, DB 2006, 11 ff., 14 ff. 3 Vgl. Gesetz v. 12.12.2019, BGBl. I, 2451.

Musil | 753

10.145

Kap. 10 Rz. 10.145 | Gesundheitswesen und Sozialversicherung

sicherung stellt die Ausnahme dar (§§ 5, 6 SGB V). Die Versicherten zahlen Beiträge an ihre Krankenkasse (§ 3 SGB V) und erhalten im Bedarfsfalle Sach- und Dienstleistungen zur Widerherstellung ihrer Gesundheit (vgl. § 2 Abs. 2 SGB V). Die Kostenerstattung für Behandlungsleistungen stellt die Ausnahme dar (§ 13 SGB V).

10.146

Zur Sicherstellung einer ausreichenden Versorgung mit Gesundheitsleistungen wirken die Krankenkassen mit den Verbänden der Leistungserbringer zusammen (vgl. §§ 72 ff. SGB V), insbesondere mit den Kassenärztlichen Vereinigungen. Auch dieses Verhältnis ist öffentlichrechtlich ausgestaltet. Die Krankenkassen schließen – von Ausnahmen abgesehen – nicht etwa privatrechtliche Einzelverträge mit bestimmten Leistungserbringern, sondern es werden Rahmenregelungen über die erstattungsfähigen Leistungen und die hierfür zu zahlende Vergütung getroffen.

II. Ertragsteuerrecht 10.147

Aufgrund der dargestellten Ausgestaltung der gesetzlichen Krankenversicherung unterliegt sie im Rahmen ihrer derzeitigen Kerntätigkeit keiner Besteuerung. Dies gilt sowohl für den Bereich der Ertragsteuern als auch für die Umsatzsteuer.

10.148

Als Körperschaften des öffentlichen Rechts werden die Krankenkassen nur im Rahmen ihrer Betriebe gewerblicher Art gem. §§ 1 Abs. 1 Nr. 6, 4 KStG von der Körperschaftsteuerpflicht erfasst. Nach herrschender Auffassung sind die Voraussetzungen eines Hoheitsbetriebs gem. § 4 Abs. 5 KStG erfüllt.1 Die gesetzlichen Krankenkassen erfüllen im Rahmen der Versorgung der Versicherten mit Gesundheitsleistungen hoheitliche Aufgaben. Dies ergibt sich vor allem daraus, dass es sich bei der gesetzlichen Krankenversicherung um ein solidarisches System handelt, das den sozialen Ausgleich zwischen den Versicherten zum Ziel hat. Im Unterschied zur privaten Krankenversicherung erfolgt keine Versicherung entsprechend dem persönlichen Risiko, sondern nach sozialen Kriterien.2

10.149

Konkret steht die Gesetzliche Krankenversicherung nur im Bereich der freiwillig Versicherten im Wettbewerb zu privaten Krankenversicherungen. Dieser Bereich bildet innerhalb der Gesetzlichen Krankenversicherung die Ausnahme. Die freiwillige Versicherung begründet gleichwohl keinen Betrieb gewerblicher Art. Auch sie ist nämlich in die besondere solidarische Struktur der gesetzlichen Krankenversicherung eingebunden. Ohne freiwillige Versicherung wäre die Pflichtversicherung konstruktiv kaum denkbar. Insbesondere die soziale Umverteilung ist ein wesentliches Element auch der freiwilligen Versicherung. Dadurch ist die gesetzliche Krankenversicherung insgesamt als einem Hoheitsträger eigentümlich und vorbehalten anzusehen.

10.150

Auch unterliegen die gesetzlichen Krankenkassen nicht der Gewerbesteuer. Dies ergibt sich daraus, dass diese keine gewerblichen Unternehmen im Sinne von § 2 Abs. 1 S. 2 GewStG sind. Abschnitt R 2.1 Abs. 6 der GewStR zu § 2 GewStG stellt insoweit für Betriebe der öffentlichen Hand einen Bezug zur Qualifikation als Betrieb gewerblicher Art gem. § 4 Abs. 1 KStG her. Die gesetzlichen Krankenkassen fallen als Hoheitsbetriebe nicht unter diesen Begriff.

1 Siehe bereits RFH v. 17.12.1938 – VIa 77/37, RStBl. 1939, 482; BFH v. 4.2.1976 – I R 200/73, BStBl. II 1976, 355; für die Finanzverwaltung siehe Abschnitt H 4.5 KStH 2015 „Träger der Sozialversicherung“; aus der Literatur Hüttemann, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, S. 100; a.A. insbesondere Boetius, DB 1996, Beil. 17 zu Heft 48, 1 ff. 2 Hüttemann, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, S. 99 f.

754 | Musil

D. Die Besteuerung der gesetzlichen Krankenkassen | Rz. 10.156 Kap. 10

Ausnahmsweise kann auch die Tätigkeit von gesetzlichen Krankenkassen der Besteuerung unterliegen, und zwar dann, wenn sie mit ihrer konkreten Tätigkeit den Bereich des Hoheitsbetriebs verlassen. Dies kann der Fall sein, wenn die Krankenkassen Leistungen anbieten, die nicht von ihrem gesetzlichen Versorgungsauftrag umfasst sind. Die Qualifikation als Hoheitsbetrieb scheidet dann aus. Allerdings muss sich die Tätigkeit so verselbständigt haben, dass sie als eigenständiger Betrieb gewerblicher Art qualifiziert werden kann. Ein Beispiel kann etwa die Verselbständigung bestimmter interner Verwaltungsaufgaben und Erledigung in Kooperation mit anderen Krankenkassen sein. In einem solchen Fall nimmt die Aufgabenerfüllung nicht mehr am Hoheitsbetrieb teil und kann zu ertragsteuerlichen Folgen führen. Erträge aus dem Betrieb gewerblicher Art unterliegen sowohl der Körperschaftsteuer als der Gewerbesteuer.

10.151

III. Umsatzsteuerrecht Umsatzsteuerlich folgt die Steuerfreiheit der Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen zunächst aus § 2b UStG. Bei der derzeitigen Ausgestaltung der gesetzlichen Krankenkassen sind die Leistungen, die im Rahmen der gesetzlichen Versicherungspflicht und im Rahmen der freiwilligen Versicherung erbracht werden, als Tätigkeiten anzusehen, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen. Größere Wettbewerbsverzerrungen sind nicht zu besorgen.

10.152

Ausnahmsweise kann die Tätigkeit der Krankenkassen aber zu steuerbaren Umsätzen führen. Dies ist etwa der Fall, wenn durch sie private Zusatzversicherungen vermittelt werden. Der Vertrag kommt zwischen Versicherten und privaten Versicherern zustande, die gesetzlichen Krankenkassen erhalten ein Vermittlungsentgelt.1

10.153

Soweit bestimmte Umsätze im umsatzsteuerbaren Bereich getätigt werden, ist nach einer Befreiungsnorm zu fragen. Im obigen Vermittlungsbeispiel kommt etwa die Anwendung von § 4 Nr. 11 UStG in Betracht. Die Finanzverwaltung wertet die Vermittlungsleistungen als Leistungen eines Handelsmaklers und behandelt sie als steuerfrei.2

10.154

Weiterhin können sich die gesetzlichen Krankenkassen als gesetzliche Träger der Sozialversicherung generell auf die Befreiungsvorschrift des § 4 Nr. 15 UStG berufen, soweit es sich um Leistungen gegenüber anderen Trägern der Sozialversicherung oder um Leistungen an die Versicherten oder sonstige in § 4 Nr. 15 Buchst. b) UStG genannte Personen handelt.

10.155

Eine weitere Sondervorschrift, die auf gesetzliche Krankenkassen anwendbar ist, ist § 4 Nr. 15a UStG. Danach sind die auf Gesetz beruhenden Leistungen der Medizinischen Dienste (§ 278 SGB V) und des Medizinischen Dienstes Bund (§ 281 SGB V) untereinander und für die gesetzlichen Träger der Sozialversicherung und deren Verbände und für die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch sowie die gemeinsamen Einrichtungen nach § 44b des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch von der Umsatzsteuer befreit.

10.156

1 Bayerisches Landesamt für Steuern, Verf. v. 15.1.2007 – S 7167 – 2 St 3405 M. 2 Bayerisches Landesamt für Steuern, Verf. v. 15.1.2007 – S 7167 – 2 St 3405 M.

Musil | 755

756 | Musil

Kapitel 11 Besteuerung der Hochschulen A. Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Hochschulrecht und Steuerrecht . . I. Hochschulrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Hochschulen . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtliche Organisation . . . . . . a) Rechtsform und Vertretung (äußere Governance) aa) Rechtsform . . . . . . . . . bb) Vertretung . . . . . . . . . . b) Innere Organisation (innere Governance) . . . . . aa) Hochschulleitung . . . . bb) Senat . . . . . . . . . . . . . . cc) Hochschulrat . . . . . . . . dd) Fakultäten . . . . . . . . . . c) Satzungsgebung . . . . . . . . . 3. Studenten-/Studierendenschaft . 4. Studenten- oder Studierendenwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Außeruniversitäre Forschungseinrichtungen . . . . . . . . . . . . . . 6. An-Institute . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Akademische Lehrkrankenhäuser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verfahrensrecht a) Steuerpflichtiger . . . . . . . . b) Zuständigkeiten . . . . . . . . . c) Gemeinnützigkeit . . . . . . . d) Compliance . . . . . . . . . . . . e) Konkurrentenklage . . . . . . f) Steuerliche Prüfung . . . . . . g) Haftungsfragen . . . . . . . . . 2. Einzelsteuergesetze . . . . . . . . . . a) Umsatzsteuer aa) Europarechtliche und nationale Grundlagen . bb) Persönliche Steuerpflicht . . . . . . . . . . . . . cc) Ausnahme: Hoheitliche Tätigkeit (§ 2b Abs. 1 Satz 1 UStG) . . dd) Einschränkung: Größere Wettbewerbsverzerrungen (§ 2b Abs. 1 Satz 2 UStG) . .

11.1 11.7 11.16 11.17 11.20 11.21 11.29 11.30 11.35 11.39 11.40 11.41 11.42 11.43 11.44 11.47 11.57 11.59 11.60 11.63 11.66 11.71 11.74 11.99 11.102 11.104 11.105 11.106 11.108 11.109

11.114

ee) Innergemeinschaftlicher Erwerb (§§ 1 Abs. 1 Nr. 5, 1a UStG) . . . . . . 11.115 ff) Spezialfall „Gemeinsame Berufungen“ . . . 11.119 gg) Spezialfall „Haustrunk“ 11.121 b) Körperschaftsteuer aa) Persönliche Steuerpflicht (1) Betrieb gewerblicher Art (BgA) . . . . . . . . . . 11.122 (2) Zweckbetrieb (§ 65 AO) . . . . . . . . . . . . . . . 11.128 (3) Beispielsfälle zur Einordnung wirtschaftlicher Tätigkeiten von Hochschulen . . . . . . . . 11.130 (a) Forschung . . . . . . . . . . 11.131 (b) Beratung . . . . . . . . . . . 11.135 (c) Entgeltliche Verwertung des geistigen Eigentums i. Patentverwertung . . . . 11.137 ii. Publikationen . . . . . . . 11.138 (d) Überlassung von Ressourcen i. Personal . . . . . . . . . . . 11.139 ii. Geräte . . . . . . . . . . . . . 11.140 iii. Flächen . . . . . . . . . . . . 11.142 (e) Reiseveranstaltungen . 11.145 (f) Wissensvermittlung i. Sammlungen, Botanische Gärten, Zoologische Gärten . . . . . . . . . 11.146 ii. Fachkongresse/Messen 11.147 (g) Werbemaßnahmen i. Banden- und Trikotwerbung . . . . . . . . . . . 11.148 ii. Werbemobile . . . . . . . . 11.149 iii. Anzeigenwerbung . . . . 11.150 iv. Verkauf von Gegenständen mit Identifikationscharakter für die Hochschule – Merchandising . . . . . . 11.151 (h) Leistungen für Studierende i. Kinderbetreuung . . . . 11.152

Schöck | 757

Kap. 11 | Besteuerung der Hochschulen ii. Mensen und Cafeterien . . . . . . . . . . . . . iii. Studentenwohnheim . iv. Kulturelle Veranstaltungen . . . . . . . . . . . . . . . (i) Land- und Forstwirtschaft . . . . . . . . . . . . . (j) Beteiligung an Unternehmen . . . . . . . . . . . . (k) Verwaltungsunterstützung . . . . . . . . . . . . . . c) Lohnsteuer . . . . . . . . . . . . d) Steuerabzug bei Bauleistungen (Bauherrensteuer) . . .

11.153 11.154 11.155 11.157 11.158 11.159 11.160 11.162

e) Grunderwerbsteuer aa) Steuergegenstand . . . . 11.163 bb) Steuerpflichtiger . . . . . 11.167 cc) Ausnahmen von der Besteuerung . . . . . . . . . . 11.168 dd) Bemessungsgrundlage 11.171 ee) Steuersatz . . . . . . . . . . 11.172 f) Grundsteuer aa) Steuergegenstand . . . . 11.173 bb) Steuerpflichtiger . . . . . 11.174 cc) Steuerbefreiungen . . . 11.175 g) Erbschaftsteuer . . . . . . . . . 11.178 h) Alkoholsteuer, Biersteuer . 11.183 i) Kraftfahrzeugsteuer . . . . . 11.186

Literatur: Albrecht, Anmerkungen zum Verfall der Wissenschaft an deutschen Universitäten, KritV 2009, S. 266 ff.; Arbeitskreis Fortbildung im Sprecherkreis der Kanzlerinnen und Kanzler der Universitäten Deutschlands, Fortbildungsprogramm für die Wissenschaftsverwaltung, Materialien Nr. 46, Steuerrechtliche Behandlung der Forschungstätigkeit an Hochschulen, Mainz 1991, Materialien Nr. 98, Steuert das Steuerrecht die Hochschulmedizin?, Weimar 2010; Battis/Grigoleit, Die Universität als privatrechtliche Stiftung, ZRP 2002, 65; Berdahl, The Public University in the 21st Century http://www.berkeley.edu:80/new/features/pressclub99.html; von Brünneck, Verfassungsrechtliche Probleme der öffentlich-rechtlichen Stiftungsuniversität, WissR 2002, 21 ff.; Bumke, Universitäten im Wettbewerb, VVDStRL 69, 407 ff.; Clark, Creating Entrepreneurial Universities – Organizational Pathways of Transformation, Second impression, Surrey 1998; DAAD/AvH/HRK, Internationalität an deutschen Hochschulen: Erhebung von Profildaten 2018. DAAD Studien Bonn 2019; Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), Förderatlas 2021 – Kennzahlen zur öffentlich finanzierten Forschung in Deutschland 2021; von Fircks, Die Universität als Landesbetrieb, Forschung & Lehre 1995, 281 f.; Fraenkel-Haeberle, Einflüsse des allgemeinen Unionsrechts auf das europäische Wissenschaftsrecht – Das Hochschulwesen als Wirtschaftsfaktor: öffentliches Gut oder kommerzielle Dienstleistung? WissR Beiheft 24, 1 ff.; Gärditz, Compliance-Regeln und Wissenschaftsfreiheit, WissR 2019, 299; Geis, Das Selbstbestimmungsrecht der Universitäten, Forschung & Lehre 2003, 242; Geis, Universitäten im Wettbewerb, VVDStRL 69, 364 ff.; Geis, Das neue bayerische Hochschulinnovationsgesetz, OdW 2021, 211; Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (GWK), Gemeinsame Berufungen von leitenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern durch Hochschulen und außerhochschulische Forschungseinrichtungen, Materialien der GWK Heft 37, 2014; Gemeinsame Förderung von Wissenschaft und Forschung durch Bund und Länder – Finanzströme im Jahr 2018, Materialien der GWK Heft 71, 2020; Grüninger, Compliance und Integrität als Führungsaufgabe und Kulturgestaltung, Entrepreneur 2021, 40; Heilig-Achnek, Propaganda aus Peking? Nürnberger Nachrichten v. 26.8.2021, 10; Helm, Konkurrentenklagen im Steuerrecht – Prozessuale Instrumente des Wirtschaftsordnungsrechts, StuW 2021, 265 ff.; Hendler, Die Universität im Zeichen von Ökonomisierung und Internationalisierung, VVDStRL 65, 238 ff.; Hener/Kaudelka/Kirst, Stiftungshochschulen in Deutschland – Ein Zukunftsmodell?, CHE Arbeitspapier 110, Gütersloh 2008; Hönn, Zur Universität im Wandel, Forschung & Lehre 2002, 132; Hüttemann, Empfiehlt es sich, die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Gründung und Tätigkeit von Non-Profit-Organisationen übergreifend zu regeln? Gutachten G z. 72. Deutschen Juristentag, München 2018; Hummel/Richter/Schneider, Zur umsatzsteuerrechtlichen Beurteilung der gemeinsamen Berufung von Professoren nach dem sog. „Berliner Modell“, UR 2021, 621; Kaeser, Steuerstrafrechtliche Verantwortung im Unternehmen und selbstregulierende Tax Compliance, DStJG Band 38, 193; Knauff, Die Regelung der wirtschaftlichen Betätigung von Hochschulen: Auf dem Weg zum Hochschulwirtschaftsrecht, WissR 2010, 28 ff.; Kronthaler/Kronthaler/Küffner, Die Umsatzsteuer in der öffentlich finanzierten Wissenschaft, Hier: gemeinsame Berufungen von Spitzenwissenschaftler*innen an Universitäten und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, UR 2021,

758 | Schöck

A. Ausgangslage | Rz. 11.1 Kap. 11 613; Kronthaler/Kronthaler/Ruffert, Umsatzbesteuerung der öffentlich finanzierten Wissenschaft – Ein Irrweg – Rückbesinnung auf die Zusammenarbeit öffentlich finanzierter Forschungseinrichtungen als nichtwirtschaftliche Tätigkeit, UR 2021, 609; Lamprecht, Moral und Grenzverhalten im Steuerrecht – Zur Rechtsverwirklichung im Steuerrecht und zur neuen Anzeigepflicht für Steuergestaltungen, KritV 2020, 199 ff.; Liesenhoff/Jungen/Pottebaum, Steuern steuern – ein literaturbasierter Vorschlag für Instrumente in einem ganzheitlichen Tax Controlling-System, StuW 2021, 46 ff.; Löwer, Der Staat als Wirtschaftssubjekt und Auftraggeber, VVDStRL 60, 416; Löwisch, Die Bundesregierung zu den Konfuzius-Instituten, OdW 2020, 131; Löwisch, Sind die Konfuzius-Institute steuerlich gemeinnützig? OdW 2022, 23; Longrée/Loos, (Tax) Compliance – Ein zunehmend aktuelles Thema für Stiftungen und Vereine, ZStV 2016, 34 ff.; Madeja, Das Steuerrecht im Lichte der organisationsrechtlichen Kompetenz der Länder im Hochschulrecht, WissR 2010, 127; Mager, Die Universität im Zeichen von Ökonomisierung und Internationalisierung, VVDStRL 65, 274 ff.; Novak, Hungary Transfers 11 Universities to Foundations Led by Orban Allies, The New York Times, April 27, 2021 Section A Page 12 „Orban’s Allies Given Control of Universities“; Novak, Stand, Möglichkeiten und Grenzen der Universitätsreform in Österreich, WissR 2002, 45; OECD, Building Tax Culture, Compliance and Citizenship, Second Edition: A Global Source Book on Taxpayer Education, OECD Publishing, Paris 2021; Pautsch, Autonomiegewinn durch Rechtsträgerwechsel? Das Modell der niedersächsischen Stiftungshochschule, Beiträge zur Hochschulforschung, 2006, Heft 2, 28 ff.; Pautsch, Neue Organisationsmodelle für Hochschulen – ein Ländervergleich, Beiträge zur Hochschulforschung, 2009, Heft 2, 36 ff.; Reiß, Die harmonisierte Umsatzsteuer im nationalen Wirtschaftsverkehr – Widersprüche, Lücken und Harmonisierungsbedarf, DStJG Band 32, 9; Sandberger, Hochschulrechtsreform in Permanenz – Zur Entwicklung des Hochschulorganisationsrechts seit der Jahrtausendwende, OdW 2022, 1–22; Sandberger, Staatliche Hochschulen in alternativer Rechtsform? Wissenschaftsrecht Beiheft 15, 19; Schön, Personengesellschaften und Bruchteilsgemeinschaften im Umsatzsteuerrecht, DStJG Band 13, 81 ff.; Schröder, Compliance an Universitäten – ein Albtraum oder überfälliges Strukturelement? Zu den möglichen Vor- und Nachteilen organisierter Regelbefolgung an öffentlichen Universitäten aus der Perspektive des deutschen Rechts, ZIS 2017, 279; Seckelmann, Tax Compliance Management bei Wissenschaftseinrichtungen, OdW 2019, 237 ff.; Seer, Die steuerliche Behandlung des Forschungstransfers unter Berücksichtigung der gesetzlichen Neuregelungen ab 1.1.1997, DStR 1997, 436 ff.; Statistisches Bundesamt, Fachserie 11, Reihe 4.5, Bildung und Kultur, Finanzen der Hochschulen 2000, Statistisches Bundesamt, 2002; Statistisches Bundesamt, Fachserie 11, Reihe 4.5, Bildung und Kultur, Finanzen der Hochschulen 2019, Statistisches Bundesamt, 2021; Wagner/Oldenbusch, Die verbindliche Auskunft als Baustein der kooperativen Compliance – Ausgewählte internationale Ansätze und deren Implikationen für nationale Vorschriften, FR 2021, 1123 ff.

A. Ausgangslage In der Bundesrepublik Deutschland bestanden nach der Hochschulfinanzstatistik 2019 des Statistischen Bundesamtes insgesamt 469 Hochschulen1: – 106 Universitäten – 36 Hochschulklinika – 6 Pädagogische Hochschulen (bestehen nur noch in Baden-Württemberg als selbständige Einrichtungen2) – 16 Theologische Hochschulen 1 Statistisches Bundesamt, Fachserie 11, Reihe 4.5, Bildung und Kultur, Finanzen der Hochschulen 2019, 2021, S. 9; leicht abweichende Zahlen Wissenschaftsrat, Basisdaten zu Hochschulen und Forschungseinrichtungen in Deutschland, Köln 6.7.2021, S. 1. 2 § 1 Abs. 2 Nr. 2 BWHG.

Schöck | 759

11.1

Kap. 11 Rz. 11.1 | Besteuerung der Hochschulen

– 52 Kunsthochschulen – 215 Fachhochschulen (ohne Verwaltungsfachhochschulen) – 38 Verwaltungsfachhochschulen.

11.2

Mit 298 wird die ganz überwiegende Mehrheit dieser Hochschulen im Rahmen der durch das Grundgesetz festgelegten Kulturhoheit der Länder (Art. 30 i.V.m. 91b GG) von diesen getragen. 12 Hochschulen werden vom Bund getragen – sie sind besonderen Aufgaben gewidmet (stehen zum Teil aber auch anderen Studierenden offen) –, 124 Hochschulen befinden sich in privater Trägerschaft, 35 in der Trägerschaft der Kirchen.1 Strukturell bestehen neben den Universitäten und Fachhochschulen (Universitäten für angewandte Wissenschaften – Universities for Applied Sciences)2 Kunsthochschulen, Musikhochschulen (wobei die Trennung nicht immer eindeutig ist) und andere spezialisierte Hochschulen.3

1 Statistisches Bundesamt, Fachserie 11, Reihe 4.5, Bildung und Kultur, Finanzen der Hochschulen 2019, Statistisches Bundesamt, 2021, S. 9; kritisch zu privaten Universitäten; Hönn, Zur Universität im Wandel, Forschung & Lehre 2002, 132 (134). 2 Detailliert zur unterschiedlichen Funktion von Universität und Fachhochschule und kritisch zu irreführenden Bezeichnungen Epping in HSchR-Praxishandbuch, 3. Aufl., 2017, S. 62 ff. sowie 96 ff.; Epping in Geis, Heidelberger Kommentar, Hochschulrecht in Bund und Ländern, § 2 HRG Rz. 8 f.; auch kritisch zur Einebnung der Unterschiede Geis, Universitäten im Wettbewerb, VVDStRL 69, 364 ff. (381), die Verwendung des Begriffs „University of Applied Sciences“ betrifft allerdings mehr die Fachhochschulen als die privaten Hochschulen (370 bei FN 29); zum historischen Aspekt Hendler, Die Universität im Zeichen von Ökonomisierung und Internationalisierung, VVDStRL 65, 238 ff. (240); siehe auch Wissenschaftsrat, Empfehlungen zur Rolle der Fachhochschulen im Hochschulsystem, Drs. 10031-10, Berlin 2.7.2010. 3 Ein Überblick über „Die deutsche Hochschullandschaft“ findet sich bei Epping in HSchR-Praxishandbuch, 3. Aufl., 2017, S. 54 ff.

760 | Schöck

Universität Stuttgart Universität Tübingen Universität Ulm Karlsruher Institut für Technologie Pädagogische Hochschule Freiburg

§ 1 Abs. 2 Nr. 1 BWLHG

§ 1 Abs. 2 Nr. 1 BWLHG

§ 1 Abs. 2 Nr. 1 BWLHG

§ 1 Abs. 2 Nr. 1 BWLHG

§ 1 Abs. 2 Nr. 2 BWLHG

Pädagogische Hochschule Schwäbisch Gmünd Pädagogische Hochschule Weingarten Hochschule für Musik Freiburg

§ 1 Abs. 2 Nr. 2 BWLHG

§ 1 Abs. 2 Nr. 2 BWLHG

§ 1 Abs. 2 Nr. 3 BWLHG

Hochschule für Musik Trossingen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Mannheim Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart

§ 1 Abs. 2 Nr. 3 BWLHG

§ 1 Abs. 2 Nr. 3 BWLHG

§ 1 Abs. 2 Nr. 3 BWLHG

Hochschule für Musik Karlsruhe

Pädagogische Hochschule Ludwigsburg

§ 1 Abs. 2 Nr. 2 BWLHG

§ 1 Abs. 2 Nr. 3 BWLHG

Pädagogische Hochschule Karlsruhe

§ 1 Abs. 2 Nr. 2 BWLHG

Kunsthochschulen

Universität Mannheim

§ 1 Abs. 2 Nr. 1 BWLHG

Pädagogische Hochschule Heidelberg

Universität Konstanz

§ 1 Abs. 2 Nr. 1 BWLHG

Pädagogische Hochschulen

Universität Hohenheim

§ 1 Abs. 2 Nr. 2 BWLHG

Universität Heidelberg

Universität Freiburg

Hochschulen

§ 1 Abs. 2 Nr. 1 BWLHG

Universitäten

Hochschulart

§ 1 Abs. 2 Nr. 1 BWLHG

§ 1 Abs. 2 Nr. 1 BWLHG

Baden-Württemberg

Rechtsgrundlage

Tabelle 1 Hochschulen nach Ländern

soweit es die Aufgabe einer Universität nach § 2 des KIT-Gesetzes wahrnimmt

Besondere Bemerkungen

A. Ausgangslage | Rz. 11.3 Kap. 11

11.3

Schöck | 761

762 | Schöck Hochschule für Gestaltung Karlsruhe

Akademien der Bildenden Künste Stuttgart

Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe

Hochschulen

Hochschule Furtwangen Hochschule Heilbronn Hochschule Karlsruhe Hochschule Konstanz Hochschule Mannheim Hochschule Nürtingen-Geislingen Hochschule Offenburg Hochschule Pforzheim Hochschule Ravensburg-Weingarten Hochschule Reutlingen Hochschule Rottenburg Hochschule Schwäbisch Gmünd Hochschule Stuttgart (Medien) Hochschule Stuttgart (Technik) Hochschule Ulm Duale Hochschule Baden-Württemberg (Duale Hochschule, DHBW) Stuttgart

§ 1 Abs. 2 Nr. 4 BWLHG

§ 1 Abs. 2 Nr. 4 BWLHG

§ 1 Abs. 2 Nr. 4 BWLHG

§ 1 Abs. 2 Nr. 4 BWLHG

§ 1 Abs. 2 Nr. 4 BWLHG

§ 1 Abs. 2 Nr. 4 BWLHG

§ 1 Abs. 2 Nr. 4 BWLHG

§ 1 Abs. 2 Nr. 4 BWLHG

§ 1 Abs. 2 Nr. 4 BWLHG

§ 1 Abs. 2 Nr. 4 BWLHG

§ 1 Abs. 2 Nr. 4 BWLHG

§ 1 Abs. 2 Nr. 4 BWLHG

§ 1 Abs. 2 Nr. 4 BWLHG

§ 1 Abs. 2 Nr. 4 BWLHG

§ 1 Abs. 2 Nr. 5 BWLHG

Duale Hochschule

Hochschule Esslingen

§ 1 Abs. 2 Nr. 4 BWLHG

Hochschulen Hochschule Aalen für angewandte Hochschule Albstadt-Sigmaringen Wissenschaften Hochschule Biberach

Kunsthochschulen

Hochschulart

§ 1 Abs. 2 Nr. 4 BWLHG

§ 1 Abs. 2 Nr. 4 BWLHG

§ 1 Abs. 2 Nr. 4 BWLHG

§ 1 Abs. 2 Nr. 4 BWLHG

§ 1 Abs. 2 Nr. 3 BWLHG

§ 1 Abs. 2 Nr. 3 BWLHG

§ 1 Abs. 2 Nr. 3 BWLHG

Baden-Württemberg

Rechtsgrundlage

Besondere Bemerkungen

Kap. 11 Rz. 11.3 | Besteuerung der Hochschulen

Rechtsgrundlage

Technische Universität München Universität Passau Universität Regensburg Julius-Maximilians-Universität Würzburg Technische Universität Nürnberg Akademie der Bildenden Künste München

Art. 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BayHSchG

Art. 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BayHSchG

Art. 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BayHSchG

Art. 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BayHSchG

Art. 1 Satz 1 TU Nürnberg-Gesetz – TNG

Art. 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BayHSchG

Hochschule für Musik Würzburg Hochschule für Fernsehen und Film in München

Art. 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BayHSchG

Art. 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BayHSchG

Hochschule für Musik und Theater München Hochschule für Musik Nürnberg

Art. 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BayHSchG

Art. 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BayHSchG

Akademie der Bildenden Künste Nürnberg

Ludwig-Maximilians-Universität München

Art. 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BayHSchG

Art. 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BayHSchG

Friedrich-Alexander-Universität ErlangenNürnberg

Art. 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BayHSchG

Kunsthochschulen

Universität Bayreuth

Art. 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BayHSchG

Universität Augsburg

Hochschulen

Otto-Friedrich-Universität Bamberg

Universitäten

besondere Hochschulen für den öffentlichen Dienst (nach § 69 LHG)

Hochschulart

Art. 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BayHSchG

Art. 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BayHSchG

Bayern

§ 1 Abs. 2 Nr. 6 BWLHG

Baden-Württemberg sie sind Hochschulen für angewandte Wissenschaften im Sinne von § 1 Abs. 2 Nr. 4 BWLHG

Besondere Bemerkungen

A. Ausgangslage | Rz. 11.3 Kap. 11

Schöck | 763

764 | Schöck Fachhochschule Hof Fachhochschule Ingolstadt Fachhochschule Kempten Fachhochschule Landshut Fachhochschule München Fachhochschule Neu-Ulm Georg-Simon-Ohm-Fachhochschule Nürnberg Fachhochschule Regensburg Fachhochschule Rosenheim Fachhochschule Weihenstephan-Triesdorf Fachhochschule Würzburg-Schweinfurt

Art. 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BayHSchG

Art. 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BayHSchG

Art. 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BayHSchG

Art. 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BayHSchG

Art. 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BayHSchG

Art. 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BayHSchG

Art. 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BayHSchG

Art. 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BayHSchG

Art. 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BayHSchG

Art. 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BayHSchG

Art. 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BayHSchG

Humboldt-Universität zu Berlin Technische Universität Berlin

§ 1 Abs. 2 Satz 2 BerlHG

§ 1 Abs. 2 Satz 2 BerlHG

§ 1 Abs. 2 Satz 2 BerlHG

Freie Universität Berlin

Fachhochschule Deggendorf

Art. 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BayHSchG

Universitäten

Fachhochschule Coburg

Art. 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BayHSchG

Berlin

Fachhochschule Augsburg

Art. 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BayHSchG

Fachhochschule Ansbach

Fachhochschule Amberg-Weiden

Hochschulen

Fachhochschule Aschaffenburg

Fachhochschulen

Hochschulart

Art. 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BayHSchG

Art. 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BayHSchG

Art. 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BayHSchG

Bayern

Rechtsgrundlage

Besondere Bemerkungen

Kap. 11 Rz. 11.3 | Besteuerung der Hochschulen

Rechtsgrundlage

Hochschule für Film und Fernsehen Potsdam-Babelsberg

Kunsthochschule Fachhochschulen

§ 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BrbHG

§ 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BrbHG

§ 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BrbHG

Fachhochschule Potsdam

Fachhochschule Eberswalde

Fachhochschule Brandenburg

Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg

§ 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BrbHG

§ 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BrbHG

Universität Frankfurt (Oder)

§ 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BrbHG

§ 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BrbHG

Universität Potsdam

„Alice-Salomon“-Hochschule für Sozialarbeit und Sozialpädagogik Berlin

§ 1 Abs. 2 Satz 5 BerlHG

Brandenburg

Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin

§ 1 Abs. 2 Satz 5 BerlHG

Universitäten

Beuth-Hochschule für Technik Berlin Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin

§ 1 Abs. 2 Satz 5 BerlHG

§ 1 Abs. 2 Satz 5 BerlHG

Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“

Kunsthochschule Berlin (Weißensee) – Hochschule für Gestaltung

Hochschule für Musik „Hanns Eisler“

Universität der Künste Berlin

Hochschulen

§ 1 Abs. 2 Satz 4 BerlHG Fachhochschulen

Kunsthochschulen

§ 1 Abs. 2 Satz 4 BerlHG

§ 1 Abs. 2 Satz 4 BerlHG

Universitäten

Hochschulart

§ 1 Abs. 2 Satz 2 BerlHG

Berlin

Gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 StiftG-EUV vom 14.12.2007 Stiftung Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder)

(als künstlerisch-wissenschaftliche Hochschule zugleich eine Kunsthochschule – § 1 Abs. 2 Satz 3 BerlHG)

Besondere Bemerkungen

A. Ausgangslage | Rz. 11.3 Kap. 11

Schöck | 765

766 | Schöck Kunsthochschule Fachhochschulen

§ 1 Abs. 2 Satz 1 BremHG

§ 1 Abs. 2 Satz 1 BremHG

Universität Hamburg Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg HafenCity Universität Hamburg – Universität für Baukunst und Metropolenentwicklung Hochschule für bildende Künste Hamburg Hochschule für Musik und Theater Hamburg Technische Universität Hamburg Fachhochschulbereich der Akademie der Polizei Hamburg Fachhochschulbereich der Norddeutschen Akademie für Finanzen und Steuerrecht Hamburg Berufliche Hochschule Hamburg

§ 1 Abs. 1 Nr. 2 HmbHG

§ 1 Abs. 1 Nr. 3 HmbHG

§ 1 Abs. 1 Nr. 4 HmbHG

§ 1 Abs. 1 Nr. 5 HmbHG

§ 1 Abs. 1 Nr. 6 HmbHG

§ 1 Abs. 1 Nr. 7 HmbHG

§ 1 Abs. 1 Nr. 8 HmbHG

§ 1 Abs. 1 Nr. 9 HmbHG

Hochschule Bremerhaven

Hochschule Bremen

Hochschule für Künste

Universität Bremen

Fachhochschule Wildau

Hochschulen

§ 1 Abs. 1 Nr. 1 HmbHG

Hamburg

§ 1 Abs. 2 Satz 1 BremHG

Universität

Fachhochschulen

Hochschulart

§ 1 Abs. 2 Satz 1 BremHG

Bremen

§ 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BrbHG

Brandenburg

Rechtsgrundlage

Besondere Bemerkungen

Kap. 11 Rz. 11.3 | Besteuerung der Hochschulen

Rechtsgrundlage

Hochschule Fulda

Hochschule für Musik und Theater Rostock Hochschule Neubrandenburg-University of Applied Sciences

§ 1 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 MVLHG

§ 1 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 MVLHG

Fachhochschulen

Universität Rostock

Universität Greifswald

§ 1 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 MVLHG

§ 1 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 MVLHG

Mecklenburg-Vorpommern

Hochschule RheinMain

Technische Hochschule Mittelhessen Hochschule Geisenheim

Universitäten

Hochschule Darmstadt Frankfurt University of Applied Sciences

§§ 1 Abs. 1 S. 1, 2 Abs. 1 Nr. 3 HessHG

Hochschulen für angewandte Wissenschaften (Fachhochschulen)

§§ 1 Abs. 1 S. 1, 2 Abs. 1 Nr. 4 HessHG

§§ 1 Abs. 1 S. 1, 2 Abs. 1 Nr. 3 HessHG

§§ 1 Abs. 1 S. 1, 2 Abs. 1 Nr. 3 HessHG

§§ 1 Abs. 1 S. 1, 2 Abs. 1 Nr. 3 HessHG

§§ 1 Abs. 1 S. 1, 2 Abs. 1 Nr. 3 HessHG

Hochschule für Bildende Künste – Städelschule

§§ 1 Abs. 1 S. 1, 2 Abs. 1 Nr. 2 HessHG

Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main

§§ 1 Abs. 1 S. 1, 2 Abs. 1 Nr. 2 HessHG Hochschule für Gestaltung Offenbach am Main

Philipps-Universität Marburg

§§ 1 Abs. 1 S. 1, 2 Abs. 1 Nr. 1 HessHG

§§ 1 Abs. 1 S. 1, 2 Abs. 1 Nr. 2 HessHG

Universität Kassel

§§ 1 Abs. 1 S. 1, 2 Abs. 1 Nr. 1 HessHG Kunsthochschulen

Justus-Liebig-Universität Gießen

§§ 1 Abs. 1 S. 1, 2 Abs. 1 Nr. 1 HessHG

Technische Universität Darmstadt

Hochschulen

Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main

Universitäten

Hochschulart

§§ 1 Abs. 1 S. 1, 2 Abs. 1 Nr. 1 HessHG

§§ 1 Abs. 1 S. 1, 2 Abs. 1 Nr. 1 HessHG

Hessen

§ 90 Abs. 1 S. 1 HessHG Körperschaft des öffentlichen Rechts

§ 81 Abs. 1 Hess-HG Rechtsfähige Stiftung des öffentlichen Rechts

§ 2 Abs. 1 TUD-Gesetz: Körperschaft des öffentlichen Rechts

Besondere Bemerkungen

A. Ausgangslage | Rz. 11.3 Kap. 11

Schöck | 767

768 | Schöck Technische Universität Clausthal Universität Göttingen

Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover Medizinische Hochschule Hannover Tierärztliche Hochschule Hannover

Universität Hannover

§ 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. e NHG

§ 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. f NHG

§ 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. g NHG

§ 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. h NHG

Hochschule für Bildende Künste Braunschweig

Technische Universität Braunschweig

Verwaltungsfachhochschule des Landes Mecklenburg-Vorpommern

Hochschule Wismar

Hochschule Stralsund

Hochschulen

§ 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. c NHG

Universitäten und gleichgestellte Hochschulen

Fachhochschulen

Hochschulart

§ 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. d NHG

§ 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b NHG

§ 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a NHG

Niedersachsen

§ 1 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 MVLHG

§ 1 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 MVLHG

§ 1 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 MVLHG

Mecklenburg-Vorpommern

Rechtsgrundlage

Rechtsfähige Stiftung des öffentlichen Rechts; Verordnung über die „Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover“ (StiftVO-TiHo) vom 17.12.2002

Rechtsfähige Stiftung des öffentlichen Rechts; Verordnung über die Errichtung der Stiftung „Georg-August-Universität Göttingen Stiftung öffentlichen Rechts“ (StiftVO-UGÖ) vom 17.12.2002

Hochschulen in staatlicher Verantwortung sind nach § 1 Abs. 1 Satz 1 NHG die Hochschulen in Trägerschaft des Staates und die Hochschulen in Trägerschaft von rechtsfähigen Stiftungen des öffentlichen Rechts (Stiftungen)

§§ 1 Abs. 2, 107 MVLHG

Besondere Bemerkungen

Kap. 11 Rz. 11.3 | Besteuerung der Hochschulen

Rechtsgrundlage

Norddeutsche Hochschule für Rechtspflege Hochschule Osnabrück

Hochschule Wilhelmshaven/Oldenburg/ Elsfleth

§ 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. e NHG

§ 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. f NHG

§ 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. g NHG

§ 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 NRWHG

§ 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 NRWHG

Universität Bielefeld

Technische Hochschule Aachen

Hochschule Hildesheim/Holzminden/ Göttingen

§ 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d NHG

Nordrhein-Westfalen

Hochschule Hannover

§ 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c NHG

Universitäten

Hochschule Braunschweig/Wolfenbüttel

§ 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a NHG Hochschule Emden/Leer

Universität Vechta

§ 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. m NHG

§ 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b NHG

Universität Osnabrück

§ 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. l NHG Fachhochschulen

Universität Oldenburg

§ 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. k NHG

Universität Hildesheim

Hochschulen

Universität Lüneburg

Universitäten und gleichgestellte Hochschulen

Hochschulart

§ 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. j NHG

§ 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. i NHG

Niedersachsen

Rechtsfähige Stiftung des öffentlichen Rechts; Verordnung über die „Stiftung Fachhochschule Osnabrück“ (StiftVO-FHOS) vom 17.12.2002

Rechtsfähige Stiftung des öffentlichen Rechts; Verordnung über die „Stiftung Universität Lüneburg“ (StiftVO-ULG) vom 17.12.2002

Rechtsfähige Stiftung des öffentlichen Rechts; Verordnung über die „Stiftung Universität Hildesheim“ (StiftVO-UHI) vom 17.12.2002

Besondere Bemerkungen

A. Ausgangslage | Rz. 11.3 Kap. 11

Schöck | 769

770 | Schöck Fachhochschulen

Universität Münster

Universität Paderborn Universität Siegen Universität Wuppertal Fachhochschule Aachen

§ 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 11 NRWHG

§ 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 12 NRWHG

§ 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 13 NRWHG

§ 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 14 NRWHG

§ 1 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 und Abs. 3 NRWHG

Fachhochschule Dortmund Hochschule Düsseldorf Westfälische Hochschule Gelsenkirchen, Bocholt, Recklinghausen Hochschule für Gesundheit in Bochum

§ 1 Abs. 2 S. 2 Nr. 5 NRWHG

§ 1 Abs. 2 S. 2 Nr. 6 NRWHG

§ 1 Abs. 2 S. 2 Nr. 7 NRWHG

§ 1 Abs. 2 S. 2 Nr. 8 NRWHG

Hochschule Bochum Hochschule Bonn-Rhein-Sieg in Sankt Augustin

§ 1 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 und Abs. 3 NRWHG

§ 1 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 und Abs. 3 NRWHG

Fachhochschule Bielefeld

Deutsche Sporthochschule Köln

§ 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 10 NRWHG

§ 1 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 und Abs. 3 NRWHG

Fernuniversität in Hagen Universität Köln

§ 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 8 NRWHG

§ 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 9 NRWHG

Universität Düsseldorf Universität Duisburg-Essen

§ 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 6 NRWHG

§ 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 7 NRWHG

Universität Bonn Technische Universität Dortmund

Universität Bochum

Hochschulen

§ 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 NRWHG

Universitäten

Hochschulart

§ 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 NRWHG

§ 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 NRWHG

Nordrhein-Westfalen

Rechtsgrundlage

Standorte in Rheinbach und in Hennef

Standort in Velbert/Heiligenhaus

Standorte in Minden und in Gütersloh

Standort in Jülich

§ 1 Abs. 4 S. 1 NRWHG: Der Fachbereich Musikhochschule der Universität Münster steht einer Kunsthochschule gleich

Besondere Bemerkungen

Kap. 11 Rz. 11.3 | Besteuerung der Hochschulen

Rechtsgrundlage

Fachhochschule Münster Hochschule Niederrhein in Krefeld und Mönchengladbach Hochschule für Musik Detmold,

§ 1 Abs. 2 S. 2 Nr. 15 und Abs. 3 NRWHG

§ 1 Abs. 2 S. 2 Nr. 16 NRWHG

§ 1 Abs. 2 Nr. 1 NRW KunstHG

Kunsthochschule für Medien Köln Kunstakademie Münster Orchesterzentrum NRW in Dortmund

§ 1 Abs. 3 S. 3 NRW KunstHG

Hochschule für Musik und Tanz Köln

§ 1 Abs. 2 Nr. 5 NRW KunstHG

§ 1 Abs. 2 Nr. 7 NRW KunstHG

Folkwang Universität der Künste

§ 1 Abs. 2 Nr. 4 NRW KunstHG

§ 1 Abs. 2 Nr. 6 NRW KunstHG

Robert-Schumann Hochschule Düsseldorf

§ 1 Abs. 2 Nr. 3 NRW KunstHG

Kunstakademie Düsseldorf

Hochschule Ruhr-West in Mülheim

§ 1 Abs. 2 S. 2 Nr. 14 und Abs. 3 NRWHG

§ 1 Abs. 2 Nr. 2 NRW KunstHG

Technische Hochschule Ostwestfalen-Lippe Standorte in Detmold und in Höxter in Lemgo

§ 1 Abs. 2 S. 2 Nr. 13 und Abs. 3 NRWHG

Kunsthochschulen

Technische Hochschule Köln

Gemeinsame Einrichtung der Hochschule für Musik Detmold, der Robert-Schumann Hochschule Düsseldorf, der Folkwang Universität der Künste sowie der Hochschule für Musik und Tanz Köln mit der organisatorischen Anbindung an die Folkwang Universität der Künste

Standorte in Aachen und Wuppertal

Standorte in Essen, Duisburg und Bochum

Standort in Steinfurt

Standort in Bottrop

Standorte in Gummersbach und Leverkusen

Standort in Kamp-Lintfort

Hochschule Rhein-Waal in Kleve

§ 1 Abs. 2 S. 2 Nr. 12 und Abs. 3 NRWHG

Standorte in Hagen, in Meschede, in Soest und in Lüdenscheid

Besondere Bemerkungen

§ 1 Abs. 2 S. 2 Nr. 11 und Abs. 3 NRWHG

Hochschule Hamm-Lippstadt in Hamm und Lippstadt

Hochschulen

Fachhochschule Südwestfalen in Iserlohn

Fachhochschulen

Hochschulart

§ 1 Abs. 2 S. 2 Nr. 10 und Abs. 3 NRWHG

§ 1 Abs. 2 S. 2 Nr. 9 NRWHG

Nordrhein-Westfalen

A. Ausgangslage | Rz. 11.3 Kap. 11

Schöck | 771

772 | Schöck Universität Trier Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer

§ 1 Abs. 2 Nr. 4 RhPfHSchG

§ 1 Abs. 1 RhPfDUVwG

Hochschule Trier Hochschule Worms

§ 1 Abs. 3 Nr. 6 RhPfHSchG

§ 1 Abs. 3 Nr. 7 RhPfHSchG Universität Kunsthochschule Musikhochschule

§ 1 Abs. 1 S. 1 SaarlHSG

§§ 1, 6 Abs. 1 S. 1 SaarlKhG

§§ 1, 6 Abs. 1 S. 1 SaarlMhG

Hochschule für Musik Saar

Hochschule der Bildenden Künste Saar

Universität des Saarlandes

Hochschule Mainz

§ 1 Abs. 3 Nr. 5 RhPfHSchG

Saarland

Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen

§ 1 Abs. 3 Nr. 4 RhPfHSchG

§ 1 Abs. 3 Nr. 3 RhPfHSchG

§ 1 Abs. 3 Nr. 2 RhPfHSchG

Technische Hochschule Bingen Hochschulen für angewandte Hochschule Kaiserslautern Wissenschaften (FachhochHochschule Koblenz schulen)

Johannes Gutenberg-Universität Mainz mit der Hochschule für Musik Mainz und der Kunsthochschule Mainz

§ 1 Abs. 3 Nr. 1 RhPfHSchG

Universität Koblenz-Landau

Technische Universität Kaiserslautern

Hochschulen

§ 1 Abs. 2 Nr. 3 RhPfHSchG

Universitäten

Hochschulart

§ 1 Abs. 2 Nr. 2 RhPfHSchG

§ 1 Abs. 2 Nr. 1 RhPfHSchG

Rheinland-Pfalz

Rechtsgrundlage

Standorte in Trier, Birkenfeld und IdarOberstein

Standorte in Koblenz, Remagen und HöhrGrenzhausen

Standorte in Kaiserslautern, Zweibrücken und Pirmasens

Standorte in Mainz und Germersheim

Besondere Bemerkungen

Kap. 11 Rz. 11.3 | Besteuerung der Hochschulen

Rechtsgrundlage

Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ Leipzig Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden – Hochschule für angewandte Wissenschaften

§ 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e SächsHSFG

§ 1 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a SächsHSFG

Hochschule Mittweida – Hochschule für angewandte Wissenschaften Hochschule Zittau/Görlitz – Hochschule für angewandte Wissenschaften

§ 1 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. c SächsHSFG

§ 1 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. d SächsHSFG

Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig – Hochschule für angewandte Wissenschaften

Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig

§ 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d SächsHSFG

§ 1 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b SächsHSFG

Palucca Hochschule für Tanz Dresden

§ 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c SächsHSFG

Fachhochschulen – Hochschulen für angewandte Wissenschaften

Hochschule für Bildende Künste Dresden

§ 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a SächsHSFG Hochschule für Musik Carl Maria von Weber Dresden

Universität Leipzig

§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d SächsHSFG Kunsthochschulen

Technische Universität Bergakademie Freiberg

§ 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b SächsHSFG

Technische Universität Dresden

Technische Universität Chemnitz

Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes – htw saar

Hochschulen

§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c SächsHSFG

Universitäten

Fachhochschule

Hochschulart

§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b SächsHSFG

§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a SächsHSFG

Sachsen

§ 1 Abs. 1 S. 1 SaarlHSG

Saarland

Besondere Bemerkungen

A. Ausgangslage | Rz. 11.3 Kap. 11

Schöck | 773

774 | Schöck Hochschulen

Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle

Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg

Musikhochschule Lübeck

Kunsthochschulen Fachhochschulen

§ 1 Abs. S. 1 SHHSG

§ 1 Abs. S. 1 SHHSG

Fachhochschule Lübeck Fachhochschule Westküste

§ 1 Abs. S. 1 SHHSG

Fachhochschule Kiel

§ 1 Abs. S. 1 SHHSG

§ 1 Abs. S. 1 SHHSG

Hochschule Flensburg

Muthesius Kunsthochschule

Universität zu Lübeck

§ 1 Abs. S. 1 SHHSG

Europa-Universität Flensburg

Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

§ 1 Abs. 1 S. 3, § 2 Abs. 1 S. 2 SHHSG; § 1 Abs. 1 StiftULG

Universitäten

Hochschule Merseburg

Hochschule Anhalt Hochschulen für angewandte Hochschule Harz Wissenschaften Hochschule Magdeburg-Stendal

Universitäten

Westsächsische Hochschule Zwickau – Fachhochschulen – Hoch- Hochschule für angewandte Wissenschaften schulen für angewandte Wissenschaften

Hochschulart

§ 1 Abs. S. 1 SHHSG

§ 1 Abs. S. 1 SHHSG

Schleswig-Holstein

§ 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 Buchst. d SAHSG

§ 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 Buchst. c SAHSG

§ 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 Buchst. b SAHSG

§ 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 Buchst. a SAHSG

§ 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SAHSG

§ 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SAHSG

§ 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SAHSG

Sachsen-Anhalt

§ 1 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. e SächsHSFG

Sachsen

Rechtsgrundlage

Gesetz über die Stiftungsuniversität zu Lübeck (StiftULG) vom 24.9.2014 (GVOBl. 2014, 306

Besondere Bemerkungen

Kap. 11 Rz. 11.3 | Besteuerung der Hochschulen

Rechtsgrundlage

Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar

Musikhochschule Fachhochschulen

§ 1 Abs. 2 Nr. 5 ThürHG

§ 1 Abs. 2 Nr. 6 ThürHG

Duale Hochschule Gera-Eisenach

§ 1 Abs. 2 Nr. 10 ThürHG

Art. 82 BayHSchG, Rahmenbestimmungen für Struktur und Organisation der Universität der Bundeswehr München (RahBest) vom 13.8.2020

Universität

§ 112 HmbHG, Rahmenbestimmungen Universität für Struktur und Organisation der Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg (RahBest) in der Fassung vom 13.5.2020

Universität der Bundeswehr München

Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg

Fachhochschule Schmalkalden

§ 1 Abs. 2 Nr. 9 ThürHG

Bundesrepublik Deutschland

Fachhochschule Nordhausen

§ 1 Abs. 2 Nr. 8 ThürHG

Fachhochschule Jena

Fachhochschule Erfurt

Bauhaus-Universität Weimar

§ 1 Abs. 2 Nr. 4 ThürHG

§ 1 Abs. 2 Nr. 7 ThürHG

Friedrich-Schiller-Universität Jena

§ 1 Abs. 2 Nr. 3 ThürHG

Universität Erfurt

Hochschulen

Technische Universität Ilmenau

Universitäten

Hochschulart

§ 1 Abs. 2 Nr. 2 ThürHG

§ 1 Abs. 2 Nr. 1 ThürHG

Thüringen

Besondere Bemerkungen

A. Ausgangslage | Rz. 11.3 Kap. 11

Schöck | 775

Kap. 11 Rz. 11.4 | Besteuerung der Hochschulen

11.4

Die Ausgaben der Hochschulen beliefen sich im Jahr 2019 auf insgesamt über 61 Mrd. €1, das bedeutet gegenüber knapp 12 Mrd. € in 19852 eine Steigerung von 49 Mrd. € oder 412 Prozent. Die Drittmitteleinnahmen3 der Hochschulen lagen 2019 bei insgesamt 8,537 Mrd. € für die von den Ländern getragenen Hochschulen, bei 48,2 Mio. € für die vom Bund getragenen Hochschulen; auf Drittmittel aus der gewerblichen Wirtschaft (und vergleichbare Einnahmen) entfielen 1,465 Mrd. € beziehungsweise 8,147 Mio. €4. Demgegenüber lagen die Drittmitteleinnahmen der von den Ländern getragenen Hochschulen (die vom Bund getragenen Hochschulen sind zu dieser Zeit noch nicht statistisch erfasst) im Jahr 1985 umgerechnet bei 818 Mio. €5, Drittmitteleinnahmen aus der gewerblichen Wirtschaft wurden damals noch nicht gesondert ausgewiesen.

11.5

Tabelle 2 Drittmitteleinnahmen der Hochschulen Jahre

1985 Mio. €

Ausgaben gesamt Davon finanziert aus Drittmitteln Davon Drittmittel der gewerblichen Wirtschaft Anteil der Drittmittel an den Ausgaben Anteil der gewerblichen Drittmittel an den Drittmitteln Anteil der gewerblichen Drittmittel an den Ausgaben

2000 %

Mio. €

2019 %

Mio. €

11.926

27.509

61.012

818

2.830

8.714

779

1.502

o.A.

6,86

%

10,29

14,28

27,51

17,24

2,83

2,46

Quellen: Statistisches Bundesamt, Fachserie 11, Reihe 4.5, Bildung und Kultur, Finanzen der Hochschulen, 2000 S. 19 und 29, 2019 S. 24 und 28.

11.6

Die Zunahme der Drittmitteleinnahmen insgesamt wie auch die Erhöhung des Anteils der Drittmitteleinnahmen aus der gewerblichen Wirtschaft an den gesamten Drittmitteln machen deutlich, dass die wettbewerbliche Betätigung der Hochschulen am Markt in den vergangenen drei Jahrzehnten signifikant zugenommen hat.6 Das konnte nicht ohne Auswirkung auf die 1 Statistisches Bundesamt, Fachserie 11, Reihe 4.5, Bildung und Kultur, Finanzen der Hochschulen 2019, 2021, S. 12. 2 Statistisches Bundesamt, Fachserie 11, Reihe 4.5, Bildung und Kultur, Finanzen der Hochschulen 2000, 2002, S. 19. 3 Zum Begriff, zur statistischen Abgrenzung und zur Bedeutung für die Hochschulen: Statistisches Bundesamt, Fachserie 11, Reihe 4.5, Bildung und Kultur, Finanzen der Hochschulen 2000, Statistisches Bundesamt, April 2002, S. 6 f.; Oppermann in Hdb. des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1989, § 145 Freiheit von Forschung und Lehre Rz. 47. 4 Statistisches Bundesamt, Fachserie 11, Reihe 4.5, Bildung und Kultur, Finanzen der Hochschulen 2019, Statistisches Bundesamt, 2021, S. 28. 5 Statistisches Bundesamt, Fachserie 11, Reihe 4.5, Bildung und Kultur, Finanzen der Hochschulen 2000, Statistisches Bundesamt, 2002, S. 19. 6 Zu den rechtlichen Konsequenzen Knauff, Die Regelung der wirtschaftlichen Betätigung von Hochschulen: Auf dem Weg zum Hochschulwirtschaftsrecht, WissR 2010, 28 ff.

776 | Schöck

B. Hochschulrecht und Steuerrecht | Rz. 11.9 Kap. 11

Wahrnehmung des Wissenschafts- und damit auch des Hochschulsektors durch die Finanzverwaltung bleiben, wobei die einzelnen Länder unterschiedlich schnell und intensiv reagiert haben.1

B. Hochschulrecht und Steuerrecht Obwohl die meisten derjenigen, die sich mit Steuerrechtswissenschaft beschäftigen, eine Hochschulausbildung absolviert haben, ist die Hochschule in der Steuerrechtswissenschaft als Steuersubjekt lange Zeit überhaupt nicht wahrgenommen worden – eine Zusammenschau von Steuerrecht einerseits und Hochschul- oder Wissenschaftsrecht andererseits wurde allenfalls punktuell vorgenommen.2 Sehr deutlich tritt das bei den Jahrestagungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer hervor, zu deren Zuständigkeit ja auch das Steuerrecht als Öffentliches Recht gehört.3 Selbst die Deutsche Steuerjuristische Gesellschaft hat das Thema Besteuerung von Hochschulen bislang nicht aufgegriffen, obwohl ein nicht unwesentlicher Teil der Mitglieder im Hochschulwesen tätig sind. Dabei bieten die Hochschulen aufgrund ihrer zwischenzeitlich vielfältiger gewordenen Rechtsformen und ihrer zunehmenden wirtschaftlichen Betätigung und Bedeutung ein ebenso hochschulrechtlich wie steuerrechtlich interessantes Erkenntnisobjekt. Brigitte Knobbe-Keuk hat das 1986 für die Beziehung des Steuerrechts zu anderen Rechtsgebieten treffend zusammengefasst:

11.7

„In den juristischen Fragestellungen aus dem Bereich des Steuerwesens treffen Fragestellungen aus den Teilgebieten der allgemeinen Rechtsordnung zusammen. Darauf beruht der Reiz wissenschaftlicher Beschäftigung mit dem Steuerrecht.“4

11.8

Trotzdem sucht man im Stichwortverzeichnis des steuerrechtlichen Standard-Lehrbuchs nach wie vor vergeblich nach den Stichwörtern „Hochschule“, „Universität“, „Forschung“ oder „Wissenschaft“.5

11.9

1 Eine interessante Zusammenfassung der Anfänge dieser – wohl im Wesentlichen von NordrheinWestfalen ausgegangenen – Entwicklung findet sich im Vortrag von Buchna, Besteuerung von Hochschulen aus der Sicht der Finanzverwaltung (Stand 03/2006) Vortrag gehalten bei der Veranstaltung „Steuerrechtliche Probleme an Hochschulen“ des Vereins zur Förderung des Deutschen und Internationalen Wissenschaftsrechts am 16.3.2006 (https://www.verein-wissenschaftsrecht.de/ data/file/buchna.pdf), S. 7 f. 2 Das ist wohl nur die Fortsetzung des „chronische(n) wissenschaftliche(n) Defizit(s) im modernen Steuerrecht“, das Weber-Fas (Allg. Steuerrecht, S. 22) zurecht als „paradox und skandalös“ bezeichnet hat. 3 So bei Hendler, Die Universität im Zeichen von Ökonomisierung und Internationalisierung, VVDStRL 65, 238 ff., Mager, Die Universität im Zeichen von Ökonomisierung und Internationalisierung, VVDStRL 65, 274 ff. und den Diskutantinnen und Diskutanten der beiden Vorträge, VVDStRL 65, 316 ff. 4 Geleitwort zur Schriftenreihe „Rechtsordnung und Steuerwesen“, Bonn 1986, wiedergegeben in Hüttemann, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, 2002, S. V; zur Notwendigkeit besserer Abstimmung der „einschlägigen Vorschriften des zivilen Organisations- und des steuerlichen Gemeinnützigkeitsrechts im Sinne eines „übergreifenden“ Regelungsansatzes“ Hüttemann, Empfiehlt es sich, die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Gründung und Tätigkeit von Non-Profit-Organisationen übergreifend zu regeln? Gutachten G zum 72. Deutschen Juristentag, München 2018. 5 Tipke/Lang, Steuerrecht24, 2021, S. 1693 – 1771.

Schöck | 777

Kap. 11 Rz. 11.10 | Besteuerung der Hochschulen

11.10

Soweit ersichtlich, hat sich erstmals im Jahr 2008 Ludwig Kronthaler in einem hochschulrechtlichen Kommentar des vorher nur in Einzelaspekten immer wieder aufgegriffenen Themas „Besteuerung von Hochschulen“ in einer zusammenfassenden Übersicht angenommen – nicht ohne immer wieder nachdrücklich auf die fehlende Systematik hinzuweisen.1

11.11

Auf Seiten der für die Bearbeitung der steuerlichen Angelegenheiten der Hochschulen zuständigen Hochschulverwaltungen ist vorher (immerhin im Jahr 1991) nur eine Veranstaltung „Steuerrechtliche Behandlung der Forschungstätigkeit an Hochschulen“ zu verzeichnen2, bei der allerdings von Seiten eines wissenschaftlichen Mitglieds der Universitätsleitung unter Berufung auf eine Stellungnahme der Hochschulrektorenkonferenz3, die Hochschulautonomie und die Freiheit von Forschung und Lehre eine Ausnahme der Hochschulen von der Besteuerung gefordert wurde: „Es hat sicherlich nichts mit Extravaganz zu tun, wenn die Hochschulen auf diesem hoheitlichen Recht (sc. der Freiheit von Forschung und Lehre d. A.) bestehen. Wir meinen, dass es einen guten Sinn hat, daß aus diesem Privileg, das wir ja nicht um unseretwillen, sondern um der Wissenschaft und ihrer Ergebnisse und damit mittelfristig um der Gesellschaft willen haben, auch so banale Dinge wie Steuerfreiheit in diesem Bereich folgen müßten.“4 Erwähnung findet das Thema „Besteuerung von Auftragsforschung“ zumindest in einem Halbsatz des Rechenschaftsberichts 2003 des Präsidenten der Hochschulrektorenkonferenz5, ohne dass sich daraus – soweit ersichtlich – weitere Konsequenzen ergeben hätten.

11.12

Fokussiert auf die Hochschulmedizin wird das Steuerrecht erst wieder in einer Veranstaltung des Arbeitskreises Fortbildung im Sprecherkreis der deutschen Universitätskanzlerinnen und -kanzler im Jahr 2009 aufgegriffen.6 Es ist allerdings nicht so, dass sich die Finanzverwaltung nicht schon früher mit dem Thema beschäftigt hätte – der Bundesrechnungshof hat in seiner Unterrichtung des Deutschen Bundestages 1992 – Bemerkungen des Bundesrechnungshofes 1992 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung (einschließlich der Feststellungen zur Jahresrechnung des Bundes 1990)7 ausführlich beschrieben, wie sich die Finanzverwaltung seit 1981 ohne konkretes Ergebnis mit der Frage der Besteuerung der Hochschulen befasst hat, ohne 1 Kronthaler in Geis, Hochschulrecht in Bund und Ländern, Die Besteuerung öffentlich-rechtlicher Hochschulen, 2008, Rz. 1 et passim); ebenso Hidien in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 3 Rz. 1 ff. 2 Steuerrechtliche Behandlung der Forschungstätigkeit an Hochschulen, Fortbildungsprogramm für die Wissenschaftsverwaltung, Materialien Nr. 46, (Referate gehalten v. 4.–5.3.1991 in Mainz), Mainz 1991. 3 Entschließung des 162. Plenums der Hochschulrektorenkonferenz v. 5.11.1990 – Drittmittelforschung und Steuerrecht. 4 Reiter in Steuerliche Behandlung der Forschungstätigkeit an Hochschulen, Fortbildungsprogramm für die Wissenschaftsverwaltung, Materialien Nr. 46, Mainz 1991, S. 2 f.; zum Verhältnis von Wissenschaftsfreiheit und Besteuerung Hidien in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 2 Rz. 306 ff. (310). 5 Rechenschaftsbericht 2003 des Präsidenten Prof. Dr. Gaehtgens, vorgelegt am 8.6.2004 (https:// www.hrk.de/positionen/beschluss/detail/rechenschaftsbericht-2003-des-praesidenten-professor-drpeter-gaehtgens/), 3.2 Technologietransfer S. 12. 6 Arbeitskreis Fortbildung im Sprecherkreis der Kanzlerinnen und Kanzler der Universitäten Deutschlands, Fortbildungsprogramm für die Wissenschaftsverwaltung, Materialien Nr. 98, Steuert das Steuerrecht die Hochschulmedizin?, Weimar 2010. 7 BT-Drs. 12/3259 v. 21.9.1992, S. 69 f. (Nr. 29, Umsatzbesteuerung der Drittmittelforschung an Hochschulen).

778 | Schöck

B. Hochschulrecht und Steuerrecht | Rz. 11.13 Kap. 11

dass die konkrete Besteuerung mit Nachdruck verfolgt worden wäre1. Der Bundesrechnungshof hat in der nicht bundeseinheitlichen Besteuerungspraxis zurecht einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung erkannt.2 Für die in den letzten Jahren deutlich gestiegene Bedeutung des Steuerrechts für die staatlichen Hochschulen gibt es im Wesentlichen drei Gründe: – Der wachsende Einfluss des Rechts der Europäischen Union mit ihrem Prinzip strikter Wettbewerbsneutralität („unionsrechtlicher Neutralitätsgrundsatz“)3, der für die gesamte öffentliche Hand und damit auch für die Hochschulen gilt4, – die steigende Zahl der Hochschulen vor allem auch in privater Trägerschaft und der zwischen allen Hochschulen zunehmende Wettbewerb5 um die besten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, um die Studierenden und auch um öffentliche und private Forschungsmittel sowie – die stetig zunehmende wirtschaftliche Betätigung der staatlichen Hochschulen – sowohl durch den staatlich gewollten, wenn nicht gar geforderten Ausbau der Drittmittelfor-

1 Misera, Drittmittelforschung: Chancen, Risiken und Praxisprobleme, Frankfurt a.M. 2010 (zugleich Diss. Bonn 2010) S. 114 f.; ähnlich Hidien in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 4 Rz. 1058: „ergibt sich durchgängig eine Zurückdrängung der steuerfreien Hoheitsbetriebe und eine Ausweitung des Wirtschaftsbereichs – entgegen der eher zögerlichen, wenn auch zunehmend skeptischen Praxis der Finanzrechtsprechung und der Finanzverwaltungen des Bundes und der Länder.“; § 4 Rz. 1062: „In der Finanzpraxis bestehen hier umfangreiche Vollzugsdefizite, ...“. 2 BT-Drs. 12/3259 v. 21.9.1992, S. 69 f. (29.2); zur sich schon länger abzeichnenden „Tendenz zur umsatzsteuerlichen Gleichstellung von Wissenschaftseinrichtungen mit privaten Unternehmen“ Seckelmann, Tax Compliance Management bei Wissenschaftseinrichtungen, OdW 2019, 237. 3 RL 2006/112/EG des Rates v. 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABI. L 347 v. 11.12.2006, S. 1) (MwStSystRL) Erwägungsgründe (4), (7) et passim; BFH v. 24.6.2020, V R 47/ 19 Rz. 13 m.w.N.; BFH v. 18.2.2016 – V R 46/14 Rz. 48 m.w.N.; Wiesch, Die umsatzsteuerliche Behandlung der öffentlichen Hand, Köln 2016, S. 18 ff. m.w.N.; grundsätzlich zum Wettbewerbsverständnis des europäischen Gemeinschaftsrechts Löwer, Der Staat als Wirtschaftssubjekt und Auftraggeber, VVDStRL 60, 416 ff. (448 f.). 4 So auch Hidien in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 4 Rz. 1064: „Exemplarische Referenzgebiete für die wirtschaftliche und wirtschaftsverwaltungsrechtliche Liberalisierung und Marktöffnung überkommener Hoheitsreservate sind etwa das deutsche Friedhofs- und Bestattungswesen, das Entsorgungsrecht oder das Hochschulrecht“. Zur grundgesetzlichen und europarechtlichen Fundierung des Grundsatzes der Wettbewerbsneutralität Bundesrechnungshof, Unterrichtung durch den Präsidenten des Bundesrechnungshofes – Bericht nach § 99 BHO zur umsatzsteuerlichen Behandlung der öffentlichen Hand – Vorschläge für eine EG-konforme Besteuerung juristischer Personen des öffentlichen Rechts –, BT-Drs. 15/4081 v. 2.11.2004, Tz. 1.3. 5 Zu den verschiedenen Aspekten des Wettbewerbs, dem sich Hochschulen ausgesetzt sehen Geis, Universitäten im Wettbewerb, VVDStRL 69, 364 ff.; Bumke, Universitäten im Wettbewerb, VVDStRL 69, 407 ff., jeweils m.w.N.; schon 1999 hat der Chancellor der University of California, Berkeley, Robert Berdahl, darauf hingewiesen, dass die Verbreitung des „distance learning“ den Wettbewerb zwischen Universitäten verstärken wird (The Public University in the 21st century, Remarks by Chancellor Robert Berdahl at the National Press Club Luncheon, June 2, 1999 – http:// www.berkeley.edu:80/new/features/pressclub99.html); man kann davon ausgehen, dass die Corona-Pandemie diesen Prozess auch in Deutschland und Europa beschleunigt hat und weiter beschleunigen wird.

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11.13

Kap. 11 Rz. 11.13 | Besteuerung der Hochschulen

schung1 (Detmer sieht gar die Entwicklung vom „Schmuddelkind“ zum „Hätschelkind“2) als auch durch die Verwertung ihrer Erfindungen3 sowie die Förderung von Unternehmensgründungen und die Beteiligung daran.4

1 § 25 Abs. 1 HRG: „Forschungsvorhaben ..., die nicht aus den der Hochschule zur Verfügung stehenden Haushaltsmitteln, sondern aus Mitteln Dritter finanziert werden“; zur Bedeutung der Drittmittelforschung für die Wissenschaft und zu den Anteilen der einzelnen Drittmittelquellen am gesamten Mittelaufkommen der Hochschulen jetzt Deutsche Forschungsgemeinschaft, Förderatlas 2021 – Kennzahlen zur öffentlich finanzierten Forschung in Deutschland, 2021, S. 19 ff. und 45 (Abbildung 3-1, siehe Grafik); Lux-Wesener in HSchR-Praxishandbuch, 3. Aufl., S. 428. ff.; zum Begriff Drittmittel Schuster, Finanzen, Haushalt und Rechnungskontrolle in HdbWissR, S. 1061 ff. (1067) m.w.N. und Sandberger, Drittmittelverwaltung in HdbWissR,1996, S. 1089 ff. (1092); zur bewussten Unschärfe bei der Verwendung des Begriffs und mit auch negativer Abgrenzung Nolden in Geis, Hochschulrecht in Bund und Ländern, Sachsen, Rz. 70, sowie Welz in Geis, Heidelberger Kommentar, Hochschulrecht in Bund und Ländern, Sachsen-Anhalt, Rz. 110 und 344; differenziert zur „Instrumentalisierung der Wissenschaft im modernen Industriestaat“ mit Hinweis auf die volkswirtschaftliche Bedeutung schon Oppermann in Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1989, § 145 Freiheit von Forschung und Lehre Rz. 62; Baden-Württemberg: § 13 Abs. 1 S. 2, § 41 BWHG; Sandberger, Landeshochschulgesetz Baden-Württemberg, 2. Aufl., 2015, § 13 Rz. 6; § 41 Rz. 2 (Drittmittelforschung als Dienstaufgabe und als Leistungskriterium); Bayern: Art. 5 Abs. 1 S. 2, Art. 8 Abs. 1 S. 1 BayHSchG („Forschungsvorhaben ..., die nicht oder nicht vollständig aus den der Hochschule oder dem Klinikum zur Verfügung stehenden Landesmitteln, sondern aus Mitteln Dritter finanziert werden.“); Berlin: § 40 BerlHG; Brandenburg: § 36 BbgHG; Hoffmann in HK-BbgHG 3. Aufl. 2018, § 36 Rz. 1 mit besonderem Hinweis auf die Problematik des Einsatzes von Drittmitteln für die Lehre; § 4 Abs. 1 Nr. 3, § 5 Abs. 5 S. 1 StiftG-EUV; Bremen: §§ 74 f. BremHG; Hamburg: § 77 HmbHG; Hessen: § 29 HessHG; Mecklenburg-Vorpommern: § 47 MVLHG; Niedersachsen: § 22 NHG; Nordrhein-Westfalen: § 71, 71a NRWHG; Rheinland-Pfalz: § 14 RhPfHSchG; Saarland: § 75 SaarlHG; Sachsen: § 46 SächsHSFG; Sachsen-Anhalt: § 25 SAHSG; Schleswig-Holstein: § 37 SHHSG; Thüringen: § 66 ThürHG; speziell zu den Drittmitteln der Europäischen Union DAAD/AvH/HRK (Hrsg.) (2019). Internationalität an deutschen Hochschulen: Erhebung von Profildaten 2018. DAAD Studien: DAAD, S. 139 ff. 2 Detmer in HSchR-Praxishandbuch, 3. Aufl. 2017, S. 197 Rz. 164. 3 Dafür hat die Novellierung des Arbeitnehmererfindungsgesetzes, die zum 7.2.2002 in Kraft getreten ist, die Grundlagen geschaffen (Gesetz über Arbeitnehmererfindungen v. 25.7.1957, zuletzt geändert durch Gesetz v. 31.7.2009); zu den Auswirkungen auf die Hochschulen Schöck, Erfindungen, Patente und Wissenstransfer an Hochschulen in Wagner/Fisch, Patentverwertung in Wissenschaft und Wirtschaft nach Wegfall des Hochschullehrerprivilegs, 2004, S. 23 ff.; grds. kritisch zur wirtschaftlichen Betätigung des Staates und seiner Einrichtungen Löwer, Der Staat als Wirtschaftssubjekt und Auftraggeber, VVDStRL 60, 416 ff. m.w.N. und mit intensiver Diskussion in der Aussprache, VVDStRL 60, 590 ff. 4 Kritisch dazu Albrecht, Anmerkungen zum Verfall der Wissenschaft an deutschen Universitäten, KritV 2009, S. 266 ff.; ihm folgend Fraenkel-Haeberle, Einflüsse des allgemeinen Unionsrechts auf das europäische Wissenschaftsrecht – Das Hochschulwesen als Wirtschaftsfaktor: öffentliches Gut oder kommerzielle Dienstleistung?, WissR Beiheft 24 S. 1 ff.

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B. Hochschulrecht und Steuerrecht | Rz. 11.13 Kap. 11 Abbildung 3-1:

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Kap. 11 Rz. 11.14 | Besteuerung der Hochschulen

11.14

Das im Hochschulwesen eingeführte Instrument der Zielvereinbarung zwischen Staat und Hochschulen wird man mangels eines Marktes, auf dem sich die Partner der Zielvereinbarungen begegnen, allerdings kaum unter dem Stichwort „Ökonomisierung“ subsumieren können.1

11.15

All das hat – sicher auch zusammen mit dem Drängen des Bundesrechnungshofs auf Klärung der Frage der Besteuerung der Drittmittelforschung2 – dazu geführt, dass die Besteuerung der Hochschulen für die Steuerverwaltung und damit auch das Steuerrecht für die Hochschulen an Bedeutung gewonnen haben: wurde die Beschäftigung mit den steuerlichen Konsequenzen der wirtschaftlichen Betätigung von Hochschulen in den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts auch noch von vielen Fachkundigen auf der Seite der Hochschulen wie in der Finanzverwaltung3 als Steckenpferd einiger administrativer Pedanten abgetan, beschäftigen sich heute selbst Rektorenkonferenzen unter Beteiligung der zuständigen Minister in Sondersitzungen mit der Notwendigkeit, einen rechtskonformen Umgang mit den immer intensiver werdenden steuerlichen Regelungen sicherzustellen. Eine zunehmende Zahl von Steuerstrafverfahren macht auch den letzten Zauderern deutlich, wie groß die (strafbewehrte) Verantwortung auf diesem Rechtsgebiet tatsächlich ist.4 Umso erstaunlicher ist es, dass auch die neueste Auflage der Darstellung des baden-württembergischen Hochschulrechts dem Thema Steuerrecht lediglich zwei beiläufige Bemerkungen widmet.5 1 So aber legen das ebenso Kontext wie Sach- und Personenregister nahe bei Sacksofsky, Anreize, in Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, GVwR II, § 40 Rz. 22. 2 BT-Drs. 12/3250 v. 21.9.1992, Unterrichtung durch den BRH – Bemerkungen des Bundesrechnungshofes 1992 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung (einschl. d. Feststellungen zur Jahresrechnung des Bundes 1990), S. 69 f. (Nr. 29); zur zunächst widerstrebenden Umsetzung durch die Finanzverwaltung Misera, Drittmittelforschung: Chancen, Risiken und Praxisprobleme, 2010, S. 114 f.; erneut deutlich auf die Vollzugsdefizite hinweisend Bundesrechnungshof BT-Drs. 15/ 2020 v. 24.11.2003, S. 192 – 195 und BT-Drs. 15/4081 v. 2.11.2004 – Bericht nach § 99 BHO zur umsatzsteuerl. Behandlung der öffentlichen Hand – Vorschläge für eine EG-konforme Besteuerung juristischer Personen des öffentlichen Rechts, der auch auf das Interesse privater Unternehmer am Markt der „öffentlichen Daseinsvorsorge“ hinweist (Tz. 1.1). 3 Am 5.11.1993 hat eine „Arbeitsgruppe „Hochschulen“ der obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder“ einen Bericht „Körperschaftsteuerrechtliche und umsatzsteuerrechtliche Fragen im Zusammenhang mit der Drittmittelforschung der Hochschulen“ vorgelegt. Die Arbeitsgruppe wurde von den Abteilungsleitern (Steuer) der obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder in ihrer Sitzung am 14./15.3.1991 eingesetzt, nachdem sich die Präsidentin der Kultusministerkonferenz mit einem Schreiben v. Oktober 1990 an den Vorsitzenden der Finanzministerkonferenz gewandt und die Drittmittelforschung der Hochschulen insgesamt dem hoheitlichen Bereich zugerechnet hatte – eine Auffassung, die weder von den obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder noch vom Bundesrechnungshof geteilt wurde. 4 So wird in der „Verordnung über den Aufbau der TU Nürnberg (TU Nürnberg-Aufbauverordnung – TNAV) v. 17.12.2020 die (eigentlich selbstverständliche) „Einhaltung von Steuerrecht und EU-Beihilferecht“ (soweit ersichtlich erstmals überhaupt in einer die Hochschulen betreffenden Rechtsvorschrift) ausdrücklich erwähnt (§ 11 Nr. 5 a.E.); Hinweise auf die (auch straf- und haftungsrechtlich relevante) Verantwortung (nicht nur) der Hochschulleitungen bei Buchna, Besteuerung von Hochschulen aus der Sicht der Finanzverwaltung (Stand 03/2006) Vortrag gehalten bei der Veranstaltung „Steuerrechtliche Probleme an Hochschulen“ des Vereins zur Förderung des Deutschen und Internationalen Wissenschaftsrechts am 16.3.2006 (https://www.verein-wissen schaftsrecht.de/data/file/buchna.pdf), S. 37 ff.; zur „aktuellen Stimmungslage“ zwischen Steuerpflichtigen und Finanzverwaltung Kaeser, Steuerstrafrechtliche Verantwortung im Unternehmen und selbstregulierende Tax Compliance, DStJG Bd. 38, 193 ff. (200). 5 Umbach in Haug, Hochschulrecht BW, 3. Aufl., Kap. 2, Rz. 526, 544; eher versteckte Hinweise ohne umfassende Auseinandersetzung mit dem Thema bei BeckOK HochschulR Bayern/Jaburek,

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B. Hochschulrecht und Steuerrecht | Rz. 11.19 Kap. 11

I. Hochschulrecht Die Besteuerung der öffentlich-rechtlichen Hochschulen bestimmt sich – neben den allgemein geltenden Gesetzen – vor allem nach Hochschulrecht und Steuerrecht. Das seit der umfassenden Novellierung des Hochschulrahmengesetzes (HRG)1 weitestgehend in Landesgesetzen geregelte Hochschulrecht2 bestimmt die Rechtsform und die innere Organisation der Hochschulen. Das vorwiegend bundesrechtlich kodifizierte Steuerrecht regelt in der Abgabenordnung (AO) mit ihren Nebengesetzen und in den Einzelsteuergesetzen die persönliche und die sachliche Steuerpflicht für die verschiedenen Steuerarten.

11.16

1. Hochschulen Es ist hier nicht der Ort, die verschiedenen Hochschulbegriffe zu diskutieren.3

11.17

Nach § 1 des Hochschulrahmengesetzes (HRG) sind Hochschulen im Sinne des Gesetzes „die Universitäten, die Pädagogischen Hochschulen, die Kunsthochschulen, die Fachhochschulen und die sonstigen Einrichtungen des Bildungswesens, die nach Landesrecht staatliche Hochschulen sind“. Entscheidend ist also, dass die Hochschule im entsprechenden Landesgesetz als staatliche Hochschule aufgeführt ist.4

11.18

Auch wenn die nichtstaatlichen Hochschulen (kirchliche oder private Hochschulen)5 nicht unmittelbar Gegenstand einer Betrachtung der Besteuerung der öffentlichen Hand sind, ist ihr Bestehen und ihre Situation für die steuerliche Behandlung der öffentlichen Hochschulen doch von nicht zu unterschätzender Bedeutung:6 Da im Rahmen der Europäischen Union, aber auch der deutschen Steuersystematik, die Wettbewerbsneutralität des Steuersystems eine ganz entscheidende Rolle spielt7, kommt es für die Beurteilung der steuerlichen Behand-

11.19

1 2 3 4

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6 7

23. Ed. 1.11.2021, BayHSchG Art. 8 Rz. 15 und bei BeckOK HochschulR NRW/Noack, 20. Ed. 1.6.2020, HG § 77a Rz. 16. Zu den Zweifeln am verfassungsmäßigen Zustandekommen des 4. Gesetzes zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes (4. HRGÄndG) v. 20.8.1998 (BGBl. I S. 2190) eingehend Walter in Geis, Hochschulrecht in Bund und Ländern, HRG § 1 Rz. 7 ff. (insb. Rz. 13). Dazu Kluth in Stober/Kluth, Verwaltungsrecht II, 7. Aufl., 2010, § 80 Rz. 121. Zum materiellen und formellen Hochschulbegriff Lynen in HSchR-Praxishandbuch, 3. Aufl. 2017, S. 87 f.; s.a. Sandberger, Landeshochschulgesetz Baden-Württemberg, 2. Aufl., 2015, § 1 Rz. 3. Siehe Tabelle 1; Walter in Geis, Heidelberger Komm., Hochschulrecht in Bund und Ländern, § 1 HRG, Rz. 15 ff.; Baden-Württemberg: § 1 Abs. 4 S. 1 BWHG; zur Bestandsgarantie des Art. 85 BWLV Sandberger, Landeshochschulgesetz Baden-Württemberg, 2. Aufl., 2015, § 1 Rz. 7, zum institutionellen Gesetzesvorbehalt § 8 Rz. 2; Bayern: Art. 11 Abs. 1 S. 3 BayHSchG; Berlin: § 1 Abs. 3 BerlHG; Brandenburg: § 2 Abs. 2 BrbHG; Bremen: § 1 Abs. 3 BremHG; Hamburg: § 1 Abs. 3 HmbHG; Mecklenburg-Vorpommern: § 1 Abs. 4 HG M-V; Nordrhein-Westfalen: § 2 Abs.1 S. 2 NRWHG; Rheinland-Pfalz: § 6 Abs. 4 S. 1 RhPfHSchG; Sachsen-Anhalt: § 1 Abs. 2 S. 1 SAHSG; Schleswig-Holstein: § 2 Abs. 1 S. 1 SHHSG; Thüringen: § 1 Abs. 3 ThürHG; zur Problematik der Hochschulbezeichnung kritisch Epping in HSchR-Praxishandbuch, 3. Aufl. 2017, S. 74 f.; zur Schließung einer Hochschule durch Rechtsverordnung BVerfG v. 26.10.2004 -1 BvR 911/00, Rz. 147. Dazu eingehend Lorenz, Privathochschulen, in HdbWissR, 1996, S. 1157 ff.; Lorenz in Geis, Heidelberger Komm., Hochschulrecht in Bund und Ländern, HRG § 70 m.w.N.; Lynen in HSchR-Praxishandbuch, 3. Aufl., 2017, S. 112 ff.,124 ff.; zu Voraussetzungen der Gründung und den Rechtswirkungen der Anerkennung Lindner in Geis, Heidelberger Komm., Freistaat Bayern Rz. 308 ff. Zur Grundrechtsfähigkeit privater Hochschulen BVerfG v. 17.2.2016, 1 BvL 8/10, Rz. 48. Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht24, Rz. 4.2; zur verfahrensmäßigen Durchsetzung Seer in Tipke/ Lang, Steuerrecht24, Rz. 22.126 m.w.N.; zur Körperschaftsteuer Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht24,

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Kap. 11 Rz. 11.19 | Besteuerung der Hochschulen

lung der staatlichen Hochschulen wie auf allen Märkten auch darauf an, wie die Mitbewerber auf dem privaten Bildungsmarkt behandelt werden.1 Das ist umso mehr so, als sich die Zahl nichtstaatlicher Hochschulen in den letzten Jahren deutlich vermehrt hat2 und wohl auch in Zukunft weiter steigen wird – nicht zuletzt auch aufgrund der Öffnung des Wissenschaftsund Bildungsmarktes im Rahmen der Europäischen Union3 und darüber hinaus4. Durch diese faktische Entwicklung wird auch deutlich, dass das Anbieten von Bildungs-(aber auch Forschungs-)leistungen im Hochschulbereich nicht zwingend eine hoheitliche Aufgabe sein muss5, sondern dass sich zwischen dem staatlichen und dem nichtstaatlichen, aber staatlich anerkannten Hochschulangebot ein zunehmend intensiverer Wettbewerb ergibt und weiter ergeben wird.6

2. Rechtliche Organisation 11.20

Für Zwecke der Besteuerung ist hochschulrechtlich nach außen von Bedeutung, in welcher Rechtsform die Hochschulen konstituiert sind und wie sich ihre gesetzliche Vertretung darstellt (äußere Governance)7. Nach innen stellt sich zum einen die Frage der Verantwortung für die Wahrnehmung rechtlicher Verpflichtungen auf zentraler und auf dezentraler Ebene, zum anderen die Frage nach der Rechtssetzungsbefugnis für internes Satzungsrecht.8

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Rz. 11.28; zur Umsatzsteuer Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht24, Rz. 17.6 und 17.23 ff. m.w.N.; Heckhausen, Die Umsatzbesteuerung der öffentlichen Hand, S. 83 ff., 145 ff.; Hidien in Hidien/ Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 2 Rz. 423 ff.; Wiesch, Die umsatzsteuerliche Behandlung der öffentlichen Hand, S. 9 ff. (19 ff.); zum Neutralitätsgebot der Umsatzbesteuerung ausführlich Reiß, Die harmonisierte Umsatzsteuer im nationalen Wirtschaftsverkehr – Widersprüche, Lücken und Harmonisierungsbedarf, DStJG Bd. 32, 9 (14 ff.). Grundlegend zum steuerrechtlichen Wettbewerbsverständnis EuGH v. 16.9.2008, Rs. C-288/07 – Isle of Wight Council, UR 2008, 816 ff. mit zustimmender Anm. Küffner; dem EuGH folgend BFH v. 1.12.2011, V R 1/11, BFHE 236, 235 Rz. 18 ff. Darauf weist schon hin Oppermann in Hdb. d. Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1989, § 145 Freiheit von Forschung und Lehre Rz. 35; ebenso Lynen in HSchR-Praxishandbuch, 3. Aufl., 2017, S. 91 ff.; zu den Gründen Geis in Geis, Heidelberger Komm., HRG § 58, Rz. 9, und Lorenz, Privathochschulen, in HdbWissR, 1996, S. 1157 ff. (1160). Art. 179 Vertrag über die Arbeitsweise d. Europäischen Union, ABl. C 326:47 v. 26.10.2012; Der Europäische Hochschulraum, Gemeinsame Erklärung der Europäischen Bildungsminister v. 19.6.1999, Bologna (https://web.archive.org/web/20150713220228/https://www.bmbf.de/pubRD/ bologna_deu.pdf). Lynen in HSchR-Praxishandbuch, 3. Aufl., 2017, S. 95. Zu den verfassungsrechtlichen Aspekten einer vollständigen Privatisierung des Hochschulwesens von Coelln, HSchR-Praxishandbuch, 3. Aufl., 2017, S. 352 f. m.w.N. So schon Hüttemann, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, 2002, S. 97 f.; für die Vereinigten Staaten Berdahl, The Public University in the 21st Century, http://www.berkeley.edu:80/new/featu res/pressclub99.html, „drawing institutions more fully into the sphere of private enterprise“; grundlegend anderer Ansicht jetzt Kronthaler/Kronthaler/Ruffert, Umsatzbesteuerung der öffentlich finanzierten Wissenschaft – Ein Irrweg – Rückbesinnung auf die Zusammenarbeit öffentlich finanzierter Forschungseinrichtungen als nichtwirtschaftliche Tätigkeit, UR 2021, 609 ff. Übersichten über die Entwicklung finden sich bei Geis in Geis, Heidelberger Komm., HRG § 58, Rz. 10 ff., bei von Coelln in HSchR-Praxishandbuch, 3. Aufl. 2017, S. 352 ff. und bei Kluth in Stober/Kluth, Verwaltungsrecht II, 7. Aufl. 2010, § 99 Rz. 50 ff. Zu Stand und Entwicklung der Hochschulorganisation jetzt wieder zusammenfassend Sandberger, Hochschulrechtsreform in Permanenz – Zur Entwicklung des Hochschulorganisationsrechts seit der Jahrtausendwende, OdW 2022, 1–21.

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B. Hochschulrecht und Steuerrecht | Rz. 11.21 Kap. 11

a) Rechtsform und Vertretung (äußere Governance) aa) Rechtsform Nach § 58 Abs. 1 Satz 1 HRG sind Hochschulen „in der Regel Körperschaften des öffentlichen Rechts und zugleich staatliche Einrichtungen“; dies gilt für die Mehrzahl der Länder1. Satz 2 lässt aber ausdrücklich andere Rechtsformen zu2; die Möglichkeit dazu haben einige Hochschulgesetze übernommen3. In einigen Ländern wurde von diesen Öffnungsklauseln auch bereits Gebrauch gemacht: Hochschulen wurden als Landesbetriebe im Sinne der Landeshaushaltsordnung eingerichtet,4 in Stiftungen umgewan1 Baden-Württemberg: § 8 Abs. 1 S. 1 BWHG; dazu Sandberger, Landeshochschulgesetz BadenWürttemberg, 2. Aufl., 2015, § 8 Rz. 3; Bayern: Art. 11 Abs. 1 S. 1 u. 2 BayHschG; Lindner in Geis, Heidelberger Komm., Freistaat Bayern Rz. 93 ff.; Berlin: § 2 Abs. 1 S. 1 BerlHG; dazu Sandberger, Hochschulrechtsreform in Permanenz – Zur Entwicklung des Hochschulorganisationsrechts seit der Jahrtausendwende, OdW 2022, 1 ff. (14 f.); Brandenburg: § 5 Abs. 1 S. 1 BrbHG; dazu mit einer ausführlichen Übersicht über andere Landesgesetze HK-BbgHG/Knopp/Tappert, § 5 Rz. 10 und Rz. 14–16; Bremen: § 2 Abs. 1 S. 1 BremHG; Hamburg: § 2 Abs. 1 S. 1 HmbHG; dazu Scheuren/Winkler-Bondartschuk in Neukirchen/Reußow/Schomburg, HmbHG, § 2 Rz. 3 f., wo in Rz. 4 a.E. allerdings die TU Dresden unzutreffend als Anstalt des öffentlichen Rechts bezeichnet wird; sie ist wie die anderen Hochschulen des Freistaats Sachsen eine rechtsfähige Körperschaft des öffentlichen Rechts; Hessen: § 1 Abs. 1 HessHG; Mecklenburg-Vorpommern: § 2 Abs. 1 S. 1 HG M-V; Niedersachsen: in Niedersachsen sind nach § 47 NHG „Hochschulen in Trägerschaft des Staates“ „Einrichtungen des Landes“; Nordrhein-Westfalen: § 2 Abs. 1 S. 1 NRWKunstHG; Rheinland-Pfalz: § 6 Abs. 1 S. 1 RhPfHSchG, § 6 Abs. 1 DUVwG; Saarland: § 2 Abs. 1. S. 1 SaarlHG; die bei von Coelln in HSchR-Praxishandbuch, 3. Aufl. 2017, S. 356 f. dargestellte Rechtsform nur als Körperschaft des öffentlichen Rechts entspricht nicht dem aktuellen Wortlaut des § 2 Abs. 1 S. 1 SaarlHG: „Die Universität und die Fachhochschule (Hochschulen) sind vom Land getragene Körperschaften des öffentlichen Rechts und zugleich staatliche Einrichtungen.“; § 6 Abs.1 S. 1 SaarlKhG; § 6 Abs.1 S. 1 SaarlMhG; Thüringen: § 2 Abs. 1 ThürHG; zur historischen Dualität von Körperschaft und Anstalt im Preußischen Allgemeinen Landrecht Thieme, VVDStRL 65, 319; zur besonderen Eignung der Körperschaft als Organisationsmodell für Hochschulen unter dem Aspekt der Wissenschaftsfreiheit Oppermann in Hdb. des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1989, § 145 Freiheit von Forschung und Lehre Rz. 51. 2 Dazu ausführlich von Coelln, HSchR-Praxishandbuch, 3. Aufl., 2017, S. 352 ff. 3 Bayern: Art. 11 Abs. 1 S. 3 BayHSchG; Lindner in Geis, Heidelberger Komm., Freistaat Bayern Rz. 113 ff.; Brandenburg: § 5 Abs. 2 BrbHG; Hamburg: § 2 Abs. 1 S. 1 HmbHG; NordrheinWestfalen: § § 2 Abs. 1 S. 2 NRWHG; Rheinland-Pfalz: § 6 Abs. 1 S. 2 RhPfHSchG; Saarland: § 2 Abs. 1 S. 4 SaarlHG; Thüringen: § 2 Abs. 2 ThürHG; dazu Lynen in HSchR-Praxishandbuch, 3. Aufl. 2017, S. 90 f.; zu Überlegungen in Österreich, staatliche Universitäten in GmbHs umzuwandeln skeptisch Novak, Stand, Möglichkeiten und Grenzen der Universitätsreform in Österreich, WissR 2002, 45 ff. (65–67). 4 Modellversuch Niedersachsen, dazu von Fircks, Forschung & Lehre 1995, 281 f.; Sorgenfrei, Die externe Rechnungslegung im wettbewerblich gestalteten öffentlichen Hochschulwesen – unter Würdigung kameralistischer und doppischer Reformansätze, München 2000, zugl. Diss. Paderborn 2000; Pautsch, Autonomiegewinn durch Rechtsträgerwechsel? Das Modell der niedersächsischen Stiftungshochschule, Beiträge zur Hochschulforschung, 2008, Heft 2, S. 28 ff.; Hener/Kaudelka/Kirst, Stiftungshochschulen in Deutschland – Ein Zukunftsmodell? – CHE Arbeitspapier 110, Gütersloh 2008, S. 9, 23 ff.; zur privatrechtlich organisierten Stiftungsuniversität Battis/Grigoleit, Die Universität als privatrechtliche Stiftung, ZRP 2002, 65–69 m.w.N.; dass die Umwandlung von Universitäten in Stiftungen auch zur Stärkung des staatlichen oder politischen Einflusses genutzt werden kann, zeigt die Entwicklung in Ungarn: Novak, Hungary Transfers 11 Universities to Foundations Led by Orban Allies, The New York Times, April 27, 2021 Section A Page 12 „Orban’s Allies Given Control of Universities“.

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11.21

Kap. 11 Rz. 11.21 | Besteuerung der Hochschulen

delt1 oder als rechtsfähige Körperschaft des öffentlichen Rechts verfasst2. Gemeinsam – und für die steuerliche Behandlung entscheidend – bleibt den staatlichen Hochschulen aber, dass sie in der Form einer juristischen Person des öffentlichen Rechts (jPdöR) konstituiert sind.

11.22

In den meisten Ländern sind die Hochschulen allerdings weiterhin nach dem Regelfall des § 58 Abs. 1 HRG als Körperschaften des öffentlichen Rechts und gleichzeitig staatliche Einrichtungen organisiert3 und damit juristische Person des öffentlichen Rechts (jPdöR)4.

1 Brandenburg: Gesetz über die Errichtung der „Stiftung Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder)“ (StiftG-EUV) vom 14.12.2007 (BdbGVBl. I/07, [Nr. 16], S. 206); dazu Wolff, in Geis, Heidelberger Komm., Brandenburg Rz. 115; Hener/Kaudelka/Kirst, Stiftungshochschulen in Deutschland – Ein Zukunftsmodell? – CHE Arbeitspapier 110, 2008, S. 9, 33 ff.; zur Entstehungsgeschichte Kluth in HK-BbgHG, Stiftungsgesetz „Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder)“ (StiftGEUV) § 1 Rz. 2–4. Hessen: Hessisches Hochschulgesetz vom 14.12.2009 (HessGVBl. I 2009 S. 666) Neunter Abschnitt (§§ 81–90) Stiftungsuniversität Frankfurt a.M., Hochschule für Bildende Künste – Städelschule; dazu Hener/Kaudelka/Kirst, Stiftungshochschulen in Deutschland – Ein Zukunftsmodell? – CHE Arbeitspapier 110, 2008, S. 9, 29 ff.; Niedersachsen: Niedersächsisches Hochschulgesetz (NHG) i.d.F. v. 26.2.2007, Nds. GVBl. 2007, 69, zuletzt geändert durch Art. 11 des Gesetzes v. 10.12.2020 (Nds. GVBl. Nr. 45/2020 S. 477) und Art. 4 des Gesetzes v. 16.3.2021 (Nds. GVBl. Nr. 12/2021 S. 133) – (hier werden die „Hochschulen in staatlicher Verantwortung“ in zwei Kategorien geteilt: „Hochschulen in Trägerschaft des Staates“ (3. Kap. §§ 47–54a) und „Hochschulen in Trägerschaft von rechtsfähigen Stiftungen des öffentlichen Rechts“ (4. Kap. §§ 55–63); BVerwG v. 26.11.2009 – BVerwG 2 C 15.08, BVerwGE 135, 286 ff.; dazu auch Hener/ Kaudelka/Kirst, CHE Arbeitspapier 110, Stiftungshochschulen in Deutschland – Ein Zukunftsmodell? 2008; zur Vereinbarkeit mit verfassungsrechtlichen Grundsätzen eingehend von Brünneck, Verfassungsrechtliche Probleme der öffentlich-rechtlichen Stiftungsuniversität, WissR 2002, 21 ff.; Schleswig-Holstein: Gesetz über die Stiftungsuniversität zu Lübeck (StiftULG) v. 24.9.2014, Schl.Holst. GVOBl. 2014, S. 306, zuletzt geändert durch Art. 4 Ges. v. 11.1.2016, Schl.-Holst. GVOBl. 2016, S. 2; Ipsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, 11. Aufl. 2019, spricht von einer „Belebung“ der „Rechtsform der öffentlich-rechtlichen Stiftung“ dadurch, „dass ihr aufgrund landesrechtlicher Regelungen die Trägerschaft von Hochschulen übertragen werden kann (§ 58 Abs. 1 S. 2 HRG)“, Rz. 261 m.w.N.; grundlegend kritisch zur Eignung des Stiftungsmodells für Hochschulen aber Sandberger, Staatliche Hochschulen in alternativer Rechtsform? Wissenschaftsrecht Beiheft 15 (2005), S. 19 (42 ff.); jedenfalls ist die Stiftung eine rechtsfähige juristische Person des öffentlichen Rechts, BVerwG v. 26.11.2009 – BVerwG 2 C 15.08, BVerwGE 135, 286 Rz. 12, 15. 2 Hessen: Gesetz zur organisatorischen Fortentwicklung der Technischen Universität Darmstadt (TUD-Gesetz) v. 5.12.2004 HessGVBl. I 2004, 382; Nordrhein-Westfalen: § 2 Abs. 1 S. 1 NRWHG „vom Land getragene, rechtsfähige Körperschaften des öffentlichen Rechts“; Sachsen: § 2 Abs. 1 Sächsisches Hochschulfreiheitsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung v. 15.1.2013 (SächsGVBl. S. 3), das zuletzt durch Art. 5 des Gesetzes v. 17.12.2020 (SächsGVBl. S. 731) geändert worden ist; Sachsen-Anhalt: § 54 Abs. 1 S. 1 Hochschulgesetz des Landes Sachsen-Anhalt (HSG LSA) in der Fassung der Bekanntmachung v. 14.12.2010, GVBl. LSA 2010, 600, 2011, S. 561, zuletzt geändert durch § 1 des Gesetzes v. 18.1.2021 (GVBl. LSA S. 10); zum europarechtlichen Aspekt der Organisation von Hochschulen im Verhältnis zur „akademischen Freiheit“ Meyer/Hölscheidt/Bernsdorff, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 5. Aufl., 2019, Art. 13 Rz. 15 m.w.N.; Thieme, VVDStRL 65, 318, weist zutreffend darauf hin: „Worte wie Körperschaft, Anstalt usw. sind nur Worthülsen, hinter denen man vieles verbergen kann, und mit denen man vieles und sehr unterschiedliches verbindet und im Laufe der Geschichte verbunden hat.“ 3 Dazu Geis in Geis, Heidelberger Komm., HRG § 58, Rz. 10 ff. 4 Geis in Geis, Heidelberger Komm., HRG § 58, Rz. 14, auch zu den daraus resultierenden materiellen und prozessualen Rechten und Pflichten.

786 | Schöck

B. Hochschulrecht und Steuerrecht | Rz. 11.29 Kap. 11

In Nordrhein-Westfalen wurden mit dem Hochschulfreiheitsgesetz von 20061 die Hochschulen als landesunmittelbare Körperschaften des öffentlichen Rechts konstituiert.2 Sie sind damit keine staatlichen Einrichtungen mehr, sondern vom Staat getragene Einrichtungen, aber ebenfalls juristische Person des öffentlichen Rechts (jPdöR).3

11.23

In Niedersachsen sieht das Hochschulgesetz zwei Modelle vor: die „Hochschulen in Trägerschaft des Staates“ (§§ 47–54 a NHG) und die „Hochschulen in Trägerschaft von rechtsfähigen Stiftungen des öffentlichen Rechts“ (§§ 55–63 NHG und die Verordnungen zur Errichtung der einzelnen Stiftungshochschulen). In diesem Stiftungsmodell behält die Hochschule ihre Rechtsform als Körperschaft des öffentlichen Rechts, wird aber statt vom Staat von einer Stiftung getragen, die selbst eine juristische Person des öffentlichen Rechts ist4, sodass im Ergebnis je Hochschule zwei juristische Personen des öffentlichen Rechts mit einheitlicher Leitung bestehen.

11.24

In Brandenburg ist für die Europa Universität Viadrina Frankfurt (Oder) eine Stiftung als Trägerin der Hochschule errichtet worden (§§ 1 Abs. 1 Satz 1, 2 Abs. 1 Satz 1 StiftG-EUV), der die staatlichen Aufgaben im Verhältnis zur fortbestehenden Körperschaft des öffentlichen Rechts Universität (§ 2 Abs. 2 Satz 1 StiftG-EUV) übertragen wurden (§ 2 Abs. 1 Satz 2 StiftG-EUV).5 Damit bestehen auch hier zwei juristische Personen des öffentlichen Rechts nebeneinander.

11.25

In Schleswig-Holstein wurde mit Gesetz vom 24.9.2014 die Universität zu Lübeck von einer rechtsfähigen Körperschaft in eine rechtsfähige Stiftung des öffentlichen Rechts überführt (§ 1 Abs. 1 StiftULG), die damit auch weiterhin eine juristische Person des öffentlichen Rechts ist.

11.26

In Hessen wurde die Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt a.M. mit dem Hessischen Hochschulgesetz vom 14.12.2009 in eine rechtsfähige Stiftung des öffentlichen Rechts überführt (§ 81 Abs. 1 HessHG), die „als Hochschule des Landes“ ebenfalls juristische Person des öffentlichen Rechts ist.

11.27

In Bayern enthält der Entwurf eines Hochschulinnovationsgesetzes die Option für ein Stiftungsmodell oder eine andere Rechtsform.6

11.28

bb) Vertretung Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, die Hochschulgesetzgeber in den Ländern würden sich zum Beweis ihrer Individualität für die Organisation der Leitungsstruktur von Hochschulen einer möglichst variationsbreiten Nomenklatur bedienen, obwohl die sachlichen Inhalte nicht sehr verschieden sind (von Rektor/Rektorin über Präsident/Präsidentin bis zur 1 2 3 4

GV NRW 2006, 473. Dazu Lynen in HSchR-Praxishandbuch, 3. Aufl., 2017, S. 121. Kritisch dazu von Coelln in Geis, Heidelberger Komm., Nordrhein-Westfalen Rz. 51 f. Sandberger, Staatliche Hochschulen in alternativer Rechtsform? Wissenschaftsrecht Beiheft 15 (2005), S. 19 (40 ff.); Lynen in HSchR-Praxishandbuch, 3. Aufl., 2017, S. 123 f. 5 Dazu Wolff in Geis, Heidelberger Komm., Brandenburg Rz. 114. 6 Art. 4 Abs. 4 Gesetzentwurf der Staatsregierung, Bayerisches Hochschulinnovationsgesetz (BayHIG) v. 4.5.2022, LT-Drs. 18/22504; zur Entstehung Geis, Das neue bayerische Hochschulinnovationsgesetz – Ein symphonischer Werkstattbericht, OdW 2021, 211 ff. (213); Sandberger, Hochschulrechtsreform in Permanenz – Zur Entwicklung des Hochschulorganisationsrechts seit der Jahrtausendwende, OdW 2022, 1 ff. (14).

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11.29

Kap. 11 Rz. 11.29 | Besteuerung der Hochschulen

Leitungsperson oder von Fakultät über Fachbereich bis zur Binneneinheit1) – im Grunde gibt es doch nur begrenzte Wahlmöglichkeiten, um Hochschulen zu strukturieren und zu organisieren.2 In manchen Ländern wird die Entscheidung über die Bezeichnung und/oder Leitungsform auch ausdrücklich den Hochschulen selbst zur Regelung in der Grundordnung überlassen.3 Gleichwohl liegt die Außenvertretung der Hochschulen nach den Hochschulgesetzen der Länder ausnahmslos beim Rektor/der Rektorin oder dem Präsidenten/der Präsidentin4, soweit nicht die Kanzlerin/der Kanzler bezogen auf die jeweilige Zuständigkeit eine besondere Berechtigung oder Verpflichtung hat.5 Bei der Universität Frankfurt am Main und den niedersächsischen Stiftungshochschulen tritt die Außenvertretung der Stiftung neben die Außenvertretung der Universität als Körperschaft des öffentlichen Rechts.6 b) Innere Organisation (innere Governance)

11.30

Zu trennen ist die Außenvertretung der Hochschulen von der Leitungsverantwortung. Es ist hier nicht der Ort, das immer wieder intensiv diskutierte Verhältnis von Leitungsverantwor-

1 Brandenburg: § 71 Abs. 1 Satz 1 BbgHG: „Organisatorische Grundeinheiten ... sind Fachbereiche, Fakultäten oder andere geeignete Strukturen.“; Nordrhein-Westfalen: § 26 NRWHG: „Die Binneneinheiten der Hochschule“; BeckOK HochschulR NRW/Pernice-Warnke, 20. Ed. 2021, HG § 26 Rz. 7. 2 Zur Entwicklung: Kluth in Stober/Kluth, Verwaltungsrecht II, 7. Aufl. 2010, § 99 Rz. 47 ff.; zur Nomenklatur: Sandberger in Geis, Heidelberger Komm., Baden-Württemberg Rz. 48; Lindner in Geis, Heidelberger Komm., Freistaat Bayern Rz. 138; von Coelln in Geis, Heidelberger Komm., Nordrhein-Westfalen Rz. 75 und 87 misst der Unterscheidung zwischen Präsidium und Rektorat zurecht „allein sprachliche Bedeutung“ ohne „sachliche Konsequenzen“ zu. 3 Saarland: § 18 Abs. 2 Nr. 1 SaarlHSG; Sachsen-Anhalt: §§ 70, 117 SAHSG; dazu Welz in Geis, Heidelberger Komm., Sachsen-Anhalt Rz. 268 m.w.N. 4 Sandberger, Hochschulrechtsreform in Permanenz – Zur Entwicklung des Hochschulorganisationsrechts seit der Jahrtausendwende, OdW 2022, 1 ff. (10). Baden-Württemberg: § 17 Abs. 1 Satz 1 BWHG; Sandberger in Geis, Heidelberger Komm., Baden-Württemberg Rz. 50; Bayern: Art. 21 Abs. 7 BayHSchG; Lindner in Geis, Heidelberger Komm., Freistaat Bayern Rz. 142; Berlin: § 52 Abs. 2 Satz 2 BerlHG; Brandenburg: § 65 Abs. 1 Satz 1 BbgHG; Wolff in Geis, Heidelberger Komm., Brandenburg Rz. 135; § 10 Abs. 6 StiftG-EUV; Bremen: § 81 Abs. 3 Satz 1 BremHG „vertritt die Hochschule gerichtlich und außergerichtlich nach außen und nach innen“ mit eigener Organstellung; Karpen/Freund in Geis, Heidelberger Komm., Bremen Rz. 63; Hamburg: § 81 Abs. 2 HmbHG; Hessen: § 38 Abs. 1 Satz 1 HessHG; § 7 Abs. 5 Satz 1 TUD-Gesetz; Mecklenburg-Vorpommern: § 84 Abs. 1 MVLHG; Classen in Geis, Heidelberger Komm., MecklenburgVorpommern Rz. 152; Niedersachsen: § 38 Abs. 1 NHG mit Sonderregelung für die Universitätsmedizin Göttingen in § 63 e Abs. 1 Satz 3 NHG; § 10 Abs. 2 StiftS-FHOS; § 10 Abs. 2 StiftS-TiHo; § 12 Abs. 2 Satz 1 StiftS-UGÖ; § 10 Abs. 2 StiftS-UHI; § 10 Abs. 2 StiftS-ULG; Nordrhein-Westfalen: § 18 Abs. 1 Satz 1 NRWHG; von Coelln in Geis, Heidelberger Komm., Nordrhein-Westfalen Rz. 88; Rheinland-Pfalz: § 80 Abs. 1 Satz 1 RhPfHSchG; § 59 Abs. 1 Satz 1 DUVwG; Saarland: § 19 Abs. 1 SaarlHSG; § 22 Abs. 1 Satz 1 SaarlKhG; § 21 Abs. 1 Satz 1 SaarlMhG; Kiefer/PalocsayReitz in Geis, Heidelberger Komm., Saarland Rz. 198; Sachsen: § 82 Abs. 1 Satz 3 SächsHSFG; Nolden in Geis, Heidelberger Komm., Sachsen Rz. 111; Sachsen-Anhalt: § 69 Abs. 1 Satz 1 SAHSG; Schleswig-Holstein: § 23 Abs. 1 SHHSG; § 6 Satz 2 StiftULG; Hillermann-Fischer in Geis, Heidelberger Komm., Schleswig-Holstein Rz. 173; Thüringen: § 30 Abs. 1 Satz 1 ThürHG; Blanke/Oberthür in Geis, Heidelberger Komm., Thüringen Rz. 98. 5 Dazu Nolden in Geis, Heidelberger Komm., Sachsen Rz. 111, der auf Berechtigung und Verpflichtung des Kanzlers zur Außenvertretung in seinem Zuständigkeitsbereich hinweist. 6 § 85 HessHG; BeckOK HochschulR Nds/Pautsch, 21. Ed. 2021, NHG § 61 Rz. 15.

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B. Hochschulrecht und Steuerrecht | Rz. 11.34 Kap. 11

tung und Leitungsmacht gegenüber der Wissenschaftsfreiheit zu erörtern1. Es zeigt sich aber bei der Analyse der Landeshochschulgesetze, dass in allen Landesrechtsordnungen die Letztentscheidung und die Letztverantwortung für die Erfüllung rechtlicher Verpflichtungen der Hochschule bei der Hochschulleitung liegt – unabhängig davon, in welcher Rechtsform die Hochschule organisiert ist2. Mit der Leitungsverantwortung korrespondiert die Leitungsmacht, die sich niederschlagen kann

11.31

– in der Funktion des Dienstvorgesetzten, (nicht notwendig) verbunden mit der Disziplinargewalt – in der Möglichkeit, Verwaltungsregelungen für den Betrieb der Hochschule zu erlassen, – in der Möglichkeit (und Verpflichtung), Rechtswidriges zu beanstanden und – in der Befugnis zur Ersatzvornahme. Mit der „Organisationsverantwortung“3, der Pflicht, für eine Organisation zu sorgen, die fehlerfreie Abläufe gewährleistet, korrespondiert die Organisationskompetenz, die Möglichkeit zur zweckentsprechenden Einrichtung der Hochschulverwaltung und zur Festlegung ihrer Abläufe (Festlegung von Informations- und Handlungssträngen von den dezentralen Einrichtungen bis zur Zentrale – Lehrstuhl Department Fakultät Zentrale Verwaltung).

11.32

Der Wissenschaftsrat hat dazu nachdrücklich betont: „Die Universitätsleitung trägt die Verantwortung dafür, dass die Universität ihre Aufgaben erfüllt. Sie muss das Zusammenwirken der Einheiten auf dezentraler und zentraler Ebene koordinieren und die Möglichkeit haben, Konflikte zu regeln und abschließende Entscheidungen herbeizuführen.“4 „Das laufende operative Geschäft hingegen sollte – auf der dezentralen genauso wie auf der zentralen Ebene – in der Verantwortung der jeweiligen Leitungsorgane (Rektorat, Dekanat) liegen.“5

11.33

Dass dazu die Erfüllung jeglicher rechtlicher Verpflichtungen gehört – seien es Haushaltsrecht, Beamtenrecht, Arbeitsrecht, Brandschutz, aber eben auch Steuerrecht – steht außer Zweifel. Das macht schon die in den Hochschulgesetzen mit leicht unterschiedlichen Formulierungen vorgesehene Verpflichtung des Rektors/Präsidenten oder der Rektorin/Präsidentin bzw. der Hochschulleitung deutlich, „rechtswidrige Beschlüsse und Maßnahmen zu beanstan-

11.34

1 Dazu mit weiteren Nachweisen Mager, Die Universität im Zeichen von Ökonomisierung und Internationalisierung, VVDStRL 65, 274 ff. (296 f. m.w.N.); sehr kritisch dazu Haverkate, VVDStRL 65, 316 f.; sehr ausgewogen dagegen Gärditz, Compliance-Regeln und Wissenschaftsfreiheit, WissR 2019, 299 ff.; zur Situation in der Weimarer Republik Eggers, VIII. Kapitel, Aufgaben der Länder und Gemeinden, § 1 Bildungswesen II. Das Hochschulwesen, in Jeserich/Pohl/von Unruh, Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 4, 1985, S. 364 ff. 2 Kritisch zur „Verlagerung der Alleinzuständigkeit für das „operative Geschäft“ vom Senat auf die Hochschulleitung“ Geis, Das Selbstbestimmungsrecht der Universitäten, Forschung & Lehre 2003, 242 (243). 3 BeckOK, Hochschulrecht NRW/Möller, 3. Ed. 2017 HG § 16 Rz. 19. 4 Wissenschaftsrat, Empfehlungen zur künftigen Rolle der Universitäten im Wissenschaftssystem, Drs. 7067-06, 27.12006, Empfehlung 12 – Leitungsorganisation, S. 5 und 78 ff. 5 Wissenschaftsrat, Empfehlungen zur künftigen Rolle der Universitäten im Wissenschaftssystem, Drs. 7067-06, 27.1.2006, Empfehlung 12 – Leitungsorganisation, S. 79.

Schöck | 789

Kap. 11 Rz. 11.34 | Besteuerung der Hochschulen

den und ihren Vollzug auszusetzen“.1 Die Freiheit von Lehre und Forschung steht dem nicht entgegen, weil sie sich im Rahmen von Gesetz und Recht zu bewegen hat.2 aa) Hochschulleitung

11.35

Nach der in einigen Hochschulgesetzen vorgesehenen Präsidialverfassung leitet die Präsidentin oder der Präsident die Hochschule.3 An der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer4 und an den künstlerischen Hochschulen des Saarlandes5 leitet die Rektorin oder der Rektor die Hochschule. Damit verleiht das Hochschulrecht diesen Ämtern die „Allzuständigkeit“ und „alleinige Leitungsverantwortung“.6 Das bedeutet, dass auch die Verantwortung für den Haushalt primär bei Präsidentin oder Präsident liegt, auch wenn Kanzlerin oder Kanzler die Funktion des Beauftragten für den Haushalt wahrnehmen.7

1 von Coelln in HSchR-Praxishandbuch, 3. Aufl., 2017, Seite 398, Rz. 119; Baden-Württemberg: § 16 Abs. 5 Satz 2 BWHG; Sandberger, Landeshochschulgesetz Baden-Württemberg, 2. Aufl., 2015, § 16 Rz. 1, 7; BeckOK HochschulR BW/Hagmann, 21. Ed. 2021, LHG § 17 Rz. 6; Bayern: Art. 20 Abs. 3 S. 1 BayHSchG; BeckOK HochschulR Bayern/Jaburek, 23. Ed. 2021, BayHSchG Art. 20 Rz. 21–22; Berlin: § 52 Abs. 5 Satz 5 BerlHG; Brandenburg: § 65 Abs. 1 Satz 5 BrbHG; HK-BbgHG/Knopp, § 65 Rz. 40 f.; Bremen: § 81 Abs. 4 Satz 1 BremHG; Hessen: § 38 Abs. 5 Satz 1 HessHG; BeckOK HochschulR Hessen/Alberding, 20. Ed. 2021, HHG § 38 Rz. 9 und 18; Hamburg: § 81 Abs. 3 i.V.m. § 107 Abs. 2 HmbHG; HmbHG/Sieweke, § 81 Rz. 5; HmbHG/Winter, § 107 Rz. 11 und 23 ff.; Mecklenburg-Vorpommern: § 84 Abs. 4 Satz 1 MVLHG; Niedersachsen: § 37 Abs. 3 Satz 2 NHG; BeckOK HochschulR Nds/Heun/Thiele, 21. Ed. 2019, NHG § 37 Rz. 21; Nordrhein-Westfalen: § 16 Abs. 4 NRWHG; § 17 Abs. 3 NRWKunstHG; BeckOK HochschulR NRW/Möller, 20. Ed. 2021, HG § 16 Rz. 34: „Die Rechtsaufsicht ist nicht nur Befugnis, sondern auch Aufgabe des Rektorats.“; Rheinland-Pfalz: § 79 Abs. 6 RhPfHSchG; § 59 Abs. 6 DUVwG: „Die Rektorin oder der Rektor hat Beschlüssen oder Maßnahmen des Senats und der sonstigen Stellen der Hochschule, die rechtswidrig sind oder die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit verletzen, zu widersprechen.“; Saarland: § 18 Abs. 5 Satz 1 SaarlHSG; § 22 Abs. 4 Satz 1 SaarlKhG; § 21 Abs. 4 Satz 1 SaarlMhG; Sachsen: § 83 Abs. 4 Satz 1 SächsHSFG; Nolden in Nolden/Rottmann/ Brinktrine/Kurz, Sächsisches Hochschulgesetz, 2011, § 83 S. 384 f. (kein Ermessen, sondern Pflicht zur Beanstandung); Sachsen-Anhalt: § 69 Abs. 4 Satz 1 SAHSG; Marx in Nolden/Kurz/Schmuck, Hochschulgesetz Sachsen-Anhalt, 2018, § 69 Rz. 11; Schleswig-Holstein: § 23 Abs. 4 Satz 1 SHHSG; Hillermann-Fischer in Geis, Heidelberger Komm., Schleswig-Holstein Rz. 173 spricht von Widerspruchsrecht, es ist aber auch eine Widerspruchspflicht („hat ... zu widersprechen); Thüringen: § 30 Abs. 2 Satz 1 ThürHG. 2 So mit dankenswerter Klarheit Gärditz, Compliance-Regeln und Wissenschaftsfreiheit, WissR 2019, 299 ff. (301, 313, 317 auch mit dem Hinweis auf den Schutz der sich rechtmäßig Verhaltenden (S. 318 f.), 320); speziell zur Reziprozität von Freiheit und Verantwortung § 4 Abs. 1 DUVwG; zum „gesellschaftsbezogenen Bildungsauftrag“ der Hochschulen, die „Befähigung zu verantwortlichem Handeln in einem freiheitlichen, demokratischen und sozialen Rechtsstaat“ zu vermitteln (was die entsprechende Vorbildfunktion der Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer voraussetzt!) schon Lüthje in Denninger, HRG § 2 Rz. 3. 3 Brandenburg: § 65 Abs. 1 Satz 1 BbgHG; zur sukzessiven Verschiebung zwischen den Modellen in Sachsen Nolden in Geis, Heidelberger Komm., Sachsen Rz. 108. 4 § 59 Abs. 1 Satz 1 DUVwG. 5 § 22 Abs. 1 Satz 1 SaarlKhG; § 21 Abs. 1 Satz 1 SaarlMhG. 6 HK-BbgHG/Knopp, § 65 Rz. 13 und 16; BVerfG v. 26.10.2004 – 1 BvR 911/00 – Rz. 141 und 151 „subsidiäre Allzuständigkeit“. 7 § 65 Abs. 1 Satz 4 Nr. 5 BbgHG.

790 | Schöck

B. Hochschulrecht und Steuerrecht | Rz. 11.37 Kap. 11

In der Mehrzahl der Fälle liegt die Leitungsverantwortung aber in einer kollegialen Hochschulleitung (Präsidium1, Rektorat2 oder Hochschulleitung3)4, wobei manche Hochschulgesetze den Hochschulen auch Optionsmöglichkeiten eröffnen.5 Inkonsequent ist das Sächsische Hochschulfreiheitsgesetz vom 15.1.2013, das zwar das Rektorat als Organ vorsieht6, die Leitungsfunktion aber beim Rektor ansiedelt7. Niedersachsen hat für seine Stiftungshochschulen eine doppelte Organstellung festgelegt: „Bei Hochschulen in Trägerschaft einer Stiftung ist das Präsidium kraft Gesetzes zugleich Organ der Stiftung (§ 59 Abs. 1 NHG)“.8

11.36

Die kollegiale Hochschulleitung ist in der Regel für alle Angelegenheiten zuständig, für die keine andere Zuständigkeit festgelegt ist.9

11.37

1 Bayern: Art. 19 Abs. 1 Nr. 1, Art. 20 Abs. 1 Satz 1 BayHSchG; Berlin: § 52 Abs. 1 Satz 1 BerlHG; Hessen: § 37 Abs. 1 Satz 2 HessHG; § 7 Abs. 1 S. 2 TUD-Gesetz; Niedersachsen: § 37 Abs. 1 Satz 1 NHG; § 1 Abs. 2 StiftVO-FHOS i.V.m. §§ 6 und 10 Abs. 1 Satz 1 StiftS-FHOS; § 1 Abs. 2 StiftVOTiHo i.V.m. §§ 6 und 10 Abs. 1 Satz 1 StiftS-TiHo; § 1 Abs. 2 StiftVO-UGÖ i.V.m. §§ 7 und 12 Abs. 1 Satz 1 StiftS-UGÖ; § 1 Abs. 2 StiftVO-UHI i.V.m. §§ 6 und 10 Abs. 1 Satz 1 StiftS-UHI; § 1 Abs. 2 StiftVO-ULG i.V.m. §§ 6 und 10 Abs. 1 Satz 1 StiftS-ULG; Rheinland-Pfalz: § 79 Abs. 1 Satz 1 RhPfHSchG; Saarland: § 18 Abs. 1 Satz 1 SaarlHSG; Schleswig-Holstein: § 22 Abs. 1 Satz 1 SHHSG; Art. 5 Abs. 1 des Gesetzes über die Stiftungsuniversität zu Lübeck (StiftULG) und zur Änderung hochschulrechtlicher Vorschriften vom 24.9.2014 (GVOBl. S. 306)), Hillermann-Fischer in Geis, Heidelberger Komm., Schleswig-Holstein Rz. 166; Thüringen: § 29 Abs. 1 S. 1 ThürHG. 2 Baden-Württemberg: § 15 Abs. 1 Nr. 1 BWHG; Sandberger, Landeshochschulgesetz Baden-Württemberg, 2. Auflage, Heidelberg 2015, § 15 Rn. 2; Bremen: §§ 78, 81 Abs. 1 Satz 1 BremHG; Nordrhein-Westfalen: § 14 Abs. 1 Nr. 1 NRWHG; § 15 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 1 NRWKunstHG; Sachsen-Anhalt: § 68 Abs. 1 Satz 1 SAHSG; 3 Mecklenburg-Vorpommern: § 82 Abs. 1 MVLHG Hochschulleitung „mit zwingend kollegialem Charakter“ (§ 82 Abs. 2 MVLHG); Classen in Geis, Heidelberger Komm., Mecklenburg-Vorpommern Rz. 151. 4 Sandberger, Hochschulrechtsreform in Permanenz – Zur Entwicklung des Hochschulorganisationsrechts seit der Jahrtausendwende, OdW 2022, 1 (9 f.) m.w.N. 5 Baden-Württemberg: § 15 Abs. 2 Satz 1 BWHG erlaubt nur eine Änderung der Nomenklatur („Rektorat“/„Präsidium“) ohne inhaltliche Bedeutung; Sandberger, Landeshochschulgesetz BadenWürttemberg, 2. Aufl., 2015, § 15 Rz. 2; Nordrhein-Westfalen: § 14 Abs. 2 NRWHG; § 15 Abs. 2 NRWKunstHG; von Coelln in Geis, Heidelberger Komm., Nordrhein-Westfalen Rz. 75 und 87 misst der Unterscheidung zwischen Präsidium und Rektorat zurecht „allein sprachliche Bedeutung“ ohne „sachliche Konsequenzen“ zu; zum bewussten Verzicht in Sachsen Nolden in Geis, Heidelberger Komm., Sachsen Rz. 83; Sachsen-Anhalt: §§ 66 Abs. 4 Satz 1, 68 Abs. 1 Satz 3 und zusätzlich § 70 Abs. 1 und 2 SAHSG sowie eine generelle Erprobungsklausel in § 117 SAHSG; dazu Welz in Geis, Heidelberger Komm., Sachsen-Anhalt Rz. 268 f. 6 § 80 SächsHSFG. 7 § 82 Abs. 1 Satz 1 SächsHSFG; Nolden in Geis, Heidelberger Komm., Sachsen Rz. 86, sieht deshalb wohl zurecht den Rektor „als (Zentrales Organ) der Hochschule“. 8 BVerwG v. 26.11.2009 – BVerwG 2 C 15.08, BVerwGE 135, 286 Rz. 56; zur Problematik der Personalunion Sandberger, Staatliche Hochschulen in alternativer Rechtsform? Wissenschaftsrecht Beiheft 15 (2005), S. 19 (42). 9 Baden-Württemberg: § 16 Abs. 3 Satz 1 BWHG; Sandberger in Geis, Heidelberger Komm., BadenWürttemberg Rz. 50; BeckOK HochschulR BW/Hagmann 21. Ed. 2021, LHG § 16 Rz. 16; Bayern: Art. 20 Abs. 2 Satz 1 BayHSchG; Lindner in Geis, Heidelberger Komm., Freistaat Bayern Rz. 135; Berlin: § 52 Abs. 3 BerlHG; Brandenburg: § 10 Abs. 5 Satz 1 StiftG-EUV, Stiftungsvorstand der Stiftung (§ 10 Abs. 1 Satz 1 StiftG-EUV); Bremen: § 81 Abs. 2 Satz 1 BremHG; Karpen/Freund in Geis, Heidelberger Komm., Bremen Rz. 62; Hamburg: § 79 Abs. 2 Satz 1, Satz 2 Nr. 12 HmbHG; Hessen: § 37 Abs. 1 Satz 1 HessHG; § 7 Abs. 1 Satz 1 TUD-Gesetz; § 4 Nr. 2 TUD-GO; Nordrhein-Westfalen: § 16 Abs. 1 Satz 2 NRWHG; § 17 Abs. 1 Satz 2 NRWKunstHG; von Coelln in

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Kap. 11 Rz. 11.38 | Besteuerung der Hochschulen

11.38

Das Rheinland-Pfälzische Hochschulrecht enthält Regelungen, die dem Senat vorbehalten, „alle Angelegenheiten von grundsätzlicher Bedeutung wahrzunehmen, die die gesamte Hochschule angehen“.1 bb) Senat

11.39

In manchen Landesgesetzen sind der Senat2 oder „die in der Grundordnung bestimmten weiteren Organe“3 für die Überwachung der Geschäftsführung der Hochschulleitung zuständig.4 Damit wächst diesen Gremien auch eine Mitverantwortung zu. Ein reines Auskunftsrecht5 sowie die Entgegennahme und Erörterung des (im Nachhinein erfolgenden) Rechenschaftsberichts6 werden für eine Mitverantwortung dagegen kaum ausreichen, sofern nicht besondere Gründe hinzutreten, die ein Eingreifen erforderlich machen würden. Das wäre dann der Fall, wenn sich aus dem Rechenschaftsbericht oder der Diskussion darüber Mängel ergäben, die für die Zukunft behoben werden müssen. cc) Hochschulrat

11.40

Soweit der Hochschulrat für die Überwachung der Geschäftsführung der Hochschulleitung zuständig ist7, liegt die Mitverantwortung bei ihm. Bei der Stiftung Europa-Universität Viadri-

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Geis, Heidelberger Komm., Nordrhein-Westfalen Rz. 75; Sachsen: § 83 Abs. 2 Satz 1 SächsHSFG (allerdings liegt die Leitungsaufgabe allein beim Rektor – § 82 Abs. 1 Satz 1 SächsHSFG; Nolden in Geis, Heidelberger Komm., Sachsen Rz. 108); Sachsen-Anhalt: § 68 Abs. 3 Satz 1 SAHSG; Schleswig-Holstein: § 22 Abs. 1 Satz 2 SHHSG; Hillermann-Fischer in Geis, Heidelberger Komm., Schleswig-Holstein Rz. 167 „Allzuständigkeit“; Thüringen: § 29 Abs. 1 Satz 2 ThürHG. Rheinland-Pfalz: § 76 Abs. 1 RhPfHSchG; § 57 Abs. 1 Satz 1 DUVwG; Frank in Geis, Heidelberger Komm., Rheinland-Pfalz Rz. 35. Hessen: § 34 Abs. 1 Satz 2 HessHG; BeckOK HochschulR Hessen/Alberding, 20. Ed. 2021, HHG § 36 Rz. 13, § 36 Rz. 38, § 37 Rz. 15; Niedersachsen: § 41 Abs. 2 Satz 3 NHG; BeckOK HochschulR Nds/Heun/Lange, 21. Ed. 1.12.2019, NHG § 41 Rz. 12 (die Formulierung „bloßes Kontrollorgan“ erschließt sich angesichts der „Rechenschaftspflicht“ ...für ... „alle Entscheidungszuständigkeiten im Bereich der Selbstverwaltung“ wie im Hinblick auf das „umfassende Informationsrecht“ (Rz. 13) nicht); Saarland: § 25 Abs. 2 Satz 1 SaarlKhG; § 24 Abs. 2 Satz 1 SaarlMhG; SachsenAnhalt: § 67 a Abs. 1 Satz 4 SAHSG: „Das Rektorat ist in Angelegenheiten der Selbstverwaltung in seiner Entscheidungszuständigkeit dem Senat gegenüber rechenschaftspflichtig.“ Brandenburg: § 64 Abs. 1, Abs. 2 Ziff. 5 BbgHG; dazu im Ländervergleich HK-BbgHG/Knopp, § 64 Rz. 9 ff. und 23. Zu den Kontrollfunktionen des Senats BVerfG v. 6.3.2020, 1 BvR 2862/16, Rz. 24. Bremen: § 80 Abs. 1 Satz 2 BremHG; Hamburg: § 85 Abs. 2 HmbHG; Saarland: § 24 Abs. 3 Satz 1 SaarlHSG; Thüringen: § 35 Abs. 2 Satz 1 ThürHG. Baden-Württemberg: § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 13 BWHG; Sandberger, Landeshochschulgesetz Baden-Württemberg, 2. Aufl., 2015, § 19 Rz. 2 und 3; Bremen: § 80 Abs. 1 Satz 4 BremHG; Hamburg: § 85 Abs. 1 Ziff. 14 HmbHG; HmbHG/Schulz, § 85 Rz. 14; Hessen: § 34 Abs. 2 Ziff. 14 HessHG; BeckOK HochschulR Hessen/Alberding, 20. Ed. 2021, HHG § 37 Rz. 15; NordrheinWestfalen: § 22 Abs. 1 Satz 1 Ziff. 2 i.V.m. § 16 Abs. 3 Satz 2 NRWHG; BeckOK HochschulR NRW/Möller, 20. Ed. 2021, HG § 22 Rz. 15; Saarland: § 24 Abs. 1 Satz 2 Ziff. 5 i.V.m. § 18 Abs. 7 Satz 3 SaarlHSG; Thüringen: § 35 Abs. 1 Satz 1 Ziff. 15 ThürHG. von Coelln in HSchR-Praxishandbuch, 3. Aufl. 2017, S. 404 Rz 136 m.w.N.; Baden-Württemberg: § 20 Abs.1 Satz 2 BWHG; Sandberger, Landeshochschulgesetz Baden-Württemberg, 2. Aufl., 2015, § 20 Rz. 4; Nordrhein-Westfalen: § 21 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Ziff. 4 NRWHG; BeckOK HochschulR NRW/Möller, 20. Ed. 2021, HG § 21 Rz. 12–12a; Saarland: § 25 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 Ziff. 2 SaarlHSG.

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B. Hochschulrecht und Steuerrecht | Rz. 11.41 Kap. 11

na Frankfurt (Oder) und den niedersächsischen Stiftungshochschulen überwacht der Stiftungsrat den mit der Hochschulleitung identischen Stiftungsvorstand und übt die Rechtsaufsicht aus, bei der Stiftung „Georg-August-Universität Göttingen Stiftung öffentlichen Rechts“ tut dies der Stiftungsausschuss Universität.1 In Berlin wäre eine Überwachungsverantwortung außerhalb der ministeriellen Aufsicht allenfalls beim Kuratorium anzusiedeln.2 Die Entgegennahme des (im Nachhinein erfolgenden) Berichts des Präsidiums, des Präsidenten oder der Präsidentin, seine Erörterung oder die Abgabe einer Stellungnahme dazu3 allein werden dagegen auch hier für eine Mitverantwortung ebenso wenig ausreichen wie ein umfassendes Auskunftsrecht4, sofern nicht besondere Gründe hinzutreten, die ein Eingreifen erforderlich machen würden. Das wäre dann auch hier der Fall, wenn sich aus dem Rechenschaftsbericht oder der Diskussion darüber Mängel ergäben, die für die Zukunft behoben werden müssen. dd) Fakultäten Die Fakultäten5 (Fachbereiche)6 verfügen hinsichtlich der sie betreffenden Zuständigkeiten, das sind die den „akademischen Bereich“, die Ausübung des Grundrechts der Wissenschafts1 Brandenburg: § 8 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 Ziff. 6 StiftG-EUV i.V.m. § 10 Abs. 1 StiftG-EUV; Niedersachsen: § 60 Abs. 2 Satz 1 NHG; § 8 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Ziff. 7 StiftS-FHOS; § 8 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Ziff. 7 StiftS-TiHo; §§ 7, 8 Abs. 6 Satz 1 und Satz 2 Ziff. 7 StiftS-UGÖ; § 8 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 1 Satz 2 Ziff. 7 StiftVO-UHI; § 8 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Ziff. 7 StiftVO-ULG. 2 Berlin: § 65 Abs. 1 Nr. 1 BerlHG: „Beschluß über die Entlastung des Präsidiums“; Abs. 2: „Das Kuratorium kann von Einrichtungen der Selbstverwaltung die Erstattung von Berichten verlangen und andere Stellen auffordern, bestimmte Angelegenheiten zu überprüfen.“ 3 Baden-Württemberg: § 20 Abs. 1 Satz 4 Ziff. 11 BWHG; Sandberger, Landeshochschulgesetz Baden-Württemberg, 2. Aufl., 2015, § 2 Rz. 4; Bayern: Art. 26 Abs. 5 Satz 1 Ziff. 10 BayHSchG; BeckOK HochschulR Bayern/Lindner, 23. Ed. 2021, BayHSchG Art. 26 Rz. 40; Berlin: § 65 Abs. 1 Ziff. 2 BerlHG; Hamburg: § 84 Abs. 1 Ziff. 7 HmbHG; HmbHG/Schulz, § 84 Rz. 19; Hessen: § 42 Abs. 3 Ziff. 2 HessHG; Niedersachsen: § 8 Abs. 1 Satz 2 Ziff. 4 StiftS-FHOS; § 8 Abs. 1 Satz 2 Ziff. 4 StiftS-TiHo; § 8 Abs. 6 Satz 2 Ziff. 4 StiftS-UGÖ; § 8 Abs. 1 Satz 2 Ziff. 4 StiftVO-UHI; § 8 Abs. 1 Satz 2 Ziff. 4 StiftVO-ULG; Nordrhein-Westfalen: § 16 Abs. 3 Satz 2 NRWHG; Saarland: § 25 Abs. 1 Satz 3 Ziff. 10 SaarlHSG; Sachsen: § 86 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10 SächsHSFG; SchleswigHolstein: § 19 Abs. 1 Satz 1 Ziff. 9 SHHSG; § 7 Abs. 6 Ziff. 9 und 13 StiftULG; Thüringen: § 34 Abs. 1 Satz 2 Ziff. 7 ThürHG. 4 Hamburg: § 84 Abs. 2 HmbHG; HmbHG/Schulz, § 84 Rz. 20; Niedersachsen: § 52 Abs. 1 S. 2 NHG; BeckOK HochschulR Nds/Hudy, 21. Ed. 2019, NHG § 52 Rn. 15; Schleswig-Holstein: § 19 Abs. 2 Satz 1 SHHSG; § 7 Abs. 7 Satz 1 StiftULG; Thüringen: § 34 Abs. 2 Satz 1 ThürHG. 5 Zum aktuellen Stand Sandberger, Hochschulrechtsreform in Permanenz – Zur Entwicklung des Hochschulorganisationsrechts seit der Jahrtausendwende, OdW 2022, 1 ff. (12). 6 Die Nomenklatur ist ohne erkennbaren Gewinn in der Sache sehr weitgespannt: Baden-Württemberg: § 15 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 5 BWHG: Fakultät oder Sektion; Bayern: Art. 19 Abs. 3, Art. 27 Abs. 1 Satz 1 BayHSchG: Fakultät als Regelmodell mit Abteilung für Fachhochschulen und weiterer Änderungsmöglichkeit über die Grundordnung; Berlin: § 69 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 BerlHG: Fachbereich oder Fakultät; Brandenburg: § 71 Abs. 1 Satz 1 BbgHG: „Fachbereiche, Fakultäten oder andere geeignete Strukturen“; Bremen: §§ 86 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. 13a Abs. 1 BremHG: Fachbereiche mit Abweichungsmöglichkeit; Hamburg: § 89 Abs. 1 Satz 1 HmbHG: Fakultäten mit der Möglichkeit der Untergliederung in Institute und Fachbereiche – § 92 Abs. 1 Satz und Abs. 2 Satz 1 HmbHG; Hessen: § 43 Abs. 1 HessHG: Fachbereich; Mecklenburg-Vorpommern: § 90 Abs. 1 Satz 1 MVLHG: „Fachbereiche oder andere organisatorische Grundeinheiten“ mit der Möglichkeit der Festlegung anderer Bezeichnungen in der Grundordnung – § 1 Abs. 3 Satz 1 MVLHG; Classen in Geis, Heidelberger Komm., Mecklenburg-Vorpommern Rz. 147; Niedersachsen: § 36 Abs. 2 Satz 1 NHG: „Fakultäten oder andere Organisationseinheiten“; BeckOK

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Kap. 11 Rz. 11.41 | Besteuerung der Hochschulen

freiheit angehenden Fragen, über eine Teilrechtsfähigkeit1 („teilrechtsfähige Gliedkörperschaft“2)3. Es sind aber – auch wenn das BVerfG mit seinem Beschluss zur Leitungsorganisation der MHH Hannover vom 24.6.20144 abweichend von der bisherigen Rechtsprechung die zur Wissenschaftsfreiheit gehörenden Gegenstände sehr weit fasst und – nachvollziehbar – auch Haushaltsfragen zu wissenschaftsrelevanten Angelegenheiten erklärt5 – (noch) keine Gründe ersichtlich, diese Teilrechtsfähigkeit auch für steuerrechtliche Fragen anzunehmen, deren rechtliche Verbindlichkeit einer Gremienentscheidung kaum zugänglich sein dürfte. Das ließe sich allenfalls in einer Organisationsstruktur annehmen, in der Fakultäten oder Fachbereiche abgrenzbare eigene steuerrelevante Tätigkeiten entfalten. c) Satzungsgebung

11.42

Die Zuständigkeit zum Erlass von Satzungen oder Ordnungen durch die Hochschulen ist in den einzelnen Hochschulgesetzen unterschiedlich geregelt. Üblicherweise liegt die Zuständigkeit beim (Akademischen) Senat6 mit rechtsaufsichtlicher Genehmigung oder Bestätigung

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HochschulR Nds/Heun/Lange, 21. Ed. 2019, NHG § 36 Rz. 2; Nordrhein-Westfalen: § 26 Abs. 1 Satz 1 NRWHG: Fachbereiche mit der Option der Umbenennung in der Grundordnung – § 26 Abs. 5 NRWHG; BeckOK HochschulR NRW/Pernice-Warnke, 20. Ed. 2021, HG § 26 Rz. 7; von Coelln in Geis, Heidelberger Komm., Nordrhein-Westfalen Rz. 108; Rheinland-Pfalz: §§ 85 Abs. 1 Satz 1, 86 Abs. 1 Satz 1 RhPfHSchG: Fachbereiche; Frank in Geis, Heidelberger Komm., Rheinland-Pfalz Rz. 51; Saarland: § 26 Abs. 1 Satz 1 SaarlHSG: Fakultät; Kiefer/Palocsay-Reitz in Geis, Heidelberger Komm., Saarland Rz. 213; § 29 Abs. 1 Satz 1 SaarlMhG: Fachbereiche; Sachsen: § 2 Abs. 2 Satz 1 SächsHSFG: Fakultät mit der Möglichkeit anderer Regelungen in der Grundordnung; Nolden in Geis, Heidelberger Komm., Sachsen Rz. 158; Sachsen-Anhalt: § 75 Abs. 1 Satz 1 SAHSG: „Fachbereiche oder vergleichbare Organisationseinheiten“ nach Festlegung durch die Grundordnung; für Universitäten auch Fakultät möglich; dazu eingehend Welz in Geis, Heidelberger Komm., Sachsen-Anhalt Rz. 298 ff.; Schleswig-Holstein: §§ 18 Abs. 2 Satz 2 und 28 Abs. 1 SHHSG: Fachbereiche ... „können auch Fakultäten genannt werden“; Hillermann-Fischer in Geis, Heidelberger Komm., Schleswig-Holstein Rz. 185 ff.; Thüringen: § 38 Abs. 1 ThürHG: „Selbstverwaltungseinheiten“, „Insbesondere Fachbereiche, Fakultäten, Abteilungen oder Departments“. HmbHG/Drexler § 89 Rz. 20; Kempen in HSchR-Praxishandbuch, 3. Aufl., 2017, S. 11, Rz. 26; Kluth in Stober/Kluth, Verwaltungsrecht II, 7. Aufl. 2010, § 99 Rz. 48; Messer in Haug, Hochschulrecht BW, Rz. 1015; differenzierend zwischen Teilrechtsfähigkeit und Beteiligtenfähigkeit Tzscharschuch in Nolden/Kurz/Schmuck (Hrsg.), Hochschulgesetz Sachsen-Anhalt, 2018, § 75 Rz. 2; Grimm in Nolden/Rottmann/Brinktrine/Kurz (Hrsg.), Sächsisches Hochschulgesetz, 2011, § 87 S. 419; weitgehend BeckOK HochschulR NRW/Pernice-Warnke 20. Ed. 2021, HG § 26 Rz. 9: „Fakultäten/Fachbereiche sind als Teilkörperschaften der Hochschule und damit als juristische Personen i.S.d. Art. 19 Abs. 3 GG Träger des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG, da dieses wesensmäßig auf sie anwendbar ist ...“; BeckOK HochschulR BW/Hagmann, 21. Ed. 2021, LHG § 22 Rz. 7. Sandberger, Landeshochschulgesetz Baden-Württemberg, 2. Aufl., 2015, § 22 Rz. 2. Ohne Festlegung auf einen Begriff BVerfG v. 26.10.2004, 1 BvR 911/00, BVerfGE 111, 333 ff. Rz. 149 m.w.N.; BVerfG v. 31.5.1995 – 1 BvR 1379/94 Rz. 31. BVerfG v. 24.6.2014 – 1 BvR 3217/07, BVerfGE 136, 338 ff. BVerfG v. 24.6.2014 – 1 BvR 3217/07, BVerfGE 136, 338 ff., Rz. 58, 71; dazu Herberger in Haug, Hochschulrecht BW, Rz. 140, 145; Sandberger, Hochschulrechtsreform in Permanenz – Zur Entwicklung des Hochschulorganisationsrechts seit der Jahrtausendwende, OdW 2022, 1 ff. (17 f.). Baden-Württemberg: § 19 Abs. 1 Satz 2 Ziff. 10 BWHG; BeckOK HochschulR BW/Hagmann, 21. Ed. 2021, LHG § 19 Rz. 14 und 16; BeckOK HochschulR BW/von Coelln, 21. Ed. 2021, LHG § 8 Rz. 36 Bayern: Art. 25 Abs. 3 Ziff. 1 BayHSchG; Lindner in Geis, Heidelberger Komm., Freistaat Bayern Rz. 63; Berlin: § 61 Abs. 2 Ziff. 7 BerlHG; Bremen: § 80 Abs. 1 Satz 3 BremHG; Hamburg: § 85 Abs. 1 Ziff. 1 HmbHG; Hessen: § 31 Abs. 3 Satz 1 HessHG mit Option für Präsi-

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B. Hochschulrecht und Steuerrecht | Rz. 11.43 Kap. 11

durch die Präsidentin/den Präsidenten oder die Rektorin/den Rektor,1 die Hochschulleitung2 oder das Ministerium,3 sofern das Gesetz nicht auf einen solchen zusätzlichen Schritt verzichtet.4 In Brandenburg liegt die Zuständigkeit zum Erlass und zur Änderung sonstiger Satzungen der Hochschule bei einem von der Grundordnung zu bestimmenden Organ.5 In Hessen hat das Präsidium eine Auffangzuständigkeit zum Erlass von Satzungen.6 In Sachsen ist die Zuständigkeit für den Erlass von Ordnungen mit verschiedenen Einvernehmens- und Benehmensregelungen zwischen Senat, Fakultätsrat und Rektorat geteilt.7

3. Studenten-/Studierendenschaft In den meisten Bundesländern sind die (immatrikulierten) Studierenden einer Hochschule in einer Verfassten Studierendenschaft8 organisiert9, die als eigene Körperschaft des öffentlichen Rechts10 („Zwangskörperschaft“11) eine rechtsfähige Gliedkörperschaft12 oder eine

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dium oder Fachbereichsrat; Mecklenburg-Vorpommern: § 81 Abs. 1 Satz 1 MVLHG; Classen in Geis, Heidelberger Komm., Mecklenburg-Vorpommern Rz. 155; Niedersachsen: § 41 Abs. 1 Satz 1 NHG; BeckOK HochschulR Nds/Heun/Lange, 21. Ed. 2019, NHG § 41 Rn. 6; Nordrhein-Westfalen: § 22 Abs. 1 Ziff. 3 NRWHG; BeckOK HochschulR NRW/Möller, 20. Ed. 2021, HG § 22 Rz. 5 und 18; von Coelln in Geis, Heidelberger Komm., Nordrhein-Westfalen Rz. 103; Rheinland-Pfalz: § 76 Abs. 1 RhPfHSchG; Frank in Geis, Heidelberger Komm., Rheinland-Pfalz Rz. 35; § 57 Abs. 1 Satz 1 DUVwG; Saarland: § 24 Abs. 1 Satz 1 SaarlHSG; Kiefer/Palocsay-Reitz in Geis, Heidelberger Komm., Saarland Rz. 207; § 25 Abs. 1 S. 2 Ziff. 1 SaarlKhG; § 24 Abs. 1 Satz 2 Ziff. 1 SaarlMhG; Sachsen-Anhalt: § 67a Abs. 1 Satz 1 SAHSG, soweit nicht die Fachbereiche zuständig sind; Welz in Geis, Heidelberger Komm., Sachsen-Anhalt RN 270; Schleswig-Holstein: § 21 Abs. 1 S. 3 Ziff. 2 SHHSG; Hillermann-Fischer in Geis, Heidelberger Komm., Schleswig-Holstein Rz. 177; Thüringen: § 35 Abs. 1 Ziff. 1 ThürHG. Bayern: Art. 13 Abs. 2 Satz 2 BayHSchG; Lindner in Geis, Heidelberger Komm., Freistaat Bayern Rz. 63; Bremen: § 110 Abs. 3 BremHG (wobei erstaunt, dass bei Rektorin/Rektor auf die vor der Genehmigung erforderliche Prüfung hingewiesen wird); Niedersachsen: die Rechtsaufsicht liegt beim Präsidium – § 37 Abs. 3 S. 3 NHG; BeckOK HochschulR Nds/Heun/Thiele, 21. Ed. 2019, NHG § 37 Rz. 21; Thüringen: § 3 Abs. 1 ThürHG. Berlin: § 90 Abs. 1 Satz 1 BerlHG; Battis in Geis, Heidelberger Komm., Berlin Rz. 5. Bremen: § 110 Abs. 1 Ziff. 1 BremHG; Karpen/Freund in Geis, Heidelberger Komm., Bremen Rz. 31. Baden-Württemberg: § 66 Abs. 1 BWHG; Mecklenburg-Vorpommern: zur differenzierten Situation Classen in Geis, Heidelberger Komm., Mecklenburg-Vorpommern Rz. 44. Brandenburg: § 64 Abs. 2 Ziff. 2 BbgHG. Hessen: § 37 Abs. 8 HessHG; BeckOK HochschulR Hessen/Alberding, 20. Ed. 2021, HHG § 37 Rz. 29. Sachsen: § 13 Abs. 3 – 5 SächsHSFG; Nolden in Geis, Heidelberger Komm., Sachsen Rz. 31 ff. Zu Geschichte, Entwicklung und Organisation ausführlich Krüger in HdbWissR, 1996, S. 571 ff.; zur Entwicklung in Baden-Württemberg (die sich auf die meisten Länder übertragen lässt) Sandberger in Geis, Heidelberger Komm., Baden-Württemberg Rz. 6, 84, vor allem mit einem deutlichen Hinweis auf die (bewusst) unscharfe Regelung der Kompetenzen; zur abweichenden Situation in Bayern, das als einziges Land keine verfasste Studenten-/Studierendenschaft kennt, Lindner in Geis, Heidelberger Komm., Freistaat Bayern Rz. 201 ff.; eine vergleichende Übersicht über den Stand in den Ländern bei Albrecht in HK-BbgHG § 16 Rz. 6–12. § 65 Abs. 1 Satz 1 BWHG; Blanke/Oberthür in Geis, Heidelberger Komm., Thüringen Rz. 213. § 107 Abs. 2 Satz 1 RhPfHSchG. FG Hessen v. 14.3.2005, 10 K 2686/01, EFG 2005, 1866 m.w.N; bestätigt durch BFH v. 22.7.2008 – VI R 51/05, BFHE 222, 438; BStBl. II 2008, 981. Dazu Krüger in HdbWissR, 1996, S. 571 ff. (584 f.); Baden-Württemberg: § 65 Abs. 1 Satz 2 BWHG; Art. 1 Satz 2 Gesetz zur Einführung einer Verfassten Studierendenschaft und zur Stär-

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11.43

Kap. 11 Rz. 11.43 | Besteuerung der Hochschulen

rechtsfähige Teilkörperschaft1 der Hochschule ist. Bei der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer besteht eine Hörerschaft als Körperschaft des öffentlichen Rechts.2 Die Hochschulgesetze enthalten – zum Teil wenig konkrete – Regeln für die (Selbst-) Organisation der Studierendenschaft, die insbesondere die verantwortliche rechtliche Vertretung der Glied- oder Teilkörperschaft regeln3. Die Ausstattung mit eigenem Vermögen4 ist ebenso vorgesehen wie die Möglichkeit wirtschaftlicher Betätigung, insbesondere der Gründung von oder der Beteiligung an Unternehmen5. Speziell wird auch der Abschluss einer Vereinbarung über ein Semesterticket thematisiert6, wobei sich eine Konkurrenz zwischen den

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kung der akademischen Weiterbildung (Verfasste-Studierendenschafts-Gesetz – VerfStudG v. 10.7.2012); zur Bedeutung der Gliedkörperschaft Sandberger, Landeshochschulgesetz BadenWürttemberg, 2. Auf., § 65 Rz. 2; Hamburg: § 102 Abs. 1 Satz 2 HHHG; Hessen: § 76 Abs. 1 Satz 2 HessHG; Seidler in Geis, Heidelberger Komm., Hessen Rz. 129; Nordrhein-Westfalen: § 53 Abs. 1 Satz 2 NRWHG; § 45 Abs. 1 Satz 2 NRWKunstHG; Saarland: § 83 Abs. 1 Satz 1 SaarlHG; Kiefer/ Palocsay-Reitz in Geis, Heidelberger Komm., Saarland Rz. 285; § 74 Abs. 1 SaarlKhG; § 75 Abs. 1 SaarlMhG; Sachsen-Anhalt: § 65 Abs. 1 Satz 2 SAHG (mit dem Recht des Austritts); SchleswigHolstein: § 72 Abs. 1 Satz 3 SHHSG (Universität Lübeck). Berlin: § 18 Abs. 1 Satz 2 BerlHG; BerlVerfGH, Beschl. v. 27.1.1999 – VerfGH 66/98, NVwZ 2000, 549; Battis in Geis, Heidelberger Komm., Berlin Rz. 71; Brandenburg: § 16 Abs. 1 Satz 2 BbgHG; Albrecht in HK-BbgHG § 16 Rz. 35; Wolff in Geis, Heidelberger Komm., Brandenburg Rz. 226 ff.; Bremen: § 45 Abs. 1 Satz 2 BremHG; Karpen/Freund in Geis, Heidelberger Komm., Bremen Rz. 117 ff. (sprechen nicht ganz nachvollziehbar vom Wortlaut des Gesetzes abweichend von „eine rechtsfähige Teilrechtskörperschaft“); Mecklenburg-Vorpommern: § 24 Abs. 1 Satz 2 MVLHG; Classen, in Geis, Heidelberger Komm., Mecklenburg-Vorpommern Rz. 168; Niedersachsen: § 20 Abs. 1 Satz 2 NHG; zur früheren, nicht wesentlich anderen Rechtslage Schultz-Gerstein in Geis, Heidelberger Komm., Niedersachsen Rz. 118 ff.; Sachsen: § 24 Abs. 1 Satz 2 SächsHSFG; Schleswig-Holstein: § 72 Abs. 1 Satz 2 SHHSG (Landeshochschulen außer Universität zu Lübeck), Hillermann-Fischer in Geis, Heidelberger Komm., Schleswig-Holstein Rz. 193 f., (§ 74 Abs. 4 Sätze 5 und 6 SHHSG sehen die Möglichkeit vor, Fachschaften als Gliedkörperschaften der Studierendenschaft zu errichten); Thüringen: § 79 Abs. 1 Satz 2 ThürHG, Blanke/Oberthür in Geis, Heidelberger Komm., Thüringen Rz. 213 f., auch zur Problematik des geringen Interesses an studentischer Mitwirkung. BSG v. 27.7.2011 – B 12 KR 10/09 R, Rz. 2, 19, 23, 26 auch unter Hinweis auf BFH v. 22.7.2008 – VI R 51/05, BFHE 222, 438 zur Notwendigkeit der Verleihung der Rechtsfähigkeit durch staatlichen Hoheitsakt Krüger in HdbWissR, 1996, S. 571 ff. (585); die Grundrechtsfähigkeit offenlassend BVerfG v. 31.5.1995 – 1 BvR 1379/94, BVerfGE 93, Rz. 35. Rheinland-Pfalz: §§ 77–80 DUVwG. Baden-Württemberg: § 65 a Abs. 3 Satz 4 BWHG; dazu Sandberger, Landeshochschulgesetz Baden-Württemberg, 2. Aufl., § 65 a Rz. 4; Berlin: § 19 Abs. 4 Satz 1 BerlHG; Brandenburg: im BbgHG fehlt eine gesetzliche Regelung; Bremen: § 45 Abs. 6 Satz 1 BremHG; Hamburg: § 103 Abs. 1 Satz 1 HHHG; Hessen: § 78 Abs. Satz 3 HessHG; Mecklenburg-Vorpommern: § 25 Abs. 1 Satz 3 MVLHG; Niedersachsen: § 20 Abs. 2 Satz 1 NHG; Nordrhein-Westfalen: § 53 Abs. 5 Satz 1 NRWHG; § 45 Abs. 5 Satz 1 NRWKunstHG; Rheinland-Pfalz: § 109 Abs. 1 RhPfHSchG; Saarland: § 83 Abs. 3 SaarlHG; § 75 Abs. 1 SaarlKhG; § 76 Abs. 1 SaarlMhG; Sachsen: § 25 Abs. 1 und 2 SächsHSFG; Sachsen-Anhalt: § 65 Abs. 2 Sätze 2 und 3 SAHG; Schleswig-Holstein: § 72 Abs. 3 SHHSG; Thüringen: §§ 80 Abs. 2 Nr. 1, 81 Abs. 1 Satz 3 ThürHG. § 83 Abs. 5 Satz 1 SaarlHG; Kiefer/Palocsay-Reitz in Geis, Heidelberger Komm., Saarland Rz. 286. § 65 b Abs. 7 BWHG. Berlin: § 18 a BerlHG; Bremen: zu § 45 Abs. 2 Nr. 1 BremHG Karpen/Freund in Geis, Heidelberger Komm., Bremen Rz. 118; Hamburg: §§ 102 Abs. 2 Nr. 4, 104 Abs. 2 Satz 2 HHHG; HmbHG/Jauch, § 102 Rz. 19, § 104 Rz. 6; Hessen: § 76 Abs. 4 Satz 2 HessHG; detailliert zur früheren Fassung Seidler in Geis, Heidelberger Komm., Hessen Rz. 132; Nordrhein-Westfalen: § 57 Abs. 1 Satz 7 NRWHG; § 49 Abs. 1 S. 7 NRWKunstHG; Schleswig-Holstein: § 74 Abs. 2 Satz 2 SHHSG; BVerfG v. 4.8.2000 – 1 BvR 1510/99, NVwZ 2001, 190 ff.; BVerwG v. 12.5.1999 – 6 C 14/98, NVwZ 2000, 319; zum Semesterticket grundsätzlich Leuze in Geis, Heidelberger Komm., § 41 HRG Rz. 22 f.

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B. Hochschulrecht und Steuerrecht | Rz. 11.44 Kap. 11

Aktivitäten der Studierendenvertretung und des Studierendenwerks ergeben kann1. Die meisten Landesgesetze sehen eine Begrenzung der Haftung auf das Vermögen der Glied- oder Teilkörperschaft vor2.

4. Studenten- oder Studierendenwerke Anders als z.B. in den angelsächsischen Ländern ist die umfassende Versorgung der Studierenden öffentlicher Hochschulen (Wohnen, Ernährung, Lebensberatung, Kinderbetreuung, spezielle Betreuung internationaler Studierender) in eigene Organisationen ausgegliedert (an einigen Stellen mit Vorbehaltsklauseln zugunsten der Hochschulen3), die Studenten- oder (neuzeitlicher) Studierendenwerke.4 Studenten- oder Studierendenwerke sind in den Landeshochschulgesetzen nahezu ausnahmslos als rechtsfähige Anstalten des öffentlichen Rechts5 mit Zwangsmitgliedschaft6 konstituiert; das Studentenwerk Göttingen ist eine Stiftung des öffentlichen Rechts,7 das Studentenwerk des Saarlandes ein eingetragener Verein.8 1 Ein Beispielsfall findet sich in Niedersachsen bei Schultz-Gerstein in Geis, Heidelberger Komm., Niedersachsen Rz. 125, der gegenüber diesem Vorgehen zutreffend haushalts- und kompetenzrechtliche Bedenken äußert; dazu Sandberger, Landeshochschulgesetz Baden-Württemberg, 2. Aufl., § 65 Rz. 6. 2 Baden-Württemberg: § 65 b Abs. 4 BWHG; Berlin: § 20 Abs. 4 BerlHG; Brandenburg: § 16 Abs. 5 Satz 4 BbgHG; Bremen: § 47 Abs. 6 Satz 2 BremHG; Hamburg: § 106 Abs. 1 HHHG; Mecklenburg-Vorpommern: § 27 Abs. 4 Satz 1 MVLHG; Niedersachsen: § 20 Abs. 4 Satz 2 NHG; Nordrhein-Westfalen: § 57 Abs. 1 Satz 2 NRWHG; § 49 Abs. 1 Satz 2 NRWKunstHG; Rheinland-Pfalz: § 110 Abs. 3 RhPfHSchG; § 79 Abs. 3 DUVwG; Saarland: § 83 Abs. 5 Satz 2 SaarlHG; § 76 Abs. 3 SaarlKhG; § 77 Abs. 3 SaarlMhG; Sachsen: § 30 SächsHSFG; Sachsen-Anhalt: § 65 Abs. 5 Satz 1 SAHG; Schleswig-Holstein: § 75 Abs. 3 SHHSG; Thüringen: § 81 Abs. 4 Satz 2 ThürHG; ausführlich zur Haftungsfrage der Organmitglieder und zur Vermögensbetreuungspflicht gegenüber der Studierendenschaft HmbHG/Jauch, § 102 Rz. 31. 3 § 42 Abs. 2, § 43 BWHG; Sandberger, Landeshochschulgesetz Baden-Württemberg, 2. Aufl., §§ 42, 43 Rz. 1. 4 Dazu grundlegend v. Mutius, Studentenwerke in HdbWissR, 1996, S. 602 ff. 5 Baden-Württemberg: § 42 Abs. 1 BWHG, § 1 Abs. 1 BWStWG; Bayern: Art. 90 S. 1 BayHSchG; zur Lage in Bayern ausführlich Lindner in Geis, Heidelberger Komm., Freistaat Bayern Rz. 321 ff.; Berlin: § 1 Abs. 1 BerlStudWG; Brandenburg: § 78 Abs. 1 S. 1 BbgHG; Wolff in Geis, Heidelberger Komm., Brandenburg Rz. 224 f.; Bremen: § 1 Abs. 1 BremStWG, dazu Karpen/Freund in Geis, Heidelberger Komm., Bremen Rz. 121; Hamburg: § 1 Abs. 1 HHStWG; Hessen: §1 HessStudWG; zur früheren Rechtslage Seidler in Geis, Heidelberger Komm., Hessen Rz. 134–138; Mecklenburg-Vorpommern: § 1 Abs. 1 Satz 1 MVStudWG; Classen in Geis, Heidelberger Komm., Mecklenburg-Vorpommern Rz. 170; Niedersachsen: § 68 Abs. 1 Satz 1 NHG; zur vorherigen, unveränderten Situation (die Einhaltung der Regeln der steuerlichen Gemeinnützigkeit ist allerdings nicht mehr ausdrücklich erwähnt) Schultz-Gerstein in Geis, Heidelberger Komm., Niedersachsen Rz. 123 ff.; NordrheinWestfalen: § 1 Abs. 1 NRW StWG; Rheinland-Pfalz: § 112 Abs. 1 RhPfHSchG; Frank in Geis, Heidelberger Komm., Rheinland-Pfalz Rz. 126; Sachsen: § 109 Abs. 2 Satz 1 SächsHSFG; Nolden in Nolden/Rottmann/Brinktrine/Kurz, Sächsisches Hochschulgesetz, 2011, zu § 109 Abs. 2 „nicht zugleich staatliche Einrichtungen“; Sachsen-Anhalt: § 1 Abs. 1 SAStudWG; Schleswig-Holstein: § 1 Abs. 1 Satz 1 SHStudWG; Thüringen: § 1 ThürStudWG, dazu Blanke/Oberthür in Geis, Heidelberger Komm., Thüringen Rz. 210 ff.; Lynen in HSchR-Praxishandbuch, 3. Aufl., 2017, S. 122. 6 Zur Verfassungsmäßigkeit BVerfG v. 4.8.2000 – 1 BvR 1510/99, NVwZ 2001, 190 ff. 7 § 68 Abs. 1 Satz 1 NHG; zur vorherigen, insoweit unveränderten Situation Schultz-Gerstein in Geis, Heidelberger Komm., Niedersachsen Rz. 123 ff.; s.a. v. Mutius, Studentenwerke in HdbWissR, 1996, S. 602 ff. (614). 8 Satzung des Vereins „Studentenwerk im Saarland e.V.“ v. 2.11.2010; dazu ausführlich Kiefer/Palocsay-Reitz in Geis, Heidelberger Komm., Saarland Rz. 432 ff. mit dem Hinweis auf die „singuläre

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11.44

Kap. 11 Rz. 11.45 | Besteuerung der Hochschulen

11.45

Zum Teil sind den Studenten- oder Studierendenwerke auch staatliche Aufgaben übertragen oder deren Übertragung ist gesetzlich vorgesehen.1 Sie nehmen (mit jeweils etwas variierenden Formulierungen der Landesgesetze2) Aufgaben der wirtschaftlichen, sozialen, gesundheitlichen, sportlichen und kulturellen Betreuung und Förderung der Studierenden wahr,3 soweit dies die jeweiligen Einrichtungen (Universitäten, Hochschulen, Akademien) nicht selbst übernehmen.4 Das bedeutet im Einzelnen: – Verpflegungsbetriebe (Mensen, Cafeterien) – Studentisches Wohnen (Wohnheime, Wohnungsvermittlung) – Förderung kultureller, sportlicher und sozialer Interessen – Kinderbetreuung – Gesundheitsförderung und Beratung – soziale Betreuung ausländischer Studierender – Vermittlung finanzieller Studienhilfen (insbesondere auch Vergabe von Mitteln nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) – Amt für Ausbildungsförderung i.S.v. § 40 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes). In Rheinland-Pfalz sieht das Hochschulgesetz ausdrücklich vor, dass die Studierendenwerke „zur Förderung oder Unterstützung der Mitglieder und Angehörigen der Hochschulen oder einzelner Hochschulstandorte weitere Aufgaben wahrnehmen“ können (§ 112 Abs. 6 Satz 1 RhPfHSchG).5

11.46

Einige Landesgesetze sehen eine ausdrückliche Haftung des Landes für Verbindlichkeiten der Studenten-/Studierendenwerke (Gewährträgerschaft, „Anstaltslast“6) vor;7 manchen Studenten-/Studierendenwerken räumt das Landesrecht ausdrücklich die Möglichkeit der Beteiligung an Unternehmen oder deren Gründung ein.8 Die meisten Landesgesetze verpflichten die Studenten-/Studierendenwerke zur Einhaltung der steuerrechtlichen Grund-sätze der Gemeinnützigkeit (§§ 52 ff. AO).9 Auch soweit keine hochschulrechtliche Regelung getroffen

1 2 3 4 5

6 7 8

9

und anachronistische“ Situation und Vorschlägen zur Änderung; s.a. v. Mutius, Studentenwerke in HdbWissR, 1996, S. 602 ff. (613 f.). Sachsen: § 109 Abs. 5 SächsHSFG; Sachsen-Anhalt: § 2 Abs. 3 SAStudWG; Schleswig-Holstein: § 3 Abs. 2 SHStudWG; Thüringen: § 3 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 ThürStudWG. Eine ländervergleichende Übersicht von Rechtsgrundlagen der Errichtung, Rechtsform, Organstruktur und Aufgaben der Studentenwerke bei Schröder/von Kittlitz in HK-BbgHG § 78 Rz. 8–13. Hessen: § 3 Abs. 1 Satz 1 HessStudWG; Mecklenburg-Vorpommern: § 4 Abs. 1 Satz 1 MVStudWG. Baden-Württemberg: § 42 Abs. 2 BWHG; Hessen: § 3 Abs. 8 Satz 1 HessStudWG. Frank in Geis, Heidelberger Komm., Rheinland-Pfalz mit Hinweis auf „umsatzsteuerliche Risiken“, Rz. 140 und das „Verbot der Quersubventionierung zwischen steuerpflichtigen und steuerbegünstigten Betriebseinrichtungen“ (Rz. 153), jeweils bezogen auf § 115 a Abs. 2 Satz 3 der vorherigen Fassung des Gesetzes, deren Regelungsgehalt aber in § 114 Abs. 6 Satz 3 der geltenden Fassung übernommen worden ist. Frank in Geis, Heidelberger Komm., Rheinland-Pfalz Rz. 157. Mecklenburg-Vorpommern: § 1 Abs. 3 MVStudWG. Niedersachsen: § 68 Abs. 3 Satz 1 NHG; Nordrhein-Westfalen: § 2 Abs. 3 Satz 1 NRWStWG; Rheinland-Pfalz: § 112 Abs. 8 Satz 3 RhPfHSchG; Frank in Geis, Heidelberger Komm., Rheinland-Pfalz Rz. 160; Sachsen-Anhalt: § 2 Abs. 2 Satz 1 SAStudWG; Thüringen: § 3 Abs. 4 Satz 1 ThürStudWG. Baden-Württemberg: § 2 Abs. 6 BWStWG; Bayern: Art. 88 Abs. 3 BayHSchG; Berlin: § 2 Abs. 4 BerlStudWG; Bremen: § 3 Abs. 1 BremStWG; Hamburg: § 2 Abs. 9 HmbStWG; Hessen: § 8 Abs. 1 Satz 2 HessStudWG; Mecklenburg-Vorpommern: § 1 Abs. 2 MVStudWG; Saarland: § 3 Abs. 3

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B. Hochschulrecht und Steuerrecht | Rz. 11.47 Kap. 11

ist,1 steht das der Anwendung der steuerrechtlichen Gemeinnützigkeitsregelungen nicht entgegen. Allerdings ist in beiden Fällen eine den Anforderungen der AO genügende Satzung erforderlich.2 Das ergibt sich nicht nur aus dem Verhältnis von bundesrechtlichem Steuerrecht und landesrechtlichem Hochschulrecht, sondern auch daraus, dass die hochschulgesetzlichen Regelungen zwar die Gemeinnützigkeit vorgeben, aber nicht in vollem Umfang den Anforderungen an den Inhalt einer Gemeinnützigkeitssatzung nach der AO3 entsprechen.

5. Außeruniversitäre Forschungseinrichtungen Die – neben anderen Hochschulen – wichtigsten Kooperationspartner der Hochschulen in der Forschung (und zum Teil auch in der Lehre) sind die außeruniversitären Forschungseinrichtungen.4 In der Liste der von der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) von Bund und Ländern geförderten außeruniversitären Wissenschaftseinrichtungen5 finden sich neben der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (acatech), der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina,6 dem Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) und dem Wissenschaftskolleg zu Berlin die vier großen außeruniversitären Forschungsorganisationen:7 – die Fraunhofer-Gesellschaft zur Förderung der angewandten Forschung e.V. (FhG)8 – die Hermann von Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren e.V. (HGF) – die Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz e.V. (Leibniz-Gemeinschaft) (WGL) und – die Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V. (MPG).9

1 2 3 4 5

6 7 8 9

der Satzung des „Studentenwerk im Saarland e.V.“ enthält die für die Gemeinnützigkeit erforderlichen Festlegungen; Sachsen: § 109 Abs. 2 Satz 2 SächsHSFG; Sachsen-Anhalt: § 2 Abs. 6 SAStuWG; Thüringen: § 11 Abs. 1 Satz 3 ThürStudWG. Brandenburg: §§ 78 ff. BbgHG; Niedersachsen: §§ 68 ff. NHG; Nordrhein-Westfalen: NRWStWG; Rheinland-Pfalz §§ 112 ff. RhPfHSchG; Schleswig-Holstein: SHStudWG. NK-GemnR/von Cube AO § 53 Rn. 53; Jürgens in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 5 Rz. 101. Anlage 1 zu § 60 AO. Dazu Oppermann in Hdb. des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1989, § 145 Freiheit von Forschung und Lehre Rz. 48 ff.; Wissenschaftsrat, Perspektiven des deutschen Wissenschaftssystems, 2013, S. 73 ff. https://www.gwk-bonn.de/themen/foerderung-von-ausseruniversitaeren-wissenschaftseinrichtungen; vgl. dazu auch Antwort des Staatsministeriums für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie im Einvernehmen mit d. Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst v. 23.1.2020 auf die schriftl. Anfrage der Abgeordneten Franke BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN v. 5.11.2019 – Außeruniversitäre Forschung in Bayern, LT-Drs. 18/5769 v. 20.3.2020, mit detaillierten Zahlenangaben und einer Übersicht über die Institutionen. Zu den Akademien der Wissenschaften Holl, Akademien der Wissenschaften in HdbWissR, 1996, S. 1339 ff. Zum Umfang der Finanzmittel Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (GWK), Gemeinsame Förderung von Wissenschaft und Forschung durch Bund und Länder – Finanzströme im Jahr 2018; Materialien der GWK Heft 71, 2020, S. 28 ff. Dazu Szöllösi-Janze, Geschichte der außeruniversitären Forschung in Deutschland in HdbWissR, 1996, S. 1187 ff. (1213); Polter, Die Fraunhofer-Gesellschaft in HdbWissR, 1996, S. 1301 ff. Dazu Szöllösi-Janze, Geschichte der außeruniversitären Forschung in Deutschland in HdbWissR, 1996, S. 1187 ff. (1211 f.); Meusel, Max-Planck-Gesellschaft in HdbWissR, 1996, S. 1293 ff.

Schöck | 799

11.47

Kap. 11 Rz. 11.48 | Besteuerung der Hochschulen

11.48

Fraunhofer-Gesellschaft und Max-Planck-Gesellschaft werden als Trägerorganisationen bezeichnet, weil sie Dachorganisationen für die zugehörigen Institute sind.1 Zu den außeruniversitären Forschungseinrichtungen gehören aber ebenso die wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute – Institut für Weltwirtschaft (IfW/Kiel) – Hamburger Welt-Wirtschafts-Archiv (HWWA/Hamburg) – Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW/Berlin) – Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung (RWI/Essen) – Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) – Institut für Wirtschaftsforschung (Ifo/München)

11.49

und Forschungseinrichtungen staatlicher Institutionen wie zum Beispiel das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB). Die Verbünde dieser Forschungseinrichtungen mit Hochschulen haben sich gerade in der Exzellenzinitiative, aber auch in der Weiterentwicklung forschungsintensiver (und damit wirtschaftlich erfolgreicher) Regionen als wichtig erwiesen.2 Die in letzter Zeit politisch umstrittenen Konfuzius-Institute3 sind als eingetragene Vereine, die sich in Lehre und Forschung betätigen, ebenfalls hier zu verorten. Ein wesentliches Element der Kooperation zwischen Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen sind die Gemeinsamen Berufungen,4 die in einer Reihe von Landeshochschulgesetzen ausdrücklich erwähnt sind5 und deren steuerliche Auswirkungen derzeit intensiv diskutiert werden.6 Sie folgen verschiedenen Modellen:7 1 Löwer, Grundtypen in HdbWissR, 1996, S. 1219 ff.,1221, 1226 f. 2 Zur historisch bedingten „Variationsbreite“ der inneren Organisation außeruniversitärer Forschungseinrichtungen Groß, Die Verwaltungsorganisation als Teil organisierter Staatlichkeit in Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, GVwR I2, § 13 Rz. 13; ebenso Löwer, Grundtypen in HdbWissR, 1996, S. 1219 ff. (1230 f.). 3 Löwisch, Die Bundesregierung zu den Konfuzius-Instituten, OdW 2020, 131 – 133; Heilig-Achnek, Propaganda aus Peking? Nürnberger Nachrichten v. 26.8.2021, S. 10; siehe dazu auch Antwort des Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst v. 28.12.2020 auf d. Anfrage der Abgeordneten Osgyan/Siekmann BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN v. 2.11.2020 – Konfuzius-Institute in Bayern, LTDrs. 18/12192 v. 20.4.2021. 4 Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (GWK), Gemeinsame Berufungen von leitenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern durch Hochschulen und außerhochschulische Forschungseinrichtungen – Bericht und Empfehlungen – Fortschreibung; Materialien der GWK Heft 37, 2014. 5 Baden-Württemberg: §§ 9 Abs. 1, 48 a BWHG; zu den Auswirkungen auf die Dienstaufgaben der Professorinnen und Professoren Sandberger, Landeshochschulgesetz Baden-Württemberg, 2. Aufl., § 46 Rz. 3; Bremen: § 20 BremHG; Hessen: § 63 Abs. 6 HessHG; Niedersachsen: §§ 16 Abs. 1 a, 26 Abs. 8, 28 Abs. 1 Nr. 6 NHG; Rheinland-Pfalz: § 50 Abs. 11 RhPfHSchG; Sachsen: § 62 SächsHSFG; Thüringen: § 85 Abs. 6 ThürHG. 6 Stellungnahme der Allianz der Wissenschaftsorganisationen zur umsatzsteuerrechtlichen Behandlung Gemeinsamer Berufungen und Kooperationen zwischen Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen vom 16.4.2021; Hummel/Richter/Schneider, Zur umsatzsteuerrechtlichen Beurteilung der gemeinsamen Berufung von Professoren nach dem sog. „Berliner Modell“, UR 2021, 621 ff.; Kronthaler/Kronthaler/Küffner, Die Umsatzsteuer in der öffentlich finanzierten Wissenschaft – Hier: gemeinsame Berufungen von Spitzenwissenschaftler*innen an Universitäten und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, UR 2021, 613 ff. 7 Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (GWK), Gemeinsame Berufungen von leitenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern durch Hochschulen und außerhochschulische Forschungs-

800 | Schöck

B. Hochschulrecht und Steuerrecht | Rz. 11.53 Kap. 11 Modell

Anzahl gemeinsame Berufungen am 31.12.2012 FhG

HGF

MPG

WGL

zusammen

Beurlaubungs-/Jülicher Modell

17

270

10

87

384

40 %

Erstattungs-/Berliner Modell

58

126

2

153

339

36 %

Nebentätigkeits-/Karlsruher Modell

99

37

26

2

164

17 %

19

6

44

69

7%

452

44

286

956

100 %

Gemeinsame Berufungen, die keinem der genannten Modelle folgen Gesamt

174

11.50

(Mitteilung der Forschungsorganisationen)1 Gemeinsam ist allen Modellen, dass die berufene Person die für die wissenschaftliche Wahrnehmung wichtigen mitgliedschaftlichen Rechte einer Professorin bzw. eines Professors erlangt. Unterschiedlich ist die Ausgestaltung der Pflichten und der sich daraus ergebenden Zahlungsströme.

11.51

Die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (GWK) hat dazu einen Musterkooperationsvertrag2 entwickelt. Der Wissenschaftsrat empfiehlt die Doppelberufungen auch für die von ihm zur „Profilbildung durch strategische Berufungen“ vorgeschlagenen Merian-Professuren.3 Die Wesensmerkmale der einzelnen Modelle lassen sich wie folgt zusammenfassen:4

11.52

1. Jülicher Modell (Beurlaubungsmodell)

11.53

Beim Jülicher Modell wird die im gemeinsamen Berufungsverfahren zwischen Hochschule und außeruniversitärer Forschungseinrichtung ausgewählte Person an die Hochschule berufen und von dieser in dienstlichem Interesse unter Fortfall der Bezüge beurlaubt. Die Forschungseinrichtung schließt mit der Person einen privatrechtlichen Dienstvertrag und übernimmt darin die dem Beamtenverhältnis entsprechende Vergütung. Außerdem entrichtet sie an die Hochschule/den Staat einen Versorgungszuschlag5. Die berufene Person erbringt an der berufenden Hochschule (mindestens) 2 Semesterwochenstunden Lehre.6 In

1 2 3 4

5

6

einrichtungen – Bericht und Empfehlungen – Fortschreibung; Materialien der GWK Heft 37, 2014, S. 9. Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (GWK), Gemeinsame Berufungen von leitenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern durch Hochschulen und außerhochschulische Forschungseinrichtungen – Bericht und Empfehlungen – Fortschreibung; Materialien der GWK Heft 37, 2014, S. 7. Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (GWK), Gemeinsame Berufungen von leitenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern durch Hochschulen und außerhochschulische Forschungseinrichtungen – Bericht und Empfehlungen – Fortschreibung; Materialien der GWK Heft 37, 2014, S. 7. Wissenschaftsrat, Perspektiven des deutschen Wissenschaftssystems, 2013, S. 62 f. Eine tabellarische Übersicht über die Mitgliedschaftsrechte bei gemeinsamen Berufungen in ausgewählten Ländern findet sich bei Kronthaler/Kronthaler/Küffner, Die Umsatzsteuer in der öffentlich finanzierten Wissenschaft – Hier: gemeinsame Berufungen von Spitzenwissenschaftler*innen an Universitäten und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, UR 2021, 613 ff. (620 f.). Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (GWK), Gemeinsame Berufungen von leitenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern durch Hochschulen und außerhochschulische Forschungseinrichtungen – Bericht und Empfehlungen – Fortschreibung; Materialien der GWK Heft 37, 2014, Mustervereinbarung § 8 Abs. 4, § 9 Abs. 2; Gemeinsames Rundschreiben des BMI und BMF v. 22.12.2010 – D4 – 223 320/3 – ZB3 – P 1617/09/10002 – 01 II. 1. Beispielhaft Art. 14 Abs. 2 BayBeamtVG. Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (GWK), Gemeinsame Berufungen von leitenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern durch Hochschulen und außerhochschulische Forschungs-

Schöck | 801

Kap. 11 Rz. 11.53 | Besteuerung der Hochschulen

diesem Modell fließen zwischen Forschungseinrichtung und Hochschule Zahlungen in Höhe des Versorgungszuschlags.

11.54

2. Karlsruher Modell (Nebentätigkeitsmodell) Im Karlsruher Modell wird die im gemeinsamen Berufungsverfahren zwischen Hochschule und außeruniversitärer Forschungseinrichtung ausgewählte Person auf die Professur an der Hochschule berufen und nimmt die Aufgaben an der außeruniversitären Forschungseinrichtung in (genehmigungspflichtiger) Nebentätigkeit wahr, die von der Forschungseinrichtung aufgrund einer besonderen Vereinbarung an die berufene Person gesondert vergütet wird.1 In diesem Modell fließen zwischen Forschungseinrichtung und Hochschule keine Zahlungen.

11.55

3. Berliner Modell (Erstattungsmodell) Im Berliner Modell wird die im gemeinsamen Berufungsverfahren zwischen Hochschule und außeruniversitärer Forschungseinrichtung ausgewählte Person auf die Professur an der Hochschule berufen. Sie wird anschließend der Forschungseinrichtung zur Wahrnehmung von Forschungs- und Leitungsaufgaben zugewiesen. Die Hochschule zahlt die Bezüge der berufenen Person in voller Höhe an diese, die Forschungseinrichtung erstattet der Hochschule die Bezüge (abhängig vom Umfang der Tätigkeit) ganz oder teilweise zuzüglich des Versorgungszuschlags2. Haushaltsrechtlich wird die berufene Person auf einer sogenannten Leerstelle3 geführt. In diesem Modell fließen zwischen Forschungseinrichtung und Hochschule Zahlungen in Höhe der Bezüge der berufenen Person und des Versorgungszuschlags.

11.56

4. Thüringer Modell (Mitgliedschaftsrechtliches Modell) Beim Thüringer Modell wird die bei der Forschungseinrichtung tätige Person lediglich in die mitgliedschaftsrechtliche Stellung einer Hochschulprofessorin/eines Hochschulprofessors berufen, ohne dass ein Dienst- oder Arbeitsverhältnis begründet wird.4 Zwischen Forschungseinrichtung und Hochschule fließen keine Zahlungen.

6. An-Institute 11.57

Die Hochschulgesetze der meisten Länder sehen entweder ausdrücklich oder implizit die Möglichkeit vor, Einrichtungen außerhalb der Hochschule mit eigener Rechtspersönlichkeit bei entsprechender Qualifikation und mit mehr oder weniger umfangreichen Anforderungen an die innere Organisation den Status einer Einrichtung an der Hochschule zu ver-

1

2 3 4

einrichtungen – Bericht und Empfehlungen – Fortschreibung; Materialien der GWK Heft 37, 2014, S. 7. Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (GWK), Gemeinsame Berufungen von leitenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern durch Hochschulen und außerhochschulische Forschungseinrichtungen – Bericht und Empfehlungen – Fortschreibung; Materialien der GWK Heft 37, 2014, S. 9. Siehe oben Rz. 11.53. Siehe z.B. Art. 50 Abs. 3 BayHO, VV Nr. 3 zu Art. 50 BayHO. Mecklenburg-Vorpommern: § 59 Abs. 7 MVLHG; Sachsen: § 62 Abs. 2 SächsHSFG; Thüringen: § 85 Abs. 7 ThürHG; Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (GWK), Gemeinsame Berufungen v. leitenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern durch Hochschulen und außerhochschulische Forschungseinrichtungen – Bericht und Empfehlungen – Fortschreibung; Materialien der GWK Heft 37, 2014, S. 9 f.

802 | Schöck

B. Hochschulrecht und Steuerrecht | Rz. 11.58 Kap. 11

leihen.1 Lux-Wesener bezeichnet sie sogar im Anschluss an Tettinger „als Prototyp der Kooperation zwischen Hochschulen und Wirtschaft“.2 Es handelt sich dabei um rechtlich selbständige Einrichtungen3 wie eingetragene Vereine, (gemeinnützige) GmbHs oder Stiftungen,4 denen die Hochschule nach ausdrücklicher Regelung in manchen Hochschulgesetzen auch zeitweise Personal überlassen darf.5 Dass eine Beteiligung der Hochschule an oder ihre Mitgliedschaft in einer anderen juristischen Person deren Anerkennung als An-Institut im Wege stehen sollte, erscheint nicht zwingend,6 entscheidend muss die eigene Rechtspersönlichkeit des An-Instituts sein.7 In manchen 1 Baden-Württemberg: das Landeshochschulgesetz enthält zwar keine ausdrückliche Regelung für An-Institute, Sandberger, Landeshochschulgesetz Baden-Württemberg, 2. Aufl., § 15 Rz. 7; ein Hinweis auf die Möglichkeit findet sich aber in § 75 Abs. 1 Satz 6 BWHG; Bayern: Art. 103 Abs. 2 BayHSchG; Berlin: § 85 BerlHG „Institut an der Hochschule“; Battis in Geis, Heidelberger Komm., Berlin Rz. 110; Brandenburg § 76 BrbHG „wissenschaftliche Einrichtung an der Hochschule (AnInstitut)“; HK-BbgHG/Knopp, § 76 mit eingehender Erläuterung der unterschiedlichen Nomenklatur der Landeshochschulgesetze in Rz. 3; Bremen § 96 BremHG „wissenschaftliche Einrichtung an der Hochschule“; Hamburg § 95 HHHG; dazu HmbHG/Drexler, § 95 mit praktischen Beispielen in Rz. 8; Hessen: Eine gesetzliche Regelung, auf deren Fehlen Seidler in Geis, Heidelberger Komm., Hessen Rz. 73 f. schon 1995 mit eindrucksvollen Beispielen der dennoch bestehenden Einrichtungen hingewiesen hat, gibt es nach wie vor nicht; Mecklenburg-Vorpommern: § 95 MVLHG; Niedersachsen: In der aktuell geltenden Fassung des Niedersächsischen Hochschulgesetzes v. 26.2.2007 ist die von Schultz-Gerstein in Geis, Heidelberger Komm., Niedersachsen Rz. 103–105 für das Hochschulgesetz vom 21.1.1994 beschriebene Regelung nicht mehr enthalten; Nordrhein-Westfalen: § 29 Abs. 5 NRWHG; Rheinland-Pfalz: § 96 RhPfHSchG; Saarland: § 30 Abs. 5 SaarlHSG, § 29 Abs. 2 SaarlKhG, § 30 Abs. 3 SaarlMhG („angegliederte Einrichtung“); Kiefer/Palocsay-Reitz in Geis, Heidelberger Komm., Saarland, Rz. 227; zur speziellen Möglichkeit der „assoziierten Juniorprofessur“ RN 360; Sachsen: § 95 SächsHSFG; Nolden in Geis, Heidelberger Komm., Sachsen Rz. 175; Sachsen-Anhalt: § 102 Abs. 1 SAHSG; dazu Grimm in Nolden/Kurz/Schmuck, Hochschulgesetz Sachsen-Anhalt, 2018, § 102, und mit einer ausführlichen Untersuchung zur tatsächlichen Situation in Sachsen-Anhalt Henke/Pasternack, Die An-Institutslandschaft in Sachsen-Anhalt, WZW Wissenschaftszentrum Wittenberg, Lutherstadt Wittenberg 2012; Henke/Pasternack, Profilerweiternd und bislang kaum untersucht: An-Institute in Pasternack, Jenseits der Metropolen – Hochschulen in demografisch herausgeforderten Regionen, Leipzig 2013, S. 227 ff.; kritisch Welz in Geis, Heidelberger Komm., Sachsen-Anhalt Rz. 323; Schleswig-Holstein: § 35 SHHSG, § 1 Abs. 2 StiftULG („angegliederte Einrichtung“); Thüringen: § 127 ThürHG; grundlegend zu dieser Kooperationsform Tettinger, Forschungseinrichtungen an der Hochschule in HdbWissR, 1996, S. 991 ff. 2 Lux-Wesener in HSchR-Praxishandbuch, 3. Aufl. 2017, S. 417 m.w.N. 3 So zurecht ausdrücklich Sandberger, Landeshochschulgesetz Baden-Württemberg, 2. Aufl., § 15 Rz. 7; Brandenburg: § 76 Abs. 2 BrbHG; Mecklenburg-Vorpommern: § 95 Abs. 1 S. 4 MVLHG; Nordrhein-Westfalen: § 29 Abs. 5 S. 4 NRWHG; Saarland: § 30 Abs. 5 S. 2 SaarlHSG; § 29 Abs. 2 S. 2 SaarlKhG; § 30 Abs. 3 S. 2 SaarlMhG; Sachsen: § 95 Abs. 1 SächsHSFG; Grimm in Nolden/ Rottmann/Brinktrine/Kurz, Sächsisches Hochschulgesetz, 2011, Sachsen-Anhalt: § 95 S. 443; § 102 Abs. 1 SAHSG; dazu Grimm in Nolden/Kurz/Schmuck, Hochschulgesetz Sachsen-Anhalt, 2018, § 102 Rz. 1; Schleswig-Holstein: § 35 SHHSG; Thüringen: § 127 Abs. S. 1 ThürHG. 4 Ebenso Tettinger, Forschungseinrichtungen an der Hochschule in HdbWissR, 1996, S. 991. 5 § 76 Abs. 3 BrbHG; § 35 Abs. 2 SHHSG. 6 So aber HK-BbgHG/Knopp, § 76 Rz. 6. 7 Nicht nachvollziehbar insoweit Löwisch, der „allein An-Institute“ für möglich hält; der Begriff „Einrichtung“ macht aber – vor allem im Zusammenhang mit dem Hinweis auf den Inhalt von Arbeitsverträgen (§ 85 Abs. 1 Nr. 4 BerlHG) – deutlich, dass es sich um eine Rechtsperson handeln muss, sei sie zivilen oder öffentlichen Rechts; die Homepage des Konfuzius-Instituts Berlin weist auch aus, dass es sich um einen gemeinnützigen Verein handelt (https://www.konfuziusinsti

Schöck | 803

11.58

Kap. 11 Rz. 11.58 | Besteuerung der Hochschulen

Landeshochschulgesetzen wird der Vorbehalt getroffen, dass es sich bei der Tätigkeit des AnInstituts um Aufgaben handeln soll, die nicht von einer Einrichtung der Hochschule selbst erfüllt werden können.1 Einige Länder sehen ausdrücklich Vereinbarungen zwischen Hochschule und außerhochschulischer Einrichtung vor,2 in Sachsen-Anhalt sogar mit der Vorgabe von Musterverträgen durch das Ministerium.3 Rheinland-Pfalz regelt auch die Übertragung von Aufgaben an die außerhochschulische Einrichtung4 und verfügt mit dem Deutschen Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung als eigener rechtsfähiger Anstalt des öffentlichen Rechts bei der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer noch über eine spezielle Konstruktion.5

7. Akademische Lehrkrankenhäuser 11.59

Universitäten mit medizinischen Ausbildungsgängen gehen häufig vertragliche Beziehungen mit Kliniken außerhalb der Universität ein, um Kapazitäten für die praktische Ausbildung der Studentinnen und Studenten der Medizin zu gewinnen.6 Soweit es um die Verleihung der damit in der Regel verbundenen institutionellen Bezeichnungen („Akademisches Lehrkrankenhaus der Universität“, „Akademische Lehrpraxis der Universität“, „Akademische Lehreinrichtung der Universität“) oder von akademischen Titeln (Lehrbeauftragte/Lehrbeauftragter, außerplanmäßige Professorin/außerplanmäßiger Professor oder Honorarprofessorin/Honorarprofessor)7 geht, ist das steuerlich nicht relevant. Soweit seitens der Universität Personal zur Verfügung gestellt wird, sind Steuerbarkeit und Steuerpflicht im Einzelnen zu prüfen.8

II. Steuerrecht 11.60

Dem Thema Steuern haben die staatlichen Hochschulen in Deutschland in den letzten Jahrzehnten, wenn überhaupt, dann eher wenig Bedeutung beigemessen, obwohl der Bundesrechnungshof die Versäumnisse von Gesetzgebung und Verwaltung auf diesem Gebiet unter Hin-

1 2 3 4 5 6 7

8

tut-berlin.de/ueber-uns/); ebenso weist das Akademische Konfuzius-Institut Göttingen einen Trägerverein aus (https://www.aki-goettingen.de/ueber-uns/); beim „Konfuzius-Institut der Universität Trier“ https://www.uni-trier.de/forschung/konfuzius-institut-der-universitaet-trier/kontakt) handelt es sich offensichtlich nicht um ein An-Institut, sondern um ein in die Universität integriertes Institut („Institut der Universität“). Nordrhein-Westfalen: § 29 Abs. 5 S. 2 NRWHG; Sachsen: § 95 Abs. 1 SächsHSFG; dazu relativierend Grimm in Nolden/Rottmann/Brinktrine/Kurz, Sächsisches Hochschulgesetz, 2011, § 95 S. 444; Thüringen: § 127 Abs. S. 1 Nr. 1 ThürHG. Sachsen: § 95 Abs. 3 SächsHSFG; Sachsen-Anhalt: § 102 Abs. 2 SAHSG; Thüringen: § 127 Abs. 2 ThürHG. § 102 Abs. 3 SAHSG; dazu Grimm in Nolden/Kurz/Schmuck, Hochschulgesetz Sachsen-Anhalt, 2018, § 102 RN 5; Runderlass des Kultusministeriums Sachsen-Anhalt v. 23.2.2011, MBl. LSA 2011, S. 147 mit Musterkooperationsvertrag in Anlage 2. § 96 Satz 2 RhPfHSchG. § 67 Abs. 1 S. 1 DUVwG. Mecklenburg-Vorpommern: § 103 a MVLHG. Sandberger in HSchR-Praxishandbuch, 3. Aufl., 2017, S. 531; Sandberger in Geis, Heidelberger Komm., Hochschulmedizin und Universitätsklinika Rz. 229 ff.; Bayern: Art. 34 Abs. 3 S. 2 BayHSchG; Lindner in Geis, Heidelberger Komm., Freistaat Bayern Rz. 297; Niedersachsen: § 63 a Abs. 6 NHG; Nordrhein-Westfalen: § 32 Abs. 2 NRWHG; Saarland: § 34 SaarlHG; Sachsen: § 100 Abs. 2 SächsHSFG; dazu Schmuck in Nolden/Rottmann/Brinktrine/Kurz, Sächsisches Hochschulgesetz, 2011, § 100 S. 459 f.; Sachsen-Anhalt: § 5 SAHMG; Thüringen: § 110 ThürHG. Siehe dazu den Beitrag zur Hochschulmedizin, Kap. 10 Rz. 10.84 ff.

804 | Schöck

B. Hochschulrecht und Steuerrecht | Rz. 11.62 Kap. 11

weis auf die eindeutige europarechtliche Lage und die ebenso klare Haltung der Steuerrechtswissenschaft wiederholt deutlich angesprochen hat.1 Trotzdem findet das Thema Steuern bis heute auch in den Landeshochschulgesetzen und deren Kommentierungen so gut wie keine Erwähnung.2 Auf europäischer Ebene haben sich die in der European University Association (EUA) verbundenen Hochschulen unlängst einmütig eine Vision für das kommende Jahrzehnt gegeben,3 in der der Begriff „taxation“ zumindest einmal erwähnt wird, wenn auch nur als Thema, das im Rahmen der Regulierung zu beachten ist.4 Diese „Geringschätzung“ wird der tatsächlichen Situation nicht gerecht: spätestens, seitdem sich die Europäische Union eine wettbewerbsneutrale Besteuerung zum Anliegen gemacht hat5, sind die öffentlichen Einrichtungen und mit etwas Verzögerung auch die Hochschulen ins Visier der Finanzverwaltungen und der Steuerrechtsprechung gelangt. Nachdem sich die Hochschulen – soweit sie nicht ohnehin den gesetzlichen Auftrag haben (dazu unten Rz. 11.108, 11.158) – zum Ziel setzen, die Verbindungen zur Wirtschaft und zu Unternehmensgründungen („Start-ups“) zu intensivieren6, wird sich die Frage der steuerlichen Behandlung solcher wirtschaftlichen Aktivitäten künftig in noch stärkerem Maße stellen.

11.61

Nicht zuletzt steigt auch der Sanktionsdruck, der auf internationaler Ebene von der OECD überwacht und weiter intensiviert wird („All surveyed jurisdictions have comprehensive laws in place that criminalise tax offences, and the ability to apply strong penalties, including lengthy prison sentences, substantial fines, asset forfeiture and a range of alternative sanctions. ... This new edition of the 10 Global Principles guide recommends that jurisdictions benchmark themselves against each of the Principles.“7). Das heißt zwar nicht, dass diese Vorschriften

11.62

1 Bundesrechnungshof, Bemerkungen des BRH 1992 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung (einschließlich der Feststellungen zur Jahresrechnung des Bundes 1990) BT-Drs. 12/3259 v. 21.9.1992; Bundesrechnungshof, Bemerkungen des BRH 2003 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung (einschließlich der Feststellungen zur Jahresrechnung des Bundes 2002) BT-Drs. 15/2020 v. 24.11.2003; Bundesrechnungshof, Unterrichtung durch den Präsidenten des Bundesrechnungshofes – Bericht nach § 99 BHO zur umsatzsteuerlichen Behandlung der öffentlichen Hand – Vorschläge für eine EG-konforme Besteuerung juristischer Personen des öffentlichen Rechts – BTDrs. 15/4081 v. 2.11.2004; eingehend zur historischen Entwicklung der Besteuerung der öffentlichen Hand von den Anfängen im Kaiserreich bis in die Gegenwart Westendorf, Der Betrieb gewerblicher Art, 2019, S. 33 ff. 2 Geis, Heidelberger Komm., Band II; immerhin mit einigen Literaturhinweisen BeckOK HochschulR Bayern/Jaburek, 23. Ed. 2021, BayHSchG Art. 8 Rz. 15; in der Verordnung über den Aufbau der Technischen Universität Nürnberg (TU Nürnberg-Aufbauverordnung – TNAV) v. 17.12.2020 wird die (für eine öffentliche Einrichtung eigentlich selbstverständliche) „Einhaltung von Steuerrecht und EU-Beihilferecht“ (soweit ersichtlich erstmals überhaupt in einer die Hochschulen betreffenden Rechtsvorschrift) ausdrücklich erwähnt (§ 11 Nr. 5 a.E.). 3 European University Association (EUA), Universities without walls – A vision for 2030, Brussels, February 2021. 4 European University Association (EUA), Universities without walls – A vision for 2030, Brussels, February 2021, S. 11. 5 Zuletzt Richtlinie 2006/112/EG des Rates v. 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABI. L 347 vom 11.12.2006, S. 1) (MwStSystRL) Erwägungsgründe (4), (7) et passim; EuGH v. 16.9.2008 – Rs. C-288/07 – Isle of Wight Council, UR 2008, 816 ff.; BFH v. 24.6.2020, V R 47/19 Rz. 13 m.w.N. 6 European University Association (EUA), Universities without walls – A vision for 2030, Brussels, February 2021, S. 9. 7 OECD, Fighting Tax Crime – The Ten Global Principles, Second Edition 2021, Executive Summary.

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Kap. 11 Rz. 11.62 | Besteuerung der Hochschulen

speziell für Hochschulen gedacht sind, es heißt aber, dass die Hochschulen genauso wie alle anderen Steuerpflichtigen davon erfasst werden – und dass die Erwartung an regelkonformes Verhalten bei öffentlichen Einrichtungen wie den staatlichen Hochschulen, die durch Art. 20 Abs. 3 GG als Teil der vollziehenden Gewalt an Gesetz und Recht gebunden sind, zurecht größer ist als bei privaten Steuerpflichtigen.1

1. Verfahrensrecht a) Steuerpflichtiger

11.63

Die persönliche Steuerpflicht bestimmt sich nach der Abgabenordnung (§§ 33 Abs. 1, 43 Satz 1 AO und nach den Einzelsteuergesetzen2 (Umsatzsteuer: §§ 2 Abs. 1 Satz 1, 2b UStG; Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 MwStSystRL; Körperschaftssteuer: § 1 Abs. 1 Nr. 6 i.V.m. § 4 KStG; Gewerbesteuer: § 5 Abs. 1 GewStG, § 2 GewStDV; § 10 Abs. 1 GrStG) und erfasst auch die juristischen Personen des öffentlichen Rechts (staatliche Hochschulen, Stiftungen des öffentlichen Rechts und Anstalten des öffentlichen Rechts)3. Steuerpflichtiger ist nach § 33 AO immer die Hochschule als juristische Person des öffentlichen Rechts (Körperschaft des öffentlichen Rechts, Stiftung des öffentlichen Rechts – siehe oben Rz. 11.21–11.28), nach §§ 2 Abs. 1 Satz 1, 2 b UStG als Unternehmer, nach § 4 KStG mit ihren Betrieben gewerblicher Art, nach § 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG, § 2 Abs. 1 GewStDV mit ihren Gewerbebetrieben. Nur die Hochschule ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH Adressatin der Steuerbescheide.4

11.64

Soweit die Hochschulen staatliche Einrichtungen sind, stellt sich allenfalls die Frage, ob sie als Teil des Staates dessen Steuerpflichtigeneigenschaft teilen oder ob sie auch mit diesem Teil ihrer Rechtsform eine eigene Steuerpflicht trifft. Der pragmatischen Lösung, sie mit dem BMF „aus Vereinfachungsgründen“ als haushaltsmäßig klar abgegrenzte Teile des Staates als steuerrechtlich selbständig zu betrachten, ist zuzustimmen.

11.65

Hochschulen treten unabhängig von ihrer Rechtsform als Körperschaft des öffentlichen Rechts (und meist zugleich staatliche Einrichtung – siehe oben Rz. 11.21) oder als Stiftung des öffentlichen Rechts mit ihren wirtschaftlichen Aktivitäten im Steuerrecht in verschiedenen steuerrechtlichen Erscheinungsformen auf: – mit ihrem Hoheitsbetrieb (§ 2b Abs. 1 UStG, § 4 Abs. 5 KStG) (unten Rz. 11.109 ff.), – mit ihren Gewerbebetrieben (§ 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG, § 2 Abs. 1 GewStDV) – mit ihren Betrieben gewerblicher Art (BgA)(§ 4 KStG) (unten Rz. 11.122 ff.), die – als Zweckbetrieb auch gemeinnützig sein können (§§ 65 ff. AO) (unten Rz. 11.128 ff.).

1 Buchna, Besteuerung von Hochschulen aus der Sicht der Finanzverwaltung (Stand 03/2006) Vortrag gehalten bei der Veranstaltung „Steuerrechtliche Probleme an Hochschulen“ des Vereins zur Förderung des Deutschen und Internationalen Wissenschaftsrechts am 16.3.2006 (https://www.ver ein-wissenschaftsrecht.de/data/file/buchna.pdf), S. 38 f.; ebenso Gärditz, Compliance-Regeln und Wissenschaftsfreiheit, WissR 2019, 299 ff., 301, 318, 320. 2 Seer in Tipke/Lang, Steuerrecht24, Rz. 6.19. 3 Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 33 AO Rz. 52. 4 BFH v. 3.12.2010 – V B 35/10 BFH/NV 2011, 462 m.w.N. Wallenhorst in Wallenhorst/Halaczinsky, Die Besteuerung gemeinnütziger und öffentlich-rechtlicher Körperschaften, Kap. H Rz. 2.

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B. Hochschulrecht und Steuerrecht | Rz. 11.68 Kap. 11

b) Zuständigkeiten Die Antwort auf die Frage, wer Steuerpflichtiger im Sinne des Abgabenrechts ist, hat Auswirkungen darauf, wer innerhalb der jeweiligen Organisation die (Letzt-)Verantwortung für die Erfüllung der steuerlichen Pflichten trägt. Diese Letztverantwortung ist nicht delegierbar, das sind nur die mit der Erfüllung der steuerlichen Pflichten verbundenen Aufgaben. Die Delegation von Aufgaben befreit allerdings nicht von der Organisationsverantwortung; die Leitung trägt die Verantwortung dafür, dass die Mitglieder der Organisation ihre Aufgaben kennen, erfüllen können und auch tatsächlich erfüllen. Die Verantwortung für die Leitung einer Hochschule und ihre Vertretung nach außen bestimmt sich nach dem Hochschulrecht. Sie liegt in aller Regel bei der Präsidentin/dem Präsidenten, der Rektorin/dem Rektor, meist als der oder dem Vorsitzenden des Leitungsgremiums,1 soweit nicht der Kanzlerin/dem Kanzler als der/dem Beauftragten für den Haushalt oder sonst in ihrer/seiner Verantwortung für Recht und Finanzen besondere Befugnisse zugeordnet sind.2

11.66

Wird ein an eine KdöR zu richtender Steuerbescheid nicht zu Händen des (dafür zuständigen) gesetzlichen Vertreters, sondern an einen für Steuerfragen zuständigen Mitarbeiter zugestellt, so ist auch das eine ordnungsgemäße Bekanntgabe i.S.d. § 122 AO3. Für Steuerfragen zuständiger Mitarbeiter in diesem Sinne ist aber nicht der für einen Betrieb gewerblicher Art oder einen Zweckbetrieb oder einen Teil davon verantwortliche Wissenschaftler, sondern eine innerhalb der Organisation von deren Leitung mit der Bearbeitung steuerlich bedeutsamer Vorgänge betraute Person.

11.67

Die Rechte der Leitung korrespondieren mit den Verpflichtungen der einzelnen Mitglieder der Hochschule zur Mitwirkung an der Selbstverwaltung4, die auch und insbesondere die Erfüllung aller rechtlichen Verpflichtungen der Hochschule umfasst5. So schließt auch ohne besondere Beauftragung – wie sie das Arbeitssicherheitsrecht aus gutem Grund erforderlich macht6 – die Zuständigkeit und Verantwortung für die finanziellen Angelegenheiten der Hochschule die Zuständigkeit und Verantwortung für die Erfüllung der aus dem Steuerrecht resultierenden Pflichten ein. Das gilt insbesondere dann, wenn diese Verpflichtungen durch das eigene Verhalten einer Wissenschaftlerin oder eines Wissenschaftlers ausgelöst werden, wie es bei jeder möglicherweise eine Steuerpflicht auslösenden wirtschaftlichen Betätigung der Fall ist. Das bedeutet, dass die Professorin oder der Professor auch an der Bearbeitung der steuerlich relevanten Vorgänge mitzuwirken hat, die in ihrem unmittelbaren Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich durch ihre Tätigkeit anfallen. Wer Aktivitäten betreibt, die einen steuerpflichtigen Betrieb gewerblicher Art oder einen Zweckbetrieb begründen oder sich innerhalb eines schon bestehenden solchen Betriebs bewegen oder sonst möglicherweise steuerlich relevante Tätigkeiten entfaltet, muss sich auch – selbstverständlich in Zusammenarbeit mit den dafür fachlich

11.68

1 2 3 4

Siehe oben Rz. 11.29, Hillermann-Fischer in Geis, Heidelberger Komm., Schleswig-Holstein, Rz. 173. Nolden in Geis, Heidelberger Komm., Sachsen Rz. 111. Klein/Brockmeyer, AO § 122 Rz. 32; BFH v. 18.8.1988 – V R 194/83, BStBl. 1988 II S. 932. So auch Geis in Geis, Heidelberger Komm., HRG § 58 Rz. 11; BVerfG v. 31.5.1995 – 1 BvR 1379/ 94, BverfGE 93, 85, Rz. 51: „Zudem hat es von jeher zu den Aufgaben eines Hochschullehrers gehört, einen Teil seiner Arbeitskraft der Selbstverwaltung der Hochschule zur Verfügung zu stellen“; BVerwG v. 23.6.2016, 2 C 18.15, wiedergegeben auch in OdW 2016, 229 – 238 mit Einleitung von Geis; dazu auch Lynen in Geis, Heidelberger Komm., Recht und Management der Kunsthochschulen, Rz. 142; Hessen: § 33 Abs. 1 Satz 1 HessHG; Mecklenburg-Vorpommern: § 51 Abs. 3 Satz 1 MVLHG; Niedersachsen: § 16 Abs. 2 Satz 1 NHG. 5 Battis in Geis, Heidelberger Komm., Berlin Rz. 96. 6 BVerwG v. 23.6.2016 – 2 C 18.15 Rz. 39 ff.

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Kap. 11 Rz. 11.68 | Besteuerung der Hochschulen

zuständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Hochschulverwaltung – darum kümmern, dass diese Aktivitäten ordnungsgemäß versteuert werden. Mit zunehmender Intensität der eigenen möglicherweise steuerlich relevanten Tätigkeiten steigt auch die Verpflichtung, an der Erfüllung der daraus resultierenden Pflichten der Hochschule mitzuwirken.

11.69

Auf der anderen Seite müssen die in der Leitung verantwortlichen Personen dafür sorgen, dass die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in dem Maß informiert und geschult werden, dass sie in der Lage sind, ihre Aufgaben zu erfüllen, d.h. zu erkennen, wann sie die Verwaltung über ihre Aktivitäten unterrichten müssen. Und es bedarf der Kontrolle, ob die erforderliche Mitwirkung auch erfolgt.

11.70

Den aus der grundgesetzlich gewährleisteten und dem Bundesverfassungsgericht immer wieder zur Entscheidung vorgelegten Wissenschaftsfreiheit1 abzuleitenden Rechten der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wird bei der rechtswissenschaftlichen Analyse der Hochschulgesetze meist sehr breiter Raum gegeben2; die die beamteten Professorinnen und Professoren treffenden, genauso aus der Hochschulautonomie abzuleitenden Pflichten – die auch die Pflicht zur Mitwirkung an der Selbstverwaltung einschließen3 – werden demgegenüber kaum thematisiert. Mitwirken ist aber mehr als nur Mitbestimmen – Teilhabe erfordert auch Teilnahme. Das gilt für die Verpflichtungen des Arbeits- oder Brandschutzes ebenso wie für die Mitwirkung bei der Erfüllung der steuerlichen Pflichten der Organisation Hochschule. Dem Präsidium bzw. dem Präsidenten oder der Präsidentin ist aber auch die Aufgabe übertragen, darauf hinzuwirken, „dass die anderen Hochschulorgane ihre Aufgaben wahrnehmen und die Hochschulmitglieder ihre Aufgaben erfüllen“.4 Die Hochschulverwaltung unterstützt die Hochschulleitung ebenso wie die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei der Erfüllung ihrer Aufgaben, vor allem auch dabei, sicherzustellen, dass die Hochschule ihre rechtlichen Verpflichtungen erfüllt5, und bedarf dazu entsprechend qualifizierten Personals. c) Gemeinnützigkeit

11.71

Für Stiftungshochschulen wie für Studenten-/Studierendenwerke bedeutet Gemeinnützigkeit eine den steuerlichen Anforderungen (§§ 59 ff. AO) entsprechende Satzung (formelle Gemeinnützigkeit6) und eine den Vorgaben dieser Satzung folgende tatsächliche Geschäftsführung (§§ 59, 63 Abs. 1 AO – materielle Gemeinnützigkeit)7.

11.72

Für die Stiftungshochschulen ist gesetzlich festgelegt, dass sie die Anforderungen der steuerrechtlichen Gemeinnützigkeit erfüllen müssen.8 1 Zuletzt BVerfG v. 6.3.2020 – 1 BvR 2862/16 m.w.N. 2 Beispielhaft Blanke/Oberthür in Geis, Heidelberger Komm., Thüringen, Rz. 3–10 et passim; Hillermann-Fischer in Geis, Heidelberger Komm., Schleswig-Holstein, Rz. 164. 3 So auch Geis in Geis, Heidelberger Komm., HRG § 58 Rz. 11. 4 Hillermann-Fischer in Geis, Heidelberger Komm., Schleswig-Holstein, Rz. 168. 5 So ausdrücklich § 25 Abs. 1 NRWHG; aus der Sicht der Praxis Buchna, Besteuerung von Hochschulen aus der Sicht der Finanzverwaltung (Stand 03/2006) Vortrag gehalten bei der Veranstaltung „Steuerrechtliche Probleme an Hochschulen“ des Vereins zur Förderung des Deutschen und Internationalen Wissenschaftsrechts am 16.3.2006, S. 38. 6 Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 59 AO, Rz. 4. 7 Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 59 AO, Rz. 7. 8 Brandenburg: § 2 Abs. 4 StiftG-EUV; Hessen: § 82 Abs. 3 HessHG; Niedersachsen: § 55 Abs. 6 NHG; BeckOK HochschulR Nds/Pautsch, 21. Ed. 2021, NHG § 55 Rz. 41; Schleswig-Holstein: § 2 Abs. 3 StiftULG; von Coelln in HSchR-Praxishandbuch, 3. Aufl. 2017, S. 359.

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B. Hochschulrecht und Steuerrecht | Rz. 11.74 Kap. 11

Den Studenten-/Studierendenwerken als Anstalten des öffentlichen Rechts ist zum Teil gesetzlich vorgegeben, sich an die steuerlichen Gemeinnützigkeitsregeln zu halten.1 Das „Studentenwerk im Saarland e.V.“ hat die Gemeinnützigkeit in seiner Satzung festgelegt2.

11.73

d) Compliance Entsprechend3 dem Umgang mit anderen Gefahren, die von der Öffentlichkeit besonders wahrgenommen werden (z.B. Brandschutz, Versammlungsrecht), ist der Staat auch im Bereich des wirtschaftlichen Handelns immer mehr auf Vorbeugung bedacht4. Das hat Auswirkungen auf den Bereich des Steuerrechts und betrifft dort auch die Hochschulen, soweit sie der Besteuerung unterliegen5. Dass die Thematik international hohe Aufmerksamkeit genießt, machen die Aktivitäten der OECD zur Entwicklung der Steuerkultur und der damit einhergehenden Erziehung der Steuerpflichtigen zur Steuerehrlichkeit deutlich6; diese „Erziehung“ steht paradigmatisch für die Entwicklung zu einer kooperativen Beziehung zwischen Steuerverwaltung und Steuerpflichtigen mit auch positiven ökonomischen Folgen.7

1 Bayern: Art. 88 Abs. 3 BayHSchG; Berlin: § 2 Abs. 4 BerlStudWG; Bremen: § 3 Abs. 1 BremStWG; Hamburg: § 2 Abs. 9 HHStWG; Hessen: § 8 Abs. 1 S. 2 HessStudWG; MecklenburgVorpommern: § 1 Abs. 2 MVStudWG; Sachsen: § 109 Abs. 2 Satz 2 SächsHSFG; Sachsen-Anhalt: § 2 Abs. 6 SAStudWG; Thüringen: § 11 Abs. 1 Satz 3 ThürStudWG. 2 § 3 Satzung des Vereins „Studentenwerk im Saarland e.V.“ v. 2.11.2010. 3 Zum Begriff Rotsch in Rotsch, Criminal Compliance, 2015, 1 Rz. 4 ff.; HK-OWiG/Ziegler/Voelker, § 130 Rz. 9; Kaeser, Steuerstrafrechtliche Verantwortung im Unternehmen und selbstregulierende Tax Compliance, DStJG Band 38, 193 ff. (194); Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 85 AO Rz. 28; Longrée/Loos (Tax) Compliance – Ein zunehmend aktuelles Thema für Stiftungen und Vereine, ZStV 2016, 34 ff. (36 m.w.N.) sehen Tax Compliance mit der herrschenden Meinung als „einen Unterbegriff der Corporate Compliance“; so auch Talaska in Streck/Mack/Schwedhelm, Tax Compliance, 3. Aufl. Köln 2019, Rz. 1.4, der auch die Entwicklung der Tax Compliance aus der Compliance heraus beschreibt und sich kritisch zum – nach seiner Auffassung – abweichenden Verständnis der Finanzverwaltung von Compliance äußert (Rz. 1.14 ff.). 4 Rotberg, OwiG, 5. Aufl., 1975, § 130 Rz. 1, spricht von einem „modernen Bedürfnis“, die Verletzung der Aufsichtspflicht zu ahnden; zur Notwendigkeit von Compliance für die Wissenschaft generell der Bericht von Hartmann (Hornbostel) über eine dem Thema „Braucht Wissenschaft Compliance“ gewidmete Tagung des Vereins zur Förderung des deutschen und internationalen Wissenschaftsrechts e.V. am 14./15.11.2019 in Karlsruhe, Deutsche Universitätszeitung Wissenschaft und Management 2/2020 v. 6.3.2020. 5 Die Verortung der Tax Compliance nur bei den „Kommunalen Unternehmen und Betätigungen“ (so bei Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 16) verkennt die Bedeutung auch für den Hochschulbereich; Schmitz/Möser in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 16 Rz. 425 betonen aber zurecht den „Auftrag an alle staatlichen Stellen ... die erforderlichen institutionellen Sicherungen zu schaffen, um die Rechts- und Regelkonformität zu jeder Zeit gewährleisten zu können.“ m.w.N. 6 OECD, Building Tax Culture, Compliance and Citizenship, Second Edition: A Global Source Book on Taxpayer Education, OECD Publishing, 2021, https://doi.org/10.1787/18585eb1-en; s.o. Rz. 11.62; dazu auch Wagner/Oldenbusch, Die verbindliche Auskunft als Baustein der kooperativen Compliance, FR 2021, 1123 ff. (1130) mit Hinweisen auch auf die Entwicklung in Frankreich, Kanada und Österreich. 7 Wagner/Oldenbusch, Die verbindliche Auskunft als Baustein der kooperativen Compliance, FR 2021, 1123 ff. (1130): „Perspektivisch ist die Implementierung kooperativer und freiwilliger prozessbegleitender Tax-Compliance-Modelle ein kosteneffizientes Mittel zur Erhöhung der Planungssicherheit des Steuerpflichtigen.“

Schöck | 809

11.74

Kap. 11 Rz. 11.75 | Besteuerung der Hochschulen

11.75

Staatliche Hochschulen sind wie alle staatlichen Institutionen als Teile der Exekutive durch das Grundgesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) und die Landeshochschulgesetze1 auf die Einhaltung von Gesetz und Recht verpflichtet.2 Das gilt auch für jeden einzelnen Bediensteten – Beamtinnen/Beamte wie Arbeitnehmerinnen/Arbeitnehmer3. Insofern können weitergehende Überlegungen zu „Integrität und bestimmten ethischen Werten“ keine Rolle spielen4; das schließt die Prüfung unterschiedlicher Rechtsstandpunkte von Verwaltung, Rechtsprechung und Wissenschaft nicht aus5, wohl aber bewusste Rechtsverstöße.6 Gerade im Steuerrecht kann man aber nicht bei allen, die möglicherweise Tatbestände verwirklichen, die steuerliche Folgen auslösen, das Bewusstsein oder gar die Rechtskenntnisse dafür voraussetzen. Deshalb ist es umso wichtiger, dass die Hochschulleitung dafür sorgt, dass den steuerlichen Pflichten der Hochschule, für deren Erfüllung die Präsidentin oder der Präsident als rechtlicher Vertreter die Verantwortung trägt (s.o. Rz. 11.66), auch nachgekommen wird. Es bedarf zunächst und vor allem bei den Führungskräften des Problembewusstseins und der Bereitschaft zum Handeln.7 Dazu erfordert die oft sehr dezentrale Organisationsstruktur jedenfalls größerer Hochschulen ein klares Konzept, wie Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten verteilt sind und wie die Überwachung stattfindet. Angesichts der nach wie vor hohen Änderungsgeschwindigkeit des Steuerrechts müssen sowohl fortlaufende Schulungen der zuständigen Mitarbeiterinnen und

1 Baden-Württemberg: § 2 Abs.1 Satz 1 BWHG; BeckOK HochschulR BW/Gerber/Krausnick, 21. Ed. 1.9.2021, LHG § 2 Rn. 9; Bayern: Art. 2 Abs. 2 Satz 1 BayHSchG; Berlin: § 4 Abs. 1 Satz 2 BerlHG; Brandenburg: keine ausdrückliche Regelung; Bremen: § 4 Abs. 1 Satz 1 BremHG; Hamburg: § 3 Abs. 1 Satz 1 HmbHG; Hessen: § 3 Abs. 1 HessHG; BeckOK HochschulR Hessen/Globuschütz, 20. Ed. 1.1.2021, HHG § 3 Rn. 3; Mecklenburg-Vorpommern: § 3 Abs. 1 Satz 6 MVLHG; Niedersachsen: § 3 Abs. 1 Satz 1 Ziff. 1 NHG; BeckOK HochschulR Nds/Pautsch, 21. Ed. 1.6.2021, NHG § 3 Rn. 11; Nordrhein-Westfalen: Keine Regelung; Rheinland-Pfalz: § 16 RhPfHSchG; Saarland: § 3 Abs. 1 Satz 1 SaarlHSG; § 52 SaarlKhG; § 52 SaarlMhG; Sachsen: § 15 Abs. 1 Satz 1 SächsHSFG; überzeugend Deschauer in Nolden/Rottmann/Brink-trine/Kurz (Hrsg.), Sächsisches Hochschulgesetz, Berlin 2011, § 15 S. 108 f. mit Hinweis auf „den immanenten inneren Zusammenhang zwischen fachlicher und sozialer Kompetenz“ und „die „Treueklausel“ des Art. 5 Abs. 3 Satz 2 GG“; Sachsen-Anhalt: § 6 Abs. 1 Satz 1 SAHSG; Schleswig-Holstein: § 3 Abs. 1 Satz 1 SHHSG; Thüringen: § 5 Abs. 1 Satz 2 ThürHG. 2 BeckOK GG/Huster/Rux, 49. Ed. 15.11.2021, GG Art. 20 Rn. 169: „Die Bindung der Exekutive an das Parlamentsgesetz gehört zu den traditionellen Elementen des Rechtsstaatsprinzips“; mit erfreulicher Deutlichkeit BeckOK HochschulR BW/Gerber/Krausnick, 21. Ed. 1.9.2021, LHG § 2 Rn. 9. 3 §§ 33 Abs. 1 Satz 3, 36 Abs. 1 und 2 BeamtStG; „Gehorsam den Gesetzen“ ist Teil des Amtseides der Beamtinnen und Beamten (beispielhaft Art. 73 Abs. 1 BayBG); § 4 Abs. 3 Satz 1 NRWHG; sehr deutlich § 4 Abs. 1 DUVwG: „Der Freiheit in Forschung und Lehre entsprechen eine besondere Verantwortung und die Pflicht zu einer besonderen Sorgfalt der Hochschule und ihrer Mitglieder bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben.“ 4 So aber Overkamp in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 16 Rn. 308; Schmitz/Möser in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 16 Rn. 386 sprechen dagegen zutreffend von einer „immanente(n) verfassungsrechtliche(n) Pflicht, ..., auch steuerrechtliche Regeln einzuhalten“. 5 Dazu Schmitz/Möser in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 16 Rn. 414. 6 So aber Overkamp in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 16 Rn. 311, der verkennt, dass das bewusste Inkaufnehmen eines Rechtsverstoßes für eine von Verfassungs wegen an Gesetz und Recht gebundene staatliche Einrichtung noch weniger in Betracht kommen kann als für eine private Organisation; wie hier aber Schmitz/Möser in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 16 Rn. 425, die ebenfalls mit Art. 20 Abs. 3 GG argumentieren. 7 Overkamp in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 16 Rn. 385.

810 | Schöck

B. Hochschulrecht und Steuerrecht | Rz. 11.81 Kap. 11

Mitarbeiter als auch die Kontrolle, ob die getroffenen Maßnahmen die erwartete Wirkung entfalten, Teil einer solchen Konzeption sein.1 Anknüpfungspunkt dieser Verpflichtungen für das Steuerrecht ist das Ordnungswidrigkeitenrecht: Nach § 130 Abs. 1 OWiG2 handelt ordnungswidrig,

11.76

„wer als Inhaber eines Betriebes oder Unternehmens vorsätzlich oder fahrlässig die Aufsichtsmaßnahmen unterläßt, die erforderlich sind, um in dem Betrieb oder Unternehmen Zuwiderhandlungen gegen Pflichten zu verhindern, die den Inhaber treffen und deren Verletzung mit Strafe oder Geldbuße bedroht ist, ... wenn eine solche Zuwiderhandlung begangen wird, die durch gehörige Aufsicht verhindert oder wesentlich erschwert worden wäre.“3

11.77

Nach § 130 Abs. 2 OWiG ist „Betrieb oder Unternehmen im Sinne des Absatzes 1 ... auch das öffentliche Unternehmen.“ – also „alle Organisationsformen der Verwaltung, mit denen diese am Wirtschaftsleben aktiv teilnimmt“4 und damit vor allem das Unternehmen im Sinne des Umsatzsteuerrechts (dazu unten Rz. 11.108) und die Betriebe gewerblicher Art der juristischen Personen des öffentlichen Rechts (dazu unten Rz. 11.122). Ist die in § 130 Abs.1 OWiG genannte Pflichtverletzung mit Strafe bedroht, kann die Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße bis zu einer Million Euro geahndet werden (die nicht den Betrieb oder das Unternehmen, sondern die verantwortliche Person trifft5 – siehe aber § 30 OWiG (dazu unten Rz. 11.83).

11.78

Im Kontext der Besteuerung der Hochschulen geht es bei den möglichen Straftaten um Steuerstraftaten (§ 369 AO), speziell um die Steuerhinterziehung (§ 370 AO). Danach kann mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft werden, wer (unter anderem)

11.79

„1. den Finanzbehörden oder anderen Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht, 2. die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt ...“. Diese Straftaten können nur vorsätzlich begangen werden.

11.80

Für die Anwendung des § 130 OWiG kommen aber auch mit Geldbuße bedrohte Steuerordnungswidrigkeiten (§ 377 Abs. 1 AO) in Frage, insbesondere die Leichtfertige Steuerverkürzung (§ 378 AO), bei der die oben genannten Tatbestandsmerkmale der Steuerhinterziehung leichtfertig verwirklicht werden (§ 378 Abs. 1 Satz 1 AO). Leichtfertig handelt, wer die Sorgfalt außer Acht lässt, zu der er nach den besonderen Umständen des Falles und seinen persönli-

11.81

1 Overkamp in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 16 Rn. 304 hält sie immerhin für „zweckmäßig“, was angesichts der Komplexität des Steuerrechts aber sicher zu wenig ist; Gärditz, Compliance-Regeln und Wissenschaftsfreiheit, WissR 2019, 299 ff. (326) hält sie zumindest für „in der Regel zumutbar“, wenn sie „mit begrenztem zeitlichem Aufwand“ verbunden sind. 2 Schmitz/Möser in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 16 Rn. 429 leiten aus § 130 OWiG zumindest „mittelbare Pflichten zur Vorhaltung einer Tax-Compliance-Organisation“ ab. 3 Zur besonderen Bedeutung der Vorschrift in Deutschland Kaeser, Steuerstrafrechtliche Verantwortung im Unternehmen und selbstregulierende Tax Compliance, DStJG Band 38, 193 ff. (195). 4 HK-OWiG/Ziegler/Voelker, § 130 Rz. 28 f. 5 Sehr anschaulich Krumm in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 377 AO Rz. 16: „§ 130 OWiG erlangt in der Praxis vor allem dann Bedeutung, wenn Steuerdelikte von Unternehmensmitarbeitern begangen werden, den (insoweit unwissenden) Leitungspersonen i.S.v. § 9 OWiG dieser Vorwurf aber nicht gemacht werden kann ...“

Schöck | 811

Kap. 11 Rz. 11.81 | Besteuerung der Hochschulen

chen Fähigkeiten verpflichtet und imstande ist, obwohl sich ihm hätte aufdrängen müssen, dass dadurch eine Steuerverkürzung eintreten wird.1 Seer sieht in § 130 OWiG sogar „eine Steuerordnungswidrigkeit i.w.S.“2

11.82

Der gesetzliche Vertreter des Steuerpflichtigen, also der Hochschule, trägt die Verantwortung für die Erfüllung der steuerlichen Pflichten; wer das ist, ergibt sich aus dem Hochschulrecht (s.o. Rz. 11.29). Damit trifft sie oder ihn auch die Verpflichtung, Verstöße gegen die steuerlichen Pflichten zu vermeiden3, eine strafrechtliche Garantenpflicht4, „die Rechtspflicht zu möglichen, erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen“5, um Rechtstreue zu gewährleisten6. Eine Pflichtverletzung sieht die Rechtsprechung bereits dann, wenn verantwortliche Personen kein Compliance Management System (CMS)7 einrichten, das auf die Vermeidung von Rechtsverstößen ausgerichtet ist8. Das schließt die „Pflicht zur Leitung des Personals“ ein, der Verantwortliche muss „durch geeignete Maßnahmen dafür sorgen, daß den einzelnen Arbeitnehmern die ihren Zuständigkeitsbereich berührenden betriebsbezogenen Pflichten bekannt werden, soweit sie nicht offenkundig sind.“9 Der – unmittelbar an „Gebietskörperschaften und öffentliche(n) Unternehmen“10 adressierte, aber auf Hochschulen, soweit sie Unternehmen im Sinne des Steuerrechts sind, entsprechend anwendbare – deutsche Public Corporate Governance-Musterkodex legt fest, dass das „Aufsichtsorgan“ vom „Geschäftsführungsorgan“ „regelmäßig, zeitnah und umfassend über alle für das Unternehmen relevanten Fragen insbesondere ... des Compliance-Managements“ zu informieren ist11. Das ist je nach hochschul1 2 3 4

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Klein/Jäger, AO § 378 Rz. 20 m.w.N. Seer in Tipke/Lang, Steuerrecht24, Rz. 23.123. Seer in Tipke/Lang, Steuerrecht24, Rz. 23.123. BGH v. 9.5.2017 – 1 StR 265/16 Rz. 84; ebenso Seckelmann, Tax Compliance Management bei Wissenschaftseinrichtungen, OdW 2019, 237; siehe auch zur Garantenstellung bei Unterlassungsdelikten Krumm in Tipke/Kruse, AO/FGO § 370 AO Rz. 60 m.w.N.; für Schmitz/Möser in Hidien/ Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 16 Rz. 427, jedenfalls dann, wenn es entsprechende Vorerfahrungen gibt. Bock, Compliance und Aufsichtspflichten im Unternehmen in Kuhlen/Kudlich/Ortiz de Urbina, Compliance und Strafrecht, Heidelberg 2013, 57 ff. (61). Siehe auch 7.2 Integritäts- und Compliance-Management des für Gebietskörperschaften entwickelten, aber entsprechend auch für andere juristische Personen des öffentlichen Rechts anwendbaren Deutschen Public Corporate Governance-Musterkodex (D-PCGM) – Expertenkommission D-PCGM (2021): Deutscher Public Corporate Governance-Musterkodex (D-PCGM), Papenfuß/Ahrend/Wagner-Krechlok, in der Fassung v. 15.1.2021; Overkamp in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 16 Rz. 309: „dass ein Vorstandsmitglied dafür Sorge zu tragen hat, dass das Unternehmen so organisiert und beaufsichtigt wird, dass keine Gesetzesverstöße erfolgen.“ Zur Entwicklung der compliance programs in den USA und ihrer Übernahme nach Europa Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht, 5. Aufl., Rz. 12 ff.; zu ihrer ordnungswidrigkeitenrechtlichen Bedeutung Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, 2. Aufl., 2012, S. 440 ff.; zum Tax Compliance Management bei Wissenschaftseinrichtungen Seckelmann, OdW 2019, 237 ff. Overkamp in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 16 Rz. 309 unter Hinweis auf LG München I v. 10.12.2013 (Az.: 5 HK O 1387/10, NZG 2014, 312, ZIP 2014, 570 – das Berufungsverfahren 7 U 113/14 vor dem OLG München endete durch Vergleich). Rotberg, OwiG, 5. Aufl., § 130 Rz. 4. Expertenkommission D-PCGM (2021): Deutscher Public Corporate Governance-Musterkodex (D-PCGM), Hrsg. Papenfuß/Ahrend/Wagner-Krechlok, in der Fassung vom 15.1.2021, Präambel Ziff. 1.1. Expertenkommission D-PCGM (2021): Deutscher Public Corporate Governance-Musterkodex (D-PCGM), Hrsg. Papenfuß/Ahrend/Wagner-Krechlok, in der Fassung v. 15.1.2021, https://doi.

812 | Schöck

B. Hochschulrecht und Steuerrecht | Rz. 11.84 Kap. 11

rechtlicher Lage der Senat, der Hochschulrat oder das zuständige Landesministerium (s.o. Rz. 11.39 f.). Diskutiert wird unter dem Stichwort „Verbandsstrafbarkeit“ auch eine unmittelbare strafrechtliche Verantwortlichkeit der Institution (z.B. Körperschaft, Unternehmen) selbst1, die im Ordnungswidrigkeitenrecht in § 30 OWiG bereits kodifiziert ist.2 Danach können bei strafbarem oder ordnungswidrigem Handeln von Organen, Organmitgliedern oder sonstigen Leitungspersonen (wozu auch die Überwachungsverantwortlichen gehören)3 einer juristischen Person (auch des öffentlichen Rechts) Geldbußen von bis zu 1 Mio. € gegen die Körperschaft selbst verhängt werden.4

11.83

All dies macht deutlich, dass es sich beim Tax Compliance Management um eine Führungsaufgabe handelt, die nicht in den Stabsbereich delegiert werden kann. Die Praxis betont die Notwendigkeit des „tone from the top“, der klaren Äußerung der Leitung.5 Die „ordnungsgemäße Pflichterfüllung“ muss Teil der Unternehmenskultur sein6. Dass dies und die „Kooperationsmaxime“7 des Besteuerungsverfahrens für eine öffentlich-rechtliche Körperschaft in ganz besonderem Maße zu gelten hat, versteht sich angesichts der Bindung der vollziehenden staatlichen Gewalt an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) ebenso von selbst8 wie die Akzeptanz der Steuern als einer gesellschaftlichen Verpflichtung9 (die denen besonders bewusst sein sollte, die ganz wesentlich aus dem Steueraufkommen finanziert werden). Schmitz/Möser leiten aus der verfassungsrechtlichen Situation eine „öffentlich-rechtliche (...) Basis-Compliance“ ab, die aus

11.84

– der „Organisationscompliance“ (abgeleitet aus Art. 20 Abs. 3 GG), – der „Zugangscompliance“ (abgeleitet aus Art. 33 Abs. 2 GG „Eignung, Befähigung und fachliche Leistung“ als Zugangsvoraussetzungen für den öffentlichen Dienst) und – der „Ausübungscompliance“ (abgeleitet aus der besonderen Treuepflicht des Art. 33 Abs. 4 GG) besteht.10

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org/10.13140/RG.2.2.26190.48961, Rz. 86; zur Anwendung des Public Corporate Governance Kodex des Landes Baden-Württemberg im Fall der Beteiligung von Hochschulen an privatrechtlichen Unternehmen § 13 a Abs. 2 Ziff. 5 und Abs. 3 BWHG. Kudlich, Compliance durch Verbandsstrafbarkeit in Kuhlen/Kudlich/Ortiz de Urbina, Compliance und Strafrecht, Heidelberg 2013, 209 ff. Dazu Schmitz/Möser in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 16 Rz. 421. Dazu Krumm in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 378 AO Rz. 34 m.w.N. Eine Übersicht der Sanktionsmöglichkeiten bei mangelhafter Erfüllung steuerlicher Pflichten findet sich bei Schmitz/Möser in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 16 Rz. 417. Taschke in Rotsch, Criminal Compliance, 2015, 36 Rz. 9; „Im Zusammenhang mit der Frage nach der Wirksamkeit von CMS wird zunehmend klar, dass nur ein Konzept, das auf „Compliance als Führungsaufgabe“ setzt, diesen Erfolg erbringen kann“ (Grüninger, Compliance und Integrität als Führungsaufgabe und Kulturgestaltung in Rödl&Partner, Entrepreneur Oktober 2021, S. 40). Kaeser, Steuerstrafrechtliche Verantwortung im Unternehmen und selbstregulierende Tax Compliance, DStJG Band 38, 193 ff. (210). Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 85 AO Rz. 28; zur Bedeutung eines Tax Compliance Management Systems auf Seiten des Steuerpflichtigen im Rahmen des Risikomanagementsystems der Finanzverwaltung Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO § 88 AO Rz. 70 „Compliance Faktor“ m.w.N.; zum Cooperative Compliance Program Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, Vor § 193 AO Rz. 42. Zum Vertrauensvorschussprinzip, das auch und erst recht für auf Gesetz und Recht verpflichtete öffentliche Einrichtungen gelten muss Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO § 88 Rz. 73 f. Overkamp in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 16 Rz. 308. Schmitz/Möser in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 16 Rz. 387.

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Kap. 11 Rz. 11.85 | Besteuerung der Hochschulen

11.85

Auf die Hochschule übertragen bedeutet dies, dass diejenigen, bei denen die konkrete Möglichkeit besteht, dass sie mit ihrer Tätigkeit steuerrechtlich relevante Tatbestände erfüllen – das sind je nach innerer Organisation der Hochschule1 Dekaninnen und Dekane, Departmentsprecherinnen und -sprecher, Institutsleiterinnen und -leiter oder Lehrstuhlinhaberinnen und -inhaber, manchmal auch leitende wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter –

11.86

1. von der Hochschulleitung regelmäßig über die sich für sie daraus ergebenden Verpflichtungen unterrichtet werden müssen,

11.87

2. dass ihnen vermittelt werden muss, dass die Hochschulleitung der ordnungsgemäßen Erfüllung der steuerlichen Verpflichtungen große Bedeutung bemisst, und

11.88

3. dass die Erfüllung dieser Verpflichtungen in ihrem jeweiligen Verantwortungsbereich auch überwacht werden muss.2

11.89

Zu denken ist hier zu allererst an die Mitteilung für die Umsatzsteuer relevanter Leistungs- und Zahlungsströme (Umsätze wie Einkäufe), um die von der Hochschule zu erstellenden Umsatzsteuervoranmeldungen (§ 18 UStG) rechtzeitig und vollständig abgeben zu können, weil bereits die verspätete Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen oder die Abgabe unrichtiger Umsatzsteuervoranmeldungen eine Steuerstraftat oder -ordnungswidrigkeit darstellen kann3 („Steuerhinterziehung auf Zeit“4). Wichtig wegen der Umkehrung der Steuerschuldnerschaft sind auch in der Wissenschaft nicht seltene Geräteeinkäufe aus anderen Mitgliedstaaten der EU („innergemeinschaftlicher Erwerb“, §§ 1a, 3d Satz 1, 13a Abs. 1 Nr. 2 UStG – dazu unten Rz. 11.115) sowie die Verpflichtung zur Einbehaltung der „Bauherrensteuer“ des § 48 EStG, die ausdrücklich auch juristische Personen des öffentlichen Rechts betrifft – dazu unten Rz. 11.162.

11.90

Auf der anderen Seite spricht die Einrichtung eines dem Standard des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IdW)5 entsprechenden und „nachweisbar gelebten“6, eines „angemessenen und gelebten“7, eines „effektiven, tatsächlich gelebten“8 Tax Compliance Management Systems (TCMS) („gehörige Aufsicht“9), gegen Vorsatz der Leitungspersonen, wenn es zu Verstößen gegen steuerliche Pflichten kommen sollte.10 Entscheidend wichtig ist also für die Hochschul1 Overkamp in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 16 Rz. 309: „Für den Umfang des Compliance Managements sind insbesondere Art, Größe und Organisation des Unternehmens entscheidend.“ (dazu oben Rz. 11.30 ff.; 11.68 ff.). 2 Zu Aufbau und Inhalt eines Tax Compliance Management Systems ausführlich Seckelmann, Tax Compliance Management bei Wissenschaftseinrichtungen, OdW 2019, 237 ff.; zu effektiven Compliance-Strukturen HK-OWiG/Ziegler/Voelker, § 130 Rz. 32 ff.; zur ordnungsgemäßen Dokumentation Wegner in Rotsch, Criminal Compliance, 2015, 17 Rz. 61; unverständlich ist, weshalb angesichts der hier geschilderten Situation eine der Compliance in der Wissenschaft gewidmete Tagung den Aspekt der Tax Compliance völlig ausspart – so bei Hartmann (Hornbostel) DUZ 02/2020. 3 Beispiele bei Seer in Tipke/Lang, Steuerrecht24, Rz. 23.26 m.w.N. 4 Krumm in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 370 AO Rz. 89 mit weiteren Beispielen. 5 IdW, Entwurf eines IDW Praxishinweises 1/2016: Ausgestaltung und Prüfung eines Tax Compliance Management Systems gemäß IDW PS 980 (Stand: 22.6.2018). 6 Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, Vor § 193 AO Rz. 42. 7 Krumm in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 377 AO Rz. 18. 8 Krumm in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 378 AO Rz. 34a. 9 HK-OWiG/Ziegler/Voelker, § 130 Rz. 32. 10 Seer in Tipke/Lang, Steuerrecht24, Rz. 21.191 und 23.43 jeweils m.w.N.; Drüen in Tipke/Kruse, Kommentar zur AO und FGO, § 393 AO Rn. 54; Schmitz/Möser in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 16 Rn. 434.

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B. Hochschulrecht und Steuerrecht | Rz. 11.92 Kap. 11

leitung, ein Tax Compliance Management System nicht nur einzurichten, sondern in der täglichen Arbeit dafür zu sorgen, dass es auch mit Leben gefüllt wird. Auf die von der Leitung zu treffende (materielle) „Wertentscheidung zur Einhaltung der für das Unternehmen geltenden Vorschriften“ („Tax Compliance-Commitment“1) müssen nach einer auf der jeweiligen Situation aufbauenden Risikoanalyse die (formellen) organisatorischen Maßnahmen folgen, die sicherstellen, dass „auch in komplexen Strukturen und Situationen (wie sie große Hochschulen hinreichend zu bieten haben, d. Verf.) die ... gesetzlichen und selbst auferlegten Regelungen“ eingehalten werden.2 „Machen die Unternehmensführung und die verantwortlichen Mitarbeiter deutlich, dass für sie die ordnungsgemäße Erfüllung steuerlicher Pflichten prioritär ist, kann schlecht unterstellt werden, dass der Eintritt einer objektiv tatbestandsmäßigen Steuerhinterziehung billigend in Kauf genommen worden ist, ohne dass weitere Indizien hinzutreten.“3 Dieser Linie folgt auch die Finanzverwaltung.4 Gleiches kann auch für Transparenz der Steuerpflichtigen gegenüber den Finanzbehörden gelten.5 Seer sieht in einem eingerichteten Tax Compliance Management System auch einen Anlass zur Verringerung der Prüfungsintensität6 und empfiehlt die Testierung durch einen Wirtschaftsprüfer7.

11.91

Das Institut der Wirtschaftsprüfer (IdW) geht in seinem Entwurf eines Praxishinweises 1/2016 von sieben Grundelementen für ein Tax Compliance Management-System aus:

11.92

– Tax Compliance-Kultur, – Tax Compliance-Ziele, – Tax Compliance-Organisation, – Tax Compliance-Risiken, – Tax Compliance-Programm, – Tax Compliance-Kommunikation sowie – Tax Compliance-Überwachung und Verbesserung.8

1 Schmitz/Möser in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 16 Rz. 436. 2 Overkamp in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 16 Rz. 310. 3 Kaeser, Steuerstrafrechtliche Verantwortung im Unternehmen und selbstregulierende Tax Compliance, DStJG Band 38, 193 ff. (210). 4 AEAO Nr. 2.6 zu § 153 (BMF v. 23.5.2016 – IV A 3 - S 0324/15/10001, BStBl. I 2016, 490 (491)): „Hat der Steuerpflichtige ein innerbetriebliches Kontrollsystem eingerichtet, das der Erfüllung der steuerlichen Pflichten dient, kann dies ggf. ein Indiz darstellen, das gegen das Vorliegen eines Vorsatzes oder der Leichtfertigkeit sprechen kann, jedoch befreit dies nicht von einer Prüfung des jeweiligen Einzelfalls.“ (Hervorhebung d. Verf.). 5 Kaeser, Steuerstrafrechtliche Verantwortung im Unternehmen und selbstregulierende Tax Compliance, DStJG Band 38, 193 ff. plädiert für eine kooperative Herangehensweise im Umgang zwischen Finanzverwaltung und Steuerpflichtigem (211/215). 6 Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, Vor § 193 AO Rz. 19, Rz. 42 „zeitnah und begrenzt prüfen“ („Cooperative Compliance Program“), § 85 AO Rz. 29. 7 Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 153 AO Rz. 33; dazu auch Talaska in Streck/Mack/Schwedhelm, Tax Compliance, 3. Aufl. 2019, Rz. 1.26 („Angemessenheits- und Wirksamkeitstestierung“). 8 IdW, Entwurf eines IDW Praxishinweises 1/2016: Ausgestaltung und Prüfung eines Tax Compliance Management Systems gemäß IDW PS 980 (Stand: 22.6.2018); dazu auch Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 153 AO Rz. 33, und Liesenhoff/Jungen/Pottebaum, Steuern steuern, StuW 2021, 46 ff.

Schöck | 815

Kap. 11 Rz. 11.93 | Besteuerung der Hochschulen

11.93

Grüninger hat die Erfolgskriterien von Compliance-Maßnahmen treffend wie folgt zusammengefasst:

11.94

„Der Erfolg von Compliance-Maßnahmen im Unternehmen ist gemeinhin dann anzunehmen, wenn mit deren Implementierung und Umsetzung „systemisches Fehlverhalten“ ausgeschlossen („prevent“) werden kann und sichergestellt ist, dass individuelles bzw. transaktionsbezogenes Fehlverhalten in der Mehrheit der Fälle entdeckt wird („detect“). Außerdem müssen die richtigen Konsequenzen (Sanktionen, Geschäftsprozessänderungen, Anpassung von Kontrollen, Änderungen im Compliance-Management-System) aus entdecktem Fehlverhalten gezogen werden („respond“)1 (Hervorhebungen durch Verf.).

11.95

Overkamp nennt ein „internes Steuerungssystem“ und ein „internes Überwachungssystem“ als Teile des von der Unternehmensführung einzurichtenden „Internen Kontrollsystems (IKS)“2.

11.96

Die Mitglieder der Leitungsorgane müssen sich aber bewusst sein, dass „trotz Delegation der leitungsbezogenen Pflichten stets eine mit Bußgeld bewehrte Aufsichts- und Überwachungspflicht für die Unternehmensleitung bestehen“ bleibt3, „die steuerstrafrechtlich relevante Handlungspflicht kann nicht durch Vertrag delegiert werden“4, „Delegation entbindet nicht von Überwachung“5, delegiert werden kann nur „die Zuständigkeit für eine Tätigkeit, nicht aber die Verantwortung für Tätigkeiten der Unternehmensführung“ („Prinzip der Gesamtverantwortung“)6. Jede Form der Delegation der Tätigkeiten – sei es nach innen auf ein Mitglied der Leitung („horizontal“) oder eine Steuerabteilung („vertikal“), sei es nach außen auf einen steuerlichen Berater („extern“)7 – „setzt jedoch eine wirksame Organisation der Tax Compliance voraus.“8 Das bedeutet für die delegierende Leitungsperson „Auswahl-, Instruktions- und Überwachungspflichten“9, auf die Hochschule bezogen muss sich die Hochschulleitung Personen suchen, die nicht nur steuerrechtlich kundig sind, sondern auch die Komplexität des jeweiligen Hochschulbetriebs überschauen und bewältigen können.

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(50); zum zugrundeliegenden Prüfungsstandard IDW PS 980 Schmitz/Möser in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 16 Rz. 431, zur in die gleiche Richtung weisenden ISO 19600 (jetzt ISO 37301) Rz. 432. Grüninger, Compliance und Integrität als Führungsaufgabe und Kulturgestaltung in Rödl&Partner, Entrepreneur Oktober 2021, S. 40 mit Hinweis auf die Möglichkeit der Zertifizierung nach ISO 37301, ISO 37001 oder IDW PS 980. Overkamp in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 16 Rz. 313 ff.; zum Unterschied zwischen Tax Compliance Management System (TCMS) und Internem Kontrollsystem (IKS) („insb. ohne Leitbild und Kultur“) Talaska in Streck/Mack/Schwedhelm, Tax Compliance, 3. Aufl. 2019, Rz. 1.26. Bock, Compliance und Aufsichtspflichten im Unternehmen in Kuhlen/Kudlich/Ortiz de Urbina, Compliance und Strafrecht, 2013, 57 ff. (59). Krumm in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 370 AO Rz. 70. Krumm in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 377 AO Rz. 17. Schmitz/Möser in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 16 Rz. 407; missverständlich ist allerdings die Formulierung, dass „die Generalverantwortung für Tax Compliance zwingend auf Unternehmensleiterebene angesiedelt sein sollte“ (Hervorhebung d. Verf.): diese Verantwortung ist – wie oben ausgeführt – nicht disponibel und liegt bei der Leitung. Nomenklatur bei Schmitz/Möser in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 16 Rz. 405. Schmitz/Möser in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 16 Rz. 406. Schmitz/Möser in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 16 Rz. 408.

816 | Schöck

B. Hochschulrecht und Steuerrecht | Rz. 11.99 Kap. 11

Je nach hochschulrechtlicher Lage trifft Ministerium, Hochschulrat oder Stiftungsrat als zur „Überwachung der Geschäftsführung“ (§ 30 Abs. 1 Ziff. 5 OWiG) berufene Einrichtungen bzw. Organe1 (s.o. Rz. 11.39 f.) die Verpflichtung, darauf zu achten, dass entsprechende organisatorische Vorkehrungen getroffen werden (siehe auch §§ 111 Abs. 1, 116 Abs. 1, 93 Abs. 1 Satz 1 AktG)2. Da es sich bei der Einführung eines Tax Compliance Management Systems um die Erfüllung rechtlicher Verpflichtungen handelt, unterliegt sie der Rechtsaufsicht (s.o. Rz. 11.40).

11.97

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass – immer in Abhängigkeit von den Risikopotentialen, die gerade im Steuerrecht einer Beurteilung am jeweiligen Einzelfall bedürfen3 – für kleinere Hochschulen eine steuerkundige Person in der Zentralverwaltung genügen dürfte, während es sich für größere Hochschulen empfiehlt, je nach Größe der Einrichtung und Umfang der steuerrelevanten wirtschaftlichen Betätigungen für jede Fakultät oder jedes Department Personen zu bestimmen, die dann regelmäßig von der zentral verantwortlichen Stelle geschult werden. Es steht aber außer Frage, dass alle Leitungsverantwortlichen im Interesse der Organisation, aber auch zum eigenen Schutz gut beraten sind, sich des Themas intensiv anzunehmen.4

11.98

e) Konkurrentenklage Eine Steuervergünstigung, wie sie der öffentlichen Hand bei hoheitlicher Tätigkeit oder in den definierten Fällen der Gemeinnützigkeit gewährt wird (Nichtsteuerbarkeit für den Hoheitsbetrieb, Steuerbefreiung oder ermäßigter Steuersatz für bestimmte Aktivitäten) stellt eine Abweichung vom Prinzip der Allgemeinheit der Besteuerung und eine mögliche Benachteiligung desjenigen dar, der mit dem Begünstigten im wirtschaftlichen Wettbewerb steht, eine „rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehandlung“.5 Sie muss deshalb an den grundrechtlichen Positionen derjenigen gemessen werden, die durch die Begünstigung eines anderen benachteiligt werden können6 – in einem Rechtsstaat auch vor Gericht (Art. 19 Abs. 4 GG).7 1 Krumm in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 378 AO Rz. 34. 2 So zutreffend auch Overkamp in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 16 Rz. 322 für kommunale Unternehmen; eine entsprechende Regelung enthält der Deutscher Public Corporate Governance-Musterkodex, Expertenkommission D-PCGM (2021): Deutscher Public Corporate Governance-Musterkodex (D-PCGM), Papenfuß/Ahrend/Wagner-Krechlok, in der Fassung v. 15.1.2021, Rz. 38 Satz 1, Rz. 86; zum Aufsichtsrat Krumm in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 378 AO Rz. 34; zur bewussten Anlehnung des § 84 Abs. 2 HmbHG an § 111 AktG HmbHG/Schulz, § 84 Rz. 20. 3 Dazu mit Einzelbeispielen Krumm in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 377 AO Rz. 18; für kommunale Unternehmen Schmitz/Möser in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 16 Rz. 436; zu den Unterschieden im Bereich kleinerer und mittlerer Unternehmen (die auf die Größenverhältnisse von Hochschulen übertragbar sind) Talaska in Streck/Mack/Schwedhelm, Tax Compliance, 3. Aufl. 2019, Rz. 1.26. 4 Ein deutlicher Hinweis auf „Risiken und Nebenwirkungen“ speziell für den Bereich der Wissenschaft findet sich im „Editorial: Compliance“ 2.2020 der DUZ Wissenschaft & Management v. 6.3.2020. 5 Helm, Konkurrentenklagen im Steuerrecht – Prozessuale Instrumente des Wirtschaftsordnungsrechts, StuW 2021, 265 ff. (266). 6 Zu den Voraussetzungen der Überprüfung von Steuervergünstigungen am Gleichheitssatz BVerfG v. 17.12.2014 – 1 BvL 21/12 Rz. 97 ff. 7 Helm, Konkurrentenklagen im Steuerrecht – Prozessuale Instrumente des Wirtschaftsordnungsrechts, StuW 2021, 265.

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11.99

Kap. 11 Rz. 11.100 | Besteuerung der Hochschulen

11.100

Angesichts des verfassungsrechtlichen Gebotes der Gleichmäßigkeit der Besteuerung bedarf jede Steuerbefreiung einer sachlichen Begründung und einer der Wettbewerbssituation gerecht werdenden Umsetzung. Das gilt in ganz besonderem Maße, wenn der Staat als Wirtschaftssubjekt mit steuerpflichtigen Bürgern in Konkurrenz tritt.1 Deshalb kommt Vorschriften, die auf Wettbewerbsgleichheit abzielen, drittschützende Funktion zu. Das sind insbesondere auch die Regelungen des Umsatzsteuerrechts (§§ 2b, 12 UStG; Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL)2, des Körperschaftsteuerrechts (§ 4 KStG) und des Gewerbesteuerrechts (§ 3 Nr. 6 Satz 2 GewStG i.V.m. §§ 64 bis 68 AO;3 § 2 Abs. 2 Satz 1 GewStDV) für juristische Personen des öffentlichen Rechts. Sie können zur Grundlage einer Konkurrentenklage gemacht werden.4 Der Bundesfinanzhof vertritt im Anschluss an den EuGH5 in ständiger Rechtsprechung zur Vorbereitung einer Konkurrentenklage einen „verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruch“ der besagt, dass „das FA ... verpflichtet (sei), einem Steuerpflichtigen eine Auskunft über die Besteuerung eines Konkurrenten zu erteilen, wenn diese für ihn unerlässlich sei, wolle er sein vermeintliches Recht auf Schutz vor einer unzutreffenden Besteuerung der Umsätze des Konkurrenten unter zumutbaren Bedingungen effektiv wahrnehmen. Anderes gelte nur, wenn feststehe, dass das behauptete Recht dem Antragsteller unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zustehen könne, das von ihm angestrebte Konkurrentenschutzverfahren also von vornherein ohne Aussicht auf Erfolg sei. Das gelte unbeschadet des Steuergeheimnisses, weil die Auskunftserteilung in diesem Fall der Durchführung eines Verfahrens in Steuersachen diene (§ 30 Abs. 4 Nr. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a AO)“.6

11.101

Liegt tatsächlich eine wettbewerbsrelevante Benachteiligung vor, so kann der benachteiligte Wettbewerber im Wege der Feststellungsklage (§ 41 FGO) geltend machen, dass der Bevorzugte gleich zu besteuern ist oder – wenn ihm die Besteuerungsmerkmale des Konkurrenten genau bekannt sind – auch im Wege der Verpflichtungsklage (§ 40 FGO) den Anspruch auf gleiche Besteuerung verfolgen.7 Eine Gleichbehandlung im Unrecht gibt es aber auch an dieser Stelle nicht;8 es kann also kein Steuerpflichtiger verlangen, entgegen der Rechtslage geringer besteuert zu werden, weil das bei seinem Wettbewerber so erfolgt ist. Wenn die Konkurrentenklage im Hochschulbereich (noch) nicht an Bedeutung gewonnen hat, dann liegt das sicher nicht nur an der Scheu der Konkurrenten,9 sondern auch mit daran, dass Bildungsleistungen 1 Kritisch zur Zunahme der Bevorzugung der öffentlichen Hand („nicht mehr gerechtfertigtes Steuerprivileg“) Nöcker in Lenski/Steinberg, Kommentar zum Gewerbesteuergesetz, § 2 GewStG Rz. 1571. 2 Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, § 2 UStG Rz. 1171 lehnt für § 2 Abs. 3 UStG a.F. zurecht einen „drittschützenden Charakter“ ab und lässt ihn für Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL bewusst offen; Schüler-Täsch in Sölch/Ringleb, 92. EL Juni 2021, UStG § 12 Rz. 62 begründet die drittschützende Wirkung aus der Voraussetzung, dass für eine Steuervergünstigung kein Wettbewerb bestehen darf. 3 Sarrazin in Lenski/Steinberg, GewStG, § 3 Rz. 28. 4 Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, § 2b UStG Rz. 227, § 2 UStG Rz. 1169 mit deutlicher Kritik an der Einordnung von Tätigkeiten als „hoheitlich“ durch die Finanzverwaltung; Schüler-Täsch in Sölch/Ringleb, 92. EL Juni 2021, UStG § 12 Rz. 62; Heuermann in Sölch/Ringleb, 92. EL Juni 2021, UStG § 12 Rz. 642; Märtens in Gosch, KStG, 4. Aufl. 2020, § 4 Rz. 13; Sarrazin in Lenski/Steinberg, GewStG, § 3 Rz. 28. 5 EuGH v. 8.6.2006 – C-430/04 – Feuerbestattungsverein Halle e.V. 6 BFH v. 26.1.2012 – VII R 4/11, Rz. 13. 7 Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, § 2 UStG Rz. 1170, § 2b UStG Rz. 226; Treiber in Sölch/Ringleb, UStG, 92. EL Juni 2021, § 2 Rz. 418. 8 So auch Treiber in Sölch/Ringleb, UStG, 92. EL Juni 2021, § 2 Rz. 418. 9 Hidien in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 4 Rz. 1062: „Private Unternehmen scheuen bisher entsprechende Konkurrentenklagen“.

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auch privater Anbieter steuerbefreit sind (§ 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG i.V.m. § 52 Abs. 2 Nr. 1 und 7 AO). In einem Markt, der zunehmend auch von privaten Anbietern von Bildungs- und Forschungsleistungen besetzt wird, werden sich aber die Anlässe häufen, in denen wettbewerbsrelevante Besteuerungsunterschiede auftreten.1 Das wird dann auch Anlass für Konkurrentenklagen liefern. f) Steuerliche Prüfung Analysiert man die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes zu den Hochschulen betreffenden Fragen, so fällt auf, dass eine größere Zahl von Fällen – vorwiegend in den nordwestlichen Bundesländern – von einem Außenprüfungs- (§§ 193 ff. AO), Lohnsteuer-Außenprüfungs(§ 42 f EStG) oder Umsatzsteuersonderprüfungsverfahren (§§ 193, 194 Abs. 1 Satz 2 AO)2 ausgehen3. Misera datiert den Beginn dieser Umsatzsteuersonderprüfungen bei Hochschulen schon auf das Jahr 1986.4

11.102

Das bestätigt zum einen den Eindruck, dass die Prüfungsdichte bei den öffentlichen Hochschulen deutlich zugenommen hat (wie das für Nordrhein-Westfalen ja frühzeitig angekündigt wurde5), zum anderen aber auch, dass staatliche Hochschulen nicht anders behandelt werden als andere Steuerpflichtige, nämlich der gesetzlich vorgesehenen Prüfung ihrer steuerlichen Verhältnisse nach den Regeln der §§ 193 ff. AO, des § 42 f EStG oder des § 27b UStG unterzogen werden (und sich deshalb für die Zukunft darauf einrichten müssen). Auch nach § 48 Abs. 4 EStG i.V.m. § 50b EStG besteht ein besonderes Prüfungsrecht der Finanzbehörden, für das die Regelungen über die steuerliche Außenprüfung (§§ 193 ff. AO) entsprechend gelten (s.u. Rz. 11.162).

11.103

g) Haftungsfragen Ein im Hochschulbetrieb nicht selten auftretender Fall ist die Verpflichtung ausländischer Referentinnen oder Referenten bei wissenschaftlichen Kongressen oder von Künstlerinnen und Künstlern für Veranstaltungen. Dabei ist zu beachten, dass Vergütungen an beschränkt Steuerpflichtige nach §§ 49 Abs. 1 Nr. 3, 50 a Abs. 1 Satz 1 EStG dem Steuerabzug unterliegen, den der Schuldner der Vergütung – also die Hochschule als Vertragspartnerin – im Zeitpunkt des Zuflusses vorzunehmen hat. Nach § 50 a Abs. 5 Satz 4 EStG haftet der Schuldner der Vergütung für die Einbehaltung und Abführung der Steuer. Ebenso kann die Verletzung der Ver-

1 Zu entsprechenden Entwicklungen im Gesundheitsbereich Kohlhepp in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 24 Rz. 8. 2 Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, Vorbem. 6a Zu §§ 193–203 AO. 3 BFH v. 22.7.2008 – VI R 51/05, BFHE 222, 438, BStBl. II 2008, 981 Rz. 4; BFH v. 15.4.2010 – V R 10/09, Rz. 2; BFH v. 21.11.2013 – V R 11/11, Rz. 3; BFH v. 22.6.2016 – V R 49/15, Rz. 5; BFH v. 29.3.2017 – XI R 6/16, Rz. 6; BFH v 26.9.2019 – V R 16/18, Rz. 3, UR 2020, 31 ff.; BFH, EuGHVorl. v. 7.5.2020 – V R 40/19; die Verschärfung der Prüfungsaktivitäten für juristische Personen des öffentlichen Rechts sieht auch Overkamp in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 16 Rz. 384. 4 Misera, Drittmittelforschung: Chancen, Risiken und Praxisprobleme, Frankfurt am Main 2010 (zugleich Diss. Bonn 2010) S. 96. 5 Buchna, Besteuerung von Hochschulen aus der Sicht der Finanzverwaltung (Stand 3/2006) Vortrag gehalten bei der Veranstaltung „Steuerrechtliche Probleme an Hochschulen“ des Vereins zur Förderung des Deutschen und Internationalen Wissenschaftsrechts am 16.3.2006 (https://www.ver ein-wissenschaftsrecht.de/data/file/buchna.pdf) S. 38 f.

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11.104

Kap. 11 Rz. 11.104 | Besteuerung der Hochschulen

pflichtung zur Einbehaltung der Steuer bei Baumaßnahmen nach § 48 EStG gem. § 48a Abs. 3 Satz 1 EStG zur Haftung führen (s.u. Rz. 11.162).

2. Einzelsteuergesetze 11.105

Auch wenn man in den Betrieben gewerblicher Art die für die Hochschulen relevanten steuerlichen „Aufgriffseinheiten“ sehen will1, ergab sich bereits vor dem Inkrafttreten des § 2b UStG aus dem umsatzsteuerlichen Grundsatz der Unternehmenseinheit (§ 2 Abs. 1 Satz 2 UStG)2 und der inneren Organisation von Hochschulen, dass die Verantwortung der Hochschulleitung sich auf das umsatzsteuerliche Unternehmen und damit jedenfalls auf alle umsatzsteuerlich relevanten wirtschaftlichen Aktivitäten einer Hochschule bezieht, zu denen der Hoheitsbetrieb (unten Rz. 11.109 ff.), die einzelnen Betriebe gewerblicher Art (unten Rz. 11.122) und die Zweckbetriebe (unten Rz. 11.128 f.) gehören. a) Umsatzsteuer aa) Europarechtliche und nationale Grundlagen

11.106

Das europäische Mehrwertsteuersystem wirkt sich intensiv auf das deutsche Steuersystem und damit auch auf die Besteuerung der staatlichen Hochschulen aus.3 Nachdem die Bundesrepublik Deutschland zunächst versucht hatte, die Forschungstätigkeit staatlicher Hochschulen entgegen dem Gemeinschaftsrecht zu begünstigen, hat der EuGH diese Regelung für nicht mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar erklärt4. Daraufhin wurde das Umsatzsteuergesetz novelliert und der § 2 Abs. 3 UStG durch den neuen § 2b UStG ersetzt, der nach § 27 Abs. 22 Satz 3, Abs. 22a UStG spätestens ab 1.1.2023 für alle Körperschaften des öffentlichen Rechts gilt.

11.107

Die Umsatzbesteuerung der öffentlichen Hand in der ab 1.1.2023 allgemein verbindlichen und hier zugrunde gelegten Fassung beruht auf einer Regel- (besteuert wird jede unternehmerische Tätigkeit), Ausnahme- (soweit es sich nicht um eine hoheitliche Tätigkeit handelt) und Rückausnahme- (soweit die Nichtbesteuerung der hoheitlichen Tätigkeit nicht zu Wettbewerbsverzerrungen führt)konstruktion, die – sofern man überhaupt nach einer Systematik suchen will5 – nur schwer erklärbar ist. Diese Situation wird noch dadurch verkompliziert, dass das Umsatzsteuerrecht sowohl in der europäischen Mehrwertsteuersystemrichtlinie (MwStSystRL)6 als auch im nationalen Umsatzsteuergesetz kodifiziert ist, deren Verhältnis zueinander nicht völlig geklärt ist.7 Das Verhältnis der Normen ist aber für ihre Auslegung von Bedeutung: die Einschränkung einer generell geltenden Regel ist eng auszulegen, die Rückausnahme weit.8 1 2 3 4 5

So Strahl in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 18 passim. Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht24, Rz 17.52. Zur Entwicklung Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht24, Rz. 17.5 ff. EuGH v. 20.6.2002 – C-287/00; BFH v. 26.9.2019 – V R 16/18, Rz. 16. Mit sehr kritischem Ansatz Heckhausen, Die Umsatzbesteuerung der öffentlichen Hand, Berlin 2017, der allerdings den Aspekt der Steuerertragshoheit im föderalen Bundesstaat zu Unrecht völlig ausklammert; dazu Bundesrechnungshof, Unterrichtung durch den Präsidenten des BRH – Bericht nach § 99 BHO zur umsatzsteuerlichen Behandlung der öffentlichen Hand – Vorschläge für eine EG-konforme Besteuerung juristischer Personen des öffentlichen Rechts, BT-Drs. 15/4081 v. 2.11.2004, Tz. 1.4; Westendorf, Der Betrieb gewerblicher Art, 2019, S. 31 f. 6 RL 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem, ABl. EU 2006 Nr. L 347, 1. 7 Siehe Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht24, Rz. 4.30 ff. (4.33); Rz. 17.7 ff. 8 Wiesch, Die umsatzsteuerliche Behandlung der öffentlichen Hand, Diss., Köln 2016, S. 105.

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B. Hochschulrecht und Steuerrecht | Rz. 11.108 Kap. 11

bb) Persönliche Steuerpflicht Nach der nach dem 31.12.2022 für alle juristischen Personen des öffentlichen Rechts1 – und das sind alle staatlichen Hochschulen2 – geltenden Fassung des § 2b UStG bedarf es für die Begründung umsatzsteuerrechtlicher Pflichten einer juristischen Person des öffentlichen Rechts keines Betriebes gewerblicher Art (BgA) mehr.3 Es genügt entsprechend Art. 9 Abs. 1 MwStSystRL eine wirtschaftliche Tätigkeit, nach § 2 Abs. 1 Satz 1 UStG eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit, die selbstständig ausgeübt wird. Ausübender kann auch eine juristische Person sein. Die Tätigkeit muss auf eine nachhaltige Erzielung von Einnahmen, braucht aber nicht auf Gewinnerzielung ausgerichtet zu sein. Die Hochschulgesetze der Länder gestatten den Hochschulen wirtschaftliche Tätigkeiten oder nehmen sie sogar in den Aufgabenkatalog der Hochschulen auf, wobei häufig auch die Erhebung angemessener Entgelte gefordert wird.4 Auch die Einwerbung von Drittmitteln wird den Hochschulen zur Aufgabe gemacht. Bei diesen Tätigkeiten handelt es sich um nachhaltige Tätigkeiten zur Erzielung von Einnahmen. Damit betätigen sich die Hochschulen unternehmerisch im Sinne des Umsatzsteuerrechts und begründen – vorbehaltlich der Ausnahme des § 2b UStG (siehe unten Rz. 11.109 ff.) – ein die ganze Hochschule umfassendes Unternehmen (Grundsatz der Unternehmenseinheit – § 2 Abs. 1 Satz 2 UStG), dem dann alle wirtschaftlichen Tätigkeiten zuzurechnen sind. Auch Unternehmensgründungen und -beteiligungen durch Hochschulen werden zum Teil ausdrücklich zugelassen;5 ebenso die Unterstüt1 Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, § 2b UStG, Rz. 105 m.w.N. 2 Siehe oben Rz. 11.21; Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, § 2b UStG, Rz. 110; Treiber in Sölch/ Ringleb, UStG, 92. EL Juni 2021, § 2b Rz. 32. 3 BFH v. 26.9.2019 – V R 16/18, Rz. 22; zu den Konsequenzen für die Organisation Overkamp in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 16 Rz. 368. 4 Baden-Württemberg: § 2 Abs. 1 Satz 4, Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 und 2, Abs. 8; § 13 Abs. 1 Satz 2, Abs. 6 Satz 1; § 13 a Abs. 1; § 31 Abs. 5; § 33 Satz 2 Nr. 2; § 41 Abs. 1 Satz 1 BWHG; Bayern: Art. 2 Abs. 5; Art. 5 Abs. 1 Satz 2; Art. 8 Abs. 1 und Abs. 7; Art 71 Abs. 2 BayHSchG; Berlin: § 2 Abs. 9 Satz 1; § 4 Abs. 5 Satz 1, Abs. 8 Satz 1; § 38 a Satz 2; § 40 Abs. 1 Satz 1 BerlHG; Brandenburg: § 3 Abs. 1; § 36 BbgHG; Bremen: § 4 Abs. 4 Satz 1, Abs. 10 Satz 2, Abs. 12 Satz 2 und 3; § 74 Abs. 1 und 4; § 109 Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 BremHG; Hamburg: § 3 Abs. 12; § 6b Abs. 2 und 4, § 77 Abs. 1 und Abs. 6 Satz 1 HmbHG; Hessen: § 3 Abs. 3, § 8 Abs. 1 Satz 3 HessHG („Darüber hinaus sind die Hochschulen verpflichtet, soweit wie möglich weitere Mittel von Dritten einzuwerben.“ Hervorhebungen v. Verf.), § 82 Abs. 2 Nr. 1 HessHG; BeckOK HochschulR Hessen/Herbst, 20. Ed. 1.10.2021, HHG § 82 Rz. 9; Mecklenburg-Vorpommern: § 16 Abs. 4, § 32 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, § 47 Abs. 1 Satz1 MVLHG; Niedersachsen: § 22 Abs. 3 Satz 3 NHG: „Werden bei der Durchführung eines Vorhabens im Auftrag von Dritten Leistungen erbracht, die auch gewerblich angeboten werden, so müssen die Drittmittel für diese Leistungen entsprechend der im gewerblichen Bereich üblichen Entgelte bemessen sein.“ (Hervorh. d. Verf.); § 49 Abs. 2 Satz 3, § 57 Abs. 6 NHG; Nordrhein-Westfalen: § 3 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 NRWHG; Rheinland-Pfalz: § 2 Abs. 9, § 14 Abs. 1 Satz 1, Abs. 6 RhPfHSchG; § 14 Abs. 1 Satz 1, Abs. 6 DUVwG; Saarland: § 75 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 und 3, Abs. 6 SaarlHG; § 51 Abs. 1, 7 SaarlKhG; § 51 Abs. 1, 7 SaarlMhG; Sachsen: § 12 Abs. 3, 7 Satz 1, 8 Satz 3, § 46 Abs. 1 Satz 1 SächsHSFG; Sachsen-Anhalt: § 25 Abs. 1 Satz 1, Abs. 7, § 111 Abs. 2 ff., § 114 Abs. 6 SAHSG; Schleswig-Holstein: § 8 Abs. 1 Satz 2, § 37 Abs. 1, 6, § 41 SHHSG; § 2 Abs. 2 Nr. 1 StiftULG; § 4 Abs. 3 Nr. 6 StiftULG; Thüringen: § 14 Abs. 1 Satz 2 ThürHG. 5 Baden-Württemberg: §§ 13 a, 14 Abs. 3 Nr. 2 BWHG; dazu BeckOK HochschulR BW/Krausnick, 21. Ed. 1.3.2021, LHG § 13a; Bayern: Art. 73 Abs. 3 BayHSchG; Berlin: § 4 Abs. 13 Satz 1 BerlHG; Brandenburg: § 8 Abs. 2 Ziff. 7 StiftG-EUV; Bremen: § 4 Abs. 4 Satz 2; § 108 Abs. 3 Nr. 3 BremHG; Hamburg: § 3 Abs. 12 HmbHG; Hessen: § 3 Abs. 9 Satz 1, § 82 Abs. 2 Nr. 3 HessHG; BeckOK HochschulR Hessen/Herbst, 20. Ed. 1.10.2021, HHG § 82 Rn. 11; Mecklenburg-Vorpommern: § 3 Abs. 10 Satz 1; § 32 Abs. 3 Satz 1; § 105 Abs. 4 Satz 1 MVLHG; Niedersachsen: § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, § 50 Abs. 4 Satz 1, § 55 Abs. 6 Satz 3 NHG; Nordrhein-Westfalen: § 5 Abs. 7

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11.108

Kap. 11 Rz. 11.108 | Besteuerung der Hochschulen

zung von Unternehmensgründungen durch „Mitglieder und Absolventinnen und Absolventen“.1 cc) Ausnahme: Hoheitliche Tätigkeit (§ 2b Abs. 1 Satz 1 UStG)

11.109

Nach § 2b Abs. 1 Satz 1 UStG gelten juristische Personen des öffentlichen Rechts, also auch alle staatlichen Hochschulen, trotz Vorliegens der Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Satz 1 UStG nicht als Unternehmer im Sinne des § 2, „soweit sie Tätigkeiten ausüben, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen, auch wenn sie im Zusammenhang mit diesen Tätigkeiten ... Gebühren ... oder sonstige Abgaben erheben.“

11.110

Dass Bildung und Wissenschaft (Forschung und Lehre) hoheitliche Aufgaben seien, wird weithin unhinterfragt übernommen. Wenn man sich die historischen Wurzeln der modernen Universität und die heutige Entwicklung vergegenwärtigt, ist diese Einschätzung aber nicht mehr zwingend: In einem damals kleinstaatlich organisierten Deutschland war die Deckung des staatlichen Personalbedarfs durch die Ausbildung der Beamten und Pfarrer (Frauen sind in dieser Zeit nicht vorgekommen) oft der wesentliche Grund für die Errichtung und Unterhaltung einer Universität. Demgemäß waren die Professoren dem Landesherrn verpflichtete Beamte. Heute ist die Beschäftigung im Professorenamt auch im Angestelltenverhältnis möglich. Und über die staatliche Anerkennung privater Hochschulen2 bringt der Staat selbst zum Ausdruck, dass die Leistungen der Hochschulen nicht zwingend vom Staat hoheitlich erbracht werden müssen, sondern dass staatliche Kontrolle genügt. Es wird aufmerksam zu beobachten sein, welchen Einfluss das auf ein Höchstmaß an Wettbewerbsneutralität ausgerichtete Recht der Europäischen Union auf die Beurteilung dieser Frage künftig nehmen wird.

11.111

Mit dem Hinweis auf die Nützlichkeit für Zwecke der Allgemeinheit wird die Forschung an Hochschulen traditionell als öffentlich-rechtliche Aufgabe betrachtet. Nach der dem EuGH folgenden Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs sind „unter Ausübung öffentlicher Gewalt ... Tätigkeiten zu verstehen, die der juristischen Person des öffentlichen Rechts eigentümlich und vorbehalten sind. Kennzeichnend dafür ist die Erfüllung spezifisch öffentlich-rechtlicher Aufgaben, die aus der Staatsgewalt abgeleitet sind, staatlichen Zwecken dienen und zu deren Annahme der Leistungsempfänger aufgrund gesetzlicher oder behördlicher Anordnung verpflichtet ist (Senatsurteil vom 12.7.2012 – I R 106/10, BFHE 238, 98, BStBl II 2012, 837)“3. Diese Formel wird – nicht zu Unrecht – kritisch betrachtet4.

11.112

Sucht man nach einer sprachlichen Klärung, dann erschließt sich der Begriff „eigentümlich“ noch unmittelbar; man könnte modern vom „Kerngeschäft“ sprechen; dieses ist aber auch den staatlich anerkannten privaten Hochschulen nach den Bedingungen eigentümlich, die der

1 2 3 4

NRWHG; BeckOK HochschulR NRW/Hannecke-Schmid/Möller, 20. Ed. 1.6.2021, HG § 5 Rn. 38 – 43; § 77 a Abs. 1 Satz 1 NRWHG; BeckOK HochschulR NRW/Noack, 20. Ed. 1.6.2020, HG § 77a Rn. 4; Rheinland-Pfalz: § 2 Abs. 9, § 102 Abs. 5 („eigene Betriebe“), § 103 Abs. 4 RhPfHSchG; Saarland: § 3 Abs. 10 SaarlHSG; § 1 Abs. 6 SaarlKhG; § 1 Abs. 7 SaarlMhG; Sachsen: § 6 Abs. 3 Satz 1 SächsHSFG; Sachsen-Anhalt: § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 7 SAHSG; SchleswigHolstein: § 3 Abs. 2 Satz 2, § 83 Abs. 12 Satz 1 SHHSG; § 2 Abs. 2 Nr. 2 StiftULG; Thüringen: § 17 ThürHG. Mecklenburg-Vorpommern: § 3 Abs. 9 Satz 3 MVLHG. Dazu oben Rz. 11.13, Rz. 11.19. BFH v. 16.12.2020 – I R 50/17, Rz. 27; ähnlich H 4.4 Hoheitsbetrieb KStH 2015. Märtens in Gosch, KStG, 4. Aufl. 2020, § 4 Rz. 108 m.w.N.; Wagner, Umsatzsteuer und öffentliche Hand, DStJG 13, 74 f.

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B. Hochschulrecht und Steuerrecht | Rz. 11.114 Kap. 11

Anerkennung zugrundgelegt werden. Zum selben Ergebnis gelangt man, wenn man mit dem Bundesfinanzhof „eigentümlich“ als außerhalb eines möglichen Wettbewerbsverhältnisses interpretiert.1 Zum weniger offenkundigen Begriff „vorbehalten“ findet man im Deutschen Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm den Hinweis auf „die ausschlieszung anderer zu gunsten des einen“2. Wendet man dies auf die Hochschulen an, muss man feststellen, dass angesichts der zunehmenden Zahl von privaten Hochschulen, die auch noch vom Staat anerkannt werden (siehe oben Rz. 11.19) dieser Ausschluss Anderer nicht mehr der aktuellen Situation entspricht und damit Forschung und Lehre künftig wohl kaum noch als den staatlichen Hochschulen eigentümliche und vorbehaltene hoheitliche Tätigkeit betrachtet werden können.3

11.113

dd) Einschränkung: Größere Wettbewerbsverzerrungen (§ 2b Abs. 1 Satz 2 UStG) Es führt zu keinem anderen Ergebnis, wenn man auf den Aspekt „größerer Wettbewerbsverzerrungen“ nach § 2b Abs. 1 Satz 2 UStG und – inhaltsgleich – Art. 13 Abs. 1 S. 2 MwStSystRL abstellt4. Die Behandlung als Nichtunternehmer erfolgt trotz Vorliegens der Voraussetzungen des § 2b Abs. 1 Satz 1 UStG nicht, wenn – mit Stadie richtigerweise „soweit“5 – diese Behandlung zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde. Während der BFH im Jahr 1971 noch einer gemeindlichen Musikschule wegen „Ausübung öffentlicher Gewalt“ hoheitliches Tätigwerden zuerkannt hat6, hat sich die Situation in den letzten Jahrzehnten unter dem Einfluss der Europäischen Union und des Europäischen Gerichtshofs mit ihrem Grundsatz strikter Wettbewerbsneutralität („unionsrechtlicher Neutralitätsgrundsatz“)7 völlig gewandelt. Mit Urteil vom 12.7.20128 hat der Bundesfinanzhof entschieden, dass es sich bei einem kommunalen Kindergarten trotz Vorliegens eines öffentlich-rechtlichen Auftrags zur Sicherstellung der Versorgung mit Kindergartenplätzen nicht um einen Hoheitsbetrieb, sondern um einen (möglicherweise steuerbefreiten) Betrieb gewerblicher Art handelt. Der Bundesfinanzhof hat in seiner Begründung unter Verweis auf seine ständige Rechtsprechung und zahlreiche Beispielsfälle ausgeführt: „Eine Ausübung öffentlicher Gewalt ist allerdings insoweit ausgeschlossen, als sich die Körperschaft durch ihre Einrichtungen in den allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr einschaltet und eine Tätigkeit ausübt, die sich ihrem Inhalt nach von der Tätigkeit eines privaten gewerblichen Unternehmens nicht wesentlich unterscheidet. Dann bewegt sich auch die juristische Person des öffentlichen Rechts in Bereichen der unternehmerischen Berufs1 BFH v. 12.7.2012 – I R 106/10 Rz. 11. 2 Grimm, Deutsches Wörterbuch, 1984, Bd. 26 (Zwölfter Band II. Abteilung), Spalte 865. 3 BFH v. 3.4.2012 – I R 22/11, Rz. 13: „Die Frage, ob eine wirtschaftliche Tätigkeit als BgA oder als hoheitliche Tätigkeit zu werten ist, hängt aber nicht davon ab, ob sich die juristische Person des öffentlichen Rechts bei ihrem Handeln des Privatrechts oder des öffentlichen Rechts bedient (z.B. Senatsurteil in BFHE 181, 322, BStBl II 1997, 139, m.w.N.). Maßgeblich ist vielmehr allein, ob sie eine wirtschaftliche Leistung erbringt, die in gleicher Weise auch von privaten Anbietern erbracht wird oder werden könnte.“; für die Verleihung staatlicher Hochschulgrade a.A. Musil, Umsatzsteuerprobleme der öffentlichen Hand im Bereich der Daseinsvorsorge, UR 2015, 533 (537), der aber damit die Konsequenzen der staatlichen Anerkennung von Hochschulen zu gering einschätzt (siehe oben Rz. 11.19). 4 Zur Berücksichtigung sich ändernder (Wettbewerbs-)Verhältnisse in anderen Bereichen Märtens in Gosch, KStG, § 4 Rz. 114 m.w.N. 5 Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, § 2b Rz. 196. 6 BFH v. 6.5.1971 – V R 141/68, V R 158/69, V B 117/69, BStBl. II 1971, 645. 7 BFH v. 24.6.2020 – V R 47/19 Rz. 13 m.w.N. 8 BFH v. 12.7.2012 – I R 106/10, BFHE 238, 98, BStBl. II 2012, 837.

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11.114

Kap. 11 Rz. 11.114 | Besteuerung der Hochschulen

und Gewerbeausübung, in denen private Unternehmen durch den -tatsächlichen oder auch nur potentiellen- Wettbewerb mit (grundsätzlich nicht steuerpflichtigen) Körperschaften des öffentlichen Rechts ihrerseits nicht benachteiligt werden dürfen...“.1 Er verweist darauf, dass „deren Unterhalten ... im Wettbewerb mit freigemeinnützigen und privatgewerblichen Anbietern gleichartiger Leistungen nicht juristischen Personen des öffentlichen Rechts als Trägern öffentlicher Gewalt eigentümlich und vorbehalten“2 ist, obwohl es einen „sozialgesetzlichen Auftrag“ für diese „öffentliche Aufgabe der Daseinsvorsorge“3 gibt, benennt verschiedene vergleichbare Entwicklungen, bei denen trotz öffentlich-rechtlicher Regelungen Wettbewerbssituationen entstanden sind, die eine andere steuerrechtliche Beurteilung erforderlich machen und zieht die Schlussfolgerung: „Aus steuerlicher Sicht kann es deswegen keinen Unterschied machen, ob eine (auch öffentliche) Aufgabe in Gestalt eines Eigen- oder Regiebetriebs, eines BgA oder in einer privatrechtlichen Struktur wahrgenommen wird. Hier wie dort kommt es allein darauf an, ob die Aufgabenerfüllung einem öffentlichen Leistungserbringer eigentümlich ist, oder ob die Leistungen auch in einem wirtschaftlichen „Wettbewerb“ erbracht werden können und werden.“4 Auch die bewusste „Einbeziehung privater Betreiber“5 lässt sich mit der in den Hochschulgesetzen vorgesehenen staatlichen Anerkennung von Hochschulen6 vergleichen, zumal in den Landesgesetzen zur Voraussetzung gemacht wird, dass die nichtstaatlichen Hochschulen in ihrer Aufgabenstellung den staatlichen Hochschulen entsprechen7. Man wir deshalb kaum davon ausgehen können, dass die finanzgerichtliche Rechtsprechung künftig generell von einem hoheitlichen Tätigwerden der staatlichen Hochschulen ausgehen wird. ee) Innergemeinschaftlicher Erwerb (§§ 1 Abs. 1 Nr. 5, 1a UStG)

11.115

Die Internationalität des Wissenschaftsbetriebs hat zur Folge, dass auch die zur Forschung benötigten Gerätschaften (Messgeräte, Laser, spezielle Rechner etc.) weltweit hergestellt werden. Angesichts der hohen Spezialisierung ist es nicht selten, dass die Geräte dann direkt vom Hersteller erworben und an die Hochschule geliefert werden. Sofern dies aus dem Nicht-EU-Ausland (Drittland) erfolgt, ist dafür das Zollgesetz maßgeblich. Sofern – es sich um Lieferungen aus dem „Gebiet eines Mitgliedstaates in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaates“ (§ 1 a Abs. 1 Nr. 1 UStG) handelt, – der Erwerber eine juristische Person8 ist, die nicht Unternehmer ist oder die den Gegenstand nicht für ihr Unternehmen erwirbt (§ 1a Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b UStG) und – die Lieferung an den Erwerber durch einen Unternehmer, der nicht als Kleinunternehmer steuerbefreit ist, gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausgeführt wird (§ 1a Abs. 1 Nr. 3 UStG),

1 2 3 4 5 6 7

BFH v. 12.7.2012 – I R 106/10 Rz. 9 m.w.N. BFH v. 12.7.2012 – I R 106/10 Rz. 10. BFH v. 12.7.2012 – I R 106/10 Rz. 11. BFH v. 12.7.2012 – I R 106/10 Rz. 11. BFH v. 12.7.2012 – I R 106/10 Rz. 12. Siehe oben Rz. 11.19. So schon Lynen in HSchR-Praxishandbuch, 3. Aufl. 2017, S. 112 f.; s.a. Lorenz, Privathochschulen in HdbWissR, 1996, S. 1157 ff. (1170 f.). 8 Siehe oben Rz. 11.21; Körner in Wäger, UStG, 2020 § 1a Rz. 75 („die staatlichen Hochschulen, ... Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts, ... Universitätsklinika in der Rechtsform von Anstalten des öffentlichen Rechts“).

824 | Schöck

B. Hochschulrecht und Steuerrecht | Rz. 11.119 Kap. 11

liegt ein innergemeinschaftlicher Erwerb vor, der nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 UStG1 der Umsatzsteuer unterliegt. Ausgeschlossen ist der innergemeinschaftliche Erwerb nach § 1a Abs. 3 Nr. 1 Buchst. d UStG dann,

11.116

– wenn es sich beim Erwerber um „eine juristische Person“ handelt, „die nicht Unternehmer ist oder die den Gegenstand nicht für ihr Unternehmen erwirbt,“ und – die Entgelte für alle innergemeinschaftlichen Erwerbe die „Erwerbsschwelle“ von 12.500 € im vorangegangenen Kalenderjahr nicht überstiegen haben und im laufenden Kalenderjahr voraussichtlich nicht übersteigen werden (§ 1a Abs. 3 Nr. 2 UStG). Nach Abschn. 1a.1 Abs. 2 Satz 5 UStAE ist es unschädlich, wenn die Erwerbsschwelle trotz einer anderen Erwartung überschritten wird. Angesichts der Preise wissenschaftlicher Geräte dürfte es jedenfalls an größeren Hochschulen mit technischen, naturwissenschaftlichen und medizinischen Fächern eher unwahrscheinlich sein, dass es Jahre gibt, in denen die Erwerbsschwelle unterschritten wird. Das hat zur Folge, dass – abweichend von der üblichen Regelung im Umsatzsteuerrecht – nach § 13a Abs. 1 Nr. 2 UStG der Erwerber, also die Hochschule, zum Steuerschuldner wird. Die Steuer entsteht nach § 13 Abs. 1 Nr. 6 UStG bereits mit „mit Ausstellung der Rechnung, spätestens jedoch mit Ablauf des dem Erwerb folgenden Kalendermonats“ kraft Gesetzes beim Leistungsempfänger2 – eine Regelung, die deshalb fragwürdig ist, weil der Erwerber auf das Ausstellen der Rechnung beim Lieferanten weder Einfluss noch davon Kenntnis haben dürfte.3

11.117

Soweit Hochschulen als staatliche Einrichtungen tätig werden und für das jeweilige Land handeln, können sie nach Abschn. 1a.1 Abs. 3 UStAE als „einzelne Organisationseinheiten (z.B. Ressorts, Behörden, Ämter)“ als Steuerpflichtige für innergemeinschaftliche Erwerbe behandelt werden. Die Erwerbsschwelle gilt dann als überschritten, d.h. dass jeder Erwerb zu versteuern ist. Bemessungsgrundlage ist nach § 10 Abs. 1 Satz 1 UStG das Entgelt, also nach § 10 Abs. 1 Satz 2 UStG der Wert der Gegenleistung abzüglich der Umsatzsteuer.4

11.118

ff) Spezialfall „Gemeinsame Berufungen“ Ausgelöst durch einen Schriftwechsel zwischen der Kultusministerkonferenz (KMK) und dem Bundesministerium der Finanzen (BMF) ist die steuerrechtliche Beurteilung der Zusammenarbeit von Hochschulen untereinandere und mit außeruniversitären Forschungseinrichtungen (s.o. Rz. 11.47 ff.) vor allem in Form der „Gemeinsamen Berufungen“ in die Diskussion geraten.5 Die Finanzverwaltung verweist dazu darauf, dass die Begrenzung der Unternehmer1 Zur missglückten Formulierung der Vorschrift zurecht kritisch Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, § 1a Rz. 3. 2 Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, § 1a UStG Rz. 10. 3 Ebenso Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, § 1a UStG Rz. 7, der das gesamte Verfahren kritisch beurteilt, Rz. 11. 4 Einzelheiten dazu bei Wäger in Wäger, UStG, 2020, § 10 UStG Rz. 33 ff. 5 LSt Niedersachsen, Vfg. v. 27.1.2021 – S 7106 - 341 – St 171, UR 2021, 327; Kronthaler/Kronthaler/Ruffert, Umsatzbesteuerung der öffentlich finanzierten Wissenschaft – Ein Irrweg – Rückbesinnung auf die Zusammenarbeit öffentlich finanzierter Forschungseinrichtungen als nichtwirtschaftliche Tätigkeit, UR 2021, 609 ff.; Kronthaler/Kronthaler/Küffner, Die Umsatzsteuer in der öffentlich finanzierten Wissenschaft – Hier: gemeinsame Berufungen von Spitzenwissenschaftler*innen an Universitäten und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, UR 2021, 613 ff.

Schöck | 825

11.119

Kap. 11 Rz. 11.119 | Besteuerung der Hochschulen

eigenschaft der Hochschulen nach § 2b UStG nur dann erfolgen kann, „wenn die Zusammenarbeit auf öffentlich-rechtlicher Grundlage erfolgt und (Hervorh. d. Verf.) die Nichtbesteuerung der erbrachten Leistungen keine größeren Wettbewerbsverzerrungen auslösen würde.“1

11.120

Folgt man Schön in der Überlegung, „dass jede gemeinsame Zweckverfolgung die Beteiligten zur Personengesellschaft verbindet“2, so lässt sich feststellen, dass die gemeinsame Berufung von Wissenschaftlerinnen oder Wissenschaftlern, die zum gemeinsamen Nutzen der beiden beteiligten Einrichtungen (Hochschule und außeruniversitäre Forschungseinrichtung) Leistungen in Forschung und Lehre erbringen sollen, eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts entstehen lässt, für die – soweit Zahlungen fließen (siehe dazu oben Rz. 11.50 ff.) – beide Gesellschafter – Hochschule einerseits, außeruniversitäre Forschungseinrichtung andererseits – Beiträge zur Herstellung des gemeinsamen Produkts Forschungsergebnisse leisten. gg) Spezialfall „Haustrunk“

11.121

Der „Haustrunk“ (siehe dazu unten Rz. 11.185) wird nach § 3 Abs. 1 b Satz 1 Nr. 2 UStG wie eine Lieferung gegen Entgelt behandelt, die nach § 10 Abs. 4 Nr. 1 UStG mit dem Einkaufspreis zuzüglich der Nebenkosten oder hilfsweise mit den Selbstkosten zu bewerten ist.3 b) Körperschaftsteuer aa) Persönliche Steuerpflicht (1) Betrieb gewerblicher Art (BgA)

11.122

Der Körperschaftsteuer unterliegen nach § 1 Abs. 1 Nr. 6 KStG Betriebe gewerblicher Art von juristischen Personen des öffentlichen Rechts. Nach § 4 Abs. 1 KStG sind Betriebe gewerblicher Art von juristischen Personen des öffentlichen Rechts im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 6 KStG – alle Einrichtungen, die einer – nachhaltigen wirtschaftlichen Tätigkeit – zur Erzielung von Einnahmen – außerhalb der Land- und Forstwirtschaft dienen und – die sich innerhalb der Gesamtbetätigung der juristischen Person wirtschaftlich herausheben.

11.123

Bei staatlichen Hochschulen handelt es sich – wie oben erläutert – ausnahmslos um juristische Personen des öffentlichen Rechts.4 Sie sind als Trägerkörperschaft mit ihren BgA unbeschränkt steuerpflichtig und mit jedem BgA Steuersubjekt der Körperschaftsteuer;5 die BgA sind selbst weder steuerpflichtig6 noch steuerlich handlungsfähig.7 Daneben kann eine juristi1 LSt Niedersachsen, Vfg. v. 27.1.2021 – S 7106 - 341 – St 171, UR 2021, 327. 2 Schön, Personengesellschaften und Bruchteilsgemeinschaften im Umsatzsteuerrecht, DStJG Band 13 (1990), S. 81 ff. (90); ebenso Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht24, Rz. 17.35. 3 Zur Wertermittlung Stapperfend in Rau/Dürrwächter, UStG, § 10 Rz. 529; zur Pauschalierung BayLfSt v. 15.9.2021 – S 7206.2.1 – 7/13 St 33. 4 Siehe oben Rz. 11.21. 5 H 4.1 KStH 2016. 6 Klein in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, 296. Lfg. 2.2020, § 1 KStG Rz. 65. 7 BFH v. 26.9.2019.

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B. Hochschulrecht und Steuerrecht | Rz. 11.128 Kap. 11

sche Person des öffentlichen Rechts nach § 2 Nr. 2 KStG außerhalb ihrer Betriebe gewerblicher Art mit Einkünften steuerpflichtig sein, die dem Steuerabzug unterliegen.1 Dazu gehören auch Einkünfte im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 10 EStG (Vermögensübertragungen – auch fiktive – vom BgA auf die jPdöR).2 Sie unterliegen nach § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7c i.V.m. § 43a Abs. 1 Nr. 2 EStG einer endgültigen Kapitalertragsteuer in Höhe von 15 %.3 Einrichtung i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 6 KStG ist jeder abgrenzbare Tätigkeitsbereich, sei es durch Leitung, gesonderte Buchführung oder besondere Erfassung im Haushaltsplan. Eine organisatorische Verselbständigung ist nicht erforderlich, aber hinreichend.4 Entscheidend sind die klare Abgrenzbarkeit vom hoheitlichen Bereich der jPdöR und die Wettbewerbsrelevanz.5 Für Hochschulen bedeutet das, dass sich in der Regel bereits eine Professur oder ein Lehrstuhl, jedenfalls aber ein Department als Einrichtung in diesem Sinne darstellen können.

11.124

Eine nachhaltige wirtschaftliche Tätigkeit liegt nach den Grundsätzen der auch hier geltenden §§ 15 Abs. 2 EStG, 14 AO und 2 GewStG vor, wenn mit Wiederholungsabsicht wettbewerbsrelevante Tätigkeiten ausgeübt werden, die auf die Erzielung von Einnahmen gerichtet sind.6 Die Absicht, Gewinn zu erzielen, ist nach § 4 Abs. 1 Satz 2 KStG ebenso wenig erforderlich wie die Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr.

11.125

Die Beurteilung dessen, was wirtschaftlich herausgehoben ist, ist in der Literatur umstritten.7 Die Rechtsprechung hat keine eindeutigen Betragsgrenzen festgelegt; die Finanzverwaltung sieht aber einen Jahresumsatz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG von nachhaltig mehr als 35.000 € als ein starkes Indiz für eine Tätigkeit von einigem wirtschaftlichem Gewicht an (R 4.1 Abs. 5 KStH 2016). Im Hinblick auf die Zweckbestimmung der Vorschrift wird auf die Wettbewerbsrelevanz der Tätigkeit abzustellen sein.

11.126

Nicht zu den Betrieben gewerblicher Art gehören nach § 4 Abs. 5 Satz 1 KStG die Hoheitsbetriebe; da sich die Unterschiede zwischen körperschaftsteuerlicher und umsatzsteuerlicher Betrachtung8 nicht auf hochschulrelevante Sachverhalte beziehen, kann für die körperschaftsteuerliche Betrachtung auf die Überlegungen zur hoheitlichen Tätigkeit bei der Umsatzsteuer (Rz. 11.109 ff.) verwiesen werden.

11.127

(2) Zweckbetrieb (§ 65 AO) Die steuerliche Einordnung als Zweckbetrieb im Sinne des § 65 AO setzt kumulativ voraus, dass – ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb besteht, der – in seiner Gesamtrichtung dazu dient, die steuerbegünstigten satzungsgemäßen Zwecke der Körperschaft zu verwirklichen (§ 65 Nr. 1 AO),

1 2 3 4 5

Witt in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, 299. Lfg. 9.2020, § 2 KStG Rz. 101. Bürstinghaus in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, 298. Lfg. 6.2020 § 4 KStG Rn. 10. Bürstinghaus in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, 298. Lfg. 6.2020 § 4 KStG Rn. 12. Paetsch in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, § 4 Rz. 17. Bürstinghaus in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, 298. Lfg. 6.2020 § 4 KStG Rn. 12; Paetsch in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, § 4 Rz. 18. 6 Paetsch in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, § 4 Rz. 20. 7 Bürstinghaus in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, 298. Lfg. 6.2020 § 4 KStG Rz. 27. 8 Bürstinghaus in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, 298. Lfg. 6.2020 § 4 KStG Rz. 13.

Schöck | 827

11.128

Kap. 11 Rz. 11.128 | Besteuerung der Hochschulen

– die Zwecke nur durch einen solchen Geschäftsbetrieb erreicht werden können (§ 65 Nr. 2 AO) und – der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb zu steuerpflichtigen Betrieben derselben oder ähnlicher Art nicht in größerem Umfang in Wettbewerb tritt, als es bei der Erfüllung der steuerbegünstigten Zwecke unvermeidbar ist (§ 65 Nr. 3 AO).1

11.129

Danach gilt die Steuerermäßigung „für Leistungen, die im Rahmen eines Zweckbetriebs ausgeführt werden (...), nur, wenn der Zweckbetrieb nicht in erster Linie der Erzielung zusätzlicher Einnahmen durch die Ausführung von Umsätzen dient, die in unmittelbarem Wettbewerb mit dem allgemeinen Steuersatz unterliegenden Leistungen anderer Unternehmer ausgeführt werden, oder wenn die Körperschaft mit diesen Leistungen ihrer in den §§ 66 bis 68 der Abgabenordnung bezeichneten Zweckbetriebe ihre steuerbegünstigten satzungsgemäßen Zwecke selbst verwirklicht“. Zusätzliche Einnahmen in diesem Sinne liegen bereits dann vor, wenn die Körperschaft diese im Zusammenhang mit Leistungen erzielt, die für die Verwirklichung ihres steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zwecks nicht unerlässlich sind (Senatsurteil vom 8.3.2012 – V R 14/11, BFHE 237, 279, BStBl II 2012, 630).2 (3) Beispielsfälle zur Einordnung wirtschaftlicher Tätigkeiten von Hochschulen

11.130

Versucht man die wirtschaftliche Tätigkeit von Hochschulen auch mit Blick auf die den Hochschulen in den Hochschulgesetzen zugewiesenen Aufgaben nach Tätigkeitsfeldern zu ordnen, dann lassen sich in etwa folgende Bereiche feststellen:3 (a) Forschung

11.131

Finanziert wird die Forschungstätigkeit der Hochschulen zunächst aus den Mitteln der vom Staat im Rahmen seiner grundgesetzlichen Verpflichtung4 bereitgestellten Grundfinanzierung. Insoweit liegen keine steuerlich relevanten Tatbestände vor; es ist bei der Verwendung der staatlichen Mittel lediglich auf das Beihilfeverbot des Art. 107 AEUV zu achten, wenn die staatlichen Mittel für Zwecke eingesetzt werden, die zu einer Marktteilnahme führen. Soweit es sich um staatlich finanzierte Eigen- oder Grundlagenforschung5 handelt, liegt keine wirtschaftliche Betätigung vor – die Forschung wird nicht betrieben, um die staatliche Finanzierung zu erhalten; die Hochschule erhält keine Staatsmittel, weil sie Forschung betreibt, sondern damit sie ihren gesetzlichen Auftrag erfüllen kann. Insoweit kann es dahinstehen, ob es sich bei der Forschung um hoheitliches Tätigwerden handelt; es liegt kein Gewerbebetrieb oder wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb vor.

11.132

Anders verhält es sich, wenn die Forschung von einem Auftraggeber finanziert wird – die sogenannte Auftragsforschung oder Drittmittelforschung. Dabei sind verschiedene Fallkonstellationen denkbar: 1 BFH v. 26.1.2012 – VII R 4/11; v. 17.2.2010 – I R 2/08; FG Düsseldorf v. 3.9.2019 – 6 K 3315/17 K, G, EFG 2020, 65. 2 BFH v. 24.6.2020 – V R 47/19 (V R 33/17) Rz. 15 f. 3 Siehe ABC wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb bei von Maydell in NK-GemnR, 2. Aufl., § 64 AO, Rz. 84; Wallenhorst in Wallenhorst/Halaczinsky, Die Besteuerung gemeinnütziger und öffentlichrechtlicher Körperschaften, Kap. G Rz. 134; ABC der Betriebe gewerblicher Art bei Märtens in Gosch, KStG, 4. Aufl. 2020, KStG § 4 Rz. 181. 4 BVerfG, Beschl. v. 6.3.2020 – 1 BvR 2862/16, Rz. 8; BVerfG, Beschl. v. 24.6.2014 – 1 BvR 3217/07 BVerfGE 136, 338 ff. Rz. 58. 5 BFH v. 26.9.2019 – V R 16/18, Rz. 26; LfSt Bayern, Vfg. v. 28.7.2014 – S 2720.1.1-1/14 St31.

828 | Schöck

B. Hochschulrecht und Steuerrecht | Rz. 11.133 Kap. 11

– Tätigkeiten, die durch Einrichtungen der öffentlichen oder auch privaten Forschungsförderung (Europäischer Forschungsrat (ERC)1, Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), Stifterverband für die deutsche Wissenschaft2, Robert-Bosch-Stiftung3, Volkswagenstiftung4, Thyssen-Stiftung5 etc.) finanziert werden; dafür müssen zwar Anträge gestellt werden, es ist aber kein Ergebnis geschuldet (reine Drittmittelforschung). Das trifft zu für Grants des Europäischen Forschungsrats (ERC Starting Grants, ERC Consolidator Grants, ERC Advanced Grants, ERC Proof of Concept, Synergy Grants), für Fördermaßnahmen der DFG (Sonderforschungsbereiche, Forschergruppen und Einzelprojekte), Förderungen des Stifterverbands und durch die privaten forschungsfördernden Stiftungen. – Wird die Hochschule für öffentliche Auftraggeber (Bundes- oder Landesministerien und ihnen nachgeordnete Behörden) tätig (sog. Ressortforschung6), werden Zahlungen geleistet, um damit definierte Forschungsarbeiten zu finanzieren und deren Ergebnisse zu erhalten. Deshalb stellt die Auftragsforschung einen Gewerbebetrieb dar, der allerdings steuerbegünstigt sein kann, wenn die Ergebnisse der Forschung der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt werden. – Bei der Industrieforschung werden privatrechtliche Vereinbarungen über ein Forschungsprojekt und dessen Finanzierung getroffen, die in der Regel vorsehen, dass die Ergebnisse dem Auftraggeber exklusiv zur Verfügung stehen.7 Da sie damit nicht mehr der Allgemeinheit dienen, fehlt ein entscheidendes Kriterium der Gemeinnützigkeit. Soweit wissenschaftliche Erkenntnisse angewendet werden, um Routineaufgaben zu erledigen (Blutuntersuchungen, Laboruntersuchungen8, Materialprüfung), handelt es sich nicht um Forschung. Das gilt auch, soweit bei der Abtrennung der Universitätsklinika in der Universität verbliebene Einrichtungen Laboruntersuchungen für das Universitätsklinikum durchführen (z.B. Arbeits- und Sozialmedizin, Rechtsmedizin, Sportmedizin), weil diese Leistungen auch von privaten Anbietern angeboten werden können und oft auch angeboten werden. Es liegt ein Betrieb gewerblicher Art vor. 1 Verordnung (EG) Nr. 58/2003 des Rates vom 19.12.2002 zur Festlegung des Statuts der Exekutivagenturen, die mit bestimmten Aufgaben bei der Verwaltung von Gemeinschaftsprogrammen beauftragt werden, ABl. L 11, S. 1; Durchführungsbeschluss (EU) 2021/173 der Kommission vom 12.2.2021 zur Einrichtung der Europäischen Exekutivagentur für Klima, Infrastruktur und Umwelt, der Europäischen Exekutivagentur für Gesundheit und Digitales, der Europäischen Exekutivagentur für die Forschung, der Europäischen Exekutivagentur für den Innovationsrat und für KMU, der Exekutivagentur des Europäischen Forschungsrats sowie der Europäischen Exekutivagentur für Bildung und Kultur und zur Aufhebung der Durchführungsbeschlüsse 2013/801/EU, 2013/771/EU, 2013/778/EU, 2013/779/EU, 2013/776/EU und 2013/770/EU, ABl. v. 15.2.2021, L 50, S. 9. 2 https://www.stifterverband.org 3 https://www.bosch-stiftung.de/de 4 https://www.volkswagenstiftung.de/ 5 https://www.fritz-thyssen-stiftung.de/ 6 Krüger, Forschung in HdbWissR, 1996, S. 265. 7 Zur Vertragsgestaltung BMWK, Mustervereinbarungen für Forschungs- und Entwicklungskooperationen – Ein Leitfaden für die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, 3. Aufl. 2017, mit den Varianten Vertrag über Auftragsforschung (Variante Lizenz) S. 6 ff., Vertrag über Auftragsforschung (Variante Übertragung) S. 18 ff., Vertrag über Forschungskooperation, S. 33 ff. 8 FG Hessen v. 22.5.1979, EFG 1979, 507; R 16 Abs. 4 S. 10 KStR; Wallenhorst in Wallenhorst/Halaczinsky, Die Besteuerung gemeinnütziger und öffentlich-rechtlicher Körperschaften, Kap. G Rz. 134.

Schöck | 829

11.133

Kap. 11 Rz. 11.134 | Besteuerung der Hochschulen

11.134

Drittmittelforschung kann nach § 68 Nr. 9 AO Zweckbetrieb sein1; nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG i.V.m. § 68 Nr. 9 AO ist eine Steuerbefreiung möglich. (b) Beratung

11.135

In den letzten Jahren hat die Zahl von Beratungsprojekten zugenommen, die von Hochschulen mit ihren Studierenden durchgeführt werden – für die dort tätigen Studierenden oft ein erster Schritt in eine berufliche Tätigkeit oder die Selbständigkeit. Soweit diese Beratungen entgeltlich erfolgen und den Umfang überschreiten, der zur Erfüllung der beruflichen Qualifizierungsmaßnahmen notwendig ist, oder in einer Wettbewerbssituation stattfinden, handelt es sich um einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb. Die Verwaltung nimmt bei Schülerfirmen einen Jahresumsatz von 35.000 € an, bis zu dem die Einordnung als Zweckbetrieb möglich ist.2 Das sollte sich auch für Studentenfirmen vertreten lassen.

11.136

Werden die Studierenden selbst im Rahmen einer Existenzgründungsberatung unterstützt, handelt es sich – soweit das entgeltlich erfolgt – nach Auffassung der Finanzverwaltung um einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb.3 Das ist plausibel, weil Existenzgründungsberatung auch von privaten Anbietern geleistet wird und damit eine Wettbewerbssituation gegeben ist. (c) Entgeltliche Verwertung des geistigen Eigentums i. Patentverwertung

11.137

Die Verwertung von Patenten4 der Hochschulangehörigen im Rahmen der Regelungen des Gesetzes über Arbeitnehmererfindungen (§ 42 ArbnErfG) ist nicht steuerbare Vermögensverwaltung, solange keine weiteren Leistungen hinzutreten, wie z.B. begleitende technische Anwendungsberatung. Dann läge ein Betrieb gewerblicher Art vor, der aber bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 65 AO auch als Zweckbetrieb gemeinnützig sein könnte. ii. Publikationen

11.138

Eine Zeitschrift zur Information der Hochschulangehörigen kann ebenso Zweckbetrieb sein5 wie der Verkauf gedruckter Publikationen durch einen Universitätsverlag.6 Eine Fachzeitschrift soll Hoheitsbetrieb sein.7 1 BMF v. 22.9.1999, BStBl. 1999 I, 944; FM Bayern v. 13.4.2000, DB 2000, 954; Wallenhorst in Wallenhorst/Halaczinsky, Kap. G Rz. 134. 2 Zu vergleichbaren „Schülerfirmen“ Erlass Hessen S 9171 A – II A – 1a v. 7.3.2011; OFD Frankfurt v. 29.3.2011 – S 0171 A - 146 – St 53 StEK AO 1977 § 52 Nr. 181; OFD München v. 3.12.2003, DStZ 2004,168; Wallenhorst in Wallenhorst/Halaczinsky, Die Besteuerung gemeinnütziger und öffentlich-rechtlicher Körperschaften, Kap. G Rz. 134 mit Hinweis auf die für einen Zweckbetrieb erforderliche Satzung. FG Berlin v. 15.1.2002, EFG 2002, 518; FG Hamburg v. 15.11.2017, EFG 2018, 792; BFH v. 13.12.2018, BFH/NV 2019, 369. 3 Wallenhorst in Wallenhorst/Halaczinsky, Die Besteuerung gemeinnütziger und öffentlich-rechtlicher Körperschaften, Kap. G Rz. 134. 4 S.o. Rz. 11.13; BFH v. 6.11.1968 – I R 15/66 BStBl. 1969 II, 93; Wallenhorst in Wallenhorst/Halaczinsky, Die Besteuerung gemeinnütziger und öffentlich-rechtlicher Körperschaften, Kap. G Rz. 134. 5 BFH v. 18.12.2002 – I R 60/01, BFH/NV 2003, 1025; KStR 16 Abs. 4 S. 12. 6 BFH v. 23.11.1988 I R 11/88 BStBl. 1989 II, 391; Wallenhorst in Wallenhorst/Halaczinsky, Die Besteuerung gemeinnütziger und öffentlich-rechtlicher Körperschaften, Kap. G Rz. 134. 7 Wallenhorst in Wallenhorst/Halaczinsky, Die Besteuerung gemeinnütziger und öffentlich-rechtlicher Körperschaften, Kap. H Rz. 140

830 | Schöck

B. Hochschulrecht und Steuerrecht | Rz. 11.143 Kap. 11

(d) Überlassung von Ressourcen i. Personal Die Verselbständigung der Universitätsklinika, aber auch die zunehmende Kooperation zwischen Hochschulen und außeruniversitären Kooperationspartnern führt zu einer intensiven wechselseitigen Nutzung von Ressourcen – Personal ebenso wie Einrichtungen. Die Überlassung von Personal (Personalgestellung) an ein Universitätsklinikum oder an andere nahestehende Einrichtungen, z.B. auch An-Institute (siehe oben Rz. 11.57), erfolgt grundsätzlich im Rahmen eines Leistungsaustauschs (Abschn. 1.1. Abs. 16 UStAE) und führt damit zu einem Betrieb gewerblicher Art, soweit es sich nicht um eine Abstellung zwischen den Hoheitsbereichen der beteiligten juristischen Personen des öffentlichen Rechts handelt (Abschn. 2.11 Abs. 15 UStAE). Eine Ausnahme gilt dann und nur insoweit, als die Überlassung zur Abwicklung einer Umstrukturierungsmaßnahme erfolgt. Zu den gemeinsamen Berufungen siehe oben Rz. 11.119 f.

11.139

ii. Geräte Die Herauslösung der Universitätsklinika aus den Universitäten hat beispielsweise dazu geführt, dass bisher gemeinsame Telefonanlagen weiter gemeinsam genutzt werden, dafür aber eine Kostenerstattung geleistet wird.1

11.140

Auch jenseits der Hochschulmedizin machen die steigenden Kosten wissenschaftlicher Großgeräte eine effiziente Nutzung – auch zusammen mit Partnereinrichtungen – unerlässlich. Das kann (jeweils in beiden Richtungen) zwischen verschiedenen Hochschulen, zwischen Universität und Klinikum, aber auch zwischen Hochschule und außeruniversitärer Forschungseinrichtung zur Gestattung der Mitnutzung gegen Kostenbeteiligung führen. Das begründet einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb.2

11.141

iii. Flächen Hörsäle werden von Hochschulen häufig an Dritte vermietet (für den Kongress einer wissenschaftlichen Gesellschaft ebenso wie für die Veranstaltungen von Unternehmen). Dabei handelt es sich nicht um Vermögensverwaltung, sondern wegen der Nachhaltigkeit um einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb.3

11.142

– Soweit eine Hochschule ihre Parkflächen als Parkplätze für Kurzparker (Bibliotheksbesucher, Klinikbesucher etc.) überlässt, begründet das einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb.4

11.143

– Die entgeltliche Parkraumüberlassung an Bedienstete/Studenten erfolgt demgegenüber in der Regel ohne feste Zuordnung an einzelne Fahrzeughalter und ohne weitere Leistun1 BFH v. 7.11.1996 – V R 34/96. 2 BFH v. 6.4.2005, BStBl. II 2005, 545; § 58 Nr. 4 AO BMF v. 20.7.2009, BStBl. I 2009, 774; OFD München/Nürnberg v. 12.4.2005, DStZ 2005,425; OFD Frankfurt v. 2.3.2012, BeckVerw 258974. 3 FG BaWü. v. 19.5.2010, EFG 2010, 1456; FG Nds. v. 23.7.1998, EFG 1999, 455; BFH v. 12.10.2000 – V R 74/99, BFH/NV 2001, 653; Wallenhorst in Wallenhorst/Halaczinsky, Die Besteuerung gemeinnütziger und öffentlich-rechtlicher Körperschaften, Kap. G Rz. 134 mit Hinweis auf die offene Wettbewerbssituation; Strahl, Steuerliche Aspekte der wirtschaftlichen Betätigung von Hochschulen, FR 1998, 761 (766). 4 BFH v. 9.4.2003 – 21/00 X R, BStBl. II 2003, 520; Wallenhorst in Wallenhorst/Halaczinsky, Die Besteuerung gemeinnütziger und öffentlich-rechtlicher Körperschaften, Kap. G Rz. 134.

Schöck | 831

Kap. 11 Rz. 11.143 | Besteuerung der Hochschulen

gen. Die Verwaltung erfordert lediglich einen für die Annahme einer Vermögensverwaltung üblichen Aufwand. Die bloße Stellplatzüberlassung an Bedienstete/Studenten erfüllt somit nicht die Voraussetzungen für die Annahme eines Betriebs gewerblicher Art.1 – Wenn ein Wassersportzentrum einer Hochschule Bootsliegeplätze2 vermietet, begründet das einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb. – Auch die Vermietung von Dachflächen für die Aufstellung von Mobilfunkantennen oder Solaranlagen begründet wegen der Nachhaltigkeit ebenso wie wegen der Wettbewerbsrelevanz einen Betrieb gewerblicher Art.

11.144

– Werden Photovoltaikanlagen selbst betrieben, begründen sie – soweit sie nicht ausschließlich zu Demonstrationszwecken betrieben werden3 – in der Regel einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb.4 Ein Betreiberverein wurde vom FG Hamburg nicht als gemeinnützig anerkannt.5 – Soweit Hochschulen Sportanlagen betreiben (Tennisplätze, Fußballplätze, Kletterhallen6, Kunsteisbahn7, Sporthallen, Fitnessstudio8, Golfanlage9) leitet der BFH auch hier aus der Rechtsprechung des EuGH eine wirtschaftliche Betätigung und keine bloße Vermögensverwaltung ab, wenn die Flächen gegen Entgelt überlassen werden.10 – Bei der Überlassung von Schwimmbädern nimmt die Verwaltung einen Zweckbetrieb an, sofern die dafür erforderliche Satzung vorliegt.11 – Wird in den Sportanlagen Bandenwerbung betrieben, handelt es sich um einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb.12

1 OFD Hannover und Kiel, Verf. v. 26.1.1999 – S 2706 - 175 – StO 214/S 2706 – 219 – StH 231 und v. 10.5.1999 – S 2706 A – St 141, StEK KStG 1977 § 4 Nr. 50. 2 BFH v. 24.6.2020 – V R 47/19. 3 OFD Chemnitz v. 21.11.2006, DStR 2007, 349; Wallenhorst in Wallenhorst/Halaczinsky, Die Besteuerung gemeinnütziger und öffentlich-rechtlicher Körperschaften, Kap. G Rz. 134. 4 BFH v. 24.10.2012 – X R 36/10 BFH/NV 2013, 252; FG Münster v. 25.9.2014 EFG 2014, 2177; Wallenhorst in Wallenhorst/Halaczinsky, Die Besteuerung gemeinnütziger und öffentlich-rechtlicher Körperschaften, Kap. G Rz. 134. 5 FG Hamburg v. 29.8.2007, DStRE 2008, 586 (NZB: I B 182/07). 6 Bayerisches LfSt v. 9.11.2010 – S 0171.2.1 – 88/2 St 31, StEK AO 1977 § 52 Nr. 175 – für Kletterhallen von Hochschulen können schon aus Wettbewerbsgründen sicher keine anderen Grundsätze gelten als für Kletterhallen nichtöffentlicher Anbieter; Wallenhorst in Wallenhorst/Halaczinsky, Die Besteuerung gemeinnütziger und öffentlich-rechtlicher Körperschaften, Kap. G Rz. 134; Bay. LfSt v. 6.12.2011, BeckVerw 256899. 7 FG Nürnberg v. 16.4.1996 – II 73/94 nv und v. 27.4.1999 EFG 1999, 748; Eislaufbahn: BFH 7.5.1997 – V B 95/96 BFH/NV 1998, 96; FG Baden-Württemberg v. 17.2.1993, EFG 1993, 694; Zweckbetrieb: BFH v. 30.3.2000 – V R 30/99 BStBl. II 2000, 705; BMF v. 27.11.2000, BStBl. I 2000, 1548. 8 BFH v. 13.1.1994, BStBl. II 1994, 362; BFH v. 18.4.1996, BStBl. II 1996, 573. 9 BFH v. 9.4.1987 – V R 150/78, BStBl. II 1987, 659. 10 Vgl. BFH v. 10.11.2011 – V R 41/10, BFHE 235, 554, BFH/NV 2012, 670, unter II.2.b cc (2) zur Parallelfrage der Wettbewerbsrelevanz der Überlassung von Räumlichkeiten einer Sport- und Freizeithalle durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts. Anders FG Köln v. 6.9.1999 – 4 K 849/97, nv., wenn ohne Nebenleistungen; Wallenhorst in Wallenhorst/Halaczinsky, a.a.O., Kap. G Rz. 134. 11 OFD München v. 7.1.2005, DStZ 2005, 720; Wallenhorst in Wallenhorst/Halaczinsky, Die Besteuerung gemeinnütziger und öffentlich-rechtlicher Körperschaften, Kap. G Rz. 134. 12 BFH v. 13.3.1991 – I R 8/88 BStBl. 1992 II, 101; OFD Münster v. 28.4.1992 – StEK AO § 65 Nr. 37.

832 | Schöck

B. Hochschulrecht und Steuerrecht | Rz. 11.148 Kap. 11

(e) Reiseveranstaltungen Im Rahmen der Ausbildung veranstalten Hochschulen häufig Reisen verschiedenster Art. Das reicht von den Exkursionen der Kunsthistoriker über Besuche von Firmen durch Wirtschaftswissenschaftler bis zu – oft lange dauernden – Expeditionen von Geowissenschaftlern, die auch mit hohen Kosten verbunden sein können. Jedenfalls soweit ein Zusammenhang mit Forschung und Lehre besteht, kann es aber nicht zweifelhaft sein, dass es sich dabei um einen Zweckbetrieb handelt.1 Soweit es sich um Bildungsreisen handelt, besteht Wettbewerb, insbesondere dann, wenn diese Reisen auch nicht der Hochschule angehörenden Personen angeboten werden. Insofern liegt ein nicht begünstigter Betrieb gewerblicher Art vor.

11.145

(f) Wissensvermittlung i. Sammlungen, Botanische Gärten, Zoologische Gärten – Besonders die traditionsreichen Universitäten verfügen über eine Vielzahl an Sammlungen (Klassische Archäologie, Ur- und Frühgeschichte, Kunst aller Epochen, Zoologie, Botanik), die ebenso wie die Botanischen2 oder Zoologischen Gärten gegen Entgelt der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.3 Dabei handelt es sich um Betriebe gewerblicher Art, die bei Erfüllung der besonderen Voraussetzungen gemeinnützig sein können.4

11.146

– Soweit dazu ein Museumsladen betrieben wird, handelt es sich um einen Betrieb gewerblicher Art.5 ii. Fachkongresse/Messen Fachkongresse und Fachmessen, aber auch Tage der „Offenen Tür“ oder „Lange Nächte der Wissenschaften“, bei denen Hochschulen die Ergebnisse ihrer Forschung präsentieren, sind bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen Zweckbetriebe.6

11.147

(g) Werbemaßnahmen i. Banden- und Trikotwerbung Soweit Hochschulen in ihren eigenen Sporteinrichtungen (Fußball-, Tennis-, Leichtathletikplätze und ähnliches) Bandenwerbung betreiben, begründet dies einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb7. Gleiches gilt für Trikotwerbung.8

1 Die Überlegungen der OFD Magdeburg v. 2.2.1994 – S 0170 – 9 – St 233, StEK AO 1977 § 52 Nr. 75 Ziff. 3.3.3 lassen sich auf Reiseveranstaltungen, die Forschung und Lehre dienen, durchaus übertragen. 2 FM Bayern v. 15.9.2000 DB 2000, 954. 3 OFD Köln v. 19.7.1982 – S-0184-2-sSt 131. 4 Wallenhorst in Wallenhorst/Halaczinsky, Die Besteuerung gemeinnütziger und öffentlich-rechtlicher Körperschaften, Kap. H Rz. 140 5 FG Rheinland-Pfalz v. 29.1.2009, DStRE 2010, 549; von Maydell in NK-GemnR, 2. Aufl., § 64 AO, Rz. 84. 6 FM Bayern v. 13.4.2000, DB 2000, 954; FG Hamburg v. 15.6.2006, EFG 2007, 218. 7 von Maydell in NK-GemnR, 2. Aufl., § 64 AO RN 76 ff.; BFH, BStBl. II 1992, 101; 2008, 949. 8 BFH v. 9.12.1981, BStBl. II 1983, 27.

Schöck | 833

11.148

Kap. 11 Rz. 11.149 | Besteuerung der Hochschulen

ii. Werbemobile

11.149

Die zum Teil sehr restriktive Haltung der Rechnungshöfe und Ministerien bei der Bewilligung betriebsnotwendiger Fahrzeuge hat dazu geführt, dass Hochschulen dazu übergegangen sind, „Werbemobile“ einzusetzen, Fahrzeuge, die dem Hochschulbetrieb, z.B. dem Postdienst oder der Betriebstechnik, dienen und für die finanzierenden Firmen Werbung machen. Dies begründet einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb,1 kann bei Vorliegen der Voraussetzungen aber Zweckbetrieb sein, wenn die Fahrzeuge der Sicherstellung des (gemeinnützigen) Betriebs der Hochschule dienen. iii. Anzeigenwerbung

11.150

Das Anzeigengeschäft von Hochschulzeitungen ist ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb, kann bei Vorliegen der Voraussetzungen aber Zweckbetrieb sein, soweit es zur Finanzierung der Hochschulpublikationen eingesetzt wird.2 Gleiches gilt für Werbeauftritte auf den Webseiten der Hochschule. iv. Verkauf von Gegenständen mit Identifikationscharakter für die Hochschule – Merchandising

11.151

Viele Hochschulen haben dem angelsächsischen Muster folgend einzelne Artikel, aber auch ganze Kollektionen mit identitätsstiftenden Artikeln (T-Shirts, Pullover, Tassen, Trinkflaschen, Schreibgeräte etc.) entwickelt und vertreiben sie entweder in Eigenregie in Hochschulshops, im Internet oder über Merchandising-Partner. Dabei handelt es sich auch im Hinblick auf die Wettbewerbsrelevanz um einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb.3 (h) Leistungen für Studierende i. Kinderbetreuung

11.152

Die Kinderbetreuung hat sich für Hochschulen in den letzten Jahren als ein wichtiger Bestandteil von Gleichstellungsaktivitäten, aber auch als Argument für die Gewinnung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern erwiesen. Soweit das in eigener Trägerschaft erfolgt, handelt es sich um einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb, der bei Erfüllung der Voraussetzungen des § 68 Nr. 1 Buchst. b AO aber auch Zweckbetrieb sein kann.4 ii. Mensen und Cafeterien

11.153

Nach der zwischen Bund und Ländern abgestimmten Auffassung unterhalten Studentenwerke als rechtsfähige Anstalten des öffentlichen Rechts5 mit ihren Mensa- und Cafeteria-Betrieben einen Betrieb gewerblicher Art, der der Körperschaft- und Gewerbesteuer unterliegt, soweit er nicht durch Satzung und tatsächliche Geschäftsführung6 die Voraussetzungen der Ge1 BFH v. 16.4.2008, BStBl. II 2008, 909 zur Umsatzsteuer; FG Hamburg v. 10.3.2006, EFG 2006, 1624; FG München v. 13.5.2004, EFG 2004, 1329; OFD München v. 28.5.2001, DStR 2001, 1800. 2 BFH v. 28.11.1961, BStBl. III 1962, 73, für Anzeigengeschäft in Vereinszeitschriften. 3 FG Rh.-Pf. v. 29.1.2009, DStRE 2010, 549, Museumsshop – Sammlungen von Hochschulen. 4 FG Saarland v. 4.8.2003 – I V 145/03; BFH v. 12.7.2012 – I R 106/10 BStBl. 2012 II, 837; Wallenhorst in Wallenhorst/Halaczinsky, Die Besteuerung gemeinnütziger und öffentlich-rechtlicher Körperschaften, Kap. G Rz. 134; OFD Niedersachsen v. 15.1.2013, BeckVerw 268696. 5 Dazu oben Rz. 11.44 ff.. 6 Dazu oben Rz. 11.46, Rz. 11.71.

834 | Schöck

B. Hochschulrecht und Steuerrecht | Rz. 11.157 Kap. 11

meinnützigkeit erfüllt und deshalb als Zweckbetrieb (§ 68 Nr. 1 Buchst. a AO) zu beurteilen ist, sofern bestimmte Grenzen für nicht begünstigte Nebenumsätze eingehalten werden1 iii. Studentenwohnheim

11.154

Ein Studentenwohnheim ist nach § 68 Nr. 1 b AO ein Zweckbetrieb. iv. Kulturelle Veranstaltungen Hochschulen können über eine Vielzahl an kulturellen Ensembles verfügen (Orchester, Chor, Studentenbühne, Musical). Bei den kulturellen Veranstaltungen handelt es sich um einen einheitlichen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb, soweit nicht die Voraussetzungen eines Zweckbetriebs erfüllt sind. Das kann insbesondere dann der Fall sein, wenn die Aktivitäten ausbildungsrelevant sind (zum Beispiel im Rahmen eines Studiengangs „Darstellendes Spiel“).

11.155

Daneben richten Hochschulen oder ihre Studierendenvertretungen häufig gesellschaftliche Veranstaltungen (z.B. Faschings- oder festliche Bälle) aus, nicht selten auch mit einem wohltätigen (Benefiz-) Hintergrund (Benefizveranstaltungen). Dabei handelt es sich nach der Rechtsprechung um einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb, wenn Besucher gegen Entgelt bewirtet werden.2

11.156

(i) Land- und Forstwirtschaft Manche Hochschulen unterhalten zu Forschungs- und Lehrzwecken land- und forstwirtschaftliche oder weinbauliche Betriebe,3 andere verfügen aus historischen Gründen über Waldungen und Weinberge in ihrem Körperschaftsvermögen. Solche Betriebe sind wirtschaftliche Geschäftsbetriebe, können aber bei Erfüllung der Voraussetzungen des § 65 AO (siehe oben Rz. 11.128) als Zweckbetriebe steuerbefreit sein.4

1 Erlass Baden-Württemberg S 2706/10 v. 21.6.1995; Erlass Bayern 33 – S 0184 – 4/11 – 38 469 v. 8.8.1995; Vfg. OFD Nürnberg S 0184 – 6/St 22 v. 17.8.1995; Erlass Brandenburg 35 – S 0185 – 1/ 95/31 – S 7242 – 1/95 v. 5.4.1995; Hessen: OFD Frankfurt v. 20.10.2000, DB 2000, 2350; Erlass Nordrhein-Westfalen S 2729 – 7 – V B 4 v. 8.4.1991; Vfg. OFD Münster S 2729 – 4 – St 13 – 31 v. 15.5.1991, StEK AO 1977 § 66 Nr. 6; Erlass Mecklenburg-Vorpommern IV 320 – S 2729 – 6/91 v. 17.3.1995, StEK AO 1977 § 66 Nr. 8; Erlass Sachsen 33 – S 0171 – 70/3 – 12 516 v. 29.3.1995; Erlass Thüringen S 2729 A – 4 – 205/S 7242 A – 2 – 202 v. 12.7.1995; Vfg. OFD Erfurt S 2729 A – 04 – St 3111 v. 1.8.1995; BFH v. 11.5.1988 – V R 76/83 BStBl. 1988 II, 908; BFH v. 15.6.1988 – V R 77/83 BFH/NV 1989, 265; Abschn.12.9 Abs. 4 Nr. 6 UStAE; AEAO 2021 zu § 66: „Die Belieferung von Studentinnen und Studenten mit Speisen und Getränken in Mensa- und Cafeteria-Betrieben von Studentenwerken ist als Zweckbetrieb zu beurteilen. Der Verkauf von alkoholischen Getränken, Tabakwaren und sonstigen Handelswaren darf jedoch nicht mehr als 5 % des Gesamtumsatzes ausmachen.“ Wallenhorst in Wallenhorst/Halaczinsky, a.a.O., Kap. G Rz. 134. 2 FG München v. 26.7.2005, EFG 2006, 68 (Vereinsfest); FG München v. 7.11.1996, UVR 1997, 174 (Universitätsball); BFH v. 9.11.1988 – I R 200/85, BFH/NV 1989, 342; FG München v. 25.5.1984, EFG 1984, 628 (Benefizveranstaltung); FG Saarland v. 12.6.1985, EFG 1986, 38 (Benefizveranstaltung); Wallenhorst in Wallenhorst/Halaczinsky, Die Besteuerung gemeinnütziger und öffentlichrechtlicher Körperschaften, Kap. G Rz. 134 „Benefizveranstaltungen trotz ihrer gemeinnützigen Zielrichtung wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb“. 3 BFH v. 15.1.1960 – III 1960, 131; BFH v. 16.3.1977 – II 1977, 493. 4 FM Baden-Württemberg v. 18.1.1988, StEK KStG § 5 Nr. 86.

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11.157

Kap. 11 Rz. 11.158 | Besteuerung der Hochschulen

(j) Beteiligung an Unternehmen

11.158

In Zeiten der forcierten Privatisierung staatlicher Beteiligungen wurde von Seiten des Staates auch die Beteiligung von Hochschulen an Unternehmen kritisch betrachtet. Das hat sich geändert, seit Unternehmensgründung durch Hochschulen, vor allem auch aus patentierten Erfindungen, als ein positiver Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung einer Region betrachtet werden.1 Die Hochschulgesetze der Länder enthalten nun meist ausdrückliche Erlaubnisregelungen für die Beteiligung an Unternehmen.2 Beteiligungen an Kapitalgesellschaften werden der nicht steuerbaren Vermögensverwaltung zugeordnet, soweit nicht ein entscheidender Einfluß auf die Geschäftsführung der Tochtergesellschaft ausgeübt wird. Das kann zum Beispiel dadurch gegeben sein, dass Mitglieder der Hochschulleitung gleichzeitig die Geschäftsführung der Tochtergesellschaft wahrnehmen. Das ist vor allem dann von Bedeutung, wenn die Anerkennung von An-Instituten3 einen bestimmenden Einfluss der Hochschule auf die anzuerkennende Einrichtung vorsieht. (k) Verwaltungsunterstützung

11.159

Die entgeltliche Übernahme von Drittmittelverwaltung ist ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb.4 Gleiches gilt für die Verwaltungsunterstützung von alumni-Vereinen oder Fördervereinen. c) Lohnsteuer

11.160

Soweit Hochschulen nicht von staatlichen Abrechnungsstellen betreut werden (§ 38 Abs. 3 Satz 2 EStG), treffen sie die lohnsteuerlichen (§§ 38 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 1 EStG) und auch sozialversicherungsrechtlichen (§ 28 a SGB IV) Arbeitgeberpflichten.

11.161

In ihrer Arbeitgeberfunktion trifft die rechtlich selbständigen verfassten Studierendenschaften die Verpflichtung, für ihre der Lohnsteuer unterliegenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (darunter fallen auch die Organmitglieder) Lohnsteuer zu berechnen und abzuführen.5 Gleiches gilt für die Sozialversicherungsbeiträge.6 d) Steuerabzug bei Bauleistungen (Bauherrensteuer)

11.162

Nach § 48 EStG sind auch juristische Personen des öffentlichen Rechts verpflichtet, bei Baumaßnahmen für Rechnung des leistenden Bauunternehmers Steuer einzubehalten. Die Bauherreneigenschaft liegt bei staatlichen Baumaßnahmen für Hochschulen in der Regel bei dem die Hochschulen tragenden Land und wird von der jeweiligen staatlichen Bauverwaltung ausgeübt. Es gibt aber zwischenzeitlich vermehrt Fälle, in denen den Hochschulen die Bauherreneigenschaft ganz oder innerhalb gewisser Betragsgrenzen übertragen ist.7 In diesen Fällen liegt 1 Zur Einführung eines entsprechenden Haushaltsvermerks im Bayerischen Staatshaushalt Schöck in HSchR-Bayern, 2. Aufl. 2017, S. 689 Rz. 88. 2 Siehe oben Rz. 11.13. 3 Siehe oben Rz. 11.57. 4 FG Berlin v. 4.9.2006 – 8 K 8390/02, EFG 2007, 291; Wallenhorst in Wallenhorst/Halaczinsky, a.a.O., Kap. G Rz. 134. 5 BFH v. 22.7.2008 – VI R 51/05, BFHE 222, 438; BStBl. II 2008, 981; FG Hessen v. 14.3.2005 – 10 K 2686/01, EFG 2005, 1866 m.w.N. 6 BSG v. 27.7.2011 – B 12 KR 10/09 R – ECLI:DE:BSG:2011:270711UB12KR1009R0. 7 § 4 Abs. 1 S. 1 TUD-Gesetz; Neyses, Die Universität zu Köln als Bauherr, Forschung & Lehre 2012, 560 – 562; zur kreativitätsfördernden Wirkung der Freigabe des Umgangs mit den universitären

836 | Schöck

B. Hochschulrecht und Steuerrecht | Rz. 11.164 Kap. 11

die Verpflichtung zur Einbehaltung der Bauherrensteuer dann auch bei der jeweiligen Hochschule.1 Dafür ist folgendes Verfahren einzuhalten: Die Hochschule muss von der Gegenleistung (§ 48 Abs. 3 EStG) für eine Bauleistung (§ 48 Abs. 1 S. 3 EStG) 15 Prozent der Gegenleistung für Rechnung des Leistenden abziehen und an das für den Leistungserbringer zuständige Finanzamt abführen. Der Abzug ist nur dann nicht erforderlich, wenn der Leistungserbringer eine im Zeitpunkt der Gegenleistung gültige Freistellungsbescheinigung (§ 48b Abs. 1 S. 1 EStG) vorlegt oder die Betragsgrenzen von 15.000 € bzw. 5.000 € pro Jahr nicht überschritten werden (§ 48 Abs. 2 Nr. 1 und 2 EStG). Die Nichterfüllung der Abzugspflicht führt zur Haftung des Leistungsempfängers (§ 48a Abs. 3 S. 1 EStG). Nach § 48 Abs. 4 EStG i.V.m. § 50b EStG besteht ein besonderes Prüfungsrecht der Finanzbehörden, für das die Regelungen über die steuerliche Außenprüfung (§§ 193 ff. AO) entsprechend gelten. e) Grunderwerbsteuer aa) Steuergegenstand Der Grunderwerbsteuer unterliegen nach § 1 GrEStG Rechtsvorgänge, die die Verfügung über inländische Grundstücke (§ 2 Abs. 1 S. 1 GrEStG)2 und grundstücksgleiche Rechte (§ 2 Abs. 2 GrEStG), insbesondere Erbbaurechte (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG) und Wohnungseigentum (§ 2 Abs. 2 Nr. 3 GrEStG) zum Gegenstand haben. Das sind vor allem Kaufverträge (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG), aber auch andere Formen der Eigentumsübertragung (§ 1 Abs. 1 Nr. 2–7 GrEStG). Darüber hinaus unterliegen der Grunderwerbsteuer auch Rechtsvorgänge, die einem anderen (als dem rechtlichen Eigentümer) ohne rechtliche Übereignung eine Verwertung eines inländischen Grundstücks auf eigene Rechnung, also das wirtschaftliche Eigentum, ermöglichen (§ 1 Abs. 2 GrEStG). Solche Fälle sind nach § 19 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG mit dem in § 20 GrEStG vorgeschriebenen Inhalt anzuzeigen.

11.163

Eine derartige Konstellation erscheint zum Beispiel dann gegeben, wenn ein als rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts ausgegliedertes Universitätsklinikum kraft gesetzlicher Anordnung – die ohne Zweifel einen „Rechtsvorgang“ im Sinne von § 1 Abs. 2 GrEStG darstellt – Grundstücke aus dem Körperschaftsvermögen der jeweiligen Universität nutzt (z.B. Art. 1 Abs. 3 S. 3 BayUniKlinG)3 und als wirtschaftliches Eigentum bilanziert4; die Möglichkeit, wie ein Eigentümer über das Grundstück zu verfügen, ist nicht erforderlich.5 Allerdings fehlt es an der Beteiligung an einem eventuellen Veräußerungserlös6, für den die gesetzliche Regelung

11.164

1 2 3 4 5 6

Liegenschaften Hecht in Fusi, Multiple Campus – Szenarien für die Universität der Zukunft, Hamburg 2019, S. 9; siehe jetzt auch Art. 14 Gesetzentwurf der Staatsregierung, Bayerisches Hochschulinnovationsgesetz (BayHIG) v. 4.5.2022, LT-Drs. 18/22504. Apitz in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG KStG, § 48 EStG Rz. 10 Zum Begriff des Grundstücks Lieber in Behrens/Wachter, GrEStG, Kommentar, 2018, § 2 B I 1. Bayerisches Universitätsklinikagesetz (BayUniKlinG) v. 23.5.2006, GVBl. S. 285, BayRS 2210-2-4WK, das zuletzt durch § 1 Abs. 193 der VO v. 26.3.2019, GVBl. S. 98, geändert worden ist. Behrens in Behrens/Wachter, GrEStG, Kommentar, 2018, § 1 Rz. 206, misst dem wirtschaftlichen Eigentum i.S.d. § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO lediglich „indizielle Wirkung“ zu. Behrens in Behrens/Wachter, GrEStG, Kommentar, 2018, § 1 Rz. 202. Behrens in Behrens/Wachter, GrEStG, Kommentar, 2018, § 1 Rz. 217.

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Kap. 11 Rz. 11.164 | Besteuerung der Hochschulen

keinen Anhaltspunkt gibt (was anderenfalls auch für die Körperschaft Universität eine – entschädigungspflichtige – Enteignung bedeuten würde).

11.165

Bei der Umwandlung von staatlichen Hochschulen in Stiftungen ist in der Regel die unentgeltliche Übertragung der Grundstücke vom Staat auf die Stiftung mit vorgesehen.1 In Sachsen-Anhalt ist die Übertragung des Eigentums an den betriebsnotwendigen Grundstücken vom Staat in das Körperschaftsvermögen der Hochschulen vorgesehen.2

11.166

Für Studentenwerke ist zum Teil die unentgeltliche Überlassung von staatlichen oder Hochschulliegenschaften vorgesehen.3 bb) Steuerpflichtiger

11.167

Steuerschuldner i.S.v. § 43 Satz 1 AO sind nach § 13 Nr. 1 GrEStG zunächst die an einem die Steuerpflicht auslösenden Vorgang beteiligten Personen, beim Erwerb kraft Gesetzes nach § 13 Nr. 2 GrEStG der bisherige Eigentümer und der Erwerber4 und zwar als Gesamtschuldner5. cc) Ausnahmen von der Besteuerung

11.168

Nach § 4 Nr. 1 GrEStG ist von der Besteuerung ausgenommen „der Erwerb eines Grundstücks durch eine juristische Person öffentlichen Rechts, wenn das Grundstück aus Anlass des Übergangs von öffentlich-rechtlichen Aufgaben oder aus Anlass von Grenzänderungen von der einen auf die andere juristische Person übergeht und nicht überwiegend einem Betrieb gewerblicher Art dient“.

11.169

Diese Ausnahme betrifft auch Hochschulen, soweit sie – wie alle Landesuniversitäten und Landesfachhochschulen – juristische Personen des öffentlichen Rechts sind6 und Universitätsklinika wie Studentenwerke als rechtsfähige Anstalten des öffentlichen Rechts – allerdings nur insoweit, als sie nicht als Betriebe gewerblicher Art7 zu qualifizieren sind.8 Ebenfalls nicht von der Besteuerung ausgenommen ist der Übergang von einer staatlichen Hochschule auf ein privatisiertes Universitätsklinikum.9 1 Brandenburg: § 3 Abs. 1 Satz 1 StiftG-EUV; Hessen: § 83 Abs. 4 Nr. 1, Abs. 5 HessHG; § 4 Abs. 4 TUD-Gesetz sieht die Möglichkeit einer Übertragung durch Rechtsverordnung vor; Niedersachsen: § 56 Abs. 7 Satz 1 NHG; § 3 Abs. 1 Satz 1 StiftVO-FHOS; § 3 Abs. 1 Satz 1 StiftVO-TiHo; § 3 Abs. 1 Satz 1 StiftVO-UGÖ; § 3 Abs. 1 Satz 1 StiftVO-UHI; § 3 Abs. 1 Satz 1 StiftVO-ULG; Schleswig-Holstein: § 3 Abs. 1 Satz 1 StiftULG. 2 § 108 Abs. 3 Satz 2 SAHSG. 3 § 8 Abs. 6 HessStudWG. 4 Zum Unterschied zwischen Steuerpflichtigem und Steuerschuldner in diesem Fall Bartone in Behrens/Wachter, GrEStG, Kommentar, 2018, § 13 Rz. 2. 5 Bartone in Behrens/Wachter, GrEStG, Kommentar, 2018, § 13 Rz. 39; Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht24, Rz. 18.53. 6 Dazu oben Rz. 11.21. 7 Zum grunderwerbsteuerlichen Begriff des Betriebs gewerblicher Art Nienhaus in Behrens/Wachter, GrEStG, Kommentar, 2018, § 4 Rz. 16 ff. (22). 8 Siehe dazu Kapitel 9, Rz. (VIII, 1.), wo auch ein Weg aufgezeigt wird, die Steuerpflicht zu vermeiden. (nach Fn. 134); zum zeitlichen Aspekt Nienhaus in Behrens/Wachter, GrEStG, Kommentar, 2018, § 4 Rz. 8 a.E. 9 BFH v. 9.11.2016 – II R 12/15, BStBl. II 2017, 211 Rz. 16 ff.; Nienhaus in Behrens/Wachter, GrEStG, Kommentar, 2018, § 4 Rz. 15.

838 | Schöck

B. Hochschulrecht und Steuerrecht | Rz. 11.174 Kap. 11

Nach § 4 Nr. 5 GrEStG gilt eine angesichts der Verbreitung des Modells der Public Private Partnership (PPP) zunehmend an Bedeutung gewinnende Befreiung für den Fall eines im Rahmen einer Öffentlich Privaten Partnerschaft (ÖPP)1 vereinbarten Erwerbs und Rückerwerbs, wenn das Grundstück für einen Zweck im Sinne des § 3 Abs. 2 GrStG (dazu unten Rz. 11.175) genutzt wird und die Rückübertragung des Grundstücks zum Ende des Vertragszeitraums verbindlich vereinbart worden ist.2.5

11.170

dd) Bemessungsgrundlage Maßgeblich für die Bemessung der Grunderwerbsteuer ist prinzipiell die Gegenleistung (§ 8 Abs. 1 GrEStG). Fehlt eine solche (wie im obigen Beispiel), wird auf die Grundbesitzwerte im Sinne des § 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 157 Abs. 1 bis 3 BewG zurückgegriffen.

11.171

ee) Steuersatz Nach § 11 Abs. 1 GrEStG beträgt der Steuersatz 3,5 vom Hundert der Bemessungsgrundlage. Nach Art. 105 Abs. 2a Satz 2 GG haben die Länder die Befugnis, den Steuersatz bei der Grunderwerbsteuer zu bestimmen; davon haben außer Bayern und Sachsen alle Länder Gebrauch gemacht.3

11.172

f) Grundsteuer aa) Steuergegenstand Nach § 1 Abs. 1 GrStG können Gemeinden für in ihrem Gebiet liegenden Grundbesitz (§ 19 Abs. 1 BewG) Grundsteuer erheben. Für die Feststellung des Einheitswertes (§ 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO) ist das Lagefinanzamt zuständig (§ 22 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 18 Abs. 1 Nr. 1 AO).4

11.173

bb) Steuerpflichtiger Steuerschuldner ist nach § 10 Abs. 1 GrStG „derjenige, dem der Steuergegenstand bei der Feststellung des Grundsteuerwerts zugerechnet wird“. Die Zurechnung wird im Rahmen des Bewertungsverfahrens festgestellt (§ 19 Abs. 3 Nr. 2, § 22 Abs. 2 BewG). Der dem Betrieb der Hochschulen dienende Grundbesitz steht – soweit er nicht angemietet ist – entweder im Eigentum des die Hochschule tragenden Landes, der die Hochschule tragenden Stiftung5 oder der Hochschule selbst6. 1 Zum Begriff Knittel in Stenger/Loose, Bewertungsrecht – Kommentar zum BewG, ErbStG und GrStG, § 3 GrStG Rz. 563. 2 Dazu BFH v. 6.12.2017 – II R 26/15 Rz. 30. 3 Übersicht bei Drees in Behrens/Wachter, GrEStG, Kommentar, 2018, § 12 Rz. 9. 4 Mannek/Sklareck in Stenger/Loose, Bewertungsrecht – Kommentar zum BewG, ErbStG und GrStG, § 27 Rz. 38; Bruschke in Stenger/Loose, Bewertungsrecht – Kommentar zum BewG, ErbStG und GrStG, § 19 BewG Rz. 87 f. 5 Brandenburg: § 3 Abs. 1 Satz 1 StiftG-EUV; Hessen: § 83 Abs. 4 Nr. 1, Abs. 5 HessHG; die Technische Universität Darmstadt kann zwar über die durch sie genutzten Grundstücke verfügen, diese verbleiben allerdings im Eigentum des Landes Hessen – § 4 Abs. 3 TUD-Gesetz – soweit sie nicht durch eine Rechtsverordnung nach § 4 Abs. 4 TUD-Gesetz zu Eigentum übertragen werden; Niedersachsen: § 3 Abs. 1 Satz 1 StiftVO-FHOS; § 3 Abs. 1 Satz 1 StiftVO-TiHo; § 3 Abs. 1 Satz 1 StiftVO-UGÖ; § 3 Abs. 1 Satz 1 StiftVO-UHI; § 3 Abs. 1 Satz 1 StiftVO-ULG; Schleswig-Holstein: § 3 Abs. 1 Satz 1 StiftULG. 6 soweit die Hochschule als Körperschaft über eigenes Körperschaftsgrundvermögen verfügt.

Schöck | 839

11.174

Kap. 11 Rz. 11.175 | Besteuerung der Hochschulen

cc) Steuerbefreiungen

11.175

Von der Grundsteuer befreit ist nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 GrStG „Grundbesitz, der von einer inländischen juristischen Person des öffentlichen Rechts für einen öffentlichen Dienst oder Gebrauch benutzt wird.“1 Nach § 3 Abs. 2 S. 1 GrStG ist „Öffentlicher Dienst ... im Sinne dieses Gesetzes ... die hoheitliche Tätigkeit ...“ oder der bestimmungsgemäße Gebrauch durch die Allgemeinheit. Das kann der Fall sein, wenn eine Hochschule durch eine vertragliche Vereinbarung mit der Stadt einen Park für die öffentliche Nutzung zur Verfügung stellt oder wenn sie ihre Sammlungen oder ihren Botanischen/Zoologischen Garten der Öffentlichkeit zugänglich macht. Das kann auch gegen Eintritt erfolgen, solange keine Gewinnerzielungsabsicht besteht. Damit sind Hochschulen erfasst, soweit sie hoheitliche Aufgaben wahrnehmen. Betriebe gewerblicher Art im Sinne des KStG sind von der Befreiung ausgeschlossen (§ 3 Abs. 3 GrStG; Abschnitt 9 Abs. 4 GrStR); das bedeutet, dass ein Grundstück, das zu mehr als 50 % einem BgA dient, nicht von der Grundsteuer befreit ist.2 Die Grundsteuerrichtlinien nehmen für den Begriff „hoheitliche Tätigkeit“ mit dem Hinweis, dass er im Steuerrecht nur einheitlich gebraucht werden könne, auf die Regelungen in den §§ 4 Abs. 5 KStG, 2 Abs. 2 GewStDV3 Bezug, die für Zwecke der Grundsteuer in der Regel übernommen werden.

11.176

Darüber hinaus ist nach § 3 Nr. 5 GrStG befreit „Grundbesitz, der für Zwecke der Wissenschaft, des Unterrichts oder der Erziehung benutzt wird, wenn durch die Landesregierung oder die von ihr beauftragte Stelle anerkannt ist, dass der Benutzungszweck im Rahmen der öffentlichen Aufgaben liegt. Der Grundbesitz muss ausschließlich demjenigen, der ihn benutzt, oder einer juristischen Person des öffentlichen Rechts zuzurechnen sein;“. Im Hinblick auf die Befreiung nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 GrStG ist diese Befreiung für jPdöR subsidiär.4

11.177

Beim hoheitlichen Gebrauch gilt nach § 3 Abs. 1 Satz 3 GrStG eine Ausnahme vom Erfordernis der Eigentümer-Nutzer-Identität für „Öffentlich Private Partnerschaften“ (ÖPP – auch Public Private Partnerships – PPP)5; für die Befreiung nach § 4 Abs. 5 GrStG gilt diese Privilegierung – unverständlicherweise – nicht. Sofern man – wie der Bundesfinanzhof unter Hinweis auf die Gesetzesbegründung6 – davon ausgeht, dass im Regelfall bei derartigen Vereinbarungen bereits wirtschaftliches Eigentum i.S.d. § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO vorliegt, führt das zum selben Ergebnis. g) Erbschaftsteuer

11.178

Soweit Hochschulen – und das ist zum Glück nicht ganz selten der Fall – durch Erbeinsetzungen (§ 3 ErbStG) oder Schenkungen unter Lebenden (§ 7 ErbStG) bedacht werden, auch wenn zu ihren Gunsten eine Stiftung errichtet wird (§ 3 Abs. 2 Nr. 1, § 7 Abs. 1 Nr. 8 ErbStG), sind sie Erwerber im Sinne des § 20 Abs. 1 ErbStG und damit Steuerpflichtige.7 Sofern die Hoch1 Dazu Knittel in Stenger/Loose, Bewertungsrecht – Kommentar zum BewG, ErbStG und GrStG, § 3 GrStG Rz. 601 ff. 2 GrStR Abschn. 9 Abs. 4 Satz 2; Seer, Die steuerliche Behandlung des Forschungstransfers unter Berücksichtigung der gesetzlichen Neuregelungen ab 1.1.1997, DStR 1997, 436 ff. (437); Seer, Steuerrechtliche Fragen der Forschungsförderung in HdbWissR, 1996, S. 1449. 3 GrStR Abschn. 9 Abs. 1 Sätze 3 und 6. 4 GrStR Abschn. 22 Abs. 1 Satz 2. 5 Knittel in Stenger/Loose, Bewertungsrecht – Kommentar zum BewG, ErbStG und GrStG, § 3 GrStG RN 561; zum Begriff Rz. 563; BFH v. 6.12.2017 – II R 26/15 Rz. 26. 6 BFH v. 6.12.2017 – II R 26/15 Rz. 36. 7 Hartmann in Stenger/Loose, Bewertungsrecht – Komm. zum BewG, ErbStG und GrStG, § 20 ErbStG Rz. 1.

840 | Schöck

B. Hochschulrecht und Steuerrecht | Rz. 11.182 Kap. 11

schule die materiellen Voraussetzungen der Gemeinnützigkeit (in Betracht kommen Förderung von Wissenschaft und Forschung (§ 52 Abs. 2 Nr. 1 AO) sowie Erziehung, Volks- und Berufsbildung einschließlich der Studentenhilfe (§ 52 Abs. 2 Nr. 7 AO)) erfüllt – was in aller Regel gegeben ist – und auch den formalen Anforderungen (Satzung, die den Anforderungen an die Mustersatzung nach Anlage 1 zu § 60 AO entspricht; tatsächliche Geschäftsführung entsprechend der Satzung – § 63 AO), ist die Zuwendung nach § 13 Abs. 1 Nr. 16 ErbStG steuerfrei.1 Nach Abschnitt 13.8 Abs. 1 Satz 3 der Erbschaftsteuer-Richtlinien 2019 ist eine für Zwecke der Körperschaftsteuer über die Gemeinnützigkeit der Körperschaft getroffene Entscheidung zu übernehmen. Unterhält die erwerbende Körperschaft einen Zweckbetrieb i.S.d. § 65 AO (siehe oben Rz. 11.128 f.), ist eine Zuwendung an die Körperschaft oder an den Zweckbetrieb für die Steuerbefreiung unschädlich2; ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb kann zwar Gegenstand3, aber nicht Empfänger einer steuerbegünstigten Zuwendung sein.4

11.179

Daneben kommt unabhängig vom Empfänger subsidiär5 eine Befreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 17 ErbStG in Betracht, wenn die Zuwendung einem gemeinnützigen Zweck gewidmet und diese Verwendung sichergestellt ist.6

11.180

Die nicht seltene testamentarische Errichtung einer unselbständigen (nicht rechtsfähigen) Stiftung innerhalb des Körperschafts- oder auch Stiftungsvermögens einer Hochschule (§ 3 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 ErbStG) führt zu einem Zweckvermögen, das als abgetrenntes Sondervermögen nach den Vorgaben des Stifters zu verwalten ist,7 und ist unter den obigen Voraussetzungen ebenfalls steuerbefreit.

11.181

Soweit keine Befreiungstatbestände erfüllt sind, ist nach § 15 Abs. 1 ErbStG die Steuerklasse III maßgeblich8. Das führt nach Abzug eines Freibetrags von 20.000 € (§ 16 Abs. 1 Nr. 7 ErbStG) zu Steuersätzen zwischen 30 Prozent des Wertes des steuerpflichtigen Erwerbs (§ 10 ErbStG) bei einem Wert bis zu 6 Mio. € und 50 Prozent, wenn der Wert des steuerpflichtigen Erwerbs über 6 Mio. € liegt (§ 19 Abs. 1 ErbStG), wobei es zur Abmilderung der Progression zwischen den einzelnen Steuersätzen noch einen Härteausgleich gibt (§ 19 Abs. 3 ErbStG).

11.182

1 A.A. Hartmann in Stenger/Loose, Bewertungsrecht – Komm. zum BewG, ErbStG und GrStG, § 13 Rz. 153 m.w.N., der KdöR von der Anwendung des § 13 Abs. 1 Nr. 16 Buchst. b ErbStG grundsätzlich ausgeschlossen sieht, dabei aber verkennt, dass Betriebe gewerblicher Art als Zweckbetriebe gemeinnützig sein können (dazu oben Rz. 11.71, Rz. 11.128 f.). 2 Kobor in Fischer/Pahlke/Wachter, ErbStG § 13 Rz. 86; Schienke-Ohletz in v. Oertzen/Loose, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, 2. Aufl. 2020, § 13 Rz. 93. 3 Abschnitt 13.8 Abs. 1 Satz 5 und 6 Erbschaftsteuer-Richtlinien 2019; Schienke-Ohletz in v. Oertzen/Loose, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, 2. Aufl. 2020, § 13 ErbStG Rz. 93. 4 Abschnitt 13.8 Abs. 1 Satz 3 Erbschaftsteuer-Richtlinien 2019; Einzelheiten bei Schienke-Ohletz in v. Oertzen/Loose, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, 2. Aufl. 2020, § 13 ErbStG Rz. 93. 5 Hartmann in Stenger/Loose, Bewertungsrecht – Komm. zum BewG, ErbStG und GrStG, § 13 Rz. 170; Schienke-Ohletz in v. Oertzen/Loose, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, 2. Aufl. 2020, § 13 ErbStG Rz. 104. 6 Details bei Schienke-Ohletz in v. Oertzen/Loose, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, 2. Aufl. 2020, § 13 ErbStG Rz. 104 ff. 7 Götz in Stenger/Loose, Bewertungsrecht – Komm. zum BewG, ErbStG und GrStG, § 3 ErbStG Rz. 240, 245 ff. 8 So auch Schienke-Ohletz in v. Oertzen/Loose, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, 2. Aufl. 2020, § 13 ErbStG Rz. 85.

Schöck | 841

Kap. 11 Rz. 11.183 | Besteuerung der Hochschulen

h) Alkoholsteuer, Biersteuer

11.183

Hochschulen brauen im Rahmen von Forschung und Lehre des Brau- oder auch des Chemieingenieurwesens Bier. Sie bauen für Forschungs- und Lehrzwecke Wein an oder stellen aus den Kräutern ihrer Botanischen Gärten Schnäpse her. Soweit Hochschulen im Körperschaftsvermögen über Weinberge verfügen, bauen sie den Wein auch schlicht zur Vermarktung an. Das Alkoholsteuergesetz (AlkStG), das zum 1.1.2018 im Rahmen der Verbrauchsteuerharmonisierung der EU das Branntweinmonopolgesetz abgelöst hat1, gilt ebenso wie das Biersteuergesetz auch für Hochschulen, soweit sie Bier oder Alkohol in Form der Positionen 22042, 22053, 22064, 22075 oder 22086 der Kombinierten Nomenklatur7 herstellen, bearbeiten, lagern, empfangen oder versenden (§ 4 Abs. 1 AlkStG).

11.184

Wein wird allerdings in Deutschland nicht besteuert, nachdem die EU-Richtlinie einen Steuersatz von 0 zulässt.8

11.185

Bier unterliegt der Besteuerung durch das Biersteuergesetz. Dabei variiert die Höhe der Steuer in Abhängigkeit von der Produktionsmenge und der Verbindung zu anderen Brauereien („unabhängige Brauerei“ im Sinne des § 2 Abs. 2 BierStG). Steuerbefreit ist Bier, das als Haustrunk unentgeltlich abgeben wird (§ 23 Abs. 2 Nr. 5 BierStG) an die Angestellten und Arbeiter, die unmittelbar mit Produktion und Vertrieb des Bieres befasst sind (§ 40 Abs. 1 BierStV). i) Kraftfahrzeugsteuer

11.186

Soweit Hochschulen eigene zulassungspflichtige Kraftfahrzeuge (§ 3 Abs. 1 FZV9) betreiben, unterliegen sie der Kraftfahrzeugsteuerpflicht.

11.187

Steuerschuldner ist nach § 7 Nr. 1 KraftStG 2002 „die Person, für die das Fahrzeug zum Verkehr zugelassen ist“. Das kann auch eine juristische Person des öffentlichen Rechts sein. Steuergegenstand ist nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 „das Halten von inländischen Fahrzeugen zum Verkehr auf öffentlichen Straßen“. 1 Dazu Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht24, Rz. 18.113. 2 2204 – Wein aus frischen Weintrauben, einschließlich mit Alkohol angereicherter Wein; Traubenmost, ausgenommen solcher der Position 2009. 3 2205 – Wermutwein und andere Weine aus frischen Weintrauben, mit Pflanzen oder anderen Stoffen aromatisiert. 4 2206 00 – Andere gegorene Getränke (z.B. Apfelwein, Birnenwein, Met und Sake); Mischungen gegorener Getränke und Mischungen gegorener Getränke und nicht alkoholischer Getränke, anderweit weder genannt noch inbegriffen. 5 2207 – Ethylalkohol mit einem Alkoholgehalt von 80 % vol. oder mehr, unvergällt; Ethylalkohol und Branntwein mit beliebigem Alkoholgehalt, vergällt. 6 2208 – Ethylalkohol mit einem Alkoholgehalt von weniger als 80 % vol., unvergällt; Branntwein, Likör und andere alkoholhaltige Getränke. 7 § 1 Abs. 4 AlkStG: „Kombinierte Nomenklatur im Sinn dieses Gesetzes ist die Warennomenklatur nach der Durchführungsverordnung (EU) 2018/1602 der Kommission vom 11.10.2018 zur Änderung des Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom 23.7.1987 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (ABl. L 273 vom 31.10.2018, S. 1) in der am 1.1.2019 geltenden Fassung und der bis zu diesem Zeitpunkt zur Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 erlassenen Rechtsvorschriften.“ 8 Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht24, Rz. 18.114. 9 Fahrzeug-Zulassungsverordnung v. 3.2.2011, BGBl. I, S. 139, die zuletzt durch Art. 9 des Gesetzes v. 12.7.2021, BGBl. I, S. 3091, geändert worden ist (Fahrzeug-Zulassungsverordnung – FZV).

842 | Schöck

Kapitel 12 Besteuerung von Religionsgemeinschaften A. Überlagerung des Steuerrechts durch Religions- und Steuerverfassungsrecht: Doppelte Neutralitätsanforderung . . . . . . . . B. Organisationsfragen im Bereich von Religion und Besteuerung I. Religionsgemeinschaften als nichtstaatliche Akteure mit teilweise öffentlich-rechtlichem Status . . . . II. Begriff der Religionsgemeinschaft als Basis aller Organisationsfragen III. Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts 1. Entwicklung und Rechtfertigung durch die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung . . . . . . . . 2. Körperschaftsstatus a) Grundgesetzliches Konzept b) Insbesondere: Islam als Körperschaft des öffentlichen Rechts? . . . . . . . . . . 3. Geborene Körperschaften . . . . . 4. Gekorene Körperschaften . . . . . 5. Verfahren des Erwerbs des Körperschaftsstatus . . . . . . . . . 6. Ausübung von Hoheitsgewalt durch korporierte Religionsgemeinschaften . . . . . . . . . . . . . 7. Liste der Religionsgemeinschaften mit Körperschaftsstatus . . . IV. Ordensgemeinschaften . . . . . . . . . . V. Sonstige Organisationsformen . . . VI. Organisationsfragen religionsgemeinschaftlicher Trabanten/ kirchlich gebundener Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Anknüpfung steuerlicher Befreiungen an den Körperschaftsstatus – Rechtfertigung und rechtspolitische Diskussion . . . . . . . . . . . . . . C. Bedeutung der Wettbewerbsgleichheit für Religionsgemeinschaften . D. Fragen der Gemeinnützigkeit I. Ansatzpunkte des Gemeinnützigkeitsrechts bei Religionsgemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

12.1

12.4 12.15

12.18 12.19 12.21 12.23 12.24 12.25 12.26 12.27 12.29 12.33

12.38

12.40 12.43

12.44

II. Ausschluss extremistischer religiöser Zusammenschlüsse aus der Gemeinnützigkeit . . . . . . . . . . III. Für Religionsgemeinschaften relevante Gemeinnützigkeitszwecke . . 1. Kirchliche Zwecke – § 54 AO . . 2. Bedeutung sonstiger gemeinnütziger Zwecke für die Besteuerung von Religionsgemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bedeutung mildtätiger Zwecke für die Besteuerung von Religionsgemeinschaften . . . . . . . . . . IV. Verschiedene Sphären gemeinnütziger Religionsgemeinschaften oder Zusammenschlüsse . . . . . . . . E. Sonderprobleme des Ertragsteuerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Körperschaftsteuer 1. Korporierte Religionsgemeinschaften als nichtkörperschaftsteuerpflichtige Subjekte . . . . . . 2. Kirchliche Betriebe gewerblicher Art . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kirchliche Hoheitsbetriebe . . . . 4. ABC zu Betrieben gewerblicher Art sowie Hoheitsbetrieben von Religionsgemeinschaften . . II. Gewerbesteuer . . . . . . . . . . . . . . . . F. Sonderprobleme des Umsatzsteuerrechts I. Religionsgemeinschaften als Unternehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtslage bis zum Inkrafttreten des § 2b UStG . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Rechtslage seit Inkrafttreten des § 2b UStG 1. Grundsatz der Unternehmereigenschaft der juristischen Person des öffentlichen Rechts . 2. Umsetzung von Art. 13 MwStSystRL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Religionsgemeinschaften als Einrichtungen des öffentlichen Rechts i.S.d. Art. 13 MwStSystRL . . . . . . . . . . . . . . .

12.49 12.51 12.52

12.56 12.62 12.63 12.66

12.67 12.70 12.73 12.77 12.78

12.86 12.88

12.91 12.92

12.94

Waldhoff/Stapperfend | 843

Kap. 12 | Besteuerung von Religionsgemeinschaften 4. Tätigkeiten im Rahmen öffentlicher Gewalt . . . . . . . . . . . . . . 5. Keine größeren Wettbewerbsverzerrungen a) Prüfungsmaßstab . . . . . . . b) Begriff des Wettbewerbs . . c) Wettbewerb zwischen Religionsgemeinschaften und anderen Unternehmern . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Bagatellgrenze des § 2b Abs. 2 Nr. 1 UStG . . . . . . . e) Steuerfreie Umsätze nach § 2b Abs. 2 Nr. 2 UStG . . .

12.97 12.103 12.105 IV. 12.106 12.109 12.110

G. I. II. III. IV.

f) Zusammenarbeit von Religionsgemeinschaften nach § 2b Abs. 3 UStG . . . 6. Entgelt für nach § 2b UStG steuerbare Leistungen der Religionsgemeinschaften . . . . . ABC der erfassten und nicht erfassten Leistungen . . . . . . . . . . . Sonstige Steuern Erbschaft- und Schenkungsteuer . Grundsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grunderwerbsteuer . . . . . . . . . . . . Sonstige Vergünstigungen . . . . . .

12.111 12.118 12.120 12.121 12.131 12.153 12.158

Literatur: Achilles, Kirchliche Stiftungen in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 3, 3. Aufl. Berlin 2020, § 71; Anapliotis, Die Organisation der orthodoxen Kirchen in Deutschland in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschlan, Bd. 1, 3. Aufl. Berlin 2020, § 22; Anke/Guntau, Die Organisation der evangelischen Kirche in Deutschland in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 3. Aufl. Berlin 2020, § 21; Axer, Die Steuervergünstigungen für die Kirchen im Staat des Grundgesetzes, AfKKR 156 (1987), 460; Badelt, Die Güter- und Leistungserstellung in Religionsgemeinschaften – Eine ökonomische Darstellung in Rinderer (Hrsg.), Finanzwissenschaftliche Erkenntnisse von Religionsgemeinschaften, Baden-Baden 1989, S. 37; Beermann, Hoheitsbetriebe von Kirchen und Religionsgemeinschaften, Frankfurt a.M. 2005; Brauser-Jung, Religionsgewerbe und Religionsunternehmerfreiheit, Köln 2002; v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, 4. Aufl. München 2006; Clasen, Steuervergünstigungen von Religionsgemeinschaften, Frankfurt a.M. 2014; Classen, Religionsrecht, 3. Aufl. Tübingen 2021; Demel, Die Organisation der jüdischen Gemeinden in Deutschland in Pirson/Rüfner/ Germann/Muckel (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 3. Aufl. Berlin 2020, § 24; Droege, Staatsleistungen an Religionsgemeinschaften im säkularen Kulturund Sozialstaat, Berlin 2004; Droege., Öffentlich-rechtlicher Körperschaftsstatus und Umsatzsteuerrecht, ZevKR 63 (2018), S. 57; Droege, Förderung der Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften im Abgabenrecht in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 3, 3. Aufl. 2020, § 74; EKD, Neuregelung der Umsatzbesteuerung von kirchlichen Körperschaften des öffentlichen Rechts. Arbeitshilfe für die steuerliche Bestandsaufnahme in der Kirchengemeinde, Hannover 2018; Englisch, Umsatzsteuerpflicht kirchlicher Betätigung in Birk/Ehlers (Hrsg.), Aktuelle Rechtsfragen der Kirchensteuer, Baden-Baden 2012, S. 193; Englisch, Leistungen rechtlich verselbständigter kirchlicher Werke im kirchenlichen Binnenbereich, DStR 2011, 1692; Flierl, Freie und öffentliche Wohlfahrtspflege, 2. Aufl. München 1992; Germann/Gienke, Die Organisation der kleineren christlichen Kirchen in Deutschland in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 3. Aufl. Berlin 2020, § 23; Haering, Die Organisation der katholischen Kirche in Deutschland in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 3. Aufl. Berlin 2020, § 20; Hammer, Verfassungsfragen der wirtschaftlichen Betätigung der Kirchen in FS für Rolf Stober, 2008, S. 265; Hammer, Kriterien öffentlich-rechtlichen Handelns kirchlicher juristischer Personen des Öffentlichen Rechts, KuR 1/2016, S. 37; Gerhard Hammer, Steuer- und Gebührenbefreiungen der Kirchen in Listl/Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 2. Aufl. Berlin 1994, § 36; Heinig, Öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften, 2003; Heinig, Art. 137 Abs. 5 S. 2 WRV – ein Gleichheitsversprechen in rechtswissenschaftlicher Theorie und Rechtsprechungspraxis in ders., Die Verfassung der Religion, Tübingen 2014, S. 213; Heinig, Gesetzgeberische Gestaltungsoptionen zur Verleihung und zum Verlust des Körperschaftsstatus

844 | Waldhoff/Stapperfend und Waldhoff

Besteuerung von Religionsgemeinschaften | Kap. 12 für Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften in ders., Die Verfassung der Religion, Tübingen 2014, S. 232; Heinig/Munsonius (Hrsg.), 100 Begriffe aus dem Staatskirchenrecht, 2. Aufl. Tübingen 2015; Heun, Staatsleistungen an die Kirchen und andere Religionsgemeinschaften in Pirson/Rüfner/ Germann/Muckel (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 3, 3. Aufl. Berlin 2020, § 73; Hillgruber, Der öffentlich-rechtliche Körperschaftsstatus nach Art. 137 Abs. 5 WRV in Heinig/Walter (Hrsg.), Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht? Tübingen 2007, S. 213; Holste genannt Göcke, Die Besteuerung von Ordensgemeinschaften, Baden-Baden 2020; Hüttemann, Zur Umsatzsteuerpflicht der Gestellung von Ordensangehörigen nach nationalem Steuerrecht und Unionsrecht, UR 2018, 577; Hüttemann, Rechtsgutachten zu steuerrechtlichen Fragen bei Ordensgestellungsverträgen, Ordenskorrespondenz 2018, S. 225, 354 und 479; Hüttemann, Gemeinnützigkeitsrechtliche Fragen einer Beteiligung von Ordensgemeinschaften am „Verfahren zur Anerkennung des Leids“ der Deutschen Bischofskonferenz, Ordenskorrespondenz 2021, S. 222; Hüttemann, Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht, 5. Aufl. Köln 2021; Isensee, Die Finanzquellen der Kirchen im deutschen Staatskirchenrecht, JuS 1980, S. 94; Janssen, Aspekte des Status von Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts2, 2017; Jeand’Heur/Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, Stuttgart 2000; Jurina, Die Religionsgemeinschaften mit privatrechtlichem Rechtsstatus in Listl/Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 2. Aufl. Berlin 1994, § 23; v. Kalm, Der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb, StuW 26 (1949), Sp. 619; Kim, Die steuerrechtliche Behandlung von Religionsgemeinschaften in Deutschland im Vergleich zu Südkorea, Hamburg 2015; F. Kirchhof, Grundlagen und Legitimation der deutschen Kirchenfinanzierung in Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 47, Münster 2013, S. 7; P. Kirchhof, Die Kirchen und Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts in Listl/Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 2. Aufl. Berlin 1994, § 22; Kluth, Krankenhäuser in kirchlicher Trägerschaft in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, 3. Aufl. Berlin 2020, § 52; Kratz, Können geistliche Genossenschaften, insbesondere katholische Orden und Kongregationen, steuerlich als Körperschaften des öffentlichen Rechts behandelt werden?, DStZ 1939, 713; Kube, Umsatzsteuerpflicht bei Zuwendungen an kirchliche Werke? ZevKR 56 (2011), 27; Kube, Staatliche Religionsförderung durch Steuer- und Abgabenrecht in Pulte/Hense (Hrsg.), Grund und Grenzen staatlicher Religionsförderung, Paderborn 2014, S. 143; Küffner/Rust, Kirchen im Fokus der Umsatzsteuer, DStR 2014, 2533; Lutz, Steuerliche Behandlung von Integrationsprojekten, DStR 2012, S. 1260; Mack, Die Kirchen- und Reichsgesetzgebung über die geistliche Steuerfreiheit im späten Mittelalter, Stuttgart 1916; Magen, Körperschaftsstatus und Religionsfreiheit, Tübingen 2004; Magen, Kirchen und andere Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts in Pirson/Rüfner/ Germann/Muckel (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 3. Aufl. Berlin 2020, § 27; Mager, Förderung von Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften durch den Staat in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 3, 3. Aufl. Berlin 2020, § 68; Maier, Grundlagen und Probleme der Klosterbesteuerung nach geltendem deutschen Steuerrecht, Berlin 1958; Muckel/Traub, Religiöse Vereine und Gesellschaften in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 3. Aufl. Berlin 2020, § 28; Nachtkamp, Erfüllung gesamtgesellschaftlicher Aufgaben durch Religionsgemeinschaften und deren Abgeltung durch Transferzahlungen und Steuervergünstigungen in Rinderer (Hrsg.), Finanzwissenschaftliche Aspekte von Religionsgemeinschaften, Baden-Baden 1989, S. 101; Oberhuber, Die Besteuerung von Kirchen und Ordensgemeinschaften, Wien 2005; Pabel, die Organisation muslimischer Gemeinschaften in Deutschland in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 3. Aufl. Berlin 2020, § 25; Pree, Steuerfreiheit der Kirche in Kasper (Hrsg.), Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. 9, 3. Aufl. Freiburg i.Br. 2000, Sp. 996; Rausch, Besteuerung der Kirchen als juristische Personen des öffentlichen Rechts in Hidien/Jürgens (Hrsg.), Die Besteuerung der öffentlichen Hand, München 2017, § 19; Sailer, Die Ordensgemeinschaften und die Rechtsstellung ihrer Angehörigen in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 3. Aufl. Berlin 2020, § 29; Schnell, Bestattungswesen und Friedhöfe in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 3, 3. Aufl. Berlin 2020, § 61; Schön, Kirchliche Hoheitsbetriebe, DStZ 1999, 701; Schrooten, Gleichheitssatz und Religionsgemeinschaften, 2015; Schulte, Verschärfung der Umsatz-

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Kap. 12 Rz. 12.1 | Besteuerung von Religionsgemeinschaften besteuerung der öffentlichen Hand – Folgen für die kirchlichen Körperschaften des öffentlichen Rechts, KuR 1/2016, 89; Schwarz, Das Gleichbehandlungsgebot im Hinblick auf Religion in Pirson/ Rüfner/Germann/Muckel (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 3. Aufl. Berlin 2020, § 17; Starosta, Religionsgemeinschaften und wirtschaftliche Betätigung, Diss. Hamburg 1986; Sydow, Karitative Einrichtungen und Verbände in der katholischen Kirche in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, 3. Aufl. Berlin 2020, § 50; Towfigh, Die rechtliche Verfassung von Religionsgemeinschaften, 2. Aufl. Tübingen 2021; Towfigh, Der allgemeine Rechtsstatus der Religionsgemeinschaften in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 3. Aufl. Berlin 2020, § 26; Unruh, Religionsverfassungsrecht, 4. Aufl. Baden-Baden 2018; Unruh, Das karitativ-diakonische Wirken der Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften im Verfassungsstaat in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, 3. Aufl. Berlin 2020, § 49; Verband der Diözesen Deutschlands, Handreichung zu Umsatzsteuerpflichten kirchlicher juristischer Personen des öffentlichen Rechts gemäß § 2b UStG ab 1.1.2021 (=Arbeitshilfen, 298), (Bonn) 2018; Waldhoff, Neue Religionskonflikte und staatliche Neutralität, Verhandlungen des 68. Deutschen Juristentages 2010, München 2010, S. D 1; Walter, Die religiöse und weltanschauliche Neutralität des Staates in Pirson/ Rüfner/Germann/Muckel (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 3. Aufl. Berlin 2020, § 18; Hermann Weber, Der öffentlich-rechtliche Körperschaftsstatus der Religionsgemeinschaften nach Art. 137 Abs. 5 WRV in Heinig/Walter (Hrsg.), Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht, Tübingen 2007, S. 229; Martin Weber, Nichtunternehmerisches Handeln der Kirchen im Lichte des § 2b UStG, MwStR 2016, 818; Weides, Die Religionsgemeinschaften im Steuerrecht in FS der Rechtswissenschaftlichen Fakultät zur 600-Jahr-Feier der Universität zu Köln, Köln 1988, S. 885; Winter, Die diakonischen Werke und Einrichtungen der evangelischen Kirche in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, 3. Aufl. Berlin 2020, § 51; Wißmann, Freiheit braucht Form!? in Gerster/van Melis/Willems (Hrsg.), Religionspolitik heute, Freiburg i.Br. 2018, S. 177.

A. Überlagerung des Steuerrechts durch Religions- und Steuerverfassungsrecht: Doppelte Neutralitätsanforderung 12.1

Die Frage nach der Besteuerung von Religionsgemeinschaften1 ist die Frage nach den Besonderheiten von deren Besteuerung im Vergleich zu ähnlichen Gebilden – einerseits der Besteuerung von staatlichen Einrichtungen, andererseits der Besteuerung von Personenzusammenschlüssen des Privatrechts. Im Zentrum steht die Frage nach der Besteuerung der Religionsgemeinschaft als solcher sowie ihrer Tätigkeiten, sei es in Gottesdienst/Liturgie, Verkündigung, Seelsorge, Gemeindearbeit, im sozial-caritativen oder auch im wirtschaftlichen Bereich.2 In der Sache geht es regelmäßig um Steuervergünstigungen, zumeist um die Förderung von Religionsgemeinschaften:3 „In der Förderung der Kirchen und anderen Religionsgemein1 Hier und im Folgenden wird der Begriff „Religionsgemeinschaft“ als die weitestgehende und neutralste Bezeichnung verwendet; das institutionelle Recht der Art. 136 ff. WRV und auch viele Einzelgesetze sprechen historisch erklärbar von „Religionsgesellschaft“, an anderer Stelle ist im Grundgesetz von „Religionsgemeinschaft“ die Rede (Art. 7 Abs. 3 GG); die Begriffe werden hier gleichbedeutend verwendet. „Kirchen“ wäre in jedem Fall zu eng, da nichtchristliche Zusammenschlüsse so nicht erfasst würden. Zur Terminologie etwa de Wall in Heinig/Munsonius, 100 Begriffe aus dem Staatskirchenrecht2, S. 212. 2 Rausch in Hidien/Jürgens, Besteuerung der öffentlichen Hand, § 19 Rz. 1. 3 Zur historischen Tradition und Dimensionen der Steuerfreistellung der Kirchen Mack, Die Kirchen- und Reichsgesetzgebung über die geistliche Steuerfreiheit im späten Mittelalter; im Überblick Pree in Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. 93, Sp. 996; rechtsvergleichend Kim, Die steu-

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A. Überlagerung d. Steuerrechts durch Religions- und Steuerverfassungsrecht | Rz. 12.3 Kap. 12

schaften mit den Instrumenten des Abgabenrechts erweist sich der Steuerstaat als offen gegenüber den religionsverfassungsrechtlichen Determinanten der auch öffentlichen Rolle von Religion und Religionsgemeinschaften.“1 Zentrale Besonderheit bei der Behandlung der Besteuerung von Religionsgemeinschaften ist die Überlagerung2 der steuerlichen Regelungen durch das Religionsverfassungsrecht bzw. Staatskirchenrecht.3 Das macht den Befund komplex, treffen hier doch zwei schon je für sich eher unübersichtliche und nicht einfach zugängliche Teilrechtsmaterien aufeinander. Wie zu zeigen sein wird, treten damit zwei Neutralitätspostulate in Bezug auf die Besteuerung von Religionsgemeinschaften nebeneinander und überlagern sich: Dasjenige aus der religiös-weltanschaulichen Neutralität des säkularen Verfassungsstaats des Grundgesetzes und das steuer-, verfassungs- und europarechtliche im Hinblick auf die Besteuerung des öffentlichen Sektors (Rz. 12.43).4 Neben den üblichen steuerverfassungsrechtlichen Maßstäben5 treten somit das Grundrecht der Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG sowie das institutionelle Religionsverfassungsrecht, das Art. 140 GG aus den staatskirchenrechtlichen Bestimmungen der Weimarer Reichsverfassung (Art. 136 – 139, 141 WRV) in das Grundgesetz als vollgültiges Verfassungsrecht6 inkorporiert hat.7 Die religionsverfassungsrechtlichen Vorgaben gleichberechtigt zu den verfassungs- und europarechtlichen Determinanten der Besteuerung von Religionsgemeinschaften zu positionieren, ist der Leitgedanke vorliegender Darstellung. Dabei wird besonderer Wert auf das Organisationsrecht von Religionsgemeinschaften (Rz. 12.4 ff.) gelegt, da dieses dem Steuerrechtler regelmäßig kaum geläufig sein wird.

12.2

Diese Überlagerung hat für die beiden Anknüpfungspunkte von Steuervergünstigungen für Religionsgemeinschaften Bedeutung: Deren Rechtsform und deren verfolgte Zwecke.8 Das Religionsverfassungsrecht stellt dabei für deren Wirken im säkularen Bereich verschiedene Rechtsformen für Religionsgemeinschaften zur Verfügung und garantiert die Freiheit der Wahl zwischen diesen (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG; Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 2 WRV

12.3

1 2 3

4

5 6 7 8

erliche Behandlung von Religionsgemeinschaften in Deutschland im Vergleich zu Südkorea; zu Österreich Oberhuber, Die Besteuerung von Kirchen und Ordensgemeinschaften, 2005. Allgemein zu Steuervergünstigungen im Überblick Birk/Desens/Tappe, Steuerrecht23, Rz. 92 f., 196 ff.; vertieft Lang, Systematisierung der Steuervergünstigungen, 1974; Jochum, Die Steuervergünstigung, 2006. Droege in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bunderepublik Deutschland, Bd. 33, § 74 Rz. 1. Clasen, Steuervergünstigungen von Religionsgemeinschaften, S. 141 ff. Die Begriffe werden hier gleichbedeutend verwendet, vgl. zur Terminologie im Überblick v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht4, S. 39 f.; Waldhoff in Heinig/Munsionius, 100 Begriffe aus dem Staatskirchenrecht2, 2015, S. 265, sowie insgesamt den Sammelband Heinig/Walter, Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht?, 2007. Vgl. etwa auch Kube in Pulte/Hense, Grund und Grenzen staatlicher Religionsförderung, S. 143 (155). Grundlegend zur ratio der Besteuerung der öffentlichen Hand Hüttemann, Besteuerung der öffentlichen Hand, 2002, S. 6 ff. Allgemein zu steuerlicher Wettbewerbsneutralität P. Kirchhof in Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 53, § 118 Rz. 214 ff. Zu diesen etwa Waldhoff in Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 53, § 116 Rz. 98 ff.; Birk/Tappe/Desens, Steuerrecht23, Rz. 155 ff. BVerfG v. 14.12.1965 – 1 BvR 413, 416/60, BVerfGE 19, 206 (218 f.), seither ständige Rechtsprechung; Classen, Religionsrecht3, 2021, Rz. 35, 46. Droege in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 33, § 74 Rz. 1. Axer, ZfKKR 156 (1987), 460; Kube in Pulte/Hense, Grund und Grenzen staatlicher Religionsförderung, 2014, S. 143 (145).

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Kap. 12 Rz. 12.3 | Besteuerung von Religionsgemeinschaften

Rz. 2 ff.). Diejenigen Religionsgemeinschaften, die die Rechtsform einer Körperschaft des öffentlichen Rechts gem. Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 WRV besitzen, werden in vielen Steuergesetzen als Religionsgemeinschaft von der Steuer freigestellt. Die privatrechtlich organisierten Religionsgemeinschaften sowie bestimmte Trabanten der Kirchen gelangen über steuerbegünstigte Zwecke des Gemeinnützigkeitsrechts zu Steuerprivilegien. Die steuerbegünstigten Zwecke werden auch durch das Grundrecht der Religionsfreiheit sowie das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften geschützt (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG; Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV). Die Steuerbegünstigungen treten in zwei Formen auf: als unmittelbare Begünstigungen, d.h. in Bezug auf die Besteuerung der Religionsgemeinschaft selbst sowie als mittelbare Begünstigung, indem Dritten bei Leistungen an Religionsgemeinschaften Steuervorteile gewährt werden (Rz. 12.44).1 Vorliegend geht es im Wesentlichen um unmittelbare Steuervergünstigungen. Diese existieren im Körperschaftsteuerrecht (§ 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG Rz. 12.67), im Erbschaftsteuerrecht (§ 13 Abs. 1 Nr. 16 ErbStG Rz. 12.121), im Gewerbesteuerrecht (§ 3 Nr. 6 GewStG Rz. 12.77), im Grundsteuerrecht (§ 3 Abs. 1 Nr. 3b und 4 GrStG Rz. 12.131) und im Umsatzsteuerrecht (§ 4 Nr. 16, 18; § 12 Abs. 2 Nr. 8 UStG Rz. 12.86 ff.). Im Folgenden geht es zunächst um die Besteuerung der Religionsgemeinschaften als solchen (Rz. 12.15 ff.), dann aber auch um die ihnen angegliederten Organisationen und „Trabanten“ (Rz. 12.38 f.).

B. Organisationsfragen im Bereich von Religion und Besteuerung I. Religionsgemeinschaften als nichtstaatliche Akteure mit teilweise öffentlichrechtlichem Status 12.4

Die Organisation von Religion für den weltlichen Bereich ist ein Grundthema des Verfassungsstaates.2 Kirchen und Religionsgemeinschaften als solche sind nach der deutschen Rechtsordnung ohne jede Ausnahme nicht Teil des Staates. Das gilt – entgegen einem möglichen ersten Anschein – auch für die sog. korporierten Religionsgemeinschaften, die den Status von Körperschaften des öffentlichen Rechts gem. Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 WRV besitzen:3 „Durch die Zuerkennung dieses öffentlich-rechtlichen Status wird die Kirche anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften nicht gleichgestellt. Dieser Status soll die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Kirche vom Staat sowie ihre originäre Kirchengewalt bekräftigen. Durch sie wird die Kirche weder in den Staat organisch eingegliedert, noch einer besonderen staatlichen Kirchenhoheit unterworfen [...].“4 Geht man gedanklich von der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft aus, gehört der Bereich der Religion nach dem deutschen Religionsverfassungsrecht eindeutig zur gesellschaftlichen, nicht zur staatlichen Sphäre. Das war nicht immer so und auch in der Gegenwart bestehen zahlreiche, teilweise intensive Beziehungen zwischen Staat und Religionsgemeinschaften bis hin zu deren Beleihung mit staatlicher Hoheitsgewalt. Doch auch bei der Ausübung von Staatsgewalt im Rahmen der sog. gemeinsamen Angelegenheiten (res mixtae) ist stets klar trennbar, was der kirchlichen, was der staatlichen Sphäre zuzuordnen ist. Mit anderen Worten: Eine wirkliche Amalgamierung, Ver1 Axer, ZfKKR 156 (1987), 460; Kube in Pulte/Hense, Grund und Grenzen staatlicher Religionsförderung, S. 143 (145). 2 Wißmann in Gerster/van Melis/Willems, Religionspolitik heute, S. 177 (179). 3 Weides in FS der Rechtswissenschaftlichen Fakultät zur 600-Jahr-Feier der Universität zu Köln, S. 885 (888); Classen, Religionsrecht3, 2021, Rz. 303. 4 BVerfG v. 31.3.1971 – 1 BvR 744/67, BVerfGE 30, 415 (428); zuvor bereits BVerfG v. 17.2.1965 – 1 BvR 732/64, BVerfGE 18, 385 (386 f.).

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B. Organisationsfragen im Bereich von Religion und Besteuerung | Rz. 12.6 Kap. 12

mischung findet gerade nicht statt. Die durch Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 1 WRV statuierte Trennung von Staat und Religion ist nicht – wie in laizistischen Modellen, etwa in Frankreich – eine strikte; sie wurde als „hinkende Trennung“ charakterisiert1 oder besser als Kooperationsmodell in dem Verhältnis von Staat und Religion.2 Bis zum staatsrechtlichen Umbruch 1918/19 durch Revolution und Verfassungsgebung war das teilweise anders.3 Für die Frage nach der Besteuerung von Religionsgemeinschaften kommt es auf deren weltlich-rechtliche Organisation an. Dass tradierte Religionen selbst ein umfassendes Eigenorganisationsrecht besitzen, dass regelmäßig unter ihre Autonomie nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV fällt und in der Garantie der religiösen Vereinigungsfreiheit noch besonders hervorgehoben ist,4 steht dem nicht entgegen. Für die staatliche Anknüpfung ist allein der Status in der säkularen Rechtsordnung entscheidend, die innere Organisation der Religionsgemeinschaften5 ist für den Staat und damit auch für die Besteuerung weitgehend tabu. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Bahá’í-Entscheidung von 1991 aus dem Grundgesetz hergeleitet, dass der Staat Religionsgemeinschaften Organisationsformen zur Verfügung stellen muss, damit diese am Rechtsleben teilnehmen können.6 Ein Eingriff in die innere (Selbst-)Organisation der Religionen darf darin nicht liegen.

12.5

Religionsgemeinschaften sind im deutschen Recht nicht einheitlich organisiert, sie bedienen sich unterschiedlicher staatlicherseits zur Verfügung gestellter Organisationsformen. Zentral ist dabei die Unterscheidung zwischen denjenigen Gemeinschaften, die als Körperschaften des öffentlichen Rechts (Rz. 12.18 ff.) organisiert sind und den übrigen Religionsgemeinschaften (Rz. 12.33 ff.).7 Diese bedienen sich rechtlicher Organisationsformen des Privatrechts, vorrangig des (bürgerlich-rechtlichen) Vereinsrechts. Diese Ausgangslage führt angesichts der Rechtsformabhängigkeit der Besteuerung nach deutschem Steuerrecht von vornherein zu Unterschieden und damit zu Ungleichheiten, die zu rechtfertigen sind (Rz. 12.40). Die meisten, auch steuerlichen Privilegien knüpfen – wie noch zu zeigen sein wird – dabei an den Körperschaftsstatus der Religionsgemeinschaft an. Dieser Ausgangsbefund wird dadurch verschärft, dass durch die religionsverfassungsrechtliche Überlagerung weitere Vorgaben auch für die Besteuerung ins Spiel kommen. Die Koppelung von Steuerprivilegien an den Körperschaftsstatus rückt die Frage, wer diesen besitzt und wer diesen Status unter welchen Voraussetzungen erlangen kann in den Fokus rechtlicher Bewertung. Hier liegt eine zentrale verfassungs- und steuerrechtliche Frage. Die das Religionsverfassungsrecht des Grundgesetzes überwölbende Vorstellung von religiös-weltanschaulicher Neutralität des

12.6

1 Klassische Formulierung von Ulrich Stutz, vgl. v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht4, 2006, S. 32. 2 Jeand’Heur/Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, 2000, Rz. 46 ff.; v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht4, 2006, S. 90 ff. 3 Bis zu Revolution und Verfassungsgebung 1918/19 bestanden in Deutschland ein Staatskirchentum; so ist auch Art. 137 Abs.1 WRV zu verstehen. 4 Unruh, Religionsverfassungsrecht4, 2018, Rz. 248 ff. 5 Vgl. etwa Haering in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 13, § 20; Anke/Guntau, ebd. § 21; Anapliotis, ebd. § 22; Germann/Gienke ebd. § 23; Demel, ebd., § 24; Pabel, ebd., § 25. 6 BVerfG v. 5.2.1991 – 2 BvR 263/86, BVerfGE 83, 341. 7 Steuerlich Axer, ZfKKR 156 (1987), 460 (461); Weides in FS der Rechtswissenschaftlichen Fakultät zur 600-Jahr-Feier der Universität zu Köln, S. 885 (887 f.); Kube in Pulte/Hense, Grund und Grenzen staatlicher Religionsförderung, S. 143 (145); Rausch in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 19 Rz. 3 f.; allgemein v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht4, 2006, S. 115.

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Kap. 12 Rz. 12.6 | Besteuerung von Religionsgemeinschaften

Staates1 fordert Rechtfertigungen für die Unterscheidungen, die das Religionsverfassungswie das Steuerrecht treffen. In dieser gleichheitsrechtlichen Frage liegt die Problematik steuerlicher Religionsförderung, nicht in der Förderung als solcher.2 Diese fügt sich nahtlos in das Konzept „positiver“, „fördernder“ Neutralität3 des Grundgesetzes in religiösen Angelegenheiten ein.

12.7

Wie immer im Religionsverfassungsrecht macht die staatliche Rechtsordnung für die Religionsgemeinschaften Angebote.4 Religionsverfassungsrecht im Allgemeinen und staatlicherseits zur Verfügung gestellte Organisationsformen im Besonderen besitzen Angebotscharakter. Keine Religionsgemeinschaft ist gezwungen, sich dieser Formen zu bedienen, muss dann freilich ggf. entsprechende Nachteile in Kauf nehmen. Die steuerliche Behandlung mag dabei (auch hier) einen Gesichtspunkt für die Rechtsformwahl darstellen. Hat sich eine Religionsgemeinschaft für den öffentlich-rechtlichen Körperschaftsstatus entschieden und ihn verliehen bekommen, schließt sich ein durch das Selbstbestimmungsrecht gem. Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV geschütztes Wahlrecht hinsichtlich der konkret eingesetzten Handlungsform an: Die korporierten Religionsgemeinschaften können sich öffentlich-rechtlicher und privatrechtlicher Handlungsformen bedienen.5 Diese Handlungsformenwahl steht den privatrechtlich organisierten Religionsgemeinschaften nicht zu.

12.8

Steuerliche Fragen in Bezug auf Religion existieren auch jenseits der Ausgestaltung der Besteuerung von Religionsgemeinschaften als solchen. Auch die religiöse oder religiös agierende Person nimmt das deutsche Steuerrecht zur Kenntnis: Die Kirchensteuer (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 6 WRV) ist im Rahmen der Einkommensbesteuerung als Sonderausgabe abzugsfähig, § 10 Abs. 1 Nr. 4 EStG;6 die Förderung der Religion (§ 52 Abs. 2 Nr. 2 AO) bzw. kirchlicher Zwecke (§ 54 AO) lässt bei dem Förderer/Spender in den Grenzen von § 10b EStG den Abzug der Förderung als Sonderausgaben zu.7 Dies wurde oben (Rz. 12.1) als mittelbare Steuervergünstigung für die jeweilige Religionsgemeinschaft gekennzeichnet.

12.9

Einer etwas näheren Betrachtung lohnt die Abzugsfähigkeit der tatsächlich gezahlten Kirchensteuer als Sonderausgabe nach § 10 Abs. 1 Nr. 4 EStG. Deren steuersystematische Stimmigkeit ist Gegenstand von Diskussionen. Sonderausgaben, § 2 Abs. 4 EStG, sind ausnahmsweise entgegen der Grundregel von § 12 Abs. 1 Satz 2 EStG abzugsfähige Aufwendungen der Lebensführung, die unvermeidbar sind. Dies muss durch das EStG jeweils angeordnet sein, was in wenig systematischer Weise erfolgt ist.8 Ein Teil der steuerrechtlichen Literatur sieht die Abzugsfähigkeit der Kirchensteuer als Durchbrechung des Leistungsfähigkeitsprinzips, da es sich letztlich 1 Zum Neutralitätsparadigma BVerfG v. 14.12.1965 – 1 BvR 413, 416/60, BVerfGE 19, 206 (216); BVerfG v. 24.9.2003 – 2 BvR 1436/02, BVerfGE 108, 282 (299 f.); Schlaich, Neutralität als verfassungsrechtliches Prinzip, 1972; Huster, Die ethische Neutralität des Staates, 2002; Waldhoff, DJT 68 (2010), S. D 42 ff.; Walter in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 13, § 18; Classen, Religionsrecht3, 2021, Rz. 123 ff. 2 So jedoch Czermak/Hilgendorf, Religions- und Weltanschauungsrecht2, 2018, Rz. 364 ff.; Holzke, NVwZ 2002, 903 (905 ff.); wie hier Droege in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 33, § 74 Rz.3, 5 ff. 3 BVerfG v. 25.1.2015 – 1 BvR 471, 1181/10, BVerfGE 138, 296 (339 Rz. 110). 4 Waldhoff in Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 42 (2008), S. 55 (96 ff.). 5 Vgl. Rausch in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 19 Rz. 14. 6 Näher etwa Axer, ZfKKR 156 (1987), 460 (462 f.); Petersen, Kirchensteuer kompakt3, 2017, S. 167 ff.; ders., KuR 1997, 29; zur Rechtfertigung Schön, DStZ 1997, 385. 7 Für einen Überblick auf die Kirchen bezogen F. Kirchhof in Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 47 (2013), S. 7 (22 f.); allgemein Birk/Desens/Tappe, Steuerrecht23, Rz. 352 ff. 8 Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht24, Rz. 8.700.

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B. Organisationsfragen im Bereich von Religion und Besteuerung | Rz. 12.10 Kap. 12

um freiwillige Aufwendungen handele.1 Die gegenteilige Ansicht sieht die Kirchensteuer als rechtlich2 oder zumindest faktisch3 unvermeidbar an. In jedem Fall handelt es sich nicht um eine negative Staatsleistung (Rz. 12.11 f.) i.S.v. Art. 140 GG I.V.m. Art. 138 Abs. 1 WRV.4 Mit guten Argumenten wird vertreten, dass entgegen R 10.7 EStR 2012 die Beschränkung auf Kirchensteuern im technischen Sinne sowie Kirchenbeiträge, d.h. die von Religionsgemeinschaften mit Körperschaftsstatus erhobenen (vgl. Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 6 WRV), gleichheitswidrig ist.5 Es kommt zur Beurteilung dieses Problems auf den Rechtfertigungsgrund für den Sonderausgabenabzug bei § 10 Abs. 1 Nr. 4 EStG an. Am überzeugendsten erscheint, die Kirchensteuer als zum sozial-kulturellen Existenzminimum zu zählen.6 Zwar kann prinzipiell jedermann aus einer Religionsgemeinschaft austreten (garantiert durch die negative Religionsfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 GG). Wenn man jedoch Mitglied einer Religionsgemeinschaft bleiben oder sein möchte, handelt es sich um unvermeidbare Abgaben. Der Respekt der Verfassungsordnung des Grundgesetzes vor dem individuellen religiösen Bekenntnis, abgesichert durch Art. 4 Abs. 1 GG, verwehre den Verweis auf die Möglichkeit des Austritts.7 Eine neuere Ansicht sieht in der Abzugsfähigkeit der Kirchensteuer als Sonderausgabe eher eine Förderung kirchlicher Zwecke, wie er auch in § 54 AO zum Ausdruck komme.8 In diesem Fall handelt es sich um eine mögliche Steuersubventionierung der Religionsgemeinschaften, nach der wohl h.M. ist der Abzug als Ausfluss des verfassungskräftigen subjektiven Nettoprinzips verfassungsrechtlich zwingend.9 Damit rückt auch die Verbindung zur Finanzierung von Religionsgemeinschaften10 in das Blickfeld. Mit der Kirchensteuer haben korporierte Religionsgemeinschaften die Möglichkeit – jedoch keinesfalls die Pflicht – von ihren Mitgliedern Steuern zu erheben, Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 6 WRV.11 Das ist verfassungsrechtlich garantiert12 und dadurch wird auch ein Stück Religionsförderung im Steuerwesen verwirklicht.13 Damit wird gleichsam die umgekehrte Sicht im Vergleich zur Besteuerung der Religionsgemeinschaften eingenommen: Diese können zu ihrer Eigenfinanzierung selbst Besteuerungsrechte besitzen. Die Kirchensteuer ist Steuer i.S.v. § 3 Abs. 1 AO.14 Im Rahmen der Kirchensteuer sind die korporierten Religionsgemeinschaften mit Hoheitsgewalt beliehen und insofern auch an die Grundrechte und sons-

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14

Wernsmann, StuW 1998, 317 (326); Birk/Desens/Tappe, Steuerrecht23, Rz. 1080. Schön, DStZ/A 1997, 385 (390 f.). Söhn in K/S/M, § 10 EStG Rz. G 5. Schön, DStZ/A 1997, 385 (386). Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht24, Rz. 8.712; a.A. Söhn in K/S/M, § 10 EStG Rz. G 20 ff. Lang, Die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer, 1988, S. 195; Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht24, Rz. 8.712. Schön, DStZ/A 1997, 385 (390 f.); Geserich, Privater gemeinwohlwirksamer Aufwand im System der deutschen Einkommensteuer, 1999, S. 50 ff. Fissenewert in Kirchhof/Kulosa/Ratschow, EStG, Bd. 2, 2020, § 10 Rz. 226. BVerfG v. 25.9.1992 – 2 BvL 5, 8, 14/91, BVerfGE 87, 153 (169); BVerfG v. 13.2.2008 – 2 BvL 1/06, BVerfGE 120, 125 (154 ff.), und ständige Rspr.; Birk/Desens/Tappe, Steuerrecht23, Rz. 626. Gesamtüberblick bei Isensee, JuS 1980, 94. Zur Kirchensteuer etwa Hammer, Rechtsfragen der Kirchensteuer, 2002; ders., in Pirson/Rüfner/ Germann/Muckel, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 33, § 72. Hammer in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 33, § 72 Rz. 23 ff. Kube in Pulte/Hense, Grund und Grenzen staatlicher Religionsförderung, S. 143 (144). Ausführlich Hammer, Rechtsfragen der Kirchensteuer, 2002, S. 143 ff.

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12.10

Kap. 12 Rz. 12.10 | Besteuerung von Religionsgemeinschaften

tigen, v.a. rechtsstaatlichen Vorgaben des Grundgesetzes gebunden.1 Die Kirchensteuer ist z.Z. als Annexsteuer zur Einkommensteuer ausgestaltet.2 Ihre einfachrechtlichen Grundlagen sind die Kirchensteuergesetze der Länder und die Kirchensteuerordnungen der erhebungsberechtigten Religionsgemeinschaften.3

12.11

Der staatliche Verzicht auf Besteuerung (oder Gebührenerhebung) kann sich als sog. negative Staatsleistung an die jeweilige Religionsgemeinschaft darstellen.4 Das wird schon lange bei Differenzierungen im Einzelfall von der Rechtsprechung anerkannt. Das Reichsgericht hat in einer Entscheidung von 1925 Sinn- und Zweck der Garantie des Art. 138 Abs. 1 WRV herangezogen.5 Ähnlich wie im Subventionsrecht ist es aus ökonomischer Sicht irrelevant, ob der Staat positiv Geld auszahlt oder auf Abgaben verzichtet.6 Das Bundesverfassungsgericht hat dies in der Sache 1965 bestätigt (im konkreten Fall die Gerichtskostenbefreiung der Kirchen dann jedoch nicht unter Art. 138 Abs. 1 GG subsumiert): „Der Begriff der ‚Staatsleistungen‘ in Art. 138 WRV umfaßt nicht nur die Geldzahlungen und Naturalleistungen, die der Staat zu den sächlichen und persönlichen Kosten der Religionsgesellschaften beiträgt. Zweck des Art. 138 WRV sollte sein, ‚die vermögensrechtliche Stellung der Kirche, soweit sie auf dem bisherigen Zusammenhang mit dem Staat beruht, bis zur Neuregelung des finanziellen Verhältnisses zwischen Staat und Kirche aufrecht zu erhalten‘ [...] Von diesem Grundsatz ausgehend hat das Reichsgericht in mehreren Entscheidungen die Befreiung der Kirchen von verschiedenen Steuern als Staatsleistungen anerkannt mit der Begründung, daß die Steuerfreiheit ‚einen wesentlichen Teil derjenigen Unterstützung bildete, die der Staat der Kirche zur Bestreitung ihrer Bedürfnisse gewährte, und daß er, wenn sie nicht bestanden hätte, statt ihrer entsprechende Leistungen an die Kirche hätte machen müssen‘ [...] Zusätzlich hat das Reichsgericht ausgesprochen, die Gewährung kirchlicher Steuerfreiheit seitens der Länder werde – von besonders gelagerten Fällen abgesehen – regelmäßig die rechtliche Bedeutung einer solchen ‚negativen Staatsleistung‘ haben; denn ‚überall, wo der Kirche Steuerfreiheit gewährt ist, handelt es sich aller Regel nach um einen Bestandteil der zwischen Staat und Kirche bestehenden vermögensrechtlichen Beziehungen, die nach Art. 138, 173 WRV bis zum Erlaß eines Reichsgesetzes aufrecht erhalten werden sollen‘ [...]“7

Vor und teilweise auch nach dieser Entscheidung gab es Stimmen, die Steuer- und Abgabenvergünstigungen nicht unter Art. 138 Abs. 1 WRV fassen wollten.8 Die entstehungsgeschicht1 Hammer in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 33, § 72 Rz. 36 ff. 2 Hammer in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deuschland, Bd. 33, § 72 Rz. 53. 3 Zu diesem Zusammengreifen Droege in Ehlers/Birk, Aktuelle Rechtsfragen der Kirchensteuer, 2012, S. 23. 4 Axer, ZfKKR 156 (1987), 460 (469 ff.); Droege, Staatsleistungen an Religionsgemeinschaften im säkularen Kultur- und Sozialstaat, 2004, S. 197 ff.; Droege, in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 33, § 74 Rz. 8; Musil in H/H/S, § 54 AO Rz. 11; Heun in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 33, § 73 Rz. 8, 39 ff.; Classen, Religionsrecht3, 2021, Rz. 606; ökonomische Perspektive bei Nachtkamp in Rinderer, Finanzwissenschaftliche Aspekte von Religionsgemeinschaften, S. 101. 5 RG v. 20.6.1925 – IV Tgb. 83/25, RGZ 111, 134; näher zu dieser und weiteren Entscheidungen unter der WRV Axer, ZfKKR 156 (1987), 460 (471 f.); Droege, Staatsleistungen an Religionsgemeinschaften im säkularen Kultur- und Sozialstaat, 2004, S. 195. 6 Axer, ZfKKR 156 (1987), 460 (473); allgemein Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht20, 2020, § 17 Rz. 4. 7 BVerfG v. 28.4.1965 – 1 BvR 346/61, BVerfGE 19, 1 (13 f.). 8 Vgl. etwa Breitfeld, Die vermögensrechtliche Auseinandersetzung zwischen Kirche und Staat in Preußen auf Grundlage der Reichsverfassung, 1929, S. 38 ff.; Brauns, Staatsleistungen an die Kir-

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B. Organisationsfragen im Bereich von Religion und Besteuerung | Rz. 12.14 Kap. 12

lichen teleologischen und funktionalen Argumente dieser Autoren wurden jedoch überzeugend widerlegt.1 Die h.M. bezieht Steuervergünstigungen der Kirchen unter bestimmten Bedingungen (Rz. 12.14) in die abzulösenden Staatsleistungen ein.2 Damit rückt die in jüngerer Zeit erneut diskutierte Frage, nach der Erfüllung des Verfassungsauftrags zur Ablösung der Staatsleistungen aus Art. 140 GG i.V.m. Art. 138 WRV3 in den Blick. Freilich fallen nicht alle Steuer- und Abgabenprivilegien darunter und sind von Verfassungs wegen damit prinzipiell abzulösende Staatsleistungen. Staatsleistungen müssen dauerhaft bzw. wiederkehrend sein, auf besonderen Rechtstiteln beruhen, der Kompensation vorangegangener Säkularisationen dienen und der Finanzierung des allgemeinen kirchlichen Aufwands dienen.4 Ohne hier auf die Abgrenzungsstreitigkeiten im Detail einzugehen (Rz. 12.14) gehören aufgrund des historischen Kontextes von Art. 138 Abs. 1 WRV grundsätzlich nur diejenigen Staatsleistungen dazu, die bei Inkrafttreten der Weimarer Reichsverfassung, d.h. am 14.8.1919 bestanden.5 Wie der systematische Zusammenhang zwischen Abs. 1 und 2 von Art. 138 WRV zeigt, sind bis zu der Ablösung diese Staatsleistungen verfassungsrechtlich garantiert, könnten also einfachrechtlich bis zu ihrer Ablösung i.S.d. Norm nicht ohne weiteres abgeschafft werden.6

12.12

Die negativen Staatsleistungen sind im hiesigen Kontext eine wichtige Kategorie, weil die darunter fallenden Steuerprivilegien, solange eine „Ablösung“ nicht stattgefunden hat, einfachgesetzlich nicht gestrichen werden könnten, mithin verfassungsrechtlich garantiert sind.7 Darüber hinaus umfasst Art. 138 Abs. 1 WRV bis zur Ablösung neben der Bestands- auch eine Wertgarantie der Leistungen.8 Ein Neutralitätsverstoß kann nicht darin gesehen werden, dass im Wesentlichen die christlichen Großkirchen von diesen Staatsleistungen profitieren, da es sich bei Art. 138 Abs. 1 WRV um gleichwertiges Verfassungsrecht handelt und die Neutralitätskonzeption des Grundgesetzes (Rz. 12.2, Rz. 12.43) nur auf den vorhandenen Normen der Verfassung aufbauen kann, ihr nicht vorgelagert ist.9

12.13

Im Umkehrschluss sind nicht unter Art. 140 GG i.V.m. Art. 138 Abs. 1 WRV fallende Steuervergünstigungen von Religionsgemeinschaften verfassungsrechtlich nicht ohne weiteres garantiert. Eine entsprechende Garantie müsste im Einzelfall dargetan werden. Folgende Voraussetzungen müssen erfüllt sein:

12.14

1 2 3 4 5 6 7 8 9

chen und ihre Ablösung, 1970, S. 41 ff.; Schmidt-Eichstaedt, Kirchen als Körperschaften des Öffentlichen Rechts? 1975, S. 96. Vgl. Axer, ZfKKR 156 (1987), 460 (470 ff.); Droege, Staatsleistungen an Religionsgemeinschaften im säkularen Kultur- und Sozialstaat, 2004, S. 194 ff. Kritisch Kube in Pulte/Hense, Grund und Grenzen staatlicher Religionsförderung, S. 143 (150 ff.), der freilich einen Schutz aus Art. 4 GG sowie Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 GG konstruiert. Vgl. aktuell nur Hense, NdsVBl. 2021, 191. Heun in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 33, § 73 Rz. 1. Heun in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 33, § 73 Rz. 71. Classen, Religionsrecht3, 2021, Rz. 607. Axer, ZfKKR 156 (1987), 460 (463 f.). Heun in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 33, § 73 Rz. 72. Zum Problem allgemein Waldhoff, VVDStRL 68 (2009), S. 100 f. Im Ergebnis so auch Heun in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 33, § 73 Rz. 74; ähnlich Axer, ZfKKR 156 (1987), 460 (486 ff.).

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Kap. 12 Rz. 12.14 | Besteuerung von Religionsgemeinschaften

– Es muss sich um einen wesentlichen Teil der staatlichen Unterstützung an die Religionsgemeinschaft handeln und sich somit als Äquivalent zu positiven Leistungen darstellen; die Alimentationsfunktion zugunsten der Religionsgemeinschaften muss zumindest Nebenzweck sein; – es muss sich um eine Kompensation für Säkularisationsverluste handeln; – für vor 1919 bestehende Steuerbefreiungen kann dies vermutet werden.1 Ein besonderes Problem stellt es freilich dar, dass die meisten Steuervergünstigungen heute für alle Religionsgemeinschaften gelten, die die Voraussetzungen erfüllen, also etwa den Körperschaftsstatus haben.2 Außerdem besteht ein strukturelles Spannungsverhältnis zur notwendigen Entwicklungsoffenheit des Steuerrechts.3 Welche Steuerbefreiungen die dargelegten Anforderungen erfüllen und damit unter die Garantie fallen mag daher komplex sein und kann nicht abstrakt dargelegt werden, sondern ist in jedem Einzelfall zu prüfen und zu begründen.4

II. Begriff der Religionsgemeinschaft als Basis aller Organisationsfragen 12.15

Religion ist nicht nur ein individuelles Phänomen, praktisch allen relevanten Religionen ist vielmehr zu eigen, dass sie eine mehr oder weniger ausgeprägte korporative Seite besitzen. Religion wird zumeist zusammen mit anderen praktiziert, setzt regelmäßig die Glaubensgemeinschaft als Organisation voraus.5 Das führt dazu, dass diese „kollektive“ Dimension von Religion aus der Sicht des Staates, der eine fördernde Neutralität zu organisierter Transzendenz wahrnimmt, Angebote rechtlicher Organisation zur Verfügung stellen muss:6 „Den Religionsgemeinschaften ist demnach wegen ihrer besonderen Funktion in ihrer Eigenschaft als Organisation ein eigenständiger rechtlicher Status zuzuordnen.“7 Die Neutralitätspflicht (Rz. 12.2, 12.43) ist nicht verletzt, weil die Zuerkennung nicht nach Glaubensinhalten differenziert, die Wahrheitsfrage für den Staat tabu bleibt. Die staatliche Neutralität besteht nach dem oben entwickelten Verständnis gerade nicht darin, Religion zu ignorieren, sondern die unterschiedlichen Religionen nicht willkürlich ungleich zu behandeln („fördernde“ Neutralität). Auch hier ist wiederum der Angebotscharakter zu betonen – keine Religionsgemeinschaft ist gezwungen, sich rechtlich in einer bestimmten Form zu organisieren; will sie freilich am Rechtsverkehr teilnehmen, will sie gar in den Genuss staatlicher Privilegien kommen, stellt sich die Frage nach der weltlichen und d.h. (weltlich-)rechtlichen Organisation. Durch die Inanspruchnahme staatlichen8 Organisationsrechts – des öffentlichen Rechts oder des Privatrechts – verändern sich notwendigerweise auch die Religionsgemeinschaften. Jegliche Koope1 Nach Heun in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 33, § 73 Rz. 41. 2 Kube in Pulte/Hense, Grund und Grenzen staatlicher Religionsförderung, S. 143 (151 f.). 3 Kube in Pulte/Hense, Grund und Grenzen staatlicher Religionsförderung, S. 143 (152). 4 Vgl. auch Isensee in Listl/Pirson, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 12, § 35 S. 1026; Heun in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 33, § 73 Rz. 41. 5 Heckel, ZevKR 44 (1999), 340 (373); Magen, Körperschaftsstatus und Religionsfreiheit, S. 224, 229 ff.; aus soziologischer Sicht etwa Luhmann, Die Religion der Gesellschaft, 2000, S. 226 ff.; Roßteutscher, Religion, Zivilgesellschaft, Demokratie, 2009, S. 31 ff. 6 Eingehender Grzeszick in Heinig/Walter, Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht, 2007, S. 137 ff. 7 Grzeszick in Heinig/Walter, Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht, 2007, S. 137 (141). 8 Auf innerreligiöses (kirchenrechtliches) Organisationsrecht, ist hier nicht einzugehen, vgl. etwa für die Katholische Kirche can. 215, 298 ff.; de Wall/Muckel, Kirchenrecht5, 2017, § 18 Rz. 73 ff.

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B. Organisationsfragen im Bereich von Religion und Besteuerung | Rz. 12.16 Kap. 12

ration zwischen Staat/Rechtsordnung und Religionsgemeinschaften hat Auswirkungen auf beide Seiten.1 Dieses Faktum ist vor dem Neutralitätsparadigma nur akzeptabel, wenn vollkommene Freiwilligkeit auf Seiten der Religionsgemeinschaften besteht. Der religionsverfassungsrechtliche und auch hier verwendete Zentralbegriff des Organisationsrechts ist derjenige der Religionsgemeinschaft. Schon damit wird ein Rechtsstatus festgelegt, auch wenn es in der deutschen Tradition – anders als teilweise in ausländischen Rechtsordnungen – keine administrative Feststellung o.ä. gibt, dieser Status verfassungsunmittelbar vorhanden ist und nicht durch einen administrativen Akt erlangt wird.2 Die institutionellen staatskirchenrechtlichen Vorschriften aus dem Jahr 1919 verwenden demgegenüber in Anknüpfung an ältere Rechtsetzung den Begriff der „Religionsgesellschaft“. Von „Religionsgemeinschaft“ ist demgegenüber in etwas anderem Kontext in Art. 7 Abs. 3 GG die Rede, ohne dass insofern Bedeutungsunterschiede bestünden.3 Allen rechtlichen Organisationsformen von Religion liegt der Rechtsbegriff der Religionsgemeinschaft als „Kardinalpunkt“ des Systems zugrunde.4 Während im Alten Reich bis 1806 auf Reichsebene von den sog. Religionsparteien gesprochen wurde (die hier nur gemeinten Kirchen standen in symbiotischer Verbindung mit dem jeweiligen Landesherrn), wurde dieser angesichts geänderter staatlicher Religionspolitik unbrauchbar und durch den staatliche Neutralität ermöglichenden, den Begriff „Kirche“ notwendigerweise vermeidenden, freilich jetzt nur einen „weltlichen Rahmenbegriff“ darstellenden Terminus „Religionsgesellschaft“ ersetzt.5 Diese „religiös inhaltsleere säkulare Rahmenform“ passt auf alle Religionen und ist nach deren religiösem Selbstverständnis zu füllen. Im Wechsel der Terminologie bildet sich der Übergang vom christlich-monarchischen Obrigkeitsstaat zum religiös-weltanschaulichen neutralen Staat präzise ab,6 auch wenn der Terminus entstehungszeitlich „in der Evidenz seines Gegenstandsbereichs“, der christlichen Großkirchen ruhte.7 „Nicht erst der Körperschaftsstatus nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 WRV, schon der Status der Religionsgemeinschaft hat unmittelbare verfassungsrechtliche Relevanz.“8 In Fortentwicklung der Definition von Gerhard Anschütz handelt es sich um einen auf einem religiösen Konsens beruhenden Zusammenschluss von Personen zur umfassenden, gemeinschaftlichen Bezeugung (Verwirklichung) des religiösen Konsenses.9 In anderer Diktion sind in der Sache gleichlaufend die Kriterien der Totalität, Homogenität, Zentralität und Konsens erforderlich.10 Die Religionsgemeinschaft erweist sich in Differenz zu „Religion“ als solcher somit als bestimmte Mindestvoraussetzungen erfüllende, dem Recht und seinen Organisationsformen vorausliegende Organisationsform von Religion. Das Bundesver-

1 Kloepfer, DÖV 2006, 45 (54). 2 Towfigh in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 13, § 26 Rz. 1 ff., 16 f. 3 Pieroth/Goerisch, JuS 2002, 937 f.; vgl. auch VG Darmstadt v.9.9.1999 – 3 E 952/99, NVwZ-RR 2000, 513 (514); BVerwG v. 23.2.2000 – 6 C 5.99, BVerwGE 110, 326 (342). 4 Heckel in FS Isensee, 2007, S. 1003; Wolf, in Beuthien/Gummert, Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 53, § 51 Rz. 5; Rechtsvergleich bei Thüsing, ZevKR 45 (2000), 592. 5 Eingehend Heckel in FS Isensee, 2007, S. 1003 ff. 6 Heckel in FS Isensee, 2007, S. 1022, 1024. 7 Poscher, Der Staat 39 (2000), 49. 8 Poscher, Der Staat 39 (2000), 49 (53). 9 Pieroth/Görisch, JuS 2002, 937 (938); vgl. auch Jurina in Listl/Pirson, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 22, S. 689 (690 ff.); Jurina, KuR 2009, 207 (215); Towfigh in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel, Handbuch des Staatskirchenrechts in der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 13, § 26 Rz. 4 ff. 10 Poscher, Der Staat 39 (2000), 49.

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12.16

Kap. 12 Rz. 12.16 | Besteuerung von Religionsgemeinschaften

fassungsgericht hat diese nach religiösem Selbstverständnis auszufüllende Kategorie an gewisse objektivierbare Mindestanforderungen geknüpft: Es muss sich „auch tatsächlich, nach geistigem Gehalt und äußerem Erscheinungsbild, um eine Religion und Religionsgemeinschaft handeln.“1 Diese Anforderungen sind gerichtlich überprüfbar, da sie nicht religiös, sondern weltlich-rechtlich sind. Ohne die Überwindung dieser rechtlichen Hürde, kann organisierte Religion die Segnungen des Religionsrechts nicht in Anspruch nehmen. Damit wird einer religionsrechtlichen Beliebigkeit gegengesteuert.2

12.17

Der ursprünglich – trotz seiner Neutralität – auf die christlichen Kirchen zugeschnittene Begriff steht insbesondere hinsichtlich des Islam vor neuen Herausforderungen3. Die Anforderungen an Religionsgemeinschaften müssen dabei niedriger sein, als die der privilegierten Organisationsform der Körperschaft. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner Entscheidungen zum islamischen Religionsunterricht im Hinblick auf islamische Dachverbände den zentralen Begriff der Religionsgemeinschaft nicht aufgegeben, vielmehr gefordert, die Dachverbände müssten entweder selbst Religionsgemeinschaften sein oder als Teile solcher deren Ansprüche geltend machen:4 Nur wenn dem Dachverband als mehrstufigem Verband auf örtlicher Ebene aus einzelnen Gläubigen zum Zweck gemeinsamer Religionsausübung gebildete Vereine zugrunde lägen und damit die unerlässliche personale Grundlage gesichert ist, kann der Dachverband als Religionsgemeinschaft akzeptiert werden. Es handelte sich dann um eine von örtlichen Vereinen ausgehende, zu regionalen Verbänden und schließlich zu Landes- oder Bundesverbänden zusammengeschlossene Struktur: In diesem sog. Dachverbandsmodell ist die Religionsgemeinschaft das Ganze, die Untergliederungen – wo sich das religiöse Leben abspielt – erwiesen sich als Teile derselben. Dabei darf der Dachverband nicht nur eine weitgehend unverbindliche Struktur zur gemeinsamen Interessenwahrnehmung darstellen, er muss vielmehr nach dieser Rechtsprechung für die „Identität der Religionsgemeinschaft wesentliche Aufgaben“ wahrnehmen, die Tätigkeit des Dachverbands müsse „in der gleichen Weise auf die Gläubigen in den örtlichen Vereinen bezogen sein, dass sie sich als Teil eines gemeinsamen, alle diese Gläubigen umfassenden Lebensvollzugs darstellt“.5 Ob diese Voraussetzungen vorliegen hängt nicht zuletzt von den muslimischen Gemeinschaften selbst ab.

III. Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts 1. Entwicklung und Rechtfertigung durch die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung 12.18

Religionsgemeinschaften sind die einzigen nichtstaatlichen Organisationen, die eine öffentlich-rechtliche Organisationsform in Anspruch nehmen können.6 Diese Besonderheit ist nur historisch zu erklären: Mit dem Wegfall des Staatskirchentums 1918/19 stellte sich die Frage,

1 BVerfG v. 5.2.1991 – 2 BvR 263/86, BVerfGE 83, 342 (353); vgl. auch Poscher, Der Staat 39 (2000), 49 (51 f.); Ehlers, in Sachs, GG9, Art. 140 Rz. 6. 2 Poscher, Der Staat 39 (2000), 49 (51 f., 67). 3 Hense in FS Hollerbach, 2007, S. 115 (118); zu Recht weist Heckel, AöR 134 (2009), 309 (347 ff., 349), darauf hin, dass seit 1919 die rechtlichen Institutionen prinzipiell offen seien: „Dass der Islam keine ‚Kirche‘ kennt und ihm die Bildung einer ‚Religionsgemeinschaft‘ aus Glaubensgründen fremd sei, rechtfertigt nicht, die Muslime von den institutionellen Entfaltungsmöglichkeiten des deutschen Staatskirchenrechts auszuschließen.“ 4 BVerwG v. 23.2.2005 – 6 C 2.04, BVerwGE 123, 49 (52 ff.). 5 BVerwG v. 23.2.2005 – 6 C 2.04, BVerwGE 123, 49 (52 ff.). 6 Unruh, Religionsverfassungsrecht4, 2018, Rz. 275; Classen, Religionsrecht3, 2021, Rz. 303.

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B. Organisationsfragen im Bereich von Religion und Besteuerung | Rz. 12.19 Kap. 12

welche Organisationsmöglichkeiten den Kirchen zur Verfügung gestellt werden sollten. Die Kirchen selbst wie auch die kirchenfreundlichen Kräfte in der Weimarer Nationalversammlung setzten sich im Ergebnis erfolgreich dafür ein, die Kirchen nicht mit privaten Vereinen gleichzustellen, sondern ihnen eine ihrer öffentlichen Funktion gemäße Organisationsform zuzugestehen. Gleichwohl galt und gilt seither Art. 137 Abs. 1 WRV: „Es besteht keine Staatskirche.“ Gerade für die Besteuerung von Kirchen und Religionsgemeinschaften kann dieser Ausgangspunkt kaum stark genug betont werden.

2. Körperschaftsstatus a) Grundgesetzliches Konzept Nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 WRV besitzen bestimmte Religionsgemeinschaften den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts – ohne dass diese dadurch Teil des Staates würden.1 Mit diesem Status sind vielfältige Privilegien, teils im Grundgesetz selbst, teils in der einfachen Rechtsordnung geregelt, verbunden.2 Nach der Regelung des Art. 137 Abs. 5 Satz 1 WRV bleibt der zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Weimarer Reichsverfassung vorhandene Körperschaftsstatus von Religionsgemeinschaften erhalten (sog. geborene Körperschaften oder altkorporierte Religionsgemeinschaften). Nach Satz 2 der Vorschrift kann anderen Religionsgemeinschaften auf ihren Antrag hin unter bestimmten Voraussetzungen der Körperschaftsstatus zuerkannt werden (sog. gekorene Körperschaften oder neukorporierte Religionsgemeinschaften). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts müssen sie – neben ihrer Eigenschaft als Religionsgemeinschaft – die „Gewähr der Dauer“ bieten, wobei neben dem Mitgliederbestand im Rahmen einer Gesamtbewertung auch „der tatsächliche Gesamtzustand der Gemeinschaft zu würdigen“, die Finanzkraft der Organisation, die Mindestbestandszeit oder die Intensität des religiösen Lebens einzubeziehen sind.3 Die dauerhafte und klare, mitgliedschaftliche Verfasstheit wird so zur zentralen Voraussetzung für die Erlangung des Status. An diesem Erfordernis können schon deshalb keine Abstriche gemacht werden, weil der Körperschaftsstatus den so verfassten Religionsgemeinschaften die Ausübung von Hoheitsgewalt ermöglicht und so zu spezifisch religionsverfassungsrechtlichen Kooperationsformen führt. Das hebt den Körperschaftsstatus von allen anderen Organisationsformen ab. Dieser „Mantelbegriff“ sei „aber mehr als eine leere Form, weil er den korporierten Religionsgemeinschaften auch eine besondere Rechtsstellung vermittelt, die über diejenige privatrechtlich verfasster Religionsgemeinschaften hinausgeht“.4 Dass dieses Kriterium sich entstehungsgeschichtlich plausibel an der Verfasstheit der christlichen Kirchen orientiert,5 ist vor der religiös-weltanschaulichen Neutralität (Rz. 12.2, 12.43) solange unproblematisch, wie der Status für andere Religionsgemeinschaften offengehalten wird.

1 BVerfG v. 25.3.1980 – 2 BvR 208/76, BVerfGE 53, 366 (387 f.); BVerfG v. 13.12.1983 – 2 BvL 13, 14, 15/82, BVerfGE 66, 1 (20; 70, 138 (160 f.); BVerfG v. 19.12.2000 – 2 BvR 1500/97, BVerfGE 102, 370 (387); P. Kirchhof in Listl/Pirson, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 12, S. 651 (657, 664 f.); Jeand’Heur/Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrecht, 2000, Rz. 221; v.Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht4, 2006, S. 128 f. 2 Zu diesem sog. Privilegienbündel statt vieler nur Jeand’Heur/Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrecht, 2000, Rz. 240 ff. 3 BVerfG v. 19.12.2000 – 2 BvR 1500/97, BVerfGE 102, 370 (384 f.). 4 BVerfG v. 19.12.2000 – 2 BvR 1500/97, BVerfGE 102, 370 (388); grds. kritisch und rechtspolitisch für eine Abschaffung des Status plädierend Sacksofsky, VVDStRL 68 (2009), 8 (27 f.). 5 Zur Entstehungsgeschichte P. Kirchhof in Listl/Pirson, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 12, S. 651 (658 ff.).

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Kap. 12 Rz. 12.20 | Besteuerung von Religionsgemeinschaften

12.20

Durch Verfassungsinterpretation hat das Bundesverfassungsgericht ungeschriebene Voraussetzungen für die Erlangung des Körperschaftsstatus entwickelt. Negativ dürfen – bei Körperschaften „erst Recht“ – die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 2 GG nicht erfüllt sein.1 Zentral ist das Gebot der Rechtstreue, d.h. die Gewähr dafür, das geltende Recht zu beachten, insbesondere – aber nicht nur dort – die übertragene Hoheitsgewalt nur in den verfassungs- und einfachrechtlichen Bindungen auszuüben.2 Dieses Erfordernis hält Spannungen mit religiösen Absolutheitsansprüchen durchaus aus; nicht jeder Rechtsverstoß, der einer Religionsgemeinschaft zugerechnet werden kann, führt zur Verneinung von Rechtstreue. Andererseits erlangen die über Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Essentialien des Verfassungsstaats des Grundgesetzes im Rahmen des Gebots der Rechtstreue besondere Bedeutung: „Eine Religionsgemeinschaft, die den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts erwerben will, muss insbesondere die Gewähr dafür bieten, dass ihr künftiges Verhalten die in Art. 79 Abs. 3 GG umschriebenen fundamentalen Verfassungsprinzipien, die dem staatlichen Schutz anvertrauten Grundrechte Dritter sowie die Grundprinzipien des freiheitlichen Religions- und Staatskirchenrechts des Grundgesetzes nicht gefährdet.“3 Der katholische Wahrheitsanspruch etwa steht zum Körperschaftsstatus nicht in Widerspruch, eine Religionsgemeinschaft die eine Theokratie errichten wollte und die im staatskirchenrechtlichen System zu Tage tretende grundsätzliche Säkularität des Staates in Frage stellte, könnte hingegen nicht in den Genuss dieses Status kommen. Ob dies der Fall ist, stellt sich regelmäßig als komplexe Tatfrage dar. Der Staat kann aufgrund seiner religiös-weltanschaulichen Neutralität dabei nicht den Glauben als solchen, sondern nur das Verhalten der Religionsgemeinschaft heranziehen und bewerten.4 Nur letzteres muss „verfassungskompatibel“ sein. Im Zeugen-Jehovas-Urteil hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich festgestellt, dass für die Verleihung des Körperschaftsstatus keine besondere „Staatsloyalität“ o.ä. verlangt werden kann.5 b) Insbesondere: Islam als Körperschaft des öffentlichen Rechts?

12.21

Wird zur Zeit – v.a. im Zusammenhang mit der Problematik des Religionsunterrichts – die Frage ventiliert, ob und inwieweit muslimische Gemeinschaften die Anforderungen an den Rechtsbegriff der Religionsgemeinschaften, insbesondere über das sog. Dachverbandsmodell, erfüllen (Rz. 12.17), ist die Frage, ob der organisierte Islam in der Bundesrepublik auch auf absehbare Zeit die Voraussetzungen des Körperschaftstatus nach Art. 137 Abs. 5 WRV wird erfüllen können, komplexer.6 Das liegt weniger an der schwer zu beantwortenden Frage, ob relevante Stimmen im Islam die grundsätzliche Säkularität des Verfassungsstaats des Grundgesetzes und das staatskirchenrechtliche Grundmodell akzeptieren. Nach seinem Selbstverständnis fehlt dem Islam vielmehr die in Art. 137 Abs. 5 WRV vorausgesetzte spezifische Verfasstheit, der körperschaftliche, d.h. mitgliedschaftliche Kern kollektiver Religionsausübung. Die religionsrechtlichen und -politischen Bemühungen richten sich auf die „Vorstufe“, überhaupt eine Religionsgemeinschaft als Ansprechpartner für Staat und Staatskirchenrecht zu gewinnen. Bei diesen religionspolitischen Bemühungen ist Vorsicht am Platz, da jeglicher Druck 1 BVerfG v. 19.12.2000 – 2 BvR 1500/97, BVerfGE 102, 370 (389); BVerwG v. 26.6.1997 – 7 C 11.96 BVerwGE 105, 117 (121 f.); OVG Berlin v. 14.12.1995 – 5 B 20/94, NVwZ 1996, 478 (480); Morlok/Heinig, NVwZ 1999, 697 (703 f.). 2 BVerfG v. 19.12.2000 – 2 BvR 1500/97, BVerfGE 102, 370 (390 ff.). 3 BVerfG v. 19.12.2000 – 2 BvR 1500/97, BVerfGE 102, 370 (392). 4 BVerfG v. 19.12.2000 – 2 BvR 1500/97, BVerfGE 102, 370 (394). 5 BVerfG v. 19.12.2000 – 2 BvR 1500/97, BVerfGE 102, 370 (395 f.). 6 Vgl. etwa Albrecht, KuR 1995, 1; Muckl, DÖV 1995, 311; v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht4, 2006, S. 86 f.

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B. Organisationsfragen im Bereich von Religion und Besteuerung | Rz. 12.24 Kap. 12

schnell in kulturkampfähnliche Situationen führen kann. Deshalb muss hier die Freiwilligkeit seitens der jeweiligen Religion ganz im Vordergrund stehen – ungeachtet der Tatsache, dass, wie seinerzeit auch bei den christlichen Kirchen, staatliche Organisationsangebote niemals ohne Rückwirkungen auf Struktur, Verfasstheit und Selbstverständnis der damit in Berührung gelangenden Religion sind.1 Damit bleibt ganz überwiegend die „Entfaltung des Islam als Religion [...] verfassungsrechtlich in erster Linie auf das Grundrechte der Religionsfreiheit verwiesen“.2 Gleichwohl wurde in Hessen (und – wohl durch Zweitanerkennung – auch in Hamburg) der islamischen Gemeinschaft „Ahmadiyya Muslim Jamaat in der Bundesrepublik Deutschland“ inzwischen der Körperschaftsstatus zuerkannt.3 Die Bewegung hin zum Körperschaftsstatus für andere islamische Gemeinschaften scheint freilich gegenwärtig zum Erliegen gekommen zu sein.

12.22

3. Geborene Körperschaften „Die Religionsgesellschaften bleiben Körperschaften des öffentlichen Rechts, soweit sie solche bisher waren“ statuiert Art. 137 Abs. 5 Satz 1 WRV. Gemeint sind die sog. altkorporierten Kirchen (geborene Körperschaften). Auch nach Beendigung des Staatskirchentums 1918/19 sollte ihnen damit ein besonderer Status erhalten bleiben. Relevant ist der Zeitpunkt des Inkrafttretens der Weimarer Reichsverfassung, d.h. der 14.8.1919. Der überkommene Status wird verfassungsrechtlich für die Zukunft garantiert.4 Ein Entzug dieses Status wäre nur durch verfassungsänderndes Gesetz möglich.5

12.23

4. Gekorene Körperschaften Aus Gründen der Gleichbehandlung der Religionsgemeinschaften und damit letztlich der staatlichen Neutralitätsverpflichtung ist der Körperschaftsstatus in der überkommenen Form nur zu rechtfertigen, wenn er auch solchen Religionsgemeinschaften prinzipiell offensteht, die bisher anders organisiert waren.6 Man spricht dann von neukorporierten Religionsgemeinschaften. Die Voraussetzungen wurden oben (Rz. 12.19 f.) dargelegt. Aus Gründen der Religionsfreiheit müsste der Staat auf Antrag der Religionsgemeinschaft diesen Status wieder aufheben; auch bei Wegfall aller Mitglieder oder Auflösung der Religionsgemeinschaft geht der 1 Zu Institutionalisierungspotentialen des Islam etwa Loschelder in FS Bethge, 2009, S. 17 (27 f.); dort auch Hinweise zur Sondersituation in Österreich: Nachdem auf dem Berliner Kongress 1878 Österreich-Ungarn die Verwaltung von Bosnien und Herzegowina zugesprochen wurde, gelangten relevante Bevölkerungsteile muslimischen Glaubens in die Doppelmonarchie; nach der endgültigen Annektion 1908 wurde der Islam 1912 durch Gesetz als Religionsgemeinschaft anerkannt, eine Einschränkung hinsichtlich der Glaubensausrichtung 1987 durch den VerfGH aufgehoben: „In der Folgezeit hat sich der Islam in die religionsrechtliche Ordnung des österreichischen Staates eingefügt. Im Jahre 1979 wurde eine islamische Kultusgemeinschaft, die ‚Religionsgemeinde‘, genehmigt. Der gesamte Prozess ist seit der Zeit der Monarchie von beiden Seiten sehr liberal und pragmatisch vorangetrieben worden.“ Ebd., S. 28; ferner Schwarz in FS Link, 2003, S. 445; ausführlich Kalb/Potz/Schinkele, Religionsrecht, 2003, S. 623 ff. 2 Heun in Heinig/Walter, Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht? 2007, S. 339 (341 f.). 3 Quelle ist die Zusammenstellung des Bundesinnenministeriums: www.personenstandsrecht.de/ Webs/PERS/DE/informationen/religionsgemeinschaften/religionsgemeinschaften-node.html, zuletzt abgerufen 4.8.2021. 4 Classen, Religionsrecht3, 2021, Rz. 309. 5 v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht4, 2006, S. 134. 6 Classen, Religionsrecht3, 2021, Rz. 311.

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12.24

Kap. 12 Rz. 12.24 | Besteuerung von Religionsgemeinschaften

Körperschaftsstatus verloren.1 Anders als bei den geborenen Körperschaften kann hier der Status gegen den Willen der Religionsgemeinschaft unter engen und strengen Voraussetzungen auch durch oder aufgrund eines Gesetzes entzogen werden.2

5. Verfahren des Erwerbs des Körperschaftsstatus 12.25

Die Zuständigkeit für die Verleihung des Körperschaftsstatus liegt bei den Ländern.3 und erfolgt teilweise durch Gesetz, teilweise durch Rechtsverordnung, teilweise durch Beschluss der Landesregierung oder des Kultusministeriums in Form von Verwaltungsakten.4 Diese Rechtsakte haben bundeslandübergreifende Wirkung: „Der landesrechtlich eingeräumte Körperschaftsstatus hat bundesweite Verbindlichkeit. Die mit der Rechtsstellung verbundenen Korporationsrechte können von der betreffenden Religionsgemeinschaft aber nur in dem verleihenden Bundesland ausgeübt werden.“5 D.h. die Rechtsfähigkeit wirkt von vornherein bundesweit.6 Für die Ausübung der konkreten Korporationsrechte bedarf es eine Zweitverleihung in den anderen Bundesländern.7

6. Ausübung von Hoheitsgewalt durch korporierte Religionsgemeinschaften 12.26

Mit dem Körperschaftsstatus sind verschiedene sog. Korporationsrechte verbunden. Diese können, müssen jedoch keinesfalls ausgeübt werden.8 Soll staatliche Hoheitsgewalt ausgeübt werden, wie dies z.B. bei der Erhebung der Kirchensteuer der Fall, ist zusätzlich ein staatlicher Beleihungsakt, der nur durch Gesetz erfolgen kann, erforderlich. Korporationsrechte, manchmal auch als „Privilegienbündel“ bezeichnet, sind:9 – Dienstherrnfähigkeit; – Disziplinargewalt und das Vereidigungsrecht; – Organisationsgewalt; – Fähigkeit, Gegenstände zu res sacrae zu widmen und damit dem allgemeinen Geschäftsverkehr zu entziehen; – Rechtsetzungsgewalt, d.h. Befugnis zur Setzung öffentlich-rechtlichen Rechts, z.B. von Kirchenrecht gegenüber den Mitgliedern; – Parochialrecht; – Besteuerungsrecht nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 6 WRV. 1 2 3 4 5 6 7

Jeand’Heur/Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, 2000, Rz. 238. Einzelheiten bei Heinig in ders., Die Verfassung der Religion, 2014, S. 232 (256 ff.). v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht4, 2006, S. 138. v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht4, 2006, S. 138 f. Jeand’Heur/Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, 2000, Rz. 227. Unruh, Religionsverfassungsrecht4, 2018, Rz. 284. Dazu BVerfG v. 30.6.2015 – 2 BvR 1282/11, BVerfGE 139, 321; dazu Magen in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 13, § 27 Rz. 68 f. 8 Jeand’Heur/Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, 2000, Rz. 240. 9 Vgl. Janssen, Aspekte des Status von Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts2, S. 148 ff.; Unruh, Religionsverfassungsrecht4, 2018, Rz. 297 ff.; Magen in Pirson/Rüfner/ Germann/Muckel, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 13, § 27 Rz. 37 ff.

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B. Organisationsfragen im Bereich von Religion und Besteuerung | Rz. 12.27 Kap. 12

Für hiesigen Zusammenhang sind jedoch die zahlreichen Anknüpfungen der einfachgesetzlichen Rechtsordnung an den Körperschaftsstatus entscheidend, wie sie insbesondere Steuergesetze vornehmen.1 Diese Statusanknüpfung setzt die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts in nur einem Bundesland voraus. Nur für die Ausübung staatlicherseits übertragener Hoheitsrechte, etwa bei der Kirchensteuererhebung, muss der Körperschaftsstatus – und sei es durch Zweitanerkennung (Rz. 12.25) – in dem betroffenen Land bestehen. Das dürfte für die hier interessierenden Fragen jedoch unerheblich sein.

7. Liste der Religionsgemeinschaften mit Körperschaftsstatus Nach den Angaben des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat2 besitzen folgende Religionsgemeinschaften z.Z. Körperschaftsstatus: Baden-Württemberg Evangelische Kirche in Deutschland Evangelische Landeskirche in Baden Evangelische Landeskirche in Württemberg Evangelisch-Lutherische Kirche in Baden Evangelisch-reformierte Gemeinde Stuttgart Evangelische Brüder-Unität – Herrnhuter Brüdergemeinde Evangelische Brüdergemeinde Korntal Evangelische Brüdergemeinde Wilhelmsdorf Evangelische Freikirche Evangelisch-methodistische Kirche in Baden Evangelisch-methodistische Kirche in Württemberg Bund freier evangelischer Gemeinden in Deutschland Verband der Mennonitengemeinden in Baden-Württemberg Bund Freikirchlicher Pfingstgemeinden Gemeinschaft der Siebenten-Tags-Adventisten, Süddeutscher Verband Gemeinschaft der Siebenten-Tags-Adventisten in Baden-Württemberg Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in Deutschland Die Heilsarmee in Deutschland Gemeinde Gottes in Deutschland Katholische Kirche Römisch-Katholische Kirche Erzdiözese Freiburg Römisch-Katholische Kirche Diözese Rottenburg-Stuttgart Römisch-Katholische Kirche Diözese Mainz (für Bad-Wimpfen) 1 Magen in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 13, § 27 Rz. 53; Aufzählung bei Heinig, Öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften, S. 299 ff.; Towfigh, Die rechtliche Verfassung von Religionsgemeinschaften2, S. 209 ff. 2 www.personenstandsrecht.de/Webs/PERS/DE/informationen/religionsgemeinschaften/religionsge meinschaften-node.html, zuletzt abgerufen 4.8.2021.

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12.27

Kap. 12 Rz. 12.27 | Besteuerung von Religionsgemeinschaften

Orthodoxe Kirche Griechisch-Orthodoxe Metropolie von Deutschland Russische Orthodoxe Kirche im Ausland Rumänische Orthodoxe Metropolie Altkatholische Kirche Alt-Katholische Kirche in Baden-Württemberg Christliche Sondergemeinschaften Jehovas Zeugen in Deutschland Neuapostolische Kirche Süddeutschland Die Christengemeinschaft in Deutschland Körperschaftsverband Die Christgemeinschaft in Baden-Württemberg Freireligiöse Landesgemeinde Baden Die Humanisten Baden-Württemberg Jüdische Gemeinden und Landesverbände Israelitische Religionsgemeinschaft Baden Israelitische Religionsgemeinschaft Württemberg Bayern Römisch-Katholische Kirche Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern Evangelisch-reformierte Kirche in Bayern Alt-Katholische Kirche im Freistaat Bayern Evangelisch-methodistische Kirche Vereinigung Bayerischer Mennonitengemeinden Russisch-Orthodoxe Kirche im Ausland Landesverband der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern Bund für Geistesfreiheit Bayern Christian Science in Bayern Neuapostolische Kirche Süddeutschland Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Bayern Christengemeinschaft in Bayern Griechisch-Orthodoxe Metropolie von Deutschland Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in Deutschland Bund Freikirchlicher Pfingstgemeinden Rumänisch Orthodoxe Metropolie für Deutschland, Zentral- und Nordeuropa Jehovas Zeugen in Deutschland Humanistischer Vereinigung

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B. Organisationsfragen im Bereich von Religion und Besteuerung | Rz. 12.27 Kap. 12

Berlin Alt-Katholiken Christliche Wissenschaft in Berlin samt 4 Zweigkirchen Die Christengemeinschaft, Gemeinde Berlin Evangelische Brüdergemeinde Berlin Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz Evangelische Kirche der Union; seit 2003: Union Evangelischer Kirchen Evangelisch-Methodistische Kirche in Berlin Französische Kirche zu Berlin – Hugenottenkirche Gemeinschaft der Siebenten-Tags-Adventisten Berlin; a) Berlin b) Deutschland Griechisch-Orthodoxe Kirche (Himmelfahrtskirche) Israelitische Synagogengemeinde – Adass Jisroel Jehovas Zeugen in Deutschland Johannische Kirche Jüdische Gemeinde zu Berlin Katholische Kirche – Erzbistum Berlin Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage Neuapostolische Kirche Berlin-Brandenburg Russisch-Orthodoxe Kirche im Ausland Russisch-Orthodoxe Kirche – Moskauer Patriarchat Selbständige Evangelisch-Lutherische Kirche SELK – Kirchenbezirk Berlin (samt 6 Einzelgemeinden mit Körperschaftsrechten) Verband Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden (Baptisten) (15 Gemeinden) Brandenburg Evangelische Landeskirchen Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz Evangelische Kirche in Mitteldeutschland Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland Evangelisch-Lutherische Kirche in Sachsen Evangelische Freikirchen Selbständige Evangelisch-Lutherische Kirche (Kirchenbezirk Berlin-Brandenburg, Lausitzer Kirchenbezirk) Bund evangelisch-freikirchlicher Gemeinden Evangelisch-methodistische Kirche Gemeinschaft der Siebenten-Tags-Adventisten EBM International

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Kap. 12 Rz. 12.27 | Besteuerung von Religionsgemeinschaften

Katholische Kirche Erzbistum Berlin Bistum Görlitz Bistum Magdeburg Orthodoxe Kirche Russisch-Orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats (Berliner Diözese) Christliche Sondergemeinden Johannische Kirche Neuapostolische Kirche Kirche Apostelamt Jesu Christi Jehovas Zeugen in Deutschland Jüdische Gemeinden und Landesverbände Landesverband der Jüdischen Gemeinden Land Brandenburg Landesverband-West der Jüdischen Kultusgemeinden in Brandenburg Weltanschauungsvereinigungen Humanistischer Verband Deutschlands – Landesverband Berlin-Brandenburg Bremen Bremische Evangelische Kirche Römisch-Katholische Kirche Selbständige Evangelisch-Lutherische Kirche Evangelisch-Methodistische Kirche Paulus Gemeinde Bremen Bund Freikirchlicher Pfingstgemeinden Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten im Land Bremen Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden (Baptisten) Griechisch-Orthodoxe Metropolie von Deutschland Jehovas Zeugen in Deutschland Neuapostolische Kirche Nord- und Ostdeutschland Christengemeinschaft Jüdische Gemeinde im Lande Bremen Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage Hamburg Evangelisch-Lutherische Kirche Erzbistum Hamburg Jüdische Gemeinde in Hamburg Evangelisch-reformierte Kirche in Hamburg Evangelisch-Freikirchliche Gemeinde Hamburg I 864 | Waldhoff

B. Organisationsfragen im Bereich von Religion und Besteuerung | Rz. 12.27 Kap. 12

Mennonitengemeinde zu Hamburg und Altona Neuapostolische Kirche Nord- und Ostdeutschland Evangelisch-Methodistische Kirche in der Freien und Hansestadt Hamburg Die Christengemeinschaft – Bewegung für religiöse Erneuerung in Norddeutschland Selbständige Evangelisch-Lutherische Kirche Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Hamburg Englisch-bischöfliche Gemeinde Christliche Wissenschaft (Christian Science) in Hamburg Russisch-Orthodoxe Kirche im Ausland Griechisch-orthodoxe Metropolie von Deutschland Bund freier evangelischer Gemeinden in Deutschland Dänische Seemannskirche in Hamburg Bund freikirchlicher Pfingstgemeinden Katholisches Bistum der Alt-Katholiken in Deutschland Jehovas Zeugen in Deutschland Ahmadiyya Muslim Jamaat Deutschland Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage Hessen Landesverband der Jüdischen Gemeinden in Hessen Zentralrat der Juden in Deutschland Jüdische Gemeinden in: Bad Nauheim, Darmstadt, Frankfurt a.M., Gießen, Kassel, Offenbach, Wiesbaden, Fulda 10 Evangelisch-Freikirchliche Gemeinden Selbständige Evangelisch-Lutherische Kirche „Kirchenbezirk Hessen-Süd“ und „Kirchenbezirk Hessen-Nord“ 16 Selbständige Evangelisch-Lutherische Gemeinden Freireligiöse Landesgemeinschaft Hessen 5 Freireligiöse Gemeinden Humanistische Gemeinschaft Hessen Bund Freikirchlicher Pfingstgemeinden Bund Evangelischer Freikirchlicher Gemeinden Evangelisch-Freikirchliche Gemeinde Hassenhausen Bund Freier Evangelischer Gemeinden in Deutschland Christengemeinschaft in Hessen Deutsche Unitarier – Religionsgemeinschaft – Landesgemeinde Hessen Evangelisch-methodistische Kirche, Sitz in Frankfurt a.M. und Berlin Evangelisch-methodistische Kirche – Distrikt Frankfurt a.M. Gemeinschaft der Siebenten-Tags-Adventisten, Sitz Berlin Waldhoff | 865

Kap. 12 Rz. 12.27 | Besteuerung von Religionsgemeinschaften

Katholisches Bistum der Alt-Katholiken, Bonn Neuapostolische Kirche Westdeutschland Russisch-Orthodoxe Diözese des orthodoxen Bischofs von Berlin und Deutschland, Sitz in München Unitarische Freie Religionsgemeinschaft Frankfurt a.M. (gegr. 1845), KdöR Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden in Hessen Wallonisch-Niederländische Gemeinde, Hanau Griechisch-Orthodoxe Metropolie von Deutschland, Sitz in Bonn Evangelische Kirche in Hessen und Nassau Evangelische Französisch-reformierte Gemeinde Frankfurt a.M. Evangelisch-reformierte Gemeinde Frankfurt a.M. Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck Evangelische Kirche im Rheinland Heilsarmee Köln Katholische Kirche – Bistum Fulda Katholische Kirche – Bistum Limburg Katholische Kirche – Bistum Mainz Katholische Kirche – Erzbistum Paderborn Jehovas Zeugen in Deutschland Freie Religionsgemeinschaft mit Sitz in Mainz Rumänisch Orthodoxe Metropolie für Deutschland, Zentral- und Nordeuropa Bahà’i Gemeinde in Deutschland Ahmadiyya Muslim Jamaat in der Bundesrepublik Deutschland Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage, Frankfurt a.M. Mecklenburg-Vorpommern Evangelisch-Lutherische Landeskirche in Norddeutschland Evangelisch-Lutherischer Kirchenkreis Mecklenburg Pommerscher Evangelischer Kirchenkreis Erzbistum Hamburg (für den Landesteil Mecklenburg) Erzbistum Berlin (für den Landesteil Vorpommern) Erzbischöfliches Amt Schwerin Landesverband der Jüdischen Gemeinden in Mecklenburg-Vorpommern Evangelisch-reformierte Kirche in Mecklenburg Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Mecklenburg-Vorpommern Neuapostolische Kirche Nord- und Ostdeutschland Selbständige Evangelisch-Lutherische Kirche – Altlutherische Gemeinde Greifswald; – Martin Luther-Gemeinde Schwerin

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B. Organisationsfragen im Bereich von Religion und Besteuerung | Rz. 12.27 Kap. 12

Niedersachsen Evangelische Landeskirchen Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannover Evangelisch-lutherische Landeskirche Braunschweig Evangelisch-lutherische Landeskirche Oldenburg Evangelisch-lutherische Landeskirche Schaumburg-Lippe Evangelisch-reformierte Kirche (Synode ev.-ref. Kirchen in Bayern und Nordwestdeutschland) andere evangelische Landeskirchen mit Kirchengemeinden oder Teilen von Kirchengemeinden in Niedersachsen (...) Konföderation evangelisch-reformierter Kirchen in Niedersachsen Evangelisch-Reformierte Kirche Bückeburg Evangelisch-Reformierte Kirche Stadthagen Bund evangelisch-reformierter Kirchen in Deutschland Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen Römisch-Katholische Kirche Diözesen Hildesheim, Osnabrück und Münster – hier der bischöflich-münstersche Offizialatsbezirk Vechta – sowie die Kirchengemeinde Bad Pyrmont der Erzdiözese Paderborn Alt-Katholische Kirche Katholische Pfarrgemeinde der Alt-Katholiken Hannover-Niedersachsen Evangelische Freikirchen Evangelisch-altreformierte Kirche in Niedersachsen Evangelisch Brüder-Unität-Herrnhuter Brüdergemeinde Evangelisch-Freikirchliche Gemeinde Leer (Baptisten) Bund Freikirchlicher Pfingstgemeinden Bund freier evangelischer Gemeinden in Deutschland Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in Deutschland (13 Gemeinden) Evangelisch-methodistische Kirche in Norddeutschland Mennonitengemeinden in Emden, Leer-Oldenburg und Norden Selbständige Evangelisch-Lutherische Kirche (SELK) Kirchenbezirk Niedersachsen Ost (mit 13 Gemeinden) Kirchenbezirk Niedersachsen Süd (mit 20 Gemeinden) Kirchenbezirk Niedersachsen West (mit 15 Gemeinden) Sonstige Religionsgemeinschaften Bund Freireligiöser Gemeinden Deutschlands (BFGD) Christliche Wissenschaft (Christian Science) in Niedersachsen Die Christengemeinschaft: – Die Christengemeinschaft in Niedersachsen; – Die Christengemeinschaft – Bewegung für religiöse Erneuerung – in Norddeutschland

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Kap. 12 Rz. 12.27 | Besteuerung von Religionsgemeinschaften

Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten: – Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Niedersachsen; – Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten, Norddeutscher Verband Griechisch-Orthodoxe Metropolie in Deutschland Humanistischer Verband Niedersachsen Jehovas Zeugen in Deutschland Landesverband der Jüdischen Gemeinden in Niedersachsen Landesverband der Israelitischen Kultusgemeinden in Niedersachsen Jüdische Gemeinde Hannover Jüdische Gemeinde Osnabrück Jüdische Gemeinde Braunschweig Neuapostolische Kirche Nord- und Ostdeutschland Russisch-Orthodoxe Kirche im Ausland Nordrhein-Westfalen (Erz-)Diözesen der Römisch-Katholischen Kirche, ihre Kirchengemeinden und Kirchenverbände Evangelische Kirche im Rheinland, Evangelisch Kirche von Westfalen und Lippische Landeskirche, ihre Kirchengemeinden, Kirchenkreise und Verbände Katholisches Bistum der Alt-Katholiken in Deutschland Landesverbände der jüdischen Gemeinden von Nordrhein (Düsseldorf) und Westfalen-Lippe (Dortmund) Neuapostolische Kirche Westdeutschland Bund freier evangelischer Gemeinden in Deutschland Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Nordrhein-Westfalen Mennonitengemeinde Krefeld Die Heilsarmee in Deutschland Selbständige Evangelisch-Lutherische Kirche Kirchenbezirk Rheinland-Westfalen (mit 9 Gemeinden) Selbständige Evangelisch-Lutherische Kirche in Hannover Griechisch-Orthodoxe Metropolie in Deutschland Erzdiözese der Syrisch-Orthodoxen Kirche von Antiochien in Deutschland Christengemeinschaft in Nordrhein-Westfalen Evangelisch-methodistische Kirche in Nordwestdeutschland 8 Evangelisch-Freikirchliche Gemeinden (Baptistengemeinden) Bund Freikirchlicher Pfingstgemeinden Herrnhuter Brüdergemeinde in Nordrhein-Westfalen Niederländisch-Reformierte Gemeinde zu Wuppertal Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage, Frankfurt a.M. Jehovas Zeugen in Deutschland Jüdische Gemeinden/Synagogengemeinden (in: Köln; Bonn; Duisburg-Mülheim-Oberhausen; Krefeld; Aachen; Düsseldorf; Essen, Mönchengladbach; Wuppertal; Bielefeld; Gelsenkirchen; 868 | Waldhoff

B. Organisationsfragen im Bereich von Religion und Besteuerung | Rz. 12.27 Kap. 12

Hagen, Minden und Umgebung; Bochum-Herne-Hattingen; Dortmund; Münster; Paderborn; Kreis Recklinghausen; Detmold) Union progressiver Juden in Deutschland Hinduistische Gemeinde in Deutschland Rumänisch-Orthodoxe Metropolie für Deutschland, Zentral- und Nordeuropa Humanistischer Verband Nordrhein-Westfalen Rheinland-Pfalz Römisch-Katholische Kirche Verband der Diözesen Deutschlands, Bonn Erzbistum Köln, Bistümer Limburg, Mainz, Speyer, Trier; die Kirchengemeinden und die aus ihnen gebildeten Verbände Evangelische Landeskirchen Evangelische Kirche der Pfalz Evangelische Kirche im Rheinland Evangelische Kirche in Hessen und Nassau Alt-Katholische Kirche Katholisches Bistum der Alt-Katholiken in Deutschland, Bonn Orthodoxe Kirchen Russisch-Orthodoxe Diözese des orthodoxen Bischofs von Berlin und Deutschland, München Griechisch-Orthodoxe Metropolie von Deutschland, Exarchat von Zentraleuropa, Bonn Jüdische Verbände und Kultusgemeinden Zentralrat der Juden in Deutschland Landesverband der jüdischen Gemeinden von Rheinland-Pfalz Jüdische Kultusgemeinden (für die Kreise Bad Kreuznach und Birkenfeld; der Rheinpfalz, Speyer; Koblenz; Mainz; Trier) Freireligiöse Gemeinschaften Freie Religionsgemeinschaft Alzey (Humanistische Gemeinde Freier Protestanten) Freie Religionsgemeinschaft Rheinland Freireligiöse Gemeinden Mainz, Idar-Oberstein, Ingelheim, Ludwigshafen weitere Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften Gemeinschaft der Siebenten-Tags-Adventisten in Rheinland-Pfalz Neuapostolische Kirche in Rheinland-Pfalz Evangelisch-Methodistische Kirche Bund freier evangelischer Gemeinden Bund Evangelischer Freikirchlicher Gemeinden in Deutschland Selbständige Evangelisch-Lutherische Kirche (SELK), Hannover; Kirchenbezirk Hessen-Süd und Kirchengemeinden Gemünden und Kaiserslautern Evangelische Brüdergemeinde Neuwied Waldhoff | 869

Kap. 12 Rz. 12.27 | Besteuerung von Religionsgemeinschaften

14 Mennonitengemeinden Arbeitsgemeinschaft Mennonistischer Gemeinden in Deutschland (AMG) Arbeitsgemeinschaft Südwestdeutscher Mennonitengemeinden (ASM) Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage Jehovas Zeugen in Deutschland Saarland Bistümer Speyer und Trier mit den im Gebiet des heutigen Saarlandes gelegenen Kirchengemeinden und aus ihnen gebildeten Kirchengemeindeverbänden Evangelische Kirche im Rheinland mit den Kirchenkreisen Saarbrücken, Völklingen und Ottweiler Evangelische Kirche der Pfalz mit dem Kirchenbezirk Homburg, aus dem Kirchenbezirk Zweibrücken und aus dem Kirchenbezirk Kusel Alt-Katholisches Bistum in Deutschland mit der Alt-Katholischen Kirchengemeinde Saarbrücken Synagogengemeinde Saar Gemeinden der Evangelisch-Methodistischen Kirche Gemeinden des Bundes Evangelischer Freikirchlicher Gemeinden Deutschlands (vorher Bund der Baptisten) Russisch-Orthodoxe Kirche, Diözese von Berlin und Deutschland (Auslandskirche, nicht Moskauer Patriarchat), die Gesamtgemeinde Saarbrücken Neuapostolische Kirche Gemeinschaft der Siebenten-Tags-Adventisten im Saarland Selbständige Evangelisch-Lutherische Kirche, Kirchenbezirk Süddeutschland (mit Körperschaftsrechten in Saarbrücken, Walpershofen, Fürth, Spiesen) Griechisch-Orthodoxe Metropolie von Deutschland Jehovas Zeugen in Deutschland Rumänisch-orthodoxe Metropolie Sachsen Evangelische Kirche Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz Evangelische Kirche in Mitteldeutschland Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens Evangelisch-Reformierte Gemeinde zu Dresden Evangelisch-Reformierte Kirche – Synode der evangelisch-reformierten Kirchen in Bayern und Nordwestdeutschland Evangelische Brüder-Unität, Herrnhuter Brüdergemeinde Evangelische Freikirche Evangelisch-Lutherische Freikirche Selbständige Evangelisch-Lutherische Kirche, Gemeinden Dresden, Görlitz, Klitten, Weigersdorf, Leipzig 870 | Waldhoff

B. Organisationsfragen im Bereich von Religion und Besteuerung | Rz. 12.27 Kap. 12

Evangelisch-Methodistische Kirche Bund Freikirchlicher Pfingstgemeinden Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden Apostelamt Jesu Christi Katholische Kirche Bistum Dresden-Meißen Bistum Görlitz Bistum Magdeburg Christliche Sondergemeinden Die Christengemeinschaft in Ostdeutschland Neuapostolische Kirche Nord- und Ostdeutschland Jehovas Zeugen in Deutschland Jüdische Gemeinden und Landesverbände Landesverband der Jüdischen Gemeinden in Sachsen Israelitische Religionsgemeinde zu Leipzig Jüdische Gemeinde Chemnitz Jüdische Gemeinde zu Dresden Sachsen-Anhalt Evangelische Kirche Evangelische Landeskirche Anhalts Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz Evangelisch-lutherische Landeskirche in Braunschweig Evangelische Kirche in Mitteldeutschland Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens Selbständige Evangelisch-Lutherische Kirche in Deutschland (SELK) Bund Evangelischer Freikirchlicher Gemeinden in Deutschland (Vereinigung Niedersachsen – Ostwestfalen – Sachsen-Anhalt) Katholische Kirche Bistum Magdeburg Katholisches Bistum der Alt-Katholiken in Deutschland Gemeindeverband Alt-Katholischer Gemeinden in Sachsen-Anhalt (für den ehemals preußischen Teil des Landes Sachsen-Anhalt) Jüdische Kultusgemeinden Landesverband Jüdischer Gemeinden Sachsen-Anhalt Jüdische Gemeinde zu Halle Synagogen-Gemeinde zu Magdeburg Jüdische Gemeinde zu Dessau Waldhoff | 871

Kap. 12 Rz. 12.27 | Besteuerung von Religionsgemeinschaften

andere Religionsgemeinschaften Gemeinschaft der Siebenten-Tags-Adventisten in Sachsen-Anhalt Neuapostolische Kirche Nord- und Ostdeutschland Zeugen Jehovas in Deutschland Schleswig-Holstein Katholisches Bistum der Alt-Katholiken in Deutschland Neuapostolische Kirche Nord- und Ostdeutschland Russisch-Orthodoxe Kirche in Deutschland Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland Katholische Kirche, Erzbistum und Kirchenprovinz Hamburg Evangelisch-Reformierte Kirche Nordwestdeutschland Remonstrantisch-Reformierte Kirchengemeinde Friedrichstadt Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden (Baptisten) Vereinigung Norddeutschland Mennoniten-Gemeinde Hamburg-Altona Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten Deutsche Unitarier-Religionsgemeinschaft – Landesgemeinde Schleswig-Holstein Evangelisch-Methodistische Kirche in Nordwestdeutschland Christengemeinschaft in Schleswig-Holstein Selbständige Evangelisch-Lutherische Kirche Griechisch-Orthodoxe Metropolie von Deutschland Heilsarmee in Deutschland Bund Freikirchlicher Pfingstgemeinden Landesverband Jüdische Gemeinschaft Schleswig-Holstein Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Schleswig-Holstein Jehovas Zeugen in Deutschland Thüringen Evangelische Kirche in Mitteldeutschland Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck Bistum Erfurt der römisch-katholischen Kirche Bistum Dresden Meißen der römisch-katholischen Kirche Bistum Fulda der römisch-katholischen Kirche Jüdische Landesgemeinde Thüringen Gemeinschaft der Siebenten-Tags-Adventisten in Thüringen Evangelisch-Lutherische Christus-Kirchengemeinde der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche Neuapostolische Kirche Nord- und Nordostdeutschland Jehovas Zeugen in Deutschland. 872 | Waldhoff

B. Organisationsfragen im Bereich von Religion und Besteuerung | Rz. 12.30 Kap. 12

Die Liste zeigt, dass keinesfalls nur die altkorporierten christlichen Großkirchen den Körperschaftsstatus besitzen, sondern dass das Feld ausgesprochen vielfältig ist. Insbesondere bei den christlichen Großkirchen ist die Redeweise, diese besäßen als solche den Körperschaftsstatus, präzisierungsbedürftig. Die Kirchen sind nach ihren eigenen Organisationsvorstellungen vielfältig untergliedert.1 Eine korporierte Religionsgemeinschaft kann Untergliederungen bilden, die dann selbst öffentlich-rechtlichen Status besitzen.2 Im Einzelfall ist daher zu prüfen, welche kirchliche Organisationseinheit – Bistum/Diözese, Landeskirche als solche, (Pfarr-)Gemeinde, Kirchengemeinde,3 Dekanat, Kirchenkreis, Kirchenbezirk, Propstei usw. aber auch der Zusammenschlüsse wie die EKD oder der Verband der Diözesen Deutschlands (VVD) – jeweils Körperschaftsstatus besitzt.

12.28

IV. Ordensgemeinschaften Ordensgemeinschaften gehören seit Jahrhunderten zu den speziellen Formen des Zusammenlebens und damit zu den Organisationsformen in christlichen Kirchen. Heute spielen in der Bundesrepublik Deutschland vornehmlich katholische Orden eine Rolle, obgleich auch bei den evangelischen Kirchen Kommunitäten u.ä. existieren.4 Strikt auseinanderzuhalten sind die kirchenrechtlichen und die weltlichen Regeln über Ordensgemeinschaften. Das kanonische Recht5 behandelt Orden in Buch II Teil III des Codex Iuris Canonici (CIC) 1983 unter dem Titel „Institute des geweihten Lebens und Gesellschaften des apostolischen Lebens“. Institute des geweihten Lebens sind von der Kirche anerkannte Zusammenschlüsse von Gläubigen, die sich durch Profess das Bekenntnis zu den evangelischen Räten der Keuschheit, der Armut und des Gehorsams bekennen und damit in den Stand des geweihten Lebens, den „Ordensstand“ eintreten, c. 574 § 1 CIC.

12.29

Für die Fragen der Besteuerung von Ordensgemeinschaften ist nur ihr weltlicher Status relevant.6 In jedem Fall erstreckt sich das kirchliche Selbstbestimmungsrecht auch auf Ordensgemeinschaften, wie das Bundesverfassungsgericht am Beispiel der Krankenhausstiftung eines Krankenpflegeordens und der Deutschen Provinz der Salesianer Don Boscos ausdrücklich festgestellt hat:

12.30

„Die Beschwerdeführerinnen sind der katholischen Kirche im Sinne der oben angestellten Erwägungen zugeordnet; sie haben unmittelbar teil an der Verwirklichung eines wesentlichen kirchlichen Auftrags, der hier mit der Führung des ‚katholischen Krankenhauses‘ bzw. des ‚katholischen Jugendheims‘ erfüllt werden soll. Damit gehören sie zur Kirche, wie sie Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV versteht. Das bezieht sich aber nicht nur auf die Beschwerdeführerinnen als Träger kirchlicher Einrichtungen, sondern auch auf die Einrichtungen selbst, die Funktionseinheit, durch die der kirchliche Auftrag seine Wirkung entfalten soll [...]. Die Zugehörigkeit der Beschwerdeführerinnen zur Kirche wird nicht dadurch aufgehoben oder gelockert, dass sie sich bei der Erfüllung ihres Auftrags der Organisationsformen des staatlichen Rechts bedienen und dass bei ihrer Verwaltung oder in sonstigen Bereichen Laien mitwirken [...]“7 1 2 3 4

Rausch in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 19 Rz. 9. BVerwG v. 8.1.2009 – 7 B 42/08, NVwZ 2009, 390. Vgl. etwa BFH v. 19.2.1998 – IV R 38/97, BStBl. II 1998, 509. Sailer in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 13, § 29 Rz. 2. 5 Als Überblick Haering in Haering /Rees/Schmitz, Handbuch des katholischen Kirchenrechts3, 2015, § 57, sowie Hense, Art. „Orden. Kirchenrechtlich“, in Staatslexikon Recht – Wirtschaft – Gesellschaft, Bd. 48, 2020, Sp. 499 ff. 6 Maier, Grundlagen und Probleme der Klosterbesteuerung, S. 17 ff., 42 ff. 7 BVerfG v. 4.6.1985 – 2 BvR 1703, 1718/83, 856/84, BVerfGE 70, 138 (163 f.).

Waldhoff | 873

Kap. 12 Rz. 12.31 | Besteuerung von Religionsgemeinschaften

12.31

Die weltlichen Organisationsformen, der sich die Ordensgemeinschaften bedienen, sind vielfältig. Nach Art. 13 des Reichskonkordats vom 20.7.19331, nach Art. 2 Abs. 2 des Bayerischen Konkordats von 19242 und nach Art. V Abs. 1 des Badischen Konkordats von 19323 bleiben die Ordensgemeinschaften Körperschaften des öffentlichen Rechts, die dies bei Inkrafttreten der Konkordate waren.4 Art. 13 Reichskonkordat stellte zudem in Aussicht, dass dieser Status nach allgemeinem Gesetz eingeräumt werden könne. Ein solches Gesetz wurde freilich nie erlassen. Daher konnten und können nur in Bayern Ordensgemeinschaften den Körperschaftsstatus erlangen, denn Art. 26a Bayerisches Kirchensteuergesetz ermöglicht dies seit 2006 ausdrücklich und eine ordensfreundliche Verwaltungspraxis hatte den Status auch schon früher vergeben.5 Es gelten dann die aus Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 WRV folgenden allgemeinen Anforderungen (Rz. 12.19 ff.).6 In Württemberg wurde durch das Gesetz über die Kirchen vom 3.3.1924 der öffentlich-rechtliche Status der Ordensgemeinschaften ausdrücklich aufgehoben.7

12.32

Die übrigen Ordensgemeinschaften müssen sich privatrechtlicher Formen bedienen, wollen sie am weltlichen Rechtsverkehr teilnehmen, d.h. sich als nicht-rechtsfähiger oder rechtsfähiger Verein, als GmbH, als AG oder Genossenschaft organisieren.8 Das ist entgegen vorher bestehender Konzessionssysteme durch Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 4 WRV verfassungsrechtlich abgesichert.9 Traditionell nimmt die Rechtsprechung – falls nichts anderes ersichtlich ist – für Ordensniederlassungen die Rechtsform des nichtrechtsfähigen Vereins an10 (der freilich de facto inzwischen dem rechtsfähigen Verein stark angenähert ist). Zu beachten ist jedoch, dass oft die zivilrechtlichen Rechtsträger nur als „Hilfskörperschaften“ gegründet werden und nicht mit der Ordensgemeinschaft als solcher identisch sein muss.11

V. Sonstige Organisationsformen 12.33

Kann oder will eine Religionsgemeinschaft den Körperschaftsstatus nicht erreichen, stehen ihr Organisationsformen des Privatrechts zur Verfügung.12 Die – auch hier wiederum freiwillige – Organisation von Religionsgemeinschaften in privatrechtlicher Form, v.a. durch das Vereinsrecht, ist notwendige Bedingung, um als Kollektiv unterhalb des Körperschaftsstatus am Rechtsverkehr teilnehmen zu können und um als überindividuelle Entität, d.h. über die Einzelpersonen hinaus die verfassungsrechtlichen Sicherungen des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG in

1 Abgedruckt bei Listl, Konkordate und Kirchenverträge, Bd. 1, 1987, S. 27; zur Fortgeltung des Reichskonkordats BVerfG v. 26.3.1957 – 1 BvG 1/55, BVerfGE 6, 309. 2 RGBl. II 1933, 679. Abgedruckt bei Listl, Konkordate und Kirchenverträge, Bd. 1, 1987, S. 287. 3 Abgedruckt bei Listl, Konkordate und Kirchenverträge, Bd. 1, 1987, S. 135. 4 Vgl. auch BFH v. 8.7.1971 – V R 1/68, BStBl. II 1972, 70. 5 Vgl. Holste genannt Göcke, Die Besteuerung von Ordensgemeinschaften, S. 57 f. 6 Vgl. zum Ganzen Sailer in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 13, § 29 Rz. 13. 7 Vgl. Holste genannt Göcke, Die Besteuerung von Ordensgemeinschaften, S. 56. 8 Sailer in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 13, § 29 Rz. 14; Holste genannt Göcke, Die Besteuerung von Ordensgemeinschaften, S. 61 ff. 9 Holste genannt Göcke, Die Besteuerung von Ordensgemeinschaften, S. 64 f. mit Fn. 288. 10 RG v. 7.11.1919 – VII 154/19, RGZ 97, 122; BGH v. 29.1.2002 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341. 11 Holste genannt Göcke, Die Besteuerung von Ordensgemeinschaften, S. 65. 12 Schrooten, Gleichheitssatz und Religionsgemeinschaften, S. 146 ff. mit allen in Betracht kommenden Rechtsformen.

874 | Waldhoff

B. Organisationsfragen im Bereich von Religion und Besteuerung | Rz. 12.35 Kap. 12

Anspruch nehmen zu können.1 Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 4 WRV normiert, dass die nicht korporierten Religionsgemeinschaften die Rechtsfähigkeit „nach den allgemeinen Vorschriften des bürgerlichen Rechtes“ erwerben. Die grundrechtliche Gewährleistung des Art. 4 GG differenziert gerade nicht danach, ob die Gemeinschaft öffentlich-rechtlich korporiert ist oder nicht: „Trotz aller Unterschiede hinsichtlich Größe und faktischer Bedeutung haben diese Religionsgemeinschaften denselben verfassungsunmittelbaren Rechtsstatus, der allen Kirchen und Religionsgemeinschaften nach dem Grundgesetz eignet.“2 Das gilt über Art. 4 GG hinaus auch für die Gewährleistung der Autonomie der Religionsgemeinschaft im Rahmen der für alle geltenden Gesetze nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV, der – nach richtiger Ansicht – gerade nicht den Körperschaftsstatus voraussetzt.3 Nimmt die Gemeinschaft dieses Recht nicht in Anspruch, können die Übergänge zwischen religiösen Gemeinschaften und anderen Vereinigungen offen bleiben, da das Vereinsrecht – von noch zu behandelnden Ausnahmen abgesehen – insoweit nicht differenziert. Die prinzipielle Anwendbarkeit der religionsrechtlichen Gewährleistungen – Art. 4 GG; Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV – hat die alte Unterscheidung zwischen „anerkannten“ oder „zugelassen“ und sonstigen Religionsgemeinschaften obsolet werden lassen. Beide Gewährleistungen gelten grundsätzlich unabhängig von dem Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts. Die religiöse Vereinigungsfreiheit, die vom Recht kirchlicher Selbstbestimmung in Art. 140 Gg i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV zu trennen ist,4 ist ebenfalls in Art. 4 GG als lex specialis zu Art. 9 Abs. 1 GG, sowie in Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 2 WRV festgeschrieben.5 Das Mitgliedschaftsrecht ist der autonomen Entscheidung der jeweiligen Religionsgemeinschaft überantwortet.6 Die Gewährleistung des Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 2 WRV kann daneben keine eigenständige Bedeutung entfalten.7 Es muss sich lediglich um eine „Religionsgemeinschaft“ im verfassungsrechtlichen Sinne handeln (Rz. 12.15). In seiner Bahá’íEntscheidung hat das Bundesverfassungsgericht zugleich festgestellt, dass damit kein Anspruch auf eine konkrete Rechtsform besteht, „gewährleistet ist die Möglichkeit einer irgendwie gearteten rechtlichen Existenz einschließlich der Teilnahme am Rechtsverkehr. [...] Unvereinbar mit der religiösen Vereinigungsfreiheit wäre ein Ergebnis, das eine Religionsgesellschaft im Blick auf ihre innere Organisation von der Teilnahme am allgemeinen Rechtsverkehr gänzlich ausschlösse oder diese nur unter Erschwerungen ermöglichte, die unzumutbar sind.“8

12.34

Bis zum Inkrafttreten der WRV überließ Art. 84 EGBGB den Ländern, abweichend von § 21 BGB, die Rechtsfähigkeit von Religionsgesellschaften nur durch (öffentlich-rechtliches) Gesetz

12.35

1 Soweit ersichtlich gibt es keine verlässliche Statistik über Religionsgemeinschaften, die in den Formen des Privatrechts organisiert sind; Jurina in Listl/Pirson, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 22, S. 689 (695) schätzt sie auf 2 bis 2,5 Millionen Mitglieder. Das dürfte angesichts überholt und angesichts von rund 5 Millionen Muslimen viel zu niedrig gegriffen sein. 2 Jurina in Listl/Pirson, Handbuch des Staatskirchenrechts, Bd. 22, S. 689. 3 Vgl. nur Korioth in Maunz/Dürig, GG, Art. 140 GG/137 WRV Rz. 18. 4 Schockenhoff, NJW 1992, 1013 (1015). 5 BVerfG v. 5.2.1991 – 2 BvR 263/86, BVerfGE 83, 341 (355 f.) – auch zur Entstehungsgeschichte; Magen, Körperschaftsstatus und Religionsfreiheit, S. 253 ff. 6 BVerfG v. 31.3.1971 – 1 BvR 744/67, BVerfGE 30, 415 (422); ein aus staatlichem Recht garantiertes Austrittsrecht bleibt davon unberührt. 7 Korioth in Maunz/Dürig, GG, Art. 140GG/137 WRV Rz. 11. 8 BVerfG v. 5.2.1991 – 2 BvR 263/86, BVerfGE 83, 341 (355, 356); Towfigh in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 13, § 26 Rz. 28.

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Kap. 12 Rz. 12.35 | Besteuerung von Religionsgemeinschaften

und nicht durch Eintragung in das Vereinsregister zuzuerkennen.1 Sinn und Zweck von Art. 137 Abs. 4 WRV war es, Benachteiligungen von Religionsgemeinschaften beim Erwerb der Rechtfähigkeit auszuschalten2. v. Campenhausen hat jedoch herausgestellt, dass durch verfassungsrechtliche Überlagerungen gleichwohl Besonderheiten bestehen: „Auch in der Rechtsform des eingetragenen Vereins wird eine Religionsgemeinschaft kein weltlicher Verein wie jeder andere auch.“3 Nur für die nach außen wirkenden Rechtsverhältnisse gilt das Vereinsrecht uneingeschränkt, für die innere Struktur kann das Bürgerliche Recht keine durch die Verfassung geschützten Selbstorganisationsformen überspielen, denn den Religionsgemeinschaften wird schon verfassungskräftig auch ihr Selbstorganisationsrecht (einschließlich der Fragen des Erwerbs und Verlusts der Mitgliedschaft, der Ämterorganisation, des inneren Aufbaus) gewährleistet. Die wirtschaftliche Betätigung eines Vereins – dies wurde in Fällen um die Gruppierung Scientology relevant4 – ist als nach außen gerichtete Tätigkeit dann nicht unter das Recht des Idealvereins, sondern des wirtschaftlichen Vereins zu fassen.5 Die Unterscheidung ist fundamental, denn der wirtschaftliche Verein unterliegt nach wie vor dem Konzessionssystem; der Vereinsstatus wird in der Praxis regelmäßig verweigert, weil die handelsrechtlichen Gesellschaftsformen zur Verfügung stehen.6

12.36

Die Instanzjudikatur hat auch die Frage des zulässigen Fremdeinflusses bei religiösen Vereinen beschäftigt.7 Diese gewähren in ihren Satzungen häufig kirchlichen Behörden weitgehende Einflussrechte.8 Nach Vereinsrecht ist es mit dem Wesen des Vereins, genauer: mit der Vereinsautonomie unvereinbar, wenn sich solche durch ihre Satzungen „rechtlich einen so weitgehenden Fremdeinfluss gestatten, dass der Verein nicht mehr vornehmlich als von der Willensbildung und -betätigung der Mitglieder getragen wird, sondern als unselbständige Verwaltungsstelle einer anderen organisatorischen Einheit erscheint“.9 Hier greift die verfassungsrechtliche Überlagerung des Vereinsrechts: „Der Kirche zugeordnete Vereine können ungeachtet der Tatsache, dass sie sich der Rechtsform des Vereins bedienen, ihre Satzung ohne Bindung an bestehende vereinsrechtliche Vorschriften gestalten, soweit der Innenbetrieb des vereinsrechtlichen Zusammenschlusses betroffen ist.“10 Vereinsrechtlich wird von „Vereinen mit anerkanntermaßen eingeschränkter Autonomie“ gesprochen.11 Grundsätzlich sind die vereinsrechtlichen Vorschriften im Lichte der verfassungsrechtlichen Garantien auszulegen und anzuwenden – wobei hier Streitigkeiten und Unklarheiten 1 Merten/Kirchhof in Staudinger, BGB12, Art. 84 EGBGB Rz. 1 ff. 2 Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11.8.191914, 1933, Art. 137 Anm. 7; die WRV enthielt in ihrer Regelung zur Vereinigungsfreiheit in Art. 124 Abs. 1 Satz 3 noch den Satz: „Für religiöse Vereine und Gesellschaften gelten dieselben Bestimmungen [wie für nichtreligiöse Vereine].“ 3 v. Campenhausen, NJW 1990, 887. 4 OLG Düsseldorf v. 12.8.1983 – 3 W 268/82, NJW 1983, 2574; LG Hamburg v. 17.2.1988 – 71 T 79/85, NJW 1988, 2617; BVerwG v. 12.11.1997 – 6 C 11.96, NJW 1998, 1166. 5 OLG Düsseldorf v. 12.8.1983 – 3 W 268/82, NJW 1983, 2574 f.; Kopp, NJW 1989, 2497; ders., NJW 1990, 2669. 6 BVerwG v. 24.4.1979 – I C 8.74, BVerwGE 58, 26; zur historischen Entwicklung Bär in Schmoeckel/Rückert/Zimmermann, HKK-BGB, Bd. 1, 2003, §§ 21–79 Rz. 34 ff. 7 KG v. 12.10.1973 – 1 W 1332/71, OLGZ 1974, 385. 8 Vgl. Schockenhoff, NJW 1992, 1013. 9 OLG Köln v. 20.9.1991 – 2 Wx 64/90, NJW 1992, 1048. 10 OLG Köln v. 20.9.1991 – 2 Wx 64/90, NJW 1992, 1048 (Leitsatz 2); a.A. OLG Frankfurt v. 9.3.1982 – 20 W 577/81, NJW 1983, 2576; dazu kritisch Machanek, JuS 1985, 440. 11 Steinbeck, Vereinsautonomie und Dritteinfluss, 1999, S. 140 ff.; Flume in FS Coing, Bd. 2, 1982, S. 97 (108 ff.).

876 | Waldhoff

B. Organisationsfragen im Bereich von Religion und Besteuerung | Rz. 12.38 Kap. 12

über die Reichweite der verfassungsrechtlichen Überlagerung bestehen.1 Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Bahá’í-Entscheidung ausgeführt: „Die religiöse Vereinigungsfreiheit gebietet allerdings, das Eigenverständnis der Religionsgesellschaft, soweit es in den Bereich der durch Art. 4 Abs. 1 GG als unverletzlich gewährleisteten Glaubens- und Bekenntnisfreiheit wurzelt und sich in der durch Art. 4 Abs. 2 GG geschützten Religionsausübung verwirklicht, bei der Auslegung und Handhabung des einschlägigen Rechts, hier des Vereinsrechts des Bürgerlich Gesetzbuchs, besonders zu berücksichtigen [...] Das bedeutet nicht nur, dass die Religionsgesellschaft Gestaltungsspielräume, die das dispositive Recht eröffnet, voll ausschöpfen darf. Auch bei der Handhabung zwingender Vorschriften sind Auslegungsspielräume, soweit erforderlich, zugunsten der Religionsgesellschaft zu nutzen; dies darf allerdings nicht dazu führen, unabweisbare Rücksichten auf die Sicherheit des Rechtsverkehrs und auf die Rechte anderer zu vernachlässigen.“2 Nur hingewiesen werden kann auf eine rechts- bzw. religionspolitische Diskussion, Religionsgemeinschaften jenseits und vor dem Körperschaftsstatus, jedoch in Abgrenzung zum privatrechtlichen Vereinsrecht eine eigenständige Organisationsform zur Verfügung zu stellen.3 Für die steuerliche Behandlung besitzt dies freilich noch keine Relevanz.

12.37

VI. Organisationsfragen religionsgemeinschaftlicher Trabanten/kirchlich gebundener Organisationen Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 2 WRV betrifft nur Religionsgemeinschaften. Religiöse Vereine, die im Gegensatz zu Religionsgesellschaften nur eine partielle religiöse Zielsetzung haben, also nur in bestimmter und nicht umfassender Sicht religionsspezifisch sind, sind ausschließlich durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG und Art. 9 Abs. 1 GG geschützt.4 Religiöse Vereine sind ausdrücklich in Art. 140 GG i.V.m. Art. 138 Abs. 2 WRV erwähnt. Anders ausgedrückt: Religiöse Vereine im religionsverfassungsrechtlichen Sinn sind von der Organisation von Religionsgemeinschaften in privatrechtlicher Rechtsform zu unterscheiden. Als religiöser Verein werden zahlreiche kirchliche Einrichtungen der Caritas5 bzw. Diakonie6, Werke des Bildungswesens7, der Jugendarbeit, von Mission und Entwicklungshilfe usw. verwirklicht. Im Kern handelt es sich – wie auch Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 4 WRV zeigt – um Rechtsformen des Zivilrechts, vorrangig aber nicht notwendig des Vereinsrechts. Um von einem religiösen Verein sprechen zu können, sind folgende Voraussetzungen erforderlich: eine partielle religiöse Zielsetzung sowie die Zuordnung zu einer Religionsgemeinschaft. Das Bundesverfas1 Schockenhoff, NJW 1992, 1013 (1014). 2 BVerfG v. 5.2.1991 – 2 BvR 263/86, BVerfGE 83, 341 (356). 3 Waldhoff, DJT 68 (2010), S. D 87 ff.; kritisch etwa Schrooten, Gleichheitssatz und Religionsgemeinschaften, S. 190 ff. 4 Korioth in Maunz/Dürig, GG, Art. 140 GG/137 WRV Rz. 16.: „Alle Vorschriften, die das Merkmal der Religionsgemeinschaft/Religionsgesellschaft voraussetzen, sind auf religiöse Vereine nicht anwendbar.“ Muckel/Traub in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 13, § 28 Rz. 3, 5 ff. 5 Vgl. Sydow in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 23, § 50, zu den unterschiedlichen Trägerschaften Rz. 36 ff.; ferner Flierl, Freie und öffentliche Wohlfahrtspflege, 21992, 200 ff. 6 Wellert in Anke/de Wall/Heinig, Handbuch des evangelischen Kirchenrechts, 2016, § 14 Rz.45 ff.; Winter in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 23, § 51; ferner Flierl, Freie und öffentliche Wohlfahrtspflege, 21992, 270 ff. 7 Zu kirchlichen Schulen Wißmann in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 23, § 45.

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12.38

Kap. 12 Rz. 12.38 | Besteuerung von Religionsgemeinschaften

sungsgericht bewertet dies nach dem Ausmaß der institutionellen Verbindung sowie der Art der durch die Vereinigung zu verwirklichenden Ziele.1 Aus Gründen der Rechtssicherheit wird man einen in einem Mindestmaß formalisierten Rechtsakt verlangen müssen.2 Auch hier ist die weltlich-rechtliche Form wiederum vom kirchenrechtlichen Status zu trennen. Im Gegensatz zum kanonischen Recht (vgl. etwa cc. 215; 298 ff.)3 kennt das evangelische Kirchenrecht freilich kein kodifiziertes kirchliches Vereinsrecht.4

12.39

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts steht auch den kirchlichen Trabanten/religiösen Vereinen der Schutz des Selbstbestimmungsrechts nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV unabhängig von einer konkret gewählten Rechtsform zu.5 Dabei kann es sich freilich nur um einen von der Religionsgemeinschaft, der der religiöse Verein zugeordnet ist, abgeleiteten Schutz handeln, denn andernfalls könnte sich ein Verein der Religionsgemeinschaft „aufdrängen“ und ihre Lehre verfälschen.6

VII. Anknüpfung steuerlicher Befreiungen an den Körperschaftsstatus – Rechtfertigung und rechtspolitische Diskussion 12.40

„Den maßgeblichen Anknüpfungspunkt für Ungleichbehandlungen von Religionsgemeinschaften bietet im deutschen Religionsrecht die Organisationsform.“7 Bei der Frage nach der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung dieser Differenzierung ist zwischen inhärenten Ungleichbehandlungen und der äußeren Anknüpfung zu unterscheiden.8 Vorliegend geht es ausschließlich um Letzteres. Zahlreiche Vergünstigungen für Religionsgemeinschaften knüpfen daher an den Körperschaftsstatus an und übernehmen damit die im Grundgesetz selbst angelegte religionsorganisatorische Grundunterscheidung:9 – Körperschaftsteuer: § 1 Abs. 1 Nr. 6 und § 4 KStG (Rz. 12.67 ff.); – gemeinnützige Förderung kirchlicher Zwecke gem. § 54 AO (Rz. 12.52); – Erbschaft- und Schenkungsteuer: § 13 Abs. 1 Nr. 16 Buchst. a ErbStG (Rz. 12.121 ff.); 1 BVerfG v. 11.10.1977 – 2 BvR 209/76, BVerfGE 46, 73 (85 ff.). 2 Muckel/Traub in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 13, § 28 Rz. 13. 3 Näher Schüller in Haering/Rees/Schmitz, Handbuch des katholischen Kirchenrechts3, 2015, §§ 54, 55. 4 Muckel/Traub in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 13, § 28 Rz. 34; vgl. jedoch Wellert in Anke/de Wall/Heinig, Handbuch des evangelischen Kirchenrechts, 2016, § 14. 5 BVerfG v. 11.10.1977 – 2 BvR 209/76, BVerfGE 46, 73 (85 f.); BVerfG v. 25.3.1980 – 2 BvR 208/76, BVerfGE 53, 366 (391); BVerfG v. 4.6.1985 – 2 BvR 1703, 1718/83, 856/84, BVerfGE 70, 138 (162 f.). 6 Muckel/Traub in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 13, § 28 Rz. 11, 12. 7 Schrooten, Gleichheitssatz und Religionsgemeinschaften, S. 145. 8 Schrooten, Gleichheitssatz und Religionsgemeinschaften, S. 199. 9 Weides in FS der Rechtswissenschaftlichen Fakultät zur 600-Jahr-Feier der Universität zu Köln, S. 885 (887); G. Hammer in Listl/Pirson, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 12, § 36 S. 1067; Kube in Pulte/Hense, Grund und Grenzen staatlicher Religionsförderung, S. 143 (145). Zusammenstellung und Systematisierung aller an den Körperschaftsstatus anknüpfenden Begünstigungen bei Schrooten, Gleichheitssatz und Religionsgemeinschaften, S. 176 ff.

878 | Waldhoff

B. Organisationsfragen im Bereich von Religion und Besteuerung | Rz. 12.41 Kap. 12

– Grundsteuer: § 3 Abs. 4 Nr. 4 GrStG (Rz. 12.131 ff.); – Grunderwerbsteuer: § 4 Nr. 1 GrEStG (Rz. 12.153 ff.); – Umsatzsteuer: § 2 Abs. 1, § 2b UStG (Rz. 12.86 ff.). Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang, dass zumeist die Befreiung auch nicht-statusbezogen gewährt wird, dann aber besondere Sicherungsmechanismen greifen. Hauptanwendungsfall ist das Gemeinnützigkeitsrecht (Rz. 12.44). Das Anknüpfen von Steuervergünstigungen an den Körperschaftsstatus ist keine zwingende Folge aus diesem Status, sondern eine inhaltlich freiwillige und rechtstechnische Entscheidung des Steuergesetzgebers.1 Mit anderen Worten: Allein aus dieser Anknüpfung folgt kein besonderer Schutz dieser Steuerbefreiungen. Diese Differenzierung nach dem Körperschaftsstatus ist regelmäßig verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Eine analoge Anwendung für andere Religionsgemeinschaften scheidet daher aus.2 „Dieser besondere öffentliche Status rechtfertigt auch besondere Steuervorteile, die den Religionsgesellschaften des privaten Rechts nicht zuteilwerden. Das Willkürverbot und das Verbot jeder Differenzierung wegen der religiösen Anschauung (Art. 3 Abs. 1 und 3 GG) kommen zwar über Art. 19 Abs. 3 GG privatrechtlichen wie öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften zugute. Doch das Gleichbehandlungsgebot wird von Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 WRV derart modifiziert, dass eine unterschiedliche Behandlung der Religionsgesellschaften wegen des Körperschaftsstatus gestattet ist, soweit der Regelungsgehalt der Art. 140 GG, 137 Abs. 5 WRV reicht. Insoweit sind die Art. 140 GG, 137 Abs. 5 WRV leges speciales zu Art. 3 Abs. 1 und 3 GG.“3 Es existiert kein Automatismus zwischen Körperschaftsstatus und (Steuer-)Vorteilen.4 Mit anderen Worten: Der Status stellt einen sachlichen Differenzierungsgrund für die unterschiedliche steuerliche Anknüpfung dar. Das Bundesverfassungsgericht hat das schon früh festgestellt.5 Das hat der BFH am Beispiel der Grundsteuerpflicht eines islamischen Kulturzentrums, dem zudem die Gemeinnützigkeit aberkannt worden war, entschieden und sowohl eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssat-

1 Weides in FS der Rechtswissenschaftlichen Fakultät zur 600-Jahr-Feier der Universität zu Köln, S. 885 (888). 2 Troll/Eisele, Grundsteuergesetz12, § 3 Rz. 54. 3 Weides in FS der Rechtswissenschaftlichen Fakultät zur 600-Jahr-Feier der Universität zu Köln, S. 885 (888); i.E. auch Kube in Pulte/Hense, Grund und Grenzen staatlicher Religionsförderung, S. 143 (158). 4 BVerfG v. 19.12.2000 – 2 BvR 1500/97, BVerfGE 102, 370 (396); Schrooten, Gleichheitssatz und Religionsgemeinschaften, S. 176. 5 BVerfG v. 4.10.1965 – 1 BvR 498/62, BVerfGE 19, 129 (134): „Das Grundgesetz gebietet nicht, dass der Staat alle Religionsgesellschaften schematisch gleich behandelt. Er darf, der verfassungsrechtlichen Unterscheidung in Art. 137 Abs. 5 WRV folgend, die Besserstellung nach § 2 UStG und § 19 Abs. 1 UStDB auf Religionsgesellschaften beschränken, die Körperschaften des öffentlichen Rechts sind. Es ist sachgerecht, nur die Tätigkeiten derjenigen Religionsgesellschaften, die Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, als Ausübung öffentlicher Gewalt im Sinne jener Gesetzesbestimmungen anzuerkennen; denn durch die Verleihung dieses Status kommt zum Ausdruck, dass es sich hier um Religionsgesellschaften handelt, die ‚durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten‘, die also innerhalb des öffentlichen Lebens und demgemäß auch für die staatliche Rechtsordnung besondere Bedeutung besitzen. Diese Unterscheidung würde nur dann den Gleichheitssatz verletzen, wenn es anderen Religionsgesellschaften in unzumutbarer Weise erschwert würde, den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zu erlangen, obwohl sie die materiellen Voraussetzungen hierfür erfüllen.“

Waldhoff | 879

12.41

Kap. 12 Rz. 12.41 | Besteuerung von Religionsgemeinschaften

zes als auch der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates verneint.1 Der besondere, in Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 WRV zum Ausdruck kommende Rechtsstatus rechtfertige die Steuerbefreiung: „Diese Steuerbefreiungen dienen in Bezug auf den Grundbesitz den im öffentlichen Interesse liegenden Aufgaben der öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften und der ihnen gleichzustellenden Ordensgemeinschaften [...] Dem Vorbringen des Kl., der Körperschaftsstatus rechtfertige keine Begünstigung der Religionsgemeinschaften außerhalb des hoheitlichen Bereichs [...], kann nicht gefolgt werden. Vielmehr darf der Staat die besondere öffentliche Position der korporierten Religionsgemeinschaften im staatlichen und gesellschaftlichen Leben zum Anlass für eine auch finanzielle Förderung in Gestalt einer Grundsteuerbefreiung nehmen. Er unterstützt damit ihre – auch wirtschaftliche – Eigenständigkeit sowie Unabhängigkeit und trägt damit der hohen Bedeutung der materiellen Ausstattung einer Religionsgemeinschaft für die Freiheit der Religionsausübung Rechnung [...]“2Da es sich um einen formal-organisatorischen Anknüpfungspunkt handele, identifiziere sich der Staat auch nicht mit einer konkreten Religion oder Konfession, die Neutralität in religiös-weltanschaulichen Dingen werde nicht verletzt. Dies gelte insbesondere deshalb, da der Körperschaftsstatus prinzipiell allen Religionsgemeinschaften offenstehe.3 Diese Überlegungen sind verallgemeinerungsfähig.4 Die Unterscheidung zwischen korporierten und nichtkorporierten Religionsgemeinschaften ist eine verfassungsrechtliche Grundentscheidung, die spätestens dann die dadurch hervorgerufene Ungleichbehandlung rechtfertigt, wenn es prinzipiell jeder Religionsgemeinschaft offensteht, den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zu erlangen. Dass dies an gewisse, verfassungsgerichtlich zurechtgeschnittene Voraussetzungen geknüpft ist, ändert an dem Ergebnis nichts, denn ein Anspruch auf eine konkrete Rechtsform besteht nicht.5 Außerdem können schon aufgrund der Größenverhältnisse und der damit verbundenen Einflussmöglichkeiten gewisse faktische Unterschiede zwischen den Großkirchen und sektenähnlichen Kleinstgemeinschaften kaum geleugnet werden.6

12.42

Die rechtspolitische Diskussion kreist mehr um die Sinnhaftigkeit bzw. Abschaffung des Körperschaftsstatus insgesamt.7 Art. 137 Abs. 5 WRV als „verfassungswidriges Verfassungsrecht“ zu charakterisieren,8 ist methodisch abwegig, denn eine Norm aus der Ursprungsfassung des Grundgesetzes kann angesichts des Prinzips der Einheit der Verfassung9 schon logisch nicht selbst verfassungswidrig sein. Die Kritik entzündet sich damit an politischen Gleichheitsvorstellungen, die man teilen mag, die aber nichts mit dem geltenden Verfassungs1 BFH v. 30.6.2010 – II R 12/09, DStRE 2010, 1194; die dagegen gerichtete Verfassungsbeschwerde wurde vom BVerfG – freilich wegen unzureichender Begründung – nicht zur Entscheidung angenommen, BVerfG v. 24.4.2015 – 2 BvR 287/11, BeckRS 2015, 51241; zustimmend Droege in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 33, § 74 Rz. 19; Troll/Eisele, Grundsteuergesetz12, § 3 Rz. 54. 2 BFH v. 30.6.2010 – II R 12/09, DStRE 2010, 1194 Rz. 39 f. 3 BFH v. 30.6.2010 – II R 12/09, DStRE 2010, 1194 Rz. 41. 4 Gersch in Klein, AO15, § 54 Rz. 2; differenzierter und kritischer Schrooten, Gleichheitssatz und Religionsgemeinschaften, S. 259 ff. 5 BVerfG v. 5.2.1991 – 2 BvR 263/86, BVerfGE 83, 341 (355). 6 Auch in historischer Perspektive Hesse, Der Rechtsschutz durch staatliche Gerichte im kirchlichen Bereich, 1956, S. 79 ff.; Meyer-Teschendorf, Staat und Kirche im pluralistischen Gemeinwesen, 1979; Schrooten, Gleichheitssatz und Religionsgemeinschaften, S. 232. 7 In diese Richtung etwa Sacksofsky, VVDStRL 68 (2009), S. 7 (27 f.); Czermak/Hilgendorf, Religions- und Weltanschauungsrecht2, 2018, Rz. 226#. 8 Schmidt-Eichstaedt, Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts? 1975, S. 56, 108. 9 Vgl. m.w.N. nur Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland20, 1999, Rz. 20, 71.

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C. Bedeutung der Wettbewerbsgleichheit für Religionsgemeinschaften | Rz. 12.43 Kap. 12

recht zu tun haben.1 Ein Verzicht auf diesen Status ist angesichts der Tatsache, dass sich das deutsche religionsverfassungsrechtliche System bewährt hat,2 weder verfassungs- noch religionspolitisch angezeigt3 und setzte im Übrigen eine Verfassungsänderung voraus. Zudem ist es Literatur4 wie Rechtsprechung5 bisher gelungen den Körperschaftsstatus der Religionsgemeinschaften den (verfassungsstaatlichen) Anforderungen der Gegenwart anzupassen.

C. Bedeutung der Wettbewerbsgleichheit für Religionsgemeinschaften Wie einleitend betont (Rz. 12.1), unterliegt die Besteuerung von Religionsgemeinschaften einem doppelten Neutralitätspostulat: Dem religionsverfassungsrechtlichen (Rz. 12.2, 12.39) und einem wettbewerbsrechtlichen, das maßgeblich durch Unionsrecht induziert ist. Zwar wird (religions-) soziologisch gelegentlich auch von einer Art „Wettbewerb“ zwischen Religionen oder Religionsgemeinschaften gesprochen;6 das erscheint jedoch schon begrifflich schief und hat juristisch keine Bedeutung über das religionsverfassungsrechtliche Neutralitätspostulat hinaus. Religionen – zumindest die monotheistischen – vertreten im Regelfall einen Ausschließlichkeitsanspruch; das hat mit wirtschaftlichem Wettbewerb in der Sache nichts zu tun. Auch die Förderung von Religionsgemeinschaften durch das Steuerrecht, insbesondere in Form von Steuervergünstigungen, unterliegt europarechtlichen Vorgaben.7 Die Steuerfreiheit der Religionsgemeinschaften steht unter „Wettbewerbsvorbehalt“.8 Wettbewerbsneutralität ist dabei als „systemtragendes Prinzip“ der Besteuerung von juristischen Personen des öffentlichen Rechts bezeichnet worden.9 Auf hiesige Konstellationen bezogen: Erfasst ist damit nicht ein etwaiger „Wettbewerb“ zwischen verschiedenen Religionsgemeinschaften,10 sondern Wettbewerbskonstellationen zwischen einer Religionsgemeinschaft und der Privatwirtschaft. Das Steuerrecht berücksichtigt dies, etwa durch die Anerkennung religionsgemeinschaftlicher Betriebe gewerblicher Art (§ 4 KStG Rz. 12.70), durch § 2b UStG (Rz. 12.91 ff.) oder durch die Wettbewerbsklausel des § 65 Nr. 3 AO, die einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb voraussetzt (Rz. 12.63). In der Sache geht es dabei um die Abwägung zwischen der Gemeinwohlförderung durch die Religionsgemeinschaft und der Wettbewerbsneutralität.11

1 2 3 4 5 6

7 8 9 10 11

Schrooten, Gleichheitssatz und Religionsgemeinschaften, S. 207 ff. Vgl. nur Waldhoff in Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 42 (2008), S. 55 (90 ff.). Wißmann in Gerster/van Melis/Willems, Religionspolitik heute, 2018, S. 177 ff. Früh etwa Meyer-Teschendorf, Staat und Kirche im pluralistischen Gemeinwesen, 1979. V.a. BVerfG v. 19.12.2000 – 2 BvR 1500/97, BVerfGE 102, 370. Die Redeweise von einem „Marktplatz der Religionsgemeinschaften“ im Anschluss an Zucca bei Schrooten, Gleichheitssatz und Religionsgemeinschaften, S. 243, ist mindestens missverständlich; gleichwohl in diese Richtung Brauser-Jung, Religionsgewerbe und Religionsunternehmerfreiheit, 2002. Droege in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 32, § 74 Rz. 54. Kube in Pulte/Hense, Grund und Grenzen staatlicher Religionsförderung, S. 143 (154). Rausch in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 19 Rz. 16. Grundlegend Hüttemann, Besteuerung der öffentlichen Hand, 2002; teilweise andere Akzentuierung bei Droege, Zur Besteuerung der öffentlichen Hand, 2018. Siehe die Nachweise oben Fn. 6. Droege in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 32, § 74 Rz. 54.

Waldhoff | 881

12.43

Kap. 12 Rz. 12.44 | Besteuerung von Religionsgemeinschaften

D. Fragen der Gemeinnützigkeit I. Ansatzpunkte des Gemeinnützigkeitsrechts bei Religionsgemeinschaften 12.44

Der Ansatzpunkt des Gemeinnützigkeitsrecht in Bezug auf Religionsgemeinschaften ist ein doppelter.1 Das Gemeinnützigkeitsrecht normiert für Körperschaften i.S.d. KStG (§ 51 Abs. 1 Satz 2 AO) bestimmte Steuervergünstigungen, sofern diese „ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige, mildtätige oder kirchliche Zwecke (steuerbegünstigte Zwecke)“ verfolgen (§ 51 Abs. 1 Satz 1 AO). Hauptbeispiel in der Praxis sind Vereine, die die Gemeinnützigkeitsvoraussetzungen erfüllen. Ausgeschlossen vom Gemeinnützigkeitsstatus sind damit von vornherein Einzelpersonen sowie nicht körperschaftlich organisierte Personenzusammenschlüsse. Im Bereich der Religionsgemeinschaften profitieren von diesen Regelungen in der Praxis v.a. die Wohlfahrtsverbände der christlichen Kirchen.2 Außerdem dürften regelmäßig die privatrechtlich organisierten Religionsgemeinschaften den Status, bei entsprechender Verfasstheit, erlangen können (Rz. 12.33). Diejenigen Religionsgemeinschaften, die den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts (Rz. 12.19) haben sind von vornherein nicht körperschaftsteuerpflichtig (Rz. 12.67),3 profitieren bereits über diesen Status von Steuerbefreiungen in anderen Steuergesetzen (Rz. 12.40).

12.45

Die daneben bestehende Begünstigung des Zuwendenden im Einkommensteuerrecht,4 d.h. das Spendenrecht, ist eine komplementäre Funktion zur Begünstigung der Körperschaft, um bei natürlichen Personen Anreize zur Gemeinwohlförderung zu geben.5 Die gemeinnützigkeits- und damit gemeinwohlbezogene Zuwendung – die Spende – ist in der Logik des Gemeinnützigkeitsrechts faktisch Steuersurrogat.6 In der Sache wird dadurch die gemeinnützige Körperschaft in doppelter Weise begünstigt.7 Diese zweite Seite bleibt hier außer Betracht.

12.46

Das Gemeinnützigkeitsrecht steht außerhalb des wirtschaftlichen Wettbewerbs.8 Nicht nur deshalb ist es für die Besteuerung von Religionsgemeinschaften relevant. Im Folgenden werden nur diejenigen Aspekte des Gemeinnützigkeitsrecht hervorgehoben, die gerade für die Besteuerung von Religionsgemeinschaften besondere Bedeutung besitzen können. Die Grundstruktur des Rechtsgebiets wird vorausgesetzt. Hüttemann hat diese in vier Charakteristika herausgestellt: – Förderung von Organisationen; – steuerliche Förderung setzt eigenes Wirken der Organisation voraus; – ausschließliche und gegenwartsbezogene Zweckverwirklichung; – kein wirtschaftlicher Eigennutz der Organisation oder ihrer Mitglieder.9

1 Hüttemann, Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht5, Rz. 2.85. 2 Hammer in Listl/Pirson, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 12, § 36 S. 1079. 3 Schauhoff in Schauhoff, Handbuch der Gemeinnützigkeit3, § 6 Rz. 87. 4 Zu der Unterscheidung Birk/Desens/Tappe, Steuerrecht23, Rz. 342. 5 Hüttemann, DStjG 26 (2003), S. 49 (51). 6 Seer, DStjG 26 (2003), S. 26. 7 Musil in H/H/S, Vor §§ 51–68 AO Rz. 25. 8 Gersch in Klein, AO15, Vor § 51 Rz. 1; ausführlich zum Wettbewerbsschutz im Gemeinnützigkeitsrecht Musil in H/H/S, Vor §§ 51–68 AO Rz. 40 ff. 9 Hüttemann, DStjG 26 (2003), S. 49 (zusammenfassend S. 75).

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D. Fragen der Gemeinnützigkeit | Rz. 12.50 Kap. 12

Besitzt eine Religionsgemeinschaft, die prinzipiell körperschaftsteuerpflichtig wäre, den Status der Gemeinnützigkeit, tritt die Steuerbefreiung nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG ein.1 Korporierte Religionsgemeinschaften benötigen diesen Umweg nicht, wie sich im Umkehrschluss aus § 1 Abs. 1 Nr. 6 und § 4 KStG ergibt, denn sie sind mit Ausnahme ihrer Betriebe gewerblicher Art als solche von vornherein nicht körperschaftsteuerpflichtig.2 Relevanz besitzt § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG also nur für die Körperschaftsteuersubjekte privater Rechtsform. Die Hauptorganisationsform im hiesigen Kontext ist der rechtsfähige Verein nach §§ 21 ff. BGB (Rz. 12.33 ff.) – § 1 Abs. 1 Nr. 4 KStG – sowie ggf. der nichtrechtsfähige Verein oder die Stiftung – § 1 Abs. 1 Nr. 5 KStG.

12.47

An den Gemeinnützigkeitsstatus knüpfen weitere Steuerbefreiungen an:3

12.48

– § 3 Nr. 6, 20 GewStG (Rz. 12.77 ff.); – § 4 Nr. 18, 16, 22 UStG; § 12 Abs. 2 Nr. 8 UStG (Rz. 12.86 ff.); – § 13 Abs. 1 Nr. 16 Buchst. b, Nr. 17 ErbStG (Rz. 12.121 ff.); – § 3 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b GrStG (Rz. 12.131 ff.).

II. Ausschluss extremistischer religiöser Zusammenschlüsse aus der Gemeinnützigkeit § 51 Abs. 3 AO enthält Einschränkungen für den Gemeinnützigkeitsstatus bei Problemen mit der Verfassungstreue. Die Norm wurde 2009 aus konkreten Anlässen eingefügt.4 Damit wird im Grunde eine juristische Selbstverständlichkeit festgeschrieben.5 Nach Satz 1 setzen diese Steuervergünstigungen voraus, dass sowohl nach der Satzung, als auch nach der tatsächlichen Geschäftsführung keine verfassungsfeindlichen Bestrebungen i.S.v. § 4 Bundesverfassungsschutzgesetz gefördert werden oder dass dem Gedanken der Völkerverständigung zuwidergehandelt wird. Darunter fallen neben anderem politische Bestrebungen gegen Bestand und Integrität von Bund und Ländern sowie deren Funktionsfähigkeit oder gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Die freiheitliche demokratische Grundordnung wird in Abs. 2 näher umrissen durch Kernpostulate des rechtsstaatlichen und demokratischen Verfassungsprinzips sowie der Grundrechte.6 Nach § 51 Abs. 3 Satz 2 AO besteht eine widerlegbare Vermutung, dass als extremistische Organisationen in den Verfassungsschutzberichten von Bund und Ländern erwähnte Organisationen die Voraussetzungen von Abs. 3 Satz 1 nicht erfüllt, mithin nicht gemeinnützig sein können. Die finanzgerichtliche Rechtsprechung war mit diesen Normen im Zusammenhang mit dem Gemeinnützigkeitsstatus islamischer Vereine als Träger von Moscheen befasst. Hier liegen zentrale praktische Probleme der Finanzgerichtsbarkeit in den Randzonen des Islam in Deutschland.

12.49

Der BFH hat in einem Urteil aus dem Jahr 20127 zu einem islamisch-salafistischen Verein, der auch Träger einer Moschee war, festgestellt, dass der konkrete Personenverband, um dessen

12.50

1 2 3 4 5 6

Musil in H/H/S, § 51 AO Rz. 17. Musil in H/H/S, § 51 AO Rz. 23. Vgl. auch J. Lang, StuW 1987, 221. Jäschke, DStR 2009, 1669; Hüttemann, Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht5, Rz. 3.21. Hüttemann, Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht5, Rz. 3.21 f. Vgl. im Kontext von Parteiverboten auch BVerfG, Urt. v. 17.1.2017 – 2 BvR 1/13, BVerfGE 144, 20 (202 ff. Rz. 529 ff.). 7 BFH v. 11.4.2012 – I R 11/11, BStBl. II 2013, 146.

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Kap. 12 Rz. 12.50 | Besteuerung von Religionsgemeinschaften

Gemeinnützigkeit es gehe, in einem Verfassungsschutzbericht ausdrücklich genannt werden müsse, um die Vermutungsregel des § 51 Abs. 3 Satz 2 AO anwenden zu können. Eine Einordnung als Verdachtsfall oder eine beiläufige Erwähnung reiche demgegenüber nicht aus. Im entschiedenen Fall enthielten die Verfassungsschutzberichte eingehende Ausführungen über die Verfassungsfeindlichkeit des islamischen Salafismus, der konkrete Verein wurde freilich nicht als solcher bezeichnet. Die erforderliche Tatsachenarbeit obliege dabei dem Finanzgericht: „Die Feststellung, ob eine Körperschaft im Rahmen ihrer tatsächlichen Geschäftsführung extremistische oder sonstige verfassungsfeindliche Bestrebungen fördert, obliegt im gerichtlichen Verfahren in erster Linie dem FG als Tatsachengericht.“ In einem Urteil aus 20181 wurde ein entsprechender Verein ausdrücklich in einem Verfassungsschutzbericht als extremistisch eingeordnet und erwähnt. Hier komme keine Abwägung zwischen den verfassungsfeindlichen Bestrebungen einerseits, der Verfolgung gemeinnütziger (hier: religiöser) Zwecke andererseits in Betracht. Rechtsfolge des Eingreifens von § 51 Abs. 3 Satz 2 AO ist eine Umkehr der objektiven Beweis-/Feststellungslast. Die die Steuervergünstigung begehrende Körperschaft muss nun darlegen, dass sie den Gemeinnützigkeitsstatus erlangen kann, weil sie keine extremistischen Ziele verfolge. Dafür ist nicht eine bloße „Erschütterung“ der Vermutung ausreichend, erforderlich ist vielmehr „der volle Beweis des Gegenteils der vermuteten Tatsachen“.2 Auch dies hat wieder in erster Linie das Finanzgericht als Tatsachengericht festzustellen. Erleichterung schafft in der Praxis ein Verfahren der betroffenen Organisation im Verwaltungsrechtsweg, mit dem diese sich gegen die Einstufung durch den Verfassungsschutz wendet. Durch die Regelungstechnik der AO sind weder das Grundrecht der Vereinigungsfreiheit aus Art. 9 Abs. 1 GG, noch das Grundrecht auf Glaubens- und Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG verletzt.3

III. Für Religionsgemeinschaften relevante Gemeinnützigkeitszwecke 12.51

Als Oberbegriff für gemeinnützige (§ 52 AO), mildtätige (§ 53 AO) und kirchliche Zwecke (§ 54 AO) dient die Bezeichnung „steuerbegünstigte Zwecke“, § 51 Abs. 1 Satz 1 AO.4 Diese steuerbegünstigten Zwecke sind ein konstituierendes Element des Gemeinnützigkeitsrechts als Zweckverwirklichungsrecht.5 Die Grundrechtfertigung der Steuerbefreiungen des Gemeinnützigkeitsrecht ist nach wie vor nicht abschließend geklärt.6 Wahrscheinlich sind die religiösen/ kirchlichen Zwecke i.w.S. die einzigen, bei denen für den Staat aus der Trennung von Staat und Religion und der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates eine absolute verfassungsrechtliche Sperre besteht, diese unmittelbar selbst zu verwirklichen.7 Unberührt davon bleiben die zahlreichen Zusammenwirkensformen, die im auf Kooperation ausgerichteten deutschen Religionsverfassungsrecht angelegt sind (sog. gemeinsamen Angelegenheiten von Staat und Kirche oder res mixtae8), wie der Religionsunterricht (Art. 7 Abs. 3 GG), die Anstaltsseelsorge (Art. 140 GG i.V.m. Art. 141 WRV), die Kirchensteuererhebung (Art. 140 GG 1 2 3 4 5 6

BFH v. 14.3.2018 – V R 36/16, BStBl. II 2018, 422. BFH v. 14.3.2018 – V R 36/16, BStBl. II 2018, 422 Rz. 34. Hüttemann, Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht5, Rz. 3.21. Gersch in Klein, AO15, § 51 Rz. 1. Hüttemann, Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht5, Rz. 3.1. Zu Diskussion etwa Musil in H/H/S, Vor §§ 51–68 AO Rz. 35 ff.; Hüttemann, Gemeinnützigkeitsund Spendenrecht5, Rz. 1.80 ff.; Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht24, Rz. 20.3. 7 Isensee/Knobbe-Keuk, Sondervotum, in Gutachten der Unabhängigen Sachverständigenkommission zur Prüfung des Gemeinnützigkeits- und Spendenrechts, 1988, S. 351 ff.; Schauhoff in ders., Handbuch der Gemeinnützigkeit3, § 6 Rz. 20; kritisch Seer, DStjG 26 (2003), S. 11 (20). 8 Dazu etwa v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht4, 2006, §§ 24–30.

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D. Fragen der Gemeinnützigkeit | Rz. 12.53 Kap. 12

i.V.m. Art. 137 Abs. 6 WRV) u.a.m. Die Kerntätigkeiten von Religionsgemeinschaften sind und bleiben dem Staat verwehrt, er ist auf Förderung beschränkt. Daher kann es sich von vornherein nicht um eine „staatsähnliche Aufgabe“1 handeln. Eine „Staatsreligion“ ist durch Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 1 WRV gerade ausgeschlossen. Bei anderen steuerbegünstigten Zwecken wie Kunst und Kultur, Bildung und Wissenschaft, Gesundheitspflege usw. ist es prinzipiell möglich, dass sowohl der Staat als auch Private die Zwecke unmittelbar verwirklichen; auf religiösem und weltanschaulichem Gebiet hat der Staat neutral zu bleiben, kann selbst nicht als Zweckverwirklicher hervortreten. Insofern ist treffend von pluralistischen Staatsaufgaben gesprochen worden.2

1. Kirchliche Zwecke – § 54 AO Eine Körperschaft verfolgt „kirchliche Zwecke“3, „wenn ihre Tätigkeit darauf gerichtet ist, eine Religionsgemeinschaft, die Körperschaft des öffentlichen Rechts ist, selbstlos zu fördern“, § 54 Abs. 1 AO. Hier wird der Gemeinwohlbezug gesetzlich vermutet und muss nicht extra nachgewiesen werden.4 Was die korporierten Religionsgemeinschaften machen ist ihnen im Rahmen ihrer Autonomie nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV verfassungsrechtlich überlassen und garantiert. Die Grenze bilden die für alle geltenden Gesetze i.S.d. Garantie.5 Die steuerliche Förderung ist hier organisations-, nicht zweckbezogen.6 Wenn die entsprechende Körperschaft selbstlos und ausschließlich kirchlich tätig ist und die Förderung unmittelbar erfolgt, werden die Zwecke akzeptiert, für die die Mittel ausgegeben werden.7 Wie bereits erwähnt setzt sich hier das religionsgemeinschaftliche Selbstbestimmungsrecht in der Steuerförderung fort. Daher fallen auch Anerkennungsleistungen für Missbrauchsopfer unter die kirchlichen Zwecke.8

12.52

Es handelt sich bei den „kirchlichen Zwecken“ um einen eigenständigen, neben der Mildtätigkeit und den Gemeinnützigkeitszwecken stehenden Rechtsbegriff, d.h. die Gemeinnützigkeit der Körperschaft ist nicht Voraussetzung. Anders gewendet: Die Förderung kirchlicher Zwecke nach § 54 AO ist abzugrenzen von der Förderung von Religion im Rahmen des Gemeinnützigkeitsrechts (§ 52 Abs. 2 Nr. 2 AO).9 Erst beide Wege zusammen können als umfassende steuerliche Förderung der „Religionskultur“ in Deutschland verstanden werden.10 Die Steuerbefreiung der i.S.v. § 54 AO organisierten Religionsgemeinschaften wird durch diese Regelung des Gemeinnützigkeitsrechts ergänzt. Für die Steuerpflicht der Körperschaft als solcher wäre diese Ergänzung nicht erforderlich, da sie ohnehin nicht besteht (Rz. 12.67).11 Sie bezieht sich mithin auf ihre privatrechtlich organisierten Betriebe gewerblicher Art.12

12.53

1 P. Kirchhof, DStjG 26 (2003), S. 1. 2 Isensee/Knobbe-Keuk, Sondervotum, in Gutachten der Unabhängigen Sachverständigenkommission zur Prüfung des Gemeinnützigkeits- und Spendenrechts, 1988, S. 346 ff. 3 Zur Entwicklung Musil in H/H/S, § 54 AO Rz. 1 ff. 4 BFH v. 9.3.1951 – IV 243/50 U, BStBl. III 1951, 122. 5 Zur religionsverfassungsrechtlichen Dogmatik vgl. statt aller Korioth in Pirson/Rüfner/Germann/ Muckel, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 13, § 16 m.w.N. Aus Sicht des Gemeinnützigkeitsrechts Musil in H/H/S, § 54 AO Rz. 10. 6 Hüttemann, Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht5, Rz. 3.205. 7 Musil in H/H/S, § 54 AO Rz. 14. 8 Überzeugend Hüttemann, Ordenskorrespondenz 2021, 222 (225 ff.). 9 Musil in H/H/S, § 54 AO Rz. 8, 9. 10 Musil in H/H/S, § 54 AO Rz. 9. 11 Musil in H/H/S, § 54 AO Rz. 7. 12 Musil in H/H/S, § 54 AO Rz. 7; Hüttemann, Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht5, Rz. 3.205.

Waldhoff | 885

Kap. 12 Rz. 12.54 | Besteuerung von Religionsgemeinschaften

12.54

Auch hier kommen zunächst nur Körperschaften mit inländischem Sitz in Betracht.1 Erfasst werden können müssten allerdings die Fälle, wenn eine korporierte Religionsgemeinschaft mit Sitz im Ausland durch eine inländische Körperschaft gefördert werden würde.2

12.55

Abs. 2 enthält, wie sich durch das Wort „insbesondere“ eindeutig aus dem Wortlaut ergibt, keine abschließende, sondern nur eine beispielhafte Aufzählung.3 Insofern wird von einer „Verständnishilfe“ gesprochen.4 Der Gesetzestext selbst nennt: – Errichtung, Ausschmückung und Unterhaltung von Gotteshäusern sowie kirchlichen Gemeindehäusern;5 – Abhaltung von Gottesdiensten, egal an welchem Ort6; – Ausbildung von Geistlichen;7 – Erteilung von Religionsunterricht; das meint nicht nur den Religionsunterricht i.S.v. Art. 7 Abs. 3 GG, sondern jede Form religiöser Unterweisung, insbesondere in sonstigen kirchlichen Bildungseinrichtungen wie etwas Akademien;8 auch jede Form von Mission fällt darunter, denn diese ist als Kern religiöser Betätigung verfassungsrechtlich geschützt;9 – Beerdigung und Pflege des Andenkens der Toten; – Verwaltung von Kirchenvermögen;10 das Vermögen muss im Eigentum der Religionsgemeinschaft stehen oder ihr zuzurechnen sein; wird Kirchenvermögen auf eine GmbH übertragen, entfällt die Begünstigung;11 – Besoldung von Geistlichen, Kirchenbeamten und Kirchendienern einschließlich ihrer Alters- und Behindertenversorgung samt Witwen und Waisen. Gemeint sind sämtliche Beschäftigte, da etwa die Katholische Kirche üblicherweise keine Kirchenbeamten unterhält (zu den altertümlichen Begriffen auch Rz. 12.141). Darüber hinaus ist ein Verein zur Durchführung von Kirchentagen anerkannt worden.12

1 Hüttemann, Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht5, Rz. 3.205 mit dem Hinweis, dass daher eine „Direktspende an den Papst“ nicht steuerbegünstigt wäre. Ebenso FG Köln v. 15.1.2014 – 13 K 3735/10, EFG 2014, 667; Gersch in Klein, AO15, § 54 Rz. 2. Das liegt freilich auch schon daran, dass der Papst keine Körperschaft, sondern eine natürliche Person/ein monokratisches Amt ist bzw. darstellt, das vom deutschen Gemeinnützigkeitsrecht ohnehin nicht erfasst wird Rz. 12.44. 2 A.A. Hüttemann, Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht5, Rz. 3.205. Zu dem dann notwendigen Typenvergleich und den Anforderungen an die tatrichterliche Feststellung am Bsp. der griechischkatholischen Kirche in Rumänien BFH v. 22.3.2018 – X R 5/16, BStBl. II 2018, 651; daraufhin FG Köln v. 8.5.2019 – 9 K 1652/18, BeckRS 2019, 16713. 3 Gersch in Klein, AO15, § 54 Rz. 3; Droege in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 33, § 74 Rz. 34. 4 Musil in H/H/S, § 54 AO Rz. 29. 5 Anerkannt etwa ein Dombauverein: BFH v. 24.7.1996 – I R 35/94, BStBl. II 1996, 583. 6 Für die Anerkennung eines Paramentenvereins Musil in H/H/S, § 54 AO Rz. 30. 7 Womöglich zeitbedingt sehr eng RFH v. 12.11.1941 – VIa 83/41, RStBl. 1941, 892: Knabenseminar, dass zur Vorbereitung auf das Priesteramt dient. 8 BFH v. 14.11.1958 – III 303/56 S, BStBl. 1959, 81; Schön, DStZ 1999, 701 (703). 9 BVerfG v. 8.11.1960 – 1 BvR 59/56, BVerfGE 12, 1 (4); Musil in H/H/S, § 54 AO Rz. 30. 10 BFH v. 24.7.1996 – I R 35/94, BStBl. II 1996, 583. 11 Musil in H/H/S, § 54 AO Rz. 30. 12 OFD Düsseldorf v. 1.7.1982, DB 1982, 1596.

886 | Waldhoff

D. Fragen der Gemeinnützigkeit | Rz. 12.56 Kap. 12

Den Tätigkeiten des Katalogs ist gemeinsam, dass sie unmittelbar auf die Förderung der Religionsgemeinschaft verweisen.1 Ausgeschlossen sind daher Tätigkeiten, die der Mittelbeschaffung dienen, wie – Kirchenbesichtigung und Kirchturmbesteigungen gegen Entgelt;2 – Verkauf von Messwein.3 Insgesamt ist angesichts des Gesetzeszweckes und der Beispieltechnik von einer großzügigen Auslegung auszugehen.4 Jede Kleinlichkeit wäre hier wegen des Selbstbestimmungsrechts der Religionsgemeinschaften auch verfassungsrechtlich verfehlt. Das gilt auch zu der verschiedentlich vertretenen Auffassung, religiöse Schulen und Kindergärten seien ausgenommen, weil sie nicht zum kirchlichen Auftrag gehörten.5 Nach der hier vertretenen Auffassung kann das pauschal nicht richtig sein, da es entscheidend auf das durch Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV geschützte Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaft ankommt.

2. Bedeutung sonstiger gemeinnütziger Zwecke für die Besteuerung von Religionsgemeinschaften Unter das Gemeinnützigkeitsrecht fällt nach § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO auch die „Förderung religiöser Zwecke“. Wie bei allen Katalogzwecken müssen zusätzlich die Voraussetzungen des Abs. 1 erfüllt sein.6 Das erfasst alle Erscheinungsformen des Transzendenten.7 Religion stellt die Frage nach Gott, nach der Deutung der Welt, nach Lebenssinn und Wert, nach Normen sittlichen Handelns.8 Auch hier können die Begriffsbestimmungen und Umschreibungsansätze aus verfassungsgerichtlicher Judikatur und Schrifttum verwendet werden;9 zusammenfassend: „Danach ist für Religion kennzeichnend, dass ihre Welt- und Sinnerklärung über den Menschen, seine Fähigkeiten und die ihm wahrnehmbare Welt hinausweist: Im Zentrum eines religiösen Sinnsystems steht etwas dem Menschen Unverfügbares, Heiliges, Transzendentes. Soweit darüber hinaus vereinzelt für die Religion ein Gottesbezug verlangt wird, lässt sich dies nur in einem weiten Verständnis des Gottesbegriffes und damit zumindest vordergründig anschaulichere Formulierung des Transzendenzbegriffes aufrechterhalten.“10 In anderer Diktion: „Religiöser Glaube zielt auf ein existenzielles Verständnis der Welt und des menschlichen Lebens, das sich nicht oder nicht vollständig mit einer Erfahrung und einer damit korrespondierenden rationalen Begründung des Daseins deckt, sondern seine Evidenzüberzeugung und

1 Droege in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 33, § 74 Rz. 34. 2 RFH v. 25.10.1938 – Via 7/38, RStBl. 1938, 1189; RFH v. 27.6.1939 – I 131/38, RStBl. 1939, 910; Gersch in Klein, AO15, § 54 Rz. 4: Betrieb gewerblicher Art. Anderes gilt – auch hinsichtlich kirchlicher Museen – bei Unentgeltlichkeit, Musil in H/H/S, § 54 AO Rz. 30. 3 Oberster Finanzhof v. 12.2.1946 – I 1/46, FR 1946, 6. 4 Schön, DStZ 1999, 701 (703); Musil in H/H/S, § 54 AO Rz. 29. 5 Musil in H/H/S, § 54 Rz. 30 mit Fn. 8 und) m.w.N. 6 Musil in H/H/S, § 52 AO Rz. 100; zu diesen Voraussetzungen statt aller Hüttemann, Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht4, Kap. 4. 7 Hüttemann, Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht5, Rz. 3.109; Droege in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 33, § 74 Rz. 33. 8 BFH v. 23.9.1999 – XI R 66/98, BStBl. II 2000, 533. 9 Musil in H/H/S, § 52 AO Rz. 119. 10 Mager in v. Münch/Kunig, GG, Bd. 17, 2021, Art. 4 Rz. 25.

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12.56

Kap. 12 Rz. 12.56 | Besteuerung von Religionsgemeinschaften

Identitätsvorstellung aus anderen Quellen als der allgemeinen intersubjektiven Argumentation oder gar aus dem speziellen wissenschaftlichen Methodenverständnis schöpft.“1 Aufgrund der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates (Rz. 12.2, 12.39, 12.43) muss sich der besteuernde Staat jeder diesbezüglichen Bewertung enthalten, um die Neutralität zu wahren.2 Das Selbstverständnis der Religionsgemeinschaften steht hier – wie oft im Religionsverfassungsrecht3 – im Vordergrund.4 Keinesfalls ist eine auf die überkommenen christlichen Religionsgemeinschaften zielende kulturalistische Verengung zulässig.5 Damit ist der Religionsbegriff von vornherein weiter als etwa der Begriff Kirche.6 § 52 Abs. 2 Nr. 2 AO ist der Hauptanwendungsfall für die steuerliche Förderung des Islam in Deutschland.7 Überhaupt wird nicht auf einen Zusammenschluss abgestellt, so dass auch eine Gleichschaltung mit Religionsgemeinschaft oder Religionsgesellschaft verfehlt wäre, denn insbesondere religiöse Vereine (Rz. 12.38) können förderungswürdig sein.8

12.57

So wie das Grundrecht der Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG ist auch der Förderungszweck der Religion (verfassungs-)immanenten Schranken unterworfen; § 51 Abs. 3 AO ist nur eine einfachgesetzlich konkretisierte Teilausprägung davon.9 Die zu fördernde religiöse Betätigung darf nicht Grundrechte Dritter oder sonstige Verfassungswerte verletzen. Zutreffenderweise wurde die Religionseigenschaft bei der Scientology-Church10 und bei der Universellen Kirche11 verneint. Das Phänomen sog. Jugendsekten ist differenziert zu behandeln.12 Eine prinzipiell gleichzustellende (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 7 WRV) Weltanschauung ist dann nicht begünstigt, wenn sie zu Rassenhass anstachelt. Freimaurerlogen wurden aus anderen Gründen aus der Gemeinnützigkeit ausgeschlossen („Abkapselung“ und nur Männern offenstehend).13 Selbstverständlich schließt der Exklusivitätsanspruch von Religion wie er sich in Religionsgemeinschaften verwirklichen kann, d.h. dass nicht Gläubige fremden Bekenntnisses aufgenommen werden, die Förderungswürdigkeit nicht aus, denn dabei handelt es sich um ein Charakteristikum der meisten Religionen und Religionsgemeinschaften („wer katholisch ist kann nicht evangelisch sein und vice versa“).14

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13 14

di Fabio in Maunz/Dürig, GG, Art. 4 Rz. 62. Hüttemann, Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht5, Rz. 3.109. Vgl. etwa nur BVerfG v. 25.3.1980 – 2 BvR 208/76, BVerfGE 53, 366 (401). Hüttemann, Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht5, Rz. 3.112. BFH v. 13.12.1978 – I R 36/76; BStBl. II 1979, 492; FG BaWü v. 5.3.2018 – 10 K 3622/16, BeckRS 2018, 14376; Schauhoff in ders. Handbuch der Gemeinnützigkeit3, § 6 Rz. 58; Hüttemann, Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht5, Rz. 3.112; Geibel in Winheller/Geibel/Jachmann-Michel, Gesamtes Gemeinnützigkeitsrecht2, Abschn. 2 Rz. 2. Musil in H/H/S, § 52 Rz. 118. Geibel in Winheller/Geibel/Jachmann-Michel, Gesamtes Gemeinnützigkeitsrecht2, Abschn. 2 Rz. 3. Musil in H/H/S, § 52 Rz. 118. Musil in H/H/S, § 52 Rz. 120. FG Hamburg v. 24.10.1985 – II 168/83, EFG 1985, 397; FG Münster v. 25.5.1994 – 15 K 524/87 U, EFG 1994, 810. FG Nürnberg v. 29.8.2000 – I 78/1999, EFG 2000, 1351. FG Nürnberg v. 29.8.2000 – I 78/99, EFG 2000, 1351; Schauhoff in ders., Handbuch der Gemeinnützigkeit3, § 6 Rz. 58; allgemein zu Jugendsekten in religionsverfassungsrechtlicher Perspektive Waldhoff, DJT 68 (2010), S. D 30 ff. m.w.N.; zu Problemen bei deren wirtschaftlicher Betätigung Starosta, Religionsgemeinschaften und wirtschaftliche Betätigung, 1986. Gersch in Klein, AO15, § 52 Rz. 17 mit Nachw. der Rspr. FG BaWü v. 5.3.2018 – 10 K 3622/16, BeckRS 2018, 14376.

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D. Fragen der Gemeinnützigkeit | Rz. 12.61 Kap. 12

Wie stets im Gemeinnützigkeitsrecht ist der Zweck der Förderung der Religion hinreichend bestimmt satzungsmäßig zu verankern, § 59 AO.1 Eine bloße Bezugnahme auf die „Lehre Jesu Christi“ soll nicht ausreichend sein, weil sich daraus kein begrifflich fest umrissenes Konzept ergebe.2 Für als Körperschaften des öffentlichen Rechts organisierte Religionsgemeinschaften besteht das Satzungserfordernis schon deshalb nicht, weil sie nicht körperschaftsteuerpflichtig sind. Im Übrigen vermutet hier das Gesetz über § 54 AO den Gemeinwohlbezug jeder Tätigkeit dieser Organisationen. Strittig ist die Erfüllung des Satzungserfordernisses bei Betrieben gewerblicher Art von Körperschaften des öffentlichen Rechts (Rz. 12.70).

12.58

§ 52 Abs. 2 Nr. 2 AO ist von den kirchlichen Zwecken i.S.v. § 54 AO abzugrenzen: Die korporierten Religionsgemeinschaften sind per se von der Körperschaftsteuerpflicht befreit, sodass es einer Befreiung nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG nicht mehr bedarf.3 Daher wirkt sich § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO nur auf die nichtkorporierten Religionsgemeinschaften aus.4 Man kann es auch so ausdrücken: Während § 54 AO die Tätigkeit der Religionsgemeinschaft selbst als Gemeinwohlbelang einordnet, handelt es sich bei den Zwecken der §§ 52, 53 AO um die Verwirklichung externer Gemeinwohlziele durch Religionsgemeinschaften.5

12.59

Von Verfassungs wegen sind die Weltanschauungsgemeinschaften gleichgestellt, Art. 4 Abs. 1, Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 7 WRV.6 Gesundheitsförderung mittels einer „Wissenschaft von der schöpferischen Intelligenz“ reicht jedoch nicht aus.7 Auch eine „allgemeine Lebensphilosophie“, wie das bei Yoga-Psychologie der Fall sein mag, reicht nicht aus.8 Entsprechendes gilt für Astrologie9 und allgemein für Esoterik10.

12.60

Traditionell sind es die Religionsgemeinschaften, in Deutschland vorrangig die Kirchen, die gemeinnützige Zwecke verfolgen. Nicht nur in historischer Perspektive gehörte zum Christentum in Europa stets auch Krankenpflege, Sozialfürsorge, Bildungsarbeit in Schulen und Hochschulen, kulturelle Aktivitäten, etwa in Form von Bibliotheken, Förderung von Musik, Kunst und Architektur, Denkmalpflege und vieles mehr.11 Ein Großteil der „Katalogzwecke“ wird auch heute noch von Religionsgemeinschaften, vorrangig von den großen Kirchen verwirklicht. Je nach konkreter Fallkonstellation können daher folgende Gemeinnützigkeitszwecke nach § 52 Abs. 2 AO durch Religionsgemeinschaften und deren Trabanten umgesetzt werden:12

12.61

1 Gersch in Klein, AO15, § 52 Rz. 17. Einzelheiten zum Satzungserfordernis bei Hüttemann, Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht5, Rz. 4.180 ff. 2 Gersch in Klein, AO15, § 52 Rz. 17. 3 Hüttemann, Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht5, Rz. 3.110. 4 FG Berlin v. 19.10.1977 – VI 197/77, EFG 1978, 278 – zur Neuapostolischen Gemeinde. 5 Droege in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 33, § 74 Rz. 34. 6 BFH v. 23.9.1999 – XI R 66/98, BStBl. II 2000, 533; Hüttemann, Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht5, Rz. 3.110; Gersch in Klein, AO15, § 52 Rz. 17. 7 BFH v. 26.2.1992 – I R 47/89, BFH/NV 1992, 695; zustimmend Hüttemann, Gemeinnützigkeitsund Spendenrecht5, Rz. 3.112. 8 Schauhoff in ders. Handbuch der Gemeinnützigkeit3, § 6 Rz. 41, 58; für Yoga BFH v. 9.7.1986 – I R 14/82, BFH/NV 1987, 632. 9 FG Schleswig-Holstein v. 22.3.1996 – I 535/92, EFG 1996, 940. 10 FG BaWü v. 4.2.1988 – X K 196/85, EFG 1988, 270. 11 Ökonomische Analyse bei Badelt in Rinderer, Finanzwissenschaftliche Aspekte von Religionsgemeinschaften, S. 37; Nachtkamp ebd., S. 101. 12 Vgl. auch Droege in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 33, § 74 Rz. 33.

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Kap. 12 Rz. 12.61 | Besteuerung von Religionsgemeinschaften

– Nr. 1: Förderung von Wissenschaft und Forschung (durch kirchliche Hochschulen und Forschungseinrichtungen); – Nr. 3: Förderung des öffentlichen Gesundheitswesens usw. (durch kirchliche Krankenhäuser; Caritas und Diakonie); – Nr. 4: Förderung der Jugend- und Altenhilfe (durch kirchliche Jugendarbeit und Sozialstationen u.ä.); – Nr. 5: Förderung von Kunst und Kultur (durch kirchliche Kulturförderung – kirchliche Kulturwettbewerbe und Kulturpreise u.ä.; kirchliche Museen); – Nr. 6: Förderung des Denkmalschutzes und der Denkmalpflege (kirchliche Denkmäler sind Legion); – Förderung der Erziehung, Volks- und Berufsbildung einschließlich der Studentenhilfe (kirchliche Erziehungsheime; kirchliche Studienförderung); – Förderung des Wohlfahrtswesens (entsprechende kirchliche Einrichtungen, etwa Caritas und Diakonie); – Förderung u.a. für Flüchtlinge (kirchliche Flüchtlingshilfe); – Förderung der Unterhaltung und Pflege von Friedhöfen und die Förderung der Unterhaltung von Gedenkstätten für nichtbestattungspflichtige Kinder und Föten (kirchliches Friedhofswesen1).

3. Bedeutung mildtätiger Zwecke für die Besteuerung von Religionsgemeinschaften 12.62

Mildtätigkeit als ein gegenüber der Gemeinnützigkeit gesonderter steuerbegünstigter Zweck stellt den Musterfall von Staatsentlastung durch privates Engagement dar.2 Die Sozialwerke der Kirchen – Caritas und Diakonie – verfolgen in aller Regel mildtätige Zwecke i.S.v. § 53 AO, denn es geht um die selbstlose Unterstützung von Personen, die aufgrund ihres körperlichen, geistigen oder seelischen Zustands auf fremde Hilfe angewiesen sind. Diese Tätigkeiten liegen folglich „in einem Kernbereich selbstloser Gemeinwohlförderung“.3 Als begünstigte Einrichtungen, die üblicherweise auch von Kirchen unterhalten werden, werden genannt: – Alten- und Pflegeheime;4 – Erholungsheime; – Behindertenheime samt Werkstätten, Gärtnerei5 u.ä. sowie Organisationen der Behindertenförderung; 1 Allgemein zum kirchlichen Friedhofswesen Schnell in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 33, § 61. 2 Musil in H/H/S, § 53 AO Rz. 7; allgemein zum Zusammengreifen freier und öffentlicher Wohlfahrtspflege Flierl, Freie und öffentliche Wohlfahrtspflege, 21992. 3 Droege in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 33, § 74 Rz. 34. 4 Vgl. etwa BFH v. 20.11.1969 – V R 40/66, BStBl. II 1970, 190. 5 FG Nds. v. 28.2.1989 – I 126/87, EFG 1989, 476; FG Berlin v. 22.3.2004 – 7 K 7175/02, EFG 2004, 1338.

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D. Fragen der Gemeinnützigkeit | Rz. 12.64 Kap. 12

– Friedhöfe und Bestattungseinrichtungen, die Leistungen unentgeltlich anbieten;1 – Kinderbetreuung; – Krankenpflege; – Obdachlosenheime, Frauenhäuser u.ä.

IV. Verschiedene Sphären gemeinnütziger Religionsgemeinschaften oder Zusammenschlüsse Es wäre realitätsfern zu glauben, dass sich gemeinnützige Organisationen ausschließlich gemeinnützigen Zwecken widmeten. Das Gesetz selbst sieht in §§ 14, 64 ff. AO die Möglichkeit der wirtschaftlichen Betätigung gemeinnütziger Organisationen und damit auch gemeinnütziger Religionsgemeinschaften bzw. den Trabanten korporierter Kirchen vor.2 Dies trotz des prinzipiellen Gegensatzes von selbstloser gemeinnütziger Betätigung einerseits, der Gewinnerzielungsabsicht wirtschaftlicher Betätigung andererseits. Durch ein sog. Sphärenmodell, das vier Betätigungsformen bzw. Sektoren unterscheidet und daran unterschiedliche gesetzliche Regelungen knüpft, wird diese Spannungslage bewältigt:3

12.63

– der ideelle Bereich ist der Kern der Gemeinnützigkeit (Idealsphäre); – Vermögensverwaltung (vgl. § 14 Satz 3 AO; nicht steuerschädlich); – wirtschaftliche Geschäftsbetriebe (§ 14 AO; steuerpflichtig); – Zweckbetriebe (§§ 64 ff. AO; grundsätzlich nicht steuerschädlich). Die Gründe für solche wirtschaftlichen Betätigungen sind vielfältig. Günstigstenfalls sollen durch sog. Zweckbetriebe zusätzliche Einnahmen für den gemeinnützigen Zweck erwirtschaftet werden. Leitgedanke der gesetzlichen Regelung ist die auch verfassungsrechtlich geforderte steuerliche Wettbewerbsneutralität.4 Das zeigt sich exemplarisch etwa an der Wettbewerbsklausel des § 65 Nr. 3 AO oder an der hier zulässigen steuerlichen Konkurrentenklage durch Wettbewerber.5 Während noch vor einigen Jahren gefragt wurde, ob die wirtschaftliche Betätigung der gemeinnützigen Körperschaft „das Gepräge“ gegeben habe (sog. Geprägetheorie), ist heute zu prüfen, ob die wirtschaftliche Betätigung ein geeignetes und notwendiges Mittel zur gegenwartsnahen Verwirklichung der satzungsgemäßen Zwecke darstellt, die wirtschaftliche Tätigkeit dienende Funktion hat, nicht zum Selbstzweck geworden ist.6 Dienende Funk1 Zur Schädlichkeit der Erhebung in Höhe der Selbstkosten FG Nds. V. 16.6.1983 – VI 214, 216/82, EFG 1984, 84; teilweise anders FG Sachsen-Anhalt v. 22.1.2004 – 3 K 731/99, EFG 2004, 1087. 2 Grds. zur Problematik wirtschaftlicher Betätigung von Kirchen F. Hammer in FS Stober, 2008, S. 265. Eingehender unter jeweils spezifischer Fragestellung Starosta, Religionsgemeinschaften und wirtschaftliche Betätigung, 1986; Brauser-Jung, Religionsgewerbe und Religionsunternehmerfreiheit, 2002. 3 Hüttemann, Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht5, Rz. 6.3; Droege in Pirson/Rüfner/Germann/ Muckel, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 33, 2020, § 74 Rz. 37; Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht24, Rz. 20.7. 4 Hüttemann DStjG 26 (2003), S. 49 (68 ff.); Musil in H/H/S, Vor §§ 51–68 AO, Rz. 40 ff. 5 Zur Konkurrentenklage grundlegend BFH v. 15.10.1997 – I R 10/92, BStBl. II 1998, 63; näher m.w.N. Musil in H/H/S, Vor §§ 51–68 AO, Rz. 42; Hüttemann, Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht5, Rz. 6.321 ff. 6 BFH v. 4.4.2007 – I R 76/05, BStBl. II 2007, 631; insgesamt Hüttemann, Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht5, Rz. 6.9 ff.

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12.64

Kap. 12 Rz. 12.64 | Besteuerung von Religionsgemeinschaften

tion der wirtschaftlichen Betätigung meint, dass diese um des gemeinnützigen Zwecks willen erfolgt.1 Zu den Einzelheiten und Anwendungsproblemen der Praxis ist auf das gemeinnützigkeitsrechtliche Schrifttum zu verweisen.2 Im Folgenden werden nur einige Fälle, die einen spezifischen Bezug zur Betätigung von Religionsgemeinschaften bzw. ihres Umfelds haben können.

12.65

Eine Besonderheit wirtschaftliche Betätigung von Religionsgemeinschaften kann darin bestehen, dass auch diese eigentlich genuin weltliche Beschäftigung religiös angeleitet und damit religionsverfassungsrechtlich geschützt sein kann: „Diese Verschränkung und Verbindung weltlicher Arbeit mit religiöser Grundhaltung ist nicht exzeptionell, sondern bezeichnend für das christliche Weltverständnis.“3 Das solche Verhaltensweisen – auch für religiöse Vereine, also nicht die Kirchen selbst – unter den Schutz des Grundrechts der Religionsfreiheit fallen, hat das Bundesverfassungsgericht bereits 1968 in der sog. Lumpensammlerentscheidung unter Betonung der Bedeutung des religionsgemeinschaftlichen Selbstverständnisses festgestellt, dass auch äußerlich religiös neutrales Handeln den verfassungsrechtlichen Schutz genießen kann: „Bei der Würdigung dessen, was im Einzelfall als Ausübung von Religion und Weltanschauung zu betrachten ist, darf das Selbstverständnis der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften nicht außer Betracht bleiben. Zwar hat der religiös-neutrale Staat grundsätzlich verfassungsrechtliche Begriffe nach neutralen, allgemeingültigen, nicht konfessionell oder weltanschaulich gebundenen Gesichtspunkten zu interpretieren [...] Wo aber in einer pluralistischen Gesellschaft die Rechtsordnung gerade das religiöse oder weltanschauliche Selbstverständnis wie bei der Kultusfreiheit voraussetzt, würde der Staat die den Kirchen, den Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften nach dem Grundgesetz gewährte Eigenständigkeit und ihre Selbständigkeit in ihrem eigenen Bereich verletzen, wenn er bei der Auslegung der sich aus einem bestimmten Bekenntnis oder einer Weltanschauung ergebenden Religionsausübung deren Selbstverständnis nicht berücksichtigen würde [...] Nach dem Selbstverständnis der Katholischen und Evangelischen Kirche umfasst die Religionsausübung nicht nur den Bereich des Glaubens und des Gottesdienstes, sondern auch die Freiheit zur Entfaltung und Wirksamkeit in der Welt, wie es ihrer religiösen und diakonischen Aufgabe entspricht. Die tätige Nächstenliebe ist nach dem Neuen Testament eine wesentliche Aufgabe für den Christen und wird von der Katholischen wie der Evangelischen Kirche als kirchliche Grundfunktion verstanden [...] Auch in der Staatspraxis nach dem zweiten Weltkrieg ist die karitative Tätigkeit, insbesondere die Sammlung von Gaben für karitative Zwecke, in den Kirchenverträgen und Konkordaten als legitime Aufgabe der Kirchen anerkannt und die Berechtigung dazu den Kirchen gewährleistet worden [...]“4

E. Sonderprobleme des Ertragsteuerrechts 12.66

Religionsgemeinschaften sind üblicherweise nicht auf gewerbliche Betätigung oder auf Gewinnerzielung ausgerichtet. Sie verfolgen andere Logiken, haben andere Zwecke. Gleichwohl betreiben sie jenseits ihres Kernbereichs, jedoch gedeckt durch ihr religiöses Selbstverständnis, Unternehmen oder unternehmensähnliche Einheiten:5 Vor allem im sozialen Sektor Kranken1 BFH v. 4.4.2007 – I R 76/05, BStBl. II 2007, 631 (634). 2 Vgl. etwa die Rettungsdienstentscheidung, BFH v. 18.9.2007 – I R 30/06, BStBl. II 2009, 126; dagegen BFH v. 27.11.2013 – I R 17/12, BStBl. II 2016, 68; zum Ganzen Musil in H/H/S, Vor §§ 51–68 AO, Rz. 41; insgesamt neben den Kommentierungen v.a. Hüttemann, Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht4, Kapitel 6. 3 Hammer in FS Stober, 2008, S. 265 (272 f.); Flierl, Freie und öffentliche Wohlfahrtspflege, 21992, 23 ff. 4 BVerfG v. 16.10.1968 – 1 BvR 241/66, BVerfGE 24, 236 (247 f.). 5 Siehe auch Hammer in FS Stober, S. 265.

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E. Sonderprobleme des Ertragsteuerrechts | Rz. 12.68 Kap. 12

häuser, Altenheime, Schulen und Kindergärten, Sozialstationen u.a.m. Traditioneller Weise betreiben Klöster Brauereien oder stellen Liköre u.ä. her. Auch Gartenbau, Land- und Forstwirtschaft gehören zum traditionellen Betätigungsfeld vieler Ordensgemeinschaften, die sich teilweise auch daraus finanzieren. Zudem können im Umfeld von Kirchen und Gotteshäusern Betätigungen wie der Verkauf von Broschüren, der Betrieb von Museen, Friedhöfen, Entgelte für die Besichtigung u.a.m. beobachtet werden. Zum Kernbestand vieler Religionen gehört die Bildungsarbeit – auch über die religiöse Bildung im engeren Sinn hinaus, d.h. der Betrieb von Schulen, Hochschulen, Fortbildungseinrichtungen, das Anbieten von Pilgerreisen usf. Manche dieser Betätigungen stehen im wirtschaftlichen Wettbewerb mit kommerziellen Anbietern (Rz. 12.43). Bei all diesen Betätigungen können – auch wenn sie selbst nicht auf Gewinnerzielung ausgerichtet sein sollten – Gewinne anfallen, deren steuerliches Schicksal zu betrachten sein wird. Sofern diese Betätigungen auf Gewinnerzielung ausgerichtet sind, sollen die Gewinne dann jedoch religiöse Ziele verwirklichen und werden entsprechend eingesetzt.

I. Körperschaftsteuer 1. Korporierte Religionsgemeinschaften als nichtkörperschaftsteuerpflichtige Subjekte Dass die Körperschaftsteuer als die „Einkommensteuer der juristischen Person“1 normierende KStG zählt die ihm unterfallenden Steuersubjekte abschließend in § 1 Abs. 1 auf.2 Juristische Personen des öffentlichen Rechts und damit auch die korporierten Religionsgemeinschaften (Rz. 12.18 ff.) einschließlich der diese Rechtsform teilenden Kirchengemeinden fallen nicht darunter.3 Sie sind mithin als solche keine Körperschaftsteuersubjekte, nicht körperschaftsteuerpflichtig.4 Das ergibt sich auch aus einem Umkehrschluss aus § 1 Abs. 1 Nr. 6 KStG: Wenn dort geregelt ist, dass Betriebe gewerblicher Art von juristischen Personen des öffentlichen Rechts körperschaftsteuerpflichtig sind, ist das logisch nur sinnvoll, wenn die juristische Person des öffentlichen Rechts selbst ohne einen solchen Annex gerade kein Steuersubjekt ist. Nur sofern der Betrieb gewerblicher Art nach § 4 KStG selbst juristische Person des öffentlichen Rechts ist und nicht nur einen Teil einer solchen darstellt, ist die juristische Person des öffentlichen Rechts insgesamt Körperschaftsteuersubjekt, wie § 4 Abs. 2 KStG klarstellt.5 Auf Religionsgemeinschaften bezogen dürfte dies kaum vorkommen.

12.67

Ist die Religionsgemeinschaft in den Formen des Privatrechts organisiert (Rz. 12.33), besteht im Grundsatz Körperschaftsteuerpflicht,6 v.a. bei der Hauptorganisationsform des eingetragenen Vereins, der unter § 1 Abs. 1 Nr. 4 KStG fällt.7 Steuerfreiheit kann sich hier über das Gemeinnützigkeitsrecht ergeben (Rz. 12.44 ff.). Der RFH hatte seinerzeit eine Kirchengemeinde,

12.68

1 Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht24, Rz. 11.1. 2 BFH v.19.8.1958 – I 78/58 U, BStBl III 1958, 468 (470); v. 25.6.1984 – GrS 4/82, BStBl II 1984, 751 (757). 3 BFH v. 23.5.1973 – I R 121/71, BStBl II 1975, 746; für Kirchengemeinden BFH v. 21.6.2001 – V R 80/99, BStBl. II 2003, 810. 4 BFH v. 8.7.1971 – V R 1/68, BStBl. II 1972, 70 (72 f.) – bezüglich einer korporierten Ordensgemeinschaft; Weides in FS der Rechtswissenschaftlichen Fakultät zur 600-Jahr-Feier der Universität zu Köln, S. 885 (890); Beermann, Hoheitsbetriebe von Kirchen und Religionsgemeinschaften, S. 84 mit Fn. 293 und öfter; Clasen, Steuervergünstigungen von Religionsgemeinschaften, S. 44. 5 Paetsch in Rödder/Herlinghaus/Neumann, § 4 KStG Rz. 91; Alvermann in Streck9, § 4 Rz. 28; Märtens in Gosch4, § 4 Rz. 82. 6 Vgl. nur Schön, DStZ 1999, 701 (706). 7 Benecke in Schnitger/Fehrenbacher, § 1 KStG Rz. 148 ff. (152).

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Kap. 12 Rz. 12.68 | Besteuerung von Religionsgemeinschaften

der Rechtsfähigkeit verliehen worden war, die jedoch nicht den Körperschaftsstatus innehatte, als Verein qualifiziert.1 Hier muss die Steuerpflicht anderweitig beseitigt werden. Dies geschieht über die Steuerbefreiungen des § 5 KStG, der in seiner Nr. 9 auf das Gemeinnützigkeitsrecht verweist: Steuerbefreit sind „Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen, die nach der Satzung, dem Stiftungsgeschäft oder der sonstigen Verfassung und nach der tatsächlichen Geschäftsführung ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen, mildtätigen oder kirchlichen Zwecken dienen“. Ausnahme ist hier wiederum der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb (Rz. 12.63 ff.).

12.69

Die abschließende Aufzählung möglicher Körperschaftsteuersubjekte in § 1 KStG umreißt zugleich den Anwendungsbereich des Gemeinnützigkeitsrechts (Rz. 12.44, 12.47).

12.70

Betriebe gewerblicher Art von juristischen Personen des öffentlichen Rechts lösen insoweit die Körperschaftsteuerpflicht der juristischen Person selbst aus; diese ist mit ihren Betrieben gewerblicher Art unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig.2 Auf öffentlich-rechtlich organisierte Religionsgemeinschaften bezogen bezeichnen damit deren Betriebe gewerblicher Art deren steuerpflichtigen Bereich.3 Das ist auch durch das Bundesverfassungsgericht bestätigt worden und stellt keinen Verstoß gegen das Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG dar: „Die von der Beschwerdeführerin beanstandete Besteuerung verstößt nicht gegen das Grundrecht der Kultusfreiheit. Art. 4 Abs. 2 GG verbietet die Besteuerung gewerblicher oder beruflicher Unternehmertätigkeit auch dann nicht, wenn diese mit der Religionsausübung in Verbindung steht. Diese finanzielle Belastung hat nämlich nicht die Religionsausübung als solche zum Gegenstand, sondern knüpft nur an einen religionsneutralen Vorgang an.“4 Ratio legis der Steuerpflicht der Betriebe gewerblicher Art ist auch hier die Herstellung bzw. Gewährleistung von Wettbewerbsneutralität.5 Dieser Gesichtspunkt hat daher auch Auslegung und Anwendung von § 4 KStG zu leiten.6 Ist die gewerbliche Betätigung in der Rechtsform des Privatrechts ausgegliedert, richtet sich die Steuerpflicht nach dem entsprechenden Regime (Rz. 12.68).7 Auf die durch die Legaldefinition in § 4 Abs. 1 KStG angelegte allgemeine Definition der dogmatischen Figur des Betriebs gewerblicher Art kann hier verwiesen8 und hier nur für Kirchen und Religionsgemeinschaften typische Fragen eingegangen werden.

12.71

Eine für Kirchen, insbesondere für Ordensgemeinschaften (Rz. 12.29 ff.) relevante Ausnahme stellt die Herausnahme der Land- und Forstwirtschaft als Betätigung des Betriebs dar. Das

2. Kirchliche Betriebe gewerblicher Art

1 RFH v. 6.9.1938 – VIa 25/38, RStBl. 1939, 66. 2 Allgemein Birk/Desens/Tappe, Steuerrecht24, Rz. 1226. Auf den Streit, ob die juristische Person des öffentlichen Rechts selbst (so BFH v. 13.3.1974 – I R 7/71, BStBl. II 1974, 391) oder der Betrieb gewerblicher Art selbst Steuersubjekt ist (so große Teile der Literatur) kommt es für die vorliegende Darstellung nicht an; dazu ausführlich etwa Beermann, Hoheitsbetriebe von Kirchen und Religionsgemeinschaften, S. 88 ff.; Paetsch in Rödder/Herlinghaus/Neumann, § 4 KStG Rz. 38 ff.; Märtens in Gosch4, § 4 Rz. 21 ff. 3 Clasen, Steuervergünstigungen von Religionsgemeinschaften, S. 46. 4 BVerfG v. 4.10.1965 – 1 BvR 498/62, BVerfGE 19, 129 (133). 5 Clasen, Steuervergünstigungen von Religionsgemeinschaften, S. 47; a.A. Bader, Hoheitsbetrieb und Betrieb gewerblicher Art im Umsatz- und Körperschaftsteuerrecht, 1997. 6 Märtens in Gosch4, § 4 Rz. 1. 7 Märtens in Gosch4, § 4 Rz. 63. 8 Vgl. etwa Märtens in Gosch4, § 4 Rz. 35 ff.; Bürstinghaus in HHR, § 4 KStG Rz. 21 ff.; Beermann, Hoheitsbetriebe von Kirchen und Religionsgemeinschaften, S. 98 ff.

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E. Sonderprobleme des Ertragsteuerrechts | Rz. 12.74 Kap. 12

gilt auch für die Verpachtung eines solchen Betriebs.1 Rechtssystematisch ist dies alles sehr zweifelhaft,2 gleichwohl geltendes Recht. Die Ausnahme gilt auch für land- und forstwirtschaftliche Nebenbetriebe.3 Die Abgrenzung zur gewerblichen Tätigkeit richtet sich nach den Kriterien der R 15.5 EStR 2012.4 Da nach der Legaldefinition begrifflich nicht notwendige Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr bezieht die Eigen- und Selbstversorgungsbetriebe grundsätzlich in die Betriebe gewerblicher Art mit ein.5 Hier sind freilich Einzelheiten umstritten: Mit gewichtigen Argumenten wird hier die Wettbewerbsrelevanz abgelehnt, wenn nicht auch Leistungen gegenüber Dritten erbracht werden (so auch BMF v. 7.10.1974 – IV A 2 - S 7106 – 19/74, BStBl. I 1974, 911).6

12.72

3. Kirchliche Hoheitsbetriebe Ein Betrieb gewerblicher Art einer Religionsgemeinschaft ist ausgeschlossen, wenn er als Hoheitsbetrieb „überwiegend der Ausübung hoheitlicher Gewalt“ dient, § 4 Abs. 5 KStG. In der Sache regelt Abs. 5 damit nur solche Betriebe, die sowohl hoheitlich, als auch gewerblich tätig sind, denn rein hoheitlich agierende juristische Personen des öffentlichen Rechts fallen schon nicht unter § 4 Abs. 1 KStG.7 Das Innehaben von Zwangs- oder Monopolrechten allein soll nach dem Gesetz dafür nicht ausreichen. Hier herrschen auch jenseits von Religionsgemeinschaften bisher nicht abschließend gelöste Abgrenzungsprobleme. Abstrakt kennzeichnet der BFH als Hoheitsbetriebe im körperschaftsteuerlichen Sinn die Ausübung (hoheitlicher) Tätigkeiten, die juristischen Personen des öffentlichen Rechts eigentümlich und vorbehalten sind.8 Gemeint sind spezifisch öffentlich-rechtliche Aufgaben, die der Staatsgewalt vorbehalten, aus ihr abgeleitet sind und damit staatlichen Zwecken dienen.9 Als Beispiele werden in der Literatur vor allem Fälle genannt, bei denen die Bevölkerung zur Benutzung gezwungen ist, d.h. der Anschluss- und Benutzungszwang bei Friedhöfen, Krematorien, Schlachthöfen, Straßenreinigung, Müllentsorgung, amtlichen Laboren u.ä.10 Das bedingt eine gesetzliche Aufgabenzuweisung und ein eigenes, öffentlich-rechtliches Rechtsregime. Der Beliehene agiert auch hier im Rahmen der ihm übertragenen Aufgabe hoheitlich. Negativ ist erforderlich, dass keine Wettbewerbssituation vorliegt.

12.73

Umstritten ist, ob korporierte Religionsgemeinschaften (Rz. 12.18 ff.) überhaupt als Hoheitsbetriebe steuerlich qualifiziert werden können. Wie oben ausgeführt (Rz. 12.4) werden sie durch ihren Status als Körperschaften des öffentlichen Rechts nicht Teil des Staates. Davon ist wiederum ihre partielle Beleihung mit staatlicher Hoheitsgewalt abzugrenzen

12.74

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

KStR 6 Abs. 4.1. Satz 3. Vgl. etwa Alvermann in Streck9, § 4 Rz. 17; Märtens in Gosch4, § 4 Rz. 49. KStR 6 VI 2. Bürstinghaus in HHR, § 4 KStG Rz. 26. Auf die öffentliche Hand bezogen BT-Drs. 7/1470, 336; Paetsch in Rödder/Herlinghaus/Neumann, § 4 KStG Rz. 37; kritisch Hüttemann, Besteuerung der öffentlichen Hand, S. 38 f. Ausführliche Argumentation bei Bürstinghaus in HHR, § 4 KStG Rz. 42. Märtens in Gosch4, § 4 Rz. 106. BFH v. 22.9.1976 – I R 102/74, BStBl. II 1976, 793; v. 21.9.1989 – V R 89/85, BStBl. II 1990, 95; v. 14.3.1990 – I R 156/87, BStBl. II 1990, 866; v. 12.7.2012 – I R 106/10, BStBl. II 2012, 837. BFH v. 21.11.1969 – I 274/64, BStBl. II 1968, 218; v. 21.9.1989 – V R 89/85, BStBl. II 1990, 95; v. 23.10.1996 – I R 1-2/94, BStBl. II 1997, 139; v. 25.1.2005 – I R 63/03, BStBl. II 2005, 501. Alvermann in Streck9, § 4 Rz. 40.

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Kap. 12 Rz. 12.74 | Besteuerung von Religionsgemeinschaften

(Rz. 12.26).1 Die Tätigkeit der Kirchen als Beliehene ist – wie bei jedem Beliehenen2 – Ausübung echter Staatsgewalt, der Beliehene wird insofern zum Verwaltungsträger. Signifikant ist das etwa im Kirchensteuerrecht.3 Das darf nicht mit der „eigentlichen“ kirchlichen Betätigung vermischt werden.4 Hier ermöglicht der Körperschaftstatus öffentlich-rechtliches Handeln; dies ist jedoch originär kirchliches Handeln, das im Kern von staatlicher Ingerenz unabhängig, d.h. nicht abgeleitet ist.5 Über die Figur der Anerkennung der Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts erkennt der Staat für seine Sphäre den öffentlichrechtlichen Charakter des kirchlichen Handelns an. Die Missverständnisse in diesem Bereich resultieren aus dem in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung transportierten Definitionsmerkmal, dass für einen Hoheitsbetrieb „abgeleitete“ Hoheitsgewalt ausgeübt werden muss. Das passt für die Untereinheiten des Staates, nicht jedoch für korporierte Religionsgemeinschaften. Insofern war die Formulierung des RFH in Bezug auf korporierte Religionsgemeinschaften besser, wonach der zu beurteilende Aufgabenbereich der juristischen Person des öffentlichen Rechts „eigentümlich und vorbehalten“ sein musste.

12.75

Eine ältere, nicht zuletzt unter dem Nationalsozialismus in Literatur und Rechtsprechung vertretene Auffassung, ist deutlich durch ihren kirchenkritischen Hintergrund gekennzeichnet und fasst bewusst nur staatliche Hoheitsgewalt unter § 4 Abs. 5 KStG.6

12.76

Demgegenüber ist religionsverfassungsrechtlich heute allgemein anerkannt, dass trotz der Nichtstaatlichkeit die korporierten Religionsgemeinschaften öffentlich-rechtlich handeln (Rz. 12.26). Was insoweit zu ihrem Proprium zählt, ist in erster Linie Sache ihres Selbstverständnisses (Rz. 12.65). Dementsprechend hat die finanzgerichtliche Rechtsprechung auch formal an den Körperschaftsstatus angeknüpft und denjenigen der Religionsgemeinschaften nicht als „bloß formal“ oder nicht-staatlich abgewertet.7 Damit ist insbesondere der Kernbereich kirchlicher Betätigung erfasst. Hier besteht eine Parallele zu § 54 Abs. 1 AO (Rz. 12.52 ff.).8 Vor allem der weit zu fassende Bereich der Glaubensverkündigung fällt hierunter. Kommt es zu Ingerenzen mit wirtschaftlichen Tätigkeiten, ist zu fragen, „ob die mit dem religiösen Verkündigungsauftrag verbundene wirtschaftliche Tätigkeit erforderlich ist, um dem kirchlichen Anliegen gerecht zu werden“.9 Überschritten ist die Grenze, wenn „au1 Zur steuerrechtlichen Fassung der Beleihungstatbestände BFH v. 25.1.2005 – I R 63/03, BStBl. II 2005, 501; Döring in Schnitger/Fehrenbacher, § 4 KStG Rz. 157. 2 Vgl. nur Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht20, 2020, § 23 Rz. 58 ff. 3 Classen, Religionsrecht3, Rz. 322. 4 So aber wohl Beermann, Hoheitsbetriebe von Kirchen und Religionsgemeinschaften, S. 202, der von der falschen Prämisse ausgeht, das öffentlich-rechtliche Handeln der korporierten Kirchen sei vom Staat „abgeleitete und anerkannte Gewalt“ (zusammengefasst, S. 270); das ist unzutreffend, der Staat kann zwar das Handeln der Kirchen für seine Sphäre als öffentlich-rechtlich anerkennen, die Tätigkeit einer Religionsgemeinschaft ist jenseits der angesprochenen Beleihungstatbestände jedoch niemals vom Staat „abgeleitet“. Die vertretene Ansicht führt zu dem seltsamen Ergebnis, dass die kirchliche Kerntätigkeit nicht über den Hoheitsbetrieb steuerbefreit ist, kirchliche Randtätigkeiten wie das Betreiben eines Friedhofs jedoch. 5 Magen in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 2020, § 27 Rz. 37 ff. (40). 6 Nachweise bei Schön, DStZ 1999, 701 (702 mit Fn. 13 bis 15); zu weiteren NS-Implikationen der seinerzeitigen Verwaltungs- und Rechtsprechungspraxis Holste genannt Göcke, Die Besteuerung von Ordensgemeinschaften, S. 86; symptomatisch Kratz, DStZ 1939, 713. 7 BFH v. 1.3.1951 – I 52/50 U, BStBl. III 1951, 120; zustimmend Holste genannt Göcke, Die Besteuerung von Ordensgemeinschaften, S. 86 f. 8 Schön, DStZ 1999, 701 (702 ff.). 9 Schön, DStZ 1999, 701 (704).

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E. Sonderprobleme des Ertragsteuerrechts | Rz. 12.77 Kap. 12

ßerhalb ihres eigenen Unterweisungsprogramms gegenüber nichtkirchlichen Institutionen und Personen Leistungen“ erbracht werden.1 Ob § 4 Abs. 5 KStG dann mit der finanzgerichtlichen Rechtsprechung direkt2 oder mit Teilen der Literatur analog3 angewendet wird, ist eine rein konstruktive Frage, die zu keinen unterschiedlichen Ergebnissen führt.

4. ABC zu Betrieben gewerblicher Art sowie Hoheitsbetrieben von Religionsgemeinschaften 12.77

BGA bedeutet: Vorliegen eines Betriebs gewerblicher Art. (kirchliche) Akademien/Fortbildungsstätten: hoheitlich, da und soweit nach dem Selbstverständnis der Religionsgemeinschaft (Rz. 12.65) zum Verkündigungsbereich zählend (etwa in Form von Exerzitien, Besinnungs- oder Einkehrtagen, Seminaren oder Schulungen).4 Besichtigungen: BGA liegt vor bei entgeltlichen Besichtigungen; für eine Kirche bzw. einen Kirchturm5 und einen Domschatz6 entschieden vom RFH. Bestattungswesen siehe Friedhöfe Bibliotheken: oftmals als BGA eingeordnet;7 bei eindeutig religiösem Auftrag demgegenüber hoheitlich. Bücherei siehe Bibliothek Cafeteria siehe Kantinen Domschatz siehe Besichtigungen Eigenversorgungsbetriebe: (Rz. 12.72). Erholungsheime: uneinheitliche Beurteilung; in der Rechtsprechung teilweise als hoheitlich anerkannt,8 teilweise als BGA qualifiziert;9 a.A. die ganz überwiegende Literaturmeinung;10 in der Sache kommt es auf Zweck und Widmung an; dass der Erholungszweck als solcher kirchlich oder religiös begründet ist, dürfte unwahrscheinlich sein. Erwachsenenbildung siehe Akademien 1 Schön, DStZ 1999, 701 (704). 2 BFH v. 8.7.1971 – V R 1/68, BStBl. II 1972, 70; vgl. auch Clasen, Steuervergünstigungen von Religionsgemeinschaften, S.52. 3 So etwa Weides in FS der Rechtswissenschaftlichen Fakultät zur 600-Jahr-Feier der Universität zu Köln, S. 885 (892); G. Hammer in Listl/Pirson, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 12, § 36, S. 1065 (1069); Clasen, Steuervergünstigungen von Religionsgemeinschaften S. 53 ff. 4 Schön, DStZ 1999, 701 (702 ff.); Bürstinghaus in HHR, § 4 KStG Rz. 78 (Stichwort: „Religionsgemeinschaften des öffentlichen Rechts“); a.A., jedoch wegen falscher Prämissen verfehlt, Beermann, Hoheitsbetriebe von Kirchen und Religionsgemeinschaften, S. 218; zur kirchlichen Einordnung Bock in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 23, § 48 Rz. 9 ff. 5 RFH v. 6.9./25.10.1938, RStBl. 1938, 1189. 6 RFH v. 27.6.1939, RStBl. 1939, 910. 7 Vgl. etwa FG Düsseldorf v. 30.11.2006 – 15 K 637/04 F, EFG 2007, 435; Märtens in Gosch4, § 4 Rz. 181 (Stichwort: „Bibliothek“). 8 BFH v. 2.7.1965 – III 136/61 U, BStBl. III 1965, 571. 9 BFH v. 28.10.1960 – III 134/56, BStBl. II 1961, 109. 10 Alvermann in Streck9, § 4 Rz. 75; Märtens in Gosch4, § 4 Rz. 181.

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Kap. 12 Rz. 12.77 | Besteuerung von Religionsgemeinschaften

Evangelische Kirchentage: hoheitlich, da zum Verkündigungsauftrag zählend.1 Friedhöfe: Kirchen und Religionsgemeinschaften dürfen Friedhöfe unterhalten und zahlreiche Friedhöfe in Deutschland sind traditionellerweise kirchlich;2 hoheitlich, soweit Aufgaben des Bestattungswesens wahrgenommen werden;3 das dürfte sich auch nicht durch die eher theoretische Möglichkeit inzwischen teilweise in einzelnen Bundesländern zulässiger privater Bestattungsplätze geändert haben; umfasst sind sämtliche für die Bestattung erforderlichen Einrichtungen und Tätigkeiten, insbesondere das Vorhalten des Grundstücks, der Gebäude (Leichenhalle; Friedhofskapelle; Trauerräume, jeweils einschließlich Heizung, Belüftung, Kühlung usw.), der technischen Einrichtungen sowie aller üblicherweise kraft Herkommens auf einem Friedhof zum Zwecke einer würdigen Bestattung vorgenommenen Handlungen, Dienstleistungen usw.: Gruftschmuck, musikalische Darbietungen auf der Trauerfeier.4 Darüber hinausgehende Dienstleistungen wie der Verkauf von Blumen oder Leistungen zur Pflege eines vorhandenen Grabes stellen demgegenüber BGA dar.5 BGA ist auch alles, was mit der Bestattung von Tieren zu tun hat.6 Urnenbestattung in sog. Friedwäldern hoheitlich, wenn Vergleichbarkeit mit Erdbestattung;7 anders, wenn der Bestattungswald einem bestehenden land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb zugeordnet ist.8 Friedhofsgärtnerei: BGA.9 Gaststätten, Gastwirtschaften: BGA, auch bei Verpachtung der Gaststätte.10 Hochschulen: Forschung und Lehre sind hoheitlich;11 Weiterbildung ist ebenfalls hoheitlich, sofern bei staatlicher Reglementierung und staatlich konturiertem Abschluss; BGA bei der Verleihung bloßer „Zertifikate“.12 Integrationskurse: BGA.13 Kantinen: BGA; es kann jedoch gemeinnützigkeitsrechtlich ein Zweckbetrieb vorliegen, etwa bei einer Ganztagsschule, da die Kantine dann dazu beiträgt, den Ausbildungszweck zu verwirklichen.14 Kasse zur Finanzierung der Ausschmückung der Kirche: hoheitlich.15 1 Schön, DStZ 1999, 701 (703). 2 Zum kirchlichen Friedhofswesen Schnell, in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 33, § 61. 3 Beermann, Hoheitsbetriebe von Kirchen und Religionsgemeinschaften, S. 214. 4 BFH v. 14.4.1983 – V R 3/79, BStBl. II 1983, 491. 5 Vgl. EuGH v. 17.10.1989 – 231/87, Slg. 1989, I-3233. Allgemein zu gewerblichen Betätigungen auf Friedhöfen Schnell in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 33, § 61 Rz. 61 ff. 6 Bürstinghaus in HHR, § 4 KStG Rz. 78. 7 Bürstinghaus in HHR, § 4 KStG Rz. 78. 8 OFD Nds. V. 30.7.2012, ZKF 2012, 206. 9 BFH v. 26.5.1977 – V R 15/74, BStBl. II 1977, 813; v. 14.4.1983 – V R 3/79, BStBl. II 1983, 491; v. 21.6.2001 – V R 80/99, BFH/NV 2001, 1516. 10 BFH v. 25.10.1989 – V R 111/85, BStBl. II 1990, 868; v. 11.7.1990 – II R 33/86, BStBl. II 1990, 1100. 11 Beermann, Hoheitsbetriebe von Kirchen und Religionsgemeinschaften, S. 216 f.; zu Hochschulen in kirchlicher Trägerschaft allgemein Baldus in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 23, § 47. 12 Bürstinghaus in HHR, § 4 KStG Rz. 78 (Stichwort: „Universitäten“). 13 OFD Münster v. 18.1.2006, ZKF 2006, 133. 14 Märtens in Gosch4, § 4 Rz. 181 (Stichwort „Kaninen“). 15 RFH v. 26.1.1921 – I A 221/20, RFHE 4, 284.

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E. Sonderprobleme des Ertragsteuerrechts | Rz. 12.77 Kap. 12

Katholikentage: hoheitlich, da zum Verkündigungsauftrag zählend.1 Kindergärten/Kinderhorte/Kindertagesstätten: bei kommunaler Trägerschaft BGA;2 zu Recht geht die Praxis bei kirchlicher Trägerschaft von hoheitlicher Betätigung aus, wenn und soweit Kindergärten usw. in kirchlicher Trägerschaft wie regelmäßig auch dem kirchlichen Verkündigungsauftrag dienen.3 Kirchturmbesteigung siehe Besichtigungen Klosterbetriebe/Klosterbrauereien: BGA.4 Krankenhäuser: BGA mit Steuerbefreiungsmöglichkeit über § 67 AO.5 Krematorien siehe Friedhöfe Mensen siehe Kantinen Messweinankauf: hoheitlich.6 Museen: bei Entgeltlichkeit und der Allgemeinheit offenstehend BGA.7 Personalgestellung: hoheitlich, sofern Gestellung an eine andere juristische Person des öffentlichen Rechts in deren Hoheitsbereich;8 BGA wenn Gestellung an den BGA einer juristischen Person des öffentlichen Rechts oder an ein privatrechtliches Rechtssubjekt.9 Priesterseminare/Theologenkonvikte: hoheitlich, da sie dem Kernbereich der Kirche zugeordnet sind.10 Schulen: allgemeinbildende öffentliche und (kirchliche und sonstige) Ersatzschulen11 hoheitlich.12 Schülerheime: hoheitlich soweit der Erfüllung der hoheitlichen Schulaufgabe dienend.13

1 Schön, DStZ 1999, 701 (703). 2 BFH v. 18.12.2003 – V R 66/01, BFH/NV 2004, 985; FG BW v. 8.1.2001 – 10 K 228/97, EFG 2001, 1575. 3 OFD Chemnitz v. 22.3.2000 – S 2706 - 91/28 - St 33; OFD Hannover v. 19.2.2004, DStZ 2004, 350; a.A. FG Hamburg v. 5.2.2013 – 3 K 74/12, EFG 2013, 956. Zumindest in der Begründung verfehlt aufgrund seiner Prämissen wiederum Beermann, Hoheitsbetriebe von Kirchen und Religionsgemeinschaften, S. 215. Aus religionsverfassungsrechtlicher Sicht Penßel in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 23, § 53. 4 Alvermann in Streck9, § 4 Rz. 75; Märtens in Gosch4, § 4 Rz. 181 (Stichwort „Klosterbrauerei“). 5 BFH v. 31.10.1984 – I R 21/81, BStBl. II 1985, 162; zu kirchlichen Krankenhäusern insgesamt Kluth in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 23, § 52. 6 OFH v. 12.2.1946 – I 1/46 S, StuW 1947 II, 15. 7 RFH v. 23.4.1937, RStBl. 1937, 1306. 8 Einzelheiten bei der Gestellung durch Orden an öffentlich-rechtlich organisierte Diözesen bei Hüttemann Ordenskorrespondenz 2018, 225 und 354. 9 OFD München/OFD Nürnberg v. 25.1.2005, ZKF 2006, 84; Schön, DStZ 1999, 701 (705). 10 Weides, in FS der Rechtswissenschaftlichen Fakultät zur 600-Jahr-Feier der Universität zu Köln, 1988, S. 885 (892); Bürstinghaus in HHR, § 4 KStG Rz. 78 (Stichwort: „Schulen“). 11 A.A. FG BW v. 27.9.2007 – 14 K 249/05, juris. 12 BFH v. 8.7.1971 – V R 1/68, BStBl. II 1972, 70; v. 11.1.1979 – V R 26/74, BStBl. II 1979, 746; Beermann, Hoheitsbetriebe von Kirchen und Religionsgemeinschaften, S. 215 f. 13 R 4.5 Abs. 2 KStR 2015.

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Kap. 12 Rz. 12.77 | Besteuerung von Religionsgemeinschaften

Schulschwimmbad: hoheitlich in Bezug auf die Nutzung für den Schulsport;1 entgeltliche Mitbenutzung durch Dritte außerhalb der Schulzeiten BGA, unabhängig vom Schwerpunkt der Nutzung.2 Schulverpflegung: bei Entgeltlichkeit BGA.3 Universitäten siehe Hochschulen Verkauf sakraler Gegenstände zur Einnahmeerzielung: BGA.4 Verlage: Gesangbuchverlag ist BGA, da die Produktion solcher für den Gottesdienst bestimmter Werke auch durch privatwirtschaftliche Verlage erfolgen kann, nicht den Religionsgemeinschaften vorbehalten ist.5 Vermögensverwaltung: hoheitlich.6 Volkshochschulen: normalerweise BGA,7 wenn eng mit dem kirchlichen Verkündigungsauftrag verbunden nach richtiger Ansicht demgegenüber hoheitlich (siehe Akademien/Erwachsenenbildung).

II. Gewerbesteuer 12.78

Die Gewerbesteuer als Objektsteuer knüpft nicht an natürliche oder juristische Personen, sondern an den Gewerbebetrieb selbst an, sofern es sich um ein inländisches stehendes Gewerbe handelt, § 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG. Dieser fungiert als Steuersubjekt; Steuerobjekt ist der gewerbesteuerlich modifizierte Gewerbeertrag.8 Das GewStG unterscheidet dabei rechtsformunabhängige von rechtsformabhängigen Gewerbebetrieben.9 Ob ein Gewerbebetrieb vorliegt, richtet sich nach dem EStG (§ 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG), konkret danach, ob die Voraussetzungen des § 15 EStG vorliegen.10 Danach müsste es sich (kumulativ) um selbstständige, nachhaltige Betätigung mit Gewinnerzielungsabsicht unter Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr handeln; Betätigung, für die das Einkommensteuerrecht andere Einkunftsarten vorsieht wie selbstständige Arbeit, freie Berufe, Land- und Forstwirtschaft oder Vermögensverwaltung, scheiden aus diesem steuerrechtlichen Gewerbebegriff aus. Kapitalgesellschaften gelten nach § 2 Abs. 2 GewStG stets als Gewebebetriebe im Sinne des Gewerbesteuerrechts (Gewerbebetrieb kraft Rechtsform); andere juristische Personen des privaten Rechts gelten als Gewerbebetriebe, wenn sie einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb i.S.v. § 14 AO unterhalten, § 2 Abs. 3 GewStG. Bei Religionsgemeinschaften (Rz. 12.15) als solchen liegen diese Voraussetzungen nicht vor. Andernfalls würde es sich nicht um Religionsgemeinschaften handeln, wie dies in anderem Kontext teilweise von der Rechtsprechung für die 1 OFD Nds. v. 12.1.2012 – S 2706 - 219 – St 241 – S 7100 - 801 – St 171. 2 BFH v. 11.1.1979 – V R 26/74, BStBl. II 1979, 746; BFH v. 28.11.1991 – V R 95/86, BStBl. II 1992, 569; v. 10.2.1994 – V R 33/92, BStBl. II 1994, 668; umstritten, vgl. die Nachweise bei Bürstinghaus in HHR, § 4 KStG Rz. 78 (Stichwort: „Schulschwimmhalle“). 3 BFH v. 18.7.2002 – V B 112/01, BStBl. II 2003, 675. 4 RFH v. 6.9.1938/25.10.1938 – Via 7/38, RStBl. 1938, 1189. 5 RFH v. 16.12.1939 – VIa 25/37, RStBl. 1941, 158. 6 Schön, DStZ 1999, 701 (705). 7 BFH v. 25.7.2002 – I B 52/02, BFH/NV 2002, 1341. 8 Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht24, Rz. 12.10; Birk/Desens/Tappe, Steuerrecht24, Rz. 1334 ff. 9 Güroff in Glanegger/Güroff10, § 2 Rz. 6. 10 Birk/Desens/Tappe, Steuerrecht24, Rz. 1347 ff.; Einzelheiten bei Güroff in Glanegger/Güroff10, § 2 Rz. 50 ff.

900 | Waldhoff

E. Sonderprobleme des Ertragsteuerrechts | Rz. 12.83 Kap. 12

Scientology Church angenommen wurde (Rz. 12.35; 12.57). Das ist letztlich Tatfrage, die hier nicht abstrakt entschieden werden kann. Gewerbesteuerpflicht besteht mithin nur, wenn eine Religionsgemeinschaft ein Unternehmen betreibt, das einen stehenden Gewerbebetrieb darstellt.1 Das können typischerweise auf Kirchen und Klöster bezogen etwa Brauereien oder Schnapsbrennereien/Likörfabriken, Sägewerke, Gärtnereien, Verlage, Zeitschriftenvertrieb, Devotionalienherstellung und -vertrieb, Hotels, Gaststätten, Fremdenheime, Steinmetzbetriebe o.ä. sein, soweit sie gewerblich betrieben werden.2 Das gilt auch, wenn die Religionsgemeinschaft den Körperschaftsstatus besitzt.3 Das wird (deklaratorisch) durch eine Regelung wie § 3 Nr. 6 GewStG bestätigt4 und durch § 2 Abs. 1 Satz 1 GewStDV allgemein für Betriebe der öffentlichen Hand klargestellt.5 Betriebe gewerblicher Art von Religionsgemeinschaften unterfallen nicht zwangsläufig der Gewerbesteuer, da § 15 Abs. 2 EStG über § 4 Abs. 1 KStG hinausgehend voraussetzt, dass die Merkmale der Gewinnerzielungsabsicht und der Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr vorliegen.6 Folge ist, dass Gewerbesteuer- und Körperschaftsteuerpflicht gesondert zu prüfen sind (§ 2 Abs. 1 Satz 1 GewStDV; GewStR 2.1 Abs. 6).7

12.79

Ausgenommen sind wiederum Hoheitsbetriebe (Rz. 12.73 ff.).

12.80

Typische Betriebe oder Unternehmen von Religionsgemeinschaften fallen oftmals unter die ausdrücklichen Befreiungen von der Gewerbesteuer in § 3 GewStG:

12.81

Nach § 3 Nr. 6 GewStG sind gewerbesteuerbefreit „Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen, die nach der Satzung, dem Stiftungszweck oder der sonstigen Verfassung und nach der tatsächlichen Geschäftsführung ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen, mildtätigen oder kirchlichen Zwecken“ i.S.d. AO dienen (Rz. 12.51 ff.). In der Sache herrscht damit vollständige Kongruenz zwischen Gewerbesteuer- und Gemeinnützigkeitsrecht.8 Die Befreiung von der Gewerbesteuer ist im Grundtatbestand umfassend. Die Vorschrift verweist damit hinsichtlich der tatbestandlichen Voraussetzungen in das Gemeinnützigkeitsrecht. Das korrespondiert mit der Körperschaftsteuerbefreiung nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG. Andere gewerbesteuerliche für Religionsgemeinschaften relevante Befreiungen wie Nr. 13 (private Schulen) oder Krankenhäuser u.ä. (Nr. 20) knüpfen demgegenüber nicht an die Gemeinnützigkeit an.

12.82

Ausgenommen von der Steuerbefreiung nach Nr. 6 sind wirtschaftliche Geschäftsbetriebe (Rz. 12.63). Gewerbesteuerrechtlich gibt es mit § 3 Nr. 6 Satz 2 GewStG eine Rückausnahme für Land- und Forstwirtschaftsbetriebe. Daraus kann nachstehende Prüfungsfolge abgeleitet werden:

12.83

1 Weides in FS der Rechtswissenschaftlichen Fakultät zur 600-Jahr-Feier der Universität zu Köln, 1988, S. 885 (894); Clasen, Steuervergünstigungen von Religionsgemeinschaften, S. 74; zur wirtschaftlichen Betätigung von Religionsgemeinschaften Hammer in FS Stober, S. 265. 2 Weides in FS der Rechtswissenschaftlichen Fakultät zur 600-Jahr-Feier der Universität zu Köln, 1988, S. 885 (895). 3 Vgl. allgemein auf juristische Personen des öffentlichen Rechts bezogen Hidien/Pohl/Schnitter, Gewerbesteuer15, S. 359 ff. 4 Ebd., S. 362. 5 Franke in Wendt/Suchanek/Möllmann/Heinemann, § 2 Rz. 42. 6 Vgl. auch Clasen, Steuervergünstigungen von Religionsgemeinschaften, S. 74. 7 Güroff in Glanegger/Güroff10, § 2 Rz. 380; Franke in Wendt/Suchanek/Möllmann/Heinemann, § 2 Rz. 42. 8 Trinks in Hallerbach/Nacke/Rehfeld, § 3 Rz. 50.

Waldhoff | 901

Kap. 12 Rz. 12.83 | Besteuerung von Religionsgemeinschaften

– Vorliegen der Voraussetzungen für eine steuerbegünstigte Körperschaft nach §§ 51 bis 61 AO; – Bestehen eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs, § 14 AO; – Rückausnahmen für wirtschaftliche Geschäftsbetriebe nach den §§ 64 bis 68 AO.1

12.84

Nach § 3 Nr. 13 GewStG sind steuerbefreit „private Schulen und andere allgemeinbildende oder berufsbildende Einrichtungen, soweit ihre Leistungen nach § 4 Nr. 21 des Umsatzsteuergesetzes von der Umsatzsteuer befreit sind“. Auch hier ergibt sich die tatbestandliche Voraussetzung aus dem UStG; sie werden jedoch im Verfahren der Erhebung der Gewerbesteuer eigenständig geprüft.2 Ratio legis ist einerseits die Förderung der genannten Einrichtungen, die im öffentlichen Interesse tätig sind, andererseits die steuerliche Gleichstellung mit staatlichen Schulen.3 Das Wort „soweit“ weist darauf hin, dass es sich um eine persönliche Steuerbefreiung mit sachlichen Einschränkungen handelt.4 Was eine private Schule ist, richtet sich nach den Schulgesetzen der Länder; es handelt sich um Schulen in privater, d.h. nichtstaatlicher Trägerschaft. Auch hier wird wieder relevant, dass auch die korporierten Religionsgemeinschafen nicht zum Staat zählen (Rz. 12.4). Im Regelfall handelt es sich um nach Landesrecht genehmigungspflichtige oder erlaubte sog. Ersatzschulen i.S.v. Art. 7 Abs. 4 GG. In der Praxis handelt es sich oft um rechtlich unselbständige aber organisatorisch eigenständige Einrichtungen, etwa eines Bistums oder einer Landeskirche.5 Allgemein- oder berufsbildende Einrichtungen, die keine Ersatzschulen sind, sind in der Praxis zumeist sog. Ergänzungsschulen in freier Trägerschaft.

12.85

Nach § 3 Nr. 20 GewStG sind bestimmte Einrichtungen aus dem Gesundheits- und Pflegebereich, konkret Krankenhäuser, Altenheime, Altenpflegeheime, Pflegeheime u.ä. Einrichtungen gewerbesteuerbefreit. Die Vorschrift ist lex specialis zu Nr. 6.6 Ratio legis ist, nicht zuletzt angesichts des demographischen Wandels, neben der Förderung derartiger Einrichtungen im öffentlichen Interesse auch die Entlastung der Sozialversicherungsträger.7 Hinsichtlich der Bestimmung der Begriffe des Krankenhauses, des Alten-, Altenwohn- oder Pflegeheims oder der Rehabilitation ist auf die einschlägigen Regelungen des SGB zurückzugreifen.8 Für korporierte Religionsgemeinschaften (Rz. 12.18 ff.) ist lit. a von Bedeutung, da pauschal entsprechende Einrichtungen von juristischen Personen des öffentlichen Rechts steuerbefreit sind. Das setzt freilich die unmittelbare Trägerschaft voraus, d.h. ein Krankenhaus in der Rechtsform der GmbH, die zu 100 % von der korporierten Religionsgemeinschaft gehalten wird, erfüllt den Tatbestand daher nicht.9 Privatrechtlich organisierte Krankenhäuser müssen dann die Voraussetzungen von § 67 Abs. 1 oder 2 AO erfüllen, d.h. einen steuerbegünstigten Zweckbetrieb darstellen.10 Der BFH hat entschieden, dass eine Dialyseeinrichtung keine Pflegeeinrichtung darstellt.11 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

Erdbrügger in Wendt/Suchanek/Möllmann/Heinemann, § 3 Nr. 6 Rz. 1. Rüsch in Wendt/Suchanek/Möllmann/Heinemann, § 3 Nr. 13 Rz. 7. Rüsch in Wendt/Suchanek/Möllmann/Heinemann, § 3 Nr. 13 Rz. 1. Güroff in Glanegger/Güroff10, § 3 Rz. 403. Rüsch in Wendt/Suchanek/Möllmann/Heinemann, § 3 Nr. 13 Rz. 5. Güroff in Glanegger/Güroff10, § 3 Rz. 427. BFH v. 22.10.2003 – I R 65/02, BStBl II 2004, 300; Trinks in Hallerbach/Nacke/Rehfeld, § 3 Rz. 170; Rüsch in Wendt/Suchanek/Möllmann/Heinemann, § 3 Nr. 20 Rz. 1. Trinks in Hallerbach/Nacke/Rehfeld, § 3 Rz. 174. Rüsch in Wendt/Suchanek/Möllmann/Heinemann, § 3 Nr. 20 Rz. 3. Zur Verfassungs- und Europarechtskonformität FG BW v. 12.4.2011 – 3 K 526/08, EFG 2011, 1824 (rechtskräftig). BFH v. 25.1.2017 – I R 74/14, BStBl 2017 II, 650.

902 | Waldhoff

F. Sonderprobleme des Umsatzsteuerrechts | Rz. 12.89 Kap. 12

F. Sonderprobleme des Umsatzsteuerrechts I. Religionsgemeinschaften als Unternehmer Lieferungen und sonstige Leistungen gegen Entgelt unterliegen nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG nur dann der Umsatzsteuer, wenn sie von einem Unternehmer im Inland im Rahmen seines Unternehmens ausgeführt werden. Damit ist zentrale Voraussetzung für die Umsatzsteuerbarkeit eines Umsatzes, dass dieser von einem Unternehmer ausgeführt wird. Auch für den innergemeinschaftlichen Erwerb im Inland gegen Entgelt knüpft § 1 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 1a Abs. 1 Nr. 2 UStG an den Unternehmerbegriff an und bestimmt, dass ein steuerbarer innergemeinschaftlicher Erwerb nur dann vorliegt, wenn der Erwerber Unternehmer ist, der den Gegenstand für sein Unternehmen erwirbt (Buchstabe a) oder eine juristische Person, die nicht Unternehmer ist oder die den Gegenstand nicht für ihr Unternehmen erwirbt (Buchstabe b). Diese zentrale Anknüpfung an den Begriff des Unternehmers war und ist damit unabdingbare Voraussetzung für die Umsatzbesteuerung. Bezogen auf Religionsgemeinschaften (zum Begriff Rz. 12.15) bedeutet dies, dass sie nur dann Umsatzsteuersubjekt sind, wenn sie Unternehmer im Sinne des Umsatzsteuerrechts sind;1 daran hat auch die Einführung von § 2b UStG durch Art. 12 des Steueränderungsgesetzes 2015 (zur Entwicklung der Vorschrift Rz. 5.94 ff.)2 nichts geändert. Unternehmer ist nach der Legaldefinition des § 2 Abs. 1 Satz 1 UStG, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbstständig ausübt. Gewerblich oder beruflich ist dabei nach § 2 Abs. 1 Satz 3 UStG jede nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen, auch wenn die Absicht, Gewinn zu erzielen, fehlt oder eine Personenvereinigung nur gegenüber ihren Mitgliedern tätig wird.

12.86

Besonderheiten ergaben und ergeben sich für die Umsatzbesteuerung der Religionsgemeinschaften daraus, dass sie nach dem nationalen Recht der Bundesrepublik Deutschland als juristische Personen des öffentlichen Rechts angesehen werden (Rz. 12.18 ff.).

12.87

II. Rechtslage bis zum Inkrafttreten des § 2b UStG Bis zum Inkrafttreten des § 2b UStG bestimmte § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG aF, dass juristische Personen des öffentlichen Rechts nur im Rahmen ihrer Betriebe gewerblicher Art im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 6, § 4 KStG (Rz. 12.70) und ihrer land- oder forstwirtschaftlichen Betriebe gewerblich oder beruflich tätig sind. § 4 Abs. 1 KStG definiert dabei die Betriebe gewerblicher Art von juristischen Personen des öffentlichen Rechts als alle Einrichtungen, die einer nachhaltigen wirtschaftlichen Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen außerhalb der Land- und Forstwirtschaft dienen und die sich innerhalb der Gesamtbetätigung der juristischen Person wirtschaftlich herausheben, wobei die Absicht, Gewinn zu erzielen, und die Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr nicht erforderlich sind.

12.88

Diese Sonderregelung des § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG aF war keineswegs ein Alternativtatbestand zur allgemeinen Unternehmerdefinition des § 2 Abs. 1 UStG. Sie schränkte vielmehr lediglich durch eine Konkretisierung des Begriffs der gewerblichen oder betrieblichen Tätigkeit den weiten Unternehmerbegriff des § 2 Abs. 1 UStG wegen der angeblichen Besonderheiten öffentlich-rechtlicher Leistungserbringung ein,3 sodass Umsätze von juristischen Personen des

12.89

1 Englisch in Birk/Ehlers (Hrsg.), Aktuelle Rechtsfragen der Kirchensteuer, 2012, 193, 195. 2 BGBl., 1834, 1843. 3 Ausdrücklich Englisch in Birk/Ehlers (Hrsg.), Aktuelle Rechtsfragen der Kirchensteuer, 2012, 193, 195 m.w.N.

Stapperfend | 903

Kap. 12 Rz. 12.89 | Besteuerung von Religionsgemeinschaften

öffentlichen Rechts nur dann der Umsatzsteuer unterfielen, wenn die juristische Person des öffentlichen Rechts einerseits die Voraussetzungen des Unternehmerbegriff des § 2 Abs. 1 UStG erfüllte und es sich zudem andererseits um einen Umsatz im Rahmen eines Betriebs gewerblicher Art oder eines land- oder forstwirtschaftlichen Betriebs handelte, weil die juristische Person des öffentlichen Rechts nach der Sonderregelung des § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG aF nur dann im Sinne von § 2 Abs. 1 UStG gewerblich oder beruflich tätig war.1

12.90

Die durch § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG aF vorgenommene Beschränkung des Unternehmerbegriffs für juristische Personen des öffentlichen Rechts auf die im Rahmen ihrer Betriebe gewerblicher Art ausgeübten Umsätze hatte zur Folge, dass die juristischen Personen des öffentlichen Rechts damit grundsätzlich keine Unternehmer sind. Durch den Rückgriff auf § 4 KStG bestand die Unternehmereigenschaft nur für den (in der Regel eingeschränkten) Bereich der Einrichtungen, die einer nachhaltigen wirtschaftlichen Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen dienen und die sich innerhalb der Gesamtbetätigung der juristischen Person wirtschaftlich herausheben (ausführlich dazu Rz. 5.15 ff.). Hinzu kamen aufgrund der ausdrücklichen Erwähnung in § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG die land- und forstwirtschaftlichen Betriebe der juristischen Person des öffentlichen Rechts. All dies galt auch für die Religionsgemeinschaften.

III. Rechtslage seit Inkrafttreten des § 2b UStG 1. Grundsatz der Unternehmereigenschaft der juristischen Person des öffentlichen Rechts 12.91

Durch das Steueränderungsgesetz 2015 (zur Entwicklung der Vorschrift Rz. 5.94 ff.)2 hat der Gesetzgeber die Besteuerung der juristischen Personen des öffentlichen Rechts neu geregelt und § 2 Abs. 3 UStG aF durch § 2b UStG ersetzt (zur Gesetzesbegründung und zu weiteren Einzelheiten Rz. 5.101 ff.).3 § 2b UStG geht dabei – anders als die Vorgängerregelung – von einer anderen Prämisse aus. Formulierte nämlich § 2 Abs. 3 UStG aF die Unternehmereigenschaft der juristischen Person des öffentlichen Rechts als Ausnahme (nur im Rahmen ihrer Betriebe gewerblicher Art und ihrer land- und forstwirtschaftlichen Betriebe), so schränkt § 2b UStG die zuvor nach § 2 Abs. 1 UStG zu prüfende4 Unternehmereigenschaft für diejenigen Tätigkeiten ein, die den juristischen Person des öffentlichen Rechts im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen, sofern es nicht zu Wettbewerbsverzerrungen kommt (§ 2b Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 UStG) oder die Sonderfälle des § 2b Abs. 4 UStG vorliegen. Damit tritt ein Perspektivwechsel ein, weil grundsätzlich von der Unternehmereigenschaft auszugehen ist, sofern es nicht um die Ausübung öffentlicher Gewalt geht.

1 EuGH v. 26.6.2007 – C-284/04 Rz. 48, UR 2007, 607 – T-Mobile Austria; EuGH v. 13.12.2007 – C408/06 Rz. 14, UR 2008, 296 – Götz; EuGH v. 26.6.2007 – C-369/04 Rz. 42, UR 2007, 613 – Hutchison 3G; EuGH v. 29.10.2009 – C-246/08 Rz. 53, UR 2010, 224 – Kommission./. Finnland; EuGH v. 12.5.2016 – C-520/14, ECLI:EU:C:2016:334 Rz. 21 ff., UR 2016. 492 – Gemeente Borsele; BFH v. 28.10.2004 – V R 19/04, BFH/NV 2005, 725 (726); BFH v. 15.4.2010 – V R 10/09, BStBl. II 2017, 863, Rz. 20 f.; BFH v. 28.6.2017 – XI R 12/15, BFH/NV 2017, 1400, Rz. 31; Englisch in Birk/ Ehlers (Hrsg.), Aktuelle Rechtsfragen der Kirchensteuer, 2012, 193, 195, m.w.N. 2 BGBl. 2015, 1834, 1843. 3 Zur Übergangsregelung und zur Option s. ferner Rausch in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, 2017, § 19 Rz. 113 ff. 4 Erdbrügger in Wäger, § 2b UStG Rz. 29.

904 | Stapperfend

F. Sonderprobleme des Umsatzsteuerrechts | Rz. 12.93 Kap. 12

2. Umsetzung von Art. 13 MwStSystRL Der Gesetzgeber hat die Schaffung des § 2b UStG zum einen mit der Anpassung der nationalen Regelung an die Vorgaben des Art. 13 MwStSystRL und zum anderen mit der Rechtsprechung des BFH zur Umsatzbesteuerung von Leistungen der öffentlichen Hand begründet.1 Der Bundesfinanzhof hatte § 2 Abs. 3 UStG aF zuvor nämlich in mehreren Entscheidungen richtlinienkonform derart ausgelegt, dass er die Tatbestandsmerkmale der Vorschrift und des in Bezug genommenen § 4 KStG faktisch ignoriert und stattdessen unmittelbar auf Art. 13 MwStSystRL bzw. die Vorgängerregelung in Art. 4 Abs. 5 der Sechsten Richtlinie zurückgegriffen hatte.2 Der nationale Gesetzgeber hat bei der Umsetzung des Art. 13 MwStSystRL aber keinesfalls dessen Wortlaut in § 2b UStG übernommen, sondern ist hiervon abgewichen. Dies gilt insbesondere für den persönlichen Anwendungsbereich der Norm. Während nach Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 1 MwStSystRL „Staaten, Länder, Gemeinden und sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts“ nicht als Steuerpflichtige gelten, soweit sie Tätigkeiten ausüben oder Umsätze bewirken, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen, spricht § 2b Abs. 1 Satz 1 UStG von „juristischen Person des öffentlichen Rechts und verwendet damit einen Begriff, der der MwStSystRL unbekannt ist. Diese Abweichung ist insofern von Bedeutung, als der EuGH auch juristische Personen des Privatrechts, deren Anteile zu 100 % von einer öffentlichen Verwaltung gehalten werden, unter den Begriff der „sonstigen Einrichtung des öffentlichen Rechts i.S.d. Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 1 MwStSystRL subsumiert hat.3 Daraus lässt sich ersehen, dass der unionsrechtliche Begriff weiter zu fassen ist als der in § 2b Abs. 1 Satz 1 UStG verwendete Begriff der juristischen Person des öffentlichen Rechts (dazu allgemein auch Rz. 5.103).

12.92

Bislang noch nicht abschließend geklärt ist die Frage, welche Auswirkungen es hat, dass § 2b Abs. 1 Satz 1 UStG den Anwendungsbereich der Norm für juristische Personen des öffentlichen Rechts eröffnet, während Art. 13 Abs. 1 Unterabs. eins MwStSystRL – neben den Staaten, Ländern und Gemeinden – von sonstigen Einrichtungen des öffentlichen Rechts spricht. Sofern § 2b Abs. 1 Satz 1 UStG mit dem Begriff der juristischen Person des öffentlichen Rechts von den Vorgaben der MwStSystRL abweichen sollte (zur Unvereinbarkeit der Begriffe auch Rz. 5.103), wäre die nationale Vorschrift in der Weise richtlinienkonform auszulegen, dass der Anwendungsbereich des § 2b UStG ebenfalls für sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts Anwendung findet.4

12.93

1 So die Beschlussempfehlung und der Bericht des Finanzausschusses v. 23.9.2015, BT-Drucks. 18/ 6094, 91. 2 S. dazu stellvertretend: BFH v. 10.11.2011 – V R 41/10, BFH/NV 2012, 670, Rz. 13; BFH v. 1.12.2011 – V R 1/11, BFH/NV 2012, 534, Rz. 14; BFH v. 14.3.2012 – XI R 8/10, BFH/NV 2012, 1667, Rz. 27; BFH v. 10.2.2016 – XI R 26/13, BFH/NV 2016, 865, Rz. 34; BFH v. 18.7.2017 – XI B 24/17, BFH/NV 2018, 60, Rz. 19; BFH v. 26.9.2019 – V R 16/18, BFH/NV 2020, 38, Rz. 12; BFH v. 10.12.2019 – I R 58/17, BFH/NV 2021, 420, Rz. 17; Meyer in Offerhaus/Söhn/Lange, § 2b UStG Rz. 11 (Stand: 10/2017). 3 EuGH v. 29.10.2015 – C-174/14, ECLI:EU:C:2015:733 Rz. 53 ff., UR 2015, 901 – Saudaçor, betreffend eine portugiesische AG; EuGH v. 22.2.2018 – C-182/17, ECLI:EU:C:2018:91 Rz. 44 ff., UR 2018, 276 – Nagyszénás, betreffend eine ungarische GmbH. 4 So auch Treiber in Sölch/Ringleb, § 2b UStG Rz. 33 (Stand: Oktober 2020) und Erdbrügger in Wäger, § 2b UStG Rz. 45 unter Hinweis auf die vom BFH schon zu § 2 Abs. 3 UStG a.F. vorgenommene richtlinienkonforme Auslegung, s. dazu BFH v. 2.12.2015 – V R 67/14, BStBl. II 2017, 560 = UR 2016, 199, Rz. 14.

Stapperfend | 905

Kap. 12 Rz. 12.94 | Besteuerung von Religionsgemeinschaften

3. Religionsgemeinschaften als Einrichtungen des öffentlichen Rechts i.S.d. Art. 13 MwStSystRL 12.94

Für die Religionsgemeinschaften ist die Abweichung des § 2b Abs. 1 Satz 1 UStG von Art. 13 MwStSystRL insofern von Bedeutung, als sie nach nationalem Rechtsverständnis zwar als juristische Personen des öffentlichen Rechts angesehen werden (Rz. 12.19), gleichwohl aber kein Teil des Staates sind (Rz. 12.4). Damit ist die Anwendung des § 2b UStG aus nationaler Sicht für die Religionsgemeinschaften zwar eröffnet, weil sie das Tatbestandsmerkmal der juristischen Person des öffentlichen Rechts erfüllen.1 Ob es sich bei ihnen aber zugleich auch um Einrichtungen des öffentlichen Rechts i.S.d. Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 1 MwStSystRL handelt, wird in der Literatur zum Teil in Zweifel gezogen.2

12.95

Der EuGH verweist in seiner Rechtsprechung darauf, dass das Unionsrecht keinen Verweis auf das Recht der Mitgliedstaaten enthält, sodass der Begriff der sonstigen Einrichtung des öffentlichen Rechts in der gesamten Union autonom und einheitlich und als Ausnahmeregelung eng auszulegen ist.3 Ausgehend von der Aufzählung in Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 1 MwStSystRL sieht er den Begriff der sonstigen Einrichtungen des öffentlichen Rechts als Auffangkategorie für solche der öffentlichen Gewalt zuzuordnenden Einrichtungen an, die nicht Staaten, Länder oder Gemeinden sind4. Unabdingbare Voraussetzung ist nach seiner Auffassung indes, dass die Einrichtung in die Organisation der öffentlichen Verwaltung eingegliedert ist, wofür es nicht bereits ausreicht, dass die in Rede stehende Tätigkeit in der Vornahme von der öffentlichen Gewalt vorbehaltenen Handlungen besteht.5 Ebenfalls nicht allein ausschlaggebend, aber immerhin als Indiz für das Vorliegen einer Einrichtung des öffentlichen Rechts berücksichtigungsfähig ist der Umstand, dass der betreffenden Einrichtung nach dem anwendbaren nationalen Recht hoheitliche Befugnisse zukommen.6

12.96

Legt man die Rechtsprechung des EuGH zugrunde, so können in der Tat Zweifel aufkommen, ob Religionsgemeinschaften als Einrichtungen des öffentlichen Rechts i.S.v. Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 1 MwStSystRL angesehen werden können.7 Denn mit dem Wegfall des Staatskirchentums durch Art. 137 Abs. 1 WRV, der nach Art. 140 GG Bestandteil des Grundgesetzes ist, sind die Religionsgemeinschaften nicht mehr in die staatliche Organisation eingegliedert, was nach der Rechtsprechung des EuGH jedoch Voraussetzung für die Anwendung von Art. 13 MwStSystRL ist. Für eine Anwendung dieser Norm kann man m.E. aber ins Feld führen, dass die Religionsgemeinschaften zwar nicht mehr Teile des Staates sind, sie aber insofern 1 So auch ohne weitere Problematisierung BMF v. 16.12.2016 – III C 2 - S 7107/16/10001, BStBl. I 2016, 1451, Rz. 3; Ismer in Reiß/Kraeusel/Langer, § 2b UStG Rz. 31 (Stand: Januar 2017); Hammer, KuR, 2016, 37 (38); Rausch in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, 2017, § 19 Rz. 54; zweifelnd auch Droege, ZevKR 2018, 57 (61 ff.), der auch privatrechtliches Handeln der Kirchen auf der Grundlage der Rechtsprechung des EuGH als erfasst ansieht; ebenso Weber, MwStR 2016, 818. 2 S. Erdbrügger in Wäger, § 2b UStG Rz. 54. 3 EuGH v. 29.10.2015 – C-174/14, ECLI:EU:C:2015:733 Rz. 54 f., UR 2015, 901 – Saudaçor; EuGH v. 22.2.2018 – C-182/17, ECLI:EU:C:2018:91 Rz. 54, UR 2018, 276 – Nagyszénás. 4 EuGH v. 29.10.2015 – C-174/14, ECLI:EU:C:2015:733 Rz. 55, UR 2015, 901 – Saudaçor. 5 EuGH v. 21.5.2008 – C-456/07, ECLI:EU:C:2008:293, Rz. 18, ABl. EG 2008, Nr. C 209, 17 f. – Mihal: Gerichtsvollzieher ist keine Einrichtung des öffentlichen Rechts; EuGH v. 29.10.2015 – C174/14, ECLI:EU:C:2015:733 Rz. 56, UR 2015, 901 – Saudaçor; kritisch zur Rechtsprechung des EuGH: Erdbrügger in Wäger, § 2b UStG Rz. 52. 6 EuGH v. 29.10.2015 – C-174/14, ECLI:EU:C:2015:733 Rz. 58, UR 2015, 901 – Saudaçor; EuGH v. 22.2.2018 – C-182/17, ECLI:EU:C:2018:91 Rz. 45, UR 2018, 276 – Nagyszénás. 7 So auch Erdbrügger in Wäger, § 2b UStG Rz. 54.

906 | Stapperfend

F. Sonderprobleme des Umsatzsteuerrechts | Rz. 12.97 Kap. 12

eine besondere Rechtsstellung haben, als sie nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 Satz 1 WRV Körperschaften des öffentlichen Rechts „bleiben“, soweit sie solche bisher waren. Das bedeutet, dass der zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Weimarer Reichsverfassung vorhandene Körperschaftsstatus erhalten bleibt (Rz. 12.19). Zudem sind anderen Religionsgemeinschaften nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 Satz 2 WRV auf ihren Antrag gleiche Rechte zu gewähren, wenn sie durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten (Rz. 12.19). Folge dieser Regelungen ist, dass sowohl den geborenen Körperschaften i.S.v. Art. 137 Abs. 5 Satz 1 WRV als auch den gekorenen Körperschaften i.S.v. Art. 137 Abs. 5 Satz 2 WRV Rechte zustehen, die ansonsten dem Staat vorbehalten sind. Dies zeigt sich darin, dass die Religionsgemeinschaften – nach Art. 137 Abs. 3 WRV ihre Angelegenheiten selbstständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes ordnen und verwalten und ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen Gemeinde verleihen, – nach Art. 137 Abs. 4 WRV die Rechtsfähigkeit nach den allgemeinen Vorschriften des bürgerlichen Rechts erwerben, – nach Art. 137 Abs. 6 WRV berechtigt sind, aufgrund der bürgerlichen Steuerlisten nach Maßgabe der landesrechtlichen Bestimmungen Steuern zu erheben, sofern sie Körperschaften des öffentlichen Rechts sind und – eigenes Kirchenrecht setzen, so z.B. bei der katholischen, orthodoxen und anglikanischen Kirche in Form des kanonischen Rechts. Aufgrund dieser Sonderstellung stehen die Religionsgemeinschaften staatlichen Stellen gleich, wenngleich sie auch nicht (mehr) Teil des Staates sind. Dies rechtfertigt es m.E., die Religionsgemeinschaften gleichwohl unter den Begriff der Einrichtungen des öffentlichen Rechts zu subsumieren, zumal auch der EuGH1 es als Indiz für das Vorliegen einer Einrichtung des öffentlichen Rechts ansieht, dass der betreffenden Einrichtung nach dem anwendbaren nationalen Recht hoheitliche Befugnisse zukommen. Dies gilt aber natürlich nur, soweit die Religionsgemeinschaften als juristische Personen des öffentlichen Rechts anzusehen sind (Rz. 12.19 ff.). Letztendliche Klärung wird allerdings nur eine Vorlage an den EuGH bringen.

4. Tätigkeiten im Rahmen öffentlicher Gewalt Führt die Prüfung nach den vorstehenden Grundsätzen zu dem Ergebnis, dass eine Einrichtung des öffentlichen Rechts zu bejahen ist, so muss für die Anwendung von Art. 13 MwStSystRL eine zweite Voraussetzung erfüllt sein. Die Einrichtung des öffentlichen Rechts muss nämlich – abgesehen vom generell erforderlichen Vorliegen einer wirtschaftlichen Tätigkeit2 – nach Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 1 MwStSystRL Tätigkeiten im Rahmen der öffentlichen Gewalt ausüben oder in diesem Rahmen Umsätze bewirken.3 Darunter sind nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH solche Tätigkeiten zu verstehen, die von den besagten Einrichtungen im Rahmen der ihnen eigenen rechtlichen Regelung ausgeübt werden, wobei solche Tätigkeiten nicht erfasst werden, die die Einrichtung unter den gleichen rechtlichen Bedingun1 EuGH v. 29.10.2015 – C-174/14, ECLI:EU:C:2015:733 Rz. 58, UR 2015, 901 – Saudaçor; EuGH v. 22.2.2018 – C-182/17, ECLI:EU:C:2018:91 Rz. 45, UR 2018, 276 – Nagyszénás. 2 Droege, ZevKR 2018, 57 (63). 3 Zu diesem zwingenden Erfordernis EuGH v. 29.10.2015 – C-174/14, ECLI:EU:C:2015:733 Rz. 51 und Rz. 69, UR 2015, 901 – Saudaçor; EuGH v. 22.2.2018 – C-182/17, ECLI:EU:C:2018:91 Rz. 44 und Rz. 55, UR 2018, 276 – Nagyszénás.

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12.97

Kap. 12 Rz. 12.97 | Besteuerung von Religionsgemeinschaften

gen ausübt wie private Wirtschaftsteilnehmer1. Dem war bereits die jüngere Rechtsprechung des BFH zur richtlinienkonformen Auslegung des § 2 Abs. 3 UStG a.F. gefolgt2. Der Gegenstand oder der Zweck der Tätigkeit sind dabei nach der Rechtsprechung des EuGH grundsätzlich unerheblich; allerdings erlaubt die Tatsache, dass die Ausübung der in Rede stehenden Tätigkeit das Gebrauchmachen von hoheitlichen Befugnissen umfasst, die Feststellung, dass diese Tätigkeit einer öffentlich-rechtlichen Regelung unterliegt3. Insgesamt bedeutet dies, dass die in Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 1 MwStSystRL vorgesehene Befreiung hauptsächlich die von Einrichtungen des öffentlichen Rechts im Rahmen der öffentlichen Gewalt ausgeübten Tätigkeiten betrifft, die, obwohl sie wirtschaftlicher Art sind, eng mit der Ausübung hoheitlicher Befugnisse im Zusammenhang stehen.4

12.98

Der nationale Gesetzgeber hat diese Vorgaben dadurch umgesetzt, dass die juristischen Personen des öffentlichen Rechts nach § 2b Abs. 1 Satz 1 UStG nur dann nicht als Unternehmer gelten, „soweit sie Tätigkeiten ausüben, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen“. Ergänzt wird dies durch § 2b Abs. 1 Satz 2 UStG, wonach die Verneinung der Unternehmereigenschaft dann nicht eingreift, „sofern eine Behandlung als Nichtunternehmer zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde“. Damit entspricht § 2b Abs. 1 UStG den Anforderungen von Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 1 MwStSystRL in der Auslegung durch den EuGH.5

12.99

Legt man die Rechtsprechung des EuGH zugrunde, so ist eine Tätigkeit im Rahmen der öffentlichen Gewalt in jedem Fall zu bejahen, wenn diese Tätigkeit auf einer der Einrichtung des öffentlichen Rechts – bzw. nach nationalem Recht der juristischen Person des öffentlichen Rechts – eigenen rechtlichen Regelung beruht. Die Finanzverwaltung folgert daraus, dass als Tätigkeiten i.S.d. § 2b Abs. 1 Satz 1 UStG nur solche in Betracht kommen, bei denen die juristische Person des öffentlichen Rechts auf Grundlage einer öffentlich-rechtlichen Sonderregelung tätig wird, die sich aus einem Gesetz,6 einer Rechtsverordnung, einer Satzung, aus Staatsverträgen, verfassungsrechtlichen Verträgen, Verwaltungsabkommen, Verwaltungsvereinbarungen, öffentlich-rechtlichen Verträgen sowie aus der kirchenrechtlichen Rechtsetzung7

1 EuGH v. 29.10.2015 – C-174/14, ECLI:EU:C:2015:733 Rz. 70, UR 2015, 901 – Saudaçor; s. dazu auch Hammer, KuR, 2016, 37, der daraus folgert, dass ein „Handeln in den Formen des öffentlichen Rechts“ erforderlich ist; ebenso Rausch in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, 2017, § 19 Rz. 59. 2 BFH v. 20.8.2009 – V R 70/05, BStBl. II 2017, 825; BFH v. 15.4.2010 – V R 10/09, BStBl. II 2017, 863, Rz. 39; BFH v. 17.3.2010 – XI R 17/08, BStBl. II 2017, 828, Rz. 28; BFH v. 15.4.2010 – V R 10/ 09, BStBl. II 2017, 863, Rz. 42; BFH v. 10.11.2011 – V R 41/10, BStBl. II 2017, 869, Rz. 20; BFH v. 1.12.2011 – V R 1/11, BStBl. II 2017, 834, Rz. 18; BFH v. 13.2.2014 – V R 5/13, UR 2014, 566, Rz. 17; BFH v. 10.2.2016 – XI R 26/13, BStBl. II 2017, 857, Rz. 41 ff.; dazu auch Erdbrügger in Wäger, § 2b UStG Rz. 71, der die neuere Rechtsprechung daher auch hinsichtlich der Neuregelung durch § 2b UStG für anwendbar hält. 3 EuGH v. 14.12.2000 – C-446/98, ECLI:EU:C:2000:691, Rz. 17 ff., UR 2001, 108 – Fazenda Pública; EuGH v. 29.10.2015 – C-174/14, ECLI:EU:C:2015:733 Rz. 70, UR 2015, 901 – Saudaçor. 4 EuGH v. 16.9.2008 – C-288/07, ECLI:EU:C:2008:505, Rz. 31, UR 2008, 816 – Isle of Wight Council; EuGH v. 29.10.2015 – C-174/14, ECLI:EU:C:2015:733 Rz. 71, UR 2015, 901 – Saudaçor. 5 So auch Erdbrügger in Wäger, § 2b UStG Rz. 64. 6 Bezogen auf die Religionsgemeinschaften z.B. solche Gesetze, die den Kirchen öffentlich-rechtliche Aufgaben im Bereich des Schul- und Hochschulwesens, des Denkmalschutzes sowie des Meldeund Friedhofswesens zuweisen, dazu Rausch in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, 2017, § 19 Rz. 2 f. 7 Ebenso Scharpenberg in Hartmann/Metzenmacher, § 2b UStG Rz. 7 (Stand: Mai 2016); Meyer in Offerhaus/Söhn/Lange, § 2b UStG Rz. 32 (Stand: Oktober 2017); Ismer in Reiß/Kraeusel/Langer,

908 | Stapperfend

F. Sonderprobleme des Umsatzsteuerrechts | Rz. 12.101 Kap. 12

ergeben kann. Erbringe die juristische Person des öffentlichen Rechts in Umsetzung einer öffentlich-rechtlichen Sonderregelung hingegen Leistungen in privatrechtlicher Handlungsform und damit unter den gleichen rechtlichen Bedingungen wie private Wirtschaftsteilnehmer, würden diese Tätigkeiten gleichwohl nicht von § 2b UStG erfasst.1 Damit stellt die Finanzverwaltung lediglich auf die formale Betrachtung der der Tätigkeit zugrunde liegenden Regelung ab.2 M.E. ist diese lediglich formale Betrachtung nicht sachgerecht und entspricht auch nicht der Rechtsprechung des EuGH.3 Dieser weist nämlich darauf hin, dass die Tatsache, dass die Ausübung der in Rede stehenden Tätigkeit das Gebrauchmachen von hoheitlichen Befugnissen umfasst, die Feststellung erlaubt, dass diese Tätigkeit einer öffentlich-rechtlichen Regelung unterliegt.4 Daraus schlussfolgert er, dass die in Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 1 MwStSystRL vorgesehene Befreiung hauptsächlich die von Einrichtungen des öffentlichen Rechts im Rahmen der öffentlichen Gewalt ausgeübten Tätigkeiten betrifft, die, obwohl sie wirtschaftlicher Art sind, eng mit der Ausübung hoheitlicher Befugnisse im Zusammenhang stehen.5 Das ist aber nicht nur dann der Fall, wenn die Tätigkeit auf einer eigenen rechtlichen Regelung beruht, sondern auch, wenn die Tätigkeit selbst, also in materieller Hinsicht, die Ausübung öffentlicher Gewalt betrifft.

12.100

Da Religionsgemeinschaften keine öffentliche Gewalt im herkömmlichen Sinne ausüben, fallen die Tätigkeiten der Religionsgemeinschaften dann in den Anwendungsbereich von § 2b Abs. 1 UStG, wenn sie den Kernbereich der von den Religionsgemeinschaften zu erfüllenden Aufgaben betreffen.6 Dies betrifft die Seelsorge einschließlich der damit zusammenhängen-

12.101

1

2 3

4 5 6

§ 2b UStG Rz. 10 und Rz. 49 (Stand: Januar 2017); Stadie in Rau/Dürrwächter, § 2b UStG, Rz. 115 (Stand: Oktober 2017), mit dem Hinweis, dass diese nur gegenüber den Mitgliedern wirkt; Hammer, KuR, 2016, 37 (39); Rausch in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, 2017, § 19 Rz. 60 f., für die evangelische Kirche mit den Beispielen der Kirchenverfassungen, der kirchlichen Verwaltungsgesetze, der kirchlichen Verbandsgesetze, die von gewählten Gremien beschlossen und in den kirchlichen Amtsblättern veröffentlicht werden, und für die katholische Kirche mit den Beispielen der bischöflichen Rechtsvorschriften auf der Grundlage des CIC, der diözesanen Vermögensverwaltungsgesetze, Satzungen von Gemeindeverbänden, Stiftungsordnungen sowie Verwaltungsanweisungen, die vom Bischof genehmigt und in Kraft gesetzt und ebenfalls in den kirchlichen Amtsblättern verkündet werden. BMF v. 16.12.2016 – III C 2 - S 7107/16/10001, BStBl. I 2016, 1451, Rz. 6; ebenso BFH v. 3.3.2011 – V R 23/10, BStBl. II 2012, 74; Hüttemann, UR 2017, 129 (130 f.); Droege, ZevKR 2018, 57 (65 f.); Rausch in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, 2017, § 19 Rz. 47 und Rz. 59 ff.; Weber, MwStR 2016, 818 (819), mit folgenden Fallgruppen des öffentlich-rechtlichen Handelns der Kirchen: „hoheitlich und staatlich-beliehene Kirchengewalt im Über-/Unterordnungsverhältnis“, „Verwaltung und Gebrauchmachen des Kirchenguts“, „Selbstbestimmungsrecht und Organisationshoheit (Kooperationen)“. So auch Erdbrügger in Wäger, § 2b UStG Rz. 83. Im Ergebnis ebenso Küffner/Rust, DStR 2014, 2533 (2537), nach deren Auffassung es nicht nur auf die öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Handlungsform ankommen kann; abstellend auf den Inhalt unter indizieller Wirkung der gewählten Vertragsform auch Weber, MwStR 2016, 818 (824); a.A. Erdbrügger in Wäger, § 2b UStG Rz. 83, nach dessen Meinung sich der EuGHRechtsprechung keine eindeutige Antwort entnehmen lässt, ob es für die Ausübung der öffentlichen Gewalt auf formelle oder materielle Aspekte ankommt. EuGH v. 14.12.2000 – C-446/98, ECLI:EU:C:2000:691, Rz. 17 ff., UR 2001, 108 – Fazenda Pública; EuGH v. 29.10.2015 – C-174/14, ECLI:EU:C:2015:733 Rz. 70, UR 2015, 901 – Saudaçor. EuGH v. 16.9.2008 – C-288/07, ECLI:EU:C:2008:505, Rz. 31, UR 2008, 816 – Isle of Wight Council; EuGH v. 29.10.2015 – C-174/14, ECLI:EU:C:2015:733 Rz. 71, UR 2015, 901 – Saudaçor. So auch Hammer, KuR, 2016, 37 (39), unter Hinweis auf BGH v. 24.7.2001 – VI ZB 12/01, BGHZ 148, 307; Weber, MwStR 2016, 818 (823); ähnlich Droege, ZevKR 2018, 57 (67), der von

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Kap. 12 Rz. 12.101 | Besteuerung von Religionsgemeinschaften

den Verwaltungsaufgaben. Erfasst werden damit in erster Linie alle Tätigkeiten, die unmittelbar mit der Seelsorge, Sakramentenspendung und Glaubensverkündigung1 zusammenhängen, wie z.B. das Abhalten von Gottesdiensten, Taufen, Hochzeiten, Beerdigungen.2 Auch der Betrieb eines konfessionellen Friedhofs hängt m.E. unmittelbar mit der Seelsorge zusammen.3 Fallen im Zusammenhang mit den der Seelsorge zuzurechnenden Tätigkeiten Verwaltungsaufgaben an, wie z.B. die Beglaubigung von Urkunden (Tauf- oder Heiratsurkunden), so sind diese als Nebenleistungen ebenfalls dem Kernbereich der von den Religionsgemeinschaften wahrzunehmenden Aufgaben zuzurechnen.

12.102

Nicht zum Kernbereich der von den Religionsgemeinschaften zu erfüllenden Aufgaben gehört als dasjenige, was über die eigentliche Seelsorge hinausgeht, so etwa die (bislang nicht der Umsatzsteuer unterfallende) Vermögensverwaltung, die Veranstaltung von Pfarrfesten, gemeindlichen Faschingsveranstaltungen oder Bällen, selbst wenn diese den Zweck haben, den Zusammenhalt in der jeweiligen Gemeinde zu stärken.4 Auch Kirchenbesichtigungen oder Kirchturmbesteigungen gegen Entgelt gehören nicht zum seelsorgerischen Kernbereich der Religionsgemeinschaften. Gleiches gilt für umsatzsteuerbare und -pflichtige Vermietungen und Verpachtungen, land- und forstwirtschaftliche Betriebe, Brennereien, Brauereien, Gaststätten, Cafés, Beherbergungsbetriebe, Pflege- und Betreuungseinrichtungen und diesbezügliche ambulante Angebote, Wohltätigkeitbasare sowie den Verkauf von Andenken, Devotionalien, Büchern, und zwar jeweils unabhängig davon, ob diese einen religiösen Bezug haben oder nicht.5 Unerheblich ist auch, ob die im Rahmen dieser Betätigungen eingenommenen Entgelte letztendlich der Seelsorge und damit dem Kernbereich der von den Religionsgemeinschaften zu erfüllenden Aufgaben zugutekommen. § 2b Abs. 1 UStG stellt nämlich – ebenso wie Art. 13 MwStSystRL – nicht auf die Mittelverwendung ab, sondern auf die ausgeübte Tätigkeit.

5. Keine größeren Wettbewerbsverzerrungen a) Prüfungsmaßstab

12.103

Ist die von der Religionsgemeinschaft ausgeübte Tätigkeit dem Kernbereich der von ihr zu erfüllenden Aufgaben zuzuordnen, sodass das Tatbestandsmerkmal „Tätigkeiten im Rahmen der öffentlichen Gewalt“ erfüllt ist, so ist die Unternehmerschaft der Religionsgemeinschaft nach § 2b Abs. 1 Satz 2 UStG nur dann zu verneinen, wenn dies nicht zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde. Dies entspricht den Vorgaben des Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 1 MwStSystRL (Rz. 12.97).

1 2 3 4 5

dem den Kirchen „eigentümlichen und vorbehaltenen Bereich“ spricht sowie Küffner/Rust, DStR 2014, 2533 (2539), zum „besonderen Auftrag der Kirchen“; s. dazu auch Stadie in Rau/Dürrwächter, § 2b UStG, Rz. 115 (Stand: Oktober 2017), der aus dem Umstand, dass die Religionsgemeinschaften keine Tätigkeiten ausüben, die ihnen „im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen“ folgert, dass diese grundsätzlich nicht unter § 2b UStG fallen und etwas anderes allenfalls gelten könne, soweit sie im Innenbereich gegenüber den Mitgliedern tätig würden, dies aber dahinstehen könne, weil in diesem Bereich jedenfalls keine größeren Wettbewerbsverzerrungen möglich sein dürften. Weber, MwStR 2016, 818 (823); Küffner/Rust, DStR 2014, 2533 (2539). Hammer, KuR, 2016, 37 (40); zu weiteren Beispielen s. das ABC unter Rz. 12.120. Ebenso Weber, MwStR 2016, 818 (826); zu insoweit eventuell auftretenden Wettbewerbsverzerrungen s. Rz. 12.110 und Rz. 12.120 „Friedhöfe“. So auch Janzen in Lippros/Seibel, § 2b UStG Rz. 11 (Stand: Juni 2020) und Droege, ZevKR 2018, 57 (68), zum Frühschoppen; a.A. Weber, MwStR 2016, 818 (826). Zu weiteren Beispielen s. das ABC unter Rz. 12.120.

910 | Stapperfend

F. Sonderprobleme des Umsatzsteuerrechts | Rz. 12.106 Kap. 12

Problematisch ist die Formulierung des § 2b Abs. 1 Satz 2 UStG insofern, als die Verneinung der Unternehmereigenschaft dann nicht gilt, „sofern eine Behandlung als Nichtunternehmer zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde“. Damit stellt der Wortlaut im Rahmen des Grundsatzes der Unternehmenseinheit (Rz. 5.114). auf die Gesamtbetätigung der juristischen Person des öffentlichen Rechts ab. Darauf kann es aber nicht ankommen, wenn die juristische Person des öffentlichen Rechts verschiedene unternehmerische Tätigkeiten in Gestalt von Umsätzen ausübt, die ihr im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen. In diesem Fall ist – worauf Stadie1 zutreffend hinweist – bezüglich jeder einzelnen Tätigkeit danach zu fragen, ob größere Wettbewerbsverzerrungen eintreten oder nicht.2

12.104

b) Begriff des Wettbewerbs Verzerrungen des Wettbewerbs können nur stattfinden, wenn Wettbewerb besteht. Dafür reicht es aus, dass die von einer juristischen Person des öffentlichen Rechts auf öffentlichrechtlicher Grundlage erbrachte Leistung gleicher Art im Rahmen eines potentiellen Wettbewerbs auch von einem privaten Unternehmer erbracht werden könnte.3 Dadurch, dass die Leistung der juristischen Person des öffentlichen Rechts nicht der Umsatzsteuer unterfällt, tritt eine Ungleichbehandlung ein,4 die zu der Vermutung führt, dass eine Wettbewerbsverzerrung besteht.5 Unerheblich für die Beurteilung der Wettbewerbssituation ist allerdings, ob die juristische Person des öffentlichen Rechts ihre Leistungen zum gleichen Preis wie steuerpflichtige private Wettbewerber anbietet.6 Kein Wettbewerb besteht, wenn auf dem Markt ein Marktzugang privater Unternehmer ausnahmsweise nicht möglich ist.7

12.105

c) Wettbewerb zwischen Religionsgemeinschaften und anderen Unternehmern Soweit Religionsgemeinschaften im Rahmen ihrer Kernaufgaben tätig werden, besteht m.E. keine Wettbewerbssituation, weil private Unternehmer in aller Regel insoweit keine „Marktzugang“ haben. Dies gilt auch im Verhältnis zu freien Hochzeits- und Trauerrednern sowie den Veranstaltern von Jugendweihen, die im Verhältnis zu den Religionsgemeinschaften nämlich gerade keine Leistungen gleicher Art erbringen. Kernelement der Tätigkeiten der Religionsgemeinschaften ist bei Hochzeiten und Beerdigungen ebenso wie bei Taufen, der Kommunion, Konfirmation oder Firmung ein liturgischer Dienst in Gestalt eines Gottesdienstes, in dessen Rahmen es in den genannten Fällen zum Teil zur Spende eines Sakraments kommt. So geht es bei der Taufe um die Aufnahme in die Gemeinschaft der Gläubigen, bei der Kommunion, Konfirmation oder Firmung um die eigenständige Bekräftigung des Glaubens, bei 1 Stadie in Rau/Dürrwächter, § 2b UStG, Rz. 196 (Stand: Oktober 2017). 2 Droege, ZevKR 2018, 57 (67 f.). 3 BMF v. 16.12.2016 – III C 2 - S 7107/16/10001, BStBl. I 2016, 1451, Rz. 23; zum ausreichenden potentiellen Wettbewerb auch Treiber in Sölch/Ringleb, § 2b UStG Rz. 52 (Stand: Oktober 2020); Rausch in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, 2017, § 19 Rz. 67. 4 Treiber in Sölch/Ringleb, § 2b UStG Rz. 51 (Stand: Oktober 2020). 5 OFD Niedersachsen v. 19.5.2020, USt-Kartei ND § 2b UStG S 7107 Karte 10; allgemeiner BMF v. 16.12.2016, BStBl. I 16, 1451, Tz 30; s. auch BMF v. 14.11.2019, BStBl. I 19, 1140, zu § 2b Abs. 3 Nr. 2. 6 BFH v. 1.12.2011 – V R 1/11, BStBl. II 2017, 834, Rz 27; Scharpenberg in Hartmann/Metzenmacher, § 2b UStG Rz. 13 (Stand: Mai 2016); Treiber in Sölch/Ringleb, § 2b UStG Rz. 51 (Stand: Oktober 2020). 7 BFH v. 10.2.2016 – XI R 26/13, BStBl. II 2017, 857, Rz. 36 ff.; Treiber in Sölch/Ringleb, § 2b UStG Rz. 53 (Stand: Oktober 2020).

Stapperfend | 911

12.106

Kap. 12 Rz. 12.106 | Besteuerung von Religionsgemeinschaften

der Hochzeit um die Segnung der ehelichen Lebensgemeinschaft und bei der Beerdigung um die Aussegnung des Verstorbenen. Ähnliches gilt auch für die entsprechenden Feierlichkeiten von nichtchristlichen Religionsgemeinschaften. All diese Handlungen sind privaten Unternehmern verwehrt. Bei den Hochzeits- und Trauerrednern geht es gerade nicht um den religiösen Hintergrund, sondern (lediglich) um eine würdige Zeremonie, die zwar auch im Rahmen von religiösen Hochzeiten und Trauerfeiern eine Rolle spielt, aber – wie ausgeführt – nicht das Kernelement bildet. Gleiches gilt für Jugendweihen, die den Übergang vom Jugend- ins Erwachsenenalter initiieren sollen und damit mit dem inhaltlichen Kern einer Kommunion, Konfirmation oder Firmung weder identisch noch vergleichbar sind. Aus diesem Grunde besteht bei Tätigkeiten von Religionsgemeinschaften im Rahmen eines liturgischen Dienstes kein Wettbewerb zu privaten Unternehmern.

12.107

Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn die Religionsgemeinschaft zwar im Rahmen des ihr obliegenden Kernbereichs, aber außerhalb eines liturgischen Dienstes tätig wird, wie z.B. beim Betrieb eines Friedhofs (Rz. 12.101). Damit § 2b Abs. 1 Satz 1 UStG zur Anwendung gelangt, ist zunächst erforderlich, dass der Friedhof in öffentlich-rechtlicher Handlungsform betrieben wird, was wiederum voraussetzt, dass die Rechtsbeziehungen zu den Leistungsempfängern auf einer öffentlich-rechtlichen Satzung und gerade nicht auf privatrechtlichen Vereinbarungen beruhen. Ist dies der Fall, so kann gleichwohl eine Wettbewerbssituation bestehen, allerdings in der Regel – soweit die landesgesetzlichen Vorschriften nur ein öffentlich-rechtliches Bestattungswesen zulassen – nur zu anderen Religionsgemeinschaften oder zur Kommune, sodass Wettbewerbsverzerrungen nur dann eintreten, wenn die diesbezüglichen Umsätze bei diesen der Umsatzsteuer unterfallen1 und nicht etwa von dieser befreit sind (dazu Rz. 12.110 und Rz. 5.143).2

12.108

Abgesehen davon besteht eine Wettbewerbssituation regelmäßig auch hinsichtlich derjenigen Betätigungen, die nicht zum Kernbereich der von den Religionsgemeinschaften zu erfüllenden Aufgaben gehören (Rz. 12.102). Da § 2b Abs. 1 Satz 1 UStG insoweit allerdings nicht eingreift, weil ihre Religionsgemeinschaften diese Tätigkeiten nicht im Rahmen der ihnen obliegenden öffentlichen Gewalt ausüben, kommt es auf potentielle Wettbewerbsverzerrungen nicht an. Die Religionsgemeinschaften sind insoweit bereits nach § 2b Abs. 1 Satz 1 UStG als Unternehmer anzusehen. d) Bagatellgrenze des § 2b Abs. 2 Nr. 1 UStG

12.109

Besteht ein Wettbewerb zu anderweitigen Unternehmern, so liegen nach der gesetzlichen Fiktion des § 2b Abs. 2 Nr. 1 UStG dann keine größeren Wettbewerbsverzerrungen vor, wenn der im Kalenderjahr aus gleichartigen Tätigkeiten erzielte Umsatz 17.500 € jeweils nicht übersteigt (Bagatellgrenze).3 Gleichartig sind die Tätigkeiten dabei dann, wenn sie aus der Sicht eines Durchschnittsverbrauchers dieselben Bedürfnisse befriedigen,4 was im Ergebnis erfor1 Zur Maßgeblichkeit der Steuerpflicht der Umsätze der potentiellen Wettbewerber auch Treiber in Sölch/Ringleb, § 2b UStG Rz. 53 (Stand: Oktober 2020). 2 S. zu Einzelheiten auch die z.B. von einzelnen Bistümern herausgegebenen Handreichungen zur Umsatzbesteuerung im Bereich des kirchlichen Friedhofs- und Bestattungswesens, wie etwa diejenige des Erzbistums Paderborn. 3 Zur Abweichung dieser Grenze von der früher von der Finanzverwaltung anerkannten und nunmehr weggefallenen Grenze von 30.678 € s. Küffner/Rust, DStR 2014, 2533 (2536); Schulte, KuR 2016, 89 (91). 4 BMF v. 16.12.2016 – III C 2 - S 7107/16/10001, BStBl. I 2016, 1451 Rz. 36 f.; Rausch in Hidien/ Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, 2017, § 19 Rz. 74, zu Umsätzen aus verschiedenen Bazaren.

912 | Stapperfend

F. Sonderprobleme des Umsatzsteuerrechts | Rz. 12.110 Kap. 12

dert, dass die Tätigkeiten der juristischen Person des öffentlichen Rechts und diejenigen des anderen Unternehmers in einem potentiellen Wettbewerb zueinander stehen.1 Liegt dieser im Rahmen eines (potentiellen) Wettbewerbs erzielte Bruttogesamtumsatz2 der juristischen Person des öffentlichen Rechts einschließlich der Umsätze ihrer einzelnen Organisationseinheiten3 im Rahmen einer Prognose („voraussichtlich“) nicht höher als 17.500 €, so bleibt es trotz des Wettbewerbs bei der Verneinung der Unternehmereigenschaft. e) Steuerfreie Umsätze nach § 2b Abs. 2 Nr. 2 UStG Keine größeren Wettbewerbsverzerrungen liegen nach der weiteren gesetzlichen Fiktion des § 2b Abs. 2 Nr. 2 UStG vor, wenn vergleichbare, auf privatrechtlicher Grundlage erbrachte Leistungen ohne Recht auf Verzicht (§ 9 UStG) einer Steuerbefreiung unterliegen. Damit bleibt es bei steuerfreien Umsätzen, für die kein Optionsrecht nach § 9 UStG besteht, trotz des Bestehens einer Wettbewerbssituation bei der Verneinung der Unternehmereigenschaft der juristischen Person des öffentlichen Rechts. Insoweit ist jeweils im Einzelfall zu prüfen ist, ob eine Steuerbefreiung nach § 4 UStG eingreift und eine Option nach § 9 UStG ausgeschlossen ist. Für Religionsgemeinschaften hat dies insbesondere für aufgrund öffentlich-rechtlicher Satzungen (Rz. 12.107) betriebene Friedhöfe Bedeutung. Bezieht sich die Einräumung von Grabnutzungsberechtigungen, Liegerechten und Rechten zur Beisetzung eines Sarges oder einer Urne unter Ausschluss Dritter auf eine räumlich abgrenzbare individualisierte Parzelle, ist dies bei Leistungserbringung durch private Anbieter4 als Vermietung von Grundstücken nach § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG umsatzsteuerfrei.5 Da die Einräumung dieser Rechte stets für nichtunternehmerische Zwecke des Leistungsempfängers erfolgt, scheidet ein Verzicht auf die Steuerbefreiung nach § 9 Abs. 1 UStG aus, sodass § 2b Abs. 1 Satz 2 UStG eingreift und die den Umsatz tätigende Religionsgemeinschaft nach § 2b Abs. 1 Satz 1 UStG nicht Unternehmerin ist.6 Das gilt aber nicht, wenn keine individualisierte Parzelle überlassen, sondern lediglich das Recht eingeräumt wird, im Wurzelbereich von als Ruhehainbäumen registrierten Bäumen oder auch auf nicht individualisierten Grabfeldern eine Urne beizusetzen und die Ruhestätte als Gedenkstätte im Rahmen der Friedhofssatzung zu nutzen. Mangels Individualisierung greift die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchstabe a UStG bei privaten Anbietern nicht ein.7 Damit scheidet auch eine Anwendung von § 2b Abs. 2 Nr. 2 UStG aus, sodass bei bestehender Wettbewerbssituation und Überschreiten der Wertgrenze des § 2b Abs. 2 Nr. 1 UStG eine Unternehmereigenschaft der Religionsgemeinschaft besteht (Rz. 5.142 f.; zu Friedhofs- und Bestattungsleistungen Rz. 12.120 unter „Friedhöfe“).8

1 Hierauf abstellend Treiber in Sölch/Ringleb, § 2b UStG Rz. 61 (Stand: Oktober 2020). 2 Zur Maßgeblichkeit des Bruttoumsatzes s. Hüttemann, UR 2017, 129 (133); s. auch Küffner/Rust, DStR 2014, 2533 (2536): Wegfall der früher bestehenden Möglichkeit, die Grenze für jeden einzelnen Betrieb gewerblicher Art anzuwenden. 3 BMF v. 16.12.2016 – III C 2 - S 7107/16/10001, BStBl. I 2016, 1451 Rz. 36; Treiber in Sölch/Ringleb, § 2b UStG Rz. 66 (Stand: Oktober 2020). 4 Die Zulässigkeit richtet sich nach Landesrecht, s. auch BMF v. 23.11.2020 – III C 2 - S 7107/19/ 10004 :008, BStBl. I 2020, 1335 Rz. 4. 5 BFH v. 21.6.2017 – V R 3/17, BStBl. II 2018, 372. 6 BMF v. 23.11.2020 – III C 2 - S 7107/19/10004 :008, BStBl. I 2020, 1335. 7 BFH v. 21.6.2017 – V R 4/17, BStBl. II 2018, 370. 8 BMF v. 23.11.2020 – III C 2 - S 7107/19/10004 :008, BStBl. I 2020, 1335; s. insgesamt auch die Handreichung des Erzbistums Paderborn zur Umsatzbesteuerung im Bereich des kirchlichen Friedhofs- und Bestattungswesens, 10.

Stapperfend | 913

12.110

Kap. 12 Rz. 12.111 | Besteuerung von Religionsgemeinschaften

f) Zusammenarbeit von Religionsgemeinschaften nach § 2b Abs. 3 UStG

12.111

Nach der weiteren gesetzlichen Fiktion des § 2b Abs. 3 UStG liegen auch dann keine größeren Wettbewerbsverzerrungen vor, wenn eine juristische Person des öffentlichen Rechts eine Leistung an eine andere juristische Person des öffentlichen Rechts ausführt und zudem die in Nr. 1–3 genannten Voraussetzungen vorliegen (ausführlich Rz. 5.146 ff.). § 2b Abs. 3 erfasst dabei insbesondere die Zusammenarbeit von juristischen Personen des öffentlichen Rechts und hat deshalb als lex specialis Vorrang vor § 2b Abs. 2 UStG.1 § 2b Abs. 3 UStG erfasst auch die Zusammenarbeit von Religionsgemeinschaften.2 Zu nennen ist in diesem Zusammenhang z.B. die Unterstützung der Kirchengemeinden und Pfarreien durch die Diözesen, Landeskirchen oder Gemeindeverbände, etwa durch die Übernahme von Verwaltungsaufgaben (z.B. einer Friedhofsverwaltung), IT-Dienstleistungen (z.B. bei der Erstellung von Kirchensteuerbescheiden, Gehaltsabrechnungen oder der Pflege und Wartung von Software und Anlagen) oder anderen Tätigkeiten (z.B. Bauplanungen und -betreuungen), die Gestellung von Personal oder Sachwerten, wie Gebäuden (z.B. im Bereich der Priesterausbildung) sowie die Verwaltung von Kindertagesstätten, Familienzentren oder diakonischen und karitativen Einrichtungen.3 Als Formen kirchlicher Kooperationen kommen dabei verschiedene Varianten in Betracht. So kann hierfür entweder eine eigenständige juristische Person des öffentlichen Rechts geschaffen werden oder es wird eine zentrale Stelle festgelegt, die als führende juristische Person des öffentlichen Rechts die Aufgaben für die anderen juristischen Personen des öffentlichen Rechts wahrnimmt oder die Kooperation beruht auf einem Vertrag, der die Einzelheiten der Zusammenarbeit regelt.4 Wird die handelnde juristische Person des öffentlichen Rechts für eine andere juristische Person gegenüber Dritten tätig, so muss die Tätigkeit wiederum im Rahmen der öffentlichen Gewalt erfolgen.5

12.112

§ 2b Abs. 3 Nr. 1 UStG schließt größere Wettbewerbsverzerrungen für von juristischen Personen des öffentlichen Rechts an andere juristische Personen des öffentlichen Rechts erbrachte Leistungen dann aus, wenn diese aufgrund gesetzlicher Bestimmungen nur von juristischen Person des öffentlichen Rechts erbracht werden dürfen (zur rein deklaratorischen Bedeutung dieser Regelung Rz. 5.148).6 Zu diesen gesetzlichen Bestimmungen gehören auch die

1 Rausch in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, 2017, § 19 Rz. 102; a.A. Sterzinger, SteuK 2016, 1 (3), im Hinblick auf die in § 2 Abs. 3 UStG nicht vorhandene Umsatzgrenze. 2 So auch ausdrücklich die Beschlussempfehlung und der Bericht des Finanzausschusses v. 23.9.2015, BT-Drucks. 18/6094, 91; Korn in Bunjes20, § 2b UStG Rz. 43; Scharpenberg in Hartmann/Metzenmacher, § 2b UStG Rz. 25 (Stand: Mai 2016); Meyer in Offerhaus/Söhn/Lange, § 2b UStG Rz. 11 (Stand: Oktober 2017); Stadie in Rau/Dürrwächter, § 2b UStG Rz. 32 (Stand: Oktober 2017); Ismer in Reiß/Kraeusel/Langer, § 2b UStG Rz. 96 (Stand: Januar 2017); Erdbrügger in Wäger, § 2b UStG Rz. 149; a.A. Stadie in Rau/Dürrwächter, § 2b UStG, Rz. 334 (Stand: Oktober 2017), weil es bei Religionsgemeinschaften nach seiner Auffassung bereits an der Ausübung öffentlicher Gewalt fehlt; s. auch Küffner/Rust, DStR 2014, 2533 (2538), die auf die Schwierigkeiten kirchlicher Rechtsträger hinweisen, Kooperationsverträge als öffentlich-rechtliche Verträge auszugestalten, die nach der bisherigen Auffassung von Finanzverwaltung und BFH-Rechtsprechung zu § 2 Abs. 3 UStG aF allein zum einer Ausübung öffentlicher Gewalt führen; Rz. 12.100. 3 Mit diesen und weiteren Beispielen Küffner/Rust, DStR 2014, 2533 (2534); Rausch in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, 2017 § 19 Rz. 89. 4 S. zu den einzelnen Möglichkeiten Rausch in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, 2017, § 19 Rz. 82 ff. 5 Rausch in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, 2017, § 19 Rz. 79 ff. 6 Sogenanntes öffentlich-rechtliches Monopol, s. dazu Droege, ZevKR 2018, 57 (70).

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F. Sonderprobleme des Umsatzsteuerrechts | Rz. 12.113 Kap. 12

Rechtsetzungsakte der Kirchen.1 So kann z.B. der (Erz-)Bischof oder die gesetzgebende Instanz einer Landeskirche eine Zusammenarbeit gesetzlich anordnen und regeln.2 Sehen diese Regelungen vor, dass eine bestimmte Leistung ausschließlich von einer Religionsgemeinschaft erbracht werden kann, so bestehen nach § 2b Abs. 3 Nr. 1 UStG keine größeren Wettbewerbsverzerrungen, sodass die Religionsgemeinschaft für die erbrachte Leistung nicht als Unternehmerin anzusehen ist. Das ist der Fall, wenn der (Erz-)Bischof oder die Landeskirche bestimmen, dass eine kirchliche juristische Person des öffentlichen Rechts zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben ausschließlich Leistungen von einer anderen juristischen Person des öffentlichen Rechts in Anspruch nehmen und gerade keine privaten Unternehmer beauftragen darf (z.B. hinsichtlich der ausschließlichen kostenpflichtigen Inanspruchnahme des kirchlichen Datenschutzbeauftragten des Bistums oder der Landeskirche).3 Damit § 2b Abs. 3 Nr. 1 UStG zur Anwendung gelangt, muss die Regelung allerdings eindeutig sein und darf keine Wahlmöglichkeit einräumen.4 Nicht ausreichend ist daher u.a. eine kirchenrechtliche Regelung, die nur ein allgemein gehaltenes Kooperationsgebot beinhaltet, welches anschließend durch Vereinbarungen oder die tatsächliche Verwaltungspraxis ausgefüllt werden muss. Angesichts der Wirkung der Rechtssetzungsakte der Kirchen betrifft § 2b Abs. 3 Nr. 1 UStG damit im Ergebnis nur Leistungen gegenüber den Mitgliedern oder anderen kirchlichen Verwaltungseinheiten im Rahmen einer innerkirchlichen Kooperation, die von § 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG aber gesondert geregelt werden.5 § 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG schließt größere Wettbewerbsverzerrungen für von juristischen Personen des öffentlichen Rechts an andere juristische Person des öffentlichen Rechts erbrachte Leistungen ferner dann aus, wenn die Zusammenarbeit durch gemeinsame spezifische öffentliche Interessen6 bestimmt wird.7 Das ist nach § 2b Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 UStG insbesondere dann der Fall, wenn alle unter Buchst. a bis d genannten Voraussetzungen erfüllt sind,8 wo-

1 BMF v. 16.12.2016 – III C 2 - S 7107/16/10001, BStBl. I 2016, 1451, Rz. 42; Meyer in Offerhaus/ Söhn/Lange, § 2b UStG Rz. 48 (Stand: Oktober 2017); Erdbrügger in Wäger, § 2b UStG Rz. 142; Küffner/Rust, DStR 2014, 2533 (2536). 2 Arbeitshilfe Nr. 298 der Arbeitsgruppe Umsatzsteuer des Verbandes der Diözesen Deutschlands, 2018, 14; Handreichung zu Umsatzsteuerpflichten kirchlicher juristischer Personen des öffentlichen Rechts gemäß § 2b UStG ab 1. Januar 2023, erarbeitet von der ökumenischen Arbeitsgruppe Umsatzsteuer des Verbandes der Diözesen Deutschlands und der EKD, 18. 3 Arbeitshilfe Nr. 298 der Arbeitsgruppe Umsatzsteuer des Verbandes der Diözesen Deutschlands, 2018, 14 f.; Handreichung zu Umsatzsteuerpflichten kirchlicher juristischer Personen des öffentlichen Rechts gemäß § 2b UStG ab 1. Januar 2023, erarbeitet von der ökumenischen Arbeitsgruppe Umsatzsteuer des Verbandes der Diözesen Deutschlands und der EKD, 18. 4 Arbeitshilfe Nr. 298 der Arbeitsgruppe Umsatzsteuer des Verbandes der Diözesen Deutschlands, 2018, 14; Handreichung zu Umsatzsteuerpflichten kirchlicher juristischer Personen des öffentlichen Rechts gemäß § 2b UStG ab 1. Januar 2023, erarbeitet von der ökumenischen Arbeitsgruppe Umsatzsteuer des Verbandes der Diözesen Deutschlands und der EKD, 18; zu einem Muster für ein Gesetz über die Zusammenarbeit kirchlicher juristischer Personen s. Arbeitshilfe Nr. 298, a.a.O., 88 und Handreichung zu Umsatzsteuerpflichten kirchlicher juristischer Personen des öffentlichen Rechts, a.a.O., 129. 5 Droege, ZevKR 2018, 57 (70); zur Verwaltung der Daten von Kirchenmitgliedern s. Rausch in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, 2017, § 19 Rz. 91. 6 Zur bei einer kirchlichen Zusammenarbeit in der Regel vorliegenden Erfüllung dieses Merkmals s. Droege, ZevKR 2018, 57 (73). 7 Zu Zweifeln an der Vereinbarkeit der Norm mit Art. 13 MwStSystRL s. Droege, ZevKR 2018, 57 (75). 8 Rausch in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, 2017, § 19 Rz. 94.

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12.113

Kap. 12 Rz. 12.113 | Besteuerung von Religionsgemeinschaften

bei die Verwendung des Wortes „insbesondere“ darauf hindeutet, dass die Aufzählung nicht abschließend ist, sodass auch andere Fallkonstellationen denkbar sind, bei denen bei einer Zusammenarbeit von juristischen Personen des öffentlichen Rechts keine Wettbewerbsverzerrungen entstehen.1 Als in der Praxis problematisch erweist sich bei der Anwendung von § 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG allerdings die von der Finanzverwaltung vertretene Auffassung. Danach handelt es sich bei der genannten Norm um ein Regelbeispiel, sodass bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen die Vermutung besteht, dass keine größeren Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten privater Dritter vorliegen. Um eine unionsrechtskonforme Anwendung des § 2b UStG sicherzustellen, soll es jedoch erforderlich sein, auch dann, wenn die Voraussetzungen des Regelbeispiels gegeben sind, in eine gesonderte Prüfung auf mögliche schädliche Wettbewerbsverzerrungen nach § 2b Abs. 1 Satz 2 UStG einzutreten und insbesondere zu prüfen, ob private Unternehmer potenziell in der Lage sind, vergleichbare Leistungen wie die öffentliche Hand zu erbringen. Ergebe sich dabei, dass die Nichtbesteuerung von Leistungen im Rahmen der Zusammenarbeit von juristischen Personen des öffentlichen Rechts zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde, sei die Regelvermutung des § 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG widerlegt.2 Diese Auslegung widerspricht m.E. dem klaren Wortlaut des § 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG, der die Grenze für jegliche Auslegung darstellt.

12.114

§ 2b Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a UStG fordert zunächst, dass die Leistungen auf langfristigen öffentlich-rechtlichen Vereinbarungen beruhen. Hierunter fallen Vereinbarungen, die die Religionsgemeinschaften analog § 54 VwVfG abschließen und die im Amtsblatt oder einem anderen amtlichen Verkündungsblatt veröffentlicht werden.3 Was unter dem Begriff der Langfristigkeit zu verstehen ist, sagt das Gesetz nicht. Eine mehrjährige Zusammenarbeit reicht aber in jedem Fall aus.4

12.115

Ferner müssen die Leistungen nach § 2b Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. b UStG dem Erhalt der öffentlichen Infrastruktur und der Wahrnehmung einer allen Beteiligten obliegenden öffentlichen Aufgabe dienen. Nach Auffassung der Finanzverwaltung sind als öffentliche Infrastruktur bei kirchlichen juristischen Personen des öffentlichen Rechts insbesondere die Verkündigung und Seelsorge sowie die dafür genutzten öffentlichen Sachen, so neben Kirchen und Kapellen z.B. auf Kirchengrundstücken befindliche Pfarrgebäude (Pastorat) und Gemeindehäuser, anzusehen.5 Das hat zur Folge, dass Leistungen im Rahmen einer Zusammenarbeit von Religionsgemeinschaften, die diesen Bereich betrifft, zu keinen größeren Wettbewerbsverzerrungen führen, sodass die leistende Religionsgemeinschaft insoweit nicht als Unternehmerin anzusehen ist. Demgegenüber seien bei Leistungsvereinbarungen über verwaltungsunterstützende Hilfstätigkeiten regelmäßig bereits die Voraussetzungen des § 2b Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. b UStG nicht gegeben, weil sie ohne weiteres auch von privaten Unternehmern erbracht werden könnten und mithin keine spezifisch öffentlichen Interessen erfüllten. Derartige Leistungen seien steuerbar, wozu u.a. Leistungen gehörten, die auf die Gebäudereinigung, 1 2 3 4

Rausch in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, 2017, § 19 Rz. 101. BMF v. 14.11.2019 – III C 2 - S 7107/19/10005:011, BStBl. I 2019, 1140. Rausch in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, 2017, § 19 Rz. 95. M.E. zu weitgehend Rausch in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, 2017, § 19 Rz. 96, der eine mindestens fünfjährige Zusammenarbeit fordert, die nicht mit kurzfristiger Auflösungsmöglichkeit gekündigt werden kann. 5 BMF v. 16.12.2016 – III C 2 - S 7107/16/10001, BStBl. I 2016, 1451, Rz. 48; gl.A. Erdbrügger in Wäger, § 2b UStG Rz. 173; zum Ausfluss der Regelung aus dem verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungs- und Selbstverwaltungsrecht s. Rausch in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, 2017, § 19 Rz. 97.

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F. Sonderprobleme des Umsatzsteuerrechts | Rz. 12.118 Kap. 12

Grünpflegearbeiten, Neubau- und Sanierungsmaßnahmen an Straßen und Gebäuden sowie auf unterstützende IT-Dienstleistungen beschränkt seien.1 Bezogen auf die Verkündigung und Seelsorge wendet Stadie2 gegen die Sichtweise der Finanzverwaltung ein, dass Voraussetzung des § 2b Abs. 3 UStG sei, dass es sich um Leistungen auf öffentlich-rechtlicher Grundlage handele und größere Wettbewerbsverzerrungen denkbar seien. Bei Leistungen einer Kirchengemeinde o.ä. gegenüber einer anderen kirchlichen juristischen Person des öffentlichen Rechts auf dem Gebiet der Verkündigung und der Seelsorge seien indes keine Wettbewerbsverzerrungen vorstellbar. Leistungen im Zusammenhang mit dem Erhalt der kirchlichen Gebäude seien privatrechtliche Leistungen und fielen schon nicht unter § 2b UStG. Ob diese Kritik zutrifft, kann letztendlich dahinstehen, weil auch nach der von Stadie vertretenen Auffassung keine Umsatzsteuerbarkeit der betreffenden Umsätze vorliegt. Weiter ist nach § 2b Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. c UStG erforderlich, dass die Leistungen ausschließlich gegen Kostenerstattung erbracht werden. Die Zusammenarbeit darf nicht zu Finanztransfers zwischen den beteiligten juristischen Personen des öffentlichen Rechts führen, die über eine (gegebenenfalls anteilige) Kostenerstattung hinausgehen, weil die juristischen Personen des öffentlichen Rechts bei einer gewinnorientierten Kalkulation ihre Leistungen unter vergleichbaren Bedingungen wie private Unternehmer erbringen.3 Bei der Kostenerstattung sind fixe und variable Kosten (wie z.B. für Personal, Mieten und Abschreibungen, aber ohne Zinsen und Rücklagen) einzubeziehen.4

12.116

Schließlich ist nach § 2b Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. d UStG weiter notwendig, dass der Leistende gleichartige Leistungen im Wesentlichen an andere juristische Personen des öffentlichen Rechts erbringt. Dafür reicht es aufgrund der Gleichartigkeit aus, wenn eine Kirchengemeinde aus dem Spektrum der den Kirchengemeinden obliegenden Verwaltungsaufgaben Tätigkeiten für andere Kirchengemeinden ausführt, ohne dass es sich dabei um jeweils identische Aufgaben handeln muss (z.B. Wahrnehmung von Datenschutzaufgaben für Gemeinde A und Wahrnehmung von IT-Betreuung für Gemeinde B).5 „Im Wesentlichen“ werden Leistungen an andere juristische Personen des öffentlichen Rechts erbracht, wenn die leistende juristische Person des öffentlichen Rechts in dem fraglichen Tätigkeitsbereich mehr als 80 % der Leistungen an andere juristische Personen des öffentlichen Rechts erbringt.6

12.117

6. Entgelt für nach § 2b UStG steuerbare Leistungen der Religionsgemeinschaften Sofern die Religionsgemeinschaften nach § 2b UStG als Unternehmer für die von ihnen erbrachten Leistungen anzusehen sind, weil diese Leistungen entweder nicht den Kernbereich der den Religionsgemeinschaften zugewiesenen Aufgaben betreffen (Rz. 12.99 ff.) oder diesen zwar betreffen, aber zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen (Rz. 12.103 ff.), so sind die betreffenden Umsätze ferner nur dann umsatzsteuerbar, wenn sie i.S.v. § 1 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. 1 BMF v. 14.11.2019 – III C 2 - S 7107/19/10005:011, BStBl. I 2019, 1140. 2 Stadie in Rau/Dürrwächter, § 2b UStG, Rz. 362 (Stand: Oktober 2017). 3 BMF v. 16.12.2016 – III C 2 - S 7107/16/10001, BStBl. I 2016, 1451, Rz. 51; zur Schädlichkeit von selbst geringen Gewinnaufschlägen s. Rausch in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, 2017, § 19 Rz. 99. 4 BMF v. 16.12.2016 – III C 2 - S 7107/16/10001, BStBl. I 2016, 1451, Rz. 51. 5 So im Ergebnis auch Rausch in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, 2017, § 19 Rz. 100. 6 BMF v. 16.12.2016 – III C 2 - S 7107/16/10001, BStBl. I 2016, 1451, Rz. 54.

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12.118

Kap. 12 Rz. 12.118 | Besteuerung von Religionsgemeinschaften

§ 10 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 UStG gegen Entgelt erfolgt sind. Entgelt ist nach § 10 Abs. 1 Satz 2 UStG alles, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der leistende Unternehmer vom Leistungsempfänger oder von einem anderen als den Leistungsempfänger für die Leistung erhält oder erhalten soll. Dies setzt zum einen voraus, dass zwischen dem Leistenden (der Religionsgemeinschaft) und dem Leistungsempfänger ein Rechtsverhältnis besteht und dass zum anderen das erhaltene Entgelt unmittelbar mit der aufgrund des Rechtsverhältnisses erbrachten Leistung zusammenhängt und somit die tatsächliche Gegenleistung für eine bestimmbare Leistung bildet.1

12.119

Erhalten die Religionsgemeinschaften für ihre Leistungen Gegenleistungen, so ist der Entgeltcharakter unproblematisch immer dann zu bejahen, wenn die Religionsgemeinschaft mit dem Leistungsempfänger einen konkreten Preis hierfür vereinbart haben. § 2b Abs. 1 Satz 1 erwähnt in diesem Zusammenhang Zölle, Gebühren, Beiträge oder sonstige Abgaben. Hierüber hinaus werden aber auch alle sonstigen konkret vereinbarten Gegenleistungen in Geld oder Geldeswert erfasst. In vielen Fällen fehlt es aber an derart konkreten Preisvereinbarungen, weil die Religionsgemeinschaften ihre Leistungen grundsätzlich kostenfrei erbringen, wie z.B. auch bei Taufen, Hochzeiten oder Beerdigungen. Zahlt der Leistungsempfänger in diesen Fällen gleichwohl einen in seinem Ermessen stehenden Geldbetrag z.B. als Spende an die Religionsgemeinschaft, so kann es sich dabei ebenfalls um ein der Umsatzsteuer zu unterwerfendes Entgelt handeln. Keine Spende, sondern ein Entgelt für einen i.d.R. steuerbaren und steuerpflichtigen Leistungsaustausch liegt nach bislang h.M. nämlich vor, wenn zwischen einer Geldzahlung und einer erbrachten Leistung ein unmittelbarer Zusammenhang besteht, selbst wenn die Zahlung freiwillig erfolgt und die Leistung und die Gegenleistung nicht gleichwertig sind.2 Zu berücksichtigen ist in diesen Fällen jedoch, dass der EuGH – und dem inzwischen folgend auch der BFH – nach neuerer Rechtsprechung einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Erbringung einer Leistung und einer erhaltenen Geldzuwendung dann verneint, wenn letztere „gewissen Unwägbarkeiten“ unterliegt.3 Gerade dies ist bei der Erbringung von Leistungen, für die der Leistungsempfänger unaufgefordert eine Spende erbringt, der Fall, weil der Leistende weder davon ausgehen kann, dass er überhaupt eine Gegenleistung für seine Leistung erhält, noch die Höhe dieser Gegenleistung sicher ist.4 Aus diesem Grunde muss m.E. unter Anwendung der Rechtsprechung ein Entgelt bei freiwilligen Spenden verneint werden. Höchstrichterlich ist dies bislang allerdings noch nicht geklärt, sodass insofern noch keine Rechtssicherheit besteht. In diesen Fällen ergeben sich aber Gestaltungsspielräume für die Religionsgemeinschaften.

1 S. stellvertretend EuGH v. 15.5.2001 – C-34/99, ECLI:EU:C:2001:271 Rz. 25 – Primback, EuGHE 2001, I-3833 = UR 2001, 308; EuGH v. 16.12.2010 – C-270/09, ECLI:EU:C:2010:78 Rz. 16 und Rz. 26 – Mac Donald Resort, EuGHE 2010, I-13179 = UR 2011, 462; Stapperfend in Rau/Dürrwächter, § 10 UStG Rz. 81 m.w.N. (Stand: Oktober 2020). 2 Abschn. 1.1 Abs. 1 Satz 8 f. UStAE. 3 So ausdrücklich zu Preisgeldern EuGH v. 10.11.2016 – C-432/15, ECLI:EU:C:2016:855 Rz. 37 – Baštová, ABl. EU 2017, Nr. C 14, 14 = UR 2016, 913; BFH v. 2.8.2018 – V R 21/16, UR 2019, 17 – Rz. 23; dazu Stapperfend in Rau/Dürrwächter, § 10 UStG Rz. 88 (Stand: Oktober 2020); s. aber auch BFH v. 27.7.2021 – V R 40/20, UR 2022, 11 – Rz. 33, mit der Vorlagefrage an den EuGH, ob dieser in der Entscheidung zur Rechtssache Baštová die Nichtsteuerbarkeit der Umsätze mit dem Fehlen eines Entgelts oder dem Fehlen einer Leistung begründet. 4 In diesem Sinne auch BFH v. 12.11.2020 – V R 22/19, BStBl. II 2021, 544 – Rz. 19 ff.: Entgeltlicher Umsatz liegt nur vor, wenn der Leistende mit der Zahlung rechnen konnte; s. speziell zu freiwilligen Spenden als Entgelt für die Aufnahme in einen Golfclub auch das beim BFH unter dem Az. V R 43/20 anhängige Verfahren.

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F. Sonderprobleme des Umsatzsteuerrechts | Rz. 12.120 Kap. 12

IV. ABC der erfassten und nicht erfassten Leistungen Amtsblatt1: Die entgeltliche eigene Herausgabe eines kirchlichen Amtsblatts erfolgt im Rahmen der öffentlichen Gewalt und fällt damit unter § 2b Abs. 1 Satz 1 UStG. M.E. ist aber im Einzelfall zu prüfen, ob Wettbewerbsverzerrungen dadurch eintreten können, weil auch private Verlage die Herausgabe und den Druck von vergleichbaren Amtsblättern anbieten. In diesem Fall greift § 2b Abs. 1 Satz 1 UStG nicht ein (§ 2b Abs. 1 Satz 2 UStG). Ist dies nicht der Fall – findet § 2b Abs. 1 Satz 1 UStG also Anwendung –, so sind nach der hier vertretenen Auffassung auch Umsätze aus Verkäufen an Privatpersonen nicht umsatzsteuerbar, weil es nicht ausschließlich auf die öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Handlungsform ankommt (Rz. 12.100).2 Im Falle der Steuerbarkeit greift nach Nr. 49 der Anlage 2 zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG der ermäßigte Steuersatz von 7 %. Anzeigen: Der Verkauf von Anzeigen z.B. in Gemeinde- oder Pfarrbriefen, auf Plakaten oder Schaukästen sowie an Gebäuden der Religionsgemeinschaft (einschließlich der für Renovierungsmaßnahmen gestellten Gerüsten) erfolgt auf privatrechtlicher Grundlage und unterliegt der Umsatzsteuer. S. auch unter „Sponsoring“. Arbeitsschutzmaßnahmen: S. unter „Dienstleistungen gegenüber anderen kirchlichen Körperschaften“. Architektenleistungen: S. unter „Dienstleistungen gegenüber anderen kirchlichen Körperschaften“. Archiv: Die entgeltliche Nutzung der kirchlichen Archive erfolgt sowohl im Rahmen der Erteilung von Auskünften und Bescheinigungen als auch im Rahmen privater Nutzungen (z.B. für Ahnenforschung oder wissenschaftliche Arbeiten) auf öffentlich-rechtlicher Grundlage nach § 2b Abs. 1 Satz 1 UStG. Eine Wettbewerbssituation ist ausgeschlossen. Auskünfte und Abschriften aus Kirchenbüchern: S. unter „Archiv“ und unter „Beglaubigungen“. Basare, Börsen, Flohmärkte: Der Verkauf von gesammelten und gebastelten Gegenständen auf von einer Kirchengemeinde organisierten Bazaren, Börsen und Flohmärkten erfolgt auf privatrechtlicher Grundlage und ist daher unabhängig von der Verwendung der erzielten Einnahmen eine nachhaltige und wirtschaftliche und damit steuerbare Tätigkeit. Das gilt auch für den Verkauf von Speisen und Getränken. Zu Spenden anlässlich von Basaren usw. s. unter „Spenden“. Beglaubigungen von Urkunden aufgrund einer Gebührenordnung erfolgen in Ausübung öffentlicher Gewalt und sind nicht umsatzsteuerbar. Beratungsleistungen: Die von Kirchen und kirchlichen Einrichtungen erbrachte Ehe-, Familien- und Lebensberatung ist steuerbar, kann jedoch nach § 4 Nr. 18 UStG steuerfrei sein, wenn die Mitgliedschaft in einem anerkannten Verband der freien Wohlfahrtspflege besteht. Besinnungstage: S. unter „Einkehrtage“. Bestattungsleistungen: S. unter „Friedhöfe“.

1 S. dazu auch die Arbeitshilfe Nr. 298 der Arbeitsgruppe Umsatzsteuer des Verbandes der Diözesen Deutschlands, 2018 und Weber, MwStR 2016, 818 (825 ff.). 2 A.A. Arbeitshilfe Nr. 298 der Arbeitsgruppe Umsatzsteuer des Verbandes der Diözesen Deutschlands, 2018, 79.

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Kap. 12 Rz. 12.120 | Besteuerung von Religionsgemeinschaften

Betriebliches Eingliederungsmanagement: S. unter „Dienstleistungen gegenüber anderen kirchlichen Körperschaften“. Bildungshäuser: Einnahmen aus Verpflegungs- und Übernachtungsleistungen sind umsatzsteuerpflichtig. Die Übernachtung unterliegt dem ermäßigten Steuersatz von 7 %, die Verpflegung grundsätzlich dem regulären Steuersatz von 19 % (s. aber § 12 Abs. 2 Nr. 8a UStG). S. auch „Schulungen“. Blockheizkraftwerke: S. unter „Photovoltaikanlagen“. Büchereien: Leiht eine von einer Religionsgemeinschaft betriebene Bücherei Medien gegen Gebühr aus, so sind die Umsätze nach § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 2 UStG steuerfrei, sofern die zuständige Landesbehörde bescheinigt, dass die betreibende Religionsgemeinschaft die gleichen kulturellen Aufgaben wie die nach Satz 1 der Norm von der Steuer befreiten Büchereien von Bund, Ländern, Gemeinden und Gemeindeverbänden erfüllen. Dies gilt unabhängig davon, ob die Ausleihe auf öffentlich-rechtlicher Satzung oder privatrechtlicher Vereinbarung beruht. § 2b UStG ist insoweit nicht betroffen. Verfügt die Religionsgemeinschaft nicht über die erforderliche Bescheinigung, so sind die Umsätze steuerpflichtig. Sie sind auch steuerbar, wenn die Ausleihe auf privatrechtlichen Vereinbarungen beruht, weil das Betreiben der Bücherei in diesem Fall nicht im Rahmen der öffentlichen Gewalt erfolgt, sodass § 2b Abs. 1 Satz 2 UStG nicht eingreift. Erfolgt die Ausleihe hingegen aufgrund öffentlich-rechtlicher Satzung, so greift § 2b Abs. 1 Satz 1 UStG ein. In diesem Fall besteht zwar ein Wettbewerb zu anderen (privaten) Büchereien. Dieser führt aber nicht zu größeren Wettbewerbsverzerrungen, weil die Wettbewerber nach § 2b Abs. 2 Nr. 2 UStG die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 2 UStG in Anspruch nehmen könnten. Dem steht m.E. nicht entgegen, dass die Steuerbefreiung nicht automatisch zum Tragen kommt, sondern die Wettbewerber dafür eine Bescheinigung der zuständigen Landesbehörde vorlegen müssen. Diese Möglichkeit steht ihnen aber immerhin offen. Die Veräußerung von nicht mehr für den Verleih vorgesehenen Büchern und Medien durch kirchliche Büchereien sind unter den Voraussetzungen des § 4 Nr. 20a und Nr. 28 UStG steuerfrei, während die Einnahmen aus dem Verkauf neuer oder anderer Medien (z.B. auch aus Bücherspenden) generell umsatzsteuerbar und umsatzsteuerpflichtig sind. Buchführungsarbeiten: S. unter „Dienstleistungen gegenüber anderen kirchlichen Körperschaften“. Buchhandlungen: Die Umsätze aus dem Verkauf von Büchern durch kirchliche Buchhandlungen werden nicht von § 2b Abs. 1 Satz 1 UStG erfasst, weil der Verkauf auf privatrechtlicher Grundlage erfolgt und es zudem ansonsten aufgrund der Konkurrenz zu privaten Buchhandlungen zu erheblichen Wettbewerbsverzerrungen käme. Das gilt auch für Veranstaltungen der Buchhandlungen (z.B. Autorenlesungen). Caféterien: S. unter „Kantinen“. Devotionalien: Der Verkauf von Devotionalien (z.B. Ketten mit Kreuzanhängern, Kruzifixen) stellt unabhängig von der Verwendung der erzielten Einnahmen eine wirtschaftliche und damit steuerbare Tätigkeit dar, weil die Leistungserbringung einerseits auf privatrechtlicher Grundlage erfolgt und andererseits ein Wettbewerb zu privaten Anbietern besteht. Dienstleistungen gegenüber anderen kirchlichen Körperschaften: Übernimmt eine kirchliche Körperschaft (z.B. Diözese oder Landeskirche) für eine andere kirchliche Körperschaft Dienstleistungen, wie z.B. Arbeitsschutzmaßnahmen, Architektenleistungen, Leistungen zum betrieblichen Eingliederungsmanagement, Buchführungsarbeiten, IT-Dienstleistungen, Gehaltsabrechnungen, Leistungen der Grundstücksverwaltung sowie der Personalverwaltung 920 | Stapperfend

F. Sonderprobleme des Umsatzsteuerrechts | Rz. 12.120 Kap. 12

und -überlassung oder sonstige Verwaltungsdienstleistungen, so sind die Voraussetzungen von § 2b Abs. 1 Satz 1 UStG nur dann erfüllt, wenn diesen die Aufgaben im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen. Da diese Dienstleistungen auch von privaten Unternehmern angeboten werden und zudem nicht zum Kernbereich der von den Religionsgemeinschaften zu erfüllenden Aufgaben (Rz. 12.101) gehören, setzt dies ein Handeln auf der Grundlage von kirchenrechtlichen Regelungen voraus, die zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen (§ 2b Abs. 1 Satz 2 UStG) zudem nach § 2b Abs. 3 Nr. 1 UStG bestimmen müssen, dass die Leistungen nur von juristischen Person des öffentlichen Rechts erbracht werden dürfen. Werden die Dienstleistungen von einem Zusammenschluss kirchlicher Körperschaften erbracht, so scheiden Wettbewerbsverzerrungen zudem unter den Voraussetzungen des § 2b Abs. 3 Nr. 2 aus (Rz. 12.113 ff.). Hinsichtlich der Personalüberlassung ist zu beachten, dass die Leistungen dann, wenn sie steuerbar sind, u.U. die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 27 Buchst. a UStG und Art. 132 Absatz 1 MwStSystRL eingreift, die auch die Gestellung von Personal durch religiöse Einrichtungen erfasst. Dies betrifft Personalüberlassungen für Zwecke geistlichen Beistandes oder für den liturgischen und pastoralen Dienst (z.B. Priester, Diakone, Gemeindereferenten, Pastoralreferenten, pastorale Mitarbeiter, Kirchenmusiker, Messner, Küster), Personalüberlassungen im Bereich des kirchlichen Bildungswesens (z.B. pädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Erwachsenen- und Jugendbildung, Lehrer, Religionslehrer für die Erziehung von Kindern und Jugendlichen, den Schul- und Hochschulunterricht, die Aus- und Fortbildung sowie die berufliche Umschulung und damit eng verbundene Dienstleistungen) sowie Personalüberlassungen im sozial-karitativen Dienst (z.B. pädagogische Kräfte in Kindertagesstätten, Beschäftigte in ambulanter oder stationärer Pflege für eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen)1. Disco-Veranstaltungen: S. unter „Tanzveranstaltungen“. Druckerzeugnisse: Der Verkauf von Druckerzeugnissen (z.B. Gesangbücher, Bibeln, Postkarten, Kalender, kirchlicher Literatur) erfolgt auf privatrechtlicher Grundlage und unterliegt der Umsatzsteuer. S. auch unter „Pressedienste“. Eine-Welt-Laden: Der Betrieb eines Eine-Welt-Ladens ist unabhängig von der Verwendung der Umsätze eine wirtschaftliche Tätigkeit auf privatrechtlicher Grundlage und damit steuerbar. Einkehrtage: Einkehr- und Besinnungstage, Exerzitien, religiöse und pastorale Seminare, Schulungen sowie kirchenspezifische Veranstaltungen sollen die Teilnehmenden mit dem Evangelium in Berührung bringen und bei der Suche nach Sinn und Orientierung durch innere Einkehr und Gebet helfen, sodass die Seelsorge und Verkündigung im Vordergrund stehen. Dies muss aus dem Programm ersichtlich sein (z.B. durch ständige Begleitung durch einen Geistlichen und ein liturgisch ausgerichtetes Konzept); eine Kombination mit touristischen Elementen muss vermieden werden. Da die Einkehrtage usw. den Kernbereich der von den Religionsgemeinschaften zu erfüllenden Aufgaben betreffen (Rz. 12.101), liegt eine nach § 2b Abs. 1 UStG nicht steuerbare Tätigkeit im Rahmen der öffentlichen Gewalt vor, und zwar m.E. unabhängig davon, ob die Vertragsverhältnisse zu den Teilnehmenden öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich ausgestaltet sind (Rz. 12.100 und zur lediglich auf das Vertragsverhältnis abstellenden Auffassung der Finanzverwaltung Rz. 12.99). Eine Wettbewerbsverzerrung entsteht nach § 2b Abs. 2 Nr. 2 UStG nicht, weil für andere Anbieter die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 22 Buchst. a UStG eingreift. Neben einer Teilnahmegebühr sind auch Entgelte oder Entgeltanteile für die Abgabe von geringfügigen Verpflegungsleistungen (wie z.B. die Bewirtung mit belegten Brötchen, Kaffee und Kuchen) als bloße Nebenleistungen nicht steuer1 S. dazu auch Abschn. 4.27.1 UStAE.

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Kap. 12 Rz. 12.120 | Besteuerung von Religionsgemeinschaften

bar, wenn sie bei zeitlich eng bemessenen Tagesveranstaltungen zur Gewährleistung der Kontinuität und eines ordnungsgemäßen Tagungsablaufs unerlässlich erscheinen. Hierüber hinausgehende Entgelte oder Entgeltanteile (z.B. für Übernachtung, Frühstück, Mittag- und Abendessen) unterliegen hingegen der Umsatzbesteuerung. Erbbaurechte: Tätigkeiten im Bereich der Vermögensverwaltung sind nach § 2b Abs. 1 UStG steuerbar. Es greift jedoch für alle unter das GrEStG fallenden Umsätze die allgemeine Befreiungsvorschrift gemäß § 4 Nr. 9a UStG. Das gilt auch für die Bestellung von Erbbaurechten. Die Kirchengemeinde kann aber nach § 9 UStG in dem notariell zu beurkundenden Vertrag zur Umsatzsteuer optieren, wenn die Bestellung des Erbbaurechts an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen erfolgt und dieser es ausschließlich für Umsätze verwendet oder zu verwenden beabsichtigt, die den Vorsteuerabzug nicht ausschließen. Essenslieferungen: S. unter „Mahlzeitendienst“. Exerzitien: S. unter „Einkehrtage“. Fahrzeugüberlassung: Die entgeltliche Überlassung eines gemeindlichen Fahrzeugs (z.B. Bus) erfolgt auf privatrechtlicher Grundlage und unterliegt der Umsatzsteuer. Das gilt auch für die entgeltliche Personenbeförderung mit einem solchen Fahrzeug, z.B. auch ein „Abholdienst“ für den Gottesdienstbesuch. Fastenessen: Einnahmen aus Fastenessen während der Fastenzeit stellen eine wirtschaftliche und damit steuerbare Tätigkeit auf privatwirtschaftlicher Grundlage dar, selbst wenn während des Essens über wohltätige Projekte informiert und der Erlös hierfür zur Verfügung gestellt wird. Das gilt aber nicht für freiwillige Spenden, die im Rahmen eines Fastenessens gegeben werden. S. zu deren Behandlung unter „Spenden“. Ferienbetreuung für Kinder und Jugendliche: Die Ferienbetreuung für Kinder und Jugendliche durch Kirchengemeinden gegen Entgelt auf privatrechtlicher Grundlage ist steuerbar, aber nach § 4 Nr. 25 UStG steuerfrei. Das umfasst nach § 4 Nr. 25 Satz 3 Buchst. b UStG auch die Beherbergung, Beköstigung und die üblichen Naturalleistungen, die den Personen, die bei den Leistungen tätig sind, als Vergütung für die geleisteten Dienste gewährt werden. Davon ausgenommen ist die Abgabe von alkoholischen Getränken. Sofern die Kirchengemeinde die Ferienbetreuung für Kinder und Jugendliche auf öffentlich-rechtlicher Grundlage und mit öffentlich-rechtlicher Finanzierungsform übernimmt, ist sie nach § 2b Abs. 2 Nr. 2 UStG nicht Unternehmerin. Wettbewerbsverzerrungen sind in diesem Fall ausgeschlossen, weil für vergleichbare Leistungen auf privatrechtlicher Grundlage die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 25 UStG eingreift. Feste: Die Veranstaltung von Pfarrfesten, gemeindlichen Faschingsveranstaltungen, Bällen, Gemeindecafés und -treffen sowie Frühschoppen gehört nicht zum (hoheitlichen) Kernbereich (Rz. 12.101) der Religionsgemeinschaften, selbst wenn dadurch der Zusammenhalt in der jeweiligen Gemeinde gestärkt werden soll. Die in diesem Zusammenhang erzielten Umsätze (Eintritt, Verkaufserlöse usw.) sind umsatzsteuerbar. Das gilt aber nicht für freiwillige Spenden, die im Rahmen eines Festes gegeben werden. S. zu deren Behandlung unter „Spenden“. Stellt die Kirchengemeinde nur die Örtlichkeiten für die Feier einer anderen Vereinigung (z.B. CVJM, KfD, Jugendverband) zur Verfügung, so ist die Vereinigung als Veranstalter des Festes für die Versteuerung verantwortlich. Sofern die Kirchengemeinde die Örtlichkeiten gegen Entgelt überlässt, gelten die Ausführungen unter „Vermietung“. Flohmarkt: S. unter „Basare“. Forstwirtschaft: Umsätze aus dem Verkauf forstwirtschaftlicher Erträge (z.B. Holzverkauf) erfolgen auf privatrechtlicher Grundlage und sind umsatzsteuerbar. Zur Besteuerung nach Durchschnittssätzen s. § 24 UStG. 922 | Stapperfend

F. Sonderprobleme des Umsatzsteuerrechts | Rz. 12.120 Kap. 12

Fortbildungen: Fortbildungen, Schulungen und vergleichbare Veranstaltungen können je nach Inhalt und Durchführung unter § 2b Abs. 1 Satz 1 UStG fallen und damit nicht umsatzsteuerbar sein. Auf die auch insoweit geltenden Ausführungen zum Stichwort „Einkehrtage“ wird verwiesen. Betrifft der Inhalt der Fortbildungen usw. nicht den Kernbereich der von den Religionsgemeinschaften zu erfüllenden Aufgaben (Rz. 12.101), so sind die Teilnahmegebühren zwar umsatzsteuerbar, u.U. aber nach § 4 Nr. 22 und Nr. 23 UStG steuerfrei. Friedhöfe: Originäre Friedhofsleistungen (z.B. Grabaushub, Ausschmückung des ausgehobenen Grabes, Nutzungsgebühren für Grab und Trauerkapelle) sind Leistungen im Rahmen der den Religionsgemeinschaften obliegenden öffentlichen Gewalt und fallen damit unter § 2b Abs. 1 Satz 1 UStG. Hinsichtlich möglicher Wettbewerbsverzerrungen ist jedoch das Folgende zu beachten: Bezieht sich die Einräumung von Grabnutzungsberechtigungen, Liegerechten und Rechten zur Beisetzung eines Sarges oder einer Urne unter Ausschluss Dritter auf eine räumlich abgrenzbare individualisierte Parzelle, ist diese bei Leistungserbringung durch private Anbieter1 als Vermietung von Grundstücken nach § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG umsatzsteuerfrei. Da die Einräumung dieser Rechte stets für nichtunternehmerische Zwecke des Leistungsempfängers erfolgt, scheidet ein Verzicht auf die Steuerbefreiung nach § 9 Abs. 1 UStG aus, sodass § 2b Abs. 1 Satz 2 UStG eingreift und die den Umsatz tätigende Religionsgemeinschaft nach § 2b Abs. 1 Satz 1 UStG nicht Unternehmerin ist. Gleiches gilt für die Überlassung von Friedhofskapellen, Feierhallen und Abschiedsräumen sowie die Aufbewahrung von Leichen in Kühlräumen oder Kühlzellen2. Das gilt aber nicht, wenn keine individualisierte Parzelle überlassen, sondern lediglich das Recht eingeräumt wird, im Wurzelbereich von als Ruhehainbäumen registrierten Bäumen oder auch auf nicht individualisierten Grabfeldern eine Urne beizusetzen und die Ruhestätte als Gedenkstätte im Rahmen der Friedhofssatzung zu nutzen. Mangels Individualisierung greift die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG bei privaten Anbietern3 nicht ein. Damit scheidet auch eine Anwendung von § 2b Abs. 2 Nr. 2 UStG aus, sodass bei bestehender Wettbewerbssituation und Überschreiten der Wertgrenze des § 2b Abs. 2 Nr. 1 UStG eine Unternehmereigenschaft der Religionsgemeinschaft besteht (Rz. 12.110 m.w.N.). Als Nebenleistungen zur Einräumung von Grabnutzungs- und Liegerechten teilen hinsichtlich der Steuerbarkeit und Steuerpflicht die folgenden Leistungen das Schicksal der Hauptleistung, selbst wenn hierfür eine eigene Gebühr erhoben wird: Bestattungsleistungen (Ausheben und Verfüllen der Grabstelle, Auskleiden des Grabes, Absenken des Sarges/der Urne, Entsorgung von Kränzen und Blumen), die Pflege und Instandhaltung von Friedhofsanlagen (z.B. Wege, Hecken, Grünanlagen), die dem Friedhofsträger vorbehalten sind und für die häufig eine Friedhofsunterhaltungsgebühr erhoben wird, die Grabpflegeleistungen, die sich der Friedhofsträger vorbehält, um ein einheitliches Gestaltungsbild der Grabanlage (bei Gemeinschaftsgrabanlagen/Gräberfeldern) sicherzustellen, die Gebühren für die Genehmigung zum Aufstellen von Grabmalen und Einfassungen, die Erstellung der Graburkunde, der Leichentransport innerhalb des Friedhofs, die Gebühren für die Befreiung von bestimmten Verpflichtungen in Ausnahmefällen.4 Bestattungsleistungen im Zusammenhang mit bereits bestehenden Grabstätten (z.B. Umbettungen, Abräumen von Gräbern, Nachbestattungen oder Verlängerungen von Nutzungsrechten) sind eigenständige Leistungen. Sie erfolgen im Rahmen der öffentlichen Gewalt i.S.v. § 2b Abs. 1 Satz 1 UStG, wenn 1 Die Zulässigkeit richtet sich nach Landesrecht, s. auch BMF v. 23.11.2020 – III C 2 - S 7107/19/ 10004 :008, BStBl. I 2020, 1335 Rz. 4. 2 BMF v. 23.11.2020 – III C 2 - S 7107/19/10004 :008, BStBl. I 2020, 1335 Rz. 2. 3 Die Zulässigkeit richtet sich nach Landesrecht, s. auch BMF v. 23.11.2020 – III C 2 - S 7107/19/ 10004 :008, BStBl. I 2020, 1335 Rz. 4. 4 BMF v. 23.11.2020 – III C 2 - S 7107/19/10004 :008, BStBl. I 2020, 1335 Rz. 1.

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nach der Friedhofssatzung eine Erbringung durch private Wirtschaftsteilnehmer ausgeschlossen ist. Ist dies nicht der Fall, sind die Leistungen wegen der Wettbewerbssituation bei Überschreiten der Grenze des § 2b Abs. 2 Nr. 1 UStG umsatzsteuerbar und umsatzsteuerpflichtig.1 Grabpflegeleistungen und ein Blumenverkauf erfolgen stets auf privatrechtlicher Grundlage und sind steuerbar.2 Frühschoppen: S. unter „Feste“. Führungen: Entgeltliche Führungen durch oder Besichtigungen von Kirchen oder Schatzkammern werden ebenso wie entgeltliche Kirchturmbesteigungen auf privatrechtlicher Grundlage außerhalt einer kirchenhoheitlichen Betätigung erbracht und sind somit steuerbar, und zwar auch dann, wenn das Entgelt für den Erhalt der Kirche genutzt wird. Bei anerkannten Denkmälern der Bau- und Gartenkunst kann die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG eingreifen. Die Umsatzsteuerpflicht gilt nicht für freiwillige Spenden, die im Rahmen einer Führung oder Besichtigung gegeben werden. S. zu deren Behandlung unter „Spenden“. Gaststätten: Umsätze aus einer von einer Religionsgemeinschaft betriebenen Gaststätte beruhen auf einer privatrechtlichen Grundlage und sind umsatzsteuerbar. Dies gilt auch für die Verpachtung eines komplett eingerichteten, d.h. mit Inventar, Betriebsvorrichtungen, Mobiliar usw. ausgestatteten Gaststättenbetriebs. S. auch zu „Vermietung und Verpachtung“. Gehaltsabrechnungen: S. unter „Dienstleistungen gegenüber anderen kirchlichen Körperschaften“. Gemeindefest: S. unter „Feste“. Gemeindetreff: S. unter „Feste“. Getränkeautomaten: Das Aufstellen von Getränkeautomaten gegen Entgelt ist eine wirtschaftliche und damit steuerbare Tätigkeit. Gewinnspiele: S. unter „Tombola“. Grabpflege: S. unter „Friedhof '. Grundstücksverkäufe: Die Verkäufe erfolgen privatrechtlich und nicht in Ausübung hoheitlicher Gewalt, sodass die Umsätze steuerbar sind. Sie sind aber nach § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG steuerfrei. Grundstücksverwaltung: S. unter „Dienstleistungen gegenüber anderen kirchlichen Körperschaften“. Hausrat: S. unter „Verkäufe“. IT-Dienstleistungen: S. unter „Dienstleistungen gegenüber anderen kirchlichen Körperschaften“. Jugendfahrten: Jugendfahrten z.B. mit Ministranten, Konfirmanden, Kommunionskindern oder Firmlingen sind ebenso wie Zeltlager und Ausflüge dann nach § 2b Abs. 1 Satz 1 UStG nicht steuerbar, wenn die Glaubensvermittlung im Vordergrund steht (z.B. bei Vorbereitung und Einweisung auf die Sakramente). Dies muss aus dem Programm ersichtlich sein; eine

1 BMF v. 23.11.2020 – III C 2 - S 7107/19/10004:008, BStBl. I 2020, 1335 Rz. 3 und Rz. 4 zum Wechsel der Trägerschaft an einem Friedhof. 2 S. zu Einzelheiten auch die z.B. von einzelnen Bistümern herausgegebenen Handreichungen zur Umsatzbesteuerung im Bereich des kirchlichen Friedhofs- und Bestattungswesens, wie etwa diejenige des Erzbistums Paderborn.

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F. Sonderprobleme des Umsatzsteuerrechts | Rz. 12.120 Kap. 12

Kombination mit touristischen Elementen oder einer reinen Freizeitgestaltung ist schädlich und muss vermieden werden. Steht die Glaubensvermittlung im Vordergrund, so kommt es m.E. nicht darauf an, ob die Vertragsverhältnisse zu den Teilnehmenden öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich ausgestaltet sind (Rz. 12.100 und zur lediglich auf das Vertragsverhältnis abstellenden Auffassung der Finanzverwaltung Rz. 12.99). Zu Wettbewerbsverzerrungen kann es nicht kommen, weil die Umsätze nach § 4 Nr. 25 UStG steuerfrei sind (§ 2b Abs. 2 Nr. 2 UStG). S. auch unter „Reisen“. Jugendhäuser: S. unter „Bildungshäuser“. Kantinen: Der Betrieb einer Kantine, einer Caféteria oder eines Kiosks stellt eine wirtschaftliche und damit steuerpflichtige Tätigkeit dar, selbst wenn diese für Mitarbeitende zugänglich sind (Abschn. 1.8. Abs. 10 ff. UStAE). Die Umsätze unterliegen der Umsatzsteuer, Kegelbahnen: Die Überlassung einer Kegelbahn gegen Entgelt erfolgt auf privatrechtlicher Grundlage und unterliegt unabhängig von der Verwendung der Einnahmen der Umsatzsteuer. Das gilt m.E. auch bei Nutzung durch rechtlich unselbständige Gruppen einer Kirchengemeinde (z.B. Posaunenchor oder Frauenkreis). Sofern diese ein Entgelt bezahlen, liegt kein nicht steuerbarer Innenumsatz vor.1 Etwas anderes kann ausnahmsweise dann gelten, wenn lediglich intern Umbuchungen vorgenommen werden, z.B. vom Unterkonto „Frauenkreis“ auf ein Unterkonto „Kegelbahn“. M.E. fehlt es dann aber schon an einem Entgelt, weil eine Eigenfinanzierung vorliegt. Kerzen: Der Verkauf von Osterkerzen, Votiv-Kerzen, Friedenslichtern u.ä. gehört nicht zum Kernbereich der von den Religionsgemeinschaften zu erfüllenden Aufgaben (Rz. 12.101) und ist daher steuerbar und steuerpflichtig. Anders ist dies aber beim Verkauf von Opfer- oder Gebetskerzen, die ein sichtbares Zeichen des Gebetes bilden und damit zugleich einen liturgischen Akt darstellen. Daher gehören die diesbezüglichen Umsätze zum Kernbereich der von den Religionsgemeinschaften zu erfüllenden Aufgaben, sodass § 2b Abs. 1 Satz 1 UStG eingreift. Kindergärten/Kindertagesstätten/Kinderhorte: Der Betrieb dieser Einrichtungen in kirchengemeindlicher Trägerschaft gehört m.E. dann zum Kernbereich der von den Religionsgemeinschaften zu erfüllenden Aufgaben (Rz. 12.101), wenn die Glaubensvermittlung eine zentrale Rolle spielt, was sich im Konzept der jeweiligen Einrichtung niederschlagen muss. Dafür reicht der bloße Umstand, dass es sich um einen konfessionellen Kindergarten usw. handelt, indes noch nicht aus, ebenso nicht die bloße Tatsache, dass vor den Mahlzeiten gebetet wird. Die Glaubensvermittlung muss den gesamten Tagesablauf ganz überwiegend prägen, was aber nur in absoluten Ausnahmefällen so ist. Ist dies indes erfüllt, so greift § 2b Abs. 1 Satz 1 UStG ein, ohne dass es nach der hier vertretenen Auffassung darauf ankommt, ob die Rechtsverhältnisse zu den Eltern öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich ausgestaltet sind (Rz. 12.100 und zur lediglich auf das Vertragsverhältnis abstellenden Auffassung der Finanzverwaltung Rz. 12.99). Unabhängig davon sind die Umsätze nach § 4 Nr. 25 UStG von der Umsatzsteuer befreit, was nach § 2b Abs. 2 Nr. 2 UStG zudem Wettbewerbsverzerrungen im Vergleich zu anderen Anbietern ausschließt. Eventuelle Kostenumlagen für Material (z.B. „Bastelgeld“) teilen als Nebenleistungen das Schicksal der Hauptleistungen und sind damit ebenfalls nicht steuerbar, in jedem Fall aber steuerbefreit. Gleiches gilt m.E. auch für Verpflegungsleistungen. Die Steuerfreiheit folgt hierfür aus § 4 Nr. 25 Satz 3 Buchst. b UStG. Die Steuerfreiheit setzt dann aber voraus, dass die Verpflegungsleistungen durch den Träger der Einrichtung selbst erbracht werden. Erfolgt die Leistung im Wege des Outsourcings über ei1 A.A. Arbeitshilfe Nr. 298 der Arbeitsgruppe Umsatzsteuer des Verbandes der Diözesen Deutschlands, 2018, 57 „Kegelbahn“.

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Kap. 12 Rz. 12.120 | Besteuerung von Religionsgemeinschaften

nen Caterer, der in unmittelbare Leistungsbeziehungen zu den Eltern tritt, so ist der Caterer Leistender; es besteht Umsatzsteuerbarkeit und Umsatzsteuerpflicht. Kiosk: S. unter „Kantinen“ Kirchensteuerzuweisungen: Kirchensteuerzuweisungen sind kein Entgelt für eine von der Religionsgemeinschaft erbrachte Leistung und mithin nicht steuerbar. Kleidung: S. unter „Verkäufe“. Kolpinghäuser: s. unter „Gaststätten“. Konzerte und kulturelle Veranstaltungen: Veranstaltet die Religionsgemeinschaft Konzerte oder kulturelle Veranstaltungen gegen Entgelt, so liegt eine steuerbare und -pflichtige wirtschaftliche Tätigkeit vor.1 Unter den Voraussetzungen des § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG können die Umsätze aus den Eintrittsgeldern aber steuerfrei sein. Umsätze aus dem Verkauf von Speisen und Getränken sind zu versteuern. Stellt eine Kirchengemeinde einem Veranstalter nur ihre Räumlichkeiten gegen Entgelt zur Verfügung, der die Veranstaltung im eigenen Namen und auf eigene Rechnung durchführt, so liegt eine Vermietungsleistung vor. S. dazu unter „Vermietung“. Kurse: S. unter „Fortbildungen“ Land- und Forstwirtschaft: S. unter „Forstwirtschaft“ Lotterie: S. unter „Tombola“ Mahlzeitendienste: Umsätze aus einem Mahlzeitendienst gehören – trotz eines eventuell bestehenden Ausdrucks der Nächstenliebe – nicht zum Kernbereich der von den Religionsgemeinschaften zu erfüllenden Aufgaben (Rz. 12.101) und sind daher umsatzsteuerbar, zumal es andernfalls aufgrund der Konkurrenz zu privaten Anbietern zu Wettbewerbsverzerrungen käme. Soweit die Lieferungen an Hilfsbedürftige2 erfolgen, kann unter den Voraussetzungen des § 4 Nr. 18 UStG Steuerfreiheit eintreten.3 Das gilt nicht für Verpflegungsleistungen an andere Personen. Zum Steuersatz s. § 12 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 8 UStG. Medien: Zu Verleih und Verkauf von Medien s. unter „Büchereien“. Messstipendien: Messstipendien werden von Gläubigen für die Feier einer heiligen Messe in einem besonderen Anliegen (Intention) gegeben und somit für eine Handlung, die zum Kernbereich der von den Religionsgemeinschaften zu erfüllenden Aufgaben (Rz. 12.101) gehört. Da die Leistung in Ausübung öffentlicher (kirchlicher) Gewalt i.S.v. § 2b Abs. 1 Satz 1 UStG erfolgt, ist die Leistung nicht steuerbar. Sofern zudem ein Messstipendium nicht verpflichtend erhoben wird, sondern dem Grunde und der Höhe nach freiwillig erfolgt, handelt es sich m.E. zudem nicht um ein Entgelt (Rz. 12.119). Mietverhältnisse: S. unter „Vermietung und Verpachtung“. Personalverwaltung und -überlassung: S. unter „Dienstleistungen gegenüber anderen kirchlichen Körperschaften“. Personenbeförderung: S. unter „Fahrzeugüberlassung“. Pfarrfest: S. unter „Feste“. 1 A.A. für geistliche Konzerte: Weber, MwStR 2016, 818 (826). 2 Zum Begriff s. Abschn. 4.16.1 Abs. 4 Satz 2 ff. UStAE. 3 Wäger in Wäger, § 4 Nr. 18 UStG Rz. 9.

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Photovoltaikanlagen: Das Betreiben eigener Anlagen und der Verkauf von Strom an Dritte stellt grundsätzlich eine wirtschaftliche und damit steuerbare Tätigkeit dar.1 Wird ein Teil des Stroms für kirchenhoheitliche Aufgaben genutzt, wie z.B. der Versorgung von Gotteshäusern, so liegt nur hinsichtlich der veräußerten Strommengen eine (teil)unternehmerische Nutzung vor. Eine Zuordnung der gesamten Anlage zum Unternehmensvermögen lässt die Finanzverwaltung nach Abschn. 2.5 Abs. 12 Satz 1 UStAE nicht zu. Dies hat zur Folge, dass die Versteuerung nur diesen Teil umfasst. Ebenso ist ein Vorsteuerabzug hinsichtlich der Anschaffung, der Installation und des Betriebs der Anlage nach § 15 Abs. 4 UStG nur in dem prozentualen Umfang der unternehmerischen Nutzung möglich.2 Plakate: S. unter „Anzeigen“ und unter „Vermietung und Verpachtung“. Postkarten: S. unter „Druckerzeugnisse“. Pressedienste, die ggf. als gGmbH, als Verein oder als sonstige Zusammenschlüsse Informationen und Berichte aus dem Bereich der Kirchen beschaffen und verbreiten, erbringen dann keine steuerbaren Umsätze, wenn es an einem identifizierbaren Leistungsempfänger fehlt.3 Reisen: Tritt die Religionsgemeinschaft als Veranstalter einer Reise oder als Veranstalter vor Ort (z.B. bei Ausflügen oder Besichtigungen) auf und erbringt dem entsprechende Reiseleistungen, so kommt eine Anwendung von § 2b Abs. 1 Satz 1 UStG nur dann in Betracht, wenn die Seelsorge und Verkündigung im Vordergrund stehen. Dies muss aus dem Programm ersichtlich sein (z.B. durch ständige Begleitung durch einen Geistlichen und ein liturgisch ausgerichtetes Konzept, etwa durch den Besuch von religiösen Stätten und Gottesdiensten); eine Kombination mit touristischen Elementen muss vermieden werden. Darauf, ob die Rechtsverhältnisse zu den Teilnehmenden öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich ausgestaltet ist, kommt es nach der hier vertretenen Auffassung nicht an (Rz. 12.100 und zur lediglich auf das Vertragsverhältnis abstellenden Auffassung der Finanzverwaltung Rz. 12.99). Wettbewerbsverzerrungen sind ausgeschlossen (§ 2b Abs. 2 Nr. 2 UStG), weil vergleichbare Leistungen privater Anbieter nach § 4 Nr. 22 und Nr. 25 UStG von der Umsatzsteuer befreit sind. Stehen bei den Reisen die Seelsorge und Verkündigung nicht im Vordergrund, sondern touristische oder gesellige Aspekte, so sind die Reiseleistungen umsatzsteuerbar und umsatzsteuerpflichtig. Die Besteuerung erfolgt im Wege der Margenbesteuerung nach § 25 UStG. S. insgesamt auch die Erläuterungen zu „Einkehrtagen“ und „Jugendfahrten“. Schadensersatz: Schadensersatzzahlungen, die eine Religionsgemeinschaft erhält, sind nach allgemeinen umsatzsteuerrechtlichen Grundsätzen dann nicht steuerbar, wenn damit ein tatsächlicher Schaden abgegolten wird, wie dies bei Versicherungszahlungen regelmäßig der Fall ist (sogenannter echter Schadensersatz). Dies gilt aber dann nicht, wenn die Zahlung tatsächlich eine Gegenleistung für eine von der Religionsgemeinschaft erbrachte Leistung darstellt, selbst wenn die Beteiligten dies als Schadensersatzleistung ansehen und bezeichnen. Dieser sogenannte unechte Schadensersatz ist umsatzsteuerbar und umsatzsteuerpflichtig, so z.B. Zahlungen von benachbarten Grundstückseigentümern, damit die Kirchengemeinde die Beeinträchtigung ihres Grundstücks duldet, etwa in Form von Dienstbarkeiten oder Baulasten. Gleiches gilt auch für Zahlungen zur Einschränkung des Glockenläutens. Schulungen: S. unter „Fortbildungen“. Seminare: S. unter „Fortbildungen“. 1 S. dazu Abschn. 2.5 UStAE. 2 Ausführlich dazu Abschn. 2.5 Abs. 12 Satz 2 ff. UStAE. 3 BFH v. 23.9.2020 – XI R 35/18, UR 2021, 348.

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Kap. 12 Rz. 12.120 | Besteuerung von Religionsgemeinschaften

Sommerfest: S. unter „Feste“. Souvenirverkäufe: Der Verkauf von Souvenirs, Devotionalien, Postkarten, Broschüren, Büchern, CDs usw. stellt eine wirtschaftliche und damit steuerbare Tätigkeit dar. S. auch unter „Devotionalien“ und unter „Druckerzeugnisse“. Speisen und Getränke: S. unter „Basare“, „Bildungshäuser“, „Einkehrtage“, „Fastenessen“, „Ferienbetreuung“, „Feste“, „Gaststätten“, „Kantinen“, „Kindergärten“, „Konzerte“, „Mahlzeitendienste“. Spenden: Spenden sind dann nicht steuerbar, wenn sie vollkommen freiwillig, ohne jegliche Leistungsverbindlichkeit und ohne die Erwartung eines besonderen (Nutzungs-)Vorteils gegeben werden, sodass die „Spendenmotivation“ zur Förderung gemeinnütziger (kirchlicher) Zwecke eindeutig im Vordergrund steht.1 Das ist neben der Kollekte bei einem Opferstock neben dem Kircheneingang der Fall, ebenso bei einem Spendenkörbchen, z.B. zum Erhalt der Kirche usw. Keine Spende, sondern ein i.d.R. steuerbarer und steuerpflichtiger Leistungsaustausch liegt nach bislang h.M. indes vor, wenn zwischen der Geldzahlung und einer erbrachten Leistung ein unmittelbarer Zusammenhang besteht, selbst wann die Zahlung freiwillig erfolgt und die Leistung und die Gegenleistung nicht gleichwertig sind.2 Das gilt z.B. für Spenden im Zusammenhang mit einer ohne Eintritt erbrachten Musikdarbietung oder für kostenlos abgegebene Speisen und Getränke. M.E. ist aber zweifelhaft, ob sich diese Ansicht auf der Grundlage der neueren Rechtsprechung des EuGH noch halten lässt. Der EuGH – und dem inzwischen folgend auch der BFH – hat einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Erbringung einer Leistung und einer erhaltenen Geldzuwendung dann verneint, wenn letztere „gewissen Unwägbarkeiten“ unterliegt.3 Gerade dies ist bei der Erbringung von Leistungen, für die der Leistungsempfänger unaufgefordert eine Spende erbringt, der Fall, weil der Leistende weder davon ausgehen kann, dass er überhaupt eine Gegenleistung für seine Leistung erhält, noch die Höhe dieser Gegenleistung sicher ist.4 Aus diesem Grunde muss m.E. unter Anwendung der Rechtsprechung ein Entgelt bei freiwilligen Spenden verneint werden. Höchstrichterlich ist dies bislang allerdings noch nicht geklärt, sodass insofern noch keine Rechtssicherheit besteht (Rz. 12.119). Sporthallen: S. unter „Vermietung und Verpachtung“. Sponsoring: Sponsoringleistungen unterscheiden sich von Spenden dadurch, dass Spenden nicht auf den Erhalt eines Vorteils abzielen (s. unter „Spenden“), so z.B. dann, wenn ein Zeltverleih einer Kirchengemeinde für eine Veranstaltung ein Partyzelt schenkt, ohne einen Vorteil zu erlangen. Demgegenüber sind Sponsoringleistungen auf die Erlangung eines Werbevorteils ausgerichtet. Je nach Art und Umfang ist darin eine zur Umsatzsteuerbarkeit führende 1 BFH v. 9.12.2014 – X R 4/11, BFH/NV 2015, 853 Rz. 40; BFH v. 16.3.2021 – X R 37/19, BFHE 272, 432 Rz. 29. 2 Abschn. 1.1 Abs. 1 Satz 8 f. UStAE. 3 So ausdrücklich zu Preisgeldern EuGH v. 10.11.2016 – C-432/15, ECLI:EU:C:2016:855 Rz. 37 – Baštová, ABl. EU 2017, Nr. C 14, 14 = UR 2016, 913; BFH v. 2.8.2018 – V R 21/16, UR 2019, 17 – Rz. 23; dazu Stapperfend in Rau/Dürrwächter, § 10 UStG Rz. 88 (Stand: Oktober 2020); s. aber auch BFH v. 27.7.2021 – V R 40/20, UR 2022, 11 – Rz. 33, mit der Vorlagefrage an den EuGH, ob dieser in der Entscheidung zur Rechtssache Baštová die Nichtsteuerbarkeit der Umsätze mit dem Fehlen eines Entgelts oder dem Fehlen einer Leistung begründet. 4 In diesem Sinne auch BFH v. 12.11.2020 – V R 22/19, BStBl. II 2021, 544 – Rz. 19 ff.: Entgeltlicher Umsatz liegt nur vor, wenn der Leistende mit der Zahlung rechnen konnte; s. speziell zu freiwilligen Spenden als Entgelt für die Aufnahme in einen Golfclub auch das beim BFH unter dem Az. V R 43/20 anhängige Verfahren.

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F. Sonderprobleme des Umsatzsteuerrechts | Rz. 12.120 Kap. 12

Gegenleistung zu sehen. Diese Schwelle ist allerdings noch nicht überschritten, wenn der Zuwendungsempfänger (z.B. die Kirchengemeinde) auf Plakaten, in Veranstaltungshinweisen, in Ausstellungskatalogen auf seiner Internetseite oder in anderer Weise lediglich auf die Unterstützung durch den Sponsor auch unter Verwendung seines Logos hinweist; hierin ist noch keine Leistungserbringung zu sehen.1 Demgegenüber ist von einer (Werbe-)Leistung durch den Empfänger auszugehen, wenn der Eindruck einer direkten Werbung für den Zuwendenden entsteht, etwa durch die besondere Hervorhebung des Sponsors, die Verlinkung auf der Internetseite zu dessen Webadresse oder gar die Einräumung des Rechts, die Sponsoringmaßnahme für eigene Werbezwecke zu vermarkten.2 Auch die Überlassung von Flächen für einen Infostand des Sponsors oder die Einräumung eines Rederechts ist aktive Gegenleistung. Stolgebühren: Stolgebühren zahlen Gläubige für die Feier von Kasualien, wie z.B. die Taufe, die kirchliche Trauung oder die kirchliche Begräbnisfeier. Hinsichtlich der umsatzsteuerrechtlichen Behandlung gelten die Ausführungen zu „Messstipendien“. Tafeln und Suppenküchen: Umsätze aus dem Betrieb einer Tafel oder Suppenküche gehören nicht zum Kernbereich der von den Religionsgemeinschaften zu erfüllenden Aufgaben (Rz. 12.101) und sind trotz des wohltätigen Charakters umsatzsteuerbar, und zwar auch dann, wenn das Entgelt dem Wert der Lebensmittel nicht entspricht und keine (im Umsatzsteuerrecht nach § 2 Abs. 1 Satz 3 UStG generell unbeachtliche) Gewinnerzielungsabsicht besteht.3 Das gilt natürlich nicht für unentgeltliche Abgaben von Lebensmitteln und sonstigen Waren, weil es dann an einem Leistungsaustausch fehlt. Ansonsten können die Umsätze unter den Voraussetzungen des § 4 Nr. 18 UStG steuerfrei sein. Tagungshäuser: S. unter „Bildungshäuser“. Tanzveranstaltungen: Tanzveranstaltungen sind umsatzsteuerbar, weil sie nicht zum Kernbereich der von den Religionsgemeinschaften zu erfüllenden Aufgaben (Rz. 12.101) gehören. Im Rahmen der kirchlichen Jugendarbeit können Tanzveranstaltungen als (steuerbegünstigter) Zweckbetrieb durchgeführt werden. Die von Personen vor Vollendung des 27. Lebensjahres (und nur von diesen) erhobenen Eintrittsgelder sind u.U. nach § 4 Nr. 25 Satz 1 Buchst. a UStG umsatzsteuerfrei. Tombola: Umsätze aus dem Losverkauf sind umsatzsteuerbar und umsatzsteuerpflichtig. Zur Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nach § 12 Abs. 2 Nr. 8a UStG s. Abschn. 12.9 Abs. 14 UStAE. Urheberrechte und Verlagsrechte: Sofern Kirchenrechtsträger urheberrechtliche Nutzungsrechte oder Verlagsrechte übertragen, liegt eine nicht von § 2b Abs. 1 Satz 1 UStG erfasste steuerbare Leistung vor, die nach § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. c UStG aber dem ermäßigten Steuersatz unterfällt. Verkäufe: Verkäufe von Kleidung, Hausrat, Altmaterial usw. nach durchgeführten Sammlungen gehören nicht zum Kernbereich der von den Religionsgemeinschaften zu erfüllenden Aufgaben (Rz. 12.101), selbst wenn die erwirtschafteten Mittel für wohltätige oder kirchliche Zwecke verwendet werden. Folglich unterliegen die Umsätze der Umsatzsteuer. Unter den Voraussetzungen des § 4 Nr. 18 UStG können die Umsätze bei Abgaben an Bedürftige steuerfrei sein. Verkauft die Religionsgemeinschaft eigenes Inventar, welches sie zuvor im nicht unternehmerischen (hoheitlichen) Bereich eingesetzt hatte (gebrauchte Büromöbel, PCs, Fahrzeuge usw.), 1 Abschn. 1.1 Abs. 23 Satz 1 und Satz 2 UStAE. 2 Abschn. 1.1 Abs. 23 Satz 2 und Satz 4 UStAE. 3 BFH v. 22.6.1989 – V R 37/84, BStBl. II 1989, 913; Abschn. 1.1 Abs. 1 Satz 9 UStAE.

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Kap. 12 Rz. 12.120 | Besteuerung von Religionsgemeinschaften

fallen diese nach Auffassung der Finanzverwaltung als Hilfsgeschäfte zur hoheitlichen Tätigkeit zwar nicht unter den Anwendungsbereich von § 2b Abs. 1 Satz 1 UStG, sind aber gleichwohl deshalb nicht steuerbar, weil es i.d.R. an der Nachhaltigkeit fehlt.1 Das soll auch dann gelten, wenn die Verkäufe wiederholt oder mit einer gewissen Regelmäßigkeit ausgeführt werden, wie z.B. bei der von Zeit zu Zeit erforderlichen Auswechslung von Gegenständen, die zur Aufrechthaltung des Betriebs in der nichtunternehmerischen Sphäre erforderlich sind2. Das gilt aber dann nicht, wenn Gegenstände verkauft werden, die im Zusammenhang mit einer wirtschaftlichen Tätigkeit genutzt wurden und für die ein Vorsteuerabzug in Anspruch genommen wurde (z.B. Inventar aus einer betriebenen Gaststätte oder Kantine); die diesbezüglichen Umsätze unterliegen der Umsatzsteuer. Vermietung und Verpachtung: Die Vermietung und Verpachtung von Gegenständen, Grundstücken, Gebäuden und Gebäudeteilen gehört nicht zum Kernbereich der von den Religionsgemeinschaften zu erfüllenden Aufgaben (Rz. 12.101) und erfolgt auf privatrechtlicher Grundlage, sodass die Umsätze grundsätzlich steuerbar sind. Allerdings kann nach § 4 Nr. 12 UStG Steuerfreiheit eintreten. Das ist der Fall bei der langfristigen (mehr als sechs Monate) Vermietung von Wohnräumen einschließlich Garagen oder Stellplätzen sowie Nebenleistungen,3 der Vermietung von gewerblich genutzten Räumen ohne Inventar, Betriebsvorrichtungen und Mobiliar4 (bei Vermietung an steuerpflichtige Unternehmer besteht nach § 9 UStG die Möglichkeit zur Option), der Verpachtung von Dachflächen an einen Betreiber von Photovoltaikanlagen (selbst wenn als Gegenleistung die Dachsanierung vereinbart ist),5 die Verpachtung von Grundbesitz einschließlich des Abbaus von Bodenschätzen, die Überlassung von Grundstücken zur Errichtung von Mobilfunkmasten, Windkraftanlagen oder Strommasten6 und die Vermietung von Standflächen für Märkte.7 Nicht von der Steuerbefreiung erfasst werden kurzfristige (bis zu sechs Monate) Vermietungen von Wohnräumen, die nicht mit einer Wohnraumvermietung zusammenhängende Vermietung von Garagen und Stellplätzen,8 die Vermietung von gewerblich genutzten Räumen mit Inventar, Betriebsvorrichtungen und Mobiliar, sofern keine einheitliche Leistung vorliegt,9 die Jagdverpachtung, die Vermietung von Werbeflächen an Gebäuden, Schaukästen und Gerüsten10 sowie die kurzfristige Fremdvermietung von Camping- und Zeltplätzen. Bezogen auf Räumlichkeiten einer Pfarrgemeinde bedeutet dies, dass die langfristige Vermietung steuerfrei ist. Eine kurzfristige Vermietung (z.B. für Familienfeiern) ist dann steuerfrei, wenn sie ohne Betriebsvorrichtungen11 und ohne weitere Sonderleistungen (Gestellung eines Beamers usw., Verkauf von Speisen und Getränken, Reinigung, Hausmeisterdienste) erfolgt; die Mitvermietung des Mobiliars und Inventar ist als Nebenleistung unschädlich und ebenfalls befreit.12 Anderenfalls besteht Steuerpflicht. Die Eigennutzung ist mangels Entgelt nicht umsatzsteuerbar. 1 BMF v. 16.12.2016 – III C 2 - S 7107/16/10001, BStBl. I 2016, 1451 Rz. 19. 2 BMF v. 16.12.2016 – III C 2 - S 7107/16/10001, BStBl. I 2016, 1451 Rz. 20. 3 Abschn. 4.12.1 Abs. 5 UStAE; zu Stellplätzen s. BFH v. 10.12.2020 – V R 41/19, BFH/NV 2021, 618. 4 S. aber zur einheitlichen (steuerfreien) Leistung bei Mitvermietung von Inventar, Betriebsvorrichtungen und Mobiliar BFH v. 11.11.2015 – V R 37/14, BStBl. II 2017, 1259 Rz. 14 ff. 5 OFD Karlsruhe v. 13.8.2019 – S 7104, UR 2019, 665; Förster in Wäger, § 4 Nr. 12 UStG Rz. 19. 6 Abschn. 4.12.8 Abs. 2 UStAE. 7 Abschn. 4.12.5 Abs. 2 Satz 4 UStAE. 8 BFH v. 10.12.2020 – V R 41/19, BFH/NV 2021, 618. 9 S. dazu BFH v. 11.11.2015 – V R 37/14, BStBl. II 2017, 1259 Rz. 14 ff. 10 Abschn. 4.12.6 Abs. 2 Nr. 6 UStAE. 11 Abschn. 4.12.10 UStAE. 12 Abschn. 4.12.1 Abs. 3 Satz 4 UStAE.

930 | Stapperfend

G. Sonstige Steuern | Rz. 12.122 Kap. 12

Verwaltungsdienstleistungen: S. unter „Dienstleistungen gegenüber anderen kirchlichen Körperschaften“. Wallfahrten: S. unter „Einkehrtage“ Weihnachtsbaumverkauf: Umsätze aus dem Verkauf von Weihnachtsbäumen sind umsatzsteuerbar und umsatzsteuerpflichtig. Sofern die Bäume aus einer eigenen Forstwirtschaft stammen (s. auch unter „Forstwirtschaft“) und die Pauschalbesteuerung nach § 24 UStG angewendet wird, beträgt der Steuersatz für nicht als Sonderkulturen angepflanzte Bäume nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG 5,5 %; werden die Bäume als Sonderkultur gezogen, beträgt der Steuersatz nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG 10,7 %.1 Stammen die Bäume nicht aus einer eigenen Forstwirtschaft (z.B. Ankauf von einem Förster), so beträgt der Steuersatz 7 % nach Nr. 9 der Anlage 2 zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG für Weihnachtsbäume (Nadelbäume, geschnitten oder mit Wurzeln), wenn sie offensichtlich zur Wiederanpflanzung nicht geeignet sind und nach Anlage Nr. 7 der Anlage 2 zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG für Weihnachtsbäume mit Ballen, die zur Wiederanpflanzung geeignet sind.2 Werbung: S. unter „Anzeigen“ und unter „Sponsoring“. Zuschüsse: Zuschüsse, die etwa von einer Kommune oder einem Land an eine Kirchengemeinde gezahlt werden, unterfallen dann der Umsatzsteuer, wenn es sich um ein Entgelt für eine von der Kirchengemeinde zu erbringende Leistung handelt (sogenannter unechter Zuschuss). Demgegenüber fallen sogenannte echte Zuschüsse nicht unter die Umsatzsteuer. Sie liegen vor, wenn Zahlungen unabhängig von einer bestimmten Leistung gewährt werden, etwa zur Förderung des Empfängers aus strukturpolitischen, volkswirtschaftlichen oder allgemeinpolitischen Gründen.3

G. Sonstige Steuern I. Erbschaft- und Schenkungsteuer Bei der als Erbanfallsteuer konstruierten Erbschaftsteuer finden sich Steuerbefreiungen auf Seiten des Erben bzw. Beschenkten in § 13 ErbStG. Zuwendungen an Religionsgemeinschaften – sei es durch Erwerb von Todes wegen, sei es als Schenkung unter Lebenden – können danach nach einem abgestuften System steuerbefreit sein:

12.121

– inländische, korporierte Religionsgemeinschaften sowie generell jüdische Kultusgemeinden erben stets steuerfrei ohne weitere Einschränkung, § 13 Abs. 1 Nr. 16 Buchst. a ErbStG; – inländische Religionsgemeinschaften die nach ihrer rechtlichen Verfassung und ihrem tatsächlichen Handeln ausschließlich und unmittelbar kirchliche, gemeinnützige oder mildtätige Zwecke verfolgen, § 13 Abs. 1 Nr. 16 Buchst. b ErbStG; – ausländische Religionsgemeinschaften unter den Voraussetzungen von § 13 Abs. 1 Nr. 16 Buchst. c ErbStG. Korporierte Religionsgemeinschaften (Rz. 12.18 ff.; Aufzählung bei Rz. 12.27) sind hinsichtlich sämtlicher Zuwendungen ohne weiteres erbschaftsteuerbefreit, ohne dass es auf einen 1 Schilcher in Hartmann/Metzenmacher, § 2b UStG Rz. 51 f. (Stand: März 2017). 2 Langer in Hartmann/Metzenmacher, § 2b UStG Rz. 51 (Stand: Juli 2020). 3 Ausführlich dazu Stapperfend in Rau/Dürrwächter, § 10 UStG Rz. 150 ff. (Stand: Oktober 2020).

Stapperfend und Waldhoff | 931

12.122

Kap. 12 Rz. 12.122 | Besteuerung von Religionsgemeinschaften

konkreten Verwendungszweck hinsichtlich der Zuwendung ankäme.1 Der Nachweis ist ggf. durch die Verleihungsurkunde zu führen. Die Kirchen und Religionsgemeinschaften sind in einem weiteren Sinne zu verstehen, d.h. einschließlich ihrer Organe und Einrichtungen (z.B. Kirchengemeinden2 usw.), sofern sie notwendige Bestandteile der Religionsgemeinschaft sind und Träger des den religiösen Zwecken gewidmeten Vermögens.3 Nicht Bestandteil der Kirchen sind verselbständigte geistliche Gesellschaften wie Orden, Klöster oder Stifte.4 Diese besitzen teilweise jedoch selbst Körperschaftsstatus (Rz. 12.29) oder können unter § 13 Abs. 1 Nr. 16 Buchst. b ErbStG fallen. Erst Recht ist damit die Zuwendung an ein einzelnes Ordensmitglied nicht steuerfrei.5 Das gilt auch für direkte Zuwendungen an Organmitglieder, d.h. konkrete natürliche Personen als Organwalter der Kirchen, also etwa konkrete Geistliche, den Papst u.ä.6 Hier kommt Steuerbefreiung nur in Betracht, wenn die Zuwendung ausdrücklich mit der Auflage verbunden ist, die Zuwendung an die steuerbegünstigte Institution für die Zwecke der Religionsgemeinschaft weiterzuleiten. Privatrechtlich organisierte Religionsgemeinschaften (Rz. 12.33) fallen nicht unter die Variante Buchst. a; jüdische Kultusgemeinden sind (ähnlich wie bei der Grundsteuer, Rz. 12.131 ff.; dort auch zur Rechtfertigung dieser Regelungstechnik7) unabhängig von ihrer Rechtsform steuerbefreit, werden also den Körperschaften des öffentlichen Rechts gleichgestellt.

12.123

Nach § 13 Abs. 1 Nr. 16 Buchst. b ErbStG sind Zuwendungen steuerbefreit, die an eine gemeinnützige Einrichtung erfolgen und unmittelbar sowie ausschließlich den gemeinnützigen Zwecken dienen.8 Das ist als Verweis in das Gemeinnützigkeitsrecht der §§ 51 ff. AO zu verstehen, wie inzwischen auch der Gesetzeswortlaut klarstellt.9 Der Freistellungsbescheid hinsichtlich der Körperschaftsteuer kann grundsätzlich übernommen werden,10 auch wenn es sich im Bereich der Erbschafts- und Schenkungsteuer um eine selbständige Entscheidung handelt.11 In Bezug auf Religionsgemeinschaften kommen alle genannten Kategorien der gemeinnützigen Zwecke in Betracht (Rz. 12.44 ff.). Die gemeinnützigen Religionsgemeinschaften müssen nach ihrer Rechtsgrundlage wie nach ihrer tatsächlichen Geschäftsführung den begünstigten Zwecken ausschließlich und unmittelbar dienen. Die Zuwendung muss freigebig sein, ihr darf keine Gegenleistung gegenüberstehen.12

1 Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, § 13 Rz. 184. 2 Vgl. BFH v. 19.2.1998 – IV R 38/97, BStBl. II 1998, 509 am Bsp. einer katholischen Kirchengemeinde als alleinige Erbin eines forst- und landwirtschaftlichen Betriebes. 3 Schienke-Ohletz in v. Oertzen/Loose, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz2, § 13 Rz. 82. 4 Meincke/Hannes/Holtz, Erbschaftsteuergesetz17, § 13 Rz. 70. 5 FG München v.25.4.1968 – IV 88/67, EFG 1968, 525. 6 Schienke-Ohletz in v. Oertzen/Loose, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz2, § 13 Rz. 82. 7 Zur Rechtfertigung auch Schienke-Ohletz in v. Oertzen/Loose, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz2, § 13 Rz. 83. Entschieden in einem (Parallel-)Fall zu § 10b EStG bei Zuwendung an den Papst FG Köln v. 15.1.2014 – 13 K 3735/10, EFG 2014, 667. 8 Zu den praktischen Möglichkeiten hinsichtlich des Stiftungsgeschäfts, um die gesetzlichen Anforderungen zu erfüllen, Meincke/Hannes/Holtz, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz17, § 13 Rz. 73. 9 Meincke/Hannes/Holtz, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz17, § 13 Rz. 71. 10 BFH v. 21.1.1998 – II R 16/95, BStBl. II 1998, 758. 11 Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, § 13 Rz. 190. 12 BFH v. 15.3.2007 – II R 5/04, BStBl. II 2007, 472; Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, § 13 Rz. 187.

932 | Waldhoff

G. Sonstige Steuern | Rz. 12.126 Kap. 12

Erfasst sind nach Buchst. b ausdrücklich nur inländische gemeinnützige Institutionen. Die Rechtsprechung sieht darin kein Diskriminierungsproblem,1 zumal mit Buchst. c eine Sonderregelung für ausländische Institutionen zur Verfügung steht.2

12.124

Differenziert wird bewertet, wenn die gemeinnützige Organisation nicht ausschließlich gemeinnützig tätig ist, sondern einen Zweckbetrieb oder einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb unterhält.3 Liegt ein Zweckbetrieb nach § 65 AO vor ist dies entgegen einer älteren Rechtsprechung4 für die Steuerbefreiung unschädlich, auch bei Zuwendungen für den Zweckbetrieb.5 Wird ein steuerpflichtiger wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb nach § 64 AO unterhalten kommt es auf den Schwerpunkt an, d.h. die Körperschaft darf nicht ganz überwiegend eigenwirtschaftliche Interessen verfolgen.6 Die Finanzverwaltung geht davon aus, dass Zuwendungen an einen solchen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb die Steuerbefreiung ausschließen. Für den ideellen Teil kommt es dann zu einer partiellen Steuerbefreiung.7 Besteht die Zuwendung selbst in einem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb ist dies steuerunschädlich, wenn der Zuwendungsempfänger verpflichtet ist, die daraus erzielten Überschüsse dem gemeinnützigen Teil zuzuleiten und dies tatsächlich auch geschieht.8

12.125

§ 13 Abs. 1 Nr. 16 Buchst. b Satz 2 ErbStG enthält eine Rückforderungsregel für den Fall, dass der Gemeinnützigkeitsstatus bis zu zehn Jahre nach der Zuwendung entfällt und/oder das (steuerbefreite9) Vermögen nicht begünstigten Zwecken zugeführt wird.10 Der Wegfall der Befreiung gilt rückwirkend, d.h. der Wert zum Zeitpunkt des Erbfalls ist maßgebend. In der Sache kommt es dann zu einer Nacherhebung der Steuer auf der Grundlage von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO (Änderung des Steuerbescheids wegen eines rückwirkenden Ereignisses) unabhängig von einer etwaigen Festsetzungsverjährung nach § 169 AO.11 Ggf. sind Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes zu beachten.12 Nicht erfasst sind die praktisch relevanten Fälle, dass die gemeinnützige Institution aufgelöst und ihr Vermögen auf eine andere gemeinnützige Organisation übergeht, d.h. gemeinnützig gebunden bleibt (vgl. § 55 Abs. 1 Nr. 4 AO). Die

12.126

1 BFH v. 18.4.1975 – III B 24/74, BStBl. II 1975, 595 zu Art. 3 Abs. 1 GG; BFH v. 3.8.1983 – II R 20/ 80, BStBl. II 1984, 9 zu abkommensrechtlichen Diskriminierungsverboten. 2 Kobor in Fischer/Pahlke/Wachter, Haufe Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz Kommentar7, § 13 Rz. 85; zur europarechtlichen Problematik und Entwicklung Schienke-Ohletz in v. Oertzen/Loose, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz2, § 13 Rz. 94 m.w.N. sowie kritisch Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, § 13 Rz. 187a. 3 Meincke/Hannes/Holtz, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz17, § 13 Rz. 72. 4 BFH v. 10.4.1991 – I R 77/87, BStBl. II 1992, 41. 5 Kobor in Fischer/Pahlke/Wachter, Haufe Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz Kommentar7, § 13 Rz. 86. 6 Meincke/Hannes/Holtz, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuer17, § 13 Rz. 72. 7 Schienke-Ohletz in v. Oertzen/Loose, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz2, § 13 Rz. 93. 8 Kobor in Fischer/Pahlke/Wachter, Haufe Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz Kommentar7, § 13 Rz. 86. 9 Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, § 13 Rz. 207. 10 Vgl. etwa BFH v. 25.11.1992 – II R 77/90, BStBl. II 1993, 238. 11 Meincke/Hannes/Holtz, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz17, § 13 Rz. 74; Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, § 13 Rz. 207. 12 Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, § 13 Rz. 207.

Waldhoff | 933

Kap. 12 Rz. 12.126 | Besteuerung von Religionsgemeinschaften

Nachversteuerung kann auch erfolgen, wenn zwar der Gemeinnützigkeitsstatus erhalten bleibt, das Vermögen aber für nichtgemeinnützige Zwecke verwendet wird.1

12.127

Differenziert zu bewerten sind Rückübertragungen des zugewendeten Vermögens. Entgegen einer früheren Ansicht2 ist die Rückübertragung an den Schenker (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 AO) ein schenkungsteuerpflichtiger Vorgang.3 Das zwischenzeitlich gemeinnützigkeitskonform verwendete steuerfrei zugewendete Vermögen bleibt nach § 13 Abs. 1 Nr. 17 ErbStG steuerfrei.4 Fällt das Vermögen an die Erben des Schenkers bzw. Erblassers liegt ein normaler erbschaftsteuerpflichtiger Erwerb vor.5

12.128

Die Steuerbefreiung an ausländische, d.h. ihren Sitz im Ausland habende Religionsgemeinschaften hat sich mehrfach geändert. Ursprünglich waren diese auf § 13 Abs. 1 Nr. 17 ErbStG verwiesen, d.h. Steuerbefreiung trat nur bei entsprechender Zweckbestimmung ein. 1992 wurde in Buchst. c die Gegenseitigkeit zum zentralen Kriterium, seit 1997 gekoppelt an den Austausch entsprechender förmlicher Erklärungen (sog. Gegenseitigkeitserklärungen). Der 2015 in der geltenden Fassung eingeführte6 und durch ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik angestoßene § 13 Abs. 1 Nr. 16 Buchst. c ErbStG normiert Steuerbefreiung für ausländische Religionsgemeinschaften, ohne dass es auf eine Prüfung der konkreten Verwendung der Zuwendung ankäme. Die Vorgängerfassung beruhte im Kern auf einer wenig praktikablen Gegenseitigkeitsregelung. Die gültige Fassung stellt darauf ab, ob die ausländische Religionsgemeinschaft körperschaftsteuerrechtlich steuerbefreit wäre, wenn sie inländische Einkünfte erzielte. Der BFH legt bei dieser Prüfung einen strengen Maßstab an.7 Erforderlich ist zusätzlich, dass der Belegenheitsstaat der begünstigten Religionsgemeinschaft Amts- und Beitreibungshilfe leistet. Amtshilfe meint den Auskunftsaustausch gem. oder entsprechend § 2 Abs. 11 EU-Amtshilfegesetz am Stichtag der Steuerentstehung. Beitreibung richtet sich nach der direkten oder entsprechenden Anwendung der EU-Beitreibungsrichtlinie.8 Wenn die steuerbegünstigten Zwecke des Zuwendungsempfängers nur im Ausland verwirklicht werden, gelten weitere, einen strukturellen Inlandsbezug fordernde Voraussetzungen für die Steuerbefreiung: Entweder müssen durch die Zuwendung natürliche Personen mit Ansässigkeit im Inland dadurch gefördert werden oder die Tätigkeit des Zuwendungsempfängers neben den steuerbegünstigten Zwecken „auch zum Ansehen der Bundesrepublik Deutschland beitragen kann“.9 Die Rückforderungsregel des § 13 Abs. 1 Nr. 16 Buchst. b Satz 2 ErbStG ist

1 2 3 4 5 6 7 8 9

Schienke-Ohletz in v. Oertzen/Loose, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz2, § 13 Rz. 95. BFH v. 23.4.1954 – III 214/52, BStBl. III 1954, 178. BFH v. 25.11.1992 – II R 77/90, BStBl. II 1993, 238 zu einer Familienstiftung. Kobor in Fischer/Pahlek/Wachter, Haufe Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuer Kommentar7, § 13 Rz. 87; Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, § 13 Rz. 208. Meincke/Hannes/Holtz, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz17, § 13 Rz. 74. BGBl. I 2015, 1834; zu Fragen des Übergangsrechts Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, § 13 Rz. 211, 214; Schienke-Ohletz in v. Oertzen/ Loose, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz2, § 13 Rz. 101. BFH v. 17.9.2013 – I R 16/12, IStR 2014, 266. Weitere Einzelheiten bei Schienke-Ohletz in v. Oertzen/Loose, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz2, § 13 Rz. 98. Beitreibungsrichtlinie RL 2010/24/EU des Rates v. 16.3.2010; dazu statt aller Weber-Grellet in Musil/Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, 2019, S. 555. Um Europarechtskonformität zu gewährleisten wird letzteres Erfordernis zu Recht sehr großzügig ausgelegt, FG Köln v. 20.1.2016 – 9 K 3177/14, EFG 2016, 653 und erneut in derselben Rechtssache FG Köln v. 8.5.2019 – 9 K 1652/18, EFG 2019, 1445, jeweils mit Anm. Braun sowie ins-

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G. Sonstige Steuern | Rz. 12.131 Kap. 12

nach Satz 5 ausdrücklich anwendbar.1 Unklar und umstritten sind die Auswirkungen der Neufassung von Buchst. c auf bestehende DBA.2 Die Befreiungen der Nr. 16 von § 13 Abs. 1 ErbStG werden ergänzt im Sinne einer Auffangvorschrift3 durch die Nr. 17: Befreit sind danach Zuwendungen, die ausschließlich kirchlichen, gemeinnützigen oder mildtätigen Zwecken gewidmet sind, sofern die Verwendung zu dem bestimmten Zweck gesichert ist. Hier wird nicht wie in Nr. 16 auf den Status des Empfängers abgestellt, sondern auf die konkrete Verwendung der Zuwendung. Ein Hauptanwendungsfall liegt bei ausländischen Zuwendungsempfängern; hier kommt es nicht auf den gemeinnützigkeitsrechtlichen Status des ausländischen Empfängers an, sondern die Zwecke sind nach deutschem Steuerrecht zu bestimmen.4 Der Zweck muss durch den Erblasser bzw. Schenker festgelegt worden und er muss gesichert sein: Die Zweckbestimmung wird so durch die Zwecksicherung ergänzt.5 Hautpanwendungsfälle sind diejenigen, bei denen die Voraussetzungen von § 13 Abs. 1 Nr. 16 lit. b und c ErbStG nicht vorliegen und zwar bei Vorliegen sog. Zweckzuwendungen i.S.v. § 8 ErbStG. Beispiel aus der Kommentarliteratur: Der Erblasser wendet einem Geistlichen einen Betrag mit der Auflage zu, diesen oder die Zinsen daraus für in Not geratene Mitglieder der Kirchengemeinde zu verwenden.6

12.129

Die Sicherung der zweckgemäßen Verwendung ist gegeben, wenn sie behördlich oder durch eine korporierte Religionsgemeinschaft bzw. deren Geistliche kraft ihrer kirchlichen Stellung überwacht wird. Die Finanzverwaltung verlangt regelmäßig ein selbständiges Zweckvermögen.7

12.130

II. Grundsteuer Die zugleich eine Realsteuer (§ 3 Abs. 2 AO) wie Objektsteuer darstellende Grundsteuer belastet in Form einer besonderen Vermögensteuer8 als Steuerobjekt im Wesentlichen den im Gemeindegebiet belegenen Grundbesitz, § 2 GrStG.9 Die die Systematik des Gesetzes mitprägende Unterscheidung zwischen Grundsteuer A (land- und forstwirtschaftliches Vermögen) und Grundsteuer B (sonstige bebaute und unbebaute Grundstücke u.a.) spielt für hiesige Fragestellung keine größere Rolle. Das Grundsteuerrecht ist nicht erst seit einer Verfassungsgerichtsentscheidung von 2018, die die ungleiche Bewertung von Grundstücken im sog. Ein-

1 2 3 4 5 6 7 8

9

gesamt Schienke-Ohletz in v. Oertzen/Loose, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz2, § 13 Rz. 97 m.w.N. Näher Schienke-Ohletz in v. Oertzen/Loose, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz2, § 13 Rz. 102. M.w.N. Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, § 13 Rz. 214. Holm in Winheller/Geibel/Jachmann-Michel, Gesamtes Gemeinnützigkeitsrecht2, Abschn. 9 Rz. 18. Meincke/Hannes/Holtz, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz17, § 13 Rz. 77. Kobor in Fischer/Pahlke/Wachter, Haufe Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz Kommentar7, § 13 Rz. 90. Nach Meincke/Hannes/Holtz, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz17, § 13 Rz. 77. Zu Einzelheiten Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, § 13 Rz. 232 f. Zur seit der Entscheidung BVerfG v. 22.6.1995 – 2 BvL 37/91, BVerfGE 93, 121 nicht mehr erhobenen (allgemeinen) Vermögensteuer und den Religionsgemeinschaften siehe Weides in FS der Rechtswissenschaftlichen Fakultät zum 600jähringen Jubiläum der Universität zu Köln, S. 885 (893). Vgl. etwa Seer in Tipke/Lang, Steuerrecht24, Rz. 16.1., 16.5.

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12.131

Kap. 12 Rz. 12.131 | Besteuerung von Religionsgemeinschaften

heitswertverfahren als gleichheitswidrig beanstandet hatte,1 in Bewegung. In der daraufhin einsetzenden Neuregelung wurde ein Abweichungsrecht der Länder vom Bundesrecht eingeräumt. Das neugefasste Bundesgesetz betrifft im Kern freilich über die Grundstücksbewertung die Bemessungsgrundlage der Grundsteuer, nicht die Ausnahmen von der Grundsteuerpflicht; die hier relevanten §§ 3 und 4 GrStG sind unverändert. Ausweislich der Gesetzesmaterialien geht der Grundsteuergesetzgeber selbst davon aus, dass die Steuerbefreiung von der Grundsteuer als negative Staatsleistung i.S.v. Art. 140 GG i.V.m. Art. 138 Abs. 1 WRV (Rz. 12.11) verfassungsrechtlich geschützt ist und daher nicht ohne weiteres abgeschafft werden könnte.2 Zumindest die Religionsgemeinschaften in Form der Kirchen sind große Grundbesitzer in der Bundesrepublik, sodass die Relevanz der Steuerbefreiungen groß ist.3

12.132

Die hier zu behandelnden Steuerbefreiungen folgen einem doppelten Ansatz: Nach § 3 GrStG ist der Grundbesitz bestimmter Rechtsträger steuerbefreit, wenn er zugleich bestimmte Funktionen erfüllt (Kombination eines subjektiven und eines objektiven Elements); der subsidiäre (Rz. 12.144) § 4 GrStG knüpft unmittelbar nur an die Funktion von konkreten Grundstücken an, unabhängig vom Rechtsträger.4

12.133

Die Steuerbefreiungstatbestände zugunsten von Religionsgemeinschaften in den §§ 3, 4 GrStG sind abschließend, so dass Vereinbarungen über Steuerbefreiungen mit der Gemeinde oder mit dem Finanzamt rechtswidrig wären.5 Billigkeitsmaßnahmen bleiben davon unberührt.6 Die Norm ist als Ausnahmetatbestand auch nicht analogiefähig.

12.134

Die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung müssen von dem Begünstigten geltend gemacht werden. Es gilt das Stichtagsprinzip: Die Voraussetzungen müssen zum Veranlagungszeitpunkt, d.h. gem. § 9 Abs. 1 GrStG zum Beginn des Kalenderjahres vorliegen.

12.135

Von der Grundsteuer dauerhaft7 befreit sind zunächst Religionsgemeinschaften in Bezug auf bestimmte Grundstücke, § 3 Abs. 1 Nr. 4 GrStG (subjektives Element der Steuerbefreiung). Die Religionsgemeinschaft muss den Körperschaftsstatus (Rz. 12.18 ff.) besitzen. Gleichgestellt sind deren Orden, „religiösen Genossenschaften“ sowie „ihre Verbände“.8 Ebenfalls gleichgestellt sind jüdische Kultusgemeinden, die nicht den Körperschaftsstatus besitzen. Weitere Voraussetzung für die Steuerbefreiung ist, dass der involvierte Grundbesitz „für Zwecke 1 BVerfG v. 10.4.2018 – 1 BvL 11/14 u.a., BVerfGE 148, 147. 2 BT-Drucks. IV/3631; in diese Richtung auch BFH v. 30.6.2010 – II R 12/09, DStRE 2010, 1194. 3 Droege in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 33, § 74 Rz. 19. Bezeichnenderweise gab es soweit ersichtlich zuletzt unter dem Nationalsozialismus eine derartige Statistik, vgl. Wirtschaft und Statistik 20 (1940), 246 f. Die beiden Großkirchen machen folgende Angaben. Die evangelische Kirche in Deutschland gibt für rund 15.000 Kirchengemeinden einen Grundbesitz von rund 325.000 ha an; diese Kirchengemeinden hätten 21.000 Kirchengebäude, 17.000 Pfarrhäuser, 13.000 Gemeindezentren und 14.000 sonstige Betriebsgebäude. Für die katholische Kirche müssten die diözesanen Angaben aggregiert werden; der Religions- und Kirchenkritiker Frerk, Finanzen und Vermögen der Kirchen in Deutschland, 2002, gibt als katholischen Grundbesitz 8.250 km2 an; die katholische Kirche sei damit der größte Grundbesitzer in Deutschland. 4 Vgl. Rausch in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 19 Rz. 128. 5 BVerwG v. 12.7.1963 – VII C 27/62, KStZ 1963, 226; BFH v. 16.2.1963 – III 31/60 U, KStZ 1963, 245. 6 Troll/Eisele, Grundsteuergesetz12, § 3 Rz. 2 a.E. 7 Vgl. die Abgrenzung der Steuerbefreiungen von unbegrenzter und der Steuervergünstigungen von zeitlich befristeter Dauer im Grundsteuerrecht Troll/Eisele, Grundsteuergesetz12, § 3 Rz. 2. 8 Clasen, Steuervergünstigungen von Religionsgemeinschaften, S. 78 f. sieht das als Besonderheit an.

936 | Waldhoff

G. Sonstige Steuern | Rz. 12.136 Kap. 12

der religiösen Unterweisung, der Wissenschaft, des Unterrichts, der Erziehung oder für Zwecke der eigenen Verwaltung“ benutzt wird (objektives Element der Steuerbefreiung). Besitzt eine Religionsgemeinschaft den Körperschaftsstatus nicht, kann sie gleichwohl grundsteuerbefreit sein, sofern sie als gemeinnützig anerkannt ist und der Grundbesitz „nach ihrer tatsächlichen Geschäftsführung ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen oder mildtätigen Zwecken dient“, § 3 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b GrStG. Im Ergebnis besteht dann kein Unterschied zu den Körperschaften.1 Soweit jedoch die steuerbefreiten Grundstücke als Wohnung oder land- oder forstwirtschaftlich genutzt werden, gilt die Steuerbefreiung nach §§ 5, 6 GrStG nicht. Eine Rückausnahme gilt für die Dienstwohnungen der Geistlichen und Kirchendiener nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 Satz 2 GrStG. Die Differenzierung nach dem Körperschaftsstatus bei Gleichstellung jüdischer Kultusgemeinden ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt (allgemein Rz. 12.40 ff.). Eine analoge Anwendung für andere Religionsgemeinschaften scheidet daher aus.2 Das hat der BFH am Beispiel eines islamischen Kulturzentrums, dem zudem die Gemeinnützigkeit aberkannt worden war, entschieden und sowohl eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes als auch der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates verneint.3 Der besondere, in Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 WRV zum Ausdruck kommende Rechtsstatus rechtfertige die Steuerbefreiung: „Diese Steuerbefreiungen dienen in Bezug auf den Grundbesitz den im öffentlichen Interesse liegenden Aufgaben der öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften und der ihnen gleichzustellenden Ordensgemeinschaften [...] Dem Vorbringen des Kl., der Körperschaftsstatus rechtfertige keine Begünstigung der Religionsgemeinschaften außerhalb des hoheitlichen Bereichs [...], kann nicht gefolgt werden. Vielmehr darf der Staat die besondere öffentliche Position der korporierten Religionsgemeinschaften im staatlichen und gesellschaftlichen Leben zum Anlass für eine auch finanzielle Förderung in Gestalt einer Grundsteuerbefreiung nehmen. Er unterstützt damit ihre – auch wirtschaftliche – Eigenständigkeit sowie Unabhängigkeit und trägt damit der hohen Bedeutung der materiellen Ausstattung einer Religionsgemeinschaft für die Freiheit der Religionsausübung Rechnung [...]“4Da es sich um einen formal-organisatorischen Anknüpfungspunkt handele, identifiziere sich der Staat auch nicht mit einer konkreten Religion oder Konfession, die Neutralität in religiös-weltanschaulichen Dingen werde nicht verletzt. Dies gelte insbesondere deshalb, da der Körperschaftsstatus prinzipiell allen Religionsgemeinschaften offenstehe.5 Die besondere Behandlung der jüdischen Kultusgemeinden rechtfertige sich aus historischen Gegebenheiten: Diesen sei durch das nationalsozialistische Regime ein aus dem 19. Jh. überkommener Körperschaftsstatus und damit die Grundsteuerbefreiung aberkannt worden. Solange diese Gemeinden noch nicht wieder vollständig korporiert seien, sei es legitime Wiedergutmachung, sie gleichzustellen, ohne dass darin ein nicht zu rechtfertigendes Sonderprivileg gesehen werden könnte.6

1 Troll/Eisele, Grundsteuergesetz12, § 3 Rz. 54. 2 Troll/Eisele, Grundsteuergesetz12, § 3 Rz. 54. 3 BFH v. 30.6.2010 – II R 12/09, DStRE 2010, 1194; die dagegen gerichtete Verfassungsbeschwerde wurde vom BVerfG – freilich wegen unzureichender Begründung – nicht zur Entscheidung angenommen, BVerfG v. 24.4.2015 – 2 BvR 287/11, BeckRS 2015, 51241; zustimmend Droege in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 33, § 74 Rz. 19; Troll/Eisele, Grundsteuergesetz12, § 3 Rz. 54. 4 BFH v. 30.6.2010 – II R 12/09, DStRE 2010, 1194 Rz. 39 f. 5 BFH v. 30.6.2010 – II R 12/09, DStRE 2010, 1194 Rz. 41. 6 BFH v. 30.6.2010 – II R 12/09, DStRE 2010, 1194 Rz. 50.

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12.136

Kap. 12 Rz. 12.137 | Besteuerung von Religionsgemeinschaften

12.137

Ausländische Religionsgemeinschaften können den Körperschaftsstatus nicht erlangen, sondern nur über ihren Gemeinnützigkeitsstatus in den Genuss der Grundsteuerbefreiung gelangen.1

12.138

Zu den einzelnen Tatbestandsmerkmalen: Religiöse Unterweisung ist Unterricht zur Förderung des Wissens in religiösen Dingen sowie ganz allgemein die Vermittlung religiösen Wissens. Grundsätzlich ist von einer weiten Auslegung auszugehen.2 Darunter fallen etwa der Religionsunterricht, Bibel-, Thora- oder Koranexegese, Ausbildung von Geistlichen und deren Hilfspersonen wie Diakonen, Gemeindehelfern u.ä. Auch die Arbeit kirchlicher Akademien einem allgemeinen Publikum gegenüber fällt darunter.3 Wissenschaft und Unterricht betrifft kirchliche bzw. religionsgemeinschaftliche Hochschulen,4 Forschungsinstitute und Schulen in ihrer gesamten Betätigungsbreite. Erziehung meint, sofern nicht schon durch Schule erfasst, kirchliche Heime und Erziehungsstätten. Kirchliche Verwaltungszwecke sind umfassend zu verstehen als die kirchenamtliche Tätigkeit der Kirchenbehörden einschließlich etwa Bauoder Steuerämter usw.5

12.139

Steuerbefreit nach § 3 Abs. 1 Nr. 5 GrStG sind ferner „Dienstwohnungen der Geistlichen und Kirchendiener der Religionsgesellschaften, die Körperschaften des öffentlichen Rechts sind“.6 Auch hier sind jüdische Kultusgemeinden, sofern sie nicht diesen Status haben, gleichgestellt. Dies ist eine Ausnahme von dem grundsteuerlichen Grundsatz, das zu Wohnzwecken genutzter Grundbesitz stets steuerpflichtig ist.7

12.140

Geistliche i.S.d Vorschrift sind Personen, „die zur Besorgung des Gottesdienstes, zur religiösen Unterweisung oder sonstigen seelsorgerischen Betreuung bestellt“ sind und ein entsprechendes Amt in der Religionsgemeinschaft ausüben.8 In jedem Fall nicht gemeint sein können Lehrer an kirchlichen Schulen.9

12.141

Wesentlich schwieriger zu bestimmen ist der heute unübliche und daher schwer zu bestimmende Begriff des Kirchendieners, der in diesem Steuerbefreiungstatbestand dem Geistlichen gleichgestellt ist. Darunter sind nur solche Beschäftigte der Religionsgemeinschaft zu verstehen, die selbst unmittelbar am Gottesdienst mitwirken.10 Neben Priestern, Pfarrern, Rabbinern und Imamen können das etwa auch Gemeindereferenten oder Organisten sein.11 Die Rechtsprechung hat teilweise darauf abgestellt, ob es sich um Kirchenbeamte handelt, dann 1 Troll/Eisele, Grundsteuergesetz12, § Rz. 54 a.E. 2 Halaczinsky, Grundsteuer-Kommentar2, 1995, § 3 Rz. 28. 3 BFH v. 14.11.1958 – III 303/56, BStBl. 1959 III, 81; zu Auftrag und Rechtsstatus kirchlicher Akademien vgl. Bock in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel, Handbuch des Staatskirchenrechts in der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 23, § 48. 4 Dazu insgesamt Baldus in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 23, § 47. 5 Troll/Eisele, Grundsteuergesetz12, § 3 Rz. 55. 6 Zum historischen Hintergrund der Norm Halaczinsky, Grundsteuer-Kommentar2, 1995, § 3 Rz. 29. 7 Troll/Eisele, Grundsteuergesetz12, § 3 Rz. 56. Ebd. Rz. 57 zur Historie und zu den Abgrenzungsfragen. 8 Troll/Eisele, Grundsteuergesetz12, § 3 Rz. 58; teilweise wurde an die Begriffsbestimmung aus dem preußischen Kommunalabgabenrecht angeknüpft, BFH v. 12.2.1954 – III 163/53 S, BStBl. III 1954, 100. 9 BFH v. 12.1.1973 – III R 85/72, BStBl. 1973 II, 377; BFH v. 16.2.1979 – III R 45/76, BStBl. II 1979, 286. 10 Vgl. auch VG Berlin v. 24.10.1956 – VII A 317/55, EFG 1957, 133. 11 Clasen, Steuervergünstigungen von Religionsgemeinschaften, S. 81; für einen nebenamtlichen Organisten FG Nds. V. 11.9.1962 – I 105/61, KirchE 6, 138.

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G. Sonstige Steuern | Rz. 12.143 Kap. 12

ggf. freilich auch Lehrer an kirchlichen Schulen einbezogen.1 Das ist schon deshalb völlig verfehlt und sogar verfassungswidrig, da nur die evangelischen Kirchen überhaupt Kirchenbeamte kennen und damit eine nicht zu rechtfertigende Diskriminierung der anderen Religionsgemeinschaften vorläge. Vorzuziehen ist daher die hier vertretene Auffassung, wonach der Begriff des Kirchendieners im Ausgangspunkt enger zu fassen ist, es auf die Art des Anstellungsverhältnisses dann allerdings nicht ankommt. Dienstwohnung i.S.d. Norm ist eine Wohnung, die dem Geistlichen oder dem Kirchendiener auf Grund seines Dienstverhältnisses zugewiesen und die zur ordnungsgemäßen Wahrnehmung seiner dienstlichen Aufgaben erforderlich ist.2 Eine Garage ohne Wohnung kann nicht darunter fallen.3 Unter welchen Voraussetzungen die Dienstwohnung für die Wahrnehmung der Aufgaben „erforderlich“ ist, ist weitgehend der Einschätzung der jeweiligen Religionsgemeinschaft überlassen. Das ist Ausfluss von deren verfassungsrechtlich geschützten Autonomie, Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV. Das wird plastisch an dem Erfordernis, dass Geistliche in der Nähe ihres Gotteshauses wohnen; das hat nicht nur mit deren Erreichbarkeit zu tun, sondern kann auch legitimer Ausdruck des Wunsches der nach außen dokumentierten Verbundenheit zwischen etwa dem Kirchengebäude und dem Pfarrhaus sein. Verfehlt sind daher Erwägungen, angesichts der allgemeinen Mobilität in der modernen Gesellschaft könne es darauf nicht mehr ankommen.4

12.142

§ 3 Abs. 1 Nr. 6 GrStG in der einen längeren Streit zwischen den Kirchen und der Finanzverwaltung beendenden5 Fassung von 19936 Dienstgrundstücke betreffend kann nur als Reaktion des Gesetzgebers auf eine BFH-Entscheidung verstanden werden.7 Streitpunkt war das Tatbestandsmerkmal, dass das betreffende Grundstück „unmittelbar“ dem Unterhalt des Stelleninhabers dienen musste. Nach der Besoldungstechnik der Kirchen in der Gegenwart ist das praktisch kaum mehr der Fall. Um die Steuerbefreiung der Sache nach zu erhalten stellt die geltende Regelung darauf ab, dass das Grundstück sowohl am 1.1.1987, als auch zum Veranlagungszeitpunkt einem nach Kirchenrecht gesonderten Vermögen, etwa einem Pfarr- oder Stellenfonds, zugehört, dessen Erträge ausschließlich der Besoldung und Versorgung von Geistlichen und Kirchendienerns dient.8 Später erworbene Grundstücke fallen damit aus der Steuerbefreiung auch dann heraus, wenn es sich um durch Tausch oder Ersatzkauf erworbene Grundstücke handelt.9 Der Besoldungszweck muss sich aus einer hinreichenden Zweckbindung der Erträge ergeben; ob der Grundbesitz mit anderen Vermögenswerten gemeinsam verwaltet wird, ist demgegenüber irrelevant.10 Auf die konkrete Nutzung des Grundstücks kommt es nicht an, da hier der Finanzierungszweck im Vordergrund steht.11

12.143

1 BFH v. 16.5.1975 – III R 54/74, BStBl. 1975 II, 746; bestätigt in BFH v. 16.2.1979 – III R 45/76, BStBl. 1979 II, 286. 2 BFH v. 12.1.1973 – III R 857/72, BStBl. II 1973, 377; BFH v. 18.10.1989 – II R 209/83, BStBl. II 1990, 190. 3 BFH v. 16.7.1965 – III 125/63 U, BStBl. III 1965, 568. 4 So aber Troll/Eisele, Grundsteuergesetz12, § 3 Rz. 58. 5 Vgl. Clasen, Steuervergünstigungen von Religionsgemeinschaften, S. 83 mit Fn. 314. 6 BGBl. I 1993, 1569. Vgl. zur Entstehungsgeschichte auch Halaczinsky, Grundsteuer-Kommentar2, 1995, § 3 Rz. 34 ff. 7 Troll/Eisele, Grundsteuergesetz12, § 3 Rz. 1, 59; es geht um BFH v. 13.5.1987 – II R 225/82, BStBl. II 1982, 722. 8 Troll/Eisele, Grundsteuergesetz12, § 3 Rz. 59. 9 BFH v. 10.7.2002 – II R 22/00, BFH/NV 2003, 202. 10 Troll/Eisele, Grundsteuergesetz12, § 3 Rz. 59. 11 Clasen, Steuervergünstigungen von Religionsgemeinschaften, S. 83 f.

Waldhoff | 939

Kap. 12 Rz. 12.144 | Besteuerung von Religionsgemeinschaften

12.144

§ 4 Nr. 1 GrStG enthält einen subsidiären Auffangtatbestand für bestimmten Grundbesitz im Zusammenhang mit Religionsgemeinschaften, der ebenfalls grundsteuerbefreit sein soll: Von der Grundsteuer befreit ist danach auch solcher Grundbesitz, der dem Gottesdienst einer korporierten Religionsgemeinschaft gewidmet ist; wie bei § 3 GrStG sind jüdische Kultusgemeinden auch hier gleichgestellt. Dieser Tatbestand besitzt nur Relevanz, wenn nicht schon die Befreiungstatbestände des § 3 GrStG eingreifen.1

12.145

§ 4 Nr. 1 GrStG stellt ausschließlich auf die konkrete Nutzung des Grundbesitzes ab; damit sind die Eigentumsverhältnisse an dem Grundstück irrelevant. In der Praxis kommen Kapellen in privaten Burgen und Schlössern, in privaten Krankenhäusern u.ä. vor. Unschädlich ist auch, wenn der Gottesdienstraum an eine Religionsgemeinschaft von einem Privaten vermietet wird.2

12.146

Was Gottesdienst ist, ist nach dem Selbstverständnis der betreffenden Religionsgemeinschaft zu bestimmen. Entscheidend ist die zweckgebundene Widmung des Grundbesitzes und die objektive Nutzung, nicht jedoch kommt es auf die bewertungsrechtliche Zurechnung an.3 Ähnlich wie bei den Kategorien Religion und Religionsgemeinschaft4 kann jedoch eine Plausibilisierung verlangt werden. Der Religionsgemeinschaft obliegt insofern eine Darlegungslast. Keinesfalls kann erforderlich sein, dass ein Priester oder sonst ein Geistlicher den Gottesdienst abhält, weil andernfalls die religiöse Selbstbestimmung beeinträchtigt werden könnte. Auch ist es problematisch, an „überlieferte Formen“ o.ä. anzuknüpfen,5 weil dadurch eine religionsverfassungsrechtlich nicht gedeckte kulturalistische Verengung vorgenommen werden würde. Weil Bezugspunkt die Religionsgemeinschaft ist, muss der Gottesdienst dieser freilich zugerechnet werden können, d.h. sich in der Art und Weise vollziehen, die den Anforderungen der Religion bzw. Konfession entspricht. Damit sind religiöse Vorträge, Besprechungen oder Übungen ausgeschlossen.6

12.147

Widmung meint nicht den kirchenrechtlichen Rechtsakt und auch nicht zwingend die Fähigkeit korporierter Religionsgemeinschaften, für den weltlichen Rechtsverkehr Gegenstände zu widmen.7 Für die hiesigen steuerlichen Zwecke geht es um die Zweckbestimmung. Typische Fälle sind Kirchen, Kapellen, für den Gottesdienst bestimmte Gemeindesäle, Synagogen, Moscheen. Auch ein unbebautes Grundstück ist als entsprechender steuerbefreiter Grundbesitz grds. denkbar.8 Das Grundstück ist großzügig zu umgrenzen, so dass auch Vorplätze, Parkplätze, Freiflächen u.ä. in die Steuerbefreiung einzubeziehen sind. Befindet sich ein dem Gottesdienst gewidmeter Raum in einem anderweitig genutzten Gebäudekomplex, ist nach § 8 GrStG eine Aufteilung vorzunehmen.9 Wie allgemein im Grundsteuerrecht kommt es auf den Zeitpunkt an, an dem das Grundstück für den Gottesdienst hergerichtet wird, d.h. nicht etwa erst auf den Weihezeitpunkt eines katholischen Kirchengebäudes oder auf den Zeitpunkt des ersten Gottesdienstes.10 Das Grundstück muss für den Gottesdienst dauerhaft bereitgehalten Troll/Eisele, Grundsteuergesetz12, § 4 Rz. 1. Troll/Eisele, Grundsteuergesetz12, § 4 Rz. 2. Halaczinsky, Grundsteuer-Kommentar2, 1995, § 4 Rz. 4. Vgl. BVerfG v. 5.2.1991 – 2 BvR 263/86, BVerfGE 83, 341. Vgl. Troll/Eisele, Grundsteuergesetz12, § 4 Rz. 2 unter Rückgriff auf RFH-Judikatur von 1938. Troll/Eisele, Grundsteuergesetz12, § 4 Rz. 2. Heinig, Res sacrae / öffentliches Sachenrecht in Heinig/Munsonius (Hrsg.), 100 Begriffe aus dem Staatskirchenrecht, S. 212. 8 Troll/Eisele, Grundsteuergesetz12, § 4 Rz. 2. 9 Troll/Eisele, Grundsteuergesetz12, § 4 Rz. 2. 10 Troll/Eisele, Grundsteuergesetz12, § 4 Rz. 2. 1 2 3 4 5 6 7

940 | Waldhoff

G. Sonstige Steuern | Rz. 12.151 Kap. 12

werden; auch eine nur gelegentliche entsprechende Nutzung reicht aus. Bei Mehrfachnutzung zu unterschiedlichen Zwecken ist auf den Schwerpunkt und auf das Gesamtbild abzustellen.1 Beispiel: Wenn in einem evangelischen Kirchengebäude abends gelegentlich (weltliche) Konzerte stattfinden ist das im Hinblick auf § 4 Nr. 1 GrStG unschädlich; andersherum wird ein Konzertsaal, in dem ausnahmsweise ein Gottesdienst stattfindet, dadurch nicht i.S.v. § 4 Nr. 1 GrStG „umgewidmet“. Die Friedhöfe („Bestattungsplätze“) betreffende Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 2 GrStG kann Religionsgemeinschaften betreffen, da es in Deutschland auch kirchliche Friedhöfe gibt.2 Die gemeindlichen Friedhöfe sind bereits nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GrStG als Hoheitsbetriebe steuerfrei. Der steuerbefreite Grundbesitz ist auch hier großzügig zu umgrenzen, d.h. einschließlich von Aussegnungshallen, Friedhofskapellen, Verwaltungsgebäude, Aufenthaltsräume für das Friedhofspersonal usw. sind mitumfasst. Die Steuerbefreiung endet, wenn keine Beerdigungen mehr stattfinden. Erst Recht, wenn der Friedhof aufgelassen ist.

12.148

Relevanz im hiesigen Zusammenhang kann zudem § 5 Abs. 1 Nr. 2 GrStG zukommen. Durch den Grundtatbestand des § 5 GrStG gilt die durch § 3 GrStG gewährte Steuerbefreiung nicht für wohngenutzten Grundbesitz. Eine Unterausnahme bezieht sich nach Abs. 1 Nr. 2 der Vorschrift u.a. auf Schülerheime, Ausbildungs- und Erziehungsheime sowie Prediger- und Priesterseminare, „wenn die Unterbringung in ihnen für die Zwecke des Unterrichts, der Ausbildung oder der Erziehung erforderlich ist“. Für Schülerheime muss ein hinreichender Bezug zwischen der kirchlichen Schule und dem Heim bestehen; bei der Hauptform, den Internaten, ist das regelmäßig gegeben.3 Während bei Ausbildungs- und Erziehungsheimen der Ausbildungs- bzw. Erziehungszweck nachgewiesen werden muss, wird er bei den für Religionsgemeinschaften relevanten Priester- und Predigerseminaren unterstellt.4 Trotz des hier an christliche Traditionen anknüpfenden Wortlauts bestehen gegen eine analoge Erstreckung auf Heime für die Ausbildung von Rabbinern (Rabbinerschulen) und Imamen keine Bedenken.

12.149

Für kirchliche Altenheime gelten bei kirchlicher Trägerschaft keine Besonderheiten gegenüber sonstigen gemeinnützigen Trägern.5 § 6 GrStG nimmt Steuerbefreiungen von land- und forstwirtschaftlich genutzten Grundbesitz wieder zurück, statuiert für die hier relevanten Fälle des § 4 Nr. 1 und 2 GrStG jedoch wiederum eine Rückausnahme.

12.150

Der danach übrigbleibende grundsteuerpflichtige Grundbesitz der Religionsgemeinschaften wird in Abschn. 14 Abs. 3 der GrStR umschrieben:6

12.151

– Grundbesitz, der für Wohnzwecke genutzt wird, soweit nicht § 5 GrStG eingreift; – Grundbesitz, auf dem ein steuerpflichtiger Betrieb gewerblicher Art (Rz. 12.70) unterhalten wird; – Grundbesitz, der land- und forstwirtschaftlich genutzt wird; 1 Troll/Eisele, Grundsteuergesetz12, § 4 Rz. 2. 2 Dazu insgesamt Schnell in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 33, §61; für einen Überblick Schrader in Staatslexikon Recht – Wirtschaft – Gesellschaft, Bd. 28, 2018, Sp. 940 ff. 3 Troll/Eisele, Grundsteuergesetz12, § 5 Rz. 5. 4 Troll/Eisele, Grundsteuergesetz12, § 5 Rz. 5. 5 Näher zu den Einzelheiten Troll/Eisele, Grundsteuergesetz12, § 5 Rz. 7. 6 Vgl. auch Clasen, Steuervergünstigungen von Religionsgemeinschaften, S. 78.

Waldhoff | 941

Kap. 12 Rz. 12.151 | Besteuerung von Religionsgemeinschaften

– unbebauter Grundbesitz, soweit nicht § 7 GrStG eingreift; – Grundbesitz, der einem Dritten zur Benutzung überlassen ist.

12.152

Die Regelungstechnik der Grundsteuerbefreiung von Religionsgemeinschaften wird völlig zu Recht als wenig übersichtlich kritisiert.1 Mit guten Gründen wird betont, dass besser auf „kirchliche Zwecke“ i.S.v. § 54 AO abgestellt worden wäre.2

III. Grunderwerbsteuer 12.153

Die Grunderwerbsteuer knüpft als Verkehrsteuer an den inländischen Grundstücksverkehr an, § 1 GrEStG. Steuersubjekt und damit steuerpflichtig sind die am Erwerbsvorgang beteiligten Personen. In der Praxis wird die Steuerlast regelmäßig vertraglich auf den Käufer überwälzt. Die Aufzählung wird ergänzt durch Steuerbefreiungen in Spezialgesetzen, die für Religionsgemeinschaften jedoch keine Bedeutung besitzen. Die Aufzählungen sind nicht analogiefähig.

12.154

Nach § 4 Nr. 1 GrEStG ist der Grundstückserwerb durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts von der Grunderwerbsteuer ausgenommen, wenn der Erwerb aus Anlass des Übergangs von öffentlichen Aufgaben oder aus Anlass von Grenzänderungen von einer anderen juristischen Person des öffentlichen Rechts erfolgt und das betreffende Grundstück nicht überwiegend einem Betrieb gewerblicher Art (Rz. 12.70) dient. Die Rechtsform des Körperschaftsstatus von Religionsgemeinschaften nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 WRV reicht tatbestandlich aus, auch wenn es sich bei diesen Körperschaften nicht um Teile des Staates handelt (Rz. 12.4).3 Jüdische Kultusgemeinden sind von der Befreiung nur erfasst, sofern sie den Körperschaftsstatus besitzen; das ist ein Unterschied zur Grundsteuer (Rz. 12.135). Der Gesetzgeber ist berechtigt, aus historischen Gründen diese Gleichstellung zu den korporierten Religionsgemeinschaften vorzunehmen (Rz. 12.136), er ist jedoch nicht dazu verpflichtet und eine Analogie scheidet hier aus. Auf beiden Seiten des Rechtsgeschäfts bzw. Übergangs müssen mithin juristische Personen des öffentlichen Rechts beteiligt sein.4 Ausländische Religionsgemeinschaften müssen daher in Deutschland Körperschaftsstatus genießen.5

12.155

Erste tatbestandliche Alternative ist der Zusammenhang mit dem Übergang öffentlichrechtlicher Aufgaben. Das sind Aufgaben, die der juristischen Person eigentümlich und vorbehalten sind sowie ihren Zwecken dienen.6 Handelt es sich bei den Beteiligten um korporierte Religionsgemeinschaften ist dieser Gedanke entsprechend zu übertragen: Es muss sich um den Übergang von Aufgaben handeln, die nach dem Selbstverständnis der Religionsgemeinschaft spezifisch von dieser zu erbringen sind.7 Übergang „aus Anlass“ fordert einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Aufgabenübergang und der Grundstücksübertragung. 1 Weides in FS der Rechtswissenschaftlichen Fakultät zum 600jährigen Jubiläum der Universität zu Köln, S.885 (896); Droege in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 33, § 74 Rz. 19. 2 Troll/Eisele, Grundsteuergesetz12, § 3 Rz. 54. 3 Nienhaus in Behrens/Wachter, Grunderwerbsteuergesetz, § 4 Rz. 5; Viskorf in Boruttau, Grunderwerbsteuergesetz19, § 4 Rz. 11. 4 Allgemein, nicht auf Religionsgemeinschaften bezogen, BFH v. 9.11.2016 – II R 12/15, BStBl. II 2017, 211. 5 Rausch in Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 19 Rz. 126. 6 Nienhaus in Behrens/Wachter, Grunderwerbsteuergesetz, § 4 Rz. 9. 7 Viskorf in Boruttau, Grunderwerbsteuergesetz19, § 4 Rz. 16.

942 | Waldhoff

G. Sonstige Steuern | Rz. 12.157 Kap. 12

Wird ein übertragenes Grundstück daher zunächst nicht aufgabenspezifisch genutzt, dies aber Jahre später dann doch verwirklicht, greift die Steuerbefreiung nicht; unschädlich ist demgegenüber wenn zunächst die Aufgabe übergeht, das Grundstücksgeschäft sich zeitlich noch etwas hinzieht.1 Der Sinn der Steuerbefreiung wird nur erreicht, wenn die übernehmende juristische Person dieselbe Funktion wahrnimmt, wie die abgebende.2 Daher hat der BFH zu Recht die Steuerfreiheit in Bezug auf die Grunderwerbsteuer abgelehnt, in der eine evangelische Kirchengemeinde ein Grundstück mit Kirche und Pfarrhaus einer christlich-orthodoxen Gemeinde verkaufte, denn Gottesdienst wie Seelsorge seien bei beiden Gemeinden konfessionsgebunden. Allein die Erhaltung der Kirche als sakrales Gebäude reiche dafür nicht aus.3 Bejaht wurde der Übergang der öffentlich-rechtlichen Aufgabe bei der Übertragung von Grundstücken beim Zusammenschluss zweier Landeskirchen: Eine kirchlichen Stiftung einer der ursprünglichen Landeskirche übertrug die Grundstücke auf eine neu gegründete kirchliche Stiftung der neuformierten Landeskirche. Der BFH stellte auf den Übergang des Prüfungs- und Zeugnisrechtes der staatlich anerkannten Ersatzschule ab.4 M.E. hätte man hier auch auf die Schulträgerschaft als solche abstellen können, denn es reichen kirchliche Aufgaben als öffentlich-rechtliche aus, die Aufgabe muss nicht staatlich i.e.S. sein.5 Folgerichtig tritt die Steuerbefreiung nicht ein, wenn eine staatliche Gemeinde eine Schule samt Grundstück auf einen kirchlichen Träger überträgt, denn es wird nicht dieselbe Aufgabe übertragen.6 Diese Identität der Aufgabe wurde in anderen Fällen verkannt, so wenn die Steuerbefreiung gewährt wurde, als eine Kirchenstiftung einen Kindergarten samt Grundstück auf die staatliche Gemeinde übertrug.7 Im hiesigen Zusammenhang kann auch die zweite tatbestandliche Alternative relevant sein, der Übergang „aus Anlass von Grenzänderungen“. Hier spielen die Zusammenlegungen von Kirchengemeinden eine Rolle, die nach Landesrecht oftmals an eine staatliche Genehmigungspflicht geknüpft sein können.8 Der Übergang erfolgt im Wege einer Universalsukzession und beide beteiligten Einheiten sind regelmäßig Körperschaften des öffentlichen Rechts.

12.156

Nicht abschließend geklärt ist der Grundstücksübergang bei der Fusion von Kirchengemeinden, wenn die Grundstücke selbst von einer Kapitalgesellschaft gehalten werden, deren Gesellschafter die beteiligten Kirchengemeinden sind. Strittig ist bei diesen Geschäften als sog. fingierte Erwerbsvorgänge, ob die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 1 GrEStG überhaupt anwendbar ist. Das FG Münster sieht hier einen grunderwerbsteuerlichen Tatbestand, sofern die zu-

12.157

1 Viskorf in Boruttau, Grunderwerbsteuergesetz19, § 4 Rz. 19 f. 2 BFH v. 1.9.2011 – II R 16/10, NVwZ-RR 2012, 40; a.A. noch das FG Hamburg v. 5.11.2009 – 3 K 71/09, 3 K 72/06, EFG 2010, 1154 als Vorinstanz, die die konfessionelle Differenz mit Argumenten der ökumenischen Zusammenarbeit überwinden wollten. 3 BFH v. 1.9.2011 – II R 16/10, NVwZ-RR 2012, 40. 4 BFH v. 27.11.2019 – II R 40/16, DStR 2020, 717. 5 So wohl auch Viskorf in Boruttau, Grunderwerbsteuergesetz19, § 4 Rz. 16 zur Vorinstanz. 6 BFH v. 13.7.1966 – II 140(63, BFHE 86, 693. Zu Recht wurde die Steuerbefreiung auch verneint bei der Übertragung eines Grundstücks mit (staatlicher) gemeindlicher öffentlicher Bücherei auf einen privatrechtlichen gemeinnützigen Trägerverein FG Nürnberg v. 16.10.2014 – 4 K 1315/12, EFG 2015, 148. 7 FG München v. 10.3.2004 – 4 K 2439/03, BeckRS 2004, 26016674. In FG Hamburg v. 5.2.2013 – 3 K 74/12, EFG 2013, 956, wurde die Aufgabenübertragung hinsichtlich eines Kindergartens beim Übergang von einem zu einem anderen kirchlichen Träger bejaht, die Steuerbefreiung wurde jedoch wegen des Vorliegens eines Betriebs gewerblicher Art verwehrt. 8 Nienhaus in Behrens/Wachter, Grunderwerbsteuergesetz, § 4 Rz. 12 ff. m.w.N.

Waldhoff | 943

Kap. 12 Rz. 12.157 | Besteuerung von Religionsgemeinschaften

sammengelegte neue Kirchengemeinde sämtliche Anteile an der grundbesitzenden Kapitalgesellschaft hält.1 Gegen diese Entscheidung wurde Revision eingelegt.2

IV. Sonstige Vergünstigungen 12.158

Steuerbefreiungen für Religionsgemeinschaften gibt es auch bei sonstigen Steuern, etwa den örtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern i.S.v. Art. 105 Abs. 2a GG.3 Viele kommunale Vergnügungssteuersatzungen enthalten entsprechende Befreiungen.4

1 FG Münster v. 17.6.2021 – 8 K 364/21 GrE, EFG 2021, 1571. 2 Az. des BFH: II R 24/21; der BFH hatte zuvor ein anderes Urteil des FG Münster (v. 7.6.2017 – 8 K 3992/14 GrE) aus anderen Gründen aufgehoben: Der Zeitpunkt der Steuerentstehung falle mit dem Zeitpunkt der staatlichen Anerkennung der neuen, zusammengelegten Kirchengemeinde als Körperschaft des öffentlichen Rechts zusammen; BFH v. 4.3.2020 – II R 35/17. 3 Zu diesen im Überblick Waldhoff in Ehlers/Fehling/Pünder, Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. 34, 2021, § 67 Rz. 219 ff. 4 Vgl. Droege in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 33, § 74 Rz. 31 mit Fn. 162.

944 | Waldhoff

Stichwortverzeichnis § 2b UStG – Entwicklung der Vorschrift 5.94 ff. – Erläuterung § 2b Abs. 2 5.132 ff. – Erläuterung § 2b Abs. 3 5.146 ff. – Erläuterung § 2b Abs. 4 5.166 ff. – fehlender Wettbewerb 3.104 ff. – Gesetzesbegründung 5.100 – größere Wettbewerbsverzerrungen 5.127 ff. – Handlungsform, § 2b Abs. 1 Satz 1 UStG 3.62 – Hochschule 11.9 ff. – Keine größeren Wettbewerbsverzerrungen 3.100 ff. – Keine Tätigkeit im Wettbewerb zu privaten Dritten 3.34 ff. – öffentlich-rechtliche Grundlage 5.121 ff. – öffentlich-rechtliche Handlungsformen 3.68 – Parkplätze 9.42 ff. – privilegierte Kooperationen 3.108 ff. – Religionsgemeinschaften ab Inkrafttreten § 2b 12.91 ff. – Religionsgemeinschaften bis Inkrafttreten § 2b 12.88 ff. – systematisch vorgelagerte Prüfungen 3.86 – unionsrechtliches Korrektiv 3.90 ff. – Unternehmereigenschaft 5.103 ff. – wirtschaftliche Tätigkeit 5.119 f.

Abgabe

– Ertragskompetenz 8.6 – Erzielung von Einnahmen 8.14 – Geldleistung 8.8 f. – Gemeinlast 8.10 – Sach- oder Dienstleistung 8.8 f. – Steuern 8.7 Abwasserentsorgung – Abfallrecht in der Entwässerung 9.485 – Annahme Abwässer außerhalb örtl. Zuständigkeit 9.477 ff. – Annahme Fettabscheiderinhalte 9.484 – Annahme Klärschlämme, Co-Substrate 9.481 ff. – Entgeltliche Abgabe Wärme/Einspeisung Strom 9.486 ff.

– – – –

Entsorgungseinrichtung 9.441 f. Gebietserweiterung 9.467 ff. Labordienstleistungen 9.489 Maßgeblichkeit Landes-, Ortsgesetze 9.464 ff. – Phosphorrückgewinnung 9.490 f. Amtsermittlungsgrundsatz – Allgemeine Weisungen 8.146 – Art und Umfang der Ermittlung 8.145 – Begriff 8.141 – Beibringungsgrundsatz 8.142 f. – Ermittlung bedeutsamer Umstände 8.144 – Ermittlung des Sachverhalts im Besteuerungsverfahren 8.140 – Risikomanagementsysteme 8.147 – Verletzung der Ermittlungspflicht 8.152 Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung – Aussetzung/Aufhebung der Vollziehung auf Antrag 8.344 ff. – Aussetzung/Aufhebung der Vollziehung eines Folgebescheids 8.349 f. – Aussetzung/Aufhebung der Vollziehung nach Sicherheitsleistung 8.348 – Beschränkung der Aussetzung/Aufhebung der Vollziehung bei Steuerbescheiden 8.347 – Rechtsbehelf bei Ablehnung der Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung 8.351 Ausübung öffentlicher Gewalt – Abgrenzung BgA – Hoheitsbetrieb 4.98 ff.

Behörde

– Begriff 8.84 ff. – Bundesfinanzbehörde 8.3 f. – Landesfinanzbehörde 8.5 Beitrag – Gegenleistung 8.11 – Geldleistung 8.11 Bekanntgabe von Steuerbescheiden – Begriff 8.154 – Bekanntgabe durch Bereitstellung zum Abruf 8.168 ff. 945

Stichwortverzeichnis

– – – –

elektronische Übermittlung 8.167 Förmliche Zustellung 8.173 f. Inhaltliche Bestimmtheit 8.158 ff. Inhaltsadressat, Bekanntgabeadressat und Empfänger 8.155 ff. – öffentliche Bekanntgabe 8.175 f. – Übermittlung im Inland durch Post 8.164 – Übermittlung ins Ausland durch Post 8.165 f. – Wirksamwerden eines Steuerverwaltungsakts 8.153 – Zeitpunkt der Bekanntgabe 8.163 ff. Bestandskraft von Steuerbescheiden – Aufhebung oder Änderung nach § 172 AO 8.256 ff. – Aufhebung oder Änderung nach § 173 AO 8.259 ff. – Aufhebung oder Änderung nach § 173a AO 8.273 f. – Aufhebung oder Änderung nach § 174 AO 8.275 ff. – Aufhebung oder Änderung nach § 175 AO 8.278 ff. – Aufhebung oder Änderung nach § 175a AO 8.281 – Aufhebung oder Änderung nach § 175b AO 8.282 ff. – Aufhebung oder Änderung zuungunsten oder zugunsten des Steuerpflichtigen 8.267 ff. – Außenprüfung 8.272 – Berichtigung offenbarer Unrichtigkeiten 8.251 – Durchbrechung der (materiellen) Bestandskraft 8.255 ff. – Formelle Bestandskraft 8.249 – grobes Verschulden 8.270 f. – Korrektur von Rechtsfehlern nach § 177 AO 8.288 ff. – Materielle Bestandskraft 8.249 – nachträglich bekannt gewordene Tatsachen oder Beweismittel 8.259 ff. – Steuerbescheide unter Vorbehalt der Nachprüfung 8.252, 8.254 – Vertrauensschutz nach § 176 AO 8.285 ff. – vorläufige Steuerbescheide 8.253 f.

946

Besteuerung der Hochschulen – Alkoholsteuer, Biersteuer 11.183 ff. – Erbschaftsteuer 11.178 ff. – Grunderwerbsteuer 11.163 ff. – Grundsteuer 11.173 ff. – Hochschulrecht 11.116 ff. – Körperschaftsteuer 11.122 ff. – Kraftfahrzeugsteuer 11.186 – Lohnsteuer 11.160 ff. – Umsatzsteuer 11.106 ff. – Verfahrensrecht 11.163 ff. Besteuerung der öffentlichen Hand – Bedeutung der Beihilfe für die Besteuerung 2.79 ff. – Bedeutung der Gemeinnützigkeit 2.84 – Bedeutung der Grundfreiheiten 2.72 f. – Bundesrepublik Deutschland 2.17 ff. – Deutsches Kaiserreich 2.4 ff. – europarechtliche Vorgaben – allgemein 2.68 ff. – europarechtliche Vorgaben aus dem Primärrecht 2.70 f. – europarechtliche Vorgaben aus dem Sekundärrecht 2.82 f. – Finanzausgleichsfunktion 2.33 f. – Fiskalzweck 2.23 ff. – Gewerbesteuer 7.11 ff. – Gleichbehandlung von öffentlicher Hand und Privaten 2.44 f. – Grundrechte begründen (kein) Besteuerungsgebot 2.40 ff. – Grundrechtliche Vorgaben für die Besteuerung 2.37 ff. – Grundsatz der Wettbewerbsneutralität 2.27 – Hauptzweck: Wettbewerbspolitische Lenkung 2.26 ff. – Historische Entwicklung 2.3 ff. – Hoheitsfunktion als Gegenzweck 2.31 – Kein Effizienzanreiz 2.32 – Konnexitätsprinzip 2.63 ff. – Nationalsozialismus 2.12 ff. – Selektivität als Voraussetzung für die Einordnung als Beihilfe 2.75 ff. – Steuersubjektqualität 4.7 ff. – Steuervergünstigungen als mögliche Beihilfe 2.74 – Überblick über verfassungsrechtliche Vorgaben 2.36

Stichwortverzeichnis

– Verfahrensfolgen bei Beihilfe 2.78 – Verhinderung von Wettbewerbsverzerrungen 2.30 – Verwirkung des Gemeinwohls als Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen 2.46 ff. – Vorgaben aus der Berufsfreiheit 2.51 ff. – Vorgaben aus der Eigentumsfreiheit 2.54 – Vorgaben aus verfassungsrechtlichen Autonomiegeboten für bestimmte Institutionen 2.56 ff. – Weimarer Republik 2.6 ff. – Wettbewerbsgleichheit, Gleichmäßigkeit der Besteuerung 4.3 ff. – Wettbewerbsneutralität der Besteuerung 2.68; 4.3 ff. – Zunahme der Bedeutung 2.1 – Zweck der Besteuerung 2.23 ff. Besteuerung von Religionsgemeinschaften – Erbschaft- und Schenkungsteuer 12.121 ff. – Gemeinnützigkeit 12.151 ff. – Gewerbesteuer 12.78 – Grunderwerbsteuer 12.153 ff. – Grundsteuer 12.131 ff. – Körperschaftsteuer 12.67 ff. – Religionsgemeinschaft – seit § 2b UStG 12.91 – Religionsgemeinschaft – vor § 2b UStG 12.88 – Sonderproblem Ertragsteuerrecht 12.66 – sonstige Vergünstigungen 12.158 – Steuerliche Befreiungen – Anknüpfung an Körperschaftstatus 12.140 ff. – Überlagerung Steuerrecht durch Religions- und Steuerverfassungsrecht 12.11 – Umsatzsteuer 12.86 ff. Betrieb der öffentlichen Hand – Betriebe der Daseinsvorsorge und andere Betriebe 7.83 ff. – Betriebe gewerblicher Art 7.43 – Gewerbebetrieb kraft Tätigkeit 7.41 – Gewerbesteuerliche Einordnung 7.36 – Gewinnerzielungsabsicht 7.63 – Juristische Personen des öffentlichen Rechts 7.39 – Strukturelle gewerbesteuerliche Verknüpfung 7.69 ff.

– Tatbestandsmäßige gewerbesteuerliche Verknüpfung 7.46 ff. Betrieb gewerblicher Art – Abgrenzung zum Hoheitsbetrieb 4.98 ff. – Beendigung/Umwandlung 4.232 ff. – Beteiligung an Kapitalgesellschaften 4.50 ff. – Beteiligung an Personengesellschaften 4.55 ff. – Betrieb durch jPdöR 4.15 ff. – Betriebsverpachtung, wirtschaftliche Herausgehobenheit 4.41 – Dauerverlustbetriebe siehe Dauerverlustbetrieb – Einkommensermittlung siehe Einkommensermittlung – Einkünfte aus Kapitalvermögen 4.279 ff. – Einnahmeerzielungsabsicht 4.30 – Einrichtungen mit nachhaltiger, wirtschaftlicher Tätigkeit 4.18 ff. – Freibetrag, Steuersatz 4.278 – Gemeinnützigkeit 4.334 ff. – gesetzliche Definition, § 4 Abs. 1 KStG 4.14 – Gewerbesteuerpflicht 7.43 ff. – Gewinnermittlung siehe Gewinnermittlung – Gewinnerzielungsabsicht, nicht zwingend 4.45 – Grunderwerbsteuerbefreiung, § 4 GrEStG 7.376 ff. – Hochschule 11.122 ff. – juristische Person des öffentlichen Rechts 4.47 – kirchlich 12.70 – Kurbetriebe, Tourismuseinrichtungen 9.211 ff. – Marktbetriebe 9.72 ff. – Museen 9.167 ff. – Museen, Theater, andere kulturelle Einrichtungen 9.162 ff. – Parkplätze 9.4 ff. – Steuerlicher Querverbund i.S.d. § 4 Abs. 6 KStG 4.116 ff. – Teilnahme wirtschaftlicher Verkehr, nicht zwingend 4.42 ff. – Theater 9.171 ff. – Verlustverrechnung siehe Verlustverrechnung 947

Stichwortverzeichnis

– Verpachtungsbetriebe i.S.d. § 4 Abs. 4 KStG siehe Verpachtungsbetrieb – Verpachtungs-BgA 9.105 ff. – Versorgungsbetriebe i.S.d. § 4 Abs. 3 KStG siehe Versorgungsbetrieb – wirtschaftliche Herausgehobenheit 4.33 ff. Betrieb gewerblicher Art, gemeinnützig – Allgemeines 4.334 – Ertragsteuerliche Freistellung von Zweckbetrieben 4.337 ff. – Kulturelle Einrichtungen und Veranstaltungen 4.350 – Medizinische Versorgungszentren 4.349 – Steuerlich unschädliche Betätigungen (§ 58 AO) 4.358 ff. – Tierparks, Zoos und Erholungsparkanlagen 4.354 – Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung 4.353 Betrieb gewerblicher Art mit eigener Rechtspersönlichkeit – Anwendung § 8b KStG 4.294 – Kapitalertragsteuer 4.292 – Persönlicher Anwendungsbereich 4.285 ff. – Sachlicher Anwendungsbereich 4.289 ff. Betrieb gewerblicher Art ohne eigene Rechtspersönlichkeit – Kapitalerträge der inl. öffentlichen Rundfunkanstalten (Gruppe 3) 4.330 – Kapitalerträge Eigen- oder Regiebetriebe (Gruppe 1) 4.304 ff. – Kapitalerträge i.S.d. § 22 Abs. 4 UmwStG (Gruppe 2) 4.324 ff. – Kapitalertragsteuer 4.331 – Persönlicher Anwendungsbereich (§ 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG) 4.298 ff. – sachlicher Anwendungsbereich 4.304 ff. Betriebsaufspaltung – Abgrenzung bei Überlassung an BgA 9.135 ff. – Abgrenzungsfragen 9.126 ff. – Merkmale Betriebsaufspaltung 9.128 ff. – Personelle Verflechtung 9.129 ff. – Rechtsfolgen 9.142 ff. – Sachliche Verflechtung 9.131 ff. – Unentgeltliche Überlassung an Eigengesellschaften 9.138 ff. 948

Bindungswirkung anderer Verwaltungsakte – Anfechtungsbeschränkung bei Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsakts 8.308 f. – Anfechtungsbeschränkung bei Folgebescheiden 8.310 f.

Datenschutz

– Datenschutz-Grundverordnung 8.23 – Datenschutzrecht 8.23 ff. – Körperschaften 8.24 f. – natürliche Personen 8.24 – personenbezogene Daten 8.24 Dauerverlustbetrieb – Begünstigte Betriebe 4.257 – Begünstigte Dauerverlustgeschäfte 4.258 ff. – dauerdefizitäre Verpachtungs-BgA 9.121 – kulturelle Tätigkeit als Dauerverlustbetrieb 9.174 ff. – Kurbetriebe, Tourismuseinrichtungen 9.226 ff. – Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht 4.246 – Verpachtung dauerdefizitärer Betriebe, Umsatzsteuer 9.152 ff. – vGA Grundsätze 4.236 ff.

Einkommensermittlung

– § 8b KStG 4.205 ff. – Betriebe gewerblicher Art 4.140 ff. – Gewinnermittlung siehe Gewinnermittlung – Kommunale Eigengesellschaften 4.143 – Verfahren 4.149 Einkünfte aus Kapitalvermögen – Besonderheiten BgA 4.334 – BgA mit eigener Rechtspersönlichkeit 4.285 ff. – BgA ohne eigene Rechtspersönlichkeit 4.298 ff. – Ertragsteuerliche Freistellung von Zweckbetrieben 4.337 ff. – Freistellung KapESt gemeinnützige BgA 4.64 Einlegung Einspruch – Adressat 8.330 ff. – Form 8.323 f. – Inhalt 8.325 ff.

Stichwortverzeichnis

Einrichtung – Beispiele BFH Rechtsprechung 4.24 – Definition 4.18 ff. – Vorliegen einer Einrichtung 4.21 f. – Wertgrenzen, maßgebliches Kriterium 4.23 Einspruchsentscheidung – Abhilfe 8.387 ff. – Antrag auf schlichte Änderung nach Ergehen der Einspruchsentscheidung 8.398 ff. – Einspruchsentscheidung durch Allgemeinverfügung 8.397 – Erneute Prüfung 8.385 – Förmliche Einspruchsentscheidung 8.391 ff. – Teil-Einspruchsentscheidung 8.396 – Verböserung 8.386 – Zuständigkeit 8.381 ff. Einspruchsverfahren – Ausschluss des Einspruchs 8.298 ff. – außergerichtliches Rechtsbehelfsverfahren in Abgabenangelegenheiten 8.291 ff. – Aussetzung der Vollziehung auf Antrag siehe Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung – Aussetzung und Ruhen des Verfahrens 8.352 ff. – Beschwer 8.299 ff. – Beteiligte und Hinzugezogene 8.337 ff. – Bindungswirkung anderer Verwaltungsakte 8.308 ff. – Einlegung und Rücknahme des Einspruchs 8.322 ff. – Einspruchsbefugnis in Ausnahmefällen 8.313 – Einspruchsentscheidung 8.381 ff. – Einspruchsfrist und Rechtsbehelfsbelehrung 8.318 ff. – Einspruchsverzicht 8.314 ff. – Einvernehmliche Verfahrensruhe 8.354 ff. – Erörterung des Sach- und Rechtsstands 8.368 ff. – Fortsetzung des Einspruchsverfahrens 8.363 ff. – Fristsetzung und Präklusion 8.373 ff. – Offenlegung der Besteuerungsgrundlagen 8.367

– Rechtsbehelf bei Ablehnung oder Widerruf 8.366 – Ruhen des Einspruchsverfahrens 8.354 ff. – Statthaftigkeit des Einspruchs 8.295 ff. – Verfahrensaussetzung 8.353 – Verfahrensruhe nach Allgemeinverfügung 8.362 – Weitere Verfahrensvorschriften 8.377 ff. – Zulässigkeit des Einspruchs 8.335 f. – Zwangsruhe 8.357 ff. Energiesteuer – Allgemeines 7.457 Entgeltlichkeit der Leistung – Entgeltbegriff 3.42 ff. – Tauschähnliche Umsätze 3.45 – Überblick 3.41 – unentgeltliche Wertabgabe 3.51 ff. – Zuschüsse 3.46 ff. Entsorgungseinrichtungen – Abfallentsorgung 9.492 f. – Abgrenzung im förderalen Zusammenhang 9.454 ff. – Abgrenzung nach räumlicher Zuständigkeit 9.451 ff. – Abgrenzung nach sachlicher Zuständigkeit 9.444 ff. – Abwasserentsorgung 9.464 ff. – Allgemeine Einordnung 9.441 f. – Hoheitliche Betätigung 9.443 ff. – Straßenreinigung 9.458 ff. Erbschaft- und Schenkungsteuer – Allgemeines 7.406 – Freibeträge 7.432 – Steuerbefreiungen 7.416 – Steuerklassen, Steuersatz 7.430 – Steuerpflichtige Vorgänge 7.410 ff. – Steuerschuldner 7.433 Ertragsteuerrecht – Betriebsaufspaltung, Einordnung siehe Betriebsaufspaltung – Grundfreiheiten 2.72 f. – Kulturbetriebe, Tourismuseinrichtungen 9.211 ff. – Marktbetriebe, Einordnung siehe Marktbetriebe – Museen, Theater, andere kulturelle Einrichtungen 9.162 ff. – Parkplätze, Einordnung siehe Parkplätze 949

Stichwortverzeichnis

– selbständige Parkflächen 9.16 ff. – selbständige Parkflächen, Einzelfälle 9.22 ff. – unselbständige Parkflächen 9.13 ff. – unselbständige Parkflächen, Einzelfälle 9.18 ff. – Verpachtungs-BgA, Einordnung siehe Verpachtungs-BgA

Festsetzungsverjährung

– allgemeine Festsetzungsfrist 8.180 – Anfechtung einer Steuerfestsetzung im Einspruchs-/Klageverfahren 8.213 ff. – Anlauf- und Ablaufhemmung 8.185 f. – Anlaufhemmung bei antragsgebundenen Steuerfestsetzungen 8.201 – Anlaufhemmung bei Erklärungspflicht 8.199 f. – Anlaufhemmung bei rückwirkenden Ereignissen 8.202 – Antrag auf Steuerfestsetzung, Korrektur der Steuerfestsetzung außerhalb des Einspruchs-/Klageverfahrens 8.209 ff. – Anwendungsbereich der Festsetzungsverjährung 8.187 ff. – Bedeutung der Festsetzungsverjährung 8.194 ff. – Beginn der Festsetzungsfrist 8.198 ff. – Berichtigung der Steuererklärung oder Selbstanzeige 8.236 f. – Dauer der Festsetzungsfrist 8.180 ff. – Durchführung einer Außenprüfung 8.218 ff. – Einleitung eines Straf-/Bußgeldverfahrens 8.231 – Ende der Festsetzungsfrist 8.203 f. – Erlass oder Korrektur von Grundlagenbescheiden 8.238 ff. – Erlöschen des Steueranspruchs 8.194 – Ermittlungen der Fahndungsstellen 8.230 – Festsetzung, Zerlegung ung Zuteilung von Realsteuermessbeträgen 8.191 – Feststellungsbescheide 8.189 – Grundregeln 8.178 f. – Haftungsbescheide 8.190 – Höhere Gewalt 8.205 – Offenbare Unrichtigkeit 8.206 ff. 950

– Rechtssicherheit und Rechtsfrieden 8.177 – Sonstige Ablaufhemmungen 8.244 ff. – Steuerbescheide, Freistellungsbescheide, Steuervergütungsbescheide 8.187 f. – Steuerliche Nebenleistungen 8.192 – Verfolgung von Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten 8.232 – verlängerte Festsetzungsfrist 8.182 ff. – Vorläufige oder ausgesetzte Steuerfestsetzung 8.233 ff.

Gebühr

– Gegenleistung 8.11 Gemeinnützigkeit – Anforderungen an die staatliche Aufgabenerfüllung 2.88 ff. – Ausschluss extremistischer religiöser Zusammenschlüsse 12.149 – Bedeutung für die Besteuerung der öffentlichen Hand 2.84 – Betriebe gewerblicher Art 4.334 ff. – Gemeinnützigkeitsfähigkeit der öffentlichen Hand 2.85 ff. – Gemeinnützigkeitsfähigkeit unabhängig von Rechtsform 2.92 f. – öffentliche Krankenhäuser siehe Krankenhaus – Religionsgemeinschaft 12.144 ff. – Sphären gemeinnütziger Religionsgemeinschaften 12.63 – zur Frage der Gemeinnützigkeit bei der Erfüllung von Pflichtaufgaben 2.90 f. Gesetzliche Krankenkassen – Ertragsteuerrecht 10.148 ff. – Gewerbesteuer 10.151 – Körperschaftsteuer 10.149 ff. – Rechtsgrundlage, Organisation und Leistungsverhältnisse 10.145 ff. – Umsatzsteuerrecht 10.153 ff. Gewerbesteuer – Allgemeines 7.1 ff. – Beginn der Steuerpflicht 7.143 ff. – Begünstigte Dauerverluste 7.76 – Beispielsfälle 7.160 – Besteuerung der öffentlichen Hand 7.11 ff. – Betriebe der Daseinsvorsorge und andere Betriebe 7.83 ff.

Stichwortverzeichnis

– Betriebe der öffentlichen Hand siehe Betrieb der öffentlichen Hand – Betriebe gewerblicher Art 7.43 ff. – Dauerverlustbetrieb 7.69 ff. – Einrichtungen der öffentlichen Hand 7.53 ff. – Erlöschen/Aufgabe der Steuerpflicht 7.143 ff. – Gewerbeertrag und Freibetrag 7.150 ff. – Gewinnerzielungsabsicht 7.63 ff. – Insolvenz des Gewerbebetriebs 7.143 ff. – Juristische Personen des öffentlichen Rechts 7.39 f. – Nicht begünstigte Dauerverluste 7.78 – Persönliche Steuerpflicht 7.15 f. – Rechtsformabhängige Gewerbebetriebe 7.25 ff. – Rechtsformunabhängige Gewerbebetriebe 7.20 ff. – Sachliche Steuerpflicht, Steuergegenstand 7.17 – Steuersatz 7.156 – Tatbestandsmäßige gewerbesteuerliche Verknüpfung 7.46 ff. – Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr 7.80 – Umfang des Gewerbebetriebs 7.133 ff. – Verdeckte Gewinnausschüttung 7.74 – Verfahren 7.158 – Wesen der Gewerbesteuer 7.7 – Wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb 7.31 – Wirtschaftliches Herausheben 7.58 ff. – Zusammenfassung gewerblicher Betätigung i.S.d. § 4 Abs. 6 KStG 7.135 ff. Gewinnermittlung – Angemessene Aufwendungen 4.174 f. – Arten 4.150 ff. – Darlehenszinsen 4.185 ff. – Dauerverluste 4.194 – Einlagen und Betriebseinnahmen 4.198 – Konzessionszahlungen 4.182 – Miet- und Pachtzinsen 4.176 ff. – Spenden und Sponsoring 4.191 ff. – Überführung von Wirtschaftsgütern 4.195 – Vermögensänderungen 4.169 ff. – Vermögenssphären 4.153 – vGA und Betriebsausgaben 4.169 ff.

– Zurechnung zu Vermögenssphären 4.154 ff. Grundbesitz, Nutzung – Benutzung für steuerbegünstigte Zwecke 7.317 ff. – Grenzen der Grundsteuerfreiheit 7.292 – Land- und Forstwirtschaft (§ 6 GrStG) 7.306 ff. – Nutzung zu Wohnzwecken (§ 5 GrStG) 7.294 ff. Grunderwerbsteuer – Allgemeine Steuerbefreiungen, § 3 GrEStG 7.353 ff. – Allgemeines 7.338 – Ausnahmen von der Besteuerung 7.349 ff. – Bemessungsgrundlage, Steuersatz 7.402 – Besondere Steuerbefreiungen, § 4 GrEStG 7.361 ff. – Betriebe gewerblicher Art 7.376 – Erwerb durch ausl. Staaten, diplomatische Zwecke 7.382 – Erwerb durch ausl. Staaten, kulturelle Zwecke 7.384 – Erwerbe im Zusammenh. mit EU Austritt 7.395 – Erwerbsvorgänge 7.341 – Grundstücke 7.346 – Hochschule 11.163 ff. – Juristische Personen des öffentlichen Rechts 7.361 – Kommunale Zusammenschlüsse – Gebietsreformen 7.386 – Konzernklausel 7.396 – Öffentlich Private Partnerschaft (ÖPP) 7.390 – Rechtsträgerwechsel 7.340 – Steuergegenstand 7.340 ff. – Steuerschuldner 7.405 Grundsteuer – Allgemeines 7.163 ff. – Erlass i.S.d. §§ 32-34 GrStG 7.333 – Gesetz zur Reform der Grundsteuer (GrStRefG) 7.172 – Hebeberechtigung 7.175 – Hochschule 11.173 ff. – Reform der Grundsteuer 7.170 – Sonstige Steuerbefreiungen (§ 4 GrStG) siehe Grundsteuerbefreiung, § 4 GrStG 951

Stichwortverzeichnis

– Steuerbefreiungen best. Rechtsträger (§ 3 GrStG) siehe Grundsteuerbefreiung, § 3 GrStG – Steuerbemessung, Festsetzung 7.329 – Steuergegenstand und -objekt 7.177 – Stichtag, Festsetzung, Steuerschuldner 7.326 – Verschiedene Nutzungen des Grundbesitzes siehe Grundbesitz – Wesen der Grundsteuer 7.166 ff. Grundsteuerbefreiung, § 3 GrStG – Allgemeines 7.180 – Anwendungsbeispiele 7.242 – Befreiungen § 3 Abs. 1 Nr. 1-6 GrStG 7.215 ff. – Hoheitliche Betätigung, § 3 Abs. 2 GrStG 7.245 ff. – Inländische jPöR 7.185 ff. – Keine Betriebe gewerblicher Art 7.263 ff. – Sonstige Rechtsträger 7.197 ff. – Zusammenhang zum Grundbesitz (subjektiv, objektiv) 7.201 ff. Grundsteuerbefreiung, § 4 GrStG – Allgemeiner Subsidiaritätsgrundsatz 7.269 – Befreiungen des öffentl. Versorgungsnetzes 7.277 – Befreiungen für Bestattungsplätze 7.274 – Befreiungen für Gottesdienste 7.271 – Befreiungen für Wissenschafts- und Bildungszwecke 7.285 – Krankenhäuser 7.289 – Wasser- und Bodenverbände 7.282

Handlungsformen

– öffentlich-rechtliche Handlungsformen 1.131 – privatrechtliche Handlungsformen 1.131 Herausforderung Paradigmenwechsel USt – § 2b UStG – konzeptionelle Herangehensweise 3.191 ff. – Analyse Ausgangsleistungen 3.218 ff. – Analyse Eingangsleistungen 3.205 ff. – Anforderungen an die IT 3.202 ff. – internes Zuständigkeitsmanagement 3.198 ff. – Notwendigkeit klarer Verwaltungsstrukturen 3.190 – Tax Compliance siehe Tax Compliance

952

Hochschulrecht – Akademische Lehrkrankenhäuser 11.159 – An-Institute 11.157 – Außeruniversitäre Forschungseinrichtungen 11.147 – Fakultäten 11.141 – Hochschule 11.117 ff. – Hochschulleitung 11.135 ff. – Hochschulrat 11.140 – Innere Organisation (innere Governance) 11.130 ff. – Rechtliche Organisation 11.120 ff. – Rechtsform 11.121 ff. – Senat 11.139 – Studenten-/Studierendenschaft 11.143 – Studenten-/Studierendenwerke 11.144 – Vertretung 11.129 hoheitlich – Abgrenzung zur nicht hoheitlichen Funktion 1.124 ff. – Besteuerungsverbot für hoheitliche Tätigkeiten 2.63 ff. – Hilfsgeschäft 3.78 ff. – Hochschule 11.109 ff. – hoheitliche Betätigung Entsorgungseinrichtungen siehe Entsorgungsbetriebe – Hoheitliche Funktion 1.124 ff. – Hoheitliche Tätigkeit 1.13 f. – Mischfälle mit wirtschaftlicher Tätigkeit 4.105 ff. – nicht umsatzsteuerbar 3.61 – privatrechtliche Nebenleistung 3.85 ff. – steuerliche Implikationen 1.132 f. Hoheitsbetrieb – Ausübung öffentlicher Gewalt 4.100 ff. – Definition § 4 Abs. 5 KStG 4.98 – Erfüllungsgehilfen 4.109 – kirchlich 12.73 ff. – Kriterien der Finanzverwaltung 4.112 ff. – Mischfälle 4.105 – Sonderregelung § 4 Abs. 5 S. 2 KStG 4.111

Innerbetriebliches Kontrollsystem – Festlegung Zuständigkeit 3.238 – Kontrollmaßnahmen 3.242 – Sensibilisierung u. Schulung Mitarbeiter 3.240 – Ziel eines IKS 3.237

Stichwortverzeichnis

Juristische Person des öffentlichen Rechts

– Begriff 1.55 – Betrieb gewerblicher Art, § 4 Abs. 2 KStG 4.47 f. – BgA mit eigener Rechtspersönlichkeit 4.285 ff. – Definition Betrieb gewerblicher Art (BgA) 4.1 f. – Einkommensermittlung i.S.d. § 8 KStG 4.140 ff. – Gewerbesteuerpflicht 7.11 ff., 7.39 f. – Grunderwerbsteuerbefreiung 7.363 ff. – Herausforderung Umsatzsteuer 3.19 ff. – Kleinunternehmer 3.117 ff. – Umsatzsteuer 3.1 f. – Umsatzsteuer, Neuregelung 3.5 ff.; 5.93 ff. – Umsatzsteuer, vor § 2b UStG 5.6 ff. – Unternehmer 3.60

Kommunale Gemeinschaftseinrichtungen

– Bedeutung Umsatzbesteuerung 9.292 ff. – Behandlung als Nichtunternehmer 9.326 ff. – Ermittlung BMG steuerpflichtige Leistungen 9.397 ff. – Grundlagen Umsatzbesteuerung 9.297 ff. – Leistungen gemeinnütziger Einrichtungen 9.388 ff. – Steuerbefreiungen f. die Verwaltung 9.364 ff. – Steuerermäßigung Betrieb Schwimmbäder 9.393 ff. – Steuerermäßigungen Eintrittsentgelte 9.387 – Steuerfrei: Bildungs-, Kultur-, Sportveranstaltungen 9.377 ff. – Steuerfreie Vermietung u. Verpachtung 9.367 ff. – Umsatzbesteuerung nach § 2 Abs. 3 UStG a.F. 9.430 ff. – Unternehmer wg. Wettbewerbsverzerrung 9.333 ff. – Unternehmereigenschaft 9.309 ff. – Vorsteuerabzug 9.404 ff. Kommunalverwaltung – Betriebsaufspaltung 9.102 ff.

– Entsorgungseinrichtungen siehe Abwasserentsorgung – Kurbetriebe, Tourismuseinrichtungen 9.206 ff. – Marktbetriebe 9.69 ff. – Museen, Theater, andere kulturelle Einrichtungen 9.159 ff. – Parkplätze 9.1 ff. – Umsatzbesteuerung: Sportstätten, Bürgerhäuser, Stadthallen, Gemeinschaftseinrichtungen 9.292 ff. – Verpachtungs-BgA 9.102 ff. Kraftfahrzeugsteuer – Allgemeines 7.435 – Befreiungen 7.438 – Steuerbare Vorgänge 7.435 Krankenhaus – Abgrenzung wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb und Zweckbetrieb als Problemfeld 10.35 – Ausschließlichkeit 10.33 ff. – Begriff 10.4 ff. – Betrieb gewerblicher Art vs. Hoheitsbetrieb 10.58 ff. – Buchführungspflicht 10.65 ff. – Definition nach Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) 10.5 – eigenwirtschaftliche Zwecke 10.30 f. – Einkünftequalifikation 10.68 – Erbschaft- und Schenkungsteuer 10.120 f. – Fördertätigkeit innherhalb gemeinnütziger Konzernverbünde als Problemkonstellation 10.49 – Gefährdung der Gemeinnützigkeit durch Verlustausgleich 10.32 – Gemeinnützigkeit bei öffentlichen Krankenhäusern 10.22 ff. – Gewerbesteuerbefreiung 10.71 f. – Gewerbesteuerpflicht 10.70 – Grunderwerbsteuer 10.112 ff. – Grundsteuer 10.116 ff. – Grundsteuerbefreiung 7.289 – Holdingstrukturen als Problemkonstellation 10.47 f. – kirchliche Zwecke 10.27 f. – Lösungsmöglichkeiten und Reformansätze für Problemkonstellationen 10.51 ff. 953

Stichwortverzeichnis

– öffentliche Krankenhäuser – Grundpfeiler der Gesundheitsversorgung 10.2 f. – Organisation als Körperschaft 10.25 – Outsourcing als Problemkonstellation 10.50 – Personalgestellung zw. Universität und Universitätsklinik – bisherige Rechtslage im UStG 10.85 ff. – Personalgestellung zw. Universität und Universitätsklinik – gemäß § 2b UStG 10.88 ff. – Personalgestellung/Leistungsaustausch zw. Universität und Universitätsklinik 10.84 ff. – Personalgestellungen und -dienstüberlassungen in der Umsatzsteuer 10.79 ff. – Problemkonstellationen bei kooperativer Aufgabenerfüllung 10.46 ff. – Rechtsformen 10.10 ff. – Selbstlosigkeit 10.29 ff. – Steuerbefreiung durch Gemeinnützigkeit für öffentlich-rechtliche Träger 10.62 ff. – Steuerbefreiungen nach § 4 Nr. 14 Buchst. b) UStG 10.92 ff. – Steuerbefreiungen nach § 4 Nr. 17 Buchst. a) UStG 10.107 – steuerrechtliche Definition 10.6 ff. – Steuersatz – Umsatzsteuer 10.108 f. – Subjekt der Gewinnermittlung 10.69 – Subjekt der Körperschaftsteuer 10.57 – Träger von Krankenhäusern der öffentlichen Hand 10.11 – Umsatzsteuerliche Organschaft 10.78 – Umsatzsteuerliche Sonderfragen gemeinnütziger Krankenhäuser 10.82 f. – Umsatzsteuerpflicht 10.74 ff. – Universitätsklinik siehe Universitätsklinik – Unmittelbarkeit 10.36 ff. – Unternehmereigenschaft öffentlich-rechtlicher Träger 10.74 ff. – Verfolgung eines gemeinnützigen Zwecks 10.26 ff. – Voraussetzungen für die Steuerbefreigung 10.23 f. – Vorsteuerabzug 10.110 f. – wirtschaftliche Geschäftsbetriebe im Krankenhaus 10.41 ff. – Zweckbetrieb nach § 67 AO 10.39 f. 954

Kurbetriebe, Tourismuseinrichtungen – Allgemeine Einordnung, Begrifflichkeiten 9.206 ff. – Betriebe gewerblicher Art 9.211 ff. – Dauerverlust BgA 9.226 ff. – Ermäßigter Umsatzsteuersatz 9.259 ff. – Sonderregelung nach § 2b UStG 9.246 ff. – Unternehmereigenschaft 9.230 ff. – Vorsteuerabzug 9.276 ff. – Zusammenfassung v. BgA, § 4 Abs. 6 KStG 9.222 ff.

Leistung, Art und Ort

– Abgrenzung Lieferung – sonstige Leistung 3.124 ff. – Dienstleistungen aus d. Ausland 3.134 – Innergemeinschaftlicher Erwerb 3.129 ff. – Leistungsbezüge Ausland 3.123 – Ort der Leistung 3.128 Leistungsaustausch – § 1 UStG 3.21 ff. – Besondere Streitfrage bei jPdöR 3.21 – Bipolarität Leistungsbeziehung siehe Leistungsbeziehung – Entgeltlichkeit d. Leistung siehe Entgeltlichkeit der Leistung Leistungsbeziehung – Aufwandspool 3.29 ff. – Nichtsteuerbare Innenumsätze 3.23 – Synallagmatischer Zusammenhang Leistung u. Entgelt 3.22 – Umsatzsteuerliche Organschaft 3.24 ff. Luftverkehrsteuer – Allgemeines 7.448 ff.

Marktbetriebe – Betrieb gewerblicher Art 9.72 ff. – Betriebsvermögen des BgA 9.76 ff. – Gesetzliche Grundlagen, Umsatzsteuer 9.86 ff. – Umsatzsteuerfreiheit, Optionsmöglichkeiten 9.90 ff. – Vorsteuerabzug 9.96 ff. Mitwirkungspflicht – ergänzende steuerliche Mitwirkungspflichten 8.139 – sonstige Mitwirkungspflichten 8.55

Stichwortverzeichnis

– Verletzung der Mitwirkungspflicht 8.150 ff. Museen, Theater, andere kulturelle Einrichtungen – Allgemeine Einordnung 9.159 ff. – BgA i.S.d. § 4 KStG 9.162 ff. – Einordnung von Leistungsbündeln 9.199 ff. – Kulturelle Tätigkeiten, Dauerverlustbetrieb § 8 Abs. 7 KStG 9.174 ff. – Steuerbefreiter, kultureller BgA als Zweckbetrieb 9.178 ff. – Umfang Steuerbefreiung 9.188 ff. – Umsatzsteuerbarkeit 9.184 ff.

Öffentliche Gewalt

– Abgrenzung privatrechtliche/öffentliche Tätigkeit 3.62 – Ende Formenwahlrecht d. Verwaltung? 3.74 – Freifahrtschein jPdöR 3.67 ff. – hoheitliches Hilfsgeschäft 3.78 ff. – privatrechtliche Nebenleistung 3.85 – Rechtsnatur der Handlungsform 3.61 – Tätigkeiten 3.61 ff. Öffentliche Hand – Abgrenzung zum öffentlichen Sektor 1.4 – Aufgaben und Funktion 1.12 ff. – Aufgabenerfüllung 1.12 f. – Aufgabenwahrnehmung 1.107 ff. – Bedeutung der Zuständigkeitsregel 8.110 – Bedeutungszuwachs der Besteuerung 2.1 – Begriff 1.3 ff. – Beteiligungs- und Handlungsfähigkeit 8.69 ff. – Erfüllung des „Unternehmensbegriffs“ 1.41 f. – Ertragsteuerrecht 2.2 – Gemeinnützigkeit 2.2 – Gemeinnützigkeitsfähigkeit 2.85 ff. – Haftungsschuldner 8.48 – Handlungsformen 1.130 ff. – juristische Personen des öffentlichen Rechts 1.8 – Organisationseinheiten des Privatrechts 1.9 – Stellung im Besteuerungsverfahren nach AO 8.32 ff.

– Steuerentrichtungspflicht, Lohnsteuer 8.51 – Steuererklärungspflicht 8.134 ff. – Steuerschuldner 8.40 – Umfang der Organisationseinheiten 1.6 f. – Umsatzsteuerrecht 2.2 – Wirtschaftlichkeitsgebot für Tätigkeit der öffentl. Hand 2.67 Öffentliche Hand im Besteuerungsverfahren – Haftungsschuldner 8.44 ff. – Innenrechtsstreit/Rechtsbehelfsverfahren 8.517 – Mitwirkungspflicht 8.55 f. – Steuerentrichtungspflicht 8.49 ff. – Steuerschuldner 8.32, 8.37 ff. – verbindliche Auskunft 8.57 f. Öffentliche Unternehmen – Formwahlfreiheit 1.77 ff. – Organisationsform wirtschaftlicher Betätigung 1.77 Öffentlicher Gesundheitsdienst – Begriff 10.123 – Ertragsteuerrecht 10.126 f. – Umsatzsteuerrecht 10.128 – Ziele und Aufgaben 10.124 f. Organisationsform wirtschaftlicher Betätigung – Abgrenzung zur Struktur staatlicher Aufgabenerfüllung 1.106 – Eigenbetriebe 1.82 ff. – Kooperation öffentlich-rechtlicher Träger 1.99 ff. – Landesbetriebe und Sondervermögen 1.84 f. – öffentlich-rechtliche Organisationsformen 1.80 ff. – Organisationsformen mit Rechtsfähigkeit, inbes. Anstalten 1.86 ff. – Organisationsformen mit Rechtspersönlichkeit 1.95 ff. – Organisationsformen ohne Rechtspersönlichkeit 1.90 ff. – Privatrechtliche Organisationsformen 1.90 ff. – Regiebetriebe 1.80 f. 955

Stichwortverzeichnis

Organisationsfragen Religion und Besteuerung – Ordensgemeinschaften 12.129 ff. – religionsgemeinschaftliche Trabanten/ kirchlich gebundene Organisationen 12.138 ff. – sonstige Organisationsformen 12.133 ff. Örtliche Zuständigkeit – für Besteuerung natürlicher Personen 8.104 – für Besteuerung v. Körperschaften, Personenvereinigungen, Vermögensmassen 8.105 ff. – für gesonderte Feststellungen 8.101 ff. – für Realsteuern 8.121 ff. – für Umsatzbesteuerung 8.109 ff. – Gefahr im Verzug 8.132 f. – Sonderregelungen für Bund und Länder für die Umsatzbesteuerung 8.111 ff.

Parkplätze

– Allgemeine Einordnung 9.1 ff. – Einordnung nach § 2b UStG 9.42 ff. – Gesetzliche Grundlagen, Ertragsteuerrecht 9.4 ff. – Gesetzliche Grundlagen, Umsatzsteuer 9.36 ff. – Selbständige Parkflächen 9.16 ff. – Umsatzsteuerfreiheit, Optionsmöglichkeiten 9.62 ff. – Unselbständige Parkflächen 9.13 ff. – Vorsteuerabzug 9.66 ff. Personalüberlassung – Universität – Uniklinik, bisherige Rechtslage 10.85 ff. – Universität – Uniklinik gem. § 2b UStG 10.88 ff. Privatisierung – Aufgabenprivatisierung 1.117 ff. – Begriff 1.111 f. – Erfüllungsprivatisierung 1.115 f. – Organisationsprivatisierung 1.113 f. – Privatisierungsschranken 1.118 ff. – Vermögensprivatisierung 1.123

Realsteuern – – – –

Gewerbesteuer 8.27 Grundsteuer 8.27 Verwaltung 8.27 ff. Verwaltung durch Gemeinde

956

8.29

– Verwaltung durch Landesfinanzbehörde 8.28 Rechtsbehelf, FGO – Anfechtungs-, Verpflichtungs-, allg. Leistungsklage 8.502 ff. Rechtsbehelfsverfahren – Auskunftsanspruch Besteuerung Konkurrent 8.525 – Gerichtlich 8.501 ff. – Gerichtlicher Rechtsschutz im Besteuerungsverfahren 8.501 ff. – Innenrechtsstreit d. öffentlichen Hand 8.517 – Klagebefugnis/Individuelle Beschwer 8.511 ff. – Konkurrentenklage 8.159 ff. Religionsgemeinschaft – Begriff 12.115 ff. – Gemeinnütziger Zweck 12.156 – Gemeinnützigkeit 12.144 ff. – Gemeinnützigkeitszwecke 12.151 – Kirchliche Zwecke § 54 AO 12.152 – Körperschaft öffentlichen Rechts 12.118 ff. – Mildtätiger Zweck 12.62 – nicht staatliche Akteure 12.14 ff. – Wettbewerbsgleichheit 12.143 Rettungsdienst und Krankentransport – Aufgabenträger 10.131 – Begriff 10.129 – Ertragsteuerrecht 10.132 ff. – Kraftfahrzeugsteuer 10.144 – Notfallpatient*Innen 10.130 – Umsatzsteuerbefreiungen 10.140 ff. – Umsatzsteuerrecht 10.138 ff. – Unternehmereigenschaft 10.139

Säumniszuschläge – Änderung oder Berichtigung einer Steuerfestsetzung 8.480 f. – Aufrechnung 8.482 – Einwendungen gegen Säumniszuschläge 8.488 – Erlass eines Säumniszuschlags 8.487 – Grundregel 8.474 ff. – Keine Säumniszuschläge auf rückständige steuerliche Nebenleistungen 8.483 – Schuldner und Gesamtschuldner 8.485 f. – Zahlungssäumnis 8.478 f. – Zahlungsschonfrist 8.484

Stichwortverzeichnis

Selbständige Parkflächen – Kurzzeitparker 9.27 ff. – langfristige Parkplatzüberlassung 9.31 ff. – Parkhäuser, Tiefgaragen 9.22 ff. – Überlassung an Mitarbeiter d. öffentlichen Hand 9.33 ff. Staats- und Verwaltungsorganisationsrecht – Grundlagen 1.56 f. – Mittelbare Staatsverwaltung durch Anstalten des öffentlichen Rechts 1.75 – Mittelbare Staatsverwaltung durch kommunale Gebietskörperschaften 1.65 ff. – Mittelbare Staatsverwaltung durch Körperschaften des öffentlichen Rechts 1.72 ff. – Mittelbare Staatsverwaltung durch Stiftungen des öffentlichen Rechts 1.76 – Unmittelbare Staatsverwaltung durch Bundesverwaltung 1.62 ff. – Unmittelbare Staatsverwaltung durch Landesverwaltung 1.58 ff. Staatsaufgabe – Aufgabenerfüllung und -wahrnehmung 1.108 f. – Begriff 1.107 – Verantwortungsmodell 1.110 Steuerbefreiungen – Heilberufliche und soziale Leistungen 3.145 ff. – Kultur- und Bildungssektor 3.150 ff. – Steuerbefreiung v. Kooperationen 3.155 ff. – Überlassung von Grundstücken 3.141 ff. – Umsatzsteuerbefreiungen, § 4 UStG 3.138 ff. Steuererhebungsverfahren – Abrechnungsbescheid 8.402 – Allgemeines 8.401 – Aufrechnung 8.422 ff. – Erlass 8.425 ff. – Fälligkeit 8.403 ff. – Stundung 8.407 ff. – Tilgungsreihenfolge 8.421 – Zahlung 8.416 ff. Steuerliche Nebenleistung – Begriff 8.30 Steuerlicher Querverbund – Ausgleichszahlungen 4.137 ff. – Bäderrechtsprechung BFH 4.118 – Begriffsbestimmung § 4 Abs. 6 KStG 4.116 f.

– Gewerbesteuer, Tatbestand 7.135 ff. – Wechselseitige technische Verflechtung 4.126 ff. – Zusammenfassung mehren BgA 4.123 ff. – Zusammenfassung mittels BHKW 4.130 – Zusammenfassung von Telekommunikationsbetrieben 4.132 – Zusammenfassung von Versorgungsbetrieben 4.133 ff. – Zusammenfassungsvoraussetzungen 4.119 ff. Steuerpflichtiger – Abgrenzung zur Stellung als Verfahrensbeteiligter 8.66 – Begriff 8.32 ff. – Mitwirkungspflicht 8.55 f. Steuerschuldner – Begriff 8.37 – Entstehung Steuerschuldnerschaft 8.38 – Inhaltsadressat Steuerverwaltungsakte 8.39 – Steuerentrichtungspflicht 8.41, 8.49 ff. Steuervergütung – Anspruch aus Steuerschuldverhältnis 8.16 – Prämien und Zulagen 8.17 Stromsteuer – Allgemeines 7.455 ff.

Tax Compliance System

– Grundelemente 3.224 – Notwendigkeit für die öffentliche Hand 3.233 – Notwendigkeit, grds. 3.223 – Schaffung eines innerbetrieblichen Kontrollsystems (IKS) 3.237 ff. Territorialprinzip – Einschränkung hoheitliches Handeln 8.19 f. – räumlicher Anwendungsbereich 8.18 ff.

Umsatzsteuer – Abkehr Anbindung Körperschaftsteuerrecht 3.6 ff. – Art u. Ort der Leistung 3.123 ff. – Funktionsweise 3.14 ff. – Herausforderung f. jPdöR siehe juristische Person des öffentlichen Rechts – Hochschule, gemeinsame Berufung 11.119 f. – Hochschule, Haustrunk 11.121 957

Stichwortverzeichnis

– Hochschule, innergemeinschaftlicher Erwerb 11.115 ff. – Kommunale Trägerkörperschaften 9.303 ff. – Kurbetriebe, Tourismuseinrichtungen 9.229 ff. – Leistungsaustausch § 1 UStG siehe Leistungsaustausch – Marktbetriebe, Besteuerung siehe Marktbetriebe – Museen, Theater, andere kulturelle Einrichtungen 9.184 ff. – Neuregelungen 3.10 ff. – Paradigmenwechsel 3.5 ff. – Parkplätze, Besteuerung siehe Parkplätze – Rechtfertigung der Besteuerung 3.1 – Sportstätten, Bürgerhäuser, Stadthallen, Gemeinschaftseinrichtungen 9.292 ff. – Steuerbefreiungen 3.138 ff. – Umsatzbesteuerung kommunale Gemeinschaftseinrichtungen 9.292 ff.; siehe Kommunale Gemeinschaftseinrichtungen – USt-Voranmeldung und -Erklärung 3.180 ff. – Verpachtung dauerdefizitärer Betriebe 9.152 ff. – Vorsteuerabzug siehe Vorsteuerabzug Umsatzsteuer, jPdöR – Besteuerung jPdöR vor § 2b UStG 5.10 – BFH-Rechtsprechung zur alten Rechtslage 5.61 ff. – Deutsches Recht vor § 2b UStG 5.6 f. – Konflikt alte Rechtslage – Unionsrecht 5.42 ff. – nationale Rechtsauffassung vor § 2b UStG 5.11 ff. – Rechtslage vor § 2b UStG 5.6 ff. – Regelungen § 2b UStG 5.93 ff. – Unionsrecht vor § 2b UStG 5.8 f. Unionsrecht – primäres Recht 8.21 f. – sekundäres Recht 8.21 f. – unionsrechtliches Korrektiv Art. 13 MwStSystRL 8.90 ff. – Vorrang 8.21 ff. Universitätsklinik – Betrieb gewerblicher Art 10.61 – Integrationsmodell 10.15 – Kooperationsmodell 10.16 958

– Liste der Universitätskliniken in Deutschland 10.21 – Personalgestellung – Universitätsklinik – gem. § 2b UStG 10.88 ff. – Personalgestellung – Universitätsklinik – alte Rechtslage UStG 10.85 ff. – Personalgestellung – Universitätsklinik, USt 10.84 ff. – Rechtsformen 10.17 ff. – Sonderrolle innerhalb der Krankenhäuser in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft 10.14 Unselbstständige Parkflächen – Aufstellung Parkuhren, Parkscheinautomaten 9.18 ff. – Erstellung Parkausweise (Anwohnerparken) 9.21 Unternehmer – §§ 2, 2b UStG 3.61 ff. – Begriff 3.60 – Kleinunternehmer 3.117 ff. – Religionsgemeinschaft 12.86 – Tätigkeiten i.R. öffentlicher Gewalt 3.61 ff. – Wettbewerbsverzerrungen, keine größeren 3.90 ff. Unternehmereigenschaft – Definition § 2b Abs. 1 UStG 5.101 ff. – Einschränkung nach § 2 Abs. 3 UStG 10.7 – Krankenhaus siehe Unternehmer

Verfahrensbeteiligter

– Mitwirkung in fremden Verwaltungsverfahren 8.67 – Rechtsfolgen 8.65 – Stellung kraft Gesetz 8.60 ff. Verfahrensrechtliche Handlungsfähigkeit – Behörden 8.84 ff. – Entstehung kraft Gesetz 8.70 f. – juristische Person des Privatrechts 8.77 ff. – juristische Person des öffentlichen Rechts 8.82 f. – natürliche Personen 8.72 ff. – Personenvereinigungen, Vermögensmassen 8.80 f. Verlustverrechnung – Einlage v. Beteiligungen an Eigengesellschaft in BgA 4.214 ff. – Einlage v. Beteiligungen an Eigengesellschaft in Eigengesellschaft 4.218 ff.

Stichwortverzeichnis

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innerhalb eines BgA 4.209 Organschaft 4.222 ff. Verlustabzug gem. § 10d EStG 4.229 Zusammenfassung in einer Kapitalgesellschaft 4.210 ff. Verpachtungsbetrieb – Abgrenzung zu Verwaltungsvermögen 4.91 – Beendigung 4.96 – Begriffsbestimmung § 4 Abs. 4 KStG 4.81 f. – Bezuschussung 4.89 – Gewerbliche Betriebsaufspaltung 4.92 ff. – Rechtsprechung – einzelfallbezogene Betrachtung 4.83 ff. Verpachtungs-BgA – Abgrenzung Vermögensverwaltung 9.110 ff. – Allgemeine Einordnung 9.102 ff. – Dauerdefizitäre Betriebe, Umsatzsteuer 9.152 ff. – Dauerdefizitäre Verpachtungs-BgA, § 8 Abs. 7 KStG 9.121 ff. – Entgeltlichkeit der Überlassung 9.114 ff. – Gesetzliche Grundlagen, Umsatzsteuer 9.149 ff. – Voraussetzungen 9.105 ff. – Zusammenfassung v. Verpachtungs-BgA 9.124 ff. Versicherungsteuer – Allgemeines 7.452 ff. Versorgungsbetrieb – Ausbau Breitbandnetz 4.80 – Begriffsbestimmung § 4 Abs. 3 KStG 4.66 f. – Erfassung der Wertschöpfungsstufen 4.71 ff. – Wettbewerbsgleicheit, maßgebliches Kriterium 4.68 Verwaltung von Steuern – Verwaltung durch Gemeinde 8.29 – Verwaltung durch Landesfinanzbehörde 8.28 – Verwaltung, landesrechtlich 8.31 – Verwaltungshoheit 8.2 ff. – Vorrang Unionsrecht 8.21 ff. Vollstreckung – Grundsatz 8.489 – Regelungen 8.490

– Sonderfragen im Vollstreckungsverfahren 8.495 f. – Vollstreckung gegen andere juristische Personen des öffentlichen Rechts 8.493 f. – Vollstreckung gegen ausländische Staaten 8.498 – Vollstreckung gegen den Bund, ein (Bundes-)Land 8.492 – Vollstreckung gegen juristische Personen des öffentlichen Rechts 8.491 ff. – Vollstreckung gegen juristische Personen privaten Rechts 8.497 – Vollstreckung gegen öffentlich-rechtliche Kreditinstitute 8.500 – Vollstreckung gegen öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften 8.499 – Vollstreckung im öffentlichen Bereich – Grundsatz 8.491 Vorsteuerabzug – Bezug unternehmerischer Bereich 3.161 ff. – direkter, unmittelbarer Zusammenhang zu unternehmerischem Bereich 3.164 – steuerrechtliche Neutralität 3.160 – Verwendung für unternehmerische Tätigkeit 3.165 – Voraussetzungen 3.161 ff. Vorsteuerkorrektur – Änderung der Nutzungsverhältnisse 3.166 – Änderung der unternehmerischen Nutzung 3.167 – erstmalige unternehmerische Nutzung 3.168 – Umstellung auf § 2b USt im Berichtigungszeitraum 3.171 Vorsteuerüberhang – Problematik 3.172 ff.

Wettbewerb

– Fehlender Wettbewerb, § 2b Abs. 3 Nr. 1 UStG 3.104 ff. – Größere Wettbewerbsverzerrungen, Hochschule 11.114 – Keine größeren Wettbewerbsverzerrungen 3.90 ff., 3.100 ff.; 12.103 ff. Wettbewerbsteilnahme – wirtschaftliche Betätigung 1.17 ff. 959

Stichwortverzeichnis

Wirtschaftliche Tätigkeit – Abgrenzung zu anderen wirtschaftsrelevanten Tätigkeiten 1.20 ff. – Begriff 1.17 ff. – Besteuerungsgebot 2.62 – Grenzen des wirtschaftlichen Handlungsspielraums 1.25 ff. – Hochschulen, Beratung 11.135 – Hochschulen, Beteiligung an Unternehmen 11.158 – Hochschulen, Forschung 11.131 ff. – Hochschulen, Land- und Forstwirtschaft 11.157 – Hochschulen, Leistungen f. Studierende 11.152 ff. – Hochschulen, Reiseveranstaltungen 11.145 – Hochschulen, Überlassung v. Ressourcen 11.139 ff. – Hochschulen, Verwaltungsunterstützung 11.159 – Hochschulen, Verwertung geistl. Eigentums 11.137 ff. – Hochschulen, Werbemaßnahmen 11.148 ff. – Hochschulen, Wissensvermittlung 11.146 – jPdöR § 2b Abs. 1 UStG 5.119 f. – öffentliche Unternehmen 1.24 – Privatisierung versus Rekommunalisierung (Publizisierung) 1.53 f. – Selbstverwaltungsgarantie 1.32 – Subsidiaritätsgrundsatz 1.44 – Verbindung zum Grundgesetz 1.26 ff. – verfassungsrechtliche Vorgaben 1.25 ff. – Vorgaben aus dem Haushaltsrecht 1.49 ff. – Vorgaben aus dem kommunalen Wirtschaftsrecht 1.44 ff. – Vorgaben aus dem Wettbewerbsrecht 1.52 – Vorgaben aus den Grundfreiheiten 1.37 f. – Vorgaben des europäischen Wettbewerbsund Beihilferechts 1.39 ff. – Vorgaben des europäischen Wirtschaftsrechts 1.33 ff. 960

Zahlungsverjährung – Allgemeines 8.430 – Beginn der Zahlungsverjährung 8.434 ff. – Gegenstand der Zahlungsverjährung 8.431 f. – Grundsatz 8.434 – Hemmung der Zahlungsverjährung 8.438 – Unterbrechung der Verjährung 8.439 ff. – Verjährungsbeginn bei Fälligkeitssteuern und geänderten Steuerfestsetzungen 8.435 f. – Verjährungsbeginn bei Haftungsbescheiden ohne Zahlungsaufforderung 8.437 – Verjährungsfrist 8.433 – Wirkung der Zahlungsverjährung 8.444 ff. Zinsen – Aussetzungszinsen 8.458 ff. – Grundsatz 8.447 – Hinterziehungszinsen 8.452 f. – Höhe und Berechnung der Zinsen 8.463 ff. – Prozesszinsen auf Erstattungsbeträge 8.454 ff. – Stundungszinsen 8.451 – Vollverzinsung 8.448 ff. – Zinsfestsetzungsverfahren 8.469 ff. Zuständigkeit der Finanzbehörde – Amtsermittlungsgrundsatz 8.141, 8.143 – Beweislast/Feststellungslast 8.148 f. – Ersatzzuständigkeit 8.125 – funktionelle Zuständigkeit 8.97 – instanzielle Zuständigkeit 8.96 – mehrfache örtliche Zuständigkeit 8.126 – örtliche Zuständigkeit 8.92 f. – sachliche Zuständigkeit 8.94 ff. – verbandsmäßige Zuständigkeit 8.98 – Verstoß gegen sachliche Zuständigkeit, Rechtsfolge 8.99 f. – Zuständigkeitsstreit 8.130 f. – Zuständigkeitsvereinbarung 8.129 – Zuständigkeitswechsel 8.127 f. Zweckbetrieb – BgA gemeinnützig 4.337 ff. – Ertragsteuerliche Freistellung 4.337 ff. – Hochschule 11.128 ff. – Steuerbefreiter kultureller BgA 9.178 ff.