Übersetzungskompetenz: modale Semantik: Eine Studie am Sprachenpaar Dänisch-Deutsch [Reprint 2012 ed.] 9783110918663, 9783484304451

The study examines ways of improving the learning progress made by students in dealing with the problems posed by modal

146 51 6MB

German Pages 187 [192] Year 2001

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Table of contents :
Vorwort
Abkürzungsverzeichnis
Einleitung
1. Übersetzungstheorie, -didaktik, Terminologie und Unterrichtsplanung
1.1. Aspekte von Übersetzungstheorie und Übersetzungsdidaktik
1.2. Terminologie zur Kompetenz
1.3. Didaktische Mittel
1.4. Unterrichtsplanung
2. Modalität
2.1. Aspekte von Modalität – eine Einleitung
2.2. Modalität, Lexeme und Satztypen
2.3. Zur Problematik des Denkens in Modalität und Zeit und des Verstehens von Sprache
2.4. Beschreibungen von Modalverbsystemen
2.5. Kontextproblematik
2.6. Modalitätsarten
2.7. Modalitätsformen
3. Ausgangstexte und Zieltexte
3.1. Aspekte der Ausgangstextauswahl
3.2. Aspekte der Zieltextgenerierung
4. Korpusanalyse
4.1. Aspekte der Analyse
4.2. Qualitative Analyse
4.3. Quantitative Analyse
5. Diskussion
5.1. Quantität, Qualität und mögliche Ursachen der Fehler
5.2. Lernprogression in Korrelation mit dem übersetzungsdidaktischen Ansatz
5.3. Ausblick auf mögliche Forschungsprojekte
5.4. Vorschläge für zukünftige Unterrichtselemente
6. Zusammenfassung
7. Anhang
7.1. Fragebogen zum Fremdsprachenerwerb und zum Übersetzen
7.2. Inhaltsverzeichnis des Textkompendiums
Literatur
Sachregister
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Übersetzungskompetenz: modale Semantik: Eine Studie am Sprachenpaar Dänisch-Deutsch [Reprint 2012 ed.]
 9783110918663, 9783484304451

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Linguistische Arbeiten

445

Herausgegeben von Hans Altmann, Peter Blumenthal, Hans Jürgen Heringer, Ingo Plag, Heinz Vater und Richard Wiese

Mechthild

Krüger

• ·

Ubersetzungskompetenz : modale Semantik Eine Studie am Sprachenpaar Dänisch-Deutsch

Max Niemeyer Verlag Tübingen 2001

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Krüger, Mechthild: Übersetzungskompetenz: modale Semantik : eine Studie am Sprachenpaar DänischDeutsch / Mechthild Krüger. - Tübingen : Niemeyer, 2001 (Linguistische Arbeiten ; 445) Zugl.: Kopenhagen, Univ., Diss., 1999 ISBN 3-484-30445-6

ISSN 0344-6727

© Max Niemeyer Verlag G m b H , Tübingen 2001 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Druck: Weihert-Druck G m b H , Darmstadt Einband: Industriebuchbinderei Nadele, Nehren

Inhaltsverzeichnis

Vorwort Abkürzungsverzeichnis

VII VIII

Einleitung

1

1. Übersetzungstheorie, -didaktik, Terminologie und Unterrichtsplanung

7

1.1. Aspekte von Übersetzungstheorie und Übersetzungsdidaktik 1.1.1. Wilss 1.1.2. Thiel 1.1.3. Zalán 1.1.4. Königs 1.1.5. Zusammenfassung und Korrelation mit der durchgeführten Analyse 1.2. Terminologie zur Kompetenz 1.3. Didaktische Mittel 1.3.1. Lautes Denken - LD 1.3.2. Unterstützte Selbstkorrektur 1.3.3. Workshop mit Recherche 1.3.4. Paralleltexte 1.3.5. Übersetzungsvergleiche 1.4. Unterrichtsplanung 2. Modalität 2.1. Aspekte von Modalität - eine Einleitung 2.2. Modalität, Lexeme und Satztypen 2.3. Zur Problematik des Denkens in Modalität und Zeit und des Verstehens von Sprache 2.4. Beschreibungen von Modalverbsystemen 2.4.1. Kratzer 2.4.2. Öhlschläger 2.4.3. Diewald 2.4.4. Davidsen-Nielsen 2.4.5. Brandt 2.4.6. Zusammenfassung 2.5. Kontextproblematik 2.6. Modalitätsarten 2.7. Modalitätsformen 2.7.1. Modalverben im Deutschen und Dänischen 2.7.2. Indirekte Rede im Dänischen 2.7.3. Indirekte Rede im Deutschen

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VI 3. Ausgangstexte und Ziel texte 3.1. Aspekte der Ausgangstextauswähl 3.1.1. Lotterisvensken 3.1.2. Flynderen 3.1.3. Vi kan svinge med flaget igen 3.2. Aspekte der Zieltextgenerierung

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4. Korpusanalyse 4.1. Aspekte der Analyse 4.2. Qualitative Analyse 4.2.1. Unproblematische Textstellen und kreative Übersetzungen 4.2.2. Problematische Textstellen 4.3. Quantitative Analyse 4.3.1. Lernprogression der ersten Gruppe - HHK1 4.3.2. Lernprogression der zweiten Gruppe - HHK2 4.3.3. Vergleich der beiden Gruppen

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5. Diskussion 5.1. Quantität, Qualität und mögliche Ursachen der Fehler 5.2. Lernprogression in Korrelation mit dem übersetzungsdidaktischen Ansatz 5.2.1. Der Unterricht der ersten Gruppe 5.2.2. Der Unterricht der zweiten Gruppe 5.2.3. Beurteilung des didaktischen Vorgehens 5.3. Ausblick auf mögliche Forschungsprojekte 5.3.1. Modale Überfrachtung in Übersetzungen? 5.3.2. Unterschiedliche Fehlerverteilung und Lernprogression bei monound bilingualen Studenten 5.4. Vorschläge für zukünftige Unterrichtselemente

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6. Zusammenfassung

154

7. Anhang 7.1. Fragebogen zum Fremdsprachenerwerb und zum Übersetzen 7.2. Inhaltsverzeichnis des Textkompendiums

157 157 158

Literatur

161

Sachregister

177

Vorwort

Der vorliegende Band bietet keine allumfassende Darstellung aller relevanten Ansätze der neueren Modalitätsforschung, sondern beschränkt sich auf die Besprechung einiger deutscher und dänischer Arbeiten der Forschungsliteratur, da das grundlegende Interesse dieser Arbeit in der Lernprogression im Übersetzen modaler Semantik vom Dänischen ins Deutsche, evoziert durch verschiedene didaktische Methoden im Übersetzungsunterricht, besteht. Notwendigerweise kommen Übersetzungstheorie und -didaktik, verschiedene Einteilungen von Modalverbsystemen, die Analyse zweier Textkorpora sowie neural inguistische Aspekte bei der Diskussion des kognitiven Verhaltens der untersuchten Studentengruppen zur Sprache, und notwendigerweise kann hier keiner dieser Aspekte erschöpfend behandelt werden. Die Resultate dieser Forschungsarbeit haben daher keinen allgemeingültigen Charakter, doch können sie tendenziell auf andere Sprachen und viele Bereiche der Sprachwissenschaft übertragen werden und als Anregung für die weitere Forschung dienen. Daher richtet sich dieses Buch sowohl an Übersetzungstherotiker und -didaktiker als auch an dezidierte Modalitätsforscher, Korpus- und Neurolinguisten, vergleichende Sprachwissenschaftler und Sprachphilosophen sowie ganz allgemein an Germanisten und Skandinavisten. Für das Zustandekommen der vorliegenden Arbeit möchte ich gerne danken: • den Herausgebern für die Aufnahme dieses Buches in die Reihe der "Linguistischen Arbeiten" und insbesondere Prof. Dr. Heinz Vater für die damit verbundene fachliche Beratung, • Dr. Alex Klinge für konstruktive Kritik und anregende fachliche Diskussionen zu Modalität im Dänischen und Englischen und zur Kontextproblematik, • Dr. Robert Jarvella für beratende Betreuung der statischen Auswertungen und Dr. Jan Engberg für Diskussionen zu den Kompetenzbegriffen, • Prof. Dr. Ulf Hedetoft, der mir ermöglichte, diesen Band als post-doc researcher bei SPIRIT (School for Postgraduate Interdisciplinary Research on Interculturalism and Transnationality), Universität Aalborg, fertigzustellen, • der Fakultät für Fremd- und Fachsprachen der Wirtschaftsuniversität Kopenhagen für ein dreijähriges Dissertationsstipendium mit Unterrichtsverpflichtung, • David May für geduldige Hilfe bei der Formatierung der Arbeit sowie Bärbel Reinkensmeier und Margit May für das Korrekturlesen. Aalborg, September 2000

Abkiirzungs verzeichni s

as AS AT ATe AÜW DGÜ FS HHK1 HHK2 ILC ES MLK mM MV LD Ρ SLLF ÜF Üfn Ür/s ÜW ÜV/s Üve zs ZS ZT ZTe

ausgangssprachlich Ausgangssprache Ausgangstext Ausgangstexte Angewandte Übersetzungswissenschaft Didaktische Grammatik des Übersetzens Forärsemester/Frühj ahrssemester Korpus 1, gesammelt im FS 97 Korpus 2, gesammelt im ES 98 implizite Sprachkompetenz Efterärsemester/Herbstsemester metalinguistische Kenntnisse modaler Marker Modalverb lautes Denken Person Sprachlehr- und Lernforschung Übersetzungsfertigkeit Übersetzungsfertigkeiten Übersetzer/s Übersetzungswissenschaft Übersetzungsvergleich/es Übersetzungsvergleiche zielsprachlich Zielsprache Zieltext Zieltexte

Einleitung

Problemstellung Modalität existiert als komplexes semantisches und formales Phänomen - u.a. - im Dänischen und im Deutschen. Diese beiden Sprachen verfügen über teils divergierende, teils kongruente Möglichkeiten der inhaltlichen Formung durch sprachliche Zeichen. Im Übersetzungszusammenhang stellt Modalität, auch bei dänischen Deutschstudenten kurz vor den Abschlußexamina, eine Schwierigkeit dar: die Facetten modaler Semantik, die, kurz gesagt, den Geltungsgrad von Propositionen qualifiziert, erweisen sich als reichhaltige Quelle für Verstehens- und Verständigungsprobleme, die Ausdruckskategorien von Modalität führen zu vielfältigen Übersetzungsfehlern. Damit ist Modalität als Forschungsfeld - hier insbesondere aus einem kontrastiven, dänisch-deutschen Blickwinkel heraus - geradezu prädestiniert.

Forschungshypothese Eine Gruppe dänischer Studenten, bei der variierte, auf die Revision der eigenen Arbeit und insgesamt auf selbständiges Arbeiten angelegte didaktische Methoden angewandt werden, erzielt eine stärkere Lernprogression in der Kompetenz des Übersetzens von modaler Semantik als eine vergleichbare Gruppe mit weniger unterrichtsdidaktischer Variation.1

1

Männliche und weibliche Suffixe bei gemischtgeschlechtlichen Gruppen nebeneinander zu nennen (die Studentinnen und Studenten, oder die Studenten/innen), gehört im deutschen Sprachgebrauch inzwischen zur soziolinguistischen Norm. In dieser Arbeit erlaube ich mir zur Vermeidung von schwerfälligen Ausdrücken und zur flüssigeren Lesbarkeit Freiheit von der Norm. Diese Arbeit wurde in Dänemark geschrieben. Interessanterweise ist in den skandinavischen Sprachen ein der Entwicklung der soziolinguistischen Norm des Deutschen konträres Phänomen zu beobachten. Morpholexikalische Kennzeichnungen für weibliche und männliche Repräsentanten - bspw. eines bestimmten Berufsstandes - werden als altmodisch, unnötig und diskriminierend angesehen und gelten im allgemeinen Sprachgebrauch als abgeschafft. Die heutige Verwendung spezifisch weiblicher Endungen ist als bewußt eingesetztes Stilmittel zu bewerten (altmodisch, leicht angestaubtes Flair) oder verweist auf ein bestimmtes Verhalten oder Charakterzüge der in Rede stehenden Person. Um dem deutschen Leser dieses fremdartige Verständnis näherzubringen, sei auf die ungewöhnliche und im Prinzip unnötige Femininendung in Grass' Romantitel Die Rättin verwiesen. Eine Ratte war Grass nicht ausreichend für seine literarischen Zwecke - der Leser mag grübeln. Die Leserin, sollte sie sich bisher noch nicht angesprochen gefühlt haben, ebenfalls. [Meine Hervorhebungen].

2 Die Ziele dieser Arbeit Um die Forschungshypothese verifizieren bzw. falsifizieren zu können, müssen verschiedene Erkenntnisse gewonnenen werden: • Welche didaktischen Mittel können die Lemprogression unterstützen? • Welche modalsemantischen Kategorien bereiten den Studenten beim Übersetzen Schwierigkeiten und welche sind unproblematisch? • Wie lassen sich Fehler verbessern und bereits bestehende Fertigkeiten fördern? • In welchem Ausmaß ist eine Verbesserung der übersetzerischen Kompetenz hinsichtlich Modalität möglich? Zur Überprüfung der Forschungshypothesen unterrichte ich zwei vergleichbare Studentengruppen ein Semester lang in den von mir für dieses Forschungsvorhaben konzipierten Seminaren Modalität und Übersetzen. Die zweite Gruppe erhält didaktisch variierteren Unterricht als die erste; die Übersetzungen beider Gruppen werden in zwei vergleichbaren Textkorpora gesammelt und wie weiter unten beschrieben analysiert.

Theorie zur Übersetzung und Didaktik Diese Arbeit stellt einen empirischen Forschungsbeitrag zur sprachenpaargebundenen, angewandten Übersetzungswissenschaft dar und setzt sich daher notwendigerweise zu Beginn in Kap. 1.1. mit diversen Aspekten von Übersetzungstheorie und -didaktik und im weiteren in Kap. 1.2. mit theoretischer und sprachlich realisierter Modalität auseinander. Die enge Verbindung von Theorie und Praxis ist bewußt gewählt und wesentlich in dieser Arbeit; sie ist eine Reaktion auf die beinahe gängige und meist als unbefriedigend empfundene Koexistenz von Theorie und Praxis in der Übersetzungswissenschaft. Königs (1987a: 55) nennt ein fachliches Dilemma beim Namen, wenn er sagt, "[es ...] ist für die Übersetzungsdidaktik gefordert worden, übersetzungswissenschaftliche Erkenntnisse stärker vor dem Hintergrund konkreter unterrichtlicher Bedingungen des Übersetzens zu hinterfragen." Doch Theorie und Praxis finden sich schwerlich zusammen, so daß Bakker/Naaijkens (1991: 193) recht desillusioniert konstatieren: "There are probably few scientific disciplines in which the confusion of application and theory, description and object of description, studied activity and study of the activity is so conspicuous as it is in translation studies." Ein hermeneutisch geprägter Ansatz scheint in der übersetzungstheoretischen und -didaktschen Forschung, insbesondere bei Modalität als spezifischem Forschungsfeld, sinnvoll zu sein, denn beim hermeneutischen Vorgehen ist das Verstehen der zentrale Aspekt. Das ganzheitliche Verstehen von Texten und ihren Funktionen ist Ziel des hermeneutischen Zirkels des Verstehens nach Gadamer. (Begrenztes) Wissen oder (begrenzte) Autorität liegen häufig modalsemantischen Aussagen zugrunde, und diese subjektiven Prägungen erfordern im interlingualen Zusammenhang eine größere Verstehenskompetenz als rein faktuelle Aussagen. Man vergleiche Morgen könnte es vielleicht regnen vs. Es regnet. Im Gegensatz zu Paepcke (1986a, 1986b), Stolze (1992) und Kupsch-Losereit (1993) sehe ich die Möglichkeit, hermeneutisches Arbeiten zu didaktisieren und ganz

3 bewußt auf Ausgangstexte und Zieltexte anzuwenden, um harmonische und funktionsgerechte Übersetzungen zu erstellen. Weil diese Forschungsarbeit eine stark unterrichtspraktisch orientierte Ausrichtung hat, sind im folgenden der Zusammenhang von Übersetzungstheorie und Übersetzungsdidaktik, ihre Aufgabenbereiche und ihre fachspezifischen Probleme klarzulegen. Hierzu werden die Positionen von Wilss (1977, 1978, 1984, 1988, 1992, 1996, 1997), Thiel (1984a, 21984b, 1985), Zalán (1984) und Königs (1986, 1987a, 1987b, 1987c, 1987d) vorgestellt, die z.T. konträre Entwicklungen der letzten zwanzig Jahre umfassen. Diese vier Ansätze sowie Stolzes Position (1992, 1994a) werden kontrastiv mit dem hier verwendeten Ansatz beurteilt. Ich schließe mich Gadamers (1970) und Kollers (1992) Definition von Übersetzen an, gebe im weiteren Verlauf eine Arbeitsdefinition von Übersetzungskompetenz als übergeordnetem Lernziel und nenne als neuen Begriff modale Kompetenz als Teillernziel. Weil Kompetenz ein zentraler Begriff in Übersetzungstheorie und -didaktik generell und auch in dieser Arbeit darstellt, wird anschließend ausgewählte Terminologie zur Kompetenz vorgestellt. Im weiteren werden fünf didaktische Mittel erörtert, die entweder Aufschluß über die studentische Übersetzungskompetenz geben oder diese fördern sollen. Mit dem lauten Denken (vgl. Kap. 1.3.1.) kann man Informationen über den Übersetzungsprozeß gewinnen; mir gab die theoretische Beschäftigung mit dieser Methode hingegen Anregungen, wie man verschiedene, beim gelungenen Übersetzen involvierte Wissensspeicher mit Hilfe von didaktischen Methoden bei den Studenten aktivieren könnte. Aus diesen Überlegungen resultierten die Methoden der unterstützten Selbstkorrektur und des Workshops mit Recherche, die ich in der hier - in den Kap. 1.3.2. und 1.3.3. - beschriebenen Form für meinen Unterricht entwickelte. Schließlich werden der didaktische Nutzen und die Unterrichtsrelevanz von Paralleltexten und Übersetzunsgvergleichen in den Kap. 1.3.4. und 1.3.5. besprochen. In Kap. 1.4. wird die Planung des Unterrichts, mit dessen Ablauf und empirischem Material die Forschungshypothese überprüft wird, dargelegt. Adressatenkreis, Lernziel, Arbeitsmaterial sowie didaktisches Vorgehen werden kurz erörtert.

Theorie zur Modalität In dieser Arbeit wird die Kompetenz dänischer Deutschstudenten im Übersetzen modaler Semantik und die mögliche Verbesserung dieser Kompetenz untersucht. Daher sind zunächst verschiedene allgemeine Aspekte von Modalität in Kap. 2.1. zu betrachten. In Kap. 2.2., Modalität, Lexeme und Satztypen, werden einige Restriktionen und Freiräume in der Verwendung sprachlicher Zeichen auf dem Hintergrund von Modalität reflektiert. Welten, die nicht existieren, können durchaus möglich sein - daraus ergibt sich, daß mögliche Welten gleichzeitig wahr und nicht wirklich sein können. Überlegungen dieser Art lassen sich denken und mit Hilfe von Modalität in Sprache fassen; man kann nur hoffen, daß die Rezipienten solcher Äußerungen diese auch verstehen. Darüber wird in Kap. 2.3., Zur Problematik des Denkens in Modalität und Zeit und des Verstehens von Sprache, reflektiert und anschließend eine nur für diese Arbeit Gültigkeit beanspruchende Definition der Inhalts- und Ausdruckskategorien von Modalität gegeben. Zahlreiche Forscher haben im Versuch, die Komplexität von Modalität zu erfassen und zu kategorisieren, Modalität als formales und/oder inhaltliches System dargestellt und die

4 Syntax und Semantik der Modalverben beschrieben. In Kap. 2.4., Beschreibungen von Modalverbsystemen, wird nach einem einleitenden, diachronen Blick folgende Forschungsliteratur kurz besprochen: in Kap. 2.4.1. Kratzer (1978) Semantik der Rede. Kontexttheorie - Modalwörter - Konditionalsätze und (1981), The Notional Category of Modality, in Kap. 2.4.2. Öhlschläger (1989) Zur Syntax und Semantik der Modalverben des Deutschen, in Kap. 2.4.3. Diewald (1999) Die Modalverben im Deutschen. Grammatikalisierung und Polyfunktionalität, in Kap. 2.4.4. Davidsen-Nielsen (1990) Tense and Mood in English. A Comparison with Danish und in Kap. 2.4.5. Brandt (1999) Modal Verbs in Danish. Diese Forschungsansätze werden in Kap. 2.4.6. kurz vergleichend zusammengefaßt und in Kap. 2.5., Kontextproblematik, wird ein zentrales Problem der (situativen) Semantik modaler Ausdrücke angesprochen. In Kap. 2.6., Modalitätsarten wird eine inhaltliche Typologie von Modalität anhand der Basisrelationen epistemische und deontische Modalität aufgestellt; Kap. 2.7., Modalitätsformen, beschäftigt sich mit verschiedenen Ausdruckskategorien von Modalität kontrastiv im dänischen und deutschen Sprachsystem, darunter fallen in Kap. 2.7.1. die Modalverben sowie Hilfsverben für modale Infinitive, in Kap. 2.7.2. die indirekte Rede im Dänischen und in Kap. 2.7.3. die indirekte Rede im Deutschen.

Methoden Die im Rahmen dieser Forschungsarbeit verwendeten Methoden bestehen zum einen in der Anwendung der didaktischen Methoden unterstützte Selbstkorrektur und Workshop mit Recherche im Unterricht und zum anderen in einer qualitativen und quantitativen Korpusanalyse. Zwei Studentengruppen auf gleichem Kenntnisstand werden ein Semester lang in Modalität und Übersetzen unterrichtet. Das gleiche Ausgangsniveau der Studenten wird durch die ähnliche Semesterzahl zum Unterrichtszeitpunkt antizipiert, durch eine Fragebogenuntersuchung erstmalig und durch die sehr ähnliche Fehlerzahl in der Originalversion der ersten Übersetzung (28,8 Fehler bei der ersten Gruppe und 31,0 bei der zweiten Gruppe) nochmals bestätigt. Beide Gruppen übersetzen dieselben Texte, wobei die erste Gruppe eine unterstützte Selbstkorrektur ihrer Übersetzungen vornimmt und die zweite zusätzlich zwei Workshops mit Recherche durchführt. Die erste Gruppe arbeitet damit hermeneutisch zieltextrelatiert, die zweite Gruppe ausgangs- und zieltextrelatiert. Zunächst werden alle übersetzten Texte beider Gruppen gesammelt, d.h. alle Übersetzungen und alle Versionen nach der Selbstkorrektur; danach wird dieses empirische Datenmaterial durch die Entfernung aller unvollständigen Texte "gereinigt". Übrig bleiben pro Gruppe 15 Übersetzungen von drei Texten, so daß zwei vergleichbare Textkorpora von je 45 originalen und 45 selbstkorrigierten Übersetzungen angelegt werden können. Das Korpus mit Texten der ersten Gruppe wird HHK1 genannt, dasjenige der zweiten Gruppe HHK2.2

2

Für die Benennung der Textkorpora wurde die offizielle dänische Abkürzung der Wirtschaftsuniversität Kopenhagen, der Handelsh0jskole i K0benhavn - HHK, an der die Korpora gesammelt wurden, gewählt.

5 In Kap. 3. werden die Ausgangs- und Zieltexte, die dieser Arbeit zugrunde liegen, besprochen. In Kap. 3.1. werden die Aspekte der Ausgangstextauswahl dargelegt und in den folgenden Kapiteln die drei Texte vorgestellt. Kap. 3.1.1. bespricht kurz Lotterisvensken, Kap. 3.1.2. Flynderen und Kap. 3.1.3. Vi kan svinge medflaget igen. In Kap. 3.2. sind die Kriterien der Zieltextgenerierung erläutert. Alle modalsemantischen Propositionen in diesen drei Texten werden anhand einer modalen Typologie klassifiziert.

Korpusanalyse Die Textkorpora werden qualitativ und quantitativ analysiert. In Kap. 4.1., Aspekte der Analyse, wird die für diese Arbeit aufgestellte Definition dreier Fehlertypen für die qualitative Analyse erläutert. Es werden modale (d.h. modalsemantische), semantische (d.h. allgemein semantische ohne modale) und andere Fehler unterschieden.

Qualitative Analyse Für beide Gruppen lege ich pro Ausgangstext eine Kartei über die modalen Situationen an und vermerke, wie häufig Fehler in den einzelnen Propositionen auftreten. In Kap. 4.2.1. werden die unproblematischen Textstellen und kreativen Übersetzungen besprochen. In Kap. 4.2.2. werden die problematischen Textstellen differenziert erörtert. Pro Ausgangstext werden drei Textbeispiele vorgestellt: beim ersten Textbeispiel sind in beiden Korpora deutlich gehäuft Fehler zu bemerken, beim nächsten Beispiel treten im ersten Korpus viele Fehler auf und im zweiten kaum, beim letzten Beispiel gibt es nur im zweiten Korpus Fehler. Diese Vorgehensweise wird gewählt, um anhand der Art der modalen Fehler auf ein unterschiedliches modales Problembewußtsein der beiden Gruppen und damit auf eine Wirkung des didaktisch differenziert durchgeführten Unterrichts schließen zu können.

Quantitative Analyse Insgesamt werden 90 Übersetzungen im Original und nach der Selbstkorrektur analysiert, d.h. in 180 Texten von durchschnittlich drei Seiten Länge werden alle Fehler und alle verbesserungsfähigen Passagen markiert. Wieder lege ich für beide Gruppen pro Ausgangstext Karteien an: die originalen und selbstkorrigierten Übersetzungen werden von eins bis 15 nummeriert und alle Namen gelöscht, so daß den Studenten Anonymität zugesichert ist; danach wird die Fehlerhäufigkeit pro Fehlertyp vor und nach der Selbstkorrektur notiert. Für die quantitative Analyse in Kap. 4.3. werden Varianzanalysen (ANOVA) zur Fehlerhäufigkeit und zur Proportion der verbesserten Fehler mit den Faktoren originale vs. selbstkorrigierte Übersetzung, Übersetzung im Semesterverlauf, Fehlertyp und Studentengruppe durchgeführt. Die Resultate sind generalisierbar für Studenten der Wirtschaftsuniversität Kopenhagen und werden in den folgenden Kapiteln diskutiert. In Kap. 4.3.1. wird die Lernprogression der ersten und in Kap. 4.3.2. die Verbesserung der zweiten Gruppe im Laufe des Semesters diskutiert. In Kap. 4.3.3. werden beide Gruppen miteinander verglichen. Hier sei nur kurz vorweggenommen, daß beide Gruppen ihre Kompetenz im Überset-

6 zen modaler Semantik verbessern: die zweite Gruppe, die didaktisch variierteren Unterricht erhielt, verbessert sich jedoch signifikant mehr. Damit verifizieren die Resultate der Korpusanalysen die Forschungshypothese. In der Diskussion in Kap. 5. werden zunächst, in Kap. 5.1., Quantität, Qualität und mögliche Fehlerursachen besprochen. In Kap. 5.2. wird die divergierende Lernprogression der beiden Gruppen auf dem Hintergrund der unterschiedlichen didaktischen Unterrichtskonzeptionen erörtert. Zwar läßt sich im Verlauf eines Semesters die implizite Sprachkompetenz der Studenten kaum verbessern, doch mit Hilfe der unterstützten Selbstkorrektur und der Workshoparbeit können metalinguistische Kenntnisse als Kontrollinstanz der eigenen Übersetzungen aktiviert werden. In Kap. 5.3. wird ein doppelter Ausblick gegeben: die für diese Arbeit erhobenen empirischen Daten lassen weitere Forschungsprojekte zu. Die unterschiedliche Fehlerverteilung und Lernprogression bei mono- und bilingualen Studenten könnte detailliert untersucht werden, ebenso wäre ein Vergleich von Modalitätsformen im Dänischen und Deutschen für denselben, als tertium comparationis fungierenden modalsemantischen Gehalt - möglich, gewichtet durch modale Marker, denn in den Textkorpora fällt zuweilen eine Überfrachtung mit modalen Markern auf. Ein unterrichtsorientierter Ausblick schließt dieses Kapitel ab. Es folgen die Zusammenfassung, die Literaturliste und das Sachregister. 3

3

Die alphabetische Auflistung der Bibliographie folgt dem in Deutschland üblichen Standard, so daß Namen beginnend mit  unter A, mit JE unter Ae und mit 0 unter Oe eingereiht sind, und nicht, wie nach skandinavischem Standard, in der Reihenfolge Ζ JE 0  das Alphabet beenden. Diese Arbeit ist orthographisch gemäß der herkömmlichen deutschen Rechtschreibung abgefaßt, denn ihre Niederschrift begann vor der Verabschiedung der Rechtschreibreform in den deutschsprachigen Ländern; da ein Wechsel auf halbem Wege kaum zur besseren Lesbarkeit beigetragen hätte, halte ich die konsequente Durchführung der "alten" Rechtschreibung für gerechtfertigt.

1. Übersetzungstheorie, -didaktik, Terminologie und Unterrichtsplanung

1.1. Aspekte von Übersetzungstheorie und Übersetzungsdidaktik

Lesen ist schon Übersetzen und Übersetzen ist dann noch einmal Übersetzen. Denken wir einen Augenblick Uber diese Tatsache nach, was das heißt, daß wir übersetzen, d.h. daß wir etwas Totes hinübersetzen in den neuen Vollzug des lesenden Verstehens oder gar in den neuen Vollzug des Verstehens in einer anderen, unserer eigenen Sprache, von etwas, was nur in einer fremden Sprache aufgezeichnet wurde und als Text gegeben ist. Der Vorgang des Übersetzens schließt im Grunde das ganze Geheimnis menschlicher Weltverständigung und gesellschaftlicher Kommunikation ein. Übersetzen ist eine unlösbare Einheit von implizitem Antizipieren, den Sinn im Ganzen Vorweggreifen, und explizitem Festlegen des so Vorweggenommenen. (Gadamer 1970: 205) Anders ausgedrückt, kann man mit Koller (1992: 16) sagen, Übersetzen ist das "Herstellen einer Äquivalenzrelation." Koller unterscheidet zwischen computerlinguistischen, ethnographischen, literaturgeschichtlichen, philosophischen, poetischen, poetologischen, semiotischen, sprachlich-textuellen und theologischen Ansätzen in der Übersetzungstheorie, die wiederum Auswirkungen auf die Art der jeweiligen Äquivalenzrelation haben können. 1 An Übersetzungstheorien besteht kein Mangel: funktionale, hermeneutische, interlinguale, kognitive, kommunikative, pragmatische, psycholinguistische, relativistische, strukturalistische, texttypologische, universalistische und zeichentheoretische Übersetzungstheorien haben zur Diskussion in der Übersetzungswissenschaft beigetragen, um nur noch einige weitere zu nennen. Zum Gegenstandsbereich von Übersetzungstheorie und -didaktik ist zu sagen, daß sich die Übersetzungstheorie vorwiegend mit philosophisch-erkenntnistheoretischen Zusammenhängen, mit dem Innenaspekt des Übersetzens befaßt, während es in der Übersetzungsdidaktik um Außenaspekte, um die Praxisrelevanz von Methoden und Ergebnissen geht. Didaktiker und Übersetzer kritisieren häufig, Übersetzungstheorie sei praxisfern, ihre Erkenntnisse nicht anwendbar, und sie liefere keine Handlungsanweisungen. Umgekehrt müssen sich Übersetzungspraktiker hinsichtlich ihrer theoretischen Beiträge oft den Vorwurf eines fehlenden theoretischen Fundamentes und einer unsystematischen Darstellung gefallen lassen. Eine Verbindung der beiden oft befehdeten Komponenten findet in dieser Arbeit statt. Die praktische Dimension ist durch das empirische Untersuchungsmaterial, die beiden Textkorpora, deren Analyse theoretische und didaktische - und damit wiederum in der Praxis umsetzbare - Erkenntnisse liefert, gewährleistet. Es stellt sich die Frage, welcher übersetzungstheoretische Ansatz bei der sprachenpaarbezogenen Arbeit mit modaler Semantik nützlich sein kann und welche übersetzungsdidaktischen Mittel die Kompetenz im Übersetzen modaler Semantik aufbauen und stärken

1

Dieser Aspekt wird hier nicht diskutiert und kann bei Koller (1992: 18f.) nachgelesen werden.

8 können. Mir erscheint es zweckmäßig, den hermeneutischen Ansatz für die übersetzungstheoretische und -didaktische Forschung zu nutzen. Der hermeneutische Ansatz im Sinne eines Zirkels des Verstehens geht auf Gadamers Untersuchungen zum geisteswissenschaftlichen Wahrheitsbegriff und insbesondere zur Problematik des wissenschaftlichen Arbeitens zurück. 2 Bei der hermeneutischen Arbeitsweise setzt man ein Vorverständnis und Vorwissen voraus, mit dem man an den Text herangeht. Dieses Vorwissen wird bei der aktuellen Arbeit mit dem Text aktiviert und auf den Text projiziert, wobei sich Teilaspekte dem Verstehen erschließen. Dieser Prozeß vollzieht sich wiederholt, bis man im Idealfall ein Gesamtverständnis des Textes einschließlich seiner Funktion erreicht. Meiner Ansicht nach verläuft das hermeneutische Verfahren beim Übersetzen in zwei Phasen, die zeitlich ineinander greifen können. In der ersten Phase bemüht man sich darum, die ganzheitliche Bedeutung des Ausgangstextes zu erfassen, indem man Fragen an den Text stellt - je nach Textart zu dessen fachlicher, sozio-kultureller, historischer o.a. Einbettung etc. - und diese Fragen mit den im Text enthaltenen Informationen, dem eigenen Vorwissen oder durch gezielte Recherche beantwortet. Die zweite Phase gilt dem Zieltext, d.h. der Übersetzung. Man kontrolliert Detail- und Gesamtbedeutung der erstellten Übersetzung und bemüht sich im Rahmen einer Selbstkorrektur, den Zieltext so harmonisch wie möglich oder, wie Hönig (1995: 27) es formuliert, "[...] zielsprachlich und -kulturell unauffällig [...]" zu gestalten. Eine gute Übersetzung weist Harmonie in Inhalt und Ausdruck auf, die bspw. durch falsch gewählte Lexik, logische Brüche oder grammatische Fehler aller Art gestört werden kann. Ist die Übersetzung jedoch ganzheitlich gelungen, dann ist sie auch funktional. Die Selbstkorrektur kann als übersetzungsdidaktische Methode im Unterricht genutzt werden. Als kurzer Vorgriff auf Kap. 5.2. sei hier nur erwähnt, daß die Studentengruppe, deren Übersetzungen das erste Korpus darstellen, lediglich die Selbstkorrektur ihrer Übersetzungen durchführte, während die zweite Gruppe, die das zweite Korpus lieferte, zeitgleich mit der Selbstkorrektur zu intensiver Recherche angeleitet wurde und damit beide Phasen des hermeneutischen Arbeitens durchlief, d.h. sowohl ausgangs- als auch zieltextgerichtet hermeneutisch arbeitete. Die Ergebnisse der Korpusanalyse werden in Kap. 4. ausführlich diskutiert. Mein übersetzungstheoretischer und -didaktischer Ansatz läßt sich als hermeneutisch, ganzheitlich und funktional charakterisieren. Eine neue Theorie wird damit nicht aufgestellt, sondern bestehende werden als zeitlos und aktuell postuliert. 3 In der Übersetzungswissenschaft hat Ladmiral (1993) eine dem hermeneutischen Ansatz verwandte Theorie formuliert, die sich vor allem mit recht abstrakt gehaltenen philosophischen Erörterungen beschäftigt. Das Wesentlichste an Texten ist für Ladmiral die durch Worte erschaffene Welt. Die Welt oder Wirklichkeit kann nicht objektiv sein, denn sie entsteht durch Sprache in den subjektiven Vorstellungen der Menschen. Ein Praxisbezug ist bei Ladmiral, abgesehen von der Diskussion übersetzerischer Entscheidungen vornehmlich 2 3

Vgl. Gadamer (1986: 57-66). Vgl. Kvam (1988: 205), der eine "[...] hermeneutisch orientierte translatorische Textanalyse [...]" als Voraussetzung für die Erstellung einer funktionsgerechten Übersetzung ansieht und das Übersetzen an sich als einen Vorgang von "[...] dynamisch-hermeneutischer Natur [...]" charakterisiert.

9 auf Wortebene, kaum ersichtlich, weshalb hier nicht weiter auf seinen Ansatz eingegangen wird. 4 Interessant ist jedoch Ladmirals Wirklichkeitsvorstellung, bezieht man sie auf modale Semantik. Modale Aussagen werden häufig aufgrund von (mangelndem) Wissen oder (mangelnder) Autorität, also aus stark subjektiv geprägten Situationen heraus formuliert mit Hilfe des Mediums Sprache, das die Vorstellungswelt subjektiv konstituiert. Daher eignet sich modale Semantik m.E. besonders gut als Forschungsfeld, denn sie ist eine reichhaltige Quelle für Verstehens- und Verständigungsprobleme, und dies um so mehr im Übersetzungszusammenhang. In neuerer Zeit hat insbesondere Stolze das hermeneutische Übersetzen diskutiert, 5 oft im Rückgriff auf Paepcke (1981, 1986a, 1986b). Für Stolze (1992: 268) besteht der hermeneutische Ansatz im ganzheitlichen Verstehen von Texten für die Übersetzung. Hermeneutisches Arbeiten involviert für Stolze die von ihr sogenannten "Kategorien der Rezeption", bzw. die "rezeptive Seite der Translation." Für die Übersetzung, also die Produktion des Zieltextes, nennt Stolze die "translatorischen Kategorien" Thematik, Semantik, Lexik, Pragmatik und Stilistik als relevant. Stolze entwirft einen detaillierten Katalog von "translatorischen Kategorien" (Stolze 1992: 202-206), gibt jedoch keine konkreten didaktischen Vorgaben. Ein Grund mag darin liegen, daß sich ihr hermeneutischer Ansatz vornehmlich auf die Probleme des Übersetzers bei seinem Umgang mit den Ausgangstexten bezieht. Stolzes Postulat, "Nicht das Verhältnis zwischen Text und Übersetzung [...]" werde diskutiert, erscheint angesichts ihres Kategorienkataloges widersprüchlich. Immerhin betont Stolze, daß beim Übersetzungsprozeß "[...] ein erster Entwurf wiederholt überarbeitet und näher an die Vorlage sowie an funktionsgerechte Formulierungen herangeführt wird." (Stolze 1992: 212). Wie eine solche Überarbeitung praktisch vorgehen soll, wird im folgenden nicht erläutert - evtl. könnte man sich an Stolze Kategorienkatalog orientieren; für die allgemeine Revision eines Zieltextes ist er jedoch zu umfassend, daher sind auch - dies erwähnt Stolze selbst - nicht alle Kategorien für alle möglichen Zieltexte relevant. Anweisungen zur Selektion von Kategorien gibt Stolze (1992, (1994) nicht. Ihre Hinweise zur Anwendung der translatorischen Kategorien sind m.E. zu vage für eine didaktische Umsetzung im Unterricht. 6 Eine "Annäherung an die Vorlage" ist m.E. hermeneutisch betrachtet nur sinnvoll, wenn sie inhaltliche und funktionale Harmonie von AT (Ausgangstext) und ZT (Zieltext) zum Ziel hat. Diese "Harmonie" kann auch als Stimmigkeit, Kongruenz, Äquivalenz oder anderweitig bezeichnet werden.

4 5 6

Vgl. Ladmiral (1993). Vgl. Kupsch-Losereit (1993). Vgl. Stolze (1992: 266ff.). In Kap. 9.1.2 "Die Anwendung der translatorischen Kategorien", heißt es u.a: "Weil die Kategorien praktisch ineinander fließen, war es in der theoretischen Darstellung nicht immer möglich, sie ganz streng auseinanderzuhalten. [...] Wir halten daher eine strenge "Checklist" als Raster für alle Texte nicht für praktikabel. Ein kompetenter Übersetzer merkt schnell, wo in einem bestimmten Text die Schwerpunkte liegen, an denen es weiterzuarbeiten lohnt. [...] Texte sind sehr komplexe individuelle Gebilde, und es bleibt stets die Aufgabe des Übersetzers, für den konkreten Einzelfall zu entscheiden, welche translatorische Kategorie aus dem genannten Spektrum wichtig wird und wie die Hierarchisierung der Formulierungsentscheidungen zu begründen ist."

10 Um Theorie in der Praxis anzuwenden, wurden für diese Untersuchung zwei Arbeitsmethoden im Sinne eines hermeneutischen Vorgehens didaktisiert: die unterstützte Selbstkorrektur und der Workshop mit Recherche; sie werden in den Kap. 1.3.2. und 1.3.3. besprochen. Im Unterschied zu Stolze betone ich explizit die doppelte Ausrichtung des hermeneutischen Vorgehens auf den AT und den ZT. Hinsichtlich der didaktischen Anforderungen des hermeneutischen Übersetzens äußerst sich Stolze allgemein: Das hermeneutische Übersetzen auf der Grundlage einer sehr breiten Wissensbasis, lebendigem sprachlichen und kulturell-fachlichen Lebensinteresse sowie sprachwissenschaftlichen Kenntnissen muß durch einen Übersetzungsunterricht vorbereitet werden, der Wert auf die Vermittlung dieser Wissensbasis und auf praktische Fertigkeiten wie rasches inhaltliches Erfassen und situationsadäquates Formulieren in den verschiedenen Sprachen legt. Wenn dann eine Übersetzungskompetenz vor allem in die Muttersprache entsteht, ist schon Wesentliches erreicht. (Stolze 1992: 276) Übersetzungskompetenz ist auch für Stolze das erklärte Lernziel. Um diese - hermeneutisch geschulte - Übersetzungskompetenz zu erlangen, bedarf es neben dem oben genannten Wissen auch der "[...] kulturell-fachlichen Ausrichtung [...,] dem unablässigen Lesen und Interesse an Allem [...und] in der Landeskunde neben sozio-ökonomischen Daten und Zeitdokumenten auch der Dichtung einer jeweiligen Epoche" (Stolze 1992: 274) und "breitgestreute individuelle Leseerfahrungen und Sachkenntnis" (Stolze 1994: 137). Stolze betont die Relevanz des interdisziplinären Arbeitens, bei dem u.a. Fachsprachenforschung, Terminologielehre, Soziolinguistik, interkulturelle Vergleiche, Rhetorik u.v.m. mit in die Übersetzungswissenschaft einbezogen werden. Damit besteht für sie die Leistung der Hermeneutik in der multiperspektivischen Zusammenschau verschiedenster Aspekte, sowohl intra- als auch interdisziplinär. Nun werden beispielhaft vier Forschungsansätze vorgestellt, die den Zusammenhang von Übersetzungstheorie und Übersetzungsdidaktik, ihre Aufgabenbereiche und einige ihrer fachspezifischen Probleme verdeutlichen. Wilss (1977, 1978, 1984, 1988, 1992, 1996, 1997) bemüht sich seit Jahrzehnten aus interlingualer Perspektive um die Annäherung von Übersetzungstheorie und Didaktik und um eine stringente fachspezifische Terminologie, die sich den Entwicklungen der Übersetzerausbildung anpaßt und sie widerspiegelt. Thiel (1984a, 1984b) konkretisiert Wilss' Ansatz, Zaláns nimmt in konträrer Position auf Wilss und Thiel Bezug. Es folgt eine Zusammenfassung, in der die Berührungspunkte der vorgestellten Ansätze mit meinem übersetzungsdidaktischen Konzept, der Klassifikation von Fehlertypen sowie der Beurteilung von Lernprogression in dieser Arbeit aufgezeigt werden. Königs (1987a, 1987b, 1987c, 1987d) vertritt eine stark pragmatische Richtung.

1.1.1. Wilss Wilss (1992) weist auf die notwendigerweise inhärente Diskrepanz zwischen dem Weltbild des Theoretikers und dem des Praktikers hin, da der erste Wissen über die Realität sammle, der zweite die Gestaltung und Bewältigung von Realität anstrebe. Diese Diskrepanz lasse sich in eine fruchtbare Zusammenarbeit verwandeln, nehme der Theoretiker die empirische Arbeit des Praktikers als seine Basis. Wilss möchte die Übersetzungsdidaktik als ange-

11 wandte Metadisziplin (Wilss 1992: 195) der Übersetzungswissenschaft verstanden und ihre leitenden Erkenntnisziele und -prinzipien von dieser berücksichtigt wissen. Damit stehen für Wilss Übersetzungswissenschaft und Übersetzungsdidaktik nicht in einem konträren, sondern in einem komplimentären Verhältnis zueinander, gekennzeichnet durch unterschiedliche Interessen und Erkenntnisziele:7 Die ÜW [Übersetzungswissenschaft] zielt auf teils theoretischen, sprachenpaarübergreifenden, teils deskriptiven, sprachenpaarbezogenen Erkenntnisfortschritt, die Übersetzungsdidaktik wählt aus den Ergebnissen der ÜW [Übersetzungswissenschaft] diejenigen aus, die die Systematisierung und Strukturierung des ÜrfÜbersetzer] -Verhaltens positiv beeinflussen (können). (Wilss 1992: 195)

Dem ist ohne weiteres zuzustimmen, doch welche konkreten Auswirkungen auf die übersetzungstheoretische und -didaktische Forschung und die unterrichtliche Praxis sind zu erwarten? Auch stellt sich die Frage, was die Übersetzungsdidaktik bereits zu leisten vermag, welche Ziele sie sich setzen und mit welchen Mitteln sie versuchen soll, diese zu erreichen. Wie läßt sich überprüfen, ob, bzw. bis zu welchem Grad diese Ziele erreicht wurden? Welche Konsequenzen ergeben sich daraus wiederum für die übersetzungdidaktische Theoriebildung? Wilss bemüht sich, diese Fragen in "Vorüberlegungen zu einer Didaktischen Grammatik des Übersetzens" (1978) zu beantworten. Er diskutiert, inwieweit die Tendenz zur Pädagogisierung und Didaktisierung der Wissenschaften auch auf die angewandte Übersetzungswissenschaft zutreffe und kommt zu dem Ergebnis, daß sie von dieser Tendenz enorm profitieren könne. Sie solle, so meint er, zum einen prospektiv vorgehen, durch kontextgebundene Klassifizierung von Übersetzungsschwierigkeiten und durch Didaktisierung des Übersetzungsunterrichts, zum anderen retrospektiv durch textlinguistische Verfahrensweisen in Fehleranalyse und Übersetzungskritik. Wilss favorisiert die linguistische und lernpsychologische Grundlegung. Eine didaktische Grammatik für den Übersetzungsunterricht müsse anders aufgebaut sein als eine für den Fremdsprachenunterricht, denn beim letzten werde erst verhältnismäßig spät eine stilistische Kompetenz erreicht, während man beim ersten die stilistische Kompetenz in allen Lehr- und Lernphasen berücksichtige. Im Gegensatz zur Fremdsprachendidaktik kennzeichne die Übersetzungsdidaktik eine Doppelperspektivierung, da sie sowohl auf die Grund- als auch auf die Fremdsprache gerichtet sei. Unter der Voraussetzung, daß jedem Menschen die Fähigkeit zum Spracherwerb und zum Übersetzen angeboren sei, müsse sich auch das Erlernen des Übersetzens didaktisch steuern lassen. Das Lehr- und Lernziel einer didaktischen Grammatik des Übersetzens besteht nach Wilss (1978: 146) "[...] im systematischen und erfolgskontrollierten Aufbau von Übersetzungskompetenz". Ein System zur Meßbarkeit der "von Lernphase zu Lernphase sich erweiternden Übersetzungskompetenz" (Wilss 1978: 149) müsse jedoch erst noch entwikkelt werden, ebenso wie zuverlässige Kriterien für eine übersetzungsdidaktisch gesteuerte Schwierigkeitsprogression. Ebenfalls fehle es an einem einzeltextübergreifenden Kriterieninventar für die Beurteilung von Äquivalenz. Die Hauptaufgaben der didaktischen Gram7

Wilss (1992: 195) verwendet die Termini Übersetzungswissenschaft zeitweilig synonym.

und

Übersetzungstheorie

12

matik des Übersetzens, die sprachenpaarspezifisch, transferspezifisch und textsortenspezifsch angelegt sein müsse, sieht Wilss (1978: 148f.) in der Entwicklung von adressatenspezifischem Lehr- und Lernmaterial und der Entwicklung von Tests, die Auskunft über die Effizienz von Lehr/Lernmaterial und das Nicht-/Teil-/Erreichen von Teil- und Gesamtlernzielen geben. Seine abschließende Warnung "Man sollte also nicht versuchen, die DGÜ [Didaktische Grammatik des Übersetzens] wissenschaftlicher machen zu wollen, als sie es ihrem Gegenstand nach sein kann" (Wilss 1978: 150) kommt einer captatio benevolentiae gleich. Wilss relativiert damit seine vorherigen ambitiösen Pläne, wahrscheinlich aus der Vermutung heraus, daß sie sich, wenn überhaupt, dann bestimmt nicht in näherer Zukunft realisieren lassen. Seine Annahme, die didaktische Grammatik des Übersetzens könne dazu beitragen, durch didaktisch-methodische Strategien Transferschwierigeiten zu eliminieren und den Übersetzungsstudenten konkrete Orientierungshilfen beim Aufbau einer textlinguistisch begründeten Übersetzungsmethode und Übersetzungstechnik zu geben (Wilss 1978: 150), lautet hingegen praxisnah und durchführbar. In "Didaktische Implikationen", dem Schlußkapitel von Übersetzungsfertigkeit (1992), beurteilt Wilss den Stand der Übersetzungsdidaktik als unbefriedigend, da der übersetzerische Lernprozeß weitgehend in ungeregelten Bahnen ablaufe und es keine verbindlichen Richtlinien im Sinne einer konsensfähigen übersetzungsdidaktischen Vorgehensweise gebe. Obwohl die Fremdsprachendidaktik hochentwickelt sei und die Diskussion zum erfolgreichen Fremdsprachenlehren schon jahrhundertelang andauere, gebe sie für die Übersetzungsdidaktik nicht viel her, da man sich kaum Gedanken zu Ablauf, Gesetzmäßigkeiten und Steuerung von Lernprozessen gemacht habe. Wilss plädiert für "selbstgesteuertes Lernen", da aufgrund der überfüllten Studiengänge kaum auf den einzelnen Studenten eingegangen werden könne. Der Student solle "metakognitiv" arbeiten, nach Möglichkeit Selbsteinschätzung und Selbstkorrektur betreiben und sein Bewußtsein als "geheimen Beobachter" (Wilss 1992: 212) einsetzen. Fremd- und eigeninstruktionelle Lernprozesse sollen genutzt werden. Wilss weist auf noch ausstehende Forschungsbeiträge hin, wenn er sagt: Die Klärung der Wechselbeziehungen zwischen Fremdinstruktion und Eigeninstruktion stellt eine Herausforderung an die Übersetzungswissenschaft dar, die in Zusammenarbeit mit der experimentellen Unterrichtsforschung die Erfahrungen aufarbeiten müßte, die ein Lernender im Umgang mit seinen unterrichtlichen Bezugspersonen und mit sich selbst erworben hat bzw. erwerben kann. (Wilss 1992: 212) Wilss kritisiert den Mangel an verbindlichen Lehrplänen, an Kriterien für die Entwicklung eines Kanons von Übersetzungsschwierigkeiten und an objektiven Standards orientierte Textschwierigkeitsprogression; er kritisiert die Diffusität von Prüfungs- und Studienordnungen, das Fehlen von Leitfäden für die Unterrichtsplanung und mangelndes didaktisches Training der Lehrkräfte. Er konstatiert, daß die angewandte Übersetzungswissenschaft die größten Schwierigkeiten bei der übersetzungsunterrichtlichen Lernzielbeschreibung und Lernzielkontrolle habe (Wilss 1992: 186). Wilss schlägt eine textsortenspezifische und übersetzungsunterrichtliche Differenzierung mit unterschiedlichen Leistungspotentialen für das Übersetzen aus der Fremd- in die Grundsprache und umgekehrt vor, da das Prinzip, nur

13 in "die eigene Sprache" zu übersetzen, in der Berufspraxis nicht durchzuhalten sei. 8 Wilss möchte dem übersetzungspraktischen Anforderungsprofil ein übersetzungsdidaktisches an die Seite stellen. Systematisch gefördert werden sollen Fertigkeiten des Wissenserwerbs und der Wissensverarbeitung. Er nennt eine Reihe von Lernzielen, wie Bestimmung von Übersetzungseinheiten, Recherchetechniken, Paraphrasierungs- und Selbst- oder Korrekturstrategien, ohne diese jedoch näher auszuführen. Als Aufgaben der Übersetzungsdidaktik nennt Wilss die Auseinandersetzung mit den Zielen und Methoden der Übersetzungswissenschaft und mit den Inhalten und der Progression des Übersetzungsunterrichts. Wilss glaubt, die Übersetzungsdidaktik könne überzogene Forderungen der Berufspraxis abweisen und "[...] damit das gespannte (und manchmal gespenstige) Verhältnis zwischen Lehre und Praxis auf eine vernünftig begründete und geregelte Basis stellen." (Wilss 1992: 199). Schließlich spricht Wilss von den "ökologischen Faktoren der übersetzerischen Praxis" (Wilss 1992: 212) und man darf vermuten, daß er hier einem modischen Terminus zum Opfer gefallen ist, denn inhaltlich geht es um Effizienz, die im Übersetzeralltag relevant für ein ausreichendes Einkommen ist und deshalb in der Ausbildung thematisiert werden sollte. Bei der Untersuchung der externen und internen Faktoren von übersetzerischen Lernprozessen kann es nicht ausbleiben, daß man auch ökologische Faktoren der übersetzerischen Praxis stärker als bisher ins Visier nimmt. D.h., man muß eine mutmaßliche Taxonomie von übersetzerischen Auftragssituationen aufstellen und prüfen, ob damit das von der Übersetzungsdidaktik gegenwärtig erreichte, bzw. in Zukunft zu erreichende Intelligenz-, Leistungs- und Selbständigkeitsniveau der Absolventen in einem realistischen Zusammenhang steht. (Wilss 1992: 212f.) Hilfreich wäre in diesem Zusammenhang, wenn der Ür [Übersetzer] regelmäßig Gelegenheit bekäme, sich mit allen an einem Übersetzungsauftrag direkt oder indirekt Beteiligten in Verbindung zu setzen, um damit Festlegungen zu schaffen, die der Mitteilungsabsicht des AT-Autors und den Informationsbedürfnissen des ZT-Lesers optimal Rechnung tragen. (Wilss 1992: 215) Allerdings erscheint dies in der Regel unrealistisch, prinzipiell nur bei bestimmten Texten und Auftragstypen sinnvoll und generell nicht verantwortbar, besonders im Hinblick auf die vorab unterstrichene Effektivität. In "Ansichten zu einem zukünftigen Übersetzungsunterricht" beschäftigt sich Wilss (1997) mit verschiedenen Aspekten der "digitalen Revolution" (Wilss 1997: 1) hinsichtlich

8

An dieser Stelle scheint es präziser, von "Ubersetzung in die Muttersprache" zu reden und daran zu erinnern, daß Millionen von Menschen in nationalsprachiger Mehrsprachigkeit, Uber dialektale Vielfalt hinaus, leben, sich eine fremde Sprache z.B. anläßlich von Migration mehr oder minder vollständig angeeignet haben und diese vorwiegend verwenden. Auf die Diskussion, ob eine nach oder sogar zeitgleich mit der Muttersprache erlernte, sog. "fremde Sprache" als "eigene Sprache" anzusehen ist, und mit welchem "Recht" Muttersprachler durch ihre Sprachzugehörigkeit eine Art "Besitz" der eigenen Sprache proklamieren, was oft mehr als nur die sprachliche Ausgrenzung von Nichtmuttersprachlern impliziert, kann in diesem Rahmen nur verwiesen werden. Hier handelt es sich m.E. nur nebensächlich um eine Diskussion Uber Sprache; der politische Aspekt dieser Debatte dürfte zweifelsohne im Vordergrund stehen.

14 der Übersetzerausbildung. Er fragt, ob sich die "Technologie vom Typ der Datenautobahn" (Wilss 1997: 3) zum Lehren und Lernen im Übersetzungsunterricht eignet und in der Übersetzungspraxis eine Steigerung von Qualität, Schnelligkeit und Kostenersparnis erzielt werden könne. Die Antwort dürfte negativ sein, denn Wilss berichtet anschließend, die Arbeit mit Datennetzen sei in Deutschland noch keine etablierte Form des übersetzerischen Lehr- und Lernprozesses. Bislang befassen sich vor allem EU-initiierte Projekte wie ECOLE, DELTA, PLUTO und COMETT mit der Erforschung des Teleteaching. 9

1.1.2. Thiel Thiel zieht in "Gesichtspunkte für eine Beschreibung von Lernzielen des Übersetzungsunterrichts in Diplomstudiengängen für Übersetzer" (1984a) eine Parallele zwischen Fremdsprachenunterricht mit dem Ziel der kommunikativen Kompetenz und Übersetzungsunterricht mit dem Ziel der Übersetzungskompetenz. Dabei betont sie explizit, daß beide Arten der Kompetenz nicht exakt definiert sind und der Beschreibung von Teillernzielen daher um so größere Bedeutung zukommt und beruft sich auf Wilss (1976: 34), der von textsortenspezifischen Teilkompetenzen, z.B. für die fachsprachliche und die literarische Übersetzung oder für die Bibelübersetzung, spricht und dieses Postulat 1992 erneuert. Zur Erläuterung der Teillernziele greift Thiel den von der Lernpsychologie entwickelten Lernzielbegriff auf und wendet ihn im methodischen Bereich des Übersetzungsunterrichts an. So nennt sie für die unterste Ausbildungsstufe die Lösung generalisierbarer Probleme der Textkonstitution und Textstrukturierung als Vorbereitung für die übersetzerische Kompetenz auf höheren Stufen. Hier könne der Unterricht auf zwei Schwerpunkte abzielen: auf das funktionsbezogene, textsortenspezifische Übersetzen und das themenbezogene, sachbereichspezifische Übersetzen. Pro Text müsse ein jeweils anderer übersetzungsmethodischer Maßstab mit Lernzielcharakter angelegt werden; hierbei vertritt Thiel die Auffassung, "[...] die übersetzerische Gesamtkompetenz könnte dieser Konzeption gemäß nach dem Baukastensystem entwickelt werden" (1984a: 272) und dem gemeinsprachlichen Übersetzungsunterricht komme die zentrale Rolle im Lernprozeß zu. Nach diesem Entwurf einer zukünftigen Unterrichtsplanung kommt Thiel auf die Fremdsprachendidaktik zurück und bezieht linguistische und lernpsychologische Gegebenheiten in ihre Betrachtung ein. Bei der Planung des Fremdsprachenunterrichts sei es möglich, Lernzielklassen zu bestimmen, z.B. das Erlernen von grammatischen Strukturen, Wortschatzbereichen oder Idiomatik. Von einer unterrichtssteuernden Lernzielhierarchie sei man jedoch noch weit entfernt. Wilss' oben genannter Artikel stellt gemeinsam mit Vermeers Rahmen für eine allgemeine Translationstheorie (Vermeer 1978) für Thiel den ersten Bezugspunkt der Didaktik des Übersetzungsunterrichts dar, den zweiten sieht sie in der Lernpsychologie, in der ein Dreischritt der didaktischen Planung postuliert wird: auf die Festsetzung und möglichst operationale Beschreibung von Lernzielen folgt die Klärung der Bedingungen, die zum Erreichen der Lernziele beitragen können und schließlich die Entwicklung von Lernstrategien, die zum Aufbau von Lernsequenzen führen. Dieser Dreischritt scheint Thiel nicht 9

Vgl. zum Aufbau und zur praktischen Durchführung von Ubersetzungskursen für den computergestützten Fernstudiengang UniTysk2000 auch Krüger (1997).

15 ohne weiteres auf den Übersetzungsunterricht übertragbar zu sein, denn Lernziel, Lerninhalt und Lernvollzug können nicht als Einheiten abgegrenzt und beschrieben werden, ebensowenig könne man Lernsequenzen genau planen, die direkt zu übergeordneten Lernzielen führen (Thiel 1984a: 274). Damit revidiert Thiel ihr Eingangspostulat der Teillernziele ohne Nennung von Alternativen und fährt mit den in der Lernpsychologie unterschiedenen Definitionen des faktischen und des theoretischen Lernens fort. Zur faktischen Definition zählen objektiv beobachtbare Gegebenheiten wie Verhaltensänderungen und Reaktionen im Unterricht. Auf den Übersetzungsunterricht bezogen wäre z.B. eine Überprüfung des richtigen Erkennens von Satzkonstruktionen, Präpositionalphrasen oder Konjunktivverwendungen im Ausgangstext und ihre korrekte Umsetzung im Zieltext denkbar. Die Beherrschung bestimmter translatorischer Verfahren bei Strukturdivergenzen wäre anzusehen als ein - und hier kommt Thiel zurück auf den eben noch verworfenen Begriff - Teillernziel im Übersetzungsunterricht. Die sich anschließende Frage, ob Teillernziele operationalisierbar seien, verneint sie hinsichtlich übersetzungsrelevanter Problemstellungen mit Ausnahme von Übersetzungssegmenten in Gestalt phraseologischer Elemente oder textsortenspezifischer Standards. Den Grund hierzu sieht sie in der Tatsache, daß mehrere adäquate Übersetzungen zu einem Ausgangstext angefertigt werden können, sprich, daß es nicht die einzig richtige Lösung gibt und in diesem Falle die Definition der Operationalisierung nicht mehr anwendbar sei. Die theoretische Definition des Lernens bezieht sich auf Gegebenheiten des Lernprozesses, die nicht direkt beobachtbar sind, wie das Erarbeiten von Übersetzungslösungen, die durch eine Besonderheit der Struktur, Thematik oder Pragmatik des betreffenden Textexemplars bedingt sind und für jeden Einzelfall neu gefunden werden müssen. Wie, so fragt Thiel, werden Übersetzungslösungen überhaupt gefunden? Die Skala reicht von Automatismus über Lösung auf diskursivem Weg bis hin zur Intuition, und Thiel schlägt vor, im Unterricht vor allem die kognitiven Fähigkeiten der Lernenden anzusprechen. Sie führt hierzu aus der Cognitive Learning Theory an, daß es nicht entscheidend sei, wie häufig eine Erscheinung wiederholt, sondern wie häufig sie anderen Entscheidungen gegenübergestellt werde, mit denen sie verwechselt werden könne. Zudem werde das Lernen erleichtert, indem man die Aufmerksamkeit auf kritische Merkmale lenke und diese verstanden werden. Die Anwendung dieser beiden lernpsychologischen Dimensionen hält Thiel auf jeder Ausbildungsstufe für möglich, zur Ableitung einer Systematik kognitiver Lernschritte jedoch nicht für ausreichend. Bezüglich solch einer Systematik verweist sie auf Wendts Stufen des kognitiven Lernens im Fremdsprachenunterricht (Wendt 1975), der zwischen zwei Ebenen des kognitiven Lernens - Wissen/Kenntnis und Fähigkeit/Fertigkeit - differenziert. Auf der Lernzielebene Wissen/Kenntnis wird eine neue Information einer bereits gespeicherten zugeordnet. Man spricht hier auch von deklarativem Wissen, von einem wissen, daß in Abgrenzung zum wissen, wie, dem prozeduralen Wissen, das zur Lernzielebene Fähigkeit/Fertigkeit gehört. Dieser Ebene ordnet Wendt fünf kognitive Lernstufen zu. Verstehen bezeichnet das Einordnen von Information in ein bereits bekanntes System mittels Informationsumstrukturierung, auch Assimilation (nach Bloom) oder Akkomodation (nach Piaget) genannt, Anwendung bedeutet die Einordnung des Verstandenen in einen neuen Zusammenhang, Analyse steht für die Identifizierung der Informationsbestandteile, die Erklärung ihrer Beziehungen und die Aufdeckung der sie organisierenden Prinzipien. Die Synthese erfordert Kreativität und Originalität und steht laut Thiel in bezug zur Enkodierungsphase im Über-

16 setzungsprozeß. Evaluation schließlich beinhaltet das bewußte Bewerten von Lösungen und Lösungswegen und verlangt vom Lernenden die Fähigkeit zur Argumentation. Die aufgeführte Reihenfolge der kognitiven Lernziele ist nicht hierarchisch zu verstehen und gemäß den gewünschten Unterrichtsphasen zu arrangieren. Thiel kommt auf das Problem der übersetzungsdidaktischen Planung zurück und schließt mit der These, daß "[...] die Konzeption eines Übersetzercurriculums, das die systematische Ausrichtung des Unterrichts auf folgerichtig aufeinander aufbauende kognitive Lernziele zum Inhalt hätte, derzeit noch nicht möglich ist und vielleicht - der komplizierten Materie wegen - auch künftig nicht möglich sein wird" (Thiel 1984a: 277). Als abschließende Begründung führt sie an, daß konkrete kognitive Lernziele des Übersetzungsunterrichts immer im Hinblick auf Problemlösungsverfahren zu bestimmen und die Art der Probleme sowie ihre Lösungen im Gegensatz zu den kognitiven Lernzielen im Fremdsprachenunterricht immer textbezogen seien. Letztendlich läuft Thiels Argumentation auf eine notwendigerweise unterschiedliche Didaktisierung von Übersetzungs- und Fremdsprachenunterricht hinaus.

1.1.3. Zalán In seinem kritikbewußt betitelten Aufsatz "Didaktik der Übersetzerausbildung auf Konfliktkurs oder sind Katastrophen auf der einen Seite und Resignieren auf der anderen vermeidbar?" (1984) vertritt Zalán die Auffassung, daß sich ein übersetzungsdidaktisches Lernziel nicht klar bestimmen und daraus folgend ebensowenig die Formulierung von Teillernschritten - die Wilss 1992 erneut postuliert - vornehmen lasse, denn dies setze eine exakte Definition des Übersetzens und eine exakte Beschreibung des Übersetzungsprozesses voraus. An Übersetzer und Übersetzungen werden unterschiedliche und oft widersprüchliche Forderungen gestellt und dadurch bestimmte Aspekte des Übersetzens favorisiert. Zalán moniert den inflationären Gebrauch des Begriffs Kompetenz, der nicht exakt definiert sei und bezeichnet Kompetenz als psychologische Tatsache, als Fähigkeit zum Erlernen zwischenmenschlicher Kommunikation einschließlich der Translation, so daß er die translatorische Kompetenz als das Vorhandensein eben dieser geistigen Disposition ansieht. Das Ausbildungsziel könne demnach nicht das Herausbilden einer sogenannten translatorischen Kompetenz oder gar einer von ihm als tautologisch empfundenen kommunikativen translatorischen Kompetenz sein, da sie nach Zaláns Definition bereits Voraussetzung für jegliches Übersetzen ist (Zalán 1984: 198). Daher könne man auf Begriffe wie kommunikative Kompetenz und translatorische Kompetenz in der didaktischen Planung gänzlich verzichten. Von weiteren müßigen Versuchen zur Begriffsklärung nimmt Zalán Abstand, da er die Frage "Was macht ein Übersetzer?" für relevanter hält. Zalán kritisiert die Definition des Übersetzens als zweiphasigen Prozeß von Dekodierung und Enkodierung, denn diese Definition trenne, anstatt zu verbinden; Übersetzen sei jedoch wie Interpretieren eine koordinierende Tätigkeit schlechthin. Die Übersetzungstheorie schwanke schon immer zwischen den Extremen; entweder werde die Sender- oder die Empfängerperspektive verabsolutiert. Da in der Praxis meist die Empfängerseite bestimmender sei, müsse die autonome schöpferische Tätigkeit des Übersetzers hier einer vorgegebenen Interpretation weichen. Konsequenterweise könne die Ausbildung daher in der Einübung vorgegebener Übersetzungsmechanismen bestehen. Übersetzen, so betont Zalán,

17 lasse sich durchaus in Teilschritte zerlegen, allerdings erst bei der Überprüfung heuristisch gefundener Lösungsvarianten. Die Didaktik der Übersetzerausbildung solle sich mit den Möglichkeiten der Integrierung und Koordinierung bestimmter, im muttersprachlichen und im Fremdsprachenunterricht erworbener Fähigkeiten und Fertigkeiten auseinandersetzen, sofern die erforderliche geistigpsychische Disposition als vorhanden angenommen werden könne. In der Regel seien aber die meisten Ausbildungsinstitutionen gezwungen, das Studium der als Voraussetzung geltenden Fähigkeiten und die eigentlichen Übersetzungsübungen parallel anzubieten. Mit anderen Worten: Zalán hält eine Trennung von Fremdsprachen- und Übersetzungsunterricht nicht für möglich und nimmt Abstand vom Begriff der Übersetzungskompetenz. Vielleicht etwas zugespitzt ließe sich sagen, eine Voraussetzung der didaktischen Gestaltung der Ausbildung von Übersetzern bestehe darin, daß die Studenten bereits alles können, denn die wirklich kontrollierbare didaktische Arbeit erschöpfe sich seiner Meinung nach in solch klassischen Aufgaben wie Einstufung, Organisation des Stoffes usw. Übersetzung ist, was als Übersetzung angenommen wird. Kommunikation funktioniert bekanntlich auch dann, wenn sie mit Hilfe von entstellten, lückenhaften oder gar verstümmelten Texten zustande kommt. Die Didaktik der Übersetzerausbildung muß laut Zalán Kategorien zur Beschreibung von Übersetzungsfehlern ausarbeiten, damit Übersetzungen nicht mehr an dem gemessen werden, was sie per definitionem nicht sein können - am Ausgangstext. Ein Text weist eine unbestimmbare Menge von Wirkungselementen auf, die angesichts der aktuellen Polyfunktionalität der Texte aktuelle Dominanzverhältnisse schaffen. Es sollte Ziel der Ausbildung sein, die Fähigkeit zur Erkennung dieser Dominanzverhältnisse und zur Kontrolle der verschiedenen Übersetzungen unter dem Aspekt der Herstellung idealer und adäquater Dominanzverhältnisse zu fördern. Zalán versteht Übersetzen als eine undifferenzierte Fähigkeit des Menschen, sich eines alogischen Systems der Kommunikation zu bedienen. Daher sollte es paradoxerweise auch Ziel der Übersetzerausbildung sein, diese undifferenzierte Fähigkeit so lange wie möglich intakt zu bewahren. Bislang werden jedoch durch wissenschaftliche Analyse diejenigen Faktoren herausgearbeitet, die bei der Herstellung der genannten Dominanzverhältnisse eine Rolle spielen, wobei sich diese Elemente leicht verselbständigen können und unter dem Aspekt eines abstrakten didaktischen Zweckes die Komplexität ihrer Bedeutung und Funktion einbüßen. Ein Text ist nicht statisch, er stellt einen Vorgang von relativer Unbestimmbarkeit dar, weshalb es auch keine ideale Übersetzung gibt, obwohl sie theoretisch denkbar wäre. All diesen Vagheiten zum Trotz nennt Zalán zwei Aufgabenbereiche in der Übersetzerausbildung. Als ersten führt er die Erstellung eines vielfältigen Propädeutikums an, in dem darauf hingewiesen wird, daß das Finden von Lösungen kaum steuerbar ist. Zweitens nennt Zalán den didaktischen Entwurf eigentlicher Übersetzungsübungen, die aus Besprechung, Verbesserung und Beurteilung der von den Studenten angefertigten Übersetzungen bestehen. Zudem fordert er eine Kombination des Übersetzungsunterrichts mit einer muttersprachlichen Ausbildung, da kein Mensch imstande sei, etwas zu übersetzen, das über das Niveau des eigenen Sprachgebrauchs hinausgehe. Trotz ihrer vordergründigen Banalität halte ich diese Aussage für sehr wichtig. Schließlich wird von den Studenten erwartet, daß sie zukünftig als Übersetzer in der Lage sind, jeden bei ihnen in Auftrag gegebenen Text zu übersetzen, und dies erfordert eine perfekte muttersprachliche Kompetenz. Der Begriff "Niveau" dürfte bei Zalán nicht (allein) im Sinne von "Stilniveau" zu verstehen sein, son-

18 dem auf stilistisch differenzierte, orthographisch und interpunktatorisch fehlerfreie, performative Beherrschung der häufigsten muttersprachlichen Textsorten abzielen. Nach Zalán ist die Ausbildung von Übersetzern nur als Eliteausbildung denkbar, die gegenwärtige Form der Ausbildung stelle jedoch ein - mehr schlecht als recht - gesteuertes Selbststudium dar. Er unterstreicht, daß ein theoretisches Durchleuchten der Probleme nicht ausreiche und die Kontrolle durch die Praxis zwingend notwendig sei. Die Übersetzungswissenschaft, so schließt er, könne auf dieses Wechselspiel von Theoriebildung und didaktischer Arbeit nicht verzichten.

1.1.4. Königs Königs betont bereits 1987, daß übersetzungsdidaktische Erkenntnisse von Nutzen für die Übersetzungstheorie sein können: In diesem Sinne bleibt zu hoffen, daß wir (in einer hoffentlich nicht allzu fernen Zukunft) nicht mehr so strikt zwischen Theoretikern auf der einen Seite und Didaktikern auf der anderen Seite trennen (müssen), sondern in ausreichendem Maß auch Uber "Theodaktiker" und "Didaktetiker" verfügen, die beide Bereiche organisch miteinander verbinden. (Königs 1987b: 106) Diesem Aspekt trägt Königs Artikel "Der ganze Lerner soll es sein" in Übersetzen lernen und lehren mit Büchern (Königs 1987c) Rechnung. Mit einem stark praxisorientierten Ansatz betrachtet Königs Übersetzungslehrbücher - explizit für den Übersetzungsunterricht erstelltes Arbeitsmaterial - und denkt in diesem Zusammenhang kritisch über didaktische Methoden und Maßnahmen nach. Zuerst gibt er einen Status von im Hochschulunterricht verwendeten Übersetzungslehrbüchern, definiert Lehrbücher als "sämtliche Textzusammenstellungen, die mit der Maßgabe bzw. dem Anspruch erfolgt sind, daß mit ihrer Hilfe übersetzerische Kompetenz systematisch aufgebaut und/oder erweitert wird" (Königs 1987a: 43) und teilt sie in vier Kategorien ein. Zur ersten zählen reine Textsammlungen, zur zweiten Lehrbücher, die nach grammatischen Themen geordnet sind und sowohl Texte als auch Musterübersetzungen und Kommentare enthalten, bei der dritten Kategorie wurde eine zusätzliche Sortierung nach Sachgebieten vorgenommen, und zur letzten Kategorie gehören Lehrbücher mit Hinweisen auf sprachenpaarbezogene Übersetzungstechniken und zur Erlangung unterschiedlicher Grade übersetzerischer Kompetenz durch Übungsempfehlungen. Grundsätzlich ist Königs der Meinung, man solle versuchen, Übersetzungslehrbücher in den Unterricht zu integrieren, er hält jedoch rein ausgangssprachliche Textsammlungen für ebenso ungeeignet wie Bücher, die außer der Übersetzung keine Alternativen oder Kommentare enthalten, denn sie bieten dem Lernenden keine Möglichkeit der Rückmeldung und suggerieren die falsche Vorstellung, es gäbe l:l-Entsprechungen bei Übersetzungen. An sinnvoll einsetzbare Übersetzungslehrbücher stellt Königs eine Reihe von Forderungen. Sie sollten:

19 • Übersetzungsvarianten anbieten und begründen, naheliegende, aber nicht akzeptable Lösungen auffuhren und begründet zurückweisen und einen richtigen Wörterbuchgebrauch demonstrieren • Texte für Übersetzungsvergleiche anbieten, um übersetzerische Methoden und Entscheidungen kennenlernen und überprüfen zu können • soweit möglich, Regeln für übersetzerisches Handeln angeben • die Sprachkompetenz erweiternde Übungen enthalten • durch kontrastive Texttypologie Textsortenspezifika vorführen • verschiedene realistische Übersetzungsaufträge pro Text formulieren • mit didaktischer Progression aufgebaut sein • ansprechend in Aufmachung und Gestaltung und einfach zu handhaben sein Königs konstatiert, daß die vorliegenden Lehrbücher nur sehr begrenzt Übersetzungsalternativen und Erklärungen zu diesen beinhalten. In punkto Textauswahl fokussieren manche Lehrbücher auf die Erweiterung sprachlicher und übersetzerischer Fertigkeiten, andere stellen die Vermittlung von landeskundlichen Informationen anhand unterschiedlicher Textsorten in den Vordergrund wie Jupinet (1983), selten gelingt eine gleiche Gewichtung wie bei Gallagher (1981). Königs weist daraufhin, bei der Textauswahl neben dem Texttyp und der Textfunktion, sprachlichen und übersetzerischen Fertigkeiten sowie landeskundlicher Information auch den sprachlichen und übersetzerischen Schwierigkeitsgrad zu berücksichtigen und eine Auswahl eventuell an typischen Fehlern zu orientieren. Einer didaktisch motivierten Auswahl steht auch die Wirkung der Texte auf die Lernenden gegenüber, doch vertieft Königs diesen interessanten Punkt nicht weiter, sondern geht auf ergänzende Maßnahmen zur Textauswahl ein. Hilfreich sei es, sich Rechenschaft über die Zielsetzung zu geben und ein Lernziel zu formulieren, meint er. Dazu gehöre, den anvisierten Adressatenkreis, das vorausgesetzte Niveau und das Lernziel genau zu benennen. Orientiert sich die Textauswahl an einem fertigkeitsbezogenen Teillernziel, sollten andere Schwierigkeiten dieses Lernziel nicht überlagern. Die Texte sollten in ihrer sprachlichen und inhaltlichen Struktur nicht zu weit von der angenommenen/ tatsächlichen Vorkommenshäufigkeit im angestrebten Praxisfeld abweichen. Hier ist kritisch anzumerken, daß sich rein praktisch Texte selten so differenziert finden und auswählen lassen, insbesondere, wenn man vermeiden möchte, einen Textteil aus dem Textganzen herauszulösen. Ein ebenfalls zu berücksichtigender pragmatischer Gesichtspunkt - der vorgeschriebene maximale Textumfang - schließt viele geeignete Texte von vornherein aus. 10 Einen zweckdienlichen, die maximale Länge nicht überschreitenden Originaltext zu finden, stellt in der Praxis oft ein erhebliches Problem dar. Selbst wenn es gelingt, j e nach Zielsetzung geeignete Texte aufzuspüren, kann sich die Inhomogenität einer Studentengruppe als Problem erweisen: aufgrund des unterschiedlichen Wissens- und Fähigkeitsniveaus haben manche Studenten Schwierigkeiten bei Passagen, die andere schnell und kompetent bewältigen. Bei ζ. T. sehr großen Studentengruppen ist einer Textauswahl im Hinblick auf das angestrebte Praxisfeld schon durch die zu erwartende berufliche Streuung Grenzen gesetzt. 10

Die als Hausaufgabe und im Examen zu übersetzenden Texte dürfen, je nach Studien- und Prüfungsordnung, in Dänemark und Deutschland 1400 - 1600 Anschläge nicht überschreiten. Abhängig vom Layout handelt es sich dabei um 1 bis l'/i Seiten Text; in Dänemark spricht man auch von "Normal Seiten".

20 Königs plädiert dafür, einen Übersetzungsauftrag zu geben, da dieser, präzise formuliert, dazu beitragen könne, Mehrdeutigkeiten im Ausgangstext zu beseitigen und die Funktion der Übersetzung festzulegen. Auch sei er bei der Einschätzung des Informationsstandes und -bedürfnisses des Adressaten von Nutzen. Eine breite Variation der Aufträge steigere zudem die studentische Arbeitsmotivation. Hinweise über den Zugang zu nützlichen Informationen, z.B. durch Paralleltexte, sei wünschenswert. Angemessene Übersetzungsaufträge könnten auch verhindern, daß das Übersetzen - wie es laut Königs (1987a: 51) oft in den philologischen Sprachausbildungen geschieht - als unterrichtlicher Selbstzweck mißbraucht werde. Übersetzungsaufträge können meiner Ansicht nach insofern eine Hilfestellung beim Übersetzen bieten, als sie die Textbotschaft lenken und dadurch einschränken. Wird für einen spezifischen Kundenkreis wie technische Laien oder medizinisches Fachpersonal übersetzt, braucht ein gewisses Fach/Vokabular bei der vorbereitenden Recherche und beim Monitoring gar nicht erst berücksichtigt zu werden. Bei der Textabfolge wäre eine Schwierigkeitsprogression ideal, doch stellt sich die Frage: was ist schwierig? Da Schwierigkeiten oft individuell basiert sind, sollte man zwischen sprachlich bedingten, kontrastiv-linguistischen Problemen und individuell bedingten Schwierigkeiten der Studenten unterscheiden. 11 Königs nimmt an, die Textrezeption werde durch textstrukturelle Gegebenheiten in Verbindung mit individuellen mentalen Verarbeitungsvorgängen gesteuert und es bedürfe daher psycholinguistischer Untersuchungen, um den Schwierigkeitsgrad bestimmen und konkrete Empfehlungen für die Textabfolge und damit letztendlich auch für die Erstellung von Übersetzungslehrbüchern geben zu können. Königs vertritt die Auffassung, daß Übersetzungsunterricht und der Einsatz von Übersetzungen im allgemeinen Fremdsprachenunterricht nicht miteinander vergleichbar seien, konstatiert jedoch, daß es gemeinsame Teillernziele gebe. "Übersetzung als Übungsform" und "Übersetzung als Fertigkeit" fallen funktionell also für einen Teil des Übersetzungsunterrichts zusammen" (Königs 1987a: 53). Bezüglich der Frage, ob und inwieweit übersetzerisches Vorgehen an der Kenntnis übersetzungswissenschaftlicher Theoriebildung zu orientieren und dementsprechend auch Übersetzungstheorie in die Lehrbücher zu integrieren sei, ist Königs zurückhaltend. 12 11 12

Vgl. Nord (1997). Eigene Unterrichtserfahrungen ergaben, daß Studenten nur mit Mühe Interesse für Übersetzungstheorie aufbringen (durchschnittlich sieben Studenten aus einem 33köpfigen Jahrgang besuchten meine Vorlesung "Geschichte der Übersetzungstheorie", gehalten im Herbstsemester 1995 an der Universität Aalborg) und einer eventuellen praktischen Anwendung oft hilflos bis ablehnend gegenüberstehen. Dies gilt sowohl für die von mir unterrichteten Deutschstudenten an der Universität Aalborg 1995/96 sowie für die Nordistikstudenten an der Universität Greifswald 1994/95, an der zu DDR-Zeiten die Ausbildung zum "Sprachmittler" - der Titel entspricht im westdeutschen Sprachgebrauch dem des Übersetzers und Simultandolmetschers - stattfand. Die einzige mir persönlich bekannte Ausnahme von der übersetzungstheoretischen Aversion bildeten einige Deutschstudenten der Wirtschaftsuniversität Kopenhagen (1997 u. 1998) die bezeichnenderweise kurz vor ihrem Examen als Diplomfachübersetzer standen. In einer von mir durchgeführten Fragebogenuntersuchung favorisierten sie Hönigs (1995) Konstruktives Übersetzen. - Nach seinem Aufenthalt als Gastprofessor am Deutschen Institut der Wirtschaftsuniversität Kopenhagen im September 1997 erwähnte Hönig ebenfalls in seinem Evaluierungsbericht die allgemein bei den Studenten vorhandene und von ihnen selbst als solche thematisierte Schwerfälligkeit bzgl. des theoretischen Ballastes.

21 Weiter betrachtet Königs den unterrichtsmethodischen Umgang mit Übersetzungslehrbüchern. Er hält es für wichtig, den Lernern zu zeigen, welche als Probleme gekennzeichneten Phänomene sie bereits beherrschen und den Ausgangs- mit dem Zieltext zu vergleichen, um Äquivalenzkriterien diskutieren zu können. Dadurch werden das Problembewußtsein der Lernenden und die Bewertungskriterien der Lehrenden geschärft. Königs schlägt als hilfreiche Unterrichtsergänzung "vorbereitende und flankierende Übungen" (Königs 1987a: 57) zum Übersetzen vor, bspw. zum Wörterbuchgebrauch oder zur vergleichenden Texttypologie. Schließlich schlägt er vor, Übersetzungslehrbücher als Loseblattsammlung auszugeben, um sie problemlos aktualisieren zu können, diese Sammlungen mehrbändig zu gestalten und sie nach Schwierigkeitsprogression aufzubauen, Musterübersetzungen in einem separaten Beiheft unterzubringen und auf eine motivationsfördernde Gestaltung mit Bildern und Graphiken zu achten. "Vieles von dem hier Vorgestellten ist derzeit mehr Programm als Realität [...] Übersetzungslehrbücher stehen - ohne Zweifel - erst am Anfang ihrer Erforschung", schließt Königs (1987a: 59) seinen informativen und inspirierenden Beitrag. Auf die noch fehlende, der Erstellung eines Schwierigkeitskataloges als Voraussetzung dienende psycholinguistische Analyse geht Königs in seinem Fazit leider nicht mehr ein. Lehrerhandbücher sind in einigen fremdsprachlichen Bereichen bereits eine Selbstverständlichkeit; unbedingt enthalten sollten sie methodische Hinweise zur Umsetzung von Übungen und zur Bearbeitung einzelner Übersetzungsvorhaben sowie Vorschläge für die Stundenplanung. In "Übersetzungsdidaktik: Forschungsstand, Forschungsperspektiven und Konsequenzen für die Praxis" hinterfragt Königs (1987a), welche Ideen die Übersetzungsdidaktik derzeit zu bieten habe. Er diskutiert das Für und Wider einer Ausgangstextanalyse und findet sie aus übersetzungstheoretischer Sicht zwar interessant, aus übersetzungsdidaktischer aber keineswegs notwendig. In Verbindung mit der Rezeption der zu übersetzenden Texte erwähnt Königs einen überraschenden Umstand. Er berichtet, Untersuchungsergebnisse legen nahe, [ohne diese näher zu spezifizieren oder eine Quelle anzugeben], daß eine Textanalyse "[...] den natürlichen Rezeptions Vorgängen und Übersetzungsprozessen zuwiderläuft" (Königs 1987b: 100). Die Psycholinguistik habe gezeigt, daß die mentale Energie zuweilen gebündelt werde, sich auf Probleme konzentriere und andere Textelemente en passant erledige. Daraus folgt: Bestimmte Phänomene werden bei der Textrezeption stärker wahrgenommen als andere. Bei einem Mangel an fremdsprachlicher Kompetenz bauen Lerner bei der Herübersetzung ein (vermeintliches) Textverständnis um bestimmte Begriffe auf, und dies sei, neben Leseinterferenzen, eine Ursache für die nicht geringe Zahl von faux amis beim Herübersetzen. Allerdings gibt König zu, daß die Textanalyse hier ein hilfreicher Schritt sein könne, betont aber, daß sie es jedoch nicht notwendigerweise sein muß. Bezüglich der Übersetzungskritik sei zu bedenken, daß Übersetzungsprodukte aus einer übersetzungswissenschaftlichen Bewertung heraus kritisierbar sind, vom übersetzungsdidaktischen Standpunkt her aber durchaus akzeptabel sein können. Manche Übersetzungslösungen sind, bezogen auf das Lernniveau der Studenten, äquivalent, im Hinblick auf die translatorische Vollkompetenz jedoch adäquat. "Abgesicherte Bewertungskriterien gibt es derzeit nicht" (Königs 1987b: 97). Leider, so muß man hinzufügen, ist Königs Kommentar immer noch aktuell. Eine Übersetzung muß bewertet, daß heißt letztendlich, die in ihr vorhandenen Fehler müssen interpretiert werden. Überwiegend werden Fehler linguistisch markiert. Königs

22 plädiert dafür, Fehler prozeßgerichtet und lernerbiographisch zu interpretieren. Dies, so meint er, führe zu keiner Veränderung in der Bewertung, gebe aber aufschlußreiche Informationen über den Lerner und den Lernvorgang sowie über didaktische und methodische Konsequenzen für die Planung und Durchführung des Unterrichts. Königs wendet sich der Frage zu, wie sich die Übersetzungsdidaktik entwickeln könne. Wichtig sei eine Sprachstandmessung. Sprachwissen schließe nicht notwendigerweise Sprachkönnen ein. "Glaubte man im Bereich der Übersetzerausbildung lange Zeit, die Lernenden verfügten über eine fundierte fremdsprachliche Kompetenz, die man "nur" noch in Richtung auf eine translatorische Kompetenz zu erweitern brauchte, so hat die Ausbildungspraxis gezeigt, daß dem eben nicht so ist" (Königs 1987b: 98). Das Lernen von Fremdsprachen und Übersetzen steht für Königs in engem Zusammenhang, eine strikte Trennung sollte seiner Meinung nach nicht länger aufrechterhalten werden. "Übersetzungsunterricht muß daher immer auch die Funktion von Sprachunterricht erfüllen" (Königs 1987a: 53). "Sinnvoll erscheint es vielmehr, den offensichtlichen natürlichen Zusammenhang zwischen Spracherwerb und Übersetzen schon im Fremdsprachenunterricht zu kanalisieren [...]" (Königs 1987b: 99). Weil Übersetzungsunterricht immer auch Sprachkompetenzerweiterung einschließt, könne man hier vermittlungsmethodische und gruppendynamische Elemente des Fremdsprachenunterrichts nutzbar machen, z.B. Formen der Wortschatzvermittlung, unterschiedliche Übungstypen zum fremdsprachlichen Strukturerwerb, Einbettung der Übersetzung in authentische Sprachverwendungssituationen oder ein gezielter Umgang mit Wörterbüchern.

1.1.5. Zusammenfassung und Korrelation mit der durchgeführten Analyse Stolze (1992, 1994a) vertritt, auf Paepcke aufbauend, einen hermeneutischen Ansatz in der Übersetzungswissenschaft und entwickelt "Kategorien der Rezeption" zum Verstehen des AT sowie die ausgesprochen umfangreichen "translatorischen Kategorien" für das Übersetzen. Es fehlt m.E. an einer didaktischen Aufbereitung dieser Kategorien. Als didaktische Anforderung hebt Stolze die Vermittlung einer "sehr breiten Wissensbasis" (Stolze 1992: 276) hervor. Diese Vermittlung scheint allerdings eher aufgrund von studentischer Eigeninitiative und außerhalb des Unterrichts möglich zu sein, denn Stolze ist der Ansicht, dieses Wissen als Grundlage der Übersetzungskompetenz eigne man sich durch "unablässiges Lesen und Interesse an Allem" (Stolze 1992: 274) an. Wilss faßt die Übersetzungsdidaktik als angewandte Metadisziplin auf und betont die Wichtigkeit des empirischen Arbeitens zum Verifizieren bzw. Falsifizieren übersetzungstheoretischer Standpunkte. Er nennt die Klassifizierung von Übersetzungsschwierigkeiten und die retrospektive Fehleranalyse als Methoden, führt als dezidiertes Lernziel die Übersetzungskompetenz an und erwähnt, daß es bislang an einem System zur Meßbarkeit der sich erweiternden Übersetzungskompetenz fehle. Wilss (1978, 1992, 1997) bezeichnet den Stand der Übersetzungsdidaktik insgesamt als unbefriedigend. Es bestünden Schwierigkeiten, Lernziele zu beschreiben und zu kontrollieren. Der Übersetzungsprozeß laufe in ungeregelten Bahnen ab und man beschäftige sich nicht mit Überlegungen zu dessen Steuerung und Progression. In dieser Arbeit wird gezeigt, daß sich durchaus ein Teillernziel - Kompetenz im Übersetzen modaler Semantik - beschreiben und die Progression in dieser Kompetenz messen läßt. Um Lernprozesse steuern

23 zu können, muß man ihren exakten Ablauf kennen, d.h. hier, man muß alle involvierten kognitiven Teilschritte und deren Überlappungen kennen. Diese Forderung erscheint mir utopisch. Auch wenn durch zukünftige Forschung mehr Wissen zum kognitiven Vorgehen von Lernenden gewonnen wird, bedeutet das keineswegs, daß diese Vorgänge im gewünschten Grad steuerbar sind. Allerdings kann man m. E. durch gezielte didaktische Methoden, z.B. im Rahmen des hermeneutischen Verfahrens, kognitive Prozesse in Gang setzen und in bestimmte Bahnen lenken. Wilss möchte das Bewußtsein als geheimen Beobachter, als Regulativ übersetzungsdidaktisch nutzen. Dies scheint verlockend und ist, wie die vorliegende Arbeit zeigt, zu einem gewissen Grad in der Praxis umsetzbar. Wilss selbst erläutert nicht, wie diese studentischen Erfahrungen gemessen werden können. Mit der Übungsform der unterstützten Selbstkorrektur läßt sich das metalinguistische Wissen der Studenten aktivieren, das man in Wilss' Terminologie als geheimen Beobachter bezeichnen könnte. Wilss kritisiert den Mangel an verbindlichen Curricula und Prüfungsordnungen und fordert eine Lernzielkontrolle mit der Intention, überhöhte Ansprüche des Arbeitsmarktes abweisen zu können. Diese Forderung ist sicher berechtigt, doch überschätzt Wilss hier wohl leider den Einfluß des Faches auf die Öffentlichkeit und den Arbeitsmarkt. Für gut und durchaus realisierbar halte ich jedoch seinen Vorschlag, die Übersetzungsdidaktik könne in Rückkopplung mit dem Übersetzungsunterricht einen realistischen Kanon von Unterrichtsinhalten festlegen, der die sich wandelnden kommunikativen Bedürfnisse berücksichtigt. Dennoch sieht Wilss die zukünftige Aufgabe der Übersetzungsdidaktik in einer strengeren Orientierung am Arbeitsmarkt. Dies dürfte problematisch sein, denn sinnvolle Übersetzungsdidaktik impliziert Forschung und Prüfung der Forschungsergebnisse als praxisrelevant; sie erfordert Erarbeitung und Verabschiedung des entsprechenden (revidierten) Curriculums oder eines Zusatzes zum bestehenden, unterrichtliche Umsetzung des Curriculums und Absolvierung des kompletten Studiums durch möglichst mehrere Studentenjahrgänge. Darüber dürften leicht zehn Jahre vergehen und die Frage drängt sich auf, wie sich der Markt während dieser Zeit entwickelt. Thiel (1984a, 1984b) zieht eine Parallele zwischen Fremdsprachenunterricht und Übersetzerausbildung mit der Intention, Lernmethoden und Lernziele für den Übersetzungsunterricht exakter als bisher formulieren zu können, insbesondere für die Curricula der ausbildenden Institutionen. Thiel orientiert sich an der Fremdsprachendidaktik und Lernpsychologie und schlägt vor, im Unterricht vor allem die kognitiven Fähigkeiten der Lernenden anzusprechen. Mir erscheint das hermeneutische Verfahren zur Aktivierung der kognitiven Fähigkeiten angemessen. Dies bedeutet konkret, die Studenten zur Recherche und vor allem zur Selbstkorrektur ihrer Übersetzungen anzuleiten. Gerade die Selbstkorrektur beurteile ich als eine wertvolle didaktische Methode, denn die Studenten müssen dabei ihre Übersetzungsleistung kritisch reflektieren. Thiel meint, das Lernen könne erleichtert werden, indem man auf kritische Merkmale aufmerksam mache. Dies ist bei der Selbstkorrektur der Fall, die unterstützt abläuft. Fehler und verbesserungsfähige Passagen werden in einer Vorkorrektur durch Unterstreichung markiert. Die Studenten sollen dann bei der Selbstkorrektur ihre Fehler klassifizieren und möglichst berichtigen. (Vgl. Kap. 1.3.2.). Zwar bezieht sich Thiel hinsichtlich der Beschreibung von Lernzielen, Lerninhalten und Lernvollzug am Stand der Fremdsprachendidaktik, doch hält sie die Konzeption eines Übersetzercurriculums nach gestuften kognitiven Lernzielen nicht für möglich. Als Argu-

24 mente hierfür nennt sie den kognitiven Charakter übersetzungsrelevanter Lernziele an sich und die notwendigerweise dem Einzeltext spezifisch anzupassenden Problemlösungsverfahren. Thiels letztes Argument erscheint mir nicht schlüssig. Zwar kennzeichnet den Fremdsprachenunterricht eine deutlich trennbare mündliche und schriftliche Dimension (auditive und visuelle Rezeption sowie mündliche und schriftliche Performanz), im Übersetzungsunterricht sind jedoch durchaus Übungen mit spontanem mündlichem Übersetzen neben den traditionellen schriftlichen Hausaufgaben denkbar. Abgesehen davon wird man kaum messen können, wann ein Student im Fremdsprachenunterricht bei einer mündlichen Übung bereits in der Fremdsprache denkt und spricht, oder wann er in der Muttersprache denkt und seine Gedanken übersetzt, bevor er sie in der Fremdsprache ausspricht. Zalán (1984) betrachtet Übersetzungskompetenz als geistige Disposition und Voraussetzung für die Ausbildung zum Übersetzer, nicht jedoch als Lernziel. Seine Ansicht ist in dieser Form provokant und sicherlich dahingehend zu verstehen, daß diese "geistige Disposition" oder auch "diese Fähigkeit, sich eines alogischen Kommunikationssystems zu bedienen" zwar prinzipiell vorhanden sein muß, aber durchaus gefördert und gesteigert werden kann, denn ansonsten erübrige sich konsequenterweise jegliche Übersetzerausbildung. Zalán meint, Teillernziele ließen sich nicht bestimmen. Diese Ansicht ist m.E. vorschnell formuliert, insbesondere da Zalán gleichzeitig die Wichtigkeit von Besprechung, Verbesserung und Beurteilung der studentischen Übersetzungen als didaktische Methode betont und die Koordinierung verschiedener, insbesondere muttersprachlicher Kenntnisse, als Lernziel nennt. Zalán sieht die Ausarbeitung von Kategorien zur Beschreibung von Übersetzungsfehlern als Aufgabe der Übersetzungsdidaktik an, allerdings enthält er sich eines eigenen Vorschlags. In dieser Arbeit ist es für die Analyse der Textkorpora notwendig, drei übergeordnete Fehlertypen zu definieren. Als Kategorien werden der allgemein semantische, der modalsemantische und der nichtsemantische Charakter der Fehler verwendet. Diese Einteilung ist sicher recht plakativ, aber dadurch zu rechtfertigen, daß sie eine anschauliche Distinktion der modalen Fehler erlaubt. Die Kategorisierung der Fehlertypen wird in Kap. 4.1. erläutert. In den Kap. 4.2.1. und 4.2.2. werden unterschiedliche semantische Repräsentationen von Modalität in problematischen und fehlerfreien Passagen diskutiert. Da die Korpora über den Verlauf eines Semesters gesammelt wurden, können Aussagen über das unterrichtliche Lernziel - die Verbesserung der modalsemantischen Übersetzungskompetenz - aufgrund der beobachteten Lernprogression gemacht werden. Dies wird in den Kap. 4.3.1, 4.3.2. und 4.3.3. diskutiert. Königs (1987a, 1987b, 1987c, 1987d) nimmt eine pragmatisch ausgerichtete Haltung ein; er konzipiert seinen theoretischen Standpunkt überzeugend auf praktische Anwendung hin und diskutiert Inhalt und Aufbau verschiedener Typen von Übersetzungslehrbüchern. Er betont, sie sollten nicht nur auf die Erweiterung des übersetzerischen, sondern auch des sprachlichen und landeskundlichen Wissens abzielen. Königs betont den Zusammenhang von Fremdsprachen- und Übersetzenlernen und schlägt eine "Sprachstandmessung" vor. Dies sei notwendig für eine sinnvolle Unterrichtsgestaltung, da man keinen homogenen Kenntnisstand bei einer Studentengruppe voraussetzen könne. Für die Erstellung zweier vergleichbarer Textkorpora benötigte ich als Testpersonen zwei Studentengruppen auf möglichst gleichem Kenntnisstand. Der Fragebogen zur Sprachstandmessung der Studenten, sowie lernerbiographische Fakten zur In/Homogenität einer Gruppe wurden in Krüger (1998) diskutiert.

25 Aus didaktischer Perspektive sieht Königs vorbereitende und flankierende Übungen zum Übersetzen sowie Übersetzungsaufträge als sinnvoll an. Mit beiden Studentengruppen, die das empirische Material für diese Arbeit liefern, führe ich verschiedene Übungen als Übersetzungsvorbereitung durch. Die zweite Gruppe erhält zusätzlich gezielte Aufgaben zu allgemeiner und spezifischer Recherche, (vgl. Kap. 5.2.). Einer Analyse der Ausgangstexte steht Königs recht ablehnend gegenüber. Hier bin ich anderer Meinung und betrachte eine Analyse, sei sie nun von hermeneutischen, textlinguistischen oder anderen Kriterien geleitet, als essentiell für das Verstehen von Texten. Mit der zweiten Gruppe werden zwei vierstündige Workshops durchgeführt, in denen die Studenten u.a. ihre Recherche dazu nutzen, ihre Textanalyse und ihr Textverständnis mit Zusatzinformationen zu komplettieren und dadurch ihre Übersetzungen zu verbessern. Königs bemängelt das Fehlen abgesicherter Bewertungskriterien. In dieser Arbeit wird über die Klassifikation von Fehlertypen ein Bewertungskriterium für die Lernprogression im Übersetzen modaler Semantik erstellt, dessen Gültigkeit nur für diese Arbeit beansprucht wird, da die zur Übersetzung ausgewählten Texte (vgl. Kap .3.1.-3.3.) m.E. überdurchschnittlich viele modale Propositionen enthalten. Die vorgestellten Ansätze sind richtungsweisend für die fachinterne Entwicklung, ebenso zeigen sie das Dilemma der Übersetzungsdidaktik: Theorie und Praxis sind sich oft fern, verbindliche Lernziele sind, besonders bei einer marktorientierten Ausbildung, schwierig zu formulieren; noch problematischer sieht es mit der Aufstellung eines Methodenkanons aus. Bemerkenswerterweise betonen alle Forscher sinngemäß die Relevanz der kognitiven Dimensionen beim Erlernen von Sprache und Übersetzen, erwähnen die Nachbardisziplinen Neurolinguistik und Psycholinguistik aber nicht. Auf neurolinguistische Aspekte wird kurz bei der Diskussion der Fehlerursachen und der unterschiedlichen Lernprogression bzgl. der einzelnen Fehlertypen in den Kap. 5.1. und 5.2. eingegangen. Weiterhin fällt auf, daß die Vermittlung der Zielsprachenkultur nicht als Teillernziel genannt wird. Königs erwähnt immerhin Landeskunde als Unterrichtsstoff, Stolze spricht von kulturell-fachlicher Ausrichtung. Hier dürfte es Überschneidungen geben, allerdings ist Landeskunde inhaltlich meist stark von geographischen und politischen Themen geprägt. Abschließend für dieses Kapitel sei wiederholt, daß mein übersetzungstheoretischer und -didaktischer Ansatz als hermeneutisch, ganzheitlich und funktional charakterisiert werden kann. Das Lernziel ist die Verbesserung der Kompetenz im Übersetzen modaler Semantik. Damit ist eine als solche bislang nicht formulierte Teilkompetenz von Übersetzungskompetenz genannt. Im Laufe der Jahrzehnte ist der terminologische Fundus in der Übersetzungswissenschaft und Übersetzungsdidaktik enorm angewachsen. Weil Kompetenz ein zentraler Begriff in dieser Arbeit ist, wird im folgenden Kapitel ausgewählte Terminologie zur Kompetenz vorgestellt und kritisch betrachtet.

1.2. Terminologie zur K o m p e t e n z

Übersetzungskompetenz ist ein zentraler Begriff im theoretischen Teil dieser Arbeit und bei der praktischen Beurteilung der studentischen Übersetzungen. Übersetzungskompetenz, so umstritten und vage definiert sie auch ist, stellt das unbestreitbare Ziel jeglicher überset-

26 zungstheoretischer und -didaktischer Bemühungen dar. Daher ist es hier unerläßlich, Übersetzungskompetenz und einige der ihr relatierten Begriffe vorzustellen, um anschließend eine - mit dem Anspruch, nur für diese Arbeit Gültigkeit besitzende - Arbeitsdefinition von Übersetzungskompetenz festzulegen. In der Übersetzungsdidaktik konnte man auf Ansätze und Resultate aus der Sprachlehrund Lernforschung zurückgreifen und nutzte diese Möglichkeit, hat die Übersetzungsdidaktik doch laut Wilss (1977: 223) "[...] im Gegensatz zur SLLF [Sprachlehr- und Lernforschung] keine problem- und begriffsgeschichtliche Tradition." Zunächst wird Chomskys in der Sprach- und Grammatikforschung (1965) formulierter Kompetenzbegriff vorgestellt, der sich zu einem grundlegenden Terminus in der Übersetzungswissenschaft entwickelte, den Wilss als Terminus auf die Übersetzungsdidaktik übertrug und seit den 70er Jahren kontinuierlich begrifflichen Modulationen unterworfen hat im Bestreben, weitere inhaltliche Teilaspekte exakt zu fassen. Laut Wilss ist "[...] von dem Kompetenz Verständnis Chomskys mit seinem Postulat der grammatischen Wohlgeformtheit nicht viel übriggeblieben. Für Chomsky ist Kompetenz ein "technischer" Begriff. Das Wesen der Kompetenz besteht in der Kenntnis der formalen Struktur der Grammatik als ein System rekursiver Prozesse, die Chomsky im Begriff der sprachlichen Kreativität zusammenfaßt" (Wilss 1992: 15).13 Chomsky postulierte die Dichotomie von Kompetenz und Performanz in Anlehnung an de Saussures Unterscheidung langue vs. parole. Kompetenz im Sinne Chomskys ist definiert als das im Spracherwerbsprozeß erworbene (unbewußte) mentale Wissen über die jeweilige Muttersprache, über das ein idealer Sprecher/Hörer einer homogenen, d.h. von dialektalen und soziolektalen Sprachvarianten freien Sprachgemeinschaft verfügt. 14 Kompetenz bei Chomsky ist also nicht, wie Wilss interpretiert, ein "technischer Begriff', sondern richtet sich gerade auf die nichtmateriellen, kognitiven Fähigkeiten hinsichtlich der Sprachverwendung. Der Terminus Kompetenz wurde auf dem Hintergrund der generativen Transformationsgrammatik formuliert, deren Ziel es wiederum ist, eine Grammatik im Sinne eines Modells zu konzipieren, das die aus der Kompetenz resultierende Fähigkeit des Sprechers möglichst genau abbildet und eine angemessene Hypothese über den Spracherwerb bietet. Kompetenz wird verstanden als ein dynamisches Konzept, als ein Erzeugungsmechanismus für unendlich viele verschiedene sprachliche Äußerungen, generiert auf der Basis einer endlichen Grammatik. Der Vorwurf einer starken Idealisierung der auf diesem Kompetenzbegriff basierenden Sprachtheorien führte zur begrifflichen Differenzierung im Hinblick auf eine kommunikative Kompetenz (vgl. Bußmann 1990: 396). Chomskys Definition vom idealen Sprecher/Hörer ist insofern kritisch zu betrachten, als es unrealistisch sein dürfte, für eine Sprachgemeinschaft einen solch hohen Grad von Homogenität anzunehmen, daß in ihr noch nicht einmal soziolektale Varianten auftreten. Chomsky bezog den Terminus Kompetenz - um dies hier ausdrücklich zu betonen - nicht auf die Übersetzungswissenschaft, sondern verwendete ihn in der Spracherwerbs- und Grammatikforschung. Daß der Übersetzungswissenschaftler Wilss sich dennoch auf Chomsky bezieht, wird sinnvoll, wenn man sich Chomskys dynamisch-generatives Verständnis des Kompetenzbegriffs vor Augen hält. Die generative Grammatik kann nicht mehr als ein Explikat der Kompetenz liefern. 13 14

Die kursiven Markierungen in den Zitaten sind meine Hervorhebungen. Vgl. Chomsky (1965) u. (1980).

27 Die Kompetenz ist ein kognitives und abstraktes System von Wissen und Glauben [...], dem Verhalten zugrunde liegt und [das] die beobachtbaren Verhaltensweisen determiniert, sich jedoch nicht in direkt-einfacher Weise realisiert. Es ist ein im Geist repräsentiertes System mentaler und generativer Prinzipen [...] Diese mentalen Prozesse liegen weit jenseits der Stufe aktueller oder selbst potentieller Bewußtheit. ([Chomsky nach] Lewandowski 1976: 336) In "Vorüberlegungen zu einer Didaktischen Grammatik des Übersetzens" definiert Wilss Übersetzungskompetenz als "die Fähigkeit, zwischen Angehörigen verschiedener Sprachgemeinschaften kommunikativ effizient zu vermitteln" (Wilss 1978: 145f.). Werde eine didaktische Grammatik konzipiert, so "besteht das Lehr- und Lernziel [...] im systematischen, erfolgskontrollierten Aufbau der Übersetzungskompetenz. Unter Übersetzungskompetenz wird im folgenden eine interlinguale Sprachverwendungskompetenz verstanden, die kommunikativen (nicht linguistisch-kognitiven) Zwecken dient." (Wilss 1978: 147). Anschließend erläutert Wilss, daß die nunmehr sog. translatorische Kompetenz zwei Dimensionen umfasse: eine ausgangssprachlich-textanalytische Dimension (die in der SLLF [Sprachlehr- und Lernforschung] dem Hör- und Leseverständnis gleichkommt) und eine zielsprachlich-textsynthetische Dimension (die der Sprach- und Schreibfähigkeit in der SLLF entspricht). Textanalysekompetenz und Textsynthesekompetenz bilden zusammen die Transferkompetenz (Wilss 1978: 147). Im weiteren bringt Wilss eine eher Verwirrung stiftende Erläuterung, denn als Unterschied zwischen Übersetzen und Transferkompetenz führt er an, daß beim Übersetzen die zwei sprachlichen Ebenen Syntax und Lexikon funktional zusammenkommen; die Transferkompetenz müsse aber noch auf einer dritten Ebene, der Textpragmatik, aufbauen (Wilss 1978: 147). Gegen Ende des Artikels erfährt man: "Aus der Verbindung von kognitiven translatorischen Fähigkeiten und assoziativen translatorischen Fertigkeiten baut sich eine qualitativ und quantitativ differenzierte translatorische Kompetenz auf." (Wilss 1978: 148). Kognitive Fähigkeiten seien gefordert, wenn sich der Text nicht direkt erschließt und der Übersetzer Problemlösungsstrategien entwickeln müsse. Zu den assoziativen Fertigkeiten zählt Wilss Transfermechanismen oder Transferautomatismen, die "unreflektiert abrufbar sind" (Wilss 1978: 148) und faßt damit das Übersetzen als eine Kombination aus Intelligenz- und Routineleistungen auf. Hier ist kritisch zu bemerken, daß auch Assoziationen ein gewisses kognitives Element erfordern. Transfermechanismen und -automatismen sind mehr als rein motorische Reflexe und involvieren eine, wenn auch assoziativ ablaufende, so doch zielgerichtete Denkleistung. Übersetzungsfertigkeit ist ein ebenfalls häufig verwendeter, semantisch nicht eindeutig festgelegter Terminus. In den Eingangskapiteln von Übersetzungsfertigkeit (1992) diskutiert Wilss mit großer Sorgfalt einige für die Übersetzungswissenschaft relevante Termini. Im Versuch einer terminologischen Klärung, aber auch um das definitorische Dilemma der Übersetzungswissenschaft darzustellen, werden Auszüge aus den ersten beiden Kapiteln von Übersetzungsfertigkeit im folgenden kurz präsentiert und kommentiert. Es macht sich nicht anheischig, eine umfassende Theorie der Fertigkeiten im allgemeinen oder eine umfassende Theorie der übersetzerischen Fertigkeiten im besonderen zu entwickeln. Dies ist bei einem gleichermaßen vagen wie komplexen Begriff wie dem der Übersetzungsfertigkeit nicht möglich. Fertigkeiten äußern sich in Verhaltensweisen [...] sie sind kein Produkt einer oder mehrerer Theorien, sondern ein Produkt des Wissens und der Erfahrung. (Wilss 1992: VIII)

28

Wilss nennt Fertigkeit als den zentralen Aspekt übersetzerischen Verhaltens, der "[...] in psychologischen Begriffen beschrieben werden muß" (Wilss 1992: IX). Im Rahmen einer Begriffsbestimmung grenzt Wilss zunächst die Fertigkeit von der - von ihm als Modewort empfundenen - Kreativität ab und vergleicht diverse Lexikoneinträge zu Fertigkeit miteinander. Zusammenfassend läßt sich konstatieren, daß einer Fertigkeit ein mehr oder minder langwieriger Lernprozeß vorausgehe und fertigkeitsbestimmtes Verhalten den Charakter eines Routineprozesses annehme. Die Wiederholbarkeit in vergleichbaren Situationen stelle ihr Charakteristikum und ein für die Übersetzungswissenschaft relevantes Merkmal dar. Wilss unternimmt große Anstrengungen, um Fähigkeit vs. Fertigkeit abzugrenzen und zitiert eine Fülle unterschiedlicher Ansichten.15 Insgesamt bestehe im deutschen Sprachraum die Tendenz, Fähigkeiten mit mentalen, und Fertigkeiten mit physischen Verhaltensweisen zu assoziieren, meint Wilss. Bedauernd stellt er fest: "[...] leider haben die wirklich interessanten und produktiven Begriffe unserer Welt die unangenehme Eigenschaft, unseren Bemühungen auszuweichen, sie endgültig festzulegen und zu idealisieren" (Wilss 1992: 6) und wendet sich daraufhin dem Begriff der Kognition als "Sammelbezeichnung für alle Formen des Denkens und Formulierens" zu. ÜF [Übersetzungsfertigkeit] ist offenbar kein analytisch präzisierbarer, sondern ein erfahrungsgesättigter, subjektzentrierter Begriff, der auf Erinnerungen, Beobachtungen und Assoziationen beruht. Niemand kann so recht sagen, welche operative Bewandtnis es mit ihr hat, wie man sie in einem kategorialen Rahmen protokollieren und wie man sie unter (weitgehender) Eliminierung von Zufälligkeiten begrifflich erfassen kann. Kurz: Wir haben nur eine intuitive Vorstellung von ÜF [Übersetzungsfertigkeit], ohne Rückgriff auf ein theoretisches Fertigkeitsmodell. (Wilss 1992: 15f.) Im weiteren ordnet Wilss dem Übersetzen, das er als spezifische Form kommunikativen Handelns auffaßt, die Aktivierung und textbezogene Reaktion verschiedener Wissensbasen wie kausales Faktenwissen (Wissen, was), strategisches Handlungswissen (Wissen, wie) und situatives Wissen (Wissen, wozu) zu. Er geht näher auf den Übersetzungsprozeß ein, auf das Problem des Erkennens und Reproduzierens fremder Bewußtseinsinhalte, die Fremdbestimmtheit übersetzerischen Handelns u.v.m. Das Vorgehen des Übersetzers hänge "von seinem übersetzerischen Können ab", konstatiert Wilss (Wilss 1992: 19). Man wundert sich über die Verwendung einer neuen Bezeichnung und fragt sich, inwieweit Übersetzungsfertigkeit und übersetzerisches Können differieren - oder sind es Synonyme? Es folgt die Erläuterung, daß übersetzerisches Können in der Person, Herkunft, Lerngeschichte, Beobachtungsfähigkeit, Erfahrung, Kreativität, Routine, in der stilistischen und u.U. auch arbeitsethischen Präferenz des Übersetzers begründet sei. Im Hinblick auf den Übersetzungsprozeß mit einer concept-driven, top-down gesteuerten Ausgangstext- und einer data-driven, bottom-up gesteuerten Zieltextverarbeitung betont Wilss (1992: 21): "Man muß also eine AT-Rekonstruktionsfähigkeit und eine ZT-Reformulierungsfähigkeit unterscheiden". Später nennt Wilss noch rezeptive und aktive Kompetenz (Wilss 1992: 21), ohne sie zu definieren und sinnt über die Frage nach, wann ein Übersetzungsprozeß abge-

15

Wer Gefallen daran findet, sich mit dem Problem der übersetzungstheoretischen und -didaktischen Terminologie in extenso auseinanderzusetzen, vgl. Vorwort u. Kap. I in Wilss (1992).

29 schlossen und optimal gelöst sei.16 "Was ein Ür [Übersetzer] jeweils unter "optimal" versteht, hängt von seinen übersetzerischen Möglichkeiten ab, die in seinem Bewußtsein verankert sind" (Wilss 1992: 22). Nun stellt sich dem Leser die Frage: In welchem Verhältnis stehen übersetzerisches Können und/oder Übersetzungsfertigkeit und übersetzerische Möglichkeiten? Wilss bleibt die Antwort schuldig und kommt anschließend über das Bewußtsein des Übersetzers und kognitive Gesetzmäßigkeiten allgemein auf Übersetzen als Intelligenzleistung zu sprechen. Wilss' Bemerkung, "Auch Übersetzen ist, wie gesagt, eine Erscheinungsform intelligenten Verhaltens" (Wilss 1992: 23) widerspricht seiner vorab zitierten Ansicht, daß bestimmte Anteile des Übersetzens mechanisch und automatisch ablaufen. Nach diversen definitorischen Versuchen zu Fertigkeit, Fähigkeit, Übersetzungsfertigkeit, übersetzerischem Können, AT-Rekonstruktionsfahigkeit und ZT-Reformulierungsfähigkeit, rezeptiver und aktiver Kompetenz, übersetzerischen Möglichkeiten und Fertigkeitspotential und der Erwähnung eventuell hilfreicher Nachbardisziplinen schließt Wilss sein Kapitel "Übersetzungsfertigkeit" mit folgender Definition ab: Fertigkeitsbestimtes Ür [Übersetzer]-Verhalten kann man auffassen als ein sich langsam entfaltendes Spiel von Möglichkeiten, das in einem (begrenzten) Gebiet Ubersetzerischer Tätigkeit seinen Ausgang nimmt. Es hinterläßt seine mehr oder minder tiefgehenden Spuren in immer mehr Texten und wird so zu einem Verbund von Fertigkeiten, die zum selbstverständlichen Rüstzeug eines jeden Ürs [Übersetzers] gehören, der in der immer härter werdenden Berufswelt einigermaßen bestehen will. (Wilss 1992: 34) Diese Definition sagt viel über die Anforderungen an den Übersetzer aus, aber für einen brauchbaren Kompetenzbegriff ist sie zu offen, zu umfassend und zu gewagt. Wesentlich sinnvoller und praxisrelevanter dagegen ist Wilss' Verweis auf die heute in der Linguistik übliche Unterscheidung von Teilkompetenzen, wie muttersprachliche, fremdsprachliche, grammatische, interaktionale, kommunikative, persuasive, pragmatische, soziokulturelle, stilistische, rhetorische und translatorische Kompetenz. Auch spricht er von der nicht mehr aufrechtzuerhaltenden Trennung von Kompetenz und Performanz, besonders in bezug auf den Terminus der kommunikativen Kompetenz. Kompetenz habe sich, konträr zu Chomskys Auffassung, zu einem "nicht-technischen" Synonym für effizientes Sprechverhalten im Sinne der englischen proficiency gewandelt. Wilss bedauert, daß sich *Profizienz nicht im Deutschen durchgesetzt habe, denn proficiency hält er für leichter präzisierbar als die von competence entlehnte Kompetenz, da sich bei ersterem verschiedene Niveaus unterscheiden lassen, während competence/Kompetenz ein all-or-none personal attribute darstelle, mit anderen Worten, daß vorhandene Kompetenz einen abgschlossenen Lernprozeß suggeriere.17 Es wäre vermessen, den Lernprozeß bezüglich Kompetenz jemals als wirklich abgeschlossen zu betrachten. Auch stimme ich Wilss Bezeichnung von proficiency als einem Fortgeschrittenenwissen (Wilss 1992: 185) nur mit Vorbehalt zu und möchte eine 16

17

Hier ist auf die umfassende Forschungsliteratur zum übersetzerischen Verhalten und Ablauf mentaler Prozesse zu verweisen, vgl. Klings (1986). Übersetzungsprotokolle, Introspektion, lautes Denken etc. brachten sehr schnell die Illusion der Regelhaftigkeit, Steuerbarkeit und - so ist hier explizit hinzuzufügen - Selbstaktivierung mentaler Prozesse zutage. Im Deutschen existiert das Wort *Profizienz weder als Terminus noch als Fremdwort.

30 Begriffsmodifikation zu fortschreitendem Wissens- und Fähigkeitserwerb vornehmen, der mir, auch im Hinblick auf die Erörterung von Teillernzielen und übersetzungsdidaktischen Methoden sinnvoller, da anwendungsfreundlicher erscheint. In "Ansichten zu einem zukünftigen Übersetzungsunterricht" (1977) betont Wilss, der Übersetzer müsse, um konkurrenzfähig und zeitgemäß ausgebildet zu sein, auch über technische Kompetenz verfügen. Die Berufspraxis des Übersetzerstudenten sei durch Komplexität, Vernetzheit, Eigendynamik und Flexibilität bestimmt. Wilss sieht eine Möglichkeit zur effektiven "betriebswirtschaftlich fundierte[n] Arbeitsteilung" (Wilss 1997: 4) in der Arbeit von Übersetzersozietäten, die im Zuge des Outsourcing eine ganz neue, kooperative client-server-relationship ermöglichen. 18 Dadurch könne der Übersetzer evtl. "vom Zerrbild des inferioren Dienstleisters" (Wilss 1997: 4) befreit werden. Das Schlüsselwort hierfür sei "customizing". Sind all dies zeitgemäße Erfordernisse, dürften bald Stimmen laut werden, die ihre Integration in Studien- und Prüfungsordnungen fordern. Man mag sich über die Tendenz wundern, diverse übersetzungswissenschaftlich relevante Termini nicht zu übersetzen und es bleibt nur zu hoffen, daß Einigkeit über ihre Inhalte herrscht. Schließlich weist Wilss nachdrücklich darauf hin, daß es keine intelligenten Computer gebe und der Erfolg des technologischen Einsatzes vom zweckmäßigen Umgang mit der Technologie abhänge; für den Übersetzer gelte diesbezüglich folgendes: Jeder Übersetzer muß die Bedingungen seines Talents kennen und entsprechend manövrieren. Das scheint mir der wichtigste Schritt auf dem Weg zur vielbeschworenen "Übersetzerkompetenz (nicht "Übersetzungskompetenz") oder, wie man auch sagen könnte, zur übersetzerischen Maturität zu sein. (Wilss 1997: 4) Interessant ist Wilss' Paradigmenwechsel von Übersetzwngs- auf Übersetzerkompetenz, womit er die Person deutlich akzentuiert, die, um sinnvoll über die verfügbare Technologie gebieten zu können, einer gewissen Reife, in diesem Falle also der übersetzerischen Maturität bedarf. Wilss' Überlegungen bzgl. der Übersetzerkompetenz und der übersetzerischen Maturität zielen in die gleiche Richtung, die schon Krings (1986) zur Sprache bringt. Bei seinen Untersuchungen dessen, was in den Köpfen von Übersetzern vorgeht, unterscheidet Krings zwischen Übersetzungskompetenz und Dolmetschkompetenz (Krings 1986: 26). Die Übersetzungskompetenz umfasse drei Komponenten, erstens kommunikative Kompetenz in zwei natürlichen Sprachen, wenigstens auf near-native-speaker-Niveau, zweitens die Fähig18

In der Ubersetzersozietät wird Arbeitsteilung praktiziert, bzw. Wilss betont, daß sie "praktiziert werden muß" (Wilss 1997: 4); Übersetzungsaufträge werden an Freiberufler vergeben. Die Folge ist ein Abbau der institutionalisierten Übersetzerdienste. Ob diese Entwicklung im Sinne der Zunft sein kann, halte ich für äußerst fragwürdig, da sie einen enormen Konkurrenzdruck auf dem übersetzerischen Arbeitsmarkt erzeugt und die ohnehin wenigen Arbeitsstellen für Übersetzer, mit denen man einen Lebensunterhalt bestreiten kann - eben weil sie institutionalisiert sind - zukünftig noch reduzieren dürften. Es ist zwar kein Trost, doch die Situation der Freiberufler dürfte nicht attraktiver sein. Entweder sind sie gezwungen, ihre Existenz durch eine andere Tätigkeit zu sichern, und das Übersetzen bringt ein willkommenes Zubrot, oder sie sind, allein auf das Übersetzen angewiesen, zur Massenproduktion angehalten. - Es sind freiberuflich arbeitende literarische Übersetzer bekannt, die bis zu zehn Romanen pro Jahr übersetzen. Negative Auswirkungen auf die Qualität ihrer Arbeit, selbst bei viel Erfahrung und Talent, dürften unausweichlich sein.

31 keit zur Äquivalenzsetzung zwischen diesen beiden Sprachen und drittens Sachkompetenz. Sehr wichtig ist Krings Differenzierung zwischen vertikaler und horizontaler Übersetzungskompetenz; vertikal bezeichnet hier den Grad der Ausprägung von Übersetzungskompetenz, horizontal bezieht sich auf Texttypen und fachliche Ausrichtung (Krings 1986: 27). Kvam (1992) sieht eine Basissprachkompetenz, Vokabelkompetenz und Grammatikkompetenz als Voraussetzung für das Übersetzen an. Doch damit ist es bei weitem nicht getan. Unerläßlich ist laut Kvam eine Sprachhandlungskompetenz, die wiederum verschiedene Aspekte betreffe. Neben der Einzelsprachenkompetenz ist m.E. seine Betonung der doppelten Sprach- und Kulturkompetenz sowie der interkulturellen Kompetenz besonders wichtig, verweist sie doch auf die mittlerweile als anerkannt zu betrachtende Ansicht, wolle man eine Sprache kompetent beherrschen, müsse man ebenso die Kultur, in die sie eingebettet ist, beherrschen. Kvam (1996: 122) erläutert das seines Erachtens für professionelles Übersetzen erforderliche Kompetenzprofil, das translationslinguistische Kompetenz ermögliche und drei essentielle Teilkompetenzen beinhalte: allgemeine sprachliche Kompetenz, allgemeine Kulturkompetenz und allgemein-methodische Kompetenz, d.h. eine allgemeine Strategiekompetenz. Das Definitionsdilemma dürfte solange existieren wie die Übersetzungswissenschaft selbst. Beinahe kontinuierlich werden neue Termini angeboten, ungeklärt verwendet und nur selten auf ihre Tauglichkeit hin überprüft. Besonders Wilss neigt dazu, eine Unzahl inhaltlich nicht klar abgegrenzter Begriffe zu benutzen, die, während man noch nach definitorischen Anhaltspunkten sucht, bereits von neuen Termini überlagert oder abgelöst werden, über deren Bedeutungsgleichheit mit oder -differenz zu vorher verwendeten Termini man letztendlich doch im Unklaren bleibt. Der Terminus Übersetzungskompetenz ist dennoch nicht veraltet und wird es wohl auch nie werden. Wilss' Termini erscheinen im vorliegenden Artikel angebracht; es ist jedoch fraglich, inwieweit sie an die Stelle der Übersetzungskompetenz treten sollten und ob sie, im Hinblick auf die Übersetzungswissenschaft, nicht mehr Verwirrung stiften als Klarheit schaffen. Entgegen aller semantischen Vagheit halte ich den Terminus Übersetzungskompetenz für durchaus brauchbar, insbesondere, wenn eine Differenzierung diverser Teilkompetenzen vorgenommen wird. Um fortan mit einem übersetzungswissenschaftlich relevanten und notwendigen Terminus arbeiten zu können, wird Übersetzungskompetenz mit folgender, nur für diese Abhandlung Gültigkeit beanspruchende Definition belegt: Übersetzungskompetenz : Übersetzungskompetenz ist die Fähigkeit, Ausgangstexte ganzheitlich zu erfassen und von diesen in Inhalt und Ausdruck harmonische Übersetzungen zu erstellen, die im gewünschten Umfeld funktionieren. Übersetzungskompetenz setzt sich aus einer Vielzahl von Teilkompetenzen zusammen. Die Erwähnung der Teilkompetenzen ist sowohl allgemein als auch im Hinblick auf diese Arbeit relevant, hier die Kompetenz im Übersetzen modaler Semantik, kurz modale oder modalsemantische Kompetenz genannt, sowie deren Progression unter bestimmten didaktischen Einflüssen untersucht wird. 19 Davon ausgehend, daß modale Kompetenz eine Reihe 19

Die Bezeichnung modale Kompetenz wurde lediglich gewählt, um im weiteren mit einem kompakten Terminus arbeiten zu können, der in seiner Kürze inhaltlich mehr umfaßt als der Aus-

32

anderer Kompetenzen voraussetzt, bestätige ich Thiels' These vom "Baukastensystem der Kompetenzen" insofern, als viele Einzelkompetenzen erlernt werden und gleichzeitig vorhanden sein können, doch ich distanziere mich von Thiels' Ansicht, alle Kompetenzen seien klar abgrenzbar und separat lernbar. Modale Kompetenz verlangt, um hier der Analyse vorzugreifen, einen sehr hohen Grad an mutter- und fremdsprachlicher Kompetenz, an logischer Kompetenz, an Kontextkompetenz an Assoziationskompetenz, an Abstraktionsfähigkeit, um einen bestimmten Inhalt in der Übersetzung bei Bedarf in einer anderen Ausdruckskategorie als der im Ausgangstext realisierten wiedergeben zu können; ja, es bedarf sogar an kultureller Kompetenz der beiden involvierten Sprachräume sowie an Allgemeinwissen. Im Unterrichtsverlauf zeigte sich, daß auch die Recherchierkompetenz, die als solche erstaunlicherweise in den diskutierten Artikeln nicht erwähnt wurde, dazu beiträgt, die anderen Teil/Kompetenzen zu unterstützen. Hönig (1995: 27) betont, daß beim professionellen Übersetzen "[...] zielsprachlich und -kulturell unauffällige Texte [...]" produziert werden. Modalsemantische Fehler führen zu Auffälligkeiten und gerade die modale Kompetenz ist als Indikator für die Beurteilung des Professionalitätsgrades derjenigen Studenten geeignet, die sich am Studienende und damit kurz vor den Abschlußexamina und dem Erwerb des Titels "Diplomübersetzer" befinden. In Kap. 4. wird diskutiert und empirisch bestätigt, daß die modale Kompetenz der Studenten geringer ist als ihre allgemeine semantische Kompetenz und ihre grammatische Kompetenz, sowie daß eine Progression in modaler Kompetenz durch den gezielten Einsatz didaktischer Mittel zwar möglich, jedoch schwieriger zu erreichen ist als ein Fortschritt in den anderen genannten Kompetenzen. 20 Hinsichtlich der Assoziationskompetenz ist Honigs Standpunkt interessant: "Um diesen Unterschied zwischen dem natürlich vorhandenen übersetzerischen Potential und der eigentlichen Übersetzungskompetenz auch terminologisch zu verdeutlichen, schlage ich vor, erstere als Assoziationskompetenz zu bezeichnen und sie so von der eigentlichen (erworbenen) Übersetzungskompetenz zu unterscheiden" (Hönig 1995: 62). Abschließend werden resümierend einige essentielle Aspekte hinsichtlich der Terminologie zur Kompetenz betrachtet: Chomskys Kompetenzbegriff aus der Grammatik- und Sprachlehrforschung bezieht sich auf unbewußtes, mentales Sprachwissen. Dies entspricht inhaltlich der in der Neurolinguistik sog. impliziten Sprachkompetenz. Wilss entlehnt für seine übersetzungsdidaktischen Arbeiten psychologische Begriffe und Hönig postuliert die Assoziationskompetenz als angeboren, sowie den Einsatz des unkontrollierten [mentalen] Arbeitsraumes als notwendig für professionelles Übersetzen. Kvam weist auf die notwendige interkulturelle Ausrichtung von Kompetenz in Ausgangs- und Zielsprache, sowie in Ausgangs- und Zielkultur hin. Chomsky, Wilss und Hönig sprechen damit am Übersetzen beteiligte kognitive Bereiche an, die in den Nachbardisziplinen Neurolinguistik und Psycholinguistik erforscht werden. Ein interdisziplinärer Blick kann daher nur von Nutzen sein und wird bei der Diskussion der Korpusanalyse in Zusammenhang mit dem didaktischen Verfahren in Kap. 5.2. vorgenommen; dabei wird die Bedeutung von impliziter Sprachkom-

gangsterminus, da man modale Kompetenz sowohl in der Mutter- und Fremdsprache als auch beim Übersetzen unterscheiden kann. 20 Vgl. die tabellarischen Ubersichten über die verbesserten Fehlermengen in den beiden Textkorpora, (Tab. 4.3.1-2) u. (Tab. 4.3.2-2).

33

petenz und metalinguistischen Kenntnissen für das Übersetzen und die Selbstkorrektur von Übersetzungen erörtert. Zur Abrundung dieses Kapitels wird eine Liste aller hier genannten Kompetenzen in alphabetischer Reihenfolge aufgeführt. Diese Übersicht steht, obwohl sie nur einen Auszug aus dem Fundus der gängigen Terminologie repräsentiert, selbstredend für Elend und Glanz der übersetzungswissenschaftlichen Terminologie. 21 Im anschließenden Kap. 1.3. wird erörtert, welche didaktischen Mittel mir Anregungen für den eigenen Unterricht gaben und welche Mittel - wie bspw. die unterstützte Selbstkorrektur und die Workshops mit Recherche - für die Seminare Modalität und Übersetzen konzipiert wurden. (Tab. 1.2.-1.) Übersicht Uber die in diesem Kapitel genannte Terminologie zu Kompetenz

21

aktive Kompetenz

modal(semantisch)e Kompetenz

allgemeine Kulturkompetenz

muttersprachliche Kompetenz

allgemeine sprachliche Kompetenz

persuasive Kompetenz

allgemeine Strategiekompetenz

pragmatische Kompetenz

allgemein-methodische Kompetenz

proficiency

assoziative translatorische Fertigkeiten

•Profizienz

Assoziationskompetenz

Recherchierkompetenz

AT-Rekontruktionsfähigkeit

rezeptive Kompetenz

Basissprachkompetenz

rhetorische Kompetenz

competence

Sachkompetenz

Doppelte Sprach- und Kulturkompetenz

soziokulturelle Kompetenz

Dolmetschkompetenz

Sprachhandlungskompetenz

Einzelsprachkompetenz

stilistische Kompetenz

Fertigkeitspotential

Strategiekompetenz

Fortgeschrittenenwissen

Talent

fortschreitender Wissens- u. Fähigkeitserwerb

technische Kompetenz

fremdsprachliche Kompetenz

Textanalysekompetenz

grammatische Kompetenz

Textsynthesekompetenz

implizite Sprachkompetenz

Transferkompetenz

interaktionale Kompetenz

translationslinguistische Kompetenz

interkulturelle Kompetenz

translatorische Kompetenz

interlinguale Sprachverwendungskompetenz

Übersetzen als Intelligenzleistung

kognitive translatorische Fähigkeiten

übersetzerische Maturität

kommunikative Kompetenz

übersetzerische Möglichkeiten

Kompetenzprofil

übersetzerisches Können

Kontextkompetenz

Übersetzungsfertigkeit

Kreativität

Übersetzerkompetenz

kulturelle Kompetenz

Übersetzungskompetenz

logische Kompetenz

Vokabelkompetenz

metalinguistische Kenntnisse

ZT-Reformulierungsfähigkeit

Vgl. Reiss (1981a) u. Ortega y Gasset (1980).

34 1.3. Didaktische Mittel

Im weiteren werden lautes Denken, unterstützte Selbstkorrektur, Workshop mit Recherche, Paralleltexte und Übersetzungsvergleiche als didaktische Mittel kurz besprochen; sie spielen in der in Kap. 1.4. folgenden Unterrichtsplanung eine wichtige Rolle. Das Konzept des lauten Denkens regte zum Nachdenken über verschiedene, in den Übersetzungsprozeß involvierte Wissensspeicher und deren Aktivierungsmöglichkeiten an. Eine Form der Aktivierung kann durch die unterstützte Selbstkorrektur initiiert werden. Im Rahmen dieser Arbeit ist die unterstützte Selbstkorrektur das wichtigste vorgestellte didaktische Mittel, da sie die studentische Lernprogression entscheidend zu beeinflussen scheint. Dies wird in Kap. 5.2. im Zusammenhang mit den Ergebnissen der Korpusanalyse erläutert.

1.3.1. Lautes Denken - LD Die Methode des lauten Denkens wird vornehmlich zur Erforschung von Übersetzungsprozessen genutzt, die wiederum Aufschluß über bestimmte übersetzerische Entscheidungen und damit auch über die endgültig vorliegenden Übersetzungen geben können. Für die konkrete Durchführung des lauten Denkens fordert man die Versuchspersonen auf, möglichst alle Gedanken beim Übersetzen zu verbalisieren. Per Tonband werden die Äußerungen aufgezeichnet und können später in Zusammenschau mit den Übersetzungen analysiert werden. Das laute Denken ist eine u.a. durch Krings und Kussmaul bekannt gewordene Methode und erfordert z.T. sehr aufwendige Versuchsanordnungen. 22 Selbst Wilss, ein Fürsprecher dieser Methode, gibt zu: "[... bzgl. der] LD-Methode erscheint mir ihre didaktische Signifikanz in der Tat fragwürdig" und weiter: "Als realistische Korrektur zur LD-Methode empfiehlt sich die Methode des "nachträglichen Lauten Denkens" (Wilss 1992: 210), also der retrospektiven Verbalisierung von Übersetzungsleistungen. 23 Mit der Methode des lauten Denkens lassen sich kaum verläßliche Resultate generieren, auch halte ich die von Wilss vorgeschlagene nachträgliche Justierung für problematisch. Gedankenblitze und Assoziationsketten dürften kaum komplett erfaßt werden können, und die Studenten müssen der Versuchung widerstehen, erwartetes oder erwünschtes Denk- und Arbeitsverhalten in nicht erinnerbare Zeiträume hineinzuinterpretieren. Allerdings erscheint es mir möglich, daß länger bearbeitete Passagen nachträglich ausführlicher kommentiert werden können. Hönig (1995: 40) scheint ähnlicher Meinung zu sein: "Doch das grundsätzliche Problem bei diesen Untersuchungen besteht darin, daß allein durch die Bewußtmachung der weitgehend unkontrollierten Prozesse beim Übersetzen die Gefahr besteht, daß diese verfälscht oder unter dem Druck des Versuchsdesigns erfunden werden."

22

Vgl. Kussmaul (1995: 5-34).

23

Eine weitere Form der Erfassung des - diesmal - nicht laut Gedachten beim Ubersetzen ist, zumindest partiell, z.B. mit dem Computerprogramm Translog möglich, das die Verweildauer bei Textpassagen, die umgearbeiteten Versionen und Vieles mehr registriert. Vgl. Jakobsen (1999a) u. Jakobsen/Schou (1999b).

35 Das laute Denken bietet jedoch, als didaktisches Mittel betrachtet, wertvolle Ansätze zum Weiterdenken. Anhand der LD-Protokolle versucht man, kognitive Abläufe nachzuvollziehen und diese im weiteren Unterricht zu lenken. Kussmauls auf die Erörterung des lauten Denkens folgende Ausführungen zu 'Teaching creative translation" (Kussmaul 1995:50ff.) und 'Teaching meaning, comprehension and translation" (Kussmaul 1995: 102f.) sind wohl zu optimistisch hinsichtlich ihrer Umsetzbarkeit im Übersetzungsunterricht. Rickheit/Strohner (1993: 107f.) beurteilen die Methode des lauten Denkens als angemessen für Voruntersuchungen von schriftlicher Sprachproduktion generell, "[...] um eine Grundlage für besser kontrollierbare Methoden in der Hauptuntersuchung zu schaffen." Mit niedriger gestecktem Ziel - denn ich halte es nicht für möglich, selbst anderen Menschen kreatives Denken beibringen zu können - versuche ich eher, das bereits vorhandene, aber in der konkreten Übersetzungssituation nicht angewandte Wissen der Studenten zu aktivieren und konzipierte zu diesem Zweck die unterstützte Selbstkorrektur als didaktisches Mittel.

1.3.2. Unterstützte Selbstkorrektur Wie kann man die Studenten dazu anleiten, ihre Übersetzungen eigenverantwortlich zu überarbeiten, sich ihrer modalen - und anderen - Fehler bewußt zu werden und so viele Fehler wie möglich in den überarbeiteten Versionen ihrer Übersetzungen zu korrigieren? Wie kann man unbewußt vorhandenes Wissen nutzbar machen? Die verwendete Korrekturmethode baut auf Sainz (1994) auf, deren Korrekturschema ich für meinen Unterricht veränderte (vgl. Krüger 1997). Die Studenten werden gebeten, ihre Übersetzung auf eine Hälfte der Blattseite zu schreiben und die andere Hälfte in drei Spalten zu teilen. Diese Spalten erhalten die Überschriften: Markierung, Fehlerart und Verbesserung. In der Spalte Markierung führe ich einen Strich pro Fehler und eine kurze Wellenlinie pro verbesserungsfähiger Passage auf derselben Zeilenhöhe wie im übersetzten Text an. Die Differenzierung von Fehlern und verbesserungsfähigen Passagen hielt ich für pädagogisch sinnvoll, denn es kommt durchaus vor, daß insbesondere Idiome inhaltlich nicht direkt falsch, stilistisch betrachtet jedoch unglücklich gewählt werden, oder daß ein bestimmter, meist mündlich verwendeter Ausdruck in der Schriftsprache grob oder dilettantisch wirkt. In solchen Fällen erscheint mir die Beurteilung verbesserungsfähig angebracht, denn sie signalisiert den Studenten, bereits eine positive Leistung erbracht zu haben und motiviert hoffentlich dazu, diese Leistung noch zu verbessern. In der Spalte Fehlerart sollen die Studenten die einzelnen Fehler und verbesserungsfähigen Passagen klassifizieren, bspw. als lexikalische oder grammatische Fehler und die letztgenannten möglichst noch näher erläutern als z.B. Kasus-, Tempus-, Modusfehler, oder was auch immer vorliegt. Unter Verbesserung sollen sie die korrigierte Version aufschreiben. Bei der Korpusanalyse bestätigte sich zwar meine Annahme, daß manche Studenten einen Fehler, statt ihn zu korrigieren, lediglich in einen anderen Fehler umarbeiten; zum Glück kam dies jedoch ausgesprochen selten vor. Häufiger waren nicht ganz treffend korrigierte Idiome und Metaphern, wie bspw. Er ist ein ehrliches Gesicht statt Er ist eine ehrliche Haut.

36 Bei dieser Korrekturmethode erfahren die Studenten nur, daß etwas in ihrem Text nicht zufriedenstellend oder falsch ist. Das reicht bei ihrem Kenntnisstand gegen Ende des Aufbaustudiums oft aus, um die Fehler selbst klassifizieren und korrigieren zu können, wobei Hilfsmittel wie Wörterbücher und Grammatiken benutzt werden dürfen. Die zweite Studentengruppe erhält darüber hinaus die Gelegenheit, Informationen aller Art durch computergestützte Recherche zu finden. Den pädagogischen Effekt und den Lerneffekt halte ich bei der Methode der unterstützen Selbstkorrektur für sehr hoch; die Studenten können im Langzeitgedächtnis gespeichertes Wissen aktivieren, das während der Übersetzungssituation nicht abgerufen wurde und haben die Möglichkeit, Teilwissen selbst zu vervollständigen. Indem sie sich ein bestimmtes Problem bewußt machen und die Lösung, wenn auch mit Unterstützung, selbst erarbeiten, dürfte der Lerneffekt nachhaltiger sein, als wenn sie eine Fehlerliste vom Lehrer erhalten und diese notgedrungen passiv zur Kenntnis nehmen. Die aufgrund der unterstützten Selbstkorrektur gewonnen Resultate reflektieren sowohl die Lernprogression als auch die übersetzerische Kompetenz der Studenten. So betont Hönig (1995: 131): "Die Fehlerbewertung ist das wichtigste didaktische Konzept bei der Vermittlung von übersetzerischer Kompetenz." Die Lernprogression kann im Semesterverlauf sowohl in den originalen als auch in den selbstkorrigierten Übersetzungen gemessen werden, zum einen durch die Ermittlung der Fehlerhäufigkeit in absoluten Zahlen als auch durch die Proportion der korrigierten Fehler. Damit wird ein System zur Meßbarkeit einer Teilkompetenz etabliert, auf dessen Fehlen Wilss (1978: 14) hingewiesen hatte. Unten wird der prinzipielle Aufbau des Korrekturschemas für die unterstützte Selbstkorrektur wiedergegeben, der in den individuellen Übersetzungen der Studenten leicht variiert, abhängig vom jeweils verwendeten Computerprogramm. Alle Varianten werden akzeptiert, da sie dem prinzipiellen Aufbau folgen.

Korrekturschema Markierung

Fehlerart

Verbesserung Übersetzter Text

1.3.3. Workshop mit Recherche Hönig (1995: 89) sagt: "In der Praxis sind Vorab-Recherchen fast immer nötig - davon hat die Didaktik der Übersetzerausbildung kaum Notiz genommen." Schon einige Jahre zuvor betonte Hönig (1989: 126): "In der Ubersetzerischen Praxis macht die Recherchierarbeit bis

37 zu 80 Prozent der Arbeit aus, die ein Übersetzer an einem Text leistet." Nords Zirkelschema zum Übersetzungsvorgang aus didaktischer Sicht (Nord 1996: 314) unterstreicht die Wichtigkeit der Recherche. Auf ihr Schema wird hier nicht weiter eingegangen, weil Dimensionen wie Selbstkorrektur und Übersetzung nach Selbstkorrektur (bei Nord könnte sie Produktion de ZT2 heißen), die essentiell für diese Arbeit sind, bei Nord nicht vorkommen. Königs (1987b: 165) erwähnt Bialystok (1983), die festgestellt hat, daß nicht der Text allein die mentale Verarbeitung beim Rezipienten steuert, sondern daß eine Reihe von zusätzlichen Informationen diese Verarbeitung bestimmt. Daraus leitet sie ab, "daß die "Bereitschaft zum Übersetzen" eines fremdsprachlichen Textes zumindest graduell von den Zusatzinformationen abhängt, die dem Lernenden gegeben werden. Die Erkenntnis ist zweifellos für übersetzungsdidaktische Überlegungen wertvoll, vor allem mit Blick auf die übersetzungsunterrichtliche Progression" (Königs 1987b: 165f.) Auf dem Hintergrund dieser Überlegungen beschloß ich, mit den Studenten der zweiten Gruppe zwei Workshops durchzuführen. Der Sinn dieser Workshops liegt darin, den Studenten die Möglichkeit zum längeren, zusammenhängenden Arbeiten mit vielfältigen Materialien und Ressourcen zu geben, während dessen sie außerdem direkte Responsmöglichkeit mit der Dozentin haben, so daß bei Entscheidungsfragen eine beratende Diskussion möglich ist, statt notgedrungen einen Weg zu wählen und viel Zeit damit zu verschwenden, in die Irre zu laufen. Als Auftakt des Workshops ist ein kurzer Vortrag sowie die Besprechung der Aufgaben geplant. In den nächsten zwei Zeitstunden (zwei mal 60 Minuten) steht jedem Studenten ein Computer mit Internet-Zugang zur Verfügung. In der Bibliothek steht ein speziell für diesen Workshop eingerichteter Semesterapparat bereit. Die Studenten werden aufgefordert, sich eine Arbeitszeit von 90 Minuten und eine oder mehrere Pausen (insgesamt 30 Minuten) nach ihren individuellen Bedürfnissen einzuteilen. Während dieser zwei Stunden befinde ich mich durchgehend für eventuelle Beratung im Computerraum. In der letzten Unterrichtsstunde des Workshops besprechen wir gemeinsam die einzelnen oder in Gruppen erarbeiteten Ergebnisse, diskutieren Vor- und Nachteile der Arbeitsform "Workshop" und sammeln Verbesserungsvorschläge. 24 Im ersten Workshop erhalten die Studenten zwei Aufgaben. Sie sollen eine spezifische Recherche zu Autor, Werk und Zeit (der ersten beide ATe) als Materialsammlung für ein deutschsprachiges Vorwort oder als Einleitung für ihre Übersetzungen durchführen. Die zweite Aufgabe besteht in der unterstützten Selbstkorrektur in Kombination mit übersetzungsrelevanten Überlegungen. Dazu erhalten die Studenten Leitfragen wie:

24

Vgl. Neunzig (1997) u. Ensinger (1997). Neunzig (1997: 378) betont: "[So]... möchten wir also [...] einfügen, daß uns die Computerunterstützung des Übersetzungsunterrichts besonders für die Übersetzung in die Fremdsprache geeignet zu sein scheint [...]" und weiter unten über eigene Unterrichtserfahrungen (1997: 380) "Die Heterogenität der Gruppe, die sich besonders bei der Übersetzung in die Fremdsprache negativ auswirkt, konnte punktuell reduziert werden."

38 •

Sie haben viele Informationen gesammelt und mit ihnen gearbeitet. Schauen Sie sich bitte noch einmal ihre Übersetzung an. Würden Sie mit dem Hintergrundwissen, das Sie nun haben, einige Worte, Sätze oder Textpassagen ändern?



Überlegen Sie, wo im Text Fakten vorliegen oder nicht und achten Sie auch auf die Erzählhaltung (ob direkte oder indirekte Rede vorliegt, wer spricht, etc.).



Bitte notieren Sie die Änderungen, insbesondere von modalsemantischen Textstellen, die Sie gerne vornehmen möchten oder vorgenommen haben für die spätere Diskussion im Plenum.

Im zweiten Workshop führen die Studenten neben der ähnlich wie oben

organisierten

Textarbeit eine allgemeine R e c h e r c h e durch. Als Einleitung ist eine Diskussion zu B e g r i f f e n des Ubersetzungswissenschaftlichen Arbeitens anhand von in der Vorwoche ausgeteiltem Material geplant. Für die allgemeine R e c h e r c h e im Computerraum b e k o m m e n die Studenten eine Internet-Adressenliste mit darauf abgestimmten Aufgaben, die, um hier ein unterrichtspraktisches B e i s p i e l zu geben, wie folgt aussehen: Allgemeine Recherche im Internet Sie haben eine Übersicht mit Internet-Adressen für Übersetzer und Dolmetscher erhalten. Schauen Sie sich einige dieser Web-Sites an. Aufgaben: •

Sie möchten ein Semester an einer anderen Hochschule studieren. Suchen Sie Informationen zu einer Ausbildungsinstitution, die Ihnen interessant erscheint. Notieren Sie die Web-Adresse.



Sie möchten einen interessanten wissenschaftlichen Artikel im Seminar vorstellen. Suchen Sie einen Artikel und notieren Sie die Quellenangaben.



Überlegen Sie sich ein Fachgebiet (Wirtschaft, Jura, Medizin, Technik, Literatur etc.) und suchen Sie eine Web-Site, die Ihrer Meinung nach eine nützliche Terminologieliste zur Verfügung stellt. Notieren Sie die Web-Adresse. • Sie möchten gerne einmal an einer Sommerschule oder Konferenz teilnehmen. Suchen Sie sich eine interessante Veranstaltung aus und notieren Sie Namen, Ort, Veranstalter etc. •

Wenn Sie Zeit dazu haben, surfen Sie auf dem Web herum. Bitte notieren Sie Adressen, die interessante und fachlich hilfreiche Informationen bereitstellen, welcher Art auch immer.

In der folgenden Sitzung sollen die Ergebnisse zusammengetragen werden und e i n e Diskussion darüber stattfinden, welche Aufgaben leicht, bzw. schwierig waren und warum, was von Internet-Recherche allgemein, im Vergleich zu anderen Informationsquellen zu halten ist und welche IT-Adressen nützlich für das Studium und die voraussichtliche Berufstätigkeit sind. A b s c h l i e ß e n d können positive und negative Aspekte der Arbeitsform Workshop besprochen werden. 2 5

25

Hier sind insbesondere die konstruktiven Vorschläge der Studenten interessant, denn m.E. kann jedes noch so sorgfältig durchdachte und didaktisch raffinierte Unterrichtskonzept verbessert werden. Hinzu kommt, daß Aufgaben, die ich evtl. als schwierig einstufe, denjenigen Studenten, die sehr vertraut im ümgang mit Computern sind, keine Probleme bereiten, sondern daß sie Schwierigkeiten anderer Art haben, die ich nicht erwarte.

39 1.3.4. Paralleltexte Als Paralleltexte können Texte der gleichen Textsorte und des gleichen Texttyps verwendet werden oder Texte unterschiedlicher Textsorten und -typen, die das gleiche Thema wie der zu übersetzende Text behandeln. Bei Texten unterschiedlicher Sprache und gleicher Textsorte, z.B. Kochrezepte oder Stellenanzeigen, wird kontrastiv nach morphosyntaktischen, textlinguistischen und stilistischen Realisierungen gesucht, so daß als Übung bspw. eine Liste von einzelsprachigen, textsortenspezifischen Merkmalen erstellt werden kann. Ein situationsäquivalenter Textvergleich ist ebenfalls interessant. In diesem Fall werden Ort, Anlaß und Redezweck, z.B. in Reden oder Geschäftsbriefen, miteinander verglichen. 26 Häufig verwendet man in der Zielsprache abgefaßte Texte als Paralleltexte; sie geben sowohl Aufschluß über Konventionen als auch über Sprachnormen und Stilebenen, sie vermitteln Vokabeln und regen das Assoziationsvermögen an. 27 Die Arbeit mit, bzw. Analyse von Paralleltexten ist generell eine nutzbringende didaktische Methode im Übersetzungsunterricht und eignet sich insbesondere bei Textsorten mit stark konventionalisierten, textgebundenen Modalitätsformen wie bspw. juristische Texte. Kvam (1988: 207) bezeichnet sie sogar als "wertvolle Hilfsquellen" und Stolze (1992: 275) beurteilt die Arbeit mit Paralleltexten als empfehlenswert. Spillner (1981: 241) spricht von Paralleltextanalyse, wenn "[...] Texte miteinander kontrastiert werden, die nicht in TranslatRelation zueinander stehen, wohl aber aus textthematischen und textpragmatischen Gründen vergleichbar sind." Er unterscheidet hierbei drei Stufen: • den Vergleich von Textadaptionen - oft Werbetexte oder gesetzliche Vorschriften überstaatlicher Organisationen • den situationsäquivalenten Textvergleich - durchgeführt mit Texten verschiedener Sprachen und ähnlicher Thematik in äquivalenten Sprechsituationen (Ort, Anlaß, Redezweck) oder mit äquivalenter Redestrategie • die Textsortenkontrastierung Thiel vertritt die Ansicht, von Paralleltexten könne man nur dann sprechen, wenn sie eine vergleichbare kommunikative Situation und eine vergleichbare Konvention der Textstruktur und des Sprachgebrauchs aufweisen, aber unabhängig von einander entstanden sind (z.B. die deutsch/französische Anleitung für die Benutzung von Eierkochern). Für sie fällt daher der Vergleich von AT und ZT nicht unter den Begriff "Paralleltextanalyse", weil Übersetzungen immer in einem Abhängigkeitsverhältnis zu einem AT stehen. Ebenso beharrt Neubert (1996: 156) auf dem Unterschied zwischen Paralleltexten und Übersetzungen, wenn er kategorisch erklärt: "[...] parallel texts are never translations [...]" und SnellHornby (1988: 86) sagt: "Whereas a translation is always derived from another text, parallel texts are two linguistically independent products arising from an identical (or very similar) situation." Wilss (1996: 158) sieht die Zuordnung oder NichtZuordnung von Übersetzungen zur Klasse der Paralleltexte als "relativ unerheblich" an. Leider begründet er seinen Standpunkt

26

27

Vgl. als Beispiel für diesen methodischen Ansatz Hartmann (1980), der u.a. Reden von Churchill und Adenauer miteinander vergleicht. Zu einem Abriß der Geschichte der Paralleltextanalyse vgl. Wilss (1996: 156ff.).

40 nicht. In der Tat geht Wilss recht großzügig mit dem Terminus Paralleltext um, da er de facto verschiedene Arten von Übersetzungsvergleichen unter ihm subsumiert. So nennt er verschiedene Ansätze für Paralleltextanalysen: "[...] der Vergleich von thematisch, stilistisch und situativ gleichgearteten Texten in verschiedenen Sprachen (z.B. Rezensionen, Nachrufe, Resolutionen, Enzyklopädie-Artikel, Abstracts etc.), mit dem Ziel der Herausarbeitung von Textbausteinen als sprachliche Manifestationen von Textsortenkonventionen [...]" (Wilss 1996: 160). Eine weitere Form der Paralleltetxtanalyse ist laut Wilss "[...] der Vergleich von Original und mehreren Übersetzungen auf der Basis von Synopsen (z.B. Gegenüberstellung von Original und allen von einer Lernergruppe in einer Übungsklausur angefertigten Varianten mit dem Ziel, die Effektivität übersetzerischer Verhaltensweisen zu bestimmen)" (Wilss 1996: 160). Die beiden letztgenannten Varianten kann man m.E. nicht mehr zur Paralleltextanalyse rechnen. Eine praxisorientierte Unterscheidung nimmt Kvam (1992: 202) vor, wenn er von thematischen und pragmatischen Paralleltexten spricht. "Ein thematischer Paralleltext ist ein Text über das im Translat zu beschreibende Thema. [...] der "Zweckseite" der Translation zugewandt sind die skoposkongruenten Paralleltexte. Diese sind im Idealfall mit dem Zweck des Übersetzungsauftrags identisch - sie entsprechen somit den Vertextungskonventionen des zu erstellenden ZT." (Kvam 1992: 202). Diese letztgenannten Hilfstexte bezeichnet Kvam als pragmatische Paralleltexte. Kvams Praxisorientierung liegt im Vorschlag, Textkarteien über thematische und pragmatische Paralleltexte zu erstellen, d.h. sowohl eine "nach Sachbereichen systematisierte Textbank" als auch eine "nach Textfunktionen/Textzwecken systematisierte Textbank" (Kvam 1992: 209f.) aufzubauen, die sich miteinander kombinieren lassen. Textbanken stellen ohne Zweifel wertvolle Informationsquellen und Orientierungshilfen für (angehende) Übersetzer dar. Paralleltexte und die im folgenden kurz diskutierten Übersetzungsvergleiche werden in meinem Unterricht in mündlichen Übungen verwendet mit dem positiven Effekt, daß die Studenten bei ihren Übersetzungsvorschlägen und deren Diskussion laut denkend mündliche Selbstkorrekturen vornehmen. Dies wiederum gibt Anlaß, Art, Inhalt und Motivation der Korrekturen zu diskutieren. Zweifelsohne dürften diese Übungen und Diskussionen dazu beitragen, die Studenten in den schriftlichen Selbstkorrekturen ihrer Übersetzungen zu stärken.

1.3.5. Übersetzungsvergleiche Ein Übersetzungsvergleich ist ein Vergleich verschiedener Übersetzungen mit dem Original (Poulsen 1987), z.B. mit dem Ziel der Herausarbeitung von wörtlichen und nichtwörtlichen Korrespondenzen bzw. Nichtkorrespondenzen im Satzrahmen, bei Satzübergängen und Absatzanfängen. Königs (1987b) nennt als unterrichtsmethodische Ziele des Übersetzungsvergleichs die sprachenpaarbezogene Klassifikation individueller Übersetzungsprobleme, die Berücksichtigung überindividueller Probleme und die Vermittlung von Übersetzungsstrategien. Wilss schreibt (1992: 207): "Der Vergleich eines AT mit einer oder mehreren Übersetzungen (Übersetzungsvergleich) [...]", ändert jedoch seine Auffassung vom Wesen des Übersetzungsvergleichs, wenn er (1996: 160) den "[...] Vergleich eines AT mit einer Übersetzung (irrtümlich oft als "Übersetzungsvergleich" bezeichnet) [...]" anführt. Reiss

41 dagegen unterscheidet ausdrücklich zwischen Paralleltextanalyse und Übersetzungsvergleich als zwei unterschiedliche Übungsformen und differenziert noch zwischen Übersetzungsvergleichen und Übersetzungsgleichungen. Unter Übersetzungsvergleichen versteht sie den Vergleich von ganzen Texten oder Textsegmenten, bei Übersetzungsgleichungen hingegen werden "kontextlose verbale Elemente" (Reiss 1981b: 311) wie isolierte Wörter, Syntagmen oder einzelne Sätze miteinander kontrastiert. Bei den Übersetzungsvergleichen sind intralinguale, interlinguale und multilinguale Vergleiche zu unterscheiden. Bei allen Formen lassen sich Einfach- oder Mehrfach-Vergleiche durchführen, d.h. man kann eine Übersetzung, verschiedene Versionen eines Übersetzers oder die Versionen verschiedener Übersetzer jeweils mit dem Original vergleichen. Beim multilingualen Vergleich gibt es auch noch die Möglichkeit des Zweitübersetzungsvergleichs, der bei Übersetzungen "aus zweiter Hand" angewandt wird. Auch heute ist es noch durchaus gebräuchlich, verbreitete Sprachen für die Vermittlung von Texten, deren Originalsprache selten verstanden wird, heranzuziehen. So weiß Reiss zu berichten: 28 Z.B. werden japanische Patentschriften grundsätzlich über englische Übersetzungen für das Deutsche Patentamt ins Deutsche übersetzt. Hier ergibt sich oft die Notwendigkeit, Üve. [Übersetzungsvergleiche] anzustellen, wenn die Zweitübersetzungen den Text bis zur Unverständlichkeit deformiert haben. (Reiss 1981b: 316) Übersetzungsvergleiche können linear (Wort für Wort, Syntagma für Syntagma, Satz für Satz) oder selektiv durchgeführt werden. Die lineare Vorgehensweise eignet sich für Korrekturzwecke, die selektive zum Herausgreifen von Einzelphänomenen. Auch der Zweck des Übersetzungsvergleichs kann insbesondere bei der selektiven Methode die Auswahl der zu vergleichenden Textelemente steuern, z.B. kulturspezifische Elemente der Sprache und Textgestaltung. "Das zu vergleichende Textmaterial und der Zweck eines ÜVs [Übersetzungsvergleiches] bestimmen ebenso die jeweils zu wählende Vergleichsbasis, das tertium comparationis für den Vergleich" (Reiss 1981b: 317). Reiss ordnet den von ihr klassifizierten Texttypen bestimmte Phänomene als relevant beim Übersetzungsvergleich zu: Beim informativen Texttyp sind vor allem die Inhaltsstruktur, die Textsortenzugehörigkeit und die Stilebene wichtig. Beim expressiven Texttyp kann eine Ausweitung zur Erfassung der künstlerischen Organisation, z.B. von gattungsspezifischen Eigenheiten und autorspezifischen Charakteristika, zu beachten sein. Beim operativen Texttyp gilt es, auch die über die eigentliche Textbotschaft hinausreichenden realisierten Persuasionsstrategien zu erfassen. Im folgenden Kap. 1.4., Unterrichtsplanung, wird der allgemeine Rahmen für den Übersetzungsunterricht an der Wirtschaftsuniversität Kopenhagen mit Adressatenkreis und Lernziel skizziert und meine spezielle Konzeption der Kurse Modalität und Übersetzen mit Arbeitsmaterial und didaktischem Vorgehen erläutert.

28

Reiss' Beobachtungen dürften vornehmlich aus den 70er oder noch früheren Jahren stammen. Die Praxis bzgl. der Übersetzungen speziell aus dem Japanischen kann sich jedoch, auch in Anbetracht der in der Zwischenzeit zweisprachig aufgewachsenen Japaner in Deutschland, die als potentielle Übersetzer zur Verfügung stehen, mittlerweile geändert haben.

42 1.4. Unterrichtsplanung

In diesem Kapitel ist von der Unterrichtsplanung die Rede, die tatsächliche Unterrichtspraxis (die situationsaktuell von der Planung divergieren kann) wird in Kap. 5.2. in Zusammenschau mit den angewandten didaktischen Methoden und der Lernprogression der Studenten besprochen. Überlegungen zur Theorie, Didaktik und Kompetenz beim Übersetzen bilden einen notwendigen Hintergrund für die Unterrichtsplanung. Ebenso unerläßlich ist es jedoch, die zu erwartenden Studentengruppen, ihren Kenntnisstand, ihre voraussichtlichen Berufsziele und darauf abgestimmt ihre Lernziele zu berücksichtigen. Der institutionelle Rahmen mit einem vorgegebenen Curriculum spielt ebenfalls eine entscheidende Rolle. Für mich persönlich war es eine ausgesprochen interessante Herausforderung, im Laufe der letzten Jahre Übersetzungskurse für drei verschiedene Deutschstudiengänge in Dänemark zu erarbeiten, von denen einer als computergestütztes Fernstudium abläuft. Bei den drei Studiengängen handelt es sich um das Grundstudium Deutsch an der Universität Aalborg mit dem Abschluß "Kandidat", 29 das Fernstudium Deutsch mit dem Abschluß Bachelor, das ganz Dänemark offensteht, und schließlich um das Aufbaustudium Deutsch an der Wirtschaftsuniversität Kopenhagen mit dem Abschluß Diplomübersetzer, dem ein sechssemestriges Grundstudium vorausgeht.30 In den von mir an der Wirtschaftsuniversität Kopenhagen gehaltenen Seminaren Modalität und Übersetzen sammelte ich die dieser Arbeit zugrundeliegenden Textkorpora. Inhomogenität in Allgemein- und fachspezifischem Wissen, Studienmotivation und -engagement sowie die Vielfalt der angestrebten beruflichen Tätigkeiten der Studenten verlangen Flexibilität in der Kurskonzeption. Problematisch ist nicht nur die Heterogenität innerhalb der Studentenjahrgänge, sondern auch die z.T. enormen Differenzen in der Studentenstruktur aufeinanderfolgender Jahrgänge. Je nach Konjunktur, die in einem kleinen Land wie Dänemark recht schnell wechseln kann, beginnen viele Absolventen erst nach einer abgeschlossenen Ausbildung, eventuell mit anschließender Berufserfahrung, noch ein Studium. Unterschiedliche Aufnahmebedingungen innerhalb weniger Jahrgänge an derselben Hochschule erschweren die Kurskonzeption zusätzlich. Auch Studien- und Prüfungsordnungen helfen als Leitfaden bei der Unterrichtsplanung nur bedingt. Daher kann m.E. als Richtlinie gelten, die speziellen Probleme dänischer Deutschlerner kontrastiv zu berücksichtigen. So existieren im Dänischen keine morpholexikalischen Konjunktivformen, und das Verb wird nicht in Person und Numerus konjugiert. Bei Übersetzungen ins Deutsche resultieren Interferenzen mit dem Dänischen in fata amis

29

30

An dänischen Hochschulen wird im Fach Deutsch wie auch in den meisten anderen Philologien nicht zwischen "Magister" und "Staatsexamen" differenziert; der dänische Abschluß "cand. mag." ( d.i. candidatus/candidata magisteri), der ungefähr dem deutschen Magister Artium entspricht, beinhaltet beides und bietet dadurch den enormen Vorteil, eine vor Studienbeginn in ihren Ausmassen oft nicht abzuschätzende Festlegung zu vermeiden und für ein wesentlich breiteres Arbeitsfeld zu qualifizieren. Die Konzeption dieser Kurse wird in Krüger (1997) diskutiert.

43 und mit dem Englischen häufig in Wortstellungs- und Interpunktionsfehlern, um hier nur einige Aspekte beispielhaft zu nennen. 31 In nicht fachsprachenspezifisch ausgerichteten Übersetzungskursen ist eine thematische, stilistische und texttypologische Vielfalt der zu übersetzenden Texte anzustreben, damit neben der grammatischen Korrektheit kulturelles und gesellschaftliches Wissen und die Kenntnis national- und kulturspezifischer Texttypenkonventionen erweitert werden, als Teilfertigkeiten auf dem Weg zur Übersetzungskompetenz.

Adressatenkreis Die meisten Absolventen der Wirtschaftsuniversität Kopenhagen beginnen ihr Studium gleich oder kurz nach dem Abitur. Eine Sprachprüfung in Deutsch wird nur verlangt, wenn kein dem Abitur gleichwertiger Abschluß vorliegt. Mit einem sechssemestrigen Grundstudium wird der "Bachelor in Wirtschaft und Fachsprachen" erworben, der bis 1994 noch "Fremdsprachenkorrespondent" hieß und eine für den dänischen Arbeitsmarkt qualifizierende Ausbildung darstellt. Daher schließen nur wenige Studenten ein zweijähriges Aufbaustudium an, in dem sie zwischen den Studienschwerpunkten "Sprache" - mit dem Berufsziel Diplom-Fachübersetzer - "Computerlinguistik" sowie "Wirtschaftskommunikation und Marketing" wählen können.

Lernziel Die Wirtschaftsuniversität Kopenhagen bildet Diplomübersetzer aus. Die Studenten dieses Studienganges sind dänische Muttersprachler mit der beruflichen Ambition, sowohl ins Dänische als auch ins Deutsche zu übersetzen. Bei einer vergleichsweise wenig verbreiteten Sprache wie dem Dänischen mit nur fünf Millionen Muttersprachlern läßt sich das Ideal, nur in die Muttersprache zu übersetzen, aufgrund von Kosten und fachsprachlicher Kompetenz nicht verwirklichen. 32 Übersetzungskompetenz ist das Unterrichtsziel; textanalytisches, funktionelles und problemreflektiertes Übersetzen werden geübt. In den von mir unterrichteten Übersetzungsseminaren konnte Modalität als Übersetzungsproblem textsortenübergreifend erörtert werden. Während des Grundstudiums steht in jedem Semester ein Übersetzungskurs auf dem Studienprogramm, in dem je sechs Texte aus dem politisch-sozial-kulturellen Bereich und je

31

Vgl. Hansen (1997: 135), eine Dozentin der Wirtschaftsuniversität Kopenhagen: "Beim Übersetzen in die Fremdsprache Deutsch haben auch gute Übersetzerinnen und Übersetzer Schwierigkeiten z.B. bei der indirekten Rede, beim Gebrauch von Nominalisierungen, bei der Wortstellung und beim Artikelgebrauch. [...] Man mag einwenden, daß dies keine Übersetzungsprobleme seien, sondern Probleme der Fremdsprachenkompetenz. Es ist aber so, daß u.a. Wortstellungsfehler und Fehler im Artikelgebrauch selbst einem dänischen Universitätsdozenten im Fach Germanistik verziehen werden - die Einzigen, die solche Fehler nicht machen dürfen, sind die staatlich geprüften, professionellen Übersetzerinnen und Übersetzer. Es ist also jedenfalls ihr Problem."

32

Vgl. Roinila (1997: 204), der konstatiert: "Besonders zu bemerken ist, daß Hinübersetzungen bei kleinen Kulturen entgegen den Praktiken in großen Kulturen notwendig sind."

44 sechs aus dem wirtschaftlichen Bereich zu übersetzen sind. In den Seminaren wird auch vermittelt, daß eine Übersetzung ihren Ausgangspunkt in einer Textanalyse nehmen muß, bei der u.a. Empfängergruppe und Funktion des Zieltextes, Texttypen- und Textsortenkonventionen, charakteristische stilistische Mittel des Ausgangstextes und die Möglichkeiten ihrer Wiedergabe im Zieltext zu berücksichtigen sind. Nach zwei Semestern ist ein Übersetzungsexamen - die Übersetzung eines wirtschaftssprachlichen Textes ins Deutsche und ins Dänische - zu bestehen, um das Studium fortführen zu können. Nach vier Semestern findet ein Übersetzungsexamen ins Dänische statt. Auf dem Stundenplan stehen auch Seminare in Kommunikation, Wirtschaftsrecht, Volkswirtschaft und Text- und Datenverarbeitung. In den letzten beiden Semestern des Grundstudiums müssen die Studenten einen der drei Schwerpunkte wählen, die im Aufbaustudium angeboten werden. Wer den Schwerpunkt "Sprache" und dort wiederum "Deutsch" wählt, hat im Übersetzungsexamen nach dem sechsten Semester j e einen technischen und einen juristischen Text ins Deutsche zu übersetzen, bei dem neben der Übersetzung von IY2 Normalseiten (hier mit 1400 Anschlägen berechnet) ein Kommentarteil von 1IV2 Seiten verlangt wird; die Übersetzung zählt drei Viertel der Gesamtnote, der Kommentar ein Viertel und wird im Examen wie folgt erfragt: 33 Kommenter den overssttelsesstrategi, du har fulgt, specielt de overvejelser, der ligger bag de vigtigste afvigelser fra en ordret oversaettelse (fx udeladelser eller tilf0jelser, vaesentlige syntaktiske aendringer) samt evt. din gengivelse af saerlige stilfigurer/stiltraek.34 Das Lernziel besteht daher in einer möglichst komplexen Übersetzungskompetenz, verbunden mit der Erweiterung von aktiven und passiven Sprachkenntnissen und der Vertiefung von Kultur- und Sachwissen. Übersetzen wird als Selbstzweck angesehen, das einen Nebengewinn für die Fremdsprachenkompetenz erbringt. 35 Abgesehen von übersetzungspraktischen Seminaren enthält der Lehrplan auch Übersetzungstheorie, Textanalyse, Übersetzungskritik und Methodenvergleiche als theoretisches Rückgrat für das Erlernen von funktionsbezogenem Übersetzen und verschiedenen Übersetzungsstrategien, darüber hinaus finden Seminare zu Landeskunde, Literatur, juristischer und technischer Fachsprache und Wirtschaftsdeutsch statt.36 In den fakultativen Seminaren Modalität und Übersetzen ist Kompetenz im Übersetzen modaler Semantik das spezifische Teillernziel.

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36

Zum institutsinternen Gebrauch kopierte, unpublizierte Informationsblätter des Instituts für Deutsch der Wirtschaftsuniversität Kopenhagen. Erläutern Sie die von Ihnen verwendete Übersetzungsstrategie, insbesondere die Überlegungen, die den wichtigsten Abweichungen einer wörtlichen Übersetzung zugrunde liegen (z.B. Auslassungen, Hinzufügungen, wesentliche syntaktische Änderungen) sowie evtl. Ihre Wiedergabe besonderer Stilfiguren/stilistischer Merkmale. [Meine Übersetzung]. Auf die berechtigte Debatte, ob Übersetzen als Selbstzweck oder als Übungsform im Fremdsprachenunterricht betrieben werden sollte, kann in diesem Rahmen nur verwiesen werden. Vgl. Königs (1987a) u. (1987b). Literatur wird seit 1999 nur noch als fakultativer Zusatzkurs einmal jährlich angeboten. Die Studienordnung gibt als obligatorische Leseleistung bis zum BA (nach sechs Semestern) 500 Seiten an. Eine "empfohlene Leseliste", die (Stand 1999) u.a. Beyer (1995), Braun (1977), Demirkan (1991), Fallada (1994), Schlink (1997), Sparschuh(1995) u. Wallraff (1985) enthält, erleichtert

45 Arbeitsmaterial Idealerweise werden ungekürzte Originaltexte für Übersetzungen verwendet; da viele geeignete Texte jedoch die gewünschte Länge überschreiten, erhalten die Studenten den kompletten Text, sollen aber nur einen markierten Teil übersetzen. Auf diese Weise können Kürzungen, Zusammenfassungen oder sprachliche Vereinfachungen vermieden werden und der Text kann seinen Gesamteindruck vermitteln. Ein Teil der aus den Seminaren Modalität und Übersetzen hervorgegangenen Übersetzungen bildet die in Kap. 4. analysierten Textkorpora. Die Studenten sind am Ende des Aufbaustudiums, haben bereits mehrere Zwischenexamen im Übersetzen technischer und juristischer Texte bestanden, verfügen über sehr gute Deutschkenntnisse und haben sich mit Übersetzungstheorien auseinandergesetzt. In den oben genannten Seminaren erhalten sie ein eigens zusammengestelltes Textkompendium mit Artikeln zu unterschiedlichen Einteilungen des Modalsystems, spezifischen Aspekten modaler Strukturen aus kontrastiver Sicht, Modalität in verschiedenen Texttypen und zu außersprachlichen, kultur- und situationsbedingten Aspekten als Übersetzungsproblem. Die zu übersetzenden Texte sind literarischer, allgemein- und fachsprachlicher Natur, beinhalten jedoch über die in unterschiedlicher Weise präsente Modalität hinaus noch weitere potentielle Schwierigkeiten, so bspw. ein Zeitungstext zur deutschen Wirtschaftslage (Nielsen 1996). Die Studenten sind an Wirtschaftskorrespondenz mit direktem Ansprechpartner gewöhnt und sollen nun einen für ein breites Publikum verfaßten "Wirtschaftstext" übersetzen, der auch zeitungssprachliche Elemente wie Idiome und Metaphern enthält.37

Didaktisches Vorgehen Zu Semesterbeginn werden den Studenten theoretische Aspekte von Modalität in Form von Vorlesungen als Hintergrund vermittelt. Erst danach wird mündlich und schriftlich übersetzt; die Studenten vergleichen entweder ihre eigenen oder publizierte Übersetzungen miteinander. Praktische Lösungen werden durch inter- und intralinguale Übersetzungsvergleiche und diverse mündliche und schriftliche Übersetzungsübungen gefunden. Als Auftakt für eine mündliche Übungsform werden bspw. ein Arbeitsbericht zu einem deutsch-dänischen Partikelwörterbuch (Baunebjerg/Wesemann 1983) und ein Artikel zu Modalpartikeln (Krivonossov 1965) gemeinsam im Seminar besprochen. Anschließend sollen die Studenten die gelöschten Passagen in einem fremdsprachigen Text, meist Nebensätze, die Partikeln enthalten, als cloze-technique Übung ergänzen. Für interlinguale Vergleiche bekommen die Studenten dänische Originaltexte und ihre publizierten deutschen Übersetzungen, z.B. Auszüge aus einer Produktbroschüre für Kü-

den Studenten die Auswahl dieser 5 0 0 Seiten; nur wenige lesen, nach eigenen Angaben, mehr (vgl. Krüger 1998). 37

Zu Nielsens ( 1 9 9 6 ) Artikel "Mismodets Vinter for tysk 0konomi" wäre folgender Übersetzungsauftrag denkbar: Sie unterrichten Wirtschaftsdeutsch an einer Wirtschaftsuniversität und diskutieren Maßnahmen zur Senkung der Arbeitslosigkeit mit ihren Studenten. Sie übersetzen den vorliegenden Artikel als Vorbereitung für eine Vorlesung und verwenden Deckstein ( 1 9 9 4 ) Der Einstieg in die 4-Tage-Woche: Das "Modell V W " als Paralleltext.

46 chenartikel aus Edelstahl oder die komplette Gebrauchsanleitung und Garantiekarte einer Kaffeemaschine. Nun geht es darum, kontrastiv Inhalts- und Ausdrucksseite beider Texte zu betrachten, insbesondere Modalität als semantische Kategorie und ihre lexikalischen, morphologischen und syntaktischen Realisierungen, es gilt, kulturspezifische Unterschiede der Textsorte Anleitung zu finden (Struktur, Stil), mögliche Unterschiede in den Vermittlungskonventionen herauszuarbeiten (indirekte und direkte Anrede, Höflichkeitsformen etc.) und eventuell einen Übersetzungsauftrag zu rekonstruieren. Hier bietet sich eine selektive Vergleichsform mit Hervorhebung von Einzelphänomenen an, seien es nun linguistische, pragmatische, kulturspezifische oder sonstige Elemente (Reiss 1981b), die man aus aktuellen didaktischen Gründen fokussieren möchte. Im Anschluß an diese Übung sollen die Studenten die Gebrauchsanleitung des "¿Ebleskivebager" übersetzen. Es handelt sich um ein - meines Wissens - in Deutschland unbekanntes Gerät. 38 Bei der Übersetzung einer Gebrauchsanweisung sind Angaben über den zu erwartenden Kundenkreis (Fachpersonal, Laien) und teilweise sogar zur Gesetzeslage des Importlandes (Haftung und Erstattung bei Personen- oder Sachschäden) unerläßlich. 39 Bei intralingualen Übersetzungsvergleichen begutachten die Studenten ihre individuell angefertigten Übersetzungen in Gruppenarbeit, um zu lernen, verschiedene Übersetzungsmöglichkeiten gegeneinander abzuwägen und als qualitativ minder-, gleich- oder höherwertig einzustufen. Die einzelnen Gruppen berichten dann im Plenum über alternative Übersetzungsmöglichkeiten, Argumente für diese Lösungen, ihre Diskussion von Übersetzungsproblemen und wie sie selbst Fehler gefunden haben. Ihre zu bewertenden Übersetzungen können die Studenten mittels der unterstützten Selbstkorrektur verbessern, z.T. auch durch spezifische Recherche im Rahmen zweier Workshops. Übersetzungsvergleiche und Selbstkorrektur als didaktische Mittel sollten jedoch nur im Unterricht von fortgeschrittenen Studenten eingesetzt werden, ansonsten riskiert man, eine Quelle von Überforderung und Frustration zu schaffen. 40 Bei den Workshops erhalten die Studenten die Gelegenheit, ohne Zeitdruck mit verschiedenen Ressourcen zu arbeiten, z.B. mit einem Computer mit Internet-Zugang, einem in der Bibliothek bereitgestellten Semesterapparat und sämtlichen selbst mitgebrachten Materialien. Gleichzeitig sind beratende Diskussionen mit der Dozentin zu aktuellen Recherchefun38

39

40

Uber den "/Ebleskivebager", wörtlich: "Apfelscheibenbäcker", sei den Skeptikern allzu wörtlicher Übersetzungen zu ihrer Genugtuung verraten, daß das mit diesem Gerät hergestellte Gebäck heutzutage weder Äpfel oder Apfelscheiben enthält und auch nicht scheibenförmig, sondern kugelrund ist. Hier sei an die in Ubersetzerkreisen beliebte Schreckgeschichte vom Pudel einer US-amerikanischen Hausfrau erinnert, den diese nach einem verregneten Spaziergang zum Antrocknen kurz in ihren neu erworbenen Mikrowellenherd setzte. Der Frau war die Wirkungsweise der Mikrowelle nicht bekannt; der sanfte Föneffekt ihres früheren Umluftherdes blieb aus, der Pudel fand ein tragisches Ende und die Frau verklagte die Verteiberfirma auf Regreß mit dem Argument, die Gebrauchsanweisung sei unvollständig gewesen. Weitere durch Unachtsamkeit herbeigeführte Unfälle hatten neben Rechtsstreitigkeiten die Folge, daß Gebrauchsanweisungen, die die Handhabung eines Gerätes erläutern, für den Export in die USA oft mit längeren Zusätzen darüber versehen werden, was man mit dem betreffenden Gerät tunlichst nicht anstellen sollte. Wie viele US-amerikanischen Haustiere sich dank umsichtiger Übersetzer weiterhin ihres Lebens erfreuen, kann man jedoch nur mutmaßen. Vgl. Hansen (1996).

47 den oder -problemen und dem individuellen weiteren Vorgehen möglich. (Zum praktischen Ablauf der Workshops vgl. Kap. 5.2.). Ziel dieser Arbeit ist es, Erkenntnisse zur Kompetenz im Übersetzen modaler Semantik der Studenten zu gewinnen. Modalität ist ein komplexes und m.E. äußerst schwierig zu handhabendes Phänomen mit einer Vielzahl inhaltlicher und formaler Aspekte. Nachdem bisher Ansätze und Probleme von Übersetzungstheorie und -didaktik vorgestellt und anschließend ausgewählte Terminologie zur übersetzerischen Kompetenz, einige didaktische Mittel und verschiedene Formen von Unterrichtsplanung besprochen wurden, ist es nun notwendig, im weiteren einige Facetten des Phänomens Modalität zu erörtern und eine Arbeitsdefinition von Modalität sowie eine interne Typologie von Modalität aufzustellen, die wiederum der Korpusanalyse in Kap. 3. zugrunde liegt und für die Diskussion von übersetzerischen Entscheidungen und der studentischen Lernprogression in den Kap. 4. und 5. unerläßlich ist.

2. Modalität

2.1. A s p e k t e von Modalität - eine Einleitung

Der Terminus Modalität stammt aus einem Teilbereich der Philosophie, aus der formalen Logik und dort wiederum aus der Modallogik. Im Gegensatz zum Binaritätsprinzip der klassischen Logik verfügt die Modallogik über ein differenziertes Wertsystem, nach dem Propositionen beurteilt werden. Eine ähnliche Funktion kommt der Modalität in der Linguistik zu, wobei der Terminus Modalität nicht einheitlich verwendet wird. 1 Daher ist es notwendig, den Terminus Modalität mit der Einschränkung zu definieren, daß die hier verwendete Definition lediglich Gültigkeitscharakter für die vorliegende Arbeit beansprucht. Modale Propositionen sind durch die Qualifizierung ihres Geltungsgrades, insbesondere ihres Wahrheitsgehaltes, gekennzeichnet. Quelle der Modalität können "[...] the attitude of the speaker towards what he is saying" Lyons (1968: 307), ein,.reported speaker" oder eine nicht genannte dritte Person (Calbert 1975: 56) sein. 2 Modalität umfaßt die Modalitätsarten als Inhaltskategorie und die Modalitätsformen als Ausdruckskategorie (vgl. Vater 1980: 291) mit synthetischen und analytischen Elementen. Zu den synthetischen Formen zählen freie Morpheme, mit denen z.B. die Modi der Verben gebildet werden. Zu den analytischen Formen zählen alle lexikalischen Erscheinungen wie Modalverben, Modalpartikeln usw. Im weiteren werden allgemeine, klassifizierende, inhaltliche und formale Aspekte von Modalität besprochen und eine detaillierte Definition von Modalität mit einer internen Typologie gegeben. Wer sich mit Modalität und Modalverben beschäftigt hat, weiß: Immer, wenn man glaubt, eine brauchbare Beschreibung zu haben, zerrinnt sie anschließend in Kritik und Selbstkritik. (Ramge 1986: 123)

Auch wenn es sich banal anhören mag, so stiften schon allein die vielfältigen Ableitungen des Wortes Modalität Verwirrung. Modus bezeichnet ähnlich wie Genus oder Tempus ein Substantiv, modal gehört wie verbal oder temporal zur Klasse der Adjektive, respektive Adverbien, modalisieren ist ein Verb und schließlich läßt sich eine ganze Reihe von Lexemen mit der Komponente modal aufzählen, z.B. Modal -adverb, -feld, -partikel, -satz, -system, -verb, -wort, -er Infinitiv, -e Konjunktion, Präposition etc. Laut DUDEN 4 ( 4 1984: 155) wird mittels der verschiedenen Verbmodi die Satzaussage "in bestimmter Weise vom Sprecher/Schreiber gekennzeichnet, gefärbt, modifiziert." Man

1 2

Vgl. Jäntti (1989). Zu Modalität als Ausdruck einer Einstellung des Sprechers vgl. Wunderlich, bes. (1976: 73ff.). Wunderlich geht in der Sprechakttheorie davon aus, daß Interaktanten zu propositionlen Gehalten bestimmte Positionen einnehmen können, die durch verschiedene Arten von Funktoren - wie epistemische, normative, intentionale oder andere Funktoren - ausgedrückt werden können. Modalverben können daher verschiedene "Positionstypen" repräsentieren.

49 unterscheidet zwischen Indikativ (1), Konjunktiv I (2), Konjunktiv II (3) und Imperativ (4).3 Unter dem Modus, bzw. den Modi versteht man demnach einmal eine Kennzeichnung durch den Sprecher, d.h. ein sprachliches Verhalten, ein andermal eine Verbform. (1) (2) (3) (4)

Karl hat heute Abend Zeit und kommt auf einen Sprung zu euch. Stephanie hat gesagt, Karl habe heute Abend Zeit und komme auf einen Sprung zu uns. Wenn Stephanie Zeit hätte, käme sie auf einen Sprung zu uns. Komm doch auf einen Sprung zu uns !

Es gibt eine Reihe unterschiedlicher Modalitätsmodelle in der Sprachwissenschaft, deren komplette Darstellung den Rahmen dieser Arbeit übersteigt. Daher werden im folgenden einige Modelle in den für diese Arbeit relevanten Auszügen vorgestellt. Einleitend sind zwei Forschungsrichtungen zu nennen: die sogenannte romanische Tradition, in der man grundsätzlich jede Äußerung als modal ansieht, im Gegensatz zur angelsächsischen Tradition4, in der nur Äußerungen als modal betrachtet werden, die Situationen außerhalb der faktischen Welt schildern.5 Zunächst ist zu bemerken, daß der Terminus Modalität in dieser Arbeit als übergeordnete Kategorie für Modalitätsarten (modale Inhalte) und Modalitätsformen (modale Ausdrücke mit synthetischen und analytischen Elementen) fungiert. Modalität soll hier insofern als Inhaltskategorie behandelt werden, als die nichtmodale Semantik, die die Modalverben ebenfalls leisten können - bspw. futurische Ausdrücke - von der Betrachtung ausgeschlossen wird. Man kann zwischen verschiedenen Arten von Modalität - epistemischer und deontischer - differenzieren, die wiederum eine Reihe von Subkategorien beinhalten.6 An diese Überlegung schließt sich die Frage an, welche Ausdruckskategorien an welche Inhaltskategorien gekoppelt sind. Vater (1975: 104) schreibt, in der linguistischen Literatur bestehe mehr oder weniger Einigkeit über den folgenden Punkt: "Modalität ist nicht Bestandteil des in einem Satz beschriebenen Sachverhalts, sondern etwas, daß zusätzlich zu diesem Sachverhalt ausgedrückt wird." Diesen Standpunkt möchte ich gerne folgendermaßen präzisieren. Den in Texten vermittelten Informationen kommt ein gewisser Geltungsgrad zu. Es handelt sich um verifizierte (positive oder negative) Sachverhalte wie in (5) und (6). Die Geltung oder Existenz eines Sachverhaltes kann ebenso nicht verifiziert sein: dann wird die Aussage aufgrund von Wissen oder Autorität qualifiziert wie in (7) und (8). Den epistemischen Lesarten liegt (mangelndes) Wissen des (evtl. nicht) genannten Sprechers zugrunde, die deontischen Lesarten basieren auf der Autorität des (evtl. nicht) genannten Sprechers oder einer

3

Die Beispielsätze stammen aus (DUDEN. Grammatik der deutschen Gegenwartssprache, 1984: 155). Skafte Jensen (1997: 9) spricht von angelsächsischer und romanischer Tradition. An dieser Stelle ist anzumerken, daß Modalität nicht mit Fiktion zu verwechseln ist. Zwar steht auch die Fiktion im Gegensatz zum Faktischen, doch handelt es sich bei der Fiktion um keine Kategorie auf der Bedeutungsebene, sondern lediglich um eine Zuordnung zur aktuell relevanten Bezugswelt, d.h., die Fiktion zeigt an, daß der beschriebene Sachverhalt nicht der sog. klassischen Welt angehört und sich dadurch vom Faktischen unterscheidet. Die Klassifizierung eines spezifischen Bereiches von Modalität als deontisch geht vor allem auf die Arbeiten von v. Wright (1951) zur deontischen Logik zurück. 4

4 5

6

50 un/bekannten, evtl. un/persönlichen sozialen Autorität wie einer Konvention oder einem Gesetz. (5) (6) (7) (8)

Frau Meiers Kinder sind jetzt in der Schule. Frau Andersens Kinder gehen nicht zur Schule. Es ist jetzt 11.00, da müssen Frau Meiers Kinder in der Schule sein. In Dänemark besteht keine Schul-, sondern Unterrichtspflicht: Frau Andersens Kinder miissen nicht zur Schule gehen.

Dies sind einfache Beispiele. Besonders in der mündlichen Sprache trifft man oft auf Verschachtelungen wie in (9). Hier ist die Distribution mehrerer Modalverben innerhalb einer Verbalphrase interessant. Die Modalverben repräsentieren je nach Stellung eine bestimmte Modalitätsart; je weiter links sie in der Skopus-Hierarchie stehen, desto stärker grammatikalisiert sind sie. (9)

Han mâ skulle kunne tale engelsk Epistemisch [deontisch [dynamisch [p]]] 7

Modalität als Inhaltskategorie (oder Subkategorie des pragmatischen Inhalts) umfaßt eine Korrespondenzrelation: die Relation zwischen semantischer und referentieller Repräsentation, oder, anders ausgedrückt, die Relation zwischen der Proposition und des in ihr ausgedrückten Sachverhaltes. Dabei ist auch wichtig, wie der Rezipient nach Auffassung des Senders den Geltungsgrad der Proposition einschätzen sollte. 8 In (10) stimmen die semantische und die referentielle Repräsentation überein; die Proposition ist nicht modalisiert. Dagegen liegt in (11) eine Modalisierung vor: die semantische Repräsentation bezeichnet eine mögliche referentielle Repräsentation. Es liegt keine Übereinstimmung vor, die beiden Repräsentationen stehen im Verhältnis einer realen Möglichkeit zueinander. (10) (11)

Jens kommt morgen. Jens kann morgen kommen.

Auch in (12) handelt es sich um eine reale Möglichkeit, in (13) dagegen nicht. Die semantische und die referentielle Repräsentation können nicht in Übereinstimmung gebracht werden - der ausgedrückte Sachverhalt (warme Socken anziehen, sich nicht erkälten) ist nicht mit der Bezugswelt verträglich (ich zog keine warmen Socken an und habe mich bereits erkältet). Die Proposition ist damit irreal. (12) (13)

7 8

Wenn man Fieber hat, soll man im Bett bleiben. Wenn ich warme Socken angezogen hätte, dann hätte ich mich nicht erkältet.

Diesen Beispielsatz verdanke ich Klinge (mündliche Kommunikation). Auch in der Linguistik besteht die Tendenz, Terminologie aus anderen Fachbereichen zu entlehnen, z.B. Termini wie Sender und Empfänger aus den Kommunikationsmodellen der Nachrichtentechnik. In vielen Arbeiten zur Korpuslinguistik geht es jedoch um das Textverständnis des Lesers, daher wird in dieser Arbeit der m.E. neutralere, weil auf auditive, visuelle und weitere Medien anwendbare Terminus Rezipient verwendet.

51 Es wäre vermessen, sämtliche modalen - inhaltliche wie formale - Kategorien in dieser Arbeit behandeln zu wollen, und so werden diejenigen Kategorien besprochen, die in den für diese Arbeit gesammelten Textkorpora in Erscheinung treten. Als weiteres theoretisches Fundament für die in Kapitel 4. folgende Korpusanalyse wird kontrastiv dargestellt, was das dänische und das deutsche Sprachsystem bzgl. Modalitätsarten und -formen leisten. Vorab jedoch ein Exkurs zur diffizilen Verflechtung von Inhalt und Ausdruck am Beispiel von Modalität, Lexemen und Satztypen.

2.2. Modalität, L e x e m e und Satztypen

Wenn wir sprachliche Zeichen verwenden, so unterwerfen wir uns den Bedeutungen, die sie für uns persönlich und für unsere Sprach- und Kulturgemeinschaft gewonnen haben. Wir können sie nicht anders verwenden als so, wie sie für uns verfügbar geworden sind. Damit ist aber klar, daß wir, als sprechendes und schreibendes Individuum, in einem gewissen Maße auch das Instrument unserer Sprache sind - wir drücken aus, was sie uns zu sagen erlaubt. (Hönig 1995: 39)

Lexeme bestehen aus einer Kombination von Ausdruck und Inhalt; ihr Inhalt ist ein Konstrukt, ihr Ausdruck jedoch nicht. 9 Im folgenden werden weitere Differenzierungen des Inhalts kurz angesprochen, zunächst der lexikalische Aspekt. Der lexikalische Inhalt eines sprachlichen Zeichens etabliert Referenz, der pragmatische Inhalt kennzeichnet das Verhältnis zum Sender und steuert den lexikalischen Inhalt. Der Sender einer Proposition handelt sprachlich und kommunikativ, indem er der Proposition erst in der Sprechhandlung einen Geltungsgrad zuordnet. Weitere Aspekte des Inhalts sind stilistischer und syntaktischer Art. Die Pragmatik als Handlungstheorie wird hier erwähnt, weil Modalität eine Subkategorie des pragmatischen Inhalts darstellt, d.h. nicht alle denkbaren pragmatischen Inhalte sind gleichzeitig auch modal. Mit welchem Inhalt beschäftigen wir uns? Je nach spezifischem Interesse, kann man in ein und demselben Text oder bei ein und demselben sprachlichen Zeichen einen bestimmten Teil des Inhalts in den Mittelpunkt rücken, da Lexeme verschiedene Inhaltsschichten besitzen. Beim isolativen Inhalt betrachtet man ausschließlich das sprachliche Zeichen (vornehmlich in bezug auf seine lexikalische Bedeutung), beim kontextuellen Inhalt sieht man das Zeichen im Kontext (in bezug auf seine textuelle Bedeutung) und damit den durch Referenz aktualisierten Inhalt. Zur Referenz kommt noch eine modale Inhaltsschicht - die Handhabung des sprachlichen Zeichens durch den Sender - hinzu. Lexeme mit markantem Inhalt (z.B. Haus, Baum) vermitteln isoliert Information, Flexive dagegen, Zeichen ohne lexikalischen Inhalt, haben isoliert nur syntaktischen Inhalt. Dies meint auch Hönig (1995: 99), wenn er von possibility cloud spricht. Modalpartikeln wie wohl und eh haben einen Grammatikalisierungsprozeß durchlaufen (siehe hierzu Kap. 2.6.) und verfügen kaum noch über lexikalischen Inhalt, sondern über pragmatischen prozedug Inhalt ist ein unpräziser Terminus. In die Diskussion zur Terminologieklärung wurden u.a. auch Bedeutung, Sinn, Meinung, Vorstellung, Denotat, Designat u.v.m. eingebracht.

52 ralen Inhalt. 10 Sie instruieren den Rezipienten einer Proposition, wie er diese aufzufassen hat. Damit steht der prozedurale Inhalt im Gegensatz zum konzeptuellen, lexikalischen Inhalt. Ein großes Problem bei der Verwendung und Rezeption der Modalverben besteht darin, daß auch sie prozedurale Inhalte vermitteln, die sich kontextsensitiv ändern. Es gibt ein unbewußtes Potential an möglichen Kontextinhalten; einige sind prototypisch und führen zu fokalen Lesarten, andere, nicht prototypische verursachen nichtfokale oder marginale Lesarten. Die Satzmoduslehre besagt, daß es Satztypen gibt wie bspw. Aussage-, Frage- oder Aufforderungssätze. Die Problematik der Satzmoduslehre besteht darin, daß es Fragesätze ohne Fragebedeutung gibt oder Imperativsätze, die keinen Befehl ausdrücken. Man verwendet Termini wie Imperativsatz, Interrogativsatz o.ä. wechselweise für die Bezeichnung eines Inhaltsaspektes und eines formalen Aspektes. Die Satzmoduslehre wird hier angesprochen, um sie aufgrund ihrer Untauglichkeit zur Erfassung oder Widerspiegelung modalen Inhalts und Ausdrucks als Klassifizierungsmöglichkeit für die weitere Arbeit auszuschließen. So beinhalten die beiden folgenden Sätze, ihrer Form nach Fragesätze, durchaus keine Fragen, sondern (14) eine höfliche Aufforderung und (15) eine unhöfliche Beurteilung. (14) (15)

Könnten Sie mir bitte Kaffee einschenken? Können Sie denn nichts Besseres als diese Plörre kochen?

2.3. Zur Problematik des Denkens in Modalität und Zeit und des Verstehens von Sprache

Selbst schließe ich mich der angelsächsischen Tradition an, zwischen modal und nicht modal zu unterscheiden. Zwar könnte ich einen Satz wie Ich bin müde insofern als modal definieren, als ich ihn auf einer +/- Skala der Kategorie Wahrscheinlichkeit oder +/- Assertion als +wahrscheinlich/+assertiv einstufe. Ginge ich von der romanischen Tradition aus, sähe ich keinen rechten Grund mehr, überhaupt mit dem Terminus modal zu arbeiten, da aufgrund der Definition "alles ist modal" kein Pendant zu modal im Sinne von nichtmodal existieren kann. Übrig bliebe die Einstufung von Propositionen innerhalb einer alles umfassenden modalen Skala; es gäbe jedoch keine Opposition zu modal. In Grammatiken findet man üblicherweise die Distinktion von bejahenden und negierten Sätzen. Ausgehend von der Hypothese, es gebe nur bejahende Sätze, könnte ich alle Aussagen in +/- bejaht klassifizieren und käme gut ohne die Kategorie Negation aus. Dieser Gedankengang sei hier nur als ein triviallogisches Beispiel angeführt. Auf die Diskussion, inwieweit die Sprache das Denken determiniert, sei hier nur hingewiesen. In der Fachliteratur ist man sich weitgehend darin einig, daß jeder Mensch unabhängig von den Formalia seiner Muttersprache in der Lage ist, jedweden Inhalt zu denken und diesen in sprachliche Zeichen, die innerhalb der Einzelsprachen stark divergieren können, umzusetzen. In manchen Sprachen besteht die Notwendigkeit der Realisierung bestimmter Inhalts- und Ausdruckskategorien; diese sind gleichsam Teil der kognitiven 10

Vgl. Ehlich (1996).

53 Leistung bei der Rezeption und Produktion der betreffenden Sprache. Manche Fehler in Übersetzungen sind eindeutig auf den einzelsprachspezifisch geprägten kognitiven Hintergrund des Übersetzers zurückzuführen, und zwar so deutlich, daß man bei anonymen Übersetzungen dem ZT-Verfasser die Sprachfamilie oder sogar die Nationalsprache zuordnen kann, und dies eben nicht aufgrund syntaktischer oder lexikalischer Fehler. Solche sind nämlich oft gar nicht vorhanden, dahingegen wirkt die grammatisch und lexikalisch einwandfreie Übersetzung merkwürdig." Die Ursachen dieses Eindrucks werden zusammen mit den Ergebnissen der Korpusanalyse in Kapitel 5. diskutiert. Hier sei nur angemerkt, daß eine Sprache anscheinend einen kognitiven Entscheidungsprozeß im Sinne von modal/nichtmodal als Voraussetzung für die Realisierung ihrer sprachlichen Zeichen fordern kann. Im Dänischen, Deutschen und Russischen muß man dem Verb die Kategorie Tempus zuordnen, um es grammatisch korrekt verwenden zu können. Dies ist im klassischen Chinesisch, einer isolierenden Sprache, nicht der Fall; hier wird die Kategorie Tempus durch die Verbindung von Zeitadverbialen mit dem unflektierten Verb realisiert. In modalen Aussagen spielt Zeit oft eine entscheidende Rolle. Bull (1968) unterscheidet zwischen öffentlicher Zeit, die sich an Naturphänomenen und kosmischen Ereignissen wie bspw. Tag, Monat und Jahr orientiert, und persönlicher Zeit. Bei letzterer geht "[...] es um sprachspezifisch definierte Intervalle von subjektiv eingeschätzter Dauer [... die ...] auf das Sprechereignis - ebenfalls ein Intervall der persönlichen Zeit - bezogen sind" (Vater 1996: 238f.). Bei den Tempora lassen sich systematische und pragmatische Gebrauchsweisen unterscheiden; zu den systematischen zählen kontextinvariante Grundbedeutungen. Die pragmatischen, oft auch metaphorischen Verwendungen sind abhängig von Faktoren wie Kontext oder Transposition der Sprecherperspektive (Vater 1983). Dies erklärt, daß die einzelnen Tempora oft keine spezifische Zeit ausdrücken. Man denke nur an die grammatisch und semantisch völlig korrekte Verwendung des Präsens für Vorgänge in der Vergangenheit (historisches Präsens), Gegenwart oder Zukunft (Ich komme morgen).12 Zeit erhält im menschlichen Sprachhandeln nur Sinn, wenn sie vom Sender relational als persönliche Zeit verwendet wird, d.h. der Sender etabliert eine in Relation zu seiner Proposition gültige Zeit. 13 Zur Illustration sei hier auf Haagerups Romantitel (1992) I gär var i dag i morgen (Gestern war heute [noch] morgen) verwiesen. Ähnlich dem semantischen Begriff Zeit existiert auch modale Semantik in der Relation, in die sie eine Aussage zur Bezugswelt setzt, bspw. als Irrealität, Hypothese, Möglichkeit, Wahrscheinlichkeit oder Notwendigkeit. M.E. existiert die Opposition modal - nicht modal und verschafft sich in einigen Sprachen stärker als in anderen ihren Ausdruck. Im Deutschen und Russischen muß dem Verb,

" Als Beispiel für solch eine syntaktisch und lexikalisch einwandfreie, aber dennoch befremdlich wirkende Übersetzung vgl. auch Grice (1979), wiedergegeben in Hoffmann (1996: 163-183). 12

13

Vater (1983: 212f.) meint, das Präsens habe sich als am vielseitigsten in seinen Verwendungsmöglichkeiten erwiesen, das Plusquamperfekt hingegen als am engsten, und das Präteritum und das Perfekt nähmen eine Mittelstellung ein. Wer sich für das zeitlose Thema Zeit interessiert vgl. zur philosophisch-physikalischen ZeitDiskussion Mittelstaedt (1989) und Hawking (1991) sowie zum Ausdruck von Zeit in Sprache Vater (1983), Fabricius-Hansen (1986), Ehrich (1992), Leiss (1992), Klein (1994) und Vater ( 3 1994).

54 um dieses Beispiel nun von modaler Seite zu beleuchten, die Kategorie Modus (wahlweise Imperativ, Indikativ oder Konjunktiv) grammatisch zugeordnet werden, während im Dänischen keine produktiven morphologischen Konjunktivkennzeichnungen mehr existieren. Diese Tatsache hindert die Dänen nun keineswegs daran, die in den vorab genannten Sprachen mittels Konjunktivformen ausgedrückten Inhalte in anders gearteten sprachlichen Zeichen im Dänischen zu realisieren. Ebenso steht es einem Sprecher des Deutschen frei, einen gewünschten modalen Inhalt un/konventionell umzusetzen. Sich auszudrücken, ist ein Aspekt von Kommunikation. Eine Aussage inhaltlich genau so zu verstehen, wie der Sender es intendierte, ist ein anderer und sehr problematischer Aspekt, denn absolute Bedeutungen von Worten existieren nicht. 14 Sprachliche Bedeutung ist systemrelativ und damit auch selbst-referentiell. So vertritt Kussmaul (1995: 87) die These, Worte an sich hätten oft keine Bedeutung, allenfalls eine potentielle, und erst der Kontext realisiere das Bedeutungspotential. Kvam (1988: 199) geht sogar so weit zu sagen, "[...] daß auch die Übersetzung semantisch genau definierter Fachtermini von Variablen der Kommunikation abhängig ist." Man kann - zuweilen mit großer Treffsicherheit - vermuten, welche Bedeutung der Rezipient einem Wort zuerkennt, 15 d.h. wir basieren unsere Kommunikation, z.B. in Form von Ausgangstexten und Übersetzungen, auf unsere Annahmen vom voraussichtlichen Verstehen der Rezipienten. Dies ist längst nicht so hoffnungslos, wie es sich hier vielleicht anhören mag, denn erstens ist der Rezipient meistens kooperativ, d.h. er will verstehen, zweitens will der Autor/Übersetzer, daß der Rezipient versteht, 16 und drittens funktioniert Sprache in der Diskurswelt, die der Autor/Übersetzer aufbaut, denn Sprache wird nicht durch die reale Welt begrenzt. 17 Konkrete Beispiele zu modalen Verstehensproblemen werden in Kap. 4.2.2. diskutiert.

2.4. Beschreibungen von Modalverbsystemen

Im folgenden werden einige Arbeiten aus der deutschen und dänischen Forschungsliteratur vorgestellt, die Semantik und Syntax der Modalverben des Deutschen, bzw. Dänischen als System beschreiben und die, zumindest teilweise, auf andere Sprachen Ubertragbar sind.

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16

Sie existieren noch nicht einmal für ein lexikalisch scheinbar festgelegtes Substantiv wie bspw. Schwarzbrot. Eine gut gemeinte Veranschaulichung durch Hinzufügung des Adjektives groß verschlimmert hingegen das Dilemma des Verstehens noch mehr. Wer das nicht glauben mag, kann einen einfachen Test durchführen: er gehe mit einem Schwaben und einem Münsterländer in eine mitteldeutsche Bäckerei und bitte beide, auf ein großes Schwarzbrot zu zeigen. Führt man den Verstehenstest separat mit zwei Münsterländern und zwei Schwaben durch, darf man erwarten, daß die Münsterländer auf ein sehr dunkles, kastenförmiges Brot mit flacher Oberkante von 1,5 Kilogramm Gewicht zeigen, während die Schwaben auf ein mittelbraunes, längliches 750g-Brot mit runder Oberkante deuten. Zum Kooperationsprinzip vgl. Grice (1979) u. Seuren (1998: 367ff.), Kap. 6, The Study of Meaning. Wer sich für derlei Überlegungen interessiert, findet weitere Anregungen in Honig (1995: 35-116).

55 Dies sind in Kap. 2.4.1. Kratzer (1978) Semantik der Rede. Kontexttheorie - Modalwörter - Konditionalsätze und (1981), The Notional Category of Modality, in Kap. 2.4.2. Öhlschläger (1989) Zur Syntax und Semantik der Modalverben des Deutschen, in Kap. 2.4.3. Diewald (1999) Die Modalverben im Deuschen. Grammatikalisierung und Polyfunktionalität, in Kap. 2.4.4. Davidsen-Nielsen (1990) Tense and Mood in English. A Comparison with Danish und in Kap. 2.4.5. Brandt (1999) Modal Verbs in Danish. Diese Forschungsansätze werden in Kap. 2.4.6. kurz vergleichend zusammengefaßt. Vorab seien jedoch kurz einige hinführende Positionen erwähnt. Krivonossov (1965) entlehnt seine Kategorisierung von Modalitätsarten der Satzmoduslehre: er spricht von Aussage-, Frage- und Befehlsmodalität, sowie von objektiver Modalität (die obligatorisch im Satz eine Mitteilung bewirkt) und subjektiver Modalität (die die emotionale Stellungnahme des Sprechers zur Aussage kennzeichnet und fakultativ ist). Interessant ist Krivonossovs Berücksichtigung der Satzintonation für den modalen Charakter einer Aussage. Je nach Intonation könne eine Partikel modale Färbung erhalten. Saidow (1969) stellt eine Dreiergruppierung der deutschen Modalwörter nach semantischen Kriterien auf: Gruppe 1 drücke das Verhältnis des Sprechers zur Realität der Aussage aus (z.B. ja, doch wohl, bestimmt, wirklich), Gruppe 2 vermittele das emotionale Verhältnis des Sprechers zur Aussage (z.B. leider, glücklicherweise), Gruppe 3 bezeichne das Verhältnis des Sprechers zur Form der Aussage; sie könne summiert (z.B. überhaupt, im großen und ganzen) oder es könne eine Schlußfolgerung gezogen werden (z.B. wie folglich, endlich, schließlich). Admoni (1970) operiert mit zwei Modalitätbereichen; dem der logisch-grammatischen Modalität, die er mit dem objektiven Gebrauch von Modalwörtern assoziiert, und dem der kommunikativ-grammatischen Modalität, die er mit dem subjektiven Gebrauch von Modalwörtern in Verbindung bringt. Lyons (1977), DUDEN 4 (41984), Nyts (1992) u.a. unterscheiden Subjektivität und Objektivität hinsichtlich des Gebrauchs der Modalverben. Der objektive Gebrauch kennzeichne das Verhältnis zwischen dem Subjekt und der im Infinitiv enthaltenen Aussage; es werden Bedingungen und Voraussetzungen genannt, unter denen die Infinitivaussage vom Subjekt vollzogen werde. Der objektive Gebrauch umfasse demnach deontische Modalität und werde bevorzugt in Sprechhandlungen realisiert, wie in (16), (17), und (18). (16) (17) (18)

Ich kann morgen kommen. Er muß jeden Morgen um 6 0 0 aufstehen. Der Vater will am Samstag arbeiten.

Beim subjektiven Gebrauch von Modalverben drücke der Sprecher seine persönliche Stellungnahme aus. Er verdeutliche, wie er das, was er mit dem Infinitiv über das Subjekt aussagt, subjektiv beurteilt, wie in (19), (20) und (21). Die subjektive Modalität ist epistemisch; mit ihr ordnet der Sprecher einer Proposition einen Wahrscheinlichkeitsgrad in einer bestimmten Situation zu. (19) (20) (21)

Du kannst Recht haben. So muß es gewesen sein. Er will den Unfall beobachtet haben.

56 Gerstenkorn (1976) teilt jeden Sprechakt als performative Äußerung (METAMOD) in einen pragmatischen (modalen) Komplex MOD und einen nichtmodalen Komplex MAT. Er stellt eine Hierarchie von obligatorischen MOD-Markern (+/-absolut, +/-positiv) und optionalen MOD-Markern (emotiv, expressiv, partizipativ) auf, definiert MOD-Typen (MOD/IST und MOD/SEI) und Zitiermarker (repetiert, referiert, +/-kommentiert +/-akzeptiert). Gerstenkorns Modell ist sehr aufwendig. "Der kurze Fragesatz Kommt Fritz? Erhält dabei eine Tiefenstruktur, deren Darstellung eine ganze Seite füllt (vgl. [Gerstenkorn] S. 154) und insgesamt 15 Prädikationen enthält." (Vater 1977: 452). Gerstenkorn intendiert, alle möglichen Propositionen, von ein-Wort-Sätzen abgesehen, erklären zu können, doch er erkennt, daß oft nur Weltwissen und Situationserkennung, die von seinem Modell nicht erfaßt werden, über den nicht/modalen Charkter einer Äußerung entscheiden. 18 Clément (1980) und Dietrich (1992) versuchen, über syntaktische Einteilungen zu semantischen Kategorisierungen zu gelangen. Dietrich sieht Aussagen, deren Geltung unbestimmt, offen oder als nicht faktisch gekennzeichnet ist, als modal an; demnach dürfte er die Kategorie "Gewißheit" jedoch nicht als modal einstufen. Dietrich (1992) stellt die sog. Quaestio-Theorie auf (hierbei steht Quaestio für Textfrage)·, er nennt Haupt- und Nebenstrukturäußerungen als eine Gliederungseigenschaft von Texten und ordnet bestimmten Texttypen bestimmte Modalisierungsformen zu. So sind die Hauptstrukturäußerungen (sie beziehen sich direkt auf die Quaestio) laut Dietrich in Erzählungen grundsätzlich nicht modalisiert, in Instruktionen sind sie alle modalisiert, und für Beschreibungen gilt, daß sich die Modalitätsreferenz ausschließlich aus dem jeweiligen Sachverhalt ergibt. Diese Einteilung nimmt sich m.E. zu generell und plakativ aus. Reiss' Modell der Texttypenkonventionen aus den frühen 70er Jahren ist, was Modalitätszuordnungen betrifft, nicht restringiert und trägt indirekt damit den möglichen, individuellen Spielarten von Modalität im einzelnen Text Rechnung. 19

2.4.1. Kratzer Kratzers modallogischer Ansatz (1978, 1981) baut in der neueren Forschung auf Cresswell (1973) auf, prinzipiell jedoch stammt die Idee der Möglichen Welten aus Leibniz' Arbeiten zur Logik und Erkenntnistheorie. 20 Leibniz war der Auffassung, daß nicht nur Tatsachen, sondern auch Vorstellungen, Ideen und Begriffe wahr sein können, und zwar dann, wenn sie möglich sind. Möglich sind alle Vorstellungen, die widerspruchsfrei konzipiert werden können. Was möglich ist, muß nicht notwendigerweise auch existent, d.h. wirklich sein. Mit diesem Gedankengebäude kann Leibniz von Möglichen Welten sprechen, die wahr, aber nicht wirklich sind.

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Die so entscheidende individuelle Textrezeption, die insbesondere im Ubersetzungszusammenhang weitreichende und sichtbare Folgen hat, wird von Gerstenkorn nicht berücksichtigt. Vgl. zur speziellen Problematik von Gerstenkorns Modell auch Vaters (1977) recht kritische Rezension. Vgl. bzgl. Dietrichs Behauptung, Hauptstrukturäußerungen in Erzählungen seien grundsätzlich nicht modalisiert, Brechts Erzählung (1967)"Wenn die Haifische Menschen wären", die ein vergnügliches und lehrreiches Beispiel modaler Ausdrucksweise darstellt. Vgl. zu Leibniz' Wirken auch v. Aster (171980: 244-263) sowie Glück (1993: 395, 399).

57

Kratzer untersucht in ihrem theoretischen Rahmen einer Mögliche-Welten-Semantik (1978) die Modalverben können und müssen als Funktoren mit den Argumenten Satz und Redehintergrund. Können und müssen haben nach Kratzers Auffassung ein Bedeutungsskelett (Möglichkeit und Notwendigkeit), das durch den jeweiligen Redehintergrund präzisiert werde. Beim referentiellen Gebrauch erhalten die Propositionen situationsabhängige Bedeutungen, beim attributiven Gebrauch stellen sie allgemeingültige Äußerungen dar. Der Redehintergrund werde in der Äußerungssituation gegeben und könne epistemischen, deontischen, dispositionellen, buletischen, teleologischen, leeren, fatalistischen oder anderen Charakter haben. Kratzer nutzt diese üblicherweise für Modalitätsarten und mögliche Lesarten von Propositionen verwendeten Termini zur Bezeichnung von Kontexten, die sie Redehintergründe nennt. Da es jedoch theoretisch unendlich viele Kontexte, kommunikative Situationen und damit Redehintergründe gibt, muß Kratzers Kategorisierung von Redehintergründen notwendigerweise unvollständig bleiben. 21 Bei können und müssen kann man laut Kratzer eine absolute und eine relative Bedeutung differenzieren. Oft werden diese beiden Modalverben relativ verwendet, d.h. ein relatives können bezieht sich auf die logische Verträglichkeit des Sachverhaltes und ein relatives müssen auf die logische Folgerung. Kratzer (1978: 133f.) erwähnt selbst eine Schwäche der Mögliche-Welten-Semantik, in der es nur die logisch wahre und die logisch falsche Proposition, also eine von jeder Art, gebe. Dies schränke die Ausdrucksmöglichkeiten unerhört ein und es komme bei leerem Redehintergrund zu rein logischen Gebrauchsweisen der Modalverben. In "The Notional Category of Modality" diskutiert Kratzer verschiedene lexikalische Einträge hinsichtlich ihrer Realisierung von Modalität (1981: 39f.) und kommt zu dem Resultat, daß Satzadverbien (möglicherweise, wahrscheinlich) und Hilfsverben ([werden...] always express epistemic modality - if they express modality at all" (1981: 56). Verben mit inhärenter Modalität, modale Adjektive mit den Suffixen -lieh oder -bar (erblich, denkbar) sowie Phrasen (imstande sein, in der Lage sein) hingegen drücken nicht-epistemische, oder, wie Kratzer diese Modalitätsart (1981) nennt, circumstantial modality aus. Kratzer führt als modale Hilfsverben zum Ausdruck von Notwendigkeit und Möglichkeit muß, kann, darf, soll, wird und mag sowie deren Konjunktivformen müßte, könnte, dürfte, sollte, würde und möchte separat an, letztere mit dem Argument, "They often have an independent meaning" (1981:41), ohne diese eigenständige Bedeutung oder die Abwesenheit von Formen von wollen zu erklären. Kratzer weist darauf hin, daß keine syntaktischen Kategorien mit der Kategorie Modalität korrespondiere (1981: 41). Kratzer spricht den Redehintergründen zwei Funktionen zu: zum einen können sie die Rolle einer modal base oder einer ordering source einnehmen. Im Deutschen existieren nach Kratzer zwei modal bases, d.h. zwei Modalitätsarten, nämlich root or circumstantial und epistemic. Welche modal base vorliege, hänge davon ab, ob der Proposition in eben dieser Lesart Wahrheitsgehalt zukomme oder nicht. Zur Problematik, wann eine Proposition als wahr oder falsch einzuschätzen ist, sagt Kratzer: "These sentences [...] have some features in common whose co-occurrence might be responsible for the fact that they sound bizarre" (1981: 55). Kratzer gibt Beispiele zur Bedeutungsbestimmung von muß und darf

21

Kratzer (1978: 127) erkennt dieses Problem, indem sie sagt, nur einige, in der Tradition bekannte Typen von Redehintergründen betrachtet zu haben.

58 an, in denen nun auch wieder das Bedeutungsskelett, die modal relation, wird. muß: darf

berücksichtigt

modal relation: simple necessity conversational background: no restrictions modal relation: simple possibility conversational background: only deontic, buletic or teleologicaI (Kratzer 1981: 45)

Da die Annahme einer allgemeinen modalen Grundbedeutung wie possibility für können nicht ausreicht, spezifiziert Kratzer als Abstufungen der Grundbedeutung simple, human, slight und comparative possibility sowie simple and human possibility, die sie wie folgt definiert: 22 Simple Possibility A proposition is a simple possibility in a world w with respect to the conversational background f if, and only if, it is compatible with f (w). (Kratzer 1981:43) Human Possibility A proposition is a human possibility in a world w with respect to a modal base f and an ordering source g if, and only if, its negation (that is its complement) is not a human necessity in w with respect to f and g. (Kratzer 1981:48) Slight Possibility A proposition ρ is a slight possibility in a world w with respect to a modal base f and an ordering source g if, and only if, ρ is compatible with f (w) the negation of ρ is a human necessity in w with respect to f and g. (Kratzer 1981: 48) Comparative Possibility A proposition ρ is more possible than a proposition q in a world w in view of a modal base f and and ordering source g if, and only if, the following conditions are satisfied: For all u E O f ( w ) : If u € q, then there is a world ν 6 O f (w) such that ν = g(w) u and ν 6 p. There is a world u £ O f (w) such that: u 6 ρ and there is no world ν 6 Π f (w) such that ν G q and ν = g(w) u. In simple words, these conditions say roughly this: For every accessible q-world there is an accessible p-world which is at least as close to the ideal. There is an accessible p-world for which there is no accessible q-world which is at least as close to the ideal. (Kratzer 1981: 48)

22

Nach gleichem Muster definiert Kratzer simple necessity (1981: 43) human necessity (1981: 47) und simple and human necessity (1981: 50).

59 Simple and Human

Possibility

A proposition is a simple possibility in a world w with respect to f if, and only if, it is a human possibility in w with respect to f and g. (Kratzer 1981: 51) Bei den Redehintergründen unterscheidet Kratzer (1981: 44f.) zwischen realistic (in view of facts of such and such kind...), totally realiste (in view of what is the case...), epistemic (in view of what is known), stereotypical (in view of the normal course of events), deontic (in view of what is commanded) und empty conversational background, die sie ebenfalls in logischen Sätzen definiert. Die von Kratzer (1978) postulierte Kombination von Bedeutungsskelett und Redehintergrund zur Festlegung der situativen Semantik von können und müssen hat sich als nicht ausreichend erwiesen, so daß im Falle von subjektiv epistemischer Modalität die ordering source, eine Ergänzung im Sinne eines zweitens kontextuellen Rahmens, hinzugenommen wird. "There is a second conversational background involved in the above uses of modals [grades of possibility], a stereotypical background. It induces an ordering source on the set of accessible worlds, thereby functioning as ordering source" (1981: 47). Diese Erweiterung kann dennoch nicht alle möglichen Vorkommen von können und müssen erklären, mitunter sind mehrere ordering sources zur endgültigen Interpretation notwendig: The interpretation of a modal expression would have to depend on a modal base f and a finite sequence of ordering sources g¡ gn. For any world w, g! (w) would induce an ordering on O f (w) in the usual way. g2 (w) would - if necessary - refine this ordering in undoing the 'ties' left by its predecessor and so on for every successive member in the sequence. (Kratzer 1981: 72) Die modalogischen Definitionen erfassen jedoch nicht alle möglichen Propositionen, so daß mitunter Komplemente notwendig sind, damit die Proposition "funktioniert". Kratzer sagt zu den rules of accommodation·. If the utterance of an expression requires a complement of a certain kind to be correct, and the context just before the utterance does not provide it, then ceteris paribus and within certain limits, a complement of the required kind comes into existence. This is black magic, but it works in many cases. [...] rules of accommodation play an important role in our conversations. So this is an example of how the way we understand a particular occurrence of a modal can be at least partly explained by an interaction of independently motivated semantic and pragmatic principles. (Kratzer 1981: 61f.) Hier geht es Kratzer wohl vor allem um kognitive Komplemente in einem bedeutungsgebenden Prozeß, um der Proposition Sinn innerhalb der kommunikativen Situation zu verleihen. Einen ähnlichen Vorgang nennt Diewald konversationeile Implikatur. Kratzer versucht zu zeigen, wieviel Spielraum den Modalverben in einer Mögliche- Welten-Semantik zur Verfügung steht. Die Kategorisierung der möglichen Bedeutungen der Modalverben in diesen - unendlich vielen - Welten stellt ein m.E. unlösbares Problem dar. Allein von (1978) bis (1981) erweitert Kratzer ihren Beschreibungsapparat enorm (mehrere, mitunter in der Äußerungssituation wechselnde Redehintergründe und Ergänzungen können

60 an einer Proposition beteiligt sein), der dennoch nicht alle Fälle, wie bspw. marginale Lesarten, umfassen kann. 23 Letztendlich erweist sich ein Wechselspiel aus semantischen und pragmatischen Inferenzen in unbewußt ablaufender Interaktion als entscheidend für die Festlegung der Situationssemantik einer Proposition, und diese kognitive Leistung läßt sich nicht in logischen Sätzen erfassen.

2.4.2. Öhlschläger Öhlschläger betont in Syntax und Semantik der Modalverben des Deutschen (1989: 1,3), es sei nicht sein Anliegen, eine umfassende, möglichste vollständige Beschreibung der Modalverben des Deutschen vorzulegen, sondern verschiedene Fragen und Forschungsansätze zu diskutieren. Damit umgeht Öhlschläger, die Termini Modalverb und Modalität für seine Arbeit zu definieren. Öhlschläger diskutiert Kriterien zur Bestimmung des syntaktischen Status der Modalverben dürfen, können, möchte, mögen, müssen, sollen und wollen ausgehend von der Fragestellung, ob diese Verben als Hilfs- oder als Vollverben zu klassifizieren seien. 24 Laut Öhlschläger (1989: 39) betrachtet man die Modalverben traditionell als Hilfsverben, nicht jedoch in der Modalverbforschung, dort "[...] werden in den zentralen Arbeiten zu den Modalverben des Deutschen die Modalverben in keinem Falle als Hilfs-, sondern als Vollverben angesehen". Im folgenden führt Öhlschläger, neben vielen anderen, Bech (1949, 1951), Bierwisch (1963), Welke (1965), Ross (1969) Raynaud (1977), Calbert (1975) und Stechow/Sternfeld (1988: 428f.) an; letztere bezeichnen Modalverben in nicht-epistemischer Lesart als sog. Kontrollverben und Modalverben in epistemischer Lesart als sog. Hebungsverben. Öhlschläger definiert: Wenn man den Hilfsverbbegriff an dieser Eigenschaft festmacht - daß ein Verb also dann ein Hilfsverb ist, wenn es nur als Bestandteil zusammengesetzter Verbformen vorkommt - , so trifft dies im Deutschen nur auf haben, sein und werden zu. Eng damit verwandt ist die Auffassung, nach der sich Hilfsverben - bzw. allgemeiner: Nichtvollverben - dadurch von Vollverben unterscheiden, daß sie keine lexikalische, sondern nur grammatische Bedeutung besäßen, daß sie keinen semantischen Eigenwert hätten. Bezogen auf die Modalverben äußert sich diese Auffassung meist darin, daß es als ihre semantische Funktion angesehen wird, daß sie "den Inhalt eines anderen Verbs modifizieren" (Duden-Grammatik 1959; 1984: 94) - so wie durch haben, sein und werden eine temporale Spezifizierung vorgenommen werde. (Öhlschläger 1989: 56f.)

23

24

"The analysis I proposed [...] cannot cope with these more complicated examples in a straightforward way" (Kratzer 1981: 67). Öhlschläger (1989: 2) bezeichnet diese Modalverben mit Ausnahme von möchte als "klassische Modalverben"; er nimmt möchte in seine Untersuchung auf, weil es sich syntaktisch und semantisch als "eigenständig gegenüber mögen verhält" (1989: 8). Öhlschläger (1989: 9) diskutiert werden, das epistemische Verwendung und (nicht) brauchen, das nicht-epistemische Verwendung zulasse nur kurz, da man bei einer ausführlicheren Untersuchung von werden die Tempusproblematik einbeziehen müsse und (nicht) brauchen ebenfalls eine Diskussion von brauchen erfordere, was über den Rahmen seiner Arbeit hinausgehe.

61 Öhlschläger versteht die Kategorie Hilfsverb als rein syntaktische Kategorie, daher ist ein semantisches Kriterium wie das des fehlenden semantischen Eigenwertes für ihn kein Kriterium, das die Nicht/Zuordnung eines Verbs zu dieser Kategorie rechtfertigen könne. Bestimmte, für Nichtvollverben charakteristische morphologische Kriterien, wie fehlende Bildung von Imperativ und Passivformen, sieht Öhlschläger ebenfalls als problematisch für die syntaktische Kategorisierung der Modalverben an, denn das Fehlen von Imperativ und Passiv könne durchaus semantisch bedingt sein und treffe auch bei einigen Vollverben zu. 25 Öhlschläger untersucht, ob den verschiedenen Bedeutungen der Modalverben jeweils syntaktische Eigenschaften zugeordnet werden können und betrachtet hierzu Infinitivkonstruktionen, Distributionsrestriktionen, das Negationsverhalten, den Bezug adverbialer Bestimmungen und das topologische Verhalten der Modalverben. 26 Er meint, insbesondere •wollen und möchten weisen eindeutige Vollverbeigenschaften auf, doch auch die anderen Modalverben verhalten sich im Hinblick auf Negationsausdrücke und adverbiale Bestimmungen eher wie Vollverben. M.E. werden die syntaktischen Eigenschaften der Verben dürfen, können, mögen, müssen und sollen am angemessensten dadurch erfaßt, daß man sie als Hebungsverben analysiert, während die Verhältnisse bei wollen und möchte für eine Behandlung als Kontrollverben sprechen. Dies bedeutet zum einen, daß dürfen, können, mögen, müssen und sollen eine IP, wollen und möchte dagegen eine CP subkategorisieren, wobei es sich hier um eine CP mit dem Merkmal [-WH] handelt, da wollen und möchte nur mit daß eingeleitete finite CPs zulassen. Und es bedeutet zum anderen, daß nur wollen und möchte, nicht aber die übrigen Modalverben dem Subjekt eine Θ-Rolle zu27

28

weisen. Diese Informationen lassen sich in der Form von Lexikoneinträgen etwa so darstellen: Wenn man [...] annimmt, daß auch Subjekte subkategorisiert werden, lassen sich diese Zusammenhänge auch ohne Angabe der Θ-Rollen ausdrücken: dürfen/können/mögen müssen/sollen [IP_ ] wollen/möchte [NP CPj.yypj].] (Öhlschläger 1989: 129)

25

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28

Die Modalverben des Deutschen bilden weder syntaktisch, semantisch noch morphologisch eine homogene Klasse. Eine der zahlreichen Ausnahmen sind die seltenen vorkommenden, passivierten Formen von können, mögen und wollen. Öhlschläger (1989: 60) führt als Beispiele an: Englisch wird von allen gekonnt. Dieser Film wird von vielen nicht gemocht. Von Paul wird gewollt, daß er morgen kommt. Öhlschlägers Beispielsätze sind der Forschungsliteratur, die er diskutiert, direkt entnommen oder an sie angelehnt. Zur Beschreibung der Syntax verwendet Öhlschäger Chomskys Government-and-Binding-Modell (1986), kurz GB-Modell, da er meint, daß es Infinitivkonstruktionen, um die es sich bei den Modalverben hauptsächlich handelt, am besten erfassen könne. - WH steht für Fragekonstituenten, vgl. im Englischen why, who, where etc. Die sog. Θ-Rolle wird von Öhlschläger (1989: 51) als semantische Rolle verstanden. "Bei einer CP handelt es sich - sehr vereinfacht gesagt - um einen Satz mit einem Komplementierer, einer Konjunktion o.ä. - auch die Möglichkeit leerer Komplementierer besteht - , während IPs keinen Komplementierer aufweisen" (Öhlschläger 1989: 106). Hier übernimmt Öhlschläger die Darstellungsweise von Stechow/Stemfeld (1988: 80).

62

Für können und mögen ist also jeweils ein zweiter Lexikoneintrag anzusetzen: können/mögen [NP NP_ ] (Öhlschläger 1989: 131)

Öhlschläger kommt zu dem Resultat, daß sich die Modalverben in epistemischem und nichtepistemischem Gebrauch zwar auch in syntaktischer Hinsicht unterscheiden, allerdings nicht so stark, daß man sie verschiedenen syntaktischen Kategorien zuordnen könne. 29 Der wichtigste Unterschied besteht sicherlich darin, daß Modalverben in epistemischem Gebrauch obligatorisch mit dem Infinitiv stehen, d.h. daß die Infinitivkonstruktion nicht pronominalisierbar ist, daß keine Ellipsen möglich sind und daß auch wollen in dieser Bedeutung nicht mit einem daß-Satz

möglich ist [...]. (Öhlschläger 1989 243f.)

In seinem sehr sorgfältigen Überblick über Arbeiten zur Semantik der Modalverben nennt Öhlschläger (1989: 19ff.) vor allem Welke (1965), der im Gegensatz zu Bech (1949, 1951) keine Bedeutungskonstanz der Modalverben annimmt, sondern von Bedeutungsvarianten in Abhängigkeit von den jeweiligen Äußerungsbedingungen ausgeht. Neben den zahlreichen Arbeiten, in denen man von einer oder mehreren Bedeutungen der Modalverben ausgeht, werden als wichtige Forschungsansätze u.a. Kratzers Redehintergrundkonzept (1978, 1981) und die Idee der "handlungstheoretischen Bedeutungsbestimmung der Modalverben" von Ehlich/Rehbein(1972) und Brünner/Redder (1983) aufgeführt. Selbst geht Öhlschläger von der Hypothese aus, daß jedes Modalverb nur eine Bedeutung habe und faßt die nichtepistemischen Verwendungsweisen der Modalverben als grundlegend, die epistemischen als "in irgendeiner Weise abgeleitet" (1989: 133) an. Öhlschläger definiert folgende Bedeutungen für die einzelnen Modalverben im nicht-epistemischen Gebrauch: Müssen Eine mit einem Satz der Form e muß IP ausgedrückte Proposition ist dann und genau dann wahr, wenn eine (vom Kontext gelieferte) Quelle Q nur die eine Möglichkeit zuläßt, daß der mit der IP bezeichnete Sachverhalt eintritt. (Öhlschlägerl989: 152) Können Eine mit einem Satz der Form NP kann VP bzw. NP kann N P ^ ausgedrückte Proposition ist dann und genau dann wahr, wenn die mit der NP bezeichnete Person die Fähigkeit zu der mit der VP bzw. der N P ^ bezeichneten Handlung hat. (Öhlschläger 1989: 158) Eine mit einem Satz der Form e kann IP ausgedrückte Proposition ist dann und genau dann wahr, wenn eine (vom Kontext gelieferte) Quelle Q es zuläßt, daß der mit der IP bezeichnete Sachverhalt eintritt. (Öhlschlägerl989: 158)

29

Brandt (1999) kommt hinsichtlich der dänischen Modalverben zum gleichen Ergebnis.

63 Dürfen Eine mit einem Satz der Form e darf IP ausgedrückte Proposition ist dann und genau dann wahr, wenn eine (vom Kontext gelieferte) Quelle Q es zuläßt, daß der mit der IP bezeichnete Sachverhalt eintritt, ohne daß damit negative Konsequenzen verbunden sind. (Öhlschläger 1989: 162) Wollen Eine mit einem Satz der Form NP will CP ausgedrückte Proposition ist dann und genau dann wahr, wenn der mit der NP bezeichnete Gegenstand es vorzieht, daß der mit der CP bezeichnete Sachverhalt eintritt. (Öhlschläger 1989: 166) Sollen Eine mit einem Satz der Form e soll IP ausgedrückte Proposition ist dann und genau dann wahr, wenn eine (vom Kontext gelieferte) Quelle Q will, daß der mit der IP bezeichnete Sachverhalt eintritt. Eine mit einem Satz der Form e soll IP ausgedrückte Proposition ist dann und genau dann wahr, wenn eine (vom Kontext gelieferte) Quelle Q es vorzieht, daß der mit der IP bezeichnete Sachverhalt eintritt. (Öhlschläger 1989: 174) Mögen Eine mit einem Satz der Form NP mag NPAkk ausgedrückte Proposition ist dann und genau dann wahr, wenn die mit der NP bezeichnete Person den mit der N P ^ bezeichneten Gegenstand gern hat. (Öhlschläger 1989: 178) Eine mit einem Satz der Form e mag IP ausgedrückte Proposition ist dann und genau dann wahr, wenn der Sprecher es zuläßt, daß der mit der IP bezeichnete Sachverhalt eintritt. [Der Sprecher zöge es vor, wenn der mit der IP bezeichnete Sachverhalt nicht einträte], (Öhlschläger 1989: 179) Möchte Eine mit einem Satz der Form NP möchte CP ausgedrückte Proposition ist dann und genau dann wahr, wenn der mit der NP bezeichnete Gegenstand es wünscht, daß der mit der CP bezeichnete Sachverhalt eintritt. (Öhlschlägerl989: 182) Für Modalverben im nicht-epistemischen Gebrauch läßt sich laut Öhlschläger kein gemeinsames Charakteristikum angeben, da Bestimmungen wie objektiv, deontisch und voluntativ jeweils nur einzelne Aspekte erfassen. Allenfalls sei ihnen eine relativ abstrakte Semantik gemeinsam, sie verhalten sich wie generische Verben und bewirken "[...] abgesehen von wollen und möchte - eine Perspektivierung dergestalt [...], daß die Quelle in den Hintergrund rückt [...] und die Person bzw. der Gegenstand [...] um dessen Aktivität usw. es geht [...] in der Subjektposition erscheint" (Öhlschläger 1989:242). Anschließend untersucht Öhlschläger (1989: 252) den epistemischen Gebrauch der Modalverben und beobachtet hier eine einheitliche Funktion, nämlich daß sie "Annahmen hinsichtlich des Bestehens von

64 Sachverhalten" ausdrücken. Öhlschläger (1989: 207ff.) zählt fünf Eigenschaften für Modalverben im subjektiv epistemischen Gebrauch auf: 30 • Modalverben in subjektiv-epistemischer Bedeutung können keinen Hauptakzent tragen • Modalverben in subjektiv-epistemischer Bedeutung sind nicht negierbar • Modalverben in subjektiv-epistemischer Bedeutung können nicht im Skopus von Einstellungsausdrücken stehen • Sowohl in wenn- als auch in we/7-Sätzen sind subjektiv-epistemische Modalverben ausgeschlossen. • Die mit subjektiv-epistemischen Modalverben ausgedrückten Einstellungen sind nicht direkt kommentierbar.31 Öhlschläger diskutiert den objektiv-epistemischen Gebrauch und erläutert die Bedeutungen von müssen und können in Anlehnung an Kratzers Begriffe der logischen Folge und der logischen Verträglichkeit: Müssen Eine mit einem Satz der Form e muß IP ausgedrückte Proposition ist dann und genau dann wahr, wenn aus der jeweiligen Evidenz E logisch folgt, daß der mit der IP bezeichnete Sachverhalt besteht. (Öhlschläger 1989: 192) Können Eine mit einem Satz der Form e kann IP ausgedrückte Proposition ist dann und genau dann wahr, wenn es mit der jeweiligen Evidenz E logisch verträglich ist, daß der mit IP bezeichnete Sachverhalt besteht. (Öhlschläger 1989: 193) Dürfen Eine mit einem Satz der Form e dürfte IP ausgedrückte Proposition ist dann und genau dann wahr, wenn es mit der jeweiligen Evidenz E mit der Wahrscheinlichkeit W folgt, daß der mit IP bezeichnete Sachverhalt besteht. (Öhlschläger 1989: 195) Bei der Diskussion des subjektiv-epistemischen Gebrauchs vertritt Öhlschläger (1989: 213) die Meinung, das unterschiedliche Verhalten von Modalverben in subjektiv-epistemischer Bedeutung und in Matrixsätzen sei pragmatisch und nicht semantisch motiviert. Matrixsätze sind propositionale sprachliche Mittel, die Einstellungen ausdrücken, über die gesprochen wird. Modalverben, Satzadverbien u.ä. sind nicht-propositionale sprachliche Mittel, mit denen über etwas gesprochen werde. Sie fungieren damit als Einstellungsoperatoren, "[...] die Propositionen in einstellungsbewertete Propositionen überführen" (1989:213), sie 30

31

Diese Eigenschaften sind im Prinzip Restriktionen, die Öhlschläger (1989: 228-233) näher erläutert. Öhlschläger erläutert dies näher (1989: 209): "[...] mit einem das in der nachfolgenden Äußerung werden diese Einstellungen nicht erfaßt, sie stehen außerhalb dessen, worauf mit dem das Bezug genommen werden kann. Für Modalverben in objektiv-epistemischer Bedeutung gilt diese Einschränkung dagegen nicht."

65 haben „textorganisierende Funktion" (1989: 227). Öhlschläger gibt die Wahrheitsbedingungen für Modalverben mit subjektiv-epistemischer Bedeutung auf folgende Weise an: Müssen, dürfen, mögen, können Eine mit einem Satz der Form e muß/dürfte/mag/kann IP ausgedrückte Proposition ist dann und genau dann wahr, wenn der Sprecher (ziemlich) sicher ist/es für sehr wahrscheinlich/sehr gut möglich/möglich hält, daß der mit IP bezeichnete Sachverhalt besteht. (Öhlschläger 1989: 207) 3 2

Sollen Eine mit einem Satz der Form e soll IP ausgedrückte Proposition ist dann und genau dann wahr, wenn behauptet wird, daß der mit der IP bezeichnete Sachverhalt besteht. (Öhlschläger 1989: 234)

Wollen Eine mit einem Satz der Form e will CP ausgedrückte Proposition ist dann und genau dann wahr, wenn die mit der NP bezeichnete Person behauptet, daß der mit der CP bezeichnete Sachverhalt besteht. (Öhlschläger 1989: 234)

Öhlschläger kommt zu dem Ergebnis, daß Modalverben unterschiedlich verwendet werden können und der jeweiligen Gebrauchsweise eine eigene Bedeutung zukomme. Er meint, daß "[...] die verschiedenen Bedeutungen aber - von marginalen Fällen abgesehen [die er als "Sonderfälle" (1989: 171) ausklammert] - in einem systematischen Zusammenhang stehen" (1989: 18).

2.4.3. Diewald Diewald untersucht in Die Modalverben im Deutschen, Grammatikalisierung und Polyfunktionalität (1999) die Modalverben dürfen, können, mögen, müssen, sollen und wollen unter dem Gesichtspunkt der Grammatikalisierung und betrachtet sowohl die synchronen als auch die diachronen Aspekte dieser Erscheinung. Mit dem Terminus Grammatikalisierung bezeichnet sie den relativen Grad der grammatischen Funktionalisierung eines Zeichens im Gegensatz zu seinen lexikalischen Verwendungsweisen. Modalität als Terminus ist bei Diewald nicht von tragender Bedeutung; statt dessen betont sie die semantischen Unterschiede in der Modalverbverwendung mit engem, bzw. weitem Skopus (siehe weiter unten). In synchroner Perspektive untersucht Diewald den Grad der Grammatikalisierung der Modalverben an ihren verschiedenen, gleichzeitig vorhandenen Verwendungsweisen, in diachroner Perspektive geht es ihr um die Entstehung grammatischer Funktionen bei sprachlichen Zeichen, die ursprünglich lexikalisch-denotative Funktion hatten. 33 Diewald meint: 32

33

Ohlschläger wechselt vom Indikativ zum Konjunktiv und verwendet in seiner Definition, wie auch in den angeführten Beispielsätzen, die Form dürfte. Diewald (1999: 2) nennt die "Kontinuitätsthese" (zwischen Lexikon und Grammatik) und die "Panchronizität" (die integrative Behandlung von synchroner Koexistenz und diachroner Ent-

66 Eine notwendige Folge der funktionalen Flexibilität der Modalverben ist nämlich ihre geradezu berüchtigte Resistenz gegen alle Versuche, sie einer strikten Kategorisierung zu unterziehen, z.B. sie insgesamt als Vollverben oder Hilfsverben zu klassifizieren, oder eine Aufspaltung der Modalverblexeme in Homonyme vorzunehmen [...] Das Problem der Einordnung wiederholt sich bei der Bedeutungsfrage: Hat können in [hier] (22) und (23) eine einzige Bedeutung oder nicht? Wenn zwei Bedeutungen vorliegen, wie sind sie zu unterscheiden und zu beschreiben? Die Polyfunktionalität der Modalverben steht also allen Versuchen einer strikten Kategorisierung im Wege: die Modalverben sind interkategorial. Die Interkategorialität ist jedoch nicht Ausdruck einer zufällig eingetretenen Störung der Ordnung des Sprachsystems, sondern ein Fall von Divergenz, also das erwartbare Resultat eines historischen Grammatikalisierungsprozesses bei gleichzeitigem Weiterbestehen weniger grammatikalisierter, lexikalischer Gebrauchsweisen. (Diewald 1999: 4) (22)

(23)

Durch ihr mutiges Verhalten konnte eine 69jährige Frau einen jugendlichen Räuber in die Flucht schlagen. (FN 93). Durch ihr mutiges Verhalten war eine 69jährige Frau in der Lage, einen jugendlichen Räuber in die Flucht schlagen. (FN 93). Ich kann mich getäuscht haben. (Zufälliger Hörbeleg Radiosendung). Vielleicht/möglicherweise habe ich mich getäuscht. (Diewald 1999: 1)

Für D i e w a l d sind nicht Fragen nach Kategorisierungen und Bedeutungsvarianten der M o dalverben zentral, sondern es geht ihr darum, die " [ . . . ] dynamischen (Re)Strukturierungsprozesse darzulegen, die diesem seit Jahrhunderten in Ablauf befindlichen Grammatikalisierungsprozeß zugrundeliegen und das neuhochdeutsche Modalverbsystem prägen" (1999: 5). Diewald geht von zwei Gebrauchsweisen der Modalverben aus, d.h. von zwei Subsystemen mit unterschiedlichem Grammatikalisierungsgrad und unterschiedlicher Funktion. D i e Grammatikalisierung besteht aus dem Wechsel von der Klasse der lexikalischen zur Klasse der deiktischen Zeichen, d.h. es gibt deiktische und nichtdeiktische Gebrauchsweisen der Modalverben. D i e beiden Subsysteme verfügen über eine gemeinsame semantische Basis, eine "gemeinsame abstrakte Bedeutungsschablone" (1999: 5), da j e d e s Modalverblexem beide Funktionen realisieren kann. D i e relationale Basisstruktur der Modalverben verbindet also die synchron divergierenden Gebrauchsweisen und die diachronen Entwicklungsschritte. Diewald hält Bezeichnungen für Modalitätsarten wie epistemisch/ deontisch, subjektiv/ objektiv oder inferentiell/ nicht-inferentiell für ungeeignet und ersetzt sie durch nichtdeiktisch/ deiktisch. Damit fokussiert sie die für deiktische Verweise typischen bedeutungsgebenden Prozesse in modalen Propositionen. 3 4

34

wicklung) als zentrale Leitsätze innerhalb der Grammatikalisierungsforschung und prägend für ihre vorliegende Arbeit. "Wie schon von Bühler ([1934] 1982: 93ff.), hervorgehoben, ist Deixis ein semiotischer Prozeß, durch den die Verbindung zwischen Sprache und Sprecher hergestellt wird, indem das sprachlich Dargestellte (die denotierte Entität) vom Sprecher, d.h. von der Origo, ausgehend bezüglich verschiedener sematischer Domänen "verortet" wird. Deiktische Verweisungsprozesse sind damit besonders markante Ausprägungen von gerichteten Relationen [...]" Diewald (1999: 167).

67 Arten der Modalität nichtdeiktische Modalität enger Skopus

weiter Skopus

/ I\

/ I\

deont. volit. disp.

objektiv epist. sonstige?

deiktische Modalität weiter Skopus (noch nicht differenziert) (Diewald 1999: 86)

Beim nichtdeiktischen Gebrauch repräsentieren die Modalverben modale Zustände des Satzsubjekts und sind Bestandteil der Proposition. Sie sind weniger stark grammatikalisiert, haben lexikalisch-denotative, prädikative Funktion und ihre Verwendung ähnelt dem Vollverbgebrauch. Siehe Satz (22). Relationale Skizze des nichtdeiktischen Gebrauchs Modale Quelle Subjekt

(Modalverb & Infinitivkomplement) (Diewald 1999: 77)

Diewald (1999:92) unterscheidet zwischen nichtdeiktischen Gebrauch mit weitem und engem Skopus. Für die nichtdeiktische Modalität mit engem Skopus gibt sie die Subkategorien deontische, volitive und dispositionelle Modalität an, die im wesentlichen mit bestimmten Modalverblexemen assoziiert wird. Als Beispiel für weiten Skopus nennt sie den objektiv epistemischen Gebrauch, der jedoch nur bei dispositionellen Modalverben deutlich ausgeprägt auftrete. Mit den vorab genannten Modalitätsarten teilt die objektiv epistemische Modalität die Eigenschaft "nichtdeiktisch", mit der deiktischen Modalität teilt sie den weiten, propositionalen Skopus und stellt damit einen Übergangsbereich dar. Relationale Skizze des deiktischen Gebrauchs Modale Quelle (= [+ Origo])

(Diewald 1999: 78) Beim stärker grammatikalisierten deiktischen Gebrauch, der sich aus dem nichtdeiktischen entwickelt hat, bringen die Modalverben eine sprecherbasierte Faktizitätsbewertung der gesamten Proposition zum Ausdruck. Sie sind nicht Bestandteil des dargestellten Sachverhaltes und haben einen weiten, propositionalen Skopus. Siehe Satz (23). Der modale Ausgangspunkt ist von zentraler Bedeutung und wird bei der deiktischen Interpretation obligatorisch mit dem Sprecher, der deiktischen Origo, besetzt. Die Modalverben zeigen laut Diewald (1999: 46) das Verhalten von Modusauxiliarien und sind weitgehend in das gram-

68 matische Paradigma der Verbmodi integriert. Die Zielkategorie des Grammatikalisierungsprozesses ist also die Moduskategorie. Relationale Struktur des objektiv epistemischen Gebrauchs: Modale Quelle (= unspezifische Umstände, Evidenzen) (Modalverb —> (Proposition)) (Diewald 1999: 80)

Es gibt insgesamt vier Lesarten oder Stufen auf der Grammatisierungsskala. Am wenigsten grammatikalisiert ist der Vollverbgebrauch, gefolgt vom nichtdeiktischen Gebrauch. Danach bilden der nichtdeiktische Gebrauch mit weitem Skopus, bzw. der objektiv epistemische Gebrauch einen Übergang zum deiktischen Gebrauch, der ebenfalls weiten Skopus hat. Er markiert den Endpunkt der Grammatisierungsskala und nimmt die Position eines Auxiliars ein. Außerhalb dieses Systems stehen die marginale, nur bei mögen und sollen anzutreffende Verwendung zur Kennzeichnung bestimmter direktiver Sprechakte. (Diewald 1999: 47). Die Modalverben entziehen sich einer Kategorisierung in Voll- und Hilfsverben. Ihr unterschiedliches Verhalten ist bedingt durch ihre unterschiedlich stark grammatikalisierten Funktionen und betrifft nicht nur syntaktische, sondern auch semantische Fragen (Diewald 1999: 91), so daß in manchen Kontexten, wie in (22) und (23), mehrere Lesarten möglich sind. Die Spezifizierung der Lesarten erfolgt in Abhängigkeit von kontextuellen Merkmalen und über den kognitiven Mechanismus der konversationellen Implikatur. Als Kontextfaktoren nennt Diewald (1999: 249ff.): • • •

Merkmale des Subjekts Merkmale des Infinitivkomplements Zusätzliche Angaben

Mit der konversationeilen Implikatur bezieht sich Diewald (1999: 70) auf die Grice'schen Maximen und geht davon aus, daß Sender und Rezipient mit ihrem Konversationswillen einen ergänzenden Kontext liefern und eine eventuell mehrdeutige Proposition durch eine Vollzugsimplikatur, welche aufgrund von Weltwissen entsteht, desambiguieren. 35 Zuweilen liegt jedoch gar keine Ambiguität, sondern Gradienz vor, und zwar dann, wenn Übergangsfälle zwischen zwei Bedeutungen auftreten, und keine von zwei prototypischen Lesarten eindeutig zugeordnet werden kann, z.B. kann können oft Vermögen und Möglichkeit implizieren. Auch existiert die Möglichkeit, daß eine objektiv epistemische Modalität in eine subjektiv epistemische eingebettet sein kann, was Diewald (1999: 83) an einem Beispiel von (Lyons 1977, 1983: 403) zeigt: "Vielleicht kann es regnen. Vielleicht ist der Fall möglich, daß p." "Beim Modalverb können", so Diewald (1999:71) "ist die Gradienz im nichtdeiktischen Bereich besonders groß, doch ist sie auch bei den übrigen Modalverben vorhanden und kann daher auch im Deutschen als typische Erscheinung des nichtdeiktischen Bereichs betrachtet werden."

35

Vgl. Grice (1979).

69 Diewald meint, allen Modalverbverwendungen und Modalitätsarten gemeinsam sei eine relationale Grundstruktur, die von der Basisstruktur der gerichteten Relation (Ausgangspunkt —> Weg —> Ziel) abgeleitet sei. Modalverben seien stative Verben mit einer komplexen relationalen Grundstruktur und einem Experiencersubjekt, 36 das "[...] die Zielrolle aus der Modalrelation, die Rolle des Ausgangspunktes aus der eingebetteten Hauptrelation erhalte (1999: 162). Nach Diewald werden die verschiedenen Arten der nichtdeiktischen lexikalischen Modalität (deontische, volitive und dispositionelle Modalität) durch unterschiedliche Merkmalssetzungen der relationalen Positionen der Grundschablone realisiert. Dies gelte auch für die Bedeutung der Einzellexeme innerhalb jeder Modalitätsart. Sie schreibt: Von besonderer Bedeutung ist die relationale Position des modalen Ausgangspunkts (Modalquelle), über dessen Merkmalsspezifikation die Modalitätsarten und Einzellexeme differenziert werden. Es werden folgende Merkmalsoppositionen verwendet: 1. [-Origo] 2. [-diffus] 3. [-intern] 4. [-reaktiv]

vs. vs. vs. vs.

t+Origo] [+diffus] [+intem] [+reaktiv] (Diewald 1999: 164)

Die Opposition [-Origo] vs [+Origo] trennt alle nichtdeiktischen, weniger gramamtikalisierten Gebrauchsweisen vom deiktischen, grammatikalisierten Gebrauch. Die Opposition [-diffus] vs. [+diffus] trennt die deontische und volitive von der dispositionellen Modalität. Bei ersteren ist die Modalquelle [-diffus] bei der dispositionellen dagegen ist sie [+diffus] [...]. Die Opposition [-intern] vs. [+intern] liegt nur vor, wenn gleichzeitig das Merkmal [-diffus] vorliegt, bei [+diffus] ist sie neutralisiert. Sie trennt die volitive Modalität [markiert [+intern]] von der deontischen Modalität [ markiert [-intern]...]. Die Opposition [-reaktiv] vs. [+reaktiv] bringt zum Ausdruck, daß Modalverben auch Information über die Sequenzierung von kommunikativen Handlungen enkodieren. Eine Modalquelle mit dem Merkmal [-reaktiv] bewirkt den modalen Zustand des modalen Ziels, also des Satzsubjekts, ohne dessen Zutun aus eigener Initiative, eine Modalquelle mit dem Merkmal [+reaktiv] bewirkt den modalen Zustand des modalen Ziels auf dessen vorausgegangenen Anstoß hin. Die Modalverben sollen, wollen, müssen haben das Quellenmerkmal [-reaktiv], die Modalverben dürfen, möchte(n), können haben das Quellenmerkmal [+reaktiv]. Diese Opposition ist eine Umsetzung der aus der Logik stammenden Opposition zwischen Notwendigkeit und Möglichkeit, die die Modalverbsemantik besser beschreibt als diese semantisch komplexen Termini. 37 (Diewald 1999: 164f.)

36

37

Diewald (1999: 163) meint, die Modalverben teilen Gemeinsamkeiten mit den Experiencerverben (wie kennen, lieben), und zwar Stativität und Experiencersubjekt, und mit den ditransitiven Sprechaktverben (wie erlauben, gebieten), sofern das Bekommen-Haben einer Direktive bzgl. des Infinitivkomplements ausgedrückt wird. Diewald verwendet Begriffe wie Notwendigkeit, Möglichkeit, Erlaubnis etc. nicht zur Bedeutungsbeschreibung der Modalverben, sondern zur Paraphrasierung von modalisierten Propositionen.

70 Die Merkmale der Modalquellen der drei Arten der Modalität sind im folgenden Überblick zusammengefaßt: Volitiv

Deontisch

Dispositionell

sollen

dürfen

wollen

möchte

müssen

können

[-Origo]

[-Origo]

[-Origo]

[-Origo]

[-Origo]

[-Origo]

[-diffus]

[-diffus]

[-diffus]

[-diffus]

[diffus]

[+diffus]

0

0

[-reaktiv]

[-intern]

[-intern]

[+intern]

[+intern]

[-reaktiv]

[+reaktiv]

[-reaktiv]

[+reaktiv]

[+reaktiv]

(Diewald 1999: 165)

Beim deiktischen, grammatischen Gebrauch der Modalverben hebt Diewald hervor, daß der verbale Modus eine deiktische Kategorie sei, die die sprecherbasierte Faktizitätsbewertung der Proposition enkodiere. Der Indikativ bringe den unmarkierten Faktizitätswert zum Ausdruck, Konjunktiv I und II und die grammatikalisierten Modalverben dagegen markierte Faktizitätswerte. Diewald klassifiziert die verschiedenen Faktizitätswerte unter bezug auf die drei Bühlerschen Arten des Zeigens, die ihrerseits Modifikationen des deiktischen Prozesses darstellen. "Die drei Arten des Zeigens sind "reine" Deixis (vom aktuellen Sprecher der Origo ausgehend), Versetzungsdeixis (der aktuelle Sprecher verweist auf einen zitierten Sprecher als Origo der Faktizitätsbewertung) und Phorik (der Sprecher verweist auf einen weiteren, typischerweise textuellen Bezugspunkt)" (Diewald 1999: 245). Bezogen auf die Verbmodi meint Diewald, der Indikativ bringe eine einfach gerichtete Relation mit unmarkiertem Faktizitätswert zum Ausdruck. Konjunktiv I und II weisen eine Kombination aus zwei gerichteten Relationen auf, deren übergeordnete Relation jeweils deiktisch ist. In den eingebetteten Relationen unterscheiden sich die beiden Modi. Der Konjunktiv I enthält eine eingebettete versetzungsdeiktische Relation, die ihn als Quotativ kennzeichnet: die aktuelle Origo verweist auf die zitierte Origo, von deren (versetzter) Position die Faktizitätsbewertungs der Propotion ausgeht. Der Konjunktiv II enthält eine eingebettete phorische Relation, die den Faktizitätswert der Proposition als von einer Bedingung abhängig markiert. (Diewald 1999: 246)

Laut Diewald (1999: 248) drücken die deiktischen Modalverben können und müssen rein deiktische Faktizitätsbewertung aus, wobei erstere eine Tendenz zum Wert [+nichtfaktisch], letztere eine Tendenz zum Wert [-nichtfaktisch] signalisiert. Sollen und wollen drücken Versetzungsdeixis aus und fungieren als Quotative38 mit einem unterschiedlich lokalisierten zitierten Sprecher. Mag und dürfte signalisieren zusätzlich zur deiktischen Bewertung eine phorische Komponente, die bei mag kataphorisch-konzessiv, bei dürfte anaphorisch-konsekutiv spezifiziert ist.39 38

Vgl. zur quotati ven Funktion von sollen und wollen auch Letnes (2000).

39

Zur diachronen Entwicklung des nichtdeiktischen Systems der Modalverben erklärt Diewald (1999: 358f.), daß sich aus den primären Experiencerverben durch Anlagerung eines Infinitivkomplements Modalverben mit der sie kennzeichnenden, aus zwei gerichteten Relationen bestehende Modalverbsemantik entwickeln. Das althochdeutsche Modalsystem bestehe aus den drei Verben

71

Wie kommt es zum deiktischen Gebrauch der Modalverben? Nach Diewald (1999: 429) läuft die Grammatikalisierung der Modalverben in drei Phasen ab. Phase I umfasse die Voraussetzungen der Grammatikalisierung und teile sich in die Phase Ia, die die semantischen Vorbedingungen, d.h. die Verfügbarkeit der neuen Bedeutung als konversationeile Implikatur in bestimmten Kontexten (stative Verben, generische Subjekte etc.) biete und in die Phase Ib, die die strukturellen Vorbedingungen, d.h. die Verfügbarkeit von Lesarten mit weitem Skopus des Modalverbs bei alter Bedeutung in bestimmten Konstruktionen (Infinitiv des Passivs) beitrage. In Phase II finde die aktuelle Auslösung im kritischen Kontext statt, der aufgrund seiner Opakheit zu Reanalyse bzw. zu einer semantischen und strukturellen Doppelanalyse führe. Der kritische Kontext ist laut Diewald ambig und ermöglicht eine Lesart mit engem und eine mit weitem Skopus. In Phase III finde die Reorgansation und Spezialisierung, d.h. die Bildung zweier getrennter Systeme durch isolierende Kontexte und die Differenzierung der oppositiven Werte innerhalb des grammatikalisierten Systems statt. Kritischer Kontext für die Grammatikalisierung der Modalverben und seine Ambiguität: Modalverb mit Dentalsuffix -t + (nominales Objekt) + haben/hân/sîn + PartizipII Beispiel: der künde se gelobet hân Lesart mit engem Skopus: der hätte sie loben können Lesart mit weitem Skopus: es könnte sein, daß der sie gelobt hat Die isolierende Kontexte : a

b

nichtdeiktischer, weniger grammatikalisierter Gebrauch Modalverbperiphrase (Modalverb als Partizip II, d.h. „Ersatzinfinitiv"): Er hat sie loben können. deiktischer, grammatikalisierter Gebrauch: Modalverb und Infinitiv II des Hauptverbs Er kann sie gelobt haben (Diewald 1999: 429)

mugan, skulan und wellen, die dispositionelle, deontische und volitive Modalität ausdrücken. Die Vorgänger der späteren Modalverben müssen, können und dürfen werden über die Reinterpretation der prämodalen relationalen Semantik der Spenderlexeme in spezifischen Kontexten ins Modalverbparadigma aufgenommen. Im Mittelhochdeutschen liege ein viergliedriges nichtdeiktisches Modalverbsystem vor, mit suln als Vertreter der deontischen Modalität, wellen für volitive, und müezen und mugen für die dispositionelle. Im Frühneuhochdeutschen übernehme können die Position von mögen, mögen [+reaktiv] wird in den Konj.II-Formen Mitglied der volitiven Modalität im nichtdeiktischen Subsystem in Opposition zu wollen [-reaktiv]. Dürfen übernimmt im Frühneuhochdeutschen den reaktiven Pol der deontischen Modalität und steht damit in Opposition zu sollen, das auf den nichtreaktiven Pol der deontischen Modalität beschränkt ist.

72 2.4.4. Davidsen-Nielsen Davidsen-Nielsen definiert Modalität in Tense and Mood in english. A Comparison with Danish (1990: 48): "[...] we understand [...] by modality a qualification of an utterance whereby the speaker operates with alternatives to the current actual world". Für die verschiedenen Modalitätsarten verwendet er die Termini epistemisch, deontisch und dynamisch. Nach Davisen-Nielsen liegen der epistemischen Modalität rationale Gesetze zugrunde, der deontischen soziale Gesetze und die dynamische, subjekt-orientierte Modalität schließlich stützt sich Naturgesetze. Davisen-Nielsen spricht doch mit folgender Einschränkung von dynamischer Modalität: The last type of modality, which may be illustrated by examples like She can swim and I am capable of reading Greek, is termed dynamic and refers to "the relationship which exists between circumstances and unactualized events in accordance with natural laws" (Perkins 1983: 11). In this case, therefore, the possible world is one in which events are seen as following from certain empirical circumstances. Since the source of modality is here the referent of the subject noun phrase, the term subject oriented is sometimes used instead of dynamic [...]. According to some linguists this type of modality includes - besides expressions of ability - volitional expressions such as will, be willing to, and want (psychological laws being regarded as subcategory of natural laws along with those of physics, chemistry, biology, etc.). It could also be argued, however, that they belong to the deontic type of modality. (Diewald 1990: 44)

Davidsen-Nielsen diskutiert Zeitausdrücke und Modalität kontrastiv im Englischen und Dänischen und untersucht grammatikalisierte Realisationen modaler Semantik. 40 Er differenziert zwischen einer lexikalisch und einer grammatisch (morphologisch oder syntaktisch) realisierten Form vom Modalität (1990: 49f.) Zur Lexik zählt er Vollverben, Adjektive, Partizipien, Adverbien und modale Partikeln, geht jedoch nicht näher auf lexikalisch oder prosodisch modal markierte Propositionen ein, ebenso liegt dynamische Modalität außerhalb seiner Betrachtung. Bei den grammatischen Formen unterscheidet Davidsen-Nielsen ein Subsystem von "synthetic mood" und "analytic mood" (1990: 49f.). Bei "synthetic mood" nennt er die Modi Konjunktiv und Imperativ (markiert durch die Inflektionen -e, bzw. -0; den Indikativ führt er nicht an), zu "analytic mood" zählt er possibility, necessity, probability und report, vermittelt durch die epistemischen Hilfsverben kunne, mätte/beheve, bürde und skulle. Das synthetische und das analytische Subsystem stehen in Opposition zu einander, denn im Dänischen (wie im Englischen) existieren keine produktiven Konjunktivmorpheme mehr die wenigen Ausdrücke mit Konjunktivformen finden sich in altmodischen Formeln, frommen Sprüchen oder Flüchen - und die genannten Modalverben können keine Konjunktiv40

Auf Davidsen-Nielsens sorgfältig durchgeführte, kontrastive Darstellung des Tempusgebrauchs im Englischen und Dänischen sowie auf die von ihm als Analyseinstrument nicht immer unproblematisch angewandte Reichenbach'sche Tempuslogik (Reichenbach 1947) kann hier nicht näher eingegangen werden. Zur schnellen Orientierung über den kontrastiven Tempusgebrauch ist Davidsen-Nielsens tabellarische Übersicht (1990: 146) zu empfehlen. Zur Problematik der Ausweitung des von Reichenbach auf sechs Tempora angelegten logischen Systems auf acht Tempora vgl. Klinge (1992: 157f.).

73

formen bilden. In einem leicht revidierten Schema piaziert Davidsen-Nielsen (1993a: 25) nun auch die modalen Partikeln, zusammen mit den oben genannten Modalverben, ins analytisch grammatische Subsystem. Die modalen Partikeln und die Modalverben haben laut Davidsen-Nielsen eine Desemantisierung erfahren und treten daher als grammatische und nicht als lexikalische Zeichen auf. Er stellt das Modalsystem des Dänischen (1990) und (1993a) wie folgt dar: Modality Mood (grammatical) synthetic

I

lexical

41

- full verbs

analytic

I

- adjectives

- subjunctive

- possibility: kunne

- participles

- imperative

- necessity: mâtte/beh0ve

- adverbs/adverbials

- probability: burde

- modal particles: vel, etc.

- report: skulle (nach Davidsen-Nielsen 1990: 49f.) Mood

synthetic

analytic [modal] auxiliaries

particles

- subjunctive

- possibility: kunne

- nok

- imperative

- necessity: mâtte/beh0ve

- vel

- probability: burde

- vist

- report: skulle

[- etc.] (Davidsen-Nielsen 1993a: 25)

Davidsen-Nielsen (1990: 21ff.) klassifiziert Hilfsverben anhand von vier Kriterien: • • • •

the the the the

semantic criterion criterion of functional dependency criterion of permanence of the lexical restrictions of V " criterion of direct attachment

Er bezeichnet die Hilfsverben als grammatische Verben (entscheidend sei ihre Funktion) in Abgrenzung von den lexikalischen Verben (entscheidend sei ihre Semantik) und beschreibt 41

Die Vertreter der lexikalischen Kategorie, von Davidsen-Nielsen (1990: 49) lediglich im Fließtext genannt, werden hier in die Graphik integriert, um leichter einen Überblick über Davidsen-Nielsens Einteilung des Modalsystems gewinnen zu können.

74 eine Dependenz zwischen Grammatikalität, bzw. Lexikalität von Verben und epistemischer, deontischer und dynamischer Modalität. Epistemische Modalität wird laut Davidsen-Nielsen durch modale Hilfsverben realisiert, deontische Modalität durch die von ihm als solche bezeichneten semi-auxiliaries und dynamische Modalität durch Vollverben. In Danish the class of auxiliaries is assumed to comprise the following verbs: have, νcere, blive, (temporal) ville and the epistemic modals kunne of possibility, mòtte, behove of necessity, burde of probability, and skulle of report/rumour and necessity. It may be added that the modal auxiliaries kunne, mòtte, skulle, burde, behove differ from their lexical counterparts and the remaining lexical modals not only with respect to some of the criteria discussed above and with respect to distribution [...], but also morphologically, they do not normally occur in the past participle. (Davidsen-Nielsen 1990: 38f.) Einerseits weist Davidsen-Nielsen den einzelnen Modalverben isoliert präzise Bedeutungen zu, zuweilen eine epistemische und eine nicht-epistemische (1990: 19), ohne jedoch den Kontext in die semantische Dekodierung einzubeziehen. Andererseits kann epistemische Modalität durch verschiedene grammatikalisierte Vertreter derselben Subkategorie ausgedrückt werden, abhängig vom Satztyp. Für das Englische führt Davidsen-Nielsen als Realisation von epistemic possibility in Deklarativsätzen may und in Interrogativsätzen can an. Im Dänischen wird in beiden Satztypen kunne verwendet. Neben den genannten Satzarten analysiert Davidsen-Nielsen noch das semantische Verhalten der modalen Hilfsverben im Präteritum und in negierten Sätzen als mögliche Ausdrucksvarianten für possibility und necessity kontrastiv. 42 Both English and Danish have two semi-auxiliaries at their disposal for the expression of permission: may/can and màtte/kunne. In Danish, mòtte is clearly the primary modal of permission, but as this form is also used for the expression of compulsion, it is not surprising that another semiauxiliary indicating permission is available. [...] In contexts where ambiguity with respect to permission vs. compulsion might arise in Danish, mâ is frequently accompanied by gerne 'gladly' or goift'please'. (Davidsen-Nielsen 1990: 187) Innerhalb der deontischen Modalität analysiert Davidsen-Nielsen permission, compulsion, obligation und duty.43 Hier beschreibt Davidsen-Nielsen die Realisation der genannten Modalitätsarten durch verschiedene semi-auxiliaries kontrastiv, was für das Dänische deutliche Probleme bereitet, und er referiert ansatzweise auf mögliche Kontexte: "In Da42

43

Bei probability und report diskutiert Davidsen-Nielsen eine evtl. semantische Variabilität der Modalverben in den oben genannten Satzarten nicht. Klinge (1992: 16) bemerkt in seiner Rezension von Davidsen-Nielsen (1990) die unmotiviert erscheinende Differenzierung von compulsion und obligation, sowie die teilweise synonyme - und damit verwirrende - Verwendung von obligation und commitment. Davidsen-Nielsens Untersuchung der satzartabhängigen Semantik von Modalverben ist bei der deontischen Modalität weniger systematisch, was im zugänglichen Datenmaterial begründet sein könnte. Er betrachtet bei permission Präteritum und infinite Verben, bei compulsion deklarative, interrogative und negierte Sätze, Präteritum und infinite Verben, bei obligation negierte Sätze und bei duty negierte Sätze und Präteritum.

75 nish, the past tense forms màtte and behovede may express non-past compulsion as well, but this usage is restricted to hypothetical contexts." (1990: 203). Mitunter ist eine semantische Fixierung schlecht möglich: "In Danish, it should be added, it is sometimes difficult to decide whether skal with a first person subject means "Do you want me/us to...?" or "Am I/are we compelled to...?""(1990: 199f.). Die semantische Desambiguierung kann durch Komplemente wie fâ lov til und for min skyld für permission (1990: 189) oder durch den Modus Imperativ für compulsion (1990: 196) erleichtert werden, erfolgt jedoch vor allem über pragmatische Reinterpretation (vgl. Klinge 1992: 162). Zeitausdrücke können sowohl temporal als auch modal verwendet werden. Für das Dänische erläutert Davidsen-Nielsen (1990: 185), daß orders!Gebote im Präsens (24) oder Perfekt (25) ausgedrückt werden. Irrealität und counter/actuality in abhängigen Nebensätzen wird durch future of the past, future perfect of the past im konditionalen Hauptsatz realisiert (26), (27). (24) (25) (26) (27)

Du tier stille, g0r du. You be quiet Eleverne fra anden klasse har ryddet festsalen op senest kl. 22. The second formers will have tidied up the assembly hall by 10p.m. at the latest. Hvis jeg var dig, tog jeg min afsked If I were you I would resign. Hvis du havde lyttet til mig I morges, var dette ikke set. If you had listened to me this morning, this wouldn't have happened (Davidsen-Nielsen 1990: 185)

2.4.5. Brandt Brandt vertritt in Modal Verbs in Danish (1999) einen lexikalisch-grammatischen Ansatz und nimmt eine lexikalische, eine syntaktische und eine thematische Klassifikation der dänischen Modalverben vor. Er stellt seine Interpretation der Inhalts- und Ausdruckskategorien des dänischen Modalsystems in folgender Graphik dar, die er gleichzeitig als seine Definition von Modalität deklariert: Expressions Mood forms

Content Mood Modulation

Modulators Modal expression

Modality (Brandt 1999: 20)

Brandt unterscheidet explizit zwischen modalen Ausdruckskategorien -modulators- und Inhaltskategorien -modulation. Er gibt zwei modulators an: mood forms, d.h. die Modi der Verben (die bei Davidsen-Nielsen synthetic mood heißen und nur den Konjunktiv und den Imperativ umfassen) und modal expressions, dies sind "[...] morphems expressing the semantic notion of modality, here particularly modal verbs [...] modal expressions are lexical (verbal, adverbial, nominal or adjectival), or derivational (-abel, -bar, -elig [...]) (1999: 20). (Diese modal expressions entsprechen bei Davidsen-Nielsen der Kategorie

76 "analytic mood".) Brandts hauptsächliches Interesse gilt den Modalverben, die er als als semantisches Feld betrachtet und deren lexikalische Struktur durch drei Dimensionen charakterisiert wird: 1 la lb 2 2a 2b 2c 3 3a 3b

modale Quelle (modal source) extrasubjektiv = deontic intrasubjektiv = abilitive modale Intensität (modal intensity), in ansteigender Stärke Möglichkeit {possibility) Wahrscheinlichkeit (predictability) Notwendigkeit (necessity) modale Orientierung gerichtet (directed) ungerichtet (non-directed)

Brandts modal source (1999: 30) lehnt sich an Hallidays Distinktion extrinsic vs. intrinsic (1970: 339) an und bezeichnet, ob die Quelle der Modalität inner- oder außerhalb des Subjekts liegt. Brandt (1999: 33f.) listet modale Intensität in drei stärkemäßig ansteigenden Abstufungen auf und ordnet die englischen, dänischen und deutschen Modalverben diesem Schema gemäß an. 44 Schließlich erläutert er die modale Orientierung, ausgehend von Bechs Unterscheidung von aktiver vs. passiver Modalität (1949) und Hallidays active vs. passive modulation (1970: 339). Laut Brandt (1999: 35) sei bei gerichteter Modalität eine Aktualisierung der vom Modalverb regierten Prädikation intendiert, bei ungerichteter Modalität sei dies nicht der Fall. Brandt (1999: 13) differenziert bei den dänischen Modalverben: • basic meaning of a word in isolation • its contextually determined sense variants • the interpretation of a sense variant in a specific non-linguistic situation Brandt erläutert, das übliche binäre System mit den Komponenten epistemic and root modality in ein tripartitives System zu erweitern, 45 indem er root modality aufteile "[...] into a prospective and a dynamic variant type [...]" (Brandt 1999: 16). Damit existieren nach Brandt (1990: 11) j e drei sense variants von allen Modalverben, 4 6 d.h. jeweils eine dynamische, eine prospektive und eine epistemische Bedeutungsvariante. Brandts Um/Benennung der Modalitätsarten ist nicht immer leicht nachzuvollziehen. Er ersetzt den Terminus deontisch durch prospective (1999: 15) 47 und faßt die dynamische Lesart der Modalverben als

44 45

46

47

Erstaunlicherweise nennt Brandt durchgehend willen als modalen Infinitiv an Stelle von wollen. Ein tripartitives System wurde u.a. von Perkins (1983), Palmer (1986), Davidsen-Nielsen (1990) und Klinge (1996) verwendet. Es ist weder neu noch - hinsichtlich der Anwendung auf dänische Modalverben - selten in Gebrauch. Einige Modalverben haben nur zwei Bedeutungsvarianten, wie im Laufe von Brandts Untersuchung herausgearbeitet wird. Brandt (1999: 16) kündigt verwirrenderweise an, statt deontisch nun dynamic zu verwenden.

77 deren Grundbedeutung auf (1999: 15).48 Letzteres erinnert stark an Kratzers Auffassung von der Grundbedeutung eines Modalverbs und seiner aktuellen semantischen Spezifikation durch den jeweiligen Redehintergrund.49 Brandt nimmt eine syntaktische Klassifikation der Modalverben vor, in der er das unterschiedliche syntaktische Verhalten der drei Modalitätsarten aufzuzeigen versucht.50 Er verwirft die soeben aufgestellte Klassifikation jedoch, indem er anerkennt "[...] we abandon our syntactic classification again [...] all three modal constructions behave identically as far as surface syntax is concerned. Instead we revert to one of our earlier proposals, viz. that the difference between the variants is based on thematic roles" (1999: 168).Brandts thematische Klassifikation (1999: 169f.) basiert auf den fünf Rollen origin, entity, target, medium und status, die jeweils in einer dominanten (intense) oder untergeordneten (inert) Variante vorliegen können (1999: 171). Brandts thematische Analyse resultiert in der Observation: [...] where in the epistemic variant the sentence subject is the only subject of the main verb, in the prospective variant it is only the subject of the modal, and in the dynamic variant it is simultaneously the subject of the modal verb and the main verb. The only difference is that above we presented it as a syntactic analysis while we now suggest that it is a semantic or thematic analysis [...]. Our thematic analysis then amounts to the proposal that the syntactic similarity of the three types of the modal variants is due to their identical major thematic structure, and that the semantic difference between the three variant types is encoded by their different minor thematic structures. The crucial element in this analysis is that it predicts a small fixed number of possible variants and does not allow a proliferation of variants. (Brandt 1999: 173)

Brandt beschreibt eine modale Grammatik, in der er Regeln für die Negation und Kombination von Modalverben, für ihre non/verbalen Komplemente u.m. formuliert und diskutiert schließlich diverse Einzelfälle hinsichtlich des Verhaltens von màtte51, die nicht mit seinem grammatischen Regelsystem vereinbar sind. Auch ville bereitet Probleme,52 ebenso wie spezielle Gebrauchsweisen der Modalverben, z.B. in Passivkonstruktionen. 48

Brandt (1999: 15) schlägt auch vor, die bei Davidsen-Nielsen als dynamisch und subjekt-orientiert bezeichnete Modalität treffender in "focal modality" umzubenennen und den Terminus deontisch den "classifier of modal lexical items" (1999: 16) vorzubehalten.

49 50

51

52

Brandt erwähnt Kratzer jedoch weder im Fließtext, noch führt er sie in der Bibliographie auf. "The two basic ideas are that (1) only the dynamic variants are heads of a verb phrase, and one consequence of this is that only these meanings are expected to occur with non-verbal operands; (2) the epistemic variants are modifiers of a complete finite clause while the prospective variants are modifiers of a non-finite constituent, and one consequence of this is that the semantic scope of the modal in epistemic constructions should be wider than in prospective ones" (Brandt 1999: 167f.). Laut Brandt (1999: 179) könnte man matte auch als zwei eigenständige Lexeme interpretieren, da màtte mit den englischen Modalverben may und must korrespondiert. Eine ähnliche Unsicherheit hatte er bei der Diskussion der Lesarten von turde geäußert, da turde entweder als polysemes Lexem mit zwei Bedeutungsvarianten oder als zwei monoseme Lexeme aufgefaßt werden könne (1999: 60). Ville hat laut Brandt (1999: 191) nur zwei Bedeutungsvarianten: "[...] a volitional one and a predicative, usually futuric one".

78 Brandt erkennt die verbreitete Auffassung einer Grundbedeutung der Modalverben, die durch den Kontext spezifiziert wird, an, doch weder definiert er den Terminus Kontext für seine Arbeit, noch erklärt er, wie dieser Kontext auf das Modalverb einwirkt. Brandt gibt für jedes Modalverb mindestens einen Beispielsatz mit jeweils drei Paraphrasen an, 53 die die epistemische, prospektive und dynamische Lesart verdeutlichen. Er beschreibt die Bedeutungsvarianten als im Modalverb selbst liegend und merkt an, daß die prospektiven und dynamischen Varianten "[...] often gradually fade into each other" (Brandt 1999: 41), sowie "[...] most modals are polysémie" (Brandt 1999: 38). Hier verbleibt er auf der rein deskriptiven Ebene, denn bei Erläuterungen wie ' T o my ears the first example sounds rather unnatural [...] while the second one perhaps only appears contrived [...]" (Brandt 1999:47) vermißt man eine Argumentation der vorgestellten Lesarten. Obwohl Brandt mitunter auf eine kontextbestimmte Lesart verweist (1999: 54), dominiert seine Auffassung von einer den Modalverben inhärenten Semantik mit einer epistemischen Grundbedeutung und mehreren Bedeutungsvarianten seine gesamte Darstellung und findet deutlichen Ausdruck in der Danish Modal Structure betitelten Übersicht am Ende seines Buches. (Tab. 2.4.5.-1.) Danish Modal Structure

Possibility

Abilitive

Nondir.

KUNNE

Possibility

Abilitive

Directed

TURDE

Possibility

Abilitive

Directed

Episte mie

Prospective

Dynamic

Conjecture

Eventuality

Capability

Antagelse

Opnâelighed

Evne

Assumption

Boldness

Formening

Dristighed

GIDE

Inclination Tilb0jelighed

Predictability

Abilitive

Directed

Nondir. Predictability

VILLE

MÂTTE

Deontic Directed

Prediction

Volition

Forudsigelse

Vilje

Supposition

Permission

Forestilling

Tilladelse

Conclusion

Compulsion Fom0denhed

F0lgeslutning Necessity Necessity Necessity

Deontic Deontic Abilitive

Nondir. Directed Nondir.

BÜRDE SKULLE BEH0VE

Conformity

Propriety

Duty

Ventelighed

Tilb0rlighed

Forpligtelse

Report

Plan

Obligation

Pâstand

Plan

Pligt

Hypothesis

Requirement

Need

Formodning

Pâkraevethed

Behov

(Brandt 1999: 192)

53

Für turde und ville gibt Brandt zwei Varianten an: für turde eine epistemische und eine dynamische Lesart (1999: 58), für ville eine prospektive und dynamische Lesart (1999: 60). Er zitiert einen Satz mit mòtte, der vier Lesarten erlaubt; neben der epistemischen und prospektiven sowohl eine dynamisch kompulsive als auch eine dynamisch permissive (1999: 52).

79 2.4.6. Zusammenfassung Eine vollständige Darstellung aller möglichen Kategorisierungen modaler Semantik ist nicht Thema dieser Arbeit und kann in ihrem Rahmen nicht geleistet werden. Daher wird weiter unten Hyvärinens informative Übersicht (1989: 40) wiedergegeben, ohne den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. 54 In als modal gekennzeichneten oder aufgefaßten Propositionen können grundsätzlich (mindestens) drei Bedeutungen relevant sein: • • •

Die Art und Weise der Aussage ist gekennzeichnet. Die Aussage enthält eine subjektive, emotional-expressive Stellung des Sprechers zu ihrem Inhalt, vielleicht eine Einschätzung ihrer Geltung. Die Geltung der Aussage ist irgendwie eingeschränkt.

Krivonossov (1965) kategorisiert die Modalitätsarten anhand der Satzmoduslehre, Saidow (1969) geht von einer Dreiergruppierung nach semantischen Kriterien aus, Admoni (1970) u.v.a. unterscheiden zwischen subjektivem und objektivem Gebrauch der Modalverben. Gerstenkorn (1976) schreibt jeder Proposition (METAMOD) einen modalen Komplex MOD und einen nicht modalen Komplex MAT mit einer Reihe von MOD-Markern, MODTypen und Zitiermarkern zu. Clément (1980) und Dietrich (1992) schließen von syntaktischen Regularitäten auf semantische Kategorien. Kratzer vertritt einen modallogischen Ansatz im Rahmen einer Mögliche-Welten-Semantik und untersucht (1978) die Modalverben können und müssen sowie (1981) weitere lexikalische Elemente. Sie nennt (1978) die Modalitätsarten epistemisch, deontisch, dispositionell, buletisch, teleologisch, leer, fatalistisch und andere, beschränkt sich später (1981) jedoch auf epistemisch (realisiert durch modale Hilfsverben und Satzadverbiale) und root or circumstantial (vermittelt durch Verben mit inhärenter Modalität, Adjektive mit den Suffixen -lieh und -bar und modalen Phrasen). Kratzer geht von einer modalen Grundbedeutung der Modalverben aus, der modal relation, die entweder possibility (oder eine ihrer Abstufungen wie comparative, human, simple, slight oder simple and human) oder necessity (hier entweder simple, human oder simple and human) beinhaltet und durch eine oder mehrere objektiv

vs

subjektiv

nicht-epistemisch deontisch + dynamisch extra + intrasubjektiv nicht-inferentiell voluntative Modalität Modulation Modifikation Realisierung logisch-grammatisch subjektbezogen transitiv lexikalisch lexikalisch

vs vs vs vs vs vs vs vs vs vs vs vs vs

epistemisch epistemisch epistemisch inferentiell Gewißheitsmodalität Modalität Modalisation Geltung der Information kommunikativ- grammatisch sprecherbezogen intransitiv grammatisch syntaktisch

Buscha (1984), Helbig/Buscha (1984), Schulz/Griesbach (1978), Duden Grammatik (1973) Lyons(1983) Palmer (1979), (1986) Reinwein (1977), Heibig (1983) Calbert (1975), Brünner/Redder (1983) Masarik (1980) Halliday (1970) Raynaud (1976), (1977) Brinkmann (1971) Admoni (1982) Engel (1980) Perlmutter (1970) Tarvainen( 1976), (1981) Korhonen (1977)

80 Redehintergründe, die modal base und eine (oder mehrere) ordering source(s) eine situative Semantik in der in Rede stehenden Proposition erhalte. Weil Kratzers streng nach den Regeln der formalen Logik aufgebautes Modell nicht alle Modalverben (Modalwörter) in allen möglichen Propositionen semantisch erklären kann, setzt Kratzer voraus, daß sich die Teilnehmer der kommunikativen Situation auf den Redehintergrund einigen, sie schließt marginale Lesarten prinzipiell aus und argumentiert, daß Komplemente of the required kind hinzugenommen werden, um der Proposition Sinn zu verleihen. Öhlschläger (1989) diskutiert Syntax und Semantik der Modalverben dürfen, können, möchte, mögen, müssen, sollen und wollen, die weder syntaktisch noch semantisch eine homogene Klasse bilden. Aufgrund ihrer syntaktischen Eigenschaften, die er anhand von Chomskys GB-Modell darstellt, sieht Öhlschläger die Modalverben als Vollverben an; dürfen, können, mögen, müssen und sollen fungieren als sog. Hebungsverben, wollen und möchte als sog. Kontrollverben; können und mögen, die ungleich den anderen Modalverben zwei nicht-epistemische Bedeutungen haben, können in eine Konstruktion mit akkusativischen Nominalphrasen eingehen. Semantisch unterscheidet Öhlschläger zwischen einem nicht-epistemischen und einem epistemischen Gebrauch der Modalverben, wobei dürfen, können und müssen neben dem allen Modalverben möglichen subjektiv-epistemischen auch einen objektiv-epistemischen Gebrauch zulassen. Die einzige einheitliche Funktion der Modalverben sei im epistemischen Gebrauch zu beobachten und bestehe darin, Annahmen hinsichtlich des Bestehens von Sachverhalten ausdrücken. Öhlschläger beschreibt für die einzelnen Modalverben eine, je nach nicht/epistemischem Gebrauch am Wahrheitswert orientierte Bedeutung und betrachtet marginale Verwendungen als "Sonderfälle" (Öhlschläger 1989: 171). Mit diesem Zugang vermeidet er, einen als allumfassend intendierten und wohl deshalb letztendlich inkonsistenten Beschreibungsapparat wie Kratzer aufzubauen. Während Kratzer vom Konzept des Redehintergrunds ausgeht, vertritt Diewald das Konzept des modalen Ausgangspunkts zur Ermittlung der situativen Modalverbbedeutung. Diewald (1999) untersucht Grammatikalisierung und Polyfunktionalität der Modalverben dürfen, können, mögen, müssen, sollen und wollen. Bei den Modalitätsarten unterscheidet sie zwischen nichtdeiktischem, lexikalisiertem und deiktischem, grammatikalisiertem Gebrauch mit zwei Übergangsstufen. Unter Modalitätsformen behandelt sie die Modi der Verben, auch betrachtet sie diverse Komplemente der Modalverben. Laut Diewald sind die Modalverben interkategorial und polyfunktional, sie haben eine sematische Basisstruktur, die durch den aktuellen nicht/deiktischen Gebrauch, Reinterpretationsmechanismen und Kontextfaktoren ihre situative, spezifische Bedeutung erhalten. Diewald beschreibt sowohl linguistische (z.B. Merkmale des Subjekts oder des Infinitivkomplements) als auch außerlinguistische (konversationelle Implikatur) Kontextfaktoren und führt als einzige der hier behandelten Autoren eine diachrone Betrachtung der Modalverben vom Althochdeutschen bis in die Neuzeit durch. Davidsen-Nielsen (1990) beschäftigt sich mit den grammatikalisierten Modalverben des Englischen {can, may, must, need, ought to, shall) und Dänischen (behove, burde, kunne, màtte, skulle) kontrastiv und den Modalitätsarten epistemische und deontische Modalität; dynamische Modalität wird seines Erachtens durch Vollverben realisiert, ist lexikalisiert und

81 liegt damit außerhalb seiner Betrachtung. 55 Bei den Modalitätsformen unterscheidet er synthetic mood (bei ihm die Modi Konjunktiv und Imperativ) und analytic mood (Modalverben in der Funktion von Hilfsverben oder semi-auxiliaries). Davidsen-Nielsen erwähnt die Notwendigkeit von Komplementen und Kontext zur Desambiguierung gewisser Modalverbvorkommen, ohne dies jedoch näher zu diskutieren und betont neben der theoretisch-linguistischen die unterrichtspraktische Ausrichtung seiner Arbeit. Innerhalb dieses Konzeptes ist seine Untersuchung zur satzartdependenten Semantik der Modalverben in epistemischer und - in geringerem Umfang auch in - deontischer Lesart nützlich, da sie sich m.E. leicht didaktisieren läßt. Brandts (1999) Ansatz ist lexialisch-grammatisch und damit weiter gesteckt als Davidsen-Nielsens. Im lexikalischen Teil bespricht Brandt die nach seiner Definition zentralen dänischen Modalverben kunne, matte, skulle und ville und die quasi Modalverben bürde, turde, beheve und gide. Alle Modalverben sind laut Brandt durch die drei Dimensionen modale Quelle (extra- vs. intrasubjektiv), modale Intensität (Möglichkeit, Wahrscheinlichkeit, Notwendigkeit) und modale Orientierung (gerichtet vs. ungerichtet) geprägt. Bei den Modalitätsarten unterscheidet er epistemische, prospektive und dynamische Modalität (sein Terminus dynamisch ist semantisch anders besetzt als bei Davidsen-Nielsen), die er als allen Modalverben, ausgenommen ville und turde, inhärente drei Bedeutungsvarianten bezeichnet, wobei die dynamische Lesart die Grundbedeutung repräsentiere. Als Modalitätsformen nennt Brandt neben den drei Modi der Verben noch modal expressions, zum einen lexikalische (Verben, Adverbien, Nomen, Adjektive) und derivationale (gebildet mit Hilfe der Suffixe -abel, -bar und -elig). Brandt führt eine syntaktische Analyse der Modalverben durch, die er zugunsten einer Klassifikation von thematischen Rollen (origin, entity, target, medium und status in dominanter oder untergeordneter Variante) verwirft. Brandt beschreibt den linguistischen Kontext der Modalverben in einer umfassenden modal grammar, in der er diverse Komplemente der Modalverben, ihr Verhalten bzgl. Negation, Tempus, Passiv und der Kombination miteinander darlegt. Obwohl Brandt eingangs eine kontextdependente Semantik der Modverben postuliert, nennt er weder eine Definition von Kontext noch Regeln für Kontextzuweisungen zur Desambiguierung, sondern weist den einzelnen Modalverben pro Modalitätsart schematisch Bedeutungsvarianten zu.

2.5. K o n t e x t p r o b l e m a t i k

Innerhalb der Modalitätsforschung gibt es eine polyseme und eine monoseme Ausrichtung. Die Polysemantiker vertreten die Ansicht, daß die Modalverben kontextunabhängig über mehrere Bedeutungen verfügen. Es ist jedoch problematisch, diese Bedeutungen exakt zu differenzieren, zu beschreiben und das in manchen Kontexten ungewöhnliche semantische 55

Davidsen-Nielsen expliziert nur, welche Verben er im Dänischen, nicht aber im Englischen als Modalverben ansieht. In seinen Beispielsätzen verwendet er u.a. is said to, und er betrachtet anscheinend can und could sowie shall und should als jeweils zwei eigenständige Lexeme, da sie unterschiedliche Bedeutung realisieren (können). Diese Sichtweise, die ich für problematisch halte, kann hier nicht diskutiert werden.

82 Verhalten der Modalverben mit Hilfe eines polysemen Rasters erklären zu können. Aus polysemantischer Sicht bedeutet will in (28) Wunsch, (29) Zwang und in (30) Hypothese. (28) (29) (30)

I will help her. You will help her. He will help her.56

Die Monosemantiker hingegen meinen, jedes Modalverb verfüge über eine Grundbedeutung im Sinne von "dynamic modality, reassurance of ability" (Kinge 1996: 47), wie in (31), die spezifiziert werden kann wie in (32): "By inserting the discourse particle vel in [hier] (32) the speaker wonders and queries about the addressee's ability" (Klinge 1996: 47). (31) (32)

Du kan sv0mme. Du kan vel sv0mme.'57

Ohne Kontext wirkt (31) ein wenig seltsam, zumindest in der Lesart Möglichkeit, falls der Sprecher dem Rezipienten mitteilt, was dieser natürlich selbst weiß: daß er physisch in der Lage ist, zu schwimmen. Hier fehlt der Kontext, der darüber Aufschluß gibt, ob eine Lesart im Sinne von Erlaubnis (Verunreinigungen wurden beseitigt, man darf und kann wieder gefahrlos schwimmen) oder ermunternder Aufforderung (dem Rezipienten ist das Wasser zu tief oder zu kalt) näher liegt. Die letztgenannte Lesart bietet sich für (32) durch die eingesetzte Diskurspartikel vel als fokale Lesart an. Die Entscheidung für eine bestimmte Lesart geht nicht vom Modalverb, sondern vom - soweit vorhandenen - Kontext oder anderen, desambiguierenden Faktoren wie in (32) von einer Diskurspartikel aus. Generell, aber insbesondere für die Vertreter des monosemantischen Ansatzes stellt die Kontextdefinition ein Problem dar; auch ergibt sich die Frage, wie der Kontext eine Proposition semantisch determiniert. Öhlschläger (1989) nennt in seinem theoretischen Rahmen Bierwischs modulares Konzept des kommunikativen Sprachverhaltens, das auf Chomskys GB-Modell aufbaut. Öhlschläger geht von folgenden Strukturen aus: u =