Berlin - Bremen - Hamburg: Zur Regierungsstruktur in den Stadtstaaten. Bericht der Kommission zur Überprüfung der Regierungsstrukturen in den Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg - Stadtstaaten-Kommission [Reprint 2019 ed.] 9783110894585, 9783110118186


168 93 7MB

German Pages 138 [140] Year 1989

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Table of contents :
Inhaltsübersicht
Abkürzungen
A. Auftrag, Zusammensetzung und Arbeitsweise der Kommission
B. Sachbericht
C. Mängelanalyse
D. Empfehlungen der Kommission
Recommend Papers

Berlin - Bremen - Hamburg: Zur Regierungsstruktur in den Stadtstaaten. Bericht der Kommission zur Überprüfung der Regierungsstrukturen in den Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg - Stadtstaaten-Kommission [Reprint 2019 ed.]
 9783110894585, 9783110118186

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Berlin - Bremen - Hamburg Zur Regierungsstruktur in den Stadtstaaten

Berlin - Bremen - Hamburg Zur Regierungsstruktur in den Stadtstaaten

Bericht der Kommission zur Überprüfung der Regierungsstrukturen in den Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg - Stadtstaaten-Kommission -

w DE

G

1989 Walter de Gruyter • Berlin • New York

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Berlin - Bremen - Hamburg : zur Regierungsstruktur in den Stadtstaaten ; Bericht der Kommission zur Überprüfung der Regierungsstrukturen in den Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg - Stadtstaaten-Kommission. Berlin ; New York : de Gruyter, 1989 ISBN 3-11-011818-1 NE: Kommission zur Überprüfung der Regierungsstrukturen in den Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg

© Gedruckt auf säurefreiem Papier © Copyright 1989 by Walter de Gruyter& Co., 1000 Berlin 30. Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Printed in Germany. Satz: Lütcke & Wulff, 2000 Hamburg. - Druck: Gerike GmbH, 1000 Berlin 36. Buchbinder: Dieter Mikolai, 1000 Berlin 10.

Inhaltsübersicht A. Auftrag, Zusammensetzung und Arbeitsweise der Kommission

I. 1.

2. 3. 4. 5.

6.

7

B. Sachbericht

10

Darstellung der verfassungsrechtlichen Ausgangslage Verfahren der Regierungsbildung a) Berlin b) Bremen c) Hamburg d) Verfahren der Regierungsbildung im Bund und in den anderen Bundesländern Dauer der Amtsgeschäfte der Regierungen Abberufung der Regierung und einzelner Regierungsmitglieder durch das Parlament Entlassung eines Regierungsmitgliedes Zuständigkeiten für die Organisation der Regierung a) Zahlenmäßiger Umfang der Regierung b) Abgrenzung der Geschäftsbereiche c) Vorsitz und Geschäftsleitung innerhalb der Regierung. . . . Richtlinienkompetenz, Ressort- und Kollegialprinzip a) Verfassungsrechtliche Grundlagen: Das Gewaltenteilungsprinzip b) Bestimmung der Richtlinien der Regierungspolitik c) Ergänzende Regelungen durch die Geschäftsordnungen . . . d) Die Situation in den Stadtstaaten aa) Berlin bb) Bremen cc) Hamburg

10 10 11 11 12

II. Die Stadtstaaten als Bundesländer und als Großkommunen 1. Rechtliche und politische Grundlagen a) Die Bundesländer im Bundesstaat b) Die Stadtstaaten als Kommunen c) Kommunalverfàssungen 2. Der Aufbau der Verwaltung und ihre Probleme a) Berlin b) Bremen c) Hamburg

12 16 17 18 20 20 20 21 23 23 26 30 31 31 33 34 35 35 35 38 41 42 42 46 48 3

III. Zur geschichtlichen Entwicklung der Stadtstaatenverfassungen 1. Vorbemerkung 2. Geschichtliche Entwicklung in Berlin 3. Geschichtliche Entwicklung in Bremen 4. Geschichtliche Entwicklung in Hamburg

53 53 54 57 60

IV. Erwägungen und Initiativen zur Verfassungsund Verwaltungsreform 1. Berlin a) Verfassungsreform b) Verwaltungsreform 2. Bremen 3. Hamburg

64 64 64 68 70 72

C. Mängelanalyse 1. Vorbemerkung 2. Tatsächliche Stellung des Regierungschefs 3. Aufgabenstellung und Entscheidungsbedingungen 4. Koordinationsfragen 5. Öffentliche Stellung und Kompetenzen des Regierungschefs .

I.

76 77 79 83 84

D. Empfehlungen der Kommission

85

Vorbemerkung

85

II. Gemeinsame Empfehlungen für alle Stadtstaaten 1. Verfahren der Regierungsbildung a) Grundsätzliche Erwägungen aa) Anforderungen an eine Regierung bb) Politische Führung und Verantwortlichkeit cc) Qualitätsanforderungen und Auswahlkriterien dd) Regierungsbildung in schwierigen Situationen ee) Parlamentarische Mitwirkungsrechte und Demokratieprinzip ff) Die Bestätigung durch das Parlament b) Konsequenzen aus den grundsätzlichen Erwägungen 2. Verfahren bei Vertrauensentzug durch das Parlament 3. Bindung des Senatorenamts an das Amt des Regierungschefs 4. Richtlinien der Regierungspolitik a) Staatspraktische Erwägungen 4

76

88 88 88 88 89 91 92 95 96 100 102 104 104 104

b) Verantwortungsbereiche, Gewaltenteilung und parlamentarische Kontrolle 107 c) Kommissionsvorschlag 111 5. Fragen der Verwaltungsreform und der Dezentralisierung.... 115 III. 1. 2. 3.

Besondere Empfehlungen für die einzelnen Stadtstaaten Berlin Bremen Hamburg a) Mitwirkung des Senats an der Gesetzgebung b) Mitwirkung der Verwaltung aa) Deputationen bb) Beamtenernennungsausschuß c) Haushaltsverfassungsrecht aa) Nachbewilligungsrecht bb) Ausgabe- und einnahmewirksame Beschlüsse der Bürgerschaft

117 117 119 126 127 128 128 129 131 131 136

5

Abkürzungen BHO BV GG GOAbgHsBE

— Bundeshaushaltsordnung — Verfassung von Bayern — Grundgesetz — Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses von Berlin GOBReg — Geschäftsordnung der Bundesregierung GOBüBR — Geschäftsordnung der Bürgerschaft von Bremen GOSenBE — Geschäftsordnung des Senats von Berlin GOSenBR — Geschäftsordnung des Senats von Bremen GOSenHA — Geschäftsordnung des Senats von Hamburg Landessatzung — Landessatzung für Schleswig-Holstein LHO — Landeshaushaltsordnung NdsVerf — Vorläufige Niedersächsische Verfassung VerfBE — Verfassung von Berlin VerfBR — Verfassung von Bremen VerfBW — Verfassung von Baden-Württemberg VerfHA — Verfassung von Hamburg VerfHE — Verfassung von Hessen VerfNW — Verfassung von Nordrhein-Westfalen VerfRP — Verfassung von Rheinland-Pfalz VerfSL — Verfassung des Saarlandes VorlVerfBE — Vorläufige Verfassung von Groß-Berlin VwBG — Gesetz über die Verwaltungsbehörden in Hamburg VwGO — Verwaltungsgerichtsordnung WRV — Weimarer Reichsverfassung

6

A. Auftrag, Zusammensetzung und Arbeitsweise der Kommission Der Regierende Bürgermeister von Berlin, der Präsident des Senats von Bremen und der Erste Bürgermeister von Hamburg haben im November 1986 durch eine gemeinsame Erklärung die Berufung einer Kommission vereinbart, die bestimmte Regelungskomplexe der Verfassungen dieser Länder gutachtlich untersuchen sollte. Die Schreiben, durch welche die Mitglieder der Kommission berufen worden sind, stellen die Ausgangslage und die sich hieraus ergebenden Fragestellungen wie folgt dar: „Die drei Stadtstaaten haben — mit jeweils unterschiedlicher Ausprägung — deutlich von den anderen acht Ländern abweichende Verfassungen. Dies gilt insbesondere fiir das Zustandekommen und für die Ablösung von Regierungen. Die Senate der Stadtstaaten sind Landesregierungen mit staatlichen und kommunalen Zuständigkeiten. Ihre Mitglieder werden jedoch nach Grundsätzen gewählt, die eher einer auf Großstädte zugeschnittenen Magistratsverfassung entsprechen. Hier zeigen sich Vermischungen von Elementen einer typischen Landesverfassung einerseits mit solchen einer typischen Kommunalverfassung andererseits. Damit entstehen unklare Zuständigkeiten und sich überschneidende Verantwortlichkeiten der Verfassungsorgane. Die politischen und praktischen Implikationen einer so gearteten Sach- und Rechtslage bedürfen einer fundierten Prüfung. Die drei Stadtstaaten erachten es daher als sachgerecht, ein unabhängiges Gremium von Gutachtern mit der Untersuchung der Frage zu beauftragen, welche Nachteile (oder Vorteile) mit den von den Flächenstaaten so markant abweichenden Verfassungen verbunden sind. Einen wesentlichen Untersuchungsbereich bilden hierbei die geltenden Regelungen, die das Zustandekommen und die Auflösung von Regierungen in den Stadtstaaten, die Kompetenzen der Regierungsmitglieder und das Verhältnis zwischen Regierung und Parlament in den Stadtstaaten im Vergleich zu den Flächenstaaten zum Gegenstand haben. Daneben sind auch eventuelle politische und strukturelle Folgen dieser heutigen Regelung für die Verwaltung in Betracht einzubeziehen. Die Praktikabilität und die Effizienz der geltenden Regeln sind im Vergleich zu den üblichen Verfassungen der Flächenstaaten (oder Großstädte) auch unter Berücksichtigung verschiedener politischer Konstellationen (Koalitionen, Regierungsumbildungen, Meinungsverschiedenheiten in Kabinetten) zu beurteilen. Dabei sind ver7

fassungsrechtliche, verfassungspolitische und allgemeinpolitische Aspekte zu berücksichtigen. Angesichts der Tatsache, daß Stadtstaaten auch Großkommunen sind, sollte auch die Frage einbezogen werden, wie die gleichzeitige Wahrnehmung kommunaler und landespolitischer Aufgaben in den Regierungen der Stadtstaaten am zweckmäßigsten organisiert werden kann. Das Gutachten sollte die Frage beantworten, ob und welche Verfassungsänderungen eventuell anzuraten wären. Der Gutachtensauftrag konzentriert sich dabei zwar auf den vorstehend beschriebenen Teil der geltenden verfassungsrechtlichen Regelungen, die Vorschläge der Gutachter sollten aber im Gesamtrahmen einer Verfassung konsistent sein und daher notfalls auch andere (Folge-)Änderungen einbeziehen." Für die Arbeit der Kommission war seitens der Auftraggeber ein Zeitrahmen von etwa einem Jahr vorgesehen; hiernach sollte das Gutachten bis zum Jahresende 1987 vorgelegt werden. Die von der Kommission für erforderlich gehaltenen Anhörungen von Persönlichkeiten der drei Stadtstaaten konnten in der Freien und Hansestadt Hamburg erst nach der Sommerpause 1987 und nach Abschluß der nach der Wahl erfolgten Neubildung des Senats durchgeführt werden. Die Auftraggeber haben daher der Fertigstellung des Gutachtens zum l.März 1988 zugestimmt. Die Auftraggeber haben mitgeteilt, daß sie sich bei der Auswahl der Mitglieder der Kommission besonders von der Überlegung leiten ließen, daß die Gutachter über wissenschaftliche und politische Erfahrungen in Regierung und Parlament, in Stadt- und Flächenstaaten sowie in Fragen der Organisation von Entscheidungsabläufen verfügen sollten. Zu Mitgliedern der Kommission wurden berufen: Prof. Dr. Dr. h. c. Horst Albach Direktor des betriebswirtschaftlichen Seminars der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Präsident der Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Prof. Dr. h. c. Ernst Benda, — Vorsitzender — Institut für öffentliches Recht, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg; Bundesminister des Innern a.D., Präsident des Bundesverfassungsgerichts a.D. Herbert Dau Präsident a.D. der Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg. Prof. Günter Pottschmidt Präsident des Staatsgerichtshofs und des Oberverwaltungsgerichts Bremen. Dr. Jürgen Westphal Landesminister a.D., Rechtsanwalt in Hamburg. 8

Der Kommission stand ein Sekretariat zur Verfugung. Dieses wurde von Eberhard Luetjohann, Rechtsanwalt in Bonn, geleitet. Die Arbeit der Kommission wurde durch Regierungsdirektor Dr. Klaus David (Hamburg) und Regierungsdirektor Hans-Jürgen Kierzek (Berlin) unterstützt. Beiden Beamten ist sie, ebenso wie dem Sekretariat, für sorgfaltige Arbeit zu besonderem Dank verpflichtet. Die Kommission, die sich als „Stadtstaaten-Kommission" bezeichnete, hat ihre Arbeit mit einer ersten Sitzung am 22. Dezember 1986 aufgenommen und am 21. Februar 1988 abgeschlossen. Sie hat bis zum Abschluß ihrer Arbeit drei Anhörungen durchgeführt und neun zum Teil mehrtägige Sitzungen abgehalten. Bei den Anhörungen wurden Persönlichkeiten aus den Bereichen der Legislative, der Regierung und Verwaltung, der Politik sowie unabhängige Fachleute befragt, die mit den Verhältnissen und der staatlichen und politischen Praxis in den einzelnen Stadtstaaten besonders vertraut sind. Die Kommission hat einschlägiges Schrifttum vor allem verfassungsrechtlicher oder politikwissenschaftlicher Art herangezogen und die parlamentarischen Erörterungen berücksichtigt, die über die Auslegung des jeweils geltenden Verfassungsrechts durch Regierung und Parlament sowie die Staatspraxis bei der Anwendung dieser Normen Aufschluß geben können. Ebenfalls berücksichtigt wurden die in den Parlamenten der Stadtstaaten bisher eingeleiteten Initiativen zu Verfassungsänderungen oder zu anderen Reformen auf dem Gebiet der Arbeit der Regierungen. Schließlich sind der Kommission auf ihre Bitte auch Stellungnahmen aus dem Bereich von Regierung und Verwaltung der einzelnen Stadtstaaten zu Fragen zugeleitet worden, die sich aus den Erörterungen in der Kommission ergaben 1 ). Die Kommission hat zu Beginn ihrer Arbeit und im Anschluß an Anhörungen erneut die Frage erörtert, in welcher Weise und mit welchen Schwerpunkten sie innerhalb der ihr zur Verfügung stehenden Zeit die in dem Schreiben der Auftraggeber umschriebene Problematik behandeln sollte. Im Sachbericht und in den Analysen und Empfehlungen der Kommission wird dargestellt werden, wie die Kommission diese Frage beantwortet. Sie weist schon an dieser Stelle darauf hin, daß einer Behandlung der Probleme, die sich auf das Verhältnis der jeweiligen Regierung und Verwaltung in der Zentrale zu den Bezirken der Stadt1

) Der Bericht verzichtet weitgehend darauf, aus der ausgewerteten Literatur zu zitieren oder die Fundstellen nachzuweisen. Lediglich die Nachweise aus den Verfassungen, Gesetzen oder Geschäftsordnungen sowie aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind jeweils angegeben. 9

Staaten beziehen, besondere Schwierigkeiten entgegenstehen. Auch die in den Parlamenten der Stadtstaaten schon wiederholt erörterten und durch andere Kommissionen bereits behandelten Fragen einer umfassenden Verwaltungsreform konnte die Kommission nicht in ihren Einzelheiten prüfen und hierzu auch keine konkreten Empfehlungen ausarbeiten. B. Sachbericht I. Darstellung der verfassungsrechtlichen Ausgangslage 1. Verfahren der Regierungsbildung Grundsätzlich haben die Regierungen der drei Stadtstaaten (welche die Bezeichnung „Senate" tragen) gleiche Funktionen wie die Landesregierungen der Flächenstaaten oder — abgesehen von den unterschiedlichen Zuständigkeiten des Bundes und der Länder — wie die Bundesregierung. Allerdings weisen schon die Verfassungen auf die Besonderheit hin, daß die Stadtstaaten Gliedstaaten der Bundesrepublik Deutschland wie jedes andere Bundesland sind, zugleich aber die einer Großstadt eigenen kommunalen Aufgaben zu erfüllen haben. So heißt es in Artikel 1 Absatz 1 der Berliner Verfassung (VerfBE): „Berlin ist ein deutsches Land und zugleich eine Stadt." Der bremische Staat „fuhrt den Namen ,Freie Hansestadt Bremen' und ist ein Glied der deutschen Republik" (Art. 64 Verfassung von Bremen — VerfBR —); innerhalb des bremischen Staates bilden dabei die Stadt Bremen und die Stadt Bremerhaven jede für sich zwar eine Gemeinde (Art. 143 VerfBR), die Stadt Bremen wird aber vom (Landes-)Senat nach den Bestimmungen der Landesverfassung (Art. 148 VerfBR) geleitet. Auch die Freie und Hansestadt Hamburg ist ein Land der Bundesrepublik Deutschland (Art. 1 der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg — VerfHA —). In ihr werden „staatliche und gemeindliche Tätigkeit nicht getrennt" (Art. 4 Abs. 1 VerfHA). Es erklärt sich wohl vor allem aus der später darzustellenden geschichtlichen Entwicklung, daß die Regierungsbildung in den Stadtstaaten nach einem in wesentlichen Punkten anderen Verfahren verläuft als im Bund oder in den Flächenstaaten. Dies gilt bereits für die Wahl des Regierungschefs (in Berlin: Regierender Bürgermeister; in Bremen: Präsident des Senats [Bürgermeister]; in Hamburg: Präsident des Senats [Erster Bürgermeister]). Auch die Mitglieder der Landesregierungen der Stadtstaaten (Senatoren) werden nicht, wie dies 10

im Bund und in den Flächenstaaten grundsätzlich der Fall ist, vom Regierungschef berufen, sondern vom Parlament gewählt. Im einzelnen bestehen folgende verfassungsrechtliche Regelungen: a) Berlin Das Abgeordnetenhaus wählt den Regierenden Bürgermeister. Hierfür ist die Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich (Art. 41 Abs. 1 VerfBE). Die Wahl erfolgt gemäß § 75 Absatz 1 der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses (GOAbgHs) mit verdeckten Stimmzetteln, also geheim. Die Bildung der Landesregierung (des Senats) erfolgt im Anschluß an die Wahl des Regierenden Bürgermeisters innerhalb von 21 Tagen. Vorschlagsberechtigt ist der Regierende Bürgermeister; der Bürgermeister und die Senatoren bedürfen aber jeder für sich der Wahl durch das Abgeordnetenhaus (Art. 41 Abs. 2 VerfBE). Auch die Bestimmung der Zahl der Regierungsmitglieder und ihrer Geschäftsbereiche kann zwar von dem Regierenden Bürgermeister vorgeschlagen, muß aber vom Abgeordnetenhaus beschlossen werden (Art. 43 Abs. 4 S. 1 VerfBE). Bei der Wahl der Senatoren ist eine offene Wahl möglich, sofern nicht mindestens zehn Abgeordnete widersprechen (§ 74 Abs. 1 GOAbgHs). Es ist aber bisher ständige Parlamentspraxis gewesen, daß die Wahl geheim durchgeführt wurde. Nach den bisherigen Erfahrungen ist das für jeden Kandidaten für ein Senatorenamt vorgeschriebene Wahlverfahren nicht etwa nur eine Formalie. Mehrere Regierende Bürgermeister haben die Erfahrung machen müssen, daß von ihnen vorgeschlagene Persönlichkeiten entweder überhaupt nicht oder erst in einem wiederholten Wahlgang gewählt wurden. Da der Regierungschef selbst die Unterstützung der zur Mehrheitsbildung fähigen Fraktionen benötigt, müssen bei dem gescheiterten Versuch, den von ihm vorgeschlagenen Kandidaten für ein Regierungsamt in geheimer Wahl zu wählen, einzelne Abgeordnete seiner eigenen Partei oder der ihn in einer Koalition unterstützenden anderen Fraktion gegen seinen Vorschlag gestimmt haben. Da die Wahl geheim ist, wird meist über die Person oder die Motive dieser „U-Bootfahrer", wie der politische Sprachgebrauch sie zu nennen pflegt, nichts bekannt. Hierdurch kann Unsicherheit darüber entstehen, inwieweit sich der Regierungschef auf das uneingeschränkte Vertrauen der Regierungsfraktionen verlassen kann. b) Bremen In der Freien Hansestadt Bremen werden zunächst die Mitglieder des Senats von der Bürgerschaft mit der einfachen Mehrheit der 11

abgegebenen Stimmen gewählt (Art. 107 Abs. 2 VerfBR); dabei wird die Anzahl der Mitglieder des Senats durch Gesetz bestimmt (Art. 107 Abs. 1 VerfBR). Die Wahl ist nach der Geschäftsordnung der Bremer Bürgerschaft geheim (§ 58 Abs. 6 S. 1 GOBüBR). Die vom Parlament gewählten Mitglieder des Senats wählen in geheimer Abstimmung zwei Bürgermeister und einen von diesen zum Regierungschef (Präsident des Senats). Die Wahl erfolgt fiir die Dauer der Wahlperiode der Bürgerschaft; jedoch kann der Senat, wenn sich seine Zusammensetzung ändert, eine Neuwahl der Bürgermeister und des Präsidenten beschließen (Art. 114 VerfBR). Die Geschäfte werden innerhalb des Senats durch Senatsbeschluß verteilt (Art. 120 VerfBR). Nach dieser Verfassungslage wählt daher nicht der Präsident des Senats die Mitglieder der Landesregierung aus. Er hat gegenüber der Bürgerschaft auch kein Vorschlagsrecht, sondern er findet die Mitglieder des Senats schon vor, bevor er selbst von diesem gewählt wird. c) Hamburg Ähnlich wie in Bremen ist das Verfahren in der Freien und Hansestadt Hamburg. Auch dort wählt zunächst die Bürgerschaft die Senatoren; hierfür ist die Mehrheit der gesetzlichen Mitgliederzahl erforderlich (Art. 34 Abs. 1 VerfHA). Die Wahl ist geheim (§ 2 Senatsgesetz). Der so gebildete Senat wählt anschließend aus seiner Mitte in geheimer Wahl den Ersten Bürgermeister als seinen Präsidenten sowie den Zweiten Bürgermeister als dessen Stellvertreter. Die Wahl erfolgt lediglich für die Dauer eines Jahres, jedoch ist Wiederwahl zulässig (Art. 41 Abs. 1 VerfHA). Wie in Bremen beschließt auch in Hamburg der Senat über die Verteilung der Geschäfte (Art. 42 Abs. 1 VerfHA). Die Verfassungen von Bremen und von Hamburg bestimmen, daß Mitglieder des Senats nicht zugleich der Bürgerschaft angehören dürfen (Art. 108 Abs. 1 VerfBR; Art. 38a Abs. 1 VerfHA). Sofern Abgeordnete in den Senat gewählt worden sind, ruht ihr Mandat während ihrer Zugehörigkeit zur Regierung (Art. 108 Abs. 2 S. 1 VerfBR; Art. 38a Abs. 2 VerfHA). d) Verfahren der Regierungsbildung im Bund und in den anderen Bundesländern Anders als in den Stadtstaaten wird das Verfahren der Regierungsbildung nach dem Grundgesetz sowie in den übrigen Bundesländern von dem Grundsatz geprägt, daß die Parlamente zwar den Regierungschef (Bundeskanzler und Ministerpräsidenten) wählen, auf die Auswahl der Regierungsmitglieder aber nur einen schwä12

eher ausgeprägten Einfluß ausüben können. Die Teilhabe- oder Mitwirkungsrechte der Parlamente sind dabei unterschiedlich ausgestaltet, bleiben aber insgesamt hinter den für die Stadtstaaten geltenden Regelungen deutlich zurück. Andererseits ist in den meisten Bundesländern das nach dem Grundgesetz geltende „Kanzlerprinzip" nicht voll übernommen worden. Nach den für die Bildung der Bundesregierung maßgeblichen Regelungen des Grundgesetzes obliegt es dem Deutschen Bundestag, den Bundeskanzler zu wählen (Art. 63 GG). Dieser schlägt die Mitglieder der Bundesregierung dem Bundespräsidenten zur Ernennung vor (Art. 64 GG), ohne daß das Parlament an dem Vorgang der Regierungsbildung nach erfolgter Wahl des Bundeskanzlers in irgendeiner Weise beteiligt wird. Verfassungsrechtlich gesehen, ist daher der Bundeskanzler in seiner Entscheidung darüber frei, mit welchen Persönlichkeiten er die von ihm verfolgte Politik der Bundesregierung durchfuhren will. Dabei wird in der politischen Wirklichkeit kein Bundeskanzler in der Lage sein, seine personellen Vorstellungen und Wünsche ohne jede Rücksichtnahme auf die in seiner eigenen Partei und im Falle einer Koalitionsbildung bei dem Regierungspartner bestehenden Interessen durchzusetzen. Kommt es zur Bildung einer Koalitionsregierung, wird der Partner nach den bisherigen Erfahrungen mindestens das Recht beanspruchen und meist auch erhalten, für die von ihm zu besetzenden Positionen die Kandidaten vorzuschlagen. Der Bundeskanzler kann regelmäßig gegenüber diesen Vorschlägen nur dann ein Vetorecht geltend machen, wenn ihm aus persönlichen oder sachlichen Gründen eine gedeihliche Zusammenarbeit nicht gewährleistet erscheint. Auch auf Wünsche etwa nach Berücksichtigung von landsmannschaftlichen, soziologischen oder konfessionellen Gesichtspunkten innerhalb der eigenen Partei wird der Regierungschef in gewissem Umfang Rücksicht nehmen müssen. Im einzelnen hängt es von der Persönlichkeit des Bundeskanzlers, seinem Durchsetzungsvermögen gegenüber anderen Parteiführern, seiner Verankerung in der Parteibasis und vielen anderen rechtlich nicht definierbaren, aber realen Faktoren der Politik ab, ob der Regierungschef sein ihm verfassungsrechtlich eingeräumtes Recht, die Mitglieder der Bundesregierung zu bestimmen, in vollem oder nur in einem mehr oder weniger eingeschränkten Umfang durchsetzen kann. Umgekehrt gilt aber auch, daß die nach dem Kanzlerprinzip besonders herausgehobene Position des Bundeskanzlers ihm in dem Prozeß der innerparteilichen Willensbildung einen auch in 13

der politischen Realität starken Einfluß sichert. Gerade wenn bei der Bildung einer neuen Bundesregierung innerhalb der Partei — oder auch zwischen den Koalitionspartnern — Auseinandersetzungen über personelle Fragen entstehen, hat der Chef der künftigen Regierung mit dem ihm möglichen Hinweis auf sein verfassungsrechtlich unbestreitbares Recht, die Bundesminister nach eigener Entscheidung auszuwählen, ein außerordentlich wirksames Instrument zur Verfugung, um seine Meinung auch gegenüber widerstrebenden Tendenzen durchzusetzen. Wenn er im Konfliktsfall bereit ist, hierbei das Risiko zu tragen, durch eine in Teilen der Partei unpopuläre Entscheidung Verstimmung zu erzeugen oder Vertrauen zu verlieren, wird er sich im allgemeinen mit seinen Vorstellungen zur Geltung bringen können. Ob der Regierungschef zu einer wesentlich von seinen eigenen Uberzeugungen geprägten Politik in der Lage ist, hängt daher sowohl von seiner Persönlichkeit, den innerhalb seiner eigenen Partei und bei einem etwaigen Koalitionspartner bestehenden Machtstrukturen und anderen verfassungsrechtlich nicht normierbaren Faktoren ab, als auch von der Ausgestaltung der Entscheidungssprozesse durch Rechtsnormen und insbesondere durch das Verfassungsrecht. Dies gilt für die Frage, wie die Regierungsbildung erfolgen soll, ebenso wie für die noch zu erörternden weiteren Fragen der Gestaltung der Regierungspolitik. Das nach dem „Kanzlerprinzip" bestimmte Verfahren, in dem der gewählte Regierungschef selbst und ohne jede parlamentarische Mitwirkung formeller Art die Mitglieder der Regierung bestimmt, ist in dieser reinen Form nur in den Bundesländern NordrheinWestfalen und Schleswig-Holstein übernommen worden. In diesen Ländern beruft der vom Parlament gewählte Ministerpräsident die Minister nach eigener Entscheidung (Art. 52 Abs. 3 S. 1 VerfNW; Art. 21 Abs. 2 S. 2 Landessatzung). In den übrigen Ländern sehen die Verfassungen gewisse Beteiligungs- oder Mitwirkungsrechte des Parlaments bei der Regierungsbildung vor, die jedoch nicht zu einer (Einzel-)Wahl der Minister durch den Landtag fuhren, sondern die personelle Entscheidung dem Ministerpräsidenten überlassen, ihre Wirksamkeit aber von einer Bestätigung durch das Parlament abhängig machen. Den diesen Regelungen zugrundeliegenden Gedanken bringt vielleicht am deutlichsten die Verfassung von Hessen zum Ausdruck. Sie besagt, daß der (vom Landtag gewählte) Ministerpräsident die Minister „bestimmt" und ihre Ernennung unverzüglich dem 14

Landtag anzeigt (Art. 101 Abs. 2 VerfHE). Weiter wird bestimmt: „Die Landesregierung kann ihre Geschäfte erst übernehmen, nachdem der Landtag ihr durch besonderen Beschluß das Vertrauen ausgesprochen hat" (Art. 101 Abs. 4 VerfHE). Dieser Regelung entspricht der Sache nach das Verfahren in Baden-Württemberg. Auch hier „beruft" der Ministerpräsident die Minister (Art. 46 Abs. 2 VerfBW); „Die Regierung bedarf zur Amtsübernahme der Bestätigung durch den Landtag" (mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen, Art. 46 Abs. 3 VerfBW). Soll zu einem späteren Zeitpunkt ein weiteres Mitglied der Regierung berufen werden, etwa als Nachfolger eines ausgeschiedenen Regierungsmitglieds, so bedarf auch diese Berufung der Zustimmung des Landtags (Art. 46 Abs. 4 VerfBW). Gerade diese Regelung macht deutlich, daß nicht die Mitsprache des Parlaments bei der Entscheidung über die persönliche und politische Qualifikation eines Ministerkandidaten gemeint ist, sondern die Bestätigung des fortbestehenden Vertrauens zu dem Regierungschef auch nach Kenntnis der von ihm getroffenen personellen Entscheidung; die hinsichtlich einzelner Mitglieder ergänzte oder umgebildete Regierung soll auch in ihrer neuen, veränderten Zusammensetzung vom Landtag bestätigt werden. Der Sache nach und in der Formulierung nahezu wortgleich sind die Regelungen in Niedersachsen (Art. 20 Abs. 3 NdsVerf) und in Rheinland-Pfalz (Art. 98 Abs. 2 VerfRP). Größere Mitwirkungsrechte scheinen die Verfassungen in Bayern und im Saarland den Landtagen einzuräumen. Dort bedarf die Ernennung der Regierungsmitglieder durch den Ministerpräsidenten der „Zustimmung" des Landtages (Art. 46 Abs. 4 BV; Art. 87 VerfSL). Aber auch diese Form parlamentarischer Mitwirkung ist nicht als Abhängigkeit des einzelnen Kandidaten von einem Wahlakt zu verstehen, der mit verdeckten Stimmzetteln durchgeführt wird, sondern als eine Bestätigung der Gesamtregierung, also als ein Vorgang der Akklamation, der durch Abstimmung und offen erfolgen kann. So verfährt auch die bisherige parlamentarische Praxis. Hiernach besteht auch in Bayern und im Saarland kein wesentlicher Unterschied fiir die sonst in den Flächenstaaten vorzufindende Tendenz, die Berufung der Regierungsmitglieder dem Ministerpräsidenten zu überlassen und lediglich nach Abschluß seiner Bemühungen deren Gesamtergebnis in Form einer Abstimmung zu würdigen. Im Vergleich zu einer Wahl der einzelnen Regierungsmitglieder, wie sie in den Stadtstaaten vorgeschrieben ist, bestehen zwei 15

gewichtige Unterschiede: Das Parlament kann nicht dem einzelnen Kandidaten die Zustimmung verweigern und so seine Ernennung verhindern, sondern nur ein positives oder negatives Urteil über das Kabinett im ganzen zum Ausdruck bringen. Da dies kein Wahlakt, sondern eine Abstimmung ist, kann offen entschieden werden. Die so gestaltete Bestätigung der Regierung muß nicht eine bloße Formalie sein. Es sind durchaus Situationen denkbar, in denen der Regierungschef bei der Auswahl seiner Minister so sehr die vor allem innerhalb seiner eigenen Partei oder bei einem Koalitionspartner bestehende Grundstimmung verfehlt, daß das Vertrauen zwischen ihm und den seine Regierung tragenden Fraktionen ernsthaft gestört ist. In diesem Fall mag es besser sein, wenn der Konflikt offenbar wird, als wenn er ungeklärt schwelt. Andererseits wird jedenfalls regelmäßig das oben bereits erörterte Gebot politischer Praxis, auf vorhandene Interessen und Grundstimmungen angemessene Rücksicht zu nehmen, den Ministerpräsidenten davor bewahren, einen derartigen Konflikt unbedacht heraufzubeschwören. Daher werden solche Konflikte selten sein; der Kommission sind keine Fälle bekannt geworden, in denen in einem der Flächenstaaten, deren Verfassungen in der einen oder anderen Form die Bestätigung der vom Regierungschef gebildeten Regierung durch das Parlament vorsehen, diese Bestätigung versagt worden wäre. 2. Dauer der Amtsgeschäfte der Regierungen Abgesehen von Fällen des Ausscheidens aus persönlichen Gründen, endigt „das Amt des Bundeskanzlers oder eines Bundesministers . . . in jedem Falle mit dem Zusammentritt eines neuen Bundestages . . ." (Art. 69 Abs. 2 GG). Die Amtsperiode der Bundesregierung ist daher mit der Wahlperiode des Deutschen Bundestages identisch. Vergleichbare Regelungen finden sich in der Mehrzahl der Landesverfassungen, so auch in Bremen (Art. 107 Abs. 2 VerfBR). Dagegen endigt in einigen Ländern, darunter auch in Berlin und Hamburg, die Amtsperiode der Regierung (des Senats) nicht mit dem Ende der parlamentarischen Wahlperiode. Beide Verfassungen enthalten keine Vorschriften, die dem Artikel 69 Absatz 2 GG vergleichbar wären. Das gleiche gilt nach der Landessatzung von SchleswigHolstein und der Verfassung von Rheinland-Pfalz. Wird in Hamburg eine neue Bürgerschaft gewählt, bleibt demnach der bisherige Senat im Amt, sofern er nicht zurücktritt (Art. 35 VerfHA) oder die Bürgerschaft, etwa bei veränderten Mehrheitsverhältnissen, ihm im Wege des konstruktiven Mißtrauensvotums, also 16

durch die Wahl eines neuen Senats, das Vertrauen entzieht (Art. 35 Abs. 2 VerfHA). Solange der Senat im Amt ist, kann er auch die Geschäftsverteilung anders als bisher regeln (Art. 42 VerfHA); allerdings kann ein neues Mitglied in den Senat nur nach Wahl durch die Bürgerschaft eintreten (Art. 34 Abs. 1 VerfHA). Obwohl auch in Berlin der bisherige Senat nach einer Wahl weiter amtieren könnte, ist es üblich, daß der Regierende Bürgermeister mit seinem Senat zurücktritt. Verfassungsrechtlich wird diese Praxis aus Artikel 42 Absatz 1 VerfBE begründet; nach dieser Vorschrift bedarf der Senat des Vertrauens des Abgeordnetenhauses, das mit der Mehrheit seiner gesetzlichen Mitglieder auch dem Senat oder jedem einzelnen seiner Mitglieder das Vertäuen mit der Folge entziehen kann, daß der Senat oder das einzelne Mitglied sofort zurücktreten muß (Art. 42 Abs. 2, 3 VerfBE). In ähnlicher Weise ist auch in Rheinland-Pfalz verfahren worden, wo nach der Neuwahl des Landtages der Ministerpräsident auch dann seinen Rücktritt erklärt hat, wenn er nach dem Wahlergebnis mit seiner erneuten Wahl zum Regierungschef rechnen konnte. 3. Abberufung der Regierung und einzelner Regierungsmitglieder durch das Parlament Da in den Stadtstaaten die Parlamente die einzelnen Regierungsmitglieder zu wählen haben, können sie diese folgerichtig auch im Wege des Vertrauensentzuges abberufen. Im einzelnen gilt für die Abberufung, die sowohl gegenüber dem Senat als ganzem als auch gegenüber einem einzelnen Mitglied ausgesprochen werden kann, das Prinzip des konstruktiven Mißtrauensvotums nach dem Vorbild von Artikel 67 Absatz 1 Satz 1 GG. Das Verfahren ist allerdings unterschiedlich. In Hamburg entspricht es der Regelung des Grundgesetzes; das konstruktive Mißtrauensvotum kann sich aber auch gegen ein einzelnes Senatsmitglied richten (Art. 35 Abs. 2 VerfHA). Der Vertrauensentzug wird also durch die Wahl des neuen Senats oder des neuen Senators zum Ausdruck gebracht. In Berlin kann „das Abgeordnetenhaus dem Senat und jedem seiner Mitglieder das Vertrauen entziehen" (Art. 42 Abs. 2 S. 1 VerfBE). Dieses „Mißtrauensvotum verliert seine Wirksamkeit, wenn nicht binnen 21 Tagen eine Neuwahl erfolgt ist" (Art. 42 Abs. 3 S. 4 VerfBE). Auch ohne eine solche Befristung kann in Bremen der Vertrauensentzug erfolgen; er wird jedoch erst rechtswirksam, wenn die Bürgerschaft den neuen Senat oder ein neues Mitglied gewählt hat (Art. 110 Abs. 1 und 3 S. 2 VerfBR). Auch die Verfassungen der übrigen Bundesländer enthalten Möglichkeiten des Vertrauensentzuges, der sich aber — bei zwei Ausnahmen 17

— nur gegen den Regierungschef richten kann. Muß dieser zurücktreten oder wird an seiner Stelle ein neuer Ministerpräsident gewählt, so sind auch die Amter seiner Minister erledigt. Teils sind die Regelungen als konstruktives Mißtrauensvotum ausgestaltet (so in BadenWürttemberg, in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und in Schleswig-Holstein); im Saarland, in Rheinland-Pfalz und in Hessen genügt dagegen das einfache Mißtrauensvotum, um die Regierung zum Rücktritt zu zwingen. Wird dann nicht innerhalb bestimmter (in den einzelnen Bundesländern unterschiedlicher) Fristen eine neue Regierung gebildet und dieser das Vertrauen ausgesprochen, so wird der Landtag aufgelöst und werden Neuwahlen erforderlich. Die Verfassungen von Rheinland-Pfalz und des Saarlandes ermöglichen auch die Abberufung einzelner Regierungsmitglieder durch ein Mißtrauensvotum des Landtages, obwohl die Minister vom Regierungschef ernannt werden und nur die Regierung als ganze vom Landtag bestätigt wird (Art. 99 VerfRP; Art. 88 VerfSL). Nach Artikel 56 der Verfassung von Baden-Württemberg muß der Ministerpräsident auf Beschluß von zwei Dritteln der Mitglieder des Landtages ein Mitglied seiner Regierung entlassen. Die Bayerische Verfassung kennt überhaupt kein Mißtrauensvotum oder andere Formen der Abwahl oder des Zwangs zum Rücktritt gegenüber dem Ministerpräsidenten. Allerdings „muß" dieser zurücktreten, „wenn die politischen Verhältnisse ein vertrauensvolles Zusammenarbeiten zwischen ihm und dem Landtag unmöglich machen" (Art. 44 Abs. 3 S. 2 BV). 4. Entlassung eines Regierungsmitgliedes In den Stadtstaaten sind die Regierungschefs nicht in der Lage, aus eigener Entschließung ein Mitglied ihrer Regierung zu entlassen. Dies gilt sowohl für den Wunsch, die Regierung umzubilden, sich also aus eher politischen als aus persönlichen Gründen von einzelnen Mitgliedern zu trennen und neue Persönlichkeiten an deren Stelle zu setzen, als auch für den schwerer wiegenden Fall schwindenden Vertrauens oder erheblicher persönlicher oder politischer Konflikte, die nach Einschätzung des Regierungschefs künftig eine gedeihliche Zusammenarbeit fraglich erscheinen lassen. Auch in solchen politisch spektakulären Fällen, in denen durchaus die Gesamtpolitik und das persönliche Prestige des Regierungschefs auf dem Spiel stehen kann, steht diesem zunächst nur die Möglichkeit zur Verfugung, das Senatsmitglied davon zu überzeugen, daß es besser ist, sich zu trennen. Gelingt es nicht, den freiwilligen Rücktritt herbeizufuhren, muß der Regierungschef an das Parlament appellieren. Da der Senator zurück18

treten muß, wenn ihm das Parlament das Vertrauen entzieht, kann der Regierungschef einen solchen Beschluß anregen. Damit wird er häufig dann keinen Erfolg haben, wenn der Senator, mit dem er sich zerstritten hat oder der aus anderen Gründen für ihn untragbar erscheint, in den Regierungsfraktionen wenigstens über einige Anhänger verfugt, die nicht bereit sind, dem Wunsch des Regierungschefs zu folgen. Die parlamentarische Opposition wird in einer solchen für die Regierung politisch heiklen Lage kaum bereit sein, das Mißtrauensvotum zu unterstützen, und eher dazu neigen, der Regierung nicht aus ihrer schwierigen Situation herauszuhelfen. Dem Regierenden Bürgermeister bleibt als letztes Mittel nur der politisch unerfreuliche und risikobelastete Weg, selbst zurückzutreten und auf diese Weise eine Neuwahl des gesamten Senats zu erzwingen. In Bremen und Hamburg scheidet selbst diese Möglichkeit aus, weil das Ausscheiden des Präsidenten aus dem Senat die Amter der Senatoren unberührt läßt. Nach dem für den Bund maßgeblichen Kanzlerprinzip ist dagegen die Entlassung eines Ministers oder die Umbildung des Bundeskabinetts dem Bundeskanzler jederzeit und ohne jede Einschaltung des Parlaments möglich (Art. 64 Abs. 1 GG). Wie bei der Ernennung eines Ministers wird er auch in Fällen, in denen eine Entlassung aus politischen oder persönlichen Gründen naheliegt, insbesondere auf einen Koalitionspartner oder auf wesentliche Gruppierungen in seiner eigenen Partei Rücksicht nehmen müssen; aber auch für die Lösung schwerwiegender Konflikte dieser Art gilt, daß dem Bundeskanzler ein verfassungsrechtlich eindeutig definiertes Recht zur Seite steht, das er auch politisch wirksam einzusetzen vermag und dessen bloße Existenz dazu beitragen kann, daß sich die Mitglieder der Bundesregierung ihm gegenüber loyal verhalten. Wie bei der Ernennung von Ministern liegt auch hinsichtlich ihrer Entlassung die Zuständigkeit in Nordrhein-Westfalen und in Schleswig-Holstein allein beim Ministerpräsidenten ohne jede Mitwirkung des Landtags (Art. 52 Abs. 2 VerfNW; Art. 21 Abs. 2 S.2 Landessatzung). In den anderen Bundesländern sind, entsprechend dem Verfahren bei der Ernennung von Ministern, unterschiedlich ausgestaltete Mitwirkungsbefugnisse des Landtages entweder beim Vorgang der Entlassung oder bei der Ernennung des Nachfolgers vorgesehen. So entscheidet in Baden-Württemberg der Ministerpräsident über die Entlassung (Art. 46 Abs. 3 VerfBW); bei der Berufung des Nachfolgers ist in der oben dargestellten Form die Zustimmung des Landtages erforderlich (Art. 46 Abs. 4 VerfBW). In Bayern, Hessen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und im Saarland muß der Landtag der Entlas19

sung eines Ministers zustimmen 1 ). Für die Berufung des Nachfolgers gelten die oben bereits dargestellten Regelungen. 5. Zuständigkeiten für die Organisation der Regierung a) Zahlenmäßiger Umfang der Regierung Aus dem Recht des Bundeskanzlers, nach eigenem Ermessen Bundesminister zur Ernennung und Entlassung vorzuschlagen (Art. 64 GG), folgt auch seine Befugnis, über die Größe des Bundeskabinetts zu befinden. Während in den meisten Ländern dem Ministerpräsidenten die Befugnis zuerkannt wird, die zahlenmäßige Zusammensetzung seiner Regierung zu bestimmen, gelten für die Stadtstaaten und für Bayern besondere Regelungen. Sie ergeben sich entweder aus der Verfassung selbst oder aus Gesetzen, auf welche die Verfassung verweist. In Berlin ist der Senat auf den Regierenden Bürgermeister, den Bürgermeister und 16 Senatoren, insgesamt also auf 18 Mitglieder begrenzt (Art. 40 Abs. 2 VerfBE). Der Regierende Bürgermeister kann aber dem Abgeordnetenhaus eine kleinere Zahl von Senatoren zur Wahl vorschlagen. In Bremen wird die Zahl der Mitglieder des Senats durch Gesetz festgelegt (Art. 107 Abs. 1 VerfBR). Nach dem gegenwärtig geltenden Gesetz besteht der Senat aus zehn Mitgliedern. Die Bürgerschaft kann durch Gesetzesänderung diese Zahl herauf- oder herabsetzen. Auch in Hamburg wird die Zahl der Senatsmitglieder durch Gesetz bestimmt (Art. 33 Abs. 2 VerfHA). Nach dem gegenwärtig geltenden Senatsgesetz wird die Zahl der Senatoren auf mindestens zehn und höchstens 15 festgesetzt; die jeweils maßgebliche Zahl beschließt die Bürgerschaft (§ 1 Abs. 2 SenatsG). Nach dem zuletzt getroffenen Beschluß vom 2. September 1987 besteht der Senat aus zwölf Mitgliedern. In Bayern ist die Größe des Kabinetts grundsätzlich durch die Verfassung festgelegt. Sie führt acht nach ihren Aufgaben bestimmte Geschäftsbereiche auf (Art. 49 Abs. 1 BV). Das Parlament kann aber auf Vorschlag des Ministerpräsidenten diese Zahl heraufsetzen oder vermindern (Art. 49 Abs. 3 BV). In allen übrigen Bundesländern entscheidet allein der Minister1

) Art. 45 BV; Art. 112 VerfHE; Art. 20 Abs. 4 NdsVerf; Art. 98 Abs. 2 S. 4 VerfRP; Art. 87 Abs. 1 S. 2 VerfSL.

20

Präsident über die zahlenmäßige Stärke der von ihm geführten Regierung, b) Abgrenzung der Geschäftsbereiche Hinsichtlich der Abgrenzung der Geschäftsbereiche der einzelnen Regierungsmitglieder bestehen in den Bundesländern sehr unterschiedliche Regelungen. Ihre Darstellung ist nicht in allen Einzelheiten erforderlich, da bei keiner der verschiedenen Möglichkeiten, die sich aus den Verfassungen oder den Geschäftsordnungen der jeweiligen Regierung ergeben, strukturelle Konflikte bisher erkennbar geworden sind. Probleme, die sich aus dem besonderen Interesse (oder auch Des-Interesse) eines Regierungsmitglieds für ein bestimmtes Sachgebiet ergeben können, sind nicht nur vorstellbar, sondern insbesondere aus dem Bereich der Bundesregierung auch bekannt. Sie sind entweder persönlichkeitsbedingt oder ergeben sich aus möglicherweise unterschiedlichen Auffassungen über die Politik, mit der die Themen des jeweiligen Sachbereichs behandelt werden sollten. Daher handelt es sich jedenfalls in den wichtigeren Fällen nicht um Probleme lediglich organisatorischer Art, sondern um Fragen, die eng mit dem weitaus wichtigeren Bereich der Entscheidungsbefugnis des Regierungschefs bei der Auswahl oder Entlassung seiner Regierungsmitglieder und mit dem Umfang seiner Zuständigkeit für die Bestimmung der Richtlinien der Politik zusammenhängen. Demgegenüber ist es eine eher zweitrangige Frage, auf welche Weise die Geschäftsbereiche voneinander abgegrenzt werden. Zusammengefaßt ergibt sich folgendes Bild: Im Bund und in ähnlicher Weise im Saarland bestimmt der Bundeskanzler bzw. der Ministerpräsident die Geschäftsbereiche (§ 9 Abs. 1 GOBReg; Art. 91 Abs. 1 S. 2 VerfSL). In den Hansestädten Bremen und Hamburg organisiert sich der Senat, dem in beiden Städten ausgeprägten Kollegialprinzip entsprechend, selbst durch Beschluß über die Geschäftsverteilung (Art. 120 Abs. 1 S. 1 VerfBR; Art. 42 Abs. 1 S. 1 VerfHA). Da in Hamburg mit der Wahl eines Senatsmitglieds zum Ersten Bürgermeister die Zuordnung der Senatskanzlei an ihn verbunden ist, der traditionsgemäß bestimmte Sachaufgaben übertragen sind, fallt schon bei dieser Wahl des Regierungschefs eine gewisse Vorentscheidung für die Geschäftsverteilung. Im übrigen liegen die organisatorischen Entscheidungen nicht im Belieben des Senats. Er ist nach Artikel 57 Satz 1 VerfHA an gesetzliche Vorgaben gebunden, die Zahl und Namen der Fachbehörden bestimmen. Durch § 4 Absatz 2 des Gesetzes über Verwaltungsbehörden (VwBG — in 21

der Fassung vom 30. Juli 1952 mit Änderungen zuletzt durch Gesetz vom 21. Dezember 1984) sind die Kernaufgaben der Ressorts gesetzlich festgeschrieben. Auf diese Weise kann auch die Bürgerschaft die Aufgabenverteilung im Senat beeinflussen. In Bayern wird die grundsätzliche Aufgabenverteilung durch die Verfassung selbst bestimmt (Art. 49 Abs. 1 BV). In anderen Ländern, etwa in Niedersachsen oder in Baden-Württemberg, beschließt die Regierung über die Geschäftsverteilung (Art. 28 Abs. 2 Nr. 3 NdsVerf; Art. 45 Abs. 3 S. 1 VerfBW). Dabei bedarf dieser Beschluß in Baden-Württemberg der Zustimmung des Landtages. In ähnlicher Weise beschließt in Berlin das Abgeordnetenhaus auch über die Zuständigkeit der einzelnen Senatsmitglieder (Art. 43 Abs. 4 S. 1 VerfBE), wobei allerdings der Regierende Bürgermeister allein das Vorschlagsrecht hat. Auch in Hessen und Rheinland-Pfalz wirken die Landtage mit; wenn sie es verlangen, muß die Regierung die von ihr beschlossene Geschäftsverteilung aufheben oder ändern (Art. 104 Abs. 2 S. 1 VerfHE; Art. 105 Abs. 2 S. 1 VerfRP). c) Vorsitz und Geschäftsleitung innerhalb der Regierung Fragen wie die, wer in einem Kollegialgremium den Vorsitz fuhrt, wer die Tagesordnung bestimmt und wie bei Abstimmungen zu verfahren ist, die Stimmengleichheit ergeben, sind nicht allein von organisatorischer Bedeutung. Die entweder in der Verfassung oder in der Geschäftsordnung der Regierung getroffene Regelung kann je nach Ausgestaltung die Stellung des Regierungschefs stärken oder schwächen. Auch für diesen Themenbereich gilt aber, daß seine Bedeutung hinter den Fragen zurückbleibt, wer die personelle Zusammensetzung der Regierung bestimmt und wer die Richtlinienkompetenz hat. Hinsichtlich der Geschäftsleitung innerhalb der Regierung und des Vorsitzes bei den Sitzungen des Kollegialgremiums, weisen die für die Stadtstaaten geltenden Regelungen keine Besonderheiten im Vergleich zu den anderen Bundesländern und zu der Regelung für die Bundesregierung auf: Überall hat der Regierungschef den Vorsitz inne und leitet die Geschäfte der Regierung. Dies ergibt sich entweder aus der Verfassung, der Geschäftsordnung oder aus der Stellung des Präsidenten des Senats (so in Hamburg), und es wird entsprechend praktiziert 2 ). 2

) Vgl. Art. 43 Abs. 1 VerfBE, § 1 Abs. 1 GOSenBE; Art. 115 Abs. 2 VerfBR, § 9 Abs. 1 S. 1 GOSenBR; Art. 41 Abs. 2 VerfHA, § 2 Abs. 1 GOSenHA.

22

Allgemein gilt, daß der Regierungschef die Tagesordnung der Sitzungen der Regierung bestimmt. Insoweit bestehen zwischen Berlin und Hamburg einerseits und den Flächenstaaten andererseits keine Unterschiede (§ 13 Abs. 1 S. 1 GOSenBE; §9 Abs. 1 S. 1 GOSenHA). Eine Besonderheit besteht jedoch nach der Verfassung von Bremen. Nach Artikel 116 VerfBR hat „jedes Mitglied des Senats das Recht, die Beratung und Beschlußfassung über einen Gegenstand zu beantragen". Dementsprechend werden die Tagesordnungen von der Senatskanzlei lediglich zusammengestellt (SS 11 Abs. 2 S. 2, 18 Abs. 1 S. 1 GOSenBR). Keine Besonderheiten weist auch das Verfahren bei den Abstimmungen im Kollegialgremium auf. Für den Bund und alle Länder gilt übereinstimmend, daß jedes Mitglied des Gremiums eine Stimme hat, und daß im Falle von Stimmengleichheit die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag gibt. In Bremen und Hamburg wird, ebenso wie in den meisten der anderen Bundesländer, durch die Verfassung festgelegt, daß der Regierungschef die entscheidende Stimme haben kann 3 ). Gleiches gilt nach Artikel 43 Absatz 1 Satz 3 VerfBE für Berlin. Nach der Geschäftsordnung des Senats kann diese Befugnis aber auch auf den Bürgermeister übertragen werden, falls dieser den Vorsitz fuhrt ( S 14 Abs. 6 S. 4 GOSenBE). Dies entspricht der Regelung für das Bundeskabinett, in dem der jeweilige Vorsitzende bei Stimmengleichheit den Stichentscheid hat. Regelmäßig ist der Bundeskanzler Vorsitzender, doch kann er durch einen Bundesminister vertreten werden ( § S 22, 24 GOBReg). 6. Richtlinienkompetenz, Ressort- und Kollegialprinzip a) Verfassungsrechtliche Grundlagen: Das Gewaltenteilungsprinzip Besonders auffallige Unterschiede bestehen zwischen der Regelung im Grundgesetz und in den Verfassungen der Flächenstaaten einerseits und denen der Stadtstaaten andererseits, soweit es um die Stellung des Regierungschefs im Verhältnis zu den übrigen Mitgliedern der Regierung geht. Auch die Eigenverantwortung der Regierung im Verhältnis zu der Kontrollfunktion des Parlaments ist in den Stadtstaaten anders als im Verfassungssystem des Bundes ausgestaltet. 3

) Art. 117 Abs. 1 S. 2 VerfBR, § 12 Abs. 1 S.4 GOSenBR; Art. 42 Abs. 2 S. 2 VerfHA, § 13 Abs. 2 S. 2 GOSenHA. 23

Für die Verfassungsordnung des Grundgesetzes gilt im Verhältnis zwischen Parlament und Regierung der Grundsatz der Gewaltenteilung, aus dem sich jedoch nicht eine strikte Trennung der staatlichen Gewalten voneinander ergibt. Das Grundgesetz enthält vielmehr zahlreiche Gewaltenverschränkungen und -balancierungen, die zu einer gegenseitigen Kontrolle und Mäßigung der staatlichen Gewalten fuhren sollen4). Gegenseitige Kontrolle und Begrenzung bedeutet: „Die in der Verfassung vorgenommene Verteilung der Gewichte zwischen den drei Gewalten muß aufrechterhalten bleiben, keine Gewalt darf ein von der Verfassung nicht vorgesehenes Übergewicht über die andere Gewalt erhalten, und keine Gewalt darf der für die Erfüllung verfassungsmäßiger Aufgaben erforderlichen Zuständigkeiten beraubt werden" 5 ). Diese grundsätzliche Trennung der Aufgabenverteilung zwischen Regierung und Parlament, die sich aus dem Rechtsstaatsprinzip ergibt 6 ), ist nach Artikel 28 Absatz 1 GG auch für die Verfassungsordnung der Länder verbindlich 7 ). Dies hat das Bundesverfassungsgericht im einzelnen so ausgeführt: „In den Ländern mögen einzelne Kompetenzen zwischen Parlament und Regierung in verschiedener Weise verteilt sein; in jedem Fall aber müssen der Regierung die Befugnisse erhalten bleiben, die erforderlich sind, damit sie selbständig und in eigener Verantwortung gegenüber Volk und Parlament ihre ,Regierungs'-Funktion erfüllen kann." „Die selbständige politische Entscheidungsgewalt der Regierung, ihre Funktionsfahigkeit zur Erfüllung ihrer verfassungsmäßigen Aufgaben, ihre Sachverantwortung gegenüber Volk und Parlament sind zwingende Gebote der demokratischen rechtsstaatlichen Verfassung" 8). Erst vor kurzem hat das Bundesverfassungsgericht erneut auf die Bedeutung des Gewaltenteilungsprinzips für die Verfassungsordnung des Grundgesetzes hingewiesen. „Das Grundgesetz hat den Bundestag als Gesetzgebungsorgan, nicht aber als umfassendes ,Rechtsaufsichtsorgan' über die Bundesregierung eingesetzt; es hat ihn im Verhältnis zur Bundesregierung als — grundsätzlich auf die Person des Bundeskanzlers 4

) ) 6 ) 7 ) 8 ) 5

24

BVerfGE BVerfGE BVerfGE BVerfGE BVerfGE

7, 133 (188); 34, 52 (59). 9, 268 (279 f.). 68, 1 (86). 2, 307 (319). 9, 268 (281); 67, 100 (139); 68, 1 (87).

bezogenes — p o l i t i s c h e s Kreations-, Überwachungs- und Revokationsorgan bestellt" 9 ). An anderer Stelle derselben Entscheidung heißt es — hier insbesondere auf die parlamentarischen Mitwirkungsbefugnisse in auswärtigen Angelegenheiten bezogen, aber darüber hinaus für die grundsätzliche Zuordnung der Gewalten von Bedeutung —: Die in Artikel 20 Absatz 2 G G „als Grundsatz normierte organisatorische und funktionelle Unterscheidung und Trennung der Gewalten dient zumal der Verteilung von politischer Macht und Verantwortung sowie der Kontrolle der Machtträger; sie zielt auch darauf ab, daß staatliche Entscheidungen möglichst richtig, das heißt von den Organen getroffen werden, die dafür nach ihrer Organisation, Zusammensetzung, Funktion und Verfahrensweise über die besten Voraussetzungen verfügen, und sie will auf eine Mäßigung der Staatsgewalt insgesamt hinwirken. Die Konzentration politischer Macht, die darin läge, dem Bundestag in auswärtigen Angelegenheiten — über die ihm im Grundgesetz zugeordneten Befugnisse hinaus — zentrale Entscheidungsbefugnisse exekutivischer Natur zuzuordnen, liefe dem derzeit vom Grundgesetz normierten Gefuge der Verteilung von Macht, Verantwortung und Kontrolle zuwider. Daran ändert es nichts, daß — auf der Ebene des Bundes — allein die Mitglieder des Bundestages unmittelbar vom Volk gewählt sind. Die konkrete Ordnung der Verteilung und des Ausgleichs staatlicher Macht, die das Grundgesetz gewahrt wissen will, darf nicht durch einen aus dem Demokratieprinzip fälschlich abgeleiteten Gewaltenmonismus in Form eines allumfassenden Parlamentsvorbehalts unterlaufen werden (BVerfGE 49, 89 124 ff.). Auch der Grundsatz der parlamentarischen Verantwortung der Regierung setzt notwendigerweise einen Kernbereich exekutivischer Eigenverantwortung voraus (BVerfGE 67, 100, 139). Die Demokratie, die das Grundgesetz verfaßt hat, ist eine r e c h t s s t a a t l i c h e Demokratie, und das bedeutet im Verhältnis der Staatsorgane zueinander vor allem eine g e w a l t e n t e i l e n d e Demokratie" 1 Für die Bundesländer einschließlich der Stadtstaaten gelten diese grundsätzlichen Ausführungen zum Verhältnis von Regierung und Parlament in gleicher Weise. Dies bedeutet gewiß nicht, daß 9 10

) BVerfGE 68, 1 (72). ) BVerfGE 68, 1 (86 f.). 25

nur das im Grundgesetz enthaltene und dort konsequent durchgeführte Kanzlerprinzip dem Gebot einer rechtsstaatlichen, das heißt gewaltenteilenden Demokratie gerecht würde. Die vor allem in den Stadtstaatenverfassungen erkennbare stärkere Betonung des Kollegialprinzips ist verfassungsrechtlich unbedenklich. Es ist eine Frage der Verfassungspolitik, ob sie beibehalten oder durch eine stärkere Betonung der Führungsaufgabe des Regierungschefs verändert werden sollte. Dagegen können sich Konsequenzen auch verfassungsrechtlicher Art dort ergeben, wo dem Parlament Mitwirkungs- oder Entscheidungsbefugnisse bei der Formulierung und Festlegung der von der Regierung beabsichtigten Politik zuerkannt werden. Wären die noch zu erörternden Regelungen der Verfassungen im Sinne einer strikten Bindung der Regierung an den Parlamentswillen zu verstehen, so könnte dies auch verfassungsrechtliche Fragen aufwerfen. Erst recht sprechen die vom Bundesverfassungsgericht ausgesprochenen Grundsätze dafür, deutlicher als bisher die Verantwortungsbereiche von Parlament und Regierung voneinander abzugrenzen. Dabei verbleiben — selbstverständlich — dem Parlament alle ihm in der Landesverfassung eingeräumten Rechte als „politisches Kreations-, Uberwachungs- und Revokationsorgan" (BVerfG), also insbesondere das Recht der Wahl des Regierungschefs und — nach Maßgabe der geltenden oder künftig zu ändernden Verfassungsnormen — der einzelnen Regierungsmitglieder, das Instrument des Mißtrauensvotums, das Gesetzgebungs- und das Haushaltsrecht als wichtigste Mittel parlamentarischer Kontrolle und eigener Politikgestaltung. b) Bestimmung der Richtlinien der Regierungspolitik An der Formulierung und Durchführung der Regierungspolitik wirken — abgesehen von den unten zu behandelnden Einflußmöglichkeiten des Parlaments — der Regierungschef, die einzelnen Minister und das Regierungskollegium als Ganzes mit. Die Zuordnung dieser Beteiligten zueinander und die Abgrenzung ihrer Verantwortungsbereiche voneinander wird durch die Grundsätze: — Richtlinienkompetenz des Regierungschefs — Ressortprinzip — Kollegialprinzip bestimmt. Diese Grundsätze ergänzen einander, aber sie konkurrieren auch miteinander. Gemeinsame Leitlinie des Grundgesetzes und der Verfassungen aller Bundesländer außer den Stadtstaaten ist es, dem Regierungschef eine herausgehobene Stellung bei der Gestaltung der Politik 26

zuzubilligen. Hierzu trägt das dem Grundsatz nach auch in allen Flächenstaaten dem Ministerpräsidenten eingeräumte Recht zur Berufung und Entlassung seiner Minister bei. Darüber hinaus steht ihm die Richtlinienkompetenz als Leitungsinstrument zur Verfugung. Für den Bundeskanzler bestimmt Artikel 65 Satz 1 G G : „Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik und trägt dafür die Verantwortung." Nahezu textgleiche, auf den jeweiligen Ministerpräsidenten bezogene Verfassungsbestimmungen finden sich auch in den Landesverfassungen, abgesehen von den Stadtstaaten 11 ). Mit dem — im Grundgesetz oder in der Geschäftsordnung der Bundesregierung nicht definierten — Begriff der Richtlinienkompetenz soll dem Bundeskanzler (und in gleicher Weise den Regierungschefs der Länder) ein „genuines Führungsinstrument" in die Hand gegeben werden: „Es geht bei der Richtlinienbestimmung um die Aufstellung politischer Richtungs- und Führungsgrundsätze mit dem Ziel, sie umzusetzen und zu konkretisieren. Die Richtlinie ist wesenhaft nicht auf Details bezogen, sondern auf das Prinzipielle, Grundsätzliche und Allgemeine oder, wie der Name sagt: auf die Richtung" 1 2 ). Es ist das Recht und die Pflicht des Regierungschefs, die Kontinuität der Regierungspolitik zu sichern und dafür Sorge zu tragen, die zur Verwirklichung der Regierungspolitik, so wie diese meist in der Form von Regierungserklärungen zu Beginn oder im Verlauf einer Wahlperiode dem Parlament gegenüber vorgestellt wird, geeigneten und erforderlichen Schritte einzuleiten. In gleicher Weise wird seine Führungsaufgabe zu erfüllen sein, wenn neue innen- oder außenpolitische Entwicklungen eintreten, auf die reagiert werden muß. Die Ausübung der Richtlinienkompetenz ist an keine Form gebunden. Sie kann mündlich oder in jeder anderen Weise erfolgen. Es genügt, daß der Regierungschef deutlich macht, daß seine Entscheidung fiir die Mitglieder der Regierung verbindlich sein soll.

) Art. 49 Abs. 1 S. 1 VerfBW; Art. 47 Abs. 2 B V ; Art. 102 S. 1 VerfH E ; Art. 28 Abs. 1 S. 1 NdsVerf; Art. 55 Abs. 1 VerfNW; Art. 104 S. 1 VerfRP; Art. 91 Abs. 1 S. 1 VerfSL; Art. 24 Abs. 1 S. 1 Landessatzung. 1 2 ) Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band II, München 1980, S. 303. 11

27

Die Richtlinienkompetenz ist gegenüber dem Ressortprinzip abzugrenzen. „Innerhalb dieser Richtlinien leitet jeder Bundesminister seinen Geschäftsbereich selbständig und unter eigener Verantwortung" (Art. 65 S. 2 GG). Die Mitglieder der Bundesregierung sind an die Richtlinien der Politik gebunden. Soweit diese nicht entgegenstehen, sind sie aber für die in ihrem Geschäftsbereich zu treffenden Entscheidungen selbst verantwortlich. Dies schließt ein Hineinregieren des Regierungschefs in die Ressorts aus, das den Ministern überhaupt keinen eigenen Entscheidungsraum mehr beläßt. Ohne daß eine allgemeingültige Abgrenzung möglich erscheint, kann die Unterscheidung zwischen den Grundsätzen und der Richtung der Politik und Detailfragen ein brauchbares Kriterium darstellen. Allerdings können auch Einzelentscheidungen wie zum Beispiel die Aufnahme oder der Abbruch diplomatischer Beziehungen grundsätzliche Bedeutung haben. Dem Regierungschef wird man auch nicht das Recht bestreiten können, abschließend darüber zu befinden, ob er eine Einzelfrage für so bedeutsam hält, daß sie seiner Richtlinienkompetenz unterfällt; ihm steht daher die „Kompetenz-Kompetenz" zu. Ähnlich wie das Grundgesetz unterscheiden auch die Verfassungen der Flächenstaaten zwischen der Richtlinienkompetenz des Regierungschefs und der Ressortverantwortung der Minister 1 3 ). Auch die Regierung als Kollegialgremium hat eigene Zuständigkeiten und Rechte. Das Grundgesetz enthält, anders als einige Landesverfassungen, keine detaillierte Aufzählung der Fragen, über die das Bundeskabinett als Kollegium entscheidet. Ausdrücklich erwähnt wird lediglich seine Zuständigkeit, über Meinungsverschiedenheiten von Bundesministern zu entscheiden (Art. 65 S. 3 GG). Zu den zahlreichen weiteren Aufgaben, die der Bundesregierung im Kollegium obliegen — sie ergeben sich aus Einzelnormen des Grundgesetzes, in denen eine Aufgabe der Bundesregierung als solcher zugewiesen ist — gehören etwa die Beschlußfassung über Gesetzesinitiativen, die Äußerung zu Stellungnahmen des Bundesrates, mit denen sich dieser zu Gesetzesvorlagen äußert oder selbst die Gesetzesinitiative ergreift, die Entscheidung, den Vermittlungsausschuß anzurufen oder der Beschluß, vor dem Bundesverfassungsgericht ein Verfahren der

13

) Art. 49 Abs. 1 S . 4 VerfBW; Art. 51 Abs. 1 B V ; Art. 102 S. 2 VerfH E ; Art. 28 Abs. 1 S. 2 NdsVerf; Art. 55 Abs. 2 VerfNW; Art. 104 S. 2 VerfRP; Art. 91 Abs. 2 VerfSL; Art. 24 Abs. 2 Landessatzung.

28

abstrakten Normenkontrolle einzuleiten. Die Einzelheiten bedürfen hier keiner Erörterung. Insgesamt wird deutlich, daß auch das Grundgesetz die gemeinsame Beratung und Beschlußfassung aller wesentlichen über die Zuständigkeit eines Ressorts hinausreichenden Fragen und über die wichtigen politischen Fragen in einem kollegialen Gremium will. Dabei wird die Führungsaufgabe des Bundeskanzlers und die sich aus ihr ergebende Befugnis, seine Richtlinienkompetenz auch gegen eine Mehrheitsauffassung der übrigen Mitglieder der Bundesregierung zur Geltung zu bringen, nicht in Zweifel gezogen. Die gemeinsame, unter Umständen kontroverse Erörterung der Sachfragen wird als ein geeignetes Instrument angesehen, um die politisch richtige Entscheidung vorzubereiten. Zugleich soll aber die Fähigkeit zur Entscheidung und die Geschlossenheit der Politik gesichert werden. Dies erfordert Führung, die durch die Richtlinienkompetenz ermöglicht werden soll. Die wesentliche, auch heute noch einleuchtende Begründung für diese ist vor allem von Wilhelm Hennis gegeben worden: Die wachsenden Staatsaufgaben können nicht mehr sauber nach Ressorts aufgeteilt werden, sondern bedürfen mehr als früher der Koordination: „Mit den wachsenden Ressorts und Aufgaben wächst die Bedeutung der Koordination und Lenkung. Kein Ressortminister kann mehr, ohne grob fahrlässig und verantwortungslos zu handeln, sein Ressort fuhren und in ihm die für richtig angesehenen Maßnahmen treffen, ohne sich zuvor des Plazets des Regierungschefs vergewissert zu haben, der allein überblickt, ob diese bestimmte Ressortpolitik mit dem Plan des Ganzen zu vereinbaren ist. Ob er es will oder nicht, er ist gezwungen zu fuhren, und um nichts anderes geht es in der Richtlinienkompetenz" 14). Diese Koordinierungsaufgabe kann nicht ein Kabinett mit einer großen Zahl von Fachministern erfüllen, die jeder für sich in der Leitung ihres Ressorts voll und manchmal übermäßig belastet sind. „Die freiheitliche, verfassungsstaatliche Demokratie verlangt die eindeutig fixierte politische Verantwortlichkeit" 14 ). Die Verfassungen der Bundesländer — von den Stadtstaaten abgesehen — enthalten zum Teil detaillierte Aufzählungen über die 14

) Wilhelm Hennis, Richtlinienkompetenz und Regierungstechnik, 1964, S. 11 f. 29

Aufgaben der Landesregierung als Kollegialgremium 15 ). Für das Verhältnis der Richtlinienkompetenz des Regierungschefs zum Ressort- und zum Kollegialprinzips gelten dort die gleichen Grundsätze wie nach dem Grundgesetz, c) Ergänzende Regelungen durch die Geschäftsordnungen Erhebliche praktische Bedeutung für die Absicherung der Richtlinienkompetenz des Regierungschefs und für die Sicherung einer reibungsfreien Zusammenarbeit der einzelnen Regierungsmitglieder haben die Geschäftsordnungen der Regierungen, die überall (außer in Baden-Württemberg) erlassen worden sind. Beispielhaft ist auf die Geschäftsordnung der Bundesregierung zu verweisen. Jeder Bundesminister ist verpflichtet, die Entscheidung des Bundeskanzlers einzuholen, wenn ihm bei der Wahrnehmung seiner Ressortaufgaben Zweifel über Inhalt oder Auslegung der vom Bundeskanzler erlassenen Richtlinien der Politik kommen (§ 1 Abs. 1 S. 3 GOBReg). Der Bundeskanzler hat das Recht und die Pflicht, auf die Durchfuhrung der Richtlinien der Politik zu achten (§ 1 Abs. 2 GOBReg). Wesentlich an diesen Vorschriften ist, daß sich sowohl der Bundeskanzler als auch seine Minister darum bemühen müssen, daß die Einhaltung der Richtlinien der Politik gewährleistet wird. Insbesondere darf sich ein Minister nicht darauf verlassen, daß der Regierungschef von sich aus tätig werden wird, wenn insoweit Zweifel entstehen sollten, sondern er muß sich selbst im Zweifelsfalle um eine authentische Interpretation der Richtlinien der Politik bemühen. Die Pflicht wird zusätzlich durch eine Informationsverpflichtung abgesichert: „Der Bundeskanzler ist aus dem Geschäftsbereich der einzelnen Bundesminister über Maßnahmen und Vorhaben zu unterrichten, die für die Bestimmung der Richtlinien der Politik und die Leitung der Geschäfte der Bundesregierung von Bedeutung sind" (§ 3 GOBReg). Auf diese Weise soll sichergestellt werden, daß der Bundeskanzler rechtzeitig alle für ihn wesentlichen Informationen erhält. Entsprechende Bestimmungen enthalten die Geschäftsordnungen der Regierungen der Flächenstaaten. Nach § 4 GOBReg hat ein Bundesminister, der eine Erweiterung oder Änderung der Richtlinien der Politik für notwendig erachtet, dem Bundeskanzler unter Angabe der Gründe Mitteilung zu machen und dessen Entscheidung zu erbitten. 15

) Art. 49 Abs. 2 VerfBW; Art. 104 Abs. 3 VerfHE; Art. 28 Abs. 2 NdsVerf; Art. 55 Abs. 3 VerfNW; Art. 105 Abs. 3 VerfRP.

30

Die Verfassungen oder die Geschäftsordnungen der Flächenstaaten enthalten Bestimmungen gleichen oder ähnlichen Inhalts. In Baden-Württemberg ist bisher eine Geschäftsordnung der Landesregierung nicht beschlossen worden, obwohl dies in der Verfassung vorgesehen ist (Art. 49 Abs. 1 S. 2, 3 VerfBW). Die Staatspraxis entspricht aber weitgehend den im Bund und in den anderen Flächenstaaten geltenden Regelungen, d) Die Situation in den Stadtstaaten In den Stadtstaaten bestehen im Vergleich zu der Regelung nach dem Grundgesetz und den Verfassungen der anderen Länder deutliche Unterschiede. Gemeinsames Merkmal der Stadtstaatenverfassungen ist, daß in ihnen die Regierungschefs keine der Bundesregelung vergleichbare Kompetenz haben, die Richtlinien der Politik in dem dort gemeinten Sinne, das heißt aus eigener Verantwortung, zu bestimmen. Die Regelungen in den einzelnen Stadtstaaten unterscheiden sich dabei voneinander in wesentlichen Punkten, aa) Berlin „Der Regierende Bürgermeister bestimmt im Einvernehmen mit dem Senat die Richtlinien der Regierungspolitik. Sie bedürfen der Billigung des Abgeordnetenhauses" (Art. 43 Abs. 2 VerfBE). Der Regierende Bürgermeister hat damit keine eigenständige Richtlinienkompetenz, sondern muß sich zu ihrer Festlegung und bei einer möglichen Änderung oder Ergänzung im Kollegium des Senats abstimmen und anschließend noch die Billigung durch das Abgeordnetenhaus einholen. An der Festlegung der Richtlinien sind daher sowohl der Senat als Kollegialgremium als auch das Abgeordnetenhaus beteiligt. Allerdings kann das Parlament an der Formulierung der Richtlinien nicht mitwirken, sondern sie nur im ganzen bestätigen oder ablehnen. In der Staatspraxis werden die Richtlinien in der Form einer Regierungserklärung vor dem Parlament verlautbart und als Vorlage zur Beschlußfassung im Abgeordnetenhaus eingebracht. Das vor allem nach der Neubildung des Senats nach einer Wahl übliche Verfahren gilt nach der Verfassungslage auch für Situationen, die unvorhersehbar sind, schnelle Entscheidungen erfordern und ihrer Bedeutung nach inhaltlich dem Bereich der Richtlinien der Politik zuzurechnen sind. Auch in diesen Fällen muß der Regierende Bürgermeister nicht nur eine Meinungsbildung im Senat herbeifuhren, sondern zusätzlich das Abgeordnetenhaus um seine Zustimmung bitten. Selbst für Fälle, in denen 31

eine öffentliche Erörterung untunlich erscheint oder das Parlament nur mit einer der Sachentscheidung abträglichen zeitlichen Verzögerung einberufen werden kann, läßt sich die verfassungsrechtliche Lage kaum anders beurteilen, jedenfalls wenn der Begriff der „Richtlinien der Politik" in der Verfassung von Berlin den gleichen Inhalt hat wie in Artikel 65 GG. Vor allem für solche Situationen stellt sich die Frage, ob nicht die „selbständige politische Entscheidungsgewalt der Regierung" und „ihre Funktionsfähigkeit zur Erfüllung ihrer verfassungsmäßigen Aufgaben", die das Bundesverfassungsgericht als „zwingende Gebote der demokratischen rechtsstaatlichen Verfassung" bezeichnet hat (vgl. S. 24/25), in problematischer Weise eingeschränkt werden. Allenfalls eine (vom Wortlaut des Artikel 43 Absatz 2 VerfBE her aber zweifelhafte) Interpretation der Verfassung, die dem Regierenden Bürgermeister wenigstens in solchen krisenhaften Situationen das Recht zu einer eigenverantwortlichen Eilentscheidung gibt, könnte diese Bedenken ausräumen. Sind Richtlinien der Politik auf dem dargestellten Weg festgelegt, so geben die Verfassung und die Geschäftsordnung des Senats dem Regierenden Bürgermeister die Befugnis, die Einhaltung der Richtlinien sicherzustellen. Insoweit sind die Regelungen denen der Bundesregierung angenähert. Artikel 43 Absatz 3 VerfBE bestimmt: „Der Regierende Bürgermeister überwacht die Einhaltung der Richtlinien; er hat das Recht, über alle Amtsgeschäfte Auskunft zu verlangen." Die Senatoren sind verpflichtet, den Regierenden Bürgermeister „bei allen Angelegenheiten zu beteiligen, die für die Richtlinien der Politik von Bedeutung sind" (§ 8 Abs. 1 GOSenBE). Die Richtlinien „sind für die Senatsmitglieder verbindlich und von ihnen in ihren Geschäftsbereichen selbständig und in eigener Verantwortung zu verwirklichen" (§ 2 Abs. 1 S. 2 GOSenBE). Weiter heißt es in § 2 Absätze 2 und 3 GOSenBE: „Zweifel über die Anwendbarkeit und die Auslegung der Richtlinien entscheidet der Regierende Bürgermeister. Hiergegen kann jedes Senatsmitglied die Entscheidung des Senats anrufen. Der Regierende Bürgermeister ist aus dem Geschäftsbereich der einzelnen Senatsmitglieder über alle Maßnahmen und Vorhaben zu unterrichten, die im Hinblick auf die Richtlinien der Regierungspolitik oder für die Leitung der Geschäfte des Senats von Bedeutung sind. Treten Gründe 32

für eine Änderung oder Ergänzung der Richtlinien der Regierungspolitik hervor, so hat das zuständige Senatsmitglied hiervon dem Regierenden Bürgermeister unter gutachterlicher Äußerung unverzüglich Mitteilung zu machen; der Regierende Bürgermeister hat den Senat zu unterrichten und erforderlichenfalls ein Einvernehmen mit ihm und die Billigung des Abgeordnetenhauses herbeizufuhren." Im Ergebnis läßt sich hiernach sagen, daß der Regierende Bürgermeister von Berlin durchaus über Instrumente verfügt, um die Einhaltung der einmal festgelegten Richtlinien zu sichern. Dagegen ist er für die Feststellung und bei einer Änderung oder Ergänzung der Richtlinien von dem im Senat erzielten Einvernehmen und von der Zustimmung des Abgeordnetenhauses abhängig. Zum Ausgleich von Meinungsverschiedenheiten zwischen den Ressorts durch den Senat als Kollegium enthält die Berliner Verfassung Regelungen, die denen des Grundgesetzes ähnlich sind (Art. 43 Abs. 5 S. 2 VerfBE). Ergänzende Bestimmungen trifft die Geschäftsordnung des Senats, bb) Bremen Die Verfassung von Bremen verwendet den Begriff „Richtlinien der Politik" nicht. Zwar wird in Artikel 118 Absatz 1 Satz 1 VerfBR davon gesprochen, daß der Senat „die Verwaltung nach den Gesetzen und den von der Bürgerschaft gegebenen Richtlinien" führt. Dies bedeutet aber nicht die Bestimmung von Richtlinien der Regierungspolitik in dem in Artikel 65 GG gemeinten Sinn. Praktische Bedeutung hat die Befugnis der Bürgerschaft, Richtlinien für die Verwaltung zu erlassen, bisher nicht erlangt. Aus der Geschäftsordnung des Senats von Bremen ergeben sich Informationsrechte und -pflichten. Der Bürgermeister ist „aus den Geschäftsbereichen der einzelnen Mitglieder des Senats über alle Maßnahmen und Vorhaben zu unterrichten, die für die Leitung der Geschäfte des Senats von Bedeutung sind" (§ 9 Abs. 4 GOSenBR). Der Regierungschef hat das Recht, „jederzeit von den Mitgliedern des Senats Auskünfte über Vorgänge und Maßnahmen in deren Geschäftsbereichen einzuholen". Eine Richtlinienkompetenz ergibt sich hieraus nicht. Die Vorschriften dienen dem Zweck, den Regierungschef in die Lage zu versetzen, seine Aufgabe erfüllen zu können, „für den ordnungsgemäßen Geschäftsgang" sowie „für 33

die gehörige Ausführung" der Aufgaben durch die Senatoren Sorge zu tragen (Art. 115 Abs. 2 S. 2 VerfBR). Auch die bremische Verfassung enthält einen Katalog der Zuständigkeiten, die dem Senat als Kollegialgremium obliegen (Art. 120 VerfBR). cc) Hamburg In Hamburg bestimmt nicht der Erste Bürgermeister, sondern das Kollegium des Senats die Richtlinien der Politik (Art. 33 Abs. 1 S. 2 VerfHA). In der Geschäftsordnung des Senats werden die Richtlinien der Politik nicht erwähnt, und es fehlen Bestimmungen, die der Geschäftsordnung der Bundesregierung oder des Senats von Berlin entsprechen. Die Stellung des Regierungschefs wird wie folgt umschrieben: „Der Präsident des Senats hat die Aufgabe, die Senatsgeschäfte zu leiten, das innere und äußere Gedeihen des Staatswesens zu überwachen, für wichtige Staatsangelegenheiten persönlich einzutreten und grundlegende Arbeiten auf dem Gebiet der Gesetzgebung und Verwaltung zu fordern" (Art. 41 Abs. 2 VerfHA). Die Geschäftsordnung gibt dem Ersten Bürgermeister das Recht, „in Angelegenheiten, die für die allgemeine Staatspolitik von Bedeutung sind, . . . die Bearbeitung selbst zu übernehmen" (§ 5 Abs. 4 GOSenHA); außerdem kann er jederzeit von den Behörden Auskünfte einholen. Eine Richtlinienkompetenz des Regierungschefs wird man hieraus nach dem eindeutigen Wortlaut des Artikels 33 Absatz 1 Satz 2 VerfHA nicht herleiten können. Im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen um die Hamburger Hafenstraße berichtete die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" am 19.November 1987 u.a. über den Vorgang, bei dem der Erste Bürgermeister angesichts eines im Senat bereits gefaßten Beschlusses einen letzten Versuch machen wollte, eine Lösung des Problems auf einem anderen Wege zu erreichen: „Zur Senatssitzung vom Dienstag waren unterschiedliche Modelle überlegt worden, bei denen einmal der Paragraph 5 der Geschäftsordnung des Senats herangezogen wurde: eine Bestimmung, die dem ohne Richtlinienkompetenz regierenden Ersten Bürgermeister und Präsidenten des Senats in Angelegenheiten, die für die Politik der Stadt von Bedeutung sind, das Recht einräumt, die Bearbeitung selbst zu übernehmen. Ferner wurde jener Artikel der hamburgischen Verfassung geprüft, der die Aufgaben und die 34

Stellung des Senatspräsidenten innerhalb des Senatskollegiums regelt, so etwa sein Recht und seine Pflicht, ,fur wichtige Staatsangelegenheiten persönlich einzutreten'. Aber die Berufung auf solche Grundlagen wurde von den Rathausjuristen schließlich verworfen." Ob der Vorgang, der durch eine erneute Beschlußfassung im Senat abgeschlossen wurde, durch die das Verhalten des Regierungschefs gutgeheißen wurde, sich so abgespielt hat, kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls bestätigt eine derartige Lage, die der Sache nach eine grundsätzliche Frage der Politik betrifft, daß die Entscheidung hierüber verfassungsrechtlich beim Senat und nicht beim Regierungschef liegt. Er kann dann seinen Standpunkt nur unter vollem persönlichen Einsatz und mit dem Risiko, daß ihm das Kollegium nicht folgt, zur Geltung bringen. Im übrigen enthält die Verfassung von Hamburg ebenfalls Bestimmungen über die Befugnisse des Senatskollegiums in Abgrenzung von den einzelnen Ressorts (Art. 42 Abs. 1 S. 2 Nrn. 1 - 5 VerfHA). II. Die Stadtstaaten als Bundesländer und als Großkommunen 1. Rechtliche und politische Grundlagen a) Die Bundesländer im Bundesstaat Das bundesstaatliche Prinzip des Grundgesetzes (Art. 20 Abs. 1 GG) sichert den Ländern der Bundesrepublik Deutschland einen Raum eigenständiger Gestaltung und die Möglichkeit der Mitwirkung an der Gesetzgebung des Bundes. Zugleich wirken die von den Verfassungsorganen des Bundes getroffenen Entscheidungen in vielfältiger Weise auf die Verhältnisse in den Ländern ein. Landespolitik läßt sich unter den Gegebenheiten der Gegenwart auch in den Bereichen, die nach der Verfassungsordnung den Ländern überlassen werden, nicht unabhängig von den Vorgaben und Einwirkungen der Bundespolitik gestalten. Die Notwendigkeiten einer modernen und hochtechnisierten Gesellschaft, die in starkem Maße von europäischen und weltwirtschaftlichen Entwicklungen abhängig ist, haben zusammen mit den durch den technischen Fortschritt hervorgerufenen grenzüberschreitenden Problemen zu einer Verlagerung der politischen Gewichte auf die Bundespolitik gefuhrt, neben der den Bundesländern nur noch ein 35

geringerer Bereich eigenverantwortlicher Gestaltungsmöglichkeiten verbleibt. In dem Maße, in dem diese oft bedauerte, aber grundsätzlich kaum umkehrbare Entwicklung stattfand, verstärkte sich andererseits der Einfluß der Länder auf die Bundespolitik. Der Bundesrat, über den die Länder an der Gesetzgebung des Bundes mitwirken, hat sich eine wachsende Bedeutung sichern können. Auch auf den Gebieten, die, wie etwa die Außenpolitik, nach der Verfassungsordnung dem Bund vorbehalten sind, üben besonders die wirtschaftlich starken und exportorientierten Länder einen erheblichen Einfluß aus. Auch hat sich bei einem Teil der den Ländern verbleibenden Aufgaben, wie etwa der Kulturpolitik, den Fragen der inneren Sicherheit und auf dem Gebiet des Rundfunks das zunehmende Bedürfnis einheitlicher oder doch aufeinander abgestimmter Regelungen der Länder ergeben, da auch diese Fragen ihrer Natur nach Landesgrenzen überschreiten oder Bedürfnisse der Bürger für eine möglichst große Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse sprechen. Dem dienen die vielfaltigen gemeinsamen Einrichtungen der Länder, die Regelungen von Staatsverträgen, die — wie etwa im Rundfunkbereich — zu einem durch übereinstimmende Ländergesetze bundeseinheitlich geltenden Normensystem fuhren, die Konferenzen der Fachminister, etwa der Kultusminister oder der für die Polizei der Länder verantwortlichen Innenminister, und die gemeinsamen Besprechungen der Ministerpräsidenten, die sich um eine einheitliche Politik gegenüber der Bundesregierung dort bemühen, wo weniger die unterschiedlichen parteipolitischen Sichtweisen der Länder, als vielmehr ihre dem Bund gegenüber einheitlichen Interessen eine Kooperation nahelegen. Diese oft diskutierten und auch kritisch gewürdigten, im ganzen aber wohl nicht mehr umkehrbaren Entwicklungen sind vor allem unter dem Stichwort des „unitarischen Bundesstaates" erörtert worden (Konrad Hesse), das heißt eines grundsätzlichen Bedeutungswandels des föderalistischen Prinzips, das heute nicht mehr oder jedenfalls nicht mehr in erster Linie Eigenständigkeit der Länder, sondern ein zusätzliches Element der Gewaltenteilung bedeutet, bei dem neben den Verfassungsorganen der Bundesrepublik Deutschland auch die Länder auf die Bundespolitik einwirken. Für die in diesem Bericht zu erörternden Fragen ist die skizzierte Entwicklung insofern von Bedeutung, als sich aus ihr in zweifacher Weise Auswirkungen ergeben: Die Aufgaben, die den Ländern bei der Formulierung ihrer Politik 36

in den Fachministerkonferenzen und anderen gemeinsamen Einrichtungen der Bundesländer entstehen, sind in erster Linie von der jeweiligen Landesregierung zu beantworten. Das gleiche gilt bei der Erarbeitung der Stellungnahme des Landes zu den bundespolitischen Themen, die im Bundesrat erörtert und nach Maßgabe der Zuständigkeit dieses Verfassungsorgans mitentschieden werden. Den Landesparlamenten verbleibt ihre Kontrollfunktion gegenüber der Regierung, die sich auch auf deren Verhalten bei Abstimmungen im Bundesrat oder bei gemeinsamen Beratungen von Regierungsvertretern der Länder beziehen kann. Unmittelbaren Einfluß darauf, wie die Repräsentanten des Landes im Bundesrat oder bei anderen Gelegenheiten abstimmen oder sonst ihren Standpunkt vertreten, können die Landesparlamente nur in einem sehr begrenzten Umfange ausüben. Verfassungsrechtlich sind sie nicht befugt, den Vertretern des Landes im Bundesrat bindende Weisungen zu geben oder die Landesregierung zu verpflichten, ihren Vertretern solche bindenden Weisungen zu erteilen. Dies gilt in gleicher Weise für „Instruktionen" durch das Staatsvolk des Landes etwa im Wege einer Volksabstimmung 1 ). Das Parlament, das die Politik seiner Regierung im Bereich bundespolitischer Entscheidungen mißbilligt, ist daher darauf beschränkt, der Regierung das Vertrauen zu entziehen. Damit ergibt sich aus dem Wandel des föderalistischen Prinzips zugleich eine Gewichtsverlagerung im Verhältnis von Landesregierung und Landesparlament: Je stärker die Bedeutung der bundespolitischen Funktion der Länder wird, desto wichtiger wird die Rolle der Landesregierungen. Auch diese Entwicklung wird sich kaum umkehren oder auch nur abschwächen lassen. Die Erörterung der Frage, ob und auf welche Weise dies dennoch versucht werden könnte, liegt außerhalb des Aufgabenbereichs der Kommission. Die zweite Auswirkung dieser Entwicklung bezieht sich auf die Anforderungen an die Arbeit der Landesregierung, die sie in die Lage versetzen sollen, ihre auch bundespolitische Aufgabe zu erfüllen. Der Landespolitiker, der diesem Anspruch gerecht werden soll, muß heute zugleich auch Bundespolitiker sein, das heißt, er muß die bundespolitischen Probleme und ihre Zusammenhänge mit seinem Lande überschauen und sich eine Meinung auch zu solchen Fragen bilden können, die zur Zuständigkeit des Bundes gehören, aber über den Bundesrat auch von den Ländern mitent1

) BVerfGE 8, 120 f. 37

schieden werden. Abgesehen von den hohen persönlichen Anforderungen an die Qualität der Regierungsmitglieder, die sich hieraus ergeben, kann ein Land diese Rolle nur dann angemessen erfüllen, wenn seine Regierung zielbewußt und geschlossen handeln kann. Dies gilt vor allem für den Regierungschef, dem hierbei mehr als allen anderen Regierungsmitgliedern die Verantwortung für die Vertretung der Meinungen und Interessen seines Landes zufallt. Dies hängt hier — wie selbstverständlich überall — von seinen persönlichen Fähigkeiten ab, aber auch davon, inwieweit er in der Lage ist, die Politik seiner Regierung zu bestimmen und sie auch dann der Bundesregierung gegenüber oder im Bundesrat zu vertreten, wenn unerwartete und dringliche Fragestellungen auftreten, zu denen er sich äußern muß, ohne die Möglichkeit zu Rückfragen oder Beratungen im Kollegium seiner Regierung zu haben. Man kann vermuten, daß ein Faktor des größeren oder geringeren Einflusses der einzelnen Bundesländer auf die bundespolitischen Fragen in der Ausgestaltung der Stellung des Regierungschefs innerhalb seiner Landesregierung liegt, die sich aus den in dem vorigen Abschnitt erörterten Problembereichen ergibt. Außerdem werden naturgemäß andere Faktoren, wie die politische Zusammensetzung der Regierung oder die sich aus der wirtschaftlichen Stärke des Landes ergebende politische Durchsetzungefahigkeit eine Rolle spielen. Berechnen läßt sich dies nicht; aber hieraus rechtfertigt sich auch nicht die Schlußfolgerung, es käme auf Fragen der Gewichtsverteilung innerhalb der Landesregierungen überhaupt nicht an. Für die Stadtstaaten, deren Verfassungen sich in dieser Beziehung deutlich von denen der anderen Länder unterscheiden, könnte insoweit Anlaß zur Überprüfung ihres verfassungsrechtlichen Instrumentariums bestehen, zumal ihre besondere politische Exponiertheit — Berlin — und erhebliche wirtschaftliche Strukturprobleme — beide Hansestädte — sie in erhöhtem Maße von den Wirkungen bundespolitischer Entscheidungen abhängig machen, b) Die Stadtstaaten als Kommunen Gelten die dargestellten bundesstaatlichen Fragen für alle Bundesländer in grundsätzlich gleicher Weise und damit auch für die Stadtstaaten, so weisen diese zusätzlich Besonderheiten auf, die sie von den Flächenstaaten deutlich unterscheiden. Wie schon zu Beginn des vorigen Abschnitts kurz umschrieben, sind die Stadtstaaten Länder der Bundesrepublik Deutschland, zugleich aber auch große kommunale Einheiten mit grundsätzlich gleichartigen Aufgaben und Problemen wie andere vergleichbare 38

Großstädte. Während die verfassungsrechtlichen Regelungen fiir das Zustandekommen der Regierungen und die Stellung des Regierungschefs ungeachtet mancher Besonderheiten zwischen den einzelnen Stadtstaaten diese deutlich von den anderen Bundesländern absetzen, lassen sich ihre Kommunalverfassungen schon in ihrer grundsätzlichen Ausgestaltung nur sehr begrenzt miteinander vergleichen; dies wird später in seinen Grundzügen dargestellt werden (s. S. 41 ff.). Für alle drei Stadtstaaten gilt aber in gleicher Weise, daß ihre Regierungen sich einer außergewöhnlich großen Spannbreite von Aufgaben gegenübersehen. Sie reicht von der Beteiligung an den großen Fragen der Bundespolitik bis zu den im Vergleich hierzu weniger spektakulären, deswegen aber keineswegs einfachen Fragen des städtischen Verkehrswesens, der Müllabfuhr, der Energieversorgung und zahllosen anderen örtlichen Problemen. Von den politisch Verantwortlichen in den Flächenstaaten wird ein vergleichbar weites Feld an Aktivitäten und Kenntnissen nicht erwartet. Zwar hängen von den bundespolitischen bis zu den regionalen und örtlichen Problemen alle Sachfragen miteinander zusammen. Aber die mit ihrer Lösung befaßten Personen sind sonst auf die eine oder die andere Entscheidungsebene spezialisiert und brauchen Themen, die außerhalb ihres engeren Zuständigkeitsbereichs liegen, nicht bis ins Detail zu beherrschen. Dem Regierungschef eines Stadtstaates und in geringerem Umfange dem Mitglied seiner Regierung ist die Möglichkeit, seine Aufmerksamkeit und Arbeitskraft auf einen Teilbereich zu konzentrieren, nicht gegeben. Er muß, wenn er politisch Erfolg haben will, versuchen, Spezialist für alles zu sein. Auch die Bevölkerung, die seine Tätigkeit verfolgt und mit der Wahlentscheidung kritisch würdigt, erwartet von ihm überzeugende Leistungen auf allen diesen Gebieten. Auch die eigentliche Kommunalpolitik, die örtliche, die Lebensverhältnisse der Bürger unmittelbar berührende Fragen betrifft und diesen daher einsichtiger ist als die abstrakt erscheinenden Fragen der „großen" Politik, wird in jedem der Stadtstaaten als ein Gebiet angesehen, auf dem die Erwartungen auf die Landesregierung gerichtet sind. In einem Flächenstaat werden lokale Probleme und damit auch bestehende oder behauptete Mängel oder Unzulänglichkeiten im allgemeinen nicht der Landesregierung angelastet oder sie für deren Lösung in erster Linie verantwortlich gemacht werden. Hier tritt dem betroffenen Bürger die Gemeinde, die im Rahmen der ihr auch verfassungsrechtlich gewährleisteten (Art. 28 Abs. 2 GG) Selbstverwaltung tätig wird, gegenüber. Bei 39

übergreifenden Fragen treten vielfach die — in den (Flächen-)Ländern unterschiedlich ausgestalteten — höheren Verwaltungseinheiten unterhalb der Ebene der Landesregierung in Funktion. In den Großstädten werden die Probleme und Konflikte verdichtet; es fehlt, aus der Sicht der Landesregierung, die für sie politisch und aufgabenbezogen nützliche „Pufferwirkung" von Verwaltungsinstanzen, die unterhalb der Ministerien und damit außerhalb der Regierung tätig werden. Hinzu treten die je spezifischen Besonderheiten der einzelnen Stadtstaaten, die insgesamt eine noch weitergehende Verdichtung der politischen Verantwortung bewirken. In Berlin wirkt sich vor allem die mit der Lage keines anderen Landes vergleichbare örtliche Isolierung in einzigartiger Weise auf allen Ebenen der Regierungstätigkeit problemverschärfend aus: Aus der Insellage der Stadt ergeben sich ebenso Fragen außen- und deutschlandpolitischer Art, also von höchstem politischen Gewicht, die in das Zentrum der Konflikte der Weltmächte führen, wie auch Fragen des innerstädtischen Verkehrs, die auch anderswo entstehen können, aber in Berlin nur unter Berücksichtigung der isolierten Lage der Stadt und ihrer Teilung behandelt werden können. Fehlt Berlin das Umland im buchstäblichen Sinne, so gilt dies für die beiden Hansestädte nur im übertragenen Sinne; aber auch Hamburg und Bremen weisen auf Besonderheiten ihrer Lage hin, die sie von den Flächenstaaten in eigenartiger Weise unterscheiden: Die ohnehin bestehenden wirtschaftlichen Strukturprobleme werden hier durch den Umstand verschärft, daß ein großer Teil der in beiden Städten tätigen Arbeitnehmer nicht innerhalb der Städte selbst, sondern im Umland wohnt und damit diesen ein erheblicher Teil des Steueraufkommens entgeht. Hinzu kommt, daß die Städte Metropolfunktion für ihr Umland haben. So entstehen zusätzliche finanzielle Probleme. Aus diesen hier nur angedeuteten Besonderheiten — die aktuellen Fragestellungen, wie sie aus der Sicht der Regierungschefs der Kommission dargestellt worden sind, werden anschließend noch in einigen Punkten berichtet — ergibt sich die Überlegung, ob die bestehenden Verfassungen der Stadtstaaten die geeigneten Strukturen enthalten und die Instrumente bereithalten, die auch unter den heute bestehenden Verhältnissen ausreichen. Dabei ist bereits bei der Beschreibung der der Kommission übertragenen Aufgabe auf die besonderen Schwierigkeiten hingewiesen worden, die einer detaillierten Behandlung des kommunalen Bereichs und seiner

40

Abgrenzung von den staatlichen Aufgaben der Landesregierungen entgegenstehen, c) Kommunalverfassungen Die Kommission hat auch die Frage geprüft, ob sich aus dem Vergleich mit den Verfassungen und der Praxis anderer Großkommunen in der Bundesrepublik Hinweise für die Praktikabilität und Effizienz der in den drei Stadtstaaten geltenden Regelungen ergeben. Richtig ist, daß andere Großkommunen, deren Bevölkerung die Millionengrenze überschreitet oder streift, die zwar erheblich weniger Einwohner als Berlin und Hamburg, jedoch mehr als der Städtestaat Bremen zählen, vor vergleichbaren Großstadtproblemen und Aufgaben stehen wie die Stadtstaaten. Dies gilt sowohl für rein stadtbezogene Fragen — wie etwa innerstädtische Verkehrsprobleme, Ver- und Entsorgungsprobleme, Bewältigung der typisch großstädtisch geprägten Fragen des wirtschaftlichen Strukturwandels, Fragen der inneren Sicherheit — als auch hinsichtlich ihrer Zentralfunktion für die umliegenden Regionen (z.B. München, Stuttgart, Frankfurt, Hannover). Teilweise erfüllen sie auch — ähnlich wie die Stadtstaaten — Aufgaben, die im nationalen Interesse liegen. Wie die Stadtstaaten stehen sie vor vergleichbaren Spannungen im Verhältnis von Zentrale und bezirklichen oder örtlichen Selbstverwaltungen oder Untergliederungen. In keiner der vergleichbaren Großkommunen gibt es eine so ausgeprägte Bezirksverwaltung wie etwa in Berlin oder Hamburg. Dies dürfte auch darauf zurückzuführen sein, daß die Stadtregierung nicht die Doppelfunktion als Landesregierung und als Kommunalverwaltung wahrzunehmen hat. Daher scheint das Bestreben nach einer klaren Aufgabentrennung und Dezentralisierung innerhalb der Stadt weniger Gewicht zu haben. Bei allen Unterschieden bewältigen die anderen Großkommunen die ihnen obliegenden Aufgaben — Selbstverwaltungsaufgaben und Auftragsangelegenheiten — mit einer Magistratsverfassung, die gekennzeichnet ist durch das Kollegialprinzip, die Bestellung und Abberufung der Magistratsmitglieder durch die Stadtvertretung, nicht durch den Bürgermeister, und durch eine fehlende Richtlinienkompetenz des Bürgermeisters oder des Magistrats. Dies gilt auch dort, wo der Bürgermeister (Oberstadtdirektor) auf eine von der Wahlperiode des Stadtparlaments abweichende Zeit gewählt wird (Regelfall), zum Teil sogar durch Urwahl der Bevölkerung (München, Stuttgart, Frankfurt u. a.). Die Urwahl und vor 41

allem die Abkoppelung der Amtszeit der Bürgermeister von den Wahlperioden der Stadtparlamente begünstigen freilich die Wahl starker, oft von ihrer Parteizugehörigkeit in den Augen der Bevölkerung weitgehend abgehobener Persönlichkeiten. Der für die Länder geltende Grundsatz der parlamentarischen Demokratie verbietet Lösungsvorschläge für die Stadtstaaten in dieser Richtung. Bei dem Vergleich mit anderen Großkommunen darf bei aller Ähnlichkeit der kommunalen Problemlagen auch nicht verkannt werden, daß die drei Stadtstaaten als Länder staatliche Aufgaben wahrnehmen und wahrzunehmen haben. Ob ihre Verfassungsund Regierungsstruktur unter dem Gesichtspunkt des unitarischen Bundesstaates dieser staatlichen Aufgabenwahrnehmung noch entspricht, gehört zu den Gegenständen dieses Gutachtens, eine Frage, die sich für die anderen Großkommunen nicht stellt. Die Stadtstaaten haben das Problem zu lösen, wie sie ihrer Doppelfunktion gerecht werden sollen. Dabei stellt sich für die Aufgabenbewältigung als Landesregierung das Prinzip einer kommunalen Magistratsverfassung als nicht sachgerecht heraus. Die Kommission ist daher der Auffassung, daß eine rechtsvergleichende Betrachtung dieser Art für die Lösung der Verfassungsund Regierungsstruktur der Stadtstaaten keine Lösungen anbietet. 2. Der A u f b a u der Verwaltung und ihre Probleme a) Berlin Der 1920 durchgeführte Zusammenschluß zahlreicher Städte, Landgemeinden und Gutsbezirke zu der neuen einheitlichen Stadtgemeinde Berlin hat zu einem zweistufigen Verwaltungsaufbau geführt, der bis heute im Grundsatz unverändert geblieben ist. Den inkorporierten, früher selbständigen Gemeinden sollte ein gewisses Maß an Selbstverwaltung erhalten bleiben, um auch in einer Millionenstadt bürgernahe Verwaltung zu ermöglichen. Andererseits hätte eine den neugebildeten Bezirken zuerkannte Selbständigkeit im Sinne des heute dem Artikel 28 Absatz 2 G G zugrundeliegenden GemeindebegrifFs der Zielsetzung des Zusammenschlusses, die dichtbesiedelte Großstadt nach einheitlichen Gesichtspunkten zu verwalten, gerade widersprochen. So ergab sich der auch heute noch fortbestehende Kompromißcharakter der Regelung, die nach Artikel 50 Absatz 2 VerfBE bestimmt, daß die Bezirke „an der Verwaltung nach den Grundsätzen der Selbstverwaltung zu beteiligen" sind. Sie sind „nicht rechtsfähige Verwaltungseinheiten Berlins", „Selbstverwaltungseinheiten Berlins 42

ohne Rechtspersönlichkeit" ( § 2 Abs. 1 des Bezirksverwaltungsgesetzes vom 30. Januar 1958 in der Fassung vom 24. Juni 1971). Aus dieser grundsätzlichen Konstruktion ergibt sich die fortbestehende Fragestellung, welches Maß an Selbstverwaltung den Bezirken zuzugestehen ist. Sie wirkt sich auch auf die Arbeit der Senatsmitglieder aus, die alle Aufgaben der Mitglieder der Regierung eines Bundeslandes zu erfüllen haben, zugleich aber kommunale Verwaltungsaufgaben erledigen müssen. Der Senat soll die „Grundsätze und Richtlinien für die Verwaltung" aufstellen; er „nimmt durch die Hauptverwaltung Aufgaben wahr, die wegen ihrer übergeordneten Bedeutung oder wegen ihrer Eigenart einer einheitlichen Durchfuhrung bedürfen" (Art. 51 Abs. 1 S. 1 VerfBE); die Bezirke „nehmen die sonstigen Angelegenheiten der Verwaltung wahr" (Art. 51 Abs. 2 S. 1 VerfBE). Die näheren Regelungen trifft das in Artikel 51 Absatz 3 VerfBE vorgesehene Gesetz über die Zuständigkeiten in der allgemeinen Berliner Verwaltung (Allgemeines Zuständigkeitsgesetz vom 2. Oktober 1958), das die Mitglieder des Senats (Senatsverwaltungen) sowie die ihnen nachgeordneten Behörden und nichtrechtsfähigen Anstalten und die Eigenbetriebe als Hauptverwaltung bezeichnet. Der Hauptverwaltung sind die von ihr wahrzunehmenden „Vorbehaltsaufgaben" übertragen; andere Vorbehaltsaufgaben werden den Bezirksverwaltungen übertragen (übertragene Vorbehaltsaufgaben). Alle sonstigen Verwaltungsaufgaben sind bezirkseigene Angelegenheiten. Soweit die Bezirke übertragene Vorbehaltsaufgaben durchfuhren, unterliegen sie der Fachaufsicht des zuständigen Senatsmitglieds. In ihren bezirkseigenen Angelegenheiten unterliegen die Bezirke einer „Bezirksaufsicht", welche die Rechtmäßigkeit und den geordneten Gang der Verwaltung sicherstellen soll. Dabei ist für die wichtigeren Aufsichtsmaßnahmen wie die Aufhebung oder Ersetzung einer im Bezirk beschlossenen Maßnahme ein Senatsbeschluß erforderlich. Zugleich mit dem Abgeordnetenhaus werden in den Bezirken die Mitglieder der Bezirksverordnetenversammlungen gewählt, die „Organ der bezirklichen Selbstverwaltung" sind und den jährlichen Finanzbedarf als Grundlage für den Haushaltsplan feststellen (Art. 56 VerfBE), also die finanziellen Anforderungen des Bezirks als Grundlage für die Haushaltsberatungen von Senat und Abgeordnetenhaus definieren. Die Mitglieder der von den Bezirksverordnetenversammlungen gewählten Bezirksämter werden (seit 1969) für die Dauer der Wahlperiode gewählt, wobei das Bezirksamt entsprechend dem in der Bezirksverordnetenversamm43

lung bestehenden Stärkeverhältnis der Parteien zusammengesetzt sein „soll" (so seit der Änderung des Bezirksverwaltungsgesetzes durch Gesetz vom 24. Juni 1971). Die Bezirksbürgermeister sollen in den regelmäßigen gemeinsamen Besprechungen des Regierenden Bürgermeisters mit dem Rat der Bürgermeister für ihre Bezirke zu den grundsätzlichen Fragen der Verwaltung und Gesetzgebung der Stadt Stellung nehmen können (Art. 52 VerfBE). Damit ist der Verwaltungsaufbau und die Aufgabenverteilung zwischen der Hauptverwaltung und den Bezirken nur in wenigen Grundzügen beschrieben. Weitere Einzelheiten und eine kritische Würdigung finden sich insbesondere in den Beiträgen von Horst Sendler, Präsident des Bundesverwaltungsgerichts, der sich auch in der von der Kommission durchgeführten Anhörung in Berlin geäußert hat 2 ). Auch von anderen an der Anhörung beteiligten Persönlichkeiten sind die Probleme plastisch geschildert worden, die sich aus dem Prinzip der Zweistufigkeit der Verwaltung ergeben. Aus der Sicht der Bezirke und einiger ihrer Vertreter könnte eine möglichst weitgehende Verlagerung der Aufgabenerfullung in die Bezirke die Hauptverwaltung und damit auch die Mitglieder der Landesregierung entlasten und es diesen erlauben, sich auf die Rolle als Regierungsmitglied eines Bundeslandes zu konzentrieren. Auch könnte nach dieser Meinung die Bürgernähe der Verwaltung gestärkt werden. Manche (umstrittenen) Reformvorschläge gehen so weit, die Wahlperioden der Bezirksverordnetenversammlungen von denen des Abgeordnetenhauses zu lösen, die Bezirksbürgermeister unmittelbar von der Bevölkerung wählen zu lassen oder die Bezirksämter politisch, also nach Entscheidung der Mehrheit und nicht mehr nach Proporz zu besetzen. Gegenläufige Überlegungen deuten, wie Sendler schreibt, „hinter vorgehaltener Hand" darauf hin, daß eine Einheitsgemeinde mit Selbstverwaltungseinheiten ein Widerspruch in sich selbst sei. An diesem „Geburtsfehler" kranke die Berliner Verwaltung. Demgegenüber habe das Hamburger Modell, das den Bezirken sehr viel weniger Eigenverantwortung beläßt, den Vorteil strafferer Führung der Verwaltung und eines wesentlich geringeren personellen Aufwandes vor allem in den Spitzenstellungen der Bezirksämter. Die heute bestehende Konstruktion ist in ihren Grundzügen seit 1920 nicht verändert worden. Geändert hat sich aber die Lage, und dies in mehrfacher Beziehung. Die besondere Lage Berlins 2

) Horst Sendler, JR 1985, S. 441 ff. und DÖV 1987, S.366ff.

44

ohne eigenes Umland und umgeben von der DDR, zu der auch nur einigermaßen geregelte, nach wie vor mit vielen Problemen belastete Beziehungen erst im Laufe eines langjährigen und schwierigen Prozesses hergestellt werden konnten, hat auch Auswirkungen auf die Erfüllung der kommunalen Aufgaben Berlins. Hierzu gehören — wie schon erwähnt — etwa Fragen der Müllabfuhr, der Energieversorgung oder des innerstädtischen Verkehrs. Zugleich ist Berlin eine besondere nationale Verantwortung zugewachsen. Sie bewirkt, daß Fragen der Stadtentwicklung und -gestaltung wie etwa die Ausgestaltung des repräsentativen Stadtzentrums oder des Geländes um den Reichstag keine nur örtliche Angelegenheit sind, die sonst dem zuständigen Bezirk überlassen werden könnte. Allein dies schließt (nach Darstellung des Regierenden Bürgermeisters in der Anhörung in Berlin) einen „Abschied der Zentrale aus der Kommunalpolitik" aus; jedenfalls gebe es, abgesehen von den Außenbezirken, in wichtigen Bereichen der Stadt eine überörtliche Verantwortlichkeit, der sich der Senat nicht entziehen könne. Auch die besondere Rechtsstellung Berlins innerhalb der Bundesrepublik Deutschland muß bei vielen Entscheidungen berücksichtigt werden. Schließlich ergibt sich aus der neuen Rolle Berlins wie der anderen Stadtstaaten die Mitverantwortung für die Gestaltung der Politik durch den Senat als Landesregierung und die Mitwirkung an der Bundespolitik. Im Falle Berlins wird die Bedeutung dieser Rolle durch die besondere Lage der Stadt noch verstärkt. Die Berliner Landesregierung und vor allem der Regierende Bürgermeister haben eine zusätzliche Verantwortung in Fragen der Außen- und der Deutschlandpolitik, die wiederum Auswirkungen auf die Erfüllung der anderswo eher kommunalen Fragen haben können. Schon angesichts dieser neuartigen Problemstellungen ist es jedenfalls nicht selbstverständlich, daß die Konstruktion einer Magistratsverfassung, wie sie in Berlin besteht, heute noch im Grundsatz unverändert zu ihrer Lösung geeignet ist. Die gegenwärtige Rechtslage wird demgegenüber als eine Situation beschrieben, die „alle Mängel eines Kompromisses" aufweist, der „weder die Anhänger einer starken Verwaltungsspitze Berlins, noch die Befürworter einer weitgehenden bezirklichen Selbstverwaltung befriedigt" (Sendler). In der Anhörung in Berlin ist von verschiedener Seite — sowohl vom Regierenden Bürgermeister wie auch durch Mitglieder des Abgeordnetenhauses, aus anderer Sicht auch durch Bezirksbürgermeister — geschildert worden, daß die Verknüpfung der Zuständigkeiten von Hauptverwaltung und 45

Bezirken oft zu der Notwendigkeit mehrfacher Entscheidungsgänge fuhrt, bei denen jeweils dieselbe Frage zwischen den Beteiligten immer neu behandelt werden muß. Auch das Abgeordnetenhaus habe nicht nur die Aufgaben eines Landesparlaments, sondern müsse sich auch häufig mit kleinen oder kleinsten Fragen kommunalen Charakters beschäftigen. Entscheidungsgänge in der Verwaltung liefen zwischen der Senats- und der Bezirksebene nicht selten mehrfach „hinauf und herunter". Dies bedeute neben dem sich hieraus ergebenden Arbeitsaufwand für die Verwaltung auch lange Wartezeiten für die Bürger, die auf die Entscheidung angewiesen seien. Über Reformvorschläge, die in neuerer Zeit von einer EnqueteKommission des Abgeordnetenhauses erarbeitet worden sind, wird an späterer Stelle (s. S. 68 f.) berichtet, b) Bremen Die Freie Hansestadt Bremen ist keine Einheitsgemeinde, sondern besteht aus den beiden als Gebietskörperschaften des öffentlichen Rechts (Art. 144 VerfBR) bezeichneten Städten Bremen und Bremerhaven; aus beiden Gemeinden wird der höhere Gemeindeverband „Freie Hansestadt Bremen" gebildet (Art. 143 VerfBR). Nähere Grundsätze über die Kommunalverfassung sind in den Artikel 143 ff. VerfBR enthalten. Die bremische Bürgerschaft als „Stadtbürgerschaft" und der Senat sind grundsätzlich auch die gesetzlichen Organe der Stadtgemeinde Bremen, wobei der Stadtbürgerschaft nur die in der Stadt Bremen gewählten Bürgerschaftsmitglieder angehören (Art. 148 VerfBR). Die Kommunalaufsicht des Senats kann demgemäß nur gegenüber Bremerhaven größere Bedeutung gewinnen; die Landesverfassung gestaltet sie als reine Rechtsaufsicht aus (Art. 147 VerfBR). Sie wird aber im Sinne punktueller Fachaufsicht durch die Stadtverfassung Bremerhavens erweitert. Rechtlich gesehen, werden die Angelegenheiten des Landes und der Stadt in Bremen auseinandergehalten. Das gilt namentlich für die Landes- und Ortsgesetzgebung. Dem entspricht, daß Land und Stadt getrennte Haushaltspläne beschließen. Der Behördenaufbau ist im allgemeinen zweigliedrig, wobei die untere Behörde ein städtisches Amt, die obere Behörde der Senator als staatliche Behörde und zugleich als städtische Selbstverwaltungsbehörde ist. Allerdings ist in der Anhörung von dem früheren Präsidenten des Senats, Koschnick, dargelegt worden, daß die Staatspraxis politisch nicht exakt zwischen dem staatlichen Bereich und den kommunalen Aufgaben unterscheide. Nahezu alle Senatsmitglieder 46

hätten sowohl staatliche als auch kommunale Aufgaben wahrzunehmen. Die Entscheidungen im Senat berücksichtigten nicht immer genau, ob es sich um eine staatliche oder um eine kommunale Aufgabe handele. Auch die formal getrennten Haushaltspläne seien letztlich miteinander verkoppelt. Es lasse sich auch im Einzelfall nicht immer genau unterscheiden, ob das jeweilige Sachproblem ein kommunales oder ein staatliches sei. Der für Bremen besonders wichtige Hafen sei an sich eine kommunale Aufgabe; entstehende Defizite müßten aber vom Staatshaushalt getragen werden. Unter dem Gesichtspunkt des Gewaltenteilungsprinzips, das ein auch für die Landesverfassungen verbindlicher Grundsatz ist 3 ), weisen die bremische Verfassung und die Staatspraxis Besonderheiten auf. Die Bürgerschaft beschließt über „Richtlinien", nach denen der Senat die Verwaltung zu fuhren hat (Art. 118 Abs. 1 S. 1 VerfBR). Wie oben (s. S. 31 f.) bereits erwähnt, ist dies nicht die in den anderen Landesverfassungen meist dem Regierungschef zugestandene Befugnis, die Richtlinien der Politik zu bestimmen, sondern die Möglichkeit, auf die Führung der Verwaltungsgeschäfte Einfluß zu nehmen. Die in dieser — in der bisherigen Praxis bedeutungslosen — Möglichkeit erkennbare Tendenz wird vor allem durch die in langer Tradition entstandenen und auch heute fortbestehenden Deputationen für die politische Praxis relevant gemacht. Die Bürgerschaft bildet nur wenige ständige Parlamentsausschüsse. Alle anderen Ausschüsse sind die als Deputationen bezeichneten gemeinschaftlichen Ausschüsse von Senat und Bürgerschaft, in die die Bürgerschaft auch Nichtabgeordnete entsenden kann (Art. 105 Abs.3 VerfBR). Sie werden „für die Angelegenheiten der verschiedenen Verwaltungszweige" eingesetzt (Art. 129 VerfBR). Die Deputationen beraten und beschließen über die Fragen des jeweiligen Verwaltungsbereichs und berichten hierüber nach § 1 Abs. 3 des Deputationsgesetzes vom 2. März 1948 an Senat und Bürgerschaft; dabei haben sie die Verantwortung des Senats für die vollziehende Gewalt zu beachten (Art. 67 Abs. 2 VerfBR). Besonderes Gewicht hat die Finanzdeputation, der gesamtpolitische Funktionen und ein großer Einfluß auf die Verwaltung zugemessen werden. Daneben bestehen fünf staatliche und zehn städtische Deputationen. 3

) Zur einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vgl. S. 24 47

Obwohl die Deputationen nur beratende Funktion haben, wird ihnen ein bedeutender Einfluß auf die Politik vor allem auch des Senats zugeschrieben. Hieraus ergeben sich besondere Konfliktmöglichkeiten : Gelingt es dem Senator, die Mehrheit der Deputation fiir seine politische Auffassung zu gewinnen, so kann er versucht sein, sich auch über entgegenstehende Beschlüsse im Senatskollegium hinwegzusetzen, an denen er als Senatsmitglied selbst mitgewirkt hat. Jedenfalls können Loyalitätskonflikte entstehen, zu deren Ausgleich dem Regierungschef keine Richtlinienkompetenz zur Verfugung steht. Allerdings ist auch von dem früheren Präsidenten des bremischen Senats bezweifelt worden, ob eine Richtlinienkompetenz dann Abhilfe schaffen könne, wenn der einer Deputation Vorsitzende Senator sich mit deren Mehrheit verbünde. Die Hauptfrage sei vielmehr die Stellung der Deputationen selbst. In der Vermengung der Zuständigkeiten von Senat, Bürgerschaft und Deputationen werden Probleme der Gewaltenteilung gesehen, aus denen sich letztlich die Frage ergibt, ob die Deputationen nicht durch Parlamentsausschüsse in der sonst üblichen Form und mit deren Funktion zu ersetzen sind, c) Hamburg Anders als in Bremen bestimmt die Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg ausdrücklich, daß in ihr staatliche und kommunale Aufgaben nicht getrennt werden (Art. 4 Abs. 1 VerfHA). Zwar können durch Gesetz Verwaltungseinheiten gebildet werden, denen Aufgaben zur selbständigen Erledigung übertragen werden (Art. 4 Abs. 2 VerfHA). Aber auch diese sind lediglich dem Senat nachgeordnete Behörden ohne eigene rechtliche Selbständigkeit. Als Konsequenz aus dem Grundsatz der Unteilbarkeit der Aufgaben ist Hamburg eine einheitliche und ungeteilte Gebietskörperschaft, die, wie die anderen Stadtstaaten, zugleich ein Land der Bundesrepublik Deutschland ist (Art. 1 VerfHA). Der Senat ist als Landesregierung, die Bürgerschaft als Landesparlament verfaßt. Beide sind zugleich auch Kommunalorgane, die ebenso wie alle Behörden, Fachbehörden und die Bezirksämter, Aufgaben staatlicher und kommunaler Art wahrnehmen. Dabei nehmen in der Praxis die gemeindlichen Aufgaben den weitaus überwiegenden Teil ein. Eine eigenartige Folge des Unteilbarkeitsprinzips und des Umstandes, daß Hamburg nach seiner Verfassung als Land organisiert ist, besteht darin, daß auch die Fragen, die ihrer Natur nach kommunaler Art sind, in den rechtlichen Formen erledigt 48

werden müssen, die in den Flächenstaaten für die Landesaufgaben erforderlich sind. Wenn daher die Bürgerschaft einen Bebauungsplan erläßt, muß sie hierfür die Gesetzesform wählen. Ist der Senat hierfür zuständig, handelt er in der Form einer Rechtsverordnung. Auch in kommunalen Fragen sind die Vorschriften über das Rechtssetzungsverfahren einzuhalten. Daher kann der Bebauungsplan in Hamburg nicht in der Form einer Satzung erlassen werden. Konsequent — aber insoweit von der Lage in Berlin nicht abweichend — ist auch, daß sich der Senat der Bürgerschaft gegenüber auch in kommunalen Angelegenheiten parlamentarisch verantworten muß. Wesentliche Organisationsprinzipien für die Führung der Verwaltung ergeben sich weiterhin aus dem Kollegialprinzip für den Senat und der Entscheidung, nach der das Volk zur Mitwirkung an der Verwaltung insbesondere durch ehrenamtlich tätige Mitglieder der Verwaltungsbehörden berufen ist (Art. 56 VerfHA). Der Senat ist nicht nur Landesregierung, sondern auch kollegiale Behörde. Nur er fuhrt und beaufsichtigt die Verwaltung. Daher ist er allen anderen Behörden gegenüber weisungsbefugt und hat das Evokationsrecht, das heißt, er kann beschließen, selbst in die Erledigung einer Sache einzutreten. Der Senat ist die einzige oberste Landesbehörde. Soweit er selbst „Verwaltungsgeschäfte" erledigt, entscheidet er hierüber kollegial im Plenum, in Senatskommissionen oder durch Senatsbeschlüsse im Verfugungswege. Im übrigen kann er mit der Erledigung von Verwaltungsaufgaben Senatsämter beauftragen, die Teile der Behörde „Senat" sind. Schließlich kann er einzelne Angelegenheiten den Senatssyndici (Staatsräten) zur Bearbeitung übertragen (Art. 47 Abs. 1 S. 1 VerfHA). Die Verfassung enthält nur einen Mindestkatalog der Aufgaben, über die der Senat selbst entscheidet (Art. 42 Abs. 1 S. 2 Nrn. 1-5 VerfHA). Auch die Ressortkompetenzen der Senatoren haben Verfassungsrang (Art. 55 VerfHA), stehen aber ihrerseits unter dem Vorbehalt der Rechte des Gesamtsenats (Art. 33 Abs. 1 S. 2 VerfHA). Dem Senat als Kollegialbehörde obliegen die Fragen von grundsätzlicher oder allgemeiner Bedeutung für die Verwaltung sowie die Beseitigung von Meinungsverschiedenheiten zwischen verschiedenen Ressorts, um so den Grundsatz der Einheitlichkeit der Verwaltung aufrechtzuerhalten. Insofern ist die Stellung des Senats der Einheitsbehörde einer Gemeinde ähnlich. 49

In der Praxis bedeutet dies, daß bei Meinungsverschiedenheiten zwischen Fachbehörden in Angelegenheiten, die auch die Zuständigkeit einer anderen Behörde berühren, der Senat entscheiden muß, falls es nicht zu einer Einigung kommt. Damit wird der Gesamtsenat mit Aufgaben belastet, die an sich einzelnen Ressorts zugewiesen sind. Allerdings ist dies auch nach der Geschäftsordnung der Bundesregierung nicht anders, die aber nur tätig werden muß, wenn alle Verständigungsversuche im Wege des obligatorischen „Chefgesprächs" der Minister nicht zum Erfolg fuhren. Auch werden dies im allgemeinen nur Streitfragen von größerer politischer Bedeutung sein, die mit der Erörterung kommunaler Angelegenheiten wohl nicht vergleichbar sind. Die in Artikel 57 VerfHA enthaltenen Organisationsgrundsätze werden durch einzelne Gesetze präzisiert 4 ). Diese Gesetze regeln auch die Mitwirkung ehrenamtlich tätiger Bürger. Insgesamt bestehen etwa eintausend Gremien, in denen ehrenamtlich tätige Bürger an der Verwaltung mitwirken. Die Fachbehörden, durch deren Bezeichnung Kernzuständigkeiten im VwBG festgelegt werden, nehmen wegen des Prinzips der Unteilbarkeit von staatlichen und kommunalen Aufgaben sowohl ministerielle als auch exekutivische Aufgaben wahr. Sie sind zugleich Ministerien, oberste Landesbehörden, Mittelbehörden, untere Landesbehörden und Amter der Gemeinde- oder Kreisverwaltung. Kollegiales Leitungsorgan jeder Fachbehörde ist die Deputation, der 15 bürgerliche Mitglieder und der Senator, der hier Präses genannt wird, angehören. Aufgabe der nach dem Stärkeverhältnis der in der Bürgerschaft vertretenen Fraktionen gewählten Deputierten ist die Mitwirkung bei Entscheidungen von grundsätzlicher Bedeutung (§ 9 Abs. VwBG). Der politische Proporz ist nicht gesetzlich vorgeschrieben, wird aber praktiziert. Abgeordnete der Bürgerschaft dürfen der Deputation nicht angehören. Die Deputierten sind an Aufträge nicht gebunden (§ 7 Abs. 4 VwBG). Ihre Beschlüsse sind auch dann für die Behörde verbindlich, wenn sie gegen die Stimme des Präses gefaßt worden sind. Der Präses kann aber gegen Beschlüsse der Deputation Einspruch einlegen, über den der Senat entscheidet (§ 9 Abs. 5 VwBG). Der Präses kann Deputationsbeschlüsse auch dadurch umgehen, daß er in dersel4

) So das Gesetz über Verwaltungsbehörden (VwBG) vom 30. Juli 1952 mit späteren Änderungen, das Bezirksverwaltungsgesetz vom 22. Mai 1978 mit späteren Änderungen.

50

ben Frage einen Senatsbeschluß herbeifuhrt, der dann dem Deputationsbeschluß vorgeht. Die Verfassung eröffnet die Möglichkeit, für Teilgebiete Verwaltungseinheiten zu bilden (Art. 4 Abs. 2 VerfHA). Es sind sieben Bezirke mit je einem Bezirksamt und als deren unselbständige Teile insgesamt 15 Ortsämter gebildet worden. Auch die Bezirksämter, denen der Senat die Aufgaben zuweist, die nicht wegen ihrer übergeordneten Bedeutung oder ihrer Eigenart einer einheitlichen Durchführung bedürfen, nehmen sowohl staatliche als auch kommunale Aufgaben wahr, die sich jeweils auf das Gebiet eines Bezirksamts beschränken. Innerhalb dieser örtlichen Beschränkung vereinigt jedes Bezirksamt, ähnlich wie die Einheitsbehörde einer Gemeinde, eine Vielzahl von Aufgaben auf sich, die ihrer Bezeichnung nach den Aufgaben der Fachbehörden entsprechen und in Form von Dezernaten organisiert sind. Die geltenden Zuständigkeitsanordnungen schließen nicht aus, daß sowohl eine Fachbehörde als auch ein Bezirksamt dieselben Aufgaben wahrnehmen. In anderen Fällen müssen die Bezirksämter vor Erlaß eigener Entscheidungen die Zustimmung der jeweils zuständigen Fachbehörden einholen. Die Aufsicht über die Bezirksämter ist aufgeteilt zwischen dem Senatsamt für Bezirksangelegenheiten, dem die Dienstaufsicht zusteht, und der Fachaufsicht, die der jeweils fachlich zuständigen Fachbehörde zukommt. Dabei haben die Fachbehörden zwar ein Weisungsrecht, aber nicht ein Selbst eintrittsrecht. Meinungsverschiedenheiten über Aufsichtsmittel muß der Senat entscheiden. Während der Bezirksamtsleiter Weisungen unterliegt, gilt dies nicht für die zugleich mit der Bürgerschaft für die Dauer der Wahlperiode gewählten Bezirksversammlungen. Der Bezirksamtsleiter ist andererseits an die Beschlüsse der Bezirksversammlungen gebunden. So können zusätzliche Konflikte entstehen, für deren Klärung wiederum der Senat zuständig ist. Der Bezirksamtsleiter wird von der Bezirksversammlung gewählt und kann von ihr im Wege des konstruktiven Mißtrauensvotums abberufen werden, wobei dieser Beschluß rechtlich nur einen Vorschlag an den Senat darstellt, dem dieser nicht folgen muß. Die Beschlüsse der Bezirksversammlung haben grundsätzlich bindende Wirkung. Die Bezirksversammlung wirkt an den Angelegenheiten des Bezirks und an den Aufgaben des Bezirksamtes mit. In mehreren Konfliktssituationen m u ß der Senat tätig werden, so, wenn der Bezirksamtsleiter einen Beschluß der Bezirksversammlung beanstandet, sie aber seinen Bedenken nicht Rechnung trägt, 51

oder wenn ein bindender Beschluß der Bezirksversammlung nicht ausgeführt wird, und auch, wenn Entscheidungen in Bezirksangelegenheiten ohne Mitwirkung der Bezirksversammlung ergangen sind. Die Regelungen des Bezirksverwaltungsgesetzes werden zur Zeit überprüft. Sollte die in Aussicht genommene Neufassung Gesetz werden, ergeben sich in verschiedenen Punkten Änderungen der dargestellten Rechtslage. In der Anhörung, welche die Kommission auch in Hamburg durchgeführt hat, haben neben den im Mittelpunkt der verfassungsrechtlichen Diskussion stehenden Fragen der Regierungsbildung oder der Richtlinienkompetenz des Regierungschefs auch die sich aus der Struktur der Verwaltung ergebenden Fragen eine Rolle gespielt. Während in Berlin zwar einerseits von einigen Sprechern eine größere Selbständigkeit der dortigen Bezirke gefordert wurde, andererseits aber auch Gegenmeinungen das für zentralistischer gehaltene Hamburger Modell insoweit für erwägenswert gehalten haben, scheint in Hamburg die gegenwärtig bestehende Konstruktion aus ähnlichen Gründen der Kritik zu unterliegen, obwohl sie sich von der Berliner Regelung deutlich unterscheidet. Die Kritikpunkte, die hier wie dort erwähnt worden sind, betreffen bei vereinfachender Darstellung vielfache Zuständigkeitsüberschneidungen oder -Unklarheiten und die durch Aufsichts- oder Evokationsrechte sowie die Möglichkeit, in Konfliktsfällen die Entscheidung einer höheren Verwaltungsinstanz — praktisch meist des Senats — anzurufen, bewirkte Kompliziertheit der Sacherledigung und den hierdurch bewirkten Aufwand an Zeit und Arbeitskraft. Geht die Kritik ungeachtet der unterschiedlichen Verwaltungsstruktur im wesentlichen in die gleiche Richtung, so rechtfertigt dies die Vermutung, daß weder eine stärkere Dezentralisierung in dem einen noch eine Konzentration der Befugnisse auf die höchste Ebene der Regierung in dem anderen Falle für sich allein eine Problemlösung darstellen würde. Vielmehr müßte eine Reform der Verwaltung unter Verzicht auf solche vereinfachenden Überlegungen die vielfaltigen Entscheidungsabläufe in ihren Einzelheiten untersuchen und die Punkte feststellen, an denen die Schwierigkeiten sich heute so zusammenballen, daß regelmäßig nur noch der Weg als Lösung angeboten werden kann, die durch eine Vielfalt landes- und auch bundespolitischer Aufgaben ohnehin außerordentlich stark belastete Landesregierung in eine schiedsrichterliche Funktion zu bringen, bei der dann nicht nur die Sachgegebenheiten, sondern auch noch poli52

tisch gebotene Rücksichtnahmen die Entscheidung notwendigerweise beeinflussen. Hinzu kommt, daß die Verwaltungsgerichte in Hamburg Klagen von Mitgliedern der Deputationen gegen den Senat über ihre Mitwirkungsrechte zugelassen haben. Ein besonderer Diskussionsschwerpunkt in Hamburg war schließlich, teilweise ähnlich wie in Bremen, die Rolle der Deputationen und vieler anderer unter Bürgerbeteiligung arbeitender Gremien, die Verwaltungsentscheidungen treffen oder an diesen mitwirken. Auch in Hamburg sind von einer anderen Kommission erarbeitete Vorschläge zu einer Reform der Verwaltung vorhanden. Über sie wird später mitberichtet werden (s. S. 72 f.). III. Zur geschichtlichen Entwicklung der Stadtstaatenverfassungen 1. Vorbemerkung Die in wesentlichen Punkten von der Regelung nach dem Grundgesetz und den Verfassungen anderer Bundesländer abweichende verfassungsrechtliche Lage in den Stadtstaaten, die im vorigen Abschnitt dargestellt worden ist, erklärt sich teilweise aus der historischen Entwicklung, im übrigen aus den besonderen Gegebenheiten von Bundesländern, die zugleich Staatencharakter haben und Großgemeinden sind. Daß sich Regelungen im Lauf der Geschichte entwickelt haben, besagt für sich allein wenig über die Frage, ob sie auch heute noch unter vielfach in rechtlicher, politischer und allgemeiner Hinsicht veränderten Umständen für die Bewältigung der Gegenwarts- und Zukunftsaufgaben geeignet sind. Aber auch das Bewußtsein der eigenen Geschichte ist ein Faktor von realer politischer Bedeutung. Dies gilt für die Stadtstaaten und hier insbesondere für die beiden Hansestädte in weitaus stärkerem Maße als in anderen Bundesländern, die erst nach dem Zweiten Weltkrieg mit ihrem heutigen Gebiet entstanden sind und daher über keine lange geschichtliche Identität verfügen. Die Anhörungen und auch die eigenen Beratungen der Kommission haben immer wieder gezeigt, daß überkommene Vorstellungen und Traditionen politisches Gewicht haben. Schon aus diesem Grunde sollten sie nicht unbeachtet bleiben. Zwar hält es die Kommission für ihre Aufgabe, Änderungen der Verfassungslage, wo ihr dies erforderlich erscheint, auch dann vorzuschlagen, wenn das heute geltende Verfassungsrecht schon über eine längere Tradition verfügt. Andererseits hat sie den vielfach geäußerten Wunsch zu respektieren, 53

möglichst weitgehende Kontinuität zu der geschichtlichen Entwicklung zu bewahren. Da bei den politischen Entscheidungen die Vorschläge der Kommission ohnehin auch an den überkommenen Vorstellungen gemessen werden, hat die geschichtliche Entwicklung für die Überlegungen der Kommission — neben anderen Faktoren — eine Rolle gespielt. Wie sich später ergeben wird, hat dies auch dazu gefuhrt, daß die konkreten Empfehlungen extreme Lösungen vermeiden, die einen völligen Bruch mit der bisherigen Entwicklung bedeuten würden und wahrscheinlich schon aus diesem Grunde von jeder Chance, in der politischen Realität ernsthaft erwogen zu werden, weit entfernt wären. Die anschließende stark verkürzte Darstellung der geschichtlichen Entwicklung hat auch den Sinn, deutlich zu machen, daß die eben geschilderten Gesichtspunkte den Mitgliedern der Kommission bei ihrer Arbeit bewußt gewesen sind. 2. Geschichtliche Entwicklung in Berlin Die heute noch geltenden Regelungen der Berliner Verfassung über die Regierung (Abschnitt IV VerfBE) gehen auf die Stein'sche Städteordnung vom 19. November 1808 zurück, aufgrund derer Berlin erstmalig eine Stadtverordnetenversammlung erhielt. Die Stadtverordnetenversammlung als Beschlußorgen wählte ihrerseits als Ausfuhrungsorgan einen aus dem Oberbürgermeister, dem Bürgermeister sowie haupt- und ehrenamtlichen Stadträten gebildeten Magistrat. Die Stadt Berlin gehörte im Rahmen des Verwaltungsaufbaus Preußen ursprünglich zur Provinz Brandenburg. Berlin wurde wie jede andere Stadt des östlichen Preußens nach der Städteordnung vom 30. Mai 1853 verwaltet. Eine gewisse Änderung trat ein, als Berlin aufgrund der Provinzialordnung von 1875 und des Preußischen Landesverwaltungsgesetzes von 1883 aus dem Provinzialverband und der Provinz Brandenburg ausschied und in bezug auf das Verhältnis Berlins zu den staatlichen Behörden eine Reihe von Sonderzuständigkeiten festgelegt wurde. Berlin hatte damit etwa die Stellung eines Regierungsbezirks besonderer Art. Die bauliche und wirtschaftliche Entwicklung Berlins und seiner Nachbargemeinden führte schließlich im Jahre 1912 zur Bildung eines Zweckverbandes Groß-Berlin, dessen räumlicher Wirkungsbereich allerdings umstritten und dessen sachliche Zuständigkeit gesetzlich auf wenige Aufgabengebiete beschränkt war. Nach dem Ersten Weltkrieg kam es dann zum eigentlichen Beginn einer besonderen Verfassungsgestaltung in Form des Gesetzes über die Bildung einer neuen Stadtgemeinde Berlin vom 27. April 1920, 54

das das alte Berlin vom 1. Oktober 1920 an mit 93 Nachbargemeinden — darunter sieben Städten — zu einem neuen kommunalen Gebilde „Berlin" mit rund 3,8 Millionen Einwohnern zusammenschloß. Grundlage des Gesetzes von 1920 war die noch für Berlin weitergeltende Städteordnung. Es wurden nur insoweit besondere Bestimmungen getroffen, als die Eigenart der neuen Großstadt dies erforderlich erscheinen ließ. Das neu entstandene große Stadtgebiet wurde in 20 Verwaltungsbezirke eingeteilt und gliederte die Verwaltung dementsprechend in eine zentrale Hauptverwaltung mit der Stadtverordnetenversammlung und dem Magistrat als zentralen Gemeindekörperschaften und 20 Bezirksverwaltungen mit je einer Bezirksversammlung und je einem Bezirksamt als Bezirksorganen. Damit entstanden innerhalb der Berliner Verwaltung zwei Zuständigkeitsbereiche — die Hauptverwaltung und die Bezirksverwaltungen —, deren Existenz und Aufbau bis heute ein besonderes Kennzeichen der Berliner Verwaltung darstellen. Das Gesetz von 1920 wurde 1931 geändert und unter den Nationalsozialisten durch vom „Führergedanken" geprägte Verfassungsgesetzes abgelöst, von denen das Reichsgesetz vom 1. Dezember 1936 den Oberbürgermeister zum unmittelbaren Landesbeamten machte, der zugleich Leiter einer besonderen Berliner Landesbehörde (Stadtpräsident) war, und das Reichsministerium des Innern als Kommunalaufsichtsbehörde bestimmte. Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Auflösung des Landes Preußen (formell durch das Kontrollratsgesetz Nr. 46 vom 25. Februar 1947) erhielt Berlin, das bis dahin nur Stadtgemeinde war, den Status eines Landes. Hiermit wuchsen der städtischen Verwaltung über Nacht Aufgaben zu, die über den bisherigen kommunalen Bereich weit hinausgingen. Im Mai 1945 wurde von der sowjetischen Besatzungsmacht zunächst ein Magistrat ernannt, womit sich die Anknüpfung an die verfassungsrechtlichen Verhältnisse vor 1933 andeutete. Die erste Regelung verfassungsrechtlicher Art folgte im Sommer 1945 durch das „Bezirksverfassungsstatut", das in Anlehnung an das Gesetz von 1920 nur die Beziehungen zwischen Hauptverwaltung und Bezirksverwaltungen festlegte und den einheitlichen Aufbau der Bezirksverwaltungen regelte. Eine umfassende Neuordnung wurde durch die Vorläufige Verfassung vom 13. August 1946 von Groß-Berlin (VorlVerfBE) getroffen. Nach Art. 1 der Vorläufigen Verfassung war Groß-Berlin die für das Gebiet der Stadtgemeinde Berlin alleinige berufene Gebietskörperschaft und hatte alle öffentlichen Aufgaben in seinem Gebiet wahrzunehmen. Das Wort „Stadt" wurde bewußt weggelassen, um dem 55

neuen staatsrechtlichen Charakter Berlins zu entsprechen. Die gebietsmäßige Ausschließlichkeit sowie die umfassende Zuständigkeit ließen Groß-Berlin, das, nachdem Preußen aufgelöst war und sich aus Teilen des ehemaligen preußischen Staatsgebiets Länder bildeten, zu keinem Land gehörte, als Stadtstaat oder Land erkennen. Nach alliierten Vorstellungen hatte sich die Vorläufige Verfassung im wesentlichen an der vom Gemeinderecht geprägten (echten) Magistratsverfassung zu orientieren, ergänzt lediglich um einige Elemente einer demokratischen Landesverfassung: Zwar erhielt der Magistrat eine einer Landesregierung ähnliche Stellung. Es blieb aber z.B. dabei, daß alle Magistratsmitglieder (Oberbürgermeister, drei Bürgermeister, höchstens 16 hauptamtliche Mitglieder — Stadträte —) von der Stadtverordnetenversammlung gewählt wurden (Art. 5 Nr. 1 VorlVerfBE), und daß es bei Akten der Rechtsetzung eines Zusammenwirkens beider Organe, Magistrat und Stadtverordnetenversammlung, bedurfte (Art. 13 VorlVerfBE). Daß der Magistrat des Vertrauens der Stadtverordnetenversammlung bedurfte und von ihr im Gegensatz zu den alten Kommunalverfassungen (mit 2/3 Mehrheit) abberufen werden konnte, ist schon als ein Merkmal für eine Landesverfassung anzusehen (Art. 9 Nr. 2, Art. 11 Nr. 1 VorlVerfBE). Artikel 35 Absatz 2 VorlVerfBE erlegte der am 20. Oktober 1946 gewählten Stadtverordnetenversammlung die Pflicht auf, den Entwurf einer neuen Verfassung für Berlin auszuarbeiten und den Alliierten bis zum l.Mai 1948 zur Genehmigung vorzulegen. Im Rahmen der Diskussion über den Aufbau der neuen Verfassung hinsichtlich der Regierungsbildung haben CDU, SED und SPD im Verfassungsausschuß unterschiedliche Vorschläge unterbreitet. Der Entwurf der SPD sah vor, daß die Senatoren auf Vorschlag des Regierungschefs vom Parlament gewählt werden sollten. Nach Vorstellung der CDU sollte der Regierungschef die Mitglieder seiner Regierung selbst ernennen. Die SED wollte demgegenüber den bestehenden Zustand beibehalten wissen, wonach alle Mitglieder der Regierung vom Parlament zu wählen seien. Der Empfehlung der CDU wurde vor allem entgegengehalten, daß dieses Verfahren deutschen Städten fremd sei. Im Sinne der Vorschläge, die eine Wahl der Senatoren durch das Parlament befürworteten, wurde vorgebracht, daß die Senatoren sowohl vom Vertrauen des Regierungschefs als auch dem des Parlaments getragen sein sollten. Eine Mehrheit fand sich schließlich für den dem heutigen Artikel 41 VerfBE zugrundeliegenden Vorschlag. Hinsichtlich der Bestimmung der Richtlinien der Regierungspolitik 56

waren im Verfassungsausschuß verschiedene Möglichkeiten erörtert worden, die die Zuständigkeit hierfür dem Parlament, dem Senat oder dem Regierungschef zuweisen wollten. Unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Stellung des Regierenden Bürgermeisters als Primus inter pares einigte man sich auf einen Kompromiß, dem die geltende Fassung des Artikel 43 Absatz 2 VerfBE entspricht. 3. Geschichtliche Entwicklung in Bremen Bremen umfaßte die vom Staat wohl nicht unterschiedene Stadt Bremen, die Städte Vegesack (endgültig seit dem Reichsdeputationshauptschluß 1803) und Bremerhaven (seit 1827) sowie das Landgebiet mit einer Anzahl Dorfgemeinden. Bremen war reichsunmittelbare Hansestadt und von 1813 (Ende der napoleonischen Besetzung) deutscher Kleinstaat bis 1867. Die Verfassung war bis 1848 das Herkommen. Als bruchstückhafte Verfassungsgrundlagen wurden die „Tafel" (Eintracht) von 1433 und die „Neue Eintracht" von 1534 angesehen, in denen sich der Rat nach Niederzwingung von Erhebungen seine „Vollmächtigkeit" von den Bürgern hatte bestätigen lassen unter gleichzeitiger Gewährung bürgerlicher Beteiligung an den Geschäften nach Ermessen und Bekräftigung herkömmlicher Beteiligungsrechte. Der Rat — seit 1822 auch offiziell: Senat — ergänzte sich selbst, so daß sich eine Geschlechterherrschaft ausprägte. Seit 1816 gab es eine begrenzte Mitwirkung des „Bürgerkonvents" — einer Versammlung vom Senat ausgewählter Bürger der Oberschicht — bei der Senatorenwahl. Man war Senator auf Lebenszeit. Der Senat, zu dessen Aufgaben auch die Rechtsprechung gehörte, war als kollegiales Organ mit gleichberechtigten Mitgliedern Inhaber der umfassenden Herrschaft. Allerdings war er politisch in begrenztem Maße an die Mitwirkung der von ihm zum Bürgerkonvent eingeladenen Notabein gebunden. Die Mitwirkung bürgerlicher Notabein unter der Führung der Elterleute der Kaufmannschaft vollzog sich teils im Bürgerkonvent, überwiegend aber in den Deputationen; das waren mit Senatoren und Bürgern besetzte Ausschüsse, die fTir die Verwaltung bestimmter Angelegenheiten eingesetzt wurden. Am 21. März 1849 wurde als Frucht der Revolution von 1848 die erste „Verfassung des bremischen Staates" verkündet. Sie behielt den parlamentarisch nicht verantwortlichen, aus gleichberechtigten Lebenszeitsenatoren gebildeten Senat bei, aus dessen Zuständigkeit die richterlichen Aufgaben ausgegliedert wurden. Die jährlich im Präsidentenamt wechselnden Bürgermeister hatten nach § 58 der Verfassung, der mit den entsprechenden Regelungen in allen nachfolgen57

den Verfassungen einschließlich der jetzt geltenden Landesverfassung inhalts- und nahezu auch wortgleich ist, lediglich geschäftsfiihrende Funktionen, aber kein Recht, politische Richtlinen zu setzen oder Anweisungen zu erteilen. Die Staatsgewalt wurde dualistisch ausgeübt: Senat und Bürgerschaft hatten eigenständige Berechtigungen und handelten nach § 106 der Verfassung durch übereinstimmende Beschlüsse oder „durch Ausschüsse, welche aus Mitgliedern des Senats und der Bürgerschaft gebildet sind (Deputationen)". Nach der Niederschlagung der Revolution trat am 21. Februar 1854 die „Verfassung der freien Hansestadt Bremen" in Kraft. Sie stellte die politische Herrschaft des Großbürgertums wieder her und galt in den Kernpunkten bis zur Revolution 1918. Spätere Änderungen beruhten auf der Eingliederung in das 1871 gegründete Reich oder auf der Anpassung an die neue reichsrechtliche Gerichtsverfassung und führten zu den Neubekanntmachungen 1875 und 1894. Die Verfassung vermied im Gegensatz zu derjenigen von 1849 jeden Hinweis auf Volkssouveränität und Dreiteilung der Gewalten. Das dualistische Herrschaftssystem wurde partiell beibehalten. Die Gewichte wurden aber stark zugunsten des aus eigener Machtvollkommenheit amtierenden Senats verschoben, der (wieder) wesentliche Alleinzuständigkeiten erhielt, während gleichzeitig ein nach vier Gesellschaftsklassen abgestuftes Wahlrecht 1 ) auch in der Bürgerschaft die Herrschaft des Besitzbürgertums sicherstellte. Die aristokratischen Herrschaftsstrukturen dominierten. Die demokratischen Komponenten waren schwach ausgeprägt. Die Senatoren amtierten auf Lebenszeit. Sie wurden von Senat und Bürgerschaft in einem komplizierten Verfahren gewählt, das dem Senat, der sich auf das wahlrechtlich begünstigte Großbürgertum stützen konnte, den dominierenden Einfluß sicherte. Wie schon erwähnt, blieben die jährlich im Amt des Präsidenten wechselnden Bürgermeister auf Geschäftsleitungsfunktionen beschränkt (§ 32 der Verfassung). An den Deputationen wurde festgehalten (§ 59 der Verfassung mit ausführendem Deputationsgesetz). Sie standen stets unter der Leitung eines Senators und waren zumindest in den alltäglichen Geschäften der Ort des Zusammenwirkens von Senat und Bürgerschaft. Die Bürgerschaftsabgeordneten der gesellschaftlich und politisch senats1

) Die vier weiteren Klassen des Acht-Klassen-Wahlrechts stellten im wesentlichen regionale Beteiligungsschlüssel für die Städte Vegesack, Bremerhaven und das Landgebiet dar.

58

nahen beiden ersten Wahlklassen (Universitätsabsolventen und Mitglieder des Kaufmannskonvents) stellten drei von sechs bürgerschaftlichen Deputierten, so daß allein deren Zustimmung schon ausreichte, um in den Deputationen senatsfreundliche Entscheidungen durchzusetzen. Die „Verfassung der freien Hansestadt Bremen" vom 18. Mai 1920 gestaltete das bremische Staatswesen nach dem Muster der parlamentarischen Demokratie. Die Bürgerschaft ging aus allgemeinen und gleichen Wahlen hervor. Der Senat und die einzelnen Senatoren wurden abhängig vom Vertrauen der Bürgerschaft. Die Binnenstruktur des Senats wurde indessen unverändert aus der vorrevolutionären Zeit übernommen. Alle Senatoren waren gleichberechtigt. Der Präsident des Senats (Bürgermeister) wurde von den Senatoren gewählt und hatte keine herausgehobene Stellung. Seine Leitungskompetenzen bestimmte Artikel 47 in gleicher Weise wie die Verfassungen von 1849 und 1854, die wohl auch nur den schon vorher bestehenden Rechtszustand fixiert hatten. Es wurden keine institutionellen Folgerungen daraus gezogen, daß die Senatoren nicht mehr durch Lebenszeitämter persönlich unabhängig gestellt waren und ferner die durch einheitliche gesellschaftliche Zuordnung der Senatoren begünstigte Interessenhomogenität im Senat ebenso entfallen war wie die Solidarität aus lebenszeitlich angelegter Zusammenarbeit. Die Verfassung von 1920 behielt auch die bremischen Deputationen bei, obgleich der Dualismus jeweils eigenständiger Staatsgewalten des Senats und der Bürgerschaft, der ihre Funktionsgrundlage dargestellt hatte, durch die parlamentarische Abhängigkeit des Senats überwunden war und die Deputationen jetzt eine gewichtige Durchbrechung der Trennung von Legislative und Exekutive darstellt. Im Jahre 1945 wurden das bis dahin verbliebene Landgebiet und die Stadt Vegesack (aus politischer Vorsorge gegen möglicherweise drohende Abtrennung) in die Stadt Bremen eingegliedert. Bremerhaven wurde von der amerikanischen Besatzungsmacht um die ehemals preußischen Städte Geestemünde und Lehe erweitert und insgesamt zum Lande Bremen geschlagen. So entstand der heutige ZweiStädte-Staat. Die gegenwärtige Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen vom 21. April 1947 übernimmt im wesentlichen die Organisationsnormen der Verfassung von 1920, ohne daß insoweit eingehendere Diskussionen in der Verfassungsdeputation dokumentiert sind. Die Senatoren wählen den Präsidenten des Senats, dessen Leitungsbefugnisse in Artikel 115 Absatz 2 VerfBR nahezu wortgleich mit den frü59

heren Verfassungen seit 1849 geregelt sind. Die Entwürfe von S P D und C D U enthielten diese Formel gleichermaßen. Das traditionelle Deputationswesen behält die Landesverfassung bei (Art. 105, 129 VerfBR). Daneben gibt es einige reine Parlamentsausschüsse als ständige Ausschüsse. Die Landesverfassung gilt für die Stadt Bremen entsprechend (Art. 148 VerfBR). Die Organe der Stadt Bremen sind zu allen Zeiten mit denen des Staates weitgehend identisch gewesen. Allerdings ist seit 1849 die nur aus den stadtbremischen Abgeordneten gebildete Stadtbürgerschaft das Kommunalparlament. Die Stadt Bremen hat von der seit 1849 bestehenden rechtlichen Möglichkeit (heute Art. 145 VerfBR), sich eine eigene (Kommunal-)Verfassung und eigene Organe zu schaffen, keinen Gebrauch gemacht. 4. Geschichtliche Entwicklung in H a m b u r g Artikel 1 VerfHA vom 6. Juni 1952 bezeichnet die Freie und Hansestadt Hamburg als ein Land der Bundesrepublik Deutschland. Er nimmt damit den Artikel 1 VerfHA vom 7. Januar 1921 wieder auf, demzufolge der hamburgische Staat unter dem Namen „Freie und Hansestadt Hamburg" ein Land des Deutschen Reiches bildete. Die Konstituierung Hamburgs als Land beruhte auf der gewachsenen Tradition als Freier Stadt. Diesen Status hat Hamburg in vier Immediatsprozessen zwischen 1356 und 1618 erfochten. Unumstritten wurde die im letzten Prozeß zugunsten Hamburgs ergangene Entscheidung des Reichskammergerichts von 1618 erst durch den sogenannten Gottorper Vergleich von 1768. Als Mitglied des Deutschen Bundes nannte sich Hamburg ab 1819 „Freie und Hansestadt Hamburg". Auf Grund der Gleichschaltungsgesetze des Jahres 1933 mußte Hamburg einen Teil seiner Hoheitsrechte an das Reich abtreten. Das Reichsgesetz vom 9. Dezember 1937, in Kraft getreten am 1. April 1938, schuf die Einheitsgemeinde „Hansestadt Hamburg" mit getrennter staatlicher und gemeindlicher Verwaltung. Auf der Grundlage der Tradition als Freie Stadt entstand Hamburg 1945 als „deutsches Land" wieder, wie es in Artikel 1 Absatz 1 der Vorläufigen Verfassung der Hansestadt Hamburg vom 15. Mai 1946 ausdrücklich hieß. Diese verfassungsrechtliche Anerkennung und Behandlung Hamburgs als Land unmittelbar nach 1945 durch die britische Besatzungsmacht war um so bemerkenswerter, als in der britischen Besatzungszone im übrigen vor 1949 keine Länderverfassung verabschiedet wurde. Der Status als Freie Stadt und die damit verbundene Freiheit von

60

anderer Territorialherrschaft erlaubte Hamburg, eigene Formen der Regierung und der Verwaltung zu entwickeln. Sie bildeten sich als Ergebnis mehrerer sogenannter Rezesse und Verfassungsgebungen heraus. Die Prinzipien des letzten der Rezesse von 1712 blieben mit geringen Modifikationen und abgesehen von der Unterbrechung durch die französische Besetzung Hamburgs bis 1859 in Kraft. Das Grundprinzip war, daß das „Kyrion", die höchste Staatsgewalt, dem Rat (Senat) und der Bürgerschaft als den Organen der städtischen Gemeinde ungetrennt zustand. Schritt für Schritt wurde durch die Rezesse die alleinige Herrschaft des Rates über die Stadt beendet. Der Senat teilte die gesetzgebende Gewalt mit der „Erbgesessenen Bürgerschaft". Sie bestand aus den Mitgliedern der bürgerlichen Kollegien, den Inhabern bestimmter bürgerlicher Ehrenämter und den Erbgesessenen, das heißt den Eigentümern von Grundstücken. Die Mitglieder des Rates wurden auf Lebenszeit gewählt, das heißt vom Rat kooptiert. Die Verwaltung wurde zum größeren Teil von Deputationen gefuhrt, denen Mitglieder des Rates präsidierten. Die älteste Deputation geht auf das Jahr 1543 zurück. An der Verwaltung der Finanzen hatte der Rat keinen Anteil. Sie stand seit 1563 einer Kammer zu, einem aus bürgerlichen, von der Bürgerschaft auf Zeit gewählten Mitgliedern bestehenden Kollegium. Die Verfassungen von 1859/60 und 1879 behielten die gemeinschaftliche Innehabung des „Kyrion" durch Senat und Bürgerschaft bei. Beide übten nach wie vor die gesetzgebende Gewalt aus, der Senat allein die vollziehende. Die Senatsmitglieder wurden nach einem sehr komplizierten Verfahren von der Bürgerschaft gewählt; dies wiederum auf Lebenszeit. In Konfliktfallen mit der Bürgerschaft stellte das Verfahren sicher, daß der Senat sich mit seinen Vorstellungen über die zu wählenden Senatoren durchsetzen konnte. Der Senat war ferner die oberste Verwaltungsbehörde. Er übte die Aufsicht über sämtliche Zweige der Verwaltung aus. Seine Mitglieder standen an der Spitze der einzelnen Verwaltungsabteilungen. Erstmalig sah die Verfassung von 1859/60 den Bürgerausschuß vor. Seine Schaffung diente dem Ziel, die Mitherrschaft durch eine Vielzahl bürgerlicher Kollegien zu beenden. Seine Aufgabe bestand darin, die Bürgerschaft in Wahrnehmung bestimmter Rechte, insbesondere des Kontrollrechts zu vertreten. Er hatte die Einhaltung der Verfassung und der auf das öffentliche Recht bezüglichen Gesetze zu überwachen. Er war befugt, vom Senat Auskünfte über Staatsangelegenheiten zu verlangen. Ihm war ferner die Genehmigung bestimmter Ausgaben und der Veräußerung von Staatseigentum vorbehalten. In dringenden Fällen durfte er gesetzliche Verfugungen erlassen. Diese 61

Stellung hat der Bürgerausschuß in den Verfassungen von 1921 und 1952 im wesentlichen behalten. Auch unter den Bindungen des Artikel 17 WRV und des Artikel 28 G G hat sich in den Verfassungen von 1921 und, wenn auch weniger stark ausgeprägt, von 1952 der dem dualistischen System eigene Kompensationsgedanke erhalten. Dieser Gedanke wirkt sich aus in einem abgestimmten Widerspiel der Machtbefugnisse zwischen Senat und Bürgerschaft. Mit der Einfuhrung der Regeln des parlamentarischen Systems durch die Verfassung von 1921 wurde die gemeinsame Innehabung der obersten Staatsgewalt durch Senat und Bürgerschaft, wie sie seit 1712 existierte, beseitigt. Die Bürgerschaft wählt seit 1921 die Mitglieder des Senats allein und nicht mehr auf Lebenszeit, wenn auch in ihrer Amtsdauer nicht auf die Länge einer Wahlperiode beschränkt. Die Senatoren werden zu gleichen Rechten gewählt. Ein Richtlinienrecht des Präsidenten des Senats besteht nicht. Die Tradition der Freien Städte als Direktorialrepubliken hat sich bis heute erhalten. Der Senat wählt seinen Präsidenten für die Dauer eines Jahres. Im Unterschied zu den vorhergehenden Verfassungen ist seine Wiederwahl seit 1921 zulässig. Der Senat und seine einzelnen Mitglieder wurden 1921 vom Vertrauen der Bürgerschaft abhängig. Sie mußten von ihrem Amt zurücktreten, wenn die Bürgerschaft ihnen ihr Vertrauen entzog. Ein Senator wurde zu einem „Mittelding zwischen Minister und Magistratsmitglied" 2 ). Das parlamentarische Prinzip wurde hingegen nicht voll in dem Sinne ausgebildet, daß ein Vertrauensentzug seitens der Bürgerschaft unabdingbar das Amt des Senats oder einzelner Senatoren beendete. Der Senat hatte nach der Verfassung von 1921 die Möglichkeit, gegen den Vertrauensentzug das Volk anzurufen. Der Senat konnte einen Volksentscheid darüber herbeiführen, ob er selbst zurückzutreten hatte oder die Bürgerschaft neu zu wählen war. Diese dem dualistischen System eigene Machtbalance zwischen Senat und Bürgerschaft findet sich, wenn auch weniger deutlich ausgeprägt, noch im geltenden Artikel 36 Absatz 1 Nummer 1 VerfHA. Findet nämlich ein Vertrauensantrag des Senats keine Mehrheit und macht die Bürgerschaft innerhalb von drei Monaten von den in Absatz 1 Satz 1 Nummern 1-3 dieser Bestimmung genannten Befugnissen keinen Gebrauch, kann der Senat die Bürgerschaft auflösen. Dieses Recht fungiert als Gegengewicht zum Mißtrauensvotum der Bürgerschaft. Allein die Möglichkeit, von ihm Gebrauch zu machen, 2

) So Max Mittelstein, Die Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg, Hamburg 1924, 2. Auflage, Seite 19.

62

dürfte auf die Bereitschaft der Bürgerschaft, sich am 24. Oktober 1982 und erneut am 19. März 1987 aufzulösen, förderlich gewirkt haben. Das dualistische Widerspiel der Machtbefugnisse setzt sich in der Kompetenzordnung zu Lasten einer klaren Abgrenzung der Befugnisse zwischen den beiden Gewalten fort. Zwar steht seit 1921 die Gesetzgebung nicht mehr Bürgerschaft und Senat gemeinsam zu. Wohl aber fand die bürgerschaftliche Gesetzgebungskompetenz Schranken an Rechten des Senats. Bis heute gilt, daß der Senat gegen von der Bürgerschaft beschlossene Gesetze Einspruch erheben kann. Er zwingt die Bürgerschaft damit zur Wiederholung der Beschlußfassung mit absoluter Mehrheit. Der Senat kann die Aussetzung der zweiten Lesung bis zu einem Monat verlangen. Die von Verfassung wegen vorgesehene Frist zwischen zwei Lesungen kann nur mit seinem Einverständnis abgekürzt werden. Nicht übernommen hat die Verfassung von 1952 das sogenannte Einspruchsreferendum des Artikel 53 der Verfassung von 1921. Hatte die Bürgerschaft sich über den Einspruch des Senats hinweggesetzt, konnte der Senat einen Volksentscheid herbeiführen. Die Verfassung von 1952 sieht das Volk als Schiedsrichter in Fällen von Konflikten zwischen der Bürgerschaft und dem Senat nicht mehr vor. Der bereits in der Verfassung von 1859/60 enthaltene Grundsatz, daß dem Senat allein die vollziehende Gewalt zusteht, erleidet bis heute Ausnahmen zugunsten der Bürgerschaft. Sie bestimmt durch Gesetz Gliederung und Aufbau der Verwaltung. Die Organisationsgewalt für die Exekutive liegt seit 1921 nicht allein beim Senat, sondern bei ihm und der Bürgerschaft. Uber das klassische Untersuchungsrecht hinaus sichert sich die Bürgerschaft Informationen und Einfluß innerhalb der Exekutive über zahllose Gremien, wie z.B. den Deputationen, deren Mitglieder sie wählt, durch das von der Verfassung jedem Abgeordneten verliehene Recht zu parlamentarischen Anfragen und einer damit korrespondierenden Antwortpflicht des Senats, durch Auskunfts- und Aktenvorlageansprüche. Nachwirkungen der vor Jahrhunderten begründeten bürgerlichen Herrschaft über das Kämmerei- und Finanzwesen zeigen sich in der heute immer noch der Bürgerschaft zustehenden Feinsteuerung des Haushaltsvollzugs. Auch die Verfassungsreform von 1971 hat trotz einiger mit ihr eingeführter Inkompatibilitätsregelungen nicht zu eindeutigen Kompetenz- und Verantwortungsabgrenzungen zwischen den Verfassungsgewalten Bürgerschaft und Senat geführt. Sie hat mit der Begründung parlamentarischer Minderheitsrechte gegenüber dem Senat die Möglichkeiten der Einflußnahme auf die Exekutive sogar gestärkt. 63

Ohne historisches Vorbild ist hingegen die Organisation der Bezirksverwaltung. Die Verfassung von 1921 stellte klar, daß die Stadt Hamburg eine besondere Gemeinde bildete. Senat und Bürgerschaft waren zugleich die Organe, die die Gemeindeangelegenheiten leiteten. Im übrigen gewährte die Verfassung den zum Landgebiet gehörigen drei hamburgischen Städten und 27 Landgemeinden das Recht der Selbstverwaltung. Das Prinzip der Einheitsgemeinde, zu der Hamburg 1938 wurde, ist nach 1945 nicht aufgegeben worden. Die Freie und Hansestadt Hamburg bildet heute eine einzige Gebietskörperschaft. Die Verfassung ist nicht zu einer kommunalen Aufgliederung des Staatsgebietes zurückgekehrt. Artikel 4 Absatz 1 der geltenden Verfassung bestimmt allein, daß staatliche und gemeindliche Tätigkeit nicht getrennt werden. Die Bezirksverwaltung knüpft an die Regionalverwaltung durch Ortsämter an, die unter den Bedingungen des Zweiten Weltkriegs geschaffen wurde und ihn überdauerte. Artikel 4 Absatz 2 VerfHA erlaubt die Bildung von Verwaltungseinheiten für Teilgebiete der Stadt, denen die selbständige Erledigung übertragener Aufgaben obliegt. Durchaus in Übereinstimmung mit der Tradition bürgerlicher Mitwirkung an der Verwaltung stehen die Bezirksversammlungen. Ähnlich wie in den Deputationen können durch sie alle Parteien oder politischen Vereinigungen, auch die der bürgerschaftlichen Opposition, an den Entscheidungen der Exekutive teilnehmen. Diese Formen der Mitwirkung aller politischen Parteien verleiht dem System von Regierung und Verwaltung in Hamburg magistratsverfassungsrechtliche Züge.

IV. Erwägungen und Initiativen zur Verfassungs- und Verwaltungsreform 1. Berlin a) Verfassungsreform Die Verfassung von Berlin stammt vom 1. September 1950. Sie ist in dieser Zeit mehrfach in einzelnen Punkten geändert worden, ohne daß hierbei die an dieser Stelle zu behandelnden Fragen berührt wurden. Änderungen der Berliner Verfassung bedürfen der Zustimmung von zwei Dritteln der gewählten Mitglieder des Abgeordnetenhauses (Art. 88 Abs. 1 VerfBE). Mit einem im September 1986 eingereichten Antrag über ein 64

„21. Gesetz zur Änderung der Verfassung von Berlin" schlägt die Fraktion der SPD, die sich in der Opposition befindet, eine Verfassungsänderung vor, die im Falle ihrer Verwirklichung hinsichtlich der hier interessierenden Fragen weitgehende Veränderungen in der Struktur der Landesregierung bewirken und insbesondere, dem „Kanzlerprinzip" des Grundgesetzes entsprechend, die Stellung des Regierenden Bürgermeisters erheblich verstärken würde. Im einzelnen schlägt der Antrag vor, dem Artikel 41 VerfBE künftig folgende Fassung zu geben: Artikel 41 (1) Der Regierende Bürgermeister wird vom Abgeordnetenhaus mit der Mehrheit der gewählten Mitglieder in geheimer Abstimmung gewählt. (2) Kommt eine Wahl nach Absatz 1 nicht zustande, so findet innerhalb von 14 Tagen ein neuer Wahlgang statt; kommt auch dabei eine Wahl nicht zustande, so ist gewählt, wer in einem weiteren Wahlgang die meisten Stimmen erhält. (3) Der Regierende Bürgermeister ernennt und entläßt den Bürgermeister und die Senatoren und bestimmt ihre Geschäftsbereiche. Er unterrichtet das Abgeordnetenhaus unverzüglich über seine Entscheidungen. (4) Die Mitglieder des Senats können jederzeit von ihrem Amt zurücktreten. (5) Jedes Mitglied des Senats ist verpflichtet, auf Verlangen die Geschäfte bis zum Amtsantritt des Nachfolgers weiterzufuhren. Nach diesem Vorschlag müßte künftig die Wahl des Regierenden Bürgermeisters von Verfassungs wegen in geheimer Wahl stattfinden, während heute nur die Geschäftsordnung die Wahl mit verdeckten Stimmzetteln vorschreibt. Beseitigt würde die (Einzel-)Wahl der Senatoren durch das Abgeordnetenhaus; künftig könnte der Regierende Bürgermeister den Bürgermeister und die Senatoren nach eigenem Ermessen und ohne jede Mitwirkung des Abgeordnetenhauses ernennen und entlassen. Artikel 42 VerfBE soll folgende Fassung erhalten: Artikel 42 (1) Das Abgeordnetenhaus kann dem Regierenden Bürgermeister das Mißtrauen nur dadurch aussprechen, daß es mit der Mehrheit der gewählten Mitglieder in geheimer Abstimmung einen Nachfolger wählt. (2) Zwischen dem Antrag und der Wahl müssen mindestens 48 Stunden liegen. 65

Damit entfiele die Möglichkeit, daß das Abgeordnetenhaus einem einzelnen Senatsmitglied das Mißtrauen ausspricht und ihn damit zum Rücktritt zwingt. Statt dessen kann, wie zu Artikel 41 vorgeschlagen, der Regierende Bürgermeister das Senatsmitglied ohne Mitwirkung des Abgeordnetenhauses entlassen. Das gegen ihn weiter mögliche Mißtrauen kann nur in Form des konstruktiven Mißtrauensvotums, also durch die Wahl eines Nachfolgers, ausgesprochen werden. Artikel 43 soll in den Absätzen 2 und 4 so geändert werden, daß er insgesamt folgende Fassung erhalten würde: Artikel 43 (1) Der Regierende Bürgermeister vertritt Berlin nach außen. Er fuhrt den Vorsitz im Senat und leitet seine Sitzungen. Bei Stimmengleichheit gibt seine Stimme den Ausschlag. (2) Der Regierende Bürgermeister bestimmt die Richtlinien der Regierungspolitik. (3) Der Regierende Bürgermeister überwacht die Einhaltung der Richtlinien; er hat das Recht, über alle Amtsgeschäfte Auskunft zu verlangen. (4) Der Senat gibt sich eine Geschäftsordnung. (5) Jedes Mitglied des Senats leitet seinen Geschäftsbereich selbständig und in eigener Verantwortung innerhalb der Richtlinien der Regierungspolitik. Bei Meinungsverschiedenheiten entscheidet der Senat. Nach diesem Vorschlag müßte der Regierende Bürgermeister für die Bestimmung der Richtlinien der Regierungspolitik künftig weder das Einvernehmen mit dem Senat herstellen noch die bisher erforderliche Zustimmung des Abgeordnetenhauses einholen. Er hätte dieselbe Richtlinienkompetenz wie der Bundeskanzler nach Artikel 65 GG. Eine weitere wesentliche Änderung bestünde darin, daß das Abgeordnetenhaus bei der Bestimmung der Zahl der Geschäftsbereiche des Senats sowie ihrer Abgrenzung voneinander nicht mehr mitwirkt; auch die Zuständigkeit hierfür ginge auf den Regierenden Bürgermeister über, der sie bei der Ernennung der Senatoren und bei der Bestimmung der Richtlinien der Regierungspolitik ausüben könnte. Weitere Änderungsvorschläge betreffen die Abtrennung der Wahlen zu den Bezirksverordnetenversammlungen von der Wahl zum Abgeordnetenhaus — diese Frage gehört in den Bereich der Verwaltungsreform — sowie die hier nicht zu behandelnde Frage der Errichtung eines Verfassungsgerichts für Berlin. Der Antrag der SPD-Fraktion ist im September 1986 vom Berliner 66

Abgeordnetenhaus behandelt worden. Dabei hat der Sprecher der SPD-Fraktion, Pätzold, zu dem hier interessierenden Fragenkomplex unter anderem ausgeführt: „Die Fragen der Verfassungs- und der Verwaltungsstruktur stehen für uns in einem unauflöslichen Zusammenhang. In dem Maße, wie es gelingt, den eigentlichen Vorgaben der Verfassung in der Aufgliederung von Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten zwischen Senat und Hauptverwaltung einerseits und den Bezirken andererseits gerecht zu werden, in dem Maße, wie die gemeinsam vom Parlament für gut befundenen Vorschläge der Enquete-Kommission ,Verwaltungsreform' endlich in die Wirklichkeit umgesetzt werden — und das bedeutet dann, daß der Senat sich hier mehr, wie es seine Aufgabe ist, auf die großen Entwicklungen in der Stadt konzentrieren sollte —, in dem Maße, wie das möglich ist und an diesen Punkt geführt werden kann, in dem Maße scheint es uns auch möglich zu sein, daß eine stadtstaatliche Landesregierung mehr nach den Kriterien für Landesregierungen beurteilt werden kann und weniger nach den Kriterien für bloße Kommunalverwaltungen. In diesem Sinne glauben wir, daß man dann auch in der Landesregierung, wie es, wie ich finde, falsch formuliert wird, die Position des Regierenden Bürgermeisters verstärken könnte; ich meine mehr, daß das die Einführung des Kanzlerprinzips ist, was bedeutet, daß der Regierende Bürgermeister stärker und zentraler Verantwortung auch für den ganzen Senat vor dem Abgeordnetenhaus tragen sollte. Das ist für mich keine Schwächung des Parlaments, sondern, wenn man es richtig versteht, eher eine Stärkung." Diesen Gedankengang, ebenso aber auch den „unauflöslichen Zusammenhang" zwischen einer Verfassungs- und einer Verwaltungsreform haben die Vertreter der SPD auch in der Anhörung vor der Kommission erneut dargelegt. Aus den Äußerungen der Vertreter der anderen Fraktionen ergab sich Diskussionsbereitschaft, aber wohl noch keine abschließende oder über die Darlegung der persönlichen Auffassung der Sprecher hinausgehende Stellungnahme; vielmehr wurden die für und gegen die Vorschläge sprechenden Argumente einander gegenübergestellt und eine sorgfältige Prüfung zugesagt. Die Sprecherin der AL-Fraktion lehnte allerdings den Teil des SPD-Antrags, der sich als Einführung des „Kanzlerprinzips" umschreiben läßt, von vornherein ab. In ähnlicher Weise haben sich die Vertreter der Parteien auch im Anhörungsverfahren geäußert; auch bei den 67

Sprechern der Regierungsparteien gab es sowohl grundsätzlich zustimmende als auch skeptische oder zurückhaltende Äußerungen. Der Antrag der SPD-Fraktion ist dem Ausschuß für Inneres, Sicherheit und Ordnung sowie dem Rechtsausschuß überwiesen worden. Eine Beratung hat dort bisher nicht stattgefunden, b) Verwaltungsreform Auch die Frage einer Reform der Berliner Verwaltung ist in dem SPD-Antrag zur Verfassungsreform in einem Punkt insofern angesprochen, als durch eine Änderung des Artikels 55 VerfBE künftig die Wahlperiode der Bezirksverordnetenversammlungen von der des Abgeordnetenhauses getrennt werden soll. Durch eine in der Aussprache vorgeschlagene, aber formell noch nicht beantragte Änderung des Bezirksverwaltungsgesetzes soll die 1971 eingeführte Regelung wieder beseitigt werden, nach der das Bezirksamt entsprechend der Stärke der Parteien in der Bezirksverordnetenversammlung zu besetzen ist. Künftig soll wieder das politische Bezirksamt bestehen, das hinsichtlich seiner Zusammensetzung von der Entscheidung der Mehrheit der Bezirksverordneten abhängt. Außerdem ist als eine Voraussetzung für die Durchführung der Verfassungsänderungen, die die Stellung des Regierenden Bürgermeisters betreffen, gefordert worden, die Empfehlungen der Enquete-Kommission Verwaltungsreform zu verwirklichen. Diese Enquete-Kommission war vom Abgeordnetenhaus im Februar 1982 mit der ursprünglichen Zielsetzung eingesetzt worden, bis zum Ende des Jahres 1982 Vorschläge für eine Verwaltungsreform zu erarbeiten. Angestrebt werden sollte insbesondere, die Vermeidung von Doppelarbeit durch Bündelung von Verwaltungszuständigkeiten zu erreichen und die Verwaltung zu dezentralisieren. Es sollte untersucht werden, ob diese Ziele auch durch eine Stärkung der eigenverantwortlichen bezirklichen Verwaltung, die Änderung der Zuständigkeits- und Aufgabenverteilung zwischen Haupt- und Bezirksverwaltung und durch eine Änderung der Bezirksverwaltungsorganisation erreicht werden könnte. In einem gegen Ende 1982 vorgelegten Zwischenbericht hat die Enquete-Kommission dargelegt, aus welchen Gründen sie ihre Arbeit bis zu dem ursprünglich vorgesehenen Zeitpunkt nicht abschließen konnte, und die bis dahin erreichten Ergebnisse vorgestellt. Auch der am 30. Mai 1984 vorgelegte Abschlußbericht betont, daß der Bericht kein abschließender in dem Sinne sein könne, daß damit das Ziel aller Verwaltungsreformbemühungen 68

erreicht sei. Es handele sich vielmehr um einen ständigen Prozeß. Als Leitvorstellung für eine Neuordnung der Verwaltung bezeichnet es der Bericht, „soweit wie möglich die schöpferische Eigenverantwortung auf jeder Stufe der Verwaltung freizusetzen und dabei die Sachverantwortung mit der Kosten- und Organisationsverantwortung zu verbinden (Grundsatz der dezentralisierten Gesamtverantwortung). Nach dem Subsidiaritätsgrundsatz soll der jeweils kleineren Einheit obliegen, was nicht zwingend der größeren vorbehalten bleiben muß. Das bedeutet keineswegs, die zentrale Verantwortung zu schwächen; sie soll im Gegenteil stärker ihren eigentlichen Aufgaben — Vorgabe und Kontrolle (mit Änderungsmöglichkeit) — gerecht werden können. Aber in diesem selbstverständlichen Rahmen soll die kleinere Einheit Chance und Pflicht zur Gestaltung und Verantwortung haben." Zu den sich hieraus ergebenden organisatorischen Konsequenzen fuhrt der Bericht unter anderem aus: „Partner des Bürgers soll nur e i n e Verwaltung sein, und zwar möglichst eine regional zuständige, kompetente und entscheidungsfähige Verwaltung, die mit überschaubarem Aufgabenbereich von gewählten Volksvertretern politisch kontrolliert und verantwortet wird. Grundsatz der Zuständigkeits- und Aufgabenverteilung muß sein, daß die Hauptverwaltung auf ministerielle Aufgaben, also auf Rahmenvorgaben, konzeptionelles Vorausdenken und Führungsentscheidungen, beschränkt wird, Einzelplanungen und -entscheidungen dagegen den Bezirken überlassen bleiben. Dabei können bestimmte Aufgaben, wie etwa Polizei und Justiz, ihrer Natur nach nur Sache der Hauptverwaltung sein. Im übrigen aber müssen die Bezirke mit allen formellen und finanziellen Befugnissen ausgestattet werden, um alleinverantwortlich — auch vor der Bürgerschaft — handeln zu können. Ein Eingreifen von Senat und Abgeordnetenhaus sollte es nur in dringenden Ausnahmefällen geben. Da bei der derzeitigen Organisationsform Planungen und Entscheidungen häufig sowohl im Bezirk als auch in der Hauptverwaltung erarbeitet werden, könnte durch die Übertragung der Entscheidungsbefugnis auf nur eine Stelle eine erhebliche StrafFung der Verwaltung erreicht werden." Der Bericht schlägt eine weitreichende Neufassung der Zuständigkeitsverteilung zwischen Hauptverwaltung und Bezirken vor, mit 69

dem nach ihrer Auffassung die Zielvorstellung erreicht werden könnte. Ferner wird eine veränderte Finanzstruktur vorgeschlagen, die weiterhin die finanzpolitische Gesamtverantwortung des Senats für den Haushaltsplan und die Finanzplanung sicherstellt, innerhalb dieser Leitlinien aber die Verantwortung in weitem Umfange den einzelnen Senatoren und den Bezirken überträgt. Die Bezirke sollen — ebenso wie die Fachsenatoren — Globalsummen zugewiesen erhalten, über die sie nach bestimmten Vorgaben selbst verfugen können. Gegen die Vorschläge einer Minderheit in der Enquete-Kommission empfiehlt diese, weder die Wahltermine für die Bezirksverordnetenversammlungen von denen des Abgeordnetenhauses zu trennen noch eine Umwandlung der Bezirksämter so vorzunehmen, daß an die Stelle der jetzt nach der Stärke der Parteien besetzten Bezirksämter das „politische" Bezirksamt tritt. Diese beiden Punkte werden in dem Antrag der SPD zur Verfassungsreform im Sinne der Minderheitsmeinung in der Enquete-Kommission wieder aufgenommen. Der Senat hat in einer dem Abgeordnetenhaus am 30. November 1984 zugeleiteten Stellungnahme sich zu den Einzelvorschlägen der Enquete-Kommission geäußert. Auch der Senat geht von dem Grundsatz aus, daß die Verwaltungsaufgaben so weit wie möglich und sinnvoll in bezirklicher Eigenverantwortung zu erfüllen und der Hauptverwaltung lediglich diejenigen Aufgaben vorzubehalten seien, die zur Wahrung der Einheitlichkeit des Verwaltungshandelns oder wegen ihrer überörtlichen Bedeutung zwingend einer zentralen Sichtweise bedürften. Der Senat habe zusammen mit den Bezirken sämtliche in den Zuständigkeitskatalogen aufgeführten Verwaltungsaufgaben unter diesem Gesichtspunkt überprüft. Hierbei habe sich ergeben, „daß die Gesichtspunkte der kosten- und nutzenoptimalen Gestaltung der Verwaltung sowie der Bürgernähe durch Stärkung der bezirklichen Verantwortung vielfach in ein unauflösliches Spannungsfeld geraten". Gegen die vorgeschlagene Änderung der Finanzstruktur äußert der Senat Bedenken. Gegen eine Trennung der Wahltermine von Abgeordnetenhaus und Bezirksverordnetenversammlung spricht sich der Senat ebenso wie die Mehrheit in der Enquete-Kommission aus. 2. Bremen Gegenwärtig liegen der bremischen Bürgerschaft keine Anträge vor, die sich mit zu dem Kommissionsauftrag gehörenden Themen beschäftigen. 70

Aus früheren Wahlperioden sind jedoch die Beratungsergebnisse interessant, die in der 7. und 8. Wahlperiode jeweils von einem nichtständigen Ausschuß zur Überprüfung der bremischen Landesverfassung erarbeitet wurden. Für die 9. Wahlperiode ist die erneute Einsetzung eines solchen Ausschusses abgelehnt worden; die Reformarbeiten sind zu keinem Abschluß gekommen. Zur Beurteilung der Durchsetzungsmöglichkeiten für eine Verfassungsreform in der Freien Hansestadt Bremen ist von Bedeutung, daß Verfassungsänderungen nur möglich sind, wenn entweder die mit der Mehrheit ihrer gesetzlichen Mitglieder versammelte Bürgerschaft diese einstimmig beschließt oder die Mehrheit der gesetzlichen Mitglieder der Änderung zustimmt und diese anschließend durch einen Volksentscheid angenommen wird (Art. 125 Abs. 3 und 4 VerfBR). Hierauf dürfte es mit zurückzufuhren sein, daß Reformbemühungen, die nicht von vornherein einen grundsätzlichen Konsens erkennen lassen, nur zögernd verfolgt werden, weil die Durchsetzungschancen gering sind. In dem „Zwischenbericht" des im September 1968 für die 7. Wahlperiode der bremischen Bürgerschaft eingesetzten Ausschusses kommt dieser zu Ergebnissen, die in ihrer Gesamttendenz und in einem Teil der konkreten Vorschläge den Vorstellungen entgegenkommen, die eine stärkere Gewaltentrennung zwischen Landesregierung und Parlament und eine Stärkung der Stellung des Regierungschefs befürworten. So erörtert der Bericht die Deputationen in ihrer spezifischen bremischen Ausprägung. Er teilt mit, eine Mehrheit befürworte die Einführung von Parlamentsausschüssen statt der Deputationen: „Die Erkenntnis, daß Sinn und Zweck der Deputationen auf einem spezifisch bremischen, nicht-gewaltenteilenden und nicht-parlamentarischen Demokratieverständnis beruhen, das durch die Ausbildung der modernen gewaltenteilenden Demokratie überholt ist, hat insbesondere unter Berücksichtigung der Forderung nach mehr Rechten und mehr Eigenständigkeit für die Abgeordneten zu dieser Auffassung geführt." Der Ausschuß der 7. Wahlperiode empfiehlt als die unter seinen Mitgliedern überwiegende Auffassung, dem Präsidenten des Senats die Richtlinienkompetenz zuzuweisen, „um über bloße Koordinierungsmöglichkeiten hinaus notfalls den Rahmen der Politik homogen abgrenzen und durchsetzen zu können". Um ein Minimum des bisher bestehenden Kollegialprinzips zu erhalten, solle der Präsident des Senats sich mit dem Senat ins Benehmen setzen, ohne auf dessen Zustimmung angewiesen zu sein. Nicht in Frage gestellt wurde, daß die Senatsmitglieder von der Bür71

gerschaft zu wählen sind. Anders als nach geltendem Recht soll aber zunächst in einem ersten Wahlgang der Präsident des Senats gewählt werden, sodann auf seinen Vorschlag in einem zweiten Wahlgang die übrigen Mitglieder des Senats. Dies entspricht dem Grundgedanken nach der heute in Berlin geltenden Regelung. Weitere Fragen bedürften einer Überprüfung, die der Ausschuß nicht abschließend habe behandeln können. Er neige aber zu der Auffassung, den Rücktritt des Präsidenten des Senats „zur auflösenden Bedingung für den ganzen Senat zu machen". Zu überdenken sei auch, ob der Präsident einzelne Senatoren ohne Zustimmung der Bürgerschaft entlassen könne. Alle diese Vorschläge sind jedoch von dem im Dezember 1971 für die 8. Wahlperiode eingesetzten nichtständigen Ausschuß zur Überprüfung der bremischen Landesverfassung, der im Mai 1975 seinen Bericht vorlegte, wieder zurückgenommen worden. Der Ausschuß betont selbst, daß im Hinblick auf das Einstimmigkeitsprinzip bei Verfassungsänderungen der Bürgerschaft ein umfassender Antrag auf eine Änderung der Verfassung nur vorgelegt werden sollte, wenn dieser von allen Fraktionen getragen werde. „In wesentlichen Fragen, wie der Einführung einer Richtlinienkompetenz des Präsidenten des Senats und der Ersetzung von Deputationen durch ständige Parlamentsausschüsse, konnte jedoch keine einheitliche Auffassung im Ausschuß und in den Fraktionen erzielt werden." Sogar eine „kleine Lösung" sei gescheitert, die lediglich eine Verständigung darüber herbeiführen wollte, künftig Verfassungsänderungen mit qualifizierter Mehrheit zu ermöglichen. Wegen des Widerspruchs einer Fraktion sind schließlich selbst diejenigen Vorschläge nicht als Antrag der Bürgerschaft vorgelegt worden, über die im Ausschuß Einigkeit bestand. Hierzu gehörte neben hier nicht interessierenden Punkten auch der Vorschlag, Artikel 118 Absatz 1 VerfBR insoweit zu ändern, als bisher vorgesehen ist, daß der Senat die Verwaltung nach den Gesetzen „und den von der Bürgerschaft gegebenen Richtlinien" fuhren soll. Insoweit schlägt der Ausschuß vor, „aus Gründen der Gewaltenteilung" diese Befugnis des Parlaments zu streichen. 3. H a m b u r g Auch in Hamburg liegen gegenwärtig keine Anträge der Bürgerschaft vor, die Verfassung in den Bereichen zu ändern, die für die Kommission von Bedeutung sind. Abgesehen von einer Diskussion in dem Ausschuß für Verfassung, Geschäftsordnung und Wahlprüfung der Bürgerschaft im Oktober 1976, in dem das Für und Wider einer Richtlinienkompetenz sowie die mit dem Bürgerausschuß, den Deputationen und dem Beamtenernennungsausschuß zusammenhängen72

den Fragen besprochen wurden, hat sich auch sonst bisher kein Anlaß ergeben, eine Änderung der 1952 ergangenen Verfassung in den hier interessierenden Punkten zur parlamentarischen Entscheidung zu stellen. Im Jahre 1987 hat die Fraktion der Grünen (GAL) den Antrag gestellt, das Amt des Senats in jedem Fall mit dem Zusammentritt einer neuen Bürgerschaft enden zu lassen. Dieser Antrag hat sich durch das Ende der Wahlperiode erledigt. Im Vordergrund sowohl der öffentlichen Aufmerksamkeit wie auch der parlamentarischen Debatten standen vielmehr Fragen eher kommunalen Charakters und damit Probleme weniger einer Anpassung der Struktur der Landesregierung an die der Flächenstaaten als vielmehr der Verwaltungsreform. Der Zusammenhang zwischen beiden Bereichen in einem Stadtstaat ist erst vor kurzem in einem Beitrag von Hans Peter Ipsen zu „Hamburger Verfassungsfragen" plastisch und in einer Weise beschrieben worden 1 ), die auch für Berlin und Bremen ihre Bedeutung hat: In Hamburg „als Großstadt von etwa 1,6 Millionen Einwohnern stellt sich ebenso wie in allen anderen Großstädten die Aufgabe bezirklicher Raumgliederung, dies indes in anderer Weise und komplizierter für den Stadtstaat Hamburg (und ebenso für Berlin) als etwa für München oder Frankfurt. Denn der Spitze seiner Verwaltung, dem Senat, obliegen zugleich als Landesregierung alle nicht dem Bund vorbehaltenen staatlichen Aufgaben für den Stadtstaat und im Bund (Bundesrat), und die Bürgerschaft, als Landesparlament am Parlamentsrecht orientiert, sieht sich überwiegend auf Kommunalaufgaben verwiesen. Eine ,Aufgabenkritik in einer Großstadtverwaltung unter besonderer Berücksichtigung Hamburgs', die diese Besonderheit nicht hinlänglich in Rechnung stellt, muß unvollständig bleiben. Angesichts der Untrennbarkeit staatlicher und gemeindlicher Tätigkeit erreicht jeder Verwaltungsvorgang hinreichenden öffentlichen Interesses seine Relevanz auch für Senat und Bürgerschaft. Die Präsenz des Senats als Landesregierung am Ort und im Raum seiner Wirksamkeit auch als höchstes Organ der Exekutive in Kommunalangelegenheiten, wie sie anderen Großstädten in Flächen-Bundesländern nicht eigen ist, hat ihre Folgen für das politische Klima im Stadtstaat ebenso wie für Struktur und Effizienz der Verwaltung". Hierin sieht Ipsen eine Erklärung dafür, daß der im November 1981 vorgelegte Bericht der Kommission zur Überprüfung von Verbesserungsmöglichkeiten in der Hamburger Verwaltung („Haas-Gutach1

) In der Festschrift für Wolfgang Zeidler, 1987, S. 1177 ff. 73

ten") durch einen Vorgang kommunalen Charakters ausgelöst worden ist. Der Bericht hat die gesamte Hamburger Verwaltung kritisch überprüft, Mängel festgestellt und Verbesserungsmöglichkeiten dargelegt, die teilweise auch Verfassungsänderungen erfordern. Diese betreffen die Neuordnung der Bezirksverwaltung, die Aufgaben des Beamtenernennungsausschusses und die Einfuhrung eines Nachbewilligungsrechts des Finanzsenators. Dagegen werden die Stellung des Ersten Bürgermeisters, das System der Senatsbildung und das Prinzip bürgerlicher Mitwirkung an der Verwaltung nicht behandelt. Die Empfehlungen der Haas-Kommission stimmen in einigen wesentlichen Positionen mit den Vorschlägen der Berliner EnqueteKommission überein, soweit man angesichts der örtlichen Besonderheiten solche Vergleiche anstellen kann. So lautet einer der zentralen Vorschläge in Hamburg: „Hamburg bleibt Einheitsgemeinde mit Bezirksämtern. Jedoch werden die Bezirke in entscheidenden Punkten verselbständigt. Die Bezirke mit ihren Bezirksversammlungen entscheiden eigenverantwortlich in allen Angelegenheiten von örtlicher Bedeutung. Die zentralen Stellen handeln ohne bezirkliche Mitentscheidung in allen Angelegenheiten von überörtlicher Bedeutung." Soweit nichts anderes bestimmt wird, sollen die Verwaltungsaufgaben bei den Bezirken liegen. Der Senat kann in Zuständigkeitsanordnungen diejenigen gesetzlich geregelten Aufgaben zusammenfassen, „für die das Wesen der Einheitsgemeinde ein zentrales Steuerungs- oder Wahrnehmungsbedürfnis begründet". Bei diesen „Weisungsaufgaben" unterliegen die Bezirke, soweit die Aufgaben nicht zentralen Stellen zugewiesen sind, einer uneingeschränkten Fachaufsicht. Die Bezirksversammlungen sollen einen parlamentsähnlichen Status erhalten, sich nicht mehr mit der laufenden Verwaltung befassen, sondern diese kontrollieren, Grundsatzentscheidungen treffen und den als „Bezirksbürgermeister" bezeichneten (bisherigen) Bezirksamtsleiter wählen. Für ihre Angelegenheiten sollen die Bezirke in ähnlicher Weise wie nach dem Berliner Vorschlag das Etatrecht im Rahmen globaler Zuweisungen der Bürgerschaft erhalten. Für die Mitberatung von Angelegenheiten überörtlicher Bedeutung soll ein „Rat der Bezirke" eingerichtet werden, der dem Berliner Rat der Bürgermeister ähnlich ist. Die Rechte des Beamtenernennungsausschusses werden auf die Ernennung oberhalb der Besoldungsgruppe A 14 und entsprechende Angestelltenpositionen beschränkt. Für den Senat schlägt die Haas-Kommission vor: 74

„Als notwendiges Gegengewicht zu der größeren Selbständigkeit der Fachbehörden, der Bezirksämter und der nachgeordneten Aufgabenbereiche sollen die generelle Steuerung und Koordinierung durch den Senat und seine Assistenzeinheiten sowie durch die Behördenleitungen verstärkt werden." Als Grundsatz soll gelten, daß der Senat sich von weniger gewichtigen Angelegenheiten entlastet und sich auf die übergeordnete Gesamtverantwortung konzentriert. Ähnlich wie in Berlin hat auch der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg sich zu den Kommissionsvorschlägen geäußert. In der Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft vom 4. März 1986 über „EfFektivitätssteigerung der Verwaltung", die ausdrücklich auf die Arbeiten der Haas-Kommission Bezug nimmt, werden die grundsätzlichen Strukturfragen nicht oder nur zurückhaltend behandelt; dagegen werden zahlreiche Einzelfragen des Verwaltungsablaufs aus der Sicht des Senats erörtert. Die einleitende Bemerkung verdient Beachtung, weil sie sicher nicht nur für die Vorschläge der Haas-Kommission, sondern für jede gutachterliche Tätigkeit sachverständiger Gremien gilt: „Die Haas-Kommission selbst sieht ihren Bericht ,als eine Hilfe in schwierigen politischen Entscheidungs- und Abwägungsfragen'. Neben konkreten Änderungsvorschlägen hat sie ihre Aufgabe auch darin gesehen, ,die Wirkungszusammenhänge offenzulegen, die die Verwaltung so sein lassen, wie sie ist, und auf diese Weise Bewußtsein für nicht Änderbares wie für notwendige Änderungen für Verhaltens- und Denkweisen zu wecken'. Dies verweist darauf, daß die angestrebten Änderungen nur als ein kontinuierlicher Prozeß begriffen werden können, der in vielen Teilschritten abläuft. Er muß offengehalten werden für neue Zielsetzungen, wenn Rahmenbedingungen sich wandeln und Prioritäten neu zu setzen sind. Der ,große W u r f , der aus einem geschlossenen Ansatz heraus in kurzer Zeit eine ,neue Verwaltung' schafft, die die spezifische Leistungsfähigkeit bürokratischer Systeme mit einfachen und leicht durchschaubaren Strukturen verbindet, wird — nicht nur in Hamburg — eine unerfüllbare Wunschvorstellung bleiben." Die Fragen der Struktur des Senats als der Landesregierung sind bisher in den Zusammenhang der Überlegung zu einer Reform der Verwaltung nicht durch parlamentarische Initiativen einbezogen worden. Der Erste Bürgermeister hat aber bei mehreren Gelegenheiten in der Öffentlichkeit auf die damit verbundenen Fragen hingewiesen und deutlich gemacht, daß er Verfassungsreformen für erforderlich hält, die eine Stärkung der Stellung des Regierungschefs und damit eine 75

Modifizierung des Hamburger Kollegialprinzips zum Inhalt haben sollten. Die politischen Parteien in Hamburg fuhren hierzu eine von unterschiedlichen Auffassungen gekennzeichnete Diskussion. Hierüber ist jeweils in den Hamburger Medien mit großem Interesse berichtet worden. Zu einer Änderung der Verfassung ist in Hamburg erforderlich, daß die Bürgerschaft zwei übereinstimmende Beschlüsse faßt, bei denen jeweils drei Viertel der gesetzlichen Mitgliederzahl der Bürgerschaft anwesend sind und eine Mehrheit von zwei Dritteln der anwesenden Abgeordneten der Änderung zustimmen. C. Mängelanalyse 1. Vorbemerkung In der nachfolgenden Analyse, die auch im Sachbericht (Teil B des Gutachtens) geschilderte Punkte zusammenfassend aufgreift, beabsichtigt die Kommission nicht, in eine allgemeine kritische Diskussion der Probleme einzutreten, denen sich das demokratische Regierungssystem gegenüber den Anforderungen einer hochentwickelten Industriegesellschaft unter sich schnell verändernden Rahmenbedingungen stellen muß. Sie konzentriert sich vielmehr auf die besondere Situation der drei Stadtstaaten im Vergleich zu den Verfassungen des Bundes und der Flächenstaaten und auf eine Analyse der Verfassungswirklichkeit in den drei Städten. Dabei übersieht die Kommission nicht, daß die Verfassungen der drei Stadtstaaten durchaus Unterschiede aufweisen, die sich aus der jeweils sehr eigenständigen Geschichte und unterschiedlich starken Traditionen in Berlin und den beiden Hansestädten ergeben. Die Kommission stützt sich dabei sowohl auf die Aussagen bei den Anhörungen wie auf eigene Erfahrungen der Kommissionsmitglieder, wie schließlich auf Erwägungen der modernen Organisationstheorie. Sie berücksichtigt dabei auch, daß gewachsene Regelungen, die durch Geschichte und Traditionen vorgegeben sind, einen Wert darstellen können, der schwer wiegt. Die Kommission hat im Sachbericht (Teil B IV des Gutachtens) dargestellt, daß in allen drei Stadtstaaten seit geraumer Zeit umfangreiche Diskussionen über Reformen der jeweiligen Verfassung und Verwaltungsstruktur stattfinden, und zwar weit umfangreicher und tiefergreifend, als das für das Grundgesetz oder die Verfassungen der Flächenstaaten gilt. Dies ist ein Anzeichen dafür, daß die politisch Verantwortlichen — sicherlich mit sehr unterschiedlichen Akzenten 76

— die derzeitige Regierungsstruktur für zumindest teilweise unbefriedigend halten. Dies kann auch als zusammenfassendes Ergebnis der Anhörungen festgestellt werden. In Hamburg und Berlin ist die in Krisensituationen wenig stabilisierende Verfassungslage in wichtigen Einzelfällen spektakulär sichtbar geworden, insbesondere bei wichtigen Personalentscheidungen. Wenn das politische System in Bremen bis heute offenbar stabiler geblieben ist als in Berlin und Hamburg, so mag das an den Mehrheitsverhältnissen und der in Bremen besonders ausgeprägten Mentalität zu informeller gesamtstädtischer Zusammenarbeit liegen, schließt aber die latente Möglichkeit zu einer Destabilisierung bei Veränderung der politischen Verhältnisse nicht aus. 2. Tatsächliche Stellung des Regierungschefs Die Verfassungen der drei Stadtstaaten sehen in weitgehender Übereinstimmung einen kompetenzschwachen Bürgermeister vor. Dies ist vornehmlich auf die beschriebenen Verfassungsbestimmungen über die Regierungsbildung und die Änderung der personellen Zusammensetzung der Regierungen zurückzufuhren. Das verfassungsmäßige Verfahren zur Bestellung der Senatoren macht den Regierenden Bürgermeister in Berlin und die informell designierten Bürgermeister der Hansestädte von geheimen Wahlverhalten kleiner Minderheitsgruppen, im Extremfall eines einzigen Abgeordneten abhängig, die damit die Möglichkeit zu politischer „Erpressung" haben. Die Minderheit braucht nur gerade so groß zu sein, daß ihr abweichendes Wahlverhalten den Regierungsfraktionen im Parlament die Mehrheit nimmt. Weniger bewußt, aber von kaum zu überschätzender Auswirkung ist, daß die Fraktionsvorstände und die Regierungsfraktionen in ihrer Mehrheit selbst die Handlungsunfähigkeit gegenüber einzelnen oder kleinen Gruppen von Abweichlern mit dem (künftigen) Bürgermeister teilen. Da die Wahlen geheim sind, ist das politische Problem des von einzelnen oder kleinen Gruppen bei Senatorenwahlen verursachten Mehrheitsverlustes kaum steuerbar. Wenige, im Extremfall ein einziger, haben aus der Anonymität heraus den Bürgermeister und ebenso Fraktionsvorstand und -mehrheit praktisch in der Hand. Gegen eine auch nur kleine Hausmacht, etwa in einem Parteiflügel oder in einer regionalen Parteiorganisation, kann ein sich sperrender Senator nicht zum Rücktritt gezwungen werden, obwohl Regierungschef und Regierungsfraktion in ihrer Mehrheit sich von ihm trennen möchten, sofern die Opposition nicht Hilfestellung gibt, sondern vielmehr die Regierungsmehrheit in ihren Problemen „schmoren" läßt. 77

Alle drei Landesverfassungen sehen für ein Mißtrauensvotum grundsätzlich die Mehrheit der gesetzlichen Mitgliederzahl vor. Ließe man die einfache Mehrheit ausreichen, so hätte das nur eine graduelle Abmilderung des Problems zur Folge: Die abweichende Gruppe müßte — bei kleinen Mehrheiten nur wenig — größer sein. Der Regierungschef und die Fraktionsmehrheit bleiben auch in diesem Falle grundsätzlich handlungsunfähig. Abweichendes Wahlverhalten einzelner Abgeordneter oder einer Gruppe von Abgeordneten kann auf politischer Überzeugung beruhen. Dies wird man anzunehmen haben, wenn die Abweichung in der Fraktion offenbart und begründet worden ist. Das ist ein unbedingt zu respektierender Vorgang. In den Fällen, in denen die Unterstützung des Wahlvorschlags zugesagt, nachher aber in der geheimen Wahl nicht gegeben wird, wird man andere Motive jedenfalls in Rechnung stellen und häufig genug für wahrscheinlich halten müssen. Es kann Abgeordnete geben, die sich eigene Hoffnungen auf ein Senatsamt gemacht haben und ihre Enttäuschung in Vergeltung umsetzen. Die eine oder andere politische Rechnung wird mit einem Denkzettel ausgeglichen, oder es wird auch nur politische Unzufriedenheit in einem begrenzten Konflikt bei der Wahl einzelner Senatoren verdeutlicht. Der Entschluß, auf diese Weise zu opponieren, wird im begrenzten Konfliktfeld leichter fallen, als etwa bei der Wahl des Bürgermeisters, deren Scheitern die Machtposition des eigenen Lagers insgesamt erschüttert. Die Kommission verkennt nicht, daß die beschriebenen Gegensätzlichkeiten auch in Regierungen auf anderer Verfassungsgrundlage bei entsprechender politischer Konstellation sichtbar werden. Sie geht auch nicht davon aus, daß spektakuläres Gegenansteuern einzelner Senatsmitglieder oder allgemeiner Solidaritätsmangel der Regierungsmitglieder in den Stadtstaaten die Alltagspraxis bestimmen. Die Verfassungen halten aber kein Gegengewicht bereit. Deshalb ist die latente Gefahr größer und sie zeitigt gleichsam schleichend die beschriebenen Wirkungen. Der Regierende Bürgermeister ist nach der Verfassung in Berlin kaum, in den Hansestädten sind die informell designierten Bürgermeister von Verfassungs wegen gar nicht in der Lage, die Regierung als ein Arbeitsteam ihres Vertrauens zusammenzustellen, mit dem sie die vor der Wahl propagierte Politik optimal verwirklichen zu können glauben. Selbstverständlich ist kein Regierungschef bei der Zusammenstellung seines Kabinetts frei von politischen Bindungen. Die verfassungsrechtlich schwache Stellung des gewählten Regierenden Bürgermeisters in Berlin und der nur informell vorgesehenen künfti78

gen Bürgermeister in den Hansestädten mindert deren Einfluß in den der Regierungsbildung vorausgehenden Verhandlungen aber entscheidend. Sie können nur ihr eigenes politisches Gewicht einsetzen, ohne jede Stütze aus der Verfassung. Das muß, wie es besonders in Hamburg und Berlin eindringlich in den Anhörungen geschildert worden ist, immer zu sachlich nicht als gerechtfertigt empfundenen Kompromissen vor der Regierungsbildung fuhren, gleichsam zu „Wahlkapitulationen". Solche Vorgänge sind auch aus Bremen bekannt. 3. Aufgabenstellung und Entscheidungsbedingungen In den Stadtstaaten nehmen die Regierungen Aufgaben als Gemeinde (in Bremen als Gemeindeverband) und als Land wahr. Besondere Aufgaben erwachsen den Stadtstaaten aus ihrer engen Verflechtung mit den Nachbarländern sowie aus der besonderen Lage Berlins. Die Erfüllung dieser Aufgaben erfordert Management in einem sehr komplexen System. Als Länder haben die Stadtstaaten an der Gesetzgebung des Bundes mitzuwirken. Die Verteilung des Steueraufkommens zwischen Bund und Ländern hat einen unmittelbaren Einfluß auf die ökonomische Dynamik der Stadtstaaten. Die Regelung des Finanzausgleichs zwischen den Ländern wird von den Stadtstaaten als für sie nachteilig empfunden. Die Regelung der Verhältnisse zu den Nachbarländern ist für Hamburg und Bremen besonders wichtig, weil das Einzugsgebiet der Stadtstaaten in den Nachbarländern liegt, weil Flüsse und Küsten gemeinsame Probleme schaffen und weil die Stadtstaaten viele Dienstleistungen für die Bewohner der Nachbarstaaten erbringen. Maßnahmen, die zur Lösung dieser Aufgaben getroffen werden, haben Rückwirkungen auf allen angesprochenen Ebenen. Maßnahmen, die auf den entsprechenden Ebenen außerhalb der Stadtstaaten getroffen werden, haben Wirkungen auf die Lage und die Entwicklung der Stadtstaaten. Dieses Wirkungsgeflecht in einem sehr komplexen System wird nur sehr ungenügend durch die genannten Koordinationsmechanismen, Steuerschlüssel, Finanzausgleich, Verkehrspläne usw. geregelt. Es bleiben externe Effekte, die es jeweils gegebenenfalls auch im Einzelfall zu regeln gilt. Ähnliches trifft auf die Regelung von kommunalen Problemen zu. Die Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte der Bürger sind ausgebaut. Ihre Einspruchsmöglichkeiten und ihre Mitgestaltungswünsche sind stärker geworden. Die Bezirke streben nach größerer Selbständigkeit. Dezentralisierung der Verwaltung ist das Ziel, das mit dem Schlagwort „größere Bürgernähe" angestrebt wird. 79

Die größere Komplexität der Aufgaben in den Stadtstaaten macht es immer wahrscheinlicher, daß Maßnahmen, die von der Regierung beschlossen werden, an anderer Stelle nachteilige Wirkungen haben. Die Möglichkeiten der Mitbestimmung der Bezirke und zahlreicher bürgerlicher Gremien begünstigen es, daß sie sich gegen solche nachteiligen Wirkungen wehren. Die Gefahr, daß der einzelne dabei kurzsichtige Interessen vertritt, die seinen eigenen langfristigen Interessen zuwiderlaufen, ist gewachsen. Die Politik stellt unter diesen Umständen hohe Anforderungen an die Führungskunst der Regierenden. In langwierigen Gesprächen müssen sie unter der ständigen Kontrolle der Opposition die Interessen koordinieren und die von Maßnahmen belasteten Bürger von deren Notwendigkeit überzeugen. Politisches Management ist dann effizient, wenn — die Ziele der Politik klar formuliert und in ein in sich schlüssiges Gesamtprogramm der Regierung umgesetzt werden, — die aus dem Programm folgenden Aufgaben und Maßnahmen arbeitsteilig angepackt werden, — Aufgaben so an nachgeordnete Instanzen delegiert werden, daß die Spitze von der Bearbeitung von Einzelaufgaben frei ist und daß Entscheidung und Verantwortung zusammenfallen, — die einzelnen Maßnahmen gut aufeinander abgestimmt sind und die verschiedenen Instanzen reibungsfrei koordiniert werden, — Konflikte vermieden oder gelöst werden, — die Aufgaben selbst zügig und kostenwirtschaftlich erledigt werden. In allen diesen Punkten bleibt die tatsächliche Situation in den Stadtstaaten deutlich hinter dem Sollzustand zurück. Beobachter der Stadtstaaten, insbesondere auch diejenigen, die in der Regierungsverantwortung stehen, konstatieren einen Mangel an politischer und ökonomischer Dynamik. Dieser Mangel ist nicht darauf zurückzuführen, daß die Regierungen nicht den Willen hätten, die gravierenden Probleme ihrer Städte durch eine dynamische Politik anzupacken und zu lösen. Er ist neben anderen Ursachen auch auf die institutionellen Bedingungen zurückzuführen, die verhindern, daß eine solche Politik klar formuliert und auch durchgeführt werden kann. Die Stadtstaaten stehen im Wettbewerb mit anderen Städten und regionalen Wirtschaftszentren. Die kritisierten strukturellen Schwächen der Entscheidungsfahigkeit und die daraus folgenden Einbußen an Führungsdynamik müssen wesentlich auch unter diesem Aspekt gewertet werden. Das gilt namentlich für Bremen und Hamburg, die sich nicht in der besonderen Lage Berlins befinden und dem Wettbe80

werb der Wirtschaftsregionen ohne Einschränkungen ausgesetzt sind. Man kann bezweifeln, daß die strukturell zur Entscheidungs- und Aktivitätsschwäche tendierenden Verfassungssysteme günstige Voraussetzungen bieten, die künftigen Herausforderungen des Wettbewerbs zu bestehen. Die Schwächen in der Entscheidungsfähigkeit und der Führungsdynamik werden besonders sichtbar bei der Realisierung von bedeutenden Vorhaben der Infrastruktur. Alle drei Stadtstaaten haben dies z.B. durch erhebliche Zeitverzögerungen oder Einschränkungen bei dem Bau von Flughäfen und anderen Großverkehrsvorhaben oder bei der Realisierung von Energieversorgungsanlagen erfahren, und zwar in der Regel stärker als in vergleichbaren Großkommunen oder als in den Flächenstaaten. Die Schwächen in der Führungsstruktur werden auch darin deutlich, daß die Verfassungen die Teamsolidarität unter den Regierungsmitgliedern nicht stützen, sondern eher mindern. In allen drei Städten ist der Kommission berichtet worden, daß die jetzige Verfassungslage es Senatoren erleichtere, eigene Wege zu gehen, wenn ihnen dies opportun erscheint. Dem ständen eine entsprechend geminderte Loyalität dem Regierungschef und geringere Disziplin gegenüber dem Gesamtsenat gegenüber. Das könne soweit gehen, daß in kontrovers beurteilten Fragen offen ein politischer Gegenkurs angekündigt werde, ohne daß es entsprechende Sanktionsmöglichkeiten gebe. Politiker müssen für ihr politisches Überleben auf ihre Machtbasis Rücksicht nehmen. Sie wollen wieder nominiert und gewählt werden. Es versteht sich eigentlich von selbst, daß sie auf die Gruppen und Personen schauen, die über ihr weiteres politisches Schicksal entscheiden. Das fördert die Neigung, sich als guter Sachwalter der politischen Interessen dieser jeweiligen Machtbasis zu profilieren. Die vom Regierungschef verfolgte Politik ist im Konfliktfall insoweit ein Orientierungspunkt, wie er Einfluß darauf hat, daß der Senator im Amt bleibt oder wiederberufen wird. Von Verfassungs wegen hat der Regierungschef darauf nur geringen (Berlin) oder gar keinen (Bremen und Hamburg) Einfluß. Sein tatsächlicher Einfluß hängt von seiner politischen Durchsetzungsfahigkeit ab. In einer kontroversen Diskussionslage, in der sich für den einen oder anderen erst noch herausstellen muß, ob sich der Bürgermeister mit seinem Kurs durchsetzt, könnten einzelne Senatoren versuchen, sich gegen ihn zu profilieren. Das gleiche gilt, wenn sie auf eine ausreichende Hausmacht zurückgreifen können, deren Vorstellungen ihrer Meinung nach nicht genügend zum Zuge kommen. Vergegenwärtigt man sich den permanen81

ten Widerspruch von Regional- und Zentralinteressen, so findet sich bei den politisch in bestimmten Regionen verankerten Senatoren ein weiteres Motiv zum Gegenhalten. Die Opponenten handeln in dem Wissen, daß ihnen — jedenfalls alsbald und durch Entscheidungen des Regierungschefs — nichts passieren kann. Sie wissen, daß die Regierungsfraktionen und deren Führungen kraftlos sind, wenn ihnen die Hausmacht des Opponenten fehlt. Der Weg zur Abwahl erfordert darüber hinaus mutmaßlich endlose Auseinandersetzungen in Partei und Fraktion und wird schon deshalb nach Möglichkeit vermieden werden. Die Opposition von Senatoren gegen die Regierungspolitik außerhalb des Senats ist mit geringem politischen Risiko verbunden. Die divergierenden Tendenzen können von Fall zu Fall durch Verbindung des Senators mit regionalen Kräften, in den Hansestädten auch durch Zusammenwirken des Senators mit „seiner" Deputation oder mit anderen in der Verfassung vorgesehenen Beschlußgremien politisch verstärkt werden. Die von der Verfassung strukturell nicht gestützte und deshalb labile Loyalität der Regierungsmitglieder muß von vornherein einkalkuliert werden und begünstigt deshalb opportunistische Kompromißlösungen, die möglichst niemandem wehtun. Die erforderlichen Abstimmungsprozesse sind als äußerst zeitraubend, kräftezehrend und entscheidungsverzögernd geschildert worden. Notwendige Abstimmungen mit den Regionalvertretungen, mit Deputationen und anderen ehrenamtlichen Ausschüssen komplizieren die Entscheidungsabläufe und werden naturgemäß zusätzlich erschwert, wenn der Senat nicht solidarisch auftritt, sondern andere Gremien gegen die Senatslinie in Stellung gebracht werden. Zugleich kann hierin das Problem einer Abhängigkeit der Senatoren von diesen dezentralen Gruppen gesehen werden, die durch eine zentralisierende Bindung an die Regierungsspitze nicht aufgewogen wird. In den Stadtstaaten können besondere Probleme aus dem Ressortprinzip für die gemeinsame Regierungspolitik entstehen. Das Ressortprinzip ist notwendig. Es dient der Effizienz der Verwaltung durch eine klare Aufgabentrennung und Kompetenzzuweisung und erlaubt, Fachleute an die Spitze des jeweiligen Ressorts zu berufen. Das Ressortprinzip birgt aber stets auch die Gefahr in sich, daß Ressortinteressen über Gesamtinteressen gestellt werden. Diese Gefahr ist dann besonders groß, wenn die Ressortchefs ihre politische Basis nicht in dem Senat als Gesamtgremium, sondern in bestimmten Flügeln der Regierungspartei oder in bestimmten Bezirken haben. In einem solchen Fall kann der einzelne Senator eigene Politik betrei82

ben. Er wird dabei mehr auf die Vereinbarkeit seiner Politik mit den ihn tragenden Auffassungen in Partei und Bezirk achten, als auf die Vereinbarkeit seiner Politik mit der gesamtpolitischen Verantwortung der Regierung. 4. Koordinationsfragen Ein wichtiges Instrument der Koordination der Politik unter den Ressorts ist die gegenseitige Information. Die besondere Eigenständigkeit der Senatoren in den Stadtstaaten hat es in Verbindung mit dem Mangel an Instrumenten zur Zusammenfassung der Ressorts unter eine klare Gesamtverantwortung erschwert, die Chancen der Kommunikation ausreichend zu nutzen. Dazu hat auch beigetragen, daß das Kommunikationssystem viel komplexer wird, wenn die Zahl der Ressorts steigt. Die vergleichsweise große Zahl der Ressorts in den Stadtstaaten läßt den Kommunikationsaufwand gegenüber der Lage in den Flächenstaaten anwachsen. Man kann den Abstimmungsaufwand durch Mitzeichnungspflichten und Beteiligungsrechte, die nicht allen Senatoren in jedem Fall zustehen, beschränken. Eine weitere Reduzierung des Kommunikationsaufwandes würde sich durch eine Beschränkung der Unterrichtungspflichten auf die Senatskanzlei ergeben. In der Praxis fuhrt das zu Spiegelreferaten in der Senatskanzlei. Diese können die erforderliche Koordination nur dann gewährleisten, wenn die Ressorts die Senatskanzlei von sich aus umfassend informieren. Das ist nicht hinreichend sichergestellt. Zwar haben die einzelnen Ressorts in Berlin und Bremen nach den Senatsgeschäftsordnungen eine Bringschuld bei der Information des Bürgermeisters. Nach dem Ergebnis der Anhörungen ist die Praxis aber unbefriedigend. In Hamburg legt die Geschäftsordnung des Senats nicht einmal eine solche Pflicht zur Unterrichtung des Bürgermeisters fest. Sie besteht nur gegenüber dem Senat als Ganzem. Die Regierungschefs in den Stadtstaaten haben zwar das Recht, sich über alle Angelegenheiten der Senatsbereiche zu informieren (Information als Holschuld). Dieses Recht kann der Regierungschef aber nur ausüben, wenn er von der Existenz eines Problems Kenntnis hat. Das ist jedoch nicht immer oder nicht rechtzeitig der Fall, wie in den Anhörungen bestätigt wurde. Im Normalfall funktioniert die Kommunikation auch in den Stadtstaaten reibungslos. Die meisten wichtigen Angelegenheiten werden dem Bürgermeister berichtet und im Senat behandelt. Aber es sind wenige und politisch brisante Fälle, die das Koordinationsproblem für den Senat darstellen. Der Hinweis darauf, daß es in der Mehrzahl 83

der Fälle funktioniert, ist deshalb kein ausreichender Grund dafür, sich mit der bestehenden Lage zufriedenzugeben. Auch das Informationsrecht, das der Bundeskanzler nach der Geschäftsordnung der Bundesregierung hat, hängt in der Praxis von der Bereitschaft der Ressortchefs ab, ihn über alle wichtigen Fragen rechtzeitig und umfassend zu informieren. Sollte es im Bereich der Bundesregierung zu ähnlichen Konflikten kommen, wie sie in den Stadtstaaten berichtet werden, hat jedoch der Bundeskanzler, dem die Richtlinienkompetenz zusteht, die Möglichkeit, derartige Vorgänge jedenfalls für die Zukunft zu unterbinden. Im äußersten Fall kann er personelle Konsequenzen ziehen. 5. Öffentliche Stellung und Kompetenzen des Regierungschefs Die Verfassungsregeln über die Regierungsbildung und -umbildung führen in einem Widerspruch zum Bewußtsein der Bürger. Wahlerfolge beruhen vor allem auf dem Ansehen des Spitzenkandidaten und seiner Verankerung in der Bevölkerung. In ihn setzen die Wähler das Vertrauen, die angekündigte Politik erfolgreich zu verwirklichen. Dem entsprechen aber die verfassungsmäßigen Kompetenzen des künftigen Regierungschefs nicht. Soweit er gleichwohl einen der öffentlichen Erwartung entsprechenden Einfluß ausübt, beruht dies auf seiner persönlichen Durchsetzungsfahigkeit, nicht aber auf seiner verfassungsrechtlichen Stellung. Dabei können seine Handlungsmöglichkeiten durch Sonderinteressen einzelner oder weniger, auf die er Rücksicht nehmen muß, erheblich beschränkt werden. Das verschärft sich bei sehr knappen Mehrheiten. Mit dem im politischen Bewußtsein der Bevölkerung dem Spitzenkandidaten erteilten Handlungsauftrag lassen sich diese Einschränkungen nicht vereinbaren. Die verfassungsrechtlich relativ schwache Stellung der Bürgermeister und der Mangel an Instrumenten, Konflikten vorzubeugen und sie zu bewältigen, fuhren dazu, daß krisenhafte Entwicklungen in den Stadtstaaten schwer aufgefangen werden können, sei es, daß sie zu spät in ihrer vollen Tragweite erkannt werden, sei es, daß es an verfassungsmäßigen Mitteln fehlt, sie zu steuern. Das ist exemplarisch etwa bei Senatswahlen in Berlin oder bei den Vorgängen um den „Hamburger Kessel" im Jahre 1986 sichtbar geworden. Die Kommission weiß, daß vergleichbare Krisen in jedem Gemeinwesen auftauchen und aus politischen oder anderen Gründen schwer zu bewältigen sein können. Entscheidend bewährt sich jedoch in solchen Situationen das Vorhandensein von Vorkehrungen der Verfassung, deren Existenz möglicherweise konflikt- und krisenmindernd wirkt, ohne daß das Instrumentarium auch stets eingesetzt werden müßte. Verfas84

sungen müssen nicht nur auf bisher beobachtete politische Verhältnisse, sondern auch auf in Zukunft denkbare Entwicklungen zugeschnitten sein. Die Beurteilung einer Verfassung darf daher nicht allein von der bisherigen Erfahrung abhängig gemacht werden. Wer sachliche Konstruktionsmängel des politischen Systems nicht durch Änderung der sachlichen Regelungen beseitigen will, sondern etwa allein auf das Versagen der politischen Parteien oder das Fehlen einer starken Führungspersönlichkeit zurückführen will, übersieht die Funktion eines sachgerecht konzipierten verfassungsrechtlichen Regelungssystems. Unter diesen Gesichtspunkten hält es die Kommission für richtig, für die Verfassungen der drei Stadtstaaten die nachstehenden Empfehlungen abzugeben.

D. E m p f e h l u n g e n der Kommission I. Vorbemerkung Die Empfehlungen, zu denen die Kommission gelangt ist und die im folgenden Teil dargestellt werden, beruhen auf den Feststellungen rechtlicher und tatsächlicher Art und ihrer Bewertung, so wie beides in dem vorangegangenen Teil des Berichts zusammengefaßt ist. Eine wesentliche Frage war von vornherein, wie sowohl die allen drei Stadtstaaten gemeinsamen Probleme als auch die jeweiligen örtlichen Besonderheiten zu bewerten waren. Zwar kann man insbesondere nach der verfassungsrechtlichen Ausgangslage die Stadtstaaten deutlich von den anderen Bundesländern unterscheiden, die Flächenstaaten sind. Gemeinsam ist ihnen auch die Notwendigkeit, sowohl die Aufgaben eines Bundeslandes zu erfüllen als auch die kommunalen Probleme großer Städte zu bewältigen. Andererseits unterscheidet sich die Lage der einzelnen Stadtstaaten voneinander in mehrfacher Hinsicht. In wichtigen Einzelheiten stimmen schon die verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht überein. Auch die politischen Rahmenbedingungen weisen neben Gemeinsamkeiten wichtige Unterschiede auf; so schafft vor allem die einzigartige Lage Berlins besondere Probleme, die diese Stadt von den beiden Hansestädten unterscheidet. Aus der geschichtlichen Entwicklung ergeben sich spezifische Bewußtseinslagen, die in der politischen Wirklichkeit von heute auch dort fortwirken, wo jedenfalls fragwürdig ist, ob die Traditionen, die zu einem großen Teil vor der allgemeinen Anerkennung der Prinzipien der parlamentarischen Demokratie begründet worden sind, heute noch unveränderte Gültigkeit beanspruchen kön85

nen. Die Tradition der Hansestädte muß nach der Einschätzung der Kommission bei jeder Empfehlung von Verfassungsänderungen als wichtiger Abwägungsaspekt mitbedacht werden. Denn individuelle Kenndaten der Landesverfassungen sollten erhalten bleiben, soweit sich das mit den Anforderungen der Zeit verträgt. Tradition für sich allein bildet aber keine tragfahige Entscheidungsgrundlage. Bedeutsam für die künftige Entwicklung der Stadtstaaten ist, daß ihre politischen Führungen den Wettbewerb mit dem Management anderer Wirtschaftszentren in der Zukunft bestehen können. Der Hinweis auf die Tradition enthebt deshalb nicht von der Prüfung, ob die überkommene Regierungsstruktur sich unter den Bedingungen der parlamentarischen Demokratie bewährt hat und als ein konkurrenzfähiges Organisationsmodell für die Zukunft angesehen werden kann. Aus den konkreten politischen Verhältnissen der einzelnen Stadtstaaten, den bestehenden Mehrheitsverhältnissen und den unterschiedlichen Voraussetzungen, unter denen Verfassungsänderungen möglich sind, kann man zu einer differenzierenden Einschätzung der Chancen gelangen, die für eine Verwirklichung von Empfehlungen der Kommission bestehen mögen. Ein wesentlicher Diskussionspunkt war daher die Frage, ob die Kommission ihre eigenen Vorstellungen darüber entwickeln sollte, welche Änderungen aus ihrer Sicht geboten oder wünschenswert sind, ohne hierbei die realen Chancen der politischen Durchsetzbarkeit überhaupt in Betracht zu ziehen, oder ob sich die Empfehlungen auf Vorschläge beschränken sollten, denen die Möglichkeit ihrer Verwirklichung jedenfalls nicht von vornherein abgesprochen werden kann. Die Empfehlungen versuchen, sich insoweit an den politischen Gegebenheiten, so wie diese von der Kommission gesehen werden, zu orientieren, als sie Vorschläge vermeiden, die von vornherein nur einen theoretischen oder akademischen Charakter haben würden, also möglicherweise einer Idealvorstellung entsprechen könnten, aber, soweit Abschätzungen insoweit überhaupt möglich sind, keinerlei Chance hätten, in der politischen Wirklichkeit auch nur ernsthaft diskutiert, geschweige denn akzeptiert zu werden. Das Grundgesetz, an dessen Bewährung in der politischen Praxis in fast 40 Jahren kein Zweifel besteht, nimmt Theorien wie etwa das hier besonders interessierende Gewaltenteilungsprinzip auf, verwirklicht sie aber aus guten Gründen nicht in reiner, sondern in modifizierter Form. Dabei werden die realen politischen und sonstigen Faktoren in die Gestaltung der Einzelregelung einbezogen, die so in die Lage versetzt wird, sich in der Praxis zu bewähren. Es ist nicht gleichgültig, ob eine Regelung, für die sachliche Gesichtspunkte sprechen, auch akzeptanz- und konsensfähig ist. Jedenfalls die 86

Normen einer Verfassung, die mit höchstem Geltungsanspruch die Grundfragen des Gemeinwesens regeln, können in der Realität nur wirksam werden, wenn sie gemeinsame Grundüberzeugungen zum Ausdruck bringen. Widersprechen sie diesen, so werden sie nicht die Integrationswirkung haben, die nach Rudolf Smend eine der wichtigsten Aufgaben jeder Verfassung ist. Insoweit ist durchaus von Bedeutung, ob vorgeschlagene Reformen konsensfähig sind. Dies kommt schon in den Bestimmungen zum Ausdruck, die für Verfassungsänderungen qualifizierte Mehrheiten erfordern. Daher sind auch die voraussichtlichen Meinungen und selbst die Emotionen der für die politische Entscheidung Verantwortlichen von Bedeutung. Die Empfehlungen versuchen, die aus der Sicht der Kommission sachlich gebotenen Regelungen so zu gestalten, daß sie konsensfähig sind. Die Kommission hat überlegt, ob die Empfehlungen einheitlich für alle Stadtstaaten abgegeben oder zwischen den Stadtstaaten differenzierende Vorschläge gemacht werden sollten. Die Auftraggeber selbst haben auf gemeinsame Probleme hingewiesen, die bei allen Unterschieden im Detail in den drei Stadtstaaten sich in grundsätzlich gleicher Weise stellen. Hieraus ist der Wunsch zu entnehmen, jedenfalls so weit wie möglich zu Lösungsvorschlägen zu kommen, die in allen Stadtstaaten in prinzipiell gleicher Weise gelten, wobei naturgemäß die technische Umsetzung von dem jeweils geltenden Verfassungstext ausgehen muß. Hiervon ausgehend, hat die Kommission vor allem überprüft, welche Fragen sich in gleicher grundsätzlicher Weise stellen und wie sie im Grundsatz übereinstimmend beantwortet werden können. Dementsprechend werden zunächst die Empfehlungen vorgestellt, die für alle Stadtstaaten in gleicher Weise gelten, auch wenn sie im Falle ihrer Verwirklichung technisch unterschiedliche Regelungen erfordern würden. Neben diesen allgemeinen Empfehlungen verbleiben aber spezielle Probleme der einzelnen Stadtstaaten, für die es in anderen keine Parallelen gibt. Im einzelnen mag zweifelhaft sein, wieweit sich der an die Kommission erteilte Prüfungsauftrag auch auf diese Fragen erstreckt. Wo ein Zusammenhang mit den zentralen und für alle Stadtstaaten gemeinsamen Fragen besteht, werden abschließend einige Empfehlungen zu speziellen Punkten abgegeben, die nur für jeweils einen der beteiligten Stadtstaaten gelten.

87

II.

Gemeinsame Empfehlungen für alle Stadtstaaten Verfahren der Regierungsbildung a) Grundsätzliche Erwägungen aa) Anforderungen an eine Regierung Die Kommission empfiehlt, das Verfahren der Regierungsbildung in den drei Stadtstaaten dem in den meisten Flächenstaaten ausgebildeten System anzupassen. Von den verschiedenen Lösungsmöglichkeiten, die als Alternativen zur Verfugung stehen und die sich aus den Verfassungen der anderen Bundesländer und auch unter Berücksichtigung des im Grundgesetz verankerten Systems ergeben, erscheint die in der Verfassung von Baden-Württemberg enthaltene Regelung als die für die Stadtstaaten geeignetste. Dieser Vorschlag beruht auf folgenden Erwägungen: Im Sachbericht sind die vielfaltigen und schwerwiegenden Probleme dargestellt worden, deren Bewältigung Aufgabe einer Landesregierung in einem Bundesstaat ist, in dem die Mitwirkung an der Bundespolitik vor allem über den Bundesrat immer größere Bedeutung erlangt hat. Die Stadtstaaten haben hierbei keine geringere Verantwortung als die Flächenstaaten; in dem besonderen Falle Berlins ist diese Verantwortung und damit auch das Maß der Mitwirkung an bundespolitischen, auch außen- und deutschlandpolitischen Fragen noch weitaus gewichtiger als bei anderen Bundesländern. Zugleich müssen die Stadtstaaten nicht nur die üblichen Aufgaben einer Landesregierung erledigen, die sie insoweit nicht von den Flächenstaaten unterscheiden, aber wegen ihrer besonderen politischen (Berlin) oder wirtschaftlichen und finanziellen (Bremen und Hamburg) Situation erhöhte Anforderungen an die Quantität und Qualität ihrer Arbeit stellen, sondern auch die kommunalen Aufgaben erfüllen, die sich einer Großstadt stellen. Auch insoweit ergeben sich aus den besonderen Verhältnissen vor allem in Berlin noch zusätzliche Probleme. Diesen umfangreichen und schwierigen Aufgaben kann eine Landesregierung nur gerecht werden, wenn sie kollegial zusammenarbeitet, das heißt die in den einzelnen Ressorts zu verantwortenden Geschäftsbereiche als Teilaspekte einer Gesamtaufgabe ansieht und behandelt. In der politischen Wirklichkeit wird sich eine vollständige Übereinstimmung aller in der Ressortarbeit zu berücksichtigenden — legitimen

— Interessen kaum jemals erreichen lassen. Die vielfältigen Konflikte und Spannungslagen sind im politischen und gesellschaftlichen Leben unvermeidlich. Der Staat muß sich um einen gerechten Ausgleich entgegenstehender Interessen bemühen und die Belange des Allgemeinwohls gegenüber Individualinteressen wahren, ohne den einzelnen in seinem rechtlich geschützten Freiheitsraum zu verletzen. Regierungspolitik bedeutet hiernach auch und vor allem, Konfliktlösungen zu suchen und angesichts widerstreitender Interessen Prioritäten zu setzen. Dabei wird jedes Fachressort die ihm besonders anvertrauten Belange nach besten Kräften wahrzunehmen bemüht sein. Die Politik muß über das Instrumentarium verfügen, um einen angemessenen Ausgleich zwischen den Ressortinteressen erreichen zu können. Dies gilt für alle einer Landesregierung obliegenden Aufgaben von der Teilnahme an der Bundespolitik bis — in den Stadtstaaten — zur Behandlung kommunaler Fragen, bb) Politische Führung und Verantwortlichkeit Je vielfaltiger und komplizierter die zu bewältigenden Aufgaben sind, desto stärker ist politische Führung erforderlich. Hierfür gelten bei einer Landesregierung im Grundsatz die gleichen Erwägungen, wie sie auf Seite 29 zur Begründung der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers von Wilhelm Hennis dargestellt worden sind: So notwendig es ist, daß im Kollegium einer Regierung ressortbezogene Belange möglichst durch speziell sachkundige und auch für die von ihnen zu vertretenden Fragen engagierte Persönlichkeiten als Minister (Senatoren) wahrgenommen werden, so wenig ist hierdurch gewährleistet, daß sie in der Lage oder auch nur bereit sind, den Gesamtbereich der Politik zu überblicken oder gar die ihnen anvertrauten Belange von sich aus gegenüber anderen, von ihnen ressortmäßig nicht zu vertretenden Interessen zurückzustellen. Fachbezogene Spezialisierung ist notwendig. In dem gleichen Maße, in dem der Fachminister sich auf die ihm übertragene Aufgabe konzentriert, läuft er aber Gefahr, den Gesamtüberblick zu verlieren. Hinzu kommt, daß auch die einzelnen Regierungsmitglieder Persönlichkeiten mit politischem Profil sind. Sie werden bemüht sein, sich in ihrer Partei eine „Hausmacht" zu sichern, auf deren Unterstützung sie vertrauen können, und auch in der breiteren Öffentlichkeit Bekanntheit und Zustimmung zu erlangen. Die ihnen zuwachsende Sympathie kann 89

sich in Wählerstimmen ausdrücken, die einen politischen Zugewinn für die Regierungspartei darstellen und das Regierungsmitglied so nicht nur unter fachlichen Qualifikationsgesichtspunkten, sondern um seiner Wählerattraktivität willen unentbehrlich erscheinen lassen. Um Profil in der Öffentlichkeit zu erlangen, können die tatkräftige, besonders engagierte Wahrnehmung von Ressort- und damit Partikularinteressen und sogar jedenfalls begrenzte Konflikte mit der eigenen Partei und Fraktion oder gar mit dem Regierungschef nützlich sein; jedenfalls läßt sich die Versuchung hierzu nicht ausschließen, wie durch Beispiele aus der Bundes- wie der Landespolitik belegt werden kann. Entstehen solche Konflikte oder werden sie sogar um des eigenen politischen Profils willen gepflegt, so richten sie sich der Tendenz nach oft darauf, die Aufmerksamkeit kleinerer, aber besonders in einer Sachfrage engagierter Gruppen zu wecken. Der Bildung und Wahrung einer geschlossenen Gesamtpolitik sind solche Tendenzen aber nicht forderlich. Dies wird, — auch unter dem Einfluß der Darstellung in den Massenmedien, die Konflikte gern personalisieren —, vor allem dem Regierungschef zugerechnet, gleichgültig, wie die Verfassung seinen rechtlichen Einfluß auf die Zusammensetzung der Landesregierung und seine Führungsrolle hinsichtlich bestehender oder fehlender Richtlinienkompetenz definiert. In der Sicht der Öffentlichkeit ist der Regierungschef die entscheidende Persönlichkeit, nach der die Qualität der Regierungsarbeit beurteilt wird. Schon die überall — auch in den Stadtstaaten — dem Regierungschef zugewiesene Aufgabe, die Regierungspolitik gegenüber dem Parlament und das Land nach außen zu vertreten, erweckt auch dann den Eindruck, daß er die personelle Zusammensetzung des Kabinetts bestimme und die Richtlinien der Politik definiere, wenn die verfassungsrechtliche Regelung ihm diese Befugnisse nicht oder nur in beschränktem Umfange gibt. Sein Bekanntheitsgrad ist auch in den Bundesländern sehr hoch, während die Landesminister oder -Senatoren oft relativ unbekannt sind. Diesen politischen Vorteilen steht der Nachteil gegenüber, daß der Regierungschef für nach außen erkennbare Konflikte innerhalb seiner Regierung, dem Gebot der Solidarität widersprechende Verhaltensweisen einzelner Regierungsmitglieder oder das persönliche oder politische Versagen seiner Kollegen verantwortlich gemacht wird. Entsteht der Eindruck, daß er

90

weniger geeignete Persönlichkeiten in seiner Regierung hat oder es ihm nicht gelingt, eine einheitliche Linie in der Darstellung der Politik nach außen zu erreichen, so wird ihm das als Führungsschwäche ausgelegt und damit seine eigene Qualifikation in Zweifel gezogen. Diese Zurechnung ist dann legitim, wenn der Regierungschef auch über die rechtlichen Instrumente verfügt, mit denen er selbst die Zusammensetzung seiner Regierung bestimmen und die Richtlinien der Politik festlegen kann. Sie ist bei Fehlen solcher Befugnisse aber nur dann gerechtfertigt, wenn nach den Umständen des Falles auch ohne solche Instrumente erwartet werden kann, daß derartige Konflikte von einer starken Persönlichkeit bewältigt werden können, cc) Qualitätsanforderungen und Auswahlkriterien Für die Beurteilung der Frage, ob das in den Stadtstaaten heute geltende Verfahren bei der Regierungsbildung geändert werden sollte, sind jedoch diese Überlegungen nicht von entscheidendem Gewicht. Die Notwendigkeit, sich auf die Kraft der Persönlichkeit, die politische Risikobereitschaft und den Mut des Regierungschefs eher als auf rechtliche Instrumente zu verlassen, kann sogar eine Herausforderung sein, die Führungsfahigkeiten weckt oder verstärkt und geeigneten Persönlichkeiten einen Anreiz gibt, sich um solche Positionen zu bewerben. Entscheidend für den Vorschlag, bei der Regierungsbildung die Stellung des Regierungschefs zu verstärken, sind die an die Zusammensetzung einer Landesregierung zu stellenden Qualitätsanforderungen. Die Qualifikation für ein hohes politisches Amt unterliegt keinen formalen Kriterien, die objektiviert werden könnten. Fachliche und allgemeine Kenntnisse, berufliche und allgemeine Lebenserfahrungen, vor allem aber die persönlichkeitsbezogenen Eigenschaften sind nur die allgemeinen Voraussetzungen, die für die Auswahl der Kandidaten maßgeblich sein können. Auch Verdienste innerhalb der Partei, der Bekanntheitsgrad in der Bevölkerung und ähnliche Gesichtspunkte können die Auswahl mitbestimmen. Alle diese Eigenschaften sind im Falle einer gelungenen Auswahl auf die Rolle bezogen, die der Kandidat ausfüllen soll, also auf die Wahrnehmung eines wichtigen Amtes innerhalb der Regierung. Dieses kann in stärkerem Maße fachbezogen sein, in besonderen Fällen sogar den nicht einmal parteigebundenen oder von auswärts kommenden Fachmann (oder die ent91

sprechende Frau) erfordern, während für andere Amter eher die Fähigkeit, die Politik dem Bürger zu vermitteln, gefordert sein kann, also eher Volkstümlichkeit und rednerische Begabung als Fachwissen. Der Regierungschef hat das größte Interesse, die richtigen Persönlichkeiten zu finden. Die Auswahlkriterien des Parlaments sind anderer Art. Sie werden sich eher auf die Bewährung eines Fraktionskollegen, Gefühle der Sympathie ihm gegenüber, auch der Dankbarkeit oder darauf beziehen, daß er zu einem Teil der Fraktion aus anderen Gründen einen besonders guten Kontakt hat oder bestimmte soziale Gruppen oder lokale Interessen besonders gut zu vertreten verspricht. Gegen solche Auswahlkriterien ist an sich wenig einzuwenden. Das Parlament sollte sie dem Regierungschef bei seiner Auswahl aber nicht aufzwingen können. Sein Bemühen wird vor allem darauf gerichtet sein, eine Regierung so zusammenzustellen, daß sie die von ihm gewollten politischen Prioritäten und Schwerpunkte verwirklicht. Hierzu kann auch die Übereinstimmung im persönlichen und menschlichen Bereich beitragen, die nur der Regierungschefbeurteilen kann. Zwar kann nach der Berliner Regelung nur gewählt werden, wer von dem Regierenden Bürgermeister vorgeschlagen wird. Auch in Hamburg und Bremen wird sich die Bürgerschaft zwar nicht nach der Rechtslage, aber in der politischen Wirklichkeit wenigstens teilweise nach den Vorstellungen des Regierungschefs richten. Aber das personelle Gesamtkonzept kann erheblich beeinträchtigt werden, wenn ein Vorgeschlagener endgültig nicht gewählt wird. Es ist bereits früher darauf hingewiesen worden, daß auch ein Regierungschef, der nach der Verfassung das Recht hat, die Regierung grundsätzlich nach eigener Entscheidung, also ohne die oder nur mit einer modifizierten Mitwirkung des Parlaments zu bilden, in der politischen Wirklichkeit Rücksichten auf seine eigene Partei, den Koalitionspartner und auch die öffentliche Meinung nehmen muß. Hieraus ergeben sich aber keine Argumente gegen die vorgeschlagene Regelung. Es entspricht der politischen Wirklichkeit, daß die Wahl im Parlament, wo sie vorgeschrieben ist, eine Sache der Mehrheit ist. Kein Kandidat kann im allgemeinen auf die Stimmen der Opposition hoffen; wenn er sie doch einmal erhalten sollte, geschieht dies gewöhnlich in der Absicht, auf einen bekannt gewordenen internen Streit in der Regierungspartei Einfluß

zu nehmen. Der Unterschied zwischen den internen Erörterungen in Parteigremien und bei Koalitionsverhandlungen und der geheimen Wahl im Parlament besteht aber darin, daß im letzten Falle etwaige Konflikte in Personalfragen der Öffentlichkeit deutlich werden — was an sich nicht tragisch sein m u ß —, und daß das Gewicht der Verantwortung des Regierungschefs geringer wiegt als bei den internen Beratungen. Daß diese formell nicht bindend sind, sondern nur durch Argumente, die für oder gegen eine bestimmte Entscheidung sprechen mögen, überzeugen können, ist aber kein Mangel, sondern ein Vorteil, der der richtigen Entscheidung förderlich ist. Wer innerhalb der eigenen Partei schwerwiegende Bedenken gegen einen Kandidaten für ein Regierungsamt hat, den der Regierungschef ernennen möchte, oder bessere Vorschläge zu haben meint, m u ß sich äußern und seine Gründe darlegen, während der Abgeordnete, bei dem es sich um dieselbe Person handeln könnte, lediglich in geheimer Wahl ohne Angabe von Gründen die Wahl verhindern kann. Wenn die Regierungsmehrheit klein ist, genügen hierfür auch wenige, im Extremfall sogar ein einziger Abgeordneter, während in den Parteigremien Mehrheiten gesucht werden müssen, die nur durch Überzeugungsarbeit zu bekommen sind. Unter dem Gesichtspunkt der innerparteilichen Demokratie, der auch ein Verfassungsgrundsatz ist (Art. 21 Abs. 1 S. 3 GG), ist ein solches Verfahren vorzuziehen. Dabei ist allerdings darauf hinzuweisen, daß es für den Regierungschef verbindliche Parteitagsbeschlüsse über Kandidaten für Regierungsämter dann nicht geben kann, wenn ihm von der Verfassung das Ernennungsrecht eingeräumt wird. Soweit über informelle Gespräche hinaus Beschlüsse gefaßt werden sollten, müssen sie das Recht des Regierungschefs respektieren; sie können daher nur empfehlenden Charakter haben, dd) Regierungsbildung in schwierigen Situationen Die bisher vorgetragenen Erwägungen haben sich auf den Normalfall der Neubildung einer Regierung nach einer Wahl bezogen. Sie gelten entsprechend für Regierungsbildungen, die aus anderen Gründen, auch nach einem konstruktiven Mißtrauensvotum, erforderlich werden. Kaum weniger dramatisch ist es, wenn — wie dies in Hamburg und Berlin in mehreren Fällen vorgekommen ist — ohne Änderung der parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse der Regierungschef 93

zurücktritt, weil er für die von ihm vertretene Politik in der eigenen Partei nicht mehr den genügenden Rückhalt zu finden meint. Dies ist eine Krisenlage, die seinen Nachfolger neben allen anderen Aufgaben zusätzlich belastet. Er ist dann noch mehr als ein Regierungschef unter normalen Umständen auf eine Regierung seines persönlichen Vertrauens angewiesen, auf die er sich voll verlassen kann. Eine im Einzelfall vielleicht weniger dramatische, aber doch auch schwierige Lage entsteht dann, wenn der Regierungschef glaubt, sich aus persönlichen oder politischen Gründen von einem Regierungsmitglied trennen zu sollen. Es gibt in allen Stadtstaaten Vorgänge dieser Art, bei denen die Entlassung die notwendige Antwort auf das der Regierungspolitik widersprechende, dieser öffentlich entgegentretende oder auf andere Weise illoyale Verhalten eines Regierungsmitglieds gewesen wäre. In einem Teil dieser Fälle läßt sich immerhin vermuten, daß der Regierungschef den Betroffenen entlassen hätte, wenn er die Möglichkeit hierzu gehabt hätte. Sicher ist dies gewiß nicht. Auch in der Bundespolitik, in der das Entlassungsrecht des Bundeskanzlers feststeht, hat es Fälle gegeben, bei denen, überwiegend wohl aus Koalitions- oder innerparteilichen Rücksichten, Entlassungen nicht erfolgt sind, obwohl Anlaß zu der Annahme bestand, daß sie geboten gewesen wären. Auch hierfür gilt, daß politische Erwägungen und natürlich auch die Persönlichkeit des Regierungschefs wie des beteiligten Ministers eine Rolle spielen. Wie stets kann die Verfassungsordnung nur das Instrument bereitstellen, nicht aber seinen richtigen Gebrauch garantieren, der von anderen Faktoren abhängt. Entscheidend kommt es aber gerade in einem solchen Falle darauf an, daß ein Instrument zur Verfügung steht und der Regierungschef Handlungsalternativen hat, die er dann nach eigener Überzeugung einsetzen kann. Die Verfassungsregelungen, die ihn heute dazu zwingen, sich hilfesuchend an das Parlament zu wenden, bringen ihn in eine kaum erträgliche und eigentlich unwürdige Situation, zumal wenn, wie schon im Sachbericht geschildert, sich eine Minderheit in der eigenen Fraktion mit dem politischen Gegner verbündet, um den Senator gegen den Willen des Regierungschefs im Amt zu halten. Abgesehen von der für beide beteiligten Regierungsmitglieder kaum zumutbaren menschlichen Situation, die dann entstehen

94

muß, wird ein konsequentes politisches Handeln und eine geschlossene Regierungspolitik auf eine bedenkliche Weise erschwert. Treten persönliche Gründe hinzu, die eine Entlassung nahelegen, oder sind diese der eigentliche Grund hierfür, m u ß der möglicherweise peinliche Vorgang vor der Öffentlichkeit ausgebreitet werden. Diese hat gewiß einen Anspruch darauf zu erfahren, weshalb ein Amtsträger in hoher Stellung untragbar geworden ist. Dem können im Einzelfall aber auch schutzwürdige Persönlichkeitsrechte des Betroffenen entgegenstehen. Es ist nicht gut, wenn dann, um diesem Konflikt zu entgehen, dem Parlament andere als die wirklichen Gründe vorgetragen werden, ee) Parlamentarische Mitwirkungsrechte und Demokratieprinzip Allen diesen Gründen, die für eine Stärkung der Position des Regierungschefs bei der personellen Zusammensetzung der Regierung sprechen, wird ein aus dem Demokratieprinzip hergeleitetes Recht des Parlaments entgegengehalten. So wird argumentiert, daß es eine Einbuße an Demokratie und eine Schwächung des Parlaments bedeute, wenn dieses bei der Ernennung oder Entlassung der Senatoren nicht mehr beteiligt oder doch in seinen Rechten insoweit beschränkt wird. Aus dem für Bund und Länder in gleicher Weise verbindlichen Demokratieprinzip folgt jedoch nicht, daß die Parlamente bei der Regierungsbildung oder -umbildung mitwirken müßten (vgl. S. 24 f.). Es bedeutet auch keine Schwächung des Parlaments, wenn es sich jedenfalls grundsätzlich aus den personellen Entscheidungen im Bereich der Regierungsbildung zurückzieht. Die Verantwortung des — vom Parlament gewählten und erforderlichenfalls abgewählten — Regierungschefs bleibt selbstverständlich voll erhalten. Sie wird sogar verstärkt. Ist es im wesentlichen dem Regierungschef übertragen, die Senatoren nach eigener Entscheidung zu ernennen und falls notwendig zu entlassen, muß er für alle Entscheidungen personeller Art auch die volle persönliche und politische Verantwortung übernehmen. Weder kann er eine falsche Auswahlentscheidung damit rechtfertigen, sie sei ihm von anderen und insbesondere vom Parlament aufgezwungen worden, obwohl er selbst lieber eine andere Besetzung des Amtes gewünscht hätte, noch kann er bei der Sache nach gebotenen Entlassungsvorgängen seine Untätigkeit damit entschuldigen, daß ihm hierfür nach der Verfassungslage kein rechtliches Instrument zur Verfügung 95

stehe. So werden Führungsschwächen ebenso sichtbar wie Führungsqualitäten; es gibt keine formalen Positionen mehr, hinter denen Schwächen verdeckt oder versteckt werden können. Wenn das Verhalten eines Regierungsmitglieds Gegenstand parlamentarischer Diskussion wird, muß der Regierungschef sagen, wie er zu dem Vorgang steht. Er kann sich nicht auf formale Rechtspositionen zurückziehen, sondern muß Stellung beziehen oder in Kauf nehmen, daß ihm ein kritikwürdiges Verhalten eines Regierungsmitglieds als eigenes Fehlverhalten zugerechnet wird. Aus der Erfahrung vieler Debatten im Deutschen Bundestag, die sich mit dem Verhalten eines Bundesministers beschäftigt haben, läßt sich die Erkenntnis ableiten, daß das Parlament auch unter der Herrschaft des Kanzlerprinzips sein Recht voll in Anspruch genommen hat, das Verhalten des betroffenen Ministers kritisch zu erörtern, zugleich aber stets die übergreifende politische Verantwortung des Bundeskanzlers hervorgehoben und diesen aufgefordert hat, seine Position darzulegen. Man kann nicht sagen, daß diese Debatten — auch im Vergleich zu Landtags- oder Bürgerschaftsdebatten aus ähnlichem Anlaß — weniger lebendig, weniger offen und weniger kritisch gewesen wären, oder daß der Bundestag seine Funktion bei der Erörterung des Vorganges als zweitrangig oder nebensächlich angesehen hätte. Eher ergab sich, daß die Konzentration der Kritik auf den Regierungschef die öffentliche Aufmerksamkeit erhöhte und damit den Vorgang noch stärker politisierte, als dies möglicherweise bei einer auf die Person und das Handeln des Ministers beschränkten Diskussion der Fall gewesen wäre. Alle diese Gesichtspunkte sprechen nach Auffassung der Kommission dafür, auch in den Stadtstaaten dem Regierungschef die Befugnis zu übertragen, seine Regierung nach eigener Entscheidung zu bilden, also aus eigenem Recht die Senatoren zu ernennen und zu entlassen. Um diesen Vorschlag zu verwirklichen, könnte die im Grundgesetz enthaltene Regelung sinngemäß übernommen werden. Dies wäre insoweit die Übertragung des Kanzlerprinzips in reiner Form, ff) Die Bestätigung durch das Parlament Die Kommission schlägt jedoch nicht diesen Weg vor, sondern sie befürwortet, die in anderen Landesverfassungen enthaltene Regelung einer begrenzten Mitwirkung des Parlaments zu übernehmen. Hierfür gibt es mehrere im Ablauf, kaum aber im Grundsatz unterschiedliche Alternativen, die 96

im Sachbericht beschrieben sind (vgl. S. 7ff.). Von den zur Verfugung stehenden Modellen hält die Kommission die Lösung der Verfassung von Baden-Württemberg für die geeignetste. Daß nach diesem Vorschlag das Parlament zwar bei der eigentlichen Regierungsbildung nicht mitwirkt, dieser aber nach ihrem Abschluß durch „Bestätigung" ihre Zustimmung geben soll, bedeutet ebenso wie die dann konsequente gleichartige Mitwirkung im Falle einer Regierungsumbildung, daß das Parlament in beschränktem Umfange beteiligt bleibt. Für eine solche Lösung spricht zunächst das Bemühen der Kommission, bestehende Traditionen in diesem Bereich nicht völlig aufzugeben, sondern sie unter Anpassung an die heutigen Verhältnisse nach Möglichkeit zu erhalten. Dies könnte zu einer größeren Akzeptanzfähigkeit der vorgeschlagenen Regelung fuhren, als wenn mit der Einfuhrung des Kanzlerprinzips in der im Grundgesetz geregelten Weise ein noch stärkerer Bruch mit der Überlieferung vorgenommen würde. Dabei wird nicht verkannt, daß für Bremen und Hamburg auch die Verwirklichung des Kommissionsvorschlags eine sehr erhebliche und grundsätzliche Veränderung des bisherigen Systems der Regierungsbildung bedeuten würde. So wäre notwendige Voraussetzung, daß zuerst die Wahl des Regierungschefs durch die Bürgerschaft erfolgen müßte, während bisher in beiden Stadtstaaten zuerst die Wahl der Senatoren stattfindet, aus deren Mitte dann die Wahl des Präsidenten des Senats erfolgt. Wie das Wahlverfahren im einzelnen geregelt werden müßte, ist aus der Sicht der Kommission keine Frage von grundsätzlicher Bedeutung, die sie umfassend geprüft hat. Einleuchtend erscheint es, an die Regelung der Landessatzung von Schleswig-Holstein anzuknüpfen, nach der der Regierungschef entweder im ersten oder erforderlichenfalls in einem zweiten Wahlgang mit der Mehrheit der gesetzlichen Mitgliederzahl des Parlaments gewählt wird. Kommt auch im zweiten Wahlgang die erforderliche Mehrheit nicht zustande, so soll in einem dritten Wahlgang die einfache Mehrheit maßgeblich sein. Folgt Berlin dem Kommissionsvorschlag, sollte auch dort das Verfahren der Wahl für den Regierenden Bürgermeister entsprechend angepaßt werden. Folgerichtig müßte Artikel 41 VerfBE vor allem hinsichtlich der auf den gegenwärtigen Rechtszustand zugeschnittenen Regelung geändert wer97

den, nach der bisher der Auftrag zur Senatsbildung erloschen ist und eine Neuwahl des Regierungschefs zu erfolgen hat, wenn innerhalb von 21 Tagen ein Senat nicht zustande gekommen ist (Art. 41 Abs. 3 VerfBE). Einzelheiten hierzu sind nicht zu erörtern; unter b) wird ein auf die Verfassungslage in Berlin zugeschnittener Vorschlag als Beispiel für eine Regelung, die den Kommissionsvorschlag verwirklichen würde, gebracht. Wenn vorgeschlagen wird, das Parlament in der Form der Bestätigung der Regierungsbildung in gewissem Umfang weiter zu beteiligen, so soll dies nicht nur dem aus der geschichtlichen Entwicklung gebildeten und fortbestehenden Bewußtsein soweit wie möglich Rechnung tragen, sondern es hat auch sachliche Gründe: Es hat eine andere Bedeutung, wenn das Parlament die von dem Regierungschef gebildete Regierung bestätigt, ihr also in ihrer Zusammensetzung im ganzen die Zustimmung erteilt oder diese versagt, als wenn auf Vorschlag des Regierungschefs — oder gar nach der Rechtslage ohne diesen — die einzelnen Senatoren gewählt werden. Wird die Regierung, so wie der Regierungschef sie dem Parlament vorstellt, von diesem bestätigt, so wird nicht über die individuelle Qualifikation der einzelnen Minister nach den Beurteilungsmaßstäben entschieden, die das Parlament einer eigenen Wahlentscheidung zugrunde legen würde und die von den Kriterien des Regierungschef abweichen können, sondern es wird dessen Entscheidung im ganzen geprüft und entweder gutgeheißen oder verworfen. Es wird gewiß selten vorkommen, daß ein von dem Vertrauen der parlamentarischen Mehrheit getragener Regierungschef nicht die erbetene Bestätigung seiner Regierung erhält, aber er ist gezwungen, diese Möglichkeit immerhin mit in Betracht zu ziehen. Ob dies seine personellen Entscheidungen beeinflußt, wenn ihm bekannt ist, daß einzelne Personen auf Kritik stoßen, bleibt in seiner Verantwortung. Aber das Bewußtsein wird gestärkt, daß diese Verantwortung wie bei jeder seiner Handlungen dem Parlament gegenüber besteht, das ihn gewählt hat. Wer ihm die Bestätigung nicht erteilen will, muß dies in offener Abstimmung deutlich machen. Es gibt keine „untergetauchten" Gegner mehr, und es muß auch eine Gesamtbilanz gezogen werden, bei der besonders glückliche den weniger gelungenen Personalentscheidungen in einer Abwägung gegenübergestellt werden. So werden die Handlungs- und Verantwortungsbereiche 98

sowohl der Regierung als auch des Parlaments voneinander abgegrenzt und deutlich gemacht. Die gleichen Überlegungen, die für die Neubildung der gesamten Regierung gelten, sind auch maßgeblich, wenn durch die Entlassung eines Regierungsmitglieds oder sein Ausscheiden aus anderen Gründen die Ernennung eines Nachfolgers erforderlich wird. Die Bestätigung der Regierung durch das Parlament hat sich auf dessen bisherige Zusammensetzung bezogen. Wird diese hinsichtlich einer oder mehrerer Personen verändert, kann dem Parlament dann nicht das Recht versagt werden, das Kabinett auch in seiner neuen Zusammensetzung zu bestätigen. Die Bestätigung kann offen erfolgen. Es liegt in der Konsequenz des Vorschlags, daß der Regierungschef auch die Befugnis erhält, die Zahl der Geschäftsbereiche zu bestimmen und diese nach seinen politischen Gesichtspunkten voneinander abzugrenzen. Es ist nicht etwa nur eine Frage von technischer Bedeutung, sondern von hohem politischen Rang, wie die Aufgaben, die der Regierung obliegen, gebündelt oder voneinander getrennt werden. Dies hängt auch von den Kenntnissen und Fähigkeiten des einzelnen Regierungsmitglieds ab, ist also insoweit eine auf die Person des Amtsinhabers bezogene Entscheidung. Wenn der Regierungschef die personelle Entscheidung trifft, läßt sie sich von der Frage, welche Aufgaben dem Regierungsmitglied übertragen werden sollen, nicht trennen. Zugleich werden auch unabhängig von der Person des Amtsinhabers durch die Abgrenzung der Geschäftsbereiche politische Schwerpunkte gesetzt und damit Entscheidungen von großem Gewicht getroffen. So hat in letzer Zeit in der Bundespolitik die Errichtung eines besonderen Ministeriums für die Umweltfragen (Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit), die vorher vor allem beim Bundesminister des Innern ressortierten, einen deutlichen politischen Schwerpunkt setzen sollen. Ähnliches gilt für die Frage, bei welchem Bundesministerium und mit welchen Zuständigkeiten Frauenfragen bearbeitet werden. Derartige Fragen sind wichtige Bestandteile der Regierungspolitik, die der Verantwortung des Regierungschefs anvertraut werden sollten. Diesen Erwägungen müßte es nicht entgegenstehen, wenn das Parlament das Recht behält, eine Obergrenze für die Stärke des Kabinetts festzulegen. Allerdings läge es in der Konse99

quenz des Vorschlags, daß dieses Recht sich darauf beschränkt, eine nicht überschreitbare Zahl zu bestimmen. Wenn, wie es gegenwärtig in den Stadtstaaten (und auch in einem Teil der Flächenstaaten) der Fall ist, die genaue Zahl der Regierungsmitglieder durch Gesetz oder durch Parlamentsbeschluß festgelegt werden kann, wird der Regierungschef in seinem Recht, die Geschäftsbereiche zu bestimmen, stärker eingeschränkt, als dies geboten erscheint. Wenn auch die Frage, ob die Größe des Kabinetts durch die Legislative nach oben begrenzt werden soll, nicht von zentraler Bedeutung ist, illustriert sie doch anschaulich das Prinzip, nach dem die Befugnisse von Regierung und Parlament so voneinander abgegrenzt werden können, wie dies dem Gewaltenteilungsprinzip entspricht. Daß eine Regierung eine bestimmte Größe nicht überschreiten soll, ist nicht nur eine Frage zweckmäßiger Organisation, sondern auch sparsamer Haushaltsführung. Da die Entscheidung über den Haushalt zu den selbstverständlichen und zentralen Aufgaben des Parlaments gehört, ist es folgerichtig, wenn diesem auch die Befugnis zusteht, den Regierungen oft eigenen Ausdehnungstendenzen eine Grenze zu setzen. Dagegen gehört die organisatorische Frage, wie die der Regierung obliegenden Aufgaben am zweckmäßigsten erfüllt werden sollen, zu deren eigenem Bereich, in dem sie weitgehende Entscheidungsfreiheit haben sollte. Unberührt bleibt dabei das Recht des Parlaments als Gesetzgeber, generelle Regelungen auch in Fragen der Verwaltungsorganisation und -Zuständigkeit zu treffen, b) Konzequenzen aus den grundsätzlichen Erwägungen Die Kommission hat es nicht als ihre Aufgabe angesehen, ihre Empfehlungen in allen Einzelheiten technisch umzusetzen, also die im Falle ihrer Verwirklichung erforderlichen Änderungen der Verfassungen und anderer Rechtsnormen selbst zu formulieren. Geht die politische Entscheidung in die Richtung, welche vorgeschlagen wird, so kann es den zuständigen Regierungsstellen und den parlamentarischen Fachausschüssen überlassen werden, die erforderlichen Formulierungen vorzunehmen. Als Beispiel für eine mögliche Form, in der die bisher behandelten Empfehlungen umgesetzt werden könnten, soll aber für die Berliner Verfassung ein Vorschlag gemacht werden. Die Berliner Verfassung ist hinsichtlich des Verfahrens der Regierungsbildung der vorgeschlagenen Regelung am nächsten. Anders als in den beiden Hansestädten sind hier keine grundsätzlichen Änderungen des 100

Systems erforderlich; vielmehr kann der Vorschlag durch kleinere Änderungen des Textes (deren Bedeutung hierdurch gewiß nicht verringert wird) umgesetzt werden 1 ). Es mag dem Verständnis dienen, wenn der Text der geltenden Verfassung dem Vorschlag einer Neuformulierung gegenübergestellt wird. Geltendes Recht Artikel 41 (1) Der Regierende Bürgermeister wird mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen vom Abgeordnetenhaus gewählt. (2) Die Wahl des Bürgermeisters und der Senatoren erfolgt auf Vorschlag des Regierenden Bürgermeisters durch das Abgeordnetenhaus. (3) Kommt auf Grund des Vorschlags des Regierenden Bürgermeisters innerhalb einer Frist von 21 Tagen ein Senat nicht zustande, so ist der Auftrag zur Senatsbildung erloschen und eine Neuwahl vorzunehmen. (4) Die Mitglieder des Senats können jederzeit von ihrem Amt zurücktreten. Artikel 43 Absatz 4 (4) Die Zahl der Geschäftsbereiche des Senats sowie ihre Abgrenzung wird auf Vorschlag des Regierenden Bürgermeisters vom Abgeordnetenhaus beschlossen. Der Senat gibt sich eine Geschäftsordnung. Kommissionsvorschlag Artikel 41 (1) Der Regierende Bürgermeister wird vom Abgeordnetenhaus mit der Mehrheit der Mitglieder in geheimer Abstimmung gewählt. 1

) In den Hansestädten müßten, wenn man der Tendenz des zur Berliner Verfassung Vorgeschlagenen folgen will, umfangreicher Änderungen der Verfassung vorgenommen werden. An dieser Stelle wäre auch die Frage der Amtszeit der Regierungen zu behandeln. In Berlin und in Hamburg gibt es, wie schon erwähnt (s. S. 8 f.), keine Bestimmung hinsichtlich der Dauer der Amtsperiode. Die Kommission hat sich mit dieser Frage nicht befaßt. Ihre Vorschläge sollen freilich einer gesonderten Klärung dieser Frage nicht entgegenstehen. Sollte Berlin die Amtszeit der Regierung auf die Wahlperiode beschränken wollen, so könnte dies durch eine entsprechende Einfügung in Artikel 42 Absatz 2 VerfBE geschehen. 101

(2) Kommt eine Wahl nicht zustande, so findet innerhalb einer Woche ein neuer Wahlgang statt. Kommt die Wahl auch im zweiten Wahlgang nicht zustande, so ist gewählt, wer in einem weiteren Wahlgang die meisten Stimmen erhält. (3) Der Regierende Bürgermeister ernennt und entläßt den Bürgermeister und die Senatoren und bestimmt ihre Geschäftsbereiche. (4) Die Amtsübernahme des Senats und später ernannter Mitglieder des Senats bedarf der Bestätigung durch das Abgeordnetenhaus. Artikel 43 Absatz 4 (entfallt mit seinem bisherigen sachlichen Inhalt, soweit es sich um die Bestimmung der Geschäftsbereiche handelt; vgl. den Vorschlag zu Art. 41 Abs. 3.) 2. Verfahren bei Vertrauensentzug durch das Parlament Wenn die Stellung des Regierungschefs in dem vorgeschlagenen Sinne verstärkt wird, muß er auch für das persönliche und politische Verhalten jedes Regierungsmitglieds die volle eigene Verantwortung übernehmen. Dies ist der eigentliche Sinn der Regelung. Sie schließt, wie dargelegt, die parlamentarische Debatte auch über Ressortvorgänge und das bei ihnen möglicherweise erkennbare Fehlverhalten eines Regierungsmitglieds keineswegs aus. Aber dem institutionell verstärkten Recht der Regierung auf einheitliche Führung und konsistente Politik entspricht es, daß auch die Verantwortlichkeit gebündelt wird. Führt das Verhalten eines Regierungsmitglieds zu einer Situation, in der seine Entlassung die angemessene Reaktion darstellen würde, kann sich aber der Regierungschef zu diesem Schritt nicht entschließen und tritt der Senator auch nicht von sich aus zurück, so kann eine Vertrauenskrise entstehen. In schwerwiegenden Fällen kann dann dem Regierungschef und damit der gesamten Regierung, für die er verantwortlich ist, das Vertrauen entzogen werden. Es ist daher folgerichtig, an die Stelle der bisher in den Stadtstaaten-Verfassungen vorgesehenen Möglichkeit, dem einzelnen Senator das Vertrauen zu entziehen, das Mißtrauensvotum gegen den Regierungschef zu setzen. In Hamburg ist bereits das konstruktive Mißtrauensvotum — gegen den Senat oder jeden einzelnen Senator — eingeführt. In Bremen gilt das gleiche in einer in den Modalitäten veränderten Weise (Art. 35 Abs. 2 VerfHA; Art. 110 VerfBR). Wenig glücklich ist die Berliner Regelung, die ein (einfaches) Mißtrauensvotum zuläßt, das aber seine Wirksamkeit verlieren soll, wenn 102

nicht binnen 21 Tagen eine Neuwahl des Senats erfolgt ist. Bisher ist dieser Fall nicht eingetreten. Er würde bedeuten, daß ein Senat weiter im Amt bleiben könnte, obwohl ihm das Vertrauen entzogen worden ist, das Parlament aber zu einer Neuwahl nicht mehrheitsfähig ist. Die Nachteile dieser Regelung vermeidet das konstruktive Mißtrauensvotum in einer dem Grundgesetz entsprechenden Form. In Bremen kann neben den Möglichkeiten des Mißtrauensvotums die Bürgerschaft auf Antrag des Senats einem Senator die Mitgliedschaft im Senat entziehen, wenn dieser sich „beharrlich weigert, den ihm gesetzlich oder nach der Geschäftsordnung obliegenden Verbindlichkeiten nachzukommen, oder der Pflicht zur Geheimhaltung zuwiderhandelt oder die dem Senat oder seiner Stellung schuldige Achtung gröblich verletzt" (Art. 110 Abs. 4 VerfBR). Es ist nicht systemwidrig, für einen solchen ungewöhnlichen Fall schweren Fehlverhaltens eine zusätzliche Sanktion bereitzuhalten, die einen Senatsbeschluß voraussetzt und einen Beschluß der Bürgerschaft erfordert. Es ist allerdings zweifelhaft, ob für eine so weittragende und für den Betroffenen außerordentlich schwerwiegende Entscheidung ein einfacher Mehrheitsbeschluß angemessen ist; richtiger wäre es wohl, eine qualifizierte Mehrheit zu verlangen. Wird das Mißtrauensvotum in dem vorgeschlagenen Sinne verändert, könnte dies in der Berliner Verfassung so formuliert werden: Geltendes Recht Artikel 42 (1) Der Senat bedarf des Vertrauens des Abgeordnetenhauses. (2) Das Abgeordnetenhaus kann dem Senat und jedem seiner Mitglieder das Vertrauen entziehen. Die namentliche Abstimmung darf frühestens 48 Stunden nach der Bekanntgabe des Mißtrauensantrages im Abgeordnetenhaus erfolgen. (3) Der Beschluß über einen Mißtrauensantrag bedarf der Zustimmung der Mehrheit der gewählten Mitglieder des Abgeordnetenhauses. Bei Annahme eine Mißtrauensantrages haben die davon betroffenen Mitglieder des Senats sofort zurückzutreten. Jedes Mitglied des Senats ist verpflichtet, auf Verlangen die Geschäfte bis zum Amtsantritt des Nachfolgers fortzuführen. Das Mißtrauensvotum verliert seine Wirksamkeit, wenn nicht binnen 21 Tagen eine Neuwahl erfolgt ist. Kommissionsvorschlag Artikel 42 (1) Das Abgeordnetenhaus kann dem Regierenden Bürgermeister 103

das Vertrauen nur dadurch entziehen, daß es mit der Mehrheit der Mitglieder in geheimer Abstimmung einen Nachfolger wählt. Die Wahl darf frühestens 48 Stunden nach Bekanntgabe des Antrages erfolgen. (2) Das Amt des Regierenden Bürgermeisters endet in jedem Fall mit dem Amtsantritt des Nachfolgers, das Amt der übrigen Mitglieder des Senats mit jeder Beendigung des Amtes des Regierenden Bürgermeisters. (3) Die Mitglieder des Senats können jederzeit von ihrem Amt zurücktreten. (4) Die Mitglieder des Senats sind verpflichtet, die Geschäfte bis zum Amtsantritt des Nachfolgers weiterzuführen. 3. Bindung des Senatorenamts an das Amt des Regierungschefs Eine weitere Folge der Stärkung der Position des Regierungschefs liegt darin, daß das Amt jedes Regierungsmitglieds von dem Amt des Regierungschefs abhängt. Endet dieses, gleichgültig ob durch Rücktritt, Tod oder als Folge eines angenommenen (konstruktiven) Mißtrauensantrages, so kann auch der Senator nicht im Amt bleiben, weil sonst das Recht des nachfolgenden Regierungschefs beeinträchtigt wäre, die Mitglieder des Senats nach eigener Entscheidung zu ernennen. Die entsprechende Änderung der Berliner Verfassung könnte bei dem Vorschlag zur Neufassung des Artikel 42 aufgenommen werden, der das Verfahren bei einem Mißtrauensantrag behandelt (s. oben). 4. Richtlinien der Regierungspolitik a) Staatspraktische Erwägungen Die Frage, wie die Befugnis zur Bestimmung der Richtlinien der Politik in der Verfassung geregelt ist, wird oft für weniger bedeutsam gehalten als die Zuordnung der Zuständigkeit für personelle Entscheidungen bei der Regierungsbildung. Diese Einschätzung ist auch bei den Gesprächen, welche die Kommission bei den Anhörungen mit amtierenden oder früheren Regierungschefs gefuhrt hat, von diesen selbst geteilt worden. Ob eine geschlossene und konsequente Regierungspolitik gestaltet werden kann, hängt nach diesen Äußerungen vor allem davon ab, ob der für sie Verantwortliche selbst über die Mitglieder seiner Regierung entscheiden, sich die geeigneten Persönlichkeiten suchen und sich bei Konflikten von einzelnen trennen kann. Räume die Verfassung dem Regierungschef diese Befugnis ein, sei es von eher zweitrangi104

ger Bedeutung, ob ihm außerdem auch noch eine Richtlinienkompetenz zugebilligt werde. Diese Einschätzung, die der Bestimmung der Richtlinien der Politik einen geringeren Stellenwert gibt, wird auch in der Bundespolitik vertreten, in der das Grundgesetz dem Bundeskanzler die uneingeschränkte und eindeutige Kompetenz hierzu gibt. So hat der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt einmal zu einem Zeitpunkt, in dem er schon einige Jahre im Amt war, erklärt, er habe bis zu diesem Zeitpunkt noch nie von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch gemacht. Das persönliche Durchsetzungsvermögen und die Führungskraft eines Regierungschefs, die gewiß für die Gestaltung der Politik unentbehrlich sind und nicht durch verfassungsrechtliche Normierungen herbeigeführt werden können, erscheinen wichtiger als formale Befugnisse. Auch andere Faktoren der politischen Wirklichkeit, wie etwa die Notwendigkeit, auf die Vorstellungen des Koalitionspartners Rücksicht zu nehmen und diesem jedenfalls bis zu einem gewissen Grad zu erlauben, sich gegenüber dem anderen politischen Partner zu profilieren, schließen es aus, daß der Bundeskanzler oder der Regierungschef eines Landes einfach befehlen kann, gleichgültig, wie seine Befugnisse verfassungsrechtlich definiert sind. Hieraus ergibt sich aber nicht, daß Regelungen über die Bestimmung der Richtlinien der Politik überhaupt überflüssig sind, oder daß es ohne Bedeutung ist, wie sie formuliert werden. Die geringe Bedeutung, welche dieser Frage beigemessen wird, beruht zu einem großen Teil auf der irrigen Vorstellung, daß die Richtlinienbestimmung ein formaler Akt sei, der, dem Vorgang der Normsetzung durch die Legislative vergleichbar, die Einhaltung bestimmter Förmlichkeiten erfordere. Diese Vorstellung wird gefordert, wenn nach der Berliner Verfassung solche Förmlichkeiten verlangt werden, etwa durch das Erfordernis, daß das Abgeordnetenhaus die vom Regierenden Bürgermeister im Einvernehmen mit dem Senat bestimmten Richtlinien durch Zustimmung billigen muß (Art. 43 Abs. 2 VerfBE). Damit wird ein bestimmtes Verfahren festgelegt. In der Praxis bedeutet das, daß meist zu Beginn einer neuen Wahlperiode und je nach Bedürfnis auch während des Ablaufs der Legislaturperiode eine Regierungserklärung abgegeben wird, zu der sich die Fraktionen des Abgeordnetenhauses äußern und die dann — gewöhnlich mit den Stimmen der Regierungsparteien und gegen die Ablehnung durch die Opposition — im Beschlußwege gebilligt werden. Politik ist schwieriger, wenn sie Krisenmanagement bedeutet, als 105

wenn sie theoretisch ausgearbeitete und auf zuverlässigen Prognosen beruhende Konzepte im wesentlichen ungestört verwirklichen kann. Notwendig ist beides. Eine Politik, die lediglich auf krisenhafte Ereignisse reagiert, wird selbst diese Aufgabe nicht lösen können, wenn sie sich den Problemen erst dann zuwendet, wenn diese offen zutage treten und schnelles Handeln erforderlich wird, das dann für sorgfaltige Überlegungen keine Zeit mehr läßt. Unrealistisch ist aber die Vorstellung, daß jedenfalls eine gute Regierung alles vorhersehen und für jede vorstellbare Krise die geeignete Lösung schon bereitstellen könnte. Dies wird jedenfalls dann nicht möglich sein, wenn die Probleme sich aus internationalen Entwicklungen ergeben, die sich dem Einfluß der deutschen Politik ganz oder doch weitgehend entziehen. Auch Vorgänge im Bereich der Innenpolitik können rasches, aber unter Umständen risikoreiches Regierungshandeln erfordern, über das sich in einer vielleicht schon vor zwei oder drei Jahren abgegebenen Regierungserklärung nichts hat vorhersagen lassen, oder es kann untunlich gewesen sein, zu einem vielleicht vorhersehbaren Konflikt etwas zu sagen und dadurch möglicherweise die Wahrscheinlichkeit seines Eintritts zu verstärken oder die Chance für seine Bewältigung zu vermindern. Beispiele hierfür liefern insbesondere Fragen der inneren Sicherheit. So mag die Regierung eines Bundeslandes bei der Anforderung von Polizeikräften durch ein anderes Land vor einem schwerwiegenden Problem stehen, bei dem das Gebot der Bundestreue und der Solidarität der Länder untereinander gegen die sich aus der eigenen Sicherheitslage ergebenden Bedürfnisse abzuwägen ist. Für solche Fälle kann und wird eine Regierung im voraus allgemeine Grundsätze erarbeiten, aber es ist kaum nützlich, sie vorab bekanntzugeben, und der Einzelfall liefert die differenzierenden Kriterien. Die dann erforderliche Entscheidung ist durch frühere grundsätzliche Überlegungen nicht mit einer Automatik vorgegeben, sondern sie muß unter Berücksichtigung der erst jetzt erkennbaren konkreten Umstände getroffen werden. Da in solchen Fällen meist eine schnelle Entscheidung geboten ist, wird politische Führung erforderlich. Die Kompetenz zur Bestimmung der Richtlinien der Politik bedeutet nichts anderes als die Frage, wer die letzte Verantwortung für Führungsentscheidungen übernehmen soll. Dabei liegt das praktische Schwergewicht weniger dort, wo eine neue Regierung ihre Vorstellungen über die voraussichtliche Entwicklung einer Wahlperiode entwickelt und darlegt, als in dem Bereich, der sich schlagwortartig als Krisenmanagement umschreiben läßt. 106

Da eine neue Regierung mit unvorhersehbaren Entwicklungen rechnet, wird sie bei einem formalisierten Verfahren der Bestimmung der Richtlinien ihrer Politik vernünftigerweise ein generalklauselartig formuliertes Programm vorlegen und, wenn dies nach der Verfassung erforderlich ist, sich vom Parlament billigen lassen, das möglichst viele Eventualitäten abdeckt und ihr dann den erforderlichen Handlungsspielraum beläßt, wenn krisenhafte Entwicklungen eintreten sollten. Die Regierung ist, wie jede Staatsgewalt, an Gesetz und Recht gebunden. Das begrenzt ihre Handlungsmöglichkeiten aus guten, rechtsstaatlichen Gründen. Zugleich schafft dies aber der Regierung innerhalb der bestehenden Rechtsnormen Handlungsspielräume auch gegenüber dem Parlament. Eine in der Regierungserklärung enthaltene Formulierung, die Regierung werde das Gesetz wahren und entsprechend handeln, wäre nicht falsch, aber als eine Selbstverständlichkeit überflüssig. Da die Wahrung der Rechtsordnung so als ein ungeschriebener Bestandteil jeder Regierungserklärung anzusehen und seine Billigung durch das Parlament ebenso zu unterstellen ist, können etwa Exekutivmaßnahmen auf dem Gebiet der inneren Sicherheit, die ihrem Gewicht nach als Ausübung der Richtlinienkompetenz anzusehen sind, auch nach Artikel 43 Absatz 2 VerfBE nicht der Billigung des Parlaments unterworfen sein. Dabei ist selbstverständliche Voraussetzung, daß sie der durch die polizeirechtliche Generalklausel festgelegten Aufgabe dienen, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu wahren. Da die Wahrung der inneren Sicherheit zu den Kernaufgaben jeder Regierung gehört und ein Problem betrifft, das in den drei Stadtstaaten besondere Aktualität hat, würde es auch dem rechtsstaatlichen Prinzip der Gewaltenteilung widersprechen, wollte man Entscheidungen dieser Art der Billigung des Parlaments unterwerfen (vgl. hierzu S. 22 ff.), b) Verantwortungsbereiche, Gewaltenteilung und parlamentarische Kontrolle U m so größeres Gewicht hat dann aber die Frage, wie innerhalb der Regierung die Verantwortungsbereiche verteilt sind. Auch nach dem Grundgesetz folgt aus der dort eindeutig dem Bundeskanzler zugewiesenen Richtlinienkompetenz nicht, daß der Eigenverantwortlichkeit der Bundesminister für ihren Geschäftsbereich und der kollegialen Beratung und Entscheidung im Kabinett keine Bedeutung zukäme; vielmehr stehen Kanzlerprinzip, Ressortprinzip und Kollegialprinzip nebeneinander (vgl. hierzu S. 22 ff.). Die Überlegungen der Kommission haben sich nicht darauf be107

schränkt, die Übertragung des Modells des Grundgesetzes auf die Verfassungen der Stadtstaaten zu empfehlen. Vielmehr ging die Zielsetzung dahin, die Stellung des Regierungschefs soweit zu verstärken, wie dies zur Sicherung seiner Führungsverantwortung erforderlich erscheint, andererseits aber das in den Stadtstaaten traditionell besonders stark ausgeprägte Kollegialprinzip nach Möglichkeit zu erhalten. Zunächst wird — dies hat nach der bestehenden Verfassungslage nur für Berlin aktuelle Bedeutung — empfohlen, die Feststellung der Richtlinien der Politik anders als heute nicht mehr von der Billigung des Abgeordnetenhauses abhängig zu machen. Nach der dargelegten politischen Praxis hat sie ohnehin nur geringe Bedeutung; bei strikter Auslegung könnte sie aber vor allen im Bereich des Krisenmanagements entweder die Regierung an einer schnellen Reaktion hindern oder verfassungsrechtliche Probleme aufwerfen. Die gegenwärtige Regelung widerspricht auch dem rechtsstaatlichen Prinzip der Gewaltenteilung. Sie ist in den Beratungen des Verfassungsausschusses der Stadtverordnetenversammlung von 1947 entstanden, die die neue Verfassung ausarbeitete. In der Kommentierung des Artikels 43 Absatz 2 VerfBE durch Landsberg/Goetz heißt es, die Richtlinien der Regierungspolitik sollten „sozusagen eine Sublimierung, eine Läuterung und zusammenfassende Formulierung der in der Mehrheit des Volkes herrschenden Willensströmungen und politischen Auffassungen darstellen, eine Formulierung dessen, was das Volk von seiner Regierung erwartet und erfüllt wissen will" 2 ). Nach heutigem Verständnis ist es aber nicht die Aufgabe der Regierung, die Wünsche und Vorstellungen der Bevölkerung zu repräsentieren. Volksvertretung ist nicht die Regierung, sondern das Parlament. Die gewählten Volksvertreter sollen die Belange der Bürger wahrnehmen, durch die Gesetzgebung einen angemessenen und gerechten Ausgleich zwischen widerstreitenden Interessen herstellen und die an die Rechtsordnung gebundene Regierung bei der Erfüllung ihrer Aufgaben kontrollieren. Dagegen soll die Regierung in dem ihr durch Verfassung und Rechtsordnung gezogenen Rahmen diejenigen Maßnahmen zum Wohl des Gemeinwesens einleiten und durchfuhren, die sie eigener bester Überzeugung nach für erforderlich hält. Eine Regierung, die sich darauf beschränkte, die in der Bevölkerungsmehrheit bestehenden Auffassungen zu „sublimieren" oder zu „läutern", würde ihrer Führungsaufgabe nicht gerecht werden 2

) Landsberg/Goetz, Verfassung von Berlin, 1951, Erl. Nr. 3 zu Artikel 43

108

können. Der Gefahr, daß sie sich dabei zu weit von den in der Bevölkerung herrschenden Auffassungen entfernt, wird durch die parlamentarische Kontrolle und das Bewußtsein hinreichend begegnet, daß ihr Verhalten spätestens bei den nächsten Wahlen bestätigt oder verworfen werden wird. Die größere Gefahr liegt heute darin, daß notwendige, aber vielleicht nicht populäre Maßnahmen unterbleiben, weil sie Unmutsreaktionen der Wähler auslösen könnten. Hieraus kann eine Gefalligkeitspolitik folgen, die sich bei Wahlen politisch auszahlen mag, aber die Probleme nicht oder unzureichend löst. Daher dient es dem Gedanken einer parlamentarischen Demokratie, die auch eine gewaltenteilende ist, wenn die Regierung selbst, in eigener Verantwortung und ohne parlamentarische Absicherung ihre Politik formuliert. Wie die Bonner Praxis zeigt, wird sie hierdurch nicht gehindert, ihre Vorstellungen und Ziele in der Form von Regierungserklärungen dem Parlament vorzustellen, das sie aus diesem Anlaß oder sonst durch die vielfältigen Möglichkeiten parlamentarischer Debatte und Kontrolle kritisch erörtern wird. Diese parlamentarische Kontrolle kann in ihrer Wirksamkeit dadurch verstärkt werden, daß die Richtlinienkompetenz grundsätzlich auf den Regierungschef konzentriert wird. Hierfür gelten zunächst die gleichen Gründe, wie sie schon oben bei der Erörterung der Fragen der Regierungsbildung behandelt worden sind. Die vorgeschlagene Befugnis des Regierungschefs, die personelle Zusammensetzung der Regierung zu bestimmen, hat in zweifacher Weise Auswirkungen auf die Frage der Richtlinienkompetenz. Zum einen gilt, daß diese aus der Sicht derjenigen, die wie die Kommission die Stellung des Regierungschefs verstärken wollen, nicht überflüssig wird. Auch wenn er Persönlichkeiten beruft, mit denen er ein weitgehendes Maß an sachlicher und persönlicher Ubereinstimmung voraussetzen kann, werden unterschiedliche Auffassungen und auch Konflikte nicht ausbleiben. Sie sind Bestandteil der politischen Normalität und um so eher wahrscheinlich, je größer die Bereitschaft des Regierungschefs ist, sich nicht lediglich bequeme Senatoren zu suchen, die kein eigenes Profil entwickeln, vielmehr zu allem Ja sagen, sondern eigenständige und vielleicht auch kantige Persönlichkeiten. Meinungverschiedenheiten, die auf beiden Seiten sachbezogen sind, können nützlich sein, weil sie die Bedeutung des Problems deutlich machen und Handlungsalternativen zeigen, die gegeneinander abgewogen werden müssen. Wenn der Konflikt nicht lösbar ist, kommt die Entlassung des Senators in Betracht, der seinerseits die 109

Drohung mit dem Rücktritt als Waffe einsetzen kann, um seinen Standpunkt durchzusetzen, wenn er mit dieser Möglichkeit klug, das heißt äußerst sparsam, umgeht. Außer in Fällen schwerwiegender Meinungsverschiedenheiten oder dann, wenn sich das Regierungsmitglied nachträglich als weniger geeignet erweist, ist das Mittel der Entlassung die letzte und schärfste Waffe. Auch sie kann nur in äußersten Fällen eingesetzt werden und wird stets auch das Ansehen des Regierungschefs beeinträchtigen, es sei denn, daß die Öffentlichkeit seine Entscheidung als unausweichlich einsieht. Unterhalb solcher besonderen Situationen ist das geeignete Mittel der Konfliktlösung die Entscheidung darüber, welche der verschiedenen Meinungen sich durchsetzt. Wenn Zweifel darüber besteht, in welcher Richtung die Politik zu gehen hat, ist es Sache des Regierungschefs, hierüber zu entscheiden. Andererseits ermöglicht es die vorgeschlagene Befugnis des Regierungschefs, sich die Regierungsmitglieder auszusuchen, der von ihm verantwortlich gebildeten Regierungsmannschaft Mitwirkungsmöglichkeiten bei der Feststellung der Richtlinien der Regierungspolitik zu belassen. Das Programm einer Regierung für eine Wahlperiode aufzustellen, ist eine Aufgabe, die auch gemeinschaftliches Zusammenwirken aller derer erfordert, die diese Politik umsetzen sollen. Die Ressortverantwortlichkeit der Regierungsmitglieder, die auch das Grundgesetz anerkennt, soll auch künftig bestehen bleiben. Es bleibt dem Regierungschef überlassen, bereits bei der Auswahl der Mitglieder seiner Regierung sachliche Schwerpunkte zu setzen, die dann auch in der Regierungserklärung ihren Niederschlag finden können. N u r wer das politische Gesamtkonzept anerkennt, wird bereit sein, an seiner Verwirklichung mitzuarbeiten. Die Gesamtpolitik hängt, wenn sie nicht nur durch allgemeine Formulierungen dargestellt werden soll, von der Mitarbeit der auf einem Sachgebiet besonders qualifizierten Regierungsmitglieder ab. Gerade zu Beginn einer Wahlperiode und besonders dann, wenn nach einer Veränderung der Mehrheitsverhältnisse eine neue Regierung erstmals an ihre Arbeit geht, wird ein qualifiziertes und realistisches Programm von der Mitarbeit all derer abhängen, die hierfür die Ressort- oder (im Falle des Regierungschefs) die Gesamtverantwortung übernehmen. Dies geschieht auch innerhalb der Bundesregierung in der Weise, daß die einzelnen Ressorts ihre speziellen Vorstellungen und Gesichtspunkte zusammenstellen. Oft sind dies Wunschlisten, die dann im Bundeskanzleramt so zusammengestrichen werden, daß insgesamt der „Warenhauskatalog", wie diese Liste genannt wird, nicht 110

zu lang wird. Es ist einleuchtender, daß alle in der Regierung Beteiligten sich zusammenfinden, um gemeinsam darüber Konsens zu suchen, welchen Inhalt und welches Profil die Politik der Wahlperiode haben soll. Auch in der Bonner Praxis wird zu Beginn einer Wahlperiode oft so verfahren, obwohl nach dem Grundgesetz der Bundeskanzler allein entscheiden könnte, c) Kommissionsvorschlag Die Kommission schlägt daher vor, die Feststellung der Richtlinien der Politik dem Regierenden Bürgermeister im Einvernehmen mit dem Senat als Kollegium zu übertragen. Die Initiative und der maßgebliche Einfluß auf die Gestaltung sollte beim Regierungschef liegen. Dem Kollegialitätsprinzip wird dadurch Rechnung getragen, daß er das Einvernehmen im Senat herstellen, also insgesamt und auch bei strittigen Details eine Entscheidung herbeifuhren muß. Es wird bewußt vorgeschlagen, „Einvernehmen" und nicht etwa nur zu verlangen, daß er sich mit den Senatoren oder dem Senat ins „Benehmen" setzen sollte. Dies wäre lediglich die in der Praxis ohnehin erforderliche gegenseitige Unterrichtung, die Entgegennahme von Wünschen oder Vorschlägen und die Unterrichtung darüber, wie weiter verfahren wird. Einvernehmen bedeutet dagegen die Notwendigkeit, die strittigen Fragen zu besprechen, Konsens herzustellen und notfalls hierüber abzustimmen, wobei das Einvernehmen mit dem Senat als Kollegium, nicht mit dem jeweils fachlich zuständigen Senator erforderlich ist. Ist dieser mit der gegen seine Stimme getroffenen Entscheidung, die die Auffassung des Regierungschef bestätigt, nicht einverstanden, wird er sich entscheiden müssen, ob er die Politik mittragen kann. Es ist wahrscheinlich besser, wenn ein solcher Konflikt gleich zu Beginn der Regierungsarbeit erkennbar wird, als wenn er dann ausbricht, wenn die politische Situation eine konkrete und möglicherweise schnell zu treffende Entscheidung erfordert und dann die Sachauseinandersetzung noch durch einen Personenkonflikt belastet wird, der der Lösung der Sachfrage meist nicht dienlich ist. In jedem Fall werden aber unvorhersehbare Lagen eintreten, die durch die zu Anfang der Wahlperiode formulierte Regierungserklärung und die ohnehin bestehende Verpflichtung und Befugnis der Regierung, die Gesetze zu beachten und auszuführen, formal abgedeckt sein mögen, aber konkrete Entscheidungen erfordern, die von den Umständen des Falles abhängen. Hat der Vorgang das Gewicht einer Frage, die in die Richtlinienkompetenz fallt, muß nicht nur gegenüber dem Parlament, sondern auch innerhalb der 111

Regierung die Verantwortung bestimmt sein; Kompetenzstreitigkeiten sind meist dasjenige, was in einer solchen Lage am wenigsten hilfreich ist. Das Verhältnis zum Parlament in solchen Lagen ist bereits behandelt worden. Soll es die zu Beginn der Wahlperiode festgelegten Richtlinien nicht billigen müssen, so gilt dies erst recht für solche Fälle, die schnelles Handeln erfordern und sich möglicherweise einer öffentlichen Diskussion entziehen. Aber auch innerhalb der Regierung sollte jedenfalls in solchen Lagen kein rechtlicher Zwang bestehen, im Kollegium die erforderliche Entscheidung zu treffen. Dabei hängt es ganz von den Umständen ab, ob eine Beratung im Kollegium möglich ist und erforderlich erscheint. Auch der Bundeskanzler wird unbeschadet seiner Richtlinienkompetenz wichtige und grundsätzliche Fragen der Regierungspolitik im Kabinett besprechen oder dieses jedenfalls unterrichten. Weder schließt die Ausübung der Richtlinienkompetenz diese Möglichkeit aus noch setzt sie dies voraus; irrig ist die anläßlich des (vom Bundeskanzler ausgesprochenen) Verzichts auf die im Besitz der Bundeswehr befindlichen (kernwaffentauglichen) Raketen im September 1987 geäußerte Meinung 3 ), es habe sich dabei nicht um eine Richtlinienentscheidung gehandelt, weil diese bis zu der amtlichen Mitteilung des Bundeskanzlers im Kabinett nicht beraten gewesen sei. Schon nach der heute geltenden Berliner Verfassung hat der Regierende Bürgermeister die Befugnir, die Einhaltung der Richtlinen zu überwachen (Art. 43 Abs. 3 VerfBE). Nicht nach der Verfassung, aber nach der Geschäftsordnung des Senats obliegt ihm auch die Entscheidung bei Zweifeln über die Auslegung der Richtlinien. Hierzu dürfte auch die Entscheidung darüber gehören, ob eine bestimmte Frage ihrem Charakter nach eine Richtlinienfrage ist und ob eine bestimmte hierauf zu gebende Antwort innerhalb der — bisher vom Senat beschlossenen und vom Abgeordnetenhaus gebilligten — Richtlinien liegt. Insoweit hat der Regierende Bürgermeister die Kompetenz-Kompetenz. Es erscheint nicht völlig zweifelsfrei, ob dies durch Artikel 43 Absatz 2 Satz 1 VerfBE gedeckt ist. Soweit dies nicht der Fall sein sollte, könnte die Geschäftsordnung dem Regierungschef nicht ein Recht geben, das ihm die Verfassung nicht zubilligt. U m diesen möglichen Widerspruch zu lösen und zugleich dem Regierungschef für solche dringlichen und unvorhersehbaren 3

) Vgl. z.B. Bericht in der Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 9. September 1987, S. 1.

112

Fälle eine Position zu geben, die ihm die Führungsrolle zuweist, empfiehlt die Kommission, die Bestimmung des bisherigen § 2 Absatz 2 GOSenBe in erweiterter Form in die Verfassung zu übernehmen. Dies bedeutet neben der Klarstellung einer nicht ganz eindeutigen Rechtslage vor allem, daß jede Entscheidung, die auch nur in einem allgemeinen Sinn durch die festgelegten Richtlinien abgedeckt wird, zunächst beim Regierenden Bürgermeister liegt, wenn er es gegenüber einer abweichenden Auffassung des Ressortsenators für erforderlich hält, in der von ihm bestimmten Richtung tätig zu werden. Hierin liegt nicht nur die Befugnis, die der Hamburger Erste Bürgermeister hat, der „für wichtige Staatsangelegenheiten persönlich einzutreten" in der Lage ist (Art. 41 Abs. 2 VerfHA), dann aber die Maßnahmen auch in eigener Verantwortung durchführen muß. Der Regierende Bürgermeister kann dem Fachressort die Richtung der Politik vorgeben, ist aber nicht genötigt, die Durchfuhrung selbst oder durch seine Mitarbeiter vorzunehmen. Entscheidend an diesem Vorschlag ist, daß der Regierende Bürgermeister eine umfassende, weit auszulegende Kompetenz-Kompetenz erhält, die lediglich voraussetzt, daß die Sachfrage auch nur in allgemeiner Form durch die festgestellten Richtlinien erfaßt oder durch das geltende Recht, das ohnehin beachtet werden muß, abgedeckt wird. Dies bedeutet beispielsweise, daß eine auf dem Gebiet der inneren Sicherheit erforderliche Entscheidung von großem Gewicht schon durch die mit der Regierungserklärung definierten, gegenwärtig geltenden Richtlinien erfaßt wird, der Senat werde die Sicherheit der Bürger nach besten Kräften gewährleisten. Nach diesem Vorschlag hat der einzelne Senator die Möglichkeit, gegen die Entscheidung des Regierenden Bürgermeisters eine Beratung des Senats zu beantragen. Eine Entscheidung, die von der bisherigen Haltung des Regierenden Bürgermeisters abweicht, kann nur im Einvernehmen mit diesem getroffen werden. Dies legt die volle Darlegungslast dem Senator auf, der überdies im äußersten Fall damit rechnen muß, aus seinem Amt entlassen zu werden. Ist der Vorgang von hinreichendem Gewicht und zugleich von großer Dringlichkeit, so wird es kaum jemals vorkommen, daß ein Senator einen solchen Konflikt hevorruft. Andererseits verbleibt eine Legalitätsreserve, die auch für schwere Konflikte noch ein Instrumentarium liefert. Insgesamt glaubt die Kommission, daß das vorgeschlagene Verfahren das Prinzip der Gewaltenteilung zwischen Parlament und 113

Regierung konsequenter als bisher durchsetzt und die Stellung des Regierungschefs erheblich stärkt, aber auch Elemente des Kollegialprinzips fortfuhrt. Damit soll verantwortliches Regierungshandeln auch in Krisensituationen ermöglicht werden. Auf Berlin bezogen, kann dieser Vorschlag wie folgt konkretisiert werden: Geltendes Recht Artikel 43: (1) Der Regierende Bürgermeister vertritt Berlin nach außen. Er fuhrt den Vorsitz im Senat und leitet seine Sitzungen. Bei Stimmengleichheit gibt seine Stimme den Ausschlag. (2) Der Regierende Bürgermeister bestimmt im Einvernehmen mit dem Senat die Richtlinien der Regierungspolitik. Sie bedürfen der Billigung des Abgeordnetenhauses. (3) Der Regierende Bürgermeister überwacht die Einhaltung der Richtlinien; er hat das Recht, über alle Amtsgeschäfte Auskunft zu verlangen. (4) Die Zahl der Geschäftsbereiche des Senats sowie ihre Abgrenzung wird auf Vorschlag des Regierenden Bürgermeisters vom Abgeordnetenhaus beschlossen. Der Senat gibt sich eine Geschäftsordnung. (5) Jedes Mitglied des Senats leitet seinen Geschäftsbereich selbständig und in eigener Verantwortung innerhalb der Richtlinien der Regierungspolitik. Bei Meinungsverschiedenheiten entscheidet der Senat. Kommissionsvorschlag Artikel 43: (1) Der Regierende Bürgermeister vertritt Berlin nach außen. Er fuhrt den Vorsitz im Senat und leitet seine Sitzungen. Bei Stimmengleichheit gibt seine Stimme den Ausschlag. Der Senat gibt sich eine Geschäftsordnung. (2) Der Regierende Bürgermeister bestimmt die Richtlinien der Regierungspolitik im Einvernehmen mit dem Senat. Bei Zweifeln über die Auslegung der Richtlinien der Regierungspolitik entscheidet der Regierende Bürgermeister. Hiergegen kann jedes Mitglied des Senats die Entscheidung des Senats beantragen. Satz 1 bleibt unberührt. (3) Der Regierende Bürgermeister überwacht die Einhaltung der Richtlinien der Regierungspolitik; er hat das Recht, über alle Amtsgeschäfte Auskunft zu verlangen. 114

(4) Jedes Mitglied des Senats leitet seinen Geschäftsbereich selbständig und in eigener Verantwortung innerhalb der Richtlinien der Regierungspolitik. Bei Meinungsverschiedenheiten entscheidet der Senat. Es könnte erwogen werden, in Artikel 43 Absatz 2 Satz 2 des Vorschlags dem Regierenden Bürgermeister die Entscheidung nicht nur „bei Zweifeln über die Auslegung der Richtlinien", sondern „bei Zweifeln über die Auslegung und Anwendung der Richtlinien" zu geben. Dies würde noch deutlicher zum Ausdruck bringen, daß es nicht nur um die Interpretation, sondern auch und vor allem um die Konkretisierung der Richtlinien geht. Die Vorschläge haben Änderungen der Geschäftsordnung des Senats zur Folge. Insoweit handelt es sich lediglich um Folgen aus den vorgeschlagenen Verfassungsänderungen, die technischen Charakter haben und von der Kommission in den Einzelheiten nicht erörtert worden sind. 5. Fragen der Verwaltungreform und der Dezentralisierung Vor allem bei den Anhörungen ist vielfach die Meinung geäußert worden, daß die in den vorausgegangenen Abschnitten behandelten Fragen einer Verfassungsreform in einem engen inneren Zusammenhang mit einer Reform der Verwaltungsorganisation oder des Verwaltungsablaufs stünden und daher beide Sachbereiche zusammen entschieden werden müßten. Soweit dies, wie in Berlin, von Befürwortern der Verfassungsreform als ein politisches Junktim verstanden wird, ist hierauf in dem Gutachten einer Sachverständigenkommission nicht einzugehen. Diese Frage muß politisch geprüft und entschieden werden. Wie schon an verschiedenen Stellen zuvor erörtert, hat die Kommission die mit Fragen der Verwaltungsreform zusammenhängenden Probleme zwar eingehend erörtert und die insoweit von anderen Kommissionen gemachten, den Senaten in Berlin und Hamburg seit mehreren Jahren bereits vorliegenden Empfehlungen zur Kenntnis genommen und gewürdigt, hat es jedoch nicht als ihre Aufgaben angesehen, insoweit eigene Vorschläge zu machen, die über die bereits vorliegenden Empfehlungen von anderer Seite hinausgehen oder ein Urteil darüber abgeben, inwieweit diese Vorschläge begründet sind und bei ihrer Verwirklichung die erhofften Wirkungen bringen würden. Die wesentlichen Probleme sind im Sachbericht zusammenfassend dargestellt worden. Wie die Senate von Berlin und Hamburg in ihren Stellungnahmen zu den Empfehlungen der Enquete115

Kommission und der Haas-Kommission dargelegt haben, ersetzt ein noch so einleuchtendes Prinzip, wie der von beiden Kommissionen in den Mittelpunkt gerückte Vorschlag einer weitgehenden Dezentralisierung zwischen Hauptverwaltung und Bezirken, nicht die Arbeit am Detail. Der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg spricht in seiner Stellungnahme (vgl. S. 33.) von der Unmöglichkeit, die bestehenden Probleme mit einem „großen Wurf" zu klären. Wenn dies richtig ist — und hierfür spricht vieles —, so wäre es fast anmaßend, wollte eine Kommission, die nicht die internen Verhältnisse jedes der Stadtstaaten in allen ihren Mitgliedern in gleicher Weise kennt, innerhalb eines Jahres eine solche Lösung auch nur versuchen. Die Kommission ist vielmehr der Überzeugung, daß es richtig ist, wenn sie sich auf die ihr zur Prüfung vorgelegten verfassungsrechtlichen Fragen konzentriert. Werden ihre Vorschläge aufgenommen, so würde dies jedenfalls den Effekt haben, daß die Arbeit der Landesregierungen gestrafft, in sich konsistent und auch in der Weise gestaltet werden könnte, daß sich zumindest der Regierungschef auf seine wichtigsten Aufgaben konzentriert. Umgekehrt setzt eine Verwaltungsreform, wie sie in den Vorschlägen anderer Kommissionen erörtert wird, nicht die verfassungsrechtlichen Änderungen voraus, die sich auf die Zusammensetzung der Landesregierung und die Befugnisse des Regierungschefs beziehen. Das Konzept, Aufgaben so weit wie irgend möglich von der Zentrale in die Bezirke zu verlagern, ist dem Grundsatz nach in Berlin wie in Hamburg einleuchtend. Hierzu braucht nichts zusätzlich zu den vorliegenden Vorschlägen ausgeführt zu werden. Insoweit sind auch keine neuen Empfehlungen erforderlich, sondern es muß nach Prüfung vieler Einzelfragen politisch entschieden werden, ob die detaillierten Vorschläge der Enquete- und der Haas-Kommission realisiert werden sollen. In Berlin ist von einer Minderheit in der Enquete-Kommission und erneut in dem Antrag der SPD-Fraktion auf Verfassungsänderungen vorgeschlagen worden, die Wahlperioden der Bezirksverordnetenversammlungen von der des Abgeordnetenhauses zu trennen und/oder die Bezirksbürgermeister direkt zu wählen. Obwohl dies ein nur auf Berlin beschränkter Vorschlag ist, soll er an dieser Stelle kurz erwähnt werden, weil eine vergleichbare Frage auch in Hamburg durch die Haas-Kommission behandelt wird; dort wird im wesentlichen eine Bezirksverfassung vorgeschlagen, wie sie heute in Berlin besteht, wobei in beiden Städten den Bezirken eine größere Selbständigkeit in Haushaltsfragen gegeben werden soll. Ob der Vorschlag einer Änderung der Finanzverfassung gegen die vom Berliner Senat 116

geäußerten erheblichen Bedenken Vorteile oder Nachteile bringen würde, vermag die Kommission ohne weitere Prüfung nicht zu entscheiden. Solange solche oder andere Vorschläge, die den Bezirken ein höheres Maß an eigener Verantwortung geben würden, nicht auf ihre Realisierbarkeit und den Nutzen, den sich ihre Befürworter davon versprechen, geprüft worden sind, bedeutete die Aufwertung der Bezirksverordnetenversammlungen ebenso wie die vorgeschlagene Direktwahl der Bezirksbürgermeister im Berlin über den damit verbundenen optischen Effekt hinaus kaum einen Fortschritt. Es erscheint wenig sinnvoll, wenn Bezirke, die nach der in beiden Städten (in Hamburg stärker als in Berlin) bestehenden Ordnung Teile einer einheitlichen Gebietskörperschaft sind und denen nicht die Verfassungsposition aus Artikel 28 Absatz 2 GG und damit keine volle gemeindliche Selbstverwaltung zur Verfugung steht, sich so darstellen, als stünden ihnen volle Rechte einer Kommune zu. Mindestens für Berlin ist auch schon wiederholt dargelegt worden, daß sich hieran, bei aller grundsätzlichen Befürwortung einer möglichst weitgehenden Verlagerung von Zuständigkeiten in die kleineren Einheiten der Bezirke, nichts grundsätzlich ändern kann.

III. Besondere Empfehlungen für die einzelnen Stadtstaaten 1. Berlin In Berlin hat neben den bisher besprochenen Fragen zur Erörterung gestanden, ob Artikel 44 VerfBE gestrichen werden soll. Artikel 44 VerfBE lautet: (1) Dem Senat untersteht unmittelbar die Hauptverwaltung einschließlich Justizverwaltung und Polizei. (2) Die Generalstaatsanwälte und der Polizeipräsident werden auf Vorschlag des Senats vom Abgeordnetenhaus mit der Mehrheit seiner Mitglieder gewählt und abberufen. Die Anhörung in Berlin hat weitgehende Einigkeit darüber ergeben, daß diese Bestimmung der Berliner Verfassung gestrichen werden sollte; die Kommission empfiehlt dies. Die Vorschrift, nach der die Hauptverwaltung, die Justizverwaltung und die Polizei rechtlich dem Senat unterstehen, ist rechtlich nicht erforderlich. Sie ist nur aus der besonderen politischen Lage Berlins in den Jahren 1946 bis 1948 zu erklären. Damals unterstanden die Justizverwaltung und die Polizei noch der Alliierten Kommandantur. 117

Es war daher das Motiv des Verfassungsgebers, den Souveränitätsanspruch des Senats über diese Bereiche zu dokumentieren. Heute ist die Bestimmung obsolet. Der Polizeipräsident, der kurioserweise aus preußischer Tradition immer noch als „Der Polizeipräsident in Berlin" firmiert, als sei er der Vertreter eines übergeordneten Staatswesens, unterliegt den Weisungen des Senats. In der Vergangenheit hat es wiederholt Konflikte gegeben, die durch sachlich begründete Meinungsverschiedenheiten hervorgerufen sein mögen. Es kann aber nicht zweifelhaft sein, daß die politische Entscheidung zumal in dem besonders sensiblen Sicherheitsbereich nicht bei einem Beamten, sondern bei dem dem Abgeordnetenhaus politisch verantwortlichen Senat liegt und liegen muß, sei es bei dem ressortmäßig zuständigen Innensenator oder in schwerwiegenden Fällen beim Gesamtsenat oder — nach dem Vorschlag zur Richtlinienkompetenz — beim Regierenden Bürgermeister. Wird der Polizeipräsident vom Abgeordnetenhaus gewählt, so fühlt er sich, wie Vorgänge bis in die jüngste Vergangenheit gezeigt haben, nicht so sehr der Regierung als vielmehr unmittelbar dem Parlament gegenüber verantwortlich. Da Fragen des Einsatzes der Polizei zu dem Kernbereich der Regierungsverantwortung gehören, widerspricht es dem Prinzip der Gewaltenteilung, wenn der Polizeipräsident in dieser Weise nicht der Regierung, sondern dem Parlament rechenschaftspflichtig wäre oder auch nur bei ihm eine solche Haltung entwickelt oder gefordert wird. Jedenfalls sollten nicht Überlegungen persönlicher Art wie die Frage, ob er bei einem bestimmten Verhalten eine Abwahl befürchten muß, die Erfüllung seiner Dienstpflichten beeinflussen. Mit der Folgefrage, ob der Polizeipräsident beamtenrechtlich Lebenszeitbeamter (mit oder ohne die Möglichkeit der Versetzung in den einstweiligen Ruhestand) oder Beamter auf Zeit wird, hat sich die Kommission nicht befaßt. Die Regelung, daß die Generalstaatsanwälte durch das Parlament gewählt werden, ist in Berlin einmalig und ebenfalls aus den besonderen politischen Verhältnissen der unmittelbaren Nachkriegszeit zu erklären. Ohne daß die Kommission dies näher geprüft hat, sprechen überwiegende Gründe dafür, bei einer dann notwendigen Änderung des Landesbeamtengesetzes die Möglichkeit vorzusehen, die Generalstaatsanwälte beim Kammergericht und beim Landgericht in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen. Empfohlen wird auch, Artikel 69 Absatz 2 VerfBE zu streichen. Nach dieser Verfassungsnorm werden auch die Präsidenten der oberen Landesgerichte vom Abgeordnetenhaus gewählt. 118

Artikel 69 VerfBE lautet: „(1) Die Berufsrichter werden vom Senat ernannt, wenn sie nach ihrer Persönlichkeit und ihrer bisherigen Tätigkeit in der Rechtspflege die Gewähr bieten, daß sie ihr Richteramt im Geist der Verfassung und sozialen Gerechtigkeit ausüben werden. Die gewählten höchsten Richter haben ein Vorschlagsrecht für ihren Amtsbereich. (2) Die Präsidenten der oberen Landesgerichte werden auf Vorschlag des Senats vom Abgeordnetenhaus mit der Mehrheit seiner Mitglieder gewählt und vom Senat ernannt." Auch diese Regelung ist eine Berliner Besonderheit, die in anderen Landesverfassungen keine Parallele findet. Die richterliche Unabhängigkeit, die durch das Richtergesetz und die Gerichtsverfassung gewährleistet ist, wird durch die Wahl durch ein Parlament nicht gewährleistet oder verstärkt. Ihre Ernennung kann entweder durch den Senat erfolgen, oder es kann — ähnlich wie bei den Mitgliedern der obersten Bundesgerichte — ein Richterwahlausschuß beteiligt werden. Der Begriff „höchste Richter" in Artikel 69 Absatz 1 VerfBE ist unklar; er bedarf einer Konkretisierung. 2. Bremen a) Unabhängig von der Frage, ob dem Präsidenten des Senats eine Kompetenz gegeben wird, die Richtlinien der Regierungspolitik im Einvernehmen mit dem Senat zu bestimmen, sollte das Geschäftsleitungsrecht des Präsidenten verstärkt werden. Erst recht muß dies geschehen, wenn er keine Richtlinienzuständigkeit erhält. Artikel 115 Absatz 2 VerfBR könnte folgende Fassung erhalten: „Der Präsident (überwacht die Einhaltung der Richtlinien der Regierungspolitik; er) hat die Leitung der Geschäfte des Senats; er hat für den ordnungsmäßigen Geschäftsgang Sorge zu tragen sowie für die gehörige Ausfuhrung der Beschlüsse des Senats und der von den einzelnen Mitgliedern des Senats wahrzunehmenden Geschäfte. Der Präsident des Senats hat die Pflicht und das Recht, ohne Ressortbindung für wichtige Staatsangelegenheiten persönlich einzutreten. Er kann über alle Angelegenheiten der Regierungs- und Verwaltungstätigkeit eine Beschlußfassung des Senats herbeiführen. Er hat ein umfassendes Unterrichtungsrecht." (Der Klammertext entfallt, wenn eine Richtlinienkompetenz nicht eingeführt wird.) 119

Die Pflicht, wichtige Angelegenheiten persönlich wahrzunehmen und sie insoweit der Ressortbindung zu entziehen, ist dem Grundgedanken nach aus der hamburgischen Verfassung übernommen. Sie stärkt unterhalb der Richtlinienzuständigkeit die politische Führungsfunktion des Präsidenten. Er übernimmt, wenn er eine Angelegenheit zur „Chefsache" erklärt, sichtbar die persönliche Verantwortung und erhöht damit wesentlich die Durchsetzungskraft seiner Position. Seine politische Handschrift wird deutlicher. b) Das Ressortprinzip bleibt nach dem Vorschlag der Kommission aufrechterhalten. Artikel 120 Absatz 1 VerfBR sollte aber folgende klarstellende Fassung erhalten: „Die Mitglieder des Senats sind zur Beachtung der (Richtlinien der Politik und der) Beschlüsse des Senats verpflichtet; sie tragen..." (Der Klammertext entfallt, wenn eine Richtlinienzuständigkeit nicht eingeführt wird.) c) In mehreren Bundesländern ist bereits der Fall eingetreten, daß eine regierungsfähige Mehrheit im Parlament nicht gebildet werden konnte. Die bremische Verfassung stellt für diesen ohne weiteres auch in Bremen denkbaren Fall keine Lösung bereit. Das kann zu gefahrlichen Entwicklungen führen. aa) Regelungsbedürftig sind einmal die Fälle, bei denen ein Regierungschef nicht (oder nur kommissarisch) im Amt ist und eine Wahl des Regierungschefs mißlingt oder sein Regierungsvorschlag nicht vom Parlament bestätigt wird. (s. Empfehlung der Kommission S. 38 ff.). Die Regierungsbildung durch Wahl des Regierungschefs und Bestätigung seiner Regierung kann zu Beginn der Legislaturperiode mißlingen. Ein durch Wahl legitimierter Regierungschef ist in dieser Phase nicht (mehr) vorhanden; denn der Regierungschef ist für die Dauer der abgelaufenen Legislaturperiode gewählt worden — Artikel 107 Absatz 2 VerfBR sollte inswoweit nicht geändert werden — und darüber hinaus nur kommissarisch im Amt. Nach Erledigung des Amtes des Regierungschefs aus anderen Gründen (Rücktritt, Tod) ergibt sich eine ähnliche Ausgangslage. Die Kommission hält eine Lösung des Problems in Anlehnung an Artikel47 VerfBW für zweckmäßig. Er lautet: „Wird die Regierung nicht innerhalb von drei Monaten nach dem Zusammentritt des neu gewählten Landtages oder nach der sonstigen Erledigung des Amtes des Ministerpräsidenten gebildet und bestätigt, so ist der Landtag aufgelöst." 120

Man kann die Frage aufwerfen, ob an die Stelle der automatischen Auflösung des Parlaments nach drei Monaten die Möglichkeit des Parlaments treten sollte, sich mit einfacher Mehrheit selbst aufzulösen, um so den politischen Spielraum zu erweitern, doch noch ohne Neuwahl zu einer Regierung zu kommen. Das würde freilich den im Gesamtinteresse erwünschten Zwang zur Entscheidung über die Regierungsbildung abschwächen. Letztlich ist es eine Frage der verfassungspolitischen Einschätzung, ob das Parlament in der hier vorauszusetzenden ungünstigen Ausgangslage die Kraft zur Auflösungsentscheidung finden und die sich anderenfalls abzeichnende „Hängepartie" beenden wird, bb) Regelungsbedürftig ist ferner die Lage, in der der Regierungschef die Vertrauensfrage stellt, hierfür jedoch keine Mehrheit findet. Denkbar wäre es, daß er alsbald zurückzutreten hätte. Damit wäre der soeben unter aa) beschriebene Weg offen. Dieser nähme dem Parlament indessen die Möglichkeit, die mit der Vertrauensverweigerung offenbar gewordene Krise noch positiv zu bewältigen. Zweckmäßig erscheint darum eine Regelung, die sich partiell an Artikel 36 der hamburgischen Verfassung anlehnt und folgendermaßen lauten könnte: „(1) Findet ein Antrag des Präsidenten des Senats, ihm das Vertrauen auszusprechen, nicht die Mehrheit der gesetzlichen Mitgliederzahl der Bürgerschaft, so kann die Bürgerschaft binnen drei Monaten nach Eingang des Antrages 1. einen neuen Präsidenten des Senats wählen oder 2. dem Präsidenten des Senats nachträglich das Vertrauen aussprechen. Macht die Bürgerschaft von diesen Befugnissen keinen Gebrauch, so ist sie mit Ablauf der Drei-Monats-Frist aufgelöst. (2) Die Abstimmung über den Antrag des Präsidenten, ihm das Vertrauen auszusprechen, darf frühestens eine Woche nach Eingang des Antrages stattfinden." Alternativ kann man die geltende hamburgische Lösung komplett übernehmen, also der Bürgerschaft als dritte Alternative die Selbstauflösung eröffnen und für den Fall, daß die Bürgerschaft keine der drei möglichen Entscheidungen trifft, dem Präsidenten des Senats das Recht zur Bürgerschaftsauflösung übertragen. Für den Präsidenten, dessen Regierung in einzelnen Fragen parlamentarische Abstimmungsniederlagen erleidet und der 121

sich seiner Mehrheit nicht mehr sicher sein kann, ist die Vertrauensfrage ein Instrument, aktiv auf die Restabilisierung der parlamentarischen Regierungsmehrheit hinzuarbeiten. Je eindeutiger die möglichen Folgen dieses Schrittes von der Verfassung im Sinne klarer Alternativen vorgezeichnet sind, desto intensiver wird die stabilisierende Wirkung der Vertrauensfrage sein können. Wird auch Artikel 36 Absatz 1 Seite 2 aus der hamburgischen Verfassung übernommen (und auf den Präsidenten des Senats bezogen), so kann der Präsident des Senats am Ende der mit der Vertrauensfrage eingeleiteten Prozedur zum früheren Zustand zurückkehren, d.h. ohne sichere Mehrheit weiterzuregieren versuchen. Darauf könnten die parlamentarischen Gruppen schon von vornherein spekulieren, was den Einigungszwang schwächen und die Chancen für eine klare Lösung mindern würde. Dies kann dafür sprechen, schon die Vertrauensfrage selbst mit der Konsequenz zu verknüpfen, daß sie je nach Entscheidungslage im Parlament zur Auflösung des Parlaments fuhren wird. Andererseits kann für die hamburgische Lösung sprechen, daß sie eine Automatik vermeidet und eine politische Neueinschätzung am Ende der mit der Vertrauensfrage eingeleiteten parlamentarischen Prozedur ermöglicht. Im Saarland (Art. 88 VerfSL) kann die Regierung nur insgesamt die Vertrauensfrage stellen und scheidet bei Ablehnung alsbald aus dem Amt. In SchleswigHolstein (Art. 31 Landessatzung) hat die Ablehnung der Vertrauensfrage zur Folge, daß der Ministerpräsident den Landtag auflösen kann. In den übrigen Bundesländern fehlen entsprechende Regelungen. Nach Artikel 68 GG steht die Entscheidung über die Parlamentsauflösung dem Bundespräsidenten zu. Verzichtet man auf eine in letzter Konsequenz zur Parlamentsauflösung führende Vertrauensfrage, kann eine Selbstauflösung nach aa) nur auf dem Wege des Rücktritts des Regierungschefs herbeigeführt werden. Die Möglichkeiten zur Stabilisierung der Regierungsmehrheit fallen dann aus. Das konstruktive Mißtrauensvotum des Artikels 110 VerfBR soll allein gegen den Präsidenten des Senats möglich sein; das ist schon in den gemeinsamen Empfehlungen für alle drei Städte vorgeschlagen worden (s. S. 102 f.). Der technische Ablauf sollte nach dem Vorbild des Artikels 67 GG verdichtet werden, so daß im Parlament nur die Neuwahl eines Präsidenten des Senats stattfindet.

Die getrennten Abstimmungen über Mißtrauen und Neuwahl sollten entfallen. e) Artikel 101 Absatz 1 VerfBR fuhrt unter den Nummern 2-4 sowie 6 und 7 Verwaltungsbefugnisse des Parlaments auf. Dieser Artikel ist aus dem „Entwurf Behrens" übernommen worden, der nach dem Auftrag der britischen Militärregierung eine kommunale Verfassung vorbereitet hatte, während die bremische Landesverfassung später unter amerikanischer Militärregierung als parlamentarisch demokratische Staatsverfassung gestaltet wurde. Die Verwaltungsbefugnisse des Parlaments sollten zweckmäßigerweise entfallen. Für die Verwaltung muß die Regierung die Verantwortung allein tragen. Aufgabe des Parlaments ist die politische Kontrolle der Regierung. Verwaltungszuständigkeiten des Parlaments haben in keiner Landesverfassung eine Entsprechung. f) Verwaltungsrichtlinien des Parlaments (Art. 118 Abs. 1 VerfBR) haben in Bremen zu keiner Zeit praktische Bedeutung erlangt. Die Bestimmung beruht ebenfalls auf der von der britischen Militärregierung gesteuerten Vorbereitung einer Kommunalverfassung. Die Bestimmung verwischt die Gewaltenteilung und die Verantwortung der Regierung für die Verwaltung. Sie sollte entfallen. g) Umgekehrt sollte das Beanstandungsrecht des Senats nach Artikel 104 VerfBR entfallen. aa) Rechtliche Bedenken kann und sollte der Senat allein über den Staatsgerichtshof klären und gegebenenfalls durchsetzen, wenn er die Bürgerschaft nicht hat überzeugen können. Letztlich ist der hier vorausgesetzte Konflikt zwischen Senat und Bürgerschaft auch schon jetzt nicht anders zu befrieden. Die förmliche Beanstandung fuhrt indessen zu zusätzlichen Spannungen, die mit dem Ersuchen um gerichtliche Klärung des Problems nicht in gleicher Weise verbunden sind, bb) Politische Bedenken, die er argumentativ selbstverständlich jeder Zeit zur Sprache bringen kann, was er auch tut, sollten den Senat nicht berechtigen, Bürgerschaftsbeschlüsse zu suspendieren. Das förmliche Vetorecht des Senats in politischen Fragen widerspricht dem Grundsatz der parlamentarischen Abhängigkeit der Regierung und dem Gewaltenteilungsgrundsatz. Politische Differenzen zwischen Senat und Bürgerschaftsmehrheit, wenn sie nicht durch Diskussion oder Kompromiß überwunden werden können und deshalb förmlich ausgetragen werden müssen, sollten im parlamentarischen und gewaltenteilenden Staat mit den politischen Instrumenten des konstruktiven Mißtrauensvotums, der Vertrauensfrage 123

und des Rücktritts des Präsidenten des Senats bereinigt werden. h) Artikel 119 Satz 1 VerfBR sollte aus ähnlichen Gründen entfallen wie nach Nummer 7 a das Veto aus Rechtsgründen. Der Rechtsstaatsgrundsatz ist in Artikel 66 VerfBR verankert, und der Senat hat nach Artikel 140 VerfBR mit dem Antragsrecht zum Staatsgerichtshof das angemessene Instrument für die Konfliktlösung zur Hand. i) Man kann erwägen, die unter e)-h) genannten Instrumente im kommunalen Bereich beizubehalten. Dies erscheint indessen nicht zweckmäßig. Einmal hätte das entgegen Artikel 148 Absatz 1 VerfBR inhaltliche Abweichungen der Kommunalverfasssung von der Landesverfassung zur Folge, was den Verfassungsvollzug komplizieren würde, zumal politisch staatliche und kommunale Probleme vielfach miteinander verwoben sind. Man hätte deshalb nur einen halben Schritt getan, der kaum hilfreich wäre, um Mischverantwortung abzubauen, die in Wahrheit die Verantwortung undeutlich macht. Es leuchtet wenig ein, den Senat auf kommunaler Ebene an Verwaltungskompetenzen (Art. 101 VerfBR) und Verwaltungsrichtlinen (Art. 118 VerfBR) der Stadtbürgerschaft zu binden, während diese Bindungen auf Landesebene nicht bestehen. Zugleich müßte das beträchtlich die Stellung des Senats als kommunale Aufsichtsbehörde (Art. 147 VerfBR) erschweren. Beanstandungsbefugnisse (Art. 104 und 119 S. 1 VerfBR) in Rechtsfragen benötigt der Senat gegenüber der Stadtbürgerschaft nicht. Er hat die Rechtsaufsicht über die Gemeinden (Art. 147 VerfBR). Im Streitfall haben die Verwaltungsgerichte zu entscheiden. Dem Senat steht gegen Ortsgesetze der Stadtbürgerschaft das Antragsrecht für Normenkontrolle nach § 47 VwGO zu. Diese Befugnisse reichen aus; sie sind vor allem besser geeignet, zu befriedenden Entscheidungen zu fuhren als förmliche Beanstandungen, die, wenn sie nicht akzeptiert werden, letztlich auch wieder verwaltungsgerichtliche Verfahren nach sich ziehen. j) Ob die Regelungen des Artikels 108 VerfBR so beibehalten werden können, wenn der Präsident des Senats die Senatoren berufen und abberuft, muß neu durchdacht werden. Die Zusammensetzung des Parlaments ist gegenwärtig mittelbar von Entscheidungen des Parlaments bei der Senatorenwahl abhängig. Bei Verwirklichung der Empfehlungen der Kommission beeinflußt der Präsident des Senats die Zusammensetzung des Parlaments. Ganz unproblematisch ist das nicht. Es bestünde die, freilich begrenzte, Möglichkeit, die Meinungsbidlung in der Regierungsfraktion 124

durch Steuerung ihrer konkreten Zusammensetzung zu beeinflussen. Hier stellt sich einmal die prinzipielle Frage, inwieweit die Zusammensetzung der Bürgerschaft allein durch das Ergebnis der Bürgerschaftswahl festgelegt sein sollte. Daneben m u ß eine politische Risikoeinschätzung stattfinden, bei der freilich das Argument, wonach Abgeordnete, die im Falle der Rückkehr eines Senators ihr Parlamentsmandat verlieren, tendenziell gegen die Abberufung von Senatoren stimmen werden, nicht mehr ins Spiel kommt, wenn der Präsident des Senats das Abberufungsrecht hat. Mit der Frage, ob schon gegen die gegenwärtige Regelung des Artikels 108 VerfBR oder gegen ihre Beibehaltung im Falle der Verwirklichung des Kommissionsvorschlags zum Berufungs- und Abberufungsrecht rechtliche Bedenken bestehen, hat sich die Kommission nicht befaßt. Für den Fall der Verwirklichung der Kommissionsempfehlungen erscheint diese Frage prüfungsbedürftig. k) Artikel 101 Nummer 5, 102, 119 Satz 2, 131-133 VerfBR enthalten die Haushaltsverfassung. Sie ist nicht so auf die denkbaren Problemlagen hin durchsystematisiert wie das Haushaltsverfassungsrecht des Grundgesetzes (Art. 110 bis 115 GG) und der meisten anderen Bundesländer. Hier dürfte sich eine Anpassung empfehlen. Man müßte dabei überlegen, ob ausgabenwirksame Gesetzesbeschlüsse des Parlaments an die Zustimmung des Senats gebunden werden sollen (vgl. Art. 113 GG, Art. 82 VerfBW) oder der Senat jedenfalls ein förmliches Beanstandungsrecht erhalten soll (Art. 78 Abs. 5 BV). 1) Deputation (Art. 105, 129 VerfBR). aa) Die bremischen Deputationen sind historisch ein Überbleibsel des vorparlamentarischen dualistischen Herrschaftssystems mit unabgeleitet-eigenständigen Befugnissen des Senats und der Bürgerschaft, zwischen denen eine Kooperation herbeigeführt werden mußte, die weitgehend eben in den Deputationen stattfand (vgl. S. 59 f.). In der parlamentarischen Demokratie sind sie letztlich anachronistisch, aber sie sind akzeptierte Verfassungsinstitutionen, gelebte Verfasssungswirklichkeit. Ob sie das Parlament stärken, darf man bezweifeln. Es sind jeweils nur wenige Abgeordnete mit mutmaßlich eher ressortorientierten politischen Interessen beteiligt, die in das konkrete Verwaltungsgeschehen als Entscheidungsträger eingebunden werden. Die umfassende Information der Parlamentsfraktionen und die Einordnung in die aus der Gesamt125

sieht gebotenen Prioritäten mögen dadurch nicht optimal organisiert sein. Mit der Aufgabe des Parlaments als Kontrollinstanz mag die Einbeziehung von Abgeordneten in konkrete Verwaltungsentscheidungen schwer vereinbar erscheinen. Was aber würde sich für die Senatsarbeit wesentlich ändern, wenn die Deputationen echte Parlamentsausschüsse wären? Die Probleme der Regierungsorganisation sind in den drei Stadtstaaten grundsätzlich die gleichen; sie sind bisher in Bremen weniger ausgeprägt zutage getreten als in den beiden anderen Stadtstaaten und können also nicht so viel mit dem bremischen Deputationswesen zu tun haben. Freilich sind die Deputationen politisch einflußreiche dezentrale Machtquellen, die dem Senat eine in sich konsistente Gesamtpolitik tendenziell erschweren können. Dies wird jedoch um so weniger der Fall sein, je stärker die Verfassung solidarisches Zusammenstehen der Senatoren entschieden und nachhaltig fordert, bb) In Artikel 129 VerfBR sollte indessen klargestellt werden, daß die Deputationen nur beratende Funktionen haben dürfen; denn das klärt die Argumentationslage im Konfliktfall. Artikel 129 Satz 1 VerfBR könnte folgenden Zusatz erhalten: „...unbeschadet der vollen Verantwortung des Senats für alle Verwaltungsgeschäfte", cc) Ein besonderes Problem ergibt sich aus § 17 des bremischen Deputationsgesetzes. Danach stellt die Finanzdeputation den Haushaltsplan auf. Wenn die Empfehlungen der Kommission verwirklicht werden und demgemäß der Präsident des Senats die Hauptverantwortung für das Regierungshandeln trägt, ist es nicht vorstellbar, ihn aus der Haushaltsplanung auszuschalten, wie das gegenwärtig der Fall ist. Die Bedenken richten sich nicht dagegen, daß die Finanzdeputation den Haushaltsplan berät und sich dazu äußert. Der Präsident des Senats muß jedoch in der Lage sein, dem Parlament sein Finanzkonzept zur Entscheidung zu unterbreiten und dafür die politische Verantwortung zu übernehmen. 3. Hamburg Für Hamburg hat die Kommission zusätzlich eine Reihe von Regelungen erörtert, die ihr unter den Prinzipien, die für ihre an allen drei Stadtstaaten gemeinsam gerichteten Empfehlungen maßgebend sind, überprüfungsbedürftig erscheinen. Die Empfehlungen der Kommission zielen auf die Herstellung klarer Verantwortungsbereiche auf Seiten des Parlaments und des Senats. 126

Die Empfehlungen setzen die Linie fort, die die Verfassungen von 1921 und 1952 sowie die Verfassungsreform von 1971 zur Trennung der Gewalten vorgezeichnet, aber nicht konsequent durchgeführt haben (vgl. S. 63, 73 f.). a) Mitwirkung des Senats an der Gesetzgebung Bei der Gesetzgebung weist die Verfassung dem Senat eine starke Stellung zu. Sind gemäß Artikel 49 Absatz 2 VerfHA zwei Lesungen erforderlich, kann der Senat auf den Lauf der Frist zwischen ihnen, die mindestens sechs Tage beträgt, Einfluß nehmen. Mit seinem Einverständnis kann die zweite Lesung zu einem früheren Zeitpunkt stattfinden. Auf seinen Antrag ist sie bis zu einem Monat auszusetzen. Dies sieht Artikel 49 Absatz 2 Satz 4 VerfHA. Artikel49 Absatz2 VerfHA lautet: (2) Gesetzesvorlagen, die aus der Mitte der Bürgerschaft eingebracht sind, und Anträge, welche die Änderung von Senatsvorlagen bezwecken, bedürfen in jedem Falle einer zweimaligen Lesung. Zwischen der ersten und der zweiten Abstimmung müssen mindestens sechs Tage liegen. Dem Senat ist das Ergebnis der ersten Lesung unverzüglich mitzuteilen. Mit seinem Einverständnis kann die zweite Lesung zu einem früheren Zeitpunkt stattfinden; auf seinen Antrag ist sie bis zu einem Monat auszusetzen. Dem Aussetzungsantrag des Senats m u ß die Bürgerschaft entsprechen. Er bedarf keiner Begründung. Unabhängig davon, ob der Senat zuvor die Aussetzung der zweiten Lesung verlangt hat oder nicht, kann er gegen von der Bürgerschaft beschlossene Gesetze Einspruch einlegen. Artikel 50 VerfHA, der dies vorsieht, hat folgenden Wortlaut: Der Senat hat das Recht, gegen ein von der Bürgerschaft beschlossenes Gesetz innerhalb eines Monats unter Darlegung der Gründe Einspruch zu erheben. Alsdann ist die Beschlußfassung der Bürgerschaft zu wiederholen. Das Gesetz tritt nur in Kraft, wenn ihm bei der erneuten Lesung die Mehrheit der gesetzlichen Mitgliederzahl zustimmt. Artikel 50 VerfHA gilt nicht nur für Gesetzesvorlagen aus der Mitte der Bürgerschaft und für Änderungsanträge der Bürgerschaft, sondern auch für Senatsvorlagen. Das Aussetzungsrecht gemäß Artikel 49 Absatz 2 Satz 4, 2. Halbsatz VerfHA und insbesondere das Einspruchsrecht nach Artikel 50 VerfHA erinnern an die frühere Stellung des Senats als zweiter Kammer. Diese Stellung wird daran erkennbar, daß dem Senat das Aussetzungs- und Einspruchsrecht nicht nur dann 127

zusteht, wenn eine Gesetzesvorlage aus der Mitte der Bürgerschaft eingebracht oder seine eigene mit Änderungen beschlossen worden ist. In solchen Fällen geben diese Rechte dem Senat die Möglichkeit, sich auf eine neue Lage einzustellen. Insoweit kommt diesen Rechten eine Schutzfunktion zu. Vielmehr stehen die Rechte dem Senat auch dann zu, wenn seine eigene Vorlage unverändert, aber ohne die in Artikel 49 Absatz 1 VerfHA vorgesehene Mehrheit zu erreichen, verabschiedet wird. Schutzfunktionen brauchen diese Bestimmungen dann nicht mehr zugunsten des Senats auszuüben. Der Senat spielt vielmehr die Rolle einer, wenn auch verkappten zweiten Kammer. Die Kommission empfiehlt, das Aussetzungsrecht gemäß Artikel 49 Absatz 2 Satz 4, 2. Halbsatz VerfHA und das Einspruchsrecht gemäß Artikel 50 VerfHA ersatzlos aufzuheben. Hingegen sollte die Möglichkeit, die Frist zwischen den beiden Lesungen auf weniger als sechs Tage zu verkürzen, weiterhin an das Einverständnis des Senats gebunden bleiben. Dem Senat muß Zeit zur Verfügung stehen, seine Vorstellungen in ein laufendes Gesetzgebungsverfahren einzubringen. Dies gilt insbesondere auch für ausgabenerhöhende oder einnahmenmindernde Gesetze (vgl. die Empfehlung dazu, S. 136 f.). b) Mitwirkung an der Verwaltung aa) Deputationen Die Verfassung erwähnt die Deputationen der Fachbehörden an keiner Stelle. Gleichwohl sind die Deputationen in Artikel 56 VerfHA angesprochen. Sowohl die Auswertung der der Kommission zur Verfügung stehenden Literatur, als auch die in Hamburg durchgeführte Anhörung haben erkennen lassen, daß Einrichtung und Funktion der Deputationen ganz unterschiedlich bewertet werden. Das Spektrum der Vorschläge reicht von ihrer ersatzlosen Aufhebung bis zu ihrem unveränderten Erhalt. Die Beurteilung differiert zwischen Regierungsparteien einerseits und Oppositionsparteien andererseits. Für die Regierungsparteien sind Deputationen ein Instrument neben anderen, an politischen Entscheidungen der Exekutive teilzunehmen. Ihnen fallt es leichter, auf sie zu verzichten und statt dessen eine Stärkung der Stellung der bürgerschaftlichen Ausschüsse zu verlangen. Für die Opposition stellen Deputationen Mitwirkungsmöglichkeiten und Informationsquellen zur Ausübung der Kontrollrechte der Bürgerschaft selbst dar. Wieder andere messen der Tradition der Deputationen einen hohen Eigenwert zu. 128

Für die Kommission hat vor allem das Ziel Bedeutung, das Artikel 56 VerfHA und damit die Deputationen verfolgen. Durch die ehrenamtliche Mitwirkung der Bevölkerung an der Verwaltung sollen das Vertrauensverhältnis zwischen beiden gefordert, das Interesse für Fragen des öffentlichen Lebens und der politischen Arbeit geweckt, unterschiedliche Interessen ausgeglichen, der Kontakt der Verwaltung mit vielen Lebensbereichen vertieft und die Bevölkerung über Vorgänge und Zusammenhänge in der Verwaltung informiert werden. Die Vorgänge sollen damit durchschaubarer und die Entscheidungen der Verwaltung verständlicher gemacht werden. Die Verwirklichung dieser Ziele hält die Kommission für erstrebenswert, auch wenn mit der Tätigkeit der Deputationen bürokratischer Aufwand verbunden ist und die Deputationen aufgrund eines mittlerweile eingetretenen Funktionswandels weniger als früher geeignet erscheinen, diese Ziele zu erreichen. Gleichwohl ist die Kommission zu keinen anderen Feststellungen gekommen, als denen, die der Haas-Bericht enthält. Die Kommission teilt den dort gezogenen Schluß, daß die Fachbehörden und Deputationen in Anpassung an die veränderten Verhältnisse Funktionen und Formen der Deputationsarbeit gefunden haben, die zwar im Vergleich zueinander Unterschiede aufweisen, aber den Bedürfnissen der jeweiligen Behörde angepaßt sind. Aus der Würdigung all dieser Umstände ergibt sich für die Kommission kein durchschlagender Grund für eine Empfehlung des Inhalts, die Deputationen nur in modifizierter, etwa beratender Funktion aufrechtzuerhalten oder sie gar vollständig abzuschaffen, bb) Beamtenernennungsausschuß Artikel 45 VerfHA regelt die Ernennung, Beförderung und Entlassung von Beamten. Er hat folgenden Wortlaut: (1) Der Senat ernennt, befördert und entläßt die Beamten. Er kann dieses Recht auf andere Stellen übertragen. (2) Die Ernennung und Beförderung der Beamten erfolgt auf Vorschlag eines Ausschusses, der aus drei Beamten des höheren Dienstes und vier bürgerlichen Mitgliedern besteht. Die bürgerlichen Mitglieder werden durch die Bürgerschaft auf die Dauer von drei Jahren berufen. Das Vorschlagsrecht des Beamtenernennungsausschusses bezieht sich nicht nur auf die Beamten des „Senats", sondern auch auf die der Bürgerschaft. Artikel 18 Absatz 2 Satz 3 129

VerfHA schließt allein die Anwendung des Artikels 45 Absatz 1 VerfHA aus. Besonderheiten gelten gemäß Artikel 47 Absatz 1 VerfHA für die Staatsräte und nach Artikel 71 Absätze 2 und 3 Satz 3 in Verbindung mit Artikel 31 Absatz 3 VerfHA für die Mitglieder des Rechnungshofs. Der Beamtenernennungsausschuß schlägt die Ernennung und Beförderung der Beamten dem Senat vor. Das Bundesverfassungsgericht hat im Beamtenernennungsausschuß wegen der in Artikel 45 Absatz 2 VerfHA vorgesehenen Zusammensetzung einen „Sonderfall verstärkter parlamentarischer Kontrolle der Beamtenernennungen" gesehen 1 ). Die Vorschläge des Beamtenernennungsausschusses binden den Senat in seinen Entscheidungen rechtlich nicht. Für den Beamtenernennungsausschuß gilt das Verdikt des Bundesverfassungsgerichts über die unabhängige Schiedsstelle, die Gegenstand der genannten Entscheidung war, daher nicht. Nicht zu verkennen ist allerdings, daß ablehnende Beschlüsse des Beamtenernennungsausschusses es dem Senat verwehren, davon abweichend Ernennungsbeschlüsse zu fassen. Insoweit ist der Senat an das Votum des Ausschusses gebunden, der seinerseits dafür parlamentarisch nicht zur Verantwortung gezogen werden kann. Seine Mitglieder sind weisungsunabhängig. Die bürgerlichen Mitglieder können nicht vor Ablauf der Dauer der Zeit, für die sie gewählt worden sind, abberufen werden. Der Beamtenernenungsausschuß kann sich, im Unterschied z.B. zu den Deputationen, nicht an historische Vorbilder anlehnen. Erstmals hatte ihn Artikel 15 der Vorläufigen Verfassung der Hansestadt Hamburg von 1946 vorgesehen. Der erste Entwurf einer Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg folgte dem in seinem Artikel 65. Artikel 44 des folgenden Entwurfs hat diese Bestimmung nicht übernommen. Der weitere Senatsentwurf griff auf Artikel 15 der Vorläufigen Verfassung wieder zurück mit der Begründung, die Einrichtung eines Beamtenernennungsausschusses habe sich bewährt. Hierbei ist es im Ergebnis geblieben. Weder das Grundgesetz noch die Verfassung der übrigen Länder kennen eine vergleichbare Einrichtung. Die Entstehungsgeschichte des Artikels 45 Absatz 2 VerfHA zeigt, daß der Ausschuß 1946 in dem Bestreben geschaffen 1

) BVerfGE 9, 268 (283).

130

wurde, hamburgische Beamte nach rein sachlichen Gesichtspunkten zu ernennen und zu befördern. Dieses Ziel sollte dadurch sichergestellt werden, daß Ernennungs- und Beförderungsvorschläge das Nadelöhr des Beamtenernennungsausschusses zu passieren hatten und nicht unmittelbar an den Senat gerichtet werden sollten. Im Interesse dieses Ziels liegt die Weisungsunabhängigkeit und Nichtabrufbarkeit der Mitglieder des Ausschusses. In der Praxis legen die Behörden ihre Ernennungs- und Beförderungsvorschläge dem Senatsamt für den Verwaltungsdienst vor. Die Vorschläge, die das Senatsamt billigt, gehen an den Beamtenernennungsausschuß. Er entscheidet daher über bereits von der Verwaltung vorgeprüfte Vorschläge. Das Verfahren fuhrt dazu, daß der Beamtenernennungsausschuß nur eine Zwischenstufe auf dem Weg zur Senatsentscheidung darstellt. Seine Entscheidungen trifft der Beamtenernennungsausschuß auf der Grundlage der Vorlagen des Senatsamtes. Eigene Kenntnis kann er sich selbst praktisch nicht verschaffen. Dies schließt schon die hohe Zahl von vielen tausend Ernennungen und Beförderungen im Jahr aus. Die Mitwirkung der Deputationen in Personalangelegenheiten trägt bereits dem mit dem Beamtenernennungsausschuß verfolgten Zweck genügend Rechnung. Die Beschränkung darauf stärkt die verfassungsrechtlich gebotene Personalhoheit des Senats über die Beamten als einen wesentlichen Teil der Regierungsgewalt. Dem Senat steht das Letztentscheidungsrecht auch gegenüber den Deputationen zu. Er kann Ernennungen und Beförderungen auch dann beschließen, wenn eine Deputation sie zuvor abgelehnt hat. Diese Möglichkeit besitzt der Senat gegenüber ablehnenden Beschlüssen des Beamtenernennungsausschusses nicht. Die Kommission schlägt die ersatzlose Aufhebung des Artikels 45 Absatz 2 VerfHA vor. c) Haushaltsverfassungsrecht aa) Nachbewilligungsrecht In Hamburg bedarf grundsätzlich jede über- oder außerplanmäßige Ausgabe der vorherigen Zustimmung durch die Bürgerschaft. Die verfassungsrechtliche Grundlage findet sich in Artikel 68 VerfHA. Dort ist festgelegt: „Nachbewilligungen von Haushaltsmitteln bedürfen eines Beschlusses der Bürgerschaft." Damit hat sich die Bürgerschaft abweichend von der Praxis 131

des Bundes und anderer Länder sehr weitgehend die Steuerung allen Haushaltsgeschehens auch im Detail vorbehalten. Während die Finanzminister des Bundes und der anderen Bundesländer ermächtigt sind, in bestimmten Fällen überund außerplanmäßigen Ausgaben im Laufe eines Haushaltsjahres zuzustimmen, besteht eine derartige Ermächtigung in Hamburg nicht oder nur zur Abwendung unmittelbar bevorstehender Gefahren oder erheblicher Schäden. Sie ist damit praktisch auf Notfälle beschränkt. Nur in Sonderfällen und im Rahmen eines Betrages, den die Bürgerschaft festlegt, kann der Bürgerausschuß Ausgaben genehmigen. Laut Artikel 31 Absatz 2 Nummer 1 VerfHA ist er befugt, auf Antrag des Senats Ausgaben bis zur Grenze des ihm von der Bürgerschaft zur Verfügung gestellten Betrages zu genehmigen. Die Verfassung kennt keine Ermächtigung zu Notausgaben entsprechend dem Artikel 112 GG in der näheren Ausgestaltung durch § 37 BHO, nicht zugunsten des Gesamtsenats und nicht zugunsten des Finanzsenators. § 37 LHO regelt nur Fälle von übergesetzlichen Notständen. § 37 LHO gestattet Einschränkungen des parlamentarischen Ausgabenbewilligungsrechts in deutlich engeren Grenzen als der § 37 BHO/LHO der übrigen Länder. Für den Bereich, um den § 37 BHO/LHO den § 37 LHO-Hamburg überschreitet, besteht in Hamburg das parlamentarische Bewilligungsrecht anstelle des Notermächtigungsrechts des Bundes- bzw. der Länderfinanzminister/-senatoren. Aber selbst in dem engen Rahmen, den § 37 LHO-Hamburg zieht, steht das Recht des Senats zur zwischenzeitlichen Haushaltsüberschreitung unter dem Vorbehalt, daß die Ausgaben nicht bis zur Bewilligung durch die Bürgerschaft oder bis zur Genehmigung durch den Bürgerausschuß zurückgestellt werden können. Hat der Senat unter den Voraussetzungen des § 37 Absatz 1 LHO Ausgaben bewilligt, muß er gemäß § 37 Absatz 2 Satz 2 LHO unverzüglich die Bewilligung durch die Bürgerschaft oder die Genehmigung durch den Bürgerausschuß nachträglich beantragen. Die Hamburger Verfassung legt mit Artikel 68 und Artikel 31 Absatz 2 Nummer 1 das Nachbewilligungsrecht im Sinne des Vorherigkeits-, Ausschließlichkeits- und Vollständigkeitsprinzips verfassungsrechtlich zugunsten der Bürgerschaft fest. 132

§ 37 L H O erlaubt für seinen engen tatbestandlichen Anwendungsbereich allein eine Ausnahme vom Vorherigkeitsgrundsatz. Er enthält insbesondere keine Ausnahme von Artikel 66 Absatz 1 VerfHA, der das Recht zur Ausgabenbewilligung ausschließlich der Bürgerschaft zuweist. § 37 Absatz 2 Satz 2 L H O sichert dieses Recht auch bei Haushaltsüberschreitungen gemäß § 37 Absatz 1 L H O , der damit nicht mehr als ein zwischenzeitliches Überschreitungsrecht begründet. Liegen die Voraussetzungen des § 37 L H O nicht vor, muß der Senat Nachbewilligungen entweder gemäß Artikel 68 VerfHA bei der Bürgerschaft oder nach Artikel 31 Absatz 2 Nummer 1 VerfHA beim Bürgerausschuß beantragen. Für den Bereich, um den sich § 37 B H O / L H O der übrigen Länder von § 37 LHO-Hamburg unterscheidet, liegt das „Notbewilligungsrecht" entweder bei der Bürgerschaft selbst oder im Falle ihrer nicht rechtzeitigen Erreichbarkeit beim Bürgerausschuß. Die Bürgerschaft hat bei den Beratungen über die Schaffung der Landeshaushaltsordnung 1971 einhellig die Auffassung vertreten, daß die Fälle, die im Bund und in den Ländern unter § 37 B H O / L H O fallen, in Hamburg dagegen nicht, deshalb von Artikel 68 und Artikel 31 Absatz 2 Nummer 1 VerfHA abgedeckt werden müßten, weil zu befürchten sei, daß anderenfalls der Senat eine Ausgabenermächtigung allzu großzügig handhaben und auf politisch interessante und bedeutsame Fälle ausdehnen könnte. Die Zahl der Nachbewilligungsanträge lag in den Jahren 1981 bis 1986 zwischen 70 und 161 jährlich. Das Volumen der einzelnen Anträge lag zwischen 11 000 3MI und 24 Millionen SM. Die Kommission sieht Mängel in der Regelung des Nachbewilligungsrechts zunächst im Anwendungsbereich des § 37 LHO. In der Praxis wird der Anwendungsbereich des § 37 L H O auf Fälle ausgedehnt, in denen z . B . Baustellen stillgelegt oder Zwangsvollstreckungsmaßnahmen durchgeführt werden würden, bevor ein Genehmigungsbeschluß des Bürgerausschusses vorliegt. Der Haushaltsausschuß der Bürgerschaft hat dem Senat darin zugestimmt, daß Nachteile und Mehrkosten, die in den genannten Fällen eintreten können, als Schaden im Sinne des § 37 Absatz 1 Satz 1 L H O anzusehen sind. Der Senat erfüllt zudem rechtliche Verpflichtungen auch 133

dann, wenn keine Haushaltsmittel zur Verfugung stehen. Er stützt sich dabei auf § 3 Absatz 2 L H O , demzufolge der Haushaltsplan keine Ansprüche aufhebt. Die Erfüllung rechtlicher Verpflichtungen wird als Notfall im Sinne des § 37 Absatz 1 Satz 1 L H O angesehen. § 37 L H O wird damit in einer Weise extensiv ausgelegt, die der Rechnungshof der Freien und Hansestadt Hamburg als verfassungsrechtlich bedenklich bewertet. Aus diesem Grund besteht das Risiko verfassungsgerichtlicher Auseinandersetzungen. Artikel 66 Absatz 1 VerfHA erhält damit eine Einschränkung, die nur einfachgesetzlicher Regelung kaum noch zugänglich ist. Auch aus diesem Grund besteht das Risiko eines Verfahrens vor dem Hamburgischen Verfassungsgericht zur Überprüfung der Auslegung oder Anwendung des § 37 LHO. Problematisch ist weiter, daß der Bürgerausschuß einen Senatsantrag nicht genehmigen kann, wenn die ihm dazu von der Bürgerschaft zur Verfügung gestellten Mittel nicht ausreichen. Diese Mittel beliefen sich z.B. für das gesamte Haushaltsjahr 1987 auf sieben Millionen SM Kassenmittel zuzüglich zwei Millionen SM. Rest aus dem Haushaltsjahr 1986 und auf acht Millionen SM für Verpflichtungsermächtigungen. Sie müssen für alle Ausgabengenehmigungen des Bürgerausschusses herhalten, nicht nur für dringliche Anträge gemäß Artikel 31 Absatz 2 Nummer 1 lit. b VerfHA. Mit fortlaufendem Haushaltsjahr verringern sich diese Mittel, so daß in der zweiten Jahreshälfte nicht immer gewährleistet sein muß, daß der Senat die Genehmigung für eine dringliche Ausgabe, insbesondere größeren Umfangs, erhält. Die Bürgerschaft selbst aber steht nicht in jedem Fall rechtzeitig dafür zur Verfügung, eine Aufstockung der Mittel des Bürgerausschusses zu beschließen. Diesen Risiken wird in der Praxis dadurch begegnet, daß nach § 37 L H O auch dann verfahren wird, wenn die Mittel nicht mehr ausreichen. In diesem Fall ist der Bürgerausschuß zu hören. Damit wird § 37 L H O eine Auslegung gegeben, mit der auf die Einhaltung seiner engen tatbestandlichen Voraussetzungen weitgehend verzichtet wird. Rechtliche Verbindlichkeit kann eine derartige Auslegung mittels der Verwaltungsvor134

Schriften, auf denen die genannte Praxis beruht, ohnehin nicht erhalten. Diese Auslegung und eine dementsprechende Anwendung des § 37 L H O birgt ebenfalls das Risiko verfassungsgerichtlicher Auseinandersetzungen. Die Kommission empfiehlt die Einführung eines Notbewilligungsrechts des Finanzsenators. Die inhaltliche Ausgestaltung sollte der Rechtslage folgen, die im Bund und in den übrigen Ländern gilt. Ziel ihrer Empfehlung ist die Sicherstellung jederzeitiger Handlungsfähigkeit der Stadt in Notlagen. Handeln muß die Exekutive. Sie muß die Ausgaben leisten. Die Handlungsfähigkeit der Exekutive ist aber eingeschränkt, wenn die Leistung von Ausgaben weitestgehend von der Bewilligung durch das Parlament abhängt. Nach Auffassung der Kommission sichert eine Änderung des Artikels 68 VerfHA nach dem Vorbild des Artikels 112 G G und des § 37 L H O gemäß dem § 37 BHO/LHO der übrigen Länder die erforderliche Handlungsfähigkeit der Stadt. Diese Änderungen beheben zugleich die verfassungsrechtlichen Bedenken, die gegen die gegenwärtige Praxis des geltenden § 37 L H O erhoben worden sind, und die Auslegungsprobleme, die er verursacht. Die Änderungen werden zudem erhebliche Verfahrensvereinfachungen mit sich bringen. Die Kommission empfiehlt weiter, im Bereich der Exekutive den Finanzsenator mit dem Notbewilligungsrecht auszustatten. Sie hat keine letztlich stichhaltigen Gründe dafür erkennen können, derentwegen allein Hamburg eine vom Bund und allen übrigen Ländern insoweit abweichende Regelung, nämlich zugunsten des Gesamtsenats, haben sollte. Die überwiegenden Gründe sprechen für ein Notbewilligungsrecht in der Hand des Finanzsenators. Das Notbewilligungsrecht des Finanzsenators reduziert Verfahrensabläufe innerhalb der Verwaltung. Nicht nur die Vorlagen an das Parlament, sondern auch die an den Senat entfallen. Der Haas-Bericht ist deshalb ebenfalls zu der Überzeugung gelangt, ein „Nachbewilligungsrecht" des Finanzsenators vorzuschlagen. Gleichzeitig dürfte mit dem Notbewilligungsrecht des Finanzsenators anstelle des Senats die Befürchtung der Bürgerschaft an Gewicht verlieren, der Senat könnte eine Ausgabenermächtigung allzu großzügig handhaben und auf politisch interessante und bedeutsame Fälle ausdehnen. 135

Mit der Einführung des Notbewilligungsrechts des Finanzsenators wird das geltende Kollegialprinzip für diesen Bereich eingeschränkt. Der Finanzsenator wird damit als einziges Mitglied in der Verfassung genannt, sieht man von den Aufgaben ab, die Artikel 41 VerfHA dem Präsidenten des Senats und seinem Stellvertreter zuweist. Die darin liegende Stärkung des Ressortprinzips findet ihr Gegengewicht im Vorschlag der Kommission für eine Richtlinienkompetenz des Präsidenten des Senats (vgl. S. 44 ff.). Die Empfehlungen haben im Fall ihrer Verwirklichung zur Konzequenz, daß dem Bürgerausschuß der Kern seiner Aufgaben genommen würde. Es stellt sich aus diesem Grund die von der Kommission allerdings nicht zu beantwortende Frage nach der weiteren Existenzberechtigung des Bürgerausschusses insgesamt. bb) Ausgabe- und einnahmewirksame Beschlüsse der Bürgerschaft Artikel 69 VerfHA steht in unmittelbarem Zusammenhang mit Artikel 68 VerfHA. Die Vorschrift lautet: Auf Beschlüsse der Bürgerschaft, die auf Anträgen aus der Mitte der Bürgerschaft beruhen und die Ausgaben in sich schließen oder für die Zukunft mit sich bringen, für die Mittel im Haushaltsplan nicht vorgesehen sind, sowie auf Beschlüsse der Bürgerschaft, die vom Senat eingebrachte Anträge auf Nachbewilligungen ändern, finden Artikel 49 Absatz 2 und Artikel 50 entsprechende Anwendung. Artikel 69 VerfHA findet Anwendung auf Beschlüsse über Nachbewilligungsanträge, seien es solche aufgrund einer Initiative aus der Mitte der Bürgerschaft, seien es Senatsanträge. Er gilt nicht für Änderungen des Haushaltsplans oder eines Nachtragshaushalts im Zuge ihrer jeweiligen Beratung. Artikel 69 VerfHA setzt vielmehr einen festgestellten Haushaltsplan voraus. Der Sinn der Anwendung der geltenden Artikel 49 Absätze 2 und 3 sowie Artikel 50 VerfHA auf Beschlüsse nach Artikel 69 VerfHA liegt darin, einer etwa bestehenden Gefahr zu großer Ausgabenfreudigkeit der Bürgerschaft zu begegnen. Als zwingende Konsequenz aus der Empfehlung der Kommission zum Notbewilligungsrecht, nämlich auf Einzelnachbewilligungen zu einem festgestellten Haushaltsplan zu verzichten, ergibt sich, daß Artikel 69 VerfHA aufzuheben ist. In einen festgestellten Haushaltsplan kann allerdings nicht nur durch Nachbewilligungen eingegriffen werden, sondern 136

auch durch Gesetze. Sie können Ausgabenerhöhungen oder Einnahmeminderungen verbindlich vorschreiben. Nur sie sind Gegenstand der Überprüfung und Empfehlung der Kommission im Zusammenhang mit Artikel 69 VerfHA, dies auch nur, soweit sie sich auf einen laufenden Haushaltsplan beziehen, nicht dagegen auf zukünftige noch nicht festgestellte Haushaltspläne. Nicht dazu gehören Ausgabenerhöhungen oder Einnahmeminderungen, die auf Beschlüssen der Bürgerschaft während der Beratungen eines noch nicht festgestellten Entwurfs eines Haushaltsplans oder Nachtragshaushalts beruhen. Für ausgabenerhöhende oder einnahmemindernde Gesetze ist festzustellen, daß die Bürgerschaft sie beschließen kann, ohne daß der Senat sie daran hindern kann, dies unabhängig davon, ob den Empfehlungen der Kommission zu den Artikeln 49 Absatz 2 und Artikel 50 VerfHA gefolgt wird oder nicht (vgl. S. 127 f.). Die Verfassung kennt keine dem Artikel 113 G G vergleichbare Bestimmung, die als Wirksamkeitserfordernis für haushaltswirksame Gesetze die Zustimmung der Bundesregierung vorschreibt. Nach geltendem Recht unterliegen derartige Gesetze in Hamburg nicht dem Deckungsgebot. Im Unterschied zur Rechtslage in Hamburg schreiben die Verfassungen der übrigen Länder für ausgabenerhöhende Gesetze durchweg ein Deckungsgebot vor, die Verfassungen Baden-Württembergs und Rheinland-Pfalz' zusätzlich entsprechend dem Artikel 113 G G das Erfordernis der Zustimmung der Regierung. Einnahmemindernde Gesetze nehmen die Landesverfassungen in der Regel nicht zur Kenntnis. Wiederum allein die Verfassungen Baden-Württembergs und Rheinland-Pfalz' verlangen auch für sie die Zustimmung der Regierung, diejenigen Berlins und Schleswig-Holsteins Deckung. Ausgabenerhöhende oder einnahmemindernde Beschlüsse wirken auf ein festgeschriebenes System komplizierter Haushaltszusammenhänge, insbesondere auf eine bereits hergestellte Balance zwischen Ausgaben und Einnahmen. Beides beruht auf einer Fülle bereits getroffener Einzelentscheidungen der Bürgerschaft in Ausübung ihres Haushaltsbewilligungsrechts und von Senatsentscheidungen bei der Aufstellung des Entwurfs des Haushaltsplans. Nachträgliche haushaltswirksame Gesetze zwingen dazu, innerhalb eines festgestellten Haushaltsplans die Balance zwi137

sehen Ausgaben und Einnahmen wieder herzustellen. Dies erfordert die Revision einer möglicherweise großen Zahl von Einzelentscheidungen zu einzelnen Ausgabe- und Einnahmepositionen. Die Exekutive muß bei ausgabeerhöhenden Leistungsgesetzen für Deckung in anderen Bereichen sorgen und deswegen unter Umständen die Ausführung von anderen Aufgaben unterlassen, um die dafür vorgesehenen Mittel für die Deckung der erhöhten Ausgaben bereitstellen zu können. Einnahmeminderungen müssen ebenfalls zu Ausgabeminderungen in anderen Bereichen führen und damit möglicherweise zur Nichtausführung beschlossener Aufgaben. Die Exekutive wird damit zu Eingriffen in den Haushaltsplan in der Phase des allein bei ihr liegenden Haushaltsvollzuges gezwungen. Die Bürgerschaft ihrerseits ergreift mit derartigen Beschlüssen das Bewilligungsrecht erneut, das sie für das laufende Haushaltsjahr bereits ausgeübt hatte. Die Kommission empfiehlt, für ausgabeerhöhende und einnahmemindernde Gesetze, die Geltung für einen bereits festgestellten Haushaltsplan haben, ein Deckungsgebot vorzusehen.

138