Die Rechtsstellung der Bezirke in den Stadtstaaten Berlin und Hamburg [1 ed.] 9783428500628, 9783428100620

Die Autorin untersucht das Verhältnis der Bezirke zur Hauptverwaltung in den Stadtstaaten Hamburg und Berlin, das trotz

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German Pages 276 Year 2000

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Die Rechtsstellung der Bezirke in den Stadtstaaten Berlin und Hamburg [1 ed.]
 9783428500628, 9783428100620

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ANNA DEUTELMOSER

Die Rechtsstellung der Bezirke in den Stadtstaaten Berlin und Hamburg

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 835

Die Rechtsstellung der Bezirke in den Stadtstaaten Berlin und Hamburg

Von Anna Deutelmoser

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Deutelmoser, Anna: Die Rechtsstellung der Bezirke in den Stadtstaaten Berlin und Hamburg / Anna Deutelmoser. Berlin : Duncker und Humblot, 2000 (Schriften zum öffentlichen Recht ; Bd. 835) Zugl.: Berlin, Humboldt-Uni v., Diss., 1999 ISBN 3-428-10062-X

Alle Rechte vorbehalten © 2000 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428- 10062-X Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier

entsprechend ISO 9706 θ

Vorwort Das Verhältnis der Bezirke zur Hauptverwaltung in den Stadtstaaten Berlin und Hamburg ist seit jeher umstritten. Diese Arbeit zeigt die Grundproblematik auf, untersucht die bisherige Rechtslage sowie die jüngsten Bezirksverwaltungsreformen und versucht für die Zukunft zu klären, ob bezirkliche Selbstverwaltung mit dem Prinzip der stadtstaatlichen Einheitsgemeinde vereinbar ist. Schließlich wird den verfassungs- und europarechtlichen Vorgaben für die innerstaatliche Gliederung Berlins und Hamburgs nachgegangen. Die Juristische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin hat die vorliegende Arbeit im Wintersemester 1998/99 als Dissertation angenommen. Die Arbeit ist auf dem Stand Januar 2000. Meinem Doktorvater, Prof. Dr. Ulrich Battis, danke ich für zahlreiche Anregungen und lebhafte Diskussionen während der Arbeit an meiner Dissertation und davor, während meiner Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin an seinem Lehrstuhl. Herrn Prof. Dr. Gunnar Folke Schuppert danke ich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Ganz herzlich möchte ich mich schließlich bei meinen Freunden und Eltern für ihre Hilfe und Unterstützung bedanken, namentlich bei Dr. Katharina Kollmann, Dagmar Rudolph, Dr. Kilian Bälz und ganz besonders bei Bernhard Maluch. Die Arbeit ist meinen Eltern gewidmet. London, Januar 2000

Anna Deutelmoser

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

15

I. Das Thema und sein wissenschaftliches Umfeld II. Der Gegenstand der Untersuchung

15 20

III. Fragestellung und Darlegung des Untersuchungsplans

20

Erster Teil Die Untersuchungsobjekte Berlin und Hamburg A. Der Begriff Stadtstaat

23 23

I. Die Entwicklung bis 1945: Die Stadtstaaten im weiteren Sinn

23

II. Die Entwicklung nach 1945: Die Stadtstaaten im engeren Sinn

27

III. Die Entstehung des Dogmas der stadtstaatlichen Einheitsverwaltung

B. Realisierbarkeit der kommunalen Selbstverwaltung in Stadtstaaten und sonstigen Großkommunen I. Vergleichbarkeit der Problemlage II. Kommunale Selbstverwaltung in Großstädten

28

29 29 31

1. Das „Problem"

31

2. Die „Lösung"?: Die Errichtung von städtischen Untergliederungen

33

III. Stadtstaatliche Sonderprobleme

C. Dezentralisation, Dekonzentration und Selbstverwaltung I. Begriffliches II. Funktionen der verschiedenen Organisationsprinzipien

35

38 38 42

8

Inhaltsverzeichnis III. Dezentralisation im Sinne des Neuen Steuerungsmodells

44

IV. Kommunalisierung der Verwaltungsaufgaben als Form der Dezentralisation in den zweistufigen Landesverwaltungen der Flächenstaaten

47

D. Berlin I. Einführung II. Tatsächliche Hintergründe III. Geschichtliche Entwicklung bis 1945

48 48 55 58

1. Von der Stein'schen Städteordnung bis zum Erlaß des Zweckverbandgesetzes

58

2. Das Groß-Berlin-Gesetz von 1920

61

3. Die Novelle von 1931

64

4. Die Zeit des Nationalsozialismus

65

IV. Geschichtliche Entwicklung nach 1945

65

1. Die Entstehung des Stadtstaates im weiteren und engeren Sinne

65

2. Die Reform von 1958

68

3. Die Reform von 1971

70

4. Allgemeine geschichtliche Entwicklung

71

a) Wiedervereinigung, Hauptstadtbeschluß und gescheiterte Fusion mit Brandenburg !

71

b) „Berlin, Unternehmen Verwaltung"

73

V. Reformansätze seit 1982

77

1. Der Bericht der Enquete-Kommission

77

2. Vorschläge der Enquete-Kommission zur Stärkung der bezirklichen Selbstverwaltung

78

3. Konzepte der Oppositionsparteien

81

4. Vorschläge des Rats der Bürgermeister

82

5. Bewertung der Reformansätze

83

VI. Bezirkliche Selbstverwaltungsrechte vor und nach 1994

84

1. Senatsvorlage für Inneres 1992

87

2. Normenkontrollverfahren (Art. 84 II Nr. 3 BerlVerf, §§ 14 Nr. 9, 57 VerfGHG)

89

Inhaltsverzeichnis 3. Der Subsidiaritätsgrundsatz (Art. 671, II BerlVerf)

90

a) Aufgabenverlagerung in die Bezirke

91

b) Verhältnis des Subsidiaritätsgrundsatzes zu Art. 67 III BerlVerf

93

4. Rechtssetzungsautonomie im Bauplanungsrecht

96

5. Aufsichtsrechte gegenüber den Bezirken

99

a) Bezirksaufsicht

100

b) Eingriffsrecht

100

6. Globalsummenzuweisung

103

7. Organisationshoheit

105

8. Zusammenfassung

105

VII. Institutionelle Garantie und subjektiv-öffentliches Recht auf bezirkliche Selbstverwaltung 106 1. Berliner Verfassungsgerichtshof

107

a) Die Urteile zur Wahl der Bezirksamtsmitglieder und zur 5%-Klausel

108

b) Landesschulamtsurteil

111

c) Sondervotum zum Urteil zur Wahl der Bezirksamtsmitglieder

112

2. Neuere Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Berlin

112

3. Literatur

114

4. Eigener Lösungsweg

118

a) Subjektiv-öffentliche Rechte von nichtrechtsfähigen Verwaltungseinheiten

118

b) Berliner Bezirke als Organe der Gebietskörperschaft Berlin?

120

c) Einrichtungsgarantie

124

d) Objektive Rechtsinstitutionsgarantie

125

e) Subjektive Rechtsstellungsgarantie

127

f) Zusammenfassung

127

VIII. Rechtsschutz der Bezirke

127

1. Eingriffe des Gesetzgebers

128

2. Verfassungsrechtliche Verfahren

128

a) Einführung

128

b) Verfassungsbeschwerde (Art. 84 II Nr. 5 BerlVerf, §§ 14, 49 ff. BerlVerfGHG)

129

c) Organstreitverfahren (Art. 84 II Nr. 1 BerlVerf, §§ 14, 36 BerlVerfGHG) ... 131

10

Inhaltsverzeichnis 3. Verwaltungsrechtliche Verfahren

133

a) Innerbezirkliche Organstreitverfahren

134

b) Verfahren gegen Eingriffe der Hauptverwaltung

135

4. De lege ferenda

E. Hamburg I. Einführung

136

137 137

II. Geschichtliche Entwicklung bis 1937

141

III. Geschichtliche Entwicklung nach 1937

142

1. Die Beibehaltung der Einheitsgemeinde nach dem Krieg

144

2. Die Novelle des Bezirksverwaltungsgesetzes von 1978

145

IV. Reformansätze seit 1982

146

1. Vorschläge der Haas-Kommission zur Stärkung der Eigenständigkeit der Bezirksebene 147 2. Konzepte der Parteien

149

3. Bürgerbegehren und Bürgerentscheid

152

4. „Verwaltungsmodernisierung"

154

V. Bezirksverfassung vor und nach 1997 1. Einführung

155 155

2. Die Novellen des Bezirksverwaltungsgesetzes vom 11. Juni 1997 und vom 29. Oktober 1997 156 a) Die Aufgabenverteilung zwischen Fachbehörde, Senat und Bezirksverwaltung

156

b) Befugnisse und rechtliche Einordnung der Bezirksvertretungen

158

c) Bezirksaufsicht/Globalsteuerung

162

d) Rahmenmittelzuweisungen

163

e) Zusammenfassung

164

VI. Bezirkliche Selbstverwaltung in Hamburg

164

1. De lege lata

164

2. De lege ferenda

166

Inhaltsverzeichnis VII. Rechtsschutz der Bezirke

169

1. Einführung

169

2. Innerbezirkliche Organstreitverfahren

170

a) Rechtsprechung der Hamburger Verwaltungsgerichte

170

b) Literatur

171

c) Stellungnahme

171

3. Verwaltungsgerichtliche Verfahren gegen Eingriffe des Senats und der Fachbehörden

171

4. De lege ferenda

173

F. Konzepte zur verwaltungsorganisatorischen Aufgliederung in anderen europäischen Großstädten 173 I. London und Brüssel

174

II. Wien

176

1. Wien als Stadtstaat im weiteren und engeren Sinn

176

2. Verwaltungsaufbau allgemein

177

3. Bezirksebene

178

III. Moskau

179

1. Moskau als Stadtstaat im weiteren und engeren Sinn

179

2. Verwaltungsaufbau / Garantie der bezirklichen Selbstverwaltung

179

Zweiter Teil Verfassungs- und europarechtliche Vorgaben

A. Stadtstaatliche Einheitsverwaltung und das Prinzip der Einheit der Verwaltung I. Das Dogma der Einheit der Verwaltung II. Die Forderung nach Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse

B. Demokratieprinzip und bezirkliche Selbstverwaltung I. Zum Verhältnis von Demokratie und Selbstverwaltung 1. Die Entwicklung des Meinungsstandes

182

182 183 186

188 188 188

12

Inhaltsverzeichnis 2. Die Begründungen im einzelnen

192

a) Historisches Verständnis

192

b) Verfassungsrechtliche Aussagen

193

c) Demokratietheoretische Begründung

194

II. Politologische Ansätze

194

1. Die responsive Demokratie

196

2. Die civil society

197

III. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der unmittelbaren Legitimierung der Bezirksvertretung durch das Bezirksvolk 1. Das etatistische Demokratieverständnis des Bundesverfassungsgerichts

198 199

2. Böckenförde als Vertreter des etatistischen Demokratiekonzepts der Literatur 200 3. Die Vertreter eines pluralistischen Demokratieverständnisses

202

4. Die Argumente im einzelnen

205

5. Stellungnahme

208

C. Homogenitätsgebot der gegliederten Demokratie auch für Stadtstaaten? I. Pflicht zur Bildung von rechtsfähigen Gebietskörperschaften? II. Pflicht zur Bildung von teilrechtsfähigen bezirklichen Selbstverwaltungskörperschaften?

209 209

211

1. Die gegliederte Demokratie (Art. 2812, II GG)

213

2. Funktionen der gegliederten Demokratie

214

3. Demokratietheoretische Begründung des Bundesverfassungsgerichts

217

III. Stellungnahme

D. Das kommunalrechtliche Subsidiaritätsprinzip I. Einführung II. Traditionelles versus funktionelles Selbstverwaltungsverständnis

218

218 218 219

III. Kritik am funktionellen Selbstverwaltungsverständnis

221

IV. Die Rastede-Entscheidungen

222

1. Das Bundesverwaltungsgericht

223

2. Das Bundesverfassungsgericht

223

Inhaltsverzeichnis V. Oberverwaltungsgerichtliche Rechtsprechung und Literatur VI. Stellungnahme

E. Das allgemeine Subsidiaritätsprinzip I. Einführung II. Historische Wurzeln III. Verankerung des allgemeinen Subsidiaritätsprinzips im Grundgesetz?

225 226

227 227 230 230

1. Einführung

230

2. Wissenschaftliche Diskussion in den 60er Jahren

232

3. Kritik

233

4. Heutiger Meinungsstand

236

F. Das Subsidiaritätsprinzip in Art. 5 II EG-Vertrag und Art. 2311 GG

237

G. Pflicht zur Bildung von kommunalen Vertretungskörperschaften nach Art. 19 I EGVertrag in Stadtstaaten? 241

Zusammenfassung in Thesen

246

Literaturverzeichnis

252

Sachverzeichnis

272

Einleitung I. Das Thema und sein wissenschaftliches Umfeld Berlin, Hamburg und Bremen werden im allgemeinen Sprachgebrauch als Stadtstaaten bezeichnet. Im Gegensatz zu Bremen besitzen Berlin und Hamburg nicht nur einen Doppelstatus als Land und Stadt, sondern sind zusätzlich einheitliche Gebietskörperschaften, in denen staatliche und gemeindliche Aufgaben nicht getrennt werden. Gleichzeitig sind Berlin und Hamburg in Bezirke aufgeteilt, in denen vom Bezirksvolk direkt gewählte Bezirksvertretungen bestehen. Aufgrund der fehlenden Rechtsfähigkeit der Bezirke wird für beide Stadtstaaten häufig der Begriff Einheitsgemeinde verwandt. In dieser Arbeit wird die Rechtsstellung der Bezirke innerhalb der Einheitsgemeinden Berlin und Hamburg untersucht. Auf eine Darstellung der innerstaatlichen Gliederung Bremens wird dagegen verzichtet. Bremen ist keine ungeteilte Gebietskörperschaft wie Hamburg und Berlin, sondern besteht aus insgesamt drei Gebietskörperschaften: dem Land sowie den beiden Städten Bremen und Bremerhaven. Beide sind, obwohl dazu die rechtliche Möglichkeit bestünde, nicht in Bezirke mit örtlich gewählten Bezirksvertretungen aufgeteilt. 1 In der politischen Ideengeschichte gilt von Plato über Montesquieu bis Rousseau der Stadtstaat als die ideale demokratische Staatsform. 2 Plato sah in der griechischen Polis die Verkörperung des demokratischen Urmodells, eine nach unserem heutigen Demokratieverständnis verklärende Beurteilung der griechischen Stadtstaaten.3 Rousseau hat seine Vorstellung von der Demokratie als Identität von Herrschenden und Beherrschten am Modell des überschaubaren Stadtstaates Genf entwickelt.4 Seitens der Rechtswissenschaft bezeichnet man die Freien Reichs1 Gemäß Art. 145 II der Verfassung der Hansestadt Bremen können die Gemeinden Bremen und Bremerhaven für die Verwaltung öffentlicher Angelegenheiten bestimmter Stadtteile, insbesondere der stadtbremischen Außenbezirke, durch Gemeindegesetz örtlich gewählte Bezirksvertretungen errichten. Die Stadt Bremen hat sich im Jahre 1989 für die Bildung sogenannter Ortsämter mit Beiräten entschieden (Ortsgesetz über Beiräte und Ortsämter vom 20. Juni 1989, Brem.GBl. S. 241 ff.). 2

Siehe hierzu Häußermann, Der Stadtstaat in der Bundesrepublik als Entwicklungsabgrenzung, 1994, S. 36,48. 3 Die Polis verstand sich zwar als Gemeinschaft der Einwohner, für die grundsätzlich die gleichen Rechte galten. Nicht zu den Einwohnern zählten aber bspw. Sklaven und Frauen und damit der überwiegende Teil der Bewohner. 4

Battis/Gusy,

Einführung in das Staatsrecht, 1991, Rn. 46.

16

Einleitung

städte sowie die drei Hansestädte Lübeck, Bremen und Hamburg, die Wurzeln der bundesrepublikanischen Stadtstaaten, als Gegenpositionen gegen die Herausbildung des Absolutismus auf deutschem Boden.5 Manche sehen heute in den Stadtstaaten ein mögliches Modell für eine zukünftige demokratische und territoriale Entwicklung der Europäischen Union.6 So beruht die Konzeption des Europas der Regionen auf der Vorstellung von kleineren Regionen mit umfassenden Entscheidungsbefugnissen; ein Konzept, in das sich die Stadtstaaten sinnvoll einfügen lassen.7 Trotz dieses demokratietheoretischen Potentials wird seit Bestehen der Bundesrepublik in regelmäßigen Abständen gefordert, das Bundesgebiet unter Einverleibung der Stadtstaaten in die sie umgrenzenden Flächenländer neuzugliedern. Diese Neugliederungsvorschläge werden meist mit verwaltungstechnischen und finanziellen Effektivitätsargumenten begründet. Insbesondere die territoriale Größe sowie die Probleme der Einbindung des Umlands werden als Argumente für die fehlende Effizienz der Stadtstaaten genannt.8 Unklarheit herrscht nicht nur über den Bestand, sondern auch über die Binnengliederung der Stadtstaaten. Bei der Frage nach der Ausgestaltung der Bezirksverfassung eines Stadtstaates steht man zunächst vor dem gleichen Grundproblem wie in jedem anderen Ballungsgebiet auch: dem Spannungsverhältnis zwischen der Notwendigkeit der Zentralisation zur Herstellung einer zumindest in Teilbereichen einheitlichen und überschaubaren Verwaltung einerseits und der aus verwaltungsorganisatorischen sowie demokratietheoretischen Gründen häufig geforderten Dezentralisation durch Schaffung einer eigenverantwortlichen bezirklichen Selbstverwaltungsebene andererseits. Werden Stadtstaaten oder sonstige Großkommunen in unselbständige, rein territoriale Verwaltungseinheiten aufgegliedert, dann wird eine Bürgerpartizipation durch Bildung von Bezirksvertretungen zugunsten einer einheitlichen Verwaltung ausgeschaltet. Bei einer Aufteilung in 5 Aus der Weimarer Zeit siehe Meyer-Anschütz, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, 1919, S. 466. Aus heutiger Sicht vgl. Gönnenwein, Gemeinderecht, 1963, S. 236; Schefold, Der Stadtstaat als demokratische Zukunftsperspektive, 1994, S. 17,23. 6 Krämer-Badoni, Chancen und Grenzen territorialer Autonomie, 1994, S. 11, 12; ders./ Petrowsky, Anmerkungen zum Stadtstaat als Demokratielabor, 1995, S. 18, 19. 7 Zu den unterschiedlichen Vorstellungen, die mit dem Begriff des Europas der Regionen verbunden werden, siehe nur Battis, Europa und die Landesverwaltung, 1993, S. 395, 397 ff. sowie Knemeyer, DVB1. 1990, 449 ff. Zum gemeinschaftsrechtlichen Subsidiaritätsprinzip (Art. 5 II EG-Vertrag) als „Grundsatz der größtmöglichen Berücksichtigung der Regionen" siehe Calliess, AöR, 121 (1996), 509 ff. Bis heute ist nicht geklärt, in welchem Verhältnis das Modell des Europas der Regionen zu den zentralisierten Kompetenzen der Europäischen Union steht. 8 Zur Zeit bestehen seitens der politisch Verantwortlichen keine konkreten Konzepte zur Neugliederung unter Auflösung der Stadtstaaten. Die beiden 1955 sowie 1973 vom Bundesminister des Inneren herausgegebenen Gutachten der Luther-Kommission und der ErnstKommission zur Neugliederung des Bundesgebiets sind wirkungslos geblieben. Siehe hierzu Schefold, Der Stadtstaat als demokratische Zukunftsperspektive, 1994, S. 17.

Einleitung

rechtsfähige Verwaltungseinheiten mit eigener Finanz-, Rechtssetzungs-, Personal- und Organisationshoheit sowie nur eingeschränkter Bezirksaufsicht stellt sich die Frage nach der Regierbarkeit der Stadt. Nach einer Äußerung des ehemaligen Hamburger Ersten Bürgermeisters von Dohnanyi, zu dem Vorschlag, die Bezirke Hamburgs den Gemeinden in Flächenstaaten anzugleichen, drohe die „Balkanisierung" der Stadt.9 Die Frage, wie dieses Spannungsverhältnis zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen ist, ist ein Dauerbrenner der politischen Diskussion in Berlin und Hamburg. Die unterschiedlichen Vorstellungen spiegeln sich in den zahlreichen, zum Teil stark divergierenden Reformvorschlägen der vergangenen Jahrzehnte wider. Die Forderungen reichen von einer Auflösung der Einheitsgemeinde durch Bildung rechtsfähiger Gemeinden bis zu Zentralmodellen mit lediglich dekonzentrierten Verwaltungseinheiten ohne gewählte Bezirksvertretungen. Auch bei den in den vergangenen Jahrzehnten durchgeführten Verwaltungsreformen spielte das Verhältnis von der Bezirks- zur Zentralebene eine wichtige Rolle. Konkrete Reformvorschläge zur Stärkung der Rechtsstellung der Bezirke wie beispielsweise die gesetzliche Einräumung einer Klagebefugnis gegen Aufsichtsmaßnahmen und Verwaltungsvorschriften des Senats, Stärkung der finanziellen Eigenverantwortung oder Gewährung von Rechtssetzungsbefugnissen wurden meist mit dem schlichten Hinweis auf das Prinzip der Einheitsgemeinde nicht umgesetzt. Aus diesem Grund ist es trotz des Bestehens von unmittelbar demokratisch legitimierten Bezirksvertretungen mit eigenen Entscheidungsrechten weder in Berlin noch in Hamburg zur Errichtung einer wirklich eigenständigen bezirklichen Selbstverwaltungsebene gekommen. Zur Zeit scheint das Zusammenspiel und die Balance zwischen der Landes- und der Bezirksebene trotz einiger diesbezüglicher Gesetzesänderungen in den vergangenen Jahren aus dem Blickfeld der Verantwortlichen in Berlin und Hamburg gerückt zu sein. Im Vordergrund der laufenden Verwaltungsreformen steht die Einführung des Neuen Steuerungsmodells, die die Verwaltungen dieser Stadtstaaten durch die Umsetzung betriebswirtschaftlicher Elemente modernisieren sollen. Das Neue Steuerungsmodell verfolgt in erster Linie die Ziele einer dezentralisierten Fach- und Ressourcenverantwortung innerhalb des bestehenden Verwaltungsaufbaus. Die jüngsten die Bezirksverwaltung betreffenden Verwaltungsreformgesetze der Regierungsparteien wurden von einer beachtlichen Anzahl von divergierenden Gesetzentwürfen der Oppositionsparteien begleitet, die eine Stärkung der Eigenständigkeit der Bezirksebene vorsahen. Es darf deshalb nicht verwundern, daß die Rechtsstellung der Bezirke innerhalb der Einheitsgemeinden von vielen weiterhin als unbefriedigend empfunden wird.

9 Zitiert nach Wewer, Negativ-Koalition - oder - Die blockierte Verfassungs- und Verwaltungsreform im Stadtstaat Hamburg, 1991, S. 405.

2 Deutelmoser

18

Einleitung

In ihren Berichten zu den Verbesserungsmöglichkeiten der Berliner und Hamburger Verwaltung haben sich die Enquete-Kommission von Berlin 10 und die Hamburger Haas-Kommission11 ausführlich mit den Bezirksverfassungen dieser Stadtstaaten beschäftigt. Beide Kommissionen haben in das Zentrum ihrer Vorschläge die Stärkung der Eigenständigkeit der Bezirksebene gestellt. Die StadtstaatenKommission, die die Regierungsstrukturen Berlins, Hamburgs und Bremens zu überprüfen hatte, hat demgegenüber nur am Rande die Frage nach der Ausgestaltung der Bezirksorganisation behandelt.12 Im Ergebnis hat sie sich der Forderung nach einer Dezentralisierung in Form der Schaffung einer eigenverantwortlichen bezirklichen Selbstverwaltungsebene angeschlossen. Auch in der öffentlichen Diskussion wurde immer wieder behauptet, daß der Trend zur Dezentralisierung, zur größeren politischen, wirtschaftlichen und finanziellen Eigenverantwortlichkeit der unteren Verwaltungsuntergliederungen führen müsse.13 Die Rechtsstellung der Berliner und Hamburger Bezirke war bisher nur selten Gegenstand wissenschaftlichen Interesses. Die Literatur beschäftigt sich fast ausschließlich mit den Kommunalverfassungen der Flächenstaaten sowie der Bedeutung von Art. 28 12, Π GG für die Rechte der Gemeinden und Kreise. Die Darstellung der Bezirksverwaltung Hamburgs und Berlins erfolgt nur im Rahmen der Erläuterung des gesamten verwaltungsorganisatorischen Aufbaus dieser Stadtstaaten, teilweise auch im Zusammenhang mit der Untersuchung der Verwaltungsuntergliederungen der übrigen Großkommunen. Soweit sich die Literatur mit dem Verhältnis der Bezirke zur Hauptverwaltung in den Stadtstaaten befaßt, geht sie nur auf die bestehenden landesverfassungsrechtlichen bzw. einfachgesetzlichen Regelungen ein. Gänzlich unberücksichtigt blieb bisher die Frage, ob dem Grundgesetz oder dem Europarecht Vorgaben für die Ausgestaltung der Bezirksverfassungen Berlins und Hamburgs zu entnehmen sind. So wurde beispielsweise die Tatsache, daß es in diesen Stadtstaaten keine eigenständige kommunale Ebene gibt, obwohl die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung des Grundgesetzes eine solche in den Ländern voraussetzt, durch einen Verweis auf die geschichtliche Entwicklung für rechtmäßig erachtet. Die Überlegung, ob die Bezirke Hamburgs und Berlins aufgrund dieser verfassungsrechtlichen Vorgabe den Gemeinden anzugleichen sind, ist bisher nicht angestellt worden.14 Die Ausführungen zur Binnenorganisati10

Schlußbericht der Enquete-Kommission zur Verwaltungsreform vom 30. Mai 1984, AbgH.-Drs. 9/1829, S. 7 ff. - kurz „Enquete-Kommission" genannt. 11 Bericht der Kommission zur Überprüfung von Verbesserungsmöglichkeiten in der Hamburger Verwaltung, 1981, S. 102 ff. - kurz „Haas-Kommission" genannt. 12 Stadtstaaten-Kommission, Bericht der Kommission zur Überprüfung der Regierungsstrukturen in den Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg, 1988, S. 197 ff. 13 Siehe zuletzt in bezug auf die laufenden Verwaltungsreform in Berlin Reichard/Räber, Verwaltung und Management 1998,132, 134. 14 Soweit ersichtlich, hat sich bisher nur Hlépas mit dem Fragenkreis Grundgesetz und Stadtbezirksverfassung auseinandergesetzt. Er geht davon aus, daß die Realität in den Großkommunen sich vom Selbstverwaltungskonzept des Grundgesetzes allgemein entfernt hat und die Einführung einer Bezirksverfassung mit örtlichen Volksvertretungen in allen Groß-

Einleitung

19

on Berlins und Hamburgs erschöpfen sich in verfassungsrechtlicher Sicht meist auf den Hinweis, daß die Bezirke dieser Stadtstaaten sich nach geltendem Recht auf Art. 28 12, Π GG nicht berufen können. Ausschließlich mit der Bezirksebene Berlins beschäftigen sich insgesamt drei Schriften, die infolge der zahlreichen Rechtsänderungen sowie der fortentwickelten Dogmatik heute in weiten Teilen überholt sind. So erschienen kurz nach Erlaß der Berliner Verfassung die Monographie von Breitfeld zur verfassungsrechtlichen Stellung der Berliner Bezirke 15 sowie die Dissertation von Uhlitz zur Rechtsstellung der Berliner Bezirke allgemein.16 Außerdem wurde 1974 eine Monographie von Machalet 17 veröffentlicht, die die Organisation der Berliner Bezirksverwaltung zum Gegenstand hat. Noch spärlicher ist die Literatur zur Hamburger Bezirksverfassung. So wird zum Beispiel im Kommentar von David zur Verfassung von Hamburg die Bezirksverwaltung relativ knapp abgehandelt.18 Dies hat seinen Grund in dem Umstand, daß die Bezirksverwaltung, der die Berliner Verfassung einen zwölf Artikel umfassenden Abschnitt widmet, in der Hamburger Verfassung gar nicht geregelt ist. Die Hamburger Verfassung räumt in Art. 4 I I HV lediglich die Möglichkeit ein, durch Gesetz für Teilgebiete Verwaltungseinheiten zu bilden, denen die selbständige Erledigung übertragener Aufgaben obliegt. Dagegen wird in der Monographie von Ipsen zur Verfassung und Verwaltung Hamburgs der Bezirksebene vergleichsweise viel Platz eingeräumt.19 Aufgrund der zahlreichen Rechtsänderungen in diesem Bereich seit Erscheinen dieser Schrift im Jahre 1956 ist auch diese weitgehend überholt. Ausschließlich mit der innerstaatlichen Gliederung Hamburgs befaßt sich nur eine Schrift von Thieme mit dem Titel „ Gemeinden für Hamburg". 20 In dieser wird als Mittel einer leistungsfähigen Verwaltung in Hamburg die Auflösung der Einheitsgemeinde und die Trennung der staatlichen und gemeindlichen Aufgaben vorgeschlagen. In der Dissertation von Thiele zu den Beteiligungsmöglichkeiten der Bürger an der Ausübung der Staatsgewalt in Hamburg wird der mühselige, die Bezirksverwaltung betreffende Reformprozeß der vergangenen Jahrzehnte dargestellt. Thiele schließt sich dem Vorschlag Thiemes an, den Bezirken Hamburgs die gleichen Rechte wie den Gemeinden der Flächenstaaten einzuräumen.21

Städten bundesverfassungsrechtlich geboten ist. Hlépas , Unterschiedliche rechtliche Behandlung von Großgemeinden und Kleingemeinden, 1990, S. 271 ff., S. 493 ff., 515 ff.; ders DVB1. 1991, 1136 ff. 15

Breitfeld, Die verfassungsrechtliche Stellung der Berliner Bezirke, 1953. 16 Uhlitz, Die Rechtsstellung der Berliner Bezirke, 1953. 17

Machalet, Die Berliner Bezirksverwaltung, 1974. David, Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg, 1994. 19 Ipsen, Hamburgs Verfassung und Verwaltung, 1956. 20 Thieme, Gemeinden für Hamburg, 1989 (unveröffentlichte Schrift). 21 Thiele, Die Beteiligung der Bürger an der Ausübung der Staatsgewalt in Hamburg, 1991, S. 154 ff. 18

2*

20

Einleitung

I I . Der Gegenstand der Untersuchung Aufgrund ihrer staatsorganisationsrechtlichen Stellung als Länder und der Entscheidung für die Einheitsgemeinde bestehen in Berlin und Hamburg für die Frage nach der Rechtsstellung der Bezirke wichtige Gemeinsamkeiten. In beiden Stadtstaaten stellt sich wegen der Vielfalt der zu erledigenden Verwaltungsaufgaben die Frage, wie trotz der fehlenden Trennung zwischen staatlicher und kommunaler Ebene, die Landesregierungen ihre staatlichen Leitungs- und Führungsaufgaben wahrnehmen können. Neben diesen Gemeinsamkeiten bestehen für die hier gestellte Frage aber auch wesentliche Unterschiede. Im Gegensatz zur Rechtslage in Berlin kann in bezug auf die Hamburger Bezirksebene von einer bezirklichen Selbstverwaltung nicht gesprochen werden. Die Bezirke Hamburgs nehmen nur vom Senat übertragene Aufgaben wahr. Dem Senat bzw. den Fachbehörden stehen auch nach Einführung eines neuen Lenkungs- und Aufsichtssystems im Jahre 1997 weitreichende Evokationsund Ingerenzrechte zu. Eine Garantie der bezirklichen Selbstverwaltung gibt es nicht. Im Gegensatz zu den Berliner Bezirksvertretungen verfügen die Hamburger Bezirksvertretungen nur über minimale Entscheidungsrechte.

I I I . Fragestellung und Darlegung des Untersuchungsplans Ein Hauptgrund für die ständige Reformbedürftigkeit der Berliner und der Hamburger Verwaltung scheint die bis heute unzureichende Umsetzung der mittlerweile weit verbreiteten Erkenntnis von der Notwendigkeit der Stärkung der bezirklichen Ebene zu sein. Es soll untersucht werden, ob sich Vorteile für die Effizienz der Regierung und der Verwaltung ergeben können, wenn in diesen Stadtsaaten neben der staatlichen, eine echte, von der Zentralverwaltung weitgehend unabhängige bezirkliche Selbstverwaltung entsteht. Der Terminus der bezirklichen Selbstverwaltung, den auch die Berliner Verfassung verwendet, läßt sowohl die Parallelität als auch die Unterschiedlichkeit zur kommunalen Selbstverwaltung anklingen. Ausgehend von den landesverfassungsrechtlichen Vorgaben der ungeteilten Gebietskörperschaft müssen die Rechte der Bezirke einerseits strukturbedingt schwächer ausgestaltet sein als die der Gemeinden. Andererseits soll aufgezeigt werden, daß insbesondere die Bezirke Hamburgs in weitaus stärkerem Maß den Kommunen angeglichen werden können, ohne die Einheitsgemeinde zu sprengen. Eine echte Zweistufigkeit der Verwaltung könnte der viel beklagten Doppelarbeit, durch die sich die Verwaltung Hamburgs und Berlins auszeichnet, ein Ende bereiten und der Senatsebene den notwendigen Freiraum für ihre Regierungstätigkeit geben. Die Arbeit ist in zwei Teile geteilt: einen ersten zur Rechtslage in den Untersuchungsobjekten Berlin und Hamburg und einen zweiten, der sich mit den zu beach-

Einleitung

tenden verfassungsrechtlichen und europarechtlichen Vorgaben befaßt. Der erste Teil läßt sich gedanklich in drei weitere Teile untergliedern: einen allgemeinen Teil, die Untersuchungsobjekte Berlin und Hamburg sowie einen rechtsvergleichenden Teil. Im allgemeinen Teil wird der Entwicklung des Rechtsbegriffs Stadtstaat, den Schwierigkeiten der Verwirklichung der kommunalen Selbstverwaltung in Großkommunen und den Organisationsprinzipien der Dezentralisation, Dekonzentration und der Selbstverwaltung sowie den mit diesen Prinzipien verbundenen Funktionen nachgegangen. Bei den Untersuchungsobjekten Berlin und Hamburg wird zunächst ein Überblick über die geschichtliche Entwicklung, insbesondere der in den vergangenen Jahrzehnten durchgeführten Bezirksreformen, sowie über die verschiedenen Reformkonzepte der Oppositionsparteien und der Enquete- sowie der Haas-Kommission gegeben. Besondere Aufmerksamkeit wird der Rechtsstellung der Berliner und Hamburger Bezirke nach geltendem Recht gewidmet, da bisher kaum Stellungnahmen zu den jüngsten Verwaltungsreformen erfolgten. Ausführlich wird auch die Frage behandelt, ob die Berliner Verfassung eine institutionelle Garantie oder ein subjektiv-öffentliches Recht auf bezirkliche Selbstverwaltung gewährleistet. Schließlich werden die bisher nur stiefmütterlich behandelten Fragen nach den verfassungs- sowie den verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzmöglichkeiten der Bezirksorgane untereinander sowie der Bezirke gegen Maßnahmen der Zentralverwaltung einer eingehenden Prüfung unterzogen. Zum Abschluß des ersten Teils wird ein Blick auf die verwaltungsorganisatorischen Konzeptionen in anderen europäischen Stadtstaaten und Großkommunen geworfen. Dieser rechtsvergleichende Blickwinkel zeigt die Bandbreite der Lösungsmöglichkeiten für die Probleme einer Großstadtverwaltung. Insbesondere das Beispiel Brüssel, das aus selbständigen Gemeinden ohne einheitliche Verwaltungsspitze besteht, macht deutlich, daß die Schaffung von bezirklichen Selbstverwaltungseinheiten nicht per se zur Unregierbarkeit des Stadtstaates führt. Im zweiten Teil der Arbeit werden die bundesverfassungsrechtlichen sowie die europarechtlichen Vorgaben für die Ausgestaltung der Bezirksverfassung in Berlin und Hamburg untersucht. Als erstes wird das Dogma der stadtstaatlichen Einheitsverwaltung, welches ein Unterfall des Prinzips der Einheit der Verwaltung ist, einer Prüfung unterzogen. Der bloße Hinweis auf das Ziel der Einheit der Verwaltung ist kein hinreichendes Argument mehr, um die Ausstattung von Teilen einer juristischen Person mit eigenen Rechten auch gegen das Ganze als abwegig hinzustellen. Auch die Bezugnahme auf die Einheitsgemeinde bzw. das Prinzip der stadtstaatlichen Einheitsverwaltung in Berlin und Hamburg ist nicht ausreichend, um die Ausstattung der Bezirke mit eigenen, wehrfähigen Rechten auszuschließen.

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Einleitung

Anschließend wird auf das Verhältnis des Demokratieprinzips des Grundgesetzes zur bezirklichen Selbstverwaltung eingegangen. Zunächst folgen Ausführungen zum Verhältnis von Demokratie und Selbstverwaltung allgemein sowie speziell zum Verhältnis der kommunalen Selbstverwaltung zur Demokratie. Im Anschluß daran erfolgt eine Auseinandersetzung mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Ausländerwahlrecht zu den Hamburger Bezirksvertretungen, in der zur Frage nach der Vereinbarkeit des Demokratieprinzips mit der unmittelbaren Legitimierung der Hamburger Bezirksvertretungen durch das Bezirksvolk Stellung genommen wird. Das Gericht verfolgt in dieser sowie einer Reihe von weiteren Entscheidungen jüngeren Datums ein ausschließlich am Volksbegriff des Art. 20 Π GG ausgerichtetes etatistisches Demokratieverständnis, welches sich durch eine große Skepsis gegenüber Selbstverwaltung und Autonomie auszeichnet. Hierbei lehnt es sich stark an die von Böckenförde entwickelte Dogmatik zur demokratischen Legitimation von Staatsgewalt an. Zu prüfen ist, ob unter Zugrundelegung eines pluralistischen Demokratiebegriffs, die direkte Wahl durch das Bezirksvolk nicht nur als mit dem Demokratieprinzip vereinbar, sondern als förderlich für die Demokratie anzusehen ist. Hieran schließt sich die Frage an, ob diese Rechtsprechung nicht in einem Wertungswiderspruch zur Betonung des Aufbaus der Demokratie von unten nach oben in der Rastede-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts steht. Mit der Garantie der gemeindlichen Selbstverwaltung hat das Grundgesetz sich für einen dezentralen, auf Selbstverwaltungskörperschaften aufbauenden Verwaltungsaufbau entschieden. Geprüft wird, ob dieser verfassungsrechtlichen Wertentscheidung für die gegliederte Demokratie in den Stadtstaaten nicht durch die Bildung teilrechtsfähiger Selbstverwaltungskörperschaften Rechnung getragen werden muß. Das folgende Kapitel beschäftigt sich mit der Frage, welche Rolle das kommunalrechtliche Subsidiaritätsprinzip für die Aufgabenverteilung zwischen Bezirksund Zentralverwaltung in Stadtstaaten spielt. In den anschließenden Kapiteln wird der Frage nach dem Bestehen eines allgemeinen verfassungsrechtlichen Subsidiaritätsprinzips sowie der Auswirkungen des in Art. 5 Π EG-Vertrag sowie in Art. 23 I 1 GG geregelten Subsidiaritätsprinzips für die innere Gliederung der Stadtstaaten nachgegangen. Zum Abschluß wird die Frage untersucht, ob das in Art. 191 EG-Vertrag enthaltene Kommunalwahlrecht für Unionsbürger zur Bildung von kommunalen Vertretungskörperschaften in den bundesrepublikanischen Stadtstaaten zwingt. Am Ende der Arbeit erfolgt eine Zusammenfassung in Thesen.

Erster Teil

Die Untersuchungsobjekte Berlin und Hamburg A. Der Begriff Stadtstaat I. Die Entwicklung bis 1945: Die Stadtstaaten im weiteren Sinn Stadtstaat ist ein Rechtsbegriff, der in Gesetzen1 - nicht aber in den Verfassungen von Berlin, Bremen und Hamburg - verwandt wird. Sein rechtlicher Gehalt ist bis heute nicht exakt beschrieben und hat in der Vergangenheit erhebliche Bedeutungsverschiebungen erfahren. Ein Teil der Literatur 2 bezeichnet als Stadtstaaten der Bundesrepublik Deutschland Berlin, Hamburg und Bremen, ohne sich aber mit dem Terminus auseinanderzusetzen.3 Da das Land Bremen aus den beiden Städten Bremen und Bremerhaven besteht, verwenden einige Kommunalrechtler für Bremen den Begriff Städtestaat.4 Von dieser Lehrmeinung wird Stadtstaat häufig als 1

So lautet bspw. die amtliche Überschrift von § 101 des Wohnungsbau- und Familienheimgesetzes vom 1. August 1961, BGBl. II S. 1121, 1149 „ Sondervorschriften für die Stadtstaaten". In § 101 I Wohnungsbau- und Familienheimgesetz werden Berlin, Bremen und Hamburg namentlich genannt. Auch die sogenannten Stadtstaatenklauseln beziehen sich gleichermaßen auf Berlin, Bremen und Hamburg. Mit Stadtstaatenklauseln bezeichnet man die Übergangs- und Schlußvorschriften von Bundesgesetzen, welche die bundesrechtlichen Zuständigkeitszuweisungen an die Länder auf die stadtstaatlichen Verwaltungsbesonderheiten zuschneiden. 2 Kirchhof DÖV 1983, 798; Maunz, in: Maunz/Dürig/Herzog, Komm. z. GG, Art. 106 Rn. 91; Kröning, RuP 1988, 1. 3 Die Unsicherheiten, die mit dem Begriff Stadtstaat verbunden sind, zeigen sich deutlich an den ständig wechselnden Definitionen und Erklärungen in Meyers Neuem Lexikon. In der Ausgabe von 1994 wird Stadtstaat als ein von einer Stadt beherrschtes Territorium bezeichnet und als Beispiele aus der Gegenwart Bremen, Berlin und Hamburg genannt. Historisch seien die Polis der griechischen Antike, die mittelalterlichen italienischen Stadtrepubliken wie Venedig und Genua, sowie eingeschränkt die Freien Reichsstädte als Stadtstaaten anzusehen. In der Ausgabe von 1985 werden mit Stadtstaaten dagegen Städte bezeichnet, die ein verselbständigtes Staatswesen mit demokratischer oder aristokratischer Verfassung bilden. In der Ausgabe von 1980 taucht bei der Aufzählung der heutigen Stadtstaaten Berlin nicht auf. 4 Thieme, DÖV 1993, 361 mwN; Schäfer, Stadtteilvertretungen in Großstädten, Bd. 1, 1982, S. 17. Bremerhaven hat den Status einer kreisfreien Stadt im Land Bremen mit Stadtverordnetenversammlung, Magistrat und Oberbürgermeister. Dieser Stadt stehen als Aufsichtsinstanzen die Bürgerschaft des Landes Bremen als Parlament und der Senat des Landes

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1. Teil: Die Untersuchungsobjekte Berlin und Hamburg

Synonym für Einheitsgemeinde gebraucht, da nach dieser Auffassung prägendes Merkmal von Stadtstaaten das Bestehen einer ungeteilten Gebietskörperschaft ist. Dagegen verwendete die Staatsrechtslehre früher den Begriff in erster Linie, um die staatsorganisationsrechtliche Stellung des Gebildes im Gesamtstaat deutlich zu machen. Auch der Bundesgerichtshof spricht in bezug auf Berlin, Hamburg und Bremen von Stadtstaaten. Als deren wesentliches Merkmal sieht er ihre Doppelstellung als Länder und Gemeinden an.5 Das Bundesverfassungsgericht hat dagegen in seinem ersten Urteil zum Länderfinanzausgleich, in dem es unter anderem um die angemessene Behandlung von Stadtstaaten ging, keine staatsrechtliche, sondern eine historische Auslegung des Begriffs gewählt.6 Das Bestehen der Stadtstaaten Bremen und Hamburg gehöre „zum historischen Bestand der deutschen Staatsentwicklung, insbesondere auch seit Entstehung des deutschen Bundesstaates im 19. Jahrhundert".7 Diese Aussage bedeutet aber nicht, daß das Bundesverfassungsgericht Berlin nicht zu den Stadtstaaten zählt. Bei Erlaß dieses Urteils nahm Berlin wegen seiner politischen Sonderstellung noch nicht am Länderfinanzausgleich teil, sondern erhielt vom Bund Finanzzuweisungen.8 Der streitentscheidende § 9 II Finanzausgleichsgesetz (FAG) a.F. sah deshalb bei der Ermittlung der Meßzahlen zum Ausgleich der Steuereinnahmen der Länder nur bei Hamburg und Bremen eine höhere Weitung der Einwohnerzahlen im Vergleich zu den übrigen Ländern vor. Diese Norm wurde im Zuge der Rechtsangleichung nach der Wiedervereinigung neu gefaßt und nennt nunmehr neben Hamburg und Bremen auch Berlin. Auch im kürzlich erlassenen zweiten Länderfinanzausgleichsurteil 9, in dem erneut über die verfassungsrechtliche Zulässigkeit dieser Vorschrift zu entscheiden war, spricht das Bundesverfassungsgericht von Stadtstaaten; diesmal auch in bezug auf Berlin. 10 Bremen als Landesregierung gegenüber. Hierdurch ist für Bremerhaven eine klare Trennung von Gesetzgebung und vollziehender Gewalt, von staatlicher und kommunaler Tätigkeit gesichert. Ausführlich hierzu Thieme, DÖV 1993, 361. 5 BGHZ 3, 148, 149; 13, 207. Allerdings wird erst im zweiten Urteil neben Hamburg und Bremen auch Berlin ausdrücklich als Stadtstaat bezeichnet. Beide Entscheidungen betreffen die Gebührenfreiheit nach dem Gerichtskostengesetz von Stadtstaaten in Landes- und Gemeindeangelegenheiten. 6 BVerfGE 72, 330,415 f. 7 BVerfGE 72, 330,415. β Himmel/Leibfritz, Die Stadtstaaten im Länderfinanzausgleich, 1986, S. VI sowie S. 31 Fußn. 1. 9 Zur Besorgnis der Befangenheit des Richters Kirchhof, der ein Auftragsgutachten für einen Verfahrensbeteiligten im ersten Verfahren zum Länderfinanzausgleich erstellte und die Prozeßvertretung übernahm, siehe BVerfG, Beschl. v. 6. Juli 1999, NJW 1999, 2801 f. sowie die begründete Kritik an diesem Beschluß von Lamprecht, NJW 1999,2791 ff. ω Nach Ansicht des Gerichts bedarf die höhere Bewertung der Einwohnerzahlen der Stadtstaaten Bremen, Berlin und Hamburg bei der Feststellung der Finanzkraft einer Begründung. Die Richter geben hierbei zu bedenken, daß dünn besiedelte Flächenstaaten wie Mecklenburg·^Vorpommern oder Brandenburg gerade wegen ihrer niedrigen Einwohnerzahlen hohe Infrastrukturkosten haben. BVerfG, Urt. v. 11. November 1999, DVB1.2000,42,48.

Α. Der Begriff Stadtstaat

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Den Begriff Stadtstaat verwendet das Bundesverfassungsgericht auch im Urteil zum Ausländerwahlrecht in Hamburg. Auch bei dieser Entscheidung ist nicht ganz klar, welche Städte von diesem Begriff umfaßt sein sollen.11 Man kann wohl davon ausgehen, daß das Gericht auch in dieser Entscheidung Berlin als Stadtstaat ansieht, da es von bundesrepublikanischen Stadtstaaten spricht, die „nach Größe und Bevölkerungszahl hinter der eines Flächenstaats nicht wesentlich zurückbleiben". Bremen kann es bei dieser Aussage wohl nicht im Auge gehabt haben. Angesichts dieser sehr unterschiedlichen Verwendung soll im folgenden versucht werden, die historische Entstehung sowie den rechtlichen Gehalt des Terminus des Stadtstaates zu klären. Hierbei wird der ökonomische Ansatz, der im Zusammenhang mit dem Streit über den Länderfinanzausgleich entwickelt wurde, nicht berücksichtigt. Nach diesem ist ein Stadtstaat ein Gebilde, bei dem ein kommunaler Finanzausgleich nicht möglich ist und im Gegensatz zu den Metropolregionen von Flächenstaaten spill-over Effekte nicht ausgeglichen werden. Dieser Ansatz bietet eine Begründung für die Sonderbehandlung der Stadtsaaten im Länderfinanzausgleich, vermag aber keine taugliche Begriffsbestimmung zu leisten. Insbesondere berücksichtigt er nicht die innere Verfassung der Stadtsaaten, die für diese Arbeit zentral ist. Der Begriff Stadtstaat kam in der staatsrechtlichen Literatur des Deutschen Reiches von 1871 auf und wurde für die von den Freien Reichsstädten „übriggebliebenen" Hansestädte Lübeck, Bremen und Hamburg entwickelt.12 Auch hier wird Stadtstaat zunächst im Gegensatz zum Flächenstaat verwendet. Mit dem Begriff soll ein Staat bezeichnet werden, dessen Staatsgebiet im wesentlichen auf ein Stadtgebiet beschränkt ist. Mit anderen Worten setzt dieser Begriff voraus, daß Staatshoheitsgebiet und Stadtgebiet identisch sind und der Stadtstaat als Land Reichsunmittelbarkeit besitzt (im folgenden: Stadtstaat im weiteren Sinn).13 Im Gegensatz zur geltenden Rechtslage in Berlin und Hamburg wurde innerhalb dieser Hansestädte des Deutschen Reichs noch zwischen Staats- und Gemeinderecht unterschieden. Rechtstatsächlich betrachtet wiesen die Freien und Hansestädte um den städtischen Kern ein Landgebiet mit eigenen Landgemeindeordnungen auf. 14 Die Wurzeln der heutigen bundesrepublikanischen Stadtstaaten Hamburg und Bremen15 liegen aber nicht nur in den von den Freien Reichsstädten16 des Heiligen » BVerfGE 83,60,75. So heißt es bspw. bei Meyer-Anschütz, daß die drei Freien und Hansestädte den Typus des „republikanischen Stadtstaates" verkörpern. Meyer-Anschütz, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, 1919, S. 466 f. Ähnlich Pereis, Handbuch des deutschen Staatsrechts, 1930, Bd. 1, S. 679 f. 12

13

Zum Begriff Stadtstaat im engeren Sinn vgl. die Ausführungen im 1. Teil, Α. II. Meyer-Anschütz, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, 1919, S. 472, Anm. 24; Gönnenwein, Gemeinderecht, 1963, S. 237. 15 In bezug auf den Zeitpunkt der Anerkennung Bremens als Freie Reichsstadt herrscht Streit. Formell wurde Bremen wohl erst im 17. Jahrhundert durch kaiserliches Privileg zur Reichsstadt erklärt. Isenmann, Die deutsche Stadt im Spätmittelalter, 1988, S. 108. 14

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1. Teil: Die Untersuchungsobjekte Berlin und Hamburg

Römischen Reichs deutscher Nation übrig gebliebenen drei Hansestädten, sondern auch im Wesen der Freien Reichsstädte selbst. Berlin muß von dieser Entwicklung ausgenommen werden, da es nie Freie Reichsstadt war und seinen Status als Land erst nach dem zweiten Weltkrieg durch den Wegfall Preußens erlangt hat.17 Im führenden Staatsrechtslehrbuch der Weimarer Zeit heißt es hierzu, daß die „ heutigen Stadtstaaten " - also Bremen und Hamburg - in das moderne Verfassungsrecht „als letzte Reste dieser reichsunmittelbaren Städte heriibergenommen worden sind".18 Die Annahme, daß der Ursprung der heutigen Stadtstaaten in den Freien Reichsstädten liegt, ergibt sich aus folgendem: Wie die Hansestädte besaßen die Freien Reichsstädte häufig einen städtischen Kern sowie mit ihnen verbundene (Land-) Gemeinden mit Selbstverwaltungsrechten. Zum Teil bestanden sie auch aus einer großen Anzahl von Städten und Dörfern und bildeten so kleinräumige Territorien, in denen die Reichsstadt Herrin war. 19 In ihnen gab es ab einem nicht genau feststellbaren Datum neben der städtischen Selbstverwaltung zugleich auch staatliche Selbstregierung.20 Zu einem staatlichen Gebilde wurden die Reichsstädte durch ihr differenziertes Steuer- und Verteidigungswesen, ihre Organisation vielfältiger kommunaler Aufgaben sowie umfangreicher Rechtssetzung im Bereich des Straf-, Privat-, Prozeß-, Gewerbe- und Polizeirechts.21 Hieraus folgerte man, daß die mittelalterlichen Städte sich allmählich zu Staaten im Staat entwickelten oder gar selbst nach dem Vorbild der griechischen Stadtstaaten um sich herum städtische Staaten schafften. 22 Auch in diesen Freien Reichsstädten trennte man noch zwi16 Der Ausdruck Freie Reichsstadt ist eine Kontamination aus Freie Stadt und Reichsstadt, mit der die Autonomie dieser zwei Stadttypen als Angehörige des Reichs herausgestellt werden soll. In den Reichsstädten ist der König (Kaiser) Stadtherr, woraus sich die Reichsunmittelbarkeit der Reichsstädte ergibt. Die Freien Städte sind dagegen ehemalige Bischofsstädte, die sich weitgehend der Herrschaft ihres bischöflichen Stadtherrn entzogen haben und seitdem der königlichen Oberhoheit unterstehen. Die Zahl der Reichsstädte, welche im Mittelalter insgesamt etwa 125 betrug, war in der frühen Neuzeit von 84 auf 51 gesunken. Von 1801 bis 1810 wurden diese verbliebenen Reichsstädte mediatisiert, doch stellte der Wiener Kongreß 1815 Hamburg, Lübeck (bis 1937), Bremen und Frankfurt (bis 1866) als Freie Städte wieder her. Köhler, Historisches Lexikon der deutschen Länder, 1990, S. 447 f.; Gönnenwein, Gemeinderecht, 1963, S. 236,237. 17 In bezug auf die Binnenverfassung kann aber auch Berlin eine gewisse Tradition vorweisen. So hat sich in dieser Stadt an der grundsätzlichen Entscheidung für einen zweistufigen Verwaltungsaufbau innerhalb einer einheitlichen Gebietskörperschaft im Jahre 1920 bis heute nichts geändert. 18

Meyer-Anschütz, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, 1919, S. 466 f. 19 Gönnenwein, Gemeinderecht, 1963, S. 236 f. 20 Schroeder, Das Alte Reich und seine Städte, 1991, S. 3. 21

In unterschiedlichem Umfang besaßen diese Städte weiter ihr eigenes Stadt-, Markt-, und teilweise Münzrecht sowie ihre eigene Gerichtsbarkeit. Die Bürger der Städte waren zu Verteidigungszwecken wehrpflichtig und nahmen polizeiliche Aufgaben wahr. Dieser Aufgabenbereich zeigt deutlich, daß in die Zuständigkeit dieser Städte auch Bereiche fielen, die der Gesamtstaat heute in Anspruch genommen und den Städten entzogen hat. Isenmann, Die deutsche Stadt im Spätmittelalter, 1988, S. 89,90. 22

Kliiber,

Das Gemeinderecht, 1972, S. 6.

Α. Der Begriff Stadtstaat

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sehen Staats- und Gemeinderecht.23 Nach der hier gewählten Terminologie kann man die Freien Reichsstädte ebenfalls als Stadtstaaten im weiteren Sinn bezeichnen, da sie staatliche („Selbstverwaltungs-")rechte sowie Reichsunmittelbarkeit besaßen. Auch von Historikern werden die Freien Reichsstädte als reichsunmittelbare Stadtstaaten oder freie Stadtrepubliken bezeichnet.24 Zusammenfassend ist festzustellen: Der Rechtsbegriff Stadtstaat geht zurück auf die Staatsrechtslehre des Deutschen Reichs, die ihn für die Freien Reichsstädte und Hansestädte entwickelte. Sie verstand hierunter eine reichsunmittelbare Gebietskörperschaft, in der Staatshoheits- und Stadtgebiet identisch sind. Nach der hier verwendeten Terminologie handelt es sich insoweit um Stadtstaaten im weiteren Sinn. Dieser Terminus umschreibt die staatsorganisationsrechtliche Stellung dieser Städte und trifft keine Aussage über die Regierungsform oder die Binnenverfassung. In sämtlichen Gebilden, in deren Tradition Hamburg und Bremen stehen, trennte man noch zwischen Staats- und Gemeinderecht.

II. Die Entwicklung nach 1945: Die Stadtstaaten im engeren Sinn Seit Ende des zweiten Weltkriegs werden von einem der Lehre das Vorliegen einer ungeteilten Gebietskörperschaft sowie der Doppelcharakter der Parlamente als Landes- und Kommunalparlament als die prägenden Merkmale der Stadtstaatlichkeit angesehen. Das Merkmal der Identität von Staats- und Stadtgebiet wird meist nicht einmal erwähnt. Im Gegensatz hierzu umschreibt das Deutsche Rechtslexikon Stadtstaat weiterhin mit Identität von Staatshoheitsgebiet und Stadtgebiet.25 Mit leichten Variationen lauten die üblichen Definitionen dieser neueren Literaturansicht wie folgt: Stadtstaaten sind Gebietskörperschaften, die Staat und Gemeinde zugleich sind, in denen also Staat und Gemeinde nicht als verschiedene Rechtssubjekte gedacht werden können und neben den Repräsentativorganen auf Landesebene keine kommunalen Vertretungsorgane bestehen (im folgenden: Stadtstaat im engeren Sinne).26 Hintergrund dieser veränderten Begriffsbestimmung ist 23 Meyer-Anschütz, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, 1919, S. 471; Gönnenwein, Gemeinderecht, 1963, S. 236. 24 Schweder, Das Alte Reich und seine Städte, 1991, S. 4; Isenmann, Die deutsche Stadt im Spätmittelalter, 1988, S. 82.

25 Deutsches Rechtslexikon, Bd. 3, 1992, S. 498. Vgl. Pagenkopf, Kommunalrecht, Bd. 1, 1975. S. 337; Thieme, DÖV 1993, 361; Gern, Kommunalrecht, 1997, Rn. 120; Sieveking, DÖV 1993, 449, 454; Brell, Vom Gemeindeverfassungsrecht, 1953, S. 55, 92; Hantel, JuS 1988, 512 f. Aufgrund des Umstandes, daß in Art. 1 I Hamburger Verfassung (HV) Hamburg nur als Land und nicht als Gemeinde genannt wird, findet man bezogen auf Hamburg teilweise eine etwas andere Definition: Ein Stadtstaat ist eine ungeteilte Gebietskörperschaft, die ein Land ist und für ihre Bürger alle Funktionen erfüllt, die in Flächenländern auf Land und kommunale Gebietskörperschaften verteilt sind.

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1. Teil: Die Untersuchungsobjekte Berlin und Hamburg

die geänderte Rechtslage in Hamburg seit 1938 und Berlin seit 1950. Beide Landesverfassungen gehen seit diesen Zeitpunkten vom Bestehen einer ungeteilten Gebietskörperschaft aus, wodurch eine Aufteilung ihres Gebietes in rechtsfähige Untergliederungen nicht zulässig ist. 27 Zum Teil bezeichnet man sogar den zweistufigen Aufbau der Berliner Verwaltung als von der Stadtstaatlichkeit geprägt.28 Da Berlin seinen Status als Land erst nach dem zweiten Weltkrieg erlangte, die Aufteilung der Einheitsgemeinde in partiell selbständige Bezirke aber schon seit 1920 besteht, ist diese Charakterisierung nicht zutreffend. Soweit ersichtlich unterscheiden nur Ipsen und Gönnenwein 29, die beide in ihren Untersuchungen der Entstehung der Stadtstaaten große Aufmerksamkeit schenken, zwischen Stadtstaaten im engeren und im weiteren Sinn, wenngleich sie diese Begriffe nicht benutzen. Ipsen, schon in der Begrifflichkeit bekennender Zentralist, spricht in bezug auf die heutige Rechtslage in Hamburg und Berlin von „ reiner " Stadtstaatlichkeit. Als „unvollkommene" Stadtstaatlichkeit bezeichnet er dagegen das Fehlen einer einheitlichen Gebietskörperschaft bei gleichzeitiger Identität von Staatshoheits- und Stadtgebiet. Seiner Ansicht nach ist die vollkommene Rechtseinheit der Idealzustand.30

I I I . Die Entstehung des Dogmas der stadtstaatlichen Einheitsverwaltung Aus diesen landesverfassungsrechtlichen Entscheidungen Berlins und Hamburgs entwickelte man im Lauf der Zeit das Dogma der stadtstaatlichen Einheitsverwaltung. Dieses wird immer dann angeführt, wenn es um die Abgabe von Kompetenzen der Zentralverwaltung an die Bezirke oder sonstige Verwaltungseinheiten geht. Das Prinzip der stadtstaatlichen Einheitsverwaltung soll nicht nur die Errichtung von rechtsfähigen Gemeinden ausschließen, sondern im umfassenden Sinne eine einheitliche Verwaltung sichern und damit die Eigenständigkeit der Bezirksebene so weit als möglich einschränken. So warnt beispielsweise Ipsen „vor der Gefahr eines ungesunden Dezentraiismus"31 im Falle einer Bezirkseinteilung mit eigenen Bezirksbürgermeistereien bei einheitlicher Verwaltungsspitze. Weiter vertritt er die Ansicht, daß die Stadtstaatlichkeit jede organisatorische, funktionelle oder persoSo Glatz/Haas, JöR 1957, 223, 225, 234; Haas, Verwaltungsorganisationsrecht, 1988, S. 91, 92; Ipsen, Hamburgs Verfassung und Verwaltung, 1956, S. 233. 27

Zur geschichtlichen Entwicklung von Hamburg und Berlin siehe die Ausführungen im 1. Teil, D. III., IV., Ε. II., III. 28 Pfennig /Neumann, Verfassung von Berlin, 1987, Art. 50 Rn. 4. 29 Gönnenwein, Gemeinderecht, 1963, S. 236. 30

Ipsen, Hamburgs Verfassung und Verwaltung, 1956, S. 13, 17,95. Dies, obwohl Ipsen die mit den Eingemeindungen entstandene Problematik der großstädtischen Selbstverwaltung gesehen hat. Siehe hierzu Ipsen, Hamburgs Verfassung und Verwaltung, 1956, S.115. 31

Β. Kommunale Selbstverwaltung in Stadtstaaten

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nelle Aufgliederung der Verwaltungsaufgaben und ihrer Erledigung verbiete.32 Eine Begründung dieser Annahme fehlt. Bei David heißt es, daß die Übertragung von Aufgaben vom Senat an die Bezirksämter statt einer gesetzlichen Kompetenzverteilung dem Prinzip der stadtstaatlichen Einheitsgemeinde entspricht.33 Das Postulat der stadtstaatlichen Einheitsverwaltung ist ein Unterfall des allgemeinen und sehr umstrittenen Prinzips der Einheit der Verwaltung. Auch dieses wurde von Seiten der Literatur und Rechtsprechung lange Zeit gegen Dezentralisierungsbestrebungen auf Bundes-, Landes- und Gemeindeebene angeführt. Es ist als durchgängiges Rechtsprinzip heute nicht mehr anerkannt. Auf die Aussagekraft und die heftigen Gefechte, die im Zusammenhang mit diesem Prinzip geführt wurden, wird im verfassungsrechtlichen Teil der Arbeit näher eingegangen.34 Zusammenfassend kann man folgendes sagen: Das Dogma der stadtstaatlichen Einheitsverwaltung wird heute von einem Teil der kommunalrechtlichen Literatur als Rechtsprinzip losgelöst von den landesverfassungsrechtlichen Regelungen in Berlin und Hamburg verwandt. Das Prinzip wird häufig dann ins Feld geführt, wenn es gilt, die Entstehung einer eigenverantwortlich entscheidenden Bezirksebene zu verhindern. Im Rahmen dieser Arbeit wird zu prüfen sein, ob die Vorstellung einer stadtstaatlichen Einheitsverwaltung den bestehenden Verhältnissen in Hamburg und Berlin, den Bedürfnissen einer komplexen Großstadtverwaltung und der geltenden Rechtslage gerecht wird.

B. Realisierbarkeit der kommunalen Selbstverwaltung in Stadtstaaten und sonstigen Großkommunen I· Vergleichbarkeit der Problemlage Heute sind (fast) alle Großstädte der Bundesrepublik in Bezirke untergliedert. Unter Kommunalrechtlern herrscht Uneinigkeit darüber, inwieweit die Frage nach der Ausgestaltung der bezirklichen Untergliederung von Großstädten mit denen von Stadtstaaten vergleichbar ist. So wird die Ansicht vertreten, es handele sich bei der Frage nach dem Umfang der Bezirksrechte in den bundesrepublikanischen 32

Ipsen, Hamburgs Verfassung und Verwaltung, 1956, S. 235. Diese Aussage bezieht sich zwar auf Hamburg, doch bemüht auch er das Prinzip der Stadtstaatlichkeit in der Art des beschriebenen Dogmas. 33

David, ZAR 1989, 102, 104; ders., Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg, 1994, Art. 4 Rn. 33. Den Begriff stadtstaatliche Einheitsverwaltung verwenden auch Ipsen und Haas. Ipsen, Hamburgs Verfassung und Verwaltung, 1956, S. 115, 235; ders., Hamburgs Staats- und Verfassungsrecht, 1967, S. 23; Haas, Verwaltungsorganisationsrecht, 1988, 91, 121. Für Berlin siehe bspw. Kreutzer, DÖV 1954,425,426; ders.; DÖV 1956, 343, 345; Hantel, JuS 1988,512,513. 34 Siehe 2. Teil, A.

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1. Teil: Die Untersuchungsobjekte Berlin und Hamburg

Stadtstaaten um ein von den übrigen Großkommunen grundsätzlich verschiedenes Problem, da die Stadtstaaten aufgrund ihres Länderstatus auf einer „höheren staatsund verfassungsrechtlichen Stufe" stünden.35 Mit dieser etwas dunklen Aussage werden zum einen wohl die spezifischen stadtstaatlichen Probleme angesprochen, die sich aus der Identität der kommunalen und staatlichen Repräsentationsorgane ergeben. Auf diese wird sogleich eingegangen. Zum anderen ist damit gemeint, daß die Stadtstaaten „eigentlich keine Kommunen, sondern eben Länder" seien.36 Speziell in bezug auf Berlin wird behauptet, daß die lange Tradition der Berliner Bezirksverfassung sowie die hohe Einwohnerzahl gegen eine Vergleichbarkeit von Stadtstaaten und anderen Großkommunen sprächen.37 Andere betonen, daß die Stadtstaatlichkeit von Berlin und Hamburg unter dem Aspekt der Bezirksverfassungen kein Kriterium sei, welches einen sinnvollen Vergleich mit anderen Großstädten ausschlösse. An dem zweistufigen Verwaltungsaufbau Berlins habe sich nach Erlangung der Eigenschaft als Land nichts geändert.38 Die Frage, ob der Doppelstatus der Stadtstaaten eine Vergleichbarkeit mit anderen Kommunen ausschließt, ist eine theoretische Frage, die in dieser Allgemeinheit nicht beantwortet werden muß. In Berlin und Hamburg bestehen aufgrund ihrer Doppelnatur als Land und Stadt eine große Anzahl von verwaltungsorganisatorischen und verfassungsrechtlichen Schwierigkeiten, die in den übrigen Großkommunen nicht auftreten. Diese Probleme lassen sich durch einen Vergleich mit anderen Großstädten nicht lösen. Weiter haben die Bezirke Berlins und Hamburgs schon nach geltendem Recht eine ungleich größere Eigenständigkeit, als die Stadtteile nach den Bezirksverfassungen der übrigen deutschen Großstädte. Das bedeutet, daß unabhängig von der Frage nach der abstrakten Vergleichbarkeit, ein Vergleich für die konkrete Fragestellung wenig Aufschluß geben würde. Dies wird anschaulich an dem aus demokratietheoretischer Sicht entscheidenden Umstand der gesetzlich zwingend vorgesehenen direkten Wahl der Bezirksvertretungen in Berlin und Hamburg, denen - allerdings in unterschiedlichem Umfang - eigene Entscheidungsrechte zustehen. Insbesondere die Berliner Bezirke sind in wichtigen Punkten den Kommunen der Flächenstaaten angeglichen. Einige der Verfassungen der Länder stellen dagegen die Bildung von Bezirken in das Ermessen der Städte. Eine direkte Wahl der Bezirksvertretungen wird in vielen Großstädten der Bundesrepublik ausschließlich auf der Ebene der Gesamtkommune geduldet.39 Die Rechte 35 Wiese, Der Städtetag 1974, 301. 36 Hofmann, AfK 1965, 264. 37 Wundes, Die Bezirksvertretungen in der nordrhein-westfälischen Gemeindeordnung, 1989, S. 13. 38 Schäfer, Stadtteilvertretungen in Großstädten, Bd. 1, 1982, S. 17; Thränhardt, Die Bezirksverfassung in den Großstädten Nordrhein-Westfalens, 1977, S. 179, 182; Sattler, ZParl 1979,254, 257. 39 Dagegen sieht bspw. § 36 I 2 GO NW die unmittelbare Legitimierung der Bezirksvertretung durch die Wahl der Einwohner des Stadtbezirks vor. Zum Verhältnis der Stadtteilvertretungen zu den Reformen in den Kommunal Verwaltungen vgl. Ahlhaus, DÖV 2000,64 ff.

Β. Kommunale Selbstverwaltung in Stadtstaaten

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dieser Stadtteilvertretungen beschränken sich meist auf Anhörungs- und Vorschlagsrechte. Anders muß die Antwort ausfallen, wenn man nicht die konkrete Rechtslage, sondern die soziologischen und verwaltungsorganisatorischen Probleme von Ballungsräumen im Auge hat. Insoweit bestehen viele Überschneidungen zwischen den Stadtstaaten und den übrigen Großstädten. Auf diesen Problemkreis wird im folgenden eingegangen.

I L Kommunale Selbstverwaltung in Großstädten 1. Das „Problem" Seit langem wird darüber nachgedacht, wie in Großkommunen die kommunale Selbstverwaltung verwirklicht werden kann. Unbestritten besitzt die Preußische Städteordnung vom 19. November 1808 für die Ausprägung der kommunalen Selbstverwaltung auf deutschem Boden epochale Bedeutung, auch wenn der Begriff Selbstverwaltung im Gesetz selbst nicht erwähnt wird. 40 Nach der Vorstellung des „geistigen Vaters" dieses Gesetzes, Freiherr vom Stein, war die kommunale Selbstverwaltung auf Einheiten von wenigen hundert, maximal tausend Bürgern zugeschnitten.41 Auch die Preußische Städteordnung selbst ging noch von erheblich kleineren Einheiten als heute aus und bezeichnete schon Gemeinwesen mit 10.000 und mehr Einwohnern als „große StädteDas Gesetz sah weiter vor, daß Städte mit mehr als 800 Einwohnern in mehrere Teile zu gliedern seien. Mit dieser Regelung versuchte man eine der Grundideen vom Steins, die Bürger einer Gemeinde an der Verwaltung ihres Gemeinwesens partizipieren zu lassen, zu realisieren. 42 Nunmehr gelten Städte erst ab 100.000 Einwohnern als Großstädte. Es ist zu Recht darauf hingewiesen worden, daß heute weder die Rechtslage, das politische Bewußtsein der Bevölkerung noch das wissenschaftliche Interesse den Umstand ausreichend berücksichtigen, daß das gemeindliche Leben sich nunmehr für ein Drittel der Bevölkerung in solchen Großstädten abspielt.43 In der Weimarer Zeit ist aufgrund der seit Ende des letzten Jahrhunderts sich rapide vergrößernden Städte von Politikern sowie Kommunal- und Staatsrechtlern verstärkt die Schaffung von dezentralisierten Verwaltungseinheiten gefordert worden. Die vielen Gemeindezusammenschlüsse, die in den 20er Jahren erfolgten, hät40 Siehe zur Preußischen Städteordnung von 1808 von Unruh, Ursprung und Entwicklung der kommunalen Selbstverwaltung im frühkonstitutionellen Zeitalter, 1981, S. 57, 59; ders., DVP 1997, 358 f. Vgl. Lange, ZParl 1976,501. 42 Weinberger, Selbstverwaltung in Stadtteilen, Grundfragen einer Bezirks- und Ortsteilsverfassung, 1983, S. 323, 324. 43 Lange, ZParl 1976,501,502.

1. Teil: Die Untersuchungsobjekte Berlin und Hamburg

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ten zu einem Verlust der Partizipationschancen durch Reduzierung der ehrenamtlichen Gemeinderatsmitglieder geführt. Dies mache es notwendig, unterkommunale Verwaltungsstrukturen mit eigenen Rechten, insbesondere eigenen Bezirksvertretungen, zu schaffen. Herausragender Befürworter einer territorialen Dezentralisierung von Großstädten in dieser Zeit war Hugo Preuß, der maßgebend an der Konzeption der Reichsverfassung sowie der Verfassung von Groß-Berlin von 1920 beteiligt war. 44 Schon zu einem Zeitpunkt als es verglichen mit heute kaum Großstädte mit über 100.000 Einwohnern gab und die von der Verwaltung zu erfüllenden Aufgaben einen erheblich kleineren Umfang hatten, begründete Preuß die Notwendigkeit der Dezentralisierung der großstädtischen Verwaltung mit fast den gleichen Argumenten wie Dezentralisierungsbefürworter des ausgehenden 20. Jahrhunderts: „Nicht nur die Einwohnerzahlen, weit mehr noch der unverhältnismäßig stärker angewachsene Verwaltungsstoff einer heutigen großstädtischen Selbstverwaltung lassen die Beibehaltung des in ihrer Organisation vorherrschenden Zentralisationssystems als unzweckmäßig, unter Umständen als bedenklich erscheinen!" (Deshalb ist) „die verfassungsmäßige Organisation engerer Zentren des kommunalen Gemeinwillens, von Teilgemeinden als Selbstverwaltungskörper notwendig ... sowohl für die zeitgemäße Belebung großstädtischer Selbstverwaltung im Innern, wie auch für die Lösung des immer dringender werdenden Problems einer organisatorischen Verbindung der Großstädte mit ihren Vorortgemeinden"45.

Diese Forderung entspricht der heute vielfach vertretenen Prämisse, daß die kommunale Selbstverwaltung ab einer bestimmten Größe der Gemeinde nur durch deren Untergliederung realisiert werden kann.46 Der für die örtliche Selbstverwaltung an sich charakteristische Bürgersinn des „tua res agitur" schwinde mit wachsender Größe des Gemeinwesens47, was in Millionenstädten besonders spürbar sei.48 Speziell in bezug auf die Gewährleistung der kommunalen Selbstverwaltung nach dem Grundgesetz heißt es, daß nur durch die Schaffung von innerkommunalen „Zentren der Initiative und Entscheidung" die bei Großgemeinden latent vorhandene Gefahr einer Aushöhlung des dem Art. 28 II GG zugrundeliegenden Werts der lokalen Selbstverwaltung abgeschwächt werden könne.49 Im Zusammenhang mit der Bezirksverfassung Hamburgs spricht Lange50 von dem „ Unbehagen das 44

Siehe hierzu Grassmann, Hugo Preuß und die deutsche Selbstverwaltung, 1965, S. 45. 5 Preuß, Stichwort „Dezentralisation und Zentralisation", 1918, S. 538 f.

4

46

Vgl. hierzu Bieringer, Großstadtbezirke als Mittel zur Förderung der Selbstverwaltung, 1955, S. 11 ; Lange, ZParl 1976,501, 503. 47 Gönnenwein, Gemeinderecht, 1963, S. 366, 367. 48 Siehe dazu die bei Ipsen angeführten Gründe. Ipsen, Hamburgs Verfassung und Verwaltung, 1956, S. 396 ff. 49 Lange, ZParl 1976, 501, 504; Kreutzer, DÖV 1959, 429; Jennewein, Die Dezentralisation der Großstadtverwaltung als Rechtsproblem, 1958, S. 156; Köttgen, Kommunale Selbstverwaltung zwischen Krise und Reform, 1968, S. 209; Machalet, Die Berliner Bezirksverwaltung, 1974, S. 19, 28. Aus neuerer Zeit siehe Thieme, DÖV 1993, 361, 367 f. » Lange, Selbstverwaltung in Hamburg, 1980, S. 22.

Β. Kommunale Selbstverwaltung in Stadtstaaten

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sich angesichts des Verfassungsgebots von Art. 28 Π GG bei Großgemeinden einstellt, die in flächen- und bevölkerungsmäßiger Dimensionierung weit über die Größe „gewöhnlicher" Gemeinden hinausgehen. Andere gehen soweit zu behaupten, daß eine zentralistisch verwaltete Bevölkerung in der Größenordnung von ein bis drei Millionen notwendigerweise Autokratie bedeute.51 Ähnlich hat auch der Europarat im Jahre 1966 die Realisierbarkeit der gemeindlichen Selbstverwaltung in den europäischen Großstädten beurteilt. In seinem Bericht über die Entwicklung der kommunalen und regionalen Strukturen in Westeuropa stellt er fest, daß die Begriffe lokale Demokratie oder kommunale Selbstverwaltung nur schwerlich auf Großstädte angewandt werden können, wo knapp 100 Mandatsträger eine Millionen Einwohner vertreten sollen. Als Konsequenz empfiehlt der Rat: „Das einzige Mittel zur Abhilfe ist eine Dezentralisierung der Großstädte und Stadtzentren, die Einrichtung eines Musters innerstädtischer örtlicher Gemeinschaften, in deren Rahmen möglichst weitgehend dezentralisierte Instanzen ihre Funktion ausüben".52

Im folgenden Abschnitt wird ein Überblick über die geschichtliche Entwicklung der territorialen Untergliederung von Kommunen in Deutschland sowie der heutigen Rechtslage nach den Gemeindeordnungen der Flächenländer gegeben. Es soll untersucht werden, ob die geltenden Regelungen zur Schaffung einer eigenverantwortlichen subkommunalen Ebene geführt haben.

2. Die „Lösung"?: Die Errichtung von städtischen Untergliederungen Bereits in den Preußischen Städteordnungen von 1808,183153 und 185354 waren dekonzentrierte unterstädtische Einheiten, allerdings nicht zur Stärkung der Bürgerbeteiligung, sondern aus administrativen Zwecken vorgesehen.55 Bei den Regelungen der Preußischen Städteordnung handelte es sich noch ausschließlich um KannVorschriften, die den Räten freie Hand ließen, ob sie diese territoriale Untergliede51

Friedrich, Die politische und administrative Gliederung der großen Stadt, 1965, S. 26. Council of Europe, Report on the Evolution of Local and Regional Structures, Doc. 210, 26/9-1966, S. 18. 53 § 97 der Preußischen Städteordnung von 1831 lautet: „Wo es der Umfang der Stadt notwendig macht, wird für jeden einzelnen Stadtteil von der Stadtverordnetenversammlung ein besonderer Bezirksvorsteher gewählt, welcher..." 54 § 60 der Preußischen Städteordnung von 1853 lautet: „Städte von größerem Umfang oder von zahlreicher Bevölkerung werden von dem Magistrat nach Anhörung der Stadtverordneten in Ortsbezirke geteilt...". 52

π Siehe von Loebell, DÖV 1979, 425. Zum Bestehen von städtischen Untergliederungen im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation siehe Planitz, Die deutsche Stadt im Mittelalter, 1954, S. 205 ff.; Gierke, Das deutsche Genossenschaftswesen, Bd. 1, Rechtsgeschichte der deutschen Genossenschaft, 1868, S. 332 ff., 780. 3 Dcutelmoser

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1. Teil: Die Untersuchungsobjekte Berlin und Hamburg

rung vornehmen wollten. Um 1920 setzte eine Entwicklung zur Schaffung einer zusätzlichen ortsbezogenen Bürgerbeteiligung mittels der Errichtung von Bezirksvertretungen ein. Die Einführung dieser subkommunalen Einheiten stand meist im Zusammenhang mit den eingangs genannten Gemeindezusammenschlüssen. So wurden in den zwanziger Jahren aus diesem Grunde Bezirksverfassungen in Berlin, Hamburg und Dresden56 sowie Städten des rheinisch-westfälischen Industriereviers wie Krefeld, Ürdingen oder Wuppertal gebildet.57 Die in den 20er Jahren geschaffenen städtischen Untergliederungen wurden bis 1933 beibehalten. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme wurden bezirkliche Untergliederungen wegen der auf den Führer ausgerichteten Gleichschaltung und politischen Entmachtung der Bürger zum Teil beseitigt.58 Nach 1945 wurde in einigen Landesgesetzen die Möglichkeit und zum Teil auch die Pflicht zur Bildung von Bezirken in Großgemeinden (wieder) eingeführt. Seit den Gebietsreformen in den 70er Jahren bestehen Bezirksvertretungen in fast jeder Großstadt der Bundesrepublik. Die heute geltenden Bezirksverfassungen in den Gemeindeordnungen der einzelnen Bundesländer divergieren erheblich. Nicht nur die Frage der Kompetenzzuweisung ist unterschiedlich, auch die Einführung kommunaler Untergliederungen ist nur teilweise zwingend geregelt. Allgemein kann man sagen, daß die Bezirksverfassungen der Großkommunen nicht auf die Errichtung einer weiteren innergemeindlichen Organebene angelegt sind. Die Bezirke sind zudem wie die Gemeinden nicht in ihrem Bestand geschützt.59 In vielen Städten haben die Bezirke eher zu einer Doppelarbeit anstatt zur erhofften Entlastung der Kommunalebene geführt. 60 Häufig wird behauptet, daß die Errichtung der Bezirksvertretungen lediglich ein Trostpflaster für die Eingemeindungen ist, die keinen angemessenen Ausgleich für die verlorene Selbständigkeit der Kommunen darstellt.61 Anläßlich einer Umfrage in Nordrhein-Westfalen bezeichneten Bezirksvertreter ihre Arbeit als 56 Vgl. Unge, ZParl 1976,501, 505. 57 Siehe näher von Loebell, DÖV 1979,425 f. 58 Vgl. von der Mühlen, Kommunalpolitische Blätter 1984,1120 f. 59 Im Gegensatz hierzu geht van de Loo davon aus, daß im Einzelfall für den Landesgesetzgeber die Verpflichtung bestehen kann, einen Bezirk und eine Bezirksvertretung individuell beizubehalten. Van de Loo, VR 1999, 109 ff. In dem von ihm besprochenen Fall ist der Bestand des Bezirks Burg von der Stadt Solingen angeblich im Rahmen eines Gebietsänderungsvertrages zugesichert worden. Zunächst muß man daran zweifeln, ob dieser Vertrag heute noch gültig ist. Zudem ist dem § 35 IV 2 GO NW und entsprechenden kommunalverfassungsrechtlichen Regelungen anderer Länder eine individuelle Bezirksgarantie nicht zu entnehmen. Die Vorschrift schreibt lediglich vor, daß Stadtbezirksgrenzen nur zum Ende der Wahlzeit des Rates geändert werden können. Mit der Begründung, daß die Vereinigung von Stadtbezirken, die Absicht des Gesetzgebers, das bezirkliche Eigenleben sichern zu wollen, konterkariert, kann eine individuelle Garantie eines Bezirks nicht begündet werden. So aber van de Loo, VR 1999, S. 109, 111. 60

Beckord, Die Bezirksvertretung - ein Zentralorgan lokaler Demokratie?, 1981, S. 157,

160. 61 Weinberger, Selbstverwaltung in Stadtteilen, Grundfragen einer Bezirks- und Ortsteilsverfassung, 1983, S. 323.

Β. Kommunale Selbstverwaltung in Stadtstaaten

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„Marionettentheater", in dem „politische Sandkastenspiele" stattfänden. 62 Ob in den letzten Jahren die Arbeit der Bezirksvertretungen positiver beurteilt wird, kann mangels neuerer veröffentlichter Umfragen nicht beantwortet werden. Der weiterhin bestehende geringe Bekanntheitsgrad der Stadtteilvertretungen zeigt aber, daß sie auch heute keine relevante politische Institution sind.63 Festzuhalten bleibt deshalb, daß die bestehende Rechtslage nicht zur Errichtung einer selbständigen Bezirksebene geführt hat. In Berlin und Hamburg bestehen neben den beschriebenen Defiziten der kommunalen Selbstverwaltung in Großstädten besondere stadtstaatliche Probleme. Auf diese soll im folgenden eingegangen werden.

III· Stadtstaatliche Sonderprobleme Da in Berlin und Hamburg zwischen gemeindlicher und staatlicher Tätigkeit nicht getrennt wird, sind sie Stadtstaaten nicht nur im weiteren, sondern auch im engeren Sinn. Bremen ist dagegen nur Stadtstaat im weiteren Sinn, da es einen Gebietsverband aus den Städten Bremen und Bremerhaven darstellt.64 Die Übertragung von Aufgaben vom Senat auf die Bezirksämter ist nach der Hamburger Verfassung an keine rechtlichen Voraussetzungen geknüpft. 65 Diese Möglichkeit des Senats, den Hamburger Bezirksämtern Aufgaben zu übertragen sowie zu entziehen, veranlaßte kürzlich einen aktiven Teilnehmer der Verwaltungsreformdiskussion in Hamburg zu einer Aussage, die ein Kernproblem der Verwaltungsorganisation von Berlin und Hamburg anspricht: Aufgrund der fehlenden Trennung von staatlicher und gemeindlicher Tätigkeit bestehe „ein landesrechtliches Defizit an echten kommunalen Strukturen und Regelungen . . . , die durch unübersichtliche Mischformen von ministerieller und zentraler sowie regionaler ausführender Verwaltung geprägt ist". 66 Zur Würdigung dieser Aussage bedarf es eines Hinweises auf die von den Regierungen von Berlin und Hamburg zu erledigenden Aufgaben. Im Gegensatz zur Situation in anderen Großkommunen müssen die Regierungen dieser beiden Städte aufgrund des bestehenden Doppelstatus neben kommunalen auch staatliche Aufgaben wahrnehmen. Sowohl die Hamburger als auch die Berliner Verfassung bestim62

Beckord, Die Bezirksvertretung - ein Zentralorgan lokaler Demokratie?, 1981, S. 157,

189. 63

Zur Frage, ob Bezirksvertretungen von Großkommunen als Volksvertretungen iSv Art. 28 I 2 GG zu qualifizieren sind, siehe zuletzt Hlépas, DVB1. 1991, 1136,1138. 64 Siehe hierzu Einleitung, 1. Zu den Reformüberlegungen sowie den laufenden Reformen in Bremen vgl. Krämer-Badoni/Petrowsky, Stadtstaat und Stadtteilvertretungen, 1995, S. 18 ff.; Thieme, DÖV 1993, 361 ff.; Mönnich, DVP 1997, 360 ff. 65 Allerdings muß der Senat die Vorgaben von § 3 II BezVG beachten. 66 Strenge, Verwaltung und Bürger in Hamburg, 1994, S. 91,94. 3*

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1. Teil: Die Untersuchungsobjekte Berlin und Hamburg

men, daß die Exekutive in den Händen der Regierung - dem Senat (Art. 3 I, 55 I, 67 I, Π BerlVerf; Art. 33 HV) - liegt. Die Regierungen der Stadtstaaten haben somit das Problem zu lösen, wie sie dieser Doppelfunktion gerecht werden sollen. In der Vergangenheit wurde häufig beklagt, daß die fehlende Trennung von staatlicher und gemeindlicher Tätigkeit verhindert, daß sich die Zentralverwaltung auf ihre eigentlichen Aufgaben, nämlich auf Rahmenvorgaben, Planung und Führungsentscheidungen ausreichend konzentrieren kann. Dieser Punkt ist sowohl von der Enquete-Kommission67 als auch der Haas-Kommission68 kritisiert worden. Auch die jüngsten Verwaltungsreformen in Berlin und Hamburg haben sich die Entflechtung von Führungsaufgaben und örtlichen Aufgaben zum Ziel gemacht. Vergegenwärtigt man sich die von den Landesregierungen heute zu erfüllenden staatlichen Aufgaben, wird die Berechtigung dieser Klagen deutlich. Durch die Entwicklung zum unitarischen Bundesstaat, der für die Länder eine schwindende Möglichkeit zur eigenständigen rechtlichen und politischen Gestaltung bedeutet, kommt ihrer Mitwirkung bei der Bundesgesetzgebung immer größere Bedeutung zu. 69 Die Arbeit im Bundesrat zur Wahrnehmung der bundespolitischen Aufgaben macht aufgrund des Einstimmigkeitsprinzips (Art. 51 III 2 GG) ein genau abgestimmtes und geschlossenes Handeln notwendig. In der Praxis verlaufen die Sitzungen der Regierungen von Berlin und Hamburg aber folgendermaßen: Aufgrund der fehlenden Trennung von staatlichen und gemeindlichen Aufgaben können und werden am gleichen Tag sowohl Fragen zur Griinflächenbepflanzung in den Bezirken wie Stellungnahmen zu Vorlagen des Bundesrats behandelt.70 Für die Tagesordnungen der Bürgerschaft und des Abgeordnetenhauses gilt entsprechendes. Es bedarf keiner weiteren Erörterung, daß dergestalte Tagesordnungen eine ausreichende Konzentration auf die staatlichen Landes- sowie Bundesaufgaben erheblich erschweren. Diese rechtliche Sondersituation führt weiter dazu, daß Regierungsmitglieder in Stadtstaaten Kenntnisse und Qualitäten von Landes-, Bundes- und Kommunalpolitikern haben müssen. Ein vielfach beklagtes Problem in Berlin und Hamburg sind außerdem die unklaren Zuständigkeitsregelungen zwischen Hauptverwaltung und Bezirken in Berlin sowie zwischen Senat, Fachbehörden und Bezirken in Hamburg, die zu Doppelarbeit und extrem langen Bearbeitungszeiträumen von Verwaltungsvorgängen führen. Diese Punkte werden im Rahmen der Einzeluntersuchungen von Berlin und Hamburg noch ausführlich dargestellt.

67 Enquete-Kommission, 1984, S. 7 ff. 68 Haas-Kommission, 1981, S. 102 ff. 69 Degenhart, Staatsrecht I, 1998, Rn. 180. Die Länder neigen aufgrund dieser Entwicklung zunehmend dazu, ihr politisches Gewicht im Verhältnis zum Bund auch parteiübergreifend zur Geltung zu bringen. 70 Siehe die Beispiele von Lange zu den Sitzungen des Hamburger Senats. Lange, Selbstverwaltung in Hamburg, 1980, S. 44. Weitere Beispiele bei Voscherau, Hamburg - Stadtstaat oder nur Staat?, 1994, S. 3,6.

Β. Kommunale Selbstverwaltung in Stadtstaaten

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Eine weitere Schwierigkeit ist, daß in Stadtstaaten die Gebietskörperschaft konkret für Berlin und Hamburg das Abgeordnetenhaus und die Bürgerschaft sich ihre innere Verfassung selbst gibt. Die Bezirksverfassung der sonstigen Großstädte wird dagegen von dem Landesgesetzgeber, als einer mit den Gemeindeparlamenten nicht identischen Institution, geschaffen. Mit den Worten Sendlers hat dies den Nachteil, „daß bei einer solchen Selbstgesetzgebung die Interessenverquickung enger und die Verfilzungsgefahr größer ist, als wenn die gesetzlichen Vorgaben von Leuten geschaffen werden, die mehr Distanz zur Sache und zur betroffenen Örtlichkeit haben".71 Für die hier untersuchte Frage stellt sich das Problem der „ Selbstgesetzgebung " am Beispiel von Berlin so dar: Das Abgeordnetenhaus entscheidet darüber, inwieweit Rechte von der Hauptverwaltung an die Bezirke abgegeben werden. Die meisten Gesetzentwürfe, die vom Abgeordnetenhaus verabschiedet werden, stammen vom Senat. Gemäß Art. 67 I BerlVerf nimmt der Senat durch die Hauptverwaltung die Aufgaben wahr, die von gesamtstädtischer Bedeutung sind. Damit entscheidet der Senat bei der Übertragung von Rechten auf die Bezirke über seine eigene „Entmachtung". Neben den bisher angesprochenen allgemeinen stadtstaatlichen Problemen bestehen in Berlin und Hamburg noch eine Fülle von weiteren verwaltungsorganisatorischen Schwierigkeiten. Diese hängen mit den spezifischen Verwaltungsstrukturen der beiden Städte zusammen und werden deshalb im Rahmen der Einzeluntersuchungen erörtert. Wie in der Einleitung angesprochen, haben die Haas-Kommission72 sowie die Enquete-Kommission73 aufgrund der dargestellten Probleme ins Zentrum ihrer Reformvorschläge das Prinzip der Dezentralisation in Form der Stärkung der Eigenständigkeit der Bezirksebene gestellt. Dem hat sich die Stadtstaaten-Kommission74 angeschlossen. Auch von einem Teil der Berliner und Hamburger Literatur wird die bezirkliche Selbstverwaltung als eines der wichtigsten Prinzipien angesehen, die es zur Lösung der angesprochenen verwaltungsorganisatorischen Defizite in den Stadtstaaten umzusetzen gilt. 75 Im folgenden Kapitel werden die verschiedenen Ausprägungen, die der Begriff Dezentralisation in den letzten Jahrzehnten erfahren hat sowie die mit diesem Organisationsprinzip verbundenen Funktionen dargestellt. Es gilt, sich Klarheit darüber zu schaffen, welchem Sinn und Zweck eine dezentralisierte Verwaltung in Form der Schaffung einer eigenständigen bezirklichen Selbstverwaltungsebene dient. Ansonsten kann die Praxis der in weiten Strecken zentralistisch ausgerichte-

71 Sendler, DÖV 1987, 366, 372. Seine Ausführungen beziehen sich zwar nur auf Berlin, sind aber auf Hamburg übertragbar. 72 Haas-Kommission, 1981, S. 102 ff. 73 Enquete-Kommission, 1984, S. 7 ff. 74 Stadtstaaten-Kommission, 1988, S. 197 ff. 75 Siehe hierzu ausführlich 1. Teil, D. und E. passim.

38

1. Teil: Die Untersuchungsobjekte Berlin und Hamburg

ten „stadtstaatlichen Einheitsverwaltung" wertung unterzogen werden.

keiner überzeugenden kritischen Be-

C. Dezentralisation, Dekonzentration und Selbstverwaltung Nicht nur in bezug auf den Verwaltungsaufbau in den Stadtstaaten, sondern auch in der Diskussion um die verwaltungsorganisatorische Umstrukturierung zahlreicher Städte und Gemeinden durch Einführung des Neuen Steuerungsmodells, steht die Notwendigkeit der Dezentralisation im Vordergrund der verfolgten Ziele. Auch der heute von vielen angestrebte Vollzug der öffentlichen Aufgaben durch selbständige Verwaltungseinheiten76 bzw. die Auslagerung auf nichtstaatliche Träger zur Verschlankung des Staates sowie die funktionale Selbstverwaltung stellen Ausformungen der Dezentralisation dar. Aufgrund dieser unklaren und sich überschneidenden Terminologie ist es notwendig, zunächst die Begriffe Zentralisation/ Dezentralisation, Konzentration/Dekonzentration und Selbstverwaltung zu unterscheiden.

I. Begriffliches Mit den Organisationsprinzipien der Dezentralisation und der Dekonzentration hat sich bereits die Staatsrechtslehre der Weimarer Zeit eingehend befaßt. Aus Anlaß anstehender Verfassungs- und Verwaltungsreformen in der Weimarer Republik entstand Peters Arbeit über Zentralisation und Dezentralisation. Seitdem dienen die Begriffspaare Zentralisation/Dezentralisation und Konzentration/Dekonzentration, letztere bezeichnet er als administrative Dezentralisation, als grundlegende Kategorisierungen, mit denen sich viele Phänomene der Untergliederung und Ausdifferenzierung staatlicher Verwaltungsorganisation erfassen lassen. Hier interessieren neben seiner Definition von Dezentralisation und Dekonzentration, die im Lauf der Zeit allerdings einigen Präzisierungen und Bedeutungsverschiebungen ausgesetzt waren, die von ihm herausgearbeiteten Funktionen der beiden genannten Prinzipien.77 Keiner näheren Untersuchung bedarf hier der von Peters verwen76 Vgl. zu diesem sich allmählich durchsetzenden „Sammelbegriff für nicht-ministerielle Einheiten" Schuppert, DÖV 1981, 153, 154; Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 1991, S. 225 ff. Seitens der Lehre wurde zur Systematisierung der nicht in die hierarchische Ministerialverwaltung eingefügten Verwaltungseinrichtungen eine Vielzahl von weiteren Bezeichnungen entwickelt, wie zum Beispiel rechtsfähige Verwaltungseinheiten, mittelbare Staatsverwaltung, verselbständigte Verwaltungseinheiten und ministerialfreie Verwaltung. 77 Siehe hierzu Abschnitt II. dieses Kapitels.

C. Dezentralisation, Dekonzentration und Selbstverwaltung

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dete Begriff der Konzentration, da er diesen auf wirtschaftliche Prozesse beschränkt.78 (Unabhängige) Dezentralisation lag nach der Auffassung von Peters dort vor, „wo ein Anweisungsrecht der Zentrale fehlt und demgemäß eine Gehorsamspflicht der dezentralisierten Stellen nur insoweit besteht, als sie gesetzlich ausdrücklich begründet ist, wobei die dezentralisierten Stellen regelmäßig mit eigener Rechtspersönlichkeit ausgestattet sind und auf eigene Verantwortung handeln." Die heute herrschende Auffassung der Kommunal- und Verwaltungsrechtler versteht unter Dezentralisation die Übertragung von Verwaltungsaufgaben auf selbständige Verwaltungseinheiten zu eigenverantwortlicher Wahrnehmung unter beschränkter Aufsicht des zentralen Verwaltungsträgers und lehnt sich damit stark an die Definition von Peters an. 79 Nach dieser Ansicht ist das formale Kriterium der Rechtsfähigkeit nicht notwendige Voraussetzung für die Annahme einer selbständigen und eigenverantwortlichen Wahrnehmung von Selbstverwaltungsaufgaben. 80 Für die Einheitsgemeinden Berlin und Hamburg bedeutet der Verzicht auf das Merkmal der Rechtsfähigkeit, daß eine dezentralisierte Verwaltung in diesen Stadtstaaten auch denkbar ist, wenn an der fehlenden (vollen) Rechtsfähigkeit der Bezirke festgehalten wird. Auf die „Relativität der Rechtsfähigkeit"* 1 von Organisationseinheiten kann hier im einzelnen nicht eingegangen werden. Hier muß der Hinweis genügen, daß die Unterscheidung von organisatorischen Einheiten mit und ohne Rechtsfähigkeit in erster Linie festlegt, welche Organisationen Vermögens· und haftungsrechtlich sowie zivilprozessual eigenständige Subjekte sind. Die sogenannte volle Rechtsfähigkeit bedeutet deshalb nicht notwendig Selbständigkeit im verwaltungs- und verfassungsrechtlichen Sinn.82 Die Existenz von entscheidungsbefugten Fachbereichen bzw. Fakultäten von Universitäten, Ausschüssen etc. zeigt, daß die Frage, ob den Einheiten eigene Rechte übertragen worden sind, unabhängig von der Frage nach der Verleihung der vollen Rechtsfähigkeit zu sehen ist. Nach überwiegender Auffassung besitzen die letztgenannten Institutionen für ihren Selbstverwaltungsbereich die sogenannte Teilrechtsfahigkeit. 83 Bei 78 Peters, Zentralisation und Dezentralisation, 1928, S. 4. Als praktische Beispiele nennt er Fusionen von Unternehmen und die Rationalisierung der Privatwirtschaft. 79 Machalet, Die Berliner Bezirksverwaltung, 1974, S. 22; Uhlitz, Dekonzentration und Dezentralisation, 1967, S. 255, 266; Bauer, Dezentralisation der Großstadtverwaltung, 1951, S. 45; Jennewein, Die Dezentralisation der Großstadtverwaltung als Rechtsproblem, 1958, S. 18 f. Aus jüngerer Zeit siehe Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 1991, S. 223 ff.

so So ausdrücklich Machalet, Die Berliner Bezirksverwaltung, 1974, S. 23; Uhlitz, Die Rechtsstellung der Berliner Bezirke, 1953, S. 33, 37, 39; ders., Dekonzentration und Dezentralisation, 1967, S. 255, 261, 263; Bauer, Dezentralisation der Großstadtverwaltung, 1951, S. 31,33. 81

Vgl. die gleichnamige Monographie von Fabricius, 1963. Siehe hierzu die Beispiele bei Böckenförde, Organ, Organisation, Juristische Person, 1973, S. 269, 304 f. « Siehe nur Wolff/ Bachof/Stober, Verwaltungsrecht 1,1994, § 32 Rn. 7. 82

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1. Teil: Die Untersuchungsobjekte Berlin und Hamburg

der Frage, ob eine dezentralisierte Verwaltungseinheit vorliegt, kann demnach auf das Merkmal der vollen Rechtsfähigkeit verzichtet werden. Den folgenden Ausführungen wird deshalb die Definition der Dezentralisation der heute herrschenden Meinung zugrundegelegt. Peters Definition der Dekonzentration - in seiner Terminologie administrative Dezentralisation - lautet wie folgt: „Das Bestehen eines Unterordnungsverhältnisses zwischen Zentrale und dezentralisierter Stelle, welches so eng ist, daß erstere der letzteren stets bindende Anweisungen geben kann, freilich auch für die Handlungen der dezentralisierten Stellen die Verantwortung trägt" 84. Dies entspricht weitgehend den heute üblichen Definitionen von Dekonzentration: die Übertragung von Aufgaben an weisungsgebundene untergeordnete Verwaltungsträger. 85 In der konkreten rechtlichen Ausgestaltung unterliegt eine dekonzentrierte Verwaltungseinheit deshalb der Fach- und Rechtsaufsicht, eine dezentralisierte dagegen nur der Rechtsaufsicht. Zentralistisch ist eine Verwaltungsorganisation, wenn alle Entscheidungsbefugnisse bei einer Instanz oder gar einer Behörde gebündelt sind. Allerdings schließt eine bloße Mehrzahl von Instanzen eine Zentralisation nicht aus. Das entscheidende Kriterium für die Frage, ob eine zentralistische, eine dekonzentrierte oder eine dezentralisierte Verwaltungsorganisation vorliegt, ist demnach der Grad der Steuerbarkeit der unteren Instanzen oder - von unten gesehen - der Grad der Abhängigkeit der unteren Instanzen von der Behördenspitze.86 Nach ganz überwiegender Ansicht ist die Selbstverwaltung, die üblicherweise mit Ausgliederung von in der Regel verselbständigten juristischen Personen des öffentlichen Rechts aus dem Bereich der unmittelbaren Staatsverwaltung unter Gewährung eines Mindestmaßes an Selbständigkeit und Selbstbestimmung umschrieben wird, eine Form der innerstaatlichen Organisationsform der Dezentralisierung. 87 Auch insoweit besteht weitgehend Übereinstimmung mit der Auffassung Peters. Nach ihm bedeutet unabhängige Dezentralisation auf dem Gebiet der Verwaltung „Selbstverwaltung im Rechtssinne, also die eigenverantwortliche Erfüllung gemeinschaftlicher öffentlicher Aufgaben im eigenen Namen durch dem Staat eingegliederte, rechtsfähige öffentliche Verbände mit eigenen gewählten Organen unter der Aufsicht des Staates".88 Allerdings wird zu Unrecht Dezentralisation häufig auf Selbstverwaltung und Selbstverwaltung auf kommunale Selbstverwaltung reduziert, obwohl es Dezentralisierungsformen - wie zum Beispiel die Anstalten des öffentlichen Rechts - gibt, die nicht auf dem Selbstverwaltungsgedan8* Peters, Zentralisation und Dezentralisation, 1928, S. 17. 85 Siehe nur Schäfer, Stadtteilvertretungen in Großstädten, Bd. 1,1982, S. 130. 86 Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 1991, S. 223,224. 87 Pagenkopf, Kommunalrecht, Bd. 1, 1975, S. 43 f.; von Unruh, DÖV 1974, 649 f.; Salzwedel, VVDStRL 22 (1965), S. 206, 216 mwN; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1997, § 23; Achterberg, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1986, § 11 Rn. 1 f. 88 Peters, Zentralisation und Dezentralisation, 1928, S. 18.

C. Dezentralisation, Dekonzentration und Selbstverwaltung

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ken beruhen.89 Umgekehrt beinhaltet das Prinzip Selbstverwaltung nach häufig vertretener Auffassung ein materiales Element, welches mit Betroffenenverwaltung oder mit staatsbürgerlicher Partizipation in eigenen Angelegenheiten umschrieben werden kann und auf den „Autonomiegedanken " rückführbar ist. 90 Dezentralisation umschreibt dagegen in erster Linie ein Organisationsprinzip, welches zu einer Erhöhung der Partizipationsmöglichkeiten führen kann, dies aber nicht begriffswesentlich voraussetzt. Mit anderen Worten: „Ein Selbstverwaltungsbegriff, der auf die Rechtsfähigkeit der Verwaltungseinheit, auf mittelbare Staatsverwaltung oder Dezentralisation abstellt, wird zu einem hohlen Allerweltsbegriff, der um so überflüssiger ist, als diese Erscheinungen schon durch andere verwurzelte Begriffe hinreichend determiniert sind".91 Auf die verschiedenen Konzeptionen zur Selbstverwaltung kann hier im einzelnen nicht eingegangen werden. Holzschnittartig kann man die zahlreichen Vorstellungen zur Selbstverwaltung in Anhänger eines mehr formalen und eines mehr materialen Selbstverwaltungsbegriffs einordnen. Jüngst hat Jestaedt versucht, einen juristisch-dogmatisch brauchbaren, abstrakten Selbstverwaltungsbegriff zu bestimmen, der die beiden Gruppen vereinigt.92 Auch seine Überlegungen gehen aus von dem Gegensatzpaar eines „etatistisch-technokratischen" 93 und eines „liberalselbstverwaltungsgeneigten" Verständnisses. Ersteres bezeichnet er auch als formal oder dérivât, letzteres als material oder originär. Die formale Selbstverwaltungskonzeption zeichne sich dadurch aus, daß sie vornehmlich auf die organisationsrechtliche Verselbständigung, die Übertragung von Hoheitsaufgaben zur eigenverantwortlichen Erledigung sowie die Beschränkung der Staatsgewalt im engeren Sinn auf bloße Rechtsaufsicht und damit Fachweisungsfreiheit für den Selbstverwaltungsträger, abstelle. Die materiale Selbstverwaltungskonzeption baue zwar in der Regel auf diesem formalen Selbstverwaltungsbegriff auf, füge diesem aber das materiale Charakteristikum der staatsbürgerlichen Partizipation in eigenen Angelegenheiten hinzu. Eine rein formale Betrachtungsweise würde sich in der Hervorhebung des Dezentralisierungsgedankens im Hinblick auf die Staats- und Verwaltungsorganisation erschöpfen. Eine nur materiale Betrachtungsweise würde übersehen, daß jeder Selbstverwaltungsträger als Willens- und Entscheidungseinheit hinreichend verfestigter Organisationsstrukturen bedarf, die ihn einerseits als Willensverband handlungsfähig und andererseits dem Staat im engeren Sinne gegenüber abgrenzbar machen.94

89 Vgl. hierzu Schäfer, Zentralisation und Dezentralisation, Bd. 1, 1982, S. 14. 90 Vgl. hierzu die umfangreichen Nachweise bei Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominalverwaltung, 1993, S. 67, Fn. 157-159. 91 Vorbrugg, Unabhängige Organe der Bundesverwaltung, 1965, S. 70. 92 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominalverwaltung, 1993, S. 65 ff. 93 So die Bezeichnung von Emde, als deren Hauptvertreter er Fors thoff anführt. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 7. 94 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominalverwaltung, 1993, S. 68.

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1. Teil: Die Untersuchungsobjekte Berlin und Hamburg

Dieses kombinierte Selbstverwaltungsverständnis wird im folgenden der Arbeit zugrundegelegt. Soweit von dem Ziel der Dezentralisation in den Stadtstaaten die Rede ist, ist damit eine Verlagerung von Entscheidungsbefugnissen in die Bezirke sowie die Stärkung der Eigenständigkeit der Bezirksebene - insbesondere der Bezirksvertretungen - gemeint. Bei den Untersuchungsobjekten Berlin und Hamburg wird zu klären sein, ob und wenn ja in welchem Umfang, den Bezirken Selbstverwaltungsrechte zustehen. Unter Zugrundelegung der formalen Sichtweise wird man von bezirklichen Selbstverwaltungsrechten sprechen können, wenn den Bezirken Entscheidungsrechte zustehen, die sie eigenverantwortlich wahrnehmen können und die Aufsicht der Zentralverwaltung in erster Linie auf Rechtsaufsicht beschränkt ist. Für die Erfüllung des materialen Elements ist entscheidend, ob die Institution der Berliner Bezirksverordnetenversammlung und der Hamburger Bezirksversammlung geeignet sind, staatsbürgerliche Partizipation in den Angelegenheiten des Bezirksvolks zu gewährleisten. Weiter unterscheidet man heute häufig zwischen territorialer und funktionaler Selbstverwaltung. Unter erstere fällt die kommunale sowie die bezirkliche Selbstverwaltung. Unter letzterer versteht man die primär aufgaben- und nicht gebietsbezogene Verwaltung durch an fachliche Weisungen nicht gebundene juristische Personen des öffentlichen Rechts, deren Entscheidungsorgane typischerweise aus den Mitgliedern rekrutiert werden. Beispiele für eine tatsächliche Ausgestaltung der funktionalen Selbstverwaltung sind die Berufskammern (Handwerks-, Rechtsanwalts-, Ärzte-, Industrie- und Handelskammer), die Sozialversicherungsträger, die Bundesanstalt für Arbeit und die Hochschulen. Die Vereinbarkeit der Errichtung von funktionalen Selbstverwaltungskörperschaften mit dem Demokratieprinzip des Grundgesetzes ist ein in den letzten Jahren verstärkt diskutiertes Problem.95

II. Funktionen der verschiedenen Organisationsprinzipien Bei Zentralisation und Dezentralisation handelt es sich um entgegengesetzte Organisationsprinzipien. Es gibt keine allgemeine Regel, nach der man sagen kann, 95

Neben der Monographie von Emde zur demokratischen Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung ist kürzlich eine weitere Monographie von Kluth zum verfassungsrechtlichen Status der funktionalen Selbstverwaltung erschienen. Auf diese wird verwiesen. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung: eine verfassungsrechtliche Studie anhand der Kammern, der Sozialversicherungsträger und der Bundesanstalt für Arbeit, 1991. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997. Eine kurze Zusammenfassung der Problematik findet sich bei Möllers, VerwArch 90 (1999), 187,189 f. Den Begriff funktionale Selbstverwaltung verwenden bspw. auch Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, 1987, § 22 Rn. 33; Schuppert, Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch verselbständigte Verwaltungseinheiten, 1981, S. 65 ff.; Obermayer, Grundzüge des Verwaltungsrechts und Verwaltungsprozeßrechts, 1975, S. 15; Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, 1984, S. 43.

C. Dezentralisation, Dekonzentration und Selbstverwaltung

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daß grundsätzlich dem einen oder dem anderen Prinzip im Staats- bzw. im Verwaltungsaufbau der Vorzug zu geben ist. So bewirken etwa mit eigenen Rechten ausgestattete Gemeinden im Staat eine Streuung der staatlichen Entscheidungsmacht sowie Kontrollmöglichkeiten, was man als wünschenswert zur Vermeidung von Machtkonzentration werten kann. Gleichzeitig kann es sinnvoll sein, die Gemeinden in sich nach zentralistischen statt dezentralistischen Gesichtspunkten aufzubauen, um eine effektive und einheitliche Verwaltung dieser Gebietseinheit zu garantieren. Es ist nun selbstverständlich nicht Aufgabe einer juristischen Untersuchung, ein Werturteil über die Vor- und Nachteile von divergierenden Oiganisationsprinzipien abzugeben. Notwendig ist aber, daß man sich der Folgen und Ziele dieser Prinzipien bewußt ist. Die einzelnen Faktoren ermöglichen es aufzuzeigen, welche Konsequenzen mit der Entscheidung der Gesetzgeber von Berlin und Hamburg für das Prinzip der Dezentralisation in Form der Gewährleistung von wehrfähigen bezirklichen Selbstverwaltungsrechten verbunden wären. Grundlegender Vorteil der Zentralisation ist nach Peters 96 die Begründung der politischen Einheit des Gemeinwesens sowie die Rechts- und Verwaltungseinheit. Von den von ihm genannten Vorteilen haben heute außerdem das Entgegenwirken von Ungleichheiten und damit potentiellen Ungerechtigkeiten Bedeutung. Zu nennen sind weiter die Möglichkeit der Unterdrückung partikularistischer Sonderwünsche sowie die Vereinfachung und Verbilligung der Organisation des Gemeinwesens. Hauptvorteil der Dezentralisation soll dagegen die individualistische und damit Freiheit fördernde Grundtendenz der Dezentralisation aufgrund des stärkeren Hervortretens des Einzelnen sein. Sie führe außerdem zu einer Beschleunigung des Geschäftsverkehrs und gebe die Möglichkeit der individuellen Reaktion auf unterschiedliche wirtschaftliche Verhältnisse (Agrar- und Industriegebiet etc.). Schließlich vermeide sie das Problem der Unkenntnis der örtlichen Verhältnisse bei der Zentrale, bilde eine „treffsichere Waffe gegen Bürokratie" und führe zu einer Entlastung der Zentralbehörden 9 7 Die von Peters genannten Vorteile der Dezentralisation stimmen weitgehend mit den von Schäfer in seiner umfassenden Untersuchung zu den mit der Errichtung der bundesrepublikanischen Stadtteilvertretungen genannten Hoffnungen überein. 98 Weiter entsprechen sie den mit der Bildung von kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften verfolgten Zielen. 96 Soweit die Darstellung von Peters Ziele und Vorstellungen umfassen, die heute als überwunden bezeichnet werden können, werden diese selbstverständlich weggelassen. So behauptet er bspw., daß dort „wo die Einsicht der Bewohner infolge ihrer niedrigen Kultur und Zivilisation noch nicht so weit fortgeschritten ist, daß sie den Vorteilen der Dezentralisation das genügende Verständnis entgegenbringen,... die Zentralisation stets vorzuziehen" ist. Peters, Zentralisation und Dezentralisation, 1928, S. 42 ff. 97 Peters, Zentralisation und Dezentralisation, 1928, S. 48,49. 98 Nach Schäfer sind Stadtteilvertretungen jene Institutionen, die auf der Ebene eines Stadtbezirks und auf der Grundlage landes- und ortsrechtlicher Vorgaben gebildet werden,

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1. Teil: Die Untersuchungsobjekte Berlin und Hamburg

Nach Schäfer sind Stadtteilvertretungen Bestandteile des politisch-administrativen Systems der Städte, von denen die Entlastung gesamtstädtischer Institutionen erwartet wird. Weiter sollen sie zu einem Mehr an Bürgernähe und zur Kontrolle der Hauptverwaltung führen sowie das Aufgreifen und Einbringen von Bürgerwünschen und -bedürfhissen in den kommunalen Entscheidungsprozeß (Integrationsfunktion) ermöglichen. Wichtigste Funktion der Stadtteilvertretungen ist seiner Ansicht nach die Artikulation und Durchsetzung bezirklicher Interessen sowie eine Vergrößerung der Partizipationsmöglichkeiten. Die mit der kommunalen Selbstverwaltung" verbundenen Vorteile hat von Mutius ausführlich in einem viel beachteten Gutachten zum 53. Juristentag100 aufgezählt, die hier zusammengefaßt wiedergegeben werden sollen: Erstens führe die Einrichtung von Gebietskörperschaften zu Freiräumen für die eigenverantwortliche Selbstverwirklichung ihrer Einwohner durch dezentralisierende organisatorische, personelle und funktionelle Gewaltentrennung, -balancierung und -ergänzung gegenüber Bund und Ländern. Zweitens stellten die demokratischen und sozialen Koordinations- und Integrationsfaktoren der kommunalen Gebietskörperschaften eine wesentliche Plattform für die Artikulation und mehrheitliche Umsetzung politischen Willens dar. Drittens führten die Gebietskörperschaften zur Befriedigung elementarer ökonomischer, sozialer und kultureller Bedürfhisse ihrer Bürger.

I I I . Dezentralisation im Sinne des Neuen Steuerungsmodells Hamburg und Berlin orientieren sich bei ihren derzeitigen Verwaltungsreformen in weiten Strecken an den Instrumenten des Neuen Steuerungsmodells der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung (KGSt). 101 Bei diesem Neuen Steuerungsmodell sowie dem New Public Management102 spielt das um bezirkliche Interessen und Belange zu artikulieren. Schäfer, Stadtteilvertretungen in Großstädten, Bd. 1,1982, S. 17. 99 Zu den Funktionen des allgemeinen Rechtsprinzips der Selbstverwaltung siehe Schuppen, AöR 114(1989), 127,129 ff. 100 Von Mutius, Gutachten zum 53. DJT, 1980. 101 Hintergrund dieser Modellentwicklung durch die KGSt war die immer drückender werdende Finanzkrise. Man hoffte, durch das Neue Steuerungsmodell und die in ihm verankerten Instrumente trotz ständiger Finanzkürzungen die nötige Handlungsfähigkeit der Kommunen sicherstellen zu können. Siehe hierzu Reichard, Umdenken im Rathaus, 1996, S. 10 f. 102 1994 befand sich das Neue Steuerungsmodell noch im Experimentierstadium und war hauptsächlich auf kleine Bereiche wie Bäder, Volkshochschulen, Sportstädten beschränkt. Das Modell steht in wichtigen Punkten im Einklang mit dem seit ca. 15 Jahren sich weltweit herausbildenden neuen Verständnis von Verwaltungsmanagement, das im internationalen Sprachgebrauch als New Public Management bezeichnet wird. Das New Public Management verfolgt als Zielvorstellungen professionelleres, an Privatunternehmen orientiertes Management, Stärkung des Wettbewerbsdenkens innerhalb der Verwaltung, ziel- und ergebnisbezo-

C. Dezentralisation, Dekonzentration und Selbstverwaltung

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Prinzip der Dezentralisation eine entscheidende Rolle. 103 Wie aufgezeigt wurde, wird der Begriff Dezentralisation von der Verwaltungswissenschaft im Verhältnis zwischen verschiedenen Verwaltungsträgern, nicht aber hinsichtlich eines Verwaltungsträgers verwandt. Im Zusammenhang mit den Neuen Steuerungsmodellen ist mit Dezentralisation dagegen die Verlagerung von Aufgaben innerhalb eines Verwaltungsträgers gemeint. Auf dieses Verständnis der Dezentralisation soll im folgenden näher eingegangen werden. Hauptziele des Neuen Steuerungsmodells sind die weitgehende Selbststeuerung dezentraler Einheiten bei wirksamer zentraler Rahmensteuerung sowie eine abgestufte, weitgehend delegierte Ergebnisverantwortung („ Einheit von Fach- und Ressourcenverantwortung") . 1 0 4 Durch Kompetenz- und Ressourcenverteilung soll eine flexible, zeitnahe und bürgerfreundliche Problembewältigung erreicht werden. Die traditionell zentrale, streng hierarchisch gegliederte Steuerung soll durch Fachaufsicht sowie Geldzuweisung in den jeweiligen Haushaltstiteln durch produktorientierte Steuerung ersetzt werden, die auf Beeinflussung und Kontrolle von Schlüsselparametern beschränkt ist. 105 Häufig wird in der Praxis vom Dienstleistungsunternehmen Verwaltung gesprochen106, welches die zentralistisch-bürokratische Steuerung durch eine dezentrale, wettbewerbsorientierte Anreizsteuerung ablösen soll. 107 Die in dem Neuen Steuerungsmodell vorgesehene Übernahme betriebswirtschaftlicher Organisations- und Managementkonzepte ist aufgrund des verengten Aufgabenverständnisses, nach welchem Verwaltung ausschließlich als Dienstleistungsunternehmen konzipiert ist 108 , ihrer Terminologie, ihrer in Teilbereichen fraglichen Vereinbarkeit mit der Verfassung 109, etc. umstritten. Eine Würdigung gene Steuerung sowie - im Rahmen dieser Arbeit von alleinigem Interesse - dezentrale, die Selbständigkeit fördernde Strukturen. Reichard, Umdenken im Rathaus, 1996, S. 24. 103 Zum Stand der Reformen siehe insbesondere Hill, Neue Organisationsformen in der Staats- und Kommunalverwaltung, 1997, S. 65 ff. 104 Reichard, Umdenken im Rathaus, 1996, S. 35. 105 Eifert, Die Verwaltung 1997, 75, 76. 106 KGSt-Bericht 5/1993, S. 9. 107 Reichard, Umdenken im Rathaus, 1996, S. 51. los Vgl. in bezug auf Berlin nur Dehnhard, apf 1996, Heft 4; ders., Verwaltung und Management 1996, 229 ff., 303 ff. 109

Zu den kommunalverfassungsrechtlichen Grenzen der Einführung des Neuen Steuerungsmodells siehe aus jüngster Zeit Oebbecke, DÖV 1998, 855 ff. Dieser Beitrag beschäftigt sich insbesondere mit der Vereinbarkeit der Budgetierung, die der Verwaltung bewußt Spielraum bei der Bewirtschaftung läßt, und des Kontraktmanagements mit Art. 28 I 2 GG. Zu den Grenzen des Gemeindeverfassungsrechts in Form von Handlungsformgeboten und Zuständigkeitsanordnungen, die bei den Kontrakten zwischen Verwaltung und Politik beachtet werden müssen, siehe Piinder, DÖV 1998,63 ff. Seiner Ansicht nach kollidiert die vom Neuen Steuerungsmodell geforderte Dekonzentration der Kompetenzen auf die Fachbereiche mit der nach wie vor hierarchischen Struktur der Gemeindeverwaltung. Pünder, DÖV 1998, 63, 68. Zur Frage, wie sich dezentrale Fach- und Ressourcen Verantwortung, Budgetierung, Kon-

1. Teil: Die Untersuchungsobjekte Berlin und Hamburg

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dieser grundsätzlichen Bedenken kann im Rahmen dieser Arbeit nicht geleistet werden. 110 Allerdings wird bei der Untersuchung der laufenden Verwaltungsreformen in Berlin und Hamburg auf die spezifischen Schwierigkeiten, die sich bei der Umsetzung dieses Modells in Hamburg und Berlin ergeben, näher einzugehen sein. Die genannten Ziele des Neuen Steuerungsmodells stimmen mit den unter 2. dargestellten Zielsetzungen des Prinzips der Dezentralisation überein. Um so überraschender ist es, daß die Vorschläge der KGSt sowie der einschlägigen Literatur zur notwendigen Dezentralisierung im kommunalen Bereich sich ausschließlich auf die Eigenständigkeit der Fachbereiche innerhalb der Behörde sowie die Auslagerung der Aufgaben auf verselbständigte Verwaltungseinheiten oder Private beschränken. Unberücksichtigt bleibt die Frage, ob bzw. wie in Großkommunen, die territorial gegliedert sind, dieses Modell umgesetzt werden kann. Die Schöpfer des Neuen Steuerungsmodells haben eine Dezentralisierung im Sinne der Verlagerung von Verantwortung auf die Bezirke in ihren Konzepten nicht mitberücksichtigt. Dies kann man einer Anmerkung der KGSt im Rahmen des Berichts zum „neuen" Verhältnis von Politik und Verwaltung aus dem Jahre 1996 entnehmen.111 Dort heißt es, daß die Bezirke sich logisch in das Konzept dezentraler Ressourcen- und Ergebnisverantwortung einfügen lassen. Notwendig sei lediglich, Verantwortung und Kompetenzen in den Bezirken zu bündeln und sie über Kontrakte (Budgets und Leistungsfestlegungen) zu steuern.112 In Übereinstimmung mit der der Arbeit zugrundegelegten Arbeitshypothese heißt es in dem Bericht wörtlich: „Zu einer Entlastung von Politik und Verwaltung auf gesamtstädtischer Ebene kommt es nur dann, wenn die Bezirke ihre Aufgaben - wenn auch im Rahmen von Kontrakten und damit gegenüber der Gesamtstadt zur Rechenschaft verpflichtet - eigenverantwortlich erledigen können." 1 1 3 traktmanagement und Zielvereinbarungen sowie das Controlling mit rechtsförmiger Kontrolle und Aufsicht verbinden lassen, siehe Pitschas, DÖV 1998,907 ff. 110 Eine überzeugende Darstellung der Entwickung und Umsetzung des Neuen Steuerungsmodells und der Veränderung der politisch-demoktatischen Strukturen auf kommunaler Ebene der vergangenen 20 Jahrefindet sich bei Wollmann, Die Verwaltung 1999, 345 ff. Dort heißt es, daß im Neuen Steuerungsmodell eine betriebswirtschaftliche Verkürzung und Beschneidung des lokalen Demokratiemodells angelegt ist. Wollmann, Die Verwaltung 1999, 345, 366. 111 Mit der neuen Bestimmung der Rollen- und Arbeitsteilung zwischen Politik und Verwaltung wird angestrebt, die politischen Entscheidungsgremien wegen der Fülle und Komplexität der kommunalen Aufgaben zu ihren eigentlichen Rollen, nämlich Zielvorgaben und Kontrolle, zurückzuführen. 112

Die Besonderheit in bezug auf das Verhältnis der Politik zur Verwaltung liegt nach Ansicht der KGSt darin, daß nicht Politik und Verwaltung als Kontraktpartner zusammenwirken, sondern daß auf beiden Seiten politische Einheiten zusammen mit der Verwaltung Kontraktpartner sind. Den Bezirksausschüssen seien dabei Gestaltungsräume zu belassen, was eine besondere Zurückhaltung auf gesamtstädtischer Seite verlange. KGSt-Bericht 10/1996, S. 34. Π3 KGSt-Bericht 10/1996, S. 34.

C. Dezentralisation, Dekonzentration und Selbstverwaltung

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Nach Ansicht der KGSt ist heute eine eigenverantwortliche Aufgabenwahrnehmung durch die Bezirke in den bundesrepublikanischen Großstädten nicht gewährleistet.114 Die geltenden Regelungen zeichneten sich häufig durch mangelnde Kompetenzabgrenzung aus, die zu Doppelzuständigkeiten führten. Oft würden Aufgaben sowohl in den Bezirken als auch auf gesamtstädtischer Ebene wahrgenommen, so daß die Bezirksausschüsse und die Bezirksämter nur vorbereitend für die Räte und die Verwaltungsspitzen tätig würden. Dies führe zur Verzögerung und Verkomplizierung der Entscheidungsfindung. Dieser Kritik sind auch Berlin und Hamburg ausgesetzt.115 Zusammenfassend kann man folgendes sagen: Nach der hier verwendeten Terminologie bedeutet Dezentralisierung die Übertragung von Verwaltungsaufgaben auf selbständige, nicht notwendigerweise rechtsfähige Verwaltungseinheiten unter beschränkter Aufsicht der zentralen Verwaltungsträger. Unter Dekonzentration wird dagegen die Übertragung von Aufgaben an weisungsgebundene untergeordnete Verwaltungsträger verstanden. Kommunale und bezirkliche Selbstverwaltung sind eine Ausformung der innerstaatlichen Organisationsform der Dezentralisation. Der Rechtsbegriff Selbstverwaltung enthält ein materielles Element - die staatsbürgerliche Partizipation in eigenen Angelegenheiten - und ein formelles Element, welches die organisationsrechtliche Verselbständigung umfaßt. Mit Dezentralisierung im Sinne der Neuen Steuerungsmodelle ist die Verlagerung von Aufgaben und Ressourcen innerhalb einer Behörde gemeint. Das Verhältnis von Zentralverwaltung und Bezirken in Großkommunen ist bei der Ausarbeitung dieses Konzepts nicht berücksichtigt worden.

IV. Kommunalisierung der Verwaltungsaufgaben als Form der Dezentralisation in den zweistufigen Landesverwaltungen der Flächenstaaten Seit langem wird von Kommunalrechtlern für die Gemeinden der Flächenstaaten die Umsetzung eines sogenannten monistischen Aufgabenverständnisses gefordert. 116 Nach diesem soll die Aufgabenerledigung durch die Gemeinden als Auftragsangelegenheit oder als untere staatliche Verwaltungsbehörde nur noch ausnahmsweise zugelassen werden. Für die Übertragung des erstinstanzlichen Vollzugs von öffentlichen Aufgaben sei als Regelfall das Institut der „Pflichtaufgabe zur Erfüllung nach Weisung " als kommunale Aufgabe vorzusehen. Innerhalb der kommunalen Ebene sei nur noch zwischen freiwilligen und Pflichtigen Selbstverwaltungsaufgaben zu unterschieden.117 Eine solche klare Zweigliederung der VerH4 KGSt-Bericht 10/1996, S. 34. h 5 Siehe hierzu bereits die Ausführungen im 1. Teil, B. III. 116 Zuletzt von Mutius, LKV 1996, 177 ff.; Wollmann, LKV 1997, 105 ff. in Von Mutius, LKV 19%, 177,179; Wollmann, LKV 1997, 105, 106.

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1. Teil: Die Untersuchungsobjekte Berlin und Hamburg

waltung hätte den Vorteil, daß auf der einen Seite die obersten und oberen Landesbehörden mit dem Auftrag der politischen und parlamentarischen Verantwortung für Regierungsprogramme, sich auf die Entwicklung von Konzepten, ein politisches Controlling, fachliche Beratung und Aufsicht sowie die Vorbereitung von Gesetzes- und Verordnungsvorhaben konzentrieren könnten. Auf der anderen Seite stünden die kommunalen Gebietskörperschaften mit den Routine- und Vollzugsaufgaben, insbesondere mit Wirkung in der Fläche, wobei auch innerhalb des Bereichs der kommunalen Gebietskörperschaften die Aufgabenerfüllung soweit wie möglich nach unten verlagert werden sollte.118 In den Kommunalverfassungen der neuen Bundesländer führte man in den letzten Jahren Regelungen ein, die erste Schritte zu einer solchen „Kommunalisierung" 119 erstinstanzlicher Verwaltungsaufgaben bedeuten.120 Eine deutliche Trennung der zwei Verwaltungsebenen Land und Kommune stimmt mit den Grundgedanken der Neuen Steuerungsmodelle überein. Die Landesebene steuert, delegiert Verantwortung durch Aufgabenübertragung auf die Kommunen und nimmt im Rahmen der Aufsicht Berichte über Art und Umfang der Aufgabenerledigung entgegen. In Berlin ist dieses monistische Aufgabenverständnis in bezug auf die Bezirksebene im Jahre 1998 umgesetzt worden. Nunmehr wird nicht mehr zwischen Bezirksaufgaben, Bezirksaufgaben unter Fachaufsicht und Aufgaben der Hauptverwaltung unterschieden. Künftig gibt es nur noch Bezirksaufgaben und Aufgaben der Hauptverwaltung. Allerdings unterstehen die Bezirksaufgaben nicht wie bisher nur der Rechtsaufsicht, sondern einem sogenannten Eingriffsrecht. 121 In Hamburg obliegt den Bezirken dagegen weiterhin nur die selbständige Erledigung der vom Senat übertragenen Aufgaben (Art. 4 Π H V ) . 1 2 2

D. Berlin I. Einführung Art. 3 12 BerlVerf bestimmt, daß die vollziehende Gewalt in den Händen der Regierung, des Senats (Art. 55 I BerlVerf) und der Verwaltung, einschließlich der Bezirke (Art. 3 I I BerlVerf, 2 I Allgemeines Zuständigkeitsgesetz (AZG)), liegt. Π8 Von Mutius, LKV 1996, 177, 179. Diesen Begriff verwendet Wollmann, LKV 1997, 105. Zur Kommunalisierung durch das Funktionalreformgesetz des Landes MecklenburgVorpommern vgl. von Mutius, LKV 1996, 177 ff.; Meyer, LKV 1994,422 ff. ™ Siehe im einzelnen 1. Teil, D. VI. 3. b), VI. 5. i 2 2 Siehe im einzelnen 1. Teil, E. V. 2. c). 120

D. Berlin

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Die der Regierung nachgeordnete Verwaltung besteht aus zwei unterschiedlichen Stufen, nämlich der dem Senat unterstellten Hauptverwaltung (Art. 67 I BerlVerf) und der Bezirksverwaltung (Art. 67 Π BerlVerf). Die Hauptverwaltung umfaßt die Senatsverwaltungen (Regierender Bürgermeister, Bürgermeister und Senatoren), die ihnen nachgeordneten Behörden (Sonderbehörden) sowie die nicht rechtsfähigen Anstalten und die unter ihrer Aufsicht stehenden Eigenbetriebe (§ 2 II AZG). Gegenüber der Hauptverwaltung stellen die bestehenden 23 Bezirke die örtlich dezentralisierte Unterstufe der Berliner Verwaltung dar. Am 1. Januar 2001 wird die Zahl der Bezirke auf zwölf reduziert. 123 Zu den Bezirksverwaltungen gehören auch die diesen nachgeordneten nicht rechtsfähigen Anstalten, wie zum Beispiel Bibliotheken oder Volkshochschulen, die häufig eine gewisse Selbständigkeit besitzen, denen aber wie den Bezirken selbst die Eigenschaft einer juristischer Person fehlt. Organe des Bezirks sind die vom Bezirksvolk gewählte Bezirksverordnetenversammlung (BVV) und das Bezirksamt. Die zur Zeit aus 45 Mitgliedern bestehende B V V 1 2 4 bestimmt die Grundlinien der Verwaltungspolitik des Bezirks im Rahmen der Rechtsvorschriften sowie der vom Senat erlassenen Verwaltungsvorschriften und kontrolliert die Führung der Geschäfte des Bezirksamts, beschließt den Bezirkshaushaltsplan und entscheidet in den ihr zugewiesenen Angelegenheiten (Art. 72 S. 2 BerlVerf, § 12 BezVG). Die Verfassung bezeichnet sie als Organ der bezirklichen Selbstverwaltung (Art. 72 S. 1 BerlVerf). Die B W ist ein Organ der Exekutive - verfährt intern aber (weitgehend) nach parlamentarischen Regeln und wird zur gleichen Zeit und für die gleiche Wahlperiode wie das Abgeordnetenhaus von den Wahlberechtigen des Bezirks gewählt. Das Bezirksamt, welches aus dem Bezirksbürgermeister sowie nunmehr wieder fünf Stadträten besteht (§ 34 I BezVG) 125 und von der BVV gewählt wird, ist die „ Verwaltungsbehörde des Bezirks" (Art. 74 Π 1 BerlVerf). Ihm obliegt unter anderem die Vertretung des Landes in Angelegenheiten des Bezirks (§ 36 I I a BezVG), das Einbringen von Vorlagen in der BVV sowie die Durchführung von Beschlüssen und ihre Beanstandung (§ 36 I I b, e, g BezVG). Die Abgrenzung der Kompetenzen des Bezirksamts zur BVV fällt schwer, da die BVV ein mit Entscheidungsbefugnissen nur in Grundsatzfragen ausgestattetes Kontrollorgan des Bezirks ist. Das Bezirksamt ist dagegen die hierarchisch gegliederte Behörde, die die laufenden Verwaltungsaufgaben zu erfüllen hat.

123

Die drei größten Bezirke Neukölln, Reinickendorf und Spandau bleiben unverändert in ihren heutigen Grenzen bestehen. Die übrigen werden zu vergleichbar großen, ca. 300 000 Einwohnern umfassenden Verwaltungsbezirken zusammengefaßt. Zur Gebietsreform siehe den kurzen Überblick bei Zivier, LKV 1999, 340, 341. 124 In Zukunft wird die Zahl der Mitglieder der Β W e n nach dem Landeswahlgesetz bestimmt (§ 42 a I BezVG). Mit den Bezirken werden auch die Bezirksämter und entsprechend die Β Wen auf insgesamt 12 reduziert. Für die Entstehung der neuen Bezirksämter gelten Übergangsregelungen. 1999 werden die Bezirksverordneten für die neuen Bezirke gewählt, die bis Oktober 2000 die Bezirke in ihren alten Grenzen vertreten (§ 42 a II BezVG). 12 5 Zwischen 1994 und 1999 waren es vorübergehend fünf Stadträte.

4 Deutelmoser

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1. Teil: Die Untersuchungsobjekte Berlin und Hamburg

Seit 1978 ist auf bezirklicher Ebene ein Bürgerbegehren vorgesehen,126 mit dem die Wahlberechtigten des Bezirks gemäß § 40 BezVG Empfehlungen an die Β W e n richten können, soweit diese befugt sind, nach den §§ 12, 13 BezVG Beschlüsse zu fassen und kein Ausschlußtatbestand nach § 42 BezVG besteht. Dieses Rechtsinstitut spielt in Berlin keine praktische Rolle, da die BVVen nach Anhörung der Kontaktperson lediglich über das Begehren entscheiden und die Entscheidung öffentlich machen müssen. Weitere rechtliche Konsequenzen hat ein Bürgerbegehren nicht. 127 Seit dem Bestehen des zweistufigen Verwaltungsaufbaus („Berliner Modell") war dieser Gegenstand zahlreicher, zum Teil sehr kritischer juristischer Äußerungen. Ein Beispiel für eine sehr skeptische Einschätzung sind die Ausführungen von Sendler, die er anläßlich der Veröffentlichung der selbst teilweise vernichtenden Zustandsanalyse im Schlußbericht der Enquete-Kommission zur Verwaltungsreform von 1984 machte.128 Sendler hat unter anderem die Frage aufgeworfen, ob das Berliner Modell vielleicht an einem Geburtsfehler kranke, weshalb wirklich durchgreifende Reformen, die über das Kurieren von Symptomen hinausgehen, in Berlin nicht zu realisieren seien. Schon die Definition der Bezirke als „Selbstverwaltungseinheiten ohne Rechtspersönlichkeit " strahle nicht nur mangelnde begriffliche Schärfe aus, sondern berge auch einen begrifflichen Widerspruch in sich. 129 Trotz der Durchführung der zwei großen Verwaltungsreformen seit Ende des Weltkrieges in Berlin harre die Zweistufigkeit innerhalb eines kommunalen Rechtsträgers und die damit zusammenhängenden Probleme - etwa die Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen den beiden Stufen sowie das Ausmaß der Gebundenheit der unteren Stufe - noch immer einer allgemein als befriedigend empfundenen Lösung. Es kam in der Vergangenheit aber auch zu äußerst positiven Bewertungen der zweistufigen Verwaltung. 130 Das Berliner Modell bezirklicher Selbstverwaltung habe sich im Grundsatz bewährt und sei in der Vergangenheit beispielhaft für andere aufzugliedernde großstädtische Zentren geworden.131 An letzterem muß gezweifelt werden. Zwar sind seit den Gebietsreformen der 70er Jahre fast sämtliche Großstädte der Bundesrepublik in Bezirke untergliedert, doch haben diese - wie 126 Eingefügt in das Bezirksverwaltungsgesetz durch Gesetz v. 5. Dezember 1978, GVB1. S. 2272. 127 Zu den jüngsten Entwicklungen der Ausgestaltung der direkten Demokratie auf Landesebene siehe Ziekow, LKV 1999, 89 ff.

128 Sendler, JR 1985,441,446. 129 Sendler, JR 1985, 441, 446. Nach den im 1. Teil, Β. II. zum Rechtsbegriff Stadtstaat gemachten Ausführungen kann Sendler der Annahme, daß das Bestehen eines Stadtstaates eigenständige Untergliederungen ausschlösse, nicht gefolgt werden. 1 30 Dietze, Die demokratische Gemeinde 1969, 189 ff.; Stern, Die politische und administrative Gliederung der großen Stadt, 1965, S. 58; Machalet, Die Berliner Bezirksverwaltung, 1974, S. 19, 20. 131 Machalet, Die Berliner Bezirksverwaltung, 1974, S. 20.

D. Berlin

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gezeigt wurde - so minimale Entscheidungsbefugnisse, daß von einer Umsetzung des „Vorbilds" Berlins nicht gesprochen werden kann. Bis auf Moskau ist auch kein Fall einer ausländischen Großstadt bekannt, in der das Berliner Modell bewußt als Vorlage für Verwaltungsreformen genommen wurde. 132 Neben dem zweistufigen Verwaltungsaufbau innerhalb der Einheitsgemeinde ist in Berlin die Binnenorganisation der Bezirke seit jeher unter Berliner Politikern und Rechtswissenschaftlern umstritten. Streit herrscht insbesondere über die Stellung des direkt-demokratisch legitimierten Vertretungsorgans BVV zum Bezirksamt. 133 Die Rechtsstellung der BVV ist wiederum für die Rolle der Bezirke im Verwaltungsgefiige der Gesamtstadt sowie für die Bewertung der bezirklichen Selbstverwaltung von herausragender Bedeutung. Dies wird durch einen Vergleich mit der kommunalen Selbstverwaltung deutlich, deren politisch-demokratische Funktion allgemein anerkannt ist. 134 Diese demokratische Funktion umfaßt die Integration der in der Gemeinde lebenden Menschen, denen ein Aktionsfeld in Bereichen eröffnet werden soll, die sie unmittelbar berühren. Überträgt man dies auf die bezirkliche Selbstverwaltung, dann erschließt sich die besondere Rolle der BVV. Die Mitwirkung der gewählten Bezirksbürger an diesem Organ kann nur dann zu einer Integration führen, wenn diese die grundlegenden Fragen der örtlichen Gemeinschaft selbst entscheiden können. Diese Auffassung spiegelt sich in den programmatischen Äußerungen und Gesetzesentwürfen der Oppositionsparteien in Berlin und Hamburg wieder, die bei der Beschneidung von Entscheidungsrechten der BVV von einem Abbau bezirklicher Demokratie sprechen.135 Das heute bestehende Verhältnis zwischen Senat und den Bezirken läßt sich beispielhaft an den Ereignissen im Zusammenhang mit der Wahl des Bezirksbürgermeisters durch die BVV im Bezirk Prenzlauer Berg im Jahre 1995 illustrieren. 136 Diese Geschehnisse, in deren Folge das Verwaltungsgericht bereits dreimal entschieden hat 137 , betreffen die Dauerbrenner der Diskussion um die Bezirksverfas132

Siehe hierzu die Ausführungen im 1. Teil, F. III. Bspw. wird kritisiert, daß entgegen den gesetzlichen Vorgaben bei Entscheidungen der laufenden Verwaltung die Letztentscheidung in vielen Fällen nicht von dem zuständigen Bezirksamt getroffen wird, sondern von der BVV oder deren Ausschüssen, weil der Bezirksstadtrat sich der Rückendeckung seiner politischen Basis vergewissern wolle. So Battisi Schlichter I Scharmer, Beschleunigung der Bauplanungs- und Baugenehmigungsverfahren in Berlin, 1995, S. 16. 134 Schink, VerwArch 81 (1990), 385, 406, 407 mit umfassenden Nachweisen in den Fußn. 128, 130. Zur demokratischen Funktion der kommunalen Selbstverwaltung wird im 2. Teil, C. der Arbeit ausführlich Stellung genommen. 133

135 Auf die Konzepte der Oppositionsparteien in Berlin wird unter V.3. im einzelnen eingegangen. 136 Vgl. die Presseberichte im Neuen Deutschland v. 13. Dezember 1995, S. 7; v. 23. Januar 1996, S. 11 sowie der tageszeitung v. 9. Juni 1998, S. 13.

137 Siehe hierzu den Beschl. der 26. Kammer v. 2. Februar 1996 - VG 26 A 10.96 - sowie das Urt. v. 8. Juni 1998 - VG 26 A 43.96 - . Antragstellerin im Eilverfahren war die Fraktion der PDS der BVV Prenzlauer Berg. Klägerin des Klageverfahrens war die BVV Prenzlauer 4*

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1. Teil: Die Untersuchungsobjekte Berlin und Hamburg

sung Berlins: das politische Bezirksamt, die Teilpolitisierung des Bezirksamts, die Rechtsstellung der BWen sowie Rechtsschutzmöglichkeiten der Bezirksorgane. Im folgenden wird auf die ersten beiden Punkte eingegangen. Für die Wahl des Bezirksbürgermeisters wurden gemäß einem Beschluß der BVV Prenzlauer Berg zwei Kandidaten aufgestellt (sog. konkurrierendes Wahlverfahren), wobei der eine von einer die Mehrheit haltenden Zählgemeinschaft aus SPD und Bündnis Prenzlauer Berg und der andere von der PDS nominiert wurde. 1 3 8 Der Kandidat der PDS wurde gewählt.139 Nachdem ein Senatsbeschluß140 ergangen war, der unter anderem die Wahl des Bezirksbürgermeisters durch die BVV aufhob, verweigerte der Regierende Bürgermeister die Ernennung des PDSKandidaten mit der Begründung, daß das Wahlergebnis eines konkurrierenden Verfahrens rechtswidrig sei. Nach der Zurückweisung des Antrages der PDS-Fraktion auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung durch das Verwaltungsgericht Berlin kam es zu Neuwahlen.141 Bei diesen nominierte nur die Zählgemeinschaft einen Kandidaten, der anschließend von der Mehrheit der Bezirksverordneten gewählt wurde. 1 4 2 Im Rahmen dieser Einführung kann auf die Auslegung von Art. 99 BerlVerf und § 35 I I BezVG, die die Wahl der Bezirksamtsmitglieder regeln, nicht im einzelnen eingegangen werden. Für die hier gestellte Frage ist nur folgendes von Bedeutung: Im Gegensatz zur Wahl der Bezirksbürgermeister ist für die Wahl der Bezirksstadträte unbestritten, daß die genannten Vorschriften das sogenannte Parteienproporzsystem bei der Bildung der Bezirksämter vorsehen (Höchstzahlverfahren nach d'Hondt). Dieses verschafft jeder nicht ganz kleinen Partei einen sicheren, verwaltungsrechtlich durchsetzbaren Anspruch auf die Besetzung des Postens eines Stadtrats. 143 Das bedeutet, daß nach geltendem Recht die Wahl der Bezirksstadträte nicht im Rahmen einer Mehrheitsbildung der BVV möglich ist. Bis 1972 sah § 35 Π Berg. Beide Verfahren sind als zulässig, aber unbegründet beschieden worden. Im Hauptsacheverfahren der PDS-Fraktion hat die 26. Kammer drei Jahre lang nicht entschieden. Dann hat sie die Sache an die zweite Kammer verwiesen. Vgl. Beschl. v. 15. Januar 1999 - V G 2 A 5.99-. 138 Die PDS-Fraktion stellte mit 17 Stimmen die stärkste Fraktion in der BVV dar. 139 Die Wahl des PDS-Kandidaten war möglich, weil die CDU-Fraktion aus Protest gegen das konkurrierende Wahlverfahren nicht an den Wahlen teilnahm. Der SPD-Kandidat erhielt zwar mehr Ja-Stimmen, die aber in seinem Fall von den Nein-Stimmen übertroffen wurden. 140 Beschluß des Senats von Berlin Nr. 6643/96 v. 23. Januar 1996. 141 Der Antrag war gerichtet auf die Untersagung der Durchführung einer Neuwahl des Bezirksbürgermeisters. 1 42 Seit 1992 ist es in vier weiteren Fällen zu Wahlen von Bezirksbürgermeistern mittels des sogenannten konkurrierenden Wahlverfahrens gekommen. Dieses Wahlverfahren ist von der Senatsverwaltung für Inneres 1992 noch empfohlen worden. Tageszeitung vom 9. Juni 1998, S. 13. 1 43 Vgl. Enquete-Kommission, 1984, S. 23; Zivier, Verfassung und Verwaltung von Berlin, 1992, Rn. 75.6; Battis /Schlichter/Scharmer, Beschleunigung der Bauleitplanungs- und Baugenehmigungsverfahren in Berlin, 1995, S. 25.

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BezVG dagegen die Bildung eines Bezirksamts durch Mehrheitsentscheidung in der BVV vor (sog. politisches Bezirksamt). Dem entspricht das Modell einer parlamentarischen Regierungsbildung. Gemäß Art. 99 S. 2, § 35 Π 2 BezVG werden nun bei der Wahl des Bezirksbürgermeisters gemeinsame Wahlvorschläge mehrerer Fraktionen (sog. Zählgemeinschaften) wie Wahlvorschläge einer Fraktion behandelt, so daß im Hinblick auf die Wahl des Bezirksbürgermeisters die Bildung von Koalitionen ermöglicht ist (sog. Teilpolitisierung des Bezirksamts).144 Nach der Auffassung des Senats und des Verwaltungsgerichts Berlin erfaßt die Teilpolitisierung des Bezirksamts nicht die Zulässigkeit eines konkurrierenden Verfahrens bei der Wahl des Bezirksbürgermeisters. Das Verwaltungsgericht Berlin sah im Eilverfahren nach § 123 I VwGO sowie im Klageverfahren das Vorgehen des Senats als rechtmäßig an. Rechtsgrundlage für die vom Senat getroffene Maßnahme sei Art. 67 Π S. 3 BerlVerf, §§9, 11 AZG. Nach diesen Vorschriften übe der Senat die Aufsicht über die Bezirke aus und sei befugt, rechtswidrige Entscheidungen der Bezirksorgane aufzuheben. 145 Der von der BVV Prenzlauer Berg gefaßte Beschluß sowie die auf Grundlage dieses Beschlusses durchgeführte Wahl des Bezirksbürgermeisters im Wege des konkurrierenden Wahlverfahrens seien rechtswidrig. Nach dem Wortlaut des § 35 Π 2 BezVG bestünden keine Anhaltspunkte dafür, daß der Gesetzgeber für den Fall der Bildung einer Zählgemeinschaft ausnahmsweise die konkurrierende Kandidatur eines von der stärksten Fraktion vorgeschlagenen Kandidaten zulassen und damit von dem sonst üblichen Verfahren abweichen wollte. 146 Das OVG Berlin hatte diese Frage bisher nicht zu entscheiden. Allerdings hat es in einem Verfahren, das die Zulässigkeit von gemeinsamen Wahlvorschlägen mehrerer Fraktionen für die Wahl zum Stellvertretenden Bürgermeister zum Gegenstand hatte, am Rande zu diesem Problem Stellung genommen. Seine diesbezügliche Rechtsauffassung ist unklar. So heißt es einerseits, daß sich beim Verfassungsgeber der Kompromiß abzeichnete, das System d'Hondt für die betreffende Wahlperiode als Prinzip festzuschreiben, für den Bürgermeister aber eine Ausnahme zu machen.147 An einer anderen Stelle heißt es, daß die Mitglieder des Bezirksamts, zu denen der Bezirksbürgermeister und die Bezirksstadträte gehören, „insgesamt aufgrund des Systems d'Hondt gewählt werden". 148 Es ist fraglich, ob die Auffassung des Verwaltungsgerichts mit der vom Gesetzgeber gewollten Teilpolitisierung des Bezirksamts im Einklang steht. Der Gesetzund Verfassungsgeber hat eine unterschiedliche Ausgestaltung des Nominierungsrechts für den Bürgermeister und die übrigen Mitglieder des Bezirksamts vorgenommen. Man kann kaum von einer Teilpolitisierung des Bezirksamts sprechen, 144 145 146 147 148

VG Berlin, Beschl. v. 2. Februar 1996 - VG 26 A 10.96, Umdmck, S. 4. VG 26 A 10.96, Umdruck, S. 3; VG 26 A 43.96, Umdruck, S. 8. VG 26 A 10.96, Umdruck, S. 4; VG 26 A 43.96, Umdruck, S. 9. OVGE20, 101, 104. OVGE20, 101, 105.

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1. Teil: Die Untersuchungsobjekte Berlin und Hamburg

wenn zwar einer Zählgemeinschaft das Vorschlagsrecht für das Amt des Bezirksbürgermeisters zusteht, aber die stärkste Fraktion keinen Gegenkandidaten aufstellen kann. Nach dem Sinn und Zweck von § 35 Π BezVG liegt es deshalb nahe, daß § 35 Π 3, 4 BezVG nur die konkurrierende Kandidatur bei der Wahl der Bezirksstadträte ausschließen will. 1 4 9 Das vom Verwaltungsgericht herangezogene Wortlautargument vermag nicht zu überzeugen, da § 35 Π 3, 4 BezVG das konkurrierende Verfahren für die Bezirksbürgermeister weder ausdrücklich verbietet noch zuläßt. Die Anwendung des Höchstzahlverfahrens für die Bezirksbürgermeisterwahl stößt auch auf praktische Schwierigkeiten, da dann zwei Auszählungen durchzuführen sind: Eines für den Bezirksbürgermeister und ein weiteres für die übrigen Bezirksamtsmitglieder. Die Auseinandersetzung um die Wiedereinführung des politischen Bezirksamts ist wohl der Hauptstreitpunkt in der Reformdiskussion Berlins. Selbst Vertreter der Regierungsparteien kritisieren in der Öffentlichkeit die Abschaffung des politischen Bezirksamts. So hat der ehemalige Innensenator der SPD Erich Pätzold wiederholt gefordert, daß das nur in Berlin geltende, dem deutschen Gemeinderecht ebenso wie jedem Demokratieverständnis fremde Proporzprinzip bei der Bildung von Bezirksämtern wieder aufzuheben sei. Es verschleiere politische Verantwortung und lasse das Bürgerinteresse an gestaltungsfähiger Politik noch weiter sinken. 150 Auch der frühere SPD-Fraktionsvorsitzende und heutige Schulsenator Klaus Böger ist der Ansicht, daß die Durchsetzung politischer Bezirksämter statt „Zwangsehen " die Kommunalpolitik in den Bezirken tiefgreifend reformieren und beleben könnte.151 Die Abschaffung des politischen Bezirksamtes steht in einem gewissen Widerspruch zu dem Umstand, daß die BVVen in vielen anderen Punkten den Vertretungskörperschaften auf kommunaler Ebene angeglichen sind. Aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang eine neuere Entscheidung des OVG Berlin, in welcher das Gericht eine (vorsichtige) Übertragung der parlamentarischen Regelungen auf die BVV ausdrücklich befürwortet, obwohl die BVV ein Organ der bezirklichen Selbstverwaltung und kein parlamentarisches Gremium sei. 152 In der Sache hat das Gericht die Wahl eines Ausschußvorstandes durch den Ausschuß einer BVV statt einer Ernennung durch die Fraktionen oder die BVV als mit höherrangigem Recht - insbesondere § 9 Π BezVG - vereinbar angesehen.153 Eine Wahl des Ausschußvorstandes sei der Ernennung vorzuziehen, da die Wahl dem Demokratieprinzip

149 Auch aus der Systematik der Norm läßt sich die hier gestellte Frage nicht beantworten. 150 Tageszeitung v. 3. Januar 1997, „Die Einsparungspotentiale sind beim Senat", S. 23. 151 So Böger im Tagesspiegel v. 8. November 1996, S. 16. 152 OVG 8 S 140.94, S. 3. 153 Das Gericht zieht eine Parallele zur Wahl der Vorsitzenden der Ausschüsse auf parlamentarischer Ebene. Eine solche Parallele ist nach Ansicht des Oberverwaltungsgerichts zulässig, obwohl die Ausschüsse unbestritten keine Beschlußorgane mit eigener Sachzuständigkeit sind und nur kontrollierende, beratende und vorbereitende Funktionen ausüben.

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entspreche und der Ausschußvorsitzende in besonderem Maße des Vertrauens der Ausschußmitglieder bedürfe. Das Parteienproporzsystem bei der Bildung des Bezirksamtes läßt sich zudem nur schwer mit Regelungen des Bezirksverwaltungsgesetzes sowie des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Bezirksamtsmitglieder (BAMG) in Einklang bringen, die eine politische Aufgabenerledigung der Mitglieder des Bezirksamts vorsehen. So bestimmt etwa § 1 I 2 BAMG, daß die Mitglieder des Bezirksamts politische Selbstverwaltungsaufgaben erfüllen und des Vertrauens der BVV bedürfen. In § 1 2 1 1 BezVG heißt es, daß die BVV die Grundlinien der Verwaltungspolitik bestimmt. Auch in tatsächlicher Hinsicht kann man den Bezirken - insbesondere wegen ihrer eigenverantwortlichen Organisation von kulturellen und sozialen Einrichtungen - eine gewisse politische Bedeutung innerhalb der Gesamtstadt nicht absprechen. Heute sind sich Bezirkspolitiker sämtlicher Parteien allerdings darin einig, daß es in den vergangenen Jahren trotz der durch Verabschiedung des Verwaltungsreformgesetzes 154 sowie des Verfassungsreformgesetzes 155 im Jahre 1994 (im folgenden: Reformgesetze 1994) sowie durch Erlaß des zweiten Verwaltungsreformgesetzes im Juni 1998 156 erfolgten rechtlichen Aufwertung der Bezirke in weiten Bereichen zu einer Handlungsunfähigkeit der bezirklichen Untergliederungen gekommen ist. Wie die folgenden Ausführungen zeigen, ist nicht nur die Rechtslage, sondern auch eine Reihe von außerrechtlichen Gründen für die schwierige Situation in den Bezirken verantwortlich. Eine Beseitigung dieser Umstände ist auch durch eine weitgehende rechtliche Angleichung der Bezirke an die Gemeinden nicht möglich.

II. Tatsächliche Hintergründe Die Paralyse der bezirklichen Verwaltungspolitik erklärt sich in erster Linie aus der verheerenden Finanzlage Berlins. Die drastischen Kürzungen machen eine inhaltliche Bezirksarbeit jenseits der gesetzlichen Pflichtaufgaben weitgehend unmöglich. Außerdem wird bei der finanziellen Lastenverteilung vielfach eine zusätzliche Benachteiligung der Bezirke sowie das Nichtausnutzen von Einsparungspotentialen beim Senat behauptet.157 Seitens der Bezirksangestellten wird zudem häufig kritisiert, daß der Senat immer stärker in die Bezirksverwaltung hineinregiere. 1 5 8 Ein konkretes Beispiel für die wachsende Einmischung der Zentrale sei die »54 Gesetz zur Reform der Berliner Verwaltung v. 19. Juli 1994, GVB1. 241 ff. 155 28. Gesetz zur Änderung der Verfassung von Berlin v. 6. Juü 1994, GVB1. S. 217 ff. 156 Zweites Gesetz zur Reform der Berliner Verwaltung v. 25. Juni 1998, GVB1. S. 177, 178. 157 Tageszeitung vom 3. Januar 1997, S. 23. 158 So bspw. Wilfried Heinrich-Radloff, einem Gespräch mit der Verfasserin.

Personalratsmitglied im Bezirksamt Neukölln in

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in der Praxis häufig geübte Verteilung des Überhangs aus dem Senatspersonal auf die Bezirke. 159 Sodann wird als Begründung für die schleichende Entmachtung der Bezirke die Vorherrschaft der „Zentralisten" im Senat genannt.160 Diese - wissenschaftlich allerdings nur bedingt begründbare und in ihrer Aussagekraft beschränkte - Behauptung von der Macht der „Zentralisten" im Senat, hat sicherlich einen wahren Kern. Dies zeigt sich daran, daß im ursprünglichen Konzept der Senatsverwaltung für Inneres zur Bezirksreform aus dem Jahre 1992, welches in die Reformgesetze von 1994 mündete, die Errichtung einer eigenverantwortlichen bezirklichen Selbstverwaltungsebene nicht vorgesehen war. 161 Außerdem wird es an dem im Ergebnis eher bescheidenen Umfang der Rechte, die den Bezirken durch die Reformgesetze 1994 verliehen wurden und der Errichtung des Landesschulamts deutlich.162 Ein weiterer Grund für die schwierige Situation der Bezirke ist der Umstand, daß es in der Vergangenheit häufig zu einer gesetzlichen Aufgabenverlagerung von der Hauptverwaltung auf die Bezirke ohne entsprechende Ausstattung mit Personal· und Sachmitteln kam. 163 Zudem gab es in der Öffentlichkeit keine Auseinandersetzung um die Rolle der Bezirke innerhalb der Einheitsgemeinde. Die öffentliche Diskussion konzentrierte sich auf einen Teilbereich der Bezirksreform; nämlich die Gebietsreform. Die wieder und wieder diskutierte Frage nach der optimalen Anzahl und Größe der Bezirke hat Überlegungen zum Verhältnis der Bezirke zur Hauptverwaltung in den Hintergrund gedrängt.164 Zur Zahl der Bezirke hat es seit 1992 eine Vielzahl divergierender Senatsvorlagen, Gesetzesentwürfe, Stellungnahmen des Rats der Bürgermeister und BVV-Beschlüsse gegeben. Erst am 1. Juli 1997 erging ein Beschluß des Senats, der die Zusammenlegung auf 12 Bezirke das sogenannte 12-er Modell - trotz der Ablehnung des Rats der Bürgermeister 159 Die Möglichkeit, Personal aus dem Senat in die Bezirke zu verteilen, eröffnet Art. 77 II BerlVerf. Nach dieser Vorschrift entscheidet der Senat über Versetzungen aus der Hauptverwaltung in einen Bezirk, wenn die Beteiligten sich nicht einigen können. Zum allgemeinen Personalausgleich in der Berliner Verwaltung kann der Senat auch entgegen einer Einigung der Beteiligten nach deren Anhörung entscheiden. Zu beachten ist, daß das Recht, Einstellungen, Versetzungen und Entlassungen im öffentlichen Dienst für die Bezirke vorzunehmen, nach Art. 771 BerlVerf grundsätzlich dem Bezirksamt übertragen ist. 160 Jordan, Bezirke am Ende - na und?, Stachlige Argumente 1996, S. 44,45. 161 Siehe zu dieser Senatsvorlage Nr. 2493/92 unter VI. 1. 162 Durch Gesetz übertrug das Abgeordnetenhaus Anfang des Jahres 1995 die Schul Verwaltung, die bisher größtenteils eine Bezirksangelegenheit gewesen war, einem neu zu gründenden Landesschulamt. Siehe hierzu das Gesetz vom 26. Januar 1995 über die Neuorganisation der Schulaufsicht und die Errichtung eines Landesschulamts in Berlin, GVB1. S. 26. 163 Auch nach Erlaß des zweiten Verwaltungsreformgesetzes, welches eine umfassende Verlagerung von Aufgaben der Hauptverwaltung auf die Bezirke vorsieht, ist offen, wieviel Personalstellen und Sachmittel den Aufgaben folgen sollen. FAZ v. 30. Mai 1998, „Berlin ordnet seine Verwaltung neu", S. 4. 164 Ebenso Haus, RuP 1994, 10, 15. Wörtlich schreibt er: „Nicht allen Reformern war bewußt, daß die Anzahl der Berliner Bezirke für die Kernprobleme der Berliner Verwaltungsreform eine nachrangige Frage ist."

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vorsah. 165 Am 26. März 1998 hat das Abgeordnetenhaus schließlich mit einer 2/3 Mehrheit das 12-er Modell beschlossen.166 Entsprechend unwirsch sind die Stellungnahmen aus den Bezirken. 167 Auch das ursprünglich als Instrument zur Stärkung der eigenverantwortlichen bezirklichen Finanzverantwortung gedachte Modell der Globalsummenzuweisung wirkt sich in der Praxis eher als „Strangulierungs-" und Steuerungsinstrument der Hauptverwaltung aus 168 ; das mit der Neuregelung angestrebte eigenverantwortliche Finanzgebahren ermöglicht die Globalsummenregelung in ihrer jetzigen Form nicht. 169 Durchschnittlich müssen ca. 80-90% der verteilten Summen von den Bezirken für gesetzliche Pflichtaufgaben sowie Personalkosten verwendet werden. 170 Bei den gesetzlichen Pflichtaufgaben handelt es sich um von den Bezirken nicht beeinflußbare Fixkosten wie Sozial- oder Arbeitslosenhilfe. Obwohl die Kosten für die Pflichtaufgaben in den letzten Jahren erheblich angestiegen sind, ist eine Ansatzkorrektur bisher unterblieben.171 Ein selbständiges Wirtschaften ermöglicht die Globalsummenregelung in ihrer jetzigen Form auch deshalb nicht, weil über Verwaltungsvorschriften, Auflagen und Haushaltssperren feste Vorgaben seitens des Senats gemacht werden. 172 Der Senat räumt in seiner Mitteilung zu den Stellungnahmen des Rats der Bürgermeister zur Gebietsreform Defizite in der Anwendung des Globalsummensystems ausdrücklich ein. 173 Die genannten Beispiele geben ein anschauliches Bild von der tatsächlichen Situation in den Berliner Bezirken. Deutlich wurde, daß auch nach Erlaß der Reformgesetze 1994 und 1998 akuter Handlungsbedarf zur Aufwertung der Bezirke im Verwaltungsgefüge besteht, um sie zu einer eigenverantwortlichen politischen 16

5 Einen entsprechenden Beschluß hat am 26. Februar 1998 der Koalitionsausschuß von CDU und SPD gefaßt. 166 AbgH-Drs. 13/2567. 1 67 Stellvertretend für zahlreiche verwandte Aussagen von Bezirkspolitikern sei hier der SPD-Fraktionsvorsitzende in der BVV Berlin-Charlottenburg, Reinhard Naumann, zitiert: „Zunehmend drängt sich - in Charlottenburg übrigens parteiübergreifend - der Eindruck auf, daß es unter dem wohlklingenden Etikett „Strukturreform" zunehmend um die Zerschlagung der Bezirke geht". Tagesspiegel v. 12. November 1996, S. 13. 168 Von Seiten einiger Bezirksverordneten sowie von Mitgliedern des Bezirksamts wurde vermutet, daß die Globalsummenzuweisung nach jahrelangen entsprechenden Forderungen nur deshalb 1994 eingeführt wurde, um die rigide Sparpolitik des Senats zu Zeiten größter Finanznöte effektiv durchsetzen zu können. Für diese Vermutung spricht, daß die erste Globalsummenzuweisung mit der Vorgabe einer 10-prozentigen Einsparung erfolgte (sog. pauschale Minderausgaben). 169 Zur Globalsummenregelung im einzelnen siehe die Ausführungen im 1. Teil, Ε. VI. 6. 1 70 Zivier spricht von der Verwaltung des Mangels. Zivier, LKV 1999, 340, 342. 171 Hinzu kommt, daß die verbliebenen Summen teilweise mehrfach nach der jährlichen Haushaltsaufstellung der Bezirke erneut gekürzt werden. 1 72 So wurde im Bezirk Prenzlauer Berg 1997 nur noch ein Investitionsprojekt durchgeführt. "3 AbgH-Drs. 13/1872, S. 40.

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Ebene zu machen. Auf einem SPD-Parteitag im Januar 1997 war die Stärkung der Bezirke sowie die Wiedereinführung des politischen Bezirksamtes noch als Vorbedingung einer Gebietsreform beschlossen worden. 174 Seitens der Oppositionsparteien sowie des Rats der Bürgermeister gibt es zahlreiche Vorschläge zur Stärkung der Bezirksebene innerhalb der Einheitsgemeinde. Auf diese wird im Anschluß an die Reformvorschläge der Enquete-Kommission näher eingegangen. Für die Entwicklung eines Reformkonzepts unter Beachtung der spezifischen Problematik des Verwaltungsaufbaus Berlins sowie zur Beurteilung der verschiedenen Reformgesetze und -Vorschläge bedarf es zunächst eines Überblicks über die geschichtliche Entwicklung der Verwaltungsstrukturen der Stadt. Die geraffte Darstellung der historischen Entwicklung soll nicht nur dem Verständnis der Probleme der Verwaltungsorganisation dienen, sondern auch die Zufälligkeit der Entstehung der stadtstaatlichen Einheitsgemeinde Berlin deutlich machen. Die mannigfachen Reformbemühungen seit 1920 zeigen zudem den Kompromißcharakter und die Widersprüchlichkeit, die alle bisherigen Reformen Berlins auszeichnen. Das Ergebnis ist die geschilderte Lage in den Berliner Bezirken.

I I I . Geschichtliche Entwicklung bis 1945 1. Von der Stein'schen Städteordnung bis zum Erlaß des Zweckverbandgesetzes Die Verwaltungsgeschichte Berlins bis zum Inkrafttreten der Stein'schen Städteordnung 1808 spielt für das heutige Verständnis und die Problematik der Binnenverfassung der Stadt keine Rolle, da die Selbstverwaltung der Städte BrandenburgPreußens in der Zeit des Absolutismus fast ganz zum Erliegen gekommen war. 175 Gerade in der kurfürstlichen und später königlichen Residenzstadt Berlin 176 wurde die Verwaltung der Stadt durch erhebliche Einmischungen und Kontrollen durch den Landesherrn behindert. 177 Erst die Preußische Städteordnung von 1808, die durch Königliche Kabinettsorder vom 19. November 1808 in Kraft gesetzt wurde, hat den Städten eine gewisse Selbstverwaltung eingeräumt.178 Nach der neuen Städteordnung sollte die Stadt als vom Staate unabhängiger eigener Verwaltungskörper ihre Angelegenheiten durch ihre Bürger selbst verwalten. Das in der Städteordnung vorgesehene Kommunalverfassungssystem wird als „unechte" Magistrats174 Tagesspiegel v. 28. Januar 1997, S. 12. 175

Zur Preußischen Städteordnung siehe bereits Β. II. 2.

176

Seit 1470 war Berlin ständige Residenzstadt der Kurfürsten von Brandenburg; nach dem 30-jährigen Krieg wurde Berlin Hauptstadt des erheblich vergrößerten BrandenburgPreußen. 177 Zivier, Verfassung und Verwaltung von Berlin, 1992, S. 21. 178 Die Vorschriften der Preußischen Städteordnung werden zitiert nach Krebsbach, Die Preußische Städteordnung von 1808,1957.

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Verfassung bezeichnet, da der Magistrat 179 im Verhältnis zur Stadtverordnetenversammlung180 nur als ausführendes Organ fungiert. Nach § 102 der Preußischen Städteordnung war die Stadtverordnetenversammlung befugt, die Bürger in allen Angelegenheiten des Gemeinwesens der Stadt zu vertreten und sämtliche Angelegenheiten für sie zu besorgen.181 Gemäß § 1 Preußische Städteordnung blieb dem Staat das Aufsichtsrecht über die Gemeinde. Das Gesetz wurde in der folgenden Zeit durch eine Anzahl von Kabinettsorders (sog. Deklarationen zur Städteordnung) und Ministerialskripte - größtenteils mit einer reaktionär-autoritären gegenläufigen Tendenz - umgedeutet und ausgelegt.182 Durch ein preußisches Gesetz vom 30. Mai 1853 183 wurde in den östlichen Provinzen und damit auch in Berlin die „echte Magistratsverfassung" eingeführt. Bei dieser Form der Kommunalverfassung war der Magistrat eine Art zweite Kammer der städtischen Verwaltung. Zusammengefaßt kann man sagen, daß die den Städten Preußens zu Beginn des 19. Jahrhunderts eingeräumte Selbstverwaltung mit „starken" Vertretungsorganen im Lauf des Jahrhunderts weitgehend wieder rückgängig gemacht wurde. Seit 1871 war Berlin nicht nur Hauptstadt Preußens, sondern gleichzeitig die Hauptstadt des Deutschen Reiches. 1875 wurden Gesetzentwürfe zur Schaffung einer selbständigen Provinz Berlin sowohl von der Berliner Stadtverordnetenversammlung als auch vom Preußischen Landtag abgelehnt.184 Immerhin schied Berlin noch im selben Jahr aus der Provinz Brandenburg 185 und 1883 aus dem Regierungsbezirk Potsdam aus. 186 Nach Schmidt-Eichstaedt gewann Berlin durch diese Gesetze einen hauptstädtischen Sonderstatus, ähnlich dem heutigen Paris. 187 In der Folgezeit kam es zu zahlreichen weiteren Sonderregelungen die Verwaltung Berlins betreffend, die dem rasanten Wachstum der Stadt Rechnung zu tragen versuchten. Diese Normen führten zu sehr verwickelten Kompetenzverhältnissen, wodurch Berlin zu einem außerordentlich schwer überschaubaren Gebilde wurde, in dem 179 Der Magistrat bestand in den großen Städten aus einem Oberbürgermeister, vier bis fünf besoldeten und fünfzehn unbesoldeten Stadträten. !8o Das Wahlrecht zu der Stadtverordnetenversammlung stand männlichen Bürgern mit entweder Wohngrundstück in der Stadt oder einem bestimmten Mindesteinkommen zu. Die Stadtverordnetenversammlung, die in Berlin 102 Mitglieder besaß, wurde auf drei Jahre gewählt. 181

In dieser Bestimmung kann man die Wurzel für die den Gemeinden heute zustehende Allzuständigkeit in örtlichen Angelegenheiten sehen. 182 Vgl. Krebsbach, Die Preußische Städteordnung von 1808, 1957, Einführung, S. 17. 183 Städteordnung für die sechs östlichen Provinzen der Preußischen Monarchie vom 30. Mai 1853, Preußische Gesetzessammlung S. 2611 ff. 184 Siehe Schmidt-Eichstaedt,

JR 1990, 133, 135.

185

Vgl. § 21 der Provinzialordnung für die östlichen Provinzen v. 29. Mai 1875. 186 Gesetz über die allgemeine Landesverwaltung v. 30. Juli 1883, Preußische Gesetzessammlung, S. 195 ff. 187 Schmidt-Eichstaedt,

JR 1990,133, 135.

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1. Teil: Die Untersuchungsobjekte Berlin und Hamburg

sich „unersprießliche Elemente eines Stadtkreises, eines rudimentären Regierungsbezirks und des Torsos einer Provinz" 188 vermengten. Nachdem Berlin auf den Gebieten Wirtschaft und Verkehr seine kommunalen Grenzen immer weiter überschritten hatte, wurde die verwaltungsmäßige Gestaltung dieses Ballungsgebiets durch die Festlegung von überregionalen Zuständigkeiten immer notwendiger.189 Die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erfolgten Eingemeindungen190 hatten nicht ausgereicht, um dem Wachstum des Ballungsraums Rechnung zu tragen. Von Anfang an umstritten war, welche Rechtsform dieses zu schaffende Gebilde erhalten sollte. Die Vorstellungen reichten von der Schaffung einer eigenen Provinz über die Bildung eines Zweckverbandes bis zu großzügigen Eingemeindungskonzepten. In erster Linie wurden zwei Modelle diskutiert: die Bildung einer Einheitsgemeinde Groß-Berlin, gegebenenfalls mit dezentralisierter Verwaltung191 und ein lockerer überregionaler Zusammenschluß nur für bestimmte Aufgaben. 192 Trotz der ständig wachsenden Bevölkerung und der immer drängender werdenden Verwaltungsprobleme der Stadt entschied man sich nach zähem Ringen erst 1911 für die Schaffung eines losen Zweckverbandes Groß-Berlin. 193 Die Zuständigkeiten des Zweckverbandes beschränkten sich auf die Bereiche Vereinheitlichung des Verkehrsnetzes, Koordinierung von Bebauungsplänen sowie auf die Sicherung von Erholungsflächen. Grund für die Bildung eines Zweckverbandes statt einer Einheitsgemeinde waren in erster Linie Bedenken der wohlhabenden westlichen Vororte gegen die Eingemeindungenfinanzschwacher Gemeinden.194 Zudem herrschten allerorten „antiberliner Ressentiments", wie an Sprüchen wie: „Mög schützen uns des Kaisers Hand vor Groß-Berlin und Zweckverband" oder der leider nur iss Sendler, DÖV 1987, 366, 368. 189 Von 1871 bis 1890 stieg die Einwohnerzahl von 826 000 auf 1 580 000 Einwohner an. 1 90 Zu nennen sind hier insbesondere die große Eingemeindung von 1860 sowie die 1881 erfolgten Eingemeindungen des Tiergartens, des Zoologischen Gartens und des Schloßbezirks Bellevue. 191 Entsprechende Gesetzesvorlagen wurden ab 1860 erarbeitet, fanden anfangs aber keine Mehrheit. 192

Im europäischen Kontext gab es im 19. Jahrhundert für letztere Möglichkeit das Vorbild London. Für die Bildung der Einheitsgemeinde mit politisch selbständigen Verwaltungsuntergliederungen konnte dagegen auf kein bestehendes Modell zurückgegriffen werden. Wien und Paris waren zwar als zentralistische Großgemeinden organisiert, ihre Bezirke besaßen aber keine politische Selbständigkeit. 193 Zweckverbandgesetz für Groß-Berlin v. 19. Juli 1911, Preußische Gesetzessammlung, S. 123 ff. 194 Diese Widerstände sowie politische Bedenken konservativer Kreise im Preußischen Landtag waren auch die Ursachen für das lange Scheitern der Bemühungen um die Errichtung eines überregionalen Verbandes. Dietrich und Kaeber haben die Gründe für die langwierigen Auseinandersetzungen über die verschiedenen Lösungsmöglichkeiten und die wechselnden Fronten zwischen der preußischen Regierung, Berlin und den betroffenen Gemeinden anschaulich dargestellt. Hierauf wird verwiesen. Dietrich, Verfassung und Verwaltung, 1968, S. 183, 256 ff.; Kaeber, Das Weichbild der Stadt Berlin seit der Stein'schen Städteordnung, 1964, S. 234, 302 ff.

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mündlich überlieferten Volksweisheit „Gott schütze uns vor Mord und Brand, vor Groß-Berlin und Zweckverband", anschaulich wird. 195 Das Zweckverbandgesetz wurde seit seinem Inkrafttreten am 1. April 1911 von einem Großteil der Politiker und der Rechtslehre wegen der dem Verband eingeräumten geringen Kompetenzen scharf attackiert. 196 Allerdings gab es von Anfang auch positive Stimmen.197 Man darf wohl sagen, daß die Beurteilung des Gesetzes zu einem nicht unbeträchtlichen Teil vom zentralistischen oder dezentralistischen Vorverständnis der Autoren abhängt. Sieht man die Einheitsgemeinde als das letztendlich zu erreichende Ziel an, dann muß man zwangsläufig alle Vorformen dieses Gebildes als mangelhafte Vorstufen ansehen. So betonten diejenigen, die den Zweckverband alsbald durch die Einheitsgemeinde ersetzen wollten, den Kompromißcharakter des Zweckverbandgesetzes und behaupteten, daß die ungenügenden Kompetenzen den Zweckverband von Anfang an zum Scheitern verurteilt hätten. 198 Von anderer Seite wurde dagegen vermutet, daß der Zweckverband auf die Dauer seine Daseinsberechtigung bewiesen hätte, wenn ihm die Sicherung gleichmäßiger Ernährung und Bekleidung der Bevölkerung während des Krieges gelungen wäre. 199 Ohne eine eigene abschließende Bewertung des Gesetzes hier vornehmen zu wollen, scheinen doch von den Kritikern des Zweckverbandgesetzes die personellen Spannungen200, die anomalen Kriegsverhältnisse sowie die übermächtige Stellung des Mitgliedes Berlin innerhalb des Verbandes als Gründe für das schlechte Funktionieren des Zweckverbandes nicht ausreichend beachtet worden zu sein.

2. Das Groß-Berlin-Gesetz von 1920 Unstrittig war schon bald nach Erlaß des Zweckverbandgesetzes, daß aufgrund der sehr geringen Kompetenzen des Verbandes das Gesetz zumindest in Teilbereichen revisionsbedürftig war. So kam es zwischen 1910 und 1920 zu erneuten Gesetzentwürfen, die entweder die Bildung einer Samtgemeinde201 oder einer Ein195 Beide Aussprüche zitiert nach Sendler, DÖV 1987, 366, 369. 196 Vgl. Dietrich, Verfassung und Verwaltung, 1968, S. 183,265. 197 Kaeber, Berlin im Weltkrieg. Fünf Jahre städtischer Kriegsarbeit, 1921, S. 20 ff. 198 Vor allem der Oberbürgermeister Berlins, Adolf Wermuth, strebte mit allen Kräften danach, den Zweckverband alsbald durch die Einheitsgemeinde zu ersetzen. Siehe hierzu die umfangreichen Nachweise bei Dietrich, Verfassung und Verwaltung, 1968, S. 183 ff., Fußn. 259, 260. Eine skeptische Einschätzung aus heutiger Sicht findet sich zum Beispiel bei Sendler, DÖV 1987, 366, 369. 199 Vgl. Kaeber, Das Weichbild der Stadt Berlin seit der Stein'schen Städteordnung, 1964, S. 234, 371. 200 Siehe hierzu Dietrich, Verfassung und Verwaltung, 1968, S. 183 ff. 201 Für die wissenschaftliche Bezeichnung der Zusammenfassung von Gemeinden zu einem Gemeindeverband, die eine Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Gebietshoheit dar-

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heitsgemeinde vorsahen. 202 Schließlich verabschiedete am 27. April 1920 die Preußische Landesversammlung das „ Gesetz über die Bildung einer neuen Stadtgemeinde Berlin" (im folgenden: Groß-Berlin-Gesetz 1 9 2 0 ) 2 0 3 , das am 1. Oktober 1920 in Kraft trat und acht Städte - Berlin, Charlottenburg, Wilmersdorf, Schöneberg, Neukölln, Lichtenberg, Köpenick und Spandau - 59 Landgemeinden und 27 Gutsbezirke zu einer Einheitsgemeinde Zusammenschloß.204 Daß letztendlich die Einheitsgemeinde Berlin und nicht eine Samtgemeinde geschaffen oder gar der Zweckverband mit erweiterten Kompetenzen erhalten wurde, begründet sich wohl hauptsächlich aus der zentralistischen Gesamtrichtung der Z e i t 2 0 5 sowie dem angesprochenen „Versagen" des Zweckverbandes während des Krieges. 206 Für die hier gestellte Frage ist bedeutsam, daß man trotz der Entscheidung für die Einheitsgemeinde von Anfang an von der Notwendigkeit einer Unterteilung der Riesengemeinde in Bezirke ausging, da anders die Verwaltung von nunmehr fast vier Millionen Einwohnern nicht möglich erschien. 207 Demzufolge wurde die Verwaltung dieser neuen Großgemeinde anders als in den sonstigen preußischen Gemeinden

stellt sowie eine nicht nur singuläre Aufgabenzuständigkeit aufweist, werden heute in erster Linie die Begriffe „Gesamtgemeinde" sowie „Samtgemeinde" benutzt. 202 Schmidt-Eichstaedt hat zu Recht darauf hingewiesen, daß in diesen Modellen die gleichen Konstruktionen wiederzuerkennen sind, deren Zweckmäßigkeit in der Zeit der Gemeindegebietsreform in der Bundesrepublik diskutiert worden sind. Schmidt-Eichstaedt, JR 1990, 133, 135. 203 Gesetz über die Bildung einer neuen Stadtgemeinde Berlin v. 27. April 1920, Preußische Gesetzessammlung, S. 123. 204 Es bestehen bereits zahlreiche umfassende Darstellungen zur Berliner Verfassungsund Verwaltungsgeschichte seit 1920, auf die verwiesen wird. Aus der Fülle der Literatur seien hier genannt: Herz/Brett, Berliner Stadtverfassungsrecht, 1931 ; Landsberg/Goetz, Verfassung von Berlin vom 1. September 1950,1951; Uhlitz, Die Rechtsstellung der Berliner Bezirke, Diss. Köln, 1953; Breitfeld, Die verfassungsrechtliche Stellung der Berliner Bezirke, 1953; Uhlitz, Kleine Verfassungsgeschichte Berlins. Die historischen Grundlagen des Berliner Verfassungsrecht, 1969; Dietrich, Verfassung und Verwaltung, 1968, S. 183, 268 ff.; Ziebill, DÖV 1959,401 ff. 2°s Kaeber, Das Weichbild der Stadt Berlin seit der Stein'schen Städteordnung, 1964, S. 234, 375. 2 06 Der „Bürgerausschuß von Groß-Berlin" - unter maßgeblichem Einfluß des Schöneberger Oberbürgermeisters Dominicus - wollte sich noch im Jahre 1917 mit einer Samtgemeinde zufriedengeben. In dieser sollten die Einzelgemeinden mit ihrem alten Wirkungskreis bestehenbleiben, soweit dieser nicht durch die Gesamtgemeinde an sich gezogen worden wäre. Vgl. Sendler, DÖV 1987, 366, 369. Auch im maßgeblichen Innenressort in Preußen schwankte man noch Ende 1918 zwischen dem Modell einer quasi föderalistischen „Gesamtgemeinde" oder einer stärker zentralistischen „Einheitsgemeinde". Siehe Reichhardt, Die Entstehung der Verfassung von Berlin, Bd. 1, 1990, S. 29. 2 07 Die Angaben über die Bevölkerungszahlen nach 1900 divergieren erheblich. Nach Kaeber gab es 1908 in Berlin bereits 3 - 4 Millionen Einwohner. Nach dem Zusammenschluß 1920 geht er von einer Zahl zwischen 5 und 6 Millionen aus. Siehe Kaeber, Das Weichbild der Stadt Berlin seit der Stein'schen Städteordnung, 1964, S. 234, 356. Schmidt-Eichstaedt spricht dagegen von einer Erhöhung von knapp 2 Millionen auf 3, 8 Millionen Einwohnern im neugeschaffenen Groß-Berlin.

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zweistufig organisiert. 208 Kerngedanke des Gesetzes von 1920 war es, die notwendige Einheitlichkeit der Verteilung von Lasten und Vorteilen im Einzugsbereich von Berlin herzustellen, gleichzeitig aber örtliche Besonderheit und kommunale Selbstverwaltung soweit wie möglich zu erhalten 209 sowie die Verwaltungskraft dieser bisherigen Gemeinden auf der Ebene einer neu zu schaffenden Bezirksverwaltung für die Millionenstadt nutzbar machen.210 Für diese Ziele wurde mit dem Gesetz von 1920 ein neues System eingeführt, nämlich die „bezirkliche Selbstverwaltung", die sich in den Grundzügen bis heute in Berlin erhalten hat. 211 Ohne die „Erfindung" einer bezirklichen Selbstverwaltung hätte das Gesetz 1920 in der verfassunggebenden preußischen Landesverwaltung überhaupt keine Mehrheit erhalten. 212 Während es das Groß-Berlin-Gesetz von 1920 hinsichtlich der Hauptverwaltung bei den Bestimmungen der östlichen Städteordnung von 1853, d. h. bei der echten Magistrats Verfassung beließ, führte es für die Bezirksverwaltung die unechte Magistratsverfassung der Stein'schen Städteordnung von 1808 ein, womit der Bezirksversammlung ein umfassendes Beschlußrecht zukam.213 Bei Beanstandung von Bezirksamts- und Bezirksversammlungsbeschlüssen durch den Magistrat war die Entscheidung einer Schiedsstelle vorgesehen, die sich aus zwei Stadtverordneten, zwei Bezirksverordneten und dem von der Kommission zu wählenden Vorsitzenden zusammensetzte. Die Deutsche Demokratische Partei (DDP), die mit den Initiatoren des Gesetzes - SPD und USPD - das Gesetz im Preußischen Landtag unterstütze, sah die Konstituierung einer unabhängigen Schiedsstelle zur Schlichtung von Streitigkeiten zwischen den Bezirken und der Hauptverwaltung beim Erlaß des Gesetzes als Angelpunkt an, von dem aus die Bezirksversammlung wehrfähig und unabhängig gehalten werden sollte.214 208 § 14 III des Groß-Berlin-Gesetzes sah vor, daß „zur Durchführung der Selbstverwaltung und zur Entlastung der städtischen Körperschaften der Stadtgemeinde Berlin" Bezirksversammlungen und kollegiale Bezirksämter in den 20 neu gebildeten Verwaltungsbezirken geschaffen werden sollten. 209 Neumann, in: Pfennig-Neumann, Verfassung von Berlin, 1986, Art. 50, 51, Rn. 4.

210 Kreuzer, DÖV 1959,429,433. 211 Helfritz spricht von einer „Gemeindeorganisation von einer Art und einem Umfang . . . , wie sie dem bisherigen Recht vollkommen fremd war". Helfritz, Grundriß des preußischen Kommunalrechts, 1932, S. 123. 212 Vgl. zu den divergierenden parteipolitischen Konzepten Schmidt-Eichstaedt, JR 1990, 133, 137. 213 Die Bezirksversammlung hatte im Rahmen der Gesetze und der von der Stadtverordnetenversammlung und dem Magistrat von Berlin gemeinsam aufgestellten Grundsätzen über alle Angelegenheiten des Bezirks zu beschließen. Das Bezirksamt hatte die Beschlüsse der Bezirksversammlung auszuführen und selbständig die sogenannte „laufende Verwaltung" des Bezirks auszuüben. Daneben war es in den Geschäften, die den Bezirken nicht zur Selbstverwaltung überlassen waren, ein von den Beschlüssen der Bezirksversammlung unabhängig ausführendes Organ des Magistrats. Uhlitz/Löffler, Reform der Berliner Bezirksverfassung, 1968, S. 1,2.

1. Teil: Die Untersuchungsobjekte Berlin und Hamburg

Die Einheitsgemeinde schaffte die Voraussetzungen für eine einheitliche Planung auf wichtigen, über das Verkehrs- und Baurecht hinausgehenden Gebieten sowie für eine gleichmäßige steuerliche Belastung und Versorgung aller Bürger. Diese positiven Aspekte verhinderten nicht, daß es von Anfang an zu Spannungen zwischen Bezirken und Zentrale sowie insgesamt wiederum zu einer überwiegend negativen Beurteilung des durch das Gesetz von 1920 geschaffenen Verwaltungsaufbaus kam. Kritisiert wurden die sehr verwickelten und im einzelnen nicht geregelten Kompetenzverhältnisse, insbesondere zwischen Zentrale und den Bezirksverwaltungen.215 So heißt es in dem Verwaltungsbericht der Stadt Berlin für die Jahre 1924 bis 1927, daß auch dem Berlin-Gesetz von 1920 „alle Mängel eines Kompromisses anhaften" und es „weder die Anhänger einer starken Zentralgewalt noch die einer weitgehenden Dezentralisation" befriedige. 216 Eine Aussage, die wohl auch auf die heutige Situation zutrifft.

3. Die Novelle von 1931 Die erste Reorganisation der Berliner Verwaltung nach Bildung der Einheitsgemeinde erfolgte schon 1931 mit einer Schwerpunktverlagerung auf die zentralen Organe, nämlich von der Stadtverordnetenversammlung auf den neugebildeten Stadtgemeindeausschuß und vom Magistrat auf den Oberbürgermeister. 217 Parallel hierzu kam es durch die Ernennung der Bezirksbürgermeister zu stimmberechtigten Vorsitzenden der BVV zu einer Aufwertung derselben.218 Schließlich wurde das - in den Augen der Dezentralisten - „Hauptübel" des Gesetzes von 1920 durch eine weitere Neuregelung noch verstärkt: Das Schwergewicht der Verwaltung wurde noch weiter von den Bezirken auf die Zentrale verlagert, indem die Bezirksämter der Weisungsbefugnis des Magistrats unterstellt wurden 2 1 9

214 Zu den Einzelheiten bezüglich der Schiedsstelle siehe Schmidt-Eichstädt, JR 1990, 133, 137. 215 Drügemöller, LKV 1995, 393. Zentralinstanzen waren 1920 die Stadtverordnetenversammlung, der Magistrat sowie die sich aus Vertretern des Magistrats, der Stadtverordneten und der Bürgerschaft zusammensetzenden Deputationen. Organe der Bezirke waren das Bezirksamt sowie die Bezirksversammlungen, die sich aus den Bezirksverordneten und den aus dem Bezirk stammenden Stadtverordneten zusammensetzten. Das Bezirksamt wurde von der Bezirksversammlung gewählt und bestand aus einem Bürgermeister, sechs bis dreizehn Bezirksstadträten sowie den Bezirksdeputationen. 2 16 Verwaltungsbericht der Stadt Berlin, 1924 bis 1927, Heft 1, Allgemeine Verwaltung, 1929, S. 8. ™ Vgl. Hofmann, Zwischen Rathaus und Reichskanzlei, 1974, S. 92 ff. 218 „Gesetz über die vorläufige Regelung verschiedener Punkte des Gemeindeverfassungsrechts für die Hauptstadt Berlin" v. 30. März 1931, Preußische Gesetzessammlung, S. 39. ™ Dietrich, Verfassung und Verwaltung, 1968, S. 183, 281.

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4. Die Zeit des Nationalsozialismus Unter der nationalsozialistischen Herrschaft wurde in Berlin die Selbstverwaltung schrittweise abgebaut. Am Ende wurde die Berliner Verwaltung wie sämtliche deutsche Städte im Sinne des reinen „Führerprinzips" reorganisiert. 220 So gingen bereits 1933 sämtliche Zuständigkeiten der parlamentarischen Körperschaften auf andere Gremien über. 221 Später wurden die Bezirksbürgermeister dem Oberbürgermeister uneingeschränkt untergeordnet und an seine Weisungen bei den Bezirksgeschäften gebunden, womit kraft ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung das entscheidende Merkmal der Dezentralisation entfiel.

Ein Gesetzgebungsakt, der Auswirkungen auch nach 1945 hatte, ist das „Gesetz über die vorläufige Vereinfachung der Verwaltung der Hauptstadt Berlin " vom September 1933. 222 Mit diesem Gesetz wurde die bis 1995 in Berlin geltende Aufgabendreiheit in Vorbehaltsaufgaben, übertragene Vorbehaltsaufgaben und bezirkseigene Angelegenheiten eingeführt. Vorher, wie auch heute, kannte man nur zwei Aufgabenarten. 223 Auswirkungen bis heute hatte auch eine Zuständigkeitserweiterung, die 1938 zugunsten der Selbstverwaltung der Bezirke in ihrer durch das NS-Führerprinzip denaturierten Form eingeführt wurde. So wurden 1938 eine Reihe von Verwaltungsangelegenheiten auf die Bezirksbürgermeister übertragen und damit von der Hauptverwaltung an die Bezirke abgegeben.224 Nach 1945 wurde der bestehende Aufgabenkatalog nicht verändert, sondern nur die Art der Aufgabenwahrnehmung.225

IV. Geschichtliche Entwicklung nach 1945 1. Die Entstehung des Stadtstaates im weiteren und engeren Sinn Nach Ende des zweiten Weltkriegs kam es zunächst faktisch zur Auflösung sowohl des Deutschen Reichs als auch des in Besatzungszonen aufgeteilten und 220 Dietrich, Verfassung und Verwaltung, 1968, S. 183, 281 f. 221 Entsprechend erfolgte auf der Bezirksebene eine umfassende Verlagerung der Kompetenzen von der Bezirks Versammlung auf die Bezirksämter. Zivier, Verfassung und Verwaltung, 1992, Rn. 8.2. 222 Preußische Gesetzessammlung, S. 356. 223 Siehe zu der 1998 eingeführten Aufgabeneinteilung in Bezirksaufgaben und Aufgaben der Hauptverwaltung C. IV. 224 Dies geschah durch die „Satzung über die Bezirksgeschäfte" v. 16. Februar 1938, Amtsblatt der Reichshauptstadt Berlin, S. 221, ergangen aufgrund des § 6 II des (Reichs-)Gesetzes über die Verfassung und Verwaltung der Reichshauptstadt Berlin v. 1. Dezember 1936 (RGBl. I, S. 957). 225 Theuner, Demokratische Gemeinde 1950, S. 26 ff. 5 Deutelmoser

1. Teil: Die Untersuchungsobjekte Berlin und Hamburg

durch die Oder-Neiße Grenze stark reduzierten Preußens. Das Gesetz Nr. 46 des Alliierten Kontrollrats vom 25. Februar 1947 besiegelte schließlich die Auflösung Preußens als Staat in rechtlicher Hinsicht.226 Wie wirkten sich nun diese Entwicklungen auf den Status Berlins innerhalb des Gesamtstaates sowie seine gemeindeverfassungsrechtliche Ausgestaltung aus? Schon die am 13. August 1946 von der Alliierten Kommandantur ohne Mitwirkung gewählter deutscher Stellen erarbeitete Vorläufige Verfassung von Groß-Berlin trug der Tatsache der Auflösung Preußens Rechnung, indem sie Elemente einer Landesverfassung mit Elementen der Städteordnung von 1853 verband. 227 Das Verhältnis der bezirklichen Organe untereinander war in Übereinstimmung mit dem Gesetz von 1920 nach dem Prinzip der unechten Magistratsverfassung im Sinne der Stein'schen Städteordnung gestaltet, d. h. die BVV galt als Beschlußund das Bezirksamt als Vollzugsorgan. Dagegen zeichneten sich die von 1945 bis 1949 geltenden und vom Magistrat erlassenen Regelungen des Bezirksverfassungsstatuts durch eine extrem schwache Ausgestaltung der Rechte der Bezirke gegenüber der Hauptverwaltung aus. 228 Mit diesem Statut setzte der Magistrat seine zentralistische Linie vollumfanglich durch und machte die Bezirke, insbesondere die Bezirksbürgermeister zu rein ausführenden Organen der Zentrale. Die in diesem Statut durchgesetzte immense Stärkung der Zentralgewalt wurde in erster Linie mit der Notlage der Stadt begründet. Der Erweiterung der Kompetenzen des Magistrats lag aber auch das Streben der Vertreter der KPD zu Grunde, durch einen zentralistischen Verwaltungsaufbau an den Fundamenten der ihnen von den sowjetischen Besatzungsbehörden konzedierten Machtstellung nicht rütteln zu lassen.229 Ende 1948 kam es zur endgültigen administrativen Spaltung Berlins auf der Ebene der Staatsorgane als eine im Sowjetsektor einberufene Versammlung ohne verfassungsrechtliche Grundlage den Magistrat für abgesetzt erklärte und einen neuen provisorischen Magistrat wählte, der von der sowjetischen Besatzungsmacht als einziges rechtmäßiges Organ der Staatsverwaltung anerkannt wurde. Seit dieser Spaltung wurde die vorläufige Verfassung vom 13. August 1946 im Ostteil der Stadt nicht mehr angewendet. Im Lauf der Zeit wurde Ostberlin fast lückenlos in die Verwaltungsstruktur der DDR eingegliedert. Damit erhielt Ostberlin faktisch die Stellung eines Bezirks der DDR. 2 3 0 Die rechtliche Entwicklung Ostberlins hat 226 Vgl. Dietrich, Verfassung und Verwaltung, 1968, S. 183, 287. 227 im Vorwort zur Vorläufigen Verfassung wird ausdrücklich an das Groß-Berlin-Gesetz von 1920 angeknüpft. 228 An dem Entwurf des Bezirksverfassungsstatuts wurden die Bezirke nicht beteiligt. 229 Vgl. Reichhardt, Die Entstehung der Verfassung von Berlin, Bd. 1, 1990, S. 137, 138, 190. 230 Zur rechtlichen und politischen Entwicklung von Ostberlin im einzelnen siehe Mampel, Der Sowjetsektor von Berlin, 1963 sowie Zivier, Verfassung und Verwaltung von Berlin, 1998, § 16.

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nach der Wiedervereinigung keine Auswirkungen auf den Aufbau der Verwaltung des wiedervereinigten Berlins gehabt. Vielmehr wurde der Aufbau von Westberlin unverändert auf Ostberlin übertragen. Aus diesem Grund bedarf es an dieser Stelle keiner näheren Darstellung der verfassungs- und verwaltungsrechtlichen Entwicklung in Ostberlin. Bereits in der Vorläufigen Verfassung wurden staatliche und gemeindliche Aufgaben weder institutionell noch funktionell unterschieden. So war auf gesamtstädtischer Ebene neben dem Abgeordnetenhaus keine weitere gewählte Kommunalvertretung vorgesehen. Diese Regelungen fanden unverändert in die endgültige Verfassung von Berlin aus dem Jahre 1950 Eingang.231 Bezogen auf die Frage der Erlangung des Status eines Stadtstaates bedeutet das, daß mit dem Wegfall Preußens Berlin rein zufällig zum Stadtstaat im weiteren Sinn mutierte. Die Entstehung des Stadtstaates im weiteren Sinn ist mit anderen Worten eine direkte Folge des verlorenen Weltkriegs und kein historisch gewachsenes oder vom Gesetzgeber geplantes Gebilde.232 Da man sich außerdem- für die Beibehaltung der schon bestehenden Einheitsgemeinde sowie des „Einkammersystems" entschied, entstand gleichzeitig der Stadtstaat im engeren Sinn. An der Einheitsgemeinde hielt man fest, da nach vielfach vertretener Auffassung im Verfassungsausschuß eine Aufteilung in rechtsfähige Gemeinden einen Rückschritt hinter das Jahr 1920 bedeutet hätte.233 Allerdings war die Beibehaltung der Einheitsgemeinde nach 1945 keineswegs unumstritten. So wollte der SPD-Entwurf zur Berliner Verfassung die Bezirke noch zu Gemeinden mit eigener Rechtspersönlichkeit machen und sprach in Art. 1 I von Berlin als einem deutschen Land und Glied der Bundesrepublik.234 Weiter legte Art. 3 I des SPD-Entwurfes die vollziehende Gewalt nicht allein in die Hände der Regierung und der nachgeordneten Verwaltung, sondern in die der Regierung, der Landesverwaltung und der Gemeindeverwaltung.235 Dieser SPDEntwurf stellte auch die Grundlage der Beratungen im Verfassungsausschuß zur 231 Die endgültige Verfassung stellt wie die Vorläufige Verfassung von 1946 eine Mischung aus staatlicher und gemeindlicher Verfassung dar. Zu letzterem siehe insbesondere die Artikel 50-61 BerlVerf 1950. Sendler meint, daß die ausführliche gesetzliche Fixierung der Bezirksverfassung ein Grund sei, der sämtliche Reformbemühungen „so qualvoll und so (relativ) aussichtslos" mache, „weil die dafür erforderliche qualifizierte Mehrheit nur mit Mühe und meist nur mit faulen Kompromissen erreicht werden kann". Sendler, DÖV 1987, 366, 372. Dies hat sich in jüngster Zeit bei den Auseinandersetzungen um die Gebietsreform bewahrheitet. 232 Die Funktionsnachfolge Berlins nach dem Lande Preußens regelte Art. 48 III BerlVerf 1950: ,Alle Rechte, die in den geltenden Gesetzen der früheren Reichsregierung, dem früheren preußischen Staatsministerium, ihren Mitgliedern oder sonstigen Stellen eingeräumt sind, gehen auf den Senat über, sofern das Abgeordnetenhaus es beschließt". 233 Siehe im einzelnen die Protokolle des Verfassungsausschusses bei Reichardt, Die Entstehung der Verfassung von Berlin, Bd. I, 1990: 23. Sitzung S. 7, 20, 21; 24. Sitzung, S. 7, 8, 11 bis 13; 30. Sitzung S. 3; 44. Sitzung S. 2. 234 Nach Art. 1 I BerlVerf 1950 ist Berlin „ein deutsches Land und zugleich eine Stadt". 235 Vgl. hierzu im einzelnen die Ausführungen bei Breitfeld, Stellung der Berliner Bezirke, 1953, S. 13 ff. 5*

Die verfassungsrechtliche

1. Teil: Die Untersuchungsobjekte Berlin und Hamburg

Berliner Verfassung dar. So waren die Beratungen zum Abschnitt „Verwaltung " in Übereinstimmung mit diesem Entwurf in „ Landesverwaltung " und „ Gemeindeverwaltung" und nicht in „Landesverwaltung" und „Bezirksverwaltung" aufgeteilt. 236 Da rechtliche Hinderungsgründe nicht bestanden, wäre bei anderen Mehrheitsverhältnissen im Verfassungsausschuß auch eine Bildung von Gemeinden entsprechend dem Verfassungsentwurf möglich gewesen; mit anderen Worten: Berlin hätte wie jedes andere Bundesland auch in Gemeinden aufgegliedert werden können. In bezug auf die Ausgestaltung der Bezirksorganisation entschied man, daß die BVV verpflichtet war, zur Teilnahme an der laufenden Verwaltung Deputationen einzusetzen (Art. 57 Π BerlVerf 1950). Man hoffte, mit der Schaffung dieses dritten Bezirksorgans die bürgerschaftliche Beteiligung an der Verwaltung zu fördern.

2. Die Reform von 1958 Bei Erlaß der Verfassung hatte man versäumt, ein Gesetz zu verabschieden, welches eine detaillierte Zuständigkeitsabgrenzung zwischen Hauptverwaltung und Bezirken vorsah. So war die Notwendigkeit einer baldigen Verwaltungsreform vorprogrammiert. Nach langem Ringen erließ man schließlich die sogenannten Verwaltungsorganisationsgesetze - das Allgemeine Zuständigkeitsgesetz237, das Bezirksverwaltungsgesetz238 sowie das Polizeizuständigkeitsgesetz - , wobei die beiden erstgenannten bis heute Gültigkeit besitzen. Das Allgemeine Zuständigkeitsgesetz und die dazu erlassene Durchführungsverordnung enthalten die für die Praxis dringend notwendige Zuständigkeitsabgrenzung zwischen Bezirken und Hauptverwaltung und regeln die Einbindung der bezirklichen Organe in das stadtstaatliche Gefüge. Das Bezirksverwaltungsgesetz regelt die Zuständigkeiten und das Zusammenwirken der Bezirksorgane. Letzteres Gesetz änderte die Grundstruktur der Bezirksverfassung im Sinne einer Entpolitisierung, indem es die Beseitigung des Leitgedankens der unechten Magistratsverfassung durch die Umwandlung der BVV in ein reines Repräsentativ- und Kontrollorgan vorsah. Damit einher ging die Aufwertung der Deputationen zum zentralen Organ der Bezirksverwaltung durch Einräumung eines Beschlußrechts in allen nicht ausdrücklich der BVV oder dem Bezirksamt vorbehaltenen Fällen. 239 Aufgrund dieser Machtverschiebung sah sich 236 Protokoll der 23. Sitzung des Verfassungsausschusses am 17. Oktober 1947, vgl. Reichardt, Die Entstehung der Verfassung von Berlin, Bd. 1,1990. 237 Gesetz über die Zuständigkeiten in der Allgemeinen Berliner Verwaltung (Allgemeines Zuständigkeitsgesetz - AZG) v. 2. Oktober 1958, GVB1. S. 947 ff. 238 Bezirksverwaltungsgesetz v. 30. Januar 1958, GVB1. 126 ff. Vgl. zu diesen Gesetzen Kreutzer, DÖV 1959,429 ff.; Sendler, JR 1985,441,444 ff. 239 Die Deputationen setzten sich nach dem Bezirksverwaltungsgesetz v. 30. Januar 1958 folgendermaßen zusammen: Den Vorsitz führte mit Stimmrecht das zuständige Mitglied des Bezirksamts. Die Mehrheit der Deputationsmitglieder bestand aus sechs Bezirksverordne-

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das Bezirksverwaltungsgesetz bald im Kreuzfeuer der Kritik. 240 . Bemängelt wurden neben der Entmachtung der BVV die Unübersichtlichkeit und Schwerfälligkeit der Berliner Verwaltung aufgrund der „Organdreiheit" - BVV, Bezirksamt und Deputationen - sowie die damit verbundenen Rivalitäten und Kompetenzschwierigkeiten. Außerdem kritisierte man die im Gesetz vorgesehene sechsjährige Amtsdauer der Bezirksamtsmitglieder, deren politische Anbindung an die BVV damit stark eingeschränkt wurde. 241 Als die geistigen Väter des Bezirksverwaltungsgesetzes gelten Kreutzer und Breitfeld, deren Ausführungen zur bezirklichen Selbstverwaltung ein bereits damals überholtes Verständnis des Selbstverwaltungsgedanken sowie der Rolle der Parteien in der Demokratie offenbaren. 242 So nimmt beispielsweise Kreutzer an, daß durch die quasi-parlamentarische Organisationsform der Bezirks- und Gemeindevertretung die Parteien ständig dazu verleitet werden, die „Politik ins Rathaus zu tragen". 243 Die Spitzenstellen der kommunalen Bürokratie sind für ihn „Horte des Parteifeudalismus" 244, und die Möglichkeit der bezirklichen Selbstorganisation dienen seiner Ansicht nach den Parteien weniger zur selbständigen administrativen Gestaltung als zur „Patronage".245 Wenn bürgerschaftliche Mitverwaltung überhaupt noch wirksam werden solle, dann müsse sie in „kleinen und wirklich verhandlungsfähigen, auf ihren Aufgabenbereich spezialisierten und der ständigen Publizität entzogenen Gremien eingerichtet werden." 246

ten, die von den Fraktionen im Verhältnis ihrer Stärke delegiert werden. Hinzu traten vier ebenfalls von den der BVV im Listenverfahren gewählte sachkundige Bürger (Bürgerdeputierte). 240 Der BVV ist im Bezirksverwaltungsgesetz v. 30. Januar 1958 ein Beschlußrecht nur in einigen herausgehobenen Bezirksangelegenheiten, also kein umfassendes Beschlußrecht, sowie Kontroll- und Wahlkompetenzen eingeräumt (§ 12 BezVG 1958). Über alle wichtigen Fragen ihres Geschäftsbereichs, die nicht ausdrücklich der BVV oder dem Bezirksamt vorbehalten waren, sollten hingegen mit grundsätzlich verbindlicher Wirkung Deputationen entscheiden. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers waren diese der eigentliche Kristallisationspunkt einer echten bürgerschaftlichen Mitverwaltung (§§ 19 ff. BezVG 1958). 241 Vgl. Uhlitz-Löffler, Reform der Berliner Bezirksverfassung, 1968, S. 18; Machalet, Die Berliner Bezirksverwaltung, 1974, S. 108. Aus dieser Zeit stammt auch § 261 LWG, wonach die Bezirksamtsmitglieder nicht gleichzeitig Mitglieder des Abgeordnetenhauses sein dürfen. Die Regelung ist mit ein Grund, warum das Landesparlament den Problemen der Bezirke noch heute eher fern steht. Ebenso ist in § 26 LWG eine Inkompatibilität zwischen Mitgliedern des Bezirksamts und der BVV sowie zwischen Bezirksamt und Senat vorgesehen. 242 Kreutzer, DÖV 1954, 425 ff.; ders., DÖV 1956, 343, 345 ff.; ders., DÖV 1959, 429 ff.; Breitfeld, Die verfassungsrechtliche Stellung der Berliner Bezirke, 1953. Eine eingehende Kritik des Bezirksverwaltungsgesetzes von 1958 findet sich bei Uhlitz/Löffler, Reform der Berliner Bezirksverfassung, 1968, S. 1,5 ff. 243 Kreutzer, 244 Kreutzer,

DÖV 1954,425,426,427; ebenso, DÖV 1959,429,435. DÖV 1954,425,427.

245 Kreutzer, 246 Kreutzer,

DÖV 1959,429,435. DÖV 1959,429,436.

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Wie Uhlitz/Löffler bereits 1968 festgestellt haben, braucht die Politik nicht „in das Rathaus getragen werden", weil sie dort zu Hause ist. 247 Auch in den Bezirken und Gemeinden werden politische Entscheidungen getroffen, wenn auch in bescheidenerem Umfang als auf Bundes- oder Landesebene. In den Kommunalverfassungen der Flächenstaaten liegt das Schwergewicht bei von den Bürgern in allgemeiner Wahl gewählten Vertretungskörperschaften. Neben ihnen bestehende Organe mit eigenen gesetzlichen Zuständigkeiten haben ihre Beschlüsse auszuführen. Im Rahmen des eingeführten ,»Dreikörpersystems" in Berlin wurde ausgerechnet die von der Bevölkerung gewählte Vertretungskörperschaft so entmachtet, daß sie weiten Teilen der Öffentlichkeit als überflüssig erschien.248

3. Die Reform von 1971 Erst 1971 kam es zu einer umfassenden Änderung dieses ungeliebten Bezirksverwaltungsgesetzes.249 Schwerpunkte der Neuregelung waren die Abschaffung des politischen Bezirksamtes über die Einführung des Proporzsystems (§ 35 Π BezVG), die Festschreibung der Zahl der Bezirksamtsmitglieder sowie die Einführung des Zweiorgansystems durch Auflösung der Deputationen.250 Auch dieses Reformgesetz wurde unter anderem wegen seiner Widersprüchlichkeit in bezug auf die Rechtsstellung der BVV bald heftig kritisiert. Die Proporzregelung sowie die Festschreibung der Anzahl der Bezirksamtsmitglieder beschränkten einerseits den politischen Handlungsspielraum der B W erheblich.251 Mit der Abschaffung der Deputationen wurden andererseits die Beschlußrechte der BVV erweitert. Im Verhältnis zwischen Bezirksamt und BVV kam es „unter dem Motto, den politischen Einfluß gegenüber der Bezirksbürokratie (wieder) zu stärken" 252, zur Festlegung der Wahl der Mitglieder des Bezirksamts auf vier statt bisher auf sechs Jahre 2 5 3 - eine Regelung, die wiederum eine Stärkung der BVV bedeutete. Diese Unstimmigkeiten führten dazu, daß auch nach 1971 die Reformbedürftigkeit der Berliner Verwaltung keinen Abschluß fand. Auf die vielfaltigen Reformüberlegungen der letzten Jahrzehnte, die schließlich in die Verwaltungs- und Verfassungsreformgesetze von 1994 und 1998 mündeten, wird in Abschnitt V eingegangen. Zum Abschluß des geschichtlichen Überblicks soll nunmehr auf die

247

Uhlitz/Löffler, 248 So Uhlitz/Löffler,

Reform der Berliner Bezirksverfassung, 1968, S. 1, 8. Reform der Berliner Bezirksverfassung, 1968, S. 1,13 ff.

249 Gesetz v. 24. Juni 1971, GVB1. S. 1056. 250 An die Stelle der Deputationen traten Ausschüsse, die bei der Erfüllung der Aufgaben der BVV mitwirken und teilweise auch Bürgerdeputierte zu Mitgliedern haben mußten. 251 So auch Sendler, JR 1985,441,445. 252 Sendler, JR 1985,441,445. 253 Die Verkürzung der Amtsdauer auf 4 Jahre erfolgte schon durch Änderungsgesetz v. 12. Juni 1969, GVB1. S. 639.

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allgemeinen geschichtlichen Entwicklungen in bezug auf den Verwaltungsaufbau seit der Wiedervereinigung eingegangen werden.

4. Allgemeine geschichtliche Entwicklung a) Wiedervereinigung, Hauptstadtbeschluß und gescheiterte Fusion mit Brandenburg Durch die Wiedervereinigung 254 kam es in der jüngsten Vergangenheit zu weiteren erheblichen Veränderungen des Verwaltungsgefüges von Berlin. 255 Die Entscheidung für Berlin als Regierungssitz erforderte insbesondere die Durchführung umfangreicher städtebaulicher Planungen und baulicher Vorhaben für Verfassungsorgane des Bundes und für oberste Bundesbehörden. Vor diesem Hintergrund kam es im Bauplanungsrecht sowie in anderen Teilbereichen zu einer Kompetenzverlagerung zugunsten von Hauptverwaltung und Bund, auf die im folgenden kurz eingegangen wird. Zunächst wurde auf Bundesebene § 247 BauGB erlassen, der es der Berliner Bauleitplanung ermöglichte, durch besondere Vorschriften den beschriebenen Aufgaben in Abstimmung mit dem Bund und der Beachtung der Erfordernisse seiner Verfassungsorgane gerecht zu werden. 256 Für die Abstimmung zwischen Berlin und dem Bund wurde ein Gemeinsamer Ausschuß geschaffen, über dessen Bildung sich Berlin und die Bundesrepublik Deutschland im „Vertrag über die Zusammenarbeit der Bundesregierung und des Senats von Berlin zum Ausbau Berlins als Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland und zur Erfüllung seiner Funktion als Sitz des Deutschen Bundestages und der Bundesregierung" vom 25. August 1992 (Hauptstadtvertrag) geeinigt haben.257 Obwohl den Beschlüssen des gemeinsamen Ausschusses keine rechtliche Bindungswirkung zukommt, lassen die in § 247 BauGB vorgesehenen Instrumente zur planerischen Bewältigung der Hauptstadtprobleme starke Eingriffe in die Planungshoheit Berlins zu. 2 5 8 254 Die Wiedervereinigung führte zu einer Angleichung des Berliner Landesrecht Ost mit dem Landesrecht West sowie einer Übertragung des gesamten Bundesrechts auf das durch alliiertes Besatzungsrecht überlagerte Recht in Berlin. Zudem ermöglichte sie die Errichtung eines Verfassungsgerichtshofs. 255 Bereits der Einigungsvertrag sieht als Hauptstadt der Bundesrepublik Berlin vor (Art. 2 S. 1 des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands - Einigungsvertrag v. 31. August 1990, BGBl. II S. 889). Nach dem Beschluß des Deutschen Bundestages v. 20. Juni 1991 zur Vollendung der deutschen Einheit und dem Beschluß der Bundesregierung v. 3. Juni 1992 ist Berlin Sitz von Bundestag, Bundesregierung und einem Großteil der Bundesministerien. Zu den Einzelheiten siehe das Berlin-Bonn-Gesetz (Gesetz zur Umsetzung des Beschlusses des Deutschen Bundestages v. 20. Juni 1991 zur Vollendung der Einheit Deutschlands vom 26. April 1994, BGBl. S. 918). 256 Hoppe, DVB1. 1993, 573. 2 *7 Siehe BR-Drs. 6/93, S. 5 f.

1. Teil: Die Untersuchungsobjekte Berlin und Hamburg

Kurze Zeit später ist vom Berliner Abgeordnetenhaus ein „Gesetz zur Änderung von Zuständigkeiten für den Ausbau Berlins als Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland"259 vom 6. April 1993 verabschiedet worden, das das Berliner Gesetz zur Ausführung des Baugesetzbuches (AGBauGB) vom 11. Dezember 1987 260 entsprechend der Vereinbarung im Hauptstadtvertrag änderte.261 Durch das Verwaltungsreformgesetz von 1994 kam es zu einer weiteren Verlagerung von Kompetenzen im Bauplanungsrecht von den Bezirken auf die Hauptverwaltung. Auf diese Regelungen wird unter D. VI. 4. näher eingegangen.262 An dieser Stelle ist nur § 4 b AGBauGB von Interesse, wonach ein Bebauungsplan - entgegen der grundsätzlichen Zuständigkeit des Bezirksamts nach § 4 AGBauGB von der zuständigen Senatsverwaltung aufgestellt und festgesetzt wird, wenn der Bebauungsplan der Verwirklichung von Erfordernissen der Verfassungsorgane des Bundes zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben dient. An die Stelle der Zustimmung der BVV tritt die Zustimmung des Abgeordnetenhauses. Eine hauptstadtbedingte Verlagerung von Befugnissen von den Bezirken auf die Hauptverwaltung ist auch für die Zuständigkeit für den Erlaß von Widersprüchen erfolgt. Grundsätzlich ist nach § 27 I b) AZG das Bezirksamt für den Erlaß eines Widerspruchsbescheids gegen einen Verwaltungsakt der Bezirksverwaltung zuständig. Seit 1994 ist die Zuständigkeit der Senatsverwaltung für den Erlaß eines Widerspruchsbescheids vorgesehen, wenn der angefochtene Verwaltungsakt im Geltungsbereich von Bebauungsplänen der Hauptstadtplanung ergangen ist bzw. wenn er sich auf Straßen innerhalb des zentralen Bereichs, in dem sich die Parlaments- und Regierungseinrichtungen des Bundes befinden, bezieht (§ 1 Nr. 2a WidersprZustVO BauWohn, § 1 iVm § 2 Nr. 1 WidersprZustVO Straßenrecht). Gescheitert ist dagegen die nach der Wiedervereinigung geplante Vereinigung der beiden Länder Berlin und Brandenburg zu einem neuen Bundesland.263 Den Ländern Berlin und Brandenburg wurde mit Art. 5 Einigungsvertrag und 258 Wird in dem Ausschuß keine Einigung erzielt, können die Verfassungsorgane des Bundes ihre Erfordernisse eigenständig feststellen. Hierbei unterliegen sie einem besonders ausgeformten Rücksichtnahmegebot auf die geordnete städtebauliche Entwicklung Berlins. Den so festgestellten Erfordernissen ist die Berliner Bauleitplanung derart anzupassen, daß ihr in geeigneter Weise Rechnung getragen wird. Siehe zur Regelung des § 247 BauGB im einzelnen Hoppe, DVB1. 1993, 573 ff.; Krautzberger/Runkel, DVB1. 1993,453,456. 259 GVB1.S. 139 ff. 260 GVB1. S. 2731 ff. 261 In Art. 5 des Hauptstadtvertrages hat sich der Senat von Berlin verpflichtet, „im Interesse einer zügigen Verwirklichung der Hauptstadtplanung und der damit verbundenen baulichen Vorgaben" ein „Gesetz zur Änderung von Zuständigkeiten für den Ausbau Berlins als Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland" als Gesetzesvorlage im Abgeordnetenhaus einzubringen. 262 Zu nennen sind hier insbesondere die §§ 4 a, b und c, die durch Art. IV des Gesetzes zur Reform der Berliner Verwaltung (Verwaltungsreformgesetz) v. 19. Juli 1994 (GVB1. S. 241) in das AGBauGB eingefügt wurden. 263 Hierzu Rüß, LKV 1995, 337, 338.

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Art. 118 a GG die Möglichkeit eröffnet, abweichend von den Regelungen des Grundgesetzes unter Beteiligung ihrer Wahlberechtigten durch Vereinbarung ein gemeinsames Land zu bilden. 264 Die Fusion kam aufgrund der negativ verlaufenen Volksabstimmung in Brandenburg vom 5. Mai 1996 nicht zustande. Als Folge der Fusion war vorgesehen, den Stadtstaat Berlin nach Funktionen in „Stadt" und „Staat" aufzuteilen, wobei die Kommune Berlin als kreisfreie Stadt in das Land integriert werden sollte. Die Entscheidung der Bevölkerung Brandenburgs gegen ein gemeinsames Bundesland führte dazu, daß es auf längere Sicht bei dem Status von Berlin als Stadtstaat im engeren Sinn bleibt, unter denen sich die Entwicklung der Region vollziehen muß 2 6 5

b) „Berlin, Unternehmen Verwaltung " Zum Schluß der Darstellung der allgemeinen geschichtlichen Entwicklung bedarf es noch eines Blicks auf das „Jahrhundertprojekt Verwaltungsreform Berlin", welches von der Senatsverwaltung für Inneres, der Senatsverwaltung für Finanzen sowie drei Beratungsfirmen ausgearbeitet und weitgehend umgesetzt wurde. 266 Grundlage waren verschiedene Senatsbeschlüsse, Richtlinien und Verwaltungsvorschriften in den Jahren 1994 bis 1997. 267 Vorausgeschickt sei, daß sich dieses Reformwerk unmittelbar weder mit der Binnenverfassung der Bezirke noch mit dem Verhältnis zwischen Bezirken und Hauptverwaltung beschäftigt. Wie aufgezeigt wird, hat das Projekt aber mittelbar Einfluß auf die Bezirksarbeit. 268 Mit dem Projekt „Berlin, Unternehmen Verwaltung" - so der offizielle Titel werden von allen Seiten große Hoffnungen verbunden. Nicht zuletzt sieht man es als das einzige Mittel zur Haushaltskonsolidierung an. Wodurch zeichnet sich nun das Verwaltungsreformprojekt Berlins aus? Wie bereits erwähnt, orientiert sich die

264 Zur Zusammenarbeit der Länder Brandenburg und Berlin nach der Volksabstimmung über die Fusion siehe Bauer/Seidel, LKV 1999, 343 ff. 265 Auch im Falle einer Vereinigung der beiden Länder wird voraussichtlich an dem zweistufigen Verwaltungsaufbau Berlins festgehalten. Insbesondere Brandenburg hat sich bei den Vereinigungsverhandlungen im Jahre 1994 eindeutig für eine stark dezentralisierte Verwaltung ausgesprochen, um die Vorherrschaft der Berliner Hauptverwaltung einzudämmen. Benz, Die Verwaltung 1993, 329, 342. 266 Der Senat hat am 10. Mai 1994 das Reformprojekt „Berlin - Unternehmen Verwaltung" beschlossen. 267

Siehe die Nachweise bei Zivier, Verfassung und Verwaltung von Berlin, 1998, S. 373. 268 Allgemeine Ausführungen hierzu bei Hill/Klages, Berlin, Unternehmen Verwaltung ein erster Erfahrungsbericht, 1997; Wallerath, DÖV 1997, 57 ff.; Studie der Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege Berlin zur Berliner Verwaltungsreform vom 13. Dezember 1995 (unveröffentlicht); Stellungnahme der Berliner Rechtsämter vom 13. November 1995 zum Reformprojekt „Berlin, Unternehmen Verwaltung" (unveröffentlicht); Reichard/Röber, Berliner Verwaltungsreform im Spannungsfeld von Politik und Verwaltung, Verwaltung und Management 1998, S. 132 ff.; Zivier, Verfassung und Verwaltung von Berlin, 1998, § 91.

1. Teil: Die Untersuchungsobjekte Berlin und Hamburg

Verwaltungsreform in Berlin wie in den meisten bundesrepublikanischen Städten in weiten Strecken an dem Neuen Steuerungsmodell der KGSt. Angestrebt wird, „den Stadtstaat Berlin durch die Einführung betriebswirtschaftlicher Elemente und einer weitgehenden Dezentralisierung zu modernisieren." 269 Die gesamte Berliner Verwaltung soll ein dienstleistungsorientiertes, bürgernahes und kostengünstiges Unternehmen werden. Auch im übrigen werden mit der Reform Ziele verfolgt wie Vermeidung von Doppelzuständigkeiten, Kostenminderung, konsequentere Orientierung der Behörden an den Ergebnissen ihrer Arbeit und den Interessen ihrer Bürger - , die mit den Zielen der Verwaltungsreformen in anderen deutschen Städten übereinstimmen. An der konkreten Umsetzung der Verwaltungsreform in Berlin wurde teilweise scharfe Kritik geübt. 270 Die Reform sei zu stark binnenorientiert, indem sie sich auf betriebswirtschaftliche Instrumente (Produkte, Kostenrechnung, Budgetierung, Kostenrechnung, Controlling) konzentriere und die Außenperspektive zum Bürger sowie zur Wirtschaft vernachlässige.271 Weiter wird die begrenzte Beteiligung der Mitarbeiter und Personalvertretungen an der Reform sowie die Gefahr einer weiteren Privatisierung von Aufgaben sowie sozialen Leistungen als Folge der Reform bemängelt.272 Seitens der Bezirke wird befürchtet, daß durch die Verwaltungsreform die Bezirke noch mehr als zuvor zu ,3etreuungsobjekten der Senatsverwaltungen degradiert" werden. Die Befürchtung einer weiteren Aushöhlung von bezirklichen Verantwortungsbereichen stützt sich konkret auf die Einführung einer einheitlichen Kostenrechnung, dem einheitlichen Produktkatalog273 sowie dem Ziel, ein einheitliches Personalmanagement in ganz Berlin einzuführen. Die Furcht vor einer Einengung des bezirklichen Selbstverwaltungsbereichs widerspricht auf den ersten Blick dem Umstand, daß das Prinzip der Dezentralisation (verbal) im Vordergrund der behördlichen Veröffentlichungen zur Verwaltungsreform steht. Für die „Entwickler" des Verwaltungsreformprojekts Berlin bedeutet Dezentralisation aber entsprechend der Terminologie der KGSt zu den Neuen Steuerungsmodellen nicht Übertragung von Verwaltungsaufgaben auf die bezirkliche Ebene, sondern Verantwortungsverlagerung innerhalb der Behörde sowie auf funktionale Selbstverwaltungseinheiten wie Kindertagesstätten, Schulen, Universitäten etc. 274

269 Thesen für das Humboldt-Kolloquium am 13. Dezember 1996, Forschungsprojekt Verwaltungsreform Berlin, S. 1 (unveröffentlicht). 270 Siehe zur allgemeinen Kritik am Neuen Steuerungsmodell der KGSt C. III. 27 1 Reichard/Röber, Verwaltung und Management 1998,132, 133. 272 Siehe hierzu das Positionspapier der Gewerkschaft ÖTV-Berlin, Grundsätze und Positionen zur Modernisierung des öffentlichen Dienstes und zur Verwaltungsreform, Januar 1996 (unveröffentlicht). 273 Der einheitliche Produktkatalog soll nicht nur der Bemessung der Finanzmittel zugrundegelegt werden, sondern auch Maßstäbe für ein künftiges einheitliches Qualitätsmanagement liefern. Rienaß, Verwaltung und Management 1996, 370, 372. 274 Siehe zum Prinzip der Dezentralisierung im Sinne des Neuen Steuerungsmodells die Ausführungen C. III.

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Von den Befürwortern der Verwaltungsreform wird heute nicht geleugnet, daß das Reformkonzept in seiner Organisation und teilweise in seiner Zielsetzung eindeutig zentralistische Züge aufweist. 275 Problematisch ist weiter, daß man meint, sämtliche verwaltungsorganisatorischen Schwierigkeiten mit den Instrumenten des Neuen Steuerungsmodells lösen zu können. Die Mitarbeiter des Forschungsprojekts Verwaltungsreform Berlin meinten zu diesem Punkt, die einseitige Orientierung an dem Dienstleistungsansatz habe dazu geführt, daß viele Probleme des Landes in dem Reformkonzept nur wenig Beachtung gefunden hätten.276 Hierzu muß man die Vernachlässigung der Frage nach der Ausgestaltung der Bezirksverfassung zählen.277 Im übrigen ist die Orientierung am Neuen Steuerungsmodell auch deshalb zweifelhaft, weil dieses von der KGSt ursprünglich für die Kommunalverwaltungen kleiner Städte und hier insbesondere für die kommunalen Betriebe entwickelt wurde. Die Übernahme der Ansätze des Modells auf die knapp 3,5 Millionen Einwohner zählende Stadt 278 , einschließlich der Senatsverwaltung, mit ihren vielschichtigen Verwaltungsproblemen, ist auch aus diesem Grund fragwürdig. Gerade die Besonderheiten des Verwaltungsaufbaus Berlins scheinen bei der Entwicklung des Projekts „Berlin, Unternehmen Verwaltung " nicht ausreichend berücksichtigt worden zu sein. Hauptdefizit der Berliner Verwaltungsreform war lange die mangelhafte parlamentarische bzw. politische Partizipation, mit welcher sie betrieben wurde. Nachdem der Senat der Großen Koalition ab 1992 das Reformprojekt wieder aufgenommen hatte, ist die Legislative an der Reform lange Zeit nicht beteiligt worden. So wurde das Ziel der betriebswirtschaftlichen Verwaltungsmodernisierung im Abgeordnetenhaus nicht behandelt. Auch ein Ausschuß im Abgeordnetenhaus zur Verwaltungsreform wurde bis 1996 nicht eingerichtet.279 Lange hielten sich Abgeordnetenhaus, Bezirksversammlungen, aber auch die meisten Senatsmitglieder weitgehend aus dem Reformprojekt heraus. Nach Reichard/Röber schien es trotz der formalen Einbindung280, „als ob die Mehrzahl der Abgeordneten die Reform für eine Sache der Verwaltung hält und nicht erkennt, daß Verwaltungsreform - soll sie nicht scheitern - stets auch Politikreform ist." 281 Über die formale Unterstüt275 Rienaß, Verwaltung und Management 1996, 370, 371. 276 Studie der Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege zur Berliner Verwaltungsreform v. 13. Dezember 1995, S. 8. 277 Zu den Stärken und Schwächen der Verwaltungsreform in Berlin siehe aus jüngster Zeit den Beitrag von Reichard/Röber, Verwaltung und Management, 1998, 132 ff. 278 Laut dem Statistischen Landesamt hatte Berlin im Juni 1998 3.413 032 Einwohner. 279 Engelniederhammer/Kopp, Berlin auf dem Weg zu einer leistungsfähigen Metropolenverwaltung, 1996. 280 Formal ist das Abgeordnetenhaus in den Reformprozeß durch Mitwirkung einzelner Mitglieder in Lenkungsgremien, durch den Sonderausschuß zur Verwaltungsreform sowie durch die Bewilligung von Finanzmitteln eingebunden. 281 Reichard/Röber,

Verwaltung und Management 1998, 132, 133.

1. Teil: Die Untersuchungsobjekte Berlin und Hamburg

zung hinaus müsse deshalb die Politik den laufenden Reformprozeß inhaltlich-konzeptionell begleiten und dauerhaft unterstützen.282 Dieser Foderung ist im Jahre 1999 durch Erlaß des Verwaltungsreform-Grundsätze Gesetz (VGG) 2 8 3 Rechnung getragen worden. Zweck dieses Gesetzes ist es, durch die Regelung von Organisationsgrundsätzen die Einheitlichkeit der reformierten Berliner Verwaltung hinsichtlich ihrer Bürgerorientierung, einschließlich der Ausrichtung auf die besonderen Belange der Wirtschaft, ihrer Führung und Steuerung sowie ihres Personalmanagements zu sichern (§ 1 VGG). Der späte Zeitpunkt, zu dem das Gesetz erlassen wurde, zeigt sich insbesondere an der Verwendung der Begriffe reformierte Verwaltung und sichern in § 1 VGG. Damit geht der Gesetzgeber davon aus, daß der Reformprozeß (weitgehend) abgeschlossen ist und nur die Ergebnisse für die Zukunft zu sichern sind. In § 2 I VGG ist die Binnengliederung der Berliner Behörden in die Leitung der Behörde, die Organisationseinheiten Leistungs- und Verantwortungszentren, Serviceeinheiten und Steuerungsdienst vorgesehen. Die übrigen Absätze von § 2 VGG umreißen die mit der Schaffung dieser Einheiten verfolgten Ziele sowie ihre Aufgaben. Die nachfolgenden Paragraphen enthalten grundsätzliche Aussagen zum Gebot der Bürgerorientierung (§ 3 VGG) und des Wettbewerbs zwischen den Behörden innerhalb und außerhalb der Berliner Verwaltung (§ 4 VGG). Das Gesetz schließt mit relativ genauen Vorgaben zum Personalmanagement und zur Qualitätssicherung (§§ 6, 7 ff. VGG). Damit sind die wichtigsten Bereiche der Berliner Verwaltungsreform vom Gesetzgeber nachträglich geregelt worden. Durch das Verwaltungsreform-Grundsätze-Gesetz wurden auch zahlreiche Vorschriften des Bezirksverwaltungsgesetzes geändert. Zu nennen sind Regelungen in bezug auf die Gliederung des Bezirksamts in nicht mehr als 15 Leistungs- und Verantwortungszentren sowie in Serviceeinheiten. Den Großteil der Neuregelungen machen Änderungen der Landeshaushaltsordnung aus. So müssen beispielsweise nach § 10 II LHO nF der Senat den Hauptausschuß sowie das Bezirksamt die BVV im standardisierten Berichtswesen regelmäßig über die Haushalts- und Kostenentwicklung, erhebliche Änderungen und die Auswirkung auf die Finanzplanung unterrichten. Direkte Auswirkungen auf das Verhältnis der Bezirke zur Hauptverwaltung haben diese Regelungen nicht.

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Als Lösung schlagen sie vor, die Politik über das „politische Kontraktmanagement" einzubinden. Wesentlich sei es, daß das Parlament der Verwaltung künftig strategische Leistungsaufträge erteile, die wesentliche politische Ziele und Programmkomponenten enthalten sollen, und daß es ferner die zugehörigen Budgets in Form von programmbezogenen „Eckwerten" bereitstellt. Nur dadurch könne es dem Parlament gelingen, seine verlorengegangene politisch-strategische Steuerungsfähigkeit wiederzugewinnen. Reichard/Röber, Verwaltung und Management 1998, 132,133. 283 Drittes Gesetz zur Reform der Berliner Verwaltung (Verwaltungsreform-GrundsätzeGesetz - VGG) v. 17. Mai 1999, GVB1. 171 ff.

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V. Reformansätze seit 1982 Wie unter D. IV. 3. festgehalten, wurde auch die Neuregelung des Bezirksverwaltungsgesetzes von 1971 überwiegend als unbefriedigend empfunden. Die beschriebenen Unstimmigkeiten führten dazu, daß die Diskussion um die Reformbedürftigkeit der Berliner Bezirksverwaltung keinen Abschluß fand. Sie führte im Jahre 1982 zur Einsetzung der Enquete-Kommission zur Verwaltungsreform durch das Abgeordnetenhaus.284 Nach Veröffentlichung des Schlußberichts der Kommission im Jahre 1984 ging ein Jahrzehnt ins Land bis endlich 1994 bzw. 1998 die zu Anfang des Kapitels genannten Reformgesetze erlassen wurden. Auf diese wird unter D. VI. im einzelnen eingegangen. Dort wird zu klären sein, inwieweit die vielfältigen Vorschläge der Enquete-Kommission in Abschnitt ΙΠ des Schlußberichts (Stärkung der eigenverantwortlichen bezirklichen Selbstverwaltung durch Änderung der Zuständigkeits- und Aufgabenverteilung) sowie in Abschnitt IX (Änderung der Bezirksverwaltungsorganisation) in diese Reformgesetze Eingang gefunden haben. Auch die Oppositionsparteien haben in den vergangenen Jahren immer wieder Gesetzesvorschläge unterbreitet, um die Bezirksebene gegenüber der Hauptverwaltung nachhaltig zu stärken. Die Vorstellungen der Oppositionsparteien stimmen (teilweise) mit den Vorschlägen der Enquete-Kommission zur Stärkung der bezirklichen Selbstverwaltung in Berlin überein. Im folgenden sollen nun die Reformkonzepte der Enquete-Kommission sowie der Oppositionsparteien im einzelnen vorgestellt werden.

1. Der Bericht der Enquete-Kommission Der allgemeine Prüfungsauftrag an die Enquete-Kommission verlangte von dieser herauszuarbeiten, „auf welche Weise die Berliner Verwaltung durch grundlegende strukturelle und organisatorische Veränderungen sowie Änderung von Rechtsvorschriften effektiver, sparsamer und bürgernäher werden kann". 285 Konkret waren der Kommission als angestrebte Ziele u. a. die Vermeidung von Doppelarbeit durch Bündelung von Verwaltungszuständigkeiten sowie die Dezentralisierung der Verwaltung vorgegeben. Die Kommission sollte insbesondere untersuchen, ob diese Ziele durch eine Stärkung der eigenverantwortlichen bezirklichen Verwaltung, die Änderung der Zuständigkeits- und Aufgaben Verteilung zwischen Haupt- und Bezirksverwaltung und durch Änderung der Bezirksverwaltungsorganisation erreicht werden können. 284 Die Einsetzung der Kommission durch das Parlament hat dieser ein besonderes Maß an Unabhängigkeit eröffnet. Üblicherweise werden Kommissionen zu Verwaltungsreformen von Behörden eingesetzt, die meist aus Mitarbeitern der Verwaltung bestehen und an bestimmte Vorgaben gebunden sind. 2 « Enquete-Kommission, 1984, S. 3.

. Teil: Die Untersuchungsobjekte Berlin und Hamburg

Die Enquete-Kommission geht bei ihrer Untersuchung von der Prämisse aus, daß angesichts der territorialen Größe, des Umfangs und der Vielschichtigkeit der zu erledigenden Verwaltungs- und Regierungsaufgaben und der von allen Parteien befürworteten Beibehaltung der Einheitsgemeinde es in Berlin keine Alternative zu einem zweistufigen Verwaltungsaufbau gibt. Den konkreten Vorschlägen zur Stärkung der eigenverantwortlichen bezirklichen Selbstverwaltung gehen Ausführungen über die gegenwärtige Lage in der Berliner Verwaltung voraus, die noch heute in vielen Punkten ihre Gültigkeit haben. Dieser Zustandsbericht offenbart eine sehr differenzierte Untersuchung des Verwaltungsgefüges Berlins sowie der bestehenden Probleme.

2. Vorschläge der Enquete-Kommission zur Stärkung der bezirklichen Selbstverwaltung Eine effektive Zweistufigkeit der Berliner Verwaltung verlangt nach Ansicht der Kommission eine arbeitsteilige Aufgabenerledigung zwischen Hauptverwaltung und Bezirken. Tatsächlich zeichne sich die Berliner Verwaltung aber durch sogenannte „Doppelzuständigkeiten" aus, d. h. nahezu jede Verwaltungsentscheidung werde sowohl auf der Zentral- als auch auf der Bezirksebene in einem komplizierten Verfahren mit wechselseitigen Zustimmungsmodalitäten meist unter Beteiligung mehrerer Verwaltungsstellen auf jeder Ebene getroffen. Dadurch würden die Verfahren langwierig, widersprüchlich, bürgerfremd sowie kostspielig und gingen nicht selten an den örtlichen Gegebenheiten vorbei. Zudem bestehe ein zu geringer bezirklicher Entscheidungsspielraum, dem eine ebenso eingeengte Finanzverantwortung entspreche. Zusammen mit der ständig wachsenden Überreglementierung stünden diese Faktoren einem schnellen und wirtschaftlichen Verhalten der Bezirksverwaltungen entgegen. Die Kommission hat als Ausweg aus dieser Misere in den Mittelpunkt ihrer Reformvorschläge das Prinzip der Dezentralisation gestellt. Wörtlich heißt es in dem Schlußbericht, Leitvorstellung für eine Neuordnung müsse sein, „soweit wie möglich die schöpferische Eigenverantwortung auf jeder Stufe der Verwaltung freizusetzen und dabei die Sachverantwortung mit der Kostenverantwortung zu verbinden (Grundsatz der dezentralisierten Gesamtverantwortung)".286 Die Kommission zieht hier - wie im übrigen an vielen anderen Stellen auch - eine Parallele zu Betriebsorganismen, die ein Höchstmaß an Leistungsfähigkeit vor allem dadurch erreichen würden, daß sie ihre Betriebsteile wie selbstverantwortliche „Teilunternehmen" führen lassen, bei denen jeweils für sich die Erlöse die Kosten decken müssen. Eine Übereinstimmung mit den dem Neuen Steuerungsmodell zugrundeliegenden Vorstellungen tritt hier klar zu Tage. Speziell bezogen auf die Bezirksebene wird ausgeführt, daß eine wirksame Reform hin zu einer bürgernahen Verwaltung nur durch 286 Enquete-Kommission, 1984, S. 12.

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Stärkung der eigenverantwortlichen bezirklichen Selbstverwaltung unter anderem durch Änderung der Zuständigkeits- und Aufgaben Verteilung möglich sei. 287 Grundsatz dieser Zuständigkeits- und Aufgabenverteilung müsse sein, die Hauptverwaltung auf ministerielle Aufgaben, also auf Rahmenvorgaben, konzeptionelles Vorausdenken und Führungsentscheidungen zu beschränken, Einzelplanungen und -entscheidungen müßten dagegen den Bezirken überlassen werden. Neben der Änderung der Zuständigkeits- und Aufgabenverteilung zwischen Hauptverwaltung und den Bezirken - für welche die Kommission sehr detaillierte Vorschläge gemacht hat - wird als zentrale Veränderung eine Stärkung der bezirklichen Finanzverantwortung durch Zuweisung von Globalsummen aus dem Landeshaushalt angeraten.288 Die bestehende Finanzregelung führe dazu, daß die Bezirke ihre finanziellen Entscheidungen nicht ausreichend unter dem Gesichtspunkt der „Sinnhaftigkeit und Sparsamkeit" treffen würden. 289 Die Kommission hat im Zusammenhang mit der Stärkung der Finanzautonomie der Bezirke auch erwogen, ihnen eigene Steuereinnahmen zu überlassen. Man sah im Ergebnis davon ab, entsprechende Vorschläge zu unterbreiten, da der bei eigenen Steuereinnahmen erforderliche Finanzausgleich zwischen den Bezirken zu komplizierte Konstruktionen 290

voraussetze. Die Kommission hat weiter eine Reihe von grundlegenden Änderungen der Binnenorganisation der Bezirke vorgeschlagen, die zur Eigenverantwortlichkeit, Leistungsfähigkeit, Bürgernähe und Wirtschaftlichkeit der bezirklichen Selbstverwaltung führen sollen. Minderheitlich regte man die Trennung der Wahltermine für die BVV und das Abgeordnetenhaus an, um nach außen hin deutlich zu machen, daß die Bezirke aufgrund ihrer Sach- und Finanzverantwortung eine eigene politische Verantwortung für konkrete Entwicklungen haben. Durch unterschiedliche Wahltermine könne auch eine zu starke Überlagerung durch den Landestrend vermieden werden. 291 Übereinstimmend wurde angeraten, die Zahl und Art der Ausschüsse der BVV nicht mehr durch das Bezirksverwaltungsgesetz zu reglementieren. 292 Die Einführung des politischen Bezirksamts wurde von der Mehrheit der 287 Enquete-Kommission, 1984, S. 8,9. 288 Enquete-Kommission, 1984, S. 22 ff. 289 Dieses auch aus anderen Verwaltungsbereichen bekannte Phänomen erklärt sich daraus, daß nicht in Anspruch genommene Haushaltsmittel grundsätzlich am Jahresabschluß verfallen und bei den nächsten Haushaltsplänen von den tatsächlichen Ausgaben auf den künftigen Bedarf geschlossen wird. 290 Enquete-Kommission, 1984, S. 12. 291 Der Nutzen dieser Regelung für die Stärkung der bezirklichen Selbstverwaltung ist fraglich, da überörtliche Trends örtliche Fragestellungen immer überlagern. Im übrigen gibt es auch heute noch Stammwähler, die auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene die gleiche Partei wählen. Mit der Mehrheit der Kommission kann deshalb davon ausgegangen werden, daß der Aufwand von verschiedenen Wahlterminen sich nicht lohnt. 292 Das Bezirksverwaltungsgesetz sei weiter so zu ändern, daß die Ausschüsse die Mehrheitsverhältnisse in den BVen widerspiegeln, gleichzeitig die kleinen Fraktionen mindestens einen Sitz haben müssen (sog. Grundmandatsregelung).

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1. Teil: Die Untersuchungsobjekte Berlin und Hamburg

Kommission nicht befürwortet. Überraschend ist, daß dieser Hauptstreitpunkt in der Diskussion um die Binnenorganisation der Bezirke mit dem nebulösen Hinweis auf das Verhältnis zum Senat abgetan wird. Weiter hat die Kommission die Stärkung der Stellung des Rats der Bürgermeister angeregt, um eine wirksame, direkte und schnelle Zusammenarbeit zwischen den Bezirken zu gewährleisten. Allerdings beschränken sich die diesbezüglichen Einzelvorschläge in erster Linie auf ein Teilnahmerecht eines Beauftragten des Rats der Bürgermeister an Senatssitzungen mit beratender Stimme. Schließlich wurde der Erlaß von Weisungen sowie Verwaltungsvorschriften durch das zuständige Senatsmitglied und nicht durch beauftragte Mitarbeiter angemahnt. Dies soll vermeidbare Reglementierungen eindämmen, zumindest aber Entscheidungen von Berufsbeamten gegenüber politischen Verantwortungsträgern verhindern. Der Forderung nach Befolgung des Prinzips der Dezentralisation hat sich die Stadtstaaten-Kommission293 in ihren Ausführungen zur Verwaltungsreform und Dezentralisierung ausdrücklich angeschlossen. Das Konzept, Aufgaben so weit wie irgend möglich von der Zentrale auf die Bezirke zu verlagern, sei dem Grundsatz nach sowohl in Berlin als auch in Hamburg einleuchtend. Neben der angemahnten Verlagerung von Verwaltungsaufgaben in die Berliner Bezirke hat die Stadtstaaten-Kommission die Ablösung der Wahlperiode der BVV vom Abgeordnetenhaus, die unmittelbare Wahl der Bezirksbürgermeister sowie die politische Besetzung der Bezirksämter vorgeschlagen. Nimmt man die politische Eigenständigkeit der Bezirksebene als Meßlatte, dann gehen diese Reformvorschläge der Stadtstaaten-Kommission weiter als die der Enquete-Kommission. Die Stellungnahme des Senats aus dem Jahre 1984 anläßlich der Veröffentlichung des Schlußberichts fiel recht zurückhaltend aus. 294 So sprach sich beispielsweise der Senat in diesem Bericht (noch) ausdrücklich gegen Globalsummenzuweisungen auf kleinere Organisationseinheiten wie die Bezirke aus. 295 Seine Zustimmung fand der Grundsatz, daß die Verwaltungsaufgaben so weit wie möglich in bezirklicher Eigenverantwortung zu erfüllen seien. Der Senat habe zusammen mit den Bezirken sämtliche in den Zuständigkeitskatalogen aufgeführten Verwaltungsaufgaben unter diesem Gesichtspunkt überprüft. Hierbei habe sich ergeben, daß die Gesichtspunkte der kosten- und nutzenoptimalen Gestaltung der Verwaltung sowie der Bürgernähe durch Stärkung der bezirklichen Verantwortung vielfach in ein unauflösliches Spannungsfeld geraten.

293 Stadtstaaten-Kommission, 1988, S. 197 ff. 294 AbgH-Drs. 9/2281 v. 30. November 1984. 295 AbgH-Drs. 9/2281 v. 30. November 1984, S. 20.

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3. Konzepte der Oppositionsparteien Von den Oppositionsparteien gibt es zur Zeit kein im Detail ausgearbeitetes Konzept zur Neuregelung der Bezirksverfassung. Bündnis 90/Die Grünen und die PDS treten aber immer wieder mit programmatischen Einzelforderungen zur Stärkung der Bezirksebene, insbesondere der BVV, an die Öffentlichkeit. Seitens der FDP sind keine Vorschläge zur Änderung der Bezirksverfassung bekannt. Bis 1989 waren Vorschläge von Bündnis 90/Die Grünen zur Bezirksreform hauptsächlich auf die Binnenstruktur der B W beschränkt. Hauptforderung war eine Stärkung der BVV durch Wiedereinführung des politischen Bezirksamtes. Seitdem die besondere Bedeutung der Bezirksarbeit im sozialen und kulturellen Bereich immer mehr zum Erliegen gekommen ist, sind in das Zentrum der Reformüberlegungen verstärkt Vorschläge zum Verhältnis der Bezirke gegenüber der Hauptverwaltung gerückt. 296 Häufig hervorgehoben wird, daß die Bezirkszusammenlegung zu einer drastischen Reduzierung von bisher 1035 auf 660 Bezirksverordnete führt. Der damit einhergehende »Abbau der bezirklichen Demokratie" mache als Ausgleich eine weitere Stärkung der Bezirke gegenüber der Hauptverwaltung besonders dringend. Zum Ausgleich wird die Einführung von Vetorechten sowie die Erweiterung von Klagerechten der Bezirke gegenüber Akten der Hauptverwaltung, die Schaffung einer eigenen Geschäftsstelle in eigener Regie für den Rat der Bürgermeister und /oder die Einrichtung eines dem Bundesrat ähnlichen Landrates der Bezirke vorgeschlagen.297 Eine Stärkung der B W gegenüber dem Bezirksamt sei durch einen Ausbau der Rechte der Ausschüsse zu erreichen. 298 Diese Vorschläge stimmen in ihrer Ausrichtung mit einem Änderungsantrag der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen zu dem Entwurf des Gebietsreformgesetzes von 1998 überein. 299 Wesentliche Punkte dieses Änderungsantrages sind eine Volksabstimmung über die Gebietsreform, die Einführung des politischen Bezirksamts sowie die Einrichtung einer überbezirklichen Geschäftsstelle für den Rat der Bürgermeister. Außerdem soll künftig das Abgeordnetenhaus entscheiden, wenn der Rat der Bürgermeister mit einer 2 / 3 Mehrheit eine Empfehlung beschlossen

296 Die folgenden Ausführungen sind eine Zusammenfassung des Ergebnisprotokolls des Klausurtreffens zur Gebiets- und Landesreform von bündnisgrünen Bezirksamtsmitgliedern, Vertretern des kommunalpolitischen Forums sowie Vertretern der bündnisgrünen Abgeordnetenhaus-Fraktion v. 26. Januar 1997. 297

Diesem Landesrat solle das Recht zukommen, nach eigenem Belieben über den Zeitpunkt des Zusammenkommens zu entscheiden. Nach geltender Rechtslage tagt der Rat der Bürgermeister nur nach Einberufung durch den Senat. Weiter soll der Landesrat die Möglichkeit erhalten, eigene Vorschläge sowie Gesetzesentwürfe zu erarbeiten. Auch an selbständige Anhörung von Fachleuten sowie die Veranstaltung von Tagungen sei zu denken. 298 Siehe zu den Forderungen von Bündnis 90/Die Grünen auch den Artikel im Tagesspiegel v. 29. Mai 1998, „Bezirke gestärkt - oder doch entmachtet", S. 11. 299 AbgH-Drs. 13/1871 - 1 ; AbgH-Drs. 13/1872. 6 Deutelmoser

1. Teil: Die Untersuchungsobjekte Berlin und Hamburg

hat und der Senat dieser nicht folgen will. Der Antrag hat im Abgeordnetenhaus keine Mehrheit gefunden. Auch die PDS hat auf einem Landesparteitag im Juni 1997 grundlegende Punkte zur Reform der Berliner Bezirksverwaltung beschlossen.300 Danach tritt auch die PDS für die Einrichtung einer Bezirkskammer als zweiter Kammer in Berlin ein. Unklar bleibt, welche Entscheidungsrechte diesem Gremium zukommen sollen. So heißt es recht vage, daß dieser Kammer grundsätzliche Entscheidungen des Abgeordnetenhauses und des Senats sowie solche, die in die Belange der Bezirke hineinwirken, vorgelegt werden müssen. Anders als der Bundesrat soll diese Kammer aber nicht nur aus den Mitgliedern der bezirklichen Exekutive, sondern auch aus Bezirksverordneten bestehen. Ganz allgemein wird weiter angemahnt, die bezirklichen Selbstverwaltungsorgane mit politischen, haushaltsund verwaltungsrechtlichen Kompetenzen auszustatten. Hierzu gehöre eine bedarfsgerechte Globalzuweisung, eine eigenständigere bezirkliche Einnahmepolitik sowie ein Bezirksfinanzausgleich. Die BVV sei zu einer Volksvertretung mit parlamentarischen Regeln auszubauen. Insgesamt sollte eine rechtliche Stärkung der BVV gegenüber den Bezirksämtern sowie eine deutliche Einschränkung der Fach- und Rechtsaufsicht durch den Senat bzw. die Senatsverwaltung für Inneres erfolgen und das Proporzprinzips zugunsten des politischen Bezirksamts abgelöst werden. Der Änderungsantrag der Fraktion der PDS 3 0 1 zum Entwurf des Gebietsreformgesetzes des Senats sieht neben der Einführung des politischen Bezirksamts eine Neuregelung von Art. 66 Π BerlVerf vor. Danach soll die Verteilung der Aufgaben, Kompetenzen und finanziellen Ressourcen nach den Prinzipien der Dezentralisation und der Subsidiarität vorgenommen werden.

4. Vorschläge des Rats der Bürgermeister Im Bericht der Arbeitsgruppe des ständigen Ausschusses für Inneres des Rats der Bürgermeister wird zu den Gebietsreformen sowie zur Reform der Landesund Bezirksverwaltung ausführlich Stellung genommen.302 Auch der Ausschuß betrachtet die Gebietsreform nur als einen Teil einer notwendigen umfassenden Reform der Landes- und Bezirksverwaltung Berlins, die insbesondere zu einer Stärkung der Stellung des Rats der Bürgermeister führen soll. So müsse dem Rat der Bürgermeister gegenüber Vorschlägen für Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Senats ein Einspruchsrecht eingeräumt werden, über das sich der Senat nur durch einstimmigen Beschluß hinwegsetzen können soll. Weiter wird gefordert, daß für den Bereich der Bezirksaufgaben den Bezirksorganen eine gesetzliche Kla300 Protokoll des 5. Landesparteitags der PDS-Berlin v. 14./15. Juni 1997. 301 AbgH-Drs. 13/1872-3. 302 AbgH-Drs. 13/1872, Anlage 6A, B.

D. Berlin

gebefugnis eingeräumt wird. 303 Diskutiert wird weiter die Direktwahl der Bezirksamtsmitglieder sowie die Wiedereinführung des politischen Bezirksamts.

5. Bewertung der Reformansätze Die Enquete-Kommission sieht in der Stärkung der Eigenverantwortlichkeit der Bezirksebene sowie in Veränderungen der bezirklichen Binnenverfassung Chancen für eine Lösung der Verwaltungsprobleme Berlins. Die Einzelvorschläge bedeuten einerseits eine weitere partielle Angleichung der Bezirke an die Kommunen. Andererseits hat die Enquete-Kommission aber bei der Erarbeitung von Lösungsmöglichkeiten in sehr starkem Maße auf die vermeintlichen Vorgaben aus der Einheitsgemeinde Rücksicht genommen. Dies dürfte der Grund sein, warum der Komplex der „Wehrhaftigkeit" der Bezirke, womit Klagemöglichkeiten bzw. Vetorechte der Bezirksorgane untereinander sowie gegen Akte der Hauptverwaltung gemeint sind, vollständig fehlt. Die Enquete-Kommission lehnt - um ein anderes Beispiel zu nennen - eine über das Bauplanungsrecht hinausgehende Rechtssetzungsautonomie der Bezirke mit der Begründung ab, daß ansonsten Leistungs- und Wirkungsgefälle innerhalb einer einheitlichen Gebietskörperschaft eintreten könnten, die den sozialen Frieden und das administrative Gleichgewicht stören würden. Führt man sich die vergleichsweise unbedeutenden Bereiche, in denen den Gemeinden nach Art. 28 Π GG Rechtssetzungshoheit zusteht und eine strukturbedingt noch weiter eingeschränkte Autonomie der Bezirke vor Augen, dann erscheint das Schreckgespenst des drohenden Endes des sozialen Friedens etwas überzogen. Insgesamt wäre es wünschenswert, wenn man sich von apriorischen Behauptungen der Auflösung der Einheitsgemeinde lösen könnte.304 Zu diesem Punkt meinte ein aktiver Teilnehmer der jüngsten Verwaltungsreformen in Berlin: „Bei jeder konkreten Debatte sieht man sich sofort vor die beängstigende Frage gestellt: Wird die sogenannte Einheitsgemeinde Berlin, für die alle unbedingt eintreten, durch mehr Eigenständigkeit der Bezirke gefährdet oder gar prinzipiell aufgegeben? ... Im Begriffskäfig Einheitsgemeinde wird man keine nachhaltige Stärkung der Stadtteile und keine wirksame Entlastung der Hauptverwaltung finden". 305 Die Vorschläge der Oppositionsparteien sowie des Rats der Bürgermeister führen aus demokratietheoretischer Sicht zu einer weitergehenden Aufwertung der 303

Der Ausschuß geht davon aus, daß nach geltender Rechtslage die Klage eines Bezirks oder eines Bezirksorgans ein unzulässiger Insichprozeß ist. Hierzu ausführlich unter D. VII. 2.; VII. 3.; Vili. 3. b). 304 So zuletzt der ehemalige Innensenator Schönbohm, der Bündnis 90/Die Grünen und PDS aufgrund ihres Vorschlages den Bezirken ein Klagerecht gegenüber dem Senat zuzugestehen, vorwarf, daß sie „die Einheitsgemeinde Berlin auseinander dividieren" wollen. Tagesspiegel v. 29. Mai 1998, S. 11. 3 05 Haus, RuP 1994, 10, 15. 6*

1. Teil: Die Untersuchungsobjekte Berlin und Hamburg

Bezirksebene. So geht beispielsweise die Forderung zur Umstrukturierung des Rats der Bürgermeister in einen dem Bundesrat angenäherten Landesrat sachlich viel weiter als die diesbezüglichen Vorschläge der Enquete-Kommission. Ob eine solche gestärkte Landeskammer erstrebenswert ist, hängt von den konkreten Rechten dieser Kammer ab. Eine Vorlagepflicht des Abgeordnetenhauses und des Senats im Sinne einer Informationspflicht bei allen grundsätzlichen Entscheidungen des Senats, die die Bezirke betreffen, ist sicherlich geeignet, die bezirklichen Interessen mehr als bisher in den politischen Entscheidungsprozeß einfließen zu lassen. Anders sieht es aus, wenn man dieser Landeskammer einklagbare Vetorechte gegen diese Entscheidungen einräumt. Im Fall der Gebietsreform, gegen die sich die Bezirke heftig gewehrt haben, hätte dies bedeutet, daß die Verwaltungsgerichte über die Zulässigkeit der Reduzierung der Bezirke entschieden hätten. Eine Folge, die sicherlich nicht wünschenswert ist. Positiv zu bewerten ist der Vorschlag, das Abgeordnetenhaus entscheiden zu lassen, wenn der Rat der Bürgermeister mit einer 2/3 Mehrheit eine Empfehlung beschlossen hat und dieser der Senat nicht folgen will. Damit wird sichergestellt, daß in den für die Bezirke wesentlichen Fragen, die Regierung sich nicht einfach über deren Vorstellungen hinwegsetzen kann, sondern das Parlament sich mit diesen Fragen beschäftigen muß. Im folgenden soll durch eine eingehende Darstellung der Verwaltungsreformgesetze von 1994 und 1998 zweierlei geklärt werden: Erstens inwieweit die dargestellten Reformvorschläge in geltendes Recht umgesetzt wurden und zweitens ob mit den Neuregelungen eine selbstverantwortliche Bezirksebene geschaffen wurde.

VI. Bezirkliche Selbstverwaltungsrechte vor und nach 1994 Gemäß Art. 50 I I BerlVerf 1950/Art. 66 I I BerlVerf 1995 sind die Bezirke Berlins an der Verwaltung „nach den Grundsätzen der Selbstverwaltung" zu beteiligen. Diese wenig glückliche Formulierung ist dem SPD-Entwurf von 1946 zur Berliner Verfassung entnommen, der den Bezirken den Status von Gemeinden einräumen wollte. 306 Dies spricht dafür, daß der Verfassungsgeber, obwohl er sich gegen die Bildung von rechtsfähigen Gemeinden entschieden hat, eine weitgehende rechtliche Angleichung der Bezirke an die Rechte der Kommunen wollte. Entsprechend ging man zur alten Fassung von Art. 66 II BerlVerf allgemein davon aus, daß nach den „Grundsätzen der Selbstverwaltung" nach den Grundsätzen der kommunalen Selbstverwaltung bedeute.307 Im Zuge der Gebietsreform von 1998 ist Art. 66 Π BerlVerf neugefaßt worden. Nunmehr besagt die Vorschrift, daß die Be306 Zu diesem SPD-Entwurf siehe ausführlich unter D. VII. 4. d). 307 Hantel, JuS 1988, 512, 513 mwN; Landsberg-Goertz. BerlVerf, 1951, Art. 51 Erl. 2.; Neumann in: Pfennig /Neumann, Verfassung von Berlin, 1986, Art. 50, 51 Rn. 11. Alle zu dem mit Art. 66 II BerlVerf 1995 wortgleichen Art. 50 II BerlVerf 1950.

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zirke ihre Aufgaben nach den Grundsätzen der Selbstverwaltung erfüllen und regelmäßig die örtlichen Verwaltungsaufgaben wahrnehmen. Diese Neufassung läßt keine inhaltliche Neubewertung der bezirklichen Selbstverwaltung durch den Verfassungsgeber erkennen. Durch den Begriff der Erfüllung ihrer Aufgaben nach den Grundsätzen der Selbstverwaltung in Satz 1 - statt bisher Beteiligung - wird nur die Eigenständigkeit der Bezirke stärker als bisher betont. Der neu eingefügte Satz 2 in Art. 66 I I BerlVerf nimmt zudem den in Art. 67 I, Π BerlVerf geregelten Subsidiaritätsgrundsatz zugunsten der Aufgabenwahrnehmung durch die Bezirke vorweg. Wie im folgenden ausführlich dargestellt wird, haben die Verwaltungsreformgesetze von 1994 und 1998 die Tendenz, Kompetenzen nach unten zu verlagern und damit die Bezirke den Kommunen weiter anzugleichen. Es ist deshalb davon auszugehen, daß die Bezirke ihre Aufgaben weiterhin nach den Grundsätzen der kommunalen Selbstverwaltung wahrnehmen. Mit dieser Feststellung ist für die Frage nach der konkreten Ausgestaltung der bezirklichen Selbstverwaltungsrechte wenig gewonnen. Was bedeutet im einzelnen nach den Grundsätzen der kommunalen Selbstverwaltung? Gibt es Rechte der Kommunen, welche den Bezirken aufgrund der Entscheidung für die Einheitsgemeinde neben der Rechtsfähigkeit per se nicht zustehen können? Und wenn ja, welche sind dies? Steht weiter den Bezirken - wie bei den Gemeinden allgemein anerkannt - ein subjektiv-öffentliches Recht auf (bezirkliche) Selbstverwaltung zu, welches sie auch gegenüber der Hauptverwaltung gerichtlich geltend machen können? Gewährt die Verfassung Berlins eine institutionelle Garantie der bezirklichen Selbstverwaltung? Zur Klärung dieser Fragen bedarf es zunächst einer eingehenden Untersuchung der verfassungsrechtlichen sowie der einfach-gesetzlichen Vorschriften, die die Einzelgewährleistungen wie Planungs- oder Personalhoheit etc. zum Inhalt haben. Erst im Anschluß daran kann in einem gesonderten Kapitel geklärt werden, ob die Verfassung von Berlin mit den Art. 66 ff. den Bezirken ein subjektiv-öffentliches Recht auf bezirkliche Selbstverwaltung sowie eine Garantie der bezirklichen Selbstverwaltung gewährt. Im Gegensatz zu den marginalen Entscheidungsrechten bezirklicher Untergliederungen anderer Großstädte verfügten die Bezirke Berlins schon vor Erlaß der Reformgesetze 1994/1998 über nicht unbeachtliche Selbstverwaltungsrechte. Um zu entscheiden, inwieweit es zu einer weiteren Angleichung der Bezirke an die Kommunen durch diese Reformen kam, muß zunächst geklärt werden, welche Hoheitsrechte von der Garantie der kommunalen Selbstverwaltung umfaßt sind. Nach herrschender Lehre sichert Art. 28 Π GG die eigenverantwortliche Wahrnehmung kommunaler Aufgaben, die in ein Bündel von typischen Aufgabenfeldern aufgefächert wird. Dazu werden in erster Linie Maßnahmen und Angelegenheiten der Daseinsvorsorge, die Planungs-, Finanz-, Steuer-, Personal- und Oiganisationshoheit sowie eine autonome Regelungsbefugnis in Form der Satzungsgewalt gezählt.308 308 Vgl. die Zusammenstellungen bei von Mutius, Gutachten zum 53. DJT 1980, S. 19, 106 ff. sowie Stern, Die Verfassungsgarantie der kommunalen Selbstverwaltung, 1981, S. 206, 213 f. mwN.

1. Teil: Die Untersuchungsobjekte Berlin und Hamburg

Übereinstimmend mit diesen von der Literatur genannten Ausprägungen der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie sind die nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts von Art. 28 I I GG gewährleisteten Rechte der Gemeinden. Die Gewährleistung von Art. 28 Π GG sichere den Gemeinden einen grundsätzlich alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft umfassenden Aufgabenbereich sowie die Befugnis zu eigenverantwortlicher Führung der Geschäfte in diesem Bereich. Innerhalb dieses Bereiches bestehe ein erhöhter Schutz soweit Hoheitsrechte wie ihre Gebiets-, Satzungs-, Planungs-, Organisations- oder Finanzhoheit betroffen seien.309 Legt man diese Ausprägungen der kommunalen Selbstverwaltung der Untersuchung des Umfangs der bezirklichen Selbstverwaltungsrechte zugrunde, dann ergibt sich folgendes Bild: Vor der Reform im Jahre 1994 besaßen die Bezirke weder Rechtsfähigkeit noch Rechtssetzungs- und Finanzautonomie. Weiter waren ihre Selbstverwaltungsrechte durch die fehlende Dienstherrenfähigkeit und die damit nur teilweise bestehende Personalhoheit sowie die Regelung des Art. 59 I BerlVerf 1950, wonach die Organisation der Bezirksverwaltung entsprechend der Hauptverwaltung einzurichten ist, sehr beschränkt. Neben diesen Schranken unterlagen die Bezirke in den von ihnen zu erledigenden Aufgabenkreisen, den bezirkseigenen Angelegenheiten und den übertragenen Vorbehaltsaufgaben, allgemeinen Bindungen durch Rechts- und Verwaltungsvorschriften und besonderer Bezirks- und Fachaufsicht durch den Senat und dessen Mitglieder. 310 In prozessualer Hinsicht verneinte ein Großteil der Lehre ein Vetorecht sowie Klagemöglichkeiten der Bezirke gegen Aufsichtsmaßnahmen der Hauptverwaltung. Insgesamt bedeuteten diese Einwirkungsmöglichkeiten des Senats auf die Aufgabenerledigung der Bezirke eine erhebliche Einschränkung der Eigenverantwortlichkeit und des Ermessensspielraums der Berliner Bezirke. Soweit man diese Einschränkungsmöglichkeiten sowie das Fehlen vieler der für die Kommunen wesentlichen Selbstverwaltungsrechte betont, konnte man die Berliner Bezirke vor Erlaß des Reformgesetzes 1994 als lediglich dekonzentrierte Verwaltungseinheiten ansehen. Mit der gleichen Berechtigung konnte man sie auch schon vor 1994 als dezentralisierte Verwaltungseinheiten bezeichnen, da ihnen in einigen Bereichen ein nicht unbedeutendes Maß an Selbständigkeit zukam. Zunächst ist in Art. 56 BerlVerf 1950 ausdrücklich von bezirklicher Selbstverwaltung die Rede, für die speziell ein vom Bezirksvolk zu wählendes Organ, die BVV, geschaffen wurde. Die partielle Eigenverantwortlichkeit ergab sich weiter aus dem Subsidia309 BVerfG, NVwZ 1987, 123 (3. Leitsatz); BVerfGE 79, 127, 143. Für die Personalhoheit siehe BVerfGE 1, 167, 175...17, 172, 182. Für die Planungshoheit siehe BVerfGE 56, 298, 312, 317 ff.; BVerwGE 81, 95, 106; 84, 209, 214 ff. Für die Organisationshoheit siehe BVerfG, NVwZ 1987, 123 f. 310 Eine Fachaufsicht war nur bei den übertragenen Vorbehaltsaufgaben - so die Terminologie des Allgemeinen Zuständigkeitsgesetzes (AZG) vor 1994 - möglich.

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ritätsgrundsatz (Art. 51 I, I I BerlVerf 1950), dem Recht des Bezirksamts, das Land Berlin in Angelegenheiten des Bezirks zu vertreten (Art. 58 Π BerlVerf 1950), der Zuständigkeit im verwaltungsgerichtlichen Vorverfahren bei bezirkseigenen Angelegenheiten (§ 27 I d AZG a.F.) 311 , der beschränkten Personalhoheit (Art. 61 I BerlVerf 1950) 312 sowie der Zuständigkeitsvermutung des § 412 AZG. Die Verfassung von Berlin von 1950 trägt damit in bezug auf den Status der Bezirke im Vergleich zu den Kommunen Kompromißcharakter. Der alten Rechtslage wird man am ehesten gerecht, wenn man die Zwitterstellung der Bezirke nicht leugnet, sondern sie als eine Mischung aus dezentralisierten und dekonzentrierten Verwaltungseinheiten anerkennt. Durch die Verwaltungsreformgesetze von 1994 und 1998 erfolgte - unter Beibehaltung der genannten Selbstverwaltungsrechte - eine formalrechtliche Besserstellung der Bezirke. Diese umfaßt folgende Bereiche: Gewährung der bauplanungsrechtlichen Rechtsetzungs- sowie partielle Organisationshoheit, Einräumung (stark) beschränkter Finanzautonomie durch die Zuweisung von Globalsummen, sprachliche Verschärfung des Subsidiaritätsgrundsatzes verbunden mit Aufgabenverlagerungen in die Bezirke, Ersetzung der Fachaufsicht durch ein auf Einzelfälle beschränktes Eingriffsrecht sowie eine prozeßrechtliche Aufwertung der Bezirke durch Einführung eines Normenkontrollverfahrens. Damit ist der bezirkliche Zuständigkeitsbereich erweitert und die Bezirksverwaltung stärker als bisher nach den Grundsätzen der kommunalen Selbstverwaltung gestaltet worden. Zum Verständnis der hinter diesen Neuregelungen liegenden Konzeption wird zunächst die Senats vorläge der Senatsverwaltung für Inneres aus dem Jahre 1992 313 , die die wichtigsten Eckpunkte des zwei Jahre später verabschiedeten Verwaltungsreformgesetzes enthält, untersucht. Anschließend werden die Neuregelungen im einzelnen dargestellt.

1· Senatsvorlage für Inneres 1992 Dieser Senatsvorlage läßt sich entnehmen, daß vom Senat eine politische Stärkung der Bezirke nicht gewollt war. So heißt es in einem Abschnitt, daß die Stärkung der finanziellen Eigenverantwortung und Selbständigkeit der Bezirke sowie 311 Wäre die Hauptverwaltung Widerspruchsbehörde, so würde dies zwangsläufig zu einer Ermessenskontrolle und damit zu einer Einschränkung des bezirklichen Selbstverwaltungsrechts führen. Nach heute geltendem Recht besteht eine erweiterte Zuständigkeit zum Erlaß eines Widerspruchsbescheids gegen einen Verwaltungsakt einer Bezirksverwaltung, da das Gesetz nicht mehr zwischen übertragenen Vorbehaltsaufgaben und bezirkseigenen Angelegenheiten unterscheidet (§ 271 b AZG). 312 Aufgrund der fehlenden Rechtsfähigkeit der Bezirke ist das Land Anstellungskörperschaft. Die Verantwortung für die bezirklichen Personalentscheidungen legt Art. 61 I S. 2 BerlVerf 1950 in die Zuständigkeit der Bezirke. 313

Senatsvorlage zum Gesetz zur Verwirklichung der Berliner Verwaltung v. 27. Oktober 1992, Nr. 2493/92, Beschlußentwurf.

1. Teil: Die Untersuchungsobjekte Berlin und Hamburg

die Überprüfung der Aufgabenverteilung zwischen Hauptverwaltung und Bezirken im Maßnahmekonzept des Senats ursprünglich gar nicht vorgesehen war. Erst aufgrund der öffentlichen Diskussion, die nach der Vorstellung des Rahmenkonzepts des Senats zur Reform der Berliner Verwaltung entbrannte, seien diese Vorschläge in das vorliegende Konzept aufgenommen worden. 314 Von einer Stärkung der bezirklichen Selbstverwaltung als Grundsäule der Reform - wie von der EnqueteKommission vorgeschlagen - kann mithin keine Rede sein. Nicht nachvollziehbar ist deshalb die Behauptung in der Senatsvorlage, der Abschlußbericht der EnqueteKommission stelle auch aus heutiger Sicht ein in großen Teilen zutreffendes und aktuelles Reformkonzept dar, welches die in den Senatsvorlagen gemachten Vorschläge wesentlich beeinflußt habe.315 Auch wurden zahlreiche von der EnqueteKommission gemachten Vorschlägen zur Stärkung der bezirklichen Selbstverwaltung im Jahre 1994 nicht umgesetzt. Man muß die Behauptung von der Aktualität des Schlußberichts der Enquete-Kommission deshalb als Lippenbekenntnis des Senats bezeichnen. Tatsächlich dienen viele der in der Senatsvorlage enthaltenen Vorschläge zur Bezirksreform - die Gebietsreform, die Senkung der Zahl der Bezirksamtsmitglieder, die Entwicklung eines „Modellbezirksamts" etc. - ausschließlich der Steigerung der Leistungsfähigkeit der Bezirke. Eine Anerkennung der Bezirke als eigenständige politische Ebene lassen sie nicht erkennen. Eine Aufgabenübertragung in die Bezirke soll nur im Interesse der Orts- und Bürgernähe erfolgen und nur Dienstleistungen und Servicefunktionen der öffentlichen Verwaltung, die unmittelbar gegenüber dem Bürger zu erbringen sind, umfassen. 316 Zu den von der Hauptverwaltung wahrzunehmenden ministeriellen, haupt- und gesamtstädtischen sowie bezirksübergreifenden Aufgaben sollen auch in Zukunft alle Aufgaben gehören, die zur Angleichung der Lebensverhältnisse führen. Auch sollen die Bereiche der gesamtstädtischen Planung, die Entwicklung einer bezirksübergreifenden Verkehrsinfrastruktur, die städtebauliche Gestaltung des Zentrums der Stadt, die Genehmigung von Vorhaben gesamtstädtischer Bedeutung und der Bau von Sportstätten zur überbezirklichen Versorgung von den von der Hauptverwaltung zu erledigenden Aufgaben umfaßt sein. 317 Damit wird schon in den allgemeinen Ausführungen zur Aufgabenübertragung in die Bezirke große Zurückhaltung geübt. Am deutlichsten wird die Nichtanerkennung der Bezirke als eigenverantwortliche Ebene, wenn man sich die Ordnungsvorstellungen vor Augen führt, die der Senat mit dem Prinzip der Dezentralisation verbindet. In der Senatsvorlage heißt es hierzu: Eine Dezentralisation beinhalte keinen Selbstzweck jenseits der Stärkung der Dienstleistungsfunktion der öffentlichen Verwaltung für den Bürger. Da auch eine zentrale Aufgabenwahrnehmung sich orts- und bürgernah organisieren 314 315 316 317

Siehe Fußn. 313, S. 20. Siehe Fußn. 313, S. 21. Siehe Fußn. 313, S. 22. Siehe Fußn. 313, S. 21.

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lasse, erfolge die Entscheidung für eine Zentralisation oder Dezentralisation allein aus pragmatischen Erwägungen.318 In diesen Ausführungen finden die mit dem Prinzip der Dezentralisation verbundenen Funktionen, die in Kapitel C. Π. erläutert wurden, keinerlei Berücksichtigung. Zudem wird die vom Senat geäußerte Auffassung von Dezentralisation auch der bestehenden Rechtslage nicht gerecht. Mit Rücksicht insbesondere auf die unmittelbare demokratische Legitimierung der bezirklichen Vertretungsorgane sowie des gesamten in den Artt. 66 ff. BerlVerf geregelten Bezirksverfassungssystems, kann man nicht davon ausgehen, daß die Aufgabenverteilung zwischen Hauptverwaltung und Bezirken nur der verwaltungsorganisatorischen Optimierung dient. Mit diesen Regelungen ist vielmehr die Etablierung einer dezentralen Entscheidungsebene intendiert. Allein die Institution der BVV - zur Zeit 23 mal 45 Bezirksverordnete - und der kollegialen Bezirksämter rechtfertigt sich nur, wenn der Bezirksebene auch relevante Entscheidungsrechte zustehen. Es reicht nicht, dieser Ebene nur Aufgaben zuzuerkennen, die sie effizienter als die Hauptverwaltung lösen kann. Im übrigen ist diese Auffassung auch mit dem Subsidiaritätsgrundsatz des Art. 51 I, Π BerlVerf 1950 nicht in Einklang zu bringen. Die zumindest in einigen Bereichen zentralistische Ausrichtung der Reformüberlegungen aus dem Jahre 1992 läßt sich demnach nicht leugnen. Zentralistische Tendenzen zeigen sich beispielsweise an den vielen geplanten bzw. bereits eingeführten Landesämtern (Landesschul-, Landesvermessungs-, Landesbaugenehmigungs- und Landesbauamt). Im übrigen ist in der Senatsvorlage von einer umfassenden Dezentralisierung in Richtung Bezirke an keiner Stelle die Rede.

2. Normenkontrollverfahren (Art 84 I I Nr. 3 BerlVerf, §§ 14 Nr. 9,57 VerfGHG) In verfassungsprozessualer Hinsicht erfolgte eine Aufwertung der Bezirksebene durch das Verfahren betreffend die Zuständigkeitsabgrenzung zwischen Hauptverwaltung und Bezirken (Art. 84 Π Nr. 3 BerlVerf; §§ 14 Nr. 9, 57 VerfGHG). Nunmehr kann der Berliner Verfassungsgerichtshof auf Antrag eines Bezirks bei Meinungsverschiedenheiten oder Zweifeln über die Vereinbarkeit der in einem Gesetz geregelten Abgrenzung der Zuständigkeitsbereiche von Bezirken und Hauptverwaltung mit der Verfassung von Berlin entscheiden. Dieses Verfahren weist zunächst Parallelen zur Kommunalverfassungsbeschwerde nach Art. 931 Nr. 4 b GG, § 91 BVerfGG auf. 319 Auch in diesem Verfahren ist die Klagemöglichkeit der Gemeinden und Gemeindeverbände auf die Geltendmachung der Verletzung des Rechts auf kommunale Selbstverwaltung nach Art. 28 I I GG durch Gesetze beschränkt.320 Eine enge Verwandtschaft besteht auch zu dem 1992 neu eingeführten 318 Siehe Fußn. 313, S. 2. 319 So auch Hoffmeister,

NJ 1999, 393.

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Verfahren nach Art. 931 Nr. 2 GG, welches die Durchsetzung der Länderinteressen im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung - in stärkerem Maße als bisher 321 - sicherstellen soll und zeitgleich mit der Neufassung des Art. 72 Π GG eingeführt wurde. 322 Sowohl der Wortlaut der Norm 323 als auch Intention dieses Verfahrens Schutz der Gesetzgebungskompetenz der Länder - stimmen mit dem Berliner Verfahren überein. Die praktische Bedeutung dieer Neuregelung steht in engem Zusammenhang mit dem neugefaßten Subsidiaritätsgrundsatz, der Grundlage der materiell-rechtlichen Prüfung des Normenkontrollverfahrens ist. Auf diesen, insbesondere seine Auslegung durch den Berliner Verfassungsgerichtshof, wird im folgenden eingegangen.

3. Der Subsidiaritätsgrundsatz (Art 671, I I BerlVerf) Der Subsidiaritätsgrundsatz ist sowohl 1994 als auch 1998 sprachlich verschärft worden. Nach Art. 67 I, Π BerlVerf 1995 324 nahm der Senat die Aufgaben wahr, „die von gesamtstädtischer Bedeutung sind und wegen ihrer Eigenart zwingend einer einheitlichen Durchführung bedürfen", während die Bezirke alle sonstigen Verwaltungsangelegenheiten wahrnehmen. Art. 51 I BerlVerf 1950 sah dagegen vor, daß der Hauptverwaltung alle Angelegenheiten vorbehalten sind, die „wegen ihrer überragenden Bedeutung oder wegen ihrer Eigenart einer einheitlichen Durchführung bedürfen". Die Einführung des Wortes „zwingend" sollte gewährleisten, daß die Hauptverwaltung tatsächlich nur gesamtstädtische oder bezirksübergreifend einheitlich durchzuführende Angelegenheiten wahrnimmt.325 1 998 ist der unbestimmte Rechtsbegriff „gesamtstädtische Bedeutung" durch die Einführung von Regelbeispielen präzisiert worden. Der zweite Halbsatz von Art. 67 I BerlVerf ist 320

Im Grunde ist die kommunale Verfassungsbeschwerde ihrem Wesen nach eher ein Normenkontrollverfahren mit gegenständlich und zeitlich beschränktem Antragsrecht. Stern, in: Bonner Kommentar, 1984, Art. 93, Rn. 776. 321 Kam es vor 1994 zu einer unterschiedlichen Auslegung von Art. 72 II GG durch Bund und Länder, dann war eine Bund-Länder-Streitigkeit nach Art. 931 Nr. 3 GG durchzuführen. 322 Vgl. zur Neufassung des Art. 72 II GG Sannwald, NJW 1994, 3313, 3316; Kenntner, ZRP 1995, 367 ff. 323

Art. 93 I Nr. 2a GG lautet: „Das Bundesverfassungsgericht entscheidet bei Meinungsverschiedenheiten, ob ein Gesetz den Voraussetzungen des Artikels 72 II entspricht, auf Antrag des Bundesrats, einer Landesregierung oder der Volksvertretung eines Landes". Nach Art. 84 II Nr. 3 BerlVerf entscheidet der Verfassungsgerichtshof „bei Meinungsverschiedenheiten oder Zweifeln über die Vereinbarkeit der im Gesetz geregelten Abgrenzung der Zuständigkeitsbereiche zwischen der Hauptverwaltung und den Bezirken mit der Verfassung von Berlin auf Antrag eines Bezirks". 324 Die die Bezirksverwaltung betreffenden Verfassungsvorschriften sind bereits im Jahre 1994 Gesetz geworden. Da die Berliner Verfassung im Jahre 1995 neu verkündet wurde, wird hier von der Verfassung 1995 gesprochen. 32 5 AbgH-Drs. 12/3350, Einzelbegr. Art. 51, Nr. 1.4.

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entfallen, taucht aber unter verschärften Voraussetzungen im Regelbeispiel Nr. 3 wieder auf. 326 Aufgaben von gesamtstädtischer Bedeutung sind nach Art. 671 Nr. 1 BerlVerf Leitungsaufgaben (Planung, Grundsatzangelegenheiten, Steuerung, Aufsicht), nach Nr. 2 die Polizei-, Justiz- und Steuerverwaltung sowie nach Nr. 3 einzelne Aufgabenbereiche, die wegen ihrer Eigenart zwingend einer Durchführung in unmittelbarer Regierungsverantwortung bedürfen.

a) Aufgabenverlagerung

in die Bezirke

Auf der Grundlage des Verfassungsänderungsgesetzes vom April 1998 ist im Juni 1998 die Aufgabenverteilung zwischen Senat und Bezirken neu geregelt worden (sogenannte Funktionalreform). 327 Trotz der erneuten Verschärfung des Subsidiaritätsgrundsatzes 1998 sowie der 1994 durchgeführten Aufgabenverlagerung in die Bezirke durch Änderung des AZG war bis zur Verabschiedung des zweiten Verwaltungsreformgesetzes der Umfang der der Hauptverwaltung vorbehaltenen Aufgaben erheblich. Dies konnte man unschwer der Anlage zum AZG (Zuständigkeitskatalog zu § 4 1 AZG) entnehmen.328 Der ehemalige Innensenator Schönbohm räumte ausdrücklich ein, daß der beachtliche Umfang der Aufgaben bei der Hauptverwaltung im Widerspruch zur Verfassungslage stehe.329 Art. 67 ΠΙ 1 BerlVerf 1998 sieht vor, daß Aufgaben des Senats außerhalb der Leitungsaufgaben durch Gesetz mit zusammenfassendem Zuständigkeitskatalog zu bestimmen sind. 330 Gemäß Art. 67 ΠΙ 1 BerlVerf 1995/Art. 51 ΠΙ 1 BerlVerf 1950 hatte der Gesetzgeber die nähere Abgrenzung der Zuständigkeitsbereiche von Hauptverwaltung und Bezirken vorzunehmen. Der Zuständigkeitskatalog war von 1994 bis 1998 in Aufgaben der Hauptverwaltung sowie Bezirksaufgaben unter Fachaufsicht aufgeteilt. Der geltende Zuständigkeitskatalog nimmt diese Unterteilung nicht mehr vor und regelt nur noch die Aufgaben der Hauptverwaltung. Die in diesem Katalog nicht aufgeführten Aufgaben sind Bezirksaufgaben. 326

Zweites Gesetz zur Änderung der Verfassung von Berlin v. 3. April 1998, GVB1. S. 81, 82. Im Gegensatz zu den meisten anderen Verfassungsänderungen tritt Art. 67 BerlVerf gemäß Art. 21 des Änderungsgesetzes schon mit der Verkündung in Kraft. 327 Zweites Gesetz zur Reform der Berliner Verwaltung (2. Verwaltungsreformgesetz 2. VerwRefG) v. 25. Juni 1998, GVB1. S. 177 ff. 328 Die der Hauptverwaltung vorbehaltenen Aufgaben umfaßten bis 1998 solche mit Ministerialfunktionen, Aufgaben der obersten Landesbehörden sowie der von Mittelbehörden und Gemeinden in Flächenstaaten. 329

So erklärte Schönbohm in einem Interview, es bedürfe zur Straffung der Hauptverwaltung einer (nochmaligen) Neuregelung der Aufgabenverteilung zwischen Bezirken und Hauptverwaltung. In den Bereichen Schul-, Bau-, Verkehrs- und Gesundheitswesen könne man noch viel auf die Bezirke übertragen. Berliner Zeitung v. 24. Februar 1997, S. 20. 330 Siehe § 3 II AZG in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Reform der Berliner Verwaltung v. 25. Juni 1998, GVB1. S. 177, 178. Siehe zu dieser Neuregelung Zivier, Verfassung und Verwaltung von Berlin, 1998, § 73, Rn. 73.2.3.

1. Teil: Die Untersuchungsobjekte Berlin und Hamburg

Die Zuständigkeiten bei Polizei- und Ordnungsaufgaben werden durch ein besonderes Gesetz, dem sogenannten Zuständigkeitskatalog Ordnungsaufgaben, geregelt (vgl. § 4 Π AZG sowie § 2 IVASOG). Dieses Gesetz trennt die Ordnungsaufgaben der Senatsverwaltungen (§ 1 - 1 6 AZG) von denen der Bezirksämter (§ 17-22 a AZG). Die sich daraus ergebenden Zuständigkeitsverlagerungen werden erst mit der Bildung der zusammengesetzen Bezirke am 1. Januar 2001 wirksam. 331 Der geltende Katalog der Bezirksaufgaben reicht von der Aufstellung spezieller Bebauungspläne und anderer Bauaufgaben über die Bearbeitung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen bis hin zu zahlreichen Ordnungsaufgaben. Im einzelnen können die neuen bezirklichen Aufgabenbereiche hier nicht aufgezählt werden. Erwähnenswert erscheint beispielsweise, daß die Zuständigkeit der Senatsfinanzverwaltung für dingliche Grundstücksgeschäfte nunmehr auf einzelne Geschäfte wie etwa mit dem Bund, mit den Ländern und mit juristischen Personen des öffentlichen Rechts sowie für die Gewerbe- und Industrieansiedlung von gesamtstädtischer Bedeutung beschränkt ist (Nr. 6 Π ZustKat AZG). Weiter tragen die Bezirksämter künftig die Verantwortung für die Kindertagesstätten (Nr. 15 I ZustKatAZG) sowie für zahlreiche Ordnungsaufgaben beispielsweise nach dem Heimgesetz (Nr. 19 ZustKat Ord) und die Durchführung des Jugendschutzes (Nr. 17 ZustKat Ord). Grund für die lange Zeit nur zögerlich verwirklichte Aufgabenverlagerung war die bisherige Praxis, bezirkliche Verlagerungsvorschläge von den betroffenen Senatsverwaltungen überprüfen und entsprechende Empfehlungen gegenüber dem Senat aussprechen zu lassen. Die geringe Bereitschaft der Hauptverwaltung, Kompetenzen an die Bezirke abzugeben, kann man den Stellungnahmen der Senatsverwaltungen zum Stand der Aufgabenabschichtung nichtministerieller Aufgaben in nachgeordnete Behörden, insbesondere in die Bezirke, entnehmen. So heißt es beispielsweise in einer Stellungnahme der Senatsverwaltung für Bauen, Wohnen und Verkehr von Oktober 1997, daß für sämtliche bezirkliche Vorschläge zur Aufgabenverlagerung kein Raum gesehen wird. 332 Mancher Senatsverwaltung scheint Art. 67 I, I I BerlVerf schlicht nicht bekannt zu sein.333 Schließlich 331 Art. XIV Abs. 3,2. VerwRefG, GVB1. 1998, 177, 181. 332 Begründet wurde dies damit, daß sowohl vom Umfang als auch von der Bedeutung her den Bezirken bereits durch das Verwaltungsreformgesetz von 1994 erhebliche Kompetenzen eingeräumt worden wären. Entsprechende Verlautbarungen kamen auch aus der Senatskanzlei. In dieser bestünden ausschließlich Produkte, Projekte und Geschäftsfelder, denen ministerielle und/oder gesamtstädtische Bedeutung zukomme. Eine Abschichtung von Aufgaben im Sinne der vorgesehenen Verlagerungen auf andere Verwaltungsebenen sei für die Senatskanzlei deshalb nicht erforderlich. 333 So ist in einer ebenfalls unveröffentlichten Stellungnahme der Senatsverwaltung für Arbeit, Berufliche Bildung und Frauen zu lesen, daß es Ziel dieser Senatsverwaltung sei, nur ministerielle Aufgaben sowie solche von gesamtstädtischer Bedeutung wahrzunehmen. Daß es sich hierbei nicht um ein mehr oder weniger freiwillig zu verfolgendes Ziel, sondern schlicht um ein Verfassungsgebot handelt, scheint unbekannt zu sein.

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hat die große Koalition eine Arbeitsgruppe 334 eingesetzt, die die Überprüfung des Aufgabenkatalogs nach dem Allgemeinen Zuständigkeitsgesetz auf weitere Möglichkeiten der Übertragung von Zuständigkeiten in die Bezirke zur Aufgabe hatte.

b) Verhältnis des Subsidiaritätsgrundsatzes zu Art. 67 III BerlVerf Neben dem Normenkontrollverfahren hat der Subsidiaritätsgrundsatz insbesondere bei der Erfüllung des Gesetzesauftrages von Art. 67 ΠΙ BerlVerf Bedeutung. Wie im folgenden aufgezeigt wird, besteht für das Verhältnis zwischen dem Subsidiaritätsgrundsatz und Art. 67 ΠΙ BerlVerf sachlich kein Unterschied zur alten Rechtslage. Auch nach der alten Fassung hatte der Gesetzgeber bei der Zuständigkeitsabgrenzung die Zuständigkeitsvermutung zugunsten der Bezirke zu beachten. Im Landesschulamtsurteil335 - dem ersten Verfahren nach Art. 84 Π Nr. 3 BerlVerf - hat der Berliner Verfassungsgerichtshof die Maßgeblichkeit des Subsidiaritätsgrundsatzes bei der Abgrenzung der Zuständigkeitsbereiche der Hauptverwaltung zu den Bezirken durch den Gesetzgeber gemäß Art. 67 ΙΠ BerlVerf 1994 ausdrücklich festgestellt: Gemäß Art. 671, I I BerlVerf sei die Aufgabenwahrnehmung durch die Bezirke die Regel, während die Aufgabenerfüllung durch die Hauptverwaltung einer besonderen Rechtfertigung bedürfe. Deshalb dürfe der Gesetzgeber bei der Ausfüllung von Art. 67 ΠΙ BerlVerf der Hauptverwaltung nur solche Aufgaben zur Wahrnehmung zuweisen, die entweder von „gesamtstädtischer Bedeutung" sind oder wegen ihrer „Eigenart zwingend einer einheitlichen Durchführung" bedürfen. Die Annahme eines Regel-Ausnahme-Verhältnisses in Art. 67 I, Π BerlVerf, die der Gesetzgeber bei der Ausarbeitung der Zuständigkeitsregelung beachten muß, entsprach eindeutig Wortlaut und Systematik von Art. 67 BerlVerf 1995, so daß der Auffassung des Verfassungsgerichtshofs in diesem Punkt ohne weitere Erörterung zuzustimmen ist. Der Subsidiaritätsgrundsatz von 1995 wies aber wegen der Verwendung von unbestimmten, nach der Rechtsprechung des Berliner Verfas334 Der offizielle Titel lautet „Arbeitsgemeinschaft Aufgabenabschichtung des Koalitionsausschusses". 335 Urt. v. 10. Mai 1995, VerfGH 14/95 = LVerfGE 3, 28 ff. = LKV 1995, 367 ff. In diesem Verfahren machten die 23 Berliner Bezirke die Verfassungswidrigkeit der Abgrenzung der Zuständigkeitsbereiche zwischen ihnen und der Hauptverwaltung durch das am 1. Februar 1995 über die Neuorganisation der Schulaufsicht und die Errichtung eines Landesschulamts in Berlin erlassene Gesetz geltend. Insbesondere sei es mit dem Subsidiaritätsgebot des Art. 51 I, II BerlVerf - heute Art. 67 I, II BerlVerf - unvereinbar. Diesem Verfahren ging ein vorläufiges Rechtsschutzverfahren vor dem Berliner Verfassungsgerichtshof voraus, in dem die Bezirke unterlagen. LVerfGE 3, 16 ff.

1. Teil: Die Untersuchungsobjekte Berlin und Hamburg

sungsgerichtshofs gerichtlich nur sehr beschränkt überprüfbaren Rechtsbegriffen, große Schwächen auf. Der Berliner Verfassungsgerichtshof hat im Landesschulamtsurteil das Tatbestandsmerkmal des Art. 67 I BerlVerf „gesamtstädtische Bedeutung" als unbestimmten Rechtsbegriff angesehen, bei dem dem Gesetzgeber ein Beurteilungsspielraum zukomme.336 Das Gericht könne deshalb im Normenkontrollverfahren nur überprüfen, ob die Beurteilung des Gesetzgebers nachvollziehbar und vertretbar sei. Nur wenn es daran fehle, gehe dies zu Lasten des Gesetzgebers. In der einzigen Stellungnahme zu dieser Entscheidung ist der Auslegung als unbestimmter Rechtsbegriff mit Beurteilungsspielraum gefolgt worden. Kritisiert wurden lediglich die im konkreten Fall vom Gericht herangezogenen Motive. 337 Die vom Berliner Verfassungsgerichtshof vertretene Ansicht der auf eine Nachvollziehbarkeit beschränkten gerichtlichen Überprüfbarkeit des Begriffs „gesamtstädtische Bedeutung " war insbesondere im Hinblick auf die Einführung des Normenkontrollverfahrens nach Art. 84 Π Nr. 3 BerlVerf problematisch. Dies wird durch einen Vergleich mit der jahrzehntelangen Auseinandersetzung um Art. 72 Π GG a.F., der eine vom Verfassungsgeber erlassene Kompetenznorm zugunsten des Bundesgesetzgebers darstellt, deutlich.338 Ein Teil der Lehre hatte heftig kritisiert, daß die Auslegung dieser Norm durch das Bundesverfassungsgericht letztendlich keine Hürde für den Bundesgesetzgeber darstelle und damit den Sinn der Regelung - Schutz eines eigenen Kompetenzbereichs des Länder - verfehle. 339 Durch die Ablösung der „Bedürfnis-" durch die „Erforderlichkeitsklausel" des Art. 72 Π GG und mit der Einführung des neuen Verfahrens nach Art. 93 I Nr. 2a GG hoffte man, daß das Bundesverfassungsgericht die Voraussetzungen von Art. 72 II GG in Zukunft nachhaltiger als bisher überprüfen würde; zumindest aber das Gericht sich 336 Die Tatbestandsalternative von Art. 67 I BerlVerf 1995 („zwingend einer einheitlichen Regelung bedürfen") war nicht entscheidungserheblich. 337 Zwei Motive tragen nach Ansicht des Berliner Verfassungsgerichtshofs die Personalzuweisung an das Landesschulamt: Das Bestreben, durch Erleichterung der Personalumsetzung das Zusammenwachsen der Stadt zu fördern sowie die angestrebten Spareffekte. Im Hinblick auf die Rastede-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bestehen gegenüber dem Kostenargument erhebliche Bedenken. Vgl. Uerpmann, LKV 1996, 225, 228. 338 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts war die Beurteilung der Frage, ob ein Bedürfnis nach einer bundesgesetzlichen Regelung besteht, eine Frage pflichtgemäßen Ermessens des Bundesgesetzgebers, die ihrer Natur nach nicht justitiabel und daher der Nachprüfung des Bundesverfassungsgerichts (weitgehend) entzogen war. Ständige Rechtsprechung seit BVerfGE 2, 213, 224; zuletzt in 78, 250, 270. 339 Siehe zu der Kritik an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die knappe und überzeugende Darstellung bei Maunz, in Maunz/Dürig/Herzog, Komm. z. GG, Art. 72 Rn. 21 ff. Auch die Enquete-Kommission zur Verfassungsreform des Deutschen Bundestages hat schon 1976 festgestellt, daß die Bedürfnisklausel des Art. 72 II GG sich weitgehend als wirkungslos erwiesen habe. Dies nicht zuletzt deshalb, weil sich das Bundesverfassungsgericht in den zu dieser Norm ergangenen Entscheidungen darauf zurückgezogen habe, lediglich die äußersten Grenzen einer Überschreitung des politischen Ermessens des Bundesgesetzgebers zu überprüfen. BT-Drs. 7/5924, S. 123, 126.

. Berlin nunmehr dogmatisch genauer festlegt 340 , woher es die Spielräume des Bundesgesetzgebers - wenn überhaupt noch - nehmen w i l l . 3 4 1 Das Fehlen einer Auseinandersetzung mit der hier beschriebenen Problematik durch den Berliner Verfassungsgerichtshof - Umfang der verfassungsgerichtlichen Überprüfbarkeit von Kompetenznormen im Rahmen eines spezifischen Verfahrens - ist wenig befriedigend. Formulierungen wie, „der Gesetzgeber (ist) bei seiner Beurteilung, ob eine Aufgabe von gesamtstädtischer Bedeutung ist, nicht völlig frei" zeigen, daß das Gericht den vom Gesetzgeber bezweckten Schutz der Bezirksebene in seiner Entscheidung zu wenig berücksichtigt h a t . 3 4 2 Durch die Garantie der bezirklichen Selbstverwaltung in Art. 66 Π BerlVerf wird dem Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers eine Grenze gesetzt. 343 Der Beurteilungsspielraum ist dabei um so enger und die gerichtliche Kontrolldichte um so größer, je mehr als Folge der gesetzlichen Regelung die bezirkliche Selbstverwaltung an Substanz verliert. 3 4 4 Ein wirksamer Rechtsschutz setzt eine weitergehende Überprüfung als die vom Verfassungsgerichtshof vorgenommene voraus, da nachvollziehbare Gründe für die Annahme einer Aufgabe „von gesamtstädtischer Bedeutung" iSd Art. 67 I BerlVerf immer gefunden werden können. Wegen dieser restriktiven Auslegung drohte der Subsidiaritätsgrundsatz in seinem wichtigsten An-

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Unklar war, welche dogmatische Linie das Bundesverfassungsgericht in den in Fußn. 338 genannten Entscheidungen verfolgte. Teilweise ist von unbestimmten Rechtsbegriffen die Rede; andererseits wird angenommen, daß der Bundesgesetzgeber nach pflichtgemäßem Ermessen zu beurteilen habe, ob die Voraussetzungen des Art. 72 II GG vorlägen, und das Gericht dies grundsätzlich nicht überprüfen könne. 341 Die in die Neuformulierung des Art. 72 II GG gelegten Erwartungen erscheinen etwas übertrieben, da auch die neue Bestimmung von alten, neuen und halb-neuen unbestimmten Rechtsbegriffen wimmelt. So ist bspw. heute eine Voraussetzung des Art. 72 II GG „im gesamtstaatlichen Interesse". Vor 1994 hieß es „im Interesse der Gesamtheit". Im Grad der Unbestimmtheit entspricht die Neuregelung dem Terminus „gesamtstädtische Bedeutung" in Art. 67 I BerlVerf 1995. Auch heute sind Beurteilungsspielräume bei der Deutung des Obersatzes, bei der Feststellung des Sachverhalts sowie bei der Subsumtion denkbar. Siehe ausführlich von Mangoldt/Klein/Pestalozzi, GG, 1996, Art. 72 Rn. 345, 346. 342 Auch das Bundesverfassungsgericht billigt dem Landesgesetzgeber bei der Prüfung, ob eine Aufgabe eine Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft ist, eine Einschätzungsprärogative zu. Gleichzeitig hat das Gericht die gerichtliche Kontrolldichte auf eine Vertretbarkeitskontrolle beschränkt. BVerfGE 79, 127, 153 f. Allerdings handelt es sich der Regelung „im Rahmen der Gesetze" nach Art. 28 II GG um einen einfachen Gesetzesvorbehalt und nicht um eine Kompetenznorm. 343 Zur Garantie der bezirklichen Selbstverwaltung nach der Berliner Verfassung siehe unter D. VII. 344 Mit dieser Begründung hat das Bundesverfassungsgericht im Zusammenhang mit dem Gesetzesvorbehalt des Art. 28 II GG die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers beschränkt. BVerfGE 79, 127, 154. Nach Schink obliegt dem Gesetzgeber damit eine Begründungs- und Darlegungslast, die um so größer ist, je substantieller die Selbstverwaltung durch die Aufgabenverlagerung beeinträchtigt wird. Dabei sei nicht jede gesetzgeberische Entscheidung, die von sachgerechten Erwägungen geleitet wird, zugleich auch vertretbar. Schink, VerwArch 81 (1990), 385,414.

1. Teil: Die Untersuchungsobjekte Berlin und Hamburg

wendungsbereich - Art. 67 ΠΙ BerlVerf - leer zu laufen. Diese Gefahr hat der Verfassungsgeber durch die Einführung der Regelbeispiele zur Präzisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs gesamtstädtische Bedeutung in Art. 67 I BerlVerf weitgehend beseitigt. Im Rahmen der Kritik am Wortlaut von Art. 67 I BerlVerf in der Fassung von 1995 sowie an der Auslegung dieser Vorschrift durch den Berliner Verfassungsgerichtshof muß man aber bedenken, daß gegenüber der Effektivität von Subsidiaritätsgrundsätzen eine allgemeine Skepsis angebracht ist, die im Zusammenhang mit dem europarechtlichen Subsidiaritätsgrundsatz von anderer Seite bereits eingehend formuliert wurde. 345 Die umfangreichen Reformvorschläge der letzten Jahrzehnte zur Stärkung der Gesetzgebungsaktivitäten der Länder durch eine Neufassung des Art. 72 Π GG - insbesondere die sogenannte „Bundesratslösung " 3 4 6 - haben sich größtenteils als nicht umsetzbar erwiesen. Die jetzige Fassung von Art. 72 I I GG, die der alten stark ähnelt, macht dies deutlich. Verglichen mit dieser Grundgesetznorm erscheint die Neufassung von Art. 671, Π BerlVerf als gesetzgeberische Meisterleistung.

4. Rechtssetzungsautonomie im Bauplanungsrecht Den Berliner Bezirken steht aufgrund ihrer fehlenden Rechtsfähigkeit auch nach 1994 das Recht, Satzungen und andere Normen in örtlichen Angelegenheiten zu erlassen, nicht zu. Eine Ausnahme von der fehlenden Rechtssetzungsautonomie ergibt sich aus Art. 64 Π BerlVerf. Diese Vorschrift enthält die Befugnis, die Bezirke durch Gesetz zu ermächtigen, Bebauungspläne und Landschaftspläne sowie andere baurechtliche Akte und naturschutzrechtliche Veränderungsverbote durch Rechtsverordnung festzusetzen. Diese Ermächtigung hat der Gesetzgeber 1994 durch Erlaß von § 12 Π Nr. 4 BezVG umgesetzt, so daß die Β W e n nunmehr Bebauungspläne, Landschaftspläne und andere baurechtliche Akte sowie naturschutzrechtliche Veränderungsgebote als Rechtsverordnungen erlassen können.347 In der Praxis haben diese Neuregelungen zumindest im Bereich der Aufstellung und Festsetzung von Bebauungsplänen zu keinen entscheidenden Veränderungen geführt. Schon vor 1994 erfolgte die Aufstellung von Bebauungsplänen durch die Bezirke, denen diese Aufgabe als übertragene Vorbehaltsaufgabe nach § 1 S. 2 AGBauGB aF 3 4 8 345

So bezeichnet Möschel das europarechtliche Subsidiaritätsprinzip wegen des unvermeidlich bestehenden Beurteilungsspielraums als juristisch wertlos. Möschel, JZ 1992, 877, 882. Zum Subsidiaritätsprinzip des Art. 5 II EG-Vertrag siehe 2. Teil, F. 346 Zu den Vor- und Nachteilen der Bundesverfassungsgerichts"- und der „Bundesratslösung" siehe von Mangoldt/Klein/Pestalozzi GG, 1996, Art. 72 Rn. 130. 347 Siehe zu dieser Verordnungsermächtigung auch Zivier, Verfassung und Verwaltung von Berlin, 1998, § 85, Rn. 85.1.3. 348 Gesetz zur Ausführung des Bundesbaugesetzes (AGBauGB) idF v. 23. Januar 1979, GVB1. S. 321.

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übertragen war. Unverändert geblieben ist § 1 S. 1 AGBauGB, wonach grundsätzlich die Bezirke die Angelegenheiten wahrnehmen, für die nach dem Baugesetzbuch die Gemeinde zuständig ist. Im Unterschied zur heutigen Rechtslage ergingen die Bebauungspläne aber als Rechtsverordnung des Senators für Bau- und Wohnungswesen (§ 4 V AGBauGB a.F.). Weiter ist die grundsätzliche bezirkliche Zuständigkeit in der gesamten Bauleitplanung durch vielfältige, für die Praxis bedeutsame Ausnahmen vom Gesetzgeber 1994 erheblich eingeschränkt worden. Neben dem im Zusammenhang mit dem Hauptstadtbeschluß genannten § 4 b AGBauGB 349 kann die zuständige Senatsverwaltung auch bei Gebieten von außergewöhnlicher stadtpolitischer Bedeutung die Aufgabe der Aufstellung und Festsetzung von Bebauungsplänen wahrnehmen (§ 4 c AGBauGB). An die Stelle der Beschlußfassung durch die B W tritt die Zustimmung durch das Abgeordnetenhaus (§ 4 c ΠΙ iVm § 4 b I AGBauGB). Weiter sieht § 4 a AGBauGB bei dem Erlaß von Bebauungsplänen, die dringende Gesamtinteressen Berlins betreffen, ein Eingriffsrecht der Senatsverwaltung vor. Bei diesem muß die Bezirksaufsichtsaufsichtsbehörde nicht informiert werden. Außerdem findet § 13 a II-IV AZG, der die Voraussetzungen eines Eingriffs regelt, keine Anwendung. Zu recht hat Zivier festgestellt, daß damit die bisherige Fachaufsicht unter dem Etikett des Eingriffsrecht beibehalten wurde. Der einzige Unterschied ist, daß ein dringendes Gesamtinteresse Berlins betroffen sein muß. 350 Weiter kann der Bezirk durch die zuständige Senatsverwaltung unter den Voraussetzungen des § 5 AGBauGB veranlaßt werden, einen Bebauungsplan anzupassen oder aufzustellen. Ebenso kann bei Landschaftsplänen von gesamtstädtischer Bedeutung die zuständige Senatsverwaltung nach § 10 a des Berliner Naturschutzgesetzes das Verfahren der Aufstellung und Festsetzung des Bebauungsplans an sich ziehen. Die Neuregelungen im Bauplanungsrecht sind ein weiteres anschauliches Beispiel für die Unentschlossenheit des Gesetzgebers in bezug auf die Ausgestaltung der Bezirksrechte. Einerseits werden die Bezirke gestärkt, indem man ihnen nicht wie bisher nur ein Aufstellungs-, sondern auch ein Beschlußrecht über die Bebauungspläne einräumt. Andererseits wird die bezirkliche Normsetzungsbefugnis im Bauplanungsrecht insbesondere durch die §§ 4 a - 4 c AGBauGB erheblichen Beschränkungen unterworfen. Durch die Verwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs „stadtpolitische Bedeutung" in § 4 c AGBauGB wird es (wohl) im Innenstadtbereich in allen wichtigen Gebieten zur Aufstellung und Festsetzung von Bebauungsplänen durch die Hauptverwaltung kommen. Dies läßt zumindest ein neuerer Beschluß des Verwaltungsgerichts Berlins vermuten, in dem der Bezirk Charlottenburg, vertreten durch das Bezirksamt, erfolglos vorläufigen Rechtsschutz gegen die Erklärung eines Parkplatzes zu einem Gebiet von außergewöhn349

Siehe im einzelnen unter D. IV. 4. a). 350 Zivier, Verfassung und Verwaltung von Berlin, 1998, § 73 Rn 73.7. Da der Gesetzgeber sich für ein Eingriffsrecht und damit gegen die Fachaufsicht entschieden hat, ist seiner Ansicht nach § 4 a AGBauGB nicht mit der Verfassung vereinbar. 7 Deutelmoser

1. Teil: Die Untersuchungsobjekte Berlin und Hamburg

licher stadtpolitischer Bedeutung begehrte.351 Das Verwaltungsgericht entschied, daß dem Senat bei der Auslegung der Begriffe „stadtpolitische Bedeutung" eine Einschätzungsprärogative zustehe, die nur auf die Nachvollziehbarkeit überprüft werden könne. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, daß dem Senat eine Einschätzungsprärogative zukommt, stimmt mit dem Willen des Gesetzgebers sowie der herrschenden Meinung zur verwaltungsgerichtlichen Überprüfbarkeit von unbestimmten Rechtsbegriffen überein. Diese macht beim Vorliegen besonderer Gründe eine Ausnahme vom Grundsatz der vollen Überprüfbarkeit unbestimmter Rechtsbegriffe. 352 Hierfür muß durch Auslegung des Gesetzes ermittelt werden, ob der Gesetzgeber der mit dem Vollzug betrauten Behörde einen gerichtlich nur begrenzt überprüfbaren Beurteilungsspielraum einräumen wollte. Bei Entscheidungen bezüglich einzelner, dem unbestimmten Rechtsbegriff vorgegebener Faktoren verwaltungspolitischer Art, ist das Bestehen einer Beurteilungsermächtigung allgemein anerkannt.353 Ersichtlich hat der Gesetzgeber mit dem in § 4 c AGBauGB verwendeten Tatbestandsmerkmal „stadtpolitische Bedeutung" dem Senat einen solchen Beurteilungsspielraum einräumen wollen. Wenn sogar ein Parkplatz stadtpolitische Bedeutung erlangen kann, erscheint es allerdings kaum denkbar, daß es dem Senat in einem innerstädtischen Gebiet nicht gelingt, eine solche Bedeutung plausibel zu machen. Im Ergebnis ist deshalb festzuhalten, daß die in §§ 1,4 AGBauGB vorgesehene grundsätzliche bezirkliche Zuständigkeit im Bauplanungsrecht durch den Senat in allen wichtigen Fällen über die §§ 4 a - c, 5 AGBauGB sowie § 10 a Berliner Naturschutzgesetz ausgehebelt werden kann, indem entweder der Senat selbst oder die zuständige Senatsverwaltung die baurechtlichen Akte festsetzt. Da der Senat sich insbesondere im Bauplanungsrecht zur Erweiterung der Bezirkszuständigkeiten nur entschloß, weil man sich davon erhebliche Beschleunigungseffekte versprach, entspricht die in diesen Normen vorgesehene Zuweisungsmacht an den Senat bzw. die Senatsverwaltung dem rein pragmatischen Verständnis der Dezentralisation; mit anderen Worten: Eine Förderung der Eigenständigkeit der Bezirke im Bereich des Bauplanungsrechts war vom Senat bzw. dem Gesetzgeber nicht angestrebt und ist auch nicht erfolgt. 351 Beschl. v. 20. September 1995-19 A 1766/95 = LKV 1996, 106 f. (Parkplatzbeschluß). 352 BVerwGE 62, 135, 138. Aus der sehr umfangreichen Literatur vgl. nur Kopp, VwGO, 1996, § 114 Rn. 24ff.mwN. 553 BVerwGE 26, 65, 77; 39, 291, 299. In der Entscheidung im 26. Band hat das Gericht das Tatbestandsmerkmal „dienstliches Bedürfnis" des § 26 BBG als „gerichtlich nachvollziehbare Voraussetzung einer Versetzung" anerkannt. Gleichzeitig hat das Gericht festgestellt, daß dem Dienstherren bei seiner Entscheidung ein der gerichtlichen Kontrolle nur beschränkt zugänglicher Bereich zustehe und zwar je nach Fallgestaltung als verwaltungspolitischer Ermessensspielraum oder im Rahmen einer Beurteilungsermächtigung. Zur sogenannten „Faktorenlehre" vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig/Herzog, Komm, zum GG, Art. 19IV Rn. 202 ff.

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5. Aufsichtsrechte gegenüber den Bezirken Ganz neu ist die im Juli 1998 erfolgte Aufnahme der Sätze 3 und 4 in Art. 67 I BerlVerf, wonach die Ausgestaltung der Aufsicht über die Bezirke durch Gesetz geregelt wird. Dieses Gesetz kann an Stelle der Fachaufsicht für einzelne Aufgabenbereiche der Bezirke ein Eingriffsrecht für alle Aufgabenbereiche der Bezirke für den Fall vorsehen, daß dringende Gesamtinteressen Berlins beeinträchtigt werden. Mit dieser Norm wird dem Gesetzgeber ermöglicht, die Fachaufsicht über die Bezirke zugunsten eines Eingriffsrechts abzuschaffen. 354 Von dieser Möglichkeit hat der Gesetzgeber durch Erlaß des zweiten Verwaltungsreformgesetzes im Juni 1998 Gebrauch gemacht.355 Nunmehr ist die bisherige allgemeine Fachaufsicht der Hauptverwaltung durch ein auf Einzelfälle beschränktes Eingriffsrecht ersetzt. Eine solche Entscheidung kann der Gesetzgeber jederzeit wieder rückgängig machen. Die Voraussetzungen des Eingriffsrechts im einzelnen und die zu beachtenden Verfahrensregelungen sind in § 13 a AZG, der seit Beginn der 14. Wahlperiode in Kraft ist 3 5 6 , geregelt. 357 Seitens der Oppositionsparteien wurde in der Abgeordnetenhausdebatte darauf hingewiesen, daß das Eingriffsrecht die Bezirke nicht stärke, sondern „entmachte".358 Im Gegensatz hierzu steht die Behauptung, daß die Reduzierung der Bezirke von 23 auf 12 nicht die Zustimmung der bezirksverbundenen Abgeordneten in beiden Koalitionen gefunden hätte, wenn der Verfassungsgeber nicht die Möglichkeit des Eingriffsrechts vorgesehen hätte.359 Die negative Einschätzung der Oppositionsparteien ist zunächst darauf zurückzuführen, daß die Eingriffsbefugnis sich auch auf Aufgaben erstreckt, die bisher als Bezirksaufgaben nur der Rechtsaufsicht unterlagen. Im Rahmen der Bezirksaufsicht waren und sind die Bezirke nur an Rechts- und allgemeine Verwaltungsvorschriften gebunden. Das Eingriffsrecht ermöglicht dagegen auch bei fehlender Rechtsverletzung ein Einschreiten der Hauptverwaltung, vorausgesetzt, daß ein Handeln eines Bezirksamts die Gesamtinteressen Berlins beeinträchtigt. Weiter kann das Eingriffsrecht vom zuständigen Mitglied des Senats im Einvernehmen 354 Nach Einschätzung von Vertretern von CDU und SPD - einschließlich des damaligen Innensenators Schönbohm - ist der Wegfall der Fachaufsicht des Senats als „revolutionär" anzusehen. Tagesspiegel v. 20. Februar 1998, „Eine geradezu revolutionäre Reform", S. 12; Berliner Zeitung v. 13. Februar 1998, „Berlins Bezirke sollen mehr Macht erhalten", S. 1. Siehe zum neuen Eingriffsrecht auch Zivier, Verfassung und Verwaltung von Berlin, 1998, § 73, Rn. 73.2.2. 355 Zweites Gesetz zur Reform der Berliner Verwaltung v. 25. Juni 1998, GVB1., S. 177, 178. 356 Siehe Art. XIV des zweiten Verwaltungsreformgesetztes v. 4. Juli 1998, GVB1. 177,

181.

357 Zu der Auslegung dieser Begriffe siehe im einzelnen Zivier, Verfassung und Verwaltung von Berlin, 1998, § 73, Rn. 73.6.2.1. 358 Tagesspiegel v. 29. Mai 1998, ,3ezirke gestärkt - oder doch entmachtet?", S . U . 359 Zivier, Verfassung und Verwaltung von Berlin, 1998, § 73, S. 255, Fußn. 11. 7*

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mit der Senatsverwaltung für Inneres ausgeübt werden. Rechtsaufsichtsbehörde in den Fällen der §§ 11 bis 13 AZG ist dagegen der Senat ( § 9 1 2 AZG). Bevor das neu geschaffene Eingriffsrecht einer Bewertung unterzogen wird, sollen zunächst die bisher geltenden Aufsichtsregelungen sowie die Voraussetzungen für einen Eingriff näher untersucht werden. a) Bezirksaufsicht Die Regelungen zur Bezirksaufsicht haben sich durch die Gesetzesnovellierungen im Jahre 1998 sachlich nicht geändert. Weiterhin übt der Senat die Aufsicht darüber aus, daß die allgemeinen Verwaltungsvorschriften eingehalten werden und die Rechtmäßigkeit der Verwaltung gewahrt bleibt (Art. 67 Π BerlVerf). Die Einfügung des Wortes „auch" in Absatz 2 Satz 3 führt zu keiner inhaltlichen Änderung, sondern stellt lediglich eine Klarstellung dar. Der Senat kann nicht nur Grundsätze und allgemeine Verwaltungsvorschriften für die Tätigkeit der Bezirke erlassen, sondern er übt eben auch die Aufsicht über deren Einhaltung aus. Die Voraussetzungen sowie die verschiedenen Formen der Bezirksaufsicht (Informations-, Aufhebungs-, Anweisungs- und Ersatzbeschlußrecht) sind weiterhin in den § § 9 - 1 3 AZG geregelt. Diese Vorschriften sind bis auf den Austausch von zwei Begriffen unverändert geblieben.360 Das Informationsrecht steht dem Senator für Inneres zu. Die übrigen Rechte dürfen nur vom Senat als Kollegialorgan ( § 9 1 2 AZG) wahrgenommen werden. Die Aufsichtsrechte beziehen sich sowohl auf das Bezirksamt als auch die BVV. Neuerdings sieht das Gesetz auch ein bezirksaufsichtsrechtliches Eilverfahren vor (§ 13 a Π AZG). Voraussetzung für eine solche Eingriffsmaßnahme ist, daß die Voraussetzungen für Bezirksaufsichtsmaßnahmen vorliegen und dringend gebotene Maßnahmen nicht rechtzeitig wirksam werden können. Die Befugnisse der Bezirksaufsicht sind in diesem Fall dieselben, die der Fachverwaltung bei einem Eingriff nach § 13 a I AZG zustehen. b) Eingriffsrecht Nach der alten Rechtslage unterlagen die Bezirke bei bestimmten Aufgaben gemäß § 8 AZG der Fachaufsicht. Verfassungsrechtliche Grundlage dieser Regelung war Art. 67 ΙΠ BerlVerf 1950, wonach Aufgaben des Senats den Bezirken zur Erfüllung unter Fachaufsicht übertragen werden konnten. Die Fachaufsicht wurde für jeden Sachbereich von dem sachlich zuständigen Senatsmitglied ausgeübt. Sie erstreckte sich auch auf die zweckentsprechende Handhabung des Verwaltungser360 Der Begriff Bezirksaufgaben wurde durch Aufgaben ersetzt. Diese Änderung war notwendig, weil die Neufassung von § 3 AZG nicht mehr von Bezirksaufgaben spricht. Weiter wurde das Wort Aufsichtsbehörde durch das Wort Bezirksaufsichtbehörde ersetzt.

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messens und umfaßte außer dem Informationsrecht die Befugnis, Einzelweisungen an die Bezirksverwaltungen zu erteilen (Weisungsrecht) und eine Angelegenheit an sich zu ziehen, wenn eine erteilte Einzelweisung nicht befolgt wurde (Eintrittsrecht). Die nachgeordneten Behörden des Senats unterliegen weiterhin der Fachaufsicht. Wie bereits erwähnt, ist die Fachaufsicht gegenüber den Bezirken zugunsten des in § 13 a I AZG geregelten Eingriffsrecht abgeschafft worden. Nach Art. 67 I S. 3 BerlVerf ist Voraussetzung für einen Eingriff die Beeinträchtigung dringender Gesamtinteressen Berlins. Nach dem Antrag der Fraktion der SPD 361 war dagegen vorgesehen, daß das Handeln des Bezirksamts zwingenden Gesamtinteressen Berlins widersprechen muß. Insoweit verlangt der Antrag der SPD-Fraktion eine stärkere Rechtsbetroffenheit. 362 Weiter werden in § 13 a I Nr. 1 - 3 AZG einzelne Gesamtinteressen aufgezählt, wie die Belange Berlins als Bundeshauptstadt oder die Ausübung von Befugnissen des Senats nach Bundesrecht, europäischem Recht oder Staatsverträgen, die ohne weitere Abwägung Vorrang vor den Belangen der Bezirke haben. Auch diese Aufzählungen sind im Antrag der SPD-Fraktion nicht enthalten. Diese Beispiele stellen eine klare Erleichterung der Ausübung der Eingriffsbefugnisse zur Formulierung des Antrages der SPD-Fraktion dar. 363 Als verfahrensrechtliche Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Eingriffs ist in § 13 a I AZG vorgesehen, daß eine Bezirksaufsichtsmaßnahme nicht durchgeführt werden kann und eine Verständigung mit dem Bezirk nicht zu erzielen ist. Außerdem ist die Senatsverwaltung für Inneres als Bezirksaufsichtsbehörde von der bevorstehenden Maßnahme in Kenntnis zu setzen. Eine Stärkung der Rechtsstellung der Bezirke bezwecken § 13 a IV 1,2 AZG, wonach die Bezirksaufsichtsbehörde dafür zu sorgen hat, daß die verfassungsmäßig gewährleistete Mitwirkung der Bezirke an der Verwaltung gefördert und geschützt und die Entschluß- und Verantwortungskraft der bezirklichen Organe nicht beeinträchtigt wird. 364 Ist die Bezirksaufsichtsbehörde der Ansicht, daß ein Fall von grundsätzlicher Bedeutung vorliegt, muß sie auf einen Beschluß des Senats hinwirken. Im übrigen bedarf ein Eingriff in einem Fall von grundsätzlicher Bedeutung immer eines Beschlusses des Senats (§ 13 a ΠΙ AZG). Dem Schutz der Bezirke dient auch § 14 a ΠΙ i.V.m. § 16 a AZG. Danach hat der Rat der Bürgermeister bei Maßnahmen der Bezirksaufsicht und im Rahmen 361 AbgH-Drs. 13/2537. 362 z u recht weist Zivier darauf hin, daß eine Beeinträchtigung mehr als eine Gefährdung ist. Der Terminus setzt aber nicht voraus, daß ein Schaden bereits eingetreten ist. Zivier, Verfassung und Verwaltung von Berlin, 1998, § 73, Rn. 73.6.2.1. 363 Zu beachten ist weiter, daß in § 13 a I AZG als Voraussetzung für einen Eingriff das Handeln oder Unterlassen eines Bezirksamts genannt ist. Gegen Beschlüsse der BVV können deshalb im Wege des Eingriffsrechts keine Maßnahmen nach § 8 AZG ergehen. 364 Zu den Schwierigkeiten, die in der Praxis mit dieser Norm verbunden sind, siehe Zivier, Verfassung und Verwaltung von Berlin, 1998, § 73, Rn. 73.6.3.3.,4.

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des Eingriffsverfahrens ein Informationsrecht und das Recht - unter den Voraussetzungen des § 16 a I AZG - Beauftragte mit beratender Stimme in die Senatssitzungen zu entsenden oder eine gemeinsame Sitzung zu verlangen. Da die Entscheidung über den Eingriff der Senat aber in eigener Verantwortung trifft, ist es unwahrscheinlich, daß diese Regelung in spürbarem Umfang zur Wahrung der Bezirksrechte beitragen wird. Als Rechtsfolge sieht § 13 a Abs. 1 AZG vor, daß das zuständige Mitglied des Senats im Einvernehmen mit der Senatsverwaltung für Inneres Befugnisse nach § 8 ΠΙ BezVG ausüben kann. Bei diesen Befugnissen handelt es sich um die Aufsichtsrechte, die nach der alten Rechtslage im Rahmen der Fachaufsicht gegenüber den Bezirken zulässig waren, also dem Informations-, Weisungs- und Eintrittsrecht. Unklar ist, ob der zuständigen Senatsverwaltung ein Beurteilungsspielraum bei der Auslegung der in § 13 a AZG verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe zukommt. Zivier meint zu dieser Frage, daß für die Praktikabilität des Verfahrens, die Kontrolldichte im Verwaltungsprozeß beschränkt sein müsse. Vor allem sollte die Entscheidung, ob ein Anliegen als „dringendes Gesamtinteresse Berlins" anzusehen sei, weitgehend dem Urteil des Senats und seinen Mitgliedern überlassen werden. 365 Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden. Nach den zum Parkplatzbeschluß (D. VI. 4.) gemachten Ausführungen gilt es zu prüfen, ob der Gesetzgeber der mit dem Vollzug betrauten Behörde ausnahmsweise einen gerichtlich nur beschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraum einräumen wollte. 366 Von besonderer Bedeutung ist hier die Auslegung der „dringenden Gesamtinteressen Berlins". Man kann wohl nicht davon ausgehen, daß bei der Entscheidung, ob Gesamtinteressen Berlins beeinträchtigt werden, von der Senatsverwaltung dem unbestimmten Rechtsbegriff vorgegebene Faktoren verwaltungspolitischer Art zu treffen sind. Zudem gilt es zu bedenken, daß in § 13 a I Nr. 1 - 3 AZG verschiedene, sachlich umfangreiche Fälle genannt werden, bei deren Vorliegen automatisch dringende Gesamtinteressen Berlins vorliegen. Es würde eine allzu starke Einschränkung der Rechte der Bezirke bedeuten, wenn der Senatsverwaltung in den übrigen Fällen auch noch ein Beurteilungsspielraum zustünde. Dies insbesondere im Hinblick darauf, daß die Eingriffsregelung als Ausgleichsmaßnahme für die Zusammenlegung der Bezirke gedacht war. Es bleibt abzuwarten, ob das erst seit kurzer Zeit geltende Eingriffsrecht sich in der Praxis bewähren wird. Geht man davon aus, daß die in § 13 a AZG verwende365 Zivier, Verfassung und Verwaltung von Berlin, 1998, § 73, Rn. 73.6.6.2. 366 wie unter D. VI. 3. b) ausführlich dargestellt, kommt nach Ansicht des Berliner Verfassungsgerichtshofs (Landesschulamtsurteil) dem Gesetzgeber bei der Auslegung der Begriffe „gesamtstädtische Bedeutung" in Art. 67 I 1 BerlVerf ein Beurteilungsspielraum zu. Bei dieser Frage handelt es sich um das Sonderproblem der verfassungsgerichtlichen Überprüfbarkeit von Kompetenznormen. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.

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ten unbestimmten Rechtsbegriffe gerichtlich nur beschränkt überprüfbar sind, dann wäre meines Erachtens mit dem Eingriffsrecht eine allgemeine Fachaufsicht über die Hintertür eingeführt worden. 367 Jede halbwegs bedeutsame Entscheidung eines Bezirksamts könnte mit dem Hinweis aufgehoben werden, daß diese dringende Gesamtinteressen der Stadt beeinträchtigt. Die Bezirke scheinen durch das Eingriffsrecht im Ergebnis eher entmachtet als gestärkt.

6. Globalsummenzuweisung Die Finanzhoheit, worunter man die Befugnis zu einer eigenverantwortlichen Einnahmen- und Ausgabenwirtschaft im Rahmen eines gesetzlich geordneten Haushaltswesen versteht, ist nach allgemeiner Ansicht von der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie umfaßt. 368 Zur Finanzautonomie ist die Finanzhoheit verdichtet, soweit die Gemeinden berechtigt sind, durch Normsetzung - ζ. B. in Satzungen zur Erhebung von Gebühren - ihre Finanzwirtschaft zu gestalten.369 Da ein wesentlicher Bereich modernen Verwaltens das Finanzieren ist, kann ohne eigene, frei verfügbare Finanzmittel eine Gemeinde im modernen Leistungs- und Sozialstaat keine eigenverantwortlichen Entscheidungen treffen. Deshalb wird behauptet, daß die Effektivität der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie von der Ausgestaltung dieses Rechts abhängt.370 Vergleichbare Überlegungen werden auch in bezug auf die Bezirke angestellt. Nach Thieme ist das Maß der haushaltsrechtlichen Selbständigkeit die „Gretchenfrage" der bezirklichen Untergliederung. Die übrigen juristischen Vorkehrungen wie Rechtssetzungsautonomie, Klagerechte etc. könnten keine echte (bezirkliche) Selbstverwaltung aufbauen, wenn dem Selbstverwaltungsträger die eigenverantwortliche Verfügung über die Erschließung und Verteilung seiner Finanzmittel fehlt. 371 Durch Einführung von Art. 85 Π BerlVerf, § 4 I, Π BezVG kam es im Bereich der Finanzhoheit zu einer wichtigen Veränderung. Nach diesen Normen wird den Bezirken nunmehr eine Globalsumme zur Erfüllung ihrer Aufgaben im Rahmen des Haushaltsgesetzes zugewiesen.372 Den Bezirken soll damit ermöglicht werden, innerhalb dieser Globalsummen weitgehend frei über geordnete Einnahmewirtschaft und Aufgabenverteilung im Rahmen des gesetzlichen Haushaltswesens zu bestimmen. Weiteres Ziel dieser Regelung war, die dezentrale Ressourcenverantwortung der Bezirke für Sach- und Personalmittel zu stärken.373 367

So auch Zivier, Verfassung und Verwaltung von Berlin, 1998, § 73, Rn. 73.6.7. *8 BVerfGE 26, 228, 244; 52, 95, 116 f.; VerfGH NW, OVGE 19, 297, 306. 3 69 Stern, in: Bonner Kommentar, 1964, Art. 28 Rn. 99. 37 0 Siehe Weber, Staats- und Selbstverwaltung in der Gegenwart, 1967, S. 45,69 ff. ™ Thieme, DÖV 1969, 832, 835. 37 2 Art. 85 II Satz 1 BerlVerf ist mit § 4 I, II BezVG inhaltsgleich. Einfach-gesetzlich ist zudem § 26 a LHO zu beachten, der durch das Gesetz zur Änderung haushaltsrechtlicher Vorschriften v. 12. Oktober 1995, GVB1. 1995, S. 659,663 in Kraft getreten ist. 3

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Die Vorstellung, mit einer Zuweisung von festen Summen die Bezirke zu mehr Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit in ihrem Finanzgebahren zu bringen, ist nachvollziehbar. Angesichts der beschriebenen Praxis in Berlin seit Einführung der Globalsummenregelung - Kürzungen im laufenden Haushaltsjahr, Haushaltsrundschreiben, Auflagen - muß man feststellen, daß die angestrebte Stärkung der finanziellen Eigenverantwortlichkeit der Bezirke nicht erreicht wurde. Von Interesse ist in diesem Zusammenhang ein Detailvorschlag der Enquete-Kommission zur Globalsummenregelung. Dieser sah vor, daß innerhalb der Globalsumme eine Teilsumme für Personalausgaben, die nicht überschritten werden darf, und für Investitionsausgaben, die nicht unterschritten werden darf, gesetzlich vorgeben werden soll. Wäre dieser Vorschlag in der Neuregelung von Art. 85 I I BerlVerf, § 41, Π BezVG berücksichtigt worden, hätte man die beschriebenen negativen Entwicklungen eindämmen können.374 Den Bezirken fehlt auch nach 1994 die für die Finanzhoheit wesentliche Besteuerungshoheit. Im Rahmen der Reformüberlegungen hatte der Senat erwogen, zur Stärkung derfinanziellen Eigenverantwortung der Bezirke Anreize für eine aktive Wirtschaftsförderung und Gewerbe- und Industrieansiedlung in den Bezirken durch Teilhabe am Steueraufkommen zu schaffen. 375 Ein zu dieser Frage in Auftrag gegebener Prüfauftrag vom 9. Juni 1992 an die Senatsverwaltung für Finanzen hat die Einräumung der Steuerhoheit an die Bezirke negativ beurteilt. Im Gesetzentwurf ist der Vorschlag nicht mehr enthalten. Gegen die Einräumung der Besteuerungshoheit an die Bezirke bestehen grundsätzliche Bedenken. Zunächst setzt diese die Rechtsfähigkeit der die Steuer erhebenden Behörde voraus. Es ist nicht sinnvoll, eine so grundsätzliche Frage wie die Verleihung von Rechtsfähigkeit an die Bezirke innerhalb der verfassungsrechtlich vorgesehenen Einheitsgemeinde von einem vergleichsweise unwichtigen Punkt wie der Steuerhoheit der Bezirke abhängig zu machen. Selbst wenn man den Bezirken die Steuerhoheit verleihen würde, würden die damit erwirtschafteten Gelder nur einen geringen Anteil der notwendigen bezirklichen Finanzmittel ausmachen. Weiter ergeben sich große Schwierigkeiten bei einer notwendigen Konstruktion des Finanzausgleichs zwischen den Bezirken. Schließlich erscheint das Bestehen von 23 bzw. in Zukunft 12 unterschiedlichen Steuersätzen innerhalb einer Gesamtstadt wenig erstrebenswert. Auch in Zukunft sollte den Bezirken deshalb keine Finanzautonomie verliehen werden.

373 Senatsvorlage Nr. 2493/92, S. 3, 25. 3 74 Mit dieser gesetzlichen Festlegung von Investitionsausgaben kann man sicherstellen, daß der Bezirk nicht nur gesetzliche Pflichtaufgaben, sondern auch eigene Investitionsprojekte ausführt. 375 Senatsvorlage Nr. 1463/92, S. 25.

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7. Organisationshoheit Die Formulierung „in eigener Verantwortung" in Art. 28 Π GG sichert eine Eigengestaltungsfreiheit in organisatorischer Hinsicht in dem Sinne, daß die Gemeinden die Aufbau- und Ablauforganisation der Kommunalverwaltung eigenverantwortlich gestalten und konkrete Organisationsmaßnahmen vornehmen können.376 Durch Streichung von Art. 59 I 1 BerlVerf 1950, der vorsah, daß die Organisation der Bezirksverwaltung entsprechend der Organisation der Hauptverwaltung einzurichten ist, könnte man vermuten, daß die Bezirke im Bereich der Organisationshoheit den Gemeinden weitgehend angeglichen wurden. § 37 BezVG, auf den Art. 75 I der BerlVerf 1994 verweist, schreibt in seiner Neufassung in Satz 1 auch nur vor, daß die Organisation der Bezirksverwaltung in fünf Abteilungen Aufgabe des Bezirksamts ist. § 37 S. 2 BezVG, wonach sich die Organisationsstruktur an der Hauptverwaltung orientieren soll, schränkt dieses Recht aber wieder erheblich ein. Mit dieser Soll-Vorschrift ist die von der Hauptverwaltung abweichende Organisation der Bezirksverwaltung eine zu begründende Ausnahme. Da schon die alte Fassung von § 37 BezVG die Möglichkeit der Erteilung von Ausnahmegenehmigungen durch die Aufsichtsbehörde für eine von der Hauptverwaltung abweichende Organisation (§ 37 I 2 BezVG aF) sowie die eigenverantwortliche Verteilung der Geschäftsbereiche unter seine Mitglieder vorsah (§ 37 Π BezVG aF), ist eine entscheidende Verbesserung auch im Bereich der Organisationshoheit nicht erfolgt. Insoweit haben auch die Gesetzesveränderungen in diesem Bereich etwas sehr Halbherziges.

8. Zusammenfassung Die Unklarheiten, die angesichts des neuen und alten Wortlauts von Art. 66 Π BerlVerf in bezug auf den Umfang der bezirklichen Selbstverwaltung bestehen, werden durch die vielen Einzelregelungen in der Verfassung selbst sowie im einfachen Recht weitgehend ausgeräumt. Im Vergleich zu den durch Art. 28 Π GG gewährleisteten gemeindlichen Hoheitsrechten waren die Bezirke Berlins vor 1994 in ihren Selbstverwaltungsrechten sehr beschränkt. Durch die eben dargestellten Rechte wurden die Berliner Bezirke den Gemeinden weiter angeglichen. Allerdings sind die Neuregelungen in sich widersprüchlich. Die Installierung einer eigenverantwortlichen Bezirksebene ist mit dem Reformgesetz von 1994 nicht erfolgt. Im Zuge der Gebietsreform im Jahre 1998 erfolgten weitere zaghafte Ansätze zur Stärkung der Eigenverantwortlichkeit der Bezirke. Positiv ist insbesondere die Präzisierung des Subsidiaritätsgrundsatzes durch die Einführung von Regelbeispielen für den unbestimmten Rechtsbegriff „gesamtstädtische Bedeutung" zu bewerten. Auch die der Verfassungslage entsprechende umfassende Aufgabenverlagerung in die Bezirke ist zu begrüßen, soweit ihr entsprechende Perso376 BVerfG, NVwZ 1987, 123 f.; Pagenkopf, Kommunalrecht, 1975, S. 68 ff.

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nal- und Finanzmittel folgen. Skepsis scheint gegenüber dem Eingriffsrecht angebracht, da dieses sich auch auf Aufgaben erstreckt, die bisher nur der Rechtsaufsicht unterlagen. Durch die drastische Reduzierung der bisher 1035 auf 660 Bezirks verordnete im Jahre 2001 wäre als Ausgleich eine weitere Stärkung der Bezirke gegenüber der Hauptverwaltung wünschenswert gewesen. Zu denken wäre insbesondere an die ausdrückliche Normierung von Klagerechten gegen Aufsichtsmaßnahmen sowie Verwaltungsvorschriften des Senats, eine Aufwertung des Rats der Bürgermeister, die Wiedereinführung des politischen Bezirksamts sowie eine Neuregelung der Globalsummenzuweisung.

V I I . Institutionelle Garantie und subjektiv-öffentliches Recht auf bezirkliche Selbstverwaltung Nachdem die verfassungsrechtlich sowie die einfach-gesetzlich festgeschriebenen Hoheitsrechte der Bezirke im einzelnen dargestellt wurden, ist nunmehr zu klären, ob die Verfassung von Berlin den Bezirken eine institutionelle Garantie der bezirklichen Selbstverwaltung und /oder ein subjektiv-öffentliches Recht auf Selbstverwaltung gewährt, ähnlich wie Art. 28 Π GG es für die Gemeinden tut. Eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesen Fragen hat es in den letzten Jahrzehnten nicht gegeben. Parallelüberlegungen zur dreifachen Schutzrichtung der Garantie der kommunalen Selbstverwaltung wurden bisher nicht angestellt. Auch in den Reformüberlegungen der letzten Jahre sowie in den Reformgesetzen von 1994 und 1998 selbst wird der Frage nach dem Bestehen einer solchen Garantie der bezirklichen Selbstverwaltung keinerlei Aufmerksamkeit gewidmet. Kurz nach seiner Errichtung hat der Berliner Verfassungsgerichtshof das Bestehen eines „originären" Selbstverwaltungsrechts der Bezirke in einem Verfassungsbeschwerdeverfahren ohne tragfähige Begründung und dogmatische Fundierung verneint und nach Erlaß des Verwaltungsreformgesetzes 1994 dies in einer weiteren Entscheidung bestätigt. Die Frage, ob die Berliner Verfassung eine institutionelle Garantie der bezirklichen Selbstverwaltung vorsieht, wird in diesen Entscheidungen nicht erörtert. (1.). In einem gewissen Gegensatz hierzu stehen neuere Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Berlin. In Anlehnung an die heute anerkannten Grundsätze zur Zulässigkeit von verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahren hat das Verwaltungsgericht im Jahre 1995 die Wehrfähigkeit der bezirklichen Planungshoheit bejaht. Da das Gericht eine Rechtsverletzung im zu entscheidenden Fall ablehnte, bestand die Möglichkeit die Zulässigkeit der Klage offenzulassen, weshalb Ausführungen zum Bestehen eines subjektiv-öffentlichen Rechts iSv § 42 II VwGO fehlen. Im Juni 1998 erging das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlins zur Zulässigkeit des konkurrierenden Wahlverfahrens bei der Wahl des Bezirksbürgermeisters, auf das zu Beginn dieses Kapitels eingegangen wurde. In dieser Entscheidung hat das Ver-

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waltungsgericht Berlin die Klage einer BVV gegen einen Senatsbeschluß für zulässig erachtet und ein subjektiv-öffentliches Recht einer BVV ausdrücklich bejaht (2.)·

In der Vergangenheit wurde seitens der Berliner Literatur die Frage, ob den Bezirken bzw. ihren Organen subjektiv-öffentliche Rechte zustehen, nur im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung von Klagemöglichkeiten der Bezirke gegen Aufsichtsmaßnahmen der Hauptverwaltung erörtert. Eine Klagebefugnis der Bezirke wurde wegen Vorliegen eines unzulässigen Insichprozesses häufig verneint. Die Frage nach einer Garantie der bezirklichen Selbstverwaltung wird nur von ganz wenigen Autoren angeschnitten (3.). Angesichts dieser terminologischen und inhaltlichen Differenzen wird am Ende dieses Abschnitts versucht, durch einen Vergleich mit den Gewährleistungen von Art. 28 Π GG, die aufgeworfenen Fragen dogmatisch befriedigend zu beantworten (4.)·

1. Berliner Verfassungsgerichtshof Der Berliner Verfassungsgerichtshof hat das Bestehen eines „ verfassungskräftigen Rechts auf bezirkliche Selbstverwaltung " und damit eine auf dieses Recht gestützte Verfassungsbeschwerde einer BVV verneint. Der Terminus des subjektivöffentlichen Rechts auf bezirkliche Selbstverwaltung wird nur im Sondervotum zu dieser Entscheidung verwendet. In diesem Verfahren ging es um die Frage, ob das Recht der BVV auf bezirkliche Selbstverwaltung verletzt sei, wenn ihr durch gerichtliche Entscheidung untersagt wird, bei der Wahl der Mitglieder des Bezirksamts das Nominierungsrecht für die Wahl sämtlicher Bezirksamtsmitglieder nach dem Hare-Niemeyer Verfahren zu ermitteln.377 Das Gericht sah sich nicht veranlaßt, zu dieser Rechtsfrage Stellung zu nehmen. Auch die Zulässigkeit der Klage hat das Gericht offengelassen. Den Bezirken stehe nach der Verfassung kein Recht auf bezirkliche Selbstverwaltung zu, weshalb die Verfassungsbeschwerde schon aus diesem Grund keinen Erfolg haben könne.378 Nach Erlaß der Reformgesetze im Jahre 1994 hat das Gericht in einer weiteren Entscheidung diese Ansicht bekräftigt. 379 In dieser Entscheidung ging es um die Frage, ob durch § 22 Π LWahlG, der die 5%-Klausel für die Wahl zu der BVV vor377 BerlVerfGH, Urt. v. 19. Oktober 1992, VerfGH 36/92 = LVerfGE 1, 33 ff. 378 Da § 49 I BerlVerfGHG die Möglichkeit einer Rechtsverletzung voraussetzt, hätte das Gericht die Klage schon an der Zulässigkeit scheitern lassen müssen, da es das Nichtbestehen eines bezirklichen Selbstverwaltungsrechts positiv festgestellt hat. 379 BerlVerfGH, Urt. v. 17. März 1997 - VerfGH 87/95. Streitentscheidend war die Frage des Bestehens eines Rechts auf bezirkliche Selbstverwaltung allerdings nur im Verfassungsbeschwerdeverfahren im Jahre 1992.

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schrieb, das Prinzip der Wahlrechtsgleichheit und das Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit verletzt werde. Im Rahmen der Untersuchung, ob im Land Berlin die Funktionsfähigkeit der BVV durch ein Wahlrecht ohne Sperrklausel in Frage stehe, bezieht sich das Gericht auf seine frühere Rechtsprechung zur Stellung der BVV in der Einheitsgemeinde. Der BVV als Organ des Bezirks, das sich auf Art. 28 I I GG nicht berufen könne, stehe ein originäres Recht auf bezirkliche Selbstverwaltung nicht zu.

a) Die Urteile zur Wahl der Bezirksamtsmitglieder und zur 5%-Klausel Im Verfassungsbeschwerdeverfahren stützt das Gericht seine Auffassung in erster Linie auf zwei Argumente: Erstens auf die Annahme, daß die Berliner Bezirke sich aufgrund der in Art. 1 I BerlVerf getroffenen Entscheidung für eine Einheitsgemeinde nicht auf Art. 28 Π GG berufen können. Zweitens, daß auch die Berliner Verfassung selbst den Bezirken kein eigenständiges Recht auf bezirkliche Selbstverwaltung gewährt, da der Grundsatz der Einheitsgemeinde das Bestehen eines solchen ausschließe. Diese zwei Begründungen werden in dem Urteil zur 5%Klausel wiederholt, wobei das Gericht sich ausdrücklich auf das Urteil zum Nominierungsverfahren der Bezirksamtsmitglieder bezieht. Den weiteren vom Gericht in der Entscheidung zum Wahlverfahren zum Bezirksamt gegen das Bestehen eines bezirklichen Selbstverwaltungsrechts angeführten Gründe muß hier im einzelnen nicht nachgegangen werden, da sie entweder seit Erlaß der Reformgesetze 1994 überholt sind oder nur eine schwache Überzeugungskraft haben: Die Bezirke seien nur Teil der der Regierung nachgeordneten Verwaltung, da sie nicht im Grundlagenteil - mit Ausnahme von Art. 4 BerlVerf - , sondern „erst im VI. Abschnitt der Verfassung von Berlin nähere Erwähnung" fänden. Wenn man aus der Stellung im Gesetz schon irgendwelche Schlußfolgerungen für die Bedeutung der verbrieften Rechte ableiten will, dann gilt es folgendes zu beachten: In Art. 4 I BerlVerf 1950 sind die Bezirke sämtlich namentlich aufgezählt und über Art. 3 Π, 4 I, Π, 66 Π BerlVerf 1950 als Institution gewährleistet.380 Eine Änderung der Zahl der Bezirke konnte nach der alten Rechtslage nicht durch einfaches Landesgesetz vorgenommen werden, sondern bedurfte einer Verfassungsänderung. Die Regelung in Art. 4 Π 2 BerlVerf 1950, wonach eine Änderung der Zahl und der Grenzen der Bezirke nur durch Gesetz vorgenommen werden kann, meint mithin ein Verfassungsänderungsgesetz. Für die Gebietsreform im Jahre 1998 war deshalb gemäß Art. 100 BerlVerf 1950/1995 eine Zweidrittelmehrheit im Abgeordnetenhaus notwendig gewesen.381 Über das allgemeine Kommunal-

380 Auf letzteres wird im Rahmen des eigenen Lösungsweges noch ausführlich eingegangen. 381 So auch Pfennig, in: Pfennig/Neumann, Verfassung von Berlin, 1987, Art. 4 Rn. 5.

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recht hinaus waren die einzelnen Bezirke damit durch Art. 4 BerlVerf 1950 in Bestand und Namen verbürgt. 382 Die begründungslose Behauptung des Berliner Verfassungsgerichtshofs, daß Art. 4 BerlVerf 1950 die Bezirke nur aufzählt, um auf diese Weise das Landesgebiet zu bestimmen, ist unrichtig. Es wäre im übrigen auch wenig überzeugend, die Bedeutung von beispielsweise Art. 16 GG schon aufgrund seiner „abgelegenen" Stellung im Grundrechtsteil als gering zu erachten. Zudem gibt es keine (Landes-)Verfassung, in der der verwaltungsorganisatorische Teil an den Anfang gestellt wird. Hinzu kommt, daß seit Erlaß des Verfassungsreformgesetzes von 1994 in Art. 3 I I BerlVerf die Bezirksverwaltungen ausdrücklich genannt werden. In dieser Norm heißt es jetzt, daß „Volksvertretung, Regierung und Verwaltung einschließlich der Bezirksverwaltungen" die Aufgaben Berlins als Gemeinde, Gemeindeverband und Land wahrnehmen. Die bisherigen zu Art. 4 BerlVerf 1950 gemachten Ausführungen gelten weitgehend auch für die Fassung von 1998. In Art. 4 I BerlVerf werden zwar nicht die Namen der neuen Bezirke genannt, sondern nur deren Zusammensetzung aus den namentlich aufgezählten Altbezirken. Nach Art. 4 I I 2 BerlVerf kann eine Änderung der Grenzen der Bezirke aber auch in Zukunft nur durch ein Verfassungsänderungsgesetz vorgenommen werden. 383 Als weiteres Argument gegen ein in der Verfassung verbürgtes Recht auf bezirkliche Selbstverwaltung erwähnt der Verfassungsgerichtshof die fehlende Rechtspersönlichkeit, die damit einhergehende Vermögensunfähigkeit sowie die fehlende Einnahme- und Satzungshoheit. Zunächst ist daran zu erinnern, daß im Bereich der Bauplanung seit 1994 ein Rechtsverordnungsrecht der Bezirke besteht. Im übrigen ist auf die herrschende Meinung zur Zulässigkeit von Organstreitverfahren zu verweisen, deren Ausgangspunkt gerade die fehlende Rechtsfähigkeit der klagenden Behörden ist. 384 Das Gericht ist sich schlicht der Zwitterstellung der Bezirke - einerseits Teil der Verwaltung, an der sie nach den Grundsätzen der Selbstverwaltung zu beteiligen sind, andererseits Selbstverwaltungsorgan mit direkt-demokratisch legitimierter Bezirksvertretung - nicht bewußt. Die Tatsache, daß den Bezirken Berlins einzelne wesentliche Merkmale der Kommunen fehlen, spricht gegen die direkte Anwendung von Art. 28 Π GG auf die Bezirke, nicht aber gegen ein von der Verfassung Berlins gewährleistetes bezirkliches Selbstverwaltungsrecht. Zu bemängeln ist weiter, daß das Gericht die Selbstverwaltungsrechte der Bezirke, die schon vor 1994 bestanden haben, nicht erwähnt. Auch die 1994 erfolgte weitere Angleichung an die Gemeinden wird vom Berliner Verfassungsgericht in der Entscheidung zur 5%-Klausel nur am Rande berücksichtigt.385 382 Haaß, LKV 1996, 84. 383 Siehe hierzu ausführlich unter VII. 4. c). 384 Aus der Flut der Gerichtsentscheidungen und Veröffentlichungen der vergangenen Jahrzehnte vgl. nur BVerwGE 45, 207, 209 f.; BVerwG NJW 1992,927; Hoppe, DVB1. 1970, 845 ff.; ders., NJW 1980, 1017 ff.; Kisker, JuS 1975,704 ff.; Schock, JuS 1987,783 ff.; Pretesche, NVwZ 1987, 854 ff.; von Mutius, Kommunalrecht, 1996, S. 423 ff. Weitere umfassende Nachweise bei Oldiges, NVwZ 1987,737, 743 in Fußn. 78.

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1. Teil: Die Untersuchungsobjekte Berlin und Hamburg

Zur Annahme des Berliner Verfassungsgerichtshofs, daß die Bezirke aufgrund der Entscheidung des Verfassungsgebers für die Einheitsgemeinde nicht Träger von Art. 28 I I GG sein können, sei an dieser Stelle nur folgendes angemerkt: Seit Geltung des Grundgesetzes sind die Bezirke Berlins keine rechtsfähigen Rechtssubjekte und konnten sich nach herrschender Auffassung nicht direkt auf Art. 28 Π GG berufen. 386 Folge der Einheitsgemeinde ist nach dieser Ansicht, daß nur diese Trägerin der verfassungsrechtlichen Gewährleistungen aus Art. 28 Π GG sein kann. Auf die Bedeutung von Art. 28 Π GG für die Bezirke von Hamburg und Berlin wird im 2. Teil der Arbeit noch ausführlich einzugehen sein. Hier wird zunächst die Richtigkeit der Ansicht, daß den Bezirken eine unmittelbare Berufung auf Art. 28 I I GG verwehrt ist, unterstellt. Ein Recht auf bezirkliche Selbstverwaltung besteht nämlich schon nach der Berliner Landesverfassung, so daß ein Rückgriff auf Art. 28 Π GG zur Begründung eines solchen nicht notwendig ist. Damit bleibt nur noch die Annahme des Berliner Verfassungsgerichtshofs übrig, daß die Einheitsgemeinde per se ein bezirkliches Selbstverwaltungsrecht ausschließt. Eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dieser Annahme ist allerdings kaum möglich, da sie vom Gericht leider nicht begründet wird. Man ist hier sehr an die Postulate der stadtstaatlichen Einheitsgemeinde sowie Einheit der Verwaltung erinnert. Hier wie dort gilt: Der Verweis auf das angebliche Bestehen eines Verfassungsprinzips befreit nicht von der Untersuchung der Geltung bzw. der Reichweite desselben. Die Einheitsgemeinde verbietet die Errichtung rechtsfähiger Gemeinden, nicht aber die der strukturbedingt mit weniger Rechten als die Gemeinden ausgestatteten Bezirke. Der Umstand, daß die Bezirke Berlins Teil der Verwaltung Berlins sind, führt nicht zwingend zur Ablehnung eines bezirklichen Selbstverwaltungsrechts. Entsprechend den anerkannten Grundsätzen zu den Organstreitverfahren gilt: Das Bestehen eines gemeinsamen Rechtsträgers schließt das Bestehen von subjektiv-öffentlichen Rechten bzw. einklagbaren „Wahrnehmungszuständigkeiten" von Behörden nicht per se aus. Im Gegenteil: Rechtsprechung und Literatur sind in den vergangenen Jahrzehnten insgesamt sehr großzügig bei der Zuerkennung von subjektiv-öffentlichen Rechten bzw. diesen gleichgestellten organschaftlichen Rechten von nichtrechtsfähigen Behörden gewesen. Auf die neuere Dogmatik zu den Organstreitverfahren wird im Rahmen der Entwicklung eines eigenen Lösungswegs zum Bestehen einer institutionellen Garantie der bezirklichen Selbstverwaltung noch ausführlich eingegangen. In diesem Zusammenhang ist ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aus den sechziger Jahren zu erwähnen, in dem das Gericht noch vom Grundsatz der Unzulässigkeit des Insichprozesses ausging.387 Das Gericht entschied, daß das 385

Der zuletzt genannte Punkt wird vom Berliner Verfassungsgerichtshof in der zweiten Entscheidung erwähnt. Dies hindert das Gericht nicht, weiterhin vom Nichtbestehen eines bezirklichen Selbstverwaltungsrechts auszugehen. 38 * Zivier, Verfassung und Verwaltung von Berlin, 1992, 76.1; Hantel, JuS 1988, 512, 513 mwN; Pfennig/Neumann, Verfassung von Berlin, 1987, Art. 50,51 Rn 4. 387 BVerwGE 31, 263, 267.

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durch Art. 28 Π GG gewährleistete Selbstverwaltungsrecht der Kommunen als Recht im Sinne des § 42 I I VwGO anzusehen sei. Ein Ausschluß der Klagebefugnis einer in ihrem Planungsrecht betroffenen Gemeinde könne auch nicht im Hinblick auf die unbestreitbare Einbindung der Gemeinden in das Staatsganze entnommen werden. Selbst wenn man die kommunale Selbstverwaltung als mittelbare Staatsverwaltung ansehe, was das Gericht ausdrücklich offenließ, ändere dies nichts daran, daß auch Trägern der mittelbaren Staatsverwaltung eigene Rechte aufgrund der Verfassung oder des einfachen Rechts zustehen könnten. In späteren Entscheidungen rückt das Bundesverwaltungsgerichts vom Grundsatz des Verbots des Insichprozesses ab. 388

b) Landesschulamtsurteil Zeitlich zwischen den beiden gerade untersuchten Entscheidungen erging das im Zusammenhang mit dem Subsidiaritätsgrundsatz und dem in Art. 67 ΠΙ BerlVerf normierten Gesetzesauftrag bereits behandelten Landesschulamtsurteil des Berliner Verfassungsgerichtshofs. 389 In dieser Entscheidung hebt das Gericht - im Gegensatz zu den beiden anderen Entscheidungen - die von der Berliner Verfassung garantierten bezirklichen Selbstverwaltungsrechte ausdrücklich hervor. Die Ausführungen in diesem Urteil lassen sich nicht ohne weiteres mit den eben wiedergegebenen Vorstellungen des Berliner Verfassungsgerichtshofs zum Nichtbestehen eines originären Selbstverwaltungsrechts der Bezirke in Einklang bringen. Zwar wird auch im Landesschulamtsurteil zunächst festgestellt, daß die Verfassung von Berlin vom Leitbild der Einheitsgemeinde ausgehe und nur diese Trägerin des in Art. 28 I I GG enthaltenen Rechts auf kommunale Selbstverwaltung sei. Im Anschluß daran betont das Gericht aber, daß die Bezirke aufgrund von Art. 50 I I BerlVerf 1950/Art. 66 Π BerlVerf 1995 sowie aufgrund der in Art. 51 BerlVerf 1950 - heute Art. 67 BerlVerf 1995 - vorgenommenen Verteilung der Aufgaben zwischen der Hauptverwaltung und den Bezirken sich sogar gegenüber dem Gesetzgeber im Normenkontrollverfahren darauf berufen könnten, daß die Verfassung ihnen eigene Rechte zur Wahrnehmung von Aufgaben innerhalb Berlins gewährleistet. Warum diese Rechte nicht im Zusammenhang mit der Prüfung des Bestehens eines subjektiv-öffentlichen Rechts auf bezirkliche Selbstverwaltung erörtert werden, ist unklar. Eine entsprechende Vergegenwärtigung der durch die Verfassung den Bezirken gewährten Selbstverwaltungsrechte in den beiden anderen Entscheidungen hätte dem Gericht deutlich gemacht, daß die Bezirksorgane BVV und Bezirksamt Organe der innerkörperschaftlichen Machtbalance innerhalb 388 Siehe bspw. BVerwGE 45, 207, 209 f.; BVerwG, NJW 1992, 927. Wörtlich heißt es in der Entscheidung im 45. Band: „Körperschaften des öffentlichen Rechts sind zwar rechtsbegrifflich Einheiten; aber mit Rücksicht auf ihre Gliederung in verschiedene Organe und auf den horizontalen und den vertikalen Behördenaufbau ... sind der Einheit der Willensbildung in der Körperschaft Grenzen gesetzt". 389 Urt. v. 10. Mai 1995, VerfGH 14/95 = LVerfGE 3, 28 ff. = LKV 1995, 367 ff.

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der Einheitsgemeinde sind und ihnen deshalb ein Recht auf bezirkliche Selbstverwaltung zusteht. Hierzu gleich ausführlich.

c) Sondervotum zum Urteil zur Wahl der Bezirksamtsmitglieder Im Sondervotum zur Entscheidung zum Wahlverfahren zum Bezirksamt wird mit knapper und überzeugender Begründung der Kompromißcharakter der Berliner Verfassung hinsichtlich der Rechtsstellung der Bezirke herausgearbeitet.390 Der Annahme, die Einheitsgemeinde schließe von vornherein ein bezirkliches Selbstverwaltungsrecht aus, wird entschieden entgegengetreten. Die Einheitsgemeinde erfordere kein vollständiges, sondern nur ein „ verhältnismäßiges" Zurücktreten der bezirklichen Eigenständigkeit. Um der durch Art. 28 Π GG gewährleisteten institutionellen Garantie einer kommunalen Ebene Rechnung zu tragen, müsse die gegenüber der „klassischen" Kommunalverwaltung mit Rücksicht auf das Prinzip der Einheitsgemeinde reduzierte - bezirkliche Selbstverwaltung nicht als bloßes Ordnungsprinzip, sondern als subjektive Rechtsposition der Bezirke verstanden werden. Die Vorstellung, daß die Verfassung hinsichtlich des Status der Bezirke eindeutig Kompromißcharakter trägt und den Bezirken deshalb zumindest eine die Einheitsgemeinde respektierende und damit gegenüber den Gemeinden relativierte subjektive Rechtsposition zukommt, wird im Sondervotum mit einem Verweis auf Art. 50 Π BerlVerf 1950/Art. 66 Π 1995 sowie Art. 56 BerlVerf 1950/Art. 72 BerlVerf 1995 belegt. Die Verfassung spreche ausdrücklich von der bezirklichen Selbstverwaltung, für die mit der B W zudem ein besonderes, vom Bezirksvolk demokratisch legitimiertes Organ geschaffen wurde. Auch die Entstehungsgeschichte der Bezirksverfassung Berlins spreche für die Geltung eines bezirklichen Selbstverwaltungsrechts. Das Gesetz über die Bildung von Groß-Berlin aus dem Jahre 1920 habe als Ausgleich für das Aufgehen der eingegliederten Kommunen in Groß-Berlin den Bezirken bewußt eine gewisse Eigenständigkeit zuerkannt. Zudem sei es in den verschiedenen Debatten des Verfassungsausschusses zum künftigen Verwaltungsaufbau Berlins mehrfach um die historisch bedingte Zwitterstellung zwischen gemeindeähnlichen Gebilden und Teil der nachgeordneten Verwaltung gegangen.

2. Neuere Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Berlin Soweit ersichtlich, haben die Verwaltungsgerichte Berlins vor Erlaß der Reformgesetze von 1994 nur innerbezirkliche Organstreitverfahren - zum Beispiel zwischen Bezirksamt und BVV oder zwischen Fraktionen einer BVV und der BVV selbst - zugelassen.391 In dem wohl ersten verwaltungsgerichtlichen 390 LVerfGE 1, 33, 38 ff. (Richterin Citron-Piorkowski). 391 Siehe hierzu die Nachweise in den Fußn. 485 ff.

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Rechtsstreit nach 1994 zur Wehrfähigkeit der Bezirke gegen Maßnahmen der Hauptverwaltung bejahte das Verwaltungsgericht das Bestehen von im Wege der einstweiligen Anordnung sicherungsfähigen Rechten (Parkplatzbeschluß). Konkret sah es die in den §§ 4 - 4 c AGBauGB, Art. 47 Π BerlVerf vorgenommene Zuweisung von Zuständigkeitsabgrenzungen zwischen Bezirken und Hauptverwaltung bei der Festsetzung eines Parkplatzes zu einem Gebiet von außergewöhnlicher stadtpolitischer Bedeutung durch die Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen als sicherungsfähiges Recht an. Im Ergebnis verneinte das Gericht aber eine Verletzung der Planungshoheit des Bezirks. Ausführungen zur Zulässigkeit der Klage, insbesondere zur Beteiligtenfähigkeit und zur Antragsbefugnis und damit zum Bestehen von subjektiv-öffentlichen Rechten iSv § 42 I I VwGO analog des Bezirks, fehlen. Das Bestehen von im Verfahren nach § 123 VwGO sicherungsfähigen Rechten erschließt das Gericht unter Zugrundelegung der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung sowie der überwiegenden Literatur zu innerbehördlichen Organstreitverfahren. Unter Bezugnahme auf Schmidt-Aßmann 392 stellt es fest, daß die Wehrfähigkeit zunächst kompetenzrechtlich begründeter Rechtsstellungen bei Innenrechtsstreitigkeiten zwischen verschiedenen Verwaltungsorganen angenommen wird, wenn die Kompetenzzuweisung nicht nur im Interesse des Gesamtorganismus, sondern zur Konstituierung von Kontrastorganen zum Zwecke inneradministrativer Gewaltenbalancierung erfolgt ist. 393 Die in § 4 bis § 4 c AGBauGB vorgenommene Zuständigkeitsabgrenzung zwischen Bezirksaufgaben und Aufgaben der Hauptverwaltung in bezug auf die verbindliche Bauleitplanung, die durch Art. 47 BerlVerf 1950 abgesichert sei, diene nicht nur der „Organisation hierarchisch staatlicher Willensbildung, sondern entsprechend dem Auftrag des Art. 50 Π BerlVerf, wonach die Bezirke an der Verwaltung nach den Grundsätzen der Selbstverwaltung zu beteiligen sind, der innerkörperschaftlichen Machtbalance". Ergänzend stützt sich das Verwaltungsgericht in seiner Begründung auf das Landesschulamtsurteil des Berliner Verfassungsgerichtshofs: Wenn die Verfassung den Bezirken schon gegen die gesetzliche Zuständigkeitsabgrenzung eigene Rechte einräume, müsse dies a fortiori erst recht gegenüber Eingriffen der Hauptverwaltung in die bezirkliche Zuständigkeit gelten. Aus naheliegenden Gründen findet die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs zur Wahl der Mitglieder des Bezirksamts im Urteil des Verwaltungsgerichts keine Erwähnung. Anfang Juni 1998 hat das Verwaltungsgericht Berlin in dem zu Eingang dieses Kapitels genannten Verfahren, welches die Überprüfung des Senatsbeschlusses zur Wahl des PDS-Bezirksbürgermeisters des Bezirks Prenzlauer Berg zum Gegenstand hatte, die Feststellungsklage der BVV Prenzlauer Beig als zulässig angesehen. 394 Unter Zugrundelegung der neueren Rechtsprechung des Bundesverwal392 Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, 1995, S. 56. 393 VG 19 A 1766.95, S. 7 = LKV 1996,106. 394 Urt. v. 8. Juni 1998, VG 26 A 43.96, Umdruck S. 6,7. 8 Deutelmoser

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tungsgerichts zum Insichprozeß395 wird die Beteiligtenfähigkeit sowie die Klagebefugnis der BVV im konkreten Fall bejaht. Art. 99 BerlVerf, § 35 Π BezVG begründeten ein Teilhaberecht eines Organs der bezirklichen Selbstverwaltung - der BVV - und der darin repräsentierten Bezirkseinwohnerschaft an der personellen Bestimmung der Bezirksamtsmitglieder. Mit dem Vortrag der Klägerin, sie werde durch die bezirksaufsichtsrechtlichen Maßnahmen in der ihr gesetzlich eingeräumten Wahlmöglichkeit rechtswidrig beschränkt, mache sie ein ihr als Gremium zustehendes subjektiv-öffentliches Recht geltend. In einem den gleichen Sachverhalt betreffenden einstweiligen Rechtsschutzverfahren der PDS-Fraktion der BVV hat das Verwaltungsgericht die Frage der Klagebefugnis dagegen offen gelassen.396

3. Literatur Wenige Jahre nach Erlaß der Berliner Verfassung erschien eine Monographie von Breitfeld zur verfassungsrechtlichen Stellung der Berliner Bezirke 397 , die sich in erster Linie mit der Auslegung der Vorschriften von Teil VI der Verfassung Berlins befaßte sowie eine Dissertation von Uhlitz, die die Rechtsstellung der Berliner Bezirke allgemein zum Gegenstand hatte.398 Die Erwägungen Breitfelds zur Rechtsstellung der Berliner Bezirke sind heute weitgehend überholt. 399 Positiv zu vermerken ist, daß er sich nicht wie die übrige Berliner Literatur darauf beschränkt hat, die Unanwendbarkeit von Art. 28 II GG auf die nichtrechtsfähigen Berliner Bezirke festzustellen, sondern die Bedeutung von Art. 50 Π BerlVerf 1950 - heute Art. 66 Π BerlVerf - mit einem Vergleich mit Art. 28 II GG zu klären versucht. Allerdings nimmt er keine nähere dogmatische Untersuchung vor, sondern behauptet nur, daß die Fassung von Art. 50 II BerlVerf 395 BVerwGE 45, 207,209 f. 396 Beschl. v. 2. Februar 19%, VG 26 A 10.96, Umdruck S. 3. 397 BreitfeldDie verfassungsrechtliche Stellung der Berliner Bezirke, 1953. Breitfeld strebte mit seiner Arbeit eine Klärung des Sinns der Artt. 50 ff. BerlVerf 1950 an, um eine einheitliche Ausgangsbasis für künftige Vorschläge zur Änderung der Verfassung sowie eine einheitliche Verwaltungspraxis zu schaffen. Siehe hierzu seine Ausführungen im Vorwort auf Seite V. 398 Uhlitz, Die Rechtsstellung der Berliner Bezirke, 1953. Die sehr positive Gesamteinschätzung der Rechte der Berliner Bezirke durch Uhlitz ist zu idealistisch. Überzeugend hat er aber herausgearbeitet, daß der Einordnung der bezirklichen Selbstverwaltung Berlins als Fall der unabhängigen Dezentralisation die fehlende Rechtsfähigkeit der Berliner Bezirke nicht entgegensteht (S. 194 ff.). 399 in dogmatischer Hinsicht ist die Arbeit durch die Überbetonung der fehlenden Rechtsfähigkeit der Bezirke, die ihn von einer „(fiktiven) Behandlung der Bezirke als Selbstverwaltungskörperschaften" durch den Gesetzgeber sprechen läßt, überholt. Auch die Unterscheidung zwischen Selbstverwaltung im politischen und im rechtlichen Sinne wird heute kaum noch vertreten. Breitfeld, Die verfassungsrechtliche Stellung der Berliner Bezirke, 1953, S. 21.

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1950 „funktionell betrachtet" für die Bezirke die gleiche Aufgabe habe, „die Art. 28 Π GG und die entsprechenden Bestimmungen der Verfassungen der Länder der Bundesrepublik für die Gemeinden erfüllen: Sie gewährleisten verfassungsmäßig das Recht der Selbstverwaltung".400 Seine Auslegung des Inhalts sowie des Umfangs des bezirklichen Selbstverwaltungsrechts ist sehr schwammig und in sich widersprüchlich: So betont er, daß die Garantie der bezirklichen Selbstverwaltung in Art. 50 II BerlVerf 1950 „viel weniger weit" gehe, als Art. 28 II GG, weil den Bezirken eine Beteiligung an der Verwaltung nicht schlechthin, sondern nur eine Beteiligung an der Verwaltung nach den Grundsätzen der Selbstverwaltung gewährleistet sei. 401 Nebulös ist die anschließende Behauptung, daß das bezirkliche Selbstverwaltungsrecht „unfaßbarer" sei als das gemeindliche, „weil es ein Gegenstück zur Rechtsstellung der Bezirke nicht gibt". 402 Worin er das Gegenstück zu Rechtsstellung der Kommunen erblickt, bleibt dabei offen. Im übrigen ist festzuhalten, daß in Abschnitt V I der Berliner Verfassung im Gegensatz zum Grundgesetz die Einzelgewährleistungen zumindest teilweise festgeschrieben sind. „Unfaßbarer" sind wohl eher das Bündel der gemeindlichen Hoheitsrechte, die traditionsgemäß als von Art. 28 I I GG umfaßt angesehen werden. Nicht nachvollziehbar ist schließlich die dogmatische Kehrtwende im folgenden Abschnitt. Dort heißt es, die Garantie des Selbstverwaltungsrechts der Bezirke Berlins sei tatsächlich so aufgelockert, daß nicht mehr von einer eigentlichen Garantie, sondern nur noch von einer Auslegungsregel oder einer Anweisung an den Gesetzgeber gesprochen werden könne.403 Die Auslegungsregel gehe dahin, daß Verfassungsbestimmungen im Zweifel so auszulegen seien, daß sie den Bezirken eine gemeindeähnliche Stellung einräumen. Die Anweisung verlange vom Gesetzgeber, daß er alle Regelungen so treffe, daß sie die Selbständigkeit der Bezirke nicht mehr einschränken, als es im Interesse ganz Berlins erforderlich ist. 404 400 401 402 403

Breitfeld, Breitfeld, Breitfeld,

Die verfassungsrechtliche Stellung der Berliner Bezirke, 1953, S. 60. Die verfassungsrechtliche Stellung der Berliner Bezirke, 1953, S. 60. Die verfassungsrechtliche Stellung der Berliner Bezirke, 1953, S. 60.

Breitfeld,

Die verfassungsrechtliche Stellung der Berliner Bezirke, 1953, S. 61, Fußn.

137. 404 Erwähnenswert ist noch Breitfelds Unterscheidung zwischen Bezirksverfassungen älteren und neueren Typs. Der ältere Typ sei bspw. durch die Berliner Verfassung vertreten. Diese Verfassung versuche die Stellung der Bezirke soweit als möglich der Stellung der Gemeinden nachzubilden. Aus diesem Grund gäbe sie ihnen verfassungsmäßige Bestandsgarantien. Der neue Typ der Bezirksverfassungen verkörpere sich dagegen im Hamburger Bezirksverwaltungsgesetz und im Bremischen Ortsamtsgesetz. Beide Gesetze erfaßten die Bezirke ganz eindeutig als Untergliederungen der einheitlichen stadtstaatlichen Verwaltung bzw. der Stadt Bremen und sähen davon ab, ihre Stellung in der Verfassung zu regeln oder ihnen ein Selbstverwaltungsrecht zuzuerkennen. Der ältere Typ lege Wert darauf, die Rechte der Bezirke und damit gewisse Machtpositionen der Bezirksverwaltungen zu sichern. Durch die engere Bindung an die Hauptverwaltung begegne der neuere Typus dem Einwand, daß die Bezirke auf ihre Unabhängigkeit pochend, zur einheitlichen Durchführung der Aufgaben ungeeignet seien. Breitfeld, Die verfassungsrechtliche Stellung der Berliner Bezirke, 1953, S. 142. 8*

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In der Dissertation von Uhlitz fehlen Überlegungen zum Bestehen einer verfassungsrechtlichen Garantie der bezirklichen Selbstverwaltung. Auch läßt er die Frage offen, ob den Berliner Bezirken, die er als selbständige Verwaltungseinheiten bezeichnet, subjektiv-öffentliche Rechte zustehen können. Er äußert aber Bedenken, den Bezirken den Rechtsweg gegen Aufsichtsmittel des Senats zu versagen, da die Bezirksorgane im Bereich der bezirklichen Selbstverwaltung Träger verfassungsmäßig garantierter Rechte und damit gegenüber dem Senat „außenstehende Rechtssubjekte" seien. Der Ausschluß des Rechtswegs würde der Bedeutung von Art. 50 Π BerlVerf 1950 sowie der übrigen verfassungsmäßig garantierten Rechte nicht gerecht. 405 Nach dem Erscheinen dieser Monographien erfolgte keine weitere Auseinandersetzung mit der Frage nach dem Bestehen eines originären Rechts bzw. einer institutionellen Garantie auf bezirkliche Selbstverwaltung. Nur im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit von Klagerechten der Bezirke, insbesondere gegenüber Aufsichtsmaßnahmen der Hauptverwaltung, wurden diese Punkte - allerdings sehr oberflächlich - behandelt. Die sich als herrschend bezeichnende Lehre Schloß die Möglichkeit der Bezirke, sich auf subjektiv-öffentliche Rechte gegenüber dem Land Berlin berufen zu können, aus. Begründet wurde diese Ansicht insbesondere mit dem Wortlaut von Art. 50 Π BerlVerf 1950, der - im Gegensatz zu Art. 28 Π GG nicht ausdrücklich vom Recht auf Selbstverwaltung spricht 406 sowie mit einer fehlenden positiv gesetzlichen Regelung.407 Beide Argumente sind wenig überzeugend. Seit langem ist anerkannt, daß der Umstand, daß ein subjektiv-öffentliches Recht bzw. eine Klagebefugnis nicht ausdrücklich vom Gesetzgeber geregelt wurde, das Bestehen eines solchen nicht ausschließt. Vielmehr ist im Wege der Auslegung der jeweils einschlägigen Bestimmung zu entwickeln, ob eine Rechtsverletzung der Behörde durch die von ihr angegriffene Entscheidung als möglich erscheint 408 Weiter verwies die Berliner Literatur auf die grundsätzliche Unzulässigkeit von Insichprozessen.409 Letzteres wird heute nicht mehr vertreten. Die Gegenauffassung 410 ging schon kurz nach Erlaß der Verfassung davon aus, daß den Bezirken aus Art. 50 Π BerlVerf 1950 ein eigenes verfassungsmäßig ver405 uhlitz, Die Rechtsstellung der Berliner Bezirke, 1953, S. 173 ff. 406 Sendler, ABl. für Berlin 1979,509,511. 407 Breitfeld, Die verfassungsrechtliche Stellung der Berliner Bezirke, 1953, S. 16, 61; Machalet, Die Berliner Bezirksverfassung, 1974, S. 83; Kreutzer, DÖV 1959,429,434; Sendler, ABl. für Berlin 1979, 509, 511; Hantel, JuS 1988,512,518. 408 So ausdrücklich BVerwGE 45, 207,209. 409 Machalet, Die Berliner Bezirksverfassung, 1974, S. 83. 410 Pfennig/Neumann, Verfassung von Berlin, 1987, Artt. 50,51 Rn. 14; Püttner, JR 1966, 81, 83; Zivier, Verfassung und Verwaltung von Berlin, 1992, Rn. 76.5.; Dietze, RuP 1978, 101; Stern, Die politische und administrative Gliederung der großen Stadt, 1965, S. 58 f. Dehnhard hat sich für eine verfassungsrechtliche Überprüfung der gesetzlichen Zuständigkeitsverteilung ausgesprochen. Dehnhard, DVB1. 1986, 176, 178. Dies ist durch Einführung des Normenkontrollverfahrens in die Berliner Verfassung mittlerweile umgesetzt worden.

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biirgtes Recht auf bezirkliche Selbstverwaltung zukomme. Dieses Recht könnten die Bezirke auch gerichtlich geltend machen. Die Beschränkungen und Einschränkungen der Grundsätze der kommunalen Selbstverwaltung für die Bezirke durch einzelne Verfassungsbestimmungen seien zwar „recht weitgehend"411, dennoch bliebe den Bezirken noch Raum für die Selbstverwaltung nach Art. 50 II BerlVerf 1950 in Form der Konstituierung eigener bezirklicher Organe, Personalbewirtschaftung, eigenverantwortlicher Erledigung von bezirkseigenen Aufgaben etc. In den wenigen Veröffentlichungen zu den Änderungen im Verwaltungsaufbau Berlins durch die Reformgesetze 1994 wird die Frage nach dem Bestehen eines subjektiv-öffentlichen bezirklichen Selbstverwaltungsrechts nicht erörtert. 412 Nur in einer Stellungnahme zum Parkplatzbeschluß wird eine Klagebefugnis iSv § 42 Π VwGO bejaht.413 Über 66 Π, 67 I, Π BerlVerf 1995 setze die Berliner Landesverfassung dem gesamtstädtischen Interesse das bezirkliche Partikularinteresse entgegen, welches von einem demokratisch gewählten Vertretungsorgan geführt wird. Die bezirklichen Organe kontrastierten daher gegenüber den Hauptverwaltungsorganen im Sinne einer innerkörperschaftlichen Machtbalance. Ein Gleichgewicht entstehe nur mit einem Mindestmaß an Durchsetzungsmacht der hierarchisch untergeordneten bezirklichen Ebene. Zu den die Bezirksverfassung betreffenden Neuregelungen allgemein heißt es, daß diese - wie vom Gesetzgeber beabsichtigt414 - nunmehr annähernd den Umfang der kommunalen Selbstverwaltung in Art. 28 Π GG erreiche. 415 Offen bleibt, ob die Bezirke Berlins sich aufgrund der Zuerkennung weiterer wesentlicher Merkmale der kommunalen Selbstverwaltung nunmehr auf Art. 28 Π GG berufen können und sie deshalb wie die Gemeinden über das Grundgesetz institutionell geschützt sind. Die Betonung der weitgehenden Angleichung der Bezirke an die Kommunen müßte konsequenterweise zur Anerkennung einer solchen Garantie der bezirklichen Selbstverwaltung schon aufgrund der landesverfassungsrechtlichen Gewährleistungen fuhren.

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» Pfennig/Neumann, Verfassung von Berlin, 1987, Artt. 50,51 Rn. 14. 412 Gärtner, JR 1995, 319, 322 ff.; Sommer, JR 1995,397 ff.; Haaß, LKV 1996,81 ff. Sommer erwähnt zwar die Auffassung des Berliner Verfassungsgerichtshofs, setzt sich mit ihr aber nicht auseinander. 413

Haaß, LKV 1996, 84, 86. Zivier läßt die Frage offen, tendiert aber zur Zulässigkeit. Verfassung und Verwaltung von Berlin, 1998, § 85, Rn. 85.3.2. 414 In der Gesetzesbegründung zu § 11 AZG heißt es, daß die Kompetenzen der Bezirke sich durch die Verfassungs- und Verwaltungsreform den Rechten der Kommunen der Flächenstaaten weiter annähern. AbgH.-Drs. 12/3350, Einzelbegründung, § 11 AZG Nr. 2.4. 4 15 Haaß, LKV 1996, 81, 85.

Zivier,

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4. Eigener Lösungsweg Aufgrund dieser unterschiedlichen Terminologie und Lösungen von Rechtsprechung und Literatur gilt es zunächst zu klären, inwieweit nichtrechtsfähige Verwaltungseinheiten wie die Bezirke Berlins materiell-rechtlich überhaupt Träger subjektiv-öffentlicher Rechte sein können und ob der Zugrundelegung der neueren Dogmatik zu den Organstreitverfahren gefolgt werden kann. Anschließend kann der Frage nachgegangen werden, ob die bezirkliche Selbstverwaltung nach der Berliner Verfassung institutionell gewährleistet ist. Hierbei ist zu beachten, daß einige Verfassungsnormen zur bezirklichen Selbstverwaltung 1998 neu gefaßt wurden. Die bisher behandelten Gerichtsentscheidungen sowie die Literatur beziehen sich auf die alte Rechtslage.

a) Subjektiv-öffentliche Rechte von nichtrechtsfähigen Verwaltungseinheiten Mit Organstreitverfahren bezeichnet man üblicherweise gerichtliche Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Organen oder Organteilen einer juristischen Person über die Rechtmäßigkeit des innerorganisatorischen Funktionsablaufs. 416 Andere fassen den Begriff des Organstreits weiter und verstehen darunter alle Streitverhältnisse, bei denen Organe oder Verwaltungsbehörden beteiligt sind. 417 Das Kommunalverfassungsstreitverfahren ist ein Unterfall, wenn auch der wohl bedeutsamste, aus der allgemeinen Kategorie des verwaltungsgerichtlichen Organstreits. 418 Andere Beispiele sind rundfunkverfassungsrechtliche sowie hochschulverfassungsrechtliche Streitigkeiten. In Rechtsprechung und Literatur hat sich mittlerweile die Zulässigkeit des Organstreitverfahrens durchgesetzt, wobei bei kritischer Betrachtung die rechtsdogmatische Fundierung noch immer „auf eher tönernen Füßen" steht 419 Die dogmatischen Schwierigkeiten in verwaltungsprozessualer Hinsicht sind darauf zurückzuführen, daß die Verwaltungsgerichtsordnung infolge ihrer auf die Sicherung und Durchsetzung subjektiv-öffentlicher Individualrechte abstellenden Rechtsschutzkonzeption für Rechtsstreitigkeiten im sogenannten Außenrechtsbereich zugeschnitten ist und daher das prozessuale Instrumentarium für behördliche Innenrechtsstreitigkeiten nicht bereithält.

416 Vgl. zur Begriffsbestimmung Schoch, JuS 1987,783, 784. 417 Schmidt-Jortzig, JuS 1979,488,491. 418 Die Relevanz des Kommunalverfassungsstreits in der Praxis wird durch eine große Anzahl von Gerichtsentscheidungen belegt. Häufig wird weiter zwischen dem Interorganstreit (zwischen verschiedenen kommunalen Organen) und dem Intraorganstreit (innerhalb des kommunalen Organs) unterscheiden. Vgl. hierzu Kisker, JuS 1975, 704 ff.; Krebs, Jura 1981, 569, 570. 419 Hoppe, NJW 1980, 1017,1018.

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Besondere Schwierigkeiten bereitet in diesem Zusammenhang der Begriff des subjektiv-öffentlichen Rechts.420 Nach herkömmlicher Auffassung versteht man hierunter die einem Rechtssubjekt kraft öffentlichen Rechts zuerkannte Rechtsmacht, vom Staat oder einem sonstigen Träger öffentlicher Verwaltung ein konkretes Tun, Dulden oder Unterlassen zu verlangen.421 Damit setzen subjektiv-öffentliche Rechte einen Berechtigten und einen Verpflichteten voraus. 422 Im Zuge der Auseinandersetzung um die Reichweite des Art. 19 ΠΙ GG hat sich schon vor einiger Zeit die Erkenntnis durchgesetzt, daß auch öffentlich-rechtlichen Funktionsträgern von der Rechtsordnung subjektive Rechte zugeordnet sein können, ihnen also in einzelnen Fällen nicht ausschließlich organisationsrechtliche Zuständigkeiten anvertraut sind. 423 Im Rahmen dieser Arbeit kann der umstrittene Begriff des subjektiv-öffentlichen Rechts und seine Anwendbarkeit auf den Innenrechtsbereich staatlicher Organisationen nicht diskutiert werden. 424 Hier muß der Hinweis genügen, daß beispielsweise das Grundgesetz in Art. 93 I Nr. 1 GG den Verfassungsorganen eine Rechtsmacht zur Durchsetzung „subjektiver" Rechtspositionen einräumt. Das Bundesverfassungsgericht spricht in bezug auf das verfassungsrechtliche Organstreitverfahren von „einer gewissen Subjektivierung der verfassungsrechtlichen Beziehungen, die es rechtfertigt, mit dem Grundgesetz von „Rechten" der Staatsorgane zu sprechen, die verletzt und damit verteidigt werden können"425. Mit der heute wohl herrschenden Auffassung wird deshalb davon ausgegangen, daß Kompetenzen, die den Organen juristischer Personen des öffentlichen Rechts zugewiesen sind, zu subjektiv-öffentlichen Rechten erstarken können.426 Andere vertreten die Auffassung, daß es sich bei den „Wahrnehmungskompetenzen" nicht 420 Die praktische Bedeutung von subjektiv-öffentlichen Rechten liegt in der Möglichkeit ihrer gerichtlichen Geltendmachung. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1997, § 8 Rn. 5. 421 Schmitt Glaeser, Verwaltungsprozeßrecht, 1997, Rn. 157. Eine ähnliche Definition findet sich zum Beispiel bei Erichsen/Martens, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1981, § 10 II 5. Ein subjektiv-öffentliches Recht setze einen Rechtssatz voraus, der zumindest auch der Befriedigung von Individualinteressen zu dienen bestimmt ist und dem einzelnen die Rechtsmacht einräumt, die normgeschützten Interessen gegenüber dem durch den Rechtssatz Verpflichteten durchzusetzen. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1997, § 8 Rn. 5. 422 Zum subjektiv-öffentlichen Recht vgl. Wolff/ Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, 1994, § 43. Zur Frage nach dem Bestehen von subjektiv-öffentlichen Rechten der Verwaltung aus Kompetenzen und Zuständigkeiten siehe § 41 III. Soweit es um die Berechtigung eines Trägers öffentlicher Gewalt gegen einen anderen Träger gehe, pflege man eine solche Berechtigung heute mit zu den „subjektiv-öffentlichen Rechten" zu zählen, obwohl dieser Ausdruck in der Regel den Berechtigungen von Zivilpersonen vorgehalten werde. Wolff/ Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, 1994, § 41 Rn. 13. Instruktiv zur geschichtlichen Entwicklung des subjektiv-öffentlichen Rechts Kelsen, Allgemeine Staatslehre, 1925, S. 152 ff. 423 Von Mutius, in: Dolzer/Vogel (Hrsg.), BK, Art. 19 III GG Rn. 94 mit umfangreichen Nachweisen in den Rdnrn. 125,134. 424 Vgl. dazu Henke, DÖV 1980,621 ff. sowie Erichsen, VerwArch 71 (1980), 429,434. 425 BVerfGE 2, 145, 152. 426 So Hoppe, Organstreitigkeiten vor den Verwaltungsgerichten und den Sozialgerichten, 1970, S. 156 ff. Siehe auch Bethge, DVB1. 1980, 309, 312 mwN in Fußn. 39 sowie Kisker, Insichprozeß und Einheit der Verwaltung, 1968, S. 39 f.

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um subjektiv-öffentliche Rechte handelt, diese aber das Gewicht von subjektiv-öffentlichen Rechten erlangen können.427 Bei der Prüfung der Zulässigkeit eines Organstreitverfahrens gilt es konkret zu entscheiden, ob die jeweils streitigen organinternen Rechtssätze den Organen eigene Rechte im Sinne subjektiv-öffentlicher Rechtsverleihungen oder nur organisationsrechtliche Zuständigkeiten gewähren. Meist wird ein subjektiv-öffentliches Recht bejaht, wenn die streitenden Organe im Spannungsverhältnis stehen und Interessenkonflikte als akzeptierte Möglichkeit einschließen; oder wenn ein Organ als Gegenüber oder Kontrast anderer Organe im politischen Kräftespiel gedacht ist. 428 Mit anderen Worten ist ein subjektiv-öffentliches Recht anzunehmen, wenn eine interne Machtpluralisierung innerhalb der organisatorischen Gebilde besteht. Das Bundesverwaltungsgericht verneint in der Regel die Verletzung eigener Rechte einer Behörde, wenn nach dem einschlägigen Organisationsrecht die Behörden im Verhältnis von Ausgangs- und Widerspruchsbehörde zueinander stehen429 oder wenn der Streit kompetenzgerecht durch eine gemeinsame Entscheidungsspitze zu bereinigen ist. 4 3 0

b) Berliner Bezirke als Organe der Gebietskörperschaft

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Nunmehr gilt es zu klären, ob die Berliner Bezirke Träger von subjektiv-öffentlichen Rechten sein können. Entgegen der Auffassung des Verfassungsgerichtshofs, die die rechtlichen Änderungen aus dem Jahre allerdings noch nicht berücksichtigt, sind die Bezirke keine Organe der Gebietskörperschaft Berlin. 431 Eine direkte Anwendung der wiedergegebenen Grundsätze zu den Organstreitverfahren könnte zweifelhaft sein, wenn man von ihnen nicht sämtliche Innenrechtsstreitigkeiten von Behörden umfaßt sieht, sondern nur die von Organen einer juristischen Person. Organe sind arbeitsteilige Gliederungs- und Funktionseinheiten von juristischen Personen, deren diese sich zur Erfüllung ihrer Aufgaben bedienen.432 Sie sind rechtlich geschaffene Einrichtungen eines Verwaltungsträgers, die dessen Zu-

427 Vgl. nur David, Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg, 1994, Art. 57 Rn. 64. Er verlangt, daß die Organe mit Rechten ausgestattet sind, die die Qualität von subjektiv-öffentlichen Rechten besitzen oder ihnen gleichkommen. 428 So insbesondere Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, 1995, S. 56, der den Versuch unternimmt, die umfangreiche Kasuistik auf die Organfunktion der checks und balances zurückzuführen. 429 BVerwGE 45, 207, 210.

430 BVerwG NJW 1992,927. 431 Siehe den ersten Leitsatz zu LVerfGE 1, 33. Ende des 19. Jahrhunderts begann die von von Gierke begründete Organtheorie das Feld zu erobern. Mit ihr wurde die Bezeichnung der staatlichen Funktionsträger als Staatsorgane allgemein gebräuchlich. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. 1,1973, S. 448. 432 Hoppe, DVB1. 1970, 845, 849; Faber, Verwaltungsrecht, 1995, § 91.

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ständigkeit für diesen wahrnehmen.433 Organe haben grundsätzlich die Funktion, rechtsfähige Organisationen durch Zuordnung menschlichen Verhaltens handlungsfähig zu machen.434 Ein Organ hat also nur einen Fremdzuständigkeitsbereich und zwar den Zuständigkeitsbereich seines Verwaltungsträgers, für den er handelt.435 Durch den Subsidiaritätsgrundsatz der Berliner Verfassung, der durch den Normenkontrollantrag abgesichert ist, sowie die Regelungen des Allgemeinen Zuständigkeitsgesetzes iVm dem Zuständigkeitskatalog ist den Bezirken Berlins aber ein eigener Zuständigkeitsbereich zugewiesen. In der Durchführung der Bezirksaufgaben sind sie grundsätzlich nur an Rechts- und allgemeine Verwaltungsvorschriften gebunden (§ 3 Π AZG). Die Fachaufsicht ist zugunsten eines auf Einzelfälle beschränkten Eingriffsrechts abgelöst. Die Bezirke besitzen weiter eigene demokratisch legitimierte Organe mit Selbstverwaltungsaufgaben, weshalb man die Bezirke nicht als einfache Funktionseinheit der Gesamtstadt ansehen kann. Versteht man unter Organstreitverfahren nur Streitverhältnisse zwischen Organen und Organteilen, dann ergibt sich die Anwendbarkeit der wiedergegebenen Grundsätze für die Berliner Bezirke aus einem erst recht Schluß. Wenn sogar Gliederungs- und Funktionseinheiten von Behörden subjektiv-öffentliche Rechte zustehen können, dann müssen erst recht die Bezirke, deren Rechte in der Berliner Verfassung festgeschrieben sind, Träger von subjektiv-öffentlichen Rechten sein können. Die Verfassung Berlins bedient sich der Bezirke nicht nur zur Erfüllung ihrer Aufgaben, sondern teilt ihnen sogar ausdrücklich einen Selbstverwaltungsbereich zu. Es bleibt festzustellen, daß zumindest entsprechend den Grundsätzen zum verwaltungsrechtlichen Organstreitverfahren den Bezirken Berlins subjektiv-öffentliche Rechte gegenüber der Hauptverwaltung zustehen können. Eine dogmatisch saubere Lösung der Frage nach dem tatsächlichen Bestehen bzw. dem Umfang eines subjektiv-öffentlichen Selbstverwaltungsrechts der Bezirke sowie einer institutionellen Garantie bezirklicher Selbstverwaltung kann nur durch einen Vergleich mit den von Art. 28 I I GG umfaßten Gewährleistungen unter Zugrundelegung der klassischen Auslegungsmethoden geleistet werden. Ein vergleichendes Heranziehen der verschiedenen Ausprägungen der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie nach dem Grundgesetz bietet sich deshalb an, weil die Bezirke Berlins mit den Gemeinden der Flächenländer strukturähnliche Gebilde sind. Eine Vergleichbarkeit legt auch Art. 66 Π BerlVerf 1995 nahe, der die Aufgabenerfüllung der Bezirke nach den Grundsätzen der Selbstverwaltung vorsieht, womit die kommunale Selbstverwaltung gemeint ist. Mit dieser Regelung sowie der partiellen Gewährleistung von gemeindlichen Hoheitsrechten werden die Bezirke den Gemeinden angenähert. Im Ergebnis, wenn auch nicht in der Terminologie, besteht zwischen Literatur und Rechtsprechung Einigkeit darüber, welche Ausprägungen die kommunale 433 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1997, § 21, Rn. 19. 434 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1997, § 21, Rn. 21. 435 Wolff,

Verwaltungsrecht II, 1970, § 741 f, S. 45.

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Selbstverwaltungsgarantie umfaßt. 436 Die Literatur gliedert im Anschluß an Stern die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung häufig in drei verschiedene Gewährleistungen.437 Erstens in die institutionelle Rechtssubjektsgarantie, die Gemeinde und Kreis als Institution, aber nicht deren individuellen Bestand sichert. Verbürgt wird also eine Rechtseinrichtung, die als solche nicht beseitigt und auch nicht substantiell ausgehöhlt werden darf. Zweitens in die objektive Rechtsinstitutionsgarantie, die das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden, sprich die eigenverantwortliche Erledigung kommunaler Aufgaben gewährleistet („Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft"/„in eigener Verantwortung") und in verschiedene Hoheitsrechte aufgegliedert ist. Sowie drittens die subjektive Rechtsstellungsgarantie, die die Befugnis der Gemeinden und Gemeindeverbände umfaßt, bei Verletzung der soeben geschilderten Garantien Rechtsschutz vor den Gerichten zu suchen. 438 Hierbei werden Auseinandersetzungen zwischen Gemeinden und Gemeindeverbänden einerseits und dem Staat und seinen Untergliederungen andererseits über aufsichtsrechtliche Maßnahmen als der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit unterliegend angesehen. Die Beteiligten streiten um die Rechtsfolgen aus der Anwendung öffentlichen Rechts, nämlich der Regelung über die Kommunalaufsicht in den Gemeindeordnungen der Länder, die ausschließlich den Staat berechtigen und verpflichten. 439 So wird beispielsweise bei Verletzung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts eine Anfechtungsklage vor dem Verwaltungsgericht als zulässig angesehen, da entsprechenden hoheitlich verbindlichen Maßnahmen Außenwirkung zukomme.440 Die Judikatur der Verfassungsgerichte des Bundes und der Länder sowie ein Teil der Literatur verwenden diese Einteilung sowie die Terminologie nicht. Statt ausdrücklich zwischen objektiver Rechtsinstitutionsgarantie und subjektiver Rechtsstellungsgarantie zu unterscheiden, ist vielfach nur von der Verbürgung eines subjektiv-öffentlichen Rechts mit Verfassungsrang oder nur allgemein von einer insti-

436 Die Lehre von der institutionellen Garantie wurde entwickelt, um bestimmte in der Weimarer Reichsverfassung ausgeprägte Normkomplexe wie Eigentum, Erbrecht, Berufsbeamtentum oder kommunale Selbstverwaltung in ihrem Kernbestand dem Zugriff des einfachen Gesetzgebers zu entziehen. Zur Entstehungsgeschichte aus jüngster Zeit siehe Kenntner, DÖV 1998,701, 702 f. 437 Stern, Staatsrecht I, 1984, § 12 II 4a, S. 408 ff. Diese Terminologie verwendet beispielsweise auch Schink, VerwArch 81 (1990), S. 385 ff. 4

38 Die subjektive Rechtsschutzgarantie wird mit der dem Begriff „gewährleisten" in Art. 28 II GG innewohnenden Bedeutung begründet, wonach der Gewährleistende dem Begünstigten gegenüber unmittelbar verpflichtet ist und der Begünstigte im Zweifel auch einen Anspruch auf Durchsetzung der Gewährleistung haben soll. Weiter kommt die subjektivrechtliche Seite der Garantie von Art. 28 II GG in der Gewährung des Rechts der Kommunalverfassungsbeschwerde (Art. 93 I Nr. 4 b GG) zum Ausdruck. Siehe hierzu zum Beispiel Stober, Kommunalrecht, 1992, S. 34; von Mutius, Jura 1982, 28, 35. 439 Von Mutius, Kommunalrecht, 1996, Rn. 868. 440 Eyermann/Fröhler, VwGO, 1988, § 42 II, Rn. 91 mwN. So bspw. auch BVerwGE 17, 87,91.

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tutionellen Garantie der kommunalen Selbstverwaltung die Rede. 441 Allerdings geht auch das Bundesverfassungsgericht davon aus, daß Art. 28 Π GG nicht nur die Gemeinde als Institution, sondern auch die eigenverantwortliche Wahrnehmung der örtlichen Angelegenheiten schützt, die in ein Bündel von Hoheitsrechten aufgefächert ist. Dies entspricht den von der Literatur gebildeten Untergruppen der objektiven Rechtsinstitutionsgarantie sowie der institutionellen Rechtssubjektsgarantie. Auch nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts gewährt Art. 28 Π GG den kommunalen Gebietskörperschaften eine subjektive Rechtsposition, die sich in erster Linie als Abwehrrecht gegen Eingriffe und Beeinträchtigungen des dort geschützten Wirkungskreises durch den Staat darstellt. 442 Schon im ersten Band hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, daß weder der Entstehungsgeschichte noch dem Wortlaut des Art. 28 Π GG zu entnehmen sei, daß Art. 28 I I GG den Gemeinden keine Möglichkeit verleihen wolle, selbst auf geeignete Art über dieses Recht zu wachen und es notfalls auch gerichtlich durchzusetzen. Auch das Bundesverwaltungsgericht hat in bezug auf die Planungshoheit der Gemeinden bereits mehrfach entschieden, daß diese das Recht einschließt, sich gegen Planungen anderer Stellen (Behörden) zur Wehr zu setzen, die die gemeindliche Planungshoheit rechtswidrig verletzen. 443 Diese Rechtsprechung stimmt mit der von der Literatur gebildeten dritten Fallgruppe überein. Somit ist sowohl nach Auffassung der Lehre wie der Rechtsprechung die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung auch subjektiv-rechtlich abgeschirmt, alsorichterlich geschützt.444 Im Ergebnis bleibt festzuhalten, daß Rechtsprechung und Literatur übereinstimmend von einer dreifachen Schutzrichtung der Garantie der kommunalen Selbstverwaltung ausgehen. Mangels einer einheitlichen Terminologie der Rechtsprechung wird den folgenden Ausführungen die von der Literatur verwandte zugrundegelegt. Nur für den Bereich der institutionellen Rechtssubjektsgarantie wird dem Terminus der Einrichtungsgarantie der Vorzug gegeben, da die Berliner Bezirke nach geltendem Recht keine volle Rechtsfähigkeit besitzen.445

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Vgl. von Mutius, Kommunalrecht, 1996, Rn. 158 mit umfangreichen Nachweisen zur Rechtsprechung in Fußn. 50. 442 Auch wenn in Art. 28 II GG kein Grundrecht, sondern nur eine institutionelle Garantie zu erblicken sei, könne eine solche durch eine Verfassungsbeschwerde justitiabel gestaltet werden. Seit BVerfGE 1, 167, 174 ff. st. Rspr. 443 BVerwGE 40, 323, 1. LS; BVerwGE 44, 1, 3. 444

So auch Löwer, in: von Münch/Kunig, GGK II, Rn. 41 zu Art. 28, 1995 mwN. Der Begriff der Institutsgarantie kann nicht verwendet werden, da dieser für die bürgerlich-rechtlichen Institute wie Ehe und Familie gebraucht wird. Zu den Einrichtungsgarantien des Grundgesetzes als Grundlagen subjektiver Rechte siehe de Wall, Der Staat 1999, 377 ff. 445

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c) Einrichtungsgarantie Die Berliner Verfassung gewährt den Bezirken zunächst eine Einrichtungsgarantie; das heißt, die Rechtseinrichtung Bezirk darf als solche nicht beseitigt oder ausgehöhlt werden. Diese Frage ist bisher - soweit ersichtlich - von der Rechtsprechung noch gar nicht und von der Literatur nur sehr sporadisch behandelt worden. Übereinstimmend entnehmen die wenigen Literaturstimmen zur Rechtslage vor Erlaß der Reformgesetze im Jahre 1998 das Bestehen einer Einrichtungsgarantie bereits Art. 4 I, Π der Berliner Verfassung 1950/1995. So heißt es bei Pfennig/ Neumann 446 schlicht und ohne weitere Begründung, daß die Bezirke Berlins durch Art. 4 Π BerlVerf als Institution gewährleistet sind. Auch Haaß geht davon aus, daß gemäß Art. 3 Π, 66 I I BerlVerf 1995 den Bezirken eine institutionelle Garantie gewährt ist. 447 Art. 4 I I 1, 2 BerlVerf 1995 sieht vor, daß Berlin in 23 namentlich aufgezählte Bezirke eingeteilt ist, wobei eine Änderung der Zahl und der Grenzen nur durch Gesetz vorgenommen werden kann. Da nach dem eindeutigen Wortlaut dieser Norm nur eine Änderung und keine Abschaffung der Bezirke zulässig ist, bestand nach dieser Vorschrift ein Bestandsschutz der Bezirke innerhalb der Einheitsgemeinde. In den Erläuterungen zum Verfassungsreformgesetz von 1998 anläßlich der Gebietsreform räumt der Senat ein, daß aus Art. 4 BerlVerf 1995 „teilweise" eine Bestandsgarantie sowie die Notwendigkeit einer verfassungsändernden Mehrheit (Art. 100 BerlVerf) bei einer Änderung der Anzahl der Bezirke abgeleitet wird. 448 Er selbst vertritt die Auffassung, daß die namentliche Aufzählung in Art. 4 I BerlVerf 1995 nur der Gebietsbeschreibung diene, die aufgrund der Inselsituation der drei Westsektoren notwendig war. 449 Diese Begründung kann nach der Neufassung von Art. 4 1 BerlVerf nicht mehr herangezogen werden, da die „Inselsituation" mit der Wiedervereinigung weggefallen ist. Auch vor der Wiedervereinigung kam diesem Argument nur eine schwache Überzeugungskraft zu. Nach dem neu gefaßten Art. 4 1 1 BerlVerf gliedert sich Berlin in 12 Bezirke. In Art. 4 1 2 BerlVerf sind die bisherigen Bezirke in den Nummern 1 - 1 2 weiterhin namentlich aufgezählt, wobei in den einzelnen Nummern die zukünftig zusammengefaßten Bezirke festgeschrieben sind. Wie die künftigen Einheiten heißen, sollen die BVVen der neu geschaffenen Bezirke selbst entscheiden. Art. 4 Π BerlVerf ist weitgehend unverändert geblieben. Gemäß Art. 4 I I 1 BerlVerf bedarf jede Änderung des Gebiets weiterhin der Zustimmung der Volksvertretung. Nach Art. 4 I I 2 BerlVerf 1995 konnte eine „Änderung der Zahl und der Grenzen der Bezirke" nur durch Gesetz vorgenommen werden. In der Neufassung ist das Tatbestandsmerk446 447

Pfennig, in: Pfennig/Neumann, Verfassung von Berlin, 1987, Art. 4 Rn. 5. Haaß, LKV 1996, 84. Vgl. auch Deutelmoser, LKV 1999, 300 f.

448 Das Gebietsreformgesetz von 1998 ist als Verfassungsänderungsgesetz mit einer 2/3Mehrheit erlassen worden. 449 AbgH-Drs. 13/1871, Vorblatt. Diese Auffassung vertritt auch der Berliner Verfassungsgerichtshof. Siehe hierzu 1. Teil, D. VII.l.

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mal Zahl gestrichen worden. Eine materielle Verschlechterung der Stellung der Bezirke ist damit nicht eingetreten, da eine Änderung der Zahl der Bezirke ohne Grenzänderung nicht denkbar ist. Eine Abschaffung der Bezirke wäre mit dieser Norm unvereinbar. Das heißt, daß auch nach geltendem Recht die Bezirke als Einrichtung gewährleistet sind.

d) Objektive Rechtsinstitutions garantie Die Berliner Verfassung sichert den Bezirken auch die eigenverantwortliche Wahrnehmung aller Aufgaben, die nicht von gesamtstädtischer Bedeutung sind. Dies ergibt sich zum einen aus Art. 66 Π BerlVerf 1998, wonach die Bezirke ihre Aufgaben nach den Grundsätzen der Selbstverwaltung verwirklichen. Nach der in Kapitel C. I. gefundenen Definition bedeutet Selbstverwaltung die Verwaltung durch unterstaatliche Träger im eigenen Namen als selbständige, nicht der Weisung unterworfene Wahrnehmung eigener öffentlicher Aufgaben. Ein eigener Wirkungskreis bei der Verwaltung öffentlicher Angelegenheiten ist den Bezirken Berlins über den Subsidiaritätsgrundsatz gegeben. Das Normenkontrollverfahren sowie die Einschränkung der Aufsichtsmittel der Hauptverwaltung auf die Rechtsaufsicht und das auf Einzelfälle begrenzte Eingriffsrecht gewährleisten die Eigenverantwortlichkeit der Bezirke. Weiter sichern die direkt-demokratische Legitimierung der BVV, die Institution des Rats der Bürgermeister sowie die einzelnen Hoheitsrechte wie partielle Personal-, Organisations-, Haushalts- und Rechtssetzungshoheit die eigenverantwortlichen Wahrnehmung der Bezirksaufgaben. Kreutzer 450 hat schon 1954 von einem „Leitgedanken der Berliner Verfassung" gesprochen, „alle nicht sachnotwendig zentralen Aufgaben von den Bezirksverwaltungen ausführen und deren von der volksgewählten Bezirksvertretung bestellte Organe in weitestmöglichen Umfang selbständig arbeiten zu lassen". Dies gilt erst recht für die heutige Gesetzeslage, da durch die Reformgesetze von 1994 und 1998 die Bezirke eine weitere - wenn auch in der Praxis kaum spürbare - Angleichung an die Gemeinden erfahren haben. Zur Annahme des Bestehens einer objektiven Rechtsinstitutionsgarantie der bezirklichen Selbstverwaltung führt auch die historische Auslegung. Hierbei ist zu bedenken, daß im Vergleich zu der sprachlichen, systematischen und der teleologischen Auslegung dem Willen des historischen Gesetzgebers geringere Bedeutung zukommt, da aus der Entstehungsgeschichte sich dieser Wille nur selten eindeutig erschließen läßt. 451 Breitfeld hat überzeugend die Vorbehalte, die speziell gegen450 Kreutzer,

DÖV 1954,425,428.

451 BVerwG DÖV 1987, 296, 297. Dort heißt es wörtlich: „Gelegentlich mag sich auch aus der Entstehungsgeschichte der Norm der Wille des historischen Gesetzgebers ergeben". So auch Schmitt Glaeser, VwGO, 1994, Rn. 167. Stein dagegen bezweifelt eine Rangfolge der sprachlichen, historischen und systematischen Auslegung. Stein in AK-GG, 1989, Einleitung II Rn. 53.

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über einer historischen Auslegung der Berliner Verfassungsvorschriften notwendig sind, formuliert. Das Heranziehen der umfangreichen Gesetzesmaterialien sei wenig sinnvoll, da die vieldeutigen Formulierungen der Verfassung häufig einen „faulen Kompromiß" der verschiedenen Verfassungsentwürfe darstellten, die von Anfang an von den Beteiligten verschieden ausgelegt worden wären. 452 Der historischen Auslegung ist in der Regel aber dann größere Beachtung zu schenken, wenn einer Norm positiv eine individuelle Begünstigungsabsicht zu entnehmen ist. 453 Wie die Ausführungen im Sondervotum zur Entscheidung des Berliner Verfassungsgerichtshofs zur Wahl der Bezirksamtsmitglieder gezeigt haben (VII.l.c)), ist in bezug auf die Eigenverantwortlichkeit der Bezirksebene eine solche „Begünstigungsabsicht" des Gesetzgebers eindeutig feststellbar. Den im Sondervotum angeführten Gründen ist noch folgendes hinzuzufügen: Zwar ist man bei der Frage nach der Rechtsstellung der Berliner Bezirke dem Verfassungsentwurf der SPD, der den Bezirken den Status von Gemeinden einräumen wollte, letztendlich nicht gefolgt. Wie den Protokollen zu den Sitzungen des Verfassungsausschusses zu entnehmen ist, ging man aber allgemein davon aus, daß der Frage, ob Berlin in Gemeinden oder Bezirke aufgeteilt werden soll, mehr terminologische bzw. rechtsdogmatische als inhaltliche Bedeutung zukomme.454 Alle Parteienvertreter haben sich für eine dezentralisierte Verwaltung in Form einer eigenverantwortlichen Bezirksebene ausgesprochen.455 In der Sitzung des Verfassungsausschusses zu den Abschnitten „Die Landesverwaltung" sowie die „Gemeindeverwaltung" I „Bezirksverwaltung" hält der Berichterstatter ausdrücklich fest, daß die Entwürfe von SPD, CDU und SED darin übereinstimmen, daß die Hauptverwaltung nur für die diejenigen Angelegenheiten zuständig ist, die wegen ihrer Eigenart oder ihrer übergeordneten Bedeutung für ganz Berlin der zentralen Zusammenfassung bedürfen; im übrigen aber die Verwaltung stark dezentralisiert geführt werden solle. 456 Das bedeutet, daß nach dem Willen des Verfassungsgebers die historisch bedingte Eigenständigkeit der Bezirke beibehalten wurde, was sich 452 Breitfeld, Die verfassungsrechtliche Stellung der Berliner Bezirke, 1953, S. 8. 453 Schmitt Glaeser, Verwaltungsprozeßrecht, 1997, Rn. 166. 454 Vgl. Z um Beispiel den Vortrag des Bürgermeisters Schloß mit dem Titel „Dezentralisierte Selbstverwaltung". Er geht davon aus, daß die Differenzen zwischen den verschiedenen Parteientwürfen zur bezirklichen Selbstverwaltung gar nicht so groß seien, da in allen Entwürfen ein erhöhter Wert auf die Selbstverwaltung in den Bezirken gelegt werde. Reichhardt, Die Entstehung der Verfassung von Berlin, 1990, Bd. I, S. 925, 926. Wortführer der CDU zur Frage nach dem Umfang der bezirklichen Selbstverwaltung war Peters, der das Interesse der CDU betont, den Bezirken weitgehende Selbständigkeit zu geben. Es bestehe Einigkeit darüber, daß der Verwaltungsaufbau Berlins von unten nach oben erfolgen müsse wie der ganze Staatsaufbau. Er stimmt auch der von Schloß vertretenen Auffassung zu, daß die Bezirks Verwaltungen eine unabhängige Verwaltungsinstanz seien. Vgl. Reichhardt, Die Entstehung der Verfassung von Berlin, 1990, Bd. I, S. 932. 455 Dies gilt nur eingeschränkt für den in weiten Teilen vom Prinzip der Zentralisation geprägten SED-Entwurf. Auch in diesem war aber die Beibehaltung der BVVen vorgesehen. Reichhardt, Die Entstehung der Verfassung von Berlin, 1990, Bd. I, S. 939. 456 Reichhardt, Die Entstehung der Verfassung von Berlin, 1990, Bd. I, S. 904.

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konkret in den Regelungen der Artt. 50 Π, 51 I, II, 56 der BerlVerf 1950 niedergeschlagen hat. e) Subjektive Rechtsstellungsgarantie Es herrscht heute Einigkeit darüber, daß die Gemeinden gegen Eingriffe in ihren Selbstverwaltungsbereich sich auch gerichtlich zur Wehr setzen können. Dies muß auch für die Bezirke Berlins gelten, die nach der Berliner Verfassung in ihrem Bestand sowie in der eigenverantwortlichen Wahrnehmung ihrer Aufgaben materiellrechtlich geschützt sind. Welche Rechtsschutzmöglichkeiten den Bezirken im einzelnen zustehen und wie eine Klagebefugnis nach § 42 Π VwGO sich begründen läßt, ist Gegenstand des folgenden Abschnitts (VIII.). 4 5 7 f) Zusammenfassung Die Grundsätze zu den verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahren sind auf die Berliner Bezirke - zumindest entsprechend - anwendbar. Ihre fehlende Rechtsfähigkeit sowie ihre Einbindung in die Gesamtverwaltung schließt es nicht aus, daß sie Träger von subjektiv-öffentlichen Rechten sein können. Konkret steht ihnen ein subjektiv-öffentliches Recht auf bezirkliche Selbstverwaltung nach der Berliner Verfassung zu. Dieses gliedert sich in eine Einrichtungsgarantie, eine objektive Rechtsinstitutionsgarantie sowie eine subjektive Rechtsstellungsgarantie. Soweit ein subjektiv-öffentliches Selbstverwaltungsrecht der Bezirke verneint wird, werden weder die geschichtliche Entwicklung, noch Wortlaut, Sinn und systematischer Zusammenhang der Art. 3 II, 4, 66 ff. BerlVerf ausreichend berücksichtigt. V I I I . Rechtsschutz der Bezirke Die Frage nach der Wehrhaftigkeit der Bezirke Berlins sowie der einzelnen Bezirksorgane ist sehr komplex. Bis jetzt gibt es keine systematische Darstellung der denkbaren verwaltungs- und verfassungsrechtlichen Klagemöglichkeiten. Zu unterscheiden sind zunächst drei Fallgruppen: 1. Eingriffe des Gesetzgebers; 2. Verfassungsrechtliche Verfahren; 3. Verwaltungsrechtliche Verfahren. 457 Schwierigkeiten bereitet bei Innenrechtsstreitigkeiten neben der Klagebefugnis die Verwaltungsaktqualität der Maßnahme sowie die Beteiligtenfähigkeit. Auf diese Probleme kann hier nicht eingegangen werden. Nach herrschender Auffassung sind aufsichtsbehördliche Maßnahmen, die in Selbstverwaltungsangelegenheiten der Gemeinden oder anderer Körperschaften getroffen werden, als Verwaltungsakte anzusehen. Siehe nur OVG Münster, DVB1. 1992,442; Redeker/von Oertzen, Verwaltungsgerichtsordnung, 1994, § 42 Rn. 50.

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1. Eingriffe des Gesetzgebers Gegen Eingriffe des Gesetzgebers betreffs der in einem Gesetz geregelten Zuständigkeitsabgrenzung zwischen Hauptverwaltung und Bezirken steht den Bezirken die bereits unter VI. 2. dargestellte Normenkontrolle vor dem Berliner Verfassungsgerichtshof zu (Art. 84 Π Nr. 3 BerlVerf, §§ 14 Nr. 9,57 BerlVerfGHG).

2. Verfassungsrechtliche Verfahren a) Einführung Der Berliner Verfassungsgerichtshof hat in einem Urteil aus dem Jahre 1992 die Fraktion einer B W als beteiligtenfähig im Verfassungsbeschwerdeverfahren (Art. 84 Π Nr. 5 BerlVerf, §§ 14,49 BerlVerf) angesehen. Auch in diesem Fall ging es um die Rolle der Fraktionen der BVV bei der Besetzung des Bezirksamts. An dieser Mehrheitsentscheidung ist in den Sondervoten zu diesem Urteil 458 wie auch seitens der Literatur scharfe Kritik geübt worden 4 5 9 In dem ein halbes Jahr später erfolgten Urteil, in dem das Gericht das Bestehen eines bezirklichen Selbstverwaltungsrechts nach der Berliner Verfassung verneinte, wurde offengelassen, ob ein solches Recht im Verfassungsbeschwerdeverfahren durch die BVV geltend gemacht werden kann (VIII. 2. b)). In zwei weiteren Verfahren hat das Gericht der Fraktion einer BVV sowie der B W selbst die Beteiligtenfähigkeit im Oiganstreitverfahren nach Art. 84 Π Nr. 1 BerlVerf, §§ 14,36 BerlVerGHG abgesprochen (Vm. 2. c)). 4 6 0 In diesem Zusammenhang ist erwähnenswert, daß die FDP schon in den 60er Jahren den Vorschlag gemacht hat, den Berliner Bezirken zur Verteidigung ihrer verfassungsmäßig eingeräumten Beteiligung an der Verwaltung nach den Grundsätzen der Selbstverwaltung die Möglichkeit zur Erhebung einer Verfassungsbeschwerde ausdrücklich durch Gesetz einzuräumen. In dem von der FDP eingebrachten Gesetzentwurf für ein damals noch nicht existierendes Verfassungsgericht war eine entsprechende Vorschrift enthalten.461 Danach konnten die Bezirke Verfassungsbeschwerde mit der Behauptung erheben, ein Gesetz oder eine Rechtsverordnung des Senats oder eines Mitglied des Senats verstoße gegen Art. 50 Π BerlVerf 1950 (§ 48 I des FDP-Entwurfes). Der Antrag sollte sowohl von dem Bezirksamt als auch von der BVV gestellt werden können (§ 48 Π S. 1 des FDP-Entwurfes). Seitens der Literatur wurde angeregt, die Möglichkeit zur Erhebung einer 458 BerlVerfGH, Urt. v. 19. Oktober 1992, NVwZ 1993, 1093 ff. mit den Sondervoten der Richter Kunig und Dittrich auf den Seiten 1096 f. 459 Uerpmann, LKV 1996, 225, 228. 460 BerlVerfGH, Urt. v. 19. Oktober 1992, NVwZ 1993, 1098 ff.; BerlVerfGH, Beschl. v. 6. Oktober 1998,46/89. 461 AbgH-Drs. 4/733.

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Verfassungsbeschwerde auf sonstige Akte der Landesgewalt auszudehnen. Gerade exekutive Akte wie Richtlinien, Rundschreiben und Weisungen seien dazu angetan, die Eigenverantwortung der Bezirksverwaltung zu untergraben. 462 Dieser FDP-Entwurf ist - in anderer prozessualer Einkleidung - durch Einführung des Normenkontrollverfahrens teilweise Gesetz geworden. Allerdings ist in diesem Verfahren die Überprüfungsmöglichkeit des Verfassungsgerichtshofs auf formelle Gesetze beschränkt. b) Verfassungsbeschwerde (Art. 84 II Nr. 5 BerlVerf, §§ 14, 49ff. BerlVerfGHG) Mit dem Urteil des Berliner Verfassungsgerichtshofs, das der Fraktion einer BVV die Möglichkeit eröffnet, die Verletzung des Rechts der politischen Parteien auf Chancengleichheit im Wege der Verfassungsbeschwerde geltend zu machen, betritt das Gericht verfassungsprozessuales Neuland und setzt sich - trotz der gegenteiligen Beteuerung des Gerichts - in Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. 463 Die Möglichkeit einer Fraktion, Verfassungsbeschwerde zu erheben, ist nach den Maßstäben des Bundesverfassungsprozeßrechts zu verneinen. 464 Kompetenzkonflikte innerhalb des staatlichen Organisationsbereichs sind nicht als grundrechtsrelevant anzusehen, weil der Staat nicht gleichzeitig Adressat und Berechtigter von Grundrechten sei kann. 465 Dies gilt unabhängig davon, ob die Ausübung der Staatsgewalt durch Bundes- bzw. Landesbehörden, durch Gebietskörperschaften oder nichtrechtsfähige Verwaltungseinheiten geschieht.466 Gemäß § 49 I BerlVerfGHG kann „jedermann" mit der Verfassungsbeschwerde geltend machen, durch die öffentliche Gewalt des Landes Berlin in einem seiner in der Verfassung von Berlin enthaltenen Rechte verletzt zu sein. Jedermann iSv § 49 I BerlVerfGHG ist jeder Grundrechtsträger und jeder Träger von grundrechtsgleichen Rechten 4 6 7 Träger von Grundrechten sind natürliche Personen und soweit 462 Püttner, JR 1966, 81, 84. 463 In der Sache legte die Fraktion der CDU in der BVV Wilmersdorf Verfassungsbeschwerde ein. Sie wendete sich gegen die Ablehnung ihres Begehrens durch die BVV, das Nominierungsrecht für das 7. Mitglied des Bezirksamts zur Auflösung einer durch die Anwendung des d'Hondtschen Höchstzahlverfahrens bei der Wahl der Mitglieder des Bezirksamts (§ 35 II BezVG) eingetretenen Pattsituation durch Losentscheid zu ermitteln. 464 Siehe nur Uerpmann, LKV 1996,225, 228. 465 BVerfGE 15, 256, 262; 21, 362, 370. 466 BVerfGE 21, 362, 370 f. 467 Unstreitig ist, daß die Formulierung „in seinen Rechten" die Grundrechte sowie die grundrechtsgleichen Rechte der Berliner Verfassung meint. Dies ist der Bezeichnung „Verfassungsbeschwerde", womit sich der Berliner Gesetzgeber erkennbar an die bundesrechtliche Regelung anlehnt, sowie der Entstehungsgeschichte zu entnehmen. Zur Entstehungsgeschichte siehe die Ausführungen im Sondervotum von Kunig, Sondervotum zum Urt. v. 19. Oktober 1992 des BerlVerfGH, NVwZ 1993, 1096,1097. 9 Deutelmoser

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das Wesen einzelner Grundrechte dies zuläßt - vgl. Art. 19 ΠΙ GG für das Bundesrecht - auch inländische juristische Personen des Privatrechts oder nicht oder nur teilweise rechtsfähige Gebilde. Juristischen Personen des öffentlichen Rechts kann dagegen nur in seltenen Ausnahmefällen die Grundrechtsfähigkeit zustehen; ihren Teilen jedenfalls nur dann, wenn das Gesamtgebilde selbst über eine Grundrechtsfähigkeit verfügt. Nach diesen Grundsätzen können die Bezirksorgane bzw. der Bezirk selbst eine zur Grundrechtswahrnehmung befähigende Rechtsstellung nicht herleiten, denn diese verfugen nicht über Grundrechte oder grundrechtsgleiche Rechte.468 Somit kann die Fraktion der BVV von dieser auch nicht die Grundrechtsfähigkeit ableiten. Auch aus eigenem Recht kann eine Fraktion einer BVV sich auf Grundrechte nicht berufen. Die Fraktion einer B W ist ein Zusammenschluß von Mandatsträgern innerhalb der B W , wobei diese Mandatsträger grundsätzlich derselben politischen Partei angehören. Sie sind kein organisatorischer Teil der politischen Parteien, sondern deren funktionale Erscheinungsformen in den gewählten Vertretungskörperschaften. 469 Fraktionen von Parlamenten auf Bundes- oder Landesebene stehen eigene organschaftliche Rechte zu, die sie im verfassungsgerichtlichen Organstreitverfahren geltend machen können. Fraktionen innerhalb anderer öffentlich-rechtlicher geordneter, gewählter Organe können ihre organschaftlichen Rechte gegebenenfalls im verwaltungsgerichtlichen Organstreit zur Geltung bringen. Dabei wird um Kompetenzen und um solche subjektiven Positionen gestritten, die sich zwar verwaltungsprozessual als zur Klage befugende Rechte (vgl. § 42 Π VwGO) darstellen können, aber keine Grundrechte sind. 470 Dittrich hat im Sondervotum ausgeführt, daß die Fraktionen einer BVV dem Bereich organisierter Staatlichkeit zuzuordnen sind. Es handele sich gerade nicht um den notwendigerweise staatsfernen Bereich politischer Willensbildung der Bürger als einzelne oder in Gruppierungen, insbesondere in politischen Parteien.471 Auch nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts sind Gemeindevertretungen als demokratisch gewählte Beschlußorgane insoweit dem Bereich der Legislative zuzuordnen. 472 Im Sondervotum heißt es weiter, daß der Funktionsbereich der BVV nach der Verfassung Berlins zwar enger abgegrenzt sei als der der Gemeindevertretungen, deren Mitglieder als demokratisch legitimierte Repräsentanten aber dennoch Staatsgewalt ausübten. Ihr Funktionsbereich könne ebensowenig wie deijenige der Mitglieder des Abgeordnetenhauses von Berlin dem grundrechtlich geschützten Rechtsbereich des Bürgers zugeordnet werden. 473 468 So auch Kunig, Sondervotum zum Urt. v. 19. Oktober 1992 des BerlVerfGH, NVwZ 1993, 10% 1097. 469 Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, 1982, Rn. 76 mwN. 470 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig/ Herzog, Komm. z. GG, Art. 19 IV Rn. 42 ff., 148. 471 Dittrich, Sondervotum zum Urt. v. 19. 10. 1992 des BerlVerfGH, NVwZ 1993, 1097, 1098. 472 BVerfGE 32, 346, 361.

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Es spricht vieles dafür, daß der Berliner Verfassungsgerichtshof den Fraktionen einer BVV einen durchsetzbaren Grundrechtsschutz im Verfassungsbeschwerdeverfahren in erster Linie aus rechtspolitischen Erwägungen einräumte. Dieser rechtspolitische Hintergrund wird in den Sondervoten von Dittrich und Küttig direkt angesprochen. Insbesondere Kunig findet sehr deutliche Worte zur rechtspolitischen Motivation der Entscheidung: „Eine Sachentscheidung war dem BerlVerfGH danach verwehrt. Man mag das rechtspolitisch bedauern, denn es ist nicht zu verkennen, daß ... § 35 Π BerlBezVG ... in der Praxis Schwierigkeiten bei der Wahl der Mitglieder der Bezirksämter nicht verhütet (hat). Aber auch die Wahrung der Zuständigkeitsgrenzen, die dem BerlVerfGH gezogen sind, ist von erheblichem rechtspolitischen Gewicht. Dessen ungeachtet: Sie ist auch gesetzlich gefordert (Art. 64 BerlVerf). Der Gesetzgeber, nicht ein Verfassungsgericht, verantwortet das materielle und das Prozeßrecht." 474 Vorsichtiger formuliert es Dittrich: Der Umstand, daß der Gesetzgeber die Fähigkeit, Antragsteller oder Antragsgegner eines verfassungsgerichtlichen Organstreitverfahrens zu sein, nur den in den § 14 Nr. 1 BerlVerfGHG genannten Beteiligten und damit nicht auch den Fraktionen einer BVV zugemessen habe, vermöge einen mit der Verfassungsbeschwerde durchsetzbaren Grundrechtsschutz für innerstaatliche Kompetenzkonflikte nicht zu eröffnen. 475 Abschließend sei noch darauf hingewiesen, daß die Fraktionen einer BVV damit nicht rechtsschutzlos sind, da ihnen die Möglichkeit zu verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahren zusteht (Vm. 3. b).

c) Organstreitverfahren (Art. 84 II Nr. 1 BerlVerf, §§ 14, 36 BerlVerfGHG) Der Berliner Verfassungsgerichtshof hat in einem Verfahren aus dem Jahre 1992 die Nichtanerkennung der Fraktion einer B W als Beteiligte eines Organstreitverfahrens mit einer Parallele zum bundesrechtlichen Organstreitverfahren begründet. Gleichzeitig hat der Gerichtshof in einem obiter dictum auch der BVV selbst die Möglichkeit „zu verfassungsrechtlichem und verfassungsgerichtlichem Streit" abgesprochen.476 Die BVV als Oigan der bezirklichen Selbstverwaltung stehe den allein zum Organstreitverfahren befähigten obersten Landesorganen „in Rang und Funktion" fern. 477 Eine Fraktion der B W könne als deren Teil im Organstreitverfahren keine andere Rechtsstellung einnehmen als diese selbst habe. Die Auffas473 Dittrich, Sondervotum zum Urt. v. 19. Oktober 1992 des BerlVerfGH, NVwZ 1993, 1097,1098. 474 Kunig, Sondervotum zum Urt. v. 19. Oktober 1992 des BerlVerfGH, NVwZ 1993, 1096, 1097. 475 Dittrich, Sondervotum zum Urt. v. 19. Oktober 1992 des BerlVerfGH, NVwZ 1993, 1097, 1098. 476 BerlVerfGH, Urt. v. 19. Oktober 1992, NVwZ 1993, 1098 ff. 477 BerlVerfGH, Urt. v. 19. Oktober 1992, NVwZ 1993, 1098,1099. 9*

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sung, daß die BVV im Verfahren nach Art. 84 Π Nr. 1 BerlVerf nicht beteiligtenfähig ist, hat das Gericht in einem Urteil aus dem Jahre 1998 bestätigt.478 Auf diese Rechtsprechung soll im folgenden näher eingegangen werden. Nach Art. 84 Π Nr. 1 BerlVerf entscheidet das Gericht über die Auslegung der Verfassung von Berlin aus Anlaß von Streitigkeiten über den Umfang der Rechte und Pflichten eines obersten Landesorgans oder anderer Beteiligter, die durch die Verfassung von Berlin oder die Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses mit eigenen Rechten ausgestattet sind. Wortgleich mit dieser Vorschrift ist § 14 I Nr. 1 BerlVerfGHG. Die Bezirksorgane BVV und die Bezirksämter sind in den Artt. 66 ff. BerlVerf mit eigenen Rechten versehen worden. Nach dem Wortlaut des Art. 84 Π Nr. 1 BerlVerf sowie § 141 Nr. 1 BerlVerfGHG könnte dies für eine Beteiligtenfähigkeit der genannten Bezirksorgane ausreichen. Dagegen sind die Fraktionen einer B W in der Verfassung von Berlin weder genannt479 noch mit eigenen Rechten versehen, weshalb diese ihre Rechte nur von der BVV ableiten können. Zieht man bei der Bestimmung der Voraussetzung für die Stellung eines „anderen Beteiligten" iSv Art. 84 Π Nr. 1 BerlVerf, § 14 I Nr. 1 BerlVerfGHG dagegen die Parallele zum bundesrechtlichen Organstreitverfahren, dann müßten die Berliner Bezirke in Rang und Funktion den obersten Verfassungsorganen Berlins gleichkommen, um den Status eines Beteiligten zu erlangen. Hiervon kann in bezug auf die Berliner Bezirke nicht gesprochen werden, auch wenn ihnen in den Artt. 66 ff. BerlVerf eigene Rechte zuerkannt sind. Nach allgemeiner Auffassung müssen Parteien eines Oiganstreitverfahrens nach Art. 93 I Nr. 1 GG, §§ 13 Nr. 5, 63 ff. BVerfGG materiell Träger vergleichbarer Rechte und Pflichten wie die der obersten Verfassungsorgane sein. 480 Dies ergibt sich einfachgesetzlich - im Gegensatz zur Regelung des § 14 Nr. 1 BerlVerfGHG aus dem Wortlaut von § 63 BVerfGG. 481 Nach herrschender Auffassung ist auch Art. 931 Nr. 1 GG selbst zu entnehmen, daß als „andere Beteiligte" neben den obersten Bundesorganen nur solche Rechtsträger in Betracht kommen können, die vergleichbare Rechte wie die obersten Bundesorgane besitzen. Die „äußere Gleichstellung" der „obersten Bundesorgane" mit den „anderen Beteiligten" führe dazu, daß die diesen zugewiesenen Rechte und Pflichten in ihrer Bedeutung für die Verfassungsordnung, denen der obersten Bundesorgane gleichstehen müssen.482

478 BerlVerfGH, Beschl. v. 6. Oktober 1998, 46/89. Eine Zusammenfassung dieses Beschlusses findet sich in NJ 1998,648. 479 Art. 87 a II 3 BerlVerf 1950, der die Fraktionen der BVV erwähnte, ist gestrichen worden. 480 BVerfGE 13, 54, 95 f. Aus der umfangreichen Literatur siehe nur Maunz/SchmidtBleibtreu/Klein/Ulsamer, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, 1998, § 63 Rn. 20 mwN. 481 Nach dieser Vorschrift können Antragsteller bzw. Antragsgegner der Bundespräsident, der Bundestag und die im Grundgesetz mit eigenen Rechten ausgestatteten Teile dieser Organe sein. 482 Meyer, in: von Münch/Kunig, GGK III, 1996, Rn. 27 zu Art. 93.

D. Berlin

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Es ist hier nicht der Ort, die Auslegung von Art. 93 I Nr. 1 GG durch die herrschende Auffassung einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Festgehalten sei nur, daß zumindest der Wortlaut der Verfassungsvorschrift eher gegen diese Auffassung spricht. Legt man die Auffassung der herrschenden Meinung zum bundesrechtlichen Verfahren dem Verfahren nach der Berliner Verfassung zugrunde, dann muß man im Ergebnis der Ansicht des Berliner Verfassungsgerichtshofs folgen und nach der geltenden Rechtslage sowohl der BVV, dem Bezirksamt sowie den Fraktionen der BVV die Beteiligtenfähigkeit im Organstreitverfahren absprechen. Der Wortlaut der Verfassungsnormen (Art. 93 I Nr. 4 GG und Art. 84 Π Nr. 1 BerlVerf) ist fast identisch. Der Entstehungsgeschichte von Art. 84 Π Nr. 1 BerlVerf ist nicht zu entnehmen, daß das Organstreitverfahren von Berlin abweichend vom bundesrechtlichen Organstreitverfahren geregelt werden sollte. Zwar hat die EnqueteKommission die Frage erörtert, ob ein solches Verfahren für die bezirklichen Organe nach dem Berliner Verfassungsrecht abweichend von dem bundesgesetzlichen Verfahren geregelt werden sollte, diese aber nicht entschieden.483 Diese Überlegung, nicht nur obersten Landesorganen, sondern auch den Bezirksorganen die Beteiligtenfähigkeit zum Organstreitverfahren einzuräumen, sind vom Verfassungsgeber nicht aufgegriffen worden. Damit stehen den Bezirken nach geltender Rechtslage keine verfassungsrechtlichen Verfahren gegen Eingriffe der Hauptverwaltung zur Verfügung. Auch Streitigkeiten der Bezirksorgane untereinander können mangels Verfassungsbeschwerde- bzw. Beteiligtenfähigkeit nicht vor dem Berliner Verfassungsgerichtshof ausgetragen werden.

3. Verwaltungsrechtliche Verfahren Unter VII. 4. ist im einzelnen dargelegt worden, daß den Bezirken von der Verfassung Berlins eine Einrichtungsgarantie, eine objektive Rechtsinstitutionsgarantie sowie eine subjektive Rechtsstellungsgarantie gewährleistet ist. Damit wurde zugleich die Frage nach dem Bestehen eines subjektiv-öffentlichen Rechts auf bezirkliche Selbstverwaltung sowie die Möglichkeit, eine Verletzung dieses Rechts vor den Verwaltungsgerichten geltend zu machen, bejaht. Welche Verfahren zwischen den Bezirksorganen untereinander und zwischen Bezirken bzw. den Bezirksorganen und der Hauptverwaltung im einzelnen in Betracht kommen, ist Gegenstand des folgenden Abschnitts.

483 Siehe hierzu auch BerlVerfGH, NVwZ 1993,1098. Nach Zivier steht den Bezirksorganen (wohl) schon nach geltendem Recht das Recht zum verfassungsgerichtlichen Organstreitverfahren zu. Eine Begründung dieser Ansicht fehlt. Zivier, Verfassung und Verwaltung von Berlin, 1998, § 85, Rn. 85.3.1.

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1. Teil: Die Untersuchungsobjekte Berlin und Hamburg

a) Innerbezirkliche

Organstreitverfahren

Keiner näheren Erörterung bedarf die Frage nach der Zulässigkeit von Verfahren der Bezirksorgane untereinander, da diese vom Verwaltungsgericht Berlin seit langem anerkannt ist und auch von der Literatur nicht bestritten wird. In der Vergangenheit gab es zahlreiche Fälle, in denen Organe der Bezirke ihre organinternen Streitigkeiten vor dem Verwaltungsgericht ausgetragen haben. So gingen der eben erörterten Entscheidung des Berliner Verfassungsgerichtshofs zum Verfassungsbeschwerdeverfahren der Fraktion der BVV verwaltungsrechtliche Organstreitverfahren zwischen dem Beschwerdeführer - Fraktion der CDU - und der BVV voraus. Das OVG Berlin als Berufungsinstanz hatte ausdrücklich festgestellt, daß es sich bei diesem Verfahren um ein verwaltungsrechtliches Organstreitverfahren handelt, also um eine öffentlichrechtliche Streitigkeit nicht verfassungsrechtlicher Art iSd § 40 VwGO. Dieser Auffassung hat sich der Berliner Verfassungsgerichtshof ausdrücklich angeschlossen.484 Allgemein ist in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung Berlins die Klagebefugnis von Fraktionen einer BVV gegen die BVV, deren Vorsteher oder das Bezirksamt nicht mehr streitig. 485 So ist beispielsweise das Bestehen eines gerichtlich durchsetzbaren Anspruchs der Fraktionen einer BVV, gemäß ihrer Fraktionsstärke mit Bürgerdeputierten in den dafür vorgesehenen Ausschüssen vertreten zu sein, vom Verwaltungsgericht Berlin anerkannt worden. 486 In diesem Verfahren hat das VG Berlin auch entschieden, daß eine Fraktion einer BVV einer anderen Fraktion durch einstweilige Anordnung beim Verwaltungsgericht verbieten lassen kann, mehr Wahlvorschläge einzureichen, als ihrer Fraktionsstärke entspricht.487 In einer weiteren Entscheidung sah das Verwaltungsgericht die Abwahl eines Bezirksamtsmitgliedes durch die BVV als einen anfechtbaren Verwaltungsakt iSd § 35 VwVfG, § 42 I I VwGO an. 4 8 8 Diese Qualifizierung ist nicht zutreffend. Nach Art. 60 BerlVerf 1950/Art. 76 BerlVerf 1995 kann die BVV mit einer Zweidrittelmehrheit ein Mitglied des Bezirksamts vor Beendigung der Amtszeit abberufen. Be- und Abberufung der Bezirksamtsmitglieder erfolgt also durch (Ab-)Wahl durch die BVV, die bei ihrer Entscheidung an keine rechtlichen Voraussetzungen 484 BerlVerfGH, NVwZ 1993, 1093, 1094. 485 Neumann, in: Pfennig/Neumann, Verfassung von Berlin, 1987, Art. 50, 51 Rn. 15. Entscheidungen der Verwaltungsgerichte Berlins zu Anträgen auf einstweilige Anordnungen von Fraktionen einer BVV gegen die BVV: VG Berlin, Beschl. v. 23. Juni 1992-1 A 185/ 92 OVG Berlin, Beschl. v. 24. Juni 1992-8 S 195/82 - ; OVG Berlin, Beschl. v. 2. Juli 1985-8 S 208/85 - ; OVG Berlin, Beschl. v. 22. Juni 1988-8 Β 27/87 - . 486 VG Berlin, DVB1. 1976, 271. Gemäß § 21 S. 1 BezVG werden die Bürgerdeputierten aufgrund von Wahlvorschlägen der Fraktionen gewählt. 487 VG Berlin, DVB1. 1976, 271. Zur Besetzung der Ausschüsse nach § 9 BezVG siehe OVG Berlin v. 11. Mai 1983-3 Β 30/82-. 488 Entscheidung v. 27. Mai 1986, zitiert nach Neumann, in: Pfennig/Neumann, Verfassung von Berlin, 1987, Art. 60 Rn. 5.

D. Berlin

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gebunden ist. Nach herrschender Auffassung sind die kommunalen Vertretungskörperschaften sowie die Vertretungskörperschaften anderer öffentlicher Anstalten, Körperschaften oder Stiftungen, wenn sie im Bereich der Selbstgestaltung ihrer verfassungsmäßigen Ordnung tätig werden, keine Verwaltungsbehörden iSd § 1 IV VwVfG. 4 8 9 Ihre in diesem Bereich gefaßten Beschlüsse sind daher keine Verwaltungsakte.490 Statt einer Anfechtungsklage hätte eine Klage auf Feststellung der Nichtigkeit des Beschlusses der BVV erhoben werden müssen.

b) Verfahren

gegen Eingriffe

der Hauptverwaltung

Es ist bereits ausführlich dargestellt worden, daß der Verfassungsgesetzgeber die Bezirke als Kontrastorgane zur Hauptverwaltung ausgestaltet hat, die nicht nur der Organisation hierarchisch staatlicher Willensbildung, sondern auch der innerkörperschaftlichen Machtbalance dienen. Deshalb steht den Bezirken sowie ihren Organen auch eine Klagemöglichkeit gegen Eingriffe der Hauptverwaltung vor den Verwaltungsgerichten zu. Zu prüfen bleibt, ob eine solche Klagemöglichkeit nicht nur für die Rechtsaufsicht, sondern auch für das Eingriffsrecht nach § 13 a AZG 1998 besteht. Nach herrschender Ansicht zum verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz der Gemeinden in Flächenstaaten sind fachaufsichtsrechtliche Weisungen in Angelegenheiten des übertragenen Wirkungskreises gerichtlich überprüfbar, wenn das Weisungsrecht der Fachaufsichtsbehörde generell eingeschränkt ist. 491 Da in Berlin die Fachaufsicht nicht nur eingeschränkt ist, sondern zugunsten des auf Einzelfälle beschränkten Eingriffsrechts in die Bezirksaufgaben abgeschafft wurde, muß den Bezirken Berlins gegen Eingriffe nach § 13 a AZG a maiore ad minus eine Klagemöglichkeit zuerkannt werden. Als Beispiel für eine gerichtlich anfechtbare Aufsichtsmaßnahme des Senats außerhalb der §§ 9 ff. AZG soll hier noch eine Fallkonstellation, die das Verhältnis von BVV zum Bezirksamt betrifft, genannt werden. Nach § 18 iVm § 3 Π b

489 OVG Lüneburg ν. 1. September 1950, Amtl. Samml. Bd. 2, S. 225, 227; Ule, Verfassungsprozeßrecht, 1987, Anhang zu § 32 II; von Mutius, Kommunalrecht, 1996, Rn. 840. Die kommunale Vertretungskörperschaft ist in der Regel nur internes Willensbildungsorgan. Es fehlt ihr damit die Befugnis, nach außen hin Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrzunehmen. 490 ule, Verfassungsprozeßrecht, 1987, § 32 II 5. 491 Bay VGH, BayVBl. 1977, 152 ff.; Bay VGH, Bay VB1. 1979, 305 ff. mwN. In den übrigen Fällen geht die herrschende Auffassung davon aus, daß Maßnahmen der Fachaufsicht im allgemeinen nicht angefochten werden können, da ihnen das für die Annahme eines Verwaltungsakts notwendige Merkmal der unmittelbaren Außenwirkung fehle, jedenfalls aber keine Verletzung in eigenen Rechten möglich sei. BVerwGE 6, 101, 102...19, 121, 123 st. Rspr., zuletzt BVerwG, DVB1. 1995, 744; von Mutius, Kommunalrecht, 1996, Rn. 847 ff. mwN. Nachweise für die entsprechenden Normen in den Landesverfassungen und Kommunalordnungen finden sich in den Fußn. 2 und 3. Kritisch zu dieser Auffassung Schmidt-Jortzig, JuS 1979,488 ff. sowie Lübking/Vogelgesang, Die Kommunalaufsicht, 1998, Rn. 307.

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1. Teil: Die Untersuchungsobjekte Berlin und Hamburg

BezVG kann das Bezirksamt einen Beschluß der BVV, der seiner Ansicht nach gegen Rechtsvorschriften, gegen Verwaltungsvorschriften oder gegen eine Eingriffsentscheidung verstößt, binnen zwei Wochen unter Angabe der Gründe beanstanden. 492 Bestätigt der Senator für Inneres als Bezirksaufsichtsbehörde ( § 9 1 2 AZG) die Beanstandung des Bezirksamts und macht er damit den BVV-Beschluß unwirksam, so berührt diese Entscheidung die objektive Rechtsinstitutionsgarantie der Bezirke und kann als Ausfluß der subjektiven Rechtsstellungsgarantie vor dem Verwaltungsgericht angefochten werden. 493

4· De lege ferenda Den Bezirken steht schon nach geltendem Recht die Möglichkeit zu, gegen Aufsichtsmaßnahmen der Hauptverwaltung gerichtlich vorzugehen. Mit Rücksicht auf die Rechtssicherheit wäre es begrüßenswert, wenn der Landesgesetzgeber den Bezirken sowie seinen Organen als Behörden nach § 61 Nr. 3 VwGO die Fähigkeit, Beteiligte des Verwaltungsverfahrens zu sein, ausdrücklich zuerkennen würde. Insoweit ist auch eine gesetzliche Beschränkung auf einzelne Maßnahmen denkbar, um eine Rut von Rechtsstreitigkeiten zwischen Bezirken und Hauptverwaltung zu vermeiden. So erscheint ein Formulierungsvorschlag von Püttner aus dem Jahre 1966 noch heute bedenkenswert, wonach die Bezirke als Beteiligte im Verwaltungsstreitverfahren zuzulassen seien, soweit es sich um Klagen gegen die Beeinträchtigung ihrer verfassungsmäßig oder gesetzlich festgelegten Selbstverwaltungsbefugnisse durch Verwaltungsverordnungen, Richtlinien oder Verwaltungsakte übergeordneter Behörden handelt.494 Mit einer entsprechenden Regelung wäre die bestehende Rechtsunsicherheit beseitigt und würde die Eigenverantwortlichkeit der Bezirke gegenüber einzelnen Maßnahmen der Hauptverwaltung in einem entscheidenden Punkt verbessert. Hierbei ist zu bedenken, daß der Rat der Bürgermeister noch 1998 davon ausging, daß es sich bei Klagen der Bezirke gegen Akte der Hauptverwaltung um einen unzulässigen Insichprozeß handeln würde. 495 Weiter sollten die Bezirke als Beteiligte eines verfassungsgerichtlichen Organstreits anerkannt werden. Durch die Möglichkeit, ihre Rechte vor einem Verfassungsgericht gegenüber Akten oberster Landesorgane geltend machen zu können, wäre ihre Stellung im Verfassungs- und Verwaltungsgefüge nachhaltig gestärkt. 492 Sowohl § 3 BezVG als auch § 18 BezVG sind durch das zweite Verwaltungsreformgesetz geändert worden. Entsprechend der Neuregelung von § 13 a AZG ist die Einzelweisung durch das Eingriffsrecht des Senats oder des zuständigen Mitgliedes des Senats ersetzt worden. 493 So auch Neumann, der von einem Eingriff in die bezirkliche Selbstverwaltungsgarantie spricht. Neumann: Pfennig/Neumann, Verfassung von Berlin, 1987, Art. 56 Rn. 10.

494 Püttner, JR 1966, 81, 84. 495 AbgH.-Drs. 13/1872, S. 31, 32.

E. Hamburg

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Dagegen würde die Einräumung einer Beteiligtenfähigkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren der Systematik dieses Verfahrens - Rechtsschutz gegen die Verletzung von Grundrechten und grundrechtsgleichen Rechten - widersprechen. Im übrigen kann der Selbstverwaltungsbereich der Bezirke verfassungsgerichtlich ausreichend durch das Normenkontrollverfahren sowie durch die Beteiligtenfähigkeit im Organstreitverfahren geschützt werden.

E. Hamburg I . Einführung Im Bewußtsein der Bevölkerung ist Hamburg als weitgehend homogenes und geschlossenes Siedlungsgebiet mit einheitlichen Lebensverhältnissen in erster Linie Stadt. 496 Auf seinem Gebiet mit einer Größe von annähernd 755 qkm leben etwa 1,6 Millionen Einwohner. 497 Damit hat Hamburg verglichen mit dem benachbarten Flächenstaat Schleswig-Holstein nur etwa ein Zwanzigstel der Fläche, aber zwei Drittel der Einwohner. In Hamburg besteht zur Zeit folgender Verwaltungsaufbau: Der Senat als die Landesregierung bestimmt die Richtlinien der Politik, führt und beaufsichtigt die Verwaltung (Art. 33 I 1 HV) und vertritt Hamburg nach außen (Art. 43 HV). Er besteht aus den Senatsmitgliedern (Senatoren), deren Zahl gesetzlich bestimmt wird, und die von der Bürgerschaft mit der Mehrheit ihrer Stimmen gewählt werden (Art. 33 Π, 34 HV). Jeder von den Senatoren leitet - im Rahmen des Kollegialprinzips - ein Ressort. Einer von ihnen übt außerdem die Aufsicht über die Bezirksämter aus. Der Hamburger Bürgerschaft gehören 121 Abgeordnete an, die über Parteilisten, nicht in Wahlkreisen gewählt werden und neben ihrer parlamentarischen Arbeit einen Beruf ausüben.498 Die Hamburger Verfassung ist im Jahre 1996 in wichtigen Punkten geändert worden. Die Verfassungsänderungen gleichen das Regierungssystem den Regelungen des Grundgesetzes weiter an. Der Erste Bürgermeister hat nun Kabinettsumbildungsrecht und Richtlinienkompetenz. Der Bürgerausschuß wurde abgeschafft. Zudem besteht nunmehr die Möglichkeit der Volksgesetzgebung. Über Änderung und Aufbau der Verwaltung entscheidet die Bürgerschaft durch Gesetz (Art. 57 S. 1 HV). Maßgebend sind das Gesetz über Verwaltungsbehörden Haas-Kommission, 1981, S. 17. 497 Meyers Neues Lexikon, 1994, Band 4, S. 266. 498 Ende 1999 haben fünf ehrenamtlich arbeitende Mitglieder der „Unabhängigen Kommission über den Status der Abgeordneten" der Bürgerschaftspräsidentin Pape (SPD) einen Bericht vorgelegt, der sich mit dem Übergewicht der Exekutive gegenüber der Legislative sowie der Arbeitsbelastung der Parlamentarier beschäftigt. Die Kommission hat empfohlen, das Ansehen der Bürgerschaft gegenüber dem Senat und in der Öffentlichkeit zu stärken.

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1. Teil: Die Untersuchungsobjekte Berlin und Hamburg

(VwBG) 4 9 9 und das Bezirksverwaltungsgesetz (BezVG). Bei der Wahrnehmung der Verwaltungsaufgaben sind drei Ebenen zu unterscheiden, die allerdings nicht als Stufen eines klar gegliederten Hierarchieverhältnisses angesehen werden können: der Senat als oberste Landesbehörde mit Assistenzeinheiten, die zentralen, nach Ressorts aufgegliederten Fachbehörden und die dezentralen, nach Stadtbezirken abgegrenzten Bezirksämter. Den Verwaltungseinheiten aller drei Ebenen sind bestimmte Aufgaben und Zuständigkeiten mit rechtlicher Außenwirkung zugewiesen, die sie selbständig wahrnehmen. Man kann die Verwaltungsstruktur in Hamburg deshalb einen Kompromiß aus dem Instanzenzug selbständiger Behörden in den Flächenländern und der Behördeneinheit der Gemeindeverwaltung bezeichnen. 500 Im übrigen liegt die Verteilung der Aufgaben auf die Verwaltungseinheiten in der Organisationsgewalt des Senats (Art. 57 S. 2 HV), der die Bindung durch § 4 Π VwBG und § 3 I I BezVG zu beachten hat: § 4 I I VwBG grenzt durch Benennung der Fachbehörden die Ressorts im groben ab. § 3 I BezVG enthält abstrakte Kriterien für eine Zuweisung von Zuständigkeiten an die Bezirksämter. Das Gebiet Hamburgs ist seit Erlaß des Bezirksverwaltungsgesetzes (BezVG) im Jahre 1949 in sieben Bezirke aufgeteilt, für die je ein Bezirksamt gebildet ist (§ 21, ΠΙ BezVG). Das Bezirksamt ist das Verwaltungsorgan des Bezirks, das von dem Bezirksamtsleiter geführt wird. Ihm ist die Bezirksversammlung (BV) als Beschlußorgan zur Seite gestellt. Die Bezirksämter nehmen für räumliche Teilgebiete bestimmte Aufgaben durch insgesamt 15 Ortsämter wahr. 501 Der Bezirksamtsleiter wird von der BV gewählt und vom Senat auf 6 Jahre bestellt (§ 16 I iVm § 26 BezVG). Er vertritt den Bezirk, bereitet die Beschlüsse der Β V vor, führt sie durch und nimmt die Geschäfte der laufenden Verwaltung wahr, soweit sie nicht von den Fachdienststellen der Bezirksämter (Verwaltungs-, Rechts-, Bau-, Gesundheits- sowie Jugend- und Sozialdezernat) erledigt werden (§ 25 BezVG). Die BVen werden von der deutschen Bevölkerung aus den Einwohnern des Bezirks zeitgleich mit den Bürgerschaftswahlen auf vier Jahre gewählt (§ 1 des Gesetzes über die Wahlen zu den BVen). Sie bestehen aus 41 ehrenamtlichen Abgeordneten, die Fraktionen bilden (§ 7 Π BezVG). Die Bezirke Hamburgs verfügen über einen Personalstand von je 1000 bis 1200 Bediensteten502 und weisen wie die Bezirke Berlins nach Bevölkerungszahl und städtebaulichem Zuschnitt den Charakter von Großstädten auf. 503 Bei manchen Bezirken wie Bergedorf und Harburg zeigt ein Blick auf die Siedlungsstruktur, daß 499 Gesetz über Verwaltungsbehörden in der Fassung v. 30. Juli 1952 - „Gesetze und Verordnungen der Freien und Hansestadt Hamburg" (Loseblattsammlung) I - 2000-1. 500 Becker/Schneider, Das Kommunalverfassungsrecht der Stadtstaaten, B. Hamburg, 1982, S. 285,295. 501 Die 15 Ortsamtsgebiete haben eine Bandbreite von 11.000 Einwohnern in Finkenwerder bis zu über 100.000 Einwohnern in Blankenese. Strenge, Verwaltungsreform im Spannungsfeld zwischen kommunaler Selbstverwaltung und Landespolitik, 1997, S. 30, 39. 502 Haas, Verwaltungsorganisationsrecht, 1988, S. 91,121. 503 Hohlbein/Jonas, Hamburgs neues Bezirksverwaltungsgesetz, 1981, S. 39.

E. Hamburg

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sie früher selbständige Städte gewesen sind. Dagegen sind beispielsweise in Altona und Wandsbek, für die lange Zeit das gleiche galt, keine siedlungsstrukturellen Grenzen mehr erkennbar. 504 Im Gegensatz zu Berlin ist für Hamburg unbestritten, daß die Hamburgische Bezirksverfassung eine Ausprägung des Prinzips der Dekonzentration ist. Das Bundesverfassungsgericht bezeichnet in der Entscheidung zum Ausländerwahlrecht die Hamburger Bezirke als dekonzentrierte Verwaltungseinheiten der unmittelbaren Staatsverwaltung Hamburgs.505 Trotz dieser unterschiedlichen Ausgestaltung der Hamburger und der Berliner Verwaltungsorganisation gleichen sich die Probleme der beiden Städte in vielen Punkten. Die Mängel der Hamburger Verwaltung sind von der Haas-Kommission eingehend beschrieben worden. Diese hat in erster Linie die Dreiteilung der Verwaltung Hamburgs in Senat, Fachbehörde und Bezirksverwaltung sowie innerhalb der Bezirksebene das Bestehen einer Art Zweistufigkeit des politisch-administrativen Systems mit Orts- und Bezirksämtern mit jeweils eigenen Ausschüssen kritisiert. 506 Weiter gibt es in Hamburg seit Jahrzehnten Auseinandersetzungen über Kompetenzen, Macht und Einfluß zwischen den Bezirksorganen einerseits, den Fachbehörden und dem Senat sowie zeitweilig auch der Bürgerschaft andererseits. Da zwischen den verschiedenen Verwaltungsebenen keine hierarchische Stufigkeit besteht und die Abgrenzung nach örtlichen sowie nach sachlichen Bereichen mangelhaft ist, bestehen unklare und sich vielfach überschneidende Zuständigkeiten, die dem Bürger die Suche nach seinem ,Ansprechpartner" in der Verwaltung erschweren. 507 Häufig spricht man in bezug auf die Verwaltung Hamburgs vom „magischen Sechseck", da vor allem bei Standort- und Bauentscheidungen sich stets die Frage stellt, welche Behörde letztlich verantwortlich ist: Die Baubehörde - die Finanzbehörde - die Stadtentwicklungsbehörde - die Umweltbehörde - das Bezirksamt - oder das Ortsamt?508 Die Haas-Kommission kritisiert ferner das Festhalten an der überkommenen Vorstellung einer Einheitsverwaltung, in der das ganze Verwaltungsgeschehen über viele Ebenen und Stufen hinweg in eine einzige Spitze geführt und von dort bestimmt und politisch verantwortet wird. Diese Annahme sei mit der Entwicklung zu einer immer umfangreicheren und vielfältigeren Verwaltung nicht zu vereinbaren. 509

504 Voscherau, Hamburg - Stadtstaat oder nur Staat ?, 1994, S. 3,4. 505 BVerfGE 83, 60, 76. 506 Haas-Kommission, 1981, S. 38. 507 Haas-Kommission, 1981, S. 48; Thiele, Die Beteiligung der Bürger an der Ausübung der Staatsgewalt, 1991, S. 133. 508 Strenge, Verwaltungsreform im Spannungsfeld zwischen kommunaler Selbstverwaltung und Landespolitik, 1997, S. 30, 35, 36. Vergleiche man, wie oft bei der Beratung eines Bebauungsplans von Beginn bis zur Verabschiedung durch Senat und Bürgerschaft die Zuständigkeiten hin- und herspringen, werde deutlich, daß durch eine eindeutige Zuordnung Aufwand, Zeit und Personal eingespart werden könnten. 509 Haas-Kommission, 1981, S. 12.

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1. Teil: Die Untersuchungsobjekte Berlin und Hamburg

Hauptstreitpunkt ist die Rechtsstellung, die der BV innerhalb des Hamburger Verwaltungsaufbaus zukommen soll. Trotz der direkt-demokratischen Legitimierung der Bezirksverordneten sind die Entscheidungsrechte dieses Gremiums denkbar gering, wenn auch in den vergangenen Jahrzehnten eine gewisse rechtliche Aufwertung der Β V festzustellen ist. In diesem Zusammenhang hat die Haas-Kommission die Frage aufgeworfen, warum überhaupt ein „Bezirksparlament" gewählt wird, wenn dieses auch in Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft keine Letztentscheidungskompetenz hat. 510 Der historische Gesetzgeber bezeichnete die BVen noch als „Bezirksausschuß" und intendierte mit der Schaffung dieses Gremiums ausschließlich die Möglichkeit der bürgerlichen Mitwirkung an der Verwaltung auch auf örtlicher Ebene. Eine zusätzliche politische Ebene innerhalb der Einheitsgemeinde war mit der Einführung der BV ursprünglich nicht gewollt. Im Lauf der Zeit entwickelten die Mitglieder der BV - verursacht durch die demokratische Legitimation und beeinflußt von der Tatsache, daß die Bürgerschaft sich in erster Linie als Landesparlament begreift ein „parlamentarisches" Selbstverständnis, welches sich mit der Rolle der Angehörigen eines reinen Verwaltungsausschusses nicht deckt. Die Unklarheit, die über die Rechtsstellung der BV noch heute besteht, zeigte sich in jüngster Zeit deutlich an den kurzfristig hintereinander erfolgten Novellen des Bezirksverwaltungsgesetzes im Jahre 1997. Die erste Novelle machte sie wieder zu reinen Verwaltungsausschüssen, die zweite Novelle glich sie in einigen Punkten wieder den Kommunalvertretungen der Flächenländer an. Für einige Aufregung hat kürzlich die Einführung eines Bürgerentscheids auf Bezirksebene geführt. 511 Mit diesem Instrumentarium besteht die Möglichkeit für Bürger mittels Bürgerinitiativen direkt den Gang der Politik zu beeinflussen. Auf dieses Rechtsinstitut wird unter E. IV. 3. eingegangen. Zum Verständnis der besonderen Problematik des Verwaltungsaufbaus Hamburgs bedarf es zunächst eines Überblicks über die geschichtliche Entwicklung der Verwaltungsstrukturen sowie der staatsorganisationsrechtlichen Stellung des Stadtstaates. In beiden Punkten bestehen wenig Parallelen zur Historie Berlins. So besitzt Hamburg schon seit vielen Jahrhunderten den Status eines Stadtstaates im weiteren Sinn. Die Einheitsgemeinde und damit die Entstehung des Stadtstaates im engeren Sinn entstammt nationalsozialistischer Gesetzgebung. Ähnlichkeiten bestehen in bezug auf die Vielzahl der Verwaltungsreformüberlegungen sowie der tatsächlich durchgeführten Reformen in den vergangenen Jahrzehnten.

510 Haas-Kommission, 1981, S. 45. 511 NZZ v. 26. Februar 1999, „Bürger und ihre Begehren in Hamburg".

E. Hamburg

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I L Geschichtliche Entwicklung bis 1937 Über den Zeitpunkt der Anerkennung Hamburgs als Freie Reichsstadt und damit die Entstehung des Stadtstaates im weiteren Sinn besteht keine Einigkeit. Die urkundliche Unanfechtbarkeit der Reichsunmittelbarkeit und damit die Unabhängigkeit von anderweitiger Territorialherrschaft wurde Hamburg über Jahrhunderte formell versagt. Insgesamt sind zwischen 1356 und 1618 vier sogenannte Immediatsprozesse ausgetragen worden, wobei am Ende des vierten Prozesses das Reichskammergericht im Jahre 1618 feststellte, daß Hamburg eine Freie Reichsstadt mit allen damit verbundenen Rechten und Pflichten sei. 512 Mit dieser formellen Anerkennung als Freie Reichsstadt ist Hamburg Stadtstaat im weiteren Sinn, da ihr spätestens ab diesem Zeitpunkt neben der Reichsunmittelbarkeit auch staatliche Rechte zustanden. Wie Bremen hat Hamburg seitdem durchgängig an der neuzeitlichen deutschen Verfassungsentwicklung als selbständiges Glied innerhalb des Gesamtstaates teilgenommen und dabei - abgesehen von der Zeit des Nationalsozialismus - stets sowohl seinen Staatscharakter als auch die Reichsunmittelbarkeit bewahren können. So überstand Hamburg den Reichsdeputationshauptschluß vom 25. Februar 1803 als eine von sechs Freien Reichsstädten. 1810 wurde die Stadt vorübergehend Frankreich einverleibt, neben den beiden anderen Hansestädten Lübeck und Bremen sowie Frankfurt am Main aber bereits in der am 8. Juni 1815 unterzeichneten Bundesakte neben 34 anderen souveränen Staaten als Mitbegründer und Glied des Deutschen Bundes aufgeführt. 513 Auch im Norddeutschen Bund von 1866 und im Deutschen Reich blieb es bei der Eigenstaatlichkeit Hamburgs.514 Ebensowenig wurde der Staatscharakter Hamburgs in der Weimarer Republik angetastet. Art. 1 HV von 1921 bezeichnet den hamburgischen Staat als eine Republik, die unter dem Namen „ Freie und Hansestadt Hamburg " ein Land des Deutschen Reichs bildete. 515 Von der Einheitsgemeinde und damit vom Stadtstaat im engeren Sinn war man in der Weimarer Republik noch weit entfernt. Auf dem Gebiet Hamburgs bestanden neben Hamburg selbst noch drei weitere Stadtgemeinden - Bergedorf, Cuxhaven und Geesthacht - sowie 27 Landgemeinden als Gebietskörperschaften

Eine knappe Zusammenfassung der geschichtlichen Entwicklung findet sich bei David, Die Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg, 1994, Art. 1 Rn. 11 ff. 513 Vgl. Reincke, Historisch-politische Betrachtungen über die Reichsunmittelbarkeit der Freien und Hansestadt Hamburg, 1952, S. 15; David, Die Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg, 1994, Art. 1 Rn. 13. 514 Bismarck betrachtete die weit verzweigten überseeischen Verbindungen und Erfahrungen Hamburgs als einen Grund, an der Eigenart seines erprobten Staatslebens nie zu rütteln. Siehe Reincke, Historisch-politische Betrachtungen über die Reichsunmittelbarkeit der Freien und Hansestadt Hamburg, 1952, S. 16 f. 515 Abgedruckt in Eckardt, Privilegien und Parlament, 1980, S. 125 f.

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1. Teil: Die Untersuchungsobjekte Berlin und Hamburg

mit dem Recht zur kommunalen Selbstverwaltung in eigenen Angelegenheiten (Artt. 67, 68 HV 1921). Die Kerngemeinde Stadt Hamburg war dagegen zentral organisiert; das heißt, nur innerhalb dieser Kerngemeinde wurden Landes- und Kommunalangelegenheiten nicht getrennt. 516

I I I . Geschichtliche Entwicklung nach 1937 Zwischen 1933 und 1945 blieb Hamburg allein seine Reichsunmittelbarkeit erhalten, wurde aber - wie alle Gliedstaaten im nationalsozialistischen Einheitsstaat - durch das Gesetz über den Neuaufbau des Reiches seiner Staatlichkeit beraubt. 517 Hamburg wurde eine reichsunmittelbare Gemeinde und zugleich ein nichtrechtsfähiger staatlicher Verwaltungsbezirk des Reichs. Die staatlichen Hoheitsrechte gingen auf das Reich über und wurden durch eine Reichsmittelbehörde wahrgenommen.518 Die Staatsaufsicht über die Städte und Landgemeinden dehnte man über die ursprünglich allein bestehende Rechtsaufsicht auf die Fach- und Dienstaufsicht aus. 519 Während des Nationalsozialismus brachte damit die Reichsunmittelbarkeit lediglich die verwaltungsorganisatorische Einordnung im Reich zum Ausdruck und hat ihren im Bundesstaatlichen begründeten Sinn verloren. Mit der territorialen Neugliederung Hamburgs durch das Reichsgesetz über Groß-Hamburg 520 (GHG) bestand Hamburg für ein Jahr bis zum 31. März 1938 aus den Städten Hamburg und Bergedorf, den preußischen Städten Altona, Harburg und Wandsbek und 44 Landgemeinden. § 1 des Gesetzes über die Verfassung und Verwaltung der Hansestadt Hamburg (HVVG) 5 2 1 Schloß diese Städte und Landgemeinden mit Wirkung vom 1. April 1938 zu einer einheitlichen Stadt Hamburg zusammen. Hatte das GHG 1937 zunächst nur zu einer räumlichen Erweiterung Hamburgs geführt, so machte das HVVG Hamburg zu einer reichsunmittelbaren einzigen Gebietskörperschaft. Mit dem Inkrafttreten des HVVG verloren die eingemeindeten Städte und althamburgischen Gemeinden ihr Recht auf kommunale Selbstverwaltung. Durch die Aufteilung in eine gemeindliche Selbstverwaltungskörperschaft und einen staatlichen Verwaltungsbezirk war von 1938 bis zum Ende des Krieges in516

Ipsen, Hamburgs Verfassung und Verwaltung, 1956, S. 74. 517 Vgl. David, Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg, 1994, Art. 1, Rn. 16. 518

Thieme, Die Entstehung des Landes Hamburg und seiner Verfassung, 1988, S. 1,2. § 6 des Gesetzes über die Neuordnung der Selbstverwaltung im Landgebiet v. 30. September 1933, GVB1. S. 377. 520 Reichsgesetz über Groß-Hamburg und andere Gebietsbereinigungen v. 26. Januar 1937, RGBl. I, S.91. 521 Gesetz über die Verfassung und Verwaltung der Hansestadt Hamburg v. 9. Dezember 1937, RGBl. I, S. 1327. 519

E. Hamburg

143

nerhalb dieser Einheitsgemeinde noch eine Doppelverwaltung staatlichen und kommunalen Charakters vorgesehen. Sieht man die Identität von Stadt und Staat als begriffswesentlich für einen Stadtstaat sowohl im engeren als auch im weiteren Sinn an, dann hat Hamburg während der Zeit des Nationalsozialismus seinen Status als Stadtstaat verloren. Ipsen dagegen bezeichnet die seit 1938 bestehende räumliche, aber rechtlich doppelgestaltige Einheit von Gemeinde und nicht rechtsfähigem staatlichen Verwaltungsbezirk als die zum Höchstmaß gesteigerte Stadtstaaatlichkeit.522 Diese Annahme erweckt in doppelter Hinsicht Bedenken. Zunächst weil sie nicht berücksichtigt, daß 1938 die staatliche Verwaltung Hamburgs vom Reich ausgeübt wurde und nicht von der Hansestadt. Außerdem weil derselbe Autor die 1946 erfolgte Zusammenführung staatlicher und kommunaler Funktionen in eine geschlossene Verwaltungsorganisation als „das Wesen ihrer Stadtstaatlichkeit" bezeichnet.523 Es ist wenig überzeugend auch den Fall der bestehenden Trennung von Staats- und Gemeindeverwaltung als Erlangung eines Höchstmaßes an Stadtstaatlichkeit zu feiern. Dieses Beispiel zeigt erneut die Schwierigkeit eines exakten Umgangs mit dem Begriff Stadtstaat. Von 1938 bis 1943 war die neu geschaffene Einheitsgemeinde Hamburg, die weder Bezirke noch Ortsämter aufwies, zentral organisiert. Mit der Bekanntmachung über die Gebietseinteilung der Hansestadt Hamburg vom 26. Oktober 1938" 524 wurde das gesamte Gebiet der Stadt entsprechend den Parteikreisen der NSDAP in zehn Kreise eingeteilt.525 Mit dieser Neueinteilung strebte man an, die bisherigen Stadtteile und früher selbständigen Gemeinden nach Möglichkeit in ihrem Umfang zu erhalten. 526 Die erste Welle der Dekonzentration erreichte die Einheitsgemeinde im Jahre 1943 als Folge der Kriegswirtschaft nach der Bombardierung Hamburgs im Sommer dieses Jahres. 527 Die Kriegs- und Nachkriegsverhältnisse erzwangen eine dekonzentrierte Wahrnehmung einer Reihe von Verwaltungsaufgaben sowie die Schaffung von Verwaltungsbezirken. 528 1 943 wurde das noch heute bestehende Ortsamtssystem eingeführt, welches sich bereits 1945 fest etabliert hatte.529 Die Selbständigkeit der Ortsämter nahm im Lauf der Zeit in erheblichem Umfang zu. Hieraus Schloß man, daß die Hamburger Verwaltung in den beiden letzten Kriegsjahren „hervorgerufen durch die bittere Notwendigkeit der Schutzmaßnahmen gegen Luftkrieg, einige Züge echter Dezentralisation aufwies". 530 522

Ipsen, Hamburgs Verfassung und Verwaltung, 1956, S. 74. Siehe hierzu die Ausführungen A. II. ™ Hamburgisches Verwaltungsblatt, Nr. 44 (1938), S. 207 ff. »5 Lange, Selbstverwaltung in Hamburg, 1980, S. 31, 32. 523

Lange, Selbstverwaltung in Hamburg, 1980, S. 33. //oflj-Kommission, 1981, S. 22; David, Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg, 1994, Art. 4 Rn. 28; Lange, Selbstverwaltung in Hamburg, 1980, S. 34 ff. 528 Teichmann, Das Ortsamt in der Hamburger Bezirksverwaltung, 1969, S. 15 ff. Der Verwaltungsapparat sollte so gestaltet werden, daß die einzelnen Teile bei einer erneuten Großkatastrophe selbständig handeln können. ™ Lange, Selbstverwaltung in Hamburg, 1980, S. 35. 527

144

1. Teil: Die Untersuchungsobjekte Berlin und Hamburg

1. Die Beibehaltung der Einheitsgemeinde nach dem Krieg Eine Zusammenfassung dieser wechselvollen geschichtlichen Entwicklung, die bedeutsame Nachwirkungen nach Kriegsende entfaltete, ist knapp und überzeugend von David geleistet worden: „Die Hamburger Verwaltung hatte innerhalb von weniger als 15 Jahren einen Prozeß von einer ausgeprägten Dezentralisierung über eine autoritäre Zentralisation, die aus Gründen der Zweckmäßigkeit durch Dekonzentration aufgelockert wurde, durchlaufen, der nach Kriegsende in die Ambivalenz einander entgegengesetzter Bestrebungen zentraler und dezentraler Art führte." 531

Die von David angesprochenen dezentralistischen Bestrebungen nach 1945 waren insgesamt weniger ausgeprägt als in Berlin. So wurde in Hamburg eine Aufgliederung in rechtsfähige Kommunen und damit eine Rückkehr zur Gemeindeverfassung vor 1937 kaum debattiert. In der Mitteilung Nr. 6 des Senats an die Bürgerschaft vom 13. 1. 1948 heißt es hierzu: „Das geschlossene relativ kleine Gebiet der Freien und Hansestadt Hamburg stellt eine einheitliche Siedlungsstruktur in gemeinsamer Wirtschafts- und Siedlungsaufgabe dar. Jede Trennung in wirklich selbständige Gebietskörperschaften muß zur Trennung von vorhandenen Bindungen außerstaatlicher Art führen. Gemeindegrenzen innerhalb der Freien und Hansestadt Hamburg würden immer natürliche Zusammenhänge, die sich aus der gemeinsamen Aufgabe ergeben, in höherem Maße zerreißen müssen, als es in anderen Ländern der Fall ist und als es vor 1933 in Hamburg der Fall war." 532

Trotz dieser Absage an die Bildung von rechtsfähigen Gemeinden innerhalb von Hamburg kam es nach dem zweiten Weltkrieg zum teilweisen Abbau der zentralistischen Verwaltungsstruktur. Eine mittlere Position zwischen den bestehenden zentralistischen und kommunalfreundlichen Tendenzen nahm das sogenannte Mulert-Gutachten ein, welches der ehemalige Präsident des preußischen und deutschen Städtetags Mulert im Auftrage des Senats zur Neuordnung der kommunalen Verwaltung der Hansestadt Hamburg 1948 abgegeben hat. 533 Seine Überlegungen haben Eingang gefunden in das von der Hamburger Bürgerschaft am 21. September 1949 beschlossene Bezirksverwaltungsgesetz, das die Einteilung der Stadt nach Bezirken und Ortsämtern vorschrieb. Dieses Modell der Bezirkseinteilung findet in der Verfassung von 1952 in dem bis heute unveränderten Art. 4 Π HV seinen Niederschlag. Allerdings ist in dieser Vorschrift 530

Mulert, Die Neuordnung der kommunalen Verwaltung der Hansestadt Hamburg, 1948,

S. 115. 531

David, Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg, 1994, Art. 4 Rn. 29. Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft Nr. 6 v. 13. Januar 1948. Zitiert nach Bürgerschafts-Drs. 15/5357, S. 2 533 Die Bandbreite der Vorschläge zur Neuorganisation der Verwaltung bewegte sich zwischen den „zentralistischen" Überlegungen des Senators Nevermann und den „kommunalfreundlichen" Vorschlägen des Senators Frank. Siehe hierzu Hohlbein/Jonas, Hamburgs neues Bezirksverwaltungsgesetz, 1981, S. 9. 532

E. Hamburg

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weder der Begriff Bezirk noch die Bildung von Verwaltungseinheiten zwingend vorgesehen. Mulerts Vorschlägen zur Ausgestaltung der Bezirksverfassung lag die Vorstellung zugrunde, daß der Forderung nach Teilhabe des Bürgers am ehesten durch eine Dezentralisierung der Verwaltung entsprochen werden kann. 534 Den zum Zwecke der Dezentralisation zu schaffenden Verwaltungsbezirken sollte aber nicht die Stellung der Kommunen in Flächenländern eingeräumt werden, weil die Regierung eines Stadtstaates auf Sicherung der Einheitlichkeit der Gesamtverwaltung zu achten habe. 535 Bereits im Bezirksverwaltungsgesetz von 1949 war vorgesehen, daß die Bezirksämter Aufgaben wahrzunehmen haben, die ihnen vom Senat zugewiesen werden. Bis 1978 war die Tätigkeit der Bezirksämter sowie der BVen den Weisungen sowohl des Senats als auch von Fachbehörden untergeordnet gewesen. Beiden stand ein Evokationsrecht zu, durch das sie alle Bezirksangelegenheiten an sich ziehen konnten. Die Novelle des Bezirksverwaltungsgesetzes von 1978 brachte in diesen Punkten wichtige Neuregelungen.

2. Die Novelle des Bezirksverwaltungsgesetzes von 1978 Wie in der Einführung zu diesem Kapitel erwähnt, ist seit Geltung der Nachkriegsverfassung die Rolle der BV innerhalb der Hamburger Verwaltungsorganisation heftig umstritten. Das umfassende Weisungs- und Evokationsrecht von Senat und Fachbehörden wurde von den Bezirksabgeordneten als Einschränkung ihrer Befugnisse und ihres Selbstverständnisses als gewählte Vertreter des Bezirksvolks empfunden. 536 Die Koalitionspartner SPD und FDP vereinbarten aufgrund dieses Spannungsverhältnisses im Jahre 1974, daß im Laufe der 8. Legislaturperiode der Status der BVen zu überprüfen und gegebenenfalls ihre Zuständigkeiten zu erweitern seien. Auch die CDU-Fraktion hat zu Beginn der Legislaturperiode 1974 Vorschläge zur Reform des Bezirksverwaltungsgesetzes gemacht. Neben Neuregelungen dieses Gesetzes plante sie eine Änderung der Hamburger Verfassung, die zu einer stärkeren Trennung der staatlichen und gemeindlichen Tätigkeit führen sollte. Vorgesehen war auch, daß die Bezirke abschließend und für den Senat verbindlich ihre Angelegenheiten entscheiden können.

534 Wörtlich heißt es: „Wahrend sich eine zentrale Verwaltung ihrer Aufgabe entsprechend in erster Linie mit der Organisationsaufgabe als solcher befassen muß, so geht es bei der dezentralisierten Verwaltung, bei der örtlichen Selbstverwaltung, unmittelbar um den Menschen". Mulert, Die Neuordnung der kommunalen Verwaltung der Hansestadt Hamburg, 1948, S. 23. 535 Mulert, Die Neuordnung der kommunalen Verwaltung der Hansestadt Hamburg, 1948, S. 27 f. 536 Hohlbein/Jonas, Hamburgs neues Bezirksverwaltungsgesetz, 1981, S. 10. 10 Deutelmoser

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1. Teil: Die Untersuchungsobjekte Berlin und Hamburg

Die Koalition von SPD und FDP ging dagegen von der Entbehrlichkeit der Verfassungsänderung aus. Mit den Stimmen dieser beiden Parteien wurde 1978 das Bezirksverwaltungsgesetz umfassend neu gefaßt. Gemäß § 3 BezVG von 1978 führen die Bezirksämter selbständig diejenigen Aufgaben der Verwaltung durch, die nicht wegen ihrer übergeordneten Bedeutung oder ihrer Eigenart einer einheitlichen Durchführung bedürfen. Damit war eine gesetzliche Richtlinie für den Senat geschaffen worden, die dieser bei der Zuteilung der Aufgaben zu beachten hat. Das Ziel nach vermehrter Teilnahme der Bürger an der Verwaltung versuchte man durch eine Stärkung der Befugnisse der BV zu erreichen. So erhöhte man im Bereich der Haushaltswirtschaft die Einflußmöglichkeiten der BVen, ohne ihnen aber eine eigene Etathoheit zuzuerkennen.537 Weiter ist die grundsätzlich bindende Wirkung der Beschlüsse der BV in Bezirksangelegenheiten Gesetz geworden. Das heißt, abweichend von der früheren Gesetzeslage sind die BVen seit 1978 bei ihren Beschlüssen nicht mehr an fachliche Weisungen der Fachbehörden gebunden. Die Bezirksamtsleiter, die bisher „im Einvernehmen" mit der BV vom Senat bestellt worden sind, werden nunmehr von der BV durch Wahl vorgeschlagen und anschließend vom Senat bestellt.538

IV. Reformansätze seit 1982 Kurz nach der Novellierung des Bezirksverwaltungsgesetzes im Jahre 1978 begann - ausgelöst durch den sogenannten Stolzenbergskandal - bereits die nächste große Verwaltungsreformdebatte, die zur Einsetzung der Haas-Kommission führte. 539 Ende 1981 legte die Haas-Kommission ihren Bericht vor. Die ausgearbeiteten Vorschläge verfolgten insbesondere zwei Ziele: Soweit als möglich eine weitere Dezentralisierung durch Stärkung der Bezirke voranzutreiben sowie eine Straffung und Effizienzsteigerung der Verwaltung vom Senat her durch mehr generelle Steuerung und Koordinierung zu erreichen. Im folgenden werden die Einzelvorschläge der Haas-Kommission zur Stärkung der bezirklichen Eigenständigkeit vorgestellt und gleich einer Bewertung unterworfen.

537

Siehe hierzu im einzelnen Hohlbein/Jonas, Hamburgs neues Bezirksverwaltungsgesetz, 1981, S. 11. «8 Vgl. hierzu § 1 BezVG 1978, § 1 IV des Gesetzes über Verwaltungsbehörden. Zur Reform der Bezirksverwaltung von 1978 siehe Thieme, Die Verwaltung 1979, 232 ff. Er betont, daß viele von der Reform enttäuscht waren, da sie eine echte Kommunalisierung der Bezirke gegenüber Senat und Fachbehörden erhofft hatten. Thieme, Die Verwaltung 1979,232,243. 539 Auf dem Gelände der Firma Stolzenberg war viele Jahre lang Munition für spielende Kinder zugänglich gewesen. Dies war vielen städtischen Dienststellen bekannt, die sich aber aufgrund unklarer Zuständigkeiten nicht zum Eingreifen entschließen konnten. Durch eine Explosion kam ein Kind schließlich zu Tode.

E. Hamburg

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1. Vorschläge der Haas-Kommission zur Stärkung der Eigenständigkeit der Bezirksebene Die Haas-Kommission hat die gesamte Hamburger Verwaltung kritisch überprüft und insgesamt 48 Verbesserungsvorschläge vorgelegt, deren Umsetzung teilweise Verfassungsänderungen erforderlich machen würden. Davon betreffen 12 Vorschläge die Umsetzung des Ziels einer verstärkten Trennung zwischen der verflochtenen Verantwortung der zentralen und örtlichen Stellen sowie die Stärkung der Eigenständigkeit der Bezirksebene.540 Die Umsetzung dieser Vorschläge hätte zu einer weitgehenden Angleichung an die heutige Rechtsstellung der Berliner Bezirke geführt. Dies kann man zum einen dem materiell-rechtlichen Gehalt der Einzelvorschläge entnehmen, welcher der geltenden Rechtslage in Berlin weitgehend entspricht. Außerdem ergibt es sich aus dem Umstand, daß die Kommission im Rahmen der von ihr gemachten Einzelvorschläge eine Abweichung von einer Berliner Regelung fast immer begründet hat. Ausgangspunkt der Vorschläge der Haas-Kommission ist die Einheitsgemeinde mit Bezirksämtern. 541 Die angestrebte Entkopplung der politischen Verantwortung von Senat und Bürgerschaft auf der einen Seite und der BVen auf der anderen Seite setzt nach Ansicht der Kommission für die Zukunft die Verselbständigung der Bezirke in entscheidenden Punkten voraus, damit diese eigenverantwortlich in allen Angelegenheiten von örtlicher Bedeutung entscheiden können. Die Kommission schlägt zunächst die Einführung eines Subsidiaritätsgrundsatzes zugunsten der Bezirke vor: Alle nicht ausdrücklich dem Senat oder den Fachbehörden vorbehaltenen Aufgaben sollen in Zukunft Bezirksaufgaben werden. 542 Eine eigenverantwortliche Bezirksebene erhofft die Kommission weiter durch die Unterscheidung in Fach- und Rechtsaufsicht zu erreichen. Dies erfordere eine Unterscheidung der bezirklichen Aufgaben - abgestuft nach der Freiheit bei der Aufgabenerfüllung - nach freien Aufgaben, Pflichtaufgaben und Weisungsaufgaben. Fachaufsicht soll nur noch bei Weisungsaufgaben möglich sein, bei bezirkseigenen Aufgaben sollen die Bezirke nur noch der Rechtsaufsicht unterliegen.543 Weiter dürfe der Senat nur bei den vom Gesetzgeber zu regelnden Pflichtaufgaben allgemeine Verwaltungsvorschriften erlassen. In bezug auf das Haushaltswesen ist die Kommission der Auffassung, daß die Bezirke auch unter den besonderen Bedin540 //üäs-Kommission, 1981, S. 102 ff. 541 Zur Aufhebung der Mängel in der Verwaltung Hamburgs diskutiert die Kommission zwei alternative Lösungsmodelle: Das „ZentralmodeH" und das „Gemeindemodeir. HaasKommission, 1981, S. 100 ff. Die Gutachter haben im Ergebnis das Gemeindemodell verworfen, gleichzeitig aber versucht, die Mängelbereiche durch Einbeziehung von wichtigen Punkten des Gemeindemodells zu beseitigen. 542 Neben Aufgaben des Schulträgers sei den Bezirken insbesondere die Bebauungs- und Landschaftsplanung zuzuweisen. 543 Die Rechtsaufsicht solle von einer Stelle ohne gleichgelagerte Fachaufgaben, am besten beim Senatsamt für Bezirksangelegenheiten, wahrgenommen werden. 1*

148

1. Teil: Die Untersuchungsobjekte Berlin und Hamburg

gungen der Einheitsgemeinde weitgehend selbständig den fiir ihren Verwaltungsbereich geltenden Haushaltsplan aufstellen und bewirtschaften sollen. Deshalb müßten sie für ihre eigenen Angelegenheiten das Etatrecht im Rahmen globaler Zuweisungen der Bürgerschaft erhalten. 544 Die BV soll ein politisch verantwortliches und politisch wirkendes Gremium werden, welches die Verwaltung des Bezirks kontrolliert und Grundsatzentscheidungen zu den örtlichen Angelegenheiten faßt, den Haushaltsplan beschließt und den Bezirksbürgermeister wählt. Außerdem soll der BV in der Zukunft ein eingeschränktes Verordnungsrecht eingeräumt werden. 545 Der stärkeren Betonung des politischen und gleichsam parlamentarischen Charakters der Β V und ihrem Rückzug aus der laufenden Verwaltung entspricht die anvisierte geänderte Stellung der Bezirksamtsleiter, die künftig Bezirksbürgermeister heißen sollen. In ihrer Funktion als Bindeglied zwischen Kommunalpolitik und Verwaltung sollen die Bezirksbürgermeister zu auf Zeit bestellten Wahlbeamten und damit politisch aufgewertet werden. Dagegen spricht sich die Kommission gegen eine Wahl und Bestellung der Dezernenten - entsprechend den von der BVV gewählten Berliner Stadträten - aus, um die Kontinuität der Verwaltungsführung zu wahren und eine zu starke Politisierung der Verwaltung zu vermeiden.546 Die Haas-Kommission hat sich im Gegensatz zur Enquete-Kommission auch mit der Frage nach dem Rechtsschutz der Bezirke auseinandergesetzt. Entsprechend dem Ziel der Haas-Kommission, die Bezirke in die Nähe kommunaler Selbstverwaltungskörperschaften mit verfassungsmäßig garantierten Rechten zu rücken, müßte den Bezirken eine wirksame Möglichkeit zur Verteidigung der neu eingeräumten Position gegeben werden. Zur Vermeidung von Unklarheiten sollte der Rechtsschutz der Bezirke gegen Aufsichtsmaßnahmen im Rahmen der Rechtsaufsicht gesetzlich eindeutig geregelt und ihnen insoweit die Klagebefugnis vor den Verwaltungsgerichten zuerkannt werden. 547 In Angelegenheiten von übergeordneter Bedeutung sollen die Bezirke die Möglichkeit bekommen, über einen Rat der Bezirke Stellungnahmen abzugeben. Die Kommission hat sich gegen einen Rat der Bürgermeister nach dem Berliner Modell ausgesprochen. Vielmehr sollten in Angelegenheiten, in denen ein Bezirk besonders betroffen ist, die BVen unmittelbar das Recht haben, angehört zu werden. So werde eine Beteiligung des „parlamentarischen Elements" ermöglicht.548 In der Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft vom 4. März 1986 zur „Effektivitätssteigerung der Verwaltung" wird ausdrücklich auf die Arbeiten der HaasKommission Bezug genommen. Allerdings werden die grundlegenden Strukturfra544 545 546 547 548

//^-Kommission, 1981, S. 107-109. //öos-Kommission, 1981, S. 105. Haas-Kommission, 1981, S. 106. //oos-Kommission, 1981, S. 110, 111. //^-Kommission, 1981, S. 111.

E. Hamburg

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gen nicht oder nur zurückhaltend behandelt, dafür aber zahlreiche Einzelfragen des Verwaltungsablaufs aus der Sicht des Senats erörtert. 549 Bis auf die Rahmenmittelzuweisung an die Bezirke ist bis heute keiner der Vorschläge der Haas-Kommission umgesetzt worden. Wie die Enquete-Kommission sieht die Haas-Kommission in der rechtlichen Aufwertung der Bezirksebene - innerbezirklich durch die Einräumung eines parlamentsähnlichen Status der BV - die Möglichkeit zum Abbau der beschriebenen Verwaltungsdefizite in Hamburg. Die Einzelvorschläge der Haas-Kommission zur Stärkung der bezirklichen Eigenverantwortlichkeit entsprechen in vielen Punkten der geltenden Bezirksverfassung Berlins. Wie ausführlich begründet wurde, reichen aber weder die gegenwärtige Rechtslage in Berlin noch die Vorschläge der Enquete-Kommission aus, um der Bezirksebene innerhalb der Einheitsgemeinde die notwendige Eigenständigkeit zu gewährleisten. Betrachtet man die Einzelvorschläge der Haas-Kommission isoliert, dann ist insbesondere die Forderung nach einer positiv-rechtlichen Fixierung einer verwaltungsrechtlichen Klagebefugnis der Bezirke zu begrüßen.

2. Konzepte der Parteien In Übereinstimmung mit den Vorschlägen der Haas-Kommission forderten die Oppositionsparteien GAL/Die Grünen und die CDU im vergangenen Jahrzehnt programmatisch und in vielen Anträgen in der Bürgerschaft eine rechtliche Aufwertung der Bezirksebene. Häufig verwandte man das Schlagwort von der Stärkung der bezirklichen Demokratie. Im Jahre 1987 änderten CDU und GAL /Die Grünen mit ihrer damaligen Mehrheit - ohne eine Koalition zu bilden - gemeinsam das Bezirksverwaltungsgesetz in einem wichtigen Punkt: Die freie Wahl des Bezirksamtsleiters durch die BV wurde wieder eingeführt, nachdem sie von der SPD kurz vorher abgeschafft worden war. Im selben Jahr erfolgte ein weiterer wichtiger rechtspolitischer Verstoß durch die CDU-Fraktion in Form eines Antrages zu einer umfassenden Reform des Bezirksverwaltungsgesetzes in der Bürgerschaft. 550 Auch diese Vorschläge zielten auf eine weitere Verselbständigung der Bezirke, insbesondere einer Stärkung der BV. Im Gegensatz zu den Reformvorschlägen von 1974 sollten die Bezirke den Gemeinden angenähert werden, ohne daß ihre verfassungsmäßige Stellung verändert werden sollte. Beispielsweise war für die Bezirke der Begriff „Selbstverwaltungseinheiten i. S. d. Art. 4 II HV" vorgesehen. Das Bezirksamt sollte, „soweit Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen, aufgrund eines Beschlusses der BV freie Aufgaben durchführen" können. Für den Bezirksamtsleiter war der Name „Bezirksbürgermeister" vorgesehen. Der Senat 549 Siehe hierzu die Ausführungen der Stadtstaaten-Kommission, 1988, S. 125. 550 Bürgerschafts-Drs. 13/302; ergänzt durch Drucksache 13/303 vom selben Tag, welche die Stärkung der Zuständigkeit des Bezirksamtes, namentlich in der Bauleitplanung, vorsieht.

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1. Teil: Die Untersuchungsobjekte Berlin und Hamburg

sollte nach erfolgter Wahl durch die BV zur Bestellung verpflichtet sein, sofern die Wahl Voraussetzungen gegeben sind. 551 Ein wenige Monate später in der Hamburger Bürgerschaft vorgelegter Reformantrag der GAL/Die Grünen-Fraktion, der im Abgeordnetenhaus ebenfalls keine Mehrheit gefunden hat, ging über diese Vorschläge noch hinaus.552 Nach Vorstellung von GAL/Die Grünen sollten die Bezirke wenn schon keine Gemeinden, so wenigstens „ rechtsfähige Selbstverwaltungseinheiten" werden, wobei die Rechtsfähigkeit und die Satzungsgewalt in eigenen Angelegenheiten verfassungsmäßig garantiert sein sollte. Darüber hinaus war die Eröffnung eines besonderen Gerichtsschutzes durch das Verfassungsgericht bzw. das OVG vorgesehen. Die BV sollte ein kollegiales Bezirksamt wählen, einen Bezirksbürgermeister und fünf Bezirksstadträte sowie die „Grundlinien der Verwaltungspolitik" des Bezirks bestimmen. Zur gegenseitigen Beratung von Senat und Bezirksämtern in Angelegenheiten von grundsätzlicher Bedeutung sollte ein „Rat der Bezirke" gebildet werden. Insgesamt laufen diese Vorschläge auf eine Kommunalisierung der Bezirksebene hinaus; die Bezirke sind innerhalb der Einheitsgemeinde eine eigenständige politische Entscheidungsebene in allen örtlichen Angelegenheiten.553 Für große Aufregung hat die „Streitschrift" von Thieme aus dem Jahre 1989 gesorgt, in der er die Bildung von Gemeinden für Hamburg vorschlägt.554 Seines Erachtens wird Hamburg „nur dann eine leistungsfähige Verwaltung bekommen, wenn es neben der staatlichen Verwaltung eine echte, vom Staat unabhängige gemeindliche Selbstverwaltung erhält, während die für das gesamte Land wichtigen Aufgaben allein von der Bürgerschaft und den zentralen Behörden entschieden werden." 555 Konkret schlägt er die Bildung von 15 Gemeinden556, eine strikte Funktionsteilung von kommunalen und staatlichen Aufgaben 557 sowie die Einräumung von Allzuständigkeit und Etathoheit558 der zu bildenden Gemeinden vor.

551 Heyen, DÖV 1988, 185,189. 552 Bürgerschafts-Drs. 13/354. 553 i m April 1988 hat auch der Senat einen Entwurf zu einer Bezirksverwaltungsreform und Ende des Jahres eine Novellierung dieses Entwurfes vorgelegt. In diesen Entwürfen werden viele Gesichtspunkte des Haas-Gutachtens aufgegriffen, allerdings mit einer stärkeren Orientierung in Richtung Zentralmodell. Siehe zu diesen Entwürfen Thiele, Die Beteiligung der Bürger an der Ausübung der Staatsgewalt in Hamburg, 1991, S. 142 ff. 554 Thieme, Gemeinden für Hamburg, 1989. Für die Auflösung der Einheitsgemeinde hat sich auch Thiele ausgesprochen. Thiele, Die Beteiligung der Bürger an der Ausübung von Staatsgewalt, 1991, S. 154 ff. 555 Thieme, Gemeinden für Hamburg, 1989, S. 2,2. These. 556 Als größte Gemeinde ist Hamburg mit 766.000 Einwohnern vorgesehen. Daneben soll es zwei größere Gemeinden mit mehr als 100.000 Einwohnern (Harburg und Rahlstedt) und zwölf kleinere Gemeinden geben. Thieme, Gemeinden für Hamburg, 1989, S. 26 ff. 557 Thieme, Gemeinden für Hamburg, 1989, S. 30 ff. 558 Thieme, Gemeinden für Hamburg, 1989, S. 38 ff.

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Eine diametral entgegengesetzte Vorstellung der Ausgestaltung der Bezirksebene vertritt die SPD. 1990 legte der SPD-regierte Senat die höchst kontrovers diskutierte Drucksache 500 vor, die eine Auflösung der Bezirke und ihren Ersatz durch ca. 15 Bürgerämter vorsah. 559 Neben dem Senat sollte es keine eigenständige politische Entscheidungsebene geben. Wegen des Widerstandes des Koalitionspartners FDP wurde diese Drucksache vom Senat weder beschlossen, noch in die Bürgerschaft eingebracht.560 Im sogenannten Kooperationsvertrag zwischen der SPD und der Statt-Partei nach der Wahl 1993 wurde ohne eine ausdrückliche Festlegung auf die Drucksache 500 vereinbart, daß man die Umstrukturierung der Bezirksverwaltung einschließlich der Neuordnung des Haushaltswesens der Bezirke anstrebe. In seiner Regierungserklärung formulierte Henning Voscherau etwas verklausuliert zur Maßgeblichkeit der Drucksache 500: „... für diese Reform stehen die abgeschlossenen Vorarbeiten des Senats aus der vergangenen Wahlperiode zur Verfügung, werden aber nicht Bedingung."561 Die im Juni 1997 schließlich erfolgte Änderung des Bezirksverwaltungsgesetzes wurde auf der Grundlage der Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft vom 23. April 1996 562 , in der der Senat sein Konzept für eine Reform der Bezirksverwaltung vorgelegt hat, sowie der Drucksache 500 erarbeitet. In der Mitteilung an die Bürgerschaft wird die Herausarbeitung der bestehenden strukturellen Mängel in den Verwaltungsstrukturen Hamburgs durch die Haas-Kommission lobend erwähnt. Im gesamten Senatsbericht sowie in der Novelle selbst werden aber die konkreten Reformvorschläge der Kommission nicht berücksichtigt. Die Fraktionen von GAL/Die Grünen und CDU haben vor der Wahl im Sommer 1997 einen Gesetzentwurf erarbeitet, der das Bezirksverwaltungsgesetz in entscheidenden Punkten wieder ändert. Nach der Wahl zur Hamburger Bürgerschaft, die zu einer Koalition zwischen SPD und GAL/Die Grünen führte, haben die GAL/Die Grünen- und die CDU-Fraktion in der Hamburger Bürgerschaft gemeinsam diesen Gesetzentwurf als Änderungsantrag zum Bezirksverwaltungsgesetz eingebracht.563 Dieser wurde mit den Änderungen des Antrages am 29. Oktober 1997 564 mit den Stimmen dieser beiden Parteien beschlossen. Diese erneute Novellierung des Bezirksverwaltungsgesetzes wertet die BV insbesondere durch die 559 Siehe zu diesen Überlegungen Strenge, Verwaltungsreform im Spannungsfeld zwischen kommunaler Selbstverwaltung und Landespolitik, 1997, S. 30,37 f. 560 Schmidt, GAL intern Nr. 10, 1995, S. 6.

561 Schmidt, GAL intern Nr. 10, 1995, S. 6. 562 Bürgerschafts-Drs. 15/5357. Diese Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft beruht auf einem Entwurf des damaligen Justizsenators Hoffmann-Riem v. 27. Februar 1996. Es bedurfte noch vier Senatsberatungen einschließlich weiterer Abstimmungsprozesse zwischen den Kooperationspartnern SPD und STATT-Partei bis die Mitteilung an die Bürgerschaft beschlossen werden konnte. Strenge, Verwaltungsreform im Spannungsfeld zwischen kommunaler Selbstverwaltung und Landespolitik, 1997, S. 30, 38. 563 Bürgerschafts-Drs. 16/3. 564 Bürgerschafts-Drs. 16/41.

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1. Teil: Die Untersuchungsobjekte Berlin und Hamburg

Wiedereinräumung des Rechts zur Wahl des Bezirksamtsleiters, das der BV durch die Juni-Novelle entzogen worden war, wieder auf. Die Gesetzesänderungen vom Oktober 1997 bleiben unter dem Gesichtspunkt der rechtlichen Aufwertung der Bezirksebene weit hinter den Gesetzentwürfen von CDU und GAL /Die Grünen aus den Jahren 1974, 1978 und 1987 zurück. Weiter sind nur wenige Punkte eines weiteren Antrages der GAL /Die Grünen-Fraktion vom 20. Mai 1997 an die Bürgerschaft zur Änderung des Verwaltungsreformgesetzes vom Juni 1997 565 in die Novelle vom Oktober aufgenommen worden. In der Gesetzesbegründung zu diesem Antrag heißt es, daß zugunsten einer effektiven Mitbestimmung der Bürger über die Gestaltung der Politik und ihres Umfeldes vor Ort den Hamburger Bezirken wesentlich mehr Selbstverwaltungsrechte gegeben werden müssen, als Senat und SPD bereit sind, ihnen einzuräumen.566 Hierzu sei eine umfassende Änderung der gesetzlichen Grundlagen für die Arbeit der Bezirke einschließlich der Änderung der Hamburger Verfassung notwendig, um die demokratische Beteiligung der Bevölkerung zu verwirklichen. 567 In Übereinstimmung mit dem eben dargestellten Reformantrag von 1987 ist in diesem GAL/Die Grünen-Entwurf erneut die Einführung eines Verfassungsartikels zur Absicherung der Eigenverantwortung der Bezirke vorgesehen.568 Weiter wird die Wahl des Bezirksamtsleiters durch das Volk, ein neues Wahlrecht mit der Möglichkeit des Kumulierens und Panaschierens für die BVen sowie die Abkopplung der Wahlperioden der BVen von denen der Bürgerschaft festgeschrieben. Eine Stärkung der bezirklichen Demokratie verspricht man sich weiter durch die Einschränkung des Evokationsrechts des Senats auf außergewöhnliche Fälle sowie das Recht der Bezirke, die Ausübung des Evokationsrechts beim Verfassungsgericht überprüfen zu lassen. Schließlich wird die Einführung des Magistratsprinzips bei den Bezirksämtern befürwortet, womit die Wahl der Dezernenten durch die BVen unter Berücksichtigung der Stärke der Fraktionen gemeint ist.

3. Bürgerbegehren und Bürgerentscheid Kürzlich sind Bürgerbegehren und Bürgerentscheid auf Bezirksebene mittels plebiszitärer Gesetzgebung eingeführt worden. Zusammen mit der Bundestagswahl vom 27. September 1998 hat das Hamburger Wahlvolk mit einer halben Millionen Stimmen § 8 a, der diese beiden Rechtsinstitute mit minimalen Quoren regelt, in das Bezirksverwaltungsgesetz aufgenommen. Eine geplante deutliche Absenkung der Quoren-Barriere für den Volksentscheid auf Landesebene scheiterte dagegen knapp. 565 566 567 568

Bürgerschafts-Drs. 15/7465. Bürgerschafts-Drs. 15/7465, S. 6. Bürgerschafts-Drs. 15/4000. GAL intern Nr. 10,1995, S. 6, 8.

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Das Verfahren ist folgendermaßen gestaltet: Ein Bürgerbegehren ist erfolgreich, wenn sich innerhalb von sechs Monaten nach der Anzeige des Bürgerbegehrens beim Bezirksamt drei Prozent der Stimmberechtigten des jeweiligen Bezirks für das Bürgerbegehren aussprechen. Nach Abgabe von einem Drittel der notwendigen Unterschriften dürfen die Bezirksorgane für drei Monate keine dem Bürgerbegehren entgegenstehende Entscheidung treffen. Anschließend wird über den Gegenstand des Bürgerbegehrens ein Bürgerentscheid durchgeführt, sofern die BV dem Anliegen des Bürgerbegehrens nicht innerhalb von zwei Monaten zustimmt. Bei dem Bürgerentscheid entscheidet die Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Eine Mindestbeteiligung (sog. Zustimmungsquorum) ist nicht vorgesehen569 Der neu geschaffene § 8 a BezVG führt auf den ersten Blick zu einem beträchtlichen Machtzuwachs der Bezirksebene, da er es ermöglicht, daß der Wille eines unter Umständen sehr kleinen Teils des Bezirksvolks sich gegen den Willen des Gesamtvolkes Hamburgs durchsetzen kann. Es ist deshalb wenig überraschend, daß sich bereits mehrere Mitglieder des Senats negativ in bezug auf diese Regelung ausgesprochen haben.570 Allerdings ist der Machtzuwachs der Hamburger Bezirke mehr politischer als rechtlicher Natur. Das ergibt sich aus folgendem: Bürgerentscheide haben die Wirkung eines Beschlusses der BV (§ 8 a X I BezVG). Bürgerbegehren können in allen Angelegenheiten, in denen die BV Beschlüsse mit verbindlichem oder empfehlendem Charakter fassen kann, beantragt werden (§ 8 a l BezVG). 571 Wenn es sich um einen Beschluß mit empfehlendem Charakter handelt, können diese vom Senat deshalb ignoriert werden. Beschlüsse, denen ein verbindlicher Charakter zukommt, können im Wege der Rechtsaufsicht aufgehoben werden, wenn der Bürgerentscheid rechtswidrig ist. Wie unter V. 2. b) im einzelnen dargestellt wird, ist der Umfang der Entscheidungsrechte der BVen aber denkbar gering, so daß Bürgerentscheide in der Regel zu Angelegenheiten ergehen, in denen Beschlüsse der BVen nur empfehlenden Charakter haben. Als ultima ratio könnte der Senat sich deshalb über fast alle Bezirksvoten aufgrund von Bürgerbegehren hinwegsetzen. Politisch dürfte es allerdings kaum durchsetzbar sein, sämtliche Bürgerentscheide grundsätzlich unberücksichtigt zu lassen. Für die hier untersuchte Frage muß festgehalten werden, daß der Bürgerentscheid als Instrument der direkten Demokratie eine Vermehrung der Einflußnahme des Bezirksvolks auf die Angelegenheiten des Bezirks und mittelbar die des Lan569 In der Begründung zum Entwurf des Gesetzes zur Einführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheid wird auf entsprechende Regelungen in Bayern, der Schweiz und den Bundesstaaten der USA verwiesen. Die Regelung habe den Bürger im Blick, der sein Recht wahrnimmt und sich äußert, zu § 8 a IX 2 BezVG, S.10 (unveröffentlicht). 570 Der Erste Bürgermeister Runde sprach von einer Katastrophe und warnte vor StadtteilEgoismus, der die Probleme bloß auf andere Gegenden der Stadt verschiebe. NZZ v. 26. Februar 1999, ,3ürger und ihre Begehren in Hamburg".

571 Begründung zum Entwurf des Gesetzes zur Einführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, zu § 8 a 11 BezVG, S. 9 (unveröffentlicht).

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1. Teil: Die Untersuchungsobjekte Berlin und Hamburg

des bedeutet. Das Verhältnis des Bezirksamts und der BV zur Hauptverwaltung wird durch § 8 a BezVG nicht betroffen. Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß der Bürgerentscheid in Hamburg eher zum Widerstand gegen, nicht zur Zustimmung für ein Projekt tendiert. Beispielsweise sammelte die Initiative „Opferschutz statt Täterschutz" Unterschriften gegen Wohnungen für schwererziehbare Jugendliche. Andere Bürger haben gegen geplante Fixerstuben oder Übernachtungsstätten für obdachlose Drogenabhängige mobil gemacht.572 Diese Einschätzung stimmt mit der allgemeinen Beobachtung überein, wonach Bürgerbegehren dazu neigen, den status quo zu verteidigen, anstatt Veränderungsvorschläge auf die Tagesordnung zu setzen.573

4. „Verwaltungsmodernisierung" Neben der Reform der Bezirksverwaltung und der Einführung direkt-demokratischer Instrumente in der Hamburger Verfassung (HV) sind im Laufe der 15. Legislaturperiode weitere wichtige Strukturreformen in der Verwaltung Hamburgs wie die Ausgliederung und Verselbständigung von Verwaltungseinheiten mit Betriebscharakter, die Reorganisation großer Aufgabenbereiche durch Technikunterstützung sowie die Einführung des Neuen Steuerungsmodells vom Senat beschlossen und zum Großteil bereits durchgeführt worden. 574 Damit liegt Hamburg im allgemeinen Trend der (kommunalen) Politik- und Verwaltungswelt der Bundesrepublik, die seit den 90er Jahren von zwei institutionellen Veränderungen unterschiedlicher Herkunft erfaßt ist: Einerseits den Umstrukturierungen der Verwaltungen nach dem Neuen Steuerungsmodell, andererseits die Schärfung der Konturen der Kommunen als lokale Demokratien durch die Einführung direkt-demokratischer Entscheidungsrechte.575 Vergleichbar mit dem Reformkonzept Berlins umfaßt die Verwaltungsmodernisierung Hamburgs die Bereiche Produktbeschreibung, Kosten- und Leistungsrechnung, Budgetierung, Dezentralisierung der Verantwortung, Berichtswesen/Controlling, Zielvereinbarungen /Kontrakte. 576 Bei der Konzeption des Neuen Steue572 NZZ v. 26. Februar 1999, ,3ürger und ihre Begehren in Hamburg". 573 Ossenbühl, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, 1997, S. 250,255. 574 Zu den Zielen einer dezentralisierten Ressourcen-, Fach- und Resultatsverantwortung des Neuen Steuerungsmodells siehe C. III. 575 Siehe zu diesen beiden teilweise konträren Entwicklungen Wollmann, Die Verwaltung, 1999, 345 ff. 576 Zum Stand der Verwaltungsmodernisierung in Hamburg siehe in erster Linie die Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft v. 06. August 1996, Bürgerschafts-Drs. 15/5844, der eine Mitteilung 15/3750 „Verwaltungsmodernisierung" vorausging. Mit Teilbereichen der Verwaltungsmodernisierung beschäftigen sich folgende Leitfaden von Behörden Hamburgs: Ausrichtung des Modernisierungsprozesses in der hamburgischen Bezirksverwaltung" v. 16. März 1997; Leitfaden für „Produktdefinition und Produktbeschreibungen in der Ham-

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rungsmodells ging der Senat davon aus, daß übertragbare Steuerungskonzepte seitens anderer Bundesländer und Städte nicht bestehen.577 Ein wichtiges Ziel des Neuen Steuerungsmodells ist - wie in Berlin - die Dezentralisierung der Verwaltung. Hamburgs Steuerungsmodell soll weg von der bestehenden detaillierten Feinsteuerung hin zu globaler Steuerung führen. Für die „dezentralen, das heißt aufgabenbezogenen Gestaltungsmöglichkeiten" soll künftig der Grundsatz gelten: „Dezentralisierung soweit wie möglich, Stärkung der zentralen Steuerungsfähigkeit soweit wie nötig". 578 Ebenfalls vergleichbar mit den laufenden Verwaltungsreformen in Berlin umfaßt das Ziel der Dezentralisierung der Verwaltung das Verhältnis der Hauptverwaltung zu den Bezirken nur am Rande. In erster Linie bezieht es sich auf die innerbehördliche Aufgaben Wahrnehmung. Allerdings ist man sich in Hamburg zumindest bewußt, daß der Gedanke, Aufgabe, Kompetenz und Verantwortung in einer Hand zu bündeln sowie die Leitlinie der Verlagerung der Verantwortung „nach unten" für alle Großorganisationen und damit auch für eine großstädtische Verwaltung gilt und dies auch die Verlagerung von Kompetenzen auf die Bezirke einschließt.579 Die Leitungen der sieben Bezirksämter und der Staatsrat für Bezirksangelegenheiten haben am 23. Februar 1996 das Projekt MoBil (Moderne Bezirksverwaltung - innovativ und leistungsstark) eingesetzt, das das Neue Steuerungsmodell flächendeckend in den Bezirken einführen soll. Ziele des Projekts sind die Stärkung der Eigenverantwortung für die Beschäftigten nach dem sogenannten AKV-Prinzip (Aufgabe-Kompetenz-Verantwortung in einer Hand). Außerdem sollen die Voraussetzungen geschaffen werden, damit in der Bezirksverwaltung im Rahmen der allgemeinen Zielsetzungen der Modernisierungsprozeß grundsätzlich in eigener Verantwortung durchgesetzt wird. 580 Das Verhältnis der Bezirke zu Senat und Fachbehörden wird durch das Projekt MoBil nicht berührt.

V. Bezirksverfassung vor und nach 1997 1. Einführung Die Drucksache 15/5357 aus dem Jahre 1996 enthält eine Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft zur Reform der Verwaltung. In dieser werden die dem Verwalburgischen Verwaltung", Freie und Hansestadt Hamburg, Finanzbehörde, 1996; „Skript zur Tagungsveranstaltung Verwaltungsmodernisierung", Freie und Hansestadt Hamburg, 15. November 1996; „Kosten- und Leistungsrechnung in der Hamburger Verwaltung", Freie und Hansestadt Hamburg, Finanzbehörde, 1996. 577 Bürgerschafts-Drs. 15/5844, S. 5. 578 Bürgerschafts-Drs. 15/5844, S. 4. 579 Siehe die Ausführungen bei Strenge, Verwaltungsreform im Spannungsfeld zwischen kommunaler Selbstverwaltung und Landespolitik, 1997, S. 30,36 f. 580 Informationsblatt der Koordinierungsgruppe MoBil, Oktober 1996, S. 7.

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1. Teil: Die Untersuchungsobjekte Berlin und Hamburg

tungsreformgesetz zugrundeliegenden Vorstellungen des Senats sehr ausführlich dargestellt. In erster Linie betrifft das Reformwerk das Bezirks Verwaltungsgesetz; betroffen sind aber beispielsweise auch das Gesetz über Verwaltungsbehörden und das Bauleitplanungsfeststellungsgesetz. Da die Novelle vom 29. Oktober 1997 die Grundstruktur und die Ausrichtung des Bezirksverwaltungsgesetzes vom Juni 1997 beibehalten hat, wird hier den die Bezirksverwaltung betreffenden Grundgedanken des Reformkonzepts besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Gleichzeitig werden die wesentlichen Neuregelungen der beiden Novellen dargestellt.

2. Die Novellen des Bezirksverwaltungsgesetzes vom 11. Juni 1997 und vom 29. Oktober 1997 Der Senat spricht sich in seiner Mitteilung an die Bürgerschaft ausdrücklich gegen Konzeptionen aus, die auf eine Kommunalisierung der Bezirksverwaltung abzielen. Aus diesem Grunde sieht der Senat auch keine Veranlassung, die den Aufbau der Verwaltung betreffenden Verfassungsnormen - insbesondere das Prinzip der Einheitsgemeinde sowie die parlamentarische Verantwortlichkeit des Senats in Frage zu stellen. Auch in Zukunft soll Hamburg zentral regiert werden, zukünftig aber unter Wahrung der zur Sicherung gesamtstädtischer Belange unerläßlichen Steuerungskompetenz des Senats verstärkt dezentral verwaltet werden. Entsprechend den Vorstellungen des Berliner Senats bedeutet Dezentralisierung nach der Auffassung des Hamburger Senats nicht die Schaffung einer eigenständigen bezirklichen Entscheidungsebene: Die dezentralen Verwaltungseinrichtungen seien das Ergebnis von Zweckmäßigkeitsüberlegungen für eine funktionsfähige und bürgernahe Verwaltung und nicht dazu bestimmt, Plattformen für Gegengewichte gegenüber Senat und Bürgerschaft zu bieten. Die Schaffung der ehrenamtlichen repräsentativen Gremien zur Bürgermitwirkung sei nicht Selbstzweck, sondern immer an das Ziel rückgekoppelt, richtige Entscheidungen innerhalb einer angemessenen Frist zu treffen. 581

a) Die Aufgabenverteilung zwischen Fachbehörde, Senat und Bezirksverwaltung In der Reformdiskussion der letzten Jahrzehnte ist häufig gefordert worden, die von den Bezirken wahrzunehmenden Aufgaben gesetzlich zu regeln. Dies lehnt der Senat in seiner Mitteilung an die Bürgerschaft weiterhin ab. Auch in Zukunft soll es dem Senat obliegen, durch Rechtsverordnung Aufgaben in die Bezirke zu übertragen. Hieran ist in den Novellen vom 18. Juni sowie vom 29. Oktober 1997 festgehalten worden.

581 Bürgerschafts-Drs. 15/5357, S. 3.

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Eine gesetzliche Abgrenzung der Zuständigkeiten von Senat, Fachbehörden und Bezirksämtern würde zu einer erheblichen Aufwertung der Bezirke beitragen. Dem Senat wäre es verwehrt - in den Grenzen von § 3 I BezVG - nach Belieben Aufgaben auf die Bezirke zu übertragen und sie ihnen wieder zu entziehen. Für eine solche gesetzliche Regelung der Bezirksaufgaben bedürfte es allerdings einer Änderung der Hamburger Verfassung. Gemäß Art. 57 S. 1 HV regelt ein Gesetz Gliederung und Aufbau der Verwaltung. Die Bürgerschaft hat von dieser Kompetenz durch das Gesetz über die Verwaltungsbehörden (VwBG) Gebrauch gemacht. Dieses Gesetz wird durch das Bezirksverwaltungsgesetz ergänzt. Nach Art. 57 S. 2 HV hat der Senat die Abgrenzung der einzelnen Verwaltungszweige vorzunehmen. Mit Gliederung und Aufbau der Verwaltung iSv Satz 1 sind nur die organisatorischen Entscheidungen darüber gemeint, welche Behörden in Hamburg bestehen - beispielsweise, ob Deputationen oder BVen eingerichtet werden - und wie ihr Verhältnis zueinander geordnet ist. 582 Hierunter fällt nicht die Aufgabenzuweisung an die Bezirke im einzelnen. Die Frage, ob eine Aufgabe vom Senat, den Fachbehörden oder den Bezirken wahrzunehmen ist, fällt nach dem eindeutigen Wortlaut von Art. 57 S. 2 HV in den Aufgabenbereich des Senats. Schließlich läßt Art. 4 Π HV („übertragene Aufgaben") keinen Zweifel daran, daß die Bezirksämter keine Aufgaben von Gesetzes wegen besitzen, sondern daß sie ihnen trotz der Selbständigkeit der Erledigung durch Zuständigkeitsanordnung vom Senat übertragen werden müssen.583 Der Senat bezeichnet in der Mitteilung an die Bürgerschaft die Aufgabenverlagerung auf die Bezirksämter als einen Schwerpunkt des Reformkonzepts. An einer effektiven Umsetzung dieses Ziels muß gezweifelt werden. Die mit der Novelle vom 11. Juni 1997 vorgenommene Änderung des § 3 BezVG, der die Aufgabenwahrnehmung durch die Bezirke regelt, bewirkt eher das Gegenteil. § 3 BezVG 1978 gab dem Senat die Richtlinie an die Hand, nach dem er alle Aufgaben auf die Bezirksämter übertragen sollte, die nicht „wegen ihrer übergeordneten Bedeutung oder ihrer Eigenart einer einheitlichen Durchführung bedürfen". Die Novelle vom 11. Juni 1997 kennt eine solche Grundsatzvermutung nicht mehr, sondern macht diese Frage weitgehend von der freien Entscheidung des Senats abhängig. So lautete § 3 Π 1 BezVG in der Fassung vom 11. Juni 1997: „Der Senat überträgt den Bezirksämtern die ortsnah zu erledigenden Aufgaben, soweit nicht Gründe der Wirtschaftlichkeit oder Zweckmäßigkeit eine andere Aufgabenwahrnehmung erfordern". Die Novelle vom 29. Oktober 1997 hat wieder die Fassung von 1978 eingeführt. In der Anlage I zur Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft sind die Aufgaben aufgeführt, die der Senat plant, auf die Bezirksämter zu verlagern. In erster Linie handelt es sich um Aufgaben aus dem Bauordnungs- und Bauplanungsrecht. Insge582

David, Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg, 1994, Art. 57, Rn. 4. 583 David, Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg, 1994, Art. 57, Rn. 47; ders., ZAR 1989, 102, 104; Bryde, JZ 1989, 257, 261; Hohlbein/Niels, Hamburgs neues Bezirksverwaltungsgesetz, 1981, S. 11; Haas, Verwaltungsorganisationsrecht, 1988, S. 91,121.

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1. Teil: Die Untersuchungsobjekte Berlin und Hamburg

samt ist der Umfang der vorgesehenen Aufgabenverlagerung sehr bescheiden. Zudem enthält die Anlage auch Vorschläge zur Verlagerung von Aufgaben von den Bezirken auf die Fachbehörden.

b) Befugnisse und rechtliche Einordnung der Bezirksvertretungen Im Zentrum des Reformgesetzes vom Juni 1997 steht die Umstrukturierung der BV. Die Mitwirkung der BV an der Verwaltung wird in § 15 I 1 BezVG, der die allgemeinen Befugnisse der BV regelt, auf Angelegenheiten von grundsätzlicher Bedeutung begrenzt. Die Vorschrift lautet: „Die Bezirksversammlung wirkt beratend an Bezirksaufgaben mit, soweit es sich um Angelegenheiten von grundsätzlicher Bedeutung handelt." Hiermit soll eine Konzentration der Arbeit dieser Gremien erreicht werden. 584 Die Beschränkung auf Angelegenheiten von grundsätzlicher Bedeutung geht in die gleiche Richtung wie die in einigen Kommunalordnungen der Flächenländer bestehenden Bestimmungen, nach denen die Gemeindevertretungen von den Geschäften der laufenden Verwaltung ausgeschlossen sind. 585 Auch die Haas-Kommission hat vorgeschlagen, die BV künftig nicht mehr an der laufenden Verwaltung zu beteiligen.586 Ein entscheidender Unterschied zu den Vorstellungen der Haas-Kommission und den Regelungen der Kommunalordnungen der Flächenländer ist aber, daß den Kommunalvertretungen in den Flächenstaaten ein verbindliches Beschlußrecht in den örtlichen Angelegenheiten von grundsätzlicher Bedeutung zusteht. Die Hamburger BV hat nach der Novelle vom Juni 1997 dagegen nur ein Beratungsrecht. § 15 BezVG ist in der Novelle vom Oktober 1997 neu gefaßt worden. Nach heute geltendem Recht regen die BVen Verwaltungshandeln an, kontrollieren die Führung der Geschäfte des Bezirksamts und entscheiden in den ihnen vorbehaltenen Aufgaben. Damit kann die BV zwar nicht wieder an allen laufenden Verwaltungsaufgaben der Bezirksämter mitwirken, enthält aber das grundsätzliche Recht der Kontrolle der Tätigkeit des Bezirksamts und dazu ein umfangreiches Informationsrecht (§ 15 Π BezVG). Nach § 15 IV BezVG kann die B Vin allen Angelegenheiten, die für den Bezirk von Bedeutung sind, deren Erledigung aber nicht in die bezirkliche Zuständigkeit fallt, Empfehlungen aussprechen. Als „besondere Befugnisse" bezeichnet das Bezirksverwaltungsgesetz die eigentlichen Entscheidungsrechte der BV (Beschlüsse mit bindender Wirkung). Diese sind in § 16 BezVG geregelt. Beschlußrechte bestehen nur noch für die Vorschlagslisten für Schöffen sowie ehrenamtliche Richter. Bescheidene Mitwirkungs584 Bürgerschafts-Drs. 15/5357, S. 3,4. 585 Vgl. zum Beispiel § 41 III 1 GO NW. Die Vorschrift lautet: „Geschäfte der laufenden Verwaltung gelten im Namen des Rats als auf den Bürgermeister übertragen, soweit nicht 586 Haas-Kommission, 1981, S. 109.

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rechte bestehen bei der Aufstellung des Haushaltsplans sowie bei der Besetzung der Widerspruchsausschüsse.587 Die zweite Novelle hat die Neufassung von § 16 BezVG vom Juni 1997 weitgehend beibehalten. Erheblich geschwächt wurde die BV durch die erste Novelle 1997, wonach der Senat nach öffentlicher Ausschreibung der Stelle den Bezirksamtsleiter für die Dauer von 6 Jahren bestellt (§ 26 BezVG). 588 Eine Wahl durch die BV war nicht mehr vorgesehen. Auch bedurfte der Erlaß der Geschäftsordnung für die BV und ihre Mitglieder nach § 11 ΠΙ 2 BezVG der Zustimmung des Senats. Die Anzahl der Mitglieder der Ausschüsse sowie die Zahl der Ausschüsse selbst wurde durch § 2111 BezVG gesetzlich begrenzt. Die diese Neuregelungen betreffenden Erklärungen in der Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft verschleiern die tatsächlich erfolgte Entmachtung dieses Gremiums. So heißt es zu den besonderen Befugnissen der BV, daß diese einen Katalog von Gegenständen umfassen, die eine erhebliche Stärkung ihrer Rechte bedeuteten. 589 Die BVen würden insgesamt gesehen an der Verwaltung in einer Weise mitwirken, die der Mitwirkung kommunaler Vertretungskörperschaften der Länder ähnelt. Durch §§ 15, 16 BezVG habe man die ehrenamtliche Mitwirkung in den Bezirken zwar einerseits gestrafft und konzentriert, andererseits im Sinne einer bürgernahen, lebendigen örtlichen Demokratie ausgebaut. Dieser Einschätzung kann nicht gefolgt werden. Durch die veränderte Stellung der Β V wird die örtliche Demokratie nicht aus-, sondern abgebaut, da den vom Bezirksvolk gewählten Bezirksverordneten kaum noch Entscheidungsrechte zukommen. Die Kommunalvertretungen in den Flächenländern sind das eigentliche politische Entscheidungsgremium auf der Gemeindeebene. Deshalb ist auch der vom Senat gezogene Vergleich der BV mit den Kommunalvertretungen nicht zutreffend. Besonders die Neuregelung von § 26 BezVG bedeutete einen entscheidenden Einschnitt in die Rechtsstellung der BV. Die verbindliche Wahl des Bezirksamtsleiter ist neben den Mitwirkungsbefugnissen bei der Aufstellung des Haushalts das entscheidende Recht der BV, um Einfluß auf die Bezirksverwaltung nehmen zu können. Der Senat rechtfertigt die Bestellung des Bezirksamtsleiters durch den Senat mit der aus dem Prinzip der dezentralen Wahrnehmung der bezirklichen Aufgaben resultierenden gesteigerten Verantwortung des Bezirksamtes, wodurch der Bezirksamtsleiter eine gestärkte Funktion erhalte. Mit Rücksicht auf die parlamentarische Verantwortlichkeit des Senats (Artt. 33, 42 HV) müsse der in seiner Funktion gestärkte Bezirksamtsleiter vom Senat bestellt werden. 590 587 Vgl. im einzelnen § 161 - III BezVG. 588 Allerdings muß die BV dem Vorschlag des Senats mit der Mehrheit ihrer gesetzlichen Mitglieder zustimmen (§ 26 II Nr. 1 BezVG). Kommt es zu keiner Einigung, hat der Senat das Recht, das Amt vorübergehend zu besetzen. 589 Bürgerschafts-Drs. 15/5357, S. 8. 590 Zur Bedeutung der parlamentarischen Verantwortung des Senats für die Ausgestaltung der Bezirksverfassung siehe in diesem Kapitel unter VI. 2.

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Nach geltender Rechtslage steht den BVen wieder das Recht zu, die Bezirksamtsleitung durch Wahl vorzuschlagen. Die Bestellung erfolgt durch den Senat auf sechs Jahre (§ 16 I, 26 BezVG). Die BVen haben außerdem wieder das Recht erhalten, die Anzahl, Mitgliederzahl und damit die Arbeit ihrer Ausschüsse selbst zu bestimmen (§ 21 BezVG). Auch die Genehmigungspflicht für die Geschäftsordnung der BV durch den Senat in § 11 ΠΙ 2 BezVG ist gestrichen worden. Die beiden Novellen des Bezirksverwaltungsgesetzes von 1997 unterscheiden sich somit in erster Linie in bezug auf die Rolle der BV innerhalb der Bezirksebene. Da auch in den vergangenen Jahrzehnten über die Stellung dieses Gremiums immer wieder gestritten wurde, erscheint es notwendig, auf die rechtliche Einordnung der BVen Hamburgs im folgenden näher einzugehen. Wegen Art. 4 I HV, wonach die Hamburger Bürgerschaft sowohl die Funktionen eines Landesparlaments als auch die einer kommunalen Volksvertretung übernimmt, sind die BVen keine Vertretungen iSd Art. 28 I 2 GG. 5 9 1 Ihre verfassungsrechtlichen Wurzeln haben sie in Art. 56 HV und sind danach grundsätzlich der Exekutive zuzurechnen. Nach dieser Vorschrift ist „das Volk zur Mitwirkung an der Verwaltung berufen. Die Mitwirkung geschieht insbesondere durch die ehrenamtlich tätigen Mitglieder der Verwaltungsbehörden". Mit dem Begriff „Verwaltung" rekurriert die Verfassung auf die „vollziehende Gewalt" iSd Art. 20 Π S. 2 GG. 5 9 2 Entsprechend dem zu den Berliner Bezirken Gesagten steht die einfachgesetzliche Ausgestaltung der Rechte und Pflichten der BVen - insbesondere vor Erlaß der Novellen von 1997 - hierzu in einem gewissen Widerspruch, wonach diese intern weitgehend wie Kommunalvertretungen in Flächenländern funktionieren. Das OVG Hamburg 593 hat in einer Entscheidung aus dem Jahre 1986 den seiner Ansicht nach durch den Landesgesetzgeber intendierten parlamentsähnlichen Status der BV herausgearbeitet. Das Bezirksverwaltungsgesetz enthalte Regelungen über Aufgaben und Rechte der BV, die ihrer äußeren Gestalt nach den wechselseitigen Rechtsbeziehungen zwischen Parlament und Regierung auf der gesamtstaatlichen Ebene entsprächen.594 Dies gelte insbesondere für § 16 b BezVG 1978 § 15 I 2 BezVG 1997 - , nach dem die BV berufen ist, die Verwaltung des Bezirksamtes zu überwachen sowie für § 35 I 1 BezVG 1978 - mit den beschriebenen Modifizierungen § 26 I BezVG 1997 - , nach dem der Bezirksamtsleiter von der Mehrheit der gesetzlichen Mitglieder der BV gewählt wird. Nach letzterer Vorschrift kann die Β V weiter dem Bezirksamtsleiter vor Beendigung seiner Amtszeit das Mißtrauen dadurch aussprechen, daß sie mit der Mehrheit ihrer gesetzlichen Mitgliederzahl einen Nachfolger wählt. Offensichtlich sei Vorbild für diese Regelung das konstruktive Mißtrauensvotum des Grundgesetzes.595 Schließlich sei das 591 BVerfGE 83,60, 76; Bryde, JZ 1989, 257, 261. 592 David, Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg, 1994, Art. 56 Rn. 1. 593 OVG Hamburg, DVB1. 1986, 242, 243 ff. 594 OVG Hamburg, DVB1. 1986, 242, 243. 595 OVG Hamburg, DVB1. 1986, 242, 244.

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Verhalten der Minderheitsfraktionen in der Hamburger BV geprägt durch die mit dem Einfluß der politischen Parteien eng verbundene Verlagerung von Kontrollaufgaben auf die Oppositionsfraktion in den Parlamenten des Bundes und der Länder. Neben diesen vom OVG Hamburg aufgezählten Punkten ergibt sich die Anlehnung an das repräsentativ-demokratische Vorbild einer Volksvertretung aus der Anwendung der parlamentarischen Begriffe „Fraktion" auf die Parteigliederungen in der Β V sowie der Bezeichnung als Bezirksabgeordnete. Ob man die BVen Hamburgs aufgrund dieser einfachgesetzlichen Ausgestaltung als bezirkliche Vertretungskörperschaften oder gar als Parlamente ansehen kann, ist strittig. Lange bezeichnet sie ausdrücklich als Parlamente.596 Er stützt sich dabei auf eine Entscheidung des OVG Münster aus dem Jahre 1978, wonach Volksvertretung iSd Art. 17 GG nicht nur der Bundestag und die Landtage, sondern auch die kommunalen Vertretungskörperschaften seien. Die Argumente in dieser Gerichtsentscheidung überträgt er auf die BVen. 597 Das Urteil des OVG Münster steht im Widerspruch zur ganz herrschenden Meinung der Kommunal- und Verfassungsrechtler. 598 Diese betont den prinzipiell unpolitischen Charakter der Gemeindeund Bezirksvertretungen. Die Gemeindevertretung sei Verwaltungsorgan, da sie in erster Linie Verwaltungsaufgaben zu erfüllen habe. Zudem stehe ihr das bedeutsamste Recht der Parlamente im staatsrechtlichen Sinn, nämlich der Erlaß von Gesetzen, nicht zu. 5 9 9 Dieser Streit muß hier nicht entschieden werden. Wichtig ist, daß man die „Zwitterstellung" der BVen Hamburgs - wie im übrigen auch der BVVen Berlins 600 - anerkennt: Sie sind parlamentarisch geprägte bezirkliche Verwaltungsorgane, die die gleiche demokratische Legitimation wie Vertretungskörperschaften auf Landes- und Bundesebene besitzen. Intern funktionieren sie nach parlamentarischen Regeln. Extern sind sie Teil der Verwaltung.

596 Lange, Selbstverwaltung in Hamburg, 1980, S. 177 ff. 597 OVG Münster, DVB1. 1978, 895 ff. Das OVG Münster begründet seine Auffassung damit, daß auch Kommunalwahlen politische Wahlen seien, durch die das Volk in den kommunalen Gebietskörperschaften iSd Art. 21 GG an der politischen Willensbildung mitwirke. Daß es sich bei den Gemeindevertretungen wegen der grundlegend unterschiedlichen Funktionen nicht um Parlamente iSd herkömmlichen Parlamentsverständnisses handele, stehe dieser Annahme nicht entgegen. Nicht die Anwendbarkeit spezifisch parlamentarischer Grundsätze stehe in Frage, sondern der Charakter des Rates als eines demokratisch gebildeten Repräsentationsorgans. 598 Siehe die Nachweise bei von Mutius, Kommunalrecht, 1996, Rn. 716 in Fußn. 284. Zur Auseinandersetzung um den auf die Gemeindevertretung bezogenen Parlamentsbegriff vgl. auch Ebel, Die demokratische Gemeinde 1979,500 ff. 599 Das Satzungsrecht der Gemeindevertretungen entspreche nicht originärer Legislativkompetenz, sondern beruhe auf „abgeleiteter" Autonomiezuerkennung. Instruktiv hierzu Schröder, Grundlagen und Anwendungsbereiche des Parlamentsrechts, 1979, S. 337 ff. 600 So auch Battis /Schlichter/Scharmer, Beschleunigung der Bauplanungs- und Baugenehmigungsverfahren in Berlin, 1995, S. 26. 11 Deutclmoser

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c) Bezirksauf sieht / Globalsteuerung Ein weiterer Kernbestandteil des Reformkonzepts des Senats ist das System der fachlichen Lenkung der Bezirksämter durch Globalsteuerung (§§ 5, 6 BezVG), das das bisherige System der Steuerung durch detaillierte fachliche Weisungen nach § 5 BezVG a.F. ersetzen soll. Gemäß § 5 BezVG 1978 hatten die Fachbehörden die Möglichkeit, in das Verwaltungshandeln der Bezirksämter direkt einzugreifen. Konflikte entstanden dadurch, daß die BVen seit 1978 an fachliche Weisungen oder Einzelweisungen nicht mehr gebunden waren. Sie konnten demgemäß auch entgegenstehende, die Bezirksamtsleiter bindende Beschlüsse fassen. Durch die Neuregelungen sollte dieser Widerspruch, der in der Praxis zu großen Schwierigkeiten geführt hatte, aufgehoben werden. Das System der Globalsteuerung bezweckt weiter, einerseits den Grundsatz der Selbständigkeit der Aufgabenerledigung der Bezirke nach Art. 4 Π HV durchzusetzen, andererseits eine einheitliche Lenkung des Verwaltungshandelns in der Einheitsgemeinde zu ermöglichen. Auch an diesem Globalsteuerungssystem haben CDU und GAL/Die Grünen in ihrer Novelle zum Bezirksverwaltungsgesetz mit geringfügigen Modifikationen festgehal601

ten. Der Senat räumt ein, daß bisher das in Art. 4 Π HV vorgesehene Prinzip der selbständigen Erledigung übertragener Aufgaben nicht konsequent verwirklicht worden sei. 602 Um diesem Prinzip in Zukunft zur Geltung zu verhelfen, sollen die vielfältigen bestehenden Mitwirkungsvorbehalte der Fachbehörden für die bezirkliche Aufgabenwahrnehmung aufgehoben bzw. auf ein Mindestmaß reduziert werden. Weder Senat noch Fachbehörden sollen in Zukunft Einzelfalle auf der örtlichen Ebene entscheiden, sondern sich auf die politische und fachliche Lenkung der örtlichen Verwaltungseinheiten konzentrieren sowie die originären Landesangelegenheiten erledigen. Der Grundgedanke des Systems der Globalsteuerung ist, im Rahmen globaler Vorgaben des Senats, die Bezirksämter Einzelfälle in der Regel abschließend entscheiden zu lassen. Zur Sicherung der bezirklichen Handlungsspielräume werden die Globalrichtlinien als grundsätzlich ausfüllungsfähige und -bedürftige Vorgaben definiert ( § 6 1 2 BezVG). Globalrichtlinien sind beispielsweise allgemeine Verwaltungsvorschriften, Zielvorgaben und Fachplanungen (§ 6 I 3 Nr. 1 - 3 BezVG). Nach geltender Rechtslage erläßt der Senat unter Beteiligung der für die Aufsicht über die Bezirke zuständigen Stellen und nach Anhörung der Bezirksamtsleiter die Globalrichtlinien. Die Novelle vom Sommer 1997 hatte noch vorgesehen, daß die Präsides der zuständigen Fachbehörden oder Senatsämter die Globalrichtlinien erlassen können. e>i In der Novelle vom Herbst ist in § 6 BezVG, der die Globalrichtlinien regelt, ein Abs. 6 eingefügt worden. Dieser soll die aktive Beteiligung der BVen an der Umsetzung der Globalrichtlinien als ausfüllungsfähige- und ausfüllungsbedürftige Verwaltungsvorschriften sicherstellen. «η Bürgerschafts-Drs. 15/5357, S. 5.

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Nach Auffassung des Senats ist die relative Selbständigkeit der Bezirksämter nur dann mit der Beibehaltung der Einheitsgemeinde und den verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Verantwortungsstrukturen des Senats vereinbar, wenn ein funktionsfähiges und wirksames Steuerungssystem für die fachliche Lenkung und Beaufsichtigung der Verwaltung besteht. Aus diesem Grund ist in der Novelle vom Juni 1997 ein Bündel von Ingerenzrechten vorgesehen. Betrachtet man die vielen weiterhin bestehenden Eingriffsrechte von Senat und Fachbehörden im einzelnen, dann ist auch durch die Neuregelung eine eigenverantwortliche Aufgabenerledigung durch die Bezirke nicht gegeben. Nach § 5 I BezVG führt der Senat die Aufsicht über die Bezirksämter. Auch soweit ein Bezirksamt zuständig ist, kann der Senat allgemein und im Einzelfall Weisungen erteilen und Angelegenheiten selbst erledigen sowie die Erledigung in diesen Fällen den Fachbehörden und Senatsämtern übertragen. Die Regelung, daß der Senat auch den Präses oder Staatsrat der zuständigen Fachbehörde oder des zuständigen Senatsamts in Einzelfällen ermächtigen kann, Weisungen zu erteilen, ist mit der zweiten Novelle entfallen. Weiterhin kann in Eilfallen die zuständige Fachbehörde oder das zuständige Senatsamt vorläufige Regelungen treffen (§ 5 Π BezVG). Nach § 5 ΠΙ BezVG überwacht die Fachbehörde bzw. das Senatsamt die Einhaltung der für die Erledigung der Bezirksaufgaben maßgeblichen Rechtsvorschriften, Globalrichtlinien und Senatsbeschlüsse.

d) Rahmenmittelzuweisungen Durch eine globalisierte Mittelbereitstellung soll den Bezirksämtern zum einen eine größere finanzielle Eigenverantwortung als bisher eingeräumt werden. Zum anderen sollen Bürgerschaft und Senat durch die Konzentration auf Globalzwecke bei der Aufstellung des Haushaltsplans entlastet werden. Das neue bezirkliche Haushaltswesen geht von der Grundentscheidung aus, daß es aufgrund des Bestehens der Einheitsgemeinde auch künftig nur einen Haushaltsplan im Rechtssinne geben kann (Art. 66 HV, § 1 LHO). Weitergehende Vorschläge, die auf die Etablierung selbständiger Haushalte der Bezirke und die Errichtung eines hierauf gerichteten Budgetrechts der BVen abzielen, werden nicht berücksichtigt. In der Novelle von Oktober 1997 wird am neu eingeführten Konzept der Zuweisung von Rahmenmitteln an die Bezirke festgehalten. Die §§27 bis 29 BezVG regeln die Rechte und Pflichten der Bezirksämter bei der Aufstellung und Ausführung des Haushaltsplans. Sie ersetzen die §§ 6,7 und 15 BezVG 1978. Das Gesetz unterscheidet in § 27 ΙΠ BezVG zwischen Bezirksaufgaben mit oder ohne Gestaltungsspielraum, wobei nur bei ersteren Rahmenzuweisungen vorgesehen sind. Bei Bezirksaufgaben mit Gestaltungsspielraum können die Bezirksämter den Mitteleinsatz überwiegend selbst bestimmen, sind also bei der Verwendung der Mittel im wesentlichen nicht durch zwingende Rechtsvorschriften gebunden. Auf die im Gegensatz zur Rechtslage in Berlin sehr detaillierte 11*

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1. Teil: Die Untersuchungsobjekte Berlin und Hamburg

gesetzliche Regelung des Haushaltswesens der Bezirksämter kann hier im einzelnen nicht eingegangen werden. Entsprechende Klagen wie sie seitens der Berliner Bezirke gegenüber der Praxis der Globalsummenzuweisung erhoben wurden, sind nicht bekannt.

e) Zusammenfassung Auch nach den Novellierungen des Bezirksverwaltungsgesetzes im Jahre 1997 sind die Bezirke Hamburgs nur dekonzentrierte Verwaltungseinheiten. Nach § 5 BezVG steht dem Senat in den Bezirksangelegenheiten weiterhin ein umfassendes Weisungs- und Evokationsrecht zu. Letzteres kann er in Einzelfällen auf die Fachämter übertragen. Da die Globalrichtlinien in Form von allgemeinen Verwaltungsvorschriften und Zielvorgaben ergehen können, besteht theoretisch die Möglichkeit die Entscheidungsspielräume der Bezirke sehr weitgehend einzuschränken. Die Praxis wird zeigen, ob die gesetzliche Vorgabe, daß die Globalrichtlinien grundsätzlich der Auslegung zugängliche Richtlinien für die Umsetzung von politischen Zielen und gesetzlichen Aufgaben sein müssen, zur Gewährleistung einer eigenständigen bezirklichen Aufgabenerfüllung ausreicht. CDU und GAL/Die Grünen haben ihre eigenen Reformkonzepte zur Stärkung der Bezirksebene in der zweiten Novelle des Bezirksverwaltungsgesetzes von 1997 nicht umgesetzt. Man kann wohl davon ausgehen, daß beide Parteien an ihren Vorstellungen weiterhin festhalten und politische Gründe eine grundlegende Änderung des Bezirksverwaltungsgesetzes verhinderten. 603 Die Neufassung des Bezirksverwaltungsgesetzes durch die Gesetzesänderung im Oktober 1997 hat lediglich verhindert, daß die BVen in Hamburg zu reinen Verwaltungsausschüssen umstrukturiert werden. Daß die BV in Zukunft ein politisches Entscheidungsgremium sein wird, ist unwahrscheinlich. Dagegen spricht, daß sie nur in den wenigen ihr vorbehaltenen Aufgaben entscheiden darf und kein allgemeines Beschlußrecht in bezirklichen Angelegenheiten hat. Eine freie Wahl der Bezirksamtsleiter durch die BV ist nicht gegeben, da mit der Wahl dem Senat der Bezirksamtsleiter nur vorgeschlagen wird.

V I . Bezirkliche Selbstverwaltung in Hamburg 1. De lege lata Die Freie und Hansestadt Hamburg ist als Land der Bundesrepublik Deutschland (Art. 23 GG; 1 I HV) ein Staat. Eine von dieser staatlichen Ebene getrennte, kom603 Zum Zeitpunkt der Verabschiedung der zweiten Novelle befanden sich GAL/Die Grünen schon in Koalitionsgesprächen mit der SPD. Außerdem befürchten CDU und GAL/Die Grünen wohl auch die Schlüsse, die aus einem grundlegenden gemeinsamen Gesetz gezogen würden.

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munale Gebietskörperschaft gibt es nicht. Das heißt, daß in Hamburg gemeindliche Aufgaben vom Staat ausgeübt werden. 604 Mit dem Hinweis auf Art. 4 I HV, der von gemeindlichen und staatlichen Aufgaben spricht, geht die herrschende Auffassung davon aus, daß dieses Land sich auf die gemeindliche Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Π GG berufen kann. Unter Verweis auf Art. 11 HV, der Hamburg lediglich als Staat, nicht auch als Stadt oder Gemeinde bezeichnet, bestreitet eine Minderansicht den Gemeindestatus von Hamburg. 605 Praktische Relevanz erlangte dieser Streit in verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen über die Erhaltungsbaulast für eine Straßenüberführung über Bundesbaugelände in Hamburg. Die hamburgischen Verwaltungsgerichte haben den Gemeindestatus Hamburgs anerkannt. 606 Da sich Hamburg auch tatsächlich betrachtet nicht von anderen Großstädten unterscheidet, die den rechtlichen Status von Gemeinden besitzen, ist der herrschenden Auffassung zu folgen. Hamburg nimmt alle Aufgaben wie die übrigen Großstädte der Bundesrepublik wahr und trägt wie sie alle damit verbundenen Rechte und Pflichten. Art. 28 Π GG ist somit auf die Gebietskörperschaft Hamburg anwendbar. Neben der kommunalen Selbstverwaltung auf gesamtstädtischer Ebene besteht nach geltender Rechtslage keine bezirkliche Selbstverwaltung. Wie in Kapitel C. I. dargelegt, umfaßt die Selbstverwaltung im Rechtssinne ein formales Element iSv eigenen Entscheidungsrechten, die eigenverantwortlich wahrgenommen werden können und nur der Rechtsaufsicht unterliegen. Hinzukommen muß ein materiales Element, welches die Partizipation der Bürger in eigenen Angelegenheiten ermöglicht. Beide Elemente sind in Hamburg nur ansatzweise verwirklicht. Eine bezirkliche Selbstverwaltung ergibt sich nicht aus dem Grundgesetz, da auf die Hamburger Bezirke Art. 28 Π GG nicht direkt anwendbar ist. 607 Auch eine landesverfassungsrechtliche Gewährleistung der bezirklichen Selbstverwaltung besteht nicht. Im Gegensatz zur Rechtslage in Berlin sind den Hamburger Bezirken weder Mitwirkungs- noch Entscheidungsrechte durch die Verfassung eingeräumt. 604

Drexelius/Weber, Die Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg, 1972, Art. 1. Ziff. 3; Schwabe, Die staatlichen Grundlagen, 1988, S. 40 f.; David, Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg, 1994, Art. 4 Rn. 9 ff. Thieme vertritt dagegen die Auffassung, daß Hamburg nur Gemeinde ist. Thieme, DÖV 1969,832 ff. 605 Zum Streitstand siehe die Nachweise bei OVG Hamburg, HmbJVBl. 1981, 154, 155. In der Verfassung von 1921 wurde die Hansestadt noch ausdrücklich als eine der 30 eigenständigen Gemeinden auf dem Gebiet der Freien und Hansestadt Hamburg genannt. Auch in Art. 111 der Vorläufigen Verfassung von 1946 bezeichnete man Hamburg noch als „ein deutsches Land und zugleich Gemeinde". 606 VG Hamburg, v. 15. Februar 1979-1 VG 2893/76 - ; OVG Hamburg, v. 16. April 1981, HmbJVBl. 1981, 154 (1. Leitsatz). 607 Ipsen, Hamburgs Verfassung und Verwaltung, 1956, S. 212,401; Teichmann, Das Ortsamt in der Hamburger Bezirksverwaltung, 1969, S. 24; Becker/Schneider, Das Kommunalverfassungsrecht in den Stadtstaaten, 1982, S. 285, 300; David, Verfassung der Freien und Hansestadt, 1994, Art. 4 Rn. 12; ders., ZAR 1994,102, 104 mwN in Fußn. 18; Thieme, DÖV 1969,832, 834; Lange, Selbstverwaltung in Hamburg, 1980, S. 69,95.

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Auch einfachgesetzlich ist eine bezirkliche Selbstverwaltung nicht gewährleistet. Das 1997 eingeführte Lenkungs- und Aufsichtssystem über die Bezirke beinhaltet neben der Steuerung durch Globalrichtlinien Rechtsinstitute sowohl der Rechts- als auch der Fachaufsicht. Schon aufgrund der weiterhin bestehenden umfassenden Weisungsbefugnisse und Evokationsrechte des Hamburger Senats, die teilweise auf die Fachbehörden übertragen werden können, stellt die Hamburger Bezirksverwaltung keine Selbstverwaltung im Rechtssinne dar. 608 Den BVen als den Repräsentationsorganen des Bezirksvolks stehen Entscheidungsrechte nur in sehr geringem Umfang zu, so daß von einer relevanten Partizipation an den örtlichen Angelegenheiten nicht gesprochen werden kann. Die in § 3 BezVG vorgesehene Grundsatzvermutung zugunsten einer Aufgabenerledigung durch die Bezirke enthält nur eine Richtlinie für die Zuständigkeitsverteilung durch den Senat. Die Norm läßt zudem dem Senat viel mehr Spielraum als der neu gefaßte Berliner Subsidiaritätsgrundsatz, der zudem noch der Kontrolle des Verfassungsgerichtshofs unterliegt. Zudem sieht § 3 BezVG nur die selbständige Aufgabenerledigung durch die Bezirksämter vor und bezieht sich nicht allgemein auf die Bezirksebene wie Art. 67 Π BerlVerf. Den Bezirken fehlt es noch heute an allem, was den Kernbestand der kommunalen Selbstverwaltung nach dem Grundgesetz ausmacht: Eigene Rechtspersönlichkeit, zumindest subsidiäre Allzuständigkeit für die Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze, Organisations-, Personal-, Planungs- und Satzungshoheit. Nach allem kann von einer bezirklichen Selbstverwaltung in Hamburg nicht gesprochen werden. An dieses Ergebnis schließt sich die Überlegung an, ob durch die Hamburger Verfassung auch für die Zukunft eine bezirkliche Selbstverwaltung ausgeschlossen ist. Hierauf soll im folgenden eingegangen werden.

2. De lege ferenda In der Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft zur Reform der Hamburger Verwaltung wird mehrfach das Bestehen eines Spannungsverhältnisses zwischen dem in Art. 4 I HV festgelegten Prinzip der Einheitsgemeinde, der parlamentarischen Verantwortlichkeit des Senats nach Art. 33 Π 2 HV sowie der Senatsmitglieder nach Art. 42 I 2, Π HV einerseits und Art. 4 Π HV andererseits betont. Ein Spannungsverhältnis bestehe jedenfalls dann, wenn sich ebenfalls demokratisch legitimierter politischer Wille und eigenständige politische, regionale Macht gegenüber Senat und Bürgerschaft so verselbständigt, daß deren Beschlüsse blockiert oder verhindert werden können.609 Wie bereits angesprochen, vertritt der Senat die Auffassung, daß die Verantwortlichkeit des Senats der Wahl des Bezirksamtsleiters

608 So auch David zur Rechtslage vor 1997. David, Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg, 1994, Art. 4 Rn. 12. 609 Bürgerschafts-Drs. 15/5357, S. 6.

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durch die BV sowie der Abschaffung der Evokationsrechte des Senats gegenüber den Bezirken entgegensteht. Im Zuge der Reform der Bezirksverwaltung von 1997 würden den Bezirken mehr Aufgaben übertragen, die sie in größerer Selbständigkeit wahrnehmen könnten als bisher. Damit der Senat weiterhin die verfassungsrechtlichen Vorgaben erfüllen kann, könne ihm keine Person aufgezwungen werden, die nicht sein Vertrauen besitzt. In Abstimmung mit den BVen müsse die Bestellung des Bezirksamtsleiters deshalb dem Senat obliegen.610 Entsprechend begründet der Senat die Beibehaltung der Weisungs- und Aufsichtsrechte. Folgt man der Auffassung des Senats, dann wäre auch in Zukunft eine auf die Rechtsaufsicht beschränkte, selbstverantwortliche Aufgabenerledigung der Bezirke in Hamburg von Verfassungs wegen ausgeschlossen. Zum Verständnis der angesprochenen Problematik soll zunächst ein Blick auf den Grundsatz der parlamentarischen Verantwortung auf bundesstaatlicher und auf Landesebene sowie das Aufsichtsverhältnis zwischen Land und Gemeinden in den Flächenstaaten geworfen werden. Anschließend wird die Frage beantwortet, ob ohne Änderung der Verfassung eine bezirkliche Selbstverwaltung in Hamburg möglich ist. Im Grundgesetz ist das Verhältnis zwischen Regierung, Verwaltung und Parlament nur ansatzweise geregelt. Die parlamentarische Verantwortlichkeit der Bundesregierung ist nicht ausdrücklich festgeschrieben, wird aber von der Verfassung vorausgesetzt. In den Grundzügen gilt folgendes: Dem Parlament obliegt neben der Gesetzgebungstätigkeit insbesondere die Kontrolle von Regierung und Verwaltung.611 Der Regierung fällt die Rolle der politischen Staatsführung, also die Leitung der gesamten inneren und äußeren Politik zu. 6 1 2 Sie trägt weiter die Verantwortung für die Verwirklichung der vom Parlament beschlossenen Gesetze sowie für die gesetzesfreie Verwaltung durch alle ihr unterstellten Behörden. Das bedeutet, daß die Bundesregierung dem Bundestag nicht nur für ihr eigenes Verhalten, sondern auch für das der gesamten ihr unterstehenden Verwaltung verantwortlich ist. Entsprechend erstreckt sich die Kontrolle des Bundestages nicht nur auf die Amtsführung der Bundesregierung, sondern die der gesamten Bundesverwaltung. Durch das Rechtsinstitut des Mißtrauensvotums stellt das Grundgesetz das Instrumentarium bereit, um diese politische Verantwortung zu gewährleisten. Aus der Verantwortung der Regierung für die Staatsleitung ergeben sich die einzelnen Regierungsfunktionen, u. a. die Weisungs- und Aufsichtsfunktion, um die Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit der Verwaltungstätigkeit sicherzustellen.613 Trotz der vorhandenen Bindung ist Verwaltung im verfassungsrechtlich vorausgesetzten Sinne nicht „verlängerter Arm" der Regierung, sondern hat trotz aller bestehenden Verknüpfungen eine selbständige Funktion in der verfassungsrechtlichen Ordnung der staatlichen Funktionen.614 610 Bürgerschafts-Drs. 15/5357, S. 25. 611

Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 1995, Rn. 588. 612 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 1995, Rn. 531. 613 Stein, Staatsrecht, 1998, § 10 III, VII.

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Auch auf Ebene der Länder besteht das Prinzip der parlamentarischen Verantwortlichkeit der Regierung. Für Hamburg ist es in Art. 33 HV festgeschrieben. Nach dieser Norm ist der Senat die Landesregierung, der die Verwaltung führt und beaufsichtigt. Damit ist der Senat die Spitze des gesamten exekutiven Bereichs, einschließlich Fachbehörden und Bezirksämtern. Wegen der Garantie der kommunalen Selbstverwaltung ist für die Flächenländer anerkannt, daß trotz der parlamentarischen Verantwortlichkeit der Regierung im gemeindlichen Selbstverwaltungsbereich das Land auf die Rechtsaufsicht beschränkt ist. Nach Art. 28 Π GG erfüllen die Gemeinden ihre Aufgaben in eigener Verantwortung. Damit ist nicht nur zum Ausdruck gebracht, daß die Gemeinden Spielraum für die Gestaltung der Verwaltung nach eigenen Überlegungen haben sollen, sondern auch, daß die für die Gemeinden handelnden Organe für ihr Verhalten verantwortlich sind. Das bedeutet, daß die Gemeinden in ihrem institutionellen Rahmen, nicht aber - zumindest nicht in erster Linie - , daß sie dem Staat gegenüber verantwortlich sind. Die kommunalen Vollzugsorgane haben sich demnach entsprechend den bestehenden Kommunalverfassungen gegenüber der kommunalen Volksvertretung und diese sich gegenüber dem Volk zu verantworten. 615 Mit dem Prinzip der Selbstverwaltung ist es unvereinbar, daß dem Staat inkorporierte Gebietskörperschaften hauptsächlich oder ausschließlich dem Staat gegenüber verantwortlich sind und nicht dem örtlichen Volk. 616 Fachaufsicht besteht dagegen in allen Auftragsangelegenheiten, die den Gemeinden durch staatliche Weisung überantwortet werden. 617 Im zuletzt genannten Aufgabenbereich handeln die kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften als unterste Ebene des politischen Systems nicht aus eigener Befugnis, sondern in staatlichem Auftrag. Das heißt, lediglich für die Auftragsangelegenheiten gilt das Prinzip der primären Verantwortlichkeit gegenüber dem Staat und der ergänzenden Verantwortung im eigenen Bereich. 618 In Hamburg gibt es keine dem Grundgesetz oder den übrigen Landesverfassungen vergleichbare Selbstverwaltungsgarantie, die der Verantwortlichkeit des Senats gegenüber der Bürgerschaft Grenzen setzt. Zwar besteht auch nach der Hamburger Verfassung zwischen dem Senat und den übrigen Behörden keine instanzielle Einheit. So sind beispielsweise Fachbehörden und Bezirksämter keine unselbständigen Teile der Behörde Senat, da ihnen nach Art. 4 I I HV, § 4 I VwBG die selbständige Erledigung der Aufgaben zugewiesen ist. 619 Diese Regelungen reichen an eine Selbstverwaltungsgarantie nicht heran. Selbständige Erledigung übertragener Auf614

Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 1995, Rn. 537. 615 Püttner, Verantwortlichkeit und Kontrollpflicht, 1983, S. 435,437. 616 Püttner, Verantwortlichkeit und Kontrollpflicht, 1983, S. 435,437. 617 Siehe allgemein zur Rechts- und Fachaufsicht über die Gemeinden Knemeyer, Die Staatsaufsicht über die Gemeinden und Kreise, 1982, S. 265 ff. In einzelnen Punkten bestehen selbstverständlich wichtige Unterschiede zwischen den Kommunalverfassungen der Länder. 618 Püttner, Verantwortlichkeit und Kontrollpflicht, 1983, S. 435,438. 619 David, Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg, 1994, Art. 33 Rn. 28.

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gaben durch Verwaltungseinheiten ist „viel weniger" als Erfüllung eigener Aufgaben in eigener Verantwortung. Da die Bezirksaufgaben weiterhin vom Senat übertragen werden, müssen diesem auch in Zukunft Ingerenzrechte zustehen, um die parlamentarische Verantwortlichkeit des Senats gegenüber der Bürgerschaft sicherzustellen. Das bedeutet, daß solange eine bezirkliche Selbstverwaltungsgarantie in der Hamburger Verfassung nicht festgeschrieben ist, aufsichtsrechtlichen Regelungen, die die Eigenverantwortlichkeit der Bezirke sichern sollen, enge Grenzen gesetzt sind.

V I I . Rechtsschutz der Bezirke 1. Einführung Verfassungsrechtliche Verfahren der Hamburger Bezirke gegen Eingriffe von Senat oder Fachbehörde sowie der Bezirksorgane untereinander scheiden in Hamburg aus. Eine Normenkontrolle vor dem Hamburger Verfassungsgericht gegen Verstöße gegen die in einem Gesetz geregelten Zuständigkeitsabgrenzung zwischen Senat, Fachbehörden und Bezirken existiert nicht, da der Senat die Zuständigkeitsabgrenzung durch Rechtsverordnung festlegt. Ein Organstreitverfahren nach Art. 65 ΠΙ Nr. la HV kommt nicht in Betracht, da die Hamburger Bezirke keine Verfassungsorgane und von der Hamburger Verfassung auch nicht mit eigenen Rechten ausgestattet sind. Den Bezirken steht schließlich keine Antragsberechtigung im abstrakten Normenkontrollverfahren nach Art. 65 ΙΠ Nr. 2 HV zu. Antragsberechtigt zur Erhebung einer Normenkontrolle sind nur der Senat oder ein Fünftel der Abgeordneten der Bürgerschaft. Ein Verfassungsbeschwerdeverfahren gibt es in Hamburg mangels Grundrechtskatalog nicht. Das Hamburgische Verfassungsgericht hat in einem Urteil aus dem Jahre 1963 entschieden, daß ein Beschluß des Senats über die Zweifelsfälle der Mitwirkung der Deputierten nach § 9 V VwBG sowie Aufsichtsmaßnahmen gemäß § 1 IV VwBG keiner verfassungsgerichtlichen Nachprüfung unterliegen.620 In der zuletzt genannten Norm war bis zum Erlaß des Verwaltungsreformgesetzes im Juni 1997 das Evokations- und Weisungsrecht des Senats gegenüber der Bezirksverwaltung geregelt. Mit dieser Entscheidung sicherte das Gericht die bestehende KompetenzKompetenz des Senats gegen jede verfassungsgerichtliche Anfechtung. Von der verfassungsgerichtlichen Unanfechtbarkeit der Aufsichtsmaßnahmen des Senats geht wohl auch die Literatur aus. 621 620 Urt. v. 9. Januar 1963, HVerfG 1 / 62. Tenor teilweise abgedruckt in GVB1.1963, S. 27. 621 Ipsen, Hamburgs Verfassung und Verwaltung, 1956, 382, 386 f.; David, Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg, 1994, Art. 57 Rn. 65; Thieme, Die Verwaltung 1979, 232, 236. Thieme erwähnt das Urteil des Hamburger Verfassungsgerichts nicht. Im Zusammenhang mit der Reform von 1978 heißt es, daß dem Senat weiterhin die Kompetenz-Kompetenz zustehe und die Entscheidungen des Senats abschließend seien.

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Die Bezirke Hamburgs nehmen weiterhin nur vom Senat übertragene Aufgaben wahr. Auch nach Einführung des neuen Lenkungs- und Aufsichtssystems steht dem Senat nach § 5 BezVG ein Weisungs- und Evokationsrecht gegenüber den Bezirksämtern zu. Auch nach geltender Rechtslage können deshalb aufsichtsrechtliche Maßnahmen gegenüber den Bezirken vom Hamburger Verfassungsgericht nicht überprüft werden. Im übrigen würde ein Streit über die Zulässigkeit einer Aufsichtsmaßnahme des Senats gegenüber dem Bezirksamt in den Zuständigkeitsbereich der Verwaltungsgerichte fallen, da „kommunale Verfassungsstreitigkeiten" keine verfassungsrechtlichen Streitigkeiten iSd § 401 VwGO sind. 622

2. Innerbezirkliche Organstreitverfahren Die Verwaltungsgerichte Hamburgs haben trotz der im Vergleich zu den Flächenländern sowie Berlin stark ausgeprägten Einheitlichkeit der Hamburger Verwaltung sowohl Streitigkeiten auf der Ebene der Fachbehörden, als auch auf der Bezirksebene für zulässig erklärt. In der wohl einzigen Stellungnahme wird dieser Auffassung gefolgt.

a) Rechtsprechung der Hamburger Verwaltungsgerichte Die Hamburger Gerichte haben die Zulässigkeit von Binnenstreitigkeiten zwischen den Bezirksorganen untereinander sowie zwischen Fachbehörden unter Anwendung der Grundsätze des Kommunalverfassungsstreits bejaht.623 Gemäß dem ersten Leitsatz einer Entscheidung des OVG Hamburg über die Einräumung von Ausschußsitzen in der Β V ist ein Rechtsstreit zwischen der hamburgischen Β V und einer ihrer Fraktionen kein unzulässiger Insichprozeß.624 Eine dogmatische Auseinandersetzung mit der Frage, ob in Anbetracht der ausgeprägten Staatlichkeit der Hamburger Verwaltung der Kommunalverfassungsstreit eine zur entsprechenden Anwendung geeignete Figur darstellt, erfolgt in diesen Entscheidungen nicht. Aus dogmatischer Sicht wäre es wohl zutreffend, die allgemeinen Grundsätze zu Innenrechtsstreitigkeiten der Prüfung zugrundezulegen.

622 Siehe nur OVG Hamburg, HmbJVBl. 1986, 72,73. 623 OVG Hamburg, Urt. v. 12. Juni 1985, auszugsweise abgedruckt in: DVB1. 1986, 242 ff.; VG Hamburg, Urt. v. 26. Oktober 1983-8 VG 1126/83 - . 624 OVG Hamburg, DVB1. 1986, 242.

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b) Literatur Soweit ersichtlich hat sich seitens der Literatur nur David mit dem Problem beschäftigt, ob den Bezirksorganen untereinander der Klageweg offensteht. 625 Seiner Ansicht nach läßt die Verwaltungsorganisation Hamburgs ungeachtet ihrer Einheitlichkeit Raum für die Anwendung der Grundsätze des sogenannten Insichprozesses. Das Gesetz über die Verwaltungsbehörden und das Bezirksverwaltungsgesetz statte Organe und Organteile der Verwaltung mit Rechten aus, die die Qualität von subjektiv-öffentlichen Rechten besäßen. Die Organe nähmen diese Rechte nicht „transitorisch" mit Wirkung für die juristische Person Freie und Hansestadt Hamburg wahr, sondern als eigene. Beide Gesetze hätten in Erfüllung des in Art. 56 HV normierten Auftrags den Deputationen und BVen, in bestimmten Fällen auch ihren Mitgliedern, eine Stellung verliehen, die sie zu sogenannten Kontrastorganen oder Teilen davon innerhalb der Verwaltungsorganisation machen. Rechte, die ihnen zur Erfüllung der in Art. 56 HV genannten Aufgabe der Mitwirkung an der Verwaltung eingeräumt sind, besäßen sie als eigene.626 Antragsbefugte Organe bzw. Teilorgane in innerbezirklichen Streitigkeiten seien neben der BV und ihren Fraktionen das Bezirksamt sowie die Mitglieder der B Vais Organteile.627

c) Stellungnahme Die Anwendbarkeit der Grundsätze des verwaltungsrechtlichen Organstreitverfahrens auf Streitigkeiten der Bezirksorgane Berlins untereinander ist in Kapitel D. Vili. 3. ausführlich behandelt worden. Hierauf kann verwiesen werden. Die von David genannten Organe sind von der Hamburger Verfassung und durch das einfache Gesetz mit eigenen Rechten ausgestattet worden, die der Machtbalance innerhalb der Verwaltung Hamburgs dienen. Deshalb kann hier ohne weitere Erörterung der Auffassung gefolgt werden, daß den Hamburger Bezirksorganen zur Verteidigung ihrer Rechte untereinander der Rechtsweg vor den Verwaltungsgerichten zusteht. 3. Verwaltungsgerichtliche Verfahren gegen Eingriffe des Senats und der Fachbehörden Verwaltungsgerichtliche Entscheidungen zu Klagen von Bezirken bzw. ihren Organen gegenüber Aufsichtsmaßnahmen von Senat bzw. Fachbehörden sind nicht bekannt. Legt man der Prüfung, ob den Bezirken Hamburgs subjektiv-öffentliche Rechte zustehen, die sie vor den Verwaltungsgerichten geltend machen können, die Grundsätze zum verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahren zu625

David, Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg, 1994, Art. 57 Rn. 63 ff. 6 David, Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg, 1994, Art. 57 Rn. 64. 627 David, Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg, 1994, Art. 57 Rn. 63. 62

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gründe, dann muß man nach geltender Rechtslage eine Klagebefugnis der Bezirke verneinen. Wie dargelegt, sind die Berliner Bezirke keine Organe der Einheitsgemeinde Berlin. Entsprechendes gilt für die Hamburger Bezirke, für die gemäß Art. 4 Π HV die selbständige Aufgabenerledigung vorgesehen ist. Zudem wird auch die BV in Hamburg vom Bezirksvolk gewählt. Die Bezirksamtsleiter werden von der BV durch Wahl dem Senat zur Bestellung vorgeschlagen. Im Gegensatz zur Rechtslage in Berlin gibt es in Hamburg aber keine bezirkliche Selbstverwaltung. Die Bezirke sind nur dekonzentrierte Verwaltungseinheiten der unmittelbaren Staatsverwaltung. Der Senat hat in seinen Erläuterungen zum Konzept zur Neuorganisation der Bezirksverwaltung ausdrücklich hervorgehoben, daß die dezentralen Verwaltungseinrichtungen das Ergebnis von Zweckmäßigkeitsüberlegungen für eine funktionsfähige und bürgernahe Verwaltung sind und sie nicht dazu bestimmt sind, Plattformen für Gegengewichte gegenüber Senat und Bürgerschaft zu bieten.628 Da in der Novelle des Bezirksverwaltungsgesetzes von 1997 an diesem Konzept - insbesondere dem Weisungs- und Evokationsrecht des Senats - festgehalten wurde, kann man die Bezirke nicht als Kontrastorgane zu Senat und Fachbehörden ansehen. Nach geltender Rechtslage können sie gegenüber Aufsichtsmaßnahmen deshalb keinen verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen.629 Eine Ausnahme stellt in diesem Zusammenhang eine Entscheidung des OVG Hamburg dar, in der die Justitiabilität des Rechts der Deputierten auf Akteneinsicht nach § 14 VwBG bejaht wurde. 630 Die Klage eines Deputierten gegen den Senat der Freien und Hansestadt, ihm Einsicht in die Akten der Behörde zu gewähren, der er angehört, sei nach § 40 I VwGO entsprechend den Grundsätzen über kommunal verfassungsrechtliche Streitigkeiten zulässig.631 Auch diese Entscheidung wird von David begrüßt. 632 Das Recht auf Vorlage von Akten gemäß § 14 VwBG würden die Deputierten nicht „transitorisch" für 628

Siehe den Nachweis in Fußn. 581. 629 Auch den Kommunen der Flächenstaaten steht gegen fachaufsichtsrechtliche Maßnahmen der Rechtsweg vor den Verwaltungsgerichten nicht zu. Siehe hierzu die Nachweise in Fußn. 491. 630 OVG Hamburg, Urt. v. 28. April 1986, HmbJVBl. 1986,72,73. 631 So der erste Leitsatz von OVG Hamburg, Urt. v. 28. April 1986, HmbJVBl. 1986, 72. Das OVG betont, daß diese Entscheidung nicht im Widerspruch zum Urteil des Hamburgischen Verfassungsgerichts v. 9. Januar 1963 stehe. Der vorliegende Fall unterscheide sich von dem damals entschiedenen, weil „der Senat nach der klaren Regelung des Gesetzes die Mitwirkung der Deputierten nicht ausschließen kann, sondern es ihrer eigenen Entscheidung unterliegt, ob sie das Recht zur Akteneinsicht ausüben wollen." OVG Hamburg, HmbJVBl. 1986,72,74. 632 David, Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg, 1994, Art. 57 Rn. 64. Dieses Argument findet sich auch in der Entscheidung des OVG Hamburg, Urt. v. 28. April 1986, HmbJVBl. 1986, 72,74.

F. Konzepte in anderen europäischen Großstädten

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die Körperschaft wahrnehmen, sondern gegen sie. 633 Dieser Ansicht ist zu folgen. Das Gesetz spräche nicht von einem „Recht" auf Aktenvorlage, wenn es nicht auch vor den Verwaltungsgerichten geltend gemacht werden könnte.

4. De lege ferenda Entsprechend dem zu den Berliner Bezirken Gesagten sollte der Gesetzgeber den Hamburger Bezirken verwaltungs- und verfassungsgerichtlichen Rechtsschutz gegen Akte des Senats und der Fachbehörden ausdrücklich einräumen. Derartige Rechtsmittel sollten aber nicht isoliert festgeschrieben werden. Es wäre systemwidrig, die Bezirke weiter als dekonzentrierte Verwaltungseinheiten zu behandeln, ihnen andererseits aber Klagerechte einzuräumen.

F. Konzepte zur verwaltungsorganisatorischen Aufgliederung in anderen europäischen Großstädten Ein Blick auf die außerhalb der Bundesrepublik bestehenden Konzepte zur verwaltungsorganisatorischen Aufgliederung von Großstädten zeigt, wie unterschiedlich die Lösungsansätze sind. Beispiele für eine reine Dekonzentration sind Wien und Paris. Eine Mischung von zentralistischer und dezentralisierter Verwaltung findet man in Moskau. London und Brüssel sind ein Konglomerat von weitgehend selbständigen Gemeinden. Obwohl London kein Stadtstaat ist, wird zunächst in aller Kürze auf die geschichtliche Entwicklung, die bestehende Verwaltungsorganisation sowie die laufenden Reformen in London eingegangen. An Hand dieses Beispiels soll gezeigt werden, daß auch ohne eine Zentralinstanz die Verwaltung einer Metropole denkbar ist. Auf eine nähere Untersuchung der „Region Brüssel-Hauptstadt" wird dagegen verzichtet. Die Bildung dieses Stadtstaates im weiteren Sinn im Jahre 1989 erfolgte in erster Linie, um den Zerfall Belgiens in zwei an den Sprachgemeinschaften orientierten Staaten zu verhindern. 634 633 David, Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg, 1994, Art. 57 Rn. 64. 634 Javeau, Der Stadtstaat in Belgien: Das Beispiel Brüssel, 1994, S. 60, 62; Krämer-Badoni/Petrowsky, Stadtstaat und Stadtteilvertretungen. Anmerkungen zum Stadtstaat als Demokratielabor, 1995, S. 18, 23. Aufgrund der in beiden Regionen bestehenden offiziellen Zweisprachigkeit und weil Belgien ein föderalistischer Staat wurde, erhielt Brüssel gegenüber den beiden anderen Regionen einen autonomen Status. Eine Eingliederung der Hauptstadt Brüssel in die Region Flandern oder Wallonien hätte zudem zu einer zu starken Übermacht der betroffenen Region geführt. Javeau, Der Stadtstaat in Belgien: Das Beispiel Brüssel, 1994, S. 60, 66.

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1. Teil: Die Untersuchungsobjekte Berlin und Hamburg

Anschließend werden der Verwaltungsaufbau von Wien und Moskau, die beide Stadtstaaten im weiteren und engeren Sinn sind, in bezug auf die Ausgestaltung der Bezirksrechte dargestellt. Mit der Entscheidung des Moskauer Gesetzgebers für eine Garantie der bezirklichen Selbstverwaltung besteht zwischen Moskau und Berlin eine wichtige Gemeinsamkeit. Die Ausgestaltung der Bezirksverfassung Wiens ist dagegen mit der Rechtslage in Hamburg vergleichbar. Nach den Landesverfassungen dieser beiden Stadtstaaten sind die Bezirke nur dekonzentrierte Verwaltungseinheiten ohne wehrfähige Rechte gegenüber der Hauptverwaltung.

I . London und Brüssel Ab 1888 war London eine Verwaltungsgrafschaft mit direktgewähltem Grafschaftsrat {London County Council), dessen zahlreiche Bezirke Kirchenvorstandsversammlungen (vestries ) und Gemeinderäte (parish councils) wie eine Ansammlung von Dörfern verwalteten. Durch den London Government Act von 1899 wurde die Verwaltung Londons durch die Schaffung von 28 Stadtbezirken (metropolitan boroughs) neu organisiert. 635 Durch dieses Reformgesetz wurde der Status der Bezirke und ihre innere Struktur den Grundsätzen der britischen Kommunalverfassung angeglichen.636 Man betrieb damit bewußt eine Stärkung der Bezirke, um ein Gegengewicht gegen den London County Council zu erreichen. 637 Der Gedanke der Einheitsgemeinde für das Londoner Stadtgebiet spielte bei dieser Reformphase politisch keine Rolle. 638 Der London County Council und die metropolitan boroughs wurden 1963 durch Gesetz beseitigt und durch die Regierung Groß-Londons (Greater London Council), 32 Stadtbezirke (boroughs) und den (autonomen) City-Bereich, der 2,7 qkm mit ca. 4 300 Einwohnern umfaßt, ersetzt. 639 Bei den boroughs lag der Schwerpunkt der Befugnisse; der zentrale Greater London Council war auf wenige Kompetenzen vor allem im Planungsbereich beschränkt und finanziell durch ein Umlagesystem von den Bezirken abhängig.640 1986 wurde unter Thatcher London als Verwaltungseinheit durch Abschaffung des Greater London Council (GLQ und der angeschlossenen Behördenstruktur wieder aufgelöst. 641 Damit fehlt es der britischen Hauptstadt bis zur Bügermeister635 Hennock, AfK 1963,55, 70. 636 Schröter, VerwArch 89 (1998), 505,509. 637 Sharpe, The Abolition of the Greater London Council: Is there a Case for Resurrection?, 1995, S. I l l , 114. 638 Schröter, VerwArch 89 (1998), 505,509. 639 London Government Act von 1963. 640 Zu den Reformüberlegungen, den politischen Hintergründen sowie den Strukturproblemen der neuen Groß-Londoner Verwaltung siehe Hennock, AfK 1963, 55, 77; Schröter, VerwArch 89 (1998), 505, 509 ff. 641 Local Government Act von 1985.

F. Konzepte in anderen europäischen Großstädten

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wähl im Frühjahr 2000 sowohl an einer gesamtstädtischen Administration als auch an einer gewählten politischen Vertretung. 642 Die verschiedenen Tätigkeitsbereiche des GLC fielen zum Teil an die boroughs zurück. 643 Die übrigen Kompetenzen verlagerte man auf die Zentralregierung sowie bestehende und neuzuschaffende öffentliche Stiftungen und Anstalten.644 Nur für Teilbereiche wie Feuerwehr, Zivilverteidigung und Verkehrsmittel wurden übergreifende Behörden geschaffen. Damit besitzt London als einzige europäische Großstadt neben Brüssel keine zentrale Verwaltung. Die Auflösung des GLC erfolgte in erster Linie aus politischen und nicht aus rechtlichen oder verwaltungsorganisatorischen Gründen. 645 Mai 2000 wird nunmehr ein Bürgermeister (Real mayor) mit weitreichenden Kompetenzen646 direkt von den sieben Millionen Londonern gewählt.647 Hintergrund dieser „Reform der Reform" sind die zersplitterte Aufgabenwahrnehmung, die immer mehr als Hemmnis für die Kommunalpolitik empfunden wird sowie der Mangel an kollektiver Repräsentation. Der Premierminister Blair plant damit den Beginn einer „neuen Ära von örtlicher Selbstverwaltung" in Großbritannien. 648 Nach den durch ein Referendum bestätigten Regierungsplänen wird eine GroßLondoner Behörde (Greater London Authority) aus dem Bürgermeister und einer getrennt gewählten Versammlung (London Assembly) mit 25 Mitgliedern errichtet «2 Schröter, VerwArch 89 (1998), 505. 643 Die bestehenden Bezirke haben im Durchschnitt mehr als 200 00 Einwohner. 644 Schröter, VerwArch 89 (1998), 505,515. 645 Nach Händel/Gossel intendierte die radikale Kommunalverwaltungsreform unter Thatcher die „Zerschlagung von Labour-Hochburgen". Händel/Gossel, Grossbritannien, 1994, S. 133. Chef des GLC war das heutige Parlamentsmitglied und Bürgermeisterkandidat Ken Livingstone, genannt „Red Ken". In der International Harold Tribune hieß es hierzu jüngst „Mr. Livingstone was head of council when Margaret Thatcher was the Conservative prime minister. She got so fed up with him and the Greater London Council that she abolished it." International Harold Tribune v. 23. Oktober 1997, S. 6. Seit der Drucklegung ist Ken Livingstone Bügermeister von London. Eine umfassende Analyse der Gründe für die Abschaffung des GLC gibt O'Leary, British Farce, French Drama and Tales of two Cities, 1987, S. 369 ff. Weitere Nachweise zur Debatte um die Abschaffung des GLC finden sich bei Schröter, VerwArch 89 (1998), Fn. 29. 646 Zu den wichtigsten Zuständigkeiten gehören die Befugnisse, den Haushaltsplan der neuen Behörde aufzustellen, den Rahmenplan für die Stadt- und Nahverkehrsentwicklung vorzugeben sowie eine Reihe von wichtigen administrativen Positionen auf eigenen Vorschlag zu ernennen. Allerdings bedürfen die zentralen Budget- und Personalentscheidungen der Zustimmung durch die Vertretung. 647 Zur Zeit gibt es nur einen Lord mayor, der eine rein repräsentative Funktion innehat und dessen Zuständigkeitsbereich auf den ca. eine Quadratmeile umfassenden Bereich des alten Londons beschränkt ist. Die Idee eines direktgewählten Stadtoberhaupts für London gehen auf unabhängig voneinander erfolgten Initiativen von Dahrendorf und dem Labour-Abgeordneten Hanks zurück. Vgl. Sharpe, The Abolition of the Greater London Council: Is there a Case for Resurrection ?, 1995, S. I l l , 124. 648 FAZ V. 5. Mai 1988, „STORK und ABBA - der Negativwahlkampf von London", S. 3; Financial Times v. 22. November 1999, „More farce than democracy as London revives role of mayor".

176

1. Teil: Die Untersuchungsobjekte Berlin und Hamburg

werden 6 4 9 Dieses quasi-präsidentielle Modell weist einige Parallelen zur Rechtslage in Moskau auf, auf die unter F. ΙΠ. 2. eingegangen wird. Das Gebiet „Region Brüssel-Hauptstadt" umfaßt insgesamt 19 Gemeinden, die kein zusammenhängendes Siedlungsgebiet darstellen.650 Eine der 19 Gemeinden ist die Stadt Brüssel, auf deren Territorium sich die Institutionen des Nationalstaats befinden. Die Machtausübung ist zwischen sechs verschiedenen Ebenen aufgeteilt, welche mehr oder weniger ineinander übergehen.651 Schon aus diesen tatsächlichen Gründen ist eine Vergleichbarkeit mit Berlin und Hamburg nicht gegeben. Da in Berlin und Hamburg Einigkeit über die Beibehaltung der Einheitsgemeinde besteht, kann der bestehende Verwaltungsaufbau in Brüssel auch keine Anregungen für die Ausgestaltung der Bezirksverfassungen in den bundesrepublikanischen Stadtstaaten geben. Entsprechend dem zu London Gesagten zeigt die Existenz des Stadtstaates Brüssel, daß das Bestehen einer Verwaltungseinheit keine Voraussetzung für die Regierbarkeit einer Metropole ist.

I I . Wien 1. Wien als Stadtstaat im weiteren und engeren Sinn Wien, die Bundeshauptstadt Österreichs und Sitz der obersten Organe (Art. 5 I Bundes-Verfassungsgesetz, B-VG), ist Stadtstaat sowohl im weiteren als auch im engeren Sinn. Es ist zugleich Bundesland (Art. 2 Π B-VG) sowie Ortsgemeinde (Art. 112 B-VG) und damit Stadtstaat im weiteren Sinn. Der Terminus wird vom Verfassungsgesetzgeber nicht verwendet. Die Lehre spricht von einer verwaltungsorganisationsrechtlichen Sonderstellung Wiens. 652 Wien ist wie Hamburg und Berlin eine ungeteilte Gebietskörperschaft. Das Gebiet ist zwar in Bezirke aufgeteilt, doch haben diese keine eigene Rechtspersönlichkeit.653 Letzteres hat der österreichische Verfassungsgerichtshof ausdrücklich festgestellt. 654 Damit ist Wien Stadt649 § 1 der Greater London Authority Bill, http://www.parliament.the-stationery-office . co.uk/pa/cm 199899/cmbills/079/99079-b.htm. Einzelheiten in bezug auf diese Neuregelungen sowie eine kritische Einschätzung finden sich bei Schröter, VerwArch 89 (1998), 505, 518 ff. 650 Javeau, Der Stadtstaat in Belgien: Das Beispiel Brüssel, 1994, S. 60. 651 Die verschiedenen Ebenen werden von Javeau im einzelnen aufgeführt. Javeau, Der Stadtstaat in Belgien: Das Beispiel Brüssel, 1994, S. 60,61.

652 Walter /Mayer, Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechts, 1996, Rn. 899; Ringhofer, Die österreichische Bundesverfassung, 1977, zu Art. 108; Funk, Einführung in das österreichische Verfassungsrecht, 1991, S. 177; Walter, Österreichisches Bundesverfassungsrecht, 1972, § 262, S. 643. 653 Schütz, Die Verfassung der Bundeshauptstadt Wien, 1969, § 3 Anm. 1. 654 Wörtlich heißt es: „Das Gebiet der Stadt Wien bildet einen einzigen Verwaltungsbezirk". VfGH v. 10. Oktober 1964, ZI. Β 329/63, VfSlg. (Sammlung der Erkenntnisse und wichtigsten Beschlüsse des Verfassungsgerichtshofs) 4811.

F. Konzepte in anderen europäischen Großstädten

177

Staat auch im engeren Sinn. Im Gegensatz zu Hamburg und Berlin wird bei den Organen der Stadt Wien zwischen der Funktion als Landes- oder Gemeindeorgane rechtlich unterschieden. So hat beispielsweise der Wiener Gemeinderat eine Doppelfunktion als Landtag sowie als das zentrale beschlußfassende kommunale Organ.

2. Verwaltungsaufbau allgemein Der Gebietskörperschaft Wien kommen aufgrund ihres Doppelstatus einerseits die Aufgaben zu, die nach den Artt. 118 ff. B-VG von den Gemeinden zu besorgen sind; darüber hinaus aber auch jene, die den Ländern obliegen. Organisationsrechtlich ist diese Doppelfunktion folgendermaßen gelöst: Soweit die Besorgung von Landesaufgaben nicht besondere organisatorische Vorkehrungen erfordert, ist Wien gemäß Art. 112 B-VG nach dem für Gemeinden geltenden Muster und nicht als Land eingerichtet.655 Daß der Charakter Wiens als Gemeinde im Vordergrund steht, erklärt sich historisch. Wien ist seit Jahrhunderten Stadt mit besonderem Stadtrecht, aber erst seit 1921 auch Bundesland.656 Bestellt werden damit ausschließlich Gemeindeorgane, von denen neben den Gemeindegeschäften auch die Funktionen des Landes besorgt werden. Entsprechend sieht Art. 108 B-VG vor, daß den Organen der Stadt Wien „für die Bundeshauptstadt Wien als Land" auch die Funktionen der mit ihnen vergleichbaren Landesorgane zukommen. Das heißt konkret: Der Stadtsenat übernimmt auch die Funktionen der Landesregierung, der Bürgermeister zusätzlich die des Landeshauptmanns, der Magistrat die des Amtes der Landesregierung und der Magistratsdirektor die des Landesamtsdirektors.657 Eine Unterscheidung zwischen den wahrzunehmenden Funktionen ist nach wohl allgemeiner Auffassung rechtlich geboten.658 Beispielsweise wurde vom Verfassungsgerichtshof ein Zuständigkeitsmangel einer Entscheidung des Stadtsenats angenommen, als dieser als Landesregierung hätte handeln sollen, tatsächlich aber als Gemeindeorgan gehandelt hat. 659 Nach einer Mindermeinung bedeutet das, daß Wien nur Gemeinde ist und als Bundesland lediglich fungiert. 660 Die herrschende Auffassung betont, daß Wien als Land eigene Organe habe und lediglich Personalidentität der Organwalter be655 Die staatsorganisationsrechtliche Sonderstellung Wiens wird in Art. 108 bis 111 B-VG geregelt. Daneben gelten für Wien als Bundesland subsidiär die Art. 95 bis 106 B-VG, als Ortsgemeinde subsidiär die Art. 95 bis 107 B-VG. 656 Walter/Mayer, Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechts, 1996, Rn. 899. 657 Walter/Mayer, Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechts, 1996, Rn. 900 ff.

658 VfSlg. 3340; Mayer, B-VG Kurzkommentar, 1997, Art. 108 Anm. I 3 mwN; Walter/ Mayer, Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechts, 1996, Rn. 899. 659 VfSlg. 3340. 660 Ringhofer, Die österreichische Bundesverfassung, 1977, zu Art. 108, S. 338 f. 12 Deutelmoser

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1. Teil: Die Untersuchungsobjekte Berlin und Hamburg

stehe. Diese Organwalter, die jeweils anderen Geschäftsordnungen unterliegen, würden in den verschiedenen Organen unterschiedliche Funktionen wahrnehmen und nach unterschiedlichen Regeln vertreten werden. 661

3. Bezirksebene Gemäß § 1 I Wiener Stadtverfassung (WStV) 6 6 2 ist Wien in Übereinstimmung mit den bereits genannten Vorschriften der Bundesverfassung „eine Gebietskörperschaft mit dem Recht auf Selbstverwaltung. Sie ist eine Stadt mit eigenem Statut; neben den Aufgaben der Gemeindeverwaltung hat sie auch die Bezirksverwaltung zu besorgen". Das Gebiet Wien ist „zu Zwecken der Verwaltung in Bezirke eingeteilt" (§ 31 WStV). Insgesamt gibt es 23 Bezirke (§ 3 Π WStV), die - wie gesagt keine Rechtspersönlichkeit besitzen. Für jeden der 23 Wiener Gemeindebezirke ist nach den Bestimmungen der Wiener Stadtverfassung gemeinsam mit dem Gemeinderat eine Bezirksvertretung zu wählen.663 An der Spitze jeder Bezirksvertretung steht ein Bezirksvorsteher. Die Stellung der Bezirksvertretung ist in § 104 WStV geregelt. Nach Absatz 1 besorgt die Bezirksvertretung jene Angelegenheiten, welche die Interessen des Bezirks zunächst berühren und innerhalb ihrer Bezirksgrenzen durchgefühlt werden können, insofern ihr diese Angelegenheiten vom Gemeinderat ausdrücklich übertragen worden sind. Damit steht den Bezirksvertretungen kein verfassungsgesetzlich gewährleisteter Wirkungskreis zu. 6 6 4 Nach § 103 I WStV sind weiter die Bezirksvorsteher Exekutivorgane der Gesamtstadt Wien. Sie dienen der Unterstützung des Bürgermeisters in den Angelegenheiten des eigenen Wirkungskreises der Gemeinde, soweit sie den Gemeindebezirk betreffen. Indem § 104 I WStV - entsprechend Art. 4 Π HV - eine Besorgung der Bezirksangelegenheiten durch die Bezirksvertretungen nur vorsieht, wenn sie vom Gemeinderat auf diese übertragen worden sind und nach § 104 II WStV die Bezirksvertretung bei der Besorgung dieser Angelegenheiten sich an die Anordnungen des Gemeinderats zu halten haben, stellt die Bezirksaufteilung in Wien einen Fall der reinen Dekonzentration dar. Entsprechend diesen gesetzlichen Vorgaben ist anerkannt, daß nur die Gebietskörperschaft Wien einen individuellen verfassungsrechtlichen Bestandsschutz genießt. 665 Die Bezirke Wiens können sich dagegen auf keine gesetzlich festgeschriebene Selbstverwaltungsgarantie berufen. § 105 WStV schließt vielmehr eine 661

Walter, Österreichisches Bundesverfassungsrecht, 1972, § 262, S. 643; Ermacora/ Winkler/Koja/Rill/Funk, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1979, S. 376 mwN. 662 LGB1. für Wien Nr. 26/1965. 663 Auch in Wien wurde ein allgemeines Ausländerwahlrecht zu den Wiener Bezirken diskutiert. Siehe hierzu Sokop, Ausländerwahlrecht zu den Wiener Bezirken, ÖGZ 1989,10 ff. 664 Erkenntnis des VfGH v. 12. Juni 1959, VfSlg. 3555; Schütz, Die Verfassung der Bundeshauptstadt Wien, 1969, § 104, Anm. 2. 665 VfSlg. 6697.

F. Konzepte in anderen europäischen Großstädten

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solche Garantie aus, indem er die Zuständigkeiten der Bezirke auf die Angelegenheiten beschränkt, die ihnen vom Gemeinderat ausdrücklich übertragen werden. Darüber hinaus hat der Verwaltungsgerichtshof in einer neueren Entscheidung festgestellt, daß die magistratischen Bezirksämter keine eigenen Behörden, sondern nur dekonzentrierte Dienststellen des eine einheitliche Behörde darstellenden Magistrats des Stadt Wien sind. 666 Damit ist die Selbständigkeit der Bezirke Wiens noch weiter eingeschränkt als die der Hamburger Bezirke.

I I I . Moskau 1· Moskau als Stadtstaat im weiteren und engeren Sinn In Moskau sind in den vergangenen Jahren umfassende Reformen im Verwaltungsaufbau erfolgt, in denen die Frage nach dem Umfang und der Ausgestaltung der Selbstverwaltungsrechte der Bezirksebene eine wichtige Rolle spielte. Bereits im Sommer 1991 begann man nach der Wahl des Reformpolitikers Popov zum Bürgermeister Moskaus mit der grundlegenden Umgestaltung der politischen und administrativen Strukturen der Stadt.667 Moskau ist seitdem in zehn nichtrechtsfähige Administrativkreise aufgegliedert. Diese Administrativkreise sind wiederum in sogenannte „munizipale Bezirke" (im folgenden: Gemeindebezirke) aufgeteilt, die auch keine eigene Rechtspersönlichkeit besitzen. Durch Abschluß des Föderativvertrages vom 31. März 1992, der in die Russische Verfassung (RV) inkorporiert wurde, erhielt Moskau den Status eines „ Föderationssubjekts" 668 (auch „Stadtföderaler Bedeutung" genannt). Die RV sieht für alle Föderationssubjekte den gleichen Status vor (Art. 5 I, IV, 72 Π RV), weshalb die Stadt Moskau - wie alle Föderationssubjekte - nunmehr auch Staatsqualität besitzt. Moskau ist somit Stadtstaat im weiteren Sinn. Da die administrativen Bezirke sowie die Gemeindebezirke keine Rechtsfähigkeit besitzen, ist es auch Stadtstaat im engeren Sinn.

2. Verwaltungsaufbau/Garantie der bezirklichen Selbstverwaltung Im Zuge der Neugestaltung des Verfassungs- und Verwaltungsaufbaus in Moskau erging eine Vielzahl von Verordnungen, die nicht nur die Bildung völlig neuer Verwaltungsorgane vorsahen, sondern auch die alten entmachteten. Die bisherige 666 VwGH 22. Oktober 1992, ZI 92/18/0342. 667 Vgl. hierzu Wollmann, Stadtpolitik und -Verwaltung in Rußland im Sog des Machtkampfes, 1994, S. 1 ff. 1995 wurde Popov von Luschkov im Amt des Bürgermeisters abgelöst. 668 Die Föderationssubjekte sind mit den Ländern der Bundesrepublik vergleichbar. 12*

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1. Teil: Die Untersuchungsobjekte Berlin und Hamburg

Struktur der Stadtbezirke mit gewählten Stadtbezirksvertretungen wurde aufgelöst und durch das System der Administrativkreise - mit vom Bürgermeister zu ernennenden Präfekten - und Gemeindebezirken - mit entsprechend zu ernennenden Unterpräfekten - ersetzt. Das Recht zur örtlichen Selbstverwaltung der Gemeindebezirke ist seit 1993 gesetzlich festgeschrieben. Diese Regelung entspricht weitgehend der Garantie der bezirklichen Selbstverwaltung nach Art. 66 II BerlVerf 1995. Wörtlich heißt es: „... in dem Gemeindebezirk, der administrativ-territorialen Einheit der Stadt Moskau, wird die Selbstverwaltung der Einwohnerschaft verwirklicht". 669 Ende 1993 ergingen zwei Präsidentendekrete670, die sich mit dem Verwaltungsaufbau und der örtlichen Selbstverwaltung in Moskau befaßten und die bisherigen Maßnahmen Popovs bestätigten. Insbesondere die Machtposition des Bürgermeisters mit seinen weitreichenden exekutiven und legislativen Kompetenzen wurde beibehalten. Die Moskauer Duma ist zwar als ständig arbeitendes Organ vorgesehen, umfaßt aber nur 35 Mitglieder. Wie bei der geplanten Vertretungskörperschaft Londons ist man eher an ein »Aufsichtsratsmodell" als an eine umfassende politische Repräsentation dieser mehr als 9 Millionen Einwohner zählenden Metropole erinnert. Diese Vertretungskörperschaft soll wie die Londoner Ratsversammlung als Kontrollinstanz und Gegengewicht zur Exekutive fungieren. Nach der Aussage des stellvertretenden Bürgermeisters von Moskau im Jahre 1994 Petrov 671 wird trotz der in den Gemeindebezirken gesetzlich vorgesehenen örtlichen Selbstverwaltung diese in der Praxis bislang kaum praktiziert. Eine solche setze eine erneute Änderung der Verwaltungsstruktur voraus, die für die nächsten Jahre geplant sei. 672 Eine entscheidende Stärkung der Selbstverwaltungsrechte der Gemeindebezirke gegenüber der Verwaltungsspitze ist durch das in der Moskauer Duma in Vorbereitung befindliche Regionalgesetz zur Festlegung allgemeiner Organisationsprinzipien der örtlichen Selbstverwaltung zu erwarten. Den Erlaß eines solchen Gesetzes ermöglicht Art. 72 I m) RV. Die Vorschrift nennt die Rechtsgebiete der „gemeinsamen Zuständigkeit" der Russischen Föderation und der Subjekte der Russischen Föderation und ist der Rahmengesetzgebungskompetenz nach Art. 75 GG vergleichbar.673 Nach Art. 721 m) RV können die Vertretungsorgane der Föderations669 Art. 1 IV der „Vorläufigen Bestimmung über die allgemeinen Prinzipien der administrativ-territorialen Gliederung und die Organisation der örtlichen Selbstverwaltung in der Stadt Moskau" vom 10. Dezember 1993, Rossijskaja Gazeta 29. Dezember 1993, S. 4. 670 Vorläufige Bestimmungen über das System der Staatsmacht in Moskau vom 14. Oktober 1993, Rossijskaja Gazeta 27. Oktober 1993, S. 6; Vorläufige Bestimmung über die allgemeinen Prinzipien der administrativ-territorialen Gliederung und Selbstverwaltung in Moskau vom 10. Dezember 1993, Rossijskaja Gazeta 29. Dezember 1993, S. 4. 671 Im Rahmen einer vom Deutschen Beamten Bund veranstalteten Tagung mit Spitzenbeamten und Entscheidungsträgern der Stadtverwaltung Moskaus, an der die Verfasserin teilnahm. 672 Soweit ersichtlich sind entsprechende Neuregelungen bis heute nicht erlassen worden.

F. Konzepte in anderen europäischen Großstädten

181

Subjekte die wichtigsten Fragen der örtlichen Selbstverwaltung sowie der Festlegung allgemeiner Organisationsprinzipien für das System der Organe der Staatsgewalt selbst regeln. Es ist zu erwarten, daß die Moskauer Duma die Gemeindebezirke zu Lasten der mit umfangreichen Vollmachten ausgestatteten Verwaltungsspitze stärken wird. Eine solche, die Dezentralisierung vorantreibende Gesetzgebung wird insbesondere durch das - ebenfalls auf Art. 721 m) RV gestützte - Bundesgesetz „über die allgemeinen Grundsätze der Organisation der örtlichen Selbstverwaltung Russischen Föderation " vom 28. August 1995 ermöglicht. Das Gesetz kann man als Gegengewicht zur bestehenden zentralistischen Machtvertikale des Präsidenten auf Bundesebene werten. Nach Wollmann 674 hat sich mit diesem Gesetz ein dezidiert dezentrales Staatsorganisationsmodell durchgesetzt, welches man als „radikales Modell lokaler Autonomie" bezeichnen könne. Die Regelungen dieses Gesetzes entsprechen in vielen Punkten der Europäischen Charta für kommunale Selbstverwaltung. 675 Diese Regelungen stimmen wiederum mit der Auslegung der kommunalen Selbstverwaltung nach Art. 28 I I GG durch die Rechtsprechung und die Literatur weitgehend überein. 676 Im März 1997 ist dieses Gesetz um Vorschriften über die diesbezüglichen Zuständigkeiten und Gesetzgebungskompetenzen der beiden Städte föderaler Bedeutung Moskau und St. Petersburg ergänzt worden. 677 Um die Einheit der gesamtstädtischen Wirtschaft herzustellen, ist in wichtigen Bereichen wie ζ. B. dem »kommunalen4 Eigentum die Zuständigkeit der Zentralebene vorgesehen (Art. 6 II). Gleichzeitig wird ausdrücklich bestimmt, daß der Bevölkerung der städtischen Siedlungen von Moskau und St. Petersburg das Recht auf örtliche Selbstverwaltung nicht entzogen werden darf (Art. 12IV).

673 Nach Schweisfurth können die Föderationssubjekte in den Fällen von Art. 72 RV legeferieren, nur müssen sich ihre Gesetze im Einklang mit dem Föderationsrecht befinden. Schweisfurth, EuGRZ 1994,473,484. 674 Wollmann, Osteuropa 1996,676,689. 675 Samotaew, Munizipalnoe prawa Rossii, 1996, S. 16,17. Auch nach dem Bundesgesetz fallen in die Zuständigkeit der örtlichen Selbstverwaltung der munizipalen Bezirke die Fragen örtlicher Bedeutung, die in einem dreißig Punkte umfassenden Aufgabenkatalog (Art. 6) aufgezählt werden. Vgl. zu diesem Gesetz ausführlich Wollmann, Osteuropa 1996,676,685 f. 676 Knemeyer, DÖV 1988,997. 677 Sobranie zakonodatel'stva RF (Sammlung der russischen Rechtsvorschriften der RF) 1997 Nr. 12, Pos. 1378. Vgl. WiRO 1997,1378.

in

Zweiter Teil

Verfassungs- und europarechtliche Vorgaben Im zweiten Teil der Arbeit sollen die verfassungs- und europarechtlichen Grundlagen für die Ausgestaltung der Bezirksverfassung in den Stadtstaaten Hamburg und Berlin geklärt werden. Als erstes wird auf das Dogma der stadtstaatlichen Einheitsverwaltung eingegangen, welches ein Unterfall des lange Zeit heftig umstrittenen Prinzips der Einheit der Verwaltung ist.

A. Stadtstaatliche Einheitsverwaltung und das Prinzip der Einheit der Verwaltung Die grundlegenden Schlachten zur Überwindung des Dogmas der Einheit der Verwaltung sind schon vor einiger Zeit geschlagen worden. Geltung und Umfang eines solchen Prinzips war beispielsweise ein zentraler Streitpunkt in den jahrzehntelangen Auseinandersetzungen um die Zulässigkeit von Insichprozessen.1 Dieser Streit hat eindrücklich gezeigt, wie die begründungslose und teilweise wohl auch unreflektierte Forderung nach Einheit der Verwaltung eine „Denkbarriere für die Umsetzung innerorganisatorischer Differenzierungen in juristische Formen"2 sein kann. Im folgenden soll die Entwicklungsgeschichte des Dogmas der Einheit der Verwaltung und seine Bedeutung für die heutige Verwaltungsorganisation der Bundesund Landesebene nachgezeichnet werden. Die Darstellung wird zeigen, daß man sich seitens der Verwaltungswissenschaft und der Gerichte von der Vorstellung der Verwaltung als Einheit gelöst hat. Nur in Berlin und Hamburg hält man mit dem Hinweis auf die Einheitsgemeinde an diesen „überkommenen" Einheitsvorstellungen fest. 1

Beispielhaft seien hier einige ältere oberverwaltungsgerichtliche Entscheidungen zitiert, in denen die Gerichte prüften, ob dem Prinzip der Einheit der Verwaltung ein allgemeines Verbot des Insichprozesses zu entnehmen ist. OVG Münster, NJW 1953, 1158, 1160; OVG Hamburg, DVB1. 1951,479,480; OVG Münster, OVGE 6,224, 227. Kisker hat seiner Monographie aus dem Jahre 1968 über die Zulässigkeit von Insichprozessen vor den Verwaltungsgerichten den Titel „Insichprozeß und Einheit der Verwaltung" gegeben. 2 Bryde, VVDStRL 46 (1988), 182, 195.

Α. Stadtstaatliche Einheitsverwaltung

183

Ι . Das Dogma der Einheit der Verwaltung Einheit der Verwaltung ist kaum ein Begriff, der einem als erstes einfällt, wenn man an die ausdifferenzierte deutsche Verwaltung denkt. Die juristische Literatur sowie die Verwaltungsgerichte verwenden den Terminus seit Ende des zweiten Weltkriegs.3 Das mit dem Begriff umschriebene Problem ist allerdings viel älter und spielte schon in den Verwaltungsreformen in Preußen eine wichtige Rolle.4 Über anderthalb Jahrhunderte ging man weitgehend unbestritten davon aus, die Verwaltung bilde, ungeachtet aller organisatorischen Differenzierungen, eine innere Einheit.5 Diese Vorstellung sollte durch die Prinzipien der Hierarchie, der Staatsaufsicht sowie der Trennung von Verwaltungsapparat und gesellschaftlichen Kräften verwirklicht werden.6 Eine Trendwende vollzog sich zu Beginn der siebziger Jahre. Propagiert wurde nunmehr die „Ausdifferenzierung und Pluralisierung der Verwaltung„Kooperation„Mitwirkung gesellschaftlicher Kräfte" etc.7. Folge dieser unterschiedlichen Ansätze war eine erregte wissenschaftliche Diskussion, die Haverkate treffend als einen „Götterstreit" zwischen sogenannten „klassischen" und sogenannten „modernen" Verwaltungskonzeptionen bezeichnete.8 Entsprechend kontrovers war lange Zeit die rechtliche Einordnung. Sie reichte von normativem Postulat über Organisationsmaxime bis hin zur Bezeichnung als Mythos der Verwaltung oder Rumpelkammer der Verwaltungsgeschichte.9 Püttner meint gar, daß sich hinter dem Schlagwort der Einheit der Verwaltung „nur Imperialismuswünsche des Landrats nach Ausdehnung seiner Zuständigkeiten"10 verbergen. Die Staatsrechtslehrertagung von 1987 mit dem Thema „die Einheit der Verwaltung als Rechtsproblem" war Anlaß für die Veröffentlichung einer Fülle von Aufsätzen mit dem gleichen Titel. 11 Spätestens seit diesem Zeitpunkt herrscht Einig3 Etwa Peters, Lehrbuch der Verwaltung, 1949, S. 50; Weber, Staats- und Selbstverwaltung in der Gegenwart, 1967, S. 20,50. 4

Im Rahmen der Auseinandersetzung um die Verwaltung der direkten Staatssteuern in Preußen stritt man bspw. über die Zweckmäßigkeit der Bildung von Sonderbehörden. Haverkate, VVDStRL 46 (1988), 218. 5 Vgl. hierzu Haverkate, VVDStR 46 (1988), 218, 219. « Siehe zu diesen Prinzipien ausführlich Brohm, VVDStRL 30 (1972), 245,293 ff. 7 Ein Überblick über diese eher verwaltungspolitische als verwaltungswissenschaftliche zu nennende Kontroverse von Anfang der 70-er Jahre findet sich ebenfalls bei Brohm, VVDStRL 30 (1972), 245, 261 ff. 8 Haverkate, VVDStRL 46 (1988), 218,219. 9 So hat beispielsweise Meyer im Rahmen der Aussprache auf der Staatsrechtslehrertagung im Jahre 1987 Einheit der Verwaltung als Mythos bezeichnet. Meyer, VVDStRL 46 (1988), 259, 288. Dazu ebd. Haverkate, S. 291. Die Bezeichnung von Einheit der Verwaltung als Mythos verwendet auch Schuppert, Der Staat 28 (1989), 91, 97. Siehe zu den verschiedenen Möglichkeiten der rechtlichen Einordnung Schuppert, DÖV 1987,757 ff. 10 Püttner, Verwaltungslehre, 1982, S. 83.

184

2. Teil: Verfassungs- und europarechtliche Vorgaben

keit darüber, daß aufgrund der Vielfalt und dem Formenreichtum rechtlich und faktisch verselbständigter Einheiten von einem durchgängigen Rechtsprinzip nicht gesprochen werden kann.12 Auf normativer Ebene besteht heute eine Ambivalenz von Differenzierungsund Entdifferenzierungsprozessen 13, die eine nicht einfach aufzulösende Spannung zwischen Pluralismusgeboten und einem Verständnis der Verwaltung als Einheit darstellt.14 Mit der Verteilung der Verwaltungsfunktionen auf Bund, Länder und Kommunen hat sich das Grundgesetz einerseits für einen vielfältig dezentralisierten, problem- und ortsnahen Verwaltungsvollzug entschieden. Auch das Gewaltenteilungs- sowie das Ressortprinzip des Grundgesetzes sind offen für Pluralisierung. Auf der anderen Seite ist durch die Verankerung in einer Staatsgewalt die Einheit der Verwaltung - trotz des Fehlens einer ausdrücklichen Normierung im Grundgesetz - zumindest theoretisch hergestellt.15 Für die Frage, ob die Verwaltungsaufgaben für das Gemeinwesen hierarchisch oder pluralistisch erfüllt werden, ist damit noch keine Aussage getan.16 Insgesamt zeichnen sich die neueren Veröffentlichungen durch vermittelnde Stellungnahmen aus. Es wird nicht einseitig Einheit oder Pluralismus gefordert, sondern versucht, eine Balance zwischen beiden Prinzipien zu finden. Die pluralistische, arbeitsteilige Verwaltung wird als Tatsache hingenommen, gleichzeitig aber die Notwendigkeit betont, aus Sachgesichtspunkten wie Planung, Informatili Oldiges, NVwZ 1987, 737 ff.; Sachs, NJW 1987, 2338 ff.; Schuppen, DÖV 1987, 757 ff.; Mögele, BayVBl. 1987, S. 545 ff.; Haverkate,

VVDStRL (46) 1988, 218 ff.; Bryde,

VVDStRL (46) 1988, 181 ff. 12 Instruktiv zur Bedeutung von Rechtsprinzipien Lorenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1991, S. 169 ff., 421 ff., 473 ff. Rechtsprinzipien unterscheiden sich von Rechtsbegriffen durch ihre Konkretisierungsbedürftigkeit. Sie sind keine unmittelbar auf Einzelfalle anwendbaren Regeln, sondern Leitgedanken, die der Umsetzung durch den Gesetzgeber sowie die Rechtsprechung bedürfen. Im Anschluß an Larenz kann man sie definieren als „richtungsgebende Maßstäbe rechtlicher Normierung, die vermöge ihrer eigenen Überzeugungskraft rechtliche Entscheidungen zu rechtfertigen vermögen." Larenz, ebd., S. 474. !3 Beispiele für Entdifferenzierungsprozesse im Bereich der vertikalen Gewaltengliederung sind die „Hochzonung" von Aufgaben im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung sowie die Entwicklung zum unitarischen Bundesstaat. 14

Als Gründe für die in den vergangenen Jahrzehnten erfolgte Auffächerung der Verwaltungsstrukturen sind stichwortartig die zunehmende Komplexität der Lebensverhältnisse, die starke Ausweitung der staatlichen Aufgaben sowie die verstärkte Spezialisierung und Arbeitsteilung auch in der Verwaltung zu nennen. Siehe hierzu nur Mögele, BayVBl. 1987, 545, 546. 15 Einer solchen expliziten Aufnahme in das Grundgesetz bedurfte es nicht. Es ist die selbstverständliche Folgerung aus der Staatlichkeit des Gemeinwesens, daß die Erfüllung von Verwaltungsaufgaben grundsätzlich einer einheitlichen demokratischen Staatsgewalt zuzurechnen ist. Bryde, VVDStRL 46 (1988), 181,189. Auf die Diskussion zur Einheit der Staatsgewalt sowie seine Bedeutung für die Einheit der Verwaltung kann hier nicht eingegangen werden. Siehe hierzu Schuppen, DÖV 1987, 757, 760. Zur Einheit des Staates vgl. auch das gleichnamige Buch von Depenheuer u. a. (Hrsg.), 1998. 16 Bryde, VVDStRL 1988, 181, 189.

Α. Stadtstaatliche Einheitsverwaltung

185

onsaustausch etc. die verschiedenen Verwaltungsebenen und -einheiten über Koordination und Kooperation wieder zusammenzuführen. Aufgrund der beschriebenen Unsicherheiten vermeidet man es häufig, das Prinzip Einheit der Verwaltung zu definieren. Verstanden als verwaltungswissenschaftliche Organisationsmaxime kann man Einheit der Verwaltung mit territorialer Zusammenfassung bei einer Behörde bzw. einer Gruppe chefangegliedeter Behörden unter Verzicht auf Sonderbehörden umschreiben.17 In einem weiteren Sinn beinhaltet das Prinzip der Einheit der Verwaltung in erster Linie die Vorstellung, „daß die verschiedenen öffentlichen Aufgaben trotz ihrer Fachlichkeit in einem engen Zusammenhang stehen und durch einheitliche Leitung koordiniert erfüllt werden müssen"18. Einheit der Verwaltung ist danach nicht mehr als ein „Kürzel für gesteigerte Koordinationsnotwendigkeit"19. Bis auf Bayern findet sich in keiner Landesverfassung - einschließlich Berlin und Hamburg - ein ausdrückliches Postulat der Einheit der Verwaltung. Die in Art. 77 I I Bay Verf. zu findende Forderung nach Wahrung der notwendigen Einheitlichkeit der Verwaltung ist auch nur als Grenze der primär angestrebten Dezentralisierung anzusehen. Wörtlich heißt es: „Für die Organisation der Behörden hat als Richtschnur zu dienen, daß unter Wahrung der notwendigen Einheitlichkeit der Verwaltung alle entbehrliche Zentralisation vermieden, die Entschlußkraft und die Selbstverantwortung der Organe gehoben wird und die Rechte der Einzelperson genügend gewahrt werden." In Berlin und Hamburg ist durch die Entscheidung für eine ungeteilte Gebietskörperschaft die Einheit der Verwaltung umfassender gewährleistet, als in den Flächenländern. Auch nach geltender Rechtslage kann aber in bezug auf Berlin und Hamburg von einer stadtstaatlichen Einheitsverwaltung nicht gesprochen werden. In beiden Ländern bestehen Bezirke mit demokratisch legitimierten Bezirksvertretungen sowie nur unter beschränkter Aufsicht arbeitenden Bezirksämtern, denen in unterschiedlichem Umfang - eigene Entscheidungsrechte zukommen. Weiter sind in den vergangenen Jahren in beiden Städten verstärkt Verwaltungseinheiten mit Betriebscharakter aus der Verwaltung ausgegliedert worden. Auch den vielfältigen Anforderungen an die Verwaltung einer Millionenstadt wird die Vorstellung von einer einheitlichen stadtstaatlichen Verwaltung nicht gerecht. Aus diesen Gründen ist die vom Hamburger Senat vertretene Annahme unrichtig, daß die Übertragung von Aufgaben vom Senat auf die Bezirke statt einer gesetzlichen Zu-

" Oebecke, DVB1. 1987, 866; Thieme, Verwaltungslehre, 1984, S. 203; von Unruh, DVB1. 1979,761, 763. Die Definition des Begriffs „Einheit der Verwaltung" im Verwaltungslexikon lautet: „Der organisationsrechtliche Begriff der Einheit der Verwaltung bezeichnet die Konzentration möglichst vieler Aufgaben innerhalb einer Verwaltungsstufe bei einer Behörde im Gegensatz zur Aufgabenerledigung durch verschiedene Sonderbehörden". Eichhorn, Verwaltungslexikon, 1991, S. 249. is Püttner, Verwaltungslehre, 1982, S. 81. 19 Bryde, VVDStRL 46 (1988), 181, 193.

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2. Teil: Verfassungs- und europarechtliche Vorgaben

ständigkeitsregelung dem Prinzip der stadtstaatlichen Einheitsverwaltung entspricht.20 Es gilt deshalb, sich von dem Prinzip der stadtstaatlichen Einheitsverwaltung wie vom allgemeinen Dogma der Einheit der Verwaltung zu verabschieden. Die fehlende Trennung von gemeindlicher und staatlicher Ebene zeigt, daß die Koordinationsnotwendigkeit in Berlin und Hamburg von den Landesgesetzgebern als größer angesehen wurde, als in den Flächenstaaten. Das bedeutet nicht, daß es unterhalb der Einheitsgemeinde keine bezirkliche Selbstverwaltung geben kann.

I I . Die Forderung nach Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse Neben dem Dogma der stadtstaatlichen Einheitsverwaltung wird häufig das sozialstaatlich motivierte Postulat nach Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse von Politikern gegen die Etablierung einer eigenständigen bezirklichen Selbstverwaltungsebene in den Stadtstaaten sowie den übrigen Großkommunen ins Feld geführt. 21 Die Forderung nach Wahrung und Sicherung einheitlicher Lebensverhältnisse hat ihre verfassungsrechtliche Umsetzung in Art. 106 ΙΠ 4 Nr. 2 GG gefunden. 22 Art. 72 Π 2. Alt. GG spricht dagegen nur von gleichwertigen Lebensverhältnissen.23 Eine allgemeine verfassungsrechtliche Pflicht zur Schaffung einheitlicher Lebensverhältnisse auf Bundesebene besteht nicht. Eine solche Annahme würde in klarem Widerspruch zur Bundesstaatlichkeit stehen. Durch die Garantie der gemeindlichen Selbstverwaltung ist auch auf Landesebene die Herstellung vollständig einheitlicher Lebensverhältnisse von Verfassungs wegen ausgeschlossen. Zu20 Siehe hierzu die Ausführungen im 1. Teil, A. III. 21

Vgl. für Hamburg und Berlin die Ausführungen in der Mitteilung des Hamburger Senats an die Bürgerschaft 1996, Bürgerschafts-Drs. 15/5357, S. 2 sowie in der Berliner Senatsvorlage für Inneres 1992, Nr. 2493/92, S. 2. Zu diesem Postulat allgemein siehe Fischer-Menshausen, in: von Münch/Kunig, GGK III, 1996, Art. 104 a Rn. 28. 22 Art. 106 III GG befaßt sich unter anderem mit den Anteilen von Bund und Ländern an der Umsatzsteuer. Nach den von dem Bundesgesetzgeber zu beachtenden Grundsätzen sind „die Deckungsbedürfnisse des Bundes und der Länder... so aufeinander abzustimmen, daß ... die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse gewahrt wird." Eine ähnliche Intention wie Art. 106 III 4 GG Nr. 2 GG verfolgt Art. 104 a IV 1 GG, wonach „der Bund ... den Ländern Finanzhilfen für besonders bedeutsame Investitionen der Länder und Gemeinden (Gemeindeverbände) gewähren (kann), die zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts und zum Ausgleich unterschiedlicher Wirtschaftskraft erforderlich sind." 23 Nach der Neufassung dieser Vorschrift hat „der Bund ... in diesem Bereich das Gesetzgebungsrecht, wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht."

Α. Stadtstaatliche Einheitsverwaltung

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dem ist durch die wohl irreversible Entwicklung zum unitarischen Bundesstaat sichergestellt, daß alle wichtigen Lebensbereiche einheitlich gestaltet werden. Zu recht wird seitens der Politikwissenschaft behauptet, daß die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse von Kommunalrechtlern häufig als eine Qualität angesehen werde, die der Bürgernähe, der Effizienz und der Fähigkeit, Bedürfnisse unmittelbar zu Handlungszielen zu machen, allgemein vorgezogen werde.24 Auch Herzog hat mit deutlichen Worten die mangelnde Fähigkeit der kommunalen Politiker gerügt, sich dem „Zeitgeist der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse " 2S entgegenzustellen. Die Forderung nach völlig gleichen Lebensverhältnissen auf kommunaler Ebene werde zum einen der faktischen Unterschiedlichkeit der Gemeinden nicht gerecht und verhindere außerdem jegliche Entfaltung der Vielfalt. Auch andere kritisieren diese Entwicklung in den Kommunen als Gehorsam gegenüber einem über das rechtlich Gebotene weit hinausgehenden Anspruch der bundesdeutschen Öffentlichkeit auf Gleichbehandlung und Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse.26 Das Problem der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse tritt in der Praxis hauptsächlich im Verhältnis zwischen den unterschiedlich entwickelten Regionen innerhalb der Flächenstaaten auf. In diesen bestehen gleichzeitig Ballungsgebiete, hochentwickelte Industrieregionen, landwirtschaftliche Produktionsgebiete, Universitätsstädte, Fremdenverkehrsgemeinden, agrarische Abwanderungsgebiete etc. In Hamburg und Berlin stellt sich dagegen das Problem der Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse in weit geringerem Umfang, da in ihnen die angesprochenen Unterschiede in der Gebietsstruktur weniger stark ausgeprägt sind als in den übrigen Bundesländern. Schon aus diesen tatsächlichen Gründen kann die Einräumung von bezirklichen Selbstverwaltungsrechten zu keinen nennenswerten Ungleichbehandlungen in Hamburg und Berlin führen. Im übrigen besteht keine Rechtspflicht des Landesgesetzgebers zur Schaffung von (völlig) einheitlichen Lebensverhältnissen.

24 Sattler, Zeitschrift für Politik 1979,254,264. 25

Herzog, Kommunale Selbstverwaltung - Überprüfung einer politischen Idee, 1983, S. 29, 37. 26 Schmidt bezeichnet die Herstellung von einheitlichen Lebensverhältnissen sogar als heimliche Staatshauptzielbestimmung. Schmidt, Hessisches Staats- und Verwaltungsrecht, 1983, S. 58.

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2. Teil: Verfassungs- und europarechtliche Vorgaben

B. Demokratieprinzip und bezirkliche Selbstverwaltung I. Zum Verhältnis von Demokratie und Selbstverwaltung 1· Die Entwicklung des Meinungsstandes Bevor im folgenden Abschnitt rein verfassungspositivistisch die „kleine Münze der verfassungsrechtlichen Dogmatik des demokratischen Prinzips"27 nach Art. 20 Π GG in bezug auf die Bildung von teilrechtsfähigen bezirklichen Selbstverwaltungskörperschaften mit direkt legitimierten Bezirksvertretungen näher beleuchtet wird, soll zunächst auf die sehr alte Auseinandersetzung über das Verhältnis von Demokratie und (kommunaler) Selbstverwaltung allgemein eingegangen werden. Die Entgegensetzung von Demokratie und Selbstverwaltung, Demokratie und Partizipation, Demokratie und Demokratisierung mit der Begründung, daß nur das Gesamtvolk demokratische Legitimation verleihen kann, reicht bis in die Weimarer Republik zurück, wobei sich die staatsrechtliche Diskussion der Weimarer Zeit in erster Linie auf das Verhältnis von kommunaler Selbstverwaltung zur Demokratie bezog.28 Die wohl herrschende Auffassung sah in ihnen einen Gegensatz.29 Wie noch aufzuzeigen ist, ähnelt die damalige Diskussion der heutigen Auseinandersetzung um das Demokratieprinzip des Grundgesetzes mit der Selbstverwaltung in frappierender Weise. Aus diesem Grund wird auf diesen schon häufig „bearbeiteten" Wissenschaftsstreit im folgenden kurz eingegangen.30 Am häufigsten behauptete die „Krisenliteratur" 31, daß die kommunale Selbstverwaltung die Gefahr in sich berge, den homogenen Staat aufzulösen. Hintergrund dieser Annahme ist folgender: Im Anschluß an Carl Schmitt sah die herrschende Auffassung der Weimarer Staatsrechtslehre „die umfassende, d. h. Re-

27

Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominalverwaltung, 1993, S. 30. Bryde, Staatswissenschaften und Staatspraxis 1994, 305, 316. 29 Schmitt, Der Hüter der Verfassung, 1931, S. 91 ff.; Köttgen, Die Krise der kommunalen Selbstverwaltung, 1931, S. 26,50; Forsthoff, Die Krise der Gemeindeverwaltung im heutigen Staat, 1932, S. 21, 57. Weitere Nachweise von weniger prominenten Autoren bei Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, 1984, S. 268 ff. 30 Siehe nur Scheuner, AfK 1 (1962), 149, 153 ff.; Hofmann, AfK 1965, 264 ff. Hofmanns Ansicht nach neigte man mit dem der Epoche eigenen ideologischen Dogmatismus dazu, den Zwiespalt zwischen den gesellschaftlichen Verhältnissen in Form von organisierten Gruppen und Verbänden einschließlich der kommunalen Selbstverwaltung und der herrschenden Demokratietheorie durch Aufhebung der Realitäten zu lösen, anstatt eine den Verhältnissen angemessene Theorie zu entwickeln. Ein Vorwurf, der - in gemäßigter Form - auf die Auslegung des Demokratieprinzips des Grundgesetzes durch das Bundesverfassungsgericht übertragbar ist. 28

31 So die Bezeichnung von Hofmann als Anspielung an die in Fußn. 29 genannten Titel. Hofmann, AfK 1965, 264, 265.

Β. Demokratieprinzip und bezirkliche Selbstverwaltung

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gierende wie Regierte umfassende Identität des homogenen Volkes" als das konstituierende Element der Demokratie an. 32 Die geistige Herkunft dieses Demokratiebegriffs und seine prinzipielle Unvereinbarkeit mit der Selbstverwaltung wurde prägnant von Forsthoff ausgedrückt: „In der Demokratie der Prägung Rousseaus läßt sich die Selbstverwaltung nicht einfügen" 33. Der „Pluralismusvorwurf 4 gegenüber der kommunalen Selbstverwaltung wurde beispielsweise auch von Köttgen erhoben. So befürchtete er, daß die Großstädte sich zu „einem pluralistischen Sprengkörper im Gefüge des Staates entwickeln"34. Allerdings gab es schon damals gewichtige Gegenstimmen. So wendete sich beispielsweise Radbruch gegen die Verabsolutierung des Gesamtwillens des Volkes. „Volk (sei) unvermeidlich ein Begriff streitender Parteien ... solange nicht ein Engel vom Himmel uns die untrügliche Offenbarung des Gemeinwohls gebracht hat".35 Kelsen ging davon aus, daß für die kontinentale Form der Selbstverwaltung der demokratische Gedanke entscheidend sei.36 Anzustreben sei nicht die Verwaltung der lokalen Gemeinschaft durch von der Zentrale ernannte Beamte - wie in den englischen Grafschaftsverwaltungen - , sondern Verwaltung durch von der lokalen Gemeinschaft gewählten Gremien. Die seiner Ansicht nach bestehende Überlegenheit der lokalen gegenüber der gesamtstaatlichen Demokratie formuliert er so: „Allein wenn gefordert wird, daß an der Erzeugung der lokalen Norm nur die ihr Unterworfenen, also nur dieser Teil des „Volkes", nicht das Gesamtvolk ... beteiligt sein solle, ist es nicht nur ein Maß an Dezentralisation, sondern zugleich ein höherer Grad von Demokratie, die damit beabsichtigt sind. Denn die Freiheit im Sinne der Selbstbestimmung muß um so geringer sein, je mehr Individuen an der Erzeugung einer Norm beteiligt sind, die dieser Norm nicht unterworfen sind."37 Weiter ging beispielsweise Jerusalem von einer inneren Beziehung zwischen Demokratie und Selbstverwaltung aus. Im demokratisch verfaßten Staat wolle jedes einzelne Glied des über sich selbst herrschenden Volkes in möglichst weitgehendem Maße an der Verwaltung teilnehmen. Eine solche Anteilnahme größerer Volkskreise an der Staatsverwaltung sei nur im Rahmen der Lokalverwaltung möglich. Ein Gedanke, der später unter Geltung des Grundgesetzes häufig „aufgegriffen" wurde. Mulert schließlich sah in der Selbstverwaltung „die Vollendung des demokratischen Gedankens ... nur das im Staatsinteresse unbedingt notwendige einheitlich zu regeln, alles übrige aber der Selbstverwaltung, ihren lebendigen Volkskräften, zu selbstverantwortlicher Entscheidung zu überlassen."39

32 Schmitt, Verfassungslehre, 1928, S. 235. 33

Forsthoff, Die Krise der Gemeindeverwaltung im heutigen Staat, 1932, S. 21. Köttgen, Die Krise der kommunalen Selbstverwaltung, 1931, S. 26. 3 5 Radbruch, Parteienstaat und Volksgemeinschaft, 1929,2. Bd., S. 99. 34

3

Kelsen, Allgemeine Staatslehre, 1925, S. 181. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, 1925, S. 181. 38 Jerusalem, Zentralisation und Dezentralisation, 1912, S. 181. 3 9 Mulert, Reichsaufbau und Selbstverwaltung, 1929, S. 25. 37

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2. Teil: Verfassungs- und europarechtliche Vorgaben

Nach 1945 wurde die Vorstellung eines inneren Widerspruchs zwischen Demokratie und Selbstverwaltung in erster Linie von ForsthofKlein 41 und Böckenförde 42 - erneut unter Zugrundelegung eines streng zentralistischen Demokratiebegriffs - vertreten. Knapp zusammengefaßt begründen sie ihre Auffassung wie folgt: Die Wahrnehmung der Aufgaben durch die Betroffenen schwäche das Parlament als Repräsentanten des Gesamtvolkes, wodurch die Ausübung von Staatsgewalt durch das Volk als der Gesamtheit aller wahlberechtigten Bürger in Teilbereichen aufgehoben werde. Exemplarisch für diese Ansicht ist die Einschätzung Kleins 43, wonach Demokratisierung durch Autonomisierung eine Gefährdung des für die Demokratie wie für den Rechtsstaat gleichermaßen konstitutiven Elements der Legalität sowie die Möglichkeit der Paralyse des Ganzen durch den Willen des Teils beinhalte. Dies sei nur in eng bemessenen Grenzen vertretbar und erträglich. Auch der Gleichheitsgrundsatz, der ein wesentliches Element des Demokratieprinzips sei, wird von dieser Literaturmeinung gegen die Selbstverwaltung ins Feld geführt. Auch von „Anhängern des Selbstverwaltungsprinzips" wird das Verhältnis von Demokratie zur Selbstverwaltung häufig als Gleichheitsproblem betrachtet. Angesichts der prinzipiell gleichen Teilhabe aller an der politischen Gestaltung in der repräsentativen Demokratie bedürfe es einer besonderen Rechtfertigung, bestimmte Bevölkerungsgruppen mit Selbstverwaltungsrechten auszustatten.44 Relativ rasch setzte sich nach Ende des zweiten Weltkriegs die Annahme durch, Selbstverwaltung sei eine logische Folge bzw. ein unverzichtbares Merkmal der Demokratie.45 Daß die Selbstverwaltungsmaxime im demokratischen Prinzip verwurzelt ist, wurde zeitweise sogar als ein „geläufiger staatstheoretischer Lehrsatz"46 bezeichnet. Hält man sich die neueren Entscheidungen des zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts zur demokratischen Legitimation staatlichen Handelns vor Augen, dann ist dieser Lehrsatz zumindest überholt. Zur Begründung der Gemeinsamkeiten zwischen Demokratie und Selbstverwaltung konnte man sich 40 Forsthoff,

Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 1973, S. 536.

41 Klein, Demokratie und Selbstverwaltung, 1972, S. 165 ff. 42 Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, 1987, S. 887,906 ff. 43 Klein, Demokratie und Selbstverwaltung, 1972, S. 165,175 f. 44 Schuppert, AöR 114 (1989), 127, 136; Hendler, Das Prinzip Selbstverwaltung, 1990, Rn. 48 ff., 56 mwN. Nach Hendler erkennt das Grundgesetz die Selbstverwaltungsmaxime, den von ihr ausgehenden Betroffenenschutz sowie das zugrundeliegende differenzierte Egalitätsdenken an. 45 Peters, Aktuelle Probleme des Verfassungsrechts im Landkreis, 1953, S. 4, 20 f.; Mayer, Demokratie und Verwaltung 1972, S. 327 ff.; Püttner, Zum Verhältnis von Demokratie und Selbstverwaltung, 1982, S. 3 ff.; Hendler, Das Prinzip Selbstverwaltung, 1990, S. 1133, 1154; ders., Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, 1984, S. 302 ff.; Bogs, Strukturprobleme der Selbstverwaltung einer modernen Sozialversicherung, 1970, S. 30; Frotscher, Selbstverwaltung und Demokratie, 1983, S. 127, 143; Klages, Selbstverwaltung und menschliche Selbstverwirklichung, 1983, S. 41,47. 46 Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, 1984, S. 268, 302.

Β. Demokratieprinzip und bezirkliche Selbstverwaltung

191

vor diesen Entscheidungen allerdings auf eine kurze Passage im Facharztbeschluß des ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1972 berufen. Dort heißt es, daß die Prinzipien der Selbstverwaltung und der Autonomie im demokratischen Prinzip wurzeln und dem freiheitlichen Charakter unserer sozialen Ordnung entsprechen.47 Heute kann das Bundesverfassungsgericht für die Vorstellung, daß die Selbstverwaltung im Demokratieprinizip wurzele, nicht mehr herangezogen werden. In den jüngsten Veröffentlichungen wird vielmehr die Verwandtschaft der neueren Rechtsprechung des zweiten Senats zum Demokratieprinzips mit dem Schmitt'schen Demokratieverständnis betont.48 Nach einer sehr pointieren Formulierung von Frisahn ist diese neuere Rechtsprechung „beim machtpolitisch orientierten Demokratiemodell des (frühen) Carl Schmitt, fortgesetzt von Böckenförde, stehengeblieben."49 Besonders greifbar wird die Ähnlichkeit dieser Demokratieauffassungen im Maastricht-Urteil, in dem das Bundesverfassungsgericht den Zusammenhang zwischen (relativer) Homogenität des Volkes und Demokratie ausdrücklich betont.50 Eine Ausnahme bildet dabei die kommunale Selbstverwaltung, die auch nach heute noch vertretener Ansicht des Bundesverfassungsgerichts im Demokratieprinzip verankert ist. Diese Vorstellung, auf die noch ausführlich eingegangen wird, begründet das Gericht mit der besonderen Stellung der kommunalen Gebietskörperschaften im Staatsaufbau. Den Gemeinden und Kreisen, die Träger der öffentlichen Verwaltung seien, ordne Art. 28 I 2 GG ausdrücklich ein „Volk" zu, das demokratische Legitimation vermittle. Damit habe sich das Grundgesetz innerhalb der Länder für einen auf Selbstverwaltungskörperschaften ruhenden Staatsaufbau und damit für die gegliederte Demokratie entschieden.51 Trotz dieser „klaren Aussagen" des Grundgesetzes sowie der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird seitens der Literatur das Verhältnis von Demokratie zur kommunalen Selbstverwaltung teilweise als umstritten angesehen.52 So hat beispielsweise von Unruh die Ansicht vertreten, daß die kommunale Selbstverwaltung „in der repräsentativen Demokratie grundsätzlich ein strukturfremdes Prinzip" darstellt.53 Dies ist erstaunlich, da gerade er die Bedeutung der gegliederten Demokratie für die Machtbeschränkung des Staates in vielen Beiträgen herausgestellt hat. 54 Seiner Vorstellung nach sind Unterschiede und Gegensätze zwischen 47 BVerfGE 33, 135, 159. 48

Frisahn, KritV 1996, 267; Bryde, Staatswissenschaften und Staatspraxis 1994, 305, 311; Weiler, JöR 1996, 91,95. 49 Frisahn, KritV 1996, 267. Eine ausführliche Darstellung der „liberalen Umdeutung von Schmitts Denken" durch Böckenförde ist von Mehring geleistet worden. Mehring, AöR 120 (1995), 177, 195 ff. 50 BVerfGE 89, 155, 186. 51 Zuletzt BVerfGE 83, 37, 54. 52 Siehe nur von Arnim, AöR 113 (1988), 1, 2; Püttner, Zum Verhältnis von Demokratie und Selbstverwaltung, 1982, S. 3. 53 Von Unruh, DÖV 1986, 217, 223.

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2. Teil: Verfassungs- und europarechtliche Vorgaben

den Belangen des Staatsvolkes im Ganzen und einzelner Teilgruppen unvermeidbar, weshalb „Demokratie und Selbstverwaltung keineswegs als aufeinander bezogene, harmonisch verbundene Erscheinungen betrachtet werden dürfen". 55 Die Aufnahme des Art. 28 I, II GG in die Verfassung sowie die verschiedenen Regelungen über die Stellung der Gemeinden in den Kommunalgesetzen der deutschen Länder bedeuteten einen Gegensatz „zwischen dem zur Einheit drängenden, von der Gleichheit aller Mitglieder einer Gemeinschaft ausgehenden demokratischen Prinzip und dem liberalen Grundsatz, der um der Freiheit des einzelnen und seiner engeren Verbände willen vorhandene oder entstehende Ungleichheiten mit der Folge eines Pluralismus zu akzeptieren bereit ist" 56 . In dieser Gegensätzlichkeit liege die Wurzel des Konflikts zwischen einem Demokratieverständnis, das von fast unbegrenzter Gleichheitsvorstellung beherrscht ist, mit der Bereitschaft zur Akzeptierung von regionalen und lokalen Eigenarten. Nach diesem Überblick über die Entwicklung des Meinungsstandes sollen gerafft die den unterschiedlichen Ansichten zugrundeliegenden Begründungen dargestellt werden. Hierbei wird zwischen einer historischen, einer verfassungsrechtlichen und einer demokratietheoretischen Begründung unterschieden.

2. Die Begründungen im einzelnen a) Historisches Verständnis Die geschichtliche Entwicklung kann sowohl für die Annahme, daß die Selbstverwaltung ein unverzichtbares Merkmal der Demokratie ist, wie für die Gegenauffassung herangezogen werden.57 Auf der einen Seite beruht die Selbstverwaltungsidee des Freiherrn vom Stein unbestritten nicht auf unserem heutigen demokratischen Staatsverständnis im Sinne von Volksherrschaft sowie Freiheit und Gleichheit aller. Weiter herrschte im 19. Jahrhundert die Vorstellung eines Dualismus von Staat und Gesellschaft, der die Entgegensetzung von Staats- und Selbstverwaltung entsprach. Selbstverwaltung verstanden als Teil der staatsfreien gesellschaftlichen Sphäre kann nicht gleichzeitig ein Element der Demokratie sein. Auf der anderen Seite war Ziel der Stein'schen Reformen die Belebung und Stärkung des politischen Engagements der „Staatsbürger an der Staatsverwaltung", um eine engere Verbindung von Gesellschaft und Staat zu erreichen, was als Grundgedanke unseres heutigen Demokratieverständnisses angesehen werden kann.58 Eine einge54 Von Unruh, DÖV 1974, 649, 652; ders., DVB1. 1979, 761 ff.; ders., DÖV 1986, 217, 219 f. 55 Von Unruh, DÖV 1974,649, 652. 56 Von Unruh, DÖV 1974,649, 653. 57 Zur Ambivalenz der geschichtlichen Entwicklung siehe von Unruh, DÖV 1986, 217, 218; Frotscher, Selbstverwaltung und Demokratie, 1983, S. 127, 135 ff. 58 Frotscher, Selbstverwaltung und Demokratie, 1983, S. 127, 128.

Β. Demokratieprinzip und bezirkliche Selbstverwaltung

193

hende Untersuchung der historischen Wurzeln erübrigt sich. Aufgrund des gewandelten Demokratieverständnisses im Lauf der letzten zwei Jahrhunderte hat die Heranziehung der geistigen Grundlagen sowie der politischen Herkunft des Selbstverwaltungsgedanken nur geringe Aussagekraft. 59

b) Verfassungsrechtliche

Aussagen

Klammert man Art. 20 Π GG aus, dann ist auch das Grundgesetz für die Frage nach dem Verhältnis des Selbstverwaltungsprinzips zur Demokratie wenig ergiebig. Ausdrücklich erwähnt es den Begriff Selbstverwaltung lediglich im Zusammenhang mit den Gemeinden und den Gemeindeverbänden in Art. 28 Π 2 GG sowie in Art. 90 I I GG. 6 0 Eine Verbindung zum demokratischen Prinzip erfolgt für die kommunale Selbstverwaltung über Art. 28 I 2 GG, wonach das Volk auch in den Kreisen und Gemeinden eine Vertretung haben muß, die aus allgemeinen, freien und gleichen Wahlen hervorgegangen ist. Weiter ist die rundfunkrechtliche Selbstverwaltung in Art. 5 I GG sowie nach überwiegender Auffassung auch die Garantie der akademischen Selbstverwaltung mit Art. 5 ΙΠ GG 6 1 vom Grundgesetz gewährleistet. Aus diesen nur einzelne Lebensbereiche betreffenden Regelungen kann man schwerlich die Aussage machen, daß das Grundgesetz das Selbstverwaltungsprinzip allgemein anerkennt. Auch die Annahme, daß die Selbstverwaltung eine ausgeprägte Affinität zu den grundrechtlichen Freiheitsintentionen aufweist, vermag zwar den Selbstverwaltungsgedanken zu stützen, führt aber zu keiner Pflicht des Gesetzgebers zur Bildung von Selbstverwaltungskörperschaften. Damit bleibt festzuhalten, daß entscheidend für das Verhältnis zwischen dem Prinzip der Selbstverwaltung und dem Grundgesetz die Auslegung des in Art. 20 Π GG festgelegten Demokratieprinzips des Grundgesetzes ist. 62 Maunz-Zippelius vertreten die Ansicht, daß durch diese Selbstverwaltungsgarantien des Grundgesetzes das Prinzip der demokratischen Dezentralisation zur Geltung gebracht werde. 63 Dieses Prinzip ermögliche, daß eigenständige Institutionen 59 So im Ergebnis auch von Arnim, AöR 74 (1988), 1, 4. Seiner Ansicht nach wäre es unangemessen, „wenn man dem Selbstverwaltungsgedanken des 19. Jahrhunderts anlasten wollte, daß er nicht schon damals den Entwicklungsstand des heutigen Demokratieprinzips erreicht hatte". 60 In Art. 90 II GG ist im Zusammenhang mit der Bundesauftragsverwaltung im Fernstraßenwesen von den „nach Landesrecht zuständigen Selbstverwaltungskörperschaften" die Rede.

Scholz, in: Maunz/Dürig/Herzog, Komm. z. GG, Art. 5 III Rn. 4, 81, 131. Weitere Nachweise siehe bei Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, 1984, S. 209 f. Offenlassend BVerfGE 15, 256, 264; 35, 79, 116. Auch wenn man in Art. 5 III GG eine Garantie der akademischen Selbstverwaltung erblicke, sei der Gesetzgeber frei, andere Modelle der Hochschulselbstverwaltung zu entwickeln. BVerfGE 35,79,116. 62 Siehe hierzu die Ausführungen in Abschnitt III. dieses Kapitels. 63 Maunz/Zippelius, Deutsches Staatsrecht, 1962, § 10 III e, § 15 III. 13 Deutelmoser

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2. Teil: Verfassungs- und europarechtliche Vorgaben

ihre Angelegenheiten weitgehend in eigener rechtlicher Zuständigkeit selbst regeln, und zwar unter unmittelbarer, tätiger Anteilnahme ihrer Mitglieder selbst. Dadurch werde die Demokratie zu einem viele Lebensbereiche durchdringenden politischen Prinzip. Diese Argumentation führt direkt zur demokratietheoretischen Begründung, auf die im folgenden eingegangen wird. c) Demokratietheoretische

Begründung

In der dem Betroffenenschutz dienenden Betroffenenbeteiligung sieht Hendler in seiner Habilitationsschrift zur „Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip" das wesentliche materielle Merkmal der Selbstverwaltung. Seiner Ansicht nach ist die Selbstverwaltung eine Ausprägung des Prinzips freiheitlicher Demokratie, da beide auf politische Beteiligung gerichtet seien.64 Auch andere Autoren gehen davon aus, daß der Selbstverwaltungsgedanke „eine innere Abstützung durch das Demokratieprinzip" erfahre, da das „Verwaltungsorganisationsprinzip Selbstverwaltung ... auch im Gedanken individueller Teilhabe an kollektiver Entscheidungs- und Ordnungsmacht" verankert sei.65 Ihre Einschätzung als wesentliches Merkmal der Demokratie verdankt die Selbstverwaltung weiter bestimmten Eigenschaften und Wirkungen, die man ihr neben der Erhöhung der Partizipationsmöglichkeiten - zuschreibt: Größere Problemnähe und Zielgruppenorientierung, Abbau der Distanz zwischen staatlichen Institutionen und betroffener Bürgerschaft, Effizienz-, Transparenz- und Legitimationsdefiziten sowie die Schaffung von Integration und Identifikation. 66 Ergänzend sei hier auf die im 1. Teil, C. II. genannten Funktionen der Dezentralisation und der kommunalen Selbstverwaltung verwiesen.

II. Politologische Ansätze Die Politikwissenschaft verbindet seit langem große Hoffnungen mit dem Prinzip Selbstverwaltung. Insbesondere tritt sie für eine Stärkung der territorialen