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German Pages 24 [48] Year 1911
ÜBER DIE
ANFECHTUNG DER VERSÄUMUNG DER AUSSCHLAGUNGSFRIST WEGEN IRRTUMS NACH
§§ 1956, 119 BGB.
VON
DR. IÜR. W I L H E L M H E E G E R
LEIPZIG V E R L A G VON VEIT & COMP. 1911
Leipziger juristische
Inauguraldissertation
D r u c k v o n M e t z g e r & W i t t i g in L e i p z i g
Inhalt. Seite
Einleitung
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Erstes Kapitel. U b e r den T a t b e s t a n d der Versäumung der A u s s c h l a g u n g s f r i s t
3
Zweites Kapitel. I s t die V e r s ä u m u n g d e r A u s s c h l a g u n g s f r i s t R e c h t s g e s c h ä f t ?
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Drittes Kapitel. Von d e r B e s o n d e r h e i t d e r A n f e c h t u n g n a c h §§ 1956, 119 BGB.
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Viertes Kapitel. I n w e l c h e r W e i s e i s t § 119 BGB. a u f d i e V e r s ä u m u n g d e r Ausschlagungsfrist anzuwenden?
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Literaturverzeichnis
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Einleitung. Mit dem Tode des Erblassers geht die Erbschaft als Ganzes auf den berufenen Erben über (§ 1922 BGB.), jedoch unbeschadet des Rechts, sie auszuschlagen (§ 1942 Abs. 1 BGB.). 1 Dieser Ubergang der Erbschaft auf den Erben — technisch genannt „Anfall" der Erbschaft — ist sonach nur ein vorläufiger. Endgültig wird der Erwerb der Erbschaft erst, wenn der Erbe die Erbschaft nicht mehr ausschlagen kann. Dies ist nach § 1943 B G B . der F a l l : 1. wenn der Erbe die Erbschaft a n g e n o m m e n 2 , 3 hat, 1
Ausn. § 1942 Abs. 2 BGB. Die Ausdrucksweise des § 1943 ist nicht unbedenklich, insofern von „annehmen" der Erbschaft gesprochen wird. „Annehmen" kann man an sich nur etwas, was man noch nicht hat. Der Erbe erwirbt die Erbschaft aber schon mit dem Anfalle, wenn auch nur vorläufig; er hat sie also schon, wenn er sie gültig „annehmen" kann (§ 1946 BGB.). Außer anderen lehnt aus diesem Grunde E N D E M A N N den Ausdruck „Annahme" ab und will ihn durch den Ausdruck „Bestätigung des Anfalls" ersetzen. Jedoch auch diese Bezeichnung ist nicht einwandfrei. Der Anfall schließt begrifflich das Ausschlagungsrecht in sich (§ 1942 Abs. 1). Eine Bestätigung des Anfalls würde also zugleich eine Bestätigung des Ausschlagungsrechts bedeuten. Positiv ausgedrückt trifft M A T T H I A S S das Wesen der Annahme am besten, wenn er sagt: „Die Annahme ist die Erklärung des Erben, die Erbschaft behalten zu wollen." Mit einem negativen Ausdruck kennzeichnet das Reichsgericht (RG. 5 4 297) die Annahme richtig als Verzicht auf das Ausschlagungsrecht. Immerhin läßt sich auch die Wahl des Ausdrucks „Annahme" vertreten; der Erbe faßt den Anfall der Erbschaft, der ja einen endgültigen Erwerb derselben noch nicht zu bedeuten hat, nur als Angebot der Erbschaft auf und erklärt dementsprechend die Annahme derselben. 3 Die Begrenzung des Annahmebegriffs setzt wegen der engen Verbindung dieses Begriffs mit denen des Rechtsgeschäfts und der Willens1
H e e g e r , B G B . §§ 1956, 119.
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2
Einleitung.
2. wenn die für Ausschlagung vorgeschriebene Frist verstrichen ist. Aber auch nach Annahme der Erbschaft und nach Ablauf der Ausschlagungsfrist können die damit eingetretenen Rechtswirkungen unter bestimmten Voraussetzungen durch Anfechtung wieder beseitigt und zugleich die Folgen der Ausschlagung der Erbschaft herbeigeführt werden (§§ 1955—1957 BGB.). Die begriffliche Zulässigkeit der Anfechtung der Annahme der Erbschaft wird in den §§ 1954, 1955 als selbstverständlich vorausgesetzt. Die Versäumung der Ausschlagungsfrist wird durch § 1956 BGB. ausdrücklich für in gleicher Weise wie die Aanahme anfechtbar erklärt. Danach ist die Versäumung der Ausschlagungsfrist insbesondere auch nach § 119 BGB. wegen Irrtums anfechtbar. Die Vorschriften der §§ 1943, 1944, 1952, 1956 greifen ordnend ein in die sich hinsichtlich des Zeitpunktes der Endgültigkeit des Erbschaftserwerbs widerstreitenden Interessen der Allgemeinheit tfnd des Erben. Diese Regelung kann auch der Erblasser nur -insoweit abändernd beeinflussen, als dadurch lediglich das Interesse des Erben betroffen wird. Im übrigen sind die in den genannten Paragraphen gegebenen Vorschriften zwingenden Rechts. erklärung eine erschöpfende Behandlung dieser Begriffe voraus und geht deshalb über den Rahmen dieser Abhandlung hinaus. — Vgl. aber hierzu insbesondere M A N I O K (Willenserklärung und Willensgeschäft), dessen in § 40ff. hinsichtlich der Annahme erfolgter Lösung Verf. allerdings nicht beitritt.
Erstes Kapitel.
Über den Tatbestand der Versäumung der Ausschlagungsfrist. Die Ausschlagungsfrist ist die dein Erben für die Ausschlagung der Erbschaft zur Verfügung stehende Frist. Ihrem Charakter nach ist sie eine Ausschluß- oder Präklusivfrist; denn an ihren Ablauf ist der Verlust eines Rechts geknüpft (§§ 1943, 1944 Abs. 1). Die Dauer der Ausschlagungsfrist wird in Abs. 1 und 3 des § 1944 geregelt. Danach beträgt die Ausschlagungsfrist regelmäßig 6 Wochen. 6 Monate beträgt sie, wenn dem Erben infolge bestimmter besonderer Umstände die Erkundigung über den Nachlaß erschwert ist. So steht dem Erben die verlängerte Ausschlagungsfrist einmal zu, wenn der E r b l a s s e r seinen letzten Wohnsitz nur im Auslande gehabt hat. Die Verlängerung der Frist kommt nicht in Anwendung, wenn der Erblasser zwar im Auslande gestorben ist, dort aber einen Wohnsitz nicht begründet oder neben seinem Wohnsitze daselbst zur Zeit seines Todes noch einen Wohnsitz im Inlande gehabt hat. Die Ausschlagungsfrist beträgt ferner 6 Monate, wenn der E r b e sich bei Beginn der Frist im Auslande aufhält, regelmäßig also, wenn er im Auslande Kenntnis von dem Anfall und dem Grunde der Berufung erhält. Ist jedoch der Erbe durch Verfügung von Todes wegen berufen und wird dieselbe erst verkündet, nachdem der Erbe bereits vom Anfalle der Erbschaft an ihn und vom Grunde seiner Berufung Kenntnis erlangt hat, so sind maßgebend für die Dauer der Ausschlagungsfrist die örtlichen Verhältnisse des Erben zur Zeit der Verkündung jener Verfügung von Todes wegen, nicht diejenigen zu dem Zeitpunkte, in dem der Erbe von dem Anfall und dem Grunde der Berufung Kenntnis erlangt hat. l*
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Über den Tatbe3tand der Versäumung der Ausschlagungsfrist.
Der Zweck, welcher mit der Begrenzung des Ausschlagungsrechts verfolgt wird, ist unschwer zu erkennen. Auch die Motive 1 und die Denkschrift 2 lassen darüber keinen Zweifel: Es soll im Interesse der Rechtssicherheit baldmöglichst die Ungewißheit beseitigt werden, die durch den Tod des Erblassers für diejenigen entstanden ist, welche zum Erblasser zur Zeit seines Todes in vermögensrechtlichen Beziehungen gestanden haben. Andererseits wird aber durch die Art der Begrenzung des Ausschlagungsrechts auch Rücksicht genommen auf das Interesse des Erben. Dem Erben war ein angemessener Zeitraum zur Wahrnehmung seiner Rechte zu belassen. Diesem Erfordernisse entspricht die im § 1944 erfolgte Regelung des Beginns und der Dauer der Ausschlagungsfrist. § 1944 Abs. 2 Satz 1 macht den Beginn der Ausschlagungsfrist abhängig davon, daß der Erbe Kenntnis erlangt hat von dem Anfall und dem Grunde der Berufung. Ein Erbe, der diese Kenntnis erlangt hat, ist in der Lage, Erkundigungen über den Bestand des Nachlasses einzuziehen und die Überlegungen zu machen, welche für seine schließliche Entscheidung in Betracht kommen. Wird diese Kenntnis zur Voraussetzung des Beginnes der Ausschlagungsfrist gemacht, so geht daraus hervor, daß der Erbe während der Ausschlagungsfrist die Vorteile dieser Kenntnis genießen soll. Er soll sich während der Ausschlagungsfrist überlegen können, welche Entscheidung er zu treffen hat. Die Ausschlagungsfrist ist also eine Überlegungsfrist. Die Richtigkeit unseres Ergebnisses wird bestätigt durch die in den Motiven zum Ausdrucke gekommene Auffassung der ersten Kommission: Bei Besprechung der über die Ausschlagungsfrist aufzustellenden Vorschriften wird dieselbe im 5. Bande der Motive auf S. 499 3 ausdrücklich als Überlegungsfrist bezeichnet. Die Erkennung dieses Wesens der Ausschlagungsfrist ist von großer Bedeutung für die Frage, wessen Kenntnis und wessen 1
Motive zu dem Entwürfe eines Bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich 5, 1888; bei MÜGDAN 5 lff. 2 Druckschrift zum Entwürfe eines Bürgerlichen Gesetzbuchs, 1896; b e i MOQDAN 5 8 4 7 ff. 3
B e i MÜGDAN 5 2 6 6 .
Über den Tatbestand der Versäumung der Ausschlagungsfrist.
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örtliche Verhältnisse im Falle der Vertretung des Erben für den Beginn der Ausschlagungsfrist maßgebend sind. Bezüglich der im § 1944 Abs. 2 Satz 1 geforderten Kenntnis von dem Anfall und dem Grunde der Berufung ist man zwar darüber einig, daß im Falle der gesetzlichen Vertretung des Erben für den Beginn und für die Dauer der Ausschlagungsfrist nicht die Kenntnis und der Aufenthaltsort des Erben, sondern die seines gesetzlichen Vertreters in Betracht kommen; in der Begründung dieser Auffassung gehen jedoch die Meinungen wesentlich auseinander. U. a. nimmt BINDER1 an, auf den vorliegenden Fall sei die Bestimmung des § 166 BGB. analog anzuwenden. STKOHAL 2 findet dagegen mit Recht den Grund für die in Frage stehende allgemeine Auffassung unseres Falles in dem Zwecke der Vorschrift des § 1944 Abs. 2 Satz 1: der Erbe soll sich während der Ausschlagungsfrist über den Bestand des Nachlasses erkundigen und die für seine Entscheidung in Betracht kommenden Fragen ruhig erwägen können. Die etwaigen Überlegungen eines geschäftsunfähigen oder eines in der Geschäftsfähigkeit beschränkten Erben sind vollkommen belanglos oder doch wenigstens nicht ausschlaggebend. F ü r ihn hat der gesetzliche Vertreter zu entscheiden. Dessen Überlegungen sind maßgebend. Nicht also für den geschäftsunfähigen oder für den in der Geschäftsfähigkeit beschränkten Erben, sondern für ihren gesetzlichen Vertreter ist die Überlegungsfrist bestimmt. Seinen Überlegungen setzt die Fristbestimmung eine Grenze. Seine Kenntnis und sein Aufenthaltsort können deshalb allein für den Beginn und für die Dauer der Ausschlagungsfrist maßgebend sein. Da hiernach bereits der Zweck der besprochenen Bestimmung die Richtigkeit ihrer allgemein gebilligten Auslegung ergibt, so ist die von BINDER angenommene Notwendigkeit der analogen Anwendung des § 166 BGB. nicht gegeben. Während man über die Bedeutung der Kenntnis und des Aufenthaltsorts des gesetzlichen Vertreters für den Beginn und die Dauer der Ausschlagungsfrist übereinstimmender Ansicht ist, 1
BINDER,
2
STROHAL,
Rechtsstellung des Erben Erbrecht 2 7 Anm. 13.
1 78.
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Über den Tatbestand der Versäumung der Ausschlagungsfrist.
ist dies bezüglich der Bedeutung der Kenntnis und des Aufenthaltsorts eines gewillkürten Vertreters des Erben nicht der Fall. Allgemein ist nun anerkannt, daß im Falle einer gewillkürten Vertretung des Erben die Kenntnis und der Aufenthaltsort des Erben selbst für Beginn und Dauer der Ausschlagungsfrist nicht ganz unbeachtlich sind. Dies rechtfertigt sich auch ohne weiteres aus dem Umstände, daß der Erbe, der einen gewillkürten Vertreter hat, ja auch noch selbst handeln kann. Es liegt hier die Annahme nahe, daß sowohl dem Vertretenen als auch dem Vertreter eine selbständige, von der Kenntnisnahme und dem Aufenthaltsorte des anderen unabhängige Überlegungsfrist läuft. Bei näherer Betrachtung ergibt sich jedoch die Unhaltbarkeit dieser Annahme. Danach würde in vielen Fällen die Uberlegungsfrist für den Erben die des Vertreters und umgekehrt die Uberlegungsfrist für den Vertreter die des Erben überdauern, so daß zur Wahrnehmung der Interessen eines vertretenen Erben länger Zeit wäre als sonst. Der Erbe, welcher einen gewillkürten Vertreter hat, wäre also einem anderen Erben gegenüber grundlos im Vorteile. Abgesehen davon wäre aber zugleich auch die Zeit der Ungewißheit hinsichtlich des Vermögens des Erblassers unnötig verlängert. Damit wären diejenigen benachteiligt, in deren Interesse das Ausschlagungsrecht zeitlich begrenzt worden ist. Dem Erben und seinem gewillkürten Vertreter wird also zusammen nur e i n e Uberlegungsfrist zur Verfügung stehen. Inwieweit für deren Beginn und Dauer die Kenntnis und der Aufenthaltsort des Erben und inwieweit diejenigen seines gewillkürten Vertreters in Betracht kommen, das ergibt sich wieder aus dem Zwecke der Bestimmung des § 1944 Abs. 2 Satz 1: der Erbe soll während der Ausschlagungsfrist Gelegenheit haben, sich die für die zu treffende Entscheidung zu berücksichtigenden Fragen zu überlegen. Hat der Erbe einen gewillkürten Vertreter, der für ihn diese Überlegung selbst auszuführen berechtigt ist, so ist dem Zwecke der Bestimmung des § 1944 Abs. 2 Satz 1 vollauf genügt, wenn entweder der Erbe selbst oder sein gewillkürter Vertreter die in Frage kommenden Überlegungen zu machen Gelegenheit gehabt hat. Die Ausschlagungsfrist läuft dementsprechend schon ab, wenn einem der beiden die ihm bei Berücksichtigung des
Übei - den Tatbestand der Versäumung der Ausschlagungsfrist.
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Zeitpunktes seiner Kenntnisnahme und seines Aufenthaltsortes zustehende Uberlegungsfrist zur Verfügung gestanden hat. Wenn sich z. B. der gesetzliche Erbe zur Zeit seiner Kenntnisnahme von dem Anfall und dem Grunde der Berufung im Auslande befand, während sich sein gewillkürter Vertreter, als er Kenntnis von dem Anfalle und dem Grunde der Berufung des Erben erhielt, im Inlande befand, so steht dem Erben sowohl als auch seinem Vertreter nur diejenige Uberlegungsfrist zu, welche bei Berücksichtigung der Kenntnisnahme und des Aufenthaltsortes jedes von beiden zuerst abläuft. Beispiele: Der Erbe A des im Inlande gestorbenen X erhält am 1. 1. 10 in Kapstadt Kenntnis von dem Anfall und dem Grunde der Berufung, sein gewillkürter Vertreter B am 1. 2. 10 in Berlin. — Ablauf der Ausschlagungsfrist: 15. 3. 10. A erhält am 1. 1. 10 iu Kapstadt Kenntnis, B am 25. 5. 10 in Berlin. — Ablauf der Ausschlagungsfrist: 1. 7. 10. Im Hinblick auf die eben besprochene Bestimmung des § 1944 Abs. 2 Satz 1 scheint die Möglichkeit ausgeschlossen zu sein, daß die Ausschlagungsfrist abläuft, ohne daß der bezüglich des Ausschlagungsrechts Entscheidungsberechtigte vor Ablauf der Ausschlagungsfrist überhaupt Kenntnis hiervon erhalten hat. Es sind jedoch verschiedene solche Fälle möglich: Die Erbschaft fällt einem Geschäftsunfähigen oder einem in der Geschäftsfähigkeit Beschränkten an. Dessen gesetzlicher Vertreter erhält von dem Anfall und dem Grunde der Berufung Kenntnis, trifft zunächst aber keine Entscheidung über das Ausschlagungsrecht des Erben. Vor Ablauf der Ausschlagungsfrist stirbt der gesetzliche Vertreter oder er fällt in anderer Weise weg. Der neue gesetzliche Vertreter des Erben bzw. der unterdessen voll geschäftsfähig gewordene Erbe selbst weiß nichts von dem Anfall der Erbschaft. Ähnlich liegt der folgende Fall: Ein unbeschränkt geschäftsfähiger Erbe wird nach Kenntnisnahme von dem Anfall und dem Grunde seiner Berufung 1 aber 1
bzw. nach der Verkündung der in Frage kommenden letztwilligen Verfügung.
B
Über den Tatbestand der Versäumung der Ausschlagungsfrist.
vor Ablauf der Ausschlagungsfrist geschäftsunfähig, ohne bis dahin eine Entscheidung über die Annahme der Erbschaft getroffen zu haben. Sein gesetzlicher Vertreter erfährt von dem Anfalle der Erbschaft an den Erben bis zum Ablauf der Ausschlagungsfrist nichts. Nach der Vorschrift des § 1944 Abs. 2 Satz 1 hat in diesen Fällen die Ausschlagungsfrist mit der Kenntnis des zunächst entscheidungsberechtigt Gewesenen zu laufen begonnen. Auf den Lauf der Ausschlagungsfrist finden nach § 1944 Abs. 2 Satz 3 die für die Verjährung geltenden Vorschriften der §§ 203, 206 entsprechende Anwendung. § 206 lautet: Ist eine geschäftsunfähige oder in der Geschäftsfähigkeit beschränkte Person ohne gesetzlichen Vertreter, so wird die gegen sie laufende Verjährung nicht vor dem Ablaufe von 6 Monaten nach dem Zeitpunkte vollendet, in welchem die Person unbeschränkt geschäftsfähig wird oder der Mangel der Vertretung aufhört. Ist die Verjährungsfrist kürzer als sechs Monate, so tritt der für die Verjährung bestimmte Zeitraum an die Stelle der 6 Monate. Diese Vorschriften finden keine Anwendung, soweit eine in der Geschäftsfähigkeit beschränkte Person prozeßfähig ist. Die Ausschlagungsfrist kann hiernach zwar nicht vor Ablauf von 6 Wochen bzw. 6 Monaten nach Wegfall des Vertretungsmangels vollendet werden, sie braucht aber ihren Lauf nicht von neuem zu beginnen. Der Fristenlauf wird durch den Vertretungsmangel nicht unterbrochen, sondern es wird dadurch nur seine Vollendung hinausgeschoben. Hat die Ausschlagungsfrist einmal zu laufen begonnen, so brauchen die für den Beginn der Frist gestellten Bedingungen nicht nochmals erfüllt zu werden. Die im § 206 gewährte Nachfrist kann also ablaufen, ohne daß der während ihres Laufs entscheidungsberechtigt Gewordene vom Anfall etwas weiß. Gegen diese Auffassung wendet sich BINDER 1 , indem er ausführt: die e n t s p r e c h e n d e Anwendung des § 206 müsse so vorgenommen werden, daß dabei der grundsätzlichen Verschieden1
BINDER.
Rechtsstellung des Erben 1 79 ff.
Über den Tatbestand der Versäumung der AusschlaguDgsfrist.
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heit der für den Beginn der Verjährungsfrist und den der Ausschlagungsfrist in Betracht kommenden Voraussetzungen Rechnung getragen werde. Die Verjährung beginne mit der Entstehung des Anspruchs, also einem rein objektiven Momente, die Ausschlagungsfrist dagegen mit der Kenntnis von dem Anfall und dem Grunde der Berufung, also einem subjektiven Momente. Dementsprechend müsse für den Beginn der Verlängerung der Ausschlagungsfrist an Stelle des objektiven Moments ein subjektives aufgestellt werden. Die Nachfrist des § 206 dürfe erst beginnen mit der Kenntnis des neuen gesetzlichen Vertreters von dem Anfall und dem Grunde der Berufung. B I N D E R deutet also die „entsprechende" Anwendung des § 206 auf die Ausschlagungsfrist so, daß die Ausschlagungsfrist durch den Eintritt des Vertretungsmangels unterbrochen werde. Die Ausschlagungsfrist würde danach nach Wegfall des Unterbrechungsgrundes nicht weiterlaufen, sondern neu beginnen. So verlockend das zweifellos billige Ergebnis dieser Auffassung auch sein mag, darf doch nicht verkannt werden, daß mit einer derartigen Auslegung das Gesetz vergewaltigt wird. Die B I N D E R sehe Auslegung des Wortes „entsprechend" steht in offenbarem Widerspruche zu der vollkommenen Klarheit des Gesetzes bei der Auseinanderhaltung der Fälle der Unterbrechung, der Hemmung und der Hinausschiebung der Vollendung einer Frist. 1 Der BiNDERSchen Ansicht kann deshalb nicht beigetreten werden. Ein der Billigkeit entsprechendes Ergebnis in den betroffenen Fällen läßt sich überdies, wie noch dargetan werden wird, auf dem Wege der Anfechtung der Versäumung der Ausschlagungsfrist nach § 1956 herbeiführen. Ahnliche Schwierigkeiten wie der oben behandelte Fall bietet der folgende: Nach Beginn aber vor Ablauf der Ausschlagungsfrist stirbt der Erbe B des Erblassers A, ohne über die Annahme der Erbschaft eine Entscheidung getroffen zu haben. Der Erbeserbe C will die Erbschaft des B behalten. Von dem Anfall der Erbschaft des A an B weiß C nichts v So läßt er die nach § 1952 1
STROHAL, Erbrecht 2 9 ff. Anm. 20, ist gleicher Meinung.
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Über den Tatbestand der Versäumung der Ausschlagungsfrist.
i. V. mit § 1944 zu berechnende Ausschlagungsfrist für die Erbschaft des A ungenutzt verstreichen. Nach § 1952 Abs. 2 endigt in diesem Falle die Ausschlagungsfrist für die Erbschaft des A nicht vor dem Ablaufe der für die Erbschaft des B in Frage kommenden Ausschlagungsfrist. Diese Vorschrift läßt deutlich erkennen, daß die Ausschlagungsfrist in dem behandelten Falle nicht wieder beginnt. Es wird vielmehr nur der Ablauf der Frist hinausgeschoben. Die Kenntnis des Erbeserben von dem Anfall der Erbschaft des A an den B und vom Grunde der Berufung des B ist also zum Ablaufe der für die Erbschaft des A maßgebenden Ausschlagungsfrist nicht erforderlich. Die Ausschlagungsfrist kann also auch in diesem Falle ablaufen, ohne daß der während ihres Laufs entscheidungsberechtigt Gewordene überhaupt Kenntnis vom Anfalle hat. B I N D E R nimmt hier an, daß die bei Lebzeiten des Erblassers begonnene Ausschlagungsfrist durch dessen Tod auf Grund der §§ 1944, 203 bis zur Kenntnisnahme des Erbeserben von dem Anfall und dem Grunde der Berufung gehemmt sei. Das steht im Widerspruche zu der klaren Bestimmung des § 1954 Abs. 1: der Erbeserbe erwirbt danach das Recht, die Erbschaft auszuschlagen, vom Erben so, wie es zur Zeit des Todes des Erben bestanden hat. Ist das Recht, wie im vorliegenden Falle, zu dieser Zeit bereits befristet, so geht es auch in diesem Zustande auf den Erbeserben über; die in Abs. 2 des § 1952 gegebene Bestimmung ändert an diesem Grundsatze nichts; sie schiebt nur den Ablauf der das Ausschlagungsrecht begrenzenden Frist für die meisten Fälle hinaus. 1 B I N D E R S Ansicht ist auch insofern irrig, als danach in dem Tode ein Fall der höheren Gewalt im Sinne des § 203 erblickt wird. Die Anwendung des § 203 setzt voraus, daß der Erbe d u r c h höhere Gewalt an der Rechtsverfolgung gehindert ist. Im vorliegenden Falle würde der Erbeserbe also d u r c h den Tod des Erben an der Rechtsverfolgung gehindert sein müssen. 1 Wenn die Ausschlagungsfrist für die zweite Erbschaft 6 Wochen, diejenige für die erste Erbschaft aber 6 Monate beträgt, so kann es vorkommen, daß die Ausschlagungsfrist für die erste Erbschaft erst nach derjenigen für die zweite Erbschaft endigt.
Über den Tatbestand der Versäumung der Ausschlagungsfrist.
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Davon kann aber nicht die Rede sein. Der Tod des Erben hindert den Erbeserben nicht im geringsten an der Wahrnehmung des Ausschlagungsrechts. Der Erbeserbe wird vielmehr unmittelbar mit dem Tode des Erben ausschlagungsberechtigt (§ 1946). Der Tod des Erben kann daher für den Erbeserben auch nicht als Hemmungsgrund in Anspruch genommen werden. Als die Ausübung des Ausschlagungsrechts hindernd kommt vielmehr nur die Unkenntnis des Erben von dem Anfall der ersten Erbschaft in Betracht. Diese kann jedoch keinesfalls als unter den Begriff der höheren Gewalt fallend bezeichnet werden. In sehr vielen Fällen wird überdies der Erbeserbe vom Anfalle der ersten Erbschaft an den Erben Kenntnis haben, sodaß für ihn trotz des Todes des Erben überhaupt kein Hinderungsgrund begüglich der Ausübung des Ausschlagungsrechts besteht. — Der Tod des Erben verhindert den Erbeserben auch nicht etwa mittelbar an der Ausübung des Ausschlagungsrechts. Denn die etwa als unmittelbarer Hinderungsgrund in Frage kommende Unkenntnis des Anfalls ist nicht eine Folge des Todes des Erben. Endlich steht der B I N D E R sehen Auffassung noch entgegen, daß das Gesetz selbst den Tod nicht als einen Fall der höheren Gewalt im Sinne des § 203 auffaßt. Die Fälle, in denen der Tod eines Beteiligten auf den Lauf einer Frist von Einfluß sein soll, haben in § 207 eine besondere Regelung erfahren. Das Gesetz steht also auf dem Standpunkte, daß diese Fälle nicht schon durch den im § 203 aufgestellten Begriff der höheren Gewalt gedeckt sind. Der Ausdruck „Versäumung der Ausschlagungsfrist'' ist in diesem Kapitel noch nicht verwendet worden, und zwar absichtlich. Die den bisherigen Betrachtungen zugrunde liegenden Paragraphen kennen den Ausdruck „Versäumung der Ausschlagungsfrist" nicht. Es werden darin vielmehr nur die Wendungen gebraucht: „die für die Ausschlagung vorgeschriebene Frist ist verstrichen" (§ 1943), „Ablauf der Frist" (§ 1943) und „Ablauf der Ausschlagungsfrist" (§ 1952). Allein § 1956 spricht von einer „Versäumung der Ausschlagungsfrist". Will das Gesetz mit diesen verschiedenen Ausdrücken verschiedene Tatbestände aus-
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Über den Tatbestand der Versäumung der Ausscblagungsfrist.
einander halten oder gibt es nur mehrere Ausdrücke für einen und denselben Tatbestand? 1 LOEWY meint in der Tat, der Ausdruck „Versäumung" der Ausschlagungsfrist bedeute ein absichtliches Yerstreichenlassen der Frist, und er ordne sich deshalb begrifflich dem Ausdruck „Ablauf" der Ausschlagungsfrist unter. Weder der Sprachgebrauch des bürgerlichen Lebens noch der des Gesetzes rechtfertigen diese Annahme. Unter Versäumung einer Frist versteht man die Unterlassung dessen, was innerhalb der Frist hätte getan werden können oder sollen. 2 Ein bewußtes oder gar absichtliches Unterlassen enthält der Begriff der Versäumung nicht. Einen hiervon abweichenden Sprachgebrauch kennt das BGB. nicht. Die Auslegung L O E W Y s ist daher als willkürlich abzulehnen. „Versäumung" wird für „Ablauf" nur gesagt, um damit hervorzuheben, daß die Ausschlagungsfrist ungenützt abgelaufen sein muß, daß die Fälle des Ablaufs der Ausschlagungsfrist, in denen vorher eine formrichtige Ausschlagungserklärung abgegeben worden ist, nicht mit gemeint sind. Ob diese Hervorhebung als überflüssig unterbleiben konnte, mag dahingestellt sein. Vielleicht hat man den Ausdruck „Versäumung'' auch deswegen mit gewählt, weil damit die Beziehung zu dem Versäumenden als dem Anfechtungsberechtigten zum Ausdrucke gebracht wird. sieht in den verschiedenen Wendungen des Gesetzes nur eine Mehrheit von Ausdrücken für denselben Begriff. Als dem Tatbestande dieses Begriffs wesentlich stellt er hin, daß das Unterlassen der Ausschlagung ein bewußtes und absichtliches, „mithin rechtsgeschäftliches" sei. Dem nackten Fristablauf spricht er die Wirkung des Verlustes des Ausschlagungsrechts ab. E r stützt diese Behauptung auf die Bestimmung des § 1944 Abs. 2, nach welcher Kenntnis der Berufung und Fähigkeit, die Ausschlagung auszuüben, vorausgesetzt werde, was offenbar die Bedeutung habe, daß die Annahme durch positives ENDEMANN3
1 2 3
Form der Erbschaftsannahme, S. 27. im Arch. ziv. Prax. 9 2 145. E N D E M A N N , Lehrbuch 3 § 79 Nr. 1. LOEWY,
WENDT
Ü b e r den Tatbestand der Versäumung der Ausschlagungsfrist.
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Tun oder durch Unterlassen vollzogen werden könne, und daß beide als Rechtsgeschäfte zu gelten hätten. Wenn auch in § 1944 der Beginn der Ausschlagungsfrist u. a. davon abhängig gemacht wird, daß der Erbe Kenntnis von dem Anfall erlangt hat, so kann daraus nicht gefolgert werden, daß die Ausschlagungsfrist nur ablaufen könne, wenn das Unterlassen der Ausschlagung ein bewußtes und absichtliches, mithin rechtsgeschäftliches sei. Durch die in § 1944 erfolgte Regelung des Beginns und der Dauer der Ausschlagungsfrist soll zwar dem Erben Gelegenheit geboten werden, seinen Willen zur Geltung zu bringen. Es wird aber dadurch keineswegs für den Ablauf der Ausschlagungsfrist zur Bedingung gemacht, daß der Erbe von seinem Rechte Gebrauch gemacht hat. Die Unentschlossenheit eines Erben würde nach der E N D E M A N N sehen Ansicht den Ablauf der Ausschlagungsfrist ins Ungemessene hinausschieben. Das steht in offenbarem Widerspruche zu dem Hauptzwecke der Fristbestimmung 1 , im Interesse derjenigen Personen, die zum Erblasser zur Zeit des Todes desselben in rechtlichen Beziehungen gestanden haben, die unsichere Rechtslage zu beseitigen, welche hinsichtlich des Nachlasses durch das Ausscheiden des Erblassers aus dem Rechtsverkehr für jene Personen entstanden ist. Nach dem klaren Wortlaute des § 1943 ist der Tatbestand der Versäumung bzw. des Ablaufs der Ausschlagungsfrist durch den Willen des Erben in keiner Weise bedingt. 2 F ü r den Ablauf der Ausschlagungsfrist ist es vollkommen belanglos, ob der Erbe den endgültigen Erbschaftserwerb will oder nicht. Ausgeschlossen wird die Versäumung der Ausschlagungsfrist durch vor Ablauf der Frist erfolgende Annahme oder Ausschlagung. Während die Annahme an eine Form nicht gebunden ist, ist die Gültigkeit der Ausschlagung von Wahrung der in § 1945 aufgestellten Formerfordernisse abhängig gemacht. Sowohl für die Annahme als auch für die Ausschlagung gelten die Bestimmungen der §§ 1947 und 1950.. Ein unter Verletzung 1
2
Vgl. hierzu
Protokoll
5
7 6 7 4 , b e i MÜQDAN 5 4 0 7 .
Gleicher Meinung u. a. MANIOK, welcher anders begründet; W i l l e n s erklärung und W i l l e n s g e s c h ä f t S. 60, 261, 266, 286.
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Ist die Versäumung der Ausschlagungsfrist Rechtsgeschäft?
einer der Bestimmungen der §§ 1945, 1947 und 1950 erfolgte Ausschlagung ist unwirksam, steht also der Versäumung der Ausschlagungsfrist nicht entgegen.
Zweites Kapitel.
Ist die Versäumung der Ausschlagungsfrist Rechtsgeschäft? Der Tatbestand der Versäumung der Ausschlagungsfrist ist von der Rechtsordnung mit rechtlichen Folgen ausgestattet. Er ist also ein rechtserheblicher, ein „juristischer" Tatbestand. Die einzelnen Tatsachen, welche zusammen den Tatbestand der Versäumung der Ausschlagungsfrist ausmachen, sind rechtserhebliche, „juristische" Tatsachen. Sie sind nicht nur positiver, sondern zum Teil auch negativer Art. Uber die engere Klassifizierung der Versäumung der Ausschlagungsfrist besteht Streit. Entgegen der herrschenden Meinung vertreten B I N D E R 1 und ENDEMANN 2 die Ansicht, daß die Versäumung der Ausschlagungsfrist Rechtsgeschäft sei. Das Reichsgericht 3 hat sich auf den Standpunkt gestellt, daß die Versäumung der Ausschlagungsfrist rechtsgeschäftlichen Charakter haben könne. Mit der herrschenden Meinung spricht STEOHAL 4 ihr für alle Fälle rechtsgeschäftlichen Charakter ab. BINDER begründet seine Ansicht damit, daß für den Lauf der AusschlaguDgsfrist, wie allgemein anerkannt werde, in den Fällen der Geschäftsunfähigkeit und der beschränkten Geschäftsfähigkeit des Erben die Kenntnis des gesetzlichen Vertreters, nicht die des Erben maßgebend sei. Es werde also die Bestimmung des § 166 BGB. auf den Fall der Versäumung der 1
BINDER, Rechtsstellung des Erben 1 § 5. ENDEMANN, Lehrbuch 3 § 79 Nr. 1. 3 RG. 5 8 81 ff. 4 STROHAL, Erbrecht 2 § 61; auch in PLANCK (3/4) 5 und 1956. 2
bei §§ 1943
Ist die Veraäumung der Ausschlagungsfrist Rechtsgeschäft?
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Ausschlagungsfrist angewendet. Dies lasse sich nur rechtfertigen, wenn die Yersäumung der Ausschlagungsfrist Rechtsgeschäft sei. Richtig ist, daß für den Beginn der Ausschlagungsfrist die Kenntnis des gesetzlichen Vertreters, nicht die des geschäftsunfähigen oder des in der Geschäftsfähigkeit beschränkten Erben maßgebend *ist. Das ergibt sich aber nicht aus der analogen Anwendung des § 166, sondern, wie bereits dargetan worden ist, aus dem Zwecke der im § 1944 Abs. 2 Satz 1 enthaltenen Bestimmung. Als Überlegungsfrist kann die Ausschlagungsfrist nur dem gesetzt sein, der die Überlegung zu machen hat. Da sich hiernach bereits aus dem Zwecke der Vorschrift des § 1944 Abs. 2 Satz 1 ergibt, daß in den Fällen der Geschäftsunfähigkeit und der beschränkten Geschäftsfähigkeit des Erben für den Beginn der Ausschlagungsfrist die Kenntnis des gesetzlichen Vertreters maßgebend ist, so bedarf es in diesen Fällen gar nicht der analogen Anwendung des § 166. Damit fällt der BiNDEBsche Grund für die Rechtsgeschäftsnatur der Versäumung der Ausschlagungsfrist. Selbst wenn sich aber auf die Anwendung der im § 166 enthaltenen Bestimmung auf den Beginn der Ausschlagungsfrist nötig machte, so wäre damit die Reclitsgeschäftsnatur der Versäumung der Ausschlagungsfrist noch keineswegs erwiesen. Verschiedene Bestimmungen des BGB. sind im allgemeinen für Rechtsgeschäfte erlassen, ohne daß ihre Anwendung auf das Gebiet der Rechtsgeschäfte beschränkt ist. Ihr Anwendungsgebiet erstreckt sich vielmehr des öfteren auch auf Tatbestände, die dem Rechtsgeschäfte zwar sehr nahe stehen, rechtsgeschäftlichen Charakter aber nicht haben. 1 Die E N D E M A N N sehe Begründung der Rechtsgeschäftsnatur der Versäumung der Ausschlagungsfrist, nach welcher die Versäumung der Ausschlagungsfrist rechtsgeschäftlichen Charakter hat, weil sie ein bewußtes und absichtliches Unterlassen der Ausschlagung voraussetze, ist bereits in Kapitel 1 durch den Nachweis des Mangels des von E N D E M A N N behaupteten Wesens-
1
Vgl. hierzu die bei
COSACK,
Lehrbuch (4) 1 §
51
gegebenen Beispiele.
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Ist die Versäumung der Ausschlagungsfrist Rechtsgeschäft?
merkmals der Versäumung der Ausschlagungsfrist widerlegt worden. Das Reichsgericht kommt auf die Behauptung, die Versäumung der Ausschlagungsfrist könne rechtsgeschäftlichen Charakter haben, bei dem Versuche, die Möglichkeit der Anfechtung der Versäumung der Ausschlagungsfrist der Billigkeit entsprechend zu begrenzen. Eine Begründung für seine Behauptung gibt es nicht. F ü r die herrschende Meinung, welche den Rechtsgeschäftscharakter der Versäumung der Ausschlagungsfrist verneint, werden verschiedene Gründe ins Feld geführt. Wir beginnen mit der Entstehungsgeschichte der Vorschriften der §§ 1943 und 1956. Während im § 1943 der Fall des sich durch Annahme der Erbschaft vollziehenden endgültigen Erbschaftserwerbs von dem durch Fristablauf erfolgenden scharf unterschieden wird, kannte der Entwurf I eine solche scharfe Trennung nicht. In seinem dem § 1943 BGB. entsprechenden § 2029 heißt es: „Das Recht, die Erbschaft auszuschlagen, erlischt durch die ausdrückliche oder stillschweigende Erklärung, Erbe sein zu wollen, sowie dadurch, daß die Ausschlagung nicht innerhalb der gesetzlich bestimmten Frist erklärt wird (Annahme der Erbschaft)." Der Entwurf faßt hiernach unter den Begriff der Annahme auch die Fälle der Versäumung der Ausschlagungsfrist. Die Aufstellung dieses weiteren Begriffs der Annahme bezweckt eine gemeinsame Bezeichnung der Fälle des endgültigen Erbschaftserwerbs. Daß sich aber trotz dieser gefährlichen Terminologie die 1. Kommission darüber im klaren war, daß jene Art der „Annahme" des rechtsgeschäftlichen Charakters ermangle, geht zur Genüge daraus hervor, daß sie die Anfechtung der Versäumung der Ausschlagungsfrist für nicht möglich erklärte mit den Worten: Gegen den Ablauf der Ausschlagungsfriät k ö n n e und wolle der Entwurf einen besonderen Schutz nicht gewähren. 1 Die 2. Kommission änderte den § 2029 E. I in § 1820 E. I I folgendermaßen um: 1
Mot. 1 5 1 3 ,
bei
MUQDAN
274.
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,,Der Erbe kann die Erbschaft nicht mehr ausschlagen, wenn er sie angenommen hat. Der Annahme steht es gleich, wenn der Erbe nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist die Erbschaft ausschlägt." Wir bemerken hieran zwei wesentliche Änderungen: 1. fehlt die Unterscheidung der ausdrücklichen und der stillschweigenden Annahmeerklärung, 2. ist die Zusammenfassung der Annahmeerklärung und der Fristversäumung unter dem Begriffe der Annahme der Erbschaft vermieden. Man hatte eine Unterscheidung der Formen, in denen die Annahmeerklärung in die Erscheinung tritt, als nichtssagend und irreführend aufgegeben und für die Fälle des Fristablaufs den Ausdruck „Annahme der Erbschaft" fallen lassen. In beiden Maßnahmen kommt das Bestreben zum Ausdrucke, die Fälle des sich durch Willenserklärung vollziehenden endgültigen Erbschaftserwerbs von den Fällen scharf zu trennen, in denen der endgültige Erbschaftserwerb lediglich als Folge des nackten Fristablaufs erscheint. Auch bei Regelung der Anfechtbarkeit hat die 2. Kommission deutlich erkennen lassen, daß sie von der grundsätzlichen Ablehnung der Anfechtbarkeit der Versäumung der Ausschlag ungsfrist nicht deswegen abgehe, weil sich die Anfechtung begrifflich, etwa mit Rücksicht auf die rechtsgeschäftliche Natur der Versäumung der Ausschlagungsfrist, rechtfertigen lasse, sie begründet vielmehr die Notwendigkeit der Anfechtung der Versäumung der Ausschlagungsfrist lediglich mit der Billigkeit. Bei Annahme des Antrags auf Aufnahme der Vorschrift: „Die Annahme unterliegt der Anfechtung auch dann, wenn sie durch Versäumung der Ausschlagungsfrist erfolgt ist" erwog nach den Protokollen 1 die Mehrheit der Kommission: „Nach dem Entwürfe würde die Anfechtung der Annahme ausgeschlossen sein, wenn die Annahme nicht erklärt sei, sondern sich dadurch vollzogen habe, daß der Erbe innerhalb der Ausschlagungsfrist eine Erklärung über Annahme oder Ausschlagung 1
P r o t . 5 7 6 9 0 , b e i MUGDAN 5 4 1 2 .
H e e g e r , BGB. §§ 1956, 119.
2
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Ist die Versäumung der Ausschlagungsfrist Rechtsgeschäft?
der Erbschaft nicht abgegeben habe. Denn die Anfechtung richte sich regelmäßig nur gegen Rechtsgeschäfte, und eine rechtsgeschäftliche Wirkung im eigentlichen Sinne sei der Verlust des Ausschlagungsrechts auch bei der pro herede gestio nicht. Die Billigkeit erfordere aber, die beiden Arten, in welchen sich die Annahme der Erbschaft vollziehen könne, hinsichtlich der Anfechtung gleichzustellen." . . . Dieser Standpunkt ist schließlich auch in den §§ 1948 und 1956 BGB. unzweideutig zum Ausdruck gekommen. Auch im § 1943 werden die Tatbestände der Annahme der Erbschaft und der Versäumung der Ausschlagungsfrist scharf auseinandergehalten. Der Unterschied des rechtlichen Charakters dieser beiden Tatbestände wird besonders noch durch die Wendung: „mit dem Ablaufe der Frist g i l t die Erbschaft als angenommen'' betont. Mit Sicherheit läßt sich aus der in dieser Bestimmung enthaltenen Fiktion jedenfalls soviel entnehmen, daß wenigstens einige Fälle der Versäumung der Ausschlagungsfrist nach der im Gesetze vertretenen Ansicht den Charakter der Annahme — also den eines Eechtsgcschäfts — nicht haben. Zu weit gehen die, welche aus dieser Fiktion herauslesen, daß alle Fälle der Versäumung der Ausschlagungsfrist rechtsgeschäftlichen Charakter nicht haben. Denn bei Fiktionen ist nicht notwendig in allen Fällen der zu fingierende Tatbestand ein anderer als der als Basis der Fiktion vorhandene. 1 Noch deutlicher spricht die Bestimmung des § 1956 gegen die Rechtsgeschäftsnatur der Versäumung der Ausschlagungsfrist. Wäre nämlich die Fristversäumung Rechtsgeschäft, so wäre sie als solches begrifflich ohne weiteres anfechtbar. Wenn das Gesetz im § 1956 die Anfechtung auch auf die Versäumung der Ausschlagungsfrist überträgt, so geht daraus hervor, daß nach der im Gesetze vertretenen Ansicht diese besondere Übertragung nicht überflüssig, sondern erforderlich ist, daß sich also die Möglichkeit der Anfechtung nach §§ 119 ff. nicht schon aus dem Begriffe der Versäumung der Ausschlagungsfrist ergibt. Damit 1
Vgl. § 892 Abs. 1 Satz 1 BGB.
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ist die Rechtsgeschäftsnatur der Versäumung der Ausschlagungsfrist verneint. Eine Beleuchtung des Begriffes des Rechtsgeschäfts und des damit eng verbundenen Begriffs der Willenserklärung wird das Ergebnis unserer bisherigen Untersuchungen über den rechtlichen Charakter der Versäumung der Ausscblagungsfrist bestätigen. Die Erörterung des Wesens der beiden vielumstrittenen Begriffe soll und kann hier nur soweit vorgenommen werden, als es der Zweck der vorliegenden Abhandlung nötig macht. Eine gesetzliche Definierung des Rechtsgeschäftsbegriffs ist unterblieben, wie in den Motiven mitgeteilt wird, wegen der damit verbundenen Gefahr, durch eine wie immer geartete Fassung irre zu leiten. Wir sind deshalb bei der Feststellung dieses Begriffs auf die Auslegung angewiesen. Als wichtiges Hilfsmittel der Auslegung ziehen wir die Motive zu Rate. Sie geben uns folgende Begriffsbestimmung des Rechtsgeschäfts: „Rechtsgeschäft im Sinne des Entwurfs ist eine Privatwillenserklärung, gerichtet auf Hervorbringung eines rechtlichen Erfolgs, der nach der Rechtsordnung deswegen eintritt, weil er gewollt ist." Das Rechtsgeschäft ist hiernach eine besonders geartete Willenserklärung. Ein Rechtsgeschäft ohne Willenserklärung ist begrifflich nicht möglich. Dagegen ist es nach jener Begriffsbestimmung denkbar, daß eine Willenserklärung rechtsgeschäftlichen Charakter nicht hat. Daß das BGB. aber wiederum unter dem Ausdrucke Willenserklärung nur solche mit rechtsgeschäftlichem Charakter verstanden haben will, sagt uns die in den Motiven für die Willenserklärung gegebene Definition: „Unter Willenserklärung wird nur die rechtsgeschäftliche Willenserklärung verstanden." Wenn also im BGB. von Willenserklärungen die Rede ist, so sind darunter nur solche mit rechtsgeschäftlichem Charakter zu verstehen. Im Einklänge mit der herrschenden Meinung 1 wird in der 1
Vgl. hierzu u. a. die Definition des Rechtsgeschäfts bei W I N D S C H E I D Pandekten 1 § 70 fF.; REQELSBEKOEE, Pandekten § 135; DERNBUKG, Bürgerliches Recht 1 3 3 0 ; ENDEMANH, Lehrbuch 1 3 4 2 ff.
KIPP,
2*
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Ist die Versäumung der Ausschlagungsfrist Rechtsgeschäft?
in den Motiven gegebenen Definition des Rechtsgeschäftsbegriffs als diesem wesentlich hervorgehoben, daß der rechtliche Erfolg des Rechtsgeschäfts nach der Rechtsordnung deswegen eintritt, weil er gewollt ist. Untersuchen wir die Versäumung der Ausschlagungsfrist auf dieses Wesensmerkmal hin. Tritt der rechtliche Erfolg der Versäumung der Ausschlagungsfrist deswegen ein, weil er gewollt ist? Es ist bereits dargetan worden, daß dies nicht zutrifft. Die Wirkung des endgültigen Erwerbs der Erbschaft tritt im Falle der Versäumung der Ausschlagungsfrist ohne Rücksicht auf einen etwaigen dahingehenden Willen des Erben, ja sogar auch gegen den Willen desselben, ein. Die rechtlichen Folgen der Versäumung der Ausschlagungsfrist beruhen allein auf der besonderen gesetzlichen Bestimmung des § 1943, welche die Beendigung des unsicheren Stadiums des vorläufigen Erwerbs der Erbschaft bezweckt. Es soll nicht dem Erben ein weiteres Mittel zur Herbeiführung des Annahmeerfolgs in die Hand gegeben werden. Ein Bedürfnis danach liegt gar nicht vor. Der Erbe kann j a die Annahme vollkommen formlos erklären. Das Institut der Versäumung der Ausschlagungsfrist ist einem besonderen Gesetzeszwecke, nicht dem Willen des Erben zu dienen bestimmt. Die Folgen der Fristversäumung sind also gesetzliche, nicht rechtsgeschäftliche. Daran ändert nichts der Umstand, daß infolge der über den Beginn und die Dauer der Ausschlagungsfrist gegebenen Bestimmungen der mit dem Ablaufe der Ausschlagungsfrist verbundene Erfolg in den bei weitem meisten Fällen vom Erben gewollt ist. In verschiedenen Fällen der Versäumung der Ausschlagungsfrist läßt sich dafür wieder feststellen, daß der Erbe — oder dessen gesetzlicher Vertreter oder der Erbeserbe — einen auf Annahme der Erbschaft gerichteten Willen zweifellos nicht hatte, j a nicht einmal haben konnte. Als Beispiele hierfür können die im ersten Kapitel S. 12 ff. aufgeführten Fälle dienen. Weitere hierher gehörige Fälle sind die folgenden: Der Erbe hat zwar Kenntnis vom Anfalle der Erbschaft an ihn und vom Grunde seiner Berufung, er glaubt aber, wie der suus im ältesten römischen Rechte die Erbschaft nicht ausschlagen zu können und versäumt, deshalb die Ausschlagungsfrist.
Ist die Versäumung der Ausschlagungsfrist Rechtsgeschäft?
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Der Erbe hat Kenntnis vom Anfall und vom Grunde der Berufung. Er weiß auch, daß er die Erbschaft ausschlagen kann, weiß aber nicht, daß diese Möglichkeit überhaupt zeitlich begrenzt ist, oder er hält die Ausschlagungsfrist für länger als sie es tatsächlich ist, oder er glaubt irrtümlich, die Ausschlagungsfrist habe später begonnen, als es in Wirklichkeit der Fall ist, trifft deswegen noch keine Entscheidung und versäumt so die Ausschlagungsfrist. Der Erbe schlägt rechtzeitig aber versehentlich nicht formrichtig aus. Den Fehler bemerkt er aber erst nach Ablauf der Ausschlagungsfrist. Auch hier ist die Ausschlagungsfrist versäumt. In allen diesen Fällen will der Erbe bestimmt nicht den an den Ablauf der Ausschlagungsfrist geknüpften Erfolg. Trotzdem tritt er ein. Daraus geht hervor, daß der mit der Versäumung der Ausschlagungsfrist verbundene rechtliche Erfolg nicht deswegen eintritt, weil er gewollt ist. Es fehlt also der Versäumung der Ausschlagungsfrist ein Wesensmerkmal des Rechtsgeschäfts: sie kann nie Rechtsgeschäft sein. Da jedem Rechtsgeschäfte eine Willenserklärung wesentlich ist, müßte die Versäumung der Ausschlagungsfrist, sofern sie rechtsgeschäftlichen Charakter hätte, auch eine Willenserklärung enthalten. Es soll deswegen die Versäumung der Ausschlagungsfrist auch auf ihre Beziehungen zum Begriffe der Willenserklärung untersucht werden. Die Willenserklärung setzt sich, wie schon aus ihrem Namen hervorgeht, aus zwei Bestandteilen zusammen: dem Willen und der Erklärung. Der Wille ist ein rein innerer Vorgang. Nur der Wollende selbst hat zunächst davon Kenntnis. Soll der Wille im Rechtsverkehr als treibende Kraft auftreten, so muß er aus dem Inneren herausgetreten, für andere sinnlich wahrnehmbar geworden, muß geäußert worden sein. Der nicht geäußerte Wille ist ohne rechtliche Bedeutung. Aus dem Ausdrucke Willenserklärung ist also mindestens soviel zu entnehmen, daß der darunter fallende Begriff eine Willensäußerung in sich schließt. Untersuchen wir nun die Versäumung der Ausschlagungsfrist auf das Vorhandensein einer Willensäußerung.
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Ist die Versäumung der Ausschlagungsfrist Rechtsgeschäft?
Wie bereits an verschiedenen Beispielen gezeigt worden ist, sind Fälle der Versäumung der Ausschlagungsfrist möglich, in denen ein Annahmewille des Versäumenden gar nicht vorhanden sein kann. Diese Fälle können als Willenserklärungen schon deswegen überhaupt nicht in Frage kommen, weil hier sogar das Objekt einer Willensäußerung, der Wille, fehlt. Genau so steht es mit den Fällen, in welchen sich der Erbe der ihm angefallenen Erbschaft gegenüber vollständig apathisch verhält, weil es ihm ganz gleichgültig ist, ob er die Erbschaft endgültig erwirbt oder nicht. Auch hier hat der Erbe einen Willen betr. die Annahme oder die Ausschlagung der Erbschaft überhaupt nicht. Deswegen kann man, obwohl in den bei weitem meisten Fällen der Versäumung der Ausschlagungsfrist der daran geknüpfte Erfolg des endgültigen Erwerbs der Erbschaft dem Willen des Erben entspricht, in keinem Falle der Fristversäumung aus dem Tatbestande der Versäumung der Ausschlagungsfrist allein auf einen bestimmten Willen des Erben schließen. Der reine Ablauf der Ausschlagungsfrist enthält Anhaltspunkte für einen Willen des Erben überhaupt nicht. Ist im Falle der Versäumung der Ausschlagungsfrist der auf Annahme der Erbschaft gerichtete Wille des Erben erkennbar geworden, so kaun er dies nur in Verbindung mit außerhalb des Tatbestandes der Versäumung der Ausschlagungsfrist liegenden Umständen geworden sein, und es kommt dann höchstens in Frage, ob in der Versäumung der Ausschlagungsfrist in Verbindung mit anderen Umständen etwa eine Willensäußerung zu erblicken wäre. Eine solche Willensäußerung würde aber der Wirksamkeit entbehren, weil bereits mit dem Ablaufe der Ausschlagungsfrist das Recht, eine Entscheidung über die Annahme oder die Ausschlagung zu treffen, untergegangen ist. Die falsche Subsumption der Versäumung der Ausschlagungsfrist unter den Begriff des Rechtsgeschäfts ist in vielen Fällen zurückzuführen auf eine unklare Auffassung des oft mißbrauchten Ausdrucks „stillschweigende Willenserklärung". Als stillschweigende oder konkludente Willenserklärungen können nur diejenigen Tatbestände anerkannt werden, welche wirkliche Willenserklärungen sind. Wer dies leugnen wollte,
Von der Besonderheit der Anfechtung nach §§ 1956, 119 BGB.
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müßte behaupten, daß nicht alle stillschweigende Willenserklärungen wirkliche Willenserklärungen zu sein brauchten. Wer aber einmal anerkennt, daß die stillschweigenden Willenserklärungen nur eine Unterart der Willenserklärungen sind, darf dieser Unterart nicht eines der Wesensmerkmale des Hauptbegriffs absprechen. Zu den Wesensmerkmalen des Hauptbegriffs kommt vielmehr bei der Unterart nur ein neues Merkmal hinzu. — Das Eigenschaftswort „stillschweigend" soll zum Ausdrucke bringen, in welcher Weise diese Willenserklärung in die Erscheinung tritt. Eine mit dem Wesen der Willenserklärung nicht vereinbare Eigenschaft liegt in dem Adjektivum „stillschweigend" nicht. Es kann deswegen bei stillschweigenden Willenserklärungen nicht etwa abgesehen werden von dem Erfordernis der Verständlichkeit oder der Willensäußerung überhaupt. Weder stillschweigende noch ausdrückliche Willenserklärungen sind begrifflich ohne Äußerung des Willens denkbar. 1
Drittes Kapitel.
Von der Besonderheit der Anfechtung nach §§ 1956, 119 BGB. Die Anfechtung des BGrB. hat ihre allgemeine Regelung im Abschnitte „Rechtsgeschäfte" unter dem Titel „Willenserklärung" gefunden. Danach hat es den Anschein, als ob sich die Lehre von der Anfechtung nur auf Rechtsgeschäfte beziehe. Das BGB. kennt jedoch auch die Anfechtung von anderen juristischen Tatbeständen. Anfechtbar sind z. B. der fremde Erbschaftserwerb bei Erbunwürdigkeit (§ 2340)2 und die Ehelichkeit eines Kindes 1
Die Abgrenzung des Gebiets der stillschweigenden Willenserklärung von dem der ausdrücklichen gehört nicht in den Rahmen dieser Abhandlung. Eine allgemein anerkannte Lösung dieses Problems ist noch nicht gefunden worden. 2 Da die Anfechtung des Erbschaftserwerbs wegen Erbunwürdigkeit bereits unmittelbar nach dem Anfalle, also ohne Rücksicht auf eine etwaige rechtsgeschäftliche Annahmeerklärung, zulässig ist, steht als Gegenstand
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Von der Besonderheit der Anfechtung nach §§ 1956, 119 BGB.
(§§ 1591, 1593 ff). Wir sehen also, daß die Anfechtung begrifflich durchaus nicht auf das Gebiet der Rechtsgeschäfte beschränkt ist. Gegen eine Einschränkung des Anfechtungsbegriffs auf das Gebiet der Rechtsgeschäfte spricht auch der Wortsinn von „anfechten". Danach ist „anfechten" soviel als bekämpfen, zu vernichten suchen. Vernichtet werden sollen die Rechtsfolgen, welche der anzufechtende Tatbestand erzeugt hat. Sie sind der eigentliche Gegenstand der Anfechtung. Gemeinsam ist allen Anfechtungsfällen der Gedanke, daß die auf Grund eines bestimmten Tatbestandes eingetretenen Rechtsfolgen wieder beseitigt werden sollen. Rechtsfolgen sind aber nicht nur den Rechtsgeschäften eigentümlich, sondern allen juristischen Tatbeständen. 1 Voraussetzung der Anfechtung ist immer das Vorliegen bestimmter Anfechtungsgründe. Eine allgemeine Regelung der Anfechtungsgründe ist, wie bereits erwähnt, nur bei Rechtsgeschäften gegeben. Wenn die Anfechtung außerhalb des Gebiets der Rechtsgeschäfte zugelassen wird, so finden wir stets eine besondere, von der allgemeinen abweichende Regelung der Anfechtungsgründe vor. Dies läßt vermuten, daß die allgemeinen Anfechtungsgründe bei anderen juristischen Tatbeständen als Rechtsgeschäften nicht verwendbar sind. Bestätigt sich das, so würden wir zu dem Ergebnis kommen, daß zwar begrifflich auch nicht rechtsgeschäftliche Tatbestände anfechtbar sein können, daß dies aber tatsächlich nur dann der Fall ist, wenn besondere Anfechtungsgründe gegeben sind. Eine nähere Untersuchung des Anfechtungsgrundes des § 119 wird uns Klarheit bringen. § 119 beginnt folgendermaßen: „ W e r bei Abgabe einer Willenserklärung über deren Inhalt im Irrtume war oder eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte, kann die Erklärung anfechten, wenn . . ." der Anfechtung nicht ein Rechtsgeschäft, sondern der juristische Tatbestand des Erbanfalls in Frage. 1 Vgl. M A N I O K , Willenserklärung und Willensgesch. 2 3 8 : „Anfechtendürfen heißt nichts anderes, als das Recht haben, gewisse eingetretene Wirkungen durch einen Willkürakt aufzuheben." Vgl. auch W I N D S C H E I D KIPP (9) § 6 8 I I
Nr. 1 und
8.
Von der Besonderheit der Anfechtung nach §§ 1956, 119 BG-B.
25
Der Erklärende gibt hiernach eine Erklärung ab, die einen anderen Inhalt hat als den von ihm gewollten. Bei objektiver Auslegung dieser Erklärung wird der Auslegende einen anderen Willen des Erklärenden annehmen müssen, als ihn der E r k l ä r e n d e hat. Der in der Erklärung wirklich enthaltene Wille ( t e c h n i s c h genannt „ w i r k l i c h e r W i l l e " § 133) ist ein anderer als der innere, nicht zum Ausdrucke gekommene Wille des Erklärenden (technisch genannt „ i n n e r e r Wille"). Zu den Voraussetzungen der Anfechtbarkeit nach § 119 gehört hiernach: 1. daß vorhanden sind a) der in der Erklärung zum Ausdrucke gekommene, also darin wirklich enthaltene Wille (wirklicher Wille), b) der innere Wille des Erklärenden, der in der abgegeben Erklärung nicht zum Ausdrucke gekommen ist (innerer Wille), 2. daß diese beiden Willen nicht übereinstimmen. Der Tatbestand der Versäumung der Ausschlagungsfrist kann diese Voraussetzungen nicht erfüllen. Weder der eine noch der andere der beiden vorausgesetzten Willen ist im Tatbestande der Versäumung der Ausschlagungsfrist möglich. Ein wirklicher Wille ist in der Versäumung der Ausschlagungsfrist nicht enthalten; denn aus ihrem Tatbestande ist eine Schlußfolgerung auf einen etwa vorhandenen Willen, die den wirklichen Willen ergibt, nicht möglich. Die Möglichkeit einer solchen Schlußfolgerung ist aber die notwendige Voraussetzung des „wirklichen Willens". Ebensowenig kann ein innerer Wille im Tatbestande der Versäumung der Ausschlagungsfrist enthalten sein. Der Tatbestand der Versäumung der Ausschlagungsfrist tritt, wie bereits dargetan worden ist, ohne Rücksicht auf den Willen des Versäumenden ein. Ist im Falle der Versäumung der Ausschlagungsfrist bei den Versäumenden ein innerer, den Tatbestand der Versäumung der Ausschlagungsfrist billigender Wille vorhanden, so gehört dieser Wille nicht zum Tatbestande der VersäumuDg der Ausschlagungsfrist. Der Wille liegt außerhalb desselben. Wir sehen also, daß die Anfechtung nach § 119 bei dem Gegenstande der Anfechtung den Willenserklärungen eigentüm-
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Von der Besonderheit der Anfechtung nach §§ 1956, 119 BGB.
liehe Tatbestandsmerkmale voraussetzt, die bei der Versäumung der Ausschlagungsfrist nicht zu finden sind. Trotzdem wird durch § 1956 die Versäumung der Ausschlagungsfrist für in gleicher Weise wie die Annahme, also wie ein Rechtsgeschäft, anfechtbar erklärt. Die hierin liegende Schwierigkeit kann nicht einfach dadurch umgangen werden, daß man die Versäumung der Ausschlagungsfrist unter Bezugnahme auf § 1943 a. E. als eine fingierte Willenserklärung bezeichnet und als solche für ohne weiteres anfechtbar erklärt. Sicher ist, daß eine fingierte Willenserklärung ihrer Natur nach eben keine Willenserklärung ist. I h r sind zwar von der Rechtsordnung die Folgen einer Willenserklärung verliehen worden, die natürlichen Eigenheiten einer Willenserklärung gehen ihr aber nach wie vor ab. Gerade auf solche natürliche Eigenheiten der Willenserklärungen ist aber, wie wir gesehen haben, der allgemeine Anfechtungsgrund des § 119 wenigstens seiner Fassung nach abgestellt. Während es in der Natur einer Willenserklärung liegt, daß ein innerer Wille des Erklärenden s t e t s vorhanden ist, kommt auf das etwaige Vorhandensein eines inneren Willens bei demjenigen, dem eine Willenserklärung durch Fiktion untergeschoben wird, überhaupt nichts an. Oft ist bei dem nach der Fiktion Erklärenden ein innerer Wille überhaupt nicht vorhanden. Ist aber auch im Falle einer Fiktion ein innerer Wille vorhanden, so gehört er, wie entsprechend bei der Versäumung der Ausschlagungsfrist, nicht zum Fiktionstatbestande. E r liegt vielmehr außerhalb desselben und ist ohne Zusammenhang mit ihm. Durch die Annahme einer fingierten Willenserklärung im Falle der Versäumung der Ausschlagungsfrist ist uns also bezüglich der Anwendung des § 119 auf die Fälle der Versäumung der Ausschlagungsfrist nicht geholfen. Die Lösung des Problems soll im letzten Kapitel versucht werden. 1 1
Nach MANIGK (Willenserklärung und Willensgesch. § 40ff.)liegt schon überall da, wo ein innerer, auf Annahme gerichteter Wille vorhanden ist, eine Annahme vor, ohne Rücksicht auf die Erweislichkeit dieses Willens. Die Versäumung der Ausschlagungsfrist beschränkt sich danach auf die
In welcher Weise ist § 119 BGB. auf die Versäumung usw. anzuwenden?
Viertes
27
Kapitel.
In welcher Weise ist § 119 BGB. auf die Versäumung der Ausschlagungsfrist anzuwenden? Die
meisten
Vertreter
der
Wissenschaft
und
welche sich mit dieser F r a g e beschäftigt h a b e n ,
der
Praxis,
sind dabei von
d e m Gedanken ausgegangen, daß die Möglichkeit der A n f e c h t u n g der
Versäumung
der Ausschlagungsfrist
wegen
Irrtums
einer
Grenze bedürfe, die das Gesetz z u m m i n d e s t e n nicht klar genug erkennen
lasse.
D i e s e Grenze
festzustellen,
ist
das
Bestreben
aller, die sich mit dem P r o b l e m des § 1 9 5 6 beschäftigt haben.
Die
Ergebnisse der in F r a g e k o m m e n d e n Abhandlungen sind zum Teil wesentlich voneinander verschieden. BOLTE1
läßt
die
Anfechtung
der
Versäumung
schlagungsfrist dann z u , wenn der T a t b e s t a n d der Ausschlagungsfrist Versäumenden
im
eingetreten
Widerspruche ist.
Dies
ist
zu
der
Aus-
der V e r s ä u m u n g dem
nach
Willen
des
BOLTE s
An-
Fälle des Ablaufs der Ausschlagungsfrist, in denen ein innerer, auf Annahme der Erbschaft gerichteter Wille nicht vorhanden ist. Die Fälle der Annahme, in denen ein innerer Wille nicht erweislich ist, kommen allerdings praktisch nur als solche der Yersäumung der Ausschlagungsfrist in Frage. Für alle Fälle der Annahme im Sinne Manioks, in denen außer dem inneren, auf Annahme der Erbschaft gerichteten Willen nicht auch eine Willensäußerung enthalten ist, entsteht jedoch hinsichtlich der Anwendung des § 119 dasselbe Problem wie für die Versäumung der Ausschlagungsfrist: auch in jenen Fällen ist nämlich ein Divergieren zwischen dem inneren Willen und einem „wirklichen" Willen (§ 133) nicht möglich, weil die Voraussetzung jedes „wirklichen" Willens, eine Willensäußerung, fehlt. Die Lösung des Problems ist hier nur deswegen nicht ohne weitgehende Analogie möglich, weil es an einer dem § 1956 entsprechenden Bestimmung fehlt, durch welche die Annahme, soweit sie nicht den Charakter einer Willenserklärung hat, für anfechtbar erklärt wird. Denn § 1954 sagt, sofern man dem Maniok sehen Standpunkte getreu bleibt, nicht, daß die Annahme schlechthin anfechtbar ist. Er spricht vielmehr von der begriffliehen Zulässigkeit der Anfechtung der Annahme nur in dem Bedingungssatze: „Ist die Annahme anfechtbar, so . . ." 1 Bolte, „Anfechtung der Versäumung der Ausschlagungsfrist", in PosMSchr. 19 121 ff.
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In welcher Weise ist § 119 BGB. auf die Versäumung usw. anzuwenden?
sieht nur der Fall, wenn der Wille des Erben dahin gegangen ist, vor dem Zeitpunkte, in welchem die Ausschlagungsfrist ablief, demjenigen Gerichte, welches nach § 1945 BGB. zuständig ist, eine ordnungsmäßige Ausschlagungserklärung zugehen zu lassen, und zwar, soweit erforderlich, mit der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung. Wenn der Wille des Erben auch nur eines dieser Erfordernisse nicht mitumfasse, so sei das Anfechtungsrecht nicht gegeben, weil die Versäumung der Ausschlagungsfrist nicht im Widerspruche zu dem Willen des Erben eingetreten sei. BEEIT macht die Möglichkeit der Anfechtung der Versäumung der Ausschlagungsfrist davon abhängig, daß der Versäumende innerhalb der Ausschlagungsfrist eine Ausschlagungserklärung hat abgeben wollen, aber nicht abgegeben hat. Die den Absatz 1 des § 1 1 9 schließende, die Möglichkeit der Anfechtung beschränkende Bestimmung erklärt B B E I T für auf die Fälle der Versäumung der Ausschlagungsfrist nicht anwendbar. 2 Eine Begründung dieser Behauptung gibt er nicht. WENDT hält die Versäumung der Ausschlagungsfrist nur dann für anfechtbar, wenn die Unterlassung der Ausschlagung gewollt und beabsichtigt, die Erklärung nicht ohne den Willen und nicht wider den Willen der Person unterblieben war.4 Das Reichsgericht 5 hat die Anfechtung der Versäumung der Ausschlagungsfrist für dann zulässig erklärt, wenn die Unter1
3
1 B R E I T , „Die Versäumung der Ausschlagungafriat und ihre Anfechtung wegen Irrtums" in DNotV. 5 141 ff. 2 S. 163, 164. 3 W E N D T , „Unterlassungen und Versäumnisse im bürgerlichen Recht" 1901, auch im ArchZivPrax. 92 227 ff. * W E N D T vertritt auch den Standpunkt, daß § 1956 der Ausdruck einer allgemein gültigen Erwägung sei und daß seine Anwendung so weit reichen müsse, als wir Fälle der fingierten Erklärung im BGB. antreffen (S. 255). Dieser verallgemeinernden Auslegung des § 1956 kann nicht beigestimmt werden. Aus der Fassung des § 1956 geht deutlich hervor, daß eine Ausnahmevorschrift vorliegt, die mit Rücksicht auf die besonderen Eigenheiten der Versäumung der Ausschlagungsfrist getroffen worden ist. Vgl. auch Prot. 5 7 6 9 0 , bei MUGDAN 5 4 1 2 . Gleicher Meinung STROHAL bei P L A N C K 5 zu § 1 9 5 6 . 5 RG. 5 8 81 ff.
In welcher Weise ist § 119 BGB. auf die Versäumung usw. anzuwenden?
29
lassung der Ausschlagung wissentlich erfolgt war, die damit kundgegebene Willenserklärung jedoch auf einem Irrtume beruht. 1 Der in diesen verschiedenen Ansichten enthaltene, wenn auch nicht scharf zum Ausdrucke gekommene übereinstimmende Grundgedanke ist der: die Anfechtung nach § 119 setzt die Divergenz zwischen einem inneren und einem wirklichen Willen voraus. Soll also die Versäumung der Ausschlagungsfrist wegen Irrtums anfechtbar sein, so muß eine solche Divergenz gegeben sein. Indem sich die Vertreter dieser Ansichten darüber hinwegsetzen, daß im Tatbestande der Versäumung der Ausschlagungsfrist ein Wille überhaupt nicht enthalten sein kann, betrachten sie den neben diesem Tatbestande etwa vorhandenen Willen des Versäumenden als zum Tatbestande der Versäumung der Ausschlagungsfrist gehörig und machen ihn zu einer Voraussetzung der Anfechtung. Den wirklichen Willen erklären die einen für durch den Tatbestand der Versäumung der Ausschlagungsfrist in die Erscheinung getreten, die anderen für durch die Fiktion des § 1943 a. E. ersetzt. Von der Divergenz dieser beiden Willen machen sie die Zulässigkeit der Anfechtung der Versäumung der Ausschlagungsfrist abhängig. Wie bereits dargelegt worden ist, sind die Voraussetzungen dieser Art der Begrenzung der Anfechtbarkeit der Versäumung der Ausschlagungsfrist fehlerhaft. Aber auch die bei dieser Art der Begrenzung erzielten Ergebnisse sind unbefriedigend. Es bleiben danach alle die Fälle der Versäumung der Ausschlagungsfrist unanfechtbar, in denen ein innerer Wille nicht vorhanden ist, Wie aus den in den Kapiteln 1 und 2 angeführten Beispielsfällen hervorgeht, bedürfen aber gerade sie besonders dringend der Zulassung der Anfechtung. Auf eine der Billigkeit entsprechende Behandlung auch dieser Fälle hat S T E O H A L 2 hingewiesen. E r erklärt die Anfechtung der Versäumung der Ausschlagungsfrist für dann zulässig, wenn der Erbe durch die Versäumung der Ausschlagungsfrist eine Erklärung des Inhalts, daß er die Erbschaft annehme, in Wahrheit nicht abgeben wollte, sofern anzu1
Ahnlich auch Erbrecht 2 6 0 / 2 6 1 . 2
Bei
PLANCK
STADDINGER 5
5(3)
zu
§
zu §
1956.
1956;
nach
STAUDINQER
KRETZSCHMAR,
30 In welcher Weise ist § 119 BGB. auf die Versäumung usw. anzuwenden?
nehmen ist, daß der E r b e die Erbschaft bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles rechtzeitig ausgeschlagen haben würde. Der Gedanke S T R O H A L s geht wohl dahin, daß die Anfechtung der Yersäumung der Ausschlagungsfrist wegen Irrtums unter Aufrechterhaltung der sonstigen in § 119 aufgestellten Bedingungen nicht abhängig gemacht werden darf vom Vorhandensein eines inneren Willens, der auf Herbeiführung eines der beiden den Erfolg des endgültigen Erbschaftserwerbs bewirkenden Tatbestände gerichtet ist. Die von STROHAL gewählte Fassung bringt diesen Gedanken nicht richtig zum Ausdrucke. Nach ihr ist die Anfechtung der Versäumung der Ausschlagungsfrist wegen Irrtums unter der im Abs. 1 des § 119 schließenden Beschränkung stets möglich, bis auf die Fälle, in denen der E r b e durch die Versäumung der Ausschlagungsfrist eine Erklärung des Inhalts, daß er die Erbschaft annehme, abgeben wollte, also ein Rechtsirrtum des Erben vorausgesetzt wird. Das ist gewiß nicht gemeint. Vor allem aber ist nach der STBOHALschen Fassung die Geltendmachung des Motivirrtums nicht dem § 119 entsprechend beschränkt. Die STROHALsehe F o r m der Übertragung des § 119 auf die Versäumung der Ausschlagungsfrist ist deshalb zu beanstanden. Der Gedanke selbst aber führt zur richtigen Lösung. STROHAL stützt seine Ansicht unter Widerlegung anderer Meinungen in der Hauptsache auf die Billigkeit des erreichten Ergebnisses. Die STROHAL sehe Auffassung läßt sich jedoch bei einer Ergänzung betr. die Geltendmachung des Motivirrtums auch aus einem anderen Gesichtspunkte rechtfertigen, nämlich aus der Versäumung der Ausschlagungsfrist. Wie im zweiten Kapitel festgestellt worden ist, ist die Versäumung der Ausschlagungsfrist nicht Willenserklärung und nicht Rechtsgeschäft; sie läßt sich vielmehr nur unter dem weiteren Begriffe des juristischen Tatbestandes unterbringen. Der § 119 ist auf Willenserklärungen zugeschnitten. Wenn nun durch § 1956 die Anwendung des § 119 auf die Versäumung der Ausschlagungsfrist angeordnet wird, so kann dies wegen der Verschiedenheit der rechtlichen Natur der Versäumung der Ausschlagungsfrist von der einer Willenserklärung schlechthin nicht
In welcher Weise ist § 119 BGB. auf die Versäumung usw. anzuwenden?
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in ganz gleicher Weise erfolgen. Die durch Berücksichtigung des neben der Versäumung der Ausschlagungsfrist etwa vorhandenen inneren Willens und des fingierten wirklichen Willens ermöglichte Anfechtung geschieht schon deswegen nicht in ganz gleicher Weise, weil dazu außerhalb des Tatbestandes der Versäumung der Ausschlagungsfrist liegende Tatsachen herangezogen werden müssen. Sollte die Versäumung der Ausschlagungsfrist „in gleicher Weise wie die Annahme" nicht auch so angefochten werden können, daß dabei der Verschiedenheit der rechtlichen Naturen der Annahme und der Versäumung der Ausschlagungsfrist Rechnung getragen und von einer künstlichen Anwendung der auf Willenserklärungen zugeschnittenen Eigenheiten des Anfechtungsgrundes bei der Versäumung der Ausschlagungsfrist abgesehen wird ? Die Anfechtung wird nach § 119 zugelassen wegen Irrtums, d. h. wegen eines unbewußten Mangels der richtigen Vorstellung von einem Umstände. Eingeschränkt wird die Anfechtung wegen Irrtums nach § 119 nur in zwei Eichtungen: 1. Es wird unter Ausnehmung der im § 119 Abs. 2 enthaltenen Fälle der Irrtum im Beweggrunde für nicht zur Anfechtung berechtigend erklärt. 2. Die Anfechtung wegen Irrtums wird durch die am Ende des Abs. 1 von § 119 gegebene Bestimmung beschränkt. W a s die erste Einschränkung anlangt, so ist sie durch die Beschränkung der Anfechtung auf die Fälle des Irrtums über den I n h a l t der Erklärung ausgedrückt worden. Die hierdurch entstandene Form der Beschränkung paßt nicht auf die Versäumung der Ausschlagungsfrist; denn diese hat keinen Inhalt, sie ist ein vacuum. Wenn wir den § 119 auf die Versäumung der Ausschlagungsfrist anwenden wollen, müssen wir also die Fassung des Gedankens ändern. 1 Das ist zweifellos zulässig; denn nicht die Fassung, sondern der Gedanke ist das Wesent1
Das ist bei der STROHALSchen Fassung nicht berücksichtigt. Durch die Beibehaltung des Ausdrucks „Erklärung dieses Inhalts" ist der Gedanke, daß der Motivirrtum grundsätzlich nicht zur Anfechtung berechtigt, zwar angedeutet aber nicht ausgedrückt worden.
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liehe. Unter ausführlicher Wiedergabe des Irrtumsbegriffs hat danach die auf die Anfechtung der Versäumung der Ausschlagungsfrist abgestellte Fassung des § 119 zu lauten: „Wegen eines ihm unbewußten Mangels der richtigen Vorstellung von dem Ablaufe der Ausschlagungsfrist kann der Erbe die Versäumung der Ausschlagungsfrist anfechten, wenn anzunehmen ist, daß er bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles die Ausschlagungsfrist nicht versäumt haben würde. Als Mangel der richtigen Vorstellung von dem Ablaufe der Ausschlagungsfrist gilt auch der Mangel der richtigen Vorstellung von solchen Eigenschaften der Person oder Sache, die im Verkehr als wesentlich angesehen werden." Die Geltendmachung des Motivirrtums ist auch hier durch die Fassung des Abs. 1 grundsätzlich ausgeschlossen; soweit sie nach Abs. 2 des § 119 für zulässig erklärt ist, wird dem durch den Abs. 2 der vorgeschlagenen Fassung Rechnung getragen. Die den Abs. 1 des § 119 schließende Beschränkung ist in analoger Weise auf die Versäumung der Ausschlagungsfrist übertragen worden. Bei der Wahl der Form für diese Übertragung ist der Gedanke maßgebend gewesen, daß in den Worten „nicht versäumt haben würde" ebensoviel enthalten ist als in der positiven Fassung der Beschränkung dahin: „wenn anzunehmen ist, daß der Erbe bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles rechtzeitig und formrichtig ausgeschlagen haben würde." Denn eine Versäumung der Ausschlagungsfrist liegt ja auch vor, wenn zwar innerhalb der Ausschlagungsfrist aber nicht formrichtig ausgeschlagen worden ist. Nach der vorgeschlagenen Fassung erstreckt sich die Anfechtung auch auf die Fälle der Versäumung der Ausschlagungsfrist, in denen der Erbe bzw. sein Vertreter oder Rechtsnachfolger einen Willen, die Erbschaft anzunehmen, gar nicht haben konnte. Andererseits wird dadurch die Fiktion des § 1943 keineswegs entwertet. Denn einmal bedeutet schon die Notwendigkeit der Anfechtung eine Erschwerung der Geltendmachung des Willensmangels. Weiter darf auch nicht unterschätzt werden, daß nach der klaren Fassung der beschränkenden Bestimmung am
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Ende des Abs. 1 von § 119 den Erben die Beweislast für das Nichtvorliegen solcher beschränkender Tatsachen trifft. Vor allem ist aber einem Mißbrauche der Anfechtung durch die weitgehende, den Abs. 1 des § 119 schließende Beschränkung vorgebeugt. Es ist danach die Anfechtung der Versäumung der Ausschlagungsfrist nur dann zulässig, wenn anzunehmen ist, daß der Erbe bei Kenntnis der Sachlage u n d bei verständiger Würdigung des Falles die Ausschlagungsfrist nicht versäumt haben würde. Die Wiederholung des Wortes „bei" vor „verständiger Würdigung des Falles" läßt erkennen, daß zwei selbständige, voneinander unabhängige Erfordernisse zu erfüllen sind, wenn die Anfechtbarkeit gegeben sein soll. Es muß 1. anzunehmen sein, daß der Erbe die Ausschlagungsfrist bei Kenntnis der Sachlage nicht versäumt haben würde; außerdem muß aber 2. anzunehmen sein, daß der Erbe die Ausschlagungsfrist bei verständiger Würdigung des Falles nicht versäumt haben würde. In den Protokollen 1 über die Beratungen der 2. Kommission wird hierzu bemerkt: „Wie bei Regelung der Folgen des Irrtums überhaupt, so sei auch bei der hier in Eede stehenden besonderen Frage ein billiger Ausgleich der sich widerstreitenden Interessen anzustreben. Das Eecht dürfe nicht bloßen subjektiven Launen des Irrenden, deren Geltendmachung zum Schaden des anderen Teiles nicht selten geradezu unsittlich sei, seinen Schutz gewähren, sondern n u r dem v e r s t ä n d i g e n I n t e r e s s e des I r r e n d e n . Andererseits lasse sich aber auch die Wesentlichkeit des Irrtums nicht mit dem rein objektiven Maßstabe der Verkehrssitte beurteilen." Die Bestimmung des § 119 stellt demgemäß eine „Verbindung des subjektiven und des objektiven Maßstabes" dar, die 1
Prot.
1231,
bei
MUGDAN
H e e g e r , BGB. §§ 1956, 119.
1717.
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nicht mehr als „eine allgemeine Richtschnur für den Richter" sein soll. Zweck der am Ende des Abs. 1 von § 119 gegebenen Bestimmung ist es hiernach, nur dem verständigen Interesse des Irrenden, nicht auch subjektiven Launen desselben, Schutz zu gewähren. Es verstößt sonach gegen den Sinn der in Frage stehenden Vorschrift, wenn man nach ihr Fälle für anfechtbar erklärt, in denen wohl anzunehmen ist, daß der Erbe, als verständiger Mann gedacht, bei Kenntnis der Sachlage die Ausschlagungsfrist nicht versäumt haben würde, zugleich aber auch feststeht, daß der Erbe infolge seines Unverstandes die Frist doch versäumt hat. Denn dann würde man den Erben nicht gegen seinen Irrtum, sondern gegen seinen Unverstand schützen. Die zweite Bedingung soll die erste nicht auf der einen Seite beschränken und auf der anderen Seite erweitern, sie soll vielmehr n u r eine weitere Beschränkung der Anfechtungsmöglichkeit bringen. Es scheiden demnach als nicht anfechtbar einmal alle die Fälle aus, in denen der Erbe, bzw. sein Vertreter oder sein Rechtsnachfolger, bei den ihm anhaftenden törichten Eigenheiten die Frist nicht versäumt, sondern rechtzeitig und formrichtig ausgeschlagen haben würde, er aber, als verständiger Mann ohne diese Eigenheiten gedacht, die Frist annehmbar doch unbenutzt hätte verstreichen lassen. Damit ist die Geltendmachung eines subjektiven, törichten Willens im Wege der Anfechtung ausgeschlossen. Weiter müssen aber als nicht anfechtbar auch alle die Fälle bezeichnet werden, in denen anzunehmen ist, daß zwar ein verständiger Mann bei Kenntnis der Sachlage rechtzeitig und formrichtig ausgeschlagen haben würde, daß der Erbe aber unter gleichen Verhältnissen die Frist doch versäumt hätte. 1 — Gegen seinen Unverstand gewährt das Gesetz dem Erben keinen Schutz. Einmal wird also ein subjektives, das andere Mal ein objektives Moment einschränkend gegen den Anfechtenden verwendet. 1
Anfechtung und Reurecht bei Irrtum, § 10 in der Festgabe für B E E K M - S. 6 7 , P L A N C K (3) 1 bei § 119. A. M.: E N D E M A N N , Lehrbuch S . 348 Anm. 19; S T A U D I N Q E R (3/4) 1 bei § 119. S.
42ff.;
Gl. M.:
HOLDER,
GRADENWITZ,
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Als nicht zur Anfechtung berechtigend scheiden hiernach insbesondere aus alle die Fälle des Irrtums über den Ablauf der Ausschlagungsfrist, in denen der Irrtum auf einer Nachlässigkeit des Erben beruht. 1 Durch eine solche Begrenzung der Anfechtung der Versäumung der Ausschlagungsfrist ist hinreichend dafür gesorgt, daß ein billiger Ausgleich der sich widerstreitenden Interessen stattfindet. Die Anwendung des gewonnenen Ergebnisses soll durch die folgenden Beispiele illustriert werden: 1. B ist Testamentsvollerbe des verschuldeten A. Da er auch als gesetzlicher Erbe in Frage gekommen wäre, erhält er vom Nachlaßgerichte eine Ladung zu dem für die Eröffnung des Testaments anberaumten Termine. Auf dieser Ladung ist aber der Eröffnungstermin versehentlich um eine Woche später angegeben, als er in Wirklichkeit stattfindet. B will ausschlagen und erkundigt sich deswegen sofort bei einem Rechtsanwalt, was er zu tun habe. Dieser sagt ihm, daß er zur Vornahme der Ausschlagung vom Tage der Testamentseröffnung an gerechnet 6 Wochen Zeit habe. B geht zum Eröffnungstermine nicht, weil er den Inhalt des Testaments schon genau kennt. E r merkt deshalb den Fehler auf der Ladung nicht. Als er 10 Tage nach dem Eröffnungstermine eine Protokollabschrift zugeschickt erhält, bemerkt er auch nicht, daß darauf ein anderer als der auf seiner Ladung angegebene Eröffnungstermin steht. Er bleibt deswegen bei seiner irrtümlichen Meinung über die Zeit der Testamentseröffnung. Innerhalb der ersten Woche nach Ablauf der Ausschlagungsfrist erklärt B formgerecht die Ausschlagung. B hatte vom Ablaufe der Ausschlagungsfrist nicht die richtige Vorstellung. Des Mangels der richtigen Vorstellung war er sich nicht bewußt. Der Mangel der richtigen Vorstellung bezieht sich nicht auf einen Beweggrund. B hatte überhaupt keinen Beweggrund zu seinem Verhalten während der Ausschlagungsfrist. Sein 1 Soweit der Erbe sich des Mangels der richtigen Vorstellung von dem Ablaufe der Ausschlagungsfrist bewußt ist, liegt, wie aus der verwendeten Begriffsbestimmung des Irrtums hervorgeht, überhaupt kein Fall des Irrtums vor.
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Verhalten war ungewollt. Der Beweggrund hat aber notwendig ein gewolltes Verhalten zur Folge. Es ist, wie B beweisen kann, anzunehmen, daß er bei Kenntnis der Sachlage rechtzeitig und formrichtig ausgeschlagen haben würde, daß dies auch ein verständiger Mann an seiner Stelle getan hätte, und daß B bei Kenntnis der Sachlage sich als verständiger Mann aufgeführt haben würde. B kann also die Versäumung der Ausschlagungsfrist wegen Irrtums anfechten. 2. Der Erbe D des Erblassers C stirbt nach Beginn der Ausschlagungsfrist. Der Erbeserbe E erhält Kenntnis von dem Anfall und dem Grunde der Berufung nur bezüglich der Erbschaft des D. Vom Anfalle der Erbschaft des C an den D erfährt E nichts. Er will die Erbschaft des D annehmen und läßt die dafür maßgebende Ausschlagungsfrist verstreichen. Nach §§ 1944 Abs. 2, 1952 Abs. 2 läuft aber damit für ihn zugleich1 die Ausschlagungsfrist für die Erbschaft des C ab. — C ist ein vermögender Mann gewesen, ist aber zeitlebens vom Unglück verfolgt worden. E ist abergläubisch und glaubt deswegen, das Vermögen des C könne ihm Unglück bringen. Er ficht daher die Versäumung der Ausschlagungsfrist bezüglich der Erbschaft des C wegen Irrtums an. E hatte nicht die richtige Vorstellung vom Ablaufe der Ausschlagungsfrist. Des Mangels der richtigen Vorstellung war er sich nicht bewußt. Der Mangel der richtigen Vorstellung bezieht sich nicht auf einen Beweggrund. E hatte hinsichtlich der Erbschaft des C während der Ausschlagungsfrist überhaupt keinen Willen. Sein Verhalten war insoweit ungewollt. Er hatte keinen Beweggrund dazu. Es ist wohl anzunehmen, daß der abergläubische E bei Kenntnis der Sachlage die Erbschaft des C ausgeschlagen haben würde; es ist aber nicht anzunehmen, daß E bei verständiger Würdigung des Falles, also ohne seinen Aberglauben gedacht, die Ausschlagungsfrist hinsichtlich des Nachlasses des C versäumt haben würde. E kann deswegen nicht die Versäumung der Ausschlagungsfrist wegen Irrtums anfechten. 1 Ausnahmen sind möglich. Anmerkung gegebene Beispiel.
Vgl. das im ersten Kapitel S. 17 in der
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3. Dem F fällt der überschuldete Nachlaß eines entfernten Verwandten an. F will damit nichts zu tun haben. Seine Frau gibt ihm den Rat, er solle sich überhaupt nicht um den Nachlaß kümmern, dadurch gebe er deutlich genug zu verstehen, daß er nicht Erbe sein wolle. Dem F leuchtet das ein. Er verhält sich dementsprechend, weil er überzeugt ist, daß er damit seinen Ausschlagungswillen genügend kund gebe. Als er nun hört, daß er infolge seines Verhaltens die Erbschaft endgültig erworben habe, ficht er die Versäumung der Ausschlagungsfrist wegen Irrtums an. F hatte nicht die richtige Vorstellung von der Versäumung der Ausschlagungsfrist, insofern er seinen Willen, die Erbschaft auszuschlagen, für damit hinreichend kundgegeben hielt. Des Mangels der richtigen Vorstellung war er sich nicht bewußt. Der Mangel der richtigen Vorstellung bezog sich nicht auf einen Beweggrund. Das Verhalten des F während der Ausschlagungsfrist war zwar gewollt. Beweggrund zu diesem Verhalten war aber nicht die irrige Vorstellung von der Versäumung der Ausschlagungsfrist, sondern die Uberschuldung des Nachlasses. Der Mangel der richtigen Vorstellung von der Versäumung der Ausschlagungsfrist war nur — wie es der Irrtum immer ist — eine Ursache des Verhaltens des Irrenden. — Gegen F schlägt aber die beschränkende Bestimmung am Ende des Abs. 1 von § 119 durch. Es ist zwar anzunehmen, daß ein verständiger Mann bei Kenntnis der Sachlage rechtzeitig und formrichtig ausgeschlagen haben würde. F kann aber das mutmaßliche Verhalten eines verständigen Mannes in dieser Lage nicht zu seinen Gunsten in Anspruch nehmen, weil er sich in einer solchen Lage nicht wie ein verständiger Mann benommen hat. Nach seinem Verhalten ist vielmehr anzunehmen, daß F trotz seines Willens, die Erbschaft auszuschlagen, auch bei Kenntnis der Sachlage nicht formrichtig oder nicht rechtzeitig ausgeschlagen haben würde. F würde sich annehmbar wieder auf den Rat seiner Frau verlassen haben, die normalerweise ebenso rechtsunkundig ist wie er selbst, anstatt etwa zu einem Rechtsanwälte zu gehen und sich dort Rat zu holen. F kann also nicht anfechten. 4. H ist gesetzlicher Erbe des überschuldeten G.
H läßt
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die Ausschlagungsfrist verstreichen, weil er glaubt, der Erblasser sei ein unverschuldet in Not geratener, unbescholtener Verwandter. Nach Ablauf der Ausschlagungsfrist erfährt H, daß G ein leichtsinniger und vielfach vorbestrafter Mensch war. Es ficht deswegen die Yersäumung der Ausschlagungsfrist auf Grund der §§ 1956, 119 an. H hatte nicht die richtige Vorstellung von den persönlichen Eigenschaften des Erblassers. Des Mangels der richtigen Vorstellung von diesen Eigenschaften des Erblassers war sich H nicht bewußt. Gerade die vermuteten persönlichen Eigenschaften des Erblassers waren der Beweggrund des Verhaltens des Erben während der Ausschlagungsfrist. Es liegt also ein Irrtum im Beweggrunde vor. Da sich dieser Irrtum jedoch auf solche Eigenschaften des Erblassers bezieht, welche im Verkehre als wesentlich angesehen werden, berechtigt auch dieser Irrtum zur Anfechtung, sofern — was H zu beweisen hat — anzunehmen ist, daß er — H — bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles rechtzeitig und formrichtig ausgeschlagen haben würde.
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