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German Pages 316 Year 1986
ROLF STÜSSER
Die Anfechtung der Vollmacht nach bürgerlichem Recht und Handelsrecht
Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 98
Die Anfechtung der Vollmacht nach bürgerlichem Recht und Handelsrecht
Von
Dr. Rolf Stüsser
DUNCKER
&
HUMBLOT
/
BERLIN
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Stüsser, Rolf: Die Anfechtung der Vollmacht nach bürgerlichem Recht und Handelsrecht / von Rolf Stüsser.Berlin: Duncker und Humblot, 1986. (Schriften zum Bürgerlichen Recht; Bd. 98) ISBN 3-428-05936-0 NE:GT
Alle Rechte vorbehalten
© 1986 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41
Satz: Klaus-Dieter Voigt, Berlin 61. Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISBN 3-428-05936-0
Für Anita
Vorwort Diese Arbeit hat der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn im Wintersemester 1984/85 als Dissertation vorgelegen. Rechtsprechung und Literatur, die bis' zum Frühjahr 1985 erschienen, wurden möglichst noch berücksichtigt. Angeregt und betreut wurde die Arbeit von meinem hochverehrten Lehrer, Herrn Professor Dr. Marcus Lutter, dem ich neben seinen vielfältigen Anregungen auch für seine Geduld und großzügige Unterstützung sehr zu danken habe. Dank schulde ich auch Herrn Professor Dr. Peter Hommelhoff, an dessen Lehrstuhl ich gut zwei Jahre meiner Doktorandenzeit als Assistent verbringen durfte; aus vielen Gesprächen mit ihm habe ich wesentliche Anregungen besonders für den zweiten Teil der Arbeit erhalten. Zu Dank verpflichtet bin ich auch dem Arbeitskreis Wirtschaft und Recht im Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft, der mich während des Entstehens der Arbeit ein Jahr mit einem großzügigen Stipendium unterstützt und die Drucklegung der Arbeit durch einen namhaften Druckkostenzuschuß gefördert hat, und vielen anderen, die mir bei der Anfertigung der Arbeit Hilfe geleistet haben. Den größten Dank aber schulde ich meiner Frau. Sie hat die Belastungen durch die Arbeit mit getragen und mir stets den nötigen Rückhalt geboten; hierdurch ist mir die Fertigstellung der Arbeit erst ermöglicht worden. Ihr ist deshalb die Arbeit gewidmet. Herne, im August 1985
Roll Stüsser
Inhaltsübersicht Einleitung §1
Einführung in die Problematik .....................................
27
§2
Gang der Untersuchung ..... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
29
Erster Teil
Die Anfechtung der Vollmacht nach bürgerlichem Recht 1. Abschnitt
Die Irrtumsanfechtung der ausdrücklichen Bevollmächtigung (§ 167 Abs. 1 BGB)
§3
Der Gegenstand der Anfechtung .................................. "
32
§4
Der Anfechtungsgegner und die Ersatzansprüche aus § 122 BGB und § 179 BGB ...........................................................
40
§5
Die zur Anfechtung gern. § 119 BGB berechtigenden Irrtümer . . . . . . . . . ..
53
§6
Wertung der Ergebnisse des 1. Abschnitts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
76
2. Abschnitt Die Irrtumsanfechtung der stillschweigenden Bevollmächtigung §7
Die Voraussetzungen der stillschweigenden Bevollmächtigung. . . . . . . . . ..
98
§8
Die Anfechtung der stillschweigenden Vollmacht ...................... 109
3. Abschnitt Die Anfechtung der Vollmachtskundgaben (§§ 171 Abs. 1, 172 Abs. 1 BGB)
§9
Normzweck, dogmatische Einordnung und Anwendungsbereich der §§ 171 Abs. 1, 172 Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 112
§ 10 Die Voraussetzungen der §§ 171 Abs. 1, 172 Abs. 1 BGB ................ 117 § 11 Die Anfechtung der Vollmachtskundgabe
124
§ 12 Wertung der Ergebnisse des 3. Abschnitts
130
10
Inhaltsübersicht 4. Abschnitt
Die Anfechtung der Duldungs- und Anscheinsvollmacht § 13 Zweck, dogmatische Einordnung und Anwendungsbereich der Duldungsvollmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 133 § 14 Die Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Duldungsvollmacht ....... . .. 140 § 15 Die Anfechtung der Duldungsvollmacht ............................. 149 § 16 Dogmatische Einordnung, Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Anscheinsvollmacht ....................................................... 154
§ 17 Wertung der Ergebnisse des 4. Abschnitts ............................ 168
5. Abschnitt
Die Vollmachtsanfechtung wegen Drohung und arglistiger Täuschung (§ 123 BGB) § 18 Die Voraussetzungen der Anfechtung nach § 123 BGB .................. 180 § 19 Der Anfechtungsgegner und die Rechtsfolgen der Vollmachtsanfechtung nach § 123 BGB .................................................. 193 § 20 Wertung der Ergebnisse des 5. Abschnitts ............................ 197 § 21 Schlußbetrachtung des 1. Teils und Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse ........................................................ 203
Zweiter Teil
Die Anfechtung der Vollmacht nach Handelsrecht 1. Abschnitt
Die Geltung der Rechtsgeschäftslehre im Handelsrecht § 22 Die besondere Problematik der Anfechtung der handelsrechtlichen Vollmachten ........................................................ 205 § 23 Die Geltung der Rechtsgeschäftslehre im Handelsrecht ................. 208
2. Abschnitt
Der vertretungsrechtliche Verkehrsschutz des Handelsrechts
§ 24 Der Verkehrsschutz bei Prokura und Handlungsvollmacht .............. 212 § 25 Der Verkehrsschutz des § 56 HGB und die Anscheinsvollmacht im Handelsrecht ........................................................... 220
Inhaltsübersicht
11
3. Abschnitt
Die besondere Beteiligung des Kaufmanns am Geschäftsverkehr und die Konsequenzen für die Vollmachtsanfechtung
§ 26 Die unternehmensbezogenen Vollmachten als Akte der Organisation des kaufmännischen Unternehmens .................................... 230 § 27 Die dem Anfechtungsausschluß beim Schweigen im Handelsverkehr zugrundliegende Wertung ........................................... 244 § 28 Die Verteilung des kaufmännischen Organisationsrisikos hinsichtlich der handelsrechtlichen Vollmachten .................................... 274 § 29 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse des 2. Teils ...... . ....... 289
Dritter Teil
Übertragbarkeit der handelsrechtlichen Ergebnisse in das bürgerliche Recht § 30 Die Einschränkung der Vollmachtsanfechtung durch nichtkaufmännische Unternehmensträger .............................................. 290
Literaturverzeichnis ................................................ 304
Inhaltsverzeichnis Einleitung §1
Einführung in die Problematik .....................................
27
§2
Gang der Untersuchung ...........................................
29
Erster Teil
Die Anfechtung der Vollmacht nach bürgerlichem Recht 1. Abschnitt
Die Irrtumsanfechtung der ausdrücklichen Bevollmächtigung (§ 167 Abs. 1 BGB) §3
§4
Der Gegenstand der Anfechtung ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
32
A. Die möglichen Anfechtungsgegenstände ..........................
32
B. Die Auffassung des Gesetzgebers ...................... . .........
32
C. Abweichende Ansichten im Schrifttum ........................... I. Die Lehre von Müller-Freienfels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. II. Die Ansicht Siebenhaars ................................... III. Die Lehre Rosenbergs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
34 34 35 36
D. Stellungnahme ............................................... I. Die Regelungen der §§ 166, 167 Abs. 2 BGB ................... 11. Der Grundsatz der Privatautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. III. Die Rückwirkung der Anfechtung gem. § 142 Abs. 1 BGB . . . . . . .. IV. Folgerung................... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
37 37 38 39 40
Der Anfechtungsgegner und die Ersatzansprüche aus § 122 BGB und § 179 BGB ...........................................................
40
A. Der Anfechtungsgegner (§ 143 BGB) bei der Außenvollmacht (§ 167
Abs. 1 2. Alt. BGB) ............................................ I. Der Vertragspartner des Vertreters als Anfechtungsgegner . . . . . .. 11. Anfechtung auch gegenüber dem Vertreter? ................... 1. Der Wortlaut des § 143 Abs. 3 S. 1 BGB .......... . ......... 2. Der Rechtsgedanke des § 168 S. 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3. Ergebnis ..............................................
41 41 41 41 42 42
B. Der Anfechtungsgegner (§ 143 BGB) bei der Innenvollmacht (§ 167 Abs. 11. Alt. BGB) ............................................
43
14
Inhaltsverzeichnis C. Die Ersatzansprüche aus § 122 BGB und aus § 179 BGB bei der Anfechtung der Außenvollmacht .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Die Haftung des Vollmachtgebers aus § 122 BGB . . . . . . . . . . . . . .. 11. Die Haftung des Vertreters aus § 179 BGB .............. . ..... 1. Der Wortlaut des § 179 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Restriktion des § 179 BGB ............................... a) Unkenntnis des Vertreters von der Anfechtbarkeit ........ b) Kenntnis des Vertreters von der Anfechtbarkeit .......... c) Das Verhältnis der Haftung des Vertreters zu der des Vollmachtgebers ........................................
§5
44 44 44 44 44 45 46 46
D. Die Ersatzansprüche aus § 122 BGB und aus § 179 BGB bei Anfechtung der Innenvollmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Die Haftung des Vertreters aus § 179 BGB .................... 11. Die Haftung des Vertretenen gegenüber dem Dritten. . . . . . . . . . .. III. Haftung des Vollmachtgebers gegenüber dem Vertreter. . . . . . . . .. IV. Ergebnis...... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
47 47 49 52 52
E. Der Anfechtungsgegner und die Ersatzansprüche bei der Bevollmächtigung durch öffentliche Bekanntmachung ........................
52
Die zur Anfechtung gem. § 119 BGB berechtigenden Irrtümer. . . . . . . . . ..
53
A. Irrtümer des Vollmachtgebers über das Vertretergeschäft . . . . . . . . . . .. 1. Der geschäftsbezogene Irrtum als Erklärungsirrtum für die Vollmacht ................................................... 11. Der geschäftsbezogene Irrtum als Inhaltsirrtum für die Vollmacht. III. Der geschäftsbezogene Irrtum ohne rechtserhebliche Auswirkung auf die Vollmacht ......................................... 1. Die Folgen für die Anfechtbarkeit der Vollmacht ............ 2. Die Folgen für die Anfechtbarkeit des Vertretergeschäfts .....
53
B. Irrtümer des Vollmachtgebers über den Umfang der Vollmacht. . . . . .. C. Irrtümer des Vollmachtgebers über die Person oder eine Eigenschaft des Vertreters ................................................ 1. Die Vereinbarkeit der Anfechtung wegen personenbezogener Irrtümer mit dem Wesen der Vollmacht ......................... II. Der error in persona ....................................... III. Der Eigenschaftsirrtum gern. § 119 Abs. 2 BGB ................ 1. Die Beschränkung des Anwendungsbereichs des § 119 Abs.2 BGB durch die Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Die Auffassung Flumes ........ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3. Die Ansicht Kramers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 4. Die Auswirkung auf die Vollmachtsanfechtung . . . . . . . . . . . . ..
54 54 55 55 55 56 56 56 57 57 58 59 59 60
D. Die fehlerhafte Willenserklärung ................................ 60 1. Die Bedeutung des Handlungswillens für den Tatbestand der Willenserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 61 II. Die Bedeutung des Geschäftswillens für den Tatbestand der Willenserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 61
Inhaltsverzeichnis III. Die Bedeutung des Erklärungsbewußtseins für den Tatbestand der Willenserklärung: Überblick über den Meinungsstand .......... 1. Der Meinungsstand in der Literatur (Überblick) ............. 2. Der Meinungsstand in der Rechtsprechung (Überblick) ....... IV. Stellungnahme zur Bedeutung des Erklärungsbewußtseins für den Tatbestand der Willenserklärung ............................ 1. Der Begriff der Willenserklärung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Die Verwendung des Begriffs Willenserklärung im BGB ... . .. 3. Die Störlösung in den §§ 116ff. BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) § 119 Abs. 1 BGB .................................... b) § 118 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. c) Die Gesamtregelung in §§ 116ff. BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 4. Der Grundsatz der Privatautonomie ....................... 5. Die Auslegungsgrundsätze der §§ 133, 157 BGB ............. 6. Wertender Vergleich mit der Irrtumsregelung des § 119 BGB .. 7. Wertender Vergleich mit § 118 BGB ....................... 8. Die Auswirkung auf die Privatautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 9. Ergebnis .............................................. V. Die Zurechnungsvoraussetzungen einer Erklärung ohne Erklärungsbewußtsein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Die möglichen Lösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Vergleich mit § 119 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3. Analyse der widerstreitenden Interessen. . . . . . . . . . . . . . . . . . .. VI. Zusammenfassung zu D ....................................
§6
15 63 63 65 65 65 65 66 66 67 68 69 70 71 73 73 73 73 74 74 74 76
Wertung der Ergebnisse des 1. Abschnitts ............................
76
A. Die Ersatzansprüche bei der Vollmachtsanfechtung ................ 1. Wertung der Ergebnisse bei der Außenvollmacht ... . . . . . . . . . . .. 11. Wertung der Ergebnisse bei der Innenvollmacht . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Der Normalfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Die Problemfälle ....................................... a) Zahlungsunfähigkeit des Vollmachtgebers . . . . . . . . . . . . . .. b) Zahlungsunfähigkeit des Vertreters. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. c) Beschränkte Geschäftsfähigkeit des Vertreters ........... d) Ergebnis ........................................... B. Die zur Anfechtung der Vollmacht berechtigenden Irrtümer ......... 1. Die Auswirkungen eines Irrtums bei der Bevollmächtigung auf das Vertretergeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Irrtümer über das Vertretergeschäft ....................... 2. Irrtümer über den Umfang der Vertretungsmacht . . . . . . . . . . .. 3. Vertreterbezogene Irrtümer .............................. 4. Bevollmächtigung ohne aktuelles Erklärungsbewußtsein . . . . .. 11. Die Einschränkung des Anfechtungsrechts .................... 1. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Der Ausschluß des Apfechtungsrechts wegen Rechtsmißbrauchs
76 76 77 77 77 78 79 80 82 82 83 83 84 85 85 85 85 86
16
Inhaltsverzeichnis 3. Ausschluß des Anfechtungsrechts bei eigener Bewertung des Geschäfts durch den Vertreter? ........................... a) Die Bedeutung des § 166 BGB .......... . .............. b) Die Kumulation der Willensmängel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. c) Die Bedeutung der §§ 122 Abs. 2, 142 Abs. 2, 179 Abs. 3 S. 1 BGB ............................................... III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
88 88 88 89 90
c. Die Vollmachtsanfechtung bei Abschluß mehrerer Vertretergeschäfte . 91 I. Problemstellung .......................................... 11. Die Unanwendbarkeit des § 139 BGB auf die Vollmacht. . . . . . . .. 111. Die Pflicht des Vertretenen zur Genehmigung der Vertretergeschäfte
D. Die Anfechtung der Vollmacht als Problem des Vertrauens- und Verkehrsschutzes ................................................ I. Der Verkehrsschutz des § 170 BGB für die Außenvollmacht . . . . .. 11. Das Vertrauensschutzproblem bei Abschluß mehrerer Vertretergeschäfte ................................................ III. Das Verkehrsschutzproblem bei Abschluß mehrerer Vertretergeschäfte ................................................ IV. Ergebnis......... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. E. Zusammenfassung der Ergebnisse des 1. Abschnitts ................
91 92 93 93 94
94 95 97 97
2. Abschnitt Die Irrtumsanfechtung der stillschweigenden Bevollmächtigung §7
Die Voraussetzungen der stillschweigenden Bevollmächtigung ..........
93
A. Begriffsbestimmung .......................... . . . . . . . . . . . . . . . ..
98
B. Die konkludente und die stillschweigende Willenserklärung ......... 99 I. Der Grundsatz der Formfreiheit rechtsgeschäftlicher Erklärungen. 99 11. Die Anerkennung stillschweigender Willenserklärungen ......... 100 1. Ablehnende Ansichten in der Literatur ..................... 100 2. Stellungnahme ......................................... 101 C. Der objektive Tatbestand der stillschweigenden Bevollmächtigung .... 102 I. Die Begründung der Vertretungsmacht ....................... 103 11. Die Richtungsbezogenheit des Schweigens .................... 103 D. Der subjektive Tatbestand der stillschweigenden Bevollmächtigung ... I. Die fehlerfreie stillschweigende Bevollmächtigung ............. 11. Fehlen des Handlungswillens bei der stillschweigenden Willenserklärung ................................................ III. Die Bedeutung des Erklärungsbewußtseins für die stillschweigende Willenserklärung .......................................... IV. Die Bedeutung des Geschäftswillens bei der stillschweigenden Willenserklärung .............................................
104 104 104 105 107
Inhaltsverzeichnis
17
V. Die Bedeutung der Vermeidbarkeit des objektiven Erklärungstatbestandes ................................................ 107 E. Zusammenfassung ............................................ 108
§8
Die Anfechtung der stillschweigenden Vollmacht . ..................... 109 A. Grundsatz der Gleichbehandlung mit der ausdrücklichen Bevollmäch-
tigung ....................................................... 109
B. Die Anfechtung wegen fehlenden Erklärungsbewußtseins bei der stillschweigenden Bevollmächtigung ................................ 109 1. Der Sachverhaltsirrtum .................................... 109 H. Der Schlüssigkeitsirrtum aufgrund falscher rechtlicher Bewertung 110 C. Zusammenfassung ............................................ 111
3. Abschnitt
Die Anfechtung der Vollmachtskundgaben (§§ 171 Abs. 1, 172 Abs. 1 BGB)
§9
Normzweck, dogmatische Einordnung und Anwendungsbereich der §§ 171 Abs. 1, 172 Abs. 1 BGB ............................................ 112 A. Normzweck .................................................. 112 B. Die dogmatische Einordnung der §§ 171 Abs. 1, 172 Abs. 1 BGB ...... 1. Einleitung ........................................... . ... 11. Die Theorien zu §§ 171 Abs. 1, 172 Abs. 1 BGB ........... . ..... 1. Die Rechtsgeschäftstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Die Rechtsscheintheorie ................................. 3. Die Theorie von der gesetzlichen Vertretungsmacht .......... III. Stellungnahme ............................................
112 112 113 113 113 114 115
C. Der Anwendungsbereich der §§ 171 Abs. 1, 172 Abs. 1 BGB .......... 116 § 10 Die Voraussetzungen der §§ 171 Abs.1, 172 Abs.1 BGB ................ 117 A. Der objektive Tatbestand der Vollmachtskundgaben ................ 1. Der objektive Tatbestand der Vollmachtsmitteilung (§ 171 Abs. 1 1. Alt. BGB) .............................................. 11. Der objektive Tatbestand der Vollmachtskundgabe durch öffentliche Bekanntmachung (§ 171 Abs. 1 2. Alt. BGB) ............... III. Der objektive Tatbestand des § 172 Abs. 1 BGB ................
117 117 118 118
B. Die subjektiven Voraussetzungen der §§ 171 Abs. 1, 172 Abs. 1 BGB bei dem Vertretenen .............................................. 120 C. Die subjektiven Voraussetzungen der §§ 171 Abs. 1,172 Abs. 1 BGB bei dem Dritten .................................................. 121 1. Die Kenntnis der Vollmachtskundgabe ....................... 121 11. Die Gutgläubigkeit des Vertragspartners ...................... 122 D. Rechtsfolgen der Vollmachtskundgabe ............................ 123
18
Inhaltsverzeichnis
§ 11 Die Anfechtung der Vollmachtskundgabe ............................ 124
A. Einleitung ................................................... 124 B. Die Zulässigkeit der Anfechtung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 124 1. Einwände gegen eine Anfechtbarkeit ................. . ....... 124 11. Stellungnahme ............................................ 125 C. Die I. 11. III. IV.
zur Anfechtung zur Vollmachtskundgabe berechtigenden Irrtümer Der Irrtum über die Rechtsfolgen der Vollmachtskundgabe ...... Der Irrtum über eine Bevollmächtigung ....................... Der Irrtum gern. § 119 BGB bei der Vollmachtskundgabe ........ Der Irrtum bei der Vollmacht und der Kundgabe ...............
128 128 128 129 129
D. Die Rechtsfolgen der Anfechtung der Vollmachtskundgabe .......... 129 § 12 Wertung der Ergebnisse des 3. Abschnitts ............................ 130
A. Die Anfechtung der Vollmachtskundgabe als Problem des Verkehrsschutzes ..................................................... 1. Die Verkehrsschutzvorschriften der §§ 171 bis 173 BGB ......... 11. Das Vertrauen des Kundgabeempfängers ...................... III. Das Verkehrsschutzproblem ................................
130 130 130 131
B. Die Bedeutung der §§ 171f. BGB für die Anfechtung der Vollmacht (§ 167 Abs. 1 BGB) ............................................ 131 1. Kein Schluß aus §§ 171f. BGB auf die UnanfechtbarkeiteinerVollmacht ................................................... 131 11. Die Benachteiligung der Vertragspartner, denen die Vollmacht nicht kundgegeben wurde .................................. 131 C. Ergebnis ..................................................... 132
4. Abschnitt
Die Anfechtung der Duldungs- und Anscheinsvollmacht § 13 Zweck, dogmatische Einordnung und Anwendungsbereich der Duldungs-
vollmacht ....................................................... 133 A. Begriffsbestimmung und Zweck des Rechtsinstituts ................ 133
B. Die dogmatische Einordnung der Duldungsvollmacht . . . . . . . . . . . . . .. I. Einleitung ............................................... 11. Die Theorien zur Duldungsvollmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Die Rechtsgeschäftstheorie ............................... 2. Die Rechtsscheintheorie ................................. 3. Sonstige Theorien ....................................... 4. Das Verkehrsschutzsystem von Frotz ...................... 5. Die Ablehnung der Duldungsvollmacht durch E. Wolf und Bienert Irr. Stellungnahme.......... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
134 134 134 134 135 135 135 137 138
C. Der Anwendungsbereich der Duldungsvollmacht ................... 140
Inhaltsverzeichnis
19
§ 14 Die Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Duldungsvollmacht .......... 140 A. Der objektive Tatbestand der Duldungsvollmacht .................. I. Die Voraussetzungen an das Verhalten des Vertretenen .......... 1. Die Einräumung einer Stellung ........................... 2. Die Überlassung von Legitimationszeichen ................. 3. Das Dulden von Vertretergeschäften .......................
140 140 141 141 142 11. Einzelfragen zum objektiven Tatbestand der Duldungsvollmacht . 144 1. Keine Beschränkung auf den Handelsverkehr ............... 144 2. Duldungsvollmacht ohne jede Beziehung zwischen Scheinvertreter und Vertretenem? ................................. 144
B. Die subjektiven Voraussetzungen bei dem Vertretenen .............. 145 C. Die subjektiven Voraussetzungen bei dem Dritten .................. 146 I. Die Kenntnis des Rechtsscheintatbestandes ................... 146 11. Die Gutgläubigkeit des Vertragspartners ...................... 147 D. Die Rechtsfolgen der Duldungsvollmacht ......................... 147 I. Die Fremdwirkung des Vertretergeschäfts ..................... 147 11. Haftung des Vertreters aus § 179 BGB? ....................... 147 § 15 Die Anfechtung der Duldungsvollmacht .............................. 149 A. Die Zulässigkeit der Anfechtung ................................. 149
B. Die zur Anfechtung der Duldungsvollmacht berechtigenden Irrtümer . I. Der Irrtum über die Bedeutung des Duldens ................... 11. Der Irrtum über eine Bevollmächtigung ....................... III. Der Irrtum gern. § 119 BGB bei der Duldungsvollmacht ......... 1. Die Duldung eines einzigen Vertretergeschäfts .............. 2. Sonstige Fälle der Duldungsvollmacht ..................... IV. Der Irrtum bei der Innenvollmacht und der Duldungsvollmacht ..
150 150 151 152 152 153 153
C. Die Rechtsfolgen der Anfechtung der Duldungsvollmacht ........... 154 § l6 Dogmatische Einordnung, Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Anscheinsvollmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 154
A. Begriffsbestimmung ........................................... 154 B. Die dogmatische Einordnung der Anscheinsvollmacht .............. I. Einleitung ............................................... 11. Die Theorien zur dogmatischen Einordnung der Anscheinsvollmacht 1. Die rechtsgeschäftliche Theorie ........................... 2. Die Rechtsscheintheorie ................................. 3. Die Anscheinsvollmacht als Haftungstatbestand der culpa in contrahendo ........................................... 4. Die Anschemsvollmacht als Grundlage einer Genehmigungspflicht ................................................ 5. Die Anscheinsvollmacht als Rechtsinstitut des Handelsrechts .. 6. Sonstige Auffassungen .................................. III. Stellungnahme .................................... . ....... 1. Keine Verfestigung zu Gewohnheitsrecht ...................
155 155 155 155 156 157 158 159 160 160 160
20
Inhaltsverzeichnis 2. Die Anscheinsvollmacht im vertretungsrechtlichen Verkehrsschutzsystem ........................................... 161 C. Die Voraussetzungen der Anscheinsvollmacht ........... . ......... I. Der objektive Tatbestand ........................... . ....... 11. Die subjektiven Voraussetzungen bei dem Dritten .............. 111. Die subjektiven Voraussetzungen auf seiten des Geschäftsherrn ..
165 165 166 166
D. Die Rechtsfolgen der Anscheinsvollmacht ......................... 166 I. Die Anscheinsvollmacht als stets anfechtbare Rechtsscheinvollmacht ................................................... 166 11. Die Rechtsfolge der Anscheinsvollmacht nach der Anfechtung .... 168 § 17 Wertung der Ergebnisse des 4. Abschnitts ............................ 168 A. Die Anfechtung der Duldungs- und Anscheinsvollmacht als Problem des Vertrauens- und Verkehrsschutzes ............................ 168 I. Das Vertrauen des Dritten ........... . . . ....... . ............ 168 11. Das Verkehrsschutzproblem ................................ 169
B. Die Anfechtbarkeit von Duldungs- und Anscheinsvollmacht und der vertretungsrechtliche Verkehrsschutz ............................ 169 I. Die Einstandspflicht für verursachten Rechtsschein ............ 169 11. Die Anfechtbarkeit der Anscheinsvollmacht ................... 170 C. Das Problem der Überlagerung von anfechtbarer Vollmacht und Rechtsscheinvollmacht .............................................. I. Einleitung ...................... . .............. . ......... 11. Die vorgeschlagenen Lösungen ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Der generelle Anfechtungsausschluß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Der partielle Anfechtungsausschluß ....................... 3. Die Rechtsscheinhaftung als Folge der Vollmachtsanfechtung . 4. Die Rechtsscheinvollmacht als Einwendungsausschluß ....... 5. Die Erweiterung der Anfechtbarkeit einer Scheinvollmacht ... 111. Stellungnahme ............................................ 1. Keine Erweiterung der Anfechtbarkeit einer Scheinvollmacht . 2. Keine Einschränkung der Anfechtbarkeit rechtsgeschäftlicher Vollmachten ...........................................
171 171 171 171 172 172 173 173 174 174 175
D. Ergebnis ..................................................... 178 E. Zusammenfassung der Ergebnisse des 4. Abschnitts .. . ......... . ... 179
5. Abschnitt
Die Vollmachtsanfechtung wegen Drohung und arglistiger Täuschung (§ 123 BGB) § 18 Die Voraussetzungen der Anfechtung nach § 123 BGB ................. 180 A. Einleitung ................................................... 180
Inhaltsverzeichnis
21
B. Die Voraussetzungen der Anfechtung wegen Drohung (§ 123 Abs.1 2. Fall BGB) .................................................. I. Der Begriff der Drohung ................................... 11. Die Widerrechtlichkeit der Drohung ......................... 111. Die Kausalität zwischen Drohung und Erklärung ..............
180 180 181 182
C. Die Voraussetzungen der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung (§ 123 Abs. 1 1. Fall BGB) ............................................ I. Der Begriff der Täuschung .......................... . ....... 11. Die Bedeutung der Arglist in § 123 Abs. 1 BGB ................ III. Anfechtung bei "rechtmäßiger" Täuschung? ................... IV. Die Kausalität zwischen Täuschung und Erklärung .............
182 183 184 184 185
D. Die Einschränkung der Täuschungsanfechtung gern. § 123 Abs.2 S. 1 BGB ........................................................ I. Allgemeine Bestimmungen des Dritten ........................ 11. Die Auswirkung auf die Täuschungsanfechtung der Vollmacht ... 1. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Teleologische Reduktion des § 123 Abs. 2 S. 1 BGB ........... a) Bösgläubigkeit des Vertragspartners bei der Innenvollmacht b) Die Bösgläubigkeit des Vertreters bei der Außenvollmacht . c) Ergebnis ...........................................
185 185 186 186 186 187 188 189
E. Einschränkung der Täuschungsanfechtung durch § 123 Abs. 2 S. 2 BGB? 190
§ 19 Der Anfechtungsgegner und die Rechtsfolgen der Vollmachtsanfechtung nach § 123 BGB .................................................. 193 A. Der Anfechtungsgegner ........................................ 193
B. Die Rechtsfolgen der Vollmachtsanfechtung wegen Drohung ......... 193 C. Die Rechtsfolgen der Vollmachtsanfechtung wegen Täuschung ....... 193 D. Anhang § 19: Tabellarische Übersicht zur Vollmachtsanfechtung gern. § 123 BGB ................................................... 194
§ 20 Wertung der Ergebnisse des 5. Abschnitts ............ . ............... 197 A. Die Vollmachtsanfechtung wegen Drohung ........................ 197 I. Der Vertreter und/oder sein Vertragspartner kannten die Drohung
(mußten sie kennen) ....................................... 197 11. Weder der Vertreter noch sein Vertragspartner kannten die Drohung (mußten sie kennen) ....................................... 198 B. Die Vollmachtsanfechtung wegen arglistiger Täuschung ............. I. Einleitung ............................................... 11. Der Ausschluß der Anfechtung durch § 123 Abs. 2. S. 1 BGB ...... 1. Gutgläubigkeit des Vertreters und seines Vertragspartners .... 2. Gutgläubigkeit nur des Vertragspartners bei der Außenvollmacht III. Die Anfechtbarkeit der Innenvollmacht trotz Gutgläubigkeit des Vertragspartners ..........................................
199 199 199 200 200 202
C. Ergebnis..................................................... 202
22
Inhaltsverzeichnis
§ 21 Schlußbetrachtung des 1. Teils und Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse ...................................................... 203 A. Schlußbetrachtung zur Vollmachtsanfechtung nach bürgerlichem Recht 203
B. Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse des 1. Teils ........... 204
Zweiter Teil
Die Anfechtung der Vollmacht nach Handelsrecht 1. Abschnitt
Die Geltung der Rechtsgeschäftslehre im Handelsrecht § 22 Die besondere Problematik der Anfechtung der handelsrechtlichen Vollmachten ........................................................ 205 A. Die Auswirkungen einer Vollmachtsanfechtung im Handelsrecht ..... 205
B. Grundtendenzen des handelsrechtlichen Vertretungsrechts .......... 207 § 23 Die Geltung der Rechtsgeschäftslehre im Handelsrecht . . . . . . . . . . . . . . . .. 208 A. Die verkehrsfreundlichste Lösung ............................... 208
B. Ausschluß der Irrtumsanfechtung bei verschuldetem Irrtum des Kaufmanns? ...................................................... 209 1. Die Ansichten von Flume und Kramer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 209 11. Stellungnahme..... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 209
2. Abschnitt Der vertretungsrechtliche Verkehrsschutz des Handelsrechts § 24 Der Verkehrsschutz bei Prokura und Handlungsvollmacht . ............. 212 A. Der vertretungsrechtliche Verkehrsschutz bei der Prokura ........... 1. Die Garantie des Umfangs der Vertretungsmacht ............... 11. Verkehrsschutz hinsichtlich des Bestandes der Prokura? ......... 1. Die Ansicht Würdingers ................................. 2. Stellungnahme ......................................... 3. Ergebnis ..............................................
212 212 212 212 213 214
B. Der registerrechtliche Verkehrsschutz bei der Prokura .............. 1. Einleitung ............................................... 11. Registerschutz und Prokuraanfechtung ....................... 1. Die positive Registerpublizität ............................ 2. Die negative Registerpublizität ................... . ....... III. Ergebnis .................................................
214 214 215 215 216 217
C. Die Prozeßvollmacht des Prokuristen ............................. 218 D. Der Verkehrsschutz bei der Handlungsvollmacht ................... 219
Inhaltsverzeichnis
23
§ 25 Der Verkehrsschutz des § 56 HGB und die Anscheinsvollmacht im Handelsrecht . .......................................................... 220 A. Einleitung ................................................... 220 B. Die dogmatische Einordnung des § 56 HGB und die Auswirkungen auf die Anfechtbarkeit ............................................ I. Die dogmatische Einordnung des § 56 HGB ................... 1. Die Theorien zu § 56 HGB ................................ 2. Stellungnahme ................................. . ....... 11. Folgerungen für die Anfechtbarkeit ..........................
220 220 220 221 222
C. Die "fahrlässige" Anstellung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. I. Einleitung ............................................... 11. Der Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. III. Stellungnahme.................... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
222 222 223 224
D. Die Anscheinsvollmacht im Handelsrecht .... . .................... I. Die mögliche Argumentation ................................ 11. BegrüDdungsversuche eines Anfechtungsausschlusses ........... 1. Die Ansicht von Canaris ................................. 2. Die Ansicht Manigks .................................... 3. Stellungnahme .........................................
225 225 226 226 227 227
E. Zusammenfassung zum 2. Abschnitt ............................. 229
3. Abschnitt
Die besondere Beteiligung des Kaufmanns am Geschäftsverkehr und die Konsequenzen für die Vollmachtsanfechtung § 26 Die unternehmensbezogenen Vollmachten als Akte der Organisation des kaufmännischen Unternehmens. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 230 A. Problemstellung .............................................. 230
B. Die Bedeutung des Unternehmens für die Beteiligung des Kaufmanns am Geschäftsverkehr .......................................... I. Die tatsächliche Bedeutung des Unternehmens ................. 11. Der Unternehmensbegriff des Handelsrechts .................. 111. Die Merkmale des handelsrechtlichen Unternehmensbegriffs im einzelnen ................................................ 1. Das Unternehmen als organisierte Wirtschaftseinheit ........ 2. Das Unternehmen als Mittel zur Beteiligung am Geschäftsverkehr
230 230 231 232 232 233
C. Die Bedeutung von Prokura und Handlungsvollmacht für das Unternehmen ...................................................... 233 I. Die Prokura als Akt der Organisation des Unternehmens ........ 233 11. Die Handlungsvollmacht als Akt der Organisation des Unternehmens .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 234 D. Sonstige Vollmachten des Kaufmanns ......... . .................. 234
24
Inhaltsverzeichnis E. Die besonderen Risiken der Anfechtung handelsrechtlicher Vollmachten für den Vertragspartner ........................................ I. Die Organisation der Außenbeziehungen des Unternehmens ...... 11. Die erhöhte Störanfälligkeit des Vertretergeschäfts bei hierarchischen Vertretungsorganisationen ............................ 111. Die fehlende Erkennbarkeit der Störanfälligkeit ............... 1. Lage bei hierarchisch strukturierter Vertretungsorganisation .. 2. Die fehlende Erkennbarkeit des Geschäfts als Vertretergeschäft IV. Zusammenfassung .........................................
235 235 237 238 238 239 242
F. Die Anfechtung der handelsrechtlichen Vollmachten als Problem der Verteilung des kaufmännischen Organisationsrisikos ............... 243 G. Gang der weiteren Untersuchung ................................ 244 § 27 Die dem Anfechtungsausschluß beim Schweigen im Handelsverkehr zugrundeliegende Wertung . .......................................... 244
A. Die Einschränkung der Anfechtbarkeit des Schweigens auf einen Antrag nach § 362 HGB / auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben I. Einleitung ............................................... 11. Die dogmatische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111. Die Fallgruppen eines möglichen Anfechtungsausschlusses ...... 1. Der Irrtum über die Bedeutung des Schweigens ............. 2. Die fehlende Kenntnis vom Inhalt des Antrags/Bestätigungsschreibens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vergessen des ungelesenen Schreibens .......... . ....... b) Fehlende Kenntnis vom Zugang ........................ (1) Zurechnung der objektiven Bedeutung des Schweigens . (2) Die Anfechtungsproblematik ....................... 3. Der Irrtum über den Inhalt des Schreibens .......... . ....... 4. Zusammenfassung ......................................
244 244 245 248 248 249 249 250 250 253 254 258
B. Die Einschränkung der Anfechtbarkeit in den Fällen der §§ 75h, 91a, 386 Abs. 1 HGB ............................................... 259 I. Überblick über die Vorschriften ............................. 259 11. Das Anfechtungsproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 C. Die dem Anfechtungsausschluß zugrundeliegende Wertung ..... . .... I. Die relevante Fallgruppe: fehlende Kenntnis vom Zugang ....... 11. Die Begründungen für den Anfechtungsausschluß bei Tatsachenunkenntnis ............................................... III. Stellungnahme ............................................ IV. Überprüfung des Ergebnisses ............................... 1. Wertender Vergleich mit der Rechtsfolge beim Irrtum über den Inhalt des Schreibens ................................... 2. Die Parallelvorschrift zu § 362 HGB in § 663 BGB ........... 3. Das normierte Schweigen im BGB ......................... 4. Wertende Schlußbetrachtung ............................. a) Verdeutlichung des Ergebnisses ........................
260 260 261 262 265 265 267 267 272 272
Inhaltsverzeichnis b) Bewertung der Interessen der Beteiligten
25 273
D. Ergebnis ..................................................... 274 § 28 Die Verteilung des kaufmännischen Organisationsrisikos hinsichtlich der handelsrechtlichen Vollmachten .................................... 274 A. Das zu verteilende speziell handelsrechtliche Risiko ................ 275 B. Die Notwendigkeit der Restriktion der §§ 119ff. BGB hinsichtlich der handelsrechtlichen Vollmachten ................................. 1. Bedenken gegen die Anwendbarkeit der Anfechtungsvorschriften . II. Die Wertung des Anfechtungsausschlusses beim Schweigen im Handelsverkehr ........................................... III. Analyse der widerstreitenden Interessen ...................... IV. Ergebnis ................................................. C. Der Anwendungsbereich der Restriktion der Anfechtungsvorschriften . 1. Die rechtsgeschäftlichen Vollmachten des Handelsrechts ........ 11. Die Rechtsscheinvollmachten des Handelsrechts ............... III. Die Modifizierung der Zurechnung bei den Rechtsscheinvollmachten des Handelsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. D. Die Auswirkungen auf die Anfechtungstatbestände ................. 1. Der Ausschluß der Anfechtung gern. § 119 BGB ................ 11. Einschränkungen der Anfechtung gern. § 123 BGB ...... . ....... 1. Die Täuschungsanfechtung ............................... a) Ausschluß der Anfechtung bei Täuschung durch Unternehmensangehörige ..................................... b) Einschränkung der Anfechtung bei Täuschung durch Unternehmensfremde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Die Anfechtung wegen Drohung ..........................
275 275 276 277 278 278 278 279 280 281 281 281 282 282 282 283
E. Die Anfechtbarkeit des Vertretergeschäfts analog § 166 BGB ........ 284
F. Ergebnis ..................................................... 285 G. Wertung des Ergebnisses ....................................... 1. Das Bedürfnis nach Rechtssicherheit im Handelsverkehr ........ 11. Die Organisationsverantwortung als Korrelat zur Organisationsfreiheit .................................................. III. Der Ausgleich der fehlenden Rechtsfähigkeit des Unternehmens ..
286 286 286 287
§ 29 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse des 2. Teils .............. 289
Dritter Teil
Übertragbarkeit der handelsrechtlichen Ergebnisse in das bürgerliche Recht § 30 Die Einschränkung der Vollmachtsanfechtung durch nichtkaufmännische Unternehmensträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 A. Problemstellung .............................................. 290
26
Inhaltsverzeichnis B. Die Restriktionsvoraussetzungen für die Vollmachten nichtkaufmännischer Unternehmensträger ...................................... I. Die Unanwendbarkeit des §§ 119 ff. BGB auf unternehmensorganisierende Akte ............................................. 11. Die besondere Risikolage für den Vertragspartner des Unternehmensträgers .............................................. III. Die Interessen der Beteiligten ............................... IV. Ergebnis ................................................. C. Einschränkung der Vollmachtsanfechtung durch Angehörige freier Berufe? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. I. Die Bedeutung der Praxen für die Ausübung freier Berufe . . . . . .. 11. Die Restriktionsvoraussetzungen bei den von Freiberuflern erteilten Vollmachten .............................................. III. Abwägung und Ergebnis ................................... 1. Grundsatz der Zulässigkeit einer Vollmachtsanfechtung durch Freiberufler ................................. '......... 2. Ausnahme von der Anfechtbarkeit der von Freiberuflern erteilten Vollmachten
291 291 293 296 296 297 297 299 303 303 303
Literaturverzeichnis ................................................ 304
Einleitung § 1 Einführung in die Problematik Nach der Legaldefinition des § 166 Abs. 2 BGB ist die Vollmacht eine durch Rechtsgeschäft erteilte Vertretungsmacht. Ihre Anfechtung gern. §§ 119, 123 BGB müßte also ohne weiteres möglich sein. Und die Anfechtung einer Vollmacht bereitet auch in der Tat keinerlei Schwierigkeiten, wenn der Vertreter von ihr noch keinen Gebrauch gemacht hat, also noch kein Vertretergeschäft mit einem Dritten abgeschlossen hat. Insoweit läßt sich allein darüber streiten, ob das Anfechtungsrecht dadurch verdrängt wird, daß die Vollmacht jederzeit widerrufen werden kann (§ 168 S. 2 BGB): Dann käme eine Vollmachtsanfechtung nur in Betracht, wenn die Widerruflichkeit der Vollmacht ausgeschlossen wäre. Problematisch ist die Anfechtung einer Vollmacht aber, wenn der Vertreter die Vollmacht gebraucht hat, wenn er also ein oder sogar mehrere Vertretergeschäfte abgeschlossen hat. Das wirtschaftliche Ziel der Anfechtung ist dann nicht die Beseitigung dieser Vollmacht für die Zukunft - hierzu würde ein Widerruf der Vollmacht ausreichen -, sondern die Anfechtung zielt auf das abgeschlossene Vertretergeschäft: durch die rückwirkende Vernichtung der Vollmacht (§ 142 Abs.l BGB) soll die Fremdwirkung des Vertretergeschäfts für und gegen den Vertretenen (§ 164 Abs.l BGB) beseitigt werden. Die Anfechtung der Vollmacht ist also für den Vertretenen nur das Mittel, sich vom Vertretergeschäft zu lösen. Schon durch die Beteiligung von drei Personen am Zustandekommen des Vertretergeschäfts - Vollmachtgeber, Vertreter und Drittkontrahent - wirft die Vollmachtsanfechtung einige schwierige Fragen auf. Zu nennen sind beispielsweise die nach dem Anfechtungsgegner und nach den Ersatzansprüchen aus §§ 122, 179 BGB bei der Irrtumsanfechtung; noch problematischer ist die Rückabwicklung bei der Anfechtung wegen Täuschung und Drohung, weil hier der anfechtende Vollmachtgeber nicht zum Ersatz des negativen Interesses verpflichtet ist. Neben den Abwicklungsfragen nach erfolgter Anfechtung ist insbesondere schwierig zu beurteilen, wann der Vollmachtgeber überhaupt zur Anfechtung berechtigt ist. Bei der Anfechtung gern. § 123 BGB ergeben sich dabei besondere Probleme im Hinblick auf § 123 Abs. 2 BGB. Und bei der Irrtumsanfechtung ist fraglich, ob sich der Irrtum bei der Bevollmächtigung auf das Vertretergeschäft ausgewirkt haben muß, damit der Vollmachtgeber
28
Einleitung
zur Anfechtung berechtigt ist. Dieses Problem verschärft sich dann, wenn der Vertreter aufgrund der Vollmacht mehrfach kontrahiert hat, der Irrtum des Vollmachtgebers aber nur für einzelne Geschäfte relevant geworden ist. Das wohl größte Problem bei der Vollmachtsanfechtung besteht darin, eine widerspruchsfreie Verbindung zu sonstigen Tatbeständen herzustellen, die für den Vertreter eine Vertretungsmacht begründen, also zu den §§ 171, 172 BGB und zur Duldungs- und Anscheinsvollmacht. Hiermit sind zwei unterschiedliche Fragenkreise angesprochen. Bei dem ersten geht es darum, ob die durch diese Rechtsinstitute begründete Vertretungsmacht ebenfalls durch Anfechtung zu beseitigen ist. Denn wenn dies zu verneinen wäre, könnte hieraus folgen, daß die (rechtsgeschäftliche) Vollmacht ebenfalls unanfechtbar ist. Außerdem muß geklärt werden, wie es sich auswirkt, wenn außer der anfechtbaren Vollmacht gleichzeitig ein weiterer Tatbestand erfüllt ist, der ebenfalls eine Vertretungsmacht des Vertreters begründet, wenn insbesondere also die Voraussetzungen der Duldungs- oder Anscheinsvollmacht vorliegen. Dieses Zusammenspiel von anfechtbarer (rechtsgeschäftlicher) Vollmacht und Vertretungsmacht aus anderen Rechtsinstituten macht es erforderlich, auch diese Tatbestände in die Untersuchung einzubeziehen. Zwar steht auch bei diesen vertretungsrechtlichen Rechtsinstituten die Anfechtungsproblematik und damit die Frage nach den subjektiven Voraussetzungen in der Person des Vertretenen im Vordergrund; um aber die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Legitimationen des Vertreters erkennen zu können, ist es erforderlich, auch auf die weiteren Tatbestandsmerkmale dieser Rechtsinstitute einzugehen. Insgesamt ergibt sich damit schon für den Bereich des allgemeinen bürgerlichen Rechts, daß eine Untersuchung über die Vollmachtsanfechtung nicht nur von dogmatischem Interesse ist, sondern daß hiermit Probleme angesprochen sind, die auch für die Praxis von Bedeutung sind und über deren Behandlung bis heute große Unsicherheit besteht. Sich diesen Fragen vom pathologischen Fall aus zu nähern, verspricht fruchtbar zu sein, weil dieses Vorgehen zu einer Besinnung auf die Grundvoraussetzungen einer Haftung aus nicht rechtsgeschäftlichen Tatbeständen des Vertretungsrechts zwingt. Die Untersuchung will sich nicht auf die Erörterung der Vollmachtsanfechtung im bürgerlichen Recht beschränken, sondern auch die handelsrechtlichen Vollmachten einbeziehen. Während die Vollmachtsanfechtung im bürgerlichen Recht, in dem Vollmachten in der Regel nur zum Abschluß eines oder einzelner Vertretergeschäfte berechtigen, trotz der angedeuteten Schwierigkeiten bei der Rückabwicklung praktisch durchführbar erscheint, ist dies im Bereich des Handelsrechts nicht mehr der Fall. Die handelsrechtlichen Vollmachten sind typischerweise auf den Abschluß einer Vielzahl von
§ 2 Gang der Untersuchung
29
Verträgen gerichtet. Deshalb würde die Anfechtung einer handelsrechtlichen Vollmacht dazu führen, daß entsprechend viele Geschäfte davon betroffen wären: sie würden nicht gern. § 164 Abs. 1 BGB für und gegen den Vertretenen wirken. Ein anderes kommt hinzu: Einige handelsrechtliche Vollmachten - etwa Prokura und Generalhandlungsvollmacht - sind von sehr weitem Umfang; sie erfassen auch die Erteilung von (Unter-)Vollmachten für den Prinzipal. Durch die Anfechtung der Hauptvollmacht würden dann nicht nur die vom (Haupt-)Vertreter selbst abgeschlossenen Geschäfte im Verhältnis zum Vollmachtgeber unwirksam, sondern darüber hinaus sämtliche von den (Unter-)Bevollmächtigten abgeschlossenen. Im Extremfall, in dem sämtliche Vollmachten auf einer anfechtbaren Vollmacht beruhen, würde deren Anfechtung sogar dazu führen, daß das Unternehmen rechtlich während eines Zeitraums ohne Außenbeziehungen gewesen ist, obgleich tatsächlich eine Vielzahl von Verträgen abgeschlossen worden ist. Die Zulässigkeit einer Anfechtung der handelsrechtlichen Vollmachten würde also einem Grundanliegen des Handelsrechts, Rechtssicherheit zu gewähren, widersprechen. Da auch das handelsrechtliche Vertretungsrecht durch das Bestreben nach Rechtssicherheit gekennzeichnet ist, wird untersucht, ob eine Anfechtung der handelsrechtlichen Vollmachten mit den §§ 48ff. HGB zu vereinbaren ist. Für die Prokura gilt es darüber hinaus, diese Frage anhand des registerrechtlichen Verkehrsschutzes zu überprüfen. Und schließlich sind die anerkannten Fälle der Beschränkung der Anfechtbarkeit beim Schweigen im Handelsverkehr - insbesondere auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben - daraufhin zu untersuchen, ob die dem Anfechtungsausschluß zugrundeliegende Wertung auf die handelsrechtlichen Vollmachten übertragbar ist. Insgesamt will die Untersuchung also auch die Unterschiede herausarbeiten, die die vertretungsrechtlichen Verkehrsschutzsysteme des bürgerlichen und des Handelsrechts aufweisen.
§ 2 Gang der Untersuchung Der erste Teil handelt von der Anfechtung der bürgerlichrechtlichen Vollmacht. Ausgehend von der Vorstellung der Verfasser des BGB, daß ein Irrtum bei der Bevollmächtigung zur Anfechtung der Vollmacht und nicht des Vertretergeschäfts berechtigt, wird zunächst für die ausdrückliche Bevollmächtigung geprüft, wem die Anfechtung zu erklären ist und die damit zusammenhängende Frage nach den Ersatzansprüchen aus §§ 122, 179 BGB. Anschließend wird erörtert, welche Irrtümer zur Anfechtung der Vollmacht berechtigen. In diesem Zusammenhang wird auch zu den subjektiven Mindestvoraussetzungen einer Willenserklärung Stellung bezogen, einer
30
Einleitung
Frage, die für das vertretungsrechtliche Verkehrsschutzsystem von entscheidender Bedeutung ist. Abschließend zur Anfechtung der ausdrücklichen Vollmacht werden so dann die herausgearbeiteten Ergebnisse einer näheren Wertung unterzogen mit dem Ziel, festzustellen, ob eine teleologische Reduktion der Anfechtungsvorschriften für die Bevollmächtigung erforderlich ist. Neben Fallgestaltungen, in denen die Ersatzpflichten aus §§ 122, 179 BGB problematisch erscheinen, werden insbesondere Fragen der Kausalität zwischen Irrtum und Vertretergeschäft, der erhöhten Störanfälligkeit des Vertretergeschäfts und das Problem des Vertrauens- und Verkehrsschutzes erörtert. Nach der Darstellung der stillschweigenden Bevollmächtigung und ihrer Anfechtbarkeit im zweiten Abschnitt handelt der folgende Abschnitt von den §§ 171, 172 BGB. Hierbei steht - neben der Stellung dieser Vorschriften im vertretungsrechtlichen Verkehrsschutzsystem und ihrer dogmatischen Einordnung - die Frage im Mittelpunkt, ob und unter welchen Voraussetzungen diese Vollmachtskundgaben selbst anfechtbar sind. In der anschließenden Wertung soll insbesondere geklärt werden, ob sich in den §§ 171, 172 BGB Anhaltspunkte dafür finden, daß die Anfechtbarkeit der Vollmacht wegen Irrtums eingeschränkt oder gar ausgeschlossen ist. Gegenstand des vierten Abschnitts sind die Duldungs- und die Anscheinsvollmacht. Zunächst wird die Stellung der Duldungsvollmacht im vertretungsrechtlichen Verkehrsschutzsystem und ihre dogmatische Einordnung, ihre Voraussetzungen und Rechtsfolgen erörtert; es schließt sich auch für die Duldungsvollmacht die Untersuchung an, ob sie durch Anfechtung rückwirkend beseitigt werden kann. Es folgt die Prüfung der dogmatischen Einordnung, Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Anscheinsvollmacht. Bei der Wertung der Ergebnisse dieses Abschnitts bilden den Schwerpunkt die Fragen, die sich aus einer (möglichen) Überlagerung von anfechtbarer (rechtsgeschäftlicher) Vollmacht und Duldungs- oder Anscheinsvollmacht für die Anfechtbarkeit beider Tatbestände ergeben. Die Darstellung der Vollmachtsanfechtung wegen Drohung und arglistiger Täuschung schließt den ersten Teil ab. Der zweite Teil der Untersuchung befaßt sich mit der Anfechtung der handelsrechtlichen Vollmachten. Am Anfang der Überlegungen steht die Frage, ob die Rechtsgeschäftslehre des BGB grundsätzlich auch im Handelsrecht gilt. Es folgt die Prüfung, ob sich aus dem vertretungsrechtlichen Verkehrsschutzsystem des Handelsrechts (§§ 48 ff. HGB) sowie für die Prokura aus dem registerrechtlichen Verkehrs schutz Anhaltspunkte für eine Unanfechtbarkeit der handelsrechtlichen Vollmachten ergeben. Zu Beginn des dritten Abschnitts wird untersucht, welche weiteren ·handeisrechtlichen Besonderheiten für die Vollmachtsanfechtung von Bedeu-
§ 2 Gang der Untersuchung
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tung sein können. Im Vordergrund der Überlegungen steht dabei ein Vergleich der Risiken, die die Vollmachts anfechtung für den Vertragspartner des Vertreters einerseits im bürgerlichen und im Handelsrecht andererseits beinhaltet. Aufgrund eines Vergleichs mit der Wertung, die dem Anfechtungsausschluß beim Schweigen im Handelsverkehr zugrundeliegt, werden sodann die Ergebnisse für die Anfechtung der Vollmachten des Handelsrechts herausgearbeitet. Der dritte und letzte Teil der Untersuchung ist der Frage gewidmet, ob für nichtkaufmännische Unternehmer und für Angehörige freier Berufe hinsichtlich der Vollmachtsanfechtung die bürgerlichrechtlichen oder die handelsrechtlichen Grundsätze zur Anwendung kommen.
Erster Teil
Die Anfechtung der Vollmacht nach bürgerlichem Recht 1. Abschnitt
Die Irrtumsanfechtung der ausdrücklichen Bevollmächtigung (§ 167 Abs.l BGB) § 3 Der Gegenstand der Anfechtung A. Die möglichen Anfechtungsgegenstände
Hat der Vertreter aufgrund der ihm erteilten Vollmacht, nach der Legaldefinition des § 166 Abs. 2 BGB also der durch Rechtsgeschäft erteilten Vertretungsmacht, mit einem Drittkontrahenten ein Rechtsgeschäft im Namen des Vollmachtgebers geschlossen, ist eine doppelte Zielrichtung der Anfechtung denkbar: Unmittelbares Ziel der Anfechtung kann die Vollmacht selbst sein, also der Akt der rechtsgeschäftlichen Erteilung der Vertretungsmacht. Das vom Vertreter geschlossene Geschäft wird dann unmittelbar von der Anfechtung nicht betroffen; vielmehr wirkt sie sich nur mittelbar auf das Vertretergeschäft aus: gern. § 142 Abs. 1 BGB entfällt die Vertretungsmacht des Vertreters rückwirkend, das Vertretergeschäft wirkt also nicht gern. § 164 Abs.l BGB für und gegen den Vollmachtgeber. Die Anfechtung kann aber auch zum Ziel haben, unmittelbar das vom Vertreter in fremdem Namen abgeschlossene Geschäft zu vernichten. Daß der Vollmachtgeber an die Vertretergeschäfte nicht gebunden wird, ist dann nicht eine mittelbare Folge der rückwirkenden Beseitigung der Vertretungsmacht, sondern gern. § 142 Abs.l BGB eine unmittelbare Folge der Anfechtung. B. Die Auffassung des Gesetzgebers Im 19. Jahrhundert wurde auf verschiedene Weise versucht, das Wesen der Stellvertretung zu begründen l . Es standen sich im wesentlichen folgende Auffassungen gegenüber:
B. Auffassung des Gesetzgebers
33
Nach der Geschäftsherrentheorie ist der rechtsgeschäftlich Wollende der Vollmachtgeber; der Vertreter ist lediglich der Träger des Willens des Geschäftsherrn 2 . Dagegen sah die Repräsentationstheorie den V, treter als den allein Handelnden an; dieser betätigt einen eigenen rechtsgeschäftlichen Willen. Die Vertretungsmacht ist Voraussetzung für die Wirksamkeit des Willens für den Vollmachtgeber, enthält aber nicht selbst den auf Abschluß des Rechtsgeschäfts gerichteten Willen 3 • Die Verfasser des BGB haben sich im Sinne der Repräsentationstheorie entschieden 4 . Sie sahen allein den Vertreter als die Person an, die die Willensentscheidung trifft. Für die Berücksichtigung von Willensmängeln führen die Motive dementsprechend aus: "Etwaige Willensmängel können nur da gesucht werden, wo die Willensentscheidung stattgefunden hat, mithin in der Person des Vertreters. "5 Die 2. Kommission beschäftigte sich erneut mit dieser Frage, nachdem zu den §§ 117,118 des 1. Entwurfs drei Anträge gestellt wurden, welche Willensmängel des Vertretenen - zumindest wenn der Vertreter nach Weisung des Vollmachtgebers gehandelt hat - berücksichtigt wissen wollten 6 . Der weitestgehende Antrag lautete: "Willensmängel des Rechtsgeschäfts, durch welches die Vollmacht erteilt ist, wirken in Ansehung eines von dem Bevollmächtigten oder gegenüber demselben vorgenommenen Rechtsgeschäft in gleicher Weise, wie wenn das Rechtsgeschäft vom Vollmachtgeber oder gegenüber demselben vorgenommen wäre. "7 In der Begründung der Ablehnung dieses Antrags wird erneut die Auffassung der Verfasser des BGB vom Wesen der Stellvertretung deutlich: Es mache das Wesen der Stellvertretung aus, daß das Geschäft in der Person des Vertreters zustande kommt, nur die Wirkungen des Geschäfts auf den Vertretenen bezogen sind. Vollmachterteilung und Vertretergeschäft seien zwei selbständige Rechtsgeschäfte, die auch hinsichtlich des Einflusses von Willensmängeln verschieden zu beurteilen seien. Die Möglichkeit, eine Vollmacht - besonders eine Generalvollmacht - anzufechten, müsse bestehen bleibenB. 1 Vgl. zur Geschichte der Stellvertretung im 19. Jhd. Mitteis, Stellvertretung, S. 84ff.; Müller-Freienfels, in: Wissenschaft und Kodifikation, S.144ff. 2 Begründet von Savigny, System III, S. 113; ders., Obligationenrecht II, §§ 56f.; weitere Nachw. bei Mitteis, Stellvertretung, S. 89ff. 3 Z.B. Laband, ZHR 10 (1866),183,192, 224ff.; Windscheid, Pandektenrecht I, § 73 Fn. 16b; weitere Nachw. bei Mitteis, Stellvertretung, S. 97ff. 4 Ganz h.M., z.B. Staudinger / Coing, § 164, Vorbem. 6, 12; Enneccerus / Nipperdey, BGB AT, § 182 II 1; Soergel/ Schultze-v. Lasaulx, Vor § 164, Rdn.10. 5 Motive I, S. 227 = Mugdan I, S. 478. 6 Protokolle I, S. 139 = Mugdan I, S. 738. 7 Wie Fn. 6. 8 Protokolle I, S. 140 ff. = Mugdan I, S. 738f.
3 Stüsser
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§ 3 Der Gegenstand der Anfechtung
Die Verfasser des BGB gingen also von der Repräsentationstheorie aus; sie sahen in der Vollmachtserteilung und dem aufgrund der Vollmacht abgeschlossenen Vertretergeschäft zwei selbständige Rechtsgeschäfte. Deshalb kam nach ihrer Ansicht einem Willensmangel bei der Vollmachtserteilung auch nur für die Vollmacht eine (unmittelbare) Bedeutung zu. Folglich war für sie die Vollmacht selbst Gegenstand der Anfechtung, nicht aber das vom Vertreter abgeschlossene Rechtsgeschäft. C. Abweichende Ansichten im Schrifttum I. Die Lehre von Müller-Freienfels
In jüngster Zeit ist die Repräsentationstheorie insbesondere von MüllerFreienfels angegriffen worden. In seiner Untersuchung über "Die Vertretung beim Rechtsgeschäft"9 geht es ihm darum, zu beantworten, wie sich die Stellvertretung in die Rechtsgeschäftslehre einordnen läßt. Für MüllerFreienfels gehört zum Begriff des Rechtsgeschäfts notwendigerweise die Selbstvornahme, denn das "Rechtsgeschäft dient der Idee der sozialen Selbstbestimmung. "10 Da das vom Vertreter abgeschlossene Geschäft aber kein Akt der Selbstbestimmung sei, könne es auch nicht für sich allein Rechtsgeschäft sein, vielmehr stelle diese Fremdbestimmung zunächst einen Widerspruch zum Prinzip der Privatautonomie darl l . Ein Rechtsgeschäft könnten vielmehr nur die Bevollmächtigung12 und das Vertretergeschäft zusammen darstellen, da so das Vertretergeschäft im Rahmen der vom Vollmachtgeber selbst vollzogenen Bevollmächtigung liege und seiner Selbstbestimmung diene 13 . Diese rechtsgeschäftliche Einheit von Bevollmächtigung und Vertreterhandlung hat für Müller-Freienfels auch Auswirkungen auf die Behandlung von Willensmängeln bei der Bevollmächtigung: Zunächst beantworte erst die Gesamtbetrachtung von Bevollmächtigung und Vertreterhandeln die Frage, wann einem Willensmangel bei der Bevollmächtigung überhaupt eine Bedeutung zukomme: entscheidend sei, inwieweit der Prinzipal hinsichtlich des konkret vom Vertreter geschlossenen Geschäfts einem Irrtum unterlegen seiH. Wenn demnach ein Irrtum des Prinzipals bei der Erteilung der Vollmacht für das konkrete Rechtsgeschäft in Vertretung erheblich ist, so ist nach Tübingen 1955. Vertretung, S. 211. 11 Wie Fn. 10. 12 Müller-Freienfels, Vertretung, S.192 ff., sieht ebenfalls in der Bevollmächtigung ein Rechtsgeschäft. 13 Vertretung, S. 210 ff. 14 Vertretung, S. 243f., 404. 9
10
c. Abweichende Ansichten im Schrifttum
35
Ansicht von Müller-Freienfels kein Grund ersichtlich, das vom Vertreter geschlossene Geschäft anders zu behandeln, als hätte der Prinzipal das Geschäft selbst abgeschlossen1 5 , d.h., daß das Rechtsgeschäft in Vertretung selbst Gegenstand der Anfechtung ist. Hierin sieht sich Müller-Freienfels bestätigt durch den Wortlaut des Gesetzes: ,,§ 119 Abs. 1 BGB spricht ganz korrekt von den Voraussetzungen der Anfechtung bei der einzelnen ,Willenserklärung', während in § 142 BGB von den Wirkungen der Anfechtung auf ,das Rechtsgeschäft' handelt."16 Für das Rechtsgeschäft in Vertretung bedeute dies, daß mit der Anfechtung der Bevollmächtigung das "Rechtsgeschäft in Vertretung", der Gesamttatbestand, hinfällig werde.
n.
Die Ansicht Siebenhaars
Noch einen Schritt weiter als Müller-Freienfels geht Siebenhaar 17 . Er sieht in der Willenserklärung ein äußeres Verhalten einer Person, aus dem sich auf einen Willen schließen läßtl 8 ; der Wille selbst sei aber nicht Tatbestandsmerkmal der Willenserklärung 19 . Zu dem äußeren Verhalten der Person müsse, damit eine Willenserklärung vorliegt, als "Individualmerkmal" hinzutreten die Bezeichnung des "individuellen Willensträgers" , des rechtsgeschäftlieh Wollenden 20 . Da sich alle Individualmerkmale aber gegenseitig ausschlössen, könne jedes äußere Verhalten nur einer einzigen Person als der rechtsgeschäftlich Wollenden zugeordnet werden 21 . Für das Rechtsgeschäft folgert Siebenhaar daraus, daß es allein von dem abgeschlossen wird, der als der individuelle Willensträger, der Wollende, bezeichnet ist 22 . Deshalb sei jeder Abschluß eines Rechtsgeschäfts notwendigerweise Selbstabschluß 23 . Für das "Rechtsgeschäft in Vertretung" bedeute dies: der Vertreter zeige das äußere Verhalten, aus dem auf einen rechtsgeschäftlichen Willen geschlossen werden kann. Als Individualmerkmal sei aber die Person des Vertretenen als des rechtsgeschäftlieh Wollenden bezeichnet, nicht die Person des Vertreters. Deshalb sei es der Vertretene selbst, der das Rechtsgeschäft abschließt; der Vertreter sei dem Vertretenen dabei nur insofern behilflich, als er die Erklärung des Willens vornehme 24 . 15 16 17 18
19 20
21 22 23 24
3'
Vertretung, S. 404. Vertretung, S. 402. AcP 162 (1963), 354ff. a.a.O., S. 371 ff., 380 f. a.a.O., S. 371f., 374, 380f. a.a.O., S. 357, 372ff. a.a.O., S. 373f., 376. a.a.O., S. 373f. a.a.O., S. 356, 372, 374. a.a.O., S. 365, 381 f.
36
§ 3 Der Gegenstand der Anfechtung
Die Bevollmächtigung ist nach dieser Meinung "Einwilligung zur ,Manifestierung des Vollmachtgebers als der wollenden Person'. "25 Zu der Frage, was Gegenstand der Anfechtung bei einem Rechtsgeschäft in Vertretung ist, nimmt Siebenhaar keine Stellung. Da für ihn aber weder die Bevollmächtigung26 noch das Vertretergeschäft 27 ein Rechtsgeschäft darstellen, er vielmehr das Rechtsgeschäft in Vertretung als allein vom Vollmachtgeber abgeschlossen ansieht 28 , kann konsequenterweise auch nur dieses Rechtsgeschäft in Vertretung Anfechtungsgegenstand sein. ill. Die Lehre Rosenbergs
In der Untersuchung "Stellvertretung im Prozeß"29 geht Rosenberg von der Repräsentationstheorie aus: der Tatbestand, an den Rechtswirkungen für und gegen den Vertretenen geknüpft werden, werde allein und ungeteilt vom Vertreter hergestellt 3o . Der Grund für die Fremdwirkung des HandeIns des Vertreters, also die Vertretungsmacht, ist für Rosenberg nicht eine "Macht" zu fremdbestimmtem Handeln 31 ; Rosenberg sieht die Vertretungsmacht vielmehr als eine "Zustimmungserklärung, und zwar zu der vom Vertreter erzeugten Rechtswirkung 32 , "Zustimmung zu dem Ergebnisse der Handlung des Vertreters. "33 Obwohl Rosenberg die Bevollmächtigung selbst als Rechtsgeschäft ansieht 34, ist Anfechtung der Bevollmächtigung für ihn "richtiger die Anfechtung der Vertreterhandlung, und danach bestimmt sich die Zulässigkeit und die Art der Vornahme der Anfechtungserklärung. "35 Damit kommt Rosenberg, obwohl er von der Repräsentationstheorie ausgeht, ebenso wie Müller-Freienfels zu dem Ergebnis, daß nicht die Vollmacht, sondern allein das vom Vertreter abgeschlossene Rechtsgeschäft der Anfechtung unterliegt 36 .
25 26 27
28 29 30
31 32
33
34 35
36
a.a.O., S. 374. a.a.O., S. 375. a.a.O., S. 365. a.a.O., S. 365, 372, 374. Berlin 1908. Stellvertretung, S. 112 f. Stellvertretung, S. 113 ff. Stellvertretung, S. 127 (Hervorhebung nur hier); vgl. auch S. 560 und passim. Stellvertretung, S. 134 (Hervorhebung nur hier); vgl. auch S. 736 und passim. Stellvertretung, S. 605 ff. Stellvertretung, S. 142; vgl. auch S. 712ff., 738, 742 und passim. Zustimmend z.B. Brox, JA 1980, 449, 451; Eujen / Frank, JZ 1973,232,235.
D. Stellungnahme
37
D. Stellungnahme Daß die. Vollmacht, also der Akt der Erteilung von Vertretungsmacht, selbst Gegenstand der Anfechtung ist, läßt sich nicht allein mit der Auffassung des historischen Gesetzgebers begründen. Denn Rechtsprechung und Lehre sind an dogmatische Einsichten des Gesetzgebers nicht gebunden 37 • Der Gesetzgeber kann nämlich dogmatische Einsichten nur durch Rechtsfolgen vorschreiben; lassen sich mit diesen verschiedene Theorien vereinbaren, tritt eine Bindung von Rechtsprechung und Wissenschaft an die dogmatische Einsicht des Gesetzgebers nicht ein 38 . I. Die Regelungen der §§ 166, 167 Abs. 2 BGB
Das Gesetz enthält in §§ 166, 167 Abs. 2 BGB Regelungen, aus denen sich auf das Verhältnis der Bevollmächtigung zum Vertretergeschäft Rückschlüsse ziehen lassen. Nach § 167 Abs. 2 BGB bedarf die Bevollmächtigung nicht der Form, die für das beabsichtigte Vertretergeschäft vorgeschrieben ist. Durch diese Regelung anerkennt das Gesetz, daß das Vertretergeschäft allein in der Person des Vertreters zustandekommt, die Vollmachterteilung nicht Bestandteil dieses Geschäfts ist. Wäre nämlich die Bevollmächtigung Bestandteil des Vertretergeschäfts, wie dies von Müller-Freienfels und Siebenhaar angenommen wird, so müßte diese ebenfalls formbedürftig sein, da sich die Formbedürftigkeit (§ 125 BGB) auf das gesamte Geschäft mit allen wesentlichen Bestandteilen erstreckt39 • Allerdings hat der Gesetzgeber bei der Fassung des § 167 Abs. 2 BGB übersehen, daß er durch diese Vorschrift Wertungswidersprüche zu einigen Formvorschriften erzeugt hat. Dies fordert aber allein eine Einschränkung des § 167 Abs. 2 BGB in den Problemfällen 40 , erlaubt aber nicht, die Regelung gänzlich unbeachtet zu lassen 41 . Die Ansicht von Müller-Freienfels und Siebenhaar zum Verhältnis von Bevollmächtigung und Vertretergeschäft ist also schon mit § 167 Abs. 2 BGB nicht vereinbar42 • Canaris, AcP 165 (1965), 1, 14; Flurne, BGB AT II, § 52, 5 a. Canaris, AcP 165 (1965), 1, 14. 39 Statt vieler BGHZ 40, 255, 262; Erman / Brox, § 125, Rdn. 3f.; Förschler, in: MünchKomm., § 125, Rdn. 18f. 40 Eingehend Thiele, Zustimmungen, S. 135ff.; vgl. auch RGZ 110, 319, 320 f. mit Nachw.; BGH NJW 1952, 1210; LM § 167 BGB Nr.18 mit Nachw.; Flurne, BGB AT II, § 52, 2; Larenz, Methodenlehre (l.Aufl.), S. 283f. 41 Die Annahme, jede Vollmacht zu einem formbedürftigen Geschäft sei selbst formbedürftig, ist mit dem Gesetz unvereinbar; statt aller Flurne, BGB AT II, § 52, 2. 42 Ebenso Larenz, BGB AT, § 31 II; Steffen, in: BGB-RGRK, Vor § 164, Rdn.6; Waldeyer, Anscheinsvollmacht, S.10. 37
38
38
§ 3 Der Gegenstand der Anfechtung
Sie steht auch im Widerspruch zu § 166 BGB: Wäre der Vollmachtgeber am Abschluß des Vertretergeschäfts beteiligt, müßten notwendig auch seine Willensmängel für das Rechtsgeschäft mit dem Drittkontrahenten beachtlich sein; es käme ebenfalls auf seine Kenntnis/Unkenntnis gewisser Umstände (z.B. der wahren Eigentumslage bei §§ 932ff. BGB) an. Dagegen aber bestimmt § 166 Abs.l BGB, daß es insoweit grundsätzlich nur auf die Person des Vertreters ankommt, nicht auf die des Vollmachtgebers. Es kommt nach § 166 Abs.2 BGB vielmehr nur ausnahmsweise auf dessen Kenntnis/Unkenntnis gewisser Umstände an, wenn nämlich der Vertreter nach bestimmten Weisungen des Vertretenen gehandelt hat. Auch hieraus folgt also, daß allein der Vertreter das Rechtsgeschäft mit dem Drittkontrahenten abschließt, die Bevollmächtigung nicht Bestandteil dieses Geschäfts ist 43 . § 166 Abs. 2 BGB ist in diesem Zusammenhang noch aus zwei weiteren Gründen von Bedeutung:
Zunächst enthält § 166 Abs. 2 BGB die Legaldefinition der Vollmacht: es ist dies die durch Rechtsgeschäft erteilte Vertretungsmacht - aber die Rechtsgeschäftsqualität der Bevollmächtigung will SiebenhaarH leugnen 45 . Außerdem handelt § 166 Abs. 2 BGB im Gegensatz zu § 166 Abs.1 BGB nicht von Willensmängeln. Auch darin kommt die Konzeption des Gesetzes zum Ausdruck, daß Willensmängel des Vollmachtgebers allein Einfluß auf die Bevollmächtigung, nicht aber auf das Vertretergeschäft haben sollen 46 . 11. Der Grundsatz der Privatautonomie
Auch der Grundsatz der Privatautonomie vermag die Ansichten von Müller-Freienfels und Siebenhaar nicht zu stützen. Die Privatautonomie zwingt nämlich nicht dazu, das Vertretergeschäft nur zusammen mit der Bevollmächtigung als "Rechtsgeschäft" aufzufassen. Müller-Freienfels 47 und Siebenhaar48 gehen übereinstimmend davon aus, daß zum Begriff des Rechtsgeschäfts notwendigerweise die Selbstvornahme gehöre; nur so sei dem Prinzip der Privatautonomie genügt. Von einem so verstandenen Rechtsge43 Z.B. Enneccerus / Nipperdey, BGB AT, § 182 I11; Waldeyer, Anscheinsvollmacht, S.10. H AcP 162 (1963), 354, 375. 45 Häufig wird Müller-Freienfels in diesem Zusammenhang mißverstanden; er (Vertretung, S.192ff.) sieht in der Bevollmächtigung ein selbständiges Rechtsgeschäft. 46 Ob in analoger Anwendung des § 166 BGB aufgrund eines Irrtums bei der Vollmachtserteilung ausnahmsweise eine Anfechtung unmittelbar der Vertretererklärung erfolgen kann, wenn der Vertreter zwar eine eigene Willenserklärung abgegeben hat, tatsächlich aber nur den Willen des Vertretenen vollzogen hat, ist zweifelhaft. vgl. dazu unten § 5 A III 2 mit Nachw. in Fn.1. 47 Vertretung, S. 211 und passim. 48 AcP 162 (1963), 354, 372, 374 und passim.
D. Stellungnahme
39
schäftsbegriff leiten sie ihre Ergebnisse ab, ohne sich von der gesetzlichen Regelung leiten zu lassen. Aber schon der von ihnen gewählte Rechtsgeschäftsbegriff ist dem geltenden Recht fremd 49 . Der Grundsatz der Privatautonomie besagt lediglich, daß der einzelne in Selbstbestimmung, d. h. frei von äußerem Zwang seine Rechtsverhältnisse gestalten kann. Über die Art und Weise, in der diese Selbstgestaltung erfolgt, läßt sich aus dem Grundsatz der Privatautonomie allein nichts herleiten. Die Ausgestaltung der Privatautonomie ist vielmehr eine Aufgabe der Rechtsordnung. Wenn eine Rechtsordnung das Institut der Stellvertretung einführt, wie dies das BGB (§§ 164ff.) getan hat, so schränkt sie hiermit die Selbstbestimmung nicht ein, sondern erweitert sie: dem einzelnen ist nicht nur die Möglichkeit eingeräumt, durch Selbstabschluß seine Rechtsverhältnisse zu gestalten, sondern er kann durch einen Selbstbestimmungsakt - die Bevollmächtigung - "das Wollen und Handeln eines anderen für sich verbindlich erklären"5o. Macht er von dieser Möglichkeit Gebrauch, so beruht seine Bindung ebenso wie beim Selbstabschluß auf einem Akt privatautonomer Gestaltung. Es ist deshalb allein konsequent, wenn Flume51 die Stellvertretung nicht als einen Gegensatz zur Privatautonomie bezeichnet, sondern im Gegenteil als konsequente Durchführung derselben 52 . Deshalb läßt sich aus dem Grundsatz der Privatautonomie nicht folgern, daß nur das Vertretergeschäft Gegenstand der Anfechtung sein könne, nicht aber auch die Vollmacht.
m.
Die Rückwirkung der Anfechtung gem. § 142 Abs. 1 BGB
Auch mit der Ansicht Rosenbergs, die Vertretungsmacht sei Zustimmung nicht zu dem Handeln des Vertreters, sondern zu dem Ergebnis dieses Handelns, läßt sich nicht begründen, daß die Anfechtung zwingend gegen das Vertretergeschäft gerichtet werden müsse 53 . Denn unabhängig davon, wie die Fremdwirkung des Vertreterhandelns zu erklären ist, bedarf es zweier 49 Ganz h.M., z.B. Flume, BGB AT II, § 43, 3; Soergel / Schultze-v. Lasaulx, Vor § 164, Rdn.15; Thiele, Zustimmungen, S. 58ff., 82ff.; ders., in: MünchKomm., Vor § 164, Rdn. 65ff. 50 Thiele, Zustimmungen, S. 60. 51 BGB AT II, § 43, 3; ders., Rechtsgeschäft und Privatautonomie, S.163; ähnlich Steffen, in: BGB-RGRK, Vor § 164, Rdn. 6 und § 164, Rdn.l. 52 Zustimmend z.B. Larenz, BGB AT, § 30 Ia (S. 572 Fn. 6); Soergel / Schultzev. Lasaulx, Vor § 164, Rdn. 15f.; Thiele, Zustimmungen, S. 60. Vgl. auch John, Rechtsperson, S. 78: Die Bevollmächtigung " ... schafft eine verbreiterte Basis für die Ausübung der Privatautonomie. " 53 Vgl. zu den Auswirkungen dieser Auffassung auf die Vollmachtsanfechtung wegen eines Irrtums über die Person oder eine Eigenschaft des Vertreters unten, § 5 CI.
40
§ 4 Anfechtungsgegner und Ersatzansprüche
rechtsgeschäftlicher Akte zur Herbeiführung einer Änderung der Rechtsverhältnisse in der Person des Vollmachtgebers: der Bevollmächtigung und des rechtsgeschäftlichen VertreterhandeIns. Gegen welchen dieser Akte sich die Anfechtung bei einer irrigen Bevollmächtigung zu richten hat, läßt sich auch nicht von diesem Ausgangspunkt Rosenbergs aus beantworten. Zur Untermauerung seiner These, die Anfechtung habe sich zwingend gegen das vom Vertreter geschlossene Geschäft zu richten, zeichnet Rosenberg folgendes Bild: "Die Vollmacht öffnet der Wirkung des stellvertretenden Handelns das Tor zu dem Rechtskreis des Vertretenen. Stand das Tor offen, so ist die Wirkung für und gegen den Machtgeber eingetreten. Dieser kann die Wirkung der Vertreterhandlung nicht dadurch beseitigen, daß er nunmehr das Tor schließt. "54,55 Dieses Bild jedoch vermag die Ansicht Rosenbergs nicht zu begründen. Gern. § 142 Abs.1 BGB wirkt die Anfechtung auf den Zeitpunkt der Vornahme des Geschäfts zurück, das anfechtbare und angefochtene Rechtsgeschäft ist "als von Anfang an nichtig anzusehen." Übertragen auf das von Rosenberg gezeichnete Bild bedeutet dies: kraft der Fiktion des § 142 Abs. 1 BGB ist - wird die Vollmacht angefochtendas Tor, dessen Öffnung Voraussetzung für die Fremdwirkung des Vertreterhandelns ist, als von Anfang an geschlossen anzusehen. Es geht also sachlich nicht darum, nunmehr das Tor zu schließen. IV. Folgerung
Eine tragfähige Begründung dafür, daß allein das vom Vertreter abgeschlossene Rechtsgeschäft Gegenstand der Anfechtung sein kann, ist bisher nicht gefunden worden. Entsprechend der Absicht des historischen Gesetzgebers ist deshalb davon auszugehen, daß die Vollmacht selbst Gegenstand der Anfechtung ist.
§ 4 Der Anfechtungsgegner und die Ersatzansprüche aus § 122 BGB und § 179 BGB Liegt der Bevollmächtigung ein zur Anfechtung berechtigender Irrtum l zugrunde, so stellt sich sogleich die Frage, wem gegenüber die Anfechtung zu erklären ist. Damit ist gleichzeitig das Problem der Schadensersatzansprüche aus § 122 BGB und aus § 179 BGB angesprochen.
Stellvertretung, S. 740 f. Ähnlich Pawlowski, BGB AT, Rdn. 744, für die Innenvollmacht: Bis zur Anfechtung sei der Vertreter berechtigt, die Erklärung der Vollmacht an Dritte "weiterzuleiten". 1 Dazu unten § 5. 54 55
A. Anfechtungsgegner bei der Außenvollmacht
41
A. Der Anfechtungsgegner (§ 143 BGB) bei der Außenvollmacht (§ 167 Abs.l 2. Alt. BGB) I. Der Vertragspartner des Vertreters als Anfechtungsgegner
Gern. § 167 Abs. 1 BGB wird die Vollmacht erteilt durch eine empfangsbedürftige Erklärung gegenüber dem Vertreter oder dem Geschäftspartner. Es handelt sich dabei um ein einseitiges Rechtsgeschäft2. Für diese Geschäfte bestimmt § 143 Abs. 3 S. 1 BGB, wer Anfechtungsgegner ist: Anfechtungsgegner ist der andere, d. h. der, demgegenüber das Geschäft vorzunehmen war. Da die Außenvollmacht durch Erklärung gegenüber dem Geschäftspartner erteilt wird, ist diesem gegenüber die Erklärung der Anfechtung jedenfalls möglich 3 . 11. Anfechtung auch gegenüber dem Vertreter?
Fraglich ist, ob außer dem Drittkontrahenten auch der Vertreter selbst möglicher Anfechtungsgegner bei der Außenvollmacht ist. 1. Der Wortlaut des § 143 Abs. 3 S.l BGB
Zum Teil wird unter Berufung auf den Wortlaut des § 143 Abs. 3 S. 1 BGB vertreten, daß eine Anfechtung der Außenvollmacht auch gegenüber dem Vertreter möglich sei: Anfechtungsgegner sei nach dieser Vorschrift derjenige, demgegenüber das anfechtbare Rechtsgeschäft "vorzunehmen war", nicht notwendig derjenige, demgegenüber es vorgenommen worden ist. Da die Bevollmächtigung sowohl dem Vertreter als auch dem Drittkontrahenten gegenüber erklärt werden kann (§ 167 Abs. 1 BGB), sei auch jeder von beiden möglicher Anfechtungsgegner4 • Diese Ansicht ist aber schon nach dem Wortlaut des § 143 Abs. 3 S. 1 BGB nicht zwingend: der Relativsatz kann ebenso eine Umschreibung für ein empfangsbedürftiges einseitiges Rechtsgeschäft seinS, also der Abgrenzung zu den einseitigen Rechtsgeschäften "anderer Art" des § 143 Abs. 4 BGB dienen. 2 Ganz h. M., z.B. Staudinger / Dilcher, § 167, Rdn.l0 und 12; Enneccerus / Nipperdey, BGB AT, § 184 I, Ir; Thiele, in: MünchKomm., § 167 Rdn.l, 4. A. A. Siebenhaar, AcP 162 (1963), 354ff.; dazu schon oben § 3 C Ir. 3 Allgem. Ansicht, statt aller Staudinger / Coing, § 143, Rdn.l0; Staudinger / Dilcher, § 167, Rdn. 79, und § 143, Rdn.l0; Flume, BGB AT Ir. § 31, 5 bund § 52, 5 c; Soergel / Hefermehl, § 143, Rdn.l0; Palandt / Heinrichs, § 167, Anm. lc; Medicus, BGB AT, Rz. 944; Soergel / Schultze-v. Lasaulx, § 166, Rdn. 22. 4 Enneccerus / Nipperdey, BGB AT, § 203 III 8; vgl. auch Planck / Flad, § 167, Anm.4b. 5 Flume, BGB AT H, § 52, 5 c.
42
§ 4 Anfechtungsgegner und Ersatzansprüche
Daß die zuletzt genannte Interpretation zutreffend ist, erweist die Gesetzgebungsgeschichte6 ; Hieß es im ersten Entwurf in § 113 Abs. 2, daß Anfechtungsgegner "bei einem einseitigen Rechtsgeschäfte, dessen Wirksamkeit davon abhängt, daß es gegenüber einem Betheiligten vorgenommen wird, der Betheiligte ... " sei, so kommt darin klar zum Ausdruck, daß die Anfechtung dem zu erklären ist, der (tatsächlich) Empfänger der Erklärung war. Anhaltspunkte dafür, daß die spätere sprachliche Änderung auch inhaltliche Auswirkungen haben sollte, lassen sich den Materialien nicht entnehmen. Im übrigen wäre bei einer anderen Auslegung des § 143 Abs. 3 S. 1 BGB der folgende S. 2 überflüssig 7 ; Wenn schon nach S.l gegenüber dem möglichen Erklärungsempfänger angefochten werden könnte, bräuchte dies S. 2 nicht besonders herauszustellen.
2. Der Rechtsgedanke des § 168 S. 3 BGB Auch ist versucht worden, die Möglichkeit einer Anfechtung der Außenvollmacht gegenüber dem Vertreter damit zu begründen, daß gern. § 168 S. 3 BGB in Verbindung mit § 167 Abs.1 BGB die Vollmacht in jedem Fall sowohl gegenüber dem Vertreter als auch gegenüber dem Vertrags partner widerrufen werden könne 8 . Jedoch kann die Rechtslage im Fall der Anfechtung und des Widerrufs nicht verglichen werden 9 ; Beim Widerruf der Vollmacht geht es allein darum, die Vertretungsmacht für die Zukunft zu beseitigen. Dagegen soll durch die Anfechtung der Vollmachtgeber im Ergebnis von den Wirkungen eines ihn sonst treffenden Geschäftes befreit werden lO •
3. Ergebnis Eine Anfechtung der Außenvollmacht ist deshalb allein gegenüber dem Drittkontrahenten möglich, dagegen scheidet eine Anfechtung gegenüber dem Vertreter selbst aus ll . Vgl. dazu Rosenberg, Stellvertretung, S. 723. Flume, BGB AT 11, § 52, 5 c. 8 Planck / Flad, § 167, Anm. 4 b. 9 Flume, BGB AT 11, § 52, 5 c. 10 Vergleichbar ist die Rechtslage von Widerruf und Anfechtung, wenn der Vertreter von der Vollmacht noch keinen Gebrauch gemacht hat; eine Anfechtung ist dann sowohl dem Vertreter als auch dem Drittkontrahenten gegenüber möglich; vgl. Soergel / Hefermehl, § 143, Rdn.10. 11 Ebenso z. B. Staudinger / Dilcher, § 167, Rdn. 79; Flume, BGB AT 11, § 52, 5 c; Frotz, Verkehrsschutz, S. 515; Soergel / Schultze-v. Lasaulx, § 166, Rdn. 22; Steffen, in: BGB-RGRK. § 167, Rdn. 27; Thiele, in: MünchKomm., § 167, Rdn. 84. 6
7
B. Anfechtungsgegner bei der Innenvollmacht
43
B. Der Anfechtungsgegner (§ 143 BGB) bei der Innenvollmacht (§ 167 Abs.l1. Alt. BGB) Auch bei der Innenvollmacht sind als Anfechtungsgegner sowohl der Vertreter als auch der Drittkontrahent denkbar. Da § 143 Abs. 3 S.l BGB so auszulegen ist, daß die Anfechtung dem zu erklären ist, demgegenüber das einseitige Rechtsgeschäft (tatsächlich) vorgenommen wurde 12 , läßt sich mit dieser Vorschrift nicht begründen, die Innenvollmacht sei auch gegenüber dem Drittkontrahenten anfechtbar. Gleiches gilt für § 168 BGB. Flume 13 will eine Anfechtung der Innenvollmacht gegenüber dem Drittkontrahenten mit der Begründung zulassen, bei der Innenvollmacht gebe der Vertreter die Bevollmächtigungserklärung gleich einem Boten an seinen Vertragspartner weiter; damit sei die Bevollmächtigung eine dem Dritten überbrachte Erklärung des Vollmachtgebers. Sie sei deshalb gegenüber dem Drittkontrahenten anfechtbar 14 •15 . Diese Argumentation Flumes überzeugt jedoch nicht. Würde man sie verallgemeinern, so führte dies dazu, daß es nur Außenvollmachten gäbe, aber keine Innenvollmachten - ein Ergebnis, das mit § 167 Abs.1 BGB offensichtlich unvereinbar ist1 6 • Eine Zwischenposition bezieht Köhler l7 . Er erkennt, daß Anfechtungsgegner nach § 143 Abs. 3 S.l BGB der Vertreter ist. Weil aber der Geschäftsgegner ein legitimes Interesse daran habe, von der Anfechtung der Innenvollmacht zu erfahren, sei die Anfechtung auch ihm zu erklären. - Hierauf ist zu entgegnen: Um dem Interesse des Gegners an einer Information über die (erfolgte) Anfechtung gerecht zu werden, bedarf es nicht der (förmlichen) Anfechtung, sondern einer (schlichten) Mitteilung durch den Vertretenen oder den Vertreter. Da diese ein eigenes Interesse daran haben, den Vertragspartner baldmöglichst über die Anfechtung zu informieren, um den von ihnen gern. §§ 122, 179 BGB zu ersetzenden Schaden 18 möglichst gering Vgl. oben § 4 A H. BGB AT H, § 52, 5 c; ihm folgt Fabricius, Rechtsfall, S. 67 ff. Ähnlich Pawlowski, BGB AT, Rdn. 741, 743f. 14 1. E. ebenso z.B. Staudinger / Dilcher, § 167, Rdn. 79, und Vorbem. vor §§ 116 144, Rdn. 39; Enneccerus / Nipperdey, BGB AT, § 203 III 8. 15 Larenz, BGB AT, § 31 H; Medicus, Bürgerliches Recht, Rz. 96; ders., BGB AT, Rz. 945; Müller-Freienfels, Vertretung, S. 403f., lassen eine Anfechtung nur gegenüber dem Dritten zu. Ebenso Hellwig, ZZP 29 (1901), 520 ff., der in jeder Vollmacht eine Außenvollmacht sieht, die ggf. vom Vertreter als Boten überbracht werde. 16 Vgl. Canaris, Vertrauenshaftung, S. 546, Fn. 26; zustimmend Thiele, in: MünchKomm., § 167, Rdn. 85; a.A. aber Hellwig, ZZP 29 (1901), 520ff. 17 BGB AT, § 18 III 4. 18 Dazu sogleich D. 12
13
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§ 4 Anfechtungsgegner und Ersatzansprüche
zu halten, ist es auch nicht erforderlich, auf diese Mitteilung die Ausschlußfrist des § 121 Abs.1 BGB anzuwenden. Alleiniger Anfechtungsgegner bei der Innenvollmacht ist also der Vertreter 19 . C. Die Ersatzansprüche aus § 122 BGB und aus § 179 BGB bei der Anfechtung der Außenvollmacht I. Die Haftung des Vollmachtgebers aus § 122 BGB
Wird eine Außenvollmacht wegen eines Irrtums gem. § 119 BGB angefochten - was allein gegenüber dem Vertragspartner des Vertreters möglich ist 20 -, ist der Vollmachtgeber gem. § 122 Abs. 1 BGB dem Vertragspartner zum Ersatz des negativen Interesses verpflichtet 21 . 11. Die Haftung des Vertreters aus § 179 BGB
Problematisch und umstritten ist, ob dem Vertragspartner des Vertreters neben dem Vollmachtgeber auch der Vertreter haftet. Dieser könnte aus § 179 BGB schadensersatzpflichtig sein.
1. Der Wortlaut des § 179 BGB Gem. § 142 Abs. 1 BGB hat die Anfechtung der Außenvollmacht zur Folge, daß die Bevollmächtigung als von Anfang an nichtig anzusehen ist. Demgemäß hat der Vertreter das Geschäft mit dem Drittkontrahenten ohne Vertretungsmacht geschlossen. Nach dem Wortlaut des § 179 BGB liegen damit die Voraussetzungen für eine Haftung des Vertreters nach dieser Vorschrift vor. Es wird denn auch im Schrifttum vielfältig bei einer angefochtenen Außenvollmacht neben der Haftung des Vollmachtgebers aus § 122 Abs.1 BGB eine solche des Vertreters aus § 179 BGB bejaht 22 •
2. Restriktion des § 179 BGB Dieses mit dem Wortlaut des Gesetzes übereinstimmende Ergebnis bedarf aber teilweise der Korrektur. 19 So auch Staudinger / Coing, § 143, Rdn.l0; Palandt / Heinrichs, § 167, Anm.l c; Soergel / Schultze-v. Lasaulx, § 166, Rdn.23; Steffen, in: BGB-RGRK, § 167, Rdn. 27; Thiele, in: MünchKomm., § 167, Rdn. 85; Hübner, BGB AT, Rdn. 646. 20 Vgl. oben § 4 A 11. 21 Allgern. Meinung; z.B. Canaris, Vertrauenshaftung, S.114f., 535, 545f.; Staudinger / Dilcher, § 167, Rdn. 8lf.; Flurne, BGB AT II, § 52, 5 c; Frotz, Verkehrsschutz, S.515; Medicus, BGB AT, Rz. 944; Soergel/ Schultze-v. Lasaulx, § 166, Rdn. 22; Thiele, in: MünchKomm., § 167, Rdn. 84.
C. Ersatzansprüche bei Anfechtung der Außenvollmacht
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a) Unkenntnis des Vertreters von der Anfechtbarkeit Hat der Vertreter die Anfechtbarkeit der Außenvollmacht nicht gekannt, so scheidet seine Haftung aus § 179 Abs. 2 BGB aus. Insoweit ist diese Vorschrift teleologisch zu reduzieren. Die Haftung aus § 179 Abs. 2 BGB ist eine verschuldensunabhängige 23 reine Vertrauenshaftung24 , die ihre Rechtfertigung darin findet, daß der Vertreter für die Wahrheit seiner (ausdrücklichen oder konkludenten) Behauptung, Vertretungsmacht zu haben, einzustehen hat 25 ,26. Bei einer Außenvollmacht gründet das rechtlich schützenswerte Vertrauen des Vertragspartners des Vertreters aber allein auf einem Verhalten des Vollmachtgebers, nämlich der Bevollmächtigungserklärung, nicht aber auf einer ausdrücklichen oder konkludenten Behauptung des Vertreters, Vertretungsmacht zu haben. § 179 Abs. 2 BGB auch auf die Außenvollmacht anzuwenden, würde bedeuten, daß der Vertreter für die Wahrheit der Behauptung eines Dritten (des Vollmachtgebers) einzustehen hätte - ein Ergebnis, welches der in § 179 Abs. 2 BGB zum Ausdruck gekommenen Wertung des Gesetzes widerspricht. Außerdem ist im Interesse des Drittkontrahenten eine Haftung des Vertreters neben der des Vollmachtgebers nicht erforderlich. Denn der Geschäftspartner hat allein damit rechnen dürfen, daß ihm der Vollmachtgeber aus dem Geschäft haftet. Ist die Bevollmächtigung anfechtbar, ist kein Grund ersichtlich, den Drittkontrahenten dadurch zu privilegieren, daß ihm nunmehr zwei Personen - wenngleich nur auf das negative Interesse - haften. Deshalb ist § 179 Abs. 2 BGB entsprechend der gesetzlichen Wertung dahin einzuschränken, daß die Vorschrift bei der Anfechtung einer Außenvollmacht nicht zur Anwendung kommt 27 ,28. 22 Staudinger / Dilcher, § 167, Rdn. 8lf.; Frotz, Verkehrsschutz, S. 325f.; Enneccerus / Nipperdey, BGB AT, § 203 III 8; Soergel/ Schultze-v. Lasaulx, § 166, Rdn. 22. 23 RGZ 106, 68, 73f.; Staudinger / Dilcher, § 179, Rdn.ll; Larenz, BGB AT, § 32 II; Soergel / Leptien, § 179, Rdn.18; Steffen, in: BGB-RGRK, § 179, Rdn. 6; van Venroy, AcP, 181 (1981), 220, 226. 24 Einhellige Meinung, z.B. RGZ 106, 68, 73; BGHZ 32, 250, 254; 39, 45, 51; BGH WM 1977, 478; Staudinger / Dilcher, § 179, Rdn. 3; Larenz, BGB AT, § 32 II; Soergel/ Leptien, § 179, Rdn.1; Thiele, in: MünchKomm., § 179, Rdn. 2; van Venrooy, AcP 181 (1981),220, 226. 25 Die Materialien sprechen insoweit von einem gewissermaßen stillschweigenden Garantieversprechen; s. Motive I, S. 244 = Mugdan I, S. 487f. 26 BGHZ 39, 45, 51; Erman / Brox, § 179, Rdn.1; Staudinger / Coing, § 179, Rdn. 3; Staudinger / Dilcher, § 179, Rdn. 2; Flume, BGB AT II, § 47, 3a; Ostheim, AcP 169 (1969), 193, 215f.; Thiele, in: MünchKomm., § 179, Rdn.1; v. Tuhr, BGB AT II 2, S.447. 27 So auch Canaris, Vertrauenshaftung, S. 535, Fn. 53; Thiele, in: MünchKomm., § 167, Rdn. 84, und § 179, Rdn. 7 (ohne zwischen Abs.1 und Abs. 2 des § 179 BGB zu differenzieren). 28 Da dem Vertreter also kein Schaden entsteht, scheidet ein Anspruch des Vertreters gegen den Vollmachtgeber aus § 122 BGB aus. A.A. z.B. Palandt / Heinrichs, § 167 BGB, Anm.1 c.
§ 4 Anfechtungsgegner und Ersatzansprüche
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b) Kenntnis des Vertreters von der Anfechtbarkeit Anders dagegen ist die Rechtslage zu beurteilen, wenn der Vertreter die Anfechtbarkeit der Außenvollmacht kannte. Hier steht, da gern. § 142 Abs. 2 BGB die Kenntnis der Anfechtbarkeit der Kenntnis der Nichtigkeit gleichsteht, die Haftung des Vertreters aus § 179 Abs.1 BGB auf Erfüllung oder auf das positive Interesse in Frage. Zwar trifft auch hier der oben genannte Grundgedanke des § 179 BGB Einstandspflicht des Vertreters für seine Behauptung, Vertretungsmacht zu haben - nicht zu. Gleichwohl ist der Vertreter hier nicht schutzwürdig: Indem er in Kenntnis der Anfechtbarkeit der Vollmacht von dieser Gebrauch macht, ohne den Drittkontrahenten hierüber aufzuklären, nimmt er bewußt das Anfechtungsrisiko auf sich. Die Rechtslage ist nicht anders zu beurteilen, als hätte der Vertreter von vornherein ohne Vertretungsmacht gehandelt und dabei das Risiko der Verweigerung der Genehmigung auf sich genommen. Deshalb haftet der Vertreter, wenn er die Anfechtbarkeit der Außenvollmacht kennt, dem Drittkontrahenten aus § 179 Abs. 1 BGB. c) Das Verhältnis der Haftung des Vertreters zu der des Vollmachtgebers Sind die Voraussetzungen sowohl für eine Haftung des Vertreters als auch einer solchen des Vollmachtgebers erfüllt, gilt es, das Verhältnis dieser Ansprüche zueinander zu klären. Die Ansprüche des Drittkontrahenten gründen auf das enttäuschte Vertrauen auf den Bestand der Vertretungsmacht. Deshalb darf er durch die Ersatzansprüche gegen den Vertreter und den Vollmachtgeber nicht besser gestellt werden, als er stehen würde, wenn die Vertretungsmacht bestünde. Dies bedeutet: Der Vertragspartner des Vertreters kann auch vom Vertreter Erfüllung oder Schadensersatz nur insoweit verlangen, als diese Ansprüche gegen den Vertretenen durchsetzbar gewesen wären 29 . Hat der Vertreter seinem Vertragspartner die Verpflichtung aus § 179 Abs. 1 BGB erfüllt, entfällt die Haftung des Vollmachtgebers. Hat dieser dem Drittkontrahenten das negative Interesse ersetzt, haftet der Vertreter aus § 179 Abs. 1 BGB nur noch auf die Differenz zwischen dem negativen und dem positiven Interesse. Weitaus schwieriger zu beurteilen ist das Innenverhältnis zwischen dem Vollmachtgeber und dem Vertreter. Ein angemessener Interessenausgleich scheint weder dann gegeben, wenn der Vollmachtgeber letztlich allein den Schaden des Drittkontrahenten zu tragen hätte 30 , noch wenn diese VerFrotz, Verkehrsschutz, S. 119f. Dies kommt allerdings nur in Betracht, sofern sich das negative und das positive Interesse decken. 29
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D. Ersatzansprüche bei Anfechtung der Innenvollmacht
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pflichtung letztlich den Vertreter treffen würde. Denn erst durch das Zusammentreffen beider Fehlverhalten ist die Ersatzpflicht ausgelöst worden. Den Vertreter, der die Anfechtbarkeit der Außenvollmacht positiv gekannt hat, allein den Schaden tragen zu lassen, befriedigt deshalb nicht, weil er möglicherweise mit bestem Wissen darauf vertraut hat, der Vollmachtgeber werde die Vollmacht nicht anfechten. Deshalb hat der anfechtende Vollmachtgeber dem Vertragspartner des Vertreters das negative Interesse zu ersetzen; der Vertreter haftet allein auf das dieses übersteigende Interesse. Wird der Vertreter von seinem Vertragspartner auf das (volle) positive Interesse in Anspruch genommen, so muß er sich über den Zessionsregreß analog § 255 BGB beim Vertretenen schadlos halten, soweit dieser haftet (negatives Interesse)31. D. Die Ersatzansprüche aus § 122 BGB und aus § 179 BGB bei Anfechtung der Innenvollmacht I. Die Haftung des Vertreters aus § 179 BGB
Wird eine Innenvollmacht vom Vollmachtgeber wegen eines Irrtums angefochten, ist diese gern. § 142 Abs.l BGB als von Anfang an nichtig anzusehen. Der Vertreter hat also die Vertretergeschäfte ohne Vertretungsmacht geschlossen. Genehmigt der Vertretene ein Vertretergeschäft nicht (§ 177 BGB)32, ist der Vertreter nach dem Wortlaut des Gesetzes seinem Vertragspartner aus § 179 BGB verpflichtet. Bei der Außenvollmacht hatte sich ergeben, daß der Vertreter im Fall der Anfechtung nicht aus § 179 Abs.2 BGB haftet3 3 . Dies hat seinen Grund darin, daß dem Vertreter nicht eine Haftung für die Wahrheit der Behauptung eines Dritten - des Vertretenen - auferlegt werden kann. Diese Einschränkung der Anwendbarkeit des § 179 Abs. 2 BGB greift bei der Innenvollmacht aber nicht durch: Der Vertreter, der in fremdem Namen mit seinem Vertragspartner kontrahiert, behauptet zumindest konkludent, er habe Vertretungsmacht. Wird die Vollmacht später angefochten, erweist sich seine eigene Behauptung, Vertretungsmacht zu haben, als falsch. Deshalb trifft ihn nicht eine Haftung für die Wahrheit einer fremden Behauptung, sondern für die seiner eigenen. Diese Haftung aber ist mit den Grundsätzen der Vertrauenshaftung vereinbar.
Vgl. zum Zessionsregreß Selb, Schadensbegriff, S. 21ff. Eine Genehmigung wird nur in Betracht kommen, wenn der Vertreter zumindest zwei Geschäfte aufgrund der Vollmacht abgeschlossen hat, da der Vollmachtgeber' sonst die Anfechtung unterlassen wird. 33 Vgl. oben § 4 eIl 2. 31
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§ 4 Anfechtungsgegner und Ersatzansprüche
Vornehmlich Flume34 sieht den Vertreter durch die Haftung aus § 179 BGB als überfordert an. Da auch Flume die Entscheidung des Gesetzgebers, daß die Haftung aus § 179 Abs. 2 BGB verschuldensunabhängig ist, als unumstößlich ansieht, will er die Haftung des Vertreters aus § 179 Abs. 2 BGB dann ausschließen, wenn der Mangel der Vertretungsmacht außerhalb jeder Erkenntnis- und Beurteilungsm6glichkeit des Vertreters lag. Flume35 hält diese Einschränkung der Haftung des Vertreters aus § 179 BGB bei der Anfechtung einer Innenvollmacht für erforderlich, um ein untragbares Ergebnis zu vermeiden - ein Gesichtspunkt, auf den später36 zurückzukommen ist. Außerdem glaubt Flume37 , daß der Normzweck des § 179 BGB eine Restriktion erfordere 38 : § 179 BGB ist nach dem Vorbild des § 122 BGB gestaltet worden 39 • Bei § 122 BGB rechtfertigt sich die Haftung daraus, daß sich der Ersatzpflichtige in einem - sei es auch schuldlosen - Irrtum über seine Erklärung befunden hat. Die Haftung aus § 179 Abs. 2 BGB treffe den Vertreter im Fall der Anfechtung aber nicht wegen eines eigenen, sondern wegen eines fremden Willensmangels. Jedoch anerkennt auch Flurne, daß es sich bei § 179 BGB um eine Haftung für die Wahrheit der Vollmachtsbehauptung handelt 40 • Auch wenn der Vertreter nicht in der Lage ist, die Unwahrheit seiner Behauptung zu erkennen, ist diese doch unwahr. Deshalb bürdet ihm das Gesetz die Haftung aus § 179 BGB zu Recht auf: denn der Vertreter steht dem Schaden stets näher als der Drittkontrahent, der der Vollmachtsbehauptung gutgläubig vertraute41 • Vielfach wird § 179 Abs. 2 BGB in einer weiteren Fallgruppe für unanwendbar erklärt, wenn nämlich der Vertreter die Tatsachen darlegt, auf denen seine Vertretungsmacht beruht42 . Denn dann habe der Drittkontrahent ebenso wie der Vertreter die Möglichkeit, den Mangel der Vertretungsmacht zu erkennen. Ob dem so allgemein zugestimmt werden kann, ist fraglich. Letztlich kommt es hierauf aber nicht an. Denn ein Tatsachenvortrag des Vertreters, aus dem der Mangel 34 BGB AT II, § 47, 3 c, und § 52, 5 e; zustimmend Soergel/ Leptien, § 179, Rdn.18; Ostheim, AcP 169 (1969), 193, 209; Hübner, BGB AT, Rdn. 646. 35 BGB AT II, § 52, 5 e. 36 Vgl. unten § 6 A II 2. 37 BGB AT II, § 47, 3 c. 38 Ähnlich Ostheim, AcP 169 (1969), 193,214. Da Ostheim, S. 208f., den Grund für die Haftung aus § 122 BGB aber im Ausgleich dafür ansieht, daß der Anfechtungsberechtigte selbst bindend entscheiden könne, ob er sich durch Anfechtung von seiner Erklärung löst oder nicht, bleibt letztlich offen, warum die Haftung des Vertreters nach § 179 Abs. 2 BGB bei der Vollmachtsanfechtung eingreifen soll: der Vertreter ist nie in der Lage, eine eigene Entscheidung darüber zu fällen, ob seine Erklärung für den Vertretenen bindend wird oder nicht. 39 Vgl. Protokolle I, S. 160 f. = Mugdan I, S. 75l. 40 BGB AT II, § 47, 3 a; vgl. schon oben § 4 ClImit Fn. 26. 41 Medicus, BGB AT, Rdn. 994; Larenz, BGB AT, § 32 II; Thiele, in: MünchKomm., § 179, Rdn. 3; vgl. auch Steffen, in: BGB-RGRK, § 179, Rdn. 6. 42 Z. B. BGHZ 39, 45, 51 f. für den Fall, daß das Gesetz, aus dem der Vertreter allein Vertretungsbefugnis herleitet, für verfassungswidrig erklärt wird; vgl. auch Enneccerus / Nipperdey, BGB AT, § 183 I 3 b, Fn. 22; v. Tuhr, BGB AT II 2, S. 447.
D. Ersatzansprüche bei Anfechtung der Innenvollmacht
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der Vertretungsmacht dem Dritten erkennbar ist, würde voraussetzen, daß dieser auch die tatsächlichen Voraussetzungen des Anfechtungsgrundes enthält. Dann aber würde wegen § 142 Abs. 2 BGB eine Haftung des Vertreters nach § 179 Abs. 3 S.1 BGB von vornherein ausscheiden.
Wird eine Innenvollmacht vom Vollmachtgeber wegen eines Irrtums angefochten, haftet somit der Vertreter seinem Vertragspartner aus § 179 BGB; auf die Möglichkeit, den Irrtum des Vollmachtgebers zu erkennen, kommt es für die Ersatzpflicht des Vertreters nicht an. 11. Die Haftung des Vertretenen gegenüber dem Dritten
Vielfach wird angenommen, der anfechtende Vollmachtgeber hafte dem Drittkontrahenten auch bei der Innenvollmacht gem. § 122 Abs. 1 BGB auf das negative Interesse; diese Haftung bestehe statt43 oder neben 44 der Haftung des Vertreters. Es hatte sich soeben45 ergeben, daß der Vertreter bei Anfechtung der Innenvollmacht seinem Vertragspartner aus § 179 BGB verpflichtet ist; deshalb kommt eine Haftung des Vollmachtgebers allenfalls neben der des Vertreters in Betracht. Dies würde voraussetzen, daß die Ersatzpflicht aus § 122 Abs. 1 BGB auch gegenüber der Person bestehen kann, die nicht Empfänger der angefochtenen Erklärung ist und der gegenüber auch die Anfechtung nicht erfolgen kann. Der Wortlaut des § 122 BGB erfaßt einen solchen Anspruch nicht. Danach ist bei empfangsbedürftigen Willenserklärungen allein der tatsächliche Erklärungsempfänger Gläubiger des Schadensersatzanspruchs46 , also bei der Innenvollmacht der Vertreter, nicht dessen Vertragspartner. Aber auch nach Sinn und Zweck des § 122 BGB kommt eine Haftung des anfechtenden Vollmachtgebers gegenüber dem Drittkontrahenten nicht in Betracht. § 122 BGB beinhaltet - ebenso wie § 179 Abs. 2 BGB47 - eine verschuldensunabhängige Vertrauenshaftung48 . Worauf diese Vertrauenshaftung 43 Hübner, BGB AT, Rdn. 646; Fabricius, Rechtsfall, S. 67ff.; Larenz, BGB AT, § 31 11; Medicus, BGB AT, Rz. 945; Ostheim, AcP 169 (1969), 193, 214f. Zum gleichen Ergebnis, aber von einem anderen Ausgangspunkt, kommen Müller-Freienfels, Vertretung, S. 404, und Rosenberg, Stellvertretung, S. 744. 44 Staudinger / Dilcher, § 167, Rdn. 82; Flurne, BGB AT 11, § 52,5 e; Palandt I Heinrichs, § 167, Anm.l c; Hoffmann, JuS 1970, 570, 571, Fn. 5; Soergell Schultze-v. Lasaulx, § 166, Rdn.23; Steffen, in: BGB-RGRK, § 167, Rdn. 26; Thiele, in: MünchKomm., § 167, Rdn. 85; Köhler, BGB AT, § 18 III 4. 45 Vgl. oben § 4 D I. 46 Aus dem Wortlaut wenn die Erklärung einem anderen gegenüber abzugeben war ... " läßt sich nichts anderes schließen. Hier gilt das oben § 4 All Gesagte entsprechend. 47 Vgl. dazu oben § 4 C 11. H'"
4 Stüsser
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§ 4 Anfechtungsgegner und Ersatzansprüche
sich gründet, ist allerdings umstritten. Vor allem die ältere Rechtsprechung49 und ein Teil der Lehre 50 sieht den Grund der Haftung in der kausalen Verknüpfung zwischen der irrigen Erklärung des Anfechtenden und dem Schaden des Erklärungsgegners, also im Veranlassungsprinzip. Demgegenüber sieht Flume 51 den entscheidenden Haftungsgrund darin, daß der Anfechtende "mit seiner Erklärung ,dem anderen' sein Wort gegeben hat. Wenn er schon nicht zu seinem Wort stehen muß, soll er wenigstens dafür einstehen, daß ,dem anderen' aus der Hingabe des Worts kein Schaden entsteht. " Wiederum abweichend sieht Frotz52 in § 122 BGB eine Haftung aus sozialer Verantwortung wegen "erfolgsqualifizierten mißverständlichen Verhaltens im rechtsgeschäftlichen Verkehr" aufgrund des auf Vertrauenserzeugung angelegten mißverständlichen Erklärungsverhaltens. Canaris 53 , der den § 122 BGB der Erklärungshaftung zuordnet, sieht das Risikoprinzip als das maßgebliche Zurechnungskriterium an 54 . So sehr sich diese Meinungen auch in einem Teilbereich unterscheiden, nehmen doch alle die gleiche Grundvoraussetzung für eine Haftung aus § 122 BGB an: die Schaffung eines Vertrauenstatbestandes, der vom Anfechtenden verursacht wird und beim Gläubiger Vertrauen erzeugt hat. Der Streit bezieht sich allein auf die zweite Stufe, warum der Vertrauenstatbestand dem Erklärenden zugerechnet wird. Fragt man bei der angefochtenen Innenvollmacht nach der Grundvoraussetzung der Haftung aus § 122 BGB, so stellt man fest, daß diese schon fehlt: Der Vollmachtgeber hat gegenüber dem Vertragspartner des Vertreters keinerlei Vertrauenstatbestand geschaffen; dieser hat sich allein auf die Erklärung des Vertreters verlassen. Eine Vertrauensbeziehung zwischen dem Vertretenen und dem Drittkontrahenten fehlt völlig: Weder hat der Vertretene eine Vertrauensinvestition des Dritten veranlaßt, noch hat er diesem sein Wort gegeben, noch sich diesem gegenüber mißverständlich verhalten oder ihm gegenüber eine unwahre Erklärung abgegeben. 48 Allgern. M., z.B. Canaris, Vertrauenshaftung, S. 510ff.; Flurne, BGB AT 11, § 21, 7; Frotz, Verkehrsschutz, S. 474f.; Enneccerus / Nipperdey, BGB AT, § 171 I; Larenz, BGB AT, § 2011 c; Kramer, in: MünchKomm., § 122, Rdn.1 f. 49 RGZ 81, 395, 399; BGH LM Nr.1 zu § 122 BGB. 50 Z.B. Staudinger / Coing, § 122, Rdn.2; Staudinger / Dilcher, § 122, Rdn.2; Planck / Flad, § 122, Fn.1. 51 BGB AT 11, § 21, 7. Ähnlich auch Ostheim, AcP 169 (1969), 193, 208f., der darauf abstellt, daß allein der Anfechtungsberechtigte die ihm günstigste Lösung wählen kann, indem er entweder seine Willenserklärung gelten läßt oder aber sich von seiner Erklärung durch Anfechtung lossagt. 52 Verkehrsschutz, S. 474f. 53 Vertrauenshaftung, S. 532ff. 54 Vertrauenshaftung, S. 479 ff., 535 und passim; ihm folgt z. B. Kramer, in: MünchKomm., § 122, Rdn. 3.
D. Ersatzansprüche bei Anfechtung der Innenvollmacht
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Die Bejahung einer Haftung des Vollmachtgebers gegenüber dem Vertragspartner des Vertreters aus § 122 BGB widerspricht deshalb auch dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift. Im Verhältnis des Drittkontrahenten zum Vollmachtgeber leuchtet diese Entscheidung des Gesetzes auch ohne weiteres ein: Da der Drittkontrahent allein auf die Erklärung des Vertreters vertraut hat, hat er nicht nur hinsichtlich des Bestehens der Vertretungsmacht auf eigenes Risiko gehandelt, er hat sich vielmehr auch Mängeln des Innenverhältnisses blind ausgesetzt55 . Da dem Vertragspartner des Vertreters keinerlei Ersatzansprüche gegen den Vollmachtgeber zustehen würden, wenn dem Vertreter eine Innenvollmacht nie erteilt worden ist, ist eine abweichende Behandlung bei der Anfechtung einer Innenvollmacht nicht angebracht. Oder anders gewendet: Eine Vertrauenshaftung kommt immer nur da in Betracht, wo auch tatsächlich vertraut worden ist. Deshalb scheidet eine Ersatzpflicht des Vollmachtgebers aus § 122 BGB gegenüber dem Drittkontrahenten bei der Anfechtung einer Innenvollmacht aus 56 . Die Vertreter der gegenteiligen Ansicht nehmen an, die Sinnbezogenheit der Vollmacht auf das Vertretergeschäft zwinge dazu, dem Drittkontrahenten unmittelbar einen Anspruch gegen den Vertretenen aus § 122 BGB zu gewähren 57. Die Sinnbezogenheit der Vollmacht auf das Vertretergeschäft wirkt sich bei der Vollmachtsanfechtung aber nur hinsichtlich der zu berücksichtigenden Irrtümer aus 58 . Sie rechtfertigt es aber nicht, eine dem System des Gesetzes widersprechende Schadensersatzlösung einzuführen, wenn der vom Gesetz vorgesehene Lösungsweg sich als wertungsmäßig sachgerecht erweist. Eine vom Wortlaut des § 122 BGB abweichende Behandlung ließe sich deshalb allein noch damit rechtfertigen, daß sonst die Anfechtung einer Innenvollmacht andere Rechtsfolgen nach sich zieht als die einer Außenvollmacht 59 • Das Gesetz enthält in §§ 170, 173 BGB eine spezielle Verkehrsschutzlösung nur für die Außenvollmacht, es vermeidet also eine Gleichbehandlung zwischen der Innen- und der Außenvollmacht, um damit der unterschiedlichen Vertrauenssituation gerecht zu werden. Dem gilt es auch bei der Vollmachtsanfechtung Rechnung zu tragen. Die unterschiedlichen Rechtsfolgen bei der Anfechtung einer Innen- und einer Außenvollmacht Vgl. Canaris, Vertrauenshaftung, S. 114; Lüderitz, JuS 1976, 765, 770. Canaris, Vertrauenshaftung, S. 114, 545f.; Lüderitz, JuS 1976, 765, 770. 57 Vgl. etwa Larenz, BGB AT, § 31 11; Soergel / Schultze-v. Lasaulx, § 166, Rdn. 23; Thiele, in: MünchKomm., § 167, Rdn. 85. 58 Vgl. unten § 6 B 11, C. 59 So Soergel / Schultze-v. Lasaulx, § 166, Rdn. 23. 55 56
4·
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§ 4 Anfechtungsgegner und Ersatzansprüche
widersprechen also nicht dem Gesetz, sondern sind in diesem selbst angelegt. Damit ist das Ergebnis gewonnen, daß bei der Anfechtung einer Innenvollmacht dem Vertragspartner des Vertreters allein Ansprüche gegen den Vertreter aus § 179 BGB zustehen; einen unmittelbaren Anspruch gegen den Vertretenen dagegen hat der Drittkontrahent nicht 60 ,61.
m.
Haftung des Vollmachtgebers gegenüber dem Vertreter
Die Innenvollmacht ist gegenüber dem Vertreter selbst anzufechten 62 • Deshalb steht dem Vertreter gegen den Vertretenen ein Schadensersatzanspruch aus § 122 Abs.1 BGB zu, wenn er die Anfechtbarkeit der Bevollmächtigung weder kannte noch kennen mußte (§ 122 Abs. 2 BGB). Ihm ist also vom Vertretenen der Schaden zu ersetzen, der ihm durch sein Vertrauen auf die Gültigkeit der Vollmacht entstanden ist, das negative Interesse. Der Schaden, den der Vertreter regelmäßig durch die Anfechtung einer Innenvollmacht erleidet, liegt darin, daß er seinerseits seinem Vertragspartner aus § 179 Abs.2 BGB ersatzpflichtig wird. Dieser Schaden ist dem Vertreter gem. § 122 Abs.1 BGB vom anfechtenden Vollmachtgeber zu ersetzen 63 ,64. IV. Ergebnis
Ficht der Vollmachtgeber eine Innenvollmacht wegen eines Irrtums gem. § 119 BGB an, haftet der Vertreter seinem Vertragspartner nach § 179 BGB; der Vertreter kann seinerseits vom Vollmachtgeber gem. § 122 Abs.1 BGB insoweit Ersatz verlangen, als er selbst dem Drittkontrahenten zum Schadensersatz verpflichtet ist. E. Der Anfechtungsgegner und die Ersatzansprüche bei der Bevollmächtigung durch öffentliche Bekanntmachung Im Gegensatz zu § 167 Abs.l BGB und § 170 BGB, nach deren Wortlaut eine Bevollmächtigung, die nicht dem Vertreter erklärt wird, gegenüber dem Drittkontrahenten zu erfolgen hat, spricht § 171 BGB einer Vollmachtsmitteilung durch öffentli60 So auch Canaris, Vertrauenshaftung, S. 114f., 545f.; Staudunger / Coing, § 167, Rdn. 28; Lüderitz, JuS 1976, 765, 770. 61 Entgegen der Ansicht von Lehmann / Hübner, BGB AT, § 36 IV 3 b, kommt aus den gleichen Gründen bei schuldhaftem Irrtum auch kein Anspruch aus culpa in contrahendo in Betracht. 62 Vgl. oben § 4 B. 63 Näher zum Anspruch des Vertreters gegen den Vertretenen unten § 6 All. 64 Ebenso Canaris, Vertrauenshaftung, S. 545f.; Lehmann / Hübner, BGB AT, § 36 IV 3 b; Lüderitz, JuS 1976, 765, 770. Zum gleichen Ergebnis kommt auch, wer einen Anspruch des Drittkontrahenten sowohl gegen den Vertreter als auch gegen den Vertretenen annimmt, z. B. Flume, BGB AT 11, § 52, 5 e; Soergel/ Schultze-v. Lasaulx, § 166, Rdn. 22.
A. Irrtümer über das Vertretergeschäft
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che Bekanntmachung die gleiche Wirkung zu wie der Mitteilung einer Bevollmächtigung an einen bestimmten Dritten. Aus dem Zusammenhang zwischen diesen Vorschriften folgt, daß neben der Außen- und Innenbevollmächtigung eine Vollmacht auch durch Erklärung an die Öffentlichkeit erteilt werden kann 65 . Für die Anfechtung einer solchen Bevollmächtigung durch öffentliche Bekanntmachung sowie die Ersatzansprüche aus §§ 122, 179 BGB gilt das zur Außenvollmacht Gesagte entsprechend: Die Anfechtung ist entweder gegenüber dem Vertragspartner des Vertreters oder durch öffentliche Bekanntmachung zu erklären. Der Vertretene haftet jedem Vertragspartner aus § 122 Abs.l BGB. Neben diesem haftet der Vertreter aus § 179 Abs.l BGB, wenn er die Anfechtbarkeit seiner Vollmacht kannte 66 •
§ 5 Die zur Anfechtung gern. § 119 BGB berechtigenden Irrtümer Wie bei jeder Willenserklärung ist auch bei einer Bevollmächtigung eine Abweichung des Inhalts der Erklärung vom Willen des Erklärenden denkbar. Bei der Bevollmächtigung lassen sich dabei vier Fallgruppen von solchen Abweichungen unterscheiden: Der Vollmachtgeber irrt über das vom Vertreter abzuschließende Rechtsgeschäft - Der Vollmachtgeber irrt über den Umfang der dem Vertreter eingeräumten Vollmacht - Der Vollmachtgeber erteilt irrtümlich einer anderen als der gewollten Person eine Vollmacht, oder er irrt über eine wesentliche Eigenschaft des Vertreters - Die Bevollmächtigung kann schließlich deshalb fehlerhaft sein, weil der Vollmachtgeber eine rechtsgeschäftliche Erklärung überhaupt nicht abgeben wollte. Inwieweit diese Abweichungen von Willen und Erklärung den Vollmachtgeber zur Anfechtung der Vollmacht berechtigen, soll im folgenden anhand dieser Fallgruppen geprüft werden, nicht nach den Irrtumsarten des § 119 BGB. Dadurch soll vermieden werden, daß einzelne Probleme aus dem Zusammenhang gerissen werden. A. Irrtümer des Vollmachtgebers über das Vertretergeschäft
Häufig berechtigen Vollmachten, besonders wenn sie von Nicht-Kaufleuten erteilt sind, nur zum Abschluß eines oder mehrerer bestimmter 65 Heute einhellige M., z.B. Staudinger / Coing, § 167, Rdn. 6; Staudinger / Dilcher, § 167, Rdn. 12; Frotz, Verkehrsschutz, S. 269f.; Manigk, Vollmachten, S. 607; Thiele, in: MünchKomm., § 167, Rdn.l0, A. A. noch v. Seeler, ArchBürgR 28 (1906), 1, 39; K. Weber, Handlungen, S. 13f. . 66 Vgl. oben A und C.
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§ 5 Zur Anfechtung gern. § 119 BGB berechtigende Irrtümer
Geschäfte. Dann ist die Bezeichnung des Vertretergeschäfts Bestandteil der Bevollmächtigung; ein Irrtum über das Vertretergeschäft betrifft also unmittelbar den Inhalt der Bevollmächtigungserklärung. Ob aber wegen eines solchen Irrtums die Bevollmächtigung selbst anfechtbar ist, richtet sich danach, ob die Voraussetzungen des § 119 BGB für diese erfüllt sind. I. Der geschäftsbezogene Irrtum als Erklärungsirrtum für die Vollmacht
Ein Irrtum des Vollmachtgebers hinsichtlich des Vertretergeschäfts kann sich bei der Vollmacht als Erklärungsirrtum, § 119 Abs.l 2. Alt. BGB, auswirken. Das ist dann der Fall, wenn aufgrund eines Versprechens oder Verschreibens die Vollmacht einen vom Willen des Vollmachtgebers abweichenden Inhalt erhält. Wegen eines solchen Irrtums ist der Vollmachtgeber zur Anfechtung der Vollmacht dann berechtigt, wenn der Irrtum für die Vollmacht erheblich ist, § 119 Abs.l a.E. BGB. Beispiel 1: VG möchte seiner Frau zum Geburtstag einen Roman ihres Lieblingsautors Thomas Mann schenken. Versehentlich bevollmächtigt er seinen Freund V, ein Buch von Heinrich Mann zu kaufen. Den "Mephisto", den V gekauft hat, möchte VG nicht bezahlen. Beispiel 2: VG, der seinen gebrauchten Pkw zu einem Mindestpreis von 6500 DM verkaufen möchte, verschreibt sich bei der Bevollmächtigung des V und nennt als Mindestverkaufspreis 5600 DM. 11. Der geschäftsbezogene Irrtum als Inhaltsirrtum für die Vollmacht
Ein geschäftsbezogener Irrtum des Vollmachtgebers kann sich auf die Vollmacht auch als Inhaltsirrtum auswirken, wenn durch den Irrtum die Vollmacht einen vom Willen des Vollmachtgebers abweichenden Inhalt erhält, obwohl der Vollmachtgeber genau die Erklärungszeichen gesetzt hat, die er hat setzen wollen, wenn die Erklärung also objektiv einen anderen Inhalt hat, als der Erklärende ihr beimißt. Ist dieser Irrtum für die Vollmacht erheblich (§ 119 Abs.l a.E. BGB), kann sich der Vollmachtgeber durch Anfechtung nach § 119 Abs. 1 1. Alt. BGB von dieser lösen. Beispiel: Zu Beginn seines Studiums erklärt der VG dem V, daß er sich eine juristische Handbibliothek aufbauen wolle. Er bevollmächtigt V, ihm Literatur zum BGB "zu besorgen", meint dabei aber zunächst nur zu entleihen. V kauft im Namen des VG einen Kurzkommentar zum BGB oder ein Lehrbuch.
A. Irrtümer über das Vertretergeschäft
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Der geschäftsbezogene Irrtum ohne rechtserhebliche Auswirkung auf die Vollmacht
1. Die Folgen für die Anfechtbarkeit der Vollmacht Nicht jeder Irrtum des Vollmachtgebers über das Vertretergeschäft führt dazu, daß der Vollmacht selbst ein rechtserheblicher Irrtum anhaftet. Vielmehr kann ein solcher Irrtum für die Vollmacht lediglich ein Motivirrtum sein, der den Vollmachtgeber nicht zur Anfechtung der Vollmacht berechtigt. Beispiel: Der VG bevollmächtigt seine Haushälterin V, die P als Putzhilfe anzustellen. V weiß, daß P mehrfach wegen Diebstahls vorbestraft ist; dies weiß allerdings VG nicht.
Im Beispiel ist der Irrtum des Vollmachtgebers über das Vertretergeschäft allein Motiv dafür gewesen, der V diese Vollmacht zu erteilen. Hinsichtlich der Vollmacht selbst liegt weder ein Inhalts- noch ein Erklärungsirrtum noch ein Irrtum gern. § 119 Abs. 2 BGB vor. Deshalb kann der Vollmachtgeber die Vollmacht nicht nach § 119 BGB anfechten.
2. Die Folgen für die Anfechtbarkeit des Vertretergeschäfts Wirkt sich ein Irrtum des Vollmachtgebers über das Vertretergeschäft für die Vollmacht selbst nicht rechtserheblich aus, so kommt immer noch eine Anfechtung des Vertretergeschäfts selbst wegen dieses Irrtums in Frage. Im Beispiel könnte deshalb das Vertretergeschäft gern. § 119 Abs. 2 BGB wegen eines Irrtums über eine wesentliche Eigenschaft der P angefochten werden. Nach § 166 Abs.l BGB berechtigen nur Willensmängel des Vertreters, nicht aber solche des Vollmachtgebers zur Anfechtung des Vertretergeschäfts. Jedoch ergibt sich aus den Regelungen in § 166 Abs. 1 und Abs. 2 BGB der Grundgedanke, daß für die Rechtsfolgen einer Erklärung stets die Person und Bewußtseinslage desjenigen entscheidend ist, auf dessen Entschließung der Geschäftsabschluß beruht: Im Fall des § 166 Abs.l 1. Alt. BGB ist der Willensmangel des selbständig handelnden Vertreters beachtlich; die Kenntnis des selbständig handelnden Vertreters muß sich deshalb der Vollmachtgeber ebenfalls entgegenhalten lassen, § 166 Abs.l 2. Alt. BGB. Handelt der Vertreter auf Weisung des Vertretenen, hat der Geschäftsentschluß also beim Vollmachtgeber stattgefunden, darf sich dieser nicht auf Unkenntnis des Vertreters berufen, § 166 Abs. 2 BGB. Entsprechend diesem Grundgedanken ist § 166 BGB analog auch auf einen Willensmangel des Vollmachtgebers anzuwenden, wenn der Vertreter nach den Weisungen des Vollmachtgebers gehandelt hat!. Im Beispielsfall hat allein der Vollmachtgeber den Entschluß zum Vertretergeschäft gefaßt; sein Irrtum ist für das Vertretergeschäft kausal geworden. Analog § 166 BGB ist der Vollmachtgeber deshalb berechtigt, das Vertretergeschäft anzufechten2 • 1 BGHZ 51, 141, 146f.; Medicus, BGB AT, Rz. 899, 902; Müller-Freienfels, Vertretung, S. 406f.; Thiele, in: MünchKomm., § 166, Rdn. 41. 2 Ob im Beispielsfall die Anfechtung ex tunc wirkt oder nach Arbeitsaufnahme nur ex nunc, ist für diese Untersuchung unerheblich; vgl. dazu z.B. BAG AP Nr. 3 zu § 119
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§ 5 Zur Anfechtung gern. § 119 BGB berechtigende Irrtümer
B. Irrtümer des Vollmachtgebers über den Umfang der Vollmacht Ein Irrtum des Vollmachtgebers bei der Bevollmächtigung kann sich ebenfalls auf den Umfang der dem Vertreter einzuräumenden Vertretungsmacht beziehen. So wäre es etwa, wenn der Prinzipal dem Vertreter eine Spezialhandlungsvollmacht (§ 54 Abs. 1 1. Alt. HGB) erteilen will, irrtümlich aber eine Generalhandlungsvollmacht (§ 54 Abs. 1 3. Alt. HGB) erteilt. Beruht dieser Irrtum des Prinzipals darauf, daß er sich verschreibt oder verspricht, liegt ein Erklärungsirrtum vor, der den Vollmachtgeber gern. § 119 Abs.l 2. Alt. BGB zur Anfechtung berechtigt, sofern dieser Irrtum erheblich ist (§ 119 Abs. 1 a. E. BGB). Ein solcher Irrtum ist auch als Inhaltsirrtum denkbar, wenn sich der Prinzipal über die Bedeutung des Begriffs "Generalhandlungsvollmacht" irrt. Hat der Vollmachtgeber objektiv dem Vertreter eine Vollmacht größeren Umfangs eingeräumt, als er wollte, ist der Irrtum erheblich i.S. v. § 119 Abs.l a.E. BGB. Deshalb ist der Vollmachtgeber zur Anfechtung seiner Bevollmächtigung berechtigt. C. Irrtümer des Vollmachtgebers über die Person oder eine Eigenschaft des Vertreters I. Die Vereinbarkeit der Anfechtung wegen personenbezogener Irrtümer mit dem Wesen der Vollmacht
Ob überhaupt Irrtümer, die sich auf die Person oder eine Eigenschaft des Vertreters beziehen, zur Anfechtung der Vollmacht berechtigen können, ist umstritten. Mit Nachdruck hat Rosenberg 3 mit dem Wesen der Vollmacht zu begründen versucht, daß eine Anfechtung wegen Irrtümern über die Person oder eine Eigenschaft des Vertreters nicht möglich sei: Wie schon oben 4 erwähnt, sieht Rosenberg das Wesen der Vollmacht darin, diese sei Zustimmungserklärung zu den vom Vertreter erzeugten Rechtswirkungen, zu den Ergebnissen des Vertreterhandelns 5 • Dagegen bewirke die Vollmacht nicht, daß subjektive Beziehungen zwischen dem Vollmachtgeber und dem Vertreter geknüpft würden, insbesondere werde dem Vertreter keine "Macht" zu fremdbestimmtem Handeln eingeräumt. Deshalb käme auch eine Anfechtung der Vollmacht wegen vertreterbezogener Irrtümer nicht in Betracht 6, 7. BGB m. Anm. Küchenhoff; BAG NJW 1984, 446, 447; Zöllner, Arbeitsrecht, § 11 II 1 b; Picker, ZfA 1981, 1. 3 Stellvertretung, S. 136, 142f., 736f. 4 Vgl. oben § 3 C III. 5 Stellvertretung, S. 127, 136, 142f., 560, 736f. 6 Im Ergebnis ebenso Brox, JA 1980, 449, 452.
C. Vertreterbezogene Irrtümer
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Die Auffassung Rosenbergs ist schon mit der Wirklichkeit nicht vereinbar. Es leuchtet nicht ein, daß der Vollmachtgeber die Wirkungen fremden HandeIns für sich als verbindlich erklärt ohne Rücksicht auf die Person des Handelnden: Dessen Persönlichkeit ist gerade dafür ausschlaggebend, daß ihm Vollmacht erteilt wird. Der Vollmachtgeber will die Vertretungsfolgen gerade über die Person des Vertreters 8 . Deshalb steht das Wesen der Vollmacht einer Anfechtung wegen eines Irrtums über die Person oder eine Eigenschaft des Vertreters nicht entgegen, eine Anfechtung ist vielmehr auch aus diesen Gründen zulässig 9 . ll. Der error in persona
Will der Vollmachtgeber einer ganz bestimmten Person Vollmacht erteilen, richtet sich seine Bevollmächtigungserklärung aber objektiv an eine andere Person, ist seine Erklärung von einem Inhaltsirrtum, § 119 Abs.l 1. Alt. BGB, beeinflußt; es handelt sich um einen sog. error in persona 10. Dieser Irrtum berechtigt den Vertretenen nach dem Wortlaut des § 119 Abs.l BGB zur Anfechtung seiner Vollmachtserklärung, " ... wenn anzunehmen ist, daß er sie bei Kenntnis der Sache und bei verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben haben würde." Eine Anfechtung ist also nur dann zulässig, wenn der Irrtum des Vollmachtgebers subjektiv und objektiv erheblich ist. Ob diese Voraussetzung erfüllt ist, ist eine Frage des Einzelfalls. Insbesondere dann, wenn nach der konkreten Art des Vertretergeschäfts ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen dem Vollmachtgeber und dem Vertreter erforderlich ist, wird ein solcher error in persona subjektiv und objektiv erheblich sein und damit zur Anfechtung der Vollmacht berechtigen.
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Der Eigenschaftsirrtum gern. § 119 Abs. 2 BGB
Ein Irrtum i. S. v. § 119 Abs. 1 BGB liegt dann nicht vor, wenn der Vollmachtgeber vom Vorhandensein (bzw. Nichtvorhandensein) bestimmter persönlicher Eigenschaften des Vertreters ausgeht, z.B. von einer besonde7 Daß Flurne, BGB AT II, § 52, 5 c, Fußn. 31, grundsätzlich wegen eines Irrtums über eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Vertreters die Anfechtung der Vollmacht nicht zulassen will, beruht darauf, daß Flume die Frage der Anfechtung nicht von der Vollmacht, sondern vom Vertretergeschäft aus beurteilt. e Müller-Freienfels, Vertretung, S. 404 Fn. 3I. 9 So auch RG SeuffArch 61, Nr. 42; Fabricius, Rechtsfall, S. 67 ff.; Frotz, Verkehrsschutz, S. 515; Hupka, Vollmacht, S.136; Thiele, in: MünchKomm., § 167, Rdn. 8I. Ebenso, aber von einem anderen Ausgangspunkt, Müller-Freienfels, Vertretung, S. 404 Fn. 3I. 10 Enneccerus / Nipperdey, BGB AT, § 167 IV 2; Kramer, in: MünchKomm., § 119, Rdn.65.
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ren Sachkunde oder Zuverlässigkeit, diese Eigenschaft aber dem Vertreter fehlt (bzw. doch vorhanden ist). In diesen Fällen kommt aber eine Anfechtung gern. § 119 Abs. 2 BGB wegen eines Irrtums über eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Vertreters in Betracht. Die dogmatische Grundlage des § 119 Abs. 2 BGB ist seit Inkrafttreten des BGB umstritten; bis heute hat sich keine Meinung durchzusetzen vermocht. Einigkeit besteht im wesentlichen nur darüber, daß die Regelung des § 119 Abs. 2 BGB mißglückt ist 11 . Der Streit um § 119 Abs. 2 BGB ist dabei kein rein akademischer. Im Vordergrund des Interesses steht dabei vielmehr die sinnvolle Beschränkung des Anwendungsbereichs der Vorschrift l2 • Da hier die Einzelheiten des Meinungsstreits nicht nachgezeichnet werden können, im übrigen für die vorliegende Untersuchung auch nicht von entscheidender Bedeutung sind, wird im folgenden das Problem der Anfechtung gern. § 119 Abs. 2 BGB exemplarisch an drei Ansichten verdeutlicht.
1. Die Beschränkung des Anwendungsbereichs des § 119 Abs. 2 BGB durch die Rechtsprechung Die Rechtsprechung 13 begrenzt den Anwendungsbereich des § 119 Abs.2 BGB, indem sie bei dem Begriff der" verkehrswesentlichen Eigenschaften" ansetzt: Sie versteht hierunter zwar nicht nur natürliche körperliche Eigenschaften der Person oder Sache, sondern auch solche tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, die nach der Verkehrsauffassung für den Wert oder die Brauchbarkeit von Bedeutung sind; diese müssen aber von unmittelbarer Bedeutung für den Wert oder die Brauchbarkeit der Sache sein. Irrtümer über Umstände, die sich auf die Wertschätzung oder die Brauchbarkeit nur mittelbar auswirken, berechtigen dagegen nicht zu einer Anfechtung gern. § 119 Abs. 2 BGB. Für die Bevollmächtigung bedeutet dies: Eine Eigenschaft des Vertreters ist i. S. v. § 119 Abs. 2 BGB dann rechtlich bedeutsam, wenn diese nach der Auffassung des Verkehrs unmittelbar für die Eignung des Vertreters, den Geschäftsherrn zu vertreten, bedeutsam ist. Nur ein Irrtum über eine solche Eigenschaft des Vertreters berechtigt den Vollmachtgeber, die Bevollmächtigung gern. § 119 Abs. 2 BGB anzufechten. Welche Eigenschaften des Vertreters demnach den Vollmachtgeber zu einer Anfechtung berechtigen, läßt sich nicht abstrakt beschreiben. Es kommt vielmehr im Einzelfall darauf an, zu welcher Art von Vertreterhandlung die Vollmacht erteilt worden ist. Daß die Voraussetzungen an die Vertrauenswürdigkeit des Vertreters unterschiedlich sind je nachdem, ob er z. B. zum Einkauf von Lebensmitteln für den persönlichen Bedarf bevollmächtigt oder aber zum Vermögensverwalter bestellt und ihm entsprechende Bankvollmachten erteilt werden, leuchtet ohne weiteres ein. Demgemäß ist nach der Auffassung der Rechtsprechung eine Eigenschaft des Vertreters i. S. v. § 119 Abs. 2 BGB dann rechtlich erheblich, wenn für das vom Vertreter konkret abzuschließende Geschäft von der Verkehrsauffassung bestimmte EigenMedicus, BGB AT, Rz. 767; Kramer, in: MünchKomm., § 119, Rdn.l0. RGZ 149, 235, 238; BGH LM Nr. 2 zu § 779 BGB; Flurne, Eigenschaftsirrtum, S. 83; ders., BGB AT 11, § 24, 4; Soergel/ Hefermehl, § 119, Rdn. 32. 13 Vgl. z.B. RGZ 64, 266, 269; 149,235,238; BGH LM Nr. 2 zu § 779 BGB; BGHZ 16,54,57; 34,32,41l; 70,47,48. 11
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C. Vertreterbezogene Irrtümer
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schaften des Vertreters gefordert werden. Hierbei ist insbesondere an zwei Fallgruppen zu denken: - Die Vollmacht des Vertreters bezieht sich auf ein solches Geschäft, zu dessen Abschluß besondere Kenntnisse erforderlich sind. - Die Bevollmächtigung erfolgt zu einem gegen Mißbrauch besonders anfälligen Geschäft, etwa eine Bankvollmacht. In diesem Fall ist die Vertrauenswürdigkeit des Vertreters eine i. S. v. § 119 Abs. 2 BGB wesentliche Eigenschaft. Irrt der Vollmachtgeber bei der Bevollmächtigung über eine solche Eigenschaft des Vertreters, so kann der Vertretene die Vollmacht gern. § 119 Abs. 2 BGB anfechten.
2. Die Auffassung Flumes Im Gegensatz zur Rechtsprechung versucht Flume 14 , den Anwendungsbereich des § 119 Abs. 2 BGB dadurch zu beschränken, daß er allein einen "geschäftlichen Eigenschaftsirrtum" für rechtlich erheblich erklärt, einen Irrtum über eine rechtsgeschäftlich vereinbarte Eigenschaft der Person oder Sache: "Der ,eigentliche' Grund für die Beachtlichkeit des Eigenschaftsirrtums ist nicht der Irrtum, sondern die Tatsache, daß der Gegenstand oder die Person hinsichtlich einer Eigenschaft nicht dem Rechtsgeschäft entspricht." 15 Da Rechtsgeschäfte aber üblicherweise besondere Bestimmungen über die Eigenschaft der daran beteiligten Personen nicht enthalten, verlangt Flume keine ausdrückliche Beschaffenheitsabrede; eine geschäftliche Eigenschaft könne sich vielmehr auch daraus ergeben, " ... ob und inwieweit sich aus dem Geschäftstyp die Beziehung des Rechtsgeschäfts auf die persönlichen Eigenschaften ergibt. "16 Beim Kauf sind nach Flume l7 z.B. Irrtümer über " Mängel " des Käufers nur dann gern. § 119 Abs. 2 BGB beachtlich, wenn hierdurch die Sicherheit der Vertragserfüllung gefährdet ist. Überträgt man diese Grundsätze auf die Bevollmächtigung, ergibt sich gegenüber der Ansicht der Rechtsprechung kein grundlegender Unterschied: Wird der Vertreter zum Abschluß solcher Rechtsgeschäfte bevollmächtigt, zu deren Durchführung die Verkehrsauffassung vom Vertreter bestimmte Eigenschaften fordert, muß auch ohne besondere Parteiabsprache davon ausgegangen werden, daß sich die Bevollmächtigung zugleich auch auf diese Eigenschaften des Vertreters erstreckt, diese also "geschäftlich Eigenschaften" sind. Irrt sich der Vollmachtgeber über solche Eigenschaften des Vertreters, müßte ein solcher Irrtum grundsätzlich auch nach der Ansicht Flumes zu einer Anfechtung der Bevollmächtigung gern. § 119 Abs. 2 BGB berechtigen 18.
3. Die Ansicht Kramers Wiederum anders sieht Kramer in § 119 Abs. 2 BGB " ... einen allerdings rudimentären, lückenhaften Ansatz zu einer Gesamtregelung des Anfechtungsproblems für 14 Eigenschaftsirrtum, S. 69ff., undBGB AT 11, § 24, 2; Flume folgend z.B. Staudinger / Coing, § 119, Rdn.18; Medicus, BGB AT, Rz. 770; ders., Bürgerliches Recht, Rdn.140. 15 BGB AT 11, § 24, 2 b. 16 BGB AT 11, § 24, 2 c. 17 Flurne, BGB AT 11, § 24, 2c, in Anlehnung an RGZ 107, 208, 212. IR Siehe aber oben Fn. 7.
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alle Sachverhaltsirrtümer ... "19, der letztlich auf einer angemessenen Verteilung des Vertragsrisikos beruhe 2o . Hieraus folgert Kramer, daß wegen eines Sachverhaltsirrtums eine Anfechtung nach § 119 Abs. 2 BGB dann zulässig sei, ..... wenn dieser Irrtum vom anderen Kontrahenten veranlaßt worden ist oder ihm hätte offenbar auffallen müssen (bzw. tatsächlich aufgefallen ist) oder von ihm geteilt worden ist und sich auf einen Umstand bezog, der auch für diesen nach Treu und Glauben die Grundlage des Geschäftes ausmachte. "21 Wenn Kramer als Grundvoraussetzung für .eine Anfechtung gern. § 119 Abs. 2 BGB verlangt, daß sich der Irrtum auf einen Umstand bezieht, der Grundlage des Geschäfts ist, liegt seine Auffassung in der praktischen Anwendung - was Kramer22 selbst betont - der von Flume sehr nahe. Bei den hier interessierenden Irrtümern über eine Eigenschaft des Vertreters kann auch davon ausgegangen werden, daß diese dem Vertreter hätten auffallen müssen: Wenn beispielsweise der Vollmachtgeber einem mehrfach wegen Betrugs Vorbestraften eine Bankvollmacht erteilt, drängt sich für den Bevollmächtigten geradezu auf, daß sich der Vollmachtgeber in einem Irrtum über einen wesentlichen Umstand des Geschäfts befindet.
4. Die Auswirkungen auf die Vollmachtsanfechtung Für die Vollmachtsanfechtung wegen eines Irrtums über eine Eigenschaft des Vertreters besteht daher Einigkeit dahin, daß der Vollmachtgeber die Vollmacht dann anfechten kann, wenn er über eine solche Eigenschaft des Vertreters irrt, die nach der Verkehrsauffassung für das konkrete Vertretergeschäft von grundlegender Bedeutung ist. D. Die fehlerhafte Willenserklärung
Mit der fehlerhaften Willenserklärung ist die Frage nach den subjektiven Mindestvoraussetzungen einer Willenserklärung angesprochen. Zwar sind auch im Bereich der Vollmacht Fallkonstellationen denkbar, in denen es hierauf ankommt 23 ; gleichwohl ist diese Frage im Bereich der rechtsgeschäftlich begründeten Vertretungsmacht nicht von wesentlicher Bedeutung. Auf die subjektiven Voraussetzungen, die mindestens erfüllt sein müssen, um dem Erklärenden den objektiven Tatbestand einer Willenserklärung zuzurechnen, kommt es aber im weiteren Verlauf der Untersuchung entscheidend an. So hängt die Rechtsfolge der Anscheinsvollmacht davon ab, ob das Erklärungsbewußtsein Tatbestandsmerkmal der Willenserklärung ist oder nicht. Da das Problem der fehlerhaften Willenserklärung sehr eng mit der Irrtumsproblematik verwandt ist, ist schon hier dazu Stellung zu beziehen. 19
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Kramer, in: MünchKomm., § 119, Rdn. 99. a.a.O., Rdn. 97f. a.a.O., Rdn. 101. a.a.O., Rdn. 124. Vgl. hierzu das Beispiel unten III.
D. Die fehlerhafte Willenserklärung
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Im Idealfall einer fehlerfreien Willenserklärung enthält diese folgende Elemente 24 : Erforderlich ist zunächst ein objektiver Erklärungsakt, der auf die Herbeiführung einer Rechtswirkung gerichtet ist. Hinzu kommen drei subjektive Merkmale: - der sogenannte Handlungswille, das ist der Wille des Erklärenden, überhaupt den objektiven Erklärungsakt vorzunehmen das Erklärungsbewußtsein (der Erklärungswille), das ist das Bewußtsein des Erklärenden, eine rechtlich bedeutsame Erklärung abzugeben der Geschäftswille (der Rechtsfolgewille), das ist der auf die Herbeiführung konkreter Rechtsfolgen gerichtete Wille des Erklärenden. Eine Erklärung, bei der diese Voraussetzungen gegeben sind, ist unzweifelhaft eine Willenserklärung. Problematisch ist, ob ein objektiver Erklärungsakt, der auf die Herbeiführung von Rechtswirkungen gerichtet ist, auch dann als Willenserklärung anzusehen ist, wenn eines der subjektiven Tatbestandsmerkmale nicht gegeben ist. I. Die Bedeutung des Handlungswillens für den Tatbestand der Willenserklärung
Einigkeit besteht im wesentlichen zunächst darüber, daß keine (wirksame) Willenserklärung vorliegt, wenn dem Erklärenden der Handlungswille fehlt, wenn der objektive Erklärungsakt also Z.B. durch eine Reflexhandlung gesetzt oder durch vis absoluta erzwungen wurde 25 . 11. Die Bedeutung des Geschäftswillens für den Tatbestand der Willenserklärung
Nicht zu den notwendigen Voraussetzungen einer Willenserklärung gehört der Geschäftswille, also der auf die Herbeiführung konkreter Rechtsfolgen gerichtete Wille des Erklärenden 26 • Fehlt der Geschäftswille, so ist 24 Vgl. zur fehlerfreien Willenserklärung nur Staudinger / Dilcher, Vorbem. zu §§ 116 - 144, Rdn. 9ff.; Enneccerus / Nipperdey, BGB AT, § 145; Kramer, in: MünchKomm., Vor § 116, Rdn. 7ff. Siehe auch Bartholomeyczik, Festschrift Ficker, S. 51ff., der Erklärungsbewußtsein und Handlungswillen zusammenfaßt. 25 Bartholomeyczik, Festschrift Ficker, S. 51, 54f., 58f.; Staudinger / Dilcher, Vorbem. §§ 116 - 144, Rdn.17; Flume, BGB AT 11, § 4, 2 a; Soergel/ Hefermehl, Vor § 116, Rdn.15; Palandt / Heinrichs, Einl. vor § 116, Anm. 4 a; Kramer, in: MünchKomm., Vor § 116, Rdn. 7; Medicus, BGB AT, Rz. 547,606; ders., Bürgerliches Recht, Rz. 129. A. A. Kellmann, JuS 1971, 609, 612ff., der auf alle subjektiven Erfordernisse der Willenserklärung verzichten will.
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§ 5 Zur Anfechtung gern. § 119 BGB berechtigende Irrtümer
dem Erklärenden zwar bewußt, daß sein Verhalten rechtlich relevant ist, die konkreten Rechtsfolgen seines Verhaltens aber sind ihm unbekannt, weil ihm die Umsetzung seines Geschäftswillens in die Erklärung mißlungen ist. Dies ist der Fall, den § 119 Abs.1 BGB regelt: Dem Erklärenden wird unter den weiteren Voraussetzungen dieser Vorschrift das Recht gewährt, seine Willenserklärung durch Anfechtung zu vernichten (§ 142 Abs.1 BGB), belastet ihn aber gegenüber dem gutgläubigen Erklärungsgegner mit der Schadensersatzpflicht aus § 122 Abs. 1 BGB. Eine abweichende Auffassung vertritt Dilcher27 . Er sieht den Geschäftswillen als notwendige Voraussetzung einer Willenserklärung an. Dilcher beruft sich auf zwei Entscheidungen des BGH28, in denen der BGH den Geschäftswillen als Tatbestandsmerkmal der Willenserklärung anerkannt habe. Der BGH spricht in diesen beiden Entscheidungen von der Erforderlichkeit eines "Geschäftswillens"; näher hätte es aber gelegen, in diesen Entscheidungen schon die Frage nach dem Erklärungsbewußtsein aufzuwerfen. In der einen Entscheidung29 ging es um die Frage, ob durch die Duldung von Bauleistungen ein Vertrag zustande gekommen ist; ein Vertragsschluß war zuvor daran gescheitert, daß die Parteien in ihren Schreiben jeweils auf verschiedene Geschäftsbedingungen Bezug genommen hatten. In der anderen Entscheidung 30 war problematisch, ob die Übergabe eines wertvollen Rings im Rahmen einer Streitigkeit zwischen Verlobten eine Rechtsfolge herbeiführte. Auch die Begründung Dilchers, die §§ 119ff. BGB setzten einen, wenn auch keinen irrtumsfreien Geschäftswillen voraus, überzeugt nicht. Daß der Irrtum im Fall des § 119 BGB zwingend einen Geschäftswillen voraussetzt, läßt sich dieser Vorschrift nicht entnehmen. Denn wer ohne Geschäftswillen eine Willenserklärung abgibt, wollte ebensowenig eine Erklärung dieses Inhalts (§ 119 Abs. 1, 2. Alt.) abgeben wie derjenige, der einen anderen Geschäftswillen zum Ausdruck bringen will; in beiden Fällen liegt ein Irrtum vor. Da bei Fehlen des Geschäftswillens eine Willenserklärung nicht gegeben sei, wohl aber ein Vertrauenstatbestand, bedarf es nach Dilcher zu dessen Beseitigung keiner förmlichen Anfechtung. Eine Schadensersatzpflicht komme nur aus culpa in contrahendo in Betracht31 . Andererseits verlangt Dilcher, daß der Vertrauenstatbestand, der durch eine ohne Erklärungsbewußtsein abgegebene Erklärung entstanden ist, durch förmliche Anfechtung analog § 119 BGB beseitigt werden muß 32 . Diese Aussagen bergen einen Widerspruch: Wer einen Erklärungstatbestand ohne Erklärungsbewußtsein setzt, dem fehlt immer auch der Geschäftswille, er hat nicht einmal einen fehlerhaften Geschäftswillen. Deshalb müßte konsequent in beiden Fällen eine Anfechtung entbehrlich, die Haftung von vornherein auf das negative Interesse gerichtet sein. Den 26 Vgl. z.B. Erman / Brox, Vor § 116, Rdn. 4, 15ff. (21); Soergel/ Hefermehl, Vor § 116, Rdn.11; Medicus, Bürgerliches Recht, Rz. 131; Enneccerus / Nipperdey, § 145 11 A 4 (Fn. 26). 27 Staudinger / Dilcher, Vorbem. §§ 116 - 144, Rdn. 2lf., 27, 82; so wohl auch Fabricius, JuS 1966, 1, 10 f. 28 BGH LM Nr. 6 zu § 150 BGB, und BGH FamRZ 1964, 289. 29 BGH LM Nr. 6 zu § 150 BGB. 30 BGH FamRZ 1964, 289. 31 Staudinger / Dilcher, Vorbem. §§ 116 - 144, Rdn. 21, 82f. 32 Staudinger / Dilcher, Vorbem. §§ 116 - 144, Rdn. 18 - 20, 80 f.
D. Die fehlerhafte Willenserklärung
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Erklärenden ausgerechnet im Fall des schwereren Willensmangels (Fehlen von Geschäftswillen und Erklärungsbewußtsein) mit der Anfechtungsobliegenheit zu belasten, beim leichteren aber auf eine Anfechtung zu verzichten, leuchtet nicht ein.
Es bleibt daher festzuhalten, daß der Geschäftswille nicht notwendige Voraussetzung für den Tatbestand einer Willenserklärung ist.
m.
Die Bedeutung des Erklärungsbewußtseins für den Tatbestand der Willenserklärung: Überblick über den Meinungsstand
Problematisch und äußerst umstritten ist, ob das Erklärungsbewußtsein zum Mindesttatbestand einer Willenserklärung gehört. Als Beispiel sei der von Isay33 stammende Lehrbuchfall der Trierer Weinversteigerung angeführt, bei der ein Ortsfremder in Unkenntnis der Bedeutung des Handhebens als Höhergebot seinem Freund zuwinkt und den Zuschlag erhält. Ein vergleichbarer Fall ist auch denkbar im Bereich der Bevollmächtigung: VG überlegt, dem V eine Vollmacht zu erteilen, und diktiert deshalb schon ein entsprechendes Schreiben. Nachdem er es sich anders überlegt hat, wird ihm dieses Schreiben zusammen mit seiner privaten Post vorgelegt, und er unterschreibt in der Annahme, es handle sich dabei um ein rein privates Schreiben ohne jede rechtliche Bedeutung.
Bei der ausdrücklichen Bevollmächtigung dürfte in der Praxis die Frage nach der Erforderlichkeit des Erklärungsbewußtseins keine große Bedeutung haben. Jedoch ist die Bedeutung des Erklärungsbewußtseins im Tatbestand der Willenserklärung von grundlegender Bedeutung für die Anerkennung der Anscheinsvollmacht3 4 • Deshalb ist schon hier auf diese Frage einzugehen.
1. Der Meinungsstand in der Literatur (Überblick) Die Lehre läßt sich in zwei große Gruppen einteilen, je nachdem, ob das Erklärungsbewußtsein als notwendig zum Minimaltatbestand einer Willenserklärung gehörend angesehen wird oder nicht. Wer das Erklärungsbewußtsein nicht als notwendiges Tatbestandsmerkmal einer Willenserklärung ansieht3 5,36, vermag Fälle dieser Art rechtsgeWillenserklärung, S. 25. 34 Vgl. dazu unten § 16 D. 35 SO Z. B. Bickel, Auslegung, S. 125 ff.; Brox, Irrtumsanfechtung, S. 50 f.; Bydlinski, Privatautonomie, S.155ff.; ders, JZ 1975, 1ff.; v. Craushaar, AcP 174 (1974), 2, 5ff.; ders., Vertrauen, S. 58ff., 62ff.; Gudian, AcP 169 (1969), 232, 235f.; Soergel / Hefermehl, Vor § 116, Rdn.13f.; Henrich, RabelsZ 1971, 55, 67; Köhler, BGB AT, § 14 II 2; Kramer, Einigung, S.169ff.; ders., in: MünchKomm., Vor § 116, Rdn.12, und § 119, Rdn. 79ff.; Larenz, BGB AT, § 19 III; Medicus, BGB AT, Rz. 607; ders., Bürgerliches Recht, Rz.130; Rothoeft, Irrtumslehre, S.73ff.; Schmidt-Salzer, JR 1969, 281ff.; Wieling, AcP 176 (1976), 334, 335; so LE. auch schon Manigk, Irrtum, S.108ff.; ders., Vollmachten, S. 632f.,640f.; ders., Verhalten, S. 208ff. Vgl. auch Bartholomeyczik, 33
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§ 5 Zur Anfechtung gern. § 119 BGB berechtigende Irrtümer
schäftlich zu lösen. Allein in Frage steht dann, unter welchen Voraussetzungen das Erklärungsverhalten dem Erklärenden zuzurechnen ist. Liegen die Zurechnungsvoraussetzungen vor, kann sich der Erklärende durch Anfechtung gern. § 119 BGB von seiner Erklärung lösen; er ist dann gern. § 122 BGB seinem Erklärungsgegner zum Ersatz des Vertrauensschadens verpflichtet. Wer dagegen das Erklärungsbewußtsein als ein notwendiges Tatbestandsmerkmal einer Willenserklärung ansieht, kann das Erklärungsverhalten als Willenserklärung nicht zurechnen. Welche Rechtsfolgen dieser Schein einer Willenserklärung nach sich zieht, ist wiederum sehr umstritten. Hierzu werden im wesentlichen folgende Ansichten vorgetragen: Einige Autoren 37 rechnen dem Erklärenden den Erklärungstatbestand nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) zu, wenn der Erklärende bei Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt den Schein einer Willenserklärung hätte vermeiden können. Dann allerdings ist umstritten, ob der entstandene Schein einer Willenserklärung durch einfache Richtigstellung 38 , durch förmliche Anfechtung analog § 119 BGB39 oder, da eine Willenserklärung nicht vorliegt, überhaupt nicht 40 beseitigt werden kann. Andere schließen von vornherein eine Zurechnung der Erklärung als Willenserklärung aus; wegen des enttäuschten Vertrauens des Erklärungsgegners aber gewähren sie diesem Schadensersatzansprüche, wobei als Anspruchsgrundlage culpa in contrahend041 oder eine Analogie zu § 122 BGB42 genannt werden43 .44 . Festschrift Ficker, S. 51, 62 f. Beschränkt auf ausdrückliche Erklärungen auch Flurne, BGB AT 11, § 23 I 1. 36 Frotz, Verkehrsschutz, S. 116, 299, 430, 469 ff., sieht in Fällen der normalen Verantwortung das Erklärungsbewußtsein als konstitutiv für eine Willenserklärung an. Daneben behauptet er einen Bereich der "gesteigerten sozialen Verantwortung für mißverständliches Verhalten in Rechtsverhältnissen" ,in denen er durch eine "Erweiterung des Störbegriffs der Willenserklärung" auch die Fälle des fehlenden Erklärungsbewußtseins in den Anwendungsbereich der §§ 119ff. BGB einbeziehen will. Dort aber sei die Berufung auf das fehlende Erklärungsbewußtsein nicht statthaft, wohl aber käme eine "Anfechtung wegen eines ggf. nachgewiesenen wesentlichen Erklärungs-, Inhaltsirrtums oder Ubermittlungsversehens, wegen beachtlichen Motivirrtums oder arglistiger Täuschung oder widerrechtlicher Drohung" (S. 484) in Betracht. 37 Staudinger / Coing, Vorbem. § 116, Rdn. 1, 3 eff.; Staudinger / Dilcher, Vorbem. §§ 116 - 144, Rdn.18ff., 80. 38 So wohl Staudinger / Coing, § 119, Rdn. 4; anders aber Vorbem. vor § 116, Rdn. 3 e, f. 39 Staudinger / Dilcher, Vorbem. §§ 116 - 144, Rdn. 80; Brox, BGB AT, Rdn.135, 381. 40 So wohl Staudinger / Coing, Vorbem. § 116, Rdn. 3 e, f; anders aber § 119, Rdn. 4; im Ergebnis ebenso D. Schroeder, Einbeziehung, S. 22ff., 34, für die Einbeziehung vonAGB. 41 So z.B. Lehmann / Hübner, BGB AT, § 34 III 1 b; H. Hübner, Festschrift Nipperdey I, S. 373, 381; Enneccerus / Nipperdey, BGB AT, § 14511 A. 42 Z.B. Canaris, Vertrauenshaftung, S. 427f., 548f. und passim; ders., NJW 1974, 521,528; ders., FS Wilburg, S. 77, 79 und passim; Wieacker, JZ 1967,385,389. Diffe-
D. Die fehlerhafte Willenserklärung
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2. Der Meinungsstand in der Rechtsprechung (Überblick) Nachdem der BGH die Frage nach der Erforderlichkeit des Erklärungsbewußtseins für den Tatbestand der Willenserklärung zunächst entweder ausdrücklich offengelassen45 oder nicht ganz eindeutig Stellung hierzu bezogen hatte46 , hat er diese nun durch das Grundsatzurteil des IX. Zivilsenats vom 7.6.1984 47 in dem Sinne beantwortet, daß das Erklärungsbewußtsein nicht zwingendes Tatbestandsmerkmal einer Willenserklärung ist. Zuvor hatte schon das OLG Hamburg48 ausdrücklich auf das Erklärungsbewußtsein als notwendige Voraussetzung für den Tatbestand einer Willenserklärung verzichtet, das OLG Düsseldorf49 dagegen eine solche .. Willenserklärung" für nichtig erklärt. IV. Stellungnahme zur Bedeutung des Erklärungsbewußtseins für den Tatbestand der Willenserklärung
1. Der Begriff der Willenserklärung Ein Versuch, aus dem Begriff "Willenserklärung" Aufschlüsse über die Erforderlichkeit des Erklärungsbewußtseins zu gewinnen, muß von vornherein scheitern. Denn aus diesem Begriff läßt sich allein ableiten, daß die rechtsgeschäftliche Erklärung willentlich erfolgen muß. Worauf sich dieser Wille aber beziehen muß, läßt sich dem Begriff nicht entnehmen.
2. Die Verwendung des Begriffs Willenserklärung im BGB Ebenso ist es nicht möglich, den Minimaltatbestand einer Willenserklärung dadurch zu erschließen, daß jede Norm, die von einer "Willenserklärung" handelt, auf die subjektiven Merkmale untersucht wird, um sodann festzustellen, welche Voraussetzungen jede der Normen übereinstimmend aufweist. Dies belegt schon ein Blick auf § 105 Abs. 2 BGB: Dort bezeichnet das Gesetz die im Zustand der Bewußtlosigkeit abgegebene Erklärung als "Willenserklärung", wenn auch als nichtige. In Wirklichkeit jedoch handelt renzierend nach Verantwortungsbereichen Frotz, Verkehrsschutz, S.116, 299, 430, 469 ff. (vgI. oben Fn. 36). 43 Offen, ob § 122 BGB analog anzuwenden ist oder culpa in contrahendo bei Hanau, AcP 165 (1965), 220, 252f.; Säcker, JurA 1971,509, 516f. 44 Diederichsen, JurA 1969, 70, 73, scheint dahin zu tendieren, einen Schadensersatzanspruch überhaupt auszuschließen. 45 BGH NJW 1953, 58; NJW 1968, 2102, 2103, worin als ausreichend angesehen wird das Bewußtsein; überhaupt irgendeine rechtlich erhebliche Erklärung abzugeben. 46 BGH JR 1956, 59; NJW 1973, 1789, deuten darauf hin, das Erklärungsbewußtsein sei für eine Willenserklärung erforderlich; vgI. auch BGH NJW 1983, 2198, 2199. 47 BGHZ 91, 324 = NJW 1984, 2279 m. abI. Anm. Canaris = JR 1985, 12 m. abI. Anm. Schubert = JZ 1984, 984 m. Anm. Ahrens. 48 OLG Hamburg MDR 1969, 1019 m. zust. Anm. Heiseke, MDR 1971, 355. 49 OLG Düsseldorf OLGZ 1982, 240. 5 Stüsser
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es sich bei einem solchen Verhalten, dem ein Handlungswille nicht zugrunde liegt, nicht um eine Willenserklärung 50 ,51.
3. Die Störlösung in den §§ 116ff. BGB Vielversprechender zur Lösung des Problems scheint eine Untersuchung der §§ 116ff. BGB. Zwar wird in diesen Vorschriften nicht der Begriff "Willenserklärung" definiert; jedoch bietet das Gesetz Störlösungen für pathologische Fälle an. Da es sich bei der ohne Erklärungsbewußtsein abgegebenen Erklärung ebenfalls um einen pathologischen Fall einer" Willenserklärung" handelt, liegt es nahe, aus einer Gesamtschau dieser Vorschriften die sachgerechte Verkehrsschutzlösung abzuleiten 52 • a) § 119 Abs.l BGB Es ist versucht worden, die Erforderlichkeit des Erklärungsbewußtseins für den Tatbestand der Willenserklärung mit dem Wortlaut des § 119 Abs.l BGB zu beweisen: ,,§ 119 Abs. 1 BGB (setze) voraus, daß der Erklärende eine Erklärung dieses Inhalts nicht hat abgeben wollen, aber doch immerhin eine Erklärung. "53 Dieses Wortlautargument überzeugt aber nicht: Eine Erklärung dieses Inhalts hat nämlich auch derjenige nicht abgeben wollen, der überhaupt keine rechtsgeschäftliche Erklärung abgeben wollte 54 ; der Wortlaut des § 119 Abs.l BGB erfaßt beide Fälle gleichermaßen. Aus dem Wortlaut allein des § 119 Abs.l BGB läßt sich deshalb nicht entnehmen, daß das Erklärungsbewußtsein zwingend zum Minimaltatbestand der Willenserklärung gehört - allerdings auch nicht das Gegenteil 55 .
Vgl. oben § 5 D 1. Eingehend hierzu Bartholomeyczik, Festschrift Ficker, S. 51, 70, 71: "Es wäre, von einer Begriffsgenese gesehen, falsch, die Willenserklärung als Begriff so zu bestimmen, daß ihr Bild die nichtige Willenserklärung einschließt." Vgl. auch Larenz, Auslegung, S. 87. 52 Schmidt-Salzer, JR 1969, 281, 287, verkennt diesen engen Zusammenhang, wenn er annimmt, aus §§ 116ff. BGB ließen sich keine Rückschlüsse auf die Tatbestandsvoraussetzungen der Willenserklärung herleiten, da die §§ 116ff. BGB eine Willenserklärung voraussetzten und allein die Bindungswirkung der fehlerhaften Willenserklärung regelten. 53 So z.B. Lehmann / Hübner, BGB AT, § 34 III 1 b; ähnlich Staudinger / Coing, § 119, Rdn.12. 54 BGHZ 91, 324, 329 = NJW 1984, 2279, 2280. 55 Bydlinski, JZ 1975, 1, 2; Gudian, AcP 169 (1969), 232, 233; Soergel/ Hefermehl, Vor § 116, Rdn.13; Kramer, in: MünchKomm., § 119, Rdn. 82; ähnlich Kellmann, JuS 1971, 609, 613. 50 51
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b) § 118 BGB Die Erforderlichkeit des Erklärungsbewußtseins für den Tatbestand der Willenserklärung glauben einige Autoren 56 aus § 118 BGB herleiten zu können. So ziehen beispielsweise Enneccerus / Nipperdey 57 aus § 118 BGB folgenden Schluß: Wenn sogar die Erklärung nichtig ist, die bewußt zum Scherz abgegeben worden ist, so muß erst recht die Erklärung desjenigen nichtig sein, der sich nicht bewußt ist, daß seiner Handlung objektiv die Bedeutung einer Willenserklärung zukommt 58 • Ähnlich sieht Sonnenberger59 durch § 118 BGB in einem Spezialfall die vertragliche Entschlußfreiheit geschützt; da durch diese Vorschrift verhindert werde, daß " ... bei Fehlen des rechtsgeschäftlichen Entschlusses aus heteronomen Zurechnungsgrunden eine fragwürdige Beziehung der Handlung zum Autonomieprinzip hergestellt werden ... "60 müsse, sei § 118 BGB nicht als Ausnahmevorschrift, sondern als Konkretisierung des Privatautonomieprinzips zu verstehen. Frotz 61 sieht die unterschiedlichen Rechtsfolgen des § 119 BGB einerseits und des § 118 BGB andererseits allein in der Erwartung des Erklärenden begründet. § 118 BGB zeige, daß eine Willenserklärung notwendigerweise voraussetze, daß der Erklärende die Erwartung habe, diese Erklärung werde vom Rechtsverkehr als eine auf die Herbeiführung von Rechtsfolgen gerichtete Erklärung erkannt; wo diese Erwartung fehle - das sind auch die Fälle, in denen dem Erklärenden das Erklärungsbewußtsein fehlt -, liege deshalb eine Willenserklärung nicht vor. Um der auf § 118 BGB gestützten Argumentation die Stichhaltigkeit zu nehmen, hat Bailas62 , der das Erklärungsbewußtsein nicht als notwendiges Tatbestandsmerkmal der Willenserklärung ansieht, § 118 BGB einschränkend interpretiert: Die Nichtigkeitsfolge des § 118 BGB greife nur dann ein, wenn der scherzhaft Erklärende berechtigt erwarte, der Mangel der Ernstlichkeit werde nicht verkannt werden 63 • Bei einer solchen Interpretation des § 118 BGB wäre die Regelung in § 122 Abs.1 1. Alt. BGB überflüssig. § 122 BGB belastet den scherzhaft Erklären56 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 549; ders., NJW 1974, 521, 528; Lehmann / Hübner, BGB AT, § 34 III 1 b; Enneccerus / Nipperdey, BGB AT, § 145 11 A 4 (Fn. 26); Sonnenberger, Verkehrssitten, S.141 f. 57 BGB AT, § 145 11 A 4 (Fn. 26). 58 Ebenso Canaris, Vertrauenshaftung, S. 550; ders., NJW 1974, 521, 528; ders., NJW 1984, 2281; Lehmann / Hübner, BGB AT, § 34 III 1 b. 59 Verkehrssitten, S. 143f. 60 Verkehrssitten, S. 144. 61 Verkehrsschutz, S. 116f. (Fn. 277). 62 Vertragsschließung, S. 58ff. 63 Ebenso v. Craushaar, Vertrauen, S. 47, 63; Pawlowski, BGB AT, Rdn. 476.
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den mit der Haftung auf das negative Interesse nur dann, wenn der Erklärungsempfänger den Mangel der Ernstlichkeit der Erklärung weder kannte noch kennen mußte (arg. § 122 Abs. 2 BGB). Erwartet der Erklärende aber berechtigt, daß der Empfänger der Erklärung diese als Scherzerklärung erkennt, bedeutet dies nichts anderes, als daß der Charakter dem Erklärungsempfänger erkennbar ist, deshalb also die Voraussetzungen des § 122 Abs. 2 BGB erfüllt sind. Deshalb läßt sich die Interpretation des § 118 BGB durch Bailas nicht mit § 122 BGB vereinbaren 64 . Daß § 118 BGB nicht zur Klärung der hier aufgeworfenen Frage beiträgt, beruht auf einem anderen Grund, den Flume65 herausgearbeitet hat: Der Fall, daß eine Erklärung bewußt auf Nichtgeltung abgestellt ist, läßt sich dem der ohne Erklärungsbewußtsein abgegebenen Erklärung nicht vergleichen. Denn im ersten Fall steht von vornherein fest, daß der Erklärende das Erklärte positiv nicht will- deshalb eben erklärt er es bewußt scherzhaft -; daher besteht keinerlei Veranlassung, ihm die Wahl zwischen der rechtsgeschäftlichen Bindung und der Beseitigung der Erklärung durch Anfechtung zu lassen. Fehlte dem Erklärenden dagegen das Erklärungsbewußtsein, steht niCht positiv fest, daß der Erklärende das Erklärte nicht will. Hier ist deshalb wie unten 66 noch näher ausgeführt wird - die Einräumung eines Wahlrechts ebenso sinnvoll wie bei den gewöhnlichen Irrtumsfällen des § 119 BGB67. c) Die Gesamtregelung in §§ 116ff. BGB Es hat sich also gezeigt, daß sich weder der Vorschrift des § 119 BGB noch der des § 118 BGB entnehmen läßt, daß das Erklärungsbewußtsein für den Tatbestand einer Willenserklärung konstitutiv ist. Eben dies gilt für die gesamte Regelung in §§ 116ff. BGB68. Als Zwischenergebnis ist vielmehr festzuhalten, daß sich aus diesen Vorschriften unmittelbar weder auf die Notwendigkeit des Erklärungsbewußtseins für den Tatbestand der Willenserklärung schließen läßt, noch sich umgekehrt daraus ergibt, eine Willenserklärung sei auch ohne Erklärungsbewußtsein möglich.
64 Bydlinski, JZ 1975, 1, 3; Canaris, Vertrauenshaftung, S. 550, Fn. 53; Frotz, Verkehrsschutz, S.116f., Fn. 277; Flume, BGB AT II, § 20, 3; Larenz, Auslegung, S. 85f. 65 BGB AT II, § 20 III. 66 Vgl. unten § 5 D IV 6. 67 Ebenso BGHZ 91, 324, 329f. = NJW 1984, 2279, 2280; Bydlinski, JZ 1975, 1, 3; Kramer, in: MünchKomm., § 119, Rdn. 82; Medicus, BGB AT, Rz. 607; G. Müller, AcP 181 (1981), 515, 537; Röder, JuS 1982, 125, 126. 68 Anders Fabricius, JuS 1966, 1, 7; Säcker, JurA 1971, 509, 516f.
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4. Der Grundsatz der Privatautonomie Die Erforderlichkeit des Erklärungsbewußtseins für den Tatbestand einer Willenserklärung ist mit dem Grundsatz der Privatautonomie zu begründen versucht worden. So führt Canaris aus: "Wenn jemand sich nicht bewußt ist, daß er eine rechtsgeschäftliche Erklärung abgibt, so gestaltet er nicht in Selbstbestimmung ein Rechtsverhältnis ... "69. Ähnlich argumentiert Sonnenberger: " ... der Vertrag (wird) seiner Funktion (als Ausdruck der positivrechtlich den Partnern eingeräumten Privatautonomie) entfremdet, sobald man auf einen rechtsgeschäftlichen Handlungsentschluß verzichtet ... "70. Die Grenze einer privat autonomen Haftung soll also nach Canaris und Sonnenberger da überschritten sein, wo einer Erklärung nicht mehr das Bewußtsein zugrunde liegt, rechtsgestaltend tätig zu werden. Ein solches Verhalten könne zwar Haftungsfolgen auslösen; diese seien aber nicht mehr dem rechtsgeschäftlichen Bereich zuzuordnen, sondern der Vertrauenshaftung 71 . Eine solche Betrachtung der Willenserklärung allein unter dem Blickwinkel der Privatautonomie ist jedoch zu eng. Bydlinski7 2 weist zu Recht auf die Doppelfunktion der Willenserklärung hin: Sie ist einerseits das technische Instrument zur Verwirklichung der Privatautonomie. Sie ist aber außerdem das " ... Mittel der Güterbewegung und dient damit der Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse. "73 Dies fordert ein funktionstüchtiges Recht der Rechtsgeschäfte, d.h. besonders die Beachtung des Vertrauensschutzes und der Sicherheit des Verkehrs 74 . Diese zweite Aufgabe der Willenserklärung fordert eine Einschränkung der dem einzelnen eingeräumten Erklärungsfreiheit durch die Erklärungsverantwortung75 . Diese doppelte Funktion der Willenserklärung hat konsequent Berücksichtigung bei der gesetzlichen Störschutzlösung in §§ 116ff. BGB gefunden. So ist die i. S. v. § 119 BGB irrig abgegebene Willenserklärung zunächst voll gültig, der Erklärende wird zugunsten des Erklärungsgegners an der nicht gewollten Rechtsfolge festgehalten. Selbst wenn der Irrende wirksam Vertrauenshaftung, S. 427 f. (Hervorhebung im Original). Verkehrssitten, S. 142. 71 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 427f., 548ff.; Staudinger / Coing, Vorbem. § 116, Rdn. 3 f. und passim; Sonnenberger, Verkehrssitten, S.142; wohl auch Thiele, JZ 1969, 405,407. 72 JZ 1975, 1. 73 JZ 1975, 1. 74 BGHZ 91, 324, 330 = NJW 1984, 2279, 2280 unter Hinweis auf §§ 119, 157 BGB. Entgegen Schubert, JR 1985, 15, 16 dient es der Verkehrssicherheit, auf das Erklärungsbewußtsein als Tatbestandsmerkmal der Willenserklärung zu verzichten. 75 So z.B. Bydlinski, Privatautonomie, S. 54f.; Gudian, AcP 169 (1969), 232, 234; Flume, BGB AT 11, § 4, 8; Schmidt-Salzer, JR 1969, 281, 285. 69
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anficht, wird das Vertrauen des Erklärungsgegners über § 122 Abs.1 BGB geschützt. Dies läßt schon erkennen - worauf später76 zurückzukommen ist -, daß auch das Prinzip der Privatautonomie keine positive Antwort darauf geben kann, ob das Erklärungsbewußtsein für den Minimaltatbestand einer Willenserklärung unverzichtbar ist oder nicht.
5. Die Auslegungsgrundsätze der §§ 133, 157 BGB Zweifelhaft ist, ob es zulässig ist, aus den §§ 133, 157 BGB auf den Minimaltatbestand der Willenserklärung zu schließen. Dies wird teilweise bejaht 77 . Bedenklich erscheint dies aber deshalb, weil dann konsequent auf jedes subjektive Merkmal bei der Willenserklärung, also auch auf den Handlungswillen, verzichtet werden müßte 78 • Außerdem setzt die Anwendung der §§ 133, 157 BGB voraus, daß eine Willenserklärung vorliegt; erst dann kann die Frage nach ihrem Inhalt gestellt werden. Deshalb sollten die Grundsätze der §§ 133, 157 BGB nicht dazu herangezogen werden, festzustellen, ob eine Willenserklärung vorliegt oder nicht7 9 .
6. Wertender Vergleich mit der ITTtumsregelung des § 119 BGB Die bisherigen Überlegungen haben sich zur Beantwortung der Frage nach dem Minimaltatbestand der Willenserklärung als unfruchtbar erwiesen. Eine Lösung kann deshalb nur durch einen wertenden Vergleich mit der Regelung in den §§ 116ff. BGB gefunden werden. Sieht man das Erklärungsbewußtsein nicht als notwendige Voraussetzung einer Willenserklärung an, so kann sich derjenige, dem das Erklärungsbewußtsein bei Abgabe seiner Erklärung fehlte, durch Anfechtung gern. § 119 Abs.1 BGB gegen Ersatz des Vertrauensschadens von seiner Erklärung lösen. Denn er befindet sich in einem Irrtum über den Inhalt seiner Erklärung. Diese Lösung verwirft Frotz 80 im Bereich normaler Verantwortung81 mit der Begründung, die "Zwischenstation" der Gültigkeit der Erklärung vor Vgl. unten § 5 D IV 8. v. Craushaar, AcP 174 (1974), 2, 10; Soergel / Hefermehl, Vor § 116, Rdn.17; Kellmann, JuS 1971, 609; Larenz, Auslegung, S.82ff.; Schmidt-Salzer, JR 1969, 281,284. 78 So in der Tat Kellmann, JuS 1971, 609, 612ff. 79 So auch Sonnenberger, Verkehrssitten, S.139ff.; Wieacker, JZ 1967, 385, 388. 80 Verkehrsschutz, S. 469f. 81 Vgl. dazu oben Fn. 36. 76 77
D. Die fehlerhafte Willenserklärung
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deren Beseitigung durch Anfechtung sei "lediglich eine überflüssige Rast auf dem Weg zur endgültigen ,Verantwortungshaftung' nach § 122 BGB"82; diese Zwischenstation der Gültigkeit sei nur da sinnvoll, wo der Erklärende eine rechtlich relevante Erklärung tatsächlich habe abgeben wollen. Umgekehrt sieht Canaris 83 diese Lösung als "gänzlich unberechtigt" an, da mit ihr zugleich auch die Möglichkeit für den Erklärenden verbunden ist, von der Anfechtung abzusehen und die Erklärung gegen sich gelten zu lassen, sofern die Erklärung sich für ihn als vorteilhaft darstellt. "Zwar (sei) die Wahlmöglichkeit sinnvoll, wenn jemand z. B. als Kaufpreis versehentlich 100 DM statt 110 DM angegeben hat, wenn er also immerhin einen Vertrag - obgleich anderen Inhalts - abschließen wollte, doch verkehrt sich diese vernünftige Regelung in baren Widersinn, wenn man sie auf die Fälle fehlenden Erklärungsbewußtseins überträgt: warum soll jemand die Vorteile eines Vertrages an sich ziehen können, wenn er in Wahrheit z.B. eine Einladung zu einem Fest annehmen wollte, und nun durch einen reinen Zufall der Anschein eines für ihn günstigen Geschäfts entstanden ist?! "84 Diese Argumentation von Frotz und Canaris könnte allenfalls dann überzeugen, wenn sich der Regelungsgehalt des § 119 BGB auf solche Fälle beschränken würde, wie sie diesen Autoren vorschweben. Es fallen aber sehr viel größere Abweichungen von Wille und Erklärung ebenfalls unter diese Vorschrift. Dies möge durch folgendes Beispiel belegt werden: Auf der Versammlung des Segelvereins sind drei Listen im Umlauf: eine Glückwunschadresse, eine Bestelliste für die Vereinszeitschrift (Kosten 3 DM pro Monat) sowie eine Anmeldeliste für einen Segeltörn in der Karibik (Kosten 10000 DM). A trägt sich in die Liste für den Segeltörn ein, weil er glaubt, es sei allein die Besteliliste für die Vereinszeitung im Umlauf. B trägt sich in dieselbe Liste ein in der Annahme, es handle sich um die Glückwunschadresse. C trägt sich in die Zeitschriftenliste ein, ebenfalls in der Meinung, die Glückwunschadresse vor sich zu haben.
Dieses Beispiel erhellt, daß eine Gleichbehandlung eines "normalen" Irrtums i.S.v. § 119 BGB mit Fällen des fehlenden Erklärungsbewußtseins allein sachgerecht ist. Bei Erklärungen, die unstreitig unter § 119 Abs.l BGB fallen - so die Erklärung des A -, ist die Wahrscheinlichkeit, daß die Erklärung nicht angefochten wird, nicht größer als bei einer ohne Erklärungsbewußtsein abgegebenen Erklärung. Denn daß für A, der für 3 DM monatlich eine Vereinszeitschrift bestellen wollte, weniger Veranlassung besteht, die Reiseanmeldung (Preis 10000 DM) anzufechten, als für B, der lediglich einen Glück82
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Verkehrsschutz, S. 470. Vertrauenshaftung, S. 550 f. Vertrauenshaftung, S. 551.
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wunsch aussprechen wollte, wird sich wohl kaum begründen lassen. Dagegen ist viel eher zu erwarten, daß C seine Erklärung, die ihn monatlich mit 3 DM belastet, nicht anfechten wird. Deshalb läßt sich im Ergebnis nicht sagen, daß bei einer ohne Erklärungsbewußtsein abgegebenen Willenserklärung das Wahlrecht der Anfechtung eher eine "überflüssige Rast auf dem Weg zur endgültigen ,Verantwortungshaftung' nach § 122 BGB" sei als in anderen unstreitig unter § 119 BGB fallenden Sachverhalten. Würde sich für A und B nach Aufdeckung ihres Irrtums durch Zufall ergeben, daß die Reise für sie besonders attraktiv ist, so ist es auch unter keinem Gesichtspunkt gerechtfertigt, den A an der Reise teilnehmen zu lassen, weil ihm das Wahlrecht zusteht, seine Erklärung anzufechten oder gelten zu lassen, dagegen den B darauf zu verweisen, seine Erklärung sei von Anfang an nichtig, deshalb dürfe er nicht nur die Leistung nicht in Anspruch nehmen, vielmehr müsse er Schadensersatz (aus § 122 BGB analog oder aus culpa in contrahendo )85 leisten. Wenn A und B nach Aufdeckung ihres Irrtums zunächst untätig bleiben und nicht unverzüglich (§ 121 BGB) die Erklärung anfechten bzw. richtigstelIen, ist ebenfalls nicht einzusehen, daß dies in dem einen Fall- nämlich für B - keine Auswirkungen in bezug auf seine Bindung, im anderen Fall für A - dagegen zur Folge haben soll, daß er nun endgültig an seine Erklärung gebunden ist. Dies aber wäre die Konsequenz daraus, faßte man die ohne Erklärungsbewußtsein abgegebene Erklärung nicht unter § 119 BGB, sondern sähe sie von vornherein nicht als Willenserklärung an. Schließlich stellt sich auch für den Erklärungsempfänger und den Erklärenden die Situation in beiden Fällen gleich dar: Der Erklärungsempfänger ist in beiden Fällen gleich schutzbedürftig. Dies gilt nicht nur hinsichtlich des Schadensersatzanspruchs, sondern auch hinsichtlich einer rechtzeitigen Information (§ 121 BGB) über den dem Erklärenden unterlaufenen Irrtum. Für den Erklärenden geht es in bei den Fällen um die Beseitigung eines ihm unterlaufenen Irrtums. Deshalb ist es für ihn keine unzumutbare Belastung, ihm in beiden Fällen gleichermaßen die Obliegenheit der unverzüglichen Anfechtung (§ 121 BGB) aufzuerlegen 86 . Zusammenfassend ist festzustellen, daß eine Gleichbehandlung der ohne Erklärungsbewußtsein abgegebenen Willenserklärung mit sonstigen fehlerhaften Willenserklärungen i. S. d. § 119 Abs. 1 BGB geboten ist, weil beide Fälle wertungsmäßig übereinstimmen. Anderenfalls ließen sich Wertungswidersprüche zur Irrtumsregelung des § 119 BGB nicht vermeiden. 85
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Vgl. dazu oben § 5 D III 1 mit Fn. 4lf. Ebenso Ahrens, JZ 1984, 986, 987; a.A. Schubert, JR 1984, 15, 16.
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7. Wertender Vergleich mit § 118 BGB Nunmehr kann nochmals der oben87 zu § 118 BGB entwickelte Gedanke aufgegriffen werden. Wenn dort ohne nähere Begründung behauptet wurde, daß die Einräumung eines Wahlrechts bei einer ohne Erklärungsbewußtsein abgegebenen Willenserklärung ebenso sinnvoll ist wie in sonstigen unter § 119 Abs.l BGB fallenden Irrtumsfällen, ist dies inzwischen nachgewiesen worden. Die unterschiedliche Rechtsfolgenregelung in § 118 BGB einerseits und § 119 BGB andererseits ist deshalb nicht geeignet, die ohne Erklärungsbewußtsein abgegebene Willenserklärung anders zu behandeln als die von einem normalen Irrtum beeinflußte Willenserklärung.
8. Die Auswirkung auf die Privatautonomie Die hier vorgeschlagene Behandlung der ohne Erklärungsbewußtsein abgegebenen Willenserklärung verstößt auch nicht gegen den Grundsatz der Privatautonomie88 . Es hat sich gezeigt, daß die ohne Erklärungsbewußtsein abgegebene Willenserklärung wertungsmäßig einer solchen, der ein "normaler" Irrtum i.S.d. § 119 BGB zugrundeliegt, entspricht. Beide Erklärungen sind auch unter dem Gesichtspunkt von Selbstbestimmung und Selbstverantwortung (Vertrauensschutz) wertungsmäßig identisch 89 • Deshalb läßt sich nicht behaupten, in dem einen Fall läge ein privatautonomer Akt vor, in dem anderen dagegen nicht. Vom Grundsatz der Privatautonomie sind vielmehr beide Fälle gleichermaßen noch erfaßt.
9. Ergebnis Nach allem ist für den Tatbestand der Willenserklärung nicht erforderlich, daß der Erklärende sich bewußt ist, eine rechtsgeschäftliehe Erklärung abzugeben. Auch wenn dieses Bewußtsein fehlt, kann das Verhalten eine Willenserklärung - allerdings eine anfechtbare - sein. V. Die Zurechnungsvoraussetzungen einer Erklärung ohne Erklärungsbewußtsein
In der bisherigen Untersuchung ist offen geblieben, ob jede ohne Erklärungsbewußtsein abgegebene Erklärung eine Willenserklärung ist, ob also B7 BB B9
§ 5 D IV 3 b. Vgl. dazu schon oben § 5 D IV 4. Bydlinski, JZ 1975, 1, 5; vgl. auch BGHZ 91,324, 329f.
= NJW 1984, 2279, 2280.
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der objektive Erklärungstatbestand dem Erklärenden allein aufgrund des Handlungswillens zugerechnet werden kann. Dies gilt es im folgenden zu ergründen.
1. Die möglichen Lösungen Zur Lösung des Problems, unter welchen Voraussetzungen dem Erklärenden der Erklärungstatbestand zugerechnet werden kann, bieten sich zwei Lösungen an: - Der objektive Erklärungstatbestand der Willenserklärung könnte dem Erklärenden allein deshalb zuzurechnen sein, weil diesem eine willentliche Handlung zugrunde lag. Oder der Tatbestand wird nur unter der weiteren Voraussetzung zugerechnet, daß der Erklärende die Erklärungsbedeutung kennen mußte, sie also infolge von Fahrlässigkeit nicht kannte (§ 122 Abs. 2 BGB).
2. Vergleich mit § 119 BGB Für die rechtliche Behandlung eines Inhalts- oder Erklärungsirrtums ist es ohne Bedeutung, ob der Erklärende den Irrtum verschuldet hat oder nicht 9o • Auch wenn der Irrende seinen Irrtum nicht erkennen konnte, kann er sich nur durch Anfechtung gem. § 119 Abs.1 BGB von seiner Erklärung lösen. Daraus ist gefolgert worden, daß es auch bei einer ohne Erklärungsbewußtsein abgegebenen Erklärung nicht auf ein über den Handlungswillen hinausgehendes subjektives Merkmal ankommen könne, also auf die Erkennbarkeit der objektiven Erklärungsbedeutung; vielmehr sei der Erklärungstatbestand dem Erklärenden allein aufgrund der willentlichen Verursachung zuzurechnen 91 •
3. Analyse der widerstreitenden Interessen Rechnet man einen objektiven Erklärungstatbestand dem Verursacher allein deshalb zu, weil er diesen willentlich gesetzt hat, führte dies zu der einschneidenden Folge, daß dem einzelnen die reale Chance genommen wird, sich nur mit seinem Willen rechtsgeschäftlich zu verpflichten 92 • Denn 90 Allgern. M., vgl. statt aller Staudinger / Dilcher, § 119, Rdn. 76. Abweichend noch der Erste Entwurf, der in §§ 98, 99 nach Verschulden gestaffelte unterschiedliche Rechtsfolgen des Irrtums vorsah. 91 Kellmann, JuS 1971, 609, 614f.; zustimmend v. Craushaar, AcP 174 (1974), 2, 7f., 9f.; wohl auch Henrich, RabelsZ 1971, 55, 67. 92 Bydlinski, Privatautonomie, S. 159.
D. Die fehlerhafte Willenserklärung
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dann müßte er auch für solche Erklärungsakte rechtsgeschäftlieh haften, von denen er auch bei Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt nicht erkennen konnte, daß diese objektiv den Tatbestand einer Willenserklärung darstellen. Im Verhältnis zum Empfänger der Erklärung würde der Erklärende ungleich schwerer belastet. Aus den Vorschriften der §§ 122 Abs.2, 142 Abs. 2 BGB ergibt sich, daß der Erklärungsempfänger schon bei Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt geschützt wird; die objektive Erkennbarkeit eines Irrtums des Erklärenden schadet ihm nicht. Es wäre ein Verstoß gegen das Gebot der Gleichbehandlung, den Erklärenden strenger haften zu lassen, d. h. ihm eine Erklärungshaftung aufzubürden, obwohl er die verkehrserforderliche Sorgfalt beachtet hat93 • Hierdurch würde die Balance zwischen den gleichzuwägenden Interessen des Erklärenden und des Erklärungsempfängers zu Ungunsten des Erklärenden abgeändert 94 . Dieses Zurechnungsproblem stellt sich in gleicher Weise bei Willenserklärungen, die mit Erklärungsbewußtsein abgegeben werden, wenn über den Inhalt eines Begriffs Unklarheit herrscht. Dies läßt sich an einem Beispiel von Larenz 95 veranschaulichen: Unter "Hochparterre" versteht man in einigen Teilen Deutschlands das Erdgeschoß, in anderen Teilen dagegen das darüberliegende Stockwerk (,,1. Stock"). Wenn der Mieter, der "Hochparterre" allein in der Bedeutung Erdgeschoß kennen kann, dem Vermieter, der dem Begriff allein den anderen Inhalt beimessen kann, ein schriftliches Angebot übersendet, das "Hochparterre" zu mieten, ergibt eine Auslegung von Empfängerhorizont, daß damit der ,,1. Stock" gemeint ist. Der Mieter, der sich von der so verstandenen Erklärung lossagen will, müßte seine Erklärung anfechten mit der Folge einer Schadensersatzverpflichtung aus § 122 BGB. Würde dagegen der Mieter ein entsprechendes schriftliches Angebot des Vermieters akzeptieren, käme der Vertrag über das Erdgeschoß zustande; der Vermieter wäre im Fall der Anfechtung zum Schadensersatz aus § 122 Abs. 1 BGB verpflichtet. Hier rechtfertigt sich die Schadensersatzverpflichtung nicht aus dem Gesichtspunkt heraus, daß der Inhalt des Schreibens zweideutig wäre: für beide Beteiligten hatte der Begriff "Hochparterre" nur eine einzige Bedeutung. Warum es in diesem Fall allein davon, wer dem Vertragspartner das Angebot unterbreitet hat, und damit letztlich vom Zufall abhängen soll, wer zum Schadensersatz verpflichtet ist, leuchtet nicht ein 96 . Deshalb ist in diesem Beispiel davon auszugehen, daß ein Dissens vorliegt97. Es zeigt sich also auch hier, daß eine Zurechnung allein aufgrund der Kausalität die Balance zwischen den gleichgewichtigen Interessen ins Ungleichgewicht bringen würde. Bydlinski, Privatautonomie, S. 160; ders., JZ 1975, 1, 5. Kramer, Einigung, S. 154. 95 Auslegung, S. 73; zum Beispiel auch Wieser, AcP 184 (1984), 40. 96 Diesen Gesichtspunkt verkennt Wieser, AcP 184 (1984), 40ff. 97 Larenz, Auslegung, S. 73f.; Kramer, Einigung, S. 152; a. A. Wieser, AcP 184 (1984),40,44. 93 94
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§ 6 Wertung der bisherigen Ergebnisse
Deshalb kann dem Erklärenden die objektive Bedeutung der Erklärung nur dann zugerechnet werden, wenn er bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt die Bedeutung seines Verhaltens erkennen konnte 98 • VI. Zusammenfassung zu D
Der Tatbestand einer Willenserklärung setzt außer der objektiven Erklärung mindestens voraus, daß der Erklärende Handlungswillen hatte und daß ihm die Erklärung zurechenbar ist. Die Erklärung ist dem Erklärenden dann zurechenbar, wenn er die objektive Bedeutung seines Verhaltens als Willenserklärung bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt erkennen konnte, der Erklärende also das sog. potentielle Erklärungsbewußtsein hatte. Fehlte dem Erklärenden das aktuelle Erklärungsbewußtsein, nicht aber das potentielle, kann er die Erklärung gern. § 119 Abs.1 BGB anfechten. Er ist einem gutgläubigen Erklärungsempfänger aus § 122 Abs. 1 BGB zum Ersatz des negativen Interesses verpflichtet.
§ 6 Wertung der Ergebnisse des 1. Abschnitts Ob die bisher gefundenen Ergebnisse mit den gesetzlichen Wertungen übereinstimmen, oder ob sich daraus Anhaltspunkte ergeben, die zu einer Einschränkung oder zu einem Ausschluß der Anfechtbarkeit der Vollmacht zwingen, ist Gegenstand der folgenden Überlegungen. Anhaltspunkte für eine Restriktion des § 119 BGB in bezug auf die Vollmacht können sich ergeben aus den Schadensersatzverpflichtungen der §§ 179, 122 BGB, aus den zur Anfechtung berechtigenden Irrtümern sowie aus Gesichtspunkten des Verkehrsschutzes. A. Die Ersatzansprüche bei der Vollmachtsanfechtung I. Wertung der Ergebnisse bei der Außenvollmacht
Wird eine Außenvollmacht gern. § 119 BGB angefochten, steht dem Vertragspartner des Vertreters grundsätzlich allein ein Anspruch gegen den 98 BGHZ 91, 324, 330 = NJW 1984, 2279, 2280; Bydlinski (wie Fn. 93); Bickel, Auslegung, S. 129f.; Flume, BGB AT II, § 23, 1; Gudian, AcP 169 (1969), 232ff.; Soergel / Hefermehl, Vor § 116, Rdn.14; Köhler, BGB AT, § 14 II 2; Kramer, Einigung, S.169ff.; ders., in: MünchKomm., § 119, Rdn. 83; Larenz, BGB AT, § 19 III; ders., Auslegung, S. 89ff.; Schmidt-Salzer, JR 1969, 281, 285. Im Ergebnis so schon durch die Anerkennung einer "fahrlässigen Willenserklärung" Manigk, Verhalten, S. 208ff., dort zum Verschulden S. 231ff.; ders., Vollmachten, S. 632f., 640ff. Vgl. auch Medicus, BGB AT, Rz 608, der zwar eine Anfechtung der ohne Erklärungsbewußtsein abgegebenen Erklärung verlangt, den Anfechtenden aber nicht aus § 122 BGB haften lassen will, sondern aus culpa in contrahendo; hierdurch entfällt die Einstandspflicht bei verkehrsgemäßem Verhalten.
A. Ersatzansprüche bei der Vollmachtsanfechtung
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Vollmachtgeber aus § 122 BGB zu. Der Vertreter haftet seinem Vertragspartner nur dann aus § 179 BGB, wenn er die Anfechtbarkeit der Vollmacht kannte!. Dieses Ergebnis stellt im Vergleich zu sonstigen Anfechtungsfällen keine Besonderheit dar: Es entsteht eine Schadensersatzpflicht allein im Verhältnis zwischen dem Irrenden und dessen Erklärungsgegner. Wie bei jedem anderen anfechtbaren Rechtsgeschäft hängt die Realisierung dieses Anspruchs allein von den Verhältnissen des Irrenden ab. Deshalb ergeben sich aus der Irrtumsanfechtung einer Außenvollmacht keine Anhaltspunkte, die für eine Einschränkung oder einen Ausschluß der Anfechtung streiten. Auch ist kein Grund ersichtlich, neben dem Vollmachtgeber auch den Vertreter haftbar zu machen. Anderes gilt nur dann, wenn der Vertreter den Irrtum des Vollmachtgebers gekannt hat. ll. Wertung der Ergebnisse bei der Innenvollmacht
Wird eine Innenvollmacht wegen Irrtums vom Vollmachtgeber angefochten, ist der Vertreter seinem Vertragspartner grundsätzlich aus § 179 BGB zum Schadensersatz verpflichtet. Der Vertreter seinerseits kann wegen dieser eigenen Schadensersatzverpflichtung gem. § 122 Abs. 1 BGB vom Vollmachtgeber Ersatz verlangen 2 . 1. Der Normalfall Dieses Ergebnis überzeugt auf Anhieb, solange keine Besonderheiten auftreten. Der anfechtende Vollmachtgeber hat im Ergebnis den Schaden, der aufgrund seines Irrtums entstanden ist, dem zu ersetzen, der durch den Irrtum geschädigt ist, nämlich dem Vertragspartner des Vertreters. Und der Vertreter wird nur belastet, wenn er die Anfechtbarkeit der Vollmacht kannte (kennen mußte). Denn sonst erhält er vom Vollmachtgeber gerade das ersetzt, was er seinerseits dem Vertragspartner zu leisten verpflichtet ist. 2. Die Problemfälle Jedoch sind bei der Anfechtung einer Innenvollmacht auch problematische Fallgestaltungen denkbar: Der Vertreter oder der Vollmachtgeber können zahlungsunfähig sein, ein gegen sie gerichteter Anspruch also wertlos. Oder es kann die Haftung des Vertreters wegen § 179 Abs. 3 S. 2 BGB ent1 2
Vgl. oben § 4 C II. Vgl. oben § 4 D I, III.
78
§ 6 Wertung der bisherigen Ergebnisse
fallen, weil dieser minderjährig ist und ohne Zustimmung seiner gesetzlichen Vertreter gehandelt hat3. Zu diesen Problemfällen ist häufig behauptet worden, der Schaden bleibe beim Vertreter "hängen" (so wenn der Vollmachtgeber zahlungsunfähig ist) oder bei dessen Vertragspartner. Deshalb sind von den hier4 gefundenen Ergebnissen abweichende Lösungen vorgeschlagen worden 5 ; einige Autoren haben sich sogar dafür ausgesprochen, eine Anfechtung der Vollmacht grundsätzlich überhaupt nicht zuzulassen 6 . Um voreilige Schlüsse zu vermeiden, bedarf es einer Analyse der Rechtsfolgen in den Problemfällen. a) Zahlungsunfähigkeit des Vollmachtgebers Wird eine Innenvollmacht angefochten, haftet der Vertreter - sofern er den Mangel der Vertretungsmacht nicht kannte - dem Drittkontrahenten gem. § 179 Abs. 2 BGB auf das negative Interesse; der Vertreter kann deshalb aus § 122 BGB Ersatz vom Vollmachtgeber verlangen. Ist der Vollmachtgeber aber zahlungsunfähig, ist der Ersatzanspruch des Vertreters aus § 122 BGB wertlos. Der Schaden, der aufgrund des Irrtums des Vollmachtgebers dem Drittkontrahenten entsteht, würde also tatsächlich beim Vertreter "hängen bleiben", könnte der Dritte den Vertreter in Anspruch nehmen. - Dies aber ist nicht der Fall? § 179 Abs. 2 BGB begrenzt den Vertrauensschaden der Höhe nach auf das positive Interesse. Ist der Vollmachtgeber zahlungsunfähig, ist das Interesse des Drittkontrahenten an der Wirksamkeit des Vertrages rechnerisch gleich Null. Dies erhellt, daß es für den Umfang der Haftung des Vertreters aus § 179 Abs. 2 BGB allein auf die Vermögensverhältnisse des Vollmachtgebers ankommt. Der Vertreter schuldet seinem Vertragspartner also nur insoweit Schadensersatz aus § 179 Abs. 2 BGB, als er seinerseits den Schadensersatzanspruch gegen den Vollmachtgeber realisieren kann. Es bleibt also bei der Anfechtung einer Innenvollmacht der Schaden nie beim Vertreter "hängen", wenn der Vollmachtgeber zahlungsunfähig ist, sondern der Vertragspartner geht leer aus. Dies aber widerspricht nicht der Interessenlage, weil der Drittkontrahent auch ohne die Anfechtung der Vollmacht wegen der Zahlungsunfähigkeit des Voll3 Vgl. dazu van Venrooy, AcP 181 (1981), 220 ff., wonach der Minderjährige nie nach § 179 BGB hafte, auch wenn er mit Zustimmung seiner gesetzlichen Vertreter gehandelt hat. 4 Vgl. oben § 4 D IV (zusammenfassend). 5 Vgl. dazu die Nachweise oben § 4, Fn. 34f., 43f., 57. 6 Brox, JA 1980, 449ff.; ders., BGB AT, RZ 526ff.; Erman / Brox, § 167, Rdn. 27; Eujen / Frank, JZ 1973, 232ff. 7 Zutreffend Flume, BGB AT 11, § 47, 3 c.
A. Ersatzansprüche bei der Vollmachtsanfechtung
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machtgebers leer ausgegangen wäre. Deshalb zwingt dieser Problemfall nicht zu einer Korrektur der bisherigen Ergebnisse. b) Zahlungsunfähigkeit des Vertreters Dem Vertragspartner des Vertreters steht bei der Anfechtung einer Innenvollmacht allein ein Schadensersatzanspruch gegen den Vertreter aus § 179 BGB zu, nicht aber ein Ersatzanspruch gegen den Vertretenen aus § 122 BGB8. Ist der Vertreter zahlungsunfähig, könnte also der Vertragspartner des Vertreters letztlich den aufgrund des Irrtums entstandenen Schaden zu tragen haben, während für den Vollmachtgeber der Irrtum folgenlos bliebe. Aber auch dem ist nicht so, wie eine Analyse der Ansprüche ergibt: Der Anspruch des Vertreters gegen den Vollmachtgeber aus § 122 BGB ist auf Zahlung eines bestimmten Geldbetrages gerichtet, wenn der Vertreter seinem Vertragspartner Schadensersatz geleistet hat. Diese Einbuße an Vermögen ist dann der Schaden, den der Vertreter aufgrund der irrigen Bevollmächtigung erlitten hat. Hat der Vertreter seinem Vertragspartner dagegen noch nicht Schadensersatz geleistet, richtet sich der Anspruch gegen den Vertretenen aus § 122 BGB darauf, daß der Vollmachtgeber ihn von seiner Verbindlichkeit gegenüber dem Drittkontrahenten befreit. Denn diese Verbindlichkeit des Vertreters gegenüber seinem Vertragspartner ist eine Folge davon, daß der Vertreter auf die Wirksamkeit der Vollmacht vertraut hat. Kann der Vertragspartner des Vertreters von diesem eine Zahlung nicht erhalten, bleibt ihm die Möglichkeit, diesen Freistellungsanspruch des Vertreters gegen den Vertretenen zu verwerten, indem er sich diesen Anspruch vom Vertreter abtreten läßt. Die Abtretung eines Freistellungsanspruchs ist allerdings grundsätzlich gern. § 399 BGB ausgeschlossen, da mit ihr notwendigerweise eine Inhaltsänderung verbunden ist. Dies gilt aber nicht, wenn der Anspruch an den Gläubiger der Hauptforderung, von der freizustellen ist, abgetreten wird; vielmehr hat eine solche Abtretung an den Hauptgläubiger zur Folge, daß sich der Freistellungsanspruch in einen Zahlungsanspruch umwandelt 9 • Deshalb kann der Vertragspartner, nachdem ihm vom Vertreter der Freistellungs anspruch abgetreten worden ist, seinen Schaden aus abgetretenem Recht beim Vollmachtgeber geltend machen. Vgl. oben § 4 D I, II. Vgl. statt aller BGHZ 12, 136, 141; WM 1975, 305 = Betrieb 1975,445; WM 1975, 1226, 1227; BAG AP § 611 (Haftung des Arbeitnehmers) Nr. 37 = Betrieb 1966, 825; Palandt / Heinrichs, § 399, Anm. 2 a; Roth, in: MünchKomm., § 399, Rdn. 15; Weber, in: BGB-RGRK, § 399, Rdn. 45; eingehend Gerhardt, Befreiungsanspruch, S. 55 - 70. 8
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§ 6 Wertung der bisherigen Ergebnisse
Ist der Vertreter - aus welchen Gründen auch immer - zu einer Abtretung seines Freistellungsanspruchs an seinen Vertragspartner nicht bereit, so kann dieser mit Hilfe eines gegen den Vertreter erstrittenen Zahlungstitels Befriedigung erlangen, indem er die Forderung des Vertreters gegen den Vertretenen pfänden und sich überweisen läßt. § 851 ZPO steht einer Pfändung und Überweisung des Freistellungsanspruchs nicht entgegen, denn im Verhältnis zwischen dem Gläubiger des Freistellungsanspruchs und dem der Hauptforderung ist eben die Abtretung nicht ausgeschlossen. Auch im Fall der Pfändung und Überweisung des Freistellungsanspruchs an den Gläubiger der Hauptforderung wandelt sich der Freistellungsanspruch ebenso wie bei der Abtretung - in einen Zahlungsanspruch um lO •
Deshalb vermag bei der Anfechtung einer Innenvollmacht der Vertragspartner des Vertreters auch dann für den ihm entstandenen Schaden Ersatz zu erlangen, wenn der Vertreter zahlungsunfähig ist, und zwar vom Vollmachtgeber, dem der Irrtum unterlaufen ist. Aus den vorausgegangenen Überlegungen ergibt sich zugleich, daß ein anderer Einwand gegen die hier vorgetragene Lösung nicht stichhaltig ist. Es ist behauptet worden, der Drittkontrahent würde bei Zahlungsunfähigkeit des Vertreters jedenfalls dann keinen Ersatz von dem Vollmachtgeber erhalten, wenn ein anderer Gläubiger des Vertreters dessen Schadensersatzanspruch gegen den Vertretenen pfändet 11 . Jedoch handelt es sich bei diesem Schadensersatzanspruch des Vertreters - solange dieser seinem Vertragspartner noch keinen Ersatz geleistet hat - um einen Freistellungsanspruch, der gern. § 399 BGB grundsätzlich unabtretbar und deshalb gern. § 851 ZPO auch unpfändbar ist. Folglich kann er von sonstigen Gläubigern des Vertreters nicht gepfändet werden. Somit hat der Vertragspartner des Vertreters immer die Möglichkeit, sich letztlich beim Vertretenen schadlos zu halten.
c) Beschränkte Geschäftsfähigkeit des Vertreters Erteilt der Vollrnach tgeber einem beschränkt Geschäftsfähigen eine Innenvollmacht und ficht diese wegen eines Irrtums an, haftet der Vertreter seinem Vertragspartner wegen § 179 Abs. 3 S. 2 BGB dann jedenfalls nicht, wenn der Vertreter ohne Zustimmung seiner gesetzlichen Vertreter gehandelt hat1 2 . Bestünde hier für den Vertragspartner keine Möglichkeit, Schadensersatz zu erhalten, hätte die Bevollmächtigung eines beschränkt Geschäftsfähigen eine zunächst überraschende Auswirkung: der Drittkontrahent müßte seinen Schaden selbst tragen, der Vertretene bräuchte keinen Schadensersatz zu leisten. Dieses Ergebnis wird für untragbar gehalten, weil der Irrtum des Vollmachtgebers nichts mit der bechränkten Geschäftsfähigkeit des Vertreters zu tun hat und das Interesse des Drittkontrahenten, Schadensersatz zu erhalten, ebenfalls unverändert ist1 3 • 10 RGZ 81, 250, 252ff.; Gerhardt, Befreiungsanspruch, S.55ff.; Stein / Jonas / Münzberg; § 851, Anm. III 4. 11 Z.B. Flurne, BGB AT 11, § 52, 5 e. 12 Vgl. dazu oben Fn. 3. 13 So besonders Flurne, BGB AT 11, § 52, 5; ebenso Brox, JA 1980, 449, 450.
A. Ersatzansprüche bei der Vollmachts anfechtung
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Im Hinblick auf den Vertragspartner des Vertreters können die Bedenken nicht geteilt werden. Dieser ist nämlich nicht schutzbedürftig, da er allein auf die Behauptung des Vertreters, Vertretungsmacht zu besitzen, vertraut hat. Wäre dem Vertreter nie eine Vollmacht erteilt worden, würde einem Schadensersatzanspruch des Vertragspartners ebenfalls § 179 Abs.3 S.2 BGB entgegenstehen. Deshalb ist es nicht unbillig, wenn ebendiese Rechtsfolge auch bei einer fehlerhaften Bevollmächtigung eintriW 4 • Anders ist es aber, betrachtet man die Situation des Vollmachtgebers. Es ist unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einzusehen, daß dieser allein deshalb, weil er einen beschränkt Geschäftsfähigen bevollmächtigt hat, entlastet wird. Dies könnte sonst bewirken, daß nach Möglichkeit Minderjährige zu Vertretern bestellt werden, um das Risiko einer Inanspruchnahme auf Schadensersatz bei einer Irrtumsanfechtung der Vollmacht auszuschließen. Jedoch erweist sich auch hier die Prämisse, daß der Vertragspartner des Vertreters den Schaden, der durch die Anfechtung der Vollmacht entsteht, zu tragen hat und der Vollmachtgeber deshalb entlastet wird, als unrichtig. Denn über die Grundsätze der Drittschadensliquidation hat im Ergebnis der Vertretene dem Vertragspartner des Vertreters dessen Schaden zu ersetzen 15 • Es macht das Wesen der Drittschadensliquidation aus, daß sich ein Schaden, der typischerweise dem Anspruchsinhaber entsteht, wegen besonderer Umstände oder aufgrund gesetzlicher Vorschriften ausnahmsweise auf einen Dritten verlagert, der Dritte aber einen eigenen Schadensersatzanspruch gegen den Schädiger nicht hatl 6 • Diese Grundvoraussetzungen sind bei der Anfechtung der einem Minderjährigen erteilten Innenvollmacht gegeben. Üblicherweise würde dem Vertreter aufgrund seiner Haftung aus § 179 BGB ein Schaden entstehen, welchen der Vollmachtgeber gern. § 122 BGB zu tragen hätte. § 179 Abs. 3 S. 2 BGB schließt die Ersatzpflicht des Minderjährigen aus, nimmt ihm aber nicht den Anspruch gegen den Vollmachtgeber aus § 122 BGB. Ein unmittelbarer Anspruch gegen den Vollmachtgeber steht dem Drittkontrahenten nicht zu. Zwar handelt es sich bei dieser Konstellation nicht um einen der weithin anerkannten Fälle der Drittschadensliquidation17 ; diese aber sind nicht Lüderitz, JuS 1976, 765, 770. Canaris, Vertrauenshaftung, S. 546 Fn. 26. 16 Vgl. v. Caemmerer, ZHR 127 (1965), 241, 250; Canaris, Lücken, S.156ff.; Grunsky, in: MünchKomm., Vor § 249, Rdn.116f.; Kollhosser, AcP 166 (1966), 277, 304; Lange, Schadensersatz, § 8111 1; Steding, JuS 1983, 29ff. Kritisch zur Drittschadensliquidation Hagen, Drittschadensliquidation, passim, und Esser / Schmidt, Schuldrecht AT, § 34 IV, die sie nur bei der mittelbaren Stellvertretung anwenden wollen; insoweit sei die gewohnheitsrechtlich anerkannt. 17 Dies sind folgende Fälle: - mittelbare Stellvertretung - obligatorische Gefahrentlastung bei Übereignungspflichten - Obhutspositionen für Sachen eines Dritten; 14
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6 Stüsser
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§ 6 Wertung der bisherigen Ergebnisse
abschließend, sondern bei entsprechend gelagerter Interessenlage kommen auch weitere Anwendungsfälle in Betrachtl 8 • Bei der angefochtenen Innenvollmacht, die einem Minderjährigen erteilt ist, liegt eine vergleichbare Interessenlage vor. Der Haftungsausschluß des § 179 As. 3 S. 2 BGB dient allein dem Schutz des beschränkt Geschäftsfähigen, nicht aber der Entlastung des Vollmachtgebers oder der Belastung des Drittkontrahenten. Es handelt sich dabei ebenso um eine allein das Innenverhältnis zwischen dem Vertreter und seinem Vertragspartner regelnde Vorschrift wie die Gefahrtragungsregeln in den anerkannten Fällen der Drittschadensliquidation. Dies berechtigt, auch hier diese Grundsätze anzuwenden. Also kann der minderjährige Vertreter den seinem Vertragspartner entstandenen Schaden beim Vollmachtgeber zugunsten des Drittkontrahenten liquidieren. Dagegen kann der Vertragspartner des Vertreters den Vollmachtgeber nur dann selbst in Anspruch nehmen, wenn der Vertreter ihm den Anspruch aus § 122 BGB gegen den Vertretenen abgetreten hat. Zwar handelt es sich bei einer solchen Abtretung durch den beschränkt Geschäftsfähigen nicht um ein Geschäft, durch das der beschränkt Geschäftsfähige lediglich einen rechtlichen Vorteil erlangt (§ 107 BGB), sondern um ein neutrales Geschäft, da vermögensrechtliche Belange des Minderjährigen nicht berührt werden. Auch ein solches Geschäft aber kann der beschränkt Geschäftsfähige ohne Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters entsprechend § 107 BGB abschließen 19. d) Ergebnis Folglich führen die Schadensersatzpflichten aus §§ 122, 179 BGB bei der Anfechtung einer Innenvollmacht auch in den Problemfällen zu interessengerechten Ergebnissen. Es besteht deshalb keine Veranlassung, die aufgezeigten Lösungen zu korrigieren.
B. Die zur Anfechtung der Vollmacht berechtigenden Irrtümer Einer Bevollmächtigung kann eine Vielzahl von Irrtümern zugrunde liegen, die den Vollmachtgeber zur Anfechtung gern. § 119 BGB berechtigen. Es sind dies Irrtümer über das vom Vertreter abzuschließende Geschäft, über die dem Vertreter eingeräumte Rechtsrnacht sowie Irrtümer über die Person oder über solche Eigenschaften des Vertreters, deren Vorhandensein vgl. v. Caemmerer, ZHR 127 (1965), 241, 255ff.; Kollhosser, AcP 166 (1966), 277, 304 Fn. 93; Staudinger I Medicus, § 249 BGB, Rdn.194ff.; Steding, JuS 1983, 29ff. 18 Z.B. Grunsky, in: MünchKomm., Vor § 249, Rdn. 117; Kollhosser, AcP 166 (1966),277,305; vgl. aber oben Fn.16. 19 Z.B. Staudinger I Dilcher, § 107, Rdn. 20; Soergell Hefermehl, § 107, Rdn. 5.
B. Zur Anfechtung berechtigende Irrtümer
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die Verkehrs auffassung zur Ausführung des Vertretergeschäfts fordert. Außerdem kann eine Vollmacht angefochten werden, wenn dem Vertretenen bei der Erteilung das aktuelle Erklärungsbewußtsein fehlte 20 . Bei einer irrigen Bevollmächtigung aber besteht ein wesentlicher Unterschied zu sonstigen Anfechtungsfällen. Die Bevollmächtigung hat für sich all eine überhaupt keine Auswirkungen auf die Vermögensverhältnisse des Vollmachtgebers. Solche ergeben sich erst dadurch, daß der Vertreter die Vollmacht gebraucht, indem er im Namen des Vertretenen kontrahiert. Dabei ist es möglich, daß sich der Irrtum im Vertretergeschäft niederschlägt, aber ebenso kann der Irrtum bei der Bevollmächtigung für das Vertretergeschäft völlig bedeutungslos bleiben. Dies gilt es im folgenden näher zu betrachten. I. Die Auswirkungen eines Irrtums bei der Bevollmächtigung auf das Vertretergeschäft
1. Irrtümer über das Vertretergeschäft Irrtümer des Geschäftsherrn bei der Bevollmächtigung können sich in unterschiedlicher Weise auf das Vertretergeschäft beziehen. Zunächst ist an solche Fälle zu denken, in denen der Vollmachtgeber irrtümlich zu einem anderen Vertragstyp bevollmächtigt (z.B. Kauf statt Miete) oder in denen er das Vertragsobjekt irrtümlich falsch bezeichnet (Buch von Heinrich Mann statt von Thomas Mann)21. Typisch für solche Irrtümer ist, daß sich der Irrtum immer im Vertretergeschäft niederschlägt: wer ein Buch von Thomas Mann erwerben will, hat sich damit gegen ein solches von Heinrich Mann entschieden; wer ein Buch leihen möchte, hat sich entschieden, es nicht zu kaufen. Möglich sind aber auch andere Fallgestaltungen. Beispiell: VG bevollmächtigt den V zum Verkauf seines Gebrauchtwagens für mindestens 5600 DM. Er meinte aber 6500 DM. Beispiel 2: VG bevollmächtigt den Makler V, ein Baugrundstück zum Preis von maximal 60000 DM zu kaufen, er wollte aber 90000 DM ,als Preisobergrenze. V kauft ein Grundstück für 59000 DM.
In diesen Beispielen hängt es allein vom Verhalten des Vertreters ab, aus der Sicht des Vollmachtgebers betrachtet also vom Zufall, ob sich der Irrtum bei der Bevollmächtigung letztlich auf das Vertretergeschäft auswirkt oder ob der vom Vertretenen erstrebte wirtschaftliche Erfolg trotz des Irrtums eintritt. 20
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Vgl. oben § 5. Vgl. das Beispiel 1 oben § 5 A I und das Beispiel oben § 5 All.
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So deckt sich das Vertretergeschäft mit den Erwartungen des Vollmachtgebers, wenn der Vertreter im ersten Beispiel den Gebrauchtwagen für 7000 DM verkauft, dagegen nicht, wenn der Vertreter 6000 DM als Kaufpreis vereinbart. Im zweiten Beispiel kann der vom Vertreter geschlossene Vertrag den Interessen des Vollmachtgebers gerecht werden: der vereinbarte Preis liegt innerhalb des Rahmens, den sich der Vertretene vorgestellt hatte. Möglicherweise hatte der Vollmachtgeber mit der Preisangabe aber auch konkrete Vorstellungen von dem Grundstück, etwa von der Lage in einer ruhigen Wohngegend verbunden. Sein Irrtum wirkt sich dann deshalb nachteilig aus, weil ein entsprechend billigeres Grundstück diese Voraussetzungen nicht erfüllt. Diese Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen. Charakteristisch für diese Fälle ist, daß sich erst aufgrund einer eigenen Bewertung der Interessenlage durch den Vertreter herausstellt, ob der Irrtum des Vollmachtgebers seinen Niederschlag im Vertretergeschäft findet oder nicht. Und schließlich ist noch an eine letzte Gruppe möglicher Irrtümer zu denken, in der ein Irrtum bei der Bevollmächtigung nie auf das Vertretergeschäft durchschlägt. So ist es etwa bei einer Einkaufsvollmacht für einen konkreten Kaufgegenstand, wenn der Vollmachtgeber in der Vollmacht den Höchstpreis irrtümlich zu niedrig angibt; entsprechend bei einer Verkaufsvollmacht den Mindestverkaufspreis zu hoch.
2. Irrtümer über den Umfang der Vertretungsmacht Bezieht sich der Irrtum des Vollmachtgebers auf den Umfang der dem Vertreter erteilten Vollmacht, ergibt sich ein ähnlicher Befund. Dies verdeutlicht ein von Hupka 22 stammendes Beispiel: Der Prinzipal, der dem V eine Generalhandlungsvollmacht einräumen will, erteilt versehentlich Prokura.
Obwohl der Bevollmächtigung ein Irrtum zugrunde liegt, wirkt sich dieser nicht auf alle die Vertretergeschäfte aus, die vom Umfang der Handlungsvollmacht erfaßt werden (54 HGB). Der Irrtum schlägt sich erst dann in einem Vertretergeschäft nieder, wenn diese von der Handlungsvollmacht nicht mehr gedeckt ist, wenn der Vertreter also beispielsweise Wechsel für den Prinzipal akzeptiert. Also hängt es auch hier allein vom Verhalten des Vertreters und damit für den Prinzipal letztlich vom Zufall ab, ob seinem Irrtum Bedeutung zukommt oder nicht. 22
Hupka, Vollmacht, S. 138.
B. Zur Anfechtung berechtigende Irrtümer
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3. Vertreterbezogene Irrtümer Irrt sich der Vollmachtgeber bei der Bevollmächtigung über die Person oder eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Vertreters, ist ebenfalls vor Abschluß des Vertretergeschäfts offen, ob sich der Irrtum jemals auswirken wird. Beispiel 1: Es kann der Vertreter, von dessen Kunstsachverstand der Vollmachtgeber ausgeht, einen Glücksgriff tun, obwohl er von Kunst nicht viel versteht, und die Gemälde des Vollmachtgebers zu einem angemessenen Preis verkaufen. Oder aber der fehlende Kunstsachverstand bestätigt sich in den abgeschlossenen Geschäften. Beispiel 2: Dem Makler V, dem aufgrund einer Verwechslung die (notariell beurkundete) Verkaufsvollmacht übersandt wurde, gelingt es, das Grundstück sofort zu günstigen Bedingungen zu verkaufen. Diese Verwechslung kann sich für den Vollmachtgeber aber auch negativ auswirken, wenn der Vertreter, der nur einen kleinen Geschäftsbetrieb unterhält, das Grundstück mangels solventer Kunden unter Wert verkauft.
Auch hier erweist sich also, daß das Erreichen oder Nichterreichen des erstrebten Erfolges für den Vollmachtgeber zufällig ist und allein davon abhängt, wie der Vertreter das Geschäft wertet.
4. Bevollmächtigung ohne aktuelles Erklärungsbewußtsein Fehlte dem Vollmachtgeber bei der Bevollmächtigung das aktuelle Erklärungsbewußtsein, wirkt sich dieser Irrtum stets auf das Vertretergeschäft aus: denn da der Vollmachtgeber überhaupt keine Vollmacht erteilen wollte, kann ein Vertretergeschäft nie seinem wirklichen Willen im Augenblick der Bevollmächtigung entsprechen. 11. Die Einschränkung des Anfechtungsrechts
1. Problemstellung Es hat sich also gezeigt, daß Irrtümer bei der Bevollmächtigung unterschiedliche Folgen für das Vertretergeschäft haben. Bestimmte bei der Bevollmächtigung unterlaufene Irrtümer wirken sich für den Vollmachtgeber immer wirtschaftlich nachteilig im Vertretergeschäft aus, andere nie. In den verbleibenden Fällen hängt es allein vom Verhalten des Vertreters, also seiner Bewertung des Geschäfts ab, ob der Irrtum bei der Bevollmächtigung seinen Niederschlag im Vertretergeschäft findet. Und doch hat in allen Fällen der Bevollmächtigung - isoliert betrachtet - ein i.S.d. § 119 BGB wesentlicher Irrtum zugrunde gelegen. Soll dem Vollmachtgeber deshalb in jedem Fall, also unabhängig von der Auswirkung des Irrtums auf das Vertretergeschäft, die Anfechtung der Vollmacht gestattet sein?
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§ 6 Wertung der bisherigen Ergebnisse
Ganz zwanglos scheint sich diese Lösung anzubieten: Der Vollmachtgeber darf die Vollmacht nur dann anfechten, wenn sich der Irrtum auf das Vertretergeschäft ausgewirkt hat, anderenfalls ist ihm eine Anfechtung der Vollmacht verwehrt. Bei einer solchen Betrachtung wird aber ein anderes Problem übersehen. In vielen Fällen hängt es allein von der Bewertung des Geschäfts durch den Vertreter ab, ob sich der Irrtum des Vollmachtgebers bei der Bevollmächtigung auf das Vertretergeschäft auswirkt. Wertet der Vertreter Gesichtspunkte, die für das Vertretergeschäft von Bedeutung sind, falsch, ist eine Anfechtung des Vertretergeschäfts wegen des dem Vertreter unterlaufenen Wertungsfehlers ausgeschlossen: § 166 Abs. 1 BGB eröffnet für Willensmängel des Vertreters keine Anfechtungsmöglichkeiten, die über die §§ 119ff. BGB hinausgehen. Läßt man in solchen Fällen eine Anfechtung der Vollmacht zu, werden rechtlich unbeachtliche Motivirrtümer des Vertreters mittelbar rechtlich relevant: dem Vollmachtgeber wird die Möglichkeit gewährt, über den Umweg der Vollmachtsanfechtung das Vertretergeschäft wegen eines Motivirrtums des Vertreters zu Fall zu bringen. Hätte oben im ersten Beispiel der Vollmachtgeber selbst wegen mangelnden Kunstsachverstands die Gemälde unter Wert verkauft, hätte er seine Erklärung nicht anfechten können, er wäre also an die Kaufverträge gebunden gewesen. Aufgrund des Umstands, daß dem Bevollmächtigten - entgegen der Erwartung des Vollmachtgebers - ebenfalls Kunstsachverstand fehlt, könnte sich der Vollmachtgeber durch Anfechtung der Vollmacht von den Verträgen lösen.
Für eine Einschränkung der Anfechtbarkeit der Vollmacht ergeben sich also zwei mögliche Anhaltspunkte: zunächst könnte von Bedeutung sein, ob sich der Irrtum bei der Bevollmächtigung auf das Vertretergeschäft ausgewirkt hat. Außerdem könnte erheblich sein, ob das Vertretergeschäft auf einer eigenständigen Bewertung der widerstreitenden Parteiinteressen durch den Vertreter beruht.
2. Der Ausschluß des Anfechtungsrechts wegen Rechtsmißbrauchs Ob eine Einschränkung der Vollmachtsanfechtung überhaupt geboten ist, ist umstritten. Teilweise 23 wird eine Einschränkung ausdrücklich verneint 24 . 23 Staudinger / Dilcher, § 167, Rdn. 78f.; Lüderitz, JuS 1976, 765, 770; wohl auch Larenz, BGB AT, § 31 11 mit Fn. 26. 24 Einige Autoren, die zwar zur Vollmachts anfechtung Stellung beziehen, äußern sich nicht zur Frage der Einschränkung der Anfechtbarkeit; so z.B. Staudinger / Coing, § 167, Rdn.26, 28; Palandt / Heinrichs, § 167, Anm.lc; Jauernig, § 167, Anm. 7; Enneccerus / Nipperdey, BGB AT, § 203 111 8; Soergel / Schultze-v. Lasaulx, § 166, Rdn. 22f.; Thiele, in: MünchKomm., § 167, Rdn. 79ff.
B. Zur Anfechtung berechtigende Irrtümer
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Konsequenz dieser Auffassung ist, daß der Vertretene auch dann, wenn der Irrtum für das Vertretergeschäft völlig bedeutungslos geblieben ist, sich durch die Anfechtung der Vollmacht von dem Vertretergeschäft lösen kann. Hat etwa der Vertreter bei irriger Angabe eines zu niedrigen Mindestverkaufspreises mehr als den gewollten Mindestpreis erzielt, könnte der Vollmachtgeber die Vollmacht anfechten, etwa weil ihm inzwischen ein noch höheres Angebot vorliegt, oder auch, weil er es sich "anders überlegt" hat.
Der eigentliche Grund für die Anfechtung der Vollmacht ist dann aber nicht, die Folgen des Irrtums zu beseitigen, sondern ein anderer, häufig ein spekulativer. § 119 BGB dient aber allein dazu, dem Irrenden zu ermöglichen, sich von den Folgen seines Irrtums zu befreien, ist die rechtliche Konsequenz daraus, daß das Gesetz seine Erklärung trotz des Irrtums zunächst wirksam sein läßt. Ficht der Vollmachtgeber die Vollmacht aus einem anderen Grund als zur Beseitigung der Irrtumsfolgen an, benutzt er sein Anfechtungsrecht zu anderen Zwecken als denen, weshalb ihm das Anfechtungsrecht gewährt wird. Die Ausnutzung einer Rechtsposition zu anderen, sachfremden Zwekken ist aber ein Fall des Rechtsrnißbrauchs und damit gern. § 242 BGB unzulässig25 . Vergleichbar ist diese Situation dem Fall, daß der Vertragspartner des Irrenden sich bereiterklärt, zu den vom Irrenden tatsächlich gewollten Bedingungen zu kontrahieren: hier besteht Einigkeit darüber, daß eine Anfechtung der Erklärung ausgeschlossen ist 26 . Deshalb berechtigt nicht jeder Irrtum, der für die Bevollmächtigung i. S. v. § 119 BGB erheblich ist, auch zu deren Anfechtung nach Abschluß eines Vertretergeschäfts. Gern § 242 BGB ist eine Anfechtung vielmehr immer dann ausgeschlossen, wenn die Anfechtung nicht zur Beseitigung der Folgen des Irrtums, sondern allein anderen Zwecken dient 27 . Dies ist immer dann der Fall, wenn sich der Irrtum bei der Bevollmächtigung nicht auf das Vertretergeschäft ausgewirkt hat. Oder anders gewendet: wenn das Vertretergeschäft ohne den Irrtum des Vollmachtgebers nicht anders abgeschlossen worden wäre, ist eine Vollmachtsanfechtung ausgeschlossen.
25 Staudinger / Weber, § 242, Rdn. D 83; vgl. auch Soergel / Siebert / Knopp, § 242, Rdn. 249, 252, und Esser / Schmidt, Schuldrecht AT, § 10 III 1, die von "institutionellem Rechtsfehlgebrauch" sprechen. 26 Vgl. statt aller Staudinger / Dilcher, § 119, Rdn. 75; Kramer, in: MünchKomm., § 119, Rdn. 129; aus dem älteren Schrifttum z.B. Regelsberger, JherJB 58 (1911), 146, 156. 27 So im Ergebnis auch Weber, Handlungen, S. 83.
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§ 6 Wertung der bisherigen Ergebnisse
3. Ausschluß des Anfechtungsrechts bei eigener Bewertung des Geschäfts durch den Vertreter? Fraglich bleibt, ob dies die einzige Einschränkung der Anfechtbarkeit einer Vollmacht ist 28 , oder ob ein Irrtum des Vollmachtgebers bei der Bevollmächtigung auch dann unberücksichtigt bleiben muß, wenn sich dieser allein aufgrund einer selbständigen Bewertung des Vertretergeschäfts durch den Vertreter auf dieses ausgewirkt hat. Dann würde insbesondere eine Anfechtung wegen eines Irrtums über die Person oder eine Eigenschaft des Vertreters nicht zur Anfechtung der Vollmacht berechtigen29 . a) Die Bedeutung des § 166 BGB Gesetzlicher Anhaltspunkt für eine solche Einschränkung kann allein § 166 BGB sein. Nach Abs.1 dieser Vorschrift kommt es, wenn eine Willenserklärung durch Willensmängel beeinflußt ist, für die rechtlichen Folgen auf die Person des Vertreters, nicht auf den Vertretenen an. Es berechtigen also i.S.v. §§ 119ff. BGB beachtliche Willensmängel des Vertreters zur Anfechtung - aber nur zur Anfechtung der Vertretererklärung. Ebenso geht es in Abs. 2 dieser Vorschrift allein um die Anfechtung der Vertretererklärung30 , nicht aber um die Anfechtung der Bevollmächtigung. Deshalb lassen sich aus § 166 BGB keine Schlüsse auf die Anfechtbarkeit der Vollmacht selbst ziehen. b) Die Kumulation der Willensmängel Wäre eine Vollmachtsanfechtung allein im Fall des Rechtsmißbrauchs ausgeschlossen, hätte dies zur Folge, daß das Vertretergeschäft doppelt anfällig ist: Willensmängel des Vertreters beim Vertretergeschäft sind über § 166 Abs.1 BGB beachtlich, solche des Vollmachtgebers bei der Bevollmächtigung entziehen dem Vertretergeschäft ebenfalls die Grundlage. Hätte 28 Dies sehen als einzige Voraussetzung für den Ausschluß der Anfechtung der Vollmacht an Hupka, Vollmacht, S.135ff.; Müller-Freienfels, Vertretung, S. 402ff. (404); Weber, Handlungen, S. 73ff. (83); wohl auch Frotz, Verkehrsschutz, S. 320 Fn. 783, der die Formulierung Müller-Freienfels' aufgreift, daß sich ohne Berücksichtigung des Vertretergeschäfts nicht beurteilen lasse, ob der Irrtum zur Anfechtung berechtigt. 29 Dies fordern, wenngleich mit unterschiedlicher Begründung, Brox, JA 1980, 449ff.; ders., BGB AT, Rdn. 528; Erman / Brox, § 167, Rdn. 27; Eujen / Frank, JZ 1973, 232ff.; Flume, BGB AT 11, § 52, 5 c Fn. 31; Rosenberg, Stellvertretung, S.134f., 143, 716ff., 736f., 742. Vgl. auch Diederichsen / Marburger, S. 147, wonach eine Anfechtung über die Vertrauenswürdigkeit nur bei höchstpersönlichen Geschäften in Betracht komme. 30 § 166 Abs. 2 BGB handelt seinem Wortlaut nach allerdings nicht von Willensmängeln. Vgl. dazu schon oben § 4 A III 2 mit Fn.l.
B. Zur Anfechtung berechtigende Irrtümer
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der Vollmachtgeber dagegen selbst kontrahiert, hätten nur seine Willensmängel das Geschäft gefährden können. In dieser doppelten Anfälligkeit des Vertretergeschäfts gegen Willensmängel sehen einige Autoren 31 einen Verstoß gegen die berechtigten Interessen des Vertragspartners. Die Einschaltung eines Vertreters diene allein dem Interesse des Vertretenen. Deshalb dürfe dieser hieraus keine Vorteile ziehen, die er bei einem Selbstabschluß des Vertrages nicht hätte. Diese Argumentation läuft darauf hinaus, die Unterschiede in der Rechtsfolge zwischen dem Selbsthandeln eines Vertragspartners und dem Handeln von dessen Hilfsperson zu beseitigen. Jedoch ist im BGB deutlich zwischen beiden unterschieden. Besonders eindrucksvoll belegt dies § 278 S. 2 BGB. Aber auch das Vertretungsrecht unterscheidet zwischen dem Selbstabschluß und dem Vertragsabschluß durch einen Vertreter, wie insbesondere ein Umkehrschluß aus § 166 Abs. 2 BGB beweist. Es handelt sich hierbei um die einzige vertretungsrechtliche Vorschrift, die im Ergebnis den Vertragsabschluß durch einen Stellvertreter dem Selbstabschluß angleicht, indem sie bestimmt, daß sich ein bösgläubiger Geschäftsherr nicht hinter einem gutgläubigen Vertreter verstecken darf. Dabei stellt § 166 Abs. 2 BGB klar, .daß diese Regelung nur dann gilt, wenn der Vertreter nach den Weisungen des Vertretenen gehandelt hat. Deshalb kann der Geschäftsherr durchaus Eigentum kraft guten Glaubens durch ein Vertretergeschäft erwerben, wenn er selbst nicht in gutem Glauben ist, sofern der Vertreter bei dem Geschäft nicht nach seinen Weisungen gehandelt hat (arg. § 166 Abs.1 BGB). Diese klare Trennung zwischen dem Selbstabschluß und dem Abschluß durch Stellvertreter darf nicht ohne zwingenden Grund aufgegeben werden, zumal der Vertragspartner des Vertreters keines besonderen Schutzes bedarf32 ; Wegen des Offenheitsgrundsatzes (§ 164 Abs. 1 BGB) weiß der Vertragspartner, daß er nicht mit dem Geschäftsherrn, sondern mit einem Vertreter kontrahiert, er kennt also die erhöhte Anfälligkeit des Geschäfts. Deshalb ist die erhöhte Anfälligkeit des Vertretergeschäfts gegen Willensmängel kein Grund, die Anfechtbarkeit der Vollmacht weiter zu beschneiden. c) Die Bedeutung der §§ 122 Abs. 2, 142 Abs. 2, 179 Abs. 3 S.l BGB Wird eine Vollmacht angefochten, steht dem Vertragspartner des Vertreters ein Anspruch auf Ersatz des negativen Interesses aus § 179 Abs. 2 BGB oder aus § 122 Abs.1 BGB nicht zu, wenn er die Anfechtbarkeit der Voll31 32
Brox, JA 1980, 449, 451; Eujen / Frank, JZ 1973, 232, 234f. Anders Brox und Eujen / Frank, wie Fn. 31.
§ 6 Wertung der bisherigen Ergebnisse
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macht kannte oder kennen mußte, § 142 Abs. 2 BGB i. V. m. § 179 Abs. 3 S. 1 BGB oder § 122 Abs. 2 BGB. Eujen / Frank33 sind der Ansicht, besonders bei Zweifeln an der Qualifikation des Vertreters könnte der Drittkontrahent in die mißliche Lage kommen, entweder mit dem Vertreter zu kontrahieren mit dem Risiko, nicht einmal Ersatz des negativen Interesses zu erhalten, oder aber sich durch Rückfragen beim Vertretenen zu vergewissern, was als unerbetene Einmischung in fremde Angelegenheiten gewertet werden könnte. Kenntnis (Kennenmüssen) der Anfechtbarkeit, also des Irrtums, setzt aber mehr voraus als nur Kenntnis (Kennenmüssen) der mangelnden Qualifikation des Vertreters. Denn ein Irrtum setzt ein Auseinanderfallen zwischen Vorstellung und Wirklichkeit voraus. Kenntnis (Kennenmüssen) des Irrtums und damit der Anfechtbarkeit setzt also Kenntnis (Kennenmüssen) des Auseinanderfallens von Vorstellung und Wirklichkeit voraus. Dies bedeutet, daß der Vertragspartner des Vertreters den Irrtum über eine wesentliche Eigenschaft des Vertreters beispielsweise nur dann kannte (kennen mußte), wenn er sowohl die fehlende Qualifikation des Vertreters als auch die Vorstellung des Vollmachtgebers vom Vorhandensein der Qualifikation kannte (kennen mußte). Soweit Anhaltspunkte dafür fehlen, daß der Vertretene von bestimmten Qualifikationen des Vertreters ausging, besteht für den Vertragspartner keine Veranlassung, dem Vertretenen Zweifel an der Qualifikation des Vertreters mitzuteilen; ihm ist aber ebensowenig der Vorwurf zu machen, er habe den Irrtum kennen müssen. Ein großes Risiko des Vertragspartners des Vertreters, bei der Vollmachtsanfechtung wegen eines vertreterbezogenen Irrtums zusätzlich zu dem Verlust des Erfüllungsanspruchs auch den Anspruch auf das negative Interesse zu verlieren, besteht also nicht. Vielmehr ist der Anspruch auf das negative Interesse allein dann ausgeschlossen, wenn der Vertragspartner wußte (fahrlässig nicht wußte), daß der Vollmachtgeber hinsichtlich des Vertreters bestimmte Vorstellungen hatte und diese Vorstellungen nicht der Wirklichkeit entsprechen. Dann aber ist es ihm zuzumuten, entweder einen Vertragsschluß zu unterlassen oder bei dem Vertretenen nachzuforschen; als unerbetene Einmischung in fremde Angelegenheiten läßt sich unter diesen Voraussetzungen ein Nachforschen nicht werten. Deshalb wird auch aus diesem Grunde der Vertragspartner des Vertreters nicht unbillig belastet.
m. Ergebnis Wegen der Irrtümer, die bei einer Bevollmächtigung unterlaufen können, scheidet eine Anfechtung der Vollmacht nur dann aus, wenn das Anfech33
JZ 1973, 232, 235.
c. Anfechtung bei Abschluß mehrerer Vertretergeschäfte
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tungsrecht mißbraucht wird. Das Anfechtungsrecht wird mißbraucht, wenn der Vertretene dieses nicht zur Beseitigung der Irrtumsfolgen benutzt, sondern zu sachfremden Zwecken.
c.
Die Vollmachtsanfechtung bei Abschluß mehrerer Vertretergeschäfte I. Problemstellung
Ist dem Vollmachtgeber bei der Bevollmächtigung ein gern. § 119 BGB beachtlicher Irrtum unterlaufen, führt die Anfechtung der Vollmacht dazu, daß allen Vertretergeschäften, die aufgrund der Vollmacht abgeschlossen sind, die Grundlage entzogen wird: Wegen der Rückwirkung der Anfechtung (§ 142 Abs.1 BGB) hat der Vertreter sämtliche Geschäfte ohne Vertretungsmacht abgeschlossen, sie wirken nicht nach § 164 Abs.1 BGB für und gegen den Vertretenen. Ist der Irrtum bei der Bevollmächtigung auf jedes der Vertretergeschäfte durchgeschlagen, ist diese Folge angemessen. Denn hätte jedem Vertretergeschäft eine selbständige Vollmacht zugrunde gelegen, hätte der Vertretene jede dieser selbständig gedachten irrigen Vollmachten anfechten können. Ebenso kann sich ergeben, daß der Irrtum bei der Bevollmächtigung in keinem von mehreren Vertretergeschäften seinen Niederschlag gefunden hat. Hier ist eine Anfechtung der Vollmacht ebenso ausgeschlossen, als hätte der Vertreter nur einmal aufgrund der Vollmacht kontrahiert, ohne daß dem Irrtum Bedeutung zugekommen ist. Schließlich kann die Situation eintreten, daß sich der Irrtum bei der Bevollmächtigung auf einige Vertretergeschäfte auswirkt, auf andere dagegen nicht. So wäre es etwa in dem obigen 34 Beispiel, wenn der Vertreter aufgrund der irrig erteilten Prokura mehrere Geschäfte abschließt, die von der Vertretungsmacht des Handlungsbevollmächtigten erfaßt werden, aber zusätzlich einen Wechsel akzeptiert, also ein außerhalb der Vertretungsmacht des Handlungsbevollmächtigten liegendes Geschäft (§ 54 Abs. 2 HGB).
Hätte hier jedem Vertretergeschäft eine selbständige Vollmacht zugrunde gelegen, könnte der Prinzipal allein die Vollmacht für das Wechselgeschäft anfechten; eine Anfechtung der Vollmachten zu den übrigen Vertretergeschäften wäre an § 242 BGB gescheitert, weil der Prinzipal hierdurch sein Anfechtungsrecht mißbraucht hätte. Diese letzte Situation bereitet Schwierigkeiten: Soll es dem Vertretenen gestattet sein, durch Anfechtung der Vollmacht allen Vertretergeschäften die Basis zu entziehen? - Der Zufall, daß der Irrtum bei der Bevollmächti34
§ 6 B I 2.
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§ 6 Wertung der bisherigen Ergebnisse
gung auf ein einziges Vertretergeschäft durchgeschlagen ist, würde sich für den Vertretenen zum Glücksfall entwickeln: Nach der Vollmachtsanfechtung wären alle Vertretergeschäfte schwebend unwirksam (§ 177 Abs.1 BGB); der Vertretene könnte sich nun für jedes einzelne Geschäft überlegen, ob er es genehmigt oder nicht3 5 - und so zum Nachteil seiner Vertragspartner spekulieren. Da dieses Ergebnis offensichtlich ebenso unbillig ist wie ein genereller Anfechtungsausschluß, gilt es, einen Weg zu finden, der sowohl den Interessen des Vertretenen als auch denen seines Vertragspartners gerecht wird. ß. Die Unanwendbarkeit des § 139 BGB auf die Vollmacht
Zunächst könnte man daran denken, daß eine Anfechtung die Vollmacht nicht völlig vernichtet, sondern die Nichtigkeit nur einen Teil der Vollmacht erfaßt, nämlich den, der nicht mehr vom Willen des Vertretenen gedeckt ist. Dies nimmt in der Tat Hupka 36 - wenngleich ohne dogmatische Begründung - an. Dogmatische Grundlage für eine Teilnichtigkeit der Vollmacht könnte allein § 139 BGB sein. Jedoch paßt diese Vorschrift nicht: Schon die Grundvoraussetzung des § 139 BGB, daß das zu beurteilende Rechtsgeschäft teilbar ist, trifft auf die Vollmacht nicht ZU 37 . Denn es mangelt an Kriterien, anhand derer eine Aufteilung der Vollmacht vorgenommen werden könnte. In einigen Fällen einer irrig erteilten Vollmacht ließe sich theoretisch an eine Teilung der Vollmacht denken. So könnte man sich die im obigen 38 Beispiel irrig erteilte Prokura vorstellen als Handlungsvollmacht und eine darüber hinausgehende Vollmacht. Irrt jedoch der Vollmachtgeber über die Person oder eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Vertreters, ist eine solche Aufteilung schon nicht mehr denkbar.
Eine Beschränkung der Nichtigkeitsfolge bei der Anfechtung auf einen Teil der Vollmacht ist also nicht möglich. Die Anfechtung vernichtet vielmehr die Vollmacht insgesamt. Hat der Vertreter aufgrund der Vollmacht mehrere Geschäfte abgeschlossen, sind sie alle schwebend unwirksam, § 177 Abs.1 BGB.
35 Diesen Gesichtspunkt übersieht Brox, JA 1980, 449, 451, wenn er annimmt, es würde den Interessen des Vertretenen widersprechen, wenn alle Vertretergeschäfte durch die Vollmachtsanfechtung hinfällig werden. 36 Vollmacht, S. 137 ff. 37 Eine andere Frage ist, ob § 139 BGB auf das Verhältnis zwischen dem Grundgeschäft, z.B. dem Auftrag, und der Vollmacht anwendbar ist. Vgl. dazu z.B. Frotz, Verkehrsschutz, S. 328ff., und Flume, BGB AT II, § 32, 2 a, einerseits, Thiele, in: MünchKomm., § 164, Rdn. 94 andererseits. 38 § 6 B I 2.
D. Anfechtung als Vertrauens- und Verkehrsschutzproblem
m.
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Die Pflicht des Vertretenen zur Genehmigung der Vertretergeschäfte
Ficht der Vollmachtgeber eine Vollmacht wegen Irrtums an, werden alle Geschäfte, die aufgrund dieser Vollmacht abgeschlossen worden sind, nach § 177 Abs.1 BGB schwebend unwirksam. Die Wirksamkeit des Vertrages hängt also von der Genehmigung des Vertretenen ab. Ob der Vertretene aber frei in seiner Entscheidung ist, die Genehmigung zu erteilen oder zu verweigern, ist fraglich. Soweit sich der Irrtum bei der Bevollmächtigung auf das einzelne Vertretergeschäft ausgewirkt hat, besteht kein Anlaß, dem Vertretenen die Entscheidungsfreiheit zu nehmen, ob er das Vertretergeschäft genehmigen will oder nicht. Denn hätte diesem Geschäft eine eigene Vollmacht zugrunde gelegen, hätte der Vertretene ebenfalls die Wahl gehabt, entweder durch Anfechtung dem Geschäft die Grundlage zu entziehen oder es nicht anzufechten und damit wirksam bleiben zu lassen. Anders ist es aber im Hinblick auf die Geschäfte, auf die der Irrtum bei der Bevollmächtigung ohne Auswirkung geblieben ist. Hätte der Vertreter nur das eine Geschäft aufgrund der Vollmacht abgeschlossen, wäre deren Anfechtung rechtsmißbräuchlich und daher unzulässig. Dem Vertretenen würde also kein Wahlrecht zustehen, das Geschäft entweder verbindlich bleiben zu lassen oder nicht. Das Gesetz enthält für diese Fälle somit die Entscheidung, daß das Geschäft wirksam bleiben soll, ohne daß dem Vertretenen ein Wahlrecht zusteht. An dieser gesetzlichen Wertung ändert sich aber nichts, wenn durch den Zufall, daß sich der Irrtum bei der Bevollmächtigung auf ein anderes Geschäft ausgewirkt hat und deshalb die Bevollmächtigung insgesamt anfechtbar ist, auch dieses Geschäft schwebend unwirksam wird. Dieser gesetzlichen Wertung entspricht es deshalb allein, dem Vertretenen kein Wahlrecht über die Wirksamkeit einzuräumen. Vielmehr ist der Vertretene verpflichtet, das Vertretergeschäft, auf das sein Irrtum bei der Bevollmächtigung ohne Auswirkung geblieben ist, gern. §§ 177,182,184 BGB zu genehmigen. D. Die Anfechtung der Vollmacht als Problem des Vertrauens- und Verkehrsschutzes Bei der Wertung der Ergebnisse der Vollmachts anfechtung ist bisher die Ausgestaltung des vertretungsrechtlichen Verkehrsschutzes für die ausdrückliche Vollmacht noch offengeblieben. Ebenfalls ist die besondere Vertrauenssituation, die bei Abschluß mehrerer Vertretergeschäfte für den Vertragspartner des Vertreters besteht, sowie das Interesse der Allgemeinheit an der Sicherheit des Rechtsverkehrs nicht berücksichtigt worden. Ob sich
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§ 6 Wertung der bisherigen Ergebnisse
diese Gesichtspunkte auf die Zulässigkeit der Vollmachts anfechtung auswirken, gilt es nun zu klären. I. Der Verkehrsschutz des § 170 BGB für die Außenvollmacht
Einen speziellen vertretungsrechtlichen Verkehrsschutz gewährt § 170 BGB für die Außenvollmacht. Nach dieser Vorschrift, deren Dogmatik umstritten ist 39 , wird dem gutgläubigen (§ 173 BGB) Vertragspartner des Vertreters, dem die Außenvollmacht erklärt worden ist, positiver Vertrauensschutz gewährt, bis ihm das Erlöschen der Vollmacht vom Vertretenen mitgeteilt wird. § 170 BGB könnte so aufgefaßt werden, daß der gutgläubige Vertragspartner des Vertreters vor jedem Erlöschen der Außenvollmacht geschützt wird, also auch im Fall der Anfechtung4°.
Schon der Wortlaut des § 170 BGB ("Erlöschen") erfaßt die Anfechtung aber nicht, da diese die Willenserklärung ex tunc nichtig macht. Eine solche Auslegung ist auch weder mit der systematischen Stellung noch mit dem Normzweck des § 170 BGB vereinbar41 • § 170 BGB steht systematisch im Zusammenhang mit §§ 167 Abs.l, 168 BGB. Die dem Dritten erklärte Vollmacht kann durch Erklärung gegenüber dem Vertreter widerrufen werden. Da ein interner Widerruf für den Vertragspartner in der Regel nicht erkennbar ist, ist sein Vertrauen auf den Fortbestand der Vollmacht schutzwürdig. Diesen und nur diesen Schutz vor dem internen Widerruf der Außenvollmacht gewährt § 170 BGB.
Eine Störlösung für Willensmängel dagegen enthält § 170 BGB nicht. Diese Funktion übernehmen vielmehr die §§ 116ff. BGB für alle Willenserklärungen42 . § 170 BGB beinhaltet also keine Beschränkung der Anfechtbarkeit der Außenvollmacht. 11. Das Vertrauensschutzproblem bei Abschluß mehrerer Vertretergeschäfte
Hat der Vertreter aufgrund der Vollmacht mit einem Vertragspartner mehrere Geschäfte abgeschlossen, trifft diesen die Anfechtung der Vollmacht besonders hart: Alle Geschäfte werden durch die Vollmachtsanfechtung schwebend unwirksam43 . Vgl. dazu die Nachweise bei Thiele, in: MünchKomm., § 170, Rdn. 1 - 3. So Tempel, Stellvertretung, S. 240; Würdinger, in: Großkomm. HGB, Vorbem. vor § 48, Anm.13; wohl auch Staudinger / Dilcher, § 170, Rdn. 2. 41 Z.B. Frotz, Verkehrsschutz, S. 318f.; Thiele, in: MünchKomm., § 167, Rdn. 84. 42 Vgl. zu diesem Gesichtspunkt näher unten § 11 B II und § 16 D I. 39 40
D. Anfechtung als Vertrauens- und Verkehrsschutzproblem
95
Im Interesse des Vertragspartners des Vertreters hat deshalb v. Craushaar44 einen Anfechtungsausschluß gefordert: Wenn eine besondere Vertrauenslage besteht, die den Vertrauenden gegen eine Enttäuschung des Vertrauens besonders empfindlich macht, würden die Anfechtungsvorschriften der besonderen Interessenlage nicht gerecht. Deshalb sei die Anfechtung einer Vollmacht schon dann ausgeschlossen, wenn der Vertreter aufgrund der Vollmacht zwei Vertretergeschäfte abgeschlossen hat 45 , die nicht in einem engen zeitlichen oder inhaltlichen Zusammenhang stehen. Den Beweis, daß die §§ 119ff. BGB der Interessenlage nicht gerecht werden, wenn der Vertreter die Vollmacht zweimal gebraucht hat, bleibt v. Craushaar schuldig. Dieser Beweis wird auch nicht zu erbringen sein. Allein aus der Zahl der abgeschlossenen Geschäfte, auf die sich ein Willensmangel im Ergebnis auswirkt, läßt sich nämlich nicht auf die Unanwendbarkeit der §§ 116ff. BGB schließen. Dies erweist sich insbesondere dann, wenn der Dritte sein Vertrauen auf die Vertretungsmacht allein auf die Angaben des Vertreters stützt. Hier ist kein Grund ersichtlich, dem Dritten bei einer anfechtbaren Vollmacht einen stärkeren Schutz zu gewähren, als wenn eine Vollmacht nie erteilt worden ist. Anders ist es möglicherweise dann, wenn sich für das Vertrauen des Drittkontrahenten auf den Bestand der Vollmacht eine zweite Vertrauensgrundlage ergibt, wenn also zu der Innen- oder Außenvollmacht der Tatbestand einer Duldungs- oder Anscheinsvollmacht hinzutritt: Dann stellt sich in der Tat die Frage, ob nach der Anfechtung der Innen- oder Außenvollmacht dem Vertragspartner des Vertreters vertretungsrechtlicher Verkehrsschutz aufgrund der Duldungs- oder Anscheinsvollmacht zu gewähren ist. - Dieser Gesichtspunkt wird unten 46 im Zusammenhang mit der Duldungs- und Anscheinsvollmacht erörtert. Allein aus der Zahl der vom Vertreter aufgrund der irrigen Bevollmächtigung abgeschlossenen Geschäfte läßt sich aber ein Anfechtungsausschluß nicht herleiten.
m.
Das Verkehrsschutzproblem bei Abschluß mehrerer Vertretergeschäfte
Durch die Anfechtung einer Vollmacht wird eine gewisse Unsicherheit für den Verkehr erzeugt, wenn der Vertreter die Vollmacht häufig gebraucht hat. Denn die Anfechtung der Vollmacht hat mittelbar zur Folge, daß sämtliche Vertretergeschäfte schwebend unwirksam werden. 43 44
45 46
Vgl. aber oben § 6 C III zur Genehmigungspflicht des Vertretenen. AcP 174 (1974), 2, 16. Ebenso Weber, Handlungen, S. 98 mit Fn. 247 (für die Außenvollmacht). Vgl. dazu unten § 17 C.
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§ 6 Wertung der bisherigen Ergebnisse
Mit dem Gesichtspunkt der Sicherheit des Verkehrs einen Anfechtungsausschluß zu begründen, würde zunächst voraussetzen, ein taugliches Abgrenzungskriterium dafür zu finden, wann die Verkehrssicherheit die Anfechtung nicht mehr hinzunehmen vermag. Für die Vollmachtskundgabe der §§ 171 Abs.l, 172 Abs.l BGB wollen Canaris 47 und Gotthardt 48 die Anfechtung ausschließen, wenn die kundgegebene Vollmacht auf den Abschluß von Geschäften mit einer unbestimmten Vielzahl von Vertragspartnern gerichtet ist. Demgegenüber stellt v. Craushaar49 für den Anfechtungsausschluß aus Gründen des allgemeinen Verkehrsschutzes auf die Wahl des Kundgebungsmittels ab: Die Anfechtung sei ausgeschlossen, wenn die Vollmacht durch öffentliche Bekanntmachung, durch Ausstellung einer Vollmachtsurkunde oder durch Beschäftigung von Angestellten in einem Laden (§ 56 HGB) kundgegeben wurde. Beide Abgrenzungskriterien werden dem Anliegen nicht gerecht. Wird vom Vertretenen der Irrtum erkannt, nachdem z.B. erst ein einziges Vertretergeschäft abgeschlossen worden ist, wird die Sicherheit des Geschäftsverkehrs nicht stärker belastet als bei einer von vornherein auf den Abschluß eines einzigen Vertretergeschäfts gerichteten Vollmacht. Die Zahl der tatsächlich abgeschlossenen Vertretergeschäfte müßte also entscheidend dafür sein, ob die Verkehrssicherheit beeinträchtigt wird 50 • Aber jede Zahlenangabe wäre rein willkürlich 51 . Entscheidend spricht gegen einen Anfechtungsausschluß aus Gründen der Verkehrssicherheit, daß durch die Anfechtung nicht eine solche Unsicherheit in den Verkehr getragen wird, die dieser nicht hinnehmen könnte. Denn jedes einzelne Vertretergeschäft läßt sich interessengerecht abwickeln 52 . Die Belastung des Geschäftsverkehrs besteht deshalb allein in der Zahl der rückabzuwickelnden Geschäfte. Das fordert aber keinen Anfechtungsausschluß. Denn außerhalb des Vertretungsrechts sind ebenso Irrtümer möglich, die sich auf eine Vielzahl von Geschäften auswirken, so daß diese durch eine Anfechtung sämtlich gern. § 142 Abs. 1 BGB nichtig werden. In solchen Fällen steht die Anwendbarkeit der §§ 119ff. BGB aber außer Zweifel. 47 Vertrauenshaftung, S. 37; ders., JZ 1976, 132, 134, für abhanden gekommene Vollmachtsurkunden. Auf die nicht kundgegebene Innenvollmacht und die Außenvollmacht wendet Canaris, Vertrauenshaftung, S.115, 119 diese Grundsätze nicht an. 48 Anscheinsvollmacht, S. 53. 49 AcP 174 (1974), 2, 17. 50 Hierauf kommt es nach Canaris, Vertrauenshaftung, S.37 Fn.21 überhaupt nicht an. 51 So auch - mit unterschiedlichen Schlußfolgerungen - Bader, Duldungsvollmacht, S.13lf., und Eujen / Frank, JZ 1973, 232, 237. 52 Vgl. oben § 6 A.
E. Zusammenfassung
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Beispiel: Irrtümlich verschickt das Versandhaus einen Prospekt, in dem für einen häufig verkauften Gegenstand ein zu niedriger Preis ausgedruckt ist. Aufgrund der eingehenden Bestellungen wird der Artikel verschickt. Erst bei der Erstellung der Rechnungen einige Tage später wird der Irrtum aufgedeckt. Die Kaufverträge sind aufgrund der Angebote der Kunden zu dem niedrigen Preis zustande gekommen. Auch hier ist eine Vielzahl von Geschäften rückabzuwickeln, wenn der Inhaber des Versandhauses die Annahmeerklärung anficht.
Deshalb fordert auch die Sicherheit des Geschäftsverkehrs nicht, die Zulässigkeit der Vollmachtsanfechtung zu beschränken. IV. Ergebnis
Eine Einschränkung der Zulässigkeit der Vollmachts anfechtung ist also auch aus Gründen des Vertrauensschutzes und des Verkehrsschutzes nicht geboten. Deshalb ist eine Vollmacht auch dann anfechtbar, wenn sie auf den Abschluß einer Vielzahl von Geschäften gerichtet ist und wenn der Vertreter tatsächlich mehrere Geschäfte abgeschlossen hat. E. Zusammenfassung der Ergebnisse des 1. Abschnitts 1. Ist dem Vollmachtgeber bei der Bevollmächtigung ein i. S. v. § 119 BGB
beachtlicher Irrtum unterlaufen, kann er die Vollmacht selbst anfechten. Anfechtungsgegner ist bei der Außenvollmacht allein der Dritte, bei der Innenvollmacht der Vertreter.
2. Ficht der Vertreter eine Außenvollmacht an, ist er dem Vertragspartner des Vertreters aus § 122 Abs.1 BGB zum Ersatz des negativen Interesses verpflichtet. Der Vertreter haftet dem Vertragspartner nur dann, wenn er die Anfechtbarkeit der Vollmacht positiv kannte (§ 179 Abs.1 BGB). Ficht der Vertretene eine Innenvollmacht an, haftet der Vertreter seinem Vertragspartner aus § 179 BGB. Der Vertretene kann wegen des ihm dadurch entstehenden Schadens aus § 122 Abs. 1 BGB vom Vollmachtgeber Ersatz verlangen. 3. Zur Anfechtung der Vollmacht berechtigen den Vollmachtgeber alle i. S. v. § 119 BGB beachtlichen Irrtümer, auch solche über die Person oder eine wesentliche Eigenschaft des Vertreters. 4. Hat sich ein bei der Bevollmächtigung unterlaufener Irrtum auf das Vertretergeschäft nicht ausgewirkt, ist eine Vollmachtsanfechtung wegen Rechtsrnißbrauchs ausgeschlossen. Hat sich der Irrtum nur in einzelnen Vertretergeschäften niedergeschlagen, ist der Vertretene verpflichtet, nach Anfechtung der Vollmacht die Geschäfte zu genehmigen (§ 177 Abs. 1 BGB), für die der Irrtum folgenlos geblieben ist. 7 Stüsser
2. Abschnitt
Die Irrtumsanfechtung der stillschweigenden Bevollmächtigung § 7 Die Voraussetzungen der stillschweigenden Bevollmächtigung A. Begriffsbestimmung
Mit dem Begriff "stillschweigende Bevollmächtigung" sind die verschiedensten Sachverhalte bezeichnet worden l . Auch heute noch besteht nicht völlig Klarheit über den Inhalt dieses Begriffs und seine Abgrenzung zu anderen Tatbeständen, insbesondere zur Duldungsvollmacht. So spricht der BGH im Urteil vom 10.3.1953 2 von einer stillschweigenden Vollmachtserteilung, " ... wenn der Vertretene das ihm bekannte Verhalten des Vertreters duldet und diese Duldung vom Geschäftsgegner nach Treu und Glauben und mit Rücksicht auf die Verkehrssitte dahin gedeutet werden darf, daß der Vertreter vom Vertretenen Vollmacht, für ihn zu handeln, erhalten hat ... " - ein klassischer Fall der Duldungsvollmacht3 . Überwiegend besteht aber heute Einigkeit darüber, daß eine "stillschweigende Bevollmächtigung" die rechtsgeschäftliche Erteilung einer Vollmacht ist 4 . Mit der heute herrschenden Auffassung wird hier unter einer "stillschweigenden Vollmacht" allein der Tatbestand einer rechtsgeschäftlichen Bevollmächtigung verstanden. 1 Vgl. dazu den Überblick über die Rechtsprechung und Literatur bei Krause, Schweigen, S. 22ff., und bei Bader, Duldungsvollmacht, S. 22ff. 2 BGH LM § 167 BGB Nr. 4 = MDR 1953, 345 = Betrieb 1953, 372. 3 Vgl. dazu unten §§ 13 A, 14. 4 Aus der neueren Rechtsprechung z.B. BGH LM § 164 BGB Nr. 24 = MDR 1964, 913 = Betrieb 1964, 1056; LM § 167 BGB Nr.l0, Nr.13, Nr.15; BGH NJW 1973, 1789. Vgl. aus der Literatur nur Bader, Duldungsvollmacht, S. 167f.; Canaris, Vertrauenshaftung, S. 39ff.; Staudinger / Dilcher, § 167, Rdn.29; Larenz, BGB AT, § 33 I a; Soergel / Schultze-v.Lasaulx, § 167, Rdn.17ff.; Thiele, in: MünchKomm., § 167, Rdn. 25; ebenso schon Krause, Schweigen, S.138ff., der allerdings in den Formulierungen schwankt. Anderer Ansicht Flume, BGB AT II, § 49, 3, der auch die Duldungsvollmacht als rechtsgeschäftliche Vollmacht auffaßt; ebenso z.B. Staudinger / Coing, § 167, Rdn. ge. Unklar Enneccerus / Nipperdey, BGB AT, § 184 II 2, der einen Satz mit "Stillschweigende Erteilung (sc. der Vollmacht) kann Z.B. vorliegen, wenn ... " beginnt und ihn mit den Worten "sog. Duldungsvollmacht" beendet.
B. Stillschweigende Willenserklärung
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B. Die konkludente und die stillschweigende Willenserklärung I. Der Grundsatz der Formfreiheit rechtsgeschäftlicher Erklärungen
Das BGB geht davon aus, daß Erklärungen formfrei abgegeben werden können, wenn nicht eine bestimmte Form gesetzlich vorgeschrieben oder von den Parteien selbst vereinbart wurde (§ 125 BGB). Ebensowenig wie eine bestimmte Form verlangt das Gesetz im Grundsatz, daß rechtsgeschäftliche Erklärungen ausdrücklich abgegeben werden müssen. So macht es nach § 164 Abs. 1 S. 2 BGB keinen Unterschied, ob die Vertretererklärung ausdrücklich in fremdem Namen abgegeben wird oder ob die Umstände dies ergeben. Nur ausnahmsweise fordert das Gesetz in einigen Vorschriften eine ausdrückliche Erklärung, z.B. in den §§ 244, 700 Abs. 2 BGB, § 48 Abs. 1 HGB. Im Umkehrschluß folgt daraus, daß Erklärungen - soweit nicht Ausdrücklichkeit vom Gesetz gefordert wird - auch konkludent, durch schlüssiges Verhalten abgegeben werden können. Da das Gesetz diese beiden Arten von Erklärungen nicht unterscheidet, sind beide auch rechtlich gleich zu behandeln5 . Eine hiervon abweichende Auffassung vertritt allerdings Coing 6 : Für ihn ist die "Willensäußerung durch schlüssiges Verhalten" keine Willenserklärung, sondern sie werde vom Gesetz in gewissem Umfang wie eine Willenserklärung gewertet. Es handle sich dabei um eine Vertrauenshaftung kraft schlüssigen Verhaltens, auf die die Vorschriften der §§ 104ff. BGB nicht insgesamt anwendbar seien, insbesondere scheide eine Anwendung der §§ 116 bis 124 BGB aus. Diese Ansicht Coings widerspricht dem Gesetz, welches eben nicht zwischen ausdrücklichen und konkludenten Erklärungen unterscheidet. Auch ist die Unterscheidung Coings nicht praktikabel. Denn auch der Sinn einer "ausdrücklichen" Erklärung läßt sich häufig erst aus den begleitenden Umständen entnehmen7 , da eben auch die Bedeutung eines bestimmten Begriffs nicht eindeutig ist8 oder damit verschiedene Dinge einer Gattung bezeichnet werden. So ist z.B. die Erklärung: "Ich kaufe dieses Buch" nichtssagend. Bedeutung kommt der Erklärung erst durch die Begleitumstände zu, etwa dadurch, daß der Kaufinteressent ein bestimmtes Werk vorlegt. Besonders deutlich wird dies im Fall der sog. "falsa demonstratio non nocet": Es tritt in diesem Fall eine von der übereinstimmenden ausdrücklichen Erklärung abweichende Rechtsfolge ein 9 . Ob hieraus der Schluß gerechtfertigt ist, jede Willenserklärung sei eine konkludente 10 , erscheint aber bedenklich. Jedenfalls ist grundsätzlich nicht zwischen aus5 Ganz h.M., vgl. nur Erman / Brox, Vor § 116, Rdn. 7; Kramer, in: MünchKomm., Vor § 116, Rdn. 27. Im Grundsatz ebenso Flurne, BGB AT II, § 5, l. 6 Staudinger / Coing, Einl. vor § 104, Rdn. 2h, i, und Vorbem. § 116, Rdn. 2ff. 7 Kramer, in: MünchKomm., Vor § 116, Rdn. 22; Schmidt-Salzer, JR 1969, 281, 283 (Fn. 36). 8 So wird z. B. der Begriff der Leihe im allgemeinen Sprachgebrauch häufig auch für die entgeltliche Gebrauchsüberlassung sowie für das Darlehen verwendet. Vgl. auch das Beispiel oben § 5 D V 3 ("Hochparterre"). 9 Vgl. dazu nur das Schulbeispiel RGZ 99, 147 ("Haakjöringsköd"), und Kramer, in: MünchKomm., Vorbem. § 116, Rdn. 22, und § 119, Rdn. 47f. m. Nachw.
7'
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§ 7 Voraussetzungen der stillschweigenden Bevollmächtigung
drücklichen und konkludenten Willenserklärungen zu unterscheiden; vielmehr ist die konkludente Willenserklärung ebenso eine Willenserklärung i. S. d. BGB wie eine ausdrückliche.
Soweit eine Vollmacht durch eine konkludente positive Handlung erteilt wird, bestehen also gegenüber der ausdrücklichen Bevollmächtigung keine grundsätzlichen Besonderheiten. Für die Frage der Anfechtbarkeit gelten hier wie dort die gleichen Regeln. 11. Die Anerkennung stillschweigender Willenserklärungen
Kann also konkludentes Verhalten den Tatbestand einer Willenserklärung darstellen, fragt sich, ob auch Schweigen als besondere Form konkludenten Verhaltens eine Willenserklärung sein kann, und welche Besonderheiten hierfür gelten.
1. Ablehnende Ansichten in der Literatur Hanau l l spricht dem Schweigen stets die Qualität einer Willenserklärung ab, weil aus dem Schweigen nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auf einen rechtsgeschäftlichen Willen geschlossen werden könne, nicht aber mit Gewißheit. Ebenso könne die Untätigkeit auf anderen Gründen beruhen. Bei ausdrücklichen Erklärungen bestehe eine so große Unsicherheit nicht. Ähnliche Bedenken gegen die Anerkennung stillschweigender Willenserklärungen äußert Fabricius l2 . Jedenfalls unter Abwesenden.anerkennt er eine Willenserklärung durch Schweigen nicht. Denn eine Willenserklärung· setze eine Rechtsgestaltung voraus, " ... und durch ein Nichtstun (kann) nicht gestaltet werden ... "13 Außerdem fehle es beim Schweigen stets an allgemeinen Wirksamkeitsvoraussetzungen für eine Willenserklärung, an der richtungsbezogenen Kundbarmachung und dem Zugang 14 • Schließlich meint Bickel15, durch Schweigen könne eine Rechtsfolge nicht bezeichnet werden. Auch Coing 16 anerkennt keine Willenserklärung durch Stillschweigen. Dies ist konsequente Folge davon, daß er nur ausdrücklichen Erklärungen die Rechtsqualität von Willenserklärungen zuerkennt, konkludentes Verhalten für ihn nur eine Vertrauenshaftung begründet. - Dazu ist schon Stellung bezogen worden. 10 So Kramer, Einigung, S. 38; ders., in: MünchKomm., Vor § 116, Rdn. 22; ebenso Säcker, ZGR 1973, 261, 272ff. 11 AcP 165 (1965), 220, 24lf. 12 JuS 1966, lff., 50ff. 13 JuS 1966, 1, 50, 58. 14 JuS 1966, 1, 11. 15 Auslegung, S. 131 ff., und NJW 1972, 606, 608; ähnlich Sonnenberger, Verkehrssitten, S. 213ff. 16 Staudinger / Coing, Ein!. vor § 104, Rdn. 2 h, i und Vorbem. § 116, Rdn. 2 ff.
B. Stillschweigende Willenserklärung
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2. Stellungnahme Das Hauptproblem für die Anerkennung einer Willenserklärung durch Schweigen besteht darin, daß aus dem bloßen Schweigen gewöhnlich nicht auf einen irgendwie gearteten rechtsgeschäftlichen Willen des Schweigenden geschlossen werden kann. So besteht heute weitgehend Einigkeit darüber, daß Schweigen grundsätzlich überhaupt keinen Erklärungswert hat, Schweigen also weder Zustimmung noch Ablehnung ausdrücktl 7 • Deshalb setzt die Anerkennung einer Willenserklärung durch Schweigen voraus, daß überhaupt aus dem Schweigen auf einen Rechtsfolgewillen des Schweigenden geschlossen werden kann. Wird dies bejaht, stellt sich in zweiter Linie die Frage, ob das Schweigen die Wirksamkeitsvoraussetzungen für eine Willenserklärung erfüllt. Schweigen kann "beredt" sein l8 ; dies ist Schweigen dann, wenn es unter Berücksichtigung aller Umstände nur so ausgelegt werden kann, daß der Schweigende damit eine bestimmte Rechtsfolge ausdrücken Will 19 . Dies ist bei Erklärungen unter Abwesenden insbesondere dann der Fall, wenn das Schweigen zwischen den Parteien einverständlich als Erklärungszeichen vereinbart wurde 20 •21 oder wenn in einer laufenden Geschäftsverbindung dem Schweigen ständig eine gewisse Bedeutung beigemessen wird 22 • Dies gilt ebenfalls für das Schweigen unter Anwesenden. Hier wird aber auch in sonstigen Fällen häufiger aus dem Schweigen unter Berücksichtigung aller Umstände auf einen Rechtsfolgewillen geschlossen werden können 23 . Diese Betrachtung des objektiven Erklärungstatbestandes einer stillschweigenden Erklärung erhellt, daß beim Schweigen nicht unbedingt eine größere Unsicherheit über den wirklichen Willen des Schweigenden herr17 Z.B. Canaris, Festschrift Wilburg, S. 77; ders., in: Großkommentar HBG, § 362, Anm. 2; Flume, BGB AT 11, § 5, 2 b; Frotz, Verkehrsschutz, S. 468ff.; Lutter, Letter, S.38; Medicus, BGB AT, Rein. 345; Litterer, Vertragsfolgen, S.53; Sonnenberger, Verkehrssitten, S. 212; K. Schmidt, Handelsrecht, § 18 11 1 a. A.A. z.B. OLG Stuttgart, ZIP 1981, 176, 177, wonach Schweigen auf ein Angebot LS.d. § 150 Abs. 2 BGB grundsätzlich Ablehnung bedeute. 18 So Larenz, BGB AT, § 19 IV a. 19 Vgl. Canaris, Festschrift Wilburg, S. 77 f.; Flume, BGB AT 11, § 5, 2 a; Soergel / Hefermehl, Vor § 116, Rdn. 32; Kramer, in: MünchKomm., Vor § 116, Rein. 22; Litterer, Vertragsfolgen, S. 53. 20 Canaris, Festschrift Wilburg, S. 77 f.; Flume, BGB AT H, § 5,2 a; Soergel / Hefermehl, Vor § 116, Rein. 33; Larenz, BGB AT, § 19 IVa; Medicus, BGB AT, Rdn. 346; Litterer, Vertragsfolgen, S. 53; Hübner, BGB AT, Rdn. 383. 21 Soergel / Hefermehl, Vor § 116, Rdn. 33, und Schlegelberger / Hefermehl, § 346 HBG, Rein. 98, spricht in diesem Fall sogar von einer ausdrücklichen Erklärung. 22 Canaris, Festschrift Wilburg, S. 77 f.; Flume, BGB AT 11, § 5, 2 a, und § 35 11 4; Soergel / Hefermehl, Vor § 116, Rein. 36; Schlegelberger / Hefermehl, § 346 HGB, Rein. 101; K. Schmidt, Handelsrecht, § 18 H 1 b; Litterer, Vertragsfolgen, S. 53; Hübner, BGB AT, Rein. 383. 23 Flume, BGB AT H, § 5, 2 a, und § 35 H 4; dies anerkennt auch Fabricius, JuS 1966,1,11; 50, 58.
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§ 7 Voraussetzungen der stillschweigenden Bevollmächtigung
sehen muß als bei sonstigem konkludenten Verhalten; denn auch dort besteht - ebenso wie bei ausdrücklichen Erklärungen - häufig Unsicherheit über das tatsächlich Gewollte 24 . Deshalb kann auch aus dem Schweigen auf einen Rechtsfolgewillen des Schweigenden geschlossen werden. Der Unterschied zwischen Schweigen und sonstigem konkludenten Verhalten ist also kein qualitativer 25 , der es rechtfertigen würde, den Erklärungswert des Schweigens stets zu leugnen. Es gilt vielmehr umgekehrt, im Einzelfall genau zu prüfen, ob aus dem Schweigen unter Berücksichtigung aller Umstände wirklich auf einen Rechtsfolgewillen zuverlässig geschlossen werden kann. Da also das Schweigen ebenso zuverlässig wie eine ausdrückliche Erklärung oder konkludentes Verhalten auf einen Rechtsfolgewillen schließen lassen kann, steht der Anerkennung einer stillschweigenden Willenserklärung dann nichts im Wege, wenn die allgemeinen Wirksamkeitsvoraussetzungen einer Willenserklärung auch durch Schweigen erfüllt werden können. Insoweit nimmt Fabricius 26 an, es fehle an der Richtungsbezogenheit der Kundbarmachung und am Zugang. Liegen aber die Voraussetzungen vor, unter denen Schweigen Erklärungsbedeutung hat, geht das Schweigen auch dem Beteiligten "richtungsbezogen zu"; denn unter Anwesenden nimmt der Beteiligte das Schweigen unmittelbar wahr; und unter Abwesenden ergibt sich dies aus den sonstigen Umständen, die dem Schweigen auch die Erklärungsbedeutung beimessen. Im übrigen kann, wie § 151 BGB zeigt, auf den Zugang und damit auch die Richtungsbezogenheit der Erklärung verzichtet werden. Deshalb ist auch eine Willenserklärung durch Schweigen anzuerkennen27 und damit auch eine (rechtsgeschäftliche) stillschweigende Vollmacht 28 •
c.
Der objektive Tatbestand der stillschweigenden Bevollmächtigung
Eine Vollmacht wird gern. § 167 Abs.1 BGB erteilt durch eine Willenserklärung, die auf die Begründung von Vertretungsmacht gerichtet ist (vgl. die Legaldefinition des § 166 Abs. 2 BGB), wobei die Erklärung entweder gegenüber dem Vertreter oder gegenüber dessen zukünftigem VertragsCanaris, Festschrift Wilburg, S. 77, 78. So Canaris, Festschrift Wilburg, S. 77, 78; zustimmend z.B. Kramer, in: MünchKomm., Vor § 116, Rdn. 22. 26 JuS 1966, 1, 11. 27 Ebenso z.B. Canaris, Festschrift Wilburg, S. 77ff.; Diederichsen, JuS 1966, 129, 132; Flume, BGB AT 11, § 5, 2 a; Frotz, Verkehrsschutz, S. 486ff.; Staudinger / Dileher, Vorbem. §§ 116 - 144, Rdn.12; Kramer, in: MünchKomm., Vor § 116, Rdn. 22; Soergel / Hefermehl, Vor § 116, Rdn. 32ff.; Schlegelberger / Hefermehl, § 362 HGB, Rdn. 2, und § 346 HGB, Rdn. 98; Lutter, Letter, S. 38f.; Flume, AcP 161 (1962), 52, 65. 28 Vgl. die Nachw. oben Fn. 4. 24
25
C. Objektiver Tatbestand
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partner abzugeben ist. Die stillschweigende Vollmacht muß also ebenfalls diese Voraussetzungen erfüllen. I. Die Begründung der Vertretungsmacht
Schweigen kann allein dann den objektiven Tatbestand einer stillschweigenden Vollmacht darstellen, wenn sich aus dem Schweigen unter Berücksichtigung aller Umstände ergibt, daß der Schweigende den Willen hat, durch das Schweigen eine Vollmacht zu erteilen, die Vertretungsmacht also durch das Schweigen zu begründen. Deshalb kann eine stillschweigende Bevollmächtigung nie darin gesehen werden, wenn das Schweigen lediglich den objektiven Erklärungswert hat, der Schweigende habe dem Vertreter (früher) Vollmacht erteilt29 • Denn es fehlt dem Schweigen dann an der konstitutiven Wirkung. Ebenfalls scheidet der objektive Tatbestand der Bevollmächtigung dann aus, wenn das Schweigen für die Beteiligten nicht konkludent ist, weil ihnen bekannt ist, daß der Schweigende keine Vollmacht erteilen will, er also beispielsweise aus Schwäche oder Unentschlossenheit schweigPo. 11. Die Richtungsbezogenheit des Schweigens
Da die Vollmacht durch auf den Vertreter oder dessen zukünftigen Vertragspartner richtungsbezogene Erklärung erteilt wird (§ 167 Abs.l BGB), muß also auch bei der stillschweigenden Bevollmächtigung das Schweigen auf einen der möglichen Erklärungsempfänger richtungsbezogen sein, der Vertreter oder der Dritte müssen durch das Schweigen "angesprochen werden"31. Deshalb kann eine stillschweigende Bevollmächtigung dann nie vorliegen, wenn weder der Vertreter noch dessen Vertragspartner das Schweigen als auf sich bezogen auffassen können. Beispiel: Der VG, der einen Gebrauchtwagen verkaufen will, nimmt den technisch versierten V mit, um sich beraten zu lassen. Die Verhandlung mit dem D führt überwiegend V. Dieser schließt schließlich - ohne daß VG irgend etwas unternimmt - den Kaufvertrag mit D. Hier kann das Schweigen des VG den Erklärungstatbestand einer Innenvollmacht haben, wenn V unter Berücksichtigung aller Umstände davon ausgehen konnte, VG wolle ihn durch das Schweigen bevollmächtigen. Dagegen scheidet eine stillschweigende Außenvollmacht aus. Denn D konnte das Schweigen des VG nicht dahin 29 Falsch deshalb die oben Fn. 2 angeführte Entscheidung BGH LM § 167 BGB Nr. 4; zutreffend dagegen z.B. Canaris, Vertrauenshaftung, S. 40f. 30 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 40f.; Fabricius, JuS 1966, 1; 50, 56; Larenz, BGB AT, § 33 I a; vgl. auch Erman / Brox, § 167, Rdn. 9. 31 Zutreffend RG Recht 40 (1936), Nr. 1610; ebenso z.B. Bader, Duldungsvollmacht, S.167f.; Canaris, Vertrauenshaftung, S. 40f.; Fabricius, JuS 1966, 1; 50, 56; Krause, Schweigen, S. 139; Macris, Vollmachtserteilung, S. 59ff.
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§ 7 Voraussetzungen der stillschweigenden Bevollmächtigung
auffassen, ihm gegenüber werde eine Vollmacht für den Verklärt. Der Erklärungswert, den das Verhalten des VG für D haben kann, ist allein, VG habe dem V (früher) eine Innenvollmacht erteilt.
D. Der subjektive Tatbestand der stillschweigenden Bevollmächtigung I. Die fehlerfreie stillschweigende Bevollmächtigung
Im Idealfall einer fehlerfreien stillschweigenden Vollmacht setzt der subjektive Tatbestand wie bei einer ausdrücklichen Bevollmächtigung voraus, daß der Vollmachtgeber Handlungswillen, Erklärungsbewußtsein und Geschäftswillen hat, daß er also bewußt schweigt, um damit seinen Willen auszudrücken, eine Vollmacht zu erteilen. Aber ebenso wie bei ausdrücklichen Erklärungen gibt es auch bei stillschweigenden pathologische Fälle, d. h. das Schweigen ist unter Berücksichtigung aller Umstände objektiv eine Willenserklärung, aber die subjektiven Voraussetzungen für eine fehlerfreie Willenserklärung sind nicht erfüllt. Dann ist zweifelhaft, ob der objektive Erklärungstatbestand dem Erklärenden zurechenbar ist, gegebenenfalls durch Anfechtung zu beseitigen ist oder den Schweigenden endgültig an die Erklärung bindet. Die Probleme hinsichtlich des subjektiven Tatbestands der stillschweigenden Bevollmächtigung sollen hier verdeutlicht werden an folgendem Beispiel: Der Kunstliebhaber VG möchte eine Sammlung von Gemälden des Malers M anlegen. Da er selbst im Bayerischen Wald wohnt, vereinbart er mit dem Kunstsachverständigen V aus München: Immer wenn in München ein Bild des Malers M zum Verkauf angeboten wird, soll der V den VG darüber informieren und über den Preis, zu dem das Bild voraussichtlich zu erwerben sein wird. Wenn V nicht bis spätestens einen Tag vor der Auktion eine Nachricht des VG erhält, werde er hierdurch bevollmächtigt, das Bild bis zu dem in der Information genannten Preis im Namen des VG zu erwerben.
n. Fehlen des Handlungswillens bei der stillschweigenden Willenserklärung Beruht das Schweigen nicht auf einer willensgesteuerten Handlung des Schweigenden, sondern auf physischer oder psychischer Handlungsunfähigkeit, fehlt dem Schweigenden der Handlungswille. Eine Willenserklärung ist das Schweigen nicht, weil diese notwendige subjektive Voraussetzung fehlt 32 . Würde im Beispiel der VG deshalb auf eine Information des V schweigen, weil er infolge eines Unfalls ohnmächtig ist, könnte ihm das Schweigen nicht als Willenserklärung zugerechnet werden.
32
Vgl. dazu oben § 5 D 1.
D. Subjektiver Tatbestand
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m.
Die Bedeutung des Erklärungsbewußtseins für die stillschweigende Willenserklärung
Problematisch ist, ob das Erklärungsbewußtsein zum Minimaltatbestand einer stillschweigenden Willenserklärung gehört. Bei einer ausdrücklichen Willenserklärung hatte sich gezeigt3 3 , daß das aktuelle Erklärungsbewußtsein nicht notwendig zum Minimaltatbestand der Willenserklärung gehört, wohl aber das potentielle Erklärungsbewußtsein. Das bedeutet, daß der objektive Erklärungstatbestand dem Erklärenden schon dann als Willenserklärung zurechenbar ist, wenn er bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt die objektive Bedeutung seines Verhaltens erkennen konnte. Da zwischen den ausdrücklichen, den konkludenten und auch den stillschweigenden Willenserklärungen kein qualitativer Unterschied besteht34, ist sich die Wissenschaft weitgehend darüber einig, daß diese Erklärungsformen rechtlich gleich zu behandeln sind 35 • Insoweit ist Flume36 entgegengesetzter Ansicht. Bei den ausdrücklichen Willenserklärungen sieht er das Erklärungsbewußtsein nicht als konstitutiv für den Tatbestand der Willenserklärung an, wohl aber bei dem konkludenten Verhalten: "Zum Erklärungszeichen einer Willenserklärung als der finalen Gestaltung eines Rechtsverhältnisses wird das Schweigen jedoch nur dann, wenn der Schweigende sich der Bedeutung seines Schweigens als Erklärungszeichen ... bewußt ist". Jedoch leuchtet nicht ein, daß die subjektive Vorstellung des Schweigenden den Erklärungstatbestand soll beeinflussen können. Der durch das Schweigen erzeugte Erklärungstatbestand ist von den Vorstellungen des Schweigenden unabhängig; der auf das konkludente Verhalten Vertrauende ist gleichermaßen schutzbedürftig unabhängig davon, ob der Schweigende mit Erklärungsbewußtsein oder ohne dieses geschwiegen hat3 7 • Aber auch der wohl hinter dieser Auffassung stehende Gedanke, daß das konkludente Verhalten und das Schweigen weniger verläßlich sind als eine . ausdrückliche Erklärung, vermag eine unterschiedliche Behandlung dieser Fälle nicht zu rechtfertigen. Denn das Schweigen kann nur dann als Erklärungstatbestand einer Willenserklärung angesehen werden, wenn dieses verläßlich auf einen rechtsgeschäftlichen Willen des Schweigenden schlieVgl. dazu oben § 5 D VI, zusammenfassend. Vgl. dazu oben § 7 B H 2. 35 So z.B. Bydlinski, Privatautonomie, S. 58f.; Canaris, Festschrift Wilburg, S. 77, 79; Soergel / Hefermehl, Vor § 116, Rdn. 32; Kramer, in: MünchKomm., Vor § 116, Rdn. 22, und § 119, Rdn. 51 ff.; Larenz, BGB AT, § 19 IVa. 36 Flume, BGB AT H, § 5, 2b, c, e. 37 Bydlinski, Privatautonomie, S. 58; Canaris, Festschrift Wilburg, S. 77, 79; Wieling, AcP 176 (1976), 334, 335 f. 33 34
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§ 7 Voraussetzungen der stillschweigenden Bevollmächtigung
ßen läßt. Damit fällt aber der Gedanke der geringeren Verläßlichkeit in sich zusammen 38 . Zunächst scheint eine andere Begründung, die Flume 39 zugunsten seiner Auffassung anführt, zu überzeugen: Wenn der Schweigende sich der Erklärungsbedeutung seines Schweigens nicht bewußt ist, so fehle ihm nicht nur das Erklärungsbewußtsein, sondern auch der Handlungswille. Flume40 selbst lehrt aber an anderer Stelle, wann der Handlungswille fehlt, nämlich " ... wenn jemand im Zustande der Bewußtlosigkeit oder unter dem Einfluß einer Hypnose ein Erklärungsverhalten übt oder wenn jemand physisch überwältigt ... " zur Schaffung des Erklärungstatbestandes gezwungen wird. Es handelt sich also immer um Fälle, in denen das Verhalten nicht vom Willen kontrolliert ist oder unter physischem Zwang vollzogen ist. Ist sich der Schweigende lediglich der Bedeutung seines Verhaltens nicht bewußt, ist dies nicht die Folge einer physischen oder psychischen Handlungsunfähigkeit, sondern beruht auf einer freien Verhaltenssteuerung. Deshalb mangelt es nicht an einem Handlungswillen.
Deshalb ist eine Gleichbehandlung von stillschweigenden und ausdrücklichen Erklärungen hinsichtlich der Erforderlichkeit des Erklärungsbewußtseins für den Tatbestand der Willenserklärung geboten. Hat Schweigen den objektiven Erklärungswert einer Willenserklärung, ist es also dem Schweigenden als Willenserklärung dann zuzurechnen, wenn dieser bei Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt die Bedeutung seines Schweigens erkennen konnte. Daher ist der V im Beispiel stillschweigend bevollmächtigt, wenn der VG auf eine Information des V deshalb nicht reagiert, weil er inzwischen die Vereinbarung vergessen hat; ebenso wäre es, wenn er das Schreiben nur flüchtig anschaut und die Passage über das zum Verkauf angebotene Gemälde überliest.
Dagegen ist das Schweigen dem Schweigenden dann nicht als Willenserklärung zurechenbar, wenn ihm das potentielle Erklärungsbewußtsein fehlte, wenn er also bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt die Bedeutung seines Schweigens nicht erkennen konnte. So wäre es im Beispiel etwa dann, wenn der VG von der Information des V keine Kenntnis nehmen konnte, weil er kurz vor Eingang des Schreibens einen Unfall erlitten hatte und ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Hier scheidet eine rechtsgeschäftliche Haftung im Verhältnis zwischen V und VG aus. IV. Die Bedeutung des Geschäftswillens bei der stillschweigenden Willenserklärung
Da die ausdrückliche und die stillschweigende Willenserklärung gleich zu behandeln sind, ist der Geschäftswille auch nicht notwendige Voraussetzung für eine stillschweigende Willenserklärung41 • Will deshalb der Schwei38 Ähnlich Kramer, in: MünchKomm., § 119, Rdn. 86; Medicus, BGB AT, Rdn. 608; vgl. auch Frotz, Verkehrsschutz, S. 47lf. 39 BGB AT 11, § 5, 2 e. 40 BGB AT 11, § 4, 2a.
D. Subjektiver Tatbestand
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gende die konkrete Rechtsfolge seines Schweigens nicht, hat er gleichwohl eine Willenserklärung abgegeben, die allerdings gem. § 119 BGB anfechtbar ist. Dies bedeutet, daß eine stillschweigende Bevollmächtigung auch dann erteilt worden sein kann, wenn diese Rechtsfolge von dem Schweigenden nicht gewollt war42 . V. Die Bedeutung der Vermeidbarkeit des objektiven Erklärungstatbestandes
Bei den stillschweigenden Willenserklärungen stellt sich ein weiteres Zurechnungsproblem, welches bei den durch eine positive Handlung bewirkten Erklärungen nicht denkbar ist. So wäre es in dem Beispiel, wenn VG von V ein Schreiben erhält, daß alsbald ein Bild des Malers M zum Verkauf angeboten werde. VG möchte das Bild nicht erwerben und dementsprechend den V informieren, um eine stillschweigende Bevollmächtigung zu vermeiden. Wegen plötzlich starker Schneefälle bricht das Telefonnetz zusammen und auch Briefe können nicht befördert werden. VG hat keine Möglichkeit, den V rechtzeitig vor der Versteigerung zu erreichen. Die Besonderheit dieser Fälle besteht darin, daß der Vollmachtgeber zwar um die Wirkung seines Schweigens als Bevollmächtigung weiß, den ungewollten objektiven Erklärungstatbestand aber nicht verhindern kann. Ob dem Vollmachtgeber der objektive Erklärungswert seines Verhaltens in solchen Fällen zugerechnet werden kann, ist fraglich. Das damit angesprochene Problem läßt sich nicht recht in die Kategorie Erklärungsbewußtsein - Handlungswille einordnen. Dem Schweigenden fehlt das Erklärungsbewußtsein nicht, da er weiß, wie sein Verhalten objektiv zu verstehen ist. Und den Handlungswillen zu leugnen, wäre eine Abkehr von der üblichen Bedeutung - Möglichkeit, das eigene Verhalten frei zu steuern - und würde diesen Begriff überdehnen. Deshalb erscheint der Versuch wenig sinnvoll, eine Lösung durch eine Einordnung in eine dieser Kategorien zu erzielen. Vielmehr hat sich eine Lösung an der Wertung der widerstreitenden Interessen zu orientieren. Dabei kann hier auf die Überlegungen zur Zurechnung einer Willenserklärung bei fehlendem Erklärungsbewußtsein zurückgegriffen werden 43 • Dort hatte sich ergeben, daß der objektive Erklärungstatbestand dem Erklärenden als Willenserklärung nur dann zugerechnet werden kann, wenn der Erklärende die Bedeutung seines Verhaltens bei der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt erkennen konnte, weil nur dann die Balance 41 Vgl. zur Bedeutung des Geschäftswillens bei der ausdrücklichen Willenserklärung oben § 5 D II. 42 Anders z.B. BGH LM § 164 BGB Nr. 24; LM § 167 BGB Nr.10, 15; BGH NJW 1973, 1789, die auf den Bevollmächtigungswillen abstellen. 43 Vgl. zu dieser Wertung oben § 5 D IV und V.
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§ 7 Voraussetzungen der stillschweigenden Bevollmächtigung
zwischen den gleich zu wichtenden Interessen von Erklärendem und Erklärungsempfänger gewahrt ist. Überträgt man diesen Gedanken auf die stillschweigende Willenserklärung, bei der der Schweigende bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt den Erklärungstatbestand nicht durch Richtigstellung vermeiden kann, ergibt sich, daß eine Zurechnung als Willenserklärung ausscheidet. Denn sonst würde dem Schweigenden trotz Beachtung der verkehrserforderlichen Sorgfalt eine rechtsgeschäftliche Haftung aufgebürdet, während der Erklärungsempfänger nur bei Nichtbeachtung dieser Sorgfalt haftet (arg. § 122 Abs. 2 BGB). Deshalb ist das Schweigen dann nicht als Willenserklärung zurechenbar, wenn der Schweigende die Erklärungsbedeutung bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt nicht vermeiden konnte. Zwischen den Fällen, daß der objektive Erklärungstatbestand des Schweigens bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt nicht vermieden werden kann und dem, daß er vermieden werden kann, ist noch eine weitere Konstellation denkbar: Zwar wäre der Erklärungstatbestand bei entsprechender Sorgfalt vermeidbar, der Schweigende erkennt diese Möglichkeit aber nicht; m.a.W.: der Schweigende irrt über die Vermeidbarkeit des Erklärungstatbestandes. Hier würde auf den ersten Blick eine Behandlung nahe liegen entsprechend dem Fehlen des aktuellen Erklärungsbewußtseins, also eine Zurechnung des Erklärungstatbestandes als Willenserklärung mit der Möglichkeit der Anfechtung gern. § 119 Abs.l BGB. Jedoch hatte sich eine Anwendung des § 119 Abs.l BGB auf die fehlerhafte Willenserklärung nur dort als sinnvoll herausgestellt, wo ein Wahlrecht des Erklärenden, die Erklärung anzufechten oder nicht, sinnvoll ist. Anderenfalls liegt eine Anwendung des Rechtsgedankens des § 118 BGB näher. Ein Wahlrecht ist aber bei dem Irrtum über die Vermeidbarkeit des Erklärungstatbestandes nicht sinnvoll, da der Erklärende hier schon das Geschäft abschließend bewertet hat und es eben nicht will. Deshalb scheidet hier eine Zurechnung des Erklärungstatbestandes als Willenserklärung entsprechend dem Rechtsgedanken des § 118 BGB aus.
E. Zusammenfassung
Eine stillschweigende Bevollmächtigung setzt zunächst voraus, daß das Schweigen des Vollmachtgebers unter Berücksichtigung aller Umstände vom Vertreter oder vom Dritten als auf ihn bezogene (konstitutive) Erteilung von Vertretungsmacht aufgefaßt werden darf. Dieser objektive Erklärungstatbestand der Bevollmächtigung ist dem Vollmachtgeber dann als Willenserklärung zurechenbar, wenn er bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt die Bedeutung seines Schweigens erkennen und verhindern konnte. Nicht als Willenserklärung zurechenbar ist der Erklärungstatbestand dann, wenn das Schweigen darauf beruht, daß der Schweigende sich über die Vermeidbarkeit des Erklärungstatbestandes irrte.
B. Anfechtung wegen fehlenden Erklärungsbewußtseins
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§ 8 Die Anfechtung der stillschweigenden Vollmacht A. Grundsatz der Gleichbehandlung mit der ausdrücklichen Bevollmächtigung Die stillschweigende Bevollmächtigung ist eine rechtsgeschäftliche Bevollmächtigung. Deshalb sind auf sie die Vorschriften über Willenserklärungen und auch die vertretungsrechtlichen Vorschriften uneingeschränkt anwendbar. Für die Anfechtung der stillschweigenden Vollmacht bedeutet dies, daß sie sich nach den gleichen Regeln richtet wie bei der ausdrücklichen Vollmacht 44 . Dies gilt nicht nur für den Anfechtungsgegner und die Schadensersatzansprüche, sondern grundsätzlich auch für die zur Anfechtung berechtigenden Irrtümer. B. Die Anfechtung wegen fehlenden Erklärungsbewußtseins bei der stillschweigenden Bevollmächtigung Fehlte dem Vollmachtgeber bei der stillschweigenden Bevollmächtigung das aktuelle Erklärungsbewußtsein, wußte er also nicht, daß sein Schweigen objektiv rechtlich relevant war, kann dies auf verschiedenen Ursachen beruhen. Es kann einmal eine Folge davon sein, daß dem Schweigenden nicht alle Tatsachen bekannt waren, die seinem Schweigen erst die Bedeutung einer rechtsgeschäftlichen Erklärung geben. Aber ebenso kann dies seine Ursache darin haben, daß dem Schweigenden zwar alle erheblichen Tatsachen bekannt sind, er aus diesen aber einen rechtlich falschen Schluß zieht. Beispiel 1: Im obigen45 Beispiel reagiert VG auf eine Information des V nicht. Dies beruht darauf, daß er das Schreiben des V, ermüdet durch lange Ausführungen über die Münchner Kunstszene, nicht zu Ende gelesen hatte und deshalb die Information über das zum Verkauf anstehende Gemälde des M nicht zur Kenntnis genommen hatte. Beispiel 2: Zwar liest VG die Information des V. Er schenkt ihr aber deshalb keine Bedeutung, weil er davon ausgeht, daß die frühere Vereinbarung rechtlich bedeutungslos sei und deshalb auch sein Schweigen keinerlei Rechtsfolgen nach sich ziehen könnte. I. Der Sachverhaltsirrtum
Hat der Schweigende die Bedeutung seines Schweigens deshalb nicht erkannt, weil ihm ein Tatbestandsmerkmal unbekannt war, das erst dem 44 45
Vgl. dazu oben §§ 4 - 5. Oben § 7 D I.
110
§ 8 Anfechtung der stillschweigenden Vollmacht
Schweigen die konkrete Erklärungsbedeutung gibt, entspricht dies dem Fehlen des Erklärungsbewußtseins bei der Willenserklärung durch positives Tun. So ist im Schulbeispiel der Trierer Weinversteigerung46 dem Ortsfremden deshalb die Bedeutung seines Winkens nicht bewußt, weil er die Versteigerungsbräuche nicht kennt, das Fehlen des Erklärungsbewußtseins beruht also ebenfalls auf einer Tatsachenunkenntnis. Da diese Fälle wertungsmäßig gleichgelagert sind, sind sie auch rechtlich gleich zu behandeln. Deshalb ist der Schweigende, dem das Erklärungsbewußtsein fehlt, weil er Tatsachen nicht kennt, die seinem Schweigen erst die Erklärungsbedeutung geben, stets zur Anfechtung seiner Erklärung gern. § 119 Abs. 1 BGB berechtigt. 11. Der Schlüssigkeitsirrtum aufgrund falscher rechtlicher Bewertung
Kennt der Schweigende zwar alle Tatsachen, aus denen sich der objektive Erklärungstatbestand seines Schweigens ergibt, zieht er aber daraus nicht den Schluß, daß seinem Schweigen die Bedeutung einer Willenserklärung zukommt, fehlt ihm ebenfalls das Erklärungsbewußtsein. Ob er in diesen Fällen zu einer Anfechtung seiner Erklärung berechtigt ist, ist aber fraglich. Soweit diese Problematik in der Literatur behandelt wird, wird eine differenzierende Lösung vorgeschlagen. Wenn das Schweigen vernünftigerweise keine andere Auslegung zuläßt, das Verhalten auch für den Schweigenden evident eine bestimmte Bedeutung hat, soll der Schweigende nicht mit der Behauptung gehört werden, er habe die Konkludenz des Schweigens nicht erkannt 47 • Canaris 48 begründet dies damit, daß - " ... wenn der Schweigende vor der Bedeutung seines Verhaltens geradezu ,die Augen verschlossen hat'" - dies der Mentalreservation näher stehe als den üblichen Fällen des fehlenden Erklärungsbewußtseins; analog § 116 S.l BGB sei deshalb die Geltendmachung des Schlüssigkeitsirrtums ausgeschlossen. Dem ist zuzustimmen. Da das Schweigen nur unter sehr engen Voraussetzungen die objektive Erklärungsbedeutung einer Bevollmächtigung hat49 , wird die Rechtsfolge des Schweigens stets evident sein. Eine Anfechtung dürfte aus diesem Grund praktisch immer ausscheiden.
Vgl. oben § 5 D III (Einleitung) bei Fn. 33. Canaris, Festschrift Wilburg, S. 77, 80; Flume, BGB AT 11, § 5, 2e. 48 Festschrift Wilburg, S. 77, 80; vgl. auch ders., Vertrauenshaftung, S. 23, 43f. (zur Duldungsvollmacnt); abweichend ders., Vertrauenshaftung, S. 505, wo auf den Rechtsgedanken des § 162 BGB abgestellt wird. 49 Vgl. oben § 7 C. 46
47
C. Zusammenfassung
c.
111
Zusammenfassung
Die Anfechtung einer stillschweigenden Bevollmächtigung richtet sich nach den gleichen Regeln wie die einer ausdrücklichen Vollmacht. Besonderheiten bestehen nur für die Anfechtung wegen Fehlens des Erklärungsbewußtseins. Beruht das fehlende Erklärungsbewußtsein auf der Unkenntnis von Tatsachen, die dem Schweigen die Erklärungsbedeutung geben, ist eine Anfechtung stets zulässig. Fehlt dem Schweigenden trotz Kenntnis aller relevanten Fakten das Erklärungsbewußtsein aufgrund einer falschen rechtlichen Bewertung, ist eine Anfechtung ausgeschlossen, wenn diese Bedeutung für den Schweigenden evident war.
3. Abschnitt
Die Anfechtung der Vollmachtskundgaben (§§ 171 Abs.l, 172 Abs. 1 BGB) § 9 Normzweck, dogmatische Einordnung und Anwendungsbereich der §§ 171 Abs. 1, 172 Abs.l BGB A. Normzweck Das BGB hat den Verkehrsschutz der Innen- und der Außenvollmacht unterschiedlich ausgestaltet. Während im Verhältnis zwischen dem Vertretenen und dem Drittkontrahenten bei einer Innenvollmacht kein speziell vertretungsrechtlicher Verkehrsschutz vom Gesetz statuiert ist, schützen die §§ 170, 173 BGB das Vertrauen des gutgläubigen Vertragspartners des Vertreters auf den Fortbestand der Außenvollmacht. Der Gesetzgeber hat erkannt, daß der Dritte eines der Außenvollmacht entsprechenden Schutzes bedarf und diesen verdient, wenn sein Vertrauen auf die Vertretungsmacht nicht auf einer Außenvollmacht gründet, sondern auf anderen Verhaltensweisen des Vertretenen, nämlich auf einer besonderen Mitteilung der Vollmacht, deren öffentlicher Bekanntmachung oder einer Vollmachtsurkunde 1 . Um diesem Schutzbedürfnis des Vertragspartners gerecht zu werden, ist in den §§ 171 Abs.1, 172 Abs. 1 BGB ein vertretungsrechtlicher Verkehrsschutz angeordnet, der an den der Außenvollmacht angeglichen ist 2 • B. Die dogmatische Einordnung der §§ 171 Abs.l, 172 Abs.l BGB I. Einleitung
Über die dogmatische Einordnung der §§ 171 Abs.1, 172 Abs.1 BGB herrscht große Unsicherheit; auch heute ist die Dogmatik dieser Vorschriften noch nicht geklärt. Motive I, S. 237f. = Mugdan I, S. 484. Canaris, Vertrauenshaftung, S. 35, 111, 113; Frotz, Verkehrsschutz, S. 287ff., 324 u. passim; Soergel / Schultze-v. Lasaulx, § 170, Rdn.l; Thiele, in: MünchKomm., § 171, Rdn.l. 1
2
B. Dogmatische Einordnung
113
Die Bedeutung der dogmatischen Einordnung der §§ 171 Abs.1, 172 Abs. 1 BGB darf aber für die Frage nach der Anfechtbarkeit der durch diese Vorschriften begründeten Vertretungsmacht nicht überschätzt werden3 • Wenn sich die §§ 171 Abs. 1, 172 Abs.1 BGB nicht rechtsgeschäftlich deuten lassen, sind zwar die Anfechtungsvorschriften nicht unmittelbar anwendbar; in Betracht kommt dann aber immer noch eine analoge Anwendung dieser Vorschriften. Deshalb wird hier nur relativ kurz zur dogmatischen Einordnung dieser Vorschriften Stellung bezogen. ll. Die Theorien zu §§ 171 Abs. 1, 172 Abs.l BGB
1. Die Rechtsgeschäftstheorie Die Einordnung der §§ 171 Abs.1, 172 Abs.1 BGB als rechtsgeschäftliche Erteilung von Vertretungsmacht, die früher herrschend war4, ist neuerdings von Flume5 wieder aufgegriffen worden: Die Kundgabe nach § 171 Abs.1 BGB sei mehr als bloße Deklaration; sie diene dazu, den Vertreter zu legitimieren. Wenn dem Vertreter zuvor eine Vollmacht erteilt worden sei, handle es sich um eine Bekräftigung, und als solche entfalte sie selbständige Wirkung, auch wenn die zuvor erteilte Vollmacht aus irgendwelchen Gründen nichtig sei. Deshalb sei die Kundmachung des § 171 BGB ein selbständiges einseitiges Rechtsgeschäft. Bei § 172 Abs.1 BGB liege der rechtsgeschäftliche Akt der Bevollmächtigung darin, daß der Vertretene die Vollmachtsurkunde an den Vertreter aushändigt. Flume sieht seine Auffassung dadurch bestärkt, daß dem juristischen Laien eine Unterscheidung zwischen der Außenbevollmächtigung und den Kundgabeakten der §§ 171 Abs.1, 172 Abs.1 BGB nicht einleuchten werde.
2. Die Rechtsscheintheorie Durch Wellspacher6 und v. Seeler7 begründet wurde die Rechtsscheintheorie, die heute in Rechtsprechung 8 und Literatur9 herrschend ist. Die 3 Eine Bedeutung dieser Frage für die Lösung von Sachproblemen verneinen z. B. Canaris, Vertrauenshaftung, S. 35; Eujen / Frank, JZ 1973, 232, 234; Flume, BGB AT 11, § 49, 2 c; Frotz, Verkehrsschutz, S. 307; Thiele, in: MünchKomm., § 170, Rdn. 2. 4 Endemann, Einführung, § 81; Romeick, WürttJB 12 (1900), 89, 125ff.; wohl auch Hupka, Vollmacht, S.164ff. Vgl. auch Jacobi, KritVJSchr 49 (1911), 66, 93f., wonach die Vollmachtsmitteilung rechtsgeschäftliche Bevollmächtigung ist, wenn der Erklärende damit eine Vollmacht erteilen wolle. 5 BGB AT 11, § 49, 2 a und c. 6 Vertrauen, S 87. 7 Arch BürgR 28 (1906), 1 ff. 8 Z.B. BGHZ 40,65, 67f.; 40, 297, 304f.; BGH NJW 1985, 730.
8 Stüsser
114
§ 9 Die §§ 171 Abs. 1, 172 Abs. 1 BGB
Rechtsscheintheorie stützt sich im wesentlichen darauf, daß die Kundmachungen nach §§ 171 Abs. 1,172 Abs.l BGB rein deklaratorische Akte seien, was aus dem Wortlaut des § 171 Abs. 1 BGB folge (" ... daß·er ~inen anderen bevollmächtigt habe ... "), ihr also das für ein Rechtsgeschäft erforderliche konstitutive Element fehle. In der Auseinandersetzung mit Flume wird darauf hingewiesen, daß die Unterscheidung zwischen Außenvollmacht und Vollmachtskundgabe auch juristischen Laien durchaus verständlich sei. So werde der Dritte, dem vom Prinzipal mitgeteilt wird, zur Regelung einer Angelegenheit werde der Prokurist X vorbeikommen 1o , nicht davon ausgehen, es solle durch das Schreiben ihm gegenüber eine Vollmacht erteilt werden. Daß es sich im Fall des § 172 Abs. 1 BGB um eine Rechtsscheinvollmacht und nicht um eine rechtsgeschäftliche handle, wird an folgendem Schulbeispiel v. Seelers l l erörtert: Vor einer langen Reise händigt der Prinzipal dem V eine Urkunde aus mit dem Inhalt, er bevollmächtige den V zum Kauf von Textilien bis zum Wert von 10000 DM: Er verabredet mit V, daß dieser von der Urkunde nur nach telefonischer Rücksprache Gebrauch machen dürfe.
Gebraucht V die Urkunde ohne Rücksprache mit dem Prinzipal, werde dieser nach § 172 Abs.l BGB an das Vertretergeschäft gebunden. Rechtsgeschäftlich lasse sich die Haftung des Prinzipals nicht erklären, da die Urkunde nur der Entwurf einer Erklärung sei. Dagegen lasse sich die Bindung des Prinzipals vom Standpunkt der Rechtsscheintheorie aus ohne Schwierigkeiten begründen: Der Prinzipal hat den Rechtsschein einer bestehenden Vollmacht des Vertreters zurechenbar (da vorsätzlich) geschaffen; für diesen Schein müsse er eintreten.
3. Die Theorie von der gesetzlichen Vertretungsmacht Frotz 12 nimmt eine Zwischenposition zwischen der Rechtsgeschäftstheorie und der Rechtsscheintheorie an. Es handle sich bei §§ 171 Abs.l, 172 Abs.l BGB um Vertrauensschutzvorschriften, nicht aber um " ... Anwendungsfälle des ,Rechtsscheinprinzips' in dem Sinn, als ob die Vollmachts9 Eingehend Canaris, Vertrauenshaftung, S. 32ff., und S. 134ff.; ebenso Staudinger / Dilcher, § 171, Rdn.2; Gotthardt, Anscheinsvollmacht, S. 35ff. ("gesetzlich geregelte Anscheinsvollmacht"); ders., JZ 1971, 312; Jauernig, §§ 170 - 173, Anm. 1; Larenz, BGB AT, § 33 I a; Soergel / Schultze-v. Lasaulx, § 170, Rdn.1; BGB-RGRKSteffen, § 167, Rdn. 10, und § 171 Rdn.1; Tempel, Stellvertretung, S. 232; G. Müller, AcP 181 (1981), 515, 524; ebenso schon Jacobi, JW 1925, 2449; Macris, Vollmachtserteilung, S. 140ff.; Manigk, Vollmachten, S. 609f.; Oertmann, ZHR 95 (1930), 443, 470. 10 Beispiel von Canaris, Vertrauenshaftung, S. 33. 11 Vgl. v. Seeler, ArchBürgR 28 (1906), 1, 2; zur Lösung Canaris, Vertrauenshaftung, S. 34f. 12 Frotz, Verkehrsschutz, S. 307ff.
B. Dogmatische Einordnung
115
mitteilungen nur den rechtserheblichen Schein einer Zuständigkeit des Vertreters begründeten ... ". Vielmehr werde durch solche Mitteilungen Vertretungsmacht begründet. Dabei handle es sich nicht um "Vollmachten", also rechtsgeschäftlich begründete Vertretungsmacht (Legaldefinition des § 166 Abs. 2 BGB), da die Kundgabe kein Akt der schöpferischen Gestaltung von Rechtsverhältnissen sei, sondern die Vertretungsmacht entstehe deshalb, weil das Gesetz diese Wirkung an einen nicht rechtsgeschäftlichen Tatbestand, die Kundgabe, geknüpft habe 13 •
m.
Stellungnahme
Der Wortlaut der §§ 171ff. BGB ist für die Frage nach der dogmatischen Einordnung unergiebig, da er in sich widersprüchlich ist. Formuliert man § 173 BGB so um, daß die Verweisung auf §§ 171 Abs. 2, 172 Abs. 2 BGB vermieden wird, würde das Ergebnis etwa lauten: "Die durch eine besondere Kundmachung begründete Vertretungsmacht bleibt bestehen, bis die Kundmachung in derselben Weise, wie sie erfolgt ist, widerrufen wird, es sei denn, der Dritte habe das Erlöschen der Vertretungsmacht gekannt oder kennen müssen." Der im Wortlaut enthaltene Widerspruch ist offensichtlich: Wie soll, wenn die Vertretungsmacht fortwirkt, das Erlöschen dieser Vertretungsmacht dem Dritten bekannt sein? Auch die Gesetzgebungsgeschichte bringt letztlich keine Klarheit über die dogmatische Einordnung der §§ 171 Abs.l, 172 Abs.l BGB14. Aus dem systematischen Zusammenhang der §§ 171 Abs.l, 172 Abs.l BGB zu § 167 Abs. 1 BGB ergeben sich aber für die dogmatische Einordnung Anhaltspunkte. Wäre, wie dies Flume 15 annimmt, die Vollmachtsmitteilung nach § 171 Abs.l BGB eine Außenvollmacht LS.d. § 167 Abs.l 2. Alt. BGB, wäre § 171 BGB insgesamt überflüssig. Vertretungsmacht begründet auch § 167 Abs.l 2. Alt. BGB. Und einen Schutz des gutgläubigen Dritten vor dem Erlöschen der Vertretungsmacht gewährt schon § 170 BGB. Aber auch die Annahme Flumes 15 , in der Aushändigung einer Vollmachtsurkunde (§ 172 Abs. 1 BGB) liege die Erteilung einer Innenvollmacht, läßt sich mit dem Gesetz nicht vereinbaren. Dies erweist das obige 16 Beispiel v. Seelers. Deshalb scheidet eine rechtsgeschäftliche Deutung der §§ 171 Abs.l, 172 Abs. 1 BGB aus. 13 14
15 16
8-
Im Ergebnis ebenso Bader, Duldungsvollmacht, 8.121 ff. Vgl. den ausführlichen Überblick bei Frotz, Verkehrsschutz, 8. 265ff. BGB AT, § 49, 2 a, c. Oben bei Fn. 11.
116
§ 9 Die §§ 171 Abs. 1, 172 Abs. 1 BGB
Flume ist aber insoweit zuzustimmen, daß die §§ 171 Abs. 1, 172 Abs. 1 BGB eine zuvor erteilte Vollmacht bekräftigen und selbständige Wirkung entfalten, wenn eine vorher erteilte Vollmacht unwirksam ist. Dies bedeutet aber nicht, daß dann in der Kundgabe eine rechtsgeschäftliche Begründung von Vertretungsmacht erblickt werden muß. Außerdem kann nicht bezweifelt werden, daß die Aushändigung einer Vollmachtsurkunde an einen Vertreter eine konkludente Innenvollmacht sein kann. Dies wird vielmehr stets anzunehmen sein, wenn der Empfänger der Urkunde vorher nicht bevollmächtigt war. Denn dann kann dieses Verhalten vom Empfänger nur so gedeutet werden, ihm solle Innenvollmacht erteilt werden, es sei denn, daß sich aus den Umständen etwas anderes ergibt.
Deshalb können die §§ 171 Abs. 1, 172 Abs.l BGB nur als gesetzlich geregelte Rechtsscheintatbestände oder als Fälle der Begründung von gesetzlicher Vertretungsmacht gedeutet werden. Dabei liegt eine Einordnung in die Rechtsscheinhaftung näher. Denn der Drittkontrahent wird, wenn ihm eine Vollmacht kundgegeben is~, nur geschützt, wenn er gutgläubig istl 7 • Dieses Gutgläubigkeitserfordernis läßt sich aber mit der Annahme einer gesetzlichen Vertretungsmacht kaum vereinbaren: warum sollte der Bestand einer gesetzlichen Vertretungsmacht von der Gutgläubigkeit hinsichtlich eines anderen Faktums, des Nichtbestehens einer rechtsgeschäftlichen Vertretungsmacht, abhängen? - Dagegen ist das Erfordernis des guten Glaubens wesenstypisch für die Rechtsscheinhaftung l8 . Folglich sind die §§ 171 Abs.l, 172 Abs.l BGB in die Rechtsscheinhaftung einzuordnen. C. Der Anwendungsbereich der §§ 171 Abs.l, 172 Abs.l BGB
Die §§ 171 Abs.l, 172 Abs.l BGB gleichen für die kundgemachte Innenvollmacht den Verkehrsschutz an den der Außenvollmacht an l9 . Daraus ergibt sich, daß diese Vorschriften grundsätzlich nur bei der Innenvollmacht anwendbar sind. Jedoch auch bei der Innenvollmacht bedarf es der §§ 171 Abs.l, 172 Abs.l BGB dann nicht, wenn das Vertretergeschäft von dieser erfaßt ist. Denn dann wirkt das Vertretergeschäft schon kraft der Innenvollmacht für und gegen den Vertretenen (§ 164 Abs.l), eine Vollmachtkundgabe verbessert materiell die Situation des Vertragspartners nicht. Dennoch können die §§ 171 Abs.l, 172 Abs. 1 BGB für den Dritten dann nützlich sein, wenn Zweifel darüber bestehen, ob dem Vertreter eine Innenvollmacht (wirksam) erteilt worden ist. Denn entweder ist der Vertretene dann kraft der Innenvollmacht gebunden oder aber kraft der Vollmachtkundgabe. Deshalb kommt es auf die Dazu sogleich unten § 10 C 11. Vgl. dazu eingehend Canaris, Vertrauenshaftung, S. 505ff.; dort auch zu den denkbaren Abstufungen der Gutgläubigkeit. 19 Vgl. dazu oben § 6 D I. 17 18
A. Objektiver Tatbestand
117
Wirksamkeit der Innenvollmacht nicht an; der Vertragspartner des Vertreters bräuchte sie im Rechtsstreit gegen den Vertretenen auch nicht zu beweisen.
Der eigentliche Anwendungsbereich der §§ 171 Abs.l, 172 Abs.l BGB ist also der, daß dem Vertreter nie eine Innenvollmacht (wirksam) erteilt worden oder sie vor Abschluß des Vertretergeschäfts erloschen ist; und schließlich gehören hierhin die Fälle, in denen eine Innenvollmacht durch Anfechtung ex tune (§ 142 Abs. 1 BGB) nichtig ist.
§ 10 Die Voraussetzungen der §§ 171 Abs.1, 172 Abs.1 BGB A. Der objektive Tatbestand der Vollmachtskundgaben I. Der objektive Tatbestand der Vollmachtsmitteilung (§ 171 Abs.l 1. Alt. BGB)
Die Rechtsscheinvollmacht des § 171 Abs. 1 1. Alt. BGB setzt objektiv voraus, daß der Vertretene einem Dritten mitteilt, daß er einer Person Vollmacht erteilt habe. Dabei ergibt die Formulierung, daß die Information auf den Dritten richtungsbezogen sein muß 20 • Das Hauptproblem des objektiven Tatbestands der Vollmachtsmitteilungen, welches insbesondere für das Verhältnis zur Duldungsvollmacht von Bedeutung ist 2 1, liegt darin, ob auch eine konkludente Vollmachtsmitteilung die Rechtsfolge des § 171 Abs. 1 BGB auslöst. Einige Autoren 22 nehmen an, die Vollmachtsmitteilung i. S. d. § 171 Abs. 1 BGB müsse eine ausdrückliche sein. Nur eine solche rechtfertige wegen ihrer gewöhnlich großen Zuverlässigkeit den intensiven Schutz des § 171 Abs.l BGB. Dieser Ansicht ist nicht zuzustimmen. Der Schutzzweck der §§ 171 Abs. 1, 172 Abs.l BGB besteht darin, an die Vollmachtsmitteilungen einen der Außenvollmacht angeglichenen Verkehrsschutz anzuknüpfen. Deshalb können hierfür im Vergleich zu einer Außenvollmacht nicht "strengere" Voraussetzungen aufgestellt werden. Kann der Erklärungstatbestand einer Außenvollmacht durch konkludentes Verhalten, sogar in Form des Schweigens, erzeugt werden 23 , muß dies ebenso für § 171 Abs.l 1. Fall BGB gel20 Staudinger / Dilcher, § 171, Rdn. 4; Frotz, Verkehrsschutz, S. 288; Thiele, in: MünchKomm., § 171, Rdn. 3. A. A. Canaris, Vertrauenshaftung, S. 112 ff., der unter konkludenten Kundgaben auch nicht richtungsbezogenes Verhalten versteht. 21 Vgl. dazu unten § 14 A. 22 Gotthardt, Anscheinsvollmacht, S. 38; ebenso Wellspacher, Vertrauen, S.100, der aber auf konkludente Mitteilungen § 172 Abs.l BGB anwendet; vgl. auch Manigk, Vollmachten, S. 606f., 620f., der aber den objektiven Erklärungstatbestand der Vollmacht so weit faßt, daß konkludente Vollmachtsmitteilungen darunter fallen müßten, vgl. a.a.O., S. 637 ff. zur Bevollmächtigung durch (fahrlässiges) Dulden. 23 Vgl. oben § 7 B 11 2, C.
118
§ 10 Voraussetzungen der §§ 171 Abs. 1, 172 Abs. 1 BGB
ten 24 . Allerdings muß auch hier das schlüssige Verhalten hinsichtlich der Verläßlichkeit einer ausdrücklichen Mitteilung entsprechen25 • Der Anwendungsbereich des § 171 Abs. 1 1. Fall BGB für konkludente Mitteilungen darf aber nicht überschätzt werden. Denn auch eine konkludente Vollmachtsmitteilung i. S. v. § 171 Abs. 1 1. Alt. BGB setzt voraus, daß diese auf den Drittkontrahenten richtungsbezogen ist 26 • Deshalb ist § 171 Abs.l 1. Alt. BGB nicht einschlägig, wenn der Drittkontrahent aus dem Verhalten des Vertretenen zwar schließen konnte, dieser habe den Vertreter (früher) bevollmächtigt, aber darin keine auf ihn bezogene Mitteilung erblicken durfte. ll. Der objektive Tatbestand der Vollmachtskundgabe durch öffentliche Bekanntmachung (§ 171 Abs. 1 2. Alt. BGB)
Die Vollmachtskundgabe durch öffentliche Bekanntmachung unterscheidet sich in doppelter Hinsicht von der Vollmachtsmitteilung. Zunächst ist die Vollmachtskundgabe durch öffentliche Bekanntmachung nicht auf einen Empfänger richtungsbezogen, sondern der Kreis der Adressaten ist offen. So steht beispielsweise weder bei einem entsprechenden Aushang noch bei einem Zeitungsinserat fest, wer vom Inhalt Kenntnis nehmen wird. Und auch der Leser einer solchen Mitteilung wird sich nicht durch die Information persönlich angesprochen fühlen. Der zweite Unterschied zur Vollmachtsmitteilung besteht darin, daß die öffentliche Bekanntmachung nicht konkludent, sondern schon aus tatsächlichen Gründen nur ausdrücklich denkbar ist 27 •
m.
Der objektive Tatbestand des § 172 Abs. 1 BGB
Eine Rechtsscheinvollmacht entsprechend § 171 Abs. 1 BGB entsteht nach § 172 Abs.l BGB, wenn sich der Vertreter durch eine Vollmachtsurkunde gegenüber seinem Vertragspartner legitimiert. Weil nicht von vornherein feststeht, wem der Vertreter die Urkunde vorlegt, handelt es sich bei § 172 Abs. 1 BGB wie bei der öffentlichen Bekanntmachung nicht um eine richtungsbezogene Vollmachtskundgabe. Unter welchen objektiven Voraussetzungen dem Vertretenen der Rechtsscheintatbestand zurechenbar ist, ist nicht immer unzweifelhaft. 24 H.M.; vgl. RGZ 81, 257, 260; Staudinger / Dilcher, § 171, Rdn. 4; Frotz, Verkehrsschutz, S. 268ff.; Soergel / Schultze-v. Lasau1x, § 171, Rdn. 2. 25 Vgl. zur entsprechenden Problematik bei der stillschweigenden Vollmacht oben § 7 B 11 2. 26 Staudinger / Dilcher, § 171, Rdn. 4; Frotz, Verkehrsschutz, S. 297; s. aber auch Canaris, Vertrauenshaftung, S. 112ff. 27 So schon Manigk, Vollmachten, S. 607; Krause, Schweigen, S.140.
A. Objektiver Tatbestand
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Eine Zurechnung setzt zunächst voraus, daß die Vollmachtsurkunde vom Vertretenen 28 oder einem Vertreter mit Vertretungsmacht ausgestellt worden ist. Denn sonst fehlt jeder Grund, dem Vertretenen den Rechtsschein zuzurechnen. Außerdem hat nur die Originalurkunde, nicht z.B. eine Kopie, die Legitimationswirkung29 , weil nur so sichergestellt ist, daß der Vertretene den Rechtsschein wieder beseitigen kann. Im übrigen beweist eine Kopie allein, daß einmal eine Vollmachtsurkunde ausgestellt worden war30 . Problematisch ist, ob der Rechtsscheintatbestand des § 172 Abs. 1 BGB voraussetzt, daß die Urkunde dem Vertreter ausgehändigt worden ist, oder ob es ausreicht, daß dieser sich eigenmächtig in den Besitz der Urkunde gebracht hat. Teilweise wird eine Haftung des Ausstellers der Urkunde auch dann bejaht, wenn der darin als Vertreter Bezeichnete die Urkunde eigenmächtig an sich gebracht hat3 1 . Nach inzwischen h.M.32 kann auf eine Aushändigung der Urkunde durch den Aussteller nicht verzichtet werden. Aus dem Schutzzweck der §§ 171 Abs.1, 172 Abs.1 BGB, dem Dritten einen an die Außenvollmacht angeglichenen Verkehrsschutz zu gewähren, ergibt sich: Der Aussteller haftet aus § 172 Abs. 1 BGB nur dann, wenn er dies auch müßte, wenn eine von ihm angefertigte schriftliche (echte) Außenbevollmächtigungserkärung ohne seinen Willen in den Verkehr gelangt ist. Gela,ngt der Entwurf einer Willenserklärung ohne den Willen des Erklärenden in den Verkehr, besteht Einigkeit darüber, daß eine wirksame Willenserklärung nicht vorliegt, da die Erklärung nicht abgegeben worden ist3 3. Vgl. nur Thiele, in: MünchKomrn., § 172, Rdn. 3. Ennan / Brox, § 172, Rdn. 7; Staudinger / Coing, §§ 171, 172, Rdn. 5; Frotz, Verkehrsschutz, S.288; Deggau, JZ 1982, 796; Gotthardt, Anscheinsvollmacht, S.49; Thiele, in: MünchKomm., § 172, Rdn. 8. Vgl. auch BGH NJW 1981, 1210, wonach der Vertragsgegner ein einseitiges Rechtsgeschäft gern. § 174 BGB zurückweisen kann, wenn sich der Vertreter (nur) durch eine Vollmachtsurkunde in beglaubigter Fonn ausweist. A.A. Canaris, Vertrauenshaftung, S.509: Das mittelbare Vertrauen des Dritten aufgrund einer Kopie genüge; jedoch könne der Vertretene den Schutz des § 172 BGB durch den Nachweis beseitigen, daß sich das Original in seinen Händen befand. 30 Staudinger / Coing, §§ 171, 172, Rqn. 5; s. auch Deggau, JZ 1982, 796: Ist die Kopie beglaubigt, beweist das allein die Ubereinstimmung mit dem Original. 31 Staudinger / Coing, §§ 171, 172, Rdn. 6; Enneccerus / Nipperdey, BGB AT, § 188 11 c; Gotthardt, Anscheinsvollmacht, S. 48; Soergel / Siebert / Schultze-v.Lasaulx (10. Aufl.), § 172, Rdn.2; Weinschenk, LZ 1931, 1310f.; Erman / H. Westennann (6. Aufl.), § 172, Rdn. 2; offengelassen OLG Stuttgart MDR 1956, 673. 32 So schon OLG Dresden, SeuffArch 66, Nr. 156; ebenso BGHZ 65, 13 = JZ 1976, 132 m. zust. Anm. Canaris = LM § 172 BGB Nr. 3 m. Anm. Mattem; Ennan / Brox, § 172, Rdn. 6; Canaris, Vertrauenshaftung, S. 38; Staudinger / Dilcher, § 172, Rdn. 7; Palandt / Heinrichs, § 173, Anm. 3 a; Thiele, in: MünchKomrn., § 172, Rdn. 5; jetzt auch soergel / Schultze-v. Lasaulx, § 172, Rdn. 3 (in der 11. Aufl.). 33 Z.B. RGZ 61, 415; BGHZ 65, 13, 14; Ennan / Brox, § 130, Rdn. 4; Staudinger / Coing, § 130, Rdn. 18, 24; Staudinger / Dilcher, § 130, Rdn. 5; Enneccerus / Nipper28 29
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§ 10 Voraussetzungen der §§ 171 Abs. 1, 172 Abs. 1 BGB
In Betracht kommt von vornherein allein eine Haftung auf das negative Interesse 34 • Da § 172 Abs.1 BGB gegenüber einer Außenvollmacht keinen stärkeren Schutz des Vertragspartners gewähren will, wird der Vertretene an die Vertretergeschäfte nicht gebunden, wenn die Vollmachtsurkunde ohne seinen Willen in den Verkehr gelangt ist. B. Die subjektiven Voraussetzungen der §§ 171 Abs. 1, 172 Abs.l BGB bei dem Vertretenen Auch bei den Tatbeständen der §§ 171 Abs.1, 172 Abs.1 BGB ist auf seiten des Vertretenen allein problematisch, ob diese die bewußte Schaffung des Vertrauenstatbestandes voraussetzen oder ob auch die unbewußte Schaffung des Rechtsscheintatbestands ausreicht. Dies ist hier ebenso umstritten wie bei der ausdrücklichen und der stillschweigenden Bevollmächtigung i. S. v. § 167 Abs. 1 BGB. Dabei ist durchweg festzustellen, daß diejenigen Autoren bei §§ 171 Abs.1, 172 Abs.1 BGB das Mitteilungsbewußtsein als erforderlich ansehen, die für eine Willenserklärung das Erklärungsbewußtsein als konstitutiv ansehen, und umgekehrt. Aus dem Schutzzweck der §§ 171 Abs.1, 172 Abs.1 BGB ergibt sich, daß das Mitteilungsbewußtsein dem Erklärungsbewußtsein bei der Bevollmächtigung gleichzustellen ist. Wird eine solche wirksam erteilt, auch wenn dem Vertretenen das Bewußtsein fehlt, eine rechtserhebliche Erklärung abzugeben, ist auch die Mitteilung über eine vorausgegangene Bevollmächtigung wirksam, selbst wenn sich der Mitteilende der Bedeutung seines Verhaltens nicht bewußt ist. Ohne eine Gleichbehandlung dieser Fälle ließen sich Wertungswidersprüche nicht vermeiden 35 . Denn unter keinem rechtlichen Gesichtpunkt ist es einleuchtend, den Vertretenen unterschiedlich zu behandeln, der - im Glauben, einen rein privaten Brief zu unterschreiben - einmal eine Außenbevollmächtigungserklärung unterschreibt, ein andermal die Mitteilung, er habe dem Vertreter Vollmacht erteilt. "Dieses Rasiermesser taugt nicht zum Brotschneiden", stellt denn auch Wellspracher 36 fest. Eine Übertragung der oben 37 zur ausdrücklichen Bevollmächtigung gewonnenen Ergebnisse auf die §§ 171 Abs.1, 172 Abs.1 BGB ergibt: Die dey, BGB AT, § 158 II A 2, und § 159 I; Förschler, in: MünchKomm., § 130, Rdn. 6; Soergel / Hefermehl, § 130, Rdn. 5; Larenz, BGB AT, § 21 II a. 34 BGHZ 65, 13, 14; Erman / Brox, § 130, Rdn.4; Soergel / Hefermehl, § 130, Rdn. 4; Larenz, BGB AT, § 21 II a. 35 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 35f.; Eujen / Frank, JZ 1973, 232, 233; Frotz, Verkehrsschutz, S.315f.; Soergel / Schultze-v. Lasaulx, § 171, Rdn.3; Thiele, in: MünchKomm., § 171, Rdn. 7. 36 Wellspacher, Vertrauen, S. 89, zur Anfechtbarkeit der §§ 171 Abs.l, 172 Abs.l BGB.
C. Subjektive Voraussetzungen beim Dritten
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Vertrauensschutzwirkung der §§ 171 Abs.l, 172 Abs.l BGB greifen zu Lasten des Mitteilenden ein, wenn dieser mit Handlungswillen eine Bevollmächtigung kundgegeben hat. Es ist aber nicht erforderlich, daß dem Vertretenen die rechtserhebliche Bedeutung seines Verhaltens bewußt war; es genügt, wenn ihm dies bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte bekannt sein können.
c. Die subjektiven Voraussetzungen der §§ 171 Abs.l, 172 Abs.l BGB bei dem Dritten Hat der Vertretene nach §§ 171 Abs. 1, 172 Abs. 1 BGB eine Bevollmächtigung kundgegeben, bleibt noch zu untersuchen, welche subjektiven Voraussetzungen auf seiten des Dritten erfüllt sein müssen, damit ihm der Vertrauensschutz zugute kommt. Insoweit stellen sich zwei Fragen. Die erste geht dahin, ob der Dritte von der Kundgabe positive Kenntnis haben muß. Die zweite lautet, ob der Dritte hinsichtlich der kundgegebenen Vollmacht gutgläubig sein muß; anders gewendet: Schadet es dem Vertragspartner des Vertreters, wenn er weiß, daß die bekanntgegebene Vollmacht nicht (wirksam) erteilt oder wieder erloschen ist? I. Die Kenntnis der Vollmachtskundgabe
Es ist umstritten, ob dem Dritten, dem eine besondere Mitteilung i. S. v. § 171 Abs. 1 BGB zugegangen ist, ohne daß er von dem Inhalt Kenntnis genommen hat, der Schutz dieser Vorschrift zugute kommt. Gleiches gilt, wenn der Dritte die öffentliche Bekanntmachung nicht kennt oder eine ihm vorgelegte Urkunde (§ 172 Abs. 1 BGB) ungelesen zurückgibt. Einige Autoren halten eine Kenntnis des Dritten von der Kundgabe generell nicht für erforderlich38 ,39 oder jedenfalls nicht bei der öffentlichen Bekanntmachung einer Vollmacht 40 . Jedoch trägt jeder, der mit einem Vertreter kontrahiert, das Risiko, daß der Vertreter ohne Vertretungsmacht handelt, sofern er allein den Angaben des Vertreters vertraut. Deshalb kann er sich dann auch allein beim Vertreter schadlos halten (§ 179 BGB), nicht beim Vertretenen. Hat der VertragsOben § 5 D IV, V. Staudinger / Coing, §§ 17l, 172, Rdn. 4; Gotthardt, Anscheinsvollmacht, S. 61 ff.; Soergel / Schultze-v. Lasaulx, § 172, Rdn. 5; BGB-RGRK-Steffen, § 17l, Rdn.l, und § 172, Rdn. 5. 39 Vgl. auch BGHZ 76, 76, 78f. = NJW 1980, 698, wonach die Möglichkeit, vom Inhalt der Vollmachtsurkunde unmittelbar Kenntnis zu nehmen, ausreiche; auf die (tatsächliche) Kenntnisnahme komme es nicht an. 40 Jacobi, KritVJSchr. 49 (1911), 66, 93; Macris, Vollmachtserteilung, S. 156f.; Wellspacher, Vertrauen, S. 86. 37
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§ 10 Voraussetzungen der §§ 171 Abs. 1, 172 Abs. 1 BGB
partner keine Kenntnis von der Vollmachtskundgabe, gründet sein Vertrauen allein auf der Vollmachtsbehauptung durch den Vertreter. Deshalb besteht keine Veranlassung, von der normalen gesetzlichen Risikoverteilung abzuweichen und ihm den Schutz der §§ 171 Abs.1, 172 Abs.1 BGB zu gewähren 41 . 11. Die Gutgläubigkeit des Vertragspartners
Insbesondere ist problematisch, ob der Dritte hinsichtlich der zugrundeliegenden Innenvollmacht gutgläubig sein muß, d.h., ob ihm Kenntnis oder fahrlässige Unkenntnis der fehlenden Innenvollmacht schadet. § 173 bestimmt ausdrücklich nur, daß dem Dritten Kenntnis und Kennenmüssen im Fall der §§ 171 Abs. 2, 172 Abs. 2 BGB schaden, also bei Erlöschen der der Kundgabe zugrundeliegenden Innenvollmacht. Der Wortlaut des § 173 BGB erstreckt sich nicht auf den jeweiligen Abs. 1 der §§ 171, 172 BGB. Hieraus wird häufig gefolgert, daß § 173 BGB nicht (entsprechend) auf §§ 171 Abs.l, 172 Abs.l BGB anwendbar sei 42 . Demgegenüber wendet die heute h.M.43 § 173 BGB entsprechend auf den jeweiligen Abs.1 der §§ 171, 172 BGB an. Allerdings darf die praktische Bedeutung dieses Streits nicht überschätzt werden. Denn selbst wenn das Gutgläubigkeitserfordernis für die Rechtsscheintatbestände der §§ 171 Abs. 1, 172 Abs. 1 BGB verneint wird, steht damit noch nicht fest, daß dem Vertragspartner des Vertreters die Ansprüche aus dem Vertretergeschäft zustehen. Denn insbesondere wenn er weiß, daß in Wahrheit die Vollmacht nicht besteht, liegt eine Anwendung der Grundsätze vorn Mißbrauch der Vertretungsmacht44 nahe45 .
Frotz 46 hat ausführlich anhand der Entstehungsgeschichte der §§ 170 173 BGB nachgewiesen, daß die fehlende Einbeziehung der §§ 171 Abs.l, 41 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 507ff.; Frotz, Verkehrsschutz, S. 300f.; Peters, AcP 179 (1979), 214, 232 (zu § 172 BGB); Tempel, Stellvertretung, S. 244. 42 Z.B. Eujen / Frank, JZ 1973, 232, 233; Gotthardt, Anscheinsvollmacht, S. 55ff. (anders aber ders., JZ 1971, 312, 214); Krause, Schweigen, S.145; Manigk, Vollmachten, S. 590, 611; v. Tuhr, BGB AT 11 2, S. 382. 43 Ausführlich Frotz, Verkehrsschutz, S. 302ff.; ebenso RGZ 108, 125, 127f.; RG HRR 1937, Nr. 548; BGH LM § 173 BGB Nr.1 = MDR 1965, 282; Staudinger / Coing, § 173, Rdn. 4; Staudinger / Dilcher, § 173, Rdn. 7; Larenz, BGB AT, § 33 I a; Macris, Vollmachtserteilung, S.162f.; Medicus, BGB AT, Rz. 946; BGB-RGRK-Steffen, § 173, Rdn.1; Soergel / Schultze-v. Lasaulx, § 171, Rdn.1, und § 173, Rdn. 2; Thiele, in: MünchKornrn., § 173, Rdn. 9. 44 Zum Mißbrauch der Vertretungsmacht etwa Fischer, Festschrift Schilling, S.3ff.; GeBIer, Festschrift v. Caemmerer, S.53lff.; Heckelmann, JZ 1970, 62ff.; H. Hübner, Festschrift Klingrnüller, S.I73ff.; Jüngst, Mißbrauch, durchgehend; Schott, AcP 171 (1971), 385ff.; John, in: FS Mühl, S. 349; ders., GmbH-Rdsch. 1983,90. 45 So konsequent Eujen / Frank, JZ 1973, 232, 233; Gotthardt, Anscheinsvollmacht, S. 55ff. 46 Verkehrsschutz, S. 267ff., 302ff.; ebenso Waldeyer, Anscheinsvollrnacht, S. 22 mit Fn. 3.
D. Rechtsfolgen der Vollmachtskundgabe
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172 Abs.l BGB in den § 173 BGB auf einem redaktionellen Versehen des Gesetzgebers beruht. Dies rechtfertigt eine vom Wortlaut abweichende Auslegung des § 173 BGB. Eine solche Interpretation wird auch allein dem Normzweck dieser Vorschriften gerecht. Sie wollen die Unsicherheiten, die sich aus dem Fehlen von vertretungsrechtlichen Verkehrsschutzvorschriften bei der Innenvollmacht für den Dritten ergeben, durch eine an die Außenvollmacht angeglichene Verkehrsschutzregelung beseitigen, wenn die Innenvollmacht vom Vertretenen kundgegeben wurde 47 • Der Verkehrsschutz der §§ 171 Abs.l, 172 Abs.l BGB dient also zur Beseitigung der Unsicherheit über den Bestand einer Innenvollmacht. Deshalb ist er nur dann angebracht, wenn eine solche Unsicherheit besteht. Oder anders gewendet: der Schutz ist zu versagen, wenn für den Vertragspartner des Vertreters keine Unsicherheit besteht oder bestehen dürfte, weil er das Fehlen der Innenvollmacht kennt oder kennen müßte 48 • Deshalb ist § 173 BGB auf die §§ 171 Abs.l, 172 Abs.l BGB anzuwenden. Dem Drittkontrahenten kommt der Schutz dieser Vorschriften also nicht zugute, wenn er das Fehlen der Innenvollmacht kennt oder kennen müßte. Bei Festlegung des Sorgfaltsmaßstabs, den der Vertragspartner des Vertreters zu beachten hat, ist zu berücksichtigen, daß die §§ 171 f. BGB Verkehrsschutzregelungen sind. Diese dürfen nicht dadurch ausgehöhlt werden, daß die Anforderungen an den Dritten zu hoch angesetzt werden 49 , ihm etwa in jedem Fall eine Nachforschungspflicht auferlegt wird. Es wird heute deshalb zu Recht überwiegend darauf abgestellt, ob für den Dritten der Mangel der Vertretungsmacht evident war50 . Denn nur dann besteht für ihn überhaupt Veranlassung, trotz einer ihm bekannten Vollmachtskundgabe Nachforschungen über die zugrundeliegende Vollmacht anzustellen. In jedem anderen Fall wären ihm solche schon deshalb unzumutbar, weil darin eine unerwünschte Einmischung in Angelegenheiten des Vertretenen gesehen werden könnte.
D. Rechtsfolgen der Vollmachtskundgabe Eine Vollmachtskundgabe legitimiert den Vertreter gegenüber einem gutgläubigen Vertragspartner ebenso wie eine Außenvollmacht. Deshalb wird der kraft einer Vollmachtskundgabe Vertretene an die Vertretergeschäfte gern. § 164 Abs.l BGB gebunden. Vgl. oben § 9 A. Zu den Voraussetzungen des Kennenmüssens sogleich. 49 Vgl. Canaris, Vertrauenshaftung, S. 505f. 50 So z.B. Flume, BGB AT 11, § 50, 3; Frotz, Verkehrsschutz, S. 283f., 304; Thiele, in: MÜllchKomm., § 173, Rdn. 3; ähnlich auch Canaris, Vertrauenshaftung, S. 505f., und ihm folgend Staudinger / Dilcher, § 173, Rdn. 2. Gotthardt, Anscheinsvollmacht, S. 55ff., stellt auf grobe Fahrlässigkeit ab: nur diese schade dem Dritten. Vgl. auch BGH LM § 167 Nr. 26 = NJW 1981, 1727 zur Anscheinsvollmacht, der entscheidend darauf abstellt, ob sich Zweifel an der Vertretungsmacht aufdrängen. Zur Sorgfaltspflicht bei Mängeln im Grundverhältnis, die sich auf die Vollmacht auswirken können, vgl. BGH NJW 1985, 730f. 47
48
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§ 11 Anfechtung der Vollmachtskundgabe
§ 11 Die Anfechtung der Vollmachtskundgabe A. Einleitung Keine andere Frage bei den §§ 171 f. BGB hat die Wissenschaft so beschäftigt wie die der Anfechtbarkeit. Deshalb wird diese von Frotz 51 zu Recht als das Kardinalproblem bezeichnet. Es lassen sich dabei deutliche zeitliche Strömungen nachzeichnen. Die Verfasser des BGB gingen, wie die Materialien zeigen, davon aus, daß Willensmängel bei den heutigen §§ 17lf. BGB beachtlich seien52 . Auch die erste große Untersuchung von Hupka 53 gelangte zu diesem Ergebnis. In der Folgezeit mehrten sich die Stimmen derer, die aus den unterschiedlichsten Gründen eine Anfechtung nicht zulassen wollten. In neuester Zeit ist nun wieder eine deutliche Tendenz dahin festzustellen, eine Anfechtung der §§ 17lf. BGB doch zuzulassen 54 . B. Die Zulässigkeit der Anfechtung I. Einwände gegen eine Anfechtbarkeit
Die Autoren, die eine Anfechtung der Rechtsscheinvollmachten der §§ 171 Abs.l, 172 Abs.l BGB generell verneinen, haben dies unterschiedlich zu begründen versucht. Einige Autoren 55 sehen die Anwendbarkeit der Vorschriften über die Willensmängel mit der Rechtsnatur der §§ 171 f. BGB als unvereinbar an. Eine Haftung aus Rechtsschein trete unabhängig vom Willen ein und könne deshalb durch Anfechtung nicht beseitigt werden. Diese Ansicht ist zutreffend, soweit sie sich auf eine unmittelbare Anwendung der Anfechtungsvorschriften bezieht. Damit ist aber immer noch die Frage offen, ob die §§ 119ff. BGB auf die Vollmachtskundgaben analog anzuwenden sind. Andere Autoren 56 argumentieren, der Schutzzweck der §§ 171 f. BGB, dem Vertragspartner des Vertreters Vertrauensschutz zu gewähren, würde leerlaufen, ließen sich diese Tatbestände durch Anfechtung beseitigen. Verkehrsschutz, S. 310. Motive I, S. 238 = Mugdan I, S. 484; Protokolle I, S.146 = Mugdan I, S. 740. 53 Vollmacht, S. 164f. 54 Zum Streitstand vgl. die Nachweise unten in Fn. 55ff., 63. 55 Staudinger I Dilcher, § 171, Rdn. 9; Jacobi, JW 1925, 2449; Jauernig, §§ 170 173, Anm. 3e; Krause, Schweigen, S.156f.; v. Seeler, ArchBürgR 28 (1906), I, 36; Tempel, Stellvertretung, S. 233, 240, 244; ebenso Enneccerus I Nipperdey, BGB AT, § 184 11 3 b (zu § 172 BGB); anders aber dies., § 203 III 8 b; Soergel I Siebert I Schultze-v. Lasaulx (10. Aufl.), § 171, Rdn. 3 (diese Ansicht ist in der 11. Aufl., § 171, Rdn. 3, ausdrücklich aufgegeben). 51
52
B. Zulässigkeit der Anfechtung
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Diese Auffassung weitet den Anwendungsbereich der §§ 171 f. BGB unzulässig aus. Sinn und Zweck der Vorschriften ist es, den gutgläubigen Dritten ebenso zu schützen, als sei ihm gegenüber eine Außenvollmacht erteilt worden. Damit wird erreicht, daß Mängel hinsichtlich der zugrundeliegenden Innenvollmacht dem Vertragspartner nicht schaden. Dies bedeutet aber nicht, daß sich der Vertretene nicht auf Mängel der Mitteilung berufen darf. Vielmehr stellt sich, ist die Kundgabe selbst von Willensmängeln infiziert, ein allgemeines Zurechnungsproblem57 , welches für Willenserklärungen in den §§ 116ff. BGB geregelt ist. Diese Vorschriften könnten auch auf eine Vollmachtkundgabe entsprechend anwendbar sein, was noch zu prüfen ist 58 • Jedenfalls läßt sich aus dem Normzweck der §§ 171 f. BGB nicht folgern, daß die Regeln über Willenserklärungen auch nicht analog anwendbar seien. Schließlich hat sich Wellspacher59 für einen Ausschluß der Anfechtbarkeit der §§ 171 Abs.l, 172 Abs.l BGB ausgesprochen. Er glaubt, eine gedeihliche Fortentwicklung des Verkehrsschutzes verlange diesen Anfechtungsausschluß. Wellspacher ist sich dabei des Widerspruchs zur Außenvollmacht bewußt, meint aber: "Theoretische Mäntelchen zur Verdeckung dieses Widerspruchs werden sich ja finden lassen." Zusammenfassend läßt sich also feststellen, daß bisher eine überzeugende Begründung für einen Ausschluß der Anfechtung der Vollmachtskundgabe nicht gefunden ist. 11. Stellungnahme
Eine unmittelbare Anwendung der §§ 119ff. BGB auf die Vollmachtskundgaben der §§ 171 Abs.l, 172 Abs.l BGB kommt nicht in Betracht. Die Anfechtungsvorschriften behandeln allein die Auswirkungen von Willensmängeln auf Willenserklärungen; bei den Vollmachtskundgaben der §§ 171 Abs. 1, 172 Abs. 1 BGB handelt es sich aber nicht um Willenserklärungen, sondern um Rechtsscheintatbestände. Jedoch könnten die §§ 119ff. BGB hierauf analog anwendbar sein. Die entsprechende Anwendung der gesetzlichen Regelung eines Tatbestandes auf einen anderen (ungeregelten) Tatbestand setzt voraus, daß die für die Regelung maßgebliche gesetzliche Wertung auch auf den ungeregelten Tatbestand zutrifft. Dabei dürfen sich aus den Unterschieden zwischen 56 Staudinger / Coing, §§ 171, 172, Rdn.l0; Oertmann, § 171, Anm. 2 a; Regelsberger, KritVJSchr.47 (1907), 284, 290f.; ders., JherJB 58 (1911), 146, 165ff.; Erman / H. Westermann (6. Aufl.), § 171, Rdn. 7. 57 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 35; Frotz, Verkehrsschutz, S. 318f.; ähnlich Bader, Duldungsvollmacht, S.128. 58 Sogleich unten H. 59 Vertrauen, S. 93f.
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§ 11 Anfechtung der Vollmachtskundgabe
den beiden Tatbeständen keine Gesichtspunkte ergeben, die einer Übertragung der Wertung entgegenstehen. Die Analogie beruht damit letztlich auf dem Gerechtigkeitsgebot, Gleiches gleich zu behandeln60 . Fraglich ist, ob die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung der Anfechtungsvorschriften auf die Vollmachtskundgaben der §§ 171 Abs.1, 172 Abs.1 BGB erfüllt sind, ob also eine Gleichbehandlung dieser Rechtsscheintatbestände mit der (rechtsgeschäftlichen) Bevollmächtigung im Hinblick auf Willensmängel geboten ist. Dies läßt sich nur unter Berücksichtigung des Schutzzwecks der §§ 171, 172 BGB feststellen. Der Schutzzweck der §§ 171 Abs.1, 172 Abs.1 BGB besteht, wie schon hervorgehoben worden ist, darin, dem Empfänger einer Vollmachtsmitteilung den gleichen Schutz zu gewähren, als sei ihm gegenüber eine Außenvollmacht erklärt worden. Dies bedeutet zweierlei. Zum einen darf der Schutz des auf eine Vollmachtskundgabe Vertrauenden nicht hinter dem einer Außenvollmacht zurückbleiben. Zum anderen ist aber auch kein Grund ersichtlich, ihn stärker zu schützen, als sei ihm eine Außenvollmacht erklärt worden. Bei einer Außenvollmacht bestimmen sich die Rechtsfolgen eines Irrtums nach den Vorschriften der §§ 119ff. BGB, d.h. der Vollmachtgeber kann eine Bevollmächtigung, der ein LS.v. § 119 BGB beachtlicher Irrtum zugrunde liegt, anfechten. Der Verkehrsschutz bei der Außenvollmacht ist also nicht so ausgestaltet, daß dem Vollmachtgeber die Einstandspflicht für die Unanfechtbarkeit seiner Erklärung auferlegt wird. Der vertretungsrechtliche Verkehrsschutz des § 170 BGB setzt vielmehr voraus, daß die Außenvollmacht wirksam erteilt und nicht durch Anfechtung erloschen ist. Wird die Außenvollmacht angefochten, entfällt der vertretungsrechtliche Verkehrsschutz des § 170 BGB; der Vertragspartner wird nur noch über § 122 BGB geschützt. Den Vertragspartner des Vertreters, dem die Vollmacht nach § 171 Abs.1, 172 Abs. 1 BGB kundgegeben worden ist, weder stärker noch schwächer zu schützen als bei einer Außenvollmacht, bedeutet, daß auch hier der vertretungsrechtliche Verkehrsschutz von dem Schutz des § 122 BGB zu unterscheiden ist. Ebenso wie bei der Außenvollmacht darf der Verkehrsschutz der §§ 171 Abs.1, 172 Abs.1 BGB nicht dahin ausgeweitet werden, daß dem Vertretenen die Einstandspflicht dafür auferlegt wird, daß die Kundgabe frei von Willensmängeln ist. Deshalb muß dem Vertretenen auch bei der Vollmachtskundgabe die Möglichkeit zu Gebote stehen, im Fall eines nach §§ 119, 123 BGB beachtlichen Willensmangels bei der Kundgabe seine Haftung auf das negative Interesse (§ 122 BGB) zu beschränken. 60 Larenz, Methodenlehre, S. 366f.; ähnlich z.B. Enneccerus / Nipperdey, BGB AT, § 5811.
B. Zulässigkeit der Anfechtung
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Damit ergibt sich für die Vollmachtskundgaben, daß sie ebenso wie die Außenvollmacht nur regeln, wann überhaupt ein vertretungsrechtlicher Verkehrsschutz zugunsten des Dritten eingreifen kann. üb dieser dann tatsächlich zu gewähren ist, hängt entscheidend davon ab, ob der Kundgabe Willensmängel anhaften oder nicht. Würden nämlich bei den §§ 171 Abs.l, 172 Abs. 1 BGB Willensmängel unbeachtlich sein, würde der Empfänger einer Mitteilung stärker geschützt als bei einer ihm erteilten Außenvollmacht 61 • Würde man Willensmängel bei den Vollmachtskundgaben als unbeachtlich erklären, ließen sich auch Wertungswidersprüche nicht vermeiden. Wenn der VG dem D schreibt, er bevollmächtige den V, einen Gebrauchtwagen bis zum Preis von 8000 DM zu kaufen, aber 5000 DM meinte, kann VG diese Erklärung anfechten. Schreibt VG, er habe V bevollmächtigt, bis zum Preise von 8000 DM einen Gebrauchtwagen bei D zu kaufen, obwohl er 5000 DM schreiben wollte, muß er ebenfalls zur Anfechtung dieser Erklärung berechtigt sein. Denn diese Fälle sind so gleichgelagert, daß sie auch gleich zu behandeln sind. Eine unterschiedliche Behandlung würde das Gebot der Gerechtigkeit, Gleiches gleich zu behandeln, verletzen 62 •
Aus allem ergibt sich: Die gesetzliche Interessenbewertung, daß sich der Vertretene von den ungewollten Folgen einer Außenvollmacht durch Anfechtung nach §§ 119, 123 BGB lösen kann, trifft gleichermaßen auch bei den Vollmachtskundgaben zu. Es ist kein Grund ersichtlich, den Vertretenen an die Vollmachtskundgaben stärker zu binden als an eine Außenvollmacht. Vielmehr würde es dem Gebot der Gerechtigkeit, Gleiches gleich zu behandeln, widersprechen, dem Vertretenen im Fall eines nach §§ 119, 123 BGB beachtlichen Willensmangels bei der Außenvollmacht ein Anfechtungsrecht zu gewähren, ihn an eine Vollmachtskundgabe aber unanfechtbar zu binden. Die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung der §§ 119ff. BGB auf die Vollmachtskundgaben sind also erfüllt. Damit ist das Ergebnis gewonnen, daß auch die Vollmachtskundgaben (§§ 171 Abs.l, 172 Abs.l BGB) analog §§ 119ff. BGB anfechtbar sind63 •
61 So z.B. auch Bader, Duldungsvollmacht, S.128; Canaris, Vertrauenshaftung, S. 35f.; Frotz, Verkehrsschutz, S. 315, 319, 324ff. 62 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 35f. Zur Notwendigkeit der Gleichbehandlung schon oben § 10 B m. Nachw. in Fn. 35, 36. 83 So auch die heute h.M.; z.B. Bader, Duldungsvollmacht, S.127ff.; Canaris, Vertrauenshaftung, S. 35ff.; Diederichsen / Marburger, S.117, 139; Flume, BGB AT H, § 49, 2 c; Frotz, Verkehrsschutz, S. 310ff. (324ff.); Gotthardt, Anscheinsvollmacht, S. 50ff.; Larenz, BGB AT, § 33 I a; Macris, Vollmachtserteilung, S.178ff.; Manigk, Vollmachten, S. 590,605,634; ders., Verhalten, S. 522; Planck / Flad, § 171, Anm. 3; BGB-RGRK-Steffen, § 171, Rdn.3; Soergel / Schultze-v. Lasaulx, § 171, Rdn.3; Thiele, in: MünchKomm., § 171, Rdn. 7f.; Hübner, BGB AT, Rdn. 662.
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c.
§ 11 Anfechtung der Vollmachtskundgabe
Die zur Anfechtung zur Vollmachtskundgabe berechtigenden Irrtümer I. Der Irrtum über die Rechtsfolgen der Vollmachtskundgabe
Hat sich der Vertretene allein darüber geirrt, welche Rechtsfolgen die Vollmachtskundgabe nach sich zieht, ist er zu einer Anfechtung nicht berechtigt64. Die Rechtsfolgen der Erklärung treten nämlich unabhängig vom Willen allein kraft Gesetzes (§§ 17lf. BGB) ein. Zu denken ist beispielsweise daran, daß der VG dem V, den er zum Abschluß eines einzigen Geschäfts bevollmächtigt hat, eine Vollmachtsurkunde aushändigt, die so gefaßt ist, als sei der V zum Abschluß mehrerer Geschäfte eines bestimmten Typs bevollmächtigt. Kontrahiert der V unter Vorlage der Urkunde mit mehreren gutgläubigen Vertragspartnern, wird der VG kraft der Rechtsscheinvollmacht (§ 172 Abs.1 BGB) an die Vertretergeschäfte gebunden (§ 164 Abs.1 BGB). Eine Anfechtung der Rechtsscheinvollmacht mit der Begründung, VG habe nicht gewußt, daß er aufgrund der Vollmachtsurkunde an alle Vertretergeschäfte gebunden werde, ist allein ein Irrtum über die Rechtsfolge des § 172 Abs. 1 BGB und daher rechtlich unbeachtlich.
ll. Der Irrtum über eine Bevollmächtigung
Ein Irrtum des Kundgebenden kann darin liegen, daß er irrig annimmt, er habe den als Vertreter Kundgegebenen zuvor (wirksam) bevollmächtigt. Ist die Kundgabe allein von diesem Irrtum beeinflußt, scheidet eine Anfechtung aus. Denn die Vorstellung des Kundgebenden, den Vertreter (wirksam) bevollmächtigt zu haben, ist allein Motiv für die Kundgabe und deshalb rechtlich unbeachtlich 65 • Schwierig ist allerdings die Abgrenzung zwischen einem reinen Motivirrtum und einem rechtlich relevanten Irrtum insbesondere dann, wenn der Vertretene zwar eine Vollmacht wirklich erteilt hatte, diese aber anfechtbar ist. Hier kann der Irrtum bei der Bevollmächtigung die Kundgabe infizieren mit der Folge, daß auch der Kundgabe ein beachtlicher Irrtum zugrunde liegt. Aber ebenso können die Vorstellungen des Kundgebenden, er habe zuvor wirksam eine Vollmacht erteilt, lediglich Motiv der Kundgabe sein .. Hier gilt es zunächst nur festzuhalten, daß im zweiten Fall 66 jedenfalls eine Anfechtung ausscheidet.
64 So ausdrücklich auch Bader, Duldungsvollmacht, S.129f.; Frotz, Verkehrsschutz, S. 324; Larenz, BGB AT, § 33 Ia Fn. 6; Thiele, in: MÜllchKomm., § 171, Rdn.8. 65 Ebenso Bader, Duldungsvollmacht, S. 132; Canaris, Vertrauenshaftung, S.35; v. Craushaar, AcP 174 (1974), 2, 15; Flume, BGB AT 11, § 49, 2c; Frotz, Verkehrsschutz, S.324; Soergel / Schultze-v. Lasaulx, § 171, Rdn.3; BGB-RGRK-Steffen, § 171, Rdn. 3; Thiele, in: MÜllchKomm., § 171, Rdn. 8; a.A. Rosenberg, Stellvertretung, S. 742, wonach ein Irrtum bei der Bevollmächtigung auch zur Anfechtimg der Vollmachtskundgabe berechtigt. 66 Zum 1. Fall sogleich unter IV.
D. Rechtsfolgen der Anfechtung
m.
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Der Irrtum gem. § 119 BGB bei der Vollmachtskundgabe
Ein i. S. v. § 119 BGB beachtlicher Irrtum, der allein die Vollmachtskundgabe beeinflußt, berechtigt zur Anfechtung der Kundgabe ebenso, wie eine entsprechende Außenvollmacht anfechtbar wäre. Denn nur so wird dem Normzweck der §§ 171 f. BGB genügt, den Empfänger einer Kundgabe ebenso zu schützen wie den einer Außenbevollmächtigungserklärung: also nicht schwächer, aber eben auch nicht stärker. Beispiel67 : VG hat seinem Mitarbeiter Mayer Innenvollmacht erteilt. Dies will er dem D mitteilen (§ 171 Abs. 1 BGB). VG verschreibt sich und teilt mit, er habe Meyer bevollmächtigt. Kontrahiert Meyer, der ebenfalls Mitarbeiter des VG ist, mit D, ergibt ein Vergleich mit der Außenvollmacht: diese könnte VG gem. § 119 Abs.12. Alt. BGB wegen Erklärungsirrtums anfechten. Wegen dieses Irrtums ist deshalb gleichermaßen auch die Vollmachtskundgabe anfechtbar (§ 119 Abs. 1 2. Alt. BGB analog).
Zu den Anfechtungsgründen, die bei einer Vollmachtskundgabe analog § 119 BGB beachtlich sind, kann deshalb auf die Überlegungen zur ausdrücklichen Vollmacht 68 verwiesen werden. IV. Der Irrtum bei der Vollmacht und der Kundgabe
Hat schon der Bevollmächtigung ein beachtlicher Irrtum zugrunde gelegen, kann sich dieser Irrtum bei der Vollmachtskundgabe erneut auswirken. Beispiel: VG möchte seinen Mitarbeiter Mayer Innenvollmacht erteilen. Aufgrund einer Personenverwechslung (error in persona)69 bevollmächtigt er schriftlich seinen anderen Mitarbeiter Meyer und teilt mit gleicher Post dem D mit, er habe Meyer bevollmächtigt.
Der Identitätsirrtum hat sowohl die Innenvollmacht als auch die Vollmachtskundgabe beeinflußt. Wäre dieser Irrtum dem Vertretenen allein bei der Vollmachtskundgabe unterlaufen, könnte er diese analog § 119 Abs.l BGB anfechten. Deshalb ist er aufgrund dieses Irrtums auch dann zur Anfechtung der Kundgabe analog § 119 Abs.l BGB berechtigt, wenn der Irrtum auch die Innenvollmacht beeinflußt hat 70 . D. Die Rechtsfolgen der Anfechtung der Vollmachtskundgabe Der Verkehrsschutz der Rechtsscheinvollmachten der §§ 171 Abs.l, 172 Abs. 1 BGB entspricht dem der Außenvollmacht. Dies bedeutet, daß die 67 Beispiel von Bader, Duldungsvollmacht, S. 133. 68 Vgl. oben § 5. 69 Vgl. oben § 5 C H. 70 Ebenso Canaris, Vertrauenshaftung, S. 116; in der Sache wohl auch Flume, BGB AT H, § 49, 2 c; Frotz, Verkehrsschutz, S. 325; Waldeyer, Anscheinsvollmacht, S. 25; einschränkend Bader, Duldungsvollmacht, S.129ff. 9 Stüsser
130
§ 12 Wertung der Ergebnisse
Rechtsfolgen einer Anfechtung der Vollmachtskundgabe denen der Anfechtung einer Außenvollmacht entsprechen71 . Zweifelhaft ist dieses Ergebnis, wenn ein Irrtum sowohl die Innenvollmacht als auch die Kundgabe beeinflußt hat. Eine Bindung des Vertretenen an die Vertretergeschäfte entfällt in einem solchen Fall nur dann, wenn er die Innenvollmacht und die Vollmachtskundgabe anficht. Für den Vertragspartner des Vertreters könnten in diesem Fall zwei Alternativen eröffnet sein, wegen des ihm entstandenen Schadens Ersatz zu verlangen: entweder könnte er den Vertreter gern. § 179 BGB auf Schadensersatz in Anspruch nehmen oder analog § 122 BGB den Vertretenen. Dieses Problem aber ist nicht anders zu entscheiden als bei der Anfechtung der Außenvollmacht. Denn das Vertrauen des Dritten gründet hier wie dort allein auf einem Verhalten des Vertretenen. Deshalb ist dem Vertragspartner des Vertreters grundsätzlich nur der Weg eröffnet, analog § 122 BGB vom Vertretenen Schadensersatz zu verlangen. Darüber hinaus kann er den Vertreter nur in Anspruch nehmen, wenn dieser die Anfechtbarkeit der Vollmacht kannte (§ 142 Abs. 2 BGB); dann ist der Vertreter nach § 179 Abs.l BGB seinem Vertragspartner nach dessen Wahl zur Vertragserfüllung oder zum Ersatz des Erfüllungsinteresses verpflichtet 72 .
§ 12 Wertung der Ergebnisse des 3. Abschnitts A. Die Anfechtung der Vollmachtskundgabe als Problem des Verkehrsschutzes I. Die Verkehrsschutzvorschriften der §§ 171 bis 173 BGB
Der vertretungsrechtliche Verkehrsschutz für die Vollmachtskundgabe
(§§ 171 bis 173 BGB) entspricht dem der Außenvollmacht (§§ 167 Abs. 2
2. Alt., 170, 173 BGB). Ebenso wie der vertretungsrechtliche Verkehrsschutz der Außenvollmacht deren Anfechtung nicht entgegensteht73 , gilt dies auch für die §§ 171 Abs. 1, 172 Abs.l BGB.
n.
Das Vertrauen des Kundgabeempfängers
Das Vertrauen des Kundgabeempfängers ist nicht stärker als das des Empfängers einer Außenvollmacht. Deshalb ist es auch rechtlich nicht schützenswerter. Auch wenn der Empfänger aufgrund der Kundgabe mehrere Geschäfte mit dem Vertreter abgeschlossen hat, steht sein Interesse an 71 72 73
Vgl. dazu oben § 4 A und C. Vgl. dazu oben § 4 C II 2 b. Vgl. oben § 6 D I.
B. Bedeutung der §§ 171 f. BGB für die Vollmachtsanfechtung
131
der Wirksamkeit der Rechtsscheinvollmacht deren Anfechtbarkeit nicht entgegen 74 • Bei der Vollmachtskundgabe ist ein stärkerer Vertrauensschutz des Vertragspartners auch nicht wegen einer Verbreiterung der Vertrauensbasis gerechtfertigt, wenn ein Irrtum des Vollmachtgebers sowohl die Innenvollmacht als auch die Kundgabe beeinflußt hat. Denn Basis eines Vertrauensschutzes ist auch dann allein die Vollmachtskundgabe. Die Innenvollmacht begründet nämlich im Verhältnis des Vertretenen zum Vertragspartner keinen Vertrauensschutz.
m.
Das Verkehrsschutzproblem
Das Interesse an der Sicherheit des Rechtsverkehrs wird durch die Anfechtung einer Vollmacht nicht so stark belastet, daß der Verkehr diese nicht hinnehmen könnte 75 . Dies gilt ebenso für die Vollmachtskundgabe.
B. Die Bedeutung der §§ 171 f. BGB für die Anfechtung der Vollmacht (§ 167 Abs. 1 BGB) I. Kein Schluß aus §§ 171 f. BGB auf die Unanfechtbarkeit einer Vollmacht
Es ist versucht worden, mit den §§ 171 f. BGB zu begründen, daß eine Anfechtung der Außenvollmacht7 6 oder sogar jeder Vollmacht 77 ausgeschlossen sei. Diese Argumentation beruht auf der Annahme, daß die Rechtsscheinvollmachten der §§ 171 Abs.l, 172 Abs.l BGB selbst nicht anfechtbar seien. Diese Voraussetzung aber hat sich als unzutreffend herausgestellt. Damit erweist sich, daß aus den §§ 171 f. BGB nicht auf die Unanfechtbarkeit der Vollmacht geschlossen werden kann. Vielmehr läßt sich umgekehrt feststellen: die Vollmacht und deren Kundgabe sind beide anfechtbar, sofern ihnen ein nach § 119 BGB beachtlicher Irrtum zugrunde liegt. Durch diese Gleichbehandlung werden Wertungswidersprüche vermieden. 11. Die Benachteiligung der Vertragspartner, denen die Vollmacht nicht kundgegeben wurde Die Anfechtung einer Vollmacht führt zu unterschiedlichen Rechtsfolgen bei den Vertretergeschäften, wenn einigen Vertragspartnern die Vollmacht unanfechtbar kundgegeben worden ist, anderen nicht. Vgl. oben § 6 D 11 zur Außenvollmacht. Vgl. oben § 6 D IH, dort auch Nachweise zur Gegenansicht in Fn. 47 - 49. 76 Staudinger / Coing, § 170, Rdn. 3. 77 Regelsberger, KritVJSchr. 47 (1907), 284, 290f.; ders., JherJB 58 (1911), 146, 165ff. H
75
9·
132
§ 12 Wertung der Ergebnisse
Eujen / Frank 78 sehen den Vertragspartner, demgegenüber die Vollmacht nicht kundgegeben worden ist, dann als ungerechtfertigt benachteiligt an, wenn er von vierter Seite zuverlässig über die Vollmachtskundgabe informiert worden ist. Hierin sehen sie einen Grund für die Unzulässigkeit der Vollmachtsanfechtung. Hier fehlt aber schon ein Vertrauenstatbestand zwischen dem Vertretenen und dem Vertragspartner. Es hatte sich schon wiederholt gezeigt, daß ein Vertrauensschutz nur gerechtfertigt ist, wo auch Vertrauen investiert wurde. Daran aber fehlt es, wo dem Dritten die Vollmacht nicht vom Vertretenen kundgegeben wurde. Die Verweigerung des vertretungsrechtlichen Verkehrsschutzes ist auch im Interesse des Vertretenen unumgänglich. Denn würde der Verkehrsschutz auf solche Personen ausgeweitet, denen von Empfängern einer Kundgabe die Information (zuverlässig) weitergegeben wurde, hätte der Vertretene kaum mehr die Möglichkeit, den Rechtsschein der Vollmacht zu beseitigen (§ 171 Abs. 2 BGB). Er wüßte nicht, welchen Personen die Information weitergegeben wurde und deshalb das Erlöschen der Vertretungsmacht anzuzeigen ist7 9 •
C. Ergebnis Durch die Möglichkeit, die Rechtsscheinvollmachten der §§ 171 Abs.1, 172 Abs.1 BGB anzufechten, entstehen keine Wertungswidersprüche. Deshalb ist ein Ausschluß oder eine Einschränkung der Anfechtung der Vollmacht und der Rechtsscheinvollmacht nicht erforderlich.
JZ 1973, 232, 233. Vgl. auch Frotz, Verkehrsschutz, S. 466, wonach vom Schadensersatz abweichende Lösungen überhaupt nur in Betracht kommen, wo der Schein einer eigenen Rechtsgestaltung besteht. 78 79
4. Abschnitt
Die Anfechtung der Duldungs- und Anscheinsvollmacht § 13 Zweck, dogmatische Einordnung und Anwendungsbereich der Duldungsvollmacht A. Begriffsbestimmung und Zweck des Rechtsinstituts Es besteht heute weitgehend Einigkeit darüber, daß eine Duldungsvollmacht vorliegt, " ... wenn der Vertretene das ihm bekannte Verhalten des Vertreters duldet und diese Duldung vom Geschäftsgegner nach Treu und Glauben und mit Rücksicht auf die Verkehrssitte dahin gedeutet werden darf, daß der Vertreter vom Vertretenen Vollmacht, für ihn zu handeln, erhalten hat. "1 Mit dieser Begriffsbestimmung läßt sich die Duldungsvollmacht von ähnlichen Rechtsinstituten abgrenzen. Sie unterscheidet sich von der stillschweigenden Bevollmächtigung dadurch, daß bei dieser das Schweigen richtungsbezogen auf den Vertreter oder dessen Vertragspartner Vertretungsmacht begründet 2 ; bei der Duldungsvollmacht dagegen fehlt es sowohl an der Richtungsbezogenheit als auch an der (konstitutiven) Begründung der Vertretungsmacht. Durch das Fehlen der Richtungsbezogenheit unterscheidet sich die Duldungsvollmacht auch von der Vollmachtskundgabe des § 171 Abs.1 1. Fall BGB3. Und im Gegensatz zur Anscheinsvollmacht 4 kennt der Vertretene bei der Duldungsvollmacht das Vertreterhandeln. 1 BGH LM § 167 BGB Nr. 4, 2. Leitsatz; allerdings sieht der BGH in dieser Entscheidung die Duldungsvollmacht noch als stillschweigend erteilte Vollmacht an. Die heute von der Rspr. durchgängig angenommene Dreiteilung in stillschweigende Bevollmächtigung, Duldungsvollmacht und Anscheinsvollmacht findet sich erstmals angedeutet in BGHZ 30, 391, 395f., und konsequent durchgeführt in der Entscheidung BGH LM § 167 BGB Nr.l0 = MDR 1961, 592 = Betrieb 1961, 1453, sowie in späteren Entscheidungen, z.B. BGH LM § 164 BGB Nr. 34 = MDR 1971, 741 = BB 1971, 798; BGH WM 1963, 165; BGH LM § 164 BGB Nr.24 = MDR 1964, 913 = Betrieb 1964, 1056. Vgl. im übrigen den umfassenden Bericht über die Rechtsprechung bei Bader, Duldungsvollmacht, S.4 - 88. Aus dem Schrifttum vgl. z.B. Erman / Brox, § 167, Rdn. 7; Canaris, Vertrauenshaftung, S. 39; Staudinger / Coing, § 167, Rdn. 9, 9 a; Palandt / Heinrichs, § 173, Anm. 4 b, aa; BGB-RGRK-Steffen, §167, Rdn.ll; Soergel / Schultze-v.Lasaulx, §167, Rdn.17f.; Thiele, in: MünchKomm., § 167, Rdn. 36ff.; Staudinger / Weber, § 242, Rdn. A 203. 2 Vgl. dazu oben § 7 C. 3 Vgl. dazu oben § 10 AI. 4 Vgl. dazu unten § 16.
134
§ 13 Die Duldungsvollmacht
Sind die Voraussetzungen des objektiven Tatbestandes der Duldungsvollmacht erfüllt, geht der Vertragspartner des Vertreters mit Selbstverständlichkeit davon aus, der Vertreter habe Vollmacht. Und doch gewährt das Gesetz unmittelbar keinen vertretungsrechtlichen Verkehrsschutz, weil die Voraussetzungen der §§ 170 - 172 BGB nicht erfüllt sind. Da es aber aufgrund des Verhaltens des Vertretenen für den Vertragspartner unsinnig erscheint, sich die Vertretungsmacht gern. §§ 171 Abs.l, 172 Abs.l BGB vom Vertretenen bestätigen zu lassen, ist sein Vertrauen auf die Vollmacht schutzwil.rdig. Und diesen Schutz zu gewähren, ist der Zweck des Rechtsinstituts der Duldungsvollmacht. B. Die dogmatische Einordnung der Duldungsvollmacht I. Einleitung
Ähnlich wie bei den Tatbeständen der §§ 171 Abs.l, 172 Abs.l BGB5 besteht auch Streit über die dogmatischen Grundlagen der Duldungsvollmacht. Obwohl einiges dafür spricht, daß sich das Rechtsinstitut der Duldungsvollmacht inzwischen gewohnheitsrechtlich verfestigt hat 6 , soll hier eine Rückbesinnung auf die Grundlagen erfolgen. Dabei darf der Wert des Streites für die Frage nach der Anfechtbarkeit der Duldungsvollmacht nicht überschätzt werden. Es ist schon oben 7 bei der Erörterung der dogmatischen Grundlagen der §§ 171 Abs.l, 172 Abs.l BGB betont worden, daß eine Anfechtung nicht zwingend ausscheidet, wenn sich ein Tatbestand nicht rechtsgeschäftlich deuten läßt: zwar sind die §§ 119ff. BGB dann nicht unmittelbar, möglicherweise aber analog anwendbar. ß. Die Theorien zur Duldungsvollmacht
1. Die Rechtsgeschäftstheorie Die früher herrschende Auffassung 8 •g , daß es sich bei der Duldungsvollmacht um eine rechtsgeschäftliche konkludente Bevollmächtigung handle, wird heute namentlich von Flume 10 wieder vertreten. Er sieht in dem Vgl. oben § 9 B 11. So z.B. Canaris, Vertrauenshaftung, S. 42. 7 § 9 B I. a So z. B. Hupka, Vollmacht, S. 119ff.; Manigk, Vollmachten, S.590, 636ff.; Planck / Flad, § 167 Anm. 6. 9 Vgl. zur Rechtsprechung schon § 7 A und oben Fn.l. 10 BGB AT 11, § 49, 3; Rechtsgeschäft und Privatautonomie, S.180ff.; ebenso im neueren Schrifttum z.B. Palandt / Heinrichs, § 173, Anm. 4b aa; Jauernig, § 167, Anm. 4 C; Lehmann / Hübner, BGB AT, § 36 V 2 a; Pawlowski, BGB AT, ReIn. 716; 5 6
B. Dogmatische Einordnung
135
bewußten Dulden des Vertretenen eine Vollmachtskundgabe i.S. v. § 171 BGB; da er diese als rechtsgeschäftliche Bevollmächtigung ansiehtl l , ist für ihn die Duldungsvollmacht ebenfalls rechtsgeschäftliche Vollmacht.
2. Die Rechtsscheintheorie Demgegenüber sieht die heute überwiegende Meinung im Anschluß an Wellspacher 12 und v. Seeler13 in der Duldungsvollmacht eine Haftung für verursachten Rechtsschein 14 .
3. Sonstige Theorien Neben diesen beiden Ansichten werden noch weitere Begründungen vorgetragen, die die Rechtscheinhaftung ergänzen oder ihr doch nahestehen. So wird angenommen, es handle sich bei der Haftung kraft Duldungs- und Anscheinsvollmacht um eine Ausprägung des Verbots des venire contra factum proprium 15 oder dessen spezieller Ausgestaltung der Verwirkung 16 . Fabricius 17 sieht in der Duldungs- und Anscheinsvollmacht einen Fall der Haftung für die Verletzung einer Aufsichtspflicht. Ähnlich sieht R. Schmidtl 8 in der Duldungsvollmacht den Verstoß gegen die Obliegenheit, ein vertretungsweises Handeln für sich nicht zu dulden.
4. Das Verkehrsschutzsystem von Frotz In seiner umfangreichen Untersuchung über "Verkehrsschutz im Vertretungsrecht"19 arbeitet Frotz nicht mit dem Begriff "Duldungsvollmacht". Ein i. S. d. obigen 20 Begriffsbestimmung verstandenes Rechtsinstitut ist denn seinem Verkehrsschutzsystem auch fremd. Westermann, JuS 1963, 1, 5f.; Staudinger / Weber, § 242, Rdn. A 203. Nicht eindeutig Enneccerus / Nipperdey, BGB AT, § 18411 2 a, 4. 11 BGB AT 11, § 49, 2 a, c. 12 Vertrauen, S. 95ff. 13 ArchBürgR 28 (1906), 1, 51f. 14 Z.B. Bader, Duldungsvollmacht, S. 167ff.; Erman / Brox, § 167, Rdn. 7; Canaris, Vertrauenshaftung, S. 40ff.; ders., Festschrift Wilburg, S. 77, 88; ders., NJW 1966, 2349,2350; v. Craushaar, AcP 174 (1974), 2, 17f.; Staudinger / Dilcher, § 167, Rdn. 32; Fikentscher, AcP 154 (1955), 1ff.; Krause, Schweigen, S.138ff.; Larenz, BGB AT, § 33 I a; Oertmann, ZHR 95 (1930), 443, 483; Soergel / Schultze-v. Lasaulx, § 167, Rdn.17f., 21; BGB-RGRK-Steffen, § 167, Rdn. 7. 15 Gotthardt, Anscheinsvollmacht, S. 123. 16 Gierke / Sandrock, Handelsrecht, § 23 III 4 b. 17 Fabricius, JuS 1966, 1, 50, 56f. 18 Obliegenheiten, S. 123f.; dagegen schon in der Besprechung Ballerstedt, ZHR 121 (1958), 78, 87f. 19 (ohne Ort), 1972. 20 Vgl. oben § 13 A.
136
§ 13 Die Duldungsvollmacht
Frotz unterscheidet zwischen einem "rechtsgeschäftlichen" und einem "schadensersatzrechtlichen" Verkehrsschutzsystem im Vertretungsrech t. Ein rechtsgeschäftlicher Verkehrsschutz setzt nach Ansicht von Frotz stets voraus, daß der Vertrauenstatbestand (Verständigungsakt) auf den Empfänger richtungsbezogen ist. Er kommt also insbesondere bei empfangsbedürftigen Willenserklärungen in Betracht21 sowie bei qualifizierten Mitteilungen, also solchen, die auf den Empfänger richtungs bezogen eine eigene rechtsgeschäftliche Gestaltung bekunden, z.B. §§ 171 Abs.l, 172 Abs.l BGB22. Im Vertretungsrecht kann nach Frotz deshalb rechtsgeschäftlicher Verkehrsschutz nur die Folge einer Außenvollmacht oder einer richtungsbezogenen Mitteilung (§§ 171 Abs.l, 172 Abs.l BGB) sein 23 . Die Richtungsbezogenheit einer Kundgabe - und das ist für die Duldungsvollmacht besonders hervorzuheben - könne sich aber auch aus dem Verhalten des Vertreters ergeben, wenn der Dritte dessen Verhalten so deuten darf, daß der Vertretene durch den Vertreter eine bestehende Innenvollmacht mitteile 24 . Bei den Rechtsfolgen des rechtsgeschäftlichen Verkehrsschutzes differenziert Fratz zwischen dem Bereich der normalen Verantwortung und einem solchen der "gesteigerten sozialen Verantwortung für mißverständliches Verhalten im Rechtsverkehr"25. Im Bereich der normalen Verantwortung setzt für Frotz ein positiver Vertrauensschutz gern. §§ 170 - 173 BGB voraus, daß sich der Vertretene der Bedeutung seines Verhaltens als Außenbevollmächtigung oder qualifizierte Mitteilung bewußt war und auch eine Vollmacht erteilen oder kundgeben wollte 26 . Fehlen diese subjektiven Voraussetzungen, bejaht Frotz lediglich eine Haftung aus § 122 BGB, sofern der Vertretene bei sozialgerechtem Verhalten den Störfall vermeiden konnte27 . In § 122 BGB sieht Frotz nämlich den Grundtatbestand einer Haftung für mißverständliches Verhalten 28 . Im Bereich der "gesteigerten sozialen Verantwortung für mißverständliches Verhalten in Rechtsverhältnissen"29 verwehrt Frotz dagegen dem sich mißverständlich Verhaltenden die Berufung auf das Fehlen des Erklärungsoder Mitteilungsbewußtseins mit der Folge, daß auch ohne diese subjektiven Verkehrsschutz, S. 426ff. Verkehrsschutz, S. 426ff., 483, 486f. 23 Verkehrsschutz, S. 426f. 24 Verkehrsschutz, S. 427. 25 Verkehrsschutz, S. 482ff. 26 Verkehrsschutz, S. 297ff., 469ff., 514f. 27 Verkehrsschutz, S. 426ff., 496ff., 515f. 28 Verkehrsschutz, S. 469ff., 516. 29 Verkehrsschutz, S. 482ff. Nach der eigenen Zielvorgabe will Frotz nur einen "Denkanstoß in Richtung einer gesetzestreuen Rechtsfortbildung" geben. 21
22
B. Dogmatische Einordnung
137
Voraussetzungen ein positiver Vertrauensschutz zu gewähren sei3o . Allerdings wendet Frotz auf dieses mißverständliche Verhalten die §§ 119f. BGB an: "Es werden nicht etwa bestimmte Fälle aus dem Anwendungsbereich der §§ 119, 120 BGB strenger behandelt, sondern es werden Fälle, die normalerweise sofort eine Haftung nach § 122 BGB - und nur diese - auslösen würden, in den Anwendungsbereich der §§ 119ff. BGB einbezogen ... Das Gesetz hindert ... grundsätzlich niemanden, sich durch Anfechtung wegen eines ... wesentlichen Erklärungs- (oder) Inhaltsirrtums ... von der ex lege eingreifenden Rechtsbindung an das Erklärte zu lösen. "31,32 Diesen Bereich gesteigerter Verantwortung sieht Frotz dort als gegeben an, wo zwischen den Parteien ein vertragliches oder gesetzliches Schuldverhältnis oder ein besonders verfestigter rechtsgeschäftlicher Kontakt besteht, wo eigene auf Vertrauensreaktion angelegte Akte rechtsgeschäftlicher Gestaltung vorangegangen waren sowie im Rahmen eines Schuldverhältnisses der Vertragsverhandlungen 33 . Sobald das Verhalten schon nicht auf einen Empfänger richtungsbezogen ist, scheidet für Frotz ein rechtsgeschäftlicher Verkehrsschutz aus; er gewährt dann einen "schadensersatzrechtlichen" Verkehrsschutz. Die Haftung des Vertretenen ergebe sich allein aus culpa in contrahendo, positiver Vertragsverletzung oder unerlaubter Handlung 34 . 5. Die Ablehnung der Duldungsvollmacht durch E. Wolf und Bienert Generell abgelehnt wird das Rechtsinstitut der Duldungsvollmacht ebenso wie das der Anscheinsvollmacht von E. Wolf 35 und von Bienert3 6 • Ausgehend von der von E. Wolf begründeten sog. "realen Rechtslehre"37 wird eine Gleichsetzung zwischen Realität und Rechtsschein überall da abgelehnt, wo nicht das Gesetz aus dem Schein einen Schluß auf das Seiende gestattet. Deshalb gibt es für sie auch keine Duldungs- und Anscheinsvollmacht. In diesen Fällen will Bienert38 den Drittkontrahenten auf einen Anspruch aus Verkehrsschutz, S. 482 ff., 515f. Verkehrsschutz, S. 484. 32 Vgl. dazu schon oben § 5 D III 1 mit Fn. 36. 33. Verkehrsschutz, S. 486. 34 Verkehrsschutz, S. 112f., 513f. 35 BGB AT, § 14 B IV 4, 5. 36 "Anscheinsvollmacht" und "Duldungsvollmacht", 1975. 37 Vgl. dazu E. Wolf, BGB AT, Vorw. S. XIff.; ders., Sachenrecht, Vorw. S. Vf.; ders., JZ 1970, 441ff. 38 Anscheinsvollmacht, S. 97 ff. 30
31
138
§ 13 Die Duldungsvollmacht
§ 823 Abs.l BGB gegen den Vertretenen verweisen, da durch die Verursachung des Scheins einer Vertretungsmacht das Persönlichkeitsrecht des Dritten auf irrtumsfreie Willensbildung verletzt sei. Zu einer ausführlichen Auseinandersetzung mit der realen Rechtslehre ist hier nicht der Raum 39 • Es sei dazu nur bemerkt, daß es Aufgabe der Rechtswissenschaft ist, die Gerechtigkeit zu fördern. Eines der wesentlichen Gebote der Gerechtigkeit ist es, gleichgelagerte Fälle auch gleich zu behandeln. Diesem Gebot widerspricht es, wertungsmäßig gleich gelagerte Fälle allein deshalb ungleich zu behandeln, weil das Gesetz in dem einen Fall an den Rechtsschein die gleiche Folge wie an die Realität knüpft, in dem anderen aber nicht.
m.
Stellungnahme
Bei der Duldungsvollmacht läßt sich eine Bindung des Vertretenen ebensowenig rechtsgeschäftlich erklären wie bei den Tatbeständen der §§ 171 Abs.l, 172 Abs. 1 BGB40. Eine Vollmacht wird gern. § 167 Abs.l BGB erteilt durch Erklärung gegenüber dem Vertreter oder dem Drittkontrahenten. An dieser Richtungsbezogenheit auf den Vertreter oder den Dritten aber fehlt es bei der Duldungsvollmacht: weder der Vertragspartner noch der Vertreter können aus dem Dulden des Geschäftsherrn schließen, es werde ihnen gegenüber eine Vollmacht erteilt. Für den Dritten entsteht allein der Eindruck, daß der Vertretene das Auftreten des Vertreters deshalb dulde, weil er diesem zuvor eine Innenvollmacht erteilt habe. Und der Vertreter weiß, daß der Vertretene ihm keine Vollmacht erteilen will; deshalb kommt dem Dulden auch aus seiner Sicht nicht die Bedeutung einer Innenbevollmächti-
gung ZU 41 .
Die vorstehenden Ausführungen dürfen nicht dahin mißverstanden werden, als könne eine Auslegung des Verhaltens des Vertretenen nie (richtungsbezogene) Erklärung einer Vollmacht sein. Wenn dem so ist, handelt es sich aber nicht um eine Duldungsvollmacht, sondern um eine konkludente rechtsgeschäftliche Bevollmächtigung42.
Deshalb scheidet eine Deutung der Duldungsvollmacht als rechtsgeschäftliehe Bevollmächtigung aus. Die Duldungsvollmacht ist vielmehr ein Rechtsinstrument des Verkehrsschutzes. Nach zutreffender Ansicht handelt es sich dabei um einen Fall der 39 Vgl. gegen die "reale Rechtslehre" etwa die fein ironische Besprechung von Wolfs BGB AT durch Rebe, FamRZ 1976, 725. 40 Vgl. zur Einordnung der §§ 171 Abs.l, 172 Abs.l BGB oben § 9 B III. 41 So schon richtig Wellspacher, Vertrauen, S. 97; ebenso z.B. Bader, Duldungsvollmacht, S. 167f.; Canaris, Vertrauenshaftung, S. 40f.; Krause, Schweigen, S. 139f.; Macris, Vollmachtserteilung, S. 59ff.; Peters, AcP 179 (1979), 214, 228ff. 42 Vgl. dazu oben § 7 C.
B. Dogmatische Einordnung
139
Rechtsscheinhaftung in Analogie zu §§ 171 Abs.l, 172 Abs.l BGB43, wie sich aus einem wertenden Vergleich ergibt. Es ist oben 44 gezeigt worden, daß die §§ 171 Abs. 1, 172 Abs. 1 BGB einen der Außenvollmacht angeglichenen Verkehrsschutz zugunsten des Vertragspartners deshalb anordnen, weil dieser eines Vertrauensschutzes nicht nur dann bedarf, wenn ihm gegenüber eine Außenvollmacht erteilt worden ist, sondern gleichermaßen auch dann, wenn er aus anderen Verhaltensweisen des Vertretenen auf die Vertretungsmacht vertrauen darf. Dieses Vertrauen schützen die §§ 171 Abs.l, 172 Abs. 1 BGB, wenn der Vertretene die Vollmacht dem Vertragspartner mitgeteilt oder öffentlich bekannt gemacht hat oder wenn sich der Vertreter durch eine vom Vollmachtgeber ausgestellte Vollmachtsurkunde ausweist. Der Gedanke, der den Gesetzgeber zur Einführung der §§ 171 Abs.l, 172 Abs.l BGB bewogen hat, trifft aber ebenso zu, wenn der Vertretene durch andere als die in diesen Vorschriften genannten Handlungsweisen das Vertrauen des Drittkontrahenten auf den Bestand der Vertretungsmacht erweckt. Denn wenn das Verhalten des Vertretenen den Schluß zuläßt, daß er dem Vertreter Vollmacht erteilt habe, besteht für den darauf Vertrauenden keinerlei Veranlassung, auf einer Außenbevollmächtigung oder auf einer Vollmachtskundgabe zu bestehen 45 . In aller Regel wird in einem solchen Fall der Vertreter wirklich bevollmächtigt sein. Ein Nachforschen des Vertragspartners könnte deshalb leicht als Ausdruck des Mißtrauens gewertet werden und die Beziehungen zwischen den Parteien belasten. Einer Begründung der Duldungsvollmacht mit einer Analogie zu §§ 171 Abs.l, 172 Abs.l BGB steht auch nicht entgegen, daß die Duldungsvollmacht keine auf den Vertragspartner richtungsbezogenen Mitteilung ist. Denn eine solche Richtungsbezogenheit setzt nur § 171 Abs. 1 1. Alt. BGB, die besondere Mitteilung, voraus. Dagegen ist die öffentliche Bekanntmachung der Vollmacht gern. § 171 Abs. 1 2. Alt. BGB nicht auf einen bestimmten Empfänger richtungsbezogen. Dies gilt auch für die Vollmachtsurkunde. Zwar muß diese vom Vertreter dem Geschäftspartner vorgelegt werden, damit der Verkehrsschutz nach § 172 Abs. 1 BGB eingreift; an einer auf den Dritten bezogenen Handlung des Vertretenen aber fehlt es 46 • 43 Ebenso z.B. Larenz, BGB AT, § 33 I a; BGB-RGRK-Steffen, § 167, Rdn.ll. Eine Analogie zu § 171 Abs.l BGB nimmt Diederichsen, JurA 1969, 70, 83, an; Soergel / Schultze-v. Lasaulx, § 167, Rdn.17 f., spricht von einer Analogie zu §§ 170 - 173 BGB. Ähnlich auch Bader, Duldungsvollmacht, S.168ff.; v. Craushaar, AcP 174 (1974), 2, 17 (Analogie zu §§ 171 Abs.l, 172 Abs.l BGB, § 56 HGB) und Wellspacher, Vertrauen, 8.100 (Analogie zu § 172 Abs.l BGB). H § 9 A. 45 Ebenso Bader, Duldungsvollmacht, 8.169; Canaris, Vertrauenshaftung, S. 112. 46 Vgl. schon oben § 10 A.
140
§ 14 Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Duldungsvollmacht
Deshalb setzt ein positiver Verkehrsschutz nicht - wie Frotz 47 glaubt immer einen vom Vertretenen verursachten richtungsbezogenen Verständigungsakt voraus. Soweit Frotz in Fällen einer Duldungsvollmacht einen positiven Vertrauensschutz ablehnen würde 48 , weil sich auch aus dem Vertreterverhalten keine richtungsbezogene Übermittlung an den Vertragspartner ergibt, kann ihm also nicht gefolgt werden. Grundlage der Duldungsvollmacht ist somit eine Rechtsanalogie zu §§ 171 Abs.l, 172 Abs.l BGB. Ebenso wie diese Tatbestände ist auch die Duldungsvollmacht ein Fall der Rechtsscheinhaftung.
c.
Der Anwendungsbereich der Duldungsvollmacht
Ein Verkehrsschutz über das Rechtsinstitut der Duldungsvollmacht kommt - wie sich aus dem Normzweck ergibt - nur dann in Betracht, wenn sich ein vertretungsrechtlicher Verkehrsschutz nicht schon aus den §§ 170 172 BGB ergibt. Aber ebenso scheidet eine Anwendung dann aus, wenn das Vertretergeschäft aufgrund einer Innenvollmacht gern. § 164 Abs.l BGB für und gegen den Vertretenen wirkt 49 . Eine Duldungsvollmacht kommt folglich dann zur Anwendung, wenn dem Vertreter eine Innenvollmacht nie (wirksam) erteilt worden ist, diese wirksam angefochten oder vor Abschluß des Vertretergeschäfts durch Widerruf erloschen ist.
§ 14 Die Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Duldungsvollmacht A. Der objektive Tatbestand der Duldungsvollmacht I. Die Voraussetzungen an das Verhalten des Vertretenen
Der objektive Tatbestand der Duldungsvollmacht ergibt sich grundsätzlich aus der oben50 angeführten Begriffsbestimmung: der Vertretene schreitet gegen das Vertreterhandeln - dieses ist ihm bei der Duldungsvollmacht bekannt - zumindest nicht ein und erweckt dadurch bei dem Geschäftspartner den Eindruck, daß der Vertreter berechtigt für den Vertretenen kontrahiert. Anders gewendet: dem Verhalten des Vertretenen kommt aus der Verkehrsschutz, S. 426ff., 483, 486f. Frotz hat seine Untersuchung nicht auf die Fälle der Duldungs- und Anscheinsvollmacht erstreckt. Deshalb kann auch nicht festgestellt werden, wann er bei der Duldungsvollmacht eine richtungsbezogene Übermittlung der Kundgabe durch den Vertreter bejahen würde; vgl. Verkehrsschutz, S. 482f., und oben bei Fn. 24 und in Fn.29. 49 Vgl. dazu oben § 9 C zu §§ 171 Abs. 1, 172 Abs. 1 BGB. 50 § 13 A. 47 48
A. Objektiver Tatbestand
141
Sicht des Vertragspartners objektiv die Bedeutung zu, daß dem Vertreter in der Vergangenheit Vollmacht erteilt worden ist. Wann im Einzelfall das Vertreterhandeln dem Vertretenen nach den Grundsätzen der Duldungsvollmacht zuzurechnen ist, ist durch Auslegung anhand der konkreten Umstände zu ermitteln. Dabei kommen sowohl positive Handlungen des Vertretenen als auch bloßes Nichteinschreiten gegen das Vertreterhandeln als Grundlage des Rechtsscheins in Betracht.
1. Die Einräumung einer Stellung Häufig wird der objektive Tatbestand einer Duldungsvollmacht dadurch erfüllt, daß der Vertretene dem Vertreter eine Stellung einräumt, die nach der Verkehrsauffassung mit einer bestimmten Vollmacht verbunden ist, der Vertretene hat eine solche Vollmacht aber nicht erteilt51 • Beispiel: D schließt mit dem Gutsverwalter V einen Vertrag über die Lieferung von Saatgut. Der Gutsherr G weigert sich, dieses abzunehmen und zu bezahlen, weil V keine Abschlußvollmacht habe.
Ist dem V bei seiner Bestellung zum Gutsverwalter eine Vollmacht auch nicht konkludent erteilt worden, wäre D ohne das Rechtsinstitut der Duldungsvollmacht im Verhältnis zu G ungeschützt. Denn ihm helfen in diesem Fall auch die §§ 171 Abs. 1, 172 Abs.l BGB nicht: weder liegt in der Bestellung zum Gutsverwalter eine auf D richtungsbezogene Vollmachtsmitteilung, noch eine solche an die Öffentlichkeit52 • Hier hilft ihm aber das Rechtsinstitut der Duldungsvollmacht. Mit der Bestellung zum Gutsverwalter ist nach der Auffassung des Verkehrs die Vorstellung verbunden, daß der zum Verwalter Bestellte zumindest zu den gewöhnlichen bei der Verwaltung eines Gutes anfallenden Geschäften bevollmächtigt ist. Deshalb wäre aus der Sicht des D jedes Nachforschen über die Vollmacht des V überflüssig. Auch besteht für ihn keinerlei Veranlassung, sich von G die Vollmacht des V bestätigen zu lassen. Damit kommt dem Verhalten des G die objektive Bedeutung zu, daß er den V in dem gewöhnlichen Umfang bevollmächtigt habe. Das hierauf basierende Vertrauen des D wird nach den Grundsätzen der Duldungsvollmacht geschützt.
2. Die Überlassung von Legitimationszeichen Ebenso wie die Einräumung einer Stellung kann Grundlage des Vertrauenstatbestandes sein, daß der Vertretene dem Vertreter Stempel, Geschäfts51 Bader, Duldungsvollmacht, S.167ff.; Canaris, Vertrauenshaftung, S.46ff.; Gotthardt, Anscheinsvollmacht, S. 90ff. 52 Vgl. hierzu Canaris, Vertrauenshaftung, S. 47.
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§ 14 Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Duldungsvollmacht
briefbögen usw. übergibt, die dieser dann bei seinen Vertretergeschäften verwendet 53 • Denn ein solches Verhalten ergibt aus der Sicht des Vertragspartners ebenfalls, daß der Vertretene den Vertreter bevollmächtigt habe und ihm deshalb diese Legitimationszeichen überläßt.
3. Das Dulden von Vertretergeschäften In den sonstigen Fällen der Duldungsvollmacht ist Ausgangspunkt des Rechtsscheintatbestandes zunächst ein rechtsgeschäftliches Handeln des Scheinvertreters. Hieraus entwickelt sich der Tatbestand der Duldungsvollmacht durch das Verhalten des Vertretenen, der das Vertreterverhalten entweder unterstützt oder zumindest hiergegen nicht einschreitet. Als eine positive Unterstützungshandlung des Vertretenen, durch welches der objektive Tatbestand der Duldungsvollmacht begründet wird, kommt insbesondere die Erfüllung von Vertretergeschäften in Betracht. Beispiel: Der Chauffeur V hat häufiger nicht nur den Dienstwagen, sondern auch seinen Privatwagen bei dem D aufgetankt und den Rechnungsbetrag auf das Konto seines Dienstherrn H anschreiben lassen. H hat" um des lieben Friedens willen" in der Vergangenheit stets auch die Kosten unbeanstandet getragen, die beim Auftanken des Privatwagens des V entstanden sind. Bei der erneuten Abrechnung weigert H sich, diese Kosten zu übernehmen, da der V nicht bevollmächtigt sei, Kraftstoff für seinen Priyatwagen im Namen des H zu kaufen.
Auch hier helfen dem D die §§ 171 Abs. 1, 172 Abs. 1 BGB nicht, sondern allein die Grundsätze der Duldungsvollmacht. Dem Verhalten des H (Bezahlen der Kosten, die beim Auftanken des Privatwagens entstanden sind) durfte der D entnehmen, der V sei bevollmächtigt, auch für seinen Privatwagen Benzin im Namen des H zu kaufen. Ebenso wie ein positives Verhalten des Vertretenen hinsichtlich der vom Scheinvertreter abgeschlossenen Geschäfte berechtigtes Vertrauen des Dritten auf eine Vollmacht begründen kann, kann auch das bloße Nichteinschreiten gegen das Vertreterhandeln den objektiven Tatbestand einer Duldungsvollmacht ausfüllen. Voraussetzung dafür ist, daß der Vertragspartner aus dem Dulden des Vertreterhandelns unter Berücksichtigung aller Umstände schließen darf, der Vertretene habe den Vertreter bevollmächtigt, Fraglich ist, ob eine Duldungsvollmacht voraussetzt, daß der Vertreter während einer gewissen Dauer häufig im Namen des Vertretenen kontrahiert hat. 53 So z.B. Staudinger / Dilcher, § 167, Rdn. 35 (zum objektiven Tatbestand der Anscheinsvollmacht).
A. Objektiver Tatbestand
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Hier sind zwei Fälle zu unterscheiden: Unproblematisch ist die Rechtslage, wenn der Vertretene unmittelbar Zeuge des Verhaltens des vollmachtlosen Vertreters ist und nicht dagegen einschreitet, obwohl dies ohne weiteres möglich gewesen wäre 54 • Hinsichtlich dieses Geschäfts bewirkt das Dulden des Vertretenen eine Duldungsvollmacht, da der Vertragspartner aus dem Verhalten des Vertretenen berechtigt darauf vertrauen darf, der Vertreter sei zum Abschluß dieses Geschäfts bevollmächtigt. Hiervon zu unterscheiden ist die Frage, wann das bloße Dulden des Vertretenen eine Duldungsvollmacht für weitere Vertretergeschäfte begründet. Ob insoweit der Abschluß eines einzigen Geschäfts genügt, damit eine Duldungsvollmacht entsteht, ist problematisch. Im Ergebnis wird schon beim Abschluß eines einzigen Vertretergeschäfts eine Duldungsvollmacht für weitere Vertretergeschäfte entstehen können 55 : Entscheidend für das Vorliegen einer Duldungsvollmacht ist, ob durch das Verhalten des Vertretenen im Einzelfall eine ausreichend sichere Basis geschaffen wird, aufgrund derer der Geschäftspartner darauf vertrauen darf, dem Vertreter sei eine Vollmacht erteilt worden. Im Regelfall wird der Drittkontrahent von einer Vollmacht des Vertreters nur dann ausgehen dürfen, wenn das Auftreten des Vertreters von einer gewissen Häufigkeit und Dauer ist 56 . Jedoch sind auch Fälle denkbar, in denen der Vertragspartner aufgrund eines einmaligen Duldens des Vertreterhandelns auf das Bestehen einer Vollmacht vertrauen darf. Beispiel: VG, der seinen alten Wagen verkaufen will, bittet seinen Bekannten V, für eventuelle Rückfragen von Kaufinteressenten zur Verfügung zu stehen. Obwohl VG dem V keine Vollmacht erteilt hat, duldet er, daß V die Verkaufsgespräche mit D völlig an sich zieht und auch namens des VG den Kaufvertrag abschließt. Am folgenden Tag erklärt D gegenüber V, er fechte den Kaufvertrag wegen eines Irrtums über eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Wagens an.
VG kann sich hier nicht darauf berufen, daß dem V eine Vollmacht zur Entgegennahme der Anfechtungserklärung fehlte. Denn indem er duldete, daß V die Verkaufsverhandlungen alleine führte und auch den Vertrag abschloß, hat er berechtigtes Vertrauen des D erweckt, der V sei bevollVgl. dazu das Beispiel oben § 7 eIl. BGH MDR 1975, 873; Flume, BGB AT 11, § 49, 3; Gotthardt, Anscheinsvollmacht, S.l1. A.A. wohl Fabricius, JuS 1966, 1, 50, 56f. 56 Auch der BGH spricht in einigen Entscheidungen davon, nur im Regelfall müsse das Verhalten des Vertreters von einer gewissen Häufigkeit und Dauer sein, z.B. BGH LM § 157 (Ga) BGB Nr. 3 = MDR 1955, 213 = BB 1955, 142; LM § 164 BGB Nr. 9 = NJW 1956, 1673 (zur Anscheinsvollmacht); WM 1969, 43 (zur Anscheinsvollmacht); BGH WM 1977, 1169, 1170 (zur Anscheinsvollmacht); ebenso BAG NJW 1961, 622. Vgl. auch BGH NJW 1981, 1727, 1729 = MDR 1981, 913 = LM § 167 BGB Nr. 26 (zur Anscheinsvollmacht). 54
55
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mächtigt, alle für den Vertragsschluß wesentlichen Erklärungen abzugeben und entgegenzunehmen, also auch eine Anfechtungserklärung. 11. Einzelfragen zum objektiven Tatbestand der Duldungsvollmacht
1. Keine Beschränkung auf den Handelsverkehr Früher wurde teilweise angenommen, die Grundsätze der Duldungsvollmacht kämen nur im Handelsverkehr zur Anwendung 57 • Diese Auffassung ist aber nicht haltbar, wie sich schon daraus ergibt, daß die Duldungsvollmacht ihre dogmatische Grundlage in einer Analogie zu §§ 171 Abs.1, 172 Abs.1 BGB findet, also in Vorschriften des BGB. Deshalb ist die Duldungsvollmacht ein Rechtsinstitut des allgemeinen Zivilrechts 58 .
2. Duldungsvollmacht ohne jede Beziehung zwischen Scheinvertreter und Vertretenem? Problematisch ist, ob eine Duldungsvollmacht voraussetzt, daß zwischen dem Vertreter und dem Vertretenen eine igendwie geartete Beziehung besteht. Dies ist zu bejahen59 • Fehlt es nämlich an jedweder Verbindung zwischen dem Vertretenen und dem Scheinvertreter, besteht für den Vertretenen keinerlei Veranlassung, dem Vertreterhandeln Einhalt zu gebieten. Beispiel: V hat erfahren, daß der VN im Warenhaus X als früherer Mitarbeiter auf alle Waren 10% Rabatt erhält. Das nimmt er zum Anlaß, in der Folgezeit öfters dort "als Vertreter des VN" Waren zu kaufen.
Wann eine solche Verbindung zwischen dem Scheinvertreter und dem Vertretenen besteht, die die Anwendung der Grundsätze der Duldungsvollmacht rechtfertigt, läßt sich nicht mit einer Einheitsformel beschreiben. Vielmehr ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu entscheiden, ob für den Vertretenen ein Anlaß bestand, gegen das Vertreterhandeln einzuschreiten. Im wesentlichen wird ein Einschreiten in folgenden Fallgruppen erforderlich sein: Zunächst sind die Fälle zu nennen, in denen dem Scheinvertreter eine Stellung im Organisationsbereich des Vertretenen eingeräumt ist, sei es in RGZ 65, 292, 295; 100,48,49; 133,97,100; Krause, Schweigen, S.156. Ebenso ausdrücklich Canaris, Vertrauenshaftung, S. 42; v. Craushaar, AcP 174 (1974), 2, 22; Fikentscher, AcP 154 (1955), 1, 6; Thiele, in: MünchKomm., § 167, Rdn. 36; Staudinger / Weber, § 242, Rdn. A 213; ebenso schon Heymann, RG-Festgabe IV, S. 287, 328. So ausdrücklich in der Rechtsprechung z.B. RG JW 1927,1089; BGH LM § 167 BGB Nr.l = LM § 1357 BGB Nr.l = NJW 1951, 309; LM § 167 Nr. 4. 59 Ebenso Gotthardt, Anscheinsvollmacht, S. 111; Bader, Duldungsvollmacht, S. 170f.; Krause, Schweigen, S.148f. 57
58
B. Subjektive Voraussetzungen beim Vertretenen
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einem Unternehmen oder auch im privaten Bereich (z.B. Haushälterin). Ebendies ist anzunehmen, wenn zwischen dem Vertretenen und dem Scheinvertreter familiäre Beziehungen bestehen. Fehlt eine solche Verbindung zwischen dem Scheinvertreter und dem Vertretenen, können die Grundsätze der Duldungsvollmacht nur angewendet werden, wenn eine solche Beziehung über die Vertretergeschäfte begründet wird, wenn sich also der Vertretene in irgendeiner Form an der Abwicklung des Vertretergeschäfts beteiligt, Z.B. die vom Vertreter gekaufte Sache entgegennimmt oder den Kaufpreis bezahlt. Als Beispiel sei die bekannte Toto-Entscheidung 60 zur Anscheinsvollmacht genannt: Die beklagte Totogesellschaft hatte den autorisierten Wettannahmestellen die Einrichtung von Unterannahmestellen verboten. Dem Verbot zuwider hatte eine Annahmestelle die Inhaberin einer Gaststätte mit der Entgegennahme von Wettscheinen beauftragt und dieser Wertmarken und Stempel der beklagten Totogesellschaft ausgehändigt. Als ein hoher Gewinn auf einen bei der Gaststätteninhaberin eingereichten Wettschein fiel, weigerte sich die beklagte Totogesellschaft, den Gewinn auszuzahlen, unter anderem mit der Begründung, der Gastwirtin habe eine Vollmacht gefehlt. Hier bestand ursprünglich keinerlei Beziehung zwischen der Gaststätteninhaberin und der Totogesellschaft. Indem aber die Totogesellschaft (über ihre Annahmestelle) die in der Gaststätte abgegebenen Wettscheine fortlaufend angenommen und gleich den Wettscheinen behandelt hat, die bei autorisierten Annahmestellen abgegeben wurden, ist eine solche Verbindung hergestellt worden.
B. Die subjektiven Voraussetzungen bei dem Vertretenen
Der objektive Tatbestand der Duldungsvollmacht ist dem Vertretenen, wie sich schon aus der Begriffbestimmung61 ergibt, nur zuzurechnen, wenn der Vertretene Kenntnis von dem Vertreterhandeln, also von den Voraussetzungen, die den Rechtsschein einer erteilten Innenvollmacht begründen, hat, und wenn der Vertretene das Vertreterhandeln duldet. Von einem Dulden des Vertreterhandelns kann nur gesprochen werden, wenn der Vertretene willentlich hiergegen nicht einschreitet; anders gewendet: der Vertretene duldet dann nicht, wenn er das Vertreterhandeln und damit die Entstehung des Rechtsscheintatbestandes nicht verhindern kann. Ebenso wie der objektive Erklärungstatbestand einer stillschweigenden Willenserklärung dem Erklärenden nur zurechenbar ist, wenn es ihm bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt möglich war, den ungewollten Erklärungstatbestand zu vermeiden 62 , setzt auch die Zurechnung 60
61 62
BGHZ 5, 111 = NJW 1952, 657 = LM § 167 Nr. 3 m. Anm. Wilde. Oben § 13 A. Vgl. dazu oben § 7 D V.
10 Stüsser
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des Rechtsscheintatbestandes der Duldungsvollmacht voraus, daß der Vertretene die Entstehung des Rechtsscheins durch Richtigstellung verhindern kann.
c.
Die subjektiven Voraussetzungen bei dem Dritten
Ähnlich wie bei den Tatbeständen der § § 171 Abs. 1, 172 Abs. 1 BGB ist auch bei der Duldungsvollmacht problematisch, ob der Vertragspartner des Vertreters Kenntnis von den den Schein der Vollmacht begründenden Tatsachen haben muß und inwieweit der Drittkontrahent hinsichtlich des Innenverhältnisses gutgläubig sein muß. Wegen der engen Verwandtschaft der Duldungsvollmacht zu den §§ 171 Abs.1, 172 Abs.1 BGB ist bei der Darstellung Kürze geboten. I. Die Kenntnis des Rechtsscheintatbestandes
Es ist umstritten, ob der Drittkontrahent nach den Grundsätzen der Duldungsvollmacht nur dann geschützt wird, wenn er positive Kenntnis von den den Rechtsschein der Vollmacht begründenden Tatsachen hat, oder ob es ausreicht, wenn dem Drittkontrahenten von dritter Seite die den Rechtsschein begründenden Tatsachen zugetragen werden. Teilweise wird die Ansicht vertreten, eine unmittelbare eigene Kenntnisnahme des Vertrauenstatbestandes durch den Geschäftspartner sei dann nicht erforderlich, wenn ihm die Tatsachen von Dritter Seite zugetragen worden seien63 . Hier gilt das oben64 zu §§ 171 Abs. 1, 172 Abs. 1 BGB Gesagte sinngemäß. Wer sich nur auf die Angaben des Vertreters, er sei bevollmächtigt, verläßt, kann sich auch nur bei diesem schadlos halten; Ansprüche gegen den Vertretenen stehen ihm, wenn die Vollmacht fehlt, nicht zu. Dies muß ebenso gelten, wenn das Vertrauen des Vertragspartners auf den Angaben irgendeines Dritten gründet, mag dieser auch vertrauenswürdig sein. Denn der Vertragspartner investiert kein Vertrauen in den Vertretenen. Deshalb ist für eine Abweichung von der normalen Risikoverteilung kein sachlicher Grund vorhanden. Hinzu kommt ein ganz beträchtlicher Unterschied in der Vertrauensgrundlage. Das Verhalten des Vertretenen stellt sich objektiv als Deklaration einer eigenen Rechtsgestaltung dar und ist daher verläßlich. Mitteilungen eines Dritten aber können nur einen Rückschluß des Mitteilenden auf eine fremde Rechtsgestaltung sein, sind also wesentlich weniger verläßlich 65 . 63
64 65
So BGH LM § 167 BGB Nr.ll (zur Anscheinsvollmacht). § 10 C I.
Vgl. dazu Frotz, Verkehrsschutz, S. 466.
D. Rechtsfolgen der Duldungsvollmacht
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Deshalb wird der Drittkontrahent über die Duldungsvollmacht nur dann geschützt, wenn er Kenntnis von dem Verhalten des Vertretenen hat, das den Rechtsscheinstatbestand begründet66 . ß. Die Gutgläubigkeit des Vertragspartners
Einigkeit besteht, soweit ersichtlich, darüber, daß der Schutz der Duldungsvollmacht dem Geschäftspartner nur zugute kommt, wenn er gutgläubig ist 67 • Wegen der Voraussetzungen, die an die Gutgläubigkeit zu stellen sind, kann auf die Ausführungen zu den §§ 171 Abs.1, 172 Abs.1 BGB verwiesen werden 68 : Dem Vertragspartner des Vertreters schadet nur Kenntnis der fehlenden Vertretungsmacht, fahrlässige Unkenntnis nur dann, wenn der Mangel der Vertretungsmacht evident war. D. Die Rechtsfolgen der Duldungsvollmacht I. Die Fremdwirkung des Vertretergeschäfts
Im Verhältnis zwischen dem Vertragspartner des Vertreters und dem Vertretenen begründet die Duldungsvollmacht ebenso wie eine wirksam erteilte rechtsgeschäftliche Vollmacht eine Legitimation des Vertreters, die Vertretergeschäfte wirken also nach § 164 Abs.1 BGB unmittelbar für und gegen den Vertretenen. ß. Haftung des Vertreters aus § 179 BGB?
Fraglich ist, ob neben dem Vertretenen auch der Vertreter dem Drittkontrahenten aus § 179 BGB haftet. Dies ist umstritten. Teilweise wird eine Haftung des Vertreters gegenüber dem Drittkontrahenten generell verneint, weil die Duldungsvollmacht eine (echte) Vertretungsmacht des Vertreters begründe69 • Andere bejahen eine Haftung des 66 80 die ganz überwiegende Auffassung, vgl. z.B. BGH LM § 167 BGB Nr.13 = MDR 1963, 125; BGHZ 86, 273, 276 (beide zur Anscheinsvollmacht); OLG Köln MDR 1965,740; Gotthardt, Anscheinsvollmacht, 8.138 m. w.N.; Thiele, in: MünchKomm., § 167, Rdn.36, 38; Wellspacher, Vertrauen, 8.101; vgl. auch BGHZ 22, 234, 238, wonach die Kenntnis bei allen Rechtsscheintatbeständen vorausgesetzt werde. 67 Vgl. statt aller Palandt / Heinrichs, § 173, Anm. 4 b bb; Thiele, in: MünchKomm., § 167, Rdn. 36, 38; aus der Rechtsprechung z.B. BGH NJW 1982,1513 (zur Anscheinsvollmacht) m. w. N. zur Rspr. 68 Vgl. oben § 10 eIl. 69 80 z.B. BGHZ 86, 273, 275 (zur Anscheinsvollmacht); OLG Hamm, BauR 1971, 138 = Ju8 1971, 655 (Reuter); Bader, Duldungsvollmacht, 8.172; Herrmann, NJW 1984,471; Larenz, BGB AT, § 33 Ia Fn.16; BGB-RGRK-8teffen, § 167, Rdn.19; vgl. auch BGHZ 61, 59, 68f. = NJW 1973, 1691 m. zust. Anm. G. Fischer, NJW 1973,2188, 2189f., wonach eine Haftung des Unterzeichners eines Wechsels aus Art. 8 WG aus-
10'
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Scheinvertreters neben dem Vertretenen 70 . Schließlich wird eine Mittelmeinung vertreten, wonach es dem Drittkontrahenten freistehe, entweder den Vertreter aus § 179 BGB oder den Vertretenen aus dem Vertretergeschäft in Anspruch zu nehmen 7 !; dabei ende das Wahlrecht, wenn entweder der Vertretene das Vertretergeschäft genehmigt hat (§ 177 BGB) oder ein rechtskräftiges Urteil erstritten worden ist 72 • Die erstgenannte Ansicht, nach der eine Haftung des Scheinvertreters aus § 179 BGB neben der Haftung des Vertretenen ausscheidet, verdient Zustimmung. Nach dem vertretungsrechtlichen Verkehrsschutzsystems ist kein Grund ersichtlich, den Geschäftspartner stärker zu schützen, wenn er auf eine Duldungsvollmacht vertraut hat, als wenn ihm gegenüber eine Außenvollmacht erteilt worden wäre. Bei einer Außenvollmacht aber hätte er allein Ansprüche gegen den Vertretenen, nicht daneben auch solche gegen den Vertreter. Dies muß konsequent auch für den Fall der Duldungsvollmacht gelten 73 • Hiergegen läßt sich nicht mit der Begründung argumentieren, es sei häufig zweifelhaft, ob die Voraussetzungen der Duldungsvollmacht wirklich vorlägen. Sollte eine Klage des Dritten gegen den Vertretenen rechtskräftig abgewiesen werden, steht fest, daß er zu Unrecht auf eine Duldungsvollmacht vertraut hat; wenn er aber die Rechtslage falsch beurteilt hat und deshalb im Prozeß unterliegt, ist dies allein sein eigenes Risiko. Im übrigen hat er dann immer noch die Möglichkeit, den Vertreter in Anspruch zu nehmen. Dabei sind dem Vertragspartner prozessuale Gestaltungsmittel gegeben, durch deren Anwendung ihm Rechtsnachteile entgehen. Im Prozeß gegen den Vertretenen kann er gern. § 72 ZPO dem Vertreter den Streit verkünden 74 mit der Wirkung der §§ 74, 67ff. ZPO. Dies hat für den Dritten außerdem zur Folge, daß gern. § 209 Abs. 2 Nr. 4 BGB die Verjährung des Anspruchs gegen den Vertreter unterbrochen wird.
Bemerkt sei außerdem, daß der Vertragspartner dieses Prozeßrisiko bei jeder Innenvollmacht zu tragen hat. Bei dieser ist das Risiko, daß eine Klage gegen den Vertretenen wegen fehlender Vertretungsmacht des Vertreters abgewiesen wird, sogar wesentlich höher, denn der Drittkontrahent kann nicht einmal die den Rechtsschein einer Vollmacht begründenden Tatsachen in den Prozeß einführen. Die hier vorgetragene Ansicht hat zur Konsequenz, daß sich der Vertreter, der von seinem Vertragspartner aus § 179 BGB in Anspruch genommen scheide, wenn der Unterzeichner für eine mangels Eintragung nicht wirksam entstandene Gesellschaft gehandelt hat, die Gesellschafter dieser Scheingesellschaft aber nach Rechtsscheingrundsätzen aus dem Wechsel haften. 70 LG Frankenthai MDR 1954, 232; Staudinger / Weber, § 242, Rdn. A 212. 71 Crezelius, ZIP 1984, 791, 795; Thiele, in: MünchKomm., § 167, Rdn. 62. 72 So Canaris, Vertrauenshaftung, S. 518ff.; K. Schmidt, Handelsrecht, S. 306f. 73 Vgl. auch BGHZ 86, 273, 275f. (zur Anscheinsvollmacht). 74 So auch BGHZ 86, 273, 276 (zur Anscheinsvollmacht).
A. Zulässigkeit der Anfechtung
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wird, auf die Duldungsvollmacht berufen kann, d. h. er kann durch den Nachweis, daß die Voraussetzungen der Duldungsvollmacht zugunsten des Dritten eingreifen, seine Haftung aus § 179 BGB diesem gegenüber ausschließen. Dies mag man für bedenklich halten, weil die Duldungsvollmacht ein Verkehrsschutzinstitut zugunsten des Dritten ist, nicht aber den Scheinvertreter privilegieren soll. Jedoch wird der Scheinvertreter nicht wirklich privilegiert. Seine Verpflichtung, dem Vertretenen aus dem Innenverhältnis oder aus Delikt den durch das Vertretergeschäft entstandenen Schaden zu ersetzen, wird durch die Duldungsvollmacht nicht berührt. Es ist daher als Ergebnis festzuhalten, daß der Vertragspartner im Fall der Duldungsvollmacht alleine von dem Vertretenen Erfüllung des Vertretergeschäfts verlangen kann; er kann nicht daneben den Scheinvertreter aus § 179 BGB in Anspruch nehmen.
§ 15 Die Anfechtung der Duldungsvollmacht A. Die Zulässigkeit der Anfechtung Während die Anfechtbarkeit der Vollmachtskundgabe die Wissenschaft intensiv beschäftigt hat, ist die entsprechende Frage für die Duldungsvollmacht kaum behandelt worden. Vielmehr ging die Wissenschaft davon aus, eine Anfechtung der Duldungsvollmacht sei von vornherein ausgeschlossen 75 . Erst in jüngster Zeit ist die Frage nach der Anfechtbarkeit der Duldungsvollmacht gestellt - und ist zum Teil bejaht worden 76 • 77 • Eine unmittelbare Anwendung der Anfechtungsvorschriften auf die Duldungsvollmacht scheidet aus, da es sich bei ihr um einen Fall der Rechtsscheinhaftung handelt. In Betracht kommt aber eine analoge Anwendung der §§ 119, 123 BGB. Dogmatische Grundlage der Duldungsvollmacht ist eine Rechtsanalogie zu §§ 171 Abs.l, 172 Abs.l BGB: Der Vertragspartner des Vertreters ver75 So z.B. Enneccerus / Nipperdey, BGB AT, § 184 III 4; Krause, Schweigen, S.156ff.; Regelsberger, KritVJSchr. 47 (1907), 284, 290; Wellspacher, Vertrauen, S. 98 mit S. 73ff.; wohl ebenso Jacobi, KritVJSchr. 49 (1911), 66, 104ff. 76 Z.B. von Canaris, Vertrauenshaftung, S. 43f.; Medicus, BGB AT, Rdn.947; Rothoeft, Irrtumslehre, S.97f.; BGB-RGRK-Steffen, § 167, Rdn.19; Thiele, in: MünchKomm., § 167, Rdn. 41. Im Ansatz ebenso v. Craushaar, AcP 174 (1974), 2, 22f., der aber i. E. eine Anfechtung ablehnt. A. A. z. B. Bader, Duldungsvollmacht, S.l77 f., obwohl er die §§ 171 Abs.l, 172 Abs.l BGB als dogmatische Grundlage der Duldungsvollmacht ansieht und eine Anfechtbarkeit dieser Rechtsscheinvollmachten bejaht. 77 Eine Anfechtbarkeit der Duldungsvollmacht muß bejahen, wer diese als rechtsgeschäftliche Bevollmächtigung ansieht, vgl. dazu die Nachw. oben § 12 Fn. 8 - 10.
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§ 15 Anfechtung der Duldungsvollmacht
dient den gleichen Schutz wie bei einer ihm kundgegebenen Vollmacht, wenn er aus sonstigen Verhaltensweisen des Vertretenen auf den Bestand der Vertretungsmacht vertraut und vertrauen darf. Da der vertretungsrechtliche Verkehrsschutz der §§ 171 Abs.l, 172 Abs.l BGB aber nicht so ausgestaltet ist, daß dem Vertretenen die Einstandspflicht für die Unanfechtbarkeit seiner Erklärung auferlegt wird, muß dies auch für die Duldungsvollmacht gelten, da sie dem Vertragspartner keinen stärkeren Vertrauensschutz als die Vollmachtskundgaben gewähren will. Beruht also das Dulden von Vertreterhandlungen auf einem nach §§ 119,123 BGB beachtlichen Willensmangel, muß der Vertretene deshalb ebenso die Legitimation des Vertreters beseitigen können, als habe er dem Vertragspartner aufgrund des Willensmangels eine Außenvollmacht erklärt oder die Vollmacht kundgegeben. Deshalb sind die Anfechtungsvorschriften auch auf die Duldungsvollmacht analog anwendbar. Insgesamt ergibt sich damit für die Beachtlichkeit von Willensmängeln im vertretungsrechtlichen Verkehrsschutzsystem: Irrtümer des Vertretenen, die die Begründung der Legitimation des Vertreters beeinflussen, berechtigen den Vertretenen zur Anfechtung unabhängig davon, ob der Vertreter durch eine (rechtsgeschäftliche) Außenvollmacht oder eine Rechtsscheinvollmacht legitimiert wird. Deshalb gilt es allein noch, die Voraussetzungen aufzuzeigen, unter denen ein Irrtum des Vertretenen für das Dulden des Vertreterhandelns i. S. v. § 119 BGB beachtlich ist und zur Anfechtung der Duldungsvollmacht berechtigt. B. Die zur Anfechtung der Duldungsvollmacht berechtigenden Irrtümer I. Der Irrtum über die Bedeutung des Duldens
Räumt der Vertretene dem Scheinvertreter eine Stellung ein, die nach der Verkehrsauffassung mit einer bestimmten Vollmacht verbunden ist, oder duldet der Vertretene das Vertreterhandeln, kann er sich über die Bedeutung seines Duldens irren: er erkennt nicht, daß er hiermit dem Scheinvertreter eine Rechtsscheinvollmacht erteilt, ihn nach außen legitimiert. Dieser Irrtum des Vertretenen kann auf verschiedenen Gründen beruhen, was für die Anfechtbarkeit der Duldungsvollmacht von wesentlicher Bedeutung ist. Zunächst kann sich der Vertretene über die Bedeutung seines Verhaltens deshalb irren, weil er nicht alle Tatsachen kennt, die den Rechtsschein der Vollmacht ausmachen. Allerdings wird dieser Fall bei der Duldungsvollmacht nur sehr selten sein, weil bei der Duldungsvollmacht vorausgesetzt ist, daß der Vertretene das Verhalten des Scheinvertreters und damit die
B. Zur Anfechtung berechtigende Irrtümer
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Tatsachen, die den Rechtsscheintatbestand begründen, kennt. Und doch kann im Einzelfall eine Tatsachenunkenntnis zum Irrtum über die Bedeutung des Schweigens führen. Zu denken ist daran, daß der Vertretene deshalb nicht gegen das Vertreterhandeln einschreitet, weil er irrig davon ausgeht, dieses Verhalten würde nicht nach außen in Erscheinung treten, deshalb könne ein Rechtsscheintatbestand nicht entstehen. Ein solcher Irrtum über die Konkludenz des Verhaltens, der auf einer Tatsachenunkenntnis beruht, berechtigt ebenso wie bei der stillschweigenden Vollmacht 78 auch zur Anfechtung der Duldungsvollmacht. Denn nur so ist gewährleistet, daß der Vertretene an den Rechtsscheintatbestand der Duldungsvollmacht nicht stärker gebunden ist als an eine (rechtsgeschäftliche) stillschweigende Vollmacht 79 • Der Irrtum über die Bedeutung des Duldens kann ebenfalls seinen Grund darin haben, daß der Vertretene, obwohl er alle Tatsachen kennt, hieraus nicht die rechtliche Folgerung zieht, daß sein Verhalten von Dritten nur so aufgefaßt werden kann, als habe er dem Vertreter eine Vollmacht erteilt. Entsprechend dem oben80 zur stillschweigenden Vollmacht Gesagten kann der Vertretene wegen dieses Irrtums die Duldungsvollmacht dann nicht anfechten, wenn die Bedeutung des Duldens für ihn evident ist81 • Denn dieser Fall liegt der Mentalreservation näher als einem Irrtum i. S. v. § 119 BGB. Und schließlich kann der Vertretene sich auch über die Bedeutung seines Verhaltens für einen Beobachter bewußt sein, aber darüber irren, daß aufgrund des Verhaltens eine Scheinvollmacht entsteht. Dieser Irrtum betl'ifft dann allein die Rechtsfolgen des Duldens, ist reiner Rechtsfolgenirrtum. Er berechtigt den Vertretenen nicht zur Anfechtung der Rechtsscheinvollmacht. Denn diese Rechtsfolgen treten allein aufgrund des Gesetzes (analog §§ 171 Abs.1, 172 Abs.1 BGB) ein, sie sind vom Willen des Vertretenen also unabhängig 82 . ß. Der Irrtum über eine Bevollmächtigung
Duldet der Vertretene das Auftreten des Vertreters allein deshalb, weil er irrig glaubt, er habe diesem zuvor wirksam eine Vollmacht erteilt, ist er zur Anfechtung der Duldungsvollmacht nicht berechtigt. Denn der Irrtum, den Vgl. dazu oben § 8 B I. Anders z.B. Bader, Duldungsvollmacht, S.I77; wie hier Thiele, in: MünchKomm., § 167, Rdn. 49. 80 Vgl. dazu oben § 8 B 11. 81 Ebenso für die Duldungsvollmacht Canaris, Vertrauenshaftung, S. 43; zustimmend Larenz, BGB AT, § 33 I Fn.13. 82 Vgl. schon oben § 11 C I zu §§ 171 Abs.l, 172 Abs.l; a.A. Rothoeft, Irrtumslehre, S.97f. 78 79
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§ 15 Anfechtung der Duldungsvollmacht
Scheinvertreter zuvor wirksam bevollmächtigt zu haben, ist für das Dulden des Vertreterhandelns allein Motiv. Ein Motivirrtum aber berechtigt nicht zu einer Anfechtung 83 .
m.
Der Irrtum gem. § 119 BGB bei der Duldungsvollmacht
1. Die Duldung eines einzigen Vertretergeschäfts Wird der Tatbestand der Duldungsvollmacht dadurch erfüllt, daß der Vertretene den Abschluß eines einzigen Vertretergeschäfts duldet 84, können verschiedene rechtlich beachtliche Irrtümer hierfür ausschlaggebend gewesen sein. Zum einen ist daran zu denken, daß der Vertretene über die Person oder eine wesentliche Eigenschaft des Scheinvertreters irrt. Wäre dieser Irrtum bei einer Außenvollmacht beachtlich, kann der Vertretene ebenso die Duldungsvollmacht anfechten 85 • Da ein einmaliges Vertreterhandeln den objektiven Tatbestand der Duldungsvollmacht nur dann erfüllt, wenn der Vertretene unmittelbar Zeuge des Vertretergeschäfts geworden ist, ist hier auch an einen Irrtum des Vertretenen über das Vertretergeschäft zu denken. Unterläuft dem Geschäftsherrn insoweit ein Irrtum, der ihn zur Anfechtung einer Außenvollmacht berechtigen würde, ist er zur Anfechtung der Duldungsvollmacht ebenfalls berechtigt. Allerdings setzt eine Anfechtung wegen Irrtums über das Vertretergeschäft voraus, daß der Vertretene konkrete Fehlvorstellungen über das Vertretergeschäft hatte. Er kann das Geschäft nicht mit der Begründung anfechten, er habe den Inhalt der Vereinbarung zwischen dem Scheinvertreter und dem Dritten nicht gekannt. Erkennt der Vertretene, daß der Scheinvertreter in seinem Namen kontrahiert, und kümmert sich nicht weiter darum, scheidet eine Anfechtung der Duldungsvollmacht analog § 119 Abs.l BGB aus. Insoweit ist die Rechtslage ebenso zu beurteilen wie in dem Fall, daß eine ungelesene Urkunde unterschrieben wird, ohne daß sich der Unterschreibende über den Inhalt Gedanken macht: hier irrt der Unterschreibende nicht, sondern er nimmt die Rechtslage bewußt so hin, wie sie sich aus der Urkunde ergibt86 • Demnach wäre eine Anfechtung der Duldungsvollmacht wegen eines Irrtums über das Vertretergeschäft zulässig etwa in folgendem Beispiel: VG erwähnt gegenüber seinem Stallburschen V, er wolle eines seiner Reitpferde verkaufen. Am nächsten Tag kommt VG hinzu, wie V mit D vor der Box des Pferdes X Vgl. oben § 11 C II zur Anfechtung der §§ 171 Abs.l, 172 Abs.l BGB. Vgl. dazu oben § 14 A I 3 a.E. mit Beispiel. 85 Ebenso Canaris, Vertrauenshaftung, S. 45. 86 Vgl. dazu RGZ 62, 201, 205; Erman / Brox, § 119, Rdn. 35; Kramer, in: MünchKomm., § 119, Rdn. 38f.; Larenz, BGB AT, § 20 II a. Siegel, AcP 111 (1914), 1, 9lf., spricht insoweit von "Telquel-Erklärungen". Vgl. auch Loewenheim, AcP 180 (1980), 433, 443f. m. Nachw., zum "Irrtum" über den Inhalt von AGB-Klauseln bei fehlenden Vorstellungen des Vertragspartners des Verwenders. 83 84
B. Zur Anfechtung berechtigende Irrtümer
153
über den Verkauf eines Pferdes des VG verhandelt. Da dem VG der Preis für das Pferd X sehr günstig erscheint, schreitet er nicht ein, sondern wartet ab, bis V und D den Kauf durch Handschlag bestätigen. Verhandelten V und D über ein anderes Pferd Y, beruhte das Dulden des VG auf einem geschäftsbezogenen rechtserheblichen Irrtum. Analog § 119 Abs.1 BGB ist er zur Anfechtung der Duldungsvollmacht berechtigt.
2. Sonstige Fälle der Duldungsvollmacht In den sonstigen Fällen der Duldungsvollmacht, in denen sich also der objektive Tatbestand daraus ergibt, daß der Vertretene dem Scheinvertreter eine Stellung einräumt, ihm Legitimationszeichen überläßt oder sein fortgesetztes Vertreterhandeln duldet, kommt allein eine Anfechtung der Duldungsvollmacht wegen eines Irrtums über die Person oder eine Eigenschaft des Vertreters in Betracht. Für die Anfechtung der Duldungsvollmacht besteht hier die Besonderheit, daß der Akt der Legitimation des Vertreters in der Regel nicht - wie bei den Vollmachtskundgaben der §§ 171 Abs. 1, 172 Abs.l BGB - in einer einzigen Handlung des Vertretenen besteht, sondern sich aus vielen einzelnen Mosaiksteinchen zusammensetzt, die erst gemeinsam die Rechtsscheinvollmacht ausmachen. Irrt also der Vertretene - um im Bild zu bleiben - nur bei einem einzelnen Mosaiksteinchen, zerstört das Herauslösen dieses Steinchens nicht das gesamte Mosaik. Dies erhellt, daß eine Anfechtung der Duldungsvollmacht nur dann in Betracht kommt, wenn der Irrtum des Vertretenen für das gesamte Verhalten ursächlich geworden ist, das den Tatbestand der Duldungsvollmacht ausmacht, nicht nur für einzelne Handlungen. Der Vertretene müßte also im Rechtsstreit beweisen, daß sich sein Irrtum auf alle wesentlichen Verhaltensweisen ausgewirkt hat, die die Scheinvollmacht begründet haben. Dies wird ihm kaum gelingen, weshalb in der Praxis in dieser Fallgruppe eine Anfechtung der Duldungsvollmacht kaum jemals erfolgreich sein wird. IV. Der Irrtum bei der Innenvollmacht und der Duldungsvollmacht
Hat der Vollmachtgeber eine anfechtbare Innenvollmacht erteilt und hat der Vertreter hiervon vor der Anfechtung mehrfach Gebrauch gemacht, kann hieraus der Tatbestand einer Duldungsvollmacht entstehen. Der Vertreter ist also doppelt legitimiert, durch die rechtsgeschäftliche Innenvollmacht und durch die Rechtsscheinvollmacht. Ficht der Vertretene die Innenvollmacht an mit der Folge, daß diese gem. § 142 Abs.l BGB von Anfang an nichtig wird, bleibt die Duldungsvollmacht als Legitimation des Vertreters zunächst bestehen. Vertretergeschäfte wirken kraft dieser Rechtsscheinvollmacht für und gegen den Vertretenen (§ 164 Abs. 1 BGB),
154
§ 16 Die Anscheinsvollmacht
wenn er nicht ebenfalls die Duldungsvollmacht durch Anfechtung analog § 119 BGB beseitigt. Das setzt voraus, daß auch hinsichtlich der Duldungsvollmacht ein Anfechtungsgrund gegeben ist, nach dem soeben Gesagten also, daß der bei der Bevollmächtigung unterlaufene Irrtum sich auf alle wesentlichen Verhaltensweisen des Vertretenen ausgewirkt hat, die den Rechtscheintatbestand begründet haben.
c.
Die Rechtsfolgen der Anfechtung der Duldungsvollmacht
Der vertretungsrechtliche Verkehrsschutz der Duldungsvollmacht entspricht dem der Außenvollmacht und der Vollmachtskundgaben. Wird eine Duldungsvollmacht analog § 119 BGB angefochten, greifen deshalb die Rechtsfolgen der Anfechtung einer Außenvollmacht ein87 . Lag der Duldungsvollmacht eine anfechtbare Innenvollmacht zugrunde, kann der Vertragspartner des Vertreters ebenfalls allein nach § 122 BGB gegen den Vertretenen vorgehen; den Scheinvertreter kann er nur in Anspruch nehmen, wenn dieser die Anfechtbarkeit seiner Vollmacht kannte, §§ 142 Abs. 2, 179 Abs.1 BGB88.
§ 16 Dogmatische Einordnung, Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Anscheinsvollmacht A. Begriffsbestimmung
Über den Begriff der Anscheinsvollmacht besteht Einigkeit. "Der Vertretene kann sich auf den Mangel an Vollmacht seines angeblichen Vertreters dann nicht berufen, wenn er dessen Verhalten zwar nicht kannte, es aber bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte kennen und verhindern können und der Geschäftsgegner das Verhalten des Vertreters nach Treu und Glauben dahin auffassen durfte, daß es dem Vertretenen bei verkehrsmäßiger Sorgfalt nicht habe verborgen bleiben können und daß dieser es also dulde (... ,Anscheinsvollmacht'). "1 Mit ganz ähnlichen Formulierungen wird die Anscheinsvollmacht in der übrigen Rechtsprechung2 und in der Literatur3 definiert. Vgl. dazu oben § 4 A, C. Vgl. schon oben § 11 D zur Anfechtung der Vollmachtskundgabe. 1 BGH LM § 167 BGB Nr. 4 = MDR 1953, 345 = Betrieb 1953, 372. 2 Ähnlich die Formulierungen z.B. in BGHZ 5, 111 = NJW 1952, 672 = LM § 167 Nr. 3 m. Anm. Wilde; LM § 157 (Ga) BGB Nr. 3 = MDR 1955, 213 = BB 1955, 142; WM 1963, 165, 166; WM 1971, 1500, 1501; WM 1973, 612; LM § 167 BGB Nr. 21 = MDR 1976, 752; WM 1977, 1169, 1170; LM § 167 BGB Nr. 26 = NJW 1981, 1727 = MDR 1981,913; NJW 1982,1513. Zur Anscheinsvollmacht eines allein handelnden Gesamtvertreters z.B. BGH NJW 1976,1402; OLG Karlsruhe JR 1961, 459, 460 m. zust. Anm. Ostler; OLG Schleswig ZgGenW 1977, 271 m. krit. Anm. Hübner. Vgl. im übrigen die Nachw. zur Rspr. bei Bader, Duldungsvollmacht, S. 9 - 88. B7
BB
B. Dogmatische Einordnung
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B. Die dogmatische Einordnung der Anscheinsvollmacht I. Einleitung
Über die dogmatischen Grundlagen der Anscheinsvollmacht herrscht nach wie vor eine große Unsicherheit. Während dem Streit über die dogmatische Einordnung der Tatbestände der §§ 171 Abs. 1, 172 Abs.l BGB sowie der Duldungsvollmacht im Ergebnis keine Bedeutung zukommt4, ist die dogmatische Einordnung der Anscheinsvollmacht von grundsätzlicher Bedeutung. Denn hiervon hängt ganz entscheidend die Rechtsfolge der Anscheinsvollmacht ab. Wer die Haftung des Vertretenen allein als Folge einer Pflichtverletzung ansieht, wird nur schwer einen Erfüllungsanspruch des Geschäftspartners begründen können. Dagegen ergibt sich ein Erfüllungsanspruch des Drittkontrahenten gegen den Vertretenen fast selbstverständlich, wird die Anscheinsvollmacht mit einer Analogie zu §§ 171 Abs. 1, 172 Abs. 1 BGB begründet. 11. Die Theorien zur dogmatischen Einordnung der Anscheinsvollmacht
1. Die rechtsgeschäftliche Theorie Das Reichsgericht hat in Entscheidungen, in denen es der Sache nach um eine Anscheinsvollmacht ging, häufig eine stillschweigende Bevollmächtigung angenommen 5 • Dabei war es sich aber wohl bewußt, daß nicht eigentlich eine rechts geschäftliche Vollmacht erteilt worden war; dies kommt in Formulierungen zum Ausdruck wie: " ... er muß sein Gewährenlassen objektiv - gleich einer rechtsgeschäftlichen Willenserklärung - so gegen sich gelten lassen, wie es der Gegner nach Treu und Glauben verstehen durfte. "6 Aus der Wissenschaft hat insbesondere Manigk 7 die Anscheinsvollmacht rechtsgeschäftlich gedeutet: Er8 anerkennt neben den eigentlichen, voll wirksamen Willenserklärungen, die einen Rechtsfolgewillen voraussetzen, 3 Vgl. aus der Literatur nur Erman / Brox, § 167, Rdn. 7; Staudinger / Coing, § 167, Rdn.9f ff.; Staudinger / Dilcher, § 167, Rdn.34ff.; BGB-RGRK-Steffen, § 167, Rdn.12; Thiele, in: MünchKomrn., § 167, Rdn. 46ff.; mit geringen Abweichungen auch Waldeyer, Anscheinsvollmacht, S.82ff. Vgl. auch Canaris, Vertrauenshaftung, S.19lff.; ders., Festschrift Wilburg, S. 77, 92 f., für die Anscheinsvollmacht im Handelsverkehr . 4 Vgl. oben §§ 11 B 11, 15 A. 5 RG Warneyer 1924 Nr.157; vgl. auch RGZ 65, 292, 295; 100,48,49; RG LZ 1918, 853; RGZ 117, 164, 165f.; RG JW 1927,1249 m. krit. Anm. Schmidt-Rimpler. 6 RG Warneyer 1924 Nr.157 (Hervorhebung nur hier); Manigk, Vollmachten, S. 645, deutet die Parenthese: "Das bedeutet nicht mehr und nicht weniger als die Würdigung eines Verhaltens nach den anerkannten Grundsätzen der Auslegung einer Willenserklärung. " 7 Insbesondere Vollmachten, S. 636ff. 8 Verhalten, S. 208ff.; Vollmachten, S. 631ff.; Irrtum, S.110ff.
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§ 16 Die Anscheinsvollmacht
"fahrlässig bewirkte Erklärungen"; diese sieht Manigk als fehlerhafte und deswegen anfechtbare Willenserklärungen an. Eine Anscheinsvollmacht ist daher für Manigk 9 eine fahrlässig bewirkte stillschweigende Bevollmächtigung LS.v. § 167 BGB. Heute wird die Anscheinsvollmacht noch von Pawlowskpo als rechtsgeschäftliche Vollmacht verstanden. Er glaubt, " ... daß die Lehre von der Anscheinsvollmacht ... Mängel korrigieren sollte, die sich aus der Lehre von der rechtsgeschäftlichen Vollmacht ergeben"l!, insbesondere durch die Möglichkeit der Anfechtung. Da sich diese Mängel " ... auch aus einer recht verstandenen Lehre von den rechtsgeschäftlichen Vollmachten ... , die die Schutzinteressen der Verhandlungspartner des Vertreters in praktikabler Weise berücksichtigt"12, vermeiden ließen, " ... scheint es geraten, die Regelungen der gewillkürten Stellvertretung ... einheitlich auszulegen und darzustellen: Wie es den Vorstellungen der Verfasser des BGB entspricht. "13 2. Die Rechtsscheintheorie Die überwiegende Meinung sieht die Anscheinsvollmacht - ebenso wie die Duldungsvollmacht - als einen Fall der Rechtsscheinhaftung an 14 • Dabei wird die dogmatische Grundlage der Anscheinsvollmacht teilweise in einer Analogie zu § 171 BGB15 oder zu § 172 BGB16 gesehen. Andere ziehen für Fälle der Anscheinsvollmacht eine Analogie zu §§ 171 Abs.l, 172 Abs.l BGB heran 17 oder eine solche zu §§ 171 Abs.l, 172 Abs. 1 BGB, § 56 HGB18. Schließlich sehen einige die dogmatische Grundlage der Anscheinsvollmacht allein in § 56 HGB19. Vollmachten, S. 638f., und passim. BGB AT, Rdn. 728ff., 739. 11 Pawlowski, BGB AT, Rdn. 719. 12 Pawlowski, BGB AT, Rdn. 719. 13 Pawlowski, BGB AT, Rdn. 718. 14 BGHZ 5, 111; BGH WM 1973, 612; WM 1977, 1169, 1170; Erman / Brox, § 167, Rdn. 7; v. Craushaar, AcP 174 (1974), 2, 17; Staudinger / Coing, § 167, Rdn. 9 d; Fikentscher, AcP 154 (1955), 1ff.; Palandt / Heinrichs, § 173, Anm. 4 c aa; Oertmann, ZHR 95 (1930), 443, 481ff.; Rothoeft, Irrtumslehre, S.97f.; BGB-RGRK-Steffen, § 167, Rdn.12; Waldeyer, Anscheinsvollmacht, S.70ff.; Wellspacher, Vertrauen, S. 95ff. 15 So wohl v. Seeler, ArchBürgR 28 (1906), 1, 36ff. 16 So Wellspacher, Vertrauen, S. 100ff. 17 So z.B. Schmidt-Rimpler, JW 1927, 1249; Heymann, RG-Festgabe IV, S.287, 331. 18 So z.B. OLG Köln MDR 1965, 740; Enneccerus / Nipperdey, BGB AT, § 184 II 3 c. 19 So z. B. RGZ 133, 97, 100; ebenso Litterer, Vertragsfolgen, S.14lf., der den Anwendungsbereich der Anscheinsvollmacht auf das Handelsrecht beschränkt (S.136 ff., 144 ff.). 9
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B. Dogmatische Einordnung
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Andere, die der Rechtsscheintheorie nahe stehen, sehen die dogmatische Grundlage der Anscheinsvollmacht in dem allgemeinen Prinzip von Treu und Glauben20 , in seiner speziellen Ausprägung des Verbots des venire contra factum proprium 21 oder der Verwirkung22 . Schließlich ist in diese Gruppe wohl auch Fabricius23 einzuordnen, der die Haftung kraft Anscheinsvollmacht als eine Vertrauenshaftung wegen einer schuldhaften Aufsichtspflichtverletzung ansieht, ebenfalls R. Schmidt2 4, der die Haftung kraft Anscheinsvollmacht ebenso wie die kraft Duldungsvollmacht als Folge der Verletzung der Obliegenheit ansieht, Vertreterhandlungen des Scheinvertreters nicht zu dulden. Es ist der rechtsgeschäftlichen Auffassung und der Rechtsscheintheorie über die Anscheinsvollmacht gemeinsam, daß eine Erfüllungshaftung des Vertretenen bejaht wird.
3. Die Anscheinsvollmacht als Haftungstatbestand der culpa in contrahendo Insbesondere Flume 25 hat sich ausdrücklich gegen eine Erfüllungshaftung des Vertretenen im Fall der Anscheinsvollmacht ausgesprochen. Die Haftung des Vertretenen im Fall der Anscheinsvollmacht beruhe auf der Nichterfüllung pflichtgemäßer Sorgfalt. Diese Pflichtverletzung aber sei lediglich Ansatzpunkt für eine Haftung des Vertretenen auf Ersatz des negativen Interesses nach den Grundsätzen der culpa in contrahendo 26 • Ebenfalls Lüderitz 27 geht davon aus, daß der Vertretene im Fall der Anscheinsvollmacht dem Drittkontrahenten allein aus culpa in contrahendo auf das negative Interesse hafte; habe der Drittkontrahent jedoch auf den Bestand der Vollmacht nicht nur vertraut, sondern das Vertrauen auch be20 RG DR 1942, 172 m. zust. Anm. Barz; H. Westermann, JuS 1963, 1, 5. § 242 BGB wird häufig neben anderen Gesichtspunkten zur Stützung der Anscheinsvollmacht herangezogen, z.B. von Enneccerus / Nipperdey, BGB AT, § 18411 3 c. 21 Gotthardt, Anscheinsvollmacht, S. 123. 22 Gierke / Sandrock, Handelsrecht, § 23 III 4 b. 23 JuS 1966, 1, 50, 56f. 24 Obliegenheiten, S. 123ff. 25 BGB AT H, § 49, 4. 26 Flume folgen z.B. Bader, Duldungsvollmacht, S.179ff.; Diederichsen, BGB AT, Rz. 300; ders., JurA 1969, 70, 83; Diederichsen / Marburger, BGB AT, S.ll8ff.; Hoffmann, JuS 1970, 457; Larenz, BGB AT, § 33 I a. So schon früher Titze, JW 1925,1753; Lenz, JR 1931, 150, 151. Im Grundsatz ebenso Soergel / Schultze-v.Lasaulx, § 167, Rdn. 18. Vgl. auch Hübner, BGB AT, Rdn. 667, der im bürgerlichen Recht bei leichter Fahrlässigkeit eine Haftung aus c.i.c. bejaht, bei grober Fahrlässigkeit Erfüllungshaftung. 27 JuS 1976, 765, 769f.
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§ 16 Die Anscheinsvollmacht
tätigt2 8 , will Lüderitz ihm einen Erfüllungsanspruch gewähren. Lüderitz beruft sich insoweit auf die Rechtsprechung zum veranlaßten Formverzicht 29 : eine Berufung auf einen Formmangel scheide aus, wenn sonst ein untragbares Ergebnis erreicht wird.
4. Die Anscheinsvollmacht als Grundlage einer Genehmigungspflicht In jüngster Zeit hat Peters 30 einen anderen Weg zur Lösung des Problems der Anscheinsvollmacht vorgeschlagen. Peters sieht im Fall der Anscheinsvollmacht auf Grund des Verhaltens des Vertretenen vor Abschluß des Vertretergeschäfts weder die Voraussetzungen einer Erfüllungshaftung als erfüllt an 31 noch im Regelfall für eine Haftung aus culpa in contrahendo, da diese die bewußte Herbeiführung eines rechtsgeschäftlichen Kontakts zwischen dem Vertretenen und dem Drittkontrahenten voraussetze 32 • Deshalb führe die Anscheinsvollmacht zunächst zu einem i. S. v. §§ 177ff. BGB schwebend unwirksamen Vertretergeschäft3 3 • Unter bestimmten Voraussetzungen aber sei der Vertretene verpflichtet, das Vertretergeschäft gern. § 177 Abs. 1 BGB zu genehmigen. Grundvoraussetzung sei ein fahrlässiges Verhalten des Vertretenen, welches das Vertrauen des Dritten auf den Bestand der Vollmacht zu tragen vermag, sowie die Gutgläubigkeit des Drittkontrahenten hinsichtlich der Vertretungsmacht des Vertreters. Hinzukommen müsse, daß der Vertragspartner das Vertretergeschäft erfüllt oder seine Dispositionen hierauf eingerichtet hat. Es genüge aber auch, wenn der Vertretene die Leistungen des Vertragspartners aus früheren Geschäften des Scheinvertreters entgegengenommen habe 34 • Liegen demnach die Voraussetzungen für eine Genehmigungspflicht vor, sieht Peters es als rechtsmißbräuchlich und damit als Verstoß gegen § 826 BGB an, wenn der Vertretene die Genehmigung verweigert: er müsse dann gern. § 826 BGB den durch die Verweigerung der Genehmigung entstandenen Schaden, also das positive Interesse, dem Geschäftspartner ersetzen35 •
28 Das Vertrauen ist nach Ansicht von Lüderitz, wie Fn. 27, beispielsweise betätigt, wenn der Vertragspartner mit der Bebauung des vom Scheinvertreter erworbenen Grundstücks begonnen hat. 29 BGH NJW 1972, 1189 ("Siedlerstelle"); BGHZ 48, 396 = NJW 1968, 39 ("Betriebsgrundstück"). 30 AcP 179 (1979), 214ff. 31 AcP 179 (1979), 227 ff. 32 AcP 179 (1979), 234 ff. 33 AcP 179 (1979), 238. 34 AcP 179 (1979), 238 ff. 35 AcP 179 (1979), 238 f., 241.
B. Dogmatische Einordnung
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5. Die Anscheinsvollmacht als Rechtsinstitut des Handelsrechts Streng zwischen der Anscheinsvollmacht im Bereich des bürgerllehen Rechts und des Handelsrechts unterscheidet insbesondere Canaris36 • Im bürgerlich-rechtlichen Bereich führe die Anscheinsvollmacht nach den i Grundsätzen der culpa in contrahendo allein zu einer Haftung auf das negative Interesse, da Grundlage für einen positiven Vertrauensschutz grundsätzlich allein die wissentliche Schaffung eines Rechtsscheins sein könne. Andere Regeln gelten im Handelsverkehr; insbesondere aus § 362 HGB und den Grundsätzen des Schweigens auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben ergäben sich Anhaltspunkte, daß dort dem Schweigenden eine Erfüllungshaftung auch bei nicht wissentlicher Verursachung eines Rechtsscheins auferlegt werde. Canaris37 sieht den Grund dieser gesteigerten Haftung in der Verantwortung des Kaufmanns für die Organisation seines Betriebs; hieraus folgert er für die Anscheinsvollmacht, der Vertretene dürfe die Risiken seines arbeitsteilig organisierten Betriebs, der für Dritte regel.mäßig undurchschaubar sei, nicht auf Dritte abwälzen. Im Bereich des bürgerlichen Rechts nimmt also Canaris als Rechtsfolge der Anscheinsvollmacht lediglich eine Haftung auf das negative Interesse aus culpa in contrahendo an, während er im Handelsverkehr38 eine Erfüllungshaftung bejaht39 •
Ähnlich sieht Hopt40 die Anscheinsvollmacht als eine "handels- und berufsrechtliche Figur"; Voraussetzung für eine Vollmachtswirkung sei, daß der Vertretene in größerem Umfang selbständig beruflich am Markt tätig ist4l . Ist der Vertretene dagegen Privatmann, hafte er nur nach culpa in contrahendo 42 •
36 Grundlegend Vertrauenshaftung, S. 48ff., 191ff.; ders., NJW 1966, 2349, 2350; ders., Festschrift Wilburg, S. 77, 92f. 37 Vertrauenshaftung, S. 192ff.; Festschrift Wilburg, S. 77, 91ff. 38 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 193f., dehnt den Anwendungsbereich der handeIsrechtlichen Grundsätze über §§ 1 ff. HGB auf alle Unternehmen mit einem kaufmännisch organisierten Betrieb aus. 39 Wie Canaris auch z.B. Larenz, BGB AT, § 33 I a; Litterer, Vertragsfolgen, S~ 136ff., 144ff.; Krause, Schweigen, S.156; Medicus, Bürgerliches Recht, Rdn.101 (zweifelnd nunmehr ders., Gutachten, S. 547, und BGB AT, Rdn. 972); Sonnenberger, Verkehrssitten, S. 226; v. Tuhr, BGB AT II 2, S. 393 f. m. Fn.108. Vgl. auch RGZ 133, 97, 100, wo allein § 56 HGB als dogmatische Grundlage der Anscheinsvollmacht angesehen wird. Hübner, BGB AT, Rdn. 667, bejaht im Bereich des Handelsrechts stets eine Vollmachtswirkung, im bürgerlichen Recht dagegen nur bei grober Fahrlässigkeit des Vertretenen. 40 AcP 183 (1983), 608, 695. 41 AcP 183 (1983), 608, 696. 42 AcP 183 (1983), 608, 695f.
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§ 16 Die Anscheinsvollmacht
6. Sonstige Auffassungen Schließlich sei daran erinnert, daß E. WOlf43 und Bienert44 die Anscheinsvollmacht insgesamt ablehnen. Da Bienert45 dem Vertragspartner des Vertretersnur einen Schadens ersatz anspruch aus § 823 BGB zuspricht, wird auch nach dessen Ansicht der Vertretene nicht an die vom (Schein-)Vertreter abgeschlossenen Geschäfte gebunden. Zum Verkehrsschutzsystem von Frotz kann auf die Ausführungen oben 46 verwiesen werden. Frotz müßte in den Fällen der Anscheinsvollmacht normalerweise zu einer Haftung aus § 122 BGB oder aus culpa in contrahendo gelangen. Eine Bindung des Vertretenen an die Vertretergeschäfte würde nach seinem Verkehrsschutzsystem voraussetzen, daß der Vertragspartner das Verhalten des Vertreters dahin deuten kann, der Vertretene teile ihm eine Innenvollmacht mit; außerdem müßte das Vertretergeschäft im Bereich der "gesteigerten sozialen Verantwortung für mißverständliches Verhalten in Rechtsverhältnissen" angesiedelt sein.
m.
Stellungnahme
1. Keine Verfestigung zum Gewohnheitsrecht Eine Stellungnahme zum Geltungsgrund der Anscheinsvollmacht wäre entbehrlich, wenn dieses Rechtsinstitut gewohnheitsrechtlich Anerkennung gefunden hätte. Dies wird teilweise angenommen 47 . Von einem Gewohnheitsrecht der Anscheinsvollmacht wird man aber nicht ausgehen können 48 • Zwar hat dieses Rechtsinstitut eine langjährige Tradition in der Rechtsprechung. Gewohnheitsrecht setzt aber die Überzeugung der Teilnehmer am Rechtsverkehr voraus, " ... daß dies so rechtens sein müsse, daß es sich um eine Anforderung handelt, die unzweifelhaft eine solche des Rechts sei. "49 Daran aber fehlt es bei dem Rechtsinstitut der Anscheinsvollmacht. Dies ergibt sich nicht nur daraus, daß die Rechtsprechung zur Anscheinsvollmacht nie ohne Widerspruch geblieben ist 50 , sonBGB AT, § 14 B IV 4, 5. "Anscheinsvollmacht" und "riuldungsvollmacht", passim. 45 Vgl. dazu oben § 13 B 11 5. 46 § 13 B 11 4. 47 So z.B. von Fikentscher, Methoden IV, S. 317 Fn. 77; Heymann, RG-Festgabe IV, S. 287, 327; BGB-RGRK-Steffen, § 167, Rdn.12; Stoll, AcP 135 (1932), 89, 108; für den handels- und berufsrechtlichen Bereich auch Hopt, AcP 183 (1983), 608, 695. 48 Ebenso alle, die die Anscheinsvollmacht LS.d. st. Rspr. ablehnen; vgl. die Nachw. in Fn. 25ff.; aber auch Autoren, die der Rechtsprechung folgen, z.B. Thiele, in: MünchKomm., § 167, Rdn. 45. 49 Larenz, Methodenlehre, S. 425; ders., Festschrift Schima, S. 247, 254. 50 Vgl. oben B 11 3 - 6 m. Nachweisen Fn. 25ff. 43
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B. Dogmatische Einordnung
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dem auch aus der Vielzahl der gerichtlichen Entscheidungen zur Anscheinsvollmacht, die eben deshalb erforderlich waren, weil sich eine allgemeine Überzeugung davon, daß eine Erfüllungshaftung des Vertretenen im Fall der Anscheinsvollmacht "rechtens sei", nicht gebildet hat. Die Anscheinsvollmacht hat also nicht kraft Gewohnheitsrechts zur Folge, daß der Vertretene an die vom (Schein-)Vertreter abgeschlossenen Vertretergeschäfte gebunden ist. Deshalb ist eine Besinnung auf die dogmatischen Grundlagen der Anscheinsvollmacht sowie eine Prüfung der Rechtsfolgen jedenfalls zulässig. Obwohl Thiele51 die Anscheinsvollmacht nicht als gewohnheitsrechtlich anerkannt ansieht, will er auf eine Überprüfung der dogmatischen Grundlagen und Rechtsfolgen der Anscheinsvollmacht gleichwohl verzichten, weil der ständigen Rechtsprechung " ... die (zumindest faktisch) verbindliche Kraft des Richterrechts ... " zukomme 52 • Hierauf ist aber zu erwidern: "Niemandem kann es verwehrt sein, selbst eine ständige Rechtsprechung für korrekturbedürftig zu halten, mag diese sich sogar als Gewohnheitsrecht verstehen. Rechtswissenschaftlicher Fortschritt ist regelmäßig mit der Aufgabe früherer Ansichten verbunden. Das ist in der Rechtsprechung nicht anders ... (Es) gibt keinen Fall, in dem ein Gericht sich berechtigten Überlegungen mit dem Hinweis verschlossen hätte, seine frühere Rechtsprechung sei inzwischen zum Gewohnheitsrecht erstarkt. "53 Deshalb steht einer Überprüfung der dogmatischen Grundlagen und der Rechtsfolgen der Anscheinsvollmacht auch nicht die ständige Rechtsprechung entgegen. 54
2. Die Anscheinsvollmacht im vertretungsrechtlichen Verkehrsschutzsystem Einen besonderen vertretungsrechtlichen Verkehrsschutz ordnete das Gesetz in § 170 BGB für die Außenvollmacht an. Einen hieran angeglichenen Verkehrsschutz gewährt das Gesetz in § 171 Abs. 1 BGB, wenn dem VerSo aber Thiele, in: MünchKomm., § 167, Rdn. 45. Vgl. allgemein zum Richterrecht z.B. Coing, JuS 1975, 277ff.; Larenz, Festschrift Schima, S. 247ff. 53 So zutreffend Frotz, Verkehrsschutz, S. 496; in der Sache ebenso z.B. Staudinger / Coing (12. Aufl.), Einleitung, Rdn. 223, 225; ders., JuS 1975, 277, 280; Larenz, Festschrift Schima, 247, 255, 262: Richterrecht hat nicht den Wert einer Rechtsquelle, sondern den einer Rechtserkenntnisquelle. Eingehend zur Bedeutung des Richterrechts zuletzt Bydlinski, JZ 1985, 149, und Olzen, JZ 1985, 155. 54 Vgl. aber auch BGHZ 85, 64, 66 = NJW 1983, 228: "Ein Abgehen von der Kontinuität der Rechtsprechung kann nur ausnahmsweise hingenommen werden, wenn deutlich überwiegende oder sogar schlechthin zwingende Gründe dafür sprechen." Ebenso BGH NJW 1983, 2139. 51
52
11 Stüsser
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§ 16 Die Anscheinsvollmacht
tragspartner des Vertreters die Vollmacht mitgeteilt oder diese öffentlich bekanntgemacht worden ist, und in § 172 Abs.l BGB, wenn der Vertreter seinem Vertragspartner eine Vollmachtsurkunde vorgelegt hat. Vertraut der Vertragspartner aus sonstigem Verhalten des Vertretenen auf eine Vollmacht, ist er ebenso schutzbedürftig und schutzwürdig, als beruhe sein Vertrauen auf einer Vollmachtskundgabe nach §§ 171 Abs.l, 172 Abs. 1 BGB. Und dieses Vertrauen schützt in Analogie zu §§ 171 Abs. 1, 172 Abs. 1 BGB die Duldungsvollmacht 55 , wenn der Vertretene Kenntnis vom Vertreterhandeln hatte. Wie schon die Begriffsbestimmung der Anscheinsvollmacht zeigt, deckt sich ihr objektiver Tatbestand mit dem der Duldungsvollmacht56 . Unterschiede bestehen hinsichtlich der subjektiven Voraussetzungen bei dem Vertretenen. Während das Vertreterhandeln dem Geschäftsherrn bei der Duldungsvollmacht bekannt ist, ist es ihm bei der Anscheinsvollmacht nicht bekannt, er hätte es aber bei verkehrsgemäßer Sorgfalt erkennen und verhindern kÖnnen. Fraglich ist deshalb, ob die Unterschiede im subjektiven Tatbestand bei identischem objektiven Tatbestand eine grundsätzlich andere Behandlung der bei den Rechtsinstitute erfordern. In der bisherigen Untersuchung hatte sich stets gezeigt, daß die Frage, ob ein vertretungsrechtlicher Verkehrsschutz zu gewähren ist, zunächst allein nach dem objektiven Tatbestand zu beurteilen ist; hiervon ist die Frage zu trennen, ob dem Vertretenen der objektive Tatbestand auch zurechenbar ist. Denn - so hatte sich gezeigt - die Zurechenbarkeit des Verhaltens richtet sich nicht nach den vertretungsrechtlichen Verkehrsschutzregelungen, sondern allein nach der allgemeinen Störlösung für mißverständliches Verhalten im Rechtsverkehr, den §§ 116ff. BGB57. Die Notwendigkeit des zweispurigen Verkehrsschutzes liegt darin begründet, daß die §§ 170 - 172 BGB allein die Frage regeln, wann überhaupt ein vertretungsrechtlicher Verkehrsschutz aus der Sicht des Vertragspartners geboten ist, wann also der Vertragspartner darauf vertrauen darf, daß der Vertretene an die Vertretergeschäfte gebunden wird. Aber weder die Außenvollmacht noch die Kundgabeakte der §§ 17lf. BGB beinhalten eine Gewähr für die Freiheit von Willensmängeln, also für den tatsächlichen (unanfechtbaren) vertretungsrechtlichen Verkehrsschutz. Für die Außenvollmacht folgt dies unmittelbar aus §§ 116ff. BGB, für die §§ 171 Abs.l, 172 Abs.l BGB daraus, daß ihr Schutzzweck den Vertragspartner wie bei einer ihm erteilten Außenvollmacht, also weder besser noch schlechter stelVgl. oben § 13 B III. Vgl. zu einigen Abweichungen sogleich C I. 57 Vgl. dazu oben § 10 B, § 11 B 11 (zu §§ 171 Abs.l, 172 Abs.l BGB); § 13 B III (zur Bindung des Vertretenen an den objektiven Tatbestand der Duldungsvollmacht) und § 15 A (zur Anfechtung der Duldungsvollmacht). 55
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B. Dogmatische Einordnung
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len will. Mit diesem Schutzzweck aber wäre es unvereinbar, den Vertretenen bei den Kundgaben der §§ 171 Abs.1, 172 Abs.1 BGB zugleich auch für die Freiheit von Willensmängeln haften zu lassen. Außerdem ließen sich Wertungswidersprüche bei einer anderen Entscheidung nicht vermeiden 58 . Für die Duldungsvollmacht gilt nichts anderes. Sie findet ihre dogmatische Grundlage in einer Analogie zu den §§ 171 Abs. 1, 172 Abs.1 BGB. Ihre Anerkennung ist eine Konsequenz daraus, daß das äußere Verhalten des Vertretenen für den Vertragspartner eine ebenso sichere Vertrauensgrundlage darstellt wie eine Vollmachtskundgabe. Auch eine Duldungsvollmacht bietet dem Vertragspartner aber keine Gewähr dafür, daß das Dulden des Vertreterhandelns frei von Willensmängeln ist. Vielmehr finden auch hier die §§ 119ff. BGB analog Anwendung59 • Hieraus folgt für die Anscheinsvollmacht: Da ihr objektiver Tatbestand dem der Duldungsvollmacht entspricht, ist die Anscheinsvollmacht ebenso geeignet, vertretungsrechtlichen Verkehrsschutz zu gewähren wie auch die Außenvollmacht, die Vollmachtskundgaben und die Duldungsvollmacht. Dieser Verkehrsschutz ist aber bei der Anscheinsvollmacht tatsächlich nur dann zu gewähren, wenn bei dem Vertretenen die die subjektiven Voraussetzungen gegeben sind, unter denen dem Vertragspartner auch bei der Außenvollmacht und den Vollmachtskundgaben tatsächlich ein vertretungsrechtlicher Verkehrsschutz gewährt würde. Denn nur unter dieser Voraussetzung wird der Geschäftspartner, der aus sonstigem Verhalten des Vertretenen auf eine Vollmacht vertraut, nicht schwächer und nicht stärker geschützt, als vertraue er auf eine ausdrückliche oder stillschweigende Außenvollmacht bzw. Vollmachtskundgabe. Und die Interessen des Vertretenen werden ebenfalls berücksichtigt. Denn auch aus seiner Sicht wäre es nicht einleuchtend, seine Bindung an das Vertretergeschäft von unterschiedlichen subjektiven Voraussetzungen abhängig zu machen je nachdem, ob er erklärt hat, er bevollmächtige den Vertreter, er habe ihn bevollmächtigt, oder wenn er auf andere Weise zu verstehen gibt, daß er den Vertreter bevollmächtigt habe. Zusammenfassend läßt sich damit feststellen: Der objektive Tatbestand der Anscheinsvollmacht ist geeignet, dem darauf vertrauenden Vertragspartner einen vertretungsrechtlichen Verkehrsschutz zu gewähren. Dieser Verkehrsschutz ist dann zu gewähren - und der Vertretene also an die Vertretergeschäfte gebunden -, wenn die subjektiven Voraussetzungen vorliegen, die erforderlich sind, um dem Vertretenen auch den objektiven Erklärungstatbestand einer Außenvollmacht oder einer Vollmachtskundgabe zuzurechnen 60. Vgl. im einzelnen oben § 11 B II.· Vgl. näher oben §§ 13 B III, 15 A. 60 Im Ausgangspunkt ebenso Canaris, Vertrauenshaftung, S.48ff., im Ergebnis aber anders. Canaris, Vertrauenshaftung, S. 50f., verkennt, daß die Anscheinsvollmacht nicht zwingend eine unanfechtbare Scheinvollmacht begründen muß. 58
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§ 16 Die Anscheinsvollmacht
Die Mindestvoraussetzungen, unter denen dem Vertretenen eine Außenvollmacht (Vollmachtskundgabe) zurechenbar ist, sind schon oben festgestellt worden. Die Zurechnung des objektiven Erklärungstatbestands setzt voraus den Handlungswillen, also die physisch und psychisch freie Verhaltenssteuerung 61 , sowie das potentielle Erklärungsbewußtsein (Mitteilungsbewußtsein), also die Möglichkeit, bei Anwendung verkehrsgerechter Sorgfalt die Bedeutung des Verhaltens zu erkennen 62 • Bei stillschweigenden Erklärungen muß hinzukommen, daß es dem Schweigenden bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt möglich ist, die Entstehung des objektiven Erklärungstatbestands zu vermeiden 63 . Sind diese Voraussetzungen bei der Anscheinsvollmacht also erfüllt, ist der objektive Tatbestand dem Vertretenen auch zuzurechnen, die dogmatische Grundlage der Anscheinsvollmacht ist dann ebenso wie die der Duldungsvollmacht eine Analogie zu §§ 171 Abs.1, 172 Abs.1 BGB. Nach der Begriffsbestimmung setzt die Anscheinsvollmacht subjektiv auf seiten des Vertretenen voraus, daß dieser das Verhalten des Vertreters " ... zwar nicht kannte, es aber bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte kennen und verhindern können ... "64. Ein Handlungswille ist nach der Begriffsbestimmung Voraussetzung der Anscheinsvollmacht. Denn ohne die Möglichkeit der freien Verhaltenssteuerung wäre entweder die Kenntnis oder die Verhinderung des Vertreterverhaltens nicht möglich. Auch das dem potentiellen Erklärungsbewußtsein (Mitteilungsbewußtsein) entsprechende subjektive Tatbestandsmerkmal ist bei der Anscheinsvollmacht gegeben. Bei dieser wird der Vertrauenstatbestand durch das Verhalten des Vertreters ausgelöst: der Vertragspartner darf aufgrund der gesamten Umstände annehmen, der Vertretene kenne dies und dulde es - eben weil er den Vertreter bevollmächtigt habe. Da aber der Vertretene das Vertreterhandeln nicht kennt, ist er sich auch nicht bewußt, daß Dritte aus seinem Verhalten schließen dürfen, er habe dem (Schein-)Vertreter eine Vollmacht erteilt; er kennt also die objektive Bedeutung seines Schweigens nicht. Die Anscheinsvollmacht setzt aber voraus, daß der Vertretene bei verkehrserforderlicher Sorgfalt das Vertreterhandeln hätte kennen müssen. Damit ist klargestellt, daß der Vertretene auch die Bedeutung seines Schweigens bei verkehrs gerechter Sorgfalt hätte erkennen können, er sich also des Mitteilungswertes seines Verhaltens hätte bewußt sein können. Folglich mangelt es dem Vertretenen bei der Anscheinsvollmacht auch nicht an diesem subjektiven Tatbestandsmerkmal. § 5 D I und § 7 D 1I. §§ 5 D V, 7 D III u. § 10 B. 63 § 7 D V. 64 BGH LM § 167 Nr.4 LS 1 weise oben Fn. 2 f. 61 62
= MDR 1953, 345 = Betrieb 1953, 372; weitere Nach-
C. Voraussetzungen
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Die Möglichkeit, das Vertreterhandeln zu verhindern, ist nach der Begriffsbestimmung schließlich auch Voraussetzung einer Anscheinsvollmacht. Da durch die Verhinderung des Vertreterhandelns gleichzeitig der Rechtsscheintatbestand verhindert wird, ist also auch die letzte Voraussetzung gegeben, die eine Zurechnung des objektiven Erklärungswertes voraussetzt. Damit sind bei der Anscheinsvollmacht alle Voraussetzungen erfüllt, die erforderlich sind, um dem Vertretenen den objektiven Tatbestand zuzurechnen. Damit ist für die Anscheinsvollmacht das Ergebnis gefunden, daß sie eine Rechtsscheinvollmacht ist, die ihre dogmatische Grundlage in einer Analogie zu §§ 171 Abs.l, 172 Abs. 1 BGB findet. Der Vertretene wird bei einer Anscheinsvollmacht also an die Vertretergeschäfte gebunden. C. Die Voraussetzungen der Anscheinsvollmacht I. Der objektive Tatbestand
Es zeigt schon die oben 65 angeführte Begriffsbestimmung, daß der objektive Tatbestand der Anscheinsvollmacht im Grundsatz dem der Duldungsvollmacht entspricht. Dies gilt es hier zu präzisieren. Duldungsvollmacht und Anscheinsvollmacht gewähren gleichermaßen einen Verkehrsschutz zugunsten des Geschäftspartners, wenn dieser aus dem Verhalten des Vertretenen, der gegen das Vertreterhandeln zumindest nicht einschreitet, unter Berücksichtigung aller Umstände darauf schließen darf, dem Vertreter sei eine Vollmacht erteilt worden. Den Vertrauenstatbestand kann auch bei der Anscheinsvollmacht sowohl ein (positives) Handeln als auch ein Unterlassen des Vertretenen begründen. Eine Anscheinsvollmacht durch aktives Tun ist etwa dann gegeben, wenn der Vertretene Geschäfte des Scheinvertreters erfüllt in der Annahme, er selbst habe die Geschäfte abgeschlossen 66 . Durch Einräumung einer Stellung kann keine Anscheinsvollmacht, sondern alleine eine Duldungsvollmacht begründet werden. Eine Anscheinsvollmacht kann aber dadurch entstehen, daß aufgrund der gesamten Umstände für einen Dritten der Eindruck entsteht, der Vertretene habe dem Scheinvertreter eine Stellung eingeräumt, die nach der Verkehrsauffassung mit einer bestimmten Vollmacht verbunden ist. Im übrigen besteht zwischen dem objektiven Tatbestand der Anscheinsvollmacht und dem der Duldungsvollmacht kein Unterschied. Hier ist nur § 16 A. So wäre es im obigen (§ 14 A I 3) Chauffeurbeispiel, wenn der Dienstherr die Tankrechnungen bezahlt, ohne zu bemerken, daß V auch seinen Privatwagen betankt hat. 65
66
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§ 16 Die Anscheinsvollmacht
hervorzuheben, daß auch der Anwendungsbereich der Anscheinsvollmacht nicht auf den Handelsverkehr beschränkt ist; vielmehr gelten diese Grundsätze ebenso im allgemeinen bürgerlichen Recht 67 • Dies folgt schon daraus, daß der Geltungsgrund der Anscheinsvollmacht eine Analogie zu den §§ 171 Abs. 1, 172 Abs. 1 BGB ist, also zu Vorschriften des allgemeinen Zivilrechts. 11. Die subjektiven Voraussetzungen bei dem Dritten
Hinsichtlich der subjektiven Voraussetzungen auf seiten des Drittkontrahenten ergeben sich zwischen der Duldungsvollmacht und der Anscheinsvollmacht keine Unterschiede. Ebenso wie dem Geschäftspartner bei einer Duldungsvollmacht Verkehrsschutz nur gewährt wird, wenn er die den Rechtsschein begründenden Tatsachen kennt und gutgläubig ist 68 , kommt ihm auch der Schutz der Anscheinsvollmacht allein unter diesen Voraussetzungen zugute.
m.
Die subjektiven Voraussetzungen auf seiten des Geschäftsherrn
Eine Anscheinsvollmacht ist nach der obigen 69 Begriffsbestimmung gegeben, wenn der Vertretene das Verhalten des Vertreters bei der im Verkehr· erforderlichen Sorgfalt kennen und verhindern konnte. Dies bedeutet, daß sich der Vertretene bei entsprechender Sorgfalt der Bedeutung seines Verhaltens hätte bewußt sein können und das Entstehen des Rechtsscheintatbestandes hätte verhindern können. Dies sind exakt die Voraussetzungen, die mindestens erforderlich sind, um dem Vertretenen den Rechtsscheintatbestand zuzurechnen 70 • D. Die Rechtsfolgen der Anscheinsvollmacht I. Die Anscheinsvollmacht als stets anfechtbare Rechtsscheinvollmacht
Eine Anscheinsvollmacht legitimiert den Scheinvertreter gegenüber einem gutgläubigen Vertragspartner ebenso wie eine Vollmachtskundgabe oder eine Duldungsvollmacht. Deshalb wirken die vom Scheinvertreter abgeschlossenen Vertretergeschäfte nach § 164 Abs. 1 BGB unmittelbar für und gegen den Vertretenen. 67 Ebenso ausdrücklich z.B. BGH LM § 167 BGB Nr. 4; LM § 167 BGB Nr.l = LM § 1357 BGB Nr.l = NJW 1951, 309; RG DR 1942, 172; Erman / Brox, § 167, Rdn. 7; v. Craushaar, AcP 174 (1974), 2, 22; Enneccerus / Nipperdey, BGB AT, § 184 II 3 c; Lutter, Bedeutung des Handelsgesetzbuches, S. 266; H. Westermann, JuS 1963, 1, 6. Anders die in Fn. 36 und 39 Genannten. 68 Vgl. oben § 14 C. 69 § 16 A. 70 Vgl. oben § 16 B III 2.
D. Rechtsfolgen
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Bei der Anscheinsvollmacht sind aber - so hatte sich gezeigt - in der Person des Vertretenen nur die subjektiven Voraussetzungen erfüllt, die mindestens erforderlich sind, um ihm den Rechtsscheintatbestand zurechnen zu können: Handlungswille, potentielles Mitteilungsbewußtsein und die Möglichkeit, den Scheintatbestand zu verhindern. Welche Auswirkungen dies für die Rechtsfolgen der Anscheinsvollmacht hat, gilt es nun zu erklären. Die Anscheinsvollmacht gewährt dem Drittkontrahenten lediglich einen vertretungsrechtlichen Verkehrsschutz, der an den Verkehrsschutz der Außenvollmacht angeglichen ist, nicht aber zugleich einen Verkehrsschutz für mißverständliches Verhalten. Vielmehr bestimmen sich die Rechtsfolgen für mißverständliches Verhalten auch bei den Scheinvollmachten entsprechend den Vorschriften über die Vollmacht, also analog §§ 116ff. BGB. Denn nur dann entspricht der Verkehrsschutz bei den Rechtsscheinvollmachten dem der Außenvollmacht, ist also weder stärker noch schwächer7 !. Für die Rechtsfolgen der Anscheinsvollmacht folgt hieraus, daß die Bindung des Vertretenen nicht stärker sein darf, als habe er bei gleichen subjektiven Voraussetzungen eine Außenvollmacht erteilt. Da der Vertretene bei der Anscheinsvollmacht das Vertreterhandeln nicht kennt, ist ihm aufgrund einer Tatsachenunkenntnis nicht bewußt, daß sein Verhalten objektiv die Bedeutung hat, er habe dem Scheinvertreter eine Vollmacht erteilt. Ihm fehlt also das Bewußtsein, daß sein Verhalten rechtlich relevant ist, m. a. W.: es mangelt an dem dem aktuellen Erklärungsbewußtsein (Mitteilungsbewußtsein) entsprechenden Tatbestandsmerkmal aufgrund der Unkenntnis von Tatsachen. Die Störlösung für Fälle dieser Art ist, daß dem Vertretenen die objektive Bedeutung seines Verhaltens zwar zurechenbar ist, er aber die Möglichkeit hat, die Rechtsfolgen durch Anfechtung (§ 119 BGB oder § 119 BGB analog) zu beseitigen 72 • Für die Anscheinsvollmacht bedeutet dies, daß der Vertretene die Legitimation des Vertreters ebenfalls stets durch Anfechtung analog § 119 Abs. 1 BGB beseitigen kann 73 • 74 ; m.a.W.: zwar wird der Vertretene nach § 164 71 Vgl. dazu oben § 11 B II für §§ 171 Abs.1, 172 Abs.1 BGB, § 15 A für die Duldungsvollmacht und § 16 B III 2 für die Zurechnung des objektiven Tatbestandes der Anscheinsvollmacht. 72 Vgl. oben § 5 D IV 6 zur ausdrücklichen Vollmacht, § 11 B II zu §§ 171 Abs. 1, 172 Abs. 1 BGB und § 8 B I, § 15 B I für den Bedeutungsirrtum infolge Tatsachenunkenntnis. 73 Zu diesem Ergebnis gelangen auch - mit unterschiedlichen Begründungen Manigk, Vollmachten, S.636ff.; Rothoeft, Irrtumslehre, S.97f.; J. G. Schubert, Anscheinsvollmacht, S.142ff. Im Ergebnis abweichend, aber im Ausgangspunkt ähnlich auch v. Craushaar, AcP 174 (1974) 2, 11ff. Vgl. auch Titze, JW 1925, 1753, der selbst bei der Anscheinsvollmacht eine Haftung des Vertretenen aus culpa in contrahendo bejaht, den Befürwortern seiner Rechtsscheinhaftung aber vorwirft, diese müßten konsequent dem Vertretenen ein Anfechtungsrecht einräumen. 74 Vgl. auch Pawlowski, BGB AT, Rdn. 719, 728, 739, wonach die Anscheinsvollmacht - als rechtsgeschäftliche Vollmacht - anfechtbar sei. Jedoch beschränkt
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§ 17 Wertung der Ergebnisse
Abs.1 BGB zunächst an die Vertretergeschäfte gebunden, er hat aber die Möglichkeit, die Anscheinsvollmacht anzufechten und damit die Legitimation des Vertreters ex tunc zu vernichten. Ficht der Vertretene die Anscheinsvollmacht unverzüglich (§ 121 Abs. 1 BGB) an, entfällt die Legitimation des Vertreters ex tunc (§ 142 Abs. 1 BGB), der Vertreter hat die Vertretergeschäfte ohne Vertretungsmacht abgeschlossen. Der Vertretene ist deshalb an die Vertretergeschäfte nicht gebunden. 11. Die Rechtsfolge der Anscheinsvollrnacht nach der Anfechtung
Da die Anscheinsvollmacht einen der Außenvollmacht entsprechenden Verkehrsschutz gewährt, ist eine Anfechtung auch allein gegenüber dem Vertragspartner des Vertreters möglich. Eine Bindung des Vertretenen an die Vertretergeschäfte entfällt. Dafür haftet der Vertretene dem Dritten aus § 122 Abs.1 BGB auf das negative Interesse. Eine Haftung des Vertreters neben dem Vertretenen setzt voraus, daß dieser wußte, daß er keine Vollmacht hatte; anderenfalls haftet der Vertreter nicht 75 .
§ 17 Wertung der Ergebnisse des 4. Abschnitts A. Die Anfechtung der Duldungs- und Anscheinsvollmacht als Problem des Vertrauens- und Verkehrsschutzes I. Das Vertrauen des Dritten
Bei einer Anscheinsvollmacht vertraut der Vertragspartner des Vertreters in der Regel allein deshalb auf eine Vollmacht des Vertreters, weil der Vertretene gegen das Vertreterhandeln nicht einschreitet. v. Craushaar 1 sieht hierin eine unsichere Vertrauensbasis für den Vertragspartner des Vertreters. In Fällen, in denen das Vertrauen des Dritten auf einer unsicheren Vertrauensbasis gründet, sieht v. Craushaar den Dritten als erhöht schutzbedürftig an, weil das Geschäft vermehrte Fehlerquellen in sich bergen könne; deshalb sei dieser gegen eine Enttäuschung des Vertrauens erhöht empfindlich 2 • Und hieraus folgert v. Craushaar3 dann, daß eine Anfechtung ausscheide. Pawlowski (grundlegend Rdn. 546ff.) die Anfechtbarkeit gern. § 119 BGB stets auf die Fälle, in denen " ... die abweichenden Vorstellungen von der rechtlichen Bedeutung des Vertrages ... - wenn auch unvollkommen - in den Vertragsverhandlungen zum Ausdruck gekommen sind ... " (Rdn. 548). 75 Vgl. oben § 4 A, C. 1 AcP 174 (1974), 2, 11ff.; vgl. auch ders., Vertrauen, 8.112 ff., zum kaufmännischen Bestätigungsschreiben. 2 AcP 174 (1974), 2, 12f. 3 AcP 174 (1974), 2, 12.
B. Vertretungsrechtlicher Verkehrsschutz
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Aus zwei Gründen vermag diese Argumentation v. Craushaars nicht zu überzeugen. Er geht zunächst von der Voraussetzung aus, daß die Vertrauensgrundlage des Dritten besonders unsicher sei. Aber dann fehlt es schon an dem entsprechenden Rechtsscheintatbestand. Denn Schweigen vermag nur dann eine Rechtsscheinhaftung auszulösen, wenn dieses für den Beobachter ebenso verläßlich ist wie ein aktives Handeln4 • Aber ebenso leuchtet die Folgerung v. Craushaars nicht ein; vielmehr ist es genau umgekehrt. Wer auf ein Verhalten vertraut, ist um so schutzwürdiger, je verläßlicher das Verhalten ist, et vice versa. Deshalb läßt sich aus der konkreten Vertrauenssituation des Vertragspartners des Vertreters allein schließen, daß er ebenso schutzwürdig ist wie bei einer ihm erteilten Außenvollmacht, nicht schutzwürdiger, aber auch nicht weniger schutzwürdig. Aus Vertrauensschutzgesichtspunkten läßt sich also gegen eine Anfechtbarkeit der Anscheinsvollmacht nicht argumentieren. 11. Das Verkehrsschutzproblem
Der objektive Tatbestand der Anscheinsvollmacht entsteht erst durch mehrmaliges Vertreterhandeln. Deshalb könnte eine Anfechtung im Interesse der Verkehrssicherheit ausscheiden. Jedoch ist auch bei der Anscheinsvollmacht - ebenso wie bei der rechtsgeschäftlichen Vollmacht - eine Rückabwicklung der einzelnen Vertretergeschäfte ohne Schwierigkeiten möglich. Und daß der Geschäftsverkehr durch die Anfechtbarkeit der Anscheinsvollmacht, also allein durch die Vielzahl der rückabzuwickelnden Geschäfte, so stark belastet würde, daß dies zu einem Anfechtungsausschluß zwingt, wird sich für das allgemeine Zivilrecht nicht beweisen lassen. Die Sicherheit des Geschäftsverkehrs fordert deshalb zumindest im bürgerlichen Recht nicht einen Ausschluß der Anfechtbarkeit der Anscheinsvollmacht. B. Die Anfechtbarkeit von Duldungs- und Anscheinsvollmacht
und der vertretungsrechtliche Verkehrsschutz
I. Die Einstandspflicht für verursachten Rechtsschein
Die hier vorgeschlagene Behandlung der Duldungs- und Anscheinsvollmacht führt dazu, daß dem Vertragspartner des Vertreters stets der gleiche Verkehrsschutz gewährt wird unabhängig davon, ob ihm eine Außenvoll4 Vgl. oben § 7 B II 2 zum entsprechenden Problem des Schweigens als Willenserklärung.
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§ 17 Wertung der Ergebnisse
macht erklärt, eine Innenvollmacht kundgegeben wurde oder ob er aus sonstigem Verhalten des Vertretenen auf eine Vollmacht des Vertreters vertrauen durfte. In allen Fällen wird ihm vertretungsrechtlicher Verkehrsschutz gewährt, wenn die subjektiven Voraussetzungen beim Vertretenen erfüllt sind, um ihm die objektive Bedeutung seines Verhaltens zuzurechnen: die Vertretergeschäfte binden den Vertretenen nach § 164 Abs.l BGB. Befand sich der Vertretene in einem rechtlich beachtlichen Irrtum, kann er die Legitimation des Vertreters sowohl bei einer rechtsgeschäftlichen Vollmacht als auch bei einer Rechtsscheinvollmacht durch Anfechtung beseitigen. Der Vertragspartner des Vertreters erhält dann allein Ersatz seines negativen Interesses (§ 122 BGB) vom Vertretenen, ggf. zusätzlich nach § 179 Abs. 1 BGB einen Anspruch gegen den Vertreter. Diese Gleichbehandlung wird der Interessenlage allein gerecht. Denn es ist aus der Sicht des Vertragspartners nicht angebracht, den Schutz seines berechtigten Vertrauens auf die Vollmacht des Vertreters unterschiedlich danach zu staffeln, auf welches Verhalten des Vertretenen er vertraut hat. Aber ebenso ist kein Grund ersichtlich, dem Vertretenen den Vertrauenstatbestand, den sein Verhalten erzeugt, unter unterschiedlichen Voraussetzungen zuzurechnen. Insgesamt berücksichtigt also nur eine Gleichbehandlung die Interessen der Beteiligten. 11. Die Anfechtbarkeit der Anscheinsvollmacht
Gegen die vorgeschlagene Behandlung der Anscheinsvollmacht als eine stets anfechtbare Legitimation des Vertretenen ließe sich argumentieren, es sei unsinnig, den Vertretenen zunächst an die Vertretergeschäfte zu binden, ihm dann aber ein Anfechtungsrecht zu gewähren. Denn gewöhnlich werde der Vertreter die Anscheinsvollmacht anfechten und dann analog § 122 Abs. 1 BGB dem Dritten nur auf Ersatz des negativen Interesses haften. Deshalb liege es näher, den Vertretenen unmittelbar nur auf das negative Interesse haften zu lassen, zum al er die Möglichkeit hat, einzelne Vertretergeschäfte nach § 177 Abs. 1 BGB zu genehmigen. Die Annahme einer unmittelbaren Haftung des Vertretenen auf das negative Interesse wäre aber eine wenig verkehrsfreundliche Lösung. Denn der Vertretene könnte sich einem Vertragspartner gegenüber auch noch nach langer Zeit auf die fehlende Vollmacht berufen. Nach der Anfechtungslösung dagegen ist der Vertretene gehalten, unverzüglich, also ohne schuldhaftes Zögern, die Anfechtung zu erklären, wenn er von dem Vertretergeschäft Kenntnis erlangt (§ 121 Abs.l BGB). Ficht er nicht unverzüglich an, bleibt er an die Vertretergeschäfte endgültig gebunden. Deshalb ist die Anfechtbarkeit der Anscheinsvollmacht keine "überflüssige Rast auf dem Weg zur endgültigen ,Verantwortungshaftung' nach § 122 BGB"5, sondern sie ist im Interesse des Geschäftsverkehrs geboten.
C. überlagerung von Vollmacht und Rechtsscheinvollmacht
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c. Das Problem der Überlagerung von anfechtbarer Vollmacht und Rechtsscheinvollmacht I. Einleitung
Hat der Vertretene dem Vertreter eine Vollmacht erteilt, die anfechtbar ist, wird der Vertreter häufig doppelt legitimiert sein: durch die (anfechtbare) Vollmacht und durch eine Duldungs- oder Anscheinsvollmacht. Ficht der Vertretene nur die Vollmacht wirksam an, ist die Auswirkung der Anfechtung auf die Bindung des Vertretenen an die Vertretergeschäfte kraft der Rechtsscheinvollmacht problematisch. Aus diesem Phänomen sind völlig unterschiedliche Konsequenzen gezogen worden. ll. Die vorgeschlagenen Lösungen
1. Der generelle Anfechtungsausschluß Eujen / Frank6 sehen einen Wertungswiderspruch darin, daß der Vertretene im Fall der Vollmachtsanfechtung nur nach § 122 BGB auf Ersatz des negativen Interesses haftet, bei der Anscheinsvollmacht dagegen auf Erfüllung. Hieraus schließen sie, daß die Anfechtung einer Vollmacht grundsätzlich ausgeschlossen sei7 • Zum gleichen Ergebnis kommt auch Regelsberger 8 , der ausführt: "Die Vollmachterteilung schafft, genauer zugesehen, einen zweifachen juristischen Tatbestand: einmal eine Willenserklärung; dann aber auch den äußeren Schein, daß die Vollmacht erteilt sei. Nur die Willenserklärung ist der Anfechtung zugänglich, nicht der äußere Tatbestand, der das Vertrauen auf das Dasein der Vollmacht zu erwecken vermag. Wird daher dem Dritten, der mit dem Vertreter im Hinblick auf die Vollmacht in rechtsgeschäftlichen Verkehr getreten ist, durch Anfechtung die Berufung auf das Dasein der Vollmacht entwunden, so steht ihm noch sein Vertrauen auf den äußeren Schein des Daseins schützend zur Seite. Freilich deckt dieser Schein nur einen solchen Dritten, der dadurch zum Glauben an die Wirklichkeit bestimmt wurde. "9
5 Diesen Einwand erhebt Frotz, Verkehrsschutz, S. 469f., gegen den Verzicht auf das aktuelle Erklärungsbewußtsein bei Willenserklärungen, vgl. oben § 5 D IV 6. 6 JZ 1973, 232, 236. 7 Ihnen folgt Brox, JA 1980, 449, 45l. B KritVJSchr. 47 (1907), 284, 290, und JherJB 58 (1911), 146, 164f. 9 Vgl. auch Müller-Freienfels, Vertretung, S. 403, der die "Doppelnatur" der Vollmacht bejaht und daraus folgert, daß hinsichtlich der Anfechtung besondere Regeln gelten müßten, da der äußere Vorgang, daß eine Vollmacht erteilt sei, nicht auf dem Willen des Vertretenen beruhe; welche besonderen Regeln aber eingreifen, bleibt offen.
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§ 17 Wertung der Ergebnisse
2. Der partielle Anfechtungsausschluß In den Fällen, in denen eine anfechtbare Vollmacht erteilt und zugleich der Tatbestand einer Rechtsscheinvollmacht gegeben ist, bejaht Jacobilo eine endgültige Bindung des Vertretenen. Zwar sei die Vollmacht wie jede andere Willenserklärung anfechtbar, gutgläubige Vertragspartner des Vertreters aber seien durch die Rechtsscheinvollmacht geschützt; diese könne nicht durch Anfechtung beseitigt werden. Zum gleichen Ergebnis gelangt später auch Demelius ll . Er geht davon aus, daß jede Vollmacht grundsätzlich anfechtbar sei. Der Dritte müsse aber gegen eine Anfechtung der Vollmacht dann geschützt werden, wenn dieserwäre dem Vertreter zuvor keine Vollmacht erteilt worden - nach Rechtsscheingrundsätzen geschützt wäre. Dahinter steht die - zutreffende - Überlegung, daß der dem Drittkontrahenten zu gewährende Vertrauensschutz nicht davon abhängig gemacht werden darf, ob - für den Dritten zufällig dem Vertreter zuvor eine anfechtbare Innenvollmacht erteilt worden ist oder nicht.
3. Die Rechtsscheinhaftung als Folge der Vollmachtsanfechtung Das Vehältnis einer nichtigen oder anfechtbaren Vollmacht zu einer Rechtsscheinvollmacht untersucht eingehend Waldeyer l2 . Er geht davon aus, daß sowohl die (rechtsgeschäftliche) Vollmachtl 3 als auch die Vollmachtskundgaben gern. §§ 171 Abs.l, 172 Abs.l BGBl4 der Anfechtung unterliegen. Bei der Untersuchung, wann eine Vollmacht oder entsprechende Kundgabe zugleich den Tatbestand der Anscheinsvollmacht erfüllt, gelangt er zu dem Ergebnis, daß die Außenvollmacht sowie die Vollmachtskundgaben der §§ 171 Abs.l, 172 Abs.l BGB immer zugleich den Tatbestand der Anscheinsvollmacht erfüllten l5 . Aus einer Innenvollmacht ergebe sich der Tatbestand der Anscheinsvollmacht dann, wenn der Vertreter über einen längeren Zeitraum tätig geworden sei l6 . Da sich für Waldeyer die Zurechnung des objektiven Tatbestandes der Anscheinsvollmacht nach dem Veranlassungsprinzip bestimmtl 7 , bejaht er in dem hier interessierenden Fall der Anfechtung einer Vollmacht (Vollmachtskundgabe) wegen Irrtums KritVJSchr. 49 (1911), 66, 92ff., 104f., und JW 1925, 2449. AcP 153 (1954), 1, 12f.. 12 Vertrauenshaftung kraft Anscheinsvollmacht bei anfechtbarer und nichtiger Vollmacht, Diss. Münster 1969. 13 Anscheinsvollmacht, S. 5. 14 Anscheinsvollmacht, S. 13ff. 15 Anscheinsvollmacht, S. 105f. 16 Anscheinsvollmacht, S. 107ff. 17 Anscheinsvollmacht, S. 86ff. 10 11
C. überlagerung von Vollmacht und Rechtsscheinvollmacht
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die Zurechenbarkeit der Anscheinsvollmacht 1B • Deshalb könne sich in diesen Fällen der Vertretene nicht auf die Anfechtbarkeit der Vollmacht oder Vollmachtskundgabe berufen 19 .
4. Die Rechtsscheinvollmacht als Einwendungsausschluß Unter dem Gesichtspunkt des Einwendungsausschlusses sieht Canaris 20 das Problem der Überlagerung einer anfechtbaren Innenvollmacht durch den Tatbestand der Duldungsvollmacht. Ein gewisser Wertungswiderspruch bestehe, wenn der Geschäftspartner mit Einwendungen aus dem Innenverhältnis nicht zu rechnen habe, wenn eine Innenvollmacht nie erteilt worden ist und der Vertretene das Vertreterhandeln gleichwohl dulde, zu dem Fall, daß eine fehlerhafte Innenvollmacht erteilt worden ist und der Vertretene das Vertreterhandeln dulde, sofern man im zweiten Fall Einwendungen aus dem Innenverhältnis zulasse. Diesen Wertungswiderspruch will Canaris beseitigen, indem er die Einwendungen präkludiert, die dem Vertretenen bekannt sind 21 . Denn nur dann, wenn der Vertretene die Mängel der Innenvollmacht kennt und gleichwohl das Vertreterhandeln dulde, schaffe er wissentlich einen Scheintatbestand für Canaris die Grundvoraussetzung eines positiven Vertrauensschutzes im Bereich des bürgerlichen Rechts 22 • Wer dagegen eine Anscheinsvollmacht im Bereich des bürgerlichen Rechts anerkennt, muß nach Canaris den Vertretenen mit allen Einwendungen präkludieren, die er fahrlässig nicht kannte23 . Für die Anfechtung einer Innenvollmacht, die durch eine Rechtsscheinvollmacht überlagert wird, würde dies also bedeuten, daß der Vertretene die Innenvollmacht nur wegen solcher Irrtümer anfechten dürfte, die er ohne Fahrlässigkeit nicht kannte. Konnte er aber die Anfechtbarkeit der Innenvollmacht erkennen, müßte er nach Canaris unanfechtbar auf Erfüllung haften.
5. Die Erweiterung der Anfechtbarkeit einer Scheinvollmacht Auch Krause 24 erkennt das Problem der Überlagerung von Vollmacht und Rechtsscheinvollmacht. Dies führt für ihn jedoch nicht zu einer EinschränAnscheinsvollmacht, S. 118ff. Anscheinsvollmacht, S. 132 f., 96 ff. 20 Vertrauenshaftung, S. 112f. 21 Vertrauenshaftung, S. 112. 22 Vgl. insoweit insbesondere die Abgrenzung der Rechtsfolgen von Duldungs- und Anscheinsvollmacht bei Canaris, Vertrauenshaftung, S. 39ff. 23 Vertrauenshaftung, S. 113 Fn. 13. 24 Schweigen, S. 156ff. 18
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§ 17 Wertung der Ergebnisse
kung der Anfechtbarkeit der Vollmacht, sondern umgekehrt zu einer Anfechtbarkeit der Rechtsscheinvollmacht: "Wo ordnungsgemäß eine Willenserklärung abgegeben ist, kann man ihr die Anfechtbarkeit nicht abstreiten, nur weil, wenn keine gegeben wäre, ein Dritter unangefochten darauf vertrauen dürfte, daß es (sc. die Bevollmächtigung) trotzdem der Fall gewesen sei. "25 Krause wird also den sonst seiner Ansicht nach unanfechtbaren Verkehrsschutz der Duldungsvollmacht dem Drittkontrahenten nicht gewähren, wenn der Vertretene dem Vertreter eine irrtumsbeeinflußte Vollmacht erteilt hatte, obwohl sich - wie Krause erkennt - für den Dritten die Sachlage in beiden Fällen gleich darstellt. Diesen Widerspruch glaubt Krause aber, hinnehmen zu müssen 26 • III. Stellungnahme
1. Keine Erweiterung der Anfechtbarkeit einer Scheinvollmacht Im Verlauf der bisherigen Untersuchung hatte sich ergeben, daß eine Anfechtung der Scheintatbestände der §§ 171 Abs.1, 172 Abs.1 BGB sowie der Duldungsvollmacht überhaupt nur in Betracht kommt, wenn ihre Verursachung auf einem rechtserheblichen Irrtum beruht. Nicht zur Anfechtung berechtigt insbesondere der Irrtum des Vertretenen, daß er zuvor eine wirksame (unanfechtbare) Vollmacht erteilt habe 27 • Dies kann dazu führen, daß der Vertretene zwar die (rechtsgeschäftliche) Vollmacht durch Anfechtung wirksam beseitigt, gleichwohl aber an die Vertretergeschäfte gebunden ist, weil zugleich auch die Voraussetzungen einer (unanfechtbaren) Duldungsvollmacht erfüllt sind.
Ein solches Ergebnis könnte einen Widerspruch zu § 119 BGB darstellen, weil dem Vertretenen im Ergebnis verwehrt ist, sich von einer Willenserklärung zu lösen, der ein beachtlicher Irrtum zugrunde liegt 28 • Jedoch würde ein Widerspruch zu § 119 BGB voraussetzen, daß die rechtsgeschäftliche Vollmacht und die Rechtsscheinvollmacht eine identische Legitimation des Vertreters begründen. Dem aber ist gerade nicht so. Vielmehr begründen die Rechtsscheinvollmachten eine eigenständige Legitimation des Vertreters, die in ihrer Entstehung, ihren Voraussetzungen und ihrem Umfang unabhängig von einer zugrundeliegenden rechtsgeschäftliSchweigen, S. 157. Zutreffend bemerkt hierzu Canaris, Vertrauenshaftung, S. 113 Fn.11, daß eine Lehre, die einen so krassen Wertungswiderspruch bewußt in Kauf nimmt, nicht richtig sein kann. ' 27 Vgl. oben § 11 C 11 und § 15 B 11. 28 So Krause, Schweigen, S. 156ff.; vgl. oben § 17 C 11 5. 25 26
C. überlagerung von Vollmacht und Rechtsscheinvollmacht
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chen Bevollmächtigung sind 29 • Weil also in diesen Fällen der Vertreter doppelt legitimiert ist - einmal durch die (rechtsgeschäftliche) Vollmacht, zum anderen durch die Rechtsscheinvollmacht - genügt die Anfechtung allein einer der beiden Legitimationen nicht, um mit Wirkung ex tunc (§ 142 Abs. 1 BGB) die Fremdwirkung des Vertreterhandelns (§ 164 Abs.1 BGB) entfallen zu lassen; dazu ist vielmehr die Anfechtung sowohl der rechtsgeschäftlichen Vollmacht als auch der Rechtsscheinvollmacht erforderlich und damit für beide Tatbestände ein nach § 119 BGB beachtlicher Irrtum. Deshalb liegt kein Verstoß gegen § 119 BGB darin, daß der Vertretene trotz Anfechtung der rechtsgeschäftlichen Vollmacht kraft einer Rechtsscheinvollmacht an die Vertretergeschäfte gebunden bleiben kann. Der offene Wertungswiderspruch, den Krause 30 in Kauf nimmt, wird hier von vornherein vermieden: Dem Geschäftspartner wird nämlich aufgrund des objektiven Tatbestands einer Rechtsscheinvollmacht unabhängig davon, ob der Vertreter zuvor fehlerhaft bevollmächtigt worden ist oder nicht, der gleiche Verkehrsschutz gewährt. Deshalb beseitigt die Anfechtung einer Innenvollmacht nicht zugleich auch die Scheinvollmacht. Vielmehr schützt diese den Vertragspartner des Vertreters, sofern nicht die Rechtsscheinvollmacht selbst wegen eines ihr zugrundeliegenden Irrtums anfechtbar ist.
2. Keine Einschränkung der Anfechtbarkeit rechtsgeschäftlicher Vollmachten Es bleibt also allein zu untersuchen, ob das Problem der Überlagerung von rechtsgeschäftlicher Vollmacht und Rechtsscheinvollmacht nicht zu einer weiteren Einschränkung der Anfechtbarkeit rechtsgeschäftlicher Vollmachten führt. Mit der Bindung des Vertretenen an die Vertretergeschäfte bei einer Anscheinsvollmacht läßt sich nicht gegen die Zulässigkeit der Vollmachtsanfechtung argumentieren 31 . Denn die Anscheinsvollmacht erzeugt stets nur eine anfechtbare Legitimation des Vertreters, die Bindung des Vertretenen ist also nicht stärker als bei einer irrig erteilten Vollmacht. Auch die Theorie Regelsbergers 32 von der "Doppelnatur der Vollmacht" vermag nicht einen Ausschluß der Anfechtbarkeit der Vollmacht zu begründen. 29 30
31 32
Insoweit zutreffend Flume, BGB AT 11, § 49, 2 a. Schweigen, S. 156ff.; vgl. dazu oben Fn 26. Anders die oben Fn. 6f. Genannten. Vgl. oben § 17 C 11 1.
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§ 17 Wertung der Ergebnisse
Soweit ein Doppeltatbestand aufgrund einer Außenbevollmächtigung in Frage steht, läßt sich ein Unterschied zu einer anderen Willenserklärung nicht sehen. Regelsberger bleibt denn auch die Antwort schuldig, warum im Verhältnis zwischen dem irrig Erklärenden und dem Erklärungsempfänger bei der (Außen-)Vollmacht ein die Anfechtung ausschließender Scheintatbestand liegt, dagegen nicht bei sonstigen Willenserklärungen. Zuzugeben ist Regelsberger aber, daß bei der Innenvollmacht im Gegensatz zu sonstigen Willenserklärungen ein Scheintatbestand entstehen kann, wenn nämlich der Vertragspartner von deren Erteilung Kenntnis genommen hat, also insbesondere Zeuge der Bevollmächtigung gewesen ist3 3 • Wenn aber die Innenvollmacht wegen eines Irrtums anfechtbar ist, ist der Scheintatbestand nach der hier vertretenen Auffassung ebenfalls anfechtbar, da der Scheintatbestand durch die gleiche Handlung wie die Vollmacht geschaffen worden ist, also auf dem gleichen Irrtum beruht 34 ,35. Der Gesichtspunkt, daß auch eine Rechtsscheinvollmacht anfechtbar sein kann, wird ebenfalls von Jacobi3 6 und Demelius 37 übersehen. Zwar ist ihr Ansatz zutreffend, daß der Vertragspartner unabhängig davon schutzwürdig ist, ob dem Vertreter eine (anfechtbare) Vollmacht erteilt worden ist oder nicht. Sie übersehen dabei aber die Interessen des Vertretenen, sich auch von der Scheinvollmacht lösen zu können, wenn diese auf einem Irrtum beruht. Eben dieser Irrtum ist auch Waldeyer 38 unterlaufen, der annimmt, der Vertretene hafte nach der Anfechtung einer Außenvollmacht, Vollmachtskundgabe oder einer Innenvollmacht, von der der Vertreter über längere Zeit Gebrauch gemacht hat, unanfechtbar nach den Grundsätzen der Anscheinsvollmacht. Denn auch Waldeyer, der die Anscheinsvollmacht als Rechtsscheinvollmacht begreift39 , überprüft ihre Anfechtbarkeit nicht. Dies überrascht, weil Waldeyer die Anfechtbarkeit der Scheinvollmachten der §§ 171 Abs.1, 172 Abs.1 BGB bejaht, obwohl er auch sie als Rechtsscheintatbestände ansieht4o . Waldeyer ist sich im übrigen der Tatsache wohl bewußt, daß seine Ansicht mit der Wertung der §§ 116ff. BGB nicht im Einklang steht. Er glaubt aber, diesen Widerspruch letztlich in Kauf nehmen zu dürfen wegen des "immanenten objektiven Sinnzusammenhangs" des Gesetzes. Der Gesetzgeber sei in den §§ 104ff. BGB von der 33 In der Auseinandersetzung mit Regelsberger wird dies verkannt von Waldeyer, Anscheinsvollmacht, S.107 ff. (109, 139). 34 Vgl. dazu oben § 11 C IV und § 15 B IV. 35 Ähnlich gegen Regelsberger auch Frotz, Verkehrsschutz, S. 317ff. 36 Wie oben Fn. 10. 37 Wie oben Fn. 11. 3B Vgl. oben § 17 eIl 3 m. Nachw. Fn. 12 ff. 39 Anscheinsvollmacht, S. 70ff. 40 Anscheinsvollmacht, S. 13ff.
c. überlagerung von Vollmacht und Rechtsscheinvollmacht
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"Willenserklärung an sich" ausgegangen, dem Allgemeinbegriff. "Da aber Drittinteressen nur bei einigen wenigen Rechtsgeschäftstypen unmittelbar berührt werden, konnte dieser Sondersituation bei der abstrakten Kompromißlösung der §§ 116ff. BGB nicht Rechnung getragen werden. Eine schematische Anwendung der §§ 116ff. BGB ist daher nicht möglich, wenn bei einem Rechtsgeschäft schutzwürdige Drittinteressen eine Rolle spielen ... (Eine) restriktive Auslegung der §§ 116ff. BGB (ist) ... zulässig, wenn die gesetzliche Interessenbewertung für eine ganze Fallgruppe nicht zutrifft. "41 Und eine dieser Fallgruppen ist für Waldeyer die Bevollmächtigung42. Die Sonderbewertung komme im Gesetz durch den Anfechtungsausschluß in § 164 Abs. 2 BGB sowie in § 56 HGB wegen der darin zum Ausdruck kommenden "objektiven Ordnungsgesichtspunkte" zum Ausdruck43 . Diese Ausführungen erhellen, daß es Waldeyer in der Sache nicht so sehr um "Vertrauenshaftung kraft Anscheinsvollmacht bei anfechtbarer und nichtiger Bevollmächtigung"44 geht, sondern eher um einen Ausschluß der Anfechtung bei der Vollmacht. Aber die dazu vorgetragenen Gründe sind nicht stichhaltig. § 164 Abs. 2 BGB handelt allein von der Anfechtung des Vertretergeschäfts; daraus lassen sich keine Rückschlüsse auf die Zulässigkeit der Anfechtung der Vollmacht ziehen. Und wegen der in § 56 HGB zum Ausdruck kommenden "objektiven Ordnungsgesichtspunkte" läßt sich ein Schluß auf einen generellen Anfechtungsausschluß ebenfalls nicht ziehen. Abgesehen von der schon problematischen Anwendbarkeit einer Vorschrift des HGB im allgemeinen Zivilrecht stellt sich bei § 56 HGB die Frage nach der Anfechtbarkeit ebenso wie bei der Duldungs- und Anscheinsvollmacht 45 .
Auch der Ansicht von Canaris 46 , die Duldungsvollmacht begründe einen Einwendungsausschluß, kann nicht gefolgt werden. Denn mit dieser Theorie lassen sich Wertungswidersprüche nicht vermeiden. Es ist Canaris allerdings zuzugeben, daß die Lösung über den Einwendungsausschluß zu wertungsgerechten Ergebnissen führt, sofern nur die wissentliche Schaffung eines Rechtsscheintatbestands als Grundlage eines positiven Vertrauensschutzes anerkannt wird. Anerkennt man aber - wie es hier vertreten wird47 - eine anfechtbare Rechtsscheinhaftung aus fahrlässiger Verursachung eines Rechtsscheintatbestandes, muß der Ansatz von Canaris zu Wertungswidersprüchen führen. Canaris 48 ist der Ansicht, daß die Anerkennung einer Anscheinsvollmacht zur Folge haben müsse, daß der Vertretene alle Einwendungen gegen die Innenvollmacht nicht erheben dürfe, die er fahrlässig nicht kannte. Konsequenz dieser Ansicht wäre aber dann, daß der Vertretene an einen fahrlässig verursachten Rechtsscheintatbestand unanfechtbar gebunden 41 Anscheinsvollmacht, S. 143. 42 Anscheinsvollmacht, S. 144ff. 43 Anscheinsvollmacht, S. 148ff. 44 So der Titel seiner Dissertation. 45 Diese Frage wird z.B. von Frotz, Verkehrsschutz, S. 365ff., bejaht. Dazu näher unten § 25. 46 Vgl. oben § 17 C 11 4 m. Nachw. Fn. 20ff. 47 Vgl. oben § 16 D. 48 Vertrauenshaftung, S. 113 Fn. 13. 12 Stüsser
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§ 17 Wertung der Ergebnisse
wäre. Dies aber widerspricht dem vertretungsrechtlichen Verkehrsschutzsystem, wonach eine Rechtsscheinvollmacht keinen stärkeren Verkehrsschutz als eine (rechtsgeschäftliche) Vollmacht gewährt 49 • Insgesamt ergibt sich also, daß das Problem der Überlagerung einer anfechtbaren Vollmacht durch eine Rechtsscheinvollmacht weder dazu zwingt, die Anfechtbarkeit der Rechtsscheintatbestände zu erweitern noch· die Anfechtbarkeit der Vollmacht einzuschränken. Vielmehr sind die (rechtsgeschäftliche) Vollmacht und die Rechtsscheinvollmacht sowohl hinsichtlich ihrer Legitimationswirkung als auch ihrer Anfechtbarkeit selbständig zu beurteilen. Hierdurch wird sichergestellt, daß das Vertrauen des Vertragspartners geschützt wird, das er in das Verhalten des Vertretenen investiert hat. Der Schutz des Dritten wird also allein vom Rechtsscheintatbestand aus beurteilt, ohne daß Umstände berücksichtigt werden, die außerhalb des Vertrauenstatbestandes liegen. Und auch die Bindung des Vertretenen wird allein davon abhängig gemacht, ob bei der Bevollmächtigung und der Verursachung des Scheintatbestands die Voraussetzungen erfüllt sind, unter denen ihm die Legitimation des Vertreters unanfechtbar zurechenbar ist. D. Ergebnis Die Möglichkeit, eine Duldungsvollmacht wegen Irrtums anzufechten, und die generelle Anfechtbarkeit der Anscheinsvollmacht fügen sich lükkenlos in das vertretungsrechtliche Verkehrsschutzsystem ein. Weder ergeben sich wertungsmäßige Bedenken, die Anfechtbarkeit der Duldungs- und Anscheinsvollmacht zuzulassen, noch folgt umgekehrt aus der Bindung des Vertretenen bei diesen Rechtsscheinvollmachten, daß die Vollmachtsanfechtung einzuschränken sei. E. Zusammenfassung der Ergebnisse des 4. Abschnitts 1. Die Duldungsvollmacht und auch die Anscheinsvollmacht sind Rechtsscheinvollmachten, die ihre dogmatische Grundlage in einer Analogie zu den §§ 171 Abs.l, 172 Abs.l BGB finden; deshalb sind sie Rechtsinstitute des allgemeinen Zivilrechts.
2. Der objektive Tatbestand dieser Rechtsscheinvollmachten setzt voraus, daß der Vertragspartner des Vertreters aus dem Verhalten des Vertretenen schließen darf, dieser habe den Scheinvertreter bevollmächtigt; der Vertragspartner muß das den Vertrauenstatbestand begründende Verhalten des Vertretenen kennen und gutgläubig sein. 49
Vgl. insbesondere oben § 16 B III 2 und D 1.
E. Zusammenfassung
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3. Duldungs- und Anscheinsvollmacht begründen eine selbständige Legitimation des (Schein-)Vertreters; der Vertretene wird an die vom (Schein-) Vertreter geschlossenen Geschäfte nach § 164 Abs.1 BGB gebunden. 4. Die Duldungsvollmacht, bei der der Vertretene die den Rechtsscheintatbestand begründenden Tatsachen kennt und dessen Entstehung verhindern kann, ist wie eine Außenvollmacht anfechtbar, wenn der Vertretene aufgrund eines nach § 119 BGB beachtlichen Irrtums die Rechtsscheinvollmacht hat entstehen lassen. 5. Die Anscheinsvollmacht, bei der der Vertretene die den Scheintatbestand begründenden Tatsachen nicht kennt, diese aber bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen und verhindern können, ist stets nach § 119 Abs.1 BGB anfechtbar. 6. Ist der (Schein-)Vertreter durch eine anfechtbare Innenvollmacht und eine Rechtsscheinvollmacht doppelt legitimiert, wird der Vertretene nur dann an die Vertretergeschäfte nicht gebunden, wenn er sowohl hinsichtlich der (rechtsgeschäftlichen) Vollmacht als auch der Rechtsscheinvollmacht einen Anfechtungsgrund hat und auch beide Legitimationen unverzüglich (§ 121 Abs.1 BGB) anficht.
5. Abschnitt
Die Vollmachts anfechtung wegen Drohung und arglistiger Täuschung (§ 123 BGB) § 18 Die Voraussetzungen der Anfechtung nach § 123 BGB A. Einleitung
Stand im Mittelpunkt der bisherigen Erörterung allein die Frage nach der Vollmachtsanfechtung wegen eines Irrtums gern. § 119 BGB, bleibt zum bürgerlichen Recht abschließend zu erörtern die Vollmachtsanfechtung nach § 123 BGB. Dabei kann sich die Darstellung nicht darauf beschränken, die Voraussetzungen der Anfechtungstatbestände des § 123 BGB aufzuzeigen. Denn die Anfechtung wegen Täuschung und Drohung ist vom Gesetz in wesentlichen Punkten von der Irrtumsanfechtung abweichend geregelt worden. Zum einen ist die Zulässigkeit der Anfechtung einer Willenserklärung wegen arglistiger Täuschung durch § 123 Abs. 2 S.l BGB eingeschränkt. Zum anderen fehlt es bei der Anfechtung wegen Drohung und arglistiger Täuschung an einer § 122 BGB entsprechenden Schadensersatzpflicht des Anfechtenden l . Diese Besonderheiten der Anfechtung wegen Drohung und Täuschung gilt es zu berücksichtigen. B. Die Voraussetzungen der Anfechtung wegen Drohung (§ 123 Abs.l 2. Fall BGB)
Eine Anfechtung der Vollmacht gern. § 123 Abs.1 2. Fall BGB setzt voraus, daß der Vollmachtgeber "widerrechtlich durch Drohung" zur Bevollmächtigung "bestimmt" worden ist. I. Der Begriff der Drohung
Eine Drohung i. S. v. § 123 Abs.1 BGB ist die Ausübung eines psychischen Zwangs (vis compulsiva) auf den Erklärenden: Ihm wird ein künftiges Übel 1 Allgem. Meinung, vgl. nur Staudinger / Coing, § 123, Rdn. 43; Staudinger / Dileher, § 123, Rdn. 42; Flume, BGB AT 11, § 27, 4. In der 2. Kommission wurde ein Antrag, dem Anfechtenden dann eine dem § 122 BGB entsprechende Schadensersatzpflicht aufzuerlegen, wenn ein Dritter den Erklärenden getäuscht oder bedroht hat, abgelehnt, vgl. Protokolle I, S. 248 = Mugdan I, S. 722.
B. Anfechtung wegen Drohung
181
angedroht 2 , welches der Drohende zu beherrschen behauptet 3 • Worin dieses Übel besteht, insbesondere auf dessen Schwere, kommt es nicht an 4 ; ebensowenig muß das Übel den Bedrohten selbst treffen 5 • Dagegen scheidet eine Anfechtung der Erklärung aus, wenn diese durch körperliche Überwältigung (vis absoluta) erzwungen wurde 6 • Denn der objektive Erklärungstatbestand ist dem Erklärenden schon nicht als Willenserklärung zurechenbar, wenn er durch vis absoluta erzwungen wurde 7 • 11. Die Widerrechtlichkeit der Drohung
Eine Anfechtung wegen Drohung setzt voraus, daß diese widerrechtlich ist. Eine Drohung ist zunächst dann widerrechtlich, wenn die angedrohte Handlung widerrechtlich ist ("Widerrechtlichkeit des Mittels")8. Ist die angedrohte Handlung nicht rechtswidrig, so kann die Drohung dennoch rechtswidrig sein, wenn sie auf die Herbeiführung eines unerlaubten oder sittenwidrigen Erfolges zielt ("Widerrechtlichkeit des Zwecks")9. Die Anfechtung wegen Drohung ist besonders problematisch, wenn sowohl die angedrohte Handlung als auch der angestrebte Erfolg - für sich betrachtet - nicht rechtswidrig sind. Die Drohung kann auch hier rechtswidrig sein, wenn der Einsatz des Mittels zu dem angestrebten Erfolg rechtlich zu mißbilligen ist ("Inadäquanz von Mittel und Zweck")10. Für das hier interessierende Problem der Vollmachtsanfechtung stellt sich die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine auf den erlaubten Erfolg: Bevollmächtigungl1 abzielende Bedrohung des Vollmachtgebers rechtlich zu mißbilligen ist. 2 Z.B. Staudinger / Coing, § 123, Rdn. 3; Flurne, BGB AT 11, § 27,1; Palandt / Heinrichs, § 123, Anm. 3 a. 3 Z.B. Staudinger / Coing, § 123, Rdn. 5; Enneccerus / Nipperdey, BGB AT, § 173 I 1; Flurne, BGB AT 11, § 28, 1; Kramer, in: MünchKomm., § 123, Rdn. 33. 4 Staudinger / Coing, § 123, Rdn.7; Flurne, BGB AT 11, § 28, 1; Kramer, in: MünchKomm., § 123, Rdn. 34. 5 RGZ 60, 371, 373; Staudinger / Coing, § 123, Rdn. 7; Flurne, BGB AT 11, § 28, 1. 6 Staudinger / Coing, § 123, Rdn. 1,4; Flurne, BGB AT 11, § 27, 1; Palandt / Heinrichs, § 123, Anm. 3a; Kramer, in: MünchKomm., § 123, Rdn. 32. 7 Vgl. oben § 5 D I. 8 Statt aller Flurne, BGB AT 11, § 28, 2 a; Palandt / Heinrichs, § 123, Anm. 3 b aa; Kramer, in: MünchKomm., § 123, Rdn. 35. 9 Z. B. Flurne, BGB AT 11, § 28, 2 b; Palandt / Heinrichs, § 123, Anm. 3 b bb; Kramer, in: MünchKomm., § 123, Rdn. 35. 10 BGH NJW 1982, 2301, 2302; NJW 1983, 384, 385 (insoweit in BGHZ 85, 240 nicht abgedruckt); OLG Frankfurt WM 1984, 1247, 1248; Staudinger / Coing, § 123, Rdn.12 b; Enneccerus / Nipperdey, BGB AT, § 173 11 2 b; Flurne, BGB AT 11, § 28, 2 b, c; Palandt / Heinrichs, § 123, Anm. 3 b cc; Kramer, in: MünchKomm., § 123, Rdn.36ff. 11 Eine Ausnahme könnte allenfalls dann vorliegen, wenn die Vollmacht zum Abschluß eines nicht erlaubten Geschäfts erteilt wird.
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§ 18 Voraussetzungen der Anfechtung nach § 123 BGB
Man ist wegen des Wesens der Vollmacht - der Vertreter erhält die Möglichkeit, den Vertretenen unmittelbar rechtsgeschäftlich zu verpflichten geneigt, eine rechtliche Mißbilligung stets zu bejahen. Aber auch eine Drohung mit dem Ziel, eine Vollmacht zu erhalten, kann im Einzelfall billigenswert sein. So wäre es etwa, wenn ein qualifizierter Mitarbeiter mit einer Kündigung droht, falls ihm nicht eine Prokura erteilt wird. Die angedrohte Handlung (Kündigung) ist erlaubt, ebenso der Erfolg (Prokuraerteilung). Die Drohung mit der Kündigung zu dem Zweck, Prokura zu erhalten, wäre zu mißbilligen, wenn sie Treu und Glauben widerspräche, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstieße l2 . Das aber ist nicht der Fall. Die Erteilung einer Prokura ist Ausdruck des besonderen Vertrauens, das der Kaufmann dem Prokuristen entgegenbringt, ist doch der Prokurist ein "Alter Ego, ein Doppelgänger seines Principals"13. Macht der Angestellte seine weitere Mitarbeit davon abhängig, daß der Prinzipal durch Erteilung einer Prokura sein Vertrauen auch nach außen beweist, kann hierin kein Verstoß gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden gesehen werden. Anders wäre die Rechtslage allerdings dann zu beurteilen, wenn der Angestellte den Prinzipal beispielsweise mit einer (an sich ebenfalls erlaubten) Strafanzeige bedroht, falls ihm keine Prokura erteilt wird l4 .
m.
Die Kausalität zwischen Drohung und Erklärung
Schließlich muß der Erklärende durch die Drohung zur Abgabe der Erklärung "bestimmt" worden sein. Dies bedeutet einmal, daß die Drohung bewußt zu dem Zweck eingesetzt worden ist, auf die Willensbildung des Bedrohten Einfluß zu nehmen 15 • Außerdem ergibt sich hieraus, daß die Drohung für die Erklärung ursächlich sein muß: nur wenn die Drohung für die Willenserklärung kausal geworden ist, ist der Erklärende zu ihrer Abgabe "bestimmt" worden 16 . C. Die Voraussetzungen der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung (§ 123 Abs.l 1. Fall BGB) Die Anfechtung einer Willenserklärung gern. § 123 Abs.1 1. Fall BGB setzt voraus, daß der Erklärende "durch arglistige Täuschung" ... "zur Abgabe der Willenserklärung bestimmt worden ist". 12 Z.B. BGHZ 2, 287, 296; 25, 217, 220; BGH LM § 123 BGB Nr. 32; BAG NJW 1970, 775; Flume, BGB AT 11, § 28, 2 b; Palandt / Heinrichs, § 123, Anm. 3 b cc; Kramer, in: MünchKomm., § 123, Rdn. 36. 13 So Thöl, Handelsrecht, § 33 b (S. 202); ebenso Z.B. Weimar, MDR 1981, 898f. 14 Vgl. zum Problem der Drohung mit einer Strafanzeige z.B. Flume, BGB AT 11, §28,2c. 15 Vgl. nur Staudinger / Coing, § 123, Rdn' 5; Kramer, in: MünchKomm., § 123, Rdn.33. 16 Statt aller Staudinger / Coing, § 123, Rdn. 8; Kramer, in: MünchKomm., § 123, Rdn.40.
C. Anfechtung wegen arglistiger Täuschung
183
I. Der Begriff der Täuschung
Unter einer Täuschung i. S.d. § 123 BGB ist - ebenso wie im Betrugstatbestand (§ 263 StGB) - das Vorspiegeln falscher oder das Unterdrücken wahrer Tatsachen zur Erregung oder Unterhaltung eines Irrtums zu verstehen 17 • In der Regel wird der Täuschende den Irrtum des Erklärenden durch eine positive Handlung, also durch falsche ausdrückliche oder konkludente lB Behauptungen hervorrufen. Aber auch ein Unterlassen kann eine Täuschung i. S. d. § 123 Abs.1 BGB darstellen, wenn der Schweigende nach Treu und Glauben zur Aufklärung des Irrtums verpflichtet istl 9 ,20. Ob der Schweigende zur Aufklärung des Irrtums verpflichtet ist, bestimmt sich danach, ob sein Geschäftspartner nach den Anschauungen des redlichen Geschäftsverkehrs mit einer Aufklärung rechnen durfte 21 ; entscheidend ist der jeweilige Einzelfall, insbesondere die Art des Rechtsgeschäfts 22 • Für die Vollmachts anfechtung wegen Täuschung folgt hieraus: Positive falsche Behauptungen sowohl über das Vertretergeschäft als auch über Eigenschaften des Vertreters können den Vertretenen zu einer Vollmachtsanfechtung berechtigen. Bei einer Täuschung durch Unterlassen ist danach zu differenzieren, wer die Täuschung verübt hat. Insbesondere dann, wenn das Innenverhältnis zwischen dem Vertretenen und dem Vertreter ein besonderes Vertrauen voraussetzt, wird der Vertreter weitgehende Aufklärungspflichten gegenüber dem Vertretenen haben 23 • Eine Täuschung durch Unterlassen ist deshalb zu bejahen, wenn sich der Vertreter auf Fragen des Vertretenen verschweigt. Offenbart der Vertreter persönliche Umstände nicht, ohne hiernach gefragt worden zu sein, täuscht er nur dann, wenn er aufgrund dieser Umstände als Vertreter völlig ungeeignet ist 24 . 17 Statt aller Erman / Brox, § 123, Rdn.11; v. Lübtow, Festschrift Bartholomeyczik, S. 249, 255. 18 Erman / Brox, § 123, Rdn. 12; Enneccerus / Nipperdey, BGB AT, § 174 I 1 a. 19 Statt aller Erman / Brox, § 123, Rdn.13 ff.; v. Lübtow, Festschrift Bartholomeyczik, S. 249, 256. 20 Auch die Verfasser des BGB gingen davon aus, daß eine Täuschung durch Unterlassen möglich sei, sahen aber eine gesetzliche Regelung dieser Frage als unmöglich an; vgl. Motive I, S. 208 = Mugdan I, S. 447. 21 Z.B. RGZ 111, 233, 234; BGH LM § 123 BGB Nr.l0; NJW 1971, 1795, 1799; Enneccerus / Nipperdey, BGB AT, § 174 I 1 a; Flume, BGB AT H, § 29, 1; Palandt"! Heinrichs, § 123, Anm. 2 c aa; Kramer, in: MünchKomm., § 123, Rdn. 13 f. 22 Flume, BGB AT H, § 29, 1; ähnlich auch Enneccerus / Nipperdey, BGB AT, §174Ila. 23 Insoweit ist die Situation vergleichbar der häufig behandelten Problematik der Aufklärungspflicht des Arbeitnehmers bei Eingehung eines Arbeitsverhältnisses. Vgl. dazu z.B. Degener, Fragerecht, passim; P. Hofmann, ZfA 1975, 1ff. 24 Ebenso für die Täuschung bei der Eingehung eines Arbeitsverhältnisses Hofmann, ZfA 1975,1, 47ff.; Kramer, in: MünchKomm., § 123, Rdn. 16.
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§ 18 Voraussetzungen der Anfechtung nach § 123 BGB
Dagegen wird eine Aufklärungspflicht des Vertragspartners, auch bei der Außenvollmacht, nur ausnahmsweise bestehen. Insbesondere Hinweise des Vertragspartners auf negative Eigenschaften des Vertreters könnten leicht als unerwünschte Einmischung mißverstanden werden. U. Die Bedeutung der Arglist in § 123 Abs.l BGB
Der Wortlaut des § 123 Abs.1 BGB verlangt, daß die Täuschung "arglistig" ist. Hieraus wird teilweise 25 gefolgert, daß eine Täuschungsanfechtung dann ausscheide, wenn der Täuschende nicht unlauter gehandelt hat, insbesondere durch die Täuschung "das Beste" des Getäuschten wollte. Der Schutz zweck des § 123 BGB ist aber die Entschließungsfreiheit des Erklärenden26 . Er ist immer dann nicht mehr frei in seiner Entscheidung, wenn in ihm falsche Vorstellungen erweckt werden, auch wenn der Täuschende "das Beste" des Getäuschten will. "Über ,sein Bestes' zu entscheiden ist aber Sache des rechtsgeschäftlich Handelnden. "27 Deshalb ist für die Täuschung i.S.d. § 123 Abs.1 BGB eine verwerfliche Gesinnung nicht zu fordem 28 , entscheidend ist allein, daß der Täuschende den Erklärenden vorsätzlich getäuscht hat 28 .
m.
Anfechtung bei "rechtmäßiger" Täuschung?
Nach dem Wortlaut des § 123 Abs.l BGB ist es für die Täuschungsanfechtung - im Gegensatz zur Drohung - bedeutungslos, ob die Täuschung widerrechtlich ist. Grund hierfür ist, daß der Gesetzgeber davon ausging, jede Täuschung sei widerrechtlich29 . Jedoch kann auch eine bewußt wahrheitswidrige Angabe rechtmäßig sein, was auch für die Zulässigkeit der Vollmachtsanfechtung wegen Täuschung von Bedeutung ist. So wäre es beispielsweise, wenn der V, dem eine Vollmacht erteilt werden soll, auf Befragen des VG eine Verurteilung wegen eines Betrugs verschweigt, die gern. § 30 Abs. 2 BZRG nicht in ein Führungszeugnis aufzunehmen oder nach § 43 ff. BZRG zu löschen ist. Gern. § 51 Abs.l BZRG darf sich der Verurteilte dann als unbestraft bezeichnen, das Verschweigen der Vorstrafe ist nicht rechtswidrig3o • 25 BGH LM § 123 BGB Nr. 9; Palandt / Heinrichs, § 123, Anm. 2 e; BGB-RGRKKrüger-Nieland, § 123, Rdn.14. 26 Motive I, S. 204 = Mugdan I, S. 465; Stau dinger / Coing, § 123, Rdn.l; Flurne, BGB ATII, § 27, 1; Kramer, in: MünchKomm., § 123, Rdn.l; Schubert, AcP 168 (1968),470,478; v. Tuhr, BGB AT 11 1, S. 603. 27 Flurne, BGB AT 11, § 29, 2. 28 Erman / Brox, § 123, Rdn. 30; Staudinger / Coing, § 123, Rdn. 22; Enneccerus / Nipperdey, BGB AT, § 174 I 2; Flurne, BGB AT 11, § 29,2; Kramer, in: MünchKomm., § 123, Rdn. 6. Eingehend auch v. Lübtow, Festschrift Bartholomeyczik, S. 249, 260 ff., der nachgewiesen hat, daß die Einführung des Begriffs "Arglist" in § 123 BGB auf einem Mißverständnis der Redaktoren beruht. 29 Vgl. den Bericht der XII. Kommission vom 12. Juni 1896, abgedruckt bei Mugdan I, S. 948, 965.
D. Einschränkung gern. § 123 Abs. 2 S. 1 BGB
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Ist eine Täuschung nicht rechtswidrig, kann der Getäuschte seine Erklärung nicht nach § 123 Abs.l 1. Fall BGB anfechten 31 . Denn wenn der Täuschende nicht zur Offenbarung einer Tatsache verpflichtet ist, bedeutet dies umgekehrt, daß der andere kein Recht auf diese Information hat, also auch nicht auf deren Verwertung bei der Willens bildung. IV. Die Kausalität zwischen Täuschung und Erklärung
Die letzte Voraussetzung für eine Anfechtung wegen Täuschung ist, daß der Getäuschte durch die Täuschung zur Abgabe der Willenserklärung "bestimmt" worden ist. Insoweit kann hier auf die entsprechenden Ausführungen zur Anfechtung wegen einer Drohung verwiesen werden 32 . D. Die Einschränkung der Täuschungsanfechtung gem. § 123 Abs. 2 S. 1 BGB I. Allgemeine Bestimmungen des Dritten
Während eine Erklärung, zu deren Abgabe der Erklärende durch Drohung bestimmt worden ist, stets nach § 123 BGB anfechtbar ist, macht das Gesetz in § 123 Abs.2 S.l BGB für die Täuschungsanfechtung eine bedeutende Ausnahme: Hat ein "Dritter" den Erklärenden getäuscht, so kann der Getäuschte eine empfangsbedürftige Willenserklärung nur anfechten, wenn der Erklärungsempfänger die Täuschung kannte oder kennen mußte. Der Gesetzgeber wollte durch diese Vorschrift eine Härte für den Erklärungsempfänger vermeiden, die bestehen würde, wenn sich der von einem Dritten Getäuschte von seiner Erklärung lösen könnte, obwohl der Empfänger der Erklärung weder selbst getäuscht hat noch die Täuschung eines anderen kannte oder kennen mußte 33 . Da dem Gesetzgeber bewußt war, daß es im Grunde für die Entschließungsfreiheit des Erklärenden keinen Unterschied macht, ob ihn der Erklärungsgegner oder ein Dritter getäuscht hat 33 , ist durch § 123 Abs. 2 S.l BGB klargestellt, daß die Interessen des gutgläubigen Erklärungsempfängers höher zu werten sind als die des durch einen Dritten Getäuschten 34 . 30 Vgl. zur Auswirkung des BZRG auf die Offenbarungspflicht des Arbeitnehmers eingehend Degener, Fragerecht, S.108ff.; P. Hofmann, ZfA 1975, 1ff. (29ff.). 31 Ebenso Degener, Fragerecht, S.100f.; P. Hofmann, ZfA 1975,1, 60ff.; v. Lübtow, Festschrift Bartholomeyczik, S.249, 275; Neumann-Duesberg, JR 1967, 1, 2f.; Schubert, AcP 168 (1968), 470, 479. LE. ebenso, aber bereits die Täuschung verneinend, Trieschmann, BArbBl1958, 196, 197. Das BAG verneint in Fällen dieser Art die Arglistigkeit der Täuschung, vgl. z.B. BAGE 5,159, 163f. = AP § 123 BGB Nr. 2 m. zust. Anm. Alfred Hueck = BArbBl 1957, 195 m. Anm. Trieschmann; BAGE 11, 270,273ff. 32 Vgl. oben § 18 B III. 33 Motive I, S. 206 = Mugdan I, S. 466. 34 Vgl. Motive I, S. 206f. = Mugdan I, S. 466f.; ebenso z.B. Schubert, AcP 168 (1968), 470, 476f.
186
§ 18 Voraussetzungen der Anfechtung nach § 123 BGB
Für die Frage, wer "Dritter" i. S. d. § 123 Abs. 2 S.l BGB ist, ergibt sich aus dieser Interessenbewertung, daß alle Personen ausscheiden, hinsichtlich derer eine Privilegierung des Erklärungsempfängers nicht gerechtfertigt ist3 5 . Nicht "Dritter" i.S. v. § 123 Abs. 2 S.l BGB ist deshalb derjenige, für dessen Verhalten der Erklärungsempfänger in einem vorvertraglichen Vertrauensverhältnis nach § 278 BGB einzustehen hätte 36 .
n. Die Auswirkung auf die Täuschungsanfechtung der Vollmacht 1. Grundsatz Wird der Vollmachtgeber durch eine Täuschung zu einer Bevollmächtigung bestimmt, wird regelmäßig "Dritter" i. S. d. § 123 Abs. 2 S.l BGB sein, wer am Abschluß des Vertretergeschäfts völlig unbeteiligt ist. Bei einer Außenvollmacht ist aber normalerweise auch der spätere Vertreter "Dritter" i. S. d. § 123 Abs. 2 S.l BGB, umgekehrt bei einer Innenvollmacht der spätere Vertragspartner. Denn im Augenblick der Täuschung bestehen zwischen dem Vertreter und seinem späteren Vertragspartner regelmäßig nicht solche Beziehungen, aufgrund derer der eine für eine Täuschung des anderen in einem vorvertraglichen Vertrauensverhältnis nach § 278 BGB einzustehen hätte. Nach dem Wortlaut des § 123 Abs. 2 S.l BGB wäre also eine Innenvollmacht nicht anfechtbar, wenn der spätere Vertragspartner den Vollmachtgeber getäuscht hat, eine Außenvollmacht nicht, wenn der Vollmachtgeber durch den späteren Vertreter getäuscht worden ist.
2. Teleologische Reduktion des § 123 Abs. 2 S.l BGB Dieses allein aus dem Wortlaut des § 123 Abs. 2 S.l BGB hergeleitete Ergebnis bereitet aber insbesondere dann Unbehagen, wenn der Vertragspartner des Vertreters die Täuschung, die den Vollmachtgeber zu einer Innenbevollmächtigung veranlaßt hat, kannte oder kennen mußte, insbesondere also selbst getäuscht hat, der Vertreter aber die Täuschung weder kannte noch kennen mußte. Denn § 123 Abs. 2 S.l BGB würde dazu führen, daß der Vertragspartner die Täuschung ausnutzen könnte, ohne daß der Vertretene die Möglichkeit hätte, die Vollmacht anzufechten und sich dadurch von den Vertretergeschäften zu lösen. Der getäuschte Vertretene So z.B. BGH NJW 1978, 2144, 2145 m. Nachw.; Medicus, BGB AT, Rz. 801. Vgl. dazu im einzelnen Schubert, AcP 168 (1968), 470, 476ff. Ihm folgen z.B. Staudinger / Dilcher, § 123, Rdn. 34; Immenga, BB 1984, 5, 7; Kramer, in: MünchKomm., § 123, Rdn. 19. Auch der BGH hat in einigen Entscheidungen festgestellt, daß als Dritter i.S.d. § 123 Abs.2 BGB nicht anzusehen ist, dessen Verhalten sich der Erklärungsgegner bei der Haftung aus culpa in contrahendo zurechnen lassen muß, vgl. BGH NJW 1962, 2195,2196; WM 1963, 250, 252; BGHZ 47, 224, 229. 35
36
D. Einschränkung gern. § 123 Abs. 2 S. 1 BGB
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wäre vielmehr auf deliktische Ansprüche gegen den Täuschenden und gegebenenfalls auch gegen den Vertragspartner angewiesen 37 . Die Vorschrift des § 123 Abs. 2 S.l BGB ist auf Zwei-Personen-Verhältnisse zugeschnitten, sie paßt nicht recht, wenn drei Personen am Geschäftsabschluß beteiligt sind. Deshalb ist für die Vollmachtsanfechtung eine teleologische Reduktion des § 123 Abs. 2 S.l BGB zu erwägen, sofern der Wortlaut dieser Vorschrift auch Fälle erfaßt, auf die der Normzweck nicht zutrifft. § 123 Abs. 2 S.l BGB beruht auf der gesetzlichen Interessenbewertung, daß die Interessen eines gutgläubigen Empfängers der abgetäuschten Erklärung höher zu bewerten sind als die des Getäuschten 38 • Ihr liegt also die Vorstellung zugrunde, daß der gutgläubige Erklärungsempfänger überhaupt ein rechtlich schützenswertes Interesse an der Erklärung des Getäuschten hat. Wo ein solches Interesse des Erklärungsempfängers an der Wirksamkeit der Erklärung fehlt, trifft der Normzweck des § 123 Abs. 2 S.l BGB nicht zu: Es gibt kein rechtlich schützenswertes Interesse, hinter dem das Interesse des Getäuschten an seiner Entschließungsfreiheit39 zurücktreten könnte. Deshalb ist § 123 Abs. 2 S.l BGB auf solche Fallgruppen nicht anzuwenden, in denen der Erklärungsempfänger kein rechtlich schützenswertes Interesse an der Wirksamkeit der abgetäuschten Erklärung hat. a) Bösgläubigkeit des Vertragspartners bei der Innenvollmacht Hat der Vollmachtgeber aufgrund einer Täuschung dem gutgläubigen Vertreter eine Innenvollmacht erteilt, ist nach dem Wortlaut des § 123 Abs. 2 S.l BGB eine Anfechtung der Vollmacht ausgeschlossen, selbst wenn der Vertragspartner des Vertreters die Täuschung kan~te (kennen mußte), also insbesondere selbst getäuscht hat. Nach dem soeben Gesagten ist aber § 123 Abs. 2 S.l BGB nicht anzuwenden, wenn der Vertreter kein rechtlich schützenswertes Interesse an der Wirksamkeit der ihm gegenüber abgegebenen Erklärung (Vollmacht) hat. Gern. § 164 Abs.1 S.l BGB wirken die Rechtsfolgen der vom Vertreter abgegebenen Erklärung unmittelbar für und gegen den Vertretenen. Deshalb hat der Vertreter im Regelfall 40 kein unmittelbares Interesse an der Wirksamkeit der Vollmacht. 37 Der Gesetzgeber hat dieses Problem gesehen, hielt einen deliktischen Schutz aber für ausreichend, vgl. Protokolle I, S. 288ff. = Mugdan I, S. 738f. 38 Vgl. oben bei Fn. 34. 39 Vgl. zum Schutzzweck oben § 18 C 11. 40 Anders ist die Rechtslage allerdings dann zu beurteilen, wenn die Vollmacht im Interesse des Vertreters erteilt worden ist.
188
§ 18 Voraussetzungen der Anfechtung nach § 123 BGB
Sein Interesse an der Vollmacht könnte sich nur daraus ergeben, daß er infolge einer Anfechtung der Vollmacht seinerseits seinem Vertragspartner aus § 179 BGB schadensersatzpflichtig wird, da die Anfechtung die Vollmacht gern. § 142 Abs.1 BGB von Anfang an beseitigt. Jedoch fehlt dem Vertreter auch dieses mittelbare Interesse an der Wirksamkeit der Vollmacht, wenn seine Haftung durch § 179 Abs. 3 BGB ausgeschlossen ist. Und die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind erfüllt, wenn der Vertragspartner die Täuschung kannte oder kennen mußte (§ 142 Abs. 2 BGB), insbesondere also selbst get.äuscht hat. Es steht also in diesen Fällen dem Interesse des Vollmachtgebers an seiner Entschließungsfreiheit kein Interesse des Vertreters an der Wirksamkeit der Vollmacht gegenüber. Deshalb ist § 123 Abs. 2 S.l BGB nicht anwendbar 41 . Die Innenvollmacht ist also wegen arglistiger Täuschung auch bei Gutgläubigkeit des Vertreters dann anfechtbar, wenn der Vertragspartner die Täuschung kannte oder kennen mußte 42 . b) Die Bösgläubigkeit des Vertreters bei der Außenvollmacht Eine teleologische Reduktion des § 123 Abs. 2 S.l BGB könnte ebenfalls in Betracht kommen, wenn der Vollmachtgeber dem Vertragspartner eine Außenvollmacht erklärt hat und der Vertreter die Täuschung kannte (kennen mußte). Dies setzt voraus, daß auch in dieser Fallgruppe dem Interesse des Vertretenen an der Anfechtung seiner durch Täuschung beeinflußten Erklärung kein rechtlich schutzwürdiges Interesse des Erklärungsempfängers (Vertragspartners) gegenübersteht; eine Restriktion des § 123 Abs.2 S.l BGB wäre auch noch dann zu erwägen, wenn sich ein eindeutiges Übergewicht der Interessen des getäuschten Vollmachtgebers gegenüber denen des Dritten feststellen ließen. Eine Anfechtung der Außenvollmacht führte dazu, daß der gutgläubige Vertragspartner jedwede Ansprüche gegen den Vertretenen verlieren würde: die Erfüllungsansprüche aus dem Vertretergeschäft wegen der fehlenden Vollmacht des Vertreters (§§ 164 Abs.1; 142 Abs.1 BGB), Schadens41 Ähnlich Müller-Freienfels, Vertretung, S. 406f.; Waldeyer, Anscheinsvollmacht, S. 37f.; Weber, Handlungen, S. 89f. 42 Im Ergebnis ebenso, aber mit abweichenden Begründungen Staudinger / Coing, § 167, Rdn.27; Flurne, BGB AT II, § 52, 5 d; Kramer, in: MÜllchKomm., § 123, Rdn.21; Soergel / Schultze-v. Lasaulx, § 166, Rdn. 25; Thiele, in: MünchKomm., § 167, Rdn.100; v. Tuhr, BGB AT II 2, S. 390, die § 123 Abs. 2 S. 2 BGB analog anwenden wollen. BGB-RGRK-Steffen, § 167, Rdn. 26, sieht den täuschenden Vertragspartner nicht als "Dritten" i. S. d. § 123 Abs. 2 S.l BGB an. Für Jacobi, KritVJSchr. 49 (1911), 66, 107f., ist die Innenvollmacht keine i. S. v. § 123 Abs. 2 S.l BGB empfangsbedürftige Erklärung. Hupka, Vollmacht, S.149ff. (152), schließlich will eine Vollmachtsanfechtung gern. § 123 BGB immer schon dann zulassen, wenn entweder der Vertreter oder sein Vertragspartner die Anfechtbarkeit kannten oder kennen mußten.
D. Einschränkung gern. § 123 Abs. 2 S. 1 BGB
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ersatzansprüche mangels einer dem § 122 BGB entsprechenden Vorschrift bei einer Anfechtung nach § 123 BGB. Obwohl dem Vertragspartner keine Ansprüche gegen den Vollmachtgeber zustehen, könnte sein rechtliches Interesse am Bestand der Vertretungsmacht gleichwohl gering zu bewerten sein, wenn ihm statt dessen andere Ansprüche zustünden, welche sein Interesse an den verlorenen Ansprüchen kompensieren. Als solche kämen Ansprüche gegen den Vertreter aus § 179 BGB in Frage. Bei der Anfechtung einer Außenvollmacht aber haftet der Vertreter nicht aus § 179 Abs. 2 BGB, wenn er die Anfechtbarkeit der Vollmacht (§ 142 Abs. 2 BGB) lediglich fahrlässig nicht kannte 43 • Bei fahrlässiger Unkenntnis des Vertreters hätte der Vertragspartner also keinerlei Ansprüche, die sein Interesse an der Wirksamkeit der Vollmacht ausgleichen könnten. Bei der Anfechtung einer Außenvollmacht haftet der Vertreter aber dann aus § 179 Abs.1 BGB, wenn er die Anfechtbarkeit kannte (§ 142 Abs. 2 BGB). Er ist seinem Vertragspartner nach dessen Wahl zur Erfüllung oder zum Ersatz des positiven Interesses verpflichtet. Dieser Anspruch vermag das Interesse des Vertragspartners an der Wirksamkeit der Bevollmächtigung jedoch ebenfalls nicht zu kompensieren .. obwohl er sich mit dem Anspruch aus dem Vertretergeschäft deckt. Denn dem Dritten wird ein Realisierungsrisiko auferlegt, das er vorher nicht kalkulieren konnte. Er hatte sich den Vertretenen als Vertragspartner ausgewählt, dessen Finanzkraft seinen Dispositionen zugrundegelegt. Statt des ausgewählten Vertragspartners würde ihm nunmehr allein der Vertreter haften, der in der Regel nicht über die gleiche Finanzkraft wie der Vertretene verfügt. Häufig wird der Anspruch gegen den Vertreter aus § 179 Abs.1 BGB sogar wertlos sein. Insgesamt ist also festzustellen, daß das Interesse des Vertragspartners an der Wirksamkeit der ihm erklärten Vollmacht weder bei Kenntnis noch bei fahrlässiger Unkenntnis des Vertreters von der Täuschung durch Ansprüche aus § 179 BGB kompensiert wird. Vielmehr hat der Drittkontrahent ein rechtlich schützenswertes Interesse an der Wirksamkeit der Vollmacht. Da das Anfechtungsinteresse des Vollmachtgebers nicht eindeutig überwiegt, scheidet in dieser Fallgruppe also eine Restriktion des § 123 Abs. 2 S. 1 BGB aus. c) Ergebnis Die Anwendung des § 123 Abs. 2 S. 1 BGB ist ausgeschlossen, wenn der Vollmachtgeber durch eine dem Drittkontrahenten bekannte oder fahrlässig 43
Vgl. oben § 4
eIl 2.
190
§ 18 Voraussetzungen der Anfechtung nach § 123 BGB
unbekannte Täuschung zur Erteilung einer Innenvollmacht bestimmt worden ist. E. Einschränkung der Täuschungsanfechtung durch § 123 Abs. 2 S. 2 BGB?
Nach den bisherigen Erwägungen ist der gutgläubige Vollmachtgeber zur Anfechtung einer Innenvollmacht gern. § 123 BGB befugt, wenn der Vertreter die Täuschung kannte (kennen mußte). Dies würde bedeuten, daß eine Anfechtung der Innenvollmacht wegen arglistiger Täuschung auch dann möglich wäre, wenn der Vertragspartner des Vertreters die Täuschung weder kannte noch kennen mußte. Ein Teil des Schrifttums hält die Anfechtbarkeit der Innenvollmacht wegen Täuschung für untragbar, wenn der Vertragspartner des Vertreters diese weder kannte noch kennen mußte 44 • Um in diesem Fall zu einem Anfechtungsausschluß zu gelangen, wollen einige Autoren § 123 Abs. 2 S. 2 BGB analog anwenden: Eine Innenvollmacht sei wegen arglistiger Täuschung nur dann anfechtbar, wenn der Vertragspartner des Vertreters diese kannte oder kennen mußte45 ; dies folge aus dem inneren Zusammenhang zwischen der Vollmacht und dem Vertretergeschäft: "Der Vertreter erlangt das Recht aus der Bevollmächtigung zwar erst durch das Hinzutreten des Vertretergeschäfts, aber das Vertretergeschäft hat diese Wirkung nur kraft der Bevollmächtigung ... "46. Diese Begründung läßt sich schon mit dem Wortlaut des § 123 Abs. 2 S. 2 BGB nicht vereinbaren, verlangt dieser doch, daß der Dritte durch die Erklärung unmittelbar das Recht erwirbt und nicht - wie bei der Innenvollmacht - erst durch das "Hinzutreten des Vertretergeschäfts" . Dieses Wortlautargument würde für sich allein noch nicht ausreichen, um endgültig die Analogie abzulehnen. Deshalb ist zu prüfen, ob eine Analogie mit der Schutzfunktion des § 123 Abs. 2 S. 2 BGB in Einklang steht. Der Analogieschluß aus § 123 Abs. 2 S. 2 BGB - keine Anfechtung der Innenvollmacht, wenn der Vertragspartner des Vertreters hinsichtlich der Täuschung gutgläubig ist - würde voraussetzen, daß § 123 Abs. 2 S. 2 BGB die Anfechtbarkeit gegenüber § 123 Abs. 2 S. 1 BGB einschränkt: Nach S.l des § 123 Abs. 2 BGB ist die Anfechtung schon unzulässig, wenn der Erklärungsgegner die Täuschung nicht kannte (kennen mußte), nach S. 2 außer44 Brox, JA 1980, 449, 452; Flume, BGB AT 11, § 52, 5 d, und § 29,3; Hellwig, ZZP 29 (1901), 520, 528; Rosenberg, Stellvertretung, S. 731; Soergel / Schultze-v. Lasaulx, § 166, Rdn. 26; Thiele, in: MünchKomm., § 167, Rdn. 87. 45 Flume, BGB AT 11, § 52, 5 d, und § 29, 3; Soergel / Schultze-v.Lasaulx, § 166, Rdn. 26; Thiele, in: MünchKomm., § 167, Rdn. 87. 46 Flume, § 52, 5 d.
E. Einschränkung durch § 123 Abs. 2 S. 2 BGB?
191
dem dann, wenn der Erwerber eines Rechts aus der Erklärung hinsichtlich der Täuschung gutgläubig ist. Oder anders formuliert: Nur dann kann die Anfechtbarkeit analog § 123 Abs. 2 S. 2 BGB ausgeschlossen sein, wenn diese Vorschrift eine Schutzvorschrift zugunsten desjenigen ist, der aus der Erklärung ein Recht erlangt. Der Schutzzweck des § 123 Abs. 2 S. 2 BGB ist umstritten. Teilweise wird angenommen, daß § 123 Abs. 2 S. 2 BGB zugunsten desjenigen, der aus der Erklärung unmittelbar ein Recht erwirbt, die Anfechtbarkeit einschränkt, wenn dieser die Täuschung weder kannte noch kennen mußte 47 • Andere sehen dagegen in § 123 Abs. 2 S. 2 BGB allein eine Erweiterung der Anfechtungsbefugnis des Getäuschten: Diese Vorschrift gewähre ein Anfechtungsrecht gegenüber dem bösgläubigen Erwerber eines Rechts, obwohl der Erklärungsempfänger die Täuschung nicht kannte (kennen mußte) und deshalb eine Anfechtung diesem gegenüber an § 123 Abs. 2 S. 1 BGB scheitert48 . Der Wortlaut des § 123 Abs. 2 BGB spricht für die zweite Auffassung. § 123 Abs. 2 S. 1 BGB ist nämlich als in sich abgeschlossener Tatbestand formuliert. Es finden sich dort keine Anhaltspunkte dafür, daß die Zulässigkeit der Anfechtung von einer weiteren Voraussetzung - also Bösgläubigkeit des Erwerbers eines Rechts aus der Erklärung - abhängig sei. Und ebenso enthält § 123 Abs. 2 S. 2 BGB eine in sich abgeschlossene Regelung für den Fall, daß ein Dritter aus der Erklärung ein Recht erwirbt. Dem Wortlaut des § 123 Abs. 2 S. 2 BGB läßt sich kein Anhaltspunkt entnehmen, der auf eine Einschränkung des 1. S. hinweist 49 • Sonst aber weist das Gesetz durch die Einführung eines Adverbs wie "nur" , "lediglich" oder ähnliche Formulierungen (z.B. "es sei denn, daß ... ") gewöhnlich auf Einschränkungen deutlich hin, so auch in § 123 Abs. 2 S. 1 BGB ("nur")50. Da dies bei § 123 Abs. 2 S.2 BGB nicht der Fall ist, spricht der Wortlaut gegen eine Einschränkung des § 123 Abs. 2 S. 1 BGB durch S. 2. Außer dem Wortlaut spricht auch die Systematik des § 123 Abs. 2 BGB dafür, daß S. 2 nicht als Einschränkung des S.l verstanden werden kann. Denn diese beiden Sätze regeln unterschiedliche Rechtsfragen. Geht es in S. 1 allein um die Anfechtung der Erklärung gegenüber dem Erklärungsempfänger, so behandelt S. 2 die Anfechtung gegenüber einer Person, die 47 Z.B. BGHZ 31, 321, 327; Soergel/ Heferrnehl, § 123, Rdn.36 (anders aber Rdn. 37); Hirsch, JR 1960, 291, 295; Lehmann / Hübner, BGB AT, § 34 IV 3 a. 48 Z.B. Staudinger / Coing, § 123, Rdn. 40; Staudinger / Dilcher, § 123, Rdn. 37; Soergel / Heferrnehl, § 123, Rdn. 37 (anders Rdn. 36); Kramer, in: MünchKomm., § 123, Rdn. 20. 49 Diesen Gesichtspunkt hält Waldeyer, Anscheinsvollmacht, S. 35f., für entscheidend. 50 Vgl. z.B. § 107 BGB ("lediglich"), 109 Abs. 2 BGB ("nur"); § 932 Abs.1 BGB ("es sei denn, daß ... ").
192
§ 18 Voraussetzungen der Anfechtung nach § 123 BGB
nicht Empfänger der Erklärung ist. Systematisch kann deshalb § 123 Abs. 2 S. 2 BGB nur als eine Erweiterung des § 123 Abs. 2 S. 1 BGB verstanden werden: Selbst wenn nach S. 1 die Anfechtung gegenüber dem Erklärungsempfänger ausgeschlossen ist, weil dieser in bezug auf die Täuschung gutgläubig ist, kommt dennoch eine Anfechtung der Erklärung gegenüber dem Rechtserwerber in Betracht, wenn dieser bösgläubig ist. Schließlich läßt sich auch aus der Gesetzgebungsgeschichte - wie Waldeyer 51 aufgezeigt hat - nachweisen, daß § 123 Abs. 2 S. 2 BGB nicht als Einschränkung des § 123 Abs. 2 S. 1 BGB verstanden werden kann. In § 103 des 1. Entwurfs fehlte eine dem § 123 Abs.2 S. 2 BGB entsprechende Bestimmung, obwohl der Gesetzgeber erkannt hatte, daß die Erklärung durchaus auch einen Dritten begünstigen könnte. Der Entwurf hat aber auf eine Bestimmung, die die Anfechtung bei Bösgläubigkeit des Begünstigten zuläßt, im Interesse des gutgläubigen Erklärungsempfängers an der Wirksamkeit der Erklärung verzichtet 52 . Erst infolge der Kritik Stroh als 53 ist in die Bundesratsvorlage eine dem § 123 Abs. 2 S. 2 BGB entsprechende Regelung aufgenommen worden. Diese Regelung sollte also nicht dem Interesse eines aus der Erklärung Begünstigten dienen, sondern allein dem Getäuschten. Sein Interesse, die Erklärung anfechten zu können, wird in § 123 Abs. 2 S. 1 BGB geringer bewertet als das Interesse des gutgläubigen Erklärungsempfängers. In § 123 Abs. 2 S. 2 BGB wird dagegen dem Interesse des Getäuschten der Vorrang vor dem Interesse eines Bösgläubigen, der aus der Erklärung ein Recht erlangt, eingeräumt. Aus diesen Überlegungen folgt, daß § 123 Abs. 2 S. 2 BGB nicht S.l einschränkt, sondern daß S. 1 abschließend festlegt, wann eine Anfechtung gegenüber dem Erklärungsempfänger zulässig ist. Damit ergibt sich zugleich, daß aus § 123 Abs. 2 S. 2 BGB nicht mittels Analogie geschlossen werden kann, daß eine Innenvollmacht wegen Täuschung nicht anfechtbar sei, wenn der Vertragspartner diese nicht kannte (kennen mußte)54. Denn eine solche Rechtsfolge ordnet § 123 Abs.2 S. 2 BGB nicht an. Ist der Vollmachtgeber durch Täuschung zu einer Innenvollmacht bestimmt worden, ist diese also auch bei Gutgläubigkeit des Vertragspartners anfechtbar, wenn der Vertreter die Täuschung kannte (kennen mußte)55.
Anscheinsvollmacht, S. 34f. Vgl. Motive I, S. 207 = Mugdan I, S. 466. 53 JherJB 34 (1895), 325, 347f., und (Nachtrag) S. 375f. 54 Ebenso Waldeyer, Anscheinsvollmacht, S. 31ff. 55 I. E. ebenso Hupka, Vollmacht, S. 149ff. (152); Jacobi, KritVJSchr. 49 (1911), 66, 107; Waldeyer, Anscheinsvollmacht, S. 35f.; Weber, Handlungen, S. 89. 51
52
C. Rechtsfolgen bei Täuschung
193
§ 19 Der Anfechtungsgegner und die Rechtsfolgen
der Vollmachtsanfechtung nach § 123 BGB A. Der Anfechtungsgegner
Ebenso wie bei der Irrtumsanfechtung bestimmt sich der Anfechtungsgegner auch bei der Vollmachtsanfechtung wegen Täuschung und Drohung nach § 143 Abs. 3 BGB. Auch bei der Vollmachtsanfechtung gern. § 123 BGB ist also der tatsächliche Empfänger der Vollmachtserklärung Anfechtungsgegner 56 • Die Anfechtung einer Innenvollmacht ist also dem Vertreter, die Anfechtung einer Außenvollmacht dem Vertragspartner des Vertreters zu erklären. B. Die Rechtsfolgen der Vollmachtsanfechtung wegen Drohung
Ist der Vollmachtgeber durch eine Drohung zur Erteilung einer Vollmacht bestimmt worden, ist er stets zur Anfechtung seiner Erklärung berechtigt. Eine Anfechtung ist für ihn nicht mit einer Schadensersatzverpflichtung verbunden. Da durch die Anfechtung die Innenvollmacht des Vertreters ex tunc entfällt (§ 142 Abs.1 BGB), hat er ohne Vertretungsmacht mit seinem Vertragspartner kontrahiert. Ob er deshalb aus § 179 BGB haftet und ggf. in welchem Umfang, richtet sich nach den gleichen Grundsätzen wie bei der Irrtumsanfechtung57 • Neben dem Vertreter ist ggf. auch der Drohende aus culpa in contrahendo oder unerlaubter Handlung zum Schadensersatz verpflichtet 58 : zwar erleidet der Vertretene, der Inhaber des Anspruchs ist, keinen eigenen Schaden, er kann aber den dem Vertreter oder dem Drittkontrahenten entstandenen Schaden nach den Grundsätzen der Drittschadensliquidation geltend machen 59 •
c. Die Rechtsfolgen der Vollmachtsanfechtung wegen Täuschung Ist der Vollmachtgeber durch Täuschung zu einer Vollmachtserteilung bestimmt worden, ist er zu einer Anfechtung nicht immer berechtigt. Vielmehr ist sie ausgeschlossen, wenn bei der Außenvollmacht der VertragspartVgl. oben § 4 A, B. Vgl. dazu oben § 4 C II, D I sowie die Übersicht sogleich § 19 D. 58 Z.B. Staudinger / Coing, § 143, Rdn. 44ff.; Staudinger / Dilcher, § 123, Rdn. 47f., 69; Flurne, BGB AT II, § 27,4; Soergel / Hefermehl, § 123, Rdn. 62; Kramer, in: MünchKomm, § 123, Rdn. 30, 43. 59 Vgl. dazu oben § 6 A II 2 c. 56 57
13 Stüsser
§ 19 Vollmachtsanfechtung nach § 123 BGB
194
ner des Vertreters gutgläubig war, und bei der Innenvollmacht, wenn sowohl der Vertreter als auch dessen Vertragspartner hinsichtlich der Täuschung gutgläubig waren. Erleidet der Vertretene durch die Vertretergeschäfte einen Schaden, weil er die Vollmacht nicht anfechten darf, werden ihm häufig Ansprüche gegen den Täuschenden aus culpa in contrahendo oder aus unerlaubter Handlung zustehen. Für die Haftung des Vertreters gegenüber seinem Vertragspartner gilt das zur Irrtumsanfechtung Gesagte entsprechend 6o . D. Anhang § 19: Tabellarische Übersicht zur Vollmachtsanfechtung gem. § 123 BGB (V
= Vertreter, D = Vertragspartner des Vertreters) A. Vollmachtsanfechtung wegen Drohung
I. V droht (= kennt Drohung)
LInnenvollmacht a) D kennt nicht D~V:§179I
b) D kennt/müßte kennen D ~ V: (-), §§ 14211, 179 III 1 2. Außenvollmacht a) D kennt nicht D~V:§179I
b) D kennt/müßte kennen D ~ V: (-), §§ 14211, 179 III 1 11. D droht (= kennt Drohung) D ~ V: (-), §§ 14211, 179 III 1a) III. "Vierter" droht 1. Innenvollmacht
a) V kennt nicht (1) D kennt nicht D~V:§17911
(2) D kennt/müßte kennen D ~ V: (-), §§ 14211, 179 III 1 b) V müßte kennen (1) D kennt nicht D~V:§17911 60
Vgl. oben § 4 C 11, D I sowie die Übersicht sogleich § 19 D.
D. Anhang: Tabellarische Übersicht
(2) D kennt/müßte kennen D ~ V: (-), §§ 14211, 179 III 1 c) Vkennt (1) D kennt nicht D~V:§179I
(2) D kennt/müßte kennen D ~ V: (-), §§ 14211, § 179 III 1 2. Außenvollrnacht a) V kennt nicht D ~ V: (-), teleologische Reduktion des § 17911b ) b) V kennt fahrlässig nicht D ~ V: (-), teleologische Reduktion des § 17911b) c) Vkennt (1) D kennt nicht D~V:§179I
(2) D kennt/müßte kennen D ~ V: (-), §§ 14211, 179 III 1 B. Vollmachtsanfechtung wegen Täuschung
I. V täuscht (= kennt Täuschung)
1. Innenvollmacht a) D kennt nicht Anfechtung: (+) D~V:§179I
b) D kennt/müßte kennen Anfechtung: (+) D ~ V: (-), §§ 14211, 179 III 1 2. Außenvollrnacht a) D kennt nicht Anfechtung: (-), § 123 11 1 b) D kennt/müßte kennen Anfechtung: (+) D ~ V: (-), §§ 14211, 179 III 1 11. D täuscht (= kennt Täuschung) 1. Innenvollmacht a) V kennt nicht Anfechtung: (+), teleologische Reduktion des § 12311 1c) D ~ V: (-), §§ 14211, 179 III 1 13·
195
196
§ 19 Vollmachtsanfechtung nach § 123 BGB
b)
v kennt/müßte kennen
Anfechtung: (+) D ~ V: (-), §§ 142 II, 179 III 1
2. Außenvollmacht Anfechtung: (+) D ~ V: (-), §§ 142 II, 179 III 1a ) III. "Vierter" täuscht 1. Innenvollmacht a) V kennt nicht (1) D kennt nicht Anfechtung:(-), § 123 II 1 (2) D kennt/müßte kennen Anfechtung: (+), teleologische Reduktion des § 123 II 1c) D ~ V: (-), §§ 142 II, 179 III 1 b) V kennt fahrlässig nicht (1) D kennt nicht Anfechtung: (+) D~V: § 179II (2) D kennt/müßte kennen Anfechtung: (+) D ~ V: (-), §§ 142 II, 179 III 1 c) Vkennt (1) D kennt nicht Anfechtung: (+) D~V: § 1791 (2) D kennt/müßte kennen Anfechtung: (+) D ~ V: (-), §§ 142 II, 179 III 1 2. Außenvollmacht a) V kennt nicht (1) D kennt nicht Anfechtung: (-), : 123 11 1 (2) D kennt/müßte kennen Anfechtung: (+) D ~ V: (-), teleologische Reduktion des § 179 b) V kennt fahrlässig nicht (1) D kennt nicht Anfechtung: (-), § 123 11 1
A. Vollmachtsanfechtung wegen Drohung
197
(2) D kennt/müßte kennen Anfechtung: (+) D ~ V: (-), teleologische Reduktion des § 179b ) c) Vkennt (1) D kennt nicht Anfechtung: (-), § 123 II 1 (2) D kennt/müßte kennen Anfechtung: (+) D ~ V: (-), §§ 142 II, 179 III 1 Anmerkungen zu § 19 D: a) ist § b) c)
Kennt V die Anfechtbarkeit einer Außenvollmacht nicht oder fahrlässig nicht, 179 11 nicht anwendbar (teleologische Reduktion); vgl. oben § 4 C 11 2. Vgl. oben § 4 eIl 2. Vgl. oben § 18 D 11 2 a).
§ 20 Wertung der Ergebnisse des 5. Abschnitts A. Die Vollmachtsanfechtung wegen Drohung I. Der Vertreter und/oder sein Vertragspartner kannten die Drohung (mußten sie kennen)
War die Drohung nur dem Vertragspartner des Vertreters bekannt (fahrlässig unbekannt), hat er einen aus dem Abschluß des Vertretergeschäfts entstehenden Schaden selbst zu tragen. Durch die Vollmachtsanfechtung verliert er seine Ansprüche aus dem Vertretergeschäft. Ein Anspruch gegen den Vertreter scheitert an § 179 Abs. 3 S.l BGB. Umgekehrt hat grundsätzlich der Vertreter den aus dem Vertretergeschäft entstehenden Schaden zu tragen, wenn nur er die Drohung kannte oder kennen mußte: er ist seinem Vertragspartner aus § 179 BGB zum Schadensersatz verpflichtet. Bei fahrlässiger Unkenntnis haftet er allerdings dann nicht, wenn der Vollmachtgeber eine Außenvollmacht erteilt hatte. Und wenn sowohl der Vertreter als auch sein Vertragspartner die Drohung kannten (kennen mußten), haftet der Vertreter wegen § 179 Abs. 3 S.l BGB nicht, sein Vertragspartner hat einen ihm entstandenen Schaden selbst zu tragen. Diese Ergebnisse sind interessengerecht. Denn einen durch den Abschluß des Vertretergeschäfts entstandenen Schaden hat der zu tragen, der dem Schaden deshalb näher steht, weil er ihn kannte oder kennen mußte. Die Ausnahme bei fahrlässiger Unkenntnis des Vertreters im Fall der Außenvollmacht rechtfertigt sich aus der besonderen Vertrauenssituation 61 • Und 61
Vgl. oben § 4
eIl 2 a.
§ 20 Wertung der Ergebnisse
198
daß der Vertragspartner des Vertreters einen Schaden zu tragen hat, wenn beide Vertragsschließenden die Drohung kannten (kennen mußten), deckt sich mit der Interessenbewertung des § 179 BGB. Gleichwohl sehen Rosenberg 62 und Brox63 einen Widerspruch zur gesetzlichen Wertung der Interessen, sofern der Vertreter seinem Vertragspartner aus § 179 BGB schadensersatzpflichtig ist. Dieser ergebe sich daraus, daß dem Vertragspartner nur deliktische Ansprüche gegen den Drohenden zustehen würden, wenn der Bedrohte nicht zu einer Bevollmächtigung bedroht worden wäre, sondern unmittelbar zur Abgabe der vertraglichen Erklärung gegenüber dem Vertragspartner. Dieser Einwand orientiert sich einseitig an den Wertungen des § 123 BGB und beachtet nicht die des Vertretungsrechts. § 123 BGB läßt sich allein entnehmen, daß der Bedrohte seine Erklärung anfechten kann, ohne daß ihm dadurch eine dem § 122 BGB entsprechende Haftung auferlegt wird. Dagegen regelt diese Vorschrift nicht, wer einen durch die Anfechtung entstehenden Schaden zu tragen hat, wenn mehrere durch die Anfechtung potentiell geschädigt werden. Im Verhältnis zwischen dem Vertreter und seinem Vertragspartner enthält § 179 BGB diese Entscheidung des Gesetzes. Deshalb muß diese gesetzliche Wertung bei der Anfechtung einer Vollmacht wegen Drohung berücksichtigt werden. Sofern hiernach der Vertreter seinem Vertragspartner haftet, entspricht die Haftung also der gesetzlichen Interessenbewertung.
n.
Weder der Vertreter noch sein Vertragspartner kannten die Drohung (mußten sie kennen)
Kannten weder der Vertreter noch sein Vertragspartner die Drohung, hängt es von der Art der Vollmacht ab, ob dem Vertragspartner Ansprüche gegen den Vertreter zustehen: bei der Innenvollmacht haftet der Vertreter seinem Vertragspartner aus § 179 Abs.2 BGB, bei der Außenvollmacht nicht. Dieses Ergebnis erscheint unter zwei Gesichtspunkten nicht unproblematisch. Dem Vertreter wird bei der Anfechtung einer Innenvollmacht die Haftung aus § 179 Abs. 2 BGB auferlegt, obwohl er bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt die Drohung nicht erkennen konnte und ohne daß er seinerseits von dem Vertretenen Ersatz erhalten kann. Außerdem hängt es allein von der Art der Vollmacht (Innen- oder Außenvollmacht) ab, ob im Ergebnis der Vertreter oder sein Vertragspartner den Vertrauensschaden zu tragen hat. Brox64 sieht in der Haftung des Vertreters aus § 179 Abs. 2 BGB einen Verstoß gegen die gesetzliche Interessenbewertung, weil er nicht seinerseits 62 63
64
Stellvertretung, S. 744f. Brox, JA 1980, 449, 453. JA 1980, 449, 453.
B. Vollmachtsanfechtung wegen Täuschung
199
vom Vertretenen Ersatz erhält. Das Gesetz wertet jedoch in § 179 Abs. 2 BGB die Interessen des Vertragspartners höher als die des Vertreters. Diese Entscheidung des Gesetzes ist für die Innenvollmacht auch sachgerecht, weil der Vertreter bei seinem Vertragspartner ein Vertrauen erweckt hat, das durch die Vollmachtsanfechtung enttäuscht wird. Es ist zwar in der Tat eine Härte für den Vertreter, daß ihm kein Anspruch auf Ersatz seines Schadens gegen den Vollmachtgeber zusteht 65 • Der Gesetzgeber hat aber in § 123 BGB bindend festgeschrieben, daß sich der Bedrohte ohne Schadensersatzverpflichtung von seiner Erklärung lösen kann. Deshalb entspricht die Schadensersatzpflicht des Vertreters aus § 179 Abs. 2 BGB der gesetzlichen Interessenbewertung. Dies gilt ebenso dafür, daß bei der Außenvollmacht der Vertragspartner keinen Schadensersatz erhält. Hier gründet sein Vertrauen auf der Erklärung des Vollmachtgebers, der sich ohne Sanktion von seiner Erklärung lösen darf. Für einen Anspruch auf Ersatz des Vertrauensschadens gegen den Vertreter sind also die Voraussetzungen nicht erfüllt. Da die erzielten Ergebnisse sowohl bei der Anfechtung einer Innenvollmacht als auch einer Außenvollmacht der gesetzlichen Interessenbewertung entsprechen, sind also die unterschiedlichen Rechtsfolgen bei der Innenund der Außenvollmacht im Gesetz angelegt. Dies leuchtet auch ohne weiteres ein: Der Schaden ist von dem zu tragen, der der Schadensquelle näher steht, weil ihm gegenüber die erzwungene Erklärung abgegeben worden ist. B. Die Vollmachtsanfechtung wegen arglistiger Täuschung I. Einleitung
Unterschiede in den Rechtsfolgen der Anfechtung wegen Drohung und arglistiger Täuschung ergeben sich allein durch die Vorschrift des § 123 Abs.2 BGB. Diese Vorschrift schränkt die Anfechtbarkeit einer Willenserklärung ein, wenn sie aufgrund einer Täuschung abgegeben wurde. Deshalb kann sich die Darstellung darauf beschränken, den sich aus § 123 Abs. 2 BGB ergebenden Besonderheiten nachzugehen. Es sind also zunächst die Fälle zu untersuchen, in denen die Vollmachtsanfechtung durch § 123 Abs. 2 BGB ausgeschlossen ist; sodann wird auf die Fälle einzugehen sein, in denen die Zulässigkeit der Anfechtung im Hinblick auf § 123 Abs. 2 BGB problematisch erscheint. 11. Der Ausschluß der Anfechtung durch § 123 Abs. 2 S.1 BGB
Dem Vollmachtgeber, der durch eine Täuschung zur Erteilung der Vollmacht bestimmt worden ist, ist die Anfechtung verwehrt, wenn weder der 65 Häufig wird sich ein solcher Anspruch aber aus dem der Vollmacht zugrundeliegenden Rechtsverhältnis ergeben, etwa aus § 670 BGB.
200
§ 20 Wertung der Ergebnisse
Vertreter noch sein Vertragspartner die Täuschung kannten oder kennen mußten; darüber hinaus bei der Außenvollmacht, wenn allein der Vertragspartner des Vertreters gutgläubig ist.
1. Gutgläubigkeit des Vertreters und seines Vertragspartners Sind bei einer von einer Täuschung beeinflußten Vollmacht sowohl der Vertreter als auch sein Vertragspartner hinsichtlich der Täuschung gutgläubig, deckt sich der Ausschluß der Anfechtbarkeit sowohl mit den Wertungen des § 123 BGB als auch mit denen des Vertretungsrechts. Aus der Beteiligung von drei Personen am Zustandekommen des Vertretergeschäfts, nämlich des Vollmachtgebers, des Vertreters und seines Vertragspartners, ergeben sich hier keine Besonderheiten im Vergleich zum Normalfall des § 123 BGB. Auch wenn der Vollmachtgeber unmittelbar die Vertragserklärung abgegeben hätte, hätte er diese wegen § 123 Abs. 2 BGB nicht anfechten können. Vertretungsrechtlich ergeben sich hier deshalb keine Besonderheiten, weil der Vollmachtgeber an die Vertretergeschäfte gebunden ist; deshalb stellt sich insbesondere nicht die Frage nach der Haftung des Vertreters aus § 179 BGB.
2. Gutgläubigkeit nur des Vertragspartners bei der Außenvollmacht Ist nur der Vertragspartner, dem die Vollmacht erklärt worden ist, gutgläubig, so ist dem Vollmachtgeber die Täuschungsanfechtung verwehrt, auch wenn der Vertreter die Täuschung kannte (kennen mußte), insbesondere also selbst den Vollmachtgeber getäuscht hat. Hupka 66 will in diesem Fall die Anfechtung zulassen. Der getäuschte Vollmachtgeber sei schutzwürdiger als der gutgläubige Drittkontrahent. Diesem könne der Schutz des § 123 Abs. 2 S.l BGB versagt bleiben, weil es auch bei der Irrtumsanfechtung nicht auf seine Kenntnis (fahrlässige Unkenntnis) ankommt. Schon für die Behauptung, der Vollmachtgeber sei schutzwürdiger als der gutgläubige Vertragspartner, lassen sich dem Gesetz keine Anhaltspunkte entnehmen. § 123 Abs. 2 S.l BGB enthält im Gegenteil die Entscheidung, daß die Interessen des gutgläubigen Erklärungsempfängers an der Wirksamkeit der Erklärung höher zu bewerten sind als die des Getäuschten. Sofern sich nicht aufgrund einer atypischen Lage ergibt, daß im Einzelfall die Voraussetzungen für die gesetzliche Interessenbewertung nicht gegeben sind, ist die Wertentscheidung des Gesetzes bindend. Für die hier unter66
Vollmacht, S. 149ff.
B. Vollmachtsanfechtung wegen Täuschung
201
suchte Fallgestaltung - Bösgläubigkeit des Vertreters hinsichtlich der Täuschung bei einer Außenvollmacht - ist schon oben 67 gezeigt worden, daß die Voraussetzungen für ein Abrücken von der gesetzlichen Bewertung der Interessenlage nicht gegeben sind. Aber auch der zweite Einwand Hupkas, dem Vertragspartner könne der Schutz des § 123 Abs. 2 S.l BGB versagt bleiben, weil es auch bei der Irrturnsanfechtung nicht auf seine Kenntnis (Kennenmüssen) ankomme, überzeugt nicht. Bei der Irrtumsanfechtung konnte das Gesetz eine Anfechtung gegenüber dem gutgläubigen Erklärungsempfänger deshalb zulassen, weil es ihm in § 122 BGB einen Anspruch auf Ersatz des negativen Interesses gegen den Anfechtenden gewährt. Eine entsprechende Ersatzpflicht löst die Anfechtung nach § 123 BGB aber gerade nicht aus. Deshalb läßt sich weder mit der fehlenden Schutzwürdigkeit des Vertragspartners noch mit einem Vergleich zur Irrtumsanfechtung begründen, § 123 Abs. 2 S.l BGB sei nicht anwendbar. Den Wertungen sowohl des Vertretungsrechts als auch des § 123 BGB entspricht es vielmehr, trotz der Bösgläubigkeit des Vertreters die Anfechtung der Außenvollmacht nicht zuzulassen, wenn der Drittkontrahent die Täuschung weder kannte noch kennen mußte. Für den Vollmachtgeber ist es kein entscheidender Unterschied, ob er aufgrund einer Täuschung die Vertragserklärung selbst abgegeben hat und unanfechtbar gebunden ist oder ob er aufgrund der Täuschung eine Außenvollmacht erteilt und sich von dem Vertretergeschäft nicht lösen kann. Deshalb ist kein Grund ersichtlich, den Getäuschten besser zu stellen, der eine Außenvollmacht erteilt hat, als den, der selbst unmittelbar die vertragliche Erklärung abgegeben hat. Dagegen würde der Vertragspartner unbillig belastet, ließe man die Anfechtung zu. Denn hätte ihm der Vertretene z.B. ein Vertragsangebot abgegeben, wäre dieses nicht anfechtbar, dem Vertragspartner blieben die vertraglichen Ansprüche erhalten. Ebenso muß es dann aber auch bei der Außenvollmacht sein. Denn wenn die Vertragserklärung im Rahmen der Vertretungsmacht abgegeben wird, kann sich der Drittkontrahent - abgesehen von Willensmängeln des Vertreters (arg. § 166 Abs.l BGB) - auf die Wirksamkeit des Vertretergeschäfts ebenso verlassen, als habe der Vertretene unmittelbar mit ihm kontrahiert. Dies bedeutet zwar nicht, daß der Vertragspartner davon ausgehen kann, das Vertretergeschäft sei nicht von Willensmängeln beeinflußt. Es kann ihm aber nicht zugemutet werden, sich solche Willensmängel entgegenhalten zu lassen, die - hätte sein Vertragspartner selbst die vertragliche Erklärung abgegeben - nicht zur Anfechtung berechtigt hätten. 67
§ 18 D II 2 b.
202
§ 20 Wertung der Ergebnisse
Deshalb besteht auch insoweit kein Anlaß, § 123 Abs. 2 S.l BGB nicht anzuwenden.
m.
Die Anfechtbarkeit der Innenvollmacht trotz Gutgläubigkeit des Vertragspartners
Ist dem Vertreter aufgrund einer Täuschung, die er kannte (kennen mußte), eine Innenvollmacht erteilt worden, ist diese anfechtbar, auch wenn der Vertragspartner des Vertreters die Täuschung weder kannte noch kennen mußte. Daß dieses Ergebnis, das von einigen Autoren 68 als untragbar angesehen wird, mit der Wertung des § 123 BGB übereinstimmt, ist schon oben 69 nachgewiesen worden. Hier ist deshalb allein noch zu untersuchen, ob es auch mit den Wertungen des Vertretungsrechts übereinstimmt. Der Vertragspartner verliert infolge der Vollmachts anfechtung seine Ansprüche gegen den Vertretenen aus dem Vertretergeschäft. Dadurch aber wird er nicht unbillig belastet. Er hat allein aufgrund der Behauptung des Vertreters auf die Vollmacht vertraut, sich dadurch Mängeln des Innenverhältnisses blind ausgesetzt. Wäre dem Vertreter nie eine Vollmacht erteilt worden, hätten seinem Vertragspartner nur Ansprüche gegen den Vertreter aus § 179 BGB zugestanden. Deshalb wird er nicht unbillig belastet, wenn er bei einer Vollmachtsanfechtung ebenfalls auf Ansprüche gegen den Vertreter verwiesen wird. Hiergegen läßt sich nicht argumentieren, daß der Vertretene dann nicht anfechten dürfte, hätte er selbst die Vertragserklärung abgegeben 70 . Denn dann gründete das Vertrauen des Vertragspartners auf einem Verhalten des Getäuschten selbst. Deshalb sind diese beiden Fälle nicht miteinander vergleichbar. Auch der Vertreter wird durch die Haftung aus § 179 BGB nicht unbillig belastet, zumal er die Täuschung kannte oder kennen mußte 7l . Deshalb ist die Anfechtung der Innenvollmacht trotz Gutgläubigkeit des Vertragspartners auch mit den Wertungen des Vertretungsrechts vereinbar.
c.
Ergebnis
Auch die Anfechtung der Vollmacht wegen Drohung und arglistiger Täuschung führt zu Ergebnissen, die den gesetzlichen Wertungen entsprechen. Deshalb ist eine Einschränkung der Anfechtbarkeit der Vollmacht gern. § 123 BGB über die bei der Irrtumsanfechtung hinaus 72 nicht erforderlich. Vgl. die Nachw. oben in Fn. 44. § 18 E. 70 So aber Rosenberg, Stellvertretung, S. 73l. 71 Vgl. oben § 20 A II, wonach der Vertreter bei der Anfechtung wegen Drohung sogar haftet, wenn er diese nicht kennen mußte. 68 69
A. Vollmachtsanfechtung nach bürgerlichem Recht
203
§ 21 Schlußbetrachtung des 1. Teils und Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse
A. Schlußbetrachtung zur Vollmachtsanfechtung nach bürgerlichem Recht Am Anfang dieser Untersuchung stand die Frage, ob die Vollmacht selbst überhaupt Gegenstand der Anfechtung ist oder ob wegen Willensmängeln bei der Bevollmächtigung allein eine Anfechtung des Vertretergeschäfts zulässig ist. Es ist gezeigt worden, daß die Anfechtung einer Vollmacht wegen Irrtums und wegen Täuschung und Drohung zu Ergebnissen führt, die mit den gesetzlichen Wertungen übereinstimmen. Deshalb ist es nicht zulässig, von der Konzeption des Gesetzes abzuweichen, nach der die Vollmacht Willenserklärung und deshalb selbst wegen eines Willensmangels anfechtbar ist.
Auch die sonstigen gegen die Anfechtung der Vollmacht vorgebrachten Argumente haben sich im Ergebnis als im bürgerlichen Recht nicht stichhaltig erwiesen. Dies gilt insbesondere für die Versuche, aus den §§ 171 Abs.l, 172 Abs.l BGB sowie aus der Duldungs- und Anscheinsvollmacht Rückschlüsse auf die Unanfechtbarkeit der Vollmacht zu ziehen. Es hat sich vielmehr im Verlauf dieser Untersuchung gezeigt, daß auch diese Rechtsscheinvollmachten anfechtbar sind: der Vertretene wird an den Rechtsschein einer Vollmacht ebenso wie an eine Außenvollmacht gebunden, der Vertragspartner des Vertreters ebenso geschützt. Dem Vertrauen des Vertragspartners wird bei der Anfechtung der Vollmacht und auch der Rechtsscheinvollmacht Rechnung getragen. Wenn er aufgrund des Verhaltens des Vertretenen auf eine Vollmacht des Vertreters vertraut hat und vertrauen durfte, wird dieses Vertrauen bei der Außenvollmacht und den Rechtsscheinvollmachten gleichermaßen geschützt. Vertrauensschutz gewähren, bedeutet aber nicht, den Vertretenen im Interesse des Vertragspartners unanfechtbar an diese Tatbestände zu binden. Eine endgültige Bindung des Vertretenen setzt vielmehr voraus, daß dem Vertretenen sein Verhalten zuzurechnen und ihm eine Anfechtung versagt ist. Die Voraussetzungen für eine Zurechnung des objektiven Tatbestandes sind bei der rechtsgeschäftlichen Vollmacht und der Rechtsscheinvollmacht gleich, ebenso die Anfechtungsvoraussetzungen. Da auch der Geschäftsverkehr die Unsicherheiten hinnehmen kann, die eine Vollmachtsanfechtung mit sich bringt, ist im bürgerlichen Recht eine Vollmachtsanfechtung zulässig. 72
Vgl. dazu oben § 6 B 11, C.
204
§ 21 Schlußbetrachtung des 1. Teils
B. Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse des 1. Teils 1. Eine Vollmacht ist wegen Irrtums und wegen Drohung und arglistiger Täuschung anfechtbar. Die Anfechtung einer Innenvollmacht ist gegenüber dem Vertreter, die der Außenvollmacht gegenüber dem Vertragspartner des Vertreters zu erklären. Eine Täuschungsanfechtung ist gern. § 123 Abs. 2 S.l BGB ausgeschlossen, wenn weder der Vertreter noch sein Vertragspartner die Täuschung kannten (kennen mußten). Eine Außenvollmacht ist auch dann unanfechtbar, wenn der Vertragspartner des Vertreters die Täuschung nicht kannte oder kennen mußte.
2. Wird eine Vollmacht angefochten, haftet der Vertreter seinem Vertragspartner aus § 179 Abs. 1 BGB, wenn er die Anfechtbarkeit kannte. Bei der Innenvollmacht haftet der Vertreter aus § 179 Abs. 2 BGB, wenn er die Anfechtbarkeit nicht kannte. Die Ersatzpflicht des Vertreters ist ausgeschlossen, wenn der Vertragspartner die Anfechtbarkeit der Vollmacht kannte oder kennen mußte (§ 179 Abs. 3 S.l BGB). Bei der Irrtumsanfechtung haftet der Vollmachtgeber dem gutgläubigen Empfänger der Vollmachtserklärung aus § 122 Abs.1 BGB auf das negative Interesse. 3. Der Vollmachtgeber kann wegen jedes gern. § 119 BGB beachtlichen Irrtums und wegen Täuschung und Drohung die Vollmacht anfechten. Die Anfechtung ist ausgeschlossen, wenn der Willensmangel für das Vertretergeschäft bedeutungslos gewesen ist. Hat der Vertreter aufgrund der Vollmacht mehrere Vertretergeschäfte abgeschlossen, muß der Vertretene die Geschäfte genehmigen (§ 177 BGB), auf die sich der Willensmangel nicht ausgewirkt hat. 4. Eine stillschweigende Vollmacht ist eine rechtsgeschäftliche Bevollmächtigung. Sie ist ebenso anfechtbar wie eine ausdrückliche Vollmacht. 5. Die Vollmachtskundgaben der §§ 171 Abs.1, 172 Abs.1 BGB sowie die Duldungsvollmacht begründen eine Rechtsscheinhaftung des Vertretenen. Sie legitimieren den Vertreter ebenso wie eine rechtsgeschäftliche Vollmacht. Eine Anfechtung der Rechtsscheinvollmachten ist unter den gleichen Voraussetzungen zulässig wie bei der rechtsgeschäftlichen Vollmacht; die Rechtsfolgen entsprechen denen der Anfechtung einer Außenvollmacht. 6. Auch die Anscheinsvollmacht begründet eine Rechtsscheinhaftung des Vertretenen. Diese ist aber stets durch Anfechtung analog § 119 BGB zu beseitigen; die Rechtsfolgen entsprechen denen der Anfechtung einer Außenvollmacht. 7. Wird der Vertreter durch eine rechtsgeschäftliche Vollmacht und zugleich durch eine Rechtsscheinvollmacht legitimiert, ist der Vertretene an die Vertretergeschäfte nur dann nicht gebunden, wenn er beide Legitimationen wirksam anficht.
Zweiter Teil
Die Anfechtung der Vollmacht nach Handelsrecht 1. Abschnitt
Die Geltung der Rechtsgeschäftslehre im Handelsrecht § 22 Die besondere Problematik der Anfechtung
der handelsrechtlichen Vollmachten
A. Die Auswirkungen einer Vollmachtsanfechtung im Handelsrecht Während die von einem Privatmann erteilte Vollmacht bürgerlichen Rechts in der Regel nur zum Abschluß eines einzigen oder bestimmter einzelner Geschäfte mit einem Vertragspartner dient, kommt den handelsrechtlichen Vollmachten eine andere qualitative und quantitative Bedeutung zu. Ein qualitativer Unterschied ergibt sich zunächst aus dem Umfang der Vertretungsmacht handelsrechtlicher Vollmachten. So ist der Umfang der Prokura in §§ 49, 50 HGB so weit umschrieben, daß Thöl den Prokuristen einen "alter ego, (einen) Doppelgänger seines Principals"l nannte und lehrte: "Ein Weinhändler, von seiner Reise zurückkehrend, kann sich als Banquier wiederfinden. "2 Eine Vollmacht dieses Umfangs ist für das bürgerliche Recht kaum vorstellbar. Ähnliches gilt für den Umfang einer Generalhandlungsvollmacht (§ 54 Abs.l 1. Fall HGB). Eine weitere qualitative Besonderheit der handelsrechtlichen Vollmachten gegenüber denen des bürgerlichen Rechts besteht darin, daß das Handelsrecht Vollmachten kennt, deren Umfang vom Gesetz festgeschrieben ist, so daß Beschränkungen durch den Vertretenen nicht möglich sind. Für die hier interessierende Prokura ergibt sich dies aus § 50 Abs.l HGB. Weiterhin ist zu erwähnen, daß die handelsrechtlichen Vollmachten - im Gegensatz zu den bürgerlichrechtlichen - auf den Abschluß einer Vielzahl von Geschäften hin typisiert ausgestaltet sind. Dies gilt nicht nur für Pro1 Handelsrecht, S. 201; ebenso z.B. Weimar, Der Prokurist als das zweite Ich des Prinzipals, MDR 1981, 898. 2 Handelsrecht, S. 202.
206
§ 22 Handelsrechtliche Problematik der Vollmachtsanfechtung
kura und Generalhandlungsvollmacht, sondern ebenfalls für die Art - und sogar die Spezialhandlungsvollmacht: Auch hinsichtlich der letzteren spricht § 54 Abs.1 HGB von den Vertretergeschäften nur im Plural. Und schließlich unterscheiden sich das bürgerliche und das Handelsrecht dadurch, daß hier die Bestellung eines Vertreters ein ganz alltäglicher Vorgang ist. Der Privatmann dagegen ist gewöhnlich in der Lage, alle Geschäfte selbst abzuschließen; deshalb ist dort die Einschaltung von Vertretern die Ausnahme. Der vielleicht bedeutsamste Unterschied zwischen dem Qürgerlichen und dem Handelsrecht im Hinblick auf das Vertretungsrecht liegt darin, daß im Handelsverkehr hierarchische Vertretungssysteme anzutreffen sind. Die Vertretungsmacht des Prokuristen umfaßt alle Geschäfte und Rechtshandlungen, die der Betrieb eines Handelsgewerbes mit sich bringt (§ 49 Abs. 1 HGB). Zu diesem gehört auch die Erteilung von Handlungsvollmachten. Da die Vollmacht des Generalhandlungsbevollmächtigten (§ 54 Abs.1 1. Fall HGB) innerhalb des Geschäftszweiges des Prinzipals ähnlich weit ist wie die des Prokuristen, kann auch der Generalhandlungsbevollmächtigte seinerseits Handlungsvollmachten (Art- und Spezialhandlungsvollmachten) erteilen. Hierdurch ist es möglich, daß sämtliche Vollmachten, die für einen Kaufmann erteilt worden sind, zum Beispiel auf einer einzigen Prokura beruhen. Ist dem Inhaber bei der Erteilung dieser Prokura ein Irrtum unterlaufen und wäre es ihm gestattet, deshalb die Prokura anzufechten, führte dies dazu, daß nicht nur die von dem Prokuristen selbst abgeschlossenen Geschäfte nicht für und gegen den Inhaber wirken, sondern ebenso alle von den Handlungsbevollmächtigten abgeschlossenen Geschäfte3 • Denn diese Handlungsvollmachten sind wegen der ex-tunc-Vernichtung (§ 142 Abs.1 BGB) der Prokura (Hauptvollmacht) von einem vollmachtlosen Vertreter erteilt worden, konnten also keine Vertretungsmacht zugunsten und zulasten des Unternehmers begründen. Im schwerwiegendsten Fall würden also mit der Anfechtung einer einzigen handelsrechtlichen Vollmacht sämtliche Geschäfte, die während eines gewissen Zeitraums für den Unternehmer aQgeschlossen worden sind, entfallen, das Unternehmen wäre ohne jeden rechtsgeschäftlichen Kontakt nach außen gewesen. Dies erhellt, daß eine Anfechtbarkeit der handelsrechtlichen Vollmachten beträchtlich größere tatsächliche Probleme mit sich bringt als im bürgerlichen Recht, insbesondere die Zahl der dadurch betroffenen Geschäfte ins Unermeßliche steigen kann.
3 Allerdings würde in solchen Fällen der Vertretene häufig kraft Duldungsvollmacht an die Vertretergeschäfte gebunden sein, zu der sich eine anfechtbare Vollmacht entwickeln kann; vgl. oben § 17 C.
B. Grundtendenzen des handelsrechtlichen Vertretungsrechts
207
B. Grundtendenzen des handelsrechtlichen Verlretungsrechts Die möglichen Auswirkungen einer Anfechtung der handelsrechtlichen Vollmachten widersprechen offensichtlich den charakteristischen Bedürfnissen des Handelsverkehrs4, insbesondere dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit. Diese wird erheblich beeinträchtigt, wenn durch die Anfechtung eines einzigen Geschäfts - der Bevollmächtigung - einer Vielzahl von Verträgen die Grundlage entzogen wird, diese gern. § 177 BGB schwebend unwirksam werden. Dem Bedürfnis nach Sicherheit im Handelsverkehr tragen aber eine Vielzahl von Normen des Handelsrechts Rechnung, gerade auch die vertretungsrechtlichen Normen der §§ 48ff. HGB. Hier seien als Beispiel §§ 49, 50 HGB herausgegriffen: Wenn hiernach der gesetzlich festgeschriebene Umfang der Prokura nicht mit Außenwirkung beschränkt werden kann, will das HGB damit im Interesse der Rechtssicherheit den Vertragspartner vor dem Einwand, die Vertretungsmacht habe das Vertretergeschäft nicht gedeckt, schützen. Unsicherheiten darüber, ob das Vertretergeschäft von der Vertretungsmacht des Prokuristen gedeckt ist, werden von vornherein vermieden. Ähnliches ergibt sich auch aus den Vorschriften der §§ 54 Abs. 3, 56 HGB. Die letztgenannte Vorschrift geht sogar in ihrer Schutzrichtung noch weiter. Während die §§ 48, 49 HGB sowie § 54 Abs. 3 HGB lediglich Verkehrsschutz hinsichtlich des Umfangs der Vertretungsmacht bieten5, kann der Vertragspartner eines Ladenangestellten grundsätzlich auch auf die Existenz der Vertretungsmacht vertrauen. Demgegenüber ist der Vollmachtgeber im bürgerlichen Recht vollkommen frei darin, den Umfang einer von ihm erteilten Vollmacht festzulegen. Dies gilt ebenso für den Umfang einer vom Privaten erteilten Rechtsscheinvollmacht gern. §§ 171 f. BGB. Ein Vergleich dieser Regelungen zeigt also, daß der Schutz des Rechtsverkehrs, inbesondere die Rechtssicherheit, bei der Ausgestaltung des handelsrechtlichen Vertretungsrechts Pate gestanden hat. Somit wirft gerade die Anfechtung der handelsrechtlichen Vollmachten besondere Probleme auf. Deshalb gilt es nunmehr zu untersuchen, ob im Bereich der handelsrechtlichen Vollmachten Sonderwertungen des Gesetzes vorhanden sind, die eine vom bürgerlichen Recht abweichende Behandlung des Anfechtungsproblems gebieten. 4 Vgl. z.B. den Überblick bei Gierke / Sandrock, Handelsrecht, § 111, sowie bei K. Schmidt, Handelsrecht, § 1 IV 2,3. 5 Dies ist nicht unumstritten, vgl. unten § 24 A 11.
208
§ 23 Geltung der Rechtsgeschäftslehre im Handelsrecht
§ 23 Die Geltung der Rechtsgeschäftslehre im Handelsrecht
A. Die verkehrsfreundlichste Lösung
Sucht man nach einer rechtlichen Möglichkeit, dem Interesse des Geschäftsverkehrs an Rechtssicherheit bei geschäftlichen Kontakten mit Kaufleuten möglichst weitgehend gerecht zu werden, wird in die Überlegungen auch einzubeziehen sein, dem Kaufmann stets das Recht zu versagen, seine Willenserklärungen wegen Irrtums, Drohung und Täuschung anzufechten. Dies würde bedeuten, daß jede rechtsgeschäftliche Erklärung, die ein Kaufmann abgibt 6 , die Richtigkeitsgewähr in sich trüge. Mit einer solchen Lösung wäre der Rechtssicherheit in besonders starkem Maße gedient, weil hierdurch die Anzahl der rechtlich beachtlichen Störfälle für die Erklärungen eines Kaufmanns beträchtlich vermindert würde. Gleichwohl ist - soweit ersichtlich - bisher nie in Zweifel gezogen worden, daß auch einem Kaufmann grundsätzlich das Recht zusteht, Willenserklärungen anzufechten. Und dies völlig zu Recht, bestimmt doch Art. 2 Abs.l EGHGB7: "In Handelssachen kommen die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs nur insoweit zur Anwendung, als nicht im Handelsgesetzbuch oder in diesem Gesetz ein Anderes bestimmt ist." Dieser Satz enthält zwar im Hinblick auf die Anwendbarkeit des BGB eine einschränkende Aussage ("nur insoweit ... , als"); hieraus ergibt sich aber im Umkehrschluß positiv, daß das BGB immer dann zur Anwendung kommt, wenn das HGB eine abweichende Bestimmung nicht enthält. Und das HGB enthält keinerlei Bestimmung, aus der sich folgern ließe, dem Kaufmann sei die Anfechtung generell verwehrt. Oder fragt man genau umgekehrt, welche Vorschriften des BGB im Handelsrecht insbesondere zur Anwendung kommen, wird man neben den Vorschriften des allgemeinen Schuldrechts auf diejenigen des Allgemeinen Teils, hier vornehmlich auf die Rechtsgeschäftslehre verwiesen 8 • So verkehrsfreundlich auch eine Regelung wäre, die dem Kaufmann generell das Recht der Anfechtung verbieten würde: mit dem geltenden Recht ist sie unvereinbar.
6 Voraussetzung wäre, 'daß es um eine Erklärung im Zusammenhang mit seinem Unternehmen geht, § 344 HGB. 7 Gesetz vom 10. Mai 1897, RGBl. S. 433. 8 So z.B. Ehrenberg, in: Ehrenbergs Handbuch, 1. Band, S. 2lf.
B. Keine Irrtumsanfechtung bei verschuldetem Irrtum?
209
B. Ausschluß der Irrtumsanfechtung bei verschuldetem Irrtum des Kaufmanns? I. Die Ansichten von Flume und Kramer
Nicht ein generelles Verbot der Anfechtung durch einen Kaufmann, sondern eine Einschränkung des Rechts der Anfechtung wegen eines Irrtums wird von Flume9 und ihm folgend von Kramer 10 vorgeschlagen: "Wenn auch die Irrtumsregelung des BGB nicht darauf abstellt, ob der Irrtum verschuldet ist, und diese Wertung des Gesetzes für die allgemeine Regelung sachgerecht ist, dürfte es für den Geschäftsverkehr des Kaufmanns grundsätzlich angebracht sein, daß dem Kaufmann die Berufung auf einen Irrtum grundsatzlich verwehrt ist, wenn er bei sorgfältigem Lesen der von ihm abgegebenen Erklärung den Irrtum bemerkt hätte. Das gleiche sollte gelten, wenn der Kaufmann nur wegen unsorgfältigen Lesens der Erklärung des anderen irrtümlich ein Angebot angenommen hat. Eine solche Regelung ließe sich auf § 346 HGB stützen." 11 Während Flume noch sehr vorsichtig formuliert und auch lediglich von schriftlichen Erklärungen, die der Kaufmann selbst irrig abgibt, sowie von Erklärungen, die auf einem mißverstandenen schriftlichen Angebot seines Vertragspartners basieren, spricht, ist die Formulierung Kramers schärfer und geht in der Sache weiter: ,,(Es müsse) jeder ... - auf Unsorgfalt beruhende - Erklärungsirrtum eines Kaufmanns beim Abschluß von Handelsgeschäften von der Anfechtung ausgeschlossen werden." 12 Dieser Lösungsvorschlag würde ebenfalls die Zahl der rechtlich beachtlichen Störfälle für Erklärungen, die ein Kaufmann "zum Betriebe seines Handelsgewerbes" (§ 344 Abs.l HGB) abgibt, deutlich vermindern. Es fielen nämlich die Fälle des schuldhaften Irrtums aus dem Bereich der anfechtbaren Erklärungen heraus - nach der Einschränkung Flumes jedenfalls bei schriftlichen Erklärungen des Kaufmanns sowie bei der Annahme aufgrund eines mißverstandenen schriftlichen Angebots.
n.
Stellungnahme
Zunächst leuchtet nicht recht ein, daß Flume die Irrtumsanfechtung nur einschränken will, soweit sich der Irrtum auf eine schriftliche Erklärung bezieht. Hierdurch wird ohne Not der Grundsatz aufgegeben, daß mündliBGB AT 11, § 21, 9c. MünchKomm., § 119 BGB, Rdn. 51ff. (59). 11 Flume, BGB AT 11, § 21, 9c. 12 Kramer, in: MünchKomm., § 119 BGB, Rdn. 59; vgl. auch Roth, Handelsrecht, § 24, 2b. 9
10
14 Stüsser
210
§ 23 Geltung der Rechtsgeschäftslehre im Handelsrecht
che und schriftliche Erklärungen gleich verläßlich sind 13 • Auch wertungsmäßig ist nicht einzusehen, daß dem Kaufmann Fahrlässigkeit im Umgang mit dem gesprochenen Wort weniger schaden soll als bei schriftlichen Erklärungen. Der tiefere Sinn dieser Einschränkung Flumes liegt wohl darin, daß bei schriftlichen Erklärungen ein Irrtum eher zu vermeiden ist als bei der mündlichen Erklärung, da der Kaufmann bei an ihn gerichteten Schreiben selbst das Tempo der Aufnahme bestimmen kann, darüber hinaus sowohl bei eingehenden wie bei ausgehenden Schreiben den Text beliebig oft überprüfen kann. Deshalb geht es also in der Sache um die Vermeidbarkeit des Irrtums, also um eine Kategorie der Schuld. Deshalb müßte - wenn man mit Flume Verschuldenskriterien zur Bestimmung der Voraussetzungen der Anfechtbarkeit heranziehen will - auch die Vermeidbarkeit des Irrtums allein im Rahmen des Verschuldens berücksichtigt werden, nicht aber dürfte aus Verschuldensgesichtspunkten zwischen schriftlichen und mündlichen Erklärungen differenziert werden. Abgesehen von dieser dogmatischen Inkonsequenz sind diese Auffassungen nicht haltbar. Eine Begründung dafür, daß die Irrtumsanfechtung im Handelsverkehr generell nur für unverschuldete Irrtümer zulässig ist, läßt sich de lege lata nicht finden. Flume 14 glaubt, seine Ansicht auf § 346 HGB stützen zu können. Dies würde den Nachweis eines Handelsbrauchs voraussetzen, daß der Kaufmann sich auf einen verschuldeten Irrtum nicht beruft. Einen solchen Handelsbrauch aber gibt es nicht1 5 • Deshalb wird die Frage einer Beschränkung der Anfechtung auf unverschuldete Irrtümer im kaufmännischen Verkehr in der Regel von der Literatur zu § 119 BGB auch gar nicht aufgegriffen 16. Aber auch auf die Einschränkung der Anfechtbarkeit bei kaufmännischen Bestätigungsschreiben17 läßt sich entgegen der Ansicht von Flume 18 und Kramer19 eine Beschränkung der Irrtumsanfechtung auf unverschuldete IrrBGHZ 65, 13, 14; Canaris, JZ 1976, 132; ders., Vertrauenshaftung, S.14ff. BGB AT II, § 21, 9c. 15 So ausdrücklich Canaris, Vertrauenshaftung, S. 222 Fn.24; ders., Festschrift Wilburg, S. 77, 92 Fn. 60; ders., Großkommentar HGB, § 362, Rdn.15; Medicus, Bürgerliches Recht, Rdn. 57f.; K. Schmidt, Handelsrecht, § 18 IV 2. Vgl. auch Hanau, AcP 165 (1965), 220, 233f., mit Nachweisen über Gutachten der Handelskammer Berlin zum kaufmännischen Bestätigungsschreiben, wonach an keiner Stelle die Frage, ob eine Verkehrssitte die Anfechtbarkeit einschränkt, angeschnitten ist. 18 Vgl. aus den Kommentierungen zu § 119 BGB etwa Staudinger / Coing, Rdn. 48; Staudinger / Dilcher, Rdn. 76 (zur Unbeachtlichkeit von Verschuldenskriterien); Soergel / Hefermehl, Rdn. 74. 17 Dazu näher unten § 27 A III, C. 18 BGB AT II, § 21, 9c. 19 MünchKomm., § 119 BGB, Rdn. 51ff. 13
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B. Keine Irrtumsanfechtung bei verschuldetem Irrtum?
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tümer nicht stützen. Es ist zwar zutreffend, daß beim Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben - ebenso wie zum Beispiel beim Schweigen auf ein Vertragsangebot i. S. v. § 362 HGB - das Anfechtungsrecht eingeschränkt ist. Jedoch beruht diese Beschränkung nicht auf Verschuldensgesichtspunkten, sondern ist - wie unten näher darzulegen sein wird 20 - eine Folge der Verteilung des kaufmännischen Organisationsrisikos. Deshalb ist der Rückschluß auf Verschuldenskriterien nicht zulässig. Zusammenfassend läßt sich damit feststellen: Auf die von einem Kaufmann abgegebenen Willenserklärungen sind nach Art. 2 Abs.l EGHGB die Vorschriften des Allgemeinen Teils des BGB anwendbar. Dies bedeutet, daß auch der Kaufmann berechtigt ist, seine Willenserklärung wegen eines beachtlichen Irrtums anzufechten, und zwar auch dann, wenn er sich schuldhaft irrte.
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14·
§ 27 C.
2. Abschnitt
Der vertretungsrechtliche Verkehrsschutz des Handelsrechts § 24 Der Verkehrsschutz bei Prokura und Handlungsvollmacht A. Der vertretungsrechtliche Verkehrsschutz bei der Prokura Die Prokura als besondere Form einer handelsrechtlichen Vollmacht bietet gegenüber den Vollmachten des bürgerlichen Rechts einen besonderen vertretungsrechtlichen Verkehrsschutz durch die §§ 49, 50 HGB. Diese Vorschriften normieren den Umfang der Vertretungsmacht des Prokuristen mit absoluter Wirkung: im Außenverhältnis ist eine Beschränkung der Vertretungsmacht unwirksam, § 50 I HGB. I. Die Garantie des Umfangs der Vertretungsmacht
Hat der Unternehmer eine Prokura erteilt, entfalten die §§ 49, 50 HGB insoweit Wirkung, als sich ein Vertragspartner des Prokuristen - soweit nicht ausnahmsweise ein Fall des Mißbrauchs der Vertretungsmacht gegeben ist! - auf den gesetzlich normierten Umfang der Vollmacht verlassen kann. Er ist damit - anders als bei einer Innenvollmacht nach den §§ 164ff. BGB - nicht dem Risiko ausgesetzt, daß sein Vertragspartner zwar bevollmächtigt ist, das konkret abgeschlossene Geschäft aber von der Vertretungsmacht nicht gedeckt ist. Oder anders ausgedruckt: Hat der Unternehmer dem Prokuristen wirksam Vollmacht erteilt, greift die Verkehrsschutzregelung der §§ 49, 50 HGB ein. ll. Verkehrsschutz hinsichtlich des Bestandes der Prokura?
1. Die Ansicht Würdingers Aus dem Wortlaut der §§ 49, 50 HGB läßt sich allein ein Verkehrsschutz hinsichtlich des Umfangs der Vertretungsmacht des Prokuristen herausle1
Vgl. dazu schon oben § 10 B 11 m. Nachw. in Fn. 43.
A. Vertretungsrechtlicher Verkehrsschutz bei der Prokura
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sen, nicht dagegen ein Verkehrsschutz hinsichtlich des Bestandes einer Prokura. Gleichwohl bejaht Würdinger2 bei der Prokura und auch bei der Handlungsvollmacht einen Verkehrsschutz hinsichtlich der Existenz der Vertretungsmacht: Im Gegensatz zu den Vollmachten des bürgerlichen Rechts seien die des Handelsrechts von dem Prinzip des Verkehrsschutzes beherrscht; nach dem Wortlaut zwar nur hinsichtlich des Umfangs der Vertretungsmacht, jedoch müsse analog § 54 Abs. 3 HGB ein entsprechender Verkehrsschutz auch für die Existenz der Vollmacht gelten. Deshalb sei eine Anfechtung wegen Irrtums sowohl bei der Prokura als auch bei der Handlungsvollmacht ausgeschlossen. Dies ergebe sich schließlich auch aus der Unanfechtbarkeit der Anscheinsvollmacht.
2. Stellungnahme Aus einer Analogie zu den §§ 49, 50; 54 Abs. 3 HGB läßt sich ein Ausschluß der Irrtumsanfechtung nicht herleiten. Denn diese Vorschriften gewährleisten, wie der insoweit eindeutige Wortlaut ergibt, Verkehrsschutz nur hinsichtlich des Umfangs der Vertretungsmacht. Sie setzen also voraus, daß eine Prokura oder Handlungsvollmacht wirksam erteilt und nicht wieder erloschen ist3. Rechtsfolge ist dann ein Verkehrsschutz hinsichtlich des Umfangs. Eine Analogie zu diesen Vorschriften für den Fall, daß eine Vollmacht nicht wirksam erteilt worden ist, scheitert daran, daß dieser wertungsmäßig von dem Geregelten stark abweicht. Während das Gesetz an eine wirksame Erklärung die Rechtsfolge: Verkehrsschutz anknüpft, würde die Analogie dieselbe Rechtsfolge an eine unwirksame Erklärung anknüpfen. Aber auch Würdinger selbst zieht nicht die Konsequenz aus der von ihm befürworteten Ausweitung des Verkehrsschutzes auf den Bestand der Vertretungsmacht. Konsequent würde es nämlich vom Standpunkt Würdingers aus allein sein, auch andere Mängel, die das Entstehen der Prokura oder Handlungsvollmacht verhindert haben, nach den §§ 49,50; 54 Abs. 3 HGB für unbeachtlich zu erklären. Insbesondere müßte der Ansatz Würdingers dazu führen, daß nach einem Erlöschen der Prokura Verkehrsschutz analog §§ 49, 50 HGB zu gewähren ist. Aber hier verweist Würdinger4 ausdrücklich auf die Vorschriften der §§ 170 bis 173 BGB. 2 In Großkommentar HGB, § 54, Anm.12, und Vorbem.13 vor § 48; ebenso Bandasch / Nickel, § 48 HGB, Rdn. 8. 3 Besonders deutlich Frotz, Verkehrsschutz, S. 344. 4 Großkommentar HGB, § 54, Anm. 14.
214
§ 24 Verkehrsschutz bei Prokura und Handlungsvollmacht
Insgesamt läßt sich daher ein Anfechtungsausschluß mit einer Analogie zu §§ 49, 50; 54 Abs. 3 HGB nicht begründen. Aber auch die zweite Begründung Würdingers, daß der Vertretene im Fal~ der Anscheinsvollmacht unanfechtbar gebunden werde 5 , trägt das Ergebnis nicht, erweist sich vielmehr als petitio principii: Denn ob die Anscheinsvollmacht im Bereich des Handelsrechts wirklich zu einer unanfechtbaren Bindung des Vertretenen führt, ist ebenso offen wie die Frage, ob sonstige von einem Kaufmann erteilten Vollmachten anfechtbar sind. Im allgemeinen bürgerlichen Recht hatte sich die Anscheinsvollmacht als anfechtbar erwiesen6 •
3. Ergebnis Der Gesetzgeber hat in §§ 49, 50 HGB lediglich den Umfang der Vertretungsmacht des Prokuristen festgeschrieben. Hieraus läßt sich aber kein Anfechtungsausschluß für die Prokura begründen.
B. Der registerrechtliche Verkehrsschutz bei der Prokura I. Einleitung
Der Kaufmann ist gem. § 53 Abs.1 HGB verpflichtet, die von ihm erteilte Prokura zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden. Eben diese Anmeldepflicht auferlegt § 53 Abs. 3 HGB dem Kaufmann für das Erlöschen der Prokura. Hierbei kommt, wie sich aus dem Wortlaut des § 53 HGB in Verbindung mit § 14 HGB ergibt, der Handelsregistereintragung in beiden Fällen nur deklatorische Bedeutung zu7 , d. h. weder die Erteilung noch das Erlöschen der Prokura ist von der Eintragung in das Handelsregister abhängig. Die Eintragung in das Handelsregister ist aber gleichwohl bedeutsam, weil § 15 HGB an die Eintragung und auch an die unterlassene Eintragung Verkehrsschutz anknüpft: gem. § 15 Abs.3 HGB kann sich ein Vertragspartner auf eine vom Register bekanntgemachte Tatsache8 berufen, es sei denn, daß er die von der bekanntgemachten abweichende wahre Rechtslage (positiv) kannte (positive Registerpublizität). Und gem. § 15 Abs.1 HGB kann sich der Kaufmann gegenüber einem Gutgläubigen erst dann auf eine Großkommentar HGB, § 54, Anm. 12. Vgl. oben § 16 D I. 7 Allgemeine Ansicht, vgl. statt aller Gierke / Sandrock, Handelsrecht, § 22 III 4; K. Schmidt, Handelsrecht, § 16 III 2e. 8 Die Einzelheiten des § 15 Abs. 3 HGB sind äußerst umstritten, für die vorliegende Untersuchung aber nicht von Bedeutung. Vgl. hierzu etwa den Überblick bei K. Schmidt, Handelsrecht, § 14. 5
6
B. Registerrechtlicher Verkehrsschutz bei der Prokura
215
eintragungspflichtige Tatsache berufen, wenn diese im Handelsregister eingetragen und bekanntgemacht ist (negative Publizität). Ob sich aufgrund der positiven und/oder negativen Publizität des Handelsregisters ein Ausschluß oder eine Einschränkung der Anfechtbarkeit der Prokura ergibt, gilt es im folgenden zu untersuchen. 11. Registerschutz und Prokuraanfechtung
1. Die positive Registerpublizität Ist die Erteilung einer Prokura zum Handelsregister angemeldet, eingetragen und bekanntgemacht worden, bleibt der Prinzipal - auch wenn er wegen Irrtums oder Drohung/ arglistiger Täuschung die Prokura zulässigerweise 9 angefochten hätte - an die Vertretergeschäfte gebunden, sofern der Vertragspartner des Prokuristen keine Kenntnis vom Anfechtungsgrund hatte (§ 142 Abs. 2 BGB). Nach der Anfechtung entfällt die Prokura rückwirkend (§ 142 Abs.l BGB). Damit stimmen Handelsregistereintragung und wahre Rechtslage nicht überein, so daß § 15 Abs. 3 HGB zum Schutze des Vertragspartners eingreift lO . Die Publizitätswirkungen der Registereintragung sind durch Anfechtung nicht zu beseitigen l l . Denn es wäre widersinnig, würde das Gesetz den Betroffenen zwar für Bekanntmachungsfehler des Handelsregisters und des Publizitätsorgans haftbar machen, ihm im Fall des eigenen Irrtums aber ein Anfechtungsrecht gewähren, mit dessen Hilfe er sich der Haftung entziehen könnte. Ist eine Prokura also ins Handelsregister eingetragen, hilft dem Vertretenen eine Anfechtung dieser Vollmacht nicht: er bleibt kraft der positiven Registerpublizität an die Vertretergeschäfte gebunden. Für die Anfechtbarkeit der Prokura bedeutet dies aber nicht mehr, als daß der registerrechtliche Verkehrsschutz es dem Prinzipal versagt, sich gegenüber einem gutgläubigen Vertragspartner seines Vertreters auf die fehlende Vertretungsmacht des Prokuristen (§ 142 Abs.l BGB) zu berufen. Da die Handelsregistereintragung für die Prokura kein Wirksamkeitserfordernis ist, läßt sich aus der Erkenntnis insbesondere nicht herleiten, eine Prokura sei nie durch Anfechtung rückwirkend zu vernichten. Daß die Prokura anfechtbar sei, wird hier unterstellt. Vgl. aber unten § 28 C, D. Ganz h.M.; etwa Beyerle, BB 1971, 1482, 1485; P. Hofmann, JA 1980, 264, 269; Hüffer, in: Großkommentar HGB (4. Aufl.), § 15, Rdn. 50; v. Olshausen, NJW 1971, 966; Gierke / Sandrock, Handelsrecht, § 11 III 3 b; K. Schmidt, Handelsrecht, § 14 III 2 c; ders., JuS 1977, 209, 215 f.; Steckhan, NJW 1971, 1594 (Fn.l0); ders., DNotZ 1971, 211, 221ff.; Wiesner, Gesellschaft, S. 64f.; insoweit a.A. Beuthien, NJW 1970, 2283f.; ders., in Festschrift Reinhardt, S.199, 204f. (Fn. 23), wonach § 15 Abs. 3 HGB nur eingreife, wenn die Bekanntmachung von der Eintragung abweicht. 11 Würdinger, in: Großkommentar HGB, § 15, Anm. 22; Meeske / Hofmann, Prokurist, S. 47f. 9
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§ 24 Verkehrsschutz bei Prokura und Handlungsvollmacht
2. Die negative Registerpublizität Gern. § 53 Abs. 3 HGB ist das Erlöschen der Prokura ebenso zum Handelsregister anzumelden wie deren Erteilung. Wird das Erlöschen der Prokura nicht im Handelsregister eingetragen und bekanntgemacht, knüpft sich hieran die negative Publizität des § 15 Abs.1 HGB an: Der Prinzipal kann sich nur demgegenüber auf das Erlöschen der Prokura berufen, der dies (positiv) wußte. Dabei ist es nach der noch h. M.12 nicht erforderlich, daß die Erteilung der Prokura zuvor im Handelsregister eingetragen war. § 53 Abs. 3 HGB ist seinem Wortlaut nach nur auf das Erlöschen der Prokura anwendbar, also auf deren Wegfall mit Wirkung ex nunc. Also greift auch nur insoweit unmittelbar der handelsregisterrechtliche Verkehrsschutz des § 15 Abs.1 HGB ein. Titze 13 hat vorgeschlagen, § 53 Abs. 3 HGB analog auf die Anfechtung der Prokura anzuwenden. Hieraus folgert er, daß sich der Prinzipal im Fall der Anfechtung gern. § 15 Abs.1 HGB gegenüber einem gutgläubigen Vertragspartner des Prokuristen nicht auf das rückwirkende Erlöschen der Prokura berufen könne 14 . Hält man mit der noch h. M.15 eine Voreintragung bei § 15 Abs.1 HGB nicht für erforderlich, führt die Auffassung Titzes zu der Konsequenz, daß einer Anfechtung der Prokura nur ganz geringe Bedeutung zukäme: unabhängig davon, ob die Erteilung der Prokura zur Eintragung in das Handelsregister angemeldet war oder nicht, könnte sich jeder Vertragspartner des Prokuristen auf § 15 Abs.1 HGB berufen, es sei denn, daß er die Anfechtung oder die Anfechtbarkeit (arg. § 142 Abs. 2 BGB) der Prokura kannte. Jedoch ist die Auffassung Titzes, daß bei der Anfechtung der Prokura Verkehrsschutz analog § 53 Abs. 3 HGB i. V.m. § 15 Abs.1 HGB zu gewähren sei, abzulehnen 16 • § 15 Abs. 1 HGB ist nur auf solche Tatsachen anwendbar, deren Eintragung in das Handelsregister zwingend vorgeschrieben ist (sog. eintragungs12 Vgl. z.B. RGZ 127, 98, 99; BGHZ 55, 267, 272; BGH LM Nr. 2 zu § 15 HGB = MDR 1965, 892; Schlegelberger / Hildebrandt, § 15 HGB, Rdn.11; P. Hofmann, JA 1980,264,268; Heymann / Kötter, § 15 HGB, Rdn. 2; Würdinger, in: Großkommentar HGB, § 15, Anm. 5. A.A. Canaris, Vertrauenshaftung, S.152; Alfred Hueck, ArchBürgR 43 (1919), 415, 426ff.; ders., AcP 118 (1920), 350ff.; Hüffer, in: Großkommentar HGB (4. Aufl.), § 15, Rdn. 20. Einschränkend auch John, ZHR 140 (1976), 236ff., der bei fehlender Voreintragung eine positive Vertrauensbasis zugunsten des Dritten verlangt. Vgl. auch K. Schmidt, Handelsrecht, § 14 II 2 b, der bei fehlender Voreintragung verlangt, daß die einzutragende Tatsache "in der Welt" war; ihm folgt jetzt Baumbach / Duden / Hopt, § 15 HGB, Anm. 2 H. 13 In: Ehrenbergs Handbuch, 2. Band, 2. Abt., S. 937f. 14 Ehrenbergs Handbuch, 2. Band, 2. Abt., S. 937f. 15 Vgl. die Nachweise oben Fn.12. 16 So ausdrücklich K. Sc~midt, Handelsrecht, § 16 III 4 a.
B. Registerrechtlicher Verkehrsschutz bei der Prokura
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pflichtige Tatsachen)17. Hat aber der Prinzipal die Anfechtung noch nicht erklärt (§ 143 BGB), käme allenfalls die Eintragung in das Handelsregister in Betracht, daß die Prokura anfechtbar ist. Dies aber ist keine eintragungspflichtige Tatsache. Einem Geschäftspartner, der vor der Anfechtungserklärung mit dem Prokuristen kontrahiert hat, wäre also kein registerrechtlicher Verkehrsschutz aus § 15 Abs.1 HGB zu gewähren. Der Schutz der negativen Registerpublizität käme also nur dem Vertragspartner des Vertreters zugute, der den Vertrag mit dem Prokuristen in der Zeit zwischen der Anfechtungserklärung und der Eintragung des Erlöschens der Prokura im Handelsregister abgeschlossen hat. Dies ist aber wenig einleuchtend. Zunächst ist kein Grund ersichtlich, den Vertragspartner des Prokuristen schlechter zu stellen, der mit diesem zu einem Zeitpunkt kontrahiert hat, als die Prokura mangels Anfechtungserklärung noch bestand. Außerdem würde ein solches Ergebnis der Wertung des § 142 BGB widersprechen, wonach der Zeitpunkt der Anfechtung ohne Auswirkungen auf die Rechtsfolgen sein soll. Deshalb ist § 53 Abs. 3 HGB auf die Anfechtung der Prokura nicht analog anzuwenden, ein registerrechtlicher Verkehrsschutz gern. § 15 Abs.1 HGB scheidet also aus. Der Tatsache, daß die Anfechtbarkeit oder die Anfechtung der Prokura nicht in das Handelsregister eingetragen ist, kommt also nicht die Bedeutung zu, daß dem Prinzipal eine Berufung auf die fehlende Vertretungsmacht gegenüber gutgläubigen Vertragspartnern des Prokuristen immer verwehrt ist. Vielmehr beschränkt sich der registerrechtliche Verkehrsschutz gern. § 15 Abs. 3 HGB auf die eingetragene Prokura. ID. Ergebnis
Weder aus dem in §§ 49, 50 HGB normierten vertretungsrechtlichen Verkehrsschutz noch aus dem registerrechtlichen Verkehrsschutz des § 53 Abs.1 S.l, Abs. 3 HGB i. V. m. § 15 HGB läßt sich folgern, daß eine Anfechtung der Prokura ausgeschlossen sei. § 15 Abs. 3 HGB verhindert nur, daß der Prinzipal einem Vertragspartner des Prokuristen die fehlende Vertretungsmacht entgegenhalten kann, wenn die Prokura im Handelsregister eingetragen war und der Vertragspartner weder die Anfechtung noch die Anfechtbarkeit der Prokura (arg. § 142 Abs. 2 BGB) kannte.
17 Vgl. z.B. BGHZ 55, 267, 273; Hofmann, JA 1980, 264, 268; Hüffer, in: Großkommentar HGB (4. Aufl.), § 15, Rdn.16; Heymann / Kötter, § 15 HGB, Anm. 2; Gierke / Sandrock, Handelsrecht, § 11 III 2 b; K. Schmidt, Handelsrecht, § 14 II 2 a; ders., JuS 1977,209,213.
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§ 24 Verkehrsschutz bei Prokura und Handlungsvollmacht
c.
Die Prozeßvollmacht des Prokuristen
Gern. § 49 Abs.1 HGB erstreckt sich die Vertretungsmacht des Prokuristen auch auf die Prozeßführung für den Prinzipal. Damit beinhaltet jede Prokura zugleich eine Prozeßvollmacht i. S. d. §§ 80 ff. ZPO. Für die Anfechtbarkeit der Prokura ergibt sich hieraus das Problem: Nach h.M. ist die Anfechtbarkeit einer Prozeßvollmacht unzulässig 18 oder doch wenigstens nur sehr eingeschränkt1 9 zulässig. Muß dies dann nicht ebenso für die Prokura, die eine Prozeßvollmacht enthält, gelten 20? Oder hat man sich die Prokura als zweifache Vollmacht vorzustellen, deren einer Teil auf die Abgabe privatrechtlicher Willenserklärungen gerichtet und folglich anfechtbar ist, deren anderer Teil aber auf Prozeßhandlungen zielt und folglich der Anfechtung nicht unterliegt 21 ? Beide Fragen sind zu verneinen. Die Lösung des angesprochenen Problems ist vielmehr auf einer anderen Ebene zu suchen: Sie hat bei dem einzelnen Vertretergeschäft anzusetzen, welches für sich einer rückwirkenden Nichtigkeit entzogen ist. Hat der Vertreter, dessen Vollmacht gern. §§ 119ff. BGB anfechtbar ist, ein Vertretergeschäft abgeschlossen, so treffen die Wirkungen dieses Geschäfts gern. § 164 Abs.1 BGB zunächst unmittelbar den Vollmachtgeber, weil der Vertreter im Zeitpunkt des Abschlusses des Vertretergeschäfts Vertretungsmacht hatte. Wird die Vollmacht wirksam angefochten, stellt sich die Frage, ob das Vertretergeschäft, welches zunächst für und gegen den Vollmachtgeber gewirkt hat, durch die Anfechtung der Vollmacht im Verhältnis zum Vertretenen nach §§ 177ff. BGB unwirksam wird. Oder anders gewendet: Greifen Wertungsgesichtspunkte ein, die es ausnahmsweise verbieten, daß das zunächst wirksame Vertretergeschäft rückwirkend für den Vollmachtgeber unwirksam wird? Diese Fragestellung erhellt, daß es im Ergebnis auch hier um das gleiche Problem geht wie bei der Frage nach der Anfechtbarkeit des Geschäftes selbst: daß nämlich aus überragenden Wertungsgesichtspunkten ausnahmsweise die einmal wirksam geschaffene Rechtslage nicht rückwirkend beseitigt werden darf. Dieses Verbot, das Rechtsgeschäft mit Wirkung ex tunc zu vernichten, gilt deshalb nicht nur für die unmittelbar gegen das Geschäft gerichtete Anfechtung (§§ 119ff. BGB i.V.m. § 142 BGB); vielmehr ist ihm in gleicher Weise Rechnung zu tragen bei mittelbaren Angriffen gegen das 18
So z.B. Baumgärtei, Prozeßhandlung, S. 177ff.; Baumbach / Lauterbach / Albers /
Hartmann, § 80 ZPO, Anm. 1 C, und Grundz. 5 E vor § 128 ZPO.
19 Anfechtung mit ex-nunc-Wirkung wohl Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 9 III 1; Wieczorek, § 80 ZPO, Anm. B II b 2. 20 So Eujen / Frank, JZ 1973, 232, 238. 21 Gegen die Möglichkeit, eine Prozeßvollmacht in diesem Sinne aufzuspalten, Rosenberg, Stellvertretung, S. 564f.
D. Verkehrsschutz bei der Handlungsvollmacht
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Rechtsgeschäft durch Anfechtung der Vollmacht mit den Folgen der §§ 177 ff. BGB. Deshalb darf die Fragestellung nicht lauten, ob die Vollmacht des Vertreters in einen unanfechtbaren und einen anfechtbaren Teil aufgeteilt werden kann und bei Verneinung auf die Unanfechtbarkeit der Vollmacht geschlossen werden 22 , sondern es muß gefragt werden, ob die Unwirksamkeit gern. §§ 177ff. BGB auch das einzelne Vertretergeschäft erfaßt. Und dies ist immer dann zu verneinen, wenn das Vertretergeschäft selbst der Anfechtung mit rückwirkender Kraft entzogen ist. Somit läßt sich daraus, daß die Prokura gleichzeitig auch eine Prozeßvollmacht enthält, keinerlei Rückschluß auf die Frage ziehen, ob die Prokura selbst anfechtbar ist oder nicht. Insgesamt haben sich damit in den §§ 48 bis 53 HGB Anhaltspunkte, die eine Anfechtung der Prokura ausschließen würden, nicht ergeben 23 • D. Der Verkehrsschutz bei der Handlungsvollmacht Der vertretungsrechtliche Verkehrsschutz bei der Handlungsvollmacht ist nicht so stark ausgeprägt wie bei der Prokura. Während in §§ 49, 50 HGB der Umfang der Vertretungsmacht des Prokuristen zwingend festgeschrieben ist, hat der Prinzipal bei der Erteilung einer Handlungsvollmacht die Freiheit dahin, den Umfang dieser Vollmacht nach eigenem Belieben zu bestimmen; § 54 HGB enthält lediglich eine Verkehrsschutzbestimmung dahin, daß der Vollmachtgeber nicht jede Beschränkung der Handlungsvollmacht einem gutgläubigen Vertragspartner entgegenhalten kann (§ 54 Abs.3 HGB). Dies bedeutet also, daß der Verkehrsschutz bei der Handlungsvollmacht ebenso wie bei der Prokura eine Bevollmächtigung voraussetzt. Fehlt es an einer Bevollmächtigung, kommt daher auch hier ein Verkehrsschutz nicht in Betracht24 • Deshalb läßt sich auch § 54 Abs. 3 HGB nicht entnehmen, daß die Handlungsvollmacht unanfechtbar sei.
So aber Eujen / Frank, JZ 1973, 232, 238. Deshalb wird im handelsrechtlichen Schrifttum - soweit überhaupt Stellung zur Anfechtbarkeit der Prokura bezogen wird - überwiegend die Zulässigkeit der Anfechtung bejaht; vgl. z. B. K. Hofmann, Prokurist, S. 45; Baumbach / Duden / Hopt, § 48 HGB, Anm.1 A; Pfeffer, Prokura, S. 33f.; K. Schmidt, Handelsrecht, § 16 III 4a; Schlegelberger / Schröder, § 48 HGB, Rdn. 32. 24 A.A. auch bei § 54 HGB Würdinger, in: Großkommentar HGB, § 54, Anm.12, und Vorbem.13 vor § 48; Bandasch / Nickel, § 48 HGB, Rdn. 8. 22 23
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§ 25 § 56 HGB und die Anscheinsvollmacht im Handelsrecht
§ 25 Der Verkehrsschutz des § 56 HGB und die Anscheinsvollmacht im Handelsrecht A. Einleitung Die Vorschrift des handelsrechtlichen Vertretungsrechts, die die größten Zweifelsfragen aufwirft, ist § 56 HGB. Für die vorliegende Untersuchung ist § 56 HGB unter zwei Gesichtspunkten interessant. Erstens ist zu klären, ob die Dogmatik dieser Vorschrift eine Anfechtung der Vertretungsmacht des Ladenangestellten ausschließt und ob sich daraus gegebenenfalls ein generelles Verbot der Anfechtung von handelsrechtlichen Vollmachten herleiten läßt. Zweitens ist der Frage nachzugehen, ob die Rechtsfolgen des § 56 HGB auch dann - ggf. modifiziert - eingreifen, wenn der Prinzipal einen Gehilfen nicht bewußt und gewollt mit Verkaufsaufgaben im Laden betraut hat, sondern eine entsprechende Verkaufstätigkeit eines Mitarbeiters weder erkannt noch verhindert hat; kurz gesagt: erfaßt § 56 HGB nur die "vorsätzliche" oder auch die "fahrlässige" Anstellung? B. Die dogmatische Einordnung des § 56 HGB und die Auswirkungen auf die Anfechtbarkeit I. Die dogmatische Einordnung des § 56 HGB
1. Die Theorien zu § 56 HGB Über die dogmatische Grundlage des § 56 HGB besteht ein ähnlicher Streit wie auch hinsichtlich der Vorschriften der §§ 171 Abs.l, 172 Abs.l BGB sowie der Duldungsvollmacht. So wird auch in § 56 HGB teilweise ein Akt der rechtsgeschäftlichen Erteilung von Vertretungsmacht gesehen 25 ; andere sehen in § 56 HGB einen Fall der Rechtsscheinhaftung26 , wiederum andere deuten § 56 HGB als einen Fall der räumlich begrenzten gesetzlichen Vertretungsmacht des Ladenangestellten 27 ; und schließlich gibt es noch diverse Ansichten, die sich in keine 25 So heute insbesondere Flume, BGB AT II, § 49, 3 u. 4; ders., Rechtsgeschäft und Privatautonomie, S.180; ebenso Schlegelberger / Schröder, § 56 HGB, Rdn.l, 2. 26 So Canaris, Vertrauenshaftung, S. 189ff.; Staudinger / Coing, Vorbem. vor § 116 BGB, Rdn. 7; v. Craushaar, AcP 174 (1974), 2, 13ff., Hofmann, Handelsrecht, F II 4 (S.158); Baumbach / Duden / Hopt, § 56 HGB, Anm.l B; Hübner, Handelsrecht, Rdn. 79; Krause, Schweigen, S.155; Diederichsen / Marburger, S.117; Bandasch / Nickel, § 56 HGB, Rdn.l; Enneccerus / Nipperdey, BGB AT, § 184 II 3 c (S.1133); v. Seeler, ArchBürgR 28 (1906),1,48; Waldeyer, Anscheinsvollmacht, S. 154f.; H. Westermann, JuS 1963, 1, 7; Weimar, JR 1979, 103 (anders aber ders., MDR 1968, 901). Vgl. auch Fabricius, JuS 1966, 1, 50, 55, der davon ausgeht, daß § 56 HGB auf veranlaßtem Rechtsschein beruht, aber zusätzlich (S. 56) mit einer Aufsichtspflichtsverletzung des Prinzipals begründet.
B. Dogmatische Einordnung des § 56 HGB und Anfechtbarkeit
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der drei großen Richtungen einordnen lassen. Genannt sei noch die Auffassung von § 56 HGB als einer unwiderleglichen Vermutung28 , von einer Auslegungsrege12 9 , von einer "Vollmacht kraft Gesetzes"30 und die Theorie, daß es sich bei § 56 HGB um eine Ausprägung des Satzes vom "venire contra factum proprium" handle 31 . 2. Stellungnahme § 56 HGB enthält - ebenso wie die §§ 171 Abs.l, 172 Abs.l BGB - einen gesetzlich geregelten Fall der Rechtsscheinhaftung. Diese Vorschrift ordnet sich lückenlos in das vertretungsrechtliche Verkehrsschutzsystem ein: Es ist oben aufgezeigt worden, daß ein der Außenvollmacht angeglichener Verkehrsschutz anknüpft einmal an die Rechtsscheintatbestände der §§ 171 Abs. 1, 172 Abs. 1 BGB32, also an die (richtungsbezogene) Vollmachtsmitteilung, die öffentliche Bekanntmachung einer Vollmacht und an die Vollmachtsurkunde. In Fortentwicklung dieser Vorschriften hat es sich gezeigt, daß eine vertretungsrechtliche Rechtsscheinhaftung auch in anderen objektiven Tatbeständen eine Grundlage findet, nämlich bei der Duldungs- und Anscheinsvollmacht3 3. Hier hatte eine Untersuchung des objektiven Tatbestands der Duldungsvollmacht ergeben, daß der Rechtsschein der Vollmacht auch dadurch begründet sein kann, daß der Vertretene dem Vertreter eine Stellung einräumt, mit der üblicherweise eine Vollmacht eines bestimmten Umfangs verbunden ist3 4 : Dem Verhalten des Vertretenen kommt objektiv die Bedeutung zu, daß er den Vertreter entsprechend der üblicherweise mit dieser Stellung verbundenen Vollmacht auch tatsächlich ausgestattet habe. Eben dies trifft auch im Fall des § 56 HGB zu: betraut der Prinzipal einen Mitarbeiter mit Verkaufstätigkeiten im Laden, liegt in dem Verhalten objektiv die Bedeutung, daß der Inhaber diesem (zuvor) eine entsprechende Vollmacht erteilt hat. Dies erhellt, daß § 56 HGB ein gesetzliches Beispiel für diesen Unterfall der Duldungsvollmacht ist, also ebenso wie diese ein Fall der Rechtsscheinvollmacht. 27 Frotz, Verkehrsschutz, S. 362ff.; Weimar, MDR 1968, 901 (anders aber jetzt ders., JR 1979, 103); Honsell, JA 1984, 17,22; vgl. auch Bader, Anscheinsvollmacht, S.151: echte Vertretungsmacht wie bei rechtsgeschäftlicher Bevollmächtigung. 28 RGZ 69, 307, 309; BGH NJW 1975, 2191; Fikentscher, AcP 154 (1954), 1, 3; Heymann / Kötter, § 56 HGB, Anm.l; K. Schmidt, Handelsrecht, § 16 V 2; Würdinger, in: Großkommentar HGB, § 56, Einl. Vgl. auch Baumbach / Duden / Hopt, § 56 HGB, Anm. 2 A, der aber von einer Rechtsscheinhaftung ausgeht. 29 Schlegelberger / Hildebrandt (4. Aufl.), § 56 HGB, Rdn. 2; Titze, in: Ehrenbergs Handbuch, 2. Band, 2. Abt., S. 950. 30 Staub / Bondi, § 56 HGB, Anm. 3. 31 Gierke / Sandrock, Handelsrecht, § 23 VIII 1 b. 32 Vgl. oben § 9 A. 33 Vgl. oben § 13 B III. 34 Vgl. oben § 14 All.
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§ 25 § 56 HGB und die Anscheinsvollmacht im Handelsrecht 11. Folgerungen für die Anfechtbarkeit
Mit der Erkenntnis, daß § 56 HGB der Rechtsscheinhaftung zuzuordnen ist, folgt für die Frage nach der Anfechtbarkeit, daß diese analog §§ 119ff. BGB ebenso zulässig sein müßte wie auch bei den anderen Rechtsscheinvollmachten 35 . Denn auch hier gilt, daß kein Grund ersichtlich ist, daß der Vertretene kraft Rechtsscheins strenger haftet, als er bei einer ausdrücklichen Außenbevollmächtigung haften würde. Müßte demnach nach allgemeinen Regeln die Scheinvollmacht des § 56 HGB anfechtbar sein36 , so läßt sich aus dieser Vorschrift jedenfalls nicht folgern, daß die sonstigen von einem Kaufmann erteilten Vollmachten unanfechtbar seien37 •
c.
Die "fahrlässige" Anstellung I. Einleitung
§ 56 HGB greift sicher dann ein, wenn der Angestellte mit Wissen und Wollen des Prinzipals im Laden oder Warenlager Kunden bedient. Fraglich ist dagegen, ob § 56 HGB auch den Fall erfaßt, daß der Inhaber von der Verkaufstätigkeit fahrlässig keine Kenntnis hat, durch diese Tätigkeit aber für Kunden der Eindruck entsteht, als sei der im Laden Tätige berechtigt, dort für den Inhaber zu kontrahieren. Dies ist hier deshalb von Interesse, weil sich im Verlauf der bisherigen Untersuchung gezeigt hatte, daß die unbewußte Verursachung eines Rechtsscheintatbestandes zunächst zu der gleichen Rechtsfolge führt wie auch die bewußte Schaffung dieses Rechtsscheintatbestandes, dem Verursacher aber die Möglichkeit verbleibt, diesen Rechtsscheintatbestand durch Anfechtung zu vernichten 38 • Dies könnte für § 56 HGB dazu führen, daß der Geschäftsinhaber, der fahrlässig von der Verkaufstätigkeit eines hierzu nicht Berechtigten keine Kenntnis hat, zunächst an die von diesem abgeschlossenen Rechtsgeschäfte gebunden ist, ihm aber das Recht zusteht, durch Anfechtung des Rechtsscheintatbestandes seine Bindung an diese Geschäfte zu beseitigen. 35 Vgl. oben § 11 B (zu §§ 171 Abs.l, 172 Abs.l BGB) u. § 15 A (zur Duldungsvollmacht). 36 Generell wird jede Anfechtungsmöglichkeit bei § 56 HGB dagegen verneint z.B. von Staudinger / Coing, Vorbem. § 116 BGB, Rdn. 7; v. Craushaar, AcP 174 (1974), 2, 17; Fabricius, JuS 1966, 1, 50, 55f.; wohl ebenso K. Schmidt, Handelsrecht, § 16 V 3 c. Dagegen sprechen sich - mit Differenzierungen - für die Möglichkeit einer Anfechtung bei § 56 HGB aus z.B. Frotz, Verkehrsschutz, S. 367ff.; Bader, Anscheinsvollmacht, S. 152f.; Flume, BGB AT 11, § 49, 2 c mit § 49, 3. 37 A. A. aber z. B. J. v. Gierke, Handelsrecht, S.135. 38 Vgl. oben § 11 C III mit § 5 IV, V (zu §§ 171 Abs.l, 172 Abs.l BGB) und § 16 D III zur Anscheinsvollmacht.
C. Die "fahrlässige" Anstellung
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ll. Der Meinungsstand
In Rechtsprechung und Schrifttum hat sich bis heute keine einheitliche Ansicht darüber durchsetzen können, ob § 56 HGB voraussetzt, daß der Ladenangestellte mit Wissen und Wollen des Prinzipals im Laden oder Warenlager Kunden bedient. Es lassen sich im wesentlichen folgende Auffassungen zu dieser Frage feststellen: Teilweise wird für die Anwendung des § 56 HGB vorausgesetzt, daß sich der Ladenangestellte mit Wissen und Wollen des Prinzipals zum Zwecke des Verkaufs im Laden aufhä1t3 9 • Andere wenden § 56 HGB auch dann direkt 40 oder analog41 an, wenn dem Ladeninhaber fahrlässig unbekannt ist, daß der Angestellte mit Kunden im Laden kontrahiert. Für die Vertreter der erstgenannten Ansicht stellt sich, wenn der Ladeninhaber die Verkaufstätigkeit fahrlässig nicht gekannt hat, die Frage nach einer Haftung des Vertretenen aufgrund der (allgemeinen) Anscheinsvollmacht. Diese wird - soweit die Anscheinsvollmacht überhaupt als Rechtsinstitut anerkannt wird42 - überwiegend bejaht 43 . Damit lassen sich die vorgeschlagenen Lösungen zum Problem der "fahrlässigen" Anstellung so zusammenfassen: Wer eine Anscheinsvollmacht als Institut des Handelsrechts nicht anerkennt, wird eine Bindung des Vertretenen an die von einem Ladenangestellten geschlossenen Geschäfte nur dann annehmen, wenn dieser mit Wissen und Wollen des Inhabers in den Kundenverkehr eingeschaltet war. Dagegen wird, wer eine Anscheinsvollmacht zumindest im Handelsverkehr anerkennt, schon bei fahrlässiger Unkenntnis des Prinzipals von der Verkaufstätigkeit eine Bindung an die Geschäfte bejahen, sei es unmittelbar gern. § 56 HGB, sei es aufgrund einer analogen 39 RGZ 108, 48, 49; BGH NJW 1975, 2191; Bader, Duldungsvollmacht, S. 157; v. Craushaar, AcP 174 (1974), 2, 3 (Fn. 3); Fabricius, JuS 1966, 1, 50, 55; Flume, BGB AT 11, § 49, 3; ders., Rechtsgeschäft und Privatautonomie, S.135, 180; Frotz, Verkehrsschutz, S. 347ff.; Heymann / Kötter, § 56 HGB, Anm.1; Diederichsen / Marburger, BGB AT, S.117; Bandasch / Nickel, § 56 HGB, Rdn. 3; Honsell, JA 1984, 17,22; Schlegelberger / Schröder, § 56 HGB, Rdn. 2; K. Schmidt, Handelsrecht, § 16 V 3 c; wohl ebenso Würdinger, in: Großkommentar HGB, § 56, Anm.l. Vgl. zum älteren Schrifttum die Nachweise bei Frotz, Verkehrsschutz, S. 350f. Fn. 855f. und 858 - 862. 40 Gierke, Handelsrecht, § 22 VIII 1 a; Gierke / Sandrock, Handelsrecht, § 23 VIII 2 c; v. Seeler, ArchBürgR 28 (1906), 1,48; Koenige / Teichmann / Köhler, § 56 HGB, Anm. 4; Titze, in: Ehrenbergs Handbuch, 2. Band, 2. Abt., S. 951; wohl auch Staudinger / Coing, Vorbem. § 116 BGB, Rdn. 7 (die dort angeführte Entscheidung BGHZ 5, 111 betrifft nicht § 56 HGB, sondern die allgemeine Anscheinsvollmacht, "TotoFall"). 41 Baumbach / Duden / Hopt, § 56 HGB, Anm.1 B; H. Westermann, JuS 1963, 1,7 (Fn. 28); Weimar, MDR 1968, 901, 902 (anders aber ders., JR 1979, 103). 42 Vgl. dazu oben § 16 B m. Nachw. 43 So ausdrücklich Canaris, Vertrauenshaftung, S. 190,195; Peters, AcP 179 (1979), 214, 234; K. Schmidt, Handelsrecht, § 16 V 3 c; wohl ebenso Würdinger, in: Großkommentar HGB, § 56, Anm.1, mit § 54, Anm.12; Heymann / Kötter, § 56 HGB, Anm. 3.
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§ 25 § 56 HGB und die Anscheinsvollmacht im Handelsrecht
Anwendung dieser Vorschrift oder sei es kraft (allgemeiner) Anscheinsvollmacht 44 •
In. Stellungnahme Die Vertretungsmacht des Ladenangestellten folgt gern. § 56 HGB daraus, daß jemand "in einem Laden ... angestellt ist". Die Verwendung des Begriffs "angestellt" deutet darauf hin, daß diese Vorschrift ein wissentliches und gewolltes Verhalten des Prinzipals zugrunde legt, ist doch ein ungewolltes "Anstellen" schon begrifflich kaum vorstellbar. Neben dem Wortlaut des § 56 HGB spricht auch die Entstehungsgeschichte, wie Frotz 45 nachgewiesen hat, dafür, diese Vorschrift nur dann anzuwenden, wenn sich der Angestellte mit Wissen und Wollen des Inhabers zu Verkaufstätigkeiten im Laden befindet. Fraglich ist aber, ob eine solche Interpretation der Stellung des § 56 HGB im vertretungsrechtlichen Verkehrsschutzsystem gerecht wird. Insoweit hat sich bisher stets ergeben, daß das vertretungsrechtliche Verkehrsschutzsystem zunächst allein eine Lösung für die Frage bietet, ob aus der Sicht des Vertragspartners des Vertreters eine Bindung des Vertretenen überhaupt in Betracht kommt; m.a. W.: ist der objektive Tatbestand eine ausreichende Grundlage für das Vertrauen des Dritten, dem Vertreter sei eine Vollmacht erteilt worden? Erst wenn diese Frage zu bejahen war, stellte sich die weitere Frage, ob dem Vertretenen der objektive Tatbestand auch zurechenbar ist 46 . Fragt man nunmehr nach der Stellung des § 56 HGB im vertretungsrechtlichen Verkehrsschutzsystem, stellt man sogleich fest, daß auch diese Vorschrift nur eine Regelung für die vorrangige Frage enthält, ob der objektive Tatbestand eine ausreichende Vertrauensbasis für den Vertragspartner des Vertreters bietet, dagegen keine Entscheidung darüber enthält, ob dem Ladeninhaber dieser Vertrauenstatbestand auch zurechenbar ist. So verstanden besagt § 56 HGB: Der Kunde, der einen Laden oder ein offenes Warenlager betritt, darf aus dem Umstand, daß dort eine Person Kunden bedient, darauf vertrauen, dieser sei eine entsprechende Innenvollmacht erteilt worden. § 56 HGB enthält damit keine Regelung der Zurechnungsfrage: Ob dieser Rechtsscheintatbestand dem Ladeninhaber zurechenbar ist, bestimmt sich 44 Dies überrascht deshalb nicht, weil teilweise die dogmatische Grundlage der Anscheinsvollmacht in § 56 HGB gesehen wird; vgl. dazu oben § 16 B 11 2 m. Nachw. in Fn.18f. 45 Verkehrsschutz, S. 347ff. 46 Vgl. hierzu schon oben § 11 B 11 (zu §§ 171 Abs.l, 172 Abs.l BGBl und § 16 B III 2 (zur Anscheinsvollmachtl.
D. Anscheinsvollmacht im Handelsrecht
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vielmehr auch hier - ebenso wie bei den anderen Rechtsscheinvollmachten - nach den allgemeinen Bestimmungen der §§ 116ff. BGB. Nach diesen setzt eine Zurechnung des objektiven Tatbestandes nicht voraus, daß der Ladenangestellte mit Wissen und Wollen des Inhabers mit dem Publikum in rechtsgeschäftlichen Kontakt tritt. Es ist nicht einmal erforderlich, daß der Ladeninhaber hiervon positive Kenntnis hat. Vielmehr ist ihm der objektive Tatbestand schon dann zurechenbar, wenn er das Auftreten des Ladenangestellten kennen und verhindern konnte. Damit wird der Ladeninhaber jedenfalls an solche Geschäfte zunächst gebunden, die von einem Mitarbeiter abgeschlossen worden sind, der sich bestimmungsgemäß - wenngleich nicht zu Verkaufszwecken - im Laden aufhält. Fraglich ist aber, ob der Prinzipal darüber hinaus auch an solche Geschäfte gebunden wird, die von Mitarbeitern geschlossen werden, die sich unberechtigt im Laden aufhalten, oder sogar an von Unternehmensfremden im Laden abgeschlossene Kaufverträge. Zu diesem Zurechnungsproblem ist später 47 Stellung zu beziehen. Soweit dem Ladeninhaber der Rechtsscheintatbestand des § 56 HGB zurechenbar ist, führt die "fahrlässige Anstellung" dazu, daß der Prinzipal an die Kaufverträge zunächst gebunden wird. Zu untersuchen bleibt aber noch, ob der Prinzipal auch hier zu einer Anfechtung der Rechtsscheinvollmacht analog § 119 BGB berechtigt ist. Nach den Grundsätzen des bürgerlichen Rechts wäre dies anzunehmen, denn der Ladeninhaber ist sich aufgrund einer Tatsachenunkenntnis der rechtlichen Bedeutung seines Verhaltens nicht bewußt4B • Soweit sich im Handelsverkehr etwas anderes ergibt, wird auch auf das Problem der Rechtsfolgen der "fahrlässigen" Anstellung zurückzukommen sein 49 • D. Die Anscheinsvollmacht im Handelsrecht I. Die mögliche Argumentation
Die Anscheinsvollmacht wird von einigen Autoren allein im Handelsrecht anerkannt: Während der Vertretene im Bereich des allgemeinen bürgerlichen Rechts dem Vertragspartner des Vertreters lediglich zum Ersatz des Vertrauensschadens verpflichtet sei, werde der Kaufmann aufgrund der (unanfechtbaren) Anscheinsvollmacht an die Vertretergeschäfte gebunden 50 • Trifft es zu, daß die Anscheinsvollmacht den Vertretenen endgültig an die Vertretergeschäfte bindet, ließe sich mit ihrer Hilfe in der Tat gegen die 47 48 49 50
Unten § 28 C 111. Vgl. insbesondere § 16 D I (zur Anscheinsvollmacht). Vgl. unten § 28 C 11. Vgl. dazu oben § 16 B 11 5 m. Nachw. in Fn. 36, 39.
15 Stüsser
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§ 25 § 56 HGB und die Anscheinsvollmacht im Handelsrecht
Vollmachtsanfechtung argumentieren: Es wäre ein Wertungswiderspruch, gestattete man dem Kaufmann, eine Vollmacht, die er wirklich erteilen wollte, wegen Irrtums anzufechten, während man ihn bei der Anscheinsvollmacht, bei der er den Rechtsscheintatbestand nicht einmal kennt, endgültig an die Vertretergeschäfte bindet51 . Dies setzt jedoch den Nachweis voraus, daß die Anscheinsvollmacht im Handelsverkehr nicht anfechtbar ist - ein Beweis, der noch nicht geführt worden ist. 11. Begrundungsversuche eines Anfechtungsausschlusses
1. Die Ansicht von Canaris Canaris 52 geht davon aus, daß das Erklärungsbewußtsein zum notwendigen Minimaltatbestand der Willenserklärung gehört. Konsequent anerkennt er deshalb im allgemeinen bürgerlichen Recht die Anscheinsvollmacht nicht als Grundlage einer Erfüllungshaftung des Vertretenen, weil dem Vertretenen im Fall der Anscheinsvollmacht das Mitteilungsbewußtsein - das Pendant zum Erklärungsbewußtsein bei der Rechtsscheinhaftung - fehlt 53 • Anderes gelte im Handelsrecht. Dort führe die Anscheinsvollmacht zu einer Erfüllungshaftung des Vertretenen 54 • Letztlich sei die Anerkennung der Anscheinsvollmacht auf ein praktisches Bedürfnis zurückzuführen, " ... (weil) die interne Funktionsverteilung in einem arbeitsteilig organisierten Betrieb für den Dritten regelmäßig undurchschaubar ist und ... dieser sich daher an das nach außen in Erscheinung tretende Bild muß halten können. "55 Diese Beobachtung von Canaris ist sicher richtig. Aus ihr folgt aber allein, daß die Anscheinsvollmacht eine Bindung des Vertretenen an die Vertretergeschäfte bewirkt. Die Frage der Anfechtbarkeit ist damit nicht beantwortet. Hierzu meint Canaris56 , daß diese Frage kaum aktuell werde, ... weil der Geschäftsherr hier vom Handeln des Vertreters keine Kenntnis hat und ein ,Willensmangel' daher für sein Verhalten nicht kausal werden konnte ... "; eine Ausnahme bestehe nur für § 123 BGB.
51 Vgl. Brox, JA 1980, 449, 451; Eujen / Frank, JZ 1973, 232, 236; ähnlich Regelsberger, KritVJSchr. 47 (1907), 284, 290; ders., JherJB 58 (1911), 146, 164f. 52 Vertrauenshaftung, S. 427f., 548f. u. passim; ders., Festschrift Wilburg, S. 77, 79 u. passim; ders., NJW 1974, 521, 528. 53 Grundlegend Vertrauenshaftung, S.48ff., 191ff.; ders., NJW 1966, 2349, 2350; ders., Festschrift Wilburg, S. 77, 91ff. 54 Insbesondere Vertrauenshaftung, S. 191 ff., und Festschrift Wilburg, S. 77,91 ff. 55 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 193 (im Original hervorgehoben). Ihm folgt Litterer, Vertragsfolgen, S.136. 56 Vertrauenshaftung, S. 196.
D. Anscheinsvollmacht im Handelsrecht
227
2. Die Ansicht Manigks Manigk, der die Anscheinsvollmacht in die Rechtsgeschäftslehre einordnet und in ihr eine "fahrlässige Willenserklärung" sieht57 , hat sich im Bereich des bürgerlichen Rechtsverkehrs dafür ausgesprochen, daß die Anscheinsvollmacht - wie jede fahrlässige Willenserklärung58 - stets durch Anfechtung zu beseitigen sei59 . Anders dagegen ist es nach Ansicht Manigks im Handelsverkehr. Er geht davon aus, daß das Gesetz an bestimmte Verhaltensweisen - also unabhängig vom Willen - eine bestimmte Rechtsfolge anknüpft: gesetzlich typisierte Erklärungen mit normierter Wirkung 60 . Als Beispiele nennt Manigk u.a. die §§ 56, 85 61, 362 und 386 HGB62. Da die Rechtsfolgen dieses Verhaltens unabhängig vom Willen allein kraft Gesetzes einträten, ist für Manigk eine Anfechtung ausgeschlossen 63 . Neben dem Gesetz spricht Manigk auch der Verkehrssitte die Kraft zu, ein Verhalten zu typisieren 64, also einem Verhalten unanfechtbare Rechtsfolgen beizumessen. Und eine solche Typisierung durch die Verkehrssitte bejaht Manigk in den Fällen der Anscheinsvollmacht65 . Hierfür stellt Manigk den "Rechtssatz" auf: "Sein (des Geschäftsherrn) Schweigen gilt ... dann als Genehmigung der abgeschlossenen Geschäfte sowie als Bevollmächtigung des Angestellten zu weiteren Geschäften in demselben Machtkreise, wenn er bei genügender Sorgfalt Kenntnis von den Abschlüssen hätte erhalten müssen. "66
3. Stellungnahme Die Begründung von Canaris vermag einen Anfechtungsausschluß nicht zu rechtfertigen. Die Alternativen der Haftung für Erklärungen ohne Erklärungs- oder Mitteilungsbewußtsein sind eine von vornherein auf das negative Interesse gerichtete Haftung des Erklärenden oder aber dessen Bindung an das Erklärte mit einem Lösungsrecht nach §§ 119ff. BGB67, nicht aber Vollmachten, S. 638f. u. passim. Verhalten, S. 208ff.; Vollmachten, S. 631ff.; Irrtum, S.110ff. 59 Vollmachten, S. 636ff. 60 Vgl. insbesondere Verhalten, S. 102ff., 200f., 279ff.; Vollmachten, S. 660f. 61 Vorläufer des heutigen § 91 a Abs.l HGB. 62 Verhalten, S. 111. 63 Verhalten, S. 102ff., 280ff. 64 Vgl. insbesondere Irrtum, S. 151ff., 274f.; ebenso Vollmachten, S. 660ff., und Verhalten, S. 280ff. 65 Vollmachten, S. 654ff., 660ff.; Verhalten, S. 28lf. 66 Vollmachten, S. 666. 67 Diese Alternative sieht auch Canaris, Vertrauenshaftung, S. 550f.; ders., Festschrift Wilburg, S. 77, 80. 57
58
15°
228
§ 25 § 56 HGB und die Anscheinsvollmacht im Handelsrecht
eine unanfechtbare Bindung an das Erklärte 68 . Deshalb ist ein Willensmangel des Vertretenen bei der Anscheinsvollmacht, um in der Terminologie von Canaris zu bleiben, schon deshalb für das Verhalten kausal geworden, weil: ihm das Mitteilungsbewußtsein fehlte. Der Feststellung eines weiteren Willensmangels bedarf es deshalb nicht, um dem Vertretenen ein Anfechtungsrecht zu gewähren 69 • Auch die Ansicht von Manigk erweist sich bei näherer Betrachtung als petitio principii. Denn seine gesamte Theorie beruht darauf, daß es gesetzlich typisierte Verhaltensweisen gebe, deren Wirkung normiert sei und deshalb einer Anfechtung nicht unterlägen. Jedoch ist die Annahme Manigks, daß eine Anfechtung in den genannten Beispielen ausscheide, keineswegs selbstverständlich. Zwar ist Manigk zuzugeben, daß insoweit nicht jeder Irrtum zu einer Anfechtung berechtigt; dies bedeutet aber gerade nicht, daß eine Anfechtung generell ausgeschlossen ist. So läßt sich z. B. der Vorschrift des § 56 HGB nicht entnehmen, ob und unter welchen Voraussetzungen die Vertretungsmacht des Ladenangestellten durch Anfechtung beseitigt werden kann 70 . Und auch das Schweigen des Kaufmanns auf einen Antrag nach § 362 HGB ist keinesfalls immer der Anfechtung gem. § 119 BGB entzogen 71 . Dies gilt ebenfalls für § 386 HGB und § 91 a HGB72, der Nachfolgevorschrift des § 85 HGB a.F. Mit anderen Worten: "gesetzlich typisiertes Verhalten mit normierter Wirkung" i. S. Manigks ist dem geltenden Recht fremd. Dies gilt ebenso für das "durch die Verkehrssitte typisierte Verhalten": Unabhängig von der Frage, ob durch die Verkehrssitte überhaupt die Vorschriften der §§ 119 ff. BGB abbedungen werden können, fehlt jedenfalls der Nachweis, daß eine solche Verkehrssitte existiert 73 . Somit läßt sich die Unanfechtbarkeit der Anscheinsvollmacht im Handeisverkehr auch nicht mit einem aufgrund der Verkehrssitte typisierten Verhalten begründen. Deshalb ist zunächst davon auszugehen, daß die Anscheinsvollmacht auch im Handelsverkehr lediglich zu einer anfechtbaren Scheinvollmacht führt. Soweit sich im weiteren Verlauf der Untersuchung hiervon Ausnahmen ergeben, wird auf das Problem der Anscheinsvollmacht im Handelsverkehr zurückzukommen sein 74 . Vgl. dazu oben § 5 D III, IV. Canaris versucht also, mit der im Prinzip richtigen Erkenntnis zwei Schritte auf einmal zu begründen: abweichende Zurechnung und Anfechtungsausschluß. Deshalb überzeugt seine Argumentation nicht. 70 Vgl. oben § 25 B 11 71 Vgl. dazu näher unten § 27 A III. 72 Vgl. dazu näher unten § 27 B H. 73 Hanau, AcP 165 (1965), 220, 233f.; siehe dazu schon oben § 23 B H. 74 Vgl. unten § 28 C H, III; dort unter HI auch zu den notwendigen Modifizierungen der Zurechnung. 68 69
E. Zusammenfassung
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E. Zusammenfassung zum 2. Abschnitt Die Ausgestaltung des vertretungsrechtlichen Verkehrsschutzes in den §§ 48ff. HGB gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß die Frage der Vollmachtsanfechtung im Handelsverkehr anders zu beurteilen ist als im allgemeinen bürgerlichen Rechtsverkehr. Besonderheiten gelten insoweit nur für die im Handelsregister eingetragene Prokura. Dies aber ist keine Folge des vertretungsrechtlichen Verkehrsschutzes, sondern des registerrechtlichen Verkehrsschutzes; deshalb lassen sich hieraus für sonstige Fälle der handeIsrechtlichen Vollmachten keine Rückschlüsse ziehen.
3. Abschnitt
Die besondere Beteiligung des Kaufmanns am Geschäftsverkehr und die Konsequenzen für die Vollmachtsanfechtung § 26 Die unternehmensbezogenen Vollmachten als Akte
der Organisation des kaufmännischen Unternehmens A. Problemstellung
Es hatte sich soeben gezeigt, daß in der Ausgestaltung des vertretungsrechtlichen Verkehrsschutzes des HGB keine Anhaltspunkte dafür zu finden sind, daß die handelsrechtlichen Vollmachten hinsichtlich der Anfechtbarkeit anderen Regelungen unterliegen als nach allgemeinem bürgerlichen Recht. Hieraus läßt sich aber nicht im Umkehrschluß folgern, daß eine Gleichbehandlung rechtlich geboten sei, bestehen doch außer der unterschiedlichen Ausgestaltung des vertretungsrechtlichen Verkehrsschutzes weitere beträchtliche Unterschiede zwischen dem bürgerlichen und dem Handelsrecht. In diesem Zusammenhang interessiert hier die unterschiedliche Beteiligung von Kaufleuten und Privaten am Geschäftsverkehr und die sich daraus möglicherweise ergebenden Folgerungen für die Anfechtung der handelsrechtlichen Vollmachten. Dabei kommt dem kaufmännischen Unternehmen eine zentrale Bedeutung zu. B. Die Bedeutung des Unternehmens für die Beteiligung des Kaufmanns am Geschäftsverkehr I. Die tatsächliche Bedeutung des Unternehmens
Bei Verträgen zwischen Privatleuten steht die Person des jeweiligen Vertragspartners im Vordergrund. So vermietet der Vermieter seine Wohnung an einen Privatmann, weil er diesen für zuverlässig, für zahlungsfähig hält. Anders aber ist es im geschäftlichen Verkehr mit einem Kaufmann. Hier ist die Person des Kaufmanns für den Vertragspartner häufig unbedeutend; oft weiß der Vertragspartner nicht einmal, wer Inhaber des Unternehmens ist. Vielmehr kommt es dem Vertragspartner des Kaufmanns auf die Leistungsfähigkeit "des Unternehmens" an. So trifft beispielsweise der Käufer eines
B. Beteiligung des Kaufmanns am Geschäftsverkehr
231
technischen Gerätes die Wahl seines Vertragspartners nicht danach, ob der Inhaber eventuelle Wartungsarbeiten oder Reparaturen durchführen kann, sondern danach, ob das Unternehmen über einen leistungsfähigen Reparaturservice verfügt. Die Bedeutung des Unternehmens für den Geschäftsverkehr läßt sich kaum treffender ausdrücken, als dies Endemann 1 im Jahre 1865 gelungen ist: "Das Geschäft ist der Komplex der nicht blos für den Handel bestimmten (todten) Produktivrnittel, sondern der in Bewegung befindlichen, thätigen Kapitale und Arbeitskräfte. Das Wesen des Geschäfts erschöpft sich daher nicht in dem Begriff des Konglomerats von Vermögensstücken. Das Geschäft hat zunächst den Zweck, seinem Inhaber als Quelle des Gewinns, oder Einkommens zu dienen. Zugleich aber dient es der Produktion und allen ihren Zwecken im Ganzen. Es ist ein Glied und Organismus des Verkehrslebens, und insofern mehr als bloßes Produkt der Willkür und bloßes Objekt dinglicher oder persönlicher Berechtigung. Nach der Auffassung des Handels hat das Geschäft sein eigenes Leben. Der Inhaber oder Prinzipal ist häufig, und mitunter nicht einmal das, nur der Kopf oder die Seele des Geschäfts. Das Geschäft hat seinen eigenen Karakter und Gang, der keineswegs nur von dem Belieben des Inhabers diktirt wird. Dem Geschäft, nicht der Person des Prinzipals, widmen die Gehülfen, ja der Prinzipal selbst ihre Kräfte. Das Geschäft macht den Kaufmann, nicht umgekehrt. Das Geschäft als solches, nicht der Kaufmann ist es, was in den bei Weitem meisten Fällen die Neigung Dritter bestimmt, in Verkehr zu treten. Das Geschäft ist der eigentliche Träger des Kredits".
n.
Der Untemehmensbegriff des Handelsrechts
Der handelsrechtliche Unternehmensbegriff ist nach wie vor in der Rechtswissenschaft nicht endgültig geklärt, eine allgemein anerkannte Definition hat sich nicht durchzusetzen vermocht. A4Ch sind einige Fragen heute noch umstritten 2 • Über den Kerngehalt des Begriffs "Unternehmen" i. S. d. Handelsrechts besteht aber im wesentlichen Einigkeit. Hier seien exemplarisch drei Definitionen des Unternehmensbegriffs wiedergegeben: Für Th. Raiser 3 ist das Unternehmen " ... eine auf der organisatorischen Verbindung von personellen und sachlichen Mitteln beruhende rechtliche Einheit, die nach ökonomischen Methoden arbeitet und wirtschaftliche Werte hervorbringt, um über den Markt das Interesse der Allgemeinheit an seinen Erzeugnissen und mit dem Erlös die Einkommenswünsche und sonstige Bedürfnisse der an ihm beteiligten Anteilseigner, Arbeitnehmer und Handelsrecht, S. 74. Vgl. etwa die Darstellung von Th. Raiser, ZHR 144 (1980), 206, zum Problem, ob Gewinnstreben notwendiges Unternehmensziel ist. 3 ZHR 144 (1980), 206, 231. 1
2
232
§ 26 Unternehmensbezogene Vollmachten als Organisationsakte
Unternehmensleiter zu befriedigen." - P. Raisch 4 bietet zwar keine Definition des Unternehmens, aber eine des Unternehmensträgers. Er definiert: "Unternehmer im Sinne des Handelsrechts ist, wer selbständig mittels einer auf Dauer angelegten organisierten Wirtschaftseinheit anderen Marktteilnehmern wirtschaftlich werthafte Leistungen anbietet." Diese Definition läßt sich mit K. Schmidt 5 auf das Unternehmen so umbilden: Das Unternehmen ist " ... die organisierte Wirtschafts einheit ... , mittels der der Unternehmer am Markt auftritt."
m.
Die Merkmale des handelsrechtlichen Unternehmensbegriffs im einzelnen
Aus den angeführten Definitionen des Unternehmens lassen sich die Wesensmerkmale herauslesen, die für diese Untersuchung von Bedeutung sind.
1. Das Unternehmen als organisierte Wirtschaftseinheit Die Bezeichnung des Unternehmens als organisierte Wirtschaftseinheit 6 bedeutet zunächst, daß das Unternehmen aus einer planvollen Zusammenfassung verschiedener persönlicher und sachlicher Mittel besteht. Die so geschaffene Organisation bildet eine wirtschaftliche Einheit, aber auch ohne Rechtssubjekt zu sein7 - eine rechtliche Einheit. Dies zeigt sich insbesondere daran, daß das Unternehmen als solches Gegenstand eines Kauf- B oder Pachtvertrages 9 sein kann, daß es deliktischen Schutz 10 genießt usw. l1 •
Geschichtliche Voraussetzungen, S. 193. Handelsrecht, § 4 I 2. 6 Das Merkmal der organisierten Wirtschaftseinheit in der Definition des Unternehmens ist weithin anerkannt; vgl. außer den in Fn. 3 - 5 Genannten etwa Brox, Handelsrecht, Rdn.153; Capelle / Canaris, Handelsrecht, § 4 I; Fabricius, Grundbegriffe, Rdn. 27; Hübner, Handelsrecht, Rdn. 51; Lutter, BB 1975, 613, 614; Schumann, Handelsrecht I, S. 48. 7 So die ganz h.M.; vgl. etwa Brox, Handelsrecht, Rdn. 154; Capelle / Canaris, Handelsrecht, § 4, 1; Roth, Handelsrecht, § 4, 1; Gierke / Sandrock, Handelsrecht, § 1311 2a; K. Schmidt, Handelsrecht, § 4 II 1, IV; Zöllner, ZGR 1983,82,85. A.A. aber Th. Raiser, Unternehmen, S. 166ff. 8 Vgl. § 22 Abs. 1 HGB, § 1822 Nr. 3 BGB. 9 Vgl. § 22 Abs. 2 HGB, § 1822 Nr. 4 BGB. 10 Ständige Rspr., vgl. nur BGH NJW 1983, 2195 - Photokina, m. w. Nachw.; vgl. aus der Literatur nur K. Schmidt, Handelsrecht, § 7 V; Palandt / Thomas, § 823 BGB, Anm.6g. 11 Vgl. zur rechtlichen Einheit des Unternehmens die umfangreiche Darstellung bei K. Schmidt, Handelsrecht, § § 6 - 8. 4
5
C. Bedeutung von Prokura und Handlungsvollmacht
233
2. Das Unternehmen als Mittel zur Beteiligung am Geschäftsverkehr Das zweite hier hervorzuhebende Merkmal ist, daß das Unternehmen für den Kaufmann das Mittel ist, sich am Geschäftsverkehr zu beteiligen 12 . Hiermit wird die unterschiedliche Beteiligung des Kaufmanns und des Privatmanns 13 am Geschäftsverkehr deutlich. Während dieser sich persönlich am Markt als Nachfrager und teilweise auch als Anbieter von Waren und Dienstleistungen beteiligt, tritt die Person des Kaufmanns hinter seinen Unternehmen zurück: Nicht der Kaufmann in Person ist Teilnehmer am Geschäftsverkehr, sondern er beteiligt sich hieran mittels seines Unternehmens.
c.
Die Bedeutung von Prokura und Handlungsvollmacht für das Unternehmen
Welche Bedeutung den handelsrechtlichen Vollmachten für die Beteiligung des Kaufmanns am Geschäftsverkehr zukommt, gilt es nun zu klären. Dabei wird zunächst exemplarisch die Prokura herausgegriffen, bevor anschließend auf die Handlungsvollmacht eingegangen wird. I. Die Prokura als Akt der Organisation des Unternehmens
Die Prokura ist eine Vollmacht mit gesetzlich umschriebenem Umfang. Erteilt der Prinzipal eine Prokura, so bedeutet dies zunächst nur, daß der Prokurist den Prinzipal vertreten kann. Bei einer so isolierten Betrachtung scheint der Prokura keine besondere Bedeutung zuzukommen. - Jedoch ist es schon sehr unrealistisch, eine isolierte Prokura anzunehmen. In der Praxis wird die Prokura kaum jemals isoliert erteilt, sondern stets auf einem Grundverhältnis beruhen, insbesondere auf einem Dienstvertrag oder einem Auftrag. Kraft dieses Innenverhältnisses hat der Prokurist nicht nur die bloße Macht, den Prinzipal zu vertreten; vielmehr ist ihm eine bestimmte Aufgabe übertragen, die er in dem Unternehmen wahrzunehmen hat. Die Vertretungsmacht hat Hilfsfunktion zur Erfüllung der dem Prokuristen übertragenen Aufgabe: Mit ihrer Hilfe erst wird es dem Prokuristen ermöglicht, rechtsverbindliche Außenbeziehungen zwischen dem Unternehmensträger und Dritten anzuknüpfen. Damit ergibt sich folgender Befund: Der Kaufmann beteiligt sich am Geschäftsverkehr mit seinem Unternehmen, mit 12
Auch über dieses Merkmal besteht weitgehend Einigkeit; vgl. außer den oben
Fn. 3 - 5 Genannten z.B. Lutter, BB 1975, 613, 614; Rittner, Unternehmen, S. 20f.;
ähnlich Schumann, Handelsrecht I, S. 48. 13 Dies gilt ebenso für die Angehörigen freier Berufe; vgl. insbesondere Rittner, Unternehmen, S. 20f.; näher hierzu unten § 29 D I.
234
§ 26 Unternehmensbezogene Vollmachten als Organisationsakte
der von ihm geschaffenen organisierten Wirtschaftseinheit. Hat der Kaufmann einen Prokuristen bestellt, so hat er diesem - soziologisch ausgedrückt - in dem Unternehmen die Rolle zugewiesen, Außenbeziehungen zu Dritten anzuknüpfen. Die Erteilung der Prokura ist also ein Akt der Organistion des kaufmännischen Unternehmens 14 , speziell ein Organisationsakt der Außenbeziehungen.
n.
Die Handlungsvollmacht als Akt der Organisation des Unternehmens
Was soeben für die Prokura gesagt wurde, gilt gleichermaßen für die Handlungsvollmachten. Auch mit ihrer Erteilung organisiert der Kaufmann sein Unternehmen. Denn für die Handlungsvollmachten gilt ebenso wie für die Prokura, daß sie nicht isoliert erteilt werden. Es ist also auch den Handlungsbevollmächtigten im Unternehmen die Rolle zugewiesen, Außenbeziehungen anzuknüpfen, wobei allerdings deren Vollmachten einen gegenüber der Prokura geringeren Umfang haben. D. Sonstige Vollmachten des Kaufmanns Ob jede Vollmacht, die der Kaufmann für sein Unternehmen erteilt, Prokura oder Handlungsvollmacht ist, ist umstritten. Teilweise wird dies angenommen 15 • Nach richtiger Ansicht aber ist nicht jede Vollmacht, die der Kaufmann im Zusammenhang mit seinem Unternehmen erteilt, Prokura oder Handlungsvollmacht 16 • Vielmehr gibt es neben diesen beiden im HGB normierten Vollmachten noch zwei weitere Gruppen von Vollmachten, die von einem Kaufmann erteilt werden können. Weder Prokura noch Handlungsvollmacht ist zunächst die sog. Generalvollmachtl 7•18 , eine Vollmacht, deren Umfang weiter ist als der der Prokura. Hier gilt es für die Generalvollmacht nur festzustellen 19 , daß der Generalbevollmächtigte in die Organisation der Außenbeziehungen des Unternehmens 14 John, Rechtsperson, S. 78, spricht hier von der "möglichen" Handlungsorganisation im Gegensatz zur "notwendigen". 15 So etwa Gierke / Sandrock, Handelsrecht, § 23 11; Würdinger, in: Großkommentar HGB, Vorbem. vor § 48 HGB, vor Rdn.l. 16 So Baumbach / Duden / Hopt, § 48 HGB, Vorbem.1 Ab; Hübner, ZHR 143 (1979), 1, 7; K. Schmidt, Handelsrecht, § 16 IV 1 a, b. 17 Baumbach / Duden / Hopt, § 48 HGB, Vorbem.1 A b; Hübner, ZHR 143 (1979), 1, 7. 18 Vgl. näher zur Generalvollmacht Hübner, ZHR 143 (1979), 1; Spitzbarth, Vollmachten, S. 98ff., jeweils m. w. Nachw. 19 Die Zulässigkeit der Generalvollmacht ist nicht unumstritten. Sicher darf die Generalvollmacht nicht dazu dienen, daß die organschaftliche Vertretungsmacht auf Nicht-Organmitglieder übertragen wird; vgl. BGHZ 34, 27, 30; BGH NJW 1977, 199 = BB 1976, 1577.
E. Besondere Risiken der Anfechtung
235
eingegliedert ist ebenso wie der Prokurist und der Handlungsbevollmächtigte. Die zweite Gruppe bilden die Vollmachten, die der Kaufmann für einzelne Geschäfte an Personen erteilt, denen im kaufmännischen Unternehmen keine Funktion übertragen ist. Handlungsbevollmächtigte i. S. d. § 54 HGB ist nämlich nur der Vertreter, der dem Unternehmen angehört 20 . K. Schmidt21 nennt als Beispiele für sonstige Vollmachten, die nicht Handlungsvollmachten sind, die einem Handelsvertreter, einem Makler oder einem Rechtsanwalt in einer Handelssache erteilten Vollmachten. Der für diese Untersuchung entscheidende Unterschied besteht in folgendem: Erteilt ein Kaufmann eine Vollmacht, kann dies ein Akt der Organisation seines Unternehmens sein. So ist es bei der Prokura, bei der Handlungsvollmacht und auch bei der Generalvollmacht. Es gibt aber auch Vollmachten, die der Kaufmann einer nicht dem Unternehmen angehörigen Person erteilt, Vollmachten, die nicht Akte der Organisation des Unternehmens sind. Für diese zuletzt genannten Vollmachten gelten die nun folgenden Überlegungen nicht. E. Die besonderen Risiken der Anfechtung handelsrechtlicher Vollmachten für den Vertragspartner I. Die Organisation der Außenbeziehungen des Unternehmens
Um mit seinem Unternehmen Außenbeziehungen anzuknüpfen, stellt das Gesetz dem Kaufmann an erster Stelle die Prokura und die Handlungsvollmacht zur Verfügung, daneben auch die Generalvollmacht. Jedoch erschöpfen sich die Möglichkeiten des Kaufmanns, seine Außenbeziehungen zu organisieren, nicht hierin. So folgt unmittelbar aus dem Gesetz, daß der Kaufmann - ohne eine rechtsgeschäftliche Vollmacht erteilen zu müssenAußenbeziehungen dadurch anknüpfen kann, daß er jemanden in seinem Laden oder offenen Warenlager anstellt: § 56 HGB22. Daneben ist an sonstige Fälle der Duldungsvollmacht kraft Einräumung einer Stellung zu denken23 : Wenn der Kaufmann einem Mitarbeiter eine Stellung einräumt, die üblicherweise mit einer bestimmten Vollmacht verbunden ist, kann dieser Mitarbeiter, auch ohne daß ihm ausdrücklich oder konkludent eine Vollmacht erteilt worden ist, den Vollmachtgeber vertreten, also Außenbeziehungen anknüpfen. Dies kann der Kaufmann auch dadurch erreichen, daß So ausdrücklich K. Schmidt, Handelsrecht, § 16 IV 1 a, b. Handelsrecht, § 16 IV 1 a, b. 22 Häufig wird die bewußte Anstellung zugleich auch eine konkludente Bevollmächtigung beinhalten. 23 Vgl. dazu oben § 14 AI!. 20
21
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§ 26 Unternehmensbezogene Vollmachten als Organisationsakte
er einen nichtbevollmächtigten Mitarbeiter als Vertreter auftreten läßt: Normalfall der Duldungsvollmacht24 •25 . Der Kaufmann hat also eine Vielzahl von Möglichkeiten, die Außenbeziehungen seines Unternehmens zu organisieren. Und schon bei kleineren Unternehmen ist ein solches vertretungsrechtliches Organisationssystem erforderlich. So kann z. B. der Inhaber eines kleinen Supermarktes nicht mehr selbst alle erforderlichen Geschäfte abschließen; die Größe des Unternehmens bringt es mit sich, daß der Inhaber Vertreter einschalten muß26: Er wird Mitarbeiter mit dem Einkauf betrauen, andere mit dem Kassieren usw., und entsprechende Vollmachten erteilen27 . Auf diese Weise schafft der Kaufmann zur Anknüpfung von Rechtsbeziehungen in seinem Unternehmen eine vertretungsrechtliche Außenorganisation. Jede einzelne Vollmacht ist ein Baustein in dieser Organisation der Außenbeziehungen. Nun ist nicht jede unternehmensbezogene Vollmacht vom Inhaber des Unternehmens selbst erteilt. Nur für die Prokura bestimmt das HGB, daß diese zwingend vom Kaufmann selbst zu erteilen ist, § 48 Abs.l HGB28. Wegen ihres über die Prokura hinausgehenden Umfangs sollte dies entsprechend für die Generalvollmacht gelten 29 • Die übrigen Vollmachten brauchen nicht notwendig vom Inhaber erteilt zu werden, sondern können von Vertretern erteilt werden. Es kann auf diese Weise eine streng hierarchische Außenorganisation des Unternehmens entstehen: an der Spitze der Pyramide der Generalbevollmächtigte, darunter der Prokurist, auf der nächsten Stufe Generalhandlungsbevollmächtigte, deren Vollmachten von dem Generalbevollmächtigten oder dem Prokuristen erteilt worden sind, usw. Mit dieser Organisation der Außenbeziehungen nimmt der Kaufmann am Geschäftsverkehr teil. Für seine Vertragspartner ist diese Organisation in der Regel nicht zu durchschauen: Wer mit einem Vertreter kontrahiert, weiß nicht, ob dieser vom Kaufmann selbst oder von einem anderen Vertreter bevollmächtigt worden ispo. Eine solche Organisation der Vertretung ist bei Vgl. zum Normalfall der Duldungsvollmacht oben § 14 AI 3. Nach Informationen von Praktikern ist gerade in mittelständischen Unternehmen die gewöhnliche Duldungsvollmacht die häufigste Art, Vertretungsmacht zu begründen. 26 Hiermit ist nicht die sog. "notwendige Handlungsorganisation" i. S. v. John, Rechtsperson, S. 78, gemeint. John faßt hierunter allein die Fälle, in denen der Geschäftsherr ohne Handlungsorganisation überhaupt nicht rechtswirksam handeln kann. 27 Sofern er dies nicht tut, ergibt sich die Vertretungsmacht schon z.B. aus § 56 HGB; vgl. auch oben Fn. 25. 28 Bei den Handelsgesellschaften sind hierfür die organschaftlichen Vertreter berufen. 29 Dies sollte auch für die Vorschriften gelten, die die interne Zuständigkeit für die Prokuraerteilung betreffen; so wohl Hübner, ZHR 143 (1979), 1, 7f.; a.A. hinsichtlich § 116 Abs. 3 HGB Spitzbarth, Vollmachten, S.102. 24
25
E. Besondere Risiken der Anfechtung
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einem Privatmann, der nicht Unternehmensträger ist, kaum denkbar. Die von diesem erteilten Vollmachten sind nicht darauf ausgerichtet, eine Vielzahl von Vertragsabschlüssen mit anderen unterschiedlichen Vertragspartnern zu ermöglichen, sondern dienen viel begrenzteren Zwecken. Sie sind in der Regel darauf zugeschnitten, daß der Vertreter mit einem einzigen Vertragspartner kontrahieren kann 31 oder sollen nur den Abschluß eines einzigen Geschäfts ermöglichen32 • Untervollmachten werden nur in ganz seltenen Fällen vorkommen. Dies läßt schon erahnen, daß die Anfechtung der handelsrechtlichen Vollmachten bedeutend größere Probleme aufwirft als die Anfechtung einer von einem Privatmann erteilten Vollmacht bürgerlichen Rechts. 11. Die erhöhte Störanfälligkeit des Vertretergeschäfts bei hierarchischen Vertretungsorganisationen
Ist - wie das hier für das bürgerliche Recht bejaht worden ist - eine Vollmachtsanfechtung zulässig, ist das mit einem Vertreter abgeschlossene Geschäft erhöht störanfällig: Wegen § 166 Abs.l BGB ist ein Willensmangel des Vertreters bei Abschluß des Geschäfts beachtlich; darüber hinaus verliert der Vertragspartner seine Rechte aus dem Vertretergeschäft auch, wenn die Vollmacht aufgrund eines Willensmangels angefochten wird. Hat der Vertretene eine hierarchische Vertretungsorganisation geschaffen, wird die Zahl möglicher Störfälle erheblich erhöht, läßt man die Anfechtung der Vollmacht auch hier zu. Ist eine der in der Hierarchie oben angesiedelten Vollmachten von einem Irrtum beeinflußt, würde deren Anfechtung zunächst den von diesem Vertreter mit Dritten abgeschlossenen Geschäften die Grundlage entziehen. Aber ebenso wären die von ihm erteilten (Unter-) Vollmachten von einem Vertreter ohne Vertretungsmacht erteilt, hätten also keine Wirkung für und gegen den Inhaber des Unternehmens. Dementsprechend wird der Inhaber des Unternehmens auch nicht an die von diesem (Unter-)Vertreter geschlossenen Geschäfte gebunden. Aus der Sicht des Vertragspartners des Unternehmers ergibt sich damit: das mit einem Unternehmer abgeschlossene Geschäft ist erhöht störanfällig. Der Vertragspartner des Kaufmanns kann seine Rechte hieraus nicht nur wegen eines Willensmangels des Vertretenen und des ihm gegenüber auftretenden Vertreters (§ 166 Abs.l BGB) verlieren, sondern ebenso durch Willensmängel sonstiger Mitarbeiter des Unternehmers. 30 Anders ist es allerdings bei Prokura und Generalvollmacht, weil diese nur vom Inhaber persönlich erteilt werden können. 31 Wichtigster Anwendungsfall ist die dem Ehepartner erteilte Bankvollmacht. 32 Ein Beispiel hierfür ist die Verkaufsvollmacht, die dem Neuwagenverkäufer bei der Inzahlungnahme des Gebrauchtwagens mittels Agenturvertrags erteilt wird.
238
§ 26 Unternehmensbezogene Vollmachten als Organisationsakte
Dies möge folgendes Beispiel verdeutlichen: Der D kontrahiert mit A. A ist Arthandlungsbevollmächtigter; seine Untervollmacht ist erteilt worden von G, dem Generalhandlungsbevollmächtigten. Der Prokurist P des Inhabers I hat dem G die Handlungsvollmacht erteilt. Läßt man eine Anfechtung der handelsrechtlichen Vollmachten zu, kann D seine Ansprüche aus dem Vertretergeschäft wegen vier potentieller Irrtümer verlieren: Bei jeder der drei Bevollmächtigungserklärungen kann ein Willensmangel unterlaufen sein mit der Folge, daß nach erfolgter Anfechtung wegen § 142 Abs.l BGB A als Vertreter ohne Vertretungsmacht gehandelt hat. Außerdem ist das Geschäft wegen eines Willensmangels des A anfechtbar (§ 166 Abs. 1 BGB).
Dieses Beispiel erhellt also, daß die Zulassung einer Anfechtung der handeisrechtlichen Vollmachten zu einer deutlichen Vermehrung möglicher Störquellen für die mit einem Kaufmann geschlossenen Vertretergeschäfte führt. Ein solches Ergebnis, wonach die mit dem Kaufmann geschlossenen Geschäfte störanfälliger als die mit dem Privatmann geschlossenen Geschäfte sind, wird sich kaum mit dem handelsrechtlichen Bedürfnis nach Rechtssicherheit vereinbaren lassen.
m. Die fehlende Erkennbarkeit der Störanfälligkeit Läßt man eine Anfechtung der Vollmacht zu, ist das mit einem Vertreter abgeschlossene Geschäft stets störanfälliger als das unmittelbar mit dem Vertragspartner selbst abgeschlossene Geschäft. Für das bürgerliche Recht hatte sich die erhöhte Störanfälligkeit damit rechtfertigen lassen, daß diese für den Vertragspartner erkennbar ist 33 • Fraglich ist, ob sich die erhöhte Störanfälligkeit auch im Handelsverkehr mit der Erkennbarkeit rechtfertigen läßt, ob auch hier also für den Vertragspartner erkennbar ist, welche potentiellen Willensmängel den Bestand des Vertretergeschäfts beeinflussen können.
1. Lage bei hierarchisch strukturierter Vertretungsorganisation Hat ein Unternehmer eine hierarchisch strukturierte Vertretungsorganisation, kann der Vertragspartner des Vertreters häufig nicht mehr überblikken, welchen potentiellen Störquellen das Vertretergeschäft ausgesetzt ist. Denn für ihn ist nicht erkennbar, auf welche Weise sein Gegenüber Vertretungsmacht erhalten hat. Für den Vertragspartner ist nur erkennbar, daß das Vertretergeschäft doppelt störanfällig ist. Weitere potentielle Störquellen, die in der Abhängigkeit der (Unter-)Vollmacht seines Gegenübers vom Bestand weiterer (Haupt-)Vollmachten ihre Ursache haben, kann der Vertragspartner nicht erkennen. Schon dies zeigt, daß sich die erhöhte Störanfälligkeit des Vertretergeschäfts beim Kontakt mit einem Kaufmann im 33
Vgl. oben § 6 B II 3 b.
E. Besondere Risiken der Anfechtung
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Gegensatz zum bürgerlichen Recht nicht mit der Erkennbarkeit der Störquellen rechtfertigen läßt. 2. Die fehlende Erkennbarkeit des Geschäfts als Vertretergeschäft Während die Unerkennbarkeit der Störanfälligkeit in den soeben beschriebenen Fällen ihre Ursache in der hierarchisch strukturierten Vertretungsorganisation hatte, geht es jetzt um die Beantwortung der Frage, ob für den Vertragspartner des Kaufmanns eine erhöhte Störanfälligkeit des Geschäfts unerkennbar sein kann, ohne daß das Unternehmen eine hierarchisch strukturierte Vertretungs organisation hat. Das wäre dann der Fall, wenn der Vertragspartner des Kaufmanns mit einem Vertreter kontrahiert, ohne dessen Vertreterstellung erkennen zu können, aber gleichwohl der Vertretene aus dem Vertretergeschäft berechtigt und verpflichtet würde. Wegen des Offenheitsgrundsatzes des § 164 Abs.1 BGB ist eine solche Fallgestaltung im bürgerlichen Recht ausgeschlossen34, 35. Ergibt sich für den Vertragspartner nicht zumindest aus den Umständen, daß der Handelnde im Namen des Vertretenen gehandelt hat (§ 164 Abs.1 S.2 BGB), wirkt das Geschäft nicht für und gegen den Vertretenen; vielmehr wird der Handelnde selbst Vertragspartner, ohne daß er geltend machen kann, daß er nicht Vertragspartner werden wollte (§ 164 Abs. 2 BGB). Fraglich ist, ob der Offenheitsgrundsatz des § 164 Abs.1 BGB auch im Handelsverkehr uneingeschränkt Anwendung findet oder ob hier Modifizierungen eingreifen, die für den Vertragspartner des Kaufmanns unerkennbar machen, daß er mit einem Vertreter und nicht mit dem Inhaber kontrahiert. Soweit ersichtlich, hat sich erstmals das Reichsgericht in einer Entscheidung aus dem Jahre 1893 36 mit dieser Frage auseinandergesetzt. Das Reichsgericht hatte über folgenden Sachverhalt zu urteilen: Der Beklagte hatte zusammen mit Anton F. unter der Firma A. F. eine ORG betrieben. Für diese ORG hatte Anton F. bei der Klägerin Waren bestellt. Die Klägerin begehrt nach Auflösung der ORG Bezahlung vom Beklagten; dieser wendet ein, daß die Klägerin keine Kenntnis vom Bestehen der ORG gehabt habe.
Das Reichsgericht hat der Klage stattgegeben, weil trotz fehlender Kenntnis der Klägerin von der Existenz der OHG diese Vertragspartnerin geworden sei. Dabei stellt das Reichsgericht auf den Willen der Beteiligten ab. Anton F. habe den Willen gehabt, die OHG aus dem Geschäft zu verpflich34 Anderes gilt beim sog. "Geschäft für den, den es angeht". Da diese Grundsätze nur bei Bargeschäften des täglichen Lebens eingreifen, interessieren diese Fälle hier nicht. 35 Soweit der Nichtkaufmann Unternehmensträger ist, kann sich etwas anderes ergeben. Vgl. hierzu unten § 30 B. 36 RGZ 30, 77.
240
§ 26 Unternehmensbezogene Vollmachten als Organisationsakte
ten. Ein Wille, die OHG als Vertragspartnerin zu bekommen, wird vom Reichsgericht dann auch der Klägerin unterstellt: "Es ist vielmehr davon auszugehen, daß derjenige, welcher mit einem Kaufmanne kontrahiert, von dem er nicht weiß, ob er ein Geschäft für alleinige Rechnung oder als Teilhaber einer offenen Handelsgesellschaft betreibt, ganz allgemein den Willen habe, mit demjenigen zu kontrahieren, welcher in Wirklichkeit Inhaber des Geschäftes ist, sei es nun der Gegenkontrahent selbst oder die von diesem vertretene offene Gesellschaft. Ist aber nur ein solcher Wille des Verkäufers zu unterstellen, so kann die Feststellung allein, daß der Verkäufer nicht positiv den Willen gehabt habe, an die Gesellschaft zu verkaufen, nicht genügen, um daraus den Schluß zu ziehen, daß der Verkäufer den Willen, an die Gesellschaft nicht zu verkaufen, vielmehr nur den Willen gehabt habe, der Person des Gegenkontrahenten zu verkaufen. "37 Noch deutlicher liest sich die Modifizierung des Offenheitsgrundsatzes im Handelsverkehr in einer Entscheidung des Reichsgerichts aus dem Jahre 1907 38 . Hier formuliert das Reichsgericht: "Im kaufmännischen und im gewerblichen Verkehre kann ein Vertrag mit dem Geschäftsinhaber auch dann perfekt werden, wenn der ihn abschließende Vertreter irrtümlich für den Geschäftsinhaber selbst gehalten wird. "39 Auch diese Entscheidung begründet das Reichsgericht mit einer angeblichen Willensübereinstimmung der Parteien über den Vertretenen als Vertragspartner . In dieser Rechtsprechung, die sich bis auf ganz wenige Ausnahmen 40 durchgesetzt 41 hat, geht es stets um die Frage, ob der wirkliche Inhaber eines Unternehmens Vertragspartner wird, wenn der für das Unternehmen handelnde Vertreter nicht aufgedeckt hat, daß er nicht selbst Vertragspartner werden will, und deshalb die andere Vertragspartei den Vertreter selbst als Vertragspartner ansah. Die Rechtsprechung hat nahezu ausnahmslos den wirklichen Inhaber des Unternehmens als aus dem Vertrag verpflichtet angesehen, wenn für den Inhaber - ohne Offenlegung der Stellvertretungein Gehilfe des Inhabers 42 , der Ehemann der Alleininhaberin 43 , ein sonstiger Verwandter des Alleininhabers 44 oder der Geschäftsführer einer GmbH (und CO.)45 aufgetreten ist. Den Grund für die Modifizierung des OffenheitsRGZ 30, 77, 78. RGZ 67, 148. 39 RGZ 67, 148, 149. 40 Z.B. OLG Bremen, NJW 1970, 1277 m. abl. Anm. Lorenz. 41 S. im einzelnen die Nachw. zu weiterer Rspr. in Fn. 42 - 48 und zur Literatur in Fn. 50; außerdem z.B. RG Soergels Rspr. 1910, Nr. 3 zu § 164 BGB. 42 RG Recht 1908, Nr. 2295; OLG Rostock, Soergels Rspr. 1916, Nr. 8 zu § 164 BGB. 43 RG Recht 1908, Nr. 12; JW 1921, 1309, 1310 m. Anm. Manigk; BGH MDR 1967, 489; OLG Celle NJW 1963, 1253, 1254; a.A. OLG Bremen (Fn. 40). 44 OLG Celle, Betrieb 1963, 547; OLG Stuttgart NJW 1973, 629. 37
38
E. Besondere Risiken der Anfechtung
241
grundsatzes sah die Rechtsprechung häufig darin, der Wille der Parteien sei darauf gerichtet gewesen, daß der wirkliche Inhaber des Unternehmens Vertragspartner werde 46 . Inzwischen stellt die höchstrichterliche Rechtsprechung darauf ab, daß es der typische Sinn sei, daß bei einem unternehmensbezogenen Geschäft der (wirkliche) Inhaber des Unternehmens berechtigt und verpflichtet wird47 . Die Modifizierung des Offenheitsgrundsatzes des § 164 Abs.1 BGB sieht der BGH deshalb als gerechtfertigt an, weil der Hauptzweck dieses Grundsatzes erreicht sei. Dieser bestehe darin, die Person des Vertragspartners erkennbar zu machen. Und dies werde gerade erreicht, wenn beim unternehmensbezogenen Geschäft der Inhaber des Unternehmens Vertragspartner wird. Damit werde der Offenheitsgrundsatz nur unwesentlich dadurch durchbrochen, daß das Auseinanderfallen von Vertragsschließendem und Vertragspartei offen bleibt 48 ,49. Dieser Rechtsprechung hat sich das Schrifttum überwiegend angeschlossen50 . Ihr ist zuzustimmen. Ob allerdings mit der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs 51 von einer Durchbrechung des Offenkundigkeitsgrundsatzes gesprochen werden sollte, ist zweifelhaft. Näher liegt es, mit K. Schmidt52 davon auszugehen, daß bei unternehmensbezogenen Geschäften dem Offenheitsgrundsatz genügt ist, wenn "im Namen des Unternehmens" gehandelt worden ist, wenn also für den Vertragspartner deutlich geworden ist, daß es sich um ein Geschäft für das Unternehmen handelt. Es zeigt sich also, daß beim Geschäftsabschluß mit einem Kaufmann der Offenheitsgrundsatz modifiziert ist. Wer ein Geschäft abschließt, das zum Unternehmen der anderen Vertragspartei gehört, erhält zum VertragspartBGHZ 62, 216; BGHZ 64, 11; BGH WM 1976, 1084; BauR 1980, 353; NJW 1981, = Betrieb 1981, 2018. 46 So z.B. RGZ 30, 77, 78; 67, 148, 149; RG Recht 1908, Nr.12; OLG Stuttgart NJW 1976, 629, 630. 47 BGHZ 62, 217, 220f.; 64, 11, 14f.; BGH NJW 1981, 2569 = Betrieb 1981, 2018; BGH BB 1984, 2144, 2146; BGH WM 1984, 929. 48 BGHZ 62, 217, 221; zustimmend BGHZ 64, 11, 15. 49 Eine andere, hier nicht interessierende Frage ist, ob der handelnde Vertreter selbst aus Rechtsscheingrundsätzen haftet. Beim Handeln für die GmbH u. Co. ohne den Firmenzusatz "GmbH u. Co." wird dies seit der Grundsatzentscheidung BGHZ 64, 11, bejaht. 50 So z. B. Staudinger / Coing, § 164 BGB, Rdn.12 a; Flume, BGB AT II, § 44 I; Palandt / Heinrichs, § 164 BGB, Anm.1 a; Larenz, BGB AT, § 30 II b; Lorenz, NJW 1970, 1277, 1278; K. Schmidt, Handelsrecht, § 5 III 1; ders., JR 1975, 46lf.; Honsell, JA 1984, 17f.; Thiele, in: MünchKomm., § 164 BGB, Rdn.19, 23; Würdinger, in: Großkomm. HGB, §§ 48ff., Vorbem.1 b; kritisch allerdings Lüderitz, JuS 1976, 765, 766f., der dem Dritten ein Wahlrecht gewähren will, entweder den Inhaber oder den Vertreter in Anspruch zu nehmen. 51 BGHZ 62, 217, 221; 64, 11, 15. 52 Handelsrecht, § 5 III 1 a; ders., JR 1975, 461, 462; ähnlich Honsell, JA 1984,17, 18. 45
2569
16 Stüsser
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§ 26 Unternehmensbezogene Vollmachten als Organisationsakte
ner den tatsächlichen Inhaber dieses Unternehmens, auch wenn der für das Unternehmen Handelnde nicht deutlich gemacht hat, daß er als Vertreter auftritt, und deshalb der Eindruck entstehen mußte, er wäre selbst Vertragspartei. Oder anders ausgedrückt: Wer ein Geschäft abschließt, das zum Unternehmen der anderen Vertragspartei gehört, muß damit rechnen, mit einem Vertreter zu kontrahieren, auch wenn dies für ihn nicht erkennbar ist. Damit ist eine zweite typische handelsrechtliche Fallgruppe aufgezeigt, in der die Zulassung der Vollmachtsanfechtung dem Vertragspartner des Kaufmanns Risiken auferlegen würde, die er nicht erkennen kann: Wenn der Vertragspartner des Kaufmanns nicht erkennen kann, daß mit ihm nicht der Inhaber des Unternehmens selbst, sondern ein Vertreter verhandelt, kennt er auch nicht die doppelte Störanfälligkeit des geschlossenen Geschäfts. Er kann und braucht nur mit Willensmängeln zu rechnen, die unmittelbar das Geschäft betreffen; damit, daß ihm die Ansprüche hieraus auch durch eine Vollmachtsanfechtung entzogen werden können, kann und braucht er nicht zu rechnen. IV. Zusammenfassung
Die vorangegangenen Überlegungen zeigen, daß eine Zulassung der Vollmachtsanfechtung den Vertragspartner unterschiedlich belastet je nachdem, ob er mit einem Privatmann oder mit einem Kaufmann kontrahiert. Hat der Kaufmann - was bei einem Privatmann, der nicht Unternehmensträger ist, nicht vorstellbar ist - seine Außenbeziehungen hierarchisch organisiert, würde eine Zulassung der Vollmachtsanfechtung zunächst zu einer Erhöhung der potentiellen Fehlerquellen führen: Nicht nur ein Willensmangel bei der Bevollmächtigung des handelnden Vertreters, sondern auch ein solcher bei den übergeordneten Vollmachten würde im Fall der Anfechtung unmittelbar auf das Vertretergeschäft durchschlagen. Neben der erhöhten Störanfälligkeit würde der Vertragspartner des Kaufmanns noch dadurch besonders belastet, daß ihm nicht erkennbar ist, welche Störquellen dem Geschäft drohen. Bei einer hierarchischen Vertretungsorganisation ist es für den Vertragspartner des Kaufmanns häufig nicht erkennbar, von wievielen übergeordneten Vollmachten die des handelnden Vertreters abhängt. Und ebenso ist es möglich, daß der Vertragspartner des Kaufmanns überhaupt nicht erkennen kann, daß er nicht mit seinem Vertragspartner selbst, sondern mit dessen Vertreter kontrahiert eine Belastung, die beim Geschäftsverkehr mit einem Nichtkaufmann ebenfalls ausgeschlossen ist. Es zeigt sich damit zugleich, worauf die besondere Belastung des Vertragspartners bei der Zulassung einer Anfechtung der handelsrechtlichen Vollmachten beruht: Es ist dies die Tatsache, daß der Kaufmann mit seinem
F. Anfechtung und Verteilung des Organisationsrisikos
243
Unternehmen, mit der von ihm geschaffenen organisierten Wirtschaftseinheit am Geschäftsverkehr teilnimmt und nicht - wie der Privatmann - in der Regel persönlich. F. Die Anfechtung der handelsrechtlichen Vollmachten als Problem der Verteilung des kaufmännischen Organisationsrisikos Erteilt der Kaufmann eine Prokura, eine Handlungsvollmacht oder auch eine Generalvollmacht, organisiert er hiermit die Außenbeziehungen seines Unternehmens. Ihm eine Anfechtung dieser Vollmachten zu gestatten, würde bedeuten, ihm die Möglichkeit einzuräumen, mit Hilfe dieser Anfechtung zwar einerseits die ungewollten Wirkungen seiner WillenserklärungBevollmächtigung - zu beseitigen, darüber hinaus aber auch, die Risiken der Organisation seines kaufmännischen Unternehmens mit auf seinen Vertragspartner abzuwälzen. Es ist also die Frage der Anfechtbarkeit der handeIsrechtlichen Vollmachten eine solche der Verteilung des kaufmännischen Organisationsrisikos. Wird dem Kaufmann eine Anfechtung verwehrt, ist damit die Entscheidung gefällt, daß er allein die Risiken, die mit der Organisation des kaufmännischen Unternehmens verbunden sind, zu tragen hat. Wird dagegen die Anfechtung für zulässig erklärt, bedeutet dies, daß der Kaufmann die mit der Organistion des Unternehmens verbundenen Risiken auf seine Vertragspartner (teilweise) abwälzen darf: Diese verlieren ihre Erfüllungsansprüche aus dem Vertretergeschäft und sind statt dessen auf das negative Interesse verwiesen. Entsprechend entfällt die Verpflichtung des Vertretenen, die Vertretergeschäfte zu erfüllen, er haftet allenfalls auf das negative Interesse. Hiergegen wird man einzuwenden versuchen, daß die Frage der Vollmachtsanfechtung nicht nur im Handelsrecht, sondern auch im allgemeinen bürgerlichen Recht eine Frage der Verteilung des Organisationsrisikos sei. Richtig ist an diesem Einwand, daß der Privatmann, der eine Vollmacht erteilt, hiermit ebenfalls seine Beziehungen zu Dritten organisiert. Gleichwohl bestehen zwischen beiden Fällen so große Unterschiede, daß sie nicht vergleichbar sind. Der private Nichtunternehmensträger, der im Einzelfall eine Vollmacht erteilt, schafft hief!I1it keine dem kaufmännischen Unternehmen vergleichbare Organisation. Dagegen sind die von einem Kaufmann erteilten Vollmachten unternehmensorganisierende Akte, sie sind Bestandteil der organisierten Wirtschaftseinheit, des Unternehmens. Und dieses ist eine faktische und auch rechtlich anerkannte Einheit53 • Als Bestandteil des Unternehmens kommt damit den handelsrechtlichen Vollmachten eine besondere rechtliche Qualität zu, die bei den bürgerlichrechtlichen fehlt. 53
16"
Vgl. oben § 26 B III 1.
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§ 27 Wertung des Anfechtungsausschlusses beim Schweigen
Dies ist aber nicht der einzige Grund, aus dem heraus hinsichtlich des Gesichtspunkts der Risikoverteilung die handelsrechtlichen Vollmachten nicht mit den bürgerlichrechtlichen verglichen werden können. Es kommen vielmehr zwei weitere Gesichtspunkte hinzu. Der erste ist, daß bei den handeIsrechtlichen Vollmachten bei hierarchisch organisierter Vertretungsorganisation die Zahl der potentiellen Störfälle steigt, damit also ein höheres Risiko zu verteilen ist. Der zweite Gesichtspunkt ist der, daß für den Vertragspartner des Kaufmanns häufig nicht erkennbar ist, welche potentiellen Störquellen das mit dem Kaufmann abgeschlossene Geschäft bedrohen, sei es, daß er nicht erkennen kann, von wievielen Vollmachten die des mit ihm kontrahierenden Vertreters abhängig ist, oder sei es, daß er überhaupt nicht erkennen kann, daß sein Gegenüber nicht sein Vertragspartner selbst, sondern dessen Vertreter ist. Zusammenfassend geht es also um die Verteilung solcher Risiken, die dem allgemeinen bürgerlichen Recht fremd sind, weil sie ihre Ursache darin haben, daß mit dem Träger eines Unternehmens kontrahiert wird. G. Gang der weiteren Untersuchung
Vom bürgerlichen Recht unterscheidet sich das Problem der Anfechtung der handelsrechtlichen Vollmachten also dadurch, daß es bei ihnen um die Verteilung der besonderen Risiken der Organisation des kaufmännischen Unternehmens geht. Nachdem diese handelsrechtliche Besonderheit herausgearbeitet ist, soll im folgenden Kapitel untersucht werden, auf welcher Wertung der Anfechtungsausschluß beim Schweigen im Handelsverkehr beruht. Im Anschluß hieran ist zu erörtern, ob und inwieweit diese Wertung auch bei den handelsrechtlichen Vollmachten vorliegt und welche Konsequenzen sich hieraus für das Problem der Anfechtung dieser Vollmachten ergeben. § 27 Die dem Anfechtungsausschluß beim Schweigen
im Handelsverkehr zugrundeliegende Wertung
A. Die Einschränkung der Anfechtbarkeit des Schweigens auf einen Antrag nach § 362 HGB / auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben I. Einleitung
§ 362 HGB verpflichtet unter bestimmten, hier nicht näher interessierenden Voraussetzungen den Kaufmann, der ein Dienstleistungsgewerbe betreibt, auf eingehende Angebote unverzüglich zu antworten. Unte,rbleibt
A. Schweigen auf kaufmännisches Bestätigungsschreiben
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die Antwort des Kaufmanns, so bestimmt § 362 HGB: "sein Schweigen gilt als Annahme des Antrags." Ähnliches gilt für das inzwischen gewohnheitsrechtlich verfestigte! Rechtsinstitut des Schweigens auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben. Dieses besagt: Der Empfänger eines kaufmännischen Bestätigungsschreibens muß diesem unverzüglich widersprechen, ist er mit dem Inhalt des Schreibens nicht einverstanden; widerspricht er nicht rechtzeitig, ist grundsätzlich 2 der Inhalt des Schreibens für die Parteien verbindlich 3 • 11. Die dogmatische Einordnung
Die dogmatische Grundlage der Rechtsinstitute ist umstritten. Es finden sich hier ähnliche Erklärungsversuche wie auch bei den Rechtsscheinvollmachten. Wegen der nahen Verwandtschaft dieser Rechtsinstitute wird die Frage nach der dogmatischen Einordnung hier exemplarisch an dem Rechtsinstitut des kaufmännischen Bestätigungsschreibens verdeutlicht. Die Ähnlichkeit der dogmatischen Einordnungsversuche des kaufmännischen Bestätigungsschreibens und der Rechtsscheinvollmachten zeigt schon ein kurzer Überblick. Teilweise wird in dem Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben eine stillschweigende (rechtsgeschäftliche) Willenserklärung gesehen4 ; andere sprechen von einer unwiderlegbar vermuteten oder fingierten Zustimmung 1 Vgl. nur Brox, Handelsrecht, Rdn. 291; Canaris, Vertrauenshaftung, S.206; Flurne, BGB AT II, § 36, 6; ders., AcP 161 (1962), 52, 66; Palandt / Heinrichs, § 148 BGB, Anm. 2 d; Baumbach / Duden / Hopt, § 346 HGB, Anm. 3 A b; Hopt, AcP 183 (1983), 608, 691; Larenz, BGB AT, § 33 IV; Medicus, BGB AT, Rdn. 440; K. Schmidt, Handelsrecht, § 18 III 1 a. Nach a.A. gelten die Grundsätze (nur) kraft Handelsbrauchs; vgl. etwa Diederichsen, JuS 1966, 129, 130; Ratz, in: Großkomm. HGB, § 346, Anm.110. Auch die Rechtsprechung nimmt Geltung kraft Handelsbrauchs an; vgl. etwa RGZ 54, 176, 18lf.; 95, 48, 50; BGHZ 11, 1, 5; 40, 42, 45. S. aber unten Fn.3 a.E. 2 Diese Wirkung tritt nicht ein, wenn das Schreiben so von der mündlichen Vereinbarung abweicht, daß der Absender mit einer Genehmigung nicht rechnen kann; vgl. z.B. BGHZ 7, 187, 190; BGH NJW 1974, 991, 992; Brox, Handelsrecht, Rdn. 297; Canaris, Vertrauenshaftung, S.208; Diederichsen, JuS 1966, 129, 131, 138; K. Schmidt, Handelsrecht, § 18 III 1 a. 3 Diese Wirkung entspricht der ständigen Rechtsprechung und ist auch im Schrifttum nahezu einhellig anerkannt; vgl. etwa BGHZ 7,187,189; 11, 1, 3; 40, 42, 45; 54, 236, 238f.; BGH NJW 1974, 991, 992; Canaris, Vertrauenshaftung, S. 206; Schlegelberger / Hefermehl, § 346 HGB, Rdn.119; Larenz, BGB AT, § 33 IV; Medicus, BGB AT, Rdn. 440ff.; ders., Bürgerliches Recht, Rdn. 59ff.; Ratz, in: Großkomm. HGB, § 346, Anm.110; K. Schmidt, Handelsrecht, § 18 III 1 b. Ablehnend Bydlinski, Privatautonomie, S.194 ff.; ders., FS Flurne, Bd. I, S. 335 ff., 342 ff.: dem Bestätigungsschreiben komme grundsätzlich keine konstitutive Wirkung zu, sondern nur Wirkung auf der Beweisebene; ähnlich Oßwald, Bestätigungsschreiben, S. 293ff. u. passim. Auch Kramer, in: MünchKomm., § 151 BGB, Rdn.19ff., anerkennt das Rechtsinstitut nur in sehr engen Grenzen. 4 RG Gruchot 55 (1911), 888, 892; RGZ 54, 176, 179f.; v. Craushaar, Vertrauen, S.108ff.; Kellmann, JuS 1971, 609, 616; ebenso Kramer, in: MünchKomm., § 151 BGB, Rdn. 20ff., der dem Institut aber einen sehr engen Anwendungsbereich zubilligt.
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§ 27 Wertung des Anfechtungsausschlusses beim Schweigen
des Empfängers 5 • Fabricius 6 sieht die Wirkung des Schweigens als Folge einer Pflichtverletzung, R. Schmidt7 einer Obliegenheitsverletzung anB. Sandrock 9 führt die Bindungswirkung auf das Verbot des venire contra factum proprium zurück, und Manigk 10 sieht hierin einen Fall des durch die Verkehrssitte typisierten Verhaltens mit normierter Wirkung. Es dürfte die heute überwiegende Ansicht sein, daß das Rechtsinstitut - sofern man auf eine dogmatische Begründung nicht verzichtet 11 - in die Rechtsscheinhaftung einzuordnen istl 2 •13 .
Hier soll die Frage nach der dogmatischen Grundlage des Rechtsinstituts nicht vertieft werden, trägt sie hier - ebenso wie bei den §§ 171 f. BGBl4 und bei der Duldungsvollmacht l5 - zu den im Vordergrund stehenden Sachfragen nicht bei l6 . Es sei nur soviel hierzu bemerkt: Eine stringente einheitliche Begründung wird sich nicht für alle von dem Rechtsinstitut erfaßten Fälle finden lassen. In aller Regel wird die konstitutive Wirkung des Bestätigungsschreibens kraft Rechtsgeschäft eintreten l7 . Denn aus der Sicht des Absenders des Bestätigungsschreibens, der das Rechtsinstitut kennt und dies auch von dem Empfänger erwarten darf, hat das Schweigen des Empfängers die objektive Bedeutung einer Zustimmung l8 , Und auch der subjektive Mindesttatbestand einer Willenserklärung wird in der Regel erfüllt sein, weil der Empfänger bei verkehrsgerechter Sorgfalt die Bedeutung seines Schweigens wird erkennen und den Erklärungstatbestand verhindern 5 Z.B. Krause, Schweigen, S. 127, 131; Enneccerus / Nipperdey, BGB AT, § 153 IV B 2 b; Ratz, in: Großkomm. HGB, § 346, Anm.110; Zunft, NJW 1959, 276. 6 JuS 1966, 1, 50,54. 7 Obliegenheiten, S. 121f. B Ebenso Hanau, AcP 165 (1965), 220, 239ff.; Kuchinke, JZ 1965, 167, 174. 9 RabelsZ 34 (1970), 375, 382f.; Gierke / Sandrock, Handelsrecht, § 23 III 4 b. 10 Verhalten, S. 291ff.; Irrtum, S. 274; ihm folgt Krause, Schweigen, S.125ff. 11 So K. Schmidt, Handelsrecht, § 18 III 1 d; Flurne, BGB AT II, § 36, 5; vgl. auch ders., AcP 161 (1962), 52, 66ff. 12 So insbesondere Brox, Handelsrecht, Rdn. 291; Canaris, Vertrauenshaftung, S. 206ff.; ders., FS Wilburg, S. 77, 89ff.; Capelle / Canaris, Handelsrecht, § 14 II 1; Staudinger / Coing, Vorbem. vor § 116 BGB, Rdn. 3 e u. 6a; Diederichsen, JuS 1966, 129, 135ff.; Hübner, FS Nipperdey I, S. 373,381 f., 385ff.; Larenz, BGB AT, § 33 IV. 13 Vgl. auch Litterer, Vertragsfolgen, S. 122ff., der als dogmatische Grundlage allein eine Analogie zu § 362 HGB ansieht und weitere Erklärungsversuche für unzulässig hält. 14 Vgl. dazu oben § 9 D 1. 15 Vgl. dazu oben § 13 B I. 16 So auch z.B. Medicus, BGB AT, Rdn. 442; K. Schmidt, Handelsrecht, § 18 III 1 b. 17 So auch Litterer, Vertragsfolgen, S. 116ff. (66ff.), der eine scharfe Trennung fordert zwischen den Fällen der Haftung ex voluntate und ex lege. Daß die Rechtsfolgen des kaufmännischen Bestätigungsschreibens auf einem Rechtsgeschäft beruhen können, wird auch von einigen Vertretern der Rechtsscheintheorie anerkannt; so etwa Canaris, Vertrauenshaftung, S. 207f.; Diederichsen, JuS 1966, 129, 133; ähnlich auch Larenz, BGB AT, § 33 IV (n'" sehr in (der) Nähe der Haftung aus Rechtsgeschäft. Sie unterscheidet sich .,. fast nur durch den Ausschluß der Anfechtung ... "). Auch Kuchinke, JZ 1965, 167, 169, der von einer Obliegenheitsverletzung ausgeht, anerkennt dies. IB Ebenso Litterer, Vertragsfolgen, S. 66f. (zu § 362 HGB); vgl. allgemein zur stillschweigenden Willenserklärung oben § 7 B.
A. Schweigen auf kaufmännisches Bestätigungsschreiben
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können 19 ,20. Nur ausnahmsweise läßt sich die konstitutive Wirkung nicht auf ein Rechtsgeschäft zurückführen. Zu denken ist etwa an folgendes Beispiel: Der Vertreter des A und der Vertreter des B haben im Namen von A und B Vertragsverhandlungen geführt und hierüber Aufzeichnungen angefertigt, ohne aber einen Vertrag geschlossen zu haben. A bestätigt auf der Grundlage der ihm von seinem Vertreter vorgelegten Notizen den Vertragsschluß in dem Glauben, der Vertrag sei von den Vertretern mit diesem Inhalt schon geschlossen worden. Weil auch B dies annimmt, reagiert er nicht auf das Schreiben.
Zunächst ist festzustellen, daß durch das Schweigen des B auf das Bestätigungsschreiben der Vertrag mit dem Inhalt des Schreibens zustandegekommen ist. Es handelt sich um den Fall des deklaratorischen (affirmativen) Bestätigungsschreibens mit konstitutiver Wirkung. Es macht das Wesen dieser Fallgruppe des Bestätigungsschreibens aus, daß der Vertrag vorher nicht (wirksam) geschlossen war, sei es wegen fehlender Vollmacht des Verhandlungsführers 2 1, sei es wegen Dissens 22 oder aus sonstigen Gründen 23 : durch die Grundsätze des kaufmännischen Bestätigungsschreibens soll nicht nur der Streit darüber ausgeschlossen sein, mit welchem Inhalt der Vertrag geschlossen worden ist, sondern auch darüber, ob überhaupt zuvor schon ein wirksamer Vertrag zustande gekommen war24 ,25. Und doch muß jeder Versuch, den Vertragsschluß im Beispiel rechtsgeschäftlich zu deuten, scheitern. Aus der Sicht des Absenders des Schreibens kommt dem Schweigen des Empfängers des Bestätigungsschreibens keine rechtsgeschäftliche Bedeutung zu: der Absender ging davon aus, daß der bestätigte Vertrag schon geschlossen worden sei. Auch aus der Sicht des Empfängers scheidet eine rechtsgeschäftliche Deutung aus: da auch er glaubte, der Vertrag seiwie bestätigt - geschlossen worden, will er selbst durch sein Schweigen keine Rechtsfolge in Geltung setzen. 19 Vgl. zu den subjektiven Mindesterfordernissen der Willenserklärung oben § 5 D, speziell für die stillschweigende Willenserklärung § 7 D. 20 Wer für den Tatbestand einer Willenserklärung das aktuelle Erklärungsbewußtsein fordert - vgl. die Nachweise oben § 5 Fn. 41 - 44 -, kann einen großen Teil der hier rechtsgeschäftlich verstandenen Fälle nicht rechtsgeschäftlich deuten. 21 So etwa BGHZ 7, 187, 189f.; BGH NJW 1965, 965, 966; OLG Karlsruhe, BB 1976, 665; vgl. auch BGHZ 20, 149, 153 (unwirksamer Vertragsschluß durch den allein handelnden Gesamtvertreter). 22 Z.B. Capelle / Canaris, § 14 II 2 a; grds. auch Kuchinke, JZ 1965, 167, 168, zu dessen Einschränkung s. unten Fn. 24. 23 Vgl. hierzu das im Text angeführte Beispiel. 24 So z.B. BGHZ 7, 187, 189; 11, 1,4; 20, 149, 153; BGH NJW 1965, 965, 966; 1974, 991, 992; Diederichsen, JuS 1966, 129, 130; Schlegelberger / Hefermehl, § 346 HGB, Rdn.l09, 119; Palandt / Heinrichs, § 148 BGB, Anm. 2 a; Larenz, BGB AT, § 3 IV; Ratz, in: Großkomm. HGB, § 346, Anm.l05; K. Schmidt, Handelsrecht, § 18 III 3 d. Einschränkend Kuchinke, JZ 1965, 167, 168, 175: nur solche Mängel können nicht mehr geltend gemacht werden, die den Parteien bekannt waren, mit denen sie rechneten oder rechnen mußten. 25 Voraussetzung für diese konstitutive Wirkung ist allerdings, daß der Absender des Bestätigungsschreibens hinsichtlich des vorangegangenen Vertragsschlusses gutgläubig ist.
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§ 27 Wertung des Anfechtungsausschlusses beim Schweigen
Mit der Rechtsscheinhaftung läßt sich diese Fallgruppe des kaufmännischen Bestätigungsschreibens ohne weiteres deuten: die Parteien werden ähnlich wie im Fall der §§ 171 Abs. 1, 172 Abs.l BGB26 - an deklaratorische Akte so gebunden, als handle es sich um (konstitutive) Willenserklärungen. - Es bleibt damit festzustellen, daß sich eine einheitliche dogmatische Begründung für alle Fälle des kaufmännischen Bestätigungsschreibens nicht wird finden lassen.
In.
Die Fallgruppen eines möglichen Anfechtungsausschlusses
Der Verkehrsschutz, den § 362 HGB und das Rechtsinstitut vom kaufmännischen Bestätigungsschreiben gewähren, würde weitgehend entwertet, würde man dem Empfänger des Schreibens gestatten, sein Schweigen wegen jedes i. S. d. §§ 119 ff. BGB relevanten Irrtums anzufechten. Deshalb besteht Einigkeit darüber, daß die Anfechtungsvorschriften für das Schweigen auf einen Antrag nach § 362 HGB und auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben zu modifizieren sind. Welche Abweichungen bestehen, läßt sich nur aufgrund einer systematisierenden Bildung von Fallgruppen erschließen.
1. Der Irrtum über die Bedeutung des Schweigens Nach heute nahezu einhelliger Auffassung ist ein.e Anfechtung des Schweigens auf einen Antrag nach § 362 HGB27 und auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben28 wegen eines Irrtums des Empfängers über die Bedeutung des Schweigens ausgeschlossen: Schweigt der Empfänger in der irrigen Ansicht, sein Schweigen bedeute Ablehnung des Antrags oder NichtEinverständnis mit dem Inhalt des Bestätigungsschreibens, so ist dieser Irrtum als reiner Rechtsfolgenirrtum rechtlich irrelevant. Die Rechtsfolgen des Vgl. dazu oben § 9 B. Z.B. Brox, Handelsrecht, Rdn. 301; Canaris, Vertrauenshaftung, S. 202; ders., in: Großkomm. HGB, § 362, Anm.13; Capelle / Canaris, Handelsrecht, § 14 I 2 a; Flurne, BGB AT II, § 10, 2; Fratz, Verkehrsschutz, S. 383f.; Hanau, AcP 165 (1965), 220, 250; Schlegelberger / Hefermehl, § 362 HGB, Anm.19; Krause, Schweigen, S.137; Litterer, Vertragsfolgen, S.111 f.; K. Schmidt, Handelsrecht, § 18 II 2 e bb. Vgl. aber auch Roth, Handelsrecht, § 24, 2 b, wonach "zumindest" die Anfechtung wegen schuldhaften Irrtums ausscheide. 28 Z.B. BGHZ 11, 1, 4f.; 20, 149, 154; BGH NJW 1969, 1711; 1972,45; Brox, Handelsrecht, Rdn. 301; Canaris, Vertrauenshaftung, S. 209; Capelle / Canaris, Handelsrecht, § 14 II 5 a; v. Craushaar, Vertrauen, S.112ff. (116f.); Diederichsen, JuS 1966, 129, 136f.; Flurne, BGB AT II, § 36, 7; Hanau, AcP 165 (1965), 220, 250; Schlegelberger / Hefermehl, § 346 HGB, Rdn.135; Hübner, Handelsrecht, Rdn.91; Krause, Schweigen, S.137; Kuchinke, JZ 1965, 167, 175; Larenz, BGB AT, § 33 IV; Litterer, Vertragsfolgen, S.126f.; Medicus, BGB AT, Rdn. 352; Ratz, in: Großkomm. HGB, § 346, Anm.l11; Zunft, NJW 1959, 276, 277. A.A. aber konsequent Oßwald, Bestätigungsschreiben, S.343f., der dem Bestätigungsschreiben nur Beweiswirkungen zuschreibt. 26
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A. Schweigen auf kaufmännisches Bestätigungsschreiben
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Schweigens treten kraft Gesetzes ein; der abweichende Wille des Empfängers ist unbeachtlich. In dieser Fallgruppe besteht also keine Besonderheit gegenüber dem bürgerlichen Recht. Auch dort ist die Anfechtung wegen eines Irrtums über die Rechtsfolgen eines Verhaltens ausgeschlossen 29 .
2. Die fehlende Kenntnis vom Inhalt des Antrags/Bestätigungsschreibens Die nächste Fallgruppe, in der die Frage nach einer Anfechtung relevant wird, ist die, in der der Kaufmann keine Kenntnis vom Inhalt des Schreibens erhält. Dies kann wiederum auf verschiedene Ursachen beruhen. a) Vergessen des ungelesenen Schreibens Zunächst kann der Kaufmann dann vom Inhalt eingehender Schreiben keine Kenntnis erlangen, wenn er zwar den Zugang bemerkt, dann aber das Schreiben ungelesen weglegt und vergißt 30 . Würde man dem Kaufmann ein Anfechtungsrecht zugestehen, würde § 362 HGB / der Rechtssatz vom kaufmännischen Bestätigungsschreiben weitgehend entwertet. Deshalb muß eine Anfechtung ausgeschlossen sein31 • Fraglich ist aber, ob es sich bei diesem Anfechtungsausschluß um eine handelsrechtliche Besonderheit handelt oder ob sich dieser Anfechtungsausschluß auch nach den allgemeinen Grundsätzen des bürgerlichen Rechts ergeben würde. Hat der Kaufmann einen Antrag nach § 362 HGB / ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben erhalten und ungelesen verlegt, drängt es sich auf, diesen Fall mit dem zu vergleichen, daß jemand eine Urkunde ungelesen unterschreibt, ohne sich Vorstellungen über den Inhalt zu machen. Hier ist die Anfechtung ausgeschlossen, weil ein Irrtum des Unterzeichners nicht vorliegt. Denn er nimmt die Rechtslage bewußt so hin, wie sie sich aus der Urkunde ergibt32 . Nicht anders ist es, wenn der Empfänger eines Antrags nach § 362 / eines kaufmännischen Bestätigungsschreibens dieses trotz Kenntnis des Zugangs nicht liest. Der Kaufmann weiß um die Bedeutung seines Schweigens auf Anträge nach § 362 HGB / kaufmännische Bestätigungsschreiben; sein eventuelles Nicht-Wissen hiervon ist rechtlich bedeutungslos 33 . Da der Geschäftsbesorgungskaufmann stets, ein sonstiger Kaufmann nach vorausgegangenen Vertragsverhandlungen mit Vgl. oben § 11 C I zur Vollmachtskundgabe der §§ 171 Abs.l, 172 Abs.l BGB. So der Sachverhalt RGZ 54, 176; vgl. auch RG Gruchot 5 (1911), 888. 31 So auch RGZ 54, 176, 182. 32 Vgl. RGZ 62, 201, 205; Erman / Brox, § 119 BGB, Rdn. 35; Kramer, in: MünchKomm., § 119 BGB, Rdn. 3; Larenz, BGB AT, § 20 11 a. Siegel, AcP 111 (1914), 1, 9lf., spricht insoweit von "Telquel-Erklärungen". 33 Hier gilt nichts anderes als beim Irrtum über die Rechtsfolgen des Schweigens, vgl. oben III 1. 29
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§ 27 Wertung des Anfechtungsausschlusses beim Schweigen
dem Eingang solcher Schreiben rechnen muß, nimmt auch er bewußt die Rechtslage so hin, wie sie sich aufgrund des Schreibens ergibt, wenn er es trotz Kenntnis vom Zugang nicht liest. Es handelt sich bei dem Anfechtungsausschluß in diesem Fall also ebenfalls nicht um eine handelsrechtliche Besonderheit, sondern um eine Rechtsfolge, die sich schon aus dem allgemeinen bürgerlichen Recht ergibt. b) Fehlende Kenntnis vom Zugang Die zweite Fallgruppe, in der der Kaufmann keine Kenntnis vom Inhalt des Schreibens hat, ist die, in der er schon den Zugang des Schreibens nicht bemerkt, z. B. weil es ihm versehentlich 34 oder auch absichtlich 35 von Angestellten nicht vorgelegt wird.
(1) Zurechnung der objektiven Bedeutung des Schweigens Bevor in dieser Fallgruppe die Frage nach der Anfechtbarkeit des Schweigens gestellt wird, ist zunächst zu klären, ob der Empfänger des Schreibens überhaupt an die objektive Bedeutung des Schweigens gebunden ist, ob ihm das Schweigen also trotz seiner Unkenntnis vom Zugang überhaupt zurechenbar ist. Es besteht Einigkeit darüber, daß dem Empfänger eines Antrags nach § 362 HGB oder eines kaufmännischen Bestätigungsschreibens die objektive Bedeutung des Schweigens nur zurechenbar ist, wenn das Schreiben zugegangen ist3 6 . Umstritten ist aber, ob der Zugang des Schreibens ausreicht, um dem Empfänger die Bedeutung seines Schweigens zuzurechnen 37 oder von weiteren Erfordernissen abhängt. Zwischen den Vertretern der zweiten Ansicht besteht Streit darüber, von welcher weiteren Voraussetzung die Zurechnung abhängig ist. Während überwiegend das Verschulden des Empfängers als entscheidend angesehen wird 38 , macht namentlich Canaris39 die Vgl. zu diesem Fall BGH NJW 1964, 1951. So der Sachverhalt im vielzitierten Urteil RGZ 103, 401; vgl. auch BGHZ 20, 149 (Unterschlagung des Bestätigungsschreibens durch einen Gesamtvertreter). 36 Vgl. die Nachweise in den folgenden Fn. 37 - 40. 37 So z.B. BGH NJW 1964, 951; 1965, 965, 966; Diederichsen, JuS 1966, 129, 137; Hanau, AcP 165 (1966), 220, 252f. Ebenso RGZ 103, 401, 405, u. v. Craushaar, Vertrauen, S.112ff. (116f., 118), die aber bei unverschuldeter Unkenntnis vom Zugang ein Anfechtungsrecht bejahen. 3B SO etwa Fabricius, JuS 1966, 1, 50, 5lf.; Flurne, BGB AT 11, § 36, 7; Schlegelberger / Hefermehl, § 362 HGB, Rdn. 20; Krause, Schweigen, S.132; Ratz, in: Großkomm. HGB, § 346, Anm.112 a. E. 39 Vertrauenshaftung, S. 203ff., 209f.; ders., FS Wilburg, S 77, 9lf.; ders., in: Großkomm. HGB, § 362, Anm.14; Capelle / Canaris, Handelsrecht, § 14 I 2 a; zustimmend Litterer, Vertragsfolgen, S.I11f., 124ff.; differenzierend K. Schmidt, Handelsrecht, § 18 II 2 d ee u. § 18 III 4 b, c; dazu sogleich bei und mit Fn. 52. 34 35
A. Schweigen auf kaufmännisches Bestätigungsschreiben
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Zurechnung davon abhängig, daß die Unkenntnis des Empfängers " ... in innerem Zusammenhang mit einem in seinem Geschäftskreis liegenden Risiko liegt. "40 Nach den oben41 für das bürgerliche Recht herausgearbeiteten Regeln müßte die Zurechnung der objektivEm Erklärungsbedeutung davon abhängen, ob die Unkenntnis des Empfängers vO,m Inhalt des Schreibens auf einem Verschulden beruht: dem Empfänger fehlt das Bewußtsein der rechtlichen Relevanz seines Verhaltens infolge einer Tatsachenunkenntnis (nämlich des Zugangs des Schreibens), ihm fehlt also das Erklärungsbewußtsein (Mitteilungsbewußtsein). Die objektive Erklärungsbedeutung ist dem Empfänger gleichwohl zuzurechnen, wenn er bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt die Bedeutung seines Verhaltens hätte erkennen können. Ob diese dem allgemeinen bürgerlichen Recht entnommenen Ergebnisse unbesehen auf die Tatbestände des § 362 HGB und des kaufmännischen Bestätigungsschreibens übertragen werden können, ist aber fraglich. Modifikationen sind in zwei Richtungen denkbar. Das Schweigen könnte dem Empfänger allein aufgrund des Zugangs des Schreibens ohne jedes Korrektiv zugerechnet werden 42 ; es könnte aber auch ein Abrücken vom Verschulden als Zurechnungsmaßstab erforderlich sein 43 . Eine tragfähige Begründung dafür, dem Empfänger ohne jedes Korrektiv die Bedeutung seines Schweigens zuzurechnen, wenn das Schreiben ihm zugegangen ist, wird sich nicht finden lassen. Die Vertreter dieser Ansicht stützen sich auf § 130 Abs. 1 BGB: "Der Zugang des Bestätigungsschreibens fällt noch in die Risikosphäre des Absenders .... Ist das Schreiben aber zugegangen, dann ist von seiten des Absenders alles geschehen, um den Vertrauenstatbestand ins Leben zu rufen. Auf die Kenntnisnahme des Empfängers ... kommt es infolgedessen nicht an, ebenso wie es gleichgültig ist, ob die Nichterlangung der Kenntnis verschuldet oder unverschuldet ist. "44 - Es ist schon problematisch, mit einer Norm aus dem bürgerlichen Recht ein von der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre abweichendes Ergebnis im Handelsrecht begründen zu wollen. Aber dieses Ergebnis läßt sich auch nicht der Wertung des § 130 BGB entnehmen: § 130BGB regelt allein das Wirksamwerden einer fremden Willenserklärung; deshalb erlaubt er keine RückCanaris, Vertrauenshaftung, S. 204. Allgemein zum Erklärungsbewußtsein oben § 5 D III - V; speziell für die stillschweigende Willenserklärung § 7 D III und § 8 B I; zur Rechtsscheinhaftung durch Unterlassen (Anscheinsvollmacht) § 16 D I. 42 So die oben Fn. 37 Genannten. 43 So Camlris, Litterer u. K. Schmidt, wie Fn. 39. 44 Diederichsen, JuS 1966, 129, 137 (Hervorhebung im Original); vgl. auch Hanau, AcP 165 (1965), 220, 253. 40 41
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§ 27 Wertung des Anfechtungsausschlusses beim Schweigen
schlüsse darauf, unter welchen Voraussetzungen dem Adressaten ein eigenes Verhalten zuzurechnen ist45 • Ist demnach der Zugang des Schreibens notwendige, nicht aber hinreichende Bedingung für die Zurechnung des Schweigens, bleibt zu erörtern, ob das Verschulden das in diesem Bereich angemessene Zurechnungskriterium ist. Und da zeigen schon die oben 46 angeführten Beispiele, daß das reine Verschuldensprinzip nicht recht paßt. Verlegt der Empfänger das eingehende Schreiben und vergißt es dann, bereitet das Verschuldensprinzip keinerlei Schwierigkeiten. Problematisch aber ist es, wenn ein Mitarbeiter das Schreiben versehentlich nicht weiterleitet oder absichtlich unterschlägt. Will man die Rechtssätze des § 362 HGB und des kaufmännischen Bestätigungsschreibens nicht leerlaufen lassen, ist eine Zurechnung des Schweigens in Fällen dieser Art geboten. Sie mit dem Verschuldensprinzip zu begründen, zwingt zu Unterstellungen 47 und " ... allerlei umständlichen Umwegen (Gedanke des § 166 Abs. 1 BGB? Gedanke des § 278 BGB? Organisationsverschulden?). "48 Die Zurechnung beruht in diesen Fällen, wie Canaris 49 herausgearbeitet hat, nicht auf dem Verschuldensprinzip, sondern auf dem Risikoprinzip50: Geht dem Kaufmann ein Antrag nach § 362 HGB / ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben zu, so ist es eine Frage der zweckmäßigen Organisation seines Unternehmens, ob er selbst (bzw. ein zuständiger Vertreter) von dem Schreiben Kenntnis erlangt oder nicht. Erlangt er keine Kenntnis, etwa weil ihm das Schreiben von einem Mitarbeiter nicht rechtzeitig vorgelegt wird, konkretisiert sich das typische Risiko der kaufmännischen Organisation. Dieses Risiko hat allein der Kaufmann zu tragen. Allerdings darf das Risikoprinzip nicht als Gegensatz zum Verschuldensprinzip verstanden werden 51 ; vielmehr ergänzt das Risikoprinzip das Verschuldensprinzip im Unternehmensbereich 52 . Nimmt der Kaufmann das Schreiben selbst in Empfang und verlegt es ungelesen, ist dies keine Kon45 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 202; ders., FS Wilburg, S. 77, 92; Capelle / Canaris, Handelsrecht, § 14 II 5 a. Diesen Unterschied sieht auch Hanau, AcP 165 (1965), 220, 253, selbst. 46 Bei Fn. 30, 34 und 35. 47 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 204; K. Schmidt, Handelsrecht, § 18 II 2 d ee. 48 K. Schmidt, Handelsrecht, § 18 II 2 d ee. 49 Grundlegend Canaris, Vertrauenshaftung, S. 202ff., 228ff.; ders., FS Wilburg, S. 77, 91ff.; ders., Großkomm. HGB, Anh. § 362, Anm. 22; Capelle / Canaris, Handelsrecht, § 14 I 2 a. 50 Ebenso inzwischen Hopt, AcP 183 (1983), 608, 688, 693; Larenz, BGB AT, § 33 IV; ähnlich auch K. Schmidt, Handelsrecht, § 18 II d ee. 51 So aber wohl Canaris, Vertrauenshaftung, S. 204, wenn er dem "berechtigten Kern der ,Verschuldenstheorie'" dadurch Rechnung tragen will, daß er die Zurechnung auf die "spezifischen" Betriebsrisiken beschränken will. 52 K. Schmidt, Handelsrecht, § 18 II 2 d ee; wohl auch Hopt, AcP 183 (1983), 608,688.
A. Schweigen auf kaufmännisches Bestätigungsschreiben
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kretisierung des spezifischen Betriebsrisikos, sondern schlichtes Verschulden. - Aus allem folgt: Die objektive Bedeutung des Schweigens ist dem Kaufmann dann zuzurechnen, wenn er schuldhaft keine Kenntnis vom Inhalt des Schreibens hat oder wenn seine Unkenntnis auf der Unzulänglichkeit der Organisation seines Unternehmens beruht. (2) Die Anjechtungsproblematik
Ist dem Empfänger nach dem soeben Gesagten die objektive Bedeutung seines Schweigens zuzurechnen, stellt sich erst die zweite Frage, ob er diese Wirkung durch Anfechtung beseitigen kann. Nach den oben53 für das bürgerliche Recht entwickelten Grundsätzen müßte dem Adressaten ein Anfechtungsrecht zustehen, wenn er vom Zugang des Schreibens keine Kenntnis erlangt hat: infolge der Unkenntnis einer Tatsache fehlt ihm das aktuelle Erklärungsbewußtsein (Mitteilungsbewußtsein). Würde man aber in einem solchen Fall die Anfechtung zulassen, würde der Verkehrsschutz, den § 362 HGB und das Rechtsinstitut vom Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben gewähren wollen, weitgehend entwertet. Während noch das Reichsgericht 54 die Anfechtung wegen fehlender Kenntnis vom Zugang des Schreibens zugelassen hat, besteht heute zu Recht in Rechtsprechung55 und Literatur56 im Prinzip 57 Einigkeit darüber, daß die Anfechtung ausgeschlossen ist. Damit zeigt sich in der Fallgruppe, in der der Empfänger des Antrags nach § 362 HGB / des kaufmännischen Bestätigungsschreibens keine Kenntnis vom Zugang des Schreibens erlangt hat, eine Abweichung gegenüber den Regeln des allgemeinen bürgerlichen Rechts. Hier ist die Anfechtung ausgeschlossen, ohne daß sich dies mit den bürgerlichrechtlichen Grundsätzen erklären ließe.
53 Vgl. oben § 7 D III u. § 8 B I sowie § 16 D I zum gleichgelagerten Problem bei der Anscheinsvol1macht. 54 RGZ 103, 401, 405; 129,347,349. 55 BGHZ 20, 149, 152 (ohne ausdrücklich zur Anfechtung wegen fehlender Kenntnis Stellung zu beziehen). 56 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 206; ders., in: Großkomm. HGB, § 362, Anm. 15; Diederichsen, JuS 1966, 129, 137; Hanau, AcP 165 (1965), 220, 251ff.; Schlegelberger / Hefermehl, § 346 HGB, Rdn.135; Kramer, in: MünchKomm., § 119 BGB, Rdn. 52ff., u. § 151 BGB, Rdn. 24; Krause, Schweigen, S.137; Larenz, BGB AT, § 33 IV; Ratz, in: Großkomm. HGB, § 346, Anm.112 a.E.; Zunft, NJW 1959, 276, 277. 57 Vgl. aber v. Craushaar, Vertrauen, S. 112ff. (116f., 118), der das Schweigen bei Unkenntnis des Zugangs stets zurechnet, bei fehlendem Verschulden aber die Anfechtung gestattet; ebenso K. Schmidt, Handelsrecht, § 18 III 6 b (aber widersprüchlich, weil er, a.a.O., § 18 III 4 c, mit § 18 II 2 d ee, bei fehlendem Verschulden schon die Zurechnung verneint).
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§ 27 Wertung des Anfechtungsausschlusses beim Schweigen
3. Der Irrtum über den Inhalt des Schreibens Während hinsichtlich der bisher erörterten Fallgruppen heute im Prinzip Einigkeit dahin besteht, daß eine Anfechtung des Schweigens ausgeschlossen ist, muß die nun zu behandelnde Fallgruppe als noch ungeklärt bezeichnet werden. Es geht hier darum, ob der Empfänger eines Antrags nach § 362 HGB / eines kaufmännischen Bestätigungsschreibens, der den Inhalt des Schreibens mißverstanden und deshalb nicht reagiert hat, zur Anfechtung wegen dieses Inhaltsirrtums berechtigt ist; oder anders ausgedrückt: Darf der Empfänger eines Antrags nach § 362 HGB / eines kaufmännischen Bestätigungsschreibens anfechten, wenn er bewußt geschwiegen hat, um damit den Antrag nach § 362 HGB anzunehmen oder sein Einverständnis mit dem Inhalt des Bestätigungsschreibens zum Ausdruck zu bringen, er aber von dem Inhalt des Schreibens eine falsche Vorstellung hatte? - Nach den oben 58 zum bürgerlichen Recht herausgearbeiteten Grundsätzen müßte in Fällen dieser Art der Empfänger des Schreibens - unabhängig von der dogmatischen Grundlage - zur Anfechtung berechtigt sein: Ist das Schweigen des Empfängers eine rechtsgeschäftliche Willenserklärung, ergäbe sich sein Anfechtungsrecht unmittelbar aus § 119 Abs.l BGB; sonst aber wäre § 119 Abs.l BGB analog anzuwenden. Ob eine Anfechtung wegen Irrtums über den Inhalt des Schreibens zulässig ist, ist äußerst umstritten. Generell verneinte das Reichsgericht 59 die Anfechtbarkeit des Schweigens auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben, dessen Inhalt vom Empfänger falsch verstanden worden ist, und Fabricius 60 verneint dies beim entsprechenden Irrtum über den Inhalt eines Antrags nach § 362 HGB. Häufig wird die Anfechtung dann für ausgeschlossen gehalten, wenn sich der Empfänger schuldhaft über den Inhalt des Antrags nach § 362 HGB61 oder des kaufmännischen Bestätigungsschreibens 62 irrt und deshalb schweigt. Oder anders gewendet: Die Anfechtung sei 58 Vgl. dazu oben § 11 B 11 zu §§ 171 Abs.l, 172 Abs.l BGB, § 15 Azur Duldungsvollmacht und § 16 D I zur Anscheinsvollmacht. 59 RGZ 129, 347, 348; zustimmend Ratz, in: Großkomm. HGB, § 346, Rdn.l11f. 60 JuS 1966, 1, 50, 54; Fabricius, a.a.O., S. 54f., läßt aber bei einem Irrtum über den Inhalt eines Bestätigungsschreibens die Anfechtung analog § 119 Abs.l BGB zu. Ebenfalls generell gegen jede Anfechtbarkeit z.B. Oertmann, ZBH 1 (1926), 7, 9f.; Manigk, Verhalten, S. 280, 283f. 61 Flurne, BGB AT, § 10,2; Frotz, Verkehrsschutz, S. 382, 384 m. Fn. 948; Kramer, in: MünchKomm., § 119 BGB, Rdn. 62,58; Medicus, BGB AT, Rdn. 352; ders., Bürgerliches Recht, Rdn. 58. 62 Flurne, BGB AT 11, § 36, 7 u. § 21, 9 c; Hübner, Handelsrecht, Rdn. 91; Kramer, in: MünchKomm., § 119 BGB, Rdn. 51ff. (58); Medicus, BGB AT, Rdn. 442; ders., Bürgerliches Recht, Rdn. 65; wohl auch Soergel / H.Lange / Hefermehl, § 145 BGB, Rdn. 51. Ebenso, aber nur für das kaufmännische Bestätigungsschreiben, Schlegelberger / Hefermehl, § 346 HGB, Rdn.135; K. Schmidt, Handelsrecht, § 18 III 6 b. Ähnlich Kuchinke, JZ 1965, 167, 175, der aber wegen seines dogmatischen Ausgangspunkts statt der Anfechtung für ein Widerspruchsrecht bei unverschuldetem Irrtum plädiert.
A. Schweigen auf kaufmännisches Bestätigungsschreiben
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nur dann wegen Irrtums über den Inhalt des Schreibens zulässig, wenn der Empfänger es " ... trotz sorgsamer Behandlung falsch verstanden und aufgrund dieses falschen Verständnisses geschwiegen hat. "63 Die Schwierigkeit, die Beschränkung der Anfechtung auf unverschuldete Irrtümer zu begründen, ergibt sich daraus, daß der Empfänger des Schreibens nicht nur die Möglichkeit hat, sich auf das Schreiben zu verschweigen, sondern ebenso seine Zustimmung ausdrücklich erklären kann. Eine tragfähige Begründung der Einschränkung der Anfechtbarkeit müßte also den Wertungswiderspruch vermeiden, der darin liegt, daß der Empfänger des Schreibens bei einer ausdrücklichen Zustimmung zur Anfechtung berechtigt ist, nicht aber, wenn er aufgrund desselben Irrtums schweigt. Aus dieser Überlegung folgt schon, daß sich der Anfechtungsausschluß nicht damit begründen läßt, es komme bei § 362 HGB nicht auf den Geschäftswillen an 64 oder es handle sich bei dem Schweigen um ein typisiertes Verhalten mit normierter und deshalb unanfechtbarer Wirkung 65 . Den Ausschluß der Anfechtung für schuldhafte Irrtümer über den Inhalt des kaufmännischen Bestätigungsschreibens begründet Flume66 aus der Pflichtenstellung67 des Empfängers eines kaufmännischen Bestätigungsschreibens / eines Antrags nach § 362 HGB. Für Flume68 ist das Schweigen des Empfängers keine Erklärung, sondern das Nichterklären Tatbestandsmerkmal des Rechtssatzes: Der Vertrag ist geschlossen / das Bestätigungsschreiben gilt, wenn der Empfänger nicht unverzüglich, also ohne schuldhaftes Zögern, widerspricht. Hat der Kaufmann das Schreiben nicht mit der gehörigen Sorgfalt gelesen und deshalb nicht unverzüglich widersprochen, gelte der Inhalt. So gesehen handelt es sich in der Tat - wie Flume69 betont - nicht um ein Problem des Anfechtungsausschlusses. Gleichwohl bleibt der Widerspruch zur ausdrücklich erklärten Annahme / zum Einverständnis bestehen. Dieser läßt sich auch nicht dadurch beseitigen, daß man dem Kaufmann die Berufung auf einen Irrtum stets versagt, wenn dieser auf dem unsorgfältigen Lesen der Erklärung des Vertragspartners beruht7o : eine solche Einschränkung des Anfechtungsrechts ist mit dem geltenden Recht unvereinbar 71 . Flume, BGB AT H, § 36, 7. So etwa Oertmann, ZBH 1 (1926), 7, 9f., der aber die Diskrepanz zur ausdrücklichen Erklärung erkennt. 65 So z.B. Manigk, Verhalten, S. 280, 283f. 66 BGB AT H, § 36, 7. 67 Flume sieht die Geltung des Bestätigungsschreibens aber nicht als Folge einer Pflichtverletzung an, a.a.O., § 36, 5. 68 BGB AT H, § 36, 5 u. § 10, 2; ders., AcP 161 (1962), 52, 66ff.; ebenso z.B. K. Schmidt, Handelsrecht, § 18 III 1 d. 69 BGB AT H, § 36, 7. 70 So aber Flume, BGB AT H, § 21, 9 c, u. Kramer, in: MünchKomm., § 119 BGB, Rdn. 51ff. (59). 63 64
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§ 27 Wertung des Anfechtungsausschlusses beim Schweigen
Ähnlich versucht Medicus 72 , den Widerspruch zu vermeiden. Er geht zutreffend davon aus, daß der Kaufmann an das Schweigen nicht stärker gebunden sei als an ein ausdrückliches "Ja". Deshalb versagt er dem Kaufmann bei einem schuldhaften Irrtum in beiden Fällen gleichermaßen die Anfechtung, weil es sich nicht mehr um einen unverzüglichen Widerspruch handle, wenn später ein Willensmangel geltend gemacht wird 73 ,74. Aber auch diese Argumentation ist nicht stichhaltig. "Unverzüglich" bedeutet in § 362 HGB ebenso wie in der Legaldefinition des § 121 Abs.1 BGB: ohne schuldhaftes Zögern75 . Damit bezieht sich das Verschuldensmerkmal allein auf das Zögern, auf das Nicht-Reagieren innerhalb des verkehrserforderlichen Zeitraums. Es wird also hierdurch eine Überlegungsfrist eingeräumt, deren Überschreiten durch § 362 HGB sanktioniert ist. Der Lauf der Überlegungsfrist setzt aber notwendig die Kenntnis der entscheidungserheblichen Tatsachen voraus. Deshalb ist bei einem schuldhaft unterbliebenen Widerspruch auf einen Antrag nach § 362 HGB / auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben zu differenzieren, ob sich das Verschulden auf die Ebene der Tatsachenbeschaffung oder auf die (nachfolgende) Dauer des Untätigbleibens bezieht: nur für den zweiten Fall bestimmt § 362 HGB, daß der unterbliebene oder verspätete Widerspruch unbeachtlich ist; für den ersten Fall enthält § 362 HGB keine Regelung. Dies gilt ebenso für das kaufmännische Bestätigungsschreiben. Deshalb läßt sich aus der Verpflichtung, unverzüglich zu widersprechen, nicht herleiten, daß die Geltendmachung schuldhafter Irrtümer ausgeschlossen sei. Für eine differenzierende Behandlung der Irrtumsproblematik bei § 362 HGB und beim kaufmännischen Bestätigungsschreiben hat sich Fabricius 76 ausgesprochen. Während beim Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben eine analoge Anwendung des § 119 BGB " ... aus Gründen einer - gesetzliche Willkür ausschließenden - Gleichbewertung ..... geboten sei 77 , scheide beim Schweigen auf einen Antrag nach § 362 HGB jede Anfechtung aus. Für Fabricius beruht" ... die Rechtsfolge des § 362 HGB nicht auf einer Willenserklärung, sondern auf der Verletzung einer vom Geschäftswillen des Antragsempfängers unabhängigen Rechtspflicht ..... , nämlich auf den Antrag - sei es ablehnend oder zustimmend - zu antworten 78 • Da eine Deutung des Schweigens als Annahmeerklärung ausscheide, entfiele schon aus Vgl. oben § 23 B 11. BGB AT, Rdn. 442; ders., Bürgerliches Recht, Rdn. 56ff, insbes. Rdn. 58 u. 65. 73 Ebenso K. Schmidt, Handelsrecht, § 18 III 6 b, für das kaufmännische Bestätigungsschreiben. 74 Vgl. auch Zunft, NJW 1959, 276, 277: "Die Bejahung der Anfechtbarkeit würde zu einer erheblichen zeitlichen Ungewißheit führen, zu einem ,doppelten unverzüglich' ... ". 75 Z.B. Canaris, Vertrauenshaftung, S. 202; Medicus, BGB AT, Rdn.352; K. Schmidt, Handelsrecht, § 18 II 2 d ee, m. Hinweisen auf die Entstehungsgeschichte des § 362 HGB. 76 Fabricius, JuS 1966, 1, 50, 55. 77 Fabricius, JuS 1966, 1, 50, 52ff. 78 a.a.O., S. 52. 71
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diesem Grunde die Anfechtbarkeit7 9 • Aber auch wertungsmäßig spräche" ... gegen die Anerkennung einer Anfechtungsmöglichkeit des Antragsempfängers im Rahmen des § 362 HGB ... ganz entscheidend die Erwägung, daß der gern. § 362 HGB verpflichtete Kaufmann, würde man ihm ein Anfechtungsrecht geben, besser gestellt würde, als der unter § 663 BGB fallende Rechtsgenosse. "80 Dieser müsse nämlich den vollen aus der Verletzung der Anzeigepflicht entstandenen Schaden tragen, während sich der Kaufmann durch Anfechtung auf die Haftung nach § 122 BGB zurückziehen könne. Diese Besserstellung des Kaufmanns gegenüber dem Privatmann sei durch keine sachliche Erwägung gerechtfertigt 81 . Der Ausgangspunkt der Überlegungen von Fabricius, wonach die Rechtsfolge des § 362 HGB nicht auf einer Willenserklärung beruhe, trifft so pauschal nicht ZU 82 • Gerade wenn der Empfänger durch sein Schweigen den Antrag annehmen will, ist sein Schweigen eine echte Willenserklärung83 . Selbst wenn das Gesetz den Antragsempfänger in § 362 HGB verpflichtete, stets - also sowohl ablehnend als auch annehmend - auf den zugehenden Antrag zu reagieren 84, läßt sich hieraus nicht folgern, daß die Vorschriften über die Willenserklärungen unanwendbar seien, wenn der Empfänger mit der Annahme des Antrags und damit mit einer Willenserklärung antwortet. Aber auch der zweite Einwand von Fabricius trifft auf die hier interessierenden Irrturnsfälle nicht zu, weil sich zwischen § 362 HGB und § 663 BGB durch die Bejahung einer Anfechtbarkeit keine Unterschiede ergeben. Es geht hier allein um Fälle, in denen der Empfänger, der den Antrag mißverstanden hat, diesen annehmen will und auch (ausdrücklich oder stillschweigend) annimmt. Deshalb kann sich auch der Nichtkaufmann, falls er sich in einem Irrtum über den Inhalt seiner Annahmeerklärung befand, durch Anfechtung auf die Haftung aus § 122 BGB "zurückziehen"; von einer schärferen Haftung des Privatmannes gegenüber dem Kaufmann kann also in diesen Irrtumsfällen nicht die Rede sein 85 .
Ein Ausschluß der Anfechtung wegen eines Irrtums über den Inhalt des Antrags nach § 362 HGB oder des kaufmännischen Bestätigungsschreibens ließe sich demnach nur noch mit der Begründung rechtfertigen, daß anderenfalls der Schutzzweck dieses Rechtsinstituts vereitelt würde. Und dies nehmen Brox86 und Hefermehl87 für das kaufmännische Bestätigungsschreiben an: "Bestätigungsschreiben sollen Mißverständnisse und Unstimmigkeiten, die sich bei mündlichen oder fernmündlichen Verhandlungen leicht einschleichen, beseitigen .... Der Absender muß sich insoweit darauf verlasa.a.O., S. 53. a.a.O., S. 54. 81 a.a.O., S. 54. 82 Vgl. oben bei und mit Fn. 17 - 19. 83 Fabricius, JuS 1966, 1, 11, verneint allerdings die Möglichkeit einer stillschweigenden Willenserklärung unter Abwesenden. Hierzu ist schon oben, § 7 B II 2, Stellung bezogen worden. 84 Gegen eine Antwortpflicht bei § 362 HGB eingehend anhand der Gesetzgebungsgeschichte Frotz, Verkehrsschutz, S.382f. m. Fn.944; Litterer, Vertragsfolgen, S.62ff. 85 Vgl. Frotz, Verkehrsschutz, S. 384 m. Fn. 948. 86 Handelsrecht, Rdn. 302. 87 Schlegelberger / Hefermehl, § 346 HGB, Rdn.135. Anders aber entscheidet Hefermehl, § 362 HGB, Rdn. 21 bei § 362 HGB: hier sei die Anfechtung des Schweigens bei falsch verstandenem Inhalt des Antrags zulässig. 79
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§ 27 Wertung des Anfechtungsausschlusses beim Schweigen
sen können, daß das Geschäft, so wie er es bestätigt hat, abgewickelt wird. "88 Deshalb sei die Anfechtung ausgeschlossen, wenn der Empfänger des Bestätigungsschreibens dessen Inhalt (schuldhaft) mißverstanden hat. Doch ist zu entgegnen: Der Rechtssatz vom Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben besagt lediglich, daß das Schweigen des Empfängers Zustimmung zum Inhalt des Schreibens bedeutet. Der Absender wird also davor geschützt, daß der Empfänger ihm später entgegenhält, das Schreiben weiche von der ursprünglichen Vereinbarung ab. Dagegen besagt das Rechtsinstitut nicht, der Absender dürfe sich darauf verlassen, daß das Geschäft, wie bestätigt, abgewickelt wird. Dies anerkennt auch Hefermehl89 selbst, wenn er die Anfechtung wegen eines unverschuldeten Irrtums über den Inhalt des Bestätigungsschreibens zuläßt 9o . Aus der Sicht des Absenders aber macht es keinen Unterschied, ob der Irrtum des Empfängers verschuldet ist oder nicht: er investiert in beiden Fällen das gleiche Vertrauen in das Schweigen. Läßt sich damit aus dem Schutzzweck des Rechtsinstituts nicht gegen die Anfechtbarkeit des Schweigens wegen mißverstandenen Inhalts argumentieren, bleiben Brox und Hefermehl auch die Antwort darauf schuldig, warum der Empfänger des Schreibens an sein Schweigen stärker gebunden sei als an eine ausdrückliche Zustimmungserklärung. N ach allem ist kein Grund ersichtlich, dem Kaufmann die Anfechtung seines Schweigens auf einen Antrag nach § 362 HGB oder ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben zu versagen, wenn er geschwiegen hat, um damit sein Einverständnis auszudrücken, sich aber aufgrund mißverstandenen Inhalts des Schreibens in einem Irrtum befand: vielmehr ist die Anfechtung zulässig, auch wenn der Irrtum schuldhaft war91 • Damit ergibt sich in dieser Fallgruppe gegenüber dem bürgerlichen Recht ebenfalls keine handeIsrechtliche Besonderheit.
4. Zusammenfassung Schweigt der Empfänger eines Antrags nach § 362 HGB / eines kaufmännischen Bestätigungsschreibens, ist eine Anfechtung des Schweigens aus Schlegelberger / Hefermehl, § 346 HGB, Rdn. 135. Schlegelberger / Hefermehl, § 346 HGB, Rdn. 135. 90 Brox, Handelsrecht, Rdn. 302, scheint die Anfechtung stets ausschließen zu wollen. 91 Ebenso z.B. Canaris, Vertrauenshaftung, S. 205f., 210f.; ders, in: Großkomm. HGB, § 362, Anm.15; Capelle / Canaris, Handelsrecht, § 14 I 2 b, II 5 b; Diedrichsen, JuS 1966, 129, 137; Hanau, AcP 165 (1965), 220, 254; Krause, Schweigen, S.135ff.; Larenz, BGB AT, § 33 IV; Litterer, Vertragsfolgen, S. 76, 126; Enneccerus / Nipperdey, BGB AT, § 153 IV 2 a. Nur für § 362 HGB ebenso Schlegelberger / Hefermehl, § 362 HGB, Rdn. 21. Offengelassen beim kaufmännischen Bestätigungsschreiben von BGH NJW 1969, 1711. 88 89
B. §§ 75h, 91 a. 386 Abs.1 HGB
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unterschiedlichen Gründen denkbar. Ausgeschlossen ist die Anfechtung zunächst, wenn der Empfänger des Schreibens über die Rechtsfolgen des Schweigens irrt; ebenso ist es, wenn der Empfänger vom Inhalt des Schreibens keine Kenntnis erlangt, weil er es nicht liest, obwohl er den Zugang bemerkt. Bei diesen Einschränkungen des Anfechtungsrechts handelt es sich nicht um handelsrechtliche Besonderheiten; vielmehr ergibt sich diese Rechtsfolge schon nach den Grundsätzen des bürgerlichen Rechts. Anders ist es, wenn der Empfänger den Zugang des Schreibens nicht bemerkt und dies auf einem Organisationsmangel beruht. Hier wird der Kaufmann unanfechtbar an den Inhalt des Schreibens gebunden. Diese Rechtsfolge läßt sich nicht mit den Grundsätzen des bürgerlichen Rechts erklären; es handelt sich um eine handelsrechtliche Besonderheit. Die letzte Fallgruppe, in der eine Anfechtung in Betracht kommt, ist die, in der der Kaufmann durch sein Schweigen sein Einverständnis mit dem Inhalt des Schreibens zum Ausdruck bringen will, sich dabei aber über den Inhalt des Schreibens irrt. Hier ist er - ebenso wie nach den Grundsätzen des allgemeinen bürgerlichen Rechts - zur Anfechtung des Schweigens berechtigt. Pamit besteht die handelsrechtliche Besonderheit hinsichtlich der Anfechtbarkeit des Schweigens allein darin, daß es dem Kaufmann versagt ist, sich auf fehlende Kenntnis vom Zugang des Schreibens zu berufen. B. Die Einschränkung der Anfechtbarkeit in den Fällen der §§ 7Sh, 9la, 386 Abs.l HGB I. Überblick über die Vorschriften
Ganz ähnliche Fragen wie beim Schweigen auf einen Antrag nach § 362 HGB / ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben werfen andere handelsrechtliche Vorschriften auf, in denen ebenfalls vom Gesetz an das Schweigen auf ein Schreiben positive Wirkungen geknüpft sind. Es sind dies die §§ 75h Abs.1, Abs. 2; 91a Abs.1, Abs. 2; 386 Abs.1 HGB1. Dem Schweigen des Empfängers auf die Anzeige eines Geschäftsabschlusses kommt entweder die Bedeutung einer Genehmigung des vollmachtlosen Handelns eines Vermittlungsgehilfen zu (§§ 75h, 91 a HGB) oder die der Genehmigung einer Preisüberschreitung durch den Kommissionär (§ 386 Abs.1 HGB). Über die dogmatische Einordnung der Genehmigungswirkung des Schweigens besteht auch bei diesen handelsrechtlichen Normen keine Einigkeit; es finden sich vielmehr eben die Erklärungsversuche, die auch beim kaufmännischen Bestätigungs1 § 386 HGB bildet insoweit eine Besonderheit, als der Kommittent auch Privatmann sein kann.
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§ 27 Wertung des Anfechtungsausschlusses beim Schweigen
schreiben begegnen: das Schweigen als Verletzung einer Obliegenheit2 , als typisiertes Verhalten mit normierter Wirkung 3 , als unwiderleglich vermutete 4 oder fingierte 5 Genehmigung und als Rechtsscheinhaftung 6 • - Hier wird auf eine Stellungnahme zur dogmatischen Einordnung verzichtet. 11. Das Anfechtungsproblem
Hinsichtlich der Frage der Anfechtbarkeit des Schweigens tauchen bei den §§ 75 h, 91 a, 386 Abs. 1 HGB die gleichen Fragen auf wie beim Schweigen auf einen Antrag nach § 362 HGB / auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben. Auch hier ist in drei Fallgruppen an eine Anfechtung zu denken: beim Irrtum über die Bedeutung des Schweigens, beim mißverstandenen Inhalt des angezeigten Abschlusses und bei fehlender Kenntnis von der Anzeige. Will man dem Schutz zweck dieser Vorschriften gerecht werden, ohne aber dem Absender des Schreibens einen stärkeren Schutz als bei einer ausdrücklichen Erklärung zu gewähren, muß auch hier hinsichtlich der Anfechtbarkeit differenziert werden: Ausgeschlossen ist die Anfechtung wegen Irrtums über die Bedeutung des Schweigens 7 sowie wegen fehlender Kenntnis vom ZugangB•9 ; dagegen kann der Empfänger sein Schweigen anfechten, wenn er sich über den Inhalt des Schreibens im Irrtum befand, sofern er durch sein Schweigen sein Einverständnis zum Ausdruck bringen wollte 10 •
c.
Die dem Anfechtungsausschluß zugrundeliegende Wertung I. Die relevante Fallgruppe: fehlende Kenntnis vom Zugang
Nun kann der noch offenen Frage nachgegangen werden, auf welcher handelsrechtlichen Wertung der Anfechtungsausschluß bei den genannten 2 R. Schmidt, Obliegenheiten, S. 125f. (zu § 85 HGB a.F., dem Vorläufer des heutigen § 91a HGB); Hanau, AcP 165 (1965), S. 220, 240f. (zu §§ 75 h, 91 a HGB). 3 Manigk, Verhalten, S. 285f. (zu § 85 HGB a.F.). 4 Brüggemann, in: Großkomm. HGB (4. Aufl.), § 91 a, Rdn.12. 5 Schlegelberger / Schröder, § 75 h HGB, Rdn. 3f.; ders., § 91a HGB, Rdn.15; Schlegelberger / Hefermehl, § 386 HGB, Rdn.12; Baumbach / Duden / Hopt, § 91a HGB, Anm. 4 A. 6 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 213f. (zu §§ 75 h, 91a HGB). 7 Koller, in: Großkomm. HGB, § 386, Anm. 10; Schlegelberger / Hefermehl, § 386 HGB, Rdn.12; Brüggemann, in: Großkomm. HGB (4. Auf!.), § 91 a, Rdn.12. 8 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 214 (zu §§ 75 h, 91 a); Schlegelberger / Hefermehl, § 386 HGB, Rdn.12. 9 Anders war es nach § 85 HGB a. F., der ausdrücklich auf die Kenntniserlangung vom Geschäftsabschluß abstellte. 10 Brüggemann, in: Großkomm HGB (4. Auf!.), § 91 a, Rdn.12; Schlegelberger / Hefermehl, § 386 HGB, Rdn.12; Heymann / Kötter, § 91 a HGB, Anm. 5; Koller, in: Großkomm. HGB, § 386 Anm.l0; Schlegelberger / Schröder, § 91a HGB, Rdn.15f.; a.A. Manigk, Verhalten, S. 285f., der bei § 85 HGB a.F. jede Anfechtung für ausgeschlossen hält.
C. Wertung des Anfechtungsausschlusses
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handelsrechtlichen Rechtsinstituten beruht. Dabei interessiert hier allein die Fallgruppe, in der der Anfechtungsausschluß mit den im bürgerlichen Recht geltenden Grundsätzen nicht begründet werden kann, ergibt sich doch nur insoweit eine handelsrechtliche Besonderheit. Deshalb ist zu fragen, welche gesetzliche Wertung es dem Empfänger eines Antrags nach § 362 HGB usw. verwehrt, sein Schweigen anzufechten, obwohl er keine Kenntnis vom Zugang des Schreibens hatte, ihm damit wegen einer Tatsachenunkenntnis das aktuelle Erklärungsbewußtsein (Mitteilungsbewußtsein) fehlte. Dabei ist zu berücksichtigen, daß ein scheinbarer Wertungswiderspruch darin besteht, daß dem Kaufmann zwar die Anfechtung wegen eines Irrtums über einzelne Punkte des Schweigens gestattet ist, ihm aber verwehrt wird, sich auf die Unkenntnis des gesamten Schreibens zu berufen l l . Deshalb muß die Antwort auf die hier gestellte Frage in der Lage sein, nachzuweisen, daß kein Wertungswiderspruch zwischen diesen beiden Fällen besteht. 11. Die Begründungen für den Anfechtungsausschluß bei Tatsachenunkenntnis
Der Grund, auf dem der Anfechtungsausschluß bei Unkenntnis des Empfängers vom Zugang des Schreibens beruht, ist umstritten. Für Flume 12 handelt es sich überhaupt nicht um ein Anfechtungsproblem, da er die Geltung des Inhalts des Bestätigungsschreibens als Folge des "nichtgehörigen" Verhaltens des Empfängers ansieht. Daß dem nicht so ist, ergibt sich schon daraus, daß auch das Mißverständnis über den Inhalt auf "nichtgehörigem" Verhalten des Empfängers beruhen kann, die Anfechtung hier nach richtiger Ansicht gleichwohl zulässig ist1 3 • Nach der Auffassung von Krause 14 beruht der Anfechtungsausschluß darauf, daß das Schweigen des Empfängers nicht als stillschweigende Willenserklärung zu qualifizieren sei; dagegen sei eine Anfechtung möglich, wo der Empfänger durch sein Schweigen sein Einverständnis erklären wollte, also eine stillschweigende Willenserklärung abgegeben habe. Da die Anfechtbarkeit jedoch nicht davon abhängig ist, wie das Schweigen im Einzelfall dogmatisch einzuordnen ist, vermag auch diese Begründung nicht zu überzeugen. Einen völlig anderen Weg zur Begründung des Anfechtungsausschlusses beschreitet v. Craushaar 1o . Er will das Anfechtungsrecht immer dort ausschließen, wo der Ver11
254.
Auf diesen (scheinbaren) Widerspruch weist hin z.B. Hanau, AcP 165 (1965), 220,
BGB AT II, § 36, 7. Insoweit ist z.B. Flume, BGB AT II, § 36, 7, anderer Ansicht. Hiergegen wurde schon oben, § 27 A III 3, Stellung bezogen. 14 Schweigen, S. 134ff.; ebenso Schlegelberger / Schröder, § 91 a HGB, Rdn.16. 10 Vertrauen, S. 112ff. (116f.). 12
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tragspartner auf Vertrauensschutz erhöht angewiesen ist; und diesen Fall sieht v. Craushaar dann als gegeben an, wenn der Vertrauenstatbestand - wie beim Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben - besonders störempfindlich ist. Diese Ansicht ist wenig überzeugend: Es ist unter keinem Gesichtspunkt einleuchtend, Vertrauensschutz gerade mit Rücksicht auf die unzuverlässige Vertrauensbasis zu gewähren. Allenfalls ließe sich umgekehrt argumentieren: Wer auf ein Verhalten vertraut, ist um so schutzwürdiger, je verläßlicher der Vertrauenstatbestand ist, et vice versa.
Eingehend hat sich Canaris 16 mit der Frage beschäftigt, warum dem Kaufmann die Berufung auf die Unkenntnis vom Zugang des Schreibens verwehrt ist, eine Anfechtung wegen mißverstandenen Inhalts aber zulässig ist. Dies ist für Canaris eine Folge der Verteilung des Organisationsrisikos des kaufmännischen Betriebs.
m. Stellungnahme Zur Beantwortung der Frage, welche Wertung dem Anfechtungsausschluß zugrundeliegt, ist es erforderlich, zunächst Klarheit darüber zu gewinnen, unter welchen tatsächlichen Voraussetzungen der Anfechtungsausschluß überhaupt relevant wird, worauf also die Unkenntnis des Adressaten vom Zugang des Schreibens beruht. Hier lassen sich zwei verschiedene Fallgruppen bilden. Zunächst sind die schon oben 17 erwähnten Fälle zu nennen, in denen das Schreiben zwar von Mitarbeitern des Kaufmanns bemerkt wird, aber gleichwohl versehentlich oder absichtlich dem Kaufmann oder dem intern zuständigen Sachbearbeiter nicht vorgelegt wird. Die zweite Gruppe ist dadurch gekennzeichnet, daß der Zugang des Schreibens weder vom Adressaten selbst noch von Mitarbeitern bemerkt wird. Hierunter fallen die häufig diskutierten Fälle, daß der Adressat sich auf einer Geschäftsreise befindetI 8 oder krank ist1 9 • Zur Klarstellung sei bemerkt, daß nicht alle Fälle, in denen der Kaufmann keine Kenntnis vom Zugang des Schreibens erlangt, hierhin gehören. Vielmehr scheiden die Fälle aus, in denen dem Adressaten das Schweigen schon nicht zurechenbar ist 2o • So ist es in dem viel diskutierten Fall, daß das Schreiben nach dem Zugang durch einen Brand zerstört wird. Hier scheitert die Zurechnung daran, daß die fehlende Kenntnisnahme weder auf einem Verschulden21 des Empfängers beruht noch sich bei dem Brand das spezifische Organisationsrisiko des kaufmännischen Betriebs konkretisiert hat 22 • 16 Grundlegend Vertrauenshaftung, S. 228ff., u. passim; ebenso ders., FS Wilburg, S. 77, 91ff.; ders., in: Großkomm. HGB, Anh. § 362, Anm. 22. 17 § 27 A III 2 b bei und mit Fn. 34f. 18 So im Fall RGZ 105, 389; KG DJZ 1906, 264. 19 Vgl. hierzu den Fall BGH NJW 1965, 965. 20 Vgl. hierzu oben § 27 A III 2 b. 21 Hierauf stellt als entscheidend ab K. Schmidt, Handelsrecht, § 18 11 2 d ee. 22 Dies ist der entscheidende Gesichtspunkt für Canaris, Vertrauenshaftung, S. 205; ders., Großkomm. HGB, Anh. § 362, Anm.14; Litterer, Vertragsfolgen, S.126.
C. Wertung des Anfechtungsausschlusses
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Ebenfalls nicht hier einzuordnen ist der Fall, daß der Kaufmann das Schreiben nicht liest, obwohl er dessen Zugang bemerkt. Denn hier ist, wie schon oben 23 erörtert worden ist, der Anfechtungsausschluß keine handelsrechtliche Besonderheit.
Da weitere Fallgruppen, in denen der Kaufmann von eingehenden Schreiben keine Kenntnis erlangt, nicht ersichtlich sind, kann jetzt darauf eingegangen werden, ob alle Fälle des hier untersuchten Anfechtungsausschlusses auf einer einheitlichen gesetzlichen Wertung beruhen. In der ersten Fallgruppe - das Schreiben gelangt nicht an den zuständigen Bearbeiter, obwohl dessen Zugang von Mitarbeitern bemerkt wird - wird folgende Wertung als Grundlage des Anfechtungsausschlusses deutlich: Dadurch, daß der Kaufmann nicht alle im Unternehmen anfallenden Aufgaben selbst erledigen kann, sondern sich hierzu seiner Mitarbeiter und eventuell auch technischer Apparaturen bedienen muß, vermehren sich potentielle Fehlerquellen. Mitarbeiter können nachlässig im Umgang mit den Angelegenheiten des Kaufmanns sein; wegen einer undurchsichtigen Aufgabenverteilung im Unternehmen dauert es entsprechend lange, bis eingehende Post dem zuständigen Bearbeiter vorgelegt wird usw. Diese erhöhten Risiken der arbeitsteiligen Organisation würden auf die Vertragspartner des Kaufmanns abgewälzt, könnte sich dieser darauf berufen, daß seine Mitarbeiter nachlässig gewesen sind, daß Post in "seinem Hause" lange unterwegs ist usw., und könnte er deshalb die Rechtswirkungen seines Schweigens durch Anfechtung beseitigen. Diese gesamten Umstände sind für Außenstehende nicht erkennbar; diese können nicht wissen, wie der Kaufmann seinen Betrieb organisiert hat, wo Verzögerungen ihre Ursache haben usw. Der Anfechtungsausschluß will also verhindern, daß der Kaufmann die erhöhten Risiken der arbeitsteiligen Organisation seines Unternehmens auf Dritte, die diese nicht erkennen können, abwälzt. Realisiert sich im Einzelfall dieses besondere Risiko, muß der Kaufmann selbst hierfür einstehen; er darf das Risiko nicht durch Anfechtung ganz oder teilweise seinen Vertragspartnern aufbürden. Fraglich ist, ob sich der Anfechtungsausschluß auch in der zweiten Fallgruppe auf diese Wertung zurückführen läßt, in der der Zugang des Schreibens weder vom Kaufmann selbst noch von seinen Mitarbeitern bemerkt wird. Hat der Kaufmann Vertragsverhandlungen geführt, sich zum Abschluß von Geschäftsbesorgungen erboten oder arbeiten für ihn Handlungsgehilfen im Außendienst, Handelsvertreter oder Kommissionäre, muß er stets· damit rechnen, daß bei ihm Bestätigungsschreiben, Anträge auf Geschäftsbesorgungsverträge usw. eingehen. Reagiert er nicht unverzüglich auf solche Schreiben, ist sein Schweigen rechtlich relevant: Der Inhalt des Bestätigungsschreibens wird verbindlich, der Geschäftsbesorgungsvertrag kommt zustande, der schwebend unwirksame Vertrag oder die Preisüber23
§ 27 A III 2 a.
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§ 27 Wertung des Anfechtungsausschlusses beim Schweigen
schreitung ist genehmigt. Nimmt weder der Kaufmann noch einer seiner Mitarbeiter den Zugang des Schreibens zur Kenntnis, so hat dies seine Ursache darin, daß der Kaufmann keine (funktionierende) Vorsorge dafür getroffen hat, daß er selbst oder ein Vertreter die eingehende Post erhält. Er hat es beispielsweise unterlassen, für die Zeit seiner Abwesenheit einen Vertreter zu bestellen oder sich die Post nachsenden zu lassen 24 . Auch dies sind Umstände, die für Vertragspartner nicht erkennbar sind, womit diese also auch nicht rechnen können und brauchen. Wenn es dem Kaufmann verwehrt ist, sich auf die Unkenntnis vom Eingang des Schreibens zu berufen, hat dies auch hier seine Ursache in Organisationsmängeln des kaufmännischen Unternehmens: Der Kaufmann hat es unterlassen, sein Unternehmen so zu organisieren, wie dies erforderlich gewesen wäre. Auch diesen Organisationsmangel darf er nicht auf seine Vertragspartner abwälzen. Der Anfechtungsausschluß beruht also bei diesen handelsrechtlichen Rechtsinstituten stets auf einer Verteilung der besonderen Organisationsrisiken des kaufmännischen Unternehmens. Diese Risiken hat allein der Kaufmann zu tragen. Er darf sich nicht durch Anfechtung von dieser Verantwortung befreien und seine Vertragspartner hierdurch mit den Risiken der Organisation des kaufmännischen Unternehmens belasten. Es erweist sich also im Ergebnis die Ansicht von Canaris 25 als richtig. Allerdings hat Canaris die Verteilung des Organisationsrisikos nicht als Problem des Anfechtungsausschlusses gesehen. Er sieht das aktuelle Erklärungsbewußtsein als notwendige Voraussetzung einer Willenserklärung an26 ; damit schied für ihn konsequent eine rechtsgeschäftliehe Deutung des Schweigens auf einen Antrag nach § 362 HGB27, ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben 28 und in den Fällen der §§ 75 h, 91 a HGB29 aus, wenn der Empfänger von dem Zugang des Schreibens keine Kenntnis erlangt hapo. Deshalb mußte Canaris eine Begründung dafür finden, dem Adressaten das Schweigen überhaupt zuzurechnen. Hierzu dient Canaris die sog. "Rechtsscheinhaftung ,kraft kaufmännischen Betriebsrisikos'''31. Diese hat Canaris anhand von Fällen des Schweigens des Kaufmanns entwickelt32 ; er an er24 Hierauf stellt ab RGZ 105, 389. 25 Wie Fn. 16. 26 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 427f., 548f., u. passim; ders., FS Wilburg, S. 77,
79, u. passim; ders., NJW 1974, 521, 528. 27 Vertrauenshaftung, S. 200; ders., in: Großkomm. HGB, § 362, Anm.l. 28 Vertrauenshaftung, S. 206. 29 Vertrauenshaftung, S. 213f. 30 Für Canaris, Vertrauenshaftung, S. 200 f., 208, ist das Schweigen mangels Erklärungsbewußtseins nur "scheinkonkludent" , vgl. zur Terminologie Vertrauenshaftung, S.18 Fn.ll. 31 So die Überschrift Vertrauenshaftung, § 20 II (S. 228). 32 Neben den hier genannten Fällen sieht Canaris, Vertrauenshaftung, S. 191ff.; ders., FS Wilburg, S.77, 92f., weitere Anwendungsfälle der "Rechtsscheinhaftung ,kraft kaufmännischen Betriebsrisikos' ", insbesondere die Anscheinsvollmacht.
C. Wertung des Anfechtungsausschlusses
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kennt aber, daß der Anwendungsbereich nicht auf Fälle des Schweigens beschränkt ist, sondern sich sogar auf ausdrückliche Erklärungen erstreckt3 3. Da Canaris aber die Organisationsverantwortung des Kaufmanns als Zurechnungsproblem und nicht als Anfechtungsproblem sieht, hat er sich die Sicht auf die rechtlichen Auswirkungen seiner Erkenntnis eingeengt. Ebendies gilt auch für die Ansicht von K. Schmidt. Um dem "rechtspolitischen Bedürfnis nach Personifikation des Unternehmens"34 Rechnung zu tragen, sei es erforderlich, die fehlende Rechtsfähigkeit des Unternehmens 35 zu kompensieren. Eine der Konstruktionen hierfür ist für K. Schmidt die Fortentwicklung des Verschuldensprinzips zum Risikoprinzip: "Im arbeitsteilig geführten Unternehmen muß genügen, wenn das Angebot ,dem Unternehmen' zugegangen und von ,dem Unternehmen' nicht unverzüglich abgelehnt worden ist .... Bei gehöriger Sorgfalt hätte ,das Unternehmen' rechtzeitig auf das Angebot reagiert. "36 - Auch hier findet sich also das entscheidende Argument der Organisationsverantwortung: Der Vertragspartner des Kaufmanns darf nicht dadurch belastet werden, daß er es mit einem arbeitsteilig organisierten Unternehmen zu tun hat. Zusammenfassend läßt sich damit feststellen: Im Handelsrecht begegnen Modifikationen der Rechtsgeschäftslehre, die ihre Ursache in der Verteilung des Organisationsrisikos des kaufmännischen Unternehmens haben. Dieses Risiko darf der Kaufmann nicht auf seine Vertragspartner abwälzen; diese dürfen nicht dadurch belastet werden, daß ihnen der Kaufmann mit seinem Unternehmen gegenübersteht. IV. Überprüfung des Ergebnisses
1. Wertender Vergleich mit der Rechts/alge beim Irrtum über den Inhalt des Schreibens Das gefundene Ergebnis bedarf nun der näheren Überprüfung. An erster Stelle steht hierbei die Frage, ob der mögliche Wertungswiderspruch beseitigt ist, der darin zu liegen scheint, daß sich der Kaufmann zwar auf einen Irrtum hinsichtlich einzelner Punkte des Schreibens berufen darf, nicht aber auf dessen gesamte Unkenntnis. Hat der Kaufmann das Schreiben gelesen, aber einzelne Punkte mißverstanden, hat sich das gewöhnliche Risiko eines Mißverständnisses verwirklicht, wie es sich ebenso zwischen Privatpersonen realisieren kann. Daß der Kaufmann eine arbeitsteilige Vertrauenshaftung, S. 229. K. Schmidt, Handelsrecht, § 4 V. 35 Vgl. dazu oben § 26 B III 1 m. Nachw. auch zur Gegenmeinung in Fn. 7. 36 K. Schmidt, Handelsrecht, § 18 II 2 d ee, zum Schweigen auf einen Antrag nach § 362 HGB. 33
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§ 27 Wertung des Anfechtungsausschlusses beim Schweigen
Organisation zur Teilnahme am Geschäftsverkehr aufgebaut hat, ist für dieses Mißverständnis völlig ohne Bedeutung geblieben. Unter dem Gesichtspunkt der Verteilung des kaufmännischen Betriebsrisikos läßt sich also hier eine Abweichung von der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre nicht herleiten. Anders ist es, wenn der Kaufmann das Schreiben nicht zu Gesicht bekommt. Hier konkretisiert sich nicht das gewöhnliche Risiko des Mißverständnisses, sondern - wie gezeigt - das besondere Risiko der Organisation des kaufmännischen Unternehmens. Während der Vertragspartner mit dem gewöhnlichen Risiko eines Mißverständnisses bei Vertragsabschlüssen stets rechnen muß, ist das hier angesprochene Organisationsrisiko typisch nur für den Geschäftsabschluß mit einem Kaufmann. Da sich also bei mißverstandenem Inhalt des Schreibens einerseits und fehlender Kenntnis vom Zugang andererseits unterschiedliche Risiken konkretisieren, liegt kein Wertungswiderspruch darin, dem Kaufmann in dem einen Fall das Anfechtungsrecht zu gewähren, es ihm im anderen Fall aber zu versagen. Zur Abgrenzung und Verdeutlichung bedarf es noch der Erörterung eines weiteren Falles: dem intern zuständigen Vertreter ist das Bestätigungsschreiben/der Antrag nach § 362 HGB usw. vorgelegt worden; dieser mißversteht den Inhalt und schweigt, weil er mit dem falsch aufgefaßten Inhalt einverstanden ist. - Da nach § 166 Abs.1 BGB für die Frage der Anfechtbarkeit entscheidend ist, ob dem Vertreter ein Willensmangel unterlaufen ist, ist der Vertretene zur Anfechtung des Schweigens wegen des dem Vertreter unterlaufenen Irrtums befugt. Hiergegen könnte einzuwenden versucht werden, daß dieser Irrtum letztlich auch in den Risikobereich des Vertretenen fällt, weil der Irrtum eben nicht ihm selbst, sondern einem seiner Mitarbeiter unterlaufen ist. Jedoch hat sich kein Mangel in der Organisation des kaufmännischen Unternehmens realisiert, sondern das allgemeine Risiko des Mißverständnisses, wie es stets bei der Kommunikation zwischen Menschen vorkommen kann. An diesem Beispiel wird sehr deutlich, daß der Ausschluß der Anfechtung seinen Grund nicht darin findet, daß der Kaufmann einen Vertreter einschaltet: unterläuft diesem ein Irrtum, ist der Kaufmann wegen § 166 Abs.1 BGB ebenso zur Anfechtung berechtigt, als sei bei ihm selbst der Irrtum unterlaufen. Oder vom Vertragspartner des Kaufmanns aus gesehen: dieser wird nicht dadurch privilegiert, daß er mit einem Vertreter kontrahiert; dessen Willenserklärungen sind wegen eines Irrtums ebenso anfechtbar wie die vom Inhaber des Unternehmens selbst abgegebenen Willenserklärungen.
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Wertung des Anfechtungsausschlusses
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2. Die Parallelvorschrift zu § 362 HGB in § 663 BGB Näheren Aufschluß darüber, ob das gefundene Ergebnis die dem Anfechtungsausschluß zugrundeliegende Wertung trifft, verspricht auch ein Vergleich zwischen § 362 HGB und der Parallelregelung des § 663 BGB. Beide Vorschriften befassen sich mit den Rechtsfolgen des Schweigens auf einen Antrag auf eine Geschäftsbesorgung. Während nach der handelsrechtlichen Bestimmung durch das Schweigen der Geschäftsbesorgungsvertrag zustande kommt, enthält § 663 BGB keine solche Anordnung; vielmehr kommt bei § 663 BGB der Vertrag nur zustande, wenn der Antrag angenommen wird. Nimmt der Oblat den Antrag weder an noch lehnt er ihn ab, macht er sich (nur) schadensersatzpflichtig: Da es sich bei § 663 BGB um einen gesetzlich geregelten Spezialfall der culpa in contrahendo handelt 37 , hat der Oblat dem Antragenden das negative Interesse zu ersetzen38 , ihm also den durch die verspätete Ablehnung entstandenen Schaden zu ersetzen. Damit stellt sich bei § 663 BGB die Frage nach einer Anfechtung wegen fehlender Kenntnis vom Zugang des Schreibens nicht, da hier im Gegensatz zu § 362 HGB darauf verzichtet ist, den Oblaten an den Antrag zu binden. Eine dem § 362 HGB entsprechende Organisationsverantwortung wird dem Nichtkaufmann damit gerade nicht auferlegt. Er wird an den Antrag weder gebunden, wenn er keine Vorsorge dahin getroffen hat, daß ihn zugehende Schreiben erreichen, noch wenn er aus anderen Gründen von eingehenden Schreiben keine Kenntnis erlangt. Die für § 362 HGB typische Organisationsverantwortung findet sich also bei § 663 BGB nicht.
3. Das normierte Schweigen im BGB Der Anfechtungsausschluß als Folge der Verteilung des kaufmännischen Betriebsrisikos im Handelsverkehr ist entwickelt worden anhand der handeIsrechtlichen Regelungen des Schweigens mit Erklärungswirkung. Nun kennt auch das BGB einige Vorschriften, in denen dem Schweigen Erklärungswirkung zukommt. Fraglich ist, ob auch diese Vorschriften auf einer besonderen Risikoverteilung beruhen. Wäre das nämlich der Fall, würde die These vom Ausschluß der Anfechtung infolge des kaufmännischen Betriebsrisikos äußerst fragwürdig. Das BGB knüpft an das Schweigen unterschiedliche Erklärungsbedeutungen. In einigen Vorschriften bedeutet das Schweigen des Adressaten auf 37 K. Schrnidt, Handelsrecht, § 18 II 2 b; Seiler, in: MünchKomm., § 663 BGB, Rdn. 2 m. Nachw. Fn. 2; Palandt / Thomas, § 663 BGB, Anm.l; Frotz, Verkehrsschutz, S.394. 38 RGZ 104, 265, 267; Frotz, Verkehrsschutz, S. 384 Fn. 948; Seiler, in: MünchKomm., § 663 BGB, Rdn.2, 25 m. Nachw. Fn. 43; Palandt / Thomas, § 663 BGB, Anm.l; a.A., aber ohne Begründung, Fabricius, JuS 1966, 1, 50, 54.
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die Aufforderung zu einer Genehmigung deren Verweigerung; dies gilt insbesondere für die §§ 108 Abs. 2 S. 2, 177 Abs. 2 S. 2, 415 Abs. 2, S. 2, 458 Abs.1 S. 2 BGB. Nach anderen Bestimmungen dagegen hat das Schweigen positive Wirkungen: das Schweigen gilt als Genehmigung, Billigung usw. Hier sind zu nennen die §§ 416 Abs.1 S, 2, 496 S. 2, 516 Abs. 2, S. 2, 1001 S. 3, 1943 BGB. Schwierig einzuordnen ist § 2307 Abs. 2 S. 2 BGB. Esser 39 sieht in dieser Vorschrift eine Fiktion mit negativer Wirkung. Hierfür scheint auf den ersten Blick auch der Wortlaut zu sprechen ("gilt ... als ausgeschlagen"). Materiell liegt aber eine Zuordnung zu den Fällen des Schweigens mit positiver Wirkung näher; denn das Schweigen bewirkt, daß sich die erbrechtlichen Ansprüche des Schweigenden ändern: War er vorher berechtigt, den vermachten Gegenstand zu fordern (§ 2174 BGB), ist er nun auf den Pflichtteils anspruch verwiesen (§ 2303 Abs.1 S.l BGB). Ob der im Handelsrecht vorgefundene Risikogedanke auch im allgemeinen bürgerlichen Recht gilt, soll zuerst anhand der Fälle des Schweigens mit negativer Bedeutung untersucht werden. In den §§ 108 Abs. 2 S.2, 177 Abs. 2 S. 2, 415 Abs. 2 S. 2, 458 Abs.1 S. 2 BGB bedeutet das Schweigen stets Verweigerung einer Genehmigung. Hierdurch wird eine Rechtsfolgewirkung verhindert, "die das Gesetz ,im Zweifel' immer als ein Übel betrachtet ... "40: das Entstehen einer Verbindlichkeit des Minderjährigen oder des Vertretenen, den Austausch des Schuldners bei einer ungesicherten Forderung sowie die Wirksamkeit von Kaufvertrag und Übereignung bei der Gefahr einer Interessenkollision. Indem das Gesetz also eine "im Zweifel" für den Schweigenden (bzw. bei § 108 Abs. 2 S. 2 BGB für sein Mündel) nachteilige Rechtsfolge nicht eintreten läßt, wird der Genehmigungsberechtigte entlastet: ihm entstehen keine Nachteile dadurch, daß er von eingehenden Schreiben keine Kenntnis erlangt; also braucht er keine Vorsorge zu treffen, daß er von eingehenden Schreiben Kenntnis erlangt. Eine irgendwie geartete Organisationsverantwortung, wie sie sich bei § 362 HGB und den ähnlichen handelsrechtlichen Rechtsinstituten gezeigt hatte, wird dem Genehmigungsberechtigten also nicht auferlegt. Deshalb könnte der Schweigende nur durch diejenigen Vorschriften des BGB mit einer Organisationsverantwortung belastet werden, in denen sein Schweigen positive Wirkung hat, also durch die §§ 416 Abs.1 S. 2, 496 S. 2, 516 Abs. 2 S. 2, 1001 S. 3, 1943, 2307 Abs. 2 S. 2 BGB. Sofern der Schweigende unanfechtbar an die Wirkung des Schweigens gebunden wird, könnten diese Vorschriften auf der gleichen gesetzlichen Wertung beruhen wie die handelsrechtlichen Vorschriften der §§ 75 h, 91 a, 362, 386 HGB und der Rechtssatz vom kaufmännischen Bestätigungsschreiben, also auf der Verantwortung für die eigene Organisation. 39 40
Rechtsfiktionen, S. 60. Esser, Rechtsfiktionen, S. 59.
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Ein Anfechtungsausschluß kann nur da auf der Verteilung des Organisationsrisikos beruhen, wo der Schweigende sich infolge einer Tatsachenunkenntnis nicht der Bedeutung seines Verhaltens bewußt ist, wo also möglich ist, daß der Schweigende einzelne Merkmale nicht kennt. Deshalb können die Vorschriften des BGB schon nicht auf der gleichen Wertung wie § 362 HGB usw. beruhen, in denen die Erklärungswirkung des Schweigens nur bei Kenntnis aller erheblichen Tatsachen durch den Schweigenden eintritt. Deshalb ist zunächst zu prüfen, in welchen Fällen des Schweigens mit Erklärungswirkung der Schweigende alle die Bedeutung seines Verhaltens ausmachenden Tatsachen kennen muß. So ist es zunächst bei den §§ 1943, 1001 S. 3 BGB. Bei § 1943 BGB folgt dies daraus, daß § 1944 Abs. 2 BGB für den Beginn der Ausschlagungsfrist auf die Kenntnis des Erben vom Anfall und dem Grund der Berufung abstellt. Und bei § 1001 S. 3 BGB ist eine Tatsachenunkenntnis des Eigentümers aus tatsächlichen Gründen undenkbar. Das gleiche gilt auch für § 496 S. 2 BGB, wenn die Billigungsfrist einverständlich zwischen den Parteien vereinbart worden ist (§ 496 S.l1.Alt. BGB). Auf einer Tatsachenunkenntnis kann dagegen das Schweigen stets dort beruhen, wo das Gesetz die Rechtswirkungen des Schweigens vom Zugang einer Mitteilung, Aufforderung usw. an den Schweigenden abhängig macht, mithin insbesondere bei §§ 416 Abs.1 S. 241 , 516 Abs. 2 S. 2 BGB42 und bei § 2307 Abs. 2 S. 2 BGB43. Auch ist dies möglich bei § 496 S. 2 BGB, wenn die Billigungsfrist nicht von vornherein zwischen dem Käufer und dem Verkäufer vereinbart worden ist, sondern nach Vertragsschluß einseitig vom Verkäufer gesetzt worden ist. Damit kann allein in diesen Fällen ein Ausschluß der Anfechtung auf einer Risikoverteilung zu Lasten des Schweigenden beruhen. - Hinsichtlich der Frage nach der Anfechtbarkeit des Schweigens wegen Tatsachenunkenntnis besteht weitgehend Einigkeit darüber, daß die Anfechtung ausgeschlossen ist 44 . Dem ist zuzustimmen, weil nur hierdurch dem Anliegen des Gesetzes Rechnung getragen wird, dem anderen Beteiligten Klarheit über die Rechtslage zu verschaffen. Damit bleibt zu untersuchen, ob der Anfechtungsausschluß auf einer gesetzlichen Risikoverteilung zu Lasten des 41 Voraussetzung für die Erklärungswirkung des § 416 Abs.1 S. 2 BGB ist, daß die Mitteilung dem Gläubiger zugeht; vgl. nur Möschel, in: MünchKomm., § 416 BGB, Rdn.6. 42 Zur Zugangsvoraussetzung bei § 516 Abs. 2 S. 2 BGB vgl. nur Staudinger / Reuss, § 516 BGB, Rdn.17. 43 Auch § 2307 Abs. 2 S. 2 BGB setzt voraus, daß die Aufforderung dem Pflichtteilsberechtigten zugeht; vgl. nur Staudinger / Ferid / Cieslar, § 2307 BGB, Rdn. 46. 44 Staudinger / Ferid / Cieslar, § 2307 BGB, Rdn. 48; Flume, BGB AT II, § 10,2 (für §§ 416 Abs.1S. 2,496 S. 2,516 Abs. 2 BGB); Frotz, Verkehrsschutz, S. 484f. (für § 416 Abs.1 S. 2); a.A. wohl BGB-RGRK-Johannsen, § 2308, Rdn. 5.
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§ 27 Wertung des Anfechtungsausschlusses beim Schweigen
Schweigenden beruht. Hierzu sind die einzelnen Vorschriften näher zu betrachten. Die gesetzliche Wertung, die § 416 Abs.1 S. 2 BGB zugrundeliegt, kann nur aus einem Vergleich mit § 415 Abs. 2 S. 2 2. HS BGB erschlossen werden. Diese Vorschriften messen dem Schweigen des Gläubigers auf die Aufforderung zur Genehmigung ~iner Schuldübernahme eine unterschiedliche Bedeutung zu: nach § 415 Abs. 2 S.2 2. HS BGB bedeutet das Schweigen Verweigerung der Genehmigung, nach § 416 Abs.1 S.2 BGB dagegen Zustimmung. Diese unterschiedliche Rechtsfolgenanordnung zeigt schon, daß sich § 416 Abs.1 S. 2 BGB nicht mit einer Risikoverteilung zu Lasten des Gläubigers erklären läßt; denn sonst hätte der Gesetzgeber konsequent beide Fälle gleich behandeln müssen. Gegen eine Begründung der unanfechtbaren Wirkung des Schweigens mit einer Risikoverteilung wie bei den handelsrechtlichen Rechtsinstituten spricht auch die Sechsmonatsfrist des § 416 Abs.1 S. 2 BGB. Denn rein tatsächlich ist zu erwarten, daß der Zugang dem Gläubiger in einer so bemessenen Frist nicht wird unbekannt bleiben. Die positive Erklärungswirkung des Schweigens in § 416 Abs.1 S. 2 BGB beruht vielmehr auf einer anderen gesetzlichen Wertung: das Gesetz hält hier den Gläubiger für weniger gefährdet als im Fall des § 415 BGB. Während es bei § 415 BGB wesentlich auf die Kreditwürdigkeit des Schuldners ankommt, tritt dieser Gesichtspunkt bei § 416 BGB in den Hintergrund, weil die übernommene Schuld hypothekarisch gesichert ist. Deshalb konnte das Gesetz davon ausgehen, daß es den Gläubiger nicht unbillig belastet, wenn er einen anderen persönlichen Schuldner erhält 45 • Es beruht also der Ausschluß der Anfechtung bei § 416 Abs.1 S. 2 BGB nicht auf einer Risikoverteilung zu Lasten des Gläubigers. Fraglich ist, ob dies auch für § 496 S. 2 BGB zutrifft, wenn der Verkäufer dem Käufer einseitig eine Billigungsfrist setzt. Hier scheint der Grund für den Anfechtungsausschluß auf der gleichen Wertung wie bei den §§ 75h, 91a, 362, 386 HGB sowie beim kaufmännischen Bestätigungsschreiben zu beruhen, nämlich daß das Vertrauen des Verkäufers auf die Billigung der Kaufsache durch den Käufer nicht dadurch enttäuscht werden darf, daß der Käufer keine Kenntnis vom Zugang der Aufforderung erhalten hat. Bei näherer Betrachtung ergibt sich aber, daß es in § 496 S. 2 BGB nicht darum geht, den Verkäufer vor einer Enttäuschung seines Vertrauens auf die Billigung der Kaufsache zu bewahren. In der Erkenntnis, daß dem Verkäufer beim Kauf auf Probe dann, wenn er dem Käufer die Kaufsache zum Zweck der Erprobung übergeben hat, ein beliebig langes Warten nicht zumutbar ist46 , mußte das Gesetz ihm vielmehr die Möglichkeit zur Beendigung des Vgl. Esser, Rechtsfiktionen, S. 59. Vgl. Esser, Rechtsfiktionen, S. 60; H. P. Westermann, in: MünchKomm., § 496 BGB, Rdn. 2. 45 46
C. Wertung des Anfechtungsausschlusses
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Schwebezustands einräumen. Die unbedingte Beendigung dieses Schwebezustands, nicht der Schutz vor einer Enttäuschung des Vertrauens in die Genehmigungswirkung des Schweigens, ist der Grund für die Regelung des § 496 S. 2 BGB. Deshalb greift diese Regelung auch nicht ein, wenn dem Verkäufer ein Zuwarten zumutbar ist, weil er nicht die Kaufsache selbst, sondern ein Muster übergeben hat47 • Schließlich beruht auch der Anfechtungsausschluß bei § 516 Abs. 2 BGB auf einer anderen Wertung der Interessen als bei § 362 HGB und den ähnlichen handelsrechtlichen Instituten. In dieser Vorschrift ordnet das Gesetz die positive Wirkung des Schweigens im Interesse des Schweigenden an; eine Anfechtung ist deshalb entbehrlich, weil dem Schweigenden durch sein Schweigen kein Nachteil entsteht, den durch Anfechtung zu beseitigen er ein Interesse hat. Dies ergibt sich aus dem Wesen der Schenkung. Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn § 516 Abs. 2 S. 2 BGB auch auf die gemischte Schenkung oder die Auflagenschenkung anwendbar wäre. Das ist aber nicht der Fa1l 48 • Und bei § 2307 Abs. 2 S. 2 BGB schließlich beruht die Anordnung der positiven Wirkung des Schweigens auf einer Kombination der dem §§ 496 S, 2, 516 Abs. 2 BGB zugrundeliegenden Wertungen. Der Gedanke des § 496 S. 2 BGB trifft deshalb auch auf § 2307 BGB zu, weil der Erbe hier ebenso wie bei § 496 S. 2 BGB die Möglichkeit haben muß, eine Klärung darüber zu erreichen, ob er dem Erben den Pflichtteil oder den vermachten Gegenstand schuldet; denn für die Ausschlagung eines Vermächtnisses ist vom Gesetzgeber eine Frist nicht bestimmt worden (vgl. § 2180 BGB). Und die Wertung des § 516 Abs. 2 BGB trifft insoweit auf § 2307 Abs. 2 S. 2 BGB zu, als im Zweifel die Ausschlagung des Vermächtnisses für den Pflichtteilsberechtigten günstiger ist 49 (arg. § 2307 Abs.1 S. 2 a.E. BGB). Nach allem ergibt sich damit: Das BGB bezweckt mit den Vorschriften, in denen es dem Schweigen Erklärungsbedeutung beimißt, nicht den Schutz des anderen Beteiligten vor einer Enttäuschung seines Vertrauens in die Rechtswirkungen des Schweigens. Wo das Gesetz dem Schweigen eine nega- . tive Wirkung beigelegt hat, will es vielmehr den Schweigenden vor einer "im Zweifel" nachteiligen Rechtsfolge bewahren. Die positive Wirkung des Schweigens ist angeordnet, wo der andere Beteiligte auf die Klärung einer zweifelhaften Rechtslage dringend angewiesen ist oder wo dem Schweigen47 RGZ 137, 297, 300; Palandt / Putzo, § 496 BGB, Anm.1; H. P. Westermann, in: MünchKomm., § 496 BGB, Rdn. 2. 48 Kollhosser, in: MünchKomm., § 516 BGB, Rdn. 40; BGB-RGRK-Mezger, § 516 BGB, Rdn. 4; Palandt / Putzo, § 516 BGB, Anm. 6; Staudinger / Reuss, § 516 BGB, Rdn.19. 49 Vgl. Staudinger / Ferid / Cieslar, § 2307 BGB, Rdn. 37; vgl. auch Esser, Rechtsfiktionen, S. 60, wonach § 2307 Abs. 2 S.2 BGB die Wirkung aus "Fürsorge für die Pflichtteilsberechtigten " anordne.
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§ 27 Wertung des Anfechtungsausschlusses beim Schweigen
den durch die vom Gesetz angeordnete positive Erklärungswirkung kein Nachteil entstehen kann. Es findet sich damit im BGB keine Vorschrift, in der der Ausschluß der Anfechtbarkeit entsprechend §§ 75 h, 91 a, 362, 386 HGB und dem Rechtssatz vom kaufmännischen Bestätigungsschreiben auf der Verteilung eines besonderen Organisations risikos beruht. Diese Wertung liegt allein den erörterten handelsrechtlichen Vorschriften zugrunde und ist dem allgemeinen Zivilrecht fremd 50 •
4. Wertende Schlußbetrachtung a) Verdeutlichung des Ergebnisses Wird im Geschäftsverkehr ein Vertrauenstatbestand - sei es rechtsgeschäftlich (Willenserklärung), sei es ein Rechtsscheintatbestand - geschaffen, der vom Urheber (so) nicht gewollt war, kann der fehlende Wille auf verschiedenen Fehlerquellen beruhen, nämlich auf einem normalen Mißverständnis oder auf einem Mangel in der Organisation des kaufmännischen Unternehmens. Das Gesetz hat an diese beiden möglichen Fehlerquellen unterschiedliche Rechtsfolgen angeknüpft. Beim normalen Mißverständnis gewährt es dem Irrenden das Recht, den Vertrauenstatbestand durch Anfechtung gegen Ersatz des negativen Interesses zu beseitigen. Dabei macht es keinen Unterschied, ob dieses Mißverständnis dem Geschäftsherrn oder seinem Vertreter unterlaufen ist (arg. § 166 Abs.1 BGB). Anders hat das Gesetz in den Fällen der §§ 75 h, 91 a, 362, 386 HGB und beim kaufmännischen Bestätigungsschreiben für die ungewollte Verursachung eines Vertrauenstatbestandes infolge eines Organisationsmangels entschieden. Wegen eines solchen Organisationsmangels ist der Kaufmann nicht berechtigt, den Vertrauenstatbestand durch Anfechtung rückwirkend zu beseitigen. Da es auch keinen anderen Rechtsbehelf gibt, mit dessen Hilfe der Kaufmann die Folgen des Organisationsmangels auf seinen Vertragspartner abwälzen kann, hat er sie selbst zu tragen. Eine Kombination dieser beiden Gesichtspunkte ergibt: Der von einem Kaufmann geschaffene Vertrauenstatbestand (aus Rechtsgeschäft oder Rechtsschein) ist durch Anfechtung vernichtbar, wenn unmittelbar die Verständigung zwischen dem Unternehmensträger oder seinem Vertreter einerseits und dem Dritten andererseits mit einem Willensmangel behaftet ist. Dagegen kommt eine rückwirkende Beseitigung dann nicht in Betracht, wenn der Vertrauenstatbestand zwar auch nicht vom Willen des Kaufmanns oder seines Vertreters gedeckt ist, der Grund hierfür aber in einem Mangel der Organisation des kaufmännischen Unternehmens liegt, so daß die Ver50
Vgl. aber oben Fn. 1.
c. Wertung des Anfechtungsausschlusses
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ständigung zwischen dem Kaufmann und seinem Vertragspartner nur mittelbar betroffen ist. Damit kommt das hier gefundene Ergebnis der Ansicht von K. Schmidt sehr nahe, wonach das Risikoprinzip die fehlende Rechtssubjektivität des Unternehmens kompensiert 51 : Wäre das Unternehmen Rechtssubjekt, könnte es selbstverständlich die nach außen gerichtete Willenserklärung unter den Voraussetzungen der §§ 119ff. BGB anfechten. Dagegen wäre die Anfechtung ausgeschlossen, wenn das Unternehmen das Schreiben in Empfang genommen hat und sich gleichwohl nicht über den Inhalt informiert: dieser Fall entspricht dem, in dem der Kaufmann das Schreiben entgegennimmt und ungelesen vergißt 52 , liegt also der Unterschrift unter eine ungelesene Urkunde so nahe, daß hier wie dort eine Anfechtung ausgeschlossen ist 53 • b) Bewertung der Interessen der Beteiligten Abschließend bleibt zu prüfen, ob die gesetzliche Wertung, daß der Kaufmann sich zwar auf ein Mißverständnis bei dem Verständigungsakt nach außen berufen darf, nicht aber auf einen Mangel in der Organisation seines Unternehmens, den berechtigten Interessen der Beteiligten gerecht wird. Zuerst seien die Dinge aus der Sicht des Vertragspartners des Kaufmanns betrachtet. Für ihn ist es keine Unbilligkeit, daß der Kaufmann sich auf einen ihm oder seinem Vertreter unterlaufenen (echten) Irrtum berufen kann; denn hier verwirklicht sich das gewöhnliche Risiko eines Mißverständnisses. Dagegen würde der Vertragspartner unbillig belastet, wenn sich der Kaufmann auch auf die Mängel seiner Organisation berufen dürfte. Dies hätte für den Dritten nämlich zur Folge, daß die von einem Kaufmann geschaffenen Vertrauenstatbestände doppelt störanfällig wären: Der Vertragspartner müßte nicht nur damit rechnen, wegen eines gewöhnlichen Mißverständnisses seine Ansprüche gegen den Kaufmann zu verlieren, sondern auch wegen Mängeln in der Organisation des kaufmännischen Unternehmens. Dieses zweite Risiko hinzunehmen, ist dem Vertragspartner des Kaufmanns unzumutbar. Er hat weder einen Einfluß auf noch einen Einblick in die Organisation des kaufmännischen Unternehmens. Den Vertragspartner mit diesem zusätzlichen Risiko zu belasten, stünde außerdem im Widerspruch zu dem Grundanliegen des HGB, Rechtssicherheit zu gewähren. Betrachtet man die Situation aus der Sicht des Kaufmanns, zeigt sich, daß es diesem viel eher zumutbar ist, die Risiken der Organisation seines Unter51 52
53
Handelsrecht, § 18 II 2 d ee. Vgl. oben § 27 A III 2 a. Vgl. oben § 27 A III 2 a, bei und mit Fn. 32.
18 Stüsser
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§ 28 Risikoverteilung bei handelsrechtlichen Vollmachten
nehmens zu tragen und ihm also die Anfechtung bei Organisationsmängeln zu versagen. Denn der Kaufmann ist der Träger der Organisation, er hat das Unternehmen zur Verfolgung seiner unternehmerischen Interessen geschaffen. Deshalb ist es nicht unbillig, ihn als Korrelat zur Organisationsfreiheit auch mit der Organisationsverantwortung zu belasten. D. Ergebnis
Der Ausschluß der Anfechtung in den Fällen des Schweigens im Handelsverkehr beruht auf einer Risikoverteilung: die besonderen Risiken, die in der Organisation des kaufmännischen Unternehmens begründet sind, hat der Kaufmann selbst zu tragen; er darf diese Risiken nicht durch Anfechtung auf seine Vertragspartner abwälzen. Ist dem Kaufmann oder seinem Vertreter (§ 166 Abs.l BGB) dagegen ein Irrtum unterlaufen, der seinen Grund nicht in den Risiken der kaufmännischen Organisation hat, ist es ihm nicht verwehrt, diesen Irrtum durch eine Anfechtung geltend zu machen. § 28 Die Verteilung des kaufmännischen Organisationsrisikos
hinsichtlich der handelsrechtlichen Vollmachten
Die Frage der Anfechtbarkeit handelsrechtlicher Vollmachten, so hatte sich oben l ergeben, ist eine solche der Verteilung des kaufmännischen Organisationsrisikos: Gewährt man dem Kaufmann das Anfechtungsrecht, so gestattet man ihm, sich seinen Vertragspartnern gegenüber auf Mängel in der Organisation seines Unternehmens zu berufen. Andererseits hatte sich gezeigt, daß der Anfechtungsausschluß beim Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben und in den Fällen der §§ 75 h, 91 a, 362, 386 Abs.l HGB auf der gesetzlichen Wertung beruht, daß der Kaufmann die Risiken der Organisation seines Unternehmens allein zu tragen hat, sie also nicht durch Anfechtung auf seine Vertragspartner abwälzen darf 2 • Da es in beiden Fällen um die Verteilung des kaufmännischen Organisationsrisikos geht, besteht Veranlassung zu der Prüfung, ob der Gesichtspunkt der Verantwortlichkeit des Kaufmanns für die Organisation seines Unternehmens nicht dazu zwingt, dem Kaufmann auch die Anfechtung der handelsrechtlichen Vollmachten zu versagen.
1 2
§ 26 F. Vgl. oben § 27 C III, IV.
B. Restriktion der §§ 119ff. BGB
275
A. Das zu verteilende speziell handelsrechtliche Risiko Bei der Frage der Anfechtbarkeit der handelsrechtlichen Vollmachten steht ein Problem im Vordergrund, welches typisch allein für die von einem Kaufmann erteilten Vollmachten ist, nämlich die Verteilung der Risiken, die das kaufmännische Unternehmen mit sich bringt, speziell die Verteilung der Risiken der Außenorganisation des Unternehmens. Die hierbei auftauchenden Probleme sind dem bürgerlichen Recht fremd, weil der Privatmann, der nicht Unternehmensträger ist, nicht mit einem Unternehmen am Geschäftsverkehr teilnimmt, sondern persönlich. Selbst wenn der Privatmann im Einzelfall Vertreter bestellt, so schafft er - im Gegensatz zum Kaufmann - hiermit nicht eine Organisation, die wie ein Unternehmen eine tatsächliche und rechtlich anerkannte Einheit bildet. Es handelt sich damit bei der Problematik der Anfechtung der handelsrechtlichen Vollmachten um eine Fallgruppe, die sich vom Normalfall der Anfechtung der bürgerlichrechtlichen Vollmacht dadurch unterscheidet, daß bei ihr stets das Unternehmen betroffen ist. Aufgrund dieser typischen Besonderheit der gesamten Fallgruppe der Anfechtung der handelsrechtlichen Vollmachten kommt eine gegenüber dem Normalfall abweichende Regelung in Betracht. B. Die Notwendigkeit der Restriktion der §§ 119ff. BGB hinsichtlich der handelsrechtlichen Vollmachten I. Bedenken gegen die Anwendbarkeit der Anfechtungsvorschriften
Die §§ 119ff. BGB dienen dem Interesse des Erklärenden, sich von den ungewollten Folgen einer Willenserklärung lösen zu können. Bei der Anfechtung der handelsrechtlichen Vollmachten aber geht es um mehr als um die Beseitigung der rechtsgeschäftlichen Folgen einer Willenserklärung: es geht gleichzeitig um die rückwirkende Beseitigung eines Aktes der Organisation des kaufmännischen Unternehmens. Deshalb ist die Anwendbarkeit der §§ 119ff. BGB auf die handelsrechtlichen Vollmachten äußerst fragwürdig. Gewöhnlich sind Akte der Organisation des Unternehmens nicht zugleich rechtsgeschäftliche Willenserklärungen. Zu denken ist etwa an den Einsatz einer Maschine, eines Computerprogramms oder an die Zuweisung von speziellen internen Aufgaben an Mitarbeiter des Unternehmens 3 . Bei diesen Organisations akten stellt sich von vornherein nicht die 3 Eine andere Frage, auf die es hier nicht ankommt, ist die, ob die einzelne Anweisung des Direktionsberechtigten eine Willenserklärung und damit möglicherweise anfechtbar ist. Vgl. zur Rechtsnatur der arbeitsrechtlichen Weisung etwa v. Hoyningen-Huene, Billigkeit, S.143ff., und Söllner, AcP 171 (1971), 559ff. (Gestaltungsrecht); Hefermehl, BABl. 1967, 310, 315f. (geschäftsähnliche Handlung); Bötticher, AuR 1967, 321, 326 (rein faktischer Charakter).
IS·
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§ 28 Risikoverteilung bei handelsrechtlichen Vollmachten
Frage nach einer rückwirkenden Beseitigung. Ein einmal geschaffener tatsächlicher Zustand kann nicht rückwirkend beseitigt werden. Und wegen der fehlenden rechtlichen Qualifizierung als Willenserklärung greift auch die Rückwirkungsfiktion des § 142 Abs.1 BGB nicht ein. Unterliegt damit ein Organisationsakt gewöhnlich nicht der rückwirkenden Vernichtung, ist es bedenklich, bei den handelsrechtlichen Vollmachten eine rückwirkende Vernichtung zuzulassen, weil diese zugleich auch Willenserklärungen sind. Verstärkt werden diese Bedenken dadurch, daß eine Bejahung der Anfechtbarkeit zu dem - wohl untragbaren - Ergebnis führen kann, daß ein Unternehmen rechtlich während einer Zeitspanne ohne Außenbeziehungen gewesen ist, obwohl beliebig viele Verträge tatsächlich geschlossen worden sind. Diese Situation könnte dann eintreten, wenn alle Vollmachten im Unternehmen z.B. von einem Prokuristen erteilt worden sind, dessen Vollmacht angefochten worden ist, sofern der Inhaber selbst nicht nach außen aufgetreten ist. Zwar würden trotzdem viele der für den Inhaber geschlossenen Verträge für und gegen diesen wirken, weil zugleich der Tatbestand einer Rechtsscheinvollmacht erfüllt ist 4 . Trotzdem ist im Interesse der Rechtssicherheit ein solches Ergebnis kaum hinzunehmen. ll. Die Wertung des Anfechtungsausschlusses beim Schweigen im Handelsverkehr
Während soeben die Bedenken aufgezeigt worden sind, die gegen eine Anwendbarkeit der §§ 119ff. BGB auf die handelsrechtlichen Vollmachten sprechen, soll nun geprüft werden, ob die Wertung, die beim Schweigen im Handelsverkehr (kaufmännisches Bestätigungsschreiben, §§ 75 h, 91 a, 362, 386 Abs.1 HGB) zu einem Anfechtungsausschluß führt, auch auf die Problematik der handelsrechtlichen Vollmachten übertragbar ist. Die Gemeinsamkeit beider Fallgruppen besteht zunächst darin, daß es hier wie dort um eine Verteilung des kaufmännischen Organisationsrisikos geht. Da der Kaufmann dieses in den Fällen des Schweigens im Handelsverkehr allein zu tragen hat, also nicht durch Anfechtung auf seine Vertragspartner abwälzen darf, spricht vieles dafür, daß er die Risiken seiner Außenorganisation ebenfalls allein zu tragen hat, also auch sie nicht mit dem Rechtsbehelf der Anfechtung auf seine Vertragspartner (teilweise) abwälzen darf. Es kommt hinzu, daß die tatsächlichen Gründe, auf denen die Wertung des Anfechtungsausschlusses beim Schweigen im Handelsverkehr beruht, ebenfalls bei den handelsrechtlichen Vollmachten vorliegen: Auch bei Zulassung der Anfechtung der handelsrechtlichen Vollmachten würden 4 Vgl. zur Überlagerung von rechtsgeschäftlicher und Rechtsscheinvollmacht oben § 17 C.
B. Restriktion der §§ 119 ff. BGB
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sich die Fehlerquellen für das mit dem Kaufmann abgeschlossene Geschäft erhöhen5 ; außerdem wären für den Vertragspartner die Risiken, denen das Geschäft ausgesetzt ist, nicht erkennbar6 • Insgesamt ergibt sich damit, daß zunächst die §§ 119ff. BGB auf die Anfechtung der handelsrechtlichen Vollmachten nicht passen, daß außerdem die Wertung, auf der der Anfechtungsausschluß beim Schweigen im Handelsverkehr beruht, gleichermaßen auf die handelsrechtlichen Vollmachten zutrifft. Bevor hieraus abschließend auf eine Restrikt-ion der ( Anfechtungsvorschriften geschlossen werden kann, bedarf es noch -6ner Analyse der widerstreitenden Interessen.
m.
Analyse der widerstreitenden Interessen
Eine Analyse der widerstreitenden Interessen der Beteiligten, die sich hier auf den Vertretenen und seinen Vertragspartner beschränken kann 7 , führt zu ähnlichen Ergebnissen wie auch beim Schweigen im Handelsrecht. Der Kaufmann hat das Unternehmen zur Verfolgung seiner unternehmerischen Interessen geschaffen. Er ist alleiniger Träger der Organisation. Der Vertragspartner hat weder Einfluß auf noch Einblick in diese Organisation. Aus der Sicht des Kaufmanns ist es deshalb nicht unbillig, wenn er als Korrelat zu dieser Organisationsfreiheit auch die Organisationsverantwortung tragen muß, ihm also die Anfechtung der handelsrechtlichen Vollmachten, die Akte der Organisation seines Unternehmens sind, verwehrt ist. Für den Vertragspartner des Kaufmanns würde es dagegen eine unbillige Belastung darstellen, könnte der Kaufmann die Risiken der Organisation auf ihn abwälzen. Denn durch die vom Kaufmann im eigenen Interesse geschaffene Organisation erhöhen sich nicht nur die potentiellen Fehlerquellen, sondern diese sind für den Vertragspartner auch nicht mehr erkennbar. Diese fehlende Erkennbarkeit der Störquelle ist es auch, die eine vom bürgerlichen Recht abweichende Behandlung des Anfechtungsproblems fordert. Schon im allgemeinen bürgerlichen Recht sind Einwände gegen die Zulässigkeit einer Vollmachtsanfechtung mit der Begründung erhoben worden, der Vertreter sei allein im Interesse des Vertretenen tätig, deshalb sei es ein Verstoß gegen die berechtigten Interessen des Vertragspartners des Vertreters, wenn das Vertretergeschäft doppelt störanfällig ist8 . Während sich So bei hierarchischer Vertretungsorganisation, vgl. oben § 26 E I, 11. So außer bei hierarchischer Vertretungsorganisation auch dann, wenn das Geschäft nicht als Vertretergeschäft erkennbar ist, vgl. oben § 26 E 111. 7 Eine Einbeziehung der Interessen des Vertreters würde das Ergebnis allenfalls bekräftigen können. B So Brox, JA 1980, 449, 451; Eujen / Frank, JZ 1973, 232, 234f. 5
6
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§ 28 Risikoverteilung bei handelsrechtlichen Vollmachten
die doppelte Störanfälligkeit im bürgerlichen Recht noch damit rechtfertigen ließ, daß diese dem Vertragspartner bekannt ist 9 , entfällt diese Rechtfertigung bei der Anfechtung der handelsrechtlichen Vollmachten; hier greift dieser Einwand also durch. Dies zeigt, daß sich die Probleme der Anfechtung einer handelsrechtlichen Vollmacht so deutlich von denen bei der bürgerlichrechtlichen unterscheiden, daß eine Gleichbehandlung rechtlich nicht geboten ist. IV. Ergebnis
Es haben damit die verschiedenen geprüften Ansätze alle zum gleichen Ergebnis geführt: Eine Anfechtung der handelsrechtlichen Vollmachten läßt sich weder mit dem Charakter dieser Vollmachten als Akten der Organisation des Unternehmens vereinbaren, noch wird sie der Wertung des Anfechtungsausschlusses beim Schweigen im Handelsverkehr noch den Interessen der Beteiligten gerecht. Aus allem läßt sich nur ein Schluß ziehen, nämlich daß die §§ 119ff. BGB teleologisch zu reduzieren sind: sie kommen nicht uneingeschränkt auf die handelsrechtlichen Vollmachten zur Anwendung. C. Der Anwendungsbereich der Restriktion der Anfechtungsvorschriften I. Die rechtsgeschäftlichen Vollmachten des Handelsrechts
Die Überlegungen zur notwendigen Restriktion der Anfechtungsvorschriften sind entwickelt worden anhand der rechtsgeschäftlichen Vollmachten. Auf diese sind also die §§ 119ff. BGB jedenfalls nicht uneingeschränkt anwendbar. Offen ist aber noch, ob eine Restriktion der Anfechtungsvorschriften für alle handelsrechtlichen Vollmachten erforderlich ist oder nur in den Fällen, in denen die erhöhte Störanfälligkeit für den Partner nicht erkennbar ist 10 . Im Interesse des Vertragspartners des Kaufmanns ist eine Restriktion nur in den zuletzt genannten Fällen unbedingt erforderlich. Jedoch würde eine solche Beschränkung außer acht lassen, daß auch in den sonstigen Fällen die rückwirkende Vernichtung eines Organisationsaktes und die Organisationsverantwortung des Kaufmanns in Frage stehen. Dies läßt eine unterschiedliche Behandlung verschiedener Fallgruppen schon äußerst fraglich erscheinen. Vgl. oben § 6 B II 3 b. So bei hierarchischer Vertretungsorganisation und bei fehlender Erkennbarkeit als Vertretergeschäft, vgl. oben § 26 E III. 9
10
C. Anwendungsbereich der Restriktion
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Entscheidend aber ist, daß eine Differenzierung zu untragbaren Wertungswidersprüchen führen würde. Der vorsichtige Vertragspartner, der sich vom Kaufmann eine Außenvollmacht erklären läßt oder auf eine Vollmachtsmitteilung (§§ 171 Abs.1, 172 Abs.1 BGB) des Kaufmanns vertraut, wäre weniger geschützt als ein Vertragspartner, der nur auf die Behauptung des Vertreters, Vertretungsmacht zu haben, vertraut. Denn im ersten Fall wäre - differenzierte man nach Fallgruppen - eine Anfechtung stets zulässig, weil die Fehlerquellen für den Vertragspartner erkennbar sind; im zweiten Fall dagegen wäre die Anfechtung ausgeschlossen, wenn die Vollmacht nicht vom Inhaber des Unternehmens selbst erteilt worden ist. Weil ein Grund, den auf eine schwächere Basis Vertrauenden gegenüber dem zu privilegieren, der auf eine sicherere Grundlage vertraut, nicht ersichtlich ist, müssen die Anfechtungsvorschriften für alle handelsrechtlichen Vollmachten teleologisch reduziert werden. Eine Differenzierung danach, ob die Fehlerquelle für den Vertragspartner erkennbar war oder nicht, scheidet also aus. 11. Die Rechtsscheinvollmachten des Handelsrechts
Eine teleologische Reduktion der §§ 119 ff. BGB kann nicht auf die rechtsgeschäftlichen Vollmachten des Handelsrechts beschränkt bleiben, sie ist vielmehr gleichermaßen auch für die Rechtsscheinvollmachten des Kaufmanns erforderlich. Dies ergibt sich schon daraus, daß der Vertragspartner, der auf eine Rechtsscheinvollmacht vertraut, ebenso schutzwürdig und schutzbedürftig ist wie der, der auf eine rechtsgeschäftliche Außenvollmacht vertraut l1 . Aber auch die Überlegungen, die für die rechtsgeschäftlichen Vollmachten entwickelt worden sind, gelten gleichermaßen für die Rechtsscheinvollmachten des Handelsrechts. Dies sei hier für die wichtigsten handelsrechtlichen Rechtsscheinvollmachten, für § 56 HGB und die Anscheinsvollmacht, näher dargelegt. Es ist schon oben 12 erwähnt worden, daß dem Kaufmann zur Organisation seiner Außenbeziehungen nicht nur die Erteilung von rechtsgeschäftlichen Vollmachten zur Verfügung steht, sondern daß er die Voraussetzungen zur Anknüpfung von Außenbeziehungen auch dadurch schaffen kann, daß er Mitarbeitern - ohne sie zu bevollmächtigen - mit Verkaufstätigkeiten in seinem Laden usw. betraut mit der Folge, daß sich ihre Vertretungsmacht aus § 56 HGB ergibt. Die Verantwortlichkeit des Kaufmanns für diesen Organisationsakt muß der für die rechtsgeschäftlichen Vollmachten, die Akte der Organisation des Unternehmens sind, entsprechen. 11 Vgl. oben §§ 10 B, 11 B 11 zu §§ 171 Abs.l, 172 Abs.l BGB; § 15 Azur Duldungsvollmacht. 12 § 26 E I.
280
§ 28 Risikoverteilung bei handelsrechtlichen Vollmachten
Und bei der Anscheinsvollmacht im Handelsverkehr zeigt sich - wie Canaris 13 herausgearbeitet hat - besonders deutlich der Gesichtspunkt der Organisationsverantwortung des Kaufmanns. Der objektive Tatbestand der Anscheinsvollmacht setzt voraus, daß zwischen dem Scheinvertreter und dem Vertretenen eine solche Beziehung besteht, daß der Vertretene Veranlassung hat, gegen das Auftreten des Scheinvertreters einzuschreiten 14 . Im Handelsrecht wird sich diese Beziehung in der Regel daraus ergeben, daß der Scheinvertreter im Unternehmen des Vertretenen eingegliedert istl 5 . Überschreitet der Scheinvertreter die ihm vom Kaufmann eingeräumten Befugnisse, konkretisiert sich das Organisationsrisiko des Unternehmens. Dies gilt ebenso für die sog. "fahrlässige" Anstellung bei § 56 HGB16. Deshalb ist eine Restriktion der §§ 119ff. BGB nicht nur hinsichtlich der rechtsgeschäftlichen Vollmachten des Handelsrechts, sondern auch hinsichtlich der Rechtsscheinvollmachten erforderlich.
m. Die Modifiziemng der Zurechnung bei den Rechtsscheinvollmachten des Handelsrechts Bei der Erörterung des Problems der "fahrlässigen" Anstellung bei § 56 HGB17 sowie der Anscheinsvollmacht im Handelsrechtl 8 sind die handelsrechtlichen Besonderheiten hinsichtlich der Zurechnung des Rechtsscheintatbestandes noch offengeblieben. Hierauf ist nun zurückzukommen. Während sich im allgemeinen bürgerlichen Recht die Zurechnung des objektiven Tatbestands der Anscheinsvollmacht nach dem Verschuldensprinzip richtet, ist dieses für die Anscheinsvollmacht des Handelsrechts und für § 56 HGB durch das Risikoprinzip zu ergänzen 19 . Denn sonst würde die Einstandspflicht des Kaufmanns für die Risiken der Organisation seines kaufmännischen Unternehmens nicht gewährleistet sein. Es gilt hier das oben zum Risikoprinzip beim Schweigen im Rechtsverkehr Gesagte entsprechend 20 . Für die Frage, wann dem Inhaber eines Ladens oder offenen Warenlagers Verkaufstätigkeiten nach § 56 HGB zurechenbar sind, ergibt sich aus der 13 Insbesondere Vertrauenshaftung, S. 191ff., 228ff.; ders., FS Wilburg, S. 77, 92f.; ähnlich auch Hopt, AcP 183 (1983), 608, 695ff. 14 Vgl. oben § 14 A 11 2. 15 Vgl. Canaris, Vertrauenshaftung, S. 193 m. Fn. 24; ähnlich Krause, Schweigen, S.149. 16 Vgl. zur "fahrlässigen Anstellung" oben § 25 C. 17 Vgl. oben § 25 C. 18 Vgl. oben § 25 D. 19 Canaris, Vertrauenshaftung, S.194f., 228ff.; ders., FS Wilburg, S.77, 92f., plädiert unter Ablehnung des Verschuldensprinzips für die Anwendung des Risikoprinzips. 20 Vgl. oben § 27 A III 2 b (1).
D. Auswirkungen auf Anfechtungstatbestände
281
Anwendung des Risikoprinzips: Die Verkaufstätigkeit ist dem Inhaber stets zurechenbar, wenn sie durch einen Mitarbeiter erfolgte. Dabei kommt es nicht darauf an, ob sich dieser bestimmungsgemäß im Laden oder offenen Warenlager befand oder nicht. Denn der Mitarbeiter mißbraucht in beiden Fällen seine Stellung im Unternehmen; das Mißbrauchsrisiko durch "Leute" des Kaufmanns aber gehört zum Betriebsrisiko21 . Nicht nach dem Risikoprinzip, sondern allein nach dem Verschuldensprinzip bestimmt sich die Zurechnungsfrage dagegen, wenn ein Unternehmensfremder im Laden usw. verkauft. Geriert sich beispielsweise ein Kunde als Verkäufer, kommt es für die Zurechnung darauf an, ob der Inhaber bei Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt diese Verkaufstätigkeit erkennen und verhindern konnte. Denn in diesem Fall konkretisiert sich nicht das Betriebsrisiko. D. Die Auswirkungen auf die Anfechtungstatbestände Bisher ist abstrakt von der Restriktion der Anfechtungsvorschriften die Rede gewesen; welchen Anfechtungstatbestand der Kaufmann im Hinblick auf die von ihm erteilten Vollmachten nicht geltend machen kann, ist dabei offengeblieben. Dies gilt es nun zu erörtern. I. Der Ausschluß der Anfechtung gern. § 119 BGB
Die oben herausgearbeitete Verteilung des kaufmännischen Organisationsrisikos wird, soweit es um die Anfechtungsgründe des § 119 BGB geht, nicht von einer möglicherweise gegenläufigen Wertung überlagert, wie dies bei der Täuschungs- und Drohungsanfechtung der Fall ist. Deshalb hat der Kaufmann diese Risiken allein zu tragen, eine Anfechtung der handelsrechtlichen Vollmachten wegen eines der Anfechtungsgründe des § 119 BGB ist ihm deshalb verwehrt. 11. Einschränkungen der Anfechtung gern. § 123 BGB
Im Gegensatz zur Anfechtung nach § 119 BGB läßt sich bei den Anfechtungsgründen der Drohung und der arglistigen Täuschung nicht von vornherein feststellen, daß diese in das unternehmerische Organisationsrisiko fallen und deshalb auch eine auf § 123 BGB gestützte Anfechtung ausgeschlossen sei. Deshalb ist eine Prüfung der verschiedenen Fallgruppen erforderlich.
21
Canaris, Vertrauenshaftung, S. 487.
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§ 28 Risikoverteilung bei handelsrechtlichen Vollmachten
1. Die Täuschungsanjechtung a) Ausschluß der Anfechtung bei Täuschung durch Unternehmensangehörige Ist der Kaufmann durch einen Angehörigen des Unternehmens, insbesondere durch den Vertreter selbst zur Bevollmächtigung bestimmt worden, liegt diese Täuschung noch in dem vom Unternehmensträger allein zu tragenden kaufmännischen Organisationsrisiko. Dieser Fall stimmt wertungsmäßig mit dem vom Reichsgericht 22 entschiedenen überein, in dem der Kaufmann von einem eingehenden Bestätigungsschreiben deshalb keine Kenntnis erlangt hat, weil dieses von einem Angestellten unterschlagen worden ist. Beiden Fällen liegt gleichermaßen eine Täuschung durch einen Angehörigen des Unternehmens zugrunde. Da die Zuverlässigkeit von Mitarbeitern in den Risikobereich des Kaufmanns fällt, der diese ausgewählt hat, konkretisiert sich bei einer Täuschung durch einen solchen Mitarbeiter das kaufmännische Betriebsrisiko. Eine Anfechtung scheidet deshalb aus, ohne daß es einer Prüfung des § 123 Abs. 2 S.l BGB bedarf. b) Einschränkung der Anfechtung bei Täuschung durch Unternehmensfremde Wird der Kaufmann durch die Täuschung eines nicht dem Unternehmen Angehörigen zu einer Bevollmächtigung bestimmt, konkretisiert sich hierdurch nicht das Risiko der Organisation des kaufmännischen Unternehmens. Unter diesem Gesichtspunkt ist deshalb - anders als bei der Täuschung durch einen Unternehmensangehörigen - die Anfechtung nicht generell ausgeschlossen, sie richtet sich vielmehr nach den für das bürgerliche Recht herausgearbeiteten Regeln, soweit keine handelsrechtlichen Besonderheiten eingreifen. Dies bedeutet, daß bei einer Außenvollmacht eine Anfechtung gern. § 123 Abs. 2 S.l BGB ausgeschlossen ist, wenn der Vertragspartner die Täuschung weder kannte noch kennen mußte 23 . Oder anders gewendet: Hat ein Unternehmensfremder den Vollmachtgeber getäuscht, ist eine Außenvollmacht wegen dieser Täuschung nur anfechtbar, wenn der Vertragspartner die Täuschung kannte oder kennen mußte. Bei der Innenvollmacht ergibt sich nach den für das bürgerliche Recht herausgearbeiteten Grundsätzen, daß die Anfechtung zulässig ist, wenn der 22 RGZ 103, 401; vgl. auch BGHZ 20, 149 (Unterschlagung eines Bestätigungsschreibens durch einen Gesamtvertreter). 23 Vgl. den Überblick oben § 19 D.
D. Auswirkungen auf Anfechtungstatbestände
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Vertragspartner und/oder der Vertreter die Täuschung kannten/kennen mußten 24 • Eine Übertragung dieses Ergebnisses auf die handelsrechtlichen Vollmachten ist insoweit bedenklich, als die Anfechtung zulässig wäre, wenn nur der Vertreter, nicht aber der Vertragspartner die Täuschung kannte/kennen mußte. Kontrahiert der Vertreter, obwohl er weiß oder wissen müßte, daß seine Bevollmächtigung durch eine Täuschung des Kaufmanns veranlaßt worden ist, erweist er hierdurch seine Unzuverlässigkeit. Das Risiko, daß Mitarbeiter unzuverlässig sind, gehört aber zu den Organisationsrisiken des Unternehmens 25 und ist deshalb allein vom Unternehmensträger zu tragen. Deshalb scheidet bei der Innenvollmacht eine Täuschungsanfechtung aus, wenn nur der Vertreter die Täuschung kannte oder kennen mußte. Insgesamt zeigt sich, daß bei einer Täuschung durch Unternehmensfremde eine Anfechtung der handelsrechtlichen Vollmachten nur in Betracht kommt, wenn der Vertragspartner des Vertreters die Täuschung kannte oder kennen mußte. 2. Die Anfechtung wegen Drohung Ist der Kaufmann widerrechtlich zu einer Bevollmächtigung bedroht worden, kann diese nicht als eine Verwirklichung des kaufmännischen Organisationsrisikos angesehen werden. Dabei macht es keinen Unterschied, ob die Drohung von einem Unternehmensangehörigen oder einem Unternehmensfremden ausgesprochen worden ist. Unter dem Gesichtspunkt der Verteilung des kaufmännischen Organisationsrisikos könnte - wie bei der Täuschungsanfechtung - eine Anfechtung wegen Drohung deshalb nur ausgeschlossen sein, wenn der Vertreter namens des Kaufmanns kontrahiert, obwohl er die Drohung kannte oder kennen mußte. Jedoch bestehen durchschlagende Bedenken, in diesem Fall die Drohungsanfechtung zuzulassen. Zunächst wäre es widersinnig, die Anfechtung der dem Drohenden selbst erteilten Vollmacht an sich zuzulassen, das Anfechtungsrecht dann aber mit der Begründung zu versagen, daß der Vertreter die von ihm selbst verübte Drohung kannte. Dieser Widerspruch besteht bei der Täuschungsanfechtung nicht, weil die von dem Vertreter selbst ertäuschte Vollmacht schon nicht anfechtbar ist. Ein anderes kommt hinzu. § 123 BGB enthält für die Zulässigkeit einer Anfechtung wegen Drohung im Gegensatz zur Täuschungsanfechtung keine Ausnahme. Damit bringt das Gesetz zum Ausdruck, welchen Stellenwert es den Interessen des Bedrohten einräumt. Eine Beschränkung des Rechts, eine Vgl. den Überblick oben § 19 D. Vgl. Canaris, Vertrauenshaftung, S.487: zum Organisationsrisiko gehört das Mißbrauchsrisiko durch die "Leute" des Kaufmanns. 24
25
284
§ 28 Risikoverteilung bei handelsrechtlichen Vollmachten
durch Drohung veranlaßte Willenserklärung anzufechten, würde diese gesetzliche Interessenbewertung außer acht lassen. Daraus folgt, daß die handelsrechtlichen Vollmachten, zu deren Erteilung der Kaufmann durch Drohung bestimmt worden ist, stets anfechtbar sind 26 . Es gelten hierfür die gleichen Regeln wie im bürgerlichen Recht 27 • E. Die Anfechtbarkeit des Vertretergeschäfts analog § 166 BGB
Soweit eine Anfechtung der handelsrechtlichen Vollmachten ausgeschlossen ist, fragt sich aber, ob nicht das Vertretergeschäft selbst anfechtbar ist, wenn sich ein Willensmangel des Kaufmanns unmittelbar auf dieses Geschäft ausgewirkt hat. Insoweit sind drei Fallkonstellationen denkbar. Zunächst kann eine Weisung des Kaufmanns an einen Mitarbeiter, dem schon zuvor eine Vollmacht entsprechenden Umfangs erteilt worden war, von einem Irrtum beeinflußt sein. Sodann kann dem Kaufmann bei der Erteilung einer Vollmacht ein geschäftsbezogener Irrtum unterlaufen, der ohne rechtserhebliche Auswirkungen auf die Vollmacht geblieben ist 28 . Und schließlich kann der Kaufmann irrtümlich zu einem ungewollten Geschäft eine - unanfechtbare - Vollmacht erteilt haben. Den letzten Fall möge ein Beispie12 9 verdeutlichen: K benötigt für sein Unternehmen 100 kg Kaliumchlorat. Irrtümlich erteilt er dem V Spezialhandlungsvollmacht zum Kauf von Kaliumchlorid. V kauft bei X und Y jeweils 50 kg Kaliumchlorid. Da in allen drei Fallgruppen eine Anfechtung der Vollmacht ausgeschlossen ist, kommt allein eine Anfechtung des vom Vertreter abgeschlossenen Geschäfts in Betracht. Obwohl § 166 Abs. 2 BGB den Fall der Willensmängel des Vollmachtgebers nicht erfaßt, ist im allgemeinen bürgerlichen Recht analog § 166 BGB das Vertretergeschäft auch wegen Willensmängeln des Vertretenen anfechtbar, wenn der Vertreter nach dessen Weisungen gehandelt hapo. Fraglich ist, ob dies auch im Handelsrecht gilt. Das wäre nicht der Fall, wenn es sich dabei um ein Problem der Verteilung des kaufmännischen Organisationsrisikos handeln würde. Handelt der Vertreter auf Weisung des Vertretenen, so wird er im Verhältnis zum Dritten quasi wie ein Sprachrohr des Inhabers tätig. Deshalb verwirklicht sich nicht das kaufmännische Organisationsrisiko, sondern es handelt sich um einen Fall, in dem sich das 26 Es überrascht, daß bei der fehlerhaften Gesellschaft sowohl die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung als auch wegen Drohung weithin für ausgeschlossen angesehen wird. Vgl. etwa Flume, BGB AT 11, S. 24f.; Ulmer, FS Flume, Bd. 2, S. 301, 316; Wiesner, Gesellschaft, S.134; jeweils m. Nachw. 27 Vgl. den Überblick oben § 19 D. 28 Vgl. dazu das Beispiel oben § 5 A III 1. 29 Abwandlung eines Beispiels von Medicus, Bürgerliches Recht, Rdn. 335. 30 Vgl. § 5 A III 2 m. Nachw. Fn.1.
F. Ergebnis
285
normale Risiko eines Mißverständnisses konkretisiert hat. Nicht anders wäre das Geschäft geschlossen worden, hätte der Inhaber selbst die Erklärung seinem Vertragspartner gegenüber abgegeben. Deshalb ist kein Grund ersichtlich, von den Regeln des bürgerlichen Rechts abzuweichen. Es gilt damit auch im Handelsrecht, daß das Vertretergeschäft (also nicht die handeIsrechtliche Vollmacht) wegen eines Willensmangels des Vollmachtgebers anfechtbar ist, wenn der Vertreter nach dessen Weisungen gehandelt hat. F. Ergebnis 1. Die handelsrechtlichen Vollmachten unterliegen, soweit sie Akte der Organisation des Unternehmens sind, hinsichtlich ihrer Anfechtbarkeit anderen Regeln als die bürgerlichrechtlichen Vollmachten. Eine Anfechtung der Vollmachten gem. § 119 BGB scheidet insgesamt aus. Wegen einer Täuschung sind die handelsrechtlichen Vollmachten nur anfechtbar, wenn die Täuschung von einem Unternehmensfremden verübt worden ist; außerdem setzt die Anfechtung voraus, daß der Vertragspartner des Kaufmanns die Täuschung kannte oder kennen mußte. Hinsichtlich der Anfechtung wegen einer Drohung bestehen keine Unterschiede zwischen dem bürgerlichen und dem Handelsrecht.
2. Die Restriktion der §§ 119ff. BGB hat erhebliche Auswirkungen auf die Rechtsfolgen der Anscheinsvollmacht. Im Bereich des allgemeinen bürgerlichen Rechts hatte sich die Anscheinsvollmacht als stets anfechtbar erwiesen31 , wobei der Anfechtungsgrund aus § 119 Abs.l BGB (Fehlen des Mitteilungsbewußtseins) folgte. Da eine auf § 119 BGB gestützte Anfechtung der handelsrechtlichen Vollmachten und Rechtsscheinvollmachten aber ausscheidet, bedeutet dies, daß die Anscheinsvollmacht im Handelsrecht nicht anfechtbar ist3 2 • Es ist also zutreffend, daß die Anscheinsvollmacht im bürgerlichen und im Handelsrecht streng zu unterscheiden sind, wie dies namentlich Canaris 33 gefordert hat. Unzutreffend ist allerdings die Ansicht von Canaris, daß die Anscheinsvollmacht als Rechtsinstitut auf das Handelsrecht beschränkt ist. Vielmehr ist die Anscheinsvollmacht sowohl Bestandteil des bürgerlichen Rechts als auch des Handelsrechts34 ; die Unterschiede bestehen allein hinsichtlich der Anfechtbarkeit. Vgl. oben § 16 D I. Allenfalls käme eine auf § 123 BGB gestützte Anfechtung in Betracht (so auch Canaris, Vertrauenshaftung, S. 196). Wegen der auch für die Täuschungsanfechtung geltenden Einschränkungen, vgl. oben § 28 Dill, werden die Voraussetzungen eines Anfechtungsrechts kaum je vorliegen. 33 Verlrauenshaftung, S. 48ff., 191ff.; weitere Nachw. oben § 16 B 11 5 Fn. 36, 39. 34 Zutreffend insoweit die oben § 16 CI Fn. 67 Genannten. 31
32
286
§ 28 Risikoverteilung bei handelsrechtlichen Vollmachten
3. Für die "fahrlässige" Anstellung bei § 56 HGB35 ergibt sich somit ebenfalls, daß eine Anfechtung, die nach den bürgerlichrechtlichen Grundsätzen zulässig wäre, ausscheidet. Denn auch hier käme als Anfechtungsgrund allein eine Analogie zu § 119 Abs.1 BGB wegen fehlenden Mitteilungsbewußtseins in Betracht. Eine solche ist aber für die handelsrechtlichen Vollmachten und Rechtsscheinvollmachten ausgeschlossen. G. Wertung des Ergebnisses I. Das Bedürfnis nach Rechtssicherheit im Handelsverkehr
Das hier gefundene Ergebnis wird dem Grundanliegen des Handelsrechts, Rechtssicherheit zu gewähren, weitgehend gerecht. Dem Kaufmann die auf § 119 BGB gestützte Anfechtung der handelsrechtlichen Vollmachten und Rechtsscheinvollmachten zu versagen, erhöht die Rechtsbeständigkeit der von einem Vertreter des Kaufmanns abgeschlossenen Geschäfte, weil Willensmängel bei der Bevollmächtigung sich nicht auf die Wirksamkeit des Vertretergeschäfts auswirken können. Damit ist das Vertretergeschäft nur angreifbar wegen Irrtümern, die unmittelbar das Geschäft als solches betreffen. Die von einem Kaufmann abgeschlossenen Geschäfte noch bestandsfester zu machen, indem auch eine Anfechtung wegen geschäftsbezogener Irrtümer ausgeschlossen oder eingeschränkt wird, ist de lege lata nicht möglich. Was für die Irrtumsanfechtung gesagt wurde, gilt eingeschränkt auch für die auf § 123 BGB gestützte Anfechtung der handelsrechtlichen Vollmachten. Gegenüber dem bürgerlichen Recht wird das vom Kaufmann abgeschlossene Geschäft weniger störanfällig, weil das Recht, die handelsrechtlichen Vollmachten wegen einer Täuschung anzufechten, eingeschränkt ist. Hinsichtlich der Anfechtung wegen Drohung bestehen jedoch keine Unterschiede; § 123 BGB wertet die Interessen des Bedrohten so hoch, daß eine Einschränkung der Drohungsanfechtung auch für die handelsrechtlichen Vollmachten nicht mit dem geltenden Recht vereinbar ist. ll. Die Organisationsverantwortung als Korrelat zur Organisationsfreiheit
Das hier vorgeschlagene Ergebnis belastet den Kaufmann mit der alleinigen Verantwortung für die Außenorganisation seines Unternehmens. Es ist keine neue Erkenntnis, daß einer Gestaltungsfreiheit die Verantwortlichkeit korrelieren kann. Im Verlauf dieser Untersuchung ist diese Figur hinsichtlich positiver Handlungen begegnet in der Form der Erklärungsverantwor35
Vgl. zur "fahrlässigen Anstellung" oben § 25 C und zur Zurechnung oben § 28
CIII.
G. Wertung der Ergebnisse
287
tung als Korrelat zur Erklärungsfreiheit36 . Außerdem hat sich gezeigt, daß der Anfechtungsausschluß beim Schweigen im Handelsverkehr auf diese Figur zurückzuführen ist, und zwar hier speziell als Verantwortlichkeit des Kaufmanns für die Risiken der Organisation seines kaufmännischen Unternehmens 37 . Canaris38 hat insoweit herausgearbeitet, daß auch die Rechtsfolgen der Anscheinsvollmacht im Handelsverkehr auf der Verantwortlichkeit des Kaufmanns für die Organisation seines Unternehmens beruhen, daß also auch im handelsrechtlichen Vertretungsrecht eine besondere Organisationsverantwortung Platz greift. Allerdings hat Canaris39 die besondere Verantwortung des Kaufmanns für die Organisation seines Unternehmens als Zurechnungsproblem und nicht als Anfechtungsproblem gesehen. Obwohl er erkannt hat, daß sich diese besondere Verantwortlichkeit nicht nur auf Unterlassungen, sondern auch auf positive Handlungen, so auf ausdrückliche Erklärungen erstreckt 40 , hat er deshalb die Folgen für die rechtsgeschäftlichen Vollmachten des Handelsverkehrs nicht erkannt. Die hier erarbeitete Lösung des Anfechtungsproblems vermeidet den Widerspruch, daß die Organisationsverantwortung des Kaufmanns für Unterlassungen und positive Handlungen unterschiedlich ausfällt: den Kaufmann trifft die Organisationsverantwortung für positives und negatives Verhalten gleichermaßen.
m.
Der Ausgleich der fehlenden Rechtsfähigkeit des Unternehmens
Das Unternehmen ist nach geltendem Recht nicht Rechtssubjekt41 . Die fehlende Rechtssubjektivität des Unternehmens wird aber vom Gesetz, wie K. Schmidt42 herausgearbeitet hat, durch zahlreiche Vorschriften kompensiert: aus dem Bereich des handelsrechtlichen Vertretungsrechts durch das Handeln "im Namen des Unternehmens"43; durch das Risikoprinzip als Ergänzung zum Verschuldensprinzip bei der Zurechnung des Schweigens im Handelsverkehr44; durch die Ausgestaltung der Haftung des Erwerbers eines Unternehmens 45 ; usf. Interessant wäre es, in diesem Zusammenhang, der Frage nachzugehen, inwieweit die handelsrechtlichen Vollmachten beim 36 37 38 39
Vgl. oben § 5 D IV 4. Vgl. oben § 27 C IV 4 b. Grundlegend Vertrauenshaftung, S. 194f. Vgl. dazu oben § 27 C 111 m. Nachw. in Fn.16. 40 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 229. 41 H.M.; vgl. die Nachweise, auch zur Gegenmeinung, oben § 26 B 111 1 Fn. 7. 42 Allgemein zur Kompensation der fehlenden Rechtsfähigkeit K. Schmidt, Handelsrecht, § 4 V. Der Ansatz von K. Schmidt ist allerdings lebhaft umstritten; vgl. dazu zuletzt Zöllner, ZGR 1983, 82. 43 K. Schmidt, Handelsrecht, § 5 III. Vgl. dazu oben § 26 E III 2. 44 K. Schmidt, Handelsrecht, § 18 11 2 d ee; vgl. dazu oben § 27 A III 2 b (1). 45 K. Schmidt, Handelsrecht, § 8; ders., ZHR 145 (1981), 2.
288
§ 28 Risikoverteilung bei handelsrechtlichen Vollmachten
Wechsel des Unternehmensträgers bestehen bleiben46 ; doch würde diese Prüfung den Rahmen dieser Untersuchung sprengen47 • Die hier gefundenen Ergebnisse für die Anfechtung der handelsrechtlichen Vollmachten wegen Irrtums lassen sich lückenlos in die Reihe der handeisrechtlichen Konstruktionen einordnen, die in der Terminologie K. Schmidts die fehlende Rechtssubjektqualität des Unternehmens kompensieren. Wäre das Unternehmen Rechtssubjekt, wären die "vom Unternehmen" nach außen gerichteten Willenserklärungen wegen eines bei dieser Erklärung unterlaufenen nach § 119 BGB beachtlichen Irrtums anfechtbar. Dagegen käme internen Vorgängen im Unternehmen keine. Bedeutung nach außen zu, also auch nicht der nicht nach außen in Erscheinung tretenden Bevollmächtigung. Unterläuft ein Irrtum bei der Bevollmächtigung, so ist dieser Irrtum für die "vom Unternehmen" einem Dritten gegenüber abgegebene Vertretererklärung ein Irrtum bei der Willensbildung "des Unternehmens"; es handelt sich also um einen rechtlichen unbeachtlichen Motivirrtum "des Unternehmens". Was soeben für die Irrtumsanfechtung gesagt wurde, gilt gleichermaßen für die Täuschungsanfechtung. Die von einem Unternehmens angehörigen . verübte Täuschung wirkt sich auf die von "dem Unternehmen" abgegebene Erklärung nur als rechtlich unbeachtlicher Motivirrtum aus. Im übrigen gilt genau § 123 Abs. 2 S. 1 BGB: hat ein Unternehmensfremder (also ein Dritter i. S. v. § 123 Abs. 2 S. 1 BGB) "das Unternehmen" getäuscht, ist die dem Vertragspartner "des Unternehmens" gegenüber abgegebene Erklärung nur anfechtbar, wenn der Vertragspartner die Täuschung kannte oder kennen mußte. Die Anfechtung der handelsrechtlichen Vollmachten wegen Drohung paßt allerdings nicht in dieses Bild, da sie - ebenso wie im bürgerlichen Recht stets zulässig ist. Dies ist jedoch allein eine Folge davon, daß das Gesetz in § 123 BGB die Interessen des Bedrohten an seiner Entschließungsfreiheit so hoch wertet; dadurch wird im übrigen der Gedanke von der Unanfechtbarkeit der handelsrechtlichen Vollmachten als Ausgleich der fehlenden Rechtssubjektivität des Unternehmens nicht unschlüssig. Löst man die soeben dargestellten Überlegungen vom Ansatz K. Schmidts - Kompensation der fehlenden Rechtsfähigkeit des Unternehmens - und betrachtet die Dinge aus der Sicht des Vertragspartners des Kaufmanns, ergibt sich eine überraschende Ähnlichkeit zu einer Überlegung von Canaris. Für ihn ist die Anerkennung der Anscheinsvollmacht im Handelsverkehr 46 47
Vgl. dazu Köhler, BB 1079, 912.
K. Schmidt, Handelsrecht, § 16 III 5 c, zieht die - nach seinem Ansatz nahe-
liegende - Konsequenz nicht, daß beim Wechsel des Unternehmensträgers die unternehmensbezogenen Vollmachten bestehen bleiben; wie Schmidt z.B. auch Köhler, BB 1979,912, 913ff. m. Nachw. Anders für die Handlungsvollmacht zuletzt Honsell, JA 1984, 17, 21.
§ 29 Zusammenfassung
289
letztlich auf ein praktisches Bedürfnis zurückzuführen, " ... (weil) die interne Funktionsverteilung in einem arbeitsteilig organisierten Betrieb für den Dritten regelmäßig undurchschaubar ist und ... dieser sich daher an das nach außen in Erscheinung tretende Bild muß halten können. "48 Wenn aus diesem Grund die Anscheinsvollmacht des Handelsverkehrs unanfechtbar ist, muß dies - wie es hier für die Irrtumsanfechtung und z. T. auch für die Täuschungsanfechtung vertreten worden ist - ebenso für sonstige Vollmachten des Kaufmanns gelten: auch hinsichtlich der rechtsgeschäftlichen Vollmachten des Kaufmanns 49 muß sich der Vertragspartner an das "nach außen in Erscheinung tretende Bild" halten können, ohne daß dieses Bild durch Anfechtung rückwirkend zu zerstören wäre.
§ 29 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse des 2. Teils 1. Die von einem Kaufmann an nicht dem Unternehmen Angehörende erteilten Vollmachten unterliegen der Anfechtung ebenso wie die von einem Privatmann erteilten Vollmachten.
2. Eine Anfechtung der an Unternehmensangehörige erteilten (rechtsgeschäftlichen) Vollmachten wegen Irrtums ist dem Kaufmann stets verwehrt. Eine Anfechtung wegen Täuschung ist ausgeschlossen, wenn die Täuschung durch einen Unternehmensangehörigen verübt worden ist; hat ein Unternehmensfremder getäuscht, ist die Anfechtung nur zulässig, wenn der Vertragspartner die Täuschung kannte oder kennen mußte. Für eine Anfechtung wegen Drohung bestehen keine Unterschiede zum bürgerlichen Recht. 3. Die Anfechtbarkeit der Rechtsscheinvollmachten der §§ 171 Abs.1, 172 Abs. 1 BGB und der Duldungsvollmacht richtet sich nach den für die rechtsgeschäftlichen Vollmachten im Handelsrecht geltenden Regeln. 4. Die Anscheinsvollmacht kann von einem Kaufmann nicht durch Anfechtung beseitigt werden. 5. § 56 HGB setzt nicht voraus, daß der Ladenangestellte mit Wissen und Wollen des Kaufmanns im Laden Kunden bedient. Der Kaufmann wird vielmehr auch dann an die von Ladenangestellten abgeschlossenen Geschäfte gebunden, wenn er deren Verhalten hätte erkennen und verhindern können. Eine Anfechtung wegen fehlender Kenntnis scheidet aus. 6. Bei der handelsrechtlichen Anscheinsvollmacht und bei § 56 HGB wird als Zurechnungsmaßstab das Verschuldens- durch das Risikoprinzip ergänzt. 48 49
Canaris, Vertrauenshaftung, S. 193 (im Original hervorgehoben). Das gilt auch für Rechtsscheinvollmachten wie z. B. § 56 HGB.
19 Stüsser
Dritter Teil
Übertragbarkeit der handelsrechtlichen Ergebnisse in das bürgerliche Recht § 30 Die Einschränkung der Vollmachtsanfechtung durch nichtkaufmännische Unternehmensträger A. Problemstellung
Der Privatmann, so hat sich ergeben, kann die von ihm erteilten Vollmachten und auch Rechtsscheinvollmachten unter den Voraussetzungen der §§ 119ff. BGB anfechten. Dem Kaufmann dagegen ist jede auf § 119 BGB gestützte Vollmachtsanfechtung verwehrt; eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung ist im Vergleich zum bürgerlichen Recht nur eingeschränkt zulässig: die §§ 119ff. BGB sind für die handelsrechtlichen Vollmachten und Rechtsscheinvollmachten teleologisch zu reduzieren. Im folgenden gilt es der Frage nachzugehen, ob die für das Handelsrecht entwickelten Grundsätze streng auf die von einem Kaufmann erteilten Vollmachten begrenzt sind oder ob eine Ausweitung in Bereiche des bürgerlichen Rechts erforderlich ist. Zu denken ist zunächst an eine Anwendung der handelsrechtlichen Grundsätze auf nichtkaufmännische Unternehmensträger, sodann auf Angehörige freier Berufe. Es geht hierbei nicht darum, den Anwendungsbereich handelsrechtlicher Normen festzulegen, also etwa i. S. v. K. Schmidtl das Handelsrecht vom Kaufmann als Normadressaten zu einem Unternehmensaußenrecht fortzuentwickeln 2 , sondern um die Bestimmung des Anwendungsbereichs der §§ 119ff. BGB. Die für das Handelsrecht gewonnenen Ergebnisse sind nicht anhand der Normen des HGB entwickelt worden - die einschlägigen Vorschriften der §§ 48 ff. HGB haben sich als nicht fruchtbar erwiesen3 -, sondern von den bürgerlichrechtlichen Vorschriften der §§ 119ff. BGB ausgehend. Diese Normen des bürgerlichen Rechts haben sich als auf die handelsrechtlichen Vollmachten und Rechtsscheinvollmachten unanwendbar erwiesen; sie sind also insoweit teleologisch zu reduzieren. Deshalb geht es bei der Frage, ob die von einem nichtkaufmännischen Unternehmensträger 1 2
3
Handelsrecht, § 3, u. passim; ders., JuS 1984, 249. Vgl. gegen den Ansatz von K. Schmidt die Rezension von Zöllner, ZGR 1983, 82. Vgl. oben §§ 24, 25.
B. Vollmachten nichtkaufmännischer Unternehmensträger
291
oder dem Angehörigen eines freien Berufs erteilten Vollmachten wie die eines Privatmanns anfechtbar sind, ebenfalls allein um die Bestimmung des Anwendungsbereichs der §§ 119ff. BGB, um eine möglicherweise erforderliche Restriktion dieser Vorschriften. Dies hat für die folgenden Überlegungen zur Konsequenz, daß auch für die von einem nichtkaufmännischen Unternehmensträger / einem Angehörigen der freien Berufe erteilten Vollmachten zu fragen ist, ob ihre Anfechtung noch mit dem Sinn und Zweck der §§ 119ff. BGB zu vereinbaren ist. Das ist dann nicht der Fall, wenn die Gründe, die zu der Einschränkung der Anfechtbarkeit der handelsrechtlichen Vollmachten führen, auch auf die hier untersuchten Vollmachten zutreffen. Deshalb wird im folgenden geprüft, ob die Voraussetzungen für eine Restriktion der §§ 119 ff. BGB auch bei den von einem nichtkaufmännischen Unternehmensträger und einem Angehörigen der freien Berufe erteilten Vollmachten erfüllt sind. B. Die Restriktionsvoraussetzungen für die Vollmachten nichtkaufmännischer Unternehmensträger I. Die Unanwendbarkeit der §§ 119ff. BGB auf untemehmensorganisierende Akte
Die Gründe, die zur Restriktion der §§ 119ff. BGB für die handelsrechtlichen Vollmachten führen, beruhen alle darauf, daß der Kaufmann sich nicht persönlich, sondern mit seinem Unternehmen am Geschäftsverkehr beteiligt, daß die handelsrechtlichen Vollmachten Akte der Organisation des Unternehmens sind. Nicht anders ist es aber hinsichtlich der nichtkaufmännischen Unternehmensträger: auch diese beteiligen sich mit ihren Unternehmen am Geschäftsverkehr. Und hinsichtlich der von ihnen erteilten Vollmachten gilt ebenso wie für die handelsrechtlichen, daß diese in der Regel Akte der Organisation des Unternehmens sind 4 • Besonders deutlich zeigt sich dies bei dem Sollkaufmann (§ 2 HGB) und dem Kannkaufmann (§ 3 HGB). Das sollkaufmännische Unternehmen erfordert "nach Art und Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb", weist also den gleichen Organisationsgrad wie ein vollkaufmännisches Unternehmen auf; ohne Handelsregistereintragung fehlt die Kaufmannseigenschaft nur deshalb, weil Gegenstand des Unternehmens nicht ein Grundhandelsgewerbe des § 1 Abs. 2 HGB ist. Dies erhellt, daß hinsichtlich der von einem (nicht eingetragenen) Sollkaufmannund einem Mußkaufmann erteilten Vollmachten unter dem Gesichtspunkt der Vollmacht als Akt der Organisation des Unternehmens kein Unterschied besteht. Besonders deutlich wird dies, betrachtet man zusätzlich die Wir4
19'
Hierzu näher oben § 26 C.
292
§ 30 Vollmachtsanfechtung durch sonstige Unternehmensträger
kung der Handelsregistereintragung des Sollkaufmanns. Hierdurch wird der zuvor nichtkaufmännische Unternehmensträger zum Kaufmann, ohne daß sich am Charakter der von ihm erteilten Vollmachten etwas ändert. Was soeben für den Sollkaufmann gesagt wurde, gilt in gleicher Weise für den Kannkaufmann. Der Unterschied zwischen diesen - hier Handelsregistereintragung freigestellt, dort Verpflichtung zur Eintragung - läßt hinsichtlich der Bedeutung der von ihnen erteilten Vollmachten keine abweichende Beurteilung zu. Entspricht demnach die tatsächliche Bedeutung der von einem nicht eingetragenen Soll- und Kannkaufmann erteilten Vollmacht für das Unternehmen der von einem Vollkaufmann erteilten, fragt sich noch, ob dies ebenso für solche Vollmachten gilt, die von einem nichtkaufmännischen Unternehmer erteilt worden sind, dessen Gewerbebetrieb keinen nach Art oder Umfang in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert, also dem des Minderkaufmanns (§ 4 HGB) entspricht. Dies ist zu bejahen. Die Frage, ob ein Unternehmen (schon) einen vollkaufmännischen Umfang erreicht hat, ist häufig schwierig zu entscheiden; für den Vertragspartner des Unternehmers ist es in solchen Zweifelsfällen kaum möglich festzustellen, ob das Unternehmen einen vollkaufmännischen Umfang erreicht oder nicht. Aus seiner Sicht ist deshalb eine Gleichbehandlung der Vollmachten erforderlich, die von einem nichtkaufmännischen Unternehmensträger erteilt worden sind, ohne daß es darauf ankommt, ob das Unternehmen kaufmännisch organisiert sein muß oder nicht. Entscheidend ist hinsichtlich der Frage nach der Anfechtbarkeit dieser Vollmachten also allein, daß es sich um eine unternehmensbezogene Vollmacht handelt. Ob das Unternehmen voll- oder minderkaufmännisch ist, spielt ebensowenig eine Rolle wie die Frage, ob es sich überhaupt um ein kaufmännisches oder ein sonstiges Unternehmen handelt. In allen diesen Fällen haben die Vollmachten den Charakter als Akte der Organisation des Unternehmens. Bei einer so weiten Ausdehnung der für das Handelsrecht gewonnenen Ergebnisse in das bürgerliche Recht ist allerdings fraglich, ob sich der Normalfall der bürgerlichrechtlichen Vollmacht überhaupt noch von dem Spezialfall der unternehmerischen Vollmacht abgrenzen läßt. Denn es läßt sich nicht leugnen, daß auch der Privatmann, der eine Vollmacht erteilt, hiermit einen Organisationsakt schafft. Die von einem Privaten erteilte Vollmacht ist aber im Unterschied zu der unternehmerischen quasi isoliert, sie ist nicht wie jene ein einzelner Baustein in der auf Dauer angelegten organisierten Wirtschaftseinheit Unternehmen 5 . Hier liegt der grundsätzliche Unterschied zwischen der rein bürgerlichrechtlichen und der unternehmerischen Vollmacht: Die für das Handelsrecht entwickelten Grundsätze können nur 5
Vgl. oben § 28 B.
B. Vollmachten nichtkaufmännischer Unternehmensträger
293
da zur Anwendung kommen, wo die Vollmacht ein Akt der Unternehmensorganisation ist; fehlt es hieran, gelten die für das bürgerliche Recht entwikkelten Grundsätze. Im folgenden gilt es deshalb, im einzelnen festzustellen, ob die Gründe, die zur Einschränkung der Anfechtbarkeit der handelsrechtlichen Vollmachten führen, auch für die von nichtkaufmännischen Unternehmensträgern erteilten unternehmensbezogenen Vollmachten zutreffen. Die Anwendung der §§ 119ff. BGB auf die handelsrechtlichen Vollmachten hatte sich als unvereinbar mit deren Charakter als Akten der Organisation des Unternehmens erwiesen. Die von einem nichtkaufmännischen Unternehmensträger an einen Unternehmensangehörigen erteilten Vollmachten sind ebenfalls Akte der Außenorganisation des (hier: nichtkaufmännischen) Unternehmens. Die §§ 119ff. BGB auf sie uneingeschränkt anzuwenden, begegnet deshalb zunächst Bedenken unter dem Gesichtspunkt, daß Organisationsakte gewöhnlich nicht rückwirkend zu beseitigen sind; hiervon abzuweichen, weil diese Organisationsakte zugleich auch Willenserklärungen sind, ist wenig einleuchtend. Gegen eine Anfechtbarkeit der von einem nichtkaufmännischen Unternehmensträger erteilten Vollmachten würde es weiterhin sprechen, wenn auch das nichtkaufmännische Unternehmen - wie das kaufmännische - als Einheit rechtliche Anerkennung gefunden hätte. Und dies ist der Fall. Das nichtkaufmännische Unternehmen kann ebenso wie das kaufmännische Gegenstand eines Kauf- 6 oder Pachtvertrages 7 sein; das nichtkaufmännische Unternehmen genießt deliktischen Schutz 8 usw. Deshalb gilt auch für die von einem nichtkaufmännischen Unternehmensträger erteilten Vollmachten, daß auf sie eine Anwendung der §§ 119ff. BGB nicht paßt. 11. Die besondere Risikolage für den Vertragspartner des Unternehmensträgers
Hinsichtlich der besonderen Risiken, die die Zulässigkeit einer Vollmachtsanfechtung für den Vertragspartner mit sich bringen würde, bestehen zwischen den kaufmännischen und den von einem nichtkaufmännischen Unternehmensträger erteilten Vollmachten keine Unterschiede. Auch für den Vertragspartner des nichtkaufmännischen Unternehmensträgers erhöhen sich die Risiken für das Vertretergeschäft, wenn der Unternehmensträger seine Außenorganisation hierarchisch strukturiert hat 9• Die im Dies ergibt sich mittelbar aus § 1822 Nr. 3 BGB. Dies ergibt sich mittelbar aus § 1822 Nr. 4 BGB. 8 Vgl. nur Capelle / Canaris, Handelsrecht, § 4 111: "Die Erörterung ... muß anknüpfen an den Begriff des Unternehmens." (Hervorhebung im Original). 9 Vgl. hierzu näher oben § 26 E 11, III 1. 6
7
294
§ 30 Vollmachtsanfechtung durch sonstige Unternehmensträger
Zusammenhang mit der hierarchischen Vertretungsorganisation stehenden Gefahren für das Vertretergeschäft sind vom Vertragspartner ebensowenig wie beim kaufmännischen Unternehmen zu erkennen. Und schließlich ist auch bei den nichtkaufmännischen Unternehmen möglich, daß der Vertragspartner das Geschäft nicht als Vertretergeschäft und damit die erhöhte Störanfälligkeit nicht erkennen kann 10 . Denn die Grundsätze des unternehmensbezogenen Geschäftsabschlusses gelten nicht nur für kaufmännische, sondern gleichermaßen auch für nichtkaufmännische Unternehmen ll . Deshalb gilt auch für die von einem nichtkaufmännischen Unternehmensträger erteilten Vollmachten, daß sich ihre Anfechtbarkeit nicht wie im allgemeinen bürgerlichen Recht damit rechtfertigen läßt, daß die erhöhte Störanfälligkeit des Vertretergeschäfts für den Vertragspartner erkennbar ist. Zweifelhaft ist, ob sich auch die dem Anfechtungsausschluß beim Schweigen im Handelsverkehr zugrundeliegende Wertung auf die von einem nichtkaufmännischen Unternehmensträger erteilten Vollmachten übertragen läßt. Dies wäre dann zu bejahen, wenn das Rechtsinstitut des Schweigens auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben sowie die §§ 75 h, 91 a, 362 HGB nicht nur dem Kaufmann, sondern auch sonstigen Unternehmensträgern das alleinige Risiko für die Organisation des Unternehmens auferlegten, wenn auch ihnen eine Anfechtung verwehrt ist, sofern der Anfechtungsgrund auf Mängeln der Organisation beruht1 2,13. Für das Rechtsinstitut des Schweigens auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben besteht heute weitgehend Einigkeit darüber, daß der Anwendungsbereich nicht auf Kaufleute beschränkt ist. Diese Rechtssätze sind vielmehr schon dann anwendbar, wenn der Empfänger des Schreibens " ... einen Betrieb (führt), der im größeren Umfange am Verkehrsleben teilnimmt."14 Deshalb hat die Rechtsprechung beispielsweise die Anwendbarkeit bejaht, wenn der Empfänger des Schreibens Gutsbesitzer15 , Schrottgroßhändler 16 oder sogar Angehöriger eines freien Berufs ist wie etwa ein Wirtschaftsprüfer 17 • Dieser Ausweitung des Anwendungsbereichs des Vgl. hierzu näher oben § 26 E III 2. So betreffen etwa folgende Entscheidungen nichtkaufmännische Unternehmen: RG JW 1921, 1309 (Gutshof); BGH MDR 1967, 489 (Landwirtschaftsbetrieb); OLG Celle NJW 1963, 1253, u. OLG Stuttgart NJW 1973, 629 (beide Gaststätte); RGZ 67, 148, 149, spricht allgemein von der Geltung für kaufmännische und gewerbliche Unternehmen. 12 Vgl. dazu oben § 27 C III. 13 § 386 HGB kann aus den Überlegungen ausgeklammert werden; denn § 386 HGB findet selbst dann Anwendung, wenn der Kommittent Nicht-Unternehmensträger ist. 14 BGHZ 11, 1, 3; wörtlich übereinstimmend BGH BB 1964, 448; ebenso BGH Warneyer 1970 Nr.136. 15 RG Gruchot 71 (1931), 253, 254f. 16 BGHZ 11, 1, 3. 17 BGH Betrieb 1967, 1362. 10 11
B. Vollmachten nichtkaufmännischer Unternehmensträger
295
Rechtsinstituts ist das Schrifttum 18 weitgehend 19 gefolgt. Wenn damit auch nichtkaufmännischen Unternehmensträgern für das Schweigen auf kaufmännische Bestätigungsschreiben die alleinige Verantwortung für die Organisation ihres Unternehmens auferlegt ist, ist dies ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, diese Wertung auch auf die von einem niehtkaufmännischen Unternehmer erteilten Vollmachten zu übertragen. Während beim Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben weitgehend Einigkeit darüber besteht, daß der Anwendungsbereieh des Rechtsinstituts nicht auf Kaufleute beschränkt ist, ist diese Frage bei § 362 HGB äußerst umstritten. Für eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs des § 362 HOB auf nichtkaufmännische Unternehmensträger haben sieb. insbesondere Raisch 20 , Canaris 2 1, K. Schmidt22 und Hopt 23 ausgesprochen. Im Gegensatz zum Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben bestehen gegen eine Ausweitung des Anwendungsbereichs des § 362 HGB aber erhebliche Bedenken, weil das Gesetz im § 663 BGB ausdrücklich eine von § 362 HGB abweichende Regelung für Nichtkaufleute vorsieht. Deshalb wird vielfach § 362 HGB allein auf Kaufleute angewendet 24 . Dem dürfte im Ergebnis zuzustimmen sein. Hieraus kann aber nicht die Schlußfolgerung gezogen werden, daß der nichtkaufmännische Unternehmensträger generell aus der alleinigen Verantwortlichkeit für die Organisation seines Unternehmens entlassen sei. Was soeben für § 362 HGB gesagt wurde, gilt entsprechend für § 75h HGB. Auch hier ist der Anwendungsbereich der Vorschrift umstritten. Während insbesondere K. Schmidt25 sich dafür ausgesprochen hat, das gesamte Recht des Handlungsgehilfen auf die kaufmännische Dienste leistenden Angestellten aller Unternehmen auszudehnen, halten andere 26 daran fest, daß der Arbeitgeber Kaufmann sein muß. Dem ist, soweit es um die Vorschrift des § 75h HGB geht, zuzustimmen 27 . 18 So z.B. Canaris, Vertrauenshaftung, S. 212, 230f.; Diederichsen, JuS 1966, 129, 138; Hanau, AcP 165 (1965), 221, 245; Schlegelberger / Hefennehl, § 346 HGB, Rdn.136; Baumbach / Duden / Hopt, § 346 HGB, Anm. 3 Ba; Hopt, AcP 183 (1983), 608, 69lf.; Kuchinke, JZ 1965, 167, 173; Ratz, in: Großkomm. HGB, § 346, Anm.1l3; K. Schmidt, Handelsrecht, § 18111 2 a. 19 Für eine Beschränkung auf Kaufleute aus Gründen der Rechtssicherheit aber Schmidt-Salzer, BB 1971, 591, 594. 20 Geschichtliche Voraussetzungen, S. 257ff. 21 Vertrauenshaftung, S. 206, 230f.; ders., in: Großkomm. HGB, § 362, Rdn.5; Capelle / Canaris, § 14 I 3. 22 Handelsrecht, § 3 11 3, u. § 18 11 2 d aa. 23 So auch Baumbach / Duden / Hopt, § 362 HGB, Anm. 2 A; ders., AcP 183 (1983), 608,686ff. 24 So z.B. Brox, Handelsrecht, Rdn. 287f.; Schlegelberger / Hefennehl, § 362 HGB, Rdn. 8; Heymann / Kötter, § 362 HGB, Anm.l. 25 Handelsrecht, § 16 VI 2 a. 26 Schlegelberger / Schröder, § 59 HGB, Rdn. 4; Würdinger, in: Großkomm. HGB, § 59, Anm. 4; grundsätzlich auch Baumbach / Duden / Hopt, § 59 HGB, Anm. 3 B b.
296
§ 30 Vollmachts anfechtung durch sonstige Unternehmensträger
Während also sowohl bei § 362 HGB als auch § 75 h HGB eine Ausweitung des Anwendungsbereichs auf Nichtkaufleute eher abzulehnen ist, ergibt sich die Anwendbarkeit des § 91 a HGB auf nichtkaufmännische Unternehmensträger schon aus dem Wortlaut des Gesetzes. Während § 84 HGB a.F. für den Handlungsagenten noch daran anknüpfte, daß dieser für das "Handelsgewerbe" eines anderen tätig sein mußte, ist durch das Gesetz zur Änderung des Handelsgesetzbuches vom 6. 8.1953 28 klargestellt, daß es ausreicht, daß der Handelsvertreter für einen "Unternehmer" tätig ist. Es handelt sich dabei nicht bloß um eine terminologische Änderung ohne materielle Auswirkungen, sondern vom Gesetzgeber war eine Ausweitung auf nichtkaufmännische Unternehmer beabsichtigt: Es könne für die Frage, ob der Betraute Handelsvertreter ist oder nicht, nicht auf den rechtlichen Unterschied zwischen dem kaufmännischen und dem nichtkaufmännischen Unternehmer ankommen 29 . Damit bestätigt sich für § 91 a HGB, was schon für das kaufmännische Bestätigungsschreiben festgestellt wurde: es wird durch handelsrechtliche Normen nicht nur dem Kaufmann die alleinige Verantwortung für die Risiken der Organisation des Unternehmens auferlegt, sondern gleichermaßen den nichtkaufmännischen Unternehmensträgern. Deshalb ist diese Wertung auch nicht nur auf die kaufmännischen Vollmachten übertragbar, sondern auf alle von Unternehmern erteilten Vollmachten, sofern durch diese die Außenbeziehungen des Unternehmens organisiert werden.
m.
Die Interessen der Beteiligten
Im Interesse des Vertragspartners ist eine Restriktion der Anfechtungsvorschriften für die von einem nichtkaufmännischen Unternehmensträger erteilten Vollmachten ebenso erforderlich wie für die handelsrechtlichen Vollmachten. Insoweit bestehen keine Unterschiede in der Begründung; deshalb ist dem oben 30 Gesagten nichts hinzuzufügen. IV. Ergebnis
Eine Restriktion der Anfechtungsvorschriften ist nach allem nicht nur für die von einem Kaufmann erteilten Vollmachten erforderlich, sondern glei27 Anders ist es für die das Wettbewerbsverbot der §§ 74ff. HGB betreffenden Vorschriften; diese sind nach heute ganz h.M. entsprechend auf andere Arbeitnehmer anwendbar; vgl. aus der jüngsten Rechtsprechung z.B. BAG Betrieb 1982, 125 (Friseur); BAG WM 1982, 676 (gewerblicher Angestellter); aus der Literatur so z.B. Baumbach / Duden / Hopt, § 74 HGB, Anm.1 A; Schlegelberger / Schröder, § 74 HGB, Rdn.1 a. A.A. noch Würdiger, in: Großkomm. HGB, § 74, Anm.l. 28 BGBL I, S. 77l. 29 Vgl. die Amtliche Begründung, BT-Drucks. I, Nr. 3856. 30 § 28 B III.
c. Vollmachten Angehöriger freier Berufe
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chermaßen auch für die von einem sonstigen Unternehmensträger erteilten Vollmachten, soweit diese zugleich Akte der Organisation des Unternehmens sind. Dies bedeutet, daß nichtkaufmännischen Unternehmensträgern ebenfalls eine auf § 119 BGB gestützte Vollmachtsanfechtung versagt ist. Eine Vollmachtsanfechtung wegen arglistiger Täuschung ist gegenüber dem bürgerlichen Recht nur eingeschränkt zulässig; sie scheidet stets aus, wenn die Täuschung von einem Angehörigen des Unternehmens verübt worden ist, bei einer Täuschung durch einen nicht dem Unternehmen Angehörigen ist sie nur zulässig, wenn der Vertragspartner die Täuschung kannte oder kennen mußte 31 • Dabei gilt diese Einschränkung der Anfechtbarkeit nicht nur für rechtsgeschäftliche Vollmachten, sondern gleichermaßen auch für Rechtsscheinvollmachten 32 .
c.
Einschränkung der Vollmachts anfechtung durch Angehörige freier Berufe?
Für die nun zu erörternde Frage, ob die von Angehörigen freier Berufe erteilten Vollmachten ebenso wie die des bürgerlichen Rechts anfechtbar sind, gilt ebenso wie für die von nichtkaufmännischen Unternehmern erteilten, daß es hier nicht um eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs handeisrechtlicher Rechtssätze geht; hier ist vielmehr ebenfalls zu fragen, ob die Voraussetzungen für eine Restriktion der §§ 119ff. BGB erfüllt sind. Dies gilt es ebenfalls anhand eines Vergleichs mit den Gründen, die eine Restriktion der Anfechtungsvorschriften für kaufmännische Vollmachten erfordern, zu erschließen. I. Die Bedeutung der Praxen für die Ausübung freier Berufe
Die Gründe, die zur Einschränkung der Anfechtbarkeit der handelsrechtlichen Vollmachten führten, waren alle darauf zurückzuführen, daß der Kaufmann mit einer Organisation am Markt auftritt, mit dem kaufmännischen Unternehmen. Aus diesem Grunde können die folgenden Überlegungen nur für solche Angehörigen der freien Berufe gelten, die - ähnlich wie ein Kaufmann - ihre Berufstätigkeit mit Hilfe eines organisierten Tätigkeitsbereichs ausüben. Zu denken ist insbesondere an Ärzte, Rechtsanwälte und Wirtschaftsprüfer, deren Praxen häufig vom Einsatz sachlicher und personeller Mittel dem kaufmännischen Unternehmen vergleichbar sind. Von vornherein scheiden dagegen solche Angehörigen der freien Berufe als Adressaten einer vom bürgerlichen Recht abweichenden Regelung aus, die 31
32
Vgl. zu den Einzelheiten näher oben § 28 D I, 11. Vgl. zu den Einzelheiten näher oben § 28 C 11.
298
§ 30 Vollmachtsanfechtung durch sonstige Unternehmensträger
ihren Beruf ohne einen organisierten Tätigkeitsbereich ausüben, also etwa Komponisten oder Schriftsteller. Damit ist für die verbliebenen Angehörigen der freien Berufe zuerst zu fragen, ob der von ihnen geschaffene Tätigkeitsbereich, die Praxis, als Unternehmen zu qualifizieren ist. Während noch das Reichsgericht 33 davon ausging, daß eine Arztpraxis mit dem Tod des Arztes ihren Charakter als Erwerbsgeschäft i. S. v. § 1822 Nr. 3 BGB verlieren würde, ist inzwischen die Ansicht vorgedrungen, daß auch die Praxen der Freiberufler Unternehmen sind 34 . Damit geht die analoge Anwendung einzelner handelsrechtlicher Rechtsinstitute auf die Angehörigen freier Berufe einher35 , insbesondere der Rechtssatz vom Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben 36 . Mögen auch die Voraussetzungen des handelsrechtlichen Unternehmensbegriffs auf die hier interessierenden Praxen von Ärzten, Rechtsanwälten usw. insoweit erfüllt sein, als auch sie eine organisierte Zusammenfassung von persönlichen und sachlichen Mitteln sind, derer sich der Freiberufler bei seiner Tätigkeit bedient, so bleibt doch ein ganz bedeutender Unterschied zu den gewerblichen Unternehmen: Die Praxen der Freiberufler sind nicht das Mittel, um damit anderen die (freiberufliche) Leistung zu erbringen; es ist vielmehr für die Angehörigen der freien Berufe kennzeichnend, daß sie die Leistung persönlich erbringen 37 • Deshalb kommt dem von einem Freiberufler geschaffenen organisierten Tätigkeitsbereich, der Praxis, nur eine Hilfsfunktion für die Erbringung der (freiberuflichen) Leistung zu. Hieraus ergibt sich, daß der Bereich, in dem eine Vertretung des Freiberuflers sinnvo1l 38 ist, erheblich enger ist als bei nichtkaufmännischen (gewerblichen) Unternehmen. Während hier der Schwerpunkt des Einsatzes von Vertretern in der Präsentierung der Leistungen des Unternehmens liegt, beschränkt sich die Tätigkeit der Vertreter der Angehörigen freier Berufe RGZ 144, 1, 2 ff. So z. B. Capelle / Canaris, Handelsrecht, § 2 II 5; Baumbach / Duden / Hopt, Einl. vor § 1 HGB, Anm. II 1 D; § 1 HGB, Anm.l C; W. Müller, Freie Berufe, S.79ff.; Raisch, Geschichtliche Voraussetzungen, S. 21lf.; K. Schmidt, Handelsrecht, §§ 4 13, 6 II 2 a; vgl. auch Rittner, Unternehmen, S. 29: ,,(Es) enthält auch der freie Beruf als solcher gewisse unternehmerische Elemente. Er steht ... ständig in der Gefahr, daß sich die Tätigkeit von ihrem Träger löst und zum Unternehmen objektiviert ... ". 35 Vgl. hierzu Raisch, Geschichtliche Voraussetzungen, S. 211ff., und insbesondere W. Müller, Freie Berufe, passim. 36 Vgl. näher unten bei und mit Fn. 44 - 46. 37 So insbesondere Rittner, Unternehmen, S.18ff.; ebenso auch z.B. Capelle / Canaris, Handelsrecht, § 2 II 5; Fleischmann, Berufe, S. 35ff.; Kremer, GmbH-Rdsch.1983, 259,261,263; W. Müller, Freie Berufe, S. 85ff.; Raisch, Geschichtliche Voraussetzungen, S. 211. 38 Die Zulässigkeit einer Vertretung beim auf die freiberufliche Leistung gerichteten Vertrag ist sogar zweifelhaft: Kann der Freiberufler die Leistung nur persönlich erbringen, spricht einiges dafür, daß auch nur eine persönliche Verpflichtung zu dieser Leistung möglich ist. 33
34
C. Vollmachten Angehöriger freier Berufe
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auf Hilfsgeschäfte, insbesondere auf die Anschaffung der erforderlichen Sachmittel und auf sonstige Verwaltungstätigkeiten. Und selbst in diesem Bereich ist die praktische Bedeutung der Aufgabendelegation auf Vertreter dadurch weiter zurückgedrängt, daß die Entscheidung über die erforderlichen Sachmittel häufig nur von dem Praxisinhaber selbst getroffen werden kann: welche technischen Apparate oder welche Fachliteratur erforderlich sind, kann allein der Arzt oder Rechtsanwalt usw. beurteilen, weil primär er es ist, der mit diesen Mitteln arbeiten muß. Es verbleibt damit als Bereich, in dem eine Delegierung von Aufgaben auf Vertreter durch Angehörige freier Berufe sinnvoll ist, hauptsächlich einerseits die Anschaffung kurzlebiger Wirtschaftsgüter wie kleinerer Arzneimittel und Büromaterial, andererseits Verwaltungsaufgaben wie die Einziehung von Honorarforderungen usw. ll. Die Restriktionsvoraussetzungen bei den von Freiberuflern erteilten Vollmachten
Inwieweit die Gründe, die eine Restriktion der §§ 119ff. BGB für die handelsrechtlichen Vollmachten erfordern, auch bei den von einem Angehörigen der freien Berufe erteilten Vollmachten gegeben sind, kann nach diesem Exkurs über die tatsächliche Bedeutung dieser Vollmachten überprüft werden. Zunächst ist festzustellen, daß die Anwendung der §§ 119ff. BGB auf die von Freiberuflern erteilten Vollmachten ebenfalls nicht recht paßt; denn auch diese Vollmachten sind Akte der Organisation der freiberuflichen Praxen. Und auch für diese gilt - entsprechend wie für das Unternehmen -, daß sie als Einheit von der Rechtsordnung anerkannt sind. Insbesondere ist auch die Praxis eines Freiberuflers potentieller Gegenstand eines Kaufvertrages 39 ; auch die freiberufliche Tätigkeit genießt deliktischen Schutz gegen unmittelbare Beeinträchtigungen entsprechend den Grundsätzen des Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb 40 . Gleichwohl bestehen beträchtliche Unterschiede zu den gewerblichen Unternehmen. Da den von Freiberuflern erteilten Vollmachten nur für Hilfsgeschäfte Bedeutung zukommt, bleibt eine Vollmachtsanfechtung ohne Auswirkung auf die die freiberufliche Leistung betreffenden Verträge. Damit ist - anders als bei den gewerblichen Unternehmen - auch die Situation undenkbar, daß zwar während eines Zeitraumes tatsächlich eine Vielzahl von Verträgen für den Freiberufler geschlossen worden sind, diese aber infolge einer Vollmachts39 Vgl. etwa BGH NJW 1974, 602, u. OLG Düsseldorf NJW 1973, 558 (Arztpraxis); BGHZ 43, 46, u. BGH NJW 1973, 98, 100 (Rechtsanwaltskanzlei); OLG Celle Betrieb 1960, 1181 (Steuerberaterpraxis). 40 So z.B. OLG München NJW 1977, 1106 (aus tatsächlichen Gründen im Ergebnis abgelehnt); Palandt / Thomas, § 823 BGB, Anm. 6 g.
300
§ 30 Vollmachtsanfechtung durch sonstige Unternehmensträger
anfechtung insgesamt ohne Wirkung für und gegen den Inhaber sind. Wenngleich sich aus dem Charakter der von einem Angehörigen der freien Berufe erteilten Vollmachten - Akte der Organisation der freiberuflichen PraxenBedenken gegen die Anwendbarkeit der §§ 119ff. BGB ergeben, sind diese nicht so gravierend wie bei den von gewerblichen Unternehmern erteilten Vollmachten. Eine Restriktion der §§ 119ff. BGB wegen des Organisationscharakters ist deshalb nicht zwingend erforderlich. Fraglich ist, ob die Risikolage einen Ausschluß der Anfechtung der von Freiberuflern erteilten Vollmachten notwendig macht. Ein Anhaltspunkt hierfür würde zunächst dann vorliegen, wenn die Störanfälligkeit der Vertretergeschäfte im Vergleich zu den von Privaten erteilten Vollmachten beträchtlich erhöht wäre. Dies wäre der Fall, wenn auch bei den freien Berufen hierarchisch strukturierte Vertretungsorganisationen typisch wären. Das aber ist nicht der Fall. Ein hierarchisch strukturiertes Vertretungssystem ist nur da angebracht, wo umfangreiche rechtsgeschäftliche Aufgaben delegiert werden. Denn nur unter dieser Voraussetzung ist es sinnvoll, daß dem Hauptvertreter das Recht eingeräumt wird, Teilaufgaben auf andere Personen zu übertragen und diesen entsprechende (Unter-)Vollmachten zu erteilen. Bei den Angehörigen der freien Berufe fehlt es an dieser Voraussetzung, weil nur in einem eng begrenzten Bereich überhaupt eine Einschaltung von Vertretern in Betracht kommt. Deshalb werden hierarchisch strukturierte Vertretungs organisationen bei den Angehörigen freier Berufe nur ganz ausnahmsweise vorkommen. Durch die Zulässigkeit einer Vollmachts anfechtung durch die Angehörigen der freien Berufe wird also in aller Regel ein Vertretergeschäft nicht störanfälliger als sonst im allgemeinen bürgerlichen Recht. Weil bei den Freiberuflern hierarchisch strukturierte Vertretungsorganisationen typischerweise nicht begegnen, wird ein Vertragspartner auch nicht dadurch besonders belastet, daß er die aus dem hierarchischen Vertretungssystem resultierenden Gefahren für das Vertretergeschäft nicht erkennen kann. Damit kommt bei Zulassung der Vollmachtsanfechtung eine erhöhte Belastung des Vertragspartners unter dem Gesichtspunkt der Unerkennbarkeit von Risiken für das Vertretergeschäft nur dann in Betracht, wenn für die freien Berufe der Offenheitsgrundsatz des § 164 Abs.1 BGB entsprechend den Grundsätzen des unternehmensbezogenen Vertragsschlusses modifiziert wäre. Zwar wird in der Literatur die Lehre vom unternehmensbezogenen Vertragsschluß in der Regel auf gewerbliche Unternehmen beschränkt 41 ; und auch die von der Rechtsprechung entschiedenen Fälle betreffen - soweit ersichtlich - nur gewerbliche Unternehmen42 • Gleichwohl ist theoretisch eine Anwendung dieser Grundsätze ebenfalls auf 41 42
So mit Ausnahme von Thiele alle anderen oben, § 26 Fn. 50, Genannten. Vgl. etwa die Rechtsprechungsnachweise oben, § 26 Fn. 36, 38,42 - 45.
C. Vollmachten Angehöriger freier Berufe
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freie Berufe denkbar43 • Praktisch ist aber die Stellung des Inhabers einer freiberuflichen Praxis auch äußerlich so herausgehoben, daß kaum der Fall vorstellbar ist, in dem der Vertragspartner irrtümlich annimmt, der ihm gegenüber handelnde Vertreter sei der Praxisinhaber. Die Risiken, denen das Vertretergeschäft bei Zulassung einer Vollmachtsanfechtung ausgesetzt ist, sind also bei den von einem Freiberufler erteilten Vollmachten regelmäßig nicht höher als bei den von einem Privatmann erteilten. Und beide Fälle stimmen auch insoweit überein, als die Risiken, denen das Vertretergeschäft ausgesetzt ist, für den Vertragspartner erkennbar sind. Die für die unternehmensbezogenen Vollmachten typische Situation, daß die Zulässigkeit einer Anfechtung zu einer erhöhten Störanfälligkeit des Vertretergeschäfts führen würde und daß dem Vertragspartner die Risiken, denen das Vertretergeschäft ausgesetzt ist, nicht erkennbar sind, trifft für die von Freiberuflern erteilten Vollmachten also in aller Regel nicht zu. Deshalb erfordert es die Risikosituation nicht, den Angehörigen der freien Berufe eine Anfechtung der von ihnen für ihre Praxis erteilten Vollmachten zu verwehren. Bei der Frage, ob die dem Anfechtungsausschluß beim Schweigen im HandeIsverkehr zugrundeliegende Wertung auf die von Angehörigen freier Berufe erteilten Vollmachten übertragbar ist, ergibt sich kein einheitliches Bild; denn diese handelsrechtlichen Rechtsinstitute kommen nur in sehr engen Grenzen auf Angehörige freier Berufe zur Anwendung. Weitgehende Übereinstimmung besteht darin, daß einige Angehörige der freien Berufe, so der Rechtsanwa1t44, der Architekt 45 und der Wirtschaftsprüfer4 6 den Grundsätzen des Schweigens auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben unterworfen sind47 . Eine Anwendung der sonstigen Rechtsinstitute des Schweigens im Handelsverkehr auf die Angehörigen freier Berufe ist dagegen - mit Ausnahme von § 386 HGB48 - im Ergebnis zu verneinen. Eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs des § 362 HGB auf Angehörige freier Berufe wird ausdrücklich von K. Schmidt49 befürwortet. Demgegenüber hält die herrschende Auffassung zu Recht daran fest, daß eine analoge Anwendung dieser Vorschrift auf Nichtkaufleute ausscheidet 50 . Die So Thiele, in: MünchKomm., § 164 BGB, Rdn. 23. RG JW 1931, 522, 524 m. zust. Anm. Friedländer; OLG Bamberg BB 1973, 1371, 1372; Canaris, Vertrauenshaftung, S. 230; Baumbach / Duden / Hopt, § 346 HGB, Anm. 3 B; K. Schmidt, Handelsrecht, § 18 III 2 a; Hopt, AcP 183 (1983), 608, 69l. 45 BGH WM 1973, 1376; OLG Köln OLGZ 1974, 8f.; Hopt und K. Schmidt, beide wie Fn. 44. 46 BGH Betrieb 1967, 1362. 47 Für eine Beschränkung auf Kaufleute aber Schmidt-Salzer, BB 1971, 591, 594. 48 Vgl. zu § 386 HGB oben Fn. 13. 49 Handelsrecht, § 18 11 2 d aa, für den Architekten; ebenso Hopt, AcP 183 (1983), 608,687. 43
44
302
§ 30 Vollmachtsanfechtung durch sonstige Unternehmensträger
schon oben51 gegen eine Ausweitung des Anwendungsbereichs vorgetragenen Bedenken aus § 663 BGB werden für die Angehörigen der freien Berufe noch dadurch verstärkt, daß in einigen Berufsordnungen ausdrückliche Regelungen für das Schweigen auf einen Auftragsantrag enthalten sind 52 , welche eine von § 362 HGB abweichende Rechtsfolge anordnen. Deshalb kann § 362 HGB auf die Angehörigen freier Berufe nicht analog angewendet werden. Auf die Vorschriften der §§ 75 h, 91 a HGB braucht hier nicht näher eingegangen zu werden, weil ihnen praktisch für die Angehörigen freier Berufe keinerlei Bedeutung zukommt. Insgesamt ergeben sich damit Anhaltspunkte für eine Übertragung der dem Anfechtungsausschluß im Handelsverkehr zugrundeliegenden Wertung auf Angehörige freier Berufe allein insoweit, als die Grundsätze des kaufmännischen Bestätigungsschreibens auch auf sie zur Anwendung kommen. Eine analoge Anwendung der sonstigen Vorschriften des Schweigens im Rechtsverkehr 53 scheidet dagegen aus rechtlichen (§ 362 HGB) oder tatsächlichen Gründen (§§ 75h, 91a HGB) aus. Damit wird insgesamt zweifelhaft, ob die dem Anfechtungsausschluß bei diesen Rechtsinstituten zugrundeliegende Wertung, daß der Kaufmann die Risiken, die in der Organisation seines Unternehmens begründet sind, allein zu tragen hat, auf die Angehörigen freier Berufe übertragbar ist. Es verbleibt noch zu prüfen, ob die Interessenlage dazu zwingt, dem Angehörigen eines freien Berufs die Anfechtung der von ihm erteilten Vollmachten zu verwehren. Das ist - im Gegensatz zu den von einem gewerblichen Unternehmer erteilten Vollmachten - nicht der Fall. Zwar trifft auch für die Angehörigen freier Berufe zu, daß sie ihre Praxen zur Verfolgung der eigenen Interessen errichtet haben, daß sie die alleinigen Träger dieser organisierten Tätigkeitsbereiche sind. Im Gegensatz zu den gewerblichen Unternehmen führt die Praxis eines Freiberuflers aber weder dazu, daß sich im rechtsgeschäftlichen Verkehr die potentiellen Fehlerquellen gegenüber dem mit einem Privatmann abgeschlossenen Vertretergeschäft erhöhen, noch zu einer Unerkennbarkeit der Fehlerquellen. Denn zum einen begegnen bei Freiberuflern typischerweise keine hierarchisch strukturierten Vertretungsorganisationen, zum anderen ist in aller Regel ein für einen Angehörigen freier Berufe abgeschlossenes Vertretergeschäft als solches erkennbar. Deshalb gleichen die Belastungen, denen der Vertragspartner eines Freiberuflers im Fall der Anfechtung der Vollmacht ausgesetzt ist, mehr denen der 50 Vgl. die Nachw. oben Fn. 24; ausdrücklich gegen eine Anwendung des § 362 HGB auf Freiberufler z.B. W. Müller, Freie Berufe, S. 254f. 51 § 30 eH. 52 Vgl. § 44 BRAO, § 51 WPO. 53 Vgl. aber für § 386 HGB oben Fn.13.
c. Vollmachten Angehöriger freier Berufe
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Vollmachtsanfechtung im bürgerlichen als im Handelsrecht. Deshalb erfordert es die typische Interessenlage der Beteiligten nicht, dem Angehörigen eines freien Berufes die Anfechtung der von ihm erteilten Vollmachten zu versagen.
m.
Abwägung und Ergebnis
1. Grundsatz der Zulässigkeit einer Vollmachtsanfechtung durch Freiberufler Nach allem fehlt es an hinreichenden Anhaltspunkten dafür, dem Angehörigen eines freien Berufes in Abweichung von §§ 119ff. BGB eine Vollmachtsanfechtung zu versagen. Die Interessenlage ähnelt vielmehr der bei Anfechtung einer vom Privatmann erteilten Vollmacht so sehr, daß eine Gleichbehandlung erforderlich ist. Deshalb ist der Angehörige eines freien Berufes grundsätzlich ebenso zur Anfechtung der Vollmacht berechtigt wie ein sonstiger N ich t-Unternehmensträger.
2. Ausnahme der Unanfechtbarkeit der von Freiberuflern erteilten Vollmachten Ist grundsätzlich die von einem Freiberufler erteilte Vollmacht ebenso . anfechtbar wie die von einem sonstigen Nicht-Unternehmensträger erteilte, so ist hiervon jedoch eine Ausnahme zu machen für den Fall, daß die freie Berufstätigkeit durch einen Kaufmann ausgeübt wird. Kraft ausdrücklicher gesetzlicher Regelung ist dies den Wirtschaftsprüfern 54 und Steuerberatern 55 gestattet; für die Apotheker folgt die Kaufmannseigenschaft schon aus § 1 Abs. 2 Nr. 1 HGB56. Aber auch die Ausübung sonstiger freier Berufe in der Rechtsform einer Handelsgesellschaft ist - zumindest de lege ferenda - nicht ausgeschlossen 57 . Soweit ein freier Beruf durch einen Kaufmann ausgeübt wird, besteht kein Grund, hinsichtlich der Anfechtbarkeit der Vollmachten zu differenzieren: Auch dem Angehörigen eines freien Berufs, der Kaufmann ist, ist eine Anfechtung der für die Praxis erteilten Vollmachten verwehrt. Es gelten für ihn die gleichen Regeln wie für sonstige Kaufleute 58 • §§ 1 Abs. 3, 27 Abs.l wpo. §§ 32 Abs. 3, 49 Abs.l StBerG. 56 Vgl. etwa BGHZ 8,157, 160; BGH NJW 1983, 2085, 2086; Schlegelberger / Hildebrandt / Steckhahn, § 1 HGB, Rdn. 36; Baumbach / Duden / Hopt, § 1 HGB, Anm. 8 A; W. Müller, Freie Berufe, S.13; K. Schmidt, Handelsrecht, § 10 IV 2 (vor a). 57 Vgl. hierzu Kremer, Freie Berufe in der Rechtsform der GmbH, in: GmbH-Rdsch. 1983,259. 58 Vgl. hierzu oben § 29, zusammenfassend. 54 55
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