229 50 22MB
German Pages 49 [96] Year 1911
Wesen und Wirkung des
Anerkenntnisses im Zivilprozess insbesondere die Frage der Widerruflichkeit oder Anfechtbarkeit wegen Irrtums und anderer Willensmängel
Eine prozessrechtliche Studie
von Dr. iur. Hans Müller
Leipzig Verlag von Veit & Comp. 1911
Wesen und Wirkung des
Anerkenntnisses im Zivilprozess insbesondere
die Frage
der
Wider-
ruflichkeit oder Anfechtbarkeit wegen Irrtums
und
anderer
Willensmängel
Eine prozessrechtliche Studie
von Dr. iur. Hans Müller
Leipzig Verlag von Veit & Comp. 1911
Druck von Metzger
82
Die Widerruflichkeit des Anerkenntnisses wegen Willensmängel.
liehen Verhandlung erfolgen. 1 Da aber auf das Anerkenntnis in der Regel unmittelbar das Urteil folgt, so ist der gewöhnliche Weg: die Einlegung der Berufung unter der Behauptung, es liege ein Anfechtungsgrund vor. Ist ein Urteil noch nicht ergangen, so ist die Anfechtung möglich durch einfache prozessuale Erklärung gegenüber dem Gericht. Dagegen ist eine Anfechtung in der Revisionsinstanz unzulässig, da nach § 561 ZPO. das Vorbringen von neuen Tatsachen ausgeschlossen ist (vgl. S. 4). Nach erfolgter Rechtskraft des Urteils ist eine Anfechtung selbstverständlich unmöglich. Jedoch kann der Anfechtungsgrund unter bestimmten Voraussetzungen noch durch eine Restitutionsklage geltend gemacht werden, wenn nämlich das Anerkenntnis durch eine strafbare Handlung, also durch einen s t r a f r e c h t l i c h e n Betrug, durch Nötigung oder Bedrohung im Sinne der §§ 263, 240, 241 StrGB. böswillig erwirkt ist. 2 Nach Ablauf von 5 Jahren seit Rechtskraft des Urteils ist auch die Restitutionsklage ohne Rücksicht auf die Kennntnis des Anfechtungsgrundes ausgeschlossen. Hat in einem solchen Fall der Kläger dem Beklagten durch Betrug ein Anerkenntnis entlockt, sodaß daraufhin ein rechtskräftiges Urteil ergangen ist, und erfährt nun n a c h Ablauf von 5 Jahren der Beklagte von dem Betrüge des Klägers, so kann er nach Ansicht des Reichsgerichts eine neue selbständige Klage gegen den früheren Kläger erheben. Und zwar, falls die Urteilssumme bereits gezahlt ist, mit dem Antrage, daß der Kläger auf Grund ungerechtfertigter Bereicherung zur Herausgabe des gezahlten Betrags verurteilt 1 Die zeitliche Beschränkung des § 124 BGB. paßt für den Prozeß überhaupt nicht, maßgebend muß vielmehr der Kähmen der mündlichen Verhandlung sein. 2 Es genügt nicht, jede zivilrechtliche Täuschung, welche einen Anfechtungsgrund bildet, es muß hinzukommen: die Absicht, sich einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, sowie die Tatsache der Vermögensbeschädigung, während zum Begriffe des zivilrechtlichen Betruges die absichtliche rechtswidrige Täuschung schlechthin ausreicht. Das gleiche gilt für die Nötigung und Bedrohung. Hier wird die Bedrohung mit einem Verbrechen oder Vergehen erfordert, während im Zivilrecht jede Anwendung von Gewalt zur Anfechtung genügt.
Die Anfechtbarkeit des Anerkenntnisses als Folge des Prozeßzweckes.
83
werde, im andern Fall, daß Kläger nicht berechtigt sei, aus dem früheren Urteil die Zwangsvollstreckung zu betreiben, und den Schuldtitel herauszugeben habe. 1 Das Reichsgericht gründet seine Ansicht in erster Linie auf §§ 826, 249 BGB., wonach der böswillige Kläger schadensersatzpflichtig sei und demnach den Zustand wieder herzustellen habe, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Diese Auffassung entspricht zweifellos dem Bestreben, einen dem Rechtsgefühl offensichtlich widersprechenden Zustand zu beseitigen; sie läßt sich aber nicht mit dem geltenden Prozeßrecht vereinigen. Das Gesetz will eben, um Ungewißheiten zu vermeiden, eine definitive Zeitgrenze setzen, worüber hinaus jeder Rechtsbehelf gegen einen Urteilsspruch ausgeschlossen sein soll, mag dieser mit der objektiven Rechtslage im Einklang stehen oder nicht. Die Rechtskraft, bzw. die endgültige Ausschlußfrist bei den Rechtsbehelfen, ist ein Gut, welches der Allgemeinheit zustatten kommt und durch die Verkehrssicherheit erfordert wird. Daß dieser Vorteil auf Kosten des einzelnen erkauft werden muß, daß sich auf der anderen Seite Nachteile ergeben, ist bei der irdischen Unvollkommenheit nichts Außergewöhnliches. Aufgabe der Gesetzgebung ist es, diese Nachteile auf ein möglichst geringes Maß zu beschränken. Die ZPO. tut das, indem sie selbst unter Umständen die Restitutions- oder Nichtigkeitsklage gewährt, und hierfür eine absolute Frist von 5 Jahren bestimmt. Ist während dieses Zeitraums das Urteil nicht angegriffen, so hat selbst bei einem objektiv unrichtigen Urteilsspruch die Zeit einen gewissen Ausgleich herbeigeführt, es hat eine Versöhnung über den gebrochenen Rechtsfrieden stattgefunden. Der gleiche Gedanke liegt der Verjährung im Zivil- und Strafrecht zugrunde. Aus diesen Erwägungen heraus muß der Standpunkt des Reichsgerichts als grundsätzlich unzutreffend bezeichnet werden. Einer neuen Klage würde auch aus den angeführten Gründen die Einrede der rechtskräftig entschiedenen Sache entgegen1
ERG. Bd. 46 S. 75 u. Bd. 61 S. 359, woselbst ähnliche Fälle, jedoch nicht bezüglich des Anerkenntnisses, behandelt werden. 6*
84
Die Widerruflichkeit des Anerkenntnisses wegen Willensmängel.
stehen. Der § 82G BGB. kann hier deswegen überhaupt nicht in Frage kommen, weil eine Schadenszufügung nicht gegeben ist, denn res judicata jus facit inter partes. — Eine weitere Erörterung dieser nicht uninteressanten Frage verbietet der Zweck der vorliegenden Aufgabe (vgl. aber D e r n b u r g in DJZtg. 1905 S. 466; neuerdings D ü r i n g e r in DJZtg. 1911 S. 38 £f.). *
* *
Das bisherige Ergebnis hat also gezeigt, daß eine unmittelbare oder analoge Anwendung der Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf die Beseitigung der Wirkungen fehlerhafter Anerkenntnisse bei der grundsätzlichen Verschiedenheit zwischen Privatrecht und Prozeßrecht ausgeschlossen ist; daß aber eine Anfechtung des Anerkenntnisses mit der Grundlage des Prozesses vereinbar und zugleich als notwendiges Erfordernis des B,echtsschutzprinzips geboten ist. Und gerade hierin zeigt sich noch einmal der Gedanke, welcher der gesamten Ausführung zugrunde liegt: die Vermischung von Zivil- und Prozeßrecht verzerrt die prozessualen Begriffe und gibt Anlaß zu unklaren und irrigen Vorstellungen. Nur eine scharfe, rückhaltlose Trennung beider Rechtsgebiete, ein Aufsuchen der Zweckfunktionen des Prozeßverfahrens gewährleistet eine sichere Grundlage der prozeßrechtlichen Begriffe.
V e r l a g v o n V e i t & C o m p , in Leipzig
Über die Anfechtung der Versäumung der Ausschlagungsfrist wegen Irrtums nach §§ 1956, 119 B.-G.-B. von
Dr. iur. Wilhelm Heeger. gr. 8.
1911.
Der Vergleich im Prozesse. Eine historisch-dogmatische Untersuchung von
Dr. iur. Paul Kretschmar. gr. 8.
1896.
8
Ji.
Die
Revisionsgründe des österreichischen und des deutschen Zivilprozesses. Vortrag, gehalten in der Jurist. Gesellschaft in Wien. Von
Dr. Wilibald Peters, Reichsgerichtsrat in Leipzig.
gr. 8.
1909.
80
Der Einfluss des Konkurses auf die schwebenden Prozesse des Gemeinschuldners. Von
Dr. iur. Walther Voigt. gr. 8.
1903.
geh. 6
Ji.
Der Zwaugsvergleich. Eine zivilprozessuale Abhandlung. Von
Dr. iur. Felix Wach. gr. 8.
1896.
2 Ji 80 3jf.