Beiträge zur Auslegung des § 72 der Civil-Prozess-Ordnung [Reprint 2022 ed.] 9783112625781


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Beiträge zur Auslegung des § 72 der Civil-Prozess-Ordnung [Reprint 2022 ed.]
 9783112625781

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AUSGEWÄHLTE DOKTORDISSERTATIONEN DER

LEIPZIGER JURISTENFAKULTÄT.

BEITRÄGE ZUR AUSLEGUNG DES

§ 72 DER CIVIL-PROZESS-ORDNUNG VON

DR. JUK. ALBRECHT MENDELSSOHN BARTHOLDY.

LEIPZIG, V E R L A G V O N V E I T & COMP. 1898.

Nach der für die Leipziger Juristenfakultät bestehenden Promotionsordnung ist die Drucklegung der Dissertation keine Vorbedingung der Promotion, und die Fakultät hat die Uberzeugung, daß eine Prüfungsarbeit gut und ein vollgültiges Zeugnis

der

wissenschaftlichen Bildung ihres Verfassers sein kann, ohne daß ihr der allgemeine Wert zukommt, welcher ihre Veröffentlichung wünschenswert macht. Doch hat die Fakultät es stets als einen Übelstand empfunden, daß eine nicht unbedeutende Zahl von ihr approbierter Dissertationen, welche die Wissenschaft fördern, teils gar nicht zum Druck gelangen,

teils ohne Bezeichnung ihrer Eigenschaft als Doktor-

schrift veröffentlicht worden sind.

Daher ist die Einrichtung ge-

troffen worden, daß derartige Dissertationen unter den Auspizien der Fakultät veröffentlicht werden können.

Die Thätigkeit der

Fakultät wird sich dabei auf die Feststellung der Druckwürdigkeit beschränken; sie übernimmt keine Verantwortung für den Inhalt im Einzelnen. Die Arbeiten erscheinen in selbständigen Heften und sind einzeln verkäuflich. L e i p z i g , im Juli 1893. Die juristische Fakultät: Dr.

J. E.

KUNTZE,

d. z. Dekan.

AUSGEWÄHLTE DOKTORDISSERTATIONEN DER

LEIPZIGER JURISTENFAKULTÄT.

BEITRÄGE ZUR AUSLEGUNG DES

§ 7 2 DER CIVIL-PROZESS-ORDNUNG VON

DR. JUR. ALBRECHT MENDELSSOHN BARTHOLDY.

LEIPZIG, VERLAG VON VEIT & COMP. 1898.

Druck yon M e t z g e r & W i t t i g in Leipzig.

Inhalt. §

1.

§ §

2. 3.

§

4.

§ 5. § 6. § 7. § 8. § 9. § 10. § 11. § 12.

I. E i n l e i t u n g Die Geschichte des § 72 II. C i v i l r e c h t l i c h e s Die Rechte des Schuldners gegen den Gläubiger im römischen Recht Das Depösitionsrecht des Schuldners wegen Ungewißheit des Gläubigers im gemeinen Recht Übersicht über einschlägige Bestimmungen ausländischer Rechte und partikularen deutschen Rechts III. P r o z e s s u a l i s c h e s 1. Vorfragen Feststellungsklagen im § 72 Streitgegenstand des § 72 Der § 72 bei Widerklage und Kompensationseinrede 2. Die Intervention 3. Die Entlassung des Beklagten 4. Das weitere Verfahren IV. D i e S t e l l u n g des § 72 zum b ü r g e r l i c h e n R e c h t . . . V. A n h a n g . D e r E n t w u r f zur A b ä n d e r u n g des § 72. . .

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Seite

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w enn man eine Gesetzesbestimmung bei der ersten äußerlichen Betrachtung nach dem Maß der Beachtung, die sie in der Wissenschaft gefunden hat, und nach der Mannigfaltigkeit der Bemühungen um ihre Auslegung beurteilen darf, so hat der § 72 der C.P.O. einen bedeutenden Platz im Gesetze. Er verdankt denselben nicht nur seiner Fassung, die zu Unsicherheiten in der Anwendung des Paragraphen Anlaß giebt, sondern auch seinem Inhalt. Die Zweifel über die prozessualische Art des Beitritts und den Charakter des Entlassungsbescheides im § 72 sind nur durch die Erkenntnis der verschiedenen Interventionsarten und der verschiedenen Urteilsarten in unserem Civilprozeß zu lösen. Die schärfsten Gegensätze in der Auslegung treten aber bei der Erörterung der civilrechtlichen Folgen, welche die Deposition des § 72 haben soll, zu Tage. Sie müssen schon zum Eingang bezeichnet werden, weil sie auf einer systematischen Verschiedenheit der Auslegung ruhen. Die eine, besonders im Kommentar von Wilmovsky und L e v y vertretene Ansicht geht von der civilrechtlichen Wirkung des § 72 aus, die von den Verfassern des Gesetzes beabsichtigt war, und ist in der prozessualischen Konstruktion von der Voraussetzung bestimmter civilrechtlicher Wirkungen der Deposition abhängig; die Gegner dieser Ansicht, unter der Anregung W a c h s , lassen die prozessualische Konstruktion vorangehen und prüfen, welche civilrechtlichen Folgen mit derselben vereinbar sind. In der folgenden Abhandlung giebt nach einer historischen Einleitung der erste Teil eine Darstellung der Gebiete des Civilrechts, welche mit der Hinterlegung des § 72 in Verbindung gebracht werden; der zweite Teil die unabhängige prozessualische (277)

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Einleitung.

Konstruktion; und der Schlußteil die Anwendung der gewonnenen Prozeßform auf das Civilrecht.1 1 Besondere Erörterungen über den § 72 finden sich, außer in den Kommentaren zur C.P.O., bei F i s c h e r , Uber die Bestimmung und Bekanntmachung der Termine und die Ladung (in G r u c h o t s Beiträgen Bd. XXV, S. 801 ff); H e l l m a n n , Lehrbuch des deutschen C.P.Rs. (München 1885); K o h l e r , Gesammelte Beiträge zum Civilprozeß (Berlin 1894); K r o l l , Klage und Einrede nach deutschem Recht (Berlin 1844); K ü h n e , Ungewißheit des Gläubigers als Depositionsgrund (in I h er in g s Jahrbüchern Bd. XVII, S. lff. und 174ff); L o e n i n g , Widerklage im Reichscivilprozeß (in B ü s c h s Zeitschrift Bd. IV, S. lff.); M a n d r y , Der civilrechtliche Inhalt der Reichsgesetze (3. Aufl., Freiburg 1885); O e t k e r , Konkursrechtliche Grundbegriffe I (Stuttgart 1891); P e t e r s e n , Zur Auslegung des § 72 (in G r u c h o t s Beiträgen Bd.XXV, S. 534ff.); S c h l o d t m a n n , Über die Streitverkündung im Fall des §72 (in B ü s c h s Zeitschrift Bd. XIII, S. 293 ff.); S c h m i d t , Über die Streitverkündung im Fall des § 72 ( B ü s c h s Zeitschrift Bd. I, S. 104ff); S c h o l l m e y e r , Die Kompensationseinrede (Berlin 1884); W a c h , Vorträge über die R.C.P.O. (Bonn 1879, 2. Aufl. 1896); W e i s m a n n , Hauptintervention und Streitgenossenschaft (Leipzig 1884).

T. § 1. Der § 72 der C.P.O. lautet: „Wird von dem verklagten Schuldner einem Dritten, welcher die geltend gemachte Forderung für sich in Anspruch nimmt, der Streit verkündet und tritt der Dritte in den Streit ein, so ist der Beklagte, wenn er den Betrag der Forderung zu Gunsten der streitenden Gläubiger gerichtlich hinterlegt, auf seinen Antrag aus dem Rechtsstreit zu entlassen und der Rechtsstreit über die Berechtigung an der Forderung zwischen den streitenden Gläubigern allein fortzusetzen. Dem Obsiegenden ist der hinterlegte Betrag zuzusprechen und der Unterliegende auch zur Erstattung der dem Beklagten entstandenen, nicht durch dessen unbegründeten Widerspruch entstandenen Kosten einschließlich der Kosten der Hinterlegung, zu verurteilen." Die Bestimmung war im Entwurf der C.P.O. 1 nicht vorgesehen. Die Motive2 beschäftigen sich mit ihrem Gedanken nicht, auch nicht ablehnend, wie dies bei den Instituten der Garantieklage und Beiladung für nötig befunden war. In der Justizkommission beantragte der Abgeordnete für Kassel, B a e h r , bei der ersten Lesung des Entwurfs, 3 hinter dem § 70 4 einzuschieben: „§ 70 a. Wird dem verklagten Schuldner von einem Dritten, welcher auf die eingeklagte Forderung gleichfalls Anspruch macht, der Streit verkündet und tritt der Dritte in den Streit ein, so ist der Beklagte, wenn er den Betrag der Forderung zu Gunsten der streitenden Gläubiger gerichtlich hinterlegt, auf seinen Antrag aus dem Rechtsstreit zu entlassen und dieser über die Berechtigung 1

Entwurf einer C.P.O., dem deutschen Reichstag zur verfassungsmäßigen Beschlußnahme vorgelegt unter dem 23. Oktober 1874. 2 Drucksachen des deutschen Reichstags, zweite Legislaturperiode, Motive zum 2. Abschnitt, dritten Titel des Entwurfs, S. 84—96. 3 Protokolle der Justiz-Kommission des deutschen Reichstags betr. die Beratung der C.P.O. und des E.Gr, zur C.P.O. S. 27—29 (7. Sitzung.) 4 Jetzt § 71 C.P.O. (279)

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A. Mendelssohn Bartholdy:

an der Forderung zwischen den streitenden Gläubigern allein fortzuführen. Der Obsiegende erhält den hinterlegten Betrag, der Unterliegende hat auch die Kosten, welche für den Beklagten entstanden sind, einschließlich der Kosten der Hinterlegung, zu ersetzen." 1 In der zweiten Lesung 2 bewirte der Antragsteller zu der Kostenbestimmung den Zusatz „nicht durch dessen unbegründeten Widerstand veranlaßten." Mit dem so gestalteten Paragraphen mußte sich die Kommission zum dritten Male 3 bei der Revision ihrer Beschlüsse beschäftigen, da ein Antrag des Bundesrats auf Wiederherstellung des Entwurfs vorlag. Die Kommission behielt den § 70 a bei, unter Ablehnung des Bundesrats-Antrages und eines Antrages M a r q u a r d s e n , dem Schluß des Paragraphen nach den Worten „auf seinen Antrag" folgende Fassung zu geben: „Unter Verurteilung in die von ihm veranlaßten Kosten aus dem Rechtsstreite zu entlassen und dieser über die Berechtigung an der Forderung zwischen den streitenden Gläubigern allein fortzusetzen. Dem Obsiegenden ist der hinterlegte Betrag zuzusprechen und der Unterliegende auch zur Erstattung der dem Beklagten entstandenen Kosten, einschließlich der Kosten der Hinterlegung, zu verurteilen, soweit der Beklagte nicht in die Kosten verurteilt ist." In der Redaktionskommission 4 erhielt der Paragraph dann die Gestalt, in der er vom Reichstag genehmigt wurde. 6 In der ausführlichen Begründung, die der Antragsteller dem von den Regierungsvertretern 6 lebhaft bekämpften Paragraphen gab, führte er zunächst aus, daß einem für dieselbe Schuld doppelt in Anspruch genommenen Schuldner 7 ein prozessualisches Mittel gegeben werden müsse, durch dessen Anwendung er sich von seiner civilrechtlichen Schuld und seiner prozessualen Passiv-Legitimation zugleich befreien und den konkurrierenden Gläubigern den Austrag des Rechtsstreits zuschieben könne. Zur weiteren Begründung gab er 1 Jetzt § 72 der C.P.O. Die Abänderung ist teilweise der zweiten Lesung der Justiz-Kommission, teilweise der Redaktionskommission zu verdanken. 2 Protokolle der Justiz-Kommission S. 512—514 (83. Sitzung.) 3 Protokolle der Justiz-Kommission S. 657—659 (126. Sitzung.) 4 Protokolle der Justiz-Kommission (163. Sitzung) Anlage C. 6 Stenograph. Berichte über die Verhandlungen des deutschen Reichstages. 2. Legislaturperiode. 4. Session Bd. I, S. 167 ff. Bd. II, S. 999. 6 Unter anderem auch von dem Verf. der Motive zum Regierungsentwurf, Kurlbaum. 7 Dabei ist besonders an die Fälle der Ungewißheit des Gläubigers im Fall der Cession gedacht, welche B a e h r in seiner auch vom Regierungsvertreter angezogenen Abhandlung zur Cessionslehre in den Jahrbüchern für Dogmatik Bd. I, S. 350 ff. besprochen hatte.

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Beiträge zur Auslegung des § 72 der C.P.O.

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an, daß in mehreren Partikularrechten 1 „der Sache nach" ähnliche Bestimmungen bereits bestanden und sich bewährt hätten. 2 Ausdrücklich citiert er nur das hessische Gesetz, 3 in dem die betreffende Vorschrift lautet: „Kann ein belangter Schuldner, weil eine Geltendmachung von .Rechtsansprüchen auf den Gegenstand der Schuldverpflichtung auch seitens anderer Personen, außer dem jetzt auftretenden Kläger, entweder schon erfolgt ist oder doch in Aussicht steht, oder weil der Kläger seine von einem früheren Gläubiger hergeleitete Selbstberechtigung nicht sofort auf eine jeden Zweifel beseitigende Weise darthun kann, den aufgetretenen Gläubiger nicht ohne Gefahr einer abermaligen Leistung befriedigen, so ist auf seinen Antrag vom Gericht eine Aufforderung der weiteren Beteiligten zur Geltendmachung ihrer etwaigen Ansprüche in dem jetzigen Rechtsstreite mit der in der Aufforderung anzuführenden Wirkung zu erlassen, daß durch eine im letzteren erfolgende Verurteilung des Schuldners die Ansprüche der Hinzugeladenen dem Schuldner gegenüber unwirksam werden. Sind unter den hinzugeladenen Dritten unbekannte oder abwesende, nicht zu erreichende Personen, so erfolgt die Bekanntmachung der betreffenden Verfügung durch zweimalige Einrückung in einem bis drei vom Gericht zu bestimmenden Blättern. Machen infolge der erlassenen Aufforderung dritte Personen ebenfalls Ansprüche auf den Streitgegenstand geltend, so ist der Schuldner, sobald seine Verpflichtung an sich durch Anerkennung oder durch rechtskräftiges Erkenntnis feststeht, befugt und auf Antrag eines als berechtigt auftretenden Gläubigers auch verpflichtet, in den geeigneten Fällen das von ihm Geschuldete mit der Wirkung seiner Befreiung gerichtlich zu deponieren. Außerdem kann der Schuldner verlangen, daß entweder für die Sachberechtigung zum Streitgegenstande zunächst zwischen den kollidierenden Berechtigten verhandelt und erst auf Grund rechtskräftiger Erledigung des deshalbigen geeigneten Falles in besonderen Akten durchzuführenden Streites die Verhandlungen ihm gegenüber wieder aufgenommen oder ihm vor Fortsetzung des gegen ihn seitens des ursprünglichen Klägers oder sonstiger als berechtigt aufgetretener Personen eingeleiteten 1

Die einschlägigen Verhandlungen in der Hannoverschen Kommission (Protokolle der Kommission zur Beratung einer allgemeinen C.P.O. für die deutschen Bundesstaaten, Hannover 1862. S. 711, 717, 736—740, 742—745, 4888—4890) sind merkwürdigerweise weder vom Antragsteller noch von anderer Seite bei der Beratung des § 72 herangezogen worden. 2 Kurhessische C.P.O. vom 28. Oktober 1863 § 31. 3 Yergl. dagegen unten S. 20. (281)

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A. Mendelssohn Bartholdy:

Prozesses Sicherstellung wegen aller hierdurch und demnächst durch die Deposition entstehenden Kosten und sonstigen Nachteile geleistet werde. Der in einem Incidentstreit zwischen mehreren angeblich Berechtigten unterliegende Teil hat stets auch diejenigen Kosten zu tragen, welche durch die vom Schuldner veranlaßte Aufforderung sowie durch die erfolgte Deposition entstanden waren." Dieses Gesetz ist entstanden unter dem Einfluß der Rechtsprechung des damaligen hessischen Ober-Appellationsgerichts. 1 Grundlegend wirkten die Abhandlung B a e h r s zur Cessionslehre2 und mittelbar die in derselben angeführten Urteile des Ober-Appellationsgerichts Kassel (1829),3 des Obergerichts zu Wolfenbüttel (1855),4 und des Ober-Tribunals zu Berlin (1854).®

II. § 2. Die Frage nach dem Depositionsrecht des Schuldners wegen Ungewißheit des Gläubigers scheint eine technische Nebenfrage zu sein. Sie muß aber erörtert werden unter dem Zeichen der gewaltigen Bewegung in der römischen Rechtsentwicklung, des Kampfes zwischen ius strictum und ius aequum. Denn das ist der vornehmste Grund der Verfechter eines weitgehenden Depositionsrechts, daß dem Schuldner die Billigkeit gegen die Gläubiger zur Seite stehe. Dafür wird die römische Lehre von den Rechten des Schuldners gegen den Gläubiger angerufen. Der Schuldner hat keinen Anspruch auf Annahme der Zahlung durch den Gläubiger. 6 Der Gläubiger hat kein Recht, eine Schuld durch Verweigerung der Zahlungsannahme zu perpetuieren, 7 es darf 1 Vergl. das Urteil des O.A.G. Darmstadt vom 23. März 1860 ( S e u f f e r t s Archiv, Bd. XXI, No. 27). 2 Vergl. S c h m i d t in B ü s c h s Zeitschrift Bd. I, S. 111. 3 B a e h r in I h e r i n g s Jahrbüchern Bd. I, S. 488. 4 B a e h r , a. a. 0. S. 490. 6 B a e h r , a. a. 0. S. 490. 6 Das ist ziemlich allgemein anerkannt. Yergl. W i n d s c h e i d , Pandekten 7. Aufl., Bd. II, § 345; D e r n b u r g , Pandekten 3. Aufl., Bd. II, § 43; K o h l e r in G r u c h o t s Beiträgen Bd. XXX, S. 262. Trotzdem werden oft den Hechten des Gläubigers gegen den säumigen Schuldner Rechte des Schuldners gegen den säumigen Gläubiger an die Seite gestellt. 7 Dieses Recht konnte er haben, solange die persönliche Seite des Schuldverhältnisses im Vordergrund stand; nicht aber, sobald die Verzinsungspflicht dem Schuldner pekuniäre Lasten auferlegt, deren Abwendung durch pekuniäre Schuldtilgung ihm zugestanden werden muß.

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A. Mendelssohn Bartholdy:

Prozesses Sicherstellung wegen aller hierdurch und demnächst durch die Deposition entstehenden Kosten und sonstigen Nachteile geleistet werde. Der in einem Incidentstreit zwischen mehreren angeblich Berechtigten unterliegende Teil hat stets auch diejenigen Kosten zu tragen, welche durch die vom Schuldner veranlaßte Aufforderung sowie durch die erfolgte Deposition entstanden waren." Dieses Gesetz ist entstanden unter dem Einfluß der Rechtsprechung des damaligen hessischen Ober-Appellationsgerichts. 1 Grundlegend wirkten die Abhandlung B a e h r s zur Cessionslehre2 und mittelbar die in derselben angeführten Urteile des Ober-Appellationsgerichts Kassel (1829),3 des Obergerichts zu Wolfenbüttel (1855),4 und des Ober-Tribunals zu Berlin (1854).®

II. § 2. Die Frage nach dem Depositionsrecht des Schuldners wegen Ungewißheit des Gläubigers scheint eine technische Nebenfrage zu sein. Sie muß aber erörtert werden unter dem Zeichen der gewaltigen Bewegung in der römischen Rechtsentwicklung, des Kampfes zwischen ius strictum und ius aequum. Denn das ist der vornehmste Grund der Verfechter eines weitgehenden Depositionsrechts, daß dem Schuldner die Billigkeit gegen die Gläubiger zur Seite stehe. Dafür wird die römische Lehre von den Rechten des Schuldners gegen den Gläubiger angerufen. Der Schuldner hat keinen Anspruch auf Annahme der Zahlung durch den Gläubiger. 6 Der Gläubiger hat kein Recht, eine Schuld durch Verweigerung der Zahlungsannahme zu perpetuieren, 7 es darf 1 Vergl. das Urteil des O.A.G. Darmstadt vom 23. März 1860 ( S e u f f e r t s Archiv, Bd. XXI, No. 27). 2 Vergl. S c h m i d t in B ü s c h s Zeitschrift Bd. I, S. 111. 3 B a e h r in I h e r i n g s Jahrbüchern Bd. I, S. 488. 4 B a e h r , a. a. 0. S. 490. 6 B a e h r , a. a. 0. S. 490. 6 Das ist ziemlich allgemein anerkannt. Yergl. W i n d s c h e i d , Pandekten 7. Aufl., Bd. II, § 345; D e r n b u r g , Pandekten 3. Aufl., Bd. II, § 43; K o h l e r in G r u c h o t s Beiträgen Bd. XXX, S. 262. Trotzdem werden oft den Hechten des Gläubigers gegen den säumigen Schuldner Rechte des Schuldners gegen den säumigen Gläubiger an die Seite gestellt. 7 Dieses Recht konnte er haben, solange die persönliche Seite des Schuldverhältnisses im Vordergrund stand; nicht aber, sobald die Verzinsungspflicht dem Schuldner pekuniäre Lasten auferlegt, deren Abwendung durch pekuniäre Schuldtilgung ihm zugestanden werden muß.

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Beiträge zur Auslegung des § 72 der C.P.O.

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nicht an ihm liegen, daß die leistungsfallige Schuld nicht gezahlt wird. Deshalb steht dem Schuldner eine A r t der Lösung seiner Verbindlichkeit frei, welche nicht Zahlung ist, weil der Annahmewille des Gläubigers fehlt. 1 Indem dieser W i l l e durch den des Staats oder privaten D e positars ersetzt ist, wird die Hinterlegung beim Gläubigerverzug mit Wirkungen ausgestattet, welche sie als ein Surrogat der Zahlung erscheinen lassen. B e i m Schuldner- wie beim Glüubigerverzug werden die versäumten Pflichten der Kontrahenten vom Gesetz erzwingbär gemacht. B e i m Schuldnerverzug treffen den Säumigen außerdem Verzugsstrafen, beim Gläubigerverzug nicht. Dieser Unterschied, der von dem beliebten Satz abschrecken solllte: „der mora debitoris entspricht eine mora creditoris", 2 läßt sich an den Einzelheiten der beiden Verzugsarten weiter verfolgen. Man kann so wenig sagen, daß der Mahnung des Gläubigers an den Schuldner die Realoblation des Schuldners an den Gläubiger und ferner die citatio ad videndum deponi entspreche, 3 als man die subjektive Annahmeweigerung beim 1 Seit U l r i c h s erschöpfender Monographie über „Déposition und Dereliktion" (Zürich 1877) pflegt man als feststehend anzunehmen, daß die Dereliktion ein der Déposition subsidiäres Leistungssurrogat gewesen sei. So sagt z. B. K o h l e r in I h e r i n g s Jahrbüchern Bd. XVII, S. 311: „Daß Aussetzung und Déposition in der That nur ein und dasselbe Institut sind und daß der Unterschied zwischen der Déposition und der Aussetzung sans phrase nur ein faktischer, kein im Innern des Instituts begründeter rechtlicher ist." Diese Ansicht, nach der das Kriterium für den dem betroffenen Gläubiger doch sehr empfindlichen Unterschied zwischen Déposition und Dereliktion in die ,,phrase" der Hinterlegungsformvorschriften gelegt wird, scheint äußerlich; die Partikulargesetze, welche sie annahmen und durchführten, sind damit in bewußten Gegensatz, nicht in eine Nachfolge zum gemeinen Eecht getreten. Als Beispiel sei der § 757 des sächsischen B.G.B, und die Bemerkung dazu im Lehrbuch des sächsischen Privatrechts von G r ü t z m a n n Bd. II, S. 109 angeführt. Die Bestimmung der Grenze zwischen Hinterlegung und Dereliktion ist allerdings schwieriger, wenn man sich nicht nach dem Gegenstand des Rechtsverhältnisses, sondern nach dem Rechtsverhältnis selbst richtet. 2 W i n d s c h e i d , Pandekten II, § 345, Anm. 1, wo aber eher eine gebräuchliche Formel, als ein die W i n d s c h e i d sehe Darstellung der Verzugslehre umfassender Satz gegeben ist. D e r n b u r g , Pandekten II, § 43, Anm. 9, benützt das Axiom von der Parallelität der Schuldner- und Gläubiger-mora allerdings sogar zur Konstruktion. Die ausgleichende Tendenz der neueren Rechtswissenschaft hat die dem Gläubiger günstige Regel des dies interpellât pro homine und die dem Schuldner lästige Vorschrift der citatio ad videndum deponi zu bestreiten unternommen. Die Regel des dies adiectus ist aber nicht nur nicht unrichtig und bei der Rezeption mißverstanden, sondern vielmehr eine natürliche und für die ganze Verzugslehre bedeutende Konsequenz der römischen Auffassung des Schuldnerverzugs. Nach Abschluß des Vertrags darf der Gläubiger fordern, muß der

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A. Mendelssohn Bartholdy:

Gläubigerverzug der objektiven Nichtleistung beim Schuldnerverzug gleichstellen k a n n . 1 Zur Prüfung der Verzugstheorien eignet sich vorzüglich das Gebiet der Alternativ-Obligation. 2 D e r Alternativgläubiger erhält durch Schuldnerverzug das Wahlrecht stets; er verliert dagegen durch Verzug nicht sein Wahlrecht an den Schuldner. 3 § 3. B e i der Lehre vom Verzug zeigte sich, daß die Deposition nicht eine der Klage des Gläubigers gegen den säumigen Schuldner entsprechende Anspruchsverwirklichung ist. Sie stellt sich vielmehr Schuldner zahlen. Der Schuldner hat aber kein Recht zu zahlen, ehe der Termin eingetreten oder der Gläubiger zur Empfangnahme bereit ist. Deshalb mahnt, falls kein Termin verabredet ist, der Gläubiger den Schuldner und giebt ihm damit Recht und Pflicht, zu zahlen. Yergl. die ältere Litteratur bei V a n g e r o w , Pandekten 7. Aufl. III, S. 206 f., 217, sowie V a n g e r o w s Ausführungen, ebenda S. 228 ff.; die neuere Litteratur bei W i n d s c h e i d , Pandekten II, § 278, Anm. 1—4; D e m b ü r g , Pandekten II, § 40, Anm. 14. Für die den Verzugsstrafen systematisch doch sehr nahestehenden Konventionalstrafen — man kann die Verzugsstrafen gesetzliche Konventionalstrafen der Kontraktsobligationen nennen — ist die Regel dies interpellât pro homine zugegeben. Vollständige Nachweise der Litteratur über die citatio ad videndum deponi ergeben sich aus einer Vergleichung der Citate bei M u e l l e r , de depositione iudiciali (Berlin 1847) S. 69, Anm. 229; H o l z s c h u h e r , Theorie und Kasuistik III, § 246, fr. 3; L a u t e r b a c h , disputatio de deposito c. XII (disputationes acadamicae, Tubing. 1728, S. 1011) [der mehrfach angeführte Traktat von S c h u l t z war mir nicht zugänglich; M u e l l e r , der ihn benutzt haben will, giebt als Druckjahr 1775 an, obgleich der Traktat in der von M u e l l e r richtig auf 1660 gelegten disputatio L a u t e r b a c h s mehrfach citiert ist]. Bezeichnend ist der von L a u t e r b a c h a. a. 0., S. 1014 mitgeteilte Bescheid der Jenenser Fakultät von 1639: „wird von den Rechtsgelehrten vor gnugsam geachtet, wenn entweder eine gerichtliche Ladung ad videndum deponi oder aber nur eine oblatio pecuniae oder nur allein eine schlichte extraiudicialis denuntiatio dem creditori, sein Geld zu empfahen, geschehen und vorgangen." Wie die Dereliktion neben der Deposition im römischen Recht, so stehen hier Oblation und Denuntiation neben der citatio, ohne daß eine Kasuistik für die Anwendung der verschiedenen Formen sich aufstellen ließe. Im Ganzen ist für das gemeine Recht jedenfalls die Notwendigkeit und konstitutive Wirkung gerichtlicher Akte beim Gläubigerverzug anzuerkennen und damit ist der Gegensatz zu der u. a. von C o s a c k in seinem Lehrbuch des Handelsrechts 3. Aufl., S. 208 behaupteten Freiheit des Schuldners, das Geschuldete bei Annahmeverzug nach römischem Recht „einfach fortzuwerfen", gegeben. 1 W i n d s c h e i d , Pandekten II, § 345, 3 und Anm. 8. 2 Vergl. gegen D e r n b u r g , Pandekten II, § 27, S. 79 f. — P e s c a t o r e , die sogenannte alternative Obligation S. 256; H o l z s c h u h e r , Theorie und Kasuistik III, S. 30. 8 Ebensowenig als der Schuldner das einem dritten durch Verabredung der Obligationsparteien übertragene Wahlrecht durch dessen thatsächlichen Verzug in Ausübung des Wahlrechts erhält. (284)

Beiträge zur Auslegung des § 72 der C.P.O.

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als ein den mangelnden Annahmewillen des Gläubigers ersetzender Rechtsbehelf dar. Naheliegend und verbreitet 1 ist die Annahme, daß weitere Fälle eines Depositionsrechts erst durch analoge Anwendung der bezüglichen Bestimmungen in der Verzugslehre sich ergeben haben. 2 Der Schuldner schien einem säumigen Gläubiger gegenüber nicht in höherem Maße hilflos als wenn sein Gläubiger interdiziert oder unbestimmt war. Und doch konnte er einen solchen Gläubiger nicht in Verzug setzen und sich dadurch die Depositionsfreiheit sichern. Es war besonders der Begriff der Schuldhaftigkeit der mora, der bei einer Verwischung der Grenzen zwischen subjektiver und objektiver Schuld des Gläubigers an der Nichtannahme zur Anerkennung der Depositionsfreiheit in Fällen führen konnte, die eben vom Verzug sich nur durch den Mangel der subjektiven Verschuldung unterschieden. 3 So wurde die Hinterlegung unter den auch für die Verzugsdeposition geltenden formellen Voraussetzungen und mit den entsprechenden Wirkungen verwendet 4 bei Veräußerungsunfähigkeit, Geschäftsunfähigkeit des Gläubigers, 6 bei rechtswirksamer Zahlung entgegenstehenden richterlichem Verbot der Zahlung an den Gläubiger, 6 bei rechtserheblicher Abwesenheit des Gläubigers vom Wohnsitz und Erfüllungsort 7 und bei thatsächlicher (objektiver) Ungewißheit des Gläubigers. 8 Sieht man von der Möglichkeit und Probabilität der Analogie ab, so bleiben zur Konstruktion einer Hinterlegung wegen „Ungewißheit des Gläubigers" als Grundlage die 1. 1, 37 D. depositi vel contra und die 1. 18, 1 D. de usuris. 9 1

Yergl. z. B. C z y h l a r z in G r ü n h u t s Zeitschrift Bd. VI, S. 661, Anm. 12. Dafür spricht auch die technische Bezeichnung dieser Depositionsarten als depositio minus solemnis gegenüber der depositio solemnis bei der mora. 9 Yergl. M o m m s e n , Die Lehre von der mora S. 169 c. 4 Von der sogenannten depositio ex iure reconventionis ist hier abgesehen. 6 1. 7, 2 D. de minor. 4,4; 1. 56 D. maudati vel contra 17,1. 6 Entsch. d. E.Gs. in Civilsachen Bd. XXX,'S. 197; Protokolle der Dresdner Kommission für deutsches Obligationenrecht Bd. II, S. 1286 ff. 7 1. 47, 2 D. de fideicomm. libert. 40, 5; 1. 4 pr. D. de statuliberis 40, 7; in diesen Fällen handelt es sich aber um die causa favorabilis der Freiheit des Schuldners. Zu 1. 6 C. de usuris 4,32, vergl. M o m m s e n , Zur Lehre von der mora S. 169 b. 9 1. 18,1 D. de usuris 22, 1; K ü h n e in I h e r i n g s Jahrbüchern Bd. XVII, S. lff.; J e s s ebendaselbst S. 174 ff. 9 Diese beiden Stellen werden trotz den überzeugenden Ausführungen von K ü h n e und J e s s noch in den neuesten Auflagen der Pandekten-Lehrbücher von W i n d s c h e i d und D e r n b u r g angezogen. Neuerdings ist wieder von C r e t s c h m a r , Normen des rheinpreußischen Landesrechts S. 85 apodiktisch die Behauptung aufgestellt worden: „Der Weigerung des Gläubigers, anzunehmen, 2

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A. Mendelssohn Bartholdy:

Die Entscheidung des P a u l u s in 1. 18, 1 D. de usuris 22, 1 lautet, soweit sie die Hinterlegungsfrage betrifft: „Ist der Erbe eines verstorbenen Verkäufers ungewiß (incertus), so kann sich der Käufer, der die erhaltene Kaufsache noch nicht bezahlt hat, vom Zinsenlauf in der Zeit bis zur Feststellung des Erbenrechts durch Déposition befreien." Diese Bestimmung trifft den Fall der von K ü h n e getauften „objektiven Ungewißheit" des Gläubigers. C u j a c i u s 1 meint, der Schuldner sei für die Zinsen verhaftet, si pretium intérim, dum incertus est successor venditoris, emptor non consignaverit, deposuerit; und er begründet das: Sibi ergo emptor imputare debet, quod, cum fundo frueretur, non dum existente ullo successore venditoris, pretium non obsignaverit et deposuerit. Von einer Déposition zur Vermeidung prozessualischer Gefahr für den Schuldner,, wie sie als vorbildliche Bestimmung des römischen Rechts neueren Schriftstellern vorschwebt, ist hier nicht die Rede. Solange noch kein Rechtsnachfolger des Gläubigers existiert, ist die 1. 18, I D . cit. bestimmend; sobald ein solcher auftritt und seine Person dem Schuldner zur Befriedigung seines Zahlungsbedürfnisses darstellt, kann der Schuldner nicht mehr wegen Ungewißheit (incertitudo) deponieren, nur vielleicht noch auf ein der bestimmten Person dieses Gläubigers anhängendes Hindernis rechtswirksamer Zahlung hin. Ob ein solches Hindernis die Streiteinlassung dieses Gläubigers mit einem Forderungsprätendenten ist, darüber äußert sich die 1. 1, 87 D. depositi vel contra 16, 3. J u l i a n entscheidet hier: „Befindet sich ein zur Erfüllung seiner Schuld bereiter Depositar zwei prätendierenden Erben des Hinterlegers gegenüber, so hat er an den zu leisten, welcher eine cautio defensum iri stellt. Findet sich keiner von Beiden dazu bereit, so ist die Hinterlegung der Schuldsumme bei einer öffentlichen Depositalstelle gestattet." 2 B a r t o l u s 3 erklärt diese Stelle mit den Worten: „Si duo se heredes contendant, licet debitori solvere cui vult, exacta cautione, quod se ab alio defendet." 4 ist der Fall gleichzuachten, daß der Schuldner Bedenken trägt, ob er an den richtigen Gläubiger zahlen werde und dieses Bedenken durch den Eintritt (Prozeßintervention) eines angeblich berechtigten Dritten bestätigt wird." 1 Opera, Ed. N e a p o l . Tom. VI, p. 519 f. 2 J e s s in I h e r i n g s Jahrbüchern Bd. XVII, S. 167. 3 B a r t o l u s , Commentaria (Lugduni 1552) Tom I, Abt. 2, p. 114; vergl. auch C u j a c i u s , opera Tom. VI p. 78. 4 Der Kommentator B a u d o z a (Corpus iuris gl. Lugduni 1593) fügt der Citation dieser Stelle die scholastische Antwort auf die im Fragment nicht durchgedachte Frage bei, wie der Schuldner sich verhalten solle, wenn beide (286)

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Die moralische Ungewißheit, die den Schuldner an der Zahlung bona fide an einen der Prätendenten hindern kann, wird rechtlich durch die Leistung der Kaution gehoben 1 ; der Gläubigerprätendent, welcher bereit ist, adversus alterum reum defendere steht dem Gläubiger im Yerzug, dem abwesenden oder interdicierten Gläubiger im Verhältnis zum zahlungsbereiten Schuldner nicht gleich. Wohl aber ist eine Weigerung der beiden Gläubiger-Prätendenten, eine solche Kaution zu leisten, als ein von ihnen ausgehendes Hindernis der Zahlung, zu der der Schuldner unter der gesetzlichen Kautel bereit wäre, anzusehen und daher geeignet, sie in Annahmeverzug zu bringen. 2 3 Der Streit darüber, ob der Gläubiger durch Versagung seiner Mitwirkung zur Lösung des Schuldverhältnisses in Verzug kommen könne, ist besonders nachdrücklieh von K o h l e r in I h e r i n g s Jahrbüchern Bd. X V I I , S. 262 ff. durchgefochten worden. K o h l e r meint: „Nicht gegen den Gläubiger hat der Schuldner einen Anspruch auf eine befreiende That, sondern er hat nur ein Anrecht an das Gesetz, ihm Mittel und Wege zu gewähren, um sich nötigenfalls auch ohne Mitwirkung des Gläubigers aus diesem Zustand zu lösen — versagt oder versäumt der Gläubiger die Mitwirkung, so soll das Gesetz einen neuen Weg der Liberation eröffnen." Das thut das Kecht eben, indem es der Obstruktion des Gläubigers die Wirkung des Verzugs beilegt, sofern in dieser Obstruktion ein vom Schuldner nicht zu beseitigendes Zahlungshindernis liegt. Darin liegt noch lange nicht die Zuerkennung einer Klage auf Annahme gegen den Gläubiger, 4 auch nicht die dogmatische Konstruktion einer Annahmepflicht schlechthin. Den beiden von K o h l e r a. a. 0 . S. 286 angezogenen Fällen 5 des Gläubigerverzugs — Prätendenten zugleich eine gleich hohe Kaution anbieten. In dieser Verwicklung, sagt er, locus erit gratificationi. Dem breiten Kommentator ist die Möglichkeit einer Hinterlegung ohne vorherige Aufforderung zur Kautionsleistung an die Prätendenten nicht in den Sinn gekommen. Vergl. über einen ähnlichen Fall H e i s e und C r o p p , Juristische Abhandlungen Bd. I, S. 241. 1 Über Natur und Wirkung dieser Kaution, O e t k e r , Konkursrechtliche Grundbegriffe I, S. 526/7. 2 Vergl. K e l l e r , Pandekten 2. Aufl., Bd. I, S. 550. 3 Durch die Annahme civilistischer Folgen bei der Hinterlegung des § 72 wird dem kautionsbereiten Gläubiger der durch die 1. 1, 37 cit. gewährte Vorteil über seinen lässigeren Gegner genommen. Vergl. O e t k e r , a. a. O., S. 532. 4 Entsch. des Reichs-Ober-Handelsgeriehts Bd. X V I , S. 204. 5 Erk. des Ober-Tribunals zu Berlin v. 2. März 1875: „Beides (nämlich Nachteile für den säumigen Schuldner) setzt aber voraus, (287)

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Weigerung des Gläubigers, dem Versicherungsnehmer die Police, dem Schuldner die Quittung zu erstellen — stehen die Fälle der Verweigerung des Legitimationsnachweises und der Sicherheitsleistung gleich. Durch die 1. 1, 37 D. 16, 3 ist wie durch Art. 816 H.G.B. eine Vorschrift für die Mitwirkung des Gläubigers zur Lösung bestimmt gestalteter Schuldverhältnisse gegeben; und in beiden Fällen trägt der Gläubiger bei Nichtbeachtung der gesetzlichen Vorschrift die Nachteile des Verzugs. 1 Fällt so die 1.1, 37 D. 16, 3 unter die Gruppe der Bestimmungen über die Deposition beim Annahmeverzug und steht die 1. 18, 1 D. 22, 1 den übrigen singulären Fällen einer Hinterlegung wegen Verhinderung der Zahlung durch einen nicht im Verzug befindlichen Gläubiger gleich, so ist die Behauptung, daß durch Analogie eine allgemeine Depositionsfreiheit des Schuldners auf Grund von Zweifeln desselben über die Legitimation des Gläubigers zur Annahme zu konstruieren sei, zurückzuweisen. Man behauptet, daß der Schuldner sich in den Fällen, in denen zwar die Unmöglichkeit der Zahlung nicht am Gläubiger liegt, in denen sie aber auch dem Schuldner nicht zur Last fällt, 2 aus Gründen der Billigkeit 3 von civilrechtlichen und prozessualischen daß die Verpflichtung des Käufers zur Zahlung des Kaufpreises wirklich eingetreten, daß also der Verkäufer seinerseits seine Verpflichtungen aus dem Kaufverträge (hier: den Kaufvertrag gerichtlich verlautbaren und das Kaufobjekt in den Grundbüchern auf den Namen des Käufers einschreiben lassen) erfüllt hat." Ferner das Reichs-Ober-Handelsgericht: „Bei perfektem Versicherungsvertrage treffen die vertragsmäßigen Nachteile unterlassener Prämienzahlung den Versicherten nicht, sofern diese Unterlassung ihren Grund in dem Verhalten des Versicherers oder seines mit der Entgegennahme der Prämie betrauten Agenten hat." Im Osterr. Bürgerl. Gesetzbuch sind diese Fälle neben der mora als Depositionsgrund angegeben (§ 1425 cf. 1427, 1428). 1 K ü h n e (in I h e r i n g s Jahrbüchern Bd. XVII, S. 175, Anm. 2) läßt Nichtleistung der Kaution den Verzug begründen, scheint dagegen (ebenda S. 4 unten) bei Verweigerung des Legitimationsnachweises Verzug nicht anzunehmen. J e s s verwirft die im Text gegebene Ansicht ganz (ebenda S. 167): „Von einer mora accipiendi, wegen Nichtleistung der Kaution, kann nicht die Kede sein." 2

Ob die Hinderung der Zahlung am Gläubiger liegt (per creditorem stat), ist leicht festzustellen; die Verantwortlichkeit des Schuldners für solche Hinderung fest zu umgrenzen, ist dagegen schwer; S c h m i d t will z.B. dem Schuldner die Hinterlegung gestatten, wenn „man ihm aus seinen Zweifeln (über die Gläubigerperson) keinen Vorwurf machen kann". 3 Esse enim hanc quaestionem de bono et aequo, in quo genere plerumque sub anctoritate iuris scientiae perniciose, inquit, erratur fr. 91, 3 D. de verb. obligat. 45,1. (288)

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Folgen der Nichtzahlung durch die Hinterlegung müsse befreien können. 1 Gegen derartige Ausführungen auf civilrechtlichem Gebiet läßt sich nicht anders als mit einem Hinweis darauf antworten, daß die Billigkeit keineswegs dem sozial schwächeren Schuldner in höherem Maße zukommen darf als dem stärkeren Gläubiger. 2 Eher könnte man aus einer anders nicht abwendbaren prozessualischen Gefährdung des Schuldners auf das Vorhandensein eines Depositionsrechts schließen, durch dessen Ausübung sich der Schuldner der nicht von ihm geschaffenen Prozeßlage hätte entziehen können. Durch prozeß-praktische Erwägungen dieser Art sind zwei von B ä h r in seiner Abhandlung zur Cessionslehre S. 494 und 498 citierte Urteile hessischer Gerichte 3 veranlaßt, in denen dem Schuldner einer mehrfach cedierten Forderung den Prätensionen mehrerer Cessionare gegenüber die Deposition gestattet wird. Ihre Begründung wird aber nicht mit prozessualischen Vorschriften, sondern mit der unrichtigen civilrechtlichen Behauptung versucht, daß mehrfache Cession einer Forderung dem Schuldner Recht auf Deposition wegen Ungewißheit des Gläubigers gebe. Eine Deposition, welche den Austrag der Legitimationsfrage unmittelbar zwischen den verschiedenen Forderungsprätendenten herbeiführt, wäre wirklich praktischer als ein Interventionsprozeß. Die Wirkung würde aber nur dann erreicht, wenn man der Hinterlegung die Folge einer definitiven Erledigung sämtlicher, auch noch latenter Ansprüche an die Forderung (mit Präklusion der auf gerichtlichen Aufruf nicht erhobenen) beilegte. Das ist nicht mit den bestehenden Gesetzen zu vereinbaren. Nach gemeinem Recht ist die Hinterlegung als Zahlungssurrogat außer beim Annahmeverzug des Gläubigers nur in den wenigen gleichgestellten Fällen nicht schuldhafter, aber durch die Person des Gläubigers qualifizierter Annahmeverzögerung gestattet, zu welchen auch der Fall objektiver Ungewißheit des Gläubigers gehört. K ü h n e hat zwischen den Fall „subjektiver" und „objektiver" Ungewißheit einen Mittelzustand gesetzt, in dem der Gläubiger sich nicht legitimiert. Das ist inkonsequent. Entweder hat der Gläubiger die Pflicht, sich zu legitimieren, und dann kommt er durch Verweigerung der Legitimation (wie durch eine dieser Verweigerung gleichstehende Abwesenheit, Unauffindbarkeit oder wie in den S. 15 1 B ä h r in I h e r i n g s Jahrbüchern Bd. I, S. 358ff. ' Die Ausführungen K ü h n e s , a. a. 0. S. 21, bes. in der Anm. 1 gegen Bähr sind m. E. vollständig begründet. 8 Vergl. auch die Citate bei C z y h l a r z in G-rünhuts Zeitschrift Bd. IV, S. 660, Anm. 7. DU. 2 (289)

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citierten Fällen) in Verzug; oder er hat eine solche Pflicht nicht, dann kann aus seinem passiven Verhalten dem Schuldner kein Vorteil erwachsen. Im ersteren Fall, dem der mora des Gläubigers, ist die Hinterlegung berechtigt wie bei der Ungewißheit des Gläubigers, die wir mit K ü h n e „objektive" nennen müssen, insofern die andere „subjektive" Ungewißheit überhaupt zum Gegenstand der rechtlichen Beachtung gemacht wird. 1 Im römischen Recht ist das nicht der Fall. Insofern unter Ungewißheit schlechtweg das Nicht bestimmt sein (also incertus, nondum existens creditor) verstanden ist, wird auch der in Pandektenlehrbüchern herrschenden Lehre beizupflichten sein: die Hinterlegung ist berechtigt bei Ungewißheit des Gläubigers. Die sogenannte subjektive Ungewißheit fällt dann unter die allgemeinen Grundsätze über die Ignoranz. § 4. Die Behauptung, daß der § 72 eine nur in prozessualischem Gewand auftretende wesentlich civilrechtliche Norm gebe, die sich dem bestehenden bürgerlichen Recht als natürliche Folge und Ergänzung anfüge, veranlaßte eine Ubersicht über die Gebiete des gemeinen Rechts, welche mit der Hinterlegung des § 72 in Verbindung gebracht werden. So wenig sich hierbei ein Anhalt für jene Behauptung ergeben hat, so wenig ist dies bei einer Durchsicht der entsprechenden Gesetzesvorschriften im deutschen Partikularrecht der Fall, mit denen es gestattet sein mag einige ausländische Rechte zu vergleichen. Ganz klar ist das französische Recht. Der Schuldner hat das Recht der Hinterlegung (consignation) nur im Fall des Gläubigerverzugs. 2 Die formellen Vorschriften über die der Hinterlegung vorausgehenden und sie begleitenden Handlungen des Schuldners, Gläubigers und Gerichts sind sehr bestimmt. 3 In den Motiven ist die Notwendigkeit genauer Regelung dieser Bedingungen einer gerechten Hinterlegung unter Berufung auf désordres qui ont eu lieu pendant tant d'années par l'effet de l'incertitude et de la variation de la iurisprudence sur les règles de la consignation besonders ausgesprochen. Vorhergehende Oblation (offres réelles) ist regelmäßig gefordert. Bei Zahlungsverbot und Nicht-Legitimation des Gläubigers tritt an ihre Stelle die richterliche Kognition. Die Formvorschriften sind streng. Insbesondere ist die für das deutsche gemeine Recht 1

Die sprachliche Unsicherheit, welche es möglich macht, daß Ungewißheit des Schuldners (scilicet über den Gläubiger) und Ungewißheit des Gläubigers (scilicet in den Augen des Schuldners) dasselbe bedeuten können, mag das ihrige zu der, fremdsprachigen Rechten unbekannten, Verwirrung der Begriffe beigetragen haben. a Code civil art. 1257 und Code de procédure civile art. 814. 3 Code civil art. 1258/59 und Code de procédure civile art. 815—818. (290)

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wenigstens theoretisch bestrittene citatio ad videndum deponi durch eine Amtsperson notwendig. 1 Die Vorschriften des codice civile d'Italia (libr. III, § IV) dell' offerta di pagamento e del deposito weichen von den französischen Gesetzen nicht ab. Der Schuldner wird durch Hinterlegung befreit bei Verweigerung der Zahlungsannahme durch den Gläubiger nach vorheriger offerta reale. 2 Dem materiellen Recht des mehrfach belangten Schuldners hilft durchgreifender als diese kontinentalen Rechte das englische Interpleader-Verfahren. Ein von zwei Seiten in Anspruch genommener, im Prozeß befindlicher Schuldner kann seine Gläubiger-Prätendenten zu einer Verhandlung in Chambers vorladen lassen, sofern er den Streitgegenstand zur Verfügung des Gerichts stellt. Das Verfahren ist neuer Bildung.3 Der civilistische Schutz für die Fälle objektiver Ungewißheit, ungenügender Legitimation zur Annahme 4 und Verzugs 5 besteht in der Aberkennung von Zinsen für die Verzugszeit durch den Richter und einer Ersatzforderung für den durch die mora entstandenen Schaden. 6 Nach österreichischem Recht ist die Hinterlegung beim Gericht dem Schuldner gestattet, „wenn der Gläubiger unbekannt, abwesend oder mit dem Angebotenen unzufrieden ist, aber die Schuld aus anderen wichtigen Gründen nicht bezahlt werden kann." 7 Die in dem österreichischen Gesetz noch vermiedene Vermengung von Civil- und Prozeßrecht findet sich in einem sehr unglücklichen Paragraphen des Schweizerischen Bundesgesetzes über Obligationenrecht vom 1. Januar 1883. Außer der unter richterlicher Bestimmung erfolgenden Hinterlegung bei Verzug oder Unmöglichkeit der Erfüllung „aus anderen Gründen" nach Art. 107 bestimmt der Art. 188 1 Vergl. Z a c h a r i a e , Lehrbuch des französ. Civilrechts, 6. Aufl. II, S. 304ff. und S i r e y , Codes annotées zu den citierten Artikeln. 2 Codice civile, art. 1259—1266, besonders die Vorladung ad videndum deponi durch Gerichtsperson art. 1260 7 und 1261 1 . 3 In C o k e s Reports ist ein Prozeß zweier Schuldner gegen einen Gläubiger unter der Bezeichnung „interpleading" erwähnt. Vergl. auch A n d r e w s and S t o n e y , The supreme Court of Iudicature Acts 4. Aufl. Note zu R.S.C.O. 1,1. 4 „if at the time the bill falls due, there be no person legally authorized to receive it, as if the holder be dead, intestate and administration not then taken ont." C h i t t y , Treatise on the Law of Contracts 8. Ed., S. 597. 5 „if the delay in paying the bill or note has been occasioned by the holder." C h i t t y , a. a. O. 6 Vergl. S c h u s t e r , Die bürgerliche Rechtspflege in England S. 65; A n d r e w s and S t o n e y , a. a. 0 . S. 429, 434. 7 Allgem. bürgerl. Gesetzbuch § 1425: Durch die Generalklausel der „anderen wichtigen Gründe" ist der Praxis freie Hand gegeben. Einschlägige Urteile führt C z y h l a r z in G r ü n h u t s Zeitschrift Bd. VI, S. 657 ff. an. * 2* (291)

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bei Gelegenheit der Vorschriften über Cession von Forderungen: „Die Hinterlegung ist nicht nur Recht, sondern auch Pflicht des Schuldners, wenn eine fällige Forderung von mehreren in Anspruch genommen wird." Im folgenden Absatz des Artikels wird eine rein prozessualische Vorschrift in die civilrechtliche Materie hereingetragen und ein unklares Recht der Gläubiger auf Hinterlegung gegen den (die Streitsache besitzenden?) Schuldner konstruiert. Die Gläubiger können denselben danach „zur Hinterlegung anhalten" (contraindre le debiteur ä consigner; pretendere, che il debitore faccia il deposito). Der Vorzug der Klarheit und Entschiedenheit ist dem französischitalienischen wie dem englischen Recht vor dem österreichischen nicht abzusprechen. Die bedenkliche Generalklausel des § 1425 a. b. G. ist auch in den weitesten Gebieten deutschen Partikularrechts vermieden. Das rheinisch-badische Recht folgt dem französischen Gesetz. In Sachsen ist die gerichtliche Niederlegung mit der Erfüllungswirkung dem Schuldner verstattet, „wenn der Berechtigte verfügungsunfähig, abwesend oder unbekannt und nicht vertreten ist, oder über die Berechtigung des Gläubigers aus gerechten Gründen Zweifel bestehen, oder die Forderung mit Beschlag belegt wird." 1 Der Passus „oder über die Berechtigung des Gläubigers aus gerechten Gründen Zweifel bestehen", scheint der österreichischen Generalklausel zwar ähnlich zu sehen; durch die Gleichstellung der „Zweifelhaftigkeit" des Gläubigers mit den andern aus dem römischen Recht übernommenen Motiven der Hinterlegung wird aber eine extensive, die subjektive Ungewißheit des Schuldners mit begreifende Auslegung dieser Stelle ausgeschlossen. Im Preußischen Allgemeinen Landrecht ist sedes materiae der 3. Abschnitt des 16. Titels im ersten Teil. Weder in der allgemeinen Vorschrift des § 215, noch in den besonderen Ausführungen des § 2 1 6 ist ein Anhalt dafür zu finden — selbst bei sehr liberaler Auslegung nicht — daß der Schuldner wegen subjektiver Ungewißheit über den Gläubiger einer mehrfach prätendierten Forderung statt der Erfüllung hinterlegen dürfe. Auch der § 222 (Teil I, Titel 17) schlägt nicht ein.2 Auf dem Boden des preußischen Rechts standen die Regierungsvertreter, die in der Justiz-Kommission bei der Beratung der C.P.O. aufs entschiedenste gegen die Absicht des Abg. B a e h r , durch den von ihm beantragten § 72 civilrechtliche Normen im Prozeßgesetz zu geben, Verwahrung einlegten. 1 Sachs. Bürger]. Gesetzbuch § 759. W e n g l e r s Archiv v. 1878, S. 21 (Appell.-Gericht Leipzig) und S. 621 (Ober-Appell.-Gericht Dresden). a Vergl. gegen D e r n b u r g in seinem Lehrbuch des preuß. Privatrechts Bd. II, S. 201,— 216 K ü h n e in I h e r i n g s Jahrbüchern Bd.XVII, S.49f. u. S.175f.

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Bei der Abfassung des Bürgerlichen Gesetzbuchs scheint leider mehr mit dem einseitig ausgelegten § 72, als mit dem bisherigen Bürgerlichen Recht Deutschlands gerechnet worden zu sein. Bei Besprechung der als Anhang zum Bürgerlichen Gesetzbuch an die Öffentlichkeit gebrachten Novelle zur C.P.O. wird darauf zurückzukommen sein.

III. Durch die kritische Behandlung des civilen Rechts wird für die prozessuale Konstruktion Raum geschaffen. Nach ihr stellt sich der § 72 nicht als prozessuales Hilfsmittel zur Durchführung der Hinterlegung an Erfüllungs statt, sondern als eine Prozeßbestimmung zu Gunsten des nicht renitenten Hauptinterventen dar. Diese rein prozeßtheoretische Konstruktion ist keine gewaltsame Auslegung des Gesetzes; obwohl selbst eine solche dem Verzweifeln an einer vernünftigen Einordnung des § 72 in das Interventionensystem der C.P.O. und damit zugleich an einer sicheren praktischen Handhabung des Gesetzes vorzuziehen wäre; soll doch der Kantsche Grundsatz geachtet werden: Um zur Wahrheit zu gelangen, muß man nicht kühn, sondern behutsam sein. § 5. Die Streitlage, in welcher der § 72 Anwendung finden kann, setzt einen Erstprozeß voraus, in dem ein von dem späteren Intervenienten gleichfalls in Anspruch genommener Schuldner der Beklagte ist. Soweit die Kommentare zur C.P.O. sich auf die Frage einlassen, wird die Erstklage des § 72 in ihnen nicht als Feststellungs-, sondern stets als Leistungsklage betrachtet. Darin liegt bei den Schriftstellern eine Inkonsequenz, welche als Anspruch des Intervenienten gegen den Erstbeklagten einen Feststellungsanspruch genügen lassen. Nimmt man an, daß der Charakter der Hinterlegung als Zahlungssurrogat den Charakter der Erstklage als einer Leistungsklage bedinge, so muß das auch für die zweite Klage, die Intervention, gelten. Nimmt man an, daß der Charakter der Feststellungsklage als materiell der Leistungsklage subsidiärer Klage ihre Anwendung bei der Intervention des § 72 ausschließe, so muß man das auch für die Erstklage des § 72 zugeben. Damit ist die Vorwegnahme der Frage nach der Natur des Interventionsanspruchs, soweit sie mit dem Begriff des Feststellungsanspruchs zu beantworten ist, begründet, und der Feststellungsanspruch im Prozeß(293)

Beiträge zur Auslegung des § 72 der C.P.O.

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Bei der Abfassung des Bürgerlichen Gesetzbuchs scheint leider mehr mit dem einseitig ausgelegten § 72, als mit dem bisherigen Bürgerlichen Recht Deutschlands gerechnet worden zu sein. Bei Besprechung der als Anhang zum Bürgerlichen Gesetzbuch an die Öffentlichkeit gebrachten Novelle zur C.P.O. wird darauf zurückzukommen sein.

III. Durch die kritische Behandlung des civilen Rechts wird für die prozessuale Konstruktion Raum geschaffen. Nach ihr stellt sich der § 72 nicht als prozessuales Hilfsmittel zur Durchführung der Hinterlegung an Erfüllungs statt, sondern als eine Prozeßbestimmung zu Gunsten des nicht renitenten Hauptinterventen dar. Diese rein prozeßtheoretische Konstruktion ist keine gewaltsame Auslegung des Gesetzes; obwohl selbst eine solche dem Verzweifeln an einer vernünftigen Einordnung des § 72 in das Interventionensystem der C.P.O. und damit zugleich an einer sicheren praktischen Handhabung des Gesetzes vorzuziehen wäre; soll doch der Kantsche Grundsatz geachtet werden: Um zur Wahrheit zu gelangen, muß man nicht kühn, sondern behutsam sein. § 5. Die Streitlage, in welcher der § 72 Anwendung finden kann, setzt einen Erstprozeß voraus, in dem ein von dem späteren Intervenienten gleichfalls in Anspruch genommener Schuldner der Beklagte ist. Soweit die Kommentare zur C.P.O. sich auf die Frage einlassen, wird die Erstklage des § 72 in ihnen nicht als Feststellungs-, sondern stets als Leistungsklage betrachtet. Darin liegt bei den Schriftstellern eine Inkonsequenz, welche als Anspruch des Intervenienten gegen den Erstbeklagten einen Feststellungsanspruch genügen lassen. Nimmt man an, daß der Charakter der Hinterlegung als Zahlungssurrogat den Charakter der Erstklage als einer Leistungsklage bedinge, so muß das auch für die zweite Klage, die Intervention, gelten. Nimmt man an, daß der Charakter der Feststellungsklage als materiell der Leistungsklage subsidiärer Klage ihre Anwendung bei der Intervention des § 72 ausschließe, so muß man das auch für die Erstklage des § 72 zugeben. Damit ist die Vorwegnahme der Frage nach der Natur des Interventionsanspruchs, soweit sie mit dem Begriff des Feststellungsanspruchs zu beantworten ist, begründet, und der Feststellungsanspruch im Prozeß(293)

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rechtsverhältnis des § 72 als Gegenstand der folgenden Erörterung gegeben.1 Es wird zunächst behauptet, daß der Gegenstand der Interventionsklage eine Schuldforderung und des weiteren das Resultat des Prozesses die Erfüllung derselben sein müsse; daß sich deshalb die Feststellungsklage, deren Häufung und Vermischung mit der Leistungsklage unstatthaft sei,2 verbiete. 3 Das scheint ein argumentum ad hominem. In der That ist aber anläßlich der Fragen nach der Natur des Rechtsstreits zwischen Erstkläger und Intervenient und nach der Berechtigung zur Zurückziehung des Depositums von vielen Seiten 4 angenommen worden, daß sich in gewissen Fällen eine Erledigung des Prozesses ohne Auszahlung des Depositums denkbar und notwendig mache; wenn nämlich keiner der Prätendenten sein Recht an der Forderung zu erweisen vermöchte. Da schien die Rücksichtnahme auf den Wortlaut des Gesetzes nicht so wichtig, daß sie allein die ihr widersprechende Theorie hätte entkräften können. Solange nicht die Unstatthaftigkeit der Intervention mit Feststellungsklage gegen den Erstbeklagten nachgewiesen ist, bleibt das Argument hinfällig. Denn weshalb soll der Schuldner, wenn ein Leistungskläger in einen Feststellungsprozeß interveniert, nicht ebenso gut deponieren dürfen, als wenn ein Feststellungskläger in den Leistungsprozeß eintritt? Auch ist die angeführte, von R o c h o l l in B ü s c h s Zeitschrift Bd. VIII, S. 330ff., besonders S. 405—417 systematisierte Ansicht des Reichsgerichts über die Subsidiarität der Feststellungsklage keineswegs unbestritten. 6 Wichtiger scheinen Einwände, die aus der rechtlichen Natur der Feststellungsklage gegen deren Zulassung im Fall des § 72 entnommen werden. R o c h o l l hat behauptet, daß die Feststellungsklage nur zwischen den Rechtssubjekten der streitigen Forderung möglich sei, 6 nicht aber zwischen Prätendenten einer Forderung 1 Vergl. zum Folgenden W e i s m a n n , Die Feststellungsklage S. 145, wo die m. E. richtige Anwendung vorgezeichnet ist. 2 Entsch. des Reichsgerichts i. C. Bd. V, S. 393. 3 Ähnlich S e u f f e r t im Kommentar: „Die Klage muß auf Leistung (Gegensatz: Feststellung) erhoben sein, sonst paßt die Hinterlegung nicht zum Klagantrag." 4 So die Kommentare zur C.P.O. von Wilmo v s k y und L e v y , 6. Aufl., Bd. I, S. 133; Graupp, 6. Aufl., Bd. I, S. 175; F i t t i n g , Der Reichscivilprozeß 8. Aufl., S. 121; L o e n i n g in B ü s c h s Zeitschrift Bd. IV, S. 75, Anm. 93;Mandry, Der civilrechtliche Inhalt der Reichsgesetze S. 379. 5 Wach, Der Feststellungsanspruch S. 61 ff. und die dort citierten Urteile des Reichsgerichts. 6 a. a. 0., bes. 8. 344.

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gegen Dritte, also auch nicht im Fall des § 7 2 ; deshalb konstruiert er sich in die seiner Ansicht nach zwischen eigentlichen Leistungsund Feststellungsklagen in der C.P.O. stehende Lücke „Konfliktsklagen" und eximiert diese (mit ihnen den § 72) von den wesentlichsten Eigenschaften der Feststellungsklagen.1 Die neue Klageeinteilung ist von der Wissenschaft nicht angenommen worden. Mit ihrer Anwendung ist zwar viel für die Rochollsche Theorie der Feststellungsklagen, für die Konstruktion der Konfliktsklagen aber und des § 72, der zu ihnen gehört, nichts gewonnen. Vielmehr scheint der Urheber der „Konfliktsklagen" im Grunde eine Einfügung des § 72 in eine allgemeine Prozeß- oder Klagentheorie für ein den Wünschen der Praxis gegenüber unnötiges Schematisieren zu halten. 2 Das Reichsgericht hat seinen theoretischen Standpunkt aus praktischen Gründen verlassen müssen und „Klagrecht auf Anerkennung und Feststellung" gegeben, wo es keine „Feststellungsklage" geben will.3 In der That scheint in der Gestaltung des Nachprozesses in § 72 als Feststellungsstreit ein Hinweis darauf zu liegen, daß durch die Intervention oder die Erstklage schon Feststellungsansprüche in den Streit eingeführt seien. Auch die Analogie erleichtert eine Beschränkung auf Leistungsklagen nicht. S e u f f e r t , der die Zulässigkeit der Feststellungsklage bestreitet, verlangt in selbem Maß wie bei der Hauptintervention Identität der Forderung des Erstklägers und des Intervenienten und erkennt bei der Hauptintervention aus1 a. a. O., S. 406: „Ihr (der Klage) eigentlicher Zweck ist dagegen die Lösung des Konflikts durch Richterspruch, indem durch diesen das eine Rechtsverhältnis dem anderen gegenüber als das mächtigere, oder das prioritätische, oder das allein wirksame anerkannt werden soll." Gegen R o c h oll auch von dem Standpunkt, daß Feststellungs- und Leistungsklagen die Klagarten der C.P.O. nicht erschöpfen O e t k e r , Konkursrechtliche Grundbegriffe S. 582. 2 „Gerade weil die Interpreten der C.P.O. bisher von der Annahme ausgegangen sind, daß die Klagen der C.P.O. entweder Leistungs- oder Feststellungsklagen sein müßten, hat der § 72 Veranlassung zu einem lebhaften, aber noch unausgetragenen Streit gegeben" a. a. 0., S. 414. 3 Entach. i. C. Bd. VII, S. 420: „Wollte man den Forderungsprätendenten ein Klagrecht auf Anerkennung und Feststellung ihrer gegenseitigen Berechtigung nicht gewähren, vielmehr sie an den seine Verpflichtung nicht bestreitenden Schuldner verweisen, so würde dadurch nicht allein eine unerwünschte Vervielfältigung der Prozesse herbeigeführt, sondern auch der an diesem Streite völlig unbeteiligte Schuldner genötigt werden, Prozesse zu führen. Dazu kommt, daß der Schuldner im Falle einer Ungewißheit des Gläubigers berechtigt ist, die geschuldete Sache gerichtlich zu deponieren und dadurch von seiner Verpflichtung sich zu befreien, woraus folgt, daß man den mehreren Prätendenten eine Klage auf Feststellung und Anerkennung ihrer Berechtigung auf die vom Schuldner deponierte Sache gewähren muß."

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drücklich die Klagen auf Leistung und auf Feststellung als identisch in diesem Sinne an. 1 Das richtige Urteil ergiebt sich aus der Stellung der Feststellungsklagen zu den beiden Interventionen. Die Frage der Zulässigkeit dieser Klagen ist im Zusammenhang mit der Hauptkontroverse des § 72: Haupt- oder Nebenintervention? zu lösen. Damit wird die Feststellungsklage auch in dieser Untersuchung „der Prüfstein der Richtigkeit und Anwendbarkeit der hergebrachten Begriffe." 2 Dem römischen Recht in ihrer heutigen Bedeutung fremd, sind Interventions- und Feststellungsklagen mittelalterliche Prozeßbildungen; beide wohl entstanden, als die kanonische Prozeßlehre, deutschrechtlichen Einflüssen zugänglich, die Rechtskraft des Urteils Dritten gegenüber zuzulassen begann und deshalb sich in ihren Anfängen schon berührend. Der Gedanke, daß die Feststellungsklage, die gegen eine turbatio iuris verbis zur Verfügung stand, auch in einen das Recht turbierenden Prozeß hinein, als Interventionsklage, gegeben war, liegt nahe. W e i s m a n n , der die Formbildung beider Institute klargelegt 3 hat, giebt das als Axiom: „Daß auch mit Bezug auf eine Feststellungsklage Prinzipalintervention zulässig, kann nach der sich uns für das mittelalterliche Recht ergebenden Konstruktion des Instituts keinem Zweifel unterliegen." 4 Und doch muß er für das gemeine und heutige Recht die Konstruktion der Prinzipalintervention als Doppelklage auf Leistung gegen den Beklagten, Feststellung gegen den Erstkläger zugeben; und doch findet sich unter den Beispielen, die er in den Prozeßanweisungen der römischen Kurie, in den Schriften der Kanonisten, des Baldus und seiner Nachfolger, in den italienischen Stadtrechten für die kräftige Geltung der Hauptintervention nachweist, keine Hauptintervention mit Feststellungsklage. „An der kanonischen Praxis in Benefizialsachen hat sich die Prinzipalintervention entwickelt", 6 an Sachen, in denen ein fälliger, präsenter Anspruch des Intervenienten -die Intervention begründete. Die Leistungsklage erschien als notwendiges Element der Prinzipalintervention gegenüber dem Beklagten. Darin darf die Konstruktion der Hauptinterventionsklage als einer Kombination von Leistungs- und Feststellungsanspruch nicht beirren. Die Pflicht des Erstklägers, den Intervenienten in seinen Prozeß 1

Kommentar zur C.P.O. 7. Aufl., S. 113 (§ 72, 2b) und S. 95 (§ 62, 3b ß). W a c h , Feststellungsanspruch S. 1. 3 W e i s m a n n , Die Feststellungsklage und W e i s m a n n in der Zeitschrift der Savigny-Stiftung Germ. Abt., Bd. I, Die Entwicklung der Prinzipalintervention in Italien. 4 Zeitschrift der Savigny-Stiftung, Germ. Abt., Bd. I, S. 236, Anm. 156. 5 a. a. 0., S. 409. 2

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und sich mit dem Intervenienten einzulassen, wird mit dieser Konstruktion glänzend erklärt. Sie ist eine Anwendung der Feststellungsterminologie in der modernen Prozeßlehre auf die Intervention und ihre Geschichte.1 Die der Einlassungsklage gegen den Erstkläger immanente Feststellungsklage ist in der Entwicklungszeit von den zwei Klagen gegen die Erstprozeßparteien die sekundäre, von der Forderung gegen den Beklagten abhängige gewesen. Ein materieller Wertungsunterschied zwischen Anspruchs- und Feststellungsklage hinderte die Legitimierung der letzteren zur Hauptintervention. Wer dem präsenten Anspruch des Erstklägers nicht durch kollidierenden präsenten Anspruch gegen den Schuldner widersprechen wollte, der mochte als Nebenintervenient den Schutz seines Rechts durch Abweisung des Erstklägers für den Schuldner betreiben. Die rohe Vorstellung, daß der Schuldner gegen den präsenten Anspruch des Erstklägers die Intervention mit Feststellungsklage als Unterstützung empfinden mußte, die Furcht vor Kollusion in dieser Richtung war von Einfluß. In der den Feststellungskläger von der selbständigen Intervention ausschließenden Entwicklung liegt aber eine unbegreifliche Härte, sobald die dem Feststellungsanspruch in der C.P.O. gegebene und besonders durch W a c h s Ausführungen 2 theoretisch gesicherte Gleichberechtigung mit dem Leistungsanspruch anerkannt wird. Die aus der materiellen Gleichstellung der Leistungs- und Feststellungsklagen sich ergebenden Folgen, insbesondere die Möglichkeit des Übergangs von der einen zur andern Klageform ohne Klagänderung 3 sind mit der Annahme, daß der Antrag gegen den Beklagten im Prozeß des § 72 nicht auf Feststellung ausgehen dürfe, unvereinbar. Offenbar muß man in dieser Annahme dem Erstkläger das Recht zugestehen, in dem Prozeß nach Entlassung des Beklagten einem Zurückziehen des Intervenienten von der Leistungs- auf die Feststellungsklage gegen diesen Beklagten zu widersprechen. Wie sollte aber dieser Widerspruch des Erstklägers prozessualisch geformt sein, wenn nicht als Behauptung der Klagänderung seitens des Gegners? Da der Begriff der Klagänderung nur auf den materiellen Streitgegenstand, nicht auf den Rechtsschutzgrund anwendbar ist, so muß die Ausschließung der Feststellungsklage vom § 72 sowohl bei der Klageerhebung als auch — selbstverständlich — im weiteren Verlauf des Prozesses mit einer materiellen Verschieden1

Daß sich an der Hauptinterventionsklage die Feststellungsklage gegen Dritte entwickelt hätte, ist bisher nicht nachgewiesen. 2 Der Feststellungsanspruch (in der Festgabe der Leipziger Juristenfakultät für W i n d s c h e i d , 1888) und Handbuch I, S. 18 ff. 3 Vergl. die Citate im „Feststellungsanspruch" S. 42, Anm. 65. (297)

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heit des Leistungsanspruchs vom Feststellungsanspruch begründet werden. Von dem Bestreben veranlaßt, die äußere Stellung des § 72 zur Feststellungsklage 1 mit seiner inneren in Einklang zu bringen, möchte man wünschen, daß es den Verteidigern der materiellen Verschiedenheit zwischen Leistungs- und Feststellungsklagen 2 gelungen wäre, die Gleichberechtigungstheorie im modernen Prozeß zu widerlegen. Sofern das nicht gelungen ist, muß die Feststellungsklage als ein „Inanspruchnahmen" im Sinn des § 72 (61) angesehen werden.3 Der Übergang von der Feststellungs- zur Leistungsklage und umgekehrt steht dann während des Prozesses dem Intervenienten frei. Der Schuldner begiebt sich bei der Entlassung aus dem Streit des Widerspruchsrechts. Er erkennt den „Anspruch" des Erstklägers oder Intervenienten an der den mittelbaren Prozeßgegenstand bildenden Forderung an, gleichgiltig, ob derselbe Feststellungs- oder Leistungsanspruch ist. § 6. Anläßlich der in zwei Kommentaren zur C.P.O.4 vertretenen Ansicht, daß das Wort „Betrag" im § 72 die Anwendung seiner Bestimmungen auf andere als Geldforderungen ausschließe, ist einiges Ausführliche über diese Frage der Terminologie und BuchstabenAuslegung zu sagen. K l e i n e r , der entschiedenste Vertreter der Ansicht, kann sich den „Betrag" einer Forderung nur in barem Geld vorstellen.5 Wert1

Vergl. oben S. 22. z.B. K o h l er in der kritischen Vierteljahrsschrift Bd. X X I I , S. 379 ff: „Der innere Nerv des Unterschiedes (zwischen Anspruchs- und Anerkennungsklage) ist aber nicht der, ob eine auf den Willen wirkende Verurteilung zu erfolgen hat oder eine bloße Feststellung, sondern der, ob das, was in der Klage verlangt wird, die Konstatierung eines präsenten Anspruchs ist, oder nur die Konstatierung eines künftigen Anspruchs oder eines puren Rechtsverhältnisses ohne Anspruch." 8 Das Resultat ist für den Interventionsanspruch nicht bestritten. Uber den Unterschied, den S e u f f e r t im Kommentar zum § 72 sub 2a)b) zwischen der „Klage" des Erstklägers und der „Inanspruchnahme" des Intervenienten machen will, trotzdem er die Inanspruchnahme als Hauptintervention ansieht und schon deshalb der Erstklage in ihrem Verhältnis zum Rechtsschutzgrund gleichstellen sollte, vergl. unten S. 36 ff. Das gleiche gilt von G a u p p s Ansicht im Kommentar zum § 72 sub I H d . G a u p p selbst bezeichnet die Hinterlegung, deren Eigenschaft als Surrogat der Zahlung er gegen die Zulassung der Feststellungsklage als Erstklage des § 72 anführt, gleich darauf als einen „bloss prozessualischen Akt." 4 K l e i n e r , Bd. I, S. 364 und E n d e m a n n , Bd. I, S. 355. 5 Im römischen Recht liegt eine ähnliche Interpretationsfrage vor; 1. 222 D. de verb. signif. 50, 16. a

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papiere sind ausgeschlossen, denn sie sind „Sachen" im Sinn der Artt. 306—309 H.G.B., in denen Inhaber- und Indossamentpapiere als bewegliche Sachen bezeichnet werden, und des § 770 C.P.O. Der § 770 stellt die Wertpapiere in Bezug auf den Offenbarungseid mit andern Fungibilien, auch barem Geld, gleich, schlägt also nicht ein. In der C.P.O. ist gegen K l e i n e r s Ansicht § 101 zu berücksichtigen. Nächstdem kommt die Terminologie der C.P.O. in Betracht. Von „Betrag einer Forderung" ist in den §§ 6—8, 88, 733 und 293 die Rede. Mit Ausnahme des letzteren stimmen die Paragraphen im Sinn des Ausdrucks überein. In jedem Fall sind nicht Geldforderungen, sondern alle im Civilprozeß geltend zu machenden Forderungen (§§ 6—8, 88) oder doch Forderungen an Fungibilien (die „laufenden Bezüge" des § 733) gemeint. — Vom „Betrag" eines Anspruchs, nämlich seiner Höhe im Gegensatz zu seinem Grund, sprechen die §§ 276, 312 und offenbar, trotz dem schiefen Ausdruck „Betrag einer Forderung" § 298, in dem gerade von der Höhe des Kompensationsanspruchs gehandelt wird.1 — Zweifellos wird unter „Betrag des Anspruchs" lediglich die Quantität und zwar sowohl des beanspruchten Geldes wie der sonstigen Fungibilien der C.P.O. § 276 (vergl. mit § 628) begriffen. Dagegen ist durchweg unter „Betrag" schlechthin ein Geldbetrag verstanden in §§ 98, 104, 116, 117, 260, 508, 749 Abs. 4, 760, 766, 774. Merkwürdigerweise ist daneben in den ganz gleich gestellten Fällen der §§ 715/17, 758, 764, 803, 750 das Wort „Geldbetrag" gebraucht. 2 Wenn man sich so die Mühe nimmt, der Sprache des Gesetzes ins Einzelne nachzugehen, dann zeigen sich die Worte „Betrag einer Forderung" in einer Bedeutung, die von der aus dem Eigenen schöpfenden Interpredation K l e i n e r s abweicht. Von einer Terminologie der C.P.O. in Bezug auf die Ausdrücke „Anspruch" und „Forderung" wird man allerdings kaum noch sprechen können; 3 und so hat vielleicht das Reichsgericht Recht, wenn es die Auffassung eines possessorischen Klaganspruchs als „Forderung" weder als richtig noch als falsch, vielmehr als bedenklich, aber wünschenswert bezeichnet.4 Das letzte Wort hat in dieser Frage die Praxis und, da kein Reichsgesetz die Hinterlegung ordnet, das Partikularrecht. So erkennt 1 Vergi. S e u f f e r t , Kommentar zum § 136, 3b. Vergi, übrigens auch C.P.O. § 800. 2 Vergl. übrigens W a c h , Handbuch I, S. 294, Anm. 26. 3 Vergl. R o c h o l l in B ü s c h s Zeitschrift Bd. VIII, S. 356 cf. 345. 4 Entsch. i. C. Bd. XVI, S. 286.

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schon L a u t e r b a c h : 1 „tutissimum tarnen est, ut quisque in sua regione, quod hic usurpetur ac quod moris fuerit, id recte observet." Schwierigkeiten macht dem Gesetzgeber die praktische Durchführung der Hinterlegung in so allgemeinem Sinn, wie die Verwendung der Hinterlegung als Tilgungsart für jede Obligation oder als Prozeßinstitution für jeden Anspruch das fordert. Abgesehen von dem Ersatz durch Dereliktion war im römischen Recht die umfassende Ordnung dadurch erleichtert, daß dem Recht die Werteinschätzung einer Obligation durch den angerufenen Richter und die Hinterlegung des so normierten Betrags an Stelle der Obligationserfüllung geläufig war. Neben der Theorie, nach der die praktische Gestaltung der Deposition entsprechend der theoretischen für jede Schuldtilgung und jeden Prozeßanspruch genügen müsse, hat sich aber auch die Meinung erhalten, daß auf Forderungen an Grundstücken, auf Obligationen qui in faciendo consistunt, und bei schwer (in aedibus nicht) aufzubewahrenden Sachen die Deposition auch in einer in Dereliktion übergehenden Form unstatthaft sei.2 Widerspräche nicht die Schlußbestimmung des Gesetzes, nach welcher der hinterlegte Betrag dem Obsiegenden „zuzusprechen" ist, so läge in dem Ausdruck „Betrag einer Forderung" nichts, was hindern könnte, die Hinterlegung des § 72 als eine Art Prozeßkaution anzusehen; als eine Hinterlegung der Summe, welche den Betrag, den Geldwert des streitigen Anspruchs darstellt. Der Vorläufer des § 72, der Antrag des Württembergischen Bevollmächtigten in der Hannoverschen Kommission zum § 66 des Entwurfs sprach von einer „gerichtlichen Hinterlegung des streitigen Gegenstandes oder Sicherheitsleistung", nach welcher der Schuldner vorbehaltlich der Kostenentscheidung aus dem Streit entlassen werden sollte. Diese Fassung beseitigt auf natürlichem Wege die Ungleichheiten, die durch eine Beschränkung der Hinterlegung auf hinterlegbare Sachen entstehen; sie fiel aber der beabsichtigten Verquickung von Prozeß- und Civilrecht zum Opfer. Nun muß das neue Bürgerliche Gesetzbuch sie auf einem Umweg wieder einführen. Bei der Beschränkung der Depositionsfreiheit, wie sie für das gemeine Recht festgestellt ist, wirkte die Deposition des § 72 in sehr vielen Fällen nicht civilrechtlich befreiend. Bleibt aber die Fassung des § 372 B.G.B, bestehen, so wird die Praxis — 1

Disputat.iones academicae, d. de deposito iuris c. XXI. Die Beschränkung auf Geldforderungen ist nachdrücklich zuerst von Zimmern im Archiv f. civilistische Praxis Bd. III, S. 121 vertreten; dagegen T h i b a u t im Archiv Bd. V, S. 332. Im gemeinen Recht war die Meinung der Gelehrten entschieden gegen die Beschränkung auf Geld. Vergl. die Citate bei L a u t e r b a c h , disput. academ. d. de deposito c. XV. 2

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darin werden sie die Materialien und Motive stützen — die Gläubigerprätension und Intervention des § 72 als einen Grund zu erheblicher Ungewißheit des Schuldners und demnach civilrechtlich wirksamer Hinterlegung gelten lassen. Sie wird ferner den § 383 anwenden, nach welchem bei Forderungen an Sachen, deren Aufbewahrung mit unverhältnismäßigen Kosten verbunden ist, der Schuldner die Sache versteigern oder verkaufen lassen und den Erlös hinterlegen kann. Dieser Erlös im Sinn des § 383 entspricht dem „Betrage der Forderung" im § 72. Die streitige Sache selbst — im Gegensatz zum „Betrag" — dürfte nach dem strikten Wortlaut des § 72 nicht hinterlegt werden; ausnahmsweise wäre sie dafür privilegiert, wenn sie unverhältnismäßig schwer aufzubewahren ist; denn dann darf sie versteigert, ihr Erlös als „Betrag" hinterlegt werden.1 § 7. Ein verklagter Schuldner im Sinn des § 72 ist auch der Widerbeklagte. 2 Ein ernster Einwand gegen die Zulassung des § 72 auf eine Widerklage hin liegt in der Annahme vollständiger Entlassung des widerbeklagten Schuldners aus dem Prozeß nach der Hinterlegung, womit sein Verbleiben im Prozeß in der Eigenschaft als Erstkläger in Widerspruch tritt. 3 Der Einwand fällt weg, wenn die Entlassung des Beklagten nicht als Ausscheiden aus dem Prozeß, sondern, wie das in dem erwähnten Antrag des Württembergischen Delegierten zur Hannoverschen Kommission ausdrücklich vorgesehen war, als Entbindung von der Defensionspflicht gedacht wird, die

1 Ein Vergleich zwischen dem neuen Bürgerlichen Recht und der in der Hannoverschen Kommission durchberatenen Bestimmung zeigt, wie selbst in diesen Fragen beinahe technischer Natur neuerdings eine Verbesserung der Rechtsstellung des Schuldners vom Gesetzgeber beliebt wird. 2 So die herrschende Meinung; a. M. S t r u c k m a n n - K o c h im Kommentar zur C.P.O. 6. Aufl., S. 89, weil der Widerbeklagte kein „verklagter Schuldner" im Sinn des § 72 sei; S t r u c k m a n n - K o c h giebt aber beim §251 zu, daß die Widerklage sich materiell in nichts von der ordentlichen Klage unterscheide. A. M. ferner F ö r s t e r , Kommentar zur C.P.O. Bd. I , S. 120 unter Berufung auf G a u p p und S e u f f e r t , die jetzt mit der herrschenden Meinung übereinstimmen, und R e i n c k e , Kommentar zur C.P.O. 3. Aufl., S. 114. K l e i n e r im Kommentar zur C.P.O. Bd. I, S. 365 führt nur praktische Schwierigkeiten gegen die Zulassung der Widerklage an, und läßt heim Wegfallen derselben (durch Zurücknahme der Erstklage und in ähnlichen Fällen) den § 72 bei einer Widerklage zu. Vergl. übrigens die ausführlichen Erörterungen P e t e r s e n s in G r u e h o t s Beiträgen Bd. XXV, S. 543 ff. 3 Vergl. W i l m o v s k y - L e v y , Kommentar zur C.P.O. 6. Aufl., Bd. I, S. 132 oben: „Die Beschränkung des Gerichts im § 136, Abs. 2 hinsichtlich der prozessualischen Trennung von Klage und Widerklage ist keine Beschränkung der Rechte des Widerbeklagten und des Dritten."

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mit der ferneren Teilnahme des Widerbeklagten am Prozeß in seiner Eigenschaft als Hauptkläger wohl vereinbar ist. 1 Ob ein verklagter Schuldner im Sinn des § 72 der Hauptkläger ist, dem eine Kompensationseinrede entgegensteht, auch das ist weniger nach der praktischen Durchführbarkeit einer Intervention in die Verhandlung über die Einrede, als nach der prozeßtheoretischen Auffassung des Kompensationsanspruchs zu beurteilen. Hält man die Kompensationseinrede für eine unentwickelte Widerklage, so muß sie wie eine Widerklage die Grundlage für die Intervention des § 7 2 bilden können und die praktische Undurchführbarkeit wäre ein Argument gegen die Anwendung des § 72 im Widerklage-Verfahren. 2 Das materielle Kompensationsrecht ist aber mit der prozessualen Gestalt des § 72 nicht vereinbar. Die Bedeutung des ipso iure compensari schließt für einen deponierten Forderungsbetrag die Geltendmachung auf dem Weg der Kompensation aus. Daß der § 72 das materielle Kompensationsrecht ändere, ist nach der unten S. 51 erörterten Stellung des § 72 zu Civilrecht und Prozeß nicht zuzugeben, 3 vielmehr ließe sich aus der Unanwendbarkeit des § 72 im Fall der Kompensationseinrede im Unterschied zum Fall der Widerklage ein Einwand • gegen die rechtliche Gleichstellung der beiden Institute bilden. § 8. Nach dem Wortlaut betrachtet, ist der § 72 eine Mischung von Elementen der beiden Interventionsarten. Die „Inanspruchnahme des Streitgegenstandes" hat er mit der Hauptintervention gemein; der Eintritt des Dritten scheint mit dem Beitritt der Nebenintervention verwandt. 4 Diese Vermischung im Ausdruck deckt sich mit der materiellen Lage des § 72 zwischen den beiden Interventionsbereichen, deren Grenze gerade hier streitig ist; davon zeugt die Entstehungsgeschichte des § 72. 1 Die praktische Durchführung wird sich erleichtern, wenn das Gericht die Trennung der Verhandlungen nach § 136 oder 274 verfügt. — Nach dem § 138 C.P.O. könnte übrigens das Gericht auch außer dem Fall des § 72 eine Verbindung zweier Prozesse über gleiche Ansprüche herbeiführen, wenn der eine dieser Ansprüche widerklageweise geltend gemacht ist. 2 Mit Recht stellt das S c h o l l m e y e r , Kompensationseinrede S. 96 gegen v. W i l m o v s k y und L e v y fest. 3 a. M. S c h o l l m e y e r , Kompensationseinrede S. 96. S c h o l l m e y e r s Argumente richten sich nur gegen die Schriftsteller, welche im § 72 materielles Recht gegeben finden, besonders gegen P e t e r s e n in G r u c h o t s Beiträgen Bd. XXV, S. 543, Anm. 11. * Diese Verwandtschaft faßt z. B. S c h l o d t m a n n in B ü s c h s Zeitschrift Bd. XIII, S. 295 als Element der Auslegung auf; der Gleichklang der Worte ist für ihn so überzeugend, daß er den Gegnern „offene Auflehnung gegen das Gesetz" vorwirft.

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Der erste Versuch einer durchgreifenden Maßregel zu Gunsten eines geständigen Interventen war als eine der Hauptintervention anhängige Bestimmung gedacht; 1 der letzte, zum Gesetz gewordene, sollte nach der Meinung seines Urhebers als eine Begünstigung des Nebenintervenienten wirksam werden.2 Der in der Entwicklang begriffene Stoff ist vom Gesetzgeber vorzeitig mit der Etikette des möglichen Resultats versehen worden. Nun stehen die Form, die der Gesetzgeber technisch beherrscht, und die Materie, die sich unabhängig und eigenwillig behauptet hat, im Gegensatz. Die Erkenntnis dieses Gegensatzes nötigt aber nicht zur Anerkennung der Nützlichkeit oder Notwendigkeit eines Kompromisses bei der Auslegung. 3 Vielmehr hat sich die selbständige, instinktive Gestaltung des Rechtsstoffes fort- und durchgesetzt gegen den formellen Ausdruck des Gesetzgeberwillens. Daß das Gebiet des § 72 zwischen der Haupt- und Nebenintervention liegt, ist zugestanden. Bei einer scharfen Grenzscheidung4 kann seine Lage also nicht zweifelhaft bleiben. Steht man bei der neuerdings von E c k s t e i n 5 vertretenen Ansicht, daß zu Unrecht von einer Prinzipalintervention gesprochen werde, da die einzig historisch und juristisch zu rechtfertigende Interventionsform die Nebenintervention sei, 6 so scheint diese Scheidung nicht schwierig. 1 Protokolle der Hannoverschen Kommission zur Beratung einer allgemeinen C.P.O. Teil I, S. 736 ff. 2 Protokolle der Justizkommission S. 658. 3 Wie ihn in verschiedener Weise die Kommentare zur C.P.O. von S e u f f e r t , S t r u c k m a n n - K o c h , von B ü l o w , P u c h e l t , F ö r s t e r versuchen. 4 Diese wünschenswerte und in der neueren Theorie durchweg eifrig gehegte Scheidung ist noch nicht angestrebt in den für die Geschichte der Hauptintervention bedeutenden Ausführungen von P l a n c k , Mehrheit der Rechtsstreitigkeiten S. 457 ff. Er sieht sich nach der damals gemeinen Meinung über den Feststellungsanspruch genötigt, die Klage des Hauptintervenienten gegen den Erstkläger zu bestreiten, und gesellt nicht nur theoretisch den Erstkläger dem Beklagten als accessorischen Intervenienten bei, sondern erklärt auch seine Einlassungspflicht gegenüber der Hauptintervention als Zwang zur Unterstützung seines früheren Beklagten, jetzigen Neben-Interventen; a. a. 0. S. 459, Anm. 42. Diese ganze künstliche Erklärung der Hauptintervention ist mit der Bedeutung der Feststellungsklage in unserem Prozeß hinfällig geworden. S e u f f e r t citiert die angeführte Meinung P l a n c k s im Kommentar zu § 60/61 süb 6, e (S. 98) nicht ganz richtig, wenn er P l a n c k den Hauptintervenienten als notwendigen Nebenintervenienten des Erstbeklagten bezeichnen läßt. 6 E c k s t e i n , Die Intervention nach österreichischem Recht S. 58/9. 6 Ähnlich der von B r a u e r im Archiv f. civilist. Praxis Bd. XXIV, S. 427 citierte G e s t e r d i n g (Nachforschungen V, Abt. 1, S. 128): „Beide Arten der Intervention haben wenig miteinander gemein. Sie sind durch ihre Natur zu weit voneinander geschieden, als daß sie miteinander viel in Berührung kämen."

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Der Grund, den alle Dreiparteien-Konstruktionen im Prozeßrecht gemein haben, ist das Verlangen, widersprechende Urteile über dieselbe Streitsache oder ungerechte Wirkungen der res iudicata auszuschließen. D i e frühere Ansicht, daß der Nebenintervenient in den P r o z e ß vermöge der voraussichtlichen Rechtskraftwirkung des Urteils gegen ihn einzutreten berechtigt sei, ist durch die entgegengesetzte abgelöst worden; 1 weil keine Rechtskraftwirkung des Urteils gegen einen Dritten eintritt und deshalb ein solcher ein widersprechendes Urteil nachträglich provozieren könnte, ist die Intervention geboten. D i e alte Theorie sucht S c h u l t z e 2 wieder zu Ehren zu bringen, indem er die nicht zu statuierende Rechtskraftwirkung

In manchen Prozeßordnungen, z. B. der Badischen von 1864, Art. 109 und von 1851, Art. 100 ist aber trotz dieser angeblichen Grundverschiedenheit eine an die Bescheinigung rechtlichen Interesses gebundene Hauptintervention zu finden. 1 B r a u e r , Uber Grundlage und Umfang der Nebenintervention, im Archiv für die civilist. Praxis Bd. XXIY, S. 423 ff. Vergl. bes. S. 449 oben, unter Bezugnahme auf fr. 6 D. de except. rei iudic. 44, 2. 2 In B ü s c h s Zeitschrift Bd. I I , S. 20 ff. Die Versuche, um den Widerspruch zwischen der allgemeinen Geltung der Regel res inter alios acta mihi obesse non potest und der Motivierung eines Interventionsrechts mit Präjudizfurcht theoretisch herumzukommen, sind in der verschiedensten Art gemacht worden. Als Vorläufer S c h u l t z e s giebt schon M a x e n in der Zeitschrift für Civilrecht und Prozeß Bd. XXI, S. 390 eine Deutung des römischen praeindicium als Beweiskraft im Gegensatz zur Rechtskraft, wo diese eben nicht nachgewiesen werden kann: „ein richterliches Urteil, das insofern von großer Bedeutung ist, als der in dem späteren Prozeß urteilende Richter sich leicht veranlaßt finden kann, die in dem ersten Prozeß entschiedene Frage, welche abermals den Gegenstand der richterlichen Entscheidung in dem jetzt anhängigen Prozeß bildet, in diesem Prozesse gerade so zu entscheiden, wie sie bereits in dem früheren entschieden ist." In ganz anderer Weise hilft sich B o i t a r d in den Leçons zum Code de procédure civile Tom. II, S. 233 in einer Polemik gegen P r o u d h o n mit seiner Präklusionstheorie und M e r l i n (Répertoire verbo „Opposition tierce"), der die Intervention der tierce opposition nur als fakultatives Rechtsmittel des Gläubigers neben und unter einer selbständigen Klage ansieht: „Ainsi, toutes les fois, que le premier jugement ne pourrait me causer qu'un précudice de droit, de principe, d'abstraction, l'art. 1481 (über die Rechtskraft inter partes) me suffira. Toutes les fois au contraire que l'exécution de ce jugement . . . me causerait un préjudice irréparable en définitive, j'aurai intérêt de prendre l'initiative, de ne pas me renfermer dans l'art. 1351 et de prendre la voie de la tierce opposition." Als solche Fälle citiert P r o u d h o n die voraussichtliche Weggabe einer von einem Dritten erfolgreich vindizierten Sache durch den im übrigen zahlungsunfähigen Schuldnerdetentor infolge des Urteils; ferner die Erlangung eines sofort vollstreckbaren Urteils auf Fällung von Bäumen auf Grund der Servitut eines Dritten gegen einen Pächter, plaidant sans qualité comme propriétaire. Vergl. die „Vollstreckungswirkung" als Interventionsgrund bei W a c h , Handbuch I, S. 630. (304)

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als Beweiskraftwirkung verkleidet, und ihm steht mit einer Neuformung der Prozeß Vereinfachungstheorie W a c h 1 gegenüber. Bei der Prinzipalintervention spielt die Präjudizfurcht nicht mit. 2 Das selbständige Recht des Dritten kann durch ein Urteil im Erstprozeß nicht alteriert werden; auch an der Verhütung der Beendigung des Erstprozesses durch prozessuale Disposition des Beklagten hat er kein Interesse. Nimmt man aber an, daß das Urteil im Erstprozeß einem in Bezug auf den streitigen Anspruch zur Hauptintervention Berechtigten gegenüber rechtskräftig werden und seinen Anspruch präkludieren könnte, 3 so ist für den zur Haupt1

Wach, Handbuch I, § 54 I. Diese Behauptung scheint mit der Entstehungsgeschichte der Hauptintervention in schroffem Widerspruch zu stehen. In der That ist die Entwicklung der Hauptintervention nach Weismanns Ausführungen als auf deutschrechtlicher Grundlage erfolgt anzunehmen. Der Rechtssatz svelke gave die man siût statuiert die Präklusion eines nicht im Prozeß als Hauptintervention geltend gemachten Anspruchs und giebt so der Hauptintervention mit der Furcht vor dem praeiudicium in seiner strengsten Gestalt ihren Grund. Ist diese Auffassung wirklich auch im italienischen Prozeß bei der formellen Gestaltung der Hauptintervention herrschend gewesen, so hat sich eine merkwürdige Wandlung vollzogen, seit das von ihr getragene Prozeßinstitut allgemein geltend geworden ist. Eine Hauptintervention aus Präklusionsfurcht ist heute nur noch in den Fällen möglich, in denen auch die Nebenintervention aus der Rechtskraftwirkung gerechtfertigt ist. Über die entschiedene Zurückweisung einer der deutschrechtlichen Präklusion aus unterlassener Intervention ähnlichen Wirkung aus Unterlassung der tierce opposition, wie sie P r o u d h o n , Traité de l'usufruit Tom III qu. 1284 und 1287 ff., S. 263 und 266 ff. behauptete, im französischen Recht vergl. B o i t a r d , Leçons vol. II, S. 229 ff. 3 Die Übersicht über die Ausnahmen, welche von der Regel des ius fit inter partes zu konstatieren sind — B r a u e r (im Archiv f. civ. Praxis, Bd. XXIV, Anm. 17} führt eine Stelle aus dem Pandektenkommentar von T i r a q u e a u an, in der 40 solche Fälle konstatiert seien; dagegen bezeichnet z. B. Eckstein sämtliche Fälle der Rechtskraftwirkung gegen Dritte außer einigen Statutsachen als bestritten — und ihre Beziehung zur Intervention wird durch die Einteilung der Interventionsfälle erleichtert; B r a u e r , a. a. 0., S. 431 ff. und 451 hält nach dem Vorgang von L i n d e und Bayer an der Verteilung in zwei Klassen fest: in der ersten interveniert der Dritte, dessen Recht oder Verbindlichkeit durch das Bestehen des Rechts oder der Verbindlichkeit einer Prozeßpartei bedingt ist; in der zweiten der Regreßpflichtige. In dem der Hannoverschen Kommission vorliegenden Entwurf (vergl. auch die Ausführungen des Delegierten für Hannover dazu, S. 762—766 der Protokolle) war der § 69 auf diese Einteilung gestellt. Wach hat sie im Handbuch I, S. 621 ff. verlassen. Er giebt als Interventionsgrund eine Rechtskraftwirkung, Thatbestandswirkung und Vollstreckungswirkung. Das Urteil im Erstprozeß des § 72 hätte, wenn der Dritte nicht interveniert, regelmäßig keine dieser Wirkungen. Es könnte vielleicht eine Vollstreckungswirkung vorliegen. Vergl. hierzu Wach, Handbuch S. 621 ff., bes. S. 622 über die 1. 63 D. de re iudic. und S. 630 über die Grenze zwischen Haupt- und Nebeninterventiou; ferner Binder, Grenzen der Rechtskraft S. 20f. und S. 70 ff. 2

DLJ.

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Intervention Legitimierten auch das die Nebenintervention begründende Interesse vorhanden, so ist die Grenze, trotzdem offenbar der Nebenintervenient nie auf das Gebiet der Hauptintervention übertreten kann, von der Seite der Hauptintervention her beständiger Verrückung ausgesetzt. Also ein durchschlagendes Kriterium zwischen Haupt-und Nebenintervention liegt materiell in dem Vorhandensein des rechtlichen Interesses am Urteil nicht, 1 höchstens formell in der Forderung des Nachweises. Aber hier kann die theoretische Scheidung nicht einsetzen. Bestimmend ist der Unterschied in der prozessualen Aktionsfähigkeit des Haupt- und Nebenintervenienten. Der Hauptintervenient ist selbständige Prozeßpartei. Er erhebt Klage; gegen seinen Eintritt besteht kein Widerspruchsrecht der Parteien, kein Prüfungsrecht des Gerichts. Gegen ihn ist Widerklage und Kompensationseinrede seitens der auf Leistung verklagten Partei, Widerklage auch seitens des mit dem Feststellungsbegehren verklagten Erstklägers zulässig. Er steht für die Eideshandlungen den Erstparteien gleich. Er ist schließlich in Bezug auf Kostenverteilung und Vollstreckung des Urteils, wie für die Einleguug der Rechtsmittel selbständig berechtigte Partei. Der Nebenintervenient dagegen ist überhaupt nicht Prozeßpartei. 2 Er ist Prozeßgehülfe des Interventen. 3 Er erhebt keine Klage gegen diesen, aber auch keine gegen den Erstkläger. Sein Eintritt in den Streit ist formell an die gerichtliche Prüfung seines Interesseverhältnisses zum Prozeß, faktisch auch an

1 Ebensowenig wie in der Notwendigkeit oder Möglichkeit der Litisdenunziation. B r a u e r im Archiv f. civilist. Praxis Bd. X X I V , S. 466 ff. legt ihr noch die Wichtigkeit eines grundlegenden Unterschieds bei; er nennt die Regreßfälle Fälle der aufgeforderten Intervention. M a x e n hat die Behauptung, daß der Regreßpflichtige nur auf die Beiladung hin intervenieren dürfe, bestritte^ in dem Vetorecht des Interventen aber praktisch dasselbe Resultat festgelegt. Uber die Litisdenunziation des § 72 vergl. unten S. 40. 2 Bestritten ist das nur im Fall des § 66. Die Kontroverse ist für den Zweck der Abhandlung bedeutungslos. 3 Von den Versuchen, für den Intervenienten durchweg die selbständige Stellung eines Streitgenossen zu beanspruchen, bis zu der Erklärung der Intervenientenrolle als einer Beistandsthätigkeit im Sinn des § 86 C.P.O. ist ein weites Feld für Meinungsverschiedenheiten. Doch darf man wohl sagen, daß nach der herrschenden Meinung der Intervenient nicht Vertreter der Prozeßpartei aus eigenem Recht ist ( S c h u l t z e in der Zeitschrift f. d. Civilprozeß Bd. II, S. 88 ff.), sondern ein dem römischen socius litis entsprechender Gehilfe der Prozeßpartei auf eigene Gefahr ( W a c h , Handbuch I, S. 615). In dieser Anschauung sind die für das Gebiet der C.P.O. nicht mehr haltbaren Unterschiede zwischen aufgeforderter und unaufgeforderter, abhängiger und streitgenössischer Intervention aufgegangen.

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die Konnivenz des Interventen gebunden.1 Seine Zulassung zum Eid ist beschränkt. Er ist bei der Einlegung von Rechtsmitteln in die Gefolgschaft des Interventen, bestenfalls in seine Vertretung unter Annahme der von dem Interventen geschaffenen Prozeßlage (Fristen) gestellt. 2 Bei dieser Scheidung kann die Lage des § 72 zu Haupt- und Nebenintervention nicht zweifelhaft sein. Der Intervenient des § 72 nimmt das Recht an der Streitsache in Anspruch. Er greift damit beide Parteien des Erstprozesses an; 3 die Inanspruchnahme gestaltet sich in der der Klagebegründung entsprechenden Eintrittserklärung als Behauptung seines Rechts am Streitgegenstand gegen den Beklagten und Nichtrechts des Erstklägers gegen ihn. Den Anspruch 1

Das Widersprüchsrecht des Interventen war in den Regreßfällen, den Fällen der von B r a u e r so genannten aufgeforderten Intervention, früher nicht bestritten. Das Streben nach selbständiger Stellung des Intervenienten, in der auf die Abfassung der C.P.O. Einfluß nehmenden Schrift M a x e n s vertreten, hat hier die Änderung erreicht. Weitergehende Theorien in dieser Richtung geben v o n C a n s t e i n in B ü s c h s Zeitschrift Bd. VIII, S. 218 ff. und S c h u l t z e ebenda Bd. I I , S. 43 f. Giebt man dem Interventen das Recht der Prozeßleitung, die Macht, durch entgegengesetzte Handlungen oder Erklärungen jede gleichlaufende oder konträre Thätigkeit des Intervenienten zu verhindern, so bleiben als Gebiet eigener Thätigkeit f ü r denselben nur die Fälle, welche das Gesetz im § 65 i. f. als Beschwerdefälle erwähnt. Der Nebenintervenient kann nicht einmal eine Vereinbarung der Erstparteien über Ruhen des Verfahrens verhindern. Seine Hauptpartei kann ihn kaltstellen; er trägt dann nur die Kosten. Gründe, die nicht gegen diesen Zustand sprechen, sprechen auch nicht gegen das Widerspruchsrecht des Interventen. 2 So entscheidet vom Standpunkt der Vertretertheorie aus dasO.L.G. Rostock ( S e u f f e r t s Archiv Bd. X L , Nr. 56), daß der Lauf der Berufungsfrist nicht von der Zustellung des Urteils an den Assistenten (Vertreter) der Parteien abhängig sein könne; so das Reichsgericht ( G r u c h o t s Beiträge Bd. X X V I I , Beilageheft S. 1065 f.) „Daß es der Zustellung des Urteils an einen Nebenintervenienten der Regel nach nicht bedarf; das Urteil wird nur der Partei bezw. dem Anwalte zugestellt." Die Spitze des letzteren Urteils richtet sich allerdings besonders gegen die Behauptung des Unterrichters, daß die Nebenintervention immer Streitgenossenschaft begründe, und daß deshalb dem Nebenintervenienten gegenüber die Berufungsfrist erst mit der Zustellung des Urteils laufe. Vergl. auch Entsch. d. Reichsgerichts i. C. Bd. XVIII, S. 416. Dagegen nimmt W a c h , Handbuch I , S. 644, Anm. 22 unter Berufung auf das in den Annalen des Dresdner O.L.G. Bd. I I , S. 361 und in B ü s c h s Zeitschrift Bd. V I , S. 480 angeführte Urteil des O.L.G. Dresden an, daß die Berufungsfrist f ü r den Nebenintervenienten von der Zustellung des Urteils an ihn läuft. Noch schroffer vertritt diese Ansicht ein Urteil des Obersten L.G. für Bayern ( S e u f f e r t s Archiv Bd. X X X I X , Nr. 136, S. 199 f.), welches dem Nebenintervenienten die Durchführung der Berufung ohne Ladung seiner Hauptpartei gestatten will. 3 Vergl. über die hier vorläufig als „Eintrittserklärung" bezeichnete Form der Intervention die Ausführungen auf S. 36 f. der Abhandlung. 3* (307)

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des Erstklägers gegen den Beklagten bestreitet er nur mittelbar. Der Intervenient ist für alle Prozeßhandlungen in seiner Sache selbständige Prozeßpartei. Die Defension des Erstbeklagten durch an dessen Parteirolle geknüpfte Verteidigungsmittel übernimmt er nicht, kann er auch mit Zustimmung des Beklagten nicht übernehmen. Er ist eidesfähige Partei; ihm werden Kosten auferlegt und ausgezahlt; er legt selbständig, ohne durch einen Widerspruch gebunden zu sein, Rechtsmittel ein. Er haftet für Prozeßverschleppung und jede Art von lusorie agere dem Interventen nicht. Er ist Hauptintervenient. 1 Die Form seines Eintritts ist Gegenstand der heftigsten Kontroverse nicht nur unter den Gregnern der Haupt- und Nebenintervention-Parteien. K o h l e r in G r u c h o t s Beiträgen Bd. XXX, S. 481 ffläßt mündlichen Antrag in der Verhandlung genügen, weil eine Klagzustellung „das Unnötigste von der Welt" wäre, und außerdem der formlose Eintritt des Dritten „völlig dem interpleader des englischen Rechts entspricht." Daß die von K o h l e r a. a. 0 . S. 499 gewünschte „intensive Berücksichtigung der französischen, englischen und italienischen Jurisprudenz" für die prozessualischen Erörterungen 2 in manchen Fällen so verwirrend, als in andern klärend wirkt, ist hier deutlich zu sehen. Der prozeßleitenden Gewalt des englischen Richters entspricht eine ausgedehnte Befugnis, dritte Personen zum Rechtstreit beizuladen, sehr gut. Von einer Einordnung des sich hieraus ergebenden sogenannten Interpleader-Verfahrens in irgend eine unserer Prozeßtheorien über die Beteiligung Dritter am Rechtsstreit kann gar keine Rede sein. Das bezeugt klar und deutlich ' Im Resultat übereinstimmend W a c h , Vorträge 2. Aufl., S. 109, P e t e r s e n in G r u c h o t s Beiträgen Bd. XXV, S. 542; G a u p p im Kommentar zur C.P.O. Bd. I , S. 174; H e l l m a n n im Lehrbuch des Civilprozeßrechts S. 354; ähnlich K l e i n e r im Kommentar Bd. I, S. 365: „Der § 72 denkt an die Fälle der Hauptintervention -1 ; K e u f f e r t im Kommentar S. 114: „Der Hauptintervention näherstehend als der Nebenintervention"; S t r u c k m a n n - K o c h im Kommentar S. 89; W e i s m a n n , Hauptintervention und Streitgenossenschaft S. 171; ferner S c h m i d t in B ü s c h s Zeitschrift I, S. 122. Nebenintervention nehmen an W i l m o v s k y - L e v y im Kommentar Bd. I, S. 131; F ö r s t e r im Kommentar Bd. I, S. 120; R e i n c k e im Kommentar S. 114, B o l g i a n o im Handbuch S. 243; E n d e m a n n im Kommentar Bd. I, S. 355; K r o l l , Klage und Einrede S. 191; S c h l o d t m a n n in B ü s c h s Zeitschrift Bd. XIII, S. 294; F i s c h e r in G r u c h o t s Beiträgen Bd. XXV, S. 839. Das Reichsgericht, Entsch. i. C. Bd. XXXIV, S. 400 nimmt, wie der unterinstanzliche Beschluß des Kammergerichts Berlin, Hauptintervention an. B ü l o w im Kommentar S. 46; P u c h e l t im Kommentar Bd. I, S. 280; S a r w e y im Kommentar Bd. I, S. 140 halten die Anwendung des § 72 sowohl bei Haupt- als bei Nebenintervention für zulässig. 2 Vergl. auch K o h l e r , Beiträge zum Civilprozeß S. 588/89. (308)

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die von K o h l e r citierte Stelle aus der Prozeßordnung des Supreme Court of Iudicature über die weitere Gestaltung des Verfahrens, in welcher der Gerichtshof (Richter) ermächtigt wird, entweder jeden von den Prätendenten (Klägern) in die Beklagtenrolle succedieren (in lieu of the applicant) bezw. dem Beklagten als Streitgenosse zur Seite stehen (in addition to the applicant) zu lassen oder einen neuen Prozeß zwischen den Prätendenten zu instruieren, für welchen die Parteirollen vom Richter nach freiem Ermessen verteilt werden. K o h l e r verteilt zwar in seiner Abhandlung die Parteirollen auch nach Belieben; er macht völlig entsprechend dem InterpleaderVerfahren, den Erstkläger zum streitgenössischen Intervenienten des Beklagten im Hauptinterventionsprozeß und läßt ihm im Fall des § 72 die Parteiportion des ausscheidenden Beklagten anwachsen; der nach der C.P.O. urteilende deutsche Richter wird der Streitlage des § 75 gegenüber nicht die geringste Wahlverwandtschaft mit dem englischen Gerichtshof fühlen, der den Interpleader anordnet. Mit der Anwendung der im englischen Interpleader-Yerfahren gebräuchlichen Methode auf zweifelhafte Stellen des deutschen Verfahrens ist nichts anzufangen; besonders aber nicht mit der Thatsache, daß der englische Intervenient in die mündliche Verhandlung mit mündlichem statement of the nature and particulars of his claim ( O r d e r 57, 5f.) eintritt. Bei der Anwendung dieser Stelle vergißt K o h l e r zu bemerken, einmal: daß eine Hauptintervention durch Klagerhebung, wie sie nach der C.P.O. besteht, im englischen Recht nicht existiert, und schon deshalb hier keine Parallele möglich ist; und dann: daß das Interpleader-Verfahren in einer mündlichen Verhandlung auf dem Bureau des Richters (in Chambers) sich abwickelt, die mit ihrer Verteilung der Parteirollen durch den Richter den deutschen Prozeßgrundsätzen geradezu widerspricht und mit unserer mündlichen Hauptverhandlung schlechterdings gar keine Ähnlichkeit hat, sondern eher als eine contentio de ordinando iudicio anzusehen ist. Da die Herbeiziehung der englischen Prozeßordnung der Theorie K o h l e r s zu Gefallen geschieht, nach welcher der Hauptintervenient nicht beide Parteien des Erstprozesses, sondern nur den Erstbeklagten angreift, und die Behauptung des Eintritts im Fall des § 72 in der Form mündlichen Antrags dem englischen Citat zuliebe, so wäre jene Theorie als Ursprung dieser Behauptung zu bekämpfen. Dazu fehlt hier der Raum. 1 Für die Wahrung der strengen 1

K o h l e r selbst scheint eine Diskussion darüber nicht für wünschenswert zu halten, vergl. a. a. O., Anm. 12: „Andere teilweise ganz unfruchtbare Konstruktionsversuche können füglich übergangen werden. Insbesondere gilt dies von der Konstruktion W e i s m a n n s , dessen Darstellung durch die gänzlich (309)

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Klageform der Hauptintervention in allen Fällen des § 72 spricht zunächst, daß der Eintritt durch Erklärung in der mündlichen Verhandlung nur in der Instanz geschehen könnte, in der der Prozeß sich befindet, während bei Wahrung der Klageform der Intervenient wie bei der Hauptintervention immer beim Gericht erster Instanz seinen Antrag stellt. Die Prozeßlage wird in solchem Fall schwierig, gewiß; aber sobald anerkannt ist, daß der Beklagte einem schon als Hauptintervenienten eingetretenen Dritten die Streitverkündigung, das Hinterlegungsanerbieten des § 72 machen darf, ist über alle praktischen Schwierigkeiten hinweg konsequent die Meinung durchzufechten, daß auch der nach der Streitverkündung erfolgte Eintritt in der ersten Instanz statthat, selbst dann, wenn der Erstprozeß in zweiter Instanz sich befindet. Weiter spricht für die Forderung der Schriftlichkeit und Förmlichkeit, daß die „Inanspruchnahme", die Berechtigung des Dritten zur Hauptintervention, Vorbedingung des Hinterlegungsantrags ist. So lange die Forderung von dem Dritten nicht in Anspruch genommen, seine Hauptinterventionsklage nicht zugelassen ist, wird der Beklagte mit seiner Hinterlegungsbereitschaft überhaupt nicht gehört. Das geht aus der Fassung des Paragraphen hervor, der den Beklagten aus dem Dreiparteienprozeß ausscheiden, nicht etwa den Intervenienten an Stelle des entlassenen Beklagten eintreten läßt. Ein Eintritt in der mündlichen Verhandlung würde einen Zwischenstreit nach sich ziehen, in dem in Verbindung mit dem Eintritt des Dritten schon die bevorstehende Hinterlegung und Streitentlassung Erörterung fände. Die Konfirmation des Eintritts fände in dem das Ausscheiden anordnenden Urteil ihren Platz. Im Gesetz ist dieser, unserer Auffassung widersprechende, zeitliche und logische Parallelismus der Intervention und der Streitentlassung nicht gegeben. Die Intervention ist — mit oder ohne Streitverkündung — selbständig. Wird nach dem Eintritt des Dritten die Hinterlegung nicht perfekt (weil der Beklagte, wie sich herausstellt, zahlungsunfähig ist bezw. nicht hinterlegen will, oder weil der Gegenstand nicht zur Hinterlegung geeignet ist, oder in der Zwischenzeit untergegangen ist) so verläuft die Hauptintervention regelmäßig. Der Dritte kann weder den Beklagten, der ihm den Streit verkündet hat, zur Hinterlegung nötigen, noch seinen Eintritt rückgängig machen. Dafür fehlt jede Handhabe im Gesetz. Der Interventionsanspruch ist als Klage beim Gericht erster Instanz geltend zu machen. Ist der Erstprozeß schon in zweiter Instanz anverunglückten Bemerkungen gegen mich nicht überzeugender wird. widerung halte ich für überflüssig." (310)

Eine Er-

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hängig, so entspricht der Zustand nach der Streitentlassung des Beklagten dem des Ruhens eines Erstprozesses in zweiter Instanz während der Hauptinterventionsverhandlung auf Antrag einer Partei, in diesem Fall auf Antrag des Beklagten. Das Endurteil im Interventionsprozeß wirkt gleich dem entsprechenden Urteil im Hauptinterventionsverfahren. 1 Der Eintritt des Dritten als Hauptintervenienten ist konsequent durchführbar; die Fiktionen dagegen, durch welche die Annahme der Nebenintervention gestützt werden soll, leiden mancherlei praktische Ausnahmen. Der Intervent soll mit der Litisdenunziation seinen Verzicht auf die Ausübung jeden Widerspruchsrechts im weiteren Prozeß erklären. Damit sichere er dem Intervenienten die Ausübung der Prozeßhandlungen, die an seine Zustimmung gebunden gewesen wäre, soweit er sie ihm, unbeschadet das absolute Prozeßrecht und das Recht des Erstklägers, sichern kann. Er kann ilim gegen das absolute Recht des § 414 nicht die Legimation zum Eid geben und gegen das Recht des Erstklägers nicht die Fähigkeit, als Prozeßgehilfe oder Vertreter Verteidigungsmittel geltend zu machen, deren sich die Hauptpartei dem Erstkläger gegenüber durch die Hinterlegung und Entbindung von der Defensionspflicht begeben hat. Allerdings scheint mit der Annahme der Hauptintervention die Streitverkündung in Widerspruch zu stehen. Ein essentiale der Hauptintervention ist das Recht auf Einlassung in den Streit auch wider Willen des Interventionsbeklagten. Ein solcher Eintritt wider den Willen des Erstbeklagten 2 scheint im § 72 nicht erlaubt. Die Hinterlegung und der Entlassungsantrag sind freiwillige Prozeßhandlungen des Beklagten und deshalb mit einer Einlassungspflicht gegen den Intervenienten nicht zu verbinden. Daß ein Hauptintervenient wider den Willen des Erstbeklagten den Prozeß des § 72 herbeiführen könnte, ist natürlich nicht anzunehmen. Der Antrag des Erstbeklagten auf Entlassung unter Anwendung des § 72 auf den vorliegenden Hauptinterventionsstreit ist vom Eintritt des Dritten 1

Vergl. übrigens a. M. P e t e r s e n in G r u c h o t s Beiträgen Bd. XXV, S. 561 ff. Zugegeben sei, daß sich aus dem Gesetz das Erfordernis der Klageform für die Intervention nicht unmittelbar ableiten läßt. Aus dem Gesetz läßt sich aber auch die Ansicht, daß der Intervenient in der mündlichen Verhandlung dem Streit beitreten könne, nicht unmittelbar ableiten. 2 Ein Widerspruchsrecht des Erstklägers gegen den Eintritt des Dritten wird infolge der Auffassung des Beitritts als einer Nebenintervention angenommen. Vergl. E i t t i n g im Lehrbuch S. 119; K r o l l , Klage und Einrede S. 192; E n d e m a n n im Kommentar S. 355. Der Schluß fällt mit den Voraussetzungen. Der Eintritt steht unter den Grundsätzen der Hauptintervention. Uber ein Widerspruchsrecht des Erstklägers gegen die Anknüpfung der Entlassung an die Intervention vergl. unten § 9. (311)

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als Hauptintervenienten in einem materiell das Verfahren des § 72 gestattenden Rechtsstreit nicht als unbedingte Folge abhängig. Nur um die Verwandlung einer in der strengen Form des § 61 erfolgten Hauptintervention in die Hauptintervention des § 72 durch die Hinterlegung und Entlassung des Beklagten kann es sich handeln, 1 und damit um eine Interpretation der Eingangsworte des Gesetzes, bei welcher der Eintritt des Dritten nicht mehr der Streitverkündung subordiniert, 2 sondern diese beiden Bedingungssätze koordiniert werden. Wo bleibt die oft angerufene ratio legis, der Schutz des zur Hinterlegung bereiten, mehrfach in Anspruch genommenen Schuldners, wenn dieser Schutz zwar genau ausgerechnet für den Fall einer klageweisen und einer außerprozessualischen Inanspruchnahme bestehen, für den Fall einer Inanspruchnahme durch Erstklage und Hauptintervention aber ausfallen soll? Hier ist das Ende, an dem der Knoten des § 72 aufgelöst werden kann. Der Schuldner muß, wenn der Dritte seiner Litisdenunziation durch sofortige Hauptintervention in den Prozeß zuvorkommt, ebensogut von § 72 Gebrauch machen können, als wenn der Dritte auf die Streitverkündung hin erst eintritt. Er muß von § 72 Gebrauch machen können jedem Hauptintervenienten gegenüber, nicht aber dem Nebenintervenienten. Denn das Recht des Hauptintervenienten schließt das des Erstklägers aus, das Recht des Nebenintervenienten nicht. Zwischen dem Hauptintervenienten und dem Erstkläger besteht nach der in der Hauptinterventionsklage liegenden Feststellungsklage und Einlassung auf dieselbe ein Prozeßrechtsverhältnis, welches die Weiterführung des Prozesses unter Ausscheidung des Erstbeklagten möglich macht. § 9. Ist der Beitritt des Dritten als eine Intervention mit selbständigem Klaganspruch erkannt, so ergiebt sich, daß eine Verhandlung mit dem Erstkläger über die Zulässigkeit des Eintritts ebensowenig Platz im Prozeß des § 72 findet als ein Widerspruchsrecht des Erstklägers gegen eine Hauptintervention in den Prozeß hinein. Der Beitritt des Dritten steht, auch wenn er nicht in 1 Vergl. W a c h in der 2. Aufl. der „Vorträge" S. 109: „auf Grund der Streitverkündung oder ohne dies (aber dann in strenger Klageform C.P.O. § 61)." 2 Daß die Litisdenunziation nicht die Bedeutung einer Legitimation des Dritten zum Beitritt hat, ist klar. Ob man diesen als Haupt- oder Nebenintervenienten ansieht, der Klagbegründung oder des Interessenachweises wird er durch die Litisdenunziation nicht enthoben; sie kann nicht gegen den Erstkläger wirken. Daß sie auch keine civilistischen Wirkungen zwischen dem Denunzianten und dem Denunziaten haben kann, ergiebt sich aus der Stellung des Dritten zum Prozeß. Die Unterlassung des Beitritts auf die Verkündung hin kann nicht die Rechtskraftwirkung des Urteils gegen den materiell zur Hauptintervention Berechtigten zur Folge haben.

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strenger Klageform, durch Zustellung der Schriftsätze an beide Erstparteien und beim Gericht erster Instanz erfolgt, an Stelle der Klage. Das kann nichts anderes bedeuten, als daß er „einseitiger, Pflicht des Gerichts und des Beklagten, im Interesse des Klägers, begründender Akt" 1 ist. Er begründet das Prozeßrechtsverhältnis zwischen Erstkläger, Beklagten und Intervenienten. Er macht den Anspruch des Intervenienten rechtshängig; die Rechtshängigkeit tritt mit Zustellung der Schriftsätze, oder wenn man Eintritt in die mündliche Verhandlung zuläßt, mit der Erklärung an die gegenwärtigen Parteien ein. Wie käme der materiell zur Hauptintervention berechtigte Dritte dazu, sich vom Erstkläger nach dem § 72 mit Hinblick auf die etwa folgende Entlassung des Beklagten sein Interventionsrecht bestreiten zu lassen? Er könnte je nach § 61 eintreten und den Erstbeklagten auf Grund dieser einfachen Hauptintervention den Entlassungsantrag stellen lassen, statt seinen Eintritt unter Berufung auf die Denunziation und die Entlassungsbereitschaft des Beklagten in die mündliche Verhandlung zu nehmen. Soll, falls der Erstbeklagte erst nach der selbständigen Hauptintervention vom § 72 Gebrauch macht, etwa der Erstkläger nachträglich der schon lange rechtshängigen Hauptinterventionsklage „widersprechen" können? Folgt aus dem Recht des Erstklägers auf Verharren des Beklagten im Prozeß ein Widerspruchsrecht gegen die Intervention, weil sie die Entlassung des Beklagten begründet, nach sich zieht? Ein Widerspruch des Erstklägers gegen die Deposition müßte schon beim Eintritt des Dritten geltend gemacht werden können, wenn nicht nur die Deposition von der vorhergehenden Intervention, sondern auch die Intervention von der nachfolgenden Deposition abhängig wäre. Das ist nicht der Fall. Die Intervention des § 72 ist Hauptintervention und der ihr folgende Prozeß gewöhnlicher Hauptinterventionsprozeß, 2 wenn der Beklagte, gleichviel ob er den Streit verkündet hatte oder nicht, den Entlassungsantrag zu stellen unterläßt — und ebenso, wenn er den Antrag stellt, derselbe aber abgewiesen wird. Der Erstkläger hat kein Widerspruchsrecht gegen die Intervention; hat er ein Widerspruchsrecht gegen die Entlassung des Beklagten? 1

W e i s m a n n , Hauptintervention S. 108, Anm. 3. Ganz klar liegt die Sache, wenn man für den Eintritt des § 72 Klageform fordert. Läßt man mündlichen Beitritt genügen, so kann man darüber streiten, ob, wenn die Hinterlegung nicht folgt, nachträglich Schriftsatz eingereicht oder die mündliche Erklärung ohne weiteres als Klage behandelt werden soll. 2

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Der Beklagte ist nach den Worten des Gesetzes „auf seinen Antrag zu entlassen", wenn gewisse Voraussetzungen vorliegen. Danach stände dem Erstkläger und dem in seinem Verhältnis zum Beklagten dem Erstkläger gleichstehenden Intervenieren frei, zwar nicht der Entlassung auf die Voraussetzungen hin zu widersprechen, wohl aber das Bestehen der Voraussetzungen zu bestreiten. 1 Die Anerkennung oder Anzweifelung derselben würde in die Disposition der Klageparteien gestellt. Die eine der Voraussetzungen ist die Inanspruchnahme der Forderung durch den Dritten. 2 Sie liegt vor, wenn der Dritte als Hauptintervenient eintritt. Mit dem formell prozeßbegründenden Akt, sei er nun Klagzustellung oder Erklärung in der mündlichen Verhandlung, ist die Inanspruchnahme gegeben. Die materielle Berechtigung des Dritten zur Hauptintervention kann natürlich nicht Gegenstand der Erörterung vor Entlassung des Beklagten sein, denn auf die Ungewißheit dieses materiellen Rechts und die im weiteren Prozeß darüber erfolgende Entscheidung hin deponiert der Beklagte. 3 Die andere Voraussetzung ist die Hinterlegung oder Hinterlegungsbereitschaft des Beklagten. 4 Nicht darf gestritten werden über die Berechtigung zur Hinterlegung an sich, denn diese folgt aus der Hauptintervention. Ein Zwischenstreit über die Hinterlegung an sich ist wohl denkbar. Die klägerischen Parteien könnten die Hinterlegung eines Streitgegenstandes rügen, der dem Gesetzeswort „Betrag einer Forderung" nicht zu entsprechen scheint. Jedenfalls ist aber das Gericht befugt, eine in dieser Hinsicht dem Gesetz nicht entsprechende Hinterlegung ex officio, selbst gegen den Willen der klägerischen Parteien, zurückzuweisen. Die Parteien können nicht über die Art der Hinterlegung im Einverständnis disponieren. Die klägerischen Parteien könnten ferner eine dem Betrage nach ungenügende, dem doppelten Klaganspruche nicht entsprechende Hinterlegung rügen. Man wird sogar zweifeln können, ob das Gericht, falls der Beklagte bei einer Forderung auf 100 nur 90 deponiert und die Entlassung beantragt, die Entlassung verweigern kann, wenn keiner von den

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Vergl. S t r u c k m a n n - K o c . h , Kommentar zur C.P.O. S. 89 unten. Über die „teilweise Inanspruchnahme" vergl. P e t e r s e n im Kommentar zur C.P.O. S. 142; P u c h e l t im Kommentar zur C.P.O. I, S. 280; W i l m o v s k y L e v y im Kommentar zur C.P.O. S. 171; P e t e r s e n in G r u c b o t s Beiträgen Bd. XXV, S. 542; S e u f f e r t im Kommentar zur C.P.O. S. 113. 3 A. M. E n d e m a n n , Kommentar zur C.P.O. Bd. I, S. 357. 4 Daß das Gesetz die Hinterlegung dem Entlassungsantrag vorhergehen läßt, spricht gegen eine Normierung des zu hinterlegenden Betrags durch die Parteien bei Gelegenheit der Verhandlung über den Entlassungsantrag, wie sie W i l m o v s k y - L e v y angiebt. 2

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Klägern widerspricht; ob nicht in dem Verzicht auf den Widerspruch seitens der Parteien eine stillschweigende Herabsetzung der Klaganträge auf den hinterlegten Betrag gefunden werden kann. 1 Wie bei der Intervention, so auch in Bezug auf die richterlichen Dekrete steht der § 72 auf einer Grenzscheide. Der Entlassungsbescheid des § 72 wird von sämtlichen Schriftstellern 2 als Urteil aufgefaßt. Ob er End- oder Zwischenurteil ist, darüber ist Streit. Nimmt man einmal die Behauptung der Nebeninterventionsform für den Eintritt des Dritten als richtig an, so ergiebt sich ein Zwischenstreit über die Berechtigung des Dritten — die Litisdenunziation überhebt ihn nicht des Interessenachveises schlechthin — von selbst. Die Entscheidung über die Berechtigung des Dritten zur Nebenintervention fällt dann mit der über die Entlassung des Beklagten zusammen; ebenso die diesen Entscheidungen vorhergehenden streitigen Verhandlungen. Denn der Nebenintervenient hat durch die Litisdenunziation nach Maßgabe des § 72 die Zusicherung erhalten, daß der Schuldner ihm die Prozeßführung gegen den Erstbeklagten überlassen wird. Läßt man nun einen Zwischenstreit über die Zulässigkeit der Nebenintervention sofort nach der Intervention zu, ohne daß der Litisdenunziant seinen Entlassungsantrag gestellt hat, so kann die Nebenintervention durch Zwischenurteil als zulässig bezeichnet werden. Dann ist der Intervenient abhängiger Prozeßgehilfe des Beklagten, dem er durch seine Intervention die Prozeßführung aus der Hand nehmen wollte, dem er kraft seines materiellen Rechts als Hauptintervenient hätte gegenübertreten können. Er kann den Beklagten nicht zwingen, den Entlassungsantrag zu stellen; er kann nicht einmal Auskunft vom Beklagten darüber verlangen, ob dieser im Lauf des Prozesses noch den Entlassungsantrag stellen wird, um daraufhin seinen Eintritt möglicherweise rückgängig zu machen. Er ist bestenfalls um Prozeßkosten geschädigt, ohne einen Regreßanspruch zu haben. Werden aber die streitigen Verhandlungen über die Berechtigung zur Intervention und das Recht auf Hinterlegung und Entlassung sowie die Entscheidungen darüber vereinigt; nimmt man an, daß in dem Antrag des Beklagten auf Entlassung auch der Antrag des § 68 liege, weil der Beklagte die Zulässigkeit der Nebenintervention als Vorbedingung seiner Entlassung erörtert sehen will, so liegt die äußerliche Verbindung des die Nebenintervention zulassenden Zwischen1 P e t e r s e n im Kommentar zur C.P.O. S. 142. Bestehen die Gläubiger, weil ihnen die Anerkennung genügt, auf der Hinterlegung nicht, so ist diese nicht erforderlich. 2 Nur L o e n i n g in B ü s c h s Zeitschrift Bd. IV, S. 75 spricht von „Gerichtsbeschluß oder Zwischenurteil."

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urteils mit dem die Entlassung verfügenden Endurteil 1 vor, auf die sich das Reichsgericht in seinen Entscheidungen (Entscheidungen in Civilsachen Bd. XV, S. 43 und Bd. XVIII S. 140) mehrmals bezogen hat. In der einen Entscheidung wird ausgeführt: „Was die Nebenintervention betrifft, so hat der erste Richter die Zulässigkeit derselben, welche bestritten war, nicht in einem besondern Zwischenurteile ausgesprochen, die Entscheidung vielmehr mit dem Endurteile in der Hauptsache verbunden. Diese lediglich äußere Verbindung ändert aber an dem Charakter der Entscheidung nichts, dieselbe bleibt ein Zwischenurteil und immerhin ist die sofortige Beschwerde das einzig zulässige Rechtsmittel." Dann ist der Entlassungsbescheid mit der Berufung, die darin enthaltene Zulassung der Nebenintervention mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar; die künstlich vereinigten Verhandlungen werden getrennt, eine unerträgliche Prozeßlage erreicht. Die Annahme der Intervention als eines unter den Grundsätzen der §§ 69 ff stehenden Beitritts ist, wie sich hier zeigt, auch in ihren praktischen Konsequenzen unhaltbar. Über die Zulässigkeit der Intervention kann sich kein Zwischenstreit erheben, sobald man den Dritten als Hauptintervenienten ansieht. Seine Klage kann aus materiellen und prozessualischen Gründen zurückgewiesen werden, ehe der Beklagte den Entlassungsantrag gestellt hat. Dann steht dem Beklagten der Erstkläger wie vor der Intervention als einziger Gläubiger gegenüber. Ist das nicht der Fall, stellt der Schuldner seinen Entlassungsantrag, so ist die Entscheidung über diesen nicht mit der Entscheidung über die schon vorher erfolgte, unabhängige Intervention verknüpft. Die Frage ist nur noch, ob die Entscheidung über den Antrag Absolution des Beklagten in der Hauptsache, ein dem Anerkennungsurteil des § 278 ähnliches Endurteil, oder, als eine Entscheidung über prozessualische Rechte und Pflichten des Schuldners, Zwischenurteil ist. 2 Die Entscheidung, durch die der Beklagte zur Hinter1

Zu der Annahme eines Endurteils kommt man von der bisher von allen Schriftstellern außer W a c h , S c h o l l m e y e r und L o e n i n g angenommenen Auffassung des Entlassungsbescheids als einer Entscheidung in der Hauptsache, vollständiger Absolution des Beklagten aus, mit welcher hier vorläufig als der herrschenden Meinung gerechnet sei. 2 Der die Entlassung des Beklagten verweigernde Bescheid ist ebenso Entscheidung über prozessuales Recht des Beklagten wie der die Entlassung genehmigende. Folgert man aus diesem Charakter des Bescheids auch für den etzteren Fall, daß er Zwischenurteil sei, so stehen sich die Ablehnung des Entlassungsantrags und die Verfügung der Entlassung in der prozessualen Form gleich. Diejenigen Schriftsteller, welche den abweisenden Bescheid als Zwischenurteil, den Entlassungsbescheid als Endurteil ansehen, müssen zugeben, entweder (316)

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legung des Streitgegenstandes angewiesen, aus dem Streit entlassen, und in die durch seinen Widerspruch 1 entstandenen Kosten verurteilt wird, ist von den Kommentatoren und der herrschenden Meinung überhaupt2 als Endurteil bezeichnet worden. Das gewichtigste Bedenken gegen diese Ansicht ist der Mehrzahl ihrer Vertreter 3 gegenwärtig. daß neben der yon ihnen angenommenen materiellen Absolution auch eine dem Inhalt des abschlägigen Bescheids entsprechende Entscheidung über prozessuales Recht, also der Stoff' zu einem Zwischenurteil in dem Entlassungsbescheid enthalten ist, oder daß auch der die Entlassung verweigernde Bescheid negativ die materielle Rechtskraft des Endurteils haben sollte. 1 Das Gesetz spricht von „unbegründetem Widerspruch". Müßte dieser nicht schon im Augenblick der Streitentlassung feststellbar sein, so könnte unter begründetem Widerspruch jedenfalls jeder anfänglich gegen den Anspruch des Erstklägers erhobene begriffen werden, der sich im Verlaufe des Prozesses als begründet herausstellt. Bei schließlicher Verurteilung des Erstklägers müßten diesem jedenfalls die Kosten für den sachlichen Widerspruch des Beklagten, etwa seine Prozeßführung bis in die zweite Instanz auferlegt werden. Verklagt A den B auf 1000 und dieser sagt, ich bin dir nichts schuldig, und das erweist sich als wahr, so wird der Widerspruch doch dadurch nicht „unbegründet", daß B dem C die fraglichen 1000 schuldig ist. S c h o l l m e y e r , Zwischenstreit S. 102 nimmt an, daß der Beklagte noch am Schluß des Prozesses zu Kosten verurteilt werden könne. Auch diese Ansicht hilft nicht durchgreifend; sie ist wegen des offenbaren Widerspruchs zum Gesetzeswort unhaltbar. W i e ist der Konflikt mit der Ansicht zu lösen, daß der Zweitprozeß möglicherweise mit der Zurückstellung des hinterlegten Betrages, also mit Abweisung beider Kläger, enden könne? Dann wäre der Beklagte für den bis in eine höhere Instanz aufrecht erhaltenen Widerspruch, den er bei der Intervention fallen läßt, der sich aber in der Abweisung beider Kläger doch als sehr berechtigt erweist, zu Kosten verurteilt. Zur Zeit der Kostenfestsetzung, bei der Entlassung, fehlt es an jedem Anhalt für die Beurteilung der Frage, ob ein Widerspruch des Klägers begründet oder unbegründet war. Das Gesetz bedarf hier einer Änderung. 2 So sämtliche Kommentare zur C.P.O.; H e l l m a n n im Lehrbuch; B o l g i a n o im Handbuch S. 244; K r o l l , Klage und Einrede S. 192; K o h l e r , Beiträge zum Civilprozeß S. 282; P e t e r s e n in G r u c h o t s Beiträgen Bd. X X V , S. 557; W e i s m a n n , Hauptintervention S. 171. a. M. W a c h , Vorträge, l.Aufl., S. 83, 2. Aufl., S. 118; S c h o l l m e y e r , Zwischenstreit S. 102; L o e n i n g in B ü s c h s Zeitschrift Bd. IV, S. 75; ähnlich F i s c h e r in G r u c h o t s Beiträgen Bd. X X V , S. 839. Die allgemeine Meinung dokumentiert sich in den „Formularen für Rechtshandlungen der streitigen Gerichtsbarkeit" von H i l s e S. 76. Vollständiges Ausscheiden des Beklagten nimmt auch das Reichsgericht (Entsch. i. C. Bd. X X I X , S. 371) an, wenn es den Beklagten im Feststellungsstreit als Zeugen vernehmen läßt, „da er nicht mehr die Stellung einer Partei einnimmt." Vergl. das Urteil des O.L.G. Hamburg in S e u f f e r t s Archiv Bd. X V , Nr. 218. 3 W i l m o v s k y - L e v y , G a u p p , E n d e m a n n ( E n d e m a n n : „Daran wird sich nach dem ganzen Inhalt des Paragraphen niemand weiter stoßen, daß sonach der Beklagte die Ergänzung eines ihm sonst ganz fremden Urteils erlangen kann.") F i s c h e r in G r u c h o t s Beiträgen Bd. X X V , S. 839, F ö r s t e r ,

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Der Beklagte bleibt, das geben sie zu, insofern am Prozeß beteiligt, als ihm seine Kosten erst nach Beendigung des Zweitprozesses zuerkannt werden. Uber die Kosten hat das Gericht nach § 279 der C.P.O. ohne Antrag zu erkennen; ist aber durch Nachlässigkeit des Gerichts dieses Gesetz nicht zur Anwendung gekommen, so sieht der § 292 der C.P.O. vor, daß die nicht auf ihre Kosten kommende Partei eine Ergänzung des Urteils beantragen kann. Daraus geht hervor, daß der § 279 nicht etwa eigens zum Schutz einer aus dem Prozeß entlassenen Partei gegeben ist; ohne den § 292 ist der § 279 eine lex imperfecta. Die Befugnis des § 292 steht aber den durch Endurteil aus der Parteirolle und dem Prozeß ausgeschiedenen Erstbeklagten des § 72 nicht zu; das bezeugt der zweite Absatz des § 292, der als Grundlage für die Fristberechnung und als Voraussetzung für den Ergänzungsantrag die Zustellung des Urteils aufstellt, somit als Berechtigten eine Partei des durch das Urteil beendigten Prozesses denkt. Das thatsächliche Interesse des Beklagten an der Entscheidung darüber, welche Partei des Prozesses, an dem er nicht mehr beteiligt ist, ihm die Kosten zu ersetzen hat, .veranlaßt das Gericht nicht, ihm das Urteil zuzustellen. Die Frist für die Einreichung des Schriftsatzes zum Ergänzungsantrag läuft nicht. Ein solcher ist vom Gericht nicht anzunehmen. Immerhin sollten diese mehr gesetzestechnischen Argumente einer folgerichtigen theoretischen Konstruktion des Urteils gegenüber nicht ausschlaggebend sein.1 Aber ist wirklich in dem EntlassungsR e i n c k e ; der letztere hilft dem durch Endurteil entlassenen Beklagten mit § 89 C.P.O. Wenn der Beklagte den Anspruch des Klägers in der mündlichen Verhandlung sofort anerkennt, kann der § 89 angewandt werden; eine Streitverkündung kann aber der Beklagte dann nicht mehr vornehmen. 1 Sie ist von erheblicher praktischer Bedeutung. Sie muß auch zur Lösung der Verwicklungen beitragen, die sich bei der Kostenfestsetzung im Entlassungsbescheid ergeben. Die wichtigste der hierbei entstehenden Kontroversen ist die, ob die unterliegende Partei der obsiegenden zur Zahlung von Zinsen aus der Depositionssumme verurteilt werden könne; das Reichsgericht ( S e u f f e r t s Archiv Bd. X L , S. 351 ff.) hat mit ausführlicher Begründung den bejahenden Standpunkt vertreten. Zugegeben ist, daß die materiellen Gründe für einen Prozeßzinsenanspruch, die Verpflichtung des Schuldners aus seiner Nutzung während des Prozesses und aus Verschuldung oder Verzug, ausfallen. Dafür erklärt die cit. Entscheidung die Verpflichtung des unterliegenden Intervenierten aus dem Umstand, daß „die Intervention die einzige Ursache davon ist, daß dem Kläger die Zinsen oder die Nutzung des Geldes entzogen geblieben ist." Gegen den Grund des Reichsgerichts spricht vor allem, daß doch der entsprechende Anspruch des Intervenienten gegen den Erstkläger nicht mit der Behauptung begründet werden kann, die Klage des Erstklägers sei der (318)

Beiträge zur Auslegung des § 72 der C.P.O.

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bescheid eine materieller Rechtskraft fähige Absolution des Beklagten zu finden? Ein falsches a priori führt hier unfehlbar zur falschen Konstruktion. Manche Schriftsteller sind von dem Postulat einer vollständigen Befreiung des Schuldners in allen Fällen der Hinterlegung auf Grund von Gläubigerprätensionen zu der Annahme des Endurteils für den Entlassungsbescheid des § 72 gekommen. Wir gelangen auf Grund der sicheren prozessualischen Konstruktion des § 72 als einer im Hauptinterventionsverfahren anwendbaren Beeinzige Grund davon, daß der Beklagte dem Intervenienten nicht habe zahlen wollen. Vollends unangängig ist es, den Prozeßzinsenanspruch aus der Analogie einer römischen Schadenersatzklage wegen der Vereitelung eines Verkaufs durch unbegründete Inanspruchnahme der Kaufsache abzuleiten. In Bezug auf die prozessualische Berechtigung der Zinsforderung geht das Reichsgericht in dem fraglichen Urteil von einer Ansicht aus, der nicht zu folgen ist, indem es den Intervenienten gegenüber dem Erstkläger und den Erstkläger dem Intervenienten gegenüber in die Beklagtenrolle succedieren läßt. („Der Anspruch auf Zahlung der Zinsen ist ein Nebenanspruch im Verhältnis zu dem Hauptanspruch, welchen Kläger nach § 72 C.P.O. gegen den Intervenienten erheben darf.") Vielmehr ist die Frage zu stellen, ob der Beklagte im Feststellungsstreit „Schäden" im Sinn des § 4 C.P.O. von dem unterliegenden Kläger vergütet erhält, und ob die Entgehung der Zinsen infolge der Hinterlegung und die ihr wohl gleichstehende Entwertung der hinterlegten Sache, soweit sie bei Unterbleiben der Hinterlegung vermieden worden wäre, als ein solcher „Schaden" anzusehen ist. So argumentieren die römischen Juristen bei der Verzugshaftung des Schuldners für nach Fälligkeit der Forderung untergegangene Scliuldgegenstände, die der Gläubiger bei rechtzeitiger Lieferung hätte vor dem Untergang verkaufen und dadurch das pretium lukrieren können; 1. 15, 3 D. de rei vind. 6, 1. Nur wenn die Sache auch bei rechtzeitiger Überlieferung untergegangen wäre ohne Möglichkeit einer Lukration, schadet dies dem Gläubiger 1. 14, 1 D. dep. vel contra 16, 3. Vergl. 1. 2, 8 D. 13, 4. Die Konsequenzen sind sehr weittragende. Eine Hinterlegung von Aktienpapieren ist sehr wohl denkbar. Hinterlegt nun der Schuldner solche Papiere und sie fallen während der Prozeßzeit langsam, aber ohne Aussicht auf Besserung, bis sie entwertet sind, so müsste man mit der Deduktion des Reichsgerichts sagen: W ä r e der Intervenient nicht gekommen, so hätte der Schuldner die Papiere hergegeben, der Kläger hätte sie rechtzeitig verkauft (vergl. D e r n b u r g , Pandekten Bd. II, S. 125), die Differenz zwischen dem jetzigen Wert und der Summe, die der Gläubiger bei rechtzeitigem Verkauf mit den Papieren effektuiert hätte, hat der Intervenient zu ersetzen. Das ließe sich auch praktisch kaum durchführen. Der § 260 C.P.O. ist nicht verwendbar. Nicht ohne Neid kann man nach der Überlegung der aus der Fassung des § 72 sich ergebenden Konsequenzen das englische Gesetz ( A n d r e w s and S t o n e y , The supreme Court of Iudicature Acts p. 434 R.S.C.O. LVII, Nr. 15) betrachten: „The court or a judge may in or for the purposes of any interpleader proceedings make all such Orders as to costs and all other matters as may be just and reasonable." (319)

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Stimmung zu Gunsten des auf eine Forderung verklagten Interventen zu dem Ergebnis, daß eine vollständige Absolution und eine vollständige Aufhebung des Prozeßrechtsverhältnisses zwischen den Intervenienten und dem Interventen sich mit dem vorhergehenden und folgenden Verfahren nicht logisch vereinigen läßt, daß vielmehr nur die in einem Zwischenurteil auszusprechende Entbindung des Beklagten von der Defensionspflicht unter Beibehaltung der DreiparteienKonstruktion eines gewöhnlichen Hauptinterventionsverfahrens die folgerichtige Durchführung des § 72-Prozesses ermöglicht. § 10. Als ein vereinfachtes Hauptinterventionsverfahren geht der Prozeß weiter. Die in der Hauptinterventionsklage latent enthaltenen beiden Ansprüche scheiden sich; die prozessuale Durchführung des Leistungsanspruchs ruht, der Feststellungsanspruch wird verfolgt. Der Erstkläger ist ebenfalls der Notwendigkeit einer doppelten Aktion — der Verfolgung seines Anspruchs und Abwehr der Feststellungsklage bei der ordentlichen Hauptintervention — enthoben. Rechtliche Besonderheiten haften dem Feststellungsprozeß nicht an; dem Dritten sind die Parteien für ihre Prozeßführung nicht verpflichtet, 1 ihre Saümnis kann von ihm ebensowenig gerügt werden, wie die Verweigerung der Defension gegen ihren Anspruch auf Erklärung des Beklagten für einen der Prätendenten von den klägerischen Parteien. Die Entbindung von der Defensionspflicht ist nicht reiner Prozeßvorteil für den Beklagten; beantragt er sie, so erklärt er damit seinen Verzicht auf weitere Beeinflussung des Prozesses, auf die Rechte ebensowohl als die Pflichten seiner Passivlegitimation. Das Endurteil erledigt sowohl den Feststellungs- als den Leistungsanspruch. Die Vollstreckung richtet sich aber nicht gegen das Vermögen des Beklagten; sie ist auf den hinterlegten Betrag beschränkt. F ü r den Fall einer Vernichtung der Sache im Depositenschrank ist die Hinterlegungs-Ordnung zu Rate zu ziehen, für das Maß einer Haftung des Hinterlegers in solchen Fällen sind die unten S. 50ff. gegebenen Ansichten bestimmend. Eine Rücknahme des Depositums durch den Schuldner oder Rückgabe durch das Gericht an den Schuldner ist im Gesetz nicht vorgesehen. Konstruiert man den der Entlassung folgenden Prozeß als ein indicium duplex, in dem möglicherweise sowohl der Anspruch des Erstklägers als der des Intervenienten abgewiesen wird, so ist damit die Möglichkeit einer Vakanz des Rechtes am Depositum zugegeben. Was 1

Gegen G a u p p , der den Gläubigern das Recht, einen Vergleich über den streitigen Anspruch zu schließen, einschränken möchte, mit guten Gründen S c h l o d t m a n n in B ü s c h s Zeitschrift Bd. XIII, S. 401 und 402. (320)

Beiträge zur Auslegung des § 72 der C.P.O.

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in solchem Fall mit dem Depositum geschehen soll, dafür besteht nicht der geringste Anhalt im Gesetz 1 und daraus läßt sich auf die Unhaltbarkeit der Annahme eines indicium duplex schließen. 2 Geht man von der Annahme aus, daß der Prozeß nach Entlassung des Erstbeklagten als einfacher Feststellungsstreit fortgeht, so erledigt sich die Frage nach dem Recht der streitenden Gläubiger am Depositum sehr einfach. Der Deponent verpflichtet sich3, an Stelle des Urteils im Hauptinterventionsprozeß, welches möglicherweise beide Kläger abweist, das Urteil im Feststellungsprozeß gegen sich gelten zu lassen. Dieses Urteil weist entweder die Feststellungsklage des Intervenienten zurück, dann „obsiegt" der Erstkläger,4 oder es verurteilt den Interventionsbeklagten, dann „obsiegt" der

1 Das ergiebt sich auch bei der Kritik der Mittel, die von v. W i l m o v s k y und L e v y im Kommentar zur C.P.O. S. 133 zur Abhilfe vorgeschlagen werden. Daß er das Depositum, falls keiner der streitenden Gläubiger obsiegt, als indebitum ansieht, hängt mit seiner Auffassung der Deposition als materiellrechtlicher Zahlung zusammen, und fällt mit dieser weg. Das indebitum soll, „falls die drei Beteiligten nicht einig wären", mit Klage zurückgefordert werden. Darüber vergl. S c h l o d t m a n n a. a. 0 . S. 300 unten. Trägt die Kosten des Rückforderungsprozesses dann die Hinterlegungsstelle? Und wie kämen die eben mit ihren Ansprüchen abgewiesenen Gläubiger-Prätendenten dazu, über die Rückgabe des Depositums durch ihre Consens-Erklärung zu verfügen? Kann der Hinterlegende nach dem einschlägigen Bürgerlichen Hecht das indebitum nicht zurückfordern, so soll über das depositum nach Maßgabe der landesrechtlichen Vorschriften über das Verfahren mit Vermögensmassen unbekannter Eigentümer verfügt werden. Dann verwandelt sich der zur Abwendung doppelter Zahlung für den Schuldner gegebene § 72 in ein Verfahren, welches die Gefahr doppelter Zahlung für den Schuldner erst recht lebendig macht. Und wenn die Deposition nach § 72 vmter allen Umständen die Befreiung des Schuldners bewirkt, weshalb soll dann der Hinterlegende das Depositum im Fall der Abweisung beider Prätendenten überhaupt zurückfordern, und, wie v. W i l m o v s k y vorschlägt , „wegen Ungewißheit des Gläubigers", sofern diese nach dem Bürgerlichen Recht ein gesetzlicher Depositionsgrund ist, von neuem deponieren? Wird die Ungewißheit des Gläubigers, mit der die Liberation bei der Hinterlegung des § 72 motiviert wird, durch das die Prätendenten abweisende Urteil als Befreiungsgrund hinfällig? 2 Die ausführliche Widerlegung giebt S c h l o d t m a n n a. a. 0 . S. 299—303. 3 W i e er das civilrechtlich als an dem Feststellungsstreit der Gläubiger von vom herein nicht beteiligter Schuldner in Bezug auf den Ausgang dieses Feststellungsstreites einem beliebigen Privatrechtssubjekt gegenüber thun und dadurch dem Urteil im Feststellungsstreit die Wirkungen der Rechtskraft gegen sich beilegen könnte, die es an und für sich nicht hat. 4 Dabei ist gleichgültig, ob der Intervenient abgewiesen wurde, weil er nicht dieselbe Forderung wie der Erstkläger in Anspruch nahm, oder weil sein Feststellungsanspruch materiell unhaltbar war, ob er aus prozessualen oder civilrechtlichen Gründen unterliegt. N i c h t a u f d i e a u ß e r g e r i c h t l i c h e , s o n d e m auf die p r o z e s s u a l e P r ä t e n s i o n hin d e p o n i e r t der S c h u l d n e r .

dlj.

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Intervenient. Ebensowenig wie ein Obsiegen beider Parteien ist ein Unterliegen beider denkbar. Der Schuldner erkauft mit dem Verzicht auf die Abwehr und Abweisung seiner beiden Kläger die Befreiung von der Defensionspflicht, ihren Lasten und Kosten. Sein Vorteil und Nachteil entsprechen sich. 1

IV. § 11. Ist mit solcher prozessualen Konstruktion des § 72 die Annahme vereinbar, daß der Schuldner durch die Deposition ohne Rücksicht auf die Bestimmungen des Bürgerlichen Rechts befreit werde? Schlechterdings nicht. 2 Das Depositionsrecht des Schuldners beruht allemal auf einem Im-Unrecht-stehen des Gläubigers ihm gegenüber. Die Inanspruchnahme einer eingeklagten Forderung durch einen Dritten aber, wie sie bei der Hauptintervention und im Fall des § 72 vorliegt, ist nicht geeignet, die Rechtsstellung des ersten Gläubigers dem Schuldner gegenüber irgendwie zu verändern. Dem mittelbaren Prozeßrechtsverhältnis des § 72 ist wohl die mehrfache Inanspruchnahme derselben Forderung von demselben Schuldner, nicht aber 1 Klagt ein weiterer Prätendent dieselbe Forderung bei einem andern Gericht ein und siegt, so zahlt der Beklagte doppelt. E r kann auch dann von dem Sieger im § 72-Prozeß nicht zurückfordern. Der hinterlegte Betrag ist nie indebituin. - So die Kommentare zur C.P.O. von S e u f f e r t , S t r u c k m a n n - K o c h , G a u p p , von Sarwey, von Bülow, E n d e m a n n , F ö r s t e r , H e l l m a n n ; O e t k e r , Konkursrechtliche Grundbegriffe S. 532; S c h m i d t in B ü s c h s Zeitschrift Bd. I, S. 124; K ü h n e in I h e r i n g s Jahrbüchern Bd. XVII, S. 58 ff. A. M. Die Kommentare zur C.P.O. von W i l m o v s k y - L e v y , P u c h e l t , R e i n c k e ; B o l g i a n o im Handbuch S. 245, K r o l l , Klage und Einrede S. 192; S c h o l l m e y e r , Kompensationseinrede; P e t e r s e n in G r u c h o t s Beiträgen Bd. XXV, S. 548; K o h l e r , Beiträge zum Civilprozeß S. 281. K o h l e r ist der Ansicht, daß die Hinterlegung den Schuldner ebenso befreie wie die Aufgabe eines Gutes auf der Eisenbahn (und nicht erst die Ankunft). Damit soll wohl gesagt sein, daß der Destinator (Gläubiger) die Gefahr der Sache während der Ubersendung (Hinterlegung) trägt. Das ist f ü r die Hinterlegung des § 72 falsch, denn nicht der Destinator-Gläubiger, sondern der unterliegende Prätendent trägt die Lasten der Hinterlegung, soweit dem Schuldner überhaupt die H a f t u n g abgenommen wird. Im übrigen bietet die Aufgabe bestellten Gutes auf der Eisenbahn an bestimmten Empfänger wolil keine Vergleichspunkte mit der Hinterlegung, bei der die Unbestimmtheit des Empfängers wesentlich ist. Für die Lehre von der Versendungsgefahr ist auch die privilegierte Stellung der öffentlichen Verkehrsanstalten wesentlich; es geht nicht an, dieselbe ohne weiteres auf die Hinterlegungsstellen zu übertragen.

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Intervenient. Ebensowenig wie ein Obsiegen beider Parteien ist ein Unterliegen beider denkbar. Der Schuldner erkauft mit dem Verzicht auf die Abwehr und Abweisung seiner beiden Kläger die Befreiung von der Defensionspflicht, ihren Lasten und Kosten. Sein Vorteil und Nachteil entsprechen sich. 1

IV. § 11. Ist mit solcher prozessualen Konstruktion des § 72 die Annahme vereinbar, daß der Schuldner durch die Deposition ohne Rücksicht auf die Bestimmungen des Bürgerlichen Rechts befreit werde? Schlechterdings nicht. 2 Das Depositionsrecht des Schuldners beruht allemal auf einem Im-Unrecht-stehen des Gläubigers ihm gegenüber. Die Inanspruchnahme einer eingeklagten Forderung durch einen Dritten aber, wie sie bei der Hauptintervention und im Fall des § 72 vorliegt, ist nicht geeignet, die Rechtsstellung des ersten Gläubigers dem Schuldner gegenüber irgendwie zu verändern. Dem mittelbaren Prozeßrechtsverhältnis des § 72 ist wohl die mehrfache Inanspruchnahme derselben Forderung von demselben Schuldner, nicht aber 1 Klagt ein weiterer Prätendent dieselbe Forderung bei einem andern Gericht ein und siegt, so zahlt der Beklagte doppelt. E r kann auch dann von dem Sieger im § 72-Prozeß nicht zurückfordern. Der hinterlegte Betrag ist nie indebituin. - So die Kommentare zur C.P.O. von S e u f f e r t , S t r u c k m a n n - K o c h , G a u p p , von Sarwey, von Bülow, E n d e m a n n , F ö r s t e r , H e l l m a n n ; O e t k e r , Konkursrechtliche Grundbegriffe S. 532; S c h m i d t in B ü s c h s Zeitschrift Bd. I, S. 124; K ü h n e in I h e r i n g s Jahrbüchern Bd. XVII, S. 58 ff. A. M. Die Kommentare zur C.P.O. von W i l m o v s k y - L e v y , P u c h e l t , R e i n c k e ; B o l g i a n o im Handbuch S. 245, K r o l l , Klage und Einrede S. 192; S c h o l l m e y e r , Kompensationseinrede; P e t e r s e n in G r u c h o t s Beiträgen Bd. XXV, S. 548; K o h l e r , Beiträge zum Civilprozeß S. 281. K o h l e r ist der Ansicht, daß die Hinterlegung den Schuldner ebenso befreie wie die Aufgabe eines Gutes auf der Eisenbahn (und nicht erst die Ankunft). Damit soll wohl gesagt sein, daß der Destinator (Gläubiger) die Gefahr der Sache während der Ubersendung (Hinterlegung) trägt. Das ist f ü r die Hinterlegung des § 72 falsch, denn nicht der Destinator-Gläubiger, sondern der unterliegende Prätendent trägt die Lasten der Hinterlegung, soweit dem Schuldner überhaupt die H a f t u n g abgenommen wird. Im übrigen bietet die Aufgabe bestellten Gutes auf der Eisenbahn an bestimmten Empfänger wolil keine Vergleichspunkte mit der Hinterlegung, bei der die Unbestimmtheit des Empfängers wesentlich ist. Für die Lehre von der Versendungsgefahr ist auch die privilegierte Stellung der öffentlichen Verkehrsanstalten wesentlich; es geht nicht an, dieselbe ohne weiteres auf die Hinterlegungsstellen zu übertragen.

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jene objektive Ungewißheit des Gläubigers wesentlich, die den Schuldner der ihm obliegenden Prüfung an ihn ergehender Forderungen überhebt. Zwischen der im Fall des § 72 wohl denkbaren Kollusion des Schuldners mit dem Prätendenten und der rechtlich anerkannten und geschützten Unmöglichkeit der Zahlung liegt eine lange Reihe von Fällen, in denen der Schuldner leichtherziger Prätension gegenüber auf Grund seiner Kenntnis der Lage sich der Entscheidung nicht entziehen darf. Wer das leugnet, vergißt, daß der Gläubiger das Recht gegen den Schuldner hat, gegen leichtsinnige, falsche Prätensionen * von ihm unterstützt zu werden. Diese Pflicht des Schuldners ist eine Forderung der bona fides im geschäftlichen Verkehr. Diejenigen, welche den Schuldner von dieser Pflicht aus Gründen der Billigkeit entheben wollen, scheinen die Erfüllung der von Treu und Glauben gebotenen Schuldnerpflicliten für eine unbillige Härte zu halten. 1 Die Meinung, daß der Schuldner auch in den Fällen, wo nach bürgerlichem Recht die Hinterlegung ihn befreite, durch die Depos i t e n des § 72 nicht, sondern erst durch die im Endurteil verfügte Auslieferung an den Prozeßsieger befreit werde, hat vor der Mittelmeinung der Befreiung nach bürgerlichem Recht den Vorzug der Entschiedenheit. Nicht ganz mit Unrecht ist von den Verfechtern der Befreiung durch die Deposition des § 72 schlechthin bemerkt worden, daß es nicht in der Absicht des Gesetzgebers gelegen habe und füglich habe liegen können, die Wirkungen des reichsrechtlichen Verfahrens durch die Landesgesetzgebung in der verschiedensten Weise bestimmen zu lassen. Wenn die Hinterlegung des § 72 civil-

1 Richtig das O.A.G. Rostock (in S e u f f e r t s Archiv Bd. XXIV, Nr. 20): „Wenn die Deposition geschieht, weil der Debitor Zweifel darüber hat, wer der Forderungsberechtigte sei, ist das Gericht weder ermächtigt noch verpflichtet, sich der Prüfung, inwieweit die demnächst sich Meldenden (Prätendenten) für legitimiert zu halten, zu unterziehen. Es bleibt das Sache des Schuldners." Ebenso das R.O.H.G. (Entscheidungen Bd. XXIV S. 314 ff.): „Sache des Schuldners (ist es), sich über das bessere Recht des einen oder andern Prätendenten thunlichst Klarheit zu verschaffen." Der Schuldner kann für Thatfragen vom Prätendenten Legitimation fordern, Rechtsfragen muß er selbst prüfen. Teilweise ähnlich die ausführliche Für und Wider ohne bestimmte Stellungnahme abwägende Entscheidung des Reichsgerichts in S e u f f e r t s Archiv, Neue Folge Bd. X V I , Nr. 181. Vergl. ferner S e u f f e r t s Archiv Bd. X , Nr. 240, Bd. VIII, Nr. 23, Bd. II, Nr. 158, Bd. X X I , Nr. 28 und 27, Bd. XXIV, Nr. 21 und dagegen S e u f f e r t s Archiv, Neue Folge Bd. I, Nr. 21, Bd. III, Nr. 217. Den Standpunkt der Liberation in allen Fällen vertreten ein Urteil des O.A.G. München in S e u f f e r t s Archiv Bd. I, Nr. 34 und des O.A.G. Darmstadt, daselbst Bd. XXI, Nr. 27.

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rechtliche Wirkungen nach den Landesgesetzen haben kann, so ist er teilweise ein Blankettgesetz. Hat der Schuldner, bevor er verklagt wird, wegen Ungewißheit des Gläubigers civilrechtlich gültig hinterlegt und wird darauf von dem einem Gläubiger-Prätendenten als Kläger, von dem andern als Hauptintervenieuten belangt, so müßte er unter Berufung auf die schon erfolgte Hinterlegung den Entlassungsantrag stellen können, wenn die Ansicht von der civilrechtlichen Natur der Deposition im § 72 richtig wäre. Das ist mit dem Gesetzeswort nicht zu vereinbaren. Der Schuldner muß den Betrag nicht deponiert haben, sondern deponieren. E r müßte also die frühere außerprozessuale Deposition rückgängig machen oder bis zur Entscheidung doppelt deponieren. Die Hinterlegung des § 72 hat zwar den Namen, nicht aber die Art mit der civilrechtlichen Hinterlegung gemein. 1 Diese erfolgt bei der Hinterlegungsstelle des Leistungsorts, jene beim Prozeßgericht; 2 diese kann widerrufen werden, jene nicht. 3 Die Kosten der bürgerlichen Hinterlegung trägt der Gläubiger; die der Hinterlegung des § 72 nicht. Die bürgerliche Hinterlegung umfaßt alle Kontraktsfälle; sie wird durch die Befugnis zur Versteigerung der nicht hinterlegbaren Sachen ergänzt; die prozessuale Hinterlegung dagegen ist nur bei fungibeln oder wenigstens hinterlegbaren Sachen möglich. Schließlich trägt ebenso wie die Kosten die Gefahr der hinterlegten Sache im Bürgerlichen Recht der Gläubiger. In der richtigen Erkenntnis, daß dies nur für einen verschuldenden, nicht für einen durch fremde Prätension beeinträchtigten Gläubiger erträglich ist, hat das Prozeßrecht dem obsiegenden Gläubiger die Gefahr der Sache abgenommen. Nur an einer Behandlung des § 72 von rein civilistischen Gesichtspunkten aus konnte es liegen, daß seine prozessualische Natur 1 A. M. M a n d r y , Der civilrechtliche Inhalt der Reiehsgesetze S. 378/79. Er läßt in beschränktem Maße auch Rücknahme des Depositums zu. Eine der im Text vertretenen nahestehende Ansicht scheint in dem Urteil des O.L.G. Dresden (in dessen Annalen Bd. 14, S. 244) angedeutet. 2 Bestritten. Vergl. aber K r o l l , Klage und Einrede, S. 190, An in. o; auch die bad. Hinterlegungsordnung vom 7. Juni 1889 § 38, Nr. 1. 3 Die in § 376 des Bürgerlichen Gesetzbuchs offenbar zur civilrechtlichen Stütze des § 72 C.P.O. — darauf ist in der offiziösen G u t t e n t a g s c h e n Ausgabe S. 101 hingewiesen — ersehene Art der Hinterlegung ist schon deshalb unglücklich, weil sie mit der unrichtigen Auffassung des Entlassungsbescheids als eines materiell rechtskräftigen Endurteils rechnet. Bei der Entlassung des Schuldners durch ein Zwischenurteil ist der § 376, 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs unanwendbar. Vergl. übrigens im Anhang S. 54.

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verkannt wurde, daß er als ein künstlich angehängtes Stück eines fremden Organismus am Gefüge der C.P.O. zu hängen schien. Selbst wenn ein solches Anflicken des Paragraphen von seinen Urhebern in der Justizkommission des Reichstags beabsichtigt gewesen wäre: das Gesetz ist klüger gewesen als seine Urheber; der § 72 ist nun ein organischer Bestandteil der C.P.O., und muß als solcher, den Ansprüchen und Angriffen des Bürgerlichen Rechts auf seine Selbstständigkeit zum Trotz, erhalten bleiben. Oft ist auf die allzu sichtliche Arbeit der Menschenhände an der Norm des § 72 kritisch hingewiesen worden; man darf dagegen auf das wundervolle Beispiel der selbstschöpferischen Thätigkeit des Rechts über die Köpfe der Reclitstechniker weg hinzeigen, das sich bei einem Vergleich der in dieser Abhandlung erfolgten Auslegung des § 72 und dem Wortlaut des ersten gesetzgeberischen.Versuchs, die Norm des § 72 zu geben, bietet. In den Verhandlungen der Hannoverschen Kommission war der Vorschlag gemacht worden, den Vorschriften über Hauptintervention eine Bestimmung zuzufügen, welche die richtige Auffassung des § 72 im Voraus angiebt und bekräftigt: „Will der bisherige Beklagte entweder das Recht des sich Einmischenden anerkennen oder erklärt er, dem Ausgange des zwischen diesem und dem bisherigen Kläger zu führenden Streits sich fügen zu wollen, so kann er verlangen, daß gegen gerichtliche Hinterlegung des Forderungsbetrags oder Sicherheitsleistung er von der Klage so lange entbunden werde, bis das Streitverhältnis des Klägers und des Hauptintervenienten unter sich erledigt ist, vorbehaltlich der nach Erledigung des Einmischungsstreites durch Gerichtsbeschluß zu treffenden Bestimmung über die Kosten des bisherigen Verfahrens."

Anhang. § 12. Ein Vorschlag zur Abänderung des § 72 ist in der „Denkschrift zum Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs nebst drei Anlagen" Anlage I I , S. 316 gemacht. 1 Die beiden Zusätze, welche der § 72 danach erhalten soll, würden einen entsprechenden Zuwachs an Auslegungskontroversen mit sich bringen. 1 Vcrgl. dazu W a c h , Vorrede zur 2. Aufl. der „Vorträge" S. 8 unten und „Die Änderungen der C.P.O. im Entwurf der Denkschrift in der «Deutschen. Juristenzeitung»" 1. Jahrgang, Nr. 15.

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verkannt wurde, daß er als ein künstlich angehängtes Stück eines fremden Organismus am Gefüge der C.P.O. zu hängen schien. Selbst wenn ein solches Anflicken des Paragraphen von seinen Urhebern in der Justizkommission des Reichstags beabsichtigt gewesen wäre: das Gesetz ist klüger gewesen als seine Urheber; der § 72 ist nun ein organischer Bestandteil der C.P.O., und muß als solcher, den Ansprüchen und Angriffen des Bürgerlichen Rechts auf seine Selbstständigkeit zum Trotz, erhalten bleiben. Oft ist auf die allzu sichtliche Arbeit der Menschenhände an der Norm des § 72 kritisch hingewiesen worden; man darf dagegen auf das wundervolle Beispiel der selbstschöpferischen Thätigkeit des Rechts über die Köpfe der Reclitstechniker weg hinzeigen, das sich bei einem Vergleich der in dieser Abhandlung erfolgten Auslegung des § 72 und dem Wortlaut des ersten gesetzgeberischen.Versuchs, die Norm des § 72 zu geben, bietet. In den Verhandlungen der Hannoverschen Kommission war der Vorschlag gemacht worden, den Vorschriften über Hauptintervention eine Bestimmung zuzufügen, welche die richtige Auffassung des § 72 im Voraus angiebt und bekräftigt: „Will der bisherige Beklagte entweder das Recht des sich Einmischenden anerkennen oder erklärt er, dem Ausgange des zwischen diesem und dem bisherigen Kläger zu führenden Streits sich fügen zu wollen, so kann er verlangen, daß gegen gerichtliche Hinterlegung des Forderungsbetrags oder Sicherheitsleistung er von der Klage so lange entbunden werde, bis das Streitverhältnis des Klägers und des Hauptintervenienten unter sich erledigt ist, vorbehaltlich der nach Erledigung des Einmischungsstreites durch Gerichtsbeschluß zu treffenden Bestimmung über die Kosten des bisherigen Verfahrens."

Anhang. § 12. Ein Vorschlag zur Abänderung des § 72 ist in der „Denkschrift zum Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs nebst drei Anlagen" Anlage I I , S. 316 gemacht. 1 Die beiden Zusätze, welche der § 72 danach erhalten soll, würden einen entsprechenden Zuwachs an Auslegungskontroversen mit sich bringen. 1 Vcrgl. dazu W a c h , Vorrede zur 2. Aufl. der „Vorträge" S. 8 unten und „Die Änderungen der C.P.O. im Entwurf der Denkschrift in der «Deutschen. Juristenzeitung»" 1. Jahrgang, Nr. 15.

(325)

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A. Mendelssohn Bartholdy:

Der erste Zusatz bestimmt, daß die Hinterlegung nur unter Verzicht auf die Rücknahme erfolgen darf. Diese von der Praxis und Theorie anerkannte Regel wird nur deshalb im Gesetz betont, weil ihr sofort eine Ausnahme folgen soll. Der § 72 soll nämlich den Schluß erhalten „soweit keiner der streitenden Teile obsiegt, ist der Beklagte zur Rücknahme des hinterlegten Betrags berechtigt." Ist der Richter auf Grund der alten Fassung des § 72 der Ansicht, daß nach dem Ausscheiden des Erstbeklagten ein einfacher Feststellungsstreit zwischen den Prätendenten; vorliegt, der begrifflich überhaupt nicht mit dem Unterliegen beider Teile endigen kann, so kann ihn der vorgeschlagene Zusatz keineswegs zwingen, den Streit nach Entlassung des Beklagten als ein iudicium duplex anzusehen, in dem möglicherweise beide Parteien in totum unterliegen. Der vorgeschlagene Zusatz erreicht demnach lediglich eine Beschränkung der prozessualen Handlungsfähigkeit der beiden Kläger, indem er ihnen das Recht der Prozeßbeendigung durch Vergleich, Verzicht und Anerkenntnis beschränkt. Nach der scharfen Kritik, die besonders dieser zweite Verbesserungsvorschlag vielfach erfahren hat, steht zu erwarten, daß er in der definitiven Redaktion der Novelle zur C.P.O. ausgeschieden wird. Bleibt der oben berührte Passus: ..unter Verzicht auf die Rücknahme des Depositums" bestehen, während der vorgeschlagene Schlußsatz wegfällt, so gewinnt er an Bedeutung. Der § 376 des Bürgerlichen Gesetzbuchs bestimmt nämlich: „Der Schuldner hat das Recht, die hinterlegte Sache zurückzunehmen. Die Rücknahme ist ausgeschlossen: 1. Wenn der Schuldner der Hinterlegungsstelle erklärt, daß er auf das Recht zur Rücknahme verzichte; 2. wenn der Gläubiger der Hinterlegungsstelle die Annahme erklärt; 3. wenn der Hinterlegungsstelle ein zwischen dem Gläubiger und dem Schuldner ergangenes rechtskräftiges Urteil vorgelegt wird, das die Hinterlegung für rechtmäßig erklärt." Hält man diese Bestimmungen mit der neuen Fassung des § 72 zusammen, nach der die Hinterlegung „unter Verzicht auf die Rücknahme des Depositums" erfolgen soll, so liegt am Tage, daß die Hinterlegung des § 72 nicht dem § 376,3, sondern dem § 376,1 B.G.B, entspricht. Daraus, daß der Schuldner ausdrücklich auf die Rücknahme verzichten muß, wenn er nach den Vorschriften des § 72 hinterlegen will, folgt, daß das den Schuldner entlassende Urteil nicht zu den im § 376,3 B.G.B, erwähnten Urteilen gehört (weil sonst der Verzicht überflüssig wäre), daß also dieses Entlassungs(326)

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urteil nach der Meinung des Gesetzgebers Zwischenurteil ist. Damit wäre eine erfreuliche Veränderung gegenüber dem bisherigen Stand der Kontroverse über den § 72 erzielt; es bliebe nur noch zu wünschen, daß die Novelle auch die Frage der Kostenfestsetzung in dem Sinn regelte, daß die Kosten auch für den ausscheidenden Beklagten erst im Endurteil bestimmt würden.

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