Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg [72]


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German Pages 417 Year 1985

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Table of contents :
Hans-Otto Keunecke, Friedrich Peypus (1485—1535). Zu Leben und
Werk des Nürnberger Buchdruckers und Buchhändlers .... 1
Gerhard Hirschmann, Kurt Pilz 1905—1985 .................................. 66
Kurt Pilz (f), Der Goldschmied Albrecht Dürer d. Ä. Ein Beitrag zur
Identifikation seiner Arbeiten und der Bildnisse, die ihn darstellen
............................................................................................. 67
Bernd Lorenz, Nürnberger Ärzte als Büchersammler: Medizinische
Privatbibliotheken des 15.-18. Jahrhunderts ............................. 75
Günter Heinz Seidl, Die Juden zu Wöhrd bei Nürnberg.................... 84
Uwe Müller, Der Versuch Herzog Wilhelms V. von Bayern, das
Reichsheiltum in seinen Besitz zu bringen ....................................... 117
Christian Klemm, Joachim von Sandrart in Nürnberg ........................ 136
Hubert Emmerig, Peter Paul Werner als Münzstempelschneider der
Stadt Nürnberg...................................................................................147
Daniel A. Atterbom, Zehn Tage in Nürnberg 1817, mit einer Einleitung
von Alken Bruns .................................................................... 154
Wolfgang Mück, Eine Idee und ihre Verwirklichung: Die Nürnberg-
Fürther Ludwigseisenbahn von 1835 232
Frauke Schüler, Das Nürnberger Arbeitersekretariat 1894/95—1914 . 263
Miszelle
Corine Schleif, Die Figur des Erzengels Michael in der Nürnberger
Lorenzkirche........................................................................................333
Buchbesprechungen...................................................................................336
Neue Arbeiten zur Nürnberger Geschichte ............................................386
Jahresbericht über das 107. Vereinsjahr 1984 389
V
BUCHBESPRECHUNGEN
Paul-Joachim Heinig, Reichsstädte, Freie Städte und Königtum 1389—1450, Wiesbaden
1983. (Wolfgang Leiser)....................................................................................................... 336
Die Nürnberger Ratsverlässe, Heft 1,1449—1450, hrsg. von Irene Stahl, Neustadt an der
Aisch 1983. (Ludwig Schnurrer) ........................................................................................337
Gerhard Kö b 1 er, Reformation der Stadt Nürnberg, Gießen 1984. (Gerhard Sperber) 339
Frieder Schanze, Meisterliche Liedkunst zwischen Heinrich von Mügeln und Hans
Sachs, München 1983/84. (Horst Brunner).........................................................................340
Niklas Holzberg, Willibald Pirckheimer, Griechischer Humanismus in Deutschland,
München 1981. (Walter Lehnert)........................................................................................342
Hagen Bastian, Mummenschanz, Frankfurt am Main 1983. (Walter Lehnert) .... 343
Barbara Da ent ler, Die Buchmalerei Albrecht Glockendons und die Rahmengestaltung
der Dürernachfolge, München 1984. (Lotte Kurras)..........................................................344
Rainer S. Elkar (Hrsg.), Deutsches Handwerk in Spätmittelalter und Früher Neuzeit,
Göttingen 1983. (Peter Fleischmann)...................................................................................345
Das Nürnberger Schlosserhandwerk von den Anfängen bis 1985, hrsg. von der Innung für
Metall- und Kunststofftechnik, Nürnberg 1985. (Rainer Stahlschmidt).................... 347
Kurt Keller, Das messer- und schwertherstellende Gewerbe in Nürnberg von den
Anfängen bis zum Ende der reichsstädtischen Zeit, Nürnberg 1981. (Rainer Stahlschmidt)
........................................ 348
Rudolf Berliner, Gerhart Egger Ornamentale Vorlageblätter des 15. bis 19. Jahrhunderts,
München 1981. (Martin Angerer) ..............................................................................349
Wenzel Jamnitzer und die Nürnberger Goldschmiedekunst 1500—1700, München 1985.
(Hannelore Müller) ............................................................................................................ 351
Günter Tiggesbäumker, Die Altkartenbestände der Staatlichen Bibliothek Ansbach,
Bamberg 1983. (Gerhard Rechter) ......................... 353
Im Zeichen der Waage. Wirtschaft und Gesellschaft im Wandel. 425 Jahre Nürnberger
Handelsvorstand 1560—1985. (Wolfgang Zorn)...............................................................353
Julia Lehner, Die Mode im alten Nürnberg, Nürnberg 1984. (Jutta Zander-Seidel) . . 354
Walter Hahn, Verlag und Sortiment der Joh. Phil. Raw’schen Buchhandlung in Nürnberg
1789—1903, Nürnberg 1976/84. (Albert Bartelmeß)......................................................... 357
Karin Holzamer, August Essenwein 1831—1892, Darmstadt 1985. (Norbert Götz) 358
Knud Willenberg, Der Nürnberger Architekt und Stadtrat Hans Müller, Nürnberg
1985. (Helmut Häußler).......................................................................................................359
Dokumente zur Geschichte der Arbeiterbewegung in Nürnberg, Bd. III, 1890—1918,
bearb. von Elfi Müller, Bd. IV, 1918—1933, bearb. von Judit Päkh, Nürnberg
1985. (Dieter Rossmeissl) ..................................................................................................360
Dieter Rossmeissl, „Ganz Deutschland wird zum Führer halten ..Frankfurt 1985.
(Kuno Ulshöfer) ................................................................................................................. 362
Ursula Pfistermeister, Maria Kreutz, Nürnberg zur Biedermeierzeit, Nürnberg
1984. (Richard Kölbel) .................................................. 363
Franz Ströer, Gustav Röder, Nürnberg, Romantik einer Stadt, Nürnberg 1983. (Walter
Lehnert)................................................................................................................................363
Kurt Pilz, St. Johannis und St. Rochus in Nürnberg, Nürnberg 1984. (Peter Zahn) . . 364
Julius Kelber, Die ehemalige Dorfgemeinde Ziegelstein, Nürnberg 1985. (Gerhard
Hirschmann) ...................................................................................................................... 365
Knud Willenberg, Das Loher Moos in Ziegelstein 1919—1939, Nürnberg 1984. (Barbara
Hellmann)...................................................................................................................... 365
Alfred Kriegeistein, Sagen, Legenden, Geschichten aus Mittelfranken, München 1983.
(Walter Lehnert) ................................................................................................................. 366
VI
Edwin Eberhardinger, Flug über Mittelfranken, Nürnberg 1982. (Walter Lehnert) 366
Inge Meidinger-Geise (Hrsg.), Frauengestalten in Franken, Würzburg 1985. (Kuno
Ulshöfer)..........................................................................................................................................367
Karl Borromäus Glock, Achtzig Jahre — Begegnungen mit hundert namhaften Zeitgenossen,
Heroldsberg 1985. (Gerhard Hirschmann) ......................................................... 368
Jahrbuch für fränkische Landesforschung, Bd. 45, Neustadt/Aisch 1985. (Gerhard Hirschmann)
................................................................................................................................................369
Die Memoiren des Karl Heinrich Ritters von Lang, Erlangen 1984. (Gerhard Hirschmann)
................................................................................................................................................370
Das Reichssteuerregister von 1497 des Fürstentums Brandenburg-Ansbach-Kulmbach,
bearb. von Gerhard Rechter, Nürnberg 1985. (Gerhard Hirschmann) .... 371
Reinhard Seyboth, Die Markgraftümer Ansbach und Kulmbach unter der Regierung
Markgraf Friedrichs des Älteren (1486—1515), Göttingen 1985. (Uwe Müller) . . 372
Uwe Müller, Die ständische Vertretung in den fränkisschen Markgraftümern in der
ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, Neustadt/Aisch 1984. (Hans Joachim Berbig) . 374
Franz Willax, Das Fürstentum Brandenburg-Ansbach und die Reichsstadt Nürnberg im
Spanischen Erbfolgekrieg, Ansbach 1984. (Bernhard Sicken).......................................... 376
Josef Urban, Die Bamberger Kirche in Auseinandersetzung mit dem Ersten Vatikanischen
Konzil, Bamberg 1982. (Franz Machilek) .............................................................. 377
Bosls Bayerische Biographie, hrsg. von Karl B o s 1, Regensburg 1984. (Kuno Ulshöfer) 380
Helmut Schulenburg, Hilpoltsteiner Land zwischen Schwarzach und Thalach, Allersberg
1984. (Albert Bartelmeß) .............................................................................................381
Wolfgang Mück, Die Aktienstallung in Neustadt an der Aisch, Neustadt a. d. Aisch 1984.
(Gerhard Hirschmann) .......................................................................................................382
Festschrift zur 750-Jahr-Feier der Gemeinde Kammerstein, 1985. (Albert Bartelmeß) . . 383
Karl-S. Kramer, Fränkisches Alltagsleben um 1500, Würzburg 1985. (Wolfgang
Leiser) ..........................................................................................................................................383
Franz Kühnei, Hans Schemm — Gauleiter und Kultusminister (1891—1935), Nürnberg
1985. (Rainer Hambrecht) ..................................................................................................384
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Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg [72]

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Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg

72. Band 1985

Nürnberg 1985 Selbstverlag des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg

Schriftleitung: Dr. Gerhard Hirschmann, Dr. Kuno Ulshöfer und Albert Bartelmeß Für Form und Inhalt der Aufsätze und Rezensionen sind die Verfasser verantwortlich

Für Druckkostenzuschüsse dankt der Verein der Stadt Nürnberg, dem Bezirk Mittelfranken, der Stadtsparkasse Nürnberg, der Gesellschaft Museum e. V. und der Gesellschaft für KonsumMarkt- und Absatzforschung e, V.

Bayerische Staat8bibliothel München

Gesamtherstellung: Verlagsdruckerei Schmidt GmbH, Neustadt/Aisch Alle Rechte, auch des Abdrucks im Auszug, Vorbehalten. Copyright by Verein für Geschichte der Stadt Nürnberg (Geschäftsstelle: Egidienplatz 23, 85 Nürnberg 1) ISSN 0083-5579

INHALT Hans-Otto Keunecke, Friedrich Peypus (1485—1535). Zu Leben und Werk des Nürnberger Buchdruckers und Buchhändlers .... Gerhard Hirschmann, Kurt Pilz 1905—1985

1

..................................

66

Kurt Pilz (f), Der Goldschmied Albrecht Dürer d. Ä. Ein Beitrag zur Identifikation seiner Arbeiten und der Bildnisse, die ihn dar­ stellen .............................................................................................

67

Bernd Lorenz, Nürnberger Ärzte als Büchersammler: Medizinische Privatbibliotheken des 15.-18. Jahrhunderts .............................

75

Günter Heinz Seidl, Die Juden zu Wöhrd bei Nürnberg....................

84

Uwe Müller, Der Versuch Herzog Wilhelms V. von Bayern, das Reichsheiltum in seinen Besitz zu bringen ....................................... 117 Christian Klemm, Joachim von Sandrart in Nürnberg

........................ 136

Hubert Emmerig, Peter Paul Werner als Münzstempelschneider der Stadt Nürnberg...................................................................................147 Daniel A. Atterbom, Zehn Tage in Nürnberg 1817, mit einer Einlei­ tung von Alken Bruns .................................................................... 154 Wolfgang Mück, Eine Idee und ihre Verwirklichung: Die NürnbergFürther Ludwigseisenbahn von 1835

232

Frauke Schüler, Das Nürnberger Arbeitersekretariat 1894/95—1914

263

.

Miszelle

Corine Schleif, Die Figur des Erzengels Michael in der Nürnberger Lorenzkirche........................................................................................333 Buchbesprechungen...................................................................................336 Neue Arbeiten zur Nürnberger Geschichte ............................................386 Jahresbericht über das 107. Vereinsjahr 1984

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V

BUCHBESPRECHUNGEN Paul-Joachim Heinig, Reichsstädte, Freie Städte und Königtum 1389—1450, Wiesbaden 1983. (Wolfgang Leiser)....................................................................................................... 336 Die Nürnberger Ratsverlässe, Heft 1,1449—1450, hrsg. von Irene Stahl, Neustadt an der Aisch 1983. (Ludwig Schnurrer) ........................................................................................ 337 Gerhard Kö b 1 er, Reformation der Stadt Nürnberg, Gießen 1984. (Gerhard Sperber) 339 Frieder Schanze, Meisterliche Liedkunst zwischen Heinrich von Mügeln und Hans Sachs, München 1983/84. (Horst Brunner).........................................................................340 Niklas Holzberg, Willibald Pirckheimer, Griechischer Humanismus in Deutschland, München 1981. (Walter Lehnert)........................................................................................ 342 Hagen Bastian, Mummenschanz, Frankfurt am Main 1983. (Walter Lehnert) .... 343 Barbara Da ent ler, Die Buchmalerei Albrecht Glockendons und die Rahmengestaltung der Dürernachfolge, München 1984. (Lotte Kurras)..........................................................344 Rainer S. Elkar (Hrsg.), Deutsches Handwerk in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, Göttingen 1983. (Peter Fleischmann)...................................................................................345 Das Nürnberger Schlosserhandwerk von den Anfängen bis 1985, hrsg. von der Innung für Metall- und Kunststofftechnik, Nürnberg 1985. (Rainer Stahlschmidt).................... 347 Kurt Keller, Das messer- und schwertherstellende Gewerbe in Nürnberg von den Anfängen bis zum Ende der reichsstädtischen Zeit, Nürnberg 1981. (Rainer Stahl­ schmidt) ........................................ 348 Rudolf Berliner, Gerhart Egger Ornamentale Vorlageblätter des 15. bis 19. Jahrhun­ derts, München 1981. (Martin Angerer) ..............................................................................349 Wenzel Jamnitzer und die Nürnberger Goldschmiedekunst 1500—1700, München 1985. (Hannelore Müller) ............................................................................................................ 351 Günter Tiggesbäumker, Die Altkartenbestände der Staatlichen Bibliothek Ansbach, Bamberg 1983. (Gerhard Rechter) ......................... 353 Im Zeichen der Waage. Wirtschaft und Gesellschaft im Wandel. 425 Jahre Nürnberger Handelsvorstand 1560—1985. (Wolfgang Zorn)...............................................................353 Julia Lehner, Die Mode im alten Nürnberg, Nürnberg 1984. (Jutta Zander-Seidel) . . 354 Walter Hahn, Verlag und Sortiment der Joh. Phil. Raw’schen Buchhandlung in Nürnberg 1789—1903, Nürnberg 1976/84. (Albert Bartelmeß)......................................................... 357 Karin Holzamer, August Essenwein 1831—1892, Darmstadt 1985. (Norbert Götz) 358 Knud Willenberg, Der Nürnberger Architekt und Stadtrat Hans Müller, Nürnberg 1985. (Helmut Häußler)....................................................................................................... 359 Dokumente zur Geschichte der Arbeiterbewegung in Nürnberg, Bd. III, 1890—1918, bearb. von Elfi Müller, Bd. IV, 1918—1933, bearb. von Judit Päkh, Nürnberg 1985. (Dieter Rossmeissl) ..................................................................................................360 Dieter Rossmeissl, „Ganz Deutschland wird zum Führer halten ..Frankfurt 1985. (Kuno Ulshöfer) ................................................................................................................. 362 Ursula Pfistermeister, Maria Kreutz, Nürnberg zur Biedermeierzeit, Nürnberg 1984. (Richard Kölbel) .................................................. 363 Franz Ströer, Gustav Röder, Nürnberg, Romantik einer Stadt, Nürnberg 1983. (Walter Lehnert).................................................................................................................................363 Kurt Pilz, St. Johannis und St. Rochus in Nürnberg, Nürnberg 1984. (Peter Zahn) . . 364 Julius Kelber, Die ehemalige Dorfgemeinde Ziegelstein, Nürnberg 1985. (Gerhard Hirschmann) ...................................................................................................................... 365 Knud Willenberg, Das Loher Moos in Ziegelstein 1919—1939, Nürnberg 1984. (Bar­ bara Hellmann)...................................................................................................................... 365 Alfred Kriegeistein, Sagen, Legenden, Geschichten aus Mittelfranken, München 1983. (Walter Lehnert) ................................................................................................................. 366

VI

Edwin Eberhardinger, Flug über Mittelfranken, Nürnberg 1982. (Walter Lehnert) Inge Meidinger-Geise (Hrsg.), Frauengestalten in Franken, Würzburg 1985. (Kuno

366

Ulshöfer)........................................................................................................................................... 367

Karl Borromäus Glock, Achtzig Jahre — Begegnungen mit hundert namhaften Zeitge­ nossen, Heroldsberg 1985. (Gerhard Hirschmann) ......................................................... 368 Jahrbuch für fränkische Landesforschung, Bd. 45, Neustadt/Aisch 1985. (Gerhard Hirsch­ mann) .................................................................................................................................................369 Die Memoiren des Karl Heinrich Ritters von Lang, Erlangen 1984. (Gerhard Hirsch­ mann) .................................................................................................................................................370

Das Reichssteuerregister von 1497 des Fürstentums Brandenburg-Ansbach-Kulmbach, bearb. von Gerhard Rechter, Nürnberg 1985. (Gerhard Hirschmann) .... 371 Reinhard Seyboth, Die Markgraftümer Ansbach und Kulmbach unter der Regierung Markgraf Friedrichs des Älteren (1486—1515), Göttingen 1985. (Uwe Müller) . . 372 Uwe Müller, Die ständische Vertretung in den fränkisschen Markgraftümern in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, Neustadt/Aisch 1984. (Hans Joachim Berbig) . 374 Franz Willax, Das Fürstentum Brandenburg-Ansbach und die Reichsstadt Nürnberg im Spanischen Erbfolgekrieg, Ansbach 1984. (Bernhard Sicken).......................................... 376 Josef Urban, Die Bamberger Kirche in Auseinandersetzung mit dem Ersten Vatikani­ schen Konzil, Bamberg 1982. (Franz Machilek) .............................................................. 377 Bosls Bayerische Biographie, hrsg. von Karl B o s 1, Regensburg 1984. (Kuno Ulshöfer) 380 Helmut Schulenburg, Hilpoltsteiner Land zwischen Schwarzach und Thalach, Allers­ berg 1984. (Albert Bartelmeß) ............................................................................................. 381 Wolfgang Mück, Die Aktienstallung in Neustadt an der Aisch, Neustadt a. d. Aisch 1984. (Gerhard Hirschmann) .......................................................................................................382 Festschrift zur 750-Jahr-Feier der Gemeinde Kammerstein, 1985. (Albert Bartelmeß) . . 383 Karl-S. Kramer, Fränkisches Alltagsleben um 1500, Würzburg 1985. (Wolfgang Leiser)

........................................................................................................................................... 383

Franz Kühnei, Hans Schemm — Gauleiter und Kultusminister (1891—1935), Nürnberg 1985. (Rainer Hambrecht) ..................................................................................................384

VERZEICHNIS DER MITARBEITER Angerer, Martin, Dr., Germanisches Nationalmuseum, 8500 Nürnberg 1 Bartelmeß, Albert, Archivrat, Hallweg 7, 8501 Wendelstein Berbig, Hans Joachim, Dr. habil., Studiendirektor-Univ.-Dozent, Steinwaldstr. 20, 8590 Marktredwitz Brunner, Horst, Dr., Universitätsprofessor, Pilsiggrundstraße 36, 8700 Würzburg Bruns, Alken, Dr., wissenschaftl. Angestellter, Lessingstraße 11, 2400 Lübeck Emmerig, Hubert, Hiltenspergerstraße 77, 8000 München 40

VII

Fleischmann, Peter, Dr., Archivreferendar, 8500 Nürnberg, Kraftshof 156 Gebhardt, Walter, DipL-Bibliothekar, Drausnickstr. 8, 8520 Erlangen GÖtz, Norbert, Dr., Germanisches Nationalmuseum, 8500 Nürnberg 1 Häußler, Helmut, Dr., wissenschaftl. Angestellter, Franz-Reichel-Ring 19, 8500 Nürnberg Hambrecht, Rainer, Dr., Archivrat, Bahnhofstraße 13, 8630 Coburg He 11 mann, Barbara, Archivoberinspektorin, Fritz-Soldmann-Straße 6, 8720 Schweinfurt Hirschmann, Gerhard, Ltd. Archivdirektor a. D., Gerngrosstraße 26, 8500 Nürnberg 10 Keunecke, Hans-Otto, Dr., Bibliotheksrat, Dr.-Rühl-Straße 7, 8521 Effeltrich Klemm, Christian, Dr., Kaiserstr. 21, CH-4310 Rheinfelden Kölbel, Richard, Oberstudiendirektor, Neuwerker Weg 66, 8504 Stein-Deutenbach Kur ras, Lotte, Dr., wissenschaftl. Mitarbeiterin, Germanisches Nationalmuseum, 8500 Nürnberg 1 Lehnert, Walter, Dr., Archivoberrat, Breitenfeldstraße 41, 8540 Schwabach-Wolkersdorf Leiser, Wolfgang, Dr., Universitätsprofessor, Saarmühlenweg 16, 8524 Neunkirchen/a. Br. Lorenz, Bernd, Dr., Bibliotheksrat, Universitätsbibliothek, 8400 Regensburg Machilek, Franz, Dr., Archivdirektor, Staatsarchiv Bamberg, Hainstraße 39, 8600 Bamberg Mück, Wolfgang, Dr., Oberstudienrat, Gebhardtstraße 4, 8510 Fürth Müller, Hannelore, Dr., Hauptkonservatorin, städt. Kunstsammlungen, Maximilianstr. 46, 8900 Augsburg Müller, Uwe, Dr., Archivreferendar, Wilhelm-Spaeth-Straße 70, 8500 Nürnberg 40 Pilz, Kurt, Dr., Konservator, 8500 Nürnberg (f) Rechter, Gerhard, Dr., Archivrat, Kriemhildstraße 24, 8500 Nürnberg 40 Rossmeissl, Dieter, Dr., Studienrat, Baaderstraße 20, 8500 Nürnberg 40 Schleif, Corine, M. A., Passauer Str. 51, 8500 Nürnberg 30 Sch nur rer, Ludwig, Dr., Studiendirektor, Gerhart-Hauptmann-Straße 12, 8803 Rothenburg o. d. Tauber Schüler, Frauke, M. A., Schellingstraße 63, 8520 Erlangen Seidl, Günter Heinz, Studienrat, Praunstraße 19, 8500 Nürnberg 20 Sicken, Bernhard, Dr., Universitätsprofessor, Mecklenburger Straße 23, 4400 Münster (Westf.) Sperber, Gerhard, Rechtsanwalt, Kötztinger Straße, 8500 Nürnberg 30 Stahlschmidt, Rainer, Dr., Archivrat, Hauptstaatsarchiv Düsseldorf, Mauerstraße 55, 4000 Düsseldorf 30 Ulshöfer, Kuno, Dr., Ltd. Archivdirektor, Stadtarchiv, Egidienplatz 23, 8500 Nürnberg 1 Zahn, Peter, Dr., Bibliotheksdirektor, Brentanostraße 19, 8000 München Zander-Seidel, Jutta, Dr., Germanisches Nationalmuseum, 8500 Nürnberg 1 Zorn, Wolfgang, Dr., Universitätsprofessor, Ludwigstraße 33/IV, 8000 München 22

VIII

FRIEDRICH PEYPUS (1485—1535) Zu Leben und Werk des Nürnberger Buchdruckers und Buchhändlers Mit einem Kurztitelverzeichnis seiner Drucke Von Hans-Otto Keunecke 1. Zur Forschungsgeschichte Die Buchhistoriker haben von Friedrich Peypus zwar häufig Notiz genommen, und sein Name hat Eingang in die einschlägigen Handbücher und Lexika gefunden; zum Gegenstand einer gesonderten Untersuchung jedoch hat ihn noch niemand gemacht. Dieses unter Heranziehung der erreichbaren Quellen nachzuholen, erschien umso wünschenswerter, als sich zu wichtigen Daten der Peypusschen Biographie unterschiedliche Angaben finden1, deren Widersprüche bisher entweder nicht weiter aufgefallen sind oder aber still­ schweigend übergangen wurden. Ein Blick auf die Forschungsgeschichte, wenn dieses Wort nicht zu hoch gegriffen erscheint, soll den Anfang bilden. Daß es dabei nicht ohne Berücksichtigung von Arbeiten zur Erforschung des Nürnberger Buchdrucks im Allgemeinen abgehen kann, liegt — da Spezialun­ tersuchungen fehlen — in der Natur der Sache. Die älteste literarische Quelle für Nürnberger Künstler und Handwerker aus der großen Zeit der alten Reichsstadt, das häufig herangezogene Buch von Johann Neudörfer2, kennt Friedrich Peypus nicht. Erst im Jahr 1721 wird er

1 Eine irrige Angabe soll hier nur in der Fußnote erwähnt werden, da sie andernorts bereits ein­ deutig korrigiert worden ist. Der Drucker des 1531 in Nürnberg erschienenen Musiklehrbuches von Hans Singer (Kurztitelverzeichnis Nr. 257) ist Friedrich Peypus. Den Lesefehler „Friedrich Pryssen“ hat korrigiert Martin Ruhnke in seinem Artikel „Singer“, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart, Bd. 12, Kassel 1965, Sp. 728. Die Richtigstellung hat noch keinen Eingang gefunden bei Heinrich Grimm, Die Buchführer des deutschen Kulturbereichs und ihre Nieder­ lassungsorte in der Zeitspanne 1490 bis um 1550, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens 7 (1966), Sp. 1153—1777. Dort gibt es Sp. 1233—1234 einen Artikel „Pryss(en)“, der immerhin eine Verwechslung mit dem Straßburger Drucker Johann Prüss (dem Jüngeren) für möglich hält. Von allen Zweifeln frei ordnet ihn unter die Nürnberger Buchdrucker die neueste Arbeit ein, die sich mit dem Nürnberger Druck von Musikalien befaßt: Mariko Teramoto, Die Psalmmotetten­ drucke des Johannes Petrejus in Nürnberg (gedruckt 1538—1542). Diss. Frankfurt am Main 1978 (Frankfurter Beiträge zur Musikwissenschaft. Bd. 10). Tutzing 1983, S. 84—86. — Die Kenntnis dieses Lesefehlers danke ich einem freundlichen Hinweis von Herrn Prof. Krautwurst (Augsburg). 2 Neudörfer, Johann, Des Johann Neudörfer Schreib- und Rechenmeisters zu Nürnberg Nach­ richten von Künstlern und Werkleuten daselbst aus dem Jahre 1547 nebst der Fortsetzung des Andreas Gulden, hrsg. v. Georg Wolfgang Karl Lochner (Quellenschriften für Kunstgeschichte und Kunsttechnik des Mittelalters und der Renaissance. 10). Wien 1875.

1

Hans-Otto Keunecke

erstmals in der Literatur genannt: „1515—1532 Friedrich Peypus, hatte seine Officin unter dem Haus von Plaben. In den Episteln Christophori Scheurlii ad Charitatem Abbatissimam S. Clarae, welche er A. 1515 gedrucket, nennet er sich librarium juratum. Seine zu des Eobani Hessi Querela de Tumultibus horum temporum, A. 1528 gebrauchte Lettern sind rein, und scharf, und ist nichts daran auszusetzen. Er führete zum Zeichen die Artemisiam oder das bekannte Kraut, so Beifus heisset, in einem Schild, und über diesem stunden die Initial-Buchstaben seines Namens, F. P.“3 Sehr viel an Wissen ist das gerade nicht, was Reusch mitzuteilen hat; mißt man es jedoch an seinen Nachrichten über andere Drucker (über Jobst Gut­ knecht weiß er nur eine Jahreszahl mitzuteilen, zu Stuchs gerade zwei, Johannes Weißenburger wird auch nur eben genannt), so bietet er doch einiges mehr. Reusch hat offensichtlich Peypus-Drucke für seine Nachrichten heran­ gezogen, wenn er seine Angaben nicht aus einer anderen, sekundären Quelle geschöpft hat. Doch ist das letztere nicht sehr wahrscheinlich, und wir dürfen annehmen, daß er sowohl Scheurls Caritas-Pirckheimer-Briefe4 wie auch das Buch des Eoban Hesse von 15285 tatsächlich in Händen gehalten hat. Auch die Beschreibung des Druckersignets dürfte nach Autopsie erfolgt sein. Irrig ist allerdings ein Detail bei Reusch, der einem Peypus-Druck die Angabe der Verkaufsstelle entnommen und fälschlicherweise als Ort der Her­ stellung identifiziert hat. In den 40 Sendbriefen des Sixtus Tücher von 15156 hatte es geheißen: „und verkauft es in seinem kram unter dem von Plaben“. Dieser Quelle dürfte Reusch — nur teilweise richtig — seine Angaben ent­ nommen haben. Der Buchladen des Peypus ist auch anderweitig belegt, seine Offizin jedoch hat sich — soweit wir Kenntnis haben — nie dort befunden.7 Die nächste Erwähnung unseres Druckers stammt aus dem Jahr 1730. J. G. Doppelmayr, der den Artikel von Reusch offensichtlich nicht benutzt hat, nennt Peypus in einer Fußnote zu dem freilich weit berühmteren Anton Koberger: „Um A. 1512. Friedericus Peypus, oder Arthemisius, welchen

3

4 5 6 7

2

Johann Heinrich Gottfried Emesti, Die woleingerichtete Buchdruckerey. Nürnberg 1721. Darin von E. Reusch: „Summarische Nachricht von den Buchdruckern in Nürnberg“ mit dem Artikel über Peypus. Die zweite Auflage des Buches von 1733 ist in dieser Passage völlig mit der zitierten identisch. Genaue Kollation bei Martin Boghardt, „Der in der Buchdruckerei wohl unterrichtete Lehr-Junge*. Bibliographische Beschreibung der im deutschsprachigen Raum zwi­ schen 1608 und 1847 erschienenen typographischen Lehrbücher. In: Philobiblon 27 (1983), S. 5—57, hier S. 19—23. Kurztitelverzeichnis Nr. 28. Kurztitelverzeichnis Nr. 192. Kurztitelverzeichnis Nr. 30. Zur Frage, wo der Buchladen sich befunden hat, s. weiter unten den Abschnitt „Der Buch­ händler“ (S. 18—20).

MVGN 72 (1985)

Friedrich Peypus (1485—1535)

Namen er sich auch zuweiln gäbe.“8 Woher Doppelmayr seine Kenntnisse bezieht, wissen wir nicht. Denkbar wäre, daß er den ersten bekannten, datierten und bezeichneten Druck von Peypus in Händen gehabt hat, die „Meteorologia“ des Artistoteles.9 Daraus würde sich aber noch nicht die (zutreffende) Mitteilung erklären, daß Peypus sich bisweilen Artemisius nach artemisia, der Heilpflanze (Beifuß) genannt hat. Vielleicht hat ihm einer der entsprechenden Drucke Vorgelegen; sie sind allerdings sehr selten.10 Bei den bisher mitgeteilten, eher spärlichen Nachrichten zu Leben und Werk unseres Druckers ließ ihre Herkunft sich einigermaßen sicher ermitteln und ihr Wahrheitsgehalt konnte nachgeprüft werden. Das gilt leider nicht für einige der biographischen Einzelheiten, die 1740 in Geßners „Buchdrucker­ kunst“ mitgeteilt werden. Dort heißt es: „1515 Friedrich Peybus, Buchdrucker und Buchhändler, war 1485 zu Hermstadt in Schlesien gebohren. Seine Druckerey hatte er unter dem Hauß von Plaben. Man weiß, daß er Christiani Scheurlii epistolas [. . .] 1515 gedruckt hat, wobey er sich librarium iuratum genennet hat. Im Jahr 1518 verließ Eobani Hessi Querela de tumultibus horum temporum seine Presse, allwo der Druck rein und scharf gerathen ist. Sein Insigne war die Artemisia, oder, das so genannte Kraut Beyfuß in einem Schild, unter diesem stehen die Anfangsbuchstaben von seinem Namen F. P. Siehe Tab. XIII. Im Jahr 1534 nahm er aus dieser Welt wieder Abschied. Dessen Bildniß stehet unten auf unserer Tab. XIV.“11 Das meiste stammt ganz offensichtlich von Ernesti/Reusch, den der Autor als Hauptquelle neben der „Typographia jubilans“ von Lesser12 anführt. Geßner folgt Reusch bezeichnenderweise auch in der fehlerhaften Interpreta­ tion der Verkaufsstelle als des Herstellungsortes („Seine Druckerey hatte er unter dem Hauß von Plaben“). Neu sind die Nachrichten über Geburtsjahr und -ort sowie über das Sterbedatum. Woher Geßner diese Kenntnisse nimmt, ist nicht mit Sicherheit zu sagen. Da er sich aber nur auf die zwei genannten 8 Johann Gabriel Doppelmayr, Historische Nachricht von den Nümbergischen Mathematicis und Künstlern. Nürnberg 1730. Reprint Hildesheim 1972, S. 180. — In der Bibliothek des Germani­ schen Nationalmuseums findet sich unter der Signatur 2°Bg. 531“ das durchschossene Hand­ exemplar von Doppelmayr mit zahlreichen handschriftlichen Ergänzungen. Zu Peypus heißt es nur: „Von Jobst Gutknecht und Fridrichen Peypus findet man A. 1529 eines und das ander gedruckt.“ 9 Kurztitelverzeichnis Nr. 1. 10 Ich habe drei ermittelt: Kurztitelverzeichnis Nr. 150, Nr. 193 und Nr. 261. 11 Christian Friedrich Geßner, Die so nötig als nützliche Buchdruckerkunst und Schriftgießerey. Leipzig 1740, S. 86. — Als Autor der historischen Abschnitte von Geßners Lehrbuch und damit auch als Verfasser des Peypus-Artikels ist ein Magister Johann Georg Hager aus Oberkotzau ermittelt worden. So M. Boghardt (wie Anm. 3), S. 23—25. 12 Christian Friedrich Lesser, Typographia jubilans. Das ist: Kurzgefaßte Historie der Buchdrukkerey. Leipzig 1740. Dort findet sich lediglich eine dürre Notiz (S. 226) über das redende Signet von Peypus, das Kraut Beifus.

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Gewährsleute Ernesti und Lesser beruft, die beide weder Angaben über Geburtsdatum und -ort noch über das Todesjahr bieten, muß es noch weiteres Material gegeben haben, das er benutzen konnte. Auf eine Spur führt uns die Abbildung des Peypus-Signets bei Geßner.13 Es entspricht zwar in den wesentlichen Bestandteilen (Dreiberg, ArtemisiaPflanze, Initialen) dem von Peypus tatsächlich geführten Druckerzeichen, die „barocke“ Kartusche jedoch, die bei Geßner das Signet umrahmt, ist von Peypus höchst selten, womöglich nur einmal, verwendet worden.14 Sie wird merkwürdigerweise in einem Tafelwerk von 1730, der Signet-Sammlung von Roth-Scholtz, abgebildet.15 Bei der extremen Seltenheit dieser Signet-Variante, ist es höchst wahrscheinlich, daß Geßner die Vorlage für seine Kupferstichwie­ dergabe von daher genommen hat. So läge es nahe, hier — bei Roth-Scholtz — auch die Quelle für die ihrer Herkunft nach noch rätselhaften biographischen Daten zu suchen. Nur: Roth-Scholtz macht überhaupt keine weiteren Angaben zu Peypus außer einer Erwähnung im erläuternden Text zu seinen Tafeln. Allerdings könnte den mißtrauischen Beobachter nachdenklich stimmen, was Friedrich Roth-Scholtz als Unterzeile zu seiner eigenen Namensnennung auf dem Porträtkupfer des Frontispizes sowie noch mehrfach in seinem Buch anbringen ließ: „ist in Herrnstadt in Schlesien geboren“. Sieht man nun, daß im Register des Werkes Friedrich Roth-Scholz unmittelbar auf Friedrich Peypus folgt und bedenkt man die Identität der Vornamen, so rückt der Verdacht der Verwechslung in bedenkliche Nähe. Doch muß es bei dunkler Vermutung bleiben, es gibt keinen eindeutigen Beweis für die Behaup­ tung, die Geburtsangaben bei Geßner seien irrig. Später hat ein Autor gemeint, einen solchen Beleg gefunden zu haben16, doch war gerade dieser Hinweis besonders untauglich, was nicht verhindert hat — wie weiter unten noch darzutun sein wird — daß dieser Beleg ebenso wie jene Einlassung, die er widerlegen sollte, über die Zeiten hinweg durch die Literatur geschleppt worden ist und heute noch selbstverständliches Wissensgut der Handbücher ist. Woher Geßner schließlich sein Wissen vom Sterbedatum unseres Druckers hat, bleibt gänzlich im Dunkeln und ist nicht einmal, wie eben noch die Geburtsangaben, Spekulationen zugänglich.

13 S. Abb. 1. 14 Ich habe es nur einmal aufgefunden: Kurztitelverzeichnis Nr. 179, dazu die pars secunda, Stadt­ bibliothek Nürnberg Theol. 45.8°. S. Abb. 2. 15 Friedrich Roth-Scholz, Thesaurus symbolorum ac emblematum, i. e. Insignia bibliopolarum et typographorum. Nürnberg, Altdorf 1730, Abb. Nr. 90. S. Abb. 3. 16 C. F. Eberhard im Jahr 1803 (s. Anm. 27) glaubt nachweisen zu können, daß Peypus aus Forchheim stamme, weshalb er nicht gut in Hermstadt geboren sein könne. Doch stammt Peypus mit Sicherheit nicht aus Forchheim (vgl. weiter unten S. 6).

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Friedrich Peypus (1485—1535)

Das nächste Werk, in dem Nachrichten über Friedrich Peypus zu vermuten wären, ist das Gelehrten-Lexikon von Georg A. Will.17 Der Verfasser hat Peypus jedoch nicht unter die Gelehrten gerechnet — oder keine Kenntnisse von ihm gehabt — und ihn nicht mit aufgenommen.18 In der Literatur taucht Peypus dann wieder im Jahr 1778 auf, in Panzers Geschichte der Nürnbergi­ schen Bibelausgaben. Dort heißt es, Peypus habe 1515—1532 verschiedene Schriften gedruckt19 und an anderer Stelle wird das Signet zutreffend als BeifusPflanze mit den dazugesetzten Buchstaben F. P. beschrieben.20 In einer anderen Bibliographie führt der Autor die schon zitierten 40 Sendbriefe von Sixtus Tücher auf, wobei er die Schlußschrift des Buches vollständig wieder­ gibt. Diese Angaben interpretierend schreibt er, es sei beachtenswert, „daß Peypus seinen Buchladen in dem sogenannten Plobenhof gehabt habe“.21 Dieselbe richtige Erläuterung dieser Stelle bietet einige Jahre später (1792) Siebenkees in dem Abschnitt „Von den ältesten Nürnbergischen Buchhänd­ lern“.22 Ob diese Interpretation von Panzer abhängig ist oder selbst gefunden wurde, mag gleich bleiben. Ansonsten geht Siebenkees nicht über das schon von Reusch benutzte Material hinaus. Eine deutliche Erweiterung der Kenntnisse durch Publikation neuen Quel­ lenmaterials schuf die breit angelegte Bibliographie von Panzer, das noch vor seinen „Deutschen Annalen“ zu nennende Hauptwerk, die „Annales typographici“, deren siebenter Band 1799 herauskommt und fünf Peypus-Drucke mit Wiedergabe der Schlußschrift aufführt.23 Der erste, die Zuschreibung eines nicht mit einem Druckernamen bezeichneten Buches von 1509, ist das von Ulrich Pinder herausgegebene „Speculum patientiae“ des Johann de Tambaco. Drucker war aber nicht Peypus, sondern Pinder selbst, falls nicht Peypus damals schon im Auftrag Pinders für diesen tätig war. Die von Panzer ermit­ telte Typengleichheit mit (späteren) Peypus-Drucken erklärt sich zwanglos

17 Georg Andreas Will, Nürnbergisches Gelehrten-Lexikon. 4 Bde. Nürnberg, Altdorf 1755—1758. 18 Die zweite Ausgabe des Werkes erst hat später (1806) diese Ergänzung vorgenommen (s. Anm. 30). 19 Georg Wolfgang Panzer, Geschichte der Nürnbergischen Ausgaben der Bibel von Erfindung der Buchdruckerkunst bis auf unsere Zeiten. Nürnberg 1778, S. 93. 20 Ebd., S. 116. 21 Georg Wolfgang Panzer, Annalen der älteren deutschen Literatur oder Anzeige und Beschrei­ bung derjenigen Bücher welche von Erfindung der Buchdruckerkunst bis 1520 in deutscher Sprache gedruckt worden sind. Bd. 1. Nürnberg 1788, S. 377—378. 22 Johann Christian Siebenkees, Materialien zur Nürnbergischen Geschichte. Bd. 1. Nürnberg 1792, S. 308—309. 23 Georg Wolfgang Panzer, Annales typographici ab artis inventae origine ad annum MDXXVI. Bd. 7. Nürnberg 1799, Nr. 61, 88, 116, 117 u. 326.

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daraus, daß Peypus 1512 Drucklettern von Pinder als Mitgift übernommen hat, was Panzer damals freilich noch nicht wissen konnte.24 Panzer nennt dann noch die Lebensbeschreibung des Anton Kreß (1515) mit dem bemerkenswerten Kolophon, worin der Drucker schreibt: „Venditur in officina sua libraria prope capellam dive virginis“, weiter die schon häufig zitierten Briefe Scheurls an Caritas Pirckheimer mit der Selbstcharakterisie­ rung des Druckers als „librarius iuratus“, die „Meteorologia“ von Aristoteles (1512) sowie die „Methodica dialectices ratio“ des Johannes Apel (1535). Die Handelsgeschichte von J. F. Roth von 1801 führt Peypus sowohl unter den Buchdruckern wie unter den Buchhändlern auf.25 Roth weiß auch, daß Peypus sich zuweilen Artemisius nannte26, und gibt sein Sterbejahr mit „1534“ an. Hier dürfte Geßner der Gewährsmann gewesen sein. In Panzers Annalen hat Roth wohl nicht hineingesehen; der dort verzeichnete Druck von 1535 hätte ihn daran gehindert, Peypus schon ein Jahr zuvor für tot zu erklären, eine Unstimmigkeit, auf die schon ein Zeitgenosse in einem Artikel in den „Litera­ rischen Blättern“ von 1803 hingewiesen hatte.27 Der Verfasser, es dürfte sich ausweislich der Namensnennung bei dem fol­ genden Beitrag um Dr. C. F. Eberhard aus Leipzig handeln, polemisiert gegen die Angabe bei Geßner, wonach Peypus 1485 in Herrnstadt in Schlesien geboren sei, und spricht eine Vermutung aus, die sich später als Gewißheit in der Literatur wiederfindet und leider gänzlich falsch ist, die Vermutung näm­ lich, der Nürnberger Drucker Peypus sei identisch mit dem 1530 als Dekan der Philosophischen Fakultät und 1534 als Rektor der Leipziger Universität begegnenden Friedrich Peypus aus Forchheim. Das Fragezeichen, mit dem Eberhard seine Vermutung versah, war nur allzu berechtigt; denn tatsächlich ist eine Identität der beiden mit Sicherheit auszu­ schließen. Der Forchheimer Peypus wird 1512 in Leipzig immatrikuliert, macht dort akademische Karriere, wird 1516 Baccalaureus, 1521 Magister, 1530 Dekan und 1534 Rektor.28 Mit Friedrich Peypus, der 1512 die Tochter Ulrich Pinders heiratet und 1515 als Nürnberger Neubürger aufgenommen

24 Der entsprechende Ehevertrag wurde erstmals publiziert* von Josef Benzing, Wer war der Drucker für die Sodalitas Celtica in Nürnberg? In: Mitteilungen aus der Stadtbibliothek Nürn­ berg 4 (1955), H. 2, S. 1—14, hier S. 12—13. Vgl. weiter unten den Abschnitt „Anfänge in Nürnberg; die Ehe mit Martha Pinder“. 25 Johann Ferdinand Roth, Geschichte des Nümbergischen Handels. 3. Teil. Leipzig 1801, S. 35. 26 Ebd., S. 60. 27 C. F. Eberhard, Uiber [!] Friedr. Peypus. In: Literarische Blätter Nr. 9. Nürnberg 1803, Sp. 140. 28 Die Matrikel der Universität Leipzig. Hrsg. v. Georg Erler. Bd. 1. Leipzig 1895, S. 522 u. S. 613. Bd. 2. Leipzig 1897, S. 513, 564 u. 616.

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Friedrich Peypus (1485—1535)

wird29, kann er schwerlich gleichgesetzt werden. Licht in die Sache hatte Eber­ hard nicht gebracht. Seinen Zweifel an der Geßnerschen Angabe, Peypus sei 1485 in Hermstadt geboren, suchte er mit einer nicht haltbaren Konstruktion zu begründen. Aber Legenden leben lange, und die Behauptung, daß Peypus aus Forchheim stamme, war seitdem nicht mehr aus der Literatur zu verban­ nen. Zunächst allerdings bleibt man dabei, Vermutungen auch als solche zu kenn­ zeichnen. So im Gelehrten-Lexikon Will-Nopitsch, das 1806 herauskommt.30 Hinsichtlich des Druckbeginns von Friedrich Peypus werden methodisch kor­ rekte Überlegungen angestellt, und die Jahreszahl 1512 wird als höchstwahr­ scheinlicher Druckbeginn ermittelt. Zum Todesjahr gibt es die richtige Erwä­ gung, daß Peypus entgegen den bestehenden Vermutungen kaum 1534 gestorben sein könne, da Panzer noch 1535 einen Druck von ihm nachweisen kann. Als Geburtsort und -jahr formuliert das Nachschlagewerk sehr zurück­ haltend: „Er soll 1485 zu Hermstadt in Schlesien gebohren worden sein“. Auch die Identität mit dem Leipziger Gelehrten wird nur unter Vorbehalten als Vermutung mitgeteilt. Ohne Fragezeichen wird der schlesische Geburtsort 1858 von Thomas Welzenbach in seiner Fränkischen Buchdruckergeschichte angegeben, allerdings mit einem Druckfehler: „Friedrich Peypus,... ein sehr gelehrter Buchdrucker, geb. um 1485 zu Hermstadt [!] in Schlesien, gest. 1535.“31 Joseph Baader kann 1868 die Bürgerbücher32, aus denen er schon 1860 einen Auszug veröffentlicht hatte33, als neue Quelle einbringen und teilt als richtige Ergänzung des bisherigen Wissens mit, Peypus sei 1515 als Bürger aufgenommen worden. Weitere biographische Angaben fehlen, Baader bringt aller­ dings den wichtigen Hinweis, daß Peypus die „Reformation der Stadt Nürn­ berg“ gedruckt habe. Vorsichtig formuliert der 1887 erschienene Artikel von Pallmann in der „Allgemeinen Deutschen Biographie“, Peypus „soll 1485 zu Hermstadt (Schlesien) geboren sein und wirkte zu Nürnberg von ungefähr 1510—1535“.34

29 Staatsarchiv Nürnberg (fortan StAN), Reichsstadt Nürnberg, Amts- und Standbücher Nr. 306, S. 193 (neu), fol. 95 v (alt). 30 Georg Andreas Wills Nümbergisches Gelehrten-Lexikon fortgesetzt von Christian Conrad Nopitsch. T. 7. Altdorf 1806, S. 132. 31 Thomas Welzenbach, Geschichte der Buchdruckerkunst im ehemaligen Herzogthume Franken und in benachbarten Städten. In: Archiv des Historischen Vereins von Unterfranken und Aschaffenburg 14 (1858), S. 117—258, hier S. 143. 32 Joseph Baader, Beiträge zur Kunstgeschichte Nürnbergs. In: Jahrbücher für Kunstwissenschaft, hrsg. v. A. v. Zahn, 1 (1868), S. 221—269, hier S. 235. 33 Ders., Die ältesten Buchdrucker Nürnbergs. In: Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit NF 7 (1860), Sp. 119—120. Dort gibt Baader nur den Namen „Fridrich Peypus“ und das Jahr an. 34 Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 25 (1887), S. 569.

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Die Möglichkeit einer Herkunft aus Forchheim wird nicht erwogen. Pall­ manns weitere Angaben stammen vor allem aus der kurz zuvor (1885) publi­ zierten Koberger-Biographie von Oskar von Hase35, die zahlreiche Nach­ richten zu den Geschäftspartnern Kobergers, eben auch zu Peypus, bietet. Richtig ist die Pallmannsche Beschreibung des Signets als eines Würfels mit der Aufschrift „Ratio vincit“.36 Was die von C. F. Eberhard aufgestellte Behauptung angeht, Peypus stamme aus Forchheim, so wird dieser Einlassung im Jahr 1893 eine weitere Bestärkung zuteil, zum Nachteil für die folgende Forschungsgeschichte. In diesem Jahr publiziert Georg Buchwald zahlreiche Manuskripte aus der Brief­ sammlung des Zwickauer Stadtschreibers Stephan Roth, die so zu einer bis auf den heutigen Tag vielbenutzten Quelle wurde.37 Darin findet sich ein Brief, unterzeichnet von „Friderich Peypuß von forchem“. Diesen Verfasser identifi­ ziert Buchwald in der Kopfzeile seiner Text-Edition als „Friedrich Peypus in Nürnberg“, wobei es sich aber tatsächlich um den bereits erwähnten Leipziger Gelehrten handelt. Dafür sprechen nicht nur die weiter oben angestellten Überlegungen, sondern das geht auch aus dem Text selbst hervor, in dem Peypus Stephan Roth bittet: „ßo yr gen Leypzig kumpt zcu mir wollet eynkeren [. . .]“. Scheinbar hat sich niemand die Mühe gemacht, den Brief zu lesen, die Wen­ dung „zu mir nach Leipzig“ hätte zumindest Verdacht erwecken müssen. Aber man traute den Buchwaldschen Angaben, und als im Jahr 1905 Alfred Götze sein bekanntes Buch über die hochdeutschen Drucker herausbringt, schreibt er darin, offensichtlich von keinerlei Zweifel geplagt: „Peypus ist 1485 in Forch­ heim in Bayern geboren, er hat gelehrte Bildung [. . .]“38 Seine sonstigen Mit­ teilungen, die auf Hases Koberger-Buch beruhen dürften, stimmen. Die Allgemeine Deutsche Biographie ist auch die Hauptquelle des 1910 erschienenen Buches von Schottenloher über die Entwicklung des fränkischen Buchdrucks. Zu Peypus wird mitgeteilt: „Über das Leben des vielbeschäf­ tigten Druckers wissen wir sonst nicht viel“.39 Schottenlohers Hinweis auf den Brief an Roth in Zwickau darf entnommen werden, daß auch er der falschen

35 Oscar v. Hase, Die Koberger. Leipzig 21885. Reprint Amsterdam, Wiesbaden 1967. 36 Dieses Zeichen ist nur sehr selten verwendet worden. Vgl. Heinrich Grimm, Deutsche Buch­ druckersignete des 16. Jahrhunderts. Wiesbaden 1965, S. 124—125. Das üblicherweise von Peypus benutzte Signet s. Abb. 4. 37 Georg Buchwald, Stadtschreiber Stephan Roth in Zwickau in seiner literarisch-buchhändleri­ schen Bedeutung für die Reformationszeit. In: Archiv für Geschichte des deutschen Buchhan­ dels 16 (1893), S. 6—245, hier Nr. 236 auf S. 96. 38 Alfred Goetze, Die hochdeutschen Drucker der Reformationszeit. Straßburg 1905. 39 Karl Schottenloher, Die Entwicklung der Buchdruckerkunst in Franken bis 1530 (Neujahrs­ blätter, hrsg. v. d. Gesellschaft für Fränkische Geschichte. 5). Würzburg 1910, S. 38. — Schot­ tenloher benutzt als erster die Ämterbüchlein; vgl. weiter unten Anm. 188.

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LAGESJDEST, Cödliationis fcriptu raru pars fecunda, ad preccs quorundüpics utis ftiidioforim confcripü.

Auftore Andrea Altha merBrenzio«.

Abb.2:

Signet (1528)

Abb. 1:

Signet, Reproduktion (1740)

Abb, 4:

Abb. 3:

Signet, häufigste Version

Signet, Reproduktion (1730)

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Friedrich Peypus (1485—1535)

Zuschreibung bei Buchwald gefolgt ist. Das Verdienst Schottenlohers, dem bei seiner Arbeit auch die mittlerweile von Hampe edierten Ratsverlässe zur Ver­ fügung standen40, war es, die Drucke selbst vermehrt als Quelle erschlossen zu haben. Wie bei den anderen Druckern auch, deren Schaffen er würdigt, stützt er sich auf die Auswertung der Druckproduktion. Er zeichnet das Bild eines für die humanistischen Studien und für die Einführung der Reformation in Franken bedeutungsvollen Mannes. Die Untersuchung der Drucke bringt ihn auch zu der Vermutung, Peypus habe im Auftrag Ulrich Pinders bereits 1505 gedruckt.41 Aus dem Vergleich der Pinderschen Drucktypen mit den von Peypus benutzten schließt Schottenloher: „Wahrscheinlich hat er die Presse Pinders käuflich erworben".42 Die Vermutung vom Erwerb an sich stimmt schon. Daß es die Mitgift des Schwiegervaters und nicht ein Kauf gewesen war, konnte Schottenloher damals freilich noch nicht bekannt sein, der Ehevertrag Pinder-Peypus wurde erst viel später entdeckt. Mit Schottenlohers Buch war die Bedeutung des Nürnberger Druckers für die Wissenschafts- und Reforma­ tionsgeschichte gesichert, es waren aber auch die fehlerhaften biographischen Angaben weiter tradiert worden. Von demselben Verfasser stammt der Beitrag „Peypus" im „Lexikon des gesamten Buchwesens" (1937).43 Den Verzicht Schottenlohers auf die Mittei­ lung biographischer Angaben in diesem Lexikon-Artikel wird man nicht wis­ senschaftlich-kritischer Diskretion gegenüber den ihm bekannten Daten zuschreiben wollen; in Frage gestellt wurden weder in der Literatur der Jahre von 1910 bis 1937 noch in dem zitierten Beitrag selbst die biographischen Angaben zu Peypus. Vielmehr wird man das Anliegen des Buchhistorikers Schottenloher dafür als Begründung heranziehen wollen. Ihm wird es eher um die inhaltliche Beteiligung des Druckers am Fortgang der Wissenschaften durch Veröffentlichung wichtiger Werke gegangen sein als um die Diskussion der persönlichen Lebensverhältnisse. Eine Kurzfassung des Lexikontextes von 1937 stellt der Beitrag „Peypus“ im „Lexikon des Buchwesens" von 1953 dar.44 Der — namentlich nicht gezeich­ nete Beitrag — stammt ebenfalls von Karl Schottenloher. Auch hier wird auf biographische Daten verzichtet, sofern sie nicht mit der Drucktätigkeit in unmittelbarem Zusammenhang stehen. 1955 dann publizierte Josef Benzing den bis dahin unbekannten Ehevertrag von Ulrich Pinder mit Friedrich Peypus

40 Theodor Hampe, Nürnberger Ratsverlässe über Kunst und Künstler im Zeitalter der Spätgotik und Renaissance (Quellenschriften für Kunstgeschichte und Kunsttechnik des Mittelalters und der Neuzeit. NF 11. 12. 13.). Wien, Leipzig 1904. 41 K. Schottenloher (wie Anm. 39), S. 33. 42 Ebd. 43 Lexikon des gesamten Buchwesens, Bd. 3. Leipzig 1937, S. 3. 44 Lexikon des Buchwesens, Bd. 2. Stuttgart 1953, S. 581.

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und war so in der Lage, die Rechts- und sonstigen Verhältnisse zwischen Pinder und Peypus darzulegen.45 Die solcherart gewonnenen Erkenntnisse konnte Benzing auch in den entsprechenden Artikel seines Standardwerkes über die deutschen Buchdrucker des 16. und 17. Jahrhunderts einbringen. Benzing läßt Peypus „1485 zu Forchheim“ geboren sein und gibt als Todesjahr — unverständlicherweise (schon Panzer hatte für 1535 einen Druck nachge­ wiesen) — das Jahr 1534 an.46 Die zweite, neubearbeitete Auflage von 1982 ver­ merkt zwar „Es gibt noch Drucke bis 1537“, erklärt diese aber — zum Teil sicherlich sinnvollerweise — als von den Erben herausgebracht und sieht keine Veranlassung, das genannte Todesdatum etwa zu korrigieren.47 Die Tätigkeit von Friedrich Peypus als Buchhändler ist schon einige Male erwähnt worden, hatte jedoch nur eine eher beiläufige Beachtung der verschie­ denen Autoren gefunden. Erst das umfangreiche Werk von Heinrich Grimm über die deutschen Buchführer von 1966 widmet Friedrich Peypus eine eigene Darstellung.48 Der materialreiche Beitrag ist zum Teil direkt aus den Quellen gearbeitet, kann aber einige Irrtümer nicht vermeiden. So läßt auch Grimm unseren Drucker aus Forchheim stammen und identifiziert ihn als den Partner des Zwickauer Ratsschreibers Stephan Roth. Hilfreich sind die zahlreichen Literaturangaben bei Grimm und seine Erwähnung der Peypusschen Zusam­ menstöße mit der Nürnberger Zensur. Die letzte in diesem Zusammenhang zu erwähnende Veröffentlichung ist „Bosl’s Bayerische Biographie“ aus dem Jahr 1981. Der Artikel „Peypus“ bietet ein schönes Beispiel dafür, wie eine widersprüchliche Angabe in der wis­ senschaftlichen Literatur harmonisiert werden kann. So heißt es dort: „geboren 1485, Herrnstadt/Schlesien, gestorben 1534, verheiratet mit Martha Pinder“ und, zur nicht geringen Verblüffung des Lesers, unmittelbar anschlie­ ßend: „aus Forchheim“.49 Die hier gebotene Übersicht mag genügen. Selbstverständlich wurde nicht alle Literatur herangezogen, in der Friedrich Peypus erwähnt wird. Es kam lediglich darauf an, in einer Zusammenschau darzustellen, wie sich unser heu­ tiger, in Lexika und Handbüchern nachzuschlagender Wissensstand über Friedrich Peypus entwickelt hat.

45 J. Benzing, Wer war der Drucker (wie Anm. 24). 46 Josef Benzing, Die Buchdrucker des 16. und 17. Jahrhunderts im deutschen Sprachgebiet (Bei­ träge zum Buch- und Bibliothekswesen. Bd. 12). Wiesbaden 1963, S. 333. 47 Ebenso wie Anm. 46. Wiesbaden 21982, S. 354. 48 H. Grimm, Die Buchführer (wie Anm. 1), hier Sp. 1208—1210. 49 Bosls Bayerische Biographie. Regensburg 1983, Sp. 582—583.

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Friedrich Peypus (1485—1535)

2. Anfänge in Nürnberg; die Ehe mit Martha Pinder Liegen Herkunft und Bildungsweg von Friedrich Peypus auch weitgehend im Dunkeln, so sind wir über seine Tätigkeit in Nürnberg umso besser unter­ richtet. Neben den von ihm hergestellten Büchern als Auskunftsmittel über sein Werk stehen jetzt auch andere Quellen, vor allem aus der Überlieferung des ehemals reichsstädtischen Archivs zur Verfügung. Die älteste Nachricht betrifft die Eheschließung unseres Druckers: eine 1521 angefertigte Nieder­ schrift seines Ehevertrages vom 25. Juli 1512.50 Zu wissen und kundt sey allermenigelich, daz im namen Gots auch der hochgelobten seiner gebererin, der junkfrauen Marie, zwischen Fridrich Beypus von wegen sein selbs an einem und dem wirdigen hochgelerten herrn Vlrich Pinder von wegen junkfrauen Martha seiner eelichen und leiblichen tochter an anderen tail, ein eelich heyrat durch etlich ir gut freundt mit ir beder teil gutem willen und wissen abgeredt und beslossen ist. Also, das der benannt Fridrich die gemelten junkfrauen Martha und sie in zu der heiligen ee nemen, alßdann darauf allßpald bescheen ist und der vorgenannt her Vlrich Pinder doctor ime und ir zu zuschatz und hei­ ratgut zwo gegossen schrift zu einer press für sibenzig gülden und gedruckte püecher für dreissig gülden angeslagen und darzu fünfzig rhei­ nisch gülden geben, auch zimplich claiden und die hochzeit verlegen soll. Und auch nemblich also, das selb ir heiratgut und was ander guter er und sie sonst yetzo haben und hinfüro in erbs oder ander weise erobern wurden, daz die ir beder versament hab sein und beieiben soll. Und ob sy vor im mit tod abgieng an ir beder leiblich eelich erben, so sollten im hundert gülden heyratgeltz volgen und beleihen. Gewunnen sy aber eelich leiblich erben miteinander, die sollten erben alls gesamenter und der stat Nurmberg recht ist. Testes herr Doctor Hartman Schedl, Doctor Johann Löchner. Actum anno 1512, in die Sancti Jacobi. Wir erfahren aus diesem Dokument, daß Peypus Martha Pinder heiratet, die Tochter des Arztes und Humanisten Ulrich Pinder.51 Die einzelnen Bestim­ mungen des Vertrages dürften sich im Grundsatz nicht vom Üblichen unter­ schieden haben, was in einem Punkt sogar ausdrücklich erwähnt wird, wo man sich auf „der stat Nurmberg recht“ bezieht. Die Art der Mitgift aber ist für 50 Als Insert in einer Urkunde des Stadtgerichtes vom 16. September 1521. Stadtarchiv Nürnberg (fortan StadtAN), Lib. Lit. 19 (33), fol. 162—163. Gedruckt bei Benzing, Wer war der Drucker (wie Anm. 24). 51 Vgl. Georg Scheja, Über Ulrich Pinder. In: Festschrift Wilhelm Pinder zum sechzigsten Geburtstage. Leipzig 1938, S. 434—440. — Bosls Bayerische Biographie. Regensburg 1983, S. 590 unter Berufung auf die Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 26.

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einen Nürnberger Ehevertrag nicht nur zu jener Zeit recht ungewöhnlich und für die Buchgeschichte höchst bemerkenswert. Der Brautvater stiftet dem neuen Hausstand einen wesentlichen Beitrag zur technischen Grundausrü­ stung einer Druckerei: zwei Typenalphabete. Da ihr Wert mit 70 Gulden ange­ geben wird, erfahren wir dabei etwas über den Preis eines (gebrauchten, aber noch gut verwendbaren) Letternsatzes, für den man in Nürnberg damals gegen 35 Gulden in Anschlag brachte. Dem Buchwesen zugehörig ist auch der andere Teil der Mitgift, ein Lagerbestand des Pinderschen Betriebes in Form von 30 Büchern, deren Wert auf 30 Gulden angesetzt wird. Daß auch eine Druckerpresse zur Mitgift gehört hätte, wie es bei Benzing heißt52, dürfte auf einer irrigen Interpretation der Textstelle „zu einer press“ beruhen. Diese Wendung sollte nicht so begriffen werden, als hätte der Braut­ vater einer Druckerpresse noch zwei Typenalphabete hinzugefügt. Vielmehr sollte die Formulierung funktional-final als den Zweck der Lettern angebend verstanden werden. Doch mag dieses als unwichtige Einzelheit gelten. Der ent­ scheidende Vorgang ist der Übergang der Pinderschen Lettern an seinen Schwiegersohn. So ist erklärlich, warum Drucke von Pinder und solche von Peypus mit denselben Typen ausgeführt worden sind. Die vollständige Druckereieinrichtung kann Peypus ohnehin nicht erhalten haben, da Pinder über mindestens sechs verschiedene Letternsätze verfügte53, von denen er im Zusammenhang mit der Ehevereinbarung lediglich zwei weitergibt. Die anderen Typenalphabete aus dem Besitz Pinders sind erst im Laufe der fol­ genden Jahre auf Peypus übergegangen, der schließlich insgesamt fünf der sechs ehemals Pinderschen Alphabete verwendet54, so daß die Vermutung einigen Realitätswert hat, Peypus habe sich spätestens nach dem Tode seines Schwiegervaters (Pinder stirbt 1519) im Besitze der ehemals Pinderschen Druckereieinrichtung befunden. Für das Verhältnis zwischen Ulrich Pinder und seinem Schwiegersohn Friedrich Peypus ist aber nicht nur der Ehevertrag eine aussagekräftige Quelle. Heranzuziehen sind auch die Drucke selbst, die entweder unmittelbar zu uns sprechen, etwa durch eine Selbstnennung des Druckers im Schlußvermerk, oder aber von uns zum Sprechen gebracht werden können, zum Beispiel mit der Methode des Typenvergleichs. Mit dem letztgenannten Verfahren hatte Anfang dieses Jahrhunderts der bri­ tische Buchhistoriker Robert Proctor versucht, eine bis dahin trotz häufiger Klärungsversuche ungelöste Frage der Nürnberger Druckgeschichte zu beant52 J. Benzing, Wer war der Drucker (wie Anm. 24) S. 13 und wieder ders., Die Buchdrucker (wie Anm. 47). 53 Robert Proctor, Index to the early printed books in the British Museum. Bd. 3. T. 2: 1501—1520. Sect. 1 „Germany*. London 1903, S. 99. * Ebd., S. 104.

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Worten, die Frage nach dem Drucker der „Sodalitas Celtica“.55 Im Aufträge dieser Humanistenvereinigung war 1501 in Nürnberg ein für die deutsche Literaturgeschichte höchst belangvolles Buch herausgekommen, die von Konrad Celtis nach der 1493 aufgefundenen Handschrift besorgte Edition der Werke Hrotsviths von Gandersheim.56 Vom Drucker dieses schon zu seiner Zeit hochgepriesenen Buches kannte und kennt man nichts weiter als seine am Schluß stehenden Initialen „A. P.“ Diese Buchstaben finden sich noch ein zweites Mal in einem mit denselben Lettern hergestellten Druck von 1502, den „Vier Büchern der Liebe“ von Konrad Celtis.57 So hat Proctor den Drucker (A. P.) dieser beiden Werke mit dem Notnamen „Drucker der Sodalitas Cel­ tica“ bezeichnet.58 Nun finden sich die Typen dieser beiden Drucke ab 1505 in Büchern, die in Zusammenhang mit Ulrich Pinder stehen, sei es, daß er Autor einer der Schriften ist, sei es, daß er sich selber als Drucker nennt oder gar beides.59 Proctor hat auch diese Veröffentlichungen dem „Drucker der Soda­ litas Celtica“ zugeordnet, dabei freilich einige Vorbehalte gemacht und, da ihm bekannt war, daß später Friedrich Peypus diese Lettern in Besitz hatte, äußerte er die Vermutung, jener sei vielleicht als Drucker zumindest der ab 1505 auf­ tauchenden Pinder-Werke in Anspruch zu nehmen.60

55 Ebd. — Seit 1622 sind mehr als zwanzig vergebliche Versuche bekannt, den Drucker zu identifi­ zieren. So weiß es jedenfalls Heinrich Grimm, Des Conradus Celtis editio princeps der „Opera Hrosvite* von 1501 und Albrecht Dürers Anteil daran. In: Philobiblon 18 (1974), S. 3—25, hier S. 6. 56 Ebd. vor allem zur Geschichte des Druckes und der dabei aufgetretenen Schwierigkeiten, die zu mindestens fünf verschiedenen Textvarianten führten. 57 Benzing, Wer war der Drucker (wie Anm. 24), S. 9, Nr. 2. 58 Proctor (wie Anm. 53), S. 99. — An Versuchen, diese Initialen aufzulösen, hat es nicht gefehlt. Den zahlreichen Spekulationen soll hier keine weitere hinzugefügt werden. Nähere Hinweise sind der genannten Arbeit von Grimm zu entnehmen (vgl. Anm. 55). In diesem Zusammenhang ist kurz eine Kontroverse zu erwähnen, die sich um die Emendation/Nichtemendation einer Stelle aus dem Kolophon der Celtis-Veröffentlichung von 1502 entsponnen hat. Die beiden Aufsätze unterrichten neben dem von Grimm genauer über Bedeutung und Wirkungsge­ schichte der Sodalitas Celtica wie über den literarhistorischen Stellenwert der Werke der Hrotsvith: Raimund Kemper, Sodalitas litteraria a senatu rhomani Imperii impetrata. Zur Interpreta­ tion der Druckprivilegien in der Editio princeps der Roswitha von Gandersheim (1501) und in der Ausgabe der Qvatvor Libri Amorvm Secvndvm Qvatvor Latera Germaniae des Conrad Celtis (1502). In: Euphorion 68 (1974), S. 119—184. — Dieter Mertens, Sodalitas Celtica impet­ rata? Zum Kolophon des Nürnberger Hrotsvith-Druckes von 1501. In: Euphorion 71 (1977), S. 277—280. 59 Benzing, Wer war der Drucker (wie Anm. 24), bietet auf S. 9—10 eine Zusammenstellung der Drucke. 60 Proctor (wie Anm. 53), S. 15, S. 99.

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Die Hypothese von Proctor konnte Benzing unter Einbeziehung weiterer Drucke aus dem Hause Pinder und unter Berücksichtigung des Ehevertrages noch wahrscheinlicher machen61, und es ergibt sich folgendes Bild. Ein nicht näher bekannter Drucker mit den Initialen A. P. stellt 1501 die Hrotsvith-Ausgabe und 1502 die „Vier Bücher der Liebe“ von Celtis her. Der Drucker ist bisher nicht identifizierbar und wird weiterhin mit dem Notnamen „Drucker der Sodalitas Celtica“ bezeichnet. Das für diese beiden Bücher benutzte Typenalphabet geht in den Besitz von Ulrich Pinder über, der sich weitere Letternsätze anschafft und ab 1505 eine eigene Druckerei betreibt. In welchem Ausmaß er unmittelbar an der Produktion beteiligt war und in wel­ chem Ausmaß er sich auf eine Rolle als Eigentümer beschränkt hat, läßt sich nicht genau ermitteln. Für beide Deutungsmöglichkeiten gibt es genügend Hinweise. Zum einen bezeichnet sich Pinder selbst als Drucker: „Gedruckt durch Doctor Ulrichen Pinder“62, „per doctorem Udalricum Pinder excussum“63 u. ä. Andererseits ist es nicht unwahrscheinlich, daß Friedrich Peypus bei Pinder angestellt war; denn die Heirat mit der Tochter Pinders setzt doch voraus, daß Peypus der Familie einigermaßen vertraut war; auch seine Fähigkeiten als Drucker müssen bekannt gewesen sein. Andererseits kennen wir keinen firmierten Peypus-Druck vor dem Datum der Eheschlie­ ßung. Die ersten Produkte, in denen er sich nennt, stammen vom November des Jahres 151264, der Ehevertrag wird am 25. Juli desselben Jahres abge­ schlossen. Da liegt die Annahme nun sehr nahe, Peypus sei einige Zeit vor dem Sommer 1512, vielleicht gar seit 1505, bei Pinder beschäftigt gewesen und habe dessen Werke — denn um die handelt es sich fast ausschließlich bei der Pro­ duktion aus der Pinderschen Offizin — gedruckt. Erst nach der Eheschließung tritt Peypus, nunmehr selbständig, aus der Anonymität heraus und nennt seinen Namen in seinen Drucken, freilich in der ersten Zeit noch im Hause des Schwiegervaters arbeitend, wie er selber mehrfach mitteilt: „Nürnberg Fridericus Peypus in domo Doctoris Pinder 1513“65 oder „Nürnberg in Edibis [!] Udalrici Pinder per Fidericum [!] Peypum 1514“.66 Daß wir über Friedrich Peypus in der Eheabrede so gar nichts erfahren außer seinem Namen, könnte dennoch Informationswert besitzen. Vielleicht ist dieser Umstand ein Anzeichen dafür, daß Peypus als Fremder nach Nürn­ berg gekommen war, hier z. B. keine Verwandten oder Bekannten hatte, die man vielleicht als Zeugen hätte benennen können. Dieses muß hier, bei der Interpretation der Heiratsurkunde, noch Vermutung bleiben. Es wird jedoch 41 “ 45 44 45 44

Zum folgenden s. Benzing, Wer war der Drucker (wie Anm. 24), S. 11—14. Ebd., S. 9, Nr. 4. Ebd., S. 10, Nr. 10. Kurztitelverzeichnis Nr. 1 u. Nr. 2. Ebd., Nr. 9. Ebd., Nr. 13.

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zur Gewißheit durch den Eintrag Peypus* in das Verzeichnis der Nürnberger Neubürger am 31. März 1515.67 Eine solche Bürgeraufnahme war überhaupt nur bei jemandem notwendig, der neu in die Stadt gekommen war. Wäre Friedrich Peypus der Sohn eines Nürnberger Bürgers gewesen, hätte er das Bürgerrecht ererbt und wäre nicht in das genannte Verzeichnis eingetragen worden.68 So war es bei der Eheabrede von 1512 naheliegend, daß die Zeugen aus dem Bekanntenkreis des Brautvaters stammen: die beiden Doktoren der Medizin Johann Lochner und Hartmann Schedel. Über den ersteren wissen wir außer dem Todesjahr (1525) nicht sehr viel. Er gehörte zur weitverzweigten Nürnberger Familie Lochner und war wohl der Sohn des Nürnberger Stadtphysikus* und Doktors der Medizin Johann Lochner, der 1457 als Leibarzt von Kurfürst Friedrich I. von Brandenburg belegt ist.69 Der zweite Zeuge jedoch ist von einiger Prominenz. In seiner Person wird wieder die enge Beziehung der beteiligten Personen und des Vertragsinhaltes zum Buch und seiner Herstellung deutlich. Schedel mag als heilkundiger Berufskollege von Ulrich Pinder dazugebeten worden sein, wie das von Johann Lochner zu vermuten ist, er mag seiner humanistischen Neigungen wegen mit Pinder näher bekannt gewesen sein; wir wissen es nicht. Uns ist der Name von Hartmann Schedel vor allem aus der Buch- und Bibliotheksge­ schichte geläufig. Er war Herausgeber der großen Weltchronik, die 1493 in der Offizin Kobergers gedruckt wurde, und er besaß eine für ihre Zeit hochbe­ rühmte Büchersammlung.70 Ein Enkel verkaufte sie 1552 an Hans Jakob Fugger in Augsburg. Der beriet den humanistisch gebildeten Herzog Albrecht V. beim Aufbau der Münchener Hofbibliothek. Die auf sein Anraten vom Herzog erworbene Büchersammlung des Humanisten Johann Albrecht Wid-

67 STAN (wie Anm. 29). 69 Günther Düll, Das Bürgerrecht der freien Reichsstadt Nürnberg vom Ende des 13. Jahrhun­ derts bis Anfang des 16. Jahrhunderts. Diss. Erlangen (Masch.) 1954, S. 23. 69 Will-Nopitsch (wie Anm. 30), Bd. 2, S. 316. Als Arzt ist er in Nürnberg nachweisbar von 1502—1524: StadtAN, Reichsstädtisches Ämterbuch, Ratskanzlei Nr. 125, S. 553. Über seine Hochzeit mit Kunigunde Holzschuher am 9. 7. 1504 unterrichtet deren Vormund Michael Behaim in einer Rechnung. Sie ist publiziert von J. Kamann in MVGN 6 (1886), S. 113—115. 70 Elisabeth Rücker, Die Schedelsche Weltchronik. Das größte Buchuntemehmen der Dürer-Zeit (Bibliothek des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg zur deutschen Kirnst- und Kultur­ geschichte. Bd. 33). München 1973. — Kurze Erwähnung findet Schedel bei Bernd Lorenz, Notizen zu Privatbibliotheken deutscher Ärzte des 15.—17. Jahrhunderts. In: Sudhoffs Archiv 67 (1983), S. 190—198, hier S. 194. — Stephan Kellner, Franconica in der Bayerischen Staats­ bibliothek. Ausstellung anläßlich der 74. Hauptversammlung der Gesellschaft für Fränkische Geschichte 1984 in München (Bayerische Staatsbibliothek. Ausstellungskataloge. 31). Nr. 22 (Schedels Weltchronik, Handexemplar des Autors) und der Abschnitt „Die Bibliothek Hart­ mann Schedels“ (Nr. 31—37). — E. Rücker, Hartmann Schedel. In: Berühmte Nürnberger aus neun Jahrhunderten, hrsg. v. Christoph v. Imhoff. Nürnberg 1984, S. 54—55.

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mannstetter und seine eigene Bibliothek, die er 1571 einschließlich der ehemals Schedelschen Bände dem Herzog verkaufte, bildeten den Grundstock der Münchener Hofbibliothek, und noch heute verwahrt die Bayerische Staats­ bibliothek etwa 360 Handschriften, die einst Hartmann Schedel gehörten — darunter einen von ihm selbst gefertigten Katalog seiner Bücher — als kost­ baren Besitz.71 Die Bekanntschaft mit Hartmann Schedel könnte übrigens auch eine Rolle dafür gespielt haben, daß Peypus alsbald in engere Beziehungen zum Verlags­ haus Koberger tritt und häufiger für diese Firma als Drucker tätig ist.72 Die Drucke der nächsten Jahre allerdings scheint Peypus im Eigenverlag herausgebracht zu haben, wie das in jener Zeit für die Masse der Bücher und Schriften ja auch üblich ist. Jedenfalls enthalten die uns bisher bekannten Werke keine Hinweise auf eine verlegerische, sprich: finanzielle Beteiligung Dritter. Das Publikationsprogramm schon dieser ersten Jahre seiner Tätigkeit (1512—1515) trägt Züge, wie sie sein Gesamtwerk prägen: Humanisten sind seine Autoren, daneben kommen Kleindrucke heraus, die sich Tagesereig­ nissen zuwenden, im allgemeinen als „Neue Zeitungen“ bezeichnet. Er publi­ ziert Kalender und Naturwissenschaftliches, auch theologische Literatur wird von ihm unter die Presse genommen. Viele Autoren sind Nürnberger, bei vielen Klassikern, die er herausbringt, ist eine Mitwirkung Nürnberger Huma­ nisten bekannt, bei anderen darf sie vermutet werden. Sein Schwiegervater, der neben dem Brotberuf als Arzt humanistischen Neigungen nachging, dürfte ihm den Zugang zu den Kreisen der Nürnberger Humanisten erleichtert haben. Die Produktion steigt von drei Titeln des Jahres 1512 (aber da hatte er ja erst im Herbst, nach der Eheschließung, beginnen können) auf sieben (uns bekannte) Titel des Jahres 1513, kommt 1514 auf fünf Bücher und erreicht im nächsten Jahr eine erste Spitze mit 16 Nummern. In diesem Jahr, am 31. März 1515, erwirbt Peypus — wie bereits erwähnt — das Nürnberger Bürgerrecht. Da der städtische Kanzlist nicht nur den Namen des Neubürgers eintrug und sein Gewerbe („Fridrich Peypus, puchtrucker“), sondern auch die Gebühren vermerkte („4 fl. wferung]“), erfahren wir aus diesem Eintrag auch noch Näheres über die Vermögens- und Wohnverhält­ nisse von Peypus. Nach den seit 1498 geltenden Gebührensätzen wurden vier Gulden gezahlt, wenn das Vermögen des Neubürgers 100—200 Gulden betrug. Dieser Besitz aber reichte andererseits nur für die Erlaubnis, sich in der Vorstadt niederzulassen, für die Innenstadt mußte ein Vermögen von minde­ stens 200 Gulden nachgewiesen werden.73 So ist für die ersten Jahre der 71 Stephan Kellner, Franconica (wie Anm. 70), Nr. 33. Zur Geschichte der Münchener Hof­ bibliothek in dieser Phase vgl. Handbuch der Bibliothekswissenschaft Bd. 3. T. 1.1955, S. 605 ff. 72 Vgl. weiter unten S. 44—45. 73 G. Düll (wie Anm. 68), S. 36.

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Peypusschen Tätigkeit als selbständiger Drucker in Nürnberg eine Trennung von Wohn- und Arbeitsstätte anzunehmen, da Drucke jener Zeit den Vermerk tragen, sie seien zwar von Friedrich Peypus, jedoch im Hause von Ulrich Pinder hergestellt worden, und Pinders Haus stand im Sebalder Stadtteil.74 Da über die Wohnung und die Verkaufsstelle von Friedrich Peypus z. T. widersprüchliche Angaben in der Literatur begegnen, mag an dieser Stelle Gelegenheit genommen werden, die in diesem Zusammenhang wichtigen Fragen zu behandeln: Hausbesitz für Peypus hat sich im Sebalder Teil der Reichsstadt Nürnberg bisher nicht feststellen lassen.75 Andererseits scheint Peypus Eigentümer eines eigenen Hauses spätestens um 1527/29 geworden zu sein. Denn in einem Druck von 1529 heißt es in der Schlußschrift: „in aedibus Friderici Peypus“.76 Nun wird man diese Stelle nicht überstrapazieren wollen; Peypus könnte ja auch Mieter eines Hauses gewesen sein, aber der Vergleich mit den Formulierungen, wie er sie in jenen Drucken verwendet, die er im Haus seines Schwiegervaters herstellt77, legt den Schluß nahe, Peypus wolle damit ausdrücken, das genannte Buch in seinem, ihm gehörenden Haus gefer­ tigt zu haben.78 Wo dieses Haus sich allerdings befunden hat, darüber läßt sich nur soviel sagen, daß es wahrscheinlich nicht im Sebalder Stadtteil gestanden hat. Aber schon die Erwägungen, die angesichts der Neubürgeraufnahme von Peypus weiter oben angestellt worden sind, haben deutlich gemacht, daß wir Peypus in der Vorstadt und nicht innerhalb der vorletzten Stadtmauer zu suchen haben. Topographische Angaben, die auf den inneren Stadtbereich weisen, beziehen sich folglich höchstwahrscheinlich nicht auf den Standort der 74 Vgl. weiter oben Anm. 65 u. 66. — Nach der bis zum 2. Weltkrieg gültigen Numerierung Schildgasse 17. Nach Pinders Tod (1519) war 1522 Caspar Menzinger im Besitz des Anwesens. Für entsprechende Auskünfte aus dem Nürnberger Häuserbuch, Sebalder Teil, habe ich Herrn Karl Kohn, Nürnberg, herzlich Dank zu sagen. 75 Frdl. Mitteilung von Herrn Karl Kohn aus dem Nürnberger Häuserbuch — Sebalder Stadtseite. Generell ausgeschlossen werden kann Hausbesitz von Friedrich Peypus im Sebalder Viertel nicht, denn die für die Erstellung des Häuserbuches herangezogenen Archivalien weisen Lücken in der Überlieferung auf. 76 Kurztitelverzeichnis Nr. 199. Ferner ähnliche Formulierungen von 1527 (Kurztitelverzeichnis Nr. 158) und 1528 (Ebd. Nr. 179 u. Nr. 185). Ich habe nur noch einen weiteren Druck mit ent­ sprechendem Vermerk gefunden — ohne freÜich alle Drucke von Peypus in Händen gehalten zu haben — einen Druck des Neuen Testamentes von 1523 (Kurztitelverzeichnis Nr. 101). Es bleibt aber doch eine merkwürdige Häufung um 1527/29, für die ich bislang keine bessere Erklärung anbieten kann. 77 Vgl. weiter oben Anm. 65 u. 66. 78 Ein Parallel-Beispiel könnte diese Vermutung stützen. Der Nürnberger Drucker-Kollege Johann Petreius (vgl. H.-O. Keunecke, Johann Petreius. In: MVGN 69, 1982, S. 110—129) erwirbt 1533 ein Wohnhaus unterhalb der Burg (vgl. E. Mulzer, Das Haus ölberg 9. In: Nürn­ berger Altstadtberichte 5, 1980, S. 51—84). Im selben Jahr druckt er Regiomontans „de trianguli“ und vermerkt darin „In aedibus Io. Petrei“, eine Floskel, die ich bislang nur in diesem einen Fall gefunden habe.

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Werkstatt, sondern auf die Lage seines Verkaufsstandes, für den sich folgende Feststellungen treffen lassen. 3. Der Buchhändler

Zu Beginn seiner Tätigkeit als Buchdrucker und -händler betreibt Peypus den Buchhandel in einem — gemieteten — Ladengeschäft im Plobenhof. Die Kenntnis davon verdanken wir Peypus selber, der 1515 in der Schlußschrift von des Sixtus Tücher Vierzig Sendbriefen über sich und sein Buch mitteilt: „Und verkauft es in seinem Kram unter dem von Plaben“.79 Dem widerspricht nicht die aus demselben Jahre stammende Nachricht, dem Kolophon der Kreßschen Vita von Scheurl entnommen: „Vendit in officina sua libraria prope capellam Dive Virginis“.80 Denn da der Plobenhof sich, nur getrennt durch den Kürschnerhof, neben der Frauenkirche befindet, wird sich auch diese topogra­ phische Angabe auf einen Buchladen im Plobenhof beziehen. Es erscheint nicht sinnvoll, aus dieser Stelle einen Buchladen „unter der Marienkirch“ zu konstruieren, wie es seinerzeit Murr getan hat81, der aber wohl nur den Scheurl-Druck kannte und nicht die Schlußschrift aus den Vierzig Sendbriefen des Sixtus Tücher. Zurückzuweisen ist auch die Interpretation von Benzing, der in seinem Handbuch zu Peypus feststellt: „Seit 1515 tragen seine Drucke eine neue Adresse „prope capellam divae virginis“ an der Ostseite des Marktplatzes, später „zum Weintraub am Fischbach“. Einen Buchladen hatte er „unter dem von Plaben (Plobenhof)“.82 Benzing mißversteht offenbar den Begriff officina libraria, der eben nicht Druckerei bedeutet. In diesem Fall freilich wäre es so, daß des Peypus’ Drucke eine neue Adresse hätten gegenüber den Jahren vor 1515, da er im Hause von Pinder druckt. Allerdings heißt die Vokabel „Buch­ laden“83 und damit stimmen — wie gezeigt — beide Nachrichten von 1515 überein. Auch die Behauptung, des Peypus’ Druckerei habe sich in der Straße „Am Fischbach“, der jetzigen Karolinenstraße bzw. Stemgasse, befunden, dürfte irrig sein. Sie geht ebenfalls auf eine Schlußschrift zurück. In einem kleinen, vier Blätter umfassenden Druck von 1529 heißt es am Ende: „Wer dyser Lieder

79 Kurztitelverzeichnis Nr. 30. • Ebd., Nr. 28. 81 Christoph Gottlieb von Murr, Beschreibung der vornehmsten Merkwürdigkeiten in der Reichs­ stadt Nürnberg. Anhang 2: Älteste Buchdruckereygeschichte Nürnbergs S. 673—692. Nürn­ berg 21801, hier S. 691. 82 Benzing, Die Buchdrucker (wie Anm. 46), S. 333. 83 Lexikon des Buchwesens. Bd. 2, Stuttgart 1953, S. 540.

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wil kauffen. / Soll zum Weyntraub am Fyschbach lauffen“.84 Hierin ist eher der Hinweis auf eine Verkaufsstelle als auf den Ort der Herstellung zu sehen. Fraglich ist, ob der genannte Verkaufsstand von Peypus selbst betrieben wurde, oder ob der Drucker hier gezielt für einen Abnehmer produziert hat, dessen Geschäftsadresse er auf einen entsprechenden Wunsch hin mit einge­ druckt hat.85 Denkbar bleibt auch, Peypus habe den Verkaufsvermerk nur in einem Teil der Auflage, nämlich in dem für den Nürnberger Lokalverkauf bestimmten, eingedruckt. Für die Deutung, beim „Weyntraub“ sei ein Verkaufsstand gewesen, spricht die Identifizierung des Hauses als Gasthof86, in dem mit Druckerzeugnissen zu handeln für die damalige Zeit nicht ungewöhnlich wäre.87 Daß Peypus selbst dieses Verkaufsgeschäft betrieben hätte, ist möglich, aber unwahrscheinlich. Seine Verkaufsstelle befand sich — wie dargelegt — zu Anfang seiner Tätigkeit am Hauptmarkt und für seine beiden letzten Lebensjahre, 1534 und 1535, ist er archivalisch belegt als Mieter eines städtischen Kramladens an der Südseite des

84 Kurztitelverzeichnis Nr. 215. 85 Dafür spricht, daß der Autor jener Schrift von 1529, Christoph Zell, in dieser Zeit in Nürnberg als Buchführer tätig ist. Da liegt doch der Gedanke nahe, daß er sein eigenes Produkt auch selbst vertreibt. Vgl. H. Grimm, Die Buchführer (wie Anm. 1), Sp. 1233. 86 Nürnberger Totengeläutbücher III: Sankt Sebald 1517—1572, bearb. v. Helene Burger (Freie Schriftenfolge der Gesellschaft für Familienforschung in Franken. Bd. 19) Neustadt/Aisch 1972 bringen mehrfach Einträge „Wirt(in) zum Weintraub am Vischbach“: 1587, 4342, 8458. 87 Für die Inkunabelzeit, also die Jahre bis 1500, bieten die noch erhaltenen Buchhändleranzeigen mehrere Belege für den Bücherverkauf in Gasthäusern. Vgl. Buchhändleranzeigen des 15. Jahr­ hunderts in getreuer Nachbildung, hrsg. von Konrad Burger. Leipzig 1907, Nr. 9, Nr. 13 u. Nr. 26. Die dort reproduzierte Anzeige von Peter Schöffer (Nr. 5), die der angepriesenen Titel wegen auf die Zeit vom 13. Juni 1469 bis zum 7. September 1470 datiert werden kann, weist nach Nürnberg. Sie ist überliefert in einem einst Hartmann Schedel gehörigen Band und so in die Münchener Hofbibliothek, jetzt bayerische Staatsbibliothek, gelangt. Auch der Name des Wirtshauses wird in der handschriftlichen Notiz am unteren Rand des Einblattdruckes genannt: „Venditor librorum reperibilis est in hospicio dicto zum willden mann.“ (Abbildung auch bei Wilhelm Velke, Zu den Bücheranzeigen Peter Schöffers. Veröffentlichungen der Gutenberg-Gesellschaft. 7. Mainz 1908. Taf. 4.). Dieses Wirtshaus „Zum Wilden Mann* würde man nun gerne als jenes identifizieren, das kürzlich zum Gegenstand stadtgeschichtlicher Forschung gemacht wurde: Aus dem Wirtshaus zum Wilden Mann. Funde aus dem mittelalterlichen Nürnberg. Eine Ausstellung des Germanischen Nationalmuseums. Nürnberg 1984. Doch scheint dem entgegenzustehen, was Karl Kohn in seinem Beitrag, Die Häuser und ihre Besitzer, S. 59, ermittelt hat, daß nämlich die Bezeichnung des Gasthauses bis 1500 „Zum Storch“ gelautet habe. Vielleicht wird man das Gasthaus „Zum Wilden Mann“ von 1469/70 nicht am Weinmarkt suchen dürfen.

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Rathauses88, also in derselben, verkehrsgünstigen Gegend. Die Annahme, Peypus selbst habe „beim Weyntraub“ ein Ladengeschäft betrieben, setzt einen Wechsel des Stadtviertels voraus, für den Gründe bislang nicht bekannt geworden sind. Möglich aber bleibt eine solche Interpretation der zitierten Schlußschrift von 1529 durchaus.

4. Der Buchdrucker und der Rat. Zusammenarbeit und Zensur Wenden wir unseren Blick vom Buchhändler wieder zum Buchdrucker Peypus, so sehen wir diesen in den ersten Jahren seiner Tätigkeit mehrfach mit dem Rat in Berührung kommend. Zuweilen als Geschäftspartner und Auftrag­ nehmer oder aber — selbstredend unangenehmer für Peypus — als Objekt obrigkeitlicher Aufmerksamkeit in Zensurfragen. Da gibt es für Peypus den ersten Ärger im Jahr 1515. Peypus hatte am 24. Juli („in vigilia Christophori“) die von Christoph Scheurl zusammengestellte Lebensbeschreibung von Anton Kreß fertigge­ druckt.89 Der Autor hatte entweder sein Manuskript oder einen Vorabdruck dem Rat vorgelegt; denn der befindet bereits am 23. Juli, also einen Tag vor der endgültigen Fertigstellung in der Offizin von Peypus über das Vorhaben und wirft Scheurl vor, er habe „etliche schimpfliche kindische punkt, die vor dessen vom regiment alhier und anderen personen und Sachen betr., eingemengt“ und befiehlt dem Verfasser, das Buch „abzuthun“.90 Scheurl entschuldigt sich und verspricht, den Verkauf des Buches zu unterbinden. Sonderlichen wirtschaft­ lichen Erfolg hatte Peypus mit dem nun unverkäuflichen Werk also wohl keinen erzielen können; von weiteren Maßnahmen des Rates, die sich gegen den Drucker des inkriminierten Werkes gerichtet hätten, ist nichts bekannt. Ungünstiger stellte sich der nächste Zusammenstoß mit der städtischen Obrigkeit für Peypus im Jahr 1518 dar. Im Frühjahr noch hatte der Rat Peypus auf dessen ordnungsgemäße Anfrage hin gestattet, eine Grammatik Heinrichmanni zu drucken, allerdings strikt verboten, sich auch nur eines Wortes aus

88 StadtAN, Zinsmeisteramt, Bd. 60, fol. 27 u. 28: „Friderich Spengler oder Peypus zinst für einen ganzen jar zinst von dem eck laden hinter der tuchscherer gaß“ zu 1534. Zu 1535 in Bd. 61, fol. 1 v u. 2 eine entsprechende Eintragung. Allerdings hat Peypus nur die erste Rate im Mai bezahlt, die zweite Hälfte entrichtete am 29. November Jörg Fischer. Peypus war inzwischen verstorben (vgl. weiter unten S. 42). — Die Bezeichnung „Spengler oder Peypus“ kann ich nicht erklären. 89 Kurztitelverzeichnis Nr. 29. — Zu Anton Kreß vgl. Friedrich Merzbacher, Dr. Anton Kreß, Propst von St. Lorenz (1478—1513), in: MVGN 58 (1971), S. 121—138 mit dem Hinweis auf eine deutsche Fassung der Lebensbeschreibung S. 121, Anm. 1. 90 Amd Müller, Zensurpolitik der Reichsstadt Nürnberg. Von der Einführung der Buchdrucker­ kunst bis zum Ende der Reichsstadt. In: MVGN 49 (1959), S. 66—169, hier S. 74.

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der tschechischen Sprache dabei zu bedienen.91 Im August dann kommt der Rat dahinter, daß Peypus Martin Luthers „Sermon von päpstlichem Ablaß und Gnade“ ohne Genehmigung in deutscher Sprache herausgebracht hatte und verwarnt den Drucker am 23. August. In dem entsprechenden Beschluß92 bezieht der Rat sich auf die eidliche Verpflichtung aller Buchdrucker, ihre Ver­ öffentlichungen dem Zensor vorzulegen und droht Peypus, ihn im Wiederho­ lungsfälle wegen Eidbruchs zu belangen. Wie der Rat Peypus als Drucker ermittelt hat, wissen wir leider nicht. Nötig war eine solche Ermittlung schon; denn Peypus hatte sich in der Schrift (vorsichtigerweise?) als Drucker nicht genannt.93 Zwei Tage nach diesem Vorgang kann der Rat für Peypus Erfreulicheres beschließen: Er genehmigt ihm die Publikation der „Sechs Bücher von der Dreifaltigkeit“ des Ricardus de Sancto Vitore.94 Nicht immer sind in Fragen der Zensur die Funktionen des Buchhändlers und die des Buchdruckers scharf zu trennen. So wissen wir beispielsweise bei einem Ratsbeschluß vom 30. Sep­ tember 1519, der zunächst den Buchhändler Peypus betrifft, nicht, ob dieser auch Drucker der genannten Schrift war: „Fritzen Peipas, dem buchdrucker, vergönnen, das er ains rats entschuldigung des mordprennens halb öffentlich

91 Ratsverlaß vom 6. Februar 1518: “[...] das er ainen Beheim die grammatic Heinrichmanni drucken lassen mög in latein, doch das gar kain beheimisch wort werd eingemengt.“ STAN, Reichsstadt Nürnberg, Verlässe des Inneren Rates (fortan RV) 619, fol. 14. Es dürfte sich hier um die „Institutiones Grammaticas“ von Jacob Heinrichmann handeln, der 1506 in Tübingen Grammatik lehrte. Vgl. Johann Heinrich Zedier, Großes vollständiges Universallexikon, Bd. 12. Halle und Leipzig 1735. Reprint Graz 1961. — Der Rat achtete sehr darauf, daß in Nürnberg keine Texte der „Böhmischen Brüder“ gedruckt wurden. Vgl. Franz Spina, Tschechi­ scher Buchdruck in Nürnberg am Anfang des 16. Jahrhunderts. In: Untersuchungen und Quellen zur Germanischen und Romanischen Philologie, Johann von Krele dargebracht von seinen Kollegen und Schülern T. 2. (Prager Deutsche Studien. H. 9). Prag 1908, S. 29—51. Das Mißtrauen des Rates ging sehr weit; so ließ er im selben Jahr 1518 den Druck einer böhmischen Landkarte sorgfältig von der tschechischen Sprache Kundigen überwachen. Vgl. Mirjam Bohatcova, Höltzels Einblatt mit der Klaudianischen Landkarte Böhmens. In: Gutenberg-Jahrbuch 1975, S. 106—112. 92 STAN, RV 626, fol. 23. Gedruckt bei Theodor Hampe, Archivalische Miszellen zur Nürn­ berger Literaturgeschichte. Das Volkslied und Kriegslied im alten Nürnberg. 2. T. In: MVGN 27 (1928), S. 251—278, hier S. 260. 93 Nicht nur die Furcht vor der Zensur des Rates mag Peypus zur Anonymität bei diesem LutherDruck (und bei zahlreichen anderen) veranlaßt haben. Es handelte sich ja meist um nichtautorisierte Nachdrucke, über die Luther bekannterweise häufig Klage führte. Peypus wollte — wie viele seiner Drucker-Kollegen — auch in Wittenberg nicht erkannt werden. Die Häufigkeit von Luther-Nachdrucken ins Verhältnis gesetzt zu den Wittenberger Erstausgaben lag für die Jahre 1522 bis 1546 bei 3 :1, für den Zeitraum von 1522 bis 1526 gar bei 5 s 1. Vgl. Hanz Volz, Bibel und Bibeldruck in Deutschland im 15. und 16. Jahrhundert (Kleine Drucke der Gutenberg-Gesellschaft. Nr. 70.). Mainz 1957, S. 37. 94 STAN, RV 626, fol. 24 v. Gedruckt bei Hampe, Archivalische Miszellen (wie Anm. 92), S. 260. — Kurztitelverzeichnis Nr. 52.

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mög feil haben.“95 Deutlich wird hier das Bestreben des Rates, auch den Ver­ kauf von Druckwerken seiner Kontrolle zu unterwerfen. Gerade in diesen Jahren des Beginns der Reformation in Deutschland und der damit verbun­ denen Verflechtung von politischen mit publizistischen Fragen suchte Nürn­ berg dem Reich gegenüber keinen unnötigen Anlaß zur Kritik zu bieten und unterdrückte allzu kämpferische oder polemisch-beleidigende Streitschriften, wenn die Gefahr zu bestehen schien, in politische Verwicklungen zu geraten. Solche Rücksichten politischer Art hatten 1518 bei der Ermahnung Peypus’ wegen des Luther-Druckes eine Rolle gespielt und sie werden wieder spürbar 1521, als Peypus einen Almanach des Doktor Sebald Busch herausbringt.96 Hier richtet sich die Aufmerksamkeit der städtischen Obrigkeit nicht auf den Text, sondern auf die Abbildungen.97 Das Pamphlet hatte offensichtlich Geist­ lichkeit und Papst in herabsetzenden Karikaturen dargestellt, so daß der Rat sich zum Einschreiten veranlaßt sah. Eine zweimonatige Haftstrafe für den Autor und sofortige Verhaftung des Druckers waren das Ergebnis. Ob aus dieser Sistierung des Druckers, die wohl vor allem der Sicherung seiner Aussa­ gebereitschaft dienen sollte, eine längere Haftstrafe geworden ist, wissen wir nicht.98 Den konkreten Vorgang nimmt der Rat zum Anlaß, eine generalprä­ ventive Maßnahme zu ergreifen, die inskünftig auch die Abbildungen in Druckschriften oder solche Drucke, bei denen die Abbildung den Hauptteil ausmacht, der Zensur unterwirft: „Darbei ist ertailt, der puchdrucker pflicht zu bessern, das sy hinfüro kain practica oder almanach unbesichtigt der figuren drucken sollen.“99 Anfragen von Peypus auf Druckgenehmigung und die Antworten des Rates darauf begegnen häufiger in den städtischen Beschlußprotokollen, so im April

95 STAN, RV 641, fol. 10 v. Gedruckt bei Hampe, Archivalische Miszellen (wie Anm. 92), S. 260. 96 STAN, RV 657, fol. 6. Gedruckt bei Theodor Hampe, Nürnberger Ratsverlässe (wie Anm. 39), Nr. 1281. 97 Zur Frage der Zensur von Bildwerken im Gegensatz zu Texten vgl. man die Skizze von Horst Kunze, Gefährlicher Bilderdruck. Zur Bildzensur, besonders im 16. und 17. Jahrhundert. In: Jahrbuch der Deutschen Bücherei 19 (1983), S. 75—82. — Der Fall wird auch behandelt bei August Jegel, Altnümberger Zensur vor allem des 16. Jahrhunderts. In: Festschrift Eugen Stollreither. Erlangen 1950. S. 55—64, hier S. 58. 98 Im Ratsverlaß (wie Anm. 96) heißt es: „Und Fritzen Beipus, den puchdrucker, der soliche alma­ nach gedruckt hat, darumb ins loch legen und zu red halten.0 Und über Dr. Busch: „[...] zway monat auf ein thum halb auf gnad.“ Ich kann mich nicht der Interpretation von H. Kunze (wie Anm. 97, S. 78) anschließen, wonach der privilegierte Dr. Busch seine Strafe im Turm habe ver­ büßen dürfen, während der sozial tiefer stehende Drucker ins Lochgefängnis gewandert sei. 99 RV wie Anm. 96.

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1521, als der Druck einer Schrift des Erasmus von Rotterdam genehmigt wird.100 Am 18. Mai desselben Jahres ist wieder von Unerfreulicherem die Rede: „Fridrich Peipas ist zu seiner straf frist geben pis auf Jacoby negst“.101 Welche Strafe damit bis zum 25. Juli aufgeschoben ist, ob eine aus dem Druck des Buschschen Almanachs herrührende oder eine aus anderem Anlaß ver­ wirkte, ist nicht mehr zu ermitteln. Daß es sich um eine Geldbuße gehandelt hat, dürfte anzunehmen sein. Aus dem Gewähren einer Frist bis zum Fällig­ werden der Strafe wird ein gewisses Wohlwollen des Rates dem Drucker gegenüber deutlich. Eine Erklärung dafür könnte darin liegen, daß Peypus in dieser Zeit für den Rat als Drucker eines größeren Werkes tätig ist: er bringt die Nürnberger Stadtrechtskodifikation heraus, die „Reformation der Stadt Nürnberg“. Dieses Rechtsbuch war erstmals 1484 bei Anton Koberger im Druck heraus­ gekommen, nachdem bereits 1479 ein Inhaltsverzeichnis in Form eines gedruckten Registers erschienen war.102 Die Stadtrechtsreformation wurde weithin beachtet und trat nach einer Formulierung von W. Schultheiß „einen Siegeszug durch ganz Deutschland“103 an. Diese weite Verbreitung ist an den Neuausgaben und Nachdrucken abzulesen.104 Während die nächsten drei Aus­ gaben inhaltlich unveränderte Nachdrucke sind, bietet die fünfte bisher bekannte Ausgabe eine Neubearbeitung, die 1503 bei Hieronymus Höltzel in Nürnberg erscheint. Ihr liegt ein revidierter und vom Rat der Stadt geprüfter Text zugrunde. Schwerwiegende Veränderungen gegenüber der Erstausgabe brachte diese Edition nicht, immerhin setzte sie — wie bei Gesetzeswerken zwangsläufig — die ältere außer Kraft und verschuf so dem Drucker zumin­ dest in Nürnberg und in dessen Umgebung sicheren Absatz wegen des Erneu­ erungsbedarfes bei zahlreichen Verwaltungsstellen, Richtern, Rechtsgelehrten und anderen, die auf den Besitz eines gültigen Gesetzestextes angewiesen waren.

i°° STAN, RV 662, fol. 1 v vom 4. April 1521: „Fridrichen Peypas ist vergundt [den?] druck, so Erasmus Rotterdamus auß gen hat lasßfen], ab zu drucken.“ — Vgl. Kurztitelverzeichnis zum Jahr 1520; vielleicht die Nr. 67. Für 1521 jedenfalls ist bisher kein Erasmus-Druck von Peypus bekannt geworden. STAN, RV 663, fol. 14. 102 Vgl. Wolfgang Leiser, „Kein doctor soll ohn ein solch libell sein“ — 500 Jahre Nürnberger Rechtsreformation. In: MVGN 67 (1980), S. 1—16, hier S. 14. Eine umfangreiche Literaturzu­ sammenstellung bietet der von Gerhard KÖbler betreute Reprint, Reformation der Stadt Nürn­ berg (Arbeiten zur Rechts- und Sprachwissenschaft. Bd. 25), Gießen 1984. 103 Werner Schultheiß, Geschichte des Nürnberger Ortsrechtes (Sonderdruck der Einleitung zur „Sammlung des Ortsrechts der Stadt Nürnberg“). Nürnberg 1972, S. 13. 104 Zusammenstellung bei O. Stobbe, Geschichte der deutschen Rechtsquellen in zwei Abtei­ lungen (Geschichte des deutschen Rechts in sechs Bänden. 1.). Braunschweig 1860—1864. T. II, S. 299—300, Anm. 7.

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Recht lebt und entwickelt sich weiter. Gerade im ausgehenden Mittelalter, da sich das Römische Recht in Deutschland durchzusetzen beginnt, ist viel Bewegung in der Rechtsbildung, und so wundert es nicht, daß die Nürnberger bereits 1514 eine Kommission zur Revidierung des Gesetzestextes einsetzen.105 Die gelehrten Herren brauchen lange für die Lösung der ihnen gestellten Auf­ gabe, und noch 1516 sind sie nicht damit fertig, wie aus einem Ratsverlaß vom 16. September dieses Jahres hervorgeht: „So man mit der reformacion fertig wirdet, alßdann beym rat furtragen Fritz Peipas des puchtruckers begern, ob man im vergönnen wöll, die zu drucken".106 Der Bitte Friedrich Peypus’, ihn mit dem Druck der Reformation zu betrauen, wurde dann entsprochen, und 1521 erscheint die revidierte, neueste Ausgabe, geschmückt mit einem Titelblatt von Albrecht Dürer.107 Die genaue bibliographische Erfassung dieser Neubearbeitung bereitet einige Schwierigkeiten, da wahrscheinlich mehrere, nur wenig voneinander unterschiedene Ausgaben in den Jahren 1521 und 1522 bei Peypus hergestellt worden sind. Es existieren mit Sicherheit zwei verschiedene Ausgaben von 1522, die hur in Kleinigkeiten voneinander abweichen.108 Zu beiden paßt gut die Datierung des Vorwortes, in dem der Rat den Abschluß der Arbeiten an der Neufassung des Gesetzestextes und der Drucklegung mitteilt: „Alßdan II beschehen ist I Nach Christs gepurt II Funffzehenhundert I vn im Zwey= II undzweyntzigisten Jare volendet III Wie im beschluszs ditz Buchs ist II gemeltl“. Auch der Ratsverlaß vom Juli 1521109, wonach die Fertigstellung des Buches erst noch zu erwarten ist, paßt zu dem Publikationsjahr 1522. Schwierig wird die Sache jedoch mit einem von Panzer beschriebenen Exemplar, das laut Druckvermerk am 20. Januar 1521 publiziert worden ist.110 Das scheint nach den sonstigen Quellen ausgeschlossen, da noch im Juli 1521 über den Druck

105 Ebd. S. 300. STAN, RV 602, fol. 4 v. 107 Vgl. Werner Schultheiß, Albrecht Dürers Beziehung zum Recht. In: Albrecht Dürers Umwelt. Festschrift zum 500, Geburtstag Albrecht Dürers (Nürnberger Forschungen. Bd. 15.). Nürn­ berg 1971, S. 220—254, hier S. 248—249. — Zur Datierung der Ausgabe vgl. die folgenden Ausführungen. Die Jahreszahl „1521“, die der Holzschnitt trägt, ist nicht maßgeblich für die Datierung des Buches, sie kann allenfalls als terminus post quem von Belang sein. 108 Der Umfang z. B. ist völlig identisch. Kollationiert wurden die beiden Exemplare der Universi­ tätsbibliothek Erlangen, Signaturen 4°Rar. A 46 u. 4°Rar. VI, 1. 109 STAN, RV 665, fol. 4 vom 1. Juli 1521: „Dem Peipas bevelhen, das er sich mit ainer grossem schrift und suplicacion [?] zur reformacion förderlich schickt, so will ein rat derselben hundert nemen.“ 110 Kurztitelverzeichnis Nr. 88.

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verhandelt wird111 und erst im Januar 1522 der Ratsbeschluß gefaßt wird112, ein Privileg gegen den Nachdruck zu erwirken: Fritz Peipas, puchtruckern, ze gut bei doctor Rechlingern113 und Varnpuchler114 handeln und pitten beym regiment, ein privilegium zu erlangen, das ime die reformacion in 3 oder 4 jaren nicht werd nachge­ druckt. Der Rat bemüht sich in einem Schreiben vom 20. Februar 1522 an Pankraz Wagner115 des weiteren um einen kaiserlichen Schutzbrief für den Druck der Stadtrechtsreformation:116 Wir haben auch yetzo unser statt und gerichts reformation drucken lassen, die nun alle tag zum ende bereitet wird. Die weyl aber der puchtrucker Fritz Peipas, unser burger, gewarnet ist, als ob ime dieselb nach entlicher Verfertigung an andern orten nachgetruckt werd, ist unser bevelh, das du durch hilf herrn Niclausen Ziglers117 ain freyheyt oder pri­ vilegium von Kays. M[ajestä]t erlangst, dass gedachtem puchtrucker diese unser reformation in viren jaren den negsten von andern im reich nit nachgetruckt werde.

111 STAN, RV 665, fol. 24 vom 24. Juli: „Fritz Beipas mit guttem willen leiden mag, das ine Hanns Coburger verlag die reformacion ze drucken.“ Der Rat suchte also nach einer Möglichkeit, das Verlagshaus Koberger an den Kosten zu beteiligen. Dazu ist es aber nicht gekommen, wie weiter unten im einzelnen dargelegt wird. Der folgende Satz im zitierten Ratsverlaß bezieht sich auf die am 25. fällige Strafe des Peypus* (vgl. Anm. 101) und zeigt, daß Peypus aus der engen Zusammenarbeit mit dem Rat Vorteile zieht: „Und ist dem Peipas die frist seiner aufge­ legten straff erstreckt bis er darums gemant werd.“ 112 STAN, RV 672, fol. 16 vom 31. Januar 1522. 113 Dr. Johann Rehlinger aus Augsburg. Seit Oktober 1521 beim Reichsregiment in Nürnberg. Vgl. Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Karl V., bearb. v. Adolf Wrede. Bd. 3. (Deutsche Reichtagsakten. Jüngere Reihe. Bd. 3.) Gotha 1901, S. 3 u. a. m. 114 Ulrich Varnbü(h)ler. Kaiserlicher Rat, Sekretär des Reichsregiments. Vgl. Deutsche Reichs­ tagsakten (wie Anm. 113), S. 7 u. a. m. Albrecht Dürer hat ihn 1522 in einem Holzschnitt por­ trätiert. 115 Pankraz Wagner ist als Syndikus der Stadt Nürnberg 1530 erwähnt bei Adolf Engelhardt, Die Reformation in Nürnberg. In: MVGN 34 (1937), hier S. 217,219 und im Jahr 1533 und in der Folgezeit bei Richard Klier, Nürnberg und Kuttenberg. In: MVGN 48 (1958), hier S. 66, 67 u. a. m. 116 STAN, Reichsstadt Nürnberg, Briefbücher Nr. 83, fol. 104 v—105. Gedruckt bei Hase, Die Koberger (wie Anm. 35), S. 230. 117 Nikolaus Ziegler als kaiserlicher Sekretär bzw. Reichsvizekanzler belegt bei Karl Brandi, Kaiser Karl V. Frankfurt am Main 1979, S. 85 u. 221.

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Die Formulierung, wonach die Reformation „nun alle tag zum ende bereitet wird“, läßt ja keine andere Interpretation zu, als die, daß der Druck Anfang des Jahres 1522 abgeschlossen wird. Wie die Autopsie eines Exemplars der Reformation aus dem Bestand des Germanischen Nationalmuseums118 ergeben hat, liegt auch kein Lesefehler Panzers vor, der den entsprechenden Druckver­ merk völlig korrekt wiedergegeben hat. Von dieser, auf 1521 datierten Aus­ gabe ist 1983 ein Exemplar in der Ausstellung Nürnberger Renaissance-Kunst in den USA gezeigt worden.119 Es sind also mehrere Stücke bekannt. Daß der Bearbeiter des Katalogs statt des 20. Januars 1521 den 21. Januar 1521 als Datum der Fertigstellung mitteilt, macht die Sache nicht eben leichter. Hier dürfte ein Lese- oder Druckfehler die richtige Erklärung sein. Hinzu tritt eine weitere Schwierigkeit, die sich aus der archivalischen Über­ lieferung ergibt. Ausweislich einer von Peypus aufgestellten Rechnung, die zu den Stadtrechnungsbelegen genommen wurde, hatte er im Jahr 1521 nicht nur einen Vorschuß erhalten, sondern bereits die ersten Exemplare ausgeliefert120 — aber kaum schon im Januar, wie es doch entsprechend dem Druckvermerk, von dem Panzer ausgeht, hätte geschehen können und dann wohl auch müssen. Warum hätte Peypus seinen Auftrag- und Geldgeber ungebührlich lange warten lassen sollen? Diese Quelle also spricht zwar für eine Fertigstel­ lung zumindest der ersten Stücke der Stadtrechtsreformation bereits 1521, macht aber den Januar dieses Jahres als Produktionstermin wiederum unwahr­ scheinlich, besser: schließt ihn aus. Die aufgeworfenen Fragen lassen sich der­ zeit nicht mit genügender Sicherheit beantworten, und wir müssen uns mit der Feststellung bescheiden, wonach von den drei bekannten Ausgaben der Rechtsreformation aus der Offizin von Friedrich Peypus zwei zum Jahr 1522 gehören und eine das Erscheinungsdatum 20. Januar 1521 enthält, daß diese letztere Zeitangabe jedoch mit anderen Quellen nicht in Übereinstimmung zu bringen ist. 118 Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Bibliothek, Sammlung Merkel D-7329. Die Aus­ gaben von 1521 und 1522 scheinen inhaltlich identisch, wie eine stichprobenartige Überprü­ fung ergeben hat. Die Unterschiede liegen nur im Kolophon und im Beginn des Buches. Der Ausgabe von 1521 fehlt logischerweise die Einleitung, in welcher der Mitwirkung des Rates gedacht und das Ende der Revisionsarbeiten auf 1522 datiert wird. Mit diesen beiden Einlei­ tungsblättern fehlen dem Buch aber auch die damit zusammenhängenden zwei Blätter des Registers (= Inhaltsverzeichnis). An deren Stelle hat man vier Blätter vorgebunden, die weiter hinten an der richtigen Stelle noch einmal zu finden sind. Sie tragen die Signaturen aii, aiii, aiiii und (aiiiü]. Das stimmt nachdenklich und läßt Anfänge eines Verdachtes aufkommen, man habe die Einleitung entfernt, um durch die dortige Datierung (1522) nicht die 1521 des Kolo­ phons zu desavouieren. Eine solche Manipulation kann eigentlich nur Peypus selbst vorge­ nommen haben und es wären dafür schwerlich Gründe denkbar. Es bleiben also einige Fragen offen. 119 Jeffrey Chipps Smith, Nuremberg. A Renaissance city 1500—1618. Austin 1983, S. 117, Nr. 24. 120 Vgl. weiter unten S. 29.

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Hinsichtlich der Finanzierung des Unternehmens erlaubt uns die recht gute Quellenlage in Form der Ratsverlässe und der Stadtrechnungsbelege einen genaueren Einblick in die Einzelheiten. Demnach hat der Rat beim Beginn der Drucklegung Friedrich Peypus einen Vorschuß von 150 Gulden gezahlt121, nachdem er zuvor beschlossen hatte, dem Drucker 100 Exemplare abzu­ nehmen, allerdings nur, wenn dieser sich „mit einer grossem schrift und suplicacion [?] zur reformacion fürderlich schickt“.122 Nachdem man offensichtlich im Sommer 1521 noch einmal kurz mit dem Gedanken spielte, Hans Koberger am Verlag zu beteiligen123, bleibt es schließlich doch bei der gewählten Kon­ struktion, und Peypus muß dem Rat für den Vorschuß Druckerzeugnisse lie­ fern, was er in der nächsten Zeit auch tut, vornehmlich Exemplare der Refor­ mation.124 Bei einem Vergleich der Stadtrechnungsbelege mit anderen Quellen geraten wir, was den Zeitpunkt der Lieferung der ersten 100 Exemplare angeht, in ähn­ liche Interpretationsschwierigkeiten wie bei der Datierung der verschiedenen Ausgaben. Einerseits vermerkt Peypus unter dem Jahr 1521, einhundert Exem­ plare ungebunden geliefert zu haben, denen im selben Jahr weitere 17 unge­ bundene und neun gebundene Stücke folgen. Andererseits beschließt der Rat erst im Februar 1522, dem Drucker 100 Exemplare zum Stückpreis von einem Gulden abzunehmen, um sie den Ratsmitgliedern, den Konsulenten und den Stadt- und Bauernschöffen aushändigen zu können.125 Da die Ratsverlässe als offizielle Protokollierungen einen besonderen Rang als Quelle haben und die Aufzeichnungen von Friedrich Peypus in den Stadt­ rechnungsbelegen erst von 1523 datieren und nicht aus laufend geführter Buchhaltung erwachsen sind, sondern eine zusammenfassende Abschlußrech­ nung mehrerer verschiedener Geschäftsvorfälle durch den Lieferanten dar­ stellen, wird man sich, was Einzelfragen angeht, eher an die Ratsverlässe halten wollen. Damit läßt sich — den Wunsch nach Klärung auch der letzten Feinheiten der Datierung der ersten Ausgabe einmal außer acht gelassen — zusammenfas­ send feststellen: Der Rat tritt als Herausgeber und als Verleger auf, er besorgt

121 122 123 124

Ebd. Vgl. Anm. 109. Vgl. Anm. 111. STAN, RV 673, fol. 18 vom 28. Februar 1522: „Von Fritzen Peipas soll man der gedruckten reformationen hundert nemen, eins für ein guldin und dann darvon yedem des rats, den doctom, stat- und paurnschöpfen aine geben ungepunden.“ Weitere Lieferungen zählt die Peypussche Rechnungslegung auf. 125 Der eben zitierte Ratsverlaß.

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durch seine Konsulenten die Textrevision126 und zahlt einen Vorschuß auf die Druckkosten von 150 Gulden. Der Verkaufspreis des ungebundenen Exem­ plars beträgt 1 Gulden127, des gebundenen Buches 1 Gulden plus 3 lb.128 Die Stadt nimmt dem Drucker insgesamt 126 Exemplare ab.129 Das Honorar für Albrecht Dürer, der den Titelholzschnitt geschaffen hat, betrug 7 Gulden.130 Die Kosten für das kaiserliche Privileg, das Peypus vor unbefugtem Nach­ druck schützen sollte, betrugen 5 Gulden.131 Auf den Verbleib seiner Zuschüsse hat der Rat sehr wohl geachtet, wie ein Beschluß vom 1. März 1522 ausweist, wonach man Peypus eine Frist bis zum 25. Juli einräumt, seiner Verpflichtung nachzukommen.132 Die Formulierung, dem Drucker eine Frist einzuräumen „zu seim gelt“ kann man interpretieren als Verpflichtung des Druckers, den erhaltenen Vorschuß zurückzuzahlen, oder aber man versteht sie — wie wir das aus der Kenntnis der anderen Quellen tun dürfen — als Auflage, seiner Lieferpflicht nachzukommen. Die Peypus-Rechnung von 1523 zeigt dann einen Abschluß der finanziellen Abwicklungen, wobei Peypus den Teil des Vorschusses, der nicht durch die Lieferung von Exemplaren der Rechtsreformation in Sachform zurückerstattet worden war, das waren rund gerechnet 21 Gulden133, durch Herstellung von Amtsdrucksachen abgegolten hat, die seine Aufzeichnung von 1523 im ein­ zelnen aufführt.134 126 Vgl. Anm. 105 u. 106. Daß es gerade die Konsulenten waren, ist freilich nur zu vermuten. Da die „doctores“ aber die einzig Rechtskundigen waren, hat die hier geäußerte Vermutung einigen Wahrscheinlichkeitswert. 127 Vgl. weiter unten die Peypussche Rechnungslegung, Ziff. 3. 128 Ebd., Ziff. 5. 129 Die Zahl errechnet sich aus der Addition der ebd. Ziff. 3, 4 u. 5. Sie ist noch an anderer Stelle der Stadtrechnungsbelege nachgewiesen. Es heißt für die Zeit vom 23. September bis 21. Oktober 1523: „Item 64 guld. landsw. Friderich Peypus für 126 reformacion etlich eingepunden, für etlich brief, mandat, mit den 7 fl. für etliche puchlein des großen almusus, 100 puchlein der stet abschid vom reichstag, 7 fl. über die 110 fl., so wir im vorgeben und ver­ rechnet haben.“ Gedruckt bei Albert Gümbel, Der ansbachische Hofmaler Philipp Mütel und der Druck der Brandenburger Halsgerichtsordnung vom Jahre 1516. In: Jahresbericht des Historischen Vereins für Mittelfranken 67 (1937), S. 53—61, hier S. 56, Anm. 8. 130 Ebd. zum Zeitraum 5. Marz bis 2. April 1522: „Item 107 guld. landsw., nemlich 100 fl. für sovil reformacien und 7 fl. für ein furm des gemds [! wohl: gemels] darzu zu schneiden.“ 131 Ebd. zum Zeitraum 21. Mai bis 18. Juni 1522: „Item 10 guld. landsw. Fridrichen Peypas für 10 reformation. Item 5 guld. für das brivilegio am kaiserlichen] hofe ausgeben, den nachdruck der stat reformacion betreffend, eodem die.“ 132 STAN, RV 673, fol. 19 zum 1. März 1522: „Fritzen Peipussen ist frist geben zu seim gelt, das man ime zu druckung der reformacion geliehen hat, pis auf Jacoby.“ 133 Subtrahiert man von den 150 Gulden Vorschuß (Rechnung Ziff. 2) die von Peypus nach der Ziff. 5 genannten 129 Gulden, kommt man freilich auf genau 21 Gulden. Eine Nachprüfung ergab jedoch als Summe der drei Posten (Ziff. 3,4 u. 5) 129 fl., 54 den. Auf die 54 Pfennig hat Peypus offensichtlich verzichtet. 134 STA Nürnberg, Reichsstadt Nürnberg, Stadtrechnungsbelege I, Nr. 1461.

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Fridrich Peypus, puchtrucker, rechnung von etwa vil gedruckt [1]

[2] [3] [4] [5]

Anno 1521 Jare. Item in dem jare verzeychent ist, hab ich, Friderich Peypus, buchdrucker, mein herren von Nürnberg ire reformation gedruckt und sy mir vergundt haben. Item mein herren haben mir I \ hundert guidein geben, do ich sy weit anfahen. Item daran haben mein herren zum ersten, do ich sy aufgedruckt hab, von mir genomen hundert reformation von eim stuck 1 florinus. Item darnach XVII ainzele geschyckt. Item mer neun gepundten reformation haben sy auch eynzel von mir genomen für eine III lb. und 1 fl.

Summa facit hundert XXIX fl.

[6] [7]

[8] [9]

In Anno 1522 Jar. Item ich hab in gedruckt sechshundert brieve von der Ordnung der betler135, ein umb II d., macht IIII fl. III ort. Item mer Vm brieve von der losung beschwerung, von einer I d., facit XX fl.136 Item sechzig brieve von der echt Hanns Bedenns für 1 zwen d., facit j fl. Item mer IIC und XL brieve von der warung auf das land; dar für

1 fl.

[10] Item mer XXV grosser mandat brieve, auch von der echt, die ich ins regiment gedruckt habe; dar für III ort.

[11] Item mer It und XVI brieve von der Ordnung der wirt und gest; darfur 1 fl. und III lb.; hat mir Gabriel Nwtzel137 angeben.

[12] Item mer hundert buchlin von abschidt der stet auf dem reychstag; darfur VII fl.

135 Vielleicht der folgende Druck: „Neuw Ordenunge der bettler II halben I In der statt Nürmberg II hoch von noten beschehen II M.D.XXII." — StadtAN, Mandate 1519—1522, Juli 23. — Zur Identifizierung der im Auftrag des Rates hergestellten Drucke hätte dienlich sein können der Bestand „Nürnberger Druckschriften“ im STAN (Rep. 56), auf den mich freundlicherweise Herr Dr. Gerhard Hirschmann hinwies. Doch blieb eine Durchsicht für die in den Stadtrech­ nungsbelegen und weiter unten genannten Drucke (vgl. Anm. 157) leider ergebnislos. 136 Die Auflage von 5000 für das Ausschreiben der Losung erscheint merkwürdig hoch. Einen Gulden zu 252 Pfennig gerechnet, kommt man bei dem genannten Stückpreis von 1 Pfennig tatsächlich auf 5040 Pfennig für 5000 Exemplare und damit ziemlich genau auf die von Peypus in Rechnung gestellten 20 Gulden. Auf die 40 Pfennig hat er wohl verzichtet. 137 Man möchte gern eine Verwechslung mit dem bekannten Zweiten Losunger Kaspar Nützel (um 1470—1529) annehmen. Doch begegnet auch ein Gabriel Nützel in dieser Zeit in offi­ zieller Funktion in der Stadtverwaltung (z. B. Januar 1521, Hampe, Ratsverlässe, wie Anm. 96, Nr. 1295).

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[13]

Item mer LXI brieve von den priestem und gotsheusern; darfur 1 ort. [14] Item mer hundert brief vom schweren und zudrinken, gros medion bapier; darfur 1 fl.138 [15] Item fünfzig dein derselbigen; darfur 1 ort. [16] Item mer hab ich ein buchla gedruckt, die schwerung des adels, darinnen mein herren einen mißfallen hetten, und ich das selbig anderst gedruckt habe müssen. Das sind 1600 bogen. Das setz ich meinen herren heim, darfur zu thun. [17] Item mer IIC buchla von dem grossen almusen dye neue Ordnung; dar für VII fl.139 Summa facitliXXIIIi fl. Ist daran gelt ab wie vor stet in meinem einnemen 150 fl., die ich in anfahung der reformacion hab empfangen. Rest mir noch darüber 23 gülden und ain halben. Und was mir mein hern für die 1600 pogen gutwillig mittaylen, die ich in der beschwerung des adels hab hin weck duen muessen, das setz ich zu haim. Diese Peypussche Auflistung ist für die Geschichte Nürnbergs ebenso belangvoll wie für die Druckgeschichte. Denn einmal geben die dort aufge­ führten amtlichen Drucksachen einen guten Einblick in die Maßnahmen der reichsstädtischen Verwaltung und zum anderen werden hier Druckerzeugnisse genannt, die fast sämtlich an keiner anderen Stelle mehr überliefert sind, so daß die Rechnung von 1523 allein die Quelle für eine entsprechende Druckertätig­ keit von Friedrich Peypus darstellt. In der Tat wird in der Literatur als Drucker Nürnberger Amtsdrucksachen in den zwanziger Jahren des 16. Jahr­ hunderts vor allem Jobst Gutknecht angeführt140, während des Peypus’ Tätig­ keit auf diesem Sektor bislang unbekannt geblieben ist — eben weil die Drucke sich nicht erhalten haben, oder weil der Drucker sich nicht nennt. Ausgenommen die „hundert buchlin von abschidt der stet auf dem reychstag“, womit der „abschid [. . .] aller reichstet“ von 1523 gemeint sein dürfte141, ist keine der amtlichen Drucksachen, die Peypus 1522/23 herstellt und in seinem Verzeichnis aufführt, bisher in einer Bibliographie nachgewiesen. 138 Vielleicht der acht Blätter umfassende Druck: „Handlung eynes Ersamen weysen Rats zu Nürnberg. Von dem grossen Laster der Gotsschwür und Zutrinkens“, StadtAN, Rep. A 6 Mandate, S. 12. 139 Vielleicht der 13 Blätter umfassende Druck: „Eins Rats der Stat I! Nürmberg Ordnung des grossen II allmusens haußarmer leut.“ StadtAN, Mandate 1519—1522, Juli 23. 140 So etwa in der Gesamtausgabe der Werke von Andreas Osiander d. Ä., hrsg. v. Gerhard Müller und Gottfried Seebaß. Bd. 5. Gütersloh 1983, S. 55 über Jobst Gutknecht: „er war auch sonst der Drucker der offiziellen Publikationen des Rates“. Die zahlreichen Belege für städtische Drucksachen bei A. Gümbel (wie Anm. 129), S. 58—61. 141 Kurztitelverzeichnis Nr. 114.

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Dabei handelt es sich immerhin um elf Titel allein in zwei Jahren, von denen zum Beispiel die „Brieve von der losung beschwerung“ in einer stattlichen Auflage von 5000 Stück herausgebracht wurden. Der Anteil dieser Broschüren und Mandate am Umsatz der Peypusschen Werkstatt war nicht unerheblich. Von den 173V2 Gulden, die Peypus 1523 dem Rat in Rechnung stellt, entfielen 129 Gulden auf die Reformation und immerhin 44V2 Gulden auf die Klein­ drucke. Als amtliche Druckwerke lassen sich auch die Publikationen ansprechen, die Peypus im Zusammenhang mit dem Reichstag von 1523 druckt142, auch wenn eine unmittelbare finanzielle Beteiligung der Reichsstadt nur in einem Falle, dem genannten „abschidt der stet“ bekannt ist. Peypus hatte Akten zum Nürnberger Reichstag von 1523 in zwei zusam­ menfassenden Drucken veröffentlicht; einer war in lateinischer, der andere in deutscher Sprache gehalten. Die einzelnen Bestandteile, so die Rede des päpst­ lichen Legaten in Latein, die Gravamina in Deutsch und das Inhaltsverzeichnis des deutschen Druckes haben im beigefügten Kurztitelverzeichnis bibliogra­ phisch getrennte Aufnahme gefunden, wobei der Verzeichnung der Bibliothek des Britischen Museums gefolgt wurde.143 Es ist denkbar, daß Teile der genannten Aktenpublikation gleichzeitig als Separata von Peypus gedruckt worden sind. Das inhaltliche Verhältnis der einzelnen Teile der Drucke zuein­ ander ist im entsprechenden Band der Edition der Reichstagsakten ausführlich erörtert.144 Was die Rolle des Druckers angeht, so bleibt die offizielle Tätigkeit von Peypus festzuhalten, der für den Rat bei der Veröffentlichung politisch bedeutsamer Unterlagen herangezogen wird. Gerne würde man unter diese, mindestens mit Billigung der reichsstädti­ schen Obrigkeit, zum Teil in ihrem Auftrag hergestellten Drucke auch jene Publikationen rechnen, die bei Peypus in Zusammenhang mit dem Nürnberger Religionsgespräch von 1525 und seiner Vorgeschichte herauskommen.145 Doch steht einer solchen Einordnung die Tatsache im Wege, daß Peypus sich in diesen Veröffentlichungen als Drucker nicht nennt. Das kann nicht anders als eine Vorsichtsmaßnahme interpretiert werden, so wie er sich praktisch nie nennt, wenn er in den Jahren der Einführung der Reformation in Nürnberg

142 Ebd. Nr. 111—115. 143 Alfred Forbes Johnson and Victor Scholderer, Short-title catalogue of books printed in the German-Speaking countries and German books printed in other countries from 1455 to 1600 now in the British Museum. London 1962. 144 Deutsche Reichstagsakten (wie Anm. 113), S. 391—393. 145 Kurztitelverzeichnis Nr. 117, 125, 126 u. 127.

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Autoren der evangelischen Seite druckt.146 Selbst wenn der Rat diese Erzeug­ nisse der Peypusschen Offizin gebilligt hat, so tritt er in diesen Fällen keines­ wegs als Auftraggeber oder Herausgeber in Erscheinung und vermeidet so, unmittelbar für diese verantwortlich gemacht werden zu können. Frei von kirchen- oder reichspolitischen Komponenten ist eine geschäftliche Auseinandersetzung des Jahres 1526 zwischen Nürnberger Druckern, in deren Verlauf der Nürnberger Rat auch den Eichstätter Bischof einschaltet. Da ver­ schiedene Kollegen von Peypus beteiligt sind und der Sachverhalt bisher miß­ verständlich dargestellt worden ist147, seien die beiden Quellenstücke, von denen das erste bislang keine Erwähnung gefunden hat, hier im vollen Wort­ laut wiedergegeben. Zunächst eine Niederschrift des Nürnberger Stadtge­ richtes vom 19. Januar 1526:148 In Sachen Friderichen Peypas, Hanns von Frannckfurts149 und Casper Weydel150, Ieronimus Holtzels151 gläubiger, ains und Micheln Kaller152 anderstails ist erkannt, das das angezogen verbot, durch den Kaller erlangt, geoffent sein. Und alle gläubiger an aids stat anrurn sollen, die pucher von Eystat nit von sich zu geben dann auf betzallung irer schulden. Wo aber solches gelt die summa irer schulden nit erraichen wurdt, das sie es hinter dits gericht zu yedestails gerechtigkeit erlegen und umb den vergang erkennen lassen wollen. Daruf haben sie angelobt. Actum in judicio sexta post Anthoni, 19 January 1526.

146 In den Jahren 1517 bis 1526 einschließlich waren bei Peypus insgesamt 30 Drucke von Autoren aus dem evangelischen Lager herausgekommen, darunter 14 Schriften von Martin Luther. Aus­ genommen vier Luther-Titel von 1520 waren alle Texte anonym, d. h. ohne Nennung des Druckers erschienen. 147 Hase, Die Koberger (wie Anm. 35), S. 145 gibt den Sachverhalt — vorsichtig formuliert — schwer verständlich wieder. 148 StadtAN, Lib. cons., Bd. 24, fol. 5. 149 Auch Hans Aichenauer von Frankfurt, der Schwiegersohn Höltzels; erwirbt 1526 das Nürn­ berger Bürgerrecht. Vgl. Helmut Claus, Die Endphase der Offizin Hieronymus Höltzels in Nürnberg. In: Studien zur Buch- und Bibliotheksgeschichte, Hans Lülfing zum 70. Gebunstag. Berlin 1976, S. 97—108, hier S. 103, Anm. 29. Er beruft sich auf Rudolf Wagner, Nachträge zur Geschichte der Nürnberger Musikdrucker im sechzehnten Jahrhunden. In: MVGN 30 (1931), S. 107—151, hier S. 116. Daß Hans Aichenauer 1526 Setzer bei Peypus ist, teilt mit J. Benzing, Die Buchdrucker (wie Anm. 46), S. 357, Nr. 23 a. 150 Buchführer in Nürnberg 1520 bis 1527. Vgl. H. Grimm, Die Buchführer (wie Anm. 1), Sp. 1219—1220. 151 Vgl. Benzing, Die Buchdrucker (wie Anm. 46), S. 352, Nr. 4. 152 Ein Michael Kaller, „Puchtrucker“, heiratet am 18. 2.1526 Margaretha Fleck. Das älteste Ehe­ buch der Pfarrei St. Sebald in Nürnberg 1524—1543, hrsg. v. Karl Schornbaum. (Freie Schrif­ tenfolge der Gesellschaft für Familiengeschichte in Franken. 1.) Nürnberg 1949, Nr. 3490.

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Friedrich Peypus (1485—1535)

Die Angelegenheit wird deutlicher unter Beiziehung der zweiten Quelle, bei der es sich um die Abschrift eines Briefes der Stadt Nürnberg an den Bischof von Eichstätt vom 25. Januar 1526 handelt.153 Herrn Gabrieln, Bischoven zu Eystet154 Würdiger Herr. Jeronimus Holtzels etwo unsers burgers diener einer, Michel Kaller genannt, hat hievor uf etliche pucher so benannter Holtzell E[uer] F[ürstliche] G[naden] zu trucken angefangen und durch seinen ayden, Hannsen von Franckfurt, volend sein, von wegen etlichs lidlons ein verbot erlangt und demselben an unserm statgericht, wie recht ist, nachgevolgt. Hat benanter Hans von Franckfurt, Friedrich Peypus und Caspar Weydell auch unser burger und gläubiger benants Holtzelß solich verpot zu recht vertreten. Und ist zwischen benannten teiln ein urteil ergangen wie das inverwarte copi davon zu erkennen gibt. Darauf euch dann die bede teil gepetten, nachdem dieselben pucher yetzo Eur F[ürstliche] G[naden] gegen betzalung derselben zugefertigt sein, ine mit furdrung zu erscheynen, damit sy von derselben summa irs verdienten lidlons und schulden, wie pillich ist, betzalt werden. Bitten demnach Eur F[ürstliche] G[naden] wir gantz unterthenigs vleis, die gesuchen diese arme gesellen irer schulden halben gnediglich zu bedenken und ine von dem gelt der bestimbten pucher halben gnedige betzalung oder yr zum wenigsten zu verschaffen, domit deshalben urteil volg beschee. Daß wollen wir uns Eur F[ürstliche] G[naden] in underthenigkeit verdienen. Datum donerstag 25 January 1526. Der Sachverhalt stellt sich also wie folgt dar. Hieronymus Höltzel, 1525155 der Stadt verwiesen und deswegen „etwo unser burger“ genannt, war seinem Diener Michael Kaller Lohn schuldig geblieben. Dieser hatte daraufhin zur dinglichen Sicherung seiner Ansprüche die Auflage eines bei Höltzel herge­ stellten, von dessen Schwiegersohn („ayden“) Hans von Frankfurt vollendeten Eichstätter Breviers156 mit Beschlag belegt. Aber auch andere Nürnberger hatten noch Forderungen an Hieronymus Höltzel; genannt werden Friedrich Peypus, Hans von Frankfurt und Caspar Weydel. Diese erwirken vor dem Nürnberger Stadtgericht eine Freigabe der genannten Bücher für den Verkauf, damit aus dem Erlös Höltzels Schulden bezahlt werden können. Der Nürn153 STAN, Reichsstadt Nürnberg, Briefbücher, Nr. 92, fol. 3. 154 Gabriel von Eyb, Bischof von Eichstätt 1496—1535. 155 Höltzel wurde nicht schon, wie bisher stets angenommen, 1524 der Stadt verwiesen. Den Nachweis führt H. Claus, Die Endphase (wie Anm. 149), S. 99. 156 Hase, Die Koberger (wie Anm. 35), S. 145 schreibt irrigerweise von einem Eichstätter Missale. Vollständige bibliographische Angaben bei Claus, Die Endphase (wie Anm. 148), S. 105, Nr. 10.

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berger Rat wendet sich an den Bischof von Eichstätt mit der Bitte, die bestellten Bücher auch abzunehmen und zu bezahlen, damit die Gläubiger von Hieronymus Höltzel („diese arme gesellen“) zu ihrem Geld kommen. Wie die Sache ausgegangen ist, konnte nicht ermittelt werden. Bemerkens­ wert bleiben einige für die Buchgeschichte wichtige Einzelheiten, so die Ver­ hältnisse unter den Nürnberger Buchdruckern; beachtenswert ist, daß der Rat sich für die wirtschaftlichen Interessen seiner Bürger nach außen hin einsetzt. Der Rat begegnet in diesen und in den nächsten Jahren noch mehrfach als Zensor Peypusscher Druckerzeugnisse. Das erste Mal im Juni 1525, als er beschließt: „Dem Peipas vergönnen, die nehern Ordnung und Satzung in ain quatern zu drucken, sovil er der verkaufen mag.“157 Was für eine Veröffentli­ chung gemeint war, hat sich nicht ermitteln lassen. Von den im Kurztitelver­ zeichnis des Anhangs aufgelisteten Publikationen des Jahres 1525 kommt keine in Frage, und wir werden nicht fehlgehen, in der genannten „Ordnung und Satzung“ eine den Zwecken reichsstädtischer Verwaltung dienende kleinere Drucksache zu sehen, von der sich kein Exemplar erhalten hat, allenfalls noch eines unentdeckt in den Akten ruht.158 Von größerem Gewicht war eine Veröffentlichung von 1528, über die es zu einer Auseinandersetzung mit dem Rat kam. Der Streit entzündet sich an einem Teil-Plagiat des bekannten Werkes von Albrecht Dürer: „Vier Bücher von menschlicher Proportion“. Dürer war während der Herausgabe dieses Buches verstorben (es erschien posthum am 31. Oktober 1528).159 Dürers frü­ herer Schüler Sebald Beham nun behandelte im Sommer 1528 ein Kapitel aus dem Dürer-Buch als eigenständige Veröffentlichung, die „Proporcion der ross“160, zu der er sich von Dürers Drucker Hieronymus Formschneider die Holzstöcke schneiden ließ.161 Gedruckt wurde das Buch bei Friedrich Peypus. Dürers Witwe Agnes sah sich durch dieses Verhalten geschädigt, und es dürfte der Ratsbeschluß vom 22. Juli auf ihren Antrag hin zustandegekommen sein: „Iheronimus Formschneidern und Sebald Behem, malern, soll man verpieten, nichts der proporcion halben ausgeen zu lassen, pis das exemplar, vom Dürer

157 STAN, RV 714, fol. 24. Gedruckt in: Quellen zur Nürnberger Reformationsgeschichte. Von der Duldung liturgischer Änderungen bis zur Ausübung des Kirchenregiments durch den Rat (Juni 1524—Juni 1525), bearb. v. Gerhard Pfeiffer (Einzelarbeiten aus der Kirchengeschichte Bayerns. Bd. 45). Nürnberg 1968, S. 99, Nr. 754. 158 StadtAN verwahrt zu 1525 sechs datierte Mandate, ein firmierter Peypus-Druck ist nicht dar­ unter. — Zum entsprechenden Bestand des STAN vgl. Anm. 135. 159 Josef Benzing, Humanismus in Nürnberg 1500—1540. Eine Liste der Druckschriften. In: Albrecht Dürers Umwelt. Festschrift zum 500. Geburtstag Albrecht Dürers. (Nürnberger For­ schungen, Bd. 15.) Nürnberg 1971, S. 255—299, hier S. 265, Nr. 80. 160 Kurztitelverzeichnis Nr. 181. 161 Vgl. W. Schultheiß, Albrecht Dürers Beziehung zum Recht (wie Anm. 107), hier S. 244.

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Friedrich Peypus (1485—1535)

gemacht, ausgangen und gefertigt ist, bey straff eins erbern rats, die man gegen iren leib und gütern furnemen würd.“162 Vorstellungen von Sebald Beham gegen dieses Gebot nützten nichts, der Rat beharrte auf seinem Standpunkt: „Sebald Behaim, maler, sein begernablaynen und noch bei vorigem beschied lassen bleiben, nichts ausgeen zu lassen, biß Dürer ding vor außgee.“163 Einige Tage später, am 31. August 1528, wird auch der Drucker Gegenstand eines Ratsbeschlusses: „Sebald Behaim beschicken, dergleichen wer sein buchlein gedruckt, und herwiderbringen“.164 Wie es scheint, haben sich Autor und Drucker nicht an die ihnen gemachte Auflage gehalten und das Buch trotz des Verbotes erscheinen lassen, denn am 2. Sep­ tember heißt es in einem Ratsverlaß: „Dem Peypus, Sebald, malers, gedruckten buchs halben ein strefliche rede sagen.“165 Friedrich Peypus kommt also mit einer Verwarnung davon. Härter wird er 1531 vom Rat angefaßt, als er gemeinsam mit Peter Witzei einer Angelegenheit wegen, von der wir außer einem Ratsverlaß keine Kenntnis haben, mit Gewaltmitteln verhört wird.166 Weiter kommt Peypus in dieser Sache nicht in den Beschlüssen des Inneren Rates vor, und die Angele­ genheit hat womöglich ein rasches Ende genommen. Ähnliches gilt für eine Erwähnung im folgenden Jahr, wo es unter dem 15. November heißt: „Friderichen Peypuß verpitten, der von Wallenfels verkundung nit zu drucken.“167 Auch hier waren nähere Umstände nicht zu ermitteln, insbesondere war nicht in Erfahrung zu bringen, um welches Dokument, dessen Veröffentlichung hier untersagt wird, es sich gehandelt hat. Zu seinen Lebzeiten kommt Peypus in den Unterlagen der reichsstädtischen Verwaltung — soweit dieses zu ermitteln war — nicht mehr vor. Lediglich

162 Th. Hampe, Ratsverlässe (wie Anm. 40), Nr. 1621. Albrecht Dürer, Schriftlicher Nachlaß, hrsg. v. Hans Rupprich. Bd. 1. Berlin 1956, S. 243, Nr. 26. 163 Dürer, Schriftlicher Nachlaß (wie Anm. 162), S. 243, Nr. 27. Ein Jahr später regelt der Rat Nachdruckfagen generell: „Den Puchtruckem gepieten, das einer dem andern nichts nachdrucke, biß es zuvor von dem, der ein ding erstlich drücke, ausgee und verkauft werde.“ STAN, RV 773, fol. 19 v. zum 18. August 1529. 164 STAN, RV 760, fol. 23. Gedruckt bei Th. Hampe, Ratsverlässe (wie Anm. 40), Nr. 1631. 165 STAN, RV 760, fol. 26. Gedruckt bei Th. Hampe, Ratsverlässe (wie Anm. 40), Nr. 1634. 166 STAN, RV 796, fol. 22 zum 9. Mai 1531: „Fritz Peypus und Peter Witzei zu red halten, pinden und betrohen.“ 167 STAN, RV 817, fol. 2 v. Bei den genannten „Wallenfels“ dürfte es sich um die Freiherren von Waldenfels handeln. Vgl. Otto Frhr. v. Waldenfels, Die Freiherren von Waldenfels. 5 Bde. München 1952—1970.

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einige Jahre nach seinem Tode begegnet er noch einmal anläßlich einer auswär­ tigen Forderung an ihn.168 Aus den erhaltenen Archivalien geht hervor, daß Peypus Geschäftsbezie­ hungen bis nach Goslar unterhalten hatte, ein Umstand, der bislang unbekannt gewesen ist. Der Goslarer Stadtjurist Dr. Ludwig Trute(n)buhl169 hatte aus einer Bücherlieferung — leider geht aus der Quelle nicht hervor, um was für Literatur es sich gehandelt hat — noch eine Geldforderung an Peypus und hatte sich deswegen an den Nürnberger Rat gewandt. Der holte Ende 1538 eine Stellungnahme der Witwe von Friedrich Peypus ein und fügte diese seinem ansonsten zum materiellen Gehalt keine Stellung beziehenden Ant­ wortschreiben bei. Ludwig Trute(n)buhl hat dann noch einmal geschrieben, und der Rat sah sich genötigt, Martha Peypus erneut zu einer Äußerung zu ersuchen, die er am 13. Mai kritisiert: M. Friderich Peipussin sagen, ir antwurt auf D. Ludwigs Trutenpüls schreiben klinge nit wol, sonderlich der 15 fl. rh. zinß halben von der ainigen truhen, in dem so sey si etwas spitzig gestellt, darumb soll si di endern und des zinß halben lauter richtig antwurt geben, dabey si wüst zu beßern, und widerpringen.170 Die angeforderte Antwort anzumahnen sah der Rat sich einige Tage darauf veranlaßt: „Der Friderichen Peypussin nachmals ansagen, ir antwurt auf D. Ludwigs Trutenpüls schreiben lauter und wahrhaftig in 3 Tagen zu geben bey

168 STAN, Reichsstadt Nürnberg, Briefbücher Nr. 119, fol. 6 v—7.: „Unser willig dienst eur wirdigkeit voran bereit, würdiger hochgelehrter lieber herr. Wir haben eur schreiben wider wei­ land unsern burger Friderichenn Beypuss buchtrucker seligen etlicher ime zugestellter pucher und derhalb euch ausstendigen gelts halb an uns ausgangen vor etlichen wuchen [!] empfangen und alles inhalts vernomen. Darauf dasselbig Margreth seiner verlassen wittib alspald umb bericht und antwurt furhalten lassen. Welchs sich aber irenhalben aus etlichen uns angezeigten Verhinderungen bisher verzogen und uns die allererst heut dato zugestellt. Wie ir inligends nach längs zu vernemen habt. Darauf werd ir euch nun eur gelegenheit nach verner unzweifel wol wissen zu richten. Und wolten euch das dan wie zu willfarig dienstbarkeit nit ungeneigt, zu antwurt nit verhalten. Datum sambstags 28 decembris 1539.“ Das Schreiben ist gerichtet an Ludwig Truterbule, Licentiat der Rechte und der Stadt Goslar Advocat. Die Jahreszahl ist des an Weihnachten liegenden Jahresbeginns im damaligen Nürnberg wegen nach heutigem Gebrauch auf 1538 umzuschreiben. 169 Über ihn unterrichtet v. a. Siegfried Joost, Notizen zum frühen niederdeutschen Bibeldruck. Ein Beitrag zur Halberstädter Bibel. In: Archiv für Geschichte des Buchwesens 1 (1956), S. 226—244 mit Einzelmitteilungen zur Drucker- bzw. Verlegertätigkeit. — Dazu Walter Bau­ mann, Geschichte des alten Halberstädter Buchdrucks. Ebd. S. 245—249. Trutebul hatte sich 1504 in Wittenberg immatrikuliert, wurde 1513 Ratsmitglied in Halberstadt und später Bürger­ meister. 1528 wurde er Syndikus in Goslar. 170 STAN, RV 903, fol. 10 v.

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eins raths straf.“171 Weitere Nachrichten fehlen.172 Das ist bedauerlich; denn man hätte gerne noch genauer gewußt, welcher Art die Beziehungen zwischen dem Goslarer Ratsjuristen auf der einen und dem Nürnberger Drucker und Buchhändler auf der anderen Seite gewesen sind. 5. Das soziale Umfeld; die zweite Ehe

In seinem Schreiben an Ludwig Trute(n)buhl vom 28. Dezember nannte der Nürnberger Rat die noch lebende Witwe von Friedrich Peypus „Margreth seine verlassen wittib“. Diese Martha oder Margaretha ist jedoch nicht iden­ tisch mit seiner ersten Ehefrau, der Tochter Ulrich Pinders, die wir aus dem Ehevertrag kennen.173 Margarethe Pinder stirbt vor 1527, wie aus zwei Urkunden hervorgeht, auf Grund derer sich die Verwandschaftsverhältnisse in einer graphischen Übersicht wiedergeben lassen. Zunächst erscheint am 4. Februar 1527 vor dem Nürnberger Stadtgericht Hans Pinder, Sohn des bereits 1519 verstorbenen Ulrich Pinder174 und dessen Ehefrau Margaretha. Letztere war 1526 verstorben175 und Hans Pinder zahlt seiner Schwester Anna und seinem Schwager Friedrich Peypus je 33 Gulden anteiliges Erbe aus dem Vermächtnis der verstorbenen Margaretha Pinder aus. Bei Gelegenheit dieser Beurkundung heißt es, daß des Peypus’ Ehefrau Mar(gare)tha, geb. Pinder, nicht mehr lebe, und daß für die drei Kinder aus dieser Ehe Jakob Kopfinger, Friedrich Peypus und Hans Zeler die Vormundschaft übernommen hatten:176

171 172 173 174

STAN, RV 903, fol. 16 v. Eine schriftliche Anfrage beim Stadtarchiv Goslar blieb leider ergebnislos. Vgl. weiter oben Anm. 50. Das Todesjahr von Ulrich Pinder wurde bisweilen mit 1509 angegeben. Vgl. G. Scheja (wie Anm. 51), S. 440, Anm. 8. Unter Benutzung der Totengeläutbücher richtig 1519 ermittelt bei Bosls Bayerischer Biographie (wie Anm. 51). 175 Zwischen dem 19. 9. und dem 19.12. Vgl. Nürnberger Totengeläutbücher III. St. Sebald 1517—1572, bearb. v. Helene Burger (Freie Schriftenfolge der Gesellschaft für Familienfor­ schung in Franken. B. 19). Nr. 709: „Margaretha doctor Ulrich Pinterin auf St. Gilgen Hof.“ 176 StadtAN, Lib cons., Bd. 25, fol. 23.

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Jacob Kopffinger177 und Fridrich Peypus für sich und Hannsen Zeler178, iren abwesenden mitvormund itzgemelts Peypus dreien kinden, mit Martha Pindterin seiner ersten hausfrauen seligen in erster ehe eelichen geporn, Anna Pindterin, itzund Hannsen Wagners eewirtin, in beisein und mit verwilligung desselben irs haußwirts. Bekennen, das inen Hanns Pindter, ir bruder und Schwager, allen und jeden iren gepurenden aner­ storben erlebten mütterlichen und annfraulichen erbteil von Margreth, Doctor Ulrich Pinders seligen verlassen wittibwen, irer mutter und annfrauen seligen, herkumen, nemlich ir jedem darfur dreyunddreissig gülden in muntz entricht und bezallt haben. Sagen ine und all sein erben für sich und all ire erben angetzogens mütterlichen und annfraulichen erbteils halben quidt, frey, unanspruchig, ledig und loos. Also das sie hinfuro kein Zuspruch zue ime angetzogens erlebten mütterlichen und annfraulichen erbteils halben mer gewinnen oder verners begern thun, sunder an dem wie vorgemelt ein gut genügen haben wollen. Alles ist pester form ane geverde. Doch ist in solchem uf ein ort gesetzt die schuld, so her Ulrich Pinder licentiat schuldig ist. Also das ein jeder obgemelter teil sein gepurenden teil daran noch zu gewarten haben sol. Actum in iudicio ut supra.179 In einer zweiten Urkunde vom selben Tag läßt Friedrich Peypus die Erb­ schaftsregelung nach dem Tode seiner Frau Mar(gare)tha, geb. Pinder, offiziell beurkunden. Dieser Todesfall dürfte nicht allzu lang vor dieser Beurkundung eingetreten sein und hatte diesen Rechtsvorgang wie auch den in der vorste­ hend erwähnten Urkunde festgehaltenen veranlaßt. Demnach stehen den genannten drei Kindern von Friedrich Peypus aus dessen Ehe mit Mar(gare)tha Pinder die erwähnten 33 Gulden zu sowie die Hälfte seines, des Peypus’ Sach­ vermögens. Auf diesen letzteren Besitz hatten die Kinder Anspruch als Erben ihrer Mutter, wie es seinerzeit der Ehevertrag von 1512 vorgesehen hatte, wonach, wenn der Ehe Kinder entspringen sollten, diese im Falle des Todes der Ehefrau gemeinsam mit dem Witwer erben sollten.180 Die Kinder sind aber 1527 noch unmündig, und so übernimmt Friedrich Peypus die treuhänderische Verwaltung des seinen Kindern zustehenden Erbteils bis zu deren Volljährig177 Ein Jacob Kopfinger ist belegt als Unter Käufel Erbs und Eigens für 1523—1543 im StadtAN, Reichsstädtisches Ämterbuch, Ratskanzlei Nr. 125, S. 289. Das Totengeläutbuch von St. Se­ bald (wie Anm. 175) nennt in Nr. 4819 den Tod von Jacob Kopfinger in der Zeit vom 24. 5. bis 20. 9. 1553. Letzte Sicherheit für die Identität mit dem hier genannten fehlt. 178 Ein Beutler dieses Namens stirbt in der Spanne vom 19. 5. bis zum 15. 9. 1529 laut Totenge­ läutbuch St. Sebald (wie Anm. 175), Nr. 891. 179 Aus der vorstehenden Urkunde wurde die Datierung entnommen. 180 Vgl. weiter oben Anm. 50.

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Friedrich Peypus (1485—1535)

Verwandtschafts Verhältnisse von Friedrich Peypus Dr. Ulrich Pinder (5) Margarethe t 1519

Friedrich Peypus 1. GD Mar(gare)tha 1512 t 1535

f 1526

Hans 1527 genannt

Anna GD Hans Wagner 1527 genannt

t 1527

2. GD Mar(gare)tha t 1540

Hans Hayd, 1535 GD Kunigunde Buchdrucker 1527 noch nicht volljährig

Stephan 1527 noch nicht volljährig

Anton 1527 noch nicht volljährig 1529 als Buchdrucker tätig

keit und sichert ihnen bis dahin Unterhalt zu, der von dem bei Eintritt der Volljährigkeit auszubezahlenden Erbteil nicht abgezogen werden soll:181 Fritz Peypus bekannt; nachdem er drey kinder mit Martha Pinderin, seiner ersten hausfrauen seligen, eelichen geporn, mit namen Anthoni, Stephan und Kungundt, welchen itzgedachten kindern Jacob Kopffinger und Hanns Zeller zu Vormündern verordent und gesetzt und aber itzge­ dachten dreien kindern dreyunddreissig gülden anerstorbens erbteils von irer anfrauen Margarethen, doctor Ulrich Pindters seligen wittib, zuge­ standen und zu irem angepurenden teil worden und gefallen, welche dreyunddreissig gülden sambt dem halbenteil seiner habe und guttere, so itzgedachten seinen kindern laut des inventariumbs, deshalben beteuert und aufgericht, zusten, er zu seinen handen genomen und innenhabe. Das er darauf die itzgemelten dreyunddreissig gülden sambt dem vorgemelten halbenteil den kindern zu gut getreulich Vorhalten und vortragen auch itzgedachte seine kinder, bis sie zu iren völligen jaren kumen, hin­ bringen und erneren, mit claidung und aller ander zimlich nottorft ver181 StadtAN, Lib. cons., Bd. 25, fol. 23 v.

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sehen und die losung zalen woll. Und wann der kinder ains zu seinen völligen jahren kumbt, alßdann demselben ane allen abgang seinen gepurenden teil zu geben und zuzustellen, ane alle sein cost und schad. Beredt und verspricht auch derhalben obgemelt seiner kinder Vormünder ane iren costen schadlos zu halten. Und setzt ine, den Vormündern, auch derhalben zu unterpfandt ein alle seine habe und guttere umb solchs vor meniglich erste betzalere zu sein. Alles als in erclagtem, ervolgtem und unverneutem und in pester form der rechten.

Actum in judicio 2 post purificationis Marie 4 Februari, 1527. Mar(gare)tha Peypus, geb. Pinder, also war Anfang 1527 oder schon Ende 1526 gestorben. Das Totengeläutbuch von Sankt Sebald nennt aber unter den im Frühjahr 1540 Verstorbenen „Margareth Beypusin am Milchmarkt“.182 Das kann nur jene Margaretha Peypus sein, die 1538/39 als Witwe des Druckers in der Angelegenheit Trute(n)buhl begegnet. Sie kann nicht identisch sein mit der 1527 als verstorben erwähnten ersten Ehefrau von Friedrich Peypus, der Tochter des Arztes Ulrich Pinder. In der zweiten zitierten Urkunde wird der 1527 noch unmündige Anton Peypus, der Sohn von Friedrich Peypus, genannt. Sein Name war den Buchhi­ storikern schon seit einiger Zeit bekannt; daß er der Sohn von Friedrich Peypus war, hatte man bislang nur vermuten können.183 Aus dem Jahr 1529 kennen wir einen Druck, „Ein tröstlich artzeney wyder die Engelisch schwayssucht“, auf dessen letzter Seite sich der Drucker selber nennt: „Gedruckt druch [!] den jungen Anthoni Peypus. 1529.“184 Josef Benzing hatte ermittelt, daß die hier verwendeten Typen sonst bei Friedrich Peypus begeg­ nen, und in Anton Peypus einen Sohn von Friedrich Peypus vermutet.185 Die von Benzing bei jener Gelegenheit erhofften „archivalischen Funde“, die seine Hypothese hätten erhärten sollen, können nun vorgelegt werden. Bleibt nur noch der Hinweis zu machen, daß der Druck von 1529 der einzige ist, der bis­ lang von Anton Peypus bekannt geworden ist, so daß man der Annahme von Benzing folgen wird, wonach ein früher Tod weitere Arbeiten und erst recht eine Übernahme der väterlichen Werkstatt verhindert hat.

182 Wie Anm. 175, Nr. 2149. 183 J. Benzing, Die Buchdrucker (wie Anm. 46), S. 357, Nr. 23 b. 184 Josef Benzing, Anton Peypus zu Nürnberg, ein vergessener Drucker des 16. Jahrhunderts. In: Gutenberg-Jahrbuch 1965, S. 169—170. 185 Ebd., S. 169.

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Friedrich Peypus (1485—1535)

Die Tochter Kunigunde heiratet am 14. Februar 1535 Hans Hayd, „puchtrucker“.186 An Drucken unter seinem Namen ist bisher nur ein einziger bekannt geworden, Luthers „Neue Zeitung von den Wiedertäufern zu Mün­ ster“.187 Eine weitere Quelle aus der reichsstädtischen Verwaltungsüberlieferung für Leben und Werk von Friedrich Peypus stellt das Ämterbüchlein dar.181 In diesem Verzeichnis wird er von 1513 bis 1534 ohne Unterbrechung als Buch­ drucker geführt. Die jährlich neu erstellte Liste ist wohl nach dem Gesichts­ punkt der Anciennität geführt worden. In der ersten Aufstellung von 1513 nimmt Peypus die letzte Stelle der aufgeführten fünf Drucker ein, nach Hiero­ nymus Höltzel, Hans Stuchs, Wolfgang Huber und Adam Dion. Ab 1527 schließlich bis zu seinem Ableben führt er die Liste an. Peypus hat in seiner Werkstatt über die Jahre hinweg verschiedene Setzer als Mitarbeiter beschäftigt. Die Druckergesellen werden ab 1524 ebenfalls im Ämterbüchlein eingetragen, da der Rat sie so auf dieselben Verpflichtungen einschwören kann wie die jeweiligen Leiter der Druckereibetriebe. Doch geschieht diese Eintragung erst ab 1526 so, daß die Zuordnung der einzelnen Setzer zu den jeweiligen Arbeitgebern deutlich wird. Als Setzer von Peypus werden genannt: Hans von Frankfurt189 (1526, 1527), Veit Hetzel190 (1526, 1527, 1530, 1531, 1532), Nikolaus Kindsecker (1527, 1528), Peter Eberbach (1527,1528), Anton von Walles (1528,1529,1532) und Simon Tünckel191 (1529, 1532, 1533). Ohne Namensnennung bleibt die Nachricht von 1527, wonach ein Korrektor des Peypus im Zusammenhang mit einer Untersuchung gegen die Wiedertäufer der Stadt verwiesen wird.192 Die große Zahl der Namen darf 186 Ehebuch St. Sebald (wie Anm. 152), Nr. 1832. So auch J. Benzing, Die Buchdrucker (wie Anm. 46), S. 357, Nr. 27. Die dortige Mitteilung, wonach Hans Hayd (oder Johann Haden) 1536 bis Anfang 1538 im Ämterbüchlein auftauche und später als Formschneider gearbeitet habe, hat sich anhand der Quelle nicht verifizieren lassen. STAN, Rep. 62, Ämterbüchlein (jahrgangsweise). 187 Josef Benzing, Lutherbibliographie, Nr. 3144. 188 STAN, Rep. 62, Ämterbüchlein. 189 Vgl. weiter oben Anm. 149. 190 Ein „Buchstabengiesser in der Irrergaß“ mit dem Namen Veit Hetzel stirbt zwischen dem 20. 9. und dem 20. 12. 1564. Vgl. Totengeläutbuch St. Sebald (wie Anm. 175), Nr. 8014. Es dürfte sich um dieselbe Person handeln. 191 Er begegnet merkwürdigerweise, während er als Setzer bei Peypus nachgewiesen ist, bereits als selbständiger Drucker. Vgl. J. Benzing, Die Buchdrucker (wie Anm. 46), S. 357, Nr. 25. In dem Einblattdruck „Die Eulenbeize“ (undatiert) teilt Simon Tünckel eine Adresse mit: „Zu Nürmberg bey Simon Tünckel im Tuchscherer gassei“ (Flugblätter der Reformation und des Bauernkrieges. 50 Blätter aus der Sammlung des Schloßmuseums Gotha, hrsg. v. Hermann Meuche. Leipzig 1976. Nr. 26). — Es ist danach nicht zu entscheiden, ob Tünckel dort gedruckt oder/und verkauft hat. 192 STAN, RV 741, fol. 7 vom 14. März: „Den Neberschmid und des Beypus corrector sol man annemen und ins loch legen.“ — RV 742, fol. 20 v. vom 4. April: „Zu erkunden, ob des Beypus corrector, dem die stat versagt, noch hie sey“.

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nicht täuschen. Peypus hat — so wie auch seine Kollegen — immer nur einen, höchstens zwei Setzer auf einmal beschäftigt.193 Die Fluktuation in dieser Berufsgruppe war allerdings groß, und so wechseln die Namen häufig. Oft verändert sich der Druckergeselle auch während des Jahres, und so sind Mehr­ fachnennungen desselben Setzers bei verschiedenen Arbeitgebern möglich. Die letzte Eintragung von Peypus im Ämterbüchlein gibt einen Hinweis auf sein Ableben. Für 1535 hatte man ihn zunächst eingetragen, seinen Namen dann jedoch durchgestrichen. Mit dem Jahr 1535 enden die Drucke von Peypus194, 1538 wird er als tot bezeichnet.195 Sieht man nun, daß er die Miete für sein Ladengeschäft an der Südseite des Rathauses nur für die erste Hälfte des Jahres entrichtet hat, die zweite Rate von Jörg Fischer gezahlt wird196 und Peypus im nächsten Jahr folgerichtig nicht mehr als Mieter in Erscheinung tritt, wird man kaum fehlgehen, 1535 als das Todesjahr von Peypus anzuset­ zen. 6. Zum Verlagsprogramm Nachdem so die wichtigsten Daten zum Leben von Friedrich Peypus vor allem aus der Überlieferung der reichsstädtischen Quellen zusammengetragen werden konnten, sei zum Schluß ein Gesamtblick über das Werk unseres Druckers versucht, für den als Quelle die von ihm herausgebrachten Schriften zur Verfügung stehen. Eine fachliche Aufteilung der im Kurztitelverzeichnis aufgelisteten 281 Titel ergibt folgendes Bild: Theologie Klassische Philologie, Humanismus Neue Zeitungen Astronomie, Kalender Bibeldrucke (auch Teilausgaben) Recht und Geschichte Medizin Kunst und Musik

: : : : : : : :

126 66 34 17 12 11 10 5

193 So zeigen es die Eintragungen im Ämterbüchlein. Denkbar bleibt, die Drucker hätten über die dem Rat angezeigten Setzer hinaus noch weitere Gehilfen beschäftigt. So wissen wir von Hans Hergot, der ebenfalls nur mit einem oder zwei Setzern im Ämterbüchlein erscheint, daß im Jahr 1524 vier Gesellen für ihn tätig waren. Vgl. Frank Ganseuer, Hans Hergot und der „linke Flügel der Reformation“ in Nürnberg. In: MVGN 71 (1984), S. 149—166, hier S. 155 mit einem Beleg aus den Ratsverlässen. 194 Vgl. Kurztitelverzeichnis. J. Benzig, Die Buchdrucker (wie Anm. 46), S. 354 kennt noch einen Druck von 1537; doch steht dieser so isoliert da, daß man Zweifel an der Zuschreibung, bzw. Datierung wird äußern dürfen. 195 In dem Briefwechsel mit Goslar; vgl. Anm. 168. 196 Vgl. Anm. 87.

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Daß die Theologie mengenmäßig an erster Stelle steht, kann nicht als außer­ gewöhnlich betrachtet werden. Hierin spiegelt sich die geistige und geistliche Unruhe jener Jahre, in denen Friedrich Peypus als Drucker tätig war. Eine Verzerrung des Bildes in Richtung auf eine Überbetonung der Theologie könnte allerdings daher rühren, daß die Arbeiten von Luther und Osiander bibliographisch besonders gut, man darf sagen praktisch lückenlos erfaßt sind.197 Die im Gesamtverzeichnis recht ansehnliche Zahl von 17 Kalender- und Astronomiepublikationen — es werden viel mehr gewesen sein, da gerade solche Kleindrucke schlecht überliefert sind — erklärt sich wahrscheinlich weniger aus wissenschaftlichem Interesse des Druckers an Mathematik und Astronomie, sondern dürfte auf geschäftliche Überlegungen zurückzuführen sein. Kalender, vor allem wenn sie Voraussagen für das kommende Jahr ent­ hielten, fanden stets ihren Käuferkreis. Die klassischen und humanistischen Autoren stehen mit 66 Veröffent­ lichungen nach den theologischen Titeln an zweiter Stelle. Diese Einordnung schmälert nicht die Bedeutung von Peypus für den Nürnberger Humanismus, wenngleich man der Feststellung von Grimm, wonach Peypus der Drucker des Humanismus in Nürnberg für die Zeit von 1512 bis 1534 gewesen sei, kaum wird folgen können.198 Denn vergleicht man die Tätigkeit unseres Druckers mit den Publikationen seiner Kollegen199, so nimmt Peypus nur für die Spanne von 1512 bis 1523 die erste Stelle unter den Nürnberger Druckern ein; er hat in diesen Jahren aber auch kaum Konkurrenz außer in Hieronymus Höltzel, für den von 1512 bis 1523 neun humanistische Drucke und von 1500 bis 1523, also für einen Zeitraum, welcher seiner Länge nach dem der Gesamttätigkeit von Peypus vergleichbar ist, 34 solcher Veröffentlichungen nachweisbar sind. Von den bedeutenderen Einzelwerken, die bei Peypus herausgekommen waren, ist die Nürnberger Stadtrechtskodifikation von 1521/1522 bereits erwähnt worden. Von noch höherem Rang sind die Bibeldrucke von Peypus. Hier ist seine Leistung für seine Zeit in Nürnberg konkurrenzlos. Ihm ver­ danken seine Zeitgenossen insgesamt wenigstens drei lateinische Gesamtaus­ gaben (1522, 1523 und 1530), drei Ausgaben des Neuen Testamentes (Latein 1523, Luthers Übersetzung 1524 und eine tschechische Ausgabe im Jahr 1534). Das Alte Testament in Luthers Übersetzung erscheint in zwei Teilen 1524, und Teildrucke daraus — ebenfalls sämtlich in Luthers Übertragung — erscheinen

197 J. Benzing, Lutherbibliographie mit den Ergänzungen von Clauß und G. Seebaß, OsianderBibliographie; vgl. die ausführlichen Angaben im Anfang des Kurztitelverzeichnisses. 198 H. Grimm, Buchführer (wie Anm. 1). 199 Anhand der Zusammenstellung von J. Benzing, Humanismus in Nürnberg (wie Einleitung zum Kurztitelverzeichnis).

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1525 (der Psalter in zwei verschiedenen Auflagen), 1532 (die Propheten) und 1533 (Jesus Sirach).200 Das verlegerische Risiko für diese großen Unternehmungen hat Peypus nicht immer allein getragen. So erscheint als Geldgeber der beiden Gesamtaus­ gaben von 1522 und 1523 Johann Koberger. Diese Beziehung dürfte es auch bewirkt haben, daß in diesen beiden Bibeldrucken Holzschnitte von Schön und Springinklee verwendet werden, die zuvor schon in anderen Verlags­ werken der Koberger als Buchschmuck gedient hatten, nämlich in Lyoner Bibelausgaben von 1520 und 1521, gedruckt bei Sacon.201 Eine verlegerische Beteiligung des Hauses Koberger an der deutschen Bibel von 1524, die Peypus in Lieferungen mit eigenen Titelblättern herausbrachte, ist nicht unmittelbar belegt, aber mit guten Gründen zu vermuten. Einmal wurden jene Drucktypen benutzt, die Anton Koberger schon 1483 zur Her­ stellung der Deutschen Bibel gedient hatten. Zudem begegnen wir hier wieder dem Illustrationsmaterial der Bibeln von 1522 und 1523.202 Die aufwendige Aufmachung — einige Exemplare wurden auf Pergament gedruckt203 — und der Umstand, daß die Holzstöcke der Buchillustration sich nach dem Tode von Friedrich Peypus wieder im Besitz der Koberger finden, machen deren verlegerische Beteiligung am Druck von Luthers Bibelübersetzung durch Peypus sehr wahrscheinlich.204 Die geschäftlichen Beziehungen zwischen dem Verlag Koberger und der Druckerei Peypus waren überhaupt sehr eng. Wir kennen neben den genannten zwei Bibelausgaben noch zehn weitere Bücher der Jahre 1517 bis 1521205, bei denen die verlegerische Beteiligung der Koberger dem entspre­ chenden Druckvermerk unmittelbar entnommen werden kann. Friedrich Peypus war, nach einem Wort des Koberger-Biographen Oscar von Hase, der „Hauptdrucker“ der Koberger in Nürnberg.206 200 Vgl. die entsprechenden Vermerke im Kurztitelverzeichnis zu den jeweiligen Jahren unter „Bibel“. 201 Vgl. Heinrich Röttinger, Die Lyoner Bibelbilder Springinklees und Schöns. In: Zeitschrift für Bücherfreunde NF 15 (1923), S. 107—111. 202 O. v. Hase, Koberger (wie Anm. 35), S. 153. Zur Ambrosius-Darstellung Frank Hieronymus, Oberrheinische Buchillustration. Inkunabelholzschnitte aus den Beständen der Universitäts­ bibliothek. Ausstellungskatalog 1972. (Publikationen der Universitätsbibliothek Basel. 6). Basel 21983, S. 50, Nr. 93. Neuerdings mit Abb. und Literatur Heimo Reinitzer, Biblia deutsch. Luthers Bibelübersetzung und ihre Tradition. (Ausstellungskataloge der Herzog August Bibliothek Nr. 40.) Wolfenbüttel 1983, S. 218—220, Nr. 129. 203 Ein Exemplar z. B. in der Universitätsbibliothek Erlangen 2°Thl. II, 31“; Cim. IV, 2. 204 Zu den Einzelheiten der Holzschnittverwendung der Katalog: Meister um Albrecht Dürer. Ausstellung im Germanischen Nationalmuseum 1961. (Anzeiger des Germanischen National­ museums 1960—1961). Nürnberg 1961, S. 199. 205 Kurztitelverzeichnis Nr. 41, 45, 48, 49, 54, 57, 58, 69, 70 u. 86. 206 O. v. Hase (wie Anm. 35), S. 145.

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Die Koberger waren freilich nicht die einzigen, in deren Verlag Peypus-Bücher produziert wurden, sie waren allerdings sein Hauptpartner. Als weitere Verleger begegnen, zumeist jedoch nur mit einem Titel, Georg Glockendon207, der Wiener Verleger Lucas Alantsee208, der Buchhändler Erhard Sempach209 und Johannes Rostock.210 Mit insgesamt elf Titeln hebt sich heraus der Nürnberger Buchführer Leonhard (oder Lienhart) zur Aich, mit dem Peypus in den drei Jahren 1528 bis zu dessen Tod im Jahr 1530 sehr enge geschäftliche Bezie­ hungen unterhalten hat.211 Die häufige Tätigkeit für Verleger — und das heißt vor allem für fremde Kapitalgeber — zeugt nicht eben von sonderlicher wirtschaftlicher Leistungs­ kraft des Peypusschen Betriebes. Ein Blick über die Vielfalt der von ihm gedruckten Autoren läßt ein konzises Verlagsprogramm, das an der Sache orientiert wäre und dem eine kontinuierliche Zusammenarbeit mit Autoren zugrundeläge, nicht recht erkennen. Man hat den Eindruck, Peypus habe unter die Presse genommen, was nur eben zu haben war und wofür er gegebenenfalls einen Verleger fand. Dazu paßt gut die große Zahl gerade kleiner Drucke und dazu paßt, daß er verhältnismäßig häufig Zusammenstöße mit dem Rat in Zen­ surfragen hatte. Die Fülle der Lutherschriften — zumeist druckte Peypus sie anonym — gehört ebenfalls in das Erscheinungsbild eines Druckers, der vor allem Vielgefragtes des schnellen Umsatzes wegen druckt und der aktuelle

207 208 209 210 211

Kurztitelverzeichnis Nr. 61. Ebd. Nr. 99. Ebd. Nr. 81. Ebd. Nr. 68. Ebd. Nr. 177, 178, 180, 196, 197, 202, 205, 206, 221, 224 u. 225. Vgl. Heinrich Grimm, Die Buchführer (wie Anm. 1), Sp. 1220—1221. Das für die Buchhandelsgeschichte als Quelle wich­ tige Nachlaßinventar veröffentlichte Theodor Hampe, Beiträge zur Geschichte des Buch- und Kunsthandels in Nürnberg. I. Lienhard zur Eich und das Inventar seines Bücherlagers (1530). In: Mitteilungen aus dem Germanischen Nationalmuseum 1912, S. 109—157. Peypus kommt darin nicht vor, d. h. er hatte weder Schulden bei ihm noch ein Guthaben. Hampe spricht auf S. 115 die naheliegende Vermutung aus, daß Peypus alsbald nach Aichs Tod mit der Witwe abgerechnet habe. Die ebenda vorgetragene Ansicht, Lienhart zur Aich sei hauptsächlich Vertreiber-Verleger gewesen und die Kosten seien stets von Peypus getragen worden, kann ich nicht teilen. Zu häufig heißt es in den Druckvermerken: „Impensis viri Leonardi de Aich“, „Aus Verlegung des ersamen Leonharts zu der Aych“ oder ähnlich. Es ist in den meisten Fällen so gewesen, daß Lienhart zur Aich die Kosten vorgelegt und Peypus im Lohndruck gearbeitet hat. — Zu den einzelnen Verlegern (mit Ausnahme von E. Sempach) s. Josef Benzig, Die deut­ schen Verleger des 16. und 17. Jahrhunderts. In: Archiv für Geschichte des Buchwesens 18 (1977), Sp. 1077—1322.

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Tagesereignisse in „Neuen Zeitungen“ für seine Käufer aufbereitet. Insofern unterscheidet sich Peypus nicht sehr von der großen Masse seiner Druckerkol­ legen aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Vor dem Hintergrund der zahlreichen überhaupt nur Kleinschriften produzierenden Drucker seiner Zeit hebt er sich ab und für den Humanismus in Nürnberg kommt ihm während der Jahre seiner Tätigkeit eine herausragende Bedeutung zu.

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Kurztitelverzeichnis Vorbemerkung Das Kurztitelverzeichnis soll die Drucktätigkeit des Friedrich Peypus, vor allem hinsichtlich ihrer Themen und Gegenstände, im Überblick vorstellen. Daher konnte von einer Einhaltung der strengen Regelwerke zur alphabeti­ schen Titelaufnahme abgesehen werden. Um die Übersicht zu erleichtern wurden an einigen Stellen Schlagworte eingesetzt, die inhaltlich zusammenge­ hörige Drucke zusammenführen. Beispiele dafür sind „Neue Zeitung“ und „Kalender“; auch Drucke der Bibel und ihrer Teile wurden so vereinigt. Die Einheitlichkeit des Bildes wird dadurch beeinträchtigt, daß in aller Regel auf Autopsie verzichtet werden mußte und die Angaben zu den einzelnen Drucken der Sekundärliteratur entnommen wurden. Eine Überprüfung der gemachten Angaben wird dem Benutzer aber durch das Zitieren der Fundstelle möglich. Dabei wurde versucht, den Kreis dieser Werke möglichst klein zu halten. Die Titel der Drucke wurden dort in moderner und gekürzter Form wiedergegeben, wo die Fundstelle leicht erreichbar ist und die diplomatisch korrekte Titelwiedergabe dem Suchenden schnell zugänglich ist. Vor allem wurde Rückgriff auf eingeführte, übliche Titelfassungen genommen. Dort, wo entlegenere Schriften genannt werden, wurde versucht, durch ausführliche Wiedergabe des Titels den Druck so zu kennzeichnen, daß ein Heranziehen der Quelle nur für intensivere Nachforschungen nötig wird. Da der Druckort ausnahmslos Nürnberg ist, wurde er nie angegeben. Der Name des Druckers Peypus und das Erscheinungsjahr des Druckes wurden nur angegeben, und in eckige Klammern gesetzt, wenn sie im Druck selber nicht genannt waren und ermittelt wurden. Identifizierung unfirmierter Drucke und Datierungen wurden aus den jeweils genannten Belegstellen über­ nommen. Findet sich also im folgenden Verzeichnis bei der einzelnen Publika­ tion keine Angabe über Drucker und Erscheinungsjahr, so hat Peypus die ent­ sprechenden Angaben in dem jeweiligen Druck gemacht. Eine der bibliographischen Fundstelle beigegebene Zahl (zum Beispiel „Benzing, Humanismus 54“) bezeichnet stets eine der Quelle entstammende, durchgehende Numerierung; handelt es sich um Angaben zur Paginierung, so ist dieses ausdrücklich vermerkt.

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Abgekürzt zitierte Literatur Benzing, Josef: Die Frühdrucke der Hofbibliothek Aschaffenburg bis zum Jahre 1550 (Veröffentlichungen des Geschichts- und Kunstvereins Aschaffenburg. 11). Aschaf­ fenburg 1968. Benzing, Josef: Humanismus in Nürnberg 1500—1540. Eine Liste der Druckschriften. In: Albrecht Dürers Umwelt. Festschrift zum 500. Geburtstag Albrecht Dürers am 21. Mai 1971 (Nürnberger Forschungen. Bd. 15). S. 255—299. Nürnberg 1971. Benzing, Josef: Lutherbibliographie. Verzeichnis der gedruckten Schriften Martin Lu­ thers bis zu dessen Tod. Baden-Baden 1966. Benzing, Josef: Wer war der Drucker für die Sodalitas Celtica in Nürnberg. In: Mittei­ lungen aus der Stadtbibliothek Nürnberg 4 (1955). H. 2, Juli, S. 1—14. Bezzel, Irmgard: Erasmusdrucke des 16. Jahrhunderts in bayerischen Bibliotheken. Ein bibliographisches Verzeichnis (Hiersemanns Bibliographische Handbücher. Bd. 1). Stuttgart 1979. Claus, Helmut: Johann Bugenhagen. 1485—1558. Bestandsverzeichnis der Drucke und Handschriften (Veröffentlichungen der Landesbibliothek Gotha. H. 9). Gotha 1962. Claus, Helmut: Ergänzungen zur Bibliographie der zeitgenössischen Lutherdrucke. Im Anschluß an die Lutherbibliographie Josef Benzings (Veröffentlichungen der For­ schungsbibliothek Gotha. H. 20). Gotha 1983. Dürer. Albrecht Dürer 1471—1971. Ausstellung des Germanischen Nationalmuseums. Katalog. Nürnberg 1971. Göllner, Carl: Turcica. Die europäischen Türkendrucke des 16. Jahrhunderts. Bd. 1.2. Bukarest, Berlin, Baden-Baden 1961. 1968. Grimm, Heinrich: Die Buchführer des deutschen Kulturbereichs und ihre Niederlas­ sungsorte in der Zeitspanne 1490 bis um 1550. In: Archiv für Geschichte des Buch­ wesens 7 (1966), Sp. 1153—1772. Hase, Oscar v.: Die Koberger. Leipzig 21885. Index Aureliensis. Catalogus librorum sedecimo saeculo impressorum. T. 1. BadenBaden 1965. Johnson, Alfred Forbes u. Victor Scholderer: Short-title catalogue of books printed in the German-speaking countries and German books printed in other countries from 1455 to 1600 now in the British Museum. London 1962. Köhler, Walther: Bibliographia Brentiana. Berlin 1904. Lorz, Jürgen: Bibliographia Linckiana. Bibliographie der gedruckten Schriften Dr. Wenzeslaus Lincks (1483—1547). (Bibliotheca humanistica & reformatorica. Bd. 18). Nieuwkoop 1977. Luther, Martin: Werke. Kritische Gesamtausgabe („Weimarer Ausgabe“) Die deutsche Bibel. Bd. 2. Weimar 1909. Panzer, Georg Wolfgang: Annalen der älteren deutschen Literatur. Bd. 2. Nürnberg 1805. Panzer, Georg Wolfgang: Geschichte der Nürnbergischen Ausgaben der Bibel von Erfindung der Buchdruckerkunst an bis auf unsere Zeiten. Nürnberg 1778. Pfeiffer, Gerhard: Quellen zur Nürnberger Reformationsgeschichte. Von der Duldung liturgischer Änderungen bis zur Ausübung des Kirchenregiments durch den Rat

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Friedrich Peypus (1485—1535)

(Juni 1524—Juni 1525) (Einzelarbeiten aus der Kirchengeschichte Bayerns. Bd. 45.) Nürnberg 1968. Pressefrühdrucke aus der Zeit der Glaubenskämpfe. Bestandsverzeichnis des Instituts für Zeitungsforschung (Dortmunder Beiträge zur Zeitungsforschung. Bd. 33). München 1980. Schottenloher, Karl: Bibliographie zur deutschen Geschichte im Zeitalter der Glau­ bensspaltung 1517—1585. 6 Bde. Leipzig 1933—1940. Schottenloher, Karl: Die WidmungsVorrede im Buch des 16. Jahrhunderts (Reforma­ tionsgeschichtliche Studien und Texte. H. 76/77). Münster 1953. Seebass, Gottfried: Bibliographia Osiandrica. Bibliographie der gedruckten Schriften Andreas Osianders d. A. Nieuwkoop 1971. Smith, Jeffrey Chipps: Nuremberg. A Renaissance city 1500—1618. Austin 1983. Soltesz, Zoltan: A 16. szazadi nvomdäsz-anonymitas okairol njabban meghatarozott Peypus — nyomtatvanyok alpajan. In: Magyar könyvszemle 96 (1980), S. 42—51. STC s. Johnson Sudhoff, Karl (Hrsg.): Paracelsus, Theophrastus v. Hohenheim. Sämtliche Werke. 14 Bde. München 1922—1933. VD 16. Verzeichnis der im deutschen Sprachbereich erschienenen Drucke des 16. Jahr­ hunderts. Bd. 1.2. Stuttgart 1983. 1984. Weller, Emil: Repertorium Typographicum. Die deutsche Literatur im ersten Viertel des 16. Jahrhunderts. Nördlingen 1864. Zinner, Ernst: Geschichte und Bibliographie der astronomischen Literatur in Deutsch­ land zur Zeit der Renaissance. 2. Aufl. Stuttgart 1964.

1512 1. Aristoteles: Meteorologia.

Benzing, Humanismus 22 2. Bulla tertie (quarte) sessionis habite in concilio Lateranensi [Peypus 1512].

STC, S. 753 3. Vitalis, Janus F.: Panegyris R. Domini Mathei Episcopi Gurcensis [Peypus 1512].

Bücher aus fünf Jahrhunderten. Stuttgarter Antiquariat, Katalog 121, Herbst 1982, Nr. 78 1513 4. Cochlaeus, Johannes: Epicedion in obitum Antonii Cressi [Peypus 1513].

Benzing, Humanismus 54 5. Kalender. Deutscher Kalender.

Zinner 984 6. Neue Zeitung. Ein ordentliche vertzeuchnuss, wie sich die schiacht zwyschen den Tewtschen und hispanischen und den Venedigern begeben hat [Peypus 1513].

STC, S. 343 7. Pludentius, Mattheus P.: De scientias discendi arte.

Grimm, Buchführer, Sp. 1746 8. Plutarch: De his qui tarde a numine corripiuntur libellus.

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Hans-Otto Keunecke 9. Sancte Ursule fraternitatis. Benzingy Wer war der Drucker, S. 10, Nr. 13. 10. Valeriano Bolzani, Giovanni P.: Ein epistel von den eererpiettungen dem hochwirdigen von Gurk [Peypus 1512/1513]. Benzing, Humanismus 326

1514 11. Baidung, Hieronymus: Mariale septem orationum ad laudem Virginis Mariae. STC, S. 63. VD 16, B 208 12. Lactantius, Lucius C.: De opificio Dei. Benzing, Humanismus 165 13. Libellus de septem foribus seu festis beatae Mariae. Benzing, Wer war der Drucker, S. 11, Nr. 14 14. Ein selige 1er und Übung für die menschen, die gern Got dienen. Weller 4077 15. Die walfart der pilgerin auff steigern in die heilige stat der hymmelischen Hierusalem. STC, S. 904

1515 16. Beroaldus, Philipp: De die dominicae passionis carmen [1515?]. Benzing, Humanismus 28. VD 16, B 2073 17. Chalybs, Petrus: Dive Catharinae virginis vitae descriptio. Benzing, Humanismus 51 18. Kalender. Reymann, Leonhard: Nativitaet-Kalender. Zinner 1037. Smith, Nuremberg 62 19. Lukian: De ratione conscribendae historiae. Benzing, Humanismus 172 20. —: andere Ausgabe. Benzing, Humanismus 173 21. Neue Zeitung. Hie nach volget die grossen krieg in Christen, hayden, turcken landen [Peypus 1515]. Weller 903. Göllner 77 22. —: Neue Zeitung wie Keyserliche Maiestat Tausent Fünfhundert fünfzehene zu Wien einge­ ritten ist. Weller, Emil: Die ersten deutschen Zeitungen. Stuttgart 1872. Hildesheim 1971. 7 23. Passio Christi. In diesem buchlein findt man die vier passion [ca. 1515]. Weller 883 24. Petrus Lombardus: Compendium theologiae. STC, S. 688 25. Philippus, Jacobus: Ars memorativa. Benzing, Humanismus 224 26. Plutarch: De vitanda usura. Benzing, Humanismus 239 27. Romming, Johann: Penitentiarius in tres parteis [1515]. Benzing, Humanismus 247 28. Scheurl, Christoph: Epistola ad Charitatem Pyrckheymer. Benzing, Humanismus 256

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Friedrich Peypus (1485—1535)

29. —: Vita reverendi domini Antonii Kressen. Benzingy Humanismus 259 30. Tücher, Sixtus: Vierzig sendbriefe. Benzingy Humanismus 320 31. Xenocrates: Liber de morte [ca. 1515]. Benzingy Humanismus 337

1516 32. Epistolae obscurorum virorum [Peypus 1516]. Benzingy Humanismus 104 33. Hortulus animae. Deutsch. Weller 987 34. Nilus: Sententiae morales [1516]. Benzingy Humanismus 210 35. —: andere Ausgabe. Benzingy Humanismus 211 36. Romming, Johann: Parvulus philosophiae moralis. Benzingy Humanismus 246

1517 37. Kalender. Ein pracktick auf das Jahr 1517. Weller 1072. Zinner 1084 (ohne Druckerangabe) 38. Lukian: Piscator, seu reviviscentes. Benzingy Humanismus 171 39. Neue Zeitung. Baltner, Theobald: Der Krieg zwischen dem Türcken und dem Soldan [Peypus 1517]. Pressefrühdrucke 4 40. Plutarch: De exilio. Benzingy Humanismus 237 41. Revelationes Birgittae. STCy S. 153

42. Staupitz, Johann von: Libellus de executione eteme predestinationis. Benzingy Humanismus 309 43. —: Ein nutzbarliches büchlein [Übersetzung des vorstehenden Titels durch Christoph Scheurl]. Benzingy Humanismus 310 44. Stella, Erasmus: Interpretamenti gemmarum libellus. Benzingy Humanismus 311 45. Teuschlein, Johann: In divi Augustini undecim parteis contentorum index. STCy S. 52

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Hans-Otto Keunecke 1518 46. Ablaßbrief des Mainzer Erzbischofs Albrecht von Brandenburg [Peypus 1518]. Hans Volz, Der St.-Peters-Ablaß und das deutsche Druckgewerbe. In: Gutenberg-]dhrbuch 1966, S. 156—172, hier S. 170 47. Claudianus, Claudius: De raptu Proserpinae. Benzing, Humanismus 52 48. Hortulus animae. Weller 1193. STC, S. 418 49. —: Deutsch Hase, Koberger, S. 453 50. Luther, Martin: Eine freiheit des sermons päpstlichen Ablaß und gnade belangend [Peypus 1518]. Benzing, Lutherbibliographie 189 51. Neue Zeitung. Das ist ein anschlag eins zugs wider die Türcken [Peypus 1518]. Göllner 107 52. Ricardus Prior S. Victor Parisiensis: De trinitate libri sex. STC, S. 739 53. Wildenauer, Johannes: Contra calumniatores apologia [Peypus]. STC, S. 915

1519 54. Bartholomaeus Anglicus: De rerum proprietatibus. STC, S. 67. VD 16, B 523 55. Clavus, Johannes: In divae matris Annae laudem odae sapphica. Benzing, Humanismus 53 56. Homer: Loci. Trad. Leonardo Aretino. Benzing, Humanismus 155 57. Hortulus animae [Peypus]. STC, S. 418 58. —: Deutsch. Hase, Koberger, S. 453 59. Institoris, Heinrich u. Jakob Sprenger: Malleus malificarum. Benzing, Humanismus 161 60. Kolbenschlag, Sixtus: Ein nutzbarlichs regiment wider die pestilenz. Panzer, Deutsche Annalen I, 341. Weller 1203 61. Pinder, Ulrich: Speculum passionis. Benzing, Humanismus 226. Smith, Nuremberg 43

1520 62. Dubrava, Jan: Theriobulia. Benzing, Humanismus 75 63. Cochlaeus, Johannes: Tetrachordum musices. STC, S. 250 64. Erasmus, Desiderius: Ad reverendissimum Moguntinensium praesulem epistola [Peypus 1520]. Benzing, Humanismus 105. Bezzel, Erasmusbibliographie 29

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Friedrich Peypus (1485—1535)

65. —: andere Ausgabe [Peypus 1520]. Bezzely Erasmusbibliographie 30 66. —: Apologia pro declamatione de laude matrimonii [Peypus 1520]. Benzingy Humanismus 109. Bezzely Erasmusbibliographie 184 67. —: In genere consolatorio de morte declamatio [ca. 1520]. Bezzely Erasmusbibliographie 1199 68. Hegendorf, Christoph: Dialogi pueriles. Benzingy Humanismus 144 69. Hortulus animae. Weller 1401 70. —: Andere Ausgabe. Hase, Koberger, S. 453 71. Luther, Martin: Von dem papsttum zu Rom wider den hochberühmten Romanisten zu Leipzig [Peypus 1520]. Benzingy Lutherbibliographie 657 72. —: Von den guten werken. Benzingy Lutherbibliographie 637 73. —: Eine kurze form der Zehn Gebote. Benzingy Lutherbibliographie 803 74. —: Ein sermon von dem Neuen Testament. Benzingy Lutherbibliographie 674 75. —: Andere Ausgabe. Benzingy Lutherbibliographie 675 76. Morbach, Achatius: Dialogus in quo medicaster a philosopho de mala medendi ratione postulatur [Peypus 1520?].

STCy S. 629 77. Neue Zeitung. Des allerdurchleuchtigisten Herren Karls Römischen Königs einzug zu Ach [Peypus 1520].

STCy S. 193 78. —: Ein auszug etlicher sendbrief dem Herrn Carl [V.] von wegen einer neugefunden insein.

STCy S. 192 79. Passio Christi ex Erasmicis lucubrationibus. Benzingy Humanismus 215 80. Plinius d. J.: Panegyricus Traiano Augusto dictus. Benzingy Humanismus 235 81. Seneca, Lucius A.: Tres selectiores tragoediae. Benzingy Humanismus 296 82. Stockar, Johann: Ein kurtz regiment für den gepresten der pestilentz. Weller 1637 83. Teuschlein, Johann: Auflösung etlicher fragen wider die verstockten plinden Juden. Benzingy Humanismus 317

1521 84. Ficinus, Marsilius: Ein sendbrief ainem Cardinal [Peypus? 1521?]. Benzingy Humanismus 132 85. Gregor von Nazianz: Orationes sex. Benzingy Humanismus 139 a 86. Hollen, Gottschalck: Praeceptorium divinae legis. Panzery Annales typographiciy Bd. 8y 164

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Hans-Otto Keunecke 87. Hortulus animae. STC, S. 418 88. Reformation der Stadt Nürnberg. Panzer, Deutsche Annalen II, 1235 89. Ein sermon wider die unziemliche tragung der zipfelbirett unter dem heiligen amt zu Ro­ thenburg auf der Tauber [Peypus 1521]. Soltesz 1

1522 90. Aventinus: Bayrischer chronicon, im Latein nun verfertigt und in syben puecher gestellt ein kurtzer auszug. Panzer, Deutsche Annalen II, 1561. STC, S. 861 91. Bibel, Latein. Seebaß, Osianderbihliographie 1.1. VD 16, B 2587 92. Billican, Theobald: Peromata eademque verissima D. Christophori descriptio [Peypus 1522]. Gerhard Simon: Humanismus und Konfession. Theobald Billican, Leben und Werk. Berlin 1980, S. 219, Nr. 1 b 93. Ladislaus von Makedonien: Oratio habita Norimbergae pro expeditione in Turcas suscipienda [Peypus 1522]. STC, S. 481 94. Lukian: Navis. Benzing, Humanismus 170 95. Pirckheimer, Willibald: Apologia seu podagrae laus. Benzing, Humanismus 227 96. Reformation der Stadt Nürnberg. Panzer, Deutsche Annalen II, 1553 97. Schöner, Johann: Equatorii astronomici omnium ferme Uranicarum theorematum canones. Benzing, Humanismus 283 98. Tageno: Expeditio Asiatica adversus Turcos [Peypus]. STC, S. 848. Schottenloher, Widmungsvorrede, S. 23 99. Werner, Johannes: Libellus super vigintiduobus elementis conicis. Benzing, Humanismus 333

1523 100. Bibel: Latein. See baß, Osianderbihliographie 1.2. VD 16, B 2588 101. —: Neues Testament. Latein. Benzing, Humanismus 314. VD 16, B 4237 102. Burchardi, Ulricus: Dialogismus de fide Christiana [Peypus 1523]. STC, S. 169 103. Ein christenlich nützpar betpüchlein. Panzer, Geschichte der Nümbergischen Ausgaben, S. 115—116 104. Grumbach, Argula von: Sendbrief an die Universität zu Ingolstadt [Peypus 1523]. Seebaß, Osianderbihliographie 81.1 105. —: andere Ausgabe [Peypus 1523]. Seebaß, Osianderbihliographie 81.2 106. Homer: Leonardi Aretini tres orationes ex Homero in Latinam linguam converse. Benzing, Humanismus 158

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Friedrich Peypus (1485—1535)

107. Kalender. Peter Cirvelo: In annum vicesimum quartum prognosticon [Peypus]. Zinner 1199 108. Neue Zeitung. Maurus, Hartmann: Coronatio Invictissimi Caroli Hispanorum Regis in Romanorum Regem. Schottenloher 28 428 a 109. Plutarch: De compescenda ira. Benzing, Humanismus 236 110. Pseudo-Plato: Dialogi Platonis, Axiochus, vel de morte. Benzingy Humanismus 234 111. Reichstag, Nürnberg 1523. Diese der graven, herren gemainer ritterschaft und anderer Beschwerden [Peypus 1523]. STC, S. 353 112. —: Chieregato, Francesco: Oratio habita Nurimbergae in senatu principum Germaniae [Peypus 1523]. STC, S. 199 113. —: andere Ausgabe. STC, S. 353 114. —: Verzaichnus und abschid was aller reichstet potschaften so auf dem reichstag erschinen seyen gehandelt haben. STC, S. 353 115. —: Was auf dem reichstag von wegen bebstlicher Heiligkeit lutherischer Sachen halben gelangt und drauf geantwurt worden ist. Stadtbibliothek Nürnberg 116. Scharffenstein, Heinz: Wahrhaftiger bericht wie die Miltenberger durch die Mentzischen Räte in Haft genommen [Peypus 1523?]. Soltesz 2

1524 117. Die Artickel so Bischoff von Bamberg die zween probst gefragt und der bröbst und priors antwort [Peypus 1524]. Pfeiffer, Quellen zur Reformationsgeschichte, S. 286—287 118. Bibel. Das Neue Testament. Luthers Übersetzung. Luther, Weimarer Ausgabe, Deutsche Bibel II, 41. VD 16, B 2677 119. —: Das Alte Testament. Luthers Übersetzung [Peypus]. Luther, Weimarer Ausgabe, Deutsche Bibel II, 42. VD 16, B 2677 120. —: Das dritte teyl des Alten Testaments. Luthers Übersetzung [Peypus]. Luther, Weimarer Ausgabe, Deutsche Bibel II, 44. VD 16, B 2677 121. Cortes, Hernando: Praeclara de nova maris oceani Hyspania narratio [Peypus]. STC, S. 233. Albrecht Dürer, Ausstellung Nürnberg 653 122. Kalender. Peter Burkhart: Deutscher Kalender für 1524. Zinner 1234 123. —: Peter Cirvelo: Ein tröstliche practica. Übersetzung von Nr. 107 [1524]. Zinner 1239 124. —: Deutscher Kalender für 1524 [1523/1524]. Zinner 1251 125. Osiander, Andreas: Appellation und Berufung der Pröpste und des Augustinerpriors [Peypus 1524]. Plakatdruck. Seebaß, Osianderbibliographie 84.1

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Hans-Otto Keunecke 126. —: andere Ausgabe in 4° [Peypus]. Seebaß, Osianderbibliographie 84.2 127. Peßler, Georg und Hector Pömer: Appellation und berufung der pröpst und des Augustiner­ priors [Peypus]. STC, S. 81 118. Rozoni, Marcus A.: Compendium de levitate Vaticanantium. Benzing, Humanismus 248 129. Schwarzenberg, Johann von: Ein schöner sendbrief an Bischof zu Bamberg [Peypus 1524]. Seebaß, Osianderbibliographie 6.1.1 130. —: andere Ausgabe [Peypus]. Seebaß, Osianderbibliographie 6.1.2 1525 131. Bibel. Der Psalter teutsch. Luthers Übersetzung. Luther, Weimarer Ausgabe, Deutsche Bibel II, 74.1. VD 16, B 3288 132. —: andere Ausgabe. Luther, Weimarer Ausgabe, Deutsche Bibel II, 74.2. VD 16, B 3289 133. Confutatio Determinationis Doctorum Parrhisiensium contra M. L. [Peypus]. Claus, Ergänzungen zur Lutherbibliographie 1485 a 134. Ein christlich predig wider die unchristlichen empörung etlicher unterthanen [Peypus 1525]. STC, S. 946 135. Luther, Martin: Erklärung, wie Karlstadt seine Lehre von dem hochwürdigen Sakrament geachtet haben will. Vorrede [Peypus 1525]. Benzing, Lutherbibliographie 2192 136. —: Ein schreckliches Gericht Gottes über Thomas Müntzer [Peypus 1525]. Benzing, Lutherbibliographie 2714 137. —: Wider die mörderischen Rotten der Bauern [Peypus 1525]. Benzing, Lutherbibliographie 2153 138. Rupert von Deutz: Opus originale de victoria verbi. STC, S. 762 1526 139. Agricola, Johann: Predigt auf das evangelion vom Phariseer und Zolner [Peypus]. STC, S. 9. VD 16, A 1018 140. Althamer, Andreas: Anzeygung warumb Got die weit so lang hab lassen irren [Peypus 1526]. STC, S. 22. VD 16, A 2003 141. —: Das unser Christus Jesus wahrer Gott sey [Peypus 1526]. Index Aureliensis 103.912 142. —: Von dem hochwirdigen Sacrament [Peypus 1526]. Benzing, Frühdrucke Aschaffenburg 172. VD 16, A 2038 143. Camerarius, Joachim: Scribendorum versuum maxime compendiosa ratio. Benzing, Humanismus 100 144. Eobanus Hessus, Helius: Ad Ioannem Fridericum ducem Saxoniae. Benzing, Humanismus 91 145. —: Elegiae tres. Benzing, Humanismus 94 146. Kalender. Auslegung und erklerung dises newen almanachs. Zinner 1331

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Friedrich Peypus (1485—1535)

147. Luther, Martin: Deutsche Messe und Ordnung Gottesdiensts [Peypus]. Benzingy Lutherbibliographie 2245 148. —: Der Prophet Jona [Peypus 1526]. Benzingy Lutherbibliographie 2275. VD 16y B 3911 149. —: Ein Ratschlag wie in der christlichen Gemeinde ein rechter Anfang vorgenommen werden soll [Peypus 1526]. Benzingy Lutherbibliographie 2308 150. —: Ein Sendbrief an Herzog Georg zu Sachsen [Peypus]. Benzingy Lutherbibliographie 2377 151. —: Sermon von der Hauptsumma Gottes Gebots [Peypus 1526]. Benzingy Lutherbibliographie 2220 152. Neue Zeitung. Ambrosius Blaurer: Antwort auf Georg Neudörfers fünf Fragstück [Peypus], Weller 3741 153. —: Artickel des fridens so zwischen Kay. M. und König Franciscen beschlossen in Madrill [Peypus 1526]. STCy S. 346

154. Osiander, Andreas: Einleitung der Eheleut [Peypus]. Seebaßy Osianderbibliographie 88 155. Schorre, Jakob: Radschlag über den Lutherischen handel gemacht auf Speyerischem Reichs­ tage [Peypus]. STCy S. 794

156. Schwarzenberg, Johann von: Diß büchlein Kuttenschlang genant. Vermanung auf Caspar Schatzgeyers schreyben [Peypus 1526]. Benzingy Frühdrucke Aschaffenburg 765 157. Althamer, Andreas: Anzeygung warumb Got die weit so lange zeyt hab verplendet. STCy S. 22. VD 16, A 2004

158. —: Diallage, hoc est conciliatio locorum scripturae. Index Aureliensis 103.916 159. —: Von der Erbsund. STCy S. 23. Benzingy Frühdrucke Aschaffenburg 171. VD 16, A 2039 160. Bugenhagen, Johannes: Ein unterricht deren so in krankheiten und todesnöten liegen [Peypus]. STCy S. 166. Claus, Bugenhagen 73 161. —: Von dem. christenlichen glauben [Peypus]. Claus, Bugenhagen 29 162. Gast, Hiob: Epistola ad I. Stiglerium super controversia rei sacramentariae. STCy S. 332

163. Homer: Homericae Iliados libri duo, secundus et nonus latinitate donati per Vincentium Obsopoeum. Benzingy Humanismus 157 164. Luther, Martin: Das diese Wort Christi noch fest stehen. Benzingy Lutherbibliographie 2418 165. —: Epistola Hiob Gast. Responsio D. Martini Lutheri ad ministros verbi dei apud Argentiam [Peypus 1527]. Benzingy Lutherbibliographie 2374 166. —: Ein gute Predigt von der Kraft der Himmelfahrt Christi. Benzingy Lutherbibliographie 2456 167. —: Histori des leidens und lebens Lienhart Keysers. Item ein trostbrief Martini Luthers [Peypus 1527]. Benzingy Lutherbibliographie 2444

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Hans-Otto Keunecke 168. —: Ob man vor dem sterben fliehen kann [Peypus]. Benzing, Lutherbibliographie 2429 169. —: Über das erste Buch Mose. Benzing, Lutherbibliographie 2462 170. —: Unterrichtung wie man die Kinder möge führen. Benzing, Lutherbibliographie 2249 171. Neue Zeitung. Wahrhaftiger und kurzer bericht wie es in eroberung der Stadt Rom ergangen ist [Peypus 1527]. Soltesz 3 172. Osiander, Andreas: Eine Predigt wie man um Frieden bitten soll [Peypus]. Seebaß, Osianderbibliographie 13.1 173. —: andere Ausgabe [Peypus]. Seebaß, Osianderbibliographie 13.2 174. Peer, Willibald: Ain new guet rechenbuechlein. STC, S. 680 175. Reyßman, Theodor: Schemata seu figurae Petri Mosellani. Benzing, Humanismus 251 176. Rode, Paul von: Tröstliche underweysung das man sich nicht greme umb die gläubigen die verstorben sind [1527]. STC, S. 743

1528 177. Althamer, Andreas: Annotationes Brenzii Ioannis presbyteri epistolas. VD 16, A 2000 178. —: und Johann Rurer: Catechismus. Das ist unterricht zum christlichen glauben. Benzing, Frühdrucke Aschaffenburg 754. VD 16, A 2027 179. —: Diallage, hoc est conciliatio locorum scripturae. VD 16, A 2008 180. —: Diallage. Deutsch. Index Aureliensis 103.922 181. Beham, Sebald: Dieses buchlein zeyget an ein maß oder proporcion der ross [Peypus]. Benzing, Humanismus 27. VD 16, B 1483 182. Brenz, Johannes: Der Prediger Salomo. Auslegung. Köhler, Brenz 27. VD 16, B 3683 183. Burchard, Franz: Oratio utilis omnibus bonarum artium studiosis. Benzing, Humanismus 31 184. Eobanus Hessus, Helius: Epicedion in funere Alberti Dureri [Peypus 1528]. Benzing, Humanismus 95 185. —: De tumultibus horum temporum querela. Benzing, Humanismus 92 186. Gregor von Nazianz: Orationes duae Iulianum Caesarem infamia notantes. Benzing, Humanismus 139 187. Linck, Wenzel: Ein christenliche bekennung der sünd [Peypus ca. 1527/1528]. Lorz, Linck-Bibliographie 56.1 188. —: De ministrorum ecclesiasticorum digamia [Peypus 1528]. Lorz, Linck-Bibliographie 29 189. Luther, Martin: De digamia episcoporum propositiones [Peypus]. Benzing, Lutherbibliographie 2517

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Friedrich Peypus (1485—1535)

190. —: andere Ausgabe. Benzing, Lutherbibliographie 2518 191. —: Von herr Lenhard Keiser [Peypus]. Benzing, Lutherbibliographie 2470 192. —: Unterricht der Visitatoren an die Pfarrherm [Peypus]. Benzing, Lutherbibliographie 2492 193. —: Verzeichnis und Register aller Schriften [Peypus 1528]. Benzing, Lutherbibliographie 3071 194. Philipp, Landgraf von Hessen: Entschuldigung Herren Philipsen auff die artickel so seinen fürstlichen gnaden auffgelegt sein [Peypus 1528?]. STC, S. 692 195. Schwanhauser, Johannes: Vom abentmal Christi [Peypus]. STC, S. 798 1529 196. Agricola, Johann: Dreihundert gemeine Sprichwörter. Index Aureliensis 101.612 197. Althamer, Andreas: Scholia in Cornelium Tacitum de situ [...] Germaniae. Benzing, Humanismus 15 198. Bibel. Römerbrief. Latein. VD 16, B 5021 199. Brevis et puerilis declinandi coniugandi formula. Benzing, Humanismus 133 200. Brunschwig, Hieronymus: Apoteck für den gemainen man. Benzing, Bibliographie der Schriften Hieronymus Brunschwigs. In: Philobiblon 12 (1968), S. 113—141, Nr. 80 201. Cordus, Euricius: Ein regiment wie man sich vor der newen plage, der englisch schweyß genannt, bewaren sol. Stadtbibliothek Nürnberg 202. Gregor von Nazianz: De officio episcopi oratio. Bilibaldo Pirckeymero interprete. Benzing, Humanismus 138 203. Lautbüchlein deutscher Orthographie. Konrad F. Bauer: Aventur und Kunst. Frankfurt a. M. 1940, S. 32 204. Linck, Wenzel: Ein Lobgesang zu Gott in aller Not [1529?]. Lorz, Linck-Bibliographie 35.2 205. Luther, Martin: Der Große Katechismus. Benzing, Lutherbibliographie 2551 206. —: Justus Menius: An die hochgeborne Fürstin Sybilla. Vorrede. Benzing, Lutherbibliographie 2676 207. —: Vom Kriege wider die Türcken [Peypus]. Benzing, Lutherbibliographie 2707 208. —: andere Ausgabe [Peypus]. Benzing, Lutherbibliographie 2708 209. —: Was zu Marburg vom Abendmahl gehandelt worden [Peypus 1529]. Benzing, Lutherbibliographie 2742 210. Melanchthon, Philipp: Ein christliche ermanung an König Ferdinandum, yetzt zu Speyer geschriben [Peypus]. Benzing, Frühdrucke Aschaffenburg 679 211. Neue Zeitung. Klagbrieff oder supplication der armen dürfftigen in Engenlandt an den König daselb [Peypus]. STC, S. 395

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Hans-Otto Keunecke 212. —: Des Kurfürsten zu Sachsen etc. Abschied auf ytzigen gehalten reichstag zu Speyer [Peypus 1526]. Soltesz 4 213. —: Ein neues Lied in welchen fürsten und herren zu streyten wider den Turcken vermant werden. STC, S. 499 214. —: Newe zeytung wie ein türckischer herr in eynem gülden stuck gefangen [Peypus 1529]. STC, S. 875 215. —: Christoph Zell: Ein neues lied in welchem die gantz handlung des Türcken in Ungarn und Österreich nemlich der belegerung der Stadt Wien begryffen ist. Göllner 330 216. Osiander, Andreas: Ordnung wie man taufet [Peypus]. Seebaß, Osianderbibliographie 3.5 217. Paracelsus, Theophrastus: Practica auf Europen. Sudhoff, Paracelsus Werke I, Bd. 7, Abb. 12 218. —: Vom holtz Guaiaco gründlicher heylung. STC, S. 139 219. Schöner, Johannes: Ein nutzlichs büchlein vieler bewerter ertzney [Peypus]. Benzing, Humanismus 281 220. Vocabularium. Quinque linguarum utilissimus vocabulista. Benzing, Humanismus 331

1530 221. Althamer, Andreas: Sylva biblicorum nominum. Schottenloher, Widmungsvorrede, S. 30. VD 16, A 2035 222. Bibel. Latein. Panzer, Geschichte der Nümbergischen Ausgaben, S. 110—112. VD 16, B 2597 223. —: Evangelienharmonie. Deutsch. VD 16, B 4659 224. Captivus Septemcastrensis: Chronica und beschreybung der Türckey. Vorrede von Martin Luther. Göllner 364. Benzing, Lutherbibliographie 2765 225. —: Libellus de ritu et moribus Turcorum. Vorrede von Martin Luther. Göllner 363. Benzing, Lutherbibliographie 2765 226. —: andere Ausgabe. Göllner 363, Anm. 227. Erasmus, Desiderius: Die epistel wider etlich, die sich fälschlich berhümen, evangelisch zu sein. Bezzel, Erasmusbibliographie 961 228. Graeter, Caspar: Das der christlich glaub der einich gerecht glaub sey. STC, S. 365 229. Luther, Martin: Eine Predigt wider den Türken. Benzing, Lutherbibliographie 2716 230. —: Ein Sermon vom Kreuz und Leiden [Peypus 1530]. Benzing, Lutherbibliographie 2898 231. —: Von Ehesachen. Benzing, Lutherbibliographie 2866 232. Neue Zeitung. Kayerlicher Mayestat byde krönung [Peypus 1530]. Soltesz 5

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Friedrich Peypus (1485—1535)

233. —: Wahrhafftige anzeygung der grausamen übergiessung der Tiber zu Rom [Peypus 1526], Soltesz 6 234. —: Vertrag von St. Julien. Inhalt des Jenffischen berichts, so zu Sant Julio zwischen dem Herzog von Saffoy und .. . vollzogen [Peypus 1530]. Antiquariat Jörg Schäfer Zürich, Katalog Nr. 24, Nr. 101 235. Paracelsus, Theophrastus: Drey bücher von der Frantzösischen Krankheit. Sudhoff Paracelsus Werke I, Bd. 7, Abb. 2 236. Thylesius, Antonius: Imber aureus tragoedia. Benzingy Humanismus 319 237. Wickner, Konrad: Gewise und wahrhafftige practica auß der heyligen geschrift was eygentlich zukünfftig sey. STC, S. 912. Pressefrühdrucke 141

1531 238. Agricola, Georg: Anrad und vermanung zu den herren Ferdinandum zu Ungern, auch allen Churfürsten von kriegsrüstung wider den Türken. Göllner 408. VD 16, A 927 239. Apologia doctissimi viri, qua patrocinatur M. Lutheri propositionibus [Peypus]. Claus, Ergänzungen zur Lutherbibliographie 1485 b 240. Beroaldus, Philipp: Ein künstlich höflich declamation und hader dreier brüder vor gericht. Benzingy Humanismus 29. VD 16, B 2091 241. Ein berümpte und seer oft bewerte artzney, damit man sich vor der grausamen pestilentz natürlich beschützen kan. Stadtbibliothek Nürnberg 242. Bugenhagen, Johannes: Der erbarn Stadt Braunschweig christenliche ordenung [Peypus]. Claus, Bugenhagen 47 243. Camerarius, Joachim: Illustrium ac clarorum aliquot virorum memoriae scripta epicedia. Benzingy Humanismus 97 244. Gottlieb, Johannes: Ein teutsch verstendig buchhalten. Staatsbibliothek Bamberg — Stadtbibliothek Nürnberg (Xerokopie) 245. Herterich, Nicolaus: wie und welcher massen das ritterspil des thumyrs in Teutschen landen angefangen worden ist. STC, S. 401 246. Heyden, Sebald: Wie man sich in allerlay nötten trösten soll. Göllner 414 247. Kalender. Johannes Carion: Vorhersage für 1530—1540. Zinner 1436 248. Luther, Martin: Artikel von der christlichen Kirchen Gewalt [Peypus]. Benzingy Lutherbibliographie 2816 249. —: Ein schöner Sermon über das Evangelium Matthei 21. Benzingy Lutherbibliographie 2968 250. —: Kleiner Katechismus. Latein von Justus Jonas. Benzingy Lutherbibliographie 2655 b 251. Musler, Johannes: Oratio, qua rectores et ludimagistri, scholae et universitates, quas vulgo appellant, conferuntur, pronunciata. Benzingy Humanismus 201 252. Neue Zeitung. Wie und mit was grosser Königlicher Maiestat die krönung der Fürstin Leonora, yetzt gekrönten Königin in Frankreich begangen worden ist [Peypus 1531]. Soltesz 7

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Hans-Otto Keunecke 253. —: Wunderbarlicher geschieht anzeigung so newlich in Portugal geschehen sind [Peypus]. STC, S. 713 254. —: Konrad Zwick: Ain kurtzer begrif des kriegs zwischenn den Funff Ortten und der andern örtern der Eydgenossenschaft verlauffen hatt [Peypus]. Antiquariat Jörg Schäfer Zürich, Katalog Nr. 24, Nr. 102. VD 16, B 5710 255. Regiomontanus: De cometae magnitudine. Benzing, Humanismus 195 256. Schöner, Johannes: Coniectur oder abnemliche auszlegung über den cometen so im Augst­ monat des MDXXXI jars erschinen ist. Benzing, Humanismus 290 257. Singer, Johann: Ein kurtzer auszug der musik. Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Bd. 12, Sp. 728 258. Vocabularium. Vocabularius quinque linguarum. Benzing, Humanismus 332 259. Was daz wörtlein sela in sich hab [Peypus]. Soltesz 8

1532 260. Bibel. Die Propheten alle deutsch von Martin Luther. Luther, Weimarer Ausgabe, Deutsche Bibel II, 161 261. Brenz, Johannes: Wie man sich christenlich zu dem sterben bereiten soll. Köhler, Brenz 60 262. Heyden, Sebald: Musicae. STC, S. 404 263. Luther, Martin: Johannes Brenz: Zwo und zwaintzig predig den Türckischen Krieg betref­ fend. Vorrede. Benzing, Lutherbibliographie 3002 264. —: Ein Brief von den Schleichern und Winkelpredigern. Benzing, Lutherbibliographie 2996 265. —: Der CXLVII Psalm [Peypus]. Benzing, Lutherbibliographie 3010 266. —: Kleiner Katechismus. Latein. Benzing, Lutherbibliographie 2641 267. —: andere Ausgabe. Benzing, Lutherbibliographie 2655 c 268. Neue Zeitung. Von zweyen Türcken newlich gefangen was sie gefraget worden [Peypus 1532?]. STC, S. 875 269. Schöner, Johannes: Prognosticatio auf das iar 1532. Zinner 1504

1533 270. Bibel. Jesus Syrach verteutscht von Martin Luther. Luther, Weimarer Ausgabe, Deutsche Bibel II, 170 271. Homer: Homerivae aliquot icones insigniores. Latinis versibus redditae per Helium Eobanum Hessum. Benzing, Humanismus 156

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Friedrich Peypus (1485—1535)

272. Luther, Martin: Ein Brief an die zu Frankfurt am Main. Benzing, Lutherbibliographie 3034 273. —: Summarien über die Psalmen und Ursachen des Dolmetschens. Benzing, Lutherbibliographie 3049

1534 274. Bibel. Neues Testament. Tschechisch. Panzer, Geschichte der Nümhergischen Ausgaben, 5. 218. VD 16, B 4585 275. Heyden, Sebald: De causis rem literariam tum conservantibus tum pessundantibus ad optimates Germaniae carmen hexametrum. Benzing, Humanismus 149 276. —: Puerilium colloquiorum formulae, Latina, Bohemica et Teutonica scriptae. Benzing, Humanismus 154 277. Regiomontanus: Problemata XXIX. Saphaeae nobilis instrumenti astronomici [Peypus]. Zinner 1573 278. Schöner, Johannes: Eigentliche anzeygung rechter zeytte der sunnen finstemus dieses 1534 jars am 14. Januar. Benzing, Humanismus 276 279. —: dasselbe in Latein. Benzing, Humanismus 277 1535 280. Apel, Johannes: Methodica dialectices ratio, ad iurisprudentiam adcommodata. Benzing, Humanismus 17. VD 16, A 3034 281. Neue Zeitung. Neue Zeitung von den Wiedertäufern zu Münster. Vorrede Martin Luther. Benzing, Lutherbibliographie 3143

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Hans-Otto Keunecke

Register der Verfasser, Bearbeiter und Stichworte aus den Anonyma Ablaßbrief 46 Agricola, Georg 238 Agricola, Johann 139, 196 Althamer, Andreas 140—142, 157—159, 177—180, 197, 221 Apel, Johannes 280 Aretinus, Leonardus 56, 106 Aristoteles 1 Arznei 241 Aventinus 90 Baidung, Hieronymus 11 Baltner, Theobald 39 Bartholomeus Anglicus 54 Beham, Sebald 181 Beroaldus, Philipp 16, 240 Bibel (einschl. Teildrucke) 91, 100, 101, 118—120,131, 132,198, 222, 223, 260, 270, 274 Billican, Theobald 92 Blaurer, Ambrosius 152 Brenz, Johannes 182, 261, 263 Brunschwig, Hieronymus 200 Bugenhagen, Johannes 160, 161, 242 Burchard, Franz 183 Burchardi, Ulricus 102 Burkhart, Peter 122 Camerarius, Joachim 143, 243 Captivus Septemcastrensis 224—226 Carion, Johannes 247 Chalybs, Petrus 17 Cirvelo, Peter 107, 123 Claudianus, Claudius 47 Clavus, Johannes 55 Cochlaeus, Johannes 4, 63 Cordus, Euricius 201 Cortes, Hernando 121 Dubrava, Jan 62 Eobanus Hessus, Helius 144, 145, 184, 185, 271 Epistolae obscurorum virorum 32 Erasmus, Desiderius 64—67, 227 Ficinus, Marsilius 84 Flugschriften, anonyme, altkirchliche 14, 15, 89 Flugschriften, anonyme, evangelische 103, 133, 134, 239 Fratemitas Sancta Ursula 9

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Gast, Hiob 162 Gottlieb, Johannes 244 Graeter, Caspar 228 Grammatik, Vokabular 199, 220, 258 Gregor v. Nazianz 85, 186, 202 Grumbach, Argula v. 104, 105 Hegendorf, Christoph 68 Herterich, Nicolaus 245 Heyden, Sebald 246, 262, 275, 276 Hollen, Gottschalck 86 Homer 56, 106, 163, 271 Hortulus animae 33, 48, 57, 69, 70, 87 Hortulus animae. Deutsch 49, 58 Institoris, Heinrich 59 Kalender 5, 37, 107, 122—124, 146, 247 Kolbenschlag, Sixtus 60 Lactantius, Lucius C. 12 Ladislaus v. Makedonien 93 Linck, Wenzel 187, 188, 204 Lukian 19, 20, 38, 94 Luther, Martin 50, 71—75, 135—137, 147—151, 164—170, 189—193, 205—209, 224—226, 229—231, 248—250, 263—267, 272, 273, 281 Maria. De septem foribus . . . Mariae 13 Maurus, Hartmann 108 Melanchthon, Philipp 210 Morbach, Achatius 76 Musler, Johannes 251 Neue Zeitung 6, 21, 22, 39, 51, 77, 78, 108, 152, 153, 171, 211—215, 232—234, 252—254, 268, 281 Nilus 34, 35 Obsopoeus, Vincentius 163 Orthographie, deutsche 203 Osiander, Andreas 125, 126, 154, 172, 173, 216 Päpstliche Bulle 2 Paracelsus, Theophrastus 217, 218, 235 Passio Christi 23, 79 Peer, Willibald 174 Peßler, Georg 117, 127 Petrus Lombardus 24 Philipp, Landgraf v. Hessen 194 Philippus, Jacobus 25 Pinder, Ulrich 61 Pirckheimer, Willibald 95

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Friedrich Peypus (1485—1535)

Plinius d. J. 80 Pludentius, Mattheus P. 7 Plutarch 8, 26, 40, 109 Pömer, Hector 117, 127 Pseudo-Plato 110 Reformation der Stadt Nürnberg 88, 96 Regiomontanus 255, 277 Reichstag (1523) 111—115; (1526) 212 Revelationes Birgittae 41 Reyßmann, Theodor 175 Ricardus de Santo Victore 52 Rode, Paul v. 176 Romming, Johann 27, 36 Rozoni, Marcus A. 128 Rupert v. Deutz 138 Rurer, Johann 178 Scharffenstein, Heinz 116 Scheurl, Christoph 28, 29, 43 Schöner, Johann 97, 219, 256, 269, 278, 279 Schorre, Jakob 155

Schwanhauser, Johannes 195 Schwarzenberg, Johann v. 129, 130, 156 Sela. Was das Wörtlein ... 259 Seneca, Lucius A. 81 Singer, Johann 257 Sprenger, Jakob 59 Staupitz, Johann v. 42, 43 Stella, Erasmus 44 Stockar, Johann 82 Tageno 98 Teuschlein, Johann 45, 83 Thylesius, Antonius 236 Tücher, Sixtus 30 Valeriano Bolzani, Giovanni P. 10 Vitalis, Janus F. 3 Werner, Johannes 99 Wickner, Konrad 237 Wildenauer, Johannes 53 Xenokrates 31 Zwick, Konrad 254

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DR. KURT PILZ 1905—1985 Leider war es unserem langjährigen Mitglied nicht vergönnt, den Druck seines fol­ genden Beitrages noch zu erleben. Nach schwerer Krankheit starb Dr. phil. Kurt Pilz am 14. Mai 1985 im Alter von 80 Jahren. Sein Lebenswerk war der Kunstgeschichte seiner Vaterstadt gewidmet. Schon die Münchner Dissertation von 1931 galt einem Nürnberger Künstler: „Die Zeichnungen und das graphische Werk des Jost Ammann (1539—1591).“ Ein Teildruck dieser Arbeit erschien 1940 in Bd. 37 der „Mitteilungen“ unseres Vereins, dem er in langjähriger Mit­ gliedschaft eng verbunden war. In Anerkennung dieser über 40jährigen Treue erhielt er 1978 die beim damaligen 100jährigen Vereinsjubiläum geprägte Medaille überreicht. Beruflich wirkte Pilz als Konservator in den Städtischen Kunstsammlungen, im Ger­ manischen Nationalmuseum und in der Stadtbibliothek Nürnberg. Aufgrund der umfassenden Kenntnisse, die er sich in den langen Jahren seiner Tätigkeit erwarb, hat er in den „Mitteilungen“ wertvolle Beiträge publiziert: Nürnberg und die Niederlande (1952), Hans Hoffmann, ein Nürnberger Dürer-Nachahmer aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts (1962), Bernhard Walther und seine astronomischen Beobachtungs­ stände (1970), Egidius Arnold, seine Familie und seine Geldstiftungen für Nürnberger Handwerke (1975) und endlich Die Familie von Schwarz auf Artelshofen und Hirsch­ bach (1979). Hervorzuheben ist weiter die frühe Arbeit „Der Totenschild in Nürnberg und seine deutschen Vorstufen“ (erschienen in Bd. 1936/39 des Anzeigers des Ger­ manischen Nationalmuseums). An selbständigen Publikationen sind erschienen: Das Handwerk in Nürnberg und Mittelfranken (1954), 600 Jahre Schlosserhandwerk (1965), Johann Arnos Comenius, Die Ausgaben des Orbis Sensualium Pictus, eine Bibliographie (1967), das Sebaldusgrab (1970) und zuletzt: St. Johannis und St. Rochus in Nürnberg, die Kirchen mit den Vor­ städten St. Johannis und Gostenhof (1984), siehe die Besprechung in diesem Bande S. 364. Aus einer langjährigen Beschäftigung des Verstorbenen noch im Ruhestand mit der Inventarisierung des Kunstbesitzes der Nürnberger evangelischen Kirchen gingen einige Kirchenführer hervor (Egidienkirche, Jakobskirche, die Kirchen in Mögeldorf und Kalchreuth). Endlich ist besonders darauf hinzuweisen, daß Dr. Pilz in mühevoller Arbeit eine „Nürnberger Porträtkartei“ geschaffen hat. Die Anregung zu diesem Unternehmen ging vom seinerzeitigen Vereinsvorsitzenden Dr. Werner Schultheiß aus. Vorarbeiten leisteten Dr. Wilhelm Schwemmer und Ingenieur Hans Ebermayer. Pilz kommt jedoch das Verdienst zu, das schwierige Vorhaben zum erfolgreichen Abschluß gebracht zu haben. In der Kartei, die sich seit 1981 als Leihgabe des Vereins im Stadtarchiv befindet, sind insgesamt etwa 1750 Porträts Nürnberger Persönlichkeiten erfaßt, beschrieben und meist auch bildlich festgehalten. Die Fertigstellung dieses Werkes verdient hohe Anerkennung. Der wissenschaftliche Nachlaß des Verstorbenen hat im Archiv für Bildende Kunst im Germanischen Nationalmuseum seinen Platz gefunden. Insgesamt hat sich Dr. Kurt Pilz mit seinen zahlreichen Publikationen, von denen hier nur die wichtigsten genannt werden konnten, um Nürnbergs Geschichte, seine Künstler und ihre Werke sehr verdient gemacht. Der Verein wird das Andenken an sein treues Mitglied in Ehren halten. Gerhard Hirschmann

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Goldschmied Albrecht Dürer d. Ä.

DER GOLDSCHMIED ALBRECHT DÜRER D. Ä. Ein Beitrag zur Identifikation seiner Arbeiten und der Bildnisse, die ihn dar­ stellen. Von Dr. Kurt Pilz f Die Familie Dürer stammte zum einen Teil aus Eytas bei Jula (Ajtos, Eytasch bei Gyula) in Ungarn, an der Grenze zu Rumänien gelegen, und zum andern Teil aus der Gegend von Großwardein in Rumänien. Das Dorf Eytas (Ajtos) besteht nicht mehr. Die Angehörigen der Familie gehörten sicher zu den Nachkommen der deutschen Kolonisten, die während des 13. Jahrhunderts in das Land Ungarn gerufen worden waren. Die Handwerkerfamilien in den öst­ lichen Gebieten sprachen zumeist deutsch. Der Vater Albrecht Dürers d. Ä., Antony Dürer, kam als Knabe von Ajtos nach Gyula und wurde hier im Jahre 1410 Goldschmied.1 Antonys ältester Sohn Albrecht Dürer d. Ä. (*1427 wohl zu Gyula, begraben 20. IX. 1502 zu Nürnberg) — als Geburtsort wird auch Ajtos (Eytasch) angenommen, obwohl der Vater in Gyula tätig war — wurde eben­ falls Goldschmied. Er erlernte das Handwerk zuerst bei seinem Vater. Auf der üblichen Wanderschaft, die Albrecht nach den Niederlanden brachte, kam er im Jahre 1444 zunächst nach Nürnberg. Vielleicht wurde er schon damals kurzfristig Geselle des Goldschmieds Hieronymus Holper (erwähnt in Nürn­ berg bis 1476). Die weitere Wanderschaft brachte den jungen Gesellen Albrecht Dürer d. Ä. für mehrere Jahre in die Niederlande, möglicherweise auch nach Burgund. Hier führte er wohl Goldschmiedewerke für den Herzog Philipp III. den Guten (1419—1467) aus. Nach den späteren Angaben des Sohnes, des Malers Albrecht Dürer, die dieser in seiner handgeschriebenen Familien­ chronik (die Urschrift ist verschollen, eine Abschrift des 17. Jahrhunderts in der Staatlichen Bibliothek Bamberg, zwei Abschriften aus der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts in der Stadtbibliothek Nürnberg) niederlegte, war der Gold­ schmied lange Zeit bei den großen Künstlern in den Niederlanden gewesen. Aufgrund einer späteren Arbeit, die um 1470 in Nürnberg entstanden ist und 1931 dem Goldschmied Albrecht Dürer d. Ä. zugeschrieben wurde, hat man damals diesen Aufenthalt in Burgund als sicher angenommen. Bei dieser Arbeit handelt es sich um eine Doppelscheuer aus Habsburger Besitz, die sich heute im Kunsthistorischen Museum Wien befindet (Abb. 1). Jedoch wird diese Zuschreibung inzwischen wieder angez weifeit. Doch davon später! 1 Zur Herkunft der Familie Dürer vgl. Hirschmann, Gerhard: Albrecht Dürers Abstammung und Familienkreis, in: Albrecht Dürers Umwelt. Festschrift zum 500. Geburtstag Albrecht Dürers am 21. Mai 1971, Nürnberg 1971, S. 35—55 = Nürnberger Forschungen Bd. 15.

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Kurt Pilz (f)

Im Jahre 1455 kehrte Albrecht Dürer d. Ä. nach Nürnberg zurück, wo er bis an sein Lebensende blieb. Er trat als Geselle in die Werkstatt des Gold­ schmieds Hieronymus Holper ein. Bis 1467 war er hier tätig. In diesem Jahr machte er sich selbständig. Nach dem Ratsverlaß vom 4. April 1467 (Hampe I Nr. 59) wurde er Bürger der Stadt und gleichzeitig Mitarbeiter seines Lehrers Holper an dem Silberwaagamt und an der Goldschmiedeschau. Diese beiden Ämter hatte Holper seit 1461 inne. Der geschworene Silberwäger in der städischen Silberwaage hatte in Nürnberg den Großhandel mit den Edelmetallen in der Hand. Ferner mußte der Silberwäger alle Edelmetalle — sowohl rein und in der Legierung, gemünzt und in Barren, unverarbeitet als auch verarbeitet — zuerst auf den entsprechenden Feingehalt (= Korn) prüfen und danach die ausgearbeiteten Exemplare mit dem aufgeschlagenen Zeichen der Goldschmie­ deschau versehen. Erst am 4. Juni 1468 wurde Albrecht Dürer d. Ä. Meister des Goldschmie­ dehandwerks. Am 8. Juni 1467 heiratete er Barbara Holper, die 15jährige Tochter seines Meisters. Sie wird als eine hübsche „gerade“ Jungfrau bezeichnet. Durch ein weiteres Ratsdekret vom 20. März 1470 wurden die beiden Goldschmiede Nicolaus Röt und Albrecht Dürer d. Ä. zu Münzpro­ bierern bestellt; die Instruktion weist sie auf die genaue Amtsführung hin.2 Dadurch übernahm der fremde deutsche Goldschmied aus Ungarn alle Ämter, die sein Meister und Schwiegervater Hieronymus Holper innegehabt hatte. Die Anziehungskraft, die von der Reichsstadt Nürnberg ausging, zeigt sich auch bei Albrecht Dürer d. Ä. Die Goldschmiede zählten hier zu den bedeu­ tendsten Handwerkern; sie erhielten aus den Reihen des Nürnberger Patri­ ziats, des reichsstädtischen Rats sowie von fremden Herren, anderen deut­ schen Städten und Fürsten immer wieder lohnende Aufträge. Zuerst wohnte Albrecht Dürer d. Ä. in dem Haus S 15 b (Sebalder Seite; Winklerstraße 20), das als Hinterhaus zu dem Wohngebäude S 15 a am Her­ renmarkt (später Hauptmarkt 19) des Patriziers Dr. jur. Johannes Pirckheimer gehörte. Dieser Jurist war zu jener Zeit Rat des Eichstätter Bischofs Wilhelm von Reichenau (1464—1496) und wurde später Ratskonsulent in Nürnberg. In dem Haus an der Winklerstraße wurde der Sohn Albrecht geboren und am 21. Mai 1471 getauft. Die Jugendfreundschaft mit dem am 5. Dezember 1470 zu Eichstätt geborenen Willibald Pirckheimer (1470—1530), dem Humanisten und Gelehrten, sollte zeitlebens dauern. Am 12. Mai 1475 erwarb Albrecht Dürer d. Ä. das Haus S 493 (Burgstraße 27) an der Ecke zur Oberen Schmiedgasse. Es war ein einfaches und schmales Gebäude. Der gelehrte Humanist Willibald Pirckheimer wohnte in seinem väterlichen Haus am Herrenmarkt. Auch der Maler Albrecht Dürer wohnte im elterlichen Haus an der Burgstraße. Nach dem Tod seines Vaters blieb er dort bis 1504. Hier hatte er die ganze Zeit seine Werkstatt. Nach dem Kauf eines 2 Staatsarchiv Nürnberg: Ratsbuch I 1461—1475 I c fol. 186v—187v.

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Goldschmied Albrecht Dürer d. Ä.

weiteren Hauses in der Zistelgasse (Zisselgasse gegenüber dem TiergärtnerTorturm) S 376, das seit 1501 im Besitz des Kaufmanns und Astronomen Bernhard Walther (1430—1504) gewesen war, übersiedelte der Maler in dieses heute „Albrecht-Dürer-Haus“ genannte Gebäude. Die beiden Wohnhäuser des Goldschmieds Albrecht Dürer d. Ä. in der Winklerstraße sowie in der Burgstraße wurden im Zweiten Weltkrieg zerstört. Eine erhaltene Goldschmiedearbeit, ehemals Albrecht Dürer d. Ä. zugeschrieben

Jahrhundertelang waren keine nachweisbaren Arbeiten des Goldschmiedes Albrecht Dürer d. Ä. bekannt. Erst Heinrich Kohlhaußen, der spätere Erste Direktor des Germanischen Nationalmuseums, schrieb 1931 eine Goldschmie­ dearbeit Albrecht Dürer d. Ä. zu, die um 1470 entstanden sein könnte und heute im Kunsthistorischen Museum in Wien ist (Abb. 1). Ein Kristallpokal mit niederländischem Schmelzwerk, ehemals im Besitz des Kardinals Albrecht von Brandenburg, des späteren Erzbischofs von Mainz (1515—1545), ist nur noch zeichnerisch überliefert. Die Nachzeichnung in Deckfarbenmalerei befindet sich in dem sog. Halleschen Heiltum von 1520, einem für die Goldschmiedekunst bedeutungsvollen Codex der Schloßbib­ liothek Aschaffenburg, fol. 329 v.3 Die Kuppa und der Deckel des nicht erhal­ tenen Pokals bestanden aus Bergkristall, die Fassung war aus Silber. Seitlich war in der Mitte ein Angriff und auf dem Deckel ein Krönlein der flandrischen Pokale angebracht. Teile der Fassung waren außerdem mit niederländischem Schmelzwerk verziert. Die Kuppa zeigte Szenen aus dem Wilde-Leute-Thema: Eine auf einem phantastischen Tier reitende Frau verfolgt einen Hirsch, dazwi­ schen hält ein Affe die Lanze auf. Aus Habsburger Besitz befindet sich heute eine Doppelscheuer (= Doppel­ becher, Doppelpokal), eine Nürnberger Arbeit um 1470/80, im Kunsthistori­ schen Museum Wien. Diese Nürnberger Goldschmiedearbeit ist es, die Kohl­ haußen 1931 als eine Arbeit des Goldschmiedes Albrecht Dürer d. Ä. in Anspruch nahm. Noch 1943 hatte Kohlhaußen mir gegenüber diese Ansicht vertreten. Er meinte, daß die Zuschreibung zwar nicht zu beweisen, wohl aber leicht möglich sei. Nach einem Schreiben des Kunsthistorischen Museums

3 Halm, Philipp Maria und Berliner, Rudolf (Hrsg.): Das Hallesche Heiltum, Man. Aschaffenb. 14, Berlin 1931, S. 56, Nr. 259, Tafel 144. (Höhe der Zeichnung: 34,8 cm.)

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Kurt Pilz (t)

Wien hat Kohlhaußen dies 1968 abgeschwächt. Heute wird die Zuschreibung nicht mehr aufrecht gehalten.4 Die Doppelscheuer wurde 1872 aus einem der beiden habsburgischen Schlösser in Laxenburg bei Wien übernommen. Das Altnürnberger Beschau­ zeichen, das gegenläufige N (Rosenberg3 Nr. 3688) ist angebracht. Wiederum, wie bei dem verlorenen Pokal des Kardinals Albrecht von Brandenburg, bestehen Corpus und Deckel (er ist die Kuppa des oberen Doppelbechers) aus Bergkristall. Die Goldschmiedefassung ist besonders gut, geradezu meisterhaft ausgeführt. Der ganze Aufbau von dem sechspassigen Fuß an über den Corpus, dem einen seitlichen Angriff, versehen mit silbernen, getriebenen Rankenblättern, bis zu dem Deckel, dem oberen Becher mit dessen rundem durchbrochenem Fuß, stimmt mit der Zeichnung in dem Aschaffenburger Codex überein. Allein das niederländische Schmelzwerk mit den Darstel­ lungen fehlt. Außerdem weisen das hängende Ornament unten am kristallinen Körper sowie das Krönlein am Fuß des oberen Bechers (des Doppelbechers) auf ein aus Burgund stammendes Vorbild. Aus diesem bestimmbaren Werk könnte, sofern die ehemalige Zuschreibung von 1931 stimmt, geschlossen werden, daß der Goldschmied Albrecht Dürer d. Ä. auch noch in seiner Nürn­ berger Zeit von der niederländisch-burgundischen Kunst beeinflußt war. Die beiden silbernen Schildchen von 1471

Im Jahre 1471 fertigte Albrecht Dürer d. Ä. zwei silberne Schildchen für die städtischen Musiker, die Portativer und die Lautenschläger, an. Sie sind nicht erhalten. Abbildungen davon sind nicht bekannt. Nach den Nürnberger Stadt­ rechnungen bekam der Goldschmied am 8. Februar 1471 als Bezahlung dafür 14 fl (Gulden) Landeswährung, 1 Pfund neuer Währung, 7 sh (Schillinge). Der Originaleintrag unter dem Bürgermeister Ulrich Grundherr lautet: schilt lauttenslaher. Item xiiij guldin landß(werung) 1 & n(ovi) 7 ß Albr(echt) des Holpers eid(am) für die zwen Schilt den portatiuer vun lautenslahern zusteende, die wagen on 1 q(uent) xvij lot, vnd die mark zu xiiii fl gerechnt. R(etulit) Vlrich Grunther. vj an(te) Scolastice virginis (= 8. Februar 1471).5 4 Kohlhaußen, Heinrich: Niederländisch Schmelzwerk, in: Jahrbuch der Preußischen Kunst­ sammlungen 52. Band, Berlin 1931, S. 163, Abb. 3 und 7 (Maße: hoch 24,5 cm). Derselbe: Nürnberger Goldschmiedekunst des Mittelalters und der Dürerzeit 1240 bis 1540. Jahresgabe 1967 des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft, Berlin 1968 Nr. 238, S. 155—156, Abb. 259. Loewenthal, A.: Les grands Vases de Cristal de Roche et leur Origine, in: Gazette des BeauxArts 6e periode — Tome XI 1934/1, Paris 1934, S. 43—48, Abb. 1. Katalog der Sammlung für Plastik und Kunstgewerbe I. Teil Mittelalter, in: Führer durch das Kunsthistorische Museum Nr. 10, Wien 1964 Nr. 27, S. 11, Tafel 39 (Nürnberg 2. Hälfte 15. Jahrh., die Zuschreibung ist nicht übernommen). Das Kunsthistorische Museum in Wien, Salzburg 1978, S. 103, Abb. (2. Hälfte 15. Jahrhundert). Leithe-Jasper, Manfred und Distelberger, Rudolf: Kunsthistorisches Museum I. (Band) Schatzkammer und Sammlung für Plastik und Kunstgewerbe, in: Museen der Welt, München—London 1982, S. 62. 5 Staatsarchiv Nürnberg: Stadtrechnungen Nr. 16 von 1470 fol. 125 r.

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Goldschmied Albrecht Dürer d. Ä.

Die Portativer, die ein Portativ (= Handorgel) spielten, mußten bei der Lautmärung (der Verlobung) auf dem Rathaus sowie bei den Hochzeiten der patrizischen Geschlechter an der Spitze des Brautzuges musizieren. Ein Por­ tativ ist an dem rotmarmornen Grabstein des aus Nürnberg stammenden Organisten Conrad Paumann (um 1410—1473) an der Frauenkirche in Mün­ chen abgebildet. Die silbernen Schildchen der städtischen Musiker wurden an einer silbernen Kette auf der Brust getragen. Aus einer Nürnberger Polizeiordnung von 1496 geht noch hervor, daß bei den auf dem Rathaus gefeierten Hochzeiten die „statt pfeyffer und trumenter trugen der statt schilt“.6 Weitere Aufträge an den Goldschmied

Der Nürnberger Rat mußte ständig einen Bestand an kunstfertigen Gold­ schmiedepokalen besitzen, um daraus die Verehrungen für die kaiserlichen, fürstlichen und anderen hohen Besucher der Stadt entnehmen zu können. Sechs Jahre nach der Anfertigung der beiden silbernen Schildchen für die städ­ tischen Musiker (1471) erhielt der Goldschmied Albrecht Dürer d. Ä. einen größeren Auftrag: Er mußte 24 Becher für den Nürnberger Rat verfertigen. Davon sollten 20 einfach, d. h. ohne Deckel, und die weiteren vier mit Deckel ausgestattet sein. Die Arbeiten mußten aus vergoldetem Silber hergestellt werden. Zu diesem Zweck erhielt der Goldschmied aus der Losungsstube (der Rechnungskammer im Rathaus) elf ältere Becher und zwei Schalen zur Umar­ beitung. Ihr finanzieller Gegenwert betrug 74 fl rheinisch 2 sh 4 h (Schillinge und Heller). In barem Geld wurden Albrecht Dürer d. Ä. sogleich 100 fl aus­ bezahlt. Der Preis für die gesamte gelieferte Arbeit betrug 321 fl 9 sh 3 h. Am 29. August 1477 erfolgte die Auszahlung eines Restbetrags von 144 fl 10 sh.7 Der Goldschmied Dürer wollte aber seine Erzeugnisse auch öffentlich ver­ kaufen. Aus diesem Grunde hatte er 1468/71 einen Kram bei dem Schuhhaus (dem Kürschnerhaus) südlich der Frauenkirche am Hauptmarkt und schon vor dem Jahre 1480 bis 1502 einen Verkaufsstand am Nürnberger Rathaus gemietet. Am 26. August 1486 schloß Albrecht Dürer d. Ä. einen Vertrag mit dem Beauftragten des Bischofs von Posen, Uriel von Gorka (1479—1498), ab. Dabei handelte es sich um die Anfertigung von Trinkgeschirren.8 Der Bischof 6 Staatsarchiv Nürnberg: Rep. 52 b Nr. 231 fol. 13 v und 20 v. Nürnberger Polizeiordnungen aus dem XIII. bis XV. Jahrhundert, herausgegeben von Joseph Baader, in: Bibliothek des Litterarisehen Vereins in Stuttgart 63. Band, Stuttgart 1861, S. 79, 83. Gümbel, Albert: Zur Biographie Albrecht Dürers des Alteren, in: Repertorium für Kunstwissenschaft XXXVII. Band, Leipzig 1915, S. 210—221, 311—322. 7 Staatsarchiv Nürnberg, Reichsstadt Nürnberg, Stadtrechnungsbelege: Einzelbelege Nr. 81, eigenhändiges Schriftstück, Feder, Papier. 8 Staatsarchiv Nürnberg, Reichsstadt Nürnberg, 7farbiges Alphabet, Akten Nr. 249, Blatt 21 (das Original des Schriftstücks war bisher in den Fragmenten zu dem zeitlich früheren Briefbuch des Rats [Band 26] von 1455/56 erhalten, jetzt im Siebenfarbigen Alphabet, Akten).

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von Posen hatte für diesen Auftrag Silber, das 52 Mark 2 quentlein 2 d (= Pfennig) wog, sowie einen baren Betrag von 146 fl rheinisch 12 sh an den Nürnberger Handwerksmeister übergeben lassen. Dafür verlangte der Auftraggeber Uriel von Gorka die Lieferung folgender Goldschmiedearbeiten: zwei Scheuern, von denen jede 11 Mark wiegt, einen weiteren Kopf (wieder einen Pokal) für 13 Mark, zwei Scheuern, jede mit einem Griff, für je 6 Mark sowie ein Trinkgeschirr für 5 Mark. Ein weiterer Geldbetrag von 208 fl rhei­ nisch wurde für das Vergolden der angefertigten Arbeiten angesetzt. Im Jahre 1486 schenkte Pater Stephan Fridolin, Lesemeister im Nürnberger Barfüßer-(= Franziskaner-)Kloster und zugleich Prediger im KlarissinnenKloster zu St. Klara, dem reichsstädtischen Rat antike Münzen. Daraufhin erteilte der Ratsherr Hans VI. Tücher (1428-1498) den Auftrag an Dürer d. Ä., daß er diese Münzen versilbere und vergolde. Daraus ist zu schließen, daß es antike Bronzemünzen entweder aus Griechenland oder aus Rom waren. 1489 arbeitete Dürer d. Ä. zwei nicht mehr erhaltene Monstranzen für die Heilig-Geist-Kirche in Nürnberg. In diesen beiden Monstranzen waren als angebliche Reliquien ein vermeintlicher Dorn aus der Dornenkrone Christi sowie ein vermeintlicher Knoten aus der Geißel der Marterwerkzeuge Christi eingelassen. In dem Rechnungsmanual des Heilig-Geist-Spitals in Nürnberg von 1489/90 steht zum 18. April 1489 der entsprechende Eintrag, daß Dürer den Betrag von 30 Pfund erhielt.9 Dazu bekam er am 27. April 1489 noch 1 fl und 1 ungarischen Gulden, die für die Vergoldung der Füße mitsamt dem sil­ bernen Kranz auf der einen Monstranz bestimmt waren. Am 18. Juli 1489 erhielt Dürer d. Ä. ferner 6 Pfund 10 Kreuzer, um ein Kreuz auf der anderen Monstranz zu machen und um die zwei silbernen „opfrkendelen“ (Opferkännlein für die Feier der Messe) zu erneuern. Die beiden Monstranzen Dürers d. Ä. werden noch in einem 1509 zusam­ mengestellten „Inventari der silbren vnd vergulten clainat Im newen spital“ angeführt.10 Bei den in Nürnberg jährlich stattfindenden Heiltumsweisungen der Reichskleinodien und Reichsheiltümer wurden diese beiden Monstranzen neben anderen Exemplaren gezeigt. Zusammen mit dem Nürnberger Goldschmied Hans Krug d. Ä. (f 1519) führte Albrecht Dürer d. Ä. im Jahre 1489 zwei silberne Trinkgeschirre für Kaiser Friedrich III. (1440—1493) aus. In den Nürnberger Ratsverlässen vom 24. März 1489 heißt es: „Item bei dem Krug und Albrechten Türer fleiß ze thun, daz sie der k. Mt. seine angedingte trinckgefeß furderlich verfertigen.“11 9 Stadtarchiv Nürnberg, Heilig-Geist-Spital, Rechnungen Nr. 42. 10 Staatsarchiv Nürnberg: Saal I Lade 133 Nr. 9, fol. 2r—v. 11 Staatsarchiv Nürnberg: Ratsverlässe Nr. 235 von 1489 fol. llv. Petz, Hans: Urkunden und Regesten aus dem königlichen Kreisarchiv zu Nürnberg herausgegeben, in: Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses 10. Band, Wien 1889 S. XXV, Nr. 5720. Hampe, Theodor: Nürnberger Ratsverlässe über Kunst und Künstler im Zeitalter der Spätgotik und Renaissance (1449) 1474—1618 (1633) I. Band (1449) 1474—1570, in: Quellen-

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Abb. 1:

Nürnberger Meister um 1470/80: Doppelscheuer (Doppelpokal) Kunsthistorisches Museum Wien (Museumsaufnahme).

Abb. 2: Brief Albrecht Dürers d. Ä. an seine Frau Barbara. Linz, 24. 8. 1492. Archiv für Bildende Kunst im Germanischen Nationalmuseum (Museumsaufnahme).

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Goldschmied Albrecht Dürer d. Ä.

Im Jahre 1492 reiste Albrecht Dürer d. Ä. an das Hoflager Kaiser Friedrichs III. in Linz. Ein eigenhändiger Brief12 des Goldschmieds vom 24. August 1492 an „frawn Barbara Türerin goldschmidin zu Noremberg“ hat sich erhalten. Er ist das zweite originale Schriftstück von seiner Hand. Dieser Brief wurde um 1882 angeblich hinter einer hölzernen Verschalung im Albrecht-Dürer-Haus zu Nürnberg gefunden. Über den Nürnberger Antiquitätenhandel gelangte der Brief in das Archiv für Bildende Kunst im Germanischen Nationalmuseum (Abb. 2). Aus dem Schreiben geht hervor, daß der Herrscher den Goldschmied aus Nürnberg in der kaiserlichen Burg zu Linz empfangen hatte. Außerdem steht hier der Passus: „jch must seine genaden die pilder auf pinden, do hat sein genad fast ain gefalen daran“. Dieser Hinweis läßt darauf schließen, daß der Goldschmied eigene Zeichnungen, d. h. Visierungen oder Vorzeichnungen für Goldschmiedearbeiten in Linz dabei hatte. Es werden wohl keine Entwürfe für etwaige vom Kaiser Friedrich III. bestellte Arbeiten gewesen sein. Dürer d. A. hoffte vielleicht, auf Grund seiner Visierungen neue Aufträge zu erhalten. Von Theodor Hampe wurde angenommen, daß der Goldschmied frühe Holz­ schnitte seines Sohnes Albrecht mitgenommen habe und daß der Wortlaut des Briefes sich darauf beziehe.13 Hans Rupprich neigt jedoch dazu, diesen letz­ teren Hinweis abzulehnen, da doch wohl Erzeugnisse der Goldschmiedekunst gemeint gewesen seien. Als eine sehr späte und wohl letzte Arbeit von Albrecht Dürer d. Ä. könnte das Schlüsselfelder Schiff von 1502/03 im Besitz der Schlüsselfelderschen Familienstiftung zu Nürnberg angesehen werden. Dieser Tafelaufsatz, eine sehr bekannte Nürnberger Goldschmiedearbeit, befindet sich mit dem Leder­ futteral von 1503 seit Jahrzehnten als Leihgabe dieser Stiftung im Germani­ schen Nationalmuseum. Ist nun das Schlüsselfelder Schiff schon vor oder um 1502 angefertigt, so könnte die Arbeit noch zu Lebzeiten Albrecht Dürers d. Ä. ausgeführt worden sein. Bei einer Vollendung bis 1503 hätte ein anderer, namentlich nicht bekannter Goldschmied die endgültige Fertigstellung über­ nommen. Das Werk ist in Silber getrieben und weitgehend vergoldet, Einzel­ teile sind gegossen und kalt bemalt. Das Futteral zum Schlüsselfelder Schiff aus Holzspan ist an den Innenrändern mit rotem Leder und an den Innenseiten mit einem roten und plüschartigen Stoff beklebt, außen mit schwarzem Leder bezogen. Hier ist — wie üblich — das Datum 1503 eingeschnitten. Nach Heinrich Kohlhaußen ist als Auftraggeber des Werkes nicht die patrizische Familie Schlüsselfelder in Nürnberg anzunehmen, da ihre Mitglieder Schriften für Kunstgeschichte und Kunsttechnik des Mittelalters und der Neuzeit Neue Folge XI. Band, Wien—Leipzig 1904 Nr. 391, S. 56. 12 Dürer. Schriftlicher Nachlass, herausgegeben von Hans Rupprich, herausgegeben vom Deut­ schen Verein für Kunstwissenschaft, Erster Band, Berlin 1956, S. 252. 13 Thieme, Ulrich/Becker, Felix: Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart Bd. 10, Leipzig 1914, S. 62.

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nicht reich waren. Vielmehr sah Kohlhaußen den Kupfer- und Messinghändler Matthäus Landauer (f 1515) in Nürnberg als den Auftraggeber an. Dieser war ein Bruder der Mutter des Besitzers Wilhelm Schlüsselfelder (1483—1549).14 Bildnisse des Goldschmieds Albrecht Dürer d. Ä. Die Bildniszeichnung des Goldschmieds Albrecht Dürer d. Ä. von 1486 wird jetzt als Selbstbildnis angesehen.15 Bisher galt das Blatt als eine der frühesten Zeichnungen des Sohnes, des Malers Albrecht Dürer. Der Goldschmied hält in seiner Rechten einen Fahnenschwinger, der als Gußarbeit in Silber sicher als eine Arbeit von seiner Hand gelten kann. Der Sohn und Maler Albrecht d. J. schuf bedeutsame Bildnisse, die den Vater darstellen. Ein gemaltes Bildnis-Diptychon seiner Eltern entstand im Jahre 1490. Erhalten hat sich aber nur das Bildnis des Vaters Albrecht, das heute in den Uffizien von Florenz hängt.16 Der als Brustbild Dargestellte hält einen Rosenkranz in den Händen. Das Bildnis ist auf der Vorderseite mit dem Datum 1490 versehen und darunter mit dem Monogramm A. D. nachträglich signiert. Auf der Rückseite der Bildtafel ist die bürgerliche Wappenallianz Dürer (eine geöffnete Türe) und Holper mit dem darunter angebrachten Datum 1490- wiedergegeben. Die andere Hälfte dieses Diptychons, das Bildnis der Mutter Barbara Dürer, ist seit 1633 in Amsterdam verschollen, wohin es aus Nürnberg verkauft worden war. Die nach links gerichtete Hal­ tung sowie der Blick des Mannes lassen darauf schließen, daß das Bildnis seiner Frau diesmal wohl auf der linken Bildseite zu sehen war. Diese Anordnung widerspricht zwar den Gesetzen der Heraldik, denn danach muß der Mann heraldisch rechts (= linke Bildseite) und die Frau heraldisch links (= rechte Bildseite) dargestellt sein. Ein weiteres Bildnis des Goldschmieds Albrecht Dürer d. Ä. entstand 1497 und zeigt ihn als Halbfigur ohne ein Attribut.17

14 Maße: Schiff hoch 0,79 m, breit 0,435 m, lang 0,79 m; Futteral hoch 0,815 m. Kohlhaußen, Heinrich: Nürnberger Goldschmiedekunst a.a.O., 1968, S. 266-277, 524—525, Katalog-Nr. 338, Abb. 406—418, Farbtafel. Siehe auch: Ahlborn, Joachim: Die Familie Landauer, in: Nürn­ berger Forschungen Bd. 11, 1969, S. 93 und 154. 15 Silberstift in der Graphischen Sammlung Albertina Wien. Hoch: 0,284 m, breit: 0,212 m, auf Papier. Friedrich Winkler nahm noch im Jahre 1957 die Zuschreibung an den Sohn als gesichert an. 16 Ölgemälde auf Lindenholz, hoch 0,475 m, breit 0,395 m, vgl. hierzu den Aufsatz von Lotte Brand-Philip: Das neu entdeckte Bildnis von Dürers Mutter, Nürnberg 1981 = Renaissance­ vorträge Bd. 7. 17 National Gallery London. Ölgemälde auf Lindenholz. Hoch 0,51 m, breit 0,397 m. Von den danach angefertigten Kopien befindet sich eine in der National Gallery in London, eine in den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen in München, eine im Syon House (England) des Herzogs von Northumberland, eine im Staedelschen Kunstinstitut in Frankfurt/Main und eine neuerdings aufgetauchte in Berliner Privatbesitz.

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NÜRNBERGER ÄRZTE ALS BÜCHERSAMMLER: MEDIZINISCHE PRIVATBIBLIOTHEKEN DES 15.-18. JAHRHUNDERTS Von Bernd Lorenz Neben eigener Erfahrung und von anderen vermittelten Kenntnissen ist das durch Bücher überkommene Wissen für den Arzt bei seinen täglichen Bemühungen von unschätzbarem Gewicht, aber auch für geistige Entspannung und weiterführende Anregungen von großem Wert. Daraus ergibt sich eine enge Verbindung des Arztes mit literarischen Texten, die sich bereits in früher Zeit zeigt. Dieser Bedarf an Büchern konnte jedoch — ganz im Gegensatz zur Gegenwart — nur in den seltensten Fällen durch eine allgemein zugängliche Bibliothek befrie­ digt werden, so daß nicht nur die oft angeführte Freude an Büchersammeln und Bücherbesitz, sondern oftmals berufliche Notwendigkeit oder auch private Inter­ essengebiete zur Entstehung von Privatbibliotheken führen. Dabei ist natürlich neben dem Hinweis auf das Interesse und die Aufgeschlos­ senheit für geistige Tätigkeit nicht zuletzt auch ein Rückschluß auf die ökonomi­ sche Situation des Mediziners möglich, der eine private Büchersammlung anlegt. Diese Voraussetzungen bedeuten aber zugleich die Zugehörigkeit des Arztes zu den führenden Schichten der Bevölkerung, teilweise auch zur städtischen Füh­ rungselite. Hier sind die Möglichkeiten einer eigenen Textbewahrung und damit das Entstehen einer Privatbibliothek naheliegend.1 Dabei gelten die Gesichts­ punkte für ein Interesse an Literatur und deren Aufbewahrung besonders für Mediziner in Städten, besonders den Reichsstädten. Beispielhaft sei hier Nürnberg als eine der bedeutendsten Städte des Alten Reiches gewählt. Hierbei ist zunächst für den Zeitraum des 15. und 16. Jahrhunderts nicht zu übersehen, daß die Privatbibliothek von Einzelnen ihre größte Bedeutung für die Bibliotheksgeschichte im Klassischen Altertum und dann eben, in dessen Nach­ folge, in der humanistisch geprägten Renaissance gewinnt, also den beiden Epo­ chen, in denen das Ideal der gebildeten Persönlichkeit die geistige Kultur beherrschte.2 Denn daß in dieser Zeit ein so exponierter Stand wie die Ärzte zu den Besitzern privater Büchersammlungen gehören, liegt auf der Hand nicht zuletzt wegen der faktischen Beschränkung des Besitzes von Büchern im 15. und am Anfang des 16. Jahrhunderts auf Geistliche und Angehörige der Heilberufe wie Ärzte, Bader

1 E. Kleinschmidt: Stadt und Literatur in der frühen Neuzeit. Voraussetzungen und Entfaltung im südwestdeutschen, elsässischen und schweizerischen Städteraum (Köln-Wien, 1982 S. 166). 2 P. Karstedt: Studien zur Soziologie der Bibliothek (Wiesbaden, 2. Aufl. 1965 S. 57).

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und Apotheker.3 Sehr ansehnlich ist dabei die Liste namhafter Ärzte mit größerem Bücherbesitz, da „viele Ärzte des 15. und 16. Jahrhunderts in und neben dem Beruf humanistischen Neigungen huldigten“.4 Von besonderer Bedeutung für diesen Zeitraum ist der von den Nürnberger Ärzten Hermann Schedel (1410—1485) und Hartmann Schedel (1440—1514) gesammelte Bestand von Handschriften und gedruckten Büchern, die sie — nach ihrem Studium in Leipzig — auf Reisen in Deutschland und Italien erworben hatten. Hermann Schedel vererbte seinem Neffen Hartmann Schedel seine Privat­ bibliothek, die dieser bedeutende Historiker und Verfasser der „Weltchronik“ weiter ausbaute und die um 1500 etwa 630 Bände umfaßte. Aufschlußreich ist die Bibliothek von Hartmann Schedef nicht zuletzt wegen des von ihm selbst ange­ legten Katalogs.5 Gegliedert hat er den Bestand seiner zuletzt rund 2000 Bücher umfassenden Sammlung nach dem System, das in der „Biblionomia“ des Richard de Fournival entwickelt wurde.6 Zur Schedelschen Bibliothek gehörten neben zahl­ reichen Handschriften aller Wissensgebiete die wichtigsten Drucke der Literatur seiner Zeit.7 Als Bekannter von Hermann und Hartmann Schedel ist der Arzt und Humanist Dr. Hieronymus Münzer zu nennen, der Schwiegervater des Hieronymus Holzschuher und ein Freund des Konrad Celtis. Münzer wurde um 1437 in Feldkirch (Vorarlberg) geboren und ließ sich nach Studien in Leipzig und Pavia 1478 als Arzt in Nürnberg nieder, wo er ein angesehener Bürger wurde. Verschiedene Reisen führten ihn ins Rheinland, nach Italien und Westeuropa. Münzer machte sich auch einen Namen als Geograph und arbeitete intensiv an der Schedelschen „Welt­ chronik“ mit. Er starb 1508. Seine Privatbibliothek, die er in größerem Stil bei seinem Studium in Pavia anzu­ legen begann, hat — im Vergleich zur Schedelschen Bibliothek — eher „normalen“ Umfang, obwohl sie inhaltlich gleich fächerübergreifend ist. Dennoch ist sie beach-

3 Chr. Alschner: Geschichtsbücher in Dresdner Bürgerbibliotheken des 15./16. Jahrhunderts (In: Studien zur Buch- und Bibliotheksgeschichte. Hans Lülfing zum 70. Geburtstag am 24. November 1976; Berlin, 1976 S. 121/127, hier S. 121). 4 H. Kramm: Deutsche Bibliotheken unter dem Einfluß von Humanismus und Reformation. Ein Beitrag zur deutschen Bildungsgeschichte (Leipzig, 1938 S. 251 Anm. 2); vgl. allgemein B. Lorenz: Notizen zu Privatbibliotheken deutscher Ärzte des 15.—17. Jahrhunderts (= Sudhoffs Archiv 67, 1983 S. 190/198). 5 R. Stäuber: Die Schedelsche Bibliothek. Ein Beitrag zur Geschichte der Ausbreitung der italieni­ schen Renaissance, des deutschen Humanismus und der medizinischen Literatur. Hrsg. v. O. Hartig (Freiburg/Br., 1908, unveränd. Nachdruck 1969). 6 Vgl. hierzu E. Seidler: Die Medizin in der „Biblionomia“ des Richard de Fournival (= Sudhoffs Archiv 51, 1967 S. 44/54). 7 R. Mummendey: Von Büchern und Bibliotheken (Darmstadt, 5. durchges. u. erg. Aufl. 1976 S. 226). Vgl. auch C. Dima-Dragan: Ein Exlibris Hartmann Schedels in Rumänien (= Guten­ berg-Jahrbuch 55,1980 S. 359/362); weiter K. Sudhoff: Medizinische Bibliotheken (= Sudhoffs Archiv 21, 1929 S. 296/310, hier S. 305 f.) (= Sudhoff).

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tenswert, da neben sieben Manuskripten 185 Drucke in weniger als 100 Bänden mit Bestimmtheit als Besitz Münzers erkennbar sind, und zwar vor allem seine Schen­ kung an die St. Nikolaus-Bibliothek in seiner Geburtsstadt Feldkirch.8 Deutlich ist also zu erkennen, welche Größe Privatbibliotheken von Ärzten im 15. Jahrhundert bereits erreichen konnten. Dabei läßt sich der Umfang der bedeu­ tendsten Sammlungen erst würdigen, wenn man beispielsweise bedenkt, daß die Stadtbücherei Nürnberg im Jahre 1488 einen Bestand von 371 Bänden auf 33 Pulten und damit immerhin schon eine ansehnliche Größe erreichte, während die Privatbibliothek von Hartmann Schedel wesentlich größer war. Für Nürnberg läßt sich eine vergleichbare Relation übrigens auch für spätere Zeit feststellen. So umfaßt die Stadtbibliothek im Jahre 1735 rund 16 000 und dann bei der Mediatisierung rund 25 000 Bände, während die Privatbibliothek von Chri­ stoph Jakob Trew (gestorben 1796) rund 36 000 Schriften enthielt. Abgesehen von Wohlstand und Interesse der Stadt und ihrer Bürger, die sich in solchen Größenordnungen zeigen, kann an derartigen Beispielen wohl deutlich gemacht werden, welche Bedeutung der Privatbibliothek am Ausgang des 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts zukommt und auch später noch zukommen kann. Vom 16.—18. Jahrhundert beherrschen nun „durch ihre Zahl, ihren Umfang und ihren Gehalt (. . .) die Privatsammlungen das bibliotheksgeschichtliche Bild dieses sammelfreudigen Zeitalters“.9 Dabei waren „vornehmlich in den protestan­ tisch gewordenen deutschen Städten, die (. . .) keine Universität besaßen (.. .), seit dem 16. Jahrhundert die Gymnasien und deren in der Bildungstradition des Humanismus lebende Lehrer, neben den Theologen und nicht selten auch den Ärzten, die Träger des wissenschaftlichen und geistigen Lebens“10, zu dessen Gestaltung gerade die Privatbibliothek eine so große Rolle spielt. Dementspre­ chend ist aus dem 16. Jahrhundert auch eine ansehnliche Zahl ärztlicher Privat­ bibliotheken bekannt. So muß der Anatom Volcher Coiter (1534—1576), der einige Jahre in Nürnberg als Stadtarzt tätig war, eine stattliche Büchersammlung besessen haben.11 Dies legt jedenfalls ein 1575 angefertigtes Gemälde nahe, auf dem Coiter bei der Präparation der Armmuskeln zu sehen ist; hinter ihm befindet sich eine Reihe von Folio­ bänden, auf deren Rücken ü. a. die Namen Hippokrates, Galen und Avicenna zu erkennen sind.

8 E. P. Goldschmidt: Hieronymus Münzer und seine Bibliothek (London, 1938 S. 115; Katalog seiner Bibliothek S. 115/145) (= Studies of the Warburg Institute, 4). 9 L. Buzäs: Deutsche Bibliotheksgeschichte der Neuzeit (1500—1800) (Wiesbaden, 1976 S. 85) (= Elemente des Buch- und Bibliothekswesens, 2). 10 H. Lülfing: Samuel Walther und die magdeburgische Buchgeschichte (In: Das Buch als Quelle historischer Forschung. Dr. Fritz Juntke anläßlich seines 90. Geburtstages gewidmet. München, 1978 S. 15/25, hier S. 15). 11 Vgl. dazu R. Herrlinger: Volcher Coiter 1534—1576 (Nürnberg, 1952 S. 109 f.).

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Zu nennen ist auch der Nürnberger Georg Palma (Sohn) (1543—1591). Er stu­ dierte in Wittenberg, Tübingen, Padua und Ingolstadt und wirkte seit 1568 in seiner Heimat als Stadtarzt. Seine Bibliothek, die er bereits während des Studiums in Italien anzulegen begonnen hatte, „umfaßt allein 651 Titel medizinischer Schriften“; aber auch aus anderen Fachgebieten sind von einer sicher einst grö­ ßeren Zahl „noch etwa zweihundert Schriften erhalten“.12 Georg Palma besaß auch Bücher des Stadtarztes Georg Förster, der zuerst als Leibarzt von Fürsten tätig war und sich dann 1544 in Nürnberg niederließ.13 Ende des 16. Jahrhunderts kam die Bibliothek Palmas (mit wenigen Ausnahmen) in die Stadtbibliothek.14 Auch aus dem 17. Jahrhundert sind viele Privatbibliotheken, nicht zuletzt von Ärzten bekannt. Eine Aussage zu diesem Jahrhundert: „Die Privatsammlungen treten naturgemäß in dieser Zeit vollständig in den Hintergrund“15, dürfte daher wohl nicht ohne Einschränkung gültig sein. Genannt sei für diesen Zeitraum Georg Nößler, der 1618 Professor in Altdorf und im folgenden Jahr Mitglied des Collegium medicum in Nürnberg wurde. Als Bücherzeichen verwendete Georg Nößler einen Kupferstich mit dem Pegasus im Wappen (1619).16 Der Zahl und Bedeutung privater medizinischer Büchersammlungen, aber auch dem Geschmack von Sammlern und ihrer Zeit entsprechend werden hier, wie auch bei vielen anderen Privatbibliotheken, als Kennzeichnung der zur einzelnen Biblio­ thek gehörenden Bücher häufig Exlibris gebraucht, deren Verwendung sich bereits seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts rasch durchgesetzt hatte, und zwar vor allem im Zusammenhang mit einer Vervielfältigung der einzelnen Blätter durch Holzschnitt oder Kupferstich. So gebraucht Dr. med. Johann Georg Fabricius aus Nürnberg drei verschiedene Exlibris, die jeweils ein von einem Lorbeerkranz umgebenes Wappen darstellen.17 Erwähnt sei für das 17. Jahrhundert aber auch der Medizinstudent Melchior Gottschich aus Nürnberg, der 1632 auffallenderweise eine Ausgabe des Gart der

12 K. G. König: Der Nürnberger Stadtarzt Dr. Georg Palma (1543—1591). Mit 12 Abbildungen auf Tafeln (Stuttgart, 1961, besonders S. 66/88, hier S. 66, vgl. auch S. 15) (= König). 13 König S. 41. 14 Vgl. auch: Die Bibliothek des Nürnberger Arztes und Humanisten Georg Palma (1543—1591). Bearb. v. E. Becker (Nürnberg, 1975) (= Ausstellungskatalog der Stadtbibliothek Nürnberg, 75). 15 J. Vorstius-S. Joost: Grundzüge der Bibliotheksgeschichte (Wiesbaden, 8. Aufl. 1980 S. 40) (= Vorstius-Joost). 16 K. Waehmer: Bücherzeichen deutscher Ärzte. Bilder aus vier Jahrhunderten (Leipzig, 1919 S. 30 u. S. 31, Abb. 15) (= Waehmer). 17 F. Wamecke: Die deutschen Bücherzeichen (Ex-Libris) von ihrem Ursprung bis zur Gegenwart (Berlin, 1890 Nr. 497/499) (= Wamecke).

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Gesundheit, Mainz 1485, besaß, die heute der Universitätsbibliothek Würzburg gehört.18 Das 18. Jahrhundert als Zeit wachsender wissenschaftlicher Betätigung macht dann eine zunehmende Beschäftigung mit Büchern notwendig. So kann man sagen, „daß die Geschichte des Bibliothekswesens nach dem 30-jährigen Krieg bis ins letzte Viertel des 18. Jahrhunderts vornehmlich die Geschichte privater Bücher­ sammlungen war“19 und zu Recht wird — trotz der ansehnlichen Bedeutung der Privatbibliotheken auch in den vorausgehenden Jahrhunderten — festgestellt, daß gerade in diesem 18. Jahrhundert in Deutschland, ebenso wie in England und Frankreich, die Hauptblütezeit glänzender Privatbibliotheken liegt.20 Dabei liegt es auf der Hand, daß Ärzte weiterhin und in wachsendem Maße zu den Besitzern von privaten Büchersammlungen gehören, obwohl die beson­ ders im 15. und 16. Jahrhundert zu beobachtende faktische Beschränkung des Besitzes von Büchern auf Geistliche und Angehörige der Heilberufe einer grö­ ßeren Verbreitung von Büchern innerhalb der verschiedenen Stände und Berufe Platz machte. Als Beispiel sei nur auf die Situation der Universitätsstadt Tübingen in der zweiten Hälfte des 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts verwiesen. Hier zeigt sich deutlich, daß neben den traditionellen Buchbesitzern wie Geist­ lichen, Ärzten und auch Ratsmitgliedem ebenso Handwerker wie Müller und Orgelmacher und nicht etwa nur näherliegende Berufe wie Buchdrucker Bücher ihr eigen nennen; im vorliegenden Fall ist von Berufen wie Schäfern und Torwarten ebenfalls Bücherbesitz bekannt. Das Beispiel Tübingen gibt aber auch Hinweise auf den durchschnittlichen Umfang einer privaten Bücher­ sammlung, der bei den im genannten Zeitraum von einhundert Jahren festge­ stellten 14 Ärzten im Durchschnitt 13 Bücher beträgt.21 Man muß sich auch eine solche Zahl vor Augen halten, wenn im folgenden einige große und bedeutende medizinische Privatbibliotheken genannt werden. Wenn nun berechtigterweise gesagt wird, daß Büchersammeln und Bücher­ lesen „im 18. Jahrhundert zu einer ausgebreiteten Leidenschaft, ja einer

18 G. Mälzer: Die Vorbesitzer der Würzburger Inkunabeln (= Philobiblon 27, 1983 S. 221/228, hier S. 226). 19 G. Streich: Die Büchersammlungen Göttinger Professoren im 18. Jahrhundert (In: öffentliche und Private Bibliotheken im 17. und 18. Jahrhundert: Raritätenkammern, Forschungsinstru­ mente oder Bildungsstätten? Hrsg. P. Raabe; Bremen-Wolfenbüttel, 1977 S. 241/299, hier S. 241 f.) (= Wolfenbütteler Forschungen, 2). 20 Vgl. Vorstius-Joost S. 48. 21 H. Neumann: Der Bücherbesitz der Tübinger Bürger von 1750—1850 (München, 1978 S. 7, 9, 11, 13 ff.).

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Begierde“22 geworden war, nimmt es nicht wunder, daß daher aus diesem Jahr­ hundert in weit höherer Zahl als aus den vorangegangenen Jahrhunderten Pri­ vatbibliotheken von Ärzten bekannt sind, so daß mit vollem Recht von diesem Jahrhundert als dem „Zeitalter großer medizinischer Privatbibliotheken“23 gesprochen werden kann. Daher kommt auch den Bücherzeichen im 18. Jahr­ hundert besondere Bedeutung zu, wobei ihrer Verbreitung und zumindest teil­ weise hohen Qualität auch eine ansehnliche Vielgestaltigkeit in Thematik und Gestaltung entspricht. So erscheinen in diesem Jahrhundert — neben anderen Motiven — besonders häufig allegorische Exlibris. Dabei findet man als Bücherzeichen von Ärzten mit Vorliebe Totengerippe bzw. Totenschädel und verschiedene ärztliche Instrumente, darunter häufig Mikroskope und Retor­ ten.24 Als Beispiel sei zunächst der Polyhistor und Arzt Gottfried Thomasius (1660—1746) genannt. Er besaß eine Bibliothek mit einem Umfang von etwa 30 000 Bänden, für die er sich verschiedene Exlibris anfertigen ließ, die zugleich als Muster für Exlibris-Typen dienen können. Davon ist eines als eine Art Bücherstilleben anzusprechen25, auf einem anderen ist ein lesender Mönch zu sehen26, ein für einen Bürger der lutherischen Reichsstadt Nürnberg viel­ leicht etwas überraschendes Motiv. Besonders aufschlußreich ist ein anderes Exlibris27, das von J. B. Homann nach einer Zeichnung von Jakob Sandrart um 1695 gestochen wurde. Zu sehen ist in rechteckiger Kranzverzierung ein Altar, an dessen Vorderseite ein Äsku­ lapstab mit zwei Schlangen befestigt ist. Links am Altar steht die Göttin Pallas Athene mit Helm und Lanze, rechts mit Szepter und Spiegel die Göttin der Wahrheit. Dabei verkörpern die beiden Frauengestalten — wohl auf Gedan­ kengänge der Rosenkreuzer eingehend — irdische und himmlische Wahrheit. Ungewöhnlich ist hierbei die Darstellung des Äskulapstabs. Um ihn winden sich nämlich zwei Schlangen, während sonst zu diesem Ärztesymbol meist nur eine Schlange gehört. Erklärbar wäre diese Art der Darstellung, die vielleicht 22 G. Mann: Johann Christian Senckenberg, sein Medizinisches Institut und seine Bibliothek im 18. Jahrhundert in Frankfurt am Main (In: Öffentliche und Private Bibliotheken [. ..] S. 301/316, hier S. 309). 23 G. Mann: Von des Arztes Freundschaft zum Buche. Ärztebibliotheken des 18. Jahrhunderts (= Medizinischer Monatsspiegel 8,1959 S. 265/272, hier S. 271)(= Mann). Vgl. dazu jetzt auch: B. Lorenz: Notizen zu Privatbibliotheken deutscher Ärzte des 18.—19. Jahrhunderts (= Sudhoffs Archiv 69, 1985 S. 50/61). 24 Vgl. K. E. Graf zu Leiningen-Westerburg: Deutsche und österreichische Bibliothekzeichen (Exlibris). Ein Handbuch für Sammler, Bücher- und Kunstfreunde (Stuttgart, 1901 S. 247) (= Leiningen-Westerburg). 25 Wamecke Nr. 2175. 26 Warnecke Nr. 2177. 27 Wamecke Nr. 2176.

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aus dekorativen Gründen erfolgt ist, dadurch, daß jeder der beiden Frauenge­ stalten jeweils eine Schlange zuzuordnen ist und somit nochmals auf die Not­ wendigkeit irdischer und himmlischer Weisheit für den Arzt hingewiesen wird. Das prunkvollste Exlibris, das uns von Ärzten bekannt ist — und zwar nicht nur aus dieser Zeit, sondern überhaupt — ist wohl das von Th. Hirsch­ mann gezeichnete und von J. Marchand in Kupfer gestochene Porträt von Thomasius.28 Dabei wirkt der feine, ausdrucksvolle Kopf sehr sprechend. Im übrigen zeigen Allongeperücke und spitzengeschmücktes, weites Gewand die Veränderung der Gelehrtentracht im Vergleich zu früheren Jahrhunderten. Über die Bibliothek des Thomasius stellte Georg Wolfgang Panzer nach jah­ relanger Arbeit im Jahre 1769 einen dreibändigen Auktionskatalog fertig, dessen lateinische Vorrede mit 32 Seiten Umfang eine Lebensbeschreibung des Besitzers der Sammlung enthält.29 Einen Höhepunkt in der Reihe ärztlicher Privatbibliotheken — und zwar keineswegs nur in Nürnberg — stellt die Sammlung des 1716 in Altdorf zum Dr. med. promovierten, 1720 in das Nürnberger Collegium medicum eingetre­ tenen Anatomen, Leibarztes und Professors Christoph Jakob Trew (1695—1769) dar.30 Trew war ein Sammler, dessen Sammellust während der Studienzeit begonnen hatte, im Laufe der Jahre immer stärker wurde und sich schließlich zu einer Leidenschaft entwickelte.31 Seine Privatbibliothek enthielt 35 000 vorwiegend naturwissenschaftliche Bücher mit 18 000 Dissertationen und Einzelschriften, dabei umfaßte die Journalsammlung bereits 2854 Bände. Trew vermachte seine private Sammlung der Universität Altdorf, die nach Aufhebung der Universität dann 1818 in die Universitätsbibliothek Erlangen kam, wo sie sich noch heute befindet. Auch die damalige Universität Landshut hatte — vergeblich — Interesse an dieser Sammlung gezeigt. Die Art der Auf­ stellung dieser Privatbibliothek veranschaulicht ein Kupferstich aus dem 18. Jahrhundert. Für seine Sammlung verwendete Trew neun verschiedene nichtsignierte allegorische Exlibris. Dafür gebrauchte er Wappen der Deut-

28 Waehmer Abb. 25. 29 Vgl. Waehmer S. 41 f., 45 f.; vgl.: Das Exlibris in der Leopoldina. 104 alte deutsche Bucheigen­ zeichen mit 69 Abbildungen v. A. Treier. Festgabe zum 75. Geburtstag von F. Gademann (15. April 1955) (Schweinfurt, 1955 S. 20/22) (= Treier). 30 Vgl. allgemein A. Fischer: Privatbibliotheken deutscher Ärzte im 15.—19. Jahrhundert (= Ärzt­ liche Mitteilungen nebst Anzeiger 32, 1931 S. 1013/1015, hier S. 1014); vgl. auch: Exlibris aus der Universitätsbibliothek München. 'Anläßlich der Fünfhundertjahrfeier der Universität Ingolstadt-Landshut-München zusammengestellt und erläutert v. H. Wiese (München, 1972 S. 108 f.); Treier S. 28/30; G. A. Zischka: Kleine Geschichte der Privatbibliothek (München, 1968 S. 41). 31 Vgl. J. Pirson: Der Nürnberger Arzt und Naturforscher Christoph Jakob Trew (1695—1769) (= Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 44,1953 S. 448/576; zur Privat­ bibliothek siehe S. 467/474, hier S. 467).

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sehen Akademie der Naturforscher (Leopoldina) — in die Trew 1727 aufgenommen wurde —, Füllhörner und Hunde, die die Treue — als Namensan­ spielung! — versinnbildlichen.32 Die meisten dieser Exlibris enthalten auch zwei geringelte Schlangen.33 Gegen Ende seiner Tätigkeit ließ Trew einen umfassenden handschriftlichen Katalog bearbeiten. Dabei wurden in sieben großen Foliobänden Autoren und anonyme Schriften nach alphabetischer Folge verzeichnet. Daneben wurden fünf Bände eines Standortkatalogs erstellt.34 Umfang und Bedeutung dieser Pri­ vatbibliothek lassen sich auch beim Vergleich mit der Nürnberger Stadtbiblio­ thek darstellen, die 1735 rund 16 000 Bände und beim Übergang an Bayern doch etwa 25 000 Bände umfaßte. Der enge Zusammenhang zwischen Privatbibliothek und Exlibris zeigt sich besonders deutlich in der Verwendung der Bibliothek als Motiv für Bücherzei­ chen. So ließen sich — wie der oben erwähnte Volcher Coiter aus dem 16. Jahrhundert — auch zwei Jahrhunderte später Ärzte gerne mit ihren Bibliotheken porträtieren, was manchen Kupferstichen zu entnehmen ist. Erwähnt sei hierzu aus Nürnberg der Arzt Dr. med. Joh. Abraham Merklin (1674—1720). Bei seinem Exlibris sieht man neben der Ansicht des Biblio­ thekszimmers und des botanischen Gartens ein Spruchband und ein Wappen, dann natürlich Bücher, die teils aufgeschlagen, teils geschlossen sind. Weiter sind Statuen, eine Lampe, eine Laute und ein Lorbeerkranz, ein offener Geld­ sack, Muscheln und chemische Gefäße zu erkennen: schon beinahe zuviel des Guten für ein Blatt von 6 cm Breite.35 Kurz zu nennen ist auch der von Andreas Leonhard Möglich um 1750 geschaffene Kupferstich für den Nürnberger Chirurgen Jakob Schwaiger. Dabei wirkt namentlich die Figur der Helmzier mit der Schweigegebärde recht lebensvoll, während das Blatt insgesamt keinen ganz geschlossenen Eindruck macht. Angeführt sei für das 18. Jahrhundert weiter der Nürnberger Arzt und Naturforscher Joh. Ambrosius Beurer. Auf seinem Exlibris ist u. a. ein ver­ zierter, von Apollo mit der Leier gehaltener Wappenschild zu sehen. Ebenfalls als Wappen ist das Exlibris von Dr. med. Georg Leonhard Huth, Naturforscher zu Nürnberg, gestaltet36, während bei dem Bücherzeichen von Dr. med. Joh. Carl Rost aus Nürnberg unter der bogenförmig angelegten

32 33 34 35 36

Leiningen-Westerburg S. 272. Wamecke Nr. 2211/2217. Mann S. 267. Waehmer S. 67 f., Abb. 43; Wamecke Nr. 1283. Wamecke Nr. 917.

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Überschrift „Probate Omnia, Bonum Retinete“ eine Fruchtschale zu sehen ist, unter der herabgefallene Früchte liegen.37 Zum Abschluß sei noch auf die an Größe hervorragende Sammlung des Nürnberger Polyhistors Christoph Gottlieb Murr (1733—1811) hingewiesen. Ein mit dem Bildnis Murrs geschmückter Auktionskatalog aus dem Jahre 1811 zählt 5835 Nummern, von denen sich etwa 250 auf medizinische Gegenstände beziehen.38 Deutlich erweist sich somit für die skizzierten Jahrhunderte, daß es in einer Stadt wie Nürnberg mit zwar durchaus schwankender, aber dennoch immer vorhandener politischer oder zumindest wirtschaftlicher Bedeutung und vor allem mit ansehnlicher Bevölkerungszahl zur Häufung des Vorkommens pri­ vater Büchersammlungen von Ärzten und damit zu einer Kontinuität kommt, die eine nachweisbare Komponente der Geistes- und Sozialgeschichte Nürn­ bergs darstellt, wie es diese erste Zusammenstellung aufgrund der Literatur zeigt. Dabei könnten Archivstudien gewiß noch weitere Beispiele ärztlicher Privatbibliotheken zu Tage fördern. Es bleibt allerdings die Frage offen, ob diese Tradition medizinischer Privat­ bibliotheken sich auch im folgenden Jahrhundert gehalten hat oder auch bis zur Gegenwart ihre Fortsetzung findet.

37 Wamecke Nr. 1788. 38 Vgl. Sudhoff S. 306.

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DIE JUDEN ZU WÖHRD BEI NÜRNBERG Von Günter Heinz Seidl /.

EINFÜHRUNG

Zwei Tatsachen haben die Entwicklung der an der Pegnitz gelegenen Siedlung, und damit ihre gesamte Geschichte, entscheidend geprägt. Erstens die Nähe von Wöhrd zur Reichsstadt, welche ca. 500 Meter von der letzten und ca. 800 Meter von der vorletzten Stadtmauer (am Läufer Schlagturm) ausmacht.1 Zweitens, daß Wöhrd abseits von den für Nürnberg bedeutenden Straßen, ins­ besondere der nach Böhmen führenden Sulzbacher Straße, liegt. Wöhrd war befestigt, wenn auch nicht mit einer Mauer. Zum erstenmal 1273 erwähnt, gehörte es bis 1427 den Burggrafen von Nürnberg, die es dann an die Reichsstadt verkauften. Es hatte einen eigenen Richter2, der das Amt Wöhrd verwaltete, mit Sitz auf der Burg. Erst 1796 wechselte wieder der Besitzer, als Wöhrd für ein paar Jahre preußisch wurde. Seit 1825 ist es ein Stadtteil Nürn­ bergs. Von allen ehemaligen und jetzigen Vororten von Nürnberg ist sicherlich Wöhrd der wichtigste und interessanteste gewesen. Doch ist, wie Schwemmer (S. 3) schreibt, bis in die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts kaum etwas über Wöhrd bekannt. Die Hauptaufgabe dieser Studie sehe ich darin, auf Grund der leider nur lückenhaft vorhandenen Quellen (zeitlich von ca. 1325 bis ca. 1478) das Thema eingehend darzustellen und so wieder auf die Tatsache zu lenken, die seit langem in Vergessenheit geraten war, daß es neben der Jüdischheit zu Nürnberg* auch eine Jüdischheit zu Wöhrd*, wie es in den Quellen heißt, gegeben hat. Den ältesten literarischen Hinweis auf Juden in Wöhrd scheinen die 1623 geschriebenen Müllnerschen Annalen (MA II, 272) zu enthalten. Erst Würfel schreibt in seinem 1755 erschienenen Buch über die Judengemeinde von Nürn­ berg (S. 3 u. a.) Genaueres über Wöhrd. Die Regesta Boica sowie die Regesta Imperii, beide im 19. Jahrhundert ediert, bieten einige wenige Urkundenrege­ sten. Selbst Arnd Müller, in seinem Standardwerk über die Nürnberger Juden, erwähnt nur einmal einen Jakob von Wöhrd* (S. 60). Die Zahl der Werke, die keinerlei Hinweise auf Juden in Wöhrd boten, erwies sich dagegen als sehr groß. Als ein Beispiel sei das achtbändige Quellen­ werk der ,Monumenta Zollerana* genannt, was für die Geschichte des burggräf­ lichen Wöhrd nicht unwesentlich gewesen wäre. Dies liegt, m. E., an den Aus­ wahlkriterien der Quellen für dieses Werk, gemäß den Schwerpunkten der zol-

1 Vgl. hierzu die anschauliche Karte des Jörg Nöttelein vom Jahre 1563 (Beigabe zu MA I). 2 Namentlich bei MA I, 325 f.

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Juden in Nürnberg-Wöhrd

lerischen Politik in Franken, zu denen Wöhrd mit Sicherheit nicht gezählt werden kann. Aus diesem Faktum heraus kann dies daher auch keine Aussa­ gekraft über eine Abwesenheit von Juden in Wöhrd haben. Es ist auch durchaus sachlich nicht zwingend anzunehmen, daß erst mit der Übernahme von Wöhrd durch die Reichsstadt Juden dort wohnten, wenn auch die Kon­ zentrierung der vorhandenen Materialien ab 1427 diesen Schluß nahelegen könnte. Auch von anderen mittelfränkischen zollerischen Orten fehlen in den ,Monumenta Zollerana* die Quellen über eine Ansiedlung von Juden. Und den­ noch wissen wir z. B. von Roßtal (,Judengassec, heutige Handwerksgasse)3 oder Kornburg4, daß es dort Juden gab, auch wenn sonst weiter nichts über sie bekannt ist. Selbst Werke, die Wöhrd allein zum Thema haben (von G. M. Merkel oder W. Schwemmer), berichten nichts von dortigen Juden. Nur Paul Sander erwähnt an zahlreichen Stellen seines Werkes über Nürnberg die Juden von Wöhrd. Jüdische Autoren haben seit jeher der Geschichte ihres Volkes in den ein­ zelnen Orten mehr Augenmerk gewidmet als christliche Autoren. Dies ist vor allem an den kleinen und kleinsten jüdischen Gemeinden erkennbar, die z. B. in den Verfolgungslisten für die Nachwelt zum Gedenken akribisch festge­ halten worden sind. Historikern der Nürnberger Geschichte ist daher die Tat­ sache, daß es in Wöhrd Juden gegeben hat, unbekannt geblieben, wenn sie die jüdischen Quellen nicht kennen. Hervorzuheben sind vor allem S. Salfeld und M. Stern, die in ihren Hebrä­ isch und Deutsch edierten Quellen grundlegende Arbeit für die jüdische Geschichte von Nürnberg geleistet haben. Das Werk von Zvi Ophir von 1972 über die jüdischen Gemeinden von Bayern verzeichnet auch Wöhrd (Karte Mittelfranken zw. S. 256 u. 257); doch ist es graphisch fälschlich ein gutes Stück nördlich von Nürnberg dargestellt, anstatt östlich bei Nürnberg. //.

DER ORTSNAME WERDE*

Geht man von der heutigen Schreibweise „Wörth“ (unser „Wöhrd“ ist nur die fränkische Variante davon) aus, so existieren allein in Bayern5 15 Orte mit diesem Namen. Hinzu kommt noch die Bezeichnung „Wöhrt“ (Oberer u. Unterer —)6 für zwei Donauinseln in der Stadt Regensburg. Die Zahl der Orte erhöht sich noch, wenn man von der mittelalterlichen und häufigsten Schreib3 Kreutzer 27; Mahr 28; J. M. Fuchs (Über die ersten Niederlassungen der Juden in Mittelfranken, JHVM 9 [1838], 69 ff.) erwähnt Roßtal nicht. 4 Haenle 41, 226 (Urk.). 5 Nach dem amtl. Ortsnamenverzeichnis 1973, Bayer. Statist. Landesamt München (ed.), Heft 335, 559. 6 Da keine Verwaltungseinheit, taucht es auch nicht im Ortsnamenverzeichnis auf. Als Flurname in Bayern sehr häufig.

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weise „Werde“7 ausgeht. So gehören Donauwörth und Kottingwörth8 (an der Altmühl b. Dietfurt) auch noch dazu. Diese 18 Orte reduzieren sich jedoch praktisch auf vier, wendet man als Kriterium an, welche Orte im Zusammen­ hang mit Juden bekannt wurden. Das „Werde“, welches bei Straus (Register S. 539) als Wörth a. d. Donau (LK Regensburg) lokalisiert ist, kommt deshalb nicht in Betracht, da der Text der Urkunde (Nr. 206) sich auf Schulden von Wörthern bei Regensburger Juden bezieht, eine jüdische Gemeinde existierte dort nicht. Der in den Regensburger Urkunden genannte „Leb Lemlein zu (!) Werde . . ., Jude des Ritters Rudolph zu Pappenheim“9 meint Donauwörth und nicht das Regens­ burg nahe gelegene Wörth, da der genannte Erbmarschall Rudolph von Pap­ penheim von 1452 bis zu seinem Tode 1484/7 Pfleger zu Donauwörth war.10 Es bleiben somit noch Nürnberg-Wöhrd, Donauwörth und Wörth am Main. Aber der letztere Ort scheidet auch aus, da sich dort Juden erst im 18. Jahrhundert ansiedeln durften.11 Leider bieten die Schreibvarianten der beiden übriggebliebenen Orte auch keine weitere Identifizierungshilfe, da sie für beide Ort gleichermaßen verwendet wurden. Es gibt also weder für Donauwörth noch für unser Wöhrd eine typische Schreibweise. Deshalb wurde, wenn notwendig, aus dem Textzusammenhang auf den wahrschein­ lichsten Ort geschlossen. Schließlich soll noch erwähnt werden, daß es auch außerhalb Bayerns einige Orte mit dem Namen „Werda/Werde“ gegeben hat, z. B. das heutige Kaiserswerth b. Düsseldorf12 oder Woerth im Elsaß. Da für das heutige Donauwörth früher meist die Bezeichnung „SchwäbischWörth“ (seitdem es 1301 Reichsstadt wurde) üblich war, erleichtert dies häufig die Lokalisierung. Bei den Fällen, wo nur „Werde“ steht, habe ich bei meiner Entscheidung, um welchen Ort es sich handeln könnte, auch die Tatsache mit einbezogen, daß Donauwörth im Mittelalter durchaus nicht den Stellenwert hatte, den wir aus der Neuzeit kennen. Auch von der Einwohnerzahl her gesehen, um 1400 ca. 1000 Einwohner, und der Finanzkraft vor allem durch die Färber (der Burggraf nahm Ende des 14. Jh. 900 Gulden Steuer jährlich ein), stand das befestigte Dorf Wöhrd (Marktrecht erst seit ca. 1450)13 durchaus

7 Vgl. hierzu Bav. Lat. 240, 247 f. 8 Kraft 86, 137. 9 Straus (Urk.) 264, 269; Stern II, 371. 10 Pappenheim I, 66 (Regesten 1153—58), Stammtafel D (Nr. 126); II, 87. 11 Ophir 498,565; Keyser 1,583. Auch das von G. Wolf beschriebene Ghetto Werd der „Juden in der Leopoldstadt am unterm(!) Werd ...“ (Wien 1864) existierte erst s. d. 17. Jh. Rezension dazu in MGWJ 13 (1864), 444 ff. Vgl. dazu: Kl. Lohrmann (ed.), 1000 Jahre österreichisches Judentum. Ausstellungskatalog; Eisenstadt 1982 (= Studia Judaica Austriaca IX), 74 f.; 328 Nr. 78, 79. “ Vgl. NUB Nr. 247. 13 Nach Schwemmer 6, 8, 11.

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Juden in Nümberg-Wöhrd

nicht unbedeutend im Vergleich mit Donauwörth da. Insgesamt gibt auch die Landfriedensordnung von 1387 einen deutlichen Hinweis. In ihr werden die Reichsstädte, ihrer Bedeutung nach, in vier Klassen eingeteilt.14 Während Nürnberg zur ersten Klasse gehört, wird Donauwörth überhaupt nicht erwähnt. Neben den mit lateinischen Buchstaben geschriebenen Dokumenten besitzen wir auch solche in hebräischen Lettern. Der erste, der sich mit den hebräischen Schreibweisen des Ortsnamens ,Werde* befaßte, war L. Löwen­ stein (S. 178—180). Dies ergab sich am Rande seiner Schwerpunktforschung über die Geschichte der Juden in Fürth. Daher bietet er mehr eine kleine Quel­ lensammlung als eine kritische Lokalisierung. Er schreibt u. a.: „WWIRDA15, diese Ortsbezeichnung findet sich mehrfach und wird zuweilen irrtümlich [in lateinischen Buchstaben] mit Fürth wiedergegeben, das aber niemals mit einem ,W(AW)‘, sondern immer mit ,P‘ geschrieben wird.“ „WIRDA dürfte in den meisten Fällen mit Wöhrd, einer Vorstadt von Nürnberg, gleichbedeutend sein“, fährt Löwenstein (S. 179) fort. „Es kommt schon 1325 in Nürnberger Listen vor; 1433 lebten dort 61 jüdische Personen16; auch im Nürnberger Martyrologium begegnet uns dieser Name.“ Die Löwensteinschen Angaben habe ich nur verwertet, wenn sie sich m. E. eindeutig auf Nürnberg-Wöhrd beziehen. — Zusammenfassend kann man sagen, daß die im Kontext mit Juden bekannten ,Werde‘-Namen eine charakteristische Erscheinung des Mittelalters waren.17

M Vgl. MA II, 107 f. 15 Die hebräischen Schreibweisen entsprechen genau der deutschen Aussprache ,Werda/Werde*. Sie beziehen sich auf folgende Orte: a) Nümberg-Wöhrd, Ao. 1349 WIRDA (= hebr. Buch­ staben WAW, JUD, RESCH, DALET, ALPHA); Salfeld 61, 65, 229; ca. 1500 Eigenname MEIR WWIRDA, lat. umschrieben Maier Word, Straus (Urk.) 713. — b) Kaiserswerth, 14. Jh. WWIRD’A, Steinschneider 24. — c) Woerth b. Haguenau/Elsaß, Ao. 1349 WRDA, Salfeld 69, 293; (Germania Judaica II, 2. Avneri ed., identifiziert es mit Woerth b. Erstein/Elsaß). — d) Donauwörth, Ao. 1509 WWIRDA, MGWJ 24 (1875), 342. 16 In der Urkunde (Stern 276) heißt es: „... hie (= Nürnberg) und zu Werd ...“, d. h. die Zahl 61 ist inklusive Nürnberg zu verstehen. Löwenstein hat dies überlesen.' 17 Der bei Löwenstein (JJLG 10,1913: Zur Gesch. d. Juden in Fürth, 3. Teil, S. 20, 128) erwähnte ,Abraham von Werd* bildet insofern keine Ausnahme, da er Christ war, wie Schwammberger nachweisen konnte, und 1703 in Fürth starb.

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III. WÖHRD IN BURGGRÄFLICHER ZEIT Wöhrd wird urkundlich erstmals 1273 als ,villa Werde* erwähnt, als es Lehen des Burggrafen Friedrich III. wird.18 Während der großen Verfolgungswelle der Juden in Deutschland 1298 befindet sich noch keiner der, Werde* Orte dar­ unter, während Nürnberg 628 Märtyrer zu beklagen hat.19 Zum erstenmal von Juden in Wöhrd erfahren wir während der Regierungs­ zeit des Burggrafen Friedrich IV. (1300—32)20 in der Form, daß sie Bürger der Reichsstadt wurden. Darüber geben die Neubürgerlisten von Nürnberg fol­ gende Auskunft: 1325, Januar 28 Daniel de Lapide iudeus; fid [eiussores] Zale et Jacob filius Michel(is) de Werdea. — NBL 43; Stern 206. 1326, Juli 17 Jacob filius Michahelis de Werdea factus civis. Lazan et Zale [— Bürgen]. — NBL 44. 1326, Juli 17 Nathan filius Deyhen eodem die; fid [eiussores] Deyhe matersua et Jacob filius Michahelis. — NBL 44; Stern 206 (hat als Datum 18. Juli 1325). 1326 [Mai/Juni] Nathan gener Josel; fid [eiussores] Nathan de Wimpfen et Jacob filius Michel de Werde. — NBL 45. (Letzterer erscheint 1326 und 1329 nochmal als Bürge: NBL 45 [681], 52 [789].) 1326, November 17 Michel de Werde; Lazan et Nathan filius Deyhen. — NBL 47; Stern 208. 1328, Juni 29 Salman gener Michel de Werde; fid [eiussores] Koppfel Sekklin. — NBL 50; Stern 209 (Koppsei verlesen für Koppfel, Verkleinerung von Jakob). Aus einer Anzahl weiterer Quellenhinweise ließ sich ein ganzer Familien­ stammbaum (s. Genealogie) zusammenstellen. Die Namensform „de Werdea/von Werde** taucht unabhängig vom sozialen Stand des Betreffenden auf. Während die „Edelfreien von Werde“ sich nur auf Donauwörth beziehen (vgl. Heilsbronn 15, 17, 22, 25), gab es diese von-Namensform sowohl bei nichtadeligen Bürgern als auch bei Juden. Der älteste Beleg diesbezüglich für Nürnberger Christen ist von ca. 1298: „Item Heinz­ linus filius Regine de Werd est proscriptus ad querelam Irmele de Buch. **21 Michael de Werdea, der 1326 Nürnberger Bürger wird, ist bereits Januar 1325 indirekt erwähnt, d. h. er wohnte schon einige Jahre vorher in Wöhrd, sonst wäre er so nicht bezeichnet worden.

« NUB 461; Mon. Zoll. II, 129. » Salfeld 170 ff. 20 Allgemein über seine Judenpolitik: Th. Hirsch in ADB 7 (1878), 572 f.; Schuhmann in NDB 5 (1961), 522 f.; ders. „Markgrafen ..." 6 f.; Bosl 224. 21 NAB 4, 85, 95, 158; weitere »Werde* Namen.

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Juden in Nürnberg-Wöhrd

Genealogie zu 1325/29 DIE FAMILIE DBS MICH(AH)EL VON WERDE IN NÜRNBERG Ao.1325 - 49 Mich(ah)el—i —Jacob/Kopf el—r- —Bona von v.Werde von Werde • V/erde A) [=Jechiel] (Dienerin) B 1325,38,39 B 1326 oo Bon von —( A)Eberlin —Wolfei Werde4* £=Abraham] [=Ben jamin} B 1338 iudex B 1346,48 Li(e)bertraut—ii—Bihla B 1338 [=Elieser/ , oo Elias Mulin/ Jehuda] 1 Mollnin,Z 1336 z 1323,0.1340, I' gest.vor 1338 42,46,B 1338? II—Baruch B 1338

t=Mordechai] Z 1321? oo Hanna —T.Gutlin1*

H(a)izain---- 3 Kinder-* [=Chiskijal ooPesslin4) —Aelis J=Eliahu] —2 Töchter ~Erau Gutlin-- 3 Kinder —Minman

—Eruman (n) — iI (v.Ebermanni| stadt?) ii fcSimcha] i| Z 1324

» —Michel------- 1 Sohn^ Frumann * oo Minnal)

iL-Salman oo --? [*]

verheiratet mit Schwiegersohn Zuordnung unsicher hebr.Name

1)

Märtyrer in Nbg. 1349

B T. Z

Bürger,-in in Nbg. Tochter Zeuge für einen Neubürger

Nach:Stern 9» 11-17;Salfeld 22oi,224,227;Würfel 129f.

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Juden werden in Donauwörth nur sporadisch erwähnt: 1242, 1292, vor 1298,1310,1326, 1345,1347,1351.22 Eine Gemeinde dürfte somit vor 1383, als sie Bürger der Stadt werden konnten23, nicht existiert haben, da Donauwörth auch nicht unter den Märtyrerorten 1298 und 1348/49 (wohl aber Dillingen, Gundelfingen und Nördlingen) genannt wird.24 Die für uns zeitlich relevante Erwähnung von Juden in Donauwörth stammt vom 30. Sept. 1326, d. h. einen Tag nach dem Steuertermin Michaelis: „Ludwig der Baier quittiert in Lauingen den Juden zu Werd über 100 lb.hlr. als Betrag ihrer gewöhnlichen Steuer von Mariä Reinigung nächstkommend [= 2. Febr. 1327] an während zweier Jahre.“25 Diese jährlichen 50 lb.hlr. lassen darauf schließen, daß nur wenige Juden in Donauwörth waren. Zum Vergleich einige Reichssteuerbeträge von 1326: Nördlingen 300 lb.hlr., Donauwörth 400 lb.hlr., Nürnberg 2000 lb.hlr. plus 2000 lb.hlr. von den Juden.26 Die zu dieser Zeit schon übliche Namensform in Nürnberg und die zeitliche Einordnung des Jacob de Werdea vor Donauwörth sprechen für die Zuord­ nung der Dokumente zu Nürnberg-Wöhrd. Von Kaiser Ludwig dem Bayern erhält der Burggraf Johann II. (1332—57)27 im Jahre 1336 den Schutz der Juden „die ze Nürnberg vnd ze Rotenburg vnd auch da enzwischen gesezzen sind, oder noch seshaft werdent. . . “28 Um den Zuzug von Juden in die Reichsstadt zu bremsen, erläßt diese in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts in der Judenordnung u. a.: „Ez ist gesetzet, swer ainen Juden herbergt ain naht, ez sei in der stat oder davor (der niht gelait het), der gibt ie von dem Juden 60 haller (ain gülden rheinisch).“29 Doch bereits 1343 wendet sich die positive Entwicklung für die Juden, denn Ludwig der Bayer sagt den Burggrafen von Nürnberg los von allen seinen Schulden bei den Juden.30 Bereits 1347 wiederholt sich dieser Vorgang.31 Von Prag aus erlaubt König Karl am 2. Dezember 1349 den Burggrafen Johann und Albrecht die Juden in ihren Landen zu schätzen.32 Aus dieser Zeit, mit den sich auch auf die Juden von Wöhrd auswirkenden Maßnahmen, besitzen wir nur folgende Quellen: 1338, September 10 Judenbürgerverzeichnis von Nürnberg 22 23 24 25 2‘ 27 21 29 M 21 52

Nach Zvi Avneri (ed.), Germania Judaica (II, 1; S. 167 f.) Tübingen 1968. Vgl. Stenger 62, 156—158 Urk.; Reg. Boica X, 108. Salfeld 245, 251. Reg. Imp. (1314—47) 896; erwähnt bei Keyser 2 (Donauwörth). Reg. Imp. (1314—47) 894, 898, 900, 908. Allgemein über seine Judenpolitik: Th. Hirsch in ADB 14 (1881), 274; Schuhmann in NDB 10 (1974), 504; Bosl 395. Mon. Zoll. III, 39; Reg. Imp. (1314—47), 1804. Stern 224 f.; Satzungsbuch I, 123; Würfel 27 (im Text Eingeklammertes nur bei ihm!). Mon. Zoll. III, 109; Reg. Imp. (1314—47), 2311. Mon. Zoll. III, 181. Mon. Zoll. III, 241.

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Bon von Werde, Libertravt filius eins, Frumann sein bruder, Kopfei sein bruder, Aeberlin sein bruder, Gumprecht frater Libertrawt(!)> Barucb gener Libertravt, Mollnin gener Libertravt. — Würfel 40; Stern 14. (Bon ist die Witwe des Jechiel von Werd; hebräisch Jechiel entspricht dem bürgerlichen Michael!). 1349, Dezember 5 Judenverfolgung in Nürnberg Unter den ca. 570 Märtyrern befinden sich folgende: a) »Frau Bona, Witwe Herrn Jechiels von Werde.* — Salfeld 65,227; Stern 189. b) »Dienerin Frau Bona, Tochter Herrn Jakobs von Werde. * — Salfeld 61,220; Stern 182 (vgl. Stern 14). Beide Frauen sind nicht identisch, a) ist unter,Witwen* in der Märtyrerliste ein­ getragen und b) unter ,Kohanim‘ (Priester) als Dienerin des Kohen Herrn Joel Sohn des Kalonymos. Würfel (S. 3,40) schreibt falsch ,Bon der Jude von Wöhrd* (s. Genealogie). Auch nach den großen Pogromen der Juden in Deutschland 1348/49 ändert sich an der rechtlichen Situation der Überlebenden wenig. 1351 verleiht König Karl den Burggrafen Johann und Albrecht wiederum das Recht, ebenso wie 1352 dem Schultheißen und dem Rat zu Nürnberg, Juden neu aufzunehmen.33 Während den Burggrafen am 5. April 1355 durch den neugekrönten Kaiser Karl IV. in Rom der Judenschutz bestätigt wird34, ordnet er bereits am 13. Oktober 1355 in Prag an, „Schultheißen, Bürgermeister und die Bürger zu Nürmberg gemeiniglich ledig gezählet von allen Judenschulden . . . *35 Karl IV. erneuert 1360 für 15 Jahre und bereits 1371 für weitere 20 Jahre das Recht der Reichsstadt, die Juden zu schützen, bei zwei Teilen Anteil an der Reichsjuden­ steuer für den Kaiser und einem Teil für die Stadt.36 Ein Jahr später, 1372, erhält auch Burggraf Friedrich V. (1357—98) wie­ derum den Judenschutz bestätigt.37 Über ihn urteilt Haenle (S. 13): „Friedrich V. war ein Gönner der Juden. Die ersten Judenschutzbriefe, welche die Ansba­ cher Geschichte [d. h. des Fürstentums!] aufbewahrt hat, rühren von ihm her. Es sind deren eine ziemliche Zahl vorhanden38, und sie beurkunden, daß die Aufnahmen unter den liberalsten Bedingungen, die in dieser Beziehung die damalige Zeit kannte, geschahen . . . Unter ihm bildeten jüdische Einwohner

33 Mon. Zoll. III, 267; MA II, 4 und Reg. Imp. VIII, 1490. Schultheiß war 1352—55 Konrad Groß, der Sohn des Spitalstifters. 33 Mon. Zoll. III, 318. 33 MA II, 19 (nicht in Reg. Imp. VIII u. Reg. Boica VIII!). 34 MA II, 26. 33 Mon. Zoll. IV, 201; Reg. Boica IX, 287. 3« Zum Beispiel Mon. Zoll. IV, 234; V 3, 99.

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eine organisierte Judenschaft unter einem Hochmeister (Rabbiner).“39 Da diese Judenschutzbriefe meist für keinen bestimmten Ort ausgestellt wurden, dürfen wir uns die Erlaubnis zur Ansiedlung in Wöhrd nicht anders vorstellen, als sie in den Monumenta Zollerana dargestellt ist. Da wir bis jetzt keinen Juden­ schutzbrief für Wöhrd kennen, zitiere ich die allgemein gehaltene Formulie­ rung, die in mehreren Urkunden erscheint, aus der Urkunde vom 2. Dezember 1378: »Wir Friedrich etc. Bekennen etc., daz wir in vnsern schütz vnd schirme genümen vnd empfangen haben Belen die Judinne, dez clainen Meyerleins vom hofe witibins Hegdam iren süne vnd alle anderew ire kinder. Also daz sie in allen vnsern Steten vnd Merkten sitzzen vnd wonen mugen biz vff den nehsten sand Merteins tag, vnd von demselben sand Merteins tag über zwew gantzze Jare. “40 In dieser Zeit haben jedoch drei überregionale Ereignisse die jüdische Gemeinde in Wöhrd an den Rand ihrer Existenz, wenn nicht gar für einige Zeit zum Erlöschen gebracht. Dies waren einerseits die Verfolgungen der Juden im Reich 1385 und die damit zusammenhängende umfassende Tilgung von Schulden bei Juden durch König Wenzel, welche am 16. September 1390 durch denselben König wiederholt wurde.41 Zum anderen der Krieg 1388—89 des Schwäbischen Städtebundes, dem Nürnberg angehörte, gegen die Fürsten. Für die Wöhrder kündigte sich dieses Ereignis durch den reichsstädtischen Erlaß zur Ausweisung der Gäste aus Sicherheitsgründen an: „Item man sol auch keinen von Werd fürbaz mer herein lassen, awzgenommen vier, die darzu benantz werden, die in ir gescheft hie auszurichten süllen, und ein, der dez Herman Ebnerz leüt vz rieht zu Werd.“42 Der Krieg begann am 9. September 1388 mit der vollständigen Niederbrennung des burggräflichen Wöhrd durch die Nürnberger. Bald darnach wurde Wöhrd jedoch wieder aufgebaut.43 Vom 29. November 1392 besitzen wir wieder einen Hinweis auf einen Juden in Wöhrd. „Item Leo von Werd iuravit (Debet 16 reg.)“44, d. h., er schwört, als Neubürger in Nürnberg 16 Regensburger Pfennige als Steuer zu zahlen. Unter den Burggrafen Friedrich VI. (1398—1440) und seinem Bruder Johann III. (1398—1420) stehen Nürnberg und Wöhrd nicht mehr im Mittel-

39 Mon. Zoll. IV, 202, vgl. 70, 72. 40 Mon. Zoll. V, 3. 41 Vgl. MA II, 97 ff. (nach StChr 1, 25 f.) bzw. MA II, 125 f. Beide Daten, 9. September 1388 (= Mittwoch) und 16. September 1390 (= Freitag), fielen nach dem jüdischen Kalender auf den 7. Tischri (5149 bzw. 5151). Sie bekamen für die Juden dadurch an Bedeutung, daß sie jeweils drei Tage vor dem höchsten jüdischen Feiertag, dem »Jom Hakippurim“ (= 10. Tischri), waren. 42 StChr 1, 175. 43 Nach Schwemmer 6. 44 Stern 45.

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Juden in Nürnberg-Wöhrd

punkt des Interesses der Zollern. Beide Burggrafen verkaufen ihre Anteile an der Veste Nürnberg und zu Wöhrd 1414 an den Nürnberger Ott Heyden.45 Am 18. April 1417 wird Burggraf Friedrich VI. in Konstanz mit der Markgraf­ schaft Brandenburg und mit der Kurwürde belehnt. Hier entwickelt sich der neue Schwerpunkt der zollerischen Politik. Die seit 1419 existierende burggräfliche Münze in Wöhrd wird bereits 1424 an die Reichsstadt verkauft.46 Eine Beteiligung von Juden daran ist nicht nachweisbar. Aus der Zeit dieser Burggrafen sind, bis zum Verkauf von Wöhrd 1427, keine weiteren direkten Quellen über die dortigen Juden bekannt. Wohl aber bezieht folgende Quelle Wöhrd indirekt mit ein: Im Jahre 1405 wandte sich der berühmte Rabbiner Jakob Weil in Augsburg in einem Ermahnungs­ schreiben (Responsen Gesamtausgabe Nr. 163) an die „Heiligen Gemeinden in Nürnberg und den dazugehörigen Dorfschaften“. Würfel (S. 58) fügt hinzu: „Mag darunter Wöhrd und andere Örter, welche sich unter den Hauptrab­ biner zu Nürnberg begeben, verstanden haben.“ Auslöser dieses Schreibens waren die entstandenen Kompetenzstreitigkeiten aus der Tatsache, daß neben Rabbiner Jakob ben Isak (genannt Koppelmann), dem ehemaligen Schüler Jakob Weils, seit 1. September 1403 zwei Rabbiner in Nürnberg lebten.47 Solleder (S. 533) erwähnt 1411 und 1413 ,Gottschalk von Wöhrd* als Juden­ bürger in München. Doch kommt er wahrscheinlich nicht für unser Wöhrd in Frage, da die Herkunftsorte der angegebenen Münchner Juden mehr auf den bairisch-schwäbischen Raum schließen lassen (W. = Donauwörth) als auf den fränkischen, aus dem nur ein Jude aus Würzburg genannt wird. Zum Abschluß der Betrachtungen über das burggräfliche Wöhrd sei noch auf eine auffallende Tatsache hingewiesen. Von den zahlreichen Ortschaften, die im Raum Nürnberg im Besitz der Burggrafen waren48, befanden sich erst am Rande eines Kreises mit 15 Kilometer (=2 deutsche Meilen) Radius um das Zentrum der Stadt weitere jüdische Gemeinden. Diese waren Erlangen, Lauf, Schwabach, Roßtal und Cadolzburg. Das innerhalb des Kreises nördlich von Fürth gelegene Vach ist nur als von-Name eines Juden bekannt, es existierte dort keine Gemeinde, ebenso wie ca. 1450 nur eine sehr kurzzeitige Ansied­ lung von Juden in Fürth bekannt ist. Das öfters genannte Stein/Lapide bezieht sich wahrscheinlich nicht auf Stein b. Nürnberg, das nicht burggräflich war, sondern auf Hilpoltstein. Das bei Ophir (Karte zw. S. 256 u. 257) vor 1500 ein­ getragene Komburg ist falsch datiert, es müßte 1538 heißen und gehört damit der Neuzeit an. Wöhrd war also eine Ausnahme.

45 46 47 48

Mon. Zoll. VII, 354, 355. Vgl. Monatsanzeiger d. Germ. Nationalmuseums April 1984, 294 f. Vgl. Stern 280, 282 Anm. 1, 285 Anm. 5. Siehe Dannenbauer und Schwammberger.

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IV. DIE REICHSSTÄDTISCHE VORSTADT WÖHRD Am 4. Februar 1427 genehmigte König Sigmund dem Kurfürsten und Burg­ grafen, Wöhrd zu verkaufen49, und zwar an die Reichsstadt Nürnberg (22. Februar 1427).50 Am 27. Juni findet der Verkauf51 statt, wobei die Juden durch ein ,Geschenk* von 6545 Pfund den Kauf von Wöhrd und den anderen gleichzeitig verkauften Orten mitfinanzierten.52 Am Montag, dem 30. Juni 1427, kamen die „Bürgerschaft zu Wehrd und die Untertanen zum Dürrenhoff, Schnigling(l), Buch, Schnepfenreut(l), Höffleins“ in Wöhrd zusammen, um den Schwur auf den neuen Herrn, die Reichsstadt, zu leisten. Dieser Schwur endete mit den Worten: «... als bitten wir, uns Gott zu helfen und alle Heiligen. “53 In dieser Form ist er für die Juden von Wöhrd nicht denkbar. Für sie konnte nur der reichsstädtische Judeneid in Frage kommen.54 Der Rat der Stadt ließ seine Neuerwerbungen unter dem Namen ,Amt der Veste“ gesondert von einem dem Patriziat entstammenden Amtmann (Titel ,Richter zu Werd* oder auch,Amtmann auf der Stadt Burgfrieden*) verwalten.55 Er wohnte wie sein burggräflicher Vorgänger auf der Burg, nie in Wöhrd.56 Nach Voit (S. 20) ist das ,Amt der Veste* in den Nürnberger Stadtrechnungen von 1427 noch nicht erwähnt, wohl aber ab 1428. Doch nicht nur Wöhrd, son­ dern auch die Juden von Wöhrd werden in den Rechnungsbüchern der Reichs­ stadt fortan fiskalisch getrennt behandelt. Pfeiffer (S. 99) faßt, nach Wolfgang von Stromer, die reichsstädtische Politik in diesen Jahren in folgende Worte: „Die großen Kosten des sukzessiven Erwerbs von Rechten des Reichs und der Burggrafen durch die Stadt wurden durch Anleihen aufgebracht oder aus den unglücklichen Juden herausgepreßt.“ Zum besseren Verständnis der reichsstädtischen Quellen ist zuvor eine kurze Betrachtung des Bürgerrechts, vor allem das der Juden, notwendig. Das Nürnberger Bürgerrecht57 des Spätmittelalters unterscheidet zwischen dem Bürger intra muros (burger der reht stat), dem Vorstadtbürger (sieht burger) und dem Nichtbürger (gast, ausmann). Neubürger innerhalb der Stadt konnte man bei 200 fl. Mindestvermögen und dem Erwerb eines Hauses im Mindestwert von 50 fl. werden, bei einer Aufnahmegebühr von 10 fl. Der neue Vorstadtbürger mußte vor dem Jahre 1400 unter 200 fl. nachweisen, danach

49 50 51 52 53 54 55 56 57

Reg. Boica XIII, 89; vgl. MA II, 257 f. Reg. Boica XIII, 90; vgl. MA II, 261 f. Reg. Boica XIII, 101. Sander II, 765; vgl. 852. MA II, 260. Vgl. Stern 236 ff.; Müller 52 ff. Vgl. HAB-NF 28, 61, 89. Schwemmer 9. Grundlegend hierzu Schultheiß, speziell Judenbürgerrecht S. 162, 169, 172 f., 174 f., 193.

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genügten 100 fl. Seine Aufnahmegebühr war 2—5 fl. Für ihn galt eine Resi­ denzpflicht von fünf Jahren. Gäste58 mußten dem Rat gemeldet werden, durften sich nur begrenzte Zeit in der Stadt aufhalten und konnten jederzeit ausgewiesen werden, wie z. B.: „1429, Juli 29. Ez ist ze wissen, daz die hernach geschriben Juden und Jüdin, alz sie hie on des rates wort gesezzen waren, gelobt haben, daz sie hie zwischen Bartolomey hindan ziehen59 und furbaz hie in der stat noch in zwein meilen [= 15 km] umb die stat niht sedelhaft werden sollen on dez rates wort. . . [folgen 16 Namen].“ (Stern 67) So waren die Juden von Wöhrd bis 1427, wenn sie die Reichsstadt besuchten, dort nur Gäste. Das Judenbürgerrecht ab 1427 unterschied sich wohl kaum von dem oben Erwähnten. Das Bürgerrecht für eine jüdische Familie konnte nur das Familienoberhaupt erwerben; wurden seine Kinder volljährig, waren diese Nichtbürger. Starb dieses, so erwarb häufig dessen Witwe60, wie die Urkunden zeigen, das Bürgerrecht. Aus den Urkunden geht auch hervor, daß der Rat der Stadt Juden erlaubte, von Wöhrd in die Stadt her­ einzuziehen (s. Urk. v. 20. März 1434), was jedoch nur unter Berücksichtigung der oben erwähnten finanziellen Verhältnisse zu verstehen ist. Urkundenregesten, 1427—1461 Vorbemerkung: Die folgenden Texte sind wiedergegeben aufgrund der Editionen von: Moritz Stern, Die israelitische Bevölkerung der deutschen Städte, Bd. 3: Nürnberg im Mittelalter, Kiel 1894, und: Paul Sander, Die reichsstädtische Haushaltung Nürnberg. Darstellung auf grund ihres Zustandes von 1431 bis 1440, Leipzig 1902. In der Datumszeile sind jeweils die Bezeichnungen der Originalquellen genannt. Diese befinden sich unter folgenden Signaturen im Staatsarchiv Nürnberg: 1. Nürnberger Judenzinsbuch (1381—1433): Reichsstadt Nürnberg, Amts­ und Standbuch Nr. 285 = Stern S. 23—68. 2. Nürnberger Judenzinsbuch (1434—1498): Reichsstadt Nürnberg, Amts­ und Standbuch Nr. 343 = Stern S. 69—92. Judenzins in Nürnberg und Wöhrd: Reichsstadt Nürnberg, Stadtrechnungen der Jahre 1428—1440 = Sander 58 Über die Juden als Gäste vgl. Stern 224 ff., 230 f., 235 (a. d. verschiedenen Judenordnungen des Rates); Satzungsbücher I (III/C, V). 59 Das ist bis zum 24. August. 60 Vgl. hierzu folgendes: Am 2. Februar 1342 beurkundet in München Kaiser Ludwig d. Bayer

„daß er mit der Judenscbaft im reich Übereinkommen sei, daß ihm jeder Jud und jede Juden­ witwe, die 12 jabr alt sind und 20 gülden werth haben, jährlich einen gülden leibzins geben sollen . . .* Reg. Imp. (1314—47), 2223.

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2. Jahresregister (1418—1430): Reichsstadt Nürnberg, Stadtrechnung Nr. 179 = Stern 3. Jahresregister (1431—1442): Reichsstadt Nürnberg, Stadtrechnung Nr. 180 = Sander Bd. I, S. 363—365.

1427, September 4, 1. Nürnberger Judenzinsbuch [Eintrag bei WöhrdJ Item Jacob Jud vom Hof1 ist burger worden und gibt ein jar 40 guidein werung und sol mit dem ersten zins antreten yeczo Michaelis schierst, actum feria quinta post Egidii, und sol czu Werd sitzen auf der burger widerrüffen. Item dem Jacob Jud vom Hof hat man gegunnet czu Werd zu siczzen auf der burger widerrufen und gibt ein jar 40 guidein werung und sol mit dem ersten zinse antreten yetzo Michaelis schierst. [Datum] (Factus est civis, ut patet folio sequenti.)2 — Stern 59 f. 1 Hof in Oberfranken gehörte den Burggrafen und hatte eine kleine jüdische Gemeinde. 2 Vgl. 1430 und 1432.

1427 Judenzins Primo recepimus 418 guidein und 3 ort1 werung von dem Judenzins Walpurgis. Item recepimus iterum 383 guidein werung von dem Judenczins Michaelis. Item recepimus 25 guidein werung von der Reppin heuser [in Nürnberg] von dem Zins Michaelis. Item recepimus 20 guidein werung vom Jacob Juden von Hof der zu Werd sitzt, von dem Zins Michaelis. Summa 846 guidein und 3 ort werung, unam pro 1 lb. und 4V2 sh.hlr.; summa in hallensibus 1038 lb. hlr. — Stern 271 Nr. 12. 1 Ort = V4 fl.

1427', November 13, 1. Nürnberger Judenzinsbuch [Eintrag bei Wöhrd] Item Michel von Weyl1 Jud hat man gegunnet zu Werd zu sitzen auf der purger widerrüfen und gibt ein jar 14 guidein und hat angetreten und geben 7 guidein. [Datum]. (Resignavit gratiam feria secunda ante Michaelis anno etc. XXX°. [= 1430, Sept. 25]) — Stern 60. 1 Er wurde bereits 1396, 1402 und 1408 als Bürger in Nürnberg aufgenommen, 1409 gab er sein Bürgerrecht auf. Er war in Nürnberg als „Sangmeister“ (d. h. Kantor/Chasan) tätig. Er wird auch wieder 1419 in Nürnberg erwähnt. Er ist vielleicht verwandt mit dem berühmten Rabbiner Jakob Weil. Von letzterem ist bekannt, daß er in Nürnberg heiratete. (Nach Stern 41, 46, 52, 326 f.)

Ca. 1428 Salbuch des Richteramtes Wöhrd Hanns Zerrer1 gibt jerlichen von einem dritteyl und einem vierteyl eins vischlehens 40 kes [= Zins] zu pfingsten und 40 pfenning für öl, halb Waldpurgis und halb Michaelis. Darein gehören vierdhalb tagwerk wismads, sehsthalben morgen ackers; und ein hawsz2, da der Jacob Jud ynne sitzt: gibt im jerlichen IV2 guidein vererbts zinses; und ein vischwassers: davon gibt man im 12 grosz. — Item so gibt der vorgenannt Hanns

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Juden in Nümberg-Wöhrd

Zerrer mer 4 guidein und Ü3 eins guidein, halb Walpurgis und halb Michaelis, für stewr. — Mon. Boica 48/1, 320. 1 Er war Bauer und ist im Wachstafelzinsbuch von ca. 1425 bei Nürnberg und nicht bei „Werde“ eingetragen! Vgl. Voit 23, 28, 122. 2 Über die Lage dieses Hauses ist nichts bekannt.

1428, Januar 21, Schulden bei Jakob von Wöhrd u. a. Herzog Johann von Bayern1 bestätigt dem Rat der Stadt die Zahlung, die von der Stadt zum Ausgleich einer gegen die Juden Jakob zu Wöhrd und Johel und Samuel von Nürnberg gerichteten Forderung des Herzogs vorgenommen worden war. Er war bei diesen Juden mit 644 fl. Lw. verschuldet. — Staatsarchiv Nürnberg Rep. 1 a (Kaiserpriv.) Urk. Nr. 302 (1428 I 21); Michelfelder 247; Müller 60 schreibt „Jakob von Wöhrd“. 1 Der Wittelsbacher Johann von Neumarkt (Opf.) (geb. 1383, gest. 1443) war ein Sohn von König Ruprecht III. v. d. Pfalz (1400—10). Er bekam den Beinamen ,Hussitengeißel‘, da er der Führer im Kampf gegen die Hussiten war und siegte. In MAII wird „Hannß/Johannes von Baim“ viel­ fach erwähnt.

[1428] Judenzins Nürnberg und Wöhrd. Primo recepimus 403V2 fl.w. von dem zins Walpurgis. — Item recepimus iterum 3811/2fl.w von dem Judenczins Michaelis. Summa 7841 fl.w. — Primo recepimus iterum von der Judischait zu Werd2 und von der Reppin hewser zu Nüremberg 52 fl.w. auch von dem Judenzins Walpurgis, ut supra. — Item recepimus iterum 52 fl.w. von der Judischeit zu Werd2 und von der Reppin hewser zu Nüremberg von dem zins Michaelis. Summa 104 fl.w. Summa summarum ambarum 8881 fl.w.; unum pro 1 lb. 4V2 sh.hlr., facit in hallensibus 1087 lb. 16 sh.hlr.1 — Stern 272 Nr. 14. 1 Da die beiden halben Gulden in der Summe übersehen wurden, müssen die Summen folgender­ maßen lauten: 785, 889, Endsumme 1089 lb. V2 sh.hlr. 2 Da wir den Zins der Häuser der Reppin kennen (siehe 1427), der jährlich immer 50 fl. beträgt (vgl. Stern 46, 49, 52, 56, 68 f.), ergeben sich für die Juden von Wöhrd 2 X 27 fl.

1429, April 11, 1. Nürnberger Judenzinsbuch [Eintrag bei Wöhrd] Item dem Seligman von Sweinfurt hat man gegunnet zu Werd zu sitzen auf der purger widerrufen und gibt ein jar 50 fl.w. und sol mit dem ersten zins antreten yetzo Michaelis schierst und hat auch den bürgern geschankt 100 fl. (Der egenant Jud resignavit sein purkrecht. [= späterer Zusatz]) — Stern 60. [1429] 2. Jahresregister der Stadt Nürnberg Item recepimus 100 fl. new von Seligman Juden von Sweinfurt, die er den burgem schankt, daz man ihm günd zu Werd zu sitzen auff der burger widerrüfen. — Stern 272 Nr. 15.

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1429, April 211, Preßburg, Verpfändung des Gulden-Opferpfennigs von Nürnberg und Wöhrd I) Sigmund, römischer König, gebietet den Juden und Jüdinnen2 zu Nuremberg und Wird(!) bey Nuremberg, seinen Kammerknechten, den Guldenopferpfenning, den sie ihm jährlich auf St. Michelstag3 zu reichen pflichtig, an Sebald Pfinzing4 zu geben. — Reg. Boica XIII, 142; Reg. Imp. XI, 7243. 1 2 3 4

Dies ist einen Tag vor dem jüdischen Feiertag ,Lag Baomer*. Diese Formulierung weist darauf, daß auch Frauen das Bürgerrecht hatten. 29. September. Nürnberger Patrizier; siehe 1432, 5. Nov.; vgl. 1427, 30. Juni.

II) Sigmund, römischer König, verpfändet an Sebald Pfinzing von Nuremberg den Gul­ den-Opferpfenning, den im die Juden und Jüdinnen zu Nuremberg und Wird(!) bei Nuremberg, die zu ihren Jahren gekommen, jährlich auf St. Michaelstag zu reichen haben, für 500 fl.rhn., welche er demselben schuldig geworden war. — Reg. Boica XIII, 142; Reg. Imp. XI, 7244; Würfel 51; vgl. MA II, 272 (dies ist das einzige Mal, daß er Juden „zu Wehrd bei Nürnberg“ erwähnt); erwähnt bei Nübling 453.

1429, September 27, Preßburg, Nürnberger Juden von der Steuer ausgenommen Sonsten hat König Sigmund Erckinger von Saunßheimb (= Seinsheim) zu Schwarzen­ berg befohlen, mit den Juden allenthalben im Reich zu teidigen und von ihnen Geld aufzubringen, hat aber die Juden zu Nürnberg1 als seine Kammer-Knecht ausge­ nommen .. .2 Und solches dem von Saunßheimb also zugeschrieben.3 Aus welchem leicht abzunehmen, daß der Hußitenkrieg(l)4 soviel Geld erfordert, daß man Mittel gesucht, auch bei den Juden Geld aufzubringen.5 — MA II, 272; vgl. Reg. Imp. XI, 7440 u. Reg. Boica XIII, 159. 1 Siehe 1429, Okt. 2 betreffs Wöhrd. 2 Später werden auch sie zur Hussitensteuer herangezogen, z. B. 1431 in der allgemeinen Besteu­ erung gestaffelt nach Besitz; vgl. MA II, 292 u. StChr I, 381 f. 3 Am 2. Okt. 1429; Reg. Imp. XI, 7452. 4 Der Krieg gegen die Hussiten ist 1432 mit dem Sieg Johanns von Neumarkt beendet; siehe 1428, Jan. 21. 3 Siehe 1422, Okt. 3.

1429, September 29, Judenzins Nürnberg und Wöhrd Item recepimus 382 fl.w. von dem zins Walpurgis. — Item recepimus 323 V2 fl.w. von dem Judenzinss(l) Michaelis. — Item recepimus von der purger heuser und von den Juden zu Werd 52 fl.w. — Item recepimus 25 fl. new von Seligman Juden von Sweinfurt zu Werd gesessen, als er sein burgrecht aufgab.1 — Item recepimus iterum 52 fl.w. von den obgeschriben heusern und Juden zu Werd Michaelis. Summa 8O8V2 fl.w.2, unum pro 1 lb. 4V2 sh.; summa hallensibus 1019 lb. 2 sh. 9 hlr. — Stern 273 Nr. 16. 1 Siehe 1429, Apr. 11. 2 Müßte 809V2 fl.w. heißen und damit die Endsumme 1020 lb. 7 sh. 3 hlr.

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Juden in Nürnberg-Wöhrd

1429, Okt. 2, Preßburg, Juden von Wöhrd von der Steuer ausgenommen Sigmund, römischer König gebietet Erkinger von Sawnsheim, Herrn zu Swartzenberg, seinem Rathe, dass er, obgleich ihm mit der Judischheit in deutschen Landen zu theidigen [= verhandeln] befohlen worden, die Judischheit zu Werde1 bey Nuremberg, die der Stadt Nuremberg ganz befohlen, nicht schätzen oder zur Mitleidenheit der Steuer dringen solle. — Reg. Boica XIII, 160 (mit falschem Datum 30. Sept.!); Reg. Imp. XI, 7452. 1 Siehe 1429, Sept. 27 betreffs Nürnberg.

1429, Okt. 17, 1. Nürnberger Judenzinsbuch [Eintrag bei Wöhrd] Item dem Ysrahel von Pegnicz hat man gegunnet zu Werd zu siezen bis auf der burger widerrüfen und gibt ein jar 32 fl.w. — Stern 59. 1429 2. Jahresregister der Stadt Nürnberg Item recepimus 75 fl. von Ysrael Juden von Pegnitz, die er dem rate zu erung tut1, als man i[h]n eynnam gen Werd. — Stern 273 Nr. 15. 1 D. h. er schenkt sie zu Ehren des Rates.

1430, Mai 4, 1. Nürnberger Judenzinsbuch Jacob Jud vom Hof ist burger [von Nürnberg]1 worden und gibt ein jar 40 fl. halb Wal­ burgis und halb Michaelis und sol antretten mit dem ersten zins auff Walpurgis schirst. ([späterer Zusatz] Mortuus est in estate anno etc. XXX secundo.) — Stern 61. 1 Er wohnte vorher in Wöhrd; siehe 1427, Sept. 4.

1430 Judenzins Nürnberg und Wöhrd Judenzins Walpurgis und Michaelis 672V2 fl.w., [Juden]bürger heuser und Juden zu Werd Walpurgis und Michaelis 84 fl.w., unum pro 1 lb. 4V2 sh.hlr.; Sa. illius facit in hallensibus 926 lb. 14V2 sh.hlr. — Stern 274 Nr. 18. 1431, Mai 7, Nürnberg I) König Sigmund läßt den Juden zu Nürnberg und Wehrt (Werde), welche sich für ihn um 6000 fl.rh. verbürgt haben, dafür als Geisel in Nürnberg seinen Rat den Deutschor­ denskomtur Klaus von Redwitz, Ban zu Severin [in Litauen], zurück und verspricht, falls er einmal alle bei Juden gemachten Schulden erlassen sollte, daß er dabei die Juden von Nürnberg und Wehrt ausnehmen wolle und zwar auch diejenigen, welche mittler­ weile verzogen sein würden. Reg. Imp. XI, 8572. II) König Sigmund bevollmächtigt den Klaus von Redwitz mit den Juden im Reich über eine Abfindungssumme einig zu werden, durch deren Zahlung die Juden verhindern würden, daß er ihren Schuldnern alle Schulden und Zinsen erläßt. Reg. Imp. XI, 8573.

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1431, Juli 31, 1. Nürnberger Judenzinsbuch [Eintrag bei Wöhrd] Item dem Leasar von Eger gegunt zu Werd zu sitzen von yetz über ein jar von fleissiger bete wegen hem Heinrichs von Tachau ritter und gibt dasselb jar 15 fl.w. halb auff Michaelis schirst und halb auff Walburgis darnach, ([späterer Zusatz] Recessit et iuravit feria quarta ante Ambrosii anno etc. 2ÖCX secundo. [= 1432, April 2]). — Stern 60. 1431 Judenzins Nürnberg und Wöhrd Item recepimus von dem Judenzins Walpurgis und Michaelis und von den Häusern der hie [in Nürnberg] und zu Wöhrd angesessenen Juden 963 lb. 9 sh. 3 hlr. (= 963,45 lb.). Sander I, 364. 1432, Mai 1, 1. Nürnberger Judenzinsbuch Judenburger [von Nürnberg] dant Walpurgis . . . 389 fl., der [Judenzins]... ist 16 fl.1 von Werd. — Stern 67. 1 Das sind 4,1% des Betrages von Nürnberg.

1432, September 16, 1. Nürnberger Judenzinsbuch [Eingetragen bei Wöhrd] Item dem Porach [= Baruch] von Erlangen hat man gegönnet zu Werd zu sitzen auff der burger widerrüfen und gibt ein jar 28 fl.w. halb Walpurgis und halb Michaelis und tritt an Walpurgis schirst mit dem ersten zins. — Stern 60. Siehe 1434; 1439, Juli 7. 1432 Judenzins Nürnberg und Wöhrd Walpurgis und Michaelis 954 lb. 16 sh. 9 hlr. (= 954,85 lb.); Opferpfennig 142,30 lb.: Sa. 1097,15 lb. — Stern 275 Nr. 3; Sander I, 363 f. 1432, Oktober 1, 1. Nürnberger Judenzinsbuch Rechel des Jacob Juden vom Hof1 witwe ist burgerin [in Nürnberg] worden und gibt ein jar 20 fl.w. halb Walburgis und halb Michaelis und tritt an mit dem ersten zinsz schirist. — Item David des Jacob Juden vom Hof sun factus est civis pro 10 fl.w. halb Walburgis und halb Michaelis, anzetretten mit dem ersten zins Walburgis schirist. — Stern 61 f. i Er starb 1432; vgl. 1430, Mai 4.

1432, November 3, Sebald Pfinzings Söhne1 überlassen dem Rat der Stadt König Sig­ munds Versatzungsbrief über „den gülden opfer pfenning von den Juden vnd Jüdinnen ze Nürnberg vnd ze Wehrde bei Nürnberg.“ — Würfel 140 f., vgl. Würfel 51; Urk. erwähnt MA II, 272; kurz erwähnt bei Nübling 263, 453. 1 Siehe 1429, Apr. 21. Sebald Pfinzing war 1431 gestorben, deshalb erscheinen jetzt hier seine Erben.

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Juden in Nürnberg-Wöhrd

1432, Dezember 11, 1. Nürnberger Judenzinsbuch [Eintrag bei Wöhrd] Marquart Judenarczt Juden1 hat man gegönt zu Werd zu sitzen auff der burger widerrufen und gibt ein jar 13 fl.w. halb Walpurgis und halb Michaelis und tritt an mit dem ersten zins Walpurgis schirist. — Stern 60 f.; siehe 1435, Okt. 19; Müller 62. 1 Man beachte dieses mittelalterliche Beispiel eines bürokratischen Pleonasmus.

1433 Judenzins Nürnberg und Wöhrd. Juden [von Nürnberg] geben Walpurgis . .. 380 fl., der ist 37 fl. von Werd und 25 fl. von der Reppin heuser. — Judei dant Michaelis .. . 357 fl., der ist 37 fl. von Werd und 25 fl. von der Reppin heuser. [Sa. 861 fl.] — Stern 68. Sander (I, 364 fl.) gibt den Zins in Pfunden an: insges. 875 lb. 5 sh. 4 hlr. (= 875,25 lb.), Goldener Opferpfennig 64,45 lb., Sa. 939,70 lb. 1433 3. Jahresregister der Stadt Nürnberg Guidein opferpfenning der Juden: Recepimus 60 lb. 14V2 sh.hlr. von 61 personen1 Juden und Jüdin hie und zu Werd vom goldein opferpfening(I), den sie jerlichen geben Michaelis, über das, das man Johanni gerichtschreiber, seinem sun, dem Seitzen Groland und der Juden klopfer2 zu Hebung gab, die das eynnomen, des was 3 fl. — Stern 276 Nr. 5; Sander I, 363 gleicher Text (neuhochdeutsch). 1 Sander gibt 56 Personen an. 2 Der sog. ,Schulklopfer‘ ist ein Synagogendiener.

1434, März 30, 2. Nürnberger Judenzinsbuch [Eingetragen bei Wöhrd] Anno domini 1434 zum neuen rate, do waren diss die Juden, den man erlaubt hat, zu Werd zu siezen auff der burger vom rate widerruffen, und gibt ir yeglicher zu steur als hernach geschriben steet halb Walburgis und halb MichaheUs. Primo Ysrahel von Pegnicz gibt alle jar 32 fl.w. ([späterer Zusatz] Den hat man herein genommen [als Bürger in die Stadt] sexta ante Viti anno 39.)1 Symon von Hohenburg und Miche [= Michal] ir tochter geben ein jare 10 fl. und siezen on dez ratz laub2 zu Werde. Porach [= Baruch] von Erlangen gibt ein jar 28 fl.w. ([späterer Zusatz] Recessit gen Nuremberg.3) — Stern 78. 1 Siehe 1439, Juni 12. 2 D. h. „ohne Erlaubnis des Rates“. 3 Siehe 1439, Juli 7.

1434 Judenzins Nürnberg und Wöhrd Judenzins Walpurgis und Michaelis und von den Häusern, der hie und zu Wöhrd ange­ sessenen Juden: 1314 lb. 8 sh. 10 hlr. (= 1314,45 lb.), Goldener Opferpfennig 84,30 lb., Sa. 1398,75 lb. — Sander I, 364.

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1435, April 1, 2. Nürnberger Judenzinsbuch [Eintrag bei Wöhrd] Ysaac von Lichtenfels factus est civis feria sexta ante judica anno 35 und gibt ein jar 12 fl.w. in forma anzuheben Wahlburgis schierst, ([späterer Zusatz] Im ist erlaubt worden von pete [= Bitte] wegen des von Tüngen herein in die stat zu ziehen1 und sol auch nyemand leren denn der Juden kinder, die burger hie sein.2 Actum feria quarta post Walburgis.) — Stern 78. 1 Siehe 1436, Mai 2. 2 D. h. er war Lehrer an der jüdischen Hochschule und durfte dort aber keine auswärtigen Schüler in Kost nehmen und unterrichten.

1435 Judenzins Nürnberg und 'Wöhrd. Judenzins Walpurgis und Michaelis und von den Häusern von den hie und zu Wöhrd angesessenen Juden: 1402 lb. 12V2 sh. (= 1402,65 lb.), und zwar 1011 fl.w. von den Juden zu Nürnberg und 85 fl.w. von denen von Wöhrd, Goldener Opferpfennig 83,30 lb., Sa. 1485,95 lb. — Sander I, 364. 1435, Oktober 19, 2. Nürnberger Judenzinsbuch Dem Marquart Judenarczt, der vor zu Werd sass, dem hat man erlaubt, herein zu ziehen, und sol alle jar 10 fl.w. zu zins geben in forma, anzuheben mit dem ersten zins Walpurgis schirst. ([späterer Zusatz] Dem hat man ez abgesagt und ist nymmer hie.1) Stern 73. [Eingetragen bei Wöhrd] Marquart Judenarczt gibt ein jar 13 fl.w. ([späterer Zusatz] Im ist erlaubt herein zu ziehen [in die Stadt] und sol fürbass alle jar geben 10 fl.w. Actum feria quarta post Galli anno 35 und ist verschrieben davorn bei der stat Juden).2 — Stern 78. Siehe 1432, Dez. 11. 1 Datum ist unbekannt. Am 27. Nov. 1442 bekommt er für einen Monat Geleit, um in Nürnberg Fritz Hawbner „zu artzeneien“. Er muß also in der Umgebung von Nürnberg gewohnt haben. (Stern 290 Nr. 42). 2 Gemeint ist der darüberstehende Eintrag.

1436, Mai 2, 2. Nürnberger Judenzinsbuch Dem Ysaac von Liechtenfels, der zu Werd sass, ist erlaubt worden, herein zu ziehen in die stat, und gibt ein jahr 12 fl.w. halb Walpurgis und halb Michahelis und man hat im auch von rats wegen ernstlich gesagt, daz er nyemands lernen sol denn der Juden kinder, die burger hie sein. . .. ([späterer Zusatz] Mortuus et Jacob Jud von Zitadell und steet dahinter geschrieben.1) — Stern 73. 1 Das Sterbejahr des Ysaac von Liechtenfels ist nicht bekannt, doch dürfte dies 1443/44 gewesen sein, da seine Witwe 1444 Jacob von Zitadell [= Cittadella bei Vicenza, Norditalien] heiratet. Dies ist am 15. Sept. 1444 eingetragen. Stern 75; vgl. 76, 291 Nr. 48.

1436 [ohne Monat] 3. Jahresregister der Stadt Nürnberg Item recepimus 45 fl. neu von Zoroth Jüdin des Ysaacs von Liechtenfels wirtin1, die sie den bürgern schänkt, daz man ir gond [= gönnt], Hannsen Wagners hauss zu kawffen. — Stern 276 Nr. 8. 1 Sie wird 1453 (Stern 294 Nr. 53) und 1476 (Stern 300 Nr. 84) ebenfalls in Nürnberg erwähnt.

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1436, September 17, 2. Nürnberger Judenzinsbuch [Eingetragen bei WöhrdJ Jacob von Pappenheim ist auffgenomen gen Werd zu burger und gibt ein jar 12 fl.w.1 halb Walburgis und halb Michaelis und hebt an mit dem ersten zins Walburgis schirist. .. . ([späterer Zusatz] Recessit gen Nuremberg.2) — Stern 78. 1 Als Bürger von Nürnberg zahlte er 1439 zwei Gulden weniger! 2 Siehe 1439, Mai 4.

1436 Judenzins Nürnberg und Wöhrd Judenzins Walburgis und Michaelis 1424 lb. 7 sh. 4 hlr. (= 1424,35 lb.) und zwar 1046 fl.w. von den Juden zu Nürnberg, 50 fl. von den Juden Häuser, 66 fl. von den Juden zu Wöhrd; und Goldener Opferpfennig 94,05 lb., Sa. 1518,40 lb. — Sander I, 364. 1437 Judenzins Nürnberg und Wöhrd Judenzins Walpurgis und Michaelis insgesamt 1408 lb. 2 sh. 8 hlr. (= 1408,15 lb.) und Goldener Opferpfennig 97,10 lb., Sa. 1505,25 lb. — Sander I, 365. 1438 Judenzins Nürnberg und Word Judenzins Walpurgis und Michaelis insgesamt 1171 lb., Goldener Opferpfennig 104,45 lb., Sa. 1275,45 lb., plus außerordentliche Steuer1 5500 lb., Sa. 6775,45 lb. — Sander I, 364. 1 Unter dem Titel Judenrat* ist 1438 verbucht: „5000 fl.Lw. [= 5500 lb.] von dem Judenrat, die sie dem Rat geliehen haben . . .“ Unter dem Titel Judenrat und Jüdischheit gemeinlich* steht 1439 hierzu: „Item zu wissen, der Judenrat und die Jüdischheit gemeinlich hat dem Rat die dargelie­ henen 5000 fl.Lw. erlassen, zu Steuer an den schweren Bauten, welche die Stadt seit langher gethan hat und noch thut. Diese 5000 fl. haben die Losunger im [14]38 Register als Einnahme verrechnet.“ — Sander I, 364.

1439, Mai 4, 2. Nürnberger Judenzinsbuch Jacob Jud von Pappenheim ist burger [von Nürnberg] worden .. . und gibt ein jare 10 fl.w. halb Walpurgis und halb Michahelis, anzutreten mit dem ersten zins Michahelis schierst, ([späterer Zusatz] Den obgenannten Juden hat man geurlaubt nach Walpurgis anno 45.) Leslein Jüdin vom Potenstein des yeczgenannten Jacob Juden swiger ist burgerin worden ... und gibt ein jare 10 fl. halb Walpurgis und halb Michahelis, anzutreten mit dem ersten zins Michahelis schierst, ([späterer Zusatz] Die obgenannt Judynn hat man geurlaubt nach Walpurgis anno 45.) — Stern 74. Siehe 1436, Sept. 17. 1439, Juni 12, 2. Nürnberger Judenzinsbuch Ysrahel Jud von Pegnicz ist burger [von Nürnberg] worden... Der vor zu Werd gesessen ist.1 ([späterer Zusatz] Obiit.) — Stern 74. 1 Siehe 1429, Okt. 17.

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1439, Juli 7, 2. Nürnberger Judenzinsbuch Baruch von Erlangen ist burger [von Nürnberg].. . Der vor zu Werd gesessen ist. ([späterer Zusatz] Hat sein burgerrecht auffgeben ... anno 47.) — Stern 75. Siehe 1434, März 30. 1439 Juden zins Nürnberg und Wöhrd Judenzins Walpurgis und Michaelis insgesamt 927 fl.w. und 10 fl.Lw. (= 11461b. 11 sh.) (= 1146,55 lb.) und Goldener Opferpfennig 100,45 lb., Sa. 1247,00 lb. — Sander I, 364. 14401 Judenzins Nürnberg und Wöhrd Judenzins Walpurgis und Michaelis insgesamt 1188 lb., und Goldener Opferpfennig 94,90 lb., Sa. 1282,90 lb. — Sander I, 364. 1 Sander hat in seinem Buch die Jahre 1431—40 berücksichtigt, über die weiteren Jahrzehnte gibt es noch keine ähnlichen Darstellungen des reichsstädtischen Haushalts.

1442 Buße für einen Juden Item 4 fl. vom Jacob Juden von Werd1, der einen anderen Juden geslagen hette. — Stern 278 Nr. 12. 1 Es gab in Nürnberg zwei Jakob von Wöhrd, der erste starb 1432 (siehe 1432, Okt. 1).

1443, März 4, Ratsbuch Nr. 1 b der Stadt Nürnberg Samuel Juden sach widder den Judenrat ausrichten: Karl Holzschuher, Volkmer Paul. Item von der Juden sach1, die versprochen haben ein ernstlich rede zu tun von den Juden zu Werde. [Der folgende Eintrag ist datiert] 1443, März 26: Item der rate hat Samuel Juden sein geleit erstreckt biss auf pfinxten schirst und im darbei sagen lassen, das er die sach, die er widder den Judenrate vermeint zu haben, in derselben zeit mit rechte austrage. — Stern 290 Nr. 43—45. 1 Die drei Texte gehören sichtlich zusammen. Um welche Sache oder Angelegenheit es sich dabei handelte, ist nicht bekannt.

1449 Erhard Schürstabs Kriegsbericht Vor dem drohenden Krieg verschafft sich der Rat einen Überblick über die Versor­ gungslage der Bevölkerung, sowie über alle sich in der Stadt befindlichen Menschen.1 Dadurch kommt es zu einer Bevölkerungszählung. Dort heißt es: „Item so ist iuden vnd iüdin, kind vnd ehalten, dy alle iuden sind ijc [= 200]2 person.“ — Baader 145 ff. 1 Wöhrd selbst wird voll in die reichsstädtischen Verteidigungsmaßnahmen einbezogen. Es ist anzunehmen, daß trotzdem Wöhrder in Nürnberg Schutz suchten. 2 MA II, 431 gibt die Zahl 150 an, auch StChr 2, 320 f. Die Gesamtzahl: 18 420 und 9912 Bauern (mit Anhang) = 28 332 Menschen (innerhalb der Stadtmauer). Vgl. Sander II, 902 ff.

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1449—50 Erster Markgrafenkrieg (Albrecht gegen Nürnberg) 145Oy Okt. 21 bis Nov. 18 Ratsbücher der Stadt Nürnberg [Feria] 4 11 000 virginum 1450 bis [feria] 4 ante Elizabeth(!): Item fürbass keinen Juden kein geleite herein zu geben [in die Stadt]. — Stern 293.

1461 y März 23, 2. Nürnberger Judenzinsbuch Michalin Davidin von Werde1 ist burgerin worden und gibt jerlich 12 fl.w. zu zins halb Walpurgis und halb Michahelis, antretten Walpurgis; retulerunt Berchtold Pfinczing und her Antoni Tücher. — Stern 81. 1 Michalin ist die deutsche Verkleinerungsform des hebräischen Frauennamens Michal (nicht zu verwechseln mit dem männlichen Vornamen Michael!). Sie ist identisch mit „Miche, Tochter des Symon von Hohenburg, und siezen zu Werde“, siehe 1434, März 30. Sie war verheiratet mit einem David von Werde, der jedoch so in keinem Eintrag erscheint. In Zusammenhang mit Wöhrd erscheint nur zweimal der Vorname David. David Sohn des Jakob vom Hof (vgl. 1427, Sept. 4) starb bereits 1435 als Bürger Nürnbergs, so daß er zeitlich nicht in Frage kommt. Am 2. Okt. 1450 wurde jedoch ein „David Jud von Swebisch Werd [= Donauwörth]“ (Stern 77) als Nürnberger Bürger aufgenommen, wobei später in Klammern hinzugefügt wurde „Mortuus est“. Wir dürfen daher annehmen, daß es sich bei ihm um ihren Ehemann handelte, nach dessen Tod Frau Michal das Nürnberger Bürgerrecht erlangte.

V. DAS JÜDISCHE LEBEN ZU WÖHRD ZUR GRÖSSE DER GEMEINDE. Welches Interesse konnte ein Jude haben, um das Recht nachzusuchen, in Wöhrd wohnen zu dürfen? Zum einen war es zweifellos die Tatsache, daß er das attraktivere Bürgerrecht der Innenstadt, wie bereits geschildert, nicht bekommen konnte, sei es aus finanziellen Gründen oder daß die Reichsstadt nicht mehr Juden ansiedeln lassen wollte. Hierfür bot das nahegelegene Wöhrd einen Ausweg. Aus der in den Dokumenten erwähnten Formulierung, daß der Rat der Stadt einem Juden in Wöhrd „erlaubt herein zu ziehen“, kann man herauslesen, daß das »bessere* Bürger­ recht das erstrebenswertere Ziel war. Einen weiteren Grund, wenn nicht den Hauptgrund für die Existenz einer jüdischen Gemeinde in Wöhrd, dürfen wir in den menschlichen und sozialen Beziehungen sehen. Aus den Dokumenten geht klar heryor, daß enge verwandtschaftliche Bindungen zwischen beiden Gemeinden existierten. Die Urkunden belegen, daß mehrfach den jüdischen Gästen in der Reichsstadt die Stadt verboten wurde, weil sie längere Zeit ohne Erlaubnis in der Stadt (meist bei Verwandten) wohnten und ausgewiesen wurden. Bis zum Ende der burggräflichen Zeit in Wöhrd bestand daher dort die Möglichkeit, sich in die Nähe der Reichsstadt, auch als Gast, aufzuhalten, ohne dort wiederum ausgewiesen zu werden. Die sich immer wieder bietende Möglichkeit in die Stadt abzuwandern als auch die restriktiven Maßnahmen der Obrigkeit sind die Gründe, warum sich 105

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Wöhrd nie zu einer größeren jüdischen Gemeinde entwickeln konnte. Keine einzige Gesamtzahl der Juden in Wöhrd ist uns bisher bekannt, wie auch nir­ gends das Vorhandensein einer Synagoge erwähnt wird. Durch zahlenmäßig kleine Neuzugänge wieder die Verluste ergänzend, dürfte die Gesamtzahl der Gemeinde über Jahrzehnte hinweg eher gleichbleibend geblieben sein. Von den erwähnten Steuern der Juden kann man zwar gewisse Rückschlüsse ziehen, aber eine genaue Angabe ihrer Seelenzahl erreicht man nicht. Aus dem Gesagten heraus und der Tatsache, daß sich bisher nirgends die Bezeichnung „KEHILLA KEDOSCHA“ für eine selbständige jüdische Gemeinde Wöhrd findet, muß die Gemeinde hebräisch als CHAWURA bezeichnet werden, d. h. als Kleingemeinde, die dem Rabbiner von Nürnberg unterstand. Sie war jedoch sicher groß genug, um einen eigenen Betsaal zu unterhalten, wahr­ scheinlich in einer Privatwohnung, und die Familien haben, so gewinnt man den Eindruck, meistens in der Geschichte ihrer kleinen Gemeinde das MINJAN (d. h. Quorum von zehn erwachsenen Männern zur Abhaltung des Gottesdienstes) stellen können. Leider besitzen wir auch von der Reichsstadt Nürnberg selbst sowohl wenig Zahlen über die Gesamtbevölkerung als auch über die Juden. So gibt z. B. das Inventar61 der Stadt, anläßlich des bevorste­ henden Ersten Markgrafenkrieges erstellt, Auskunft über die 1449 sich in der Reichsstadt aufhaltenden Menschen. Unter den 18 420 Einwohnern, zu denen noch ca. 10 000 sonstige Nichtbürger kamen, befanden sich 150 Juden, Jüdinnen und deren Kinder. Wöhrd, das selbst befestigt war62, ist in diesen Zahlen wohl kaum enthalten. Zu dieser Zeit dürfte die Zahl der Juden in Wöhrd knapp 10% der Nürnberger Juden ausgemacht haben. DIE NÜRNBERGER STADTMAUER. Sie war die sichtbarste Tren­ nungslinie zwischen den Bewohnern der Stadt und der Vorstadt. Sowohl die vorletzte Stadtmauer (an der auch heute noch am Inneren Läufer Tor die Judengasse endet) als auch die letzte und jetzige Stadtmauer (seit der zweiten Hälfte des 14. Jh.), die Nürnberg näher an Wöhrd heranrückte, waren für die Juden, vor allem am Sabbat, von Bedeutung. Da die Sabbatbestimmungen63 es erlauben, sich innerhalb einer Stadt frei zu bewegen und über ihre Grenzen (z. B. Mauer) hinaus noch 2000 Ellen (= ca. 1050 m) zu gehen, das gleiche galt für das mit Wall und Graben befestigte Wöhrd, konnten sich die Juden beider Gemeinden am Sabbat besuchen. Dies war auch noch möglich, als die Juden einige Zeit einen kleinen Umweg über das Äußere Läufer Tor machen‘mußten. Der Grund: „Es ist auch in diesem Bau /== Mauer] ein großes Stadttor gegen

61 StChr 2, 320 f.; MA II, 431; Sander II, 902 ff.; s. Urk. 1449/50. 62 Vgl. dazu Schwemmer 10; StChr 2, 274. 63 Babylonischer Talmud, Eruvin 56 a—b; allgemein dazu: Stemberger, Günter, Der Talmud. München 1982, 155 ff.

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Werht(!) hinaus gerichtet wordenwelches die Burggrafen mittlerzeit zumauren lassen, dann ihnen damals der Markt Wehrd zugehört, daraus eine Irrung zwischen ihnen und dem Rat entstanden, so hernach durch einen Ver­ trag hingelegt worden ..." (MA I, 464). Entscheidende Zäsuren im Leben der mittelalterlichen Orte und die kleinen Gemeinden in ihrer gesamten Existenz bedrohende Tatsache bildeten die Epi­ demien. An erster Stelle steht die Pest, die im Nürnberger Raum periodisch auftauchte.65 1338 anläßlich einer großen Heuschreckenplage und 1349 wurden die Juden von Nürnberg der Brunnenvergiftung beschuldigt. Für die Juden vieler kleinerer Gemeinden diente der Nürnberger jüdische Friedhof im Mittelalter als Zentralfriedhof.66 In Zeiten der Epidemien ergab dies enorme praktische Probleme der Beerdigung. Extrem schwierig bzw. unmöglich gemacht wurden die Beerdigungen für diese Gemeinden, als durch den Bau der letzten Stadtmauer (am Äußeren Läufer Tor ab 1377) der jüdische Friedhof innerhalb der Stadt zu liegen kam und der Rat der Stadt die Tore in Krisenzeiten schließen ließ.67 Urkundlich läßt sich bis jetzt nicht klären, wo die kleineren Gemeinden dann ihre Toten beerdigten. Wenn auch zu dieser Zeit in Wöhrd wahrscheinlich keine Juden mehr wohnten, so soll, aus vielen erhal­ tenen Anordnungen ausgewählt, folgender Ratsverlaß vom 9. August 1494 ein anschauliches Beispiel für die Reaktion der Stadt geben: Item nachdem untter der Judischeyt die pestilentz so hefftigklich regiert, so ist verlassen, den Juden ernstlich ze sagen, daz sie hinfur nit vil untter die leutte geen und zu voran sollen sie das rathaws gantz meiden bei peene eins rats mercklicher straff: herr Jacob und Hans Rumei Auch dabei zu erkunden eins todten Juden halb, der unerlaubt sol herein gefurt sein [zur Beerdigung], und wo sich das erfindet, sol die peene nach laut der stat gesetz von dem Judenrat genommen werden. * (Stern 310 f.) DAS LEBEN IN WÖHRD. In normalen Zeiten verlief es mit Sicherheit ruhiger als in der mittelalterlichen Großstadt Nürnberg. Doch sorgten die hohen jüdischen Feiertage, eine Beschneidung, Hochzeit oder Bar Mitzwa (Konfirmation) stets dafür, daß die Juden von Wöhrd keine sog. „Dorfjuden“ waren. Diese Ereignisse, die man meist in der Synagoge in der Stadt feierte, oder die Konsultationen des Rabbiners in religiösen oder juridischen Belangen,

64 In der zweiten Hälfte des 14. Jh. 65 Und zwar: 1313—16, 37, 49, 55, 63, 76/77, 88, 94; 1407, 27, 37, 49, 62/63, 75/76, 83, 86,93/94; 1435 herrschte eine weitere nicht näher bekannte Seuche. Zusammengestellt nach: MA II; Jung­ kunz 293 f. Über die Zahl der Todesfälle z. B. Ao. 1437 vgl. MA II, 327; StChr 4, 154. 66 Näheres darüber Seidl 30 f.; über seine genaue Lage s. Kohn. 67 Für die Christen von Wöhrd war die Lage ähnlich. Ihre Kirche und ihr Friedhof war St. Sebald. In den Kampf um eine eigene Kirche und einen eigenen Friedhof, was ihnen erst 1431 geneh­ migt wurde, schaltete sich sogar der Papst 1423 ein; Weigel 274—277.

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um nur zwei Beispiele zu nennen, machten die Juden von Wöhrd zu einem integrierten Teil der jüdischen Gemeinschaft von Nürnberg. Wo die kleine jüdische Gemeinde von Wöhrd wohnte, konnte bisher noch nicht festgestellt werden, doch ist am wahrscheinlichsten das sog. Wassertorviertel, nächst der Pegnitz gelegen, da die Juden dort auch die Mikwe (rituelles Bad) einrichten konnten. Wovon konnten die Juden von Wöhrd leben? Grundsätzlich galten die vielen einzelnen Ordnungen der Reichsstadt für sie genauso wie für die Juden der Innenstadt, nur daß sie zusätzlich eingeschränkt waren, da sie bis 1427 keine Bürger der Stadt waren. Erlaubt waren der Geld-, Pfand-, Fleisch- und Pferdehandel, Kaufmannschaft und Handwerk jedoch nicht.68 Aber auch Ver­ änderungen in den Bestimmungen und damit in der Erwerbstätigkeit zeigen, wie streng die Reichsstadt die Bestimmungen über Fleisch (hierbei ist zu beachten, daß für Juden nur koscher geschlachtetes Fleisch in Frage kam) handhabte. Heißt es Anfang des 14. Jahrhunderts noch: „Swelgast, der herein vert, oder ein uzman [— Ausmann] furet das fleisch her in die stat, daz Juden [außerhalb] geslagen haben, der sol ez verkoufen under den Juden-penken und [wojanders niendert. Swer daz brich et, der gibt auch die vorgesprochen buz.

-Mozze B mö­ gest. 1416 in Nbg.

4)i)

—Sberl(ein)— (v.)Werd(e) [= Abraham] oo Schön —May(e)rllj von V/erde 1475

-Feysch/ Feisz** [=Feibusch] —Jeks/ Jakof Werdt 1497?

Jacob von ooL-Bela--Mosse Werde gest. Witwe 1475 1466/7-78 in ca.1466 —T.Süss(lein f— -Hester Regensburg [^Esther] von Werde 1476 -T.Rösel --1476

-T.Hen­ del [=Hinda]

-Tochter oo Mendel'W v.Werde IN REGENSBÜRG

oo ? (

verheiratet mit Zuordnung unsicher ) Schreibvarianten

*—T. verheiratet in Taus(Böhmen)

B Bürger in Nürnberg T. Tochter [=] hebr.Name

1) Im Regensburger Judenprozeß 1476-8o gefangengenommen. 2) 1478 Prozeß in Regensburg gegen Bela - Angehörige bürgen bzw. erklären Urfehde. 3) Varianten: Bele(i)n; Pelein Jacob Jüdin von Werd; Jacob Jüdin.

4-)aus:Nürnberg(Reg.Imp.XI,53o2; Reg.Imp.VI 1,568; Stern 54f., 57f.,269-71jMüller 47f.,51; Eckstein 11,229. - Regensburg (Stern 11,372,374,377; Straus(Urk.) s.Namensregister.)

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hoch, daß eine eigens im Sommer 1476 in Nürnberg einberufene Rabbinerkon­ ferenz beschloß, alle bayerischen Gemeinden müßten den Regensburger Glau­ bensgenossen helfen. Sie wurde deshalb in Nürnberg einberufen, da die Juden Nürnbergs, nach Regensburg, die Nächstbedrohten waren, wie wir aus dem Sendschreiben des Rabbiners Joseph Kolon in Pavia an die jüdischen Gemeinden in Bayern erfahren.81 Im März 1478 kam Bela, Witwe des Jacob von Werde82, ins Regensburger Gefängnis. Sie wurde im Zusammenhang mit dem Passauer Hostienfrevel­ prozeß (1477; in dessen Folge die Juden aus dieser Stadt vertrieben wurden) des Hostienhandels angeklagt. Ihr Bruder Strölein von Schwabach reiste nach Regensburg und bemühte sich um ihre Freilassung.83 Dies geschah jedoch erst nach der Intervention Kaiser Friedrichs III. bei der Reichsstadt Regensburg und der Urfehde durch Bela am 26. November 1478. Angehörige bürgten für sie. Nicht unerwähnt bleiben dürfen die Missionspredigten des Petrus Nigri 1474/75 in Regensburg, vom Mai bis Juni 1478 in Nürnberg84, sowie im Anschluß daran in Bamberg. Dort kam es, unter Hinweis auf den Trientiner Prozeß, zur ersten großen und ernsthaft durchgeführten Ausweisung der Juden aus dem gesamten Hochstift Bamberg.85 In Nürnberg selbst werden 1478 in der sog. Reformation (Neue Polizeiordnung) auch die Bestimmungen über die Juden neu formuliert, wogegen diese verständlicherweise protestie­ ren.86 Eine letzte Quelle aus den Ratsbüchern der Stadt gibt uns Klarheit über das Schicksal der kleinen jüdischen Gemeinde von Wöhrd: Item den [Bewohnern] von Werde und den von Gostenhofe, auch allen der statt und der iren undertan(!) in der meyle [=7.5 km] zu verbieten, kain Juden über nacht zu halten bei einer pene [= Strafe] alle nacht 1 flor [enus]“ Dies wurde zwischen dem 24. Februar und dem 24. März 1479 angeordnet.87 Zwanzig Jahre später wurden auch die Juden der Innenstadt nicht mehr in der Reichsstadt Nürnberg geduldet.

81 82 83 84 85 86 87

Responsa Nr. 4; s. Winter II, 548—550; gekürzt bei Ehrlich 47—49. Möglicherweise der 1442 (s. d.) in Nürnberg Erwähnte. Straus (Urk.) 160, 468 f., 471, 473. Vgl. Müller 44 f. Vgl. Eckstein II, 14 f. Vgl. Würfel 33, 96. Stern 304 Nr. 98; vgl. Müller 42, 311 Anm. 295.

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VII. ALLGEMEINES ZU DEN URKUNDENREGESTEN a) Daten sind aus Platzerspamisgründen fast durchweg in der heutigen Form wieder­ gegeben. b) Eckige Klammern zeigen Ergänzungen oder Erklärungen an, die nicht im Original stehen. c) Häufig erwähnte Zinsdaten: Walpurgis = 1. Mai; Michaelis = 29. September. d) Abkürzungen bei Währungsangaben: rh.,rhn. = rheinisch = Gulde(i)n fl. sh. = Schilling = Heller hlr. = „werung“, Währung w. Lw. = Landwährung

VIII. ABKÜRZUNGEN UND LITERATURHINWEISE ADB Allgemeine Deutsche Biographie, 1875 ff. Baader, Joseph (ed.), Erhard Schürstabs Beschreibung des ersten Markgrafenkrieges gegen Nürnberg (= Quellen zur bayerischen und deutschen Geschichte Bd. 8). München 1860. Bav. Lat. Bavaria Latina. Lexikon der lateinisch geographischen Namen in Bayern. Ladislaus Buzäs, Fritz Junginger. Wiesbaden 1971. (Ergänzt und verbessert das ältere Buch von J. Graesse/F. Benedict, Orbis Latinus.) Bosl, Karl (ed.), Bosls Bayerische Biographie, Regensburg 1983. (Die angesprochenen Artikel sind von Erika Bosl.) Dannenbauer, Heinz, Die Entstehung des Territoriums der Reichsstadt Nürnberg. Stuttgart 1928. Eckstein, Adolf, Geschichte der Juden im Markgrafentum Bayreuth. Bayreuth 1907. — II, Geschichte der Juden im ehemaligen Fürstbistum Bamberg. Bamberg [1898]. Ehrlich, Ernst Ludwig, Geschichte der Juden in Deutschland (Geschichtliche Quellen­ schriften). Düsseldorf 19685. HAB1NF Historischer Atlas von Bayern, Franken Heft 4, Nürnberg-Fürth. H. H. Hofmann (ed.), München 1954. Haenle, Siegfried, Geschichte der Juden im ehemaligen Fürstentum Ansbach. Ansbach 1867. Heilsbronn Urkundenregesten des Zisterzienserklosters Heilsbronn. 1. Teil 1132—1321 (= Veröffentlichungen der Gesellschaft für fränkische Geschichte, III. Reihe, 3. Band); Bearb. von Günther Schuhmann und Gerhard Hirschmann. Mün­ chen 1957,. JHVM Jahresbericht des Historischen Vereins für Mittelfranken. JJLG Jahrbuch der Jüdisch Literarischen Gesellschaft. Jungkunz, Walter, Die Sterblichkeit in Nürnberg 1714—1850, zugleich ein Beitrag zur Seuchengeschichte der Stadt. MVGN 42 (1951), 289—352. Keyser 1 Keyser, Erich u. Stoob, Heinz (ed.), Bayerisches Städtebuch (= Deutsches Städtebuch Bd. V), Stuttgart 1971. Teil 1 (Unter-, Ober-, Mittelfranken). Keyser 2 Teil 2 (Ober-, Niederbayern, Oberpfalz, Schwaben). Kohn, Karl, Die Lage des Nürnberger Judenfriedhofs im Mittelalter. MVGN 70 (1983), 13—27.

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Günter Seidl

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DER VERSUCH HERZOG WILHELMS V. VON BAYERN, DAS REICHSHEILTUM IN SEINEN BESITZ ZU BRINGEN

„heltiimb, die ich denn allenthalben zusamenklaube, wo ich nur khan“1 Von Uwe Müller

I Im Zusammenhang mit der Münchner Wittelsbacher-Ausstellung des Jahres 1980 begann sich die Forschung wieder verstärkt mit der Kunstpolitik der Wit­ telsbacher zu befassen2. Im Mittelpunkt standen dabei die Entstehung und der Ausbau der berühmten Kammergalerie Herzog Maximilians I., deren Bestände nicht nur den Sammeleifer des Herzogs bezeugen, seine Kennerschaft — galt doch Maximilian in den Augen seiner Umwelt geradezu als Kunstexperte3 —, sondern auch die Weite seines Sammlerhorizontes, der beileibe nicht auf Dürer beschränkt war. Neben der von seinem Vater Wilhelm V. übernommenen Gemäldegalerie vermehrte er auch dessen Bibliothek und Reliquiensammlung reich. Vater und Sohn machten sich in ihrer Sammelleidenschaft die politischen und religiösen Konflikte des Zeitalters der Glaubensspaltung zunutze. Scheute Maximilian vor „politische(r) Repression als Mittel zum Kunsterwerb“4 nicht zurück, so profitierte Wilhelm V., der Fromme genannt, als Sammler vom Zeitalter der Glaubenskämpfe dadurch, daß „die begehrten Reliquien vor

1 HStA, GR 513/65a; Herzog Wilhelm an Erzherzog Ferdinand (Landshut, 1590 August 10). 2 Hubert Glaser (Hg.), Quellen und Studien zur Kunstpolitik der Wittelsbacher vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, München/Zürich 1980 (= Mitteilungen des Hauses der Bayerischen Geschichte I); Hubert Glaser (Hg.), Wittelsbach und Bayern. Beiträge zur Geschichte und Kunst 1573—»1657, München/Zürich 1980 (= Wittelsbacher-Katalog Bd. II/l); Hubert Glaser (Hg.), Wittelsbach und Bayern. Um Glauben und Reich — Kurfürst Maximilian I., München/ Zürich 1980 (= Wittelsbacher-Katalog Bd. II/2). Ältere Literatur: Walter Koschatzky, Alice Strobl, Die Dürerzeichnungen der Albertina, Salzburg 1971; Anton Emstberger, Kurfürst Maximilian I. und Albrecht Dürer — Zur Geschichte einer großen Sammelleidenschaft, Nürn­ berg 1954 (= Anzeiger des Germanischen National Museums 1940/1953); Joseph Weiß, Kur­ fürst Maximilian I. als Gemäldesammler, in: Historisch-politische Blätter für das katholische Deutschland 142, München 1908, S. 545—569,640—654, 761—773; Franz von Reber, Kurfürst Maximilian I. von Bayern als Gemäldesammler, München 1896. 3 Wittelsbacher-Katalog II/2, S. 501: daß Maximilian nicht gewohnt sei, Gutachter zuzuziehen, „sondern dergleichen künstliche Stuck besser als alle Maler miteinander allhie können“ (Hof­ kammerrat Widmann). 4 Peter Diemer, Materialien zur Entstehung und Ausbau der Kammergalerie Maximilians I. von Bayern (in: Glaser, Quellen und Studien, S. 129 ff.), S. 144; s.a. Weiß, S. 554 f. und Benno Hubensteiner, „Jetzt seid Ihr Fürstenknechte“. Das „Fränkische Problem“ in der Bayerischen Geschichte, in: Merian-Heft 6/34, Nürnberg, Hamburg o. J., S. 54.

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allem aus den protestantischen Gebieten verhältnismäßig einfach“5 zu bekommen waren, da der Protestantismus die Reliquienverehrung verurteilte. Bereits 1577 erhielt Wilhelm die päpstliche Erlaubnis, Reliquien zu erwerben, begann jedoch erst einige Jahre später systematisch zu sammeln6, wobei er nicht davor zurückschreckte, List und Gewalt anzuwenden oder anwenden zu lassen. II Schon Riezler hat den Dekan des Sankt-Nikolaus-Stiftes zu Spalt, Wolfgang Agricola, als „rührigen Vermittler“7 in Sachen Reliquien namhaft gemacht und auf dessen Korrespondenz mit dem Herzog aus den Jahren 1584—1596 hinge­ wiesen 8, die Ulsamer dann in seiner Dissertation über den Spalter Dekan aus­ gewertet hat9. Bislang unbekannt blieb aber, der — in dieser Korrespondenz nicht enthal­ tene — Versuch Herzog Wilhelms mit Hilfe Agricolas auch das in der Reichs­ stadt Nürnberg verwahrte Reichsheiltum in seinen Besitz zu bringen10, wobei sowohl der fromme Herzog als auch der rührige Kirchenmann die Anwen­ dung moralisch sehr bedenklicher Mittel in Betracht zogen, galt es doch, das „hochwirdigste kaiserliche heiligthum“11, einen der kostbarsten Reliquien­ schätze der katholischen Christenheit aus den Händen der Protestanten zu retten, die den Reichskleinodien sakrale Bedeutung nicht mehr zubilligen konnten und deren Standpunkt der Nürnberger Ratsschreiber Johannes Müllner in seiner Antwort auf zwei im Jahre 1629 erschienene Pamphlete des Bamberger Weihbischofs Friedrich Förner12 wie folgt zum Ausdruck brachte: „Ein e. rath zu Nürnberg hat, von zeit ausgemusterten pabstumbs den kayßerl. ornat und insignia imperii, bey crönung römischer kayßer und könige, jederzeit an orth und ende, da solche crönung verrichtet worden, durch ihre 5 6 7 8 9

Wittelsbacher-Katalog II/2, S. 247, Die Reliquienkammer. Ebenda. Sigmund Riezler, Geschichte Bayerns, 4. Band, 1508—1597, Gotha 1899, S. 634, Anm. 2. HStA, Abt. III Geheimes Hausarchiv, Akt Nr. 609, XV. Willi Ulsamer, Wolfgang Agricola, Stiftsdekan von Spalt (1536—1601). Ein Beitrag zur Geschichte des Klerus im Bistum Eichstätt, Kallmünz/Opf. 1960 (= Schriften des Instituts für fränkische Landesforschung an der Universität Erlangen, Bd. 9); insbes. S. 101 ff. 10 Herrn Archivdirektor Dr. Wild vom Bay. HStA danke ich für den Hinweis auf den bislang unbekannten Vorgang. u Staatsarchiv Nürnberg, Nürnberger Handschriften 399a: Wie das hochwirdigst auch kaiserlich heiligthum und die grossen römischen gnad darzu gegeben alle jaer außgerüft und geweist wirdt in der löblichen statt Nürnberg., Nürnberg 1487 (Druck von Peter Vischer). 12 Zu Förner (1568—1630) s. Lothar Bauer, Friedrich Förner, in: Gerhard Pfeiffer (Hg.), Fränki­ sche Lebensbilder. Neue Folge der Lebensläufe aus Franken, 1. Bd., Würzburg 1967, S. 182 ff. Nach Bauer (S. 208) erschienen die zwei Schriften, auf die sich Müllner (1565—1634) bezieht (s. Anm. 13), 1629 unter dem Pseudonym Christian Erdmann.

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Herzog Wilhelm V. und das Reichsheiltum

rathsfreund liffern lahsen, damit auch die römische kayßer und könige alle­ mahl zufriden geweßen , dann solches ist der rechte gebrauch dießer insignium imperii, dem mißbrauch aber, nehmlich die abgötterey, so mit dem andren quisquiliis getrieben worden, hat der rath als ein gottsfürchtiger magistrat billig abgeschaft und damit ihre bürgerschaft von solchen idolis ab- und auf Christum gewiesen“.13 Diesem Standpunkt entsprechend hatte die Reichsstadt mit der Reformation auch die — mit einem Ablaß verbundene — alljährlich am Fest der Heiligen Lanze (zweiter Freitag nach Ostern) durchgeführte Heiltumsweisung, die öffentliche Zurschaustellung des in Nürnberg verwahrten Reichsheiltums, bei der den Gläubigen14 in drei Umgängen die einzelnen Teile des Heiligtums gewiesen wurden, eingestellt: im ersten Umgang die Reliquien der Kindheit des Herrn, im zweiten Umgang die Reichsinsignien als die Reliquien des hei­ ligen Kaisers Karl und im dritten Umgang die Reliquien des Leidens Christi15. Über den Ablauf dieser Heiltumsweisungen gibt das 1487 erstmals gedruckte sogenannte Nürnberger Heiltumsbüchlein Aufschluß16. Dieses Büchlein steht am Beginn eines „zahlreiche Titel umfassenden Reichskleinodienschriftums“17, das seine Blütezeit erlebte in der von Katholiken und Pro­ testanten mit polemischer Schärfe geführten Auseinandersetzung um den Besitz des Reichsheiltums und in deren Zusammenhang auch die oben zitierten Schriften und Pamphlete Müllners und Förners stehen18. In dieser Diskussion

13 Johannes Müllner, XXI. Relation, pag. 39, in: Stadtarchiv Nürnberg, Nürnberger Chroniken 11b. Titel der Relation: „Wann und mit was gelegenheit der kaißerl. ornatt und reichscleinodien, wie auch das bey demselben sich befindende heiligthum, in die statt Nürnberg gebracht und in des raths Verwahrung auf etwig befohlen worden ist etc. Hierbey ist zu finden, was von dem ausgesprengten schmachschriften, welche intituliret werden: „Relatio Historico-Paraenetica, de Sacrosanctis Imperii Reliquiis“ item „Norimberga in flore“ etc. derer wahrer author Dr. Fridrich Förner, weybischoff zu Bamberg seyn soll, inhalten seye ...“ 14 S. Julia Schnelbögl, Die Reichskleinodien in Nürnberg 1424—1523, in: MVGN 51, 1962, S. 78 ff., S. 122; s. a. Johannes Müllner, Die Annalen der Reichsstadt Nürnberg von 1623, Teil II: Von 1351—1469, hg. von Gerhard Hirschmann, Nürnberg 1984, S. 243 ff. 15 S. Anm. 30. 16 S. Anm. 11. 17 Nikolaus Grass, Reichskleinodienstudien, in: Sitzungsberichte der öster. Akad. der Wissen» schäften, phil.-hist. Klasse, Bd. 248, 4. Abh., Wien 1965, S. 8; zu der Arbeit von Grass s. a. Albert Bühler, Kloster Stams, München, Nürnberg und die Reichskleinodien unter Karl IV. in: MVGN 55, 1967/68, S. 72 ff; zu Bühler s. Günther Schuhmann, Der Reichskleinodienforscher Albert Bühler (1896—1980) und sein Nachlaß, in: MVGN 68, 1981, S. 342 ff. (Bibliographie von Bühlers Abhandlungen zur Geschichte der Reichskleinodien, S. 344 f.). 18 S. Grass, S. 8; s. a. Emil Reicke, Geschichte der Reichsstadt Nürnberg von dem ersten urkund­ lichen Nachweis ihres Bestehens bis zu ihrem Übergang an das Königreich Bayern (1806), Nürnberg 1896, S. 382 ff; ausführliche Aufzählung dieses Schrifttums bei Stephan Pütter, Litteratur des Teutschen Staatsrechts, 3. Teil, Göttingen 1783, § 903—§ 906 (S. 109 ff.) und Ludwig Klüber im 4. Teil von Pütters Werk, Erlangen 1791, § 903—§ 906 (S. 153 ff.).

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beriefen sich die protestantischen Reichsstädter auf König Sigmunds Urkunde vom 29. September 1423, in der er verfügt hatte über „unser und des heiligen reichs heiligtum“19: „Also das das furbas doselbst zu Nuremberg von uns und allen unsern nachkommen römischen keisern und kunigen unwiderruflich ewiclichen bleiben und sein sol“.20 Die Katholiken bezogen sich dagegen auf die Bulle Papst Martins V. vom 31. Dezember 1424, die „das Recht der Aufbewahrung (des Reichsheiltums) vom Verbleiben Nürnbergs beim katholischen Glauben abhängig gemacht hatte“21: „Nos igitur . . . confirmamus et etiam approbamus, statuentes nihilominus irrefragabiliter et etiam ordinantes, quod amodo reliquie et insignis ipsa in eadem civitate perpetuo venerabiliter conserventur, ita quod amodo cuicumque persone seu communitati vel congregationi aut potestati cuilibet reliquias et insignia ipsa extra dictam civitatem, nisi forsitan, quod Deus avertat, contingeret populum illius a fide deviare catholica, nequaquam liceat exportare vel extrahere aut alias alienare quoquo modo .. .w.22

19 Staatsarchiv Nürnberg, Kaiserliche Privilegien Nr. 283, zitiert nach Christoph Gottlieb von Murr, Diplomatarium Lipsano-Klinodiographicum S. Imp. Rom. Germ, ab A. 1246 ad A. 1764, in: Journal zur Kunstgeschichte und zur allgemeinen Literatur Teil XII, Nürnberg 1784, S. 35 ff., S. 77. 20 Ebenda, S. 79; Die einzige Einschränkung Sigmunds —„wer aber sache, do Gote für sey, das wir einen widerstant in dem reiche gewinnen und ymand an dem reiche wider uns ufgeworfen wurd, so sollen sie uns dasselbe heiligtum wider antworten gen Pilzen oder gen dem Elbogen“ (zitiert nach Murr, S. 79) — konnte naturgemäß in der späteren Diskussion keine Rolle mehr spielen. 21 Wilhelm Schwemmer, Die Reichskleinodien in Nürnberg 1424—1796—1945, Manuskript eines Vortrages vor dem Verein für Geschichte der Stadt Nürnberg vom 8. Januar 1974, S. 5 (Stadt­ archiv Nürnberg, QNG 297). 22 Staatsarchiv Nürnberg, Reichsstadt Nürnberg, päpstliche und fürstliche Privilegien Nr. 189, 1424 Dezember 31 (Druck bei Murr, S. 103 ff.).Übersetzung: Wir bestätigen also und billigen auch, setzen nichtsdestoweniger unerschütterlich fest und befehlen, daß von nun an diese Reli­ quien und Insignien in derselben Stadt in verehrungswürdiger Weise auf ewig aufbewahrt werden, so daß von nun an keiner Person oder Gemeinschaft oder Kongregation oder irgend­ einer Macht erlaubt sei, diese Reliquien und Insignien aus der besagten Stadt fortzuschaffen oder herauszuführen oder sie ihr auf irgendeine andere Weise zu entfremden, außer es geschähe vielleicht, was Gott verhüten möge, daß ihre Bevölkerung vom katholischen Glauben abirre.

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Herzog Wilhelm V. und das Reichsheiltum

III Allerdings besaßen weder Herzog Wilhelm V. noch der Spalter Dekan Wolf­ gang Agricola zunächst derart subtile Kenntnisse23. Ein detaillierter Fragenka­ talog 24 — vom Herzog selbst aufgestellt oder zumindest in seiner Umgebung entstanden — läßt vielmehr erkennen, daß die Kenntnisse über die rechtlichen Grundlagen und die tatsächlichen Umstände der Aufbewahrung des Reichsheiltums in der Kirche des Heilig-Geist-Spitals zu Nürnberg lückenhaft waren. Die 32 Fragen des Katalogs lassen aber auch den Schluß auf die Absicht ihres oder ihrer Verfasser zu. Insbesondere die tatsächlichen Umstände der Aufbewahrung sollen bis ins Detail erforscht werden: von der Anzahl der Schlösser des Schreines bis hin zu den materiellen Verhältnissen seiner Hüter, von der Entfernung der Kirche vom Stadttor bis hin zu den nächtlichen Öff­ nungszeiten der Kirche. Darüber hinaus ist für den Verfasser auch die in der Bevölkerung und bei den protestantischen Predigern herrschende Meinung über den Reliquienschatz von Interesse. Schließlich begehrt er zu wissen, wie­ viele Katholiken es in Nürnberg gebe und welche davon die Vornehmsten seien. Am 26. Juli 1584 gibt Agricola dem Herzog einen ersten brieflichen Bericht25 über seine Bemühungen in Nürnberg. Er, Agricola, habe „mit rath und hilf noch gueter frummer cathohscher leut“26 den Spitalmeister im Neuen Spital (= Heilig-Geist-Spital) „dermaßen bestochen“27, daß dieser ihn das Heiltum gewiß hätte sehen lassen, wenn nicht die „eltisten herren*28 des Rates allein die Schlüssel aufbewahrten, ohne deren Wissen das Heiltum nicht zu besichtigen sei. Der Spitalmeister habe ihm allerdings zum Abschreiben anvertraut das „buch wie es aller dings gehalten worden, was summus pontifex de Ordinarius darüber geben und was dan für stuckh gezaigt worden“29, um eine Abschrift anzufertigen. Diese Abschrift legt Agricola seinem Brief an Wilhelm bei. Sie beinhaltet eine stichpunktartige Zusammenfassung des Ablaufes der Heiltumsweisung, bei der die einzelnen Stücke des Reichsheiltums, wie bereits erwähnt, dem Volke in drei Umgängen gewiesen wurden30. Im ersten Umgang die Reli­ quien der Kindheit des Flerrn: einen Span von der Krippe Christi, einen Arm 23 Agricola scheint zunächst nicht gewußt zu haben, daß es sich bei dem ins Auge gefaßten Reli­ quienschatz um das Reichsheiltum handelte, berichtet er doch dem Herzog, daß er erst erfahren habe, „das man es des Heiligen Römischen Reichs heilthums genent“ (Agricola an Herzog Wil­ helm, 1584 Juli 26; HStA, GR 513/65a). 24 HStA, GR 513/65a. 25 Ebenda. 26 Ebenda. 27 Ebenda. 28 Ebenda. 29 Ebenda. 30 Zur Zeremonie s. Schnelbögl, S. 116 ff.

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Annas, der Mutter Mariae, einen Zahn Johannes des Täufers, ein Stück vom Rock des Evangelisten Johannes und drei Kettenglieder der Apostel Petrus, Paulus und Johannes. Im zweiten Umgang die Reichsinsignien als die Reli­ quien des heiligen Kaisers Karl: die Krone, eine weiße, eine schwarze, eine braune Dalmatica, drei Stolen, zwei Paar Schuhe, zwei Handschuhe, zwei Hosen, zwei Sporen, zwei Gürtel, drei Äpfel mit Kreuzen, zwei Szepter, das Schwert Karl des Großen, das ihm von einem Engel Gottes gebracht worden ist, das Schwert des heiligen Mauritius. Im dritten Umgang die Reliquien des Leidens Christi: ein Stück vom Tischtuch des Abendmahls, ein Stück vom Schürztuch, mit dem Christus seinen Jüngern bei der Fußwaschung die Füße getrocknet hat, fünf Dornen von der Dornenkrone, ein Stück vom Kreuz und die Heilige Lanze, mit der Longinus dem Herrn die Seite geöffnet hat, mitsamt einem eingelassenen Nagel von der Kreuzigung. Bei dem Buch, in das Agricola Einsicht nehmen durfte, könnte es sich um das verlorene Heiltumbuch31 gehandelt haben oder aber um das bereits erwähnte Heiltumsbüchlein von 1487/93, das fast 100 Jahre nach seiner Entste­ hung und 60 Jahre nach dem Verlust seiner Aktualität durch die Einstellung der Heiltumsweisungen wohl schon sehr selten geworden war. Weder Wil­ helm noch Agricola scheinen zuvor davon Kenntnis gehabt zu haben. Agricola schließt seinen Bericht an den Herzog mit folgender Beurteilung der Lage: „Und wan ich nit so nahent (= in Spalt) sunder etwa in dem landt zu Bayern oder anderswo mein wohnung haben sollt und die kayserlichen majestat, als derer es als einem khunig in Behem gebürt, zu einem gehulfen haben solt, getrauet ich es mir sauber von inen als derer zeit ketzern herauszu­ bringen“.32 Darüber wolle er aber lieber mündlich als schriftlich mit dem Herzog reden. In einem Postscriptum bringt er schließlich den Vorschlag, daß die katholischen Reichsstände auf einem Reichstag die Transferierung des Heiltums an einen katholischen Ort begehren sollten, was man ihnen wohl werde zugestehen müssen, da Kaiser Sigmund, als er wegen der drohenden Hussitengefahr das Heiltum in Böhmen in Gefahr glaubte, dieses nicht den Nümbergern allein, sondern „dem genczen heiligen römischen reich teutscher nation . . . genedigist verehret und frey ubergeben“33 habe, daß Nürnberg — mitten im Reich liegend — lediglich von Reichs wegen als „aufbehaltnerin“ eingesetzt worden sei und daß die Nürnberger aber ihre Religion seither geän­ dert hätten und dieses Heiltum nicht mehr wie früher „venerierten“. Am 24. August 1584 greift Agricola diese Argumentation in modifizierter Form wieder auf, als er dem Herzog schreibt, daß er den Heiltumsschrein nun­ mehr wenigstens von außen habe sehen können — der im Neuen Spital an vier 31 S. Schnelbögl, S. 149 ff. 32 HStA, GR 513/65a (Agricola an Herzog Wilhelm, 1584 Juli 26). 33 Ebenda.

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Herzog Wilhelm V. und das Reichsheiltum

Ketten im Gewölbe in Mannshöhe aufgehängt sei und der die Form „wie eine guete lange raißtruhen“34 habe und in dessen Inneren in einem zweiten eisernen „Sarg“ der eigentliche Heiltumsschrein, ein silberner „Sarg“, liege— in Beglei­ tung von „etlichen welschen heren“35, mit denen er auch vertraulich geredet habe. Auch sie seien der Meinung gewesen, daß „unmuglich etwas damit außzurichten“ sei und daß man nichts überstürzen solle. Aber, so schließt Agricola:„Es soll ein revers, was gestalt sich damals ein erbarer rath gegen khaiser Sigmunden dises empfangenen heilthumbs halben verschriben vorhanden sein, und wan man denselben khunte zue hant bringen, heten die ertzherzogen von Österreich, darunter ich dan unsere gnedigiste frauen, E.F.G. frau muter zele, ein gar befugte anforderung, dan es solicher gestalt und an disen orthen weder Got noch den menschen gar nicht nutzete“.36 Trotz der Geheimhaltungspolitik des Nürnberger Rates ist es Agricola gelungen, bis nahe an den entscheidenden Punkt vorzustoßen: der Frage der Religionszugehörigkeit der Nürnberger Heiltumshüter. Agricola hält es für möglich mit Hilfe alter Urkunden und familiärer Beziehungen des Herzogs — Wilhelms Mutter, Herzog Albrechts V. Frau, Anna von Österreich (1528—1590) war eine Tochter Kaiser Ferdinands I. — gegen die protestan­ tisch gewordenen Nürnberger vorzugehen. Offensichtlich kennt er aber die Bulle Papst Martins V. nicht — sonst hätte er seine Argumentation nicht auf die katholischen Reichsstände und der Kaiser beschränkt — die, wie oben zitiert37, einen Zusammenhang zwischen Religionszugehörigkeit und Recht der Aufbewahrung des Heiltums festgestellt hatte. Ebenso ist ihm anscheinend unbekannt, daß die Nürnberger, als sie 1443 mit der Weigerung König Fried­ richs III. die Privilegien Sigmunds zu bestätigen und mit der Herausgabeforde­ rung des Königs konfrontiert wurden, sich von der Universität Padua ein Rechtsgutachten anfertigen ließen38, das zu dem Ergebnis kam, daß nur der päpstliche Widerruf aber nicht der eines königlichen Nachfolgers rechts­ wirksam werden könne, daß die Übertragung Sigmunds, die ohne ausdrück­ liche Zustimmung der anderen Kurfürsten erfolgt sei, Gültigkeit besitze, da sie vom Papst bestätigt worden sei, der rangmäßig über dem Kaiser stehe. Außerdem habe es sich um die Übertragung von Reliquien gehandelt. Die Auffassung aller Teile des gesamten Reichsschatzes als Reliquien ist erstmals feststellbar in der Übergabeurkunde Ludwigs des Brandenburgers für Karl IV. (1350 März 12), in der Ludwig den Reichsschatz als „reliquias sacri imperii“39

34 35 36 37 38 39

HStA, GR 513/65a (Agricola an Herzog Wilhelm, 1584 August 24). Ebenda. Ebenda. S. Anm. 22. S. Schnelbögl, S. 98 f. Schnelbögl, S. 85.

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bezeichnet. Diese Entwicklung wurde von Karl IV. noch betont, indem er vom Papst die Einführung des Festes der Heiligen Lanze und die Verleihung eines Ablasses erwirkte. Auch Sigmund hob den Reliquiencharakter hervor, als er in der Übergabeurkunde von „unser und des heiligen reichs heiligtum“40 sprach. Gleichzeitig aber betonte er die politische Komponente, die die Reichskleino­ dien als Herrschaftszeichen, als Verkörperung des Reiches darstellten, indem er die Kleinodien in reichsstädtische, nicht in kirchliche Obhut gab: „Ouch sol kein priester domit zu schiken, noch dheinen gwalt darüber haben, denn zu den czeiten, als man sulch Weisung tun sol, alsdann mag der rate dozu schiken, fugen und ordiniren wen sy wollen, und die pristerschaft sol sich sulchs gwaltes schikung aber anders nicht wenn mit geheiss des obgenannten rates underwinden an alles geverde*.41 Seinen reichsrechtlichen Verpflichtungen kam auch der protestantische Rat nach. Er sandte Reichsinsignien und Krönungsornat zu den Krönungen nach Frankfurt. Den Habsburger-Kaisern mochte es letztlich nach wie vor nicht unangenehm sein, den Reichsschatz in Händen einer Reichsstadt zu wissen — nicht nur kirchlichem Einfluß entzogen, sondern auch dem konkurrierender Fürstendynastien, wie etwa der Wittelsbacher42. Tatsache ist, daß sich Wilhelm den Spekulationen und Vorschlägen seines Spalter Konfidenten verschloß. Der Herzog, dem es als besessenen Reliquien­ sammler nicht genug gewesen sein dürfte, das Reichsheiltum in der Obhut irgendeines katholischen Reichsständes zu wissen, sondern der den persön­ lichen Besitz desselben anstrebte, bereitete den gewaltsamen Diebstahl des Reichsheiltums vor. Er ließ nicht nur den oben zitierten ausführlichen Fragen­ katalog ausarbeiten, es existiert auch ein von seiner eigenen Hand flüchtig hin­ geworfenes Konzept43 mit Anmerkungen zur Ausführung des Diebstahls:

40 S. Anm. 19. 41 Murr, S. 79. 42 Zu den Motiven Sigmunds bei der Übertragung des Reichsschatzes nach Nürnberg s. a. Wolf­ gang von Stromer, Oberdeutsche Hochfinanz 1350—1450, Teil II, S. 275 ff. (= Vierteljahr­ schrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Beiheft 56): „Die Symbole, die den echten König legitimierten, wurden „dem heiligen reiche und allen deutschen landen zu hülfe, zu tröste und zu eren“ durch die Überführung zu dauernder Verwahrung in des Reichs und König Siegmunds treuester — und uneinnehmbar befestigter — Stadt dem Zugriff parteilicher und die Einheit des Reichs bedrohender Gewalten im gleichen Augenblick entzogen, als der Bund der sechs Kur­ fürsten sich in feindseligster Weise gegen den König und zur Vorbereitung von dessen Thro­ nenthebung zusammenschloß“ (S. 280). So auch Walter Lehnert, Reichskleinodien und Heiltumsmesse in Nürnberg. Ausstellung des Stadtarchivs Nürnberg, Juni—September 1974, Nr. 14, s. a. Anm. 20. 43 HStA, GR 513/65a.

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„Nuernberg hälthumb 1 N. solle sich für lutterisch ausgebn und sich nit beweine. 2 Ain catholischeri Schlosser gesellen bej sich habn, mit seinem starken und gutten zeug, der solle sich auch nit anderst stellen, doch also des mhen in für khein Schlosser ansehe.

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Sollen gelts genueg habn. Nach den testimonijs unvermerkht fragen. Fragen wie oft mhens aufsch(l)us und sehen lasse. Corumpier. len die wherung anbiette. Nit vhan danen weichen, damit sy sich suspect machen, biss sy vermeinen es zeit sey. 9 Alles wider aufhengen. 10 Spalt44 sich whol fiersehe. 11 Ehist auss der statt bringe. 12 Alles wholbedechtlich und listig anghe“.45 Agricola, dessen Erfolg als Reliquienbeschaffer für Wilhelm V. nicht zuletzt auf seinem Sinn für Realitäten beruhte, betont dagegen in jedem der drei aufge­ fundenen Schreiben an den Herzog, daß des Herzogs Ambitionen nicht auf dem von diesem vorgeschlagenen Weg zu realisieren seien. So schreibt er am 1. August 1584: „Denn wan ich mitler zeit die khaiserlichen mayestet und E. D. zu gehulfen haben solt und nit so nahent am hofzaun sesse, wolt es wol darvon bringen“46. Mit dem gleichen Brief schickt er eine bildliche Darstellung des Heiltums nach München, die er „ausgeliehen“47 hatte, damit Wilhelm Gelegen­ heit habe, sie „abzureissen“48: „Ist mir dise tafel wunderbarlich hieher gebracht worden, welche wie die alten noch sagen khaiser Sigmund hochloblichister gedechtnis selbst abgerissen und mit dem heilthumb heraus geschickt. Die ist an stat wan man zum heilthumb nit khunt den leuten gezaigt worden“.49 Am 24. August 1584 bestätigt Agricola die Rückgabe50. Mit dem Brief Agricolas vom 24. August 1584 endet die Überlieferung zu diesem Versuch, das Reichsheiltum durch Diebstahl in den Besitz des bayeri­ schen Herzogs Wilhelms V. zu überführen. Offensichtlich konnte sich der Herzog nicht mit Agricolas Vorschlag befreunden, das Problem in die Sphäre der hohen Politik von Kaiser und Reich zu verlagern. Agricola hingegen

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„Spalt“: Wolfgang Agricola, Stiftsdekan zu Spalt. HStA, GR 513/65a. HStA, GR 513/65a (Agricola an Herzog Wilhelm, 1584 August 1). Ebenda. Ebenda. Ebenda. HStA, GR 513/65a (Agricola an Herzog Wilhelm, 1584 August 24).

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konnte wohl kaum seine Ansicht revidieren, daß die Sache für ihn allein zu gefährlich gewesen wäre. Der Herzog wußte trotzdem Agricolas Dienste zu schätzen: Die Hofzahlamtsrechnung weist für das Jahr 158451 unter dem Titel „abfertigung und gnadengelt“ einen Betrag von 200 fl. aus für „herm Wolfgango Agricolo, techant des stifts Spalt umb Sachen, so er seinen F. G. zuge­ bracht und verehrt hat“ zuzüglich 10 fl. „zörung“. IV Zu beantworten bleibt die Frage nach den Gewährsmännern Wilhelms und Agricolas in Nürnberg. Agricolas Angaben bleiben vage: Den Spitalmeister hat er „mit rath und hilf noch gueter frummer catholischer leut“52 bestochen, das nach München geschickte Gemälde ist ihm „wunderbarlich“53 gebracht worden, die politischen Dimensionen hat er „mit etlichen welschen heren“54 beredet. Genauere Auskunft gibt eine, dem schon mehrfach zitierten Fragen­ katalog angefügte Anmerkung, die an einen Ungenannten — vermutlich Agricola — adressiert ist und in der die Frage gestellt wird, ob es ratsam sei, „alles dem Imhoff zu verthrauen, was die puncten vermögen“55, weil daraus die Absicht das Heiltum betreffend erschlossen werden könne, „welchs doch in högster gehaim bleiben“56 solle und da unklar sei, ob dem Imhoff recht zu trauen sei „als einem Nürnberger und der religion halben . . . etwas zweiflichs“57. Aber, so schließt die Notiz: „Wollet derohalben sonst sehen, wie ir an verdacht eins und das ander erfahren mugt, es were dan sach das sich gemelter Wilwoldt Imhoff also vertreulich und aufrecht erzaiget, das ir ine auch ein meres verthrauen oder ansagen mecht“.58 Bei dem Genannten handelt es sich um Willibald II. Imhoff (1548—1595), den Sohn des als Kunstsammler berühmten Willibald I. (1519—1580), der durch seine Verwandtschaft mit dem Humanisten Willibald Pirckheimer in den Besitz vieler Werke aus dem Nachlaß Dürers gekommen war. Herzog

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HStA, Kurbayem, Hofzahlamt 30, fol. 315 r. HStA, GR 513/65a (Agricola an Herzog Wilhelm, 1584 Juli 26). Ebenda, 1584 August 1. Ebenda, 1584 August 24. HStA, GR 513/65a. Ebenda. Ebenda. Ebenda.

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Wilhelms Sohn, Maximilian I., wollte Jahrzehnte später zumindest Teile dieser Sammlung käuflich erwerben59. Aber nicht nur durch den Imhoffschen Kunstbesitz ergaben sich Kontakte zwischen ihnen und den Wittelsbachern: Das Handelshaus der Imhoffs mit seinen weltweiten Verbindungen unterhielt enge geschäftliche Beziehungen zu den bayerischen Herzogen60. Der wirtschaftlichen Potenz der Imhoffs ent­ sprach ihre politische Stellung in der Reichsstadt Nürnberg. Zu den vor­ nehmsten Geschlechtern zählend, bestimmten sie maßgeblich die Nürnberger Politik mit. Willibalds II. Großonkel, Andreas I. Imhoff61, vereinigte in seiner Person die Ämter des Vordersten Losungers, des Reichsschultheißen und des Reichsinsignienbewahrers62. Herzog Wilhelm und Wolfgang Agricola konnten demnach von Willibald II. durchaus brauchbare Informationen in Sachen Reichskleinodien erwarten, sofern dieser nur wollte. Ob er allerdings so ver­ trauenswürdig war, daß man ihm den geheimen Plan des Diebstahles enthüllen dürfte, daran bestanden die oben genannnten Zweifel, da es sich bei Willibald um einen Nürnberger und Protestanten dazu handelte63. Herrschte zur Zeit des Heiltumprojektes auf herzoglicher Seite noch Unklarheit über Willibalds Vertrauenswürdigkeit, so änderte sich das im Laufe der nächsten Jahre. Am Pfingstabend des Jahres 1590 bestellte Wilhelm ihn gegen 100 fl. jährlich zum herzoglichen Diener mit der Verpflichtung, daß „er 59 Willibald I. Imhoff ist ein Enkel Pirckheimers: Sein Vater, Hans VI. Imhoff (1488—1526) war mit Pirckheimers Tochter Felicitas verheiratet. Christoph Frh. v. Imhoff, Die Imhoff- Handels­ herren und Kunstliebhaber, in: MVGN 62,1975, S. 1 ff., S. 35. Zur Geschichte der Imhoffschen Kunstkammer s. Wilhelm Schwemmer, Aus der Geschichte der Kunstsammlungen der Stadt Nürnberg, in MVGN 40, 1949, S. 97 ff., S. 23 f.; Emstberger, Kurfürst Maximilian I. und Albrecht Dürer; Koschatzky, Strobel. Teile dieser Sammlung wurden von Kaiser Rudolf erworben (Koschatzky, S. 32 ff.; anders Emstberger, S. 164), Willibald II. war am Verkauf beteiligt. 60 HStA, Fürstensachen 423 u. 426 II; HStA, Personenselekt, Cart. 159, Imhoff. Bei ihren Be­ suchen in Nürnberg logierten die Herzoge bei den Imhoffs (s. a. Hirschmann — wie Anm. 61 — S. 262). 61 Zu Andreas I. Imhoff (1491—1579): Christoph v. Imhoff, Andreas Imhoff — Kaufherr und kluger Regent, in: Merian 6/34 Nürnberg, S. 96 ff.; Christoph v. Imhoff, in MVGN 62,1975, S. 32 f.; Wolfgang v. Stromer nennt ihn „den führenden Finanzmann der Stadt" (Reichtum und Ratswürde. Die wirtschaftliche Führungsschicht der Reichsstadt Nürnberg 1348—1648, S. 14, in: Herbert Helbig (Hg.), Führungskräfte der Wirtschaft in Mittelalter und Neuzeit 1350—1850, Teil I (= Büdinger Vorträge 1968/69), Limburg/Lahn 1973, S. 1 ff.). Zum Nürn­ berger Patriziat allgemein s. a. Gerhard Hirschmann, Das Nürnberger Patriziat, in: Hellmut Rössler (Hg.), Deutsches Patriziat 1430—1740 (= Büdinger Vorträge 1965), Limburg/Lahn 1968, S, 257 ff. und W. v. Stromer, Oberdeutsche Hochfinanz 1350—1450, S. 295 ff.: „Reichtum und Ratswürde in Nürnberg“. 62 Nach Lehnert — wie Anm. 42 — waren für die Sicherheit der Reichskleinodien jeweils „drei aus der Mitte der Ratsmitglieder gewählte patrizische Kronhüter“ verantwortlich, die die Reichs­ kleinodien auch zu den Königskrönungen, die seit 1562 in Frankfurt stattfanden, begleiteten. 63 S. Anm. 55.

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uns auf jedes unser gnedigst begem und erfordern fünfzig raisige pferdt und knecht an was ort oder end wir dieselben haben wollen auf geburlichkeit und anzuggelt bestellen, annemen und furen, allein die rom. kay. mt. und die statt Nürnberg alls sein vatterlandt . . . ausgenommen, dinstlich, gehorsam und gewertig sein, auch sonst alles anders thun und handeln soll, als ein getreuer diener seinem hern verpflicht und schuldig ist . . ,U(A. Von den späteren engen Verbindungen zeugt auch ein Konvolut von 30 Briefen65 von der Hand Willibalds und seines Bruders Karl aus den Jahren 1590 und 1591 an den Herzog. Willibald hatte seinen Bruder Karl dem Herzog wärmstens empfohlen und dieser hatte daraufhin an Karl geschrieben: „Nachdem wir dafür halten, du habest hin und wider und sonderlich auch im heyligen reich guete correspondenz, uns bey disen selzamen leuften wochenlich und bey jeder fürfallendten gelegenhait, da auch ein sach wichtig bey aignem potten, auf unsern chosten, ausfüerlich und in specie zu berichten, was du fürnemes, sonderlich von Werbungen teutschen khriegsvolckhs, zu roß und zu fueß, auch anderer khriegsberaittung und Verlaufs . . .a.66 Demgemäß berichteten die Brüder eifrig nach München, was sie an Neuig­ keiten über „die Hugenoten und den in Frankreich und gränzen am Rhein bestehenden krieg und die von Sachsen, Brandenburg, dann mehrern reichsfursten abgegebene hilfsvölcker so anders betreffend“67 in Erfahrung bringen konnten. Für unseren Zusammenhang sind zwei Briefe von Interesse. Am 24. Mai 1591 schreibt der Herzog an Willibald: „Haben wir neulich ganz gern ver­ nommen, das du dich durch öffentliche bekhandnus zu unserm wahren catholischen glauben bekhert. Der Allmechtig wolle dich darin bestäten, erhalten und selig machen, auch sein gnad geben, damit zu Nüemberg andere meer her­ nach folgen . . .w.68 Am 23. August 1591 berichtet Willibald dem Herzog, der offensichtlich wieder auf der Jagd nach Reliquien in der Reichsstadt war: „Sovil die reliquien anlangen, ist mir von dem obristen kirchenpfleger herrn Julio Geuder pescheit

64 Konzept der Bestallung, HStA, Personenselekt, Cart. 159, Imhoff; dort auch der inhaltlich ent­ sprechende, eigenhändige Reversbrief des Willibald Imhoff und die Aufschreibung der Bestalltung durch den Herzog (1595 Februar 28). Das Imhoffsohe Familienarchiv im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg enthält keine für diesen Zusammenhang relevanten Archivalien. 65 HStA, Kasten schwarz 3168. 66 Ebenda, Herzog Wilhelm an Karl Imhoff, München, 1590 März 15. 67 Ebenda, Beschriftung des Faszikels. Zu den politischen und militärischen Konflikten dieser Jahre (Kölner Krieg, Straßburger Kapitelstreit, Freiheitskampf der Niederlande, Hugenotten­ kriege in Frankreich): Riezler, 4. Bd., S. 639 ff.; Georg Mentz, Deutsche Geschichte im Zeit­ alter der Reformation, der Gegenreformation und des Dreißigjährigen Krieges 1493—1648, Tübingen 1913, S. 306 ff. 68 HStA, Kasten schwarz 3168, Herzog Wilhelm an Willibald Imhoff, München, 1591 Mai 24.

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Das Reichsheiltum (Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Plansammlung 20034).

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worden, er müsse die sach mit gelegenheit anfangen, das 2 der herm elter nit im rath, das er nit uberstimpt, als das wer es nit mangl haben. Solcher zeitt muß ich erwarten . . .“.69 Dieser Ausschnitt bestätigt nicht nur die Tatsache, daß der Herzog und seine Vertrauten etwas anrüchige Methoden beim Reliquienerwerb nicht ver­ schmähten, er zeigt auch, daß diese herzogliche Politik in den Kreisen höchster Nürnberger Amtsträger Unterstützung fand. Demnach ist 1591 Willibald Imhoff in seinem Verhältnis zum bayerischen Herzog Wilhelm wie folgt zu charakterisieren: Er ist bestallter militärischer Diener des Herzogs und sein Agent in Nürnberg. Seine Vertrauensstellung ist durch sein Bekenntnis zum katholischen Glauben gefestigt. V Obwohl Herzog Wilhelms Unternehmen im Jahre 1584 erfolgslos blieb, gab er seinen Plan, das Reichsheiltum zu erwerben, nicht auf, sondern versuchte auch seinen Sohn und Nachfolger Maximilian dafür zu interessieren. 1609 ließ Wil­ helm seinen Kaplan Schön „alte Verzeichnissen und Schriften . . . vhon den Nürnbergischen helthumben"70 aufsuchen und an seinen Sohn schicken mit der Bitte an diesen, darüber nachzudenken „ob und wie etwas deshalben zu practicirn wher“71. Die diesem Schreiben — zumindest in der archivalischen Überlie­ ferung — beigefügte Zeichnung wird uns noch beschäftigen. Eine Reaktion Maximilians auf diesen väterlichen Anstoß ist nicht überliefert. Im Zuge seiner Reliquiensammelei kommt Maximilian Ende 1613 in Berüh­ rung mit dem Reichsheiltum, als ihm der Nürnberger Patrizier Karl Nützel von Sündersbühl über David Kreß den Jungen eine Mariendarstellung und dazugehörige Reliquien anbietet. Nützel (1557—1614), berühmt durch seine Pilgerfahrt zum Heiligen Grab in Jerusalem72, die ihm den Ritterschlag eintrug, war als Diplomat in kaiserlichen Diensten vor allem in den niederländischen Auseinandersetzungen der Habsburger zur Zufriedenheit von Kaiser und Hofrat tätig und galt als hochgebildeter Mann73. Auch er soll sich — ähnlich

69 Ebenda, Willibald Imhoff an Herzog Wilhelm, Nürnberg, 1591 August 23. Zur Stellung des Patriziergeschlechtes Geuder s. a. die in Anm. 61 genannte Literatur. 70 HStA, GR 513/65a, Herzog Wilhelm an Herzog Maximilian, Ottobeuren, 1609 März 20. 71 Ebenda. 72 HStA, GR 513/65k, s. Anton Ernstberger, Die Reise des Nürnberger Patriziers Karl'Nützel von Sündersbühl ins Heilige Land 1586, in: Archiv für Kulturgeschichte, XLVI. Bd., Heft 1, 1964, S. 28 ff. 73 S. Georg Andreas WilPs Nürnbergisches Gelehrten-Lexicon ... fortgesetzt von Christian Conrad Nopitsch, 7. Theil o. 3. Suppl, Leipzig 1806, S. 42 f.

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wie Willibald II. Imhoff — zum römisch-katholischen Glauben bekannt haben74. Der Brief Nützels und das Rücksschreiben des Herzogs sind in mehrerlei Hinsicht von Interesse. Zum einen zeigen sie wiederum Verbindungen der bayerischen Herzoge zu Angehörigen der politischen und wirtschaftlichen Elite der protestantischen Reichsstadt, die über offizielle Kontakte hinausgehen und sich auf der Ebene eines konspirativen Vertrauensverhältnisses bewegen. Zum anderen zeugt der Vorgang vom Kunstverständnis des Herzogs, der das nach Aussagen Nützels „von dem Dürer geschnitzte unser frauenbildt und darinnen verwhartes hailthumb“75 — unter Ausdruck seiner freundlichsten Dankbarkeit für soviel erwiesene „sondere affetion und guetten genaigten willen“76 — umgehend an den Absender zurücksenden läßt, da dieser nicht nur keine Zeugnisse (testimonia) darüber beibringen konnte, daß es sich bei der Reliquie um einen der Nägel gehandelt habe, mit denen die Schrift an das Kreuz Christi genagelt worden war, sondern auch noch gutgläubig behauptet hatte, daß die übersandte Darstellung der Jungfrau Maria, in die die Reliquie eingebettet war, die auf eine Stiftung Karls IV. für die Frauenkirche zurückge­ gangen sein sollte, von Dürer „geschnitzt“ gewesen sein sollte. In seinen Besitz, so Nützel, sei es gelangt über seinen verstorbenen Vetter Joachim Nützel, der es bei einer Reparatur des Altarsteines in der Frauenkirche vor ungefähr 18 Jahren an sich gebracht hatte77. Zum dritten ist der Brief Nützels von Interesse, da sein Verfasser auch Details über die Heilige Lanze und das Reichsheiltum zu berichten weiß. Zu dem erwähnten Nagel seien — so Nützel — Partikel, die von dem in die Hei­ lige Lanze eingebetteten Nagel vom Kreuz Christi auf Veranlassung Karls IV. abgefeilt worden waren, hinzugefügt worden. Die Heilige Lanze aber sei eine Reliquie höchsten Ranges, über deren Echtheit kein Zweifel bestehen könne: „Es say kein heiligthumb in der gantzen Christenheit, das mit mehrern und starkem documenten als dises heylige speer besheint werden kan“.78 Neben der „kayserlichen cron und andern regalien“79 sei sie von Karl IV. in Nürnberg deponiert worden. Nebenbei bemerkt zeigt diese Behauptung Nützels wie74 Ernstberger, S. 34, spricht von einem Gerücht. In den „Genealogischen Papieren Nützel, Nach­ trag No. 14, Zehende Linie“ (Stadtarchiv Nürnberg) ist zu dem Eintrag „... starb ledigen Standes Ao 1614 ..." von anderer Hand hinzugefügt „Römisch-catholisch zu Nürnberg. Extractus aus dem fürstl. bambergischen Cantzley Recepisse d. d. 5. August Ao 1615 h. Carl Nützels, Ritter und Kayserl. Rath absterben betreffend“. 75 HStA, GR 513/65k, Herzog Maximilian an Carl Nützel, 1614 Januar 15. 76 Ebenda. 77 Ebenda. 78 HStA, GR 513/65k, Carl Nützel an David Kreß d. J. 79 Ebenda.

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derum die Unwissenheit über das Reichsheiltum, die selbst in den höchsten Nürnberger Kreisen herrschte. Karl IV. hatte das Heiltum wohl mehrmals 80 nach Nürnberg schaffen lassen, aber erst Sigmund hatte Nürnberg zur ewigen Aufbewahrungsstätte bestimmt. Darüber — so Nützel — könne man aber genaueres vom Kurfürsten von Mainz erfahren, der aus „des reichs archivo. . . mehrern bericht geben“81 könne, wie er selbst auf dem letzten Kurfürstentag zu Nürnberg 82 habe verlauten lassen. Was bedeutet, daß man sich nicht nur in München, sondern auch andernorts Gedanken über das Reichsheiltum machte. Nützel geht aber noch weiter: In einer Nachbemerkung schlägt er vor, daß der Herzog — durch Vermittlung des Kaisers — von Nürnberg verlangen solle „glaubwürdige copeyen der schriftlichn uhrkunthn (was sie nemblich der kay­ serlichen cleinodien und heylthumbn halben von Carolo Quarto herruerendt, bey handen) und wie, auch wann solche an sie körnen“83. Zwar sieht Nützel dies nur in Zusammenhang der vom Herzog gesuchten „testimoniis“84 über die Echtheit von Reliquien, aber der Nürnberger Patrizier ist sich doch seiner bedenklichen Rolle bewußt: „Muße aber also angestelt werden, das ich hier­ durch nicht in verdacht kerne, als wann solche inquisition durch mich verur­ sacht worden“85, fordert er. Interessant ist für uns der Brief Nützels noch aus einem vierten Grunde. Er berichtet über den Besuch von Maximilians Großvater, Herzog Albrecht, in Nürnberg im Jahre 1570 86: Herzog Albrecht habe von der Aufbewahrung der Heiligen Lanze in Nürnberg gehört und diese zu sehen begehrt. Daraufhin „ist solchs auf I. D. gnedigstes begeren in dero losament (= Willi­ bald Imhoffs Haus) getragen und daselbsten mit großer sollennitet87 und ange-

80 S. Albert Bühler, Reichskleinodiengeschichte im Überblick, Karlsruhe 1953 (Privatdruck); Franz Machilek, Privatfrömmigkeit und Staatsfrömmigkeit, in: Ferdinand Seibt (Hg.), Kaiser Karl IV. — Staatsmann und Mäzen, München 1978, S. 87 ff., S. 100. 81 HStA, GR 513/65k, Carl Nützel an David Kreß d. J. 82 Zum Kurfürstentag 1611 in Nürnberg s. Reicke, S, 958; Albrecht Kirchner, Deutsche Kaiser in Nürnberg. Eine Studie zur Geschichte des öffentlichen Lebens der Reichsstadt Nürnberg von 1500—1612, Nürnberg 1955, S. 143 ff. (= Freie Schriftenfolge der Gesellschaft für Familienfor­ schung in Franken, Bd. 7); Stadtarchiv Nürnberg, Nürnberger Chroniken 2, Müllners Annalen VI, 2 pag. 1053- ff. 83 HStA, GR 513/65k, Carl Nützel an David Kreß d. J. 84 Ebenda. 85 Ebenda. 86 Das Jahr erschlossen aus Nützels Angaben (»Als ich noch ein knab von 14 in 15 jharen gewesen umb das jhar 1575“, „der maaler damalns hat Matthes Strobl gehaißen“), Mülkejs Notizen (Müllners Annalen, Stadtarchiv Nürnberg, Nürnberger Chroniken 2, VI, 1, pag. 455, pag. 544 f.) über Aufenthalte bayerischer Herzoge in Nürnberg, Nützels Geburtsjahr (1577) und Strobels Sterbejahr (1572; s. Anm. 92). 87 Private Weisungen für hochgestellte Gäste wurden auf Wunsch durchgeführt (s. Schnelbögl, S. 129).

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zünden kertzen I. D. gezaigt worden. Darbey ich dann als ein knab, so meinem herrn vattern aufgewartet, auch gewesen. Und damalens mit meinen äugen gesehen, das hochgeda&ite I. D. mit ihrn aigen handen alle blätter ihres betbuches mit solchen speer durchstochen, wie dann, wann desselbe buch noch furhanden, der augenschein mit sich bringen wurdt88. Darauf auch I. D. an die herrn allhier gnedigst gesonnen, das sie solches speer durch ein künstlichen maler mochten abconterfeien laßen, welches auch geschehen, und ohne zweifl zu München noch furhanden sein wurd. Der maaler damalns hat Matthes Strobel gehaißen . . . Und weis ich mich zu erinnern, das gemelter maaler damals in dem loch des speers, dardurch vor zeitn die lantzen oder Stangen gangen, die abfheylung (sowie gemelt kayser Carolus Quartus befholen haben soll) vermerkt, meinem brudern und mir gezaigt, auch mit einer fheylen (nicht weiß ich, ob er solches auß befelch I. D. gethan) noch ein zimliche notturft heraußgefheilet. Davon er meinem bruder und mir auch etwas mitgethailet «89

Die „abfheylung“ von der Nützel schreibt, wurde wahrscheinlich — er drückt sich hier nicht deutlich genug aus — an dem in das Lanzenblatt einge­ lassenen Nagel vom Kreuz Christi vorgenommen. Bühler gibt dessen ursprüngliche Länge mit 22 cm an. Heute fehle „ein beträchtlicher unterer Teil des Nagels“90. Dieser Verlust sei vermutlich auf Entnahmen durch Hein­ rich II., Otto III. und vor allem Karl IV. zurückzuführen91. Nützels Erzählung erweitert den Kreis der Täter. Der Heilige Speer von der Hand des Matthes Strobel, eines Künstlers, über den uns so gut wie nichts bekannt ist92, und die oben erwähnte, im Jahre 1584 von Agricola beschaffte Tafel, bzw. die vermutlich davon genommene Kopie, sind heute nicht mehr nachzuweisen; jedenfalls führt das im Jahre 1598 von Johann Babtist Fickler erstellte Inventar der herzoglichen Kunstkammer93 unter seinen rund 4000 Nummern sie nicht auf. Dagegen hat sich eine Zeich­ nung erhalten, die im Zusammenhang mit dem Brief Wilhelms an Maximilian 88 Nachforschungen in der Bayerischen Staatsbibliothek München blieben erfolglos. 89 HStA, GR. 513/65k, Carl Nützel an David Kreß d. J. 90 Albert Bühler, Die Heilige Lanze — Ein ikonographischer Beitrag zur Geschichte der deut­ schen Reichskleinodien, in: Das Münster. Zeitschrift für christliche Kunst und Kunstwissen­ schaft, 16. Jg., Heft 3/4, 1963, S. 85 ff., S. 87. 91 Ebenda, S. 88; s. a. Fritz Traugott Schulz, Die deutschen Reichskleinodien, Leipzig 1934, S. 42. 92 Gesichert scheint das Sterbejahr 1572, s. Hans Bösch, Nürnberger Maler aus dem Totengeläut­ buch, Bibi. GNM Nr. 6277, 2 in: Mitteilungen des Germanischen National Museums., 2. Bd., S. 70 ff, 1887/89, S. 72. Zu Strobel s. a. Trechsels verneuertes Gedächtnis des Nürnberger Johannis Kirchhofs, 1735, pag. 905; Thieme-Becker, Bd. 32, S. 195; G.K. Nagler, Neues allge­ meines Künstler-Lexikon, 17. Bd., München 1847, S. 489; G. K. Nagler, Die Monogrammisten, 4. Bd., München/Leipzig o. J., Nr. 2135 (S. 673); Stadtarchiv Nürnberg, Lib. Litt. 80, fol. 145 v (1565). 93 Bayerische Staatsbibliothek München, Cod. germ. 2133, 2134.

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Herzog Wilhelm V. und das Reichsheiltum

vom Jahre 1609 zu sehen ist, auch wenn in diesem Brief nur von „alte(n) Ver­ zeichnissen und Schriften“94 die Rede ist. Bei dem Blatt handelt es sich um eine teilkolorierte Federzeichnung im Format 46 cm (Br) X 59 cm (H)95. Im Zentrum des Blattes ist die Heilige Lanze dargestellt. Ihr zur Rechten und Linken die übrigen Bestandteile des Reichsheiltums und zwar in der Reihenfolge, wie sie bei den drei Umgängen der HeiltumsWeisung gezeigt wurden: oben die Reliquien der Kindheit des Herrn, in der Mitte die Reliquien des heiligen Kaisers Karl und unten die Reliquien des Leidens Christi; wobei die Darstellung erheblich von der Realität abweicht, mit Ausnahme der Heiligen Lanze, deren äußere Gestalt — die in vielen Darstellungen überliefert ist96 — zumindest der Wirklichkeit angenähert erscheint. Daher kann angenommen werden, daß die Zeichnung nicht nach einem persönlichen Augenschein des Künstlers entstand, sondern eine Kopie nach älterem Vorbild ist. Dafür sprechen auch die skizzenhafte Bleistiftvorzeichnung und der ebenfalls mit Bleistift angemerkte Rahmen (39 cm X 56 cm), innerhalb dessen die einzelnen Stücke des Heiltums raumfüllend verteilt sind. Als Vorbilder kommen in Betracht die zwei von Schreiber in seinem Hand­ buch der Holz- und Metallschnitte des 15. Jahrhunderts unter Nummer 1942 und 1942a aufgeführten Blätter97. Diese beiden Holzschnitte und das schon mehrfach angesprochene Heiltumsbüchlein98 sind nach Bühler als die ersten „bildlichen Inventare“99 des Reichsschatzes anzusehen. Dabei sind die beiden Einzelblätter von der Funk­ tion her als Vorläufer des Büchleins zu verstehen, das heißt als Wallfahrts-

94 HStA, GR 513/65a, Herzog Wilhelm an Herzog Maximilian, 1609 März 20. Der zeitgenössi­ sche Bleistiftvermerk auf der Rückseite des Blattes „Nürnbergische heilthumb“ scheint von der gleichen Hand zu stammen wie die Vermerke auf den beiden Fragen-Katalogen. Aus konservatorischen Gründen wurde das Blatt dem Faszikel entnommen und trägt heute die Signatur Bay HStA Plansammlung Nr. 20034 (vormals StAM, Plansammlung Nr. 3197). 95 Für kunsthistorischen Ratschlag danke ich Dr. Helmut Engelhart, Tauberbischofsheim. 96 S. hierzu die Abbildungen der Heiligen Lanze bei Bühler, Hl. Lanze. Gute Abbildungen der Reichskleinodien bieten auch: Heinrich Kohlhaußen, Die Reichskleinodien, Nürnberg o. J.; Georg Haupt, Die Reichsinsignien. Ihre Geschichte und Bedeutung, Leipzig (1939), Tafel 16 und 17 (auch zerlegter Zustand); Hermann Fillitz, Die Insignien und Kleinodien des Heiligen Römischen Reiches, Wien 1954, Abb. 14—16 ( auch zerlegter Zustand); zuletzt Seibt — wie Anm. 80—Abb. 93—102. 97 Wilhelm Ludwig Schreiber, Handbuch der Holz- und Metallschnitte des 15. Jahrhunderts, Bd. 4, Leipzig 19272. 98 Wie Anm. 11; s. a. Bühler, S. 103, Nr. 17; Albert Schramm, Der Bilderschmuck der Früh­ drucke, Bd. 18: Die Nürnberger Drucker (außer Koberger), Leipzig 1935, S. 10 ff. und hierzu Wilhelm Engel, Das Würzburger Heiitum des späten Mittelalters, in: Würzburger Diözesangeschichtsblätter 11./12. Jg., 1949/50, S. 127 ff., S. 134 Anm. 32; Schnelbögl. S. 125 f. 99 Bühler, S. 92.

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führer100. Vom ersten Blatt (Nr. 1942) sind nur Abzüge aus der Mitte des 16. Jahrhunderts erhalten, die von einem stark beschädigten Holzstock — nach Schreiber frühestens um 1450 entstanden101 — stammen, der seinerseits als Vorbild des zweiten Blattes (Nr. 1942a) anzusehen ist102, dessen erhalten gebliebener einziger kolorierter Abzug von Schreiber als Nürnberger Briefma­ lerarbeit — vielleicht von Hans Spoerer — um 1470/1480 apostrophiert wird. Geradezu frappierend sind die Übereinstimmungen zwischen den beiden Holzschnitten und der Münchner Zeichnung in der Komposition: Auch in den beiden Holzschnitten dominiert im Zentrum des Blattes die realitätsnahe Dar­ stellung der Heiligen Lanze, zu deren beiden Seiten die übrigen Reliquien angeordnet sind, wobei Unterschiede in den Details der Anordnung und Aus­ führung der einzelnen Stücke durchaus ins Auge fallen, die Gesamtkonzeption aber nur unwesentlich modifizieren. Die Münchner Federzeichnung besticht allerdings durch die Eleganz ihrer Darstellung. Auch sie gibt ein vollständiges bildliches Inventar des Reichsschatzes. Aus dem Rahmen fällt ein Reliquiar, das einen „knoden von der hayligen gayssei“ enthält. Diese Reliquie ist als Bestandteil des Reichsschatzes nicht nachzuweisen. Problematisch ist die Datierung der Münchner Zeichnung. Orientiert man sich an den Datierungen der vorgestellten älteren Vorbilder und an den Beschriftungen der Münchner Zeichnung, so scheint eine Zuweisung zum späten 15. Jahrhundert durchaus angemessen. Dem steht aber das Wasserzei­ chen im Wege, das in einem Wappenschild ein Kreuz auf einem Dreiberg zeigt. Es entspricht dem bei Briquet unter Nummer 1245103 abgebildeten. Briquet gibt dafür einen Zeitraum von 1577—1594 an und vermutet eine bayerische Herkunft104. Wahrscheinlich handelt es sich um Papier aus den Papiermühlen in Landsberg am Lech (Oberbayern), da das Wasserzeichen das Landsberger

100 Bühler, S. 101, Nr. 13. S. a. Der Kaiser in Nürnberg, Ausstellung Staatsarchiv Nürnberg 1962, S. 11 f.; auf Seite 12 ist Schreiber 1942 abgebildet und ausdrücklich als „Heiltumsblatt“ (Wall­ fahrtsführer) vom Nürnberger Heiltumsfest bezeichnet. 101 Dieser Datierung schließen sich an: Bühler, S. 100 f. Nr. 13; Der Kaiser in Nürnberg, 1962, S. 11 f.; Albrecht Dürer 1471—1971, Ausstellung des Germanischen National Museums 1971, Katalog, München 1971, Nr. 246. 102 Schreiber, Nr. 1942 a; s. a. Bühler, S. 101 f., Nr. 16; abgebildet auch in Schulz, S. 55. 103 C. M. Briquet, Les Filigranes. Dictionnaire historique des marques du papier ... Tome premier A — Ch, Leipzig 19232, Nr. 1245 (Fundorte: Prag und Hannover). 104 Briquet, S. 7: „Les types 1240 ä 1247 sont de provenance bavaroise, ä en juger par leur dissemination“. Vgl. a. Gerhard Piccard, Die Wasserzeichenforschung als historische Hilfswissen­ schaft, in: Archivalische Zeitschrift 52, München 1956, S. 62 ff. (S. 92: Es ist nicht möglich, mit Hilfe der Papierzeichen a priori auf die Provenienz von Handschriften usw. zu schließen).

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Stadtwappen darstellt105. Das älteste Landsberger Wasserzeichen wird in der Literatur über die dortige Papierfabrikation auf 1512 datiert106. Es zeigt ein Kreuz auf flachem Dreiberg in einem Schild der spätgotischen Form107. Dagegen ist der Wappenschild das des Wasserzeichens der Münchner Zeich­ nung vom Typus her vermutlich der Mitte des 16. Jahrhunderts zuzuweisen, da in ihm eine späte Form des Tartschenschildes mit symmetrisch konzipierten Renaissancemodellen verschmolzen erscheint108. Obwohl Landsberger Papiere im Herzogtum Bayern weit verbreitet waren109, konnte ich das in Frage ste­ hende Wasserzeichen nur noch in zwei — ebenfalls undatierten — Stücken gleichen Formats nachweisen, die Aufstellungen über Reliquien enthalten110. Der Schrifttypus entspricht dem der gelehrten Humanistenkursive und ist wohl auf Mitte des 16. Jahrhunderts zu datieren111. Zieht man noch in Betracht, daß die vom Schrifttypus her altertümlich anmutenden Unterschriften zu den einzelnen Reliquien der Münchner Zeichnung höchstwahrscheinlich vom Künstler selbst stammen und somit von einer Hand, die nicht der „Normung“ des Kanzleigebrauches unterworfen ist, so bleibt als Ergebnis des Datierungs­ versuches, daß die Münchner Darstellung des Reichsheiltums wohl nicht vor Mitte des 16. Jahrhunderts anzusetzen ist, eher im letzten Drittel des Jahrhun­ derts. Diese späte Datierung ändert nichts an der Tatsache, daß es sich bei der Münchner Zeichnung um eines der ältesten erhaltenen Bildinventare des Reichsheiltums handelt112.

105 Nach Alois Mitterwieser, Frühere Papiermühlen in Altbayern und ihre Wasserzeichen, in: Gutenberg - Jahrbuch 1933, S. 9 ff., ist bei Wasserzeichen, die ein Stadtwappen darstellen auf die Herkunft aus der Stadt zu schließen, die dieses Wappen führt (S. 21). Zu den Landsberger Papiermühlen s. Mitterwieser, S. 14 ff. Die dort abgebildeten Landsberger Wasserzeichen ab 1512 sind auch bei Briquet — unter der Nummern 1240—1247 — zu finden. Briquet Nr. 1245 aber weder bei Mitterwieser noch bei Friedrich v. Hössle, Bayerische Papiergeschichte, in: Der Papierfabrikant, Jg. 1924—1927, Heft 23, S. 257 f. 106 Lit. wie Anm. 105. 107 Mitterwieser, S. 15. 108 S. Ottfried Neubecker, Heraldik - Wappen, ihr Ursprung, Sinn und Wert, Frankfurt/Main 1977, S. 76 f. 109 Mitterwieser, S. 14 f. Die Angaben bei Mitterwieser und Hössle überprüft an folgenden Archi­ valien im Bay. HStA: Kurbayem Geheimes Landesarchiv Nr. 1110 und 1111, Conservatorium Camerale Nr. 118, Nr. 137, Nr. 138, Nr. 140, Nr. 141. 110 HStA, GR 513/65a, Reliquiae Primae Tabulae, Reliquiae Secundae Tabulae. 111 Vgl. Heribert Sturm, Unsere Schrift. Einführung in die Entwicklung ihrer Stilformen, Neustadt/Aisch 1961, S. 80, Abb. 95 (1556). 112 Das Gemälde, das der Rat 1430 zur Ausschmückung der Heiltumsstube im Schopperschen Haus anfertigen ließ (Schnelbögl, S. 102), existiert nicht mehr; s. a. Bühler, S. 114 (Anm. 30), der noch „zwei unbekannte Gemälde in der Heilig-Geist-Kirche“ erwähnt. Zur Heiltumskammer s. Albert Bühler, Albrecht Dürer und die deutschen Reichskleinodien, in: MVGN 58, 1971, S. 139 ff., S. 157.

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JOACHIM VON SANDRART IN NÜRNBERG Von Christian Klemm Wanderlustig, wie sonst wohl nur Kaufleute und Soldaten, waren seit alters die Künstler. Aber während jene zu den bald hier, bald dort aufflammenden Kriegen oder zum Quellpunkt kostbarer Waren zogen, reisten diese zunächst zur Aus- und Weiterbildung in die führenden Kunstzentren, sodann aber an die Orte, wo Auftraggeber ihres Könnens bedurften.1 Schon seit dem frühen 15. Jahrhundert stand die deutsche Malerei im Banne der Niederlande, wohin sich die besten Meister — Schongauer, Dürer, die beiden Holbein — wandten; als mit Reformation und spanischer Besetzung viele und oft gerade die Fähig­ sten zum Auswandern gezwungen wurden, setzte eine umgekehrte Bewegung aus den alten wallonischen und flandrischen Städten nach Holland und in die deutschen protestantischen Gebiete ein. Neben Hamburg und Frankfurt war Nürnberg ein beliebtes Ziel: Nicolas Neufchatel und der ältere Juvenel, später die Valckenborch, vermittelten nach dem Aussterben der Dürer-Schule die maßgeblichen Impulse.2 Auch im 17., ja bis ins 18. Jahrhundert blieben die Calvinisten dank ihrer weitgestreuten Beziehungen ungewöhnlich beweglich. Teile der Familie Sandrart finden sich um 1600 in Frankfurt und Nürnberg, von hier ziehen sie später nach Amsterdam und Berlin, und noch 1733 hören wir von einem George Sandrart, der mit 124 Dienstboten und Arbeitern von Straßburg nach Magdeburg übersiedelt.3 Vor diesem Hintergrund müssen wir auch das Leben Joachim von Sandrarts, des zu seiner Zeit berühmtesten deutschen Malers, und seine Beziehungen zu Nürnberg sehen.4 1606 als Sohn eines begüterten Kaufmannes in Frankfurt geboren, lernte er in der unfernen Calvinistensiedlung Hanau bei Sebastian Stoßkopf in der Werkstatt des Gemeindeältesten Daniel Soreau „die erste Weiß von zeichnen“5. Doch dann sehen wir ihn bereits zum ersten Mal auf

1 Systematisch zusammengestellt von Georg Troescher: Kunst- und Künstlerwanderungen in Mitteleuropa (2 vol. Baden-Baden 1953/54). 2 Barock in Nürnberg (Ausst.Kat. Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, 1962) bes. p. 33. 3 Geschichtsblätter des Deutschen Hugenotten-Vereins, XI. Zehnt, Heft 2/3 1901, p. 34. 4 Über die größeren Zusammenhänge dieses Themas s. Ludwig Grote: Joachim von Sandrart und Nürnberg (in: Barock in Nürnberg [wie Anm. 2 cit.J p. 10—21). — Der vorliegende Aufsatz entstand im Zusammenhang mit einer Monographie über Sandrart (Berlin 1985), in der sich — bes. in den Annalen — ausführlichere Nachweise finden. Für ihre freundliche Hilfe möchte ich Gerhard Hirschmann und Matthias Mende danken. 5 Joachim von Sandrart: Academie der Bau-, Bild- und Mahlerey-Künste von 1675 (ed. A. R. Peltzer, München 1925) p. 182. Vgl. Gerhard Bott: Stillebenmaler des 17. Jh., Isaak Soreau — Peter Binoit (Kunst in Hessen und am Mittelrhein, Schriften der Hessischen Museen I/II1962 p. 27—93).

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dem Weg nach Nürnberg: hier tritt er 1620 bei Peter Isselburg eine Lehre als Stecher an.6 Man gab sich offensichtlich nicht mit dem nächst Besten zufrieden, etwa dem älteren Matthaeus Merian, dem die Familie freundschaftlich ver­ bunden war, sondern suchte für die Ausbildung des Sohnes statt dieser hand­ werksmäßigen Ansichten- und Illustrationsmanufaktur einen künstlerisch anspruchsvolleren Meister. Auch in Nürnberg bestand eine calvinistische Gemeinde, die sich um ein Gotteshaus außerhalb des lutherischen Gebiets auf dem Territorium eines reformierten oder sonst diesen Glauben tolerierenden Fürsten bemühte; man errichtete es im ansbach-bayreuthischen Stein und ein halbes Jahrhundert später wird Sandrart, als einer der Gemeindeältesten, für es verantwortlich sein: über dies und anderes mehr unterrichten uns seine Papiere, die wir im reformierten Pfarrarchiv zu St. Martha aufgefunden haben und die Anlaß und Grundlage der folgenden Mitteilungen sind.7 Doch bis aus dem Stecherlehrling ein ehrwürdiger Presbyter geworden, durchläuft Sandrart ein wechselhaftes, ereignisreiches Leben. 1622 verläßt Isselburg Nürnberg und Sandrart zieht zu Aegidius Sadeler nach Prag, der ihm rät, zur Malerei zu wechseln. So läßt er sich in Utrecht bei Honthorst in dieser zukunftsreichen Branche ausbilden; danach wandert er zielstrebig in das damalige Zentrum der europäischen Kunst, nach Rom, wo er von 1629 bis 1635 weilt und sich mit den bedeutendsten Malern wie Poussin, Pietro da Cortona und Claude Lorrain befreundet. Nach Frankfurt zurückgekehrt, gründet er eine Werkstatt, in die Matthaeus Merian der Jüngere als Lehrknabe eintritt; nur dank seines Lebensberichtes wissen wir von Sandrarts Besuch in Nürnberg 1636: „Als nun mein Lehrherr eine reiche Heurath hier träfe, dessen Schwä­ hervater auf dem Neuburgischen Schlosse Stockau wohnte, begab er sich mit seiner Liebsten dahin. Ich folgte zu Fuss mit denen Lehrlingen nach Nürnberg und wurde zwei Mahl zwischen Wegen geplündert. Ich träfe meine Herrschaft in Nürnberg wieder an, mit welcher ich nacher Stockau reiste.“8 Auch die Braut, Johanna von Milkau, entstammte einer wallonischen Refugiantenfamilie; ihr Großvater war die führende Persönlichkeit bei der Gründung der Calvinistensiedlung Frankenthal.9 Die andauernden Kriegswirren lassen dem Ehepaar eine Übersiedlung nach Amsterdam geraten erscheinen, wo beide Teile Verwandte besitzen; diese ver6 Zu Isselburg s. (Matthias Mende:) Das alte Nürnberger Rathaus (vol. I Nürnberg 1979 = Ausst.Kat. der Stadtgeschichtlichen Museen Nürnberg XV) p. 337. 7 Hans Neidiger: Die Entstehung der evangelisch-reformierten Gemeinde in Nürnberg als rechts­ geschichtliches Problem (Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg XLIII 1952 p. 225—340) hierzu am ausführlichsten, zu Sandrart bes. p. 244. 8 Matthäus Merian d. J.: Selbstbiographie (ed. Rudolf Wackemagel o. O. o. J., auch in: Basler Jahrbuch 1895 p. 227ss) p. 4. 9 Adolf von den Velden: Joachim von Sandrarts erste Ehefrau Johanna Mulkeau und deren Familie (Frankfurter Blätter für Familiengeschichte I 1908, p. 161 s).

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mittein alsbald Kontakte zu den führenden patrizischen und literarischen Kreisen. Erst nach dem Tode des Schwiegervaters wird 1645 die Stockau bezogen; bis zum Verkauf 1670 leitet Sandrart die große Landwirtschaft, die Mühlen und Gewerbebetriebe zum Mißvergnügen der katholischen, konserva­ tiven Einheimischen mit modernen, holländischen Methoden. Wie öfters bei seinen Glaubens- und Berufsgenossen sehen wir ihn so gleichzeitig in verschie­ denen Bereichen tätig; verschließt die wankelmütige Fortuna eine Erwerbs­ quelle, bleibt die Existenz durch die anderen gesichert. Von 1649 bis 1651 weilt Sandrart wiederum hauptsächlich in Nürnberg: Hier tagt der Friedensexekutionskongreß und während sich die Verhand­ lungen mühsam dahinschleppen, lassen sich die Offiziere abkonterfeien und verehren sich gegenseitig zur Erinnerung ihre Bildnisse. Im großen Winklerschen Haus bei St. Lorenz residiert der Pfalzgraf Carl Gustav von Zwei­ brücken, designierter Nachfolger der Königin Christina von Schweden; San­ drart portraitiert ihn zu Pferd und bestimmt ihn, der Stadt sein großes Gemälde des Friedensbanketts vom 25. September 1649 zu schenken. Wie schon die prominente Position des Malers auf dem heute im Fembohaus ver­ wahrten Bilde vermuten ließ, gehen Idee und Konzept auf ihn zurück; unbe­ achtet gebliebene Aufzeichnungen in den Nürnberger Ratsprotokollen und ein Brief Sandrarts an Carl Gustav verdeutlichen dies und die Bemühungen des Rates um eine „neutrale“ Aufstellung, die ein Gemälde der entsprechenden Festivität der katholischen Partei erforderte.10 Auch zu dieser pflegte Sandrart Kontakte: Piccolomini hielt er in einem Doppelportrait fest und von Nürnberg reiste er im Sommer 1651 nach Wien, wo er vom Kaiserhaus und hohen Prä­ laten wichtige Aufträge erhielt. In den beiden folgenden Jahrzehnten belieferte Sandrart vor allem österrei­ chische und süddeutsche Klöster und Stifte mit großen Altarblättern. Vermut­ lich kam er bei den damit verbundenen Reisen oder aus andern Gründen gele­ gentlich nach Nürnberg, doch hat uns davon keine Kunde erreicht. Enge Beziehungen bestanden sicher zu seinem Neffen Jacob Sandrart, der 1656 als Kupferstecher von Regensburg kam, vermutlich auch zu dessen Schwager Eimmart und dem 1664 aus Frankfurt zugezogenen Ehepaar Johann Andreas Graff und Maria Sibylla Merian.111662 wurde die Akademie unter der Leitung von Jacob Sandrart gegründet — ob er, sein Onkel oder ihr Protektor, der Ratsherr Joachim Nützel, dabei die Hauptrolle spielte, läßt sich mangels zeit­ genössischer Quellen kaum mehr entscheiden. Jedenfalls übernahm Joachim

10 Klemm 1985 Kat.Nr. 85. 11 Zu diesen der in Anm. 2 zitierte Ausstellungskatalog.

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nach seiner endgültigen Übersiedlung nach Nürnberg zwölf Jahre später die Leitung dieser Institution, die seinen Vorstellungen so sehr entsprach.12 Erst am 10. Juni 1668 ist Sandrart wieder in Nürnberg bezeugt: Ein Eintrag im Stammbuch des Jacob Scheurl überliefert es uns zufälligerweise.13 Und ein Vermerk im Tagebuch des Literaten Sigmund von Birken vom 26. April verrät uns auch den Anlaß dieser Reise: „Mit H(errn) Sandr(art) auf die Wiese, daselbst er mir einen Diseurs seines Vettern von der Mahlerey vorgelesen.“14 Was hier Jacob Sandrart dem Dichter, mit dem er freundschaftlich verkehrte und häufig zusammenarbeitete, vorlas, waren offensichtlich die ersten Ent­ würfe zur „Teutschen Academie“, diesem kompendiösen, von Vasaris Viten und van Manders Lehrgedicht angeregtem Werk, das Sandrart zum wichtig­ sten deutschen Kunstschriftsteller zwischen Dürer und Winckelmann werden ließ.15 Wie die Korrespondenz, seine Notiz- und Tagebücher klar machen, ver­ dankt das Buch seine überzeugende sprachliche Gestalt nicht dem alten, aus seinen weitreichenden Erinnerungen schöpfenden Maler, sondern dem als Theologe ausgebildeten, seinen Lebensunterhalt aber mit solchen und ähn­ lichen schriftstellerischen Lohnarbeiten verdienenden Sigmund von Birken, als Floridan Oberhirte der Dichtergesellschaft vom Pegnesischen Blumenorden. Wenn Sandrart nach dem Verkauf seiner Hofmark 1670 trotz dieser engen Bande nicht nach Nürnberg, sondern nach Augsburg übersiedelte, so erklärt sich dies wohl nur durch das dort herrschende, regere Kunstleben: mit Mei­ stern wie Johann Heinrich Schönfeld, Johann Ulrich Mayr oder Joseph Werner, mit ihren Bildhauern und dem blühenden Kunsthandwerk war Augs­ burg damals das wichtigste Kunstzentrum unter den deutschen Reichs­ städten.16 Allein bereits um den Jahreswechsel 1673/74 zog Sandrart doch nach Nürnberg: Die Heirat des kinderlosen, 67jährigen Witwers mit der erst 22

12 Zur Akademie Grote (wie Anm. 4) und Fritz Winzinger: Die Geschichte der Akademie (Drei­ hundert Jahre Akademie der bildenden Künste in Nürnberg. 1962 p. 16—30). Grote (p. 14) scheint allzu zuversichtlich, wenn er die führende Rolle ohne Einschränkung Joachim von Sandrart zuweist: von ihm ist in der Hauptquelle, dem „Goldenen Buch“ der Akademie (1724) erst später die Rede. Andrerseits ist seine Vermutung, daß deren „devote barocke Geschichts­ schreibung“ die Rolle Nützels zu stark betone, nicht ohne weiteres abzuweisen. 13 London, BM Add 15, 849 fol. 2: erster Eintrag nach dem Vorwerk und wie die beiden fol­ genden Einträge von gleicher Hand anscheinend aus dem Vorgänger des vorhegenden Stamm­ buchs übertragen. 14 Die Tagebücher des Sigmund von Birken, bearbeitet von Joachim Kröll (2 vol. Würzburg 1971/74 = Veröffentlichungen der Gesellschaft für fränkische Geschichte 8. Reihe vol. V, VI) I p. 361. — Eine Zusammenstellung des Materials der Beziehungen von Sandrart und Birken ist für die Zeitschrift „Daphnis“ vorgesehen. 15 S. Anm. 5 — Vgl. Fritz Redenbacher: Sandrarts Teutsche Academie. Kunstgeschichte im Barockzeitalter (Jahrbuch für fränkische Landesforschung XXXIV/XXXV 1975 = Festschrift Gerhard Pfeiffer) p. 309—323. 16 Dazu Augsburger Barock (Ausst.Kat. Augsburg 1968).

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Lenze zählenden Esther Barbara Biomart gab offensichtlich den Ausschlag. Natürlich entsprang diese Ehe, die dem alten Mann seine vierzehn letzten Lebensjahre verschönte und der jungen Frau wenigstens eine wohlanständige, von finanziellen Sorgen freie Zukunft sicherte, nicht spontaner Zuneigung; es scheint uns unzweifelhaft, daß ein Hauptpunkt bei dieser Verbindung die calvinistische Konfession beider Teile und die Integration Sandrarts in die refor­ mierte Gemeinde von Nürnberg-Stein war. Während in Augsburg mit seiner katholisch-lutherischen Parität anschei­ nend keine reformierte Gemeinde möglich war, blieben die Calvinisten in dem von irenischen und philippistischen Strömungen nicht unberührten Nürnberg ziemlich unangefochten geduldet. Es sei nur an die Ansichten des für das dor­ tige Geistesleben und insbesondere für den Pegnesischen Blumenorden so wichtigen Johann Michael Dilherr erinnert; wir sind auch nicht erstaunt, Birken mit Jacob Sandrart „inter colloquia sacra“ auf dem Weg nach Stein zum Gottesdienst zu treffen,17 umgekehrt scheinen die Calvinisten keine Bedenken getragen zu haben, den lutherischen Gottesdienst zu besuchen und dort sogar zu kommunizieren.18 Der Vater der zweiten Gattin Sandrarts, Wilhelm Blomart, war ein führendes Mitglied der Gemeinde, bei dem öfters die Sitzungen der Ältesten abgehalten wurden; zu welch intensiver Mitarbeit er seinen Schwiegersohn gewann, erweisen die im folgenden zusammengestellten Akten.19 Die „Protokolle der Sitzungen der Ältesten“20 scheinen nur lückenhaft geführt oder überliefert zu sein; das erste nach 1671 datiert vom 18. II. 1678; unter Punkt 6 wird mitgeteilt, daß Herr Joachim von Sandrart „in betrachtung der jetzigen not“ seine jährliche Beisteuer um 20 Gulden erhöhe — seit 1675 hatte er 30 fl.21 bezahlt. Da er, wie wir gleich sehen werden, schon seit 1674 für das Bauwesen der Gemeinde verantwortlich war, wurde er sicher unmittelbar nach seiner Übersiedlung in das Presbyterium aufgenommen. An der nächsten Sitzung vom 14. X. 1678 wird er mit ein paar andern zu einem Besuch bei einem schlecht haushaltenden Gemeindeglied bestimmt und im Rechnungs-

17 Wie Anm. 14,1 p. 128. 18 Vgl. Friedrich Clemens Ebrard: Die französisch-reformierte Gemeinde in Frankfurt a. M. (Frankfurt 1906) p. 106 s. 19 Wir zitieren die Akten entsprechend dem unpublizierten Archivinventar von Schombaum (1942). Das Archiv befindet sich im Keller des Küsterhauses bei St. Marta; Frau Damke bin ich für ihr freundliches Entgegenkommen bei der Benützung sehr zu Dank verpflichtet. 20 Akt 11, vol. II: Sitzungsbeschlüsse 1667—1686 und vol. II b: Sammelband einzelner Sitzungs­ protokolle. Über das sich selbst erneuernde Gremium der Ältesten oder Presbyter s. Neidiger (wie Anm. 7 zit.) p. 304 s. 21 Neidiger p. 244.

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buch unterzeichnet er im gleichen Jahr als Revisor22. Am 7. V. 1679 wird erst­ mals die Papiermühle des Felix Lang in Mühlhof bei Nürnberg erwähnt; ob dem Glaubensgenossen finanziell unter die Arme zu greifen sei, solle der in der Branche erfahrene Sandrart untersuchen. Im folgenden liehen er persönlich und die Gemeinde mehrere Hundert Gulden; letztmals ist am 9. X. 1685 davon die Rede, als die Mühle an Georg Andreas Endter verkauft wurde.23 Vom Juni 1681 bis zum 9. Mai 1688 fanden bis auf eine sämtliche Sitzungen bei Sandrart statt24; noch in der letzten wird eine zu ermahnende Tochter in seine Wohnung geladen und Sandrart beauftragt, den „H. Procurator Scheel der Gemeinde bedient zu sein“ anzusprechen. Am 17. Juni trifft er die anderen Herren in „Herrn Strübin behausung“, dem aus Basel stammenden Prediger der Gemeinde; nach Joachims Tode erscheint Jacob Sandrart in den Reihen des Presbyteriums25. Sandrart war für das Bauwesen der Gemeinde zuständig, worüber die „Ordentliche Specifikation/Mein Joachim von Sandrarts Ausgaben, der geführten Gebäu . . . und Kirchen zum Stein von 1. Juny A° 1674 bis 31 Januarij A° 1686“ detailliert abrechnet.26 In den „Akten des Joachim von San­ drart“ finden sich weitere diesbezügliche Papiere: ein Rechnungsrodel von 1678—1682, Belege zum Bau eines Brunnens durch den Steinmetz Franz Sperl 1681 und zur Errichtung des Spitals 1684.27 Auf diesen beziehen sich auch ein Grund- und ein Aufriß, letzterer in weichem Rötel und möglicherweise von Sandrarts Hand für ein wesentlich größeres als das ausgeführte und noch vor-

22 Akt 31: Rechnungsbuch 1650—1689, fol. 70 v. 23 Sandrarts Schuldverschreibungen in Akt 22 e, die erste von 200 fl. bereits vom 10. XII. 1675, zurückbezahlt am 16. VI. 1680. Protokolle vom 10. X. 1679 (die Gemeinde leiht 300, Sandrart weitere 200 fl.), 14. X. 1680 (die Gemeinde leiht zu den 400 weitere 200 fl.), 6. IV. 1684 oder 1685 (Übergang der Mühle von Lang an Achatius Friedrich Meng, gleichfalls ein Calvinist). Vgl. Edmund Marabini: Die Papiermühlen im Gebiete der weiland freien Reichsstadt Nürnberg (Nürnberg 1894 = Bayerische Papiergeschichte I) p. 74. 24 22. VI. 1681, 6. X. 1682, 3. III. 1684: Sandrart erhält die Schlüssel zur Kasse. 9. X. 1685, 4. IV. und 9. V. 1688. Die Sitzung vom 27. VI. 1683 findet bei Wilhelm Biomart statt. 25 Akt 11 (vgl. Anm. 20) vol. III setzt am 26. VI. 1689 ein: anwesend sind alle Vorsteher außer Jacob Sandrart. 26 Akt 26. Neidiger (wie Anm. 7, p. 244) hält die hier spezifizierte Gesamtsumme von 2048 fl. 48 kr. wohl irrtümlich für eine persönliche Leistung Sandrarts an die Gemeinde. Zu den noch stets vorhandenen, wenn auch im Innern völlig umgestalteten Gebäuden, dem ursprünglich nicht als solches in Erscheinung tretenden Gotteshaus und dem kleinen „Spital“, s. Gerhard Hirschmann: Stein bei Nürnberg. Geschichte eines Industrieortes (Nürnberg 1962 = Schriften­ reihe der altnümberger Landschaft IX) bes. p. 50, Abb. 5, Taf. VIII (Innenansicht) und XV (Photographie) ferner August Gebessler: Landkreis Nürnberg (München 1961 = Bayerische Kunstdenkmale. Kurzinventare XI) p. 68, Alte Kirchgasse 4 und 8. 27 Akt 22 — dieser Bestand wurde selbst von Neidiger übersehen — bes. Faszikel b und d; c ist ein Rechnungsrodel von 1678—1682, das der genannten „Specifikation ...“ als Vorlage diente.

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handene Gebäude.28 Neben dem eigentlichen Bauwesen kümmerte er sich aber auch sonst um die Verwaltung der Steiner Liegenschaften; so zeugt das Kon­ zept zu einem ausführlichen Pachtvertrag vom 25. X. 1681 über Haus, Garten und Feld zu Stein von der Umsicht und Ordnungsliebe des alten Meisters J29 Das wichtigste Geschäft des Presbyteriums in jenen Jahren waren die Bemü­ hungen, die Konzession des Ansbacher Markgrafen für das Exercitium religionis vom „privatum“ zum „publicum“ zu erweitern und damit zur Bewilli­ gung, privat zu predigen, auch das Recht zu einem Kirchengeläut, zum Einseg­ nen von Ehen, zum Taufen und Bestatten zu erhalten; Sandrart war hieran nach Ausweis der folgenden Papiere maßgeblich beteiligt.30 Das erste Stück, ein Brief des vermittelnden kurpfälzischen Geheimrates Johann Ludwig Langhans, Hofprediger und maßgeblicher Minister Karl Ludwigs31, an seinen Schwager Sandrart vom 15. II. 1684 zeigt die Verhandlungen bereits recht fort­ geschritten; am 4. März kann er ihm berichten, daß der Markgraf bei seinem Besuch in Heidelberg in den wichtigeren der noch strittigen Punkte — Belassung des Gotteshauses in Stein und Verbleib bei der kurpfälzischen Kirchen­ ordnung — zugestimmt habe, den Einschluß der Nürnberger Obrigkeit ins Gebet aber nicht dulden wolle. Sandrart schreibt hierauf an die reformierte Gemeinde nach Frankfurt, wie sie es damit in ihrer im hanauischen Bockenheim gelegenen Kirche halte32; der Bericht scheint negativ ausgefallen zu sein und so fügte man sich in diesem Punkt dem Fürsten. Um die Ausfertigung der damit erreichten Bewilligung zu befördern, verehrte Sandrart dem Ansbacher Sekretär Johann Prenner, den schon Langhans in Heidelberg mit einer gol­ denen Medaille des Kurfürsten und einem Pokal geneigt machte, u. a. ein Por-

28 Akt 22 g. Vgl. Anm. 26. Im gleichen Faszikel ferner ein sehr schlichter, hölzern gezeichneter Kanzelentwurf. 29 Akt 22 g, Pächter: Leonhard Waldt. Ebendort ein Brief von M. Märtel über den Erwerb einer weiteren Parzelle und eine Empfehlung für M. Icardi (o. D.). 30 Dazu eingehend Neidiger (wie Anm. 7), zur hier interessierenden Phase p. 296—298. Die mei­ sten diesbezüglichen Papiere liegen in Akt 36 — Sandrart wird auch dort gelegentlich genannt (z. B. T 1 fol. 36) —, die hier behandelten in Akt 22 a. 31 Zu diesem Zedlers Universallexicon s. v. Nach Karl Ludwigs Tod 1685 machten ihm seine Amtsbrüder den Prozeß und verurteilten ihn zu zwanzig Jahren Gefängnis. Nach seiner Befreiung durch die Franzosen bei der Eroberung Heidelbergs 1688 übersiedelte er in den „Storchen“ zu Basel. 32 Konzept von fremder Hand mit Korrekturen und durchgestrichener Unterschrift Sandrarts, dat. 4. IV. 1684. — Entsprechende Anfragen gingen nach Hamburg und an andere Gemeinden, wie dem Protokoll vom 17. II. 1685 zu entnehmen ist (s. Anm. 34).

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trait und ein Buch33; das Konzept für das Dankschreiben der Gemeinde an den Markgrafen für die erhaltene Konzession datiert vom 24. VIII. 1684. Damit war die Sache aber noch nicht zu einem glücklichen Abschluß gebracht: Das Protokoll einer Besprechung von Vertretern des Nürnberger Rats und der reformierten Gemeinde — Sandrart wird an erster Stelle genannt — zeigt jene sowohl über ihren Ausschluß aus dem Gebet als auch über das eigenmächtige Verhandeln mit einer fremden Obrigkeit unwillig und keineswegs geneigt, das Taufen der reformierten Nürnberger Kinder in Stein zuzulassen.34 Erst zwanzig Jahre später, 1703 während des Spanischen Erbfolgekrieges, wurde den Calvinisten gestattet, die Predigten in Nürnberg selbst zu halten; die Parochialakte blieben aber auch dann noch der lutherischen Geistlichkeit Vorbehal­ ten.35 Besonders sprechend für die enge Bindung Sandrarts an die calvinistische Gemeinde scheint uns, daß diese „Akten des Joachim von Sandrart“ auch reine Privatpapiere enthalten, die keinerlei Bezug zu den Geschäften des Presbyte­ riums erkennen lassen.36 So finden sich mehrere Schriftstücke, die auf seine kunstvermittelnde Tätigkeit hinweisen37, oder ein Gutachten über die fürstlich ansbachsche Brauerei Zirndorf, bestehend aus einem Fragebogen von zwanzig Punkten, dem auf eine Unterredung mit Kammerrat Emanuel Mayer und Braumeister Georg Bauer bezug nehmenden Brief vom 2. VII. 1684, in dem dieselbigen zuhanden des Markgrafen diskutiert und Verbesserungen vorge­ schlagen werden, schließlich einer Erörterung über den großen Nutzen, der aus dem Weißbierregal gezogen werden könne, wie am Beispiel von Kur­ bayern zu sehen sei. In einem Schreiben vom 3. VII. 1684 teilt Mayer seine und des Markgrafen Zufriedenheit über diese Ratschläge, die man noch schriftlich erwarte, mit und bedankt sich über ein mitgesandtes Bücherpräsent. Wie San­ drart zu dieser Beratertätigkeit im Brauwesen kam, bleibt etwas rätselhaft; vielleicht ergab sie sich aus Abschweifungen bei den gleichzeitigen Verhand-

33 Eigenhändiges Konzept Sandrarts für einen Brief an Prenner 12. III. 1684; ferner Briefe von Prenner an Sandrart vom 22. VI., 6. VII., 13. VII., 16. VII. 1684, ferner vom 29. VIII. 1688 betr. Einquartierungspflichten in Stein. Auch ein Protege Langhansens, Friedrich Philipp Geuder zu Heroldsberg, schickt Sandrart einen Dankesbrief und verspricht Avancen zu machen (10. VIII. 1684). 34 17. II. 1685. Die weiteren Vertreter waren Jacob Biomart, Herr Isaac (?) Buyrette und Wilhelm Biomart. 35 Neidiger (wie Anm. 7) p. 298 s. Die Steiner Liegenschaften wurden 1806 säkularisiert und 1813 verkauft (Hirschmann [wie Anm. 26] p. 120). * Akt 22 f. 37 Ausgewertet bei Klemm 1985, in den Annalen unter 14. IV., 27. VI. 1684, 28. III. und 16. IX. 1686.

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lungen über die Konzession für das Exercitium religionis publicum in Stein; seine offensichtliche fachliche Kompetenz hingegen zeugt von seinen Erfah­ rungen auf der Hofmark Stockau, wo er auch eine Brauerei betrieb. Der letzte Faszikel enthält Auszüge aus Sandrarts Testament und etliche Schreiben, die sich um eine merkwürdige Zusatzklausel vom 31. XII. 1686 ranken.38 Danach sollte ein von Joachim seinem Neffen Johann Jacob zum Kauf seines Hauses „unter den Huthern liegend“ geliehenes Kapital von 1048 fl. 28 kr. diesem zur Nutznießung überlassen sein, solange er und seine Nachkommen „sich allerseits eines aufrichtigen Christlichen Wandels und Exemplarischen Lebens, der Waaren Evangel: Reformirten Religion Conform befleissigen werden“, im andern Falle aber — „welches Gott gnädig verhüten wolle“ — unter die streng gläubigen Sandrartschen Miterben und der Kirche aufzuteilen sei. Da diese konfessionelle Bindung anscheinend juristisch nicht haltbar war, setzte Joachim am 21. II. 1688 die reformierte Gemeinde zur Erbin des genannten Kapitals ein; in einem gleichzeitigen Brief an die Kirchen­ vorsteher, dessen eigenhändige Schriftzüge übrigens von ungebrochener Sicherheit sind, präzisiert, er, man solle es damit entsprechend den Bestim­ mungen von 1686 halten, wie es auf „Gottes Ehr und fort Pflantzung unsere Christlich Religion auch meines namen getrewe anverwanten zu ein guet angedencken abzihlet.“ Man erkennt hier die enge Verschwisterung der konfessio­ nellen und familiären Bindungen, wie sie die internationale calvinistische Dia­ spora kennzeichnet; dieser Komplex war für den wenig seßhaften Sandrart zeitlebens gewissermaßen die „Heimat“. Die der Testamentseröffnung folgenden Verhandlungen rücken den Versuch Sandrarts, seinen begabtesten Neffen — er gehört zu den besten deutschen Illustratoren seiner Generation — nicht nur im Erben sondern auch in der Aufsicht zu bevorzugen, in ein merkwürdiges Licht. Wie Daniel Horn (?) am 16. V. 1689 dem Testamentsvollstrecker und Presbyter Isaac de Buyrette schreibt, war Johann Jacob durchaus „ein auffrichtig Mitglied der Reformirten Gemein“; und auch dessen Brief vom 17. XII. 1688 an seinen Vetter Buyrette läßt auf Kirchentreue und einen christlichen Lebenswandel schließen. Man spürt die unangenehme Empfindung über die Testamentsbestimmung seines verehrten Onkels; er bittet inständig die Klausel, die ihn ins Unglück stürze, innert der gesetzlichen Frist von acht Wochen zu ändern, sonst müsse er gar das Christkind an seiner Tür Vorbeigehen lassen. Doch wird eine solche Ände­ rung nach dem Tode des Erblassers nicht mehr möglich gewesen sein, und so

38 Akt 22 h. — „Absonderliche Verordnung Litt. B“, von einem Notar geschrieben und von San­ drart visiert. Für den Eventualfall regelt ein vierseitiges Schriftstück die Einzelheiten.

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löste man am 19. VI. 1689 die Sache so, daß die Kirchenpfleger die von Joa­ chim deponierten Schuldverschreibungen und über den Besitz des Hauses aus­ weisenden Papiere Johann Jacob unter der Bedingung, für allfällig hieraus erwachsende Forderungen zu haften, aushändigten, die Testamentsklausel aber unter seinem Siegel im Consistorialarchiv „secretiert“ würde und er im wei­ teren nicht belangt werden solle. Aus zwei weiteren Schriften erfahren wir, daß Sandrart den Armen im Spital zu Stein 100 fl. in bar und ein bei der Bayerischen Landschaft auf Zinsen lie­ gendes Kapital von 500 fl. vermachte, deren Rendite jährlich zu seinem Gedächtnis ausgeteilt werden solle39, und daß er seine Witwe Esther Barbara zur Universalerbin eingesetzt und sie über alles nicht sonst testierte frei bestimmen möge, „meiner dabey im besten Zugedencken“40. Ferner ist glaub­ würdig überliefert, daß Joachim der Stadt Nürnberg zu seinem Gedächtnis die „Erziehung Jupiters" und ein Portrait Ferdinands IV. vermachte; während dieses im letzten Krieg auf der Burg verbrannte, befindet sich das andere Gemälde noch stets im Besitz der Stadt und hängt im Germanischen National­ museum.41 Ein weiteres „Monumentum" hatte Sandrart in Nürnberg schon früher mit der Rettung von Dürers Grabmal42 auf dem Johannisfriedhof

39 Amtlicher Auszug vom 2. VII. 1691 aus dem Testament vom 8.1. 1685 § 6 und der Absonder­ lichen Verordnung vom 10.1. 1687 Lit. A § 4. Diese 500 fl. waren ein Teil von 6000 bei der Bayerischen Landschaft liegenden Gulden. Nach Volkmann (Ausgabe der „Teutschen Academie“ von 1768 I p. XXVII) war dies nicht die einzige wohltätige Vergabung Sandrarts. 40 Undatierte Abschrift, „Punct 25“. — Eine bei dem „Hessen Cassel Hochlöbl. Presbyteri“ depo­ nierte Kopie des Testamentes ist nicht mehr nachweisbar (freundliche Mitteilung von Dr. Philippi, Hessisches Staatsarchiv Marburg, und Kirchenarchivar Braasch, Kassel). Zum langen Wit­ wenstand der Frau von Sandrart s. Johann Hieronymus Lochner: Sammlung merkwürdiger Medaillen (4. Jahr 1740) p. 374, der als Todesjahr 1733 gibt. Dies bestätigt ein Nachruf (Auszug eines Schreibens aus Nürnberg [Auserlesene theologische Bibliothec [Leipzig] VI 1733 68. Stuck] p. 801—803), der nebst zweier Gedichte des Prediger Negeleins und eines „hiesigen Adelichen Fräuleins“ — letzteres eigenhändig auf Atlas geschrieben — vor allem lobende Worte auf die physico.-theologischen Kenntnisse und Fähigkeiten der Frau Sandrart und auf ihr hierauf ausgerichtetes Kabinett bringt. Ebenso Zedlers Universallexicon und Johann Georg Keyssler: Neueste Reisen (Hannover 21751) p. 1407—1409. Gewissermaßen als „eine von den größten Raritäten ihres Kabinetts“ — um mit Keyssler zu reden — erscheint sie auf dem Portraitstich Heumanns nach Georg Desmarees (abgedruckt in der „Teutschen Academie“ 21768 I p. XXVIII). Von 1698 bis 1703 wohnte sie im Peilerhaus am Egidienplatz, s. Wilhelm Schwemmer: Das Bürgerhaus der Nürnberger Altstadt (vol. I Nürnberg 1961) p. 53. 41 Klemm 1985 Kat.Nr. 140 resp. 96, ebendort zu Sandrarts künstlerischem Nachlaß (letzte Anmerkung zu den Annalen). 42 Wilhelm Schwemmer: Albrecht Dürers Grab auf dem Johannisfriedhof (Mitteilungen des Ver­ eins für Geschichte der Stadt Nürnberg LXII 1975 p. 279—284).

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gestiftet, auf dem er selbst am 19. Oktober 1688, eskortiert von den städtischen Dragonern, beigesetzt wurde.43 Mit einer kleinen geistlichen Meditation Sandrarts, die wir für die Schluß­ klausel seines Testaments halten44, komme auch unsere Arbeit ans Ende: „So ist Endlich meint Eyniger trost in leben und in Sterben daß Ich mit leib und sehl nicht mein, sondern meines getrewen Heylandts Jesus Christi Eygen bin, der mit seinem thewren blut fuhr alle meine sunden volkomlich bezahlet, und mich auß dem gewalt deß Teufels erlöset hat, und also bewaret, daß ohne den willen meines vatters in Himmel kein Haar von meinem Haupt kan fallen, Ja auch mir alles zu meiner Sehligkeit dienen muß, darum er mich auch durch seinen Heiligen geist deß Ewigen lebens versichert und Ihme Forthin In leben und In Sterben beruet macht.“

43 Staatsarchiv Nürnberg, Ratsverlässe 1688 vol. VII fol. 99 v. Sandrart starb in der Alten Leder­ gasse (Ratstotenbuch, ebendort 1. Abt. vol. 65), unsicher die anderen Angaben über Sandrarts Wohnung: Obere Schmiedgasse 66 (nach Rettberg, nicht verifizierbar nach Fritz Traugott Schulz: Nürnberger Bürgerhäuser (Leipzig 1933) p. 549), Toplerhaus in der Unteren Söldner­ gasse 17 (nach Schwemmer [wie Anm. 42], unwahrscheinlich vgl. Schulz p. 569, Verwechslung mit dem Haus Obere Schmiedgasse 66, das bis 1677 im Besitz eines Toplers war?). Bei Georg Andreas Will/Christian Conrad Nopitsch: Nümbergisches Gelehrten-Lexicon (Nürnberg 1755—1808, VIII p. 20) wird das große Winklerische Haus (s. oben p. 138) und das „Goldene Reh“ am Kornmarkt, wo zu Sandrarts Zeiten die Akademie ihre Zusammenkünfte hielt, genannt. 44 Eigenhändiger Zettel in Faszikel f, offensichtlich unter Verwendung eines Formulars.

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PETER PAUL WERNER ALS MÜNZSTEMPELSCHNEIDER DER STADT NÜRNBERG Von Hubert Emmerig Peter Paul Werner war einer der fleißigsten und bedeutendsten Medailleure und Münzstempelschneider des 18. Jahrhunderts. Erste Arbeiten P. P. Wer­ ners, der 1689 in Nürnberg zur Welt kam, sind 1711 nachweisbar. Der Künstler starb 1771 ebenfalls in Nürnberg. Sein Werk umfaßt in erster Linie eine große Zahl von Medaillen1, daneben schnitt P. P. Werner aber auch Münzstempel für zahlreiche münzberechtigte Territorien. Im Gegensatz zu mehreren bedeutenden Medailleuren des 18. Jahrhunderts, deren Biographie und Werk einen Bearbeiter fanden2, fehlt über P. P. Werner immer noch eine Monographie.3 Hier soll nur ein winziger Ausschnitt aus dem umfangreichen Werk P. P. Werners behandelt werden und zwar seine Münzstempel für die Stadt Nürnberg. Das Staatsarchiv Nürnberg besitzt Quittungen P. P. Werners, auf denen er dem Nürnberger Münzmeister bzw. dem städtischen Losungs­ amt4 die Bezahlung seiner Arbeiten bestätigt.5 In der Zeit der Tätigkeit P. P. Werners versahen folgende Personen das Münzmeisteramt in Nürnberg6: 1716 bis 1746 Paul Gottlieb Nürnberger 1746 bis 1755 Carl Gottlieb Lauffer Der Bestand ,Nürnberg, Stadtrechnungsbelege (Rep. 54a II) Nr. 1363* im Staatsarchiv Nürnberg enthält fünf Quittungen P. P. Werners, von denen sich 1 Als Beispiel seien die Medaillen auf das Rhinozeros in Nürnberg 1748 genannt. Siehe dazu Hubert Emmerig, Das Rhinozeros in Europa 1741—1758 und seine Medaillen, Money trend 10 (1978) Heft 5, S. 20—25, 50, 52. — Im Katalog zu der Ausstellung des Germanischen National­ museums Nürnberg „Barock in Nürnberg 1600—1750“ (= Anzeiger des Germanischen Natio­ nalmuseums 1962), Nürnberg 1962, sind sechs Münzen und Medaillen von Peter Paul Werner aufgeführt (Nr. D 62 — D 67), S. 136 f. 2 Vgl. z. B. Elisabeth Nau, Lorenz Natter 1705—1763, Gemmenschneider und Medailleur, Biberach a. d. Riß 1966; Paul Grotemeyer, Franz Andreas Schega 1711—1787, München 1971; Peter Felder, Medailleur Johann Carl Hedlinger 1691—1771, Aarau, Frankfurt/M. und Salz­ burg 1978; Francisca Bernheimer, Georg Wilhelm Vestner und Andreas Vestner. Zwei Nürn­ berger Medailleure (Miscellanea Bavarica Monacensia 110) München 1984. 3 Kurze Abrisse von Leben und Werk Peter Paul Werners finden sich in Leonhard Forrer, Biographical Dictionary of Medallists VI, London 1916, S.453—455 und Thieme-Becker, Allge­ meines Lexikon der Bildenden Künstler 35, Leipzig 1942, S. 417—418. 4 Das Losungsamt ist das Steueramt der Stadt Nürnberg. 5 Staatsarchiv Nürnberg, Bestand Nürnberg, Stadtrechnungsbelege (Rep. 54a II) Nr. 1363, 1457. Für die Erlaubnis zum Abdruck vom 2. 2. 1978 und 22. 11. 1983 danke ich. 6 C. F. Gebert, Geschichte der Münzstätte der Reichsstadt Nürnberg, Nürnberg 1890, S. 111—114; Hans-Jörg Kellner, Die Münzen der freien Reichsstadt Nürnberg (Bayerische Münzkataloge 1) Grünwald bei München 1957, S. 150.

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drei auf Münzstempel beziehen.7 Die Quittungen sind an den Münzmeister P. G. Nürnberger gerichtet und nennen folgende Stempel: 1732 April 20 2 Paar Kreuzer-Stöcke, das Paar zu 2 fl (Gulden) = Kreuzer 1732 (2 Varianten)8 1732 Juli 12 1 Paar 15 Kreuzer-Stöcke zu 8 fl = 12 Kreuzer (Fünfzehner) 1732* 1736 November 10 2 Paar Halbe Ortsgulden-Stöcke, das Paar zu 9 fl = V8 Gulden = 6 Kreuzer 1736 (2 Varianten)10 Der Bestand ,Nürnberg, Stadtrechnungsbelege (Rep. 54a II) Nr. 1457* im Staatsarchiv Nürnberg enthält vier Quittungen P. P. Werners11, von denen drei an das Losungsamt gerichtet sind. Sie betreffen folgende Arbeiten: 1742 März 16 1 Paar Taler-Stöcke zu 24 fl = Taler 174212 1 Paar Dukaten-Stöcke zu 12 fl = Dukat 174213 1744 Februar 10 1 Paar Bürgergulden-Stöcke und 1 Paar Halbe BürgerguldenStöcke, zusammen zu 20 fl = Bürgergulden 1744 und halber Bürgergulden 174414

7 Siehe Anhang Nr. 1—3. Die beiden anderen Quittungen sind: 1729 August 20. Werner bestätigt den Erhalt von 25 fl vor die auf Hohen Befehl von mir überlieferte Muscheln. 1736 September 19. Werner bestätigt dem Losungsamt den Erhalt von 2 fl 30 Kreuzer dafür, auff zwei silberne blatten 4 Wappen gestochen zu haben. 8 Nächste Prägung eines Kreuzers erst wieder 1758. Zu den Münzbestimmungen vgl. Kellner (wie Anm. 6) S. 155—156 und unten das Verzeichnis der Prägungen. 9 Ein 15 Kreuzer-Stück wurde laut Kellner (wie Anm. 6) in dieser Zeit nicht geprägt. Das 12 Kreuzer-Stücke wurde aber damals Fünfzehner genannt. Christoph Andreas Imhof, Sammlung eines nümbergischen Münz-Cabinets I, Nürnberg 1780, überschrieb das 12 Kreuzer-Stück des­ halb ebenfalls mit der Bezeichnung Fünfzehner (S. 343/344). Die 15 Kreuzer-Stücke nahmen um 1704 so im Feingehalt ab, daß sie zum Teil nur noch mit 12 Kreuzern bewertet wurden (siehe [J. G. von Lori], Sammlung des baierischen Münzrechts III, o. O. u. o. J. [1770] Nr. CXL— CXLIII, S. 243—245). Nürnberg paßte sich dieser Entwicklung wohl schnell an und ersetzte — bereits 1704 — die 15 Kreuzer-Stücke durch guthaltige 12 Kreuzer-Stücke, denen aber der Name Fünfzehner noch einige Jahrzehnte blieb. Nächste Prägung eines 12 Kreuzer-Stücks erst wieder 1736. 10 Nächste Prägung eines 6 Kreuzer-Stücks erst wieder 1806. 11 Siehe Anhang Nr. 4—7. 12 Nächste Prägung eines Talers erst wieder 1745. 13 Nächste Prägung eines Dukaten erst wieder 1745.

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1745 Juni 10 bzw. Dezember 3 1 Paar Taler-Stöcke zu 24 fl = Taler 174515 1 Paar Dukaten-Stöcke zu 12 fl = Dukat 174516 Wappenseite des Lammdukaten völlig überschnitten, für 4 fl = Lammdukat o. J.17 Die vierte Quittung ist an das Schauamt gerichtet: 1754 Oktober 12 1 Paar Taler-Stöcke zu 26 fl = Konventionstaler 175418 Die Quittungen nennen zwar immer deutlich das Nominal des geschnit­ tenen Stempels, jedoch nicht die Jahreszahl. Ein Vergleich der in den Quit­ tungen genannten Nominale mit dem Katalog der Nürnberger Prägungen19 zeigt aber, daß der direkte Schluß vom Datum der Quittung auf das Jahr des Münzstempels nicht nur berechtigt, sondern der einzig mögliche ist. Als Ergebnis sind folgende Prägungen als Werke Peter Paul Werners festzu­ halten: Reichsstadt Nürnberg 1. Kreuzer 1732. K. 248, Imh. S. 425, 12220. 2. Kreuzer 1732 (Variante). K. 248, Imh. S. 425, 123. 3. 12 Kreuzer (Fünfzehner, Örterer) 1732. K. 221, Imh. S. 344, 49. 4. 6 Kreuzer (Vs Gulden, Halbörterer) 1736. K. 228, Imh. S. 356, 9. 5. 6 Kreuzer 1736 (Variante). K. 228, Imh. S. 357, 10. 6. Taler 1742. K. 191, Imh. S. 234, 13921. 7. Dukat 1742. K. 69, Imh. S. 34, 44.

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Diese Stücke existieren nur mit der Jahreszahl 1744. Nächste Prägung eines Talers erst wieder 1754. Nächste Prägung eines Dukaten erst wieder 1766. Die umgeschnittenen, später geprägten Lammdukaten von 1700 sind bekannt. Unklar bleibt, ob der runde Dukat oder die Dukatenklippe gemeint ist. Nächste Prägung eines Talers erst wieder 1757. Kellner (wie Anm. 6). K. = Kellner (wie Anm. 6), Imh. = Imhof (wie Anm. 9). In dem Katalog der Ausstellung »Barock in Nürnberg 1600—1750“ (s. Anm. 1) ist dieser Taler noch dem Medailleur Paul Gottlieb Nürnberger zugewiesen. (Nr. D 61 S. 136). Seine Signatur P. G. N. weist jedoch nur darauf hin, daß das Stück unter seiner Verantwortung als Münzmei­ ster geprägt wurde.

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8. 9. 10. 11.

Taler 1745. K. 192, Imh. S. 234, 140. Dukat 1745. K. 70, Imh. S. 34, 45 bzw. 46. Konventionstaler 1754. K. 277, Imh. S. 235, 141. Lammdukat o. J. K. 64 b, Imh. S. 31, 38, Widhalm 11 d22. oder Lammdukatenklippe o. J. K. 65 b, Imh. S. 31, 40, Widhalm 12 b.

Reichsstadt Nürnberg, Losungsamt 12. Bürgergulden 1744. K. 356, Imh. S. 635, 115, Gebert lll23. 13. V2 Bürgergulden 1744. K. 357, Imh. S. 635, 16, Gebert 112. Von diesen dreizehn Stücken tragen nur drei die Signatur des Stempelschnei­ ders. Der Taler 1742 ist mit W signiert. Der Taler 1745 und der Konventions­ taler 1754 tragen die Buchstaben P P W als Signatur. So signierte Werner auch fast alle seine Medaillen. Andere Münzen der Stadt Nürnberg, die die Signatur Werners tragen und in den hier publizierten Quittungen nicht enthalten sind, sind nicht bekannt24. Der Versuch, die jetzigen Standorte der besprochenen Münzstempel festzu­ stellen, falls sie noch erhalten sind, hatte leider nur wenig Erfolg: Das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg besitzt keinen der Stempel25. Der Katalog der Wiener Stempelsammlung enthält ebenfalls keinen der Stempel26. Die Stempelsammlung der Staatlichen Münzsammlung in Mün­ chen enthält nach den dort vorhandenen schriftlichen Unterlagen die Stempel zu obiger Nr. 7, dem Dukat 174227.

22 Widhalm = Dieter Widhalm, Die Nürnberger Lammdukatenprägungen von 1632 bis 1806, in: Beiträge zur Süddeutschen Münzgeschichte (Festschrift zum 75jährigen Bestehen des Württembergischen Vereins für Münzkunde e. V.) Stuttgart 1976, S. 245—279. 23 Bürgergulden waren Marken des städtischen Losungsamts, die zur Bezahlung einer kombi­ nierten Kopf- und Vermögenssteuer dienten; siehe dazu Kellner (wie Anm. 6) S. 159—160. Gebert - Carl Friedrich Gebert, Die Marken und Zeichen Nürnbergs, Nürnberg 1901. 24 Bei den Prägungen auf das Stückschießen 1733, einem Gulden (K.-, Imh. S. 175, 13), einem Taler (K. 189, Imh. S. 233, 137) und einem Doppeltaler (K.-. Imh. S. 175, 13), die von P. P. Werner geschnitten und signiert sind, handelt sich wohl um Medaillen im Gulden- bzw. im Talergewicht. 25 Laut frdl. Auskunft von Herrn Dr. Ludwig Veit vom 31. 3. 1981. 26 Katalog der Münzen- und Medaillenstempelsammlung des k. k. Hauptmünzamts in Wien, 4 Bände, Wien 1901--1906. 27 Die Stempel selbst sind in München zur Zeit leider nicht zugänglich.

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Anhang Quittungen Peter Paul Werners für seine Arbeiten für die Stadt Nürnberg. Nr. 1 bis 3: Staatsarchiv Nürnberg, Bestand: Nürnberg Stadtrechnungsbelege (Rep. 54a II) Nr. 1363. Nr. 4 bis 7: Staatsarchiv Nürnberg, Bestand: Nürnberg Stadtrechnungsbelege (Rep. 54a II) Nr. 1457. 1.

S. T. Herrn Nürnberger 2 Baar Kreutzer Stöcke geschnidt daß Baar 2 fl thut........................................................................................... 4 fl d. 20 Aprill 1732 Peter Paul Werner zu danck bezahlt Medallier und Münzschneider Siehe Abbildung l.28

2. S. T. Herrn Nürnberger Ein Baar fünftzehen Kreutzer Stöcke welche ich geschniden hab wo für. . d. 12 Julij 1732 zu danck bezahlt

...................................................8 fl Peter Paul Werner Medallier und Müntzschneider

3. 5. T. Herrn Nürnberger Stöcke geschnidt wie folgt Ein Baar halbe orths gulten Stöcke geschnidt......................................... noch ein baar halbe orths gulten Stöcke geschnidt.........................................

fl 9— 9:— Summa

Nürnberg d. 10 November 1736 zu dank bezahlt

18 fl Peter Paul Werner Medailleur und Müntzschneider

28 Foto: Staatsarchiv Nürnberg.

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Peter Paul Werner

4. Aus Befehl eines hochlöbl. LoßungAmts allhier, habe ich Endes unterschriebe­ ner ein Paar Thaler Stock, auf einer Seite das Portrait Seiner Römsch. Kaiserl. Maye. Caroli VII. und auf der andern Seite fl die Stadt Nürnberg geschnitten pro...................................................24:—.— Zugl. wegen ein Paar Dukaten Stock mit allerhöchst gedachten Portrait die Kayser Crone auf dem Haubt hafl bend zu schneiden................................................................................. 12:—.— Thun zusammen fl 36:—.— Nürnberg den 16 Martii Anno 1742 zu dank vergüngt den 20 Juny a. c.

Peter Paul Werner Münzschneider

5. Für das Hochlöbl. Losung Amt Ein Paar ganze und ein paar Halbe Bürger Gulden geschnitte dafür zu schneiden.................... Nürnberg d. 10 Februar 1744 zu dank bezahlt den 17 febr. 1744

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fl:x 20:— Peter Paul Werner Medailleur und Münz Eisen Schneider

Abb. 1:

Quittung Peter Paul Werners vom 20. April 1732. Staatsarchiv Nürnberg.

Hubert Emmerig

6. Für daß Hoch Löbliche Loßung Ampt Müntz stämpfl geschniden wie folgt Ein Baar Fahler Stöcke geschnidt worauf deß Kaysers Pattret fl ander Seiten die Statt Nürnberg.............................................................24 — dann ein Baar Dukaten Stöcke eben mit deß Kaysers Pattret andrer Seiten mit einer Vigur daß Statt wappen haltend....................................................................... 12 — d. 10 Junij 174529 dann habe die eine Seiten wo die 3 Wappen stehen von dem Lämleins Ducaten stock völig neu überschnidt....................................................................... 4 — Nürnberg d. 3 December Anno 1745. zu Dank bezahlt 23 December 1745

7. Für das Wohl Löbliche Schauampt Ein Baar Tahler Stöcke geschniden Worauf daß bildtnuß deß Kaysers andr Seiten die Statt Nürnberg. wofür zu schneidt......................... Nürnberg d. 12 october 1754. zu dank bezahlt

Summa

40 fl —

Peter Paul Werner Medailluer und Müntz­ schneider

fl 26 —

Peter Paul Werner Medailleur

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Per Daniel Atterbom

ZEHN TAGE IN NÜRNBERG 1817 (28. NOVEMBER BIS 8. DEZEMBER) Von Per Daniel Atterbom Inhaltsverzeichnis Vorbemerkung...........................................................................................................................155 Einleitung von Alken Bruns

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Allgemeines............................................................................................................................... 158 28. November Einzelheiten über die Stadt, Brücken, Brunnen, Häuser, Frauenkirche, Konfessionen

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29. November Burg, Gemäldegalerie ............................................................................................................ 178 Sebalduskirche...........................................................................................................................187 30. November Burg (Erlebnis mit dem Kastellan) .................................................................................. 196 Lorenzkirche .................................................................................................................... 198 Nationaltheater ......................................................................................................................201 1. Dezember Besuch bei Baron Haller am Egidienplatz ......................................................................... 201 Dürerhaus ......................................................................................................................... 205 Johannisfriedhof ......................................................................................................................206 2. Dezember Rochusfriedhof ............................................................................................................... Kunsthandlung Friedrich Campe.......................................................................................

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3. Dezember Kunsthandlung Frauenholz ..................................................................................................214 Besuch bei Baron Holzschuher .............................................................................................218 Egidienkirche, Hans-Sachs-Haus.............................................................................................220 4. Dezember Rathaus, Sammlung Frauenholz im Rathaus ..........................................................................223 Lorenzkirche, zweiter Besuch..................................................................................................228 5. Dezember Vormittags im Gasthof, nachmittags Spaziergang außerhalb der Stadt...................................229 6. Dezember Pellerhaus, Verlag Schräg

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7. Dezember nochmals bei Baron Haller.......................................................................................................230 8. Dezember Abreise von Nürnberg

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Vorbemerkung Anläßlich einer Deutschlandreise besuchte im Jahre 1984 Gymnasialprofessor i. R. Dr. G. A. Wollin aus Lindingoe bei Stockholm das Stadtarchiv Nürnberg. Er machte darauf aufmerksam, daß das ausführliche Tagebuch des schwedi­ schen Dichters Atterbom über seinen Aufenthalt in Nürnberg 1817 bisher noch nicht in deutscher Übersetzung vorliegt. Dr. Wollin erklärte sich bereit, diesen Text zu übersetzen. Die Erstfassung der Übersetzung hat anschließend Herr Dr. Alken Bruns, Lübeck, noch eingehend überarbeitet. Außerdem hat er eine Einleitung beigesteuert. Erläuterungen zu den kunsthistorischen Angaben Atterboms lieferte Herr Matthias Mende, Stadtgeschichtliche Museen Nürnberg, die übrigen Fußnoten stammen vom Unterzeichneten. Den Herren Wollin, Bruns und Mende sei für ihre Arbeit herzlich gedankt. Dr. Gerhard Hirschmann

Einleitung Im Jahre 1816 besuchte die Dichterin Amalie von Helvig die schwedische Uni­ versitätsstadt Upsala* ein folgenreiches Ereignis für sie selbst und für den jungen schwedischen Romantiker Per Daniel Amadeus Atterbom (1790-—1855) und die Geschichte der schwedisch-deutschen Literaturbeziehungen überhaupt. Amalie von Helvig hatte seit 1790 mit ihrer Mutter, einer Schwester Charlottes von Stein, in Weimar gelebt und war von Goethe und Schiller als poetisches Talent gefördert, allerdings auch als Dilettantin kritisiert worden. Nach der Heirat mit dem schwedischen Obersten Carl von Helvig (1803) und einem ersten mehrjährigen Aufenthalt in Schweden hatte sie sich seit 1810 in Heidel­ berg der jüngeren deutschen Romantik angeschlossen. In Upsala, wo sie 1816 eine Jugendfreundin ihres Mannes Wiedersehen wollte, traf sie Gleichgesinnte an, denn hier hatte sich um Atterbom und dessen Freund Erik Gustav Geijer (1783—1847) eine junge romantische Dichterschule etabliert, die den Rationa­ lismus der Aufklärung und die Vorherrschaft des französischen Klassizismus in der schwedischen Literatur bekämpfte und für eine Erneuerung des schwedi­ schen Geisteslebens im Zeichen der Romantik eintrat. Nach ihrem Besuch in Upsala wurde Amalie von Helvig zur ersten bedeutenden Vermittlerin roman­ tischer schwedischer Literatur nach Deutschland, sie übersetzte Atterbom und Geijer, vor allem aber Esaias Tegners (1782—1846) Frithiofs saga ins Deutsche; andererseits lenkte sie, die mit den Dichtem der Weimarer Klassik ebenso wie mit der deutschen Romantik vertraut war, die schwedischen Autoren auf die

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deutsche Bildungswelt der Goethezeit hin. Die Reise nach Deutschland und Italien, die Atterbom 1817 antrat, geht auf Amalie von Helvigs unmittelbare Anregung zurück, und selbstverständlich führte sie auch über die Reichsstadt Nürnberg, in deren Nähe die Dichterin — aus dem Patriziergeschlecht von Imhoff stammend — einen Teil ihrer Jugend verlebt hatte. Per Daniel Atterbom war 1805 als Student nach Upsala gekommen und hatte dort 1807 den Dichterbund Aurora gegründet; die Literaturgeschichte nennt die Gruppe nach ihrer von Atterbom herausgegebenen Zeitschrift Phosphoros die Phosphoristen. Eine zweite romantische Vereinigung, der Gotische Bund, entstand 1811 um Erik Gustaf Geijer und Arvid August Afzelius (1785—1871). Die Phosphoristen und der Gotische Bund leiteten im zweiten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts eine neue Blütezeit der schwedischen Literatur ein, an deren Anfang Atterboms programmatisches Prologgedicht im ersten Heft von Phosphoros 1810 steht. Das Hauptwerk Atterboms, das Sagenspiel Lycksalighetens ö (Die Insel der Glückseligkeit), ist neben Tegners Frithiofs saga das bedeutendste Werk der schwedischen Romantik. Die Publikation (1. Teil 1824, 2. Teil 1827) fiel jedoch in eine Zeit, in der der Schwung der romantischen Bewegung bereits nachließ. In der Literatur machten sich rea­ listischere Tendenzen geltend, und das kulturelle Leben Schwedens wurde vom politischen Kampf der Liberalen und Konservativen geprägt. Atterbom, Gegner einer liberalen und sozialen Politik, galt den Liberalen als Inkarnation eines rückwärtsgewandten Obskurantismus. Seine dichterische Produktion war mit Lycksalighetens ö praktisch abgeschlossen. In den 40er Jahren wandte er sich als Universitätslehrer in Upsala ganz der Vergangenheit der schwedischen Literatur zu und schrieb mit Svenska siare och skalder (1841—1852, Schwedi­ sche Seher und Skalden) die erste moderne Literaturgeschichte Schwedens. Als philosophischer und ästhetischer Kritiker zu anspruchsvoller metaphysi­ scher Spekulation neigend, hatte sich Atterbom, als Amalie von Helvig ihn in Upsala kennenlemte, in nervenaufreibende Zeitungspolemiken verwickeln lassen. Die Reise nach Deutschland und Italien sollte ihn den Streitigkeiten ent­ ziehen und ihm durch den unmittelbaren Kontakt mit Dichtern und Philoso­ phen der deutschen Romantik zu neuer poetischer Produktivität verhelfen. Im Juli 1817 reiste Atterbom über die südschwedische Hafenstadt Ystad nach Berlin, wo Amalie von Helvig seit 1816 ständig lebte, und folgte dieser dann im August des Jahres nach Dresden. Hier lernte er den dänischen Literaturkritiker Peder Hjort (1793—1871) kennen, der soeben mit einem Angriff auf den Romantik-Gegner Jens Baggesen Aufsehen erregt hatte. Hjort begleitete Atterbom im Herbst und Winter 1817/1818 über Nürnberg und München nach Italien, und seine Gesellschaft war diesem um so erwünschter, als er nach Atter­ boms eigenem Urteil »in allem, was das gewöhnliche praktische Leben und die mannigfaltigen Vorkehrungen zu einer langen Reise betrifft, bedeutend anstel­ liger und erfahrener“ war als Atterbom selbst. Nach mehrmonatigem Aufent-

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halt in Rom kehrte Atterbom Anfang 1819 über Wien und Breslau nach Berlin zurück, wo er im Hause August von Gneisenaus unterkam und wieder in den Freundeskreis Amalie von Helvigs eintrat. Ihretwegen blieb er länger als geplant, widerstand aber allen Angeboten, sich einbürgem zu lassen und eine Anstellung an einer preußischen Universität zu suchen. Stattdessen schiffte er sich im August des Jahres in Stralsund ein und kam, nach mehr als zweijähriger Abwesenheit von Schweden, am 22. August wieder in Ystad an. Die umfangreichen Aufzeichnungen, die auf der Reise entstanden waren, hatte Atterbom nach seiner Heimkehr zu einem Zyklus ausarbeiten wollen, dessen Thema „die innere Bildung und lebhaftere Weltauffassung“ sein sollten, die ihm die Reise brachte. Doch ist die Ausarbeitung über Anfänge nie hinaus­ gelangt, und erst nach dem Tod des Dichters hat sein Freund Afzelius die Briefe an schwedische Freunde, die Tagebuchaufzeichnungen, Notizen und Gedichte zusammengestellt und unter dem Titel Minnen fran Tyskland och Italien 1859 in Örebro erscheinen lassen. Auszüge daraus erschienen in deutscher Überset­ zung erstmals 1863 in der Berliner Allgemeinen Zeitung, 1867 dann auch erweitert in Buchform*. Der Übersetzer war der Berliner Schriftsteller Franz Maurer (1831 1872). Die Maurersche Übersetzung wurde, überarbeitet, wie­ derum erweitert und gründlich kommentiert, 1970 von Elmar Jansen neu her­ ausgegeben**, der literaturgeschichtliche und biographische Hintergrund der Reise ist hier in einem gehaltvollen Nachwort des Herausgebers im einzelnen dargestellt. Doch hat auch Elmar Jansen die Tagebuchaufzeichnungen über Nürnberg, die unter dem Titel „Zehn Tage in Nürnberg“ das elfte Kapitel der Erstausgabe von 1859 bilden, in seine Ausgabe nicht aufgenommen; schon Maurer hatte sie mitsamt Tagebuchblättern und Notizen über den Aufenthalt in Italien und Wien ausgesondert. Sie erscheinen hier also erstmals auf deutsch, wobei sich die Übersetzung eng an das Original hält und den in Syntax und Idiomatik altertümlich wirkenden Stil Atterboms zu bewahren versucht. Alken Bruns —

* Aufzeichnungen des schwedischen Dichters P. D. A. Atterbom über berühmte deutsche Männer und Frauen nebst Reiseerinnerungen aus Deutschland und Italien aus den Jahren 1817—1819, Berlin 1867. ** Per Daniel Amadeus Atterbom, Reisebilder aus dem romantischen Deutschland, Jugenderin­ nerungen eines romantischen Dichters und Kunstgelehrten aus den Jahren 1817 bis 1819. Steingrüben Verlag, Stuttgart 1970. (Lizenzausgabe mit Genehmigung des Gustav Kiepen­ heuer Verlages Weimar.)

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ZEHN TAGE IN NÜRNBERG 1817 (28. NOVEMBER BIS 8. DEZEMBER) Allgemeines Albrecht Dürers ehrwürdige Stadt habe ich gewiß nicht vergessen; im Gegen­ teil kann ich sagen, nachdem ich mich hier in München nun so ziemlich umge­ sehen habe, daß mir, wenn Schelling und Baader nicht hier wohnten, Nürn­ berg keineswegs durch den Ort ersetzt werden würde, an dem ich mich gegen­ wärtig befinde. Dort erst, im Mittelpunkt Deutschlands, öffnete sich mir das reiche, warme, jahrhundertelang verkannte, doch allen verwandten Seelen noch immer gleich freundlich schlagende Herz im alten Leben und der alten Kunst des tiefsinnigsten Volksstamms Europas, welches, wie es scheint, jetzt glücklicherweise wieder auflodert bei allen besseren Söhnen Deutschlands; ja, wenn man genötigt ist, das stolze Köln, das herrliche Rheinland beiseite zu lassen — ich bete täglich zu Gott, daß ich es auf meiner Rückreise besuchen kann —, dann geht meiner Überzeugung nach der für Skandinavier einzig rich­ tige Weg nach Italien eben durch diese altdeutsche Reichsstadt, deren ster­ bende Majestät noch immer, trotz ihrer merklichen Schwindsucht, von allen wahren Freunden der Geschichte und der Künste die ihr zukommende Huldi­ gung erheischt. Wenn ich zunächst meinen historischen Gewinn nenne, so ist mir jetzt, nachdem ich mit der Art dieser Altertümer die Anlagen verglichen habe, die das deutsche Volksleben in mancherlei Gestalt und nicht mehr nur in einigen Genies oder einer als schwärmerisch geltenden Jugend erneut zu entwickeln begonnen hat, ist mir jetzt also klar geworden, daß der innerste Kern der deut­ schen Gemütsart, von dem man in völliger Vergessenheit der älteren Geschichte Europas in jüngster Zeit behauptet hat, er bestehe ausschließlich in einer besonderen Neigung zur Spekulation und zu den Schöpfungen der Phan­ tasie (seltsam genug, daß man den Griechen nicht den gleichen Vorwurf gemacht hat!) in Wirklichkeit ein religiöser Bürgersinn ist, von der kraftvoll­ sten, mutigsten, beharrlichsten, tätigsten, infolge seiner religiösen Wurzel frei­ lich auch für jede Art Gemeinschaft mit der idealen Welt besonders geeigneten Beschaffenheit. Mit all seiner Neigung zum Grübeln, die bei uns vielen als die einzig charakteristische Eigenschaft des Deutschen gilt, ist er von Natur nichts weniger als faul oder ohne Tatkraft, ewig in angenehme Grillen versunken. Wir Schweden, wenn wir gelegentlich aus unserem Dämmerschlaf erwa­ chen, um etwas auszurichten, gehen mit einem Feuer, einer Fahrt, einer Besin­ nungslosigkeit zu Werke, als wollten wir Berge abtragen und brausende Ströme eindämmen; werden für gewöhnlich aber bald nach Beginn der Arbeit müde und sinken in unseren früheren Dämmerschlaf zurück oder lassen uns von neuen Vorschlägen locken, auf die der gleiche Ausgang wartet.

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Nicht so der Deutsche. Mit einem Eifer, der kaum einmal ruht, bestellt der Bauer seinen Boden, widmet sich der Bürger seinem mehr an die Kunst gren­ zenden Beruf, der Wißbegierige seinen Studien, der Gelehrte seinen Entdekkungen und seiner schriftstellerischen Tätigkeit, widmen sich der Philosoph, der Dichter und der Künstler der Entwicklung ihrer Ideen. Spreche ich meinen Landsleuten damit die edlen Eigenschaften des Fleißes und der Beharrlichkeit ab? Leugne ich z. B. das Vorhandensein gründlicher Gelehrter innerhalb der Grenzen Schwedens? Durchaus nicht! Aber der Buchstabe tötet, der Geist macht lebendig; und leider vermißt man bei unseren Gelehrten meistens diesen lebendigen Geist. Der Deutsche, sobald er sich ernsthaft ans Werk macht, verwirklicht alles, was er sich vornimmt, nicht nur mit treuem Fleiß und einer oft einseitigen Hartnäckigkeit, sondern er verbindet mit dem unerschütterlichen Festhalten am einmal gefaßten Gedanken auch oft einen unerschöpflichen Reichtum an persönlichem, selbständigem, innerem Geist, und infolge dieser Verbindung ist sein Dichten und Trachten von einem brennenden Trieb zu allem geprägt, was kühn, unversucht, ursprünglich, eigenartig ist; das ist die Ursache, weshalb sich die Bemühungen aller trefflichen Deutschen in jeder nur denkbaren Rich­ tung im allgemeinen mit einer Originalität äußern, wie sie kein anderes Volk Europas, nicht einmal das der Engländer, in so individueller Vielfalt und unun­ terbrochener Selbstverjüngung besitzt. Das bei anderen Nationen spürbare Originelle (denn jede hat das ihre) ist mehr ein der ganzen Masse aufgedrücktes allgemeines Gepräge; das allgemeine Original-Gepräge der Deutschen ist gerade das persönlich Vielfältige in der Art, Original zu sein. Es ist verständlich, daß bei einem schwächeren Gefäß zu lächerlicher Übertreibung, aufdringlicher Eitelkeit, launischer Selbstzucht ent­ artet, was in den Taten der Besten in einer auf das Schönste überraschenden, auf das Feierlichste erhebenden Art die innerste Liebe und Sehnsucht des gemeinsamen Volksgemüts offenbart. Diese Liebe, die sich auf ein übersinn­ liches Ziel richtet, diese Sehnsucht, das Reich der Unendlichkeit oder vielmehr Gottes soweit möglich innerhalb der Endlichkeit zu verwirklichen, spricht nicht nur aus halb verklungenen Heldentaten und alten erhaltenen Kunstdenk­ mälern. Ihre innerlich emporsteigende und siedende Flamme, die gewaltsam eingedämmt war im unglücklichen politischen Chaos, dem die Reformation einen unschuldigen Anlaß und dem der nicht so unschuldige Westfälische Friede eine Art Bestand von anderthalb Jahrhunderten gab, ist endlich nach allen Seiten aus ihren nicht mehr verschließbaren Verstecken hervorgebrochen, und nach einem mit glänzender Ehre vollendeten Befreiungskrieg beseelt sie jetzt alle wahren Freunde und Männer des Volkes, alle denkenden Krieger und christlichen Weisen, die an der Lösung der zur Zeit nächstliegenden Aufgabe der Menschheit arbeiten, nämlich an der Bildung einer wirklichen Freiheits-, das heißt einer wirklichen Staatsverfassung. Daß sich dieses große Geschäft

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seiner Vollendung nur langsam nähert, ist kein Zeitverlust, wenn man an die eingewurzelte Macht all des Bösen und seine verdoppelten Anstrengungen denkt, die von der gärenden Begriffsverwirrung der Masse unterstützt werden, wobei auf der einen Seite mit Recht über die kleinliche Schlauheit der selbst­ süchtigen Obrigkeiten und auf der anderen mit gleichem Recht über unklare, ja eigennützig sich kreuzende Forderungen trotziger Untertanen geklagt wird. Dennoch sehen sich die Deutschen zuweilen dem Vorwurf ausgesetzt, sie dehnten den Langmut, den man fürstlichen Häuptern und interimistischen Formen schuldig ist, zu weit aus — ein Vorwurf, der eigentlich den Wunsch in sich birgt, man möge eine neue Revolution nach französischem Geschmack erleben; andere Beurteiler, die sich zufrieden geben mit ihren oberflächlichen Begriffen von Volk, Staat, Vertretung und Politik, finden es dagegen son­ derbar, daß man in Deutschland beim Aufbau des künftigen Staatsgebäudes die Philosophie, ja die Bibel ordentlich um Rat fragen will: Und in beiden Fällen drängt sich der Eigenliebe aller unwissenden und leichtfertigen Ausländer mit erneuter Augenfälligkeit die Überzeugung auf, dieses Volk tauge zu nichts anderem als dazu, Bücher zu machen! Und so werden sie wieder erneuert, die bekannten, in den letzten Jahrzehnten zwar nicht ganz ungerechtfertigten, aber in letzter Zeit vor unseren Augen genügend widerlegten Strafpredigten über die sklavische Geduld der Deutschen gegenüber der Unterdrückung und ihre Fügsamkeit gegenüber den Bedrückern, eine Gemütsstimmung, die bei den gebildeten Mitgliedern der Gesellschaft angeblich von einer Art träu­ mender, halb philosophischer, halb poetischer Weichlichkeit, beim niederen Volk dagegen von einem Mangel an feuriger Natur und Vaterlandsgefühl begleitet sein soll: Man hat vergessen, wie mutig sie alle in gemeinsamer Auf­ opferungslust, zu der die Philosophie und die Dichtung gewiß nicht zum Wenigsten beigetragen haben, zusammenwirkten, um die übermütigen Nach­ kommen ihrer einst über den Rhein gesandten Neusiedler aus ihren Woh­ nungen zu vertreiben, ja ihrerseits zu unterjochen und zu zähmen, nachdem es endlich dem Volkswillen, oder (richtiger gesagt) dem Willen der Besseren gelungen war, die Masse zu durchdringen (die auch hier, wie in allen Ländern, Masse ist) und sich dadurch als Macht gegen Macht Geltung zu verschaffen; man hat, was mehr ist, vergessen, daß diese Nation seit den Tagen des Sieges über die Legionen des Varus nicht weniger durch ihre Waffen als durch ihre Gedanken alle wesentlichen Umgestaltungen in unserem Erdteil vorbereitet hat. Fürchte nicht, daß ein solches Volk, wieviel giftiges Unkraut auch in seinen Weizen gemischt sein mag, nach den letzten Ereignissen wieder ein­ schläft; man könnte über den Fortschritt der Freiheit jubilieren, wenn die übrigen Nationen Europas mit Ausnahme der Franzosen, die sich jetzt wenig­ stens von ihrem Standpunkt aus recht vernünftig benehmen, ebensowenig schläfrig wären. Mögen indessen diejenigen, die im Verhältnis zu Germanien wirkliche Ausländer sind, mit solchen Schlaf- oder Traumbeschuldigungen 160

Idealisiertes Porträt von Per Daniel Amadeus Atterbom, gemalt um 1815 von I. G. Sandberg. Foto: Statens Kunstmuseum. Stockholm

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weiterhin Beweise für die unausrottbare Kraft erbringen, die dem schlichtweg Unsinnigen immer innewohnt, weil es mit einem gewissen majestätischen Selbstvertrauen oft wiederholt wird, sich auf keine Überprüfung einläßt und sich um keine Gegengründe bekümmert. Doch uns Schweden, die wir im Grunde demselben Stamm angehören, mahnt vor anderen eine heilige Pflicht, ein Thema, das uns so nahe angeht, sorgfältiger zu bedenken. Das wenigstens kann ich beteuern, daß man den Anlässen dazu auf dem Boden Deutschlands kaum entgehen kann, wenn anders man sich vorgenommen hat, sich mit offenen Augen umzusehen. An der Frucht erkennt man ja immer, ob der Same edel, ob die Wurzel gesund war; und so war es mir ein wichtiges Unterpfand meiner Hoffnungen auf Deutschlands beginnende Wiedergeburt als ein selb­ ständiger und echt nationaler Staatenbund, daß ich mich in einer noch vor kurzem freien Reichsstadt ersten Ranges sinnlich bekannt machte mit dem, was es einmal war, dieses scheinbar untergegangene Heilige Römische Reich — das, was immer man daran zu Recht tadeln mag, nicht nur in den Tagen der Hohenstaufen, sondern selbst in denen Karls V. alles andere als ein Narren­ streich war. — So viel, bis auf weiteres, über die Geschichte. Jetzt gehe ich zu etwas anderem über und komme damit erst, wie man sagt, richtig zur Sache. Was Nürnberg für die Kunst und die Kunstbetrachtung bedeutet, das wollte ich dir eigentlich mit diesem Auszug aus meinem Tage­ buch zeigen. Ohne Zweifel werde ich weitschweifig bis zur Langeweile sein; so reichlich war in dieser Hinsicht der Fortschritt meines Wissens, die Aus­ beute an Genuß, der mir innerhalb der alten Mauern vergönnt war. Es kommt mir vor, als sei mein Wesen vorher vom unmittelbaren Einfluß aus dem Bereich der in Farbe und Stein bildenden Künste abgesperrt gewesen; eine recht innige, wirkende, fruchtbringende Liebe zu den Hervorbringungen dieser Künste oder wenigstens eine bestimmte Richtung in meiner Art, sie zu betrachten, ist erst an diesem Punkt meiner Reise aufgeblüht und mir selbst bewußt geworden. Gewiß sind die hohen, kunstreichen Kirchen St. Lorenz und St. Sebald nicht die ersten Gebäude, die mir den Eindruck einer christ­ lichen Tempeln gebührenden Majestät gaben, und schon in der Dresdener Gemälde-Galerie durchbohrte die Madonna von Holbein1 mein hartes, in sich verschlossenes Inneres mit einem milden Blitz aus der frommen Herrlichkeit der altdeutschen Malerei. Aber ganz anders wirkt es auf die Seele, von einer ganzen Kunstwelt (und eine solche ist Nürnberg) umschlossen zu sein, die der Anschauung eine in allen Kunstarten durchgeführte systematische Ausbildung eines einzigen, tiefen und sehr ausgesprochenen Grundprinzips vor Augen 1 Erworben 1743 in Venedig, galt das Gemälde bis gegen 1870 als Hauptwerk der Sammlung. Die Dresdener Fassung der Madonna des Basler Bürgermeisters Meyer ist jedoch eine um 1637 von Bartholomäus Sarburgh gefertigte Kopie. Das Original Holbeins ist in hessischem Fürstenbe­ sitz.

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stellt, wenn diese Ausbildung zum Teil auch auf halbem Wege stehengeblieben ist, ganz anders, als wenn man auf der Wanderung hier und dort einem stattli­ chen Gebäude, einem schönen Bildwerk, ja auch einer Kunstsammlung, einem Bildersaal begegnet, mag er noch so reich und vortrefflich sein, in dem die Prachtfreude eines vornehmen Förderers jedem Fremden zur Augenweide eine Menge Schönheiten aus allen Zeiten und Schulen angehäuft hat, in so bunter Mischung, daß sie oft eher geeignet ist, zu blenden und zu betäuben als zu erquicken und Aufklärung zu geben. Weiter: Ist man einmal von einem bestimmten gegebenen Standpunkt aus, gleichviel von welchem, wenn er nur deutlich und entschieden ist, in einen gegebenen Kreis der Offenbarungen der Kunst eingedrungen, dann ent­ schleiert sich dem Auge schnell, aus eigener Kraft oder durch heimliche Beschwörung hervorgerufen, mit gleicher Wahrheit und Klarheit all das Große und Schöne, das außerhalb dieses Gesichtspunkts und dieses einen Kreises scheinbar andere Kreise und andere Standpunkte für sich bildet, die jedoch alle eigentlich in ein gemeinsames harmonisches Gesamtgesetz einbegriffen sind. Oh, ich weiß das aus eigener Erfahrung, der ich jetzt besser verstehe, mich sogar besser erinnere, weil sie vor meiner Erinnerung lebendiger aufsteigen, die himmlischen italienischen Kunstgestalten, die ich in Dresden noch mit ziem­ licher Gleichgültigkeit betrachtete, nur weil der für mich notwendige Vorhof zum Heiligtum der Kunst fehlte, nämlich ein solcher Kreis, ganz, in sich geschlossen und nicht von seiner nährenden Natur losgerissen. Daher kommt es, daß ich erst jetzt ganz deutlich sehe, was meine Kunstliebe in Italien zu suchen und zu erwarten hat. Es ist gut, eine Vorlesung in der ehr­ lichen Schule des nordischen Bilder-Genius besucht und dabei erfahren zu haben, was er aus eigener Kraft vermag und was er darüber hinaus, doch ohne die ihm innewohnende Natur zu verleugnen, erstreben muß. Gewiß ist letz­ teres noch viel, und die glücklicheren Konkurrenten des Südens haben durch die Gunst vieler Umstände den Vorsprung gewonnen; die Kluft ist aber nicht so tief, wie man sich vorstellt, wenn man in seinem Zimmer in Schweden sitzt. Auch hierin steht der Satz unerschütterlich fest, daß eine Sache ihr Wesen am besten zu erkennen gibt, wenn sie mit ihrem Gegensatz verglichen wird. Die ernsten, unermüdlichen, erfindungsreichen deutschen Meister und ihre von der Natur mit Gunst überhäuften italienischen Mitbrüder erklären sich wech­ selseitig. Bei dieser Sachlage habe ich das Glück, daß, während Raphael in seiner Glorie, wenn auch lieblich und mild, durch seinen erhabenen Platz auf goldenen Wolken immer noch so weit von mir entfernt steht wie ein Engel von einem Sterblichen, Dürer dagegen auf mich den Eindruck eines freundlichen alten Landsmannes macht, eines würdigen, aber herablassenden Lehrmeisters, der sich vor mich auf die Erde stellt und mich in meiner eigenen geistigen Mut­ tersprache anspricht. Die ältere deutsche Kunst, mit ihm verschwunden, sollte eigentlich als ein vorzügliches Vorwort zu der älteren italienischen angesehen

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werden, die mit dem König aller Maler verschwand; und zweifellos ist Dürer der sicherste, ja der gründlichste Führer zu ihm, oder wenigstens zu den Män­ nern, die seine hervorragendsten Vorgänger waren. Und so ist das ehrwürdige Nürnberg in gewisser Hinsicht als Vorstadt von Florenz und Rom anzusehen. Für diese Eingebung meines eigenen Gefühls will ich jedoch nicht den Anspruch erheben, daß sie als allgemeiner und absolut richtiger Standpunkt gilt. Ich bin nur für mich selbst zufrieden, daß ich mich ohne Schwierigkeit so warm in die Zeit zurückfühlen konnte, in der der letztgenannte unsterbliche Meister und seine vielen großen Zeitgenossen, in der Wolgemuth, Schön v. Kalenbach2 und Amberger malten, in der Willibald Pirkhaimer lebte und Hans Sachs dichtete, in der Peter Vischer eine ganze Welt von Bildern aus Erz für das Grabmal eines Heiligen goß: Noch heute hat ja das unverfälschte Nordmänner-Gemüt im Leben, in der Dichtung, in der Kunst die gleichen Nei­ gungen und Bedürfnisse. Deshalb ist auch die Sehnsucht echt nordisch, die mich zu dem lächelnden Frühling der italienischen Kunst lockt, wo das Knospen, welches nördlich der Alpen seine Sehnsucht mit strenger Beschei­ denheit halb verhehlt, voll aufgeblüht ist und, wie ich vermute, dem ankommenden Fremden in unvergänglichem Sonnenschein begegnet, zu dessen Glanz sich die Herrlichkeit des altdeutschen Kunstlebens wohl ungefähr so verhält wie der Morgen eines schönen Apriltages. Wie weit dieser Vergleich trifft, kann erst entschieden werden, wenn ich mit eigenen Augen die win­ kenden Lustgärten der Hesperiden gesehen habe. Wohl urteilen nicht alle Skandinavier so wie ich und mein Reisebegleiter, und ohne Zweifel dürfte es unter unseren Landsleuten auf beiden Seiten man­ chen geben, der, wenn er Nürnberg sähe und dann zufällig an die Zeilen geriete, die ich jetzt darüber schreibe, außerordentlich staunen würde, daß ein Mensch mit ein wenig Ordnung im Gehirn so viel Wesens macht von einer Stadt mit engen und krummen Gassen, mit uralten Häusern, die dem Betrachter größeren Teils den Giebel statt der Langseiten zuwenden und die, was noch schlimmer scheinen muß, außen oft (wie früher die meisten, wahr­ scheinlich aber alle vornehmeren) mit verschiedenen Farben und seltsamen Bil­ dern von Riesen und Rittern bunt übermalt sind3; — einer Stadt mit einer Menge düsterer Kirchen in mittelalterlichem Stil, meist baufällig, mit Türmen ohne Ende und Säulen ohne Zahl, mit unbegreiflichen Zieraten und bemalten

2 Sinnentstellung durch ein fehlendes Komma hinter „Schön*. Gemeint sind Martin Schongauer und Hans von Kulmbach, letzterer in der älteren Literatur meist „von Kulenbach“ geheißen. 3 Außenmalereien an Häusern notierten schon Reisende des ausgehenden 16. Jahrhunderts als auf­ fallendes Nürnberger Charakteristikum. Daß der immer wieder aufgefrischte Bestand gegen Ende der reichsstädtischen Zeit noch erheblich war, bestätigt Emst Moritz Arndt: Reisen durch einen Theil Teutschlands, Ungarns, Italiens und Frankreichs in den Jahren 1798 und 1799. Th. 1. 2. Aufl. Leipzig 1804, S. 57.

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Fenstern — mit Plätzen mit Springbrunnen, auf welchen öfter Heilige und Patriarchen als Delphine und Tritonen stehen —, mit Gerümpelsammlungen alter Gemälde, streng, weitläufig, hart koloriert, fleißig und abergläubisch; dazu kommt, daß das Theater schlecht ist, das Essen in den Gasthöfen mittel­ mäßig, und die Tanzveranstaltungen möglicherweise nicht die allerglanzvoll­ sten sind. Es ist wahr: schlimm betrogen sehen sich hier diejenigen Reisenden, welche sich überall in einer gewissen weißgekalkten uniformierten Kleinstadtgemüt­ lichkeit spiegeln wollen, die sie schuldlos als unumstößliches Urbild des Geschmacks von Schulmeistern und Oberkellnern geerbt haben. Falls die Druckpresse einmal etwas von den raschen Notizen meiner flüchtigen Reise ans Tageslicht befördern sollte und ich dann solche Leser bekomme, werden sie diesen Brief gewiß ohne Gnade und Barmherzigkeit verurteilen. Ich merke im Geiste, wie sie beim Lesen immer wieder den Kopf schütteln, schnupfen, sich schneuzen und ausrufen: Ja, man hätte sich denken können, was von dem zu erwarten ist! Kann denn ein Panther sein Fell oder ein Leopard seine Flecken umwandeln? Sie haben recht; das habe ich aber auch, wenn ich diesem Schicksal in Ruhe entgegengehe. Den 28. November [1817] Unter solchen Betrachtungen beschloß ich den Abend meines ersten Tages in Nürnberg, als ich recht müde, im übrigen aber guten Mutes schlafen ging, nachdem ich mir einen Überblick über das Äußere der Stadt verschafft hatte. Morgens um 7 Uhr angekommen, galt unsere erste Sorge natürlich dem Not­ wendigsten, nämlich nach einer langwierigen und zu dieser Jahreszeit wenig gesunden Nachtreise ein wenig auszuruhen; und so waren wir erst gegen Mittag zum Umhergehen bereit. Gleich an dem Ort, wo wir wohnten, im Gasthaus „Zum Roten Roß“4, begegnete uns eine historische Sehenswürdig­ keit, und diese war — eben das Gasthaus selbst. Es hatte Ottavio Piccolomini und Carl Gustav Wrangel zu seinen früheren Gästen gezählt. Eine gute Bau­ weise im alten Stil, eine geräumige Galerie, die vom ersten Stockwerk aus nach innen um den Hof lief, machte es der Herrlichkeit einer solchen Ehre würdig. Dieser steinerne Gang erschien mir oft recht angenehm, zumal von dem an der einen Seite befindlichen Speisesaal die Tafelmusik zu hören war. Der Fluß Pegnitz fließt ungefähr mitten durch die ansehnliche Stadt, deren gegenwärtige Einwohnerzahl, etwa 28 000 Menschen, nicht dem aus glückli-

4 Gasthof Rotes Roß, Weinmarkt 14 (alt S 313).

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cheren Zeiten beibehaltenen Umfang* entspricht. Von den dadurch entstan­ denen beiden Hälften wird die eine die Lorenz-, die andere die Sebaldseite genannt, nach den beiden ältesten Hauptkirchen Nürnbergs, die diesen Hei­ ligen zum Gedächtnis gebaut worden sind. Auf der Sebaldseite lag unser Gast­ haus. Der genannte Fluß, nicht groß, eher unter Mittelmaß, bildet gleich bei seiner Mündung eine kleine Insel, und weiter in der Stadt noch zwei andere. Die erste, die den Namen Schütt trägt und damit die Art ihrer Entstehung genügend bezeichnet, ist mit Lindenwegen bepflanzt und zum öffentlichen Spazierplatz bestimmt, welcher in den Sommermonaten sehr angenehm sein dürfte. Wahrscheinlich erinnert dich der Fluß Pegnitz an die poetische Gesell­ schaft der „Pegnitz-Schäfer“, die sich zuweilen auch„der Pegnitzsche Blumen­ orden“ nannte und die der Sage nach noch weiterlebt, wenn nicht ein Blumen-, so doch wenigstens ein Grasleben an seinen Ufern. Dagegen weiß ich nicht, ob dir bekannt ist, daß die Pegnitz-Schäfer, die in ihren guten Tagen auch ein schwacher Ersatz für die verlorene Zunft der Meistersinger waren, im 17. Jahr­ hundert einen am Ufer gelegenen Hain besaßen, das Poeten-Wäldchen*5 * * * genannt, den ihnen die Stadt in der Nachbarschaft für ihre Zusammenkünfte und einsamen Beschäftigungen gestiftet hatte. Da aber auch andere, prosaische Fußgänger diesen ihren arkadischen Versammlungsort genießen wollten, wählte man sich einen anderen, der ein Stück davon entfernt, obwohl ebenfalls in der Nähe Nürnbergs gelegen war; dieser letztere bekam den bedenklichen Namen „Irrhain“6, und dort haben sie sich so wohl gefühlt, daß sie sich sogar Hütten bauten, wie es die Jünger Christi auf dem Tabor tun wollten. Der „Poeten-Wald“ ist zwar verschwunden, und man muß sich damit begnügen, ihn auf einigen alten Kupferstichen zu sehen; der „Irrhain“ soll dagegen noch bestehen. Die Pegnitz war uns übrigens schon persönlich bekannt; bei Creussen, nahe am Fuß eines Berges, der das altb halb zerstörte Schloß Böh­ menstein7 trägt (du erinnerst dich vielleicht von meinem letzten Brief, daß wir es besucht haben und man uns dort zu Engländern erklärte) bei Creussen scheint er einem kleinen Sauerbrunnen zu entspringen, welchen man als seine * Der gekrönte Poet Conrad Geltis, der Stifter einer nach ihm genannten Celtischen Gesellschaft und Freund Willibald Pirkhaimers, in dessen Haus er wohnte, gibt in einer gegen Ende des 15. Jahrhunderts verfaßten lateinischen Beschreibung Nürnbergs die Einwohnerzahl mit 52 000 an. Verf. — (Die Angabe über die Einwohnerzahl ist von 1817, wahrscheinlich aber zu gering. Nürnberg, das wahrend seiner größten Blüte 90 000 Einwohner gehabt haben soll, hat auch jetzt über 50 000. Anm. des Herausgebers der schwedischen Ausgabe von 1859). 5 Standort auf der Westseite der Deutschherrenwiese, etwa in Höhe der Johannisbrücke, ver­ mutet. Die erwähnten Stiche bei Christian Gottlieb Müller: Verzeichnis von Nürnbergischen topographisch-historischen Kupferstichen und Holzschnitten. Nürnberg 1791, S. 88—89. 6 Vgl. Hermann Rusam: Der Irrhain des Pegnesischen Blumenordens zu Nürnberg. Schriftenreihe der „Altnümberger Landschaft“, Bd. XXXIII, 1983. 7 Die abgegangene Burg Böheimstein befand sich in der Nahe der Stadt Pegnitz (Die Kunstdenk­ mäler von Bayern: Alfred Schädler, Landkreis Pegnitz), München 1961, S. 413 f.

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Quelle ausgibt und dem Reisenden als große Merkwürdigkeit zeigt, weil der Strom einige Schritt davon entfernt bereits so stark ist, daß er eine bedeutende Mühle in Bewegung setzt. (Allerdings behaupten die Gelehrten, daß der wirk­ liche Ursprung etwas weiter entfernt liegen und aus zwei kleinen Quellen bestehen soll; eine diesbezügliche Untersuchung wird uns beiden wohl gleich­ gültig sein.) In älterer Zeit hielt man auf diesem Fluß, innerhalb der Stadt, mit großem Pomp eine Art Fischer-Turnier (Fischerstechen) ab, ungefähr wie noch heute die Gondolieri in Venedig, ein Fest, das zum letzten Mal im Jahre 1704 gefeiert wurde. Ein anderer Fluß, die Rednitz, an dessen Ufer Wallenstein sein berühmtes Lager hatte, nimmt, nicht weit von Nürnberg, die Pegnitz in sich auf. Der Ort der Vereinigung liegt bei der von Juden wimmelnden Stadt Fürth, die in Tiecks „Phantasus“ treffend ein „kleines Nord-Amerika“ genannt wird, wobei ihre weißverputzte moderne Glätte und das Geklapper ihrer zahllosen Fabriken mit dem dunklen, romantischen Nürnberg verglichen werden. — Von den sieben Steinbrücken, die über die Pegnitz führen, ist nicht die KaiserBrücke8 die vornehmste, trotz ihres schmucken Namens, sondern die FleischBrücke, ein wirklich stolzes Bauwerk, aus einem einzigen sehr flachen Bogen bestehend, von 100 Fuß Länge und 50 Fuß Breite; oben im Gewölbe ist sie nur vier Fuß dick und schwingt sich mit ebensolcher Leichtigkeit wie Kühnheit über den Fluß. Diese Brücke wurde im Jahre 1598 erbaut; der Name des Mei­ sters ist Peter Carl. Neben ihrem Eingang liegt ein riesiges Schlachthaus, über dessen Tor ein steinerner Ochse in Lebensgröße ruht, mit folgender Unter­ schrift, die das ganze Gepräge des Volkswitzes jener Zeit trägt, dessen Unschuld überall mit unbekümmerter Freude öffentlich auftrat: „Omnia habent ortus suaque incrementa, sed ecce Quem cernis, nunquam bos fuit hic vitulus.“ Eine Brücke hat den Vorzug, die steinerne Brücke9 genannt zu werden, da sie die älteste von all ihren Geschwistern ist. Sie ist im Jahre 1457 gebaut; bis in jene Zeit waren die reichen Nürnberger zu bescheiden, um sich etwas so Prächtiges anzuschaffen wie eine Brücke, die ganz und gar aus Steinen gebaut ist. Bald hier, bald dort, vor seltsamen Gebäuden, Bildwerken, Fenstern mit runden oder vieleckigen bemalten Scheiben stehenbleibend, wanderten wir

8 Heute: Karlsbrücke. 9 Gemeint ist die heutige Maxbrücke. Bei Christian Nopitsch, Wegweiser für Fremde in Nürnberg oder topographische Beschreibung der Reichsstadt Nürnberg, Nürnberg 1801, 2. Aufl. 1811, wird S. 19 „die sogenannte steinerne Brücke beym Neuen Bau“ genannt. Das Büchlein von Nopitsch hat Atterbom offenbar gekannt und benutzt.

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über eine Menge von Märkten und offenen Plätzen, die wohl zu Dutzenden zählen. Viele sind mit kunstvollen Springbrunnen geschmückt. Es dürfte kaum eine andere Stadt in Deutschland geben, die eine solche Vielzahl und Kostbar­ keit an Wasserwerken vorzuzeigen hat, welche größtenteils durch verborgene und mühsam angelegte Leitungen unterhalten werden. In großen Städten weiß ich nichts Erquickenderes für das Gemüt als eine solche Menge frischen und plätschernden Wassers auf den offenen Plätzen, wo ein bedrängendes Men­ schengewimmel leicht ein Gefühl der Trockenheit und Schwüle vermittelt oder auch ein weniger besuchter Bereich zu stillen Betrachtungen beim Geplätscher einlädt. Der vortrefflichste von Nürnbergs Springbrunnen ist zweifellos der am Markt, der mit allem Recht den Vorzug hat, der Schöne Brunnen10 genannt zu werden. Er steigt pyramidenförmig empor, im gotischen Stil, wenn auch ein wenig schwer, innerhalb eines achteckigen, kräftig gearbeiteten Eisengitters; in das Becken dahinter spritzen sechzehn Köpfe unaufhörlich Wasser; oben sieht man die Bilder von Moses und den Propheten, weiter unten die von neun berühmten Helden und sieben Kurfürsten. Die neun Helden sind in eine heid­ nische, eine jüdische und eine christliche Dreizahl geteilt: Hektor, Alexander und Julius Cäsar; Josua, David und Judas Mackabeus; Chlodvig, Karl der Große und Gottfrid von Bouillon. Diese Bilder sind ein Werk des geschickten Bildhauers Sebald Schonhover11, und der Brunnen ist von seinen Freunden, den Gebrüdern Rupprecht erbaut, im Jahre 1361. Einen anderen Brunnen, der nicht diese plastische und architektonische Eigentümlichkeit besitzt, aber durch die Fülle von Wasser überrascht, die er in die Höhe treibt, sahen wir auf einem mit Bäumen bepflanzten geräumigen Platz, der früher der Neue Bau genannt wurde und jetzt (aus Höflichkeit dem bayerischen Hof gegenüber) der Maximilians-Platz heißt. Aus der Mitte eines achteckigen Steinbeckens erhebt sich ein Fels, an dessen Seiten vier Delphin-Köpfe Wasser spritzen; auf dem Gipfel ruht eine große, aus einem Stück gearbeitete Muschel, aus welcher sich

10 Helmut Häußler, Der Schöne Brunnen zu Nürnberg = Faltblatt Nr. 15 zur Ausstellung des Stadtarchivs Nürnberg, 1974. 11 Ein Bildhauer Schonhover ist für die Zeit der Erbauung von Frauenkirche und Schönem Brunnen urkundlich nicht faßbar. Das Nachleben dieses legendären Künstlers wurde um 1670/90 in einem Stich von Thomas Hirschmann bildlich fixiert; dessen Umschrift „SEBALT SCHONHOFER BILDHAUER DER FRAUENKIRCH U. SCHÖNBRUNEN IN NÜRNBERG 1355“ wurde bis weit ins vorige Jahrhundert als historisches Faktum verstanden. Vergleichbares gilt für zwei 1683 datierte Bildnisstiche des gleichen Künstlers, die die Brüder Fritz und Georg Ruprecht darstellen sollen. Vgl. Hollsteincs German Engravings, Etchings and Woodcuts 1400—1700. Vol. XIII A. Editor: Tilman Falk. Compiled by Robert Zijlma. Amsterdam 1984, S. 132—133, Nr. 56—57 und S. 134, Nr. 60. Vor allem Schonhofer spielte in der Literatur der Romantik eine auffallende Rolle, zumal um 1820 seine Signatur am Schönen Brunnen entdeckt wurde (inzwischen als Fälschung angesehen).

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ein riesiger Triton, ebenfalls aus Stein gehauen, erhebt; er hält mit beiden Händen eine Schnecke vor dem Mund und bläst durch diese in unzähligen Strahlen das Wasser in die Luft. Der Brunnen12 stammt aus dem Jahre 1687, und der Gedanke an sich ist ziemlich trivial, atjer das reiche Wasserspiel ist angenehm für die Augen. Ehe ich diesen Platz verlasse, muß ich noch erwähnen, daß die jungen Bürger in Nürnbergs älterer Zeit hier oft Turnierspiele abhielten, mit viel Fest­ lichkeit und Freude; so ein Turnier wurde „Gesellenstechen“ genannt, und vor allem das aus dem Jahre 144713 ist berühmt geworden. Seltsamerweise stand am selben Platz bis zum Jahre 1553 ein Galgen.14 — Eine andere Volksbelustigung, die ebenfalls in späterer Zeit abgeschafft worden ist, hat der Mai-Straße15 auf der Lorenz-Seite den Namen gegeben. Da zog früher alljährlich zu Anfang des Frühlings eine jubelnde Prozession mit einem jungen und prächtig ge­ schmückten Baum entlang; dieser Baum hieß der „Stadtmaye“ und wurde bei Musik auf einen kleinen Platz gepflanzt, wo man dann drumherum tanzte, solange Frohsinn und Kräfte dauerten. Die Herren von Nürnberg (der Ehren­ titel der Patrizier) verschmähten nicht, an diesem Vergnügen teilzunehmen, und wahrscheinlich hat der ebenso lustige wie gelehrte Willibald Pirckhaimer, der Ratgeber und Günstling des ritterlichen Kaisers Maximilian, sich hier oft mit so mancher schönen Handwerkertochter im Tanz gedreht, während Mei­ ster Dürer, der ihn in einem seiner Briefe beschuldigt, er sei ein allzu großer Frauenheld, es mit einem halb warnenden, halb lächelnden Gesicht angesehen hat. Zweifellos haben sich die Kleidermacher dabei besonders ausgezeichnet, nachdem ihnen der Rat aus Achtung vor ihrem Reichtum und allem, was sie auf eigene Kosten für Pracht und Nutzen der Stadt geleistet hatten, das Recht verliehen hatte, bei solchen Feierlichkeiten in spanischen Kleidern aufzutreten; ein solcher Staat mußte ja so manches Herz in Flammen setzen. Nun wird hier nicht mehr zu Ehren des Frühlings getanzt; schon im Jahre 1561 wurde dieses unschuldige Volksvergnügen verboten, und auf dem ehemaligen Tanzplatz steht ein Brunnen. Bei aller Achtung vor den lobenswerten Wirkungen des Protestantismus kann man schwerlich leugnen, daß er die Menschen in gewissen Fällen unnötig ernst gemacht hat. Man trifft in dieser alten Stadt nicht selten Straßen und Orte an, die mit ihren teilweise höchst seltsamen Namen an alte Sagen, Sitten und Bräuche erin­ nern. Eine Stelle auf dem Schwabenberg, einem der zwölf Hügel, worauf Nürnberg gebaut ist, heißt in der Sprache des gemeinen Mannes noch „bey der verfluchten Jungfrau“, weil ein düsterer Turm auf diesem Hügel das Geheime 12 13 14 15

Triton-Brunnen, genannt Wasserspeier, von Joh. Leonhard Bromig 1689 geschaffen. Das Gesellenstechen fand 1446 statt. Nopitsch (wie Anmerkung 9) S. 48. Ebenda S. 107.

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Gericht mit seinem bekannten Strafmittel, der eisernen Jungfrau16, barg. Dieser Hügel liegt auf der Sebald-Seite, ebenso wie der Pannerberg17 und die beiden Söldnergassen, wo die kaiserlichen Bannerherren, die Bedienung und die Tra­ banten wohnten, wenn sich ein Kaiser Nürnberg als Sitz seines Hoflagers auserkoren hatte. Nicht weit davon ist der Geyersberg, der mich allerdings mehr an die jetzige als an eine vergangene Zeit erinnerte; er hat aber seinen Namen nicht nach einem Dichter oder Geschichtsschreiber, sondern nach einem Gasthaus „Zum Geyer“, das dort schon im 14. Jahrhundert gestanden hat. Vielleicht haben die Meistersinger dort so manches Mal getrunken und sich vergnügt. (Es fehlt nicht an Gelegenheit zum Trinken in Nürnberg; man hat mir gesagt, die Mauern der Stadt umschlössen 50 bis 60 bessere und schlechtere Gasthäuser, 100 Weinkeller und 400 Bierhäuser, wohingegen es nur drei Keller für Met gibt; doch haben diese Keller auch gotisch hochge­ sinnte Wirte, die sich nicht mit dem Verkauf anderer Getränke befassen.) Einer der Hügel auf der Lorenz-Seite wird der „Köpfleins-Berg“18 genannt, weil man dort in alter Zeit, ehe sich die damals noch kleine Stadt bis dahin erstreckte, wohl nicht nur wie beim Bau der Römerburg einen Menschenkopf in der Erde, sondern sehr viele mehr aufs Rad gebunden fand, denn dieser Hügel soll damals der allgemeine Richtplatz gewesen sein. Also hat auch Nürnberg sein Capitolium, auf seine Art. Von den Straßen, die nach Albrecht Dürer, Hans Sachs und dem kürzlich verstorbenen Volkspoeten Grübel benannt sind, will ich später ausführlicher erzählen. Dagegen wirst du wohl kaum so schnell die Bedeutung von „die elende Straße“19 erraten. Die Erklärung ist folgende: In alter Zeit, als dieses Gebiet noch außerhalb der Stadtmauer lag, wohnten und wurden hier auf öffentliche Kosten alle nach Nürnberg kommenden Fremden unterhalten, die in der Stadt keine Bekannten oder Gastfreunde hatten. • „Elend“ bedeutet nämlich im ältesten Deutsch dasselbe wie „fremd“; und in der Tat, auf einer langen, besonders auf einer Auslandsreise spürt man inner­ lich, auch bei den besten äußeren Umständen, welch elendes Los es ist, ein Fremder zu sein. Indessen war dieser Ort für die Fremden so angenehm, daß sie ihn „das schöne Rosental“ nannten, und dieser poetische Name ist noch heute mit großen Buchstaben an einer Hütte zu lesen, doch ist von Rosen oder anderem natürlichen oder menschlichen Schönen dort keine Spur mehr zu ent­ decken. Oh, schöne Zeiten! — eine so gastfreundliche Bürgerschaft trifft man heutzutage nicht auf Erden.

16 Emst Mummenhoff, Die Eiserne Jungfrau, in: Aufsätze und Vorträge zur Nürnberger Ortsge­ schichte, Nürnberg 1931, S. 367—384. 17 Nopitsch (wie Anmerkung 9) S. 16. Heute Paniersplatz. 18 Ebenda S. 81. So bis heute. 19 Ebenda S. 33. Hier hat Atterbom den ganzen Text von Nopitsch übernommen. Heute: Rosen­ tal.

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Solche wahrhaft historischen Bezeichnungen, wovon ich mehrere nennen könnte, machen auf einen Reisenden einen um so behaglicheren Eindruck, als man nach dem Verlust der Freiheit aus Höflichkeit gegenüber der aufgezwun­ genen neuen Regierung viele Straßen und Plätze mit Hofnamen20 umzube­ nennen genötigt war, die nur dazu dienen, daß sie den Ausländer wie jeden freien Nürnberger an die Herrschaft einer königlichen Familie erinnern, die Deutschlands gute Sache noch nicht genügend zu der ihren gemacht hat, als daß sie mit dem Anblick ihrer Namen die Freude eines Freiheitsfreundes erwecken könnte. Endlich hörten wir die Turmglocken eins schlagen, und hatten jetzt nur noch eine Stunde Zeit bis zum Mittag im „Roten Roß“; wir befanden uns gerade auf dem Windruf-Markt21, unter einer Menge von Gärtnern mit ihrem Gemüse. Es ärgerte uns, daß wir jetzt einige Stunden in der Stadt umherge­ gangen waren, ohne ein einziges bedeutenderes Gebäude angesehen zu haben. Doch da wir fühlten, daß sie alle, z.B. die Hauptkirchen oder das Rathaus, außen und innen mit Sehenswürdigkeiten vollgestopft waren, mit welchem hätten wir da in nur einer Stunde fertigwerden können? Unter diesen Überlegungen unsere Blicke erhebend, sahen wir mitten vor uns an der einen Seite dieses Markts eine nicht große, aber schöne alte Kirche, von der man uns sagte, sie heiße Marien- oder Frauenkirche und gehöre den Katholiken. Wir Nordländer, die wir kürzlich die Heimat verlassen hatten und nach wie vor noch in protestantischen Ländern reisten, wo sich eine katholi­ sche Kirche, wie das Zubehör eines katholischen Gottesdienstes, nur von Zeit zu Zeit als höchst seltene Ausnahme von dem allgemein Üblichen zeigt, hatten jedesmal bei der Mitteilung, daß wir uns einem katholischen Tempel näherten, den gleichen jugendlichen Eindruck, der beim Begriff katholisch in der Vor­ stellung unwillkürlich das Bild von etwas für unsere Sinne besonders Majestä­ tischem und Prachtvollem zeichnet. Dieses Gebäude stellte sich uns jetzt gleichsam ungerufen in den Weg und sah so aus, als könne man es im Laufe einer Stunde genügend betrachten: doppelte Ursache, unter allen Sehenswür­ digkeiten Nürnbergs gerade diese zum ersten Gegenstand einer gründlicher verweilenden Aufmerksamkeit zu machen. Wir fanden die kleine Mühe denn auch belohnt. Im Verhältnis zu den eigentlichen großen Werken der Baukunst in dieser Stadt, z.B. der Lorenz-Kirche, ist die katholische nur hübsch, und sie ist innen vor kurzem an allen Ecken und Enden wie eine Puppenstube mit bunten Anstrichen und Vergoldungen herausgeputzt worden. Nichtsdestowe­ niger ist sie sicherlich in einem weit größeren Stil hübsch, als was man in Schweden gewöhnlich mit dem Ausdruck „hübsche Kirche“ meint; vor allem 20 Gemeint sind die Vornamen der königlichen Familie. 21 Sollte es vielleicht Wildruf-Markt heißen? Bei Nopitsch (wie Anmerkung 9), S. 100 f., fehlt eine entsprechende Bezeichnung.

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stellt die Seite des Haupteingangs in ihrer Art ein nicht unwürdiges Denkmal aus den Zeiten der Hierarchie dar. Schade, daß man einer Menge von Verkäu­ fern verschiedener Art gestattet hat, hier an der Mauer ihre lumpigen Läden aufzustellen, ein Unfug, der nach Kräften zum Verderben und Zerstören bei­ trägt. Die Kirche, in sich klein, das Gewölbe auf vier dicke runde Säulen stützend, bezieht ihren hauptsächlichen Wert, als Kunstwerk betrachtet, aus ihrem Portal. Ursprünglich angelegt und aufgeführt von den Brüdern Rupprecht, denen wir schon den Schönen Brunnen zu verdanken hatten, wurde sie, wie jener, mit Statuen von Schonhover22 ausgeschmückt und schließlich von Adam Krafft vollendet. Das Werk der erstgenannten besteht in dem in wahrhaft edlem alten Geschmack gestalteten Vorhaus mit seinen drei schönen äußeren Türbogen und einem vierten inneren samt darüber befindlichem Umgang bzw. darüber befindlicher Galerie, von welcher Kaiser Karl IV., ein eifriger Förderer Nürnbergs, persönlich den bei der Einweihung der Kirche im Jahre 1361 Versammelten viele aus Prag herbeigeholte „Heiligtümer“ zeigen ließ. Er ließ das neue Gotteshaus zur kaiserlichen Kapelle weihen und ihm den Namen Saal Mariae geben; froh, wie es sich für einen so unermüdlichen Beför­ derer deutscher Kunst und besonders ihrer Entwicklung in dieser Reichstadt gebührt, das Bauwerk, das sich auf seinen Befehl im Jahre 1355 an einem Platz zu erheben begann, wo die Juden zuvor eine überflüssige Synagoge besessen hatten, nun der Vollendung zu Ehren der heiligen Mutter Gottes so nahe zu sehen. Adam Krafft, auf dessen Namen du in diesem Brief wahrscheinlich noch oft stoßen wirst, hat die Arbeit seiner Vorgänger mit einem zierlichen Giebeldach gekrönt, und an diesem ist das berühmte sogenannte „Männlein­ laufen“23 befestigt, ein höchst kunstvolles und kostbares Uhrwerk, das eine kleine nähere Beschreibung wohl verdient. Durch einen sinnreichen Mecha­ nismus setzte diese Uhr bis in unsere Tage acht kleine, aus Kupfer getriebene Menschengestalten in Bewegung, eine jede zweieinhalb Fuß hoch, auf daß sie einer neunten Gestalt untertänige Verehrung beweisen, die mit Krone, Zepter und Reichsapfel ruhig auf ihrem Thron sitzt; vor dem Monarchen wiederum, diesem zugewandt, steht eine kleinere Figur in gewöhnlicher Rittertracht und hält eine Art Banner in der Hand. Alle sind, um die Lebensfarbe und Beschaf­ fenheit der Kleider hervorzuheben, mit blaßroter, weißer, gelber und grüner Farbe übermalt. Das thronende Bild stellt den kaiserlichen Stifter der Kirche, Karl IV. dar, der den Reichsquartiermeister, den Grafen von Pappenheim, vor sich hat; zu seiner Rechten stehen die drei geistlichen, zu seiner Linken die vier 22 Wie Anmerkung 11. 23 Da die Anlage 1812 demoliert worden war, muß Atterboms Beschreibung auf gedruckter Lite­ ratur fußen. Erst 1822/23 erfolgte unter Karl Alexander Heideloff eine Restaurierung, wobei die inzwischen verkauften, ursprünglich aus Kupfer getriebenen und vergoldeten sieben Statuen der Kurfürsten durch hölzerne Imitationen von Gottfried Rotermund ersetzt wurden.

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weltlichen Kurfürsten, letztere mit den Reichskleinodien in der Hand; außerdem halten sie alle in der anderen Hand eine Art kleine Fahne, die gegen die Schulter gelehnt ist. Oberhalb des Throns, über dem Kopf des Kaisers, befinden sich die Ziffern und eine goldene Kugel, die durch ihre Umdrehung die Veränderungen im Schein des Mondes zu erkennen gab. Bei jeder vollen Stunde wanderten sämtliche Kurfürsten um den Thron und verbeugten sich vor dem Kaiser; dann verbeugte sich auch Pappenheim: der Tod aber, eine düstere Gestalt, die wie ein Herold aus einigem Abstand den Stundenschlag gab, hatte es schließlich für richtig gehalten, die ganze Prozession anzuhalten, und hat vor einigen Jahren dieser Uhr ebenso wie dem Heiligen Römischen Reich die letzte Stunde geschlagen. Der geschickte Mann, der die Uhr herge­ stellt und den ganzen mechanischen Zusammenhang eingerichtet hat, hieß Georg Heuß; die Bilder stammen von dem berühmten Kupferschmied Seba­ stian Lindenast, einem Freund von Krafft und Vischer; alle drei waren Zeitge­ nossen des großen Dürer. — In der Kirche24 sieht man einige gute Gemälde, besonders auf Glas; alles in allem verschiedene sehr alte Kunstarbeiten in Farbe und Bildwerke, die bei der letzten Renovierung und Ausschmückung aus anderen Kirchen hierhergebracht worden sind; jüngere Bilder von ver­ mischtem Wert teils aus der Zeit der ebengenannten Meister, teils aus der still befruchtenden älteren Zeit, der nämlich des alle Keime der Kunst so huldreich beschirmenden Karl IV. Unter den jüngeren erinnere ich mich mit lebhaftem Vergnügen eines Bildes, welches das Leichenbegängnis des Jacob darstellt und Dürers Schüler Hans Kulmbach zugeschrieben wird. Die Fenster des Chors zeichnen sich durch die schönsten Glasmalereien aus; bei der letzten Einrich­ tung hat man in dem Bemühen, die farbenreiche Eigentümlichkeit der älteren Zeit wieder hervorzurufen, versucht, neue bemalte Fenster mit jenen wett­ eifern zu lassen, aber die Nachahmung steht den Vorbildern unendlich weit nach. Das beste von diesen ist zweifellos ein prachtvolles Gemälde, das sich mitten in einem Fenster hinter dem Hochaltar befindet und wiederum Kaiser Karl IV. auf dem Thron darstellt25. Einen Blick sollte man auch einigen aus Kupfer getriebenen Figuren von Lindenast schenken, die sich im Chor befinden, rechts vom Altar oberhalb eines in einem Gitter verwahrten Bildes der betenden Maria; dieses ist ebenso alt wie die Kirche selbst. 24 Nach 1806 waren im Zuge der Säkularisation alle transportablen Kunstwerke aus der Frauen­ kirche entfernt worden. Atterbom beschreibt nicht den seit 1816 bestehenden Zustand, als die Frauenkirche neu ausgestattet und dem katholischen Kultus zurückgegeben worden war, son­ dern hält sich an Christoph Gottlieb von Murr: Beschreibung der vornehmsten Merkwürdig­ keiten in der Reichsstadt Nürnberg. 2. Ausg. Nürnberg 1801, S. 90—91. Folgerichtig wird der zwischenzeitlich in die Frauenkirche gelangte Tucheraltar, das Hauptwerk der Nürnberger Malerei vor Dürer, von Atterbom nicht erwähnt. 25 Vgl. dazu: Gottfried Frenzei über das Stiftungsfenster Kaiser Karls IV. in der Kirche zu Unser Lieben Frau, in MVGN 51,1962, S. 1 ff.

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Beim Mittagstisch in unserem Gasthaus war eine zahlreiche und gemischte Gesellschaft versammelt; an jedem Ende präsidierte ein Wirt, Vater und Sohn; Das Gesicht des letzteren hatte viel Ähnlichkeit mit Cranachs Luther. Eine lustige Tafelmusik ließ uns die nicht ganz klassische Beschaffenheit des Essens weniger genau prüfen. Zu meiner einen Seite saß ein Mann, der sehr gesprächig war und sich eifrig Mühe gab, mich über alles zu unterrichten, was ein neuangekommener Fremder in Nürnberg nach seiner Meinung vor allem wissen sollte. Er hielt mich vermutlich für einen Fabrikanten oder reisenden Öko­ nomen, da er begann, mir all die Pumpen, Mühlen und Sägen aufzuzählen, die teils von der Pegnitz, teils von einem kleinen, sich mit diesem Fluß vereini­ genden Wasserlauf (dem Fischbach) betrieben werden. Als er sah, daß dieses Thema meine Aufmerksamkeit nicht besonders anzog, kam er wahrscheinlich zu dem Schluß, daß ich zu der Art von Reisenden gehörte, die in der Welt umherziehen, nur um ihr Leben auf der Landstraße zu verbringen; denn ohne jeden vermittelnden Übergang stellte er mir nun die Frage: Ob ich schon eine Spazierfahrt mit einem Lohnrößler* ausprobiert hätte? worauf er sogleich hin­ zufügte, daß man hier mit großer Leichtigkeit Landkutscher antreffen könne, die sich für einen ziemlich billigen Preis zu Reisen an die entlegensten Orte verstünden, z. B. nach Wien, Frankfurt oder München. Ich dankte ihm für seinen Hinweis, bemerkte jedoch, daß diese Menschen hier ebenso wie im übrigen Deutschland vermutlich teurer und schwerfälliger seien als die italieni­ schen Vetturini; weshalb es das Beste sei, sich an die Extra-Post zu halten. Neues Schweigen. Endlich fiel mir ein — ich hatte die katholische Kirche noch im Kopf — daß ich die Gesprächigkeit meines Nachbarn nicht ganz unbenutzt lassen sollte, und da er historisch einigermaßen Bescheid zu wissen schien über das, was mit seiner nächsten Umgebung im Zusammenhang stand, bat ich ihn um bestimmte Mitteilungen über das Verhältnis zwischen den verschiedenen Glaubensbekenntnissen in Nürnberg und allgemein über die geistliche Eintei­ lung in der Stadt. Er war sofort dazu bereit, höchst erfreut, wie es schien, einer solchen nunmehr fast unerwarteten Wißbegierde zu begegnen. Die evange­ lisch-lutherische Gemeinde, zu der sich bekanntlich die meisten Einwohner bekennen, besitzt fünf Gemeindekirchen, nämlich St. Sebald, St. Lorenz, St. Aegidius, St. Jacob und Zum Heiligen Geist. Von geringster Zahl sind die Reformierten, deren einzige Kirche St. Martha ist; dort hielten früher die Mei­ stersinger ihre Singschulen ab; ja, man erlaubte sogar, daß dort weltliche Schauspiele öffentlich aufgeführt wurden; hätten die Mauern ein Bewußtsein,

Eine Art Mietkutscher, die mit einspännigen Wagen fahren und auch Pferde für Spazierritte ausleihen.

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würde ihnen der Gegensatz zwischen diesem lustigen Leben und dem strengen, nackten, langweiligen reformierten Gottesdienst wohl recht eigen­ artig Vorkommen. Auch die Katholiken besitzen nur eine einzige Kirche, diejenige, die wir eben besucht haben; sie sind jedoch zahlreicher, und auch außerhalb der Mauern der Stadt wohnen viele, die nicht von der römischen Glaubensform abgewichen sind, in dieser Kirche die Messe besuchen und von dort ihre Sacra holen. In Nürnbergs ältester Zeit war die ganze Stadt nur in zwei Gemeinden ein­ geteilt, St. Sebald und St. Lorenz; die Pegnitz trennte sie; eine Menge Ort­ schaften aus der Nachbarschaft der Stadt gehörten ebenfalls zu ihrem Bezirk. Bald aber wuchs die Einwohnerzahl so sehr an, daß diese beiden Kirchen in keiner Weise ausreichten, weshalb man nach und nach eine Vielzahl kleinerer oder größerer Neben- oder Unterkirchen baute, in denen Messen gelesen, Pre­ digten gehalten wurden, das Abendmahl ausgeteilt wurde usw. Doch hatten nur die Pfarrer der Hauptkirchen das Recht, zu taufen, zu trauen und zu begraben; ein Recht, das sie auch nach der Reformation behielten, bis zu den durch die Einführung der bayerischen Regierung verursachten Verände­ rungen. So zählte man, die Kapellen inbegriffen, in Nürnberg 62 Gotteshäuser. Von diesen hat die bayerische Regierung im Jahre 181026, nachdem sie von den Hauptkirchen alles abgetrennt hatte, was außerhalb der Ringmauern liegt, die oben genannten zu Gemeindekirchen erhoben; die übrigen sind nun geschlossen, werden als Lagerräume genutzt oder sind völlig zerstört, nach Brauch und Sitte der gegenwärtigen Zeit. Am denkwürdigsten war für mich die Nachricht, daß nach der hier im Jahre 1524 siegenden Kirchenreformation die lutherische Gemeinde bei der öffent­ lichen Ausübung des Gottesdienstes ungefähr zwei Drittel des römischen Rituals beibehalten hat, und das in Übereinstimmung mit einem von Luther selbst auf Anforderung gegebenen Gutachten. Ein neuer Beweis, wie weit Luther, der von der Christenheit mit gutem Grund als ihr letzter Kirchenvater angesehen werden kann, entfernt war von der fanatischen Abstraktheit man­ cher neumodischer Protestanten. Diesen ist es erst in der jüngsten Zeit ein ums andere Mal gelungen, die Oberhand zu gewinnen, z. B. im Jahre 1810, als man das in Schweden noch gebräuchliche Meßgewand bei der Austeilung des Abendmahls abschaffte. Darüber zeigte mein Mann übrigens so viel Freude, daß ich schließlich verstand, daß er selbst ein Pfarrer war — eine Entdeckung, die mir seine kirchenhistorischen Ansichten hinreichend erklärte. Um dem mir von allem Unfug verhaßtesten ein Ende zu machen, dem nämlich vom Sieg der

26 Aufgrund eines Organisationsreskripts vom 1.10.1809. Vgl. Joachim Haniel, in MVGN 51, 1962, S. 424.

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Vernunft über die Vorurteile, — wo die meisten Menschen weder wissen, was Vernunft noch was Vorurteil ist, — fiel ich ihm mit diesem altdeutschen Vers ins Wort, indem ich ihn fragte, ob er ihn kenne: Hätt* ich Venedigs Macht, Augsburger Pracht, Nürnberger Witz, Strassburger Geschütz, Und Ulmer Geld: So wär‘ ich der Reichste in der Welt! Ja, antwortete er, aber jetzt sieht es in all diesen Städten schlecht aus mit der Macht und dem Geld! (Auch mit dem Witz, dachte ich bei mir). Und jetzt kamen wir auf allerlei charakteristische Züge in Nürnbergs altem Wohlstand zu sprechen, von denen ihm kaum einer so sehr zu behagen schien wie die Blüte des Weinhandels im 16. Jahrhundert. Während wir das letzte Gericht aßen und unsere Weinflaschen leerten, bemerkte er, daß das eigentliche gol­ dene Zeitalter des Weins mit der Zeit verschwunden sei, als auf dem alten Weinmarkt (wo jetzt kein Wein mehr zu kaufen ist), jeden Donnerstag und Freitag ein paar hundert mit Weinfässern beladene Wagen auffuhren, französi­ schen Weinen, Rheinweinen, Neckarweinen usw. Was von dieser Menge Wein am Freitagabend nicht verkauft war, wurde bis zu den Weinhandelstagen der folgenden Woche in den Kellern der Herren aufbewahrt (vielleicht probierten die Herren inzwischen dann und wann, ob der Wein sich auch hielt). Ja, an der ganzen langen Straße vom Stadttor bis zum Marktplatz standen in diesen Tagen oft drei Reihen solcher Wagen und Karren nebeneinander, so daß sich niemand in das Gedränge wagte außer denen, die von den Gaben des Wein­ gottes angelockt wurden. Gegen Abend unternahmen wir einen weiteren Spaziergang, eigentlich in der Absicht, von einem geeigneten Punkt außerhalb der Stadtmauern eine Gesamtübersicht über die Stadt und vor allem über das eigentümliche Aus­ sehen ihrer Mauern zu gewinnen. Die Dunkelheit überraschte uns jedoch bald und zwang uns, wieder hqimzugehen. Ein rascher Blick in schöner Abendbe­ leuchtung zeigte uns unseren Gegenstand aber doch recht vorteilhaft. Die nähere Umgebung Nürnbergs ist etwas flach; doch auf dem höchsten Hügel stellt sich die uralte Reichs-Burg recht stattlich dar, und die 365 Türme27 der doppelten Ringmauer, von denen 133 aus Quadersteinen gebaut sind, bilden ein ehrfurchtgebietendes Gehege um eine Masse von ungefähr 5900 Häusern, über welchen sich die gotisch spitzen Kirchtürme funkelnd erheben. An vier Stadttoren (Läufer-, Frauen-, Spitaler- und Neu-Tor) stehen runde Türme, 27 Die richtige Zahl lautet 128 Türme (Bayerische Kunstdenkmale, Stadt Nürnberg, Kurzinventar) 21977, S. 167.

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ganz in der Form von aufwärts gerichteten Mörsern; in dieser Art wurden sie von 1552 bis 1557 umgebaut; vorher waren sie viereckig gewesen, wie alle anderen. Von den verschiedenen Türmen der Burg ist der sogenannte VestnerTurm der einzige runde; die Leute sagen, sein Fundament im Berg sei ebenso tief wie er über dem Berg hoch ist. Das in der Nachbarschaft der Burg gelegene fünfte Haupttor, das Thiergärtner-Tor, erinnert mit seinem Namen an den Tiergarten der Burggrafen, zu dem es früher führte. Durch eines der drei klei­ neren Stadttore, das Vestner- oder Burgtor, das sich in der Burg selbst befindet, gingen wir in die Stadt zurück. Der Ursprung dieser Burg, und Nürnbergs im allgemeinen, verliert sich im Dunkel des 9. Jahrhunderts. Die wahrscheinlichste Vermutung darüber ebenso wie über die Entstehung des Namens der Stadt ist wohl die, daß die ersten Einwohner, die aus Noricum oder vom Nordgau kamen, einige Mühlen und Eisenwerke an der Pegnitz anlegten und zur Sicherheit ihrer Niederlassung einen Schutzturm auf dem Berg errichteten, wo jetzt die Burg steht, was dann natürlich mitsamt der ganzen Neuansiedlung die Bezeichnung Noriker Berg oder Nordenberg annahm, von der der Übergang zu Nürnberg unschwer abzuleiten ist. Man ist fast versucht, den ersten Schutzturm in dem uralten Turm zu vermuten, der heute noch Lug-in‘s-Land genannt wird (von dem altdeutschen Wort lugen, schauen, gucken), der aber freilich jünger ist. Dagegen hat der nicht weit davon entfernt stehende fünfeckige Nero-Turm28 alle Anzeichen eines bis ins Hei­ dentum zurückgehenden Alters und ist, wenn auch nicht (wie man vorgibt) ein römisches Bauwerk, so doch mit Sicherheit eines der ältesten der deutschen Altertumsdenkmäler dieser Art. Die in der Burg verwahrte Gemäldesammlung wurde zur Beschäftigung des nächsten Vormittags bestimmt. Gemäß der Kriegskunst des 16. Jahrhunderts ist Nürnberg ziemlich stark befestigt: um die äußere Stadtmauer zieht sich ein hundert Fuß breiter und ziemlich tiefer Laufgraben, und in einigem Abstand davon beginnt wiederum ein weiterer Schutz, eine Umwallungs-Linie, bestehend aus einer Menge von Schanzwerken, die sich um die Vorstädte und deren Gärten ziehen. Der Boden des Laufgrabens ist jetzt teils mit Gras bewachsen, teils wird er für kleine Ackerflächen und Anpflanzungen benutzt. Für derartige Haushaltszwecke ist auch der Raum zwischen den doppelten Ringmauern (die Zwinger) reserviert, und sämtliche Verteidigungseinrichtungen verraten, daß man in Zukunft kaum noch große Stürme zurückzuschlagen beabsichtigt. In der Umgebung der Stadt fehlt es im übrigen nicht an Gärten mit Gewächshäusern und Bildstatuen, öffentlichen Spazierwegen, Vergnügungs­ orten mit Gasthäusern und Teichen. Doch diese ganze Herrlichkeit war bei der

28 Nopitsch (wie Anmerkung 9) S. 115 schreibt noch: „Neron‘s — oder Nerothurm, so nennt man insgeneim den fünfeckigen Thurm auf der Vesten.“

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jetzt herrschenden Jahreszeit nicht zu genießen. Ja, sogar jenes Schauspiel ent­ ging uns, das der Winter hier nicht selten gibt, nämlich Schlittschuhe, Rutsch­ bahnen und Schlitten in wimmelnder Bewegung zu sehen; weder Schnee noch Eis wollten sich einstellen. — Leider ist die Zeit der eigentlichen Volksbelusti­ gungen, die Zeit der echten Bürgerfeste längst vorbei. Selbst Nürnbergs Weber, die einst alljährlich an einem bestimmten Sommersonntag in vollzäh­ liger Versammlung mit Männern, Frauen, Kindern, Meistern, Gesellen und Lehrlingen gleich nach Sonnenaufgang vom Schwabenberg29 aus bei schal­ lender Musik durch die sogenannte Lange Straße zu einem kleinen Buchen­ wald zogen, von wo sie nach Sonnenuntergang unter ebensolchem Jubel zurückkehrten, haben sich inzwischen überzeugen lassen, daß diese Art Poesie nicht mehr zu dem Handwerk paßt. Es ist bekannt, daß alle Reisenden die vortreffliche Sauberkeit von Nürn­ bergs Straßen und Häusern loben: Die Stadt besitzt diesen Ruf schon seit ihrer ältesten Zeit; man vergleicht die Nürnberger Frauenzimmer mit den holländi­ schen, und die Reinlichkeit einer nürnbergischen Wohnung, besonders des sogenannten Prangzimmers, übersteigt angeblich sogar die strengsten Forde­ rungen, ohne daß sie aber in holländische Übertreibung verfällt. Dieser Rein­ lichkeitssinn wirkt sich auch vorteilhaft auf die Gesundheit der Einwohner aus; die Nürnberger behaupten, ihre Stadt sei ein so gesunder Ort, daß man hier bei ordentlicher Lebensweise gewöhnlich das neunzigste Jahr erleben soll. Ich lasse dahingestellt sein, ob diese Angabe begründet ist, in welchem Falle alle, die gern lange leben möchten, eine gemeinsame Völkerwanderung hierher vornehmen sollten. Da es aber, so lange man lebt, höchst wichtig ist, daß man denjenigen finden kann, den man treffen will, und daß man sich zurechtfinden kann, wenn es dunkel ist, sollten die Regierung und die Bürgerschaft sich beeilen, andere Hausnumerierungs- und Straßenbeleuchtungsanstalten zu treffen. Viele Häuser haben keine Nummer, und außerdem werden unter einer einzigen Nummer oft mehrere Häuser gezählt, die dann das ABC zu Hilfe nehmen müssen, um ihre Existenz zu beweisen. So hängt auch nur hier und da, mit unermeßlichem Abstand dazwischen, eine Laterne mitten in der Luft, über der einen oder anderen größeren Straße oder bei einem der ansehnlicheren Häuser.30 Der. dabei entstehende Kampf zwischen Licht und Schatten, bei dem der Schatten entschieden das Übergewicht hat, hat im übrigen etwas eigentüm­ liches, seltsam Romantisches, das mir nicht unangenehm war. Die im Dunkel umherwandernden und nur selten plötzlich beleuchteten Menschen 29 Sieben Zeilen und Lange Gasse. 30 Drei Jahre vor Atterboms Besuch war am 2. September 1814 eine „Communal-Anstalt“ für die Beleuchtung der Stadt errichtet worden. Siehe: Erich Mulzer, Die Laternen der öl- und Gasbe­ leuchtung in der Nürnberger Altstadt, in: Nürnberger Altstadtberichte Nr. 2,1977, S. 47—61.

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bekommen, besonders auf einsameren Plätzen, das Aussehen umherschlen­ dernder Ungeheuer, und das gilt vor allem für die Frauen der in der Umgebung wohnenden Landbevölkerung, die in seltsamer Tracht mit weit abstehenden Hüften und schwarzen runden Männerhüten mit riesiger Krempe daherwat­ scheln. — Nur auf dem Hauptmarkt fanden wir eine starke Beleuchtung vor, und diese ging von einem in der Mitte aufgestellten Viereck von kleinen, leuch­ tenden Läden31 aus, welche bis spät in die Nacht gleich der Säulenhalle eines Opfertempels von einer strömenden Volksmenge umringt wurden. Man kann als sicher annehmen, daß, wenn sich auch alle andern Menschen mit dem Halb­ dunkel begnügen, wenigstens die Kaufleute immer deutlich sehen wollen. Den 29. November. Heute haben wir zwei lange, wichtige Besuche abgelegt: in der Burg und in der Sebaldskirche. Das erstgenannte ehrwürdige Altertumsdenkmal mit seinen Türmen, seinen Gräben, seinen grauen Mauern und seinem Rest von Burggarten lag recht stolz im Morgenschimmer und zeigte uns eine schöne Aussicht auf die Stadt und die nähere Umgebung. Wenn die Mauersteine sprechen könnten, so würden sie uns zum Teil wohl unbekannte Dinge aus der Regierungszeit Kaiser Konrads I. berichten, ja, die uralte Kapelle gehört nach Ansicht verständiger Kenner sogar in die Zeit Kaiser Arnulfs.32 Hier hatten die Burggrafen ihre Wohnung, und aus dieser Höhe wachten ihre Augen für den Kaiser über das, was da unten unter den freien, betriebsamen Bürgersleuten geschah. Zwischen dem fünfeckigen Nero-Turm und dem sogenannten Lug-inVLand lag ihre älteste Residenz. An einem offenen Platz außerhalb der Burg zur Stadt hin (der Frey­ ung) standen einige andere alte Türme, die früher Burghuten genannt wurden, da sie vier bestimmte Tore zu bewachen hatten. Sie waren zum Teil den Burg­ grafen, zum Teil einigen adligen Familien anvertraut, bis die Stadt sie zu Beginn des 15. Jahrhunderts mit Zustimmung des Kaisers nach und nach kaufte. In dem innersten Hof steht eine hohe alte Linde, um deren ehrwür­ digen Stamm ein runder Sitz aus einfachen Steinen angelegt ist; der Sage nach wurde sie von der heiligen Kaiserin Kunigunde gepflanzt, und in diesem Punkt will ich dem Schloßaufseher gern glauben, der uns von seiner Weisheit im übrigen allzu viel mitteilte. Eine eigenartige Zusammensetzung war er, dieser Mann, der zusammen mit seiner Tochter in ein paar engen, dunklen Räumen des großen, sonst unbe-

31 Die 1807 bis 1809 von Carl Haller von Hallerstein errichteten sog. Kolonnaden, vgl. Klaus Fräßle, in: MVGN 67, 1980, S. 9TB—115. 32 Mit der Nennung von König Konrad I. (911—918) und Kaiser Arnulf (887—899) irrt Atterbom. Die ältesten Bauten der Burg stammen aus dem 11. und 12. Jahrhundert.

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wohnten Bauwerks lebt. Wir hatten Mühe genug, ihn zu finden, da wir uns ohne Begleiter aus unserem Gasthaus dorthin begeben hatten; endlich, nach langem Rufen, Klingeln, Klettern und Stampfen durch allerlei dunkle Treppen und widerhallende Gänge streckte als erstes ein Mädchen in nümbergischem Morgenrock den Kopf aus einer runden Öffnung hoch über uns heraus, und kurz darauf kam der Herr Kastellan, sich mit der Nachtmütze in der Hand verbeugend, eine magere, betagte, ziemlich lange Figur, in deren Gesicht wir sogleich eine neugierige Mischung von altem Schalk und altem Diener erkannten. Redselig, schmeichelnd, immerfort dienernd und so durchdrungen von Achtung für unsere Personen, daß wir ihn mit unseren Bitten und Befehlen nur selten dazu bringen konnten, sich in der Kälte den Scheitel zu bedecken, führte er uns nun von Raum zu Raum, von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit, und entlockte uns durch seine unhemmbare Geschwätzig­ keit oft ein Lachen, obwohl wir auch oft zwischen den Zähnen fluchten. Als erstes wurden wir in die kaiserliche Kapelle geführt, wo noch Maria Theresia und Joseph33 auf einer Empore Messen beigewohnt haben, und in ver­ schiedene angrenzende und mit alten Andenken (Fahnen u. dergl.) geschmückte Räume, die zur Zeit des Heiligen Römischen Reiches für den persönlichen Gebrauch des Kaisers bestimmt waren. In architektonischer Hin­ sicht ist diese Kapelle, die eigentlich eine doppelte ist (nämlich die kleine Mar­ garethenkirche mit ihrem Turm und die Otmarskapelle über ihr), sehr lehr­ reich; sie hat die Bauweise des 10. Jahrhunderts34, ein unentwickeltes Mittel­ ding zwischen der allmählich untergehenden griechisch-römischen und der embryohaft beginnenden gotischen. Man sieht hier noch runde Gewölbe und Bögen, kleine Fenster und Türen, schwere und doch kleine Säulen, zwei­ stöckig übereinander gesetzt oder durch Mittelkapitäle verbunden; man ver­ mißt das eigentümlich Kühne, das leicht Durchgeführte, zierlich Durchbro­ chene, das für im eigentlichen Sinne gotische Bauwerke kennzeichnend ist; die vielerlei Bildwerke, z. B. außen am Margarethenturm, sind roh und formlos, ungeheure Tier- und Menschengestalten, die gleichsam mit rätselhaftem Schweigen ein sonderbares Geheimnis verbergen, nämlich den noch nicht getroffenen Ausdruck für eine Ansicht, eine Beziehung, welche sich nicht aus dem Chaos des Ursprungs hervorgearbeitet hat. Einige haben in diesem Turm den Rest irgendeines Diana-Tempels sehen wollen; aber das Mystische in seiner Beschaffenheit bedarf einer solchen Erklärung nicht.

33 Maria Theresia ünd ihr Sohn Joseph II. hielten sich nicht auf der Burg auf. 34 Tatsächlich erst im 12. Jahrhundert erbaut.

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Jetzt öffneten sich die Räume, in denen vor wenigen Jahren eine öffentliche Sammlung von Gemälden35 untergebracht wurde, mit besonderer Berücksich­ tigung altdeutscher Meisterwerke. Außer den Bildern, die sich von alters her immer hier befunden haben, hat man eine Menge aus anderen öffentlichen Gebäuden hergeholt, z. B. aus dem Rathaus, aus ausgedienten Kirchen usw. Ja, die bayerische Regierung hat verschiedene Kunstwerke hierherbringen lassen, von denen einige den alten Galerien in Düsseldorf, Zweibrücken, Bayreuth und Augsburg gehört haben; wobei gleichwohl anzumerken ist, daß sie die Mehrzahl der Bilder von hier nach München entführt hat, auf die Nürnberg selbst den größten Wert legte, und daß sie aus ihrem reichen Vorrat nicht gerade die allerbesten zum Ersatz geschickt hat. Nichtsdestoweniger ist die Sammlung bedeutend und schätzenswert. Was als erstes meine Aufmerksam­ keit anzog, war ein von Dürer auf zwei hohen Bildern gemaltes Kaiserpaar, Karl der Große und Sigismund.36 Alles darauf ist groß, fest und würdig. Der Reichtum der Attribute und die symbolische Pracht der Kleider sind kaum zu beschreiben. In den Gesichtszügen Karls des Großen, im Ausdruck seines Wesens ist alles vereint, was einen König zum Landesvater und einen väter­ lichen Helden unwiderstehlich liebenswert macht. Um sein Bild sind folgende, von Dürer selbst verfaßten Verse zu lesen: Diss ist die Gestalt und Bildnus gleich Kaiser Carl der das Römisch Reich Den Deutschen unterthänig g‘macht, Sein Krön und Kleidung hochgeacht Zeigt man zu Nürnberg alle Jahr Mit anderm Heilthum offenbar. Am Rande: Karolus — magnus — imperavit — annis 14. — Dagegen sieht der gute Kaiser Sigismund ungefähr so aus, wie seine Person in der Geschichte war, bedeutend schlapper und einfältiger; besitzt aber doch, was man den Rohstoff der Manneskraft seines Zeitalters nennen könnte, und wenn er auf einem modernen Kongreß der Beherrscher der Erde auftreten würde, würde er sie alle ohne Zweifel an königlicher Majestät überstrahlen. — Doch die beiden 35 Die Gemäldegalerie in der Burg war 1811 auf Befehl König Max I. Joseph durch die bayerische Regierung eingerichtet worden. Sie bestand bis 1833. Die Einrichtungs- und Unterhaltskosten wurden durch eine Versteigerung von Bildern aufgebracht, die vor allem den gewachsenen Nürnberger Kunstbesitz schmälerte. Geöffnet war die Sammlung anfangs zweimal wöchent­ lich, jeweils nachmittags Mittwoch und Sonntag. Eintrittsgeld erhob man nicht.Vgl. dazu: Wil­ helm Schwemmer, Aus der Geschichte der Kunstsammlungen der Stadt Nürnberg in: MVGN 40, 1949, S. 97—206. 36 Als Dauerleihgabe der Stadt Stadt Nürnberg im Germanischen Nationalmuseum. Zur Umschrift des Gemäldes von Karl d. Gr. siehe Ausstellungs-Katalog des Germanischen Natio­ nalmuseums „1471 Albrecht Dürer 1971“, Nr. 251.

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wichtigsten von allen hier befindlichen Gemälden sind die berühmten Dürerschen Altarflügel37, mit Johannes und Petrus auf dem einen, Paulus und Markus auf dem anderen; die beigefügte Zeichnung ermöglicht es dir, über die Komposition zu urteilen. In diesen beiden Werken werden alle Forderungen an die Kunst in der aufs Höchste übereinstimmenden Weise befriedigt. Die Tiefe und Kraft der Charakteristik, die vollendete Macht und Erhabenheit der Gestalten, die in großen Massen und einfachen sanften Falten gemalten Kleider, die streng vollkommene Zeichnung, die schöne, symmetrische Farb­ behandlung; hier zeigt sich Dürer ohne Zweifel Raphael ebenbürtig, obwohl er sich sicherlich nicht immer selbst gleich ist und nicht dessen universales Können besitzt. Um diese Bilder und ein außerordentliches Selbstporträt38 ihres Meisters wird zwischen Nürnbergs und Münchens Kunstliebhabern ein großer Streit geführt; es gibt sie nämlich auch in München, und man behauptet an beiden Orten, die Urbilder zu besitzen. Ich weiß nicht, warum man die ein­ fache Möglichkeit nicht in Erwägung zieht, daß der unermüdlich fleißige Dürer bestimmte Anschauungen, die seine Seele besonders lebhaft beschäf­ tigten, mehrmals oder wenigstens zweimal hat malen können.* —Jetzt, sagte unser Begleiter, der sich auf seine Weise über unser Entzücken freute, wollen wir zu Dürers Lehrmeister gehen. Mich dabei des Namens Michael Wohlgemuth erinnernd, trat ich mit ebenso großer Rührung wie Neugier vor vier Altartafeln39, innen und außen glanzvoll bedeckt mit Heiligen und Legenden. Außen schweben über goldene Blumen acht Heilige in Lebensgröße; innen breitet sich in kleinerem Maßstab ein Zyklus von mehreren Abteilungen aus, die die Lebensschicksale, Taten und Leiden der Heiligen Lukas, Sebastian, Georg und anderer darstellen. Was hier auch an Zeichnung und sinnlichen Verhältnissen fehlen mag, es wird von der seligen Anmut des Ganzen reich

* Inzwischen habe ich auch die in München gesehen; der Farbton erscheint mir auf diesen klarer und die ganze Kolorierung frischer. Vielleicht spricht das für die Münchner Eitelkeit, denn viele andere Bilder beweisen ja, daß Dürer, wenn er wollte, auch in der Farbgebung Meister war. Muß man also die Nümbergischen als Kopien ansehen, so sind sie auf jeden Fall von einem Schüler Dürers und höchst vortrefflich. 37 Die sog. Vier Apostel. Originale seit 1627 im Besitz der Wittelsbacher in München. In der Burg­ galerie die vor dem Verkauf für Nürnberg angefertigten Kopien mit den originalen Unter­ schriften. Dürers Originale im Besitz der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, die Kopien als Leihgabe der Stadt Nürnberg im Depot des Germanischen Nationalmuseums. 38 Selbstbildnis im Pelzrock, 1500 datiert. Original bis um 1800 im Besitz der Stadt Nürnberg. Auf ungeklärte Weise aus dem Rathaus entfernt, erworben 1805 vom bayerischen Kronprinzen Ludwig in Nürnberg. München, Bayerische Staatsgemäldesammlungen. — Die von Atterbom für eine Zweitfassung gehaltene Version ist eine Kopie von Abraham Wolfgang Küfner (1760—1817), jetzt im Depot der Stadtgeschichtlichen Museen Nürnberg. 39 Flügel des Veitsaltars aus der Kirche St. Veit der Nürnberger Augustiner-Eremiten, 1487 datiert. Vom sog. Meister des Augustiner-Altars und Rueland Frueauf d. Ä. (?). Bis 1829 in der Burggalerie, jetzt im Germanischen Nationalmuseum.

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ersetzt; mit der unantastbaren höheren Ruhe, der Stille des Lichts, das sich in den Gesichtern der Heiligen spiegelt und über der ganzen Darstellung liegt, wetteifern die unvergängliche Kraft und Pracht der Farben. Man kann, wenn man will, manches an diesen Bildern tadeln, aber man vergißt sie nicht mehr und man ist glücklich, wenn man sich ihrer erinnert. Solche Schilderungen könnte man gemalte Psalmen nennen. In diesen ernsten Betrachtungen wurde ich von anderen nicht weniger ern­ sten unterbrochen, die mich aus dem Gebiet der Kunst in das der Geschichte führten. Der Anlaß dazu war ein großes und hohes Gemälde, das fast eine ganze Wand bedeckte und ein fürstliches Gastmahl aus der Zeit des Dreißig­ jährigen Krieges schilderte. Ich brauchte nicht lange zu suchen, bis ich schwe­ dische Helden darunter entdeckte. Es war Sandrarts bekannte Darstellung des Friedensmahls40, das Carl Gustav41, damaliger schwedischer Generalissimus, am 25. September 1649 im Nürnberger Rathaus allen anwesenden Feldherren und Diplomaten, schwedischen, kaiserlichen und reichsständischen, zum Abschluß der Präliminarien des Westfälischen Friedens gab. Die zu diesem Friedensmahl versammelten Gäste, 49 an der Zahl, alle treu nach der Natur abgebildet, sitzen aufgeteilt an drei Tischen, und an jedem hat ein Fürst oder ein besonders hervorragender Mann den Vorsitz; Carl Gustav selbst, links vom Betrachter, an dem ersten. Das Bild ist sehr ähnlich, obwohl er noch sehr jugendlich ist. Man bemerkt an seiner Gestalt die starke Neigung zur Korpu­ lenz, doch die Beleibtheit überschreitet noch nicht das gehörige Gleichmaß; die Jünglingsblüte hat dieses später ein wenig harte und wandalische Gesicht noch nicht verlassen. Unter den Gästen am zweiten Tisch, wo Ottavio Picco­ lomini den vornehmsten Platz einnimmt, trifft man nicht weit von ihm auf den Feldmarschall Wrangel, der höchst aufmerksam und höchst zufrieden zugleich aussieht. In einigem Abstand von seinem Gegenstand sitzt ganz hinten an der rechten Seite des Gemäldes der Künstler, Meister Sandrart selbst, ein schöner Mann in schwarzer Kleidung, mit seinen Werkzeugen in der Hand. Er malte dieses Bild in Carl Gustavs eigenen Zimmern und bekam von ihm als Belohnung 2000 Rheinische Gulden und eine 200 Dukaten schwere Gold­ kette. Man erzählt als Beweis des besonderen Geschicks Sandrarts, er habe bei der Arbeit, ohne sich stören zu lassen, zuhören, ja selbst an den Gesprächen teilnehmen können, die täglich und stündlich in allen Sprachen bei Carl Gustav geführt wurden, mit dem natürlich ständig verschiedene, mehr oder weniger

40 Stadtgeschichtliche Museen Nürnberg; ausgestellt im Stadtmuseum Fembohaus. 41 Pfalzgraf Carl Gustav. Seit 1654 als Karl X. Gustav König von Schweden.

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bedeutende Leute etwas zu verhandeln hatten. Es war gut für Sandrart, daß er eine so leichte Arbeitsfähigkeit besaß; da er aber nur ein Virtuose in seiner Kunst war, in der ihn seine Anschauung nie aus dem beschränkt Eklektischen emporhob, verlangte ihm die Aufgabe, die man ihm diesmal gestellt hatte, auch keine besonders tiefe Auffassung oder Überlegung ab. Nach Carl Gustavs Willen wurde das Gemälde dann vom Feldmarschall Wrangel dem Rathaus der Stadt verehrt. — An den Fenstern dieses Saals, die Gedanken auf Schwedens Einst und Jetzt gerichtet, erquickte ich mich eine Weile an der frohen Aussicht über die Gegend von Zirndorf und die Rednitz, wo Wallenstein sein Lager hatte, als er in der Nachbarschaft Nürnbergs den Jupiter Tonans spielen wollte. Unser Begleiter gab uns davon ebenso wie über Gustav Adolfs Lager nahe der Stadt und die wechselseitigen Operationen der Feldherren eine so ausführliche und genaue Beschreibung, als habe sich alles unter seinen eigenen Augen abgespielt. Doch sind Gustav Adolf*, seine Eigenschaften, die Taten der Schweden und alle kriegerischen Erinnerungen aus diesen für Nürnberg so bedenklichen Tagen hier in aller Kinder Mund. Leider konnten meine Blicke seinen Bezeichnungen und Erklärungen nicht genau genug folgen, da ein herr­ licher Sonnenschein nicht zu verhindern vermochte, daß ein bläulicher Nebel über der Gegend schwebte. Zwei nackte Frauengestalten43, die unser Führer als Werke Holbeins ausgab (die aber von anderen, gründlicheren Kennern Cranach zugeschrieben werden), zeigen deutlich, daß sich diese alten Meister mit der Behandlung des Nackten niemals hätten befassen sollen. Sie sind in natürlicher Größe auf schwarzem Grund, mit wunderbarer Innigkeit und großem Fleiß gemalt; doch

* Bei seinem ersten Einzug ließ er in Nürnberg fragen, ob die Bürgerschaft so gesinnt sei wie er, und forderte, daß man „rotunde“ erklären solle, ob man es mit ihm halten wolle — oder nicht! In seiner Rede42 an die Einwohner der Stadt am 21. März 1632 sagt er unter anderem, daß er in seinem Leben niemals eine sa große und volkreiche Stadt gesehen habe, und fährt fort: „Es hat Euch Gott wol wunderlich erhalten, wie Er mich dann auch zu diesem Werk berufen, dann ich mich ehe des Jüngsten Tages versehen, als dass ich nach Nürnberg sollte kommen------- und wie Ihr gesprochen, so hab‘ ich mein arm Land und Leut, und was mir lieb ist, verlassen, so manchen theuren Helden mit mir hinausgeführt, welche ihr Leben neben dem meinigen gewagt, alles dem gemeinen Evangelischen Wesen und zu Erhaltung der Deutschen Libertät zum Besten.“ Er lobt die Nürnberger sehr, ermahnt sie jedoch zu eifriger Fortsetzung, und sagt schließlich: „Es wird Euch Gott nicht alle Tag solchen Prediger schicken, als wie Mich!“ 42 Die Rede des Königs lag gedruckt vor: Siehe MVGN 10, 1893, S. 201 f. 43 Das Gemälde Venus und Amor von Atterbom wohl richtig als Erzeugnis der Cranach-Werkstatt bestimmt; vielleicht identisch mit einer Tafel aus altem Wittelsbacher Besitz, die seit 1920 als Leihgabe im Germanischen Nationalmuseum hängt (Inv. Nr. 1097). Die andere Aktfigur nicht identifiziert.

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die mageren, dürren und langgestreckten Glieder überschreiten die Grenzen aller körperlichen Schönheit weit. So malte man, vermutlich weniger aus Unwissenheit (man hatte ja die lebendige Natur zur Verfügung, so oft man wollte), als nach einem bestimmten System; man war fromm und sittlich, und man suchte den reinen Ausdruck strenger Keuschheit in Formzusammenset­ zungen, die sich dem Gerippe-Ähnlichen näherten. Doch da man sich in dieser Gemütsstimmung auch nicht verpflichtet fühlte, das Natürliche zu ver­ schleiern — weil für die Keuschen alles keusch ist —, findet man auf solchen Bildern manchmal scheinbare und auf den ersten Blick erstaunliche Wider­ sprüche zwischen dem anachoretischen Ehrbarkeitssinn auf der einen und der harmlosen Naturtreue auf der anderen Seite. Und so sind bei der schöneren dieser beiden Frauen (die unser Begleiter nichtsdestoweniger für die Mutter Gottes hielt!) die weiblichen Reize mit einer Genauigkeit entblößt, wie man es nur von einem Giulio Romano oder einem anderen der Sinnlichkeit schmei­ chelnden südländischen Wollüstling erwartet. Wahrscheinlich soll sie eine Venus und der neben ihr stehende Knaße einen Amor darstellen. Beides sind zweifellos Porträts. Das Haar der einen ist sonderbar gefärbt, in gelblichen und rötlichen Flammen; vielleicht ließ man sich das Haar damals in dieser Art sehr kunstvoll entstellen und bildete sich dabei ein, es maßlos verschönert zu haben. — Sehr gefiel uns ein schönes Gemälde von Georg Pencz, der sich bereits einer mehr italienischen Manier nähert; es war ein Bild von dem tapferen Sebastian Schirmer44; in seiner reichen, aber dunklen Rüstung, deren stattlichste Zierde der stolze Ringkragen ist, erweckt der wohlgewachsene, kräftige, heldenhaft blickende Mann unbegrenzte Achtung und unbegrenztes Vertrauen. Persön­ lich angenehmer, obwohl in viel kleinerem Stil gemacht, war mir ein Gemälde von De Hoogh45, das einen schwedischen Offizier in der bekannten Uniform des Dreißigjährigen Krieges darstellt, in der die gelbe Farbe ein so wichtiger Bestandteil ist. Höchst blühend, gesund und vergnügt, sitzt er mit aller schwe­ dischen Bequemlichkeit inmitten eines Zimmers, die Hände in die Hüften gestützt; neben ihm steht seine züchtige Frau, ebenfalls sehr zufrieden, und an einem Fenster sein treuer Diener; in einem äußeren Zimmer sitzt eine nähende Zofe, die nach Maßgabe ihrer Kräfte tiefsinnig über den Lauf der Welt nachzu­ denken scheint. — Aus Furcht, dich mit der Ausführlichkeit meiner Erinne­ rungen allzu sehr zu ermüden, will ich ein vorzügliches Bild von der Anbetung der drei heiligen Könige nur erwähnen, über das ich bei anderer Gelegenheit wohl mehr zu sagen wage; der Meister heißt Martin Schön, ein ungefährer 44 Als Dauerleihgabe der Stadt Nürnberg im Germanischen Nationalmuseum. 45 Gesellschaftsstück von Pieter de Hooch, als Eigentum der Stadt Nürnberg im Germanischen Nationalmuseum. Bei Atterboms Besuch 1817 noch Eigentum der Wittelsbacher. 1819 an die Stadt Nürnberg abgetreten als Ausgleich für die bei der Gemäldeauktion 1811 erlittenen Einbu­ ßen.

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Zeitgenosse M. Wohlgemuths, und er scheint im selben, vielleicht in noch rei­ cherem Maße als jener besessen zu haben, was man Talent nennt, jedoch weniger Poesie. Leichteren Gewissens lasse ich verschiedene, in ihrer Art sicherlich gute italienische Geschichtsmalereien beiseite, größtenteils aus der venezianischen Schule, — und mit dem allerleichtesten Gewissen eine Menge niederländischer Tier-, Landschafts- und Küchenstücke; den Wert der ersteren verstehe ich nicht genug, und die letzteren versetzen mich in völlige Kälte; in Zukunft werde ich vielleicht auch an so etwas Geschmack finden. Dagegen konnte ich mich an einem kleinen Gemälde46, das anspruchslos und halb vergessen über einer Tür hing und von unserem Begleiter für byzantinisch erklärt wurde, kaum satt sehen. Du kannst dir vorstellen, mit welcher Auf­ merksamkeit mein Ohr dem Klang dieser Bezeichnung lauschte, und mit wel­ cher Neugier ich die Augen aufsperrte, damit mir kein Strich entginge. Ich habe so viel von byzantinischer Malerei gehört und immer vermutet, daß man in den morgenländischen Kunstüberlieferungen aus den ältesten Jahrhun­ derten des Christentums einmal den Faden zu einer bestimmten Erkenntnis über die Art des Übergangs der antiken Malerei in die christliche finden wird. Dieses Bild, auf goldenem Grund Christus bei der Krönung seiner Mutter dar­ stellend, ist in Geist, Ton, Stil und Zeichnung zweifellos erstaunlich ver­ schieden von all den altdeutschen, die ich bis jetzt zu sehen Gelegenheit hatte, und es kam mir vor, als sähe ich hier eben in der geradlinigen Starrheit einen sterbenden Hauch des plastischen Ideals der Griechen und also eine Art Fort­ setzung der alten griechischen Kunst. Später habe ich meine Ansicht jedoch geändert, und ich halte es für wahr­ scheinlicher, daß dieses Gemälde wirklich deutsch, aber aus der alten, noch so wenig bekannten niederrheinischen Schule ist. Wenn nämlich, wie behauptet wird, die allgemeine Grundeigenschaft der byzantinischen Gemälde eine in tote Notwendigkeit, in mechanisch ausgeübte Tradition übergegangene Manier ist, so war dieser Meister sicherlich kein Grieche; seine Arbeit verrät eine unverkennbare Gemütsstimmung von lebendiger Liebe und dadurch von wahrer Selbständigkeit. Was wiederum die niederrheinische Schule betrifft, so haben mich teils Kupferstiche, teils allerlei schriftliche und mündliche Nach­ richten zu der Vermutung gebracht, daß sie in vielen Fällen und besonders in

46 Mitteltafel des Imhof-Altars, entstanden um 1418—1422. 1810/11 in der Lorenzkirche von der bayerischen Regierung requiriert, die doppelseitig bemalte Holztafel wenig später gespalten. 1833 der Familie die Vorderseite mit Krönung der Maria zurückerstattet, seitdem in der Lorenzkirche auf der Imhoff-Empore. Die Rückseite mit Schmerzensmann zwischen Maria und Johannes verblieb im Besitz der Stadt Nürnberg; als Dauerleihgabe im Germanischen Nationalmuseum. Von der hohen Wertschätzung des Werkes zeugt ein Umrißstich von Fried­ rich Wagner in: Der Sammler für Kunst und Alterthum in Nürnberg. 1. 1824, neben S. 82. — Schwemmer (wie Anmerkung 35), S. 147.

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dem Wesentlichen einer gewissen idealischen Erhabenheit von der späteren Nürnbergischen abweicht, in der die Poesie der religiösen und ästhetischen Eingebung (dies sei mit Ausnahmen und ohne ungerechten Tadel gesagt) das Aussehen von Handwerkereifer annahm, der der frohen und gewissermaßen inniger angeborenen Kunstfertigkeit der niederrheinischen Meister fremd ist; diese offenbart sich, obwohl in gewissen Bereichen technisch weniger ausge­ bildet, in der zusammenstimmenden Lebensäußerung des Ganzen als eine Malerei, die gleichsam unmittelbarer aus der göttlichen Quelle der Kunst ent­ sprungen ist. Ein nahes, gegenseitiges Verhältnis zwischen der byzantinischen und der ältesten deutschen Kunst hat sicher bestanden; doch darüber liegt noch dichtes Dunkel, jedenfalls für mich, der ich erst viele sowohl entschieden byzantinische als auch entschieden niederrheinische Gemälde sehen muß, ehe ich meine Überzeugung in dieser Hinsicht zu befestigen wage. Wie dem auch sei, das erwähnte Gemälde ist wirklich himmlisch gedacht und gemacht; der Ausdruck in den Gesichtern nähert sich Raphaels hoher und doch so natür­ licher Idealität, und die unsägliche Emsigkeit des frommen Künstlers in der Ausführung des Kleinsten ebenso wie des Größten wird angenehm durch den warmen Glanz der klaren Farben auf dem prächtigen Goldgrund. — Der Nürnberger Edelmann Freiherr Haller von Hallerstein47 hat dieses Meister­ stück vor der Vergessenheit und vielleicht vor dem Untergang gerettet. Selbst Mitglied der alten Ratsherrenfamilie Imhoff, entdeckte er dieses alte Gemälde während einer Ausbesserung in der Lorenz-Kirche in der Bank der Imhoffschen Familie; ihm hat es der Kunstfreund zu verdanken, daß es bewahrt, gereinigt und endlich hier aufgehängt wurde. — Und mit dem lebhaften Ein­ druck dieses Bildes in der Seele nahmen wir für diesmal von der Burg Abschied, entschlossen, am nächsten Morgen wiederzukommen. Dieses Ver­ sprechen erfreute unseren redseligen Aufseher sehr, in dessen Mienen wir die frohe Erwartung lasen, daß er dann unsere Namen erkunden könnte, die wir, um seine possierliche, brennende Neugierde zu steigern, bis jetzt in ein geheimnisvolles Dunkel gehüllt hatten, trotz aller ausgesuchten Wendungen und halben Fragen, womit er versuchte, uns zu Leibe zu rücken. Ehe wir das Gebiet der Burg verließen, wurden wir in einen der Türme geführt, wo allen Fremden ein Brunnen gezeigt wird, der als große Seltsamkeit gilt, teils wegen seiner Tiefe, teils weil eine Volkssage behauptet, er sei auf Befehl Karls des Großen gegraben worden. Er ist auch wirklich sehr tief. Wenn man eine Flasche Wasser über die Öffnung hält und sie schnell leert, kann man 30 bis 32 Sekunden zahlen, ehe man hört, daß das Wasser die Ober­ fläche der Quelle erreicht. Das war jedenfalls die Meinung unseres Begleiters; wir kamen jedoch nur bis 26, obwohl wir es dreimal versuchten. — Eine

47 Carl Freiherr Haller von Hallerstein (1774—1817), der sog. Griechen-Haller.

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andere Volkssage verweist auf die Spuren ungeheurer Hufeisen an einer Stelle in der Burgmauer und erzählt dabei, der im 14. Jahrhundert wegen seiner Abenteuer und seines Hasses auf Nürnberg berühmte Raubritter Eppela (Apollonius?) Gailing habe einmal, nach einem mißglückten Überfall und der Flucht der Seinen, von der Menge der Feinde auf dem Burghof eingesperrt, sein Pferd gezwungen, von der Mauer über den schrecklichen Graben zu springen, und dieser außerordentliche Freiheitssprung sei ihm gelungen; die Spuren der Hufeisen sollen noch heute ein sonnenklarer Beweis dieser Wag­ halsigkeit sein. Einige Jahre danach wurde er aber von den Nümbergern gefangen genommen, vermutlich in einem Augenblick, als er nicht zu Pferde saß, und die Besorgnis wegen dieses Beispiels exzentrischer Reitkünste war nun so groß, daß man ihn schmählich an einem prosaischen Galgen aufhängte, wo er wie jeder andere, weniger wohlberittene Dieb und Räuber seinen Geist aufgeben mußte. Den Rest des Vormittags widmeten wir der ehrwürdigen Sebald-Kirche, wo wir hauptsächlich das berühmte für Sebaldus gegossene Denkmal von Peter Vischer sehen wollten. Man geht eine Treppe zu der allerdings nicht besonders bedeutenden Anhöhe hinauf, auf der die Kirche steht; schade, daß sie nicht von einem gebührend großen freien Platz umgeben ist, von dem aus man ihren ehrwürdigen Anblick gleich von allen Seiten ungehindert erfassen könnte. Der sogenannte Engelschor zwischen den beiden Türmen, ja, auch die unteren Teile dieser Türme selbst, sind wahrscheinlich Reste eines Gebäudes aus dem 11., vielleicht 10. Jahrhundert48; denn hier fanden sich die gleichen Anzeichen einer älteren, unvollkommenen Bauweise, wie wir sie an der Kaiser-Kapelle in der Burg bemerkt hatten, einer Bauweise, die die richtige gotische Architektur wie einen eben gezeugten Fötus in sich trägt, selbst aber die Aufpfropfung der entarteten griechisch-römischen auf die uralte deutsche war. An der bezeichneten Stelle soll eine Kapelle gestanden haben, die der heilige Bonifacius, der erste Apostel der Deutschen, im Jahre 716 zu Ehren des Petrus bauen ließ. Der heilige Sebald, der nach der Nürnberger Legende ein dänischer Prinz war, wollte sich nur in dieser Kapelle begraben lassen, und dieser Wunsch wurde ihm auch erfüllt. Die Menge derer, die zu seinem Grab pilgerten, wurde bald so groß, und die Achtung vor seinem Gedächtnis und seinen fortgesetzten wundervollen Wohltaten war so warm, daß das Gebäude mit der Zeit von einer kleinen Kapelle zu einer großen und kostbaren Kirche erweitert wurde. Es ist heute unmöglich zu entscheiden, was von dem uralten, vermutlich ziem­ lich unförmigen Gemäuer aus den Tagen des Bonifazius übriggeblieben ist. Nach vielerlei Ausbauten erhielt die Sebald-Kirche schließlich in den Jahren 1361 bis 1377 ihre jetzige Größe und Form. Diese letzte vollendete Vergröße-

48 Tatsächlich erst aus dem 13. Jahrhundert.

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rung fällt in eine Zeit, als die gotische Baukunst bereits in voller Blüte stand. Aus alledem kannst du leicht ersehen, daß man hier nicht nach dem aus einem einzigen Gedanken hervorgegangenen, in allen Teilen gleichartigen, in der viel­ fältigen Freiheit des Ganzen aber mit sich selbst in strenger Gesetzmäßigkeit übereinstimmenden Stil suchen darf, der z. B. den Dom zu Köln oder ein anderes Meisterwerk der ausgereiften gotischen Kunst kennzeichnet. Und doch bleibt beim Betrachten dieser Kirche ein reicher und erhabener Eindruck nicht aus: man freut sich über die richtig vollendeten Türme (die nur aus der Entfernung zu klein erscheinen im Verhältnis zu dem übrigen, in einem mit der Zeit immer größeren Maßstab erweiterten Gebäude), über die wech­ selnden, schönen Bildwerke und Verzierungen, von denen die jüngsten an den Fenstern, über den Türen, auf Säulen und Mauern beinahe orientalisch üppig sind; ja, selbst der Sandstein, aus dem alles gemacht ist, ist dem Betrachter wegen seiner rötlichen Farbe angenehm. — Was dagegen ohne Verlust fehlen könnte, ist ein zwischen den Türmen befindliches großes Kruzifix aus Mes­ sing, von dem die Nürnberger Fremdenführer viel Wesens machen; es ist massiv und in jeder Beziehung schwer; Christus ist, wenn ich mich recht erin­ nere, nach einem kräftigen und dicken Müllerknecht gebildet, der dem Künstler Modell stand! Außer dieser eher lächerlichen Merkwürdigkeit hat das Bild auch etwas ernsthaft Bedenkenswertes, nämlich daß die Füße des Christus einzeln an das Kreuz genagelt sind, während sie bei dem gewöhnlichen Typ zusammen übereinandergelegt sind. Von den meist vorzüglich gemachten Bildhauerarbeiten außen an der Kirche zogen besonders zwei meine Aufmerksamkeit auf sich. — Bei der einen breitet Maria ihren Schleier, den weiten Mantel der Liebe, über eine Menge betender, teils vor Furcht halb entzückter, teils von Hoffnung belebter Menschen bei­ derlei Geschlechts aus. Dieses Werk wurde im Jahre 1473 zur Erinnerung an den reichen Augsburger Peter Fugger gemacht.49 Sahen wir hier eine angemes­ sene Darstellung der Barmherzigkeit des höchsten Wesens, des Mutterherzens, durch welches der Vater den Sohn gebiert, und daß es nur im Schutze der Kirche einen Trost im Leiden und im Tod gibt, so erinnerte uns eine mit grö­ ßerer Kunstfertigkeit, Feinheit, Schärfe und Meisterschaft gemeißelte Grable­ gung Christi von Adam Krafft in rührender Weise an die letzte Sorge eines frommen Edelmanns für das höchste Wohl seines mit ihm aussterbenden Geschlechts. Er hieß Sebald Schreyer50, war zu seiner Zeit der vornehmste Vor­ steher dieser Kirche und ist, als Letzter seines Geschlechts, im Jahre 1520 49 Epitaph für Peter Fugger (1450—1473), errichtet 1497. Im Wandfeld rechts vom Marienportal. Wappen und Inschrift, von Atterbom 1817 noch deutlich erkennbar, heute bis zur Unkennt­ lichkeit abgewittert. 50 Elisabeth Caesar, Sebald Schreyer, ein Lebensbild aus dem vorreformatorischen Nürnberg, in: MVGN 56, 1969, S. 1—213.

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gestorben, nachdem er kurz zuvor bei Nürnbergs damaligem Oberhirten, dem Bischof von Bamberg, einen Ablaßbrief für diejenigen erwirkt hatte, die hier am Grabe seiner Ahnen vor einer zu diesem Zweck ständig brennenden Lampe beten und in ihre eigenen Obliegenheiten bei Gott jeweils auch gute Wünsche für die Seelen dieser Abgeschiedenen einbeziehen wollten. Unter dem Bild von der Grablegung des Versöhners knien verschiedene kleine Menschengestalten, männliche und weibliche, die mit der größten Zierlichkeit und einer porträt­ haften Eigentümlichkeit in Gesichtern und Kleidern gearbeitet sind. Jede ist mit einem adeligen Wappen versehen, unter welchen sich auch das Schreyersche befindet, und so werden hier wahrscheinlich alle adligen Geschlechter, die dem Schreyerschen in näherer Verwandtschaft verbunden waren, vorgestellt. Immer noch wird Christus auf dem gut erhaltenen Bild von der Meisterhand des Künstlers zu Grabe gelegt, immer noch knien darunter die Gestalten der alten Adligen; doch brennt seit Jahrhunderten kein Licht mehr in der an einem Arm in der Mitte des Bildwerkes befestigten, turmförmigen Eisenlaterne, der Stifter und seine Verwandten sind längst vergessen, und der Fremde bleibt jetzt nicht mehr dort stehen, um für sie und für sich zu Gott zu beten, sondern nur, um zu überlegen, ob die Bildhauerarbeit auch dem Ruhm des Meisters ent­ spreche. Segen über ein verschwundenes Geschlecht, welches dem Erbarmen Gottes und dem frommen Gedenken der Nachwelt von seinem letzten Sproß so würdig anvertraut worden ist! In das dunkle, weitumfassende Tempelgebäude tretend, erschraken wir nicht wenig beim Anblick einer kleinen, am entgegengesetzten Ende begon­ nenen Übermalung; eine junge, aus dem Küsterhaus herbeigerufene Führerin erfreute uns jedoch mit der Nachricht, dies sei vor mehreren Jahren geschehen und man habe auf Anraten vernünftiger Leute von dem wahnsinnigen Unter­ nehmen Abstand genommen, weshalb die begonnene Übermalung nicht weiter als über ein Stück des Vordergrunds gelangt sei. Möchten diese Sachverstän­ digen doch nur einen einzigen, höchst naheliegenden Schritt weitergehen und jene unpassende Kreidefarbe durch eine neue Übermalung verschwinden lassen! Nichts ist geschmackloser, als der Gegensatz zwischen dieser neuen weißen Farbe und dem sonst überall vorherrschenden altertümlichen Farbton. Das Gewölbe ruht auf 22 Säulen, alle mit vortrefflich gezeichneten, fleißig gearbeiteten Aposteln und Heiligen. Obwohl die Kirche an sich schon ziem­ lich hoch ist, erscheint sie dem Betrachter dadurch noch höher und freier, daß die Säulen schmal sind und von diesen die wie bei allen solchen Gewölben sich schneidenden Halbbögen ohne Kapitäle, ganz wie stattliche Baumstämme, ausgehen. Anstatt sofort zu dem oft genannten, dem Schutzheiligen der Kirche geweihten Denkmal Vischers zu eilen (dessen Reste aus der alten Petri-, jet­ zigen Löffelholz‘schen Kapelle beim Eingang nach der Vollendung des jetzigen Chors auf diesen gebracht worden sind) beschlossen wir, uns das Beste bis

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zuletzt aufzusparen und einen Rundgang zu machen, um Stück für Stück all die übrigen Gegenstände miteinander wetteifernder Sehenswürdigkeit in Augenschein zu nehmen. Von den zahllosen, im wunderbaren Halblicht der prächtig bemalten Fenster wehmütig hervortretenden Erinnerungen an den einstigen Gemeingeist der Liebe, der Andacht, des Reichtums und der Freiheit will ich dir nur diejenigen erwähnen, die teils den angenehmsten Eindruck auf mich gemacht haben, teils meine Einsicht in das Wesen damaligen Kunststre­ bens, das sich nach allen Richtungen gleich wirksam äußerte, in bedeutendem Umfang erweitert haben. — In der Löffelholz’schen Kapelle, wo verschiedene alte Gemälde Aufmerksamkeit verdienen, und auf deren Altar51 besonders die heilige Keuschheit der Kaiserin Kunigunde verherrlicht ist, erinnere ich mich mit Freuden besonders eines kleinen tragbaren Altars, der einst von der Familie bei häuslichen Trauungen benutzt wurde, mit einem recht gut gemalten Bild, das die Hochzeit in Cana vorstellt und folgende himmlisch herzliche Unterschrift hat: „Diese Treu macht treu.“ Wenn man aus dieser Kapelle einige Treppen in die Kirche hinuntersteigt, erblickt man sofort ein großes, aus 32 Zentner weißlichem Kupfer gegossenes Taufbecken52, eine wahrhaft prachtvolle Arbeit, geschmückt mit den vier Evangeli­ sten und an den Rändern mit dreißig anderen kleineren Figuren, alles schön und nach bestem Geschmack gemacht. Von allen hier befindlichen Kunstwerken ist es dieses Taufbecken, an dem Kantoren und Kirchendiener die größte Freude haben. Der Grund dafür ist eigentlich nicht der Wert der Arbeit, sondern vielmehr der Umstand, daß der bekannte Wenzeslaus, der Sohn des Kaisers Karl IV., der später ebenfalls (zu geringer Freude für die Welt) Kaiser53 wurde, in seinem Schoß durch die Taufe der Gemeinde Christi geweiht wurde. Dies geschah am 11. April des Jahres 1361. Der kleine Reichserbe wurde unter einem goldenen Thronhimmel, zwischen Fahnen, Waffen, Reliquien und Gott weiß was für welchem Staat in die Sebaldus-Kirche getragen, wo sich eine unzählbare Gemeinde mit weit aufgeris­ senen Augen auf den Zehenspitzen drängte. Doch siehe, was geschah? Während der heiligen Verrichtung besudelte sich der Prinz im Taufbecken, und im Pfarr­ haus, wo man das Tauwasser hatte erwärmen lassen und dabei vergessen hatte, auf das Feuer acht zu geben, brach eine Feuersbrunst aus. So endete die Sache in bedenklicher Verwirrung; obendrein hatte der Tag den unheilbringenden Namen Misericordias Domini, und die Nürnberger dachten bei sich: Teufel auch, was für eine Kindstaufe!

51 Dieser Altar ist heute nicht mehr geschlossen im Westchor aufgestellt. Teile befinden sich in der Sakristei. 52 Der Bericht von der Taufe Wenzels 1361 dem Buch von Murr 1801 (wie Anmerkung 24) ent­ nommen (S. 61). Das heute im Westchor aufgestellte Taufbecken wesentlich jünger, von den Fachleuten in das erste Drittel des 15. Jahrhunderts datiert. 53 Er wurde 1376 nur König, nicht Kaiser.

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Am Kanzelpfeiler hängt eines der berühmtesten Gemälde Albrecht Dürers; ein längliches Bild, das die Kreuzabnahme Christi54 darstellt. Ich möchte doch meinen, daß ein anderes Exemplar desselben Bildes, bis vor kurzem im Besitz des Geschlechtes von Peiler und jetzt in der Sammlung Boisseree, das echte Urbild ist, weil ich dieses Gemälde hier nicht unter die vornehmsten Werke der Dürerschen Schule (um nicht zu sagen Dürers) rechnen konnte. Die anato­ mische Kenntnis, die strenge, ja übertriebene Naturtreue, die unheimliche, langgestreckte Magerheit, womit der Künstler eine Ermüdung durch uner­ hörte Leiden hat ausdrücken können, die zu dem übrigen passende kalte, düstere, leblose Farbbehandlung sind Eigenschaften, die das Bedürfnis derer, in deren Seele Christus unwandelbar jung ist, nicht befriedigen; diese Kunst­ liebhaber wollen in allen Lebenslagen, auch am Kreuz, ja, selbst am Leichnam den Gottessohn, die menschgewordene Personifizierung des ewigen Lichtes wiedererkennen. Aber diese Art, sich den leidenden Erlöser vorzustellen, scheint dem Norden, selbst seinen innigsten, tiefsinnigsten Künstlern ursprünglich fremd zu sein; wie oft hat nicht unser ehrbarer Hörberg55, der übrigens keinen Vergleich mit Dürer aushält, Christus weniger als einen inmitten des Schmerzes über allen Schmerz erhabenen, gottähnlichen Men­ schen, denn als einen bedrückten Geistlichen oder einen mit der Armut rin­ genden Schulmeister dargestellt! — Genau gegenüber der mit seltsamer Schnit­ zerei prangenden Kanzel hängen an einem Pfeiler die edlen Bilder Pirkhaimers und Dürers56, von letzterem gemalt, welcher sich folgende Unterschrift gegeben hat: Effigies Alberti Düreri 1509. Meiner Meinung nach hängen sie hier zu hoch; man hat mich mit der Aussicht getröstet, sie an anderer Stelle in größerer Augennähe sehen zu können. — Eines der kostbarsten Denkmäler aus der Zeit der altdeutschen Kunst ist ein langes, in drei Felder geteiltes Gemälde Hans von Kulmbachs57, mit frischen, leuchtenden Farben warm gemalt. Das Mittelstück zeigt die heilige Jungfrau mit ihrem Kinde auf einem Thron sitzend, und Engel halten eine Krone über ihren Kopf; rechts steht die heilige Katharina, links die heilige Barbara, reine und mild anziehende Märty­ rer-Jungfrauen. Auf dem linken Flügel befinden sich Johannes der Täufer und St. Hieronymus, auf dem rechten St. Petrus und hinter ihm St. Laurentius; vor dem kräftigen Petrus kniet ein Geistlicher, Lorenz Tücher, der in der Nähe 54 Kopie vom Anfang des 17. Jahrhunderts nach der sog. Holzschuherschen Beweinung Dürers. Original im Germanischen Nationalmuseum. 55 Pehr Hörberg (1746—1816), schwedischer Maler und Radierer. Schuf vor allem Altarbilder für schwedische Landkirchen. Seine Autobiographie 1817 von Atterbom herausgebracht. 56 Gedächtnistafel für Willibald Imhoff d. A., 1628 datiert. Mittelteil mit Jüngstem Gericht in Anlehnung an Peter Paul Rubens. 57 Das Epitaph für Lorenz Tücher wurde von seinem Stiefbruder Martin Tücher gestiftet; Haupt­ werk des Hans von Kulmbach. — Wilhelm Schwemmer, Dr. Lorenz Tücher (f 1503) und seine Familienstiftung, in: MVGN 63, 1976, S. 131—144.

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begraben liegt, beim Altar der Tucher-Familie, unter einer von dieser Familie gestifteten sogenannten ewigen Lampe. Das Gemälde ist von den Verwandten bestellt und gestiftet. Wie es sich gehört, ist die Mutter Gottes diejenige unter all diesen Gestalten, die alles überstrahlt: Sie ist heller, fröhlicher, menschlich schöner, edler als auf den meisten anderen Malereien aus einer Zeit, in der man fast gezweifelt zu haben scheint, ob man sie als eine im eigentlichen Sinne schöne Frau darstellen sollte, aus Furcht, die Schönheit sei eine nur irdische Eigenschaft. Noch anmutiger überraschte uns jedoch, das Jesuskind und viel­ leicht vor allem die Engel von einem reinen Hauch aus dem paradiesischen Frühling des ursprünglichen Lebens durchgeistigt zu sehen, ein Hauch, der uns an Raphaels wunderbare, ihm allein eigentümliche Auffassung und Dar­ stellung der geheimnisvollen Schönheit der Kindheit erinnerte. Was die Kin­ dergestalten Raphaels und vor allem natürlich das Gotteskind kennzeichnet, ist nicht nur die Vollkommenheit der körperlichen Formen, worin viele ihm nahe-, ja, gleichgekommen sind, sondern vor allem m Augen und Gesichts­ zügen das rätselhafte Verschmelzen einer begriffslosen Unschuld, eines harmlos scherzenden Spielbegehrens mit der tiefsten, ahnungsvollsten, alle Zukunft durchschauenden Weisheit. Daß sich Kulmbach der Lösung dieser vielleicht schwersten Aufgaben der Malerei mehr genähert hat als sein Meister Dürer (und die älteren deutschen Maler im allgemeinen), dürfte bei dem Schüler eine in reichem Maße frohe persönliche Erfahrung der Kindheit, der Weiblichkeit und der Liebe voraussetzen. Auch ist dieses Gemälde, gemalt im Jahre 1513, wohl das vortrefflichste Werk, das Kulmbach hinterlassen hat. Dabei sollte der wichtige Umstand doch endlich nicht vergessen werden, daß der an Erfindung unerschöpflichste aller Maler, nämlich Dürer, ihm im Jahre 1511 die Idee und die Zeichnung dazu gegeben hat. Wir wissen dies durch Sandrart, der selbst Dürersche, mit Feder gemachte Zeichnungen besaß. Ein großes bronziertes Holzkruzifix58, das man gleich beim Eintreten in die Kirche erblickt und an dem man schließlich Vorbeigehen muß, ehe man das Grabmal des heiligen Sebald erreicht, würde ich vergessen, wenn es nicht ein ebenso häßliches wie hoch gelobtes Werk des Bildhauers Veit Stoss wäre; ohne Zweifel lobenswert, wenn die Kunst, was wir nicht glauben, dieses Thema nur behandeln soll, um die höchste anatomische Kenntnis des Menschenkörpers unter Beweis zu stellen. Die abscheuliche Wahrheit der im Todeskampf ausge­ spannten Arme und Beine, der wie auf der Streckbank verrenkte knochige Körper, das in schrecklicher Entstellung erlöschende Frevlergesicht übertrifft alles, was ich in dieser Art bisher gesehen habe. Er hat sich aber auch einen Leichnam zum Muster genommen, und die Volkssage erzählt, daß er den Kerl 58 Sog. Wickelscher Kruzifix, 1520 datiert. Die von Atterbom erwähnte Bronzierung wurde 1823 durch eine ebenfalls einfarbige Fassung nach Angaben von Karl Alexander Heideloff ersetzt. Letzte Restaurierung 1983 durch Eike Oellermann.

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selbst ermordet habe, um das Spiel der Muskeln und die Konfigurationen eines sterbenden Körpers um so lebendiger vor Augen zu haben. Auch in Dürers Kunst war das Holz ein nicht verachtetes Material, aber er bildete daraus freundlichere Werke. So hat er über dem Kirchenstuhl unseres Freundes Sebald Schreyer den heiligen Sebald als Halbrelief59 in Holz geschnitten, der, lebensgroß, die Kirche in der Hand hält; zu Füßen des fürstlichen Heiligen liegt sein Wappen; das Ganze ist ein rundes, von einem schmucken Kranz umgebenes Medaillon. Wir näherten uns jetzt einem der bewundernswertesten Kunstwerke dieser Kirche, einer Reliefarbeit aus Stein von Adam Krafft60, auf drei Felder verteilt wie das Gemälde von Kulmbach, die Stiftung des Abendmahls, die Leiden Christi auf dem Ölberg und seine schließliche Gefangennahme darstellend. In derselben Größe und Vollendung ausgeführt wie die oben beschriebene Grab­ legung außen an der Kirchenmauer, beweist dieses edle Gedicht aus Stein, daß Krafft die Natur ebenso gründlich wie Stoss studiert hat, aber nicht die tote, sondern die lebende, nicht die häßliche, sondern die schöne. Ein frommer Ratsherr, Paul Volkamer61, ließ dieses schöne Bildwerk im Jahre 1501 auf seine Kosten hersteilen. Die zwölf Apostel sind Abbilder damals lebender Rats­ herren; alle sind mit der freiesten und lebendigsten Eigentümlichkeit darge­ stellt, alles Menschliche, bis hin zu Sehnen, Adern und Haaren, ist mit gezielter Kraft und ungezwungener Natürlichkeit ausgedrückt. Herr Volkamer sitzt selbst zwischen seinen Brüdern zu Tisch und hält in der Hand eine Trink­ schale, in die ihm ein neben ihm stehender Apostel aus einer ansehnlichen Kanne Wein einschenkt; und da ein anderer Apostel, der an seiner rechten Seite sitzt, auch noch im Begriff ist, das Osterlamm aufzuschneiden, kann man behaupten, daß der ehrenhafte Patrizier einen sehr bequemen Tischplatz bekommen hat. Schön ist die Gruppe mit Christus, Johannes und Petrus; Johannes ruht an seiner Brust, und Petrus zeigt ihm den durch die Tür hinaus­ gehenden Judas. Dicht neben einem Apostel, der einen leeren Becher hochhebt und die Hand nach einer oben stehenden Weinkanne ausstreckt, hat Adam

59 Relief in Anlehnung an einen Holzschnitt von 1518 aus dem Umkreis Dürers (B. app. 21). Bei Atterboms Besuch im Ostchor, nach dem Zweiten Weltkrieg in den Westchor transferiert und am Chorgestühl der Südseite angebracht (das darüber sichtbare barocke Wappen der Loeffelholz also nicht zugehörig). Soweit die Neufassung ein Urteil erlaubt, ein sicheres Werk des Augsburger Bildhauers Hans Schwarz, der 1519/20 als Gast Melchior Pfinzings im Sebalder Pfarrhof wohnte. Das Wappen des Sebald Schreyer, Kirchenpfleger von St. Sebald, erlaubt eine Datierung auf 1520, Schreyers Todesjahr. Die Angabe »lebensgroß“ bei Atterbom vermutlich ein Irrtum in der Erinnerung, gemeint wohl ganzfigurig. Das Relief mißt im Durchmesser nur 28,5 cm! 60 Volckamersche Gedächtnisstiftung, von Veit Stoß, datiert 1499; nicht von Adam Kraft. 61 Losunger Paul Volckamer ff 1505).

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Krafft62 sich selbst gestellt; eine würdige Gestalt mit kahlem Scheitel und langem Bart; das Antlitz drückt Ehrlichkeit, Rüstigkeit und Tiefsinn aus. Auf all diese Pfeiler, Bilder, Altäre, Gemälde und Bildwerke aller Art schauen von den hohen Fernstem mit unvergänglich glühenden Farben aus Glas gezauberte, mit den prachtvollsten Wappen und Attributen versehene Heilige, Märtyrer, Kaiser, Richter, bei jedem Sonnenstrahl salamanderartig aufflammend, herab; es ist eine Freude, dieses jubelnde Farbenspiel zu sehen! Und im Allerheiligsten dieser ganzen würdigen Umgebung erhebt sich ein ganzes gotisches Bauwerk in kleinerem Maßstab, aber aus Erz gegossen, ein Haus mit den zierlichsten Durchbrechungen und doch im edelsten Stil, mit einer ganzen Menge von Bildern und Sinnbildern, einem riesigen Baum aus Metall ähnlich, der an unermüdlich emporwachsenden und in Blatt auf Blatt aussprießenden Ästen glänzende Früchte trägt. In der Mitte, gleichsam wie im Saal dieses auf schmalen Pfeilern luftig schwebenden Erzpalastes, bewahrt ein mit Gold- und Silberblech überzogener eichener Sarg die Gebeine des heiligen Sebald; denn dies ist das berühmte Grabmal, das Peter Vischer ihm und sich selbst zu Ehren gemacht hat, obwohl letzteres das Bewußtsein des ebenso bescheidenen wie kunstreichen Meisters wohl wenig beschäftigt hat. Rings um den Sarg, wie ewige Wächter am Eingang der Unsterblichkeit, stehen die zwölf Apostel, jeder eineinhalb Fuß hoch; über ihnen, in kleinerer Größe, Engel und Kirchenväter; unter dem Sarg einige Wunder aus dem Leben des Heiligen, in Relieftechnik, und schließlich ganz unten kleine, sinnreich allegorische Gestalten mit verschiedenen geistlichen Eigenschaften und Vollkommen­ heiten. Alles, was von einem solchen Kunstwerk zu wünschen und zu fordern ist, ist hier wahrhaft vereint: der Reichtum der Einbildung, die Tiefe und Erha­ benheit des ausführenden Gedankens, die strengste Richtigkeit in der Zeich­ nung, die tadellose Reinheit im Guß. Vor allem können die zwölf Apostel kühn dem Vortrefflichsten zur Seite gestellt werden, was die Plastik je hervor­ gebracht hat; zum Teil kennst du sie vermutlich durch die guten Kupferstiche, die sich in den letzten Jahrgängen von Fouques Frauen-Taschenbuch63 befinden, und kannst also selbst beurteilen, ob an der Schönheit der Zeichnung und Haltung, an der Würde des Ausdrucks und der Eigentümlichkeit der Per­ sonen oder am stolzen Wurf der Falten der Kleider etwas fehlt. Dieser Vischer, der um das Jahr 153064 gestorben sein soll, hat sich selbst ganz unten am Rand der einen Seite so abgebildet, wie er in seiner Werkstatt aussah: mit vorgebun-

62 Veit Stoß. 63 Frauentaschenbuch, hrsg. von Friedrich de la Motte Fouque. Nürnberg: Johann Leonhard ScHrag. Erster Band auf das Jahr 1815 (erschienen 1814). Die Stiche von Albert Christoph Reindel nach Hauptfiguren des Sebaldusgrabes bei Atterboms Aufenthalt 1817 noch nicht erschienen, sie waren dem Frauentaschenbuch erst für die Jahre 1818 ff. beigebunden. 64 Der Künstler starb 1533.

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denem Lederschurz, eine kräftige Männergestalt, mit einem prachtvollen Bart im ruhigen, mutigen Gesicht. Zusammen mit seinen fünf Söhnen, welche mit Frauen und Kindern alle in seinem Haus lebten, arbeitete er zwölf Jahre lang an diesem Grabmal, das er im Jahre 1506 begann und 1519 vollendete, „Gott allein und dem Himmelsfürsten St. Sebald zu Ehren, gestiftet von den milden Gaben andächtiger Menschen“, wie seine Unterschrift sagt. — Zeitgenosse und Bekannter Albrecht Dürers, Kraffts und Lindenasts, mit welchen er die Ruhestunden an den Feiertagen mit der Beratung über Erfindungen und Zeichnungen verbrachte, hatte er in seiner Jugend auch weite Reisen in Deutschland und Italien unternommen; es sind von diesem Meister nicht viele Werke erhalten, doch in allen ist er sich gleich. Welch ein Künstlerklub65 muß das gewesen sein, der aus solchen Männern bestand! Beim Heimgehen schenkten wir noch dem Propsthaus66 in der Nähe der Kirche flüchtige Auf­ merksamkeit; der Verfasser oder erste Herausgeber des bekannten Theuerdank (der romantisch eingekleideten Lebensgeschichte des Kaisers Maximilian I.), der Patrizier und Propst Melchior Pfinzing hat dort gewohnt und dem Haus im Jahre 1515, wie die Inschrift sagt, auf eigene Kosten seine jetzige Gestalt gegeben. Der Propst selbst ist in einem Zimmer im ersten Stock kniend beim Gebet zu sehen; Veit Hirschvogel, von dem wir in der Kirche gerade mit Ver­ gnügen verschiedene Glasmalereien betrachtet hatten, hat ihn auf einem Fen­ ster abgebildet, mit der Jahreszahl 1513 darunter und dem Namen darüber. Auf einem anderen Fenster im selben Zimmer hat er Maria mit dem Jesuskind gemalt und auf einem dritten den Evangelisten Lukas, der mit der Palette in der Hand dasitzt und ein Bild von der Heiligen Jungfrau malt. Nach so viel Kunstgenuß und idealer Beschäftigung gestehe ich, daß uns das Mittagessen bei unseren ehrlichen Wirten im „Roten Roß“ vortrefflich schmeckte, und die Ruhe danach nicht weniger. Am Abend gingen wir aus, um die mechanischen Narrenspäße eines fahrenden Gauklers namens Tändler67 anzusehen (ein wahrhaft symbolischer Name!), der zu dieser Gelegenheit fol­ gende Anzeige in die Stadtzeitung hatte setzen lassen: „Wenn je etwas in der Welt werth war zu sehen, so ist es Hrn. Tändlers mechanisches Theater.“ Einer solchen Aufforderung konnten wir uns ja unmöglich entziehen. Das 65 Passage von Peter Vischers d. Ä. Umgang mit Kraft und Lindenast übernommen aus Johann Neudörfers: „Nachrichten von Künstlern und Werkleuten 1547“, die in Nürnberg durch zahl­ reiche Abschriften verbreitet waren. Gedruckt erstmals 1828 durch Friedrich Campe. 66 Sebalder Pfarrhof, Albrecht-Dürer-Platz 1. Das Datum 1515 am sog. Pfinzing-Chörlein auf der Nordseite (Füll). Die beschriebenen Glasgemälde im Chörlein der Ostseite (Sebalder Platz), dessen Original 1898 in das Germanische Nationalmuseum überführt wurde. 67 Automatentheater von Mathias Tendier. Seine Figuren wurden 1818 durch den Nürnberger Mechanikus C. J. S. Bauer, Jakob Daniel Burgschmiet und den Miniaturmaler Georg Paul Büchner erfolgreich kopiert. Als „Mechanikus Joseph Tendier“ Hauptfigur in Theodor Storms Novelle „Pole Poppenspäler“ von 1873/74.

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Publikum, zahlreich versammelt und zum großen Teil aus Personen der gebil­ deten Klasse bestehend, gab seinen maßlosen Beifall zu erkennen und war für uns das eigentliche Schauspiel. Wenn die Menschen in der Masse Zusammen­ kommen, merkt man immer, daß sie in der Mehrzahl — Pöbel oder Kinder sind und bleiben. Die Frauenzimmer sahen zum Teil wie Karikaturen altdeut­ scher Gemälde aus; wahrscheinlich, weil mein Kopf jetzt von nichts anderem erfüllt war. Den 30. November. Es war Sonntag; das Wetter herrlich und die Luft mild. Nach dem gestrigen Beschluß führte uns unsere erste Wanderung wieder zur Burg, an deren Ein­ gang uns der lächerliche Kastellan mit doppelt so vielen tiefen Verbeugungen, verrückten Ehrfurchtsbezeugungen und geheimnisvoll schmunzelnden Mienen empfing. Es war jetzt unmöglich, ihn zu überreden, daß er sich in unserer Gegenwart die Nachtmütze auf den Kopf setzte. Ja, er betrachtete uns mit bedeutsamen, forschenden Blicken, verdrehte, sobald wir ihn anredeten, das Gesicht so eigenartig, und versetzte seinen mageren Körper in dem Bemühen, ein gleichbleibend feierliches Decorum zu bewahren, in so viele seltsame Stellungen und ließ dabei, weniger gesprächig als zuvor, so rätselhafte Wendungen fallen, daß wir den armen Mann allmählich wirklich für ein bis­ chen verrückt hielten, weswegen wir ihn so wenig wie möglich zum Gespräch aufforderten. Unter vielen guten Gemälden, die am Vortag unserer näheren Aufmerksam­ keit entgangen waren, begrüßten wir jetzt mit geziemender Achtung ein von Pencz gemaltes vortreffliches Bild des Kurfürsten Johann Georg des Weisen68, der jedoch aussieht, als habe er mehr guten Willen als Weisheit besessen. — Am meisten interessierte uns diesmal die in einem gesonderten Raum sehr zweckmäßig angeordnete Aufstellung von Glasmalereien aus älterer und neu­ erer Zeit; lehrreich ist die dadurch gebotene Gelegenheit, diese Kunst in all ihren Zeitabschnitten von der Kindheit zur Blüte und zum zunehmenden Alter zu verfolgen. Noch am Ende des 16. Jahrhunderts erscheinen einige sehr schön; der Künstler ist ein gewisser Meister Conrad69 aus Zürich. Viel schwä­ cher waren die Werke eines Maurer, der in der ersten Hälfte des 17. Jahrhun-

68 Tatsächlich Bildnis Kurfürst Friedrichs des Weisen, Kopie nach Lukas Cranach d. Ä. Germani­ sches Nationalmuseum (Leihgabe der Stadt Nürnberg). 69 Vier Scheiben mit Allegorien auf das Nürnberger Regiment von Christoph Murer 1597/98, aus dem Rathaus. Höhepunkt der Schweizer Kabinettglasmalerei, in der manieristischen Eleganz der Figuren und der subtilen Farbigkeit 1817 noch nicht als Kunstwerke zu würdigen. Ausge­ stellt im Stadtmuseum Fembohaus. — Ein „Meister Conrat Maler“ erhält 1453 in Nürnberg den Auftrag, den Chor von St. Lorenz zu „verglasen“. Wen Atterbom mit einem Züricher Glas­ maler gleichen Namens vom Ende des 16. Jahrhunderts meint, bleibt unklar.

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derts gestorben und dem Kastellan zufolge der letzte Betreiber dieser Kunst gewesen sein soll, die er mit sich aussterben ließ, da er von der Obrigkeit der Stadt nicht das Geld bekam, das er für ihre Weitervermittlung verlangt hatte. Solche Volkssagen haben sicherlich eine Art innerer Wahrheit, aber man irrt sehr, wenn man ihnen buchstäbliche Zuverlässigkeit zuerkennt. Was den guten Maurer betrifft, so schien er schon selbst die wichtigsten geheimen Kunstgriffe der älteren Meister vergessen zu haben. Wie im allgemeinen die Zeit selbst, so werden auch alle Farbversuche auf Glas nach Meister Conrad immer bleicher und lebloser, während dagegen die echten alten Glasmalereien gleichsam mit dem hellsten Edelsteinglanz leuchten. Nürnbergs vornehmste Kunstwerke dieser Art sind in der majestätischen Lorenzkirche zu finden, wo wir jetzt dem Gottesdienst dieses Tages beiwohnen wollten. Unser eigenartiger Schloßauf­ seher ließ uns jedoch nicht gehen, ehe er uns dazu gebracht hatte, ihm in einige Löcher zu folgen, welche seine Wohnzimmer bildeten; unterwegs gab er uns mit halben Worten und wichtigen Gebärden zu verstehen, daß auch sein nied­ riges Dach etwas verwahre, das anzusehen die Mühe lohne, ja, für echte Kunst­ kenner vielleicht alles überträfe, was in den Mauern der Gemäldegalerie ver­ sammelt sei. Dabei öffnete er die Tür, einige kleine Köter bellten, und eine dicke Frauensperson kam mit linkischen Verbeugungen auf uns zu, die ich in der ersten Bestürzung über das wenig versprechende Innere der Wohnung für die einzige für geübte Kenner bewahrte Rarität hielt70. Aber unser Mann kam wirklich mit vier alten Gemälden von erlesenem Wert herbei, die er möglicher­ weise gestohlen und versteckt hatte, um sie bei Gelegenheit heimlich zu ver­ kaufen. Sie waren in dem Stil gemalt, den Goethe ohne besonderen Grund den niederrheinisch-byzantinischen nennt, das heißt im Stil der älteren deutschen Malerei, lange vor der Zeit Schöns71 und Dürers.* Auf Holz vor glänzendem goldenen Grund, mit den hellsten Farben, in wahrer Zeichnung aller Köpfe und mit einem jugendlichen Freisinn in der strengen Behandlung gemalt, schienen sie mit dem ebenfalls für byzantinisch ausgegebenen Gemälde nahe verwandt zu sein, an das Du Dich von der gestrigen Beschreibung her erinnern wirst. Der Mann bot sie nun zum Verkauf an und verlangte für alle vier eine wirklich sehr mäßige, ja, mehr als billige Summe. Besonders reizte uns ein

* Noch Wohlgemuth scheint sich mehr als seine Zeitgenossen und sein großer Schüler der Kölner (niederrheinischen) Malschule anzunähern. 70 Der unglaubliche Vorfall ist nur aus der speziellen Situation 1817 erklärbar. Verantwortlich für die Burggalerie war seit 1811 der Architekt Franz Xaver Keim (1771—1855) gewesen, seit 1808 als bayerischer Bauinspektor in Nürnberg. Als er 1816 zum Kreisbaurat nach Ansbach berufen wurde, blieb die Sammlung ohne fachliche Aufsicht. Erst 1818 änderte sich die Situation, als Albert Christoph Reindel mit seiner Kunstschule auf die Burg zog. Seit diesem Augenblick gab es einen eigenen Galeriediener, also einen Aufseher und Führer für die Burggalerie. 71 Martin Schongauer (um 1450—1491).

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längliches Gemälde, von dem uns drei vorzügliche, mit Tiaren gekrönte Köpfe, vermutlich Kirchenväter oder heilige Bischöfe, ernst und verlockend ansahen. Doch unsere Kasse war leider nicht in fürstlicher Verfassung, obwohl der Ver­ käufer uns jetzt geradeheraus zu verstehen gab, daß er uns für Prinzen hielt, die inkognito reisten. Da wir uns hierbei in ein noch mystischeres Dunkel hüllten, einige Überraschung vortäuschten, einander Zeichen gaben usw., stieg seine Vermutung zur unumstößlichen Gewißheit, und nachdem er uns zum äußeren Burgtor begleitet hatte, flehte er uns schließlich mit der rührendsten Miene und tiefsten Untertänigkeit an, ihn im Vertrauen wissen zu lassen, mit welchen durchlauchtigen Personen er diese zwei Tage die Gnade gehabt habe zu verkehren. Er schwur hoch und heilig, unser Geheimnis nicht zu verraten. Endlich stellten wir ihn einigermaßen zufrieden, indem wir versprachen, in einigen Monaten durch Nürnberg zurückzureisen, und äußerten die Hoff­ nung, daß sich dann vielleicht fünf bedenkliche Umstände geändert hätten, die uns jetzt zur äußersten Vorsicht zwangen. Die Lorenzkirche, Nürnbergs größtes und schönstes Gebäude, ist schon auf den ersten Blick ihrer Konkurrentin, der Sebaldkirche, vor allem darin über­ legen, daß sie in einem einheitlicheren und in eigentlicherem Sinne wahren ästhetischen Stil ausgeführt ist. Und dennoch hat sie erst nach Erweiterungen und Anbauten ihre jetzige Gestalt bekommen. Ihr erster Ursprung war eine Kapelle Zum Heiligen Grabe, die um das Jahr 100072 gebaut würde; doch im Jahre 1274, als der eigentümliche Stil in der deutschen Baukunst, dem man den Namen gotisch gegeben hat, bereits seine ganze Bestimmtheit entwickelt hatte, wurde die erste, eher formlose Anlage vergrößert, und das nunmehr entste­ hende größere Gotteshaus wurde dem heiligen Laurentius geweiht. In den Jahren 1439 bis 147773 wurde es schließlich noch einmal mit hohen Kosten ver­ größert und bekam dabei die Gestalt, in der es sich von da an bis jetzt erhalten hat. Es scheint, als habe man beim Umbau der Sebaldkirche viel mehr von der Architektur der älteren Anlagen unverändert stehen lassen als hier, oder viel­ leicht bei den neueren Zufügungen teilweise Übereinstimmung mit dem alten Vorhandenen erstrebt; ich wüßte nicht, wie man sonst die größere Einheit und den bestimmteren echt-gotischen Ton erklären soll, der offensichtlich die bezeichnende Eigenschaft der Lorenzkirche ist. Nichtsdestoweniger entspricht auch sie nicht ganz den Ansprüchen, die man hinsichtlich strenger Einheitlich­ keit und Übereinstimmung aller Teile stellen kann.

72 Über die Kapelle „Zum Heiligen Grab“ sind vor dem 13. Jahrhundert keine urkundlichen Daten nachzuweisen. Frühestens ist ihre Erbauung im 12. Jahrhundert anzusetzen. 73 500 Jahre Hallenchor St. Lorenz 1477—1977 = Nürnberger Forschungen Bd. 20, 1977.

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Dagegen haben beide Hauptkirchen Nürnbergs gemeinsam das Interessante, daß sie eben durch ihre nunmehr seit Jahrhunderten erstarrte und stehenge­ bliebene Wandelbarkeit ein historisches Bild vom Fortschritt in der republika­ nischen und künstlerischen Entwicklung der Stadt in bezug auf gesellschaft­ lichen Reichtum, Baukunst und Bildhauerei zeigen. Alles, was ich der Sebald­ kirche im Hinblick auf ihr Äußeres nachgerühmt habe, gilt in noch höherem Maße für diese, jedoch mit dem Abzug, daß mir das Äußere der Lorenzkirche weniger reich mit Bildwerken geschmückt zu sein schien. Von diesem Urteil sollte jedoch das schöne Portal ausgenommen werden, bei dem sich gotische Baukunst und gotische Bildhauerei mit aller erdenklichen Vortrefflichkeit die Hand gereicht haben. Es ist im Jahre 128074 vollendet. Über der prachtvollen Tür, die in ihrer reichen Ausschmückung fromme Üppigkeit und einfache Größe zeigt, thront Christus, mit einer knienden Person an jeder Seite und einem zahlreichen Chor von Heiligen unter dem Thron. In der Drapierung der Kleider der Betenden verrät sich große Kunst. Unten sieht man die Wappen von Nassau und Nürnberg (weil sich Adolf von Nassau maßgeblich an Ent­ wurf und Kosten des Unternehmens beteiligt hat); das erstere, links, ist ein Löwe, das letztere, rechts, ein Adler mit einem gekrönten Jungfrauenkopf (man sieht es oft gemalt auf blauem Grund). Wie die Sebaldkirche hat auch diese zwei Türme, welche auch, wie dort, ganz vollendet sind. Beim Eintreten empfing uns der schon von weitem hörbare Gesang der christlichen Gemeinde, und mächtig schallte das Instrument Cäcilias75 unter den hohen Gewölben. Sechsundzwanzig Pfeiler tragen sie, und da diese Kirche im übrigen 285 Fuß lang und 80 breit sein soll, ist es natürlich, daß man inner­ halb ihrer Mauern ausreichend Raum findet. Auch hier begrüßten uns überall die freundlichsten Altertumsdenkmäler, Gemälde von Wohlgemuth und Dürer (von dessen frühesten Werken ein Christus am Kreuz76 des St. KilianAltars hängt), stattliche alte Kapellen und Altäre und dergl. Doch die Glasma­ lereien, vor allem am Chor, sind hier von einer so unglaublichen Pracht und umfangen das lieblich entzückte Gefühl mit einem solchen abendrotgleichen Purpur- und Golddämmerlicht, daß das Auge unwiderstehlich von allen anderen Gegenständen zu ihnen gelockt wird. Besonders sehenswert ist das sogenannte Volckamersche Fenster77, das in der Welt kaum viele seinesgleichen 74 Der Mittelteil der Westfassade ist durch das Wappen Kaiser Karls IV. und seiner dritten Gemahlin Anna, Herzogin von Schweidnitz, aufgrund des Heiratsdatums 1353 zeitlich festge­ legt. 75 Heilige Caecilia, seit dem späten Mittelalter Patronin der Kirchenmusik. Ihr Attribut ist häufig eine Orgel. 76 Epitaph des Georg Rayl (gest. 1494), jetzt Jakob Elsner zugeschrieben. Die Zuweisung an Dürer von Atterbom aus dem Buch von Murr 1801 (wie Anmerkung 24), S. 135, übernommen. 77 Chor, Südseite, zweite Kapelle rechts vom Chorscheitel. Hauptwerk des Peter Hemmel von Andlau, nach 1480.

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finden dürfte. Man sieht dort auf einem Bild, das wie bei allen Werken aus der Zeit der vollkommen aufblühenden Glasmalerei die ganze hohe, längliche Fensterab­ grenzung ausfüllt, und zwar mit so reinen und glühenden Farben, daß die Fenster­ fläche dennoch für den Bedarf der Kirche genügend erleuchtet ist, den Stammbaum der Jungfrau Maria; mit seinem kräftigen Stamm entwächst er dem in königlicher Pracht auf dem Rücken ruhenden Patriarchen Jacob, trägt auf den glänzenden Ästen heilige Könige und Helden wie wunderbare Blumen oder Früchte und am Wipfel schließlich die schönste Blüte, die erwartete Himmelsrose, die schöne und selige Gestalt der Mutter Gottes. Das Ganze sieht aus wie ein paradiesischer Traum, und der Emst der genauen Zeichnung verschmilzt mit der lächelnden Far­ benpracht, über deren meisterliche Verteilung und harmonischen Zusammenklang nichts anderes zu sagen ist, als daß das ganze Fenster in all seiner üppigen und aus so vielen kleinen Teilen zusammengesetzten Buntheit wie aus einem riesigen und viel­ farbigen Kristallstück geschliffen zu sein scheint. Meine Seele war von dieser Farbenpracht und diesen Betrachtungen über die religiöse Herrlichkeit des Mittelalters so sehr erfüllt, wobei mich außerdem unaufhörlich Gesang und Orgelklänge umbrausten, daß ich mich trotz all meiner Achtung für den Meister Adam Krafft nicht ohne Mühe dazu zwang, seine in dieser Kirche nahe dem Hauptaltar befindliche, berühmteste Arbeit ordentlich zu betrachten: Es ist ein Tabernakel oder sogenanntes Sakraments­ haus, das sich wie ein gotischer Turm im Kleinen, aber doch 64 Fuß hoch an einem Pfeiler rechts bis an das Gewölbe erhebt; es ist aus Sandstein gehauen und durchbrochen, mit Darstellungen aus der Leidensgeschichte Christi geschmückt und mit so unbegreiflicher Feinheit und Zierlichkeit gemacht, daß Sandrart ihm eine inzwischen verlorengegangene Wissenschaft zuschreibt78, die in nichts Geringerem als darin bestand, den harten Stein aufzuweichen, ihn in Formen von Leim und gestoßenen Steinen zu gießen und dann wieder hart werden zu lassen. Dieses Tabernakel ist in der Lorenzkirche, was das Grabmal Sebalds in der anderen ist; und wahrlich hat Krafft hier, in würdigem Wett­ streit mit seinem Freund Vischer, fast mehr als das Mögliche geleistet, um aus seinem steiferen, unwilligeren Stoff das gleiche, in ganzer Freiheit emporstre­ bende poetische Leben zu erschaffen. Er arbeitete an seinem Werk fünf Jahre, vollendete es im Jahre 150079, und das Postament des kühnen Gebäudes wird von seinem eigenen Bild getragen, lebensgroß, mit dem Werkzeug in der Hand, wobei ihn seine beiden Gesellen beim Tragen der Last unterstützen. Alle drei haben das Knie gebeugt, und ihr Werk steigt über ihnen empor wie ein Gebet zu dem Allmächtigen, der ihre fromme Mühe wohl mit Wohlge­ fallen gesehen und befördert hat. 78 Joachim von Sandrart: Teutsche Academie der Edlen Bau-, Bild- und Mahlerey-Künste. Teil 2. Nürnberg 1675, S. 220. 79 Datum der Fertigstellung 1496.

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Am Abend besuchten wir das Theater80, um unser Gewissen nicht länger mit dem Aufschub einer Sache zu belasten, die von den meisten Reisenden für so wichtig gehalten wird. Über dem Theater-Gebäude steht mit großen goldenen Buchstaben National-Theater. Liberal genug, hat die bayerische Polizei noch nicht verlangt, daß ein K. B. davor gesetzt wird. — In früherer Zeit war das Haus im übrigen eine Scheune und nach seinem ersten Aufsteigen zu theatrali­ schen Ehren bekam es den sonderbar klingenden Namen „Nachtkomödien­ haus“. Aus diesem wurde es zum „Opernhaus“; seine jetzige Würde habe ich erwähnt. Trotz all dieser Verwandlungen ist die Urgestalt der ehemaligen Scheune innen noch sichtbar. Der Eingang könnte der eines Stalls sein, und das Orchester spielte wie eine Schar von Postillionen. Ich hätte Haeffner81 gern an meiner Seite gesehen. Nichtsdestoweniger werden montags und donnerstags immer Opern aufgeführt; die übrigen Wochentage sind frei für Lust- und Trauerspiele. Das Stück, das wir sahen, war indessen sowohl lustig als auch betrüblich; es war nämlich ein Drama von Kotzebue82, und reich an den plumpesten Zweideutigkeiten oder vielmehr Eindeutigkeiten, die bei diesem Ver­ fasser für gewöhnlich, zur Erbauung der Tugend, zwischen beschwängerter Unschuld und liederlichen Tränen wechseln. Ich erinnerte mich dabei der ver­ schiedenen Schauspiele gleicher Art, die ich in Stockholm besucht habe, und kam auf allerlei verdrießliche Grillen, von denen ich erst bei der Heimkehr durch eine zahlreiche Tischgesellschaft befreit wurde. Den 1. Dezember. Wir hatten uns schon vor unserer Abreise aus Dresden vorgenommen, in Nürnberg einen Verwandten der Frau Generalin von Helvig83, einen Freiherrn Haller von Hallerstein zu besuchen, von dem wir wußten, daß er in dieser alten Stadt, die die Familien Haller und Imhoff zu denjenigen zählt, denen sie viele öffentliche Erinnerungen an eine verschwundene Größe zu verdanken hat, in strenger wissenschaftlicher Einsamkeit leben sollte, nur mit antiquari­ schen und kunstgeschichtlichen Forschungen beschäftigt. Durch einen glück80 Lorenzer Platz, heute an dieser Stelle die Stadtsparkasse Nürnberg. Das Bauwerk 1800/01 auf Veranlassung von Georg Leonhard Aumheimer errichtet, 1827 wegen Baufälligkeit . geschlossen. — Peter Kertz, Das Nürnberger Nationaltheater 1798—1833, in: MVGN 50,1960, S. 388—507. 81 Johann Chr. Haeffner (1759—1833), zu Uppsala, schwedischer Komponist, deutscher Geburt. 82 August von Kotzebue (1761—1819) Schriftsteller, Dramatiker. * Weimar, f Mannheim (ermordet von K. L. Sand). 83 Amalie v. Imhof (1776—1831), oo 1803 mit Carl Gottfried v. Helvig (1765—1844), Offizier in schwedischen und preußischen Diensten (1815—1826). Dilettierende Dichterin, bis 1803 am Weimarer Hof, enger Kontakt mit Goethe und Schiller. Ihre Mutter war eine Schwester der Frau von Stein. Nach 1815 meist in Berlin lebend.

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liehen Zufall hatten wir tags zuvor beim Mittagessen in unserem Gasthaus nebeneinander gesessen. Wir kamen ins Gespräch, und ich fragte ihn nach dem Baron von Haller84, und es stellte sich heraus, daß er selbst eben derjenige war, den wir suchten. Seine anspruchslose vielseitige Bildung, seine gründliche Kenntnis seiner Vaterstadt und alles dessen, was sie enthielt, vereint mit einer höchst zuvorkommenden Freundlichkeit und Offenheit, machte uns diese Bekanntschaft äußerst angenehm. Wir waren nach dem Mittag noch ein wenig zusammen; er beschrieb uns den Weg zu seiner Wohnung, und es wurde ver­ abredet, daß wir uns dort am folgenden Morgen wieder treffen wollten. Wir gingen heute also früh aus, um unseren neuen Freund aufzusuchen; wir kamen richtig in die Nähe der St. Aegidien-Kirche, von der er gesagt hatte, daß er dort wohne, und von einem offenen Platz aus, der diese in neuerem Geschmack gehaltene schöne Kirche umgibt, wies man uns zu einem großen und gut gebauten Haus, das, wie man uns sagte, das Hallersche Palais84 war. Wir klin­ gelten, wurden in ein schmuckes Zimmer geführt, ließen uns anmelden und bekamen zur Antwort, daß der Herr Baron noch zu Bett liege, sich aber dem­ nächst einfinden werde. Dies kam uns sonderbar vor, da er uns eben am Tag zuvor gebeten hatte, morgens um 8 Uhr zu kommen. Schließlich öffnete sich eine innere Tür, und anstelle des von uns erwarteten kleinen, freundlichen Mannes, mit dem wir zusammengesessen hatten, trat eine lange breitschultrige Gestalt mit einem schönen, aber unbekannten Gesicht mittleren Alters und mit majestätischen Schritten auf uns zu. Er empfing uns sehr höflich, doch erkannten wir in seiner Miene deutlich einige Verwunderung, daß wir uns vom Diener als die Herren hatten anmelden lassen, die er am vorigen Tag zu sich eingeladen hatte. Wir unsererseits waren noch verlegener; wir hatten den Mann aus seiner Ruhe gejagt, und mußten ihm nun obendrein sagen, daß unser Besuch einem anderen galt. Wir taten das jedoch so zierlich, wie wir es stante pede vermochten, worauf er lächelte und ausrief: „Ja, ja, das hätte ich mir denken können, Sie wollen meinen Cousin Christopher84 treffen; die meisten Reisenden kommen gewöhnlich zuerst zu mir, und ich darf ihre Bekanntschaft nur machen, um sie gleich wieder an den richtigen Ort weiterzuschicken. Fritz, begleiten Sie diese Herren zum Baron Christopher.“ Wir verbeugten uns und dankten auf das Verbindlichste und lobten unterwegs seine Höflichkeit, 84 Egidienplatz 25 und 27 (alt S 758); 1945 zerstört. Der zuerst aufgesuchte ältere Herr Johann Sig­ mund Christoph Joachim Freiherr Haller von Hallerstein (1753—1838), der Jüngere Christoph Jakob Wilhelm Carl Joachim (1771—1839). Nach Jurastudium Hinwendung zur Kunst. Zeichner, Miniaturmaler, Radierer; Bruder des Architekten Carl („Griechen-Haller“). Nach längeren Aufenthalten in Berlin und Paris seit 1813 in Nürnberg ansässig. Zu seiner Sammlung vgl. Verzeichniß der von dem verstorbenen Königl. Bayr. Gallerie-Conservator und Lehrer an der Kunstgewerbschule zu Nürnberg Freiherm C. J. W. C. J. Haller von Hallerstein nachgelas­ senen Kunst-, Bücher- und Manuscripten-Sammlung. Abth. III. Nürnberg: Johann Andreas Börner, 1841 (Katalog zur Auktion am 25. Oktober d. J.).

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die sich nicht nur in Worten, sondern auch in Taten zeigte; denn ohne die Begleitung seines Kammerdieners hätten wir wohl kaum so schnell den rich­ tigen Baron getroffen, obwohl auch dieser in der Nähe der Kirche, wenn auch an einer ganz anderen Seite wohnte. Hier begegneten uns das herzlichste Wohlwollen und eine Gesprächigkeit, die uns, weil sie ebenso lehrreich wie ungekünstelt und von kleinlichem Selbst­ vertrauen frei war, nur angenehm sein konnte. Gern vergaßen wir in so guter Gesellschaft den Lauf der Stunden und verbrachten den ganzen Vormittag im Gespräch über die altdeutsche Kunst, ihr Verhältnis zur italienischen, das Ideal der Kunst im allgemeinen und die Bemühungen der Gegenwart in der bil­ denden Kunst, vor allem in der Malerei. Wir waren nicht immer der gleichen Meinung und stritten uns recht lebhaft über gewisse Punkte, aber gerade das ist es, was verschiedene Menschen, die nur das gemein haben, daß sie sich mit warmem Eifer für eine und dieselbe Sache interessieren, zueinander hinzieht, durch den schönen Gewinn in Entwicklung und Austausch gegenseitiger Gedanken. Der Streit, den ich mit ihm hatte, wobei mich Hjort85 mit Hilfs­ truppen von mancherlei Erklärungen und Zusätzen unterstützte, wurde schließlich so beigelegt, wie solche Zwiste gewöhnlich enden: Er war mir weit überlegen an empirischem Wissen über alles, was ins Gebiet der Geschichte der Kunst gehört, und ich glaubte, durch eine philosophischere, vielleicht auch poetischere Betrachtungsweise einen richtigeren Gesichtspunkt für ästhetische Urteile und Vergleiche zu besitzen. Wir betrachteten dann eine Menge vor­ trefflicher Kupferstiche, deren Meister mir zum großen Teil völlig fremd waren; ein solcher war z. B. Tuscher86, ein ausgezeichneter, aber in der ganzen Welt fast unbekannter Nürnberger Künstler, der vor ungefähr 50 Jahren in Dänemark verstorben ist. Dieser achtbare Kunstkenner ist auch in anderer Beziehung lobenswert, und zwar, weil er nicht zu denen gehört, die ihr Licht unter den Scheffel stellen; er hat viele Jahre lang und eigentlich während des größten Teils seines Lebens an einem Werk gearbeitet, das unter dem Namen Handbuch der Kunstkenntnis87 und in der anspruchslosesten Art nach dem Plan des Verfassers eine vollstän­ dige praktische Anleitung für denjenigen sein soll, der sich einem historischen Studium der bildenden Künste widmet. Er machte uns über diese Arbeit, zu

85 Hjort, Peder (1793—1871), dänischer Schriftsteller und Literarhistoriker. Lernte Atterbom in Dresden kennen und begleitete ihn auf seiner Reise durch Deutschland und Italien. Nach seiner Rückkehr in die Heimat Professor für Deutsche Sprache und Literatur in Sore. 86 Marcus Tuscher (1705 — 1751). Architekt, Maler, Kupferstecher. Seit 1743 als Hofmaler in Kopenhagen, 1748 Professor an der dortigen Kunstakademie. — Siehe W. Schwemmer, Nürn­ berger Kunst im 18. Jahrhundert, Nürnberg 1974, S. 34 f. 87 Im Gesamtverzeichnis des deutschsprachigen Schrifttums (GV) 1700—1910. Bd. 54. Hah — Ham. München, New York, London 1982, nicht enthalten. Das Buch ist wohl nie erschienen.

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der wir ihm von Herzen Gesundheit und Erfolg wünschten, sehr vielverspre­ chende Mitteilungen, und zeigte uns einen Teil seiner für diesen Zweck ange­ legten großen Sammlungen. — Von den vielerlei anderen Kunstgegenständen in seinem Besitz erfreute mich keiner so sehr wie eine alte Armbrust mit dazu­ gehörigem Köcher und Pfeilen. Herr von Haller zeigte uns den Handgriff, wie sie abzuschießen war, nicht ohne einige Mühe, da die geschickte Handhabung dieser Waffe viel Übung und vor allem Körperkraft voraussetzt. Es gelang ihm jedoch, uns die Sache ganz und gar zu veranschaulichen. Mit ganz anderen Gedanken und Empfindungen sah ich schließlich einige kleine, unerwartete Kunstwerke von in Wirklichkeit nicht sehr großem künst­ lerischen Wert, dafür aber von einer Wichtigkeit für mein Herz, daß es alle vorhergehenden Betrachtungen verdunkelte und mich in lieblicher Weise daran erinnerte, daß ich noch nicht so weit gekommen war, mehr Gelehrter als Mensch zu sein. (Dieses Unglück wird mit Gottes Hilfe wohl auch nie eintreffen). Als nämlich der Freiherr von Hallerstein merkte, welch inniges Band mich mit seiner Cousine, der Frau Generalin Amalia von Helvig83 verbindet, kam er schließlich mit den Porträts ihrer Eltern und einem Heft herbei, voller maleri­ scher Erinnerungen aus ihrer frühesten Kindheit. Lange stand ich vor dem feinen und wohlgeformten Gesicht des Vaters, des weitgereisten und talent­ vollen Obersten Freiherrn C. von Imhoff88; edel und ausdrucksvoll und noch recht jugendlich (so verließ er auch diese irdische Welt), verriet es einen Mann mit den schönsten Anlagen, doch von so weicher Phantasie und so sanfter Seele, daß er wohl zu wenig gegen die Stürme des Lebens gerüstet war. Auch enthielten diese Gesichtszüge deutlich die Lebensgeschichte einer Person, die die Glückseligkeit vergeblich von Pol zu Pol in verzeihlich träumender Tätig­ keit gesucht hat und endlich aus dem blühenden Hindustan zurückgekehrt ist, nur um früh zu sterben, mit der einzigen klaren Einsicht als Hauptergebnis seines Lebens, daß man, wie Goethe sagt, nicht ungestraft unter Palmen wan­ delt. Das kleine Schloß Merlach89 in der Nähe Nürnbergs, wo seine Tochter Amalia, die ihn im Alter von elf Jahren verlor, diese ersten Jahre ihres Lebens mit ihm verbrachte, war ebenfalls in einem von ihm selbst gravierten kleinen Kupferstich vorhanden; darauf fährt ein Coupe unter schattigen Buchen auf

88 Christoph Adam Carl Freiherr von Imhoff (1734—1788). Offizier in englischen Diensten und Kunstdilettant. Zu seinem Leben siehe: MVGN 62, 1975, S. 38 f. Seine privaten Radierungen von äußerster Seltenheit (im Kupferstichkabinett des Germanischen Nationalmuseums ist kein Exemplar nachweisbar). Zwei der von Atterbom gesehenen Radierungen sind identifizierbar: 1) Bildnis der Tochter Amalie, auf einem Podest sitzend, bez.: Amalie DTmhoff, Morlach 1778. C. A. C. D. J. fecit. 2) Doppelbildnis, bez.: Henriette & Amalia d’Imhoff/Imhoff Engrav. (beide in der Graphischen Sammlung der Stadtgeschichtlichen Museen Nürnberg). 89 C. von Imhoff verkaufte 1785 das Gut Mörlach (seit 1973 nach Hilpoltstein eingemeindet).

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den Hof, und ich versetzte mich in die Zeit zurück, da sie als kleines Kind in diesem Wagen an seiner Seite saß, heimkehrend von einer Nürnberg-Fahrt, in frohem Erstaunen, daß die Welt so groß sein und so viel Wunderbares ent­ halten kann. Die Ansicht von Merlach lag in einem Buch, auf dessen Blättern er ihr eigenhändig den ersten Unterricht in einer Kunst gegeben hat, in welcher sie dann so ausgezeichnete Fortschritte gemacht hat, und in dem die Tochter die Vorbilder begreiflicherweise mit etwas unregelmäßigerer Feder nachge­ zeichnet hat. Was diese Tochter für ihn war, schon in ihrer ersten Blüte, bezeugten noch unverkennbarer die im selben Buch verwahrten vielfältigen Exemplare ihres zarten Gesichts und ihrer Gestalt, von derselben Vaterhand hier gezeichnet, dort graviert. Die schönste Gravüre stellte sie als ungefähr neunjähriges Mädchen mit langem, offenem Haar und lockerer Kinderklei­ dung dar, mit einer Hand einen Vogelkäfig von einem Tisch hochhebend, an dessen anderer Seite ihre Cousine Henriette sitzt. Es macht einen eigentüm­ lichen, lieblich wehmütigen Eindruck, die bekannten voll entwickelten Züge eines geliebten Wesens in dieser Weise auf die erste, halb unbestimmte Blüte zurückgeführt zu sehen, und sie in dieser dennoch im wesentlichen unverän­ dert wiederzufinden.90 Am Nachmittag gingen wir Albrecht Dürers ehemaliges Haus91 besichtigen. Es liegt nahe am Tiergarten-Tor, am Ende einer Straße, die seinen Namen trägt92. Es ist vier Stockwerke hoch, sieht aber im übrigen recht verfallen aus, und der jetzige Besitzer ist ein Mann, der in Wesen und Gestalt genau einem alten, heruntergekommenen Perückenmacher gleicht. Ich glaube, dies war auch wirklich sein Handwerk. Außerdem hat er eine kleine Einnahme durch all die Fremden, die aus Ehrfurcht vor dem Gedächtnisse Dürers sein Haus besuchen. Dort ist jetzt eigentlich nichts zu sehen, da der turmähnliche Anbau93, wo im dritten Stock die Werkstatt des großen Malers gewesen ist, schon vor vielen Jahren abgerissen worden ist. Der Hausbesitzer, derselbe, der diese Untat begangen hat, entschuldigte sich damit, daß das Abgerissene wegen Baufälligkeit auf die Straße zu stürzen gedroht hatte, so daß er es um der 90 Hier folgt im Original ein Gedicht Atterboms „Die neunjährige Dichterin“ (Amalie von Helvig gewidmet). 91 Albrecht-Dürer-Straße 39 (alt S 376). Besitzer seit 1770 Heinrich Lallmann (L’Alleman?), (f 1825). 1816 erstmals Hinweis im Nürnberger Adreßbuch „Hier wohnte Albrecht Dürer“; aus dem gleichen Jahr stammt eine Radierung von Johann Christoph Erhard nach einer Zeichnung vom Johann Adam Klein von 1815 mit der Ansicht des Hauses. Atterboms Interesse 1817 ist trotzdem ungewöhnlich. 92 Hieß 1817 noch Zisselgasse, erst 1828 anläßlich des 300. Todestages des Künstlers in AlbrechtDürer-Straße umbenannt. 93 Erker der Ostfront, im späten 18. Jahrhundert abgebrochen. Der jetzige 1899 vom abgebro­ chenen Zachariasbad auf das Dürerhaus übertragen. Der Ausbau war nicht Dürers Werkstatt: Dieser Bereich der Dachzone war nie ausgebaut.

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Wohlfahrt seiner Mitbürger willen hatte beseitigen müssen, selber zu arm, um es wieder in Stand zu setzen. Schande über Nürnbergs Verwaltung, daß sie eine solche Erinnerung an den vortrefflichsten Bürger der Stadt und ihre ehrenvollste Zeit nicht auf öffentliche Kosten erhalten ließ. Von seiner Werk­ statt aus hatte Dürer eine schöne Aussicht auf die Stadt und ihre ganze Umge­ bung. Einige Treppen tiefer zeigte man uns zwei Zimmer und ein Flurfenster, deren Form angeblich aus Dürers Zeit beibehalten sein sollten. In dem einen pflegte der ehrliche Meister, wie uns, wenn ich mich recht entsinne, der Perükkenmacher versicherte, immer dann seine Zuflucht zu suchen, wenn seine Xanthippe zu zänkisch war. — Schließlich legte man uns ein Buch94 vor, in das wir auf Verlangen unsere Namen schrieben, und fanden andere vor uns, zum Teil durchaus berühmte, wiewohl auf verschiedene Art, z. B. die Namen des frommen Philosophen Schubert95 und der nicht frommen Hetäre Elise Bürger96. Unter Führung des Besitzers des Dürerhauses, der sich freute, bei dieser Gelegenheit so viele Heller wie möglich zu verdienen, machten wir nun von dort einen Ausflug zu dem außerhalb der Stadt liegenden St. JohannesFriedhof97, der die Gebeine all der besonders großen und berühmten Männer Nürnbergs bewahrt. Vor allem wollten wir die von Sandrart besorgte und mit prächtigen Inschriften versehene Grabplatte Dürers aufsuchen. Bald empfing uns die lange krumme, aber hohe und breit gewölbte Einfahrt des TiergartenTors. Endlich hatten wir den alten viereckigen Turm passiert und atmeten froh die erquickende Abendluft. Vor uns schimmerte die untergehende Sonne über die Grabkapellen und Grabmäler, denen wir einen Besuch abstatten wollten, und auf der rechten Seite unseres Weges predigte uns der Meister Adam Krafft mit kraftvollen Sätzen Betrachtungen, die zu unserem Vorhaben paßten: Sieben zum größten Teil noch freistehende Wandpfeiler mit vorzüglichen, wenn auch nicht ganz unbeschädigten Bildwerken dieses Meisters, im Jahre 1490 gemacht, zeigen hier nämlich die von einem Nürnberger Bürger Martin Ketzel98 an Ort und Stelle genau abgemessenen sogenannten sieben Stationen auf dem Wege Christi vom Richterhaus des Pilatus nach Golgatha. Dieser Ehrenmann hatte im Jahre 1477 mit einem Herzog Albrecht von Sachsen eine 94 Das Gästebuch ist nicht mehr nachweisbar. Bis 1825 wurde das Haus privat verwaltet. Erst in dem genannten Jahr erwarb es die Stadt. 95 Friedrich Wilhelm von Schubert (1788—1856), 1810 auf der Durchreise in Nürnberg, von 1817 bis 1820 in Skandinavien. 96 Vermutlich Elise Bürger, geb. Hahn. Ihre 1790 mit dem Dichter Gottfried August Bürger (1747—1794) geschlossene Ehe wurde bald geschieden. Siehe NDB 2, S. 744. 97 Zuletzt: Kurt Pilz, St. Johannis und St. Rochus in Nürnberg. Die Kirchhöfe mit den Vorstädten St. Johannis und Gostenhof, Nürnberg 1984. 98 Theodor Aign, Die Ketzel, ein Nürnberger Handelsherrn- und Jerusalempilger-Geschlecht, Neustadt/Aisch 1961.

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Pilgerfahrt zum Grab Christi unternommen, und dabei diese heiligen Orte und Abstände Schritt für Schritt genau ausgerechnet, welche er sich merkte, um sie nach seiner Rückkehr sich selbst und seinen Mitbürgern in aller Anschaulich­ keit vor Augen zu stellen. Nach Hause zurückgekehrt, war er zu seinem großen Schrecken nicht imstande, unter seinen Papieren gerade das zu finden, das ihm das kostbarste war; doch die Menschen jener Tage gaben solche Pläne nicht so leicht auf. Im Jahre 1488 wollte glücklicherweise ein anderer Herzog, Otto von Bayern, die gleiche Reise tun; sofort fand sich MartinKetzel in seiner Gesellschaft ein; die Reise verlief wunschgemäß, und der unverdrossene Ketzel, der seine Messung jetzt wiederholt und auf dem Heimweg sorgfältiger aufbewahrt hatte, hatte das Vergnügen, sich seinen frommen Wunsch endlich durch Adam Krafft zu verwirklichen. Ketzels eigene Wohnung", ein freiste­ hendes und an einer Reiterstatue an der einen Ecke erkennbares Haus dicht am Tiergarten-Tor stellt das des Pilatus vor, und eine kleine Anhöhe an der Ring­ mauer des Johannes-Friedhofs die Richtstätte. Hier sieht man auch, einander gegenüber aufgestellt, die beiden reichsten und rührendsten Gruppen der christlichen Bildhauerei100: Christus am Kreuz zwischen den beiden Missetä­ tern und unter seinem Kreuz einige Henkersknechte mit ihrem Obersten, alles von dem unermüdlichen Künstler trotz der geringen Geschmeidigkeit des Gesteins mit solcher Sorgfalt bearbeitet, daß man sogar die Stricke bewundern muß, mit welchen die Sterbenden gebunden sind; unten, dem leidenden Sohne direkt gegenüber, steht auf einer kleinen Erhöhung von Steinen die Heilige Mutter, im Leid versunken, zwischen Johannes auf ihrer rechten und einer traurigen, dienstwilligen Frau auf ihrer linken Seite; diese treuen Freunde stützen ihre sinkenden Arme, die nicht mehr imstande sind, die Hände zu ringen. Hinter diesen beiden Figuren standen früher vier andere Frauen, ver­ schleiert, in trauernder Haltung; man hat sie dummerweise wegnehmen lassen, unter dem Vorwand, sie seien zu sehr beschädigt. Tatsächlich haben diese Bilder, seit Jahrhunderten unter freiem Himmel jeder Witterung ausgesetzt, beträchtliche Schäden erlitten, doch ist die edle Christusgestalt noch gut erhalten, und diese entlegene Sammlung lebensgroßer Bilder, grau, bemoost und verstümmelt, die einander stumme Gesellschaft in der Nähe eines Fried­ hofs leisten, verfehlt ihren wunderbaren Eindruck auf die meisten Fremden nicht, besonders bei beginnender Abenddämmerung und herbstlicher Abend­ röte. Endlich befanden wir uns innerhalb des Friedhofstores, von Golgatha, wie es sich gebührt, zu den Wohnungen der Abgeschiedenen gelangend. Welchen 99 Sog. Pilatushaus, Obere Schmiedgasse 66 (alt S 439). Die „Reiterstatue“ ist ein stehender heiliger Georg auf einer Drachenkonsole an der Hausecke; Original seit 1853 im Germanischen Natio­ nalmuseum. i°° Erhalten ist nur die Hauptgruppe der drei Gekreuzigten, jetzt im Hof des Heilig-Geist-Spitals.

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Vorrat an Grüften, Grabplatten und Grabmälern dieses schon im Jahre 1437 eingerichtete und dann neun- oder zehnmal erweiterte Begräbnisfeld besitzt, kannst du dir vorstellen, wenn ich hinzufüge, daß die Stadt ihre Toten an nur einem weiteren Platz beerdigt, und zwar an der ebenfalls außerhalb der Stadt­ mauer gelegenen kleinen St. Rochus-Kirche oder dem sogenannten Neuen Friedhof (an den der Soldaten-Friedhof unmittelbar angrenzt) — deshalb der neue genannt, weil er erst im Jahre 1518101 eingerichtet wurde, zu einem Zeit­ punkt, als die Obrigkeit von Nürnberg beschlossen hatte, daß keine Leichen mehr innerhalb der Stadt beerdigt werden sollten. Schon Kaiser Maximilian, ein großer Förderer von Nürnberg, hatte im Jahre 1489 bemerkt, daß die Beer­ digungen in den oder um die Stadtkirchen herum bei einer so großen Menge von Einwohnern nicht gesund sein könnten. Doch sträubten sich die vorneh­ meren und reicheren Familien lange gegen solche Warnungen und Verbote, fuhren fort, ihre Toten in Familiengrüften und Grabkapellen zu beerdigen, mit denen sie die Gotteshäuser der Vaterstadt zu diesem Zweck ausgeschmückt hatten, und man kann diese Widerspenstigkeit recht verzeihlich finden. Nebenbei kann ich auch erwähnen, daß es in Nürnberg keine besungenen Leichen mehr gibt (solche nämlich, die von Chorknaben während des Zuges zum Grab besungen werden). Dies fällt mir nur deswegen ein, weil die vier Arten vornehmer Leichen, die das Recht auf eine solche Ehrenbezeugung hatten, folgende eigenartige Namen trugen: Chorleichen, Fünfherrenleichen, Achtherrenleichen und Dreyerleichen — wobei alle unter den allgemeinen Ehrennamen „besungene Leichen“ fielen102. Ausgenommen eine von Albrecht Altdorfer103, einem Schüler Dürers, recht gut auf Holz gemalte Kreuzigung Christi, mit seinen Zeichen versehen, ferner einige mit lebhaften farbigen Bildern prunkende Chorfenster sowie ein mit Feder in den feinsten Buchstaben geschriebenes und höchst eigentümlich gezeichnetes Ecce homo, das in der Sakristei aufbewahrt wird, enthält die kleine Johannes-Kirche, nach der der weite Friedhof benannt ist, nichts von besonderer Sehenswürdigkeit. Sie wurde schon im 13. Jahrhundert zu Ehren Johannes des Täufers gebaut. Nicht viel jünger ist die auf demselben Friedhof befindliche Kapelle Zum Heiligen Grabe, von einem Wolfgang Holzschuher im Jahre 1374 gestiftet, und sehenswerter durch das von Krafft mit gewohnter Tüchtigkeit und allen Gestalten in Lebensgröße ausgearbeitete steinerne Bildwerk, das unter einem 101 Fritz Schnelbögl, Friedhofverlegung im 16. Jahrhundert, in: Jahrbuch für fränkische Landes­ forschung, Bd. 34/35, 1975, S. 109—120. 102 Die Bezeichnungen beziehen sich auf die Zahl der die Leiche begleitenden Geistlichen. 103 Kopie nach einer Tafel von Albrecht Altdorfer; Original in der Gemäldegalerie der Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz in Berlin. — Siehe auch: Bayerische Kunstdenkmale, Die Stadt Nürnberg, Kurzinventar, 21977, S. 412.

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Gewölbebogen das heilige Grab darstellt. Oben an der Decke, mitten zwi­ schen Wolken, steht die Jahreszahl 1508. Wenn dies das Jahr ist, in dem die Arbeit völlig fertiggestellt wurde, so ist der Meister selbst vorher gestorben. Dieses Kunstwerk ist nämlich sein letztes, und alle nebensächlichen Dinge daran, wie die genaue Ausführung bestimmter einzelner Teile, mußte er wegen Altersschwäche seinen zuverlässigsten Schülern anvertrauen. Im Jahre 1507 ist dieser verehrungswürdige Künstler gestorben; aber wer würde erraten, wenn diese Wahrheit nicht genügend bestätigt wäre, daß ein Hospital, und nicht einmal eines in Nürnberg, sondern in Schwabach, seinen letzten Seufzer hörte. Doch stirbt man überall glücklich, und um jede Jahreszahl, jede Stunde heitern sich die Todeswolken auf, wenn man Gott nur genügend dankbar ist, um zu vergessen, daß man auf die Dankbarkeit der Welt nicht rechnen darf. Uber das mit Steinen besäte Feld, wo fast jedes Grab seine Platte hat (viele sind gemauert und gewölbt) und denkwürdige Erinnerungen bei allerlei Namen und Inschriften zum Verweilen locken, eilten wir nun zu dem Grabmal unseres Heiligen Dürer104, das unter der Nummer 649 von den Ein­ wohnern Nürnbergs immer noch mit solcher Sorgfalt geschützt wird, daß der Grabstein gegen den Einfluß der Witterung von einer sargähnlichen Holzbe­ deckung beschirmt wird, die nur der Kantor öffnen und abheben darf, wenn sich ein kunstliebender Wanderer einfindet. Du wirst es wohl nicht ungern sehen, wenn ich von einem Grabstein, der die sterblichen Überreste eines sol­ chen Mannes bedeckt, eine ausführliche Beschreibung gebe. Zuerst sieht man an der schönen, großen viereckigen Grabplatte an der oberen Seite eine kleine Erhöhung oder ein Pult, mit einer Messingplatte versehen, auf der in großen lateinischen Buchstaben in symmetrisch abgeteilten Zeilen folgendes zu lesen ist: ME.AL.DU. (Memoriae Alberti Dureri.) QUICQUID ALBERTI DURERI MORTALE FUIT SUB HOC CONDITUR TUMOLO. EMIGRAVIT VIII IDUS APRILIS. M.D.XXVIII. Darunter steht sein gewöhnlicher Namenszug. Unten auf einer großen, von dem gelehrten Maler Sandrart veranlaßten Messingtafel prangt rechts diese etwas gesuchte und hochtrabende Inschrift: VIXIT GERMANIAE SUAE DECUS ALBERTUS DURERUS, ARTIUM LUMEN, SOL ARTIFICIUM, URBIS PATR. NOR. ORNAMENTUM, PICTOR, CHALCOGRAPHUS, SCULPTOR SINE 104 Wilhelm Schwemmer, Albrecht Dürers Grab auf dem Johannisfriedhof, in: MVGN 62, 1975, S. 279—284.

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EXEMPLO, QUIA OMNISCIUS, DIGNUS INVENTUS EXTERIS, QUEM IMITANDUM CENSERENT. MAGNES MAGNATUM, COS INGENIORUM, POST SESQUISECULI REQUIEM, QUIA PAREM NON HABUIT, SOLUS HEIC CUBARE JUBETUR. TU FLORES SPARGE, VIATOR. A.R S. MDCLXXXI. J.DE S105. Einfacher und schöner ist links die deutsche Inschrift in Versen: Hier ruhe, Künstler-Fürst! Du mehr als großer Mann! In viel Kunst hat es Dir noch Keiner gleich gethan. Die Erd* ward ausgemahlt, der Himmel Dich jezt hat; Du malest heilig nun dort an des Gottes Stadt. Die Bau-, Bild- Malerkunst die nennen Dich Patron, Und setzen Dir nun auf im Tod die Lorbeerkron105. Ringsum an den Seiten des Steins sieht man in großen römischen Buchstaben die Namen der Künste eingehauen, die er betrieb, Architectura usw. Es ist auch nicht zu leugnen, daß er in der Vielseitigkeit des künstlerischen Könnens kaum je und vielleicht nur von Leonardo da Vinci übertroffen worden ist. Hans Sachs starb am 19. Januar und wurde am 21. Januar 1576 auf dem St. Johannes-Friedhof beerdigt. Ins Sebalder Leichenbuch ist er folgendermaßen eingetragen: Hans Sachse, Teutscher Poet und gewesener Schumacher, im Spitt.gässlein. Der Grabstein Hans Sachsens — mit folgender Inschrift in Mes­ sing: H.S. des ehrsamen Hans Sachsen, Zuckermachers und Anna seiner lieben Ehwirtin und Irer beider seel. Erben Begräbniss. A.D. 1589 — bezieht sich wahrscheinlich auf einen Verwandten, der ins gleiche Grab gelegt worden ist106. Die Frau des Poeten H.S. hieß Barbara, und er soll sie sehr geliebt haben. In das öffentliche Leichenbuch wurde er folgendermaßen eingetragen: Gestorben ist Hans Sachs, der alte Deutsche Poet, Gott verleih ihm und uns eine fröhliche Urstet. Auf diesem Friedhof ruht auch der große und gelehrte Patrizier Willibald Pirkhaimer, der Freund Dürers, mit folgender Inschrift: Bilibaldo Pirkhaimero Patritio ac Senatori Nuremberg. Diuorum Maximiliani I et Caroli V Augg. Consiliario, Viro utique in praeclaris rebus obeundis prudentissimo, Graece juxta ac Latine doctissimo, Cognati tamquam stirpis Pirkheymerae ultimo

105 Ebenda S. 281 die deutsche Übersetzung des lateinischen Textes und Abdruck des folgenden deutschen Textes. 106 Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, daß der Poet im Grab des Zuckerbäckers Hans Sachs beige­ setzt wurde. Die Texte in den Leichenbüchern siehe bei Gerhard Hirschmann, Archivalische Quellen zu Hans Sachs, in: Hans Sachs und Nürnberg (= Nürnberger Forschungen 19) 1976, S. 20 f. Es überrascht, daß diese Texte Atterbom bekannt geworden sind.

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dolenter hoc S.P. Vix. ann. LX d. XVI. Obiit d. XXII mens. Decembr. Anno Christianae Salutis MDXXX. Virtus interire nescit107. Den 2. Dezember. Ich erwachte mit frohen Erinnerungen und ging aus, um weitere ebenso angenehme zu sammeln; der Himmel war klar und die Luft leicht; da hast du in Kürze die Schilderung meines Lebens in Nürnberg, Tag für Tag; nur an einem einzigen sah ich den Himmel bewölkt und fühlte einige Regentropfen. Wie verabredet kam zur festgesetzten Stunde der schreckliche Besitzer der ehemaligen Wohnung Dürers zu uns und führte uns durch das Spitaler Tor zum sogenannten Neuen Friedhof108, in dessen Grabkapelle, der ehemaligen Kirche des St. Rochus, das berühmte Dürersche Bild109 zu sehen ist. Und so begegnete uns wiederum wehmütig und anspruchslos eine der vielen innerhalb und außerhalb der Stadt Nürnberg aus andächtigeren Zeiten überkommenen Kirchen, in denen jetzt teils gar kein, teils nur bei bestimmten Gelegenheiten Gottesdienst verrichtet wird; so oft jemand auf diesem Friedhof beerdigt wird, wird die Leichenpredigt in der Kapelle gehalten. Im Jahre 1518 wurde dieser Ort zur Ruhestätte der Toten bestimmt, und die Familie von Imhoff stiftete die Kapelle, die im Jahre 1521 fertiggestellt wurde; noch heute hält diese Familie ihr würdiges Denkmal instand. Auf der linken Seite des Altars sieht man Dürers herrliches Gemälde109, das die Geburt Christi mit so herzlicher Unschuld und Wahrheit schildert; es ist ein ins Innerste der Seele dringendes religiöses Idyll. Du hast zweifellos viele Beschreibungen dieses ausgezeichneten Kunstwerks gelesen, und ich will dich also mit der meinen verschonen. Statt dessen möchte ich ausführlicher erwähnen, was unter diese Darstellung und auf die Innenseite der Tür des Bildes gemalt ist, das wie die meisten Kirchenmalereien jener Zeit aussieht wie ein Schrank und sich wie ein solcher öffnen läßt; viele haben zwei, ja mehrere Türen und Malereien an allen Seiten. Als erstes ist unten am Hauptgemälde ein abgeteiltes längliches Feld z,u bemerken, wo eine Reihe von Imhoffs mit herr107 Deutsche Übersetzung bei Peter Zahn, die Inschriften der Friedhöfe St. Johannis, St. Rochus und Wöhrd in Nürnberg, München 1972, S. 62: „Dem Willibald Pirckheimer, Patrizier und Ratsherrn der Stadt Nürnberg, Ratgeber der beiden Kaiser Maximilian (I.) und Karl V., einem Mann, der in der Besorgung hervorragender Staatsgeschäfte besondere Fähigkeit zeigte, sehr vertraut war mit der griechischen und lateinischen Sprache, haben als dem letzten des Geschlechts der Pirckheimer die trauernden Anverwandten dieses Grabmal setzen lassen. Er lebte 60 Jahre und 16 Tage, starb am 22. Tag des Monats Dezember im Jahre des christlichen Heils Eintausendfünfhundertunddreißig. Tugend kann nicht untergehen.“ 108 Wie Anmerkung 97. 109 Sog. Imhoff’sche Stiftungstafel von 1629. Mittelbild mit Tod der Crescentia Pirckheimer gilt als Kopie eines verlorenen Gemäldes von Albrecht Dürer. — Siehe MVGN 62, 1975, S. 15 und Abb. 17.

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liehen Köpfen und feierlich gekleideten Gestalten, mit ihren Wappenbildern bezeichnet, vor den Zuschauer treten, ein Hans Imhoff an der Spitze; dieser hat dieses Andenken an seinen Vater und an seine nächsten Vorfahren errichten lassen. Zeigen sich diese bereits in einer betenden Stellung, so kniet ungefähr in der Mitte mit emporgestreckten Händen Crescentia Pirkhaimer, die verstorbene Gattin des berühmten gelehrten Patriziers; hinter ihr steht der edle Pirkhaimer selbst, eine edle ehrfurchtgebietende Gestalt, und ganz rechts, hinter allen, Dürer selbst mit seinem wunderbaren, an Christus erinnernden Gesicht, mit seinem reichen, gelockten, langen Haar geschmückt, ein stattli­ cher Mann, in Violett und Gelb gekleidet. Wie ein riesiger, aber engelsfrommer Geist aus einer fremden Welt steht er da und schaut ruhig vor sich hin auf die übrigen, eine persongewordene höhere Anschauung alles dessen, was auf Erden vorgeht. — Dürer und Pirkhaimer halten zwischen sich eine Art Schild, der, aus der Jahreszahl zu schließen, in späterer Zeit neugemalt zu sein scheint. Die Inschrift darauf wirst du zweifellos gern wissen wollen, da du aus dem­ selben Grunde wir ich ebenso lebhaften Anteil am Wohlergehen der Familie Imhoff nimmst; sie lautet folgendermaßen: Der Allmächtige Gott wolle diese Familiam sammt derselben Posteritet in gutem Fried und Wohlstand zu Lob und Ehre seines allerheiligsten Namens weiter seegnen und erhalten. Anno Salutis pr. Januari, 1624. Unter Dürers Bild ist zu lesen: Effigies Alberti Dureri. A.1509. Unter dem Pirkhaimers: Effigies Herrn. Vilibald Pirkhameri weil Keyser Maximiliani Primi und Caroli V Rath. Das abgekürzte Wort weil, (weiland) berechtigt wohl zu der Annahme, daß diese Inschriften erst nach dem Tod Dürers und Pirkhaimers dorthin gelangt sind (ersterer starb 1528, letzterer 1530), da es, was die Dürer allein betreffende angeht, kaum glaublich ist, daß er nur sein Bild mit dieser zu seinen Lebzeiten recht überflüssigen Bekundung ausge­ zeichnet hat. An der Innenseite der Tür zum Hauptgemälde befindet sich eine mit unend­ lich inniger und rührender Wahrheit geschilderte Darstellung vom Tode der würdigen Crescentia Pirkhaimer. Sie liegt auf dem Sterbebett mit einem bei­ nahe erloschenen, nicht mehr jungen, aber recht entzückenden Gesicht; in der rechten Hand hält sie eine Wachskerze und in der linken ein Kruzifix. Auf der einen Seite des Kopfendes steht eine Frau, etwas über sie gebeugt, und wischt ihr den Todesschweiß ab; auf der rechten sitzt ein Mönch, der die Monstranz vor sie hinhält. Hinter dieser Figur steht Pirkhaimers edle Gestalt; man sieht ihn im Profil, von tiefstem Schmerz geprägt, und er wischt sich die Augen mit einem Taschentuch. Ein wenig vor dem sitzenden Mönch, eigentlich genau vor dem Bett, kniet ein zweiter Mönch mit einem aufgeschlagenen Gebetbuch. Am Bettende fühlt eine Frau unter der Decke nach den Füßen, die wahrscheinlich schon zu erkalten beginnen — diese und die Gruppe der übrigen Anwesenden sind vortrefflich gemalt. Von den Frauen ist eine besonders schön, wahrschein212

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lieh eine Tochter der Sterbenden. Eine andere ist Pirkhaimers Schwester, Nonne in einem St. Klara-Kloster. Die einfachen hier verwendeten Haupt­ farben, rot, weiß und schwarz (die beiden letzteren sind wie bekannt die Farben der Trauer) sind meisterhaft verteilt; das Ganze ist in seiner Art sicher eine der vollkommensten Arbeiten Dürers. — Ganz oben auf dem Bild steht in goldenen Buchstaben folgendes von dem großen Pirkhaimer selbst verfaßtes Elogium: Mulieri incomparabili Conjugique Charae Crescentiae Meae Bilibaldus Pirckhaimer Maritas, quem nunquam nisi morte sua turbavit, Monumentum posui. Weiter unten: Migravit ex aerumnis in Dominica XVI Kal. Junii. Anno salutis nostrae 1504. — Der Anblick einer solchen Trennung von zwei zu einem vereinten Wesen hat für mich immer eher etwas Beneidens- als Bedauernswertes. Der Hinterbliebene kann wenigstens, wie Schillers Thekla, sagen: „Ich habe gelebt und geliebet“, und da einem eine beständigere Seligkeit gewöhnlich auf Erden nicht geschenkt wird, so verdient bis auf weiteres dieses Angedenken, dieses Bewußtsein, daß es mit den Qualen einiger Jahre, Jahr­ zehnte, ja, einer halben Lebenszeit erkauft wird. Müßte man nicht eher dieje­ nigen bedauern, die eine äußere Laufbahn hinter sich bringen, mit einem Herzen, das unaufhörlich schläft und also, mit Ausnahme einiger unruhiger Träume, keinem Schmerz zugänglich ist, aber auch keiner Freude? Nachdem wir uns endlich von dieser Trauerszene losgemacht und noch einmal mit lieblicher Rührung die Geburt des Erlösers betrachtet hatten, durch die die Liebe erst ihre richtige Bedeutung und jede schöne, durch Gottes Willen hier auf Erden aber oft unstillbare Sehnsucht ihren einzigen seligen Trost erhalten hat, wandten wir uns ab, mit einer schnellen Übersicht über die übrigen Sehenswürdigkeiten der Kapelle, die weder zahlreich noch bemer­ kenswert waren. Sie hat schöne Glasmalereien, aber diese gibt es hier in Nürn­ berg überall in solcher Menge, daß wir jetzt nicht mehr bei jedem bunten Fen­ ster dasselbe Entzücken empfinden konnten wie zu Anfang. Unter der Empore an der Giebelmauer zeigt eine große weiße Tafel in schwarzen Buch­ staben das ganze Geschlecht von Imhoff im Mannesstamm bis auf unsere Tage. Als wir über den Friedhof zurückgingen, zeigte uns unser betagter Cice­ rone, ganz zufrieden, seine eigene Familiengrabstätte, wo schon seine Gattin unter einem riesigen grauen Stein ruht, und wo er, wie er sagte, sie bald zu besuchen hoffte. Bemerkens- und lobenswert ist, daß man auf diesen beiden Friedhöfen in Nürnberg die alte Form der Gräber genau beibehalten hat, so daß die Gruft jedes ehrbaren Nürnbergers im wesentlichen noch genauso aus­ sieht wie Dürers, Hans Sachsens und Pirkhaimers. Auf dem Heimweg gerieten wir in der Stadt ganz zufällig, angelockt durch schöne Kupferstiche, die in den Fenstern zur Straße aufgehängt waren, in ein Haus110, das vor allem eine Buchhandlung, dann aber auch eine ausgezeichnete 110 Kaiserstraße 37 (alt L 198). (Jegel S. 22).

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Kunsthandlung ist, ausgestattet mit kostbaren Schätzen. Der Besitzer, Herr Friedrich Campe111, war bei unserer Ankunft abwesend, erschien aber bald und führte uns mit der größten Dienstwilligkeit in seinen Sammlungen von Kup­ ferstichen wie von Gemälden umher; wir fanden erlesene Werke deutscher, italienischer und niederländischer Meister; einige schienen mir eine allzu glän­ zende Renovierung, ja, mitunter einen regelrechten neuen Anstrich und Über­ malung durchlitten zu haben. Ich will nur die beiden Bilder erwähnen, die auf mich den tiefsten Eindruck machten112. Das erste war ein kraftvoller, außeror­ dentlich imposanter Kopf, und kannst du erraten, wessen? — der des berühmten Schwärmers Knipperdolling113, mit der lebendigsten Naturwahrheit von Quint. Messys gemalt, einem Messerschmied, von dem du vielleicht weißt, daß er sich in eine schöne Malerstochter verliebte und sich infolge dieser Liebe selbst zum Kunstmaler von bewundernswertem Verdienst ausbildete. Das andere war eine kleine, aber himmlisch schöne, grandiose, herrlich kostümierte S. Theresa von Guido Reni; mit dem Pfeil in der Brust, schmerzlich, aber zuversichtlich gen Himmel blickend, wo aus den sich aufheiternden Wolken ein Engel mit der Märtyrerpalme zu ihr herabschwebt, kniet sie in einer früh­ lingshaften Landschaft, deren grünende Umgebung unleugbar mit dem Haupt­ gegenstand in der schönsten symbolischen Übereinstimmung steht. Den 3. Dezember. Zweifellos ist dir der Name Frauenholz114 seit langem bekannt; so heißt ein liebenswürdiger Nürnberger Bürger, der im übrigen einer der vortrefflichsten Kunsthändler in Deutschland ist. Er besitzt nicht, wie Campe, auch noch Bücher und Musikalien, dagegen aber eine Sammlung von Gemälden, Kupfer-

111 August Jegel, Friedrich Campe. Das Leben eines deutschen Buchhändlers, Nürnberg, o. J. (um 1949). 112 Beide erwähnte Gemälde durch Friedrich Fleischmann (1791—1834) in Umrißstichen verviel­ fältigt. Das Porträt von Massys ist seit 1829 im Städelschen Kunstinstitut in Frankfurt am Main. Die auf Bernt Knipperdollinck bezogene Inschrift auf der Oberkante des Gemäldes als Zutat des frühen 19. Jahrhunderts erkannt und bei einer Restaurierung beseitigt. Vgl. Larry Silver: The Paintings of Quinten Massys. With Catalogue Raisonne. Oxford 1984, cat. 61, pl. 146. — Der Standort des Guido Reni zugeschriebenen Bildes ist nicht feststellbar. Zur Samm­ lung insgesamt vgl. Verzeichniss der Dr. Friedrich Campe’schen Sammlung von Oelgemälden und geschmelzten Glasmalerein. Nürnberg 1847. 113 Bernhard Knipperdolling, 1536 als einer der Führer der Wiedertäufer in Münster hingerichtet. 114 Johann Friedrich Frauenholz (1758—1822). Seit 1790 als Verleger und Kunsthändler in Nürn­ berg, viele Jahre führend im Graphikgeschäft in Deutschland. Vgl. Einiges aus dem Leben des Kunsthändlers Joh. Friedr. Frauenholz. In: Der Sammler für Kunst und Alterthum in Nürn­ berg. Heft 2. Nürnberg 1825, S. 45—57. — Siehe auch MVGN 40, 1949, S. 133.

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Stichen und Medaillen usw., die an Reichtum nicht nur Campes, sondern viel­ leicht alle übrigen dieser Art in Deutschland übertrifft. Ich hatte während meines Aufenthalts in Berlin einige Male das Vergnügen, diesen Mann im Hause des Generals Helvig115 zu sehen, wo er liebenswürdig genug war, seine hervorragendsten Kunstschätze für längere Zeit zum freundschaftlichen Genuß aufzustellen. Etwas über mittlerem Alter, von Wuchs eher untersetzt als groß, mit kahlem Scheitel, klaren, dunklen Augen und einem frischen milden Gesicht, das immer Freundlichkeit und gute Laune ausdrückt, ist er im Verkehr angenehm verständig, sicher im Geschmack und lehrreich in seinen Urteilen. Ich habe vorher und nachher viele Besitzer von Gemälden und Bil­ dern, viele Galerievorsteher und ästhetische Warenverkäufer gesehen, aber dieser ist bisher der einzige in diesem verdrießlichen Geschlecht, der meines Erachtens unmittelbar zu seiner Sammlung paßt und dem ich zu meiner wahren Erbauung zugehört habe. Wir besuchten ihn heute ungefähr um halb zehn vormittags und fanden ihn in einem großen altertümlichen Haus116 wohnen, das zum großen Teil mit seinen beinahe unermeßlichen Sammlungen angefüllt ist. Sein eigenes Wohn­ zimmer, etwas dunkel, mit kostbarer Täfelung und mit alter Nürnberger Ele­ ganz möbliert, sah wie eine antiquitas antiquitatum aus, und hier saß an einem länglichen, mit Zeichnungen und Kupferstichen beladenen Tisch der freund­ liche Alte und blätterte mit vergnügter Miene in seinen Reichtümern. So zeigte er uns sogleich die schönsten Abzüge, die ich je gesehen habe (es waren zum Teil aber auch die ersten), von der Madonna Sistina des so früh verstorbenen Friedrich Müller117; gleichfalls von der ebenso schönen, aber weniger überirdi­ schen Madonna di Foligno. Danach sahen wir eine Menge anderer Kupfer­ stiche durch, unter denen uns vor allem einige von Preisler118, Vater und Sohn, Vergnügen machten; auch einige Porträts, die Clarke119 und Talleyrand120 dar­ stellten, sind nicht zu vergessen, obwohl uns hier nur die schöne Gravüre ent­ zückte, keineswegs aber die beiden lumpigen Gegenstände. Alle echten Ver-

115 Wie Anmerkung 83. 116 Winklerstraße 3 (alt S 39a). 117 Johann Friedrich Wilhelm Müller (1782—1816). Kupferstecher, seit 1814 Professor an der Dresdener Akademie. Sein Hauptwerk ist der 1809—1816 entstandene Stich nach Raffaels Six­ tinischer Madonna in der Dresdener Galerie. Raffaels Madonna di Foligno in der Pinacoteca Vaticana in Rom. 118 Johann Daniel Preißler (1666—1737), von 1704 bis 1737 Direktor der Nürnberger Akademie. Sein Sohn Johann Justin Preißler (1698—1771) seit 1742 sein Nachfolger im Amt. 119 H. J. G. Clarke, Minister und Marschall von Frankreich. Bildnisstich von Raphael Urbain Massard (1775—1843). 120 Charles Maurice Talleyrand (1754—1838), französischer Minister des Auswärtigen. Von ihm sind ein Dutzend Bildnisstiche bekannt, das von Atterbom gesehene Blatt ist daher nicht bestimmbar.

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dienste des modernen Kupferstichs zugegeben, muß ich doch gestehen, daß ich dessen vorherrschendes Bestreben für einen Irrweg halte, der ihn mehr oder weniger von seinem eigentlichen Ziel wegführt. Dieses ist, einen deutlichen Begriff von der Idee der Komposition in dem abgebildeten Kunstwerk zu geben, für den, der keine Gelegenheit gehabt hat oder hat, sich das Original vor Augen zu führen. Die Kupferstecherei sollte nicht den Anspruch erheben, eine selbständige Kunstart, eine neue Art Malerei mit dem Grabstichel zu sein. Vergebens versucht sie, durch die feinsten, eigenartigsten Licht- und Schatten­ wirkungen das bezaubernde Spiel der Farben nachzubilden, und alles, was dadurch erreicht wird, ist eine wollüstige Weichlichkeit, eine den Augen schmeichelnde Unbestimmtheit und Willkürlichkeit, oft ein veränderter Grundcharakter der Umrisse und des Ausdrucks im Ganzen. Ja, es geschieht nicht selten, besonders bei Kupferstichen alter Gemälde, daß sich die Kupfer­ stecher einbilden, das Recht zu haben, ihre Muster zu verschönen (was ihnen im übrigen wohl niemals gelungen ist), und, anstatt deren Geist in unver­ fälschter Eigentümlichkeit auf die Kupferplatte zu überführen, schenken sie uns ihren eigenen, den wir gar nicht begehrt haben. Der ideelle Charakter, der schöpferische Gedanke, der dargestellte Begriff in all seiner Individualität, das ist es, was der Kupferstecher an einem gegebenen Gemälde oder Bild erfassen soll, und zu diesem Zweck ist vor allem eine klare, bestimmte, ja, sklavisch strenge Zeichnung notwendig. Ist man mit mir der Meinung, daß die Kupferstecherei nur insofern wesent­ lichen Wert hat, als sie dazu dient, uns eine anschauliche und transportable Zusammenfassung der Urbilder berühmter Meister zu geben, dann wird man auch in dieser Zusammenfassung eben diese und nichts anderes sehen wollen. Was und wie diese Meister geschaffen haben, von Wilhelm von Cölln121, Cimabue122 und den Pisanern bis hin zu Raphael und Thorwaldsen123, interes­ siert uns zu wissen, nicht was Raphael Morghen124 usw. etwa Lust hätten, an ihrer Stelle zu tun. Und so muß ich behaupten, daß Dürers steifere und schär­ fere Gravüren, oft auch seine recht harten Holzschnitte, an mitteilender Unterrichtung, an anschaulicher Vorstellung vielen hochgepriesenen neueren 121 In der Romantik entdeckte man in einer Limburger Chronik den Namen eines Malers Wilhelm aus Köln, dem im Verlauf des 19. Jahrhunderts ein umfangreiches Oeuvre zuwuchs. Die heu­ tige Stilkritik verteilt diese Werke auf verschiedene Kölner Maler der ersten Hälfte des 15. Jahr­ hunderts (Meister der Münchner heiligen Veronika, Stefan Lochner, Meister des Heisterbacher Altars u. a.). 122 Italienischer Maler, nachweisbar zwischen 1272 und 1302 in Rom und Pisa. 123 Bertel Thorvaldsen (1768—1844), dänischer, in Italien tätiger Bildhauer. Hauptmeister des Klassizismus. 124 Raphael Morghen (1768—1844), Reproduktionsstecher, bedeutendster Vertreter des französi­ schen Linienstiches in Italien.

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Prachtwerken einer schmeichelnden und leer prunkenden Augenweide man­ ches voraushaben. Ich kann auch nicht einsehen, daß sich ein Kupferstecher, der seinen Beruf mit heiligjem Eifer ausübt, mit Recht darüber beklagen kann, daß man ihn damit zu sehr einschränkt und erniedrigt. Dann müßte sich auch ein Übersetzer beklagen, wenn man fordert, daß er seine Urschrift treu über­ tragen soll, ohne seine eigene Persönlichkeit und Eitelkeit hineinzumischen. Es wäre lächerlich gewesen, wenn Schlegel Anspruch auf dieselbe Ehre wie Sha­ kespeare erhoben oder wenn er sich die Fähigkeit zugetraut hätte, ihn zu ver­ bessern. Dagegen hat er jetzt die unbestrittene Ehre, die ihm wahrscheinlich keine Zukunft absprechen wird, daß er eine Übersetzung gemacht hat, die für alle Übersetzungen als Muster gelten kann. Herr Frauenholz führte uns nun in einigen Zimmern umher, in denen er einen Teil seiner Gemäldesammlung aufbewahrte; den größeren und besten Teil hat er in einem riesigen Saal des Rathauses ausgestellt, wohin er uns für den folgenden Vormittag einlud. Was mich hier am meisten freute, war ein stattliches Porträt des ehrbaren Meistersingers Hans Sachs125, von einem Unbe­ kannten mit all der Gründlichkeit, Kraft, Fleißigkeit und Genauigkeit gemalt, die für die alte deutsche Schule bezeichnend ist. Etwas betagt, mit einem schönen Gesicht, feurigen Augen, und einem würdigen, schon weiß gewor­ denen Bart sieht Hans Sachs auf diesem Gemälde genauso aus, wie er in Franz Horns Geschichte der deutschen Poesie126 geschildert wird. Ausgezeichnete Sachen gab es auch hier von unserem gestrigen Freund Messys, von dem man billigerweise behaupten kann, er habe seine männlich schöpferischen Gedanken mit der ganzen Kraft eines Schmieds auf der Leinwand wiederge­ geben. Nicht von ihm, aber wohl von einem älteren Meister der niederländi­ schen Schule war ein herrlicher Ecce-homo-Kopf mit einem eigentümlichen, tief rührenden Ausdruck. Den Namen des Meisters konnte Frauenholz nicht angeben. Wohl fehlte hier das Sublime, das von den Gesichtszügen Christi für mich nicht zu trennen ist, in keiner Lage und Qual; aber wenn man wagen würde, hier das Wort anmutig zu verwenden, ohne Furcht, damit eine mehr oder weniger frivole Vorstellung zu erwecken, dann würde ich sagen, daß ich einen Erlöser von innigster und lieblichster Anmut sah. Das Liebliche ist so beherrschend, daß das Kraftvolle verschwunden ist. Der Übergang von diesem Thema zu einer großen Susanna im Bad, von

125 Von Andreas Herneisen (1538—1610), 1576 datiert. 1812 von bayerischen Beamten aus der Stadtbibliothek Nürnberg entfernt, auf ungeklärtem Wege bald in privater Hand. 1912 von der Stadt Nürnberg zurückgekauft. Stadtgeschichtliche Museen Nürnberg (ausgestellt im Stadtmu­ seum Fembohaus). 126 Franz Horn, Geschichte und Kritik der deutschen Poesie und Beredsamkeit, Berlin: Johann Friedrich Unger, 1805.

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Dominichino127, dem frohen Günstling der Farben, mag ein wenig leichtsinnig erscheinen, ist aber von der Art, wie man ihn in einer Gemäldegalerie gewöhn­ lich zu machen gezwungen ist. Die schöne, sitzende und mit ihren Badegegen­ ständen harmlos beschäftigte Frau ist ebenso edel wie reizend; sie kann nichts dafür, daß ihre schönen entblößten Formen von jemand anderem als dem Himmel gesehen werden, daß deren ätherische Zartheit und die sich warm von der Leinwand abhebende Fleischfarbe die Begriffe des unberufenen Betrach­ ters übersteigen, ja, daß ihr Körper vom Scheitel bis zur Sohle eine schamhafte Wollust atmet, die ihrer Seele wohl nicht bewußt geworden ist, die aber die der anderen zu nicht nur ästhetischen Betrachtungen führt. Frauenholz besitzt seine Kunstsammlung seit zwanzig Jahren und hat darin auch vorzügliche Kunstwerke auf eigene Rechnung aufgenommen, die er nicht veräußern will. Vor unserem Abschied zeigte er uns noch einige große Tischbeinsche Porträts128 von Herder und Wieland, die wir, wie du dir leicht vor­ stellen kannst, mit Vergnügen betrachteten, da sie aller Wahrscheinlichkeit nach sehr treu waren: Herder sieht aus wie ein Mann par excellence und der gute Wieland eher wie ein altes vergnügtes Weibchen. Um 12 Uhr gingen wir, neugieriger denn je, zu einem Herrn von Holzschuher129, an den uns tags zuvor der Freiherr von Haller gewiesen hatte; dieser betagte Nachkomme eines der ältesten Nürnberger Ratsherrengeschlechter verwahrt in seinem Haus eine Art Fideikommiß, auf das die schwedischen Edelleute zum größten Teil wohl geringen Wert legen würden, da es nichts anderes ist als — ein altes Gemälde; nichtsdestoweniger ist es Nürnbergs vor­ trefflichstes Kleinod, Dürers hervorragendstes Werk und zweifellos nur mit einigen Porträts von Raphael zu vergleichen, obwohl weder von ihnen noch von anderen übertroffen. Donnerwetter! wirst du denken; das ist stark! Ja, aber es ist trotzdem wahr: Es ist ein Brustbild in Lebensgröße von einem alten Ratsherrn Holzschuher130, im Jahre 1526 gemalt, zwei Jahre vor Dürers Tod. Ich hätte nie geglaubt, daß ein einfaches Konterfei einen solchen Eindruck machen kann. Wir standen eine Stunde vor dem Bild, unbewegt, in Betrachtung versunken, von Bewunderung und Entzücken emporgehoben. Diese Menschen konnten malen; heutzutage kritzelt man nur! Und welch ideale und doch so ganz natür127 Domenico Zampieri, gen. Domenichino (1581—1641), Hauptvertreter der frühen römischen Barockmalerei. 128 Johann Friedrich August Tischbein (1750—1812), seit 1800 Akademieprofessor in Leipzig („Leipziger Tischbein“). 129 Vermutlich Johann Karl Sigmund Freiherr von Holzschuher (1749 — 1824). 130 Das Bildnis des Hieronymus Holzschuher bis 1884 im Besitz der Familie, damals von Wilhelm von Bode gegen die Konkurrenz des Germanischen Nationalmuseums für die Berliner Museen erworben. Jetzt in der Gemäldegalerie der Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz in Berlin.

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liehe, man könnte sagen bürgerliche Schönheit in diesem majestätisch bejahrten und doch jugendlich feurigen Antlitz! Gab es zu jener Zeit, was zu glauben man allen Grund hat, viele solche Männer, dann müssen diejenigen recht haben, die behaupten, daß die Menschheit unaufhörlich in Schlaffheit und Häßlichkeit Fort­ schritte macht. Oder liegt der Fehler darin — und bei vielen von unseren modernen, gewöhnlich höchst ekelhaften Porträts ist es wohl so —, daß heutzu­ tage kein Maler genügend Tiefe des Blicks und Schärfe des Urteils besitzt, um sich des Wesentlichen, des Ur-Charakteristischen, des unvergänglich Individuellen in wahrhaft hervorragenden männlichen Gesichtem zu bemächtigen? — oder, wenn er diese Eigenschaften besitzt, doch nicht genug ernste Liebe zu seiner Kunst, genug Achtung vor seinem Gegenstand hat, um dessen Bild mit gebührender Sorg­ falt, Kraft und Unermüdlichkeit auf der Leinwand auszuführen? Man spricht von lebenden Bildern, dieses aber erhebt sich so lebendig von der Platte und blickt dem Betrachter derart ins Auge, daß ein Strahl durch Mark und Bein geht, und man würde erschrecken wie vor einem Geist, wenn dieser Geist nicht zugleich das mildeste und menschlichste Gesicht gehabt hätte. Man glaubt, den alten Holzschuher persönlich hervortreten zu sehen aus dem dunklen Grund, dessen Dunkelheit hier als ein rührendes Sinnbild des historisch Vergangenen erscheinen mag; man glaubt, er will den Mund zum Sprechen öffnen; man glaubt, die Brust unter dem ratsherrlichen, mit hell­ braunem Pelzwerk gefütterten Mantel atmen zu sehen, und man kann diesen väterlich verehrungswürdigen, heldenhaften, weisen und geistreichen Kopf nicht mehr vergessen, mit seinem gelockten, halb silbernen Haar, der hohen, klaren Stirn, der Wölbung der prächtigen Nase, den stolzen, blitzenden und doch so vertraulich sprechenden Augen, dem milden und doch so bestimmten und kräftigen Mund, dem schönen Kinn mit einem sehr lieben Bart, der mich erneut daran erinnerte, wie geschmacklos wir uns haben verleiten lassen aufzu­ geben, was im Orient noch mit Recht die schönste Zierde jedes älteren Mannes ist. Es kommt hinzu, daß dieses auf Holz gemalte Gemälde durch das gerechte Glück, daß es wie ein Heiligtum in der Familie vererbt wird, in der ganzen Jugend und Frische seiner ersten Farbenpracht erhalten ist. Die Herrlichkeit des Mittelalters besaß, wie eine untergehende Sonne, ihren schönsten Glanz in der Abendröte, und diese Herrlichkeit, die uns in Nürnbergs Altertumsdenk­ mälern überall umgibt und anspricht, überwältigt uns hier wie in einem Brenn­ punkt vereinigt mit aller Macht, und so empfand ich hier, was ich im übrigen nicht das erste Mal empfand, daß das Vergangene die eigentliche Heimat meines Gefühls ist. Ja, mein Herz gehört der Vergangenheit an, mein Kopf der Zukunft, und was man die Gegenwart nennt, existiert, für mich, eigentlich nicht. Sollte es mir einmal gelingen, mich auch dieser mit Wärme und Klarheit zu bemächtigen, dann wäre der Poet, ja, wäre der praktische Philosoph fertig; bis dahin bleibe ich, trotz all meiner Bemühungen, ein ohnmächtiger Dilettant in der Kunst wie im Leben.

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Jeder Genuß, jede Glückseligkeit hat einen Übergang; und deswegen mußten auch wir uns schließlich mit einem recht wehmütigen Gefühl von Dürer, Holzschuher und seinem freundlichen Nachkommen verabschieden, der uns beim Gehen einen Folianten vorlegte, in den er alle, die aus Liebe zur Kunst zu seiner Wohnung pilgern, Namen und Stand eintragen läßt. Mit Ver­ gnügen sah ich in diesem Buch die Namen meiner Freunde Steffens131 und Schütz, die auf ihrer Reise von München nach Dresden während der ersten Tage des Septembers diesem wahren Wunder der Kunst ebenfalls ihre Huldi­ gung bezeugt hatten. Auch Louise von S.***, die vor uns in dem ehemaligen Dürerschen Haus gewesen war, hatte hier den gleichen Besuch gemacht wie wir. Herr von Holzschuher war so freundlich, uns erneut, so oft wir wollten, zu diesem Genuß einzuladen — und wir lehnten natürlich nicht ab. Ehe wir Nürnberg verlassen, wollen wir diesem Haus unseren letzten Besuch abstatten. — Er selbst ist ein angenehmer, ehrbarer Alter mit weißen Locken und klaren braunen Augen; und wenn er die Samtmütze abnahm, die seinen Kopf meist bedeckte, glaubte ich einen Hauch vom Geiste des alten Stammvaters über ihm schweben zu sehen. Noch blieb uns eine Viertelstunde bis zum Mittagessen im „Roten Roß“, und um diese Zwischenzeit vernünftig zu verwenden, gingen wir zu der nahe bei den Häusern der Herren von Haller und Holzschuher gelegenen St. Agidien- (oder Neuen) Kirche132, erbaut vor ungefähr 100 Jahren in italienischem, das heißt halb antikem und halb modernem Geschmack, nachdem im Jahre 1696 die alte, an demselben Ort stehende Kirche durch eine Feuersbrunst zer­ stört worden war. Von dieser älteren Kirche, deren Ursprung sich im 9. oder 10. Jahrhundert133 verliert und die wahrscheinlich in jeder Hinsicht sehens­ werter war als die neue, sind nur drei mit Altären, vergoldeten Heiligenbil­ dern, altdeutschen Gemälden und adligen Wappen gefüllte Kapellen geblieben, die nun mit dem neumodischen Bauwerk in einen ein wenig an den Haaren herbeigezogenen Zusammenhang gebracht sind. Dieses wurde im Jahre 1711 begonnen, und im Jahre 1718 hatte der Baumeister, der Oberst Gottlieb Trost134, die Freude, das 200 Fuß lange Gebäude mit außen dorischer und innen korinthischer Ordnung vollendet zu sehen. Es ist innen und außen geschmückt, hell, geräumig und schön; ein Franzose würde diese Kirche zwei131 Henrik Steffens, Philosoph, Naturforscher und Dichter (1773—1845). Unternahm von der Universität Breslau aus im Jahre 1817, von Schütz begleitet, eine Reise nach Süddeutschland. Dabei hielt er sich acht Tage lang in München bei seinem Freund Schelling auf (ADB 35, S. 557). — Bei Schütz handelt es sich vermutlich um Friedrich Karl Julius Sch., Professor der Phi­ losophie (1779—1844). (ADB 33, S. 117—120). 132 Kurt Pilz, Die St. Egidienkirche in Nürnberg, 1977. 133 Tatsächlich aus dem 12. Jahrhundert stammend. 134 Christoph von Imhoff (Hrsg.), Berühmte Nürnberger aus neun Jahrhunderten, Nürnberg 1984, S. 199.

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fellos für die einzig vernünftige in Nürnberg halten. Ein Altarbild van Dyks135 mit einem von Johann Preisler hinzugefügten oberen Teil war es, was uns eigentlich dorthin lockte. Es befriedigte die Erwartungen meines Reisege­ fährten vollkommen; für meine schwachen Augen hing es so hoch und so sehr im Schatten, daß ich nicht einmal erkennen konnte, was es darstellte. Deckengemälde und Basreliefzierat, schmucke Emporen und Galerien usw., aber nichts von eigentlichem künstlerischem Wert. Übrigens wurde uns berichtet, daß diese Kirche in Nürnberg am besten besucht wird und gewöhn­ lich immer voller Menschen ist; sie soll ungefähr sechs- bis siebentausend Leute fassen. Dies ehrt, falls es stimmt, die Religiosität der Nürnberger, wenn man bedenkt, daß auch die anderen Kirchen nicht ohne Besucher sind; wir hatten am Sonntag zuvor in der Lorenzkirche eine zahlreiche Menschenmenge gesehen. Der Grund, warum diese neue Kirche so viel besucht wird, liegt in ihrer Helligkeit und bequemen Geräumigkeit; da sie innen nicht, wie die übrigen, voller Säulen ist, hört die Gemeinde die Predigt dort von allen Plätzen, aus allen Winkeln gleich deutlich. — Hinter dem Altar trafen wir ganz unvermutet auf ein neues Meisterwerk von Peter Vischer136, in Art und Umfang geringer als das früher Beschriebene, nicht aber geringer an Vortrefflichkeit; es ist ein erhabenes Bildwerk in Bronce, das Christus am Kreuz darstellt, und darunter, wie man ihn ins Leichentuch hüllt. Die Arbeit ist wie mit dem Messer aus dem Metall geschnitten, unendlich fein, scharf und doch angenehm. Die alte, verbrannte Kirche war in älterer Zeit eine Klosterkirche; der letzte Abt in St. Egidien war der gelehrte Friedrich Pistorius, der Protestant wurde und sein Kloster im Jahre 1525 dem Rat überließ. Luther hat ihm ein Buch gewidmet, und Pistorius seinerseits schenkte ihm eine Uhr (ein sogenanntes Nürnberger Eyerlein). Zeitweise hat man in diesem Kloster mehr als weltlich gelebt; in den Annalen137 der Stadt ist verzeichnet, daß der Abt Philipp im Jahre 1403 seine Abtmütze, seinen Stock und seine Monstranz bei den Juden ver­ pfändete; die Mönche luden Frauen zum Wein zu sich ein und behielten sie bis zum nächsten Morgen dort, welches Treiben die Ratsherren, wie es billig war, kaum ergrimmte. Am Nachmittag erinnerten wir uns Hans Sachsens, des ehrbaren Altmeisters 135 Anton van Dyck (1599—1641). Die Nürnberger Beweinung, jetzt im Querschiff aufgehängt, gilt als nicht eigenhändige Werkstattwiederholung. Die Anstückung stammt von Johann Daniel Preißler. Das Original van Dycks früher im Besitz der Berliner Museen; im Zweiten Weltkrieg zerstört. 136 Zwei Bronzeepitaphien an der Ostwand des Chores für den Augsburger Bischof Christoph I. von Stadion (1517—1543), der während des Reichstags zu Nürnberg starb. Guß durch Hans Vischer. 137 Die folgende Nachricht zum Jahre 1403 bei Johannes Müllner, Die Annalen der Reichsstadt Nürnberg von 1623, Teil I, hrsg. von Gerhard Hirschmann, Nürnberg 1972, S. 108, mit wei­ teren Quellenangaben.

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der deutschen Volksdichter, und beschlossen, seine einstige Wohnung aufzu­ suchen. Sie liegt in der Gegend des Hauses von Dürer, unweit der Hospital­ kirche, und hat ebenso wie dieses der Straße, an deren Anfang es steht, den Namen Hans Sachsens Straße138 gegeben. So ist dieser Meister der Poeten und Schuhmacher hier noch in aller Munde. Es gibt das Haus als Kupferstich in der guten Sachs-Ausgabe, die Professor Büsching in Breslau herausgegeben hat139. Es ist oder war einmal ein Gasthof Zum goldenen Bären und führt dieses Zei­ chen draußen ;ist viele Stockwerke hoch und sieht, wie du wohl vermutest, höchst altertümlich, ja sonderbar aus, innen wie außen. Wir läuteten an der Tür; eine ehrwürdige Matrone mittleren Alters öffnete sie und sprach uns in dem treuherzigen Nürnberger Volksdialekt an, der für den Fremden nicht leicht zu verstehen ist. Sie ihrerseits verstand uns und unseren Wunsch sofort, und war bereit, uns alles zu zeigen, was es im Haus zu sehen gab, und es zeigte sich, daß es nicht gerade viel war. Wir kletterten uns müde auf einer Menge steiler und dunkler Treppen, krochen durch niedrige Türen und kamen endlich zu einer Dachkammer, sechs oder sieben Treppen hoch, mit einer hellen und weiten Aussicht; dies, sagte man uns, sei Hans Sachsens Schreibzimmer gewesen, und Bänke, Tische und Stühle waren hier aus seiner Zeit erhalten. Das Zimmer mit seinem einen Butzenfenster glich in seiner Form einiger­ maßen einem Käfig, und hier hat der naive, frohgelaunte Alte wirklich wie ein Vogel in der Luft gesessen, auf die Welt hinabgeblickt und über ihre Narrheit phantasiert. Einige Treppen tiefer führte unsere Begleiterin uns in eine grö­ ßere, schmuckere Kammer, wo im übrigen die ganze Einrichtung verändert, die Gestalt des Zimmers und der Fenster jedoch die alte war. Weiter wurden uns noch zwei oder drei ähnliche Zimmer gezeigt, unter welchen eines eine gewisse Merkwürdigkeit in einem prächtigen Schrank von kunstvollster Tisch­ lerarbeit besaß, der ein Rest des Hausgeräts des Dichters sein sollte. Dasselbe behauptete unsere Matrone von fünf altertümlichen Krügen, wenn auch, wie ich glaube, aus leicht zu verwerfenden Gründen. Sie erzählte uns mit naiver Gesprächigkeit, daß Hans Sachs ein Mann gewesen sei, der einen unerschöpf­ lichen Vorrat „guter Einfälle“ gehabt habe (und darin hatte sie vielleicht ganz recht), daß er ein großes Buch zusammengeschrieben habe, welches so lang und so breit gewesen sei (sie bezeichnete die Dimensionen in der Luft mit den

138 Hans-Sachs-Gasse 17 (alt S 969). Im Zweiten Weltkrieg zerstört. 139 Werk nicht in Christian Gottlob Kayser: Vollständiges Bücher-Lexicon, enthaltend alle von 1750 bis zu Ende des Jahres 1832 in Deutschland und in den angrenzenden Ländern gedruckten Bücher. Th. 5. Leipzig 1835, aufgeführt. In der Edition: Hans Sachs, Ernstliche Trauerspiele, liebliche Schauspiele, seltsame Fastnachtsspiele, kurzweilige Gespräch’, sehnliche Klagreden, wunderliche Fabeln, sammt andern lächerlichen Schwänken und Possen. Bearb. u. hrsg. von Johann Gustav Büsching. 3 Bde. Nürnberg: Johann Leonhard Schräg, 1816—1824, fehlt der Stich des Sachs-Hauses.

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Händen), daß ihr derzeit abwesender Mann es jetzt besitze, und daß einmal einige Professoren dagewesen seien und in dem Buch gelesen und sich fast tot gelacht hätten; daß ihm die Herren von Nürnberg, die ihn oft besuchten, um seine guten Einfälle zu hören, das Recht verliehen hätten, einen Gasthof mit einem goldenen Bären im Schild zu betreiben, damit er all die Fremden behausen könne, die sich von seiner Berühmtheit anlocken ließen; — daß zu den Zeiten der ersten Gattin ihres Mannes noch viele Erinnerungen an Hans Sachs im Haus erhalten gewesen, und diese ordentliche Hausmutter sorgfältig darüber Aufsicht gehalten habe, daß aber nach ihrem Tod, wärend des Interims von Dienstmädchen und Haushälterinnen, beinahe alles zerstreut und verkommen sei; woraus ihr Mann dann, wie sie sagte, die vernünftige Folge­ rung gezogen habe, daß man es nach dem Tod einer Frau nie lange aufschieben soll, sich eine neue zu verschaffen, sondern sich unverzüglich verheiraten soll, sobald das Trauerjahr vorüber sei. — Das darf man eine Gattin mit liberalen Grundsätzen nennen! Sie lobte ihre Vorgängerin, und betrachtete es als billig, daß, falls auch sie vor ihrem Mann sterben sollte, sie ihrerseits sofort durch eine andere ersetzt würde. Am Abend machten wir einen Spaziergang um die Stadt, unter allerlei Ver­ suchen, den eigenartigen Umstand zu erklären, daß unter Schuhmachern von jeher so viele geistreiche Köpfe Vorkommen, und daß sich Handwerker dieser Art, ohne daß sie alle Genies gewesen wären, durch eine unwiderstehliche Nei­ gung zu Grübelei und Beschäftigungen mit wunderbaren überirdischen Dingen auszeichnen. Das historische Phänomen ist nicht zu leugnen: worin aber soll man seine Ursache suchen? Den 4. Dezember. Heute erwartete uns die Frauenholzische, im Rathaus verwahrte Gemälde­ sammlung; um 10 Uhr vormittags gingen wir zu dem Besitzer, der seinen Diener mit uns dorthin schickte und versprach, selbst gleich nachzukommen. Dieses Rathaus, das nun keine freien Bürgerväter mehr in seinen Mauern ver­ sammelt, ist ein großer Palast in neuitalienischem Stil, an einem Markt gegen­ über der Sebaldkirche gelegen. Mit dem Bau wurde bereits im Jahre 1332 begonnen, doch erhielt er seinen jetzigen Umfang erst zwischen 1616 und 1619; nur die Vorderseite ist vollendet, das übrige wurde durch den Dreißig­ jährigen Krieg verhindert. Der letzte Baumeister war ein Holzschuher140. Die Vorderseite hat wirklich etwas Stattliches an sich; sie ist 275 Fuß lang, und jedes der drei Stockwerke hat 36 Fenster. Über den drei großen Portalen dori-

140 Eustachius Carl Holzschuher, (1584—1639).

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scher Ordnung liegen kolossale Figuren141; von einem Leonhard Kern aus grobem Stein gehauen, sind sie, ohne besonderen Kunstwert, doch zu archi­ tektonischem Schmuck nützlich. Über dem mittleren Portal die Gerechtigkeit und die Wahrheit, über den Seitenportalen die vier Weltmonarchien, darge­ stellt als Ninus, Cyrus, Alexander und Julius Caesar. Über dem Nürnberger Wappenadler sitzt ein Pelikan, der aus seiner Brust drei Jungen Nahrung gibt, mit folgender Unterschrift in goldenen Buchstaben: P.L.E.G.142 (PRUDENTIA LEGIBUS ET GRATIA). Im Hof befindet sich einer der vielen kunstvollen Springbrunnen143 dieser Stadt. Ein Pfeiler trägt auf seiner Spitze einen Delphin, auf welchem ein Kind reitet, und unten treiben acht Löwen die Wasserstrahlen aus ihren Mäulern in ein Bassin; alles ist aus Bronce. Die Arbeit, im Jahre 1618 von zwei Brüdern Wurzelbauer144 gemacht, ist gefällig, kann sich aber nicht mit derjenigen der Brüder Rupprecht und Schonhovers auf dem Hauptmarkt messen. Über die breite und hohe Haupttreppe gelangt man in den Rathaussaal, der auch wirklich eine gewaltige Größe besitzt. Hier sieht man allerlei Wappenbilder, Sinnbilder und allegorische Darstellungen, teils in Stein gehauen, teils in Farben. Von den Gemälden ist das vortrefflichste der Triumphzug Kaiser Maximilians I., das Dürer nach der Idee Willibald Pirkhaimers im Jahre 1518 gezeichnet und gemalt hat. Dieses Werk mag ver­ dienstvoll sein, aber ich bin froh, daß nur seine Ausführung Dürer angehört; das Ganze ist mit Allegorien überladen und ziemlich frostig. Vor nicht langer Zeit gab es in diesem Saal ein* ausgezeichnetes metallenes Gitterwerk145 von Peter Vischer mit christlichen und mythologischen Darstellungen, wie gewöhnlich bei diesem Meister mit Geist und Kunstfertigkeit gegossen; doch hat man es in der letzten Zeit, ehe sich die Aufmerksamkeit wieder auf solche herrlichen Altertumsdenkmäler richtete, für eine unbedeutende Summe als altes Messing verkauft, dem Betreffenden zur unvergänglichen Schande.

141 Die stark verwitterten Portalfiguren von Leonhard Kern und Joachim Toppmann 1616—1618 seit 1870 im Germanischen Nationalmuseum deponiert. Der erwähnte Wappenadler ist eine Kupfertreibarbeit von Christoph Jamnitzer (zuletzt 1984 restauriert). 142 Zu übersetzen: Durch Weisheit, Gesetzestreue und Gnade (ergänze: regiere der Rat). Der . letzte Buchstabe könnte auch als C gelesen werden. Die Auflösung könnte dann lauten: Prima Lex esto Concordia. 143 Sog. Puttenbrunnen im Hof des Wolffsehen Baues. Vom Gießer Pankraz Labenwolf monogrammiert und 1557 datiert. 144 Benedikt Wurzelbauer (1548—1620), Enkel des Pankraz Labenwolf, Erzgießer und Brunnen­ spezialist. Ein Bruder ist nicht faßbar, wohl aber ein Sohn Hans (1595—1656) in den gleichen Berufen. 145 Zum Verkauf des Peter-Vischer-Gitters im Jahre 1806, siehe W. Schwemmer (wie Anmerkung 35), S. 134.

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Mich weitläufiger über Säle, Gänge, umlaufende Galerien, Stückarbeiten, Malereien usw. in diesem Gebäude zu verbreiten, wäre nur unnötige Ver­ schwendung von Zeit und Papier. Es mag die Mühe lohnen, das alles flüchtig in Augenschein zu nehmen, wenn man selbst an Ort und Stelle ist, aber eine ausführliche Beschreibung verdient es nicht. Historischen Wert hat eine im oberen Korridor befindliche große Darstellung in Stuck, ein sogenanntes Gesellenstechen146 oder Nürnberger Turnier, das im Februar des Jahres 1446 (1434?)147 abgehalten wurde. Im übrigen sollen die früheren Rathauszimmer voll guter Gemälde gewesen sein, aber die meisten wurden nach Beginn der bayrischen Herrschaft nach München und die übrigen zu der in der Burg ange­ legten Sammlung geschleppt. Dagegen hat Frauenholz hier den bedeutenderen Teil der seinen ausgestellt, und zwar in einem hohen und großen Saal, der in der Zeit von Nürnbergs Selb­ ständigkeit der Raum für die Sitzungen des kleinen Rates gewesen ist. Über der Tür, im Inneren, sieht man eine uralte eigenartige Schnitzerei148, die einen Richter darstellt, vor dem zwei Parteien stehen, die einen Prozeß führen; der eine ist reich und steht auf seiner rechten, der andere, arm, auf seiner linken Seite; der Reiche hat als Sachwalter einen Teufel, der Arme einen Engel: Ein Fall, der unleugbar oft eintritt, wenn auch der Engel nicht immer gewinnt. Das Tageslicht war dämmerig, weil das Wetter bewölkt war, und dadurch ging mir, meine übliche Kurzsichtigkeit hinzugenommen, manch schöner Anblick ver­ loren, besonders von den Gemälden, die näher an der Decke des recht hohen Saals hingen. Ich war ziemlich schlechter Laune; das erste Bild, das mich ein wenig erquickte, war wieder ein vortreffliches großes Porträt von Georg Pencz149, dessen stolzen Sebastian Schirmer ich vorher in der Burg mit so großem Vergnügen betrachtet hatte. Sieht man mehr auf die individuelle Schönheit des Objekts als auf das Herr­ liche seiner Behandlung durch den Maler, so gefällt dieses Bild weit mehr als die beiden hier befindlichen, wegen ihres hohen Kunstwerts mit Recht allge­ mein bewunderten Abbilder von Karl V., obwohl diese dadurch besonderes Aufsehen erregen, daß sie eine Art Wettstreit zwischen zwei so großen Mei-

146 Stuckrelief an der Decke des Korridors im zweiten Obergeschoß des Wolffschen Baues. Gemeinschaftsarbeit der Brüder Hans und Heinrich Kuhn 1621. Im Zweiten Weltkrieg zer­ stört. 147 Die Jahreszahl 1446 ist richtig. 148 Ratsstube auf der Ostseite des Rathauskomplexes, 1514/15 von Hans Beheim d. Ä. umgebaut. Das Schnitz werk über der Tür Gruppe des Ungerechten Richters, von Hans Schwarz (?) um 1519/20. Mit Ausnahme des verlorenen Teufelchens nunmehr im Stadtmuseum Fembohaus. 149 Das erwähnte Gemälde nicht identifiziert.

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Stern wie Amberger und Tizian darstellen150. Hätte es in diesem Mann ein biß­ chen von dem Muster von Kaiser gegeben, zu dem ihn Friedrich Schlegel gemacht hat, dann wäre es so großen Malern wohl gelungen, ihm ein weniger fatales Aussehen zu geben. Sie haben beide ihr Möglichstes getan, und was an ihrem Werk ihnen gehört, ist und bleibt unvergänglich. Von Amberger hat er sich im Alter von 32 Jahren und von Tizian in etwas höherem Alter malen lassen. Vielleicht ist das der Grund dafür, daß sein Gesicht auf Tizians Bild etwas mehr Klugheit und männliche Würde ausdrückt, was, wie unser Begleiter behauptete, daher kommt, daß Tizian mit seinem Porträt geschmei­ chelt habe. Im übrigen hat weder die deutsche Tüchtigkeit noch die venetianische Farbenpracht etwas Höheres aus ihm machen können, als einen kraftlosen und sogar ungewöhnlich ausgemergelten Prinzen mit erloschenen Augen, blei­ chen, eingefallenen Wangen, einem schlappen, halb aufgesperrten Mund und einem nach außen gebogenen Unterkiefer mit einem Altweiberkinn. Das ein­ zige, was er unseren modernen Fürstenbildern voraus hat, die alle so elend zufrieden und fröhlich sind, ist ein nachdenklicheres, schwermütigeres Aus­ sehen. Armer Kaiser! Auch du warst nicht auf Rosen gebettet, und dein Klo­ sterleben zeigt, daß du wenigstens zur Weltverachtung taugtest. Länger verweilten wir vor einer Maria mit dem Kind von — Leonardo da Vinci151. Zeichnet sich Raphaels Madonna durch eine poetische und Holbeins durch eine religiöse Natur aus (womit ich, wie du leicht einsiehst, nicht meine, daß Holbein unpoetisch und Raphael unreligiös sei), dann könnte man von jener sagen, daß sie eine geometrische Schönheit ist, die in ihrer Wirkung regel­ gerecht ihr Ziel trifft. Dabei sollte man sie sich nicht steif oder kalt denken; aber der Charakter ist wirklich mehr astronomisch als himmlisch. Dieser phi­ losophische Künstler hat nicht viele Arbeiten hinterlassen, aber in den wenigen ist jeder Strich für die Ewigkeit gedacht und gezogen. In geistiger Tiefe, in Gelehrtheit und Vielseitigkeit seiner Bemühungen läßt sich eine unverkenn­ bare innere Verwandtschaft mit Dürer nicht leugnen. Merkwürdig schien es mir, Maria hier in Schwarzbraun und Rot zu sehen, wo gewöhnlich Blau und Rot die Hauptfarben ihrer Kleidung sind; das Ganze bekam durch diese Ver­ änderung ebenso wie durch das meisterlich durchgeführte Verhältnis zwischen dem dunklen Braun und dem glühenden Rot einen gewissen, unerwartet wun­ derbaren, ja seltsam ergreifenden Farbton.

150 Christoph Amberger (um 1500 — um 1562): Bildnis Kaiser Karls V. im Alter von 32 Jahren. 1801 von Frauenholz mit dem Praunschen Kunstkabinett erworben, 1819 an den König von Preußen verkauft. Gemäldegalerie der Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz in Berlin. — Das Porträt Karls V. von Tizian nicht identifiziert.

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Oberhalb dieses Gemäldes hing eine andere Darstellung desselben Themas, ein Werk von Annibal Caracci151; es war mir lieb, weil nicht klarer gezeigt werden konnte, daß Korrektheit in ihrer höchsten Potenz, selbst wenn sie von einer gewissen rüstigen Männlichkeit unterstützt wird, sich doch nicht zu der Höhe echter lebendiger Wissenschaft erheben kann. Mit seiner ganzen hervor­ ragenden Tüchtigkeit verhält sich Caracci zum alten Leonardo ungefähr wie ein berühmter mathematischer Rechenmeister unserer Tage zu Kepler oder Archimedes. Einfacher, frommer, fröhlicher, zierlicher war eine dritte Maria mit dem Kind von Lucas von Leyden; ein viertes Gemälde mit den drei weisen Königen anbetend zu ihren Füßen, von Holbein151, erringt vielleicht den Preis von diesen allen. Auf diesem hat sich der Meister selbst abgebildet, indem er dem heiligen Joseph seinen eigenen recht schönen Kopf verliehen hat. Indem ich, bei aller Achtung, eine ganze Reihe berühmter Bilder übergehe, vor allem von Italienern, zum Beispiel einen Johannes der Täufer in der Wüste von Guido Reni152 und eine fünfte Madonna von Andrea del Sarto, da der Eindruck von ihnen in meiner Erinnerung bereits die bestimmte Anschaulichkeit verloren hat, die notwendig ist, um ein bestimmtes Urteil zu fällen, möchte ich nur die beiden Gemälde erwähnen, die von dem, was ich heute gesehen habe, durch ihren poetischen Gedanken die Betrachtung am lebhaftesten fesselten und im Gedächtnis blieben. Das eine war ein dornenbekrönter Christus, allein in tiefer Nacht sitzend, ein Gemälde von kleinem Umfang, doch mit wahrer Inspira­ tion vom Ehrenmann Dürer153 gemalt; das andere, ebenfalls klein, war Raphaels154 erster Entwurf in Farbe zu seiner berühmten Cäcilia, deren Idee und Gruppierung ich hier also mit der größten Freude kennenlernte. In Dresden hatte ich die in der dortigen Galerie vorhandene große Kopie von Giulio Romano durch einen unbegreiflichen Zufall nicht gesehen; erst jetzt

151 Die großen Namen Leonardo da Vinci, Annibale Carracci, Lucas von Leyden, Hans Holbein d. J. wohl insgesamt Fehlzuschreibungen, daher sind die gemeinten Bilder schwer identifizier­ bar. 152 Das Guido Reni zugeschriebene Gemälde nicht faßbar. Die Andrea del Sarto zugeschriebene Madonna kam 1801 mit dem Praunschen Kunstkabinett an Frauenholz, nach ihm besaß sie Heinlein, vgl. Verzeichniss des Anton Paul Heinlein’schen ausgezeichneten Kunstcabinets, welches vom 9. April 1832 an . . . versteigert wird. Nürnberg 1832, S. 19. 153 Ebenfalls aus dem Praunschen Kunstkabinett stammend und später in der Sammlung Heinlein; vgl. Auktionskatalog 1832, S. 12. Vermutlich eine Kopie in Art des Schmerzensmannes in Pommersfelden, vgl. Fedja Anzelewski: Albrecht Dürer. Das malerische Werk. Berlin 1971, Nr. 170 K, Abb. 114. 154 Das erwähnte Gemälde Raffaels in der Pinacoteca Nazionale in Bologna, der angebliche Ent­ wurf im Besitz von Frauenholz, bis 1801 im Praunschen Kunstkabinett. — Giulio Romano (um 1499—1546), italienischer Maler und Architekt in der Nachfolge Raffaels.

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weiß ich, daß sie über der Tür zum Pastellzimmer hängt. Ich hoffe aber, in Bologna bald das Urbild selbst zu sehen, und bis dahin will ich dir weiter kein Wort über diese schon in ihrem Entwurf göttliche Komposition sagen. Inzwischen war Frauenholz zu uns in den Saal heraufgekommen, uns seiner Gewohnheit gemäß freundlich unterrichtend, und wir nahmen schließlich höchst ungern von ihm Abschied, wie angenehm das nächste Ziel unserer Wanderung auch lockte. Es war die Lorenzkirche, deren herrliche Glasmale­ reien wir nochmals genießen wollten. Vor dem Verlassen des weitumfassenden Rathauses zeigte man uns in einem Zimmer die nicht gerade besonders schöne, aber um so riesenhaftere Holzskulptur155 von Veit Stoß, die früher, gleichsam vom Gewölbe herabschwebend, nicht weit von dem Hochaltar der eben erwähnten Kirche hing und als eine ihrer vornehmsten Kostbarkeiten betrachtet wurde. Sie stellt die Verkündigung der Maria durch den Engel Gab­ riel dar; die beiden Hauptfiguren, Maria und der Engel, sind ungefähr sieben Fuß hoch; acht Engel, die in der Luft zu schweben scheinen, umgeben sie; unten liegt eine Schlange, die einen Apfel im Maule hält usw. Die ganze Gruppe, mit unglaublicher Mühe und Geschicklichkeit aus Holz geschnitzt und dann bemalt und vergoldet, ist 14 Fuß hoch und 11 Fuß breit. Ich habe sie so beschrieben, wie sie aussehen würde, wenn sie zusammengesetzt wäre; jetzt aber lag sie zerlegt auf dem Boden, der ganz und gar von den voneinander getrennten Figuren ausgefüllt war, da diese gereinigt und geputzt werden sollten. Ich lasse dahingestellt sein, welchen Eindruck sie aus dem errechneten Abstand machen; aus der Nähe vertragen sie die Betrachtung nicht, und das Aussehen der heiligen Jungfrau ist keineswegs erbaulich. Das hat man schon in alter Zeit eingesehen; der ehrwürdige Andreas Osiander156 nannte sie „die gol­ dene Grasmagd“, und seine Äußerung hatte zur Folge, daß das ganze Bildwerk mit einem grünen Vorhang bedeckt wurde.

155 Der Englische Gruß des Veit Stoß war 1811 auf Betreiben der bayerischen Behörden von St. Lorenz auf die Burg verbracht worden. 1815 kurzfristig in der Frauenkirche aufgehängt, kam das Bildwerk noch im gleichen Jahr ins Rathaus. 1817 erfolgte die endgültige Rückführung in die Lorenzkirche. Das Zitat von Osiander ist nur legendär überliefert. 156 Lebte von 1498—1552. Wirkte als Prediger an der Lorenzkirche seit 1522 entscheidend mit an der Einführung der Reformation in Nürnberg. Von 1548—1552 Hofprediger in Königsberg i. Pr..

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Den 5. Dezember.* Den ganzen Vormittag zu Hause verbracht und uns mit unseren Notizen beschäftigt. Am Mittagstisch Unterhaltung mit Herrn von Haller über allerlei Kunstgegenstände. Sandberg und Breda157 müssen unbedingt nach Nürnberg kommen, um zu sehen, was wir gesehen haben. Nachmittags Spaziergang außerhalb der Stadt. Herrliche Umgebungen. Wie schön müßte es sein, sich hier im Sommer aufzuhalten. — Das Wetter ist weiterhin mild — ungefähr wie ein einigermaßen schöner Oktober in Schweden. Habe mich damit vergnügt, einen großen Teil meiner BriefSammlung durchzulesen — und mit lieblicher Bewegung meiner schwedischen und deutschen Freunde gedacht. Das in Schweden bekannte Märchen von der Frau, die zu früh zur Messe ging und die Abgeschiedenen beim Gottesdienst antraf, hat in der Nürnberger Überlieferung eine Art historische Basis — und zwar wollte eine Witwe von Imhoff, geb. Mendel, nach ihrer Gewohnheit, alle Frühmessen zu besuchen, auch zu derjenigen am Tage aller Seelen gehen. — Das Ereignis soll sich im Jahre 1430 in der St. Lorenzkirche zugetragen haben, unter genau denselben Umständen, wie es in Schweden erzählt wird.158 Den 6. Dezember. Besahen am Vormittag das sehr schöne, im italienischen Geschmack vom Anfang des 17. Jahrhunderts erbaute von Pellersche Haus mit darin befind­ licher Gemäldegalerie.159 Das sehenswerteste davon war eine Danae von Tizian und ein Porträt Catharina Medicis von Paolo Veronese. Bei ersterem hatten wir Gelegenheit, Betrachtungen über Tizians Meisterschaft in Kolorit, Inkar-

* Von den Tagebuchnotizen des Verfassers über seinen Aufenthalt in Nürnberg ist nichts mehr ausgearbeitet. Das Folgende besteht aus Fragmenten aus dem kleinen Notizbuch, das er wäh­ rend seiner Fußwanderungen bei sich gehabt und benutzt hat. (Anmerkung des Herausgebers von 1859). 157 Gemeint wohl John Frederik von Breda (* 1788), schwedischer Bildnismaler, sein Vater, Carl Frederik von Breda (1759—1818), ein berühmter, 1812 geadelter Porträtist, und der wenig ältere Johan Gustav Sandberg (1782—1854), Historienmaler, als Porträtist in der Nachfolge von Breda-Vater. 158 Der Text der Sage ist unter dem Titel „Die Totenmesse“ abgedruckt im Mitteilungsblatt Nr. 15 des Vereins zur Wiederherstellung der St. Lorenzkirche, 1973, S. 13f. 159 Die Sammlung befand sich im Pellerhaus, Egidienplatz 23. Die meisten von Atterbom erwähnten Bilder sind schon im ersten Inventar der Peller’schen Sammlung 1641 aufgeführt; vgl. Gerhard Seibold: Die Pellersche Gemäldesammlung. In: Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums 1982, S. 70—82. Hier auch Hinweise und Abbildungen erhaltener Stücke im Besitz der Familie.

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nation usw. anzustellen; wie die Formen sich gleichsam aus der Leinwand erheben; seine Tendenz zu dem blendend Weißen und Klaren; hier ist mit der größten Kunst das Problem gelöst, eine blonde Figur, auf weißer Unterlage ausgestreckt, zu malen. Catharina di Medici: lockend und groß, sirenenhafter Reiz mit königlicher Grandezza vereint; Lebensgröße. Beim Anblick dieser Gestalt versteht man einen guten Teil von der Geschichte Frankreichs. — Von Palma mehrere vorzügliche Gemälde, darunter Dianas Bad, das Urteil des Paris u. a. — dazu Verschiedenes von Bassano und Tintoretto. Ein vorzüg­ liches Porträt von Martin Peiler, dem Erbauer des Hauses, von Bassano 1603 gemalt. Von Kulmbach Christus und Maria Magdalena. In der Hauskapelle, 1605 vollendet: ein Kronleuchter aus geschliffenem Bergkristall, in Mailand hergestellt; muß mit 36 Kerzen erleuchtet werden und ist 9V2 rheinländische Fuß hoch und 21 im Umfang.160 — Der Hausbesitzer führte uns selbst mit vor­ züglicher Höflichkeit herum. Besuchten dann den bekannten Verleger Schräg161, einen liebenswürdigen jungen und stattlichen Mann, der uns u. a. Frau von Fouques162 höchst eigen­ händiges Manuskript ihres noch ungedruckten Romans „Die Frauenliebe“ zeigte. Wahrhaftig, es ist nicht verwunderlich, daß die deutschen Bücher von Druckfehlern wimmeln. Den 7. Dezember. Machte am Vormittag Besuch bei Herrn Haller von Hallerstein, der mir u. a. ein sowohl durch materielle als auch formale Schönheit ausgezeichnetes gra­ viertes Porträt der Königin Christina163 nach dem Original von Bordon zeigte. Ja, wahrhaftig, sie war doch die Tochter Gustav Adolfs!164 — Außerdem zeigte er mir ein anderes karikiertes, aber in der Erfindung ebenso einfältiges wie in der Ausführung mißglücktes Porträt, auf dem sie in Lebensgröße als Hexe kostümiert dargestellt ist, die eine Hand in der Seite, einen großen Männerhut in der anderen, einen großen unweiblichen Schritt machend.

160 Der Kronleuchter wurde schon sieben Jahre später, 1824, an den preußischen Königshof ver­ kauft. Siehe: Gerhard Hirschmann, Das Nürnberger Patriziat im Königreich Bayern 1806—1918 (= Nürnberger Forschungen 16), 1971, S. 144. 161 Johann Leonhard Schräg (1783—1858), vgl. Gusti Schneider-Hiller, in: Berühmte Nürnberger aus neun Jahrhunderten. Hrsg, von Christoph von Imhoff. Nürnberg 1984, S. 250—251. 162 Karoline Auguste Fouque, geb. von Briest (1773—1831), seit 1803 mit dem Schriftsteller Fried­ rich Heinrich Karl de la Motte Fouque verheiratet. Die „Frauenliebe“ erschien 1818 im Druck. 163 Bildnis der Christine, Königin von Schweden; Kupferstich von B. Collin nach einer Vorlage des Stockholmer Hofmalers Sebastien Bourdon (1616—1671). 164 Nach einer bekannten Äußerung von Axel Oxenstierna (Anmerkung des Übersetzers Dr. G. A. Wollin).

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Den 8. Dezember. Mußte auf das Vergnügen verzichten, Hjort zu dem berühmten Kupferste­ cher Reindel165 zu begleiten, um meine vorläufigen Notizen über Nürnberg abschließen zu können, da dieser Abend zur Abreise nach Augsburg bestimmt ist. — Frau von Fouque erhält von ihrem Verleger 90 Friedrichsd‘or166 für ihr Manuskript.

165 Albert Christoph Reindel (1784—1853), Kupferstecher, seit 1811 Direktor der Nürnberger Kunstschule, ab 1818 Konservator der städtischen Gemäldesammlung. 166 Preußische Goldmünze, im Werte von 5 Talern.

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EINE IDEE UND IHRE VERWIRKLICHUNG: DIE NÜRNBERG—FÜRTHER LUDWIGSEISENBAHN VON 1835 Von Wolfgang Mück Die kgl. priv. Ludwigseisenbahn zwischen Nürnberg und Fürth, Deutschlands erste Eisenbahn mit Dampfkraft, eine Sensation der Biedermeierzeit, trug bereits alle Züge des neuen Verkehrssystems Eisenbahn. Sie wird in der Lite­ ratur häufig nur als „Experimentier- oder Probebähnchen“ behandelt, doch als sie entstand, blickten alle deutschen Eisenbahn-Komitees erwartungsvoll auf dieses erste Beispiel. Die Träger der Initiative, Nürnberger und Fürther Bürger, waren sich der innovativen Bedeutung ihres Unternehmens bewußt. Sie gingen mit großer Sorgfalt zu Werke. Sie und ihre Kritiker hielten jede Phase des Projekts in umfangreich überliefertem Material fest. Der Beitrag behandelt das Thema soweit als möglich aus der Sicht der an der Projektierung, Herstellung und Beschreibung der Anlage beteiligten Augen­ zeugen. Die Quellen stehen im Vordergrund. Sie zeigen, wie ambivalent Men­ schen der 1830er Jahre ihre Umwelt erlebt und gestaltet haben. Sie sollen zu Wort kommen, mit ihren Schwächen, ihrem Hang zum Pessimismus, der gepaart war mit dem Willen zur Veränderung, zur umfassenden Verbesserung der Lebensverhältnisse.1 Die hervorragende Quellenlage gestattet den authentischen Blick in die Auf­ bruchsphase des Industriezeitalters. Die Eisenbahn brachte eine gewaltige Ver­ änderung im politischen, wirtschaftlichen und sozialen Bereich. Mit der Lud­ wigseisenbahn begann eine der faszinierendsten Epochen der neueren Geschichte: die Frühzeit der Eisenbahnen. 1 Am Tage nach der Eröffnung der Nürnberg-Fürther Eisenbahn erschien im „Nürnberger Friedens- und Kriegskurier“ über das Ergeignis der 30er Jahre ein Bericht, der zugleich eine Wertung des Unternehmens darstellte: 1 Mit diesem Aspekt rechtfertigt Verf. sein Unterfangen, der Vielzahl der Publikationen eine neue hinzuzufügen, wird doch über die Ludwigseisenbahn „seit dem Tag ihrer Eröffnung am 7. De­ zember 1835 unendlich viel gedichtet und berichtet, geschrieben und phantasiert und neuerdings in Ton und Bild gesendet“ (H. H. Hofmann). Zur Literatur bis 1965 s. Wilhelm Müller, Schrifttum zur Verkehrsgeschichte Frankens und der angrenzenden Gebiete, Nürnberg 1965. Neuere Arbeiten: Wolfgang Mück, Deutschlands erste Eisenbahn mit Dampfkraft. Die kgl. priv. Ludwigs-Eisenbahn zwischen Nürnberg und Fürth, Fürth 1968; Carl Asmus, Die Ludwigs-Eisenbahn, Zürich 1984 (hervorragende Bebilde­ rung); Ulrich Otto Ringsdorf, Der Eisenbahnbau südlich Nürnbergs 1841 — 1849, Nürnberg 1978; zur Epocheneinteilung s. Horst Weigelt, Epochen der Eisenbahngeschichte, Darmstadt 1985.

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„Die Eröffnung der Ludwigs-Eisenbahn hat am 7. Dez. morgens 9 Uhr mit den durch das Programm festgesetzten Feierlichkeiten, unter dem Zuströmen einer unermeßlichen Volksmenge und — soviel bis jetzt bekannt ist — ohne irgend einen Unfall statt gefunden. Auf das gegebene Signal eines Kanonen­ schusses setzte sich die Lokomotive in Bewegung, und nach wenigen Augen­ blicken flog sie mit neun angehängten, mit bayerischen Fahnen gezierten Wagen, auf denen die eingeladenen Honoratioren, Gäste und Aktionäre Platz genommen hatten, dahin. Eine Stunde darauf erfolgte die Rückkehr von Fürth und sodann eine zweite und nachmittags 1 Uhr eine dritte Fahrt mit der glei­ chen Wagenzahl. — Aus dem am 6. erstatteten Direktorialbericht geht hervor, daß der Gesamt­ aufwand für die Herstellung der Bahn nebst allen dazu erforderlichen Einrich­ tungen sich auf 176 000 fl beläuft, so daß neben den früher kreierten Aktien von 150 000 fl noch weitere 26 000 fl anzuschaffen sind, deren Aufbringung indessen bei der regen Teilnahme für das Unternehmen um so weniger Zwei­ feln unterworfen sein kann, als schon unmittelbar nach dem Schlüsse der Ver­ handlungen für etwa 12 000 fl neue Aktien gezeichnet wurden. — Somit sehen die beiden Nachbarstädte Nürnberg und Fürth zuerst im deut­ schen Vaterland eine Idee verwirklicht, die noch vor wenigen Jahren bei uns ins Reich der Chimäre gehörte, sie sehen ein Werk ins Leben treten, das bei seiner zweckmäßigen Anlage und vollendeten Ausführung jedem ähnlichen Unternehmen des Auslandes sich an die Seite stellen darf, ein Werk, das als bleibendes Denkmal von Gemeinsinn wie von männlicher Ausdauer seitens der Mitwirkenden bis zu den fernsten Zeiten sich bewähren wird.“2 Sieht der heutige Leser vom Enthusiasmus des begeisterten Augenzeugen ab, bleibt dennoch ein Gutteil Stolz auf eine epochale Leistung. Hervorge­ hoben ist die Beharrlichkeit, mit der die Gründer der ersten deutschen Eisen­ bahn allen Behinderungen zum Trotz ihre Idee durchgesetzt hatten. Denn Hindernisse hatte es viele gegeben: im organisatorischen, rechtlichen und im technischen Bereich. Konnten die Initiatoren anfangs der Unterstützung durch den Staat sicher sein, so mußten sie bald das Gegenteil feststellen. Auf den Gründungsaufruf hatte die Oberste Baubehörde überaus positiv reagiert: „Es ist eine erfreuliche Erscheinung, den deutschen Unternehmungsgeist endlich erwachen zu sehen, um ein gemeinnütziges Unternehmen dieser Art auszu­ führen, und es ist zu wünschen, daß von der Regierung demselben alle Begün­ stigungen zuteil werden, welche die Ausführung fördern und erleichtern können.“3

2 Zur Bewertung des Ereignisses s. Ingeborg Stöpel, Nürnbergs Presse in der ersten Hälfte des 19. Jh.s, Nürnberg 1941, S. 40f. 3 Mück, S. 60; VM Nürnberg, MdI 4079, S. 17/18.

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Neben den Beschaffungsschwierigkeiten bezüglich des Schienenmaterials im gesamten Gebiet des Deutschen Bundes gab es keine Firma, die Erfah­ rungen im Walzen der Schienen besaß — und des Dampfwagens4, dem verzö­ gerten Grunderwerb war auch die stets nur befristete Beurlaubung des staat­ lichen Bauingenieurs, des einzig kompetenten bayerischen Technikers, Paul Camille Denis, Grund für den Bauverzug; hinzu waren noch langwierige Aus­ einandersetzungen mit den Zollbehörden wegen der Einfuhr englischer Musterstücke gekommen. Georg Zacharias Platner, Initiator und erster Direktor der Gesellschaft5, rechtfertigte im September 1835 die wiederholte Verschiebung des Eröffnungstermins der Ludwigseisenbahn unter Hinweis auf diese fehlende Unterstützung. Aufgefordert, der Kreisregierung in Ans­ bach binnen 24 Stunden Bescheid zu geben, antwortete er: „. . . zeigen wir hiermit ehrerbietigst an, daß von der ca. 21 000 Fuß langen Ludwigs-Eisen­ bahn 16 000 Fuß bereits vollendet sind, und daß die noch übrigen 5000 Fuß in einigen Wochen vollendet werden. Da sich der erforderliche Dampfwagen auf dem Wege hierher befindet, und auch die noch weiteren Vorbereitungen getroffen sind, so zweifeln wir nicht, die Eisenbahn Anfangs Novbr. eröffnen zu können. Übrigens wäre die Bahn schon bis Ende August (geplanter Eröff­ nungstermin, Nationalfeiertag) fertig geworden, wenn wir nicht durch die höchst schwierigen u. mühevollen Verhandlungen über die Acquisition eines Expropriations-Gesetzes so sehr aufgehalten worden wären, daß wir das letzte Stück Feld .... erst in der vorigen Woche mit großem Opfer eigenthümlich erwerben konnten. Die Erfahrungen . . . überzeugen uns, daß ohne ein zweck­ mäßiges Expropriations-Gesetz an weitere Unternehmungen dieser Art in Bayern nicht zu denken sey.“6

4 Vgl. Claudia Kleppmann, Erwerb der „Ersten Deutschen Eisenbahn“ und ihr Transport von England nach Nürnberg, in: Fürther Heimatblätter 2/1975; die Experten Baader und List spra­ chen sich gegen die Konstruktionsart aus, List z. B. befürwortete in einem Brief an den Fürther Kaufmann Meyer die leichtere amerikanische Bauweise (1. 12. 1833); ähnlich äußerte er sich gegenüber Platner (21. 3. 1834); beide Briefe abgedruckt bei: Rudolf Hagen, Die erste deutsche Eisenbahn mit Dampfbetrieb, Nürnberg 1885. 5 Lebensbilder der am Eisenbahnbau beteiligten Nürnberger (Platner, Scharrer, Binder, Leuchs, Kuppler, Spaeth etc.) in: Berühmte Nürnberger aus neun Jahrhunderten, hrsg. v. Chr. v. Imhoff, Nürnberg 1984; zur Kontroverse um die Urheberschaft der Bahn und die Entstehung der „Scharrerlegende“ vgl. Mück, Kap. 12b; Scharrers Rolle bei den Zollvereins-Verhandlungen in Berlin, Bekanntschaft mit Technikern s. Ludwig Zimmermann, Die Einheits- und Freiheitsbe­ wegung und die Revolution 1848 in Franken, Würzburg 1951, S. 165 f.; Dieter Dreßler, Johannes Scharrer, Namenspatron, aber auch Gründer unserer Schule - und nicht nur das, in: 150 Jahre Johannes-Scharrer-Gymnasium Nürnberg, Nürnberg 1984. 6 Zur Entwicklung einer entsprechenden Gesetzgebung in Bayern und den anderen Staaten des Deutschen Bundes s. Toni Liebl, Anstoß zur Modernisierung, Der Eisenbahnbau als Rechts­ und Verwaltungsproblem, in: Zug der Zeit 1, S. 95f; zum Vorgang selbst StdN, HR 17519, S. 19 und „Der Korrespondent von und für Deutschland“ vom 11. 1. 1836, 20. 1. und 26. 1. 1836.

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13 450 Gulden betrug — wie der Geschäftsbericht des Jahres 1836 ausweist — der Mehraufwand beim Grunderwerb, ein Opfer gegenüber „Eigennutz und Eigensinn“; die staatlichen Behörden hatten nicht geholfen, obgleich es in ihrer Macht gelegen wäre und sie um Unterstützung angegangen worden waren.7 „Wenn erwogen wird“, so fährt Platner fort, „daß wir den Bau unserer Bahn erst im März d. J. beginnen konnten, daß der denselben leitende Ingenieur Denis 2 Monate lang krank und abwesend war, daß die Arbeiter erst unter­ richtet werden mußten u. daß das erforderl. Eisenwerk in Deutschland vorher noch nirgends verfertigt worden war u. die Eisenwerke sich erst in dessen Her­ stellung nach gegebenen Anleitungen und Modellen zu versuchen hatten“, sei die Bahn rasch fertiggestellt worden. Sehr ausführlich hatte die Nürnberger Presse das Publikum über den Bau­ fortschritt unterrichtet. Der Lesehunger an Eisenbahnnachrichten war schier unersättlich, war man doch Augenzeuge einer Neuerung, die beispiellos war. Aufmerksam verfolgten die Leser den abenteuerlichen Transport des in über 100 Teile zerlegten Dampfwagens von Newcastle über Rotterdam nach Köln und von da an auf dem Landweg weiter über Offenbach nach Nürnberg. Der Gespannzug von acht Lastfuhrwerken wurde begleitet von dem englischen Techniker und künftigen Dampfwagenlenker William Wilson. Selbst die Stadt­ chronik hielt dieses Ereignis fest: „Am 25. October Samstags kam der engli­ sche Ingenieur Wilson hier an . . . zur Leitung der hiesigen Eisenbahn und Beaufsichtigung des dazu erforderlichen Dampfwagens.“8 Minutiös wurde der Zusammenbau und das „Einfahren“ der Bahn festgehalten: „16. Novbr. wurde der erste Versuch mit der Dampfmaschine auf der Eisen­ bahn vorgenommen, welche zur Zufriedenheit sehr vieler Zuschauer ausge­ fallen ist. 21. Novbr. wurde die erste Probefahrt mit der Dampfmaschine mit Trans­ portwägen auf der Eisenbahn gemacht. Der Zug bestand aus 5 Wägen mit ungefähr 300 Personen ohne die Maschine mit ihrem Kohlewagen. Die Maschine bewegte sich anfangs langsam, legte aber mit gesteigerter Kraft die 21 000 Fuß lange Bahn in 12—13 Minuten zurück. Am 3. Dzbr. fanden 3 Fährten mit Dampfkraft auf der Eisenbahn statt, an welchen jedermann theilnehmen konnte. Für Hin- und Rückfahrt und für alle Plätze gleich wurde 36 Kreuzer bezahlt. Der Ertrag wurde für die Armen in Nürnberg und Fürth bestimmt.“9 Diese Probefahrten des Dampfwagens riefen einen ungeheueren Zulauf an Neugierigen hervor, und so ließ sich absehen, daß auch die Eröffnung der Bahn viele Zuschauer anlocken würde. Hatte das Direktorium der Ludwigsei7 Zur Frage der staatlichen Unterstützung s. Max Beckh, Deutschlands erste Eisenbahn Nürn­ berg-Fürth, Ein Werk von Tatkraft und Gemeinsinn, Nürnberg 1935, S. 117. 8 Chronik von Nürnberg von Georg Lorenz Roth, Bd. IV (1834-1840), S. 566. 9 Amberger-Chronik, Bd. VI, S. 16.

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senbahn noch geglaubt, den Ansturm mit Hilfe der Landwehr der beiden Städte unter Kontrolle halten zu können, drängte der Nürnberger Stadtma­ gistrat nach diesen Erfahrungen auf den Einsatz von Infanterie und Kavallerie, um „öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit“ zu gewährleisten und den „Zudrang der Neugierigen abzuwähren“.10 Denn bei den Probefahrten waren zum Unwillen der Polizeibehörden chaotische Zustände aufgetreten: „. . . die Anordnungen und Bekanntmachungen der Polizeibehörde wegen Betretens und Annäherns an die Eisenbahn (wurden) höchst freventlich beiseite gesetzt, und nicht nur einzelne, sondern wohl Hunderte von Zuschauern befanden sich auf der Eisenbahn, und selbst im Vorbeifahren der Wägen derselben sich näherten und sich der Gefahr des Überfahrenwerdens so mutwillig aus­ setzten“. Da auch die Grundstücksanrainer das Zertrampeln der Wintersaat beklagten, wurden Strafen festgesetzt, die von 30 Kreuzern (mehr als der Tageslohn eines beim Bau beschäftigten Arbeiters) bis zu 1 Gulden 30 Kreuzer reichten; für den Wiederholungsfall wurden Arreststrafen angedroht. Groß war der Andrang auf die raren Ehrenplätze, die den Aktionären und den Behördenvorständen Vorbehalten waren; und die Tatsache, daß der Nürn­ berger Magistrat nicht zu den Eröffnungsfeierlichkeiten geladen war, führte zu einer Anfrage im Ratsgremium und zur Versicherung der Eisenbahnpioniere, „durchaus keine Veranlassung zur Beleidigung geben zu wollen“.11 Mag sein, daß auch die mangelnde Unterstützung durch den Magistrat zu Beginn des Jahres 1833 Ursache für die Nichtberücksichtigung gewesen war, denn in seiner Sitzung vom 11. Januar hatte das hohe Gremium bezüglich des Aufrufs zur Gründung einer Eisenbahn von Nürnberg nach Fürth in der Plenarsitzung den Entschluß gefaßt: „Beruht auf sich“.12 Auch in Fürth war die Unterstüt­ zung des Projekts zunächst auf den Bürgermeister von Bäumen und die Kauf­ leute H. F. Meyer und J. W. Reißig beschränkt geblieben, Breitenwirkung wurde trotz vieler Aufrufe nicht erreicht. Vor allem das jüdische Kapital hatte sich, wohl aus Rücksicht auf das Fuhrgewerbe, zurückgehalten.13 Alle Widrigkeiten der Bauzeit traten am Vorabend der Eröffnung nochmals deutlich in Erscheinung in der Aktionärsversammlung im Nürnberger Rat­ haus. Nach dem Rechenschaftsbericht der beiden Direktoren der Bahn, Platner und Scharrer, beschloß die streckenweise tumultartig verlaufende Ver­ sammlung eine Aufstockung ihres Grundkapitals. Über die Frage der aus­ schließlichen Verwendung der Dampfkraft kam es zu einem handfesten Krach, 10 11 12 13

StdN, HR 17519, S. 46. StdN, Plenarsitzungsprotokolle 1835/36, S. 124; HR 17519, S. 55f. Ebd., Protokolle 1832/33, S. 150. Aus den Geschäftsberichten der LEB (Nr. 1 bzw. Nr. 4) geht hervor, daß noch vor Eröffnung der Bahn weitere Fürther Aktionäre hinzugekommen waren: Billing, Königswarter, Wert­ heimer, Berolzheimer usw.; s. Mück, S. 64.

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dem Rücktritt des Direktoriums, einem Schlichtungsversuch mit Einsetzung eines Rechnungsprüfungs-Ausschusses und schließlicher Wiederwahl der füh­ renden Mitglieder des bisherigen Direktoriums - der Eklat einer Eröffnung ohne offizielle Vertretung konnte gebannt werden. Ein glänzendes Festbankett im geräumigen Patrizierhause Platners beschloß den turbulenten Tag, an dessen Ende „im Kreise froher Teilnehmer“ ein Rundgesang stand. Nach der Melodie „Freude, schöner Götterfunke“ feierte man das gemeinsam vollendete Werk: Seht den schönen Tag uns nahen, Der ein großes Werk beschließt, Das wir froh entstehen sahen Das uns Allen theuer ist. Eintracht fügte still die Hände Zu dem segnenden Verein, Und das Ganze krönt das Ende Mit dem herrlichsten Gedeihn. Eintracht ist das starke Siegel Auf des Bürgerlebens Glück, Segen strömt aus ihr zurück, Sie giebt festem Willen Flügel.14 2 Befreit von der „Sorge für das Gelingen einer Sache, deren Wesen und Resultat am Ende doch nur geahnt und von niemand mit Sicherheit bestimmt werden konnte“, wurde am 7. Dezember 1835 die Eröffnung der ersten deutschen mit Dampfkraft betriebenen Eisenbahn feierlich zelebriert. Dies geschah im vollen Bewußtsein der geschichtlichen Tragweite des Ereignisses. Und das Echo auf die Inauguration des deutschen Eisenbahnzeitalters war nicht nur in Deutsch­ land gewaltig.15 Freudige Erregung hatte die ungeheuere Zahl der Zuschauer und Akteure ergriffen, geradezu rührend mutet das Bemühen der von überall her angerei­ sten Korrespondenten an, ihren Lesern ein adäquates Bild des Beginns des deutschen Eisenbahn-Zeitalters zu geben, vor allem aber die Attraktion der Unternehmung, den Dampfwagen, in seiner Wirkung und Funktionsweise zu 14 Als Druck erschienen bei Campe (StdFü IX/180); eine Sammlung von Eisenbahn-Gedichten der Eisenbahn-Frühzeit gibt weitere Informationen über die rege geistige Auseinandersetzung mit dem neuen Verkehrssystem: „Setz dich auf die Eisenbahn . .Allerlei alte Gedichte und neue Bilder über die Ludwigsbahn, gezeichnet von Barbara Fürstenhöfer, gesammelt, ausge­ wählt und mit einem Nachwort versehen von Wolfgang Mück. Neustadt an der Aisch 1985. 15 Vgl. Glaser/Neudecker, Die deutsche Eisenbahn, Bilder aus ihrer Geschichte, München 1984, S. 250, Anm. 13 (Zeitgenössisches Echo).

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beschreiben. Es war ein Tag, an den sich hohe Erwartungen knüpften. Mit Befriedigung vernahmen die versammelten Ehrengäste die Worte des rang­ höchsten kgl. Beamten, des Regierungspräsidenten von Stichaner: „Die Stadt Nürnberg bleibt bestimmt, das Emporium des Welthandels in der Richtung beider Weltgegenden zu bilden; in seiner Mitte sieht der Rezatkreis zur Beförderung des Handels unter königlichem Schutz die ersten Eisen­ bahnen entstehen, welche bereits die Aufmerksamkeit und die Nachahmung in ganz Deutschland rege gemacht haben. Wir wollen daher heute nicht bloß eine Preisverteilung für die Produkte der Industrie, wir wollen zugleich ein Dank­ fest feiern, wir wollen zugleich unserem König für seine weisen Maßregeln zur Emporbringung des Handels und der Industrie ein würdiges Dankopfer bringen . . .“16 Wurde auch der Beitrag des Kgl. Hauses überbetont - ganze 200 Gulden hatte die Zeichnung auf Kosten des Staats-Aerars betragen und die Bezahlung war erst nach mehrmaliger Mahnung erfolgt —, so zeigten die Worte dennoch die wohlwollende Duldung des Projekts durch den Monarchen. Sie eröffneten neue Perspektiven für die Realisierung eines vom Anfang an mit der Probe­ bahn verbundenen Zieles: der Verbindung von Main und Donau, der großen Continental-Eisenbahn zwischen Ost und West, Okzident und Orient.17 Der Referent des Ludwigseisenbahn-Direktoriums, Scharrer, faßte in dem 1836 erschienen Geschäftsbericht diese Erwartungen zusammen: „Der Gedanke, die Erfindung der Eisenbahnen mit Dampfkraft auf deut­ schen Boden zu verpflanzen, wurde zuerst in derjenigen deutschen Stadt rea­ lisiert, welche in früheren Jahrhunderten die Mutter zahlreicher Erfindungen im Gebiete der Kunst und Industrie war und auch im 15. Jahrhundert bei Erfindung der Buchdruckerkunst unter allen Städten Deutschlands zur Ver­ breitung derselben am meisten beigetragen hatte. Deutschlands erste Eisen­ bahn gewährt ein doppeltes Interesse, weil sie, von einem deutschen Baumei­ ster ausgeführt, völlig gelungen ist, ihrem Zweck voll entspricht und zu viel größeren Unternehmungen den Impuls gegeben hat, und dann weil sie einen Bestandteil der großen Komunikationslinie bildet, die den europäischen Kon­ tinent von Westen nach Osten in seiner ganzen Breite durchschneidet und an die Küste Asiens führt. Das, was noch vor einem Jahre bloß als die Geburt einer patriotischen Phantasie angesehen wurde, die kürzeste und sicherste Ver­ bindung des Okzidents mit dem Orient auf dieser Linie, eilt schon jetzt mit raschen Schritten zur Verwirklichung. Die Fortsetzung der Ludwigs-Eisen­ bahn in ihren beiderseitigen Richtungen gegen den Main (nach Bamberg) und gegen die Donau (nach Donauwörth) hat die Genehmigung der kgl. Staatsre16 Stöpel, S. 118. 17 S. Prospectus und Vorschlag zu Anlage einer großen Continental-Eisenbahn etc. von Schaffer, Cassel o. J.

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gierung erhalten; die zur Herstellung der Dampfschiffahrt auf der Donau von Regensburg nach Wien und von Ulm nach Regensburg gebildeten Gesell­ schaften haben bereits die erforderlichen Geldmittel aufgebracht; eine Gesell­ schaft für die Herstellung der Dampfschiffahrt auf dem Main von Mainz oder Frankfurt bis Würzburg oder Bamberg dürfte so bald ins Leben treten, als die bayerische Staatsregierung den gefaßten Beschluß, den Mainstrom zu rektifi­ zieren und reinigen zu lassen, zum Vollzug bringt. Die Dampfschiffahrts-Gesellschaft in Wien, die schon im vorigen Jahre den Weg von Pest nach Kon­ stantinopel in 10 Tagreisen möglich machte, wird in wenig Jahren ihr großes Werk vollenden, und dann wird der deutsche Binnenkontinent sein seit 3 Jahr­ hunderten durch die Seeschiffahrt immer mehr geschmälertes Recht der Teil­ nahme an dem Handel des Orients vindizieren, und die Dampfschiffahrt und Eisenbahnen werden den durch den Zoll- und Handelsverein eng verbundenen deutschen Binnenstaaten den Völkerverkehr wieder zuführen, den ihnen die Umschiffung des Vorgebirgs der guten Hoffnung und eine verkehrte Handels­ politik entzogen hatte. England dürfte den schon lange durch das Mittelländi­ sche und Rote Meer gesuchten kürzeren Weg nach Ostindien nun eher über Ostende, Brüssel, Köln, Frankfurt am Main, Würzburg, Nürnberg, Regens­ burg, Wien, Pest, Gallacz, durch das Schwarze Meer, Sinope, nach dem Euphrat und durch den Persischen Meerbusen finden.“ Vor dieser kühnen Vision wird das sprunghafte Ansteigen des Kurswertes der Ludwigseisenbahn-Aktien erklärbar: Mitte Janurar 1836 stand er auf 126 Gulden für eine 100-Gulden-Aktie, lag am 18. Januar bei 180 %, am 24. Januar bei 260 %, am 24. März bei 310 %.18 Neue Projekte wurden beraten. Schon am 1. Dezember 1835 hatte die in Nürnberg erscheinende „Allgemeine Zeitung von und für Bayern“ von ersten Wirkungen der Ludwigs-Eisenbahn berichtet: „Die Idee einer Eisenbahn zwischen München und Augsburg elektrifirt alle Gemüther. Sie ist das allgemeine Gespräch. Herr von Rothschild hat sich an die Spitze der Unternehmungen gestellt; in vier Jahren soll die Bahn fix und fertig seyn.“ Am 9. Januar 1836 nahmen die Augsburger Bankiers Paul von Stetten, Theodor von Fröhlich und der Fabrikbesitzer C. Förster an einer Direktorial­ sitzung der Nürnberg-Fürther Gesellschaft teil, in welcher der durch den König bereits genehmigte Bau einer Eisenbahn zwischen München und Augs­ burg und eine Verbindung Nürnberg und Augsburg besprochen wurde. Die am 3. März 1836 begonnene Aktienemission für eine Bahn nach Bamberg — auf 2 Millionen Gulden veranschlagt, getragen von den Initiatoren der Lud18 Alle Belege Amberger-Chronik, S. 187, 191, 192, 203, 209; Zur weiteren Kursentwicklung s. Julius Michaelis, Deutsche Eisenbahnen, Ein Handbuch für Geschäftsleute, Capitalisten und Speculanten, Leipzig 1859, S. 37/38 u. 62.

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wigseisenbahn, den „Unternehmern (!) Bürgermeister Binder, Kaufmann Scharrer, Marktvorsteher Merkel, Marktvorsteher Platner, Buchhändler Main­ berger, Kaufmann und Magistrats-Rath Schroll“ — mußte am 10. März, nach nur einer Woche, geschlossen werden; wegen Überzeichnung wurde eine Reduzierung der Anteile beschlossen.19 Diese Zeichnung war in Anbetracht der bayerischen Kanalbaupläne etwas zögerlich vonstatten gegangen, ver­ gleicht man sie mit der Emission der Nürnberg—Augsburger Verbindung: an einem einzigen Vormittag „war eine Summe von zwei Millionen Gulden und darüber unterzeichnet“.20 Kein Wunder, daß der Ministerrat sich anfangs Februar ausführlich mit dem Thema Eisenbahnbau und Agiotage befaßte. Ein bayerisches Eisenbahn-Netz wurde beraten. Zustimmung fanden die Süd-Nord-Magistrale (Lindau—Augs­ burg—Nürnberg—Bamberg—Hof mit Anschluß nach Leipzig), die Verbin­ dungen nach Vorarlberg und von Ulm über Augsburg und München nach Salzburg und weiter nach Trient (Ost—West bzw. Süd—Verbindung). Abge­ lehnt wurden Konkurrenzstrecken zu bestehenden oder geplanten Wasser­ straßen: die Rheinparallele und die Strecke von Würzburg nach Regensburg.21 Auf letztere hatten die Amberger Kaufleute gesetzt, als sie sich über den Regie­ rungspräsidenten des Regenkreises an den König gewandt und um Unterstüt­ zung gebeten hatten: „Mit wahrem Enthusiasmus hat man bereits in unserem Vaterlande die Idee aufgegriffen, durch Errichtung von Eisenbahnen dem Handel und der Industrie einen Umschwung zu geben“.22 Die Initiative, Handel und Gewerbe zu fördern, blieb trotz aller hochflie­ gender Pläne der staatlichen Behörden noch einige Zeit beim Bürgertum. Doch auch in seinen Reihen gab es nicht wenige, die den Aktienhandel ablehnten: „Der Himmel hat unser schönes Vaterland vor jener verheerenden Seuche, der Cholera, verschont, möge er uns auch vor dieser neuen noch schrecklicheren Seuche des Aktienwuchers bewahren“, so in einer 1836 anonym in Erlangen erschienenen Schrift.23 Der quiescierte Erlanger Staatswissenschaftler, Pro19 Amberger-Chronik, S. 200; von Spekulationen berichtet auch der „Korrespondent“ am 8. 12. 1835 (Aktiensumme, Beteiligung Rothschilds, Bausoldaten etc.). 20 Roth, IV, S. 46. 21 MGHA, Nachlaß Ludwig I, ARO 24; Ringsdorf, S. 42. 22 Ebda., Nachlaß Ludwig I. 23 Ideen über die Eisenbahnen in Bayern und deren Gefahren für das Bayerische Vaterland und für ganz Teutschland, Erlangen 1836; gegen solche Befürchtungen wendet sich die „Bayerische Dorf-Zeitung“ am 8. 3. 1836. Unter der Überschrift „Ein Wort über den jezigen Stand der Eisenbahn-Aktien“ stand zu lesen: „Ueberall bilden sich Aktiengesellschaften für Eisenbahnunternehmungen, und überall werden die Aktien dafür gesucht, und mit hohem Aufgeld bezahlt! Hieraus wollen manche Besorgliche den Schluß ziehen, „daß es damit kein gutes Ende nehmen könne, daß zu viel darin gethan würde u. dgl. m.“ Dieß ist aber eine durchaus unrichtige Schlußfolge. Die Furcht vor dem „Zuvielthun“, so richtig sie bei Waarenspekulationen, bei Staatsanleihen u. dgl. m.

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fessor Alexander Lips, 1833 mit einer Schrift gegen Eisenbahnen hervorge­ treten, wußte nun, 1836, das Lob der bürgerlichen Eisenbahnpioniere gar nicht hoch genug zu schätzen. Mit der Ludwigseisenbahn sei der Beweis dafür erbracht, daß der Bürger weitaus besser als der Staat in der Lage sei, ein Groß­ projekt rasch und erfolgreich zu planen und zu realisieren: „Die Nürnberg-Fürther Eisenbahn hat nämlich gezeigt, daß große wirt­ schaftliche und technische Unternehmungen, wie diese, und von welchen man bisher irrigerweise glaubte, daß ihnen nur die Kraft und Einsicht des Staats gewachsen sey, mit vollem Vertrauen der Nationalkraft überlassen werden können und überlassen werden müssen, wenn sie rasch, gut und zugleich nütz­ lich für die allgemeine Thätigkeit und wuchernd für die Geldkräfte und Capitale des Volks ausgeführt werden sollen; sie zeigt, sie beweist, daß auch der Bürger etwas schaffen und leisten kann, ja Dinge der Art besser schafft als der Staat, dem weder die moralischen noch pecuniären Kräfte des Privatmanns zu Gebote stehen und der, an sich arm, wenigstens augenblicklich für außeror­ dentliche Zwecke die Mittel nicht besitzt, und daher, wo nicht schlecht, doch nur äußerst langsam, etwas der Art zu Stande bringen kann. Die NürnbergFürther Eisenbahn ist in Deutschland das erste neuere öffentliche Werk, durch Privatkraft ausgeführt, und zwar rasch, trefflich und ohne alle Nebenhülfe aus­ geführt. Hier hat kein Jahre langes Deliberiren und collegialisches Berathen die That aufgehalten; hier hat nichts ,geruht, gehängt und gelegen"; hier haben nicht Hand- und Spanndienste unentgeldlich mitwirken müssen; hier war kein karger Lohn dem Schweiß des Arbeiters zugemessen — hier haben nicht Ent­ würfe und Pläne sich gejagt und verdrängt — hier ist kein Theil der Mittel nebenhin gegangen und an der Hand eigennütziger Commissäre und Subal­ ternen kleben geblieben — hier hat nicht eine kostbare Aufsicht und Verwal­ tung den besten Theil der Kräfte absorbirt und durch complicirtes Zusammen­ wirken verschiedener Behörden erst das Ganze langsam und allmählig in Gang bringen müssen; das alles war vielmehr nur das Werk eines Augenblicks, und der Lohn für unermüdete Thätigkeit und Anstrengungen war einzig und allein die Ehre, das Vertrauen der Mitbürger.“24 Wie der liberale Staatswissenschaftler zeigte sich auch Karl von Hailbronner noch im Jahre 1837 verwundert über die Kühnheit und Zielstrebigkeit der Nürnberg-Fürther Eisenbahngründer: „Diese die Welt umgestaltende Erfinunstreitig ist, so wenig anwendbar ist sie auf Eisenbahnunternehmungen. Auf diese wirkt im Gegentheil die Vielheit wohltätig auf jede einzelne, denn je allgemeiner das System dieser Wegver­ bindung sich verbreitet, je mehr eine Bahnstrecke sich der andern anschließt, desto größer wird die überall dadurch hervorgerufene Personenfrequenz werden, während eine Vermehrung des Waarentransports gleichfalls nicht ausbleiben kann.“ 24 Alexander Lips, Die Nürnberg-Fürther Eisenbahn in ihren nächsten Wirkungen und Resul­ taten, Eine staatswirtschaftliche Perspektive, Nürnberg 1836, S. 37.

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düng war uns erst vor drei Jahren nähergerückt worden, und desto kühner erscheint die Idee bloßer Privatleute, die neue Bahn zu brechen, wobei der Unglaube des großen Haufens und die Vorurteile der sich beeinträchtigt Glau­ benden nur schwer zu bekämpfen waren“.25 Aus Hannover hatte der bayerische König 1834 die Kunde vernommen, die dortige Regierung zeige — wie auch die preußische — keinerlei Eile beim Eisenbahnbau. Sie sehe vorrangig die Gefahren, die aus einem billigeren Trans­ port für die heimische Industrie entstünden, befürchte eine Verschärfung des „Unheils der Proletarier“, „Maschinengläubigkeit“ und soziale Veränderung, „ein verhältnismäßiges Anwachsen der Population, schlimme Dinge, Gracchische Projecte, ein agrarisches Gesetz“.26 In einem noch weitgehend agrarisch bestimmten Land, an dessen Spitze ein fortschrittsfeindlicher Monarch stand, mußten diese Warnungen des Gesandten von Hormayr schon vorhandene Befürchtungen verstärken. Wer sich noch nicht, wie der hellsichtige Baron, mit den Wirkungen der Eisenbahnzukunft beschäftigt hatte, begegnete spätestens nach der Eröffnung der fränkischen Teststrecke dem Selbstbewußstein einer neuen Zeit: „Eisenbahnen! Eisenbahnen! Und wieder Eisenbahnen! — Das ist das Tagesgeschrei unserer Zeit. Kaum aber haben uns die Nürnberger mit ihrer Eisenbahn die Lust zur Errichtung mehrer solcher eingeflößt, so schreit schon wieder ein großer Haufe: ,Die Eisenbahnen ruinieren einmal alles!* So geht’s in der Welt! Immer nur hübsch beim alten Schlendrian bleiben; das ist ein herr­ liches Ding! . . . ,Ei, die Eisenbahnen sind doch nur für die reichen Leute da!* schreit wieder ein anderer, ,wir armen Teufel werden keinen Nutzen davon haben!* Das ist nicht wahr; denn ohne die armen Teufel könnten die reichen Teufel nie auf einer Eisenbahn fahren, weil gerade die armen Teufel die Eisen­ bahnen bauen, das heißt daran arbeiten müssen — und daß die Arbeiten bei den Eisenbahnen nie aufhören werden, ist so natürlich, als die Flickschuster immer zu tun haben.“27 Nimmt es wunder, daß sich die Staatsbehörden mit einem „canalomanen“ König an der Spitze abwartend, ja ablehnend verhielten? Trotz aller Ergeben­ heitsadressen in Richtung Herrscherhaus wußten die Bürger um die repressive Bayerische Eisenbahnpolitik. Meyers Konversations-Lexikon gab Auskunft: „Bayern hat den Ruhm Nürnbergs, die erste Eisenbahn in Deutschland gebaut zu haben, nicht zeitig zum Ruhm des Staates zu machen gewußt. Erst jetzt, nach langem Widerstreben und nachdem es den Mut der Privatspekula­ tion durch die lästigsten Konzessionsbedingungen jahrelang niedergebeugt 25 Karl von Hailbronner, Cartons aus der Reisemappe eines deutschen Touristen, Stuttgart und Tübingen 1837. 26 MGHA, K.schw.597/55; Stellungnahme des bayerischen Gesandten v. Hormayr. 27 Bayerische Dorf-Zeitung Nr. 23 vom 23. 2. 1836.

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und systematisch erstickt hat, wechselt es das System und steckt an dem neu entdeckten Strand des Heils die königliche Flagge auf. — Als wär es erwacht aus tiefem Schlafe, so greifts jetzt, nach Art seines Steuerers energisch und gebieterisch, ein, und sucht einen Platz in der vordersten Reihe derjenigen Staaten, welche für die Einführung der Eisenbahnen und die Erwerbung ihrer unermeßlichen Vorteile wirksam sind“. Es hatte nur wenig geholfen, daß zwei einflußreiche Befürworter sich positiv über Eisenbahnen geäußert hatten: Leo von Klenze, Vorstand der Obersten Baubehörde, und Freiherr von Pechmann, der Architekt des Ludwig-DonauMain-Kanals. Pechmann wie Klenze hatten keine Interessenskollision der beiden Verkehrsmittel Eisenbahnen und Kanäle — wie andere Staatsdiener sie bescheinigten — Voraussagen können.28 3 Viele Nürnberger und Fürther Fuhrleute sahen die Konkurrenz auf der Schiene als existenzbedrohend an. Am 24. März 1836 sandten die sämtlichen 27 Nürnberger „Lohnrößler“ eine Vorstellung an den König, beklagten die traurige Gewißheit ihrer Verarmung und verlangten Berücksichtigung der „wohlerworbenen Rechte der Privaten“, d. h. die Auflage, „daß den Eisen­ bahn-Unternehmern werde zur Pflicht gemacht werden, namentlich uns dafür, daß sie uns die Ausübung unserer Rechte fortan unmöglich machen, gebüh­ rend zu entschädigen“.29 War auch nicht jeder Lohnkutscher so fix, wie jener Martin Herbst, der auf die Bedrohung durch das neue Verkehrsmittel mit einem Antrag an den Nürnberger Stadtmagistrat reagiert hatte, einen Zubrin­ gerdienst zur Eröffnung der Ludwigseisenbahn einrichten zu dürfen und die Genehmigung mit der Auflage erhielt, ein Schild „Fiaker zur Eisenbahn“ auf seiner Kutsche anzubringen, so traten die Befürchtungen seiner Standesge­ nossen durchaus nicht ein, der Fuhrverkehr wurde durch die Eisenbahn nicht geringer. Schon im März 1836 konnte Alexander Lips darauf verweisen, daß Eisenbahn und Landstraße ein ihr eigenes Publikum besitze.30 Im Laufe der ersten Jahre spielte sich ein umfangreicher Zubringerverkehr ein, der zu einem festen Turnus der Fiaker untereinander führte. Das freilich hielt sie nicht davon ab, im Mai 1848 erneut vorstellig zu werden: „Der großen Noth, dem 28 VM Nürnberg: MdI 4079, S. 17f. 29 Ausführlich bei Beckh, S. 109f. 30 Lips, S. 22; StdN, Plenarsitzungsprotokolle 1835/36, S. 113; HR 17519, S. 51f; ein aufschlußrei­ ches Rechenexempel stellte die „Bayerische Dorf-Zeitung“ am 9. 2.1836 auf. Für den Bedarf an Heu und Hafer, den ein Zugtier benötige, könnten bei gleicher Anbaufläche 8 Menschen ernährt werden: „Statt der vielen Pferde könnte dann auch mehr auf die Viehmästung gesehen werden, und die arbeitende Klasse würde nicht nur besseres, sondern auch wohlfeileres Fleisch erhalten.“

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Elend mit unseren Familien preisgegeben, nahen wir uns dem Throne“ — und 500 Gulden für 12 Jahre Gewinnbeeinträchtigung zu fordern. Die Regierung lehnte den Antrag unter Hinweis auf das der Ludwigseisenbahn erteilte Privi­ legium ab, „als derselbe lediglich eine Ausgeburt der in der Jetztzeit herr­ schenden Antragsmanie sich darstellt“.31 Daß sich auch die sämtlichen Gastwirte erster und zweiter Klasse gegen die Eisenbahn wandten — Es sei „nicht immer gut, wenn Städte und Menschen plötzlich einander so sehr nahegebracht werden“ — erscheint angesichts der Tatsache, daß sie davon profitierten, unverständlich:32 „Nie war der Verkehr auf der Nürnberg-Fürther Landstraße lebhafter als seit dem Eisenbahn-Institut. Alle an ihr befindlichen kleinen Gasthöfe und Wirthschaften sind beständig mit Neugierigen, Spaziergängern u.s.w. ange­ füllt, die sich die noch immer neue und interessante Erscheinung der Eisen­ bahn-Fahrt besehen; die in der Nähe der Abfahrts-Lokalitäten befindlichen Gasthöfe und Wirtshäuser haben, abgesehen von dem außerordentlichen Besuch, dessen sie sich zur Zeit der Eröffnung und Einweihung der Bahn erfreuten, beständig Zuspruch von Personen, die theils die Frequenz der Insti­ tution beobachten oder aber selbst davon Gebrauch machen wollen und dort bis zur nächsten Abfahrt verweilen.“ Am gewinnbringenden Unternehmen Eisenbahn partizipieren, das hatten viele Zulieferer, Handwerker, Grundstücksspekulanten versucht. Auch der am 17. Januar 1836 gegründete Verein zur Auffindung von Stein- und Braun­ kohlen, eine Aktiengesellschaft, die von vielen Kleinanlegern getragen war, hoffte mit Unterstützung der Gesellschaft zur Beförderung vaterländischer Industrie bald billiges Heizmaterial liefern zu können, ehe er sich nach dreijäh­ rigen Wirken wieder auflöste: „Haben wir doch die Gewißheit, daß in unserer Gegend keinerlei Kohlen ersprießlicher Qualität zu finden ist. . . gewiß nicht zu theuer erkauft“; von den einstmals einbezahlten 10 Gulden gab es 7 Gulden 24 Kreuzer zurück.33 Allen Grund zur Freude hatten dagegen die Besitzer von Ludwigseisen­ bahn-Aktien. Als die Gesellschaft Mitte März 1836 eine Bilanz des ersten Quartals vorlegte, ergab sich eine Überraschung: von den 74 512 beförderten Personen waren 10 566 Gulden erlöst worden; umgerechnet auf das Anlageka­ pital von 180 000 Gulden ergab sich eine Rendite von 13 xh Prozent, und das bei einem strengen und überlangen Winter. An den Dampffahrten hatten rund 40 000 Personen teilgenommen, die Einnahmen daraus hatten 4589 Gulden betragen. Die Verwendung der Dampfkraft, so die Nürnberger Chronik von 31 StdN, HR 17519, S. 79-93 u. HR 17589. 32 Lips, S. 22. 33 Amberger-Chronik Bd. VII, S. 219 u. 221; s. Peter Schröder, Die Entwicklung des Nürnberger Großgewerbes 1806—1870, Studien zur Frühindustrialisierung, Nürnberg 1971, S. 49f. und „Polytechnische Zeitung“, Nr. 2 vom 14. 1. 1836.

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